Ludovico Ariosto
Der rasende Roland
(L'Orlando furioso)

[1] Erster Gesang

1.
Die Ritter, Fraun, Großtat der Hochgemuten,
Lieb', Edelart zum Sang ich mir erkor,
Wie sie die Welt sah, da durch Meeresfluten
Nach Frankreich fuhr aus Afrika der Mohr,
Treu seines Herrschers jugendlichen Gluten,
Des Königs Agramant, der sich verschwor,
Den stolzen Sinn des Kaisers Karl zu brechen
Und schwer an ihm den Tod Trojans zu rächen.
2.
Von Roland gilt es Unerhörtes sagen,
Was weder Reim noch Prosa je gekannt:
Wie er, so weise sonst in allen Tagen,
Durch Liebe ward vom Wahnsinn übermannt;
Wenn sie, die fast wie ihn mich hat geschlagen,
So daß mir schier mein bißchen Witz entschwand,
Von diesem Rest so viel mir will vergönnen,
Daß ich Versprochnes werde schaffen können.
3.
Hochherz'ger Sproß aus Herkules' Geschlechte,
Du Schmuck und Glanz der Zeit, nimm gnädig an,
Ippolito, was dir von deinem Knechte
Gegeben wird, wie er es geben kann:
Mit Schreibwerk zahl' ich und mit Reimgeflechte
Zum Teil zurück, was ich durch dich gewann.
Der Kargheit Vorwurf trifft mich keinenfalles,
Denn geb' ich wenig, geb' ich doch mein Alles.
[1] 4.
Es tritt mit andern auserlesnen Degen,
Die hoch zu preisen dieser Sang erklingt,
Auch Roger, ja, der Ahnherr, dir entgegen,
Von dem des Hauses hehrer Stamm entspringt.
Sein Wert und, was er tat auf Heldenwegen,
Wenn du's verstattest, dir zu Ohren dringt:
Den Flug des Geistes senk' ein wenig nieder,
Hinaufzunehmen meine schlichten Lieder.
5.
Graf Roland, für Angelika entglommen,
Gewohnt, für sie die Gegner hinzumähn,
Erfocht im Inderreich zu ihrem Frommen,
Bei Medern und Tataren Kriegstrophän;
Nach Westen war er jetzt mit ihr gekommen,
Dort, wo am Fuß der schroffen Pyrenän
Für Frankreichs Heer und das aus deutschen Landen
Auf Karls Befehl die Lagerzelte standen,
6.
Daß vor Verdruß sich selbst ins Antlitz schlügen
Marsilius und König Agramant:
Der schickte ja nach Nord in langen Zügen,
Wer nur mit Schwert und Lanze war bekannt;
Und jener sah die Hoffnung ihn betrügen,
Mit der ganz Spanien ward ausgesandt.
So traf denn Roland ein zu guten Stunden;
Doch Freude drüber ist ihm bald geschwunden.
7.
Denn seine Dame sieht er sich entrissen
– Entfernt ist Wähnen oft von Wirklichkeit! –:
Die er von Ost trotz tausend Hindernissen
Gen Abend hat geführt nach langem Streit,
Die soll er mitten unter Freunden missen,
In seinem Land, den Degen in der Scheid'!
Um schweren Brand zu löschen, als ein Weiser
Hinweggenommen hatte sie der Kaiser.
[2] 8.
Vor kurzem schuf ein Zwist dem Herrscher Leiden:
Rolands und seines Vetters, des Rinald,
Da jähe Glut im Busen dieser beiden
Entbrannt war für die liebliche Gestalt.
Karl sann darauf, den Anlaß auszuscheiden,
Der Schwächung drohte seiner Heergewalt:
Er nahm die Schöne fort, den Streit zu enden,
Und ließ sie in des Bayernherzogs Händen.
9.
Zum Lohn soll der von ihnen sie behalten,
Der mehr der Feinde habe umgebracht;
Der mächt'ger werde Kriegerkraft entfalten
Und Kaisers Dank verdienen in der Schlacht.
Doch anders sollte sich das Ding gestalten,
Denn fliehen mußte der Getauften Macht.
Der Herzog ward, mit vielen noch, gefangen,
Und jeder konnt' ins leere Zelt gelangen.
10.
Rasch ist die schöne Maid dort aufgesprungen,
Die nach der Schlacht des Siegers sollte sein,
Hat vor Entscheid sich auf ihr Roß geschwungen
Und sprengt mit allen Kräften querfeldein.
Sie ahnt, Herrn Karl ist heut der Tag mißlungen,
Und feind das Glück des Christenvolkes Reihn.
Ein Hain umfängt sie; dort auf engen Wegen
Kommt ihr, zu Fuß, ein Rittersmann entgegen.
11.
Helm auf dem Haupt, das gute Schwert zur Seiten,
Gepanzert und am Arm den Schildesrand,
Lief er doch leichter durch des Waldes Weiten,
Als nackt ein Bauer nach dem roten Band.
Ein Hirtenkind, sieht es die Schlange gleiten,
Hebt flinker nicht das Füßchen aus dem Sand,
Als hier Angelika die Zügel wandte,
Sobald den Nahenden ihr Aug' erkannte:
[3] 12.
Den Haimonssohn! – es bleichten ihre Wangen –
Den Paladin und Herrn von Montalban!
Gar seltsam war sein Roß ihm durchgegangen,
Bajard, und lockt ihn her auf diese Bahn.
Als hin zur Dame seine Blicke drangen,
Hat er – der Himmel wird ihm aufgetan! –
Vor sich die süße Huldgestalt gefunden,
Die ihn mit starkem Liebesnetz umwunden.
13.
Die Dame läßt den Zelter rückwärts jagen,
Verhängt die Zügel, stets in vollem Lauf;
Fragt nicht, ob guten Weg sie eingeschlagen,
Ob dicht der Wald, ob dünn; sie schaut nicht auf.
Nein, zitternd, außer sich, läßt sie sich tragen
Vom Tiere, wie es will; bergab, bergauf
Schweift sie umher auf rauhem Waldespfade
Und kommt zuletzt zu einem Flußgestade.
14.
Am Ufer dort war Ferragu zu finden,
Beschmutzt und schweißbedeckt mit staub'gem Schuh.
Vom Schlachtgewühl ließ zeitig ihn entschwinden
Brennender Durst und Wunsch nach etwas Ruh'.
Da mußt' ein Zufall an den Ort ihn binden;
Denn als er gierig trank, ließ Ferragu
Vom Haupt den Helm ins Wasser sich entwischen,
Und nicht gelang's noch, ihn herauszufischen.
15.
Schreiend, im tollsten Jagen kommt mit Bangen
Das Mädchen; – hei, wie jetzt sie neu erschrickt!
Ans Ufer springt der Heide voll Verlangen:
Bei dieser Stimme hat er aufgeblickt.
Sind auch vom Schreck entstellt und blaß die Wangen,
Er weiß doch, wen sein guter Stern ihm schickt:
Von der er viele Tage ohne Kunde,
Angelika schickt ihm die Gunst der Stunde!
[4] 16.
Vielleicht so hitzig wie die Vettern eben,
Und weil ein edles Herz ihm ward beschert,
Eilt er, zu ihrem Schutz den Arm zu heben,
So kühn, als sei er ganz mit Stahl bewehrt,
Und wo Rinald steht – wahrlich ohne Beben! –,
Hin läuft er drohend mit gezücktem Schwert.
Die beiden kannten sich, und unvergessen
War ihnen, daß im Kampf sie sich gemessen.
17.
Beide, zu Fuß jetzt, nur die Schwerter hatten:
Ein grimmig Hämmern alsobald begann.
Nicht Schuppenkleider oder Panzerplatten,
Ja selbst kein Ambos schützte hier den Mann.
Derweil die zwei mit Hieben sich ermatten,
Verstohlen fängt das Pferd zu laufen an;
Denn jene jagt mit aller Kraft der Spornen
Das Tier ins Feld durch Dickicht und durch Dornen.
18.
Lang mühten sich umsonst die beiden Degen,
Den Gegner hinzustrecken in den Sand;
Denn keiner war dem andern überlegen,
Geschickt des Heiden wie des Christen Hand.
Rinald begann zuerst den Mund zu regen
Und sprach, dem span'schen Ritter zugewandt,
Wie einer, der von innern Gluten so brennt,
Daß ihm das Wort fehlt und er lichterloh brennt:
19.
»Nur mich zu treffen, ist ja dein Verlangen;
Allein dir selbst auch fügst du Schaden zu.
Gesetzt, daß ich dir bis zum Morgenprangen
Hier zu verweilen den Gefallen tu,
Ob ich dann tot bin oder bin gefangen,
Bei alledem, sprich, was erlangst denn du?
Das alles wird dir nicht die Maid gewinnen;
Derweil wir säumen, flieht sie ja von hinnen.
[5] 20.
Gescheiter wär's, du ständest mir zur Seite,
Liebst du sie auch; der Weg sei ihr verwehrt,
Rasch, eh sie noch verschwinde dort ins Weite!
Hübsch zu verweilen, werde sie belehrt!
Wenn wir sie haben, wohl! – in blut'gem Streite,
Wem sie gehör', entscheide dann das Schwert.
Ich sehe nicht, was auf der Säumnis Pfaden
Sich sonst für uns ergeben kann als Schaden.«
21.
Dem Mohr gefällt, was man ihm vorgeschlagen:
Seht, aufgeschoben ist der Zweikampf schon!
Die Gegner haben derart sich vertragen
(Haß scheint vergessen und der Zorn entflohn),
Daß, als des Mohren Roß den Herrn soll tragen,
Er nicht zu Fuße läßt den Haimonssohn.
Er lädt ihn ein, den Sitz mit ihm zu teilen,
Und hinterm Fräulein drein die Ritter eilen.
22.
O Trefflichkeit der Ritter alter Zeiten!
Als Nebenbuhler, grimmig aufgebracht,
Verschiednen Glaubens, während noch vom Streiten
Manch harter Hieb am Leib sich fühlbar macht,
Ohn' alle Furcht auf gleichem Rosse reiten
Sie krummen Pfad entlang durch Waldesnacht!
Vier Sporen fühlend, kommt gleich einem Pfeile
Das Pferd hin, wo der Weg geht in zwei Teile.
23.
Und weil sie beide nun in Zweifel stehen,
Wohin sich wohl das schöne Kind gewandt –
Denn hier wie dort ist neue Spur zu sehen,
Und keiner hat ein Zeichen sonst erkannt –,
Beschließt ein jeder auf gut Glück zu gehen,
Der eine rechts, der andre linker Hand.
Im Wald Herr Ferragu die Kreuz und Quer ritt,
Und schließlich war er wieder, wo er herritt.
[6] 24.
Am Flusse steht er, wo der Strömung Schnelle
Ihm seinen Helm vom Haupt hinunterzog.
Noch einmal will er prüfen hier die Welle,
Weil Hoffnung auf das Fräulein ihn betrog.
Wo ihm der Helm entfiel, an gleicher Stelle
Taucht er hinunter in das Flutgewog!
Da hat der Helm sich in den Sand gegraben:
Wohl Mühe kostet's, ihn zurückzuhaben!
25.
Aus einem zugestutzten glatten Zweige
Schnitzt er sich eine mächtig große Stang'
Und reizt den Fluß, daß er den Helm ihm zeige,
Und stochert auf und ab und tastet lang';
Er sucht und sucht, der Tag geht auf die Neige,
Des Eifers Hitze rötet ihm die Wang',
Als einen, bis zur Brust von Flut umgeben,
Er aus dem Strom sich dräuend sieht erheben.
26.
Der steckt – bis an den Kopf – im Eisenkleide,
Und einen Helm trägt seine rechte Hand.
Es ist der gleiche Helm, um den der Heide
Umsonst so viele Müh' hat aufgewandt.
»Treuloser Schurke,« spricht er zornig, »leide,
Daß ich behalte, was mir Gott gesandt!
Den Helm zu lassen will dir Schmerz bereiten,
Den du mir schuldest doch seit langen Zeiten!?
27.
Besinne dich: als damals du erstochen
Den Bruder – ich war's – der Angelika,
Den andern Waffen nach hast du versprochen
Zu werfen in den Fluß den Stahlhelm da.
Hält das Geschick den Eid, den du gebrochen,
Füg' dich, kein Grund zu jammern ist das ja.
Reg' dich nicht auf, und willst du auf dich regen,
Je nun, so tu's, ich habe nichts dagegen!
[7] 28.
Trägst du nach einem schönen Helm Verlangen,
Such' einen andern dir; trag ihn mit Ehr'!
In solchem Helm kommt Roland hergegangen;
Rinaldos gilt so viel, vielleicht noch mehr.
Man sah Mambrin darin und Almont prangen:
Von jenen hole dir doch einen her,
Weil diesen hier du hübsch mir lassen solltest,
Wie deinem Wort nach du ihn lassen wolltest
29.
Dem Mohren sträubte sich das Haar vor Schrecken,
Als jäh der Schatten stieg aus Stromesflut;
Die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken,
Und aus den Wangen wich zurück das Blut.
Er hörte sich mit Schmach von ihm bedecken
(Einst Argalia hieß der Kämpe gut,
Den er erstach); als der ihn treulos nannte,
Vor Scham und Zorn er inn und außen brannte.
30.
Es fehlte Zeit, um Antwort ihm zu geben;
Auch wußt er wohl, daß jener Wahrheit sprach.
So blieb das Wort ihm auf den Lippen schweben,
Doch grub sich tief ins Herz ihm ein die Schmach,
Und heilig schwur er – bei Lanfusas Leben –,
Das Haupt beschütz' hinfort kein ander Dach
Als jener Helm, den einst bei Aspramonte
Roland gewann vom trotzigen Almonte.
31.
Und treuer sollt' er stehn zu diesem Eide,
Als er vordem des andern hat gedacht.
Er zieht davon, das Herz beschwert von Leide,
Und härmt und grämt sich lange, Tag und Nacht.
Den Paladin zu finden strebt der Heide,
Sucht hier und dort nach ihm mit aller Macht.
Rinald, der sich indessen fortbegeben,
Sollt' andre Abenteuer noch erleben.
[8] 32.
Er geht noch gar nicht lang, da sieht er springen
Bajard nicht weit vor sich, sein stolzes Tier:
»Halt, Bajard, halt! Du willst mir Schaden bringen!«
So ruft er laut, »gar sehr ja fehlst du mir!«
Er sieht das Roß nur immer weiter dringen,
Als ob es taub wär', in das Waldrevier.
Nun eilt er nach, in Zornesflammen, brennenden;
Doch folgen wir Angelika, der rennenden.
33.
Sie flieht dahin durch dunklen Waldes Weiten,
Einöden menschenleer und grauenvoll,
Wo Blätter wiegen, wo sich Schatten breiten
Von Ulmen, Eichen, Buchen – da wie toll
Muß sie auf einmal pfadlos seitwärts reiten,
Hier-, dorthin, weil die Furcht im Busen schwoll.
Bei jedem Schatten fängt sie an zu traben:
Stets glaubt sie hinter sich Rinald zu haben.
34.
So wie das Zicklein oder Reh, das junge,
Das unter Buschwerk sah im heim'schen Hain
Des Pardels Wut zerreißen Brust und Lunge
Der lieben Mutter, und mit flinkem Bein
Von Wald zu Wald flieht in entsetztem Sprunge,
Zitternd vor Angst, in Dunkelheit hinein –
Bei jedem Knistern, jedes Zweiges Knacken
Fühlt es das grimme Tier in seinem Nacken –:
35.
Den Tag, die Nacht, vom nächsten Tag noch Stunden
Schweift sie – wo, weiß sie selber nicht – umher,
Bis einen Waldeshag sie hat gefunden,
Von frischer Luft bewegt und düfteschwer;
Von zartem Gras und Blumen hold umwunden,
Zwei Bächlein drängen murmelnd nach dem Meer,
Und lieblichem Gesang glaubt man zu lauschen,
Da leise plätschernd durchs Gestein sie rauschen.
[9] 36.
Sicher zu sein scheint dieser Ort der Wonnen,
Rinald entfernt wohl manche weite Meil';
Von Hitz' und Mühen viel ist sie gesonnen
Hier auszuruhen eine kleine Weil'!
Und unter Blumen steigt sie ab am Bronnen,
Das Pferd nimmt, zügelfrei, am Rasten teil:
Es schweift vergnügt umher im kühlen Raume,
Der frische Gräser beut an seinem Saume.
37.
Ganz nahe, sieh! ein schön Gebüsch sich breitet,
Wo Blütendorn bei roten Rosen sprießt,
Sich hold im Wasser spiegelnd, das da gleitet;
Der Sonn' ein Eichendach den Platz verschließt.
Die Mitte drinnen zum Gemach sich weitet,
Durch das erfrischend dichter Schatten fließt,
Blattwerk und Zweige kunstvoll sich verschlingen –
Selbst Phöbus' Blick vermag nicht durchzudringen.
38.
Ein zartes Gras lädt ein die müden Glieder,
Wes Augen immer diese Ruhstatt sahn;
Die Schöne läßt sich in der Mitte nieder
Und gleich vom Arm des Schlummergotts umfahn.
Jedoch nach kurzer Frist erwacht sie wieder:
Sie glaubt zu hören, daß sich Tritte nahn.
Leis steht sie auf, Gewißheit sich zu schaffen –
Und sieht am Bächlein einen Mann in Waffen.
39.
Ob Freund, ob Feind es ist? Sie kann's nicht sagen:
Bald ist sie hoffnungsfroh, bald wieder bang
Und mag den Hauch nicht eines Seufzers wagen:
Sie wartet auf das End' vom Liede lang.
Zum Fluß hinab ihn jetzt die Schritte tragen:
Dort bleibt er, auf den Arm gestützt die Wang',
Und in Gedanken steht er tief, alleine,
Ganz wie erstarrt zu regungslosem Steine.
[10] 40.
Gesenkten Hauptes stand mit seinem Harme
Der Ritter stundenlang am Bachesdamm;
So weich zu klagen drauf begann der Arme,
So schmelzend süß, von seiner Liebesflamm',
Als gelt' es, Herr, daß sich ein Stein erbarme,
Ein Tigertier sich wandle in ein Lamm.
Sein Seufzer scheint aus Ätnas Grund zu dringen;
Als wär's ein Wasserfall, die Tränlein springen.
41.
»Gedanke,« sprach er, »der mich glutentglommen
Und eisig macht, du drückst das Herz mir wund!
Was soll ich tun? Ich bin zu spät gekommen:
Ein andrer pflückt die süße Frucht jetzund.
Kaum einen Blick, ein Wort hab' ich bekommen,
Ein andrer die Trophäen, Herz und Mund.
Kann weder Frucht noch Blüte mich beglücken,
Was soll ich mir um sie den Sinn bedrücken?
42.
Die Jungfrau ist der Rose zu vergleichen,
Die sich im Garten auf dem Stengel wiegt,
Eh Hirtenhand und Herde sie erreichen,
Im Schoß der Ruhe still geborgen liegt:
Wind, Frührot neigen sich der Anmutreichen
Und Land und Flut, von ihrer Huld besiegt;
Burschen und Mägdlein mit verliebten Wangen
Lassen an Schläfen sie und Busen prangen.
43.
Doch sieht man sie nicht mehr am Strauch sich heben,
Ward sie getrennt vom mütterlichen Stamm, –
Was ihr bei Gott und Menschen Wert gegeben,
Anmut und Schönheit, schwindet allzusamm.
Das Mädchen, das nicht mehr als Licht und Leben
Zu hüten weiß die Blüte wundersam,
Verliert, wenn einer dieses Gut verletzte,
Den Preis, den jeder über alles schätzte.
[11] 44.
Andern verhaßt, sei sie nur lieb dem einen,
Den sie mit ihrem Selbst so reich beglückt.
Grausames Los! Wie muß ich dich beweinen!
Reich sah ich andre, mich von Not bedrückt.
Ist's möglich: unhold will sie mir erscheinen?
Mein Leben selbst, es wäre mir entrückt?
Ach, lieber wär' ich heute tot geblieben,
Als daß ich sie nicht fürder sollte lieben!«
45.
Fragt jemand: wer mag innen also brennen?
Hat so viel Tränen nach dem Fluß gesandt? –
So muß ich euch Zirkassiens König nennen:
Er ist's: der liebeskranke Sakripant.
Und wollt ihr seines Leides Ursach' kennen?
Mit seiner Lieb' ist alles schon genannt.
Zu den Verehrern zählt er jener Schönen,
Und sie erkannt' ihn gleich in seinem Stöhnen.
46.
Um sie allein war er in Liebesgrillen
Gekommen aus dem fernsten Orient;
Denn er vernahm, daß sie um Rolands willen
Von Indien ging weithin zum Okzident;
Daß Karl in Frankreich dann, den Streit zu stillen,
Im Zelt sie hielt von andern abgetrennt
Und dem zum Lohn versprach, der im Gefechte
Den Lilien den größten Nutzen brächte.
47.
Er war im Lager, sah die Niederlage,
Die dort erlitt des Christenkönigs Schar.
Umsonst irrt er umher seit jenem Tage,
Daß er von der Entschwundnen Kund' erfahr'.
Ihr wißt es nun, warum mit Liebesklage
Die Zährenflut zum Bach geflossen war
Und er so rührend Worte ließ erklingen,
Schier um die Sonn' aus ihrer Bahn zu bringen.
[12] 48.
Zum Quell die Augen wandelnd, liebentzündet
In Schmerz und Leid der Ärmste sich verlor.
Derweil er spricht, was nicht die Muse kündet –
Denn andre Dinge hat zur Zeit sie vor –
Fügt sich's – o seht! – daß Glück sich ihm verbindet,
Denn jeder Laut dringt zu der Holden Ohr.
Was er mit einemmal jetzt soll erreichen,
Drob könnten tausend Jahre sonst verstreichen.
49.
Auf jedes Wort des Ritters, Art und Wesen
Gibt unsre schöne Dame sorglich acht.
In seinem Herzen hat sie längst gelesen,
Daß er nach nichts als ihrer Liebe tracht'.
Allein voll Härte ist sie stets gewesen,
Kalt, ohne Mitleid, wie aus Stein gemacht,
Als schätze sie die ganze Welt geringe
Und keinen würdig solch erlesner Dinge.
50.
Zum Führer aber denkt sie ihn zu nehmen,
Nun sie verlassen durch die Wälder schweift:
Es muß zum Gnadenruf sich wohl bequemen,
Wem an die Lippen schon das Wasser streift!
Wer weiß, ob jemals bessre Helfer kämen,
Wenn sie nicht die Gelegenheit ergreift!
Sie hatte ja schon in gar manchem Falle
Den Fürsten treu befunden, mehr als alle.
51.
Doch will sie nicht den Armen wirklich letzen,
Zu seines Kummers, seiner Treue Lohn,
Das lange Leid durch Seligkeit ersetzen,
Die jedem Jüngling aller Freuden Kron' –
Nein, nur in Wahn und Irrtum ihn versetzen,
Damit in seiner Brust das Hoffen wohn'
Und er als Werkzeug ihr ein Weilchen diene,
Dann wieder zu begegnen harter Miene.
[13] 52.
Auftauchend plötzlich aus des Haines Schweigen,
Wird sie, die Göttergleiche, nun erblickt –
So mag Diana sich, so Venus zeigen,
Wenn ihrer Schönheit Glanz den Wald erquickt –
Und »Friede dir!« spricht sie mit holdem Neigen,
»Vom Himmel wirst du mir als Hort geschickt,
Und sicherlich wird er nicht weiter dulden,
Daß du mich so verkennst ohn' mein Verschulden.«
53.
Die Mutter zeigt nicht solch ein freudig Beben,
Wenn sie den Sohn schaut, den sie tot geglaubt,
Des sie mit Weinen noch gedacht soeben
Als eines, den der Kriegsgott ihr geraubt,
Wie sich die Blicke Sakripants erheben
Zur edelen Gestalt, dem Engelshaupt,
Den zarten Gliedern dieser Hulderscheinung,
Der herrlichsten der Welt nach seiner Meinung.
54.
In holder Glut, vom süßen Trieb bezwungen,
Zu seiner Herrin, Göttin eilt er her.
Sie hält um seinen Hals den Arm geschlungen,
Was in Katai wohl nicht geschehen wär',
In ihr ist plötzlich Sehnsucht aufgesprungen:
Die Heimat winkt, bleibt ihr zur Seite der.
Durch ihn belebt sich Hoffnung und Vertrauen,
Bald wiederum ihr reiches Schloß zu schauen.
55.
Ausführlich läßt sie den Bericht ihn kosten,
Von jenem Tag an, da sie ihn gesandt
Zum Serikanerkönig dort im Osten,
Und wie für sie die Sache schließlich stand;
Wie Roland treulich blieb auf seinem Posten
Und Schmach und Tod von ihr hat abgewandt;
Sie trag' auch unverletzt, was edlem Weibe
Der höchste Schatz ist, wie vom Mutterleibe.
[14] 56.
So war's vielleicht, allein der Fall wird rar sein
(Wer klaren Kopf hat, urteilt so zumeist):
Für Sakripant muß dieses alles wahr sein,
Weil er in noch viel größrem Irrtum kreist.
Was man nicht sieht, das läßt uns Amor klar sein,
Der Deutliches als unsichtbar erweist.
Nun, jener glaubt: was lieblich ist zu glauben,
Das läßt sich ja der Mensch nicht gerne rauben.
57.
»Ließ recht als Tor sich zimperlich verwehren
So leckern Schmaus der Ritter von Anglant –
Der Schad' ist sein; das Glück will nicht bescheren
Ein zweites Mal, was einmal ward verkannt:
Ich werde nicht mich an sein Beispiel kehren!«
So sprach bei sich im stillen Sakripant.
»Entgehen mir zu lassen solchen Bissen,
Hätt' ich in Ewigkeit auf dem Gewissen.
58.
Die jugendfrische Rose will ich pflücken,
Bevor – wie bald! – die Zeit den Duft verjagt:
Ein Dirnlein kann nichts Süßeres beglücken,
Ziert auch ein wenig sich die gute Magd.
Und scheint es noch so sehr sie zu bedrücken,
Und ob sie weint und voll Verzweiflung klagt,
Es soll kein Zorn, kein Widerstand mich rühren;
Was ich mir vornahm, denk' ich auszuführen!«
59.
Er spricht's. Zum süßen Ansturm vorzugehen
Schickt er sich an: – da tönt gewalt'ger Schall
Im nahen Wald; er muß sich wohl verstehen,
Zu lassen, ob erbost, vom Überfall.
Er nimmt den Helm – mit Wehr sich zu versehen,
War er ja längst gewohnt für jeden Fall.
Er geht zum Renner, legt ihm an die Zügel,
Ergreift den Sporn und setzt den Fuß in Bügel.
[15] 60.
Ein Ritter sprengt hervor aus wald'gen Auen,
Dem Aussehn nach gar stolz und kampfbereit.
Die Zier am Helm ist weiß wie Schnee zu schauen,
Und weiß wie Schnee ist auch sein Waffenkleid.
Der König aber steht mit finstern Brauen:
Daß unterbrochen werde, was zur Zeit
So hohe Lust verspricht, stimmt ihn nicht heiter;
Voll Groll und Ingrimm blickt er auf den Reiter.
61.
Leicht aus dem Sattel denkt er ihn zu heben
Und fordert ihn zum Zweikampf auf der Stell';
Und jener, der – mir scheint – zu schaffen geben
Wird dem Zirkassier wohl auf alle Fäll',
Spornt seinen Renner, läßt die Lanze schweben
Und unterbricht das stolze Drohen schnell.
Herr Sakripant kehrt um wie Ungewitter.
Und aufeinander jagen beide Ritter.
62.
Nie trafen sich gewaltig gleich dem Blitze
Die Stiere und die Löwen in der Schlacht,
Wie die zwei Krieger hier in Kampfeshitze:
Die Schilde bersten durch des Stoßes Macht.
Vom üpp'gen Tal bis hin zur kahlen Spitze
Von dem Zusammenprall die Erde kracht.
Die Panzerkleider waren gut zum Glücke;
Sonst gingen beide Leiber wohl in Stücke.
63.
Auch keinen Umweg machten ihre Pferde:
Sie stießen sich, wie Widder tun im Zorn.
Tot blieb das Roß des Heiden auf der Erde,
Und in der Zahl der besten stand es vorn!
Auch jenes fällt: daß es lebendig werde,
Besorgt in seine Flank' ein Druck des Sporn.
Das andre Tier muß sich am Boden strecken
Und mit der vollen Last den Herrn bedecken.
[16] 64.
Der Fremde, der im Sattel fest geblieben,
Schaut seinen Gegner unterm Pferd, besiegt.
Doch rüstet er sich nicht zu Schwerteshieben,
Weil ihm an einem neuen Kampf nichts liegt.
Man sieht nur, daß er, wie vom Sturm getrieben,
Geraden Wegs im Wald von dannen fliegt.
Eh aus der Klemme kommt der andre Streiter,
Ist er ein Stündchen fern, vielleicht noch weiter.
65.
So wie der Pflüger, wenn vorbei das Wetter,
Sich stumpf erhebt, betäubt, vom Schlag erschreckt –
Geteilt das Los schier um ein Härchen hätt' er
Der Rinder, die der Blitzstrahl hingestreckt;
Die Fichte schaut er ohne Kron' und Blätter,
Die er vorher von weitem hat entdeckt –
So sucht der Heide wieder aufzustehen ...
Und alles das muß seine Dame sehen.
66.
Er seufzt und stöhnt – nicht etwa, daß ein Arm ihm,
Ein Fuß gebrochen sei, verrenkt vom Schlag;
Die Wange wird aus Schamgefühl nur warm ihm,
Wie nie zuvor an einem Erdentag.
Nicht daß er fiel – daß sie aus solchem Harm ihm,
Die Last abwälzend, half, ist seine Klag'.
Ich glaub', er wär' am Ende stumm geblieben,
Hätt' ihn zum Sprechen jene nicht getrieben.
67.
»Herr,« sprach sie, »laßt Euch dieses nicht beschweren:
Nicht Euch trifft Schuld, wenn Ihr gefallen seid;
Nein, bloß den Renner: Speis' und Ruhe wären
Ihm dienlicher gewesen als der Streit.
Nicht prahle jener mit den Siegesehren;
Er brachte sich ja schnell in Sicherheit!
Seht, wer das Feld räumt – das gilt allerwegen –
Der zeigt, daß er im Kampfe unterlegen.«
[17] 68.
Derweil sie ihn zu trösten Müh' verwandte,
Kommt ein berittner Mann dahergejagt,
Mit Tasch' und Horn versehn; der Unbekannte
(Ein müder Bote schien's, von Gram geplagt)
Kehrt sich zum nächsten, das ist Sakripante:
»Kam nicht gerad mit weißem Schilde – sagt! –
Und weißem Federbusch auf Helmes Mitten
Durch diesen Wald ein Kriegersmann geritten?«
69.
Sprach Sakripant: »Den du zu sehn beflissen,
Vom Pferd hier warf er mich und ist enteilt;
Und weil ich seinen Namen nicht will missen,
Sag' mir, wer ist's, der solche Schläg' erteilt?«
Der Bote drauf: »Was dich verlangt zu wissen,
Von mir erfahren sollst du's unverweilt;
Erwarbst du Ruhm, verdunkelt ist dein Name:
Dich hob vom Sattel eine edle Dame!
70.
Sie hat durch Kühnheit hohen Ruhm gefunden,
Durch Schönheit mehr; den Namen künd' ich dir:
Die Heldin Bradamant hat dir entwunden,
Was du gewannst an Ehr' auf Erden hier.«
Der Bote sprach's und war im Wald verschwunden.
Den Sarazen will Groll verzehren schier:
Ratlos und wortlos steht er da, befangen;
Es röten sich in Flammenglut die Wangen.
71.
Nachdem er lange, was sich zugetragen,
Vergeblich hat erwogen und zum Schluß
Sich sieht von einem Mägdelein geschlagen
(Je mehr er's denkt, je größer sein Verdruß!),
Nimmt er das Fräulein, ohn' ein Wort zu sagen,
Aufs Roß und festigt in dem Reif den Fuß,
Mit ihr zu besserm Spiel davonzureiten
An stillerm Ort in spätern günst'gen Zeiten.
[18] 72.
Sie reiten nicht zwei Meilen, als ein Tönen
Und mächtiges Gelärm im Hain erschallt,
Der sie umgibt, ein Krachen und ein Dröhnen,
Als woll' erbeben rings der weite Wald,
Und einen reich mit Gold geschmückten, schönen
Und stolzen Renner sehn sie nahen bald,
Der über Busch und Bach setzt, Bäum' entblättert,
Und alles, das im Weg ist, niederschmettert.
73.
»Täuscht trübe Luft und dichtverschlungne Zweige«,
So sprach die Dame, »jetzt mein Auge nicht,
Will mich bedünken, daß sich Bajard zeige,
Der so mit Lärmen durch das Dickicht bricht.
Gewiß, er ist's; will, daß man ihn besteige:
Wie gut er doch versteht, was uns gebricht!
Ein einzig Roß für zwei würd' unbequem sein:
Er bringt uns Gutes: laß es uns genehm sein!«
74.
Der Fürst steigt ab; er will den Renner rufen,
Ergriffe gern den Zaum mit seiner Hand:
Doch Bajard gibt die Antwort mit den Hufen;
Schnell wie der Blitz hat er sich umgewandt,
Mit Stößen, die jedoch kein Unheil schufen –:
Weh, träfen volle Schläge Sakripant!
Wollte der Huf die ganze Kraft beweisen,
Zertrümmert hätt' er einen Berg von Eisen.
75.
Sie sahn das Roß sich sanft zur Dame wenden,
Fast menschengleich, voll Demut: wie vorm Herrn
Des Hündleins frohe Sprünge gar nicht enden,
Wenn der Gebieter heimkehrt aus der Fern'.
Bajard erkannte sie: aus ihren Händen
Nahm er sein Futter in Albrakka gern,
Als für Rinald in Liebesglut sie brannte,
Der damals grausam ihr den Rücken wandte.
[19] 76.
Den Zügel nun erfaßt sie mit der Linken
Und klopft und streichelt ihm den Bug in Huld:
Das kluge Tier, gehorsam ihren Winken,
Ist zahm und gut, ein Lämmchen an Geduld.
Da schwingt sich Sakripant mit einem flinken
Aufsprung hinauf, sitzt in der Sattelmuld':
Angelika hat seinen Platz bekommen;
Die Doppellast ist nun dem Tier genommen.
77.
Aufblickend dann, erschaut sie einen Recken,
Der stolz und waffenklirrend naht in Hast:
Es ist Rinald – kann sie sich nicht verstecken?
O wie bei seinem Anblick Zorn sie faßt!
Wie vor dem Aar das Huhn, flieht sie voll Schrecken,
Und er verfolgt sie ohne Ruh' und Rast.
Einstmals hat er von ihr nichts wissen wollen,
Sie liebte ihn – so tauschten sie die Rollen.
78.
Als Ursach' muß ich euch zwei Quellen nennen;
Zwiefache Wirkung hat der beiden Flut
(Sie stehn einander nah, in den Ardennen):
Die eine füllt mit Liebe heiß den Mut;
Wer von der andern trinkt, kann nicht entbrennen:
In Eis verwandelt sie die Liebesglut.
Aus jener trank Rinald – und Liebe faßt ihn –
Aus der Angelika: sie flieht und haßt ihn.
79.
Der Bronnen ließ geheimes Gift sie trinken:
Statt holder Triebe fühlt sie Haß sogleich,
Wenn dieser Held erscheint, und Schleier sinken
Auf heitrer Augen lichterfülltes Reich.
Sie fleht zu Sakripant – die Tränen blinken,
Die Stimme bebt, die Wangen werden bleich –:
Schnell auf die Flucht mit ihr sich zu begeben,
Fern von dem Krieger, der genaht soeben.
[20] 80.
»Hab' ich nicht schon Vertraun bei Euch besessen?«
Sprach jener, »bin ich nutzlos und gering,
Unfähig, mich mit jenem dort zu messen,
Daß ohne Schwertschlag ich von dannen ging?
Habt Ihr Albrakka und die Nacht vergessen,
Als ich allein – fürwahr kein kleines Ding! –
Vor Agrikan und Scharen auserlesen
Bin ohne Waffen Euer Schild gewesen?«
81.
Sie weiß nicht, was sie tun soll, steht verlegen
Und schweigend, denn Rinald ist fast schon da:
Er hält dem Sarazen die Faust entgegen;
Sein Pferd, das dieser nahm, erkennt er ja;
Erkennt auch sie, für die auf allen Wegen
Sein Herz in Lohe steht, ob fern, ob nah.
Wie weiter nun die Dinge sich gestalten,
Das sei dem nächsten Sange vorbehalten.

[21] Zweiter Gesang

1.
Launischer Amor, sprich, warum fast nimmer
Im schönen Einklang stehen Herz und Herz?
Warum geschieht es, daß so oft, du Schlimmer,
Der Seelen Widerstreit für dich ein Scherz?
Du gönnst mir nicht die Flut mit hellem Schimmer,
Ziehst mich zur dunklen tief hinab, zum Schmerz;
Die meine Lieb' ersehnt, die soll ich lassen,
Und lieben, die mir abgewandt voll Hassen!
2.
Du machst Angelika dem Jüngling teuer,
Den sie für arg und widerwärtig hält:
Als einst für ihn die Schöne stand in Feuer,
Da haßt er sie wie nichts auf dieser Welt.
Nun härmt er sich, in Leiden ungeheuer;
Vergolten ward ihm gleich mit gleich; der Held
Ist ihr ein Greuel jetzt – sich ihm verbinden? –
Nein, eher dann den Weg zum Tode finden!
3.
»Dieb, steig von meinem Pferd!« so schrie den Heiden
Mit großem Hochmut an der Haimonssohn.
»Daß man mein Pferd nimmt, pfleg' ich nicht zu leiden,
Und wer es tut, bekommt von mir den Lohn.
Auch will ich dich von dieser Dame scheiden;
Sie dir zu lassen, wäre Schmach und Hohn.
Unwürdig scheint es mir, daß einem Diebe
Solch edles Fräulein, solches Roß verbliebe.«
[22] 4.
»Nur als ein Lügner magst du Dieb mich schelten,«
Spricht drauf, nicht minder stolz, Fürst Sakripant:
»Das Wort kann eher von dir selber gelten,
Nach dem, was in der Welt von dir bekannt.
Es zeigt sich, wenn Entscheid die Schwerter fällten,
Wer mehr mit Recht sich hat den Herrn genannt.
Indes von ihr muß ich dir zugestehen:
Man kann nichts Edleres auf Erden sehen.«
5.
Wie Hunde wohl, bevor sie sich zerstücken
(Ob Haß, ob Neid und Mißgunst sie bewegt),
Mit Zähnefletschen aufeinanderrücken,
Wie jeder, schielen Augs, die Glieder regt,
Vor Wut dann schäumend, mit zerzaustem Rücken,
Den scharfen Zahn in seinen Gegner schlägt –
So ging's, nachdem genug sie schrien und schalten,
Zwischen den beiden jetzt ans Schädelspalten.
6.
Zu Fuß ist der, und jener sitzt zu Pferde.
Meint Ihr, daß drum der Heide Vorteil hab'? –
O nein! Nur Schaden; hilflos von Gebärde,
Sitzt er, als wär's ein unerfahrner Knab':
Es schafft der Hengst dem Herren nicht Beschwerde,
Weil seltenen Instinkt Natur ihm gab.
Ob mit der Hand der Reiter lenkt – mit Sporen,
's ist alles an dem störr'schen Tier verloren!
7.
Soll stehn der Hengst, beginnt er fortzujagen,
Dann rasch zum Kreisel wird er ganz und gar:
Er bockt, soll er den Reiter vorwärts tragen,
Bäumt sich, schlägt aus, beut alle Tücken dar.
Der Heide sieht, die Stund' hat nicht geschlagen,
Zu bändigen ein Tier so wunderbar,
Stützt auf den Sattelbogen sich zum Schwunge
Und steht auf Füßen jetzt nach raschem Sprunge.
[23] 8.
Als sich der Heide durch sein leichtes Springen
Hat von des Tiers verbißner Wut befreit,
Hei, da beginnt ein Ansturm und ein Ringen,
Wert eines Paars so hochbewährt im Streit!
Bald singen hoch, bald summen tief die Klingen;
Vulkans Gehämmer wäre Langsamkeit
Dagegen in der Höhle, wo beschieden
Ihm war, den Blitz des Jupiter zu schmieden.
9.
Mit langen Hieben, Finten, kurzen Streichen
Zeigt jeder sich als Meister: bald gereckt
Stehn beide aufrecht, bald geduckt dann schleichen
Sie, Blöße gebend, und darauf gedeckt;
Sie rücken vor, um rasch zurückzuweichen,
Parieren, meiden, locken vorgestreckt,
Drehn sich: wo Platz der eine hat gelassen,
Will gleich der Fuß des andern Posto fassen.
10.
Mit voller Wucht zu hauen und zu pochen,
Gibt jetzt Rinald sich hin mit einemmal;
Der Fürst hält seinen Schild vor, der – aus Knochen –
Mit Platten ist versehn von feinem Stahl:
Fusberta hat den starken doch durchbrochen;
Weit dröhnend seufzt der Wald und klingt das Tal.
Wie Eis zersplitternd Stahl und Knochen sprangen,
Betäubten Arm läßt der Zirkassier hangen.
11.
Als nun das scheue Mädchen solch Verderben
Entspringen sah dem Hiebe fürchterlich –
Gleichwie dem armen Sünder, geht's ans Sterben,
Ihr aus den Wangen alles Blut entwich.
's ist Zeit zu fliehn, als Beute sonst erwerben
Wird sie der Ritter ja, so sagt sie sich,
Den sie verabscheut mit des Hasses Triebe,
Wie er ihr zugetan ist voller Liebe.
[24] 12.
Sie schwenkt das Roß, läßt es von dannen jagen
Auf engem, rauhem Pfad durch Waldesmitt';
Oft blickt sie scheu zurück mit Furcht und Zagen,
Im Wahn, sie höre der Verfolgung Tritt.
Noch hat das Tier sie nicht gar weit getragen,
Da kam im Tal daher ein Eremit,
Dem floß der Bart bis auf die Brust hernieder,
Ehrwürdig schien er ihr und fromm und bieder,
13.
Von Fasten mitgenommen und von Jahren;
Ein Eselein, bedächtig, schaukelt ihn.
Man meint, es sei vor andren Menschenscharen
Ein fein und zart Gewissen ihm verliehn.
Als er die Holde sah mit Rabenhaaren
Und Rosenwangen durch die Büsche fliehn,
Da rief sie gleich – wiewohl sie etwas schwach ihm
Und schüchtern schien – die Menschenliebe wach ihm.
14.
Sie möchte nun von ihm den Weg erkunden,
Der sie zu einem Hafen bring' am Meer;
Denn gern aus Frankreich wäre sie verschwunden,
Daß von Rinald nicht mehr die Rede wär'.
Der Mönch – er war der schwarzen Kunst verbunden –
Müht sehr sich ab, daß er ihr Trost bescher';
In kurzem, sagt er, werde Fährnis enden –
Flink aus der Tasche hat er was in Händen.
15.
Es war ein Buch – das wirkte große Sachen!
Er las darin noch keine Seite aus,
Als, auf des Herrn Befehl, sich aufzumachen,
In Dienerform ein Geist erscheint daraus;
Hin geht er, wo sich Aug' in Aug' bewachen
Die Ritter noch nach halbvollbrachtem Strauß.
Im Wald, doch nicht in Kühle, beide fand er,
Und mutig zwischen ihnen plötzlich stand er.
[25] 16.
Er sprach: »Ihr Herrn, wollt mit Verlaub mir sagen,
Was nutzt es euch, daß ihr einander fällt?
Was habt ihr wohl von allen euren Plagen,
Nachdem die Schlacht zu End' ist, wenn der Held
Roland, ohn' einen einz'gen Hieb zu schlagen,
Ohne daß nur ein Schuppenring zerschellt,
Hin nach Paris das Fräulein führt als Beute,
Das Ursach' war für euren Zweikampf heute?
17.
Ich fand ihn mit Angelika, der schönen –
Zur Seine geht die Reise – hier ganz nah
Und hörte sie mit Kichern euch verhöhnen,
Daß euer Kämpfen ohne Frucht geschah.
Jetzt ihnen noch den Spott abzugewöhnen,
Das wäre klug, solange sie noch da.
Hält Roland in Paris sie erst geborgen,
Läßt sich das Wiedersehn wohl schlecht besorgen.«
18.
O, säht ihr den Verdruß der beiden Ritter,
Wie starr das Paar bei dieser Kunde stand!
Blind, taub und sinnlos schalt sich jeder bitter,
Als er von Roland so verhöhnt sich fand.
Und Herr Rinald! – Davon mit Seufzern ritt er
(Die kamen, schien's, aus einem Feuerbrand);
Fand' er den Grafen, schwört er sich verstohlen,
Das Herz ihm aus der Brust herauszuholen.
19.
Wo Bajard seiner harrt auf Waldespfaden,
Schwingt er sich auf und sprengt im Sturm dahin,
Zu sich aufs Roß den Ritter einzuladen,
Der noch zurück ist, kommt ihm nicht in Sinn.
Das Pferd, vom Herrn gespornt, bringt allem Schaden,
Was es im Lauf berührt im Busche drin.
Nicht Dornen, Strom und Felsen will's gelingen,
Von seiner Bahn den Renner abzubringen.
[26] 20.
Mag sein, o Herr, daß gegen mich der Schein ist,
Sag' ich, daß jetzt Rinald den Renner ritt,
Nach dem er tagelang schon hinterdrein ist,
Und der nicht leiseste Berührung litt.
Das Pferd – bedenkt, daß Menschengeist ja sein ist! –
Aus Tücke nicht so rasch vorüberglitt:
Ihn führen wollt' es, weil den Weg es kannte,
Zu ihr, für die sein Herz voll Sehnsucht brannte.
21.
Als sie entschlüpft war aus des Zeltes Banden,
Sah sie und folgt' ihr nach das gute Pferd,
Dem leer gerad die Sattelbogen standen,
Weil Herr Rinald zu Fuß focht mit dem Schwert
In einem Ehrenhandel, ihm entstanden
Durch einen Rittersmann, im Kampf bewährt.
Den Spuren ging der Renner nach vom weiten,
Begierig, sie zu seinem Herrn zu leiten.
22.
Vom Wunsch erfüllt, die Maid zurückzubringen,
Verlegt er ihr den Weg geschickt im Wald;
Sie darf sich nicht in seinen Sattel schwingen:
Die Sache nähme andere Gestalt.
Es schien Rinald ein-, zweimal zu gelingen,
Ihr nah zu sein, doch er verlor sie bald:
Erst war dazwischen Ferragu gekommen,
Dann Sakripant, wie Ihr es hier vernommen.
23.
Auch Bajard glaubt, was jener Geist verkündet,
Der nun Rinald auf falsche Bahnen führt;
Nicht ahnend, daß er sich dem Trug verbündet,
Folgt er dem Herrn, so wie es sich gebührt.
Fort gen Paris jagt dieser, liebentzündet,
Sturmgleich, weil auch der Haß die Flamme schürt.
Mit Sehnsucht, der kein Renner je geschwind scheint,
Fliegt er dahin, und langsam ihm der Wind scheint.
[27] 24.
Kaum bleibt genug der Nacht, um hinzureiten,
So meint Rinald, zum Ritter von Anglant; –
Ach, daß er sich vom Boten ließ verleiten,
Den ihm der schlaue Magier hat gesandt!
Er reitet früh und abends, bis vom weiten
Vor seinen Blicken jene Stätte stand,
Wohin der Kaiser seit dem Unglückstage
Zurück sich zog nach schwerer Niederlage.
25.
Und weil Belagrungsnot und neue Schlachten
Vom Mohrenkönig jetzt in Aussicht stehn,
Ist Volk zu sammeln und Proviant sein Trachten,
Auch mit der Wälle Schutz sich zu versehn.
Was man zur Abwehr dienlich mag erachten,
Das zu beschaffen, läßt er Boten gehn
Und Kriegsvolk ziehn aus Albions Gefilden,
Mit ihrer Zahl ein neues Heer zu bilden.
26.
Nochmals will er ins Feld mit seinen Scharen
Und sehn, ob sich das Kriegsglück nicht gewandt.
Flugs soll Rinald hin nach Britannien fahren,
Britannien, das nun England ist genannt.
Der möchte gern die Reise sich ersparen:
Nicht etwa, daß er haßte dieses Land,
Nein, weil ihn augenblicklich Karl entsendet
Und auch nicht einen Tag ihm Ruhe spendet.
27.
Rinald ist ob des Auftrags recht verdrießlich,
Der fern ihn führt von jenem holden Weib;
Denn ihr zu nahen ist nun unersprießlich,
Die ihm das Herz entführt hat aus dem Leib.
Allein, um zu gehorchen, meint er schließlich,
Daß jetzt ihm nur sofort'ger Aufbruch bleib'.
Er hat Calais erreicht in wen'gen Stunden
Und alsogleich ein Schiff zur Fahrt gefunden.
[28] 28.
Auf Heimkehr brennend, stößt er ab verwegen,
Warnt auch davor der Schiffer noch so sehr,
Und ob sich schon in raschen Wogenschlägen
Unwetter drohend künd' auf finstrem Meer.
Der Wind, empört, schickt Sturm dem Boot entgegen
Und läßt die Wogen wirbeln ringsumher.
Er wühlt die See auf, daß sie voller Wut schäumt
Und bis zum Mastkorb oben wild die Flut schäumt.
29.
Die klugen Schiffer, die die Segel reffen,
Gedenken wieder umzudrehn nach Haus,
Um in demselben Hafen einzutreffen,
Aus dem sie recht zur Unzeit fuhren aus:
»Nein,« spricht der Wind, »die Aussicht soll euch äffen;
Für eure Frechheit kommt ihr nicht heraus!«
Und bläst und heult, läßt drohend Schiffbruch blicken,
Wenn sie nicht gehn, wohin er sie will schicken.
30.
Nie ruht er, läßt die Schrecken neu beginnen;
Von vorn, darauf von hinten stürmt er an.
Ins weite Meer so treiben sie von hinnen,
Bescheidne Segel spannend dann und wann.
Doch viele Fäden hab' ich auszuspinnen,
Von denen nichts beiseite bleiben kann.
So mag der Sturm Rinald von dannen tragen!
Ich will euch jetzt von Bradamante sagen.
31.
Ich meine sie, der edlen Jungfraun Blume,
Die den Zirkassier hinwarf auf den Grund,
Erblüht – des Bruders wert an Heldentume –
Herrn Haimons und Beatrix' Ehebund.
Der Kaiser freute sich an ihrem Ruhme,
Der rings erscholl durch aller Franken Mund
– Sie sahn gar oft schon ihre hohen Werke –,
Nicht minder als Rinalds gewalt'ge Stärke.
[29] 32.
Ergeben dieser Dame war in Treuen
Ein Held – er kam mit König Agramant;
Als Vater konnt' ein Roger sein sich freuen,
Die Mutter war ein Kind des Agolant.
Das Fräulein, das ja nicht von Bär und Leuen
Entsprang, hat ihm den Rücken nicht gewandt.
Das Glück ließ einmal beide sich erblicken,
Um dann sie weit getrennt hinwegzuschicken.
33.
Ihn aufzufinden, war des Fräuleins Streben,
Der nach dem großen Vater Roger hieß.
So sicher, wie von Kriegerschar umgeben,
Ging sie allein; Geleit sie von sich wies.
Nachdem sie Sakripant den Lohn gegeben
Und ihn die Mutter Erde küssen ließ,
Durch einen Wald, sodann bergaufwärts ritt sie,
Und nun an eine schöne Quelle tritt sie.
34.
Die lief durch eine Wiese; kühlen Schatten
Von alten Bäumen bot ein trauter Hain:
Hier käme Rast den Wandrern wohl zustatten,
Das sanfte Murmeln lud zu trinken ein,
Wobei die Ruhnden links noch Hügel hatten,
Um vor der Mittagsglut geschützt zu sein.
Die schönen Augen schweifen lassend, stand sie,
Und einen Rittersmann dort ruhend fand sie.
35.
Sie sah im Schatten dichtbewachsner Hecken,
An grün-, weiß-, rot- und gelbgeschmücktem Saum,
Einsam beim Quelle sitzend, einen Recken;
Nachdenklich, stumm blickt er zum Himmelsraum.
Es hingen Schild und Helm vorm Wasserbecken
Beim angebundnen Pferd am Buchenbaum:
Die Augen feucht, der Ausdruck trüb und bitter –
Sehr traurig schien und müde dieser Ritter.
[30] 36.
Verlangen, das wir all im Busen tragen,
Nach andrer Menschen Angelegenheit,
Bewog das Fräulein, jenen Herrn zu fragen,
Was doch die Ursach' sei von seinem Leid:
Und er war willig, alles ihr zu sagen,
Gewonnen von des Wortes Artigkeit
Und stolzem Wesen, das ihm einen Helden,
Und einen kühnen wahrlich, schien zu melden.
37.
Er sprach: »Ich führte Fußvolk, Herr, und Reiter
Und zog dahin, wo Karl, dem Heer gesellt,
Des Feindes harrte: ging Marsil nun weiter,
Fand er beim Niederstieg ihn aufgestellt.
Ein Mädchen hatt' ich bei mir, schön und heiter,
In Liebe war mein Herz für sie geschwellt –
Da seh' ich einen Mann ein Roß mit Flügeln –
Bewaffnet war er – nah der Rhone zügeln.
38.
Sobald der Kerl – ob Mensch, ob Ungeheuer,
Verdammter Geist, der sich der Höll' entwand –
Das Fräulein sah, mein Liebchen schön und teuer,
Dem Falken gleich, wenn er ein Opfer fand,
Fiel er und stieg – rasch wie ein Blitz von Feuer –
Und, die betäubte Maid im Arm, verschwand.
Noch eh ich sah, was Stoß und Angriff seien,
Hört' ich die Holde in den Lüften schreien.
39.
So schießt aufs Küchlein bei der Gluck' hernieder
Der gier'ge Geier, der nach Beute lechzt:
Gern hätte wohl die Henn' ihr Junges wieder,
Zu dem umsonst hinauf sie piepst und krächzt.
Ich fliege nicht – 's ist der Natur zuwider –
Felswänd' empor, daran mein Rößlein ächzt:
Das ist gar müd; nur langsam kann es schreiten
Den rauhen Pfad abschüss'ger Bergesseiten.
[31] 40.
Als einer, der es lieber säh' geschehen,
Zerrissen ihm den Busen Hieb und Stich,
Ließ ich ohn' Hilf und Rat von dannen gehen,
Wo es verlassen blieb, mein zweites Ich,
Und zog den Weg, da steile Höhen stehen
Mit grausen Schluchten; Liebe führte mich,
Dort ist, so schien es mir, in üblen Stunden
Mein Frieden mit dem Räuber fortgeschwunden.
41.
Sechs Tage ritt ich bis zum Abendgrauen
Durch Felsgestein, vorbei an Kluft und Schlund.
Es war kein Weg, es war kein Pfad zu schauen,
Nicht eine Spur gab Menschenwesen kund.
Ich kam dann in ein ödes Tal voll Grauen,
Sah nichts als Klippen, Höhlen, wilden Grund
Und mitten drin ein Schloß auf Felsen ragen –
Wie schön und fest, vermag ich nicht zu sagen.
42.
Es blitzt wie heller Flamme Licht vom weiten,
Ist nicht aus Lehm gemacht und nicht aus Stein.
Ein Werk erscheint es, wenn wir näherschreiten,
So herrlich dürfte kaum ein zweites sein.
Dämonen, hört' ich, mußten es bereiten,
Durch Zauberspruch gebannt und Räucherein.
Sie haben ganz den Bau mit Stahl umschlossen,
Um den der Hölle Flut und Feuer flossen.
43.
Nichts gegen ihn vermögen Rost und Flecken,
Er steht, von glattem Stahl, in lichter Pracht.
Der schlaue Wicht pflegt hier sich zu verstecken,
Wenn er das Land durchschweift hat Tag und Nacht;
Denn nichts auf Erden braucht ihn hier zu schrecken;
Ohnmächt'ge Wut und Fluch wird nur verlacht.
Dort sitzt mein Lieb, nein, sitzt mein Herz gefangen,
Und nimmer – nimmer – hoff ich's zu erlangen.
[32] 44.
Was kann ich tun, ach, als die Blicke senden
Zum Fels, der sie verschließt, voll Angst, ergrimmt?
Der Füchsin gleich, die hoch von glatten Wänden,
Vom Adlerhorst, des Sohnes Ruf vernimmt?
Sie irrt umher: wo soll sie hin sich wenden?
Der Flügel fehlt, der sie zur Höhe nimmt.
Ach, daß der Fels, und auch das Schloß, so steil ist:
Hinauf kommt nur, wer Vogel oder Pfeil ist.
45.
Zwei Ritter, die ein Zwerglein führt – erscheinen
Des Wegs daher, derweil ich säume dort,
Die, Hoffen sei bereits Erfüllung, meinen;
Ach Wunsch und Hoffnung – beide schwinden fort.
Zwei Krieger sind's, die Mut mit Kraft vereinen:
Gradaß, der Fürst, gepriesen allerort,
Und Roger, dieser Stolz des Rittertumes;
Am Mohrenhof genoß er hohen Ruhmes.
46.
›Sie kommen‹, sprach der Zwerg, ›sich zu erproben
Mit ihrer Kraft am Schloßherrn, jenem Mann,
Der auf behuftem Vogel von dort oben –
's ist unerhört! – kommt durch die Luft heran.‹
›Erbarmt euch, Herrn!‹ sprach ich, die Händ' erhoben,
›Nehmt meines herben Falls euch gütig an!
Wenn ihr als Sieger – will es hoffen – lebet,
Bitt' ich, daß ihr mein Lieb zurück mir gebet!‹
47.
Und ich erzählte, wie es ihr ergangen,
Mit Tränen viel, die mir der Kummer gab;
Erfüllen wollten jene mein Verlangen
Und stiegen drauf den Felsenpfad hinab. –
Von fern zum Schlachtfeld meine Blicke drangen;
Von Gott den Sieg fleht' ich für sie herab.
Es war ein Platz vorm Schloß, so groß, ich meine,
Wie, zweimal fortgeschleudert, fliegen Steine.
[33] 48.
Wie sie zum Fuß des hohen Felsens dringen,
Will jeder erster sein für das Duell:
Es ist Gradaß – wollt es das Los ihm bringen?
Entsagte Roger seinem Anspruch schnell? –
Der Kämpfer läßt sein Horn mit Macht erklingen:
Es dröhnt der Fels mitsamt dem Stahlkastell.
Heraus tritt aus der Tür der andre Streiter:
Der auf dem Flügelroß, der Panzerreiter.
49.
Aufwärts ein wenig fing er an zu schweben,
So wie wir's an dem fremden Kranich sehn,
Der anfangs schreitet, um sich dann zu heben,
Daß ein, zwei Ellen Zwischenraum entstehn.
Wenn er sich ganz der Luft hat übergeben,
Dann läßt er erst mit Wucht die Flügel gehn.
So flügelschlagend jetzt der Zaubrer aufsteigt
In Ätherhöhn, wo kaum der Aar hinaufsteigt.
50.
Mit einem Male dreht das Roß er wieder,
Senkrecht wie Blei kommt er herab im Fall –
So stürzt der Falk herab, sieht aus dem Ried er
Die Ente, ausgesucht für seine Krall';
Er saust, den Speer gefällt, im Flug hernieder,
Die Lüfte spaltend mit gewalt'gem Schall.
Ein Stich von hinten macht Gradaß gewahren
Den Zaubrer, den er kaum sah niederfahren.
51.
Des Magiers Speer zerbrach bei diesem Stechen,
Worauf des Gegners Hieb die Luft nur schlägt,
Und, statt den Flügelschlag zu unterbrechen,
Der Flieger rasch sich weiter fortbewegt.
Des Mohren Tier – nie kannt' es früher Schwächen –
Hat flink zuvor ein Stoß ins Gras gelegt.
Gradassos Pferd war ein' Alfana-Stute,
Die beste, drauf wohl je ein Sattel ruhte.
[34] 52.
Der Flieger schien zum Sternenland zu gehen;
Dann dreht' er sich und schoß in Eil' herab,
Stach Roger, der sich dessen nicht versehen,
Weil er nur auf Gradasso Achtung gab.
Fast konnt' er nicht dem Stoße widerstehen:
Er weicht zurück und lenkt ihn etwas ab.
Als er dem Magier eins versetzte gerne,
Ist der schon wieder oben in der Ferne.
53.
Bald den, bald den – an Brust und Stirn und Beinen
Und Rücken trifft er und wo sonst noch mehr!
Er ist so flink, kaum sieht man ihn erscheinen;
Der Gegner Stöße sind umsonst und leer.
Und droht er diesem, wird er jenen meinen,
Und dreht sich stets im Kreise hin und her.
Die Augen sind den beiden so geblendet,
Daß sie nicht sehen, wer die Hiebe sendet.
54.
Bis zu den Stunden währt der Krieger Ringen
– Zwei unten, einer sich in Lüften hält –,
Die unsrer Erde dunkle Schleier bringen,
So daß, was schön ist, farblos dar sich stellt.
Zu sprechen wag' ich kaum von diesen Dingen,
Die ich doch sah – ich lüg' nicht um die Welt.
s' ist, wie ich sprach: doch freilich mehr der Lüge
Trägt dieses Wunder als der Wahrheit Züge.
55.
Ich sah den Zaubrer an dem Arme tragen
Den Schild, von schönem Seidentuch verdeckt.
Warum er ihn so lang verhüllt? Zu sagen
Vermag ich nicht, was er damit bezweckt.
Denn wer ihn offen sieht, der wird geschlagen
Mit Blindheit gleich; sein Auge Dunkel deckt,
So daß er fällt, wie tote Körper fallen,
Und hilflos bleibt er in des Zaubrers Krallen.
[35] 56.
Der Schild glänzt wie Pyropus, doch vergleichen
An Kraft läßt sich kein Glanz mit diesem Licht.
Zu Boden stürzt, wes Augen ihn erreichen,
Bewußtlos, mit geblendetem Gesicht.
Auch mich, so fern, faßt Ohnmacht – es verstreichen
Wohl Stunden, bis ich wieder aufgericht't. –
Ich sehe nichts von Kriegern, nichts vom Zwerge;
Leer ist das Feld, im Dunkel Tal und Berge.
57.
So meint' ich denn, es trug mit einem Male
Der Zaubrer jene beiden auf sein Schloß:
Er nahm die Freiheit ihnen mit dem Strahle
Und mir der Hoffnung Quell, der noch mir floß.
Ich schied darauf von dieser Burg aus Stahle,
Die all mein Gut, mein ganzes Herz umschloß. –
Sagt, kann ein hartes Los an dieses reichen?
Kann Liebesleid dem meinen sich vergleichen?«
58.
Der Ritter sinkt zurück in stummes Trauern,
Als er den Grund genannt hat seiner Pein:
Graf Pinabel ist's, der sich läßt bedauern,
Anselms von Haut'rives Sohn, aus Mainz am Rhein.
Von jenen Schelmen, die auf Untat lauern,
Wollt' er nicht wacker bleiben ganz allein.
Er kam nicht ihnen gleich an Lastern greulich,
Nein, übertraf sie alle, falsch, abscheulich.
59.
Wechselnden Schein der Dame Züge nahmen,
Als still sie lauschte dieses Manns Bericht,
Denn wie sie klingen hörte Rogers Namen,
Vor Freude hell erglänzt' ihr Angesicht.
Doch als dann später seine Leiden kamen,
Verstört von Mitleid folgt sie der Geschicht';
Auch kann sie manches Mal sich's nicht versagen,
Den Einzelheiten nochmals nachzufragen.
[36] 60.
Sie meint nach einer Zeit, sie sei im klaren,
Und spricht: »Herr Ritter, gönne jetzt dir Ruh'!
Aus meiner Ankunft magst du Heil erfahren;
Daß nur das Glück jetzt auch das Seine tu!
Hin zu der Stätte will ich mit dir fahren,
Die du ja sahst als reicher Schätze Truh';
Ob unser Mühn vielleicht belohnt sich findet,
Wenn freundliches Geschick sich uns verbindet?«
61.
Der Ritter sprach: »Ich soll den Weg dir zeigen?
Die Höhen überschreiten jetzt aufs neu?
Weil alles ich verlor, was einst mein eigen,
Fern sei es, daß ich Zeit und Mühe scheu'.
Du aber willst hinauf zum Kerker steigen
Den Felsenpfad? Es schafft vielleicht dir Reu'.
Nicht über mich dann darfst du dich beklagen:
Ich warnte dich; du willst es dennoch wagen.«
62.
Er spricht's und hat sich auf sein Pferd geschwungen
Und gibt der kühnen Jungfrau das Geleit;
Wo sie Gefahr für Roger sieht, den jungen,
Schreckt sie Gefängnis nicht noch andres Leid.
Auf einmal schallt es »Halt!« aus vollen Lungen:
Der Bote naht in größter Schnelligkeit,
Der dem Zirkassierkönig dort entdeckt hat,
Wer's sei, der in das Gras ihn hingestreckt hat.
63.
Er bringt dem Fräulein Nachricht über Fälle
In Montpellier, Narbonne; und wie der Strand
Von Aiguesmortes zu Kastilien sich geselle
Und alles lodre von des Aufruhrs Brand;
Marseille, bedrängt, weil sie nicht mehr zur Stelle,
Ihm Schutz zu bringen, halte kaum noch stand:
Es harr' auf der Gebieterin Befehle
Durch diesen Mann – womit es sich empfehle.
[37] 64.
Die Stadt – und wo das Meer noch manche Meile
Rings zwischen Rhon' und Var die Wellen schlägt –
Ward durch Herrn Karl dem Haimonskind zuteile,
Zu dem er lange schon Vertrauen hegt.
Sein Blick verfolgt sie staunend eine Weile,
Wenn sie vor ihm sich kühn im Kampf bewegt.
Nun kam der Bote, wie gesagt, geritten,
Um für Marseille um Beistand sie zu bitten.
65.
Die Jungfrau läßt das Köpfchen zweifelnd hangen,
Und zwischen Ja und Nein noch schwankt ihr Mut:
Die Pflicht und Ehre hierhin sie verlangen,
Und dorthin treibt sie heiße Liebesglut.
Zuletzt ist sie den Weg vorangegangen,
Roger zu holen aus des Zaubrers Hut:
Und kann sie nicht ihm helfen in die Weite,
Gefangen bleibt sie an des Liebsten Seite.
66.
Zum Boten spricht sie drauf in einer Weise,
Daß froh er hört, was sie ihm anvertraut.
Dann geht es rüstig weiter mit der Reise;
Nur Pinabel ist wenig drob erbaut.
Stammt jene doch aus eines Hauses Kreise,
Für den er eitel Haß hegt leis und laut.
Schon malt er sich im Geist die künft'gen Schrecken,
Wenn sie ihn je als Mainzer sollt' entdecken.
67.
Clermont und Mainz! Des Hasses Wogen flossen
Noch stark aus alten Zeiten rauh und wild,
In Strömen ward der Gegner Blut vergossen;
Gar oft zerhieb man noch einand den Schild.
Arglosem Mädchen – doch dem Feind entsprossen! –
Die Tücke jetzt des falschen Mannes gilt:
Kann er nur die Gelegenheit erfassen,
Will er entwischen und allein sie lassen.
[38] 68.
Er ließ sich grübelnd von dem Rosse tragen –
Furcht, Zweifel stieg und alter Haß empor –;
So kam's, daß er, vom rechten Weg verschlagen,
In einem dunklen Haine sich verlor.
Drin sieht er einen Bergesgipfel ragen,
Ganz kahl und steinig, aus dem Grün hervor.
Dem Reiter folgt die Haimonstochter immer,
Bleibt ihm im Rücken und verläßt ihn nimmer.
69.
Als sich der Mainzer fand im Walde drinnen,
Regt sich in ihm die Lust, davonzugehn.
Er spricht: »Eh noch das Dunkel mag beginnen,
Wär's rätlich, sich nach Herberg umzusehn.
Jenseits des Bergs – glaub' ich mich zu entsinnen –
Muß ein vortrefflich Schloß im Tale stehn.
Du warte hier, derweil vom Felsenrücken
Ich Umschau halte: hoffentlich wird's glücken.«
70.
Bergaufwärts läßt er nun den Renner springen
Zum Gipfel hin mit Wänden schroff und jäh,
Und um von seiner Spur sie abzubringen,
Aufmerkt er, ob er einen Weg erspäh'.
Da sieht er eine Höhl' ins Innre dringen
Des Felsens dreißig Ellen, in der Näh',
Und, wohl mit Pick' und Meißel zubehauen,
Senkt sie sich rechts, läßt eine Pforte schauen.
71.
Man schritt durch diese Tür zu einem Zimmer,
Das hoch und sehr geräumig war, hinein.
Daraus hervor, aufleuchtend, kam ein Schimmer –:
Es könnten Lichter wohl von Fackeln sein.
Stumm blickt, verblüfft, der Schelm auf das Geflimmer.
Das Fräulein, das von ferne hinterdrein,
Die Spur nicht zu verlieren, ist gegangen,
Muß ebenfalls zur Höhle jetzt gelangen.
[39] 72.
Der Schurke sah, daß es mit seinen Tücken,
So wie er sich's zurechtgelegt, nicht ging,
Und meint, es werd' auf andre Weise glücken,
Ob er sie lasse, ob ums Leben bring'.
Er führt das Mädchen aufwärts, wo in Stücken,
Klaffend und hohl, ein loser Felsen hing:
Ein Fräulein, sagt er, jung, von holden Mienen,
Sei dort ihm auf dem Höhlengrund erschienen.
73.
Sie sei gewiß auch edlem Stamm entsprossen,
Das zeig' ihr Aussehn und ihr reiches Kleid;
Und mit Gewalt wohl sei sie eingeschlossen,
Ihr Trübsinn zeig' es, ihre Traurigkeit.
Und weil er gern das Rätsel hätt' erschlossen,
Sei er hinabgestiegen, ziemlich weit.
Da sei vom Innern her ein Mann gekommen,
Der habe wütend sie hineingenommen.
74.
So arglos wie beherzt, glaubt Bradamante
Dem Märchen, das ihr auftischt jener Schuft,
Und eifrig sinnt sie, um die Unbekannte
Zu retten, wie sie eindring' in die Gruft:
Ein Ulmbaum, sieh, als jetzt den Blick sie wandte,
Hob einen langen Zweig dort aus der Kluft.
Der wird geschwind vom Schwert herabgehauen:
Ihm kann sie für die Tiefe sich vertrauen.
75.
Festhalten soll nun Pinabel den Stecken
Am abgehaunen End'; sie hängt daran;
Zuerst die Füße sich hinunterstrecken,
Bis sie an beiden Armen schweben kann.
Der Mainzer lächelt, fragt: »Wird Springen schmecken?«
Er öffnet weit die beiden Hände dann
Und spricht: »Wär' alles hier von deinem Samen!
Auslöschen möcht' ich gern den ganzen Namen!«
[40] 76.
Nicht, wie er wünschte, sollt' es sich gestalten,
Nicht solches war der edlen Jungfrau Los.
Hinunterfallend – mocht' er auch zerspalten!
Kam auf den Grund zuerst der Stecken bloß.
Ob er nun brach, er konnte doch sie halten:
Sie ward vorm Tod gerettet durch den Stoß.
Das Fräulein lag betäubt, wohl etwas lange;
Ich meld' es Euch im folgenden Gesange.

[41] Dritter Gesang

1.
Wer leiht die Stimme mir und wer die Worte,
Die sich geziemen für so hohen Plan?
Wer gibt mir Flügel, mich der Himmelspforte,
Aufsteigend wie mein Gegenstand, zu nahn?
Jetzt müssen Gluten ganz besondrer Sorte,
Begeistrungsflammen mir die Brust umfahn:
Denn dieses Lied wird meinem Herrn gesungen;
Die Ahnen künd' ich, denen er entsprungen.
2.
Wie viele Herrscher, Menschentun zu leiten,
Vom Himmel kamen her in unsre Welt,
Nie durch die Erde, Phöbus, sahst du schreiten
Ruhmvollern Stamm im Frieden und im Feld,
Der seinen Adel führt aus fernern Zeiten
Und führen wird (wenn wahrhaft mich erhellt
Dein Licht, das mir die späte Zukunft weiset),
Solang um seinen Pol der Himmel kreiset.
3.
Wollt ihren Wert ich voll zu künden trachten,
Statt meiner Leier braucht ich jene dann,
Die du gebrauchtest nach Gigantenschlachten:
Auf ihr ja stimmtest du dein Danklied an.
Wenn jemals deine Gaben mich bedachten
Mit beßrem Werkzeug, will ich, was ich kann,
In edlem Stein die Bilder zu vollenden,
Mein ganzes Mühn, all meinen Geist verwenden.
[42] 4.
Aufnehmend jetzt die ersten groben Stücke,
Hab' ich den stumpfen Meißel hier benützt
Voll Hoffnung, daß Vollkommneres mir glücke,
Wenn tiefres Studium einst mich unterstützt. –
Zurück zu ihm nun, dem ob seiner Tücke
Nicht Mut, nicht Panzerkleid den Busen schützt.
Ich sagte, wie der Mainzer Mörderbube
Die Jungfrau töten wollte in der Grube.
5.
Zerschmettert liegend wähnt der Schandgeselle
Das Mädchen unten auf dem Felsengrund;
Von der durch ihn mit Schmach bedeckten Schwelle
Eilt er davon mit schreckensbleichem Mund
Und wendet sich zur Flucht mit aller Schnelle.
Und weil er mit der ganzen Höll' im Bund
Und gar kein Maß in Schuld und Sünden kannte,
Nahm er das Roß hinweg von Bradamante.
6.
Mag er für andrer Tod die Ränke weben,
Dieweil er nur den Tod sich selber spann! –
Wir wollen uns zur Jungfrau jetzt begeben,
Die fast den Tod – das Grab zugleich – gewann.
Sie konnte sich, noch halb betäubt, erheben
– Denn unsanft kam sie auf dem Boden an –
Und schritt durch jene Pforte wie im Traume
Hin nach dem zweiten, größren Höhlenraume.
7.
Viereckig, hoch, als würdige Kapelle
Wird gleich vom Aug' der hehre Ort erkannt;
Auf Alabastersäulen schlank und helle
Sich wohlgegliedert das Gewölbe spannt:
Inmitten ein Altar an rechter Stelle,
Vor dessen Stufen einer Lampe Brand.
Und reiches Licht für alle beiden Zimmer
Bot dieser reinen Flamme klarer Schimmer.
[43] 8.
In frommer Demut in der Stätte Mitten,
Der göttlich hohen, blieb das Mädchen stehn;
Um Beistand Gott mit Herz und Mund zu bitten,
Sank sie auf ihre Knie mit stillem Flehn.
Da kam mit offnem Haar dahergeschritten
– Sie hörte knarrend sich ein Pförtchen drehn –
In losem Kleide, barfuß, eine Dame,
Von deren Lippen klang des Mädchens Name:
9.
»Vieledle Bradamant! Mit Himmels Segen«,
Rief sie, »und seinem Willen trittst du ein.
Merlins Prophetengeist sah dir entgegen
Schon manchen Tag: du werdest seinem Schrein,
So sprach er, nahn auf wunderbaren Wegen,
Zu grüßen fromm sein heiliges Gebein.
Geblieben bin ich hier, dir zu enthüllen,
Was sich – der Himmel will's – dir soll erfüllen.
10.
Dies ist die alte, weitverehrte Halle,
Die sich Merlin der Weise ließ erbaun.
Hier, wo – du kennst die Mär in jedem Falle –
Getäuscht ihn hat die schlaueste der Fraun.
Sein Fleisch verzehrt sich unten im Verfalle:
Bestrebt, ihr zu gehorchen, voll Vertraun
In ihren Rat, legt' er sich lebend nieder;
Dort sind im Tod geblieben seine Glieder.
11.
Tot ist der Leib, der Geist in ihm doch lebet,
Bis einst des Engelchors Posaun' erklingt,
Die ihn hinabstößt oder ihn erhebet,
Ob er als Rab', als Taube fort sich schwingt.
Die Stimme lebt – und jeder Hörer bebet,
Wie klar sie aus dem Marmorgrabe dringt.
Denn allen will er, die ihn drum befragen,
Das Künftige wie das Vergangne sagen.
[44] 12.
Zur Stätte hier, wo Grabesschauer wehen,
Aus fernen Landen bin ich hergeeilt,
Um meiner Kunst Mysterien zu verstehen,
Darob die Kunde nur Merlin erteilt;
Und weil es dann mich drängte, dich zu sehen,
Hab' ich noch einen Monat mehr verweilt:
Für heut versprach – nie trügen seine Worte –
Merlin dein Kommen diesem heil'gen Orte.«
13.
Stumm steht die Haimonstochter und beklommen,
Aufmerksam, still erwägend den Bericht,
Und solches Staunen hat sie überkommen:
Ob jetzt sie wacht, ob träumt, sie weiß es nicht.
Gesenkt die Lider, ganz von Scham benommen,
Errötend in Bescheidenheit sie spricht:
»Was hat in mir denn solch Verdienst begründet,
Daß ein Prophet mein Nahn vorausverkündet?«
14.
Und fröhlich über solch ein Abenteuer,
Hin geht sie mit der Fremden im Verein
Zu jenem Mausoleum hehr und teuer,
Allwo des Zaubrers Geist ruht und Gebein:
Der Sarkophag erglänzt wie rotes Feuer
(Glatt war er und von lichtem, hartem Stein).
Von ihm nur ins Gemach der helle Schein drang,
Weil nie ein Sonnenstrahl von außen eindrang.
15.
Ist's manchem Marmor wie den Fackeln eigen,
In helles Licht zu wandeln Dunkelheit?
War's Räucherung? War es der Sterne Reigen?
War's Zauber, den ein Magierspruch verleiht? –
Dies glaub' ich selbst und will es nicht verschweigen –
Kurz, reichen Schmuck voll Pracht und Herrlichkeit,
Aus Farben teils und teils in Stein gehauen,
Ließ jener Glanz in dem Gemache schauen.
[45] 16.
Kaum hat nun Bradamant den Fuß erhoben
Hin nach dem Grabesraume von der Schwell',
Als aus der toten Hülle dringt nach oben
Lebend'gen Geistes Stimme klar und hell:
»Du keusche, tugendreiche Maid da droben,
O daß dir ewig sich das Glück gesell'!
Du sollst uns reichen Samen ja bescheren,
Italien und der ganzen Welt zu Ehren.
17.
Das alte Troerblut fließt in zwei Bronnen:
In dir sie strömen künftig ineinand
Und bringen alle Blüte, Zier und Wonnen
Des Menschenstamms, den von des Indus Rand
Bis hin zum Tajo schaut das Licht der Sonnen,
Und fern vom Nil bis an der Donau Strand.
Reich schmücken dein Geschlecht der Ehren Reiser:
Markgrafen mächtig, Herzöge und Kaiser!
18.
Die Kapitän und Ritter draus entspringen,
Die mit des Geistes Kraft und blanker Wehr
Dem ehmals unbesiegten Lande bringen
Den alten Kriegsruhm und die alte Ehr'.
Und edle Herrscher ihre Zepter schwingen,
Ob es Augustus oder Numa wär'.
Einmal noch läßt ihr weis und mildes Walten
Sich ferner Vorzeit goldne Zeit gestalten.
19.
Daß sich in dir erfülle nun hienieden
Des Himmels Wille, der in seiner Gnad'
Jung Roger als Gemahl dir hat beschieden,
Verfolge guten Mutes deinen Pfad!
Kein Hindernis mag stören deinen Frieden.
Damit nicht Sorge dir das Herz belad'!
Es wird beim ersten Ansturm überwunden
Der Räuber, der dein Liebstes hält gebunden.«
[46] 20.
So spricht Merlin und sinkt zurück in Schweigen
Und überläßt der Magierin das Feld,
Die Bradamant soll jeden Apfel zeigen,
Der künftighin von ihrem Baume fällt.
Zum Dienst war ihr ein Geisterheer zu eigen. –
Ob aus der Höll'? Nicht weiß ich's um die Welt.
Die wurden all an einem Ort gehalten
In mancherlei Gewanden und Gestalten.
21.
Zur Kirche lenkt die Zauberin die Schritte,
Ein Kreis war dort gezogen schon vorher;
Der faßte Bradamant in seiner Mitte,
Ganz ausgestreckt, und eine Spanne mehr.
Daß sie nicht Unbill durch die Geister litte,
Gab sie ein Pentagon ihr noch zur Wehr
Und hieß sie zuschaun, nie sie unterbrechen;
Zur Geisterschar begann sie dann zu sprechen.
22.
Die kommt vom ersten Höhlenraum geschossen
Und will in jenen heil'gen Kreis hinein;
Doch als ihr dort der Eingang ist verschlossen,
Wie wenn es Mauern oder Graben sei'n,
Hin drängt sie, wo, von schöner Gruft umschlossen,
Ruht des Propheten heiliges Gebein.
Dorthin verloren sich die dunklen Schatten,
Als sie den Kreis dreimal umwandelt hatten.
23.
»Soll ich die Namen dir von allen sagen,
Die hier durch Geister«, sprach die Zauberin,
»Beschworen sind vor ihren Lebenstagen,
So reicht dafür die eine Nacht nicht hin.
Nicht weiß ich, traun, wann wird die Stunde schlagen,
Da ich mit allen diesen fertig bin.
Nur einige vermag ich auszuwählen
Und will davon nach Schicklichkeit erzählen.
[47] 24.
Mit schönen Zügen, freundlicher Gebärde,
Dir selber ähnlich, sieh den Ersten hier:
Bestimmt ist's, daß des Hauses Haupt er werde,
Erzeugt von Rogers Samen und von dir.
Mit Ponthieus Blute rötet er die Erde
Und wird – die ferne Zukunft zeigt es mir –
Sich blutig rächen und mit Heldentaten
An denen, die den Vater ihm verraten.
25.
Durch ihn wird Desider verlassen stehen,
Der König auf der Langobarden Thron.
Für dies Verdienst wird er vom Reich versehen
Mit Lehn von Este und von Calaon.
Nach ihm wird als des Landes Hort erstehen
Im Kranz des Waffenruhms dein Enkelsohn.
Er wird gar oft der heil'gen Kirche nützen
Und gegen die Barbaren sie beschützen.
26.
Sieh Albert hier: er läßt die Tempel prangen
Von Kriegstrophäen, unbesiegt im Streit.
Hugo, sein Sohn, der das Panier der Schlangen
Nach Mailand bringen wird, gibt ihm Geleit.
Azzo ist jener, der das Reich erlangen
Wird der Insubrer nach des Bruders Zeit.
Dort Albertazzo (durch sein klug Beginnen
Weicht Berengar, mit ihm der Sohn, von hinnen),
27.
Wert, daß von Kaiser Otto er empfange
Der Tochter Alda, der Prinzessin, Hand.
Ein andrer Hugo! Schöne Reihe, lange,
Die väterlichen Ruhm vermehrt im Land!
Hier dieser wehrt der Römer Überschwange
Und löscht zu Recht des stolzen Mutes Brand.
Den Kaiser und den Papst aus ihren Händen
Wird er befrein und die Belagrung enden.
[48] 28.
Sieh Folco jetzt: dem Bruder wird er geben,
Was in Italien sein, und in die Welt
Hinaus, bis tief nach Deutschland wird er streben,
Wo er ein großes Herzogtum erhält.
Durch ihn wird Sachsen wieder sich erheben,
Wenn es schon ganz auf eine Seite fällt.
Als mütterlicher Erbe wird er walten
Und es durch seinen Nachwuchs aufrecht halten.
29.
Ein zweiter Azzo kommt (nicht hold den Kriegen,
Ein Freund von feiner Höflichkeit ist der)
Mit Söhnen Albertazz und Berthold; siegen
Wird einer ob des zweiten Heinrich Heer.
Von deutschem Blute rot wird Parma liegen
Und seine sonn'gen Fluten rings umher.
Der andre nimmt zur Gattin sich Mathilde,
Die weise, mit des Ruhmes blankem Schilde.
30.
Er macht sich würdig solcher Ehebande:
Für jene Zeit acht' ich das Lob nicht klein,
Mit fast der Hälfte der ital'schen Lande
Des ersten Heinrich Enkelkind zu frein.
Von dieses Berthold teurem Liebespfande,
Rinald dort, wird der Ruhm errungen sein,
Aus Friedrich Barbarossas Hand, des bösen,
Rettend die heil'ge Kirche zu erlösen.
31.
Ein andrer Azzo! Zu Verona walten
Wird er des Herrscheramts und weit im Land
Und auch als Markgraf in Ancona schalten,
Vom Kaiser und vom Papst dazu ernannt.
Lang währt es, wollt' ich alle dir entfalten,
Die Romas Banner tragen in der Hand,
Aus deinem Blut entstammt, und Kunde bringen,
Was sie dereinst dem heil'gen Stuhl erringen.
[49] 32.
Obizzo, Folco, Azzos, Hugos; beide
Heinriche, Sohn und Vater, sind gesellt.
Zwei Welfen –: der, in Umbrien, im Herrscherkleide
Das Herzogszepter zu Spoleto hält.
Italia errettet er vom Leide,
Denn Wunden heilt und Freude bringt der Held.
Azzo der Fünfte hier, er hilft aus Nöten
Und fängt den Ezzelin und läßt ihn töten.
33.
Der Ezzelin, der schlimmste der Tyrannen
(Ihn halten viele für des Teufels Sohn),
Trägt einst Ausoniens Herrlichkeit von dannen,
Schindend und marternd, aller Welt zum Hohn,
Daß mild erscheint, was früher schon ersannen
Ein Sulla, Nero, Cajus und Anton.
Der Kaiser auch, der Friederiche zweiter,
Wird überwunden einst von diesem Streiter.
34.
Die Stadt wird dann sein Zepter glücklich preisen –
Sie zieht sich anmutvoll den Fluß hinab –,
Wo Phöbus rief mit trauervollen Weisen
Den Sohn, als er vom Wagen stürzt' ins Grab,
Und Ambra quoll in vielen Tränen, leisen,
Und Cygnus sich mit weißem Flaum umgab.
Für tausend Dienste wird sie ihm zum Lohne
Vom Hirten auf dem apostol'schen Throne.
35.
Wo bleibt Aldobrandin der Bruder? Dienen
Wird er dem Papst: er eilt, ihm beizustehn
Im Kampf mit Otto und den Ghibellinen;
Die sind schon nah beim Kapitol zu sehn,
Und ringsumher ist alles Land mit ihnen,
Gebändigt liegen Umbrien und Pizen.
Weil ohne Gold kein Beistand kann gelingen,
So geht er, solches aus Florenz zu bringen.
[50] 36.
Kann er nicht Kleinod und Juwelen geben,
So läßt er seinen Bruder dort als Pfand.
Siegreich die Banner wird er dann erheben
Und Krieger schlagen aus dem deutschen Land;
Er setzt den Papst ein, straft für arges Streben
Die von Celano mit gerechter Hand;
Dient, daß er treu den höchsten Hirt behüte,
Und stirbt in seiner Jahre schönster Blüte.
37.
Pisaurum läßt er und Anconas Auen
Dem Bruder und was sonst er sein noch nennt
An Städten, die vom Apennin zu schauen
Bis zum Isaur, am Ufer des Troent.
Er wird viel mehr auf Seelengröße bauen
Als Gold und Edelstein, so viel man kennt:
Die gibt das Glück und läßt sie wieder schwinden:
Bestand ist nur in Trefflichkeit zu finden.
38.
Sieh dort Rinald! Nicht minder wird er scheinen,
Der nie den hohen Wert des Stamms vergißt:
Doch wie sich neidisch gegen ihn vereinen,
Ach, Mißgeschick und Tod, kein Mensch ermißt!
Von hier bis nach Neapel wird man weinen,
Wo er die Geisel für den Vater ist. –
Obizzo kommt: der Lenze wird er zählen
Noch wen'ge, wenn sie ihn zum Fürsten wählen.
39.
Durchs rauhe Modena, Reggio das schöne,
Fügt er zum Prachtbesitz hinzu noch mehr.
Einstimmig will das Volk, daß diesen kröne
Ob seines Werts im Staat die höchste Ehr'.
Azzo der Sechste, einer seiner Söhne,
Wird von dem heil'gen Kreuz Gonfalonier'.
Karl von Sizilien wird sein Kind ihm geben
Und ihn zum Herzog Andrias erheben.
[51] 40.
Schau die vereint in freundschaftlichem Ringe!
Die herrlichsten der Fürsten bilden ihn:
Albert, an Milde reich und guter Dinge,
Niccol, Zoppo, Obizz, Aldobrandin.
Zu melden, wie Faenza man erringe,
Laß ich; auch, langer Weile zu entfliehn,
Wie Adria sie festigen; bekannt ist,
Daß es nach salz'ger Wogenflut benannt ist.
41.
Dazu die Stadt, die nach dem Rosensegen
Den Namen hat mit holdem griech'schen Klang,
Und jene, ganz im Fischesumpf gelegen,
Um die der Po die Doppelhörner schlang.
Daß wacker Wind und Wellen dort sich regen,
Verlangt das Volk und wilden Sturmgesang.
Ich lass' Argenta, Flecken und Kastelle,
Lugo und andre Städt' an dieser Stelle.
42.
Sieh Niccolò, den schon als zarten Knaben
Das Volk zum Herren seines Landes macht!
Tideo wird durch ihn das Nachsehn haben;
Gern hätt' er Bürgerkrieg hervorgebracht.
Als kindlich Spiel wird dies den Kleinen laben:
Schwitzen in Stahl und Müh' bei Tag und Nacht.
Aus früher Zeiten Plag' erwächst die Blume
Von hoher Ritterschaft und Heldentume.
43.
Er macht zunicht rebellisches Gebaren,
Für den zum Schaden, der Empörung sann.
In Kriegeslisten ist er so erfahren,
Daß ein Betrug ihn schwerlich täuschen kann.
Zu spät wird Oto Terzo das erfahren,
Von Reggio und von Parma der Tyrann:
Von ihm besiegt, muß der verlorengeben
Zu gleicher Zeit die Herrschaft und das Leben.
[52] 44.
Ein stetig Wachstum ist dem Reich beschieden,
Weil nie der Herrscher wankt vom rechten Pfad:
Andre zu schädigen, das wird vermieden,
Wenn keiner Unheil bringt durch Missetat.
Der Dinge Lenker ist damit zufrieden
Und gönnt ihm froh Gedeihen früh und spat.
Wachsende Wohlfahrt wird ihm niemals mangeln,
Solang die Welt sich dreht in ihren Angeln.
45.
Sieh Lionel! Und Borso sieh, den hehren,
Ruhm seiner Zeit, zuerst im Herzogshut.
Er sitzt in Frieden: und das Glück zu mehren
Mit friedlichen Triumphen, weiß er gut.
Er wird dem Mars das Tageslicht verwehren,
Und fest schnürt er den Arm der blinden Wut.
Vortrefflich ist, was immer er begonnen,
Was er nur plant – drum lebt sein Volk in Wonnen.
46.
Kommt, halbverbrannt den Fuß, man sieht ihn schwanken,
Ercol; er naht und wirft dem Nachbar vor:
Er stützte wahrlich nicht des Heeres Wanken
Bei Budrio, das schon die Schlacht verlor,
Damit durch Krieg ihm jener möge danken
Und ihn verfolge bis an Barcos Tor.
Bei diesem Herren wird nicht leicht entschieden:
Ist er im Kriege größer oder Frieden?
47.
Apuliern, Kalabresen und Lukanen
Wird sein Gedächtnis unvergeßlich sein.
Durch Zweikampf mit dem Herrn der Katalanen
Schon tritt er in des Ruhmes Tempel ein:
Manch ein Triumph wird bei den Kapitanen,
Den unbesiegten, ihm den Platz verleihn,
Und er erringt das Reich durch Geistesgaben,
Das er vor dreißig Jahren sollte haben.
[53] 48.
Was eine Stadt für gütig fürstlich Walten
An Dank nur hat, das wird ihm zuerkannt:
Nicht, weil sich blühnde Felder dort entfalten,
Wo er Moraste nur und Sümpfe fand;
Nicht, weil den Ort er fester wird gestalten,
Mit Mauern und mit Graben wohl umspannt,
Mit Kirchen, schmucken Schlössern, freien Plätzen,
Theatern – was das Herz nur kann ergetzen;
49.
Nicht, weil er vor den Klaun des Flügelleuen
Die Stadt beschützen wird mit kühnem Mut;
Nicht, weil, wenn Gallierfackeln rings bedräuen
Italias Fluren mit Vernichtungsglut,
Sie ganz allein des Friedens kann sich freuen,
Sicher und frei von jeglichem Tribut –
Für diese nicht sowohl und andre Gaben
Wird Herkules sein Volk als Schuldner haben –,
50.
Als, weil er ihm Alfonso den Gerechten
Und Hippolyt den Gütigen beschert;
Die werden sein, wie wenn sie wieder brächten,
Was vom Geschlecht des Schwans die Sage lehrt:
Daß, um den Bruder zu befrein aus Nächten,
Der Bruder wechselweis der Sonn' entbehrt.
Genug an Stärk' und Willen beide hätten,
Durch ew'gen Tod den Bruder zu erretten.
51.
Die Liebe, die das schöne Paar empfindet,
Gewährt dem Volke größre Sicherheit,
Als selbst ein Stahlwerk, das Vulkan erfindet,
Doppelt den Wall umschließend, sie verleiht.
Alfons mit Weisheit Güte so verbindet,
Daß man einst wähnen wird in spätrer Zeit,
Asträa kehr' aus Himmelsregionen
Dahin zurück, wo Hitz' und Kälte wohnen.
[54] 52.
Der Klugheit, wahrlich, darf er sehr sich freuen,
Und Kühnheit, drin er ganz dem Vater gleicht:
Denn – selber schwach – sieht er von dorther dräuen
Venedigs Flotte, die durch Fluten streicht,
Und, ach, die Mutter hat er hier zu scheuen
– Stiefmutter sagt man richtiger vielleicht –;
Wenn aber Mutter, ist sie nicht gelinder
Als Progne und Medea für die Kinder.
53.
So oft er aufbricht, sei's bei Nacht, bei Tage,
Mit seiner treuen Heeresmacht vom Strand,
Bringt er den Feinden Flucht und Niederlage,
Hier auf den Wasserfluten, dort zu Land.
Romagnas Volk, noch jüngst zum Schwertesschlage
Vereint mit ihm und Freunde da genannt,
Erfährt es, wenn von Blut die Felder fließen,
Die Po, Santern und Zanniol umschließen.
54.
Davon wird ferner dort zu sagen wissen
Der span'sche Mietling in des Papstes Lohn:
Er hat dem Herzog die Bastei entrissen,
Erschlägt den Schloßvogt, der gefangen schon;
Zur Strafe müssen all' das Leben missen,
Vom Söldner bis zum obersten Patron;
Nach Rom von der Erobrung zu berichten
Und von der Mordtat, gilt es zu verzichten.
55.
Er hat durch Kraft des Schwerts und der Gedanken
Auf der Romagna Feld die hohe Ehr',
Erlesnen Siegesruhm zu leihn den Franken,
Entgegen Julius' und Spaniens Heer.
Man sieht in Menschenblut bis an die Flanken
Die Hengste schwimmen auf der Flur umher.
Kaum wird man Platz um zu bestatten haben
Italer, Griechen, Spanier, Franken, Schwaben.
[55] 56.
Der im Prälatenkleid und Purpurhute
Auf heil'gen Locken – das ist er zumal,
Ippolito, der Edelmüt'ge, Gute,
Der röm'schen Kirche großer Kardinal.
Zu Vers und Prosa leiht der Hochgemute
In allen Sprachen Stoffe sonder Zahl.
Ein Maro gibt dem Herrlichen Geleite,
Wie dem August ein andrer ging zur Seite.
57.
Er wird der Glanz des schönen Stammes werden,
So wie den Weltenbau die Sonne schmückt;
Verdunkeln wird er jedes Licht auf Erden,
So wie von ihr wird Mond und Stern erdrückt.
Er zieht mit wenig Fußvolk, wen'gen Pferden
Bekümmert fort und kehrt nach Haus beglückt.
Fünfzehn Galeeren, hingeschleppt in Banden,
Und tausend Boot' als Beute sind vorhanden.
58.
Und dort! Zwei Sigismunde kannst du sehen!
Fünf Prinzen dort: Alfonsos Söhneschar.
Ihr großer Ruhm wird übern Erdball gehen,
Kein Berg, kein Meer kann widerstehn fürwahr.
Der zweite Herkules ist ausersehen
Zum Eidam Frankreichs; weiter stellt sich dar
Herr Hippolyt, um keinen zu vergessen,
Der mit dem Ohm sich kann an Glanze messen.
59.
Franz ist der dritte, die zwei nächsten tragen
Den Namen Alfons. Du vernahmst zuvor:
Zeigt' ich dir alle Zweige, wie sie ragen
Vom edlen Stamm in Herrlichkeit empor,
Es müßte, mehrmals nachten dann und tagen,
Eh ich das Ganze brächte vor dein Ohr.
Doch schweigen möcht' ich jetzt, will's dir gefallen;
Zeit ist es, daß zurück die Schatten wallen.«
[56] 60.
Als Bradamant damit war einverstanden,
Die weise Frau ihr Zauberbuch verschloß,
Und all die Geister nach dem Raum entschwanden
In Eile, der Merlins Gebein umschloß.
Weil ihr zu sprechen jetzt war zugestanden,
Die Dame so den holden Mund erschloß:
»Wer sind die Traurigen – möcht' ich erfahren –,
Die zwischen Hippolyt und Alfons waren?
61.
Gesenkt die Augen, seufzend kamen beide,
Als sei geschwunden Mut und kühner Sinn;
Als ob sie von den Brüdern etwas scheide,
Sie schritten fremd und fern den andern hin.«
Bei dieser Frage wurde blaß vor Leide
Und weinend sprach die gute Zauberin:
»Unselige, zum Weh euch muß sich's wenden,
Daß ihr euch ließt durch böses Volk verblenden!
62.
O Sproß des Herkules, laß nicht bezwingen
Durch beider Schuld den edlen, güt'gen Mut!
Mitleid statt Recht mag ihnen Gnade bringen:
Die Armen sind ja doch von eurem Blut!«
Sie fügt hinzu – ganz leis die Worte klingen –:
»Davon noch mehr zu sagen, ist nicht gut.
Du solltest Süßigkeit im Munde schmecken;
Ich will sie nicht durch Bitternis verdecken.
63.
Erstrahlt am Himmelsrand die erste Helle,
Geradenweges brichst du auf alsbald
Zum Felsen mit dem leuchtenden Kastelle,
Wo Roger weilt in fremden Manns Gewalt.
Als Führerin ich selbst mich dir geselle,
Bis du herauskommst aus dem rauhen Wald.
Das Weitre werd' ich auf dem Meer erzählen:
Du kannst den Weg von dort nicht mehr verfehlen.«
[57] 64.
Weil über Nacht die kühne Maid hier weilte,
Besprach sie vieles in der Stunden Lauf
Noch mit Merlin, der ihr den Rat erteilte,
Sie suche gleich den edlen Roger auf,
Wenn sie vom Höhlengrund von dannen eilte.
In Flammen steigt der Morgen schein herauf,
Da führt ein dunkler Weg sie in die Weite;
Stets schreitet ihr die weise Frau zur Seite. –
65.
Durch öden Grund, den Berge rings umschließen,
Unnahbar mächt'ge, wilde, ziehn sie fort.
Tagsüber, ohne Ruhe zu genießen,
Vorbei an Strom und Abgrund geht es dort.
Damit des Weges Mühn sie nicht verdrießen,
So plaudern sie mit manchem trauten Wort
Von wichtigen und angenehmen Dingen,
Daß sie die langen Stunden schön verbringen.
66.
Ermahnt wird Bradamant, zu überlegen,
Sorglich und wohlbedacht auf ihre Hut;
Mit List und Vorsicht solle sie sich regen,
Dann meine sie's mit Roger wirklich gut.
»Trittst du als Mars, als Pallas ihm entgegen
Und mit dir größre Heere voller Mut,
Als Karl besitzt, zu kriegen mit den Mohren,
Gegen den Zaubrer bist du doch verloren.
67.
Nicht nur, daß unersteiglich hoch sich heben
Aus Stahl die Wände dort am Felsenschloß,
Nicht nur, daß er durch Lüfte rennen, schweben
Und springen kann auf seinem Flügelroß,
Ist ihm auch noch der Wunderschild gegeben;
Der dringt, enthüllt, ins Aug' wie ein Geschoß,
Und blendet es, daß alle Sinne schwinden
Und die Getroffnen sich wie tot befinden.
[58] 68.
Und wenn du meinst, der Angriff könne glücken,
Wenn man beim Streiten dort die Augen schließt,
Du wüßtest nicht: wann gilt es vorzurücken,
Wann ihn zu meiden, falls er niederschießt.
Dich rettet eins nur vor des Lichtes Tücken,
Daß du dem ganzen Zauber dich entziehst,
Den er verübt, geschickt auf eine Weise:
Und diesen einz'gen Schutz ich jetzt dir weise.
69.
Herr Agramant hat einen Ring erhalten,
Den man in Indien einer Fürstin stahl:
Er läßt damit jetzt einen Diener schalten,
Brunel; der reitet unfern hier im Tal.
Es kann sich keine Zauberkraft entfalten,
Trägt man den Ring am Finger allzumal.
Brunel versteht, was Schlich' und Listen seien,
Wie Rogers Kerkermeister Zaubereien.
70.
Nun will der Dieb – so schlau und so verschlagen,
Wie schon gesagt – mit seiner Meisterschaft
(Der König hat ihm dieses aufgetragen)
Und unterstützt von jenes Ringes Kraft,
Die Fesseln Rogers auf dem Fels zerschlagen:
Er hat geprahlt, er löse seine Haft,
Und also hat er's seinem Herrn geschworen,
Dem Roger mehr gilt als die andern Mohren.
71.
Daß Roger nur von dir die Rettung habe
Und nicht verpflichtet sei dem Agramant
Für die Befreiung aus dem Zaubergrabe,
Geb' ich dir hier ein Mittel an die Hand.
Drei Tage lang am Strand des Meeres trabe –
Es wird sich gleich dir zeigen – durch den Sand,
Bis dich der Abend an ein Gasthaus bringe,
Wo auch der andre sein wird mit dem Ringe.
[59] 72.
Sein Wuchs – dies mag dir zum Erkennen dienen –
Sechs Spannen kaum, der Kopf ist schwarzbehaart
Und wollig, braun die Haut und bleich die Mienen,
Mit einem struppigen und wilden Bart;
Die Augen scheel, geschwollen, über ihnen
Die Brauen dick; die Nase platter Art.
Sein Rock ist kurz – daß ich ihn ganz beschreibe –
Und liegt, wie bei Kurieren, knapp am Leibe.
73.
Du kannst dich leicht zum Plaudern ihm gesellen
Und sprechen von dem Spuk – das wird wohl gehn –
Und dich, wie du es bist, begierig stellen,
Dem Hexenmeister dort im Kampf zu stehn.
Doch schweigen sollst du ganz in allen Fällen
Vom Ring, vor dem der Zauber muß vergehn.
Er bietet dann sich an, mit dir zu reiten
Und dich nach jenem Felsen zu geleiten.
74.
Du gehe hinter ihm, bis daß vom weiten
Die Wände jenes Schlosses sichtbar sind;
Dann töt' ihn: Mitleid darf dich nicht verleiten!
Damit, was ich dir sag', Erfüllung find',
Laß dir kein Zeichen deines Plans entgleiten:
Verdecken würd' ihn sonst der Ring geschwind.
Dir zu verschwinden, wird ihm leicht gelingen,
Wenn er den Ring kann an die Lippen bringen.«
75.
So sprechend kamen sie, wo sich dem Meere
Dort die Garonne bei Bordeaux verband.
Da schieden nun, nicht ohne manche Zähre,
Die beiden Weggenossen voneinand.
Daß sie dem Teuren Freiheit bald beschere,
Strebt ohne Säumen vorwärts Bradamant
Und geht, bis sie in abendlichen Stunden
Das Gasthaus mit Brunel hat vorgefunden.
[60] 76.
Und sie erkennt ihn an Gestalt und Zügen,
Denn die Beschreibung hat sie gut im Sinn.
Sie fragt: woher? wohin? Und zu belügen
Sucht sie der andre gleich von Anbeginn.
Jedoch, gewarnt, läßt sie sich nicht betrügen,
Hält ihn geschickt mit Flunkereien hin,
Ob Stamm und Namen bunte Mären flickend
Und oft dabei ihm auf die Hände blickend,
77.
Mit Vorsicht öfter blickend auf die Hände,
Vor seinen Diebesfertigkeiten bang.
Sie ließ ihn nicht ihr nahn, denn wie behende
Er Sachen stahl, das wußte sie nun lang.
So standen sie, als ein Gelärm ohn' Ende
Den beiden häßlich in die Ohren drang.
Was Ursach', Herr, der Unruh' war im Hause,
Erzähl' ich noch; – jetzt schickt sich eine Pause.

