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An Auguste Gräfin zu Stolberg

[Frankfurt und Offenbach,

14. – 19. September 1775.]

Ja lieb Gustgen gleich fang ich an d. 14. Sept. im Moment da ich Ihren Brief endige, sehen Sie wie hoch und klein, wie viel ich zu schreiben dencke. Heut bin ich ruhig, da liegt zwar meist eine Schlang im Grase. Hören Sie, ich hab immer eine Ahndung, Sie werden mich retten, aus tiefer Noth, kanns auch kein Weiblich Geschöpf als Sie. Dancke zuerst für Ihre lebendige Beschreibung alles was Sie umgiebt, hätt ich nur iezt noch einen Schattenriss von Ihrer ganzen Figur! Könnt ich kommen. Neulich reisst ich zu Ihnen! Durchzog in trauriger Gestalt Deutschland, sah mich weder rechts noch lincks um, nach Coppenhagen, und kam und trat in Ihr Zimmer, und fiel mit Trähnen zu Ihren Füssen, und rief Gustgen [288] bist dus! – Es war eine seelige Stunde, da mir das lebendig im Kopf und Herzen war. Was Sie von Lili sagen ist ganz wahr. Unglücklicher Weise macht der Abstand von mir das Band nur fester das mich an sie zaubert. Ich kann ich darf Ihnen nicht alles sagen. Es geht mir zu nah ich mag keine Erinnerungen. Engel! Ihr Brief hat mir wie der in die Ohren geklungen wie die Trompete dem eingeschlafnen Krieger. Wolte Gott Ihre Augen würden mir Ubalds Schild, und liessen mich tief mein unwürdiges Elend erkennen, und – Ja Gustgen wir wollen das lassen – über des Menschen Herz lässt sich nichts sagen, als mit dem Feuerblick des Moments. Nun soll ich zu Tische.

Nach Tische. Dein gut Wort würckte in mir, da sprachs auf einmal in mir, sollst nicht übermäsiger Stolz seyn zu verlangen, dass dich ganz das Mädgen erkennte und so erkennend liebte, erkenn ich sie vielleicht auch nicht, und da sie anders ist wie ich, ist sie nicht vielleicht besser. Gustgen! – Lass mein Schweigen dir sagen, was keine Worte sagen können.

Gute Nacht Gustgen! Heut einen guten Nachmittag, der selten ist – mit Grosen, das noch seltner ist – Ich konnte zwey Fürstinnen in Einem Zimmer lieb und werth haben. Gute Nacht. Will dir so ein Tagbuch schreiben, ist das beste. Thu mir's auch so [289] ich hasse die Briefe und die Erörterungen und die Meynungen. Gute Nacht! So! – ich sehe zurück, schon dreymal, ist's doch als wenn ich verliebt in dich wäre! und den Hut immer nähme und wieder niederlege. Wie wollt ich du könntest nur acht Tage mein Herz an deinem, meinen Blick in deinem fühlen. Bey Gott was hier vorgeht ist unaussprechlich fein und schnell und nur dir vernehmbar.

Gute Nacht.


d. 15. Guten Morgen. Ich hab eine gute Nacht gehabt. Und bin ietzt recht wie ein Mädgen. Sie rathen nicht was mich beschäfftigt, eine Maske, auf kommenden Dienstag, wo wir Ball haben.

Nach Tisch! – Ich komme geschwind gelaufen, dir zu sagen, was mir drüben in der andern Stube durch den Kopf fuhr: Es hat mich doch kein Weiblich Geschöpf so lieb wie Gustgen.

Und meine Masque wird eine altdeutsche Tracht, schwarz und Gelb, Pumphose, Wämslein, Mantel und Federstuzhut. Ach wie danck ich Gott daß er mir diese Puppe auf die paar Tage gegeben hat, wenns so lang währt.

halb viere. In Brunnen gefallen wie ichs ahndete. Meine Masque wird nicht gemacht. Lili kommt nicht auf den Bal. Aber dürft ich, könnt ich alles sagen! –[290] Ich thats sie zu ehren weil ich deklarirt für sie bin, und eines Mädgens Herz pp. – Also Gustgen! – Ich thats auch halb aus Truz, weil wir nicht sonderlich stehn die acht Tage her. Und nun! – Sieh Gustgen! so kanns allein werden wenn ich Dir so von Moment zu Moment schreibe. – – halb 5. ich wollt ich könnt mich Dir darstellen wie ich bin, du solltest doch dein Wunder sehn. Gott! so in dem ewigen Wechsel, immer eben derselbe.

d. 16ten. Heut Nacht necksten mich halb fatale Träume. Heut früh beym Erwachen klangen sie nach. Doch wie ich die Sonne sah sprang ich mit beyden Füssen aus dem Bette, lief in der Stube auf und ab, bat mein Herz so freundlich freundlich, und mir ward's leicht, und eine Zusicherung ward mir dass ich gerettet werden, dass noch was aus mir werden sollte. Gutes muths denn Gustgen. Wir wollen einander nicht aufs ewige Leben vertrösten! Hier noch müssen wir glücklich seyn, hier noch muss ich Gustgen sehn. Das einzige Mädgen deren Herz ganz in meinem Busen schlägt. – Nach Mittage halb vier. Offen und gut der Morgen, ich that was, Lili eine kleine Freude zu machen, hatte Fremde. Trieb mich nach Tische spasend närrisch unter Bekannten und Unbekannten herum. Gehe jetzt nach Offenbach, um Lili heute Abend nicht in der Comödie morgen nicht im Conzert zu sehen. Ich stecke das Blatt ein und schreibe draus fort.

