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[...] Auf meine Indication erhielt ich von Göthen einen sehr werthen Brief, den Du vielleicht noch diesen Sommer zu lesen bekommen wirst.

Ich habe auch nun das Vergnügen mehrere tüchtige Arbeiter und Theilnehmer an meinen subjectiven Erfahrungen gewonnen zu haben; was bei einem solchen Gegenstand der leicht der Täuschung und dem Unglauben ausgesetzt ist, unumgänglich nöthig scheint. Eben hab ich ein dickes Buch, das aus meinem ersten Bändchen hervorgewachsen ist (Joh. Müllers Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes in Bonn) und {dass} dem Autor eine Professur gebracht, unter meiner Recensirfeder. Ich hoffe diesen Sommer noch mit einem dritten Bändchen aufzutreten und so mir den Ruhm zu begründen einen neuen Weg in der Physiologie gebrochen zu haben.

Wenn mir nur der Ruhm auch Ruhe bringen wollte. Denn, glaube mir, ich bin hier nicht so gut gestellt als ein Prof. ordinarius in Oesterreich steht in der Rücksicht, dass man hier in gesellschaftlicher und litterärischer Hinsicht vielmehr als dort in Anspruch genommen wird. Auch hatte ich manchen scharfen Kampf zu bestehen um mir hier meine Existenz zu befestigen, da bei der scheinbar grössten Freiheit der Individuen, die legalen Verhältnisse nicht so fest gegründet sind und man gegen Rivalen immer gerüstet stehen muss. Freilich wird man auf diese Weise durchtriebener und wird gezwungen sich vielfach mit anderen zu vergleichen um zum Bewusstseyn seine eigenen Werthes zu kommen, muss sich auch mitunter auf eine kräftige Weise geltend machen. Mir sind jedoch diese Klugheitskünste bis ins Innerste meiner Seele zuwider und mir ist die Spannung und Uiberspannung in die sie mich versetzen, immer höchst lästig und ich glaube daher mich noch immer in einem fremden Element zu befinden.

Aus solchen Umständen erwuchs dann auch jener Anspruch, den ich an Dich zu machen gedachte. Ich wollte nämlich eine gedrängte Uibersicht meiner bisherigen Arbeiten über das subjective Sehen verfassen, und Du solltest eine englische und französische Uibersetzung davon machen, damit ich sie in jenen Ländern allgemeiner bekannt machen könnte. Da dies jedoch manche Schwierigkeiten haben dürfte und ich noch gar manches andere vor mir habe, so hab ich jenen Gedanken wenn nicht aufgehoben, so doch auf Deine Freundschaft vertrauend, aufgeschoben. Wenn du bei Calve nachfragen solltest, wie es mit dem Absatz des ersten Bändchens steht. Ich möchte eine umgearbeitete und vermehrte Auflage im Format des zweiten Bandes veranstalten, das noch Uibrige könnte als Maculatur vernichtet werden. Frage dort, ob und unter welchen Bedingungen man dies Geschäft auf sich nehmen wollte.

[...]

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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 15. Mai 1826. Purkinje an Johann Evangelista Schmid (Auszug). Z_1826-05-15_l.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-44A2-D