[61] Vierter Gesang

1.
Wohl ist's verwerflich meist, sich zu verstellen,
Wird oft ein Zeichen niedrer Seele sein;
Doch bietet Heuchelei in vielen Fällen
Unstreitig einen Nutzen, der nicht klein,
Und kann vor Schaden, Tod uns sicherstellen.
Verkehrt man doch mit Freunden nicht allein
Im Erdenleben, wo mehr Nacht als Licht ist
Und mancher, ach, auf Neid und Haß erpicht ist!
2.
Zur Not nach langer Prüfung mag's gelingen
Zu finden, den du Freund nennst ohne Scheu,
Dem du dein Herz vertraust in allen Dingen
Und ohne Schleier zeigest stets aufs neu;
Doch soll Vertraun die Freundin Rogers bringen
Jenem Brunel, der weder rein noch treu?
Der sie durch Lug und Schändlichkeit empörte,
Nach dem, das von der Zauberin sie hörte?
3.
So heuchelt denn auch sie – was kann sie machen?
Denn allen Truges Vater ist Brunel.
Und ihre Blicke seine Hand bewachen –:
Ha, wahre Geierklaun hat der Gesell!
Da trifft ein Lärm ihr Ohr, ein Dröhnen, Krachen:
»O Himmelsherr! Maria, Gnadenquell!«
Ihr Ruf erklingt: »Was ist das für ein Toben?«
Hin eilt sie, wo der Lärm sich hat erhoben,
[62] 4.
Und sieht den Wirt mit allen, jung und alten,
Empor zum Himmel richten Aug' und Braun
Innen und draußen –: will sich dort gestalten
Verfinsterung? Ist ein Komet zu schaun?
Sie sieht ein holdes Wunder sich entfalten
(Daran zu glauben, mag sie kaum sich traun):
Ein mächtig Flügelroß im Äther schweben
Und einen Ritter in die Lüfte heben.
5.
Vielfarbig und gewaltig sind die Schwingen,
Und mittendrin, gewappnet, sitzt ein Mann;
Von seiner Eisenrüstung Strahlen dringen,
Nach Westen zu kommt er im Flug heran.
Er sinkt – und ferne Höhen ihn verschlingen,
's ist – sagt der Wirt, der keine Lüg' ersann –
Ein Zauberer, der also pflegt zu schweifen
Und nah und fern die Gegend zu durchstreifen.
6.
Jetzt zu den Sternen hebt er sich im Fluge,
Jetzt streift er hin am Boden, fast im Staub,
Und mit sich nimmt er, was er auf dem Zuge
An Schönen nur erraffen kann zum Raub,
So daß ein armes Kind, ob es mit Fuge,
Ob nur im Wahn sich eine Venus glaub'
(Es kommt auf eins heraus – er nimmt sie alle!),
Die Sonne meiden muß in jedem Falle.
7.
»Sein Schloß steht in den Pyrenän; da sprangen«,
Der Wirt sagt, »Mauern auf durch Zaubermacht;
Leuchtend und schön in hellem Stahl sie prangen,
Nie schien die Sonn' auf eine größre Pracht.
Gar viele Ritter sind dorthin gegangen,
Doch keiner hat den Weg zurückgemacht.
Drum hab' ich, Herr, als glaublich dies erachtet:
Im Kerker sind sie – oder abgeschlachtet.«
[63] 8.
Die Dame hört's und hört es frohbetroffen;
Denn fortzuraffen all den Zaubergraus
Mit ihrem Ring, darf sie ja sicher hoffen,
Den Magier selber und sein Wunderhaus.
Sie spricht zum Wirt: »Die Wege stehen offen;
Ein kund'ger Diener führe mich hinaus!
Ich brenne heiß – der Ruh' muß ich vergessen –
Mit jenem Hexenmeister mich zu messen.«
9.
»Nicht fehlen«, sprach Brunel, »soll der Begleiter:
Ich selber will mit dir als Führer gehn.
Den Wegplan hab' ich und noch manches weiter,
Das als Gesellen mich macht gern gesehn.«
Vom Ringe wollt' er sprechen, doch gescheiter
Hält er das Schweigen, nicht geprellt zu stehn.
Sie spricht: »Du bist genehm mir zur Gesellschaft«
Und meint. – Jawohl, weil mir's den Ring zur Stell' schafft.
10.
Was nützen kann, das sagt sie; was ihr schaden
Mag bei Brunel, verschweigt sie mit Bedacht.
Der Wirt besaß ein Roß: zu Wanderpfaden
Vortrefflich schien ihr's wie zu Krieg und Schlacht.
Sie kauft es. Als im Morgentaue baden
Die Fluren früh, man auf den Weg sich macht.
Durch enge Felsschlucht sie von dannen reitet;
Brunel, bald vorn, bald hinten, sie begleitet.
11.
Von Berg zu Berg, von Wald zu Wald sie ziehen
Zum Pyrenäengipfel hoch und hehr,
Von wo zu schauen, wenn die Nebel fliehen,
Frankreichs und Spaniens Doppelküste wär',
Wie ob Camaldoli ein Blick verliehen
Vom Apennin ist auf ein zwiefach Meer.
Mühsam und steil, an schroffen Felsenschlünden
Vorüber ging's zu tiefen Tales Gründen.
[64] 12.
Inmitten sieht man einen Felsen ragen;
Stahlmauern kränzen kriegerisch sein Haupt.
Des Himmels Wolken, scheint es, will er tragen,
Die Berge rings man seine Diener glaubt.
Wer Flügel hat, kann hinzudringen wagen;
Sonst ist für Botschaft Hoffnung ganz geraubt.
»Sieh!« sprach Brunel, »du kannst den Ort betrachten,
Wo in der Haft die Fraun und Ritter schmachten!«
13.
Viereckig zubehaun und glatt die Wände
Des Felsens, lotgerecht wie nach der Schnur!
Auf keiner Seite Halt für Fuß und Hände,
Von Stufen oder Treppen keine Spur!
Daß dort ein Tier wohl seine Höhle fände,
Meint man, doch ein Geschöpf mit Flügeln nur.
Das Fräulein sieht, 's ist Eile jetzt vonnöten,
Den Ring zu nehmen und Brunel zu töten.
14.
Bloß mit des Schelmen Blut sich zu beflecken,
Des waffenlosen, sehr ihr widerstrebt.
Auch so wohl geht's, den Ring sich anzustecken
Und zu erlauben, daß er weiterlebt!
Ohn' Argwohn ist Brunel; da – welch ein Schrecken!
Gebunden war er und wie festgeklebt
An eine Tann': am Stamme hilflos hing er;
Allein zuvor nahm sie den Ring vom Finger.
15.
Vergebens seine Klagen, seine Bitten;
Ihn freizugeben sinnt sie keinesfalls.
Sie steigt zu Tal mit langsam festen Schritten,
Bis sie am Fuß ist jenes Felsenwalls.
Zum Kampfe laden aus des Schlosses Mitten
Soll jetzt den Zaubrer Kraft des Hörnerschalls.
Sie bläst, und hinterdrein mit drohndem Schreien
Entbietet sie zum Streit ihn hier im Freien.
[65] 16.
Nachdem das Horn erschallt ist und die Stimme,
Läßt in der Luft der Flügelhengst sich schaun
Auf sie zu, die ein Mann erscheint voll Grimme.
Von vornherein gleich wächst ihr das Vertraun;
Geringen Schaden, meint sie, tut der Schlimme,
Vor diesem Reiter braucht ihr nicht zu graun.
Nicht Spieß noch Keul' und Schwert sieht man ihn halten,
Den Harnisch zu zerschmettern und zu spalten.
17.
Nichts trägt er als den Schild in seiner Linken,
Rotseiden Tuch darum als Decke weht,
Und rechts ein Buch, o seht nur: auf sein Winken,
Dieweil er liest, ein Wunder draus entsteht:
Bald zeigt sich, wie man glaubt, ein Lanzenblinken
(Davon der Atem manchem Held vergeht),
Und bald ein Tanz von Knüppel oder Keule;
Fort ist er dann, ganz ohne Wund' und Beule.
18.
Der Hengst, von Greif und Pferdestut' entsprungen,
Ein wirklich Wesen und kein Zauber war:
Das Vatertier gab Federn seinem Jungen,
Den Schnabel, Vorderfüß' und Schwingenpaar.
Der Mutter war das übrige gelungen;
Der Name »Hippogryph« macht solches klar.
In Nordlandsbergen kommen, freilich selten,
Dergleichen Wesen aus den Eismeerwelten.
19.
Er bracht' ihn her von dort in Zauberbanden;
Ihn abzurichten war er dann bedacht,
Bis er den Hengst, nachdem vier Wochen schwanden,
Für Zaum und Zügel fügig hat gemacht.
Das Tier gehorcht in Luft und Menschenlanden,
Wenn er es tummelt, völlig seiner Macht.
Nicht Zauberlisten hier, wie sonst, betören,
Man kann das alles wirklich sehn und hören.
[66] 20.
Zu täuschen war der Zaubrer sonst nicht träge:
Was gelb ist, sieht das Aug' in Rot verkehrt.
Doch bei dem Fräulein hat das gute Wege,
Weil ja der Ring jedweder Täuschung wehrt.
Und doch gibt sie dem Winde Schläg' auf Schläge
Und wirft sich hierhin, dorthin mit dem Pferd.
Sie tummelt sich, tut alles, heiß die Wangen,
Wie sie die Unterweisung hat empfangen.
21.
Ein Weilchen läßt sie so den Renner springen
Und steigt dann ab, zu Fuß mit klugem Sinn
Bequemer noch das andre zu vollbringen,
Was ihr gesagt ward von der Seherin.
Unmöglich hält der Magier ein Mißlingen
Und schleudert seinen stärksten Zauber hin:
Den Schild enthüllt er und vermeint, sie werde
Vom Zauberlicht hinstürzen auf die Erde.
22.
Gleich konnt' er ja die Hülle ziehn vom Schilde,
Den Kämpfer schonend, eh er niederfiel;
Doch hatt' er seine Lust am schönen Bilde:
Wie Schwert und Lanze träfen hübsch das Ziel.
Er glich der Katze hier, die, scheinbar milde,
Sich mit der Maus ergötzt zu ihrem Spiel;
Wird ihr das Spaßen dann zum Überdrusse,
So beißt sie zu und gibt den Tod zum Schlusse.
23.
Ich sagt': er war der Katze zu vergleichen,
Und wer ihm gegenüberstand, der Maus.
Doch muß das Gleichnis jetzt sein End' erreichen,
Seit jene mit dem Ringe kommt zum Strauß.
Gespannt verfolgt sie seiner Absicht Zeichen;
Nach Wunsche schlägt es ihm wohl schwerlich aus.
Als sie die Hülle sieht herniederwallen,
Schließt sie das Aug' und läßt sich niederfallen;
[67] 24.
Nicht, weil der Blitz des leuchtenden Metalles,
Wie allen andern, Schaden ihr gebracht,
Nein, bloß, damit beim Anblick ihres Falles
Der Feind vom Pferde steige unbedacht.
Und wie's ersonnen war, so glückt ihr alles:
Kaum lag sie da, so kam, mit aller Macht
Die Schwingen regend, in gewalt'gem Bogen
Der luft'ge Reiter auf sie zugeflogen.
25.
Den Schild, verhüllt, läßt er am Sattel hangen
Und kommt zu Fuß zum Mädchen her in Hast:
Das gleicht verstecktem Wolf, der voll Verlangen
Im Dickicht lauernd auf den Rehbock paßt;
Und als er nah ist, nimmt sie ihn gefangen,
Indem sie rasch mit Armen ihn umfaßt,
Vergessen hat der Arme, Unbedachte
Das Buch, das sonst für ihn die Kämpfe machte.
26.
Man sieht ihn eine Kette bei sich tragen,
Damit er seine Opfer stets umwand;
Vermeint er doch, es geh' ihr an den Kragen;
Die Arme wollt' er binden aneinand.
Zu Boden jetzt hat ihn die Maid geschlagen:
Er wehrt sich nicht – was ich begreiflich fand.
Er liegt – so wollte sich das Blättlein wenden –
Ein schwacher Greis, in starker Jungfrau Händen!
27.
Das Haupt ihm abzuhaun, hat sie im Sinne:
Die Siegerhand erhebt sie zum Gericht.
Doch in das Antlitz schauend, hält sie inne;
Die Rache scheint gemein, sie will sie nicht.
Ein Greis, ehrwürdig, weißen Bart am Kinne,
Blickt zu ihr auf mit traurigem Gesicht;
An seinen Runzeln und am weißen Haare
Sieht man, er zählt wohl an die siebzig Jahre.
[68] 28.
»Bei Gott, o Jüngling, nimm, o nimm mein Leben!«
Verzweifelt rief der Greis in Zorn und Groll.
Doch ist, es loszuwerden, sein Bestreben,
Meint jene, daß er's noch behalten soll,
Und sie verlangt, er möge Kunde geben,
Was all der Zauber hier besagen woll':
Warum die Burg gebaut an diesem Orte
Und er drin hause, aller Welt zum Torte.
29.
»Weh, nicht aus Bosheit, nicht aus Aberwitze,«
Erwidert unter Zähren ihr der Greis,
»Macht' ich die schöne Burg auf Felsenspitze;
Von Raub und Habsucht, ach, mein Herz nichts weiß.
Nein, Liebe treibt mich, vor der Jugendhitze
Gefahr zu retten edler Ritter Preis.
Der Himmel zeigt, er muß nun bald verderben
Und – durch Verrat – als Christ und gläubig sterben.
30.
Die Sonne nicht – vom Nord zu Südpols Ferne –
So schönen, wackren Jüngling hat gekannt.
Sein Nam' ist Roger; ach, ich hab' ihn gerne! –
Ich, Atlas, der ihn als ein Kindlein fand,
Bis ihn die Ehr' und seines Schicksals Sterne
Nach Frankreich führten gegen Agramant.
Mehr als mein Kind ihn liebt' ich; ihn hier drinnen,
Von Frankreich fern, zu bergen, war mein Sinnen.
31.
Den Jüngling zu behüten vor Gefahren,
Hab' ich allein die schöne Burg erbaut;
Ich fing ihn ein (du kennst nun das Verfahren,
Mit dem auch dich zu fassen ich vertraut).
Hier sammelt' ich, die hoch und edel waren,
Ritter in Waffen kühn und Damen traut,
Damit er, ging es nicht nach seinem Willen,
Doch in Gesellschaft weile sonder Grillen.
[69] 32.
Läßt er den einen Wunsch der Rückkehr fahren,
Wird hier kein' andre Lust der Welt entbehrt;
Was nur zu finden ist bei Menschenscharen
Des Erdenrunds, das wird ihm dort gewährt.
Sang, Speisen, Spiel, Gewänder, schöne Waren,
Was sich der Mund ersehnt, das Herz begehrt.
Gesät war gut, die Ernte will gelingen,
Doch du erscheinst, um Unheil mir zu bringen.
33.
O möge doch dein Herz dem Antlitz gleichen!
Mein Sinn ist redlich; laß mein Streben mir!
Nimm hin den Schild und nimm als Friedenszeichen
Das durch die Luft sich schwingt, das Flügeltier.
Bleib fern der Burg und laß mit dir entweichen
Zwei, drei der Freunde noch vom Schlosse hier!
Ja, nimm sie alle – nicht werd' ich dich hassen,
Willst du mir einen, willst du Roger lassen!
34.
Und mußt du grausam dennoch ihn behalten,
O dann, eh du ihn führst zum Frankenland,
Löse die Seele mir, dem schwachen Alten,
Die fast aus morscher Hülle schon entschwand!« –
»Schwatzend und klagend magst du weiter schalten;
Ich lös' ihm,« sprach die Maid, »das Fesselband.
Es sollen Schild und Roß mich nicht betören,
Die alle beide ja mir schon gehören!
35.
Und könntest du sie nehmen oder geben,
Ich würde doch zum Tausch mich nicht verstehn.
Du willst für Roger, sagst du, Unheil heben,
Damit er schlimmen Sternen könn' entgehn?
Nicht weißt du, was die Himmel für ihn weben,
Und wüßtest du's, es müßte doch geschehn.
Dein Unglück siehst du nicht, das doch so nah ist,
Wie willst du sehn, was lange noch nicht da ist?
[70] 36.
Fleh' nicht, daß ich dich gleich ins Jenseits sende:
Vergebens wär's! Ist Sterben dein Begehr –
Verweigern auch die Menschen dir das Ende,
Den Weg zum Tod versperrt man nimmermehr.
Doch eh vom Fleisch dich lösen deine Hände,
Gib erst in Freiheit die Gefangnen her.«
So sprach das Fräulein, und dem Fels entgegen
Hieß sie den Zaubrer sich voran bewegen.
37.
Der Zaubrer geht, in eigner Kette Banden:
Das Fräulein neben ihm hat aufgepaßt:
Noch ist nicht recht Vertraun in ihr vorhanden,
Scheint er auch jetzt ergeben und gefaßt.
Als sie den Spalt nach wen'gen Schritten fanden,
Der aufwärts stieg im Zickzack zum Palast,
Auf Stufen, die in Bogenform sich schlangen,
Sind sie zum Tor der Burg hinaufgegangen.
38.
Ein Felsenstück mit Zeichen, nicht geheuer,
Nimmt von der Schwelle dort der Nekromant.
Darunter qualmen von verborgnem Feuer
Beständig Töpfe (»Olle« zubenannt).
Der Greis zerbricht sie –: fort ist das Gemäuer!
Ungastlich, öde steht die Felsenkant',
Und nirgends sind zu sehen Türm' und Wände,
Als wär's unmöglich, daß ein Schloß hier stände.
39.
Der Zaubrer hat der Dame sich entwunden
(So mag die Drossel sich vom Netz befrein),
Und mit ihm plötzlich ist sein Schloß verschwunden:
Frei zeigen sich die Gäste jetzt, allein
Nicht mehr in Sälen haben sich befunden
Die Herrn und Damen alle, nein, im Frein.
Auch waren viele drob, fürwahr, in Trauer;
Denn groß Vergnügen gab's im Vogelbauer.
[71] 40.
Hier steht Gradaß, dort König Sakripante
Und weiterhin der edle Held Prasild
(Der mit Rinaldo kam aus der Levante);
Bei ihm Irold – der Freundschaft echtes Bild!
Nun sieht auch ihn die schöne Bradamante,
Roger, dem ihres Herzens Sehnen gilt.
Und kaum hat sie sein Auge wahrgenommen,
Gar hold und freudig heißt er sie willkommen.
41.
Mehr als am Augenlicht, am Blut und Leben
Sein Herz an dieser stolzen Schönen hing,
Seit er sie sah den Helm vom Haupte heben
Für ihn, so daß sie jene Wund' empfing.
Ich kann nicht sagen hier, wer die gegeben,
Wie er, wie sie durch Wälder schweifend ging,
Wie Tag und Nacht sie suchten, auf und nieder,
Und niemals noch – bis jetzt – sich fanden wieder.
42.
Nun er sie sieht und hört, dies hehre Wesen
Hab' ihn gerettet aus der Burg von Stahl,
Gesegnet nennt er sich, vom Glück erlesen,
Das Herz verklärt von heller Freude Strahl.
Zum Platze, wo sie Siegerin gewesen,
Geht es hinunter jetzt, ins Felsental.
Dort haben sie den Flügelhengst gefunden;
Den Schild, bedeckt, trug er zur Seit' gebunden.
43.
Die Dame griff nach seinem Zaum: die Glieder
Erst rührt er nicht, als er sie kommen sah;
Dann flog er auf in heitre Luft, und nieder
Zu Boden senkt er sich, nicht weit von da.
Sie folgt ihm nach: er regt die Schwingen wieder,
Läßt sich herab und bleibt, bis sie ganz nah;
So wie die Kräh' in trocknem Sande tänzelt,
Wenn jagend hinter ihr ein Hündlein schwänzelt.
[72] 44.
Roger, Gradaß und Sakripant, sie liefen,
Wie alle, denen Freiheit ward gebracht,
Bergauf, bergunter nach dem Hippogryphen,
Weil jeder ihn zu fassen war bedacht;
Als dieser nun den Weg nach sumpf'gen Tiefen
Und der nach Bergeshöhen hat gemacht,
Auf steile Spitzen ist hinaufgedrungen,
Da kommt der Hengst zu Roger hingesprungen.
45.
Ein Mittel war's, das Atlas schlau verwandte,
Der stets voll Sorgfalt, zärtlich überaus,
Roger aus der Gefahr zu ziehen brannte.
Nur dies bekümmert' ihn tagein, tagaus.
Den Hippogryphen drum er jetzt entsandte,
Roger zu tragen in die Fern' hinaus.
Als der zum Renner kommt, um ihn zu fassen,
Sträubt sich das Tier, will sich nicht lenken lassen.
46.
Erzürnt ließ Roger dem Frontin die Zügel
(Den Namen führte dieses gute Roß)
Und schwang sich in des Flügeltieres Bügel,
Reizt ihm den stolzen Mut durch Sporenstoß:
Es lief ein Weilchen, regte dann die Flügel,
Bis es in leichtem Schwung zur Höhe schoß.
Kein Falk, der hutlos sich der Freiheit freute,
Stieß schneller auf den Reiher, seine Beute.
47.
Das Fräulein, das den Liebsten sah entweichen
In so gefährlich mächt'ge Höhn empor,
Ließ in Betäubung eine Zeit verstreichen,
Darin sie das Bewußtsein schier verlor:
Will ihn das Schicksal Ganymeds erreichen,
Den für den Himmel Zeus sich einst erkor?
Sie meint nun, dies erneut sich, all und jedes:
Ist er doch lieb und schön wie Ganymedes.
[73] 48.
Gespannten Augs zum Himmel muß sie schauen,
Solang sie sehn kann; als er allzuweit
Und gänzlich bald verschwunden ist im Blauen,
Gibt ihm noch ihre Seele das Geleit.
Nun darf sie Klag' und Seufzern sich vertrauen,
Die bleiben ihr fortan für alle Zeit.
Als Roger ihr entführt ist vom Geschicke,
Treffen den Hengst Frontin der Dame Blicke,
49.
Und sie beschließt, für sich ihn zu behalten
(Vom ersten besten würd' er ja geraubt),
Bis Roger werd' als sein Gebieter schalten,
Weil an ein Wiedersehn bestimmt sie glaubt. –
Der Vogel steigt; des Zügels kann nicht walten
Der Reiter –: tief versinkt der Höhen Haupt;
Sie werden kleiner, und mit einem Mal ist
Nicht mehr zu schauen, was Gebirg, was Tal ist.
50.
Roger ist hoch (als Punkt mag er erscheinen
Den Leuten, die ihn von der Erde sehn)
Und steuert hin, wo Sol sich senkt, um seinen
Wagen fortan im Krebsesbild zu drehn.
Es fahr' ein Schifflein, möchte man vermeinen,
In dessen Segel günst'ge Winde wehn.
So geh' er denn – wir wünschen gute Reise!
Und von Rinald erklinge jetzt die Weise.
51.
Zwei Tage fuhr er hin durch Meereswogen
Gewalt'ge Strecken, von dem argen Wind
Nach Westen bald und bald zum Bär gezogen,
Und Tag und Nacht im wilden Sturm verrinnt.
So kam er auch zum Schottenland geflogen,
Wo Kaledonias Wald und Rasen sind.
Sie hören durch die alten schatt'gen Eichen
Oft Klang von Waffen und von mächt'gen Streichen.
[74] 52.
Britanniens Ritterschaft und ihre Leiter,
Die kampfbereiten, alle sind darin,
Von nah und ferne viel erlesne Streiter
Mit Deutschlands, Frankreichs, Nordlands Heldensinn.
Wem Kraft gebricht, der gehe lieber weiter,
Denn, sucht er Ruhm, wird Tod nur sein Gewinn.
Galaß, Galvan und Lancelot vollbrachten
Mit Artur, Tristan Wunderwerk in Schlachten.
53.
Dazu der Tafelrunde Kampfgesellen,
Der alten und der neuen, wie bekannt.
Es künden ihren Ruhm an manchen Stellen
Denkmäler und Trophäen weit ins Land.
Rinald fand Waffen, Bajard auch, den schnellen,
Und fährt von dannen nach dem Nebelstrand,
Befiehlt dort seinem Schiffer, zu verschwinden
Und später sich in Berwick einzufinden.
54.
Allein, auch ohne Knappen, zog der Ritter
Hin durch den weiten, ungeheuren Wald:
Ob sich ein Abenteuer träfe, ritt er
Bald diesen Weg und wieder jenen bald.
Da fand er sich vor eines Klosters Gitter,
Das guten Teil von seinem Unterhalt
Hingab, im Klosterbau die Herrn und Damen
Gut zu bewirten, die des Weges kamen.
55.
Der Paladin wird höflich aufgenommen
Und fragt beim Abt und bei den Mönchen an
(Doch nicht, bevor am leckren Mahl der Frommen
Er für den Magen Stärkung sich gewann),
Wie einer, der in diesen Wald gekommen,
Wohl solch ein Abenteuer finden kann,
Wo sich bewähren mag des Menschen Adel
Und ob mit Recht er Preis verdien', ob Tadel.
[75] 56.
Die Antwort ist: es gäbe dort im Freien
Seltsamer Abenteuer wohl genug,
Allein der Ort und Vorgang dunkel seien,
Weil keiner aus dem Walde Kunde trug.
»Auf, suche,« sprachen sie, »ob in den Reihen
Der Helden man dich preisen darf mit Fug
Und Ruhm sich schließt an Mühen und Gefahren,
Um dauernd deinen Namen zu bewahren.
57.
Und willst du deine Tapferkeit bekunden,
Zur schönsten Tat ist jetzt Gelegenheit,
Und keine beßre wurde noch gefunden,
Sei's in der alten, sei's in neuer Zeit:
Des Königs Tochter braucht in diesen Stunden
Verteidigung und Schutz vor Schändlichkeit
Eines Barons – Lurcan ist er geheißen –
Der sucht ihr Ehr' und Leben zu entreißen.
58.
Es hat – vielleicht mit Unrecht und aus Hasse –
Beim Vater selbst sie angeklagt Lurcan,
Gesehn hab' er, wie nachts sie zu sich lasse
Und hoch zum Söller ziehe den Galan.
Wenn keiner kommt, der ihre Sach' erfasse,
Den Todesweg zum Holzstoß tritt sie an.
In Monatsfrist – die Zeit wird nächstens enden –
Muß er die Lüge auf den Kläger wenden.
59.
Rauh, gottlos, strenge, will die Satzung eben,
Daß jede Frau, wie hoch sie stehen mag,
Die andrem als dem Gatten sich ergeben,
Den Tod erleide nach erhobner Klag'.
Und nichts auf Erden rettet ihr das Leben,
Als daß ein Krieger zum bestimmten Tag
Erschein' und mit dem Schwert den Satz verfechte:
Unschuldig sei sie, stürbe nicht zu Rechte.
[76] 60.
Der König, sinnend, wie sein Kind er rette
(Ginevra heißt die Tochter hold und gut),
Ließ künden durch die Schlösser und die Städte:
Wer, sie verteidigend mit Kraft und Mut,
Erstickt die schändliche Verleumdung hätte,
Solle sie freien (wenn aus edlem Blut),
Auch reiches Gut empfangen, Land und Habe,
Wie solcher Maid geziem' als Morgengabe.
61.
Sie stirbt, wenn kein Verteid'ger will erscheinen,
Auch, wenn der Sieg im Kampf nicht wird erreicht.
Ein solches Werk frommt besser, sollt' ich meinen,
Als daß man irrend durch die Wälder streicht.
Und Ehr' und Ruhm dem Namen sich vereinen,
Daß nimmermehr der lichte Glanz erbleicht;
Dazu die lieblichste der schönen Frauen,
So viel von hier bis Indien sind zu schauen,
62.
Und einen Reichtum ferner, deinem Leben
Behaglichkeit auf immer zu verleihn;
Machst du des Hauses Ehre neu sich heben,
So ist des Königs Huld und Gnade dein.
Die Unschuld zu beschützen mußt du streben
Vor Niedertracht, aus Ritterpflicht allein.
Das Mädchen ist nach aller Stimmen Einheit
Das Urbild aller Tugend, aller Reinheit.«
63.
Nachdenklich stand Rinald; dann sprach er: » Sterben
Soll eine junge Maid ohn' andre Schuld,
Als daß in ihrem Arm von Qualen, herben,
Den Liebsten sie erlösen wollt' in Huld?
Wer solch Gesetz gab, mög' er stracks verderben,
Verderben jeder Feige, der es duld'!
Gebührend stirbt, wer grausam Liebe wehret;
Nicht, wer des Liebsten Wonn' und Leben mehret.
[77] 64.
Nicht kümmert's mich, ob sie zu süßem Minnen
Einlaß dem Freund gewähr', ob nicht gewähr',
Und sie zu loben könnt' ich gleich beginnen,
Wenn nur der Fall geheim geblieben wär'.
Ihr Hort zu sein, danach steht all mein Sinnen;
Nun bitt' ich: gebt mir einen Führer, der
Den Kläger zeig' und mich zu ihm geleite;
Ihr Kummer, hoff ich, sucht nun bald das Weite.
65.
Ich sage nicht: die Tat sei zu verneinen;
Unkundig, ging ich leicht ja falschen Weg;
Ich sage dies: verkehrt will mir erscheinen,
Daß man auf solche Dinge Strafe leg',
Und wer die Satzung gab, der, sollt' ich meinen,
War bös und reif, daß ihn ein Tollhaus heg'.
Als schädlich schaffe man sie aus dem Lande,
Und neue mache man mit mehr Verstande!
66.
Wenn gleiche Glut, just mit dem gleichen Triebe,
Geschlecht sowie Geschlecht bezwingt und lenkt
Zu jenem letzten süßen Ziel der Liebe,
Daran im Volk man wie an Sünde denkt,
Wie käm's, daß für die Frau Verbrechen bliebe,
Wenn ein, zwei Freunden sie dasselbe schenkt,
Was wir beliebig tun und unbeachtet,
Jawohl, gelobt sogar und nicht verachtet?
67.
Den Fraun ist Unrecht im Gesetz geschehen,
Steht solche Strafe dort für sie bereit;
Und bald, ich hoff es, laß die Welt ich sehen,
Daß man die Unbill trug zu lange Zeit.«
Und zu Rinald die Mönche sämtlich stehen,
Daß sich die Alten aller Billigkeit
Entschlugen, als sie dieses ließen gelten;
Der König auch, der's zuläßt, sei zu schelten.
[78] 68.
Als weiß und rot empor der Morgen gleitet
Und hell und freudig naht am Himmelsrand,
Sieht er Rinald, der zu dem Hengste schreitet;
Ein Knapp' auch aus dem Kloster ist zur Hand.
Viel Stunden, Meilen hat ihn der begleitet,
Stets durch des Waldesdickichts grause Wand.
Hin nach der Gegend beide Reiter streben,
Wo um die Maid der Kampf sich soll erheben.
69.
Sie wählten, abzuschneiden von dem Wege,
Ein schmales Pfädchen, das sich seitwärts schlingt.
Da – horch! – tönt eine Klage durchs Gehege,
Die jammervoll zu ihren Ohren dringt.
Rinald voran, der andre auch nicht träge,
Eilen dem Tal zu, draus der Ruf erklingt:
Zwei Kerle stehn, ein Mädchen zwischen ihnen,
Nach Ansehn war es jung und schön von Mienen.
70.
Verzweiflung, Schmerz der Armen Züge tragen,
Wie sie nur je ein Mädchenantlitz bot;
Und schon gezückt die grimmen Eisen ragen,
Bereit, das Gras zu färben blutigrot.
Um Aufschub fleht sie, weinend und mit Klagen,
Das Paar bleibt ungerührt von ihrer Not.
Rinald erscheint, erblickt sie mit den Zweien
Und stürzt herbei mit lautem Drohn und Schreien.
71.
Die Missetäter waren gleich entwichen;
Kaum wurden sie der Nahenden gewahr,
Als tief hinab ins dunkle Tal sie schlichen.
Rinald verfolgte nicht das Mörderpaar:
Er wollte hören, was zu Schwerterstichen
Der beiden Schelme wohl der Anlaß war.
Zum Knappen setzt er – Zeit ja gilt's gewinnen! –
Die Maid; zum Pfad zurück geht es von hinnen.
[79] 72.
Wie schön sie war und artig, sah genauer
Rinald, als er an ihrer Seite ritt,
Wiewohl sie noch erschöpft durch Todesschauer
Und all den Schrecken war, von dem sie litt.
Aufs neu befragt, was Ursach' ihrer Trauer
Und Leiden sei, erfüllt sie seine Bitt'
Und sagt mit leiser Stimme jetzt dem Helden,
Was, mit Verlaub, ein neuer Sang soll melden.

[80] Fünfter Gesang

1.
All andre Tiere auf des Erdrunds Weiten,
Ob sie nun Eintracht halten wohlgemut,
Ob sie sich jagen, beißen und sich streiten,
Sie halten doch ihr Weibchen stets in Hut.
Im Wald selbander Bär und Bärin schreiten,
Beim Löwen sicher seine Löwin ruht.
Die Wölfin mag zum Wolf sich ruhig strecken,
Die Jungkuh fühlt vorm Stiere keinen Schrecken.
2.
Welch böse Pest, welch eine Furie gräßlich
Nun in den Menschenbusen Wohnung nimmt,
Daß immer Ehmann, ach, und Frau sich häßlich
Mit Schelten überschütten, arg ergrimmt?
Zerkratztes Antlitz färbt sich schwarz und bläßlich,
Von Tränen selbst das traute Lager schwimmt.
Und nicht bloß Zähren sind darin geflossen:
Oft hat auch blinder Zorn dort Blut vergossen.
3.
Nicht nur ein schlimm, ein unerhört Betragen,
Mit Gott und der Natur im Widerstreit,
Zeigt, wer das Antlitz einer Frau kann schlagen
Oder nur tun, was Schmerz ihr bringt und Leid,
Und wer mit Gift, mit Strick, mit Dolch zu jagen
Die Seele sticht aus ihrem Erdenkleid,
Ich glaube nicht, er sei ein Mensch zu nennen:
Nein, Teufel nur ihn als Genossen kennen.
[81] 4.
Dergleichen waren wohl die Mordgesellen,
Die Herr Rinald traf mit der Schönen an;
Sie war geschleppt an jene dunklen Stellen,
Daß ihre Spur entschwinde jedermann.
Wir ließen sie, als sie von Wechselfällen
Ihres Geschicks dem Paladin begann,
Dem freundlichen, zu künden die Geschichte.
So hört, was nach dem Mädchen ich berichte.
5.
»Ich habe«, sprach sie, »mehr in meinem Leben
An ausgesuchter Grausamkeit gesehn,
Als in Mykene, Argos oder Theben
Und schlimmem Orten jemals ist geschehn.
Mag hier die Sonne mindre Wärme geben
Als sonst, läßt sie die Strahlen ferner stehn,
So will sie, mein' ich, nur zu sehn vermeiden,
Was Menschen hier durch Bösewichte leiden.
6.
Daß man mit seinen Feinden grausam schalte,
Das zeigen wohl Exempel jeder Zeit;
Doch ihn, der sinnt, wie deines Glücks er walte,
Morden, ist Gipfel doch der Schändlichkeit.
Und daß sich klar und deutlich dir entfalte,
Wie man hier ohne Recht mich arme Maid
Umbringen wollt' in meinen Blütetagen,
Will ich vom Anfang an dir alles sagen.
7.
Der Königstocher, edler Herr, zu dienen
In früher Jugend kam ich hin zum Schloß,
Wuchs mit ihr auf, die Großen freundlich schienen,
So daß ich Ehr' und Gunst bei Hof genoß.
Doch Amor, grausam, stand mit neid'schen Mienen:
Zur Sklavin machte mich, ach, sein Geschoß!
Mir wollte von den Herrn und Junkern allen
Der Herzog von Albanien wohlgefallen.
[82] 8.
Als ich ihn drauf mir Liebe hörte schwören,
Mit eins ward ihm mein ganzes Herz zuteil.
Das Antlitz kann man sehn, die Rede hören,
Allein die Brust? – da hat es gute Weil'!
Liebend und glaubend, ließ ich mich betören:
Ich gab mich – und nicht merkt' ich in der Eil',
Daß wir uns just zu trauten Liebesbanden
In meiner Herrin Leibgemach befanden;
9.
Dort weilte sie bei ihren liebsten Dingen,
Dort war es auch, wo sie gewöhnlich schlief.
Man konnte hier zu einem Söller dringen,
Der von der Mauer aus ins Freie lief.
Den Liebsten ließ ich dort hinauf sich schwingen,
So oft ihn meine Sehnsucht zu mir rief.
Ich selber warf vom Söller ihm die Leiter,
Die hänfne, zu: auf ihr stieg er dann weiter.
10.
Und jedes einz'ge Mal ließ ich ihn kommen,
Sobald es ging, weil in gar mancher Nacht
Ihr Bett die Herrin wechselt, wenn beklommen
Sie schlimmer Nebel oder Hitze macht.
Stets ungesehn ist er hinaufgeklommen,
Weil jener Schloßteil altem Häuserschacht,
Zerfallnem, gegenüber ist gelegen,
Wo Tag und Nacht sich niemals Menschen regen.
11.
So mochten Tag' und Monde viel vergehen,
Seit wir genossen heimlich Minnespiel.
Die Liebe wuchs, ließ mich in Flammen stehen;
Ich brannt' im Innern ohne Maß und Ziel
Und war wie blind! Nicht wollt' und wollt' ich sehen,
Er liebe wenig nur und heuchle viel.
Und doch verrieten sich in tausend Zügen
Schon unverkennbar seine schnöden Lügen.
[83] 12.
Da stand er eines Tags in hellen Flammen
Für die Prinzessin; mir ist nicht bewußt,
Ob jene Gluten dieser Zeit entstammen,
Ob er sie früher schon trug in der Brust.
Gewachsen war mit ihm mein Ich zusammen;
Mich zu beherrschen hat er so gewußt,
Daß er mir's eingestand ohn' ein Bedenken
Und bat, ich solle selbst ihm Beistand schenken.
13.
Nicht unsrer Liebe, sagt' er, zu vergleichen
Sei jener Handel, den er neu begann;
Er heuchle nur mit der Verliebtheit Zeichen,
Damit er sie Gemahlin nenne dann.
Vom König könn' er alles leicht erreichen,
Woll' ihn Ginevra nur zum Ehemann,
Da er an edlem Blut und hohem Stande
Gleich nach dem König komme hier im Lande.
14.
Er setzt' hinzu: wenn's ihm durch mich gelinge,
Und sei er seines Herren Schwiegersohn
(Ich müsse sehn, ihm sei die Müh' geringe,
Wie keiner hochzusteigen, nah zum Thron),
Vergess' er nie das Opfer, das ich bringe,
Und spende mir zum Danke solchen Lohn:
Höher als Weib und Freund werd' er mich setzen
Und ewig mich als Heißgeliebte schätzen.
15.
Ich, nur bedacht, zufrieden ihn zu stellen,
Verstand, o weh, das Nein auf keine Weis',
Für mich begann der Tag sich erst zu hellen,
Hatt' ich ihm zu gefallen den Beweis.
So oft sich's machen läßt, in allen Fällen,
Find' ich Gelegenheit zu Lob und Preis,
Versuche alles, mühe mich voll Treue,
Daß sich Ginevra meines Liebsten freue.
[84] 16.
So tu ich, was ich kann: mit ganzer Seele
– Der Himmel weiß – wirk' auf mein Ziel ich hin;
Allein so sehr ich auch den Herrn empfehle,
Bei ihr bring' ich dem Herzog nicht Gewinn;
Und zwar – daß ich dir nicht den Grund verhehle –
Weil einem galt ihr Denken und ihr Sinn,
Der, artig, herrlich, schön gleich einem Sterne,
In Schottland war erschienen aus der Ferne.
17.
Er kam mit seinem Bruder, dem noch jungen,
Zum Königshofe aus Italiens Gaun,
Hat als ein Held sich bald emporgeschwungen
(Kein stärkrer war im Britenland zu schaun)
Und auch des Königs Lieb' und Huld errungen;
Der schenkt' ihm als Beweis für sein Vertraun
Kastelle, Burgen, Städte seiner Krone
Und hob ihn hoch im Kreise der Barone.
18.
Der Tochter noch viel teurer als dem Vater
Ward dieser Rittersmann Arïodant;
Nicht nur im Kampfe wahre Wunder tat er,
Als ihr ergeben auch ward er erkannt.
Nicht des Vesuv und nicht des Ätna Krater,
Nicht Troja so in hellen Flammen stand
Wie sie, als sie erfuhr, daß im Gemüte
Arïodant getreu für sie erglühte.
19.
Die Liebe, die sie für den Fremdling hegte,
Aufricht'gen Herzens, inniglich und treu,
Abneigung für den Herzog nur erregte:
Sie gab mir keine Antwort, die mich freu'.
Und als ich weiter mich aufs Bitten legte
– Sie umzustimmen sucht' ich stets aufs neu –,
Begann sie tadelnd ihn gering zu schätzen
Und feindlich immer mehr herabzusetzen.
[85] 20.
So mußt' ich denn in meinen Liebsten dringen,
Nicht länger auf verkehrtem Pfad zu gehn;
Die Maid sei nicht auf andern Weg zu bringen,
Sie werde treu zum Auserwählten stehn.
Wie nach dem Helden ihre Wünsche gingen,
Das sei, so zeigt' ich ihm, doch klar zu sehn.
Um auszulöschen solch gewalt'ge Flamme,
Gleiche das Meereswasser einem Gramme.
21.
Dem Polineß (so hieß, den ich erkoren)
Schon zu verschiednen Malen sagt' ich das;
Als er nun selber merkt' mit Aug' und Ohren,
Daß sie zum andern hält ohn' Unterlaß,
Hat er der Leidenschaft nicht abgeschworen,
Nein, Ärger plagt ihn nur und wilder Haß,
Daß ihm, dem Stolzesten der weiten Erde,
Ein andrer Ritter vorgezogen werde.
22.
Und jene beiden sinnt er voller Tücken
In Zwietracht zu verstricken und in Streit;
Feindschaft soll ihre Liebe niederdrücken:
Die soll nicht währen für die Ewigkeit.
Ginevras Stirn soll unter Schmach sich bücken,
Davon kein Leben und kein Tod befreit.
Doch von dem Plan, so niedrig sich zu rächen,
Wollt' er mit mir nicht noch mit andern sprechen.
23.
›Dalinda,‹ sprach er (so bin ich geheißen),
›Du weißt, fällt man im Wald durch Beileshieb
Den Baum, den man dem Boden will entreißen,
Noch an der Wurzel zeigt er weitern Trieb;
Also ergeht es jetzo meiner heißen,
Durch Schicksalsschläge hingestreckten Lieb':
Auch sie keimt fort, will nimmer von mir weichen
Und muß zuletzt des Wunsches Ziel erreichen.
[86] 24.
Ich will's, nicht weil ich Lust so sehr begehre,
Nein, weil Gefühl des Sieges wohl mir tut.
Drum, das ich in der Wirklichkeit entbehre,
Das zeige mir der Wahn, das hohe Gut.
O nimm, wenn ich demnächst hier wiederkehre
Und die Prinzessin schon im Bette ruht,
Die Kleider all, die ihr zur Hülle dienen,
Und schmücke selber deinen Leib mit ihnen!
25.
Wie sie sich schmückt, das Haar pflegt zu bereiten,
Das ahme sorglich nach und gleiche ihr,
So sehr du kannst; laß dann die Leiter gleiten:
Ich klimm' empor zum Söller, hin zu dir.
Verstellung wird dann sie zu dir geleiten,
Von der das Kleid du trägst, sie winke mir!
So hoff' ich denn, mich selbst zu hintergehen
Und meine Leidenschaft geschwächt zu sehen.‹
26.
Er sprach's. Ich, wie von Sinnen, traumbefangen,
Hab' all die offnen Lügen nicht erkannt,
Daß Fallstrick war sein dringendes Verlangen
Und auf Betrug sein ganzes Sinnen stand.
Im Kleid Ginevras von dem Söller hangen
Ließ ich die Stufen, die er oft schon fand.
Nicht eh'r vermocht' ich all den Trug zu sehen,
Als bis das ganze Unheil war geschehen.
27.
Der Herzog hatt' an einem jener Tage
Dies Wort gerichtet an Arïodant
(Sie waren Freunde, das stand außer Frage,
Eh um Ginevra war der Streit entbrannt):
Mich wundert, sprach er, eines, und ich sage,
Daß du, für den ich Liebe nur empfand,
Der du im Herzen obenan mir throntest,
Recht übel meine Freundschaft nun belohntest.
[87] 28.
Ich meine fest, es ist dir nicht entgangen:
Mich und Ginevra knüpft ein Liebesbund,
Und sie als Ehegattin zu erlangen,
Geh' ich zum König noch in dieser Stund'.
Soll nun dein Herz an ihr vergeblich hangen?
Was störst du mich? Gibst dich als Gegner kund?
Ich würde wahrlich Rücksicht dir erzeigen,
Wäre dir mein Fall und mir deiner eigen.'
29.
Ich muß noch mehr verwundert mich bekennen',
Sprach jener drauf mit hochgehobnen Braun;
,Ihren Getreuen dürft' ich schon mich nennen,
Eh sie dein Auge mochte noch erschaun.
Nicht heißer könnte unsre Liebe brennen.
Das ist dir auch bewußt; ich mag drauf baun.
Mein Weib zu werden, ist ihr ganzes Sehnen;
Daß sie dich liebe, kannst du nimmer wähnen.
30.
Warum nicht selbst die Rücksicht üben wollen
(Da wir doch Freundschaft hegen für einand),
Die du verlangst, ich würde sie dir zollen,
Hätt' ihre Liebe sich auf dich gewandt?
Nicht deine Schätze, traun, mich schrecken sollen,
Bist du der Reichre schon in diesem Land.
Beim König unser Wert der gleiche bliebe,
Doch mir allein gehört der Tochter Liebe.'
31.
›Du ließt‹, sprach der, ›vom Wahne dich umkrallen,
Durch tolle Liebesglut, das ist mir klar.
Du wähnest dich, ich mich geliebt vor allen;
Gewißheit bieten nur die Früchte dar:
Den Schleier lasse dein Geheimnis fallen;
So mach' ich dir auch meines offenbar.
Und wem von ihr ward kleinre Gunst erwiesen,
Lasse den Sieger freie Bahn erkiesen.
[88] 32.
Ich bin bereit, dir, wenn du willst, zu schwören,
Kein Mensch vernimmt, was ich von dir erfuhr;
Du schwörst: von dem, was deine Ohren hören,
Verrät dein Mund auf ewig keine Spur.‹
Drauf einzugehn ließ jener sich betören,
Und auf die Bibel taten sie den Schwur,
Den Pakt zu halten, Treubruch zu vermeiden.
Arïodant als erster sprach von beiden.
33.
Und er begann dem andern darzulegen,
Wie zwischen ihm und ihr die Sache stand:
Sie schwur ihm – mündlich, schriftlich, allerwegen –,
Sie kenne niemals andres Liebesband;
Und stelle sich der König dem entgegen,
Dann weise sie den Ehbund von der Hand.
Sie werde, wie die Ritter immer hießen,
Ihr Leben einsam, unvermählt beschließen.
34.
Er selber hoffe nun, im Lauf der Zeiten
Durch Waffentaten, die er oft vollbracht
(Daß sie dem Reich auch Ehr' und Ruhm bereiten,
Sei er dem Herrn zu zeigen noch bedacht),
In seines Königs Gunst so vorzuschreiten,
Daß er ihn schließlich doch für würdig acht',
Als Ehgemahl die Tochter heimzuführen,
Säh' er ihn heiß bemüht, ihr Herz zu rühren.
35.
Das ist der Punkt, wo ich mich jetzt befinde‹,
Sprach er, ›und wo gewiß noch keiner stand.
Nicht such' ich mehr, und von dem holden Kinde
Erwünsch' ich mir kein klarer Liebespfand.
Auch möcht' ich nichts, bevor die Eh' uns binde,
Von dem, was Gott für sie uns zugestand.
Mehr heischen wär' umsonst in jedem Falle;
Denn weit an Tugend überstrahlt sie alle.‹
[89] 36.
Wie er der Mühen Lohn hofft zu ersiegen,
Tut so der Rittersmann dem Herzog kund;
Und dieser plant in seiner Brust verschwiegen,
Bald zu durchkreuzen beider Liebesbund,
Und spricht: ›Du ließest weit dich überfliegen!
Und zugestehen soll's dein eigner Mund.
Sieh meiner Freude Wurzel und bekenne,
Daß ich allein mit Recht mich glücklich nenne!
37.
Sie heuchelt, weiht dir nicht die zarten Triebe,
Da sie mit Hoffnung dich und Worten speist:
Spricht sie – vernimm! – mit mir von deiner Liebe,
Ihr das nur Kinderei und Dummheit heißt.
Ganz andre Sicherheit, traun, mir verbliebe,
Als Kleinigkeiten, die man dir erweist.
Ich will – bei deinem Eide – dir es zeigen,
Wiewohl sich mehr geziemte, hier zu schweigen.
38.
Kein Mond vergeht, daß nicht sechs, sieben Nächte
Und manchmal zehn vielleicht in ihrem Arm
Ich in der Liebeslust mit ihr verbrächte,
Die heiß begehrt wird vom verliebten Schwarm.
Wer ist nun, sprich, der nicht gering hier dächte
Von dem, das dir ward? Ists nicht dürftig, arm?
Räume den Platz, such' sonst dich zu versehen,
Da du nicht leugnen kannst, mir nachzustehen.‹
39.
›Ich kann‹, spricht jener, ›dem nicht Glauben schenken:
Ein Lügner, mein' ich, hat dies vorgebracht:
Hast dich bemüht, dies alles auszudenken,
Weil du dem Handel gern ein End' gemacht,
Versuchst auf sie Verleumdung nun zu lenken;
Dein Wort jetzt zu vertreten sei bedacht:
Hier auf der Stelle zeig' ich, Missetäter,
Nicht Lügner bist du bloß, nein, auch Verräter.‹
[90] 40.
Der Herzog sprach: ›Nicht recht wärs, muß ich sagen,
Sollten wir darum aufeinander haun,
Was ich als Wahrheit so will vor dich tragen,
Daß deine eignen Augen es erschaun!‹
Verwirrt steht nun der Ritter und mit Zagen,
Durch sein Gebein schleicht ihm ein kaltes Graun.
Hätt' er die Wahrheit fest geglaubt zu sehen,
So war es um sein Leben jetzt geschehen.
41.
Er sprach mit schwerem Herzen, bleichen Wangen,
Bebender Stimm', im Munde Bitterkeit:
›Läßt du zu solcher Wahrheit mich gelangen,
Und gibt der Augenschein mir Sicherheit,
Nicht länger wird mein Herz an jener hangen,
Die mich läßt fasten, alles dir verleiht.
Doch denke ja nicht, daß ich dir vertraue,
Bevor ichs nicht mit eignen Augen schaue.‹
42.
›Nachricht erhältst du, wenn das Ding beschlossen‹,
Sprach Polineß und ließ ihn dann allein.
Zwei Nächte, glaub' ich, waren kaum verflossen,
Da kam Befehl zum nächsten Stelldichein.
Er hält bereit, was er an Truggeschossen
Zu schleudern denkt, lädt nachts den Ritter ein
Und heißt ihn warten in den Häusertrümmern,
Um die gar niemals Menschen sich bekümmern.
43.
Es ist ein Ort, vor dem Balkon gelegen,
Zu dem schon oft der Aufstieg ward gemacht.
Nun wollt' im Ritter der Verdacht sich regen,
Man hab' an den entlegnen Ort gedacht
(Gewählt, so schien's, des Hinterhaltes wegen),
Um aus der Welt ihn fortzuschaffen sacht,
Heuchelnd, man werde dort ihn schauen lassen,
Was von Ginevra nimmer war zu fassen.
[91] 44.
Und er beschloß, an jenen Platz zu gehen,
Gerüstet aber gegen ihrer viel:
So brauch' er nicht in Furcht des Tods zu stehen,
Auch für den Fall, daß man ihn überfiel.
Als Held – kein beßrer war am Hof zu sehen –
Sein Bruder galt, berühmt im Waffenspiel.
Er hieß Lurcan; mehr schätzt er sein Geleite,
Als hätt' er sonst ein Dutzend sich zur Seite.
45.
In Waffen hieß er den sich ihm gesellen
Und nahm ihn mit sich nachts an jenen Ort,
Ohn' aber das Geheimnis aufzuhellen;
Ihm, wie den andern, sagt' er nicht ein Wort.
Der mußte sich in Steinwurfsweite stellen;
Und nur auf Anruf sollt' er nahn sofort.
Auch ward ihm eingeschärft – bei seiner Liebe –,
Daß, wenn kein Ruf scholl, er am Platze bliebe.
46.
›Geh‹, sprach Lurcan, ›verfolge deine Zwecke!‹
Und zum Gelasse ging der Ritter hin;
Er barg sich in der stillen Lauscherecke,
Dort vor dem Söller in der Straße drin.
Und bald erscheint der trügerische Recke,
Ginevras Schande plant sein arger Sinn.
Das Zeichen, das vorher von ihm bestimmte,
Gibt mir, die nicht den Trug ahnt, der Ergrimmte.
47.
Und ich, in weißem Kleid mit goldnen Streifen,
Die vorn und rings am Leibchen gehn entlang
(Ein Netz aus reinem Gold, mit roten Schleifen
Und schönen Quasten um das Haupt sich schlang –
Ginevra ganz allein trug diese Reifen,
Sonst niemand mehr –), tret', als der Laut erklang,
Hinaus auf den Balkon, der solch ein Bau ist,
Daß vorn und nach den Seiten man zur Schau ist.
[92] 48.
Lurcan, ob von Besorgnis jetzt befallen,
Sein Bruder sei schon in Gefahr gebracht,
Ob jener Wunsch, der ja gemein uns allen,
Geheimnis zu erspähn, in ihm erwacht,
War der Versuchung schließlich doch verfallen
Und hielt sich nur voll Vorsicht in der Nacht.
Noch nicht zehn Schritt von seines Bruders Klause
Blieb er verborgen in dem gleichen Hause.
49.
In dieser Tracht – ich wähnt' uns ganz alleine –
Stellt' ich auf offenem Balkon mich dar
(Ich ging dorthin ja früher mehr als eine
Und als zwei Nächt' ohn' Nachteil und Gefahr).
Hell leuchtete das Kleid im Mondenscheine;
In Wuchs und in den Zügen selber war
Ich von der Herrin gar nicht allzuferne;
Man konnte uns verwechseln gut und gerne,
50.
Zumal vom Söller und des Schlosses Mauer
Ein großer Raum war bis zum öden Haus.
So legen beide Brüder, auf der Lauer,
Sich alles nach des Herzogs Willen aus.
Bedenke, wie des Ritters Herz voll Trauer
Sich wild zusammenpreßt in Schmerz und Graus!
Der Herzog nahm, die ich ihm bot, die Leiter
Und stieg auf ihr hinauf zum Söller weiter,
51.
Wo meine Arme ihn sogleich umschlangen;
Nicht ahn' ich, daß mich fremde Augen sehn:
Ich küß ihn auf den Mund und auf die Wangen,
Wie stets bei seinem Kommen war geschehn.
Den Trug erhöhend, hält er mich umfangen,
Läßt längre Zeit als sonst dabei vergehn.
Er, der als Zeuge kam des schnöden Falles,
Steht elend dort und schaut von fernher alles.
[93] 52.
Vernichtet steht er –; daß er sterben werde,
Scheint einz'ger Trost im übermächt'gen Schmerz:
Er setzt den Knauf des Schwertes auf die Erde
Und gibt der Spitze Richtung auf das Herz.
Lurcan, der wohl mit staunender Gebärde
Sah einen Menschen klimmen söllerwärts,
Doch, wer es sei, nicht konnte unterscheiden,
Kommt, als der Bruder kürzen will sein Leiden.
53.
Er hält ihn ab, daß er mit eignen Händen
In blinder Wahnsinnswut sein Mörder sei;
Stand er entfernter, wär's nicht abzuwenden,
Und kam er später – wär' es schon vorbei.
›Unsel'ger‹, rief er, ›laß die Torheit enden!
Ward dein Verstand denn ganz zur Raserei?
Kannst du nicht Treubruch einer Frau verwinden?
O, schwänden sie wie Nebel vor den Winden!
54.
Laß jene sterben, die verdient zu sterben!
Für beßre Sache spare deinen Tod!
Als du nicht Falschheit sahst, war's Zeit zu werben;
Jetzt wird für dich ein starker Haß Gebot.
Dein Auge ließ Gewißheit dich erwerben,
Daß sie verbuhlt ist; die wird nicht mehr rot!
Das Schwert, statt gegen dich es zu erheben,
Bewahre, ihres Trugs Beweis zu geben!‹
55.
Als der Betrübte sah den Bruder kommen,
Stellt' er sein blutiges Beginnen ein;
Doch sollte, was er still sich vorgenommen,
Flucht in den Tod, nicht aufgegeben sein,
Er ging davon, das Herz nicht bloß beklommen,
Nein, wie durchbohrt von Schmerz und tiefer Pein.
Vorm Bruder stellt er sich, als sei geschwunden
Der grimme Haß, den er noch just empfunden.
[94] 56.
Geführt von der Verzweiflung wilden Trieben,
In aller Stille war er morgens fort.
Wohin er sich gewandt, wo er geblieben,
Blieb unbekannt noch viele Tage dort.
Was aus dem Land ihn habe weggetrieben,
Das wußten jene beiden nur am Ort.
Im Königshaus ward dies und das gesprochen;
Ganz Schottland hat sich drob den Kopf zerbrochen.
57.
Acht Tag' und mehr am Hofe so vergingen,
Den Weg ein Waller zu Ginevra fand;
Er brachte Kunde von gar üblen Dingen:
Ertrunken lag im Meer Arïodant.
Der eigne Wille sollte Tod ihm bringen,
Kein Boreas, kein Wind vom Morgenland.
Weit ragt ins Meer ein Fels wie Landeszungen:
Kopfüber war er da hinabgesprungen.
58.
Der Fremde sprach: ›Von mir am Weg gefunden,
Sagt er, bevor die Untat noch geschehn:
Was du Ginevra später sollst bekunden
Als Bote, komm, es jetzt mitanzusehn.
Sag' ihr, mich hab' ein Anlaß nur gebunden,
Das hier zu tun, was jetzt wird vor sich gehn:
Zuviel Erblicktes wollte mir nicht taugen,
Und glücklich wär' ich, hätt' ich keine Augen.
59.
Wir waren grad, wo Irland gegenüber
Hoch Capobaß sich streckt ins Meer hinaus:
Als er gesprochen, sah ich ihn kopfüber
Vom Felsen springen in der Wogen Graus.
Ich ließ ihn in der See und lief hinüber,
So bring' ich gleich die Botschaft dir ins Haus.‹ –
Ginevra, wie verwirrt, mit bleichen Wangen
Blieb zitternd zwischen Tod und Leben hangen.
[95] 60.
Gott, welchen Jammer mußte sie erst tragen,
Als sie allein war in dem Schlafgemach!
Wie sie das Kleid zerriß, die Brust zu schlagen!
Den goldnen Haaren tat sie Schimpf und Schmach,
Und immer mußte sie das Wort sich sagen,
Das der Geliebte vor dem Sterben sprach:
Gekommen sei das Leid, der Tod des Trauten,
Kurz alles nur vom Allzuvielgeschauten.
61.
Am ganzen Hofe ging von ihm die Märe,
Der sich aus großem Schmerz das Leben nahm.
Der König unterdrückte nicht die Zähre
Und auch kein Rittersmann und keine Dam'.
Der Bruder aber fast gestorben wäre,
In bittrem Leid ertränkt und tiefem Gram.
Schon nach dem Dolche tasteten die Hände,
Damit er bald den teuren Bruder fände.
62.
Und immer wieder sagt' er sich im stillen:
Ginevra nur hat ihm den Tod gebracht;
Zum Sterben führte Gram und Widerwillen
Ob dessen, was er sah in jener Nacht.
So blind verrannt' er sich in wilde Grillen,
Von Schmerz und Kümmernis wie toll gemacht,
Daß es ihm gleich galt, alle Huld zu missen,
Von Volk und König sich gehaßt zu wissen.
63.
Und vor den König, als im Saale drinnen
Der ganze Hof war, trat er hin und sprach:
›Herr, wisset, wenn mein Bruder kam von Sinnen
Und sich den Tod gab, weil das Herz ihm brach,
's ist eurer Tochter schändliches Beginnen:
Denn solch ein Schmerz ihn in die Seele stach,
Als er sie sah der Keuschheit sich begeben,
Daß Tod ein größrer Freund ihm war als Leben.
[96] 64.
Er liebte sie; weil all sein Streben offen
Und ehrlich war, enthüll' ich alles gern.
Zur Frau sie zu gewinnen durft' er hoffen
Durch treuen Dienst, geleistet seinem Herrn.
Da hat er einen auf dem Baum getroffen,
Der mit dem Duft ihn labte nur von fern;
Die heißersehnte Frucht sieht er sich rauben,
Die nur für ihn bestimmte (mocht' er glauben).‹
65.
Ginevra zeigt er dann, hab' er gesehen
Ein Seil entsendend von des Söllers Rand:
Ein Mensch begann darauf hinaufzugehen,
Doch ward er von Lurcanio nicht erkannt;
Denn jener hatte gut sich vorgesehen,
Das Haar verdeckt, verändert das Gewand.
In seinem Schwerte den Beweis er trage,
Daß alles Wahrheit sei, was hier er sage.
66.
Denk, welche Qual den Vater elend machte,
Als er sein liebes Kind beschuldigt hört'!
Ach, er vernahm, was er unmöglich dachte
Und was ihm völlig seinen Sinn verstört.
Dem Wahnsinn nahe ein Gedank' ihn brachte:
Will keiner, ob der Niedertracht empört,
Lurcan der Lüge mit dem Schwerte zeihen,
Muß ja sein Urteilsspruch dem Tod sie weihen!
67.
Herr, das Gesetz, vermein ich, wirst du kennen:
Es kündigt Todesstrafe jeder an,
Mädchen wie Frau, hört man sie Buhle nennen,
Weil sie sich andrem gab als ihrem Mann.
Will keiner als ihr Kämpe sich bekennen,
Stirbt sie, sobald ein Monat nur verrann:
Ein Sieger muß Beweis der Unschuld geben
Und zeigen, daß mit Recht sie dürfe leben.
[97] 68.
Der König will, die Arme zu befreien,
Weil sie unmöglich schuldig heißen kann,
Es soll – mit großer Mitgift – der sie freien,
Durch dessen Waffen Klag' und Schimpf zerrann.
Es zeigt sich keiner aus der Krieger Reihen;
Unschlüssig sehen sie einander an:
Lurcan hat großen Ruhm, mit ihm sich schlagen,
Will keiner von den andern Rittern wagen.
69.
Auch fügt's das Schicksal, grausam ohnegleichen:
Zerbin, der kühne Bruder, fehlt der Maid.
Er soll seit Monden durch die Ferne streichen,
Die Fama kündet seine Tapferkeit.
Wär' er zu finden in den Nachbarreichen,
Wo ihm die Botschaft naht in kurzer Zeit,
Unfehlbar würd' er für die Schwester fechten,
Wenn ihm entsandte Diener Kunde brächten.
70.
Durch andres noch, als Waffen, zu erkunden
War mittlerweil' der König sehr erpicht,
Ob die Beschuld'gung wahr sei, ob erfunden,
Ob sie den Tod verdiene oder nicht.
So rief er denn bereits nach ein paar Stunden
Der Fürstin Frauen vor sein Angesicht.
Ich sah voraus, wenn nun auch mich sie fingen,
Werd' es Gefahr mir und dem Herzog bringen.
71.
Noch in der Nacht entschlüpft' ich leis dem Bette,
Worauf ich fern vom Hof zum Herzog schlich;
Ich zeigt' ihm, nötig sei's, daß er mich rette;
Um unser beider Leben handl' es sich.
Er lobt mich, spricht von einer sichren Stätte:
Dahin, für ihn zur Freude, send' er mich.
Und einer Burg, nicht weit von hier gelegen,
Schickt er durch zwei der Diener mich entgegen.
[98] 72.
Du weißt es, Herr, wie alle meine Triebe
Hinzielten auf des Herzogs Glück fürwahr;
Und daß er auch noch dann mein Schuldner bliebe,
Wenn er mich liebt' und ehrte, das ist klar.
Sag' mir, was ich empfing für meine Liebe
Und was der Lohn für meine Dienste war?
Kann irgendeine von uns armen Frauen,
Liebend, das Glück, geliebt zu werden, schauen!
73.
Besorgt ist dieser Böse, Ungetreue,
Am Ende könne wanken doch mein Mut,
So daß ich aufzudecken mich nicht scheue
Den wölfischen Betrug und seine Wut.
Er sagt, bis sich des Königs Sinn erneue
Aus Grimm und Zorn, woll' er mich bergen gut
Und mich dorthin zu seinem Schlosse senden –
In Wahrheit aber zu des Todes Händen.
74.
Dem Führer hatt' er heimlich aufgetragen,
Sobald wir hier im dunklen Walde sei'n,
Zu meiner Treue Lohn mich zu erschlagen.
Und wärst du nicht erschienen auf mein Schrei'n,
Hätt' alles dies sich wirklich zugetragen.
So lohnt die Liebe, die ihr Treue weihn!«
Dies der Bericht Dalindas, herb und bitter,
Den sie, des Weges reitend, macht dem Ritter.
75.
Dem aber kommt es überaus gelegen,
Daß an die Maid ihn hier der Zufall band,
Durch die mit einemmal dem jungen Degen
Der Zweifel an Ginevras Unschuld schwand.
War sein Entschluß schon, helfend sich zu regen,
Wenn er das Königskind auch schuldig fand,
Erneut er mit noch größrer Wärme diesen,
Nachdem Verleumdung offenbar erwiesen.
[99] 76.
Zur Stadt Sankt-Andres, wo am Königsherde
Ein jedes Glied des hehren Hauses weilt,
Harrend, daß noch der Held erscheinen werde,
Der dort im Kampf den Ruf der Tochter heilt,
Ist jetzt Rinald mit aller Macht der Pferde
Auf etwa eine Meil' herangeeilt.
Der Stadt schon naht er, als er frische Kunde
Am Weg vernimmt aus eines Knappen Munde:
77.
Ein fremder Ritter hat sich eingefunden,
Ginevras Kämpe will er sein im Streit;
Nichts läßt sich durch die Waffenzier erkunden:
Still und verschlossen hält er sich beiseit;
Verhüllt ist sein Gesicht zu allen Stunden;
Entschleiert sah ihn keine Tageszeit.
Sein Knappe schwört, daß er den Herrn nicht kenne:
Er wisse nicht, wie man den Ritter nenne.
78.
Sie reiten, bis sie an den Mauern stehen;
Dalinda schliche gerne jetzt sich fort;
Sie fürchtet sich und will nicht weitergehen,
Doch folgt sie noch Rinaldos Trosteswort. –
Verschloßne Tür! – Als sie den Pförtner sehen,
Fragt, ihn Rinald: »Sag' an, was gibt es dort?«
Gegangen – heißt's, sind Männer sowie Frauen,
Das ganze Volk, den Zweikampf anzuschauen,
79.
Den grad am andern End' ein fremder Streiter
Zu dieser Zeit bestehe mit Lurcan,
Wo Rasen sei, ein ebener und breiter;
Im Gang schon sei der Kampf auf jenem Plan.
Der Pförtner öffnet drauf für unsre Reiter,
Dann wird das Gitter wieder zugetan.
Durch öde Straßen trabt Rinald geschwinde;
Er ließ im ersten Gasthaus schon Dalinde.
[100] 80.
Sie werde, sprach er, Sicherheit dort haben,
Er reit' allein ein Weilchen jetzt fürbaß;
Und nach dem Kampfplatz sah sie rasch ihn traben,
Wo jene beiden noch ohn' Unterlaß
Angriffs- und Antworthieb' einander gaben.
Lurcan ist ganz erfüllt von tiefem Haß
Auf die Prinzessin; treu sie zu beschützen,
Will jener alle Kraft mit Eifer nützen.
81.
Sechs andre Ritter noch zu Fuße halten
Mit Schwert und Harnisch um das Kämpferpaar.
Nach dem Befehl des Herzogs hier sie schalten;
Der stellt sich stolz auf edlem Renner dar.
Als Reichsmarschall muß er des Platzes walten
Und nimmt an diesem Tag die Ordnung wahr.
Froh ist sein Herz, hochmütig seine Brauen,
In solcher Not Ginevra hier zu schauen.
82.
Rinald dringt vorwärts zwischen Meng' und Menge;
Platz schafft ihm Bajard, sein erlesnes Roß.
Nicht lahm und säumig, sei es noch so enge,
Ist, wer sein Dröhnen hört im Menschentroß.
Hoch ragt Rinald empor aus dem Gedränge;
Man sieht es wohl: das ist ein Heldensproß.
Er hält am Königssitze vor dem Ringe:
Ein jeder lauscht, was wohl der Ritter bringe.
83.
»Erlauchter Herr,« sprach er, gehört von allen,
»Hör' mich, laß hier den Kampf nicht weitergehn!
Denn wer von diesen beiden möge fallen,
Ein Unrecht wär' mit seinem Tod geschehn.
Ehrlich ist der und doch dem Trug verfallen,
Lügt nicht und muß auf Falschem doch bestehn:
Zum falschen Kläger ihn der Irrtum machte,
Der schon vorher Tod seinem Bruder brachte.
[101] 84.
Dem andern selbst ist dunkel sein Gebaren;
Was ihn – in Todes Nähe – zog herbei,
Hochsinn allein und eitel Güte waren,
Daß solcher Liebreiz nicht des Todes sei.
Der Unschuld bring' ich Rettung aus Gefahren,
Das Gegenteil wird der Verräterei.
Doch erst befiehl, den Zweikampf einzustellen;
Dann gib Gehör mir, alles aufzuhellen!«
85.
Des fremden Ritters Hoheit ohnegleichen
– Er schien ein Held, ein würdiger, fürwahr –
Macht Eindruck auf den König, und das Zeichen
Gibt er, das Halt gebeut dem Kämpferpaar.
Vor ihm, dem ganzen Volk, den Arm und Reichen,
Der Ritterschaft, legt Herr Rinald nun dar,
Wie Polineß versuchte, schnöd' mit Lügen
Den Ritter ob Ginevras zu betrügen.
86.
Die Waffen sollen zum Beweise dienen,
Daß man die lautre Wahrheit hat gehört.
Geholt wird Polineß: – er ist erschienen,
Jedoch – man sieht's – im Antlitz ganz verstört.
Indes er leugnet mit verbißnen Mienen.
»Nun«, spricht Rinald, »Beweis dem Schwert gehört.«
Gewaffnet sind sie, und der Platz bereit ist,
Daß kein Verzug mehr für den blut'gen Streit ist.
87.
Wie König nun und Volk vom Wunsche brennen:
Ginevras Unschuld zeige das Gefecht!
Durch Gott, so hoffen sie, wird man erkennen:
Man zieh sie schwerer Sünde ungerecht.
Und grausam, stolz, falsch und verworfen nennen
Die Stimmen rings den Herzog, bös und schlecht.
Ein Wunder schien' es keinem, wenn die Märe
Von dem Betrüger rein erfunden wäre.
[102] 88.
Bleich steht der Herzog – seine Lippen beben –.
Das Antlitz starr und dumpf das Herz und schwer,
Beim dritten Schall sieht man die Lanz' ihn heben:
Da stürmt Rinald in vollem Lauf daher.
Er zielt und will, ihm gleich den Rest zu geben,
Durchbohren den Verräter mit dem Speer.
Und also kam es – sieh, dem bösen Recken
Blieb in der Brust der Spieß zur Hälfte stecken.
89.
Am Schaft gespießt, fliegt Polineß vom Pferde
Sechs Ellen weit: so mächtig war der Stoß.
Rinald springt ab, packt, eh er von der Erde
Aufstehe, seinen Helm und knüpft ihn los.
Doch jener kämpft nicht mehr: mit Angstgebärde,
Demütig, bittet er um Gnade bloß;
Und er bekennt – vorm Hof, vor aller Ohren –
Den Trug, durch den das Leben er verloren.
90.
Mitten im Sprechen noch – eh er kann enden –
Ihm Stimm' und Leben schon geschwunden sind.
Den König, der des grimmen Todes Händen
Und üblem Ruf entrungen sieht sein Kind,
Hört man zum Himmel Freudenrufe senden,
Als ob er jetzt die Krone wiederfind',
Die er dem Haupte sah bereits entrissen:
Drum soll Rinald von Ehren keine missen.
91.
Er sieht, als das Visier emporgeschoben,
Den Helden, ihm von früher schon bekannt;
Und streckt die Hand zum Himmel, Gott zu loben,
Der solchen Schutz in Not ihm hat gesandt.
Der andre Ritter, der den Arm erhoben,
Als Unglück auf Ginevra sich gewandt,
Und unbekannt eintrat für sie zum Streite,
Sieht alles dies, doch steht er still beiseite.
[103] 92.
Der König bittet ihn, sich kund zu geben
Oder auch nur im offnen Helm zu stehn,
Weil er und alle hier des Wunsches leben,
Sein' edle Absicht recht belohnt zu sehn.
So muß er denn den Helm vom Haupte heben
Nach langem Bitten, und – was sonst geschehn,
Das möcht' ich für den nächsten Sang verschieben,
Will weiter zuzuhören Euch belieben.

[104] Sechster Gesang

1.
Dem Frevler wehe, der da meint, es werde
Die Missetat bedeckt für alle Zeit!
Wenn alles schweigt, so spricht die Luft; die Erde,
Wo sie verscharrt ist, in die Weite schreit.
Verschiebt auch Gott dem Sünder die Beschwerde,
Er lenkt die Schuld, der er die Kraft verleiht,
Daß sie den Täter muß von selber zwingen,
Den Frevel unversehns ans Licht zu bringen.
2.
Der Unglücksel'ge war im Wahn befangen,
Die Untat sei begraben ganz und gar,
Und dachte fortzuleben ohne Bangen:
Nur in Dalinda sah er die Gefahr.
Dem ersten Frevel weitre so entsprangen;
Beschleunigt ward, was noch gekommen war.
Vielleicht aufschieben könnt' er's und vermeiden
Und fügt nun selbst, daß er den Tod muß leiden.
3.
Freund', Güter, Leben werden ihm genommen,
Dazu die Ehre – Schlimmres gibt es nicht. –
Als man den Fremden bat (Ihr habt's vernommen),
Daß er das Antlitz biete frei dem Licht,
Hebt er den Helm, und sieh: zum Vorschein kommen
Bekannte Züge, ein geliebt' Gesicht:
Arïodant ist's, den im Grab man meinte,
Der Edle, den das ganze Land beweinte.
[105] 4.
Arïodant, um den Ginevra klagte
Und König, Hof und Volk in Trauer stand,
Der als ein Turm der Rittertugend ragte
Und teuer war rings allem Schottenland.
So war es falsch, was jener Bauer sagte?
Noch hielt den Edlen nicht des Todes Hand?
Nein, Wahrheit sprach er; denn den Hochgemuten
Sah er vom Fels sich stürzen in die Fluten.
5.
Doch wie es geht: man ruft den Tod vom weiten,
Willkommen scheint er uns in hohem Maß;
Sieht man ihn aber wirklich näherschreiten,
So hat man bald genug von solchem Spaß.
Als um ihn Wasser floß von allen Seiten,
Da sehnt der Ritter sich nach fester Straß'.
Und kühn, geschickt, entreißt er sich dem Bade
Und schwimmt voll Kraft zurück nach dem Gestade.
6.
Er schilt sich töricht jetzt und schier von Sinnen,
Zu scheiden aus dem Dasein freundlich hell;
Durchweicht und triefend macht er sich von hinnen
Und kommt gemach zu einer Klausnerzell'.
Er denkt, in aller Stille nun hierinnen
Zu weilen, bis man hör' an dieser Stell',
Ob sich Ginevra des Geschehnen freue,
Ob sie vielleicht Betrübnis zeig' und Reue.
7.
Zunächst vernimmt er, daß sie, schmerzzerrissen,
Dem Tode nahe sei, gebeugt vom Gram
(Davon zu reden, war man so beflissen,
Daß kaum die Red' im Land auf andres kam):
Es stimmt zu allem, das er glaubt zu wissen
– Ach, ihm zum Jammer! –, freilich wundersam.
Dann hört er, daß Lurcan, so wie man sagte,
Ginevra bei dem Vater selbst verklagte.
[106] 8.
Zorn auf den Bruder regt sich, ein so grimmer,
Wie er für sie vor Liebe will vergehn,
Denn nichts erscheint ihm grausamer und schlimmer,
Wiewohl er weiß, es ist für ihn geschehn.
Darauf erfährt er, daß die Schranken nimmer
Den Kämpen für Ginevra werden sehn
(Lurcanios Taten waren unvergessen,
Daß jeder Scheu trug, sich mit ihm zu messen).
9.
Als klug ihn und besonnen zu erheben,
Hat keiner, der ihn kannte, noch verfehlt:
Derart gefährden würd' er nicht sein Leben,
Wenn unwahr wäre, was der Held erzählt!
Drum die Verteid'gung lieber aufzugeben,
Hat als das Klügste jedermann erwählt.
Arïodant nach langem Überlegen
Beschließt, er stellt dem Bruder sich entgegen.
10.
»Vor meinem Ende jene sehen sterben«,
Sprach er bei sich, »es würde schrecklich sein;
Erlitte sie um mich den Tod, den herben,
Das machte meinen Tod zu bittrer Pein.
Um andre Herrin könnt' ich nimmer werben:
Sie bleibt mir Göttin, meiner Jugend Schein.
Mit Recht und Unrecht muß ich, sie zu retten,
Im Kampf für sie mich zu den Toten betten.
11.
Mit Unrecht, gut! – So muß ich dem willfahren.
Ich sterbe – wohl! Doch eins schafft bittre Not:
Ich schütze sie dadurch nicht vor Gefahren;
Erst recht vielmehr bringt der Verlauf ihr Tod.
Den einen Trost mag ich im Sterben wahren:
Daß Polineß, der ihr doch Liebe bot,
Nicht im geringsten – deutlich muß sie's sehen –
Den Fuß nur regt, der Holden beizustehen.
[107] 12.
Ich aber, dem das Herz sie wollte brechen,
Mich sieht sie sterben, auf ihr Heil bedacht!
Am Bruder werd' ich dann zugleich mich rächen,
Der diesen Brand hat grausam angefacht:
In seinem Herzen wird die Reue sprechen,
Sieht er zu solchem Ziel sein Tun gebracht,
Daß er dem Bruder, den er rächen wollte,
Mit eigner Hand Verderben bringen sollte.«
13.
Als die Gedanken zum Entschlusse reifen,
Ein' andre Rüstung und ein Pferd er fand,
Ein schwarz Gewand auch; schwarzen Schild mit Streifen
Grüngelber Farbe nahm er drauf zur Hand.
Und einen fremden Knappen sah er schweifen;
Den nahm er, weil ihn niemand kannt' im Land.
So stellte sich – wo keiner ihn erkannte –
Dem Bruder dann zum Kampf Arïodante.
14.
Wie's weiter ging, habt Ihr bereits erfahren,
Und was nach der Erkennung noch geschah:
Der lieben Tochter Rettung aus Gefahren
Den König nicht in größerm Jubel sah.
Sie finde, meint er, nie so treuen, wahren,
So edeln Ehgemahl wie diesen da:
Die, wie er wähnt, ihn tödlich hat beleidigt,
Gegen den Bruder hat er sie verteidigt!
15.
Und wie der Held ihm selber hat gefallen
Und weil's dem ganzen Hofe gut erschien,
Und weil Rinald es wollte so, vor allen
Als Eidam grüßt er ihn mit froher Mien'.
Ein Herzogtum, Albanien, heimgefallen
Von Polineß, kam grade recht für ihn,
Fiel ihm anheim zur besten Zeit im Leben:
Er konnt' es seinem Kind zur Mitgift geben.
[108] 16.
Dalinda – durch Rinald – erhielt Verzeihen;
Frei ging sie aus, die große Sünderin.
Der Welt entsagen, künftig Gott sich weihen
Und Frieden finden, darauf stand ihr Sinn.
Sie schied aus Schottland: in der Nonnen Reihen
Zu büßen ging sie, weit nach Dazien hin. –
Nun ist es Zeit, nach Roger auszuschauen,
Der auf dem Flügeltier hinfährt im Blauen.
17.
Man sieht ihn oben keineswegs erblassen:
Er ist ein kühner Held – allein ich glaub',
Es mag doch größrer Schauer ihn erfassen,
Als man bemerken kann am Espenlaub.
Europa hat er hinter sich gelassen
Und macht sich immer weiter aus dem Staub.
Das Zeichen ist weit unter ihm geblieben,
Das Herkules hat Schiffern vorgeschrieben.
18.
Der Hippogryph, ein Vogel nur zum Teile,
Führt ihn dahin auf Flügeln alsoschnell:
Des Blitzes Träger käm' erst eine Weile
Nach ihm, vermein' ich, an dieselbe Stell'.
Es gibt kein Tier, das fliegend ihn ereile
Oder an Schnelligkeit sich ihm gesell'.
Auch Pfeile, glaub' ich, – selbst die Blitze dringen
Vom Himmel kaum herab mit raschern Schwingen.
19.
Nachdem der Vogel weiten Raum durchflogen
(Im Zickzack nie, gradaus ohn' Unterlaß),
Senkt er sich leis, von Luft nun vollgesogen,
Im Kreise auf ein Inselland wie das,
Wo Arethusa vor dem Gott der Wogen,
Den sie, gar spröd, geplagt in ihrem Haß,
Nach unterseeisch dunklem Weg voll Schrecken
Vergebens lange sann sich zu verstecken.
[109] 20.
Er schaut, was Liebliches die Welt kann schenken
– Nichts Ähnliches hat noch sein Flug gesehn –;
Sollt' er die Erde zu durchsuchen denken,
Doch würde unerreicht das Eiland stehn,
Zu dem des Vogels Schwingen jetzt sich senken;
Bedächtig läßt er sie im Kreise drehn –.
Bebautes Land, der Hügel sanft Gefälle,
Wiesen und schatt'ger Strand und Bächlein helle:
21.
Sieh dort des sanften Lorbeers Büsche prangen!
Und Myrten hold und Palmen rings im Hag!
Zitronen und Orangen golden hangen
Und Frucht und Blüten, was es geben mag;
Der Blätter Dächer bieten Schutz: sie fangen
Den Sonnenstrahl am heißen Sommertag,
Und im Gezweige hüpfend läßt erschallen
Sein schmelzend Lied ein Chor von Nachtigallen.
22.
Rotröselein und Lilie weiß der Heiden,
Frisch in den Lüften schmeichelnden und laun,
Sehn Hasen und Kaninchen sicher weiden
Und Hirsche stolz und ernst auf grünen Aun,
Die sonder Furcht, Verfolgung zu erleiden,
Die Gräser rupfen oder wiederkaun.
Damwild und Böcke fliegen hin in Sätzen;
Gar zahlreich sind sie dort an stillen Plätzen.
23.
Als sich der Erde nahn des Tieres Schwingen,
Daß man wohl einen Sprung darf wagen hier,
Alsbald vom Sattel muß sich Roger schwingen –
Weich fiel er in ein blumiges Revier.
Die Zügel fest noch in der Hand ihm hingen,
Daß nicht das Roß sich in die Luft verlier'.
An eine Myrte fesselt er's durch Bande
Grad zwischen Ficht' und Lorbeerbaum am Strande.
[110] 24.
Dann legt er, wo sich nah um eine Quelle
Zitronenbäum' und hohe Palmen reihn,
Handschuh und Schild an eine grüne Stelle,
Vom Helm darauf die Stirne zu befrein:
Er blickt zum Berg, auf Wogen, blaue, helle,
Und Kühlung frische Lüfte ihm verleihn,
Die um die mächt'gen Wipfel raunend weben
Und Tann' und Buche lassen wohlig beben.
25.
Nunmehr in klaren, frischen Fluten kühlt er
Die trocknen Lippen, und im Händebad
Aus seinen Adern fort die Gluten spült er,
Die ihm der Harnisch brachte nachgerad.
Kein Wunder, diesen ganz empfindlich fühlt er:
Was er vollbracht, war keine Promenad'!
In ganzer Rüstung, ohne je zu weilen,
Hat er zurückgelegt dreitausend Meilen.
26.
Da sieh, der Renner, den er dort gelassen,
Wo dichtes Blattwerk frischen Schatten bringt,
Bäumt auf, zu fliehn, als woll' ihn Schrecken fassen
Durch etwas, das aus jenen Büschen dringt;
Zerrt an der Myrte, beugt sie übermaßen,
Daß er mit Zweigen sich den Fuß umschlingt;
Die Blätter fallen und die Äste krachen;
Doch nicht gelingt es ihm, sich frei zu machen.
27.
Wie in dem Klotze, hohl und marklos innen,
Den man ans Feuer brachte auf dem Herd,
Nachdem die Luft, die dumpfe, die ihn drinnen
Erfüllte, ward durch Hitze aufgezehrt,
Ein Sieden und Rumoren mag beginnen,
Bis schließlich sich die Wut nach außen kehrt,
So zischt und murrt, als ob sie Zorn empfinde,
Die Myrte: sieh, da öffnet sich die Rinde,
[111] 28.
Und eine Stimme klingt in flehnden Klagen,
Und deutlich fügt es sich zu Worten gar:
»Bist du so gut und edel«, hört man's sagen,
»Wie es die schönen Züge stellen dar,
Wolle dies Tier von meinem Baume jagen!
Was schon mich peinigt, das genügt fürwahr!
Nicht weitre Schmerzen, traun, braucht man zu wählen,
Um auch von außenher mich noch zu quälen.«
29.
Beim ersten Ton sprang Roger auf und wandte
Sich nach der Richtung, wo er das vernahm;
Versteinert blieb er stehn, als er erkannte,
Wie aus dem Baum heraus die Stimme kam.
Nachdem er rasch von dort das Pferd entspannte
(Die Wangen fingen an zu glühn vor Scham),
Sprach er: »Wer du auch sein magst, was ich fehle,
Verzeih, Waldgöttin oder Menschenseele!
30.
Daß hier ein Geist sich barg, nicht konnt' ich's denken,
Als ich das schöne Laubhaar dir verwirrt,
Und daß in knorr'ger Rind' er sei zu kränken;
So schuf ich Unheil der lebend'gen Myrt'.
Der Bitte wolle nun Erfüllung schenken:
Sprich, wer hat sich in strupp'gen Leib verirrt,
Daß er, mit Stimm' und Seele, lebend leide? –,
So wahr des Himmels Hagel dich vermeide!
31.
Und fügt es sich, daß ich für mein Vergehen
Ersatz dir leisten kann zu einer Zeit,
So soll es – heilig schwör' ich's dir – geschehen;
Bei jener, der mein beßres Teil geweiht,
Mit Worten und mit Taten, sollst du sehen,
Erring' ich dann von dir Zufriedenheit.« –
Als so der Ritter hat geendet eben,
Sieht man den Baum vom Fuß zum Wipfel beben.
[112] 32.
Die Rinde schwitzt, wie Holz aus Waldgehegen,
Das frisch geschlagen ward in seinem Saft,
Der Feuerglut setzt Widerstand entgegen
Und sich vergebens wehrt mit aller Kraft.
Es klingt darauf: »Du zwingst mich darzulegen
Und zu entdecken, wer ich vor der Haft,
Gewesen bin und wer mich hier zum Baume
Verwandelt hat am schönen Meeressaume.
33.
Ich hieß Astolf, war Paladin, mich kannte
Frankreich als wohlbewährt im Kriegesspiel.
Rinald und Roland waren mir Verwandte,
Sie, deren Ruhm nicht Ende hat noch Ziel.
England, das mich des Reiches Erben nannte,
War mein, wenn Otto dem Geschick verfiel.
Schön war ich auch, stand bei den Fraun in Gnaden
Und schuf doch schließlich mir allein den Schaden.
34.
Heim kehrt' ich von den fernen Inselstranden,
An die von Ost die Meerflut Indiens floß.
Rinald und ich mit andern, wir befanden
Uns in dem Kerkerraum, der uns umschloß.
Da brachte Rettung aus den schnöden Banden
Mit seiner Riesenkraft der Milonsproß,
Worauf wir westwärts längs der Küste fuhren,
Die oft des Nordwinds Wüten schon erfuhren.
35.
Das Schicksal will, daß wir auf unsern Wegen,
Als wir uns in der Früh' am Strand ergehn,
Ein Schloß, hübsch nach dem Meere zu gelegen
– Der Hex' Alcina war's gehörig –, sehn.
Wir finden sie, – nicht in den Burggehegen,
Nein, einsam am Gestad' des Meeres stehn,
Und ohne Netz und ohne Angel brachte
Sie Fisch' ans Land, so viel ihr Freude machte.
[113] 36.
Da huschen flinke Haufen von Delphinen;
Mit offnem Maule kommt der dicke Thun,
Walroß und Robben mit den greisen Mienen,
Emporgeschreckt aus ihrem faulen Ruh'n:
Lachs, Barbe, Butt und Meeraal, und zu ihnen
Die größten aus der Herde des Neptun,
Wal, Pottfisch, Butzkopf, Narwal sich gesellen;
Die Riesenrücken ragen aus den Wellen.
37.
Da ist ein Wal, der mächtigste von allen,
Die je gesehen wurden in dem Meer;
Fettlagen dick um seinen Hals sich ballen,
Die Schulter ragt elf Schritt empor und mehr;
So daß wir insgesamt dem Wahn verfallen,
Wir kommen hier zu einem Eiland her:
Es stand; man sah's sich rühren nicht noch wenden;
Groß war der Zwischenraum der beiden Enden.
38.
Die Fische lassen ihre nassen Bahnen,
Sobald die Hex' ein Wort, ein Sprüchlein sagt.
Sie kam zur Welt als Schwester von Morganen,
Ob früher, später – hab' ich nicht erfragt.
Alcina sah mich an – schon mocht' ich ahnen
(Nach ihrem Antlitz), ich hab' ihr behagt;
Mich schlau hinwegzulocken, zu berücken,
Sann sie mit List; zu gut nur sollt' es glücken.
39.
Sie trat heran mit Anstand edler Sitten,
Anmutig, höflich und mit heitrem Wort;
Sie sprach: ›Ihr werten Herrn, darf ich euch bitten:
Nehmt Herberg' heut bei mir an diesem Ort!
Ich zeig' euch, was die Jagd aus Meeres Mitten
Mir brachte, schöne Fische jeder Sort';
An schupp'gen, weichen, rauhen ein Gewimmel
Und mehr, als oben Sterne sind am Himmel!‹
[114] 40.
Eine Sirene drauf uns anzusehen,
Die Stürme stillt mit süßen Melodie'n,
Zum anderen Ufer wir hinübergehen,
Wo sie zu dieser Stunde stets erschien,
Als wir mit einemmal vorm Walfisch stehen,
Der, wie gesagt, ein kleines Eiland schien.
Fürwitzig stets – wie sollt' ich es beklagen! –
Mußt' ich hinüber auf den Fisch mich wagen.
41.
Und ob Rinald mir Warnerzeichen machte,
Dudo desgleichen, half es mir nicht mehr;
Alcina ließ – hei, wie die Hexe lachte! –
Die andern, sprang geschwinde zu mir her.
Gleich regte sich der auf sein Amt bedachte
Walfisch und schwamm hinaus ins salz'ge Meer.
Jetzt reuten mich wohl meiner Torheit Bande,
Doch allzuweit schon waren wir vom Strande.
42.
Rinald war, mich zu retten, nachgeschwommen
Und hätte selbst sich fast den Tod gebracht,
Denn wütend war ein Sturm heraufgekommen,
Der Meer und Himmel hüllte tief in Nacht.
Was aus ihm ward, ich hab' es nicht vernommen.
Alcina war auf meinen Trost bedacht.
Mitten im Meer, ans Ungetüm gebunden,
Hielt sie mich Tag und Nacht, viel bange Stunden,
43.
Bis wir zuletzt hier an das Ufer steigen;
Der Zaubrerin gehört zumeist das Land,
Das einer Schwester war vom Vater eigen,
(Eh sie es nahm mit räuberischer Hand),
Weil die als echtes Kind sich konnte zeigen,
Derweil (ich hab's von einem, dem bekannt
Die weitren Einzelheiten allzusammen)
Die beiden andern vom Inzeste stammen.
[115] 44.
Und wie in Schand' und Sünden diese leben
Und voll sind jedes Lasters auf der Welt,
Hat jene Maid, der Keuschheit hingegeben,
Auf hohe Tugend ihren Sinn gestellt.
Doch als die zwei sich gegen sie erheben
Und Heer auf Heer entsandten in das Feld,
Sind mehr als hundert Schlösser ihr entrissen;
Sie zu verjagen, sind sie jetzt beflissen.
45.
Und jene, die sie Logistilla nennen,
Besäße kaum mehr einen Fuß breit Land,
Wär' hier nicht ein Gebirg', das wen'ge kennen,
Und dort ein Meeresgolf die Scheidewand,
So wie das Schottenreich von England trennen
Die Bergeshöhen und der Meeresstrand.
Doch auch das Wenige, das ihr geblieben,
Zu rauben, ist das Ziel von jenen Dieben.
46.
Weil lasterhaft das Paar ist, muß es hassen
Sie, die voll Züchten stets und heilig war.
Doch will ich diesen Gegenstand nun lassen;
Wie ich zur Pflanze wurde, werde klar.
Alcine ließ mich schwelgen übermaßen
Und stand in Liebesfeuer ganz und gar.
Sie selber, schön und artig anzusehen,
Ließ bald auch mich für sie in Flammen stehen.
47.
Sie gönnet mir der zarten Glieder Wonnen;
Ich bin es, der in vollem Zug genießt,
Was Menschenkindern beut der Glückesbronnen,
Der stets nur spärlich, niemals reichlich fließt.
Frankreich und alles sonst ist wie zerronnen;
Ich hang' am Antlitz, das mein Heil umschließt.
Sie ist das Ziel – dort endigt Tun und Trachten –,
Der Grenzstein, den ich nimmer kann mißachten.
[116] 48.
Und so geliebt ward ich von ihrer Seite;
Sie kümmert nimmer sich um andre mehr:
Die sonst'gen Buhlen schickt sie in die Weite
(Denn früher waren freilich andre mehr).
Mich als Berater will sie stets zur Seite,
Mich als Gebieter ob der andren Heer,
Mir glaubte sie, ich war ihr der Vertraute,
So daß sie nie nach einem andern schaute.
49.
Warum, ach, rühr' ich an die alten Wunden,
Wo keine Hoffnung für den Schmerz bereit?
Der Lust gedenkend, die dahingeschwunden,
Derweil ich dulde hier unsäglich Leid?
Ich wähnte schon das Glück an mich gebunden
Und ihre Liebe größer allezeit,
Als sich ihr Herz auf einmal von mir wandte
Und neu in Glut für einen andren brannte.
50.
Gleichzeitig – spät erkannt' ich's – war das Lieben
Und Nimmerlieben ihrem Flattersinn:
Als ich zwei Monde war im Land geblieben,
Schloß einen neuen Bund die Buhlerin.
Mich hat sie schmählich von sich fortgetrieben;
All ihre Gunst und Huld war nun dahin.
Behandelt hatte sie mit gleichem Spiele,
Hört' ich, ohn' Anlaß, schon der Buhlen viele.
51.
Zögen die Abgesetzten nun von dannen,
So hörte ja die Welt den argen Brauch,
Drum werden sie verwandelt hier in Tannen,
Ölbäume oder Palmen, Zedern auch,
Und wieder andre läßt sie grausam bannen,
Wie mich du siehst, in grünen Myrtenstrauch,
In Quellen andre oder wilde Tiere,
Wie's grad der Zaubrin paßt, im Waldreviere.
[117] 52.
Du aber, der auf ungewohnten Wegen,
Herr, in dies Unglückseiland dringst herein,
Daß irgendein Galan um deinetwegen
Verwandelt werd' in Wasser oder Stein,
Nimm Reich und Zepter eine Weil' entgegen,
Um mehr als alle Menschen froh zu sein;
Allein auch du trittst dann auf alle Fälle
In Holz, in Fels, in Tier ein oder Quelle.
53.
Ich habe gerne dir Bescheid gegeben,
Wenn's auch nicht grad von Nutzen für dich ist;
Gut ist es stets, gewarnt voranzustreben:
Denk, daß du nun des Brauches kundig bist.
Wenn das Gesicht verschieden ist im Leben,
Mag auch Verstand verschieden sein und List:
Dem Schaden, den die andern nicht vermieden,
Vielleicht ist ihm zu trotzen dir beschieden.«
54.
Roger, dem Astolf, seiner Dame Vetter,
Schon längst bekannt vom Hörensagen war,
Betrübte sich, als er in Holz und Blätter
Ein Antlitz sah verwandelt ganz und gar.
Und Bradamant zuliebe gerne hätt' er
(Wär' ihm dabei das Wie nur offenbar!)
Ihm Beistand hier geleistet; doch zur Stunde
Konnt' er nichts tun als trösten mit dem Munde.
55.
Er tat's nach Kräften, um sodann zu fragen,
Ob nicht ein Weg – durch Tal, durch Berge – sei
Zum Reiche Logistillas einzuschlagen,
Am Lande der Alcina hübsch vorbei.
Wohl gäb' es den, hört' er die Myrte sagen,
Doch nur durch eine stein'ge Wüstenei;
Ein wenig rechtshin mög' er sich bewegen,
Aufwärts, dem Alpengipfel dann entgegen.
[118] 56.
Doch leicht geschäh' es, daß Gefahr ihm drohte,
Zög' er auf diesem einen Wege fort;
Denn wilde Menschen, rechte Schlagetote,
Und eine böse Sippschaft hausen dort.
Sie stehn der Fee statt Mauern zu Gebote,
Wenn einer fliehen wolle von dem Ort.
Roger hat seinen Dank dem Baum entrichtet
Und scheidet dann, belehrt und unterrichtet.
57.
Er geht zum Pferd, löst es und nimmt die Zügel,
Geht selbst zu Fuß, das Roß trabt hinten sacht.
Denn nicht wie früher steigt er in die Bügel:
Leicht hätt' es ihn zu anderm Ort gebracht.
Auf sichren Wegen über Tal und Hügel
Dem Reiche dort zu nahn ist er bedacht.
Und fest vor Augen hat er eins vor allen:
Nicht in die Macht der Zaubrerin zu fallen.
58.
Er dachte freilich sich aufs Roß zu schwingen
Zu neuem Ritte durch das Luftrevier,
Doch könnte dies ihm größres Übel bringen,
Denn allzu störrisch war das Flügeltier.
»So werd' ich mit Gewalt das Ding erzwingen«,
Sprach er bei sich – doch anders kam es hier.
Zwei Meilen weit kaum ging er an der Küste,
Als ihn die schöne Stadt Alcinens grüßte.
59.
Fern sieht er eine lange Mauer scheinen,
Die in der Runde vieles Land umspannt;
Sie will an Höh' dem Himmel sich vereinen
Und ist aus Gold von unten bis zum Rand.
Wenn jemand, andrer Ansicht als der meinen,
Es Messing nennt – ob minder sein Verstand,
Ob mehr als mir ihm die Minerva hold ist –,
Weil es so glänzt, behaupt' ich, daß es Gold ist.
[119] 60.
Als Roger näherkommt der großen Mauer,
Der in der Welt der erste Platz gebührt,
Läßt er den breiten Weg, der in genauer
Gerader Richtung zu den Toren führt;
Rechts strebt der sichre Pfad empor an rauher
Felswand: er ist es, den der Held erkürt.
Bald aber tauchen auf die Waldgesellen,
Die sich mit Wüten in den Weg ihm stellen.
61.
Nie sah man noch so wunderliche Fratzen,
Bildungen seltsam, scheußlich und verzwickt:
Köpfe von Affen hier und dort von Katzen,
Abwärts vom Hals man Menschenleib erblickt.
Bocksfüße stampfen hier, dort Bärentatzen,
Kentauren gibt es, hurtig und geschickt,
Und Burschen frech und stumpfe alte Leute,
Die nackt, die greulich eingehüllt in Häute.
62.
Der reitet, zügellos, gleich Blitzesstrahle,
Langsam auf Ochs und Esel dort ein Paar;
Der springt auf den Kentaur mit einem Male,
Und viele reiten Kranich, Strauß und Aar;
Der setzt ein Horn ans Maul, der eine Schale,
Hier ist ein Mann, hier Frau, hier beides gar.
Der trägt den Haken, der die Leiterseile,
Stemmeisen jener, der die stille Feile.
63.
Dickbackig kam ihr Hauptmann angeritten,
Dem war als Zier ein fetter Wanst geschenkt;
Er saß auf einer Schildkröt' in der Mitten,
Die gar bedächtig ihre Schritte lenkt'.
Zwei, rechts und links, um ihn zu halten, schritten:
Er war berauscht und trug den Kopf gesenkt;
Einer hat Stirn und Kinn ihm abzuwischen,
Einer muß fächeln, um ihn zu erfrischen.
[120] 64.
Ein Ungetüm mit Menschenfuß und -leibe,
Doch Hundehals und -ohr und -schädelstück,
Bellt gegen Roger an und meint, es treibe
Ihn zu der schönen Zauberstadt zurück.
Da ruft der Ritter: »Nimmermehr, ich bleibe,
Solange dies noch mein zum guten Glück!«
Und zeigt sein gutes Schwert und droht dem Wichte,
Die Spitze scharf vor dessen Angesichte.
65.
Nun eilt der Unhold, seinen Speer zu schwingen,
Doch plötzlich stürzt der Ritter auf ihn los,
Und in den Wanst läßt er das Eisen dringen,
Heraus zum Rücken ragt es händegroß.
Den Schild am Arm will Roger vorwärts springen –
Ja, hätt' er Raum sich zu bewegen bloß!
Der sticht ihn vorn, der fällt ihm in den Rücken –
Er wehrt sich wild, schlägt alles rings in Stücken.
66.
Durchschnitten bis zum Maul muß der erkalten,
Zerhaun liegt jener bis aufs Brustgebein,
Denn alles mag die gute Klinge spalten,
Helm, Schild und Panzer haut sie kurz und klein.
Doch wird der Held so eingeengt gehalten,
Daß, fortzuscheuchen all der Feinde Reihn
Und Raum zu schaffen im verruchten Schwarme,
Mehr nötig wären als Briareus' Arme.
67.
Ja, wenn des Schilds er jetzt gedenken wollte,
Des herrlichen vom alten Nekromant!
Der Blendung gab, wenn man das Tuch entrollte,
Und den am Sattel ließ des Atlas Hand!
Wie rasch er das Gesindel zwingen sollte!
Blind würden alle stürzen miteinand!
Vielleicht war grade dies ihm widerwärtig:
Kraft bringe, nicht Betrug, die Siegtat fertig!
[121] 68.
Sei's, wie es sei, er hat sich Tod geschworen,
Müßt' er so niedren Volks Gefangner sein –
Doch sieh, da kommen aus der Mauer Toren
(Hell leuchtend, wie gesagt, in Goldes Schein)
Zwei Mägdlein hold, voll Anstand auserkoren,
Auch nach der Kleidung hochgestellt und fein;
Erwachsen nicht in dürft'ger Hirtenklause,
Nein, wonniglich in stolzem Königshause.
69.
Auf einem Einhorn weiß wie Hermeline
Gelagert beide, zogen sie heran,
So reich geschmückt und von so holder Miene,
Fremdartig hoheitsvoll, daß einem Mann
Es Aufgab' eines Götterauges schiene,
Zu sagen, welche hier den Preis gewann.
Wenn Reiz und Schönheit jemals leibhaft walten
Und Anmut, wär's in diesen Huldgestalten.
70.
Wie beide zu der Wiese nun gelangen,
Wo Roger im Gedräng des Haufens stand
(Der Schwarm war rasch auf und davon gegangen),
Da boten sie dem Ritter fein die Hand.
Ihm färbten rosenrot sich jetzt die Wangen,
Als für die Huld er Dankesworte fand.
Dann, ihnen einen Wunsch nicht zu verwehren,
Willigt er ein, zum Tor zurückzukehren.
71.
Zum Schmuck des Architraves sich vereinen
– Überm Portal ragt er ein wenig vor –
Endlose Zahl von seltnen Edelsteinen,
Wie nur das Morgenland sie bringt hervor.
Aus eitel Demant dicke Säulen scheinen,
Die an vier Seiten tragen dieses Tor.
Ob das nun unecht oder ob es echt ist,
Für höchste Augenlust es just so recht ist.
[122] 72.
Über die Schwelle hin und Säulenhallen
Gehn üpp'ge Mädchen scherzend aus und ein;
Wollt' ihnen Züchtigkeit nur mehr gefallen,
So könnten sie vielleicht noch schöner sein.
Grünfarbne Kleider sieht man schier an allen,
Die Häupter tragen frische Kränzelein.
Entgegenkommend, nett in jeder Weise,
Führen sie Roger nach dem Paradeise.
73.
Denn also kann man wohl den Ort begrüßen,
Wo Amor, mein' ich, seine Heimat hat;
Und Tanz und Spiel der Stunden Flucht versüßen,
Der frohen Feste wird man niemals satt.
Grauhaar'ge Weisheit und der Wunsch zu büßen –
Die haben in den Herzen keine Statt.
Nicht Mangel naht hier mit den leeren Händen,
Nur Überfluß will stets sein Füllhorn spenden.
74.
Hier, mit der Stirne heiter stets und helle,
Für ewig, scheint's, lacht lieblicher April,
Sind Jünglinge und Frauen; nah der Quelle
Süßinnig der sein Liedchen singen will;
Der unterm Baum, am Berg, an schatt'ger Stelle
Spielt oder tanzt, vergnügt wohl auch sich still;
Und der, den andern fern, vertraut dem Herzen
Des Freundes seines Liebesleides Schmerzen.
75.
Wo Buchen hoch und Pinienwipfel wiegen,
Und bei dem Lorbeer strupp'ge Tannen stehn,
Hold tändelnd junge Liebesgötter fliegen:
Der hat ein Herz für seinen Pfeil ersehn,
Und jener triumphiert nach schnellen Siegen;
Der zielt, und diesen sieht man Schlingen drehn;
Im Bach Geschosse härtet jener Kleine,
Und der da spitzt sie zu auf glattem Steine.
[123] 76.
Man führt für Roger einen feurig flinken,
Gewalt'gen Hengst – ein Brauner ist's – herbei;
An dem Geschirre Prachtjuwelen blinken
Und pures Gold in schöner Stickerei.
Und einen Knaben holen sie durch Winken,
Daß er des Flügeltieres Hüter sei;
Hinter dem Helden, mit geringrer Eile,
Am Zaum gehalten, trabt es alleweile.
77.
Die beiden Holden, die entweichen machten
Den wilden Haufen dort am Bergesrand
Und Ungetüme, die den Weg bewachten,
Der rechts hin weiterführte durch das Land,
Sie sprachen: »Edler Ritter, die vollbrachten
Großtaten deines Arms sind uns bekannt;
Drum bringen wir die Bitte dir entgegen,
Auch uns jetzt beizustehn mit deinem Degen.
78.
In zwei getrennte Teile, wirst du sehen,
Scheidet die Ebne hier ein sumpf'ger Spalt;
Dort pflegt das Weib Eriphyle zu stehen
Und sperrt da stets mit Tücke und Gewalt
Die Brücke allen, die hinübergehen;
Und eine Riesin ist sie von Gestalt,
Mit langen Zähnen, gift'gem Biß und Tatzen,
Scharfen, die ganz wie Bärenklauen kratzen.
79.
Und dieses nicht allein muß uns empören,
Daß sie gesperrt die freie Straße hält;
Auch in den Garten läuft sie, zu zerstören
Bald dies, bald das, was in die Hand ihr fällt.
Und denk, als Kinder viele ihr gehören
Vom Schwarm, der dir sich in den Weg gestellt.
Ihr folgen alle, sind gleich ihr abscheulich,
Ungastlich, räuberisch, kurzum ganz greulich.«
[124] 80.
Sprach Roger: »Nicht, daß eine Schlacht ich schlage,
Nein, hundert möchte ich für euch bestehn.
Ich und was Gutes nur man von mir sage,
Soll, wie ihr wollt, euch ganz zu Diensten stehn;
Wenn ich als Ritter Schien' und Harnisch trage,
Will ich nicht Geld und Gut errungen sehn,
Nein, lediglich den andern Beistand leisten
Und schönen Frauen so wie euch am meisten.«
81.
Wie sich's geziemt genüber hohem Degen,
Ward jetzt anmut'ger Dank ihm ausgedrückt;
So plaudernd gingen sie dem Ort entgegen:
Sie fanden dort die Ufer überbrückt.
Schon sahen sie das Mannweib sich bewegen
In goldner Rüstung, edelsteingeschmückt.
Ob Roger hat mit dieser angebunden,
Das wird im nächsten Sange vorgefunden.

[125] Siebenter Gesang

1.
Wer weit von Hause geht, begegnet Dingen
Verschieden vom Gewohnten ganz und gar,
Und Glauben findet er daheim geringen;
Ein Lügner heißt er, aller Wahrheit bar.
Denn weiter kann's das dumme Volk nicht bringen,
Sieht es nicht selber alles klipp und klar.
Unwissenheit wird jetzt, besorg' ich bange,
Auch wenig Glauben schenken meinem Sange.
2.
Ob sie mir Glauben schenken oder keinen,
Mir gilt der dummen Leute Meinung gleich;
Euch, weiß ich, Herr, wird's Lüge nicht erscheinen,
Ihr seid an Weisheit und Verständnis reich.
All meine Kraft will ich dahin vereinen,
Daß Euch gefalle meines Schaffens Reich.
Zur Brücke nun, wohin ich grad Euch brachte,
An der Eriphyle voll Grimme wachte.
3.
Zu feinen Panzers Schmuck hat sie genommen
Buntfarbig glänzend herrliches Gestein:
Smaragden grün, und rot Rubinen glommen,
Dann wieder Chrysolith mit gelbem Schein.
Sie war beritten – nicht zu Pferd – gekommen:
Statt dessen muß ein Wolf ihr Schlachtroß sein,
Ein Wolf ihr Schlachtroß an des Wassers Rande,
Mit Sattelzeug, wie's keiner kennt im Lande.
[126] 4.
So großen gibt's nicht in Apuliens Auen,
Hoch wie ein Stier, die Knochen stark und fest;
Kein Zügel, dran des Rachens Zähne kauen;
Weiß selber nicht, wie er sich lenken läßt.
Ein Kleid von sand'ger Farbe ist zu schauen
Über dem Harnisch dieser Höllenpest,
Dem ähnlich, von der Farbe abgesehen,
Darin Prälaten jetzt zu Hofe gehen.
5.
Auf ihrem Helm sitzt, ebenso im Schilde,
'ne Kröte, die sich giftgeschwollen bläht.
Die Damen zeigen ihrem Held die Wilde,
Die drüben, kampfgerüstet, schilt und schmäht
Und höhnend sperrt den Eingang ins Gefilde,
Wie sie's zu tun gewohnt ist früh und spät.
Zurückzuweichen schreiend jetzt gebeut sie;
Jung Roger nimmt den Speer auf und bedräut sie.
6.
Ihm sprengt die Riesin kühn und rasch entgegen;
Spornend den Wolf, sitzt sie im Sattel schwer;
Er sieht sie halben Laufs die Lanze legen –
Bei ihrem Nahn erdröhnt der Grund umher.
Doch nicht vom Feld soll sie sich fortbewegen,
Denn unterm Helm trifft sie des Ritters Speer
So wuchtig, daß die ungeheuren Glieder
Sechs Ellen weit nach hinten fallen nieder.
7.
Den Kopf, den trotzigen, ihr abzuschlagen,
Hat nun der Held bereits das Schwert gezückt
(Vollbringen konnt' er's, ohne was zu wagen;
Im Gras ja lag sie, schon der Welt entrückt),
Jedoch »Genug,« hört er die Damen sagen,
»Begnüge dich, daß dir der Sieg geglückt!
Steck' ein den Degen, ritterlicher Streiter;
Die Brück' ist frei: so gehen wir denn weiter!«
[127] 8.
Mitten durch ein Gehölz am Bergesraine,
Ein wenig rauh und mühsam ging die Bahn;
Nicht eng nur war der Pfad und voller Steine,
Auch kerzengrade stieg er himmelan.
Doch oben, bei dem Ausgang aus dem Haine,
Bald einer breiten Wiesenflur sie nahn,
Und dort vor ihren Augen steht der beste
Und lieblichste der irdischen Paläste.
9.
Alcine war vorm ersten Tor erschienen,
Wo sie dem Ritter hold entgegentrat
Und grüßte ihn mit hoheitsvollen Mienen,
Umringt von ihres Hofes stolzem Staat.
Das neigt und beugt sich, und dem Held zu dienen,
Das Menschenmögliche ein jeder tat,
An Ehren könnte gar nicht mehr geschehen,
Und ließe sich der Herrgott selber sehen.
10.
Nicht weil an Glanz es alles überwindet,
Muß dieses Schloß weit über andern stehn,
Nein, weil man hier die nettsten Leute findet,
Die feinsten, artigsten, die man kann sehn,
Und die ein gleiches Alter hübsch verbindet
Und Jugend, Schönheit, blühndes Wohlergehn.
Alcine Königin der Huld und Wonn' ist,
Wie über alle Sterne schön die Sonn' ist.
11.
So muß das Urbild aller Reize prangen,
Wie's zu erfassen sucht des Malers Fleiß,
Mit blonden Haaren, schön verschlungnen, langen
(So leuchtet nicht des Goldes Strahlenkreis);
Und lieblich mischt sich auf den zarten Wangen
Der Rosen Rot und des Ligusters Weiß.
Es gleicht die heitre Stirn dem Elfenbeine,
Ist keine allzu hohe noch zu kleine.
[128] 12.
Unter zwei schwarzen, allerfeinsten Brauen
Zwei schwarze Augen, nein, zwei Sonnen sind,
Langsam beweglich, die voll Mitleid schauen,
Und um sie scherzt und spielt das Flügelkind.
Dort leert er seinen Köcher, möcht' ich trauen,
Und stiehlt von dort die Herzen sich geschwind.
Dort ins Gesicht senkt sich der Nase Adel –
Da findet selbst der Neid nicht einen Tadel.
13.
Darunter, von zwei Tälern klein umschlossen,
Das Rot des Mündleins, dem Zinnober gleich:
Darin zwei Schnüre Perlen, glanzumgossen;
Die zeigt und schließt die Lippe schön und weich,
Von der so oft die holden Worte flossen,
Die jedes Herz ziehn in der Liebe Reich,
Heimat von Schalkheit und von süßem Lachen,
Die uns die Welt zum Paradiese machen.
14.
Milch ist die Brust, der Hals Schnee, frisch gefallen,
Breit jene, dieser wie ein rundes Band.
Von Elfenbein zwei herbe Äpfel wallen
Hinauf, hinab gleichwie die Well' am Strand,
Wenn Meer und linde Luft in Zwist gefallen.
Mehr wird dem Argus selber nicht bekannt,
Doch meint man, was man sieht, wird wohl sich reimen
Mit jenem, das verborgen im geheimen.
15.
Die Arme bieten ganz die rechte Weite,
Es zeigt sich oft das Händchen weiß und fein,
Länglich gestreckt und nur von schmaler Breite;
Kein Knötchen sichtbar und kein Äderlein!
Zuletzt stellt diesen Reizen sich zur Seite
Das liebe Füßchen, zierlich rund und klein.
Nie wird sich dieser Himmelsreize Fülle
Verbergen lassen unter einer Hülle.
[129] 16.
Stets spannt sie Schlingen, jemand einzufangen,
Ob sie nun geht, ob singt und lacht und spricht:
Kein Wunder ist's, bleibt Roger darin hangen,
Ihm hat es angetan ihr hold Gesicht.
Die Warnung, die er jüngst erst hat empfangen
Von ihrer List und Tücke, nützt ihm nicht.
Er kann sich's einmal nicht begreiflich machen,
Daß Trug vereinbar sei mit solchem Lachen.
17.
Er glaubte lieber, daß dort an der Küste
Astolf um eigne Schuld verwandelt sei
Und er darum mit Recht so schmerzlich büßte
Als Undankbarer, für Verräterei,
Auch alles dies gesprochen haben müßte
Aus Rach' und Haß in eitel Heuchelei;
Und Mißgunst nur und Neid hab' ihn bewogen
Zu seiner Rede – alles sei erlogen.
18.
Aus seinem Herzen ist die Maid geschwunden,
Die schöne, die bisher es hat bewegt;
Durch Zauber hat ihm, was er einst empfunden,
Alcina vom Gedächtnis fortgefegt;
Ihr Bild allein ist ihm in diesen Stunden
Und ihre Liebe nur ihm eingeprägt.
Entschuldigung drum darf man Roger gönnen;
Er hat nicht treu und standhaft bleiben können.
19.
Bei Tische fehlt, die Freude zu verschönen,
Das Spiel von Zithern, Harfen, Lauten nie;
Und noch von vielen andern holden Tönen
Erbebt die Luft in süßer Harmonie.
Ein kund'ger Mund, die Wonne recht zu krönen,
Preist Liebeslust in Lied und Poesie,
Und mit Erfindungen und Melodien
Ruft er empor willkommne Phantasien.
[130] 20.
Kann sich ein Mahl bei Ninus wohl, dem Zecher
(Oder wer nach ihm kam in Ninive),
Kann, das Kleopatra gab Romas Rächer,
Kann irgend eines sich vergleichen je
Dem üpp'gen Prunkmahl, dran vor seinem Becher
Der Paladin saß bei der Zauberfee?
Es gibt kein solches Mahl, zurück steht jedes;
Selbst, wo dem Zeus den Trank reicht Ganymedes.
21.
Als dann die Speisen waren abgetragen,
Saß man im Kreis und spielt' ein fröhlich Spiel:
Ein jedes mußt' ins Ohr dem andern sagen
Etwas Geheimes, wie es ihm gefiel;
Ist's für Verliebte doch ein groß Behagen,
Liebe gestehen ohne Zeugen viel.
Zuletzt zu dem Beschluß sie sich verbinden,
In dieser Nacht zusammen sich zu finden.
22.
Ein Ende wurde bald dem Spiel bereitet
(So früh war's für gewöhnlich noch nicht aus):
Blutjunger Pagen Fackellicht verbreitet
Sich bald und jagt die Finsternis hinaus.
Von freundlichsten Genossen schön geleitet,
Trat Roger aus dem hohen Saal heraus,
In einer Kammer, schön und kühl gehalten,
– Die allerbeste war es – Ruh' zu halten.
23.
Backwerk und guten Feuerwein beginnen
Sie neu zu bieten, wie es Brauch im Land,
Dann, tief sich neigend, gehen sie von hinnen,
In seine Kammer jeder, wo sie stand.
Auch Roger schlüpft hinein in duft'ge Linnen,
Gewoben, schien es, von Arachnes Hand,
Doch hält er weiter noch, in frohem Hoffen,
Sie nahn zu hören, seine Ohren offen.
[131] 24.
Mag irgendwo das kleinste sich bewegen,
Hebt er den Kopf und denkt: »Jetzt ist sie nah!«
Er meint: »Da regt sichs!« – Ach, nichts will sich regen!
Aufseufzt er nun, ein Irrtum war es ja!
Jetzt hebt er sich vom Bett, der Tür entgegen,
Und blickt hinaus – vergebens, nichts ist da.
Er flucht wohl tausendmal dem Gang der Stunde:
Sie schleicht doch allzu säumig in der Runde!
25.
Oft sagt er sich: »Jetzt ist sie schon im Gange!«
Und rechnet, wie viel Schritt es mögen sein,
Bis sie von ihrer Schwell' an die gelange,
Die sie betreten muß zu ihm herein!
So, eh die Dame kommt, verfällt er bange
In die verschiedensten Phantasterein
Und fürchtet, daß ein Hindernis sich finde,
Das ihm die Frucht noch aus der Hand entwinde.
26.
Nachdem die Fee hat lange Zeit verschwendet,
Zu duften von den feinsten Spezerein,
Scheint's, daß im Hause die Bewegung endet,
Und aus dem Zimmer schlüpft sie fort allein.
Und auf geheimem Wege, leise, wendet
Sie sich dahin, wo zwischen Glück und Pein
Der Ritter harrend muß die Zeit verbringen,
In dessen Seele Furcht und Hoffnung ringen.
27.
Kaum daß die lächelnden, die hellen Sonnen
Astolfs Ersatzmann in der Näh' erschaut,
Loht es in Adern wie aus Schwefeltonnen:
Ihm ist, es duld' ihn nicht in seiner Haut.
Bis zu den Augen hoch im Meer der Wonnen
Schwimmt er ob all der Dinge süß und traut.
Er springt vom Lager: ohn' ihr Zeit zu lassen,
Sich zu entkleiden, muß er sie umfassen,
[132] 28.
Wenn sie auch weder Reifrock trägt noch Mieder:
Nichts als ein leichter Zindel hüllt sie ein;
Darunter wallt ein Hemdchen um die Glieder,
Gewoben weiß wie Schnee, unsagbar fein.
Wie Roger sie umarmt, da gleitet nieder
Der Mantel, und der Schleier bleibt allein,
Der deckt nicht mehr vom Reiz der Tadellosen,
Als Glas verbirgt die Lilien und die Rosen.
29.
Kein Efeu hält den Baum so fest umschlossen,
Um den er sich mit zähen Wurzeln schlingt,
Als sich umfahn die liebenden Genossen:
Ein süßrer Hauch von Mund zu Munde dringt
Als Duft, der Indiens Blumen ist entsprossen
Oder dem Sand von Saba sich entringt.
Wie sie genossen – fragt sie selbst um Kunde:
Sie haben mehr als eine Zung' im Munde.
30.
Verhohlen blieben – oder doch so galten –
Die Dinge, die da trieb das junge Paar:
Des Mundes Lippen hübsch gepreßt zu halten,
Ein Fehler nie, doch oft schon Tugend war.
Für Roger alles freundlich zu gestalten,
Befliß sich eifrig jene schlaue Schar.
Ihm neigt sich und ihm huldigt jede Miene,
Denn so gefiel's der liebenden Alcine.
31.
Fern bleibt dem Liebesnest nicht ein Behagen,
Nicht eine Lust; schier alle sind sie hier.
Zwei-, dreimal täglich frisch Gewand sie tragen,
Nach dieser bald und bald nach der Manier.
Stets eilt man von den Festen zu Gelagen,
Zu Schauspiel, Ringen, Bädern, Tanz, Turnier.
Man liest am Quell, in schattig kühlem Grunde,
Wie Dichter geben von der Liebe Kunde.
[133] 32.
Man folgt im Tal, in fröhlichen Gehegen
Durchs Hügelland des scheuen Hasen Lauf;
Man schreckt mit klugem Hund auf Feldeswegen
Dumme Fasanen unter Lärmen auf;
Dann geht man, im Wacholderduft zu legen
Leimrut' und Schlinge für der Drosseln Hauf –
Oder man holt die Angeln und die Netze,
Dem Fisch zu stören seine stillen Plätze.
33.
So lebt man denn in Freuden unermessen,
Derweil sich abmühn Karl und Agramant;
Sie wollen wir nun auch nicht ganz vergessen,
So wenig wie die gute Bradamant,
Die Tage lang voll Kummer unterdessen
Den Freund beweint, der ihr so rasch entschwand
Und vor den Augen ward davongetragen;
Wohin des Weges, weiß sie nicht zu sagen.
34.
Vernehmt von ihr zuerst aus meinem Munde,
Daß sie vergebens suchte tagelang
Auf offnen Feldern und in schatt'gem Grunde,
In Dorf und Stadt, im Tal, am Bergeshang;
Ach, von dem Liebsten ward ihr keine Kunde,
Der allzu weit ja sich von hinnen schwang!
Im Mohrenheer besucht sie Kriegerscharen,
Doch über Roger kann sie nichts erfahren,
35.
Befragt tagtäglich mehr als hundert Streiter,
Ohne daß jemals sie Bescheid erhält;
Von Lagerplatz zu Lager geht sie weiter,
Durchsucht nach Roger Hütten und Gezelt.
Wohl kann sie's tun; durch Fußvolk und durch Reiter
Hinschreitet sie, sobald es ihr gefällt:
Hat sie den Ring nur in den Mund genommen,
Wird sie von keinem Menschen wahrgenommen.
[134] 36.
Er lebt noch, glaubt sie – glaubt es ohn' Bedenken:
Denn schwände solch ein großer Name fort,
Zu hören wär' es von des Indus Bänken
Bis wo die Sonne sucht der Ruhe Port.
Nur weiß sie nicht zu sagen noch zu denken,
Wohin er ging; betrübt von Ort zu Ort
Geht sie und sucht, und ihre Weggesellen
Sind Seufzer, herbe Pein und Tränenquellen.
37.
Zurückgehn will sie, hin, wo die Gebeine
Merlins des Weisen jene Grotte hegt,
Will schreien dort so lang an seinem Steine,
Bis Mitleid sich im kalten Marmor regt:
Lebt Roger? Oder ruht er schon im Schreine,
Früh vom Verhängnis in das Grab gelegt?
Dort wird es kund – dann läßt sich erst beginnen,
Was man als besten Ratschluß mag ersinnen.
38.
Mit diesem Plane sucht sie nun die Wege
Nach Pontier hin und seiner Waldesnacht,
Wo in dem düstren bergigen Gehege
Des Zaubrers Stimme noch im Grabe wacht.
Doch jene Magierin, die allerwege
Auf Bradamantes Wohlfahrt ist bedacht,
Sie mein' ich, die ihr in der Felskapelle
Gezeigt hat künftgen Stammes Wechselfälle,
39.
Die Zauberin voll Weisheit und voll Güte,
Die Sorge trägt um diese eine bloß –
Daß sie vor Ungemach die Ahnin hüte
Siegreicher Helden und Heroen groß,
Verfolgt ihr Tun und Lassen im Gemüte
Und wirft an jedem Tag für sie das Los.
Wie Roger frei ward und sich dort verrannte,
Erfuhr sie so, daß sie schon alles kannte.
[135] 40.
Sie sah ihn und das Roß, das ungezäumte,
Das er nicht lenken konnte, ganz genau,
Wie sie durch grause Pfade, nie geträumte,
Hinflogen weithin, weit durchs Ätherblau;
Sie weiß, daß er mit Spiel die Zeit versäumte,
Weichlich und schwelgerisch, bei jener Frau,
Daß er den Herrn ganz aus dem Sinn verloren
Und Ehr' und Dame, die er sich erkoren.
41.
So hätte in der Blüte seiner Jahre
Sich solcher Held verzehrt in Lässigkeit,
Nicht nur den Leib bereitet für die Bahre,
Nein, auch die Seele selbst dem Tod geweiht;
Und jener Duft, der einzig bleibt, der wahre
(Weil alles andre schwindet mit der Zeit)
Und der uns aus dem Grab zieht als Heroen,
Wäre geschwächt, vielleicht auch ganz entflohen.
42.
Doch jene Magierin, die mehr beflissen
Als Roger selber seines Heiles schien,
Denkt durch ein Leben hart und schmerzzerrissen
Zur Tugend wider Willen ihn zu ziehn:
Ein guter Arzt muß ja zu heilen wissen
Mit Eisen, Feuer, gift'ger Medizin;
Ob er im Anfang quält den armen Kranken,
Er heilt ihn doch, und jener wird ihm danken.
43.
Sie will nicht, daß der Held zu weich sich bette:
Von solcher Affenliebe ist sie frei;
Atlas sinnt nur, wie er das Leben rette.
An andres denkt er kaum so nebenbei;
Daß er auf Ehr' und Ruhm verzichtet hätte,
Wenn Roger vor Gefahr nur sicher sei;
Kein Jährlein hätt' er vom bequemen Leben
Für allen Preis der Welt dahingegeben.
[136] 44.
Das Waffenwerk am Hofe zu vergessen,
Hätt' er ihn dort zum Eiland hingebracht,
Und durch Magie, die er vollauf besessen
Und trefflich anzuwenden war bedacht,
Alcine auf den Ritter ganz versessen,
Auch solchen Knoten um ihr Herz gemacht,
Daß nichts ihn lösen könnt' auf dieser Erden,
Und sollte Roger alt wie Nestor werden.
45.
Und nun zu ihr, die alle Zukunft kannte!
Vernehmet denn: in kurzem war sie dort,
Geraden Weges, wo ihr Bradamante
Begegnen mußte, schritt sie weiter fort:
Als auf die Magierin ihr Blick sich wandte,
Zu froher Hoffnung wird die Pein sofort.
Doch Roger sei Alcinens Gast, die Kunde
Hört jetzt die Arme aus der Freundin Munde.
46.
Vom Tode fühlt die Jungfrau sich umfangen,
Als sie erfährt, wie fern ihr Liebster weilt,
Und Wolken schwer auf ihrer Liebe hangen,
Wenn starke Hilfe nicht zur Rettung eilt;
Doch Trost bringt nun die Magierin der Bangen
Und reicht das Pflaster, das die Wunde heilt:
In wenig Tagen wird, sie kann's beschwören,
Nun Roger kommen und ihr angehören.
47.
»Versehen bist du«, sprach sie, »mit dem Ringe,
Vor dem der Zauberspuk verliert die Kraft;
Ich meine wohl, wenn ich dorthin ihn bringe,
Wo jetzt Alcine all dein Glück entrafft,
Daß ihren Plan zu stören mir gelinge:
Dein süßer Trost wird dir herbeigeschafft.
Ich gehe, wenn des Tages Glut verglommen,
Nach Indien mit dem Morgenrot zu kommen.«
[137] 48.
Des weitern legt sie dar, worauf sie baute,
Daß glücken möge der gefaßte Plan
Und, aus dem weib'schen Bann befreit, der Traute
Dem Frankenlande wieder könne nahn;
Worauf die Maid den Ring ihr anvertraute.
Sie hätte gern viel mehr dazu getan:
Herzblut und Leben würde sie verschenken,
Um Roger auf den Rettungspfad zu lenken.
49.
Sie gibt den Ring und eilt, sich zu empfehlen,
Empfiehlt ihr auch den jungen Ritter fein,
Noch tausend Grüße läßt sie ihm befehlen;
Drauf zur Provence schlägt sie die Richtung ein.
Die Magierin will andren Weg sich wählen;
Daß sie dafür gesattelt möge sein,
Ein Roß ihr für den Abend zu Gebot ist,
Das rabenschwarz, an einem Fuß nur rot ist.
50.
War's ein Alchin, den sie der Höll' entzogen?
Ein Farfarell? Nicht weiß ich's selbst fürwahr.
Sie schwang sich barfuß in den Sattelbogen
Und gürtellos; frei wallt ihr offnes Haar.
Den Ring nahm sie vom Finger wohlerwogen,
Ihr Zauber wäre sonst der Wirkung bar.
Nun gings voran, so eilig, daß am Morgen
Sie auf dem Inselland sich fand geborgen.
51.
Gleich fing sie an, sich selbst umzugestalten:
Sie wuchs an Höhe eine Spanne weit;
Entsprechend dann die Glieder sich entfalten,
Sie werden massiger und derb und breit:
Jetzt kann man schon sie für den Zaubrer halten,
Der solche Liebe Roger hat geweiht;
Es runzelt sich die Haut, die Stirn, die Wangen,
Von denen lange Barteshaare hangen.
[138] 52.
An Zügen, Worten und an äußern Zeichen
Ihn so zu treffen, herrlich sie verstand,
Um ganz und gar dem Zauberer zu gleichen.
Darauf verbarg sie sich und stand und stand,
Bis sie Alcine sah von Roger weichen
Und nun den Jüngling ohne Hexe fand.
Das war ein Glück, denn ihren Schatz zu meiden
Auch nur ein Stündchen, konnte die nicht leiden.
53.
Den frischen, heitern Morgen zu genießen,
Ging er, wie sie's gewünscht, dahin allein,
Wo talwärts eines Bächleins Wellen fließen,
Lieblich und klar, in einen See hinein.
Er atmet Üppigkeit: den Leib umschließen
Gewänder köstlich, Stoffe weich und fein,
Die ihm Alcine, zart aus Gold und Seide,
Kunstvoll mit eignen Händen wob zum Kleide.
54.
Ein Halsschmuck, herrlich, ganz aus reichen Steinen,
Ihm tief bis auf die Brust herniederhing;
Die beiden Arme (männlich gleich den Beinen)
Mit lichtem Glanz je eine Spang' umfing;
Die Ohren sind durchbohrt mit zierlich kleinen
Goldfäden in der Form von einem Ring,
Daran zwei große Perlen hangend schweben,
Wie es in Indien keine hat gegeben.
55.
Vom lock'gen Haare Wohlgerüche kamen,
Das Köstlichste, das sich nur denken läßt.
Verweichlicht schien er, wie gewohnt, den Damen
Zu dienen in Valencia beim Fest.
Gesund an ihm war nichts bis auf den Namen,
Verdorben, mehr als faul, der ganze Rest.
Also der Jüngling seines Weges wandelt,
Durch Zauberkunst im Innersten verwandelt.
[139] 56.
Mit einem Mal tritt ihm die Fee entgegen:
Sie bietet sich dem Aug' als Atlas dar
Und weiß den würd'gen Ausdruck anzulegen,
Den Roger stets mit Ehrfurcht ward gewahr;
Unwill' und Zorn im dräunden Blick sich regen,
Der ihm als Knaben oft so furchtbar war.
Sie sprach: »Soll Schweiß und Mühe langer Zeiten
Mir dieses als ersehnte Frucht bereiten?
57.
Ließ ich mit Leun- und Bärenmark dich laben
Als erster Nahrung für die Heldenbahn?
Und grausen Schluchten dich und Höhlengraben,
Schlangen zu würgen, schon als Kindlein nahn,
Dem Panther, Tiger ihre Klauen gaben?
Lebend'gem Eber nahmst du seinen Zahn,
Um nach der besten Zucht auf dieser Erden
Ein Atys und Adon der Fee zu werden?
58.
Ist das, was mir die Sterne offenbarten?
Die heil'ge Maserung, die Punkt-Figur,
Orakel, Traum, Augurien, alle Arten
Von Zeichen, ausgespäht in der Natur,
Die mir seit deiner Kinderzeit, der zarten,
Verhießen: kämen diese Jahre nur,
Das Allerhöchste werdest du erreichen
Durch Waffentaten völlig ohnegleichen?
59.
Fürwahr der herrlichste Beginn auf Erden!
Ein Alexander, Julius, Scipio,
Das seh' ich deutlich -mußt du sicher werden!
Wer hätt' – o weh! – geglaubt, dich jemals so
Zu sehn als Sklav' Alcinens dich gebärden?
Und daß kein Zweifel sei noch irgendwo,
Mußt du an Hals und Arm die Kette zeigen,
Dran sie nach Laune führt, wer ganz ihr eigen!
[140] 60.
Und wenn der eigne Ruhm dich nimmer rühret,
Nicht die von Gott dir auferlegte Tat,
Was raubst du, ach, das deinem Stamm gebühret,
Das Glück, das ich verkündet früh und spat?
Was schließest du, den Gott für dich erküret,
Den Schoß, der tragen soll nach seinem Rat
Heroenblut, das in des Ruhmes Kränzen
Einst heller als die Sonne selbst wird glänzen?
61.
O gönne doch den adeligsten Seelen,
Die ewiger Idee entsprungen sind,
Von Zeit zu Zeit sich einen Leib zu wählen,
Der da in dir des Stammes Wurzel find'!
O laß der Welt nicht tausend Siege fehlen,
Womit, nach Leid und Schicksal ungelind,
Die Söhn' und Enkel einst und ihre Erben
Italiens frühsten Glanz zurückerwerben!
62.
Doch dich zu weihn dem herrlichen Beginnen,
Brauchst du so vieler schönen Seelen kaum,
Die glorreich, unbesiegt und hoch von Sinnen
Entblühen sollen deinem reichen Baum:
Ein einzig Paar schon müßte dich gewinnen:
Alfons und Hippolyt; der Erde Raum
Vermag wie sie nur wenige zu zeigen,
Die alle Stufen auf zur Größe steigen.
63.
Mehr mußt' ich dir von diesen beiden sagen
Als von den andern Deinen miteinand;
Teils weil an Ruhm sie über alle ragen
(So hoch an Tugend noch kein dritter stand),
Teils weil dir selbst sie mehr am Herzen lagen,
Als wen ich sonst aus deinem Samen fand:
Dich freute, daß dir Enkel werden sollen,
Heroen, denen Menschen Ehrfurcht zollen.
[141] 64.
Was hat nun die, daß Vorzug sie verdiene
Vor tausend andern Dirnen dieser Welt?
Sie, die so vielen schon war Konkubine
(Du weißt, wie das Beglücken ihr gefällt)?
Damit du siehst, wie's stehe mit Alcine,
Und dir vom Aug' des Truges Schleier fällt,
Den Ring am Finger, sollst du zu ihr gehen;
Wie schön sie wirklich ist, wirst du dann sehen.«
65.
Roger stand schamerfüllt, stumm und beklommen;
Zu Boden schauend, lang kein Wort er sprach.
Sein kleiner Finger hatte hingenommen
Melissas Ring, da ward der Jüngling wach,
Und als er völlig zu sich war gekommen,
Sah er sich so bedrängt von Schimpf und Schmach,
Daß er versinken möchte tausend Ellen,
Um keinem vor die Augen sich zu stellen.
66.
Mit eignen Zügen, als ihr Wort verklungen,
Die Magierin nun plötzlich vor ihm stand;
Nachdem der Sieg so glänzend war errungen,
Atlas zu sein sie nicht mehr nötig fand.
Melissa (was mir früher nicht gelungen
Euch mitzuteilen) war sie zubenannt.
Und Roger hörte nun aus ihrem Munde
Von dem, was her sie brachte, treue Kunde.
67.
Wie jene von so großer Lieb' Entbrannte,
Die ihn ersehnt, nicht von ihm lassen kann,
Ihn aus dem Netz zu lösen, sie entsandte,
Das, ihn zu halten, Zauberkunst ersann;
Wie sie des Atlas Züge dann verwandte,
Ihn besser zu befrein aus jenem Bann;
Nun aber, da Vernunft zurückgekehrt sei,
Einsicht in alles ihm nicht mehr verwehrt sei:
[142] 68.
»Die edle Jungfrau, dir so ganz ergeben,
Die deiner Liebe also würdig ist,
Der du verdankst, in Freiheit jetzt zu leben,
Von ihr gerettet – ob du's wohl vergißt? –,
Schickt diesen Ring, der Zauberspuk kann heben.
Sie hätt' ihr Herz entsandt zu dieser Frist,
Wär' in dem Herzen jene Kraft erschienen,
Wie sie der Ring hat, deinem Heil zu dienen.«
69.
Sie zeigt ihm, welche Liebe stets getragen
Ihm Bradamante hat und weiter trägt,
Und weiß den Ton des Loblieds anzuschlagen,
Soweit mit Freundschaft Wahrheit sich verträgt,
Auch alles dies aufs trefflichste zu sagen,
Wie kluger Botin wohl ist auferlegt,
Und macht den Jüngling derart jene hassen,
Wie böse Dinge nur sich hassen lassen.
70.
Ja, hassen – mocht' er noch so sehr sie lieben
Vor dieser Stunde; staunet nicht fürwahr,
Daß Liebe, ihm durch Zauber eingetrieben,
Sobald der Ring erschien, ohnmächtig war.
Auch daß ein Schein Alcines Reize blieben,
Erborgt und fremd, es ward jetzt offenbar,
Nicht eigen, nein, erborgt vom Fuß zur Schläfe:
Die Schönheit schwand, und übrig blieb die Hefe.
71.
So wie ein Kind, das Früchte ging verwahren
Und dann (wenn es vom Platz sich wandte fort)
Vergißt, wo die geliebten Schätze waren,
Nach langer Zeit zurückkommt an den Ort
Und muß verfault nun und verschrumpft gewahren,
Verändert ganz, was es geborgen dort,
Und, was es einst bewundernd hat betrachtet,
Jetzt haßt, verschmäht und wegwirft und verachtet –
[143] 72.
So fand der Jüngling, als zurück er kehrte
Zur Fee, wie das ihn ja Melissa hieß
(Mit jenem Ring, der allem Zauber wehrte,
Solange man ihn nur am Finger ließ),
Nicht jene Schönheit mehr, die heißbegehrte,
Die er doch erst vor kurzer Zeit verließ,
Vielmehr ein Weib, so alt, verschrumpft und häßlich –
Nichts auf der weiten Welt schien ihm so gräßlich.
73.
Fahl, runzlig, dürr und widrig anzuschauen
Im Antlitz, kaum sechs Spann hoch, stand sie da
Mit borst'gen Haaren, spärlichen und grauen;
Nicht einen einz'gen Zahn im Mund man sah.
So alt nicht waren jemals Erdenfrauen,
Kumäs Sibylle nicht und Hekuba.
Doch Kunst, uns unbekannt, war ihr zu eigen,
Trotzdem als schön und lieblich sich zu zeigen.
74.
Ja, lieblich wußte sie sich darzustellen
Und täuschte schon damit der Ritter viel;
Da kam der Ring, um alles aufzuhellen,
Die wahren Karten und ihr falsches Spiel.
Kein Wunder, wenn dem Jüngling nach der schnellen
Verwandlung der Gedanke ganz entfiel,
Sie noch zu lieben, nun er sie gefunden,
Nachdem ihr alle Zauberkraft geschwunden.
75.
Doch ohne nur die Wimper zu bewegen,
Hielt er sich ruhig, nach Melissas Rat,
Bis sich von Kopf zu Fuß der junge Degen
Mit allen Waffen wohl gerüstet hat
Und um nicht ihren Argwohn zu erregen,
Deucht ihm ein bißchen Heuchelei probat:
Ob er nicht dick geworden, müss' er sehen
Und drum ein Weilchen voll gerüstet gehen.
[144] 76.
Er nimmt die scharfe Balisarda, bindet
Sie um, es ist sein gutes Schwert gemeint,
Bei der zugleich sich jener Schild befindet,
Der mit der Augenblendung dies vereint,
Daß er der Seele ihre Kraft entwindet
Und daß sie plötzlich wie betäubt erscheint.
Mit Zindelstoff, wie immer, ganz umwunden,
Trug er den Schild um seinen Hals gebunden.
77.
Im Stalle einem Renner, schwarz wie Raben,
Legt' er den Sattel und die Zügel an;
Melissa riet's; sie weiß ja, wie er traben
Und leichten Laufes pfeilschnell fliegen kann.
Und »Rabikan« soll er als Namen haben;
Den Renner hatte mit dem Rittersmann,
Den jetzt am Meeresstrand die Winde plagen,
Der Walfisch einst an diesen Ort getragen.
78.
Wohl konnt' er auch den Hippogryphen nehmen,
Der neben Rabikan gebunden war;
Doch warnend spricht die Fee: »Das Tier zu zähmen
Ist schwer, unlenkbar scheint es ganz und gar!«
Und fügt hinzu, sie wolle sich bequemen
Zu zeigen – und am nächsten Tage zwar –
(Dort, wo man sich die rechte Ruhe gönne),
Wie man ihn zäumen und dann lenken könne.
79.
Auch werd' er also nicht Verdacht erregen,
Daß er den Plan geheimer Flucht gefaßt.
Roger tat alles dies Melissas wegen,
Die unsichtbar ihm beistand ohne Rast.
Drauf, sich verstellend, auf verschwiegnen Wegen
Mied er der Vettel üppigen Palast.
Und konnte still nach einem Tor entweichen,
Zum rechten Weg nach Logistillas Reichen.
[145] 80.
Urplötzlich fiel er auf die Wächterscharen,
Sein gutes Schwert brach ihm die blut'ge Bahn:
Und jene tot und die verwundet waren.
Er sprengte von der Brücke dann bergan;
Und eh Alcine noch die Flucht erfahren,
War eine große Strecke schon getan.
Bald hört ihr, welchen Weg er eingeschlagen
Zu Logistill, und was sich zugetragen.

[146] Achter Gesang

1.
Wie viele Zaubrer, ach, und Zaubrerinnen
Sind unter uns, von denen man nichts weiß!
Die mit Betrug ein liebend Herz gewinnen,
Mit falschem Antlitz schüren Gluten heiß!
Sie fördern nicht durch Geister ihr Beginnen,
Erkunden nicht der Sterne Lauf mit Fleiß,
Derweil sie mit Verstellung, List und Lügen
Ums Herz die Bande, unzerreißbar, fügen.
2.
Wer mit dem Zauberring, vielmehr dem Ringe
Der Einsicht stünde, wohl wär' ihm verliehn,
Bis auf den Grund zu schauen, weil die Dinge
Nicht Trug und Täuschung hätten mehr für ihn.
Dann zeigte schlecht sich mancher und geringe,
Der da, geschminkt, ganz schön und gut erschien.
Für Roger war's ein glückliches Geschehen,
Daß ihn der Ring ließ also Wahrheit sehen.
3.
Verstohlen trabt – so sagt' ich – unser Reiter
Auf seinem Rabikan zum Tore her:
Nichts ahnt die Wache, und der junge Streiter
Fährt unter sie, haut um sich kreuz und quer,
Zerschlägt das Brückentor und reitet weiter
(Den läßt er tot und den getroffen schwer)
Und sprengt zum Wald, als ihm auf seinen Wegen
Ein Diener der Alcine tritt entgegen.
[147] 4.
Ein Habicht auf der Faust gab ihm Geleite,
Mit dem er alle Tage jagen ging,
Bald nah dem See, bald durch des Feldes Weite,
Wo jederzeit sich etwas Beute fing;
Der Hund, sein Jagdgenoß, trabt' ihm zur Seite;
Der Klepper, drauf er ritt, war nur gering.
Gleich denkt er sich, der Ritter woll' entfliehen,
Als er so rasch ihn sieht des Weges ziehen.
5.
Mit drohnder Miene tritt er ihm entgegen
Und fragt ihn barsch, warum er eile doch.
Antworten wollt' ihm nicht der gute Degen;
Das macht dem Knecht die Flucht gewisser noch:
Er schickt sich an, den Weg ihm zu verlegen,
Und spricht, den linken Arm erhoben hoch:
»Was meinst du, wenn du jetzt dir Ruhe gönntest
Und diesem Vogel nicht entfliehen könntest?«
6.
Auf fliegt der Vogel, regt so schnell die Flügel,
Daß Rabikan nicht seines Siegs gewiß.
Herab nun springt der Jäger aus dem Bügel
Und löst dem Renner Zügel und Gebiß.
Der gleicht dem Wind und Blitz, befreit vom Zügel,
Furchtbar durch seine Hufe und durch Biß.
Und hinterdrein muß nun der Diener jagen,
So schnell, als hätte Feuer ihn am Kragen.
7.
Nun will der Hund auch nicht dahinten bleiben:
Mit solcher Hast verfolgt er Rabikan,
Wie da im Wald die Panther Hasen treiben.
Da wandelt Scham zu fliehn den Helden an:
Den Mann zu Fuß gilt es zuerst vertreiben;
Den sieht er rüstig mit dem Stecken nahn,
Von ihm gebraucht, um Hunde abzurichten;
Das Schwert zu ziehn, will Roger da verzichten.
[148] 8.
Der Knecht beginnt mit Kraft den Stock zu schwingen,
Ins linke Bein des Ritters beißt der Hund,
Derweil des Kleppers Hufe Nöte bringen,
Der dreimal ausschlägt, und nach rechts jetzund.
Der Vogel kreist herum in tausend Ringen,
Und seine Klauen schlagen manche Wund';
Auch macht sein Schrei des Helden Rappen scheuen,
Daß Sporn und Zügel ihn umsonst bedräuen.
9.
Nun doch zum Schwert greift Roger in der Enge,
Und ob des Unfugs, der ihn so beschwert,
Wird auf den Kerl, den Hund, des Vogels Fänge
Der Waffe Schneid' und Spitze jetzt gekehrt.
Der Schwarm bringt immer mehr ihn ins Gedränge
Und hält ihm allerorts den Weg verwehrt.
Schon sieht der Jüngling Schimpf und Schaden kommen,
Wird nicht das Hindernis bald weggenommen.
10.
Macht man ihm nur ein Weilchen noch zu schaffen,
Hat er auf Fersen die von unten all:
Er hört den Lärm schon, wie sie auf sich raffen,
Den Glocken-, Trommel- und Trompetenschall.
Jetzt gegen Hund und Bauer ohne Waffen
Das Schwert ziehn, wär' ein zu fataler Fall;
Eins wird den Zweck viel kräftiger erfüllen:
Den Zauberschild des Atlas zu enthüllen.
11.
So ließ er frei den roten Schleier wallen,
Der viele Tage schon den Schild umschloß;
Die Wirkung war dieselbe wie bei allen,
In deren Augen sich das Licht ergoß:
Bewußtlos sieht er gleich den Jäger fallen,
Des Vogels Schwinge fällt wie Hund und Roß;
Nicht in der Luft mehr kann der Habicht schweben:
Sie liegen da, dem Schlaf dahingegeben.
[149] 12.
Alcine, die inzwischen hat erfahren,
Daß dem geliebten Mann die Flucht geglückt
Und viele tot von ihren Wächterscharen,
Fühlt bis zum Sterben sich vom Schmerz zerstückt,
Zerreißt die Kleider, wühlt in ihren Haaren
Und schilt sich selber töricht und verrückt.
Dann ruft sie rasch das Kriegsvolk zu den Waffen,
Den flüchtgen Ritter ihr herbeizuschaffen.
13.
Zwei Teile macht sie und entsendet einen
Auf jenem Wege, drauf der Ritter flieht;
Am Hafen muß der andre sich vereinen,
Von wo zu Schiff er in die Weite zieht;
Das Meer wird schwarz vor all den Segeln scheinen,
Mit denen die Verfolgung jetzt geschieht.
Von Sehnsucht läßt die Fee sich so erfassen,
Daß sie die Stadt hat ohne Schutz gelassen.
14.
Das Schloß sogar war völlig ohne Wachen,
So daß Melissa, die auf Lauer stand,
Die leidvoll dort Gebannten freizumachen
Von solcher Tyrannei, nun leicht es fand,
Mustrung zu halten in den vielen Sachen,
Sorglich zu prüfen jeden Gegenstand,
Siegel zu lösen, Bilder zu verbrennen
Und Schlingen, Knoten, Schleifen aufzutrennen.
15.
Sie eilt hinaus durch Felder und durch Haine
Und gibt den Liebenden, auf weiter Flur
In Fels verwandelt, Holz, Quell, Tiere, Steine,
Zurück die alte menschliche Natur.
Sie folgten (und zwar schleunig, wie ich meine)
Zu Logistilla Ritter Rogers Spur
Und kehrten heim sodann zum Griechenstrande,
Zum Perser-, Skythen- oder Inderlande.
[150] 16.
Sie ziehn nach Haus, entlassen von Melissen,
Mit einer Dankesschuld, die ewig währt.
Astolf zuerst war, seinem Baum entrissen,
In menschlicher Gestalt zurückgekehrt.
Blutsfreunde haben, für sein Wohl beflissen,
Mit Roger manches Gute ihm beschert.
Damit die Fee noch mehr ihm Hilfe bringe,
Beschenkt sie Roger noch mit seinem Ringe.
17.
So ließ sie denn zurück ins Leben führen
Den Paladin; er geht wie sonst umher.
Doch mehr will, meint Melissa, sich gebühren,
Jetzt gilt es eins: die Waffen müssen her:
Zumal, der aus dem Sattel beim Berühren
Den Gegner schleudert, jener goldne Speer
Des Argalia, dann des Astolf Lanze,
Die viel in Frankreich tat zu beider Glanze.
18.
Melissa wußte diesen Speer zu finden,
Verborgen von der Fee im Schlosse hier,
Und was der Herzog sonst noch sah entschwinden
Zuvor in diesem übelen Quartier;
Bestieg des Zaubrers Renner, den geschwinden,
Gönnt' einen Platz Herrn Astolf hinter ihr:
Vor Roger eine Stunde war die Weise
Bei Logistilla schon nach schneller Reise.
19.
Der Jüngling ging der guten Fee entgegen
Durch Felsgestein und dorniges Gefild',
Von Höh' zu Höhen und von Steg zu Stegen,
Ungastlich all und einsam, rauh und wild,
Bis er zuletzt nach mühevollen Wegen
In Mittagsglut auf einem Plane hielt,
Der, frei nach Süden, zwischen Berg und Strand war
Und öd und nackt, unfruchtbar und verbrannt war.
[151] 20.
Prall liegt die Sonn' auf nahem Hügelraine,
Und solche Hitze strömt das Feld entlang
Und macht die Luft erglühen, Sand und Steine –
Glas schmelzen könnte man an jenem Hang;
Reglos im Schatten sitzen Vögel, kleine,
Und nur der Grill' eintöniger Gesang
Betäubt in dichter Sträucher Laubgewimmel
Die Täler und die Berge, Meer und Himmel.
21.
Auf sandgem Wege mühsam hinzureiten,
Mit Durst nur und mit Hitze als Genoß,
Will unserm Ritter wenig Lust bereiten,
Und Rogers Ungemach ist wahrlich groß.
Doch ziemt es nicht, stets einen zu begleiten,
Von einer Sache zu erzählen bloß,
So lassen wir jetzund den Helden schwitzen
Und schaun: wo mag Rinald in Schottland sitzen?
22.
Rinald war bei dem König hochwillkommen,
Auch bei der Tochter und beim ganzen Land.
Er macht den Grund, weshalb er hergekommen,
Sobald ihm Muße wurde, dort bekannt:
Gern würde Hilfe von ihm mitgenommen
Für Karl, aus Schottland und aus Engelland;
Des Kaisers Bitten nicht nur zu verkünden
Wußt er, nein, auch gewichtig zu begründen.
23.
Der König zögert nicht, Bescheid zu sagen:
Nach Kräften werd' er folgen dem Begehr
Und immer sich zu Reich und Kaiser schlagen;
Sein Nutzen heische dies und auch die Ehr';
Von seinen Reitern soll' in wenig Tagen
Gewappnet stehn ein möglichst großes Heer;
Und wär' er selbst nicht gar so hoch an Jahren,
Als Feldherr würd' er mit zu Felde fahren.
[152] 24.
Doch auch das Alter nicht könnt' ihn, den Alten,
Zu gehen hindern, wäre nicht sein Sohn
Besonders würdig, solchen Amts zu walten,
Stark, hochbegabt und aller Tugend Kron'!
Und würd' er jetzt noch fern dem Reich gehalten,
So müss' er kommen doch beizeiten schon,
Um jenen vor der Fahrt sich zu gesellen
Und an des Heeres Spitze sich zu stellen.
25.
Schatzmeister hat der Herrscher in die Weite
Nach Pferden und nach Mannschaft ausgesandt.
Er ließ die Schiffe rüsten vor dem Streite
Und eilig sammeln Geld und Proviant.
Rinald dann gab er höflich das Geleite,
Als dieser Abschied nahm nach Engelland:
Von Berwick erst wollt' er nach Hause kehren;
Er hatte, als er schied, im Auge Zähren.
26.
Rinald steigt ein, wünscht wohl zu leben allen,
Und günst'gen Windes Hauch die Segel bläht:
Schon ist das Tau vom Halteblock gefallen,
Und flott die Fahrt bis hin zur Mündung geht.
Wo salziger der Themse Wogen wallen,
Die Meeresflut gerad im Wachsen steht;
Und Wind und Ruderkraft die Schiffe treiben,
Bis London kommt und sie vor Anker bleiben.
27.
Von Karl und Otto war Rinald befohlen
(Als eingeschlossen in Paris die zwei),
Zu melden an den Prinz von Wales verstohlen
Durch Vollmacht und durch Briefe der Kanzlei:
Was man in jener Gegend könne holen,
An Pferd und Leuten, rasch zu sammeln sei
Und übers Meer hin nach Calais zu schaffen,
Zum Heil für Kaiser Karl und Frankreichs Waffen.
[153] 28.
Es ehrt der Prinz, der als Regent gelassen
Am Herrschersitz von König Otto war,
Rinald den Helden über alle Maßen
Und mehr als seinen eignen Herrn sogar.
So ließ er, um nichts unerfüllt zu lassen,
Entbieten alle waffenfäh'ge Schar
Britanniens und der Inseln in der Runde
Zum Meeresstrand zur festgesetzten Stunde.
29.
Bedenkt, o Herr, in Huld, daß mein Beginnen
Dem klugen Saitenspieler gleichen soll:
Er läßt die Weisen durcheinanderrinnen;
Spielt jetzt in Dur und gleich darauf in Moll.
Derweilen nach Rinald ging all mein Sinnen,
Erscheint Angelika mir vorwurfsvoll:
Sie hatte durch die Flucht sich ihm entwunden
Und jenen Klausner unterwegs gefunden.
30.
So folgen wir ihr jetzt, wenn auch nicht lange:
Gesagt hab' ich, wie sie in Sorge schwebt,
Daß sie zum Strand des Meeres hingelange;
Dies zu durchkreuzen ist, was sie erstrebt,
Weil vor Rinaldo ihr zum Sterben bange,
So daß sie nie im Westen ruhig lebt.
Allein der Klausner sucht sie hinzuhalten:
Bei ihr zu sein, behagte diesem Alten,
31.
Dem ihre Schönheit Herzensglut entfachte:
Ins kalte Mark ein Feuerfünkchen dringt;
Doch als er merkte, daß sie sein nicht achte,
Und daß ihm, sie zu halten, nicht gelingt,
Kam's, daß den Esel er zu spornen dachte,
Doch ohne daß er ihn zur Eile bringt:
Schritt nur ganz wenig, Trab noch wen'ger geht er,
Und sich zu strecken ganz und gar verschmäht er.
[154] 32.
Das Mädchen war schon weit vorausgeritten;
Als er beinah schon ihre Spur verlor,
Mußt er sich Hilfe von der Höll' erbitten
Und ließ Dämonen kommen, schier ein Korps.
Drauf wählt' er einen aus des Schwarmes Mitten
Und schrieb ihm, was er machen solle, vor.
Er muß ins Pferd hinein die Straße finden,
Denn auf dem Renner will sein Herz entschwinden.
33.
So wie ein Hund, gewohnt im Berg zu jagen,
Wo er gar oft die Füchs' und Hasen hetzt,
Sieht er nach dieser Seit' ein Wild sich schlagen,
Nach jener geht, die Spur geringe schätzt
Und unversehns die Beute hat am Kragen
Und ihr den Leib aufreißt und sie zerfetzt,
So muß die Dame, wie sie auch geritten,
Begegnen jedenfalls des Klausners Schritten.
34.
Ich kann's begreifen, was der Kerl noch planet,
Und nenn' Euch später noch des Argen Ziel.
Angelika, die nichts von allem ahnet,
Ritt Tag für Tag, bald wenig und bald viel.
Im Pferd der Geist sich sacht die Wege bahnet,
Verborgen, wie's dem Feuer oft gefiel,
Bevor es aufloht in so mächt'gen Flammen,
Daß nichts es löscht und alles sinkt zusammen.
35.
Die Jungfrau wählt sich ihren Weg am Strande
Des Meers, das den Gascognern bietet Gruß,
Und hält den Renner dicht am Uferrande,
Wo Feuchtigkeit gibt festern Grund dem Fuß:
Da zieht der Geist das Roß hinweg vom Sande
Ins Wasser tief, daß es drin schwimmen muß.
Die Schöne weiß nicht Rat für ihr Verhalten,
Als nur recht fest im Sattel sich zu halten.
[155] 36.
Sie mag die Zügel ziehen nach Gefallen,
Der Hengst drängt weiter nach der Tiefe vor:
Aufwärts muß sie das Kleid zusammenballen
– Sonst taucht es ein – und zieht den Fuß empor;
Über die Schultern frei die Haare wallen,
Drin lüstern spielt der losen Lüfte Chor.
In stummer Schau die größern Winde schweigen,
Als müßten solcher Schönheit sie sich neigen.
37.
Die tränenfeuchten schönen Augen flogen
– Vergebens, ach – hinüber nach dem Strand:
Des Ufers Linien fern und ferner zogen,
Undeutlich ward es, bis es ganz verschwand.
Da trug der Zelter rechts hin durch die Wogen
Die Maid nach langer Schwimmfahrt an das Land,
Das düstrer Fels und Höhlen furchtbar machten,
Derweil es mählich schon begann zu nachten.
38.
Einsam in diese Wüste hier verschlagen,
Grausig zu sehen schon und schauerlich,
Zur Stunde just, da Phöbus mit dem Wagen,
Fern dunkler Erd' und Luft, ins Meer entwich,
Da blieb sie stehn – man wußte nicht zu sagen
(Wenn einer sie mit Späherblick beschlich),
Ob sie ein Menschenkind aus Fleisch und Bein sei,
Ob sie ein Bildwerk aus bemaltem Stein sei.
39.
Die Haare wirr und fliegend im Genicke,
Stand regungslos und starr die junge Maid,
Sah mit gerungnen Händen, trübem Blicke
Und stummem Mund zum Himmel still und weit,
Als klage sie dem Lenker der Geschicke,
Daß er ihr nichts gesandt als Weh und Leid,
Stand wie betäubt, nach einer Weil' erschlossen
Die Lippen sich dem Schmerz, die Augen flossen.
[156] 40.
Sie sprach: »Was kannst du, Schicksal, wohl noch finden,
Zu sätt'gen dich an mir, zu schänden dich?
Du ließest alles, das ich hatte, schwinden,
Nur nicht mein Leben; was verschmähst du's? Sprich!
Was mußtest du dem Meer es jetzt entwinden,
Verlängerst meine Tage freventlich? –
Nur daß, bevor der Tod mich soll erwählen,
Noch weiter dir vergönnt sei, mich zu quälen.
41.
Zwar Schlimmeres vermagst du nicht zu bringen,
Als was mir Böses schon dein Haß ersann:
Heimat und Thron durch dich verlorengingen;
Ach, daß ich nie sie wiedersehen kann!
Das Höchste willst du mir, die Ehr' entringen:
Denn focht mich Sünde gleich noch niemals an,
So mag die Welt doch sagen, weil ich flüchtig
Und heimatlos, so sei ich auch nicht züchtig.
42.
Was nützt den Mädchen Gutes, sprach man ihnen
Die Tugend ab und rechte Züchtigkeit?
Jung bin ich, ach, und vielen schön erschienen;
Sei's wahr, sei's falsch, mein Fluch ist's allezeit.
Zur Freude kann das Gottgeschenk nicht dienen,
Denn nur von ihm ja rührt mein ganzes Leid,
Und auch dem Bruder mußte Tod es schaffen,
Denn wenig halfen ihm die Zauberwaffen.
43.
Darum war einst mein Vater Galafrone
Verdrängt vom Tatarkönig Agrikan,
Er, dessen Indien war und Katais Throne,
Und ich bin angelangt auf solcher Bahn,
Daß ich des Nachts an andrer Stätte wohne
Als tags. Freund', Ehr' und Gut sind abgetan:
Sprich, welchem Schmerz noch du mich aufbewahrt hast,
Nachdem du mir bisher kein Leid erspart hast?!
[157] 44.
Genügt's dir nicht, im Meer mich zu ersticken,
Ich will bereit für größre Qualen sein:
Magst eine wilde Bestie zu mir schicken!
Verschlingt sie mich, so endigt meine Pein.
Bringt sie nur Tod, soll Marter mich erquicken;
Ich will dir Dankbarkeit für Qualen weihn.«
So sprach die Jungfrau unter großem Weinen
Als sie den Klausner sah vor ihr erscheinen.
45.
Er hatt' hinabgeblickt vom höchsten Rande
Turmhohen Felsens auf Angelika:
Verwirrt und ganz verzweifelt dort am Strande
Am Fuß der Klippen er sie stehen sah.
Ihn trug sechs Tag' vorher zum Küstenlande
Ein Dämon (der hat schnelle Wege ja).
Mit frommer Mien' ihr jetzt entgegen trat er,
Wie Sankt Hilarion oder sonst ein Pater.
46.
Als ihn Angelika sieht näher schleichen
– Sie hat ihn nicht erkannt –, so schöpft sie Mut,
Die schweren Ängste fühlt sie langsam weichen,
Bleibt auch die Wange jetzt noch ohne Blut.
Sie spricht: »Gar üblen Port mußt' ich erreichen;
Erbarme dich, nimm mich in deine Hut!«
Und schluchzend gab sie und mit bleichem Munde
Von dem, was ihm gar wohlbekannt war, Kunde.
47.
Der Klausner spendet biedern Trost der Bangen
Mit schönen frommen Reden allerhand,
Und auf den Busen und die feuchten Wangen
Legt er, dieweil er spricht, die freche Hand.
Zum Kuß dann, sichrer, sucht er zu gelangen,
Doch sie, entrüstet, leistet Widerstand,
Stößt ihn zurück, als ob er Unbill böte,
Und in das Antlitz steigt ihr keusche Röte.
[158] 48.
In eine Tasche griff er auf der Stelle,
Zog draus ein Fläschchen Flüssigkeit hervor,
Und in die Augen, die als Fackel helle,
Als schönste Leuchte Amor sich erkor,
Leichthin ein kleines Tröpfchen spritzt er schnelle,
Davon das Augenlid die Kraft verlor:
Schon liegt die Schöne schlafend da im Staube,
Des gier'gen Alten Lüsternheit zum Raube.
49.
Er küßt sie und berührt sie nach Gefallen;
Sie schläft und ist zur Abwehr nicht bereit.
Er küßt die Brust, er küßt des Munds Korallen,
Und keiner sieht's in dieser Einsamkeit.
Doch bei dem Treffen ist sein Hengst gefallen,
Es bleibt das Fleisch ja hinterm Wunsche weit:
Er hat die Krankheit vorgerückten Lebens,
Und plagt man ihn, so plagt man ihn vergebens.
50.
Alles versucht er, daß er aufrecht schreite,
Doch ohne daß der faule Klepper springt.
Ob er den Zügel schüttle, abarbeite,
Den Kopf er ihm nicht in die Höhe bringt.
Einschläft er schließlich an der Dame Seite,
Auf die schon andres, neues Unheil dringt.
Ein bißchen will Fortuna nicht genügen,
Gewährt ihr, uns zu quälen, ein Vergnügen.
51.
Um deutlich zu erzählen und zum besten,
Schweif' ich ein wenig aus dem Pfad heraus.
Im Nordmeer ist gelegen, gegen Westen,
Noch über Irland eine Streck' hinaus,
Ebuda, eine Insel, nur mit Resten
Von einem Volke, weil die Orka graus
Und Meergetier, das Proteus zugehörte,
Den Gott zu rächen, jenes Land zerstörte.
[159] 52.
Ob wahr, ob falsch – die alten Mären künden,
Daß dort einmal ein mächt'ger König war:
In seiner Tochter sah man sich verbünden
Anmut und Schönheit so, daß sie fürwahr
Im Wasser drin den Proteus konnt' entzünden,
Bot sie dem Blick sich auf der Salzflut dar.
Einmal, als sie allein ist auf dem Anger,
Ergreift sie der und macht das Mädchen schwanger.
53.
Entsetzlich, unerträglich schien die Sache
Dem Vater, der gar wild und ungerecht:
Was für Entschuldigung man geltend mache,
Er kennt nicht Mitleid, bleibt des Zornes Knecht.
Auch nicht ihr Zustand sänftigt seine Rache;
Er schiebt nichts auf, die Tat wird streng gerächt:
Das Enkelkind, das keine Sünde kannte,
Eh es geboren, in den Tod man sandte.
54.
Proteus, der Hirte jener wilden Herde
Neptuns, des Herrschers in dem Meerrevier,
Fühlt ob des Liebchens bittere Beschwerde
Und bricht im Zorn Gesetz und Ordnung schier:
Walroß und Robben schickt er auf die Erde
Mit einemmal, das ganze Seegetier,
Und nicht nur Vieh, auch Stadt und Land und Bürger,
Sie werden Opfer dieser grimmen Würger.
55.
Die kommen oft bis an die Städtemauern
Und drohn zu den Belagerten hinein.
Die Leute, müd und matt, in Schreckensschauern,
Müssen bei Tag und Nacht bewaffnet sein;
Verlassen ist das Land von allen Bauern.
Sie gehn, um von der Last sich zu befrein,
Zuletzt noch das Orakel zu befragen,
Und solche Antwort läßt es ihnen sagen:
[160] 56.
Man suche eine auserlesne Schöne,
So lieblich wie die andre ungefähr:
Ob man den Gott vielleicht durch sie versöhne.
Die schaffe man zum Meergestade her;
Wenn die Erfüllung dann die Wünsche kröne,
Behalt' er sie und wüte dann nicht mehr.
Mißfällt sie, gilt es andere zu bringen,
Bis endlich die Versuche doch gelingen.
57.
Zuerst sind jene in der schlimmen Falle,
Auf deren Wang' am hellsten Schönheit lacht,
Denn bis dem Proteus eine wohlgefalle,
Wird täglich ihm ein Mägdlein dargebracht.
Die erste starb, und dann die andern alle,
Denn stets am Leibe packte sie mit Macht
Ein Untier, wachend an den Uferwogen,
Derweil die andern waren abgezogen.
58.
Ob das mit Proteus wahr ist, ob nur Sage,
Ich weiß es nicht und laß davon die Hand:
Ein alt Gesetz, das in so üble Lage
Die Mädchen brachte, wirklich dort bestand,
So daß ein scheußlich Walroß alle Tage
In Mädchenfleisch am Strande Nahrung fand.
Ein Weib sein, ist ja Unglück jedenfalles,
Es hier zu sein, ein Unglück über alles.
59.
Den Mädchen wehe, wenn da böse Sterne
Zum Volk sie führen, das den Strand bewohnt!
Nach Jungfraun schaut das Volk dort in die Ferne,
Die sie zu opfern lange schon gewohnt;
Und sterben lassen sie die fremden gerne,
Denn eigne Kinder werden dann verschont.
Allein nicht jeder Wind bringt ihnen Beute,
Drum suchen überall danach die Leute.
[161] 60.
Hin durch die ganze weite Meerflut gleiten
Die Boote, Kähne, Schiffe jeder Art
Und bringen aus der Nähe und vom weiten
Erleichterung der Not mit ihrer Fahrt:
Teils müssen sie mit Waffen Fraun erstreiten,
Teils wirkt das Gold, mit Schmeichelei gepaart.
Gefangne aus verschiedensten Regionen
Des Landes Türm' und Kerker stets bewohnen.
61.
So fuhr ein Kreuzer aus von Land zu Landen
Und kam auch an den stillen Uferort;
Es schlummert auf dem Gras in Schlaftrunks Banden
Angelika, die Unglücksel'ge, dort.
Ein paar Matrosen dieses Fahrzeugs landen
Und tragen Holz und frisches Wasser fort,
Bis sie das lieblichste von schönen Kinden
Im Arme jenes frommen Vaters finden.
62.
O Beute, allzu hoch und allzu teuer
Für solche wilde Menschen, wie da nahn!
Wer sollte glauben, daß du so das Steuer,
Fortuna, führst auf dieser Erdenbahn,
Daß du zur Speise gibst dem Ungeheuer
Die Schönheit, derentwillen Agrikan
Halb Skythien hieß den Heereszug beginnen
Nach Indien hin, den Tod nur zu gewinnen!
63.
Der hohe Reiz, um den Fürst Sakripante
Die Ehre hingab und sein schönes Reich,
Die Schönheit, die dem Ritter von Anglante
Den Ruhm getrübt hat und den Geist so reich,
Die Schönheit, die kopfüber die Levante
Aufbäumen ließ und zähmte alsogleich,
Hat niemand jetzt – so ändern sich die Dinge –,
Der auch mit Worten nur ihr Hilfe bringe.
[162] 64.
Das holde Kind, von tiefem Schlaf umfangen,
Es wird gefesselt, eh sie noch bei Sinn.
Der Bruder Hexenmeister, mitgefangen,
Liegt bei der finstren Schar im Boote drin.
Die Segel, die am hohen Mastbaum hangen,
Führen das Schiff zur Schreckensinsel hin:
Die Königstochter bannen Kerkerwände,
Bis zu dem Tag, da sich ihr Los vollende.
65.
Das wilde Volk zum Mitleid zu erregen,
Gelang nun freilich ihrer Schönheit Macht,
Und viele Tage wurde ihretwegen
Dem Tod ein sonstig Opfer dargebracht;
Solang noch Hilfe war auf andern Wegen,
Ward dieser Engelsschönheit nicht gedacht.
Zuletzt bringt man sie doch dem Tier als Beute,
Und weinend hinterdrein gehn alle Leute.
66.
Wer ist, der all das Schluchzen, Klagen künde?
Das Jammern dringt zum Himmel schier hinein:
Nicht staun' ich, öffnen sich die Felsengründe,
Wie sie in Ketten steht auf kaltem Stein,
Daß alle Not den Schrecken sich verbünde,
Um herbem, grausem Tode sie zu weihn.
Ich sag' es nicht, bin, ganz von Schmerz durchdrungen,
Ein andres Lied zu singen jetzt gezwungen
67.
Und Klänge minder düster anzustimmen,
Bis neue Kraft gewinnt mein müder Sinn;
Es könnten schleim'ge Drachen nicht, die grimmen,
Und nicht in höchster Wut die Tigerin
Und nicht, was in Ägypten schleicht an schlimmen
Und gift'gen Tieren durch die Wüste hin,
Sehn oder denken ohne Herzenswunden
Angelika an nackten Fels gebunden.
[163] 68.
O hätte dies ihr Roland doch erfahren,
Der nur um sie war nach Paris gereist,
Und jene, die getäuscht hat das Gebaren
Des schlauen Alten mit dem Höllengeist!
Sie wären, ihr zu helfen in Gefahren,
Herbeigeeilt durch tausend Tode dreist.
Allein wenn sie auch wirklich Kunde hätten,
Wie könnten sie von fern die Holde retten?
69.
Paris inzwischen dem Belagrungsringe
Von Trojans tapfrem Sohne widerstand,
Und mißlich schienen eines Tags die Dinge:
Beinah schon fiel die Stadt in Feindes Hand;
Da stieg zum Himmel des Gebetes Schwinge,
Und dunkler Regen ward von Gott gesandt;
Durch Mohrenwaffen sonst ein Ende nahmen
Das heil'ge Reich und Frankreichs großer Namen.
70.
Der höchste Schöpfer wendet Gnadenblicke
Auf Karls, des alten, Klageruf hinab,
Schickt Regen, der die Feuersbrunst ersticke,
Wo keine Menschenmacht mehr Hilfe gab.
Heil, wer vertraut dem Lenker der Geschicke!
Er ist in aller Not der beste Stab.
Und dankbar gläubig König Karl erkannte,
Daß Gott es sei, der ihm die Hilfe sandte.
71.
Die Nacht hat Roland flüchtige Gedanken
Dem läst'gen Pfühl vertraut in großer Zahl,
Faßt sie zusammen jetzt, läßt dann sie schwanken,
Hierhin und dorthin – ruhn kein einzig Mal:
Wie Zwitterlicht des Wassers wohl, des blanken,
Vom Mond getroffen oder Sonnenstrahl,
Das weite Dach entlang in raschem Lauf hüpft,
Nach rechts und links und hoch und niedrig aufhüpft.
[164] 72.
Zur Liebsten hat sein Geist den Weg gefunden
(Von ihr geschieden war er noch gar nie):
Die Glut erwacht aufs neu in nächt'gen Stunden,
Der leisen Schlummer nur der Tag verlieh.
Er hatte als Genoß sich ihr verbunden,
Fern in Katai – und hier verlor er sie
Und konnte keine Spur mehr von ihr finden,
Seit bei Bordeaux sich Karl ließ überwinden.
73.
Das schmerzte Roland sehr; mit bittern Klagen
Bereut' er jetzo seinen Unverstand:
»Mein Herz, wie konnt' ich nur mich so betragen!«
Sprach er bei sich. »Obwohl bei mir es stand
– Denn deine Güte wollt' es nicht versagen –,
Dich Tag und Nacht zu schauen unverwandt,
Ließ ich in Naims' Hand dich, du Holde, legen,
Statt gegen solches Unrecht mich zu regen.
74.
War's nicht mein Recht, dagegen anzuringen?
Karl hätt' am End den Wunsch mir nicht verwehrt –
Und wenn verwehrt, wer könnte wohl mich zwingen?
Wer mir entreißen, was mein Sinn begehrt?
Ließe das Herz man aus dem Leib mir springen,
Mußt' ich nicht ihnen trotzen mit dem Schwert?
Nicht hätten Karl und alle seine Leute
Je mit Gewalt dich fortgeschleppt als Beute.
75.
Ließ er sie wenigstens – behütet – leben,
Sei's in Paris, sei's sonst in guter Wacht!
Doch daß er jenem Naims sie hat gegeben,
Zeigt mir, ich werde ganz um sie gebracht.
Der beste Wächter wär' ich selber eben:
Drum, was geziemte bis zur Todesnacht? –
Daß ich sie mehr als Herz und Augen schützte!
Weh, daß ich nicht die rechte Zeit benützte!
[165] 76.
Ach, ohne mich wo bist du, süßes Leben,
Geblieben, du so jung und hold und schön?
Dem Lämmchen gleich, das, wenn die Schatten weben,
Verlassen irrt umher in wald'gen Höhn,
Das hofft, dem Hirten Kunde noch zu geben,
Und hierhin, dorthin schickt sein Klaggetön,
Bis angelockt zuletzt die Wölf' erscheinen
Und nun umsonst der arme Hirt muß weinen.
77.
Wo bist du, meine Hoffnung, hingeschwunden?
Irrst du umher, weil ich dich ließ im Stich?
Hat dich vielleicht der grimme Wolf gefunden?
Wenn nicht dein Roland, ach, wer schützte dich?
Hat sein Gebiß die Blume dir entwunden?
Die höbe zu den hohen Göttern mich!
Doch dir zu trüben nicht dein keusch Gemüte,
Bewahrt' ich unversehrt die hehre Blüte.
78.
O weh mir! Weh! Verzweifelt muß ich enden,
Nahm man der schönen Blume ihren Schein!
Eh das geschieht, Allgüt'ger, wolle senden
All andres Herzeleid und jede Pein!
Sonst taugt mir Tod nur von den eignen Händen,
Und in Verdammnis muß die Seele sein.«
Weinend und seufzend aus dem tiefsten Herzen
Sprach Roland so bei sich in bittren Schmerzen.
79.
Gesunken war die süße Ruhe nieder
Rings auf die müden Seelen allzumal,
Löst hier auf Federn, dort auf Stein die Glieder,
Dem unterm Baum, dem auf dem Gras im Tal.
Du aber, Roland, schlossest kaum die Lider,
So sucht dich heim der Nachtgedanken Qual.
Nicht einmal diesen kurzen, flücht'gen Schlummer
Gönnt man dir ganz, um auszuruhn von Kummer!
[166] 80.
Wo duft'ge Blumen – schien es Roland – stehen
In Pracht verstreut auf grünem Uferrand,
Gebild' aus Elfenbein glaubt er zu sehen
Und Purpur, den gemalt hat Amors Hand;
Zwei Sterne hell – vor Wonne will vergehen
Die Seele, die des Amor Netz umwand –:
Die Züge mein' ich und die lichten Strahlen,
Die mitten aus der Brust das Herz ihm stahlen.
81.
Die höchste Wonne will ins Herz ihm schleichen,
Die sich von Treuverliebtem fühlen läßt:
Da plötzlich kommt ein Sturmwind ohnegleichen,
Der Blumen knickt und Büsche zaust und preßt.
Nicht pflegt an diese Wucht fürwahr zu reichen,
Was sonst noch weht von Nord und Ost und West.
Ihm ist, er irre jetzt zum Schutz des Lebens
Durch eine weite Wüste hin vergebens.
82.
Mit einemmal verliert er seine Dame
Im Nebelgrau – er weiß nicht, wie sich's trifft –,
Ob, laut gerufen, auch der schöne Name
Ringsum weckt Widerhall in Wald und Trift.
Und wie er »Weh mir!« klagt in seinem Grame,
»Wer wandelt meine Süßigkeit in Gift?« –
Ist ihm, als ob sein eigner Nam' ertöne
Und ihn um Hilfe flehe seine Schöne.
83.
Rasch in der Richtung, draus die Rufe hallen,
Schafft er sich Bahn und sucht, von wo man spricht.
O welche Schmerzen in der Brust ihm wallen:
Er sieht nicht jener Augen süßes Licht!
Da hört er eine andre Stimme schallen:
»Genießen sollst du sie auf Erden nicht!«
Bei diesem Schreckruf ist der Traum verflossen –
Der Held wacht auf, von Tränen übergossen.
[167] 84.
Er fragt nicht, ob vielleicht ein Trug ihn necke,
Durch Sehnsucht oder Furcht hervorgebracht;
Nur daß in Nöten seine Dame stecke,
Nur dieser einz'gen Sorge hat er acht.
Blitzschnell von seinem Lager springt der Recke,
Nimmt Waffen, ist auch auf ein Roß bedacht,
Auf Güldenzaum, und steht bereit zur Reise;
Der Knappen Dienst will er in keiner Weise.
85.
Um nun beliebig Pfade einzuschlagen,
Die seine Würde sonst vielleicht verbot,
Galt es, sein ruhmvoll Wappen sich versagen,
Bekannt mit seinen Farben Weiß und Rot,
Und lieber jetzt ein schwarzes Zeichen tragen,
Vielleicht weil's ähnlich seiner Herzensnot.
Er hatt' es einem Amostant genommen,
Der einst durch seine Hand war umgekommen.
86.
Um Mitternacht macht er sich auf in Schweigen,
Grüßt nicht und gönnt dem Ohm kein Abschiedswort,
Will nicht einmal sich Brandimarte zeigen,
Der ihm so teuer doch, der Freundschaft Hort.
Doch als mit goldnem Haar die Sonne steigen
Die Rosse läßt vom Haus des Titon fort,
Und feuchte Schatten fliehen vor der Helle,
Merkt Karl, der Paladin ist nicht zur Stelle.
87.
Er hört mit tiefem Groll, es ist verschwunden
Sein Neffe ganz verstohlen in der Nacht,
Der ihm zu helfen, traun, doch war gebunden:
O, wie dem schweren Grimme Luft er macht!
Manch bittres Wort zeigt seiner Seele Wunden,
Des Frevlers wird mit hellem Zorn gedacht.
Es dröhnt: »Kehrt nicht zurück der Ungetreue,
So wird man sorgen, daß es ihn gereue.«
[168] 88.
Auch Brandimart beschließt davonzueilen,
Der Roland ja sein ganzes Herz geweiht:
Will er das Schicksal seines Freundes teilen?
War ihm das Tadeln und das Schelten leid?
Man sah ihn grad so lange noch verweilen,
Bis sich der Tag geneigt zur Dunkelheit.
Und Flordelis verschwieg er ganz die Sache,
Daß sie dem Plan nicht Schwierigkeiten mache.
89.
So hieß ein Fräulein, dem getreu zu dienen
Ihm Wonne war, kaum ließ er sie allein –
Voll Anmut, Sitte und von holden Mienen,
Mit hellem Geist begabt und klug und fein;
Und war er jetzt nicht auch vor ihr erschienen,
Geschah's, weil er zurück noch wollte sein
Am selben Tag; doch sollten Dinge walten,
Ihn länger, als er dachte, aufzuhalten.
90.
So war ein Monat etwa hingegangen,
Sie saß noch immer seiner harrend dort,
Da wurde Sehnsucht mächtig und Verlangen:
Ohn' einen Führer zog die Dame fort
Und suchte den geliebten Mann voll Bangen,
Wie die Geschichte zeigt am rechten Ort.
Von diesen beiden sag' ich hier nichts weiter:
Mehr kümmert jetzt mich von Anglant der Streiter.
91.
Der hat ein neues Wappen sich erkoren,
Statt Almonts Schild, und sich zum Tor gewandt:
»Ich bin der Graf«, so raunt er in die Ohren
Dem Hauptmann leise, der dort Wache stand.
Man ließ die Brücke nieder vor den Toren,
Und auf dem Weg, den er als nächsten fand
Dem Feind zu, in gerader Linie ritt er.
Der nächste Sang sagt Weitres von dem Ritter.

[169] Neunter Gesang

1.
Was kann ein Herz noch tun, ward es bezwungen
Von jenes bösen, falschen Amors Macht,
Hat sie sogar die Lehenstreu' entrungen
Dem Ritter Roland aus des Busens Schacht?
Er, weise sonst, von Ehrfurcht ganz durchdrungen,
Stets auf der heil'gen Kirche Schutz bedacht,
Er macht sich jetzt – durch eitle Lieb' ein Blinder –
Aus Karl und sich nicht viel, aus Gott noch minder.
2.
Doch ich begreif' ihn und bin frohen Mutes,
Daß nicht mir Toren der Genoß gebricht:
Auch ich bin krank und schwächlich für mein Gutes,
Doch auf mein Böses ganz robust erpicht. –
Der, schwarz gekleidet, reitet schweren Blutes
– Freunde zu lassen, das bedrückt ihn nicht –
Hin, wo die Zelte der aus Spaniens Landen
Und Afrika gekommnen Scharen standen.
3.
Was sag' ich Zelte! – Durch den Regen blieben
Sie unter Bäumen und wo sonst was deckt,
Zu zehn, zu zwanzig, vier, zu acht, zu sieben,
Der weiter fort, der in der Näh' versteckt.
Ein jeder schläft, zermürbt und aufgerieben,
Der auf die Hand gestützt, der ausgestreckt.
Man schläft –: er könnte viel ins Jenseits senden,
Doch nimmt er nicht die Durendal zu Händen.
[170] 4.
Roland ist edel: er kann nicht erschlagen,
Wer waffenlos ist und vom Schlaf gebannt.
Nun geht er, den und jenen Ort befragen
Nach einer Spur von ihr, die ihm entschwand.
Und trifft er einen wachend, dann mit Klagen
Beschreibt er die Gestalt und das Gewand,
Vom Mohren sich die Richtung zu erbitten,
In der die Dame sei davongeschritten.
5.
Als klar und leuchtend es begann zu tagen,
Das Mohrenheer durchforscht' er weit und breit,
Bedacht, ein Sarazenenkleid zu tragen;
So kann er's tun in aller Sicherheit.
Es kommt dazu: er kann die Sache wagen,
Weil er in fremden Sprachen weiß Bescheid
Und, Afrikanisch sprechend, wird verstanden,
Als ob er selber stamm' aus jenen Landen.
6.
Drei Tage bleibt er – nicht zu andern Zwecken –,
Und aus dem Suchen kommt er nicht heraus,
Sucht dann in Stadt und Dorf, sie zu entdecken,
Durchs Frankenland und drüber noch hinaus
Und sucht danach, bis auf den fernsten Flecken,
Auvergne und Gascogne ein und aus;
Er sucht von der Provence zu den Bretonen,
Von den Picarden bis wo Spanier wohnen.
7.
Es war Oktober, wenn die Blätter schwinden,
Und der November zog gemach heran,
Wenn nackend sich der Pflanze Glieder finden,
Weil sie das Kleidchen nicht mehr tragen kann,
Und Vögel sich zu enger Schar verbinden –
Da trat die Liebesfahrt Graf Roland an
Und ließ nicht ab von ihr an Winters Grenze
Und auch noch nicht in nächsten Jahres Lenze.
[171] 8.
So zieht er eines Tages auch von dannen
Von einem Land ins andre, wie er pflegt:
Nun trennt ein Fluß Bretonen von Normannen,
Der sonst sich still zum nahen Meer bewegt;
Jetzt aber hoch und wild die Wogen rannen,
Von Schnee und Bergesfluten aufgeregt:
Die Brücke, von des Wassers Wucht durchstochen,
War fortgeschwemmt, der Zugang unterbrochen.
9.
Er späht hinüber, was da wohl zu machen,
Blickt auf und ab dann wieder diesen Strand,
Wie er (was Fische- sind und Vogelsachen)
Hinkomme nach dem andern Uferrand:
Da sieh: ganz unversehens naht ein Nachen,
Das Steuer führet eines Fräuleins Hand:
Sie winkt, als komme sie des Ritters wegen,
Doch scheint sie nicht gesonnen, anzulegen.
10.
Sie landet nicht, vielleicht hat sie Bedenken,
Man bring' am Ende ungebetne Fracht.
Nun winkt der Graf, das Boot heranzulenken:
Er wäre gern zum andren Strand gebracht.
Sie sprach: »An meinen Kahn darf keiner denken,
Der nicht zuvor mir hat den Schwur gemacht,
Den Kampf zu kämpfen, den ich fordern werde,
Den besten und gerechtesten der Erde.
11.
Und seid Ihr, mein Herr Rittersmann, gesonnen,
Dem andern Uferrand zu nahn durch mich,
Versprecht, daß Ihr, wenn dieser Mond verronnen,
Und eh der folgende noch ganz entwich,
Die Fahrt zu Irlands König habt begonnen:
Ein wackres, schönes Heer bereitet sich,
Denn eines gilt: Ebuda geh' zugrunde,
Die schlimmste Insel auf dem Erdenrunde.
[172] 12.
Vernehmt: weit hinter Irland ist gelegen
Ebuda (viele Inseln gibt es hier),
Wo die Bewohner noch des Raubes pflegen
Nach alter Satzung rings am Strandrevier,
Und was sie dann von Frauen finden, legen
Sie vor zur Speise einem Wassertier.
Das kommt tagtäglich, und auf alle Fälle
Ist dort ein Fräulein, eine Frau zur Stelle.
13.
Denn Händler haben solche und Korsaren
Im Vorrat stets, und von den schönsten zwar.
Ihr könnt nun zählen, welche Frauenscharen
– Tagtäglich eine! – sterben Jahr für Jahr.
Herr Ritter, habt Ihr Amors Macht erfahren
Und seid im Herzen nicht des Mitleids bar,
Ihr werdet zu den Edlen Euch begeben,
Die solch ein wohlgefällig Werk erstreben.«
14.
Kaum ließ sie Roland bis zu Ende sprechen;
Er schwur sogleich, als erster sei er da:
Wo er von Unbill hört, muß er sie rächen;
Davon nur zu vernehmen, schmerzt ihn ja.
Zudem will die Besorgnis Bahn sich brechen,
Dort sei gefangen auch Angelika;
Denn lang' hat er gesucht auf vielen Wegen,
Und nirgends trat ihm eine Spur entgegen.
15.
So nahm ihn der Gedanke jetzt gefangen,
Und frühre Plän' entschwanden seinem Sinn,
In aller Eile sucht' er zu gelangen
Nach jenem Eiland der Barbaren hin.
Eh noch die nächste Sonn' ins Meer gegangen,
Saß er bei Sankt Malo im Schiffe drin,
Das er gefunden; ließ die Segel spannen,
Und um Sankt Michels Berg fuhr er von dannen.
[173] 16.
Brieuc und Landriglier läßt er zur Linken,
Fährt längs dem mächtigen Bretagnestrand
Dann hin, von wo die weißen Klippen winken,
Nach denen England Albion ist genannt.
Allein der Südwind fängt nun an zu sinken,
Und ein Nordwest, ein starker, ist zur Hand;
Er zwingt, die Segel rasch herabzulassen
Und ihm das Steuern selbst zu überlassen.
17.
Zurück in einem Tage flog mit Schnelle
Das Schiff, wie es in vieren fuhr heran;
Damit es nicht am Strand wie Glas zerschelle,
Hielt es in offner See der Steuermann.
Der Wind, vier Tag' ein wütender Geselle,
Stimmt an dem fünften andre Liedchen an;
Das Schiff kann sonder Mühe hingelangen,
Wo Meereswelln Antwerpens Strom empfangen.
18.
Der müde Schiffer war dort eingefahren
Mit dem zerzausten Schiff und dicht am Strand,
Da kam vom Flusse rechts, wo Felder waren,
Ein hochbejahrter Mann zum Uferrand
(Recht alt, man sah es an den weißen Haaren).
Der hat sich höflich an den Graf gewandt.
Mit Bücklingen, wie vor dem Oberhaupte,
Das er in Roland hier zu sehen glaubte,
19.
Sprach er, ein Fräulein werd' er recht verbinden:
Das bitt' um sein Erscheinen ihn gar sehr.
Er werde nicht nur schön, auch hold sie finden;
Es gäbe solchen Liebreiz fast nicht mehr.
Sonst mög' er sich zu warten überwinden,
Dann komme sie zum Schiffe selber her.
Er werd' ihr ganz gewiß nicht säum'ger dienen
Als viele Ritter, die vor ihm erschienen.
[174] 20.
Von allen, die bisher des Weges gingen,
Zu Land, zu See und auch den Fluß hinauf,
Versäumte keiner, Rat ihr darzubringen,
Sie halfen ihr in ihren Nöten auf.
Roland vernimmt's, er eilt, ans Land zu springen,
Und geht ohn' Aufenthalt in schnellem Lauf,
Wie's einem art'gen Ritter mag gebühren,
Wohin der Greis bestrebt ist ihn zu führen.
21.
Im Landgut tritt er, stets dem Greis zu Seiten,
Ein in ein Schloß, geht dort die Trepp' hinan
Und läßt zu einer Dame sich geleiten:
Nicht nur ihr Antlitz kündet Trauer an,
Auch schwarze Decken, die im Haus sich breiten,
So weit man Säl' und Zimmer sehen kann.
Sie grüßt ihn fein, lädt ihn zum Sitzen drinnen,
Um dann mit trübem Tone zu beginnen:
22.
»Dem Graf von Holland, Herr, bin ich entsprossen:
Der liebte mich (blieb ich auch nicht allein,
Denn noch zwei Brüder hatt' ich zu Genossen),
Er konnte gar nicht liebevoller sein.
Nie hat er meinen Bitten sich verschlossen;
Für meine Wünsche kannt' er nicht das Nein.
Als mir in Frohsinn so die Tage schwanden,
Erschien ein Herzog hier in unsern Landen.
23.
Herzog von Seeland war er, und sein Sinnen
Ging, nach Biskaya in den Krieg zu ziehn.
Ich ließ durch Jugend, Schönheit mich gewinnen:
Sie machten zur Gefangnen mich für ihn.
Auch ihm erwachte Glut im Herzen drinnen,
So daß es nach den äußern Zeichen schien
(Ich glaubt' und glaub's und glaub', ich glaube richtig):
Er liebte mich und liebt mich noch aufrichtig.
[175] 24.
Ans Haus gebannt durch üble Wetterlage
(Übel für ihn, für mich war gut der Wind) –
Mir schien's ein Nu, den andren vierzig Tage,
So flog die Zeit auf Schwingen pfeilgeschwind –
Beschließen wir, wir wollen ohne Frage,
Sobald zu End' die Kriegesfahrten sind,
Uns zur Vermählung hier zusammenfinden
Und feierlich zum ew'gen Bund verbinden.
25.
Kaum war Biren nun fort auf seinen Wegen
(So ist mein treuer Liebster zubenannt),
Als dort aus Friesland, das so nah gelegen,
Wie sich die Mündung dieses Stromes spannt,
Vom König Boten kamen, meinetwegen,
Für seinen einz'gen Sohn zu werben, den Arbant;
Die Höchsten aus des fries'schen Adels Reihen
Sollten bei meinem Vater um mich freien.
26.
Ich könnte nie mein Wort dem Freunde brechen.
(Er gab mir seines; wie betrög' ich ihn?);
Und könnt' ich's, würd' es Amor schleunig rächen,
Hätt' er so schnöden Undanks mich geziehn.
Um das Geschäft auf einmal abzubrechen,
Das schon im Gang war, fast zu End' gediehn,
Sagt' ich dem Vater, sollt' er fort mich geben
Nach Friesland hin, so würd' ich nimmer leben.
27.
Mein Väterlein, das stets tat, was ich wollte,
Und nur auf meine Freude war bedacht,
Hat, mir zum Trost, als meine Träne rollte,
Drauf der Verhandlung gleich ein End' gemacht;
Der stolze Friese war empört, er grollte
Und, voller Haß, in helle Wut gebracht,
Trug er nach Holland seine blut'gen Waffen,
Die all mein Haus von hinnen sollten raffen.
[176] 28.
Er ist nicht nur an Kraft so übermächtig,
Daß kaum sich einer mit ihm messen kann;
Nein, auch im Bösetun so niederträchtig,
Es kann nicht Mut noch List an ihn heran:
Er hat ein Waffen, das noch niemals, dächt' ich,
In alter Zeit und neuer trug ein Mann;
Ein Eisen schwarz von zweier Arme Länge;
Und Blei und Pulver jagt er durch die Enge
29.
Mit Feuer, wo die Röhre hinten endet,
Und irgendwo dort eine Spalte sitzt;
Die braucht er so, wie sie der Arzt verwendet,
Wenn er dem Kranken eine Ader ritzt.
Mit solchem Krachen wird der Ball entsendet,
Daß man vermeint, es donnert und es blitzt,
Und was er trifft – dem Blitz gleich, wenn es wettert –,
Verbrennt, zerschlägt, zerstört er und zerschmettert.
30.
Zweimal durchbrach er unsre Heeresglieder
Und hat die Brüder in den Tod gesandt:
Beim erstenmal streckt er den einen nieder
(Das Herz durchbohrend durch das Stahlgewand),
Kam bald darauf zum andern Male wieder
Und schoß den zweiten, der zur Flucht gewandt.
Von fern traf ihn die Kugel in den Rücken,
Ging durch den Leib und riß die Brust in Stücken.
31.
Als sich darauf mein Vater hinter Toren
Der Burg, die ihm allein geblieben ist
(Denn alles andre ging ihm schon verloren),
Sich wehrt, da mordet ihn die gleiche List;
Denn als er grad den Wachtdienst sich erkoren
Und zeigt, was nottut zu derselben Frist –
Zwischen die Braun hat er den Ball bekommen
Von dem, der ihn von fern zum Ziel genommen.
[177] 32.
Der Insel Holland Erbin nun gelassen,
Durch meiner Lieben Tod, war ich allein:
Der Friesenfürst, gewillt dort Fuß zu fassen
Und in dem Reiche sichrer Herr zu sein,
Verkündet mir und auch den Volkesmassen,
Er würde Ruh' und Frieden jetzt verleihn,
Wollt' ich zur Zeit, was früher nicht ich wollte:
Daß Prinz Arbant mein Gatte werden sollte.
33.
Nicht darum nur, weil ich den Haß will tragen,
Haß auf den Friesen und sein arges Haus,
Der Brüder mir und Vater hat erschlagen,
Mein Heim verwandelt hat in Brand und Graus –
Nein, weil ich nicht dem Liebsten will entsagen
(Er nahm ja meinen Schwur mit sich hinaus,
Daß ich nicht früher eines andren wäre,
Bis er von Spanien nimmer wiederkehre),
34.
Sagt' ich: Eh'r will ich hundert Tode kennen;
Man mag mit allen Qualen mich bedräun,
Man mag mich töten, lebend mich verbrennen
Und meine Asche in die Winde streun! –
Mein Volk sucht von dem Vorsatz mich zu trennen;
Ich hör' ihr Flehen stürmisch sich erneun,
Mich und das Reich in seine Hand zu legen,
Daß nicht das Land verderbe meinetwegen.
35.
Als sie ihr Drängen ganz vergeblich sehen
Und mich so felsenfest im Widerstand,
Die Meinen all zum Friesenkönig stehen
Und geben Reich und mich in seine Hand.
Ohn' irgend weitre Unbill zu begehen,
Versichert er mir Leben so wie Land,
Damit ich alten Abscheu überwinde
Und in die Heirat mit Arbant mich finde.
[178] 36.
Zum Tode will ich meine Zuflucht nehmen,
Um so verhaßtem Zwange zu entgehn;
Vorher mich rächen; – sonst würd' ich mich grämen
Mehr als um alles, das mir noch geschehn.
Auch der Verstellung darf ich nicht mich schämen,
Einzig in ihr ja kann ich Hilfe sehn:
Verliebtheit heuchl' ich, bitt' ihn, zu verzeihen,
Scheinbar voll Sehnsucht jetzt, Arbant zu freien.
37.
Von all den vielen, die im Dienste standen
Des Vaters noch, wählt' ich zwei Brüder aus,
In denen Mut und hoher Sinn sich fanden
(Die Treue ragte drüber noch hinaus),
An mich gekettet durch der Jugend Banden,
Mit mir erzogen beid' im Königshaus
Und also mein: – sie würden gern ihr Leben
Für meine Wohlfahrt mir zum Opfer geben.
38.
Den zwein vertrau' ich mich in diesen Zeiten,
Und sie versprechen Hilfe mir sofort:
Der geht nach Flandern hin die Fahrt bereiten,
Der andre bleibt bei mir zurück am Ort.
Derweil nun für die Hochzeit Boten reiten
Und Fremd' und Heim'sche laden hier und dort,
Vernimmt man, daß Biren in Spanien rüste;
Er bring' ein Kriegesheer nach Hollands Küste.
39.
Nach jener Schlacht, in der das Heer geschlagen
Ward und den Tod mein lieber Bruder fand,
Hatt' ich, die Kunde zu Biren zu tragen,
Nach Spanien einen Boten abgesandt.
Derweil sie dort sich mit der Rüstung plagen,
Kommt meines Reiches Rest in Feindeshand.
Biren, dem noch hiervon die Nachricht fehlte,
Zu unsrer Hilf' indes die Schiffe wählte.
[179] 40.
Als drob der Friese Meldung hat empfangen,
Gibt er die Hochzeit in des Sohnes Hand
Und ist mit seinem Heer zu See gegangen:
Des Herzogs Flotte ward besiegt, verbrannt,
Er selbst nach Schicksals Willen, ach, gefangen;
Doch davon wurd' uns damals nichts bekannt.
Der Jüngling freit mich: nach der Sonne Schwinden
Denkt er die Lagerstatt bei mir zu finden.
41.
Verborgen war und ohne sich zu regen
Mein treuer Helfer hinterm Bettverhang:
Als er den Gatten sah sich herbewegen,
Mit starken Armen eine Axt er schwang
– Arbant fand nicht die Zeit, sich hinzulegen –,
Und auf dem Hinterkopf der Hieb erklang,
Der ihm die Stimme raubte und die Seele –
Schnell sprang ich auf und schnitt ihm durch die Kehle.
42.
Gleichwie die Ochsen in den Schlachthaushallen,
Fiel der unsel'ge Jüngling auf den Grund,
Cimosk zum Trutz, dem Schändlichsten von allen
(Den bösen Friesen nenn' ich dir jetzund),
Durch den all meine Treuen sind gefallen
Und der mich zwang zu diesem Ehebund,
Um seiner Herrschaft größern Halt zu geben,
Nachher wohl doch nach meinem Tod zu streben.
43.
Wir nehmen rasch, eh Störung uns ereile,
Was nicht viel wiegt und gute Dienste tut;
Dann läßt mich mein Genosse rasch am Seile
Hinab vom Fenster auf die Meeresflut,
Wo in dem Boot aus Flandern mittlerweile
Sein Bruder wartet mit gespanntem Mut:
Ins Meer die Ruder, Segel in die Winde! –
Und Gott gefall's, daß jeder Rettung finde!
[180] 44.
Ob Rachewut, ob Schmerzen größer waren
Des Königs um den Sohn, konnt' ich nicht sehn;
Er kam am nächsten Tage, zu gewahren,
Was ihm zum Hohne Grausiges geschehn.
Stolz war er heimgekehrt mit seinen Scharen,
Stolz auf den Sieg, den Fang auch des Biren;
Zu Fest und Hochzeit glaubt' er zu erscheinen,
Nun fand er alles dunkel und zum Weinen.
45.
Schmerz um den Sohn, ein Haß wild zum Erschrecken
Auf mich verläßt ihn nicht bei Tag und Nacht.
Doch weil die Klagen Tote nicht erwecken,
Die Rache aber Luft dem Hasse macht,
Soll nicht in Seufzer sich das Leid verstecken,
Auf eines, nach dem Wehruf, sei's bedacht:
Auf einen Bund mit grenzenlosem Hassen –:
Mich finden gilt es und mich büßen lassen!
46.
Wer mir verknüpft war mit der Freundschaft Banden
Und wem für die Genossen schlug das Herz,
Die zu dem Werk mir hatten beigestanden,
Beraubt', erschlug er, trieb sie anderwärts.
Biren auch wollt' er töten mir zu Schanden;
Das gäbe ja für mich den größten Schmerz;
Doch lebend – deucht ihn -bild' er wohl die Schlinge
In seiner Hand, darin auch ich mich finge.
47.
Mit einem Vorbehalte, einem schlimmen,
Bleib' er am Leben bis auf Jahresfrist;
Sodann verfall' er doch dem Tod, dem grimmen,
Geläng' ihm durch Gewalt nicht oder List,
Verwandte oder Freunde zu bestimmen,
Daß sie mich, wenn es zu erreichen ist,
Einliefern: also wird für ihn mein Sterben
Der einz'ge Weg, nicht selber zu verderben.
[181] 48.
Ich tue, was für ihn nur kann geschehen
(Bloß, daß ich selbst mich nicht dem Tod gestellt);
Sechs Schlösser geb' ich, die in Flandern stehen,
Und lasse für das so gelöste Geld
Teils hin zum Feind erfahrne Späher gehen,
Die Wache zu bestechen, die ihn hält,
Und teils verwend' ich's zu des Friesen Schaden,
Engländer oder Deutsche herzuladen.
49.
Ob dieses nicht vermocht die Mittler haben,
Ob sie nicht taten, was sie doch gesollt –
Ich weiß nur, daß sie nichts als Worte gaben;
Sie höhnen noch, nun eingesteckt das Gold.
Und jetzt, zu spät, ach, kämen Heer und Gaben,
Denn jenes Jahr der Frist ist hingerollt,
Und rings die weite Welt kein Mittel hätte,
Das meinen Liebsten vor dem Morde rette.
50.
Für ihn bin ich aus meinem Reich vertrieben,
Für ihn sind Brüder mir und Vater tot;
Für ihn das Wen'ge, das mir noch geblieben,
Daß mir gesichert wär' ein täglich Brot –
Es ward, ihn zu befreien, aufgerieben,
Und jetzt steht weiter nichts mir zu Gebot,
Als mich zu geben in die Hand des bösen,
Grausamen Feindes, um ihn auszulösen.
51.
Drum sollt' es keine Hilfe weiter geben
Und stellt sich nichts zu seiner Rettung ein
Als dies mein Leben, nun, so wird dies Leben
Mir ihm zu opfern nicht zu teuer sein.
Doch eine einz'ge Sorge macht mich beben:
Wie treff ich wohl den Pakt so klar und rein,
Daß er mich sichre vor des Wütrichs Lügen,
Der, bin ich sein, noch leicht mich kann betrügen?
[182] 52.
Ich fürchte, wenn mich seine Hände fassen
Und alle Todesqualen mir geschahn,
So wird er doch darum Biren nicht lassen,
Daß der mir danke freie Lebensbahn;
Meineidig, voller Wut in seinem Hassen,
Ist ihm mit meinem Tod nicht gnug getan:
Mit meiner Qual wird er sich nicht bescheiden
Und läßt die gleiche dann Biren erleiden.
53.
Bring' ich der Lage Bild nun Euch entgegen
Und ihnen, die noch sonst am Ufer hin
Als edle Herren ziehn und kühne Degen,
So geht mir der Gedanke durch den Sinn:
Ich höre so von Mitteln wohl und Wegen,
Zu hindern, wenn ich des Tyrannen bin,
Daß er doch hinterdrein Biren behalte
Und wie mit mir so auch mit ihm noch schalte.
54.
So manchen bat ich schon, mich zu geleiten,
Wenn ich mich liefre an den Friesen dort,
Und jenen Austausch derart einzuleiten
– Versprechen müss' er dies mit seinem Wort –
Daß ich mich gebe – doch zu gleichen Zeiten
Frei sei Biren; verfall' ich dann dem Mord,
Getröstet werd' ich sterben und zufrieden,
Daß ihm mein Tod das Leben hat beschieden.
55.
Noch keiner wollte mir sein Wort verpfänden,
Daß er, führt man zum Friesenkönig mich,
Wenn der nicht gleich Biren auch will entsenden,
Hierher zurück mich bring' unweigerlich
Und nicht mich lasse in des Feindes Händen;
So fürchtet jeder vor der Waffe sich,
Der gegenüber nicht es hilft, sich rüsten,
Mag man sich auch im stärksten Panzer brüsten.
[183] 56.
Wenn Will' und Mut in Euch im Einklang stehen
Mit trutz'gem Antlitz und herkul'scher Kraft
Und Ihr vermeint zu kommen – und zu gehen
Mit mir, sobald der Friese Falsches schafft,
So mögt Ihr mich in seinen Händen sehen!
Ich sorge nicht –: denn, bin ich auch in Haft,
So weiß ich doch, muß ich schon selbst verderben,
Es wird, seid Ihr bei ihm, mein Herr nicht sterben.«
57.
Des Fräuleins Rede, vielfach unterbrochen
Von Tränen und von Seufzern, fand hier Schluß.
Roland, der sich noch niemals hat verkrochen
Und, gilt es Gutes tun, nie zeigt Verdruß,
Sagt kurz, als sie zu Ende hat gesprochen
(Er ist kein Freund von langem Redefluß):
Mehr als sie wünsche werd' erfüllt sie finden,
Darauf woll' er mit seinem Wort sich binden.
58.
Daß sie dem Leben für den Freund entsage,
Schwebt keineswegs ihm jetzt als Absicht vor:
Er rettet beide wohl mit einem Schlage,
Wenn er sein Schwert hat und nicht Kraft verlor.
Sie reisen ab, noch an demselben Tage,
Gut ist der Wind und hell das Himmelstor.
Der Graf hat Eile, denn er fühlt Verlangen,
Zum Eiland jenes Untiers zu gelangen.
59.
Hierhin und dorthin lenkt von Land zu Lande
Durch manchen tiefen Teich der Steuermann;
Die Inseln Seelands zeigen ihre Strande:
Jetzt schwindet die, und jene rückt heran.
Am dritten Tag steht er auf Hollands Sande,
Doch, die den Friesen haßt, nicht kommen kann:
Der Graf will, daß sie von dem Schiff aus sehe,
Wie es dem Wüterich durch ihn ergehe.
[184] 60.
Auf einen Renner, einen schwärzlich-grauen,
Steigt er am Strand, gerüstet, nach der Fahrt;
Ein Däne war's, genährt in Flanderns Auen,
Und mehr von starker als von leichter Art.
Denn als der Held ging sich dem Schiff vertrauen,
In der Bretagne ward sein Roß verwahrt,
Der Güldenzaum, an den kein Pferd kann reichen
Und der sich fast mit Bajard mag vergleichen.
61.
Nach Dortrecht kam er, sah am Tore Wachen
Und daß es angefüllt von Kriegern war,
Teils, weil sich Herrscher immer Sorgen machen
(Wenn ihre Herrschaft noch ein Neuling gar!),
Teils, weil gemeldet waren neue Sachen:
Von Seeland sei zur Fahrt mit einer Schar
Erlesner Krieger und mit vielen Schiffen
Ein Vetter des gefangnen Herrn begriffen.
62.
Graf Roland läßt darauf dem König sagen,
Gekommen sei ein Ritter vor die Stadt,
Mit ihm den Kampf auf Lanz' und Schwert zu wagen:
Doch die Bestimmung finde vorher statt:
Der Ritter liefre, werd' er selbst geschlagen,
Die Dam' aus, die Arbant getötet hat;
An nahem Orte sei sie gut verborgen;
Er selbst könn' ihr Erscheinen stets besorgen.
63.
Der König aber soll sein Wort verpfänden,
Im Fall der Ritter siege, den Biren
Sofort in voller Freiheit zu entsenden,
Daß er des Weges sicher möge gehn.
Der Bote eilt, zum König sich zu wenden,
Doch er, den keiner ehrlich je gesehn,
Er kennt im Augenblick nur dies Beginnen:
Auf Trug, Verrat und Hinterlisten sinnen.
[185] 64.
Er denkt, hab' er den Ritter in der Schlinge,
So hab' er – falls der Bote recht vernahm,
Daß jener Held die Dame mit sich bringe –
Auch sie, die Schmach ihm angetan und Gram.
Ein Trupp, gebietet er, von dreißig dringe
Aus anderm Tor, als jener Ritter kam,
Zum Platz hinaus und falle dort mit Tücken
Nach langem Umweg jenem in den Rücken.
65.
Der Falsche hält ihn hin mit leerem Worte,
Bis Roß und Reiter in dem Hinterhalt
Sind angelangt; dann sprengt er aus der Pforte,
Mit Mannschaft rings umgeben, dergestalt,
Wie wohl das Wild von jedem Zufluchtsorte
Der kund'ge Jäger sperren mag im Wald,
Und wie dort im Volano mit den Netzen
Die Fischer jeden Wasserplatz besetzen.
66.
So hat der König mit den Kriegermassen,
Daß jener nicht entfliehe, sorglich acht;
Er will ihn lebend, und nicht anders, fassen
Und hat sich dieses Ding so leicht gedacht,
Daß er den ird'schen Blitz zu Haus gelassen,
Mit dem er schon so viele umgebracht;
Denn dieser scheint ihm heute nicht vonnöten,
Wo es zu greifen gilt und nicht zu töten.
67.
Wie Vogelsteller lassen Schlingen hangen,
Lebend zu haschen ein paar Vögelein
(Mit ihrem Ruf und ihrem Zirpen fangen
Sie ja die andern vielen hinterdrein),
So ist jetzt dieses Friesenherrn Verlangen:
Doch Roland will kein solcher Vogel sein,
Der da sich greifen läßt beim ersten Zuge:
Er reißt die Schlinge durch mit starkem Fluge.
[186] 68.
Den Speer gesenkt, wo sie am dichtsten reiten,
Hin sprengt der Ritter von Anglant in Hast:
Er spießt den einen auf und gleich den zweiten,
Den dritten, vierten – Semmeln scheint es fast.
So läßt er bis zu sechs den Schaft durchgleiten,
Und weil die eine Lanze mehr nicht faßt,
Ist draußen nun der nächste Mann geblieben,
Doch, schwer getroffen, stirbt auch Nummer sieben.
69.
So sehn wir Frösche – will's dem Jäger glücken –
Aus Gräben und Kanälen an dem Strand
Vom Schützen aufgespießt in Seit' und Rücken
Wohl angereiht, gar viele nacheinand;
Er pflegt vom Pfeil nicht einen abzupflücken,
Eh er gefüllt von vorn bis hinten stand.
Der Speer flog fort, der solcherart beschwerte,
Und Roland schritt zum Kampfe mit dem Schwerte.
70.
Zur Klinge griff er nach dem Lanzenbrechen,
Die niemals ein vergeblich Werk begann:
Es fiel bei jedem Hauen, Schneiden, Stechen
Ein Mann zu Fuß, sonst auch zu Pferd ein Mann;
Wo's traf, da färbte sich von roten Bächen,
Was man zuvor als blau, weiß, gelb sah an.
Der Friese weiß vor Wut sich nicht zu fassen,
Daß er sein Feuerrohr zu Haus gelassen.
71.
Er ruft mit lautem Drohn, man soll es bringen,
Doch die erschreckten Krieger hören nicht;
Denn jedem, der zurück zur Stadt kann dringen,
Der Mut, aufs neu herauszugehn, gebricht.
Der König sah, wie alle rückwärts gingen,
Und war auf eigne Rettung nun erpicht:
Die Brücke aufzuziehn, eilt er zur Pforte,
Doch allzuschnell ist auch der Graf am Orte.
[187] 72.
Umkehrend läßt der König Tor und Brücken
Nun völlig frei dem grimmen Rittersmann,
Läßt fliehend alle Mannschaft hinterm Rücken,
Dieweil sein Pferd am besten laufen kann.
Nach niederm Volk will Roland nicht sich bücken,
Nur auf den Tod des Schurken kommt's ihm an;
Doch wenig taugt sein Tier zum raschen Rennen:
Man könnt' es lahm, das dort geflügelt nennen.
73.
Verschwunden – just als ob ihn Nacht bedecke –
Ist er dem Ritter; doch nach kurzer Weil'
Kommt er mit neuen Waffen, denn ein Recke
Hat ihm das Feuerrohr gebracht in Eil'.
Er drückt sich lauernd dicht an eine Ecke
Und harrt, so wie mit Hunden, Spieß und Pfeil
Der Jäger wildem Eber harrt entgegen,
Den er verheerend hört im Wald sich regen
74.
Und Steine wälzen und die Zweige knicken:
Ein Berg – so scheint's – sich in Bewegung setzt;
Läßt sich der stolze Kopf des Tieres blicken,
Meint man, es werde rings der Wald zerfetzt.
Cimosk steht lauernd, und am Zeug zu flicken
Denkt er dem übermüt'gen Grafen jetzt.
Der kommt –: das Feuer in dem Spalt am Rohr blitzt,
Worauf der Schuß im Augenblick hervorblitzt.
75.
Von hinten leuchtet's auf wie beim Gewitter,
Und vorne kracht's, entsendend Donnerknall.
Der Boden schwankt, als ob er beb' und zitter',
Der Himmel oben dröhnt vom grausen Schall.
Der glühnde Pfeil (es sinkt vor ihm in Splitter,
Was er nur trifft, und sei's ein Felsenwall),
Er saust und zischt; doch sollt' er Unheil bringen
Nach Wunsch des Mörders, wollt' es nicht gelingen.
[188] 76.
War's Eile oder daß zu sehr er glühte,
Roland zu töten, was ihn fehlen ließ?
War's, daß, wie Blätter bebend, sein Gemüte
Zugleich auch Arm und Hände beben hieß?
War's, daß den treuen Held die ew'ge Güte,
Die noch ihn brauchte, nicht in Not verließ? –
Der Schuß drang in den Leib hinein dem Pferde
Und, nie sich zu erheben, fiel's zur Erde.
77.
Es stürzt das Roß, es stürzt der Reiter nieder,
Doch jenes bleibt, und dieser, leicht und frei,
Springt auf geschickt und regt so frisch die Glieder,
Ob Atem ihm und Kraft gewachsen sei.
Wie sie gedoppelt kam Antäus wieder
Vom Boden dort in Libyens Wüstenei,
So schien's, daß bei Berührung mit der Erde
Roland die Stärke neu gegeben werde.
78.
Wer je das Feuer sah vom Himmel fahren,
Von Zeus mit solchem Krachen ausgesandt,
Hinkommen, wo die Menschen aufbewahren
Salpeter, Schwefel, Kohlen, allerhand
(Wie leicht auch die Zusammenstöße waren,
So steht doch Erd' und Himmel gleich in Brand;
Hartes Gestein zerreißt, die Mauern springen,
Und Felsenstücke zu den Sternen dringen),
79.
Der denke: also hob sich von der Erde,
Die er berührt, Roland der Paladin;
Mit solcher wilden, schrecklichen Gebärde,
Daß Mars im Himmel drob zu zittern schien.
Umwandte sich der Friese mit dem Pferde,
Entsetzt und schaudernd, jäh davonzufliehn;
Doch Roland hinterdrein mit größrer Eile
Als, fortgeschnellt vom Bogen, rasche Pfeile!
[189] 80.
Was er vorher umsonst versucht, beritten,
Das führt er aus, nun er auf Füßen steht:
Er folgt so rasch und mit so mächt'gen Schritten,
Ihr glaubt es nicht, wenn Ihr's nicht selber seht.
Er holt ihn ein, und auf des Helmes Mitten
Schwingt er das Schwert, und durch das Eisen geht
Die Klinge, haut hinab bis auf die Kehle –
Der Friese haucht am Boden aus die Seele.
81.
Da hört man neuen Waffenlärm erklingen
Und neu Getümmel drinnen in der Stadt:
Die Krieger sind's und wollen Hilfe bringen,
Die hergeführt Birenos Vetter hat.
Sie können durch die offnen Tore dringen,
Und durch die Straßen geht der Durchzug glatt;
Sie dürfen ohne Schwertstreich sie durchlaufen:
So bang vor Roland sind die Bürgerhaufen:
82.
Die fragen nicht – sie fliehen voller Eile –,
Wer jene seien und was ihr Begehr;
Doch merkt an Sprache mancher mittlerweile
Und an dem Kleid, sie sind aus Seeland her,
Sagt: Friede werde dieser Schar zuteile,
Stellt auch sich zur Verfügung wohl dem Heer
Und will ihm beistehn gegen jene Friesen,
Die seinem Herzog grausam sich bewiesen.
83.
Feind ist dem Friesenkönig und den Seinen
Das ganze Volk geblieben immerdar,
Weil alle noch den frühern Herrn beweinen,
Und weil der Friese hart und räubrisch war.
Roland versteht die zwei Partein zu einen,
Zeigt sich als Freund so der wie jener Schar.
Man duldet keinen Friesen mehr im Lande:
Man tötet oder schlägt sie all in Bande.
[190] 84.
Am Boden liegen die Gefängnispforten,
Zertrümmert, einen Schlüssel braucht man nicht.
Biren an Roland mit beredten Worten
Den Dank für Rettung vor dem Tode spricht.
Zusammen gehn sie, wo im Schiffe dorten
Olympia harrt mit bangem Angesicht.
Dies ist der Name, den die Dame führte,
Der jenes Inselreich mit Recht gebührte,
85.
Sie, die den Grafen nach dem Eiland brachte,
Nur um ihr den Verlobten zu befrein,
Die niemals noch an solche Lösung dachte,
Auf seine Rettung sinnend ganz allein.
Wie auch das Volk ihr Anblick glücklich machte –
Zu lange würd' es Euch zu schildern sein,
Und wie sich beide in die Arme sanken,
Dann stets aufs neue Roland heiß zu danken.
86.
Als dann zum Treueschwur die Bürger gingen,
Erhielt die Fürstin wiederum ihr Land.
Sie eilt, Biren – an den mit ew'gen Schlingen
Stahlharter Kette Liebe fest sie band –
Nebst ihrem Reich sich selber darzubringen.
Und er, nun andern Sorgen zugewandt,
Gibt seinem Vetter alle Reichsgewalten
Und läßt der Burgen ihn und Güter walten:
87.
Zurück nach Seeland, sagt er, woll' er reisen
(Dort führ' er auch die treue Gattin hin),
Erproben, ob das Kriegsglück hold sich weisen
In Friesland werde, lieg' in seinem Sinn;
Ein Pfand soll' ihm dort seine Kraft beweisen,
Und dieses Pfand halt' er in Händen drin:
Des Königs Kind, gefangen mit den vielen,
Die bei der Beut' ihm in die Hände fielen.
[191] 88.
Dem Bruder möcht' er gerne sie vermählen,
Der jünger noch an Jahren war, zu Haus.
Den gleichen Tag will Roms Senator wählen
Zum Abschied, da Bireno fuhr hinaus.
Soviel man konnte Beutestücke zählen,
Nahm er für sich ein einziges heraus:
Das Marterrohr, mit dem, wie wir gesehen,
Unheil wie durch den Blitzstrahl mag geschehen.
89.
Der Waffe sich zum Schutze zu bedienen,
Das war es nicht, worauf der Ritter sann,
Denn immer war es ihm als feig erschienen,
Wenn einen Vorteil nahm im Kampf ein Mann.
Wo keinem Menschen schaden Mordmaschinen,
Da soll es ruhn für alle Zeit fortan.
Auch Pulver nahm er, Kugeln und was alles
Dazugehören mochte allenfalles.
90.
Drum als er mit dem Schiff nun weit vom Lande
Ins tiefe Meer hinausgefahren war
(Nicht von dem rechten, nicht vom linken Strande
Bot sich vom Lande mehr ein Zeichen dar),
Nahm er's und sprach: »Du seist nicht mehr imstande
Zu krönen schlechten Mann, des Mutes bar!
Daß echte Rittertugend nicht verschwinde,
Bleibe du hier, wo keiner mehr dich finde.
91.
Arges Gerät, abscheulich, gottverlassen,
Das aus dem Tartarus der Teufel gab!
Dich brachte Beelzebub mit tück'schem Hassen
Den Menschen zu Verderben, Tod und Grab.
Laß von der Höll' aufs neue dich erfassen!«
Er sprach's und warf das Feuerrohr hinab.
Zur Greuel-Insel trieb indes geschwinde
Das Schiff mit vollen Segeln vor dem Winde.
[192] 92.
Den Grafen treiben vorwärts Sehnsuchtsflammen
(Er brennt zu hören, was man von ihr weiß;
Sie liebt er mehr als alle Welt zusammen;
Ihr fern, lockt ihn kein Glück, nicht laut, nicht leis),
Drum läßt er Irland liegen, denn entstammen
Kann neuer Aufenthalt ja dieser Reis',
Und mit der Klage wird vielleicht geendet:
›Ach, hätt' ich doch die Schritte fortgewendet!‹
93.
In England auch verbot er anzulegen
Und wo ein Ufer sonst gesehen ward.
Doch lassen wir ihn ziehen meinetwegen,
Wohin da führt des nackten Schützen Art!
Ich möchte jetzt nach Holland mich bewegen
Und lad' auch Euch mit ein zu dieser Fahrt.
Denn so wie mich würd' es wohl Euch verdrießen,
Sollte die Festzeit ohne uns verfließen.
94.
Schön ist die Hochzeit wohl, zu der wir steuern,
Indes so schön und glänzend nicht jetzund,
Wie die in Seeland noch sich soll erneuern.
Doch feiern wir nicht mit den neuen Bund;
Denn Unheil will mit frischen Abenteuern
Ihn stören. Alles sonst wird später kund;
Im nächsten Sange will ich es erzählen,
Wenn mir zum nächsten Sang nicht Hörer fehlen.

[193] Zehnter Gesang

1.
Von allen, die getreu dem edlen Triebe
Und festen Herzens je die Welt erfand;
Von allen, die als Muster hoher Liebe
Standhaft in Freud' und Leiden man gekannt –
Der erste Platz (eh'r als der zweite) bliebe
Olympia: nimmt sie nicht höhern Stand,
So sag' ich dies: es braucht bei alt und neuen
Nicht ihre Liebe den Vergleich zu scheuen.
2.
Davon hat sie Biren Beweis gegeben
So unumstößlich sicher und so klar:
Kein Weib tat jemals mehr in ihrem Leben,
Böt' ihre Brust sich auch geöffnet dar.
Wenn nun ein Herz, so treu, so hingegeben,
Jemals der Gegenliebe würdig war,
So ist für den Biren es vorgeschrieben:
Er muß sie wie sich selbst, nein, mehr noch lieben;
3.
Nicht nur sie niemals um ein Weib verlassen,
Und wär' es selber jene Helena,
Anlaß von Asiens und Europas Hassen,
Und falls die Welt noch eine Schönre sah –
Nein, von der Sonne scheidend, selbst erblassen
Und alles opfernd für Olympia,
Atem und Ruhm, und was man sonst erdenken
Wohl könnt' an allerköstlichsten Geschenken.
[194] 4.
Ob ihr Biren die Treue hat gehalten
So wie sie ihm, ob er ihr zugewandt
Liebreich wie sie, – nie Segel zu entfalten
Gedachte hin nach einem andern Land –
Oder ob ihre Opfer nichts ihm galten,
Ob gegen Lieb' und Treu' er grausam stand,
Das sollt ihr jetzt mit Staunen selber schauen,
Gepreßt die Lippen und gewölbt die Brauen.
5.
Und hört ihr von der Niedertracht mit Grauen,
Die für so vieles Gute ihr geschieht,
Es tut nicht gut, bedenkt es wohl, o Frauen!
Gläubig zu lauschen des Verliebten Lied!
Denn der, bedacht nur, sich am Ziel zu schauen,
Vergißt, daß Gott doch alles hört und sieht,
Und hat gar leicht zu Schwüren sich verstiegen,
Die nachher bald in alle Winde fliegen.
6.
Schwur und Versprechen werden fortgetragen,
Verweht und in die Luft gestreut vom Wind,
Sobald die Wünsche, die Verliebte plagen,
Gestillt, erloschen ihre Gluten sind.
Drum wenn die Männer bitten oder klagen,
Nehmt's nicht für bare Münze zu geschwind!
Dies, werte Damen, ist der Weisheit Pfosten:
Gewitzt zu werden auf der andern Kosten!
7.
Seid auf der Hut vor Männern in der Blüte
Der Jugend, mit den Mienen schön und glatt!
Strohfeuer lodert ihnen im Gemüte,
Das kommt und stirbt; bald wird die Flamme matt.
Wie nach dem Hasen erst der Jäger glühte
Bei Hitz' und Frost und, wenn er dann ihn hat,
Nun den erlegten nicht mehr pflegt zu schätzen,
Weil's nur erfreut, dem fliehnden nachzusetzen –
[195] 8.
So machen es genau die jungen Leute:
Abstoßend zeigt euch, spröd' und kalt und hart,
So lieben und verehren sie euch heute,
Nach wohlerzogner, treuer Werber Art.
Doch rühmen sie sich erst der sichern Beute,
Bald aus der Herrin eine Sklavin ward,
Und ihre Lieb' ist euch mit eins entzogen –
Die falsche ist wo anders hingeflogen.
9.
Nicht will ich euch die Liebe drum verleiden;
Das wär' verkehrt; schwurst du der Liebe ab,
Mußt du von Lust dich wie die Rebe scheiden,
Die nicht zur Stütz hat Pflanzen oder Stab.
Nur jene grüne Jugend sollt ihr meiden,
Schwankend und unbeständig, stets im Trab!
Pflückt lieber Frucht, die sauer nicht noch hart ist,
Wofern sie nur nicht überreifer Art ist. –
10.
Ich sagt' euch, in der Beute wird gefunden
Des Friesenkönigs schönes Töchterlein;
Sie soll, man hört es allgemein bekunden,
Die Gattin von Birenos Bruder sein;
Doch – grad heraus! – ihm selber will sie munden,
Zu lecker ist der Bissen doch und fein!
Und Klugheit würde jener Rücksicht fehlen,
Die andern gibt, was sie für sich kann stehlen.
11.
Das Fräulein hatte noch nicht überschritten
Die Vierzehn, war ein schönes, frisches Ding,
Ein knospend Röslein, das aus Buschesmitten
Vorbricht, sobald die Sonne höher ging.
Biren hat nicht nur Liebesqual erlitten,
Nein, Zunder nie derartig Feuer fing;
Kein Feuer je so blitzschnell Nahrung fände
Im reifen Korn, geschürt durch neid'sche Hände,
[196] 12.
Wie er sich von den Flammen ließ erfassen
Und Feuer drang bis tief ins Mark hinein,
Als er beim Tod des Vaters dort erblassen
Und weinen sah das holde Mägdelein;
Und wie des Wassers Glut pflegt nachzulassen,
Sobald sich neues, frisches mischt hinein,
Die Liebe zu der Gattin, ach, sich kühlte,
Als er die neue Lieb' im Herzen fühlte.
13.
Gleichgültig nicht, sie ist ihm widerwärtig,
So daß er jetzt sie kaum noch sehen kann,
Und für die andre brennt er gegenwärtig;
Wenn es noch lange währt, stirbt er daran.
Doch bis zum Tag, an dem er alles fertig
Für seine Pläne hofft, strengt er sich an:
In heißer Liebe scheint er zu vergehen
Und nur, was ihr gefiel, selbst gern zu sehen.
14.
Liebkost der junge Mann die gute Kleine
(Und mehr, als grade nötig, er es tut),
So wirft man drob auf ihn nicht etwa Steine,
O nein, man nennt ihn mitleidsvoll und gut;
Denn dem Gefallnen hilft man auf die Beine,
Und gar nun so betrübtem jungem Blut,
Das war nie tadelnswert, war vielfach rühmlich
Und einem edlen Herzen eigentümlich.
15.
Gott, wie verkehrt ist oft der Menschen Schalten!
Wie oft ein Schleier ihren Sinn umwand!
Für fromm und gut die Zärtlichkeiten galten,
Und ruchlos war und böse doch die Hand! –
Sieh da! Die Schiffer schon die Ruder halten,
Und vorwärts geht es, fort vom sichern Strand:
Hin durch das Salzgewässer fröhlich fahren
Der Herzog und die sonst noch mit ihm waren.
[197] 16.
Die Küsten Hollands schwanden in die Weite,
Und bald erkennt das Auge sie nicht mehr.
Friesland zu meiden, nach der linken Seite
Hielt man sich etwas mehr nach Schottland her,
Als ihnen starker Wind gibt das Geleite,
Der sie drei Tag' lang irren läßt im Meer.
Am dritten kommen sie – es dunkelt mählich –
Zu einer Insel öd und wüst, trübselig.
17.
Olympia stieg ans Land (zum Ankern hatten
Sie eine Bucht gewählt), zufrieden mit der Welt
Speist sie mit ihrem ungetreuen Gatten,
Und kein Verdacht in ihre Freude fällt.
Fürs Lager kam ein hübscher Ort zustatten;
Da geht sie mit ihm schlafen unterm Zelt.
Die andern wandten sich zum Wasser wieder
Und streckten sich auf ihren Schiffen nieder.
18.
Seekrankheit und die Furcht im Schiff, dem schwanken,
Hatten sie wach gehalten manchen Tag;
Am sichern Ufer alle Sorgen sanken,
Und das Gefühl, daß sie geborgen lag,
Und daß nichts mehr von quälenden Gedanken,
Weil sie ja ihn hat, sie bedrängen mag,
Versenkt sie gleich in Schlaf und in so tiefen,
Daß Murmeltier und Bär nie fester schliefen.
19.
Als sie der Falsche schlummern sieht (denn wachen
Ließ ihn sein böser, ränkevoller Sinn),
Leis, leis schlüpft er vom Bette (seine Sachen
– Er zieht nichts an – hat er im Bündel drin);
Er läßt das Zelt und eilt – denn Flügel machen
Ihm seine Wünsche – zu den Leuten hin
Und weckt sie: ohne einen Laut zu geben,
Vom Ufer weg ins offne Meer sie streben.
[198] 20.
Die Arme bleibt zurück – und das Gestade ...
Olympia schläft, ist früher nicht erwacht,
Bis auf die Erd' hinab vom goldnen Rade
Aurora streut des eis'gen Reifes Pracht
Und bis Alcyone vom Meeresbade sie
Des alten Leids in Klagen hat gedacht.
Halb wach, halb schlafend jetzt das Händchen streckt
Biren zum Kuß – doch niemanden erweckt sie.
21.
Niemand! Sie hat die Hand zurückgezogen,
Und jetzt aufs neue tastet sie umher,
Den Arm gestreckt und jenen Arm gebogen,
Und sucht mit Fuß und Fuße – alles leer!
Sie schaut sich um; Schlaf ist vor Furcht verflogen;
Niemand ist da – nun hält sie nimmermehr
Ihr leer, verwitwet Bett: gleich einem Pfeile
Fliegt sie heraus und läßt das Zelt in Eile.
22.
Die Wangen sich zerfleischend, nach dem Rande
Des Meeres läuft sie – Unglück ist ihr klar –,
Blickt auf und ab (der Mond liegt auf dem Sande)
Und schlägt die Brust und rauft sich wild das Haar:
Ob nichts dem Blick sich bietet außerm Strande? –
Und außerm Strande bietet nichts sich dar.
Sie rief Biren – zurück die Rufe kamen
Aus mitleidvollen Höhlen – mit dem Namen.
23.
Es ragt ein Fels am äußersten Gestade;
Die Wogen hatten ihn durch Anprall schwer
So ausgehöhlt wie einen Bogen grade,
Und oben hing er über nach dem Meer.
Sie klomm in Eil' hinan auf steilem Pfade
(Es spornte Herzensangst sie ja so sehr),
Und vollgeblähte Segel sieht sie gleiten
Und ihren Falschen fliehn in ferne Weiten.
[199] 24.
Sie sieht ihn oder glaubt doch, ihn zu sehen,
Denn völlig hell war noch der Morgen nicht:
Da stürzt sie hin und will vor Schmerz vergehen,
Blasser als kalter Schnee im Angesicht.
Doch als sie wieder konnt' auf Füßen stehen,
Rief sie, zur Bahn des Schiffes hin gericht't,
Mit allen Kräften, die die Lungen hatten,
Mehrmals den Namen ihres bösen Gatten
25.
Und weint – die schwache Stimme will nicht reichen –
Und schlägt die Händ' zusammen immerfort:
»Grausamer, sprich, wohin willst du entweichen?
Dein Schiff hat nicht die rechte Last an Bord!
Nicht schwerer wird es durch die Fluten streichen,
Führt es auch mich: die Seel' ist ja schon dort!«
Und macht mit Kleidern Zeichen und mit Händen,
Daß doch das Schiff zur Umkehr möge wenden.
26.
Allein die Winde, die von dannen tragen
Den Ungetreuen und das Schifflein gut,
Sie tragen auch davon der Armen Klagen
Und ihre Tränen und verstörten Mut.
Sie sprang dreimal, den Tod sich zu erjagen,
Hinab vom Strand, kehrt gegen sich die Wut;
Dann hört sie auf, zu starren auf die Fluten,
Und geht zurück, hin, wo des Nachts sie ruhten.
27.
Sie liegt, das Antlitz abwärts, auf dem Bette;
In heißen Tränen badet sie's und spricht:
»Du warst uns zweien abends Ruhestätte;
Warum sind zwei wir heut beim Aufstehn nicht?
O weh, Biren! O wehe mir! Und hätte
Mich nie gesehen doch des Tages Licht!
Was soll ich tun? Was kann ich tun alleine?
Wer steht mir bei? Wer tröstet, wenn ich weine?
[200] 28.
Es will kein Mensch, kein Menschen werk sich zeigen,
Und nichts verrät mir, daß hier Menschen sei'n.
Ich sehe auch kein Schiff, daraufzusteigen
Und mich aus dieser Öde zu befrein.
Ich sterb' in Angst: wer wird sich zu mir neigen,
Das Aug' zu schließen, wer Bestattung weihn?
Falls nicht vielleicht das Grab mir Wölfe geben
In ihrem Leib, die hier im Walde leben.
29.
Ich steh' in Angst und wähne schon zu schauen,
Wie Löw' und Bär aus diesem Dickicht nahn,
Tiger und andre Tiere, die mit Klauen
Natur bewaffnet hat und scharfem Zahn.
Doch könnte mir vor schlimmrem Tode grauen,
Als den du, wildes Tier, mir angetan?
Sie bringen einmal mir den Tod, den herben;
Du aber, weh, läßt tausendmal mich sterben!
30.
Doch falls ich wirklich einen Schiffer sehe,
Der fort mich nimmt und Mitleid fühlt mit mir,
Daß ich dem Leid, der Todesqual entgehe
Und Wolf und Bär und anderem Getier –
Bringt er mich wohl nach Holland, wenn dort, wehe!
In Burg und Hafen deine Wächter stehn?
Muß ich nicht weiter dann die Heimat missen,
Wenn du sie mit Betrug mir hast entrissen?
31.
Du nahmst, von Freundschaft sprechend, meine Habe;
Schütztest Verwandtschaft vor, du falscher Hort!
Rasch deinen Leuten botest du die Gabe;
So sichertest du dir die Herrschaft dort.
Geh' ich nach Flandern? Was mir blieb, das habe
Ich doch verkauft; das Wen'ge ging ja fort,
Dir beizustehn, dich aus dem Turm zu retten!
Wohin, ach, geh' ich arme Frau mich betten?
[201] 32.
Fahr' ich nach Friesland hin? Dort könnt' ich schalten
Als Königin – ich weigert' es um dich!
Drum mußten Vater, Brüder mir erkalten,
Und darum ließ ich Hab und Gut im Stich!
Nicht dir zu zeigen, nicht dir vorzuhalten
Braucht's, Undankbarer, was geschah durch mich.
Denn was ich alles tat, du weißt es eben,
Wie ich – und diesen Lohn willst du mir geben!
33.
Warum, ach, faßten, die als Räuber streifen,
Mich nicht als Sklavin für den Marktverkauf!
Wolf, Bär und Löwe mögen eh'r mich greifen
Und Tiger und der andern Bestien Hauf,
Und mögen mich zur Höhle blutig schleifen,
Zerfleischt von Krallen und zermalmt darauf!« –
Sie ruft's – und auf zum Haupt die Hände fahren
Und zerren grausam an den goldnen Haaren.
34.
Zum Küstenrande läuft sie hin aufs neue
Und reckt den Hals, zerzaust im Wind das Haar;
Wie hirnverbrannt, als jage und bedräue
Ein Teufel sie, – nein, eine ganze Schar,
Wie Hekuba schien wütend wie ein Leue,
Als Polydoros eine Leiche war.
Von einem Felsen auf das Meer sie starrte,
Leblos, als ob sie selbst zum Fels erstarrte.
35.
Wir lassen sie in ihres Kummers Bande;
Von Roger nun zu sprechen ist mein Sinn,
Der in der höchsten Mittagsglut am Strande,
Müd und erschöpft, mühselig trabt dahin.
Prall liegt die Sonne auf dem Hügelrande,
Von unten kocht's im feinen Sande drin.
Am Leib die Rüstung, drauf die Strahlen sprühen,
Ist nahezu, wie er sie trägt, im Glühen.
[202] 36.
Derweilen Durst und Müh', voranzuschreiten
Einsam auf tiefem Sand und ödem Pfad,
Ihn durch den offnen Plan dahingeleiten
(Der sowie die ein schlechter Kamerad),
Sieht er in eines Turmes Schattenseiten,
Der aus dem Meer ragt unweit vom Gestad',
Drei Damen von dem Hofe der Alcine,
Die er sofort erkennt an Tracht und Miene.
37.
Auf Decken Alexandrias da lagen
Sie, und sie sogen kühle Seeluft ein,
Genossen feines Backwerk mit Behagen,
Und für den Durst bereit stand edler Wein.
Vom Strand, wo neckend sich die Wellen jagen,
Ein schmuckes Boot winkt, will bestiegen sein,
Sobald ein Hauch die Segel wird beleben;
Denn nicht ein einzig Lüftchen regt sich eben.
38.
Als sie den Reiter sahn des Weges kommen
Und mühsam traben durch den schwanken Sand,
Mit schweißbedecktem Antlitz, trüb, beklommen
– Auf seinen Lippen Durst geschrieben stand –,
Da riefen sie ihm zu, er sei willkommen,
Wenn nicht auf seine Reise ganz verrannt;
Er möge nicht die Rast verschmähn im Schatten,
Erquickung tauge seinem Leib, dem matten.
39.
Die eine winkt ihm, sich vom Pferd zu schwingen,
Und will beim Abstieg ihm behilflich sein;
Die zweite kommt, kristallnes Glas zu bringen
(Wie wächst sein Durst!) mit schaumgekröntem Wein,
Doch mag er nicht nach dieser Pfeife springen:
Denn, läßt er nur auf kurze Rast sich ein,
Kann's leicht geschehen, daß Alcine da ist,
Die hinterdrein kommt und zur Zeit schon nah ist.
[203] 40.
So lodert, gluterfaßt, in jähem Feuer
Nicht reiner Schwefel und Salpeter auf;
So rast das Meer nicht, wild und ungeheuer,
Wenn schwarzer Sturm mit Drohen steigt herauf,
Wie (da sie sieht, daß Roger nur noch scheuer
Am Strande hinlenkt in geradem Lauf
Und daß er alle drei verschmäht zusammen)
Die dritte wütend anfängt aufzuflammen.
41.
Laut kreischend also fing sie an zu schmälen:
»Du bist kein Ritter und kein Edelmann!
Du stahlst die Waffen, und das Pferd zu stehlen,
Darauf kam dir's vermutlich auch nicht an,
So daß man dich – und darauf magst du zählen –
Bald auf dem Rabensteine sehen kann,
Gevierteilt dort, verbrannt, gepfählt zu werden,
Du größter Lump, Halunke, Dieb auf Erden!«
42.
Dem Munde der erbosten Frau entgleiten
Schimpfreden so wie diese noch viel mehr:
Antwort gibt Roger nicht; aus solchem Streiten,
So niedrigem, erwüchs' ihm wenig Ehr'.
Die drei gehn in das Boot, um ihm zu Seiten
Am Ufer hinzufahren auf dem Meer:
Mit hurt'gen Ruderschlägen geht es weiter,
Die Augen stets gerichtet auf den Reiter.
43.
Dem Lästermund sich Fluch auf Fluch entwindet,
Der Stoff geht gar nicht aus – und Schmähn und Drohn,
Bis Roger sich an jenem Sunde findet,
Wo da beginnt der guten Fee Region.
Ein alter Fährmann an dem Ufer bindet
Ein Fahrzeug drüben los, als ob er schon
Dort auf den Ritter warte, denn die Kunde,
Daß Roger komme, machte schon die Runde.
[204] 44.
Der Fährmann löst, wie Roger naht, den Nachen,
Ihn froh zu führen in ein beßres Land;
Darf man die Schlüsse nach dem Antlitz machen,
So ist er herzensgut und voll Verstand.
In Roger Dank an Gott und Freud' erwachen,
Als er im Kahn ist, und zum andern Strand
Fährt er durch stille Fluten mit dem Greise,
Der an Erfahrung reich ihm scheint und weise.
45.
Der lobt ihn, daß er aus Alcinens Schlinge
Sich habe recht zur Zeit noch losgemacht,
Bevor sie jenen Zauberbecher bringe,
Der allen andern sonst war zugedacht.
Wenn er zu Logistilla weiterdringe,
So find' er hoher, ew'ger Schönheit Macht
Und Huld unendlich, Sitten ohne Fehle,
Was niemals sättigt, immer nährt die Seele.
46.
»Wem ihre Züge«, sprach er, »kund sich machten,
Ehrfürchtig Staunen in das Herz sie senkt:
Such' immer eifriger sie zu betrachten,
Daß keines weitern Guts dein Sinn gedenkt.
Wenn andre stets nur Furcht und Hoffnung brachten,
Viel Besseres dir ihre Liebe schenkt:
Nicht mehr Verlangen will das Herz bewegen,
Nur Glück, sie anzuschaun, es mild erregen.
47.
Und beßre Dinge läßt sie dich erstreben
Als Speisen, Tanz und Spiel und süßen Duft,
Daß die Gedanken höher sich erheben,
Als sonnenwärts der Aar steigt durch die Luft,
Und daß der Sel'gen Wonne man im Leben
Schon hier genießt in dieser Erdengruft.«
So sprechend lenkt der Schiffer zum Gestade,
Wiewohl noch fern vom sichren Felsenpfade.
[205] 48.
Da lassen auf dem Meer sich Schiffe sehen
(Und alle sind dem Nachen zugewandt),
So viel Alcine zu Gebote stehen,
Auch viele Mannschaft hat sie ausgesandt
– Der Staat mag, und sie selber, untergehen –,
Den Teuern einzuholen, der entschwand.
Anlaß von allem ist gewiß die Liebe,
Doch Kränkung auch, Verdruß und Rachetriebe.
49.
Nie mußte sie so schweren Ärger spüren
Wie den, der ihr jetzund am Herzen nagt:
So eilig läßt sie alle Ruder führen,
Daß schäumend auf das Deck die Woge jagt.
Im großen Lärme Meer und Strand sich rühren,
Von allen Seiten her das Echo klagt.
»Laß auf dem Schild nicht mehr den Schleier hangen,
Sonst bist du tot; wenn nicht, mit Schimpf gefangen!«
50.
Also der Greis. Bevor sein Wort geendet,
Zerreißt die Hülle, die den Schild umflicht,
Und rasch wird dieser auf den Feind gewendet,
Daß hell und frei hinausstrahlt all sein Licht.
Der Zauberglanz, den jetzt der Schild entsendet,
Benimmt den Gegnern derart das Gesicht,
Daß sie vom Schiffe vorn und hinten fallen:
Geblendet sind die Augen ihnen allen.
51.
Ein Späher hat vom Mast am Felsenrande
Alcine mit den Schiffen auch erblickt,
Und seine Glocke wird gehört im Lande,
Das schleunigst Beistand an den Hafen schickt:
Aus Wurfmaschinen hagelt's her vom Strande
Auf ihn, der Roger was am Zeuge flickt,
Und allerseits die Helfer sich erheben,
Daß er die Freiheit rette und das Leben.
[206] 52.
Vier Damen kommen zu den Strandtribünen,
Und ausgesendet hat sie Logistill:
Phronesia, klug und hochbegabt, die kühne
Andronika, die redliche Dikill,
Die überlegte, keusche Sophrosyne,
Die mehr noch als die andren schaffen will.
Das Heer, schier unerreicht auf Erdenweiten,
Verläßt die Burg, am Meer sich auszubreiten.
53.
In vieler großen Schiffe stillem Schoße
Stand unterhalb der Burg die Schar bereit
– Beim ersten Laut, beim ersten Hörnerstoße –
Zum Kampf bei Tag und Nacht in jeder Zeit.
Und so begann das Ringen denn, das große,
In Land und Meer der fürchterliche Streit:
Kopfüber ging Alcinens Reich in Stücke,
Das sie der Schwester einst entriß mit Tücke.
54.
O wie so oft ist doch bei großen Schlachten
Der Ausgang anders, als man sich gedacht!
Alcine hat trotz allem heißen Trachten
Den teuren Buhlen nicht zurückgebracht.
Und von den Schiffen, die unsichtbar machten
Des Meeres Fläche durch der Segel Pracht,
Ist nur ein Boot der Feuersbrunst entgangen,
Auf dem sie kläglich jetzt enteilt voll Bangen.
55.
Sie floh, und ihre Mannschaft überwunden,
Ertrunken und verbrannt der Gegner sah.
Sie hat Verlust des Teuren mehr empfunden,
Als was ihr sonst noch Schmerzliches geschah.
Seufzend bei Tag und Nacht endlose Stunden,
Mit Tränen in den Augen sitzt sie da
Und möchte sich der bittern Qual entziehen
Und klagt, daß sie nicht aus der Welt kann fliehen.
[207] 56.
Solange Sonne sich und Sterne drehen,
Ist es unmöglich, daß sie sterbe je;
Sonst würde Klotho selbst voll Mitleid stehen
Und kürzen mild den Faden dieser Fee;
Wie Dido könnte sie dem Leid entgehen
Und, wie die Herrscherin des Nils, vor Weh
Sich retten tief hinab in Todesschlummer;
Doch Feen sterben nie – das ist ihr Kummer.
57.
Zurück zu ihm, dem ruhmeswerten Degen
Roger – Alcine klage weiter dort!
Er also sieht sich kaum auf sichren Wegen
Dem Boot entschlüpft, da dankt er Gott sofort,
Daß, was er plante, alles nun zum Segen
Erfüllt ist, schreitet dann vom Meere fort
Mit eil'gem Fuß zur Burg auf trocknem Pfade,
Die dort emporsteigt unweit vom Gestade.
58.
So festes Schloß und herrlich anzuschauen
Kein Menschenauge je auf Erden fand:
Kostbarer sind die Wände, darf man trauen,
Als wenn Pyrop es wär' und Diamant.
Nie nahm man solche Steine noch zum Bauen;
Wer's sehen will, besuche dort das Land.
Sonst nirgends, ob er um die Erde ginge,
Vielleicht im Himmel, gibt es solche Dinge.
59.
Daß weit zurückstehn andre Prachtjuwelen,
Macht dieses: Sehn die Menschen hier hinein,
So schaun sie deutlich ihre eignen Seelen
Und was darin mag gut und böse sein:
Gleichgültig, wenn gehäßge Tadler schmälen,
Sind sie gefeit nun gegen Schmeichelein;
Sie können bald sich klug und weise nennen,
Denn dieser Spiegel lehrt sich selbst erkennen.
[208] 60.
Das helle Licht weicht nur dem Sonnenscheine,
Und solche Klarheit schickt es in die Welt,
Daß ohne Phöbus dir die Kraft der Steine
Den Tag kann schaffen, wenn es dir gefällt.
Und wunderbar ist nicht nur dies alleine;
Mit edlem Stoffe, den der Bau enthält,
Ringt höchste Kunst: es wäre schwer zu sagen,
Was von den beiden hier mag überragen.
61.
Auf mächt'gen Bogen, die wie Pfosten stehen,
Geholt vom Jenseits, aus dem Himmel her,
In weiten Gärten kann man sich ergehen,
Wie's unten kaum zu schaffen möglich wär',
Und durch die lichten Zinnen sind zu sehen
Grüner Gebüsche viele, düfteschwer,
Die stets, in Sommer- und in Wintertagen
So Blütenflor wie reife Früchte tragen.
62.
Von solchen edlen Bäumen kann man keinen
Wo anders als in diesem Garten ziehn;
Auch solche Rosen nirgends sonst erscheinen
Und Veilchen, Lilien, Amarant, Jasmin.
Und sieht man sonst am selben Tag, dem einen,
Entstehn und leben, wieder sinken hin
Und ihren leeren Stiel als Witwer lassen
Die Blume, die verschiedne Winde fassen,
63.
So pflegte hier das Grünen nie zu enden,
Der Blumen Schönheit währte immerdar;
Nicht etwa, daß Natur mit güt'gen Händen
Hier mild zu herrschen stets beflissen war;
Nein, Logistilla wußt' es so zu wenden
(Den andern schien's unmöglich ganz und gar),
Durch Sorgfalt, ohne höhrer Mächte Walten,
Für ewig ihren Frühling festzuhalten.
[209] 64.
Vernommen hatte sie mit frohen Mienen,
Welch edlen Herrn das Schicksal ihr gebracht,
Und gleich befohlen, eifrig ihm zu dienen,
Ihn hoch zu ehren, sei man recht bedacht.
Astolf war lange schon vorher erschienen
– O wie sein Anblick Roger fröhlich macht –,
Drauf alle andern auch, die von Melissen
Entzaubert waren und der Fee entrissen.
65.
Als ein, zwei Tage ruhevoll vergingen,
Trieb es jung Roger, zu der Fee zu gehn
Mit Herzog Astolf, der vor allen Dingen
Den Westen gleichfalls wollte wiedersehn.
Melissa müht sich, in die Fee zu dringen
Und sie mit rechter Demut anzuflehn,
Den beiden Rittern Hilfe zu gewähren,
Daß sie imstande seien, heimzukehren.
66.
»Wohl,« sprach die Fee, »ich will es überlegen!
Und in zwei Tagen geb' ich sie dir frei.«
Sie geht mit sich zu Rate Rogers wegen,
Dann auch um Astolfs willen nebenbei,
Und sagt, daß Aquitanien entgegen
Zuerst der Flügelhengst zu schicken sei,
Doch vorher müss' er ein Gebiß erhalten,
Um ihn zu lenken und ihn aufzuhalten.
67.
Roger erfährt, wie man es macht, wann steigen
Das Tier soll, nach den Wolken hingewandt,
Wann schnell sich regen, wann zu Tal sich neigen
Wann wieder ruhn, die Flügel ausgespannt.
In allen Künsten, wie sie Reiter zeigen
Auf mut'gen Rennern wohl in ebnem Land,
Übt Roger sich, daß er ein Meister werde,
Durch Luft zu reiten auf dem Flügelpferde.
[210] 68.
Als alle Dinge für ihn fertig waren,
Schied von der edlen Fee der Rittersmann
(Getreue Liebe sollt' er ihr bewahren
Für immerdar) und zog davon sodann.
Zuerst von ihm noch müßt Ihr jetzt erfahren,
Von Englands Prinzen fang' ich später an,
Wie langsam und in mühevoller Weise
Zurück zum großen Karl ging seine Reise.
69.
Herr Roger nahm den Weg nicht, den er machte,
Als widerwillig durch die Luft er zog,
Und selten über Land der Greif ihn brachte,
Der stets nur über Meeresfluten flog.
Nun er ihn senken konnte, wenn er dachte,
Hierhin und dorthin, wie er es erwog,
Wählt' er – wie die drei Könige gerade
Beim Rückweg von Herod – jetzt andre Pfade.
70.
In Indien war er, um das Land zu finden
– An Spanien in geradem Strich vorbei –,
Wo sich des Ostmeers Uferlinien winden
Und sich in Haaren lagen Fei und Fei.
Jetzt schaut er gerne, wo mit seinen Winden
Gott Äolus ein wenig milder sei:
Den Rundgang um die Erde möcht' er enden
Und wie die Sonne seinen Kreis vollenden.
71.
Katai erschien, darauf kam Mangitanien,
Und auch Quinsai, die große Stadt, er sah,
Flog über den Himavus, Serikanien
Zur Rechten lassend; und von Skythia
Abbiegend nach den Fluten von Hyrkanien,
Zu den Sarmaten kam er dann und da,
Wo nun Europa anfing, zu den Russen,
Zu den Ruthenen, Pommern und den Prussen.
[211] 72.
Wohl wünschte Roger seine Bradamante,
Die hehre Jungfrau, möglichst bald zu sehn;
Doch weil er jetzt die Lust zu schweifen kannte
Durch weite Welt, blieb er dabei nicht stehn:
Auch zu den Polen und den Ungarn wandte
Den Flug er, zu den Deutschen dann zu gehn
Und was im wilden Norden sonst mag stecken;
Zuletzt kam England dran in fernsten Ecken.
73.
Denkt nicht, o Herr, daß er die ganze Weile
Auf seinem Flügeltiere sich befand:
Ein Gasthaus ward ihm abendlich zuteile;
Auf gute Auswahl wurde Müh' verwandt,
Und Tag' und Monde flohen hin in Eile;
So lieblich war es, schauen Meer und Land.
Bei London eines Morgens war der Flieger,
Und langsam nach der Themse nieder stieg er.
74.
Auf Wiesen bei der Stadt in schönen Scharen
Sah er, gereiht mit Fußvolk, Reiterei
Herziehn bei Trommelklang und Kriegsfanfaren,
Voran der Ritter Krone frank und frei,
Rinald, der dort – Ihr habt es schon erfahren,
Ich sagte ja darüber mancherlei –
Von Karl entsandt, bemüht war, Leut' und Waffen
Zur Hilfe seines Kaisers zu beschaffen.
75.
Herr Roger kam gerade zu der Stunde,
Um anzuschaun die stolze Heerschau hier;
Noch mehr zu hören, bat er jetzt um Kunde
Den Ritter, stieg zuvor von seinem Tier,
Und artig meldet jener: aus der Runde,
Von Schottlands, Irlands, Engellands Revier
Und von den Inseln seien hergezogen
Die Kriegesbanner, die so lustig flogen:
[212] 76.
»Und nach der Musterung wird dort am Strande
Der Heeresmacht Verteilung vor sich gehn:
Das Meer zu pflügen bis zum festen Lande,
Die Schiff' im Hafen schon gerüstet stehn.
Die Franken, bald nun ledig ihrer Bande,
Im Zuzug hoffnungsvoll die Retter sehn.
Doch um noch sichrer jetzt dich zu belehren,
Will ich die ganze Streitmacht dir erklären.
77.
Das große Banner muß ins Aug' dir fallen,
Das mit der Lilie dort den Pardel führt:
Der Feldherr läßt es in die Lüfte wallen,
Und alle folgen, wie das Schiff sich rührt.
's ist Leonel, der Tapferste von allen
(Der hohe Ruhm ihm ganz mit Recht gebührt),
Ein Mann, ob man im Rat, im Krieg ihn treffe,
Herzog von Lancaster, des Königs Neffe.
78.
Dabei das nächste (es beginnt den Reigen),
Das flatternd nach dem Berg hin sich bewegt
– Im grünen Feld drei Flügel weiß sich zeigen –,
Die Farben Richards, Grafen Warwick, trägt.
Dem Herzog Gloster dann ist jenes eigen,
Das ein Geweih mit halber Stirne hegt.
Für Herzog Clarence sieh die Fackel brennen!
Den Herzog York kannst du am Baum erkennen.
79.
Die Lanze schau', dreifach geknickt vom Schlage:
Der Herzog Norfolk ist damit gemeint.
Der Blitz ist Kent, ein Held ohn' alle Frage,
Im Greif der Graf von Pembroke dir erscheint;
Suffolk, der Herzog, führt im Feld die Wage.
Zwei Schlangen sind, von einem Joch vereint:
Der Herzog Essex ist es – die Girlande
Im blauen Feld gebührt Northumberlande.
[213] 80.
Graf Arundel zeigt einen Kahn auf Wogen:
In Sturmesnot versinkt er auf dem Meer.
Von Barclay dann der Markgraf kommt gezogen,
Der Graf von March, Richmond mit seinem Heer: der.
Gespaltnen Berg führt Barclay, weiß; im Bogen
Schwenkt March die Palm: ein schwimmend Boot hat
Und Graf von Dorset, Graf von Hampton tragen
Der eine Kron' und jener einen Wagen.
81.
Der Falk, des Schwingen auf das Nest sich neigen,
Des Grafen Raimund ist von Devonshire.
Derby und Oxford Hund und Bären zeigen,
Winchester bringt ein schwarz und gelb Panier.
Kristallnes Kreuz ist dem Prälaten eigen
Von Bath, dem reichen Herrn, als Wappenzier.
Wo Ariman von Somerset der Held ist,
Die Fahn' ein Stuhl, zerstückt, in grauem Feld ist.
82.
Wohl zweiundvierzigtausend sind der Reiter,
Lanzen und Schützen hier vereint zur Schau.
Zweimal so stark erblickst du die Begleiter,
Das Fußvolk, bis aufs Hundert fast genau.
Sieh grau und grün und gelb die Zeichen weiter;
Ein andres folgt: gestreift ist's schwarz und blau.
Als Führer Gottfried, Heinrich, Hermann gehen
Und Edward; jeder läßt sein Fähnlein wehen.
83.
Von Buckingham den Herzog sieh dort schalten
Voraus; Heinrich ist Graf von Salisbury.
Burgh hat als Herren Hermann dort, den Alten,
Und Edward ist der Graf von Schrewsbury.
Die weiter gegen Osten hin sich halten,
Engländer sind es. Nun nach Westen sieh:
Wo dreißigtausend Mann dort stehn in Rotten,
Da führt Zerbin, des Königs Sohn, die Schotten.
[214] 84.
Den Löwen sieh – zwei Einhorn' an den Seiten –
Er hat das Schwert von Silber in den Klaun:
Dies Banner führt das Schottenvolk zum Streiten;
Zerbin, den Prinzen, kannst du dort erschaun,
Schön wie kein andrer, der ihn mag geleiten:
Ihn schuf Natur, die Form dann zu zerhaun.
Herzog von Roß ist er; niemand im ganzen Heere
An Huld und Kraft ihm zu vergleichen wäre.
85.
Sieh dort von Ottonley den Grafen führen
Den goldnen Balken auf azurnem Grund!
Ein Pardel in der Falle will gebühren
Von Mar dem Herzog: dieser kommt jetzund.
Den wackern Alkabrun schau hier: es rühren
Sich Vögel auf dem Schild in Farben bunt.
Nicht Herzog ist er und nicht Graf zu nennen,
Doch als den ersten ihn die Seinen kennen.
86.
Den Herzog Stafford sieh den Vogel zeigen,
Der frei die Augen nach der Sonne hält!
Lurcan, dem Grafen Angus, ist zu eigen
Der Stier, dem sich ein Doggenpaar gesellt.
Von Albany der Herzog hat den Reigen
Der Farben Weiß und Blau in seinem Feld.
Graf Buchan läßt den grünen Drachen tragen,
Den Geier sieht man drein die Klauen schlagen.
87.
Armand, der Starke, pflegt in Forbes zu schalten;
Sein Banner, weiß und schwarz, ist dort zu sehn.
Zu seiner Rechten sieh Graf Ferrol halten
Und dort die Kerz' in grünem Felde stehn!
Daneben will sich Irlands Volk entfalten,
Zwei Scharen: mit Kildare, dem Grafen, gehn
Der einen Leute; Desmond führt die zweite
Von rauhen Bergeshöhn herab zum Streite.
[215] 88.
Desmond führt weißes Feld mit rotem Streifen,
Und bei Kildare steht eine Ficht' in Brand.
Für Kaiser Karl die Waffen jetzt ergreifen
Nicht Schottland bloß, Irland und Engelland –
Norweger, Schweden auch die Schwerter schleifen,
Thule und Island, der entfernte Strand;
Kurz, alle Länder, denen stets, den Frieden
Zu hassen, ist von der Natur beschieden.
89.
Wohl an die sechzehntausend, sollt' ich meinen,
Sind angekommen so, aus Höhl' und Wald:
Haar im Gesicht, auf Brust, Seit', Arm und Beinen
Und Rücken, fast wie Tiere an Gestalt;
Es wächst ein Wald vom Boden, will es scheinen,
Aus Speeren, der ums weiße Banner wallt.
Ihr Hauptmann trägt's; der hat es sich erkoren,
Es rot zu färben mit dem Blut der Mohren.«
90.
Derweilen Roger mustert all die Streiter,
Die da sich rüsten, Frankreich beizustehn,
Und die verschiednen Zeichen, um dann weiter
Der brit'schen Herren Namen durchzugehn,
Kommt einer nach dem andern, diesen Reiter
Mit seinem Wundertiere anzusehn:
Sie laufen starrend und mit offnem Munde,
Und bald geschlossen ist um ihn die Runde.
91.
Zu schaun noch mehr von staunender Gebärde
– Und auch des Scherzes willen eigentlich –,
Schüttelt der Held den Zaum dem Flügelpferde,
Und leise gibt sein Sporn ihm einen Stich:
Auffliegt es himmelwärts, weit von der Erde,
Und läßt betäubt die andern unter sich.
Roger beschaut sich England nach Belieben
Und hat den Greif dann Irland zugetrieben.
[216] 92.
Hibernien sah er, jenes Land der Sagen,
In dem des guten Heil'gen Grotte steht,
Wo solche große Gnad' ist zu erfragen,
Daß schuldbefreit heraus der Sünder geht.
Den Weg zum Meer dann hat er eingeschlagen,
Wo Kleinbritannien liegt, vom Wind umweht,
Und, abwärts schauend, plötzlich dort gefunden
Angelika, an nackten Fels gebunden!
93.
An nackten Fels im Tränenland alleine!
Denn jene Insel hieß das Tränenland,
Wo, grausam, wild, hartherzig wie die Steine,
Sich jene rohe Völkerschaft befand,
Die – ihr entsinnt Euch deren, wie ich meine –
Bewaffnet zog umher von Strand zu Strand,
Zu fangen schöne Fraun auf jede Weise,
Dem Untier dort zur greuelvollen Speise.
94.
Gebunden harrte sie an Meeres Borden,
Verschluckt zu werden von dem grausen Tier;
Täglich ja kam das Scheusal, um zu morden
Und zu der grauenhaften Atzung hier.
Ich sagt' Euch, wie sie Beute war geworden
Der Menschen, die sie schlafend, und bei ihr
Den alten Klausner, am Gestade fanden,
Der sie bezwungen hielt in Zauberbanden.
95.
Die unbarmherzig roh' und wilde Bande
Die holde Jungfrau nackt der Bestie bot,
Wie sie geschaffen war; am Uferrande
Wird sie vom argen Ungetüm bedroht:
Verhüllt von keinem Schleier noch Gewande
Ist jener Lilien Weiß, der Rosen Rot,
Die, ausgestreut, den feinen Leib umwallen
Und nicht im Juli und Dezember fallen.
[217] 96.
Ein Bildwerk dürft' es Roger fast erscheinen
Aus Alabaster oder Marmelstein,
Das dort durch Künstlerfleiß, so könnt' er meinen,
Sei aufgestellt am harten Felsenrain,
Säh' er das Aug' nicht eine Träne weinen
(Sie glitt in Rosen und in Schnee hinein
Und lag als Tau auf herbem Apfelpaare,
Derweil der Windhauch spielt im goldnen Haare).
97.
Und als er in die schönen Augen schaute,
Gedachte Roger seiner Bradamant,
Und aus der Wimper fast die Zähre taute.
Von Mitleid und von Liebe übermannt,
Mit sanfter Stimme grüßte er die Traute
(Den Flug des Greifen hemmte seine Hand):
»O Jungfrau, der die Kette nur gebühret,
In deren Haft die Seinen Amor führet,
98.
Unfähig bist du, Böses zu vollbringen:
Wer ist der Wütrich, dessen Machtgebot
Das Elfenbein der Hände durfte zwingen
Der Schönen – schnöden Neids – in solche Not?«
Und heiße Gluten in das Antlitz dringen,
Das gleicht dem Elfenbein, gefärbt mit Rot,
Weil, ach, die Körperteile unbedeckt sind,
Die sonst, ob schön, in Sittsamkeit versteckt sind.
99.
Sie möchte das Gesicht mit Händen schließen –
Die sind gekettet an den Felsen an;
Mit Tränen nur – die darf sie ja vergießen –
Benetzt sie's reich und neigt sich, wie sie kann.
Mit Schluchzen endlich ein paar Worte fließen,
In müdem Ton zu sprechen sie begann –
Sie kam nicht weit, und was die Rede störte,
War großer Lärm, den von der See man hörte.
[218] 100.
Da kommt das Ungetüm! Halb in den Wogen
Verborgen ist es, halb ragt es heraus,
So wie ein Schiff im Nordwind kommt geflogen
Und nach dem Hafen eilt im Sturmgebraus:
So wird von seiner Mahlzeit angezogen
Das Scheusal –: seht, gleich speit das Meer es aus.
Die Jungfrau ist halbtot vor Furcht und Schrecken,
Kein Trosteswort kann ihren Mut erwecken.
101.
Frei schwingt der Held – und legt nicht ein – die Lanze,
Über die Hand hin sticht er nach dem Tier:
Ich weiß nicht, nennt man wirklich so das Ganze?
Nur wüste Masse dreht und wälzt sich hier;
Nichts Tierisches zeigt sich vom Kopf zum Schwanze,
Dem Schwein nur gleichen Zähn' und Augen schier.
Der Stoß geht mitten hin, wo Augen scheinen,
Und prallt zurück, als wär's von Stahl und Steinen.
102.
Als es dem ersten Stoß nicht will gelingen,
Kehrt Roger um: der zweite macht's wohl gut.
Das Tier sieht Schatten von den großen Schwingen
So hin- und widerfahren auf der Flut;
Am Strand die Fleischgerichte sicher hingen,
Drum folgt es diesen neuen jetzt voll Wut:
Man siehts mit Drehn und Wälzen ab sich hetzen:
Flink kommt der Held, ihm Hiebe zu versetzen.
103.
So wie der Adler aus der Ätherweite,
Wenn er die Schlang' im Grase schleichend schaut
(Oder ob sie auf nacktem Fels hingleite,
Drauf sie geleckt hat ihre bunte Haut),
Den Angriff nicht beginnt an jener Seite,
Wo zischt und pfeift des Gifttiers drohnder Laut,
Nein, dies von hinten packt und schlägt die Schwingen,
Daß es nicht drehn sich kann und Unheil bringen,
[219] 104.
So will hier Roger Speer und Schwert verwenden:
Nicht, wo des Rachens Zahn ihn treffen kann,
Nein, in die Ohren gilt's den Stoß zu senden;
Im Rückgrat und am Schwanze greift er an.
Dreht sich das Tier, so muß auch er sich wenden,
Steigt auf und ab, kommt hier und dort heran –
Für Jaspis möchte man die Bestie halten,
Die harte Schuppenhaut ist nicht zu spalten.
105.
So mag sich zwischen Mück' und Hund erheben
Der heiße Kampf im staubigen August
(Und in den Nachbarmonden auch daneben,
Dem reich an Ähren, dem an Weineslust):
Sie weiß die Stiche Aug' und Maul zu geben,
Läßt ihn nicht los und schwirrt um Hals und Brust.
Aufs neu stets muß er nach dem Surren schnappen –
Doch aus ist alles, läßt sie sich ertappen.
106.
Schier himmelhoch gepeitscht die Wellen springen,
So mächtig schlägt die Bestie und so schwer,
Roger weiß nicht, sind in der Luft die Schwingen
Oder da unten schwimmend auf dem Meer.
Gern möcht' er wohl sich jetzt ins Trockne bringen,
Denn dauert dieses Wasserspiel noch mehr
Und wird des Greifen Fittich immer nässer –
Nicht Kahn noch Schwimmblas' hilft aus dem Gewässer.
107.
Er sinnt – und beßrer Rat ist jetzt zu Händen,
Wenn es dem Untier obzusiegen gilt:
Man muß es mit dem Zauberscheine blenden,
Der eingeschlossen ist im Wunderschild.
Er eilt zum Strand, um Unheil abzuwenden,
Und steckt, der Jungfrau nahend zart und mild,
Den Ring ihr an, den Zauberkunstbezwinger,
So daß sie fest ihn trägt am kleinen Finger.
[220] 108.
Ich meine jenen Ring, den Bradamante,
Um Roger zu befrein, nahm von Brunel
Und durch Melissa hin nach Indien sandte,
Um Rogers Geist zu machen stark und hell,
Melissa, die zum Guten ihn verwandte,
Wie ihr vernommen habt an frührer Stell'
Und den der Jüngling dann zu allen Tagen,
Wie eben noch, am Finger hat getragen.
109.
Er gibt ihn jetzt Angelika gerade,
Weil sonst der Schild ja gar nicht blitzen kann,
Und auch, daß nichts den schönen Augen schade
(Er zappelt, ach, bereits in ihrem Bann).
Das halbe Meer bedeckend, ans Gestade
Kommt nun der ungeheure Fisch heran.
Roger, bereit, läßt rasch das Tuch sich heben,
Ein zweites Sonnenlicht der Welt zu geben.
110.
Ins Auge traf des Zauberlichtes Helle
Das Ungetüm und zeigte seine Macht:
So wie den Fluß hinab treibt die Forelle,
Den erst mit Kalk der Bauer trüb gemacht,
So, scheußlich umgekehrt, am Strandgefälle,
Im Schaum'gen lag die Bestie ungeschlacht.
Roger versucht, ihr Wunden beizubringen,
Doch nirgends will der Stahl die Haut durchdringen.
111.
Da fleht die Jungfrau, doch ein End' zu machen:
»O müh' an harten Schuppen dich nicht mehr,
Binde mich los, rasch, eh es kann erwachen –
Um Gott!« So rief sie weinend zu ihm her.
»O laß mich nicht in garst'gen Fisches Rachen;
Nimm mich mit dir und wirf mich dann ins Meer!«
Gerührt von ihrer Angst, löst er die Bande
Der Jungfrau, führt sie weg sodann vom Strande.
[221] 112.
Er spornt den Hengst, der spornt den Sand mit Füßen,
Worauf der Renner in die Luft entwich,
Den Reiter auf dem Rücken mit der Süßen,
Der Roger gab ein Plätzchen hinter sich.
Er zwang den Fisch, die Mahlzeit einzubüßen,
Für den ja viel zu fein und wonniglich.
Er wendet sich, und unserm Helden taugen
Der Küsse viel auf junge Brust und Augen.
113.
Nicht, wie er anfangs wollte, rings um Spanien
Nahm er auf seinem Greifen jetzt den Flug:
Wo in die See hinein ragt Kleinbritannien,
Zum nächsten Ufer ihn der Renner trug.
Ein schatt'ger Hain von Eichen und Kastanien,
Wo allzeit Philomele klagend schlug,
Barg manchen stillen Hügel grün und helle
Und in der Mitte Rasenplatz mit Quelle.
114.
Hier stieg der glühnde Reiter aus dem Bügel,
Nach stürm'schem Ritt; zum Rasen hin er drang;
Er ließ den Gaul jetzt einziehn seine Flügel,
Nur den nicht, der sie immer höher schwang.
Er stieg vom Pferd und hielt sich kaum im Zügel,
Ein andres zu besteigen; doch umschlang
Die Rüstung ihn: sie gilt es abzulegen,
Denn Schranken setzt sie seinem Wunsch entgegen.
115.
Verwirrt und eilig riß er von den Waffen
Bald hier, bald wieder dort ein Stück herab.
Wie hat es lang gewährt, sie wegzuraffen:
War auf ein Knoten, es zwei neue gab. –
Doch schon zu lang macht Euch der Sang zu schaffen,
Herr; zuzuhören müht vielleicht Euch ab.
Darum verschieb' ich jetzo die Geschichte,
Bis Euch genehmer sei, daß ich berichte.

[222] Elfter Gesang

1.
Zwar hat ein schwacher Zaum schon, die Bewegung
Des mut'gen Pferds zu hemmen, oft die Kraft,
Doch selten ist's, daß des Verstandes Regung
Zur Umkehr bringt die tolle Leidenschaft,
Sobald Genuß im Spiel; wie die Erregung
Des Bären überm Honig nicht erschlafft,
Wenn der Geruch ihm aufsteigt in die Nase
Und er ein Tröpfchen hat geschmeckt am Glase.
2.
Was soll zurück den guten Roger halten,
Nach Wunsch des holden Mädchens froh zu sein,
Wo ihre Reize sich ihm frei entfalten
Hier im verschwiegnen und bequemen Hain?
Die sonst in seinem Herzen pflegt zu schalten,
Das Fräulein Bradamant, fällt ihm nicht ein.
Er wär' ein Narr – falls er an sie gedacht hätt' –,
Wenn er nicht jetzt auch dieser Schönen acht hätt',
3.
Bei der Xenokrates, so starr und bieder,
Ja selber, mein' ich, kaum noch hielte stand.
Roger entwaffnet ungestüm die Glieder,
Am Boden liegen Speer und Schild selband –
Da blickt die Schöne schamhaft vor sich nieder
Und hat am Finger jenen Ring erkannt,
Den teuern, den sie lange mußte missen,
Den in Albrakka ihr Brunel entrissen;
[223] 4.
Der Ring ists, dessen sie so viel gedachte
(Das erstemal nach Frankreich nahm sie ihn,
Als dorthin seine Lanz' ihr Bruder brachte,
Die dann an Astolf kam, den Paladin),
Der jenen Zaubertrug zunichte machte
Des Malegis am Steine des Merlin,
Mit dem sie Roland hatt' an jenem Morgen
Vor Dragontinas Sklaverei geborgen,
5.
Mit dem sie, unwahrnehmbar dem Gesichte,
Aus jenem Turm des argen Alten schlich –
Doch weiß ich nicht, warum ich das berichte,
Ihr wißt es alles ebenso wie ich.
Der Diebstahl glückte drauf Brunel dem Wichte;
Der König wollte ja den Ring für sich.
Seitdem ist ihr Fortuna feind geblieben
Und hat sie gar aus ihrem Reich vertrieben.
6.
Als sie am Finger nun den Ring sieht hangen,
Aufglüht in freud'gem Staunen ihr Gesicht;
In eitlen Träumen wähnt sie sich befangen,
Traut ihren Augen jetzt und Händen nicht.
Sie läßt vom Finger leis den Ring gelangen
Zum Mund – und plötzlich, gleich des Blitzes Licht,
Ist sie den Blicken Rogers fortgeschwunden
So wie die Sonne von Gewölk umwunden.
7.
Er hat, verblüfft, ringsum den Blick entsendet,
Er dreht wie närrisch sich herum im Kreis.
Als sein Gedanke zu dem Ring sich wendet,
Steht er beschämt, verwirrt und kreideweiß,
Und wie sein Vorwurf gegen sich nicht endet,
Klagt er das Mädchen an, das solcherweis
Undankbar für den Beistand, unfein, ohne
Rücksicht auf ihn, genoßne Hilfe lohne.
[224] 8.
»So willst du dies als Dank für mich erwählen,«
Rief er verzweifelt, »grausam Mägdelein?
Nimmst du denn lieber jenen Ring durch Stehlen
Als zum Geschenk? Er ist mit Freuden dein,
Und Schild und Roß soll als dein eigen zählen
Und ich dazu, ich will dein Sklave sein,
Nur daß du mir dein holdes Antlitz zeigest!
Ich weiß, du hörst mich, Böse, und du schweigest!«
9.
So spricht und ringsum tastend wankt der Arme,
Gleichwie ein Blinder, nach der Quelle hin.
Oft schließt er leere Luft in seine Arme
Und hofft, er fasse seine Schöne drin.
Die war schon fern auf ihrer Flucht vor Harme
Und immer weiter strebt die Wandrerin.
Da beut sich eine Höhle ihrem Blicke,
Groß und mit Vorrat, daß sie sich erquicke.
10.
Ein alter Hirt, der eine Herde Stuten
Zu hüten hatte, brauchte sie als Hort.
Die Fohlen weideten bei frischen Fluten
Die zarten Gräser ab im Tale dort
Und fanden mittags vor den heißen Gluten
In Ställen rechts und links geschützten Ort.
Angelika ließ viele Zeit vergehen
Mit ihrer Rast und ward noch nicht gesehen.
11.
So gegen Abend ist sie munter wieder
– Wie Nahrung stärkte, Ruhe wohl ihr tat! –
Und hüllt in rohe Röcke nun die Glieder,
Unähnlich freilich ihrem Kleiderstaat.
Sie hatte grün', gelb', rot' und blaue Mieder,
Von jedem Schnitte, schön und akkurat.
Doch, mag ihr Kleid jetzt niedrig sein zu nennen,
Als edles Fräulein ist sie doch zu kennen.
[225] 12.
Von Amaryllis, Phyllis und Neären
Und Galathee ihr füglich schweigen sollt:
Sie allzusammen nicht so reizend wären,
Ob Tityrus, ob Meliböus grollt.
Dann wählt sie eine von den vielen Mähren,
Die ihr am besten dort gefallen wollt'.
Jetzt kann sie dem Gedanken nicht mehr wehren,
Ins Morgenland allmählich heimzukehren.
13.
Als Roger lange Zeit, dahinzustreifen
Nach seinem Fräulein, hat umsonst verbracht,
Muß er zuletzt den Irrtum wohl begreifen
Und daß die Schöne sich davongemacht.
So kommt er denn zurück, sucht seinen Greifen
Und ist, ihn zu besteigen, just bedacht –
Da hat das Tier sich seinem Zaum entzogen
Und ist zur Freiheit in die Luft geflogen.
14.
Den Flügelhengst – nach Ärger und Beschwerden –
Zu missen, war ein recht empfindlich Ding;
Der Frauenlist zur Beute so zu werden,
Bedrückt ihn auch: doch was darüber ging
Und ihm erschien als Schmerzlichstes auf Erden,
War der Verlust von jenem Zauberring:
Nicht ob der Kraft möcht' er ihn gern erlangen,
Nein, weil er von der Trauten ihn empfangen.
15.
Er legt – verdrießlich, ach, im höchsten Grade –
Die Rüstung an und hängt sich um den Schild,
Sucht sich den Weg landein vom Meergestade
Nach einem breiten Tal durch Grasgefild,
Wo deutlicher die Spur von einem Pfade
Sich hinzieht durch die Waldung dicht und wild.
Er geht – und wo Gesträuch steht engverschlungen,
Ist laut Getöse an sein Ohr gedrungen.
[226] 16.
Getös' von Waffen, die zusammenschlagen,
Und als er eilig durch die Zweige bricht,
Da haben zwei im Kampfe sich am Kragen,
Auf engem Platz, wo Bäume stehen dicht,
Ohne nach Rücksicht irgendwie zu fragen,
Blutig zu rächen – was, das weiß man nicht:
Ein Riese, finster wie das Ungewitter,
Der andre scheint ein kühner, edler Ritter.
17.
Er kämpft mit Schwert und Schild, und auszubiegen
Weiß er, indem er hier- und dorthin springt,
Um nicht der schweren Keule zu erliegen,
Die jener Riese mit zwei Händen schwingt.
Am Wege tot sieht man den Renner liegen.
Roger bleibt stehn –; was wohl der Ausgang bringt?
Er stellt im Geist sich auf des Ritters Seite
Und wünscht, er möge Sieger sein im Streite.
18.
Nicht, daß er ihm zu helfen Anstalt machte:
Er hält sich abseits, sieht den Fall mit an.
Da mit dem Knüppel hieb der Ungeschlachte
Zweihändig auf den Helm den kleinern Mann,
Daß er ihn mit dem Schlag zu Boden brachte.
An den Betäubten trat er dann heran,
Schnallt ihm den Helm ab, ihm den Rest zu geben –
Und Roger sah den Eisenhut sich heben,
19.
Und im enthüllten Antlitz da erkannte
Er der Geliebten himmlische Gestalt:
Die schöne, o, die süße Bradamante
Will töten jener Unhold mißgestalt!
Auf ihn mit bloßem Schwerte Roger rannte
Und fordert ihn zum Streit mit lautem »Halt!«
Doch ohn' auf neuen Kampf sich einzulassen,
Eilt der, die Regungslose zu erfassen.
[227] 20.
Er packt sie auf; so schleppt hinweg vom Stalle
Der Wolf die Beut' aus einer Lämmerschar;
So trägt die Taube fort mit seiner Kralle –
Oder ein Vöglein sonst – der grimme Aar.
Eingreifen tut jetzt not in jedem Falle,
Und Roger eilt herbei, doch rasch fürwahr
Der Kerl davon mit seinem langen Bein kommt,
Daß kaum der Blick des Ritters hinterdrein kommt.
21.
Der läuft, und jener folgt mit raschen Schritten,
Bis sie zuletzt auf immer breiterm Pfad
Durch Dickicht und durch düstren Waldes Mitten
Sind einer großen offnen Au genaht.
Genug jetzt. – Nun zu Roland, möcht' ich bitten,
Der des Cimosco Feuerblitz gerad
Hinausgeschleudert hat in Meeresweiten,
Daß er der Welt entschwind' auf alle Zeiten!
22.
Doch wenig half's –; der Feind der Menschenkinder,
Dem ja das Unheilschaffen zugehört
(Er war recht eigentlich des Strahls Erfinder,
Der wie der Blitz vom Himmel her zerstört),
Er ließ, auf Weh und Leid bedacht (nicht minder,
Als da mit Trug einst Eva ward betört),
Noch einem Zaubrer jenen Fund gelingen,
Als unsre Ahnen hier auf Erden gingen.
23.
Das Höllenrohr, das auf dem Grund der Wogen
Versteckt gelegen viele Jahre lang,
Ans Licht herauf durch Zauberkraft gezogen,
Zuerst hin zu dem Volk der Deutschen drang,
Die das und dies versuchten und erwogen,
Bis ihnen, ach, zum Fluch für uns, gelang,
Geschärften Sinns durch Satans Unterstützung
Neu aufzufinden jenes Rohrs Benützung.
[228] 24.
Italien, Frankreich, all die andern Lande
Der Welt sind auf die grimme Kunst erpicht:
Der zwingt das Erz in hohler Formen Bande,
Das flüssig aus des Ofens Gluten bricht;
Der bohrt das Eisen, gibt die Form im Brande,
Bald klein, bald groß, von dem und dem Gewicht:
Der nennt es Mörser, jener nennt's Kartaune,
Kanone einfach, doppelt auch, nach Laune.
25.
Von Schlangen hör' ich, Falken, Kolubrinen,
Wie's just ihm einfällt, der das Ding beschert,
Das Stahl zerbricht, aus Burgen macht Ruinen
Und dem auf Erden nichts den Weg verwehrt.
Armer Soldat, wozu noch sollen dienen
Dir alle deine Waffen bis aufs Schwert?
Nimm auf die Schulter einen Donnerkasten!
Sonst ohne Löhnung, fürcht' ich, mußt du fasten.
26.
Erfindung, frevelhaft und tief zu hassen,
Was kamst du je in eines Menschen Sinn?
Durch dich muß aller Waffenruhm erblassen,
Durch dich sinkt ehrenlos das Kriegswerk hin;
Durch dich steht Mannheit jetzt und Mut verlassen,
Denn über Wert ist Feigheit Siegerin:
Nicht Heldenschaft, nicht Kühnheit, die man lobe,
Kommt in dem Kriegesfelde mehr zur Probe.
27.
Gegangen sind durch dich und werden gehen
Der Herrn und Ritter viel in Todesnacht,
Eh wir das Ende jenes Krieges sehen,
Der für Italien so viel Leid gebracht.
Ich sagt' es – und als wahr bleibt es bestehen:
So Greuliches ward niemals noch erdacht;
Es hat der schlimmste aller Menschengeister
Im Feuerrohrerfinder seinen Meister.
[229] 28.
Und Gott – so glaub' ich – wird im tiefsten Grunde,
Damit den Frevler dort die Straf' ereilt,
Einschließen die verdammte Seel' im Schlunde
Der Hölle, wo verflucht der Judas weilt. –
Doch folgen wir dem Ritter, der zur Stunde
Hin nach Ebuda voller Sehnsucht eilt,
Dem Eiland, wo man schöne zarte Frauen
Dem Ungeheuer vorsetzt zum Verdauen.
29.
Je mehr der Held strebt eilig in die Weite,
Nur um so wen'ger eilig hat's der Wind:
Ob er von rechts bläst, ob von linker Seite,
Ob hinterdrein – stets weht er so gelind,
Man wünscht nicht mehr, als daß das Schifflein gleite,
Weil manchmal gänzlich still die Lüfte sind.
Dann wieder bläst er stracks dem Lauf entgegen,
Daß man lavierend nur sich kann bewegen.
30.
Gott ließ ihn früher nicht zu Lande gehen,
Als bis Hibernias König weilte dort;
Sonst konnte alles das nicht leicht geschehen,
Wovon ihr bald erfahrt am rechten Ort.
Als sie vom Schiff das Eiland nahe sehen,
Spricht Roland zu dem Steurer: »Bleib am Bord;
Mir aber gib das Boot, daß ich zum Riffe,
Ohne Geleite sonst, hinüberschiffe!
31.
Auch Tau und Anker noch sollst du mir lassen,
Die allergrößten, die zu finden sei'n:
Du wirst den Grund, warum's geschieht, erfassen,
Laß ich in Kampf mich mit dem Untier ein.«
Das Boot mit allem, das zum Plan kann passen,
Wirft man dem Ritter in das Meer hinein.
Von seinen Waffen nimmt er nur den Degen
Und fährt allein dann jenem Riff entgegen.
[230] 32.
Er zieht die Ruder an die Brust, den Rücken
Gewendet nach dem Ziel am Uferrand;
Vergleichbar großem Krebs in allen Stücken,
Der aus dem Meer hinaufkriecht nach dem Strand.
Die Stund' ist's, wenn das goldne Haar, das schmücken
Aurora darf, der Sonn' ist zugewandt:
Halb ist's verdeckt, halb darf es sich entfalten,
Nicht sonder Ärger Titons wohl, des Alten.
33.
Als er so weit genaht dem Felsenraine,
Wie kräft'ge Hand den Kiesel schleudern kann,
Deucht ihn – und deucht auch nicht –, daß jemand weine,
So schwach und leise kam der Laut heran.
Nach links gewendet sucht er am Gesteine,
Zum Ufer blickend, wo die Welle rann; –
Gebunden war ein nacktes Weib zu sehen;
Die Füße, weiß und zart, im Wasser stehen.
34.
Sie ist noch fern und läßt das Antlitz hangen;
Drum kann er nicht erkennen, wer es sei.
Er regt die Ruder emsig, voll Verlangen,
Von ihr noch zu erkunden mancherlei,
Als plötzlich Wald und Schluchten rings erklangen;
So mächtig dröhnt des Ungetümes Schrei,
Auf schwillt die See, das Scheusal kommt gezogen
Und hält fast mit der Brust verdeckt die Wogen.
35.
So wie aus dunklen Tales feuchten Weiten
Aufsteigen Wolken sturm- und regenschwer,
Die sich ringsum als trübe Nacht verbreiten,
Erstickend – scheint's – des Tages Leuchte hehr,
So dehnt die Bestie sich nach allen Seiten;
Sie schwimmt und füllt dabei das ganze Meer.
Die Wogen beben. Roland, kalten Blutes,
Schaut auf das Untier festen Blicks und Mutes.
[231] 36.
Als einer, der sich klar mit seinen Sachen,
Durch raschen Griff dem Boot er Schwung verleiht:
Es gilt, die Frau zu schützen vor dem Rachen
Und anzugreifen in derselben Zeit.
Drum zwischen beide lenkt er seinen Nachen,
Das Schwert bleibt in der Scheide noch bereit;
Anker und Tau sind in die Hand genommen –
Nun, kühn gefaßt, läßt er das Scheusal kommen.
37.
Sobald der Fisch sieht, daß die Wellen bringen
Den Schiffer und den Kahn, naht er im Flug,
Aufsperrt er weit das Maul, sie zu verschlingen:
Für Roß und Reiter wäre Platz genug.
Roland stößt vor, weiß in den Schlund zu dringen
Mit Anker und dem Boote, das ihn trug
(Vernehm' ich recht), und keilt im raschen Schwunge
Den Anker zwischen Gaumen ein und Zunge,
38.
So daß von oben her sich nicht kann senken,
Von unten nicht sich hebt der Kiefer Macht;
Wie sie beim Eisengraben Stützen renken
Ins Erdreich, wenn man aushöhlt einen Schacht;
Damit nicht, während sie an Arbeit denken,
Ob ihrem Haupt der Bau zusammenkracht.
Groß ist von Zahn zu Zahn des Ankers Länge,
Daß Roland kaum im Sprung so hoch sich schwänge.
39.
Als fest der Halt ist und sich nicht bewegen
Noch schließen mehr des Untiers Rachen kann,
Zieht er das Schwert, und mit gewalt'gen Schlägen
Haut er und sticht im Dunklen drauf und dran.
Wie eine Burg sich wehrt, wenn man sich regen
Den Feind drin hört, der schon den Hof gewann,
So wehrt das Scheusal aus dem Meeresgrunde
Sich gegen diesen Mann in seinem Schlunde.
[232] 40.
Bald läßt der Schmerz es in die Höhe schießen
– Die Schulter kommt, der Schuppenkamm heraus –,
Bald möcht' es in die Tiefe sich verschließen,
Und Sand von unten wirft der Bauch hinaus.
Als Wassermengen gar zu reichlich fließen,
Flieht Roland schwimmend aus dem nassen Graus:
Er läßt den Anker fest und nimmt behende
Vom Ankerstricke jetzt das eine Ende,
41.
Und eilig schwimmt er mit der Kraft der Lungen
Der Klippe zu; dort stemmt er fest das Bein
Und zieht den Anker, der den Biß bezwungen,
Mit den zwei Zacken in den Schlund hinein.
Das Untier folgt dem Seile notgedrungen:
Vor dieser Kraft ist jede andre klein,
Der Kraft, durch die mit einem Ruck geschehn kann
Mehr, als durch einen Kran geschehn mit zehn kann.
42.
So wie ein wilder Stier, dem man die Schlingen
Warf unversehens um das mächt'ge Horn,
Hier-, dorthin taumelt, um sich loszuringen,
Umsonst sich wälzt und aufsteht voller Zorn,
So folgt der Fisch mit Zucken und mit Springen
Der Kraft, die ihn gewaltig zieht nach vorn;
Er kommt vom Strick nicht los trotz allem Rütteln,
Mag er sich drehn und zappeln, zerren, schütteln.
43.
Man könnte, traun, vom roten Meere sprechen;
So schießt der Blutstrom aus dem Schlund hervor;
Gepeitscht vom Untier, sich die Wogen brechen,
Sie teilen sich vom Meeresgrund empor,
So dicht, daß sie der Sonne Strahlen schwächen,
Und spritzen hoch hinauf zum Himmelstor,
Und von dem Krachen, dem Getös' und Dröhnen
Wälder und Höhn und ferner Strand ertönen.
[233] 44.
Jetzt auf den Fluten läßt sich Proteus sehen,
Der Lärm lockt aus der Grotte Tiefen ihn:
Als er nun Roland kommen sieht und gehen
In solchem Fisch und den zum Lande ziehn,
Erschreckt läßt er die Herde gehn und stehen,
Hinaus ins weite Meer davon zu fliehn.
Neptun spannt die Delphine vor den Wagen
Und läßt sich schleunigst nach Äthiopien tragen.
45.
Ino hält Melicertos bang umschlungen,
Gelösten Haars kommt der Neriden Heer,
Tritonen auch, die alten und die jungen,
Voll Angst, verzweifelt, rennen hin und her.
Roland ist mit dem Fisch ans Land gedrungen,
Braucht sich mit ihm nicht abzumühen mehr,
Denn, eh der Weg zum Strand noch ist beendet,
Liegt schon der Fisch vor Qual und Not verendet.
46.
Vom Eiland waren viele hergelaufen,
Um anzuschauen so besondre Schlacht,
Und was der Held getan, erschien dem Haufen
In falschem Wahn gottlos und unbedacht:
Sie meinten, Proteus werde neu sie raufen,
Denn wachsen müsse seines Zornes Macht,
Er sende wohl die ganze grause Herde,
So daß die Plage neu beginnen werde.
47.
Das Beste sei – um Unheil abzuwenden –,
Sie flehen jetzt den Gott um Gnade an;
Es gilt, als Opfer auch hinabzusenden
Zur Sühne diesen allzu frechen Mann.
Wie eine Fackel andre Feuer spenden
Und einen ganzen Ort entzünden kann,
So zündete von einem Herz zum andern
Der Schrei der Wut: er soll ins Wasser wandern!
[234] 48.
Der ging ein Schwert, der einen Spieß erraffen,
Schleudern nahm der, den Bogen der zur Hand;
Sie dringen auf ihn ein mit diesen Waffen
Von hinten, vorn, wie einer tunlich fand.
Solch schnöder Undank will Verwundrung schaffen
Dem Helden ob der Sitten in dem Land:
Er findet Unglimpf für die Tat gerade,
Für die er Ruhm erhofft und Huld und Gnade!
49.
Doch wie ein Bär geht ruhig durch die Gassen,
Wenn ihn ein Pole oder Russe führt
(Er wird sich vom Gebell nicht stören lassen,
Das kleiner Hunde läst'ger Hauf vollführt
– Nicht einmal hinzublicken will ihm passen –),
So wenig Furcht vor jenen Bauern spürt
Der Paladin; er brauchte nur zu blasen,
So lägen sie zerschmettert auf den Nasen.
50.
Und wohl verstand er auch, sich Platz zu machen:
Er wandte sich, nahm seine Durendal.
Es meinte jenes Volk (dumm schier zum Lachen),
Das Spiel mit ihm sei recht bequem, zumal
Ihm Harnisch ganz und Eisenschild gebrachen
Und was die Glieder sonst noch deckt an Stahl.
Allein ihm deckt – was jenen unbekannt ist –
Hornhaut den Leib, die hart wie Diamant ist.
51.
Was andre ihm zu tun ohnmächtig blieben,
Andern zu geben ist in seiner Hand;
Tot liegen dreißig von zehn Schwerterhieben
(Vielleicht, daß einer mehr dabei sich fand).
Der Strand ist leer, die Räuber all zerstieben,
Zur Schönen wollt' er an der Felsenwand,
Als neuer Lärm und Schreie zu ihm drangen
Und andre Teile des Gestads erklangen.
[235] 52.
Derweilen Roland so mit den Barbaren
Zu schaffen hatte dort am Meergetos',
Die Streiter Irlands angekommen waren,
Von allen Seiten, nicht am Ufer bloß;
Ohn' allen Widerstand rings auf die Scharen
Des Volks im ganzen Lande haun sie los.
War's Grausamkeit, war es Gefühl des Rechtes,
Sie schonten keines Alters noch Geschlechtes.
53.
Kaum widersetzten sich die Inselleute,
Teils weil der Angriff gar zu rasch geschah,
Teils weil die kleine Mannschaft sich zerstreute
Und weil kein Plan war für die Leitung da.
Die Habe fiel den Siegern zu als Beute,
Und Brand fuhr in die Häuser fern und nah:
Wo früher Mauern, war der Grund jetzt eben,
Und keine Menschenseele blieb am Leben.
54.
Roland, als ob er fern zu bleiben meine
Dem Lärmen, der Zerstörung, dem Geschrei,
Geht hin zu ihr, die man zum kahlen Steine
Als Speise schleppte für das Tier herbei.
Er schaut – und sieh, ihn deucht, er kennt die Kleine;
Je mehr er naht, deucht ihn, daß sie es sei:
Olympia – und Olympia ist's gewißlich,
Die für die Treue Lohn fand also mißlich!
55.
Die Ärmste! Zu der Liebe Mißgeschicken
Mußt' ihr ein feindlich Los voll Grausamkeit
Am gleichen Tage die Korsaren schicken,
Die da von hinnen schleppten jede Maid!
Als Roland sich am Felsen läßt erblicken,
Erkennt sie ihn; doch weil sie ohne Kleid,
Neigt sie das Haupt. Zu sprechen will nicht taugen,
Und zu erheben wagt sie nicht die Augen.
[236] 56.
Der Paladin fragt, welche Schicksalstücke
Sie nach der Insel habe hingebracht;
Er ließ sie doch beim Gatten, voll im Glücke,
Wie man ein größres hätte kaum gedacht.
»Des Dankes, daß man mich dem Tod entrücke,
Hab' ich vielleicht,« so sprach sie, »minder acht
Als Vorwurfs, daß man mir den Tod nicht gönnte,
Der heut mein ganzes Elend enden könnte.
57.
Euch danken kann ich nur für dieses eben,
Daß Ihr habt abgewandt die Todesart;
Daß ich dem Scheusal wür e hingegeben
Für seinen Bauch, zu greulich wär's und hart.
Doch kann ich Euch nicht danken für das Leben,
Weil nur der Tod das Elend mir erspart:
Wollt Ihr mich diesem Retter überweisen,
Der Leiden endet, will ich gern euch preisen.«
58.
Schluchzend erzählt sie, wie sie schnöd' betrogen
Ward von dem Gatten mit verruchter List;
Wie er sie schlafend ließ am Rand der Wogen,
Und Räuberschar sie nahm nach kurzer Frist.
Derweil sie sprach, stand sie zurückgebogen,
So wie Diana oft gemeißelt ist,
Wenn sie Aktäon straft, ihn mit den Wellen
Bespritzend, den fürwitzigen Gesellen.
59.
So viel sie kann, verhüllt sie Schoß und Büste,
Nimmt's mit den Lenden nicht mehr so genau.
Roland sein Schiff jetzt gern im Hafen wüßte,
Kleider zu schaffen für die schöne Frau,
Die nun der Ketten frei –, da auf der Küste
Zeigt sich der Herr von Irlands grüner Au,
Der König Hubert, er erfuhr gerade,
Tot liege jenes Untier am Gestade,
[237] 60.
Und einer sei geschwommen durch die Wogen,
Der keilte ihm den Anker in den Schlund,
Und hab' es hinter sich zum Strand gezogen,
Wie man ein Boot zieht nach dem Ufergrund.
Zu sehn, ob jener Mann ihn nicht belogen,
Der solche Wundermäre machte kund,
Kam Hubert selbst hierher, derweil vom weiten
Sein Heervolk sengt und brennt auf allen Seiten.
61.
Steht Roland gleich von Wasser übergossen,
Voll Schlamm und häßlich rot gefärbt von Blut,
Vom Blute rot, das um ihn her geflossen,
Als er vom Fisch herausschwamm durch die Flut,
Sieht Hubert gleich in ihm den Milonsprossen,
Zumal er selbst sich sagt, daß solchen Mut
Und solche Kraft kein andrer könne zeigen;
So hoher Wert sei nur dem Roland eigen.
62.
Als Edelknab' hatt' er am Hof gestanden,
Frankreich verlassen erst seit einem Jahr,
Krone zu tragen in den eignen Landen,
Nachdem sein Vater dort gestorben war.
Roland und er sich viel zusammenfanden,
Oft sprach er ihn dort in der Ritter Schar.
Den Stahlhelm hat er eilig abgenommen,
Begrüßt den Herrn und heißt ihn froh willkommen.
63.
Wie man den König sah sich Rolands freuen,
Ist diesem die Begegnung höchst genehm;
Gruß und Umarmung beide Herrn erneuen
Und wohl ein drittes Mal noch außerdem.
Roland erzählt dann, von der Frau, der treuen,
Wie sie verlassen wurde und von wem;
Dem Schuft Biren, der doch in jedem Falle
Dies wen'ger durfte als die andern alle.
[238] 64.
Er nennt die Proben, wie mit treuem Lieben
Sie zu dem Gatten hielt in jeder Zeit;
Wie ihr nicht Eltern mehr noch Gut geblieben
Und sie dem Tode sich für ihn geweiht.
Aufopfrung habe stets sie angetrieben;
Dies zu beweisen, sei er selbst bereit.
Indes er sprach, der Dame Tränen flossen
Und aus sonst heitren Augen sich ergossen.
65.
So glich ihr Antlitz einem schönen Morgen,
Wie ihn der junge Frühling manchmal bringt,
Wenn Regen fällt und Sonne, halb verborgen,
Den Nebelschleier hier und da durchdringt.
Und wie ihr süßes Lied dann ohne Sorgen
Die Nachtigall im grünen Busche singt,
So taucht in Zähren Amor seine Schwingen,
Froh, wenn vom Auge helle Strahlen dringen.
66.
In dieser Glut entzündet er behende
Den luft'gen Pfeil und löscht ihn in der Flut,
Die jetzt hinsinkt auf rosiges Gelände;
Auf dich, argloser Jüngling, zielt er gut,
Daß den gestählten er ins Herz dir sende –
Nicht Schuppenwerk noch Eisen frommt als Hut,
Du siehst im Augenpaar den Himmel offen,
Und eh du weißt, wieso? – bist du getroffen!
67.
Ihr sind ja Reize auserlesen eigen,
Die seltensten, wert hellsten Ruhmesschalls:
Stirn, Augen, Wangen hohe Schönheit zeigen,
Mund, Nase, Haar und Schultern auch und Hals;
Doch wenn wir niederwärts vom Busen steigen,
So ist, was sonst verhüllt wird, jedenfalls
So herrlich, daß wohl keinem Weib hienieden
Ein solcher Liebreiz jemals war beschieden:
[239] 68.
An Weiße gleich dem frischen Schnee, dem hellen;
Nicht Elfenbein kost also das Gefühl;
Die runden Brüstchen gleich der Milchflut quellen,
So wie sie einfließt aus den Binsen kühl.
Dazwischen einer Höhlung holde Stellen
Vergleichbar einem Tal an sanftem Bühl,
Anmutig, wenn der Lenz es eingehüllt hat
Und wenn, wie jetzt, es Winters Schnee gefüllt hat.
69.
Der Hüfte, Lenden Wölbungen und Flächen,
Der lichte Leib so glatt wie Spiegelwand,
Die weißen Schenkel, die ins Auge stechen,
Entstammen, scheint es, eines Phidias Hand.
Soll ich jetzt noch von jenen Teilen sprechen,
Die ihr Bemühen nicht dem Blick entwand?
Ich sage kurz: vom Kopf bis zu den Füßen
Vollkommne Reize den Beschauer grüßen.
70.
Falls sie dem Paris in des Ida Hagen
Erschienen wär' – ob Venus wohl (wer weiß!),
Wenn auch die beiden andern ihr erlagen,
Errungen hätte höchster Schönheit Preis?
Es wäre zu Amyklä nicht getragen
Der Frevel in des Hauses heil'gen Kreis;
Gesprochen hätte so der Hirt vom Ida:
»Bleib, Helena, zu Haus, ich nehme die da!«
71.
Und hätt' in Kroton ihrer wahrgenommen
Zeuxis, als es das Bild zu malen galt
(Das in der Juno Tempel sollte kommen)
Nach vielen Schönen, herrlich von Gestalt,
Um eine darzustellen ganz vollkommen,
Und er bald diese nahm und jene bald,
Er brauchte keine andre hier zu wählen,
Weil alle Reize sich in ihr vermählen.
[240] 72.
Bireno hatte niemals wohl, ich wette,
Den schönen Körper hüllenlos gesehn:
Denn nicht so grausam dort vom Strande hätte
Er ohne sie von dannen können gehn.
Hubert beweist's: gebannt an jene Stätte,
In hellem Liebesbrand sieht man ihn stehn;
Er tröstet sie und sucht sie aufzuheitern;
Gut werden dürfe alles noch des weitern.
73.
Er werde sich mit ihr nach Holland wenden
Und ein sie setzen in ihr Reich sodann.
Damit Gerechtigkeit und Rache fänden
Den ungetreuen, ehrvergeßnen Mann,
Strenge, die Sache möglichst rasch zu enden,
Sein Irland alle seine Kräfte an.
Und was an Kleidern war herbeizuschaffen,
Das ließ er aus dem Ort zusammenraffen.
74.
Man braucht fürwahr nicht Kleider zu verschreiben
Aus Orten ferne von dem Inselland:
Genug ja von den Mädchen übrig bleiben,
Die man dem Fisch zur Nahrung bot am Strand.
Hubert gelang's, in kurzem aufzutreiben
Von Röcken und von Kleidern allerhand.
Er ließ Olympia kleiden, doch er grollte,
Nicht kleiden sie zu können, wie er wollte.
75.
Allein so edles Gold, so feine Seide
Fertigt am Arno selber keiner an,
Und Stickerei zu andrer Frauen Neide
– Mühten sich auch die größten Künstler dran –,
Man findet's nicht, auch nicht das Prachtgeschmeide,
Und sei es von Minerva, von Vulkan,
Das würdig könnte jene Glieder schmücken,
Die stets sich neu ihm ins Gedächtnis drücken.
[241] 76.
Aus manchem Grund ist Roland wohlzufrieden,
Und es gefällt ihm diese Liebe sehr:
Nicht nur ist Strafe dem Biren beschieden
Für den Verrat und andre Falschheit mehr;
Es wird durch dieses Mittel auch vermieden
Für ihn ein Mißstand unbequem und schwer:
Nicht um Olympia, zu Schutz und Frommen
Der eignen Herrin ist er ja gekommen!
77.
Daß sie nicht da war, stand ganz außer Frage;
Nur ob sie dagewesen, war nicht klar:
Es gab hier keinen Menschen, der's ihm sage,
Weil keiner mehr vom Land am Leben war.
Er stach in See schon an dem nächsten Tage;
Von dannen zogen sie in einer Schar.
Mit jenen fuhr er Irland nun entgegen,
Denn auf dem Weg nach Frankreich war's gelegen.
78.
Aufhalten ließ er sich auf keine Weise,
Und einen Tag blieb er in Irland nur;
Dann schickt ihn Amor wieder auf die Reise,
Der gönnt nicht Rast ihm auf der Liebsten Spur.
Er geht; zuvor mahnt er den König leise
Noch an Olympia und gegebnen Schwur.
Unnötig war es; mehr, als er verpflichtet
Zu tun war, hat ja Hubert dann verrichtet.
79.
Als bald darauf ins Feld die Seinen gingen
Im Bund mit Schottland und mit Engelland,
Wußt' er dem Feind rasch Holland zu entringen
Und ließ ihm auch kein Stückchen friesisch Land,
Um dann zum Aufstand Seelands Volk zu bringen.
Nicht eher ruht das Schwert in seiner Hand,
Bis er Biren erschlägt; und dennoch stehen
Die Strafen noch zurück vor dem Vergehen.
[242] 80.
Als Hubert und Olympia sich vermählen,
Ward sie aus einer Gräfin Königin. –
Doch von dem Ritter gilt es zu erzählen,
Der Tag und Nacht fährt durch die Wogen hin,
Zuletzt den gleichen Hafenplatz zu wählen,
Von dem er früher nahm der Fahrt Beginn:
Auf Güldenzaum, den Hengst, steigt er geschwinde
Und läßt im Rücken salz'ge Flut und Winde.
81.
Wohl mein' ich, daß von meldenswerten Dingen
Noch manches andre dieser Winter sah;
Doch weil sie im verborgnen vor sich gingen,
Ist's meine Schuld nicht, steh' ich schweigend da.
Geneigter war ja Roland zu vollbringen
Als zu erzählen, was durch ihn geschah.
Wir wissen darum nichts von seinen Taten,
Als was die Zeugen uns davon verraten.
82.
So ist der Winter ruhig hingeschritten;
Man weiß nicht, was geschehn ist von Gewicht:
Doch als vom Tier, drauf Phryxus einst geritten,
Die Sonne sandt' auf unsre Welt ihr Licht
Und holder Lenz in junger Blüten Mitten
Durch Zephyr kam mit fröhlichem Gesicht:
Da kamen auch von Rolands Heldentume
Beweise staunenswert mit Gras und Blume.
83.
Von Tal zu Berg, von Feld zu Meereswellen
Voll Schmerz und Mühsal ritt er kreuz und quer –
Da hört er einen langen Wehruf gellen
Beim Eintritt ins Gehölz, vom Dickicht her;
Gleich spornt er nach der Richtung hin zu schnellen
Sprüngen das Roß und hält gezückt die Wehr –
Was dann geschah, werd' ich erzählen können
Ein andermal, wollt Ihr Gehör mir gönnen.

[243] Zwölfter Gesang

1.
Als Ceres von der Mutter wiederkehrte
Vom Ida, eilig, in das stille Tal
(Wo Ätnas Last den Enkelad beschwerte,
Nachdem ihn rächend traf der Himmelsstrahl)
Und nicht die Tochter fand, die heißbegehrte,
Die fern blieb jedem Pfad, hat sie vor Qual
Sich Wang' und Brust zerfleischt, des Leids beflissen,
Und Augen – dann zwei Fichten ausgerissen.
2.
Die ließ sie durch die Glut Vulkans entzünden,
Und Dauer gab sie ihnen, die nicht schwand,
Daß sie als Fackeln ihr in Händen stünden
Im Wagen, dran zwei Drachen sind gespannt,
Und sucht in Wald und Feld, Berg, Flur und Gründen,
In Teich und Fluß und Strom und Sumpfesland
Und Erd' und Meer – und als die Welt durchzogen,
Ist sie zum Tartarus hinabgeflogen.
3.
Könnt' an Vermögen Roland sich vergleichen
Der Göttin, wie er's kann an Sehnsuchtsglut,
Er würde wahrlich Berg und Tal durchstreichen,
Angelika zu suchen, Wald und Flut
Und Erd' und Himmel, und den Ort erreichen,
Wo tief das ewige Vergessen ruht.
Doch weil er keinen Wagen hat mit Drachen,
Muß er, wie's eben geht, die Sache machen.
[244] 4.
Er forscht, so plant er – Frankreich ist durchzogen –,
Italien jetzt, sodann auch Deutschland aus,
Kastilien neu und alt und (durch die Wogen
Des Spaniermeers) auch Libyens Wüstengraus.
Grad als er dies hat still bei sich erwogen,
Hört er den Klageruf vom Wald heraus.
Er sprengt hinzu, und wen'ge Schritte weiter
Sieht er auf mächt'gem Renner einen Reiter,
5.
Der vor sich auf dem Sattel hält in Armen
Gewaltsam ein verzweifelt Mägdelein:
Sie sträubt sich, weint; der Klageruf der Armen
Klingt herzbewegend, und mit lautem Schrein
Fleht sie den Herrn von Anglant um Erbarmen;
Der blickt sie an und meint, sie müss' es sein,
Gerade sie, nach der bei Nacht und Tage
Durch Frankreich hin und drum herum er jage.
6.
Ich sage nicht: sie war's – nur daß er glaubte,
Die Vielgeliebte sei's, Angelika.
Daß man ihm seine Herrin, Göttin raubte
Und daß vor seinen Augen es geschah –,
Darob vor Zorn und höchster Wut er schnaubte
Und schrie den Reiter an: »Du, halte da!«
Er schrie ihn dräuend an mit graus'ger Stimme
Und spornte Güldenzaum ihm nach voll Grimme.
7.
Stumm bleibt der Dieb, ist nicht zum Stehn zu bringen,
Und nur für seine Beute hat er Sinn:
Schwer käm' der Wind ihm nach mit seinen Schwingen,
So pfeilschnell jagt er durch die Zweige hin.
Der flieht, der folgt – die tiefen Wälder klingen
Vom Klageruf der schönen Dulderin.
So kommen sie auf eine große Wiese;
Ein Schloß, gar reich und prächtig, zieret diese.
[245] 8.
Aus Marmor mannigfaltig, stolz und heiter
Das Haus, kunstvoll gebaut, gen Himmel ragt.
Zur goldnen Tür hinein ritt nun der Reiter,
Im Arme hielt er jene schöne Magd.
Auf Güldenzaum erscheint ein Weilchen weiter
Graf Roland trutziglich und unverzagt.
Ringsum im Kreis läßt der die Augen gehen:
Jungfrau und Krieger sind nicht mehr zu sehen.
9.
Ab steigt er rasch und fliegt nach allen Seiten
Wie Wetterstrahl durchs Haus, der Tiefe nach,
Wo hierhin, dorthin sich die Zimmer breiten:
Kein Raum entgeht ihm, Kammer noch Gemach.
Zum Oberstock ihn nun die Stufen leiten,
Weil jeden Anhalts unten es gebrach.
Doch war's vergebens unten, ist's auch oben;
Umsonst die Müh' – sie sind wie fortgestoben.
10.
Mit Seid' und Gold geschmückt sieht er die Betten,
Doch nichts von Mauern, nichts von einer Wand;
Sie, und wo Füße sich zu setzen hätten,
Der Boden, sind mit Teppichen bespannt.
Treppauf, treppab durchsucht er alle Stätten,
Doch wird ihm nicht der Augentrost gesandt,
Das Mädchen oder jenen Dieb zu schauen,
Der fortgeschleppt die schönste aller Frauen.
11.
Wie er den Schritt so hierhin, dorthin wandte,
Erfüllt von Sorgen, in Gedanken schwer,
Sah er Gradaß, den König, Sakripante
Und Brandimarte mit noch andern mehr,
Und jeder so wie er vergebens rannte
Treppauf und -nieder in dem Haus umher,
Und alle auf den bösen, unsichtbaren
Schloßherrn gar aufgebracht und wütend waren.
[246] 12.
Sie klagen, also suchend, unverhohlen,
Geraubt sei ihnen dieses oder das:
Dem ist sein Roß und dem sein Lieb gestohlen;
Sie sind voll Wut – so geht's ohn' Unterlaß;
Dem fehlt was andres –, alle stehn auf Kohlen,
Denn auch kein Ausgang ist aus dem Gelaß,
Und viele sind, von dieser List gefangen,
Schon Wochen, Monde lang herumgegangen.
13.
Umsonst war Roland auf und ab geflogen,
Vier-, sechsmal durch das sonderbare Haus;
Da sagt er sich: »Hier werf' ich – wohlerwogen –,
Wenn ich verweile, Müh' und Zeit hinaus:
Mit ihr inzwischen ist schon abgezogen
Der Dieb aus andrer Tür vom Haus heraus.«
So ging er jenem Wiesengrün entgegen,
Das rings um den Palast her war gelegen.
14.
Das stille Haus beginnt er zu umschreiten,
Dabei zum Boden stets das Haupt gebückt,
Und späht nach rechts, nach links, nach allen Seiten,
Ob neue Spuren nicht sind eingedrückt.
Da hört er seinen Namen, nicht vom weiten:
Er hebt die Augen auf und hört beglückt
Die Stimme, sieht die Züge auserlesen,
Die teuren, die verwandelt all sein Wesen.
15.
Angelika mit flehenden Gebärden
Ruft weinend: »Komm, o hilf mir, komm zu mir!
Mein Magdtum, mir das Teuerste auf Erden,
Mehr als das Leben selbst, empfehl' ich dir;
Soll ich von Räubern denn bewältigt werden,
Vor Augen meines lieben Roland hier:
Dann laß mich eher rasch des Todes sterben
Von deiner Hand, als schmählich so verderben!«
[247] 16.
Er sucht, durchsucht aufs neu das Schloß, das schlimme,
Wobei er in ein jedes Zimmer dringt,
Mit viel Beschwerd' und Müh' und voller Grimme;
Und Linderung allein die Hoffnung bringt.
Stehn bleibt er manchmal und vernimmt die Stimme,
Und ganz wie von Angelika sie klingt,
Und ist er hier, so wird sie dort vernommen,
Und dunkel bleibt, woher sie wohl mag kommen.
17.
Zu Roger nun, den ich auf schatt'gem Pfade
Dem Riesen und der Maid nachjagen ließ,
Und der bei jenes Räubers Retirade
Vom Wald heraus auf eine Wiese stieß!
Dieselbe ist's, die Roland sah gerade,
Wenn mich mein Ortsgedächtnis nicht verließ.
Dem Ungeschlachten, der ins Tor hinein eilt,
Voll Eifer folgend Roger hinterdrein eilt.
18.
Als auf der Schwelle seine Füße stehen,
Blickt er den Hof und Säulengang entlang:
Jungfrau und Riese sind nicht mehr zu sehen,
Soweit ringsum sein suchend Auge drang;
Und mocht' er auf und ab die Treppen gehen,
Was er ersehnte, niemals ihm gelang;
Es war in keiner Weis' herauszufinden,
Wo jene beiden konnten hin verschwinden.
19.
Als auf und ab durch Zimmer, Säle, Gänge
Viermal und fünfmal er gelaufen war,
Durchsucht er nochmals jedes Winkels Enge,
Sucht unterhalb der Treppe noch sogar.
Zuletzt, daß nicht der Ries' im Wald entspränge,
Ging er hinaus – da hört er, um ein Haar
Wie Roland, seinen Namensruf erschallen,
Der ihn zurücktreibt in des Schlosses Hallen.
[248] 20.
Dieselbe Stimm' und nämliche Person ist's,
Die für Graf Roland war Angelika:
Für Roger jetzt die Dame von Dordon ist's,
Durch die er sich sein Ich entrissen sah;
Für alle just der Frauen Preis und Kron' ist's,
So viel der Ritter sind im Schlosse da;
Ein jeder als die Schöne sie erachtet,
Für die sein Herz gerad in Sehnsucht schmachtet.
21.
Das waren neue seltne Zauberdinge,
Die jener Atlas von Karena bot,
Daß Roger hier geschützt die Zeit verbringe
In Liebesmühen süßer Pein und Not,
Damit der Einfluß so vorüberginge,
Der böse Einfluß, der den Tod ihm droht,
Nichts half die Stahlburg und auch nichts Alcine:
Drum sucht er, ob ihm dieses Mittel diene.
22.
Die Helden, die empor am höchsten ragen
Im Frankenreich an Mut und Armeskraft,
Hätt' er, damit sie Roger nicht erschlagen,
Gern all in dieses Zaubernetz geschafft.
Und daß sie niemals über Hunger klagen,
Derweil sie drin erdulden solche Haft,
Ins Schloß so viele gute Dinge kamen,
Daß sich behaglich fühlen Herrn und Damen. –
23.
Nun zu Angelika, die dank dem Funde,
Dem rückerlangten wunderbaren Ring,
Unsichtbar ward, wenn sie ihn trug im Munde
Und, wenn am Finger, Zauberein entging!
Gefunden hatte sie im Höhlengrunde
Ein Kleid, ein Pferd und Speisen, manch ein Ding,
Des sie bedurft, und jetzt war all ihr Streben,
Nach Indien in ihr Heim sich zu begeben.
[249] 24.
Sie hätte Roland oder Sakripante
Nun gern auf ihrer Reise zum Genoß;
Nicht daß ihr Herz sich mehr zu einem wandte:
Für beide kalt ihr Blut in Adern floß.
Doch führte ja der Weg nach der Levante
Durch gar so manche Stadt und manches Schloß,
Da wäre wohl zu brauchen ein Begleiter;
Und zuverlässig schien ihr keiner weiter.
25.
Lang ist sie suchend hin und her gezogen,
Eh' sie von jenen eine Spur erhält;
In Städten, Dörfern ist die Zeit verflogen
Und, wo es sonst noch sei, in Wald und Feld.
Da schickt das Glück sie, das ihr jetzt gewogen,
Hin, wo mit Roger Roland weilt, der Held,
Und sich Gradaß und Sakripant befinden
Und andre, die in Atlas' Netz sich winden.
26.
Sie tritt hinein, vom Zaubrer ungesehen,
Durchsucht, versteckt vom Ring, das ganze Haus
Und sieht da: Sakripant und Roland gehen,
Um sie zu finden, immer ein und aus;
Sieht Atlas an den beiden Trug begehen
Mit ihrem Bild von Fenstern dieses Baus,
Sie sinnt, wer als Genoß ihr nützt von beiden
Am meisten, und sie kann sich nicht entscheiden.
27.
Ist Roland auszuwählen wohl gescheiter?
Oder Zirkassiens König stolz und hehr?
Roland mag freilich als der stärkre Streiter
Sie schirmen in Gefahren wohl noch mehr;
Doch hat sie einen Herrn, wenn er Begleiter,
Und ihn zu ducken wäre sicher schwer.
Was tun, wenn sie von ihm genug wird haben,
Und wünscht, er möge heim nach Frankreich traben?
[250] 28.
Fortschicken aber kann sie den Zirkassen,
Wann's ihr gefällt – bis in des Himmels Aun,
Drum als Begleiter scheint er ihr zu passen,
Und Eifer will sie zeigen und Vertraun.
Sie nimmt den Ring, und ihre Züge lassen
Vor Sakripant sich ohne Schleier schaun.
Allein zu sein glaubt sie mit diesem Degen,
Doch Roland ist und Ferragu zugegen.
29.
Zugegen sind sie. Gleichen Eifers sprangen
Treppauf und -ab im Hause diese zwei,
Innen und außen, dahin zu gelangen,
Wo ihre Schöne, ihre Göttin sei.
Nachdem der Spuk des Zaubers nun vergangen,
Hin zu der Dame stürzen alle drei
(Weil an den Finger sie den Ring genommen,
Hat einen Riß des Magiers Plan bekommen).
30.
Den Harnisch alle, Helm nur zwei hier tragen
Der Helden, denen dieser Sang geweiht.
Sie legten ihren Helm in all den Tagen,
Seit sie das Haus betraten, nicht beiseit.
Sie brauchen über Schwere nicht zu klagen,
Weil sie an ihn gewöhnt sind lange Zeit.
Gewappnet ist auch Ferragu als dritter,
Doch keinen Helm will tragen dieser Ritter
31.
Als jenen, der dem Bruder ward entrissen
Trojans durch Roland einst, den Paladin;
Er schwur's, als er vergebens war beflissen,
Vom Strom den Zauberhelm ans Land zu ziehn.
Daß Roland hier sei, konnt' er noch nicht wissen
Und legte drum noch keine Hand an ihn;
Unmöglich war es, im Palast beim Wandern
Zu unterscheiden einen von den andern.
[251] 32.
So ganz verhext ist in dem Haus hier alles:
Die andern zu erkennen fehlt die Macht.
Man trennt sich von dem Harnisch keinesfalles,
Auch nicht von Schwert und Schild bei Tag und Nacht,
Und für die Pferde ist statt eines Stalles
Ein Zimmer dicht am Ausgang angebracht;
Gesattelt stehn sie, ohne Zaumesbanden:
Und Stroh und Hafer, die sind stets vorhanden.
33.
Ohnmächtig, hindert Atlas nicht durch Klagen,
Daß rasch zu Pferde stieg die kleine Schar,
Hinter den Rosenwangen drein zu jagen,
Dem goldnen Haar und schwarzen Augenpaar
Der Jungfrau, die von ihrer Stute tragen
Sich ließ, weil ihr es unlieb war,
Daß drei sich ihr gesellten um die Wette,
Die Mann für Mann sie wohl genommen hätte.
34.
Als fern vom Schloß so viel des Wegs gemacht ist,
Daß weiter zu Besorgnis kaum ein Grund
Und jeder sicher vor des Zaubrers Macht ist,
Ersinnt sie eine neue List jetzund: –
Den Ring, durch den ihr Hilfe oft gebracht ist,
Verschließt sie plötzlich in den Rosenmund
Und ist im Augenblick den drein entschwunden,
Die, ganz verwirrt, schier Wahnsinn drob bekunden.
35.
Ihr Plan war wohl gewesen, fortzugehen
Mit Roland oder König Sakripant,
Bis sie die Heimat würde wiedersehen,
Das Reich des Galafron im Morgenland –
Doch alle beide jetzt ihr widerstehen;
So hat auf einmal sich ihr Sinn gewandt:
Nur mit dem Ring, um sich nicht sonst zu binden,
Gedenkt sie weiter ihren Weg zu finden.
[252] 36.
Die drei Geprellten drehn, als sie verschwunden,
Ein dumm Gesicht nach dem entwischten Schatz
Und gleichen ganz, fürwahr, verblüfften Hunden,
Wenn Hase, Fuchs nach fast geglückter Hatz
Mit einemmal hat ein Versteck gefunden
In Höhle, Graben oder Dickichtplatz.
Angelika sieht mit vergnügten Sinnen,
Die Böse, unsichtbar, was sie beginnen.
37.
Nur eine Straße geht durch Waldesmitten:
Vermeinend, daß die Flüchtige da vorn
Vor ihnen sei auf diesem Weg geritten
(Kein andrer sonst führt durch Gebüsch und Dorn),
Eilt Roland; Ferragu läßt sich nicht bitten,
Und Sakripant braucht Gerte frisch und Sporn.
Angelika vergönnt sich größre Weile
Und folgt, die Zügel straff, in mindrer Eile.
38.
Gekommen waren sie mit ihrem Jagen
Hin, wo im Wald der Pfad gemach verschwand,
Und gingen dran, das Gras jetzt zu befragen,
Ob dort sich eine Spur von Pferden fand,
Als Ferragu, der hoch die Nas' zu tragen
Am besten von den dreien wohl verstand,
Mit bösem Blick und klirrend mit den Waffen,
Ausrief: »Ihr zwei, was habt ihr hier zu schaffen?
39.
Kehrt schleunigst um, mir diesen Weg zu lassen,
Wollt ihr nicht hier des blassen Todes sein!
Nicht will ich mit Gesellschaft mich befassen,
Ich lieb' und folge meiner Dam' allein.«
»Was könnte der«, sprach Roland zum Zirkassen,
»Wohl mehr noch sagen, säh' er in uns zwein
Die kläglichsten und feigsten Schwätzerinnen,
Die nur vom Rocken ihre Wolle spinnen?«
[253] 40.
Darauf zu Ferragu: »Du Grobgeselle,
Hielte mich nicht, daß du des Helmes bar,
So zeigte sich's gleich hier auf dieser Stelle,
Ob, was du sprachest, gut gesprochen war.«
Der Heide: »Was mir recht für alle Fälle,
Warum doch fändest du darin ein Haar?
Gegen euch zwei und frei von Helmesschutze
Verfecht' ich, was ich sagte, euch zum Trutze.«
41.
»Willst du nicht mir zulieb den Helm ihm leihen?«
Roland zum König von Zirkassien sprach:
»Bis ihm die Schrullen ausgetrieben seien,
Denn diesen stehn wohl alle andern nach.«
»Dann wär' ich selbst der größte Narr von dreien«,
Die Antwort ist: »scheint dir's ein Ungemach,
So leih ihm deinen; ich muß drauf beharren:
Ich züchtige wie du wohl einen Narren.«
42.
Doch Ferragu fiel ein: »Als ob, ihr Toren,
Zu tragen einen Helm, bequem mir wär'!
Ihr hättet euren eignen schon verloren;
Ich hätt' ihn mir erkämpft mit meiner Wehr.
Allein, damit ihr's wißt: ich habs geschworen,
Drum ohne Helm stets geh' ich jetzt umher
Und werde gehn, bis ich den Helm mir raubte,
Den Roland trägt, der Graf, auf seinem Haupte.«
43.
Der Graf spricht lächelnd – und die Brauen heben
Sich voller Spott: »Barhäuptig denkst du da
Im Kampfe Roland so den Rest zu geben,
Wie's Agolantes Sohn durch ihn geschah?
Doch käm' er wirklich, würdest du erbeben,
Vermein' ich schier, von Kopf zu Füßen ja,
Und keine Helmsgelüste weiter zeigen,
Nein, ihm die Waffen geben, die dein eigen.«
[254] 44.
Der span'sche Prahler rief: »Schon oft bezwungen
Hab' ich den Roland hier mit dieser Hand
Und hätt' ihm leicht nicht nur den Helm entrungen,
Auch, was sich sonst von Waffen an ihm fand.
Und tat ich's nicht, ist's meiner Laun' entsprungen,
Es wechseln ja Gedanken miteinand:
Einst hatt' ich nicht, nun hab' ich das Verlangen
Und denke leicht den Helm mir zu erlangen!«
45.
Jetzt kam dem Grafen die Geduld abhanden:
»Du arger Schuft und Lügner,« rief er, »sprich!
Zu welchen Zeiten und in welchen Landen
Besiegtest du in einem Kampfe mich?
Der Paladin, der schlecht vor dir bestanden
Und den du fern geglaubt hast, der bin ich!
Sieh zu, ob du den Helm dir kannst verschaffen
Oder auch nur behältst die andern Waffen!
46.
Und keinen Vorteil will ich hier im Streite.«
Damit löst er des Helmes Schuppenband,
Hängt ihn an einen Buchenzweig zur Seite
Und nimmt zugleich die Durendal zur Hand.
Herr Ferragu sucht keineswegs das Weite:
Er zieht das Schwert und deckt sich recht gewandt,
Daß Schild und Schwert gleichwie ein Dach ihm nützen
Und dergestalt sein nacktes Haupt beschützen.
47.
Im Kreis sich hurtig drehend auf den Rossen,
Als flinke Reiter stellten sie sich dar:
Zu treffen galt es, wo zusammenschlossen
Die Fugen, und das Eisen dünner war.
Es fände schwerlich würdige Genossen
Rings auf dem Erdenrund dies Kämpferpaar;
An Kraft und Mut einander beide gleichen,
Und beide trotzen allen Schwertesstreichen.
[255] 48.
Kaum nötig ist es, Herr, daß ich Euch sage:
Gefeit war Ferragu gen Hieb und Stoß,
Nur da nicht, wo zuerst in sichrer Lage
Das Kind sich nährt, das noch im Mutterschoß.
Drum trug er hier bis zu dem letzten Tage,
Stets, wenn ihm zweifelhaft erschien sein Los,
Aus Stahl gehärtet, sieben starke Platten,
Weil Waffen da nur Kraft zu schaden hatten.
49.
Bis auf nur einen Punkt war gleichermaßen
Durchaus gefeit der Ritter von Anglant:
Unter den Sohlen bloß war er zu fassen,
Doch diese schützt' er eifrig und gewandt.
Hat uns die Wahrheit nicht im Stich gelassen,
War alles andre hart wie Diamant.
Gewappnet gingen mehr des Schmuckes wegen
Als aus Bedürfnis diese beiden Degen.
50.
Grausamer geht der Kampf und wilder weiter,
Des Schreckens voll und grauslich anzusehn:
Es schlägt und sticht drauflos der span'sche Streiter,
Und niemals fehl die grimmen Stöße gehn:
Platten und Schuppen bricht der fränk'sche Reiter,
Bei jedem Hieb muß eine Lück' entstehn.
Angelika, allein noch gegenwärtig,
Unsichtbar, wird mit Staunen nimmer fertig.
51.
Der König von Zirkassien glaubt indessen
Angelika ein Stückchen noch voraus;
Er sieht die beiden dort auf Kampf versessen
Und will auf gleichem Wege jetzt hinaus,
Den, wie er meint, das Fräulein hat durchmessen,
Da sie dem Blick verschwindend nahm Reißaus.
So kann die Tochter Galafrons das Hauen
Und Stechen als allein'ge Zeugin schauen.
[256] 52.
Wüst und entsetzlich findet sie dies Streiten;
Ein Weilchen schaut sie noch den Fall sich an,
Der ihr gefährlich dünkt für beide Seiten
Und ihre Seele nicht erfreuen kann.
Sie möchte neuen Scherz sich jetzt bereiten
Und nimmt den Helm fort, um zu sehn, was dann
(Er soll nicht lang in ihren Händen bleiben),
Wenn er entschwunden ist, die Kämpfer treiben.
53.
Wohl mag der Graf ihn noch zurückerlangen,
Doch erst, nachdem ihr kleiner Spaß vollbracht;
Sie läßt den Helm auf ihrem Schoße prangen,
Schaut noch ein Weilchen zu der Reiterschlacht,
Und ohne Abschiedswort ist sie gegangen.
Sie hat ein gut Stück Weges schon gemacht,
Eh einer noch des Falles wahrgeworden;
So sind sie voller Wut erpicht aufs Morden.
54.
Zuerst bemerkt Herr Ferragu die Sache;
Von Roland reißt er sich und ruft: »Fürwahr!
Als dumme Kerls behandelt uns, und schwache,
Der Ritter, der noch eben mit uns war.
Was meinst du, welcher Lohn dem Sieger lache,
Sind wir durch Diebstahl jenes Helmes bar?«
Roland schaut um, kann keinen Helm erblicken
Am Zweige dort – und will vor Wut ersticken.
55.
Er muß mit Ferragu die Meinung teilen
(Und lenkt sein Pferd herum in lichtem Zorn):
Der Ritter nahm den Helm, den man verweilen
Dort sah, – nun fühlt der Hengst den Sporn.
Sogleich beginnt der Mohr ihm nachzueilen,
Und wie die beiden dort am Wege vorn
Zu jener neuen Spur im Gras gelangen,
Wo sie und der Zirkassier sind gegangen,
[257] 56.
Nimmt links der Graf den Weg von dieser Stelle
Talein, wo hingeritten Sakripant,
Und Ferragu hält sich ans Berggefälle,
Den Pfad hin, wo Angelika verschwand.
Die Jungfrau kam indes an eine Quelle
Mit schattigem und anmutreichem Rand,
Die Wasser dort in kühlem Schatten winken:
Kein Wandrer gehe, ohne da zu trinken.
57.
Das Fräulein bleibt am klaren Wasser stehen
Und wähnt sich hier geschützt vor aller Welt;
Sie meint, es könn' ihr Übles nicht geschehen,
Weil sie der Zauberring verborgen hält.
Der grüne Rand ist mit Gebüsch versehen:
Dorthin hat sie sogleich den Helm gestellt
Und geht darauf, den kühlsten Platz zu finden
Und dort das Pferd zum Grasen festzubinden.
58.
Da kommt der Spanierstreiter hergeritten,
Der ihrer Spur gefolgt, zum Quell heran.
Als ihn das Mädchen sieht in Waldesmitten,
Verschwindet sie und treibt die Stute an.
Der Helm, der auf das Gras herabgeglitten,
Liegt fern, so daß sie ihn nicht fassen kann.
Kaum sieht Angelika der Mohrendegen,
So sprengt er voller Freude ihr entgegen.
59.
Doch sie verschwand, just als er sie erkannte,
Wie beim Erwachen flieht ein Traumgebild;
Er sah sie nicht, ob er die Augen wandte,
Die leiderfüllten, weithin durchs Gefild;
Und jetzt dem Makon und dem Trivigante,
All seinen Göttern flucht er laut und wild
Und kehrt darauf zurück an jene Stelle,
Wo noch der Helm im Gras liegt bei der Quelle.
[258] 60.
Im Innern hat er eine Schrift gefunden –
Daran erkannt' er ihn – am Helmesrand,
Besagend, wen der Graf einst überwunden
Und wann und wie und wem er ihn entwand.
Der Heide hat ihn sich ums Haupt gebunden,
Weil ihm die Gier nicht durch den Ärger schwand,
Den Schmerz, daß ihm die Maid zerfloß soeben,
So wie Gespenster in der Nacht entschweben.
61.
Als er den schönen Helm nun umgeschlungen,
Schien alles gut – es fehlt' ein einzig Ding:
Sie aufzufinden (wär' ihm das gelungen!),
Die wie der Blitz des Himmels kam und ging!
Tief in den Wald ist er hineingedrungen,
Und als er sah, die Hoffnung war gering,
Daß jemals noch von ihr sich Spuren fänden,
Wollt' er ins Lager nach Paris sich wenden.
62.
Wenn jener Holden Reize ihm entschwanden,
Und Stillung seines Sehnens fehl ihm schlug,
War nur ein Trost für seinen Schmerz vorhanden:
Daß er ja nun den Helm des Grafen trug. –
Als Roland merkte, wie die Sachen standen,
Ging er den Spanier suchen lang genug;
Doch nahm er ihm den Helm nicht eh'r vom Haupte,
Bis er sein Leben bei zwei Brücken raubte.
63.
Angelika, unsichtbar und verlassen,
Geht ihres Wegs mit traurigem Gesicht:
Daß sie den Helm hat bei dem Quell gelassen,
Zu eilig, das beschwert sie, und sie spricht:
»Mit fremden Dingen mußt' ich mich befassen
Und nahm ja Rolands Helm; das ziemte nicht!
Recht hübschen Lohn hat er bei mir gefunden,
Die ich so sehr zu Dank ihm bin verbunden!
[259] 64.
Wohlmeinend ja, weiß Gott, im Herzen drinnen
– Kam's anders auch und endet traurig nun –,
Nahm ich den Helm: es war mein einzig Sinnen,
Daß doch der Kampf der beiden möge ruhn,
Und nimmermehr wollt' ich durch mein Beginnen
Dem dummen Spanier nach Gefallen tun.«
So ritt sie ihres Wegs in bittern Klagen,
Daß sie den Helm des Grafen fortgetragen.
65.
Verstimmt und unzufrieden hin nach Morgen
Schlug sie die Richtung, die ihr gut schien, ein,
Teils sich den Menschen zeigend, teils verborgen,
So wie gerad die Leute mochten sein.
Gar manches Land durchstreifte sie voll Sorgen
Und kam zuletzt in einen Wald hinein;
Dort lag bei zwei Erschlagnen auf dem Grunde
Ein junger Knab', die Brust mit schwerer Wunde!
66.
Doch von Angelika sing' ich nicht weiter,
Mit ändern Dingen mach' ich Euch bekannt;
Auch kümmert uns nicht mehr der Mohrenreiter
Für lange Zeiten oder Sakripant.
Von ihnen holt mich fort ein andrer Streiter:
Ich künde von dem Ritter von Anglant,
Wie jene Sehnsucht Leid fand und Beschwerden,
Die nun fortan kein Ende nahm auf Erden.
67.
Er eilt, sich in dem ersten besten Flecken –
Denn unerkannt zu gehn ist er bedacht –
Das Haupt mit neuer Kappe zu bedecken;
Ob schwach, ob gut gestählt, hat er nicht acht.
Mag an Metallen drin, was wolle, stecken;
Er ist ja gegen Wunden fest gemacht.
So sucht er weiter fort auf seinen Wegen,
Sei's Tag, sei's Nacht, bei Sonnenschein und Regen.
[260] 68.
Die Stunde war's, da Phöbus' Rosse steigen
Mit Tau in Haaren aus dem Meer empor
Und rot und gelb sich Eos' Blumen zeigen,
Von ihr umhergestreut am Himmelstor;
Und schon beendet hatte seinen Reigen
Und scheidend sich verhüllt der Sterne Chor:
Als eines Tages wahre Wunderwerke
Tat Roland zu Paris mit seiner Stärke.
69.
Er traf zwei Feindesscharen: der bejahrte
Herr von Norizia ist's, der Sarazen,
Einst stolz und kühn, jetzund im weißen Barte
Durch Rat mehr als durch Taten angesehn;
Die andern mit der eigenen Standarte
Führt jener große Herr von Tremisen,
Der als erlesnen Helden sich erwiesen;
Alzirdo nannten seine Mohren diesen.
70.
Sie lagen mit den andern Heidenscharen
Bisher den ganzen Winter vor Paris,
Wo jene näher dran, die ferner waren,
Wie Dorf und Burg ein Obdach finden ließ,
Weil König Agramant, der längst erfahren,
Daß da zu stürmen nicht Erfolg verhieß,
Es mit Belagrung jetzt versuchen wollte,
Wenn noch die Stadt genommen werden sollte.
71.
Dafür besitzt er ungezählte Massen:
Nicht nur, was mit ihm selbst gekommen war,
Auch was Marsilius' Heeresreihn umfassen,
Von Spanien her die kriegerische Schar.
Aus Frankreich hat er viele kommen lassen,
Denn von Paris zum Strand von Arles, sogar
Mit Teilen der Gascogne – und den besten –
Besiegt ist alles bis auf wen'ge Festen.
[261] 72.
Als rasche Bäche nun in laue Wogen
Mählich verwandeln hartes, kaltes Eis
Und Wiesen stehn mit frischem Grün bezogen
Und auf dem Baume sproßt das junge Reis,
Hat Agramant das Heer herangezogen,
Das ihm gefolgt in seines Glückes Kreis,
Um Heerschau seiner Scharen abzuhalten
Und all das Seine besser zu gestalten.
73.
Wie nun die beiden sich dahin bewegen,
Um zeitig anzukommen auf dem Feld,
Wo es bald Rechenschaft gilt abzulegen,
Ob gut, ob schlecht es mit dem Heer bestellt,
Geschieht's, daß, wie gesagt, Roland der Degen
Urplötzlich auf den Schwarm der Mohren fällt
Bei seiner Suche, jene zu erlangen,
Die mit des Amors Netz ihn hält umfangen.
74.
Als diesen Grafen, der nicht seinesgleichen
An Heldenschaft hat auf dem Erdenrund,
Dem selbst der Kriegsgott – scheint es – müßte weichen,
Alzird, der junge Herrscher, sieht jetzund,
Bleibt er verblüfft bei solcher Größe Zeichen,
Dem stolzen Blick, dem grimmen, trutz'gen Mund:
Er fühlt: das ist ein Krieger, hoch zu loben,
Doch spürt er Lust, es selber zu erproben.
75.
Alzird war jung, zum Übermut verwegen,
Ob großer Kraft berühmt im ganzen Heer.
Dem Fremden spornt er rasch den Hengst entgegen –
O daß er in der Schar geblieben wär'! –
Durchs Herz gestoßen liegt der kühne Degen
Vom Ritter von Anglant beim Anprall schwer.
Voll Schrecken flieht der Hengst mit leerem Bügel:
Es lenkt ihm ja kein Reiter mehr die Zügel.
[262] 76.
Ein ungeheures Schreien hört man schallen,
Das weithin rings durch alle Lüfte klingt,
Wie man da sieht den jungen König fallen,
Und Blutstrom aus so reicher Ader springt.
Wutvolle Haufen sich um Roland ballen;
Ein Heer von Schwert und Lanzen ihn umringt,
Beschwingte Pfeile, schwarz wie Stürme, fliegen
Noch dichter, um dem Helden obzusiegen.
77.
So wie mit Lärm aus Bergen oder Auen
Die borst'ge Herde kreischend stürzt daher,
Wenn sich ein Wolf aus dunkler Schlucht ließ schauen
Oder vom Waldgebirg herab ein Bär
Mit einem zarten Ferklein in den Klauen,
Das mit Gegrunz und Quieken klagt gar sehr,
So lärmt's um Roland aus der Mohren Reihen,
Die alle wütend »Auf ihn! Auf ihn!« schreien.
78.
Der Harnisch hat an Pfeilen, Lanzenstücken
Und Schwertern tausend, ebenso der Schild:
Der schlägt ihn mit der Keule auf den Rücken,
Der droht von vorn, der von der Seite wild.
Doch ihn zu schrecken wollte niemals glücken;
Der wüste Heereshauf nicht mehr ihm gilt,
Als einem Wolfe gelten drin im Stalle
In Finsternis die vielen Schäflein alle.
79.
Das nackte Flammenschwert sieht man ihn tragen,
Das so viel Mohren schon hat Tod gebracht;
Drum wer hier Rechnung führen will und sagen,
Wie viel es sind, hat sich's nicht leicht gemacht.
Kaum faßt der Weg noch alle, die erschlagen;
Rot fließt ein Blutstrom durch den Leichenschacht.
Sturmhaube nicht und Tartsche können nützen,
Vor Durendal, der grimmigen, zu schützen,
[263] 80.
Nicht Baumwollkleid, nicht Leinwand, die in Falten
Sich um das Mohrenhaupt schlingt tausendfach.
Es fliegen Arm' und Köpfe rings, gespalten,
Und Schultern, nicht bloß Seufzer, Weh und Ach;
In vielen, lauter grausigen Gestalten
Zieht durch das Feld der Tod dem Schwerte nach
Und sagt sich: hundertmal will dies Gewaffen
Mehr Beute mir als meine Sensen schaffen.
81.
Fast eh ein Hieb sitzt, geht's an neues Morden;
Bald fliehn die Heiden all in wildem Graus;
Ihn zu verschlucken meinten diese Horden:
Er stellte ja sich ganz allein zum Strauß!
Ach, keiner fragt, was aus dem Freund geworden;
Und keiner wartet auf Geleit nach Haus.
Zu Pferd, zu Fuß den Fliehnden schlimm zumut ist,
Und niemand fragt, ob auch die Straße gut ist.
82.
Mochte die Tugend mit dem Spiegel gehen,
Das jedes Herzensfältchen macht bekannt,
Ein einz'ger Alter kam, hineinzusehen,
Dem Kraft, nicht Hochsinn, mit den Jahren schwand;
Statt sich zu retten und beschimpft zu stehen,
Reicht er dem Tode unverzagt die Hand:
Ich meine Manilart, der ohne Wanken
Den Speer hielt nach dem urgewalt'gen Franken.
83.
Er bricht ihn vorn am Schild des Feinds in Splitter,
Der bleibt im Sattel, gänzlich unbewegt.
Das nackte Schwert schwingt jetzt der Christenritter,
Der im Vorbeigehn nach dem König schlägt.
Doch sitzt der Hieb nicht scharf; durch Drehung glitt er
Und wurde auf die Seite so gelegt.
Man kann nicht immer nach dem Schnürchen hauen;
Doch außer Sattel ist der Mohr zu schauen.
[264] 84.
Betäubt am Boden streckt er seine Glieder.
Es wendet Roland nicht das Haupt um ihn;
Er spaltet, schneidet, säbelt, schmettert nieder;
Ein jeder meint, ihn sucht der Paladin,
Und flüchtet, wie mit ängstlichem Gefieder
Die Staare vor dem grimmen Falken fliehn.
Vernichtet ist der ganze Heereshaufen:
Sie ducken sich, sie fallen, und sie laufen.
85.
Des Schwertes Wüten wollte nimmer enden,
Bis leer das Feld von allem Leben stand.
Im Zweifel ist der Graf, wohin sich wenden,
Ob auch das ganze Land ihm wohlbekannt.
Mag er nach rechts, nach links die Blicke senden,
So bleibt das Herz dem Fortgehn abgewandt:
Es gilt, Angelika nicht zu verfehlen;
Er fürchtet immer, falschen Weg zu wählen.
86.
Stets fragend, Kunde von ihr zu erlangen,
Hielt er sich nun durch Felder hin und Wald:
Wie er sich selbst verloren war gegangen,
Den Weg verlor er und gelangte bald
Zu einem Berg; – wie flügelschlagend drangen
Lichter heraus aus einem Felsenspalt.
An diesen Felsen kommt heran der Recke,
Ob nicht Angelika sich dort verstecke.
87.
Wie man Wacholder in dem Waldgehege
Durchsucht und Stoppeln auch und freies Feld,
Wenn in durchwühlten Furchen ohne Wege
Man Jagd auf das erschrockne Häslein hält,
Zu jedem Busch geht, ob es drunter läge,
Und jeden Dornstrauch auf die Probe stellt –
So voller Mühe sucht der Graf und schreitet
Allüberall hin, wie die Hoffnung leitet.
[265] 88.
Eilig bewegt er sich und sieht, das Blitzen,
Das in den dunklen Wald sich dort ergießt,
Kommt just aus diesem Berg durch schmale Ritzen,
Der eine weite Höhle in sich schließt,
Und als ein Wall davor, mit scharfen Spitzen,
Wildes Gesträuch, wo Dorn und Dickicht sprießt
Zum Schutz für jene in der Höhle drinnen
Vor solchen, die von draußen Schaden sinnen.
89.
Am Tage hätte niemand sie gefunden,
Doch nachts zog dieses Licht den Blick hinein.
Gern Weitres möchte Roland nun erkunden,
Obwohl vermutend, was es möge sein.
Nachdem er Güldenzaum hat angebunden,
Tritt er ganz leise in die Höhl' hinein
Durch jene Öffnung mit dem Dorngezweige
Und ruft sich keinen, der den Weg ihm zeige.
90.
Die Gruft, in der sich Lebende begraben,
Stieg viele Stufen in den Grund hinab.
Herausgemeißelt aus dem Felsen, gaben
Wölbungen größre Weite diesem Grab.
Auch etwas Tageslicht wohl mocht' es haben,
Wiewohl der Eingang nur geringes gab.
Doch bot ein Fenster rechts an einer Stelle
Der Wand in einem Loch genügend Helle.
91.
Ein Mädchen sitzt in jener Höhle Mitten
Beim Feuer; Huld und Reiz war ihr verliehn:
Und kaum die Fünfzehn hat sie überschritten,
Meint auf den ersten Blick der Paladin.
Sie war so schön, das Antlitz fein geschnitten,
Daß dieser Ort ein Paradies erschien,
Blinkt gleich im Auge eine bittre Zähre,
Als ob groß Leid ihr widerfahren wäre.
[266] 92.
Ein altes Weib war da; wie Weiblein pflegen,
So saßen sie gerade streitend dort.
Jedoch zur Höhle steigt herab der Degen,
Und sieh, verstummt ist plötzlich Zwist und Wort.
Er tritt den zwein mit feinem Gruß entgegen,
Wie sich's zu Fraun gebührt an jedem Ort,
Worauf alsbald die beiden sich erheben,
Um freundlich ihm den Gruß zurückzugeben.
93.
Anfangs erbleichten sie ja wohl vor Schrecken,
Als unversehns erscholl die fremde Stimm'
Und sie gewappnet vor sich sahn den Recken:
Der schien ein mächt'ger Krieger, stark und grimm.
Er fragt: »Wer mag sich so mit Schmach bedecken,
Ein Wütrich grausam, ungerecht und schlimm,
Um ein Gesicht, dran sich die Augen laben,
In dieser finstern Höhle zu begraben?«
94.
Mühsam gab ihm Bescheid darauf die Traute,
Doch unterbrochen oft von Schluchzen heiß,
Das durch die süßen abgerißnen Laute
Aufstieg aus Perlen- und Korallenkreis.
Die Träne, bis kein Aug' sie mehr erschaute,
Hinab sie rann durch Ros' und Lilien weiß.
Vernehmt im nächsten Sang die weitern Sachen:
Zeit ist's, mit dieser hier ein End' zu machen.

[267] Dreizehnter Gesang

1.
Wohl hatten's gut die Ritter jener Tage,
Die ja mit einemmal im Felsenschlund,
In Höhlen fanden oder finstrem Hage,
Im Bären-, Löwen- oder Drachengrund,
Was doch dem Kenner von dem rechten Schlage
Sich kaum noch beut in stolzem Schloß jetzund:
Mägdlein in allerfrischsten Jugendjahren,
Die jedes Schönheitspreises würdig waren.
2.
Ich habe vorher schon davon gesprochen:
Graf Roland langte bei dem Fräulein an
Und fragte: Welch ein Schelm hat das verbrochen?
Fortfahrend meld' ich, daß die Dame dann,
Von mehr als einem Seufzer unterbrochen,
Mit süßer Stimme anmutsvoll begann
Dem Grafen ihren Kummer mitzuteilen,
Dabei bemüht, sich möglichst zu beeilen.
3.
Sie sprach: »Ich weiß, die Strafe wird nicht fehlen,
Sie bricht, sobald ich sprechen will, herein;
Denn diese hier wird alles gleich erzählen
Ihm, der mich schloß in diesen Kerker ein.
Und doch will ich die Wahrheit nicht dir hehlen,
Sollt' auch mein Leben drum vernichtet sein.
Denn als mein größtes Glück ich dieses fasse:
Daß er mich eines Tages sterben lasse.
[268] 4.
Ich heiße Isabell – in frühren Tagen
Des Königs von Galicien Kind ich war;
War‹ heißt's mit Recht, denn jetzt kann ich nur sagen:
Das Kind von Schmerz und Leid bin ich fürwahr.
An allem hat nur Amor Schuld getragen
Und seine Niedertracht, das seh' ich klar:
Beifällig, hold weiß er zuerst zu blicken,
Mit List und Trug uns heimlich zu umstricken.
5.
Wie lebt' ich einst so glücklich: hochgeboren
Und jung und schön dazu und brav und reich!
Arm bin ich nun, vom Unheil auserkoren:
Gibt es ein schlimmes Los, mich trifft es gleich.
Doch höre, was ich weiter noch verloren
Und was mich hergeführt in Unglücks Reich!
Mag mir zu helfen dir auch nicht gelingen,
So wird dein Mitgefühl mir Lindrung bringen.
6.
Mein Vater gab Bayona Ritterspiele,
Es mögen nunmehr wohl zwölf Monde sein,
Die Kunde zog der tapfern Kämpfer viele
Von ferne her in unser Land hinein.
Von allen (fügten solches Amors Ziele?
Leuchtet Verdienst schon durch sich selber ein?)
Gebührte, schien es mir, allein die Krone
Zerbin, des großen Schottenkönigs Sohne.
7.
Ich hatte Taten, die erstaunlich waren,
Dort in den Schranken ihn vollbringen sehn
Und fühlte Liebe, ohn' es zu gewahren;
Als ich es merkte, war's um mich geschehn.
Bin ich durch seine Lieb' auch schlimm gefahren,
Stets wird mir tröstlich in der Seele stehn:
Ich gab mein Herz, zu ruhn auf lautrem Grunde,
Dem Edelsten rings auf dem Erdenrunde.
[269] 8.
Mir war, als ob an Mut dahinten bliebe
Und Schönheit jeder aus der Herren Schar.
Er zeigte mir – und, glaub' ich, fühlte – Liebe;
Daß er wie ich erglühte, sah ich klar.
Auch fehlte nicht, wer Dolmetsch unsrer Triebe
Und eines wie des andern Bote war:
Wir waren noch getrennt von Mund zu Munde,
Vereinigt nur in unsrer Seelen Bunde.
9.
Denn heimwärts schied Zerbin aus unsern Mauern,
Die große Festlichkeit war ja vollbracht.
Weiß ich, was Lieb' ist, weiß ich auch – in Trauern
Blieb ich zurück, sein denkend Tag und Nacht –
Gewiß, in seinem Herzen werde dauern
Ganz ebenso die Glut, die ich entfacht.
Sein Sinnen ging nicht mehr nach kühnem Streite,
Nein, mich nur, mich wollt' er an seine Seite.
10.
Und weil unmöglich (seines Glaubens wegen:
Weil er ja Christ, ich Sarazenin bin)
Vom Vater mich erbitten kann der Degen,
Geht auf Entführung allgemach sein Sinn.
Von unserm Schloß hinaus, das hübsch gelegen
In grünen Auen nach dem Meere hin,
Zieht sich ein schöner Garten nach dem Strande
Mit Aussicht auf die See und Hügellande.
11.
Um doch, was Glaube wehrte, zu gestalten,
Erschien ihm sehr geeignet dieser Ort.
Er ließ mir seinen Plan darauf entfalten,
Ein Leben freudenreich zu führen dort.
Verborgen bei Sankt Martha ließ er halten
Ein heimlich Schiff mit Kriegesvolk an Bord,
Dem Odrich von Biscaya zugewiesen;
Zum Obersten des Heeres macht' er diesen.
[270] 12.
Da, selbst zu kommen, Möglichkeit ihm fehlte
(Weil für die Hilfsschar nach dem Frankenland
Sein alter Vater ihn als Führer wählte),
Ward jener Odrich von ihm hergesandt,
Den er zu seinen treusten Freunden zählte
Und dem sein Herz zumeist war zugewandt.
Er hätte treu sein müssen bis zum Sterben,
Wär's wahr, daß gute Taten Freunde werben.
13.
Er sollt' auf einem Kriegsschiff durch die Wogen
Mich schaffen zu der festgesetzten Zeit.
So kam der langersehnte Tag gezogen,
Im Garten stand ich für die Flucht bereit.
Mit seiner Mannschaft, kampferprobt, verwogen,
An einem Punkte von der Stadt nicht weit,
Gelang's dem Mann, die Landung zu vollbringen
Und leis zu meinem Garten vorzudringen.
14.
Bevor zur Stadt die Kunde noch gedrungen,
War ich auf dem geteerten Fahrzeug schon.
Vom waffenlosen Hausstand, alt' und jungen,
Fand mancher seinen Tod, und andre flohn;
Ein Teil, gefangen, ward aufs Schiff gezwungen.
So ließ ich Heimat, Haus und Nation;
Wie gern – möcht' ich zu sagen fast mich scheuen,
Voll Hoffnung, bald Zerbins mich zu erfreuen.
15.
Wir waren über Mongia dort zur Stelle,
Da zieht ein Sturm auf, von der Linken her;
Ein mächt'ger Windstoß trübt die heitre Helle
Und wirbelt hoch zum Firmament das Meer.
Der Mistral tanzt und häufet Well' auf Welle:
Er wächst und steigt, nimmt weiter überhand
Und wächst und steigt voll Wut und will nicht enden,
Und wenig nützt das Drehen und das Wenden.
[271] 16.
Vergebens refft man Segel, kappt man oben
Den hohen Mast, zerbricht man das Kastell –:
Wir treiben hin, wo, hoch vor uns erhoben,
Die scharfen Klippen dräuen von Rochelle.
Schickt jetzt nicht gnädig Hilfe Der von oben,
So bringt uns grauser Sturm zum Scheitern schnell.
Es jagt der schlimme Wind in größrer Eile
Als je vom Bogen fortgeschnellte Pfeile.
17.
Der von Biscaya sah die Not und wandte
Ein Mittel an, das oft mag trügrisch sein:
Er lief zum Boot, ließ es hinab und sandte
An Tauen mich hinunter mit noch zwein.
Ein andrer Haufe auch zu kommen brannte,
Doch ließen sie die ersten nicht hinein.
Sie hielten mit den Schwertern sie beiseite,
Lösten das Tau und suchten rasch das Weite.
18.
Wir sind ans Land geworfen, doch gelangen
Hinauf, die in das Boot gestiegen sind;
Die mit dem Schiff sind all zugrund gegangen,
Manch Waffenkleid ward Raub für Well' und Wind.
Empor zur ew'gen Lieb' und Güte drangen
Des Herzens Dankgebete, weil, gelind,
Sie mich in Sturmeswut nicht ließ vergehen,
Daß ich den Liebsten dürfe wiedersehen.
19.
Im Schiffe bleiben Kleider und Juwelen,
Kostbare Sachen und Kleinodien mehr;
Soll mir die Hoffnung auf Zerbin nicht fehlen,
Gönn' ich das andre alles gern dem Meer.
Kein Pfad ist von dem Ufer aus zu wählen,
Und keine Herberg zeigt sich ringsumher;
Nur Fels, um dessen Haupt die Winde gellen;
Den Fuß umtoben wilde Meereswellen.
[272] 20.
Doch Amor, der Tyrann, der bei Versprechen
Sich falsch erweist und Treue ganz vergißt
Und sich bemüht, zu hindern und zu brechen,
Wo ein vernünft'ger Plan entstanden ist,
Weiß sich für meine Freud' an mir zu rächen,
Verkehrt mir Glück in Leid durch Hinterlist:
Er, dem Zerbin vertraut in jeder Weise,
Entbrennt in Lust und wird als Freund zu Eise.
21.
Ob er an Bord schon fühlte die Gelüste
Und sie zu äußern nur den Mut nicht fand,
Ob erst der Wunsch an der entlegnen Küste,
Wo volle Muß' er hatte, jetzt entstand? –
Weil keiner wohl ihn jetzt zu hindern wüßte,
Wollt' er die Laune büßen unverwandt.
Nur säh' er gern den einen Mann verschwinden,
Von zweien, die sich noch im Boot befinden.
22.
Ein Mann war's, der Zerbin sich treu bewiesen,
Almonio hieß er, aus dem Schottenland,
Als wackrer Krieger sehr von ihm gepriesen
Damals, da er zu Odrich ward gesandt.
Ob es nicht schade sei, so fragt er diesen,
Wenn ich zu Fuße geh' am Klippenrand,
Und bat ihn, nach Rochelle vorauszugehen,
Nach einem Roß für mich sich umzusehen.
23.
Almonio, ohne irgendwas zu ahnen,
Geht augenblicks, um in den Wald hinein,
Der uns die Stadt verbirgt, sich Weg zu bahnen;
Es mochten kaum zwei kleine Stunden sein.
Und Odrich meint, jetzt in sein böses Planen
Auch jenen andern Schiffsmann einzuweihn,
Weil er kein Mittel weiß, ihn fortzubringen,
Und ihm vertrauen kann in allen Dingen.
[273] 24.
Der eine, der geblieben am Gestade,
Corebo von Bilbao war genannt.
Mit Odrich aufgewachsen, gleiche Pfade
Ging er mit ihm und immer Hand in Hand.
Sich zu enthüllen diesem Freund gerade,
Für ungefährlich der Verräter fand:
Er hofft, die Rücksicht werde überwiegen
Und mehr am Freund ihm als an Tugend liegen.
25.
Doch als Coreb der Brave voll Empören
Den Vorsatz des Genossen drauf vernimmt,
Verräter nennt er ihn und sagt, ihm stören
Werd' er den schnöden Handel ganz bestimmt;
Und nackter Schwerter Klirren läßt sich hören:
Sie schlagen aufeinander dort ergrimmt.
Erschrocken eil' ich, bei der Eisen Klingen
Ins Waldesdickicht fliehend zu entspringen.
26.
Weil Odrich Meister ward in vielen Kriegen,
Geschah's, daß er sogleich in Vorteil kam;
Corebo blieb für tot am Boden liegen.
Dem Schuft, der die Verfolgung unternahm,
Lieh, um mich einzuholen, wohl zum Fliegen
Amor die eignen Flügel wundersam
Und lehrt' ihn Schmeichelreden viel und Flehen,
Um seine Wünsche doch erfüllt zu sehen.
27.
Vergebens. Eh'r hätt' ich den Tod gelitten –
Entschlossen war ich – als ihm willig sein.
Da Drohung nicht verfängt und alles Bitten
So wenig Nutzen bringt wie Schmeichelein,
Ist er zur offenen Gewalt geschritten.
Umsonst mit Flehen dring' ich auf ihn ein,
Daß er der Treue zu Zerbin gedenke
Und mir, der ihm Vertrauten, Schonung schenke.
[274] 28.
Als mein vergeblich Bitten mich belehrte,
Daß keine Hilfe sonst zu hoffen mehr
(Nur immer lüsterner und schlimmer kehrte
Er sich zu mir, so gierig wie ein Bär),
Mit beiden Händen und mit Füßen wehrte
Ich mich und biß und kratzte um mich her,
Bis ich das Kinn ihm und die Haut zerkrallte,
Und schrie, daß es empor zum Himmel schallte.
29.
Ist's Zufall, ist's mein Schrein bei diesem Raufen,
Das eine Stunde weit gewiß wohl gellt,
Ist's, daß auch Leute sonst zum Strande laufen,
Wenn an den Klippen dort ein Schiff zerschellt –
Oben am Berg erscheint ein Menschenhaufen,
Der auf das Meer und uns die Richtung hält.
Als Odrich sieht, daß sie zum Strande ziehen,
Läßt er von mir und wendet sich zum Fliehen.
30.
Vor dem Verräter also war der Haufe
Mir wohl zum Schutz, o Herr; doch wie es geht:
Vom Regen kam ich tüchtig in die Traufe.
Dies Sprichwort, traun, zu gutem Recht besteht.
So schlimm zwar kam's nicht in der Dinge Laufe
(Nicht solcher Bosheit Opfer Ihr mich seht),
Daß sie Gewalt an meinen Körper legten;
Nicht, daß im Herz sie etwa Tugend hegten:
31.
Nein, weil sie so nur größern Vorteil haben:
Als Jungfrau bring' ich ihnen höhern Preis.
Acht Monde, bald sind's neun, bin ich begraben
Lebend'gen Leibes hier in solcher Weis'.
Nicht Hoffnung auf Zerbin mehr kann mich laben,
Denn wie ich aus erlauschten Reden weiß,
Will mich ein Händler jetzt von diesem Haufen
Für einen Sultan der Levante kaufen.«
[275] 32.
So, züchtig und bescheiden, sprach die Traute,
Und oft ein Schluchzen oder Seufzer schnitt
Ab die Musik der engelhaften Laute:
Es hätt' erbarmt wohl Vipern und Granit.
Derweil sie ihre Schmerzen ihm vertraute,
Vielleicht die Qualen lindernd, die sie litt,
An zwanzig Menschen in die Höhle drangen,
Versehn mit Waffen – Messern, Spießen, Stangen.
33.
Des ersten Antlitz, hart und wild zum Grauen,
Hatt' nur ein Aug', das schielend, finster stand;
Das andre ward durch einen Hieb zerhauen,
Durch den ein Stück von Wang' und Nas' entschwand.
Als sie den Ritter in der Höhle schauen,
Spricht jener, zu der Schar zurückgewandt:
»Ein neuer Vogel ist ins Netz gegangen
Von selbst, für den die Maschen gar nicht hangen!«
34.
Zum Grafen sagt er drauf: »Niemals im Leben
Sah ich gefälligern, bequemern Mann.
Hast du's geglaubt? Hat man dir Wink gegeben?
Zeigte man dir's durch einen Boten an,
Daß ich so leichtes braunes Röcklein eben
Und just so schöne Waffen brauchen kann?
Du kommst zur rechten Zeit in jedem Falle,
Um zu erfüllen meine Wünsche alle!«
35.
Roland sprang auf und gab mit bittrem Lachen
Die Antwort, nach dem Räuber hingewandt:
»In einer Münze sollst du Zahlung machen,
Wie sie noch nicht dem Handelsmann bekannt.«
Vom nahen Herd, daraus die Flammen brachen,
Riß er den glühnden rauch'gen Feuerbrand
Und traf durch Zufall da den Mordgesellen,
Wo zu der Nase sich die Braun gesellen.
[276] 36.
Der Brand verzehrte beide Augenlider,
Derweil er größern Schaden links verhieß:
Den unglücksel'gen Teil ja riß er nieder,
Der Sonnenlicht herein vom Himmel ließ;
Nicht nur geblendet hat den Räuber wieder
Der grimme Stoß – nein, zu den Geistern stieß
Er ihn, die Chiron dort mit seinesgleichen
Tief unten weilen läßt in glühnden Teichen.
37.
Ein mächt'ger Tisch auf einem kurzen Beine,
Zwei Spannen dick, tief in die Höhle dringt,
Dran mit der ganzen Sippe im Vereine
Der Diebsgesell die Essenszeit verbringt.
Und mit der Leichtigkeit, wie wohl der feine,
Gewandte Spanier dünne Rohre schwingt,
Schleudert der Graf den Tisch dem Ort entgegen,
Wo dichtgedrängt die Räuber sich bewegen,
38.
Zerschmettert dem die Brust, dem Arm und Hände,
Den Bauch dem, jenem fliegt das Hirn heraus;
Der stirbt, der bleibt ein Krüppel bis ans Ende;
Der, weniger getroffen, flieht hinaus.
So bricht ein starker Steinwurf Seit' und Lende,
Zermalmt die Knochen, leert die Schädel aus
Von Nattern, die nach Winterfrost voll Wonne
Sich glätten und sich ringeln in der Sonne.
39.
Gar viel verschiedne Fälle da erscheinen:
Die stirbt, und ohne Schwanz eilt jene fort;
Die möchte sich verkriechen hinter Steinen,
Das Hinterteil – umsonst – regt diese dort;
Mit jener will's ihr Heil'ger besser meinen:
Sie huscht ins Laub und schleicht an sichern Ort.
Erschrecklich war der Wurf und ohnegleichen;
Nicht wunderbar bei Rolands mächt'gen Streichen.
[277] 40.
Wer leicht verwundet oder heil geblieben,
Hat, sich zu retten, rasch den Fuß gewandt
(Turpin erzählt, es waren grade sieben);
Jedoch am Ausgang, ach, der Ritter stand:
Als sie zusammen waren all getrieben,
Mit einem Strick er ihre Hände band;
Mit einem Stricke wurden sie gebunden,
Den er im Waldhaus grade aufgefunden.
41.
Er bringt die Angeseilten, wo da breitet,
Ein' alte Esche knorriges Geäst;
Der Baum wird mit dem Schwerte zubereitet,
Da schnürt er sie als Rabenfutter fest.
Nicht Haken braucht's, als er zum Werke schreitet,
Die Welt zu säubern rasch von solcher Pest.
Wo aus dem Baum hervor viel Zacken sprangen,
Da ließ er allesamt am Halse hangen.
42.
Mit Heulen floh, die Hände in den Haaren,
Das alte Weib, der Räuber Helferin,
Sobald sie sah, daß tot die andern waren,
Durch Waldesdickicht und Gebüsche hin.
Als sie auf rauhem Weg so fortgefahren
Mit schwerem Schritt und furchterfülltem Sinn,
Traf sie am Flussesrande einen Streiter –
Doch wen, erfahren wir ein wenig weiter
43.
Und schaun nach ihr, die, nicht sie zu verlassen,
Den Paladin fleht gar beweglich an:
Sie woll' ihm folgen; höflich, sich zu fassen,
Ermahnt er sie und tröstet, wie er kann,
Und als, geschmückt mit hellen Rosenmassen,
Im Purpurkleid zu zeigen sich begann
Die weiße Eos und gewohnten Weg ging,
Sah sie, daß Roland mit der Dame weg ging.
[278] 44.
Sie zogen fort, und viele Tage schwanden,
Da nichts geschah, was des Berichtes wert,
Bis unterwegs sie einen Ritter fanden,
Der aus Gefangenschaft war heimgekehrt.
Wer's war, noch sag' ich; jetzt nimmt uns in Banden,
Von der zu hören ihr gewiß begehrt:
Die Tochter Haimons, die wir ja in Schmachten
Verließen und in sehnsuchtsvollem Trachten.
45.
Die Schöne harrt dort am Marseiller Strande
Umsonst auf ihres Rogers Wiederkehr;
Inzwischen macht sie jener Heidenbande,
Und zwar tagtäglich fast, das Leben schwer,
Die raubend auf und ab zog durch die Lande
Von Languedoc und um Provence umher.
Als Lenkerin und Kriegerin von Eisen
Verstand sie sich aufs beste zu beweisen.
46.
Verstrichen war der Zeitraum nun schon lange,
Da er versprach, zu ihr zurückzugehn,
Und als er gar nicht kam, da ward ihr bange,
Denn tausend Böses konnt' ihm ja geschehn.
So stand sie auch einmal mit nasser Wange,
Einsam für sich, da ließ sich jene sehn,
Die mit dem Ring dem Herzen Heilung brachte,
Als es der Hexe Zauber treulos machte.
47.
Wie sie nun ohne Roger hat gesehen –
Nach solcher Zeit! – die gute Magierin,
Erbleicht sie, kann kaum auf den Füßen stehen,
Und fiele um ein Haar vor Schrecken hin.
Doch jene macht, daß Sorgen bald vergehen
(Der Freundin Herz durchschaut ihr kluger Sinn),
Und tröstet sie mit freundlich heitrem Munde,
Gleich einer Trägerin von froher Kunde.
[279] 48.
»Nicht härme dich um Roger,« sprach sie, »Kleine!
Er ist gesund und frisch und liebt dich heiß;
Doch nicht in Freiheit ist er, denn die seine
Nahm, der dir feindlich ist bekannterweis.
Jetzt aber steigst du wohl zu Pferd, ich meine,
Und folgst, um ihn zu sehn, mir auf die Reis'.
Gehorchst du mir, will ich den Weg dir zeigen,
Drauf ihm die Freiheit wird durch dich zu eigen.«
49.
Und sie erzählt, mit welchen Zauberstücken
Der Magier ihn zu täuschen dort verstand
Und mit dem Bild der Jungfrau zu berücken,
Die sich in eines Riesen Armen wand;
Wie er ihn nach dem Schloß mit seinen Tücken
Fortzog und dann vor seinem Blick entschwand,
Und wie er sonst noch einfing Herrn und Damen
Auf gleiche Art, wenn sie des Weges kamen:
50.
Im Zaubrer meint ein jeder den zu schauen,
Den er gerad mit heißem Sehnen sucht:
Ihr Lieb die Ritter, ihren Freund die Frauen.
Wie Leidenschaft die Menschen grad versucht,
So suchen sie im Schlosse voll Vertrauen
Und mühn sich ab, doch ohne jede Frucht.
Und wird auch der Gesuchte nie getroffen,
Sie gehn nicht fort; so stark bleibt Wunsch und Hoffen.
51.
»Wenn deine Schritte«, sprach sie, »hin sich lenken
In die Umgebung beim verhexten Haus,
Gleich kommt dann – Roger sei es, wirst du denken,
Doch Atlas ist es selbst – zu dir heraus
Und zeigt, daß er in schlimmen Zauberränken
Als Meister über alle ragt hinaus,
Um dich als Helferin sich zu gewinnen
Und festzuhalten wie die andren drinnen.
[280] 52.
Damit dich seine Lügen nicht bestricken,
Wie schon so viele, höre wohl mich an:
Erscheint er gleich als Roger deinen Blicken,
Der ›Hilfe!‹ ruft und sich nicht retten kann –
Glaub's nicht und eil', ihn in den Tod zu schicken,
Kommt er an dich ein wenig nah heran!
Und wähne nicht, daß etwa Roger sterbe;
Nein, er, der so viel Plage schafft, verderbe!
53.
Ich weiß ja, töten, wer dir Rogers Züge
Zeigt, scheint wohl hart für dich und grausam schier;
Mißtrau' dem Auge, denke stets, es lüge,
Und Zauberkunst verhehle Wahrheit dir.
Nimm fest dir vor, daß nicht dein Wille trüge,
Bevor du hingehst in den Wald mit mir;
Für ewig hast du Roger aufgegeben,
Läßt deine Feigheit jenen Zaubrer leben!«
54.
Dem falschen Mann ein Ende zu bereiten
Entschlossen, schickt die tapfre Maid sich an,
Gewappnet jetzt Melissa zu begleiten;
Sie weiß, wie sehr sie ihr vertrauen kann.
Die drängt in Eil' durch Wald und Flurenweiten
Von früh zum Abend vorwärts drauf und dran,
Bemüht dabei, durch freundlich Unterhalten
Des Weges Mühn geringer zu gestalten
55.
Und namentlich ihr neu ans Herz zu legen:
Sie und ihr Roger sind von Gott bestellt,
Ahnen zu werden von erlesnen Degen,
Halbgöttern, Fürsten, Zierden dieser Welt.
Denn was Verborgnes ew'ge Götter hegen,
Vor ihrem Seherblicke sich erhellt,
Und alles weiß sie drum vorherzusagen,
Was einst geschehen wird in fernen Tagen.
[281] 56.
»O kluge Führerin, du hast vor Jahren«,
Sprach zu der guten Fee die edle Magd,
»Gar vieles schon von hoher Männer Scharen
Meines Geschlechtes mir vorausgesagt,
So möcht' ich jetzt von einer Frau erfahren
Aus meinem Stamm, die über andre ragt
Und, schön und gut, erringt die höchsten Preise.«
Und freundlich drauf erwiderte die Weise:
57.
»Hervor aus deinem Stamme sollen gehen
Königs- und Kaisermütter; keusche Fraun
Werden als Säulen großer Reiche stehen
Und neu erlauchte Häuser auferbaun,
Im Frauenkleid so würdig anzusehen,
Wie nur die hehrsten Ritter sind zu schaun:
Hochherzig, fromm, an Klugheit unerreichbar,
Voll Edelsinn und Tugend unvergleichbar.
58.
Sollt' ich von jeder Einzelnen erzählen,
Die dem erlauchten Stamm wohl Ehre macht,
Es wär' zu viel; denn keine würde fehlen,
Würdig, daß ihrer rühmend sei gedacht.
Ein paar nur unter tausend will ich wählen;
Sonst würde nie der Stoff zu End' gebracht.
Du fragtest in der Höhle nicht nach ihnen:
Sie wären dir im Bilde dort erschienen.
59.
Dem hehren Haus entsprießt an erster Stelle
Der hohen Werk' und Studien Schützerin
(Macht Huld und Schönheit mehr den Namen helle
Oder ein reiner und ein weiser Sinn?),
Die edle, die großherz'ge Isabelle,
Die lichten Glanz mit ihrem Geiste hin
Zum Land am Menzo-Ufer weiß zu ziehen,
Dem Ocnus' Mutter Namen hat verliehen;
[282] 60.
Wo sich ihr edler Wettstreit soll erheben
Mit ihm, dem ehrenreichen Ehgemahl,
Wer mehr an hoher Tugend glänz' im Leben
Und feine Sitte fördre allzumal.
Wenn er Italien hat am Tarus eben
Befreit von wüster Gallier Plag' und Qual,
Sagt sie: ›Weil keuschen Wandels stets beflissen,
Weicht nicht Penelope an Ruhm Ulyssen.‹
61.
Mein kurzes Wort vermag nur anzudeuten
Der Dame Wert, und ungesagt bleibt mehr
Von dem, was – als ich fortfloh von den Leuten –
Merlin mir kündete vom Steine her.
Durchführ' ich alle Flut, sie auszubeuten,
Dem Tiphys, traun, ich überlegen wär';
Und nun zum Schluß: was gut ist, wird auf Erden
Durch Gott und auch durch eigne Tugend werden.
62.
Ihr wird Beatrix Schwester sein, und schmücken
Wird sie der schöne Name stets mit Recht,
Ihr wird das höchste Gut in allen Stücken,
Das nur vergönnt dem irdischen Geschlecht.
Sie soll von allen Fürsten reich beglücken
Den Gatten, aber, ach, des Unglücks Knecht
Wird er, wenn sie die Erdenwelt verlassen
Und des Geschickes Arme ihn umfassen.
63.
Solange sie zu atmen ist imstande,
Werden Viscontis Schlangen furchtbar sein
Wie Moro Sforza, bis zum roten Strande
Vom Nord; – vom Indus in dein Meer hinein.
Stirbt sie, droht Knechtschaft dem Insubrerlande:
Auf ganz Italien dann bricht Not herein
Und Schmach und Pein; der höchsten Klugheit Walten
Wird – ohne sie – für Zufall nur gehalten.
[283] 64.
Gleichnam'gen andern soll noch Ruhm gebühren,
Die früher kommen um gar manches Jahr:
Pannoniens Krone wird die eine spüren
Als Königin auf dem gesalbten Haar,
Und eine wird der Heil'gen Namen führen,
Wenn sie entrückt ist in die sel'ge Schar,
Verehrt im Reich ausonischer Gefilde
Mit Weihrauch und gelobtem frommem Bilde.
65.
Lang ist – ich sagt's – die Reih': ich muß verschweigen
Die andern; Zeit fehlt, sie zu nennen all,
Ob jede wert auch sei, daß heller Reigen
Sie grüß' und der Trompeten lauter Schall.
Ich kann nicht alle die Lucrezien zeigen,
Konstanzen, Bianken, deren Ruhmeshall
Sie preisen wird durch ganz Italias Gauen
Als Herrscherinnen, Mütter, edle Frauen.
66.
Mehr als in andern Häusern sind die Deinen
Beglückt durch ihre Frauen hehr und traut;
Dein Haus soll hell nicht nur durch Töchter scheinen,
Auch durch die Gattin und die edle Braut.
Daß klar dir sei Merlins des Weisen Meinen,
Will ich von dem, was er mir anvertraut,
Vielleicht, um es dir weiter vorzutragen
– Und sehr verlangt mich dies –, noch etwas sagen:
67.
Zuerst Ricciarda nenn' ich, hoch zu preisen
Für edlen Sinn und standhaft festen Mut:
Jung Witwe, sieht sie grollend sich erweisen
Das Glück – oft leiden muß der Mensch, der wirklich gut –;
Die Kinder, die des Throns beraubten Waisen,
Geht sie besuchen, fern, in Feindes Hut –
Die zarten Sprossen in der Gegner Händen!
Doch schließlich wird ihr Leid in Glück sich wenden.
[284] 68.
Vom Stamm des alten Aragon verschweigen
Nicht darf ich die erlauchte Königin:
Die alten Bücher wissen kaum zu zeigen
Solch edle Griechin oder Römerin,
Und keiner will das Glück sich holder neigen;
Denn ihr entspringt nach Gottes gnäd'gem Sinn
Ein Dreiblatt, strahlend in des Ruhmes Helle:
Alfons mit Hippolyt und Isabelle.
69.
Lenore wird in eurem Glücksbaum bauen;
Die Hohe wird dem edlen Stamm vermählt.
Darf ich genug zu feiern mich getrauen
Die zweite Schnur und Erbin auserwählt,
Lucrezia Borgia, sie, die Zier der Frauen,
Der keine Schönheit, keine Tugend fehlt?
Stets wächst ihr Glück, wie eine junge Pflanze
Im lockern Erdreich wächst beim Sonnenglanze.
70.
Was Zinn ist vor dem Silber, Blech vor Golde,
Was vor dem Lorbeer ist die blasse Weid'
Und Ackermohn vor voller Rosendolde,
Glas vor des edlen Steines Herrlichkeit,
Ist einst vor dir, noch ungeborne Holde,
Jedwede Schöne, sei es Frau, sei's Maid,
Die jemals ward um Geist und Huld gepriesen,
Was sich auch Hohes hab' an ihr erwiesen.
71.
Doch was man immer mag an ihr erheben
Und was die Lebende, die Tote ehrt,
Am höchsten lobt man dies: sie weiß zu geben
Den Kindern fürstlich Wesen, Art und Wert
Und legt den Grund, daß glänzend sich im Leben
Im Frieden jeder wie im Krieg bewährt.
Mag ein Geruch in neuem Krug sich finden,
Gut oder schlecht – er wird nicht leicht verschwinden.
[285] 72.
Ich will dir nicht Renatas Ruhm verschließen,
Die man dereinst als Schnur der vor'gen kennt:
Dem zwölften Ludwig wird das Kind entsprießen
Und ihr, die man Bretagnens Glorie nennt.
Was Frauen ziert, seitdem die Ströme fließen
Dem Meere zu, seitdem das Feuer brennt,
Seitdem der Himmel kreist – wird sich vereinen,
Um als ein Schmuck Renatas hell zu scheinen.
73.
Gern spräch' ich noch von Alda von Sansogna
Und von der Gräfin von Celano hier,
Von der Prinzessin auch von Catalonia
Und von Siziliens Königstochter dir,
Auch von der schönen Lippa von Bologna
Und sonst noch andern; doch das hieße schier,
Wollt' ich berichten, was zu sagen wäre,
Ich führe hin auf uferlosem Meere.«
74.
So gab sie dem erfreuten Mädchen Kunde
Von künft'gem Stamm und hehrer Enkel Schar
Und machte nochmals mit beredtem Munde
Die Lage Rogers im Palaste klar.
Dann blieb sie stehn: die Landschaft in der Runde
Schon vom Bereich des alten Zaubrers war,
Und weiter nicht gedachte sie zu gehen;
Leicht hätte ja sonst Atlas sie gesehen.
75.
Sie mahnt, auf den gegebnen Rat zu bauen
Und alles, das sie oft ihr eingeprägt,
Dann geht sie. Bradamant hat durch die Auen
Und Wald zwei Meilen kaum zurückgelegt,
Da meint sie ihren Roger zu erschauen,
Und auf ihn ein mit grausen Hieben schlägt
Ein Riesenpaar, die mächt'gen Schwerter hebend,
Und schon erscheint er ihr mehr tot als lebend.
[286] 76.
Die Dame sah gefährdet, glückverlassen
Ihn, der ihr Rogers Antlitz zugewandt,
Da wollte fester Glaube ihr erblassen;
Mit eins ihr ganzer Plan und Vorsatz schwand.
Melissa, meint sie, müsse Roger hassen
Ob Kränkung und Beleid'gung unbekannt
Und suche nur in bösem Rachetriebe,
Daß sie jetzt töten solle, den sie liebe.
77.
Sie sprach bei sich: Ist das nicht Roger, wehe!
Den stets mein Herz schaut, jetzt die Augen schaun?
Wenn ich ihn jetzt nicht kenne, jetzt nicht sehe,
Wen zu erkennen soll ich mehr vertraun?
Will ich, daß andrer Wähnen höher stehe?
Soll ich nicht auf mein eigen Urteil baun?
Auch ohne Augen, nur durch sich alleine
Fühlt ja das Herz, ob nah, ob fern der eine!
78.
Da hört sie einen Hilferuf erklingen,
Und Rogers Stimme scheint es ihr zu sein;
Sie sieht ihn fortfliehn auf des Windes Schwingen,
Verhängten Zügels, in den Wald hinein,
Und jene beiden wilden Riesen dringen,
In vollem Lauf sich tummelnd, hinterdrein.
Das Fräulein reitet gleichen Weg mit Hast hin
Und kommt zu dem verzauberten Palast hin.
79.
Sobald sie eingetreten in die Pforte,
Bleibt jene Sinnverwirrung auch nicht aus:
Sie sucht gradaus und krumm, an jedem Orte,
Oben und unten, in und außerm Haus
Bei Tag und Nacht; denn starke Zauberworte
Sprach Atlas, und dabei lief's da hinaus,
Daß beide, scheint's, einander sprechen, sehen,
Doch ohn' Erkennen sich vorübergehen.
[287] 80.
Wir lassen sie – mög' Euch in keiner Weise
Betrüben, daß sie noch verbleibt im Bann,
Weil ich, wenn's Zeit ist, daß sie weiterreise,
Sie, und auch Roger dann, erlösen kann.
So wie den Appetit reizt neue Speise,
So darf ich, will mir scheinen, dann und wann
Abwechslung der Erzählung Euch bescheren,
Um böse Langeweile abzuwehren.
81.
Aus vielen Fäden muß ja das Gewebe,
Das ich bereite, fein gewoben sein;
So hoff' ich, daß man Einspruch nicht erhebe,
Wenn ich zur Zeit der Mohren Kriegerreihn
Und König Agramant hier Zutritt gebe,
Der – Drohung ist's ins Lilienheer hinein –
Zu neuer Heerschau lädt die Kämpfer alle,
Der Zahl gewiß zu sein in jedem Falle:
82.
Nicht nur vom Fußvolk viel und viele Reiter
Des ganzen Mohrenlandes fehlten ja,
Auch Führer, jene schlachterprobten Streiter
Von Spanien, Libyen und Äthiopia,
Und die Kolonnen standen ohne Leiter,
Die Völkerscharen ohne Feldherrn da.
Ordnung und Leitung überall zu schaffen,
Rief er zur Heerschau alles Volk in Waffen.
83.
Und wo er Lücken in dem Heer erkannte,
Von Schlachten oder sonst von Waffenstreit,
Da wurden viele frisch durch Abgesandte
Aus Afrika und Spanien eingereiht;
Wobei er jedem seine Truppe nannte
Und ihm den Führer wies zu gleicher Zeit.
Erlaubt mir, Herr, daß ich im nächsten Sange
Zur Schilderung der Heeresschau gelange.

[288] Vierzehnter Gesang

1.
Gefallen waren in den Kampfestagen
Aus Spanien viel und viel aus Afrika;
Dem Wolf und Raben preisgegeben lagen
Und grimmem Geier ihre Leiber da.
Und waren die von Frankreich auch geschlagen
(Denn räumen mußten sie das Schlachtfeld ja),
So trauerten die Mohren schmerzzerrissen,
Daß ihnen manches Oberhaupt entrissen.
2.
Mit zu viel blut'gen Wunden war und Leichen
Erkauft der Sieg, um seiner sich zu freun.
Und lassen alten Dingen sich vergleichen,
Alfonso, unbesiegter Fürst, die neun,
Brauchst du mit deinem glanz- und ehrenreichen
Triumph Zusammenstellung nicht zu scheun;
Triumph, auf den mit schmerzgesenkten Brauen,
Beträntem Aug' Ravennas Bürger schauen.
3.
Als schon der Tag Picarden und Morinen,
Normannen, Aquitanier weichen fand
Und dort die span'schen Feinde Sieger schienen,
Drangst du zur Mitte, wo das Banner stand.
Dir nach die Heldenjugend; zu verdienen
Galt es an diesem Tag mit tapfrer Hand
Die hohen Ehrenzeichen auserkoren:
Den goldnen Degenknauf und goldne Sporen.
[289] 4.
Furchtlos – man zählte fast euch zu den Toten –,
Zum letzten End' gelangt schon um ein Haar,
Bracht ihr den Feldherrnstab, den gelb- und roten,
Zertrümmertet die Eicheln ganz und gar.
Der Lorbeer des Triumphs ward dir geboten,
Daß nicht gepflückt und welk die Lilie war.
Mit neuem Zweig die Stirne du dir schmücktest,
Als du Fabricius nach Rom entrücktest.
5.
Des röm'schen Namens Säule, groß vor allen,
Die du ergriffen hast und heil bewahrt,
Sie ehrt dich mehr, als wär' durch dich gefallen
Die Zahl der stolzen Krieger dichtgeschart,
Die auf Ravennas Feld als Dung sich ballen,
Und sie, die flohn von Fahnen und Standart'
Aus Aragon, Navarra und Kastilien;
Denn Spieß und Karren taten nichts den Lilien.
6.
Ein Trost war dieser Sieg; allein vergehen
Mußte der Jubel, denn auf uns lag schwer,
Der Freude gegenüber tot zu sehen
Den Feldherrn Frankreichs, Herrn vom ganzen Heer;
Auch ließ ein Sturm hinab zur Tiefe wehen
Der edlen Fürsten viel, erlaucht und hehr,
Die für ihr Land, aus ferner Lieben Mitten,
Die kalten Alpen hatten überschritten.
7.
Wohl unser Heil verdankten wir dem Siege,
Begannen unser Leben wie von vorn:
Ward doch verhindert, daß herniederstiege
Auf uns ergrimmten Jovis Rachezorn;
Doch Freude ward nicht laut nach diesem Kriege:
Zu reich an Schmerzen rann der Tränenborn
Der Witwen all: im dunklen Trauerkleide
Erfüllten sie das Frankenland mit Leide.
[290] 8.
Zu schaffen muß der König Ludwig schauen
Von neuen Führern viele für sein Heer,
Damit sie hauen auf die Räuberklauen,
Die schnöden, zu der Lilie Schutz und Ehr',
Die sich an Nonn' und Mönch, schwarz, weiß und grauen,
An Mutter, Frau und Kind vergingen schwer
Und Christus hinzustrecken nicht sich scheuten,
Um Silbertabernakel zu erbeuten.
9.
Armes Ravenna! Still des Siegers Schalten
Zu dulden würde besser dir gedeihn,
Und dir zum Spiegel Brescia vorzuhalten,
Statt Riminis, Faenzas Spiegel sein,
Schick', Ludwig, uns Trivulz, den guten Alten!
Er führe Mäßigung beim Kriegsvolk ein
Und zeige, daß für lockern Sinn gerade
Viel in Italien starben ohne Gnade!
10.
Wie Frankreichs König muß nach Feldherrn sehen,
Daß es im Heere sei nach Wunsch bestellt,
Marsil und Agramant zu Werke gehen:
Damit die Herde rechte Hut erhält,
Von dort, wo sie in Winterruhe stehen,
Zur Musterung entbeut er all ins Feld,
Auf daß, wo nur Bedürfnis sich entfalte,
Die rechte Zucht, die rechte Führung walte.
11.
Erst schickt Marsil und nach ihm Agramante
Sein Kriegervolk vorüber, Schar für Schar;
Die Katalanen vorne man erkannte
Am Banner, Dorifebo stellt sie dar.
Dann folgt, doch ohne König Fulvirante,
Der von Rinaldos Hand gefallen war,
Navarra; Isolier, den kühnen Streiter,
Gab Spaniens König diesem Trupp zum Leiter.
[291] 12.
Grandonio führt die aus Algarves Landen
Und Balugant die Männer von Leon.
Gewappnet die von Klein-Kastilien standen
Unter Marsilius' Bruder Falsiron.
Sodann mit Madarosso sich befanden,
Die aus des blüh'nden Cordovas Region,
Aus Malaga, Sevilla hergezogen,
Vom Meer von Gaues und des Bätis Wogen.
13.
Seht, wie zur Musterung die Scharen zeigen
Tessira, Bavicond und Stordilan!
Lisbon ist dem, Majorca diesem eigen,
Granada ist dem dritten untertan.
Lisbon muß jetzt sich dem Tessira neigen,
Nachdem Larbin verließ die Lebensbahn.
Galicien folgt, der Führer Serpentin ist;
Statt Marikolds ihm der Befehl verliehn ist.
14.
Die von Toledos, Calatravas Pfaden
(Wo Sinagon an ihrer Spitze war)
Mit allen, die sich im Guadiana baden
Und trinken aus den Fluten hell und klar,
Hat Matalist zur Kriegesfahrt geladen,
Und Blanzardin gebietet jener Schar,
Die Salamanc, Astorga mit Plagenza,
Avila schickt, Zamorra und Palenza.
15.
Die Leute Saragossas aufmarschieren,
Vom Hof Marsils, mit Ferragu zum Herrn:
Die starken Krieger gute Waffen zieren;
Dort sind auch Malgarin und Balinvern,
Morgant und Malzaris, und allen vieren
Beschied das Los, zu weilen in der Fern':
Als Gäste hatte sie Marsil erkoren,
Weil allesamt ihr eignes Reich verloren.
[292] 16.
Mit Doricont ist dort auch der bekannte
Bastard Marsils, Follicon, und Bavart,
Langiran, Argalif und Archidante,
Der Saguntiner Graf, und Analard,
Der kühne Held: dazu noch Lamirante
Und Malagur, dem große Schlauheit ward,
Und noch gar viele sonst; – kann es geschehen,
Laß ich Euch noch der Kämpfer Proben sehen.
17.
Als Mustrung über diese hat gehalten,
Die stolzen Reihen, König Agramant,
Des Orankönigs Scharen sich entfalten;
Der Führer selbst war groß wie ein Gigant.
Ein Zug kam leidvoll: seine Klagen galten
Dem Martasin, gefällt von Bradamant.
Sie trauern, daß ihr Herr, der gute Degen,
Der Garamant, ist einer Frau erlegen.
18.
Marmondas Schar als dritte ist erschienen;
Sie ließ Argost in der Gascogne tot.
Ein Führer fehlt ihr, dem sie könne dienen;
Der zweit' und vierten auch tut Leitung not.
Weil Führer fehlten, sann der König, ihnen
Zu helfen, und an ihre Spitz' entbot
Er Burald, Ormid, Argan für die Streiter
Und, wo es nötig war, noch andre weiter.
19.
Argan erhält das Volk der Libykanen,
Das trauernd seines Dudrinaß gedenkt.
Brunel geleitet seine Tingitanen,
Verstört das Antlitz und den Blick gesenkt;
Denn seit er dort in jene Felsenbahnen
Beim Schloß des Atlas hat den Schritt gelenkt
Und dann den Ring verlor an Bradamante,
In Ungnad' ist er bei Herrn Agramante.
[293] 20.
Sah ihn nicht Isolier am Baum gebunden,
Der Bruder Ferragus (um es darauf
Auch vor dem König selber zu bekunden),
So hängte man ihn längst am Galgen auf.
Schon war der Strick um seinen Hals gewunden,
Da ließ der König noch der Gnade Lauf,
Auf andrer Bitten, doch beim ersten Fehle
– Schwur er – sei doch der Strick für seine Kehle;
21.
So daß er Ursach' hat, mit trüber Miene
Und mit gebeugtem Nacken hier zu gehn.
Folgt Farurant mit Leuten der Maurine:
Fußvolk und Reiterei ist dort zu sehn.
Danach die Heeresmacht von Constantine:
Man sieht Liban, den neuen Fürsten, stehn.
Das Recht, mit Kron' und Zepter dort zu walten,
Hat er vom König Primador erhalten.
22.
Kommt Dorilon mit Settas Legionen;
Das Volk Hesperiens bringt Herr Soridan;
Ammonien Agrikalt; die Nasamonen
Erscheinen mit dem Fürsten Pulian;
Und Malufers führt jene, die bewohnen
Das Land von Fez; mit Finaduro nahn
Die von Kanariens Aun und von Marokko;
Balaster bringt, was hinterließ Tardokko.
23.
Arzill und Mulga kommen; mit dem alten
Gebieter naht das Heervolk von Arzill;
Mulga verlor den seinen: und erhalten
Soll's nun Corineus, ist des Königs Will'.
Er läßt den Kaïk, nach Tranfirion, walten
Über das Aufgebot von Almansill.
Das Volk Getuliens gab er Rimedonte.
Mit Coscas Scharen kommt dann Balinfronte.
[294] 24.
Die nächsten Truppen Bolgaleute waren,
Des Mirabald einst, jetzo des Clarind.
Kommt Baliverz – ich glaub', in allen Scharen
Man keine Schelmen so wie diesen find't –.
Vom ganzen Heeresvolke der Barbaren
Die mit Sobrin – mich dünkt – die Besten sind.
Kein sichrer Banner sah man noch entfalten;
An Weisheit gleicht kein Heidenfürst dem Alten.
25.
Bellamarinas Volk, sonst von Galschotte
Geführt, bringt jetzt der König von Algier,
Von Sarza Rodomont, und eine Rotte,
Zu Fuß, zu Roß, von Neuen zeigt er hier;
Denn als die Sonn' – als feuchte Wassergrotte –
Im Schützen stand und im gehörnten Tier,
Zum fernen Afrika man ihn entsandte;
Erst jüngst kam er zurück zu Agramante.
26.
Nicht ward im Afrikanervolk geboren
Ein stärkrer und ein kühnrer Sarazen;
Ihn scheuen mehr die bei Lutetias Toren
(Und haben Grund, vor ihm in Furcht zu stehn)
Als Agramant, Marsilius und die Mohren,
Die mit den zwein nach Frankreich wollten gehn.
Es war bei dieser Heerschau kein so schlimmer
Feind unsres heil'gen Glaubens und so grimmer.
27.
Kam König Prusio, der Alvarache,
Und Dardinel, Zumaras Fürst, nachher:
Weiß nicht, ob ihnen kund ein Käuzchen mache
Und wer noch Bot' ist sonst von Unheil schwer,
Krächzend auf Zweigen hier, dort auf dem Dache,
Welch Unglück dieser haben wird und der –
Daß andern Tags (die Stunde kennt der Himmel)
Der Tod sie beide trifft im Kampfgewimmel.
[295] 28.
Man harrte noch im Felde auf die Scharen
Von Tremisen und von Norizia:
Weder die Fähnlein dieser Führer waren
Noch eine Kunde nur von ihnen da.
Den Kopf zerbricht sich über dies Gebaren
Der König –: arge Faulheit wär' es ja!
Da kommt, vom Tremisenenfürst gesendet,
Ein Knappe an, der alle Zweifel endet.
29.
Er meldet: Manilard, Alzird, sie lagen
Mit vielen andern Kriegern tot im Feld:
»Der Ritter,« sagt er, »Herr, der dort erschlagen
Die Unsern hat, erschlüge schier die Welt,
Wär' säumiger das Heer, davon zu jagen,
Als ich (ums Haar erwischte mich der Held).
Zu Fuß und Roß die Streiter ihm erliegen
Wie vor dem Wolf die Schafe und die Ziegen.«
30.
Zum Lagerfeld des Mohrenkönigs wandte
Sich erst vor kurzer Zeit ein Kämpe gut:
Niemand im Westen und in der Levante
Ragt über ihn an Stärke und an Mut.
Viel Ehr' erwies ihm König Agramante
Als einem Königssohne aus dem Blut
Des Agrikan im Tatareigefilde –:
Er war geheißen Mandrikard der Wilde.
31.
Es war ihm manche Heldentat gelungen,
Sein Ruhm durch alle Lande sich ergoß:
Zum Höchsten aber hatt' er sich geschwungen,
Als bei der Fee von Soria im Schloß
Von ihm der hehre Harnisch ward errungen,
Der Hektors Leib – 's sind tausend Jahr – umschloß,
Mit Zwischenfällen, seltsam, ungeheuer:
Grausig zu melden ist das Abenteuer.
[296] 32.
Der also hört den Unglücksboten sprechen;
Er hebt empor das Heldenangesicht
Und ist sogleich entschlossen aufzubrechen:
Meint, jenes Kriegers Spur entgeh' ihm nicht.
Doch birgt er seinen Plan, den Schlag zu rächen,
Sei's, daß er denkt, es habe kein Gewicht,
Sei's, daß er fürchtet, wenn es andre hören,
Sie könnten rascher sein, den Plan ihm stören.
33.
Er ließ den Tremisener Knappen fragen:
Wie sah das Waffenkleid des Ritters aus?
Der sprach: »Schwarz hat er Kleid und Schild getragen,
Kein Zierat schaut aus seinem Helm heraus.«
Und, Herr, in Wahrheit konnt' er dieses sagen,
Denn Roland ließ sein Wappen ja zu Haus:
Er wollte, daß die Trauer seiner Seele
Auch nicht dem Äußern seiner Rüstung fehle.
34.
Ein Roß ward jenem von Marsil gegeben,
Kastanienbraun und schwarz an Mähn' und Bein,
Dem eine Friesenstute gab das Leben
Mit einem Spanierhengste im Verein.
Hinaufspringt der Tatar zu kühnem Streben;
In feurigem Galoppe geht's landein;
Er schwört, vom Heer so lange zu verschwinden,
Bis er den schwarzen Ritter werde finden.
35.
Ihm kamen viel entgegen, die mit Bangen
Geflohen waren vor des Grafen Hand:
Dem war der liebe Sohn zugrundgegangen,
Dem vor den Augen Tod der Bruder fand.
Der feige, trübe Sinn noch auf den Wangen
Des bleichen Angesichts geschrieben stand:
Vom ausgestandnen Schrecken wie von Sinnen,
Gedrückt und stumm und blaß gehn sie von hinnen.
[297] 36.
Er ritt nicht weit und langt an einem schlimmen,
Unmenschlich grauenvollen Schauspiel an,
Das aber Zeugnis gab von jenen grimmen
Schwerthieben, die berichtet hat der Mann.
Er sieht die Leichen und, um zu bestimmen
Der Wunden Maß, legt er die Hand daran
Und fühlt, seltsamen Neid muß er ihm tragen,
Der alle jene Krieger hat erschlagen.
37.
Wie Bulldogg oder Wolf da, wo gelassen
Die Bauern haben ein geschlachtet Rind,
Bei Hörnern, Klauen nur und Knochenmassen,
Dran Hund und Vogel schon gesättigt sind,
Vorm Schädel steht, der nicht zum Schmaus will passen,
So starrt der grimme Mohr hier in den Wind:
Zu spät zur Mahlzeit kommt er, und mit Neide,
Flucht er im stillen, toll vor Wut und Leide.
38.
Den Tag und noch ein Stück vom andern Tage
Schaut sich der Ritter nach dem Schwarzen um;
Da sieht er eine Wies' an schatt'gem Hage:
Es schlingt ein tiefer Fluß sich so darum,
Daß nur ein Zugang bleibt in freier Lage;
Ganz andrer Richtung folgt die Linie krumm.
Unweit Otriculi ein Platz sich findet,
Den ähnlich so der Tiberstrom umwindet.
39.
Versammelt auf dem Pfad nach jener Wiese
Hat er bewehrter Reiter viel erblickt;
Weshalb so zahlreich sind erschienen diese,
Erführ' er gern, und wer sie hergeschickt:
Der Hauptmann gibt Bescheid, ihn macht der Riese
Befangen: Haltung, Kleidung goldgestickt
Und reich geschmückt mit köstlichen Juwelen
Vom hohen Stande dieses Herrn erzählen:
[298] 40.
»Es ist des Königs von Granada Wille,
Daß wir der Tochter dienen zum Geleit;
Sie hat – die Kunde bleibt noch in der Stille –
Den Königsherrn von Sarza jüngst gefreit.
Wenn heute, die man jetzt vernimmt, die Grille
Im Feld verstummt so um die Abendzeit,
Wird sie zum Spanierheer gebracht in Eile,
Zum Vater hin; sie schläft nun mittlerweile.«
41.
Er, dem nach Laune alle Welt muß bluten,
Denkt: Lassen wir die Probe die bestehn,
Ob hier mit schlechten Wächtern, ob mit guten
Die Königin von Sarza sei versehn!
»Schön ist sie wohl«, sprach er, »man kann's vermuten,
Doch mich gelüstet, selber es zu sehn.
Sollst hin mich führen oder nach ihr senden,
Denn ich muß gleich nach anderm Ort mich wenden.«
42.
»Du bist fürwahr ein wackrer Narr zu nennen«,
– Und sonst kein andres Wort – der Hauptmann sprach,
Als der Tatar schon kam in vollem Rennen,
Den Speer gesenkt, und ihm die Brust durchstach,
Ohn' in dem Panzer Hindernis zu kennen,
So daß der Spanier tot zusammenbrach.
Der Ritter eilt, den Speer zurückzuraffen,
Sonst bleiben ihm zum Kämpfen keine Waffen.
43.
Er führt nicht Schwert noch Keule, müßt Ihr wissen:
Als er bekam, was Hektor trug zuvor,
Sollt' er dabei des Hektor Schwert vermissen
Und mußte schwören (und getreu er schwor),
Bis er das Schwert dem Roland hab' entrissen,
Zieh' er im Leben nie ein Schwert hervor;
Nur Durendal, von Hektor einst getragen,
Dem Almont teuer, mehr als man kann sagen.
[299] 44.
Gar vielen, ob im Nachteil, trat entgegen,
Erfüllt von hohem Mute, der Tatar.
Er ruft: »Wer will die Straße mir verlegen?«
Und stürzt sich mit der Lanze in die Schar:
Der senkt den Speer, und jener zieht den Degen,
Umschlossen ist er plötzlich ganz und gar.
Doch eine Menge hat er totgestochen,
Bevor ihm jene Lanze wird zerbrochen.
45.
Jetzt wußt' er noch den großen Stumpf zu fassen:
Hei, wie er den in beide Hände nahm!
So viele Krieger hat er sterben lassen,
Kaum sah man einen Kampf so wundersam.
Wie Simson die Philister ließ erblassen,
Als er den Backen in die Hand bekam,
Zerspellt er Schild und Helm; und Roß und Reiter
Erschlägt mit einem Streich der wilde Streiter.
46.
Zum Tod die Armen um die Wette streben:
Wer fällt, der fällt, von dannen keiner schleicht;
Dem Sterben hat noch Bitternis gegeben
– Deucht ihnen – wie der Mensch den Tod erreicht:
's ist unerträglich, wenn das süße Leben
So durch ein Stück zerbrochen Holz entweicht
Und sie durch Prügel in den Tod gelangen,
In Haufen, just wie Frösche oder Schlangen.
47.
Doch als auf ihre Kosten klar geworden,
Es sei vom Übel, so zu sterben dort
(Zwei Drittel hat schon hingerafft das Morden),
Begannen allesamt zu fliehn vom Ort.
Nun duldet nicht der Fürst der Heidenhorden
(Als trage man sein Eigentum ihm fort),
Daß irgendwelche vom entsetzten Haufen
Vor ihm von dannen mit dem Leben laufen.
[300] 48.
Wie Stoppeln, die aus dürrem Boden stammen,
Und Rohr aus trocknem Sumpfe stand nicht hält
Vor Feuersglut mit Boreas zusammen
(Die klüglich hat der Ackersmann gesellt –
Seht, durch die Furchen laufen hin die Flammen
Und knisternd, platzend fahren sie durchs Feld –),
So hatten gegen Mandrikardos Gluten
Geringen Widerstand die Schwachgemuten.
49.
Nun keine Wächter mehr am Eingang stehen,
Dem schlecht bewahrten, in das Innre dringt
Er, eilt, auf frischem Graspfad hinzugehen,
Wo ein Gejammer und ein Klagen klingt,
Um sich die Königstochter anzusehen,
Ob man mit Recht von ihrer Schönheit singt.
Er schreitet auf den Leibern all der Toten,
Wo Krümmungen des Flusses Zugang boten.
50.
Inmitten grüner Au, im Laubgemache,
Lehnt Doralis – so hieß die Spanierin –
An einem Eschenstamm mit schatt'gem Dache
Und gießt in Klagen aus den trüben Sinn.
Die Tränenflut gleich einem raschen Bache
Rann perlend nach dem schönen Busen hin.
Es schien, als ob – das zeigten ihre Züge –
Sie Furcht für sich und Leid um andre trüge.
51.
Die Furcht nimmt zu, als ihrem Blick sich zeigen
Die finstren Brauen, wild, befleckt mit Blut;
Zum Himmel auf die Jammerrufe steigen
Von ihr und ihrer Schar ob seiner Wut.
Denn auch noch andre waren ihr zu eigen
Außer den Wächtern, ihr bestellt zur Hut:
Gereifte Alte, Mädchen viel und Frauen
Granadas, und die schönsten, die zu schauen.
[301] 52.
Als der Tatar die Reize dieser einen,
Die unerreicht in Spanien ist, erblickt
Und sieht, wie sie in Amors Netz mit Weinen
(Wie wär's mit Lachen erst!) das Herz verstrickt,
Möcht' er sich schier im Paradiese meinen,
Wenn ihn als Siegeslohn nur der erquickt:
Gefangen sein in ihren lieben Händen!
O, daß zu solchem Ziel sich Wege fänden!
53.
Nun, so weit ging er doch nicht im Verehren,
Auf ausgestandner Mühe Lohn Verzicht
Zu leisten, mag sie, als ein Weib, sich wehren
Mit Tränen und mit traurigem Gesicht.
Voll Hoffnung, Leid in eitel Lust zu kehren,
Ist er sie fortzuführen ganz erpicht,
Hebt auf ein Roß sie, einen weißen Schotten,
Und setzt ihn drauf in Trab – und einen flotten.
54.
Mädchen und Fraun und andre Dienstbereite,
Die mit ihr kamen aus der Heimat her,
Entließ er gnädig also in die Weite:
»Sie braucht nicht andere Gesellschaft mehr.
Ich bin ihr Herr, Verwalter und Geleite
Und Magd dazu; lebt wohl, ich danke sehr.«
Zu widerstehn, das durften sie nicht wagen,
So gingen sie, mit Seufzern und mit Klagen,
55.
Und sagten unter sich: »Wie wird voll Schmerzen
Der Vater sein, wenn ihm das Kind entwich!
Wie fühlt nun erst der Gatte Wut im Herzen!
Er rächt sich blutig wohl und fürchterlich!
O, käm' er doch, die Scharte auszumerzen
– Noch keine andre Not hier dieser glich –,
Daß frei das Kind des Königs Stordilan sei,
Bevor noch weiter fort der Weg getan sei!«
[302] 56.
Zufrieden mit dem großen Beuteteile,
Den ihm das Glück beschied und Tapferkeit,
Hat der Tatar jetzt nicht mehr solche Eile,
Den aufzufinden mit dem schwarzen Kleid.
Erst ging's im Flug, jetzt hat es gute Weile,
Er sinnt, wo wohl ein Obdach sei bereit;
Bequeme Stätte könnt' er trefflich brauchen,
Sein mächtig Liebesfeuer auszuhauchen.
57.
Inzwischen tröstet er die schmerzensreiche
Verhärmte und verweinte Doralis:
Schon lange hör' er, daß ihr keine gleiche,
So flunkert er und fabelt das und dies.
Die Heimat hab' er (samt dem blühnden Reiche,
Das keinem sonst der Größe Namen ließ)
Verlassen, nicht um Frankreich zu betrachten,
Nein, ihre schönen Wangen anzuschmachten.
58.
»Wenn Liebe sich durch Liebe läßt erringen,
Verdien' ich es; denn längst schon liebt' ich dich;
Wenn durch den Stamm, – wer kann sich höher schwingen?
Der mächt'ge Agrikan erzeugte mich.
Durch Macht, – wer kann mehr Land und Schätze bringen?
Nur Gott hat größeren Besitz als ich.
Durch Mut, – so hab' ich's, denk' ich, heut bewiesen:
Geliebt zu sein, verdien' ich auch durch diesen.«
59.
Die Worte und was sonst für Liebeszeichen,
Aus Amors Mund geraunt, der Ritter bringt,
Das Herz gar sänftlich trösten und erweichen,
Das immer noch mit leisem Bangen ringt.
Es flieht die Furcht; der Schmerz beginnt zu weichen,
Der ihr zur Zeit die Seele noch durchdringt.
Geduldiger, scheint sie daran zu denken,
Dem neuen Werber ein Gehör zu schenken.
[303] 60.
Auch gütiger ihm Antwort zu erteilen
Beginnt nun allgemach das schöne Kind;
Sie gönnt die hellen Leuchter ihm zuweilen,
Die schon in Mitleid fast entglommen sind,
So daß der Heide, neu von Amors Pfeilen
Getroffen, draus die Sicherheit gewinnt,
Geschweige Hoffnung, daß nicht alle Tage
Die Dame seinen Wünschen sich versage.
61.
Vergnügt, mit der Gesellschaft höchst zufrieden,
Die ihm gar angenehm erscheint und gut
(Nun schon die Zeit naht, da im Abendfrieden
Die Kreatur, zur Nacht sich bettend, ruht) –
Den Sonnenball sieht er schon halb geschieden –,
Trabt er jetzt rascher zu mit frischem Mut,
Da klingt ein Pfeifen- und Schalmeienreigen,
Und Rauch aus Hof und Hütte sieht er steigen.
62.
Der Hirten Häuser sind es, recht bescheiden,
Doch schicklich, mehr bequem als schön und fein.
Er, der die Herde hütet auf den Weiden,
Läßt alles sich so angelegen sein:
Es scheinen ganz zufrieden diese beiden:
Denn nicht in Stadt und Burg und Schloß allein,
Nein, nette Menschen gibt's in vielen Fällen
In Hütten auch, in Böden und in Ställen.
63.
Was sonst im Dunklen dort wohl noch geschehen
Vom Sohn des Agrikan und Doralis,
Kann ich mit rechter Klarheit selbst nicht sehen;
Der Meinung eines jeden lass' ich dies.
Doch da sie früh vergnügt von dannen gehen,
Denk' ich, ins gleiche Horn das Pärchen blies;
Und Doralis bedankte sich beim Hirten
Für seine Freundlichkeit, sie zu bewirten.
[304] 64.
Wie drauf das Paar von Ort zu Orte reitet,
Beut sich zuletzt ein schöner Fluß ihm dar,
Der schweigend, langsam hin zum Meere gleitet;
Er stehe still, vermeint man um ein Haar.
Wenn Licht hineinblickt, bis zum Grund verbreitet
Es sich hinab, so hell ist er und klar.
Am Rand, mit schattigem Gebüsch bestanden,
Zwei Ritter und ein Fräulein sich befanden.
65.
Jetzt führt mich Phantasie, die einem Pfade
Allein mich nicht will folgen lassen, fort,
Hin, wo der Mohren Kriegesheer gerade
Frankreich betäubt mit Lärm und Schreien dort,
Und wo der Sohn Trojans sinnt, daß er lade
Zum heißen Kampf des heil'gen Reiches Hort,
Und Rodomont ihm prahlend gibt zu hören,
Er werde Rom und auch Paris zerstören.
66.
Es kam zu Ohren König Agramante,
Daß die von England gingen übers Meer:
Drum holten den Algarven Abgesandte,
Marsil auch und die andren Führer her.
Zu rüsten galt es kräftig; man erkannte,
Paris zu überwältigen sei schwer.
Und starken Zuzug brauche man vor allen,
Sonst werde überhaupt die Stadt nicht fallen.
67.
Ringsum läßt nun der König Leitern bringen
(Man schleppt davon unzählige herbei)
Und Bretter, Balken mit Gezweig verschlingen,
Denn nützlich kann es sein für mancherlei,
Für Schiff' und Brücken; und vor allen Dingen
Will er, daß für den Sturm gerüstet sei
Die erst' und zweite Schar: in deren Mitten
Komm' er dann selbst zum Sturme mitgeritten.
[305] 68.
Am Tag, bevor das Schlachten soll beginnen,
Hält man bei Karl im eingeschlossnen Kreis
Hochamt und Messen für die Scharen drinnen
Durch Priester, Brüder schwarz und grau und weiß.
Man hört die Beichte drauf, durch sie entrinnen
Wir ja dem Feind im Höllengrunde heiß,
Und alle, absolviert, kommunizieren,
Als gält' es, bald das Leben zu verlieren.
69.
Er selbst mit Paladinen und Baronen
Und Fürsten geht zum höchsten Tempel hin,
Um fromm der heil'gen Handlung beizuwohnen;
Sein Beispiel lenkt zugleich der andren Sinn.
Den Blick gewandt nach himmlischen Regionen,
Spricht er: »Ich weiß, Herr, daß ich Sünder bin;
Doch räch' es nicht in deiner Lieb' und Gnade,
Daß nicht mein Fehler deinem Volke schade!
70.
Und ist's unmöglich, daß dein Zorn sich wende,
Und muß es Strafe dulden – ach, gerecht! –,
Dann werde nicht durch deiner Feinde Hände,
Nein, später irgendwie, die Schuld gerächt.
Denn wenn der Heide uns erschlagen fände,
Die deine Diener heißen, im Gefecht,
Höhnt er: ihm könne nichts durch dich geschehen,
Weil du die Deinen lassest untergehen.
71.
Und wo dir einer Feindschaft hat getragen,
Da werden's hundert durch die Welt jetzund,
Bis Babel deinen Glauben wird verjagen
Und falsche Lehre richtet ihn zugrund.
Hilf deinem Volk und laß es nicht verzagen;
Es hat dein Grab gesäubert ja vom Hund,
Dem schlechten, und durch heil'ge Stellvertreter
Schützt es die Kirche gegen Missetäter.
[306] 72.
Unser Verdienst – ich weiß – kann nicht genügen:
Dem ›Soll‹ genüber ist es viel zu klein;
Wir können nicht mit Hoffnung uns belügen,
Betrachten wir hier unser Tun allein;
Doch will die Gnade noch dazu sich fügen,
Dann erst wird unsre Rechnung klar und rein.
Weil wir Erinnrung deiner Huld uns gönnen,
An deiner Hilfe wir nicht zweifeln können.«
73.
So sprach der fromme Kaiser schmerzzerrissen,
Mit trübem Herzen und zerknirschtem Mut.
Noch andres zu erflehn war er beflissen,
Der Not entsprechend, für des Reiches Hut.
Heißes Gebet soll nicht Erfüllung missen:
Sein bessrer Engel nimmt's und trägt es gut
Als Schutzgeist himmelwärts auf seinen Schwingen,
Es dem Erlöser oben darzubringen.
74.
Noch viel' in diesem Augenblick gelangen
Durch solche Boten hin zu Gottes Reich;
Als sie ans Ohr der lieben Sel'gen klangen,
Von Mitleid färbte sich ihr Antlitz bleich,
Worauf sie in den ew'gen Bräut'gam drangen
Und ihren Wunsch ihm zeigten alsogleich,
Daß doch dem Christenvolk dort auf der Erde
Die Bitt' erfüllt und ihm geholfen werde.
75.
Die ew'ge Güte, die noch stets erreichen
Gebete, treuen Herzens ausgesandt –
Mitleid'ge Augen hebend, macht ein Zeichen
Zum Engel Michael hin mit der Hand
Und spricht: »Zum Christenheer sollst du entweichen,
Vor Anker liegt es am Picardenstrand;
Zur Mauer von Paris sollst du's geleiten,
Von Feinden unbemerkt an seinen Seiten.
[307] 76.
Geh hin zunächst und sage du dem Schweigen,
Zu jenem Zuge soll es mit dir gehn;
Denn es vermag am besten ja zu zeigen,
Womit man sich am besten muß versehn.
Wenn das geschehn ist, sollst du niedersteigen
Und zu dem Aufenthalt der Zwietracht gehn;
Sie nehme Schwamm und Stein sogleich zusammen,
Im Mohrenheer das Feuer zu entflammen«
77.
Und unter just die Tapfersten von allen
Dort Zank zu streuen, Zwiste mancherlei,
Daß sie nicht fürder kämpfen, manche fallen
Und der verwundet, der gefangen sei
Und der das Feld verlass' in Zorneswallen;
Dann stehe bloß ein Teil dem König bei.
Der Engel, ohne nur ein Wort zu sprechen,
Beeilt sich, gleich vom Himmel aufzubrechen.
78.
Und wo der Bote mag die Schwingen breiten,
Da fliehn die Nebel, und der Himmel lacht;
Strahlen umringen ihn von allen Seiten,
So wie die Blitze leuchten in der Nacht.
Wo es geboten sei, hinabzugleiten,
Das zu bedenken hat der Engel acht,
Um sichrer, nach des ersten Auftrags Zwecken,
Den Feind gesprochner Worte zu entdecken.
79.
Wo wohnt, wo weilt er? – fragen die Gedanken,
Und diesen Schluß die Überlegung bringt:
Er muß sein Heim dem Priester, Mönch verdanken;
Im Kloster ihn zu finden wohl gelingt:
Dort setzt man dem Gespräch ja strenge Schranken,
Und überall, wo man die Psalter singt,
Auch wo man schläft und ißt, steht »Schweigen« immer,
Und »Schweigen« schließlich noch in jedem Zimmer.
[308] 80.
Dort such' ich, denkt der Engel, in den Zellen,
Und regt den Fittich eiliger jetzund;
Auch Friede, Ruhe, Liebe, sie gesellen
Mit Frömmigkeit sich jenem heil'gen Bund.
Doch kaum betritt er die geweihten Schwellen,
So sieht er sich enttäuscht, und aus dem Grund:
Hier weilt das Schweigen nicht; es ward vertrieben,
Wohl findet man es dort, doch nur – geschrieben!
81.
Er sieht nicht Ruhe, Demut nicht noch Frieden
Und sieht nicht Liebe, sieht nicht Frömmigkeit.
Sie waren einst, doch sind sie längst geschieden:
Vor Schlemmerei, Stolz, Grausamkeit und Neid,
Vor Faulheit und vor Zorn den Platz sie mieden.
Der Engel staunt, der Wechsel schuf ihm Leid.
Er schaut die arge Schar mit trüben Mienen
Und sieht nun auch die Zwietracht unter ihnen,
82.
Nach der er – den Befehl nicht zu vergessen,
Der ihm gegeben durch des Ew'gen Wort –
Den Weg hin zum Avernus wollte messen,
Im Wahn, sie sei bei den Verdammten dort:
Sie fand er hier bei heil'gem Amt und Messen
– Wer glaubt es nur! – an neuem Höllenort!
Wie seltsam schien's, daß er hier finden sollte,
Nach der er weite Wege machen wollte.
83.
Er kannte sie am Kleid aus Lappenflecken,
Ungleich sind hundertfarbig anzusehn,
Die bald den Körper zeigen, bald bedecken
(Sie sind zerfetzt), im Winde und beim Gehn.
Die Haare, die – man meint – sich feindlich necken,
Goldfarben, silbern, schwarz und graulich wehn;
Die sind als Flechten, die als Schopf gebunden,
Die frei um Schultern und um Hals gewunden.
[309] 84.
Von Klageschriften voll sind Brust und Hände;
Da gibt es Vollmacht, Ladung, Kommentar
Mit Protokollen, Bündeln ohn' ein Ende;
Rechtsglossen, Rat, Erklärung nimmt man wahr,
Daß kein Besitztum sich gesichert fände
Von armen Schelmen in der Bürgerschar.
Und vor ihr, hinten und zur Seite waren
Sachwalter, Advokaten mit Notaren.
85.
Der Engel ruft und heißt sie niedersteigen
Hin zu den Mächtigsten im Mohrenheer:
Dort möge sie Gelegenheiten zeigen,
Wo Zwist entbrenne mannigfach und schwer.
Drauf fragt er noch die Zwietracht nach dem Schweigen:
Vielleicht, weil sie so weithin schweif' umher,
Um hier und dort die Feuer zu entzünden,
Vermöge sie den Aufenthalt zu künden.
86.
Die Zwietracht sprach: »Ich sah's auf meinen Reisen,
Soweit ich mich besinn', an keinem Ort.
Wohl hört' ich's nennen oft und höchlich preisen
Als schlau, denn es vermeidet jedes Wort.
Vielleicht kann dir's der Unsern einer weisen,
Der ihm sich schon gesellt hat hier und dort,
Der Trug –«; sie läßt den Finger sich erheben
Und zeigt auf einen: »Diesen mein' ich eben.«
87.
Sein ehrbar Antlitz konnte schier bestechen:
Demüt'ger Augenaufschlag, würd'ger Gang!
Dazu so freundlich und bescheidnes Sprechen,
Wie Gabriels des Engels Gruß es klang.
Sonst war er häßlich, widrig, voll Gebrechen,
Doch barg er alles unterm Mantel lang,
Und immer unter diesem weiten Kleide
Trug er den Dolch vergiftet in der Scheide.
[310] 88.
Der Engel fragt: »Wie mag es sich verhalten
Wohl mit dem Weg zum Sitz des Schweigens hin?« –
»Es pflegte sonst«, sprach Trug, »sich aufzuhalten
Bei lauter Tugenden im Kloster drin,
Als noch Sankt Benediktus' Regeln galten;
Es ging nach ihm und nach Elias' Sinn;
Auch durch die Schulen sah man's früher schreiten,
Zu des Pythagoras, Archyta Zeiten!
89.
Seit Heiligkeit und Weisheit ward vertrieben
– Die hatten seines rechten Weges acht –,
Ist's bei der Ehrbarkeit nicht mehr geblieben,
Hat zum Verbrechen hin den Sprung gemacht:
Ging nachts mit Buhlen und sodann mit Dieben
Und übte schließlich jede Niedertracht;
So ist es dem Verrat vertraut geworden,
Und häufig sah ich's auch bei Menschenmorden.
90.
In dunklem Loche hält es sich verschlossen
Da, wo man falsches Geld zustande bringt,
Und ändert oftmals Wohnsitz und Genossen;
Nur wem Fortuna lächelt, zu ihm dringt.
Doch wenn, sobald die Mitternacht verflossen,
Dir Eingang in das Haus des Schlafs gelingt,
In dem es ruht, so kann ich mich verbinden,
Du wirst es dort ganz ohne Zweifel finden.«
91.
Wenn auch des Truges Reden meistens lügen,
Hielt Michael für Wahrheit jetzt sein Wort.
Nun schien es Zeit, daß ihn von dannen trügen
Die Schwingen mählich, von dem Kloster fort.
Den Flugschlag mäßigt er zu langen Zügen,
Dann winkt das Ziel zur rechten Stunde dort.
Er kannte längst des Schlafes stille Klause,
Dort, hört er, ist das Schweigen jetzt zu Hause.
[311] 92.
Von Stadt und Dörfern fern, in schöner Lage
Ruht in Arabien ein schönes Tal
In Bergesschatten und mit dichtem Hage
Von Tannen, Buchen stark und alt zumal.
Die Sonne kommt umsonst mit hellem Tage:
Nicht in das Dunkel dringt ihr lichter Strahl;
Der Weg ist ihr versperrt von vielen Zweigen,
Man muß zu einer Höhle niedersteigen
93.
Und tief in eine weite Grotte dringen,
Verdeckt von dunklem Wald am Felsenhang;
Schmiegsamen Efeus Ranken kraus sich schlingen,
Er kriecht gewundnen Schritts die Wand entlang.
Der Schlaf liegt hier, die Stunden zu verbringen,
Feist und behäbig sitzt der Müßiggang
Und, gegenüber, Faulheit auf der Erde
– Sie kann nicht gehn – mit lässiger Gebärde.
94.
Gedankenlos am Tor steht das Vergessen:
Keinen erkennt es, keinen läßt es ein;
Es kann nicht Botschaft noch Bericht ermessen;
Gleich ausgeschlossen muß ein jedes sein.
Das Schweigen spielt den Wächter unterdessen,
Filzschuhe sind und brauner Mantel sein.
Wen es nur trifft, dem winkt es schon vom weiten
Mit seinen Händen, nicht heranzuschreiten.
95.
Der Engel sagt ihm leise in die Ohren:
»Gott will, daß du Rinaldos Heeresmacht,
Die seinem Herrn zur Hilf' er hat erkoren,
Führst auf Paris zu noch in dieser Nacht,
Jedoch so still, daß keinem von den Mohren
Ruf oder Laut das Nahen kenntlich macht;
Fama zu holen, möge keinem glücken;
Dem Heere folge sie vielmehr im Rücken!«
[312] 96.
Als Antwort ward ein Nicken ihm zuteile;
Das hieß, es sei zum Werke schon bereit,
Die Picardie zeigt' sich nach einer Weile;
Der Engel gab dem Schweigen das Geleit.
Er schenkte dort den kühnen Scharen Eile:
Sie machen großen Weg in kurzer Zeit,
Daß sie an einem Tag Paris erreichen,
Und merken nicht das Wunder ohnegleichen.
97.
Das Schweigen ging und ließ nun über allen,
Den einzlen Haufen und der ganzen Schar,
Rings in der Runde tiefe Nebel wallen,
Derweil doch sonst ein klarer Tag es war;
Beim Nebel hörte man kein Hörnerschallen,
Kein Ruf, kein Ton bot sich dem Ohre dar.
Dem Heidenheer das Schweigen andres brachte,
Ich weiß nicht was, das taub und blind es machte.
98.
Indes Rinald sich so geschwind bewegte,
Daß man des Engels Führung gleich ersah,
So still, daß für die Heiden nichts sich regte
Und keiner ahnte, was beim Feind geschah,
War Agramant nicht träg; sein Fußvolk legte
Er bei Paris dem Fuß der Mauern nah.
Bis an der Gräben Rand schickt er die Leute,
Die Kräfte anzuspannen gilt es heute.
99.
Wer sagen will, wieviele ausgezogen
Sind an dem Tag mit König Agramant,
Der hat die Zahl der Halme, die da wogen
Auf wald'gem Kamm des Apennins, gekannt
Und weiß zu melden, wieviel Meereswogen
Des Atlas Fuß bespülen an dem Strand
Und wieviel Augen wach am Himmel bleiben,
Zu schaun, was nachts Verliebte heimlich treiben.
[313] 100.
Mit raschen Schlägen laut die Glocken schallen,
Erschreckend dröhnt ihr Hammer in der Rund';
Wo man nur hinblickt, in den Tempeln allen
Sieht man erhobne Hand und flehnden Mund.
Und könnten Schätze Gott so wohlgefallen,
Wie Unverstand es meint in mancher Stund',
So fände sich ein beßrer Tag mit nichten,
Sein golden Bildnis übrall zu errichten.
101.
Man hört die guten Alten jammernd weinen,
Verschont zu sein von solcher schweren Not;
Sie singen Lob den heiligen Gebeinen,
Die in der Erde viele Jahre tot,
Derweil's die rüst'gen Jungen anders meinen:
Die, nimmer ahnend, welch ein Unheil droht,
Der Ältern Weisheit leichten Sinns verachten
Und eil'gen Schrittes nach den Mauern trachten.
102.
Barone, Paladine sind mit denen,
Und Könige, Fürsten, Grafen, edle Herrn;
Einheimische und Bürger dicht bei jenen,
Die für Herrn Christus kamen aus der Fern'.
Sie wünschen Angriff auf die Sarazenen
Und senkten schon des Tores Brücken gern.
Der Kaiser freut sich, sie so kühn zu sehen,
Doch aus den Mauern läßt er keinen gehen.
103.
Die Wacht der nöt'gen Plätze gab er ihnen,
Und keinen Weg läßt er dem Feinde frei.
Genügend hier schon ein paar Leute schienen,
Und dort bedurft' es großer Kompanei.
Die schickt er zum Geschütz, und die bedienen
Maschinen, wie's gerade nützlich sei.
Nie steht er still, er schaut nach allen Dingen,
Hier Schutz zu spenden, Hilfe dort zu bringen.
[314] 104.
Paris ist einem ebnen Plan entsprossen,
Den Frankreichs Nabel, auch sein Herz man nennt.
Der Fluß hat durch die Mauern sich ergossen,
Sie zu verlassen an dem andern End'.
Ein Eiland wird vorher von ihm umflossen,
Das man als Stadtteil – und den besten – kennt.
Zwei andre – ihrer drei ja sind es – haben
Den Fluß als Grenze und sodann den Graben.
105.
Verschiedne Meilen streckt sich in die Weite
Die Stadt, die manchen Punkt zum Angriff beut,
Doch stürmen will der Mohr von einer Seite,
Weil er nicht gern die Kriegesmacht zerstreut:
Drum geht er übern Fluß zurück zum Streite;
Von dort her, aus dem Westen, stürmt er heut,
Denn bis nach Spanien gibt's nicht Land noch Städte,
Die er als feindlich noch im Rücken hätte.
106.
Was nur die großen Mauern rings umschließen,
Hat Karl mit starken Werken wohl bedacht:
Damit die Dämme keine Lücken ließen,
Sind Gänge drin und Bauten angebracht;
Wo Wellen münden und von dannen fließen,
Da halten Ketten allerstärkste Wacht.
Jedoch die größte Sorgfalt ließ er walten,
Wo irgend Stellen für gefährdet galten.
107.
Mit Argusaugen Karl sofort erkannte,
Wo Sturm und sonst ein Angriff etwa drohn,
Und keinen Plan ersann Fürst Agramante,
Dem nicht begegnet wäre früher schon.
Mit Ferragu, Grandon und Baligante,
Mit Serpentin, Isolier, Falsiron
Und denen, die aus Spanien kommen waren,
Hielt Herr Marsil zum Kampf bereit die Scharen.
[315] 108.
Sobrin mit Almont und Pulian indessen
Hält auf dem linken Strand der Seine sich
Mit Orans König, den sechs Ellen messen
Von Kopf zu Fuß, dem Riesen fürchterlich.
Was bin ich, ach, aufs Schreiben nicht versessen,
Wie jene Leute sind auf Hieb und Stich!
Denn laut flucht Sarzas Fürst mit wilder Stimme,
Er ist aus Rand und Band vor Wut und Grimme.
109.
Wie auf den Rest von süßen Speisestücken
Hinstürmen dicht an heißem Sommertag
Und auf des Hirten Töpfe läst'ge Mücken
Mit surrndem Ton und rauhem Flügelschlag,
Wie Stare auf den Weinberg, um zu pflücken,
Was sich an reifen Trauben finden mag,
Also zum Angriff wilde Mohren schwirren:
Der Himmel dröhnt von Schrein und Waffenklirren.
110.
Die Christen oben auf der Mauer wehren
Mit Stein und Feuer sich und Lanz' und Schwert.
Sie schützen ihre gute Stadt mit Ehren,
Und keiner an der Feinde Wut sich kehrt;
Wo einer fiel von Pfeilen oder Speeren,
Den Platz zu nehmen keiner feig verwehrt:
Viel Sarazenen in den Gräben blieben,
Hinabgestürzt von Stichen und von Hieben.
111.
Nicht Eisen nur, nein ganze Turmeszinnen,
Mächtige Klötz' und Steine braucht man gut,
Und Blöcke, losgelöst von Mauern drinnen,
Auch Mauerkranz und Dach hier Dienste tut.
Siedende Wasser, die herniederrinnen,
Schaffen den Mohren qualenvolle Glut,
Es will kein Schutz vor solchem Regen taugen;
Er dringt durch jeden Helm und trübt die Augen.
[316]
112.
Und dies noch schuf vielleicht den schlimmsten Schaden:
Was tun, wenn Kalk sich senkt als Nebelmeer?
Was tun, wenn glühnde Schalen sich entladen
Mit Öl und Pech und Harz und Schwefel schwer?
Kranzreifen rasten nicht: in ganzen Schwaden
Von Feuerflammen fliegen sie daher;
Hinabgeschleudert nach verschiednen Seiten,
O, wie sie bösen Kranz dem Feind bereiten!
113.
Der Fürst von Sarza unterdessen reitet
Hin zu der Mauer mit der zweiten Schar:
Von Burald wird er und Ormid begleitet
(Der Garamant, der aus Marmonda war).
Clarin wie Soridan zur Seit' ihm streitet,
Auch Settas König zeigt sich kühn fürwahr:
Marokkos Herr und der von Cosca zeigen,
Ein hoher Mut ist ihnen beiden eigen.
114.
Das rote Banner sieht man sich bewegen,
Das Rodomonts von Sarza Löwen bringt,
Der nicht verschmäht, die Zügel anzulegen,
Die seine Dam' ihm in den Rachen schlingt.
Mit diesem Löwen meinte sich der Degen.
Und mit der Dame, die ihn zäumt und zwingt,
Die schöne Doralis bezeichnen mocht' er,
Des Königs von Granada holde Tochter,
115.
Dieselbe, die Fürst Mandrikard begehrte –
Und an sich nahm, ich sagte, wo und wann –,
Die Rodomont so feurig liebt' und ehrte:
Er gäbe Krone, Reich und Augen dran,
Für die er hohe Ritterschaft bewährte –
Er ahnt nicht, daß ein andrer sie gewann.
Hätt' er's gewußt, so tat er – wehe, wehe! –
Was ich an diesem Tage tun ihn sehe.
[317] 116.
Dort an der Mauer tausend Leitern lehnen,
Auf jeder Staffel mindestens zwei Mann:
Der zweite treibt den ersten Sarazenen,
Derweil ihn selbst der dritte zwingt voran.
Den führt der Mut, und blasse Furcht führt jenen,
Und mit Gewalt klimmt jeder dort hinan:
Wo einmal einer wirklich zaudern konnte,
Da tötet ihn der grimme Rodomonte.
117.
So zwingt sich jeder Mann, emporzusteigen;
Durch Feuer und Vernichtung geht's hinauf.
Die andern all sich mehr behutsam zeigen
Und schaun: tut eine Lücke wohl sich auf?
Lust an Gefahr ist Rodomont nur eigen:
Er weilt, wo das Verderben dringt herauf;
Wo andre betend Gottes Hilfe suchen,
In schwerer Not, hört man ihn Gott verfluchen.
118.
Als starken, festen Panzer trägt er Lagen
Von eines Drachen schuppenreicher Haut,
Die einst um Brust und Rücken hat getragen
Der Ahnherr, der da Babel hat gebaut
Und Gott aus seinem goldnen Saal zu jagen
Und aus dem Sternenreich vermaß sich laut.
Vollkommen ließ zu diesem Zweck der Wilde
Den Helm sich schmieden samt dem Schwert und Schilde.
119.
Wie Nimrod kann man Rodomont hier sehen
Unbändig, wütend, stolz und unverzagt:
Zum Kampfe mit dem Himmel wird er gehen,
Sobald ihm einer nur die Straße sagt.
Ob ganz die Mauern, ob zerstückt sie stehen,
Ob tief die Flut, wird nie von ihm gefragt:
Er eilt, nein, fliegt zum Graben; auf dem Grunde
Im Schlamme geht er, Wasser bis zum Schlunde.
[318] 120.
Durchweicht und schmutzig, drängt er nach den Mauern
Durch Feuer und Geschoß von Pfeil und Stein,
Wie im Mallea-Sumpf zum Schreck der Bauern
Durchs Röhricht kommt gerast das wilde Schwein,
Das, wo es geht, mit Rüssel, Brust und Hauern
In alles mächt'ge Lücken reißt hinein.
Er sucht den Schild als Schutzdach zu verwenden,
Gott böt' er Trotz, geschweige Mauerwänden.
121.
Im Trocknen kaum, schon auf der Mauer Rücken
Und auf die Bauten dann klomm er hinauf,
Die für die Frankenscharen dort als Brücken
Am Wall, hoch und geräumig, strebten auf:
Zerspellt lag manche Stirne hier in Stücken,
Tonsuren schafft er einen ganzen Hauf;
Es fliegen Arm' und Köpfe mit dem Hut hin,
Und auf der Mauer rinnt die rote Flut hin.
122.
Er läßt den Schild – das Schwert in beiden Händen,
Dringt er jetzund auf Herzog Arnulf ein.
Der kam vom Land, wo in der Meerflut enden,
Der salzigen, die Wogen aus dem Rhein.
Er ist nicht stärker, Unheil abzuwenden,
Als gegen Feuer mag der Schwefel sein.
Er stürzt und haucht am Boden aus die Seele,
Das Haupt durchspalten tief herab zur Kehle.
123.
Der Heide fällt darauf mit einem Streiche
Adrad, Anselmo, Spinellotsch und Prand,
Dieweil sein Schwert hier Beute, überreiche,
Durch engen Platz und Menschenfülle fand.
Die eine Hälfte kam vom Vlamenreiche,
Die andre Hälfte vom Normannenstrand.
Orgett, der Mainzer, ist sodann zu schauen,
Vom Kopf zu Brust und Bauch hinab durchhauen.
[319] 124.
Moskin und Andropon wirft von den Zinnen
Er drauf hinab: ein frommer Priester der;
Der Wein nur ist des andern ganzes Sinnen,
Führt er den Krug zum Mund, ist er schon leer,
Vorm Wasser flieht er wie entsetzt von hinnen,
Als ob es giftig wie die Viper wär'.
Er stirbt; und bittrer macht den Tod dem Prasser,
Daß er sich sterben fühlt in schnödem Wasser.
125.
Der Provenzale Louis wird vom Riesen
Zerspalten, und durchbohrt sinkt hin Arnald.
Hubert von Tours, Claud, Hugo, Dionysen
Macht er die Seele frei, die Leiber kalt.
Vier aus Paris gesellten sich zu diesen,
Gautier, Satallon, Odo, Arobald,
Und andre viel durch ihn ums Leben kamen,
Ich kann nicht nennen aller Heim und Namen.
126.
Auf Leitern hinter Rodomonte dringen
Sie nun hinauf, an mehr als einem Ort.
Abwehr kann hier den Christen nicht gelingen,
Drum von der Mauer weichen sie jetzt fort.
Der Feind muß drinnen vieles noch vollbringen;
Fürwahr, kein Kinderspiel harrt seiner dort:
Denn zwischen Wall und zweitem Ringe haben
Die Mohren vor sich grausen, tiefen Graben!
127.
Nicht nur von unten kämpfen mittlerweilen
Die Unsern mutig, nach der Höh' gewandt,
Auch neue Scharen helfen jetzt, sie eilen
Hin nach des innern Abhangs steilem Rand
Und leisten brav mit Lanzen und mit Pfeilen
Der großen Menge draußen Widerstand.
Ich glaube wirklich, diese wär' erlegen
Ohne den Sohn Uliens, den grimmen Degen:
[320] 128.
Die Widerwill'gen macht er kampfbereiter
Und treibt durch Zuspruch sie und Scheltwort an:
Sieht er zur Flucht gewendet einen Streiter,
Kopf oder Brust zerhaut er dann dem Mann;
Er rückt und stößt sie vor, zu fechten weiter,
Reißt sie an Haaren, Hals und Arm voran
Und macht von Leichen solch ein dicht Gedränge:
Der Graben ist für alle schier zu enge.
129.
Derweil die Mohren hier hinunterdringen –
Nein, taumeln, stürzen auf den schlimmen Grund –
Mit Leitern suchen sie emporzudringen
Zum zweiten Kreis hin über diesen Schlund –,
Sieht man den Sarzakönig – ob ihm Schwingen
Allüb'rall wüchsen – vorn vom Rand jetzund
Trotz mächt'gen Leibes und so schwerer Waffen
Zum Sprunge übern Graben auf sich raffen.
130.
Hinüber sprang er, gleich geschmeid'gem Hunde
(Es waren dreißig Fuß so ungefähr),
Und lauter klang sein Fuß nicht auf dem Grunde,
Als ob es eine Sohl' aus Filze wär'.
Die drüben streckt er hin in dieser Stunde,
Als sei von schwachem Blech die Rüstung schwer
Oder aus Borke gar und nicht aus Eisen:
So mächtig Kraft und Waffen sich erweisen.
131.
Inzwischen haben unsre Krieger Fallen
In tiefem Höhlengrunde aufgespannt,
Versehn mit Reisigbündeln nach Gefallen,
Mit Pech geschmiert und sonst noch allerhand.
Doch merkt man äußerlich nichts von dem allen,
Obschon vom hohlen Innern bis zum Rand
Das Pech das Ganze füllt die Quer und Länge,
Und flacher Schalen haben sie die Menge
[321] 132.
Mit Öl, Salpeter, Schwefel – was es geben
An Stoffen mag, zu schaffen Feuers Graus.
Die Unsern sehen auf das tolle Streben –
Daß es den Mohren schlage übel aus
(Die suchten auf die Zinne sich zu heben
Mit vielen Leitern aus dem Sumpf heraus),
Läßt man, da Zeichen den Moment verkünden,
Auf einmal alle Feuer sich entzünden.
133.
Die Einzelfeuer schließen sich zusammen
Und zünden rings die beiden Ufer an
Und steigen hoch empor, daß an den Flammen
Der Mond den feuchten Busen trocknen kann*.
Und Nebel schwarz dem Glutenmeer entstammen,
Der Strahl der Sonne dringt umsonst heran –
In jähem Knall ein gräßlich Krachen, Schmettern,
Wie Donner bei den fürchterlichsten Wettern!
134.
Der Jammerrufe grauenvollem Schallen,
Dem Heulen und dem Kreischen schauerlich
Von jenen todgeweihten Armen allen,
Die ihres Führers Schuld vom Leben strich,
Vermählt, als stimm' es ein mit Wohlgefallen,
Mördrischer Flamme wildes Tönen sich. –
Genug, Herr! Laßt zum Schlusse mich gelangen:
Bin heiser schon und trag' nach Ruh' Verlangen.
[322][1]

Fünfzehnter Gesang

1.
's ist immer löblich, Sieg davonzutragen,
Ob man mit Geist ihn, ob durch Glück gewann,
Wobei, wenn viel Verlust ist zu beklagen,
Des Führers Ruhm sich freilich schmälern kann.
Der Sieg wird ewig über alle ragen
Und langt fürwahr bei Götterehren an,
Der ohne Schaden läßt die Seinen bleiben
Und doch den Feind weiß in die Flucht zu treiben.
2.
Herr, solch ein Ruhm ward Eurem Sieg gerade
Über den Leun, so grimmig auf dem Meer,
Der da besetzt hielt beide Po-Gestade
Bis an die See von Francolino her.
Wenn er nun künftig brüllt auf meinem Pfade,
Seh' ich nur Euch, so beb' ich nimmermehr.
Ihr zeigtet, wie man's halten muß in Kriegen:
Die Seinen schonen und den Feind besiegen.
3.
Der Heide hat, zu kühn, das nicht verstanden:
Er trieb die Seinen in den Schlund hinein,
Wo in gefräß'ger Flamme sie verschwanden
[1]
Alle – verschont konnt' auch nicht einer sein.
Nicht Raum im Graben alsoviele fanden,
Jedoch das Feuer machte bald sie klein
Und zog zu leerer Asche sie zusammen,
Daß sie dem Ort sich fügten in den Flammen.
[1] 4.
Dort in der rauchgeschwärzten Grotte liegen
Elftausend Krieger, zwanzig noch und acht,
Die widerwillig hier hinabgestiegen:
Des Führers Torheit zwang sie zu der Schlacht.
Gefräß'ge Flammen um die Armen wiegen,
Die fort vom Lichte schieden in die Nacht.
Das Unheil lag auf eines Manns Gewissen:
Er, Rodomont, blieb solcher Qual entrissen.
5.
Mit wunderbarem Sprung in Feindes Mitten
Ist er gelangt zum innern Ufer her.
Wär' er zur Tiefe mit hinabgeschritten,
Des Angriffs Ende dies gewesen wär'.
Als seine Blicke nach der Hölle glitten,
Hin, wo er lodern sah das Feuermeer,
Der Seinen Ruf vernahm, – den Himmel sucht er
Und ihm mit gräßlich wildem Schreie flucht er.
6.
Inzwischen richtet König Agramante
Gewaltig wucht'gen Angriff auf ein Tor.
Er hoffte, während dort die Schlacht entbrannte,
Wo reiche Beute sich der Tod erkor,
Daß man hierher nur wen'ge Wachen sandte,
Ausreichend sei da wohl sein kleines Korps.
Mit ihm Arzillas Herrscher Bambirag ist
Und Baliverz, der von gar bösem Schlag ist,
7.
Von Mulga Corineus und Prusio – wohnen
Tät dieser Fürst am sel'gen Inselstrand –,
Malabufers – er herrscht in den Regionen
Von Fez, wo niemals noch die Sonne schwand –
Und andre Herrn und sonstige Personen,
Trefflich bewaffnet und im Kampf gewandt,
Dazu viel wertlos Volk noch, nackte Wilde:
Ihr Herz zu wappnen reichten keine Schilde.
[2] 8.
Grad umgekehrt als es die Feinde wähnen
Hat aber sich die Sache hier gemacht:
Der Kaiser selbst stellt sich den Sarazenen
Mit seiner Paladinenschar zur Schlacht:
Mit Salamon, mit Holger auch, dem Dänen;
Zwei Angelin, zwei Guido halten Wacht.
Von Bayern Naims und Otto sind erschienen
Mit Berlinquier und Avol und Avinen.
9.
Sodann noch Leute von geringrem Schlage,
Lombarden, Franken, aus den deutschen Gaun.
Bemüht, vorm Herrn zu glänzen an dem Tage,
Sucht jeder Krieger wacker dreinzuhaun.
Erlaubt jedoch, daß ich es später sage,
Denn hin nach meinem Herzog muß ich schaun,
Der aus der Ferne nickt und winkt mit Schreien,
Ihn endlich aus der Feder zu befreien.
10.
's ist Zeit, zurückzugehn, wo ich verlassen,
Astolf, den fahrenden, aus Engelland,
Der die Verbannung jetzt begann zu hassen,
In Sehnsucht nach der Heimat heiß entbrannt.
Und Rückkehr hatt' ihn jene hoffen lassen,
Die in dem Kampf Alcine überwand.
Nun will sie alle Mühe drauf verwenden,
Auf sichrem, gutem Weg ihn zu entsenden.
11.
Eine Galeere soll zur Reise dienen –
Es fuhr noch keine beßre durch das Meer.
Voll Sorge, eine Störung von Alcinen
Bringe der Reise sonst wohl noch Beschwer,
Schickt sie mit Andronika Sophrosynen
Nebst einer Flotte und mit starkem Heer,
Bis ans Arab'sche Meer zu Persiens Golfen
Dem Herzog Astolf sei hinweggeholfen.
[3] 12.
Vorbei an Skythien soll das Schiff sich winden,
Inder- und Nabatäerstrand entlang,
Um Persien und das Rote Meer zu finden
Auf einer Wasserstraße, freilich lang.
Doch vor dem kurzen Weg mit bösen Winden,
Die dort im Sturmmeer drohen, ist ihr bang.
Der Sonn' auch muß man oft in jenen Meeren
Gar sehr, und ganze Monde lang, entbehren.
13.
Als sie nach Wunsch sah alles hergerichtet,
Gab jene weise Fee den Herzog frei,
Nachdem sie ihn belehrt, gewarnt, verpflichtet
Mit gutem Rat und Winken mancherlei;
Zum Schutz vor Zauber, der zugrunde richtet,
Bekommt er, daß er ganz geborgen sei,
Ein schön und nützlich Buch als Abschiedsgabe,
Damit er's ihr zuliebe bei sich habe.
14.
Wie man der Zauberkunst kann widerstehen,
Führt das von ihr geschenkte Büchlein aus;
Ob vorn die Sachen, ob sie hinten stehen,
Aus dem Verzeichnis findet man's heraus.
Dann noch mit einem Ding ward er versehen,
Das über alle Gaben ragt hinaus:
Ein Horn, des Töne gar erschrecklich klingen
Und jeden, der es hört, zum Fliehen bringen.
15.
Ich sage, wenn des Hornes Töne schallen,
Flieht männiglich entsetzten Angesichts;
Ertragen kann's kein einzig Herz von allen,
So weit da reicht der Strahl des Himmelslichts.
Erdbeben, Windgebrüll, des Donners Hallen
Ist im Vergleich zu diesem Horne nichts.
Der gute Herzog tät sich schön bedanken
Und schied von dannen auf des Schiffes Planken.
[4] 16.
Den Hafen lassend und die stillern Wogen,
Im günst'gen Wind die Segel straff gespannt,
An Städten reich ist er vorbeigeflogen,
Wie viele sind am duft'gen Inderstrand.
Und rechts und links derweil vorüberflogen
Viel tausend Inseln – bis Sankt Thomas' Land
Zuletzt erschien, von wo an Schiffes Borden
Der Lenker jetzt mehr Richtung nimmt gen Noroen.
17.
Den goldnen Chersonesus streifend grade
Die schöne Flotte durch die Meerflut zieht.
Sie gleitet hin am üppigen Gestade,
Wo man den Ganges weiß im Meere sieht,
Schaut Taproban, Cori am Meeresbade
Und, wie die Woge zwischen Küsten flieht.
Sie fuhren lange, bis Cochin sie fanden,
Und vorwärts ging's, hinweg aus Indiens Landen.
18.
Hinfahrend mit so trefflichem Geleite,
Fragt Astolf nun, der auf Belehrung brennt,
Fee Andronika, ob von jener Seite,
Die nach der Sonne Sinken sich benennt,
Ein Ruderschiff, eins, das da Segel breite,
Manchmal erschein' im Meer des Orient,
Und ob man, ohn' am Landsaum anzulegen,
Nach Frankreich könn' und England sich bewegen.
19.
Sie sprach: »So höre denn! An allen Stellen
Wird unsre Erde von dem Meer umringt,
Und ineinander fließen alle Wellen,
Wo kalt die Flut und wo sie kochend springt.
Doch weil da vornen sich entgegenstellen
Die Strecken, die das Mohrenland umschlingt,
Äthiopien unterm Mittag, hört man sagen,
Es dürfe sich Neptun nicht weiter wagen.
[5] 20.
Drum will kein Schiff sich nach Europa wenden
Vom Osten unsres Indien heraus,
Und von Europa will man keins verschwenden,
Das hier nach unsrer Gegend streb' hinaus.
Sie lassen immer sich nach Hause senden,
Denn jenes Land sieht wie ein Hemmnis aus:
Man meint, daß es, weil von so großer Länge,
Mit andrer Hemisphär' zusammenhänge.
21.
Doch fern aus West – ich seh's – nach vielen Jahren
Ein Typhys kommt und neue Heldenschar:
Sie werden eine Straße dann gewahren,
Die unbekannt am heut'gen Tage war;
Die einen seh ich Afrika umfahren
Der Küst' entlang des Volks mit Negerhaar,
Bis sie, den Steinbock lassend, jenes Zeichen,
Von wo die Sonn' uns wiederkehrt, erreichen
22.
Und so der langen Linie Ende sehen,
Wo man zu schauen meint der Meere zwei,
Und nach den Inseln rings und Ufern spähen,
Ob es Arabien, Indien, Persien sei;
Und andre fort von beiden Ufern gehen,
Die Herkules vor Zeiten legte frei,
Hinstrebend, an der Sonne Bahn gebunden,
Um neue Welt und Länder zu erkunden.
23.
Ich seh' das heil'ge Kreuz und seh' entfalten
Die Kaiserbanner an dem grünen Strand,
Seh' viele noch in Schiffen Wache halten,
Andre verwalten jenes neue Land;
Seh' zehn verjagen tausend, seh' die alten
Reiche bis Indien in der Spanier Hand
Und Karls des Fünften tapfre Kapitane
Aufpflanzen überall die Siegesfahne.
[6] 24.
Gott hielt den Weg in Zeiten, die vergangen,
Verhüllt, und lang noch wird verhüllt er sein;
Es soll auf ihm noch weiter Dunkel hangen,
Bis einst das achte Alter bricht herein.
Dann wird der Herrscher auf den Thron gelangen,
Dem Gott die Weltenherrschaft will verleihn,
Der weise Kaiser, hehr und auserlesen,
Der edelste, der seit August gewesen.
25.
Ich seh', am linken Rheine tritt ins Leben
Aus Österreichs und Aragoniens Blut
Ein Fürst, der – wen man sonst noch mag erheben –
Wird unvergleichlich sein an Wert und Mut:
Er wird den Thron Asträa wiedergeben,
Neu schenken ihr vielmehr des Lebens Gut;
Und Tugenden, die aus der Welt verschwanden,
Bringt er mit ihr zurück, befreit von Banden.
26.
Für solche Trefflichkeit zum hohen Lohne
Beut ihm die allerhöchste Güte dar
Nicht nur des großen Kaiserreiches Krone,
Die des August, Trajan und Marcus war,
Nein, auch von allen Ländern fernster Zone,
Daß nie die Sonn' ihr schwindet noch das Jahr,
Damit es unter ihm zur Wahrheit werde:
Ein Hirt allein und eine einz'ge Herde.
27.
Und daß nun alles leichter vorwärts schreite,
Was in des ew'gen Himmels Willen liegt,
Setzt ihm die höchste Weisheit noch zur Seite
Feldherrn auf Land und Meeren unbesiegt.
Ich seh' Ernando Cortez, wie er weite
Städt' unter seines Kaisers Zepter biegt.
Und so entfernt im Osten Reich und Land sind,
Daß sie uns selbst in Indien unbekannt sind.
[7] 28.
Colonna und Pescara sind zu sehen,
Ein junger Herr del Vast ist ihnen nah.
Zu teuer kommt durch diese drei zu stehen
Den goldnen Lilien Land Italia.
Zum Wettstreit kühn seh' ich den dritten gehen,
Um reichern Lorbeer als der beiden da,
Dem Renner gleich, der spät erst stürmt von hinnen,
Die andern einholt, schließlich zu gewinnen.
29.
So mutig seh' ich, treu und wohlerfahren
Alfons (denn diesen Namen führt der Held),
Daß er mit seinen sechsundzwanzig Jahren,
Dem Blütenalter, den Befehl erhält
Vom Kaiser über seine Kriegerscharen
Zum Wohl des Heers. Will dann die ganze Welt
Der Kaiser völlig zum Gehorsam bringen,
Mit solchem Feldherrn wird es ihm gelingen.
30.
So wie durch diese, wo man nur mag schreiten,
Das Reich sich stets an Macht gefördert sah,
Wird auf dem Meere, das nach zweien Seiten
Europa badet hier, dort Afrika,
Der Sieg in jeder Kriegsfahrt ihn begleiten;
Ist doch sein Freund Andrea Doria,
Der Doria, durch dessen Waffentaten
Das Wasser frei sein wird von Meerpiraten.
31.
Er ist Pompejus selbst noch überlegen,
Der auch Piraten schlug und sie vertrieb –
Denn nicht als gleiche traten die entgegen
Dem mächt'gen Reich, das übrall Herrin blieb,
Doch Doria wird rein die Meere fegen
Mit eigner Kraft, aus eignem Geist und Trieb.
Wo seines Namens Ruf sich mag erheben,
Von Calpe bis zum Nil, die Schiffe beben.
[8] 32.
Ich seh' in Schutz und sicheren Geleiten
Des Feldherrn, den ich dir gerad genannt,
Karl hin zur Krönung nach Italien reiten:
Dort öffnet ihm das Tor Andreas Hand.
Verdienten Lohn läßt der sodann beiseiten,
Ihn hinzugeben an das Vaterland:
Durch ihn soll Freiheit in dem Lande walten,
Das wohl ein andrer hätte selbst behalten.
33.
Und dieses sei ihm höher angeschrieben,
Als hätt' in Frankreich oder Spanien er
Oder in Afrika den Feind vertrieben
Oder bei Euch besiegt des Julius Heer.
Oktav und er, der sein Rival geblieben,
Anton, errangen nicht des Ruhmes mehr
Durch Waffentat: ward ihnen Lob, so schwand es,
Weil sie's gewonnen nur zum Druck des Landes.
34.
Wer an die Freiheit rührt mit Frevelhänden,
Der stehe schamrot, mit gesenkten Braun;
Hört er den Doria-Ruf zum Himmel senden,
Kann er sich aufzublicken nicht getraun.
Ich sehe Karl den Lohn vergrößert spenden:
Er gibt ihm jenes reichen Landes Aun
(Zu dem, was ohnedies er bieten wollte),
Das die Normannen mächtig machen sollte.
35.
Der edle Karl wird huldvoll sich erzeigen
Nicht nur dem einen großen Kapitan,
Nein, jedem einzelnen, den nicht als Feigen
Im Kaiserdienst die Herrscheraugen sahn.
Städte zu geben, ja ein Land zu eigen
Einem Getreuen, scheint ihm wohlgetan,
Und höher wird ihm diese Freude gelten
Als neue Reich' erwerben, neue Welten.«
[9] 36.
So ruft die weise Frau das Bild von Siegen,
Die später, einst, nach vieler Jahre Lauf,
Die Feldherrn Karls gewinnen in den Kriegen,
Dem jungen Herzog Astolf jetzt herauf
Und läßt den Morgenwind sich sanfter wiegen
Und zieht den Zaum ihm fester bald darauf:
Sie macht, daß dieser Wind, dann jener wehe,
Damit nach Wunsch die Fahrt vonstatten gehe.
37.
Inzwischen sahn sie fernehin sich breiten
Auf weitem Raume rings das Persermeer,
Bis sie zum Golf in wenig Tagen gleiten,
Der seinen Namen hat von Weisen her.
Dort landen sie, und an des Ufers Seiten,
Zur See gekehrt, ruhn ihre Schiffe leer.
Furcht vor Alcinen ist nunmehr geschwunden,
Und Astolf hat den Weg zu Land gefunden.
38.
Er zieht dahin durch Bergland und durch Tale,
Durch Wald und Feld, bald quer und bald gerad,
Wo oft im Dunklen, oft beim Sonnenstrahle
Vorn oder hinten Räuberschar ihm naht;
Sieht Löwen, gift'ge Drachen viele Male
Und andres Untier kreuzen seinen Pfad:
Doch führt er nur sein Wunderhorn zum Munde,
Da flieht voll Schrecken alles in der Runde.
39.
Das glückliche Arabien der Mohren
Sah er, an Myrrhen- reich und Weihrauchduft,
Das als sein Heim der Phönix hat erkoren
Von allen Landen, in des Himmels Luft;
Sah dann die Flut, die Gott heraufbeschworen
Zur Rettung Israels als Todesgruft,
Darin die Krieger Pharaos verschwanden,
Und kam zuletzt zu der Heroen Landen.
[10] 40.
Den Fluß Trajan entlang der Herzog reitet
Auf jenem Hengst, der einzig ist, einher,
Der mit so leichten Tritten läuft und schreitet,
Die Spur im Sand zu sehen wäre schwer,
Und keinen Druck dem Gras, dem Schnee bereitet;
Mit trocknen Füßen geht er auf dem Meer
Und fliegt beim Rennen hin in solcher Eile,
Daß nicht so schnell sind Wind und Blitz und Pfeile.
41.
Dies Roß hat Argalia einst besessen;
Es war erzeugt von Flamme und von Wind,
Nie hat es Hafer, niemals Heu gefressen;
Nur reine Lüfte seine Nahrung sind.
Der Herzog kommt, als weitrer Weg durchmessen,
Hin, wo der Fluß im Nilstrom Eingang findt.
Eh noch die Mündung seine Augen sahen,
Zeigte die Flut ein Schiff in raschem Nahen.
42.
Mit einem Klausner (auf die Brust hernieder
Wallte sein weißer Bart), der winkte bang
Astolf ins Boot, recht gütevoll und bieder:
»Wenn dir das Leben, lieber Sohn«, so klang
Es aus der Ferne, »nicht bereits zuwider,
Wenn nicht des Todes Sehnsucht dich bezwang,
So komm mit mir ans andere Gestade,
Denn dieser Weg führt dich zum Tod gerade.
43.
Du gehst auf ihm noch nicht zwei Stunden weiter,
So findest du das blutbefleckte Haus;
Dort wohnt ein Ries', ein grauslich wilder Streiter,
Ragt über Menschenmaß acht Fuß hinaus.
Kein Wandersmann kann hoffen und kein Reiter,
Er komme jemals lebend dort heraus.
Die Opfer häutet er und vierteilt, schindet,
Und mancher lebt, wenn er im Maul verschwindet.
[11] 44.
Nach solcher Grausamkeit pflegt er zu spaßen:
Er nimmt ein wohlgebautes Netz zur Hand;
Flach legt er's in den feinen Staub der Straßen,
Das End' ist oben an sein Dach gespannt.
Geschlungen wohl und zart ist's übermaßen,
Kein Mensch bemerkt's, dem nicht das Ding bekannt.
Die Fremden schreckt er dann mit lautem Brüllen
Und treibt sie hin, wo Maschen sie umhüllen.
45.
Die so Gefangnen schleppt er dann mit Lachen
Samt jenem Netz nach seinem Hause hin,
Nicht Mann, nicht Fräulein Unterschied ihm machen,
Ob sie von hohem oder niedrem Sinn.
Und Fleisch, Gehirn und Blut verschlingt sein Rachen,
Die Knochen läßt er in der Wüste drin.
Und grausig pflegt er rings sein Haus zu schmücken
Mit Menschenhaut in Fetzen und in Stücken.
46.
Geh hier, mein Sohn, o geh auf diesen Wegen,
Wo man zum Meere gut gelangen kann!« –
»Nimm, Vater, Dank für deinen Rat entgegen,«
Antwortet ihm der kühne Rittersmann;
»Gefahr mißacht' ich um der Ehre wegen;
Mehr als das Leben hält sie mich in Bann.
Du lockst umsonst zum anderen Gestade;
Das Ungetüm, das such' ich nun gerade.
47.
Das Fliehn erhielte mich ja wohl am Leben;
Doch Schmach ist schlimmer als der Tod für mich:
Ich sterbe – soll das Schlimmste sich begeben –,
Wo ja so mancher andre schon erblich.
Doch, will im Kampfe Gott mir Segen geben,
Daß jener stirbt und lebend bleibe ich
Können des Weges tausend sicher ziehen,
Der Vorteil ist im Kämpfen, nicht im Fliehen.
[12] 48.
Dem Tod des einen gegenüberstehen
Die vielen, deren Heil es könnte sein.« –
»Mein Sohn,« spricht der, »in Frieden sollst du gehen;
Der Herrgott schließ' in seinen Schutz dich ein
Und lasse Michaels Fittich um dich wehen!«
Er segnet ihn und steigt ins Boot hinein.
Astolf sprengt seinen Weg hin längs des Niles,
Hofft wenig nur vom Schwert, vom Horne vieles.
49.
Ein schmales Pfädchen, von dem Sumpf umfangen
Und von dem Fluß, geht durch den Ufersand:
Man kann auf ihm zum öden Haus gelangen,
Daraus Verkehr und Menschlichkeit verbannt.
Und allerwegen Köpf' und Glieder hangen
Der Armen dort, die fing des Riesen Hand.
Kein Vorsprung ist, und von den Fenstern keines,
Wo da zum mindesten nicht hinge eines.
50.
So wie in Alpendörfern und Kastellen
Der Jäger nach bestandener Gefahr
An Türen nagelt Schmuck von zott'gen Fellen
Und Bärenkopf und -tatzen bietet dar,
So pflegte dieser Riese hinzustellen,
Was ihm als Beut' ins Netz gegangen war;
Ringsum zerstreut sind Reste von Gebeinen,
Und voll von Menschenblut die Gräben scheinen.
51.
In seiner Tür stand grad Caligorante,
So hieß der mitleidlose Unhold ja,
Der Totenbein als Hausesschmuck verwandte,
Wie's sonst mit Gold und Messing wohl geschah,
Und jetzt vor Freude kaum sich selber kannte,
Als er von fern den Herzog kommen sah;
Zwei Monde waren es, man stand im dritten,
Daß keiner dieses Weges war geritten.
[13] 52.
Zum nahen Sumpf, dem dunklen, röhrichtreichen,
Sofort in größter Eile läuft er hin,
Denn sich im Bogen rasch herumzuschleichen
Hinter des Fremden Rücken, ist sein Sinn;
Er hofft, der werde nunmehr rückwärts weichen,
Bis er im staubbedeckten Netze drin,
Wie er's mit andern Fremden stets gemacht hat,
Die das Verhängnis jenen Weg gebracht hat.
53.
Als ihn der Ritter kommen sieht vom weiten,
Hält er das Roß an, nicht der Sorgen bar,
Daß dessen Füße in die Maschen gleiten,
Vor denen er gewarnt vom Alten war:
Jetzt, denkt er, sind fürs Horn die rechten Zeiten:
Er bläst, und mit gewohnter Wirkung zwar.
Das Herz des Riesen macht der Klang erbeben,
Er eilt entsetzt, von dannen sich zu heben.
54.
Der Herzog bläst, er weiß sich vorzusehen,
Weil gar zu leicht ihn sonst das Netz umflicht.
Der Unhold flieht und kann den Weg nicht sehen:
So wie das Herz, verlor er das Gesicht.
Die Furcht läßt ihn nicht, wie er möchte, gehen,
Er meidet seine eigne Falle nicht
Und kommt zum Netz –: im Nu ist er umwunden
Und auf dem Boden, hilflos und gebunden.
55.
Als Astolf sah die große Masse liegen,
Eilt er hinzu, nunmehr voll Sicherheit,
Und, Schwert in Hand, vom Roß herabgestiegen,
Zu rächen Tausende war er bereit.
Doch dann scheint ihm, Gefangnem obzusiegen,
Mehr feiger Sinn zu sein als Tapferkeit:
Denn jener ist gefesselt allerwegen,
Kann nicht den Hals, nicht Arm' und Beine regen.
[14] 56.
Denn von Vulkan ward jenes Netz gewunden,
Aus feinstem Stahl und solche Kunst verwandt:
Es wird auf Erden keine Kraft gefunden,
Zu lösen nur ein einz'ges Maschenband:
Dasselbe war es, das einmal gebunden
Der Venus und dem Mars so Fuß wie Hand
Und von Vulkan gemacht war zu dem Ende,
Daß man zusammen sie im Bette fände.
57.
Dem Schmiede stahl das Netz Merkur verwogen:
Er hätte gern an Chloris sich erfreut,
Ach, Chloris, die mit Eos kommt geflogen,
Eh uns die Sonne ihre Strahlen beut,
Und aus geschürzten Kleides Schoß in Bogen
Uns Lilien, Rosen, schöne Veilchen streut.
Lang lauert' er auf sie und ihre Schätze
Und fing sie in der Luft mit diesem Netze.
58.
Wo sich Äthiopiens Fluß zum Meere wandte,
Da nahm er's – scheint es – bei der Göttin Fang;
Worauf man's in Anubis' Tempel bannte
Fern zu Kanopus manch Jahrhundert lang,
Bis nach dreitausend Jahren der's entwandte,
Nachdem er raubend in den Tempel drang.
Dort packt der Wüterich das Netz zusammen,
Plündert den Tempel, setzt die Stadt in Flammen.
59.
Hier legt er's hin, daß es Gefangne bringe,
Denn wer von ihm gejagt wird, läuft hinein:
Berührt man's noch so leise – eine Schlinge
Umschließt sofort den Hals und Arm und Bein.
Ein Kettchen draus löst Astolf guter Dinge,
Schnürt hinten fest des Riesen Hände ein,
Um Fesseln auch noch Arm und Brust zu geben,
Unlösliche, und läßt ihn sich erheben,
[15] 60.
Nachdem er ihn befreit von andrer Bande,
Der wie ein Mägdlein sanft geworden war.
Nun nimmt ihn Astolf mit sich; auf dem Lande,
In Stadt und Schloß beut er zur Schau ihn dar.
Das Netz auch will er haben: nicht zustande
Bringt Feil' und Hammer ja ein Ding so rar.
Zum Saumtier macht er ihn: von Stätt' zu Stätte
Führt er ihn triumphierend an der Kette.
61.
Auch Helm und Schild noch gab er ihm zu tragen,
Wie einem Diener, und zog weiter fort.
Wo er sich zeigt, hört man voll Jubel sagen:
»Gesichert geht man nun von Ort zu Ort.«
Voran ritt Astolf, bis schon nahe lagen
Die Memphis-Gräber, jenes Memphis dort,
Das heilige, wo Pyramiden stehen.
Auch Kairos Volkesmassen konnt' er sehen.
62.
Das ganze Volk umringte bald den Degen
Und sah den ungefügen Riesen an:
»Wie ist es möglich,« rief man sich entgegen,
»Daß jenen großen band der kleine Mann?«
Kaum konnte Astolf vorwärts sich bewegen,
So drängen sie von jeder Seit' heran,
Und alles staunt, und alles ehrt den Reiter
Und preist ihn hoch als auserlesnen Streiter.
63.
Noch mochte Kairo jener Umfang fehlen,
Von dem man wohl in heut'gen Tagen spricht:
Man könne achtzehntausend Orte wählen –
Sie fassen alle die Bevölkrung nicht;
Und ob die Häuser schon drei Stockwerk' zählen,
Schläft auf der Straße doch manch armer Wicht.
Man sagt, ein Schloß ließ sich der Sultan bauen,
An Pracht und Reichtum wunderbar zu schauen,
[16] 64.
Und fünfzehntausend Mann hab' er als Wache,
Die alle Christenrenegaten sei'n,
Bei sich darinnen unter einem Dache
Mit Pferden und mit Fraun und Kinderlein.
Astolf will sehn, wie durch das Land, das flache,
Der Nil sich senkt und fließt ins Meer hinein
Bei Damiette: dort werde, hört er sagen,
Wer kommt, gefangen oder totgeschlagen.
65.
Der Mündung nahe sei am Nilgestade
Ein Kerl (Bewohner eines Turmesbaus),
Der arg den Bauern und den Wandrern schade;
Bis Kairo zieh' er plündernd jeden aus;
Nichts nütze Widerstand auf seinem Pfade,
Stets komm' er lebend vom Gefecht heraus,
Empfing er auch schon hunderttausend Wunden.
Kein Mittel sei für seinen Tod gefunden.
66.
»Der Parze Werk verhelf' ich wohl zum Ziele«,
Denkt Astolf, hat sich nach Damiette gewandt,
Dort auszublicken nach dem Kerl Orrile
(Denn also war der Räubersmann genannt),
Und beim Zusammenfluß von Meer und Nile
Sieht er den großen Turm an Flusses Rand,
Von jenem Zaubrer als sein Nest erkoren,
Den einem Elf hat eine Fee geboren.
67.
Er sieht im Gang ein Aufeinanderschlagen
Zwischen Orril und einem Kämpferpaar.
Die zwei sind im Gedränge, schon erlagen
Sie jenem bösen Zaubrer um ein Haar.
Doch einen hochberühmten Namen tragen
Die beiden Ritter in der Heldenschar;
Die Söhne Olivers das Erdrund kannte, –
Grifon ist weiß, und schwarz ist Aquilante.
[17] 68.
Ein großer Vorteil freilich stand im Streite
Dem bösen Hexenmeister zu Gebot:
Ein Untier nämlich gab ihm das Geleite,
Wie jene Gegend ganz allein es bot.
Es lebt im Fluß und an der Uferseite,
Und Leichen waren ihm sein täglich Brot:
Die armen Wanderer und Schifferleute,
Wenn unvorsichtig, fielen ihm zur Beute.
69.
Im Sande, nah dem Hafen, ist zu sehen
Das Tier, getötet durch der Brüder Hand;
Es war kein Unrecht an Orril geschehen,
Wenn einer mit dem andern sich verband.
Wird er zerstückt, wills nie ans Leben gehen;
Zerstückt auch, leistet er noch Widerstand:
Ob er um eine Hand, ein Bein gebracht sei,
Er knetet's neu, wie wenn's aus Wachs gemacht sei.
70.
Grifon hat bis zum Mund den Kopf durchhauen
Und Aquilant schlug bis zur Brust hinab –:
Er lacht des Hiebs, so groß ist sein Vertrauen;
Die wüten, denn sie mühn umsonst sich ab.
Wer je den Fluß des Silbers konnte schauen,
Dem die Chemie Merkur als Namen gab –
Er streut und sammelt alle seine Glieder –,
Dem kommt hierbei wohl die Erinnrung wieder.
71.
Er steigt vom Pferd, wenn er den Kopf verloren,
Und tastet rings umher nach ihm zu Fuß,
Nimmt ihn drauf an den Haaren oder Ohren:
Der Kopf hat auf dem Hals sogleich Verschluß.
Mit langem Arm packt Grifon nun den Mohren
Und wirft, es scheint umsonst, ihn in den Fluß;
Denn wie ein Fisch schwimmt jener bei dem Bade
Und kommt mit heilem Kopf an das Gestade.
[18] 72.
Ehrbar geschmückt, zwei Damen auserlesen,
Die eine weiß und die in schwarzem Kleid,
Die jenes Kampfes Ursach' sind gewesen,
Schauen am Ufer zu dem grimmen Streit.
Die Feen sind es, die zwei güt'gen Wesen,
Die sich den Söhnen Olivers geweiht,
Seit sie die beiden Knäblein, zart zu schauen,
Zwei großen Vögeln nahmen aus den Klauen.
73.
Gismonden ward das Kinderpaar entrissen,
Und weit mit ihnen fort die Vögel flohn.
Doch mehr zu sagen, bin ich nicht beflissen,
Denn alle Welt kennt die Geschichte schon
(Beim Autor muß man nur den Vater missen,
Den er vertauscht – warum wohl? – mit dem Sohn).
Wir sahn, wie brav die jungen Männer stritten;
Gehorsam folgten sie der Damen Bitten.
74.
In jener Gegend war der Tag geschwunden,
Noch auf Fortunas Inseln mocht' er sein;
Die Schatten hatten alles schon umwunden
Unter des Monds unsichrem Dämmerschein,
Als nach dem Turm Orril den Weg gefunden,
Denn beide Schwestern stimmten überein,
Es werde dieser bittre Kampf verschoben,
Bis neu am Himmel sich die Sonn' erhoben.
75.
Astolf, der Grifon dort und Aquilante
Am Wappen, mehr noch am gewalt'gen Hieb,
Von Anfang auf den ersten Blick erkannte,
Den Brüdern art'gen Gruß nicht schuldig blieb.
Als er sich nun den Pardelritter nannte,
Er, der den Riesen wie ein Lasttier trieb
(Am Hofe wurde Astolf so geheißen),
Sie gleicher Höflichkeit sich gern befleißen.
[19] 76.
Zur Ruhe führten dann die beiden Damen
Die Ritter nach dem nahen Schlosse hin;
Sie waren halben Weges schon, da kamen
Mit lichten Fackeln Knapp' und Dienerin.
Die Rosse Wartung durch den Knecht bekamen.
Man legt die Waffen ab; im Garten drin
Sehn sie das Mahl bereit bei einer Quelle,
Die lieblich sich dahinschlingt, frisch und helle.
77.
Den Riesen lassen sie im Frei'n bewahren
Mit einer andern Kette, dick und fest,
An einer Eiche, hart von vielen Jahren,
Die nicht durch Rütteln sich zerreißen läßt.
Zehn Mann noch wachen über den Barbaren,
Damit er nicht des Nachts den Platz verläßt,
Um sie zu schädigen und zu bekriegen,
Derweil sie ahnungslos im Schlaf sich wiegen.
78.
Bei Tisch mit vielen und erlesnen Speisen,
Drin des Vergnügens kleinster Teil bestand,
Ward auf Orril und seine Kampfesweisen,
Die wunderbaren, das Gespräch gewandt:
Man meint, es müsse sich als Traum erweisen,
Daß Kopf und Arm sich auf der Erde fand,
Und er sie holte, gleich sich neu bewehrte
Und wilder stets zum Kampfe wiederkehrte.
79.
Astolf hatt' in dem Buche schon gefunden
(Das zeigt, wie man sich gegen Zauber wehrt):
Man kann Orril nicht töten, nur verwunden,
Bleibt ihm ein einzig Kopfhaar unversehrt.
Doch wenn's verletzt ward oder ihm entwunden,
Trotz Sträubens aus dem Leib die Seele fährt.
Dies sagt das Buch, doch nicht, wie auf dem Kopfe
Das Haar man kenne bei so starkem Schopfe.
[20] 80.
Als hab' er schon des Sieges Palm' errungen,
So freut sich Astolf auf den nächsten Strauß;
Mit ein paar Hieben, hofft er, ist's gelungen:
Er reißt dem Zaubrer Haar und Seele aus.
Auf eigne Schultern hätt' er gern geschwungen,
Was sich ergeben möge, Last und Graus.
Durch ihn nur soll Orril den Tod erleiden,
Gestatten ihm zu kämpfen jene beiden.
81.
Die lassen gern ihm den Versuch, zu siegen,
Und meinen, ganz umsonst streng' er sich an.
Aurora war am Himmel aufgestiegen,
Da kam Orril herunter auf den Plan. –
Seht, wie die Schläge urgewaltig fliegen!
Der drängt mit Keule, der mit Schwert heran.
Astolf erhofft den Streich von tausend Streichen,
Der aus dem Fleisch die Seele macht entweichen.
82.
Die Faust mit ihrer Keule haut er nieder,
Bald diesen Arm, bald jenen, auf den Grund;
Quer durch den Harnisch schneidet er dann wieder,
Verstümmelt diesen Teil und den jetzund;
Doch stets vom Boden nimmt Orril die Glieder
Und setzt sie an und ist aufs neu gesund.
Und hätt' er ihn zerhaun in tausend Stücke –
Der schafft sich das Verlorene zurücke.
83.
Einen zuletzt schlug er von tausend Hieben,
Der zwischen Kinn und beide Schultern fiel.
Und losgelöst sind Kopf und Helm geblieben.
Vom Hengst springt Astolf schleunig, wie Orril,
Hat dann das Roß zur Eile angetrieben
Und fliegt mitsamt dem Kopfe hin zum Nil,
Den blut'gen Haarschopf um die Hand gewunden:
Nie werd' er wieder von Orril gefunden!
[21] 84.
Dem Toren ist dies unbemerkt geblieben,
Er tastet suchend in den Staub hinein.
Dann wird ihm klar, das Pferd ist fortgetrieben
Und trägt inzwischen seinen Kopf waldein:
Er geht zu seinem Gaul, springt auf, mit Hieben
Jagt er ihn hinterm Kopfesräuber drein.
Gern möcht er rufen: »Halt!« und »Wenden, wenden!«
Allein sein Mund ist in des Herzogs Händen.
85.
Nun faßt er Mut und braucht die Sporen weiter
Und folgt und drängt mit aller Macht heran,
Doch weit läßt hinter sich den Zauberreiter
Der wunderbare Renner Rabikan.
Derweil sucht auf der Kopfhaut Englands Streiter
(Bis zu den Brauen, von dem Nacken an),
Ob er vielleicht das eine Haar erkenne,
Mit dem Orril sich schier unsterblich nenne.
86.
Von all den Haaren, die gar nicht zu zählen,
Durch Krümmung, Länge keins dem Blick sich bot;
Wie sollte Astolf wohl das rechte wählen,
Es auszureißen zu des Räubers Tod?
»Nehm' ich sie alle,« sagt er, »kann's nicht fehlen!«
Rasierzeug stand ihm jetzt nicht zu Gebot,
So dacht' er's mit dem Schwerte zu probieren:
Das schnitt so gut, man nähm' es für Rasieren.
87.
Er hielt das Haupt nur an der Nas' im Schweben
Und schnitt es vorn und hinten rattenkahl.
Mit andern Haaren traf er jenes eben,
Und das Gesicht ward plötzlich bleich und fahl,
Der Blick verdreht, entflohen ist das Leben
– Die Zeichen machten's klar – mit einemmal.
Der Körper, dem der Kopf war abgeschnitten,
Fiel von dem Sattelplatz, drauf er geritten.
[22] 88.
Astolf kam hin, wo er die Herrn und Damen
Gelassen, mit dem Haupte in der Hand,
Auf das die Zeichen echten Todes kamen,
Und wies auch, wo den Rumpf man liegen fand.
Weiß nicht, ob es die Ritter gern vernahmen,
Wenn guter Ton zu Freundlichkeit sie band.
Neid, daß nicht sie den Sieg davongetragen,
Mochte den Brüdern doch am Herzen nagen.
89.
Auch, daß die Schlacht zu Ende so gediehen,
Den beiden Damen, glaub' ich, kaum gefiel.
Sie hatten, für die Brüder hinzuziehen
Des herben Schicksals unheilvolles Spiel
(Von Frankreich fern, konnt' ihm das Paar entfliehen),
Die Helden hergeleitet zu Orril,
Voll Hoffnung, sie so lange hier zu halten,
Bis nicht zu fürchten mehr der Sterne Walten.
90.
Damiettes Herr vernahm aus sichrem Munde,
Daß seinen Tod Orril, der Räuber, fand,
Und unverzüglich ward die frohe Kunde
Durch einer Taube Flügel ausgesandt:
Sie ging nach Kairo, und zur selben Stunde
Andre nach andrem Ort, wie's Brauch im Land.
So ward es ganz Ägypten kundgegeben
Auf einmal, daß Orril nicht mehr am Leben.
91.
Der Herzog riet nach dieses Handels Ende
Eindringlich jetzt dem edlen Brüderpaar
(Wohin von selbst schon ihre Neigung stände,
So daß ein Stachel gar nicht nötig war),
Daß es fürs röm'sche Reich die Kraft verwende
Und für der Kirche heiligen Altar:
Des Ostens Fehden sollten sie verachten
Und in dem Heimatland nach Ehre trachten.
[23] 92.
Von seiner Dame schied und in die Weite
Strebte wie Grifon Ritter Aquilant.
Ob es den Damen Leid und Schmerz bereite,
Es gab dagegen keinen Widerstand.
Auch Astolf scheidet nach der rechten Seite:
Wo Gott im Fleisch gelebt, im Heil'gen Land,
Da drängt es ihn, daß er die Stätten ehre,
Eh er zurück zum Frankenlande kehre.
93.
Man konnte links gehn auf bequemen Wegen,
Die hübsch und eben sind die ganze Zeit,
Und niemals sich vom Meere fortbewegen;
Doch wählen sie der Öde Furchtbarkeit,
Denn ging man da Jerusalem entgegen,
So hatte man sechs Tage minder weit.
Gras gab es, Wasser auch wohl allenfalles,
Allein von andern Dingen fehlte alles.
94.
Bevor sie drum sich auf die Reise wenden,
Wird angeschafft, was alles nötig war;
Man packt es auf den Riesen (seine Lenden
Und Rücken trügen einen Turm fürwahr).
Als dann die öden, rauhen Wege enden,
Da beut von hohem Berg dem Blick sich dar
Das Heil'ge Land, wo mit dem eignen Blute
Die Sünden Liebe wegwusch, uns zugute.
95.
Sie fanden, als sie grad im Tore waren,
Dort einen Jüngling, ihnen lieb und wert,
Aus Mekka, Samsonet, klug, wohlerfahren,
In allen Rittertugenden bewährt,
Durch Güt' und Trefflichkeit, ob jung an Jahren,
Berühmt und von den Leuten hoch verehrt.
Roland, der ihn zum Christentum bekehrte,
War's, dessen Hand ihn durch die Taufe ehrte.
[24] 96.
Der Jüngling legte gegen den Kalifen eben,
Den von Ägypten, eine Feste an
(Auch wollt' er den Kalvarienberg umgeben
Mit einem Walle von zwei Meilen dann).
Zwei helle Augen das »Willkommen« geben,
Wie innre Liebe nur es geben kann,
Und im Palast, zu dem er sie begleitet,
Wird ihnen Wohnung, königlich, bereitet.
97.
Der Kaiser ließ als Herrn im Land ihn schalten
(Bewahren sollt' er dort des Reiches Macht).
Der Herzog schenkt ihm jenen Ungestalten
Mit mächt'gem Leib und Gliedern ungeschlacht,
Der Lasten kann auf seinen Schultern halten,
Zehn Zugtier' hätten's nicht zustand gebracht
Den Riesen gibt ihm Astolf und daneben
Das Netz, das ihn in seine Hand gegeben.
98.
Und er erhielt von Samsonet dagegen
Ein Schwertgehänge, schön und reich genug,
Auch Sporen (an den Füßen anzulegen),
Von denen jeder Schnall' und Rädchen trug.
Einstmals gehörten sie, man sagt, dem Degen,
Der für die Jungfrau jenen Drachen schlug.
Aus Jaffa war der reiche Schmuck gekommen,
Als Samsonet die schöne Stadt genommen.
99.
Sie ließen Ablaß sich im Kloster geben,
Das im Geruche guten Beispiels stand,
Um dann sich zu den Tempeln zu begeben,
Wo Christi Passion Verkündung fand
Und die für Mohren jetzt zum Himmel streben,
Ach, zu der Christen ew'ger Schmach und Schand'.
In Waffen steht die Welt, Kriegsrufe schallen:
Die hehrsten Rufe ungehört verhallen.
[25] 100.
Derweil die Seele sich zur Andacht wandte,
Auf Schulderlaß und frommen Brauch bedacht,
Da hat ein Grieche, der Herrn Grifon kannte,
Ihm Nachricht, schwer und schmerzenreich, gebracht,
Die seinem Sinn ganz andre Wege sandte,
Als er ersehnt und schon im Geist gemacht,
Und solche Gluten seine Brust umfingen,
Daß Trieb und Lust zu Bittgesang vergingen.
101.
Das Unheil wollt' es, daß in Lieb' er diene
Gar schlimmer Dame, Orrigill genannt,
Und schöner, traun, als sie an Wuchs und Miene
Man unter tausend wohl nicht eine fand,
Doch untreu, schlecht –: so weit die Sonne schiene,
Vergebens suchtest du in Stadt und Land,
Auf fester Erd' und Inseln fern im Meere
Nach einer zweiten, die so niedrig wäre.
102.
Er ließ, von heißer Fieberglut umfangen,
Sie in der großen Stadt des Konstantin.
Sie nun zu sehn in ihrer Schönheit Prangen
Und zu genießen, lockte Hoffnung ihn;
Da hört er: nach Antiochien gegangen
Ist sie mit neuem Freund, weil, wie es schien,
Ganz unerträglich bei so frischen Jahren
Einsame Lagerstätten nachts ihr waren.
103.
Seit Grifon diese Kunde hat erhalten,
Seufzt er bei Nacht sowie bei Tage sehr.
Was andere für Lust und Kurzweil halten,
Verbittert seine Launen nur noch mehr.
Es weiß, wem jemals Amors Pfeile galten:
Gar scharf gespitzt, ach, fliegen sie daher.
Und was den Ritter über alles plagte,
War, daß vor Scham er's nicht zu sagen wagte,
[26] 104.
Weil tausendfach er aus Erfahrung kannte:
Dem Bruder war der Liebeshandel leid.
Oft schalt ihn drob der weise Aquilante
Und hätte gern ihn ganz von ihr befreit,
Die er die Greulichste von allen nannte,
Die je gelebt zu irgendeiner Zeit.
Grifon nimmt sie in Schutz vor seinen Rügen –:
Ach, eignes Urteil will gar oft betrügen.
105.
Doch sein Gedanke war, für sich verstohlen,
Ohne daß Aquilant davon gewußt,
Zu gehn und aus Antiochien sie zu holen,
Die ihm das Herz nahm mitten aus der Brust;
Auch ihn entdecken, der sie ihm gestohlen,
Und Rache üben recht nach Herzenslust.
Wie er das ausgeführt hat, will ich sagen
Im nächsten Sang, und was sich zugetragen.

[27] Sechzehnter Gesang

1.
Wer liebt, muß dulden viele Pein und Plage!
Es ward davon ein reichlich Teil auch mir:
Sie halten beide sich bei mir die Wage;
Drum kann ich sprechen als ein Fachmann schier.
Doch wenn ich sagte (was ich jetzt noch sage,
Teils mit der Stimme, teils auf Schreibpapier),
Daß ein Leid herb und schwer, ein andres leicht sei,
Glaubt mir und denkt, daß Kenner ich vielleicht sei.
2.
Ich sagt' und sag' und sag's solang ich lebe:
Wer immer in ein würdig Netz gebannt –
Ob seine Dame scheu sich von ihm hebe,
Ob sie sich seinen Wünschen abgewandt,
Ob er umsonst nach Huld und Gnade strebe,
Vergebens Zeit und Müh' hab' aufgewandt –
Ist hochgestellt sein Herz, darf sich entwinden
Kein Seufzer ihm, mag er den Tod drob finden.
3.
Der seufzt mit Recht, der schon als Sklav' gebunden
Durch schöne Locken, holder Augen Licht,
Darunter ward das Herz verderbt gefunden,
Mit Schlacken viel, doch reinem Golde nicht.
Er möchte fliehn, doch gleich dem Hirsch, dem wunden,
Wohin er geh', des Jägers Pfeil ihn sticht.
Er schämt sich seiner, schämt sich seiner Liebe,
Hofft Heilung und verbirgt des Herzens Triebe.
[28] 4.
Das war der Fall von Grifon nun, dem Jungen:
Er blieb beim Fehler, sah er ihn auch klar,
Sah niedre Neigung in sein Herz gedrungen
Zu Orrigill, so schlecht, der Treue bar;
Schon hat Gewohnheit die Vernunft bezwungen;
Kein Mühen hilft, Einsicht stellt schwach sich dar.
Und sei sie treulos, undankbar, verlogen,
Er muß sie suchen, kommt ihr nachgezogen. –
5.
Vernehmt nun, was darauf sich zugetragen:
Ganz im geheimen schleicht er aus der Stadt
(Ohne dem Bruder nur ein Wort zu sagen,
Der oftmal schon ihn ja getadelt hat),
Nach Rama links die Richtung einzuschlagen,
Nicht jenen Weg, der eben ist und glatt,
Damaskus nach sechs Tagen sah der Reiter,
Und auf Antiochien zu dann ging es weiter.
6.
Da kommt ihm jener Rittersmann entgegen,
Für den gerade Orrigille glüht,
Und nett ist, was die zwei gemeinsam hegen,
Wie ja die Blume auf dem Kraute blüht.
Die Herzen klopfen mit verwandten Schlägen:
Treulos ist ihr, verrätrisch sein Gemüt.
Und ihre Art verdecken alle beide
Durch hübsches Aussehn, zu des Nächsten Leide.
7.
Man sah in großem Pomp den Ritter reiten,
Sagt' ich; er sprengt auf mächt'gem Hengst daher,
Die ungetreue Orrigill zur Seiten,
In blauem Kleid, besetzt mit Golde schwer;
Zwei Knappen außerdem noch ihn geleiten,
Sie tragen seinen Helm und Schild und Speer.
Er kommt, als woll' er Heldenschaft, ihm eigen,
Dort zu Damaskus im Turniere zeigen.
[29] 8.
Ein herrlich Fest, das nächstens will begehen
Damaskus' König in der Hauptstadt drin,
Zieht Ritter, die im höchsten Ruhme stehen,
Die alleredelsten, in Scharen hin.
Sobald die Schöne Grifon hat gesehen,
Da bangt vor seinem Grimm der Buhlerin.
Sie weiß, ihr Liebster kann mit dem nicht ringen,
Es würde nur den sichern Tod ihm bringen.
9.
Doch da sie abgefeimt ist und verwogen,
Des Schreckens Zeichen unterdrückt sie schnell:
Zu freud'ger Miene das Gesicht verzogen,
Dabei mit fester Stimme, laut und hell,
Eilt sie (der Buhl' ist in die List gezogen)
– Scheinbar voll höchsten Jubels – auf der Stell'
Grifon mit ausgestrecktem Arm entgegen,
Hängt ihm am Hals und herzt und küßt den Degen.
10.
Liebesgebärd' und Schmeichelton vereinen
Kann sie gar wohl mit zärtlichem Gesicht:
»Ist dies der Lohn denn, Herr,« spricht sie mit Weinen,
»Für sie, der, dich verehren, süße Pflicht?
Einsam ein Jahr harrt' ich auf dein Erscheinen;
Ins zweite geht's, und du erbarmst dich nicht?
Wär' ich, bis daß du wiederkamst, geblieben,
Vielleicht schon in den Tod wär' ich getrieben.
11.
Ich harrte zu Nikosia voll Verlangen,
Daß du vom Hofe wiederkehrtest, lang,
Derweil ich, ach, von Fieber schwer umfangen,
Von dir verlassen, mit dem Tode rang;
Da hört' ich, daß nach Syrien du gegangen,
Was mir so schmerzlich in die Seele drang,
Daß ich mich fast (ich kannte deine Stätte
Ja nicht) mit eigner Hand getötet hätte.
[30] 12.
Doch, doppelt schenkend, zeigt zu meinem Segen
Das Glück die Sorge, die dir fehlt, um mich:
Den Bruder sandt' es, der als wackrer Degen
Mein Magdtum schützend, nimmer von mir wich.
Und nun – o heller Jubel will sich regen
Ob unverhoffter Wonne – schickt es dich.
Ach, höchste Zeit war's wahrlich, muß ich wähnen;
Sonst starb ich, lieber Herr, um dich vor Sehnen.«
13.
Und weiter weiß die Schelmin ihre Klagen
– Sie ist des Fuchses Meisterin vielleicht –
Mit solcher Schlauheit Grifon vorzutragen,
Daß aller Tadel ihn allein erreicht.
Und ihm erscheint – so ist er breitgeschlagen –,
Daß jener einem würd'gen Vater gleicht.
Sie webt das Netz – kein Mensch geschickter kann es –
Und scheint so wahr wie Lukas und Johannes.
14.
Und keinen einz'gen Vorwurf hat der Schwache
Für sie, die minder schön als lügenhaft,
Und nicht an jenem nimmt er blut'ge Rache,
Der mit der Ungetreuen Ehbruch schafft,
Nein – daß sie ihn allein nicht schuldig mache,
Dagegen wehrt er sich mit aller Kraft,
Und ganz, als ob's fürwahr ein Vetter wäre,
Tut er dem Falschen alle Lieb' und Ehre
15.
Und zieht mit ihm hin nach Damaskus' Toren
Des Weges weiter, und er hört dabei,
Ein glänzend Leben wird heraufbeschworen
Vom mächt'gen König dort, Spiel und Turnei,
Und jedem, welchen Glauben er erkoren,
Ob er ein Christ, ob er ein Heide sei,
Wird Sicherheit gewährt in jenen Mauern
Für all die Zeit, solang die Feste dauern.
[31] 16.
Allein so sehr bin ich nun nicht beflissen,
Zu künden Orrigills verderbten Mut,
Die an Verräterein auf dem Gewissen
Nicht eine hat, nein, viele tausend gut,
Daß ich zweihunderttausend sollte missen
Oder noch mehr, die unter Feuers Glut
Und Funkenregen sich zusammenstellen,
Gefahr zu bringen den Pariser Wällen.
17.
Ich ließ Euch, wie ein Walltor Agramante,
Im Wahn, er find' es gänzlich unbewacht,
Anstürmend mit gewalt'ger Kraft berannte;
Es war kein andrer Schutz dort angebracht,
Weil Karl persönlich Sorge drauf verwandte,
Mit ihm die Meister all von Krieg und Schlacht:
Zwei Guido, Angelin mit Angelieren,
Otto, Avin, Avol mit Berlingieren.
18.
Vor Karl und Agramant, auf beiden Seiten
Wird kühn und heldenhaft gekämpft fürwahr,
Wo hoher Ruhm und Huld mit jedem schreiten,
Der heute seine Pflicht tut ganz und gar.
Indes die Mohren mit der Kraft nicht streiten,
Die für des Schadens Hebung nötig war:
Zu viele sind bereits dem Tod verfallen,
Ein Spiegel tollen Muts den andern allen.
19.
Die Pfeile fliegen, ob sie Hagel seien,
Der auf den Feind von Mauerhöhe dringt.
Dem Himmel selbst wird bange von dem Schreien,
Das man einander dort entgegenbringt.
Doch mögen Karl und Agramant verzeihen:
Vom Mohren-Mars jetzund mein Lied erklingt,
Von Rodomont, der dort mit Zornesschnaufen,
Erschrecklich, durch die Stadt hin kommt gelaufen.
[32] 20.
Ich weiß nicht, Herr, könnt Ihr Euch recht besinnen
Auf jenes Sarazenen eignen Fall,
Der seine Leute tot im Feuer drinnen
Ließ zwischen erster Wand und zweitem Wall? –
Nie sah die Welt ein grausiger Beginnen –;
Verzehrt von gier'gen Flammen waren all'.
Mit einem Satz den Graben übersprang er
Und in das Innre dann der Hauptstadt drang er.
21.
Als man den Mohren sieht so grimmig toben
– Den man an Waff' und Schuppenfell erkennt –,
Wo schwacher Greise Hauf nach Kriegesproben
Ausschaut und horcht und auf Berichte brennt,
Hat sich ein Ruf, ein Wehgeschrei erhoben,
Das Händeschlagen klingt zum Firmament:
Was Beine hat, das flieht voll argem Schrecken,
In Kirche oder Haus sich zu verstecken.
22.
Allein nur selten will das Schwert es leiden,
Das rings um sich der starke Heide schwingt:
Hier muß vom Bein ein Fuß mit Wade scheiden,
Dort fliegt ein Kopf, der weit vom Rumpfe springt;
Man sieht ihn jenen drauf die Quer' durchschneiden,
Den spalten, daß der Hieb zur Hüfte dringt;
Wie viel' er tötet, trifft und jagt im Zorne,
Er zeichnet keinem das Gesicht von vorne.
23.
Was frommem Rind an Ganges' Uferwänden
Und in Hyrkaniens Aun der Tiger tut,
Was Zieg'n und Lamm der Wolf an den Geländen
Des Berges, der Typhäus hält in Hut,
Das tut der Heide mit den blut'gen Händen
– Den »Scharen« sag' ich nicht – der Menschenbrut,
Dem Pöbel, Volk: man hätte nichts verloren,
Wär' es gestorben, eh es ward geboren.
[33] 24.
Nicht einem kann er in das Antlitz sehen,
Ob er auch würgend häufe Leich' auf Leich'.
Wo man zur Michelsbrücke pflegt zu gehen,
Durch jene Straße voll und menschenreich,
Hinstürmt er – keiner sucht zu widerstehen –
Und führt im Kreis gewaltig Streich auf Streich:
Nicht Herrn und Diener trennt der Menschenschlächter,
Fragt nicht, wer Sünder ist, wer ein Gerechter.
25.
Den Priester kann nicht Frömmigkeit erhalten,
Und Unschuld rettet nicht das kleine Kind;
Der roten Wange, hellen Augs Gewalten
Kein Schutz für Mädchen oder Jungfrau sind;
Der Greis auch wird gejagt und muß erkalten,
Und nicht der kühne Sarazene find't
Sein Feld hier – wo allein des Blut'gen Reich ist,
Dem Rang, Geschlecht und Alter völlig gleich ist.
26.
Es läßt den Zorn mit rasendem Gebaren
Der Bösewicht nicht bloß an Menschen aus;
Auch Dächer müssen seine Wut erfahren:
Aus Haus und Kirche schlägt die Flamm' heraus,
Denn in Paris – so wird berichtet – waren
Zu jener Zeit aus Holz noch Haus um Haus.
Zu glauben ist es: sind doch heutzutage
Noch sechs von zehn gerad von diesem Schlage.
27.
Was immer brennen mag, es kennt sein Hassen
Nicht Sättigung und kennt nicht Hindernis.
Er legt ein Haus, wohin die Hand mag fassen,
In Schutt und Trümmer stets mit einem Riß.
In Padua habt Ihr Euch belagern lassen
Nie, Herr, mit der Zerstörungskraft gewiß,
Die eine Mauer fallen ließ durch Rütteln,
Wie Algiers Fürst es tut mit einem Schütteln.
[34] 28.
Wenn, als der Unmensch hier mit Flamm' und Sehwerte
Den Krieg so mächtig führte unverwandt,
Von draußen Agramant zur Stadt sich kehrte,
War an dem Tag verloren alles Land.
Doch Ruhe gab es nicht, denn die verwehrte
Der Paladin, genaht aus Engelland,
Führer der Angeln und der Schottenscharen,
Die mit dem Schweigen und dem Engel waren.
29.
Gott wollte, daß zur Zeit, als Rodomonte
Dort drinnen hatte solche Glut entfacht,
Ein Held erschien: die Blum' von Claramonte,
Rinald, mit ihm noch Englands ganze Macht.
Es ward, nachdem er Brücken schlagen konnte,
Zwei Stunden lang ein Umweg links gemacht,
Weil er die Heiden überraschen wollte
Und ihn des Stromes Flut nicht hindern sollte.
30.
Sechstausend Bogenschützen, wackre Streiter,
Gingen voraus mit Edwards stolzer Fahn';
Es folgten dieser Schar zweitausend Reiter,
Leichte, geführt vom kühnen Ariman;
Sie zogen all auf jenen Pfaden weiter,
Drauf vom Picardenmeer die Wandrer nahn,
Daß sie durch Sankt Denis und Martins Pforte
Zu Hilfe kämen dem bedrängten Orte.
31.
Die Wagen samt dem andern Feldgepäcke
Sind mit dem Heer auf gleichem Weg entsandt;
Er selbst ging weiter oben eine Strecke
Mit all den andern Scharen durch das Land.
Man hatte Schiff' und Brücken zu dem Zwecke
Des Übergangs zum andern Seinestrand.
Zerbrechen hieß er drauf die Brücken wieder,
Und gleich zusammen schlossen sich die Glieder.
[35] 32.
Zuvor doch ließ er Herrn und Kapitane
Zu sich entbieten all in voller Schar;
Vom Uferrand, hoch überm ebnen Plane,
Sprach er, wo gut sein Wort vernehmlich war:
»Gott ist's, ihr Herrn, an den ich jetzt euch mahne,
Der uns hierhergeführt hat wunderbar,
Um euch nach kurzen Mühen, wenn auch schweren,
Weit über jedes Volk hinaus zu ehren.
33.
Zwei Fürsten werden ja durch euch erhalten,
Nehmt ihr von ihnen der Belagrung Not!
Erst euer König dort: ihr seid gehalten,
Als Diener ihn zu schützen bis zum Tod;
Dann einen Kaiser, hehr und hochgehalten,
So herrlich, wie nur je die Welt ihn bot,
Und andre Herrscher, Ritter von den besten,
Herzöge, Grafen, Herrn aus Ost und Westen.
34.
Ihr werdet nicht Paris nur dankbar sehen,
Wenn euch die Rettung dieser Stadt gelang,
Wo sie nicht um sich selbst in Ängsten stehen,
Nein, tiefbetrübt, bekümmert sind und bang
Um das, was Fraun und Kindern wird geschehen,
Wenn gleiches Elend allesamt umschlang,
Und um die Jungfraun in den Klostermauern,
Wenn ihre frommen Schwüre nicht mehr dauern.
35.
Ich sage nicht, Paris nur wird euch danken,
Gelang es euch, die Hauptstadt zu befrein,
Nein, alle Völker rings ums Reich der Franken,
Und nicht die Nachbarn mein' ich hier allein.
Es gibt kein Land, von dem die Mauerschranken
Dort um die Stadt nicht Bürger schlössen ein.
Drum, sieht man jetzt die Feinde überwunden,
Weit mehr als Frankreich ist euch dann verbunden.
[36] 36.
Wenn einen Kranz die Alten jenem gaben,
Durch den ein Mann gerettet ward vom Tod,
Sagt, welchen Lohn verdient dann ihr zu haben,
So viele rettend aus der höchsten Not?
Doch wenn durch Neid, durch Feigheit wird begraben
Das heil'ge Werk, das euch zu sich entbot,
Glaubt mir, es wird, wenn jene Mauern sanken,
Das Reich von Deutschland wie Italien wanken
37.
Und alle Lande, wo sie ihn verehren,
Der da für uns am Kreuze litt die Pein.
Und ihr, glaubt nicht, des Feinds euch zu erwehren
Und durch das Meer vor ihm geschützt zu sein;
Denn fuhr er von Gibraltar auf den Meeren
Und Herkuls Säulen oft zu euch hinein,
Von euren Inseln Beute fortzutragen,
Was wird er erst als Herr von Frankreich wagen!
38.
Doch lockten Ruhm und alle Herrlichkeiten,
Die reizen können, zu dem Zuge nicht,
Uns, die wir unter einer Kirche streiten,
Einander helfen bleibt doch erste Pflicht.
Laßt euch den Zweifel Sorge nicht bereiten!
Wißt, daß des Feindes Stärke bald zerbricht:
Und macht ein schlecht geübtes Heer zu schaffen,
Das ohne Kraft ist, ohne Mut und Waffen?!«
39.
Also mit heller Stimme rief der Degen
Begeisterung durch packend Wort herauf;
Die edlen Herren wußt' er anzuregen
Und ebenso den kühnen Heereshauf;
Das heißt – das Sprichwort sagt – mit Sporenschlägen
Den Hengst antreiben, der in vollem Lauf.
Es mußten dann die Scharen, auf sein Mahnen,
Vorrücken leise, leise mit den Fahnen.
[37] 40.
Lautlos, geräuschlos gehen die drei Heere,
Sowie sie unterwiesen sind durch ihn,
Den Fluß entlang; des ersten Angriffs Ehre
Auf die Barbaren gab er Prinz Zerbin.
Die Krieger Irlands machten eine Kehre,
Um durch die ebne Landschaft hinzuziehn;
Das Fußvolk und die Reiter Englands stritten
Mit Lancaster, dem Edlen, in der Mitten.
41.
Als er sie all hat ihres Wegs gesendet,
Sprengt hin am Uferrand der Paladin:
Zunächst am ersten Heer vorbei, dann wendet
Er sich noch weiter vorwärts als Zerbin,
Bis daß sein Ritt bei Orans König endet
Mit dessen Leuten und mit Fürst Sobrin,
Die Ausguck hielten, von dem span'schen Teile
Entfernt wohl etwa eine halbe Meile.
42.
Nicht länger konnten jetzt die Christenscharen,
Die in des Schweigens und des Engels Hut
So treu und sicher hergeleitet waren,
Stumm unterdrücken ihren Kampfesmut:
Ein Schrei erklingt beim Anblick der Barbaren,
Und die Trompete dröhnt und weckt die Wut;
Das mächt'ge Lärmen hallt vom Himmel wider
Und sendet Grausen in der Mohren Glieder.
43.
Voraus den andern kommt Rinald geflogen,
Er legt die Lanze für den Angriff ein;
Fern sind die Schotten einen Schuß vom Bogen,
Aufschub des Kampfes würd' ihm lästig sein.
So wie ein Windstoß kommt dahergezogen,
Dem ein gewalt'ger Sturm folgt hinterdrein,
So sprengt voraus der Ritter vor dem Zuge
Auf Bajard, seinem Schlachtenhengst, im Fluge.
[38] 44.
Rinalds Erscheinen, sieht man, stört die Mohren:
Ein Zittern plötzlich geht durch ihre Reihn;
Die Lanze bebt, die Füße mit den Sporen,
Im Sattel bebt der Schenkel und das Bein.
Pulian nur hat die Farbe nicht verloren;
Er weiß nicht, wer der Reiter möge sein,
Und ahnungslos, was der versetzt an Schlägen,
Sprengt er dem Helden im Galopp entgegen
45.
Und stützt beim Reiten auf den Speer sich fester
Und rafft sich ganz zusammen unverzagt;
Die Zügel frei sodann dem Renner läßt er,
Die Sporen gebend, auf den Feind hin jagt
Der Mohr. Des andern Ruhm ist kein erpreßter:
Die Taten zeigen, was sein Name sagt.
Vollkommne Fechterkunst macht offenbar es:
Er ist der Sohn des Haimon – nein, des Ares!
46.
Im Zielen will der Mohr dem Christ nicht weichen:
Des Gegners Haupt trifft jeder von den zwein,
Die nicht in Kunst und Wehr einander gleichen;
Der Mohr blieb tot, fort ritt der Christ allein.
Der Wert bemißt sich, traun, nach andern Zeichen,
Als daß man hübsch die Lanze lege ein.
Vor allem aber muß man Glück noch haben;
Gar wenig helfen sonst die andern Gaben.
47.
Rinald, den Speer gefaßt zu neuem Rennen,
Sprengt auf den Orankönig an im Lauf.
Ein trauriger Gesell ist der zu nennen,
Doch Fleisch und Knochen ragen mächtig auf.
Man durfte seinen Stoß wohl anerkennen,
Ging er im Grund auch auf den Schild nur drauf.
Mög' es verzeihen, wer es nicht will loben;
Denn treffen konnt' er schwerlich weiter oben.
[39] 48.
Dem Stoße wehrt der Schild nicht, in den Magen
Zu dringen durch den Stahl hin, handbreit fast,
Und aus dem großen Leib herauszujagen
Die ungleich kleine Seel' in aller Hast.
Der Renner, der geglaubt, er müsse tragen
Den ganzen Tag hindurch so schwere Last,
Ist drob Rinald verbunden in Gedanken
Und möcht' ihm für ersparte Hitze danken.
49.
Zerbrochen liegt der Speer – nun wendet schnelle
Rinald das Roß, daß es beflügelt scheint,
Und stürmt zum Angriff mächtig nach der Stelle,
Wo dicht gedrängt sich Mohr mit Mohr vereint:
Im Kreise geht Fusberta blitzend helle,
Daß man von Glas die andern Waffen meint;
Vor ihr schützt Stahl und Eisen zu geringe,
Daß sie nicht durch zum warmen Fleische dringe.
50.
Das schneid'ge Schwert kann wenig Stahl erreichen:
Und auch ist Eisen selten nur zu schaun;
Wohl aber Tartschen, ledern und von Eichen,
Steppröcke, Tuch, gewunden um die Braun.
Da ist's denn klar, daß von Rinaldos Streichen,
Was er berührt, zerschellt wird und zerhaun.
Nichts kann sich seines Schwertes Wucht erwehren,
Wie Gras der Sichel und des Sturms die Ähren.
51.
Die erste Schar ist in die Flucht geschlagen,
Als Prinz Zerbin langt mit dem Vortrab an;
Den Reihn voraus sieht man den Ritter jagen;
Mit vorgestrecktem Speer kommt er heran.
Sein Volk, von gleicher Kampfbegier getragen,
Folgt seinem Fähnlein feurig Mann für Mann:
Im Sprung so Wölfe oder Löwen fliegen,
Wenn sie auf Schafe stürzen oder Ziegen.
[40] 52.
Gleichzeitig trieb, als sie sich nah befunden,
Sein Roß ein jeder nach dem Feind hinein:
Mit eins ist jetzt der kleine Raum geschwunden,
Der auseinanderhielt die beiden Reihn.
Nie ward ein tollrer Reigen noch gefunden;
Die Schotten schlugen nieder ganz allein,
Und töten ließen sich allein die Heiden,
Als seien sie gekommen, Tod zu leiden.
53.
Wie Eis so kalt die Heiden alle waren,
Die Schotten allesamt wie Feuer heiß.
Den Mohren, die Rinaldos Arm erfahren,
Ist jeder Christ ein Held von solchem Preis.
Rasch in Bewegung setzt Sobrin die Scharen,
Man braucht den Herold nicht für das Geheiß.
Die beste Schar war diese hier im Heere
An Führer, Tapferkeit und Wucht der Speere.
54.
Das Beste, wenn nicht Gutes, war zu sagen
Von denen noch, die Afrika gebracht.
Zurück ging Dardinel sogleich voll Zagen,
Sein Hauf war schlecht bewaffnet für die Schlacht;
Mocht' er auch selber lichten Helm jetzt tragen,
In Eisen prangend und in Schuppenpracht.
Die vierte Schar als beßre wohl daherkam,
Die hinterdrein mit König Isoljer kam.
55.
Trason derweil, der Herzog, mutentglommen,
Froh, wieder jetzt bei hohem Tun zu sein,
Heißt seine Reiter für den Kampf willkommen
Und lädt sie, Ruhm sich zu gewinnen, ein:
Er sieht von drüben her Navarra kommen,
Und Isoljer zieht in die Schlacht hinein.
Drauf in Bewegung setzt sich Arïodante,
Der jetzt sich Herzog von Albanien nannte.
[41] 56.
Der Klang der Hörner, die da rufen, höhnen,
Zimbeln und andre Mohrenmelodei,
Mit schwirrnder Bogen und der Schleuder Tönen,
Der Räder und Maschinen mancherlei
Und was noch mehr den Himmel läßt erdröhnen,
Getümmel, Seufzen, Klagen und Geschrei –
Zusammenstimmt in ein gewaltig Brausen,
Betäubend wie der Nileswogen Sausen.
57.
Was sich am Himmel hüllend rings für Schatten zeigen:
Die Pfeile sind's, die fliegen hin und her;
Der Staub, der Atem und der Schweißdunst steigen
Und bringen Flecken in das Nebelmeer.
Der Platz ist dem jetzt, später jenem eigen,
Vordringen sieht man und dann fliehn das Heer
Und manchen tot just an der Stelle liegen,
Wo er zuvor den Feind gefällt beim Siegen.
58.
Will Müdigkeit die eine Schar bezwingen,
Geht eine andre todesmutig vor,
Stets neue Krieger da wie dort sie bringen,
Jetzt Fußvolk hier und dort ein Reiterkorps.
Rot ist der Boden, wo die Heere ringen,
In blut'gem Kleide ragt das Grün empor.
Wo Blumen deckten, blau und gelb, die Erde,
Da liegen tote Menschen jetzt und Pferde.
59.
Zerbin der junge liefert Proben heute,
Wie's kaum ein Jüngling tat, von Heldenkraft:
Er macht das Heidenheer zur Todesbeute:
Seht, wie er einhaut und Zerstörung schafft!
Arïodant für seine neuen Leute
Zeigt sich als Urbild höchster Meisterschaft.
Die von Navarra und Kastilien schauen
Mit Furcht auf ihn, mit Staunen und mit Grauen.
[42] 60.
Chelind und Mosko, die zwei Bastardsprossen
Des toten Calabrun von Aragon,
Und einer, der durch Kühnheit Ruf genossen,
Der Held Calamidor von Barcelon,
Lassen die Fahn' und sprengen mit den Rossen
(Sie hoffen Sieg und hohen Ruhmes Kron')
Gegen Zerbin, den königlichen Recken;
Den Renner erst sie auf den Boden strecken.
61.
Tot lag das Tier, von Lanzen drei bezwungen,
Doch auf die Füße sprang Zerbin gewandt,
Von Wut der Rache gegen sie durchdrungen:
Sie legten an sein treues Pferd die Hand!
Mosko zuerst, dem unerfahrnen Jungen,
Der über ihm, um ihn zu greifen, stand,
Stieß in die Seit' er rasch des Schwertes Spitze
Und warf ihn kalt und bleich vom Sattelsitze.
62.
Als sich den Bruder wie von einem Diebe
Chelind entrissen sah, da voller Zorn
Abtun wollt' er Zerbin mit starkem Hiebe,
Doch dieser packt ihm seinen Hengst von vorn,
Reißt ihn zu Boden, daß ihm Lust und Liebe
Vergeht zu fressen Heu mehr oder Korn;
Denn also wuchtig schlägt der grimme Streiter,
Daß er den Renner tötet und den Reiter.
63.
Calamidor will rasch zur Flucht sich wenden
(Schreck bei dem Hiebe fuhr ihm ins Gebein),
Doch einen Streich weiß jener nachzusenden,
Rufend: »Halt ein, Verräter du, halt ein!«
Nicht, wie gedacht, zwar soll der Schwerthieb enden,
Mag er auch nahe seinem Ziele sein:
Den Mann erreicht er nicht, jedoch dem Pferde
Trifft er das Kreuz und streckt es auf die Erde.
[43] 64.
Der sucht auf allen vieren zu verschwinden,
Doch dem Beginnen ist kein Glück verliehn:
Zufällig muß der Herzog Traso finden,
Der überreitet und zerschmettert ihn.
Arïodante und Lurcan verbinden
Sich im Getümmel drinnen mit Zerbin.
Grafen und Ritter haben sie zu Händen,
Die für Zerbin gern einen Renner fänden.
65.
Wohl wußt' Arïodant das Schwert zu schwingen,
Und das verspürt Artalik und Morgan,
Doch Casimir und Etearch empfingen
Weit Schlimmres noch auf ihrer Kampfesbahn:
Verwundet jene zwei des Weges gingen,
Tot blieben diese beiden auf dem Plan.
Als echten Helden läßt Lurcan sich blicken,
Haut, sticht, zermalmt, weiß in den Tod zu schicken.
66.
Glaubt mir, o Herr, im freien Felde waren
Sie heiß wie hier am Flusse aneinand:
Es blieben nicht zurück die Heeresscharen,
Geführt von Lancasters, des Herzogs, Hand.
Stark griff er an die spanischen Barbaren,
Und dort so ziemlich gleich die Sache stand;
Denn Führer wußten, Fußvolk so wie Reiter,
Die Hand zu führen als geübte Streiter.
67.
Voran von York die Herrn und Gloster gehen,
Adrad mit jenen noch und Fieramont.
Richard von Warwick auch ist dort zu sehen
Und Heinrich, Herzog Clarence, in der Front.
Matlist und Follicon genüber stehen
Und was an Mannen folgt dem Baricond:
Dem ist Almeria, dem Granada eigen,
Den dritten als Majorcas Herrn sie zeigen.
[44] 68.
Die Schlacht scheint eine Zeitlang sich zu stellen:
Im Vorteil weder die noch jene sind;
Es kommt und geht in vielen Wechselfällen,
Dem schwanken Korne gleich im Maienwind
Oder am Meergestad' den flinken Wellen,
Die, auf und nieder, nahn und gehn geschwind.
Jedoch zuletzt, nach laun'schem Drehn und Wenden,
Ließ es das Glück schlimm für die Mohren enden.
69.
Der Herzog Gloster ganz zu gleichen Zeiten
Wirft aus dem Sattel Matalist jetzund,
Und Follicone läßt sich überreiten
Von Fieramont – ihm ist die Schulter wund.
Und beide scheiden aus vom scharfen Streiten,
Gefangne Englands zu derselben Stund',
Da Baricond den Geist hat aufgegeben:
Des Herzogs Clarence Hand nahm ihm das Leben.
70.
Darob die Heiden alsostark erschrecken,
Darob der Christen Kühnheit steigt und Wucht:
Bald gehn nur rückwärts noch die Mohrenrecken,
Die Reiter lösen sich gemach zur Flucht.
Das Christenheer erobert weite Strecken
Und metzelt nieder, was zu fliehen sucht.
Wenn keine Hilfe naht, ist für die Mohren
Der Tag nach dieser Seite hin verloren.
71.
Doch Ferragu, der, bei Marsil geblieben,
Dem königlichen Herrn stets nahe war,
Sah jetzt sein Heer zur Hälfte aufgerieben
Und schon zur Flucht gewendet jene Schar.
Er hat den Renner in die Schlacht getrieben,
Wo sie am heißesten; da nimmt er wahr,
Daß mit zerspaltnem Kopf vom Pferd gefallen
Olymp von Serra, der ihm lieb vor allen,
[45] 72.
Ein Jüngling, der sich rühmte, daß mit Singen
Und der geschweiften Leier Melodei
Er jedes Herz in Rührung wolle bringen,
Ob es auch härter als ein Felsen sei.
Heil ihm, begnügt' er sich mit solchen Dingen
Und ginge Bogen, Köcher, Schild vorbei,
Feindsel'gen Sinns, und krummem Schwert und Speeren,
Die ihm in Frankreich frühen Tod bescheren!
73.
Als dieses holden Jünglings Wangen bleichen,
Der seiner Seele Freude war und Licht,
Fühlt Ferragu ein Weh sein Herz beschleichen,
Wie über tausend andre Tote nicht,
Haut auf den Täter ein mit wilden Streichen
Und spaltet Helm ihm, Stirne und Gesicht:
Erst auf der halben Brust der Schwerthieb endet,
Der jenen tot hin auf den Boden sendet.
74.
Er rastet nicht, das Schwert im Kreise schwingt er.
Die Schuppe springt, und jeder Helm zerkracht;
Auf Stirnen hier, dort Wangen, Zeichen bringt er:
Kopflos wird der, zum Krüppel der gemacht,
Und Blut und Seel' aus ihren Leibern zwingt er
Und bringt zum Stehn an diesem Punkt die Schlacht,
Wo voll Entsetzen und im Angstgedränge
Ohn' Ordnung, blind, geworfen, floh die Menge.
75.
Zum Kampfe kam der König Agramante,
Dem Menschentöten jetzt am Herzen lag;
Mit Baliverz noch und mit Farurante,
Prusion und Soridan und Bambirag,
Dazu so viele andre, Unbekannte,
Von deren Blut ein See jetzt fließen mag,
Daß ich die Blätter leichter könnte zählen,
Die in der Herbstzeit an den Bäumen fehlen.
[46] 76.
Genommen hatte Fußvolk viel und Reiter
Fort von der Mauer König Agramant:
Die werden jetzt – mit dem von Fez als Leiter –
Rückwärts vom Heeresbanner ausgesandt,
Zu hemmen gilt's des Irenlandes Streiter,
Die dort in großer Eile unverwandt,
Nach vielen Windungen und weiten Bogen,
Jetzt feste Stellung einzunehmen zogen.
77.
Von Fez der König legt dies dar in Eile;
Geschadet hätte Säumnis ja hierbei.
Den Rest vereinigt Agramant derweile,
Ordnet und schickt zum Kampfe Reih' um Reih'.
Er geht zum Fluß; weil jetzt an diesem Teile,
So meint er, einzugreifen nötig sei;
Auch war von dort ein Bote hergeritten,
Um für Sobrin um Beistand ihn zu bitten!
78.
Mehr als die Hälfte von dem ganzen Heere
Führt er zurück: bloß vom Getös' und Schrein
Bebte das Schottenvolk, daß es die Ehre
Entsetzt im Stiche ließ und seine Reihn.
Gegen den Ansturm setzten sich zur Wehre
Zerbin, Lurcan, Ariodant allein.
Zerbin, zu Fuße, wäre fast erlegen;
Zum Glück sah seine Not Rinald der Degen.
79.
An hundert Fähnlein schon geflohen waren
In frührer Zeit vor seines Schwertes Wucht.
Sobald er nun die Kunde hat erfahren,
Wie schlimme Not Zerbin hat heimgesucht,
Den dort zu Fuß, umringt von Heidenscharen,
Die Seinen ließen auf der wilden Flucht,
Schnell wendet er den Renner nach der Seite,
Wo er die Schotten fliehen sieht ins Weite.
[47] 80.
Da, wo er fliehen sieht die Schottenleute,
Erscheint und: »Wohin geht ihr?« ruft der Held.
»Zeigt ihr euch denn von solcher Feigheit heute,
Daß ihr so niedrem Volke laßt das Feld?
Seht die Trophäen, seht die reiche Beute,
Die jede Schottenkirch' als Schmuck erhält!
O Lob! O Ruhm, den Königssohn zu lassen
Allein, zu Fuß, in solchen Feindesmassen!«
81.
Vom Knappen läßt er mächt'gen Speer sich geben,
Sieht Prusion und bricht zu ihm sich Bahn,
Den Alvaracken aus dem Sitz zu heben: –
Tot hingestreckt liegt jener auf dem Plan.
Dem Agribalt nimmt er danach das Leben
Und Bambirag, verwundet Soridan;
Auch dieser auf dem Platz geblieben wäre,
Allein beim Stoß zersprang der Schaft am Speere,
82.
Fusberta zieht er, als der Speer zerbrochen:
An Prusion vom Sterne geht's jetzund.
Gefeite Waffen trug er; undurchstochen,
Doch tot, vom Rosse fiel er auf den Grund.
So ward dem Schottenherzog Bahn gebrochen.
Ein großer, schöner Raum ringsum entstund.
Leicht mocht' er sich auf einen Renner schwingen
Von denen, die mit leeren Sätteln gingen.
83.
Heil ihm, daß er ein Pferd bestieg so schnelle,
(Wär' es dazu noch später Zeit? – wer weiß!)
Denn Agramant erschien mit Dardinelle,
Sobrin mit Fürst Balaster gleicherweis.
Doch er, beritten nun für alle Fälle,
Schwang voller Macht das Schwert um sich im Kreis:
Zur Hölle schickt er den und jenen Helden,
Um von modernem Leben dort zu melden.
[48] 84.
Als Herr Rinald, der stets vor Eifer brannte,
Die Schädlichsten zu finden bei dem Strauß,
Nun zu dem starken Herrscher selbst sich wandte,
Denn viel zu stolz und kühn sah der ihm aus
(Für tausend andre kämpfte Agramante),
Da spornt' er Bajard gegen ihn hinaus
Und traf ihn so, daß er mitsamt dem Pferde
Kopfüber niederstürzte auf die Erde.
85.
Derweil sie hier voll Wüten sind beflissen,
Einander hinzuwürgen in der Schlacht,
Hat Rodomont die Häuser eingerissen,
Gemordet rings und Feuersglut entfacht.
Karl sieht es nicht und kann es auch nicht wissen,
Weil er sich anderswo zu schaffen macht:
Mit Ariman und Edward kamen Briten:
Karl nahm sie auf in seiner Hauptstadt Mitten.
86.
Ein Knapp' erscheint; es beben seine Glieder,
Daß er den Atem kaum noch heben kann:
»Ach, Herr! Ach Herr!« so seufzt er immer wieder,
Bevor er andre Meldung machen kann,
»Das röm'sche Reich sinkt heut auf ewig nieder!
Christus verläßt sein Volk und sieht's nicht an.
Er soll in unsrer Stadt nicht länger bleiben:
Ein Geist kommt hergeschneit, ihn zu vertreiben.
87.
Satan will unsrer Stadt Vernichtung bringen
Und Untergang (er kann es sein allein!):
Sieh nur das Rauchgewölk empor sich schwingen!
Es hüllt die gier'gen Räuberflammen ein.
Höre das Jammern auf zum Himmel dringen!
Laß deines Knechtes Wort gesagt dir sein!
Ein einz'ger wütet dort mit Schwert und Flammen,
Und alles flieht, und alles stürzt zusammen!«
[49] 88.
Wie einer, der den Lärm erst hat vernommen
Und auch der heil'gen Glocken raschen Ton,
Eh er – nach andern – sieht die Glut entglommen,
Die ihn zumeist betrifft mit ihrem Drohn –
Hört Karl: ein neues Unheil ist gekommen,
Und mit den eignen Augen sieht er's schon.
Er lenkt den Kern von seinen Scharen allen
Hin, wo er Schrein hört und Getös' erschallen.
89.
Von Kriegervolk und Herrn, die niemand weichen,
Entbeut er eine auserlesne Schar;
Zum Marktplatz richtet er die Heereszeichen,
Weil Rodomont in jenem Teile war.
Karl hört den Lärm und sieht verstreut die Leichen,
Voll Grausamkeit zerstückelt ganz und gar. –
Nicht weiter jetzt: es möge wiederkehren,
Wer gerne mehr vernähme von den Mären.

[50] Siebzehnter Gesang

1.
Wenn wir das Maß der Sünden überschreiten,
Läßt der gerechte Gott, wenn's ihm gefällt
– Damit Gerechtigkeit zu allen Zeiten
Der Gnade gleich sei –, manchmal wohl das Feld
Tyrannen scheußlich, voller Grausamkeiten:
In ihren Dienst wird Kraft und List gestellt;
Er schickt den Marius, Sulla dieser Erden
Und läßt zwei Nero und den Cajus werden,
2.
Den Domitian und von den Antoninen
Den letzten; aus des Pöbels Schmutz hat er
Zum Kaiserthron erhoben Maximinen,
Gab Theben seinen Kreon (schon vorher),
Und dem Mezenz das Feld der Agyllinen;
Von Menschenblut macht der es fett und schwer.
Als Beute ward Italien dann geboten
Den Hunnen, Langobarden und den Goten.
3.
Soll ich von Attila – ja, soll ich künden
Von Ezzelin und von der großen Schar,
Die uns nach langem Weg in lauter Sünden
Des Himmels Straf' und Rache stellten dar?
Der alten Zeit will neue sich verbünden:
Das wird uns in der Gegenwart noch klar,
Wenn uns, der schlechten, unglücksel'gen Herde,
Gott Wölfe schickt als Hirten auf die Erde,
[51] 4.
Die, nicht zufrieden, ihren Bauch zu mästen,
Mit so viel Fleisch zu stillen ihre Gier,
Sich viele schlimmre Wölfe noch zu Gästen
Herholen aus des Nordens Waldrevier.
Und Trasimen mit so viel Leichenresten,
Cannä und Trebia verschwinden schier
Vor dem, was düngt die Felder und Gestade
Mit Adda, Mella, Ronco, Tar zum Bade.
5.
Gott will, Heimsuchung sollen wir erfahren
Durch Völker, schlechter noch als wir am End',
Weil unsre Sünden nicht zu zählen waren
Und unser böses Tun kein Name nennt.
Ihr Land verwüsten künftig unsre Scharen,
Wenn unsre Seele jemals Beßrung kennt
Und ihre Sünden nach dem Ziele führen,
Wo Gottes Güte züchtigt nach Gebühren.
6.
Auf Gottes heitre Stirne mußte Falten
Gerufen haben ihre Missetat,
Daß er allübrall Türk' und Mohr ließ schalten
Mit Raub und Mord und Schande früh und spat;
Doch mehr als alle Schädigungen galten
Die Greul, die Rodomontes Wüten tat.
Ich sagte, daß man Karl die Nachricht brachte
Und er sich auf den Weg zum Markte machte.
7.
Zerstückte Leichen sind am Weg zu sehen,
Zerstörte Tempel, Schlösser rings in Brand;
Verwüstet große Strecken Landes stehen;
So furchtbar Ding hat man noch nie gekannt:
»Erschreckter Hauf, wohin doch wollt ihr gehen?
Seid ihr auf euer Unheil ganz verrannt?
Kann eine Stadt, ein Schlupfort euch noch bleiben,
Wenn ihr euch feige laßt aus der vertreiben?
[52] 8.
Ein einz'ger Mann, in eurem Land gefangen
Und eingeschlossen in der Mauer Schacht,
Soll wieder unverletzt hinausgelangen,
Nachdem er miteinand euch umgebracht?«
So spricht Herr Karl, ihm glühn vor Zorn die Wangen,
Den solche Schmach und Schand' in ihm entfacht,
Zum großen Hofe kommt er und kann schauen
Den Heiden seine Leute niederhauen.
9.
Es floh, voll Hoffnung, Rettung zu gewinnen,
Zum Königsschlosse eine Volkesschar,
Weil viele Munition und Wehr darinnen
Und stark die Mauer des Palastes war.
Der Mohrenfürst, vor Stolz und Wut von Sinnen,
Hatte den Platz für sich nun ganz und gar:
Die Welt verachtend, schwingt das Ungeheuer
Das Schwert und schleudert mit der Linken Feuer.
10.
Des hohen Königshauses hehre Pforten
Läßt er erdröhnen, stieße gern sie ein:
Die drin erwarten, von den höchsten Orten
Gesims und Zinnen schleudernd, Todespein.
Das Dach zu plündern, scheut sich keiner dorten,
Und gleiches Schicksal haben Holz und Stein,
Säulen, Gebälk vergoldet, Tragebanden,
Die bei den Ahnen hoch im Preise standen.
11.
In hellen Stahl gehüllt so Haupt wie Glieder,
Steht Algiers König leuchtend an dem Tor:
So kommt die Schlange aus dem Dunkel wieder,
Wo sie den ganzen alten Schmutz verlor;
Stolz auf die neuen Schuppen blickt sie nieder,
Verjüngt sich fühlend, stark wie nie zuvor,
Beginnt, dreizüngig, glühnden Augs zu schleichen;
Wo sie sich zeigt, die Tiere all entweichen.
[53] 12.
Nicht Bogen, Armbrust, Balken, Stein und Zinnen
Und all die übrigen Geschosse nicht
Hemmen des Heiden blutiges Beginnen;
Das große Tor zerstückt er: es zerbricht:
So weite Öffnung ist bereits darinnen,
Daß man ihn sieht; – er sieht das Angesicht
Von allen den Entsetzten, Todesblassen,
Die, vollgefüllt, des Schlosses Räume fassen.
13.
Hin durch die hohen Dächer hört man Klagen
Erschallen und der Weiber lautes Schrein,
Sieht Fraun verzweiflungsvoll die Brust sich schlagen
Und bleich, verängstet irren aus und ein
Und Küsse zu den trauten Lagern tragen,
Die bald nun fremder Leute sollen sein.
Als alle Dinge so gefährdet schienen,
Kam König Karl mit seinen Paladinen.
14.
Karl wandte sich an diese tapfren Scharen,
Auf die für jedes Tun er zählen konnt':
»Ihr seid doch jene, die da mit mir waren
Gegen den Agolant bei Aspramont?
Habt ihr nun solchen Kraftverlust erfahren,
Daß, wenn Trojan ihr schluget und Almont
Mit hunderttausend, jetzt es euch an Mute
Fehlt gegen einen Mann vom gleichen Blute?
15.
Soll ich in dieser Stund' am Ende sehen,
Daß ihr das Schwert nicht mehr so wuchtig schwingt?
Laßt jenem Hund den Übermut vergehen,
Dem Hunde dort, der Menschen mir verschlingt.
Fest vor dem Tode wird ein Edler stehen:
Gut stirbt er, welche Stund' ihm jenen bringt.
Allein ich weiß, ich kann nicht unterliegen
Durch euch: ihr ließt ja immer noch mich siegen.«
[54] 16.
Beim letzten Wort läßt er den Streithengst rennen
Und sprengt dahin mit eingelegtem Speer. –
Ihm folgen und vor Kampfbegierde brennen
Holger, der Dän', und Naims und Oliver,
Avin, Avol und sie, die nie sich trennen,
Otto der Paladin und Berlingier,
Und alle hieben ein auf Rodomonte,
Auf Stirn und Brust und wie's ein jeder konnte.
17.
Doch, Herr, genug von diesen Greueldingen!
Nicht will ich sprechen mehr von Tod und Wut
Und weiter nicht vom Sarazenen singen,
Des Grausamkeit so groß war wie sein Mut.
Zeit wär's, daß wir zurück zu Grifon gingen,
Der vor Damaskus' Tor blieb wohlgemut
Mit Orrigill, der falschen, und dem dritten,
Der als ihr Bruder war mit hergeritten.
18.
Wohl zu den reichsten Landen ohne Frage
Und den belebtesten im Osten weit
(Her von Jerusalem sind's sieben Tage)
Damaskus zählt: fruchtbar, voll Üppigkeit
Ruht's in der Ebne dort in schöner Lage,
Im Winter lieblich wie zur Sommerszeit.
Wenn früh Auroras erste Lichter prangen,
So pflegt ein Bühl den ersten Strahl zu fangen.
19.
Zwei Ströme fließen durch die Stadt, kristallen:
Geteilt in Bäche, einer großen Zahl
Von schönen Gärten sie vorüber wallen,
Die nie an Blumen und an Laube kahl.
Auch heißt es, daß man mit den Wassern allen
Noch könnte Mühlen treiben ohne Wahl;
Und um die Leute, die des Weges gehen,
Aus allen Häusern Wohlgerüche wehen.
[55] 20.
Von Haus zu Haus der Straße dort, der langen,
Sind Tücher, hell und farbig, ausgespannt;
Von Duftkraut und von Waldeszweigen prangen
Fußböden überall und jede Wand.
Geschmückt ist jede Tür; von Fenstern hangen
Die feinsten Stoff' und Teppich' allerhand,
Doch schöner die geschmückten Frauen scheinen
Mit stolzen Kleidern und mit teuren Steinen.
21.
Man wird gewahr, wie sie ein Fest begehen
An vielen Orten, froh, mit Spiel und Ball.
Die Straße zeigt, daß Reitkunst sie verstehen,
Und wohlgerüstet sind die Rosse all'.
Noch mehr erfreut, den reichen Hof zu sehen
Mit manchem großen Herren und Vasall,
Dazu, was Indien und die Meeresküste
Von Perlen und Gestein zu bieten wüßte.
22.
Als Grifon mit den beiden kam geritten,
Dies alles anzuschauen ohne Hast,
Hielt ihn ein Reiter an, um ihn zu bitten,
Bei ihm doch abzusteigen im Palast,
Und ließ mit Höflichkeit und feinen Sitten
An nichts es fehlen zu willkommner Rast.
Man führte sie zum Bade, und dann heiter
Zu üpp'gem Mahl geleitet er sie weiter.
23.
Geladen, sagt er, zu dem nächsten Tage
Von König Norandin von Syrien sei
Ein jeder Rittersmann von echtem Schlage
(Ob aus dem Land, ob fremd, sei einerlei),
Daß auf dem Hauptplatz einen Kampf er wage
Des Morgens früh in festlichem Turnei;
Den Wert, der ihnen nach dem Aussehn eigen,
Den hätten sie Gelegenheit zu zeigen.
[56] 24.
War Grifon auch im Land zu andern Dingen,
So ging er dennoch auf den Vorschlag ein;
Denn was auch nur den Anlaß mochte bringen,
Mut zu bewähren, sagt' er niemals nein.
Warum die Festlichkeiten vor sich gingen,
Fragt' er, und ob sie glänzend würden sein;
Ob jährlich, ob das Spiel nur jetzt geschähe,
Daß seiner Leute Kraft der König sähe.
25.
»Mit jedem vierten Monat wird begangen
Das schöne Fest«, darauf der Ritter sprach.
»Mit dem von morgen wird erst angefangen;
Das erste ist's, die andern kommen nach.
Jüngst ist der König herbem Los entgangen,
Und die Erinnrung ruft die Feier wach:
Vier Monde lang in Trauer, alle Stunden
Den Tod vor Augen, hat er sich befunden.«
26.
Doch um es dir ausführlicher zu sagen,
So hatte unsern König Norandin
In Bande viele Jahre lang geschlagen
Des Königskinds von Zypern holde Mien'.
Wie er als Gattin sie davongetragen,
Gedenkt er gleich mit ihr davonzuziehn,
Dazu mit einem Herrn- und Damenkreise,
Und stracks auf Syrien zu ging unsre Reise.
27.
Mit vollen Segeln waren wir gezogen,
Dem Hafen fern, in das Karpathos-Meer,
Da jagt ein grimmer Sturm so wild die Wogen,
Daß selbst Poseidon bang geworden wär'.
Drei Tage und drei Nächte lang wir flogen
Durch dräunde Wellen irrend hin und her:
Wir landen schließlich, müd und ganz zerschlagen,
Wo schatt'ge Ufer, grüne Hügel ragen.
[57] 28.
In Zelten und Gardinen uns zu pflegen
Hier zwischen Bäumen, sind wir froh bedacht,
Statt Tisches Teppiche die Diener legen,
Zum Kochen werden Speisen hergebracht.
Derweil hat nach den stillen Waldgehegen
Des nahen Tals der Fürst sich aufgemacht,
Ob er wohl Rehe könn' und Hirsch' erjagen;
Zwei Jäger hinter ihm den Bogen tragen.
29.
Als wir so ruhn und warten mit Behagen,
Daß wieder unser Herr komm' aus dem Wald,
Sehn wir den Ork in unsrer Richtung jagen
Am Meerstrand hin, ein Scheusal mißgestalt:
Gott gebe, daß in Euren Lebenstagen
Er niemals, Herr, sich Eurem Blick entfalt'.
Von ihm zu hören nur wird besser taugen
Als nah ihm sein und folgen mit den Augen.
30.
Was sich vergleichen könnte diesen langen,
Gewalt'gen Gliedern, nicht die Erde hegt.
Unter der Stirn zwei Knochenklumpen hangen,
Schwammfarbig, die er statt der Augen trägt.
Man meint, es komm' ein Berg dahergegangen,
Als er am Strand sich auf uns zu bewegt,
Mit Hauern, wie am Schwein wir sie gewahren,
Die Nase groß, die Brust mit schmutz'gen Haaren.
31.
Die Schnauz' am Boden, sehen wir ihn springen,
Dem Jagdhund gleich, der nach der Fährde spürt.
Angst und Entsetzen in die Seele dringen:
Ein jeder flieht, wie grad die Furcht ihn führt.
Und daß er blind ist, kann nicht Rettung bringen,
Da er mit Riechen noch viel mehr vollführt
Als wem Geruch und Augenlicht gegeben;
Man brauchte Flügel, sich davonzuheben.
[58] 32.
Umsonst sind hierhin, dorthin wir verschwunden,
Er naht schnell wie der Wind und läßt nicht los.
Es haben schwimmend unser Schiff gefunden
Von vierzig Leuten ihrer zehne bloß.
Er trug uns unterm Arme festgebunden
Oder im Busen vornen und im Schoß.
Noch andre ließ er in den Ranzen gleiten,
Der ihm wie einem Hirten hing zu Seiten.
33.
Zur Höhl' am Strand, tief in den Fels gehauen,
Schleppt uns das blinde Scheusal all hinein;
Die Höhle war aus Marmor, weiß zu schauen,
Weiß wie ein unbeschrieben Blatt der Stein.
Dort wohnte die betrübteste der Frauen,
Schmerz grub und Weh sich in die Züge ein.
Mit ihr zusammen Fraun und Fräulein waren,
Schön, häßlich, jeder Art, von allen Jahren.
34.
Der Höhle nah, drin er zu wohnen pflegte,
Hoch etwa wie der obre Wölbungsrand,
Gleich groß war eine andre; drinnen hegte
Die Herd' er, für sie sorgend unverwandt.
Man zählte nicht, was dort sich alles regte;
Sommer und Winter ihn als Hirten fand.
Zu öffnen kam er und sie einzuschließen,
Zum Spaß mehr als um Tierfleisch zu genießen.
35.
Da mocht' er mehr der Menschen Fleisch sich loben:
Drei unsrer Jünglinge schluckt er hinein,
Bevor wir nah sind jener Höhle droben,
Frißt sie – schlingt sie hinab mit Haut und Bein.
Vom Stall weg hat er einen Fels geschoben,
Verjagt die Herde draus und schließt uns ein.
Er führt sie, wo der Grund mag Futter bringen,
Und eine Pfeife läßt er dann erklingen.
[59] 36.
Derweil kann unser Herr den Schaden sehen,
Als er vom Jagen kommt zur Küste her:
In großem Schweigen rings die Fluren stehen;
Die Lauben, Hütten, Zelte – alles leer!
Er weiß nicht auszudenken, was geschehen,
Und voller Angst steigt er hinab zum Meer. –
Die Schiffer sieht er dort die Anker heben
Und sich bemühn, den Masten Halt zu geben.
37.
Sobald die Leute ihren Herrn gewahren,
Ihn aufzunehmen, senden sie das Boot;
Doch kaum hat Norandin vom Ork erfahren,
Der, jene raubend, schuf so schlimme Not,
Als er ihm folgt: ihm graust vor den Gefahren,
Dem Unheil, das der lieben Gattin droht;
Lucina will er zu erretten streben
– So treibt ihn Sehnsucht – oder nicht mehr leben.
38.
Wo sich im Sand die frischen Spuren zeigen,
Da läuft er jetzt mit solcher Eile hin,
Wie sie allein der heißen Liebe eigen.
Zu jenem Höhlenraum kommt Norandin,
Wo wir voll Furcht (nichts kann sie übersteigen)
Des Orkes harren im Gefängnis drin.
Stets denken wir, sobald nur Laute klingen,
Er nahe hungrig, um uns zu verschlingen.
39.
Fortuna fügt, daß nicht im Hause drinnen
Der Ork ist, sondern nur die Frau allein;
Die ruft ihm zu: »O fliehe, flieh von hinnen!
Denn wehe dir, kommt erst der Ork herein!« –
»Der möge,« spricht er, »was er will, beginnen,
Denn elend werd' ich allewege sein!
Die Sehnsucht führt mich, bin nicht irrgegangen,
Tod bei der lieben Frau ist mein Verlangen.«
[60] 40.
Das Weitre, bat er, möge sie ihm sagen
Von jenen, die der Ork ergriff am Strand:
Vor allem, ob in Ketten sei geschlagen
Lucina, ob schon in den Tod gesandt.
Sie gibt ihm freundlich Antwort auf die Fragen
Und ist mit manchem Trosteswort zur Hand,
So: daß sie lebe, auch am Leben bleibe,
Gefressen habe nie der Ork vom Weibe:
41.
»Kannst ja dies alles an mir selber sehen.
Auch hier den Frauen – sie begleiten mich –
Ist niemals Böses durch den Ork geschehen,
Wenn keine von der Höhle hier entwich.
Die fliehen will, der wird es schlimm ergehen:
Sie findet keine Gnade, sicherlich;
Er gräbt sie lebend ein, legt sie in Bande,
Läßt sie wohl auch der Sonne nackt im Sande.
42.
Vernimm: als er die deine brachte heute,
Mit Frauen und mit Männern, nun, da schied
Er kein Geschlecht und legte deine Leute
Hier in die Höhle, wie das just geriet.
Die Nase sagt ihm das Geschlecht der Beute;
Den Frauen niemals hier ein Leid geschieht,
Den Männern freilich, und die Knochen krachen
Von vier bis sechsen täglich ihm im Rachen.
43.
Doch keinen Rat vermag ich dir zu geben,
Wie sie befrein; daß du sie sicher weißt,
Genüge, und daß nichts bedroht ihr Leben:
Sie leidet, was wir leiden allzumeist.
Doch du sollst dich, um Gott, von dannen heben,
Daß nicht der Ork dich merkt und dich verspeist:
Was nur im Haus ist, wird von ihm errochen,
Bis auf den Maulwurf, der hereingekrochen.«
[61] 44.
Doch Norandin will nicht vom Platze weichen,
Wenn nicht sein Aug' zuvor Lucina säh,
Er zähle sie noch lieber zu den Leichen,
Als daß allein er in die Ferne geh'.
Als sie auf keine Weise kann erreichen,
Daß er auf dem Entschlusse nicht besteh',
Will sie behilflich sein mit Kopf und Händen
Und alle Müh' auf neuen Plan verwenden.
45.
Lämmer und Ziegen waren, um die Wette
Geschlachtet, mit den Gatten aufgereiht;
Daß sie im Haushalt niemals Mangel hätte,
Hing Fell auf Fell vom Dach zu jeder Zeit.
Sie gab darauf dem König von dem Fette
Aus eines großen Bockes Eingeweid',
Daß er damit sich salb' am ganzen Leibe
Und der Geruch den andern so vertreibe.
46.
Als er nun von dem Dufte scheint durchdrungen,
Der an dem stink'gen Bocke so verhaßt,
Schlüpft er ins Fell und wird von ihm umschlungen;
Es ist so weit, daß es ihn ganz umfaßt.
Nun die Umhüllung wunderbar gelungen,
Muß er auf vieren gehn: in aller Hast
Hin führt sie ihn, wo, von dem schweren Steine
Verschlossen, weilt die Liebliche, die Seine.
47.
Gehorsam wartend läßt die Zeit verstreichen
Der König Norandin vorm Höhlenort,
Um mit der Herde dann sich einzuschleichen.
Und bis zum Abend harrt er sehnend dort.
Da schließlich klingt von der Schalmei das Zeichen,
Zur Heimkehr mahnend, daß nicht weiter fort
Die Tiere mögen feuchte Gräser pflücken.
Der grimme Hirt kommt in der Herde Rücken.
[62] 48.
Nun denkt, wie mochte wohl das Herz ihm beben!
Er fühlt des Ungetümes Wiederkehr
Und sieht das grauenvolle Antlitz streben,
Das unbarmherzige, zur Höhle her!
Doch Furcht muß vor der Liebe fort sich heben.
Sagt, liebt er wirklich oder heuchelt er?
Der Ork ist in die Höhl' hineingestiegen,
Auch Norandin mit Lämmern und mit Ziegen.
49.
Der Ork kommt, als die Herd' hereingelassen,
Und auch den Fels hat er vors Loch gesetzt:
Alle beriecht er, zwei dann zu erfassen;
Er hält ja seine große Mahlzeit jetzt.
Vor Schauder muß ich heute noch erblassen,
Gedenk' ich, wie die Hauer mich entsetzt.
Der König wirft, nachdem der Ork gegangen,
Sein Bocksfell ab, die Gattin zu umfangen.
50.
Statt daß sie Freud' und Glück empfunden hätte,
Ihn hier zu sehn, hat sie nur Gram und Leid:
Unmöglich ist es ja, daß er sie rette;
Er hat nur noch sich selbst dem Tod geweiht:
»Bei allem Leiden, Herr, an dieser Stätte,
Nicht kleine Freude war mir's alle Zeit,
Daß du gefehlt in unsrer Mitte heute,
Als mich der Unhold schleppte fort als Beute.
51.
War der Gedank', an Todes Tür zu stehen,
Mir bitter (wohl drückt' mich's gar sehr),
Fühlt' ich, wie's nach dem Trieb ja muß geschehen,
Nur um mein eigen traurig Los Beschwer;
Doch jetzt – magst du nun vor mir, nach mir gehen –
Nicht eigner Tod, nein, deiner schmerzt mich mehr!«
So sprach sie und erhob viel größre Klage
Um Norandin als um die eigne Lage.
[63] 52.
Er sprach: »Die Hoffnung winkt mit ihrem Scheine,
Dich zu erretten und auch diese hier;
Mißlingt's, sterb' ich; mit dir nur im Vereine
Bin ich nicht blind, ich lebe nur mit dir.
So, wie ich herkam, geh' ich fort; ich meine:
Wir fliehen, und ihr alle geht mit mir,
Tragt ihr nicht Scheu – ich selbst tat's ohne Grämen,
Geruch von niedren Tieren anzunehmen.«
53.
Er meldet uns die List (die man ihm heute
Anriet), wie man des Orkes Nase prellt:
Wir sollten schlüpfen in die Ziegenhäute,
Wenn der am Ausgang tastend Wache hält.
Man sieht (als dies sich eingeprägt die Leute),
Wie sich die Zahl der Fraun und Männer stellt:
So viele Böcke werden abgestochen,
Und zwar von alten, die am stärksten rochen.
54.
Mit dickem Fett aus ihren Eingeweiden
Führt jeder seines Körpers Salbung aus;
Worauf wir in die ekle Haut uns kleiden.
Indes verläßt der Tag sein goldnes Haus,
Und als der erste Strahl bescheint die Weiden,
Kommt auch der Hirt – wir hören das heraus –:
Die Pfeife blasend, ruft er mit den hellen
Tönen die Herde zu sich aus den Ställen.
55.
Daß wir mit ihr nicht durch das Loch uns drücken,
Streckt er die Hand aus vor der Höhle Spalt:
Er prüft, wer durchgeht; wo er auf dem Rücken
Fühlt Woll' und Haar, den läßt er alsobald.
Der heikle Weg wollt' allen trefflich glücken,
Männern und Frauen, so in Bocksgestalt,
Und niemand wurde von dem Ork gefangen,
Bis Frau Lucina kam in großem Bangen:
[64] 56.
Sei's nun, daß sie zu großen Ekel spürte,
Sich richtig einzuschmieren, so wie wir,
Sei's daß im Gang sie nicht so flink sich rührte,
Wie es zu tun pflegt das bewußte Tier,
Sei's, daß sie schrie, als sie der Ork berührte
(Ein Laut der Furcht vielleicht entschlüpfte ihr),
Vielleicht auch lösten sich die Haare leise;
Sie ward erkannt auf irgendeine Weise. –
57.
Wir gehen, ohne sonst etwas zu sehen,
Nur auf das eigne Ich den Sinn gewandt,
Da läßt ihr Jammern laut den Kopf mich drehen:
Ich sah, er nahm ihr schon das Bocksgewand;
Sie muß zurück zum Höhlenraume gehen.
Wir in den Fellen kriechen miteinand
Hin, wie gerad der Hirt die Herde leitet,
Wo grüne Au sich zwischen Hügeln breitet.
58.
Dort harrten wir, bis daß, vom Schlaf umfangen,
Der nasenreiche Ork im Schatten lag,
Worauf zum Berg die, die am Meer hinsprangen,
Nur Norandin der Spur nicht folgen mag.
Ihn hält die Liebe alsofest umfangen:
Er will zum Höhlenraum zurück vom Hag
Und nimmer bis zum Tod von ihr sich trennen,
Kann er sich nicht der Teuren Retter nennen.
59.
Als er vorher sie in des Scheusals Händen
Am Höhlenspalt allein gefangen sah,
Wollt' er verzweifelt schon sein Leiden enden,
Und wenig fehlte, daß es so geschah.
Aufsprang er, sich zum Scheusal hinzuwenden:
Die Hauer, die zermalmten ihn beinah,
Doch schließlich hielt die Hoffnung ihn zurücke,
Daß sie hinwegzubringen noch ihm glücke.
[65] 60.
Es wurde Abend. Ork und Herde kehren
Nach Haus. Als er bemerkt, wir sind entflohn
Und er muß ohne Abendmahlzeit bleiben,
Schilt er Lucina mit erzürntem Drohn:
Im Frein zu bleiben ewig auf den leeren
Höhen des Bergs, in Ketten, sei ihr Lohn.
Der König sieht: um ihn muß sie verderben!
Der Schmerz zerstückt ihn, läßt ihn bloß nicht sterben.
61.
Am Morgen und am Abend kann der Arme
Sie dort in Jammer und in Tränen sehn;
Denn stets erscheint er in dem Ziegenschwarme,
Ob sie zum Stall, ob in die Felder gehn.
Sie winkt ihn traurig fort: er sieht mit Harme
Sie immer nur um seine Rettung flehn;
Denn, bleib' er hier, so gelt' es ja sein Leben,
Und keinen Beistand könn' er doch ihr geben.
62.
Davonzufliehen von den grausen Stätten,
Fleht auch die Frau des Ork den König an:
Standhafter stets, verschmäht er, sich zu retten,
Wenn er Lucina nicht befreien kann.
So blieb er, in der Treu' und Liebe Ketten
Ausharrend, bis durch guten Zufall dann
Mit einemmal an diesen Felsenrainen
Gradasso und Herr Mandrikard erscheinen,
63.
Die jetzt mit ihrer Kühnheit es vollbrachten,
Daß die geplagte Schöne Freiheit fand
(Ob Glückes Gaben auch das meiste machten);
Sie trugen sie voll Eile nach dem Strand,
Worauf sie noch zum Vater hin sie brachten.
Der frühe Morgen dies geschehen fand,
Da Norandin, mit jener Herd' im Bunde,
Der Ruhe pflegte auf dem Weidegrunde.
[66] 64.
Doch als die Schranke später fiel am Morgen
Und ihm der Gattin Weggang wurde klar
(Denn nichts hielt ihm die Frau des Ork verborgen;
Sie legte ihm genau den Vorgang dar),
Da dankt' er Gott, empfahl auch seinen Sorgen
Sie, die so großem Weh entgangen war:
Er führe sie dahin, von wo sie Waffen,
Sei's Gold und Bitten, in die Heimat schaffen.
65.
Aufbricht er mit des Viehs plattnas'gen Haufen
Und kommt zur grünen Weide wohlgemut.
Dort harrt er, bis der Ork, sich zu verschnaufen,
Den Schatten sucht und auf dem Grase ruht.
Dann macht er sich durch Tag und Nacht ans Laufen,
Bis er vorm Ungetüm in guter Hut.
In Satalich hat er ein Schiff genommen
Und ist, drei Monde sind es, heimgekommen.
66.
Ganz Rhodus, Zypern, Schlösser sowie Städte
Von Türkenland, Ägypten, Afrika
Durchsuchen seine Boten um die Wette;
Vorgestern erst war eine Kunde da:
Es schrieb, daß er gesund sie bei sich hätte,
Der Schwiegervater aus Nikosia,
Nachdem durch lange Zeit recht böse Winde
Sich feindlich ihm gezeigt und seinem Kinde.
67.
Der guten Kunde recht sich zu erfreuen,
Richtet nun unser Herr die Feierzeit,
Und wenn der vierte Mond sich will erneuen,
Wird gleichem Zweck ein ähnlich Fest geweiht,
Damit ihm die vier Monde stets im treuen
Gedächtnis bleiben, da in zott'gem Kleid
Er in der Herde war; darauf geborgen
An einem Tag: der schließt den Zeitraum morgen.
[67] 68.
Was ihr vernahmt, erlebt' ich selbst zum Teile,
Teils stellt' es, wer es wissen muß, mir dar:
»Der König nämlich, der die ganze Weile,
Bis Leid zu Lust ward, gegenwärtig war.
Und wird euch anderer Bericht zuteile,
Sagt, wer ihn bringe, irre ganz und gar.«
So unterrichtete der Edelmann die Gäste
Vom hohen Anlaß zu dem großen Feste.
69.
Verschiedne Stunden von der Nacht verstreichen
Den Rittern in Gesprächen dieser Art;
Sie schließen: Lieb' und Treue sondergleichen
In schwerer Prob' hat Norandin gewahrt.
Nach Tische gingen alle zu den reichen
Gemächern hin, drin ihnen Wohnung ward.
Am Morgen drauf, dem heiteren und schönen,
Erwachten sie von frohen Festestönen.
70.
Trompeten, Becken ziehen auf und nieder,
Zum Marktplatz kommen Mann und Weib und Kind.
Es hallt von Wagen und von Rossen wider,
Und voll von Jubel, alle Straßen sind.
In lichte Rüstung Grifon hüllt die Glieder,
In solche, wie sie wohl sich selten find't,
Die undurchdringlich ist durch Zaubereien:
Die weise Fee kam selbst ja, sie zu feien.
71.
Es wappnet sich (wenngleich mit Furcht und Bangen)
Antiochias Sohn und nimmt bei Grifon Stand.
Der edle Wirt hielt fertig schwere Stangen
Und mächt'ge Lanzen, wuchtig in der Hand;
Ist mit den Gästen dann zum Platz gegangen
Samt seiner Sippe, all von hohem Stand,
Auch Knappen, teils zu Fuß und teils beritten,
Passend zu solchem Dienst, von guten Sitten.
[68] 72.
Zum Platz gelangt, fern vom Gedränge, stehen
Die Ritter eine Weile noch beiseit,
Um Mavors schöne Schar sich anzusehen,
Sie nahen einzeln, zwei und drei zum Streit.
Die wohlgewählten Farben, drin sie gehen,
Zeigen den Damen Freude oder Leid:
Der läßt am Helm sehn, der am bunten Schilde,
Ob Amor hart sei gegen ihn, ob milde.
73.
So wie's gebräuchlich war im Westen, pflegten
Die Syrer damals meist sich anzuziehn,
Wohl, weil sie unter Franken sich bewegten:
Denn die zu sehn, war ihnen oft verliehn,
Weil sie ja jene heil'ge Stätte hegten,
Wo Gott der Herr im Fleische einst erschien.
(Die stolze Christenheit läßt, ach, zur Stunde,
Zu ihrer Schmach, sie in Gewalt der Hunde.)
74.
Wo sie mit Recht die Lanze sollten senken
Zu heil'gen Glaubens Förderung und Heil,
Da will man nicht an Haun und Stechen denken;
Das bißchen, das man glaubt, vergeht derweil.
Auf, Spaniens Volk, auf, Frankreichs, wollet lenken
Den Fuß, ihr Schweizer, Deutsche, hin in Eil',
Wo eine beßre Beute sich mag zeigen,
Denn, was ihr sucht, ist ja schon Christus eigen!
75.
Wollt ihr noch »allerchristlich« heißen weiter
Und ihr »katholisch«, wie ihr euch genannt,
Warum denn töten Jesu Christi Streiter?
Warum verwüsten denn ihr Gut und Land?
Jerusalem zu nehmen wär' gescheiter
(Entrissen hat es Renegatenhand),
Daß mit Byzanz der schönste Teil der Erde,
Der jetzt des Türken, wieder unser werde!
[69] 76.
Sieh Afrika so nah, o Spanien, liegen!
Mehr als Italia hat dir's Leid gebracht,
Doch um uns Arme grausam zu bekriegen,
Hast du des schönen ersten Plans nicht acht!
Italia, Pfuhl, dem alle Sünd' entstiegen,
Berauschte, sprich, ob dich's nicht schamrot macht,
Daß du bald dieser und bald jener Horden,
Die einst dir Sklaven waren, Magd geworden!
77.
Bringt dich die Furcht, im Höhlenloch zu sterben
Vor Hunger, Schweizer, nach der Lombardei,
Suchst du bei uns dein Brot dir zu erwerben
Oder den Tod (der macht von Nöten frei),
So sind des Türken Schätze ja zu erben:
Verjag' ihn, ob's nur aus Morea sei!
Du kannst dich retten dann aus Mangels Krallen,
Wenn nicht, mit größerem Verdienste fallen.
78.
Dasselbe muß ich deinem Nachbar sagen,
Dem Deutschen, noch: Reichtümer gibt es dort,
Wohin sie Konstantin von Rom getragen;
Das Beste nimm dir, und den Rest gib fort:
Pactolus, Hermus mit den Goldeslagen,
Migdonien, Lydien und, wo Ort an Ort
Dir die Geschichte nennt mit hohem Preisen,
Das Land – es ist nicht ferne – laß dir weisen!
79.
O großer Leo, du, auf dessen Rücken
Der Himmelsschlüssel schwere Last gebannt,
Laß nicht Italias Haupt zum Schlaf sich bücken!
Faß es bei seinem Schopf mit starker Hand.
Du bist der Hirt, und deine Finger drücken
Den Stab von Gott, und Leu bist du genannt,
Damit du brüllst: so breite denn die Arme
Zum Schutz der Herde vor des Wolfes Harme!
[70] 80.
Wie hab' ich mich, um dies und das zu sagen,
Verirrt von meinem Wege doch so sehr!
Je nun, ich denk', ich kann die Brücke schlagen;
Die Richtung finden ist nicht allzu schwer.
Man sieht in Syrien – sagt' ich – Waffen tragen,
Wie sie gebräuchlich sind im Frankenheer:
Schön ist der Kampfplatz in Damask zu sehen,
Wo sie gehüllt in Helm und Panzer gehen.
81.
Den Kämpfern geben Blumen das Geleite
Von schönen Damen, die auf Söllern stehn,
Derweil bei Hörnerklang sie vor dem Streite
Die Rosse tummeln und im Kreise drehn.
Ein jeder braucht, ob gut, ob schlecht er reite,
Die Sporen flink: man läßt sich gerne sehn!
Der eine wird mit Lob und Preis erhoben,
Beim andern lachen sie und schrein und toben.
82.
Vom König ward als Siegespreis gegeben
Ein herrlich Panzerkleid, das jüngst er fand,
Als er zurückkam aus Armenien eben,
Und zwar am Weg, in eines Händlers Hand.
Er fügt' hinzu aus edelsten Geweben
Das Oberkleid und ließ noch das Gewand
Mit Gold versehn und so viel Perlen, Steinen,
Daß sie zu großem Schatze sich vereinen.
83.
Hätte der Fürst gekannt der Rüstung Wesen,
Ganz unvergleichlich hätt' er sie eracht't
Und nimmer zum Turnierpreis auserlesen,
Wie sehr er auch aufs Spenden war bedacht.
Lang hielt' es auf, zu sagen, wer's gewesen,
Der so verschmäht sie hatt' und mißgeacht't,
Um sie als Beute auf der Straße Mitten
Jedem zu lassen, der da hergeschritten.
[71] 84.
Davon wird wohl ein andermal gesungen;
Von Grifon meldet Euch der Sang jetzund:
Es war schon mancher Hieb und Stoß erklungen
Und mancher Speer gebrochen in der Rund';
Vereinigt hatten acht sich von den jungen
Und nächsten Freunden Norandins zum Bund,
Im Waffenspiele flink und wohlerfahren,
Und alle Herrn von hoher Abkunft waren.
85.
Die stellten sich den Tag zum Kampfesspiele
Auf freiem Platz der Reih' nach jedermann,
Solang dem Herrn und König es gefiele,
Mit Speer und Schwert und Keule, öffnen dann
Mit Stich und Hieb und Schlag der Panzer viele,
Kurz, tun im Scherz ei ander alles an
Wie richt'gem Feind; nur, daß ein »Halt!« erschallen
Vom König kann und trennen nach Gefallen.
86.
Der von Antiochien, ohne Sinn und Ehre
(Er war Martan der Feige zubenannt),
Als ob er von der Stärke Grifons wäre,
Weil er mit ihm zusammen sich befand,
Trat kühn hinein zum Kampf mit Schwert und Speere.
Er nahm, zunächst noch wartend, seinen Stand,
Bis daß ein scharfer Strauß sei ausgefochten,
In den zwei tapfre Ritter grad verflochten.
87.
Der Herr von Seleucia, auch vom Bunde,
Der da mit jedem Ritter Lanzen bricht,
Focht mit Ombrun und stach ihm böse Wunde:
Der Speer, der traf ihn mitten ins Gesicht,
So daß er starb. Und schade war's im Grunde,
Denn einen bessern Ritter gab es nicht.
Er war voll Trefflichkeit und edlem Wesen,
Wie keiner noch im Land zuvor gewesen.
[72] 88.
Da naht die Furcht, es könn' auch ihm geschehen
Wie jenem guten Ritter, dem Martan,
Und er gedenkt auf und davon zu gehen,
Denn gegen die Natur kann er nicht an.
Grifon, der das mit Unmut hat gesehen,
Redet ihm zu und stößt ihn vor sodann
Auf einen Krieger; vorwärts schleicht der Degen,
So wie der Hund sich regt dem Wolf entgegen:
89.
Zehn, zwanzig Schritt ist er ihm nachgelaufen,
Kehrt dann sich um, mit Bellen hinzusehn,
Wie der die Zähne fletscht mit grimmem Schnaufen,
Und Flammen schrecklich aus den Augen gehn.
Hier, wo die Fürsten sind, wo ganze Haufen
Von tapfern, edlen Herren schauend stehn,
Flieht vorm Zusammenstoß Martan der Zage
Und dreht das Roß, damit es rechtshin jage.
90.
War schuld vielleicht das Pferd in diesem Falle,
Was dann den Vorwurf hätte leicht gemacht,
Blamiert er sich beim Schwertkampf doch mit Schalle,
Kein Demosthen hätt' ihn hier durchgebracht:
Papieren schien die Wehr, nicht von Metalle,
Und auszuweichen war er nur bedacht.
Er flieht zuletzt, ringsum die Reihen störend
Und hinter sich der Leute Lachen hörend.
91.
Das Händeklatschen schallt die ganze Weile
Aus Volkesmassen und ein lautes Schrein.
Gejagtem Wolfe gleich, so flieht in Eile
Martan zurück in sein Versteck hinein.
Und Grifon bleibt; er meint von einem Teile
Des Hohns und Schimpfes selbst befleckt zu sein.
Im Feuer lieber möcht' er jetzt sich winden,
Als hier an diesem Orte sich befinden.
[73] 92.
Als wäre seine Schuld die schnöde Lage,
So glüht sein Herz, so flammt sein Angesicht.
Die Menge meint und hofft, vom gleichen Schlage
Werd' er sich zeigen wie der feige Wicht.
Daß höher drum sein Wert als jemals rage,
Gilt es, zu strahlen in dem hellsten Licht.
Ein Fehler zollgroß wächst in solchen Fällen
Durch schlechten Eindruck gleich um sieben Ellen.
93.
Schon auf dem Schenkel hat die Lanze liegen
Grifon, der sich auf Waffenkunst verstand,
Und läßt das Roß mit vollen Zügeln fliegen;
Nach einer Weile nahm er sie zur Hand,
Den von Sidonia kräftig dranzukriegen
Mit wucht'gem Stoß, daß er den Boden fand.
Ein jeder hob sich staunend auf die Zehen,
Das Umgekehrte dachte man zu sehen.
94.
Nun wendet Grifon rasch wie Ungewitter,
Die Lanze war noch fest und unversehrt;
Doch sieh, mit einem Male in drei Splitter
Am Schild des Herrn von Lodice sie fährt.
Zwei-, dreimal scheint zu fallen schon der Ritter,
Nach hinten ausgestreckt auf seinem Pferd,
Dann hebt er sich, hat nun das Schwert gezogen,
Kehrt um und ist auf Grifon zugeflogen.
95.
Der blieb im Sattel, ließ sich nicht bezwingen;
Der starke Speerstoß warf ihn nicht hinab.
Denkt Grifon: »Will es nicht dem Speer gelingen,
In fünf, sechs Hieben macht das Schwert es ab!«
Und einen läßt er auf der Schläfe klingen,
So rasch: – vom Himmel, scheint's, kam er herab.
Ein zweiter folgt und gleich danach ein dritter:
Betäubt zur Erde nieder sinkt der Ritter.
[74] 96.
Gewohnt, stets in Turnieren obzusiegen,
Waren zwei Brüder aus Apamia,
Tirs und Corimb, und beide Helden liegen,
Gefällt vom Sohn des Oliver, nun da:
Vom Speer mußt' einer aus dem Sattel fliegen,
Dem andern erst vom Schwerte das geschah.
Schon allgemein heißt es im Haufen drinnen:
»Nur dieser wird den Siegespreis gewinnen.«
97.
Die Schranken öffnen sich, der Marschall reitet
Herein, Groß-Diodarr Herr Salintern,
Der als ein auserlesner Krieger streitet,
Und dem das ganze Reich gehorcht als Herrn.
Verdruß hat über Maßen ihm bereitet,
Daß sich den Preis hol' einer aus der Fern'.
Er nimmt den Speer, ruft Grifon zu voll Grimme
Und fordert ihn heraus mit drohnder Stimme.
98.
Ein Speerstoß gab die Antwort; diesen kannte
Herr Grifon als den besten unter zehn:
Zielt auf den Schild zur Sicherheit, durchrannte
Den Harnisch, ließ die Spitze weiter gehn,
Bis er sie durch den ganzen Körper sandte:
Sie war am Rücken handbreit noch zu sehn.
Dem König nicht, sonst jedem hat's gefallen;
Verhaßt war Salintern durch Geiz bei allen.
99.
Zwei edle Herren von Damaskus fallen,
Carmond und Ermofil, durch Grifons Speer:
Dieser gebeut den Kriegerscharen allen,
Und jener ist Großadmiral vom Meer.
Der fliegt vom Sattel beim Zusammenprallen,
Und auf den andern legt die Last sich schwer
Des schlechten Pferds: es war zu schwach, das arme,
Und hielt die Wucht nicht aus von Grifons Arme.
[75] 100.
Als bester Krieger gegen all die sieben
Der Herr von Seleucia übrig war,
Und seiner Stärke war gesellt geblieben
Ein gutes Roß und Rüstung wunderbar.
Da, wo des Helms Visier sich läßt verschieben,
Trifft seinen Gegner jeder von dem Paar;
Doch Grifons Stoß war mächt'ger als des Mohren:
Den linken Stegreif hatte der verloren.
101.
Fort fliegt der Speerstumpf, und mit nackten Klingen
Voll kühnen Mutes haun sie aufeinand:
Vom Hieb, der durch den Amboß könnte dringen,
Der starke Heide sich getroffen fand,
Und Bein und Eisen an dem Schild zerspringen,
Der als der beste unter tausend stand.
War doppelt nicht der Harnisch und erlesen,
Die Hüfte wäre noch zerhaun gewesen.
102.
Nun hieb zu gleicher Zeit der Syrierreiter
Grifon auf das Visier mit solcher Macht:
Zertrümmert wär' es wohl dem Christenstreiter,
Hätte nicht Zauberkraft den Helm gemacht.
's ist Zeitverlust, draufloszuschlagen weiter;
Zu gleicher Härte ward der Stahl gebracht.
Bei ihm jedoch hat's Bruch und Riß gegeben:
Wo Grifon schlägt, da schlägt er nicht daneben.
103.
's ist klar, bald wird in Ritter Grifons Händen,
Besiegt, der Herr von Seleucia sein,
Und läßt der König nicht den Kampf beenden,
So büßt, wer unterliegt, das Leben ein.
Man sieht den Fürsten sich zur Wache wenden,
Und diese mischt sich in den Kampf hinein:
Aufhören läßt man jenen so wie diesen,
Und jeder hat die gute Tat gepriesen.
[76] 104.
Die acht, die mit der Welt es aufgenommen
Und einem einzigen erlagen dann –
Das Ding war ihnen sämtlich schlecht bekommen –,
Hatten den Platz verlassen, Mann für Mann.
Es fragt sich, ob, wer zu dem Kampf gekommen,
Mit ihnen, jetzt noch Gegner finden kann,
Weil Grifon ganz allein unmöglich machte,
Was alle gern versuchten gegen achte.
105.
So war recht kurz des Festes Freudenkette:
In einer Stunde kaum war es vorbei.
Damit das Spiel noch längre Dauer hätte
Und gegen Abend erst zu Ende sei,
Kam Norandin, ließ reinigen die Stätte
Und teilte dann die ganze Schar in zwei.
Er ließ, wie sie nach Blut und Probe waren,
In neuem Kampfspiel fechten stets nach Paaren.
106.
Grifon inzwischen, Zorn und Wut im Herzen,
War in sein Wohngemach zurückgekehrt.
Die Schmach Martans, sie macht ihm größre Schmerzen,
Als ihm des Siegers Ehre Lust beschert.
Die Schart' auf seinem Namen auszumerzen,
Hat sich aufs neu das Lügenmaul bewährt:
Die Buhle, die verlogene, gescheite,
Steht ihm mit aller Kraft dabei zur Seite.
107.
Ob es ihm glaublich oder nicht geschienen,
Er nahm die Ausred' hin, als kluger Mann,
Und still und heimlich fortzuziehn mit ihnen
Sofort, deucht ihm das Rätlichste sodann:
Denn wäre vor dem Volk Martan erschienen,
So fing am Ende gar ein Auflauf an,
Drum suchten sie vom Tore kurz und grade,
Ganz heimlich und verborgen, ihre Pfade.
[77] 108.
Ob Grifons Lider nun der Schlaf beschwerte,
Ob er aus Müdigkeit den Halt beschloß,
Schon in der allerersten Herberg kehrte
Er ein (man ritt ein halbes Stündchen bloß),
Tat ab den Helm und was ihn sonst bewehrte,
Und hieß entschirren gleichfalls jedes Roß,
Ging in die Kammer, legte drin sich nieder,
Und nackt im Bett streckt' er zum Schlaf die Glieder,
109.
Um gleich auch das Bewußtsein zu verlieren,
Es machte einem tiefen Schlummer Platz,
So schlief noch niemals eines von den Tieren,
Sei's nun der Siebenschläfer oder Ratz.
In einem Garten nahebei spazieren
Ging Orrigill indessen mit dem Schatz,
Und dort nun ward der ärgste Trug gesponnen,
Den jemals noch ein Menschenwitz ersonnen.
110.
Martan will sich mit Grifons Hengst versehen
Und Kleid und Waffen, die der Ritter trägt,
Und hin zum König als der Kämpe gehen,
Der so viel Proben heut hat abgelegt.
Und kaum gedacht, so ist's auch schon geschehen:
Er holt den Hengst, der Milch an Weiße schlägt,
Und eilt, des Helden Schild und Helm und Waffen
Und ganze Oberkleidung aufzuraffen.
111.
Martan, die Knappen und die Damen gingen
Zurück, wo man noch zusah dem Turnier,
Im Augenblicke, als das Schwerterschwingen
Und Lanzenstechen war zu Ende schier.
Der Fürst gebeut, den Ritter ihm zu bringen,
Der weiße Federn trug als Helmeszier
Und auch die Kleider weiß und weißen Renner;
Denn nicht den Namen jenes Siegers kenn' er.
[78] 112.
Er, der versteckt war in dem fremden Felle,
So wie der Esel einst im Löwenkleid,
Kam hin zu Norandin an Grifons Stelle,
Wie er's geplant. Der Fürst, zu Huld bereit,
Umarmt und küßt ihn, und der Schandgeselle
Setzt auf Befehl sich an des Königs Seit';
Und nicht nur ehren will ihn der als Helden,
Nein seinen Wert auch aller Welt vermelden
113.
Und heißt durch Hörnerklänge Kunde bringen,
Daß er der Sieger sei in dem Turnier;
Zu den Balkonen rings die Töne dringen
Und feiern schnöden Namen dort und hier.
Der Fürst befahl, wenn sie zum Schlosse gingen,
So reit' er neben ihm, als Gleicher schier,
Und überschüttet ihn mit Gunst und Gnade,
Wie einen Mars und Herkules gerade.
114.
Gemächer prächtig öffnen ihm die Türen
Im Schloß; auch Orrigill wird hochgeehrt,
Es kommen edle Junker, sie zu führen,
Und Kavaliere. – Doch daß man erfährt,
Wie es mit Grifon steht, will sich gebühren,
Der ohne Ahnung, was man ihm beschert,
Nicht Trug besorgt und, sich am Schlafe labend,
Liegt, ohne zu erwachen, bis zum Abend.
115.
Als er erwacht, sieht er die späte Stunde
Und eilt aus seiner Kammer fort im Lauf
Hin, wo die Falsche, mit dem Kerl im Bunde
Zurückblieb und der Sippschaft ganzer Hauf.
Als er nach Kleid und Waffen in der Runde
Vergebens umblickt, steigt Verdacht ihm auf:
Der andre ließ am Orte seine Waffen;
Das muß natürlich größern Argwohn schaffen.
[79] 116.
Der Wirt erschien, von jenem zu bekunden,
Daß er, geschmückt mit weißem Waffenkleid,
Sei in der Richtung nach der Stadt entschwunden
Längst mit der Dame und dem Dienstgeleit.
Von Grifon ward gemach die Spur gefunden
(Amor hielt sie verdeckt so lange Zeit):
Er fühlte bittren Schmerz, als er erkannte,
Daß Orrigill den Buhlen Bruder nannte.
117.
Wie muß er jetzt die eigne Dummheit hassen,
Die ihn, als er die Wahrheit doch erfuhr
Von Fremden, jener hat vertrauen lassen,
Die ihn schon sonst betrog! Sie log ja nur!
Wird er sich rächen? Erst den Schurken fassen,
Das gilt es jetzt, und folgen seiner Spur.
Der Held nimmt – böser Fehler! – Roß und Waffen
Des Wichtes, um ihn selbst zur Stell' zu schaffen.
118.
Nackt lieber, ohne Waffen sollt' er stehen
Als mit dem Harnisch von so schlechtem Mann,
Dem Helme, mit der schnöden Zier versehen,
Beschimpftem Schild, in arger Schande Bann.
Doch, weil es gilt, den beiden nachzugehen,
Vernunft nicht mit Begier sich messen kann.
Er kam zur Stadt, als schon der Tag sich neigte
Und noch für eine Stunde Leben zeigte.
119.
Dem Tore nah (er mußt' es wohl durchschreiten)
War links ein Prachtkastell, gar wohl imstand,
Darin, war's auch nicht stark für Kriegeszeiten,
Sich eine Menge reicher Zimmer fand.
Der Fürst und Syriens edle Herrn, zu Seiten
Von Damen in erlesnem Festgewand,
Ließen sich fröhlich in der Laube Hallen
Das königliche leckre Mahl gefallen.
[80] 120.
Über den Mauerrand die Räume steigen
Auf hohem Felsen aus der Stadt heraus,
So daß von dort sich all die Straßen zeigen
Und die verschiednen Pfade weit hinaus.
Als Grifon in der Rüstung nun des Feigen,
Der schmählichen, erschien am Tore drauß,
Bot er sich – dank dem widrigen Geschicke –
Des Königs und des ganzen Hofes Blicke.
121.
Man sieht in ihm den schmachbedeckten Streiter,
Mit Lachen schaun die Gäste hin auf ihn.
Beim König sitzt der Schuft Martan als Zweiter
(So große Huld hat ihm der Fürst verliehn),
Die würd'ge Freundin einen Sessel weiter.
Zu ihnen kehrt sich fröhlich Norandin,
Um zu erfahren, wer doch sei der Zage,
Der kein Gefühl für Ehr' im Herzen trage
122.
Und jetzt, nach schlimmer Probe, unverlegen,
Mit solcher Stirne komme wieder her:
»Ihr seid doch selbst ein echter, wackrer Degen,«
Sprach Norandin, »da wundert's, traun, mich sehr,
Daß Euch ein Feigling folg' auf Euren Wegen –
Solch einen sieht das Morgenland nicht mehr.
Es soll den hohen Wert wohl, der Euch eigen,
Das Gegenstück in höhrem Glanze zeigen?
123.
Ließ' ich durch Rücksicht nicht auf Euch mich lenken
– Geschworen bei den ew'gen Göttern sei's –,
Nicht würd' ich öffentliche Schmach ihm schenken,
Die hier im Lande solcher Feigheit Preis.
Für alle Zeiten sollt' er daran denken:
Mein Haß der Niedrigkeit ist groß und heiß.
Bleibt er jetzt ungestraft, sei's wohlbeachtet:
Nur Euch zu Dank geschieht's, weil Ihr ihn brachtet.«
[81] 124.
Sprach das Gefäß von allen Schändlichkeiten:
»Herr, wer er ist, nicht selber weiß ich's ja.
Zufällig fand ich ihn des Weges reiten
Dort auf der Straße von Antiochia.
Er schien mir würdig, um uns zu geleiten,
Nach seinem Äußern, seiner Haltung da.
Nie hatt' ich Proben noch von ihm gesehen;
Erst, was da heut ist Klägliches geschehen,
125.
Und was mir greulich war und widerwärtig:
Fast bracht' ich schon zur Strafe, der er wert,
Bei dem Turnier ein Spielchen mit ihm fertig,
Daß er für immer ließe Speer und Schwert.
Allein ich hielt den Ort mir gegenwärtig
Und was der Hoheit Rücksicht hier begehrt.
Doch möcht' ich nicht, daß jetzt ihn sicherstellte,
Wenn ein, zwei Tag' er sich zu mir gesellte;
126.
Das, will mich dünken, muß mich selbst beflecken;
Und auf der Brust mir läg' es wie ein Stein,
Ging' er jetzt ungestraft, sich zu verstecken,
Zur Schmach des Waffenwerkes obendrein;
Es würde mehr Befriedigung erwecken,
Sollt' er gehenkt an eine Zinne sein.
Ein löblich und ein fürstlich Werk es wäre,
Für jeden Feigen Spiegel so wie Lehre.«
127.
Man konnte Orrigilla nicken sehen,
Beipflichten dem Gesagten allezeit.
»So Schlimmes«, sagt der Fürst, »ist nicht geschehen:
Nicht an den Kragen geh's; das ging' zu weit!
Er soll zur Strafe für sein schwer Vergehen
Allein erneun dem Volk die Festlichkeit.«
Und kommen läßt er der Barone einen,
Der trägt des Herrn Befehl hin zu den Seinen.
[82] 128.
Bewaffnete – mit dem Baron – bewegen
Sich nach dem Tore hin in großer Schar,
Worauf sie still in Hinterhalt sich legen:
Kaum nahm er bei zwei Brücken Grifon wahr,
So überfiel er unversehns den Degen,
Der unverwundet nun Gefangner war.
Man hielt ihn unter Possen, Hohn und Plage
In einer dunklen Zelle bis zum Tage.
129.
Die Sonn' hat kaum den goldnen Schopf gehoben
Aus der uralten Amme Schoß hervor –
Sie jagt die Schatten aus den Alpen oben,
Und frei enthüllt sie hoher Gipfel Chor –,
Als schon Martan, von bleicher Furcht geschoben,
Durch Grifon steige Wahrheit doch empor
Und sende Schuld hin, wo sie hergekommen,
Zum raschen Aufbruch Abschied hat genommen.
130.
Dem Wunsch, beim Schauspiel ihn als Gast zu haben,
Entzieht er sich: Ausflucht ist bald gemacht.
Der König schickt noch allerreichste Gaben,
Für fremden Sieg wird Huld'gung ihm gebracht.
Zumal ein Gnadenbrief soll ihn erlaben:
Drin wird mit höchster Ehre sein gedacht.
Wir lassen ihn. Ihr sollt, versprech' ich, sehen:
Verdienter Strafe wird er nicht entgehen. –
131.
Mit Grifon geht's zum Marktplatz voller Leben
(Gefüllt ist ja um diese Zeit der Ort),
Ein dürftig Wams deckt ihm den Leib noch eben,
Denn Helm und Harnisch nahm der Troß ihm fort.
Als wolle man ihm noch die Staupe geben,
Auf hohen Karrn gesetzt, erscheint er dort,
Von Kühen langsam, langsam fortgezogen,
Die wie verhungert sind und ausgesogen.
[83] 132.
Entstellte Vetteln, Dirnen frech umringen
Im Augenblick das schnöde Zwiegespann:
Die lenkt jetzt, nachher jene, alle dringen
Mit Schimpfen und mit gift'gem Spott heran.
Jedoch die größte Not die Kinder bringen,
Die schändlich ihn verhöhnen und ihm dann
Mit Steinen hätten wohl den Kopf gespalten;
Doch Klügre haben sie zurückgehalten.
133.
Die Rüstung, Anlaß aller seiner Plagen,
Die so verkehrten Ausweis von ihm bot,
Sie litt, ganz hinten nachgeschleift vom Wagen,
Verdiente Strafe in dem Straßenkot.
Zu einem Tribunal die Räder tragen,
Wo Schmach für eines Fremden Tun ihm droht:
Der Büttel kündet vor der Volkesmenge
Sie ins Gesicht ihm durch Trompetenklänge.
134.
Der Karren ward zu Häusern in der Runde,
Zu Tempeln und zu Läden hingelenkt.
Schimpfwörter regnet es aus aller Munde:
Keins, das nur denkbar, wurde ihm geschenkt.
Fortjagen will ihn dann gleich einem Hunde
Die Rotte, die es sich ergötzlich denkt,
Mit Schlägen ihn zu hetzen zum Ermatten,
Weil sie nicht wußten, wen sie vor sich hatten.
135.
Als nicht mehr Ketten um den Fuß sich legen,
Als frei die rechte und die linke Hand,
Faßt er den Schild und läßt das Schwert sich regen,
Das lange hat bisher durchfurcht den Sand!
Spieß oder Lanzen stehn ihm nicht entgegen:
Das tolle Volk kam waffenlos gerannt.
Zum nächsten Sang verschieb' ich weitre Sachen,
Denn Zeit ist's, Herr, ein Ende jetzt zu machen.

[84] Achtzehnter Gesang

1.
Großmüt'ger Herr, gelobt zu allen Zeiten,
Euch lobt' ich, und ich lob' Euch noch mit Fug,
Wenn einen Teil von Euren Trefflichkeiten
Mein ungelenker Sang auch unterschlug.
Doch eine Tugend will als erste schreiten,
Die preisen Herz und Zunge nie genug:
Daß jeder hat Gehör zu allen Stunden,
Doch leichten Glauben nicht, bei Euch gefunden.
2.
Oft sucht Ihr, wenn man einen kommt verklagen,
Was für den Armen sprechen kann, hervor;
Bis er imstand, den Fall Euch vorzutragen,
Schließt ihr, zugunsten ihm, das eine Ohr;
Eh Ihr verurteilt, wollt Ihr ihn befragen
Nach Gründen, ihm ins Antlitz schaun zuvor;
Aufschub gewähren Tage, Monde, Jahre,
Eh einer durch das Urteil Leid erfahre:
3.
Hätte die Vorsicht Norandin verwendet,
Geschehen wäre nicht, was jetzt geschah.
Zu Ehr' und Ruhm hat alles Euch geendet,
Doch schwarz wie Pech er seinen Namen sah.
Sein Heervolk ward durch ihn zum Tod gesendet,
Weil mit zehn Hieben, Stichen Grifon ja
Voll Zorn und Grimm so raste um den Wagen,
Daß ihrer dreißig tot am Boden lagen.
[85] 4.
Entsetzt fliehn alle andern von der Stätte,
Hier-, dorthin, durch die Straßen und durchs Feld;
Ein jeder sucht, daß er zur Stadt sich rette;
Am Tor der eine übern andern fällt.
Grifon bleibt stumm, als ob kein Wort er hätte;
Allein das Mitleid bannend aus der Welt,
Läßt er das Schwert in Waffenlosen wühlen
Und mächt'ge Rache seinen Ingrimm kühlen.
5.
Ein Teil von denen, die am Tor erschienen
(Am Fuß mit flücht'ger Sohle wohlversehn),
Um mehr sich selbst als andrer Heil zu dienen,
Ließ rasch die Brücke in die Höhe gehn,
Ein Teil floh bleich und heulend fort von ihnen,
Ohne ein einzig Mal sich umzudrehn,
Und rings im Ort und unter allen Scharen
Groß das Geschrei und Lärm und Auflauf waren.
6.
Grifon packt zwei heraus von den Gesellen,
Vor denen man die Brücke höher zog,
Ließ einem gleich am Stein den Kopf zerschellen,
Daß das Gehirn rings auf den Boden flog,
Darauf den andern in die Höhe schnellen
Über die Mauer in das Volksgewog.
Das Mark gefror auf den Terrassen allen,
Als man den Menschen sah vom Himmel fallen.
7.
Über die Mauern sei der Held gesprungen,
So meinten viele, in die Stadt hinein;
Wäre der Sultan vor Damask gedrungen,
Nicht größer könnte die Verwirrung sein:
Ein Rennen, Waffenlärm, aus vollen Lungen
Vom Minarett der Rufer lautes Schrein,
Gemisch von Trommel- und Trompetenschallen,
Betäubend, läßt den Himmel widerhallen.
[86] 8.
Indes: ein andermal ich Euch berichte
Von dem, was hier sich weiter noch begab.
Jetzt führt zum König Karl uns die Geschichte:
Er ist auf Rodomonte hin im Trab –
Der macht ihm ja sein Bürgervolk zunichte –.
Ich sagt' Euch schon, daß ihm Geleite gab
Der große Däne, Naims mit Oliveren,
Avin, Avol, Otto und Berlingeren:
9.
Acht Lanzen, von der Kraft acht solcher Ritter
Zu gleicher Zeit auf jenen Mohr gekehrt!
Doch jeder Stoß, unschädlich weiter glitt er
Vom Schuppenpanzer, der die Brust bewehrt.
So wie das Schiff, wenn man beim Ungewitter
Das Raaseil nachläßt, rasch in Deckung fährt –
So schnell erhob sich wieder Rodomonte
Vom Stoß, davon ein Felsen stürzen konnte.
10.
Guido, Renier mit Salomon, Turpinen,
Huget und Ganelon, dem schlimmen Mann,
Mit Ivon, Angiolier und Angiolinen,
Mark und Matthäus von Sankt Michel dann,
Die acht auch, die genannt schon sind, mit ihnen,
Umringen all den wilden Muselman,
Auch Edward, Ariman, die erst gezogen
Von Engelland herbei durch Meereswogen.
11.
So knirscht nicht auf der Alpenhöhe droben
Des festgestützten Hauses Dach und Wand,
Wenn sich Südwest, sei's Boreas, erhoben
Und Esch' und Tanne reißt vom Bergesrand,
Wie jener stolze Mohr knirscht, der mit Toben
Nach Blute lechzt, von Grimm und Wut entbrannt:
Wie Blitz und Donner scheint dieselbe Sache,
So hier des Wilden Zorn und seine Rache.
[87] 12.
Man sah ihn auf das Haupt des Nächsten halten:
Ach, Hugo von Dordogne mußt' es sein!
Zur Erde sank er, bis zum Mund gespalten,
War auch sein Helm von gutem Stahl und fein.
Zu gleicher Zeit ihm selbst viel Streiche galten;
Man meint, er sei zerhauen kurz und klein:
's ist, was dem Amboß tut ein Nadelstechen;
Den Schuppendrachen kann ihm nichts zerbrechen.
13.
Verlassen steht die Stadt und stehn die Wälle,
Die Straßen rings herum sind öd und leer;
Nur auf den Marktplatz, weil an dieser Stelle
Jetzt Wichtigers im Gang ist, strömt man her.
Zum Marktplatz eilt der Schwarm: auf alle Fälle
Nützt ja zumeist das Fliehen wenig mehr.
Des Königs Gegenwart das Herz entzündet,
Daß jeder Waffen nimmt und Mut verkündet.
14.
Ward in der Löwin Käfig eingeschlossen –
Der alten, längst gewohnt der blut'gen Schlacht –
(Das Schauspiel wird ja gern vom Volk genossen)
Der wilde Stier, den nichts hat zahm gemacht –:
Verwirrt und furchtsam stehn die Löwensprossen
(Sie hatten niemals solcher Hörner acht),
Verwirrt und schüchtern bleiben sie beiseiten,
Wenn sie so stolz ihn sehn und brüllend schreiten;
15.
Stürzt aber wild die Mutter ihm entgegen
Und packt mit scharfem, grimmem Zahn sein Ohr,
Will auch in ihnen sich der Blutdurst regen,
Und kühn zur Hilfe kommen sie hervor;
Der beißt am Rücken, der am Bauch verwegen –
So macht's das Volk jetzt gegen jenen Mohr.
Aus Dach und Fenster regnet auf die Glieder
Ihm ein gewalt'ger Hagel Waffen nieder.
[88] 16.
Von Reitern und von Fußvolk ein Gedränge
Ohn' Ende schier; der Marktplatz faßt es nicht.
Aus allen Straßen kommt heran die Menge
Und wimmelt jetzt um ihn wie Bienen dicht.
Die Waffenlosen hinzumähn, gelänge
Leichter als Kohlstrünk' oder Rübenschicht;
Doch käm' er nicht zu End' in zwanzig Tagen,
Und wären die gleich aufgereiht in Lagen.
17.
Allmählich will das Spiel den Mohr verdrießen;
Er weiß nicht recht, was macht er wohl daraus?
Mag Blut von Tausenden am Boden fließen,
Nimmt doch nur wenig ab die Menge drauß.
Die Brust droht ihm den Atem zu verschließen,
Und er sieht ein: kommt er nicht jetzt hinaus,
Nun er gesund sich fühlt, voll Kraft des Lebens,
So ist es, wenn er später will, vergebens.
18.
Als ringsumher die Schreckensaugen dringen
Und finden, daß versperrt der Ausgang sei,
Denkt er ihn durch ein Blutbad zu erzwingen
Von tausend Leichen, und er macht ihn frei.
Er läßt das Schwert im Kreise wild sich schwingen
Und stürzt – o schaut! – in wilder Raserei
Hin, wo der neue Heereszug der Briten
Mit Edward kommt und Ariman geritten.
19.
Wer jemals aus den Schranken sah gebrochen,
Um die da wogt der Menschenmenge Well',
Unbänd'gen Stier, dem taglang man gestochen
Und blutig aufgerissen hat das Fell –
Wie dem und jenem er zermalmt die Knochen
Und die entsetzten Leute flüchten schnell:
Der hat wohl eine Ahnung von dem Grimme,
Mit dem daher der Heide stürzt, der schlimme.
[89] 20.
Fünfzehn bis zwanzig sind die Quer' gespalten;
Gleich vielen fliegt vom Halse Kopf und Hut;
Nur einen Hieb, sei's grad, sei's quer, erhalten
Sie stets, wie man's mit Weid' und Rebstock tut.
Hin über Köpf' und zuckende Gestalten
Trat dieser Wütrich, ganz bespritzt mit Blut,
Ließ einzle Glieder, Schultern, Schenkel, Hände,
Wo er erschienen war – und geht am Ende.
21.
Man sieht es klar, wie er vom Platze schreitet,
So ruhig stolz: es ficht ihn Furcht nicht an,
Wenn auch die Frage Schwierigkeit bereitet,
Wie er wohl heil hinaus gelangen kann.
Wo aus den Mauern fort die Seine gleitet
Hinunter nach der Insel, kommt er dann.
Krieger und Leute, die jetzt Mut sich fassen,
Verfolgen ihn, ohn' ihn in Ruh' zu lassen.
22.
Wie man Numidiens Hirsch sieht waldwärts ziehen,
Wenn auf das edle Tier wird Jagd gemacht,
Das seine hohe Art noch zeigt im Fliehen
Und ins Gebüsch tritt dräuend und bedacht –
Hat er, den man der Feigheit nie geziehen,
Des Eisenwalds, der ihn umgibt, nicht acht:
Durch aller Lanzen, Speere, Pfeile Mitten
Langsam ist er zum Fluß hinabgeschritten.
23.
Dreimal, vom Zorn gepeitscht, stieg er verwegen,
Als er schon draußen war, aufs neu hinauf,
Nochmals mit Blut zu färben seinen Degen,
Und hundert Mann erschlug er von dem Hauf.
Zuletzt ist der Vernunft die Wut erlegen
(Daß Frevel stinke nicht zu Gott hinauf):
Vom Ufer, bessern Rates sich besinnend,
Sprang er ins Wasser, der Gefahr entrinnend.
[90] 24.
Mit allen Waffen sprang er in die Wellen,
Als hab' er Blasen rings sich umgehängt.
Kannst, Afrika, zur Seit' ihm niemand stellen;
Antäus ist und Hannibal verdrängt!
Der Rettung Freude will ihm eins vergällen:
Daß er nicht gänzlich hat zerstört, versengt
Die Stadt, durch die er sich hindurchgeschlagen
Und die er hinten noch sieht aufrecht ragen.
25.
So hielt der Zorn, der Hochmut ihn gefangen,
Daß umzukehren im Begriff er war;
Mit Seufzern stand er da, mit schweren, langen;
Die Stadt wollt' er vertilgen ganz und gar.
Doch jemand kam den Fluß entlang gegangen,
Und alles Zorns und Hasses ward er bar.
Gleich sollt Ihr hören, wer da kam zum Helden;
Allein zuvor muß ich noch andres melden.
26.
Ich habe von der Zwietracht Euch zu künden:
Sankt Michael gab dieser an die Hand,
Zu Kampf und wildem Streite zu entzünden
Die Stärksten in dem Heer des Agramant.
Sie ließ die Brüder abends ihren Sünden;
Ein andrer schon an ihrer Stelle stand:
Der Trug, daß er statt ihrer Zwist beschere
Und Feuer schüre, bis sie wiederkehre.
27.
Ihr schien, daß es die Sache recht verstärke,
Wär' ihr der Hochmut zugesellt; und der
War ja mit ihr in gleicher Zell' am Werke,
Ihn aufzutreiben fiel darum nicht schwer.
Der Hochmut kommt, doch daß es keiner merke,
Sorgt für Vertretung in dem Stift auch er:
Zurück zu sein dacht' er in aller Schnelle
Und ließ die Heuchelei an seiner Stelle.
[91] 28.
Zwietracht, die nie versöhnte, jetzt verbunden
Mit Hochmut, hat sich auf den Weg gemacht
Und auf demselben Wege noch gefunden,
Gleichfalls zum Mohrenheer zu gehn bedacht,
Die Eifersucht, trostlos zu allen Stunden;
Ein Zwerglein schritt an ihrer Seite sacht;
Dies sandte Doralis, Nachricht zu bringen
An Rodomont von den geschehnen Dingen.
29.
Als sie geriet in Mandrikardens Hände
(Ich hab' Euch schon erzählt das Wo und Wie),
Gebot sie leise, jener Bote wende
Sich an den König; sicher hoffte sie,
Daß sie die Nachricht nicht vergebens sende;
Mit all der Kraft, die ihm Natur verlieh,
Werd' er sie rächen und zurückerlangen
Vom bösen Räuber, der sie abgefangen.
30.
Die Eifersucht traf's Zwerglein auf den Wegen,
Und als sie seines Kommens Grund erfuhr,
Beschloß sie, die Gesellschaft gleich zu pflegen,
Denn nützen konnte ja der Fall ihr nur.
Die Eifersucht zu finden, kam gelegen
Der Zwietracht, und zumal, als sie die Spur
Des Reisezwecks erspähte: Fördrung leisten
Konnt' ihren Zielen Eifersucht am meisten.
31.
Daß Rodomont und Mandrikard sich hassen,
Dafür scheint alles trefflich angetan;
Für andre wird sich andres finden lassen,
Für jene zwei geht's gut auf dieser Bahn.
Der Stadt, wo sie des Heiden Klauen fassen,
Beginnen sie mit ihrem Zwerg zu nahn
Und sind gerad am Ufer angekommen,
Als dieser Wütrich hat den Fluß durchschwommen.
[92] 32.
Wie Rodomont den Zwerg erkennt, den alten,
Erlischt (er naht ja als ihr Bote hier)
Sein großer Zorn, es glätten sich die Falten,
Sein Herz ist wie von Freud' erleuchtet schier.
Für möglich würd' er alles andre halten –
Allein – ein Mensch vergriffe sich an ihr?
Er kommt zum Zwerg, fragt heiter: »Nun, wie steht es
Mit unsrer Herrin denn? Und wohin geht es?«
33.
»Nicht Herrin nenn' ich«, sprach das Zwerglein bitter,
»Von dir und mir, die andrem dienen muß.
's war einer gestern, und des Weges ritt er,
Der nahm sie fort; ihm folgen mußt' ihr Fuß.«
Bei diesem Wort trat Eifersucht zum Ritter
Und gab ihm, kalt wie Nattern, ihren Kuß.
Der Zwerg erzählte, wie sie fiel als Beute
Dem einen, der ihr tötete die Leute.
34.
Die Zwietracht nahm den Stahl jetzt in die Hände
Und Feuerstein und schlug sie aneinand;
Hochmut hielt rasch daran des Zunders Ende,
Und augenblicklich gab es hellen Brand:
Des Mohren Seel' ergriff die Glut behende,
Daß er beinahe keinen Atem fand.
Er knirscht und stöhnt mit schrecklicher Gebärde
Und droht dem ganzen Himmel und der Erde.
35.
So wie die Tigrin, die sich eingefunden
Im leeren Höhlenraum und sucht und rennt
Und ihre lieben Jungen sieht verschwunden
Und plötzlich fürchterlich von Zorn entbrennt
Und rast und tobt in wilden Schmerzes Wunden
Und nicht durch Strom und Dunkel Hemmung kennt –
Kein langer Weg, kein Hagelschauer zügelt
Den Haß, der hinterm Räuber sie beflügelt –,
[93] 36.
So tobt der wilde Mohr, um dann zu sagen,
Zum Zwerg gekehrt: »Du sei in kurzem dort!«
Er wartet nicht auf Renner oder Wagen
Und gönnet der Gesellschaft nicht ein Wort.
Schnell, wie die Eidechs an Gewittertagen
Huscht übern Weg, so schleunig eilt er fort.
Ihm fehlt ein Pferd; das erste will er nehmen
Von allen, die da zu Gesicht ihm kämen.
37.
Die Zwietracht sah's in seines Herzens Falten
Und blickte lachend nach dem Hochmut hin:
Er solle, sprach sie, schon ein Pferd erhalten,
Das bringe eines neuen Streits Gewinn.
Sie wollte sich die Gegend frei erhalten:
Es zeige sich kein andres Roß darin.
Schon ist ihr Aug' auf solch ein Pferd gerichtet;
Doch laß ich sie: von Karl wird jetzt berichtet.
38.
Er schickt, als ausgelöscht die Gluten drinnen,
Sobald von dannen ging der Sarazen,
All seine Scharen wohlgereiht von hinnen
(Ein Teil nur bleibt an schwachen Punkten stehn).
Schach will er bieten und das Spiel gewinnen
Und läßt mit Macht die Seinen vorwärts gehn:
Nach jedem Ausgang sendet er ein Korps hin,
Von Sankt Germans bis nach Sankt Viktors Tor hin:
39.
Man solle warten dort vor Sankt Marcellen,
Wo sich die Ebne dehnet weit und breit,
Und sich zu einem Heer zusammenstellen,
Vereinigt allesamt zum großen Streit,
Und sich zu einem Morden dann gesellen,
Des man gedenke noch in fernster Zeit.
Er heißt die Banner in den Reihen heben
Und zum Beginn der Schlacht das Zeichen geben.
[94] 40.
Auf neuen Renner war schon aufgesessen,
Dem Christenheer zum Trotz, Herr Agramant:
Er hielt in scharfem, grimmem Strauß indessen
Dem Bräutigam der Isabella stand.
Mit Fürst Sobrin hat sich Lurcan gemessen;
Ein ganzer Schwarm kam auf Rinald gerannt,
Der sie durch Mut und weil das Glück ihm lachte,
Traf, niederhieb, durchstach, zum Fliehen brachte.
41.
Derweil sie hier so miteinander stritten,
Griff Kaiser Karl des Nachtrabs Truppen an,
Wo mit Marsilius' Fahne kam geritten
Der span'schen Kämpfer auserlesner Bann.
Zur Seite Reiter, Fußvolk in der Mitten,
Führt Kaiser Karl sein Heldenvolk heran:
Trommeln, Drommeten solchen Lärm erheben,
Man meint schier, daß der Erde Fugen beben.
42.
Allmählich fingen an zurückzugehen
Der Heiden Scharen, und sie wären schon,
Sich dann geschlagen und zersprengt zu sehen,
In völliger Vernichtung, wohl geflohn –
Doch Schlimmres wußten Männer zu bestehen:
Es kamen jetzt Grandon und Falsiron
Und Balugant und Serpentin, der grimme,
Und Ferragu, der rief mit lauter Stimme:
43.
»O tapfre Brüder, wollet euch besinnen!
Genossen, haltet eure Stellung ein!
Es gleicht der Feinde Tun dem Werk der Spinnen,
Stehn, treu der Pflicht, wir fest in unsern Reihn.
Der Ehre denkt und was uns zu gewinnen
Das Glück vergönnt und heut muß unser sein!
Denkt, wie wir Schmach und ungeheuren Schaden,
Wenn wir dem Feind erliegen, auf uns laden.«
[95] 44.
Auf Berlingier nun kommt er angeritten
Mit großer Lanze, die man ihm gebracht:
Der hat gerad mit Argaliff gestritten,
Und diesem war der Helm bereits zerkracht:
Zu Boden sank er; gleiches Los erlitten
Mit ihm durch Berlingier wohl gegen acht;
Gesichert schien es, daß bei jedem Hiebe
Ein Heidenritter auf der Erde bliebe.
45.
Derweil hat umgebracht Rinald, der Degen,
So viele, daß ich nicht sie zählen kann.
Geschlossen steht ihm keine Reih' entgegen,
Man macht ihm schleunigst Platz, kommt er heran.
Zerbin, Lurcan sind ebenso verwegen,
Und ihren Ruhm verkündet jedermann:
Der warf gerad Balaster zu den Toten,
Und der hat Finadur den Helm zerschroten.
46.
Der eine Fürst kam mit Alzerbes Heere,
An dessen Spitze jüngst Tardokko stand;
Der andre leitete Marokkos Wehre
Und die vom Zamor- und vom Saffiland.
»Und bei den vielen Afrikanern wäre
Kein Held mit speer- und schwerteskund'ger Hand?«
Mögt Ihr wohl sagen? – Aber sachte, sachte!
Ich lasse keinen, der verdient sich machte.
47.
Zumaras König bleibe unvergessen,
Der edle Dardinel, Sohn des Almont
(Er ließ von Mirford Hubert Erde essen),
Claudius vom Busch, Eli, Dulfin von Mont;
Durch dessen Schwert ist Anselm abgesessen
Von Stanford, Raimund auch und Pinamont
Von London – alle wirft er nieder;
Betäubt zwei, tötet vier, bricht einem Glieder.
[96] 48.
Doch ob er selbst ein Held ganz ohnegleichen,
Nicht halten konnt' er seine Schar allein:
Sie müssen mählich vor den Unsern weichen,
Die tapfrer sind, ist ihre Zahl auch klein,
Geübt in Lanzenstoß und Schwerterstreichen
Und was zum Kampfe sonst mag nötig sein.
Es flieht das Mohrenvolk, das von Zumara,
Von Setta, von Marokko und Canara.
49.
Am meisten fliehn die Leute von Alzerbe;
Dagegen stemmt der Jüngling sich mit Macht;
Er hat durch flehnde Worte und durch herbe
Den Mut aufs neu in ihrer Brust entfacht:
»Hat Almont es verdient, daß sich vererbe
Sein Nam' auf euch, sei's kenntlich jetzt gemacht!
Ich will doch«, sprach er, »sehn, ob seine Scharen
Mich, seinen Sohn, hier lassen in Gefahren.
50.
Steht, fleh' ich, steht! Bei meiner Jahre Blüte,
Darauf ihr voller Hoffnung habt vertraut:
Daß nicht in euch des Schwertes Schärfe wüte,
Bis keiner unsres Stamms die Heimat schaut!
Stehn wir nicht eng vereint, fest im Gemüte,
Sind überall die Straßen uns verbaut.
Zu hohe Mauer und zu breiten Graben
Würde an Berg und Meer die Rückkehr haben.
51.
Viel lieber sterben doch, als sich ergeben
Der Christenhunde Willkür oder Qual!
Ein Mittel gibt es, alle Qual zu heben:
Steht fest, um Gott, ihr Freunde, fest wie Stahl!
Hat jeder Feind doch nur ein einzig Leben,
Wie wir, zwei Händ' und einen Geist zumal!«
Anfeuernd so zum Kampf die schwanken Glieder,
Streckt er von Otonley den Grafen nieder.
[97] 52.
Und siehe, das Gedächtnis Almonts schürte
So heiße Glut dem fluchtbereiten Heer,
Daß jeder Arm und jede Hand sich rührte:
Den Rücken bot dem Feinde keiner mehr.
Als längster Mann das Heer von England führte
Wilhelm von Burnich; diesen kürzte sehr
Jetzt Dardinel, um Aramon dem Alten
Von Cornwall gleich darauf das Haupt zu spalten.
53.
Zusammen war Herr Aramon gebrochen,
Als ihm zu Hilf' eilt' seiner Mutter Kind.
Doch Dardinel durchhaut ihm Fleisch und Knochen,
Bis wo des Magens Gabelung beginnt.
Buco von Vergall wird der Leib durchstochen,
Und alle Schulden ihm erlassen sind:
Er hatte Heimkehr seiner Frau versprochen,
Als Lebender, in fünfundzwanzig Wochen.
54.
Nun mußte Dardinel Lurcan erschauen:
Der stach Herrn Dorkin in den Hals hinein,
Hatt' auch dem Ritter Gard den Kopf durchhauen,
Hinunter tief bis auf das Zahngebein.
Altäus wollt' entfliehen voller Grauen,
Dem Jüngling teuer wie das eigne Sein;
Allein auch diesen hat Lurcan erschlagen
Mit mächt'gem Hiebe durch den Panzerkragen.
55.
Den Speer faßt Dardinel: falls ihm gelinge,
Schwört er dem Mahom (wenn es der vernimmt),
Daß er den Gegner tot zu Boden bringe,
Sei dessen Rüstung der Moschee bestimmt.
Er sprengt durchs Feld: mit Kräften nicht geringe
Stößt er den Ritter in die Seit' ergrimmt,
Und aus dem Leibe ragt des Speeres Ende;
Die Leiche plündern seiner Leute Hände.
[98] 56.
Nun braucht Ihr eines wirklich nicht zu fragen:
War traurig wohl der Bruder Ariodant?
Verlangt es ihn, den Mörder hinzujagen,
Wo der Verdammten Rotte sich befand?
Doch konnt' er nicht dem andern an den Kragen;
Zu dicht war dort der Kämpfer Scheidewand,
Sucht er auch mit dem Schwert, um sich zu rächen,
Bald hier, bald dort sich einen Weg zu brechen.
57.
Und rings mit Hieben, Stichen hinzumähen,
Wer immer nur sich in den Weg ihm stellt.
Gern möcht' ihn Dardinel als Gegner sehen;
Denn wohl versteht, was jener meint, der Held.
Doch weil zu viele zwischen ihnen stehen,
So wird den beiden ihre Lust vergällt.
Wenn viele Mohren dem den Tod verdanken,
Schlägt dieser Schotten, Engelländer, Franken.
58.
Das Schicksal ließ sie niemals sich vereinen;
Sie kamen nicht zusammen diesen Tag:
Berühmtrer Hand bestimmt es ja den einen,
Kein Mensch entging noch des Geschickes Schlag.
Da sieht man – schaut! – Rinald des Wegs erscheinen,
So daß den einen nichts mehr schützen mag;
Rinald erscheint –: das Glück vergönnt dem Degen
Die Ehre, jenen Jüngling zu erlegen.
59.
Doch lassen wir, was Rühmliches geschehen
An Heldentaten dort im Abendland:
Zeit ist's, nach Grifon jetzt uns umzusehen,
Der Dinge tat, von Zorn und Grimm entbrannt,
Daß dort die Leut' in ärgrem Schrecken stehen
Als je und angstvoll laufen durch das Land.
Auch Norandin, der Fürst, vernahm das Lärmen
Und kam herbei mit tausend Mann in Schwärmen.
[99] 60.
Als Norandin, die Heeresmacht zur Seite,
All jenes Volk sah fliehen Hauf um Hauf,
Zum Tore führt er sie, gereiht zum Streite;
Bei seinem Nahen machte man ihm auf.
Grifon inzwischen, der schon in die Weite
Gejagt das dumme Volk in tollem Lauf,
Muß noch einmal die schmachbedeckten Waffen,
Wie sie sich bieten, von dem Boden raffen.
61.
Vor einem Tempel, fest und stark gelegen,
Um den ringsum ein tiefer Graben war,
Auf einem Brücklein Stellung nahm der Degen:
Uneingeschlossen blieb er so fürwahr.
Sieh da! Mit drohndem Schrei sprengt ihm entgegen
Zum Tor heraus gewalt'ge Reiterschar.
Der tapfre Held ist unbewegt zu schauen,
Und vor dem Angriff scheint ihm nicht zu grauen.
62.
Als er den Kriegerhauf sah näherrücken,
Ging er des Weges eine Streck' entlang,
Und eine Menge hieb er gleich in Stücken,
Da er sein Schwert mit beiden Händen schwang,
Zog sich zurück dann; auf der engen Brücken
Gönnt er sich Ruhe, doch nicht allzulang.
Aufs neue fällt er aus und wendet wieder
Und läßt als grausig Merkmal blut'ge Glieder.
63.
Er haut gerad und quer: zur Erde sendet
Fußvolk und Reiter dieses Kämpfers Mut.
Das ganze Volk ist gegen ihn gewendet,
Und immer wilder wird die Kampfeswut.
Der Strom verschlingt ihn, bald ist's nun beendet,
Fühlt er: so wächst um ihn die Meeresflut;
Am Schenkel, an der Schulter hat er Wunden,
Und fast ist ihm der Atem schon geschwunden.
[100] 64.
Doch Tüchtigkeit kommt oft dem Mann zugute:
Sie mahnte zur Verzeihung Norandin.
Er naht und sieht die Kriegerschar im Blute,
Sieht auch die vielen Toten dort um ihn;
Die Wunden zeugten all von Kraft und Mute;
Von Hektor jede, traun, geschlagen schien;
Ein Zeichen, daß man sehr mit Unrecht bitter
Gekränkt hat einen auserlesnen Ritter.
65.
Nun kam der Held ihm näher zu Gesichte,
Der vor dem Berg von blut'gen Leichen stand
Und jene Kriegerschar gemacht zunichte,
Das Wasser rötend und den Grabenrand; –
Da meint' er, vor ihm steh' im Sonnenlichte
Horatius gegen alles Tuskerland:
Voll Reu' und Scham gebot er Einhalt allen;
Es schien den Kriegern gar nicht zu mißfallen.
66.
Die nackte Rechte sah man ihn erheben,
Des Friedens Zeichen und der Freundlichkeit:
»Ich muß mir selber«, sprach er, »Unrecht geben
Und offen dir gestehn, es tut mir leid.
Aufreizen ließ ich mich von andern eben;
Mein Fehler war die Unbesonnenheit.
Was ich an schlechtem Mann zu tun gedachte,
Am alleredelsten ich so vollbrachte.
67.
Mag auch den Schimpf (man ließ ihn dir bezeigen
Unwissentlich und in Verblendung hier)
Ausgleichen – ja, vielmehr noch übersteigen
Die Ehre, die du selbst errangst, soll dir
Nach Wissen und nach Kräften, die mir eigen,
Genugtuung geschehen auch von mir,
Wenn ich vermag den Fehler gutzumachen
Durch Städte, Schlösser oder Goldessachen.
[101] 68.
Verlange du die Hälfte meiner Lande,
So ist sie noch am heut'gen Tage dein!
Mich selber schlug dein hoher Wert in Bande,
Drum schenk' ich dir mein Herz noch obendrein.
Gib mir die Hand derweil zum Unterpfande,
Daß ew'ge Lieb' und Treue dein und mein!«
So sprechend steigt er ab und streckt dem Degen
Die königliche rechte Hand entgegen.
69.
Als Grifon gütig sah den Hochgemuten
Zum Gruße kommen voller Herzlichkeit,
Ließ er sein Schwert und seines Grolles Gluten
Und küßt ihn ehrerbietig auf das Kleid.
Der König sieht ihn aus zwei Wunden bluten,
Ruft einen, der da heilt mit Sicherheit,
Und läßt ihn tragen sanft der Stadt entgegen,
Im Königsschlosse dort der Ruh' zu pflegen.
70.
Hier mußt' er ein paar Tage lang verweilen,
Bis er die Kräfte, sich zu wappnen, fand.
Ich laß ihn, ins gelobte Land zu eilen
Zu Astolf und zum Bruder Aquilant.
Nach Grifon hatten sie gesucht derweilen,
Seit aus den heil'gen Mauern er verschwand,
An jeder Stätte, Frömmigkeit geweihter,
Auch außerhalb Jerusalems und weiter.
71.
Wie sehr sich beide drob den Kopf zerbrechen,
Kein Schlüssel bietet sich des Rätsels dar,
Bis sie den Pilgrim, jenen Griechen, sprechen;
Er gab Bescheid wie ein Spion fürwahr,
Daß Orrigill durch Syriens sand'ge Flächen
Nach Antiochien auf der Reise war,
Weil eine neue Liebe sie entflammte
Zu einem, der dort aus der Gegend stammte.
[102] 72.
Ob er vielleicht an Grifon dies zu künden
Den Anlaß fand, befragt' ihn Aquilant.
Als der's bejahte, konnte man ergründen,
Aus welchem Grund er also rasch verschwand.
Er ließ von Liebessehnsucht sich entzünden
Und folgte jener nach dem Syrerland,
Um ihres Buhlen Hand sie zu entwinden:
Und grimme Strafe für den Kerl zu finden.
73.
Nicht soll allein der liebe Bruder stehen,
Sprach Aquilant bei sich, in diesem Strauß:
Er nimmt die Waffen, um ihm nachzugehen.
Vorher bedang er sich von Astolf aus,
Frankreich und England früher nicht zu sehen,
Als bis er aus dem Syrerland heraus.
Er geht zu Schiff in Joppe, weil ihn besser
Und kürzer dünkt der Weg durchs Meergewässer.
74.
Es scheint, der Wind – Südost – will für ihn sorgen,
Weil er so kräftig und so günstig weht,
Daß man das Land von Sur am nächsten Morgen
Erblicken kann und bald darauf Sarphet;
Dann Bairut, Zibelett. Es bleibt verborgen
Die Insel Zypern, die zur Linken steht.
Tortosa, Tripolis und Lizza kommen;
Dann ist das Schiff zum Lajazz-Golf geschwommen.
75.
Nun läßt der Schiffer gegen Osten gleiten
Des flinken Kieles leichtbeschwingten Lauf,
Auf dem Orontes ihn stromauf zu leiten,
Und, wohl berechnend, fährt er dort hinauf.
Die Landung heißt nun Aquilant bereiten
Und macht gewappnet mit dem Roß sich auf.
Den graden Weg stromauf hat er erkoren,
Folgt ihm und kommt zu Antiochiens Toren.
[103] 76.
Jetzt gilt es, den Martan noch zu erfragen:
Mit Orrigill zog nach Damask er fort.
So hört er auch, daß in den nächsten Tagen
Der Fürst beginn' ein festlich Kampfspiel dort.
Sicher, daß dieser Weg ward eingeschlagen,
Ging er ihm gerne nach an jenen Ort:
Am gleichen Tag sah ihn Antiochien scheiden,
Doch dieses Mal den Weg zur See vermeiden.
77.
Lydia, Larissa strebt er jetzt entgegen,
Aleppos Schatz lag oberhalb der Bahn.
Gott ließ, zu zeigen, daß den guten Wegen
Lohn wird und bösen hier schon Strafen nahn,
Den Kerl in jener Gegend sich bewegen:
Unweit Mamuga ritt der Herr Martan.
Und vor ihm her in prahlerischer Weise
Trugen die Diener des Turnieres Preise.
78.
Beim ersten Anblick meinte Aquilante,
Der Bruder sei es, weil er an Martan
Die weiße Rüstung Grifons gleich erkannte,
Mit der kein Glanz des Schnees sich messen kann.
Mit einem »O!«, das Jubel hell entsandte,
Begann er, um nach kurzer Weile dann
Ganz andern Ton zu zeigen, andre Brauen,
Als seine Augen jenen Menschen schauen.
79.
Durch den und durch die Frau zu seiner Seiten
Sei Grifon, wähnt er, wohl ein Leid geschehn,
Und ruft: »Du Urbild aller Schändlichkeiten,
Dieb und Verräter, willst du wohl gestehn:
Wie kannst du meines Bruders Renner reiten?
Wie läßt du dich in seiner Rüstung sehn?
Lebt noch mein Bruder? Sprich, ist er gestorben?
Wie hast du Roß und Rüstung dir erworben?«
[104] 80.
Das Weib hört seine zorn'ge Stimme klingen
Und wendet ihren Zelter, um zu fliehn;
Doch Aquilant weiß sie zum Stehn zu bringen,
Ob gern sie bleibe, ob mit trüber Mien'.
Und wie zum Ohr Martans die Rufe dringen
Des Ritters, der so unversehns erschien,
Bebt er, wie Laub im Wind, an allen Gliedern
Und weiß nicht, was er tun soll, was erwidern.
81.
Laut wettert Aquilant und schreit auf beide,
Das Schwert dabei vor Gurgel und Gesicht,
Und droht, daß er den Kopf vom Rumpfe schneide
Ihm und der andern auch, sobald er nicht
Den Fall enthülle, jeden Trug vermeide.
Nun schluckt ein Weilchen noch der arme Wicht
Und sinnt im stillen, wie er sein Verbrechen
Beschönige, um schließlich so zu sprechen:
82.
»Herr, dies ist meine Schwester! Von geehrten
Und tugendhaften Leuten stammt sie ab;
Ob auch ihr sittsam Leben dann verkehrten
Die bösen Lehren, die ihr Grifon gab.
Da diese Schändlichkeiten mich beschwerten
Und ich im Körper nicht die Kräfte hab',
Um mit Gewalt sie jenem zu entreißen,
Mußt' ich der List und Schlauheit mich befleißen.
83.
Ich machte mit ihr aus (denn zu dem braven
Dasein zurückzugehn, war sie bedacht),
Sie solle heimlich, ging Herr Grifon schlafen,
Von ihm entweichen, fliehn mit aller Macht.
Sie tat es; daß er uns nicht könne strafen,
Den Plan vereitelnd, den wir ausgedacht,
Haben wir Roß und Waffen ihm genommen
Und sind, wie du nun siehst, hierher gekommen.«
[105] 84.
Mit großer Schlauheit hatt' er sich gebettet:
Man hätt' ihm leicht geglaubt auf diese Art;
Er hätte Roß und Rüstung bloß verwettet
Und alles andre Unheil sich erspart;
Allein der Trug war allzu fein geglättet,
Daß er zu einer schlimmen Lüge ward:
Trefflich war alles sonst, bis auf die Märe,
Daß jene Dirne seine Schwester wäre.
85.
Der Held hatt' in Antiochien schon lange
Gehört, daß sie des Menschen Buhle sei;
Drum schrie er jetzt, in heller Wut: »Du Range!
Du lügst, du falscher Dieb, 's ist Flunkerei!«
Es klatscht' ein Schlag auf des Halunken Wange
Und jagt' ihm in den Schlund der Zähne zwei,
Dann auf den Rücken band ihm beide Hände
Der Ritter, ohne daß er Sträuben fände.
86.
Was Orrigill auch sagt, daß sie sich rette,
Durch Aquilant wird ihr das gleiche Los.
Er schleppt sie mit durch Schlösser und durch Städte
Und läßt sie bis Damaskus hin nicht los.
Tausend und aber tausend Meilen hätte
Er sie geschleppt mit Pein und Qualen groß,
Bis er sie zu dem Bruder bring' am Ende:
Der könne schalten, wie er's passend fände.
87.
Zur Stadt zurück nun auch die Knappen kamen
Sowie das Zugvieh, das die Preise trug.
Gefeiert fand er seines Grifon Namen:
Durchs ganze Land hin nahm sein Ruhm den Flug;
Es wußten's groß und klein und Herrn und Damen:
Er war's, der so gewalt'ge Hiebe schlug
Und den ein falscher Mann durch arge Lügen
Wollt' um des Kampfspiels Ruhmeskranz betrügen.
[106] 88.
Verachtung folgt Martan; die Leute schmähen,
Zeigen den Feigling mit den Fingern sich:
»Läßt dort nicht«, rufen sie, »der Kerl sich sehen,
Der Lob für eines andern Tat erschlich?
Die Tugend, die versäumt sich vorzusehen,
Mit eigner Schmach bedeckt hat freventlich?
Und dort die Undankbare, die den Rechten
Verrät, den Helden, beizustehn dem Schlechten?«
89.
Und andre: »Seht, wie sie zusammenpassen!
Vom gleichen Stempel und an Rasse gleich!«
Der flucht und knirscht: »Man soll sie pfählen lassen!«
Der schreit: »Auf, prügelt, haut sie windelweich!«
Das Volk läuft nach dem Markt und auf die Straßen
Und stößt und drängt sich hin in ihr Bereich.
Der König hört die Nachricht so zufrieden,
Als ob ein neues Reich ihm sei beschieden.
90.
Ohne sich erst mit Knappen zu umgeben,
So wie er ist, hat er sich aufgemacht,
Zu Aquilant sich eilig zu begeben,
Der seinem Grifon Rache hat gebracht,
Und ihn mit Lob und Ehren zu erheben;
Er nimmt ihn auf in seines Schlosses Pracht,
Derweil mit seinem Willen jene beiden
In Turmes Grund Gefangenschaft erleiden.
91.
Zusammen gehn sie zu dem Bett mit Bangen,
Von dem der wunde Held noch nicht erstand.
Ihm röten sich vor Aquilant die Wangen;
Er ahnt, des Handels Grund ist ihm bekannt.
Nachdem der ins Gericht mit ihm gegangen
Gelind, beraten beide miteinand,
Wie jene zwei in ihrer Gegner Händen
Am besten wohl gerechte Strafe fänden.
[107] 92.
Der Fürst mit Aquilant will, Qualen leiden
Soll dieses Paar, und Grifon nur sagt nein:
Man möge doch verzeihen allen beiden
(Er darf nicht sagen »Orrigill allein«),
Und weiß die Gründe trefflich einzukleiden.
Man widerspricht; und kommt dann überein,
Martan dem Henker in die Hand zu geben,
Der stäup' ihn gründlich, aber lass' ihn leben.
93.
Man band ihn (aber nicht »auf Blumenauen«)
Am andern Tag, worauf gestäupt er ward.
Gefangen bleibt die schlechteste der Frauen,
Bis heim Lucina kehrt von ihrer Fahrt.
Man will das Urteil ihrem Mund vertrauen,
Ob es nun mild sei, ob von strenger Art.
Und Aquilante blieb und Ruh' sich gönnte,
Bis Grifon wieder Waffen führen könnte.
94.
Fürst Norandin stieg aus des Irrtums Fluten
Als weiser Mann, besonnen wundersam.
Bei dem Gedanken will das Herz ihm bluten,
Erfüllt von Reue, Schmerz und grimmer Scham,
Daß er hat Schmach gehäuft auf einen Guten;
Von neuem schuf es Kummer ihm und Gram.
Des Nachts im Bett beschäftigt ihn die Sache,
Wie er den Helden ganz zufrieden mache.
95.
Und er beschloß, vor jenem Stadtvolk eben,
Das da die Schuld an solchem Unrecht trug,
Mit aller Ehre, wie sie nur erleben
Ein Held durch einen König kann mit Fug,
Nachträglich ihm den Siegespreis zu geben,
Den jener schlaue Gauner unterschlug:
In einem Monat, ließ durchs Land er melden,
Lad' er zu neuem Kampfspiel ein die Helden.
[108] 96.
So festlich rüstet man zu diesen Dingen,
Wie es vermögen Königsprunk und -pracht:
Die Kunde hat auf Famas raschen Schwingen
Den Weg durchs ganze Syrerland gemacht,
Weiß dann nach Palästina vorzudringen,
Und wird zuletzt vor Astolfs Ohr gebracht.
Er und der Vizekönig, sie beschließen:
Es soll nicht ohne sie das Fest verfließen.
97.
Oft wird als Krieger hochberühmt und weise
Von der Historia Samsonet genannt.
Ihn taufte Roland, Karl gab ihm zum Preise
(Schon sagt' ich's) Herrschaft übers Heil'ge Land.
Das Paar macht nach der Stadt sich auf die Reise,
Davon des Ruhmes Lied tönt unverwandt,
So daß ringsum schon alle Ohren klingen
Von dem Turnier und seinen Wunderdingen.
98.
Gemächlich, langsam, um sich recht zu pflegen,
Ziehn sie Damaskus zu, ins Land hinein,
Mit kurzen Strecken, auf bequemen Wegen,
Es gilt ja, am Turniertag frisch zu sein.
An einem Kreuzweg kommt dem Paar entgegen
Ein Wesen; männlich ist es nach dem Schein,
Nach Tracht und Haltung; doch in Wahrheit weiblich,
Im Kampf von einer Kühnheit unbeschreiblich.
99.
Jungfrau Marfisa (wie sie sich benannte)
War stark, wenn vor ein Waffenwerk gestellt,
Daß oft die Stirne Rolands Schweiß entsandte,
Und keuchend stand von Montalban der Held.
Bei Tag und auch bei Nacht gewappnet, wandte
Sie sich von Ort zu Ort, durch Wald und Feld,
Mit jedem fahrnden Ritter anzubinden
Und Ruhm, unsterblichen, für sich zu finden.
[109] 100.
Als Astolf nun und Samsonet erscheinen
Und sie die reiten sieht so wohlbewehrt,
Hochragend, stark an Brust und Arm und Beinen,
Hält sie die beiden gleich für Kämpen wert,
Sie wäre flugs darüber gern im reinen
Und hat den Renner gegen sie gekehrt;
Doch wie sie näher zu dem Paar sich wandte,
Geschah es, daß sie Astolf dort erkannte.
101.
Sie denkt der Zeit, als in Katai sie waren
(Wie dient' er ritterlich und eifrig ihr!),
Läßt nicht den Handschuh mehr die Hand verwahren
Und ruft ihn an mit offenem Visier,
Umarmt ihn dann mit freudigem Gebaren,
Sie, die so stolz sonst und unnahbar schier,
Worauf er voller Ehrfurcht sich verneigte
Und alle Huldigung der Dam' erzeigte.
102.
»Wohin des Wegs?« fragt man einand am Ende,
Und Herzog Astolf gibt zuerst Bescheid
Und sagt, daß er sich nach Damaskus wende,
Wohin der König für die nächste Zeit
Mutige Herzen lad' und starke Hände,
Dort zu bewähren rechte Tapferkeit.
Marfisa spricht, die stets zur Tat Bereite,
»Ich gebe zum Turnier euch das Geleite.«
103.
Erfreut war Astolf, Samsonet desgleichen,
Ob solcher Kampfgenossin ungemein.
Am Tag vorm Feste sind sie da, erreichen
Damask und kehren in der Vorstadt ein,
Wo sie, bis Eos aus dem Schlaf, dem weichen,
Den Alten weckt, der einst ihr lieb allein,
Mit mehr Behagen sich in Ruhe wiegen,
Als wären sie im Schlosse abgestiegen.
[110] 104.
Und als vom jungen Morgen allen Dingen
Mit lichtem Strahl ward neuer Glanz gebracht,
Die Krieger und die Maid sich waffnen gingen.
Derweil stehn Boten in der Stadt auf Wacht,
Die ihnen, als es Zeit ist, Kunde bringen,
Es sei, zu schaun, wie Esch und Buche kracht,
Fürst Norandin an jenem Platz erschienen,
Der für das Spiel zum Schauplatz solle dienen.
105.
Sie brechen augenblicklich auf und gehen
Zur Hauptstraß' und zum großen Platze hin,
Wo hier und dort die Krieger wartend stehen,
Des Zeichens harrend, all von hohem Sinn:
Die Siegespreise für den Tag bestehen
In Schwert und Kloben, mit viel Steinen drin,
Gar reich verziert; ein schönes Roß daneben,
Würdig des hohen Herrn, der es gegeben.
106.
Dem König will es ausgemacht erscheinen,
Daß, wie der erste, so der zweite Preis
Und beider Spiele höchste Ehr' an einen,
An Grifon, fällt, den Rittersmann in Weiß.
Zu spenden, was zur Wehr sich mag vereinen
Und was ein guter Held zu brauchen weiß,
Hat er dem letzten Preis noch zugeschoben
Das auserlesne Pferd und Schwert und Kloben.
107.
Die schon fürs frühre Spiel bestimmten Waffen
(Grifon zu Recht gehörten sie fürwahr),
Die mit Betrug Martan sich zu erraffen
Verstand, der sich als Grifon stellte dar,
Ließ Norandin vor aller Augen schaffen;
Das schöne Schwert darumgeschlungen war;
Den Kloben sieht man an dem Sattel hangen –
All diese Preise soll der Held erlangen.
[111] 108.
Wenn diese schönen Pläne sämtlich scheitern,
So lag es in der kühnen Kriegrin Hand,
Die, eben angelangt mit den zwei Reitern,
Dort auf dem Platz für die Turniere stand.
Als sie die Rüstung sah vor allen Streitern,
Ward diese gleich von ihrem Aug' erkannt:
Sie war ihr eigen einst und lieb geblieben,
Wie man nur Auserlesenes kann lieben.
109.
Sie ließ sie freilich, weil ja von Gewichte
Zu schwer und hinderlich, an jener Straße dort,
Als sie Brunel nachlief, dem Bösewichte
(Sie nahm das Schwert dem Galgenvogel fort).
Nicht meld' ich Euch aufs neue die Geschichte,
Ihr kennt sie, denk' ich; drum davon kein Wort!
Genüg' es Euch, von mir jetzt zu erfahren,
Daß es die Waffen der Marfisa waren.
110.
Als ihre Blicke sich auf diese heben
Und sie bestimmt ihr Eigentum erkennt,
Sie hätte für das höchste Gut im Leben
Von ihrem Schatz sich nimmermehr getrennt.
Ihr fällt nicht ein: mag's andre Wege geben
Zur Rückerlangung dieser Ding' am End'?
Schon ist sie dort, jedwede Rücksicht lassend,
Die Rüstung mit erhobner Hand erfassend.
111.
Sie nimmt in ihrer Eile von den Sachen
Das eine fort und schleudert andres hin.
Des Königs Blick genügt, Krieg zu entfachen;
Zu sehr beleidigt hat sie seinen Sinn,
Und seiner Leute Wut und Grimm erwachen:
Sie wollen Rache an der Frevlerin,
Vergessend, wie doch erst vor wenig Tagen
Verdruß mit Rittern ihnen angeschlagen.
[112] 112.
Nicht unter Blumen, roten, gelben, blauen,
Mag wohl ein Kind in junger Frühlingszeit –
Bei Sang und Tanz mag nicht so fröhlich schauen
Die reichgeschmückte, hold erblühte Maid,
Wie unter Waffenlärm, bei Stechen, Hauen,
Bei Pfeil- und Lanzenflut in wildem Streit,
Wo Blut fließt und der Tod, der grimme, schreitet,
Hier diese blickt, wenn sie zum Kampfe reitet.
113.
Hin nach dem Schwarm läßt sie den Renner schießen
Und senkt dabei den ungestümen Speer,
Um den am Hals, den an der Brust zu spießen,
Und von dem Anprall stürzt noch der und der.
Sie nimmt das Schwert, und blutge Bäche fließen:
Den macht sie kopflos und den Sattel leer;
Zermalmt muß der, durchstochen jener sinken,
Der ohne rechten Arm, der ohne linken.
114.
Nun haben Stahl und Schuppen auch genommen
Astolf und Samsonet, die Helden gut.
Sind sie auch nicht zu solchem Zweck gekommen,
So senken sie, entflammt von Kampfeswut,
Nachdem sie das Getümmel wahrgenommen,
Doch Speer und Helmvisier mit frischem Mut,
Worauf die Schwerter auf den Pöbel krachen,
So daß die beiden eine Straße machen.
115.
Als aus so manchem Reich die edlen Ritter,
Die zum Turniere kamen in das Land,
Den Wettstreit sahn verkehrt in Ungewitter
Und Waffenspiel in ernsten Zornes Brand
(Der Grund, daß sich der niedre Haufen bitter
Beklagen durfte, war noch nicht bekannt,
Noch, welch ein Schimpf dem König widerfahren),
Verblüfft und schwanken Sinnes viele waren.
[113] 116.
Hält's mit dem Volk der eine von den Degen
(Was zu bereun er bald wird Anlaß sehn),
Will der, dem an der Stadt nicht mehr gelegen
Als an den Fremden ist, sie trennen gehn.
Andre, bedächt'ger, schauen dem entgegen,
Stillhaltend, was wohl weiter mag geschehn.
Grifon und Aquilant sind mit den Braven,
Die jenen Raub der Rüstung wollen strafen.
117.
Als sie den König sahn voll Durst nach Rache,
Die Augen wie berauscht von Gift und rot,
Und nun durch Zeugen hörten von der Sache
Und, was den Anlaß zu dem Zwiste bot,
Meint Grifon, daß auch ihm sich fühlbar mache
Der Schimpf, der König Norandin bedroht.
Sie nahmen von den Knappen rasch die Speere
Und flogen hin, als ob der Blitz es wäre.
118.
Von drüben sieht man Astolf sich bewegen:
Auf Rabikan ist er vorausgerannt.
Die goldne Zauberlanze führt der Degen,
Die jeden Gegner hinstreckt auf den Sand.
Er naht, um auf den Boden stracks zu legen
Grifon zuerst, danach auch Aquilant;
Ob bloß der Schildesrand getroffen werde,
Kopfüber fliegt der Reiter auf die Erde.
119.
Gepriesne Ritter, vielbewährt im Streite,
Herr Samsonet jetzt aus dem Sattel hebt.
Vom Platz hinweg das Volk stäubt in die Weite,
Vor Zorn und Groll der König schäumt und bebt.
Dann nimmt die erste Rüstung und die zweite
Marfisa – seht nur, wie sie vorwärts strebt!
Als Siegerin, weil alle vor ihr fliehen,
Darf sie vom Platz nach jener Herberg' ziehen.
[114] 120.
Astolf und Samsonet, die kühnen Ritter,
Folgten ihr schnell bis an das Tor nach Haus
– Denn alle machten Platz –, und dort am Gitter
Hielt man sich fertig für den Kampf hinaus.
Grifon und Aquilant, voll Trauer bitter,
Daß sie besiegt sich sahn in einem Strauß,
Sie müssen tiefbeschämt die Häupter neigen
Und wagen nicht, sich Norandin zu zeigen.
121.
Sobald sie wieder saßen auf den Rossen,
Sprengten dem Feind sie nach in eil'gem Lauf,
Zur Rache oder blut'gem Tod entschlossen;
Der König folgt mit seiner Großen Hauf.
Fern steht das Volk und wartet unverdrossen
Mit lautem Schreien: »Immer drauf, nur drauf!«
Grifon erscheint, wo jene drei Gesellen
Sich für die Abwehr auf die Brücke stellen,
122.
Von denen er den Herzog gleich erkannte,
Der immer noch dieselben Zeichen trug
Und noch das Pferd, die Waffen auch verwandte
Wie damals, als er den Orril erschlug.
Er sah das nicht, als jener auf ihn rannte,
Denn zur Betrachtung war nicht Zeit genug;
Hier kannt' er ihn und eilte, Gruß zu sagen,
Darauf nach den Genossen ihn zu fragen:
123.
Warum die Rüstung sie herabgerissen,
Ehrfurcht vorm König ließen außer acht? –
Astolf war des Bescheids hierauf beflissen
Und Wahrheit ihm zu melden nur bedacht.
Zwar von der Rüstung meint er nichts zu wissen,
Die allzuerst den Krieg hier angefacht.
Sie seien mit Marfisa hergeritten
Und hätten darum auch für sie gestritten.
[115] 124.
Kam Aquilant, als sie zusammenstanden:
Auch er erkannte gleich den Paladin,
Als jener sprach; die bösen Launen schwanden,
Mit denen er vor jenem Haus erschien.
Von ferne sahn's, jedoch den Mut nicht fanden
Heranzureiten die mit Norandin.
Sie standen, die Besprechung nicht zu stören,
Lautlos und still, gespannt nur zuzuhören.
125.
Einer vernahm, daß dort Marfisa weile,
Der übermächt'ge Stärke sei verliehn.
Er wendet um, sagt's Norandin in Eile,
Um Rettung vor Verderben fleht er ihn.
Bevor Vernichtung allen werd' zuteile,
Mög' er der Würgrin Händen sie entziehn.
Marfisa selber sei es ja gewesen,
Die auf dem Platz die Rüstung aufgelesen.
126.
Als Norandin gehört hat jenen Namen,
So sehr gefürchtet rings im Morgenland,
Daß viele Schreckensschauer schon bekamen,
Wenn er nur in der Ferne ward genannt,
Ist klar ihm: was die Ohren just vernahmen,
Geschieht, wenn er nicht Rettung hat zur Hand.
Er sammelt seine Leute, die – zu Schrecken
Ward schon ihr Ingrimm – sich beinah verstecken.
127.
Die Sprossen Olivers mit feinen Sitten,
Desgleichen Samsonet und Ottos Sohn
Bestürmen so die Maid mit flehnden Bitten,
Daß man ein Ende sieht des Kampfes schon.
Zum König kommt Marfisa stolz geritten
Und sagt: »Ich weiß nicht, Herr, wie du zum Lohn
Des Sieges im Turnier kannst Waffen zeigen
Und sie verschenken, die gar nicht dein eigen.
[116] 128.
Mein sind sie: eines Tags ließ ich sie liegen
Am Weg, der aus Armenien leitet fort,
Nach einem Räuber seitwärts abzubiegen,
Der mich genug geschädigt hatte dort.
Und Zweifel mag dies Wappen hier besiegen:
Sieh dir es an, ob Wahrheit spricht mein Wort.«
Und eine Krone läßt sie ihn erkennen
An ihrem Harnisch, die drei Risse trennen.
129.
»Sie wurden«, sprach der Fürst, »mir angetragen;
Feil hielt sie ein armen'scher Handelsmann.
Und hätt' es dir beliebt nur, anzufragen,
Gehörten sie – dein oder nicht – dir an.
Als Preis gedacht für Grifon, dort sie lagen;
Doch würd' er wohl, wie ich vertrauen kann,
Mir gerne die für ihn bestimmten Gaben,
Sie dir zu lassen, abgetreten haben.
130.
Und nicht bedarf es, mich zu überführen,
Des Wappens hier auf deinem Panzerkleid:
Ein Wort genügt; dir selber wird gebühren
Mehr Glauben stets als sonst'ger Sicherheit.
Daß dein die Rüstung ist, läßt du ja spüren
Durch größrer Dinge würd'ge Tapferkeit.
So nimm sie hin – das Streiten hab' ein Ende,
Derweil ich höhern Lohn für Grifon spende.«
131.
Nur wenig Grifon jene Waffen galten,
Den König zu befried'gen trieb es ihn.
Er sprach: »Ihr könnt mich für entschädigt halten,
Habt Ihr mir weiter Eure Huld verliehn.«
Marfisa denkt: »Mir ehrenvoll gestalten
Muß sich die Sache« – und mit heitrer Mien'
Will sie an Grifon alle Rüstung schenken –
Und nimmt sie dann von ihm zum Angedenken.
[117] 132.
Zurück in eitel Lieb' und Frieden wallen
Sie nach der Stadt, wo doppelt Jubel klang.
Nun ließ man das Turnierspiel sich gefallen,
Und alle Ehre Samsonet errang.
Astolf, die Brüder, auch Marfisa, allen
Voraus, empfanden keinen Kampfesdrang;
Als Freunde wollten sie und Kameraden
Auf Samsonet Ruhm und Gewinne laden.
133.
In Herrlichkeit und Freude sind geschwunden
Bei Norandin acht Tage oder zehn,
Bis Frankreichs Bild sich mahnend eingefunden:
Es soll nicht länger ihrer wartend stehn.
Sie scheiden, mit der Kriegerin verbunden;
Denn sie gedachte gleichen Weg zu gehn:
Schon lang ist ja ihr großer Wunsch gewesen,
Den Preis zu schaun der Helden auserlesen
134.
Und zu erproben, ob dem großen Namen
Auch in der Tat die Wirklichkeit entspricht.
Die heil'gen Stätten einen Herrn bekamen,
Und sie vermißten so den alten nicht.
Die fünf hier, wie gefaßt in einen Rahmen
(Kaum sieht solch Fähnlein noch der Sonne Licht),
Sind jetzt von Syrien aus davongezogen
Nach Tripolis und an die Meereswogen.
135.
Nach Westen ging gerad ein Schiff mit Waren
(Aus Luna kam der alte Schiffer dort);
Bald fügte sich's, daß sie im Einklang waren:
Er nahm sie samt den Pferden all an Bord.
Der wolkenlose Himmel ließ gewahren,
Es daure gutes Glück noch weiter fort.
Sie stießen ab, die Luft war hell und linde
Und alle Segel voll von gutem Winde.
[118] 136.
Der Liebesgöttin heil'ges Eiland baden
Des ersten Hafens Wellen, aber ach!
Dort bringen Lüfte nicht nur Menschen Schaden:
Man lebt da kurz, das Eisen selbst wird schwach.
Ein Sumpf ist schuld, Giftdünste hat geladen
Natur zu Famagostas Ungemach;
Denn sie, so gnädig sonst dem Kyprosreiche,
Begabt es leider mit Costanzas Teiche.
137.
Die schweren Dünste, die vom Sumpf her weben,
Gestatten kurzes Bleiben nur am Strand.
Als im Nordost sich frisch die Segel heben,
Geht's um die Insel hin nach rechter Hand:
Zum schönen Paphos will man sich begeben,
Und dort steigt alles aus dem Schiff ans Land,
Teils um am Ufer Waren zu erstehen,
Teils um das Land der Lieb' und Lust zu sehen.
138.
Sechs, sieben Meilen kann man aufwärts steigen,
Sanft und allmählich einen Berg hinan,
Drauf sich Zitrone, Myrt' und Lorbeer zeigen;
Ein Wald von holden Bäumen füllt ihn an.
So mächt'ger Duft ist dem Gelände eigen
Durch Krokus, Ros' und Lilie, Thymian:
Man kann ihn auf den Meereswogen spüren,
Wenn Winde ihn vom Land herüberführen.
139.
Ein frischer Bach aus klarer Bergesquelle,
Die Au benetzend, rieselt munter fort.
Man sagt mit Recht: Durch Venus licht und helle
Und wonnevoll und lieblich ist es dort.
So schöne Mädchen gibt's auf alle Fälle,
So schöne Fraun an keinem andern Ort,
Und glühen läßt die Göttin all zusammen,
Jung', Alte, bis zuletzt in Liebesflammen.
[119] 140.
Sie hören von Lucina dort berichten,
Des sie von Syrien her schon kundig sind,
Wie zu Nikosia sie die Heimkehr richten,
Daß sie den Gatten endlich wiederfind'.
Der Schiffer läßt darauf die Anker lichten
(Sein Werk ist fertig, günstig weht der Wind),
Den Kiel nach Westen drehn, die Segel spannen,
Daß voll sie schwellen – und es geht von dannen.
141.
Die Segel werden links gespannt, sie dringen
Getrieben vom Nordwest hinaus ins Meer;
Doch ein Südwest beginnt emporzuspringen,
Solang die Sonne hoch steht, noch nicht schwer,
Um gegen Abend wilden Sturm zu bringen,
Anprallend an das Schifflein mehr und mehr,
Mit Donnerkrachen und mit Blitzesflammen,
Als stürze brennend rings die Welt zusammen.
142.
Ein Schleier, schwarz, von Nebelnacht gewoben,
Der Sonne wie der Sterne Licht verhüllt:
Das Meer brüllt unten und der Himmel oben,
Und Windsbraut rings von allen Seiten brüllt;
Regen und Hagel und des Sturmes Toben
Die arme Menschenbrust mit Zagen füllt,
Und immer tiefer will die Nacht sich strecken
Auf der erzürnten, graus'gen Wogen Schrecken.
143.
Die Schiffer zeigen jetzt, was sie verstehen
Von jener Kunst, die ihnen Ruhm gebracht:
Der bläst die Pfeife hell beim raschen Gehen
(Die, was geschehn muß, klingend kenntlich macht),
Am Rettungsanker kann man diesen sehen,
Der hat aufs Tau und der aufs Reffen acht;
Der schafft am Steuer, der hantiert am Maste;
Der räumt das Deck, daß nichts es mehr belaste.
[120] 144.
Das Wetter sollte nachts noch weiter schwellen:
So schwarz und finster ist die Hölle nicht.
Der Schiffer sucht des hohen Meeres Wellen,
Weil dort die Woge sich gelinder bricht;
Er will den Fluten sich entgegenstellen,
Den Kiel grad auf den Wogenschuß gericht't,
Nicht ohne Hoffnung, bei dem Morgengrauen
Den Sturm geschwunden oder schwach zu schauen.
145.
Er wird nicht schwächer, hat noch Kraft gefunden
Am Tag, wofern man das kann nennen Tag,
Was man erkennt am Zählen nur der Stunden,
Doch an der Helle nicht erkennen mag.
Der Schiffer gibt sich, bang und überwunden,
Der Wucht des Windes und dem Wellenschlag.
Er läßt sich von dem wilden Meere wiegen,
Um mit demüt'gen Segeln hinzufliegen.
146.
Hält das Geschick die auf dem Meer in Nöten,
Läßt es darum nicht ausruhn die zu Land.
In Frankreich hauen ja einand und töten
Das Mohrenvolk und die aus Engelland.
Rinald stürmt an, zu öffnen und zu röten
Des Feindes Reihn, und reißt die Fahn' in Sand.
Er hatte, sagt' ich, seinem Bajard eben
Die Sporen gegen Dardinel gegeben.
147.
Er sieht das Wappen an Almontes Sohne,
Darauf war stolz der junge Held gar sehr,
Und meint', daß hoher Sinn in jenem wohne,
Denn sich mit ihm zu messen wünscht auch der.
Als er sich naht, erscheint's ihm zweifelsohne:
Ein Berg von Leichen lag ja um ihn her.
»Bevor dies üble Pflänzlein größer werde,«
Ruft er, »ausreuten will ich's von der Erde!«
[121] 148.
Wo immer mag der Paladin erscheinen,
Wird freie Straße ihm sogleich gewährt,
Und Christ und Mohr sind vor ihm auf den Beinen:
So fürchtet man das vielberühmte Schwert.
Nur einen sieht er: Dardinel den kleinen,
Ihm nachzusetzen ist der Müh' nicht wert.
»In arge Nöte,« rief er, »Knirps, dich brachte,
Wer dir als Erbe solchen Schild vermachte!
149.
Erproben will ich, wie es wird ergehen,
Wenn du mir standhältst, deinem Rot und Weiß.
Kannst du mit ihm nicht gegen mich bestehen,
Vor Roland schützest du's in keiner Weis'.« –
Sprach Dardinel:»Trag' ich's, dann sollst du sehen,
Daß ich es wohl auch zu verteid'gen weiß
Mit Ehre, die ja größer als die Not ist,
Mit Vaters Wappen hier, das weiß und rot ist.
150.
Denk nicht, ich werde, weil ich jung bin, fliehen
Oder ich gäbe dieses Wappen hin:
Du magst es mit dem Leben mir entziehen,
Doch anders geht es wohl, erhofft mein Sinn.
Sei's drum! Des Vorwurfs werd' ich nie geziehen,
Daß meiner Stammesart ich unwert bin.«
Und hat mit kühnem Mut das Schwert geschwungen,
Und auf den Grafen ist er eingedrungen.
151.
Im Herzen stockt vor kalter Furcht und Grauen
Ringsum den Afrikanern alles Blut,
Als sie Rinald, den Schrecklichen, erschauen,
Wie er auf ihren Prinzen stürmt voll Wut,
Dem Löwen gleich, der vor sich auf den Auen
Ein Stierlein sieht, des Liebestrieb noch ruht.
Der Sarazen war schneller, dreinzuschlagen,
Allein der Helm Mambrins kann viel vertragen.
[122] 152.
Da lacht Rinald: »Ich kann die Adern spießen,
Und besser, wirst du fühlen sicherlich.«
Er spornt und ließ dem Roß die Zügel schießen
Und führte so gewaltig einen Stich,
Daß Brust und Rücken sich durchbohren ließen
Und hinten zeigte noch die Spitze sich,
Zwang Blut und Geist, dem Eisen nachzuwallen:
Kalt, blutleer muß der Leib vom Sattel fallen.
153.
Wie sich im Sterben Purpurblumen neigen,
Wenn sie der Pflug durchschneidet auf dem Feld,
Und, wo sich übermäß'ge Säfte zeigen,
Das Haupt der Mohn im Garten senkt und fällt,
So sinkt – schon ist die Todesfarb' ihm eigen –
Jung Dardinel und scheidet aus der Welt;
Er nimmt, die sich im Tode ihm vereinen,
Mit sich, Kraft, Mut und Hoffnung all der Seinen.
154.
Wie Wasser, das der Menschengeist mit Dämmen
Lange umschlossen hielt und festgebannt,
Sobald die Wände brechen, die es hemmen,
Mit lautem Brausen hinstürzt durch das Land –
So konnte sich das Mohrenvolk noch stemmen,
Solang die Kühnheit Dardinels es band;
Nun flieht es, weit zerstreut nach allen Seiten,
Als es ihn sterbend sah vom Sattel gleiten.
155.
Rinald läßt fliehn, wer sich zur Flucht will wenden,
Und sprengt auf sie nur, die noch stehen, an.
Ein Haufe sinkt von Arïodantes Händen,
Der heut selbst an Rinald fast reicht heran.
Zerbin und Lionel ins Jenseits senden,
Wetteifernd, ihre Gegner Mann für Mann.
Karl schlägt, wie Oliver, mit mächt'gen Streichen,
Guido, Turpin und Salomon desgleichen.
[123] 156.
Den Mohren droht Gefahr, so schwer zu leiden,
Daß nicht nach Hause komm' ein einzig Haupt.
Doch klug weiß Spaniens Fürst sich zu bescheiden
Und geht mit dem, das noch das Glück erlaubt.
Geraten scheint es, mit Verlust zu scheiden,
Bevor das Spiel ihm Rock und Beute raubt;
Mit wen'gem lieber jetzt davonmarschieren,
Als feststehn, um dann alles zu verlieren.
157.
Die Fahnen gehn dem Lager jetzt entgegen,
Das wohlverwahrt durch Graben ist und Wall,
Mit Stordilan, dem Andalusierdegen,
Und einer großen Schar aus Portugal.
Der Berberfürst soll sich zurückbewegen
So rasch wie's möglich ist in diesem Fall.
Genug hab' er vollbracht, wenn er die Stätte,
Dazu sich selber, aus Gefahren rette.
158.
Der hatte sich verloren schon gegeben
Und glaubte nicht, Biserta mehr zu schaun,
Niemals zuvor in seinem ganzen Leben
Zeigte Fortuna ihm so grimme Braun.
Froh war er, daß Marsil ein Teilchen eben
Des Heers gerettet hat vor ihrer Laun'.
Zum Rückmarsch dann des Feindes Fahnen wehten,
Und rings zum Abzug bliesen die Trompeten.
159.
Die meisten aber der geschlagnen Leute
Drommet und Trommel nicht noch Fahne zwingt:
So groß ist Furcht und blasse Feigheit heute,
Daß eine Menge in die Seine springt.
Der König bat umsonst und schalt und dräute;
Auch Fürst Sobrin sie nicht zum Stehen bringt.
Mit ihnen mühen sich die Feldherrn alle,
Das Lager zu erreichen hinterm Walle.
[124] 160.
Die Führer mit den Fürsten sich vereinen,
Doch keiner zwingt, mit Drängen, Drohn und Flehn
Den dritten Mann – geschweige jeden –, seinen
Verlaßnen Reihn und Fahnen nachzugehn.
Geflohen, tot sind immer zwei für einen,
Der bleibt, auch selber kläglich anzusehn:
Denn der hat vorn, der hinten eine Wunde,
Erschöpft, todmüde sind sie all im Grunde.
161.
Bis zu des starken Lagers Toren lassen
Sie voller Angst sich treiben bei der Jagd:
Auch dieses will als sichrer Ort nicht passen,
Wie sehr man auf das Schutzwerk sei bedacht
(Denn Karl weiß wohl das Glück am Schopf zu fassen,
Wenn es das Antlitz einmal zeigt und lacht);
Da sank zum Glück die dunkle Nacht hernieder,
Die Unruh' bannend, stärkend müde Glieder,
162.
Vielleicht vom Schöpfer früher ausgesendet,
Zu lindern seiner Kreaturen Leid.
Ein Blutstrom fließt, der durchs Gefild sich wendet,
Er überschwemmt die Straßen weit und breit.
Man zählte achtzigtausend, die geendet
An diesem Tage hat des Schwertes Schneid'.
Und nächt'ge Stunden Leichenräuber bringen
Und Wölfe, die die Leichen rasch verschlingen.
163.
Karl sucht nicht in der Stadt geschützte Stelle:
Er schließt des Feindes Zelte draußen ein
Und schlägt ein Lager rings in aller Schnelle;
Es loht der hohen Feuer heller Schein
Der Heide sieht sich vor, errichtet Wälle,
Wirft Schanzen auf, macht Gräben und Bastein,
Stellt Wachen auch, schickt hin und wieder Runden,
Im Harnisch immer all die nächt'gen Stunden.
[125] 164.
Durch alle Zelte, drin die Mohren lagen,
Die arg bedrängten, klang die ganze Nacht
Ein Jammern, Seufzen und ein Weheklagen,
Nur leis und unterdrückt mit aller Macht:
Dem ward ein Vetter oder Freund erschlagen,
Der weint, weil sich die Wunde fühlbar macht,
Und der, weil Not und Elend ihn beladen,
Zumeist jedoch aus Furcht vor künft'gem Schaden.
165.
Zwei Mohren, die im Heere sich befanden,
Aus Tolomitt, von niederem Geschlecht,
Waren vereint durch seltner Liebe Banden:
Euch dieses zu erzählen, scheint mir recht.
In Glück und Unglück stets beisammen, standen
Medor und Kloridan in Treuen echt
Zu Dardinel und waren durch die Wogen
Ohnlängst mit ihm ins Frankenland gezogen.
166.
Von hohem Wuchs, an Gliedern stark und schnelle,
Von jung auf Jägersmann war Kloridan;
Rötlich war Medors Wange, licht und helle,
Mit allem Jugendzauber angetan;
Und von dem ganzen Kriegsvolk hier zur Stelle
An holder Schönheit konnt' ihm keiner nahn:
Mit schwarzen Augen, krausen goldnen Haaren,
Ein Engel schien er aus den höchsten Scharen.
167.
Sie standen, zur Bewachung ausgesendet,
Mit vielen andern vor dem Lagertor,
Als mit verschlafnen Augen, halb vollendet,
Die Nacht aufblickte zu der Sterne Chor.
Für Medor steigt, wie sich die Red' auch wendet,
Stets Dardinels, des Herren, Bild empor:
Daß er, noch ungeehrt von seinen Mohren,
Da draußen liegt, will ihm das Herz durchbohren.
[126] 168.
»O Kloridan,« begann er zum Genossen,
»Nicht sagen kann ich dir, wie sehr mir leid,
Daß drauß im Feld der Leib des Königssprossen
Für Rab' und Wolf zur Speise sei bereit.
Denk' ich, wie stets ich Huld von ihm genossen,
Scheint mir's, – gäb' ich auch dieser Seele Kleid
Zu seiner Ehr', ich doch nicht tilgen würde
Der Dankesschulden ungeheure Bürde.
169.
Ihn zu bestatten, will ich suchen gehen,
Bis ich ihn finde, draußen auf dem Feld.
Gott gönnt vielleicht, daß sie mich dort nicht sehen,
Wo Schweigen Karls Gebiet umfangen hält.
Du bleibst: sollt' es in Gottes Ratschluß stehen,
Daß ich nun sterbe, sei's dem Heer gemeld't;
Und macht das Schicksal auch mein Werk zunichte,
Von meiner Treue du der Welt berichte.«
170.
Es staunt der Freund, in einem halben Kinde
Zu finden solche Lieb' und treuen Sinn;
Er sucht, wie er dem Vorsatz ihn entwinde,
Stellt diesen als verkehrt und nichtig hin;
Umsonst – so großen Schmerz macht nichts gelinde;
Fest bleibt der Jüngling wie zu Anbeginn.
Medor will seinem Herrn ein Grab erwerben,
Und kann er's nicht vollbringen, will er sterben.
171.
Als fest er blieb und nicht war abzubringen,
Sprach Kloridan: »So komm' auch ich mir dir!
Ich weihe mich wie du so hohen Dingen;
Willkommen ist glorreicher Tod auch mir.
Was könnte denn die Freude noch mir bringen,
Blieb' ich allein, mein teurer Medor, hier?
Und besser ist's, mit dir in Waffen sterben
Als dann aus Gram, daß du mir fehlst, verderben.«
[127] 172.
Also gesinnt der nächsten Wache gaben
Sie ihren Postenplatz und gingen fort.
Bald sind sie, über Schanzen und durch Graben,
Bei unsern Kriegern, die nichts ahnen, dort.
Weil vor den Mohren keine Furcht sie haben,
Erlosch das Feuer: alles schläft am Ort:
Sie liegen bei Gerät und Waffen trunken,
In Wein und Schlaf bis an den Kopf versunken.
173.
»Man soll Gelegenheiten nicht verpassen«,
Jetzt Kloridan im Stehenbleiben sprach.
»Soll ich dem Haufen nicht zur Ader lassen,
Medor, der uns den teuern Herrn erstach?
Damit sie uns nicht unversehens fassen,
Halt Aug' und Ohr nach allen Seiten wach!
Denn ich erbiete mich, mit meinen Waffen
Dir durch die Feinde breiten Weg zu schaffen.«
174.
Er spricht es, hat sich selber Wort gehalten
Und geht, wo Alfeus schlafend er gewahrt;
Den ließ Herr Karl seit einem Jahre schalten
Als Arzt und Astrologen hochgelahrt.
Jetzt wollt' ihm seine Kunst sich nicht entfalten,
Dieweil er ganz von ihr belogen ward:
Er hatte sich geweissagt, hoch an Jahren
Werd' er, bei seiner Frau, von hinnen fahren.
175.
Blitzschnell fährt diesem mit des Schwertes Spitze
Tief in den Schlund hinein der schlaue Mohr;
Vier andre schlachtet seiner Rache Hitze,
Kein einziger bringt einen Laut hervor.
Ich habe nicht die Namen im Besitze,
Weil sie die Zeit schon vor Turpin verlor.
Auch der von Moncalier schied von der Erden,
Der dort in sichrem Schlaf lag zwischen Pferden.
[128] 176.
Hin kommt er, wo den armen Grill er lehnen
Sieht, aufgestützt das Haupt ans liebe Faß.
Er hatt' es ausgeleert, sich dann zu dehnen
Zu sanftem Schlafe bei dem edlen Naß.
Fort fliegt sein Kopf vom Hieb des Sarazenen,
Und mit dem Blut fließt Wein ohn' Unterlaß,
Denn manche Kannen hat er schon im Magen;
Er trank im Traum – im Traum ward er erschlagen.
177.
Ein Deutscher und ein Grieche mit zwei Hieben,
Konrad und Andropon, sind umgebracht.
Sie hatten sich im Frein die Zeit vertrieben
Mit Wein und Würfelspiel die halbe Nacht.
Wohl ihnen, wären sie am Tisch geblieben,
Bis Phöbus wieder seinen Weg gemacht!
Doch um die Macht des Schicksals wär's geschehen,
Könnte der Mensch in ferne Zukunft sehen.
178.
So wie der grimme Leu im vollen Stalle,
Von langem Hunger dürr und abgezehrt,
Tötet, verschlingt, zerfleischt mit scharfer Kralle
Die schwachen Schafe, deren keins sich wehrt,
So würgt der wilde Mohr die Schläfer alle
Und schlachtet ab, was ihm das Los beschert.
Indes ist Medors Schwert nicht stumpf geworden,
Doch er verschmäht, unedles Volk zu morden.
179.
Zum Herzog von Labret war er gedrungen,
Der schlief bei seiner Dam' in Glückes Schoß;
Sie hielten also enge sich umschlungen:
Es glitte kaum hindurch ein Lüftchen bloß.
Auf beide hat der Mohr das Schwert geschwungen: –
O selig Sterben! Freudenreiches Los!
Vereint, wie aneinand sie hier sich schmiegen,
Sind ihre Seelen auch emporgestiegen.
[129] 180.
Malind und Ardalich hat er erschlagen
(Der beiden Vater Graf von Flandern war),
Gemacht zu Rittern erst vor wenig Tagen
Von Karl; die Lilien gab er auch sogar,
Weil blut'ge Schwerter sie hinausgetragen,
Mit vielem Ruhme, aus der Feinde Schar.
Auch friesisch Land, das er dazu geboten,
Sollt' ihrer sein: – doch Medor hat's verboten.
181.
Schon nahen sich die hinterlist'gen Klingen
Den Zelten, um des Kaisers Zeit gereiht,
Wo seine Helden ihre Nacht verbringen;
Zur Wache sind sie nacheinand bereit.
Da wenden jene zwei von blut'gen Dingen
Das Schwert und kehren um zu gleicher Zeit.
Unmöglich schien es, daß im großen Heere
Nicht einer ohne Schlaf geblieben wäre.
182.
Sie könnten reich mit Beute sich versehen,
Doch ists genug, wenn sie sich nur befrein.
Wo Kloridan glaubt sichern Weg zu sehen,
Den wählt er, der Genosse hinterdrein.
Zum Schlachtfeld kommen jetzt die zwei und stehen,
Wo Herr und Knecht gestreckt liegt, schlecht und fein,
Bei Schwert, Schild, Bogen, Speer in roten Teichen
Und auf den Menschen drauf die Pferdeleichen.
183.
Der Leiberhaufen schreckensvolle Dichte,
Von denen voll das Feld ist in der Rund',
Machte die treue Sorge wohl zunichte
Der zwei Gesellen bis zur Morgenstund',
Dränge nicht Luna mit dem Silberlichte
Auf Medors Bitten durchs Gewölk jetzund.
Der Mohr blickt fromm empor zum Himmel dorten
Und fleht zum Mond hinauf mit diesen Worten:
[130] 184.
»O heil'ge Göttin, die von unsern Alten
Zutreffend dreigestaltig ward genannt,
Weil deine hohe Schönheit sich entfalten
In Höll' und Erde will und Himmelsrand,
Und du, sieht man als Jägerin dich walten,
Dem Wild folgst und dem Ungetier durchs Land:
Zeig' mir den Königssohn, der mir entrissen
Und lebend deines Dienstes war beflissen.«
185.
Und Luna sieht er aus den Wolken schweben
(War's Zufall? War es des Gebetes Lohn?),
So schön wie damals, als sie sich gegeben
Nackt in die Arme des Endymion,
Daß Land, Berg und Paris im Licht sich heben,
Und aus der Ferne noch als Höhenkron'
Der Hauptstadt beide Hügel deutlich blinken:
Montmartre rechts, und Montlhéry zur Linken.
186.
Klar sind des Mondes Strahlen, doch sie scheinen
Am hellsten, wo der Jüngling schläft im Tod.
Und Medor geht den teuren Herrn beweinen
(Er hat erkannt das Wappen weiß und rot)
Und badet ihm das Angesicht mit seinen
Tränen (ein Bächlein jede Wimper bot),
Mit Klagen hold und lieblichen Gebärden
(Die Winde rasten, Lauscher hier zu werden),
187.
Ganz leise, nicht aus Furcht, daß man ihn höre
(Er kümmert um sein Leben sich nicht mehr
Und haßt das Dasein, das er gern verlöre),
Nein, nur erfüllt von der Besorgnis schwer,
Daß jemand nahe und das Werk ihm störe,
Das fromme Tun, das ihn gebracht hierher.
Sie nehmen auf den Königsleib derweilen,
Wobei die Schultern sich die Bürde teilen.
[131] 188.
Sie suchen rasch sich vorwärts zu bewegen,
So weit es nur vergönnt die hehre Last!
Des Lichtes Herrin kommt dem Paar entgegen,
Vor der das Dunkel flieht, der Stern erblaßt;
Mit ihr erscheint Zerbin, der junge Degen;
Wo's nottut, kennt er Schlummer nicht noch Rast:
Er hat die Nacht verbracht mit Mohrenjagen
Und kommt zum Lager, da's beginnt zu tagen.
189.
Er hatte manche Krieger noch zu Seiten,
Die schon von fern die zwei Genossen sahn,
Und alle fingen an, drauflos zu reiten,
Voll Hoffnung, reicher Beute dort zu nahn:
»Laß, Bruder, jetzt die Bürde niedergleiten –
Und auf die Fersen rasch!« sprach Kloridan;
»Denn von der Weisheit wird es nicht geboten,
Daß zwei zugrunde gehn für einen Toten.«
190.
Er warf die Bürde hin, im Wahn befangen,
Der tu' es auch und folge hinterdrein;
Doch inniger am Herrn tät Medor hangen:
Er nahm ihn auf die Schulter ganz allein.
Der andre ist voll Eile fortgegangen,
Als müsse der Gefährte mit ihm sein.
Denn wüßt' er, welchem Los er den gelassen,
Er würde lieber tausendmal erblassen.
191.
Die Reiterschar zerstreut sich, um die beiden
Zu fangen, sei es lebend oder tot,
Hierhin und dorthin – sucht sie abzuschneiden
Von jedem Ort, wo ein Entkommen droht.
Nun naht sich auch der Führer selbst den Heiden,
In dem die Jagelust noch höher loht,
Denn deutlich ward durchs ängstliche Gebaren,
Die beiden zählen zu der Feinde Scharen.
[132] 192.
Dort stand ein alter Wald in jenen Zeiten,
Voll von Gestrüpp und wildester Natur.
Auf eng verschlungnen Pfaden kann man gleiten
Durchs Labyrinth, gekannt von Tieren nur.
Die beiden hoffen, freundlich werd' er breiten
Sein dichtes Baumgezweig auf ihre Spur. –
Doch wem bis hierher hat mein Lied gefallen,
Der komme, wenn's aufs neue wird erschallen.

[133] Neunzehnter Gesang

1.
Es kann mit Fug kein Mensch geliebt sich meinen,
Hält ihn noch oben auf dem Rad das Glück;
Weil wahr' und falsche Freunde sich vereinen,
Und jeder zeigt der Freundschaft gleiches Stück.
Geht's aber erst vom Lachen hin zum Weinen,
Dann zieht das Schmeichlervolk sich bald zurück:
Nur, der von Herzen liebt, ist fest geblieben
Und wird im Tod noch seinen Herren lieben.
2.
Ließe das Herz sich wie das Antlitz sehen!
Der bläht sich stolz bei Hof, voll Glanz, glorios;
Zurück in Gunst des Herrn muß jener stehen –
Sie tauschten beide wohl sodann ihr Los:
Der Hohe würde zu den Letzten gehen,
Der Niedre stieg' empor und würde groß.
Doch laßt uns jetzt zu Medor uns begeben,
Der seinen Herrn im Tod liebt wie im Leben.
3.
Sich dort zu bergen auf verschlungnen Pfaden,
Hat sich der Arme nach dem Wald gewandt,
Doch durch die Last, die er sich aufgeladen,
Ist keine Rettungsstatt für ihn zur Hand!
Verirrt, kommt er im Dorngebüsch zu Schaden,
Denn diese Gegend ist ihm unbekannt.
Entfernt von ihm, gesichert vor Gefahren
Ist jener, dessen Schultern leichter waren.
[134] 4.
So fern war Kloridan, daß seine Ohren
Den Waffenlärm schon nicht vernahmen mehr;
Doch als er sieht, er hat den Freund verloren,
Ist ihm, als ob sein Herz ihm ferne wär':
»Wie war ich lässig!« rief er. »Weh mir Toren!
Wie war mein Kopf von Überlegung leer,
Daß, Medor, ohne dich – kaum kann ich's fassen! –
Ich floh, nicht ahnend, wo ich dich gelassen!«
5.
Er spricht es, eilt auf den gewundnen Wegen
Des Walds zurück, die er gegangen schon,
Und stürmt geradeswegs dem Tod entgegen,
Aus dessen Näh' er doch bereits geflohn.
Er hört Geschrei und Hufschlag allerwegen,
Dazu von Feindesstimmen grimmes Drohn;
Zuletzt auch Medor, sieht ihn eingeschlossen,
Allein, zu Fuß, von vielen hoch zu Rossen.
6.
Hundert zu Pferd, die sämtlich ihn umringen!
Gefangen soll er werden, ruft Zerbin.
Der Arme muß sich wie ein Kreisel schwingen
Und, um sich ihrem Angriff zu entziehn,
Hinter die Eichen, Ulmen, Buchen springen;
Doch nie verläßt die teure Bürde ihn.
Zuletzt, als sie zu schwer wird, legt er leise
Sie hin ins Gras und irrt umher im Kreise,
7.
Der Bärin gleich, wenn in den Raum gedrungen
Der Höhlenschlucht der Jäger Wagemut:
Unschlüssig steht sie über ihren Jungen
Und knirscht vor Jammer teils und teils vor Wut;
Von alter Wildheit und von Grimm bezwungen,
Streckt sie die Klauen aus und lechzt nach Blut –
Gerührt von Liebe, kehrt sie aber wieder
Und schaut im Zorn noch auf die Kleinen nieder.
[135] 8.
Gemeinsam mit dem Freund zum Ende streben
Will Kloridan, weil er nicht helfen kann.
Doch eh er gegen Tod austauscht das Leben,
Soll sterben gehen noch gar mancher Mann.
Sein Köcher muß die schärfsten Pfeile geben,
Er wendet trefflich die Geschosse an
Und zielt aus dem Versteck dort auf die Rotte:
In das Gehirn getroffen stürzt ein Schotte.
9.
Wie alle nun sich nach der Richtung wenden,
Daraus der Mörderpfeil geflogen sei:
Kann einen neuen jener Mohr entsenden,
Und bei dem ersten liegt schon Nummer zwei.
Denn wie er hastig fragt, aus wessen Händen
Das rühre her, und tobet mit Geschrei,
Trifft ihn der Pfeil und steckt in seinem Schlunde
Und schneidet ihm die Rede durch im Munde.
10.
Zerbin, in dessen Heerbann jene waren,
Verliert Geduld und bändigt sich nicht mehr.
Er kam auf Medor wütend hergefahren
Und sprach zu ihm: »Du sollst es büßen schwer!«
Und packt' ihn bei den goldnen Lockenhaaren
Und riß mit wildem Ruck ihn zu sich her: –
Doch als er seiner Augen wahr geworden,
Erfaßt von Mitleid, konnt' er ihn nicht morden.
11.
Zu flehn begann der schöne junge Degen:
»Bei deinem Gott! Sei nicht voll Grausamkeit!
Vergönne mir – o laß sich Mitleid regen! –,
Daß meinem Herren ich ein Grab bereit'.
Ich suche nicht, zu mehr dich zu bewegen;
Zu bitten um mein Leben, liegt mir weit.
Gerade so viel Zeit nur laß mich haben,
Um meines Herren Leichnam zu begraben.
[136] 12.
Und willst du Waldgetier und Vögel weiden,
Erfüllt das Wüten eines Kreon dich –
Laß meine Glieder jene Schmach erleiden,
Nur laß Almontes Sohn bestatten mich.«
So bat der Jüngling anmutvoll, bescheiden;
Ein Felsen wahrlich, der erbarmte sich:
Zerbin war so ergriffen im Gemüte,
Daß er von Mitleid und Erbarmen glühte.
13.
Von einem Reiter aus dem Schottenreiche,
Der seines jungen Herrn hat wenig acht,
Wird übern Arm jetzt auf die Brust, die weiche,
Des Flehnden mit dem Speer ein Stoß gemacht.
Zerbin ist außer sich bei diesem Streiche,
Dem rohn, und um so ärger aufgebracht,
Als er den Jüngling sieht am Boden liegen,
Wie wenn er schon ins Schattenland gestiegen.
14.
Er wendet sich voll Schmerzen und voll Grimme
Mit bösem Vorsatz jenem Reiter zu:
»Nicht ungerächt«, rief er mit drohnder Stimme,
»Bleibt solche schnöde Tat: nun büße du!«
Doch seinen Vorteil rasch ersah der Schlimme
Und wandte sich und floh davon im Nu.
Als Kloridan sieht Medor auf der Halde,
Zu offnem Kampfe läuft er aus dem Walde.
15.
Er wirft den Bogen fort, das Schwert zu schwingen
Im Feindeshaufen dort in wilder Wut,
Zu sterben und die Rache zu erringen,
Die seinem wilden Schmerz Genüge tut.
Er fühlt sein Blut aus hundert Wunden springen:
Hinab zum Sande rinnt des Lebens Flut.
Und als er merkt, die Kraft verläßt die Glieder,
Zu Seiten seines Medor fällt er nieder.
[137] 16.
Die Schotten ziehen hin auf Waldesstegen,
Wie's ihres Führers hoher Zorn gebot,
Die beiden Mohren lassend, die erlegen,
Kaum lebend einer und der andre tot.
Geraume Zeit lag so der junge Degen;
So reiche Flut spritzt aus den Adern rot,
Es ist in kurzer Zeit um ihn geschehen,
Wenn niemand naht, dem Jüngling beizustehen.
17.
Da kommt im Hirtenkleid dahergegangen,
Geführt vom Zufall, ein gar lieblich Kind,
Von fürstlicher Gestalt, mit blühnden Wangen,
Des Miene und Gebärden adlig sind.
Von ihr schon lange nicht die Saiten klangen,
Daß Ihr am End' Euch nicht auf sie besinnt:
Angelika das Mädchen wohlgetan ist
Und aus Katai und Kind des großen Chan ist.
18.
Seitdem der Ring, der von Brunel geraubte,
Zurückgekommen war in ihre Hand,
Voll großem Stolz sie also hoch sich glaubte,
Daß vom Gesicht der Welt sie ganz verschwand
Und keinem sie zu führen mehr erlaubte,
Wie rühmlich er der Welt auch sei bekannt.
Mit Zorn gedenkt sie, daß sie Sakripante
Und Roland einstmals ihre Trauten nannte.
19.
Besonders fühlt sie Reu' in allen Stunden,
Daß sie Rinald ein wenig Gunst erwies:
Erniedrigt hat sie plötzlich sich gefunden,
Daß sie so tief die Augen sinken ließ.
Amor zürnt solchem Hochmut unumwunden
Und daß sie sich so lange spröd bewies.
Er hat zu Medor sich zurückgezogen
Und lauert da, den Pfeil schon auf dem Bogen.
[138] 20.
Als sie nun sah, wie wund der Todesmatte,
Hinschwindend, lag, gefällt vom scharfen Erz,
Der mehr, daß seinen Herrn man nicht bestatte,
Bekümmert war als um den eignen Schmerz,
Kam's, daß sie ganz unendlich Mitleid hatte:
Es schlich durch seltne Pforten in ihr Herz,
Darin es alle Härte nun zerstörte,
Zumal als sie von Medors Schicksal hörte.
21.
Da fällt ihr ein, daß sie in frühern Tagen
Hat Chirurgie gelernt, in Indien schon
(Man ist dort, scheint's, in dieser Kunst beschlagen,
Sie gilt als edel und bringt Ehr' und Lohn;
Man braucht sich nicht mit Schriften viel zu plagen:
Sie wird vererbt vom Vater auf den Sohn),
Und will mit Kräutersaft ihn jetzt behandeln,
Sein Leben in ein frisches umzuwandeln.
22.
Und sie besinnt sich, daß auf Wiesenauen,
Die unterwegs sie sah, ein Kräutlein steh',
Auf dessen Kraft, zu heilen, man kann bauen
– Sei's Eschenwurz, sei's eine Panazee –:
Es läßt das Blut sich in der Wunde stauen
Und nimmt den Krampf und alles schlimme Weh.
Nicht weit stand eins: sie fand's zum guten Glücke
Und kehrte dann zu Medor schnell zurücke.
23.
Beim Rückweg ward ein Hirt von ihr gefunden,
Der durch den Wald her kam auf einem Pferd
(Er suchte eine Jungkuh, die verschwunden
Ihm vor zwei Tagen war aus seiner Herd'):
Ihn nahm sie mit sich, wo aus Medors Wunden
Das Leben mit dem Blute rann zur Erd',
Und also reich war rote Flut ergossen:
Es schien die letzte Kraft schon hingeflossen.
[139] 24.
Die Schöne stieg vom Pferde ihm zu Seiten,
Wo auch der Schäfer, abgesprungen, stand.
Das Kraut zerreibt sie, um es zu bereiten,
Und preßt den Saft heraus mit weißer Hand
Auf alle Wunden, läßt ihn sich verbreiten
Auf Brust und Leib, wo sich Verletzung fand.
Die Macht des Saftes war, neu zu beleben,
Das Blut zu stillen und die Kraft zu heben.
25.
Bald ist die Stärkung schon so weit gediehen,
Daß er aufs Roß steigt; jener führt's heran.
Doch Medor will nicht eh'r von dannen ziehen,
Als bis sein Herr im Grabe ruhen kann.
Ein Platz dabei wird Kloridan verliehen;
Wohin die Dam' ihn leitet, folgt er dann.
Dem Haus des guten Hirten geht's entgegen;
Dort bleibt sie, um aus Mitleid ihn zu pflegen.
26.
Und früher nicht will sie von dannen weichen
– So ehrt sie ihn –, als bis er ganz gesund.
Sie ließ ja schon von Mitleid sich erweichen,
Als sie zuerst ihn sah dort auf dem Grund;
Doch seine Schönheit, Anmut ohnegleichen
Machten ihr Herz gleich einer Feile wund.
Sie machten's wund, und heiße Liebesflammen
Schlugen allmählich über ihr zusammen.
27.
Der Hirt und seine Frau und Kinder leben
In einem trauten Häuschen dicht am Wald,
Zwischen zwei Bergen; diesem ward soeben
Erneut und aufgebessert die Gestalt.
Medor ward dort der Welt zurückgegeben
Vom Fräulein nach geringem Aufenthalt.
Doch wenn sie ihn von Wunden ließ gesunden,
So fühlt sie selbst im Herzen größre Wunden,
[140] 28.
Wunden, die weiter, ach, und tiefer waren!
Den unsichtbaren Pfeil, mit sichrer Hand,
Aus Medors schönem Aug' und blonden Haaren
Hatt' ein beschwingter Schütze fortgesandt.
Sie brannt' und brannte, ohn' es zu gewahren;
Nur fremden Schmerzen war sie zugewandt,
Nicht eignen; eines war, woran sie dachte:
Ihn heilen, der ihr selbst die Wunde brachte.
29.
Wie sich die seine schließt und Heilung findet,
Erweitert brennend ihre nur den Kreis.
Der Jüngling wird gesund; sie aber schwindet
In Fieber, wechselnd eiseskalt und heiß.
Wenn er sie stets durch neue Schönheit bindet,
Vergeht sie; also muß die Flocke weiß,
Die spät gefallen ist, am Rain vergehen,
Nachdem sie von der Sonne ward gesehen.
30.
Soll nicht die Jungfrau sterben vor Verlangen,
So schaffe – helfend – dies sich selber Raum!
Von dem, wonach ihr Sinn steht, anzufangen,
Gedenkt der andre ja, so scheint es, kaum.
Mit glühnder Zunge, heißem Blick und Wangen,
Fleht sie – Scham hält sie fürder nicht im Zaum –,
Der Wunde mög' er Mitleid nicht versagen,
Die er, unwissentlich vielleicht, geschlagen.
31.
O Roland und o König der Zirkassen,
Was half's euch, daß man himmelhoch euch pries?
Will solche Schätzung euren Wert erfassen?
Der Lohn für eure Dienste, ist er dies?
Hat sie euch eine Huld genießen lassen,
Die sie euch – früher oder jetzt – bewies
Als Lohn für das, was ihr in Liebesbanden
Vollbracht und, ach, für sie habt ausgestanden?
[141] 32.
O könntest du zurück ins Leben kehren;
Wie würd' es hart dir scheinen, Agrikan!
Dich war sie stets beflissen abzuwehren
Voll Grausamkeit und wirklich inhuman.
O Ferragu, du Tapfrer, mit noch mehren,
Die all' ihr Taten habt um sie getan:
Wie wär' es euch, ihr Helden, doch zum Harme,
Säht ihr sie mit dem Mohren hier im Arme!
33.
Die holde Rose durfte Medor pflücken,
An die noch keiner, keiner je gerührt:
Nicht einem Manne wollt' es früher glücken;
Dem Garten wurde keiner zugeführt.
Der Ordnung Siegel allem aufzudrücken,
Nimmt man die Trauung vor, wie sich's gebührt:
Brautführer ist Gott Amor selbst gewesen;
Als Mutter ward die Hirtin auserlesen.
34.
Die Hochzeit, unterm niedern Dach gehalten,
Verging so festlich wie es möglich war.
Mehr als vier Wochen lang ließ Wonne walten
In aller Ruhe drauf das junge Paar:
Sie schaut in seine Züge ohn' Erkalten,
Entzückt, und tut sich nicht genug fürwahr;
Mag sie auch stets an seinem Halse hangen,
Nicht Sättigung schwächt jemals ihr Verlangen.
35.
Zur Seite hat sie ihn, den schönen Gatten,
Ob sie daheim bleibt oder geht von Haus;
Früh und am Abend sucht sie grüne Matten,
Den oder jenen Bachesrand sich aus.
Vor Mittagsglut beut eine Höhle Schatten,
So schön wie jene, die bei Sturmesgraus
Einstmals Aeneas und Frau Dido fanden
Als Zeugin von geheimen Liebesbanden.
[142] 36.
Und wo – bei solcher Lust – ein Baum an Quellen
Schattend emporragt oder Bachesrand,
Dann wieder, hart, ein Platz an Felsenwällen,
War Bohrer oder Messer gleich zur Hand.
Geschrieben draußen stand's an tausend Stellen,
Geschrieben stand's im Haus drin an der Wand:
»Angelika und Medor«, hold verschlungen,
Umrahmt von allerlei Verschönerungen.
37.
Als sie hier lang genug geblieben waren,
Wie's ihr erschien, beschloß sie, wieder fort
Zum fernen Osten nach Katai zu fahren:
Den Teuren schmücke ihre Krone dort.
Ihr Arm pflegt einen goldnen Reif zu wahren
Mit Steinen reich, ein Pfand, das immerfort
Von Roland sprach und seinem treuen Lieben;
Der war ihr lange Zeit am Arm geblieben.
38.
Morgana gab das Kleinod in den Stunden,
Da sie ihn barg im See, dem Ziliant;
Als der durch Rolands Kraft zurückgefunden
Den Weg zu seinem Vater Monodant,
Bekam es Roland; und den Arm umwunden
Mit dieser Spange hielt er, liebentbrannt:
Beschenken wollt' er ja mit diesem Ringe
Sie, seine Königin, von der ich singe.
39.
Sie ward nicht etwa seine Liebesbeute,
Nein, als ein Kunstwerk reich und wunderbar,
Von feiner Arbeit, darum nur erfreute
Sie über alles dieses Kleinod rar.
Im Träneneiland nahmen's nicht die Leute
(Warum nicht, ist mir freilich selbst nicht klar),
Dort, wo die Menschen, diebisch wie die Raben,
Sie nackt dem Scheusal hin zum Futter gaben.
[143] 40.
Weil andre Dinge minder passend schienen
Als Dankeslohn für Treu' und Gastlichkeit
Des Hirtenpaares (das ja ihr zu dienen,
Seit sie zum kleinen Haus kam, stets bereit),
Nahm sie vom Arm die Spang' und gab sie ihnen,
Damit sie ihrer dächten allezeit.
Dann brachen nach den Bergen auf die beiden,
Die Frankreich von dem Spanierlande scheiden.
41.
Sie nahmen Barcelona sich zum Ziele
Oder Valencia für kurze Rast,
Bis einem guten Schiff es wohlgefiele,
Daß es den Osten grüße mit dem Mast.
Sie sahn Girona und die Wellenspiele
Beim Abstieg vom Gebirg im Sonnenglast.
Worauf sie bis nach Barcelona reiten,
Auf gutem Wege, stets das Meer zur Seiten.
42.
Da sahn sie, eh noch in die Stadt sie gingen,
Am Meersand einen Narren ausgestreckt,
Mit Schmutz und Kot, die von ihm niederhingen,
Hinten und vorn gleich einem Schwein bedeckt.
Der stürzt auf sie, wie plötzlich aufzuspringen
Ein böser Hund pflegt, der den Wandrer schreckt,
Belästigt sie, sucht Unheil anzurichten. –
Doch von Marfisa muß ich jetzt berichten,
43.
Die, arg gequält, kommt durch das Meer geflogen,
Mit ihr noch Astolf, Grifon, Aquilant,
Vom drohnden Tode fast hinabgezogen;
Und ganz vergebens ist der Widerstand:
Stets höher, wilder türmen sich die Wogen,
Die das ergrimmte Schicksal hat gesandt;
Drei Tage währt das Rasen, und noch immer
Zeigt sich von Milderung kein blasser Schimmer.
[144] 44.
Kastell und Schanze sind vom Wind gespalten
Und von der feindlich stets erneuten Flut.
Der Schiffsmann kappt, was aufrecht sich gehalten,
Und gibt das Ganze hin der Meereswut.
Den einen sieht man mit der Karte schalten,
Gebückt, bei kleinen Lämpchens schwacher Glut,
Zu sehn: wohin wird sich das Schifflein wenden? –
Der schafft im Kielraum, Fackeln in den Händen.
45.
Vorn so wie hinten bei der Sanduhr warten
Ein paar der Schifferleut' und passen auf;
Halbstündlich schaun sie nach, auf welche Arten
Wie schnell, nach welcher Richtung geht der Lauf,
Und auf dem Mitteldeck mit seinen Karten
Versammelt sich sodann der ganze Hauf,
Zum Rat entboten zur bestimmten Stunde,
Und stellt sich um den Schiffsherrn in der Runde.
46.
»Mir scheint, wir sind nach Limisso verschlagen
Und dort der Sandbank nah«, der eine spricht.
Der ruft: »Nein, wo die spitzen Felsen ragen,
Nach Tripolis, wo manches Schiff zerbricht«,
Und der: »Nein, wo man seufzen muß und klagen,
Auf Satalia zu sind wir gericht't.«
Ein jeder spricht nach Dünken und nach Meinen,
Doch alle gleiche Sorg' und Angst vereinen.
47.
Am dritten Tage packt mit höchstem Grimme
Der Wind das Schiff mit Meerflut im Verein:
Den Fockmast bricht und trägt davon der schlimme,
Das Steuer sie, den Steurer hinterdrein.
Wer jetzt sich stark erklärt mit fester Stimme,
Ist härter noch als Stahl und Marmelstein.
Marfisa, die so tapfer doch zu nennen,
Muß sich an diesem Tag als bang bekennen.
[145] 48.
Nach Zypern, Rom, Galicien will man wallen,
Zum Sinai, nach Compostell, zum Grab,
Zur Jungfrau von Ettino und zu allen
Den heil'gen Stätten, die es sonst noch gab.
Inzwischen fliegen sie empor und fallen
Mit ihrem Schiff vom Himmel schier herab.
Den Hintermast läßt nun der Schiffer fällen;
Der soll sie nicht dem Wind entgegenstellen!
49.
Er wirft von vorn, von hinten, von den Seiten
Ballen und Kisten, was nur irgend schwer,
Gibt auch das Magazin mit Kostbarkeiten
Und reichen Waren viel den Fluten her.
Der läßt durch Pumpen lästig Wasser gleiten
Vom Schiff und gießt das Meer zurück ins Meer;
Der stopft und dämmt im Kielraum hilfsbeflissen,
Wo Brett um Brett die See hinweggerissen.
50.
Als sie vier Tag' in solchen Mühn und Plagen
Gestanden, wußten sie nicht aus noch ein;
Wohl hätt' das Meer den Sieg davongetragen,
Stellt' es sein Wüten etwas später ein.
Doch Hoffnung wollte neu hervor sich wagen,
Jetzt, bei Sankt Elms willkommnem Feuerschein;
Den sahen sie am Vorderteile hangen,
Denn Masten gab's nicht mehr noch Segelstangen.
51.
Als diese Fackeln holden Lichtes schienen,
Knieten die Schiffer nieder auf den Grund
Und gaben nassen Augs, mit flehnden Mienen
Den Herzenswunsch nach Meeresfrieden kund: –
Und sieh, der Sturm, der grausam feindlich ihnen
Bisher gewesen, legte sich jetzund.
Von West und Nord die bösen Winde ruhten,
Und Libyens Wind blieb Herrscher auf den Fluten.
[146] 52.
Er blieb allein Gebieter auf den Wogen
Und blies aus schwarzem Mund so stark daher,
Und mit ihm, reißend, all die Wellen zogen,
Die sinkenden, so eilig auf dem Meer,
Daß die im Schiff dahin geschwinder flogen,
Als wenn es ein beschwingter Falke wär'.
Dem Schiffer bangt, es flieg' ans End' der Erde,
Meint, daß es brechen und versinken werde.
53.
Wie setzt man Widerstand der Wucht entgegen?
Schwimmballast wirft hinaus der Schiffersmann,
Läßt auch das Kabeltau ins Wasser legen:
Zweidrittel minder schnell geht's nun voran.
Noch größern Trost die Lichter vorn erregen
(Man zündete sie auf dem Bugspriet an).
So kann das Schiff, schon fast zugrund gegangen,
Sicher hinaus ins hohe Meer gelangen.
54.
Vor eine große Stadt kommt man gefahren,
Im Lajazzgolf, hin auf das Syrerland,
So dicht: man kann die Türme dort gewahren,
Des Hafens Wächter, recht' und linker Hand.
Als sie vom Schiffer zu erblicken waren,
Wie bleich er da, den Weg erkennend, stand!
Denn landen konnt' er nicht auf dieser Seite
Und bleiben nicht und fliehen nicht ins Weite.
55.
Nicht bleiben konnt' er, nicht von dannen jagen,
Denn Mast und Rahen waren hingerafft,
Gebälk zerdrückt und Planken eingeschlagen,
Zersprungen von der wilden Wogen Kraft.
Im Hafen nimmt der Tod ihn gleich am Kragen,
Wenn nicht für ewig die Gefangenschaft:
Läßt Irrtum, Unstern einen hingelangen,
So wird er sei's getötet, sei's gefangen.
[147] 56.
Zu schwanken schon wird hier Gefahren bringen:
Leicht können Schiffe ja, bewehrt zur Schlacht,
Mit Kriegern her zu seinem Fahrzeug dringen,
Das, hilflos jetzt, nicht für den Krieg gemacht.
Wie die Gedanken miteinander ringen,
Hat Herzog Astolf jener Sorgen acht
Und fragt, warum der Mann bei trübem Sinne?
Weshalb er denn die Einfahrt nicht beginne?
57.
Der Schiffer meldet, jene Auen stehen
In der Gewalt mördrischer Frauenschar:
Sie töten jeden, den sie landen sehen,
Oder in Knechtschaft bleibt er immerdar.
Und diesem Lose kann nur der entgehen,
Der Sieger über zehn der Männer war
Und nachts darauf zehn Mädchen um die Wette
Vergnügte durch das Minnespiel im Bette.
58.
Wenn er die erste Sache gut gemacht hat,
Er stirbt, bringt er die zweite nicht zustand,
Und Ackersmann wird und der Rinder Wacht hat
Als Sklave, wer sich sonst bei ihm befand.
Doch wenn er beides lobenswert vollbracht hat,
So werden frei die Seinen unverwandt,
Er aber nicht; denn er muß sich beweiben
Und als Gemahl von zehn der Schönen bleiben.
59.
Nicht ohne Lachen hörte Astolf diesen
Bericht von jenes Landes Bräuchen an.
Dazu kam Samsonet nun mit Marfisen,
Auch Aquilant mit seinem Bruder dann.
Sie werden von dem Schiffer unterwiesen,
Warum er nicht den Hafen wählen kann.
»Ich nehme mir den Meeresgrund zum Pfühle,«
Sprach er, »eh ich das Joch der Knechtschaft fühle.«
[148] 60.
Derselben Meinung waren die Matrosen
Und wer noch sonst im Schiff mitfuhr daher;
Marfisa und den Rittern schien das Tosen
Der Wellen schlimmer als der Strand am Meer:
Es schreckt sie, wenn die Wogen sich erbosen,
Doch hunderttausend Schwerter nicht so sehr.
Vor dem Ort, sonst vor keinem graute ihnen,
Wo sie der Waffen konnten sich bedienen.
61.
Einlaufen! also lautet ihr Verlangen,
Astolf zumal ficht eifrig für den Plan;
Er weiß: wenn seines Hornes Töne klangen,
Wird schnell ihm dort am Lande freie Bahn.
Sie wollen landen, und die andern bangen:
So wird mit langem Streite nichts getan.
Doch fährt der Schiffer in den Hafen schließlich;
Er folgt dem stärkern Teil, wenn auch verdrießlich.
62.
Schon als sie dort in Sicht gekommen waren
Der grimmen Stadt – noch auf dem offnen Meer,
Eine Galeere, mit Matrosenscharen
Und Lotsen wohlversehn, in voller Wehr
Kam stracks aufs arme Schifflein zugefahren,
Wo sie, unschlüssig, stritten hin und her:
Den hohen Bug ans niedre Heck gebunden,
Ward es dem wilden Meere jetzt entwunden.
63.
Mit Segeln minder als mit Ruderschlägen
Bugsiert man's schleunig in den Hafen dort;
Die Kraft, nach rechts und links sich zu bewegen,
Die nahm ihm ja der schlimme Sturmwind fort.
Das Schwert ergreifen und den Panzer legen
Die Ritter an für jenen fremden Ort
Und sind bemüht, die Hoffnung zu beleben
Dem Schiffspatron und allen, die da beben.
[149] 64.
Mondförmig lag der Hafen; gut vier Meilen
Erstreckt' er sich am Meer; ein festes Schloß
Stand an des Hornes End' auf beiden Teilen;
Der Eingang war sechshundert Schritte groß,
Kein Unheil konnt' ihn je bei Sturm ereilen,
Bei Südwind nur stand er dem Winde bloß.
Man sah die Stadt wie ein Theater liegen:
Im Kreis zum Berg hinan die Straßen stiegen.
65.
Kaum ließ das Fahrzeug sich im Hafen schauen
(Verkündigt war es schon durchs ganze Land),
Erschienen in der Bucht sechstausend Frauen
In Kriegertracht, den Bogen in der Hand;
Und um der Rettung Hoffnung vorzubauen,
Das Meer sich zwischen Burg und Burg befand.
Den Ausgang sperrten Schiff und Ketten viele,
Die immer dort bereit zu diesem Ziele.
66.
Eine, wie Hekuba an Lebenstagen
– Und wie von Kumä die Sibylle – reich,
Ließ sich den Schiffer kommen, ihn zu fragen,
Ob sie das Leben wollten lassen gleich
Oder den Hals im Sklavenjoche tragen,
So wie's die Sitte mit sich bring' im Reich.
Sie sollten zwischen beiden Losen wählen:
Sterben – wenn nicht, der Knechtschaft sich vermählen.
67.
»Zwar, sollte sich bei euch ein Mann wohl finden«,
Sprach sie, »mit solcher Kraft und solchem Mut,
Von unsern Männern zehn zu überwinden
Und hinzustrecken all in ihrem Blut,
Drauf mit zehn Frauen nachts so anzubinden,
Daß er des Ehmanns Amt mit allen tut,
So bleibt er hier, um unser Fürst zu werden,
Doch ihr könnt gehn, wohin ihr wollt auf Erden.
[150] 68.
Auch bleiben dürft ihr dann in unsern Auen,
All oder einige, wem es gefällt;
Doch nötig ist, daß dieser zu zehn Frauen
Sich wie ein tücht'ger Ehemann verhält.
Kann euer Krieger nicht zusammenhauen
Die zehn, die auf ihn stürmen ein im Feld,
Oder die zweite Probe nicht bestehen,
So bleibt ihr Sklaven, er muß untergehen.«
69.
Derweil das alte Weib nur Furcht und Klagen
Zu finden meinte, ei, ganz anders stand's:
Jeder der Ritter glaubt sich so beschlagen,
Die beiden Proben zu bestehn mit Glanz.
Marfisa selber denkt nicht zu verzagen,
Ob schlecht gerüstet für den zweiten Tanz;
Läßt die Natur nicht alles sie erreichen,
So hofft sie's mit dem Schwerte auszugleichen.
70.
Der Schiffer muß die Antwort überbringen,
Die beim Beraten alle sich gedacht:
Vorhanden sei, wer sich zu solchen Dingen
Geeignet glaub' im Bett und in der Schlacht.
Die Feindschaft schweigt, das Schiff kann näherdringen,
Das Tau wird ausgeworfen, festgemacht;
Die Brücke fällt, ans Land die Ritter schreiten,
Bewaffnet und ihr Streitroß an der Seiten.
71.
Die Fremden kamen durch des Ortes Mitten
Und sahn von stolzen Mädchen dort ein Heer,
Die hochgeschürzt hin durch die Straßen ritten,
Sich tummelnd, kriegerisch, mit Schild und Speer.
An keinem Mann ward Sporn und Schwert gelitten,
Und ohne Waffen gingen sie einher
Bis auf nur zehn, von denen ich erzählte,
Daß man nach altem Brauch sie auserwählte.
[151] 72.
Die andern alle sind auf Nähen, Spinnen,
Auf Webstuhl, Nadel, Haspel, Kamm bedacht,
Im Weiberrock zu weibischem Beginnen,
Der lässig, weichlich und bedächtig macht.
Auch pflügen manche, doch in Ketten drinnen,
Und andre halten bei den Herden Wacht –
Es sind nur wenig Männer zu erschauen:
Hundert in Stadt und Land auf tausend Frauen.
73.
Die Ritter wollen durch das Los entscheiden,
Wer jene zehn dort auf dem Platz als Held
So treffen solle, daß den Tod sie leiden,
Und andre zehn dann auf ganz andrem Feld.
Marfisa möchten sie dabei vermeiden,
Denn mißlich sei es doch mit ihr bestellt
Für jenen zweiten Kampf: sie müss' erliegen;
Ihr sei es ja unmöglich, dort zu siegen.
74.
Doch will sie nicht des Losens sich begeben –
Und sieh, das Los fand just den Weg zu ihr:
»Verlieren«, sprach sie, »will ich eh das Leben,
Als daß von euch die Freiheit wer verlier'!
Doch dieses hier« (man sah das Schwert sie heben
An ihrer Seite) »nehmt als Pfand von mir:
Weil alles ich zu lösen mich getröste,
Wie Alexander gord'schen Knoten löste.
75.
Nicht soll der Fremdling fürder sich beklagen
Ob dieser Stadt, solang die Erde währt!«
Sie spricht's, und was auch die Gefährten sagen,
Sie ändern nicht, was das Geschick beschert,
Und lassen sie auf Tod und Leben wagen,
Was Freiheit sichert oder sie verwehrt.
Im Eisenkleid mit Platten und mit Schienen
Ist sie auf jener Kampfesstatt erschienen.
[152] 76.
Es liegt, von Reihn zum Sitzen eingeschlossen,
Ein freier Platz im höchsten Stadtrevier,
Der nur zu Scheinkampf, Jagen mit den Rossen,
Jagd, Ringen wird gebraucht und zum Turnier;
Vier Pforten schließen ihn, aus Erz gegossen.
In dichten Scharen drängt das Volk sich hier
Der Kriegerfraun und setzt sich auf die Stufen,
Marfisa wird darauf herbeigerufen.
77.
Auf einem Schimmel sah man sie erscheinen,
Der ganz bedeckt mit falben Flecken war;
Die Augen blitzen aus dem Kopf, dem kleinen,
Stolz ist sein Gang: – ein prächtig Tier fürwahr!
Als mutigsten und schönsten diesen einen
Erkor sich Norandin aus einer Schar
Von tausend in Damaskus, ließ ihn schmücken,
Marfisa mit dem Hengste zu beglücken.
78.
Von Mittag durch das Südtor sich bewegend,
Kam sie daher und harrte gar nicht lang,
Als Klang von Hörnern hell und muterregend
Dem Platz sich nähernd ihr zu Ohren drang:
Zehn kamen durch das Tor der Kältegegend
Als ihre Gegner in dem Waffengang.
An Wert schien all die andern aufzuwiegen
Der als der erste ritt, sie zu bekriegen.
79.
Auf einem Renner ritt herein der Streiter,
Der wie ein Rabe schwarz und dunkel war;
Nur Stirn und Hinterfuß – und sonst nichts weiter –
Zeigt einen kleinen Fleck von weißem Haar.
Des Rosses Farbe trug nun auch der Reiter,
Als wollt' er sagen: wie fast ganz und gar
Hier Dunkel ohne Licht sei, wohn' im Herzen
Ihm wenig Freude, viel von dunklen Schmerzen.
[153] 80.
Gegeben ist zum Kampfbeginn das Zeichen:
Gleichzeitig senken ihrer neun den Speer;
Der Schwarze läßt des Vorteils Zeit verstreichen,
Zieht sich zurück und setzt sich nicht zur Wehr.
Verletzt sei das Gesetz in diesen Reichen,
Verletzt die Ritterehre nimmermehr!
Beiseite hält er sich, um anzusehen,
Wie ein Speer werde gegen neun bestehen.
81.
Der Renner trug mit leichtem, raschem Gange
Das Fräulein zum Zusammenstoß im Flug.
Sie legt die Lanze ein, die schwere, lange:
Vier Männer trugen dran gerad genug.
Sie wählte nach der Landung diese Stange
Als stärkste unter vielen, weis und klug.
Wie man sie stolz sieht sich im Bügel heben,
Erbleichen tausend, – tausend Herzen beben.
82.
Dem ersten, den sie traf, durchstach sie schnelle
Die Brust so leicht, als sei sie nackt und bloß:
Durchbohrt ward Panzer, Stahlhemd auf der Stelle,
Zuerst jedoch ein Schild, gar stark und groß.
Der Speer drang durch die Schulter, eine Elle
Hinten hinaus; so mächtig war der Stoß.
Sie läßt ihn aufgespießt am Schafte stecken
Und sprengt im Nu hin auf die andern Recken.
83.
Der zweite muß erdrückt den Tod erleiden,
Durch fürchterlichen Stoß der dritte Mann:
Sie lassen, denn das Rückgrat brach den beiden,
Zuerst den Sattel und die Welt sodann:
So war die Kraft, die Menge zu durchschneiden,
So dicht geschlossen kam der Schwarm heran.
Kartaunen sah ich so in Kriegerscharen,
Wie hier in diesen Trupp Marfisa, fahren.
[154] 84.
Zersplittert sind an ihr der Lanzen viele,
Doch unerschüttert bleibt sie bei dem Prall,
Wie eine Mauerwand sich nicht beim Spiele
Bewegen läßt durch einen großen Ball.
Vergebens dient ihr Panzerkleid zum Ziele,
Zu hart ist das erlesene Metall,
Gekocht durch Zauber in der Hölle Gluten,
Gestählt danach in des Avernus Fluten.
85.
Sie sprengt ans End' des Platzes, hält 'ne Weile,
Kehrt um und, plötzlich nach dem Trupp gewandt,
Zerstreut sie ihn und löst ihn auf in Eile,
Das Schwert voll Blut bis hoch zu Heft und Hand.
Nimmt dem den Kopf – dem Arm und andre Teile,
Noch andrem hat sie seltnen Gurt gesandt,
Daß sich der Erde Brust und Kopf vereinen;
Im Sattel bleibt der Leib mit beiden Beinen.
86.
Sie teilt ihn, sag' ich, säuberlich die Quere,
Durch Ripp' und Hüften durch, mit voller Macht:
Er bleibt, als ob's ein Halbfigürchen wäre,
Aus Silber – und zumal aus Wachs – gemacht,
Wie sie die Leute Heiligen zur Ehre
Vor Bilder hinzusetzen oft bedacht;
Gelübde zu erstatten, Dank zu bringen,
Wenn ihre Bitten in Erfüllung gingen.
87.
Einem, der flieht, ist zu des Platzes Mitten
Sie nachgesetzt, und sie erreicht ihn dort:
Der Kopf wird ihm so glatt vom Hals geschnitten,
Daß ihn kein Arzt zusammenheilt hinfort.
Kurzum, den Tod die Ritter all erlitten,
Oder sie blieben kraftberaubt am Ort:
Es war gewiß, daß keiner von der Erde
Mehr aufstehn und sie neu bekämpfen werde.
[155] 88.
Beiseite war geblieben, fern dem allen,
Der Krieger, der die zehn geführt herein:
In solcher Zahl auf einen herzufallen,
Schien ihm ein Tun unwürdig und gemein.
Als er von einer einz'gen Hand gefallen
Sah alle Kampfgenossen im Verein,
Setzt' er, zu zeigen, daß ihn edle Regung,
Nicht Furcht zurückhielt, jetzt sich in Bewegung.
89.
Er winkt, er wolle sprechen, eh er wieder
Für seinen Feind den Gegner kehr' heraus;
Ganz ahnungslos, daß einer Jungfrau Glieder
Versteckt hier sind (gar männlich sah sie aus),
Spricht er: »So viele, Ritter, warfst du nieder,
Du mußt ermüdet sein von solchem Strauß:
Dich mehr, als schon geschehn ist, zu ermatten,
Würde mir Rittersitte nicht gestatten.
90.
Gönne dir Ruhe bis zum neuen Tage,
Und komm zum Kampf am Morgen wieder her.
Kein Ruhm ist's, wenn ich heut mit dir mich schlage,
Denn matt und müde bist du, glaub' ich, sehr.«
»Das bißchen Kriegswerk ist mir keine Plage,
Ich bin in Waffen ja kein Neuling mehr,«
Marfisa sprach, »du wirst's an meinen Werken
Auf deine Kosten, denk' ich, schleunig merken.
91.
Fürs Anerbieten muß ich Dank dir zollen,
Doch nicht zu ruhn fürwahr begehre ich:
Wenn wir den langen Tag verbringen sollen
In bloßer Muße – schämen würd' ich mich.« –
Sprach der: »Wenn so Erfüllung aus dem Vollen
Mir würde dessen, was mein Herz beschlich,
Wie du von mir sollst voll Genüge haben!
Sorg nur, es mög' ein langer Tag dich laben!«
[156] 92.
Er ließ zwei Lanzen – nein, zwei Segelstangen,
So mächtig waren sie und dick und schwer –
Zur freien Wahl an seinen Feind gelangen,
Und jenen Speer, der übrig blieb, nahm er.
Nun warten sie, schon fertig, anzufangen,
Das Zeichen zum Beginn: es tönt daher –
Und horch, Luft, Meer und Erde dröhnen bange;
So stürmen beide los beim Hörnerklange.
93.
Die zuschaun, unbeweglich sitzen alle,
Sie atmen nicht, die Wimpern zucken nicht,
Gespannt, zu sehen, wem in diesem Falle
Die Siegesgöttin wohl den Kranz verspricht.
Marfisa zielt, damit der Dunkle falle
Und nimmer aufsteh' von des Speers Gewicht.
Und auch der Dunkle müht sich nicht geringe,
Daß er den Tod so starkem Gegner bringe.
94.
Sind diese Speer' aus Eichenholz? – Sie scheinen,
Fürwahr, ganz dünne, dürre Weiden bloß:
In Stücken liegen sie, in vielen kleinen,
Und für die Pferde war so hart der Stoß,
Als schnitten auf einmal an ihren Beinen
Haarscharfe Sichern jeden Nerven los.
Sie stürzen beide hin, jedoch die Reiter
Sind auf den Füßen gleich und kämpfen weiter.
95.
Marfisa, die so viele schon im Leben
Bekämpft und immer hingeworfen all
Und niemals ließ sich aus den Bügeln heben,
Fuhr aus dem Sattel doch bei diesem Prall.
Nicht nur verblüfft, daß dieses sich begeben,
Nein, ganz verstört macht sie der seltne Fall.
Verwundert ist der Schwarze gleichermaßen:
So fest wie er nicht viel im Sattel saßen.
[157] 96.
Kaum, daß sie bei dem Sturz am Boden lagen,
Auf Füßen stehen sie zum Angriff wild.
Wie nun mit Hieb und Stoß sich beide plagen!
Mit Klinge wird pariert, mit Sprung und Schild.
Ob voll der Hieb ward oder leer geschlagen,
Es bebt die Luft, es dröhnet das Gefild.
Man sah an Schild und Helm sich offenbaren,
Daß sie noch härter als ein Amboß waren.
97.
Weiß hier das Fräulein wuchtig auszulegen,
So ist der Arm des Ritters drum nicht leicht;
Der Wage Zünglein kann sich nicht bewegen:
Was einer gibt, das wird ihm auch gereicht;
Wer sucht, wo sich zwei kühne Herzen regen,
Sieht in dem Paar das Höchste wohl erreicht:
Gewandtheit, Kraft, wie man sie nur kann denken;
Nicht weiter fort braucht er den Schritt zu lenken.
98.
Die Fraun, die lange schon den mächt'gen Streichen
Der Kämpfer zuschaun in so graus'gem Streit
Und immer noch nicht sehen, daß ein Zeichen
Schwäche verrate oder Müdigkeit,
Nennen sie rühmend Helden ohnegleichen,
Soweit das Meer sich dehne, weit und breit.
Wenn sie nicht über Riesenkraft geböten,
So müsse ja die Mühe schon sie töten.
99.
Marfisa denkt: »Von Glücke kann ich sagen,
Daß der mit jenen nicht sich hat geregt.
Ich läg' am End' inzwischen schon erschlagen,
Hätt' er sich mit dem Trupp heranbewegt;
Kann ich doch seinen Ansturm kaum ertragen,
Weil er so gar gewalt'ge Hiebe schlägt.«
Marfisa sagt es sich mit Worten leisen
Und läßt das Schwert schier unaufhörlich kreisen.
[158] 100.
»Ein Glück, daß ich ihn nicht hab' ausruhn lassen!«
Im stillen sprach der andere zu sich.
»Fast muß ich Widerstand schon unterlassen,
Da ihm doch Kraft durch jenen Kampf entwich.
Könnt' er durch Rast noch neue Stärke fassen
Zum andern Tag, o weh, wo bliebe ich?
Es war für mich ein Segen, daß er diesen
Vorschlag von mir hat hübsch zurückgewiesen.«
101.
Bis in den Abend kreuzen sie die Klingen.
Und keiner noch von Vorteil sprechen kann,
Und keinem will jetzt Deckung mehr gelingen:
Man sieht nicht, welchen Streich der Gegner sann.
Da spricht – es breitet Nacht schon ihre Schwingen –
Zur Kriegerin der art'ge Rittersmann:
»Was tun wir jetzt, da völlig gleich die Schlacht ist
Und schon um uns die unwillkommne Nacht ist?
102.
's ist besser, du verlängerst dir das Leben,
Und sei es bloß für diese Nacht allein.
Dir mehr zu gönnen, darf ich nicht erstreben,
Und deiner Tage Zuwachs ist nur klein.
Doch wär' es unrecht, mir die Schuld zu geben,
Darf ihre Zahl nicht sehr viel größer sein.
Du mußt die Schuld auf jene Satzung schieben,
Die hier im Frauenreich in Kraft geblieben!
103.
Daß du mir leid tust, du und all die Deinen,
Weiß er, dem alle Dinge sind bekannt.
Ihr solltet mit mir kommen, möcht' ich meinen,
Weil keine Herberg' sicher ist im Land;
Ich weiß, daß jene feindlich sich vereinen,
Die gattenlos durch deine starke Hand.
Jeder, dem du den Tod hier hast gegeben,
War ja der Gatte von zehn Fraun im Leben.
[159] 104.
Es lechzen neunzig Frauen hier nach Rache
Des Schadens, den du ihnen heut gebracht:
Nimmst du nicht Wohnung unter meinem Dache,
Gewärt'ge Überfall in dieser Nacht!« –
Marfisa sprach: »Wohlan, so sei es, mache
Zum Gast mich, deines Hochsinns hab' ich acht
Und weiß, du bist so treu in jedem Werke,
Wie groß dein Mut ist und des Leibes Stärke.
105.
Doch wenn dir's leid ist, morgen mich zu töten,
So tut vielleicht das Gegenteil dir leid:
Einstweilen scheint Frohlocken nicht vonnöten,
Daß ich der schwächre Kämpfer sei im Streit.
Ob jetzt, ob wenn sich neu die Himmel röten,
Du kämpfen willst, du findest mich bereit;
Auf jeden Wink sollst du mich willig sehen,
So oft und wie dir's gut scheint, dir zu stehen.«
106.
So ward verschoben denn das große Ringen,
Bis her vom Ganges zöge Tagesschein,
Und die Entscheidung wollte nicht gelingen,
Wer von den beiden möge stärker sein.
An Aquilant und Grifon auch ergingen
Die Bitten und die andern im Verein,
Daß ihnen allen bis zum jungen Tage
Die Rast in jenes Ritters Haus behage.
107.
Die Ladung wird ohn' Argwohn angenommen:
Bei weißer Fackeln hellem Glanz sodann
Sind sie zu einem stolzen Bau gekommen,
Darin man schöne Zimmer sehen kann.
Als nun den Helm die Kämpfer abgenommen,
Verwundert schauen beid' einander an:
Des Ritters Alter, wie die Züge sagen,
Kann kaum die Zahl von achtzehn überragen.
[160] 108.
Das Fräulein staunt, wie bei so jungen Jahren
Das Schwert er führe mit so großer Macht:
Der andre staunt, als klar wird an den Haaren,
Mit wem er heut den harten Strauß gemacht.
Den Namen wollen beide nun erfahren,
Und gleich ins reine wird die Schuld gebracht.
Doch wie der starke junge Mann genannt wird,
Erfährt, wer mit dem nächsten Sang bekannt wird.

[161] Zwanzigster Gesang

1.
Einst taten Frauen in der Schlachten Reigen
Erstaunliches und in der Musen Pflicht,
Und solcher Ruhm ward ihnen oftmals eigen,
Als strahle durch die Welt ein helles Licht.
Camilla und Harpalyce, sie zeigen,
Daß Mut und Kraft den Frauen nicht gebricht.
Sappho, Corinna leuchten mit Gefunkel,
Gelehrte Fraun – ihr Name kennt kein Dunkel.
2.
Die Fraun entfalten oft die höchsten Werte
In jeder Kunst, der sie sich zugewandt:
Wen die Geschichte gutes Urteil lehrte,
Dem ist ihr reicher Ruhmeskranz zur Hand;
Und wenn die Welt ihn eine Zeit entbehrte,
Nach einer Weile doch der Unstern schwand.
Vielleicht auch ging durch Neid und der Autoren
Unkenntnis ihnen schuld'ger Ruhm verloren.
3.
Und unsre Zeit! Mich deucht, der schönen Frauen
Preis und Vortrefflichkeit ist voll erwacht:
Die gilt es Tinte und Papier vertrauen,
Daß ihrer künft'ge Zeiten haben acht;
Und Strafe sollt ihr, böse Zungen, schauen,
Sinkt ihr mit eurer Schmach in ew'ge Nacht!
Das Lob von unsern Frauen wird erwiesen,
Wie lang vor ihrer Zeit das von Marfisen.
[162] 4.
Zurück zum Fräulein will der Sang uns tragen:
Sie weigert jenem art'gen Herrn jetzund
Die Auskunft keineswegs auf seine Fragen,
Nur mach' er seinen Namen ihnen kund.
Sie löst die Schuld, eilt, wer sie ist, zu sagen,
Damit der Name kling' aus seinem Mund:
»Marfisa bin ich«, spricht sie, – das ist alles;
Die Welt kennt ja den Namen dieses Schalles.
5.
Ausholend hört man nun den Wirt beginnen;
Er gibt von sich ausführlichen Bescheid:
»Auf meinen Stamm wird jeder sich besinnen
Von euch, so viel ihr hier beisammen seid,
Nicht nur in Frankreich und in Spanien drinnen,
Auch bis nach Indien und Äthiopien weit
Hört man den Namen Clermont ja erschallen,
Ihn trug der Held, durch den Almont gefallen,
6.
Auch, der das Reich zerstört hat, der erschlagen
Den König Clariel und den Mambrin.
Dort hat mich, wo des Ister Fluten jagen,
Des achtzehn Hörner aufnimmt der Euxin,
Aus diesem Blut die Mutter einst getragen
Dem Herzog Haimon, der als Gast erschien.
Vor einem Jahr ließ sie mich weinend gehen,
Frankreich und meine Sippe dort zu sehen.
7.
Mißlungen ist, was ich geführt im Schilde,
Denn stürm'scher Südwind trieb mich hier ans Land.
Zehn Monde bergen hier mich die Gefilde;
Ich zähle Tag und Stunde, die entschwand.
Und zubenannt bin ich Guido der Wilde,
Noch unbewährt zur Zeit und unbekannt.
Das Blut des Argilon ist hier geflossen
Von Meliböa, mit den neun Genossen
[163] 8.
Die Mädchenprobe ist mir auch gelungen:
Für mein Vergnügen hab' ich ihrer zehn
– Ich wählte sie mir aus den schönen, jungen, –
Die lieblichsten, die man im Land kann sehn.
Sie leit' ich und die andern, denn gezwungen
Bin ich, dem Frauenreiche vorzustehn,
Und jeden Neuen wird man so erheben,
Gelingt es ihm, den zehn den Tod zu geben.«
9.
Und als darauf die Ritter Guido fragen,
Warum man hier so wenig Männer hat,
Ob die vielleicht der Frauen Herrschaft tragen
(Das Umgekehrte findet meistens statt),
Sprach er: »Ich ließ den Grund mir niemals sagen,
Seitdem ich weilen muß in dieser Stadt.
Was ich vernahm an seltsamen Geschichten,
Das will ich, steht's euch an, nun gern berichten.
10.
Von Troja kehrten heim nach zwanzig Jahren
Die Griechen (die Belagerung nahm zehn;
Zehn andre ließ das feindliche Gebaren
Des Winds in Ängsten auf dem Meer vergehn),
Und ihre Fraun indes beflissen waren,
Nach Trost für Einsamkeit sich umzusehn,
Und jungen Freunden alle sich gesellten
Aus Furcht, allein im Bett sich zu erkälten.
11.
Die Griechen fanden voll von andrer Söhnen
Ihr Haus: sie kamen weislich überein,
Mit ihren Fraun sich wieder zu versöhnen,
So langes Fasten schien zu schwer zu sein.
Die Kinder mußten sich des Heims entwöhnen
Und auf gut Glück ziehn in die Welt hinein,
Weil sie genug – bedünkt's den Ehegatten –
Auf deren Kosten sich gefüttert hatten.
[164] 12.
Den setzt man aus, versteckt wird und dem Leben
Erhalten durch die Mutter jenes Kind,
Hierhin und dorthin in die Weite streben
Die Scharen derer, die erwachsen sind.
Dem Landbau diese, und der Kunst ergeben
Sich jene, andre man als Krieger find't;
Der dient am Hof, und jener hütet Herden,
Wie's ihr gefällt, die alles lenkt auf Erden.
13.
So war ein Jüngling auch mit ausgefahren,
Der Klytämnestra Sohn, der blut'gen Frau,
Wie Lilien frisch, mit seinen achtzehn Jahren,
Wie Röslein, just gepflückt auf grüner Au.
Der nimmt ein Schiff und macht sich zum Korsaren
Und raubt, was nur erscheint im Meeresblau.
Mit ihm sind hundert Jünglinge gewesen,
Gleichaltrige, aus Griechenland erlesen.
14.
Die Kreter hatten grad in jenen Zeiten
Idomeneus gejagt aus ihrem Land,
Worauf sie Mannschaft in die Heere reihten;
Das sicherte der neuen Dinge Stand.
Durch guten Lohn ließ sich dorthin verleiten
Phalant (so war der junge Mann genannt)
Und sich zum Hauptmann von Dictäa machen,
Die Stadt mit seinen Leuten zu bewachen.
15.
Dictäa war die lieblichste von allen
Den hundert Städten rings im Kreterreich:
Von früh bis abends Spiel und Lieder schallen
Der schönen Damen hold und anmutreich.
Und weil man stets den Fremden zu Gefallen
Gewohnt war, so geschah's fast alsogleich,
Daß sozusagen jene jungen Scharen
Auch in den Häusern drin die Herren waren.
[165] 16.
Die Blüte Griechenlands war ja gekommen
Und jeder Jüngling gar so schön und nett:
Den holden Damen wird das Herz beklommen,
Wenn einer ihnen vors Gesicht gerät;
Sie sind nicht schön nur, haben sich benommen
Auch unverdrossen stets und gut im Bett.
Die Damen gingen schier für sie durchs Feuer,
Nichts auf der Welt war ihnen je so teuer.
17.
Als ein Vertrag darauf den Krieg ließ enden,
Für den geworben war der Held Phalant,
Und kleiner Sold blieb in der Krieger Händen,
So daß der Grund für längres Bleiben schwand,
Beschlossen sie, von dannen sich zu wenden,
Und große Trauer bei den Fraun entstand:
Die fingen an, so bitterlich zu klagen,
Als wären ihre Väter jetzt erschlagen.
18.
Sie ruhen nicht, die Krieger anzuflehen,
Zu bleiben, jeden Mann für sich allein;
Doch als auf ihrem Vorsatz die bestehen,
Da rauben sie zu Haus Gold und Gestein,
Um mit dem Liebsten selbst davonzugehen,
Und lassen Mann und Kind und Eltern sein.
Und daß kein Mann in Kreta etwas merke,
Ganz im geheimen gehen sie zu Werke.
19.
Die Winde waren günstig, wie die Stunden,
Da von Phalant die Ausfahrt ward gemacht:
Sie waren viele Meilen weit entschwunden,
Und Kreta hatte des Verlusts nicht acht.
Der Strand da ward noch unbewohnt gefunden,
Zu dem des Zufalls Laune sie gebracht.
Sie blieben hier und konnten, wohlgeborgen,
Des Diebstahls Frucht genießen ohne Sorgen.
[166] 20.
Zehn Tag' in Freud' und Herrlichkeit verflossen,
Der Liebeswonne ganz allein geweiht.
Doch was die Jugend hat zu reich genossen,
Wird leicht zum Überdrusse mit der Zeit:
Für sich zu bleiben, wurde drum beschlossen,
Und von der Frauenplage ganz befreit.
Es gibt ja keine größre Last hienieden
Als eine Frau, mit der man unzufrieden.
21.
Sie, denen Beut' und Raub ersprießlich schienen
Und deren Spendeneigung doch recht klein,
Sahn, zu ernähren so viel Konkubinen,
Werd' andres noch als Waffen nötig sein.
So stahlen sie nicht nur sich selbst von ihnen,
Nein, auch der Armen Schätze obendrein:
Wo in Apulien Meereswogen rollen,
Sie dann Tarent gegründet haben sollen.
22.
Als sich die Frauen nun verraten sehen
Von ihnen, denen sie so sehr vertraut,
Versteinert bleiben sie für Tage stehen,
Wie eine Statue auf die Fluten schaut.
Doch als die Dinge drum nicht besser gehen
Durch Tränenströme und durch Jammerlaut,
So richten sie auch darauf jetzt die Blicke,
Wie abzuhelfen sei dem Mißgeschicke.
23.
Beratung halten sie. Die einen sagen:
›Laßt lieber uns zurück nach Kreta gehen
Und der erbosten Männer Wut ertragen
Und was uns von den Eltern mag geschehn,
Als daß hier Not und Hunger an uns nagen,
Wo öder Strand und finstre Wälder stehn.‹
Eh – meinen andre – das zu dulden wäre,
Dann lieber sich ertränken gleich im Meere!
[167] 24.
Und in geringre Drangsal sie gerieten,
Bettelnd, wie Dirnen durch die Welt zu ziehn,
Als selber sich den Strafen darzubieten,
So wie ihr schwer Verschulden sie verdien';
Worauf noch dies und das die Armen rieten,
Stets Härtres, Schlimmres, mit bestürzter Mien'.
Am End' ist Orontea aufgesprungen;
Sie war aus Minos' Königsstamm entsprungen
25.
Und hatte sich am wenigsten vergangen,
Die Schönste, Jüngste, doch an Geist voraus.
Sie gab als Jungfrau sich, von Lieb' umfangen,
Phalant und ließ um ihn das Vaterhaus.
Jetzt drückt ihr Feuerwort und glühnde Wangen
Zorn eines edlen, großen Herzens aus.
Sie spricht von jedem Vorschlag, den man machte,
Bringt dann zur Geltung, was sie selber dachte:
26.
Man solle nicht aus dieser Gegend weichen,
Die als gesund und gut sie hab' erkannt.
Mit schatt'gem Wald und Feldern früchtereichen,
Wo klare Flüsse ziehn durch ebnes Land;
Mit Hafen, Buchten, wo die Segel streichen
Schiffe, von stürm'schem Meer dahergesandt,
Beladen mit zum Leben nöt'gen Dingen,
Die sie aus Libyen und Ägypten bringen.
27.
Man solle bleiben und nach Rache streben
An dem Geschlecht voll Falschheit und Verrat:
Das Schiff, vom Sturm in ihre Hand gegeben,
Wenn es zur Rettung hier die Landung tat,
Beraubt soll's werden und verbrannt; das Leben
Verliere drauf ein jeder ohne Gnad'.
Gesprochen ward es und ward angenommen
Und ist als Satzung in Gebrauch gekommen.
[168] 28.
Sobald das Wetter sich zum Sturme wandte,
Zum Strande liefen sie in voller Wehr;
Voran die grimme Orontea rannte,
Die das Gesetz gab, Königin nunmehr.
Und von den Schiffen, die der Sturmwind sandte,
Stellten sie grause Scheiterhaufen her.
Sie ließen keinen einz'gen Mann am Leben,
Der hierhin, dorthin Nachricht könnte geben.
29.
Den Feinden männlichen Geschlechts vergingen
So ein paar Jahre einsam und allein.
Doch daß sie selbst sich müßten Schaden bringen,
Wenn es so bliebe, sahen sie dann ein.
Sobald sie keinen Nachwuchs mehr empfingen,
So würde das Gesetz bald nichtig sein
Und mit dem unfruchtbaren Reiche enden,
Für das sie gerne ew'ge Dauer fänden.
30.
So mildern sie ein wenig denn die Strenge
Und wählen in vier Jahren nacheinand
Aus der an diesem Ort gefangnen Menge
Zehn schöne Ritter, rüstig und gewandt,
Denen beim Liebesspiel es gut gelänge,
Zu halten gegen hundert Frauen stand.
Denn ihrer hundert waren es gerade,
Ein Mann demnach für jegliche Dekade.
31.
Man köpfte freilich noch zuvor gar viele,
Die Unglück hatten in der Probeschlacht.
Den zehn Erprobten, die gelangt zum Ziele,
Ward Anteil an dem Bett und Herrschermacht;
Allein sie mußten alle schwören, fiele
Ein Mann in ihre Hand, vom Sturm gebracht,
Den würden sie vertilgen mit dem Degen;
Nie dürfe Mitleid sich in ihnen regen.
[169] 32.
Die Frauen werden schwanger und gebären,
Und die Besorgnis naht, daß gar am End'
Nicht lang mehr ihre Herrschaft möge währen,
Wenn das Geschick zu viele Söhne send';
Zum Männerreiche werde sich verkehren
Zuletzt ihr teures Frauenregiment:
Sie wollen vor Rebellen sich bewahren,
Und zwar, solang die Söhne jung an Jahren.
33.
Nicht zu erliegen drum der Männer Händen,
Behalte jede Frau ein männlich Kind,
Sagt das Gesetz; erstickt die andern enden,
Wenn auswärts nicht verkauft, vertauscht sie sind.
Man eilt, die Knaben weit hinweg zu senden:
Der Führer sucht, daß er ein Mädchen find'
Als Austausch, wenn der Knabe wird genommen;
Wo nicht, muß er nach Haus mit Waren kommen.
34.
Sie schonten auch nicht gerne jenen einen,
Bloß weil die Herde sonst zusammenbricht.
Das ist nun Milde, Mitleid, wie's den Seinen,
Und andern nicht, dies arg' Gesetz verspricht.
Bei andern muß sich Blut und Tod vereinen;
Nur eins hat ein verschiedenes Gesicht:
Daß jetzt nicht mehr, wie sonst, die wilden Horden
In wirrem Durcheinander alles morden.
35.
Zehn, zwanzig, wie sie grad sich ließen fassen,
Auch mehr, verbirgt man in des Kerkers Schoß,
Und einer täglich – mehr nicht – muß erblassen
Im Schreckenstempel dort (traf ihn das Los),
Den Orontea hatte bauen lassen;
Geweiht war der Altar der Rache bloß.
Das Henkeramt verübt nun stets an diesen
Einer der zehn, den sie durchs Los erkiesen.
[170] 36.
Aus des Alkiden Stamm nach vielen Jahren
Kam einst ein Knab' an diesen Mörderstrand,
Ein schlachterprobter Held, dahergefahren:
Elban war dieser junge Mann genannt.
Gefangen ist er, als sie ihn gewahren,
Denn ohne Argwohn stieg er hier ans Land;
Bewacht in engem Kerker, sieht der Degen
Mit andern jenem Schreckenslos entgegen.
37.
Er war so schön und lieblich anzuschauen,
An Sitten fein und von erlesner Art;
Dem Zauber seines Worts sich zu vertrauen,
Würd' einer Natter selber nicht erspart:
Von ihm sollt' Alessandra durch die Frauen,
Weil er als Wunderding gepriesen ward,
Das Kind der Orontea, auch erfahren
(Die lebte noch, beschwert von hohen Jahren).
38.
Sie lebte noch, die andern alle schwanden,
Die einst das Schicksal mit ihr hergebracht;
Und zehnmal größre Anzahl war vorhanden,
Gewachsen auch ihr Ansehn, ihre Macht.
Zehn Schmieden, die sich oft geschlossen fanden,
War eine einz'ge Feile zugedacht.
Das Los der Fremden war noch immer bitter,
Dafür sorgt ja die Zehnzahl jener Ritter.
39.
Das Mädchen, voll Begier, zu sehn den jungen,
Von aller Welt so sehr gepriesnen Mann,
Hat freuderfüllt der Mutter abgerungen,
Daß sie Elban nun sehn und hören kann:
Und als sie fortgeht, bleibt ihr Herz bezwungen
Bei ihm zurück, dem es gehört fortan.
Sie fühlt sich ohne Widerstand gebunden,
Von dem Gefangnen selber überwunden.
[171] 40.
Da sprach Elban: ›Wenn man nur Ahnung hätte,
O Dame, hier von der Barmherzigkeit,
Wie sonst die Welt sie kennt an jeder Stätte,
Soweit die Sonne scheinet, weit und breit,
Wagt' ich die Bitt' an Euch, daß man mich rette,
Weil Ihr von solcher Huld und Schönheit seid;
Und stets bereit dann wär' ich, dieses Leben,
Das Euch gehörte, für Euch hinzugeben.
41.
Doch weil die Bitten taube Ohren fänden
Bei Herzen jeder Mitleidsregung bar,
So will ich meinen Atem nicht verschwenden;
Vergebens bliebe doch mein Flehn fürwahr:
Dem Tode böt' ich, Waffen in den Händen,
Als Ritter schlecht und recht mich gerne dar,
Nicht wie ein Schuft, den man zu strafen trachtet,
Und wie ein blödes Tier nicht, das man schlachtet!‹
42.
Das holde Mädchen, dem die Augen tauen
Aus Mitgefühl, entgegnet leis und weich:
›Und wär' auch schlimmer noch und mehr voll Grauen
Als sonst ein andres Land hier unser Reich,
Ist doch darum nicht jede von den Frauen,
Wie du es darstellst, der Medea gleich;
Und fände man ihr ungleich sonst nicht eine,
Befreien möcht' ich dich auch ganz alleine.
43.
Und wär' ich grausam auch in frühern Tagen
Und bös gewesen wie so viel im Land,
So konnt' es nur geschehen – dürft' ich sagen –,
Weil ich zu Mitleid noch nicht Anlaß fand.
Doch Tigerblut würd' ich in Adern tragen
Und in der Brust ein Herz von Diamant,
Wär' nicht alsbald die Härte mir geschwunden,
Als ich so schön dich, kühn und lieb gefunden.
[172] 44.
Wenn das Gesetz nur wär', uns zu bedräuen,
Das strenge, das hier gegen Fremde gilt,
Ich würde selber ja den Tod nicht scheuen;
Gern wär' ich deines würdgern Lebens Schild.
Jedoch kein Rang darf solcher Macht sich freuen,
Dich zu befreien hier im Fraungefild.
Es wird allein schon schwer sein, dein Verlangen
Zu stillen und dies wen'ge zu erlangen.
45.
Doch will ich sehn, was möglich ist: am Ende
Vergönnt man dieses Wunschs Erfüllung dir;
Doch wenn dein Leiden nur Verlängrung fände,
Den Tod hinhaltend, Qualen schüf' es mir.‹
Elban fiel ein: ›Wenn ich bewaffnet stände
Auch gegen zehn, so fühl' ich Kräfte hier:
Sie töten würd' ich und mein Leben retten,
Ob jene statt der Leiber Eisen hätten.‹
46.
Wortlos ist Alessandra drauf verschwunden;
Nur aus der Brust ein Seufzer Raum sich schafft,
Und mit sich nimmt sie tausend süße Wunden,
Die niemals heilen, aus des Jünglings Haft.
Sie mahnt die Mutter: werde wahr gefunden,
Der Ritter habe solche große Kraft,
Dann solle man, könn' er die zehne töten,
Doch nicht den Grund mit seinem Blute röten.
47.
Die Fürstin ließ den hohen Rat der Alten
Versammeln, und sie sprach: ›Wir müssen sehn,
Daß wir den Allerbesten stets erhalten,
An Strand und Hafen Wache hier zu stehn.
Zu wissen, wen man läßt, wen wir behalten,
Muß andre Probe stets aufs neu ergehn,
Daß nicht, für uns zum Schaden und Verderben,
Die Schlechten herrschen und die Starken sterben.
[173] 48.
Mir scheint es gut – ihr denkt vielleicht desgleichen –,
Wenn sich in Zukunft jeder Rittersmann,
Den sein Geschick läßt diesen Strand erreichen,
Eh man den Tod ihm tu' im Tempel an,
Sobald er will, mit Lanz' und Schwertesstreichen
Im Kampf mit zehn der Gegner messen kann.
Und dieser sei dann Wächter – bleibt er Sieger –
Am Hafen mit erneuter Zahl der Krieger.
49.
Ich sage dies, weil einer sitzt gefangen,
Der ihrer zehn, und siegreich, will bestehn.
Es ziemt sich, zu erfüllen sein Verlangen,
Daß er uns lasse solche Taten sehn.
Doch hat er sich in Prahlerei ergangen,
So wird, mit Recht bestraft, er untergehn.‹
Die Fürstin sprach's. Drauf sah man sich erheben
Der Ältsten eine, Antwort ihr zu geben:
50.
›Der Hauptgrund, daß wir Männer hier benützen,
Mit ihnen Umgang halten und Verkehr,
War nicht etwa, daß dieses Reich zu schützen
Durch ihren Beistand für uns nötig wär':
Wir haben, uns auf eigne Kraft zu stützen,
Von Mut und Geist genug und auch noch mehr.
Wir könnten sie dabei ganz gut entbehren:
Doch nicht, wo's gilt, uns Nachwuchs zu bescheren.
51.
Da hierin ohne sie nichts anzufangen,
So haben wir uns eine Zahl gesellt;
Wir brauchen um die Herrschaft nicht zu bangen,
Wenn stets sich einer gegen zehne stellt:
Sie sind nur dazu da, daß wir empfangen;
Wir brauchen Schutz von niemand auf der Welt.
Nur durch die Mannheit seien sie uns wichtig,
In jeder andern Hinsicht null und nichtig!
[174] 52.
Bei starkem Manne wären wir in Nöten:
Das ginge gegen aller Dinge Lauf;
Vermag der eine Mann die zehn zu töten,
Wie viele Frauen nimmt er dann in Kauf?
Wenn unsre zehn in dieser Art sich böten,
Am ersten Tag hört' unser Reich schon auf.
Das führt zur Herrschaft nicht, wenn einer eben
Mehr kann als wir, ihm Waffen noch zu geben.
53.
Und läßt des Glückes Gunst den Sieg ihn schauen
Und hat er alle zehne umgebracht,
Bedenket, wie der Hauf von hundert Frauen
Dann schreien wird, die er zu Witwen macht.
Er muß, will frei er sein, auf andres bauen,
Als daß er zehn ermordet in der Schlacht.
Man schone ihn, wenn ihm, was zehn vollbringen,
Allein an hundert Frauen wird gelingen.‹
54.
Also Artemia, die Finstre, grollte
(Dies war ihr Nam'), und schon war's nah daran,
Daß am Altar geschlachtet werden sollte
Den grimmen Göttern jener Rittersmann,
Bis Orontea, die willfahren wollte
Der Tochter gern, noch andres drauf ersann;
Mit vielen Gründen sprach sie solcherweise,
Daß ihre Ansicht durchdrang in dem Kreise.
55.
Ihr Lob, der Schönheit des Elban gesungen
Als unerreicht und einzig in der Welt,
Tut viel in diesem Rate bei den Jungen,
Bei denen solches in die Wagschal' fällt,
Und die Partei der Alten wird bezwungen,
Die mit Artemia fest am Brauche hält;
Fast wär' Elban, derart in Schutz genommen,
Durch Gunst, ganz ohne Buße freigekommen.
[175] 56.
Kurzum, es wird ihm Gnade zugestanden,
Hab' er zehn Ritter in den Tod geschickt
Und auch den andern Strauß mit Lob bestanden,
Zum Streit mit zehn, nicht hundert, Fraun geschickt.
Am andern Tag, befreit von seinen Banden,
Wird er, bewehrt, auf gutem Roß erblickt;
Allein ficht gegen zehn der junge Krieger
Und streckt zu Boden alle zehn als Sieger.
57.
Allein und nackt mußt' er sich noch erproben
Die Nacht darauf mit zehn der Mägdelein;
Da war sein Ungestüm so sehr zu loben:
Er nahm die Frauen sämtlich für sich ein.
Dies hat bei Orontea ihn erhoben
Zu großer Gunst: ihr Sohn nun mußt' er sein;
Sie gab als Frauen ihm mit Alessandren
Die neun des Nachts von ihm besiegten andren.
58.
Ihn mit der Tochter machte sie im Reiche
Zum Erben (und nach dieser ward's genannt)
Gegen den Schwur, zu wahren stets das gleiche
Gesetz, das auch, die nach ihm kämen, band;
Wer jemals in der Zukunft noch erreiche,
Zu seinem Unstern, diesen schlimmen Strand,
Der müsse sich nach Wahl zum Opfer geben,
Sonst gegen zehn verteidigen sein Leben.
59.
Und hab' er tags die Männer all erschlagen,
Müss' er bestehn die Frauen in der Nacht,
Und kröne so das Glück sein kühnes Wagen,
Daß alles beides siegreich sei vollbracht,
Soll er des Frauenreiches Zepter tragen
Und sei auf neue Zehnzahl dann bedacht.
Die Herrschaft hab' er, bis ein andrer käme,
Der stärker sei und ihm das Leben nähme.
[176] 60.
Zweitausend Jahr' sind's, daß den Brauch sie machten;
Es galt bisher und gilt noch diese Zeit,
Fast täglich einen Armen abzuschlachten
Im Tempel, wo man ihn der Rache weiht.
Die paar, die's wie Elban zu machen dachten
('s gibt ihrer noch), zum Kampf mit zehn bereit,
Fallen beim ersten Ansturm meist: zum zweiten
Sieht man von tausend noch nicht einen schreiten.
61.
Wohl gab es Sieger, aber doch so selten,
Daß an den Fingern sie zu zählen sind.
Als solcher durfte Argilon noch gelten,
Doch lange nicht beherrscht' er sein Gesind';
Als mich die Stern' ihm gegenüberstellten,
Schloß ich sein Aug' zu ew'gem Schlaf geschwind.
Wär' ich gestorben doch an jenem Tage,
Als daß ich schmachvoll Sklavenketten trage!
62.
Was sind mir Liebeslust und Scherz und Spiele
(Sie mögen manchem andern wertvoll sein),
Purpur und Edelstein, und daß mir viele
Als Hochgestelltