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Mit Freuden ergreife ich eine besondere Aufforderung Ihnen, werthester Freund, durch diese Zeilen einen Beweis zu geben, daß ich oft und gern an Sie denke und dasselbe für mich auch von Ihnen wünsche. Unser vielfaches Zusammenleben unter heimischem und fremdem Himmeln, bei gutem und schlechtem Wetter an und unter ihm, und am Ende unter allen den Umständen die Menschen näher aneinanderknüpfen, giebt mir ein Recht auf den Wunsch, so auch im Vaterlande mit einander fortzuleben, und so konnte mir in dieser Stimmung keine angenehmere Aussicht eröffnet werden, als mir durch die Nachricht geschah, die ich durch Prof. Böckh über Ihren Entschluß sich hier zu habilitiren erhielt. Und indem ich Böckh meine Absicht zu erkennen gab, Sie in dieser Beziehung von hier aus zu begrüßen, so bat er mich Sie über die fraglichen Punkte Ihres Briefes an B. vom 31. Jan. 20. in Nachricht zu setzen und ihn dabei zu gleicher Zeit bei Ihnen mit zu großer Überhäufung von Geschäften bestens zu entschuldigen, welches letztere ich besonders attestiren kann. So mögen Sie immerhin, was Sie hier über[304]Ihr Verhältniß zur Philos. Facultät lesen, als halb officiell nehmen, obwol es aus keiner decanatischen Feder fließt.

Was Ihr Gesuch betrifft für Ihre Vorlesung in consessu facultatis das Thema selbst wählen zu können, oder das Thema in verweigertem Falle nach Dresden im Voraus gesendet zu erhalten: so verträgt sich keins von beiden mit den Statuten der Facultät. Aber Sie können getrost ein frei gewähltes Thema in Ruhe für sich bearbeiten, indem die Wahl gewöhnlich dem Candidaten ganz überlassen wird, und man sich dies Gesetz als Cautel für besondere Fälle nur vorbehalten hat, die eine außerordentliche Behandlung erfordern. Hierzu setze ich aus eigner Erfahrung, daß als ich mich hier habilitirte, kein Mensch darnach fragte, worüber ich reden würde: auch wurde an meiner Abhandlung weiter kein Fehler befunden, als daß sie zu lang war, und die Leute wahrscheinlich schon zu lange von einer angenehmeren Parthie irgendwo abgehalten worden. Denn mich unterbrach endlich der Decan mitten in der Rede mit der Bitte bei dem nächsten shicklichen Absatz die Vorlesung zu schließen. Wornach sich zu achten!

Die öffentliche Vorlesung endlich wird als solche behandelt, das heißt in Form einer Vorlesung, lateinisch geschrieben, von einem Umfang ungefähr einer halben, oder drei Viertel Stunden. Der Gegenstand dabei steht ganz Ihrer Wahl frei.

Somit scheinen nun alle Ihre Zweifel beseitigt zu sein, und ich kann nur den Wunsch beifügen, Sie bald hier und in Ihrem vollen Wirkungskreis zu sehen, der sich Ihrer bürgerlichen Thätigkeit auf eine Ihrem innern Standpunct entsprechende Weise nur eröffnen kann.

Soll ich schließlich noch von mir reden, so kann ich Ihnen versichern, daß ich in dem akademischen Leben hier einen sehr erfreulichen Wirkungskreis gefunden, der nicht der Aufforderung zu weitern Anstrengungen und der Ermunterung ermangelt. Über Erwarten habe ich, obwol erst mit diesem neuen Jahre, und also mitten im akademischen halben meine Vorlesungen anfangend, für mein Publicum über den Sophokles ein sehr zahlreiches Auditorium erhalten, das mir große Freude macht. Außerdem was ist der akademische Vortrag nicht für ein herrliches Vehikel der[305]eignen Bildung! Wie sehr habe ich an mir nun selbst erfahren, daß während ich Andere zu belehren meinte, ich mich selbst belehrte.

Kommen Sie sobald Sie können; denn der Osterferien sind sehr wenige, und Sie finden vor dem Anfang Ihrer Vorlesungen der Arbeit viel. In mir werden Sie wie sonst, auch itzt und immerfort finden

ganz den Ihrigen
Friedrich Osann
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Friedrichstraße N 76 bei Madame Miersch,
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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. nach 1. Februar 1820. F. G. Osann an Schopenhauer. Z_1820-02-01_l.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-38DA-D