[291] Offenbach! Abends sieben. In einem Kreise von Menschen die mich recht lieb haben, offt mit mir leiden! Es ist nun so! ich sizze wieder an dem Schreibtischgen von dem ich Ihnen schrieb eh' ich in die Schweiz ging. Lieb Gustgen – da ist ein junges Paar in der Stube das erst seit acht Tagen verheurathet ist! eine junge Frau liegt auf dem Bette die der angenehmsten Hoffnung eines lieben Kindes entgegen

schmerzet. Ade für heute. Es ist Nacht und der Mayn blinckt noch aus den dunklen Ufern.

Offenbach. Sonntag d. 17ten Nachts zehen. – Ist der Tag leidlich und stumpf herumgegangen, da ich aufstund war mirs gut, ich machte iene Scene an meinem Faust. Vergängelte ein paar Stunden. Verliebte ein paar mit einem Mädgen davon dir die Brüder erzählen mögen, das ein seltsames Geschöpf ist. Ass in einer Gesellschafft ein Duzzend guter Jungens, so grad wie sie Gott erschaffen hat. Fuhr auf dem Wasser selbst auf und nieder, ich hab die Grille selbst fahren zu lernen. Spielte ein Paar Stunden Pharao und verträumte ein Paar mit guten Menschen. Und nun sizz ich dir gute Nacht zu sagen. Mir wars in all dem wie einer Ratte die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlurpft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbaare das ihr in Weeg kommt und ihr innerstes glüht von unauslöschlich verderblichem Feuer. Heut vor acht Tagen war Lili hier. Und in dieser Stunde war ich in der [292] grausamst feyerlichst süsesten Lage meines ganzen Lebens |: mögt ich sagen :|. O Gustgen warum kann ich nichts davon sagen! Warum! Wie ich durch die glühendsten Trähnen der Liebe, Mond und Welt schaute und mich alles seelenvoll umgab. Und in der Ferne die Waldhorn, und der Hochzeitgäste laute Freuden. Gustgen auch seit dem Wetter bin ich – nicht ruhig aber still – was bey mir still heisst und fürchte nur wieder ein Gewitter das sich immer in den harmlosesten Tagen zusammenzieht, und – Gute Nacht Engel. Einzigstes Eizigstes Mädgen – Und ich kenne ihrer Viele – – –

Montag d. 18. Mein Schiffgen steht bereit, ich werds gleich hinunter lencken. Ein herrlicher Morgen, der Nebel ist gefallen alles frisch und herrlich umher! – Und ich wieder in der Stadt, wieder ans Sieb der Danaiden! Ade! – Ich hab einen offnen frischen Morgen! O Gustgen! Wird mein Herz endlich einmal in ergreifendem wahren Genuss und Leiden, die Seeligkeit die Menschen gegönnt ward, empfinden, und nicht immer auf den Wogen der Einbildungskrafft und überspannten Sinnlichkeit, Himmel auf und Höllen ab getrieben werden. Beste ich bitte dich schreib mir auch so ein Tagbuch. Das ist das einzige was die ewige Ferne bezwingt.

Montag Nacht halb zwölf. Franckfurt an meinem Tisch. komme noch dir gute Nacht zu sagen. Hab [293] getrieben und geschwärmt biss iezt. Morgen gehts noch ärger. O Liebste. Was ist das Leben des Menschen. Und doch wieder die vielen Guten die sich zu mir sammeln! – das viele Liebe das mich umgiebt – – –

Lili heut nach Tisch gesehn – in der Comödie gesehn. Hab kein Wort mit ihr zu reden gehabt – auch nichts geredt! – Wär ich das los. O Gustgen – und doch zittr' ich vor dem Augenblick da sie mir gleichgültig, ich hofnungslos werden könnte. – Aber ich bleib meinem Herzen treu, und lass es gehn – Es wird –

Dienstag sieben Morgens. – Im Schwarm! Gustgen! ich lasse mich treiben, und halte nur das Steuer dass ich nicht strande. Doch bin ich gestrandet, ich kann von dem Mädgen nicht ab – heut früh regt sich wieder zu ihrem Vortheil in meinem Herzen. – Eine grose schwere Lecktion! – Ich geh doch auf den Ball einem süsen Geschöpf zu lieb, aber nur im leichten Domino, wenn ich noch einen kriege. Lili geht nicht.

Nach Tische halb vier. Geht das immer so fort, zwischen kleinen Geschäfften durch immer Müssiggang getrieben, nach Dominos und Lappenwaare. Hab ich doch mancherley noch zu sagen. Adieu. ich bin ein Armer verirrter verlohrner – – Nachts Achte, aus der Commödie und nun die Toilette zum Ball! O[294] Gustgen wenn ich das Blat zurücksehe! Welch ein Leben. Soll ich fortfahren? oder mit diesem auf ewig endigen. Und doch Liebste, wenn ich wieder so fühle dass mitten in all dem Nichts, sich doch wieder so viel Häute von meinem Herzen lösen, so die convulsiven Spannungen meiner kleinen närrischen Composition nachlassen, mein Blick heitrer über Welt, mein Umgang mit den Menschen sichrer, fester, weiter wird, und doch mein innerstes immer ewig allein der heiligen Liebe gewidmet bleibt, die nach und nach das Fremde durch den Geist der reinheit der sie selbst ist ausstöst und so endlich lauter werden wird wie gesponnen Gold. – Da lass ich's denn so gehn – Betrüge mich vielleicht selbst. – Und dancke Gott. Gute Nacht. Addio. – Amen. 1775.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1775. An Auguste Gräfin zu Stolberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-81C1-9