In psychiatrischen Einrichtungen war Arbeit seit Beginn des Anstaltswesens im 18. Jahrhundert verbreitet. Neben therapeutischen Zwecken diente sie insbesondere der ökonomischen Versorgung der Anstalt auf landwirtschaftlichen Flächen. Als Begründer der modernen Arbeitstherapie gilt der Psychiater Hermann Simon, der diese Therapie auch in der von ihm geleiteten Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Gütersloh anwendete. Simon wollte mit der Arbeitstherapie eine Behandlungsmethode einführen, die die Heilung und Entlassung aus der Psychiatrie zur Folge hatte. Gleichzeitig vertrat er eugenisches Gedankengut und warb für die Sterilisierung von ‘Minderwertigen’ und deren Beseitigung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der DDR und der BRD die Arbeitstherapie weitergeführt, wobei hierbei meist die praktischen Erfordernisse im Vordergrund standen. In der DDR begann 1960 mit der Ausbildung von Arbeitstherapeut/innen eine Professionalisierung. 1963 fand in Rodewisch eine internationale Konferenz statt, auf der die sogenannten Rodewischer Thesen beschlossen wurden. In diesen Thesen wurde gefordert, dass alle Patient/innen eine therapeutische Behandlung erhalten sollten und eine Öffnung der zumeist geschlossenen Anstalten nach außen erfolgen solle. Die Thesen wurden später als Nachweis der fortschrittlichen Ideen innerhalb der DDR-Psychiatrie idealisiert, die Frage inwieweit die Thesen praktische Auswirkungen hatten und umgesetzt wurden, ist aber bis heute umstritten. Die hier wiedergegebenen Empfehlungen zur Arbeitstherapie, die Teil der Rodewischer Thesen waren, betonen den therapeutischen Wert der Arbeitstherapie und fordern, dass der ökonomische Nutzen bei der Anwendung hintenanstehen müsse. Sie sollte der Integration in die Gesellschaft dienen, indem das Gefühl vermittelt wurde, etwas Sinnvolles zu schaffen. Sie entsprach damit auch ganz den damaligen Vorstellungen in Ost und West, dass Arbeit der entscheidende Baustein zur Integration von behinderten Menschen sei. Eine Entlohnung der Arbeit sollte nicht erfolgen, eine Belohnung konnte aber gezahlt werden. Die Psychiatrien sollten sich den Einsatz für externe Betriebe aber vergüten lassen. Die Empfehlungen sind stark medizinisch geprägt, die Arbeitstherapie sollte dementsprechend auch hauptsächlich therapeutische Zwecke verfolgen. Dennoch wurde in ihnen eine ‘beschützende Umgebung’ für diejenigen gefordert, die noch nicht entlassen werden konnten und die Einrichtung von ‘Heilwerkstätten’ gefordert.

In der Tat wurde mit der Anordnung über die Durchführung und Finanzierung der Arbeitstherapie in den Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens vom 29. Mai 1968 die Arbeitstherapie als ärztlich verordnete Therapiemethode anerkannt. Die Anordnung zur Sicherung des Rechts auf Arbeit für Rehabilitanden vom 26. August 1969 sah zudem die Einrichtung von sogenannten geschützten Arbeitsplätzen auch für ‘psychisch geschädigte Bürger’ vor. Unter diese fielen auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die sehr häufig in Psychiatrien untergebracht waren und dort und in Werkstätten und Behinderteneinrichtungen der Kirche Arbeit im Rahmen der Arbeitstherapie verrichteten.

Literaturhinweise:
  1. Jan Armbruster/Anne Jarisch: Im Spannungsfeld von individueller Rehabilitation und Missbrauch. Arbeitstherapie in der DDR-Psychiatrie am Beispiel des Bezirkskrankenhauses Stralsund, in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 20 (2014), S. 353–371.
  2. Jörg Schulz: Die Rodewischer Thesen von 1963 - ein Versuch zur Reform der DDR-Psychiatrie, in: Franz-Werner Kersting (Hrsg.): Psychiatriereform als Gesellschaftsreform: Die Hypothek des Nationalsozialismus und der Aufbruch der sechziger Jahre, Paderborn u.a. 2003, S. 87–100.

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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Arbeit. C3 - Kommentar. Geschichte-MMB. Bertold Scharf. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1C5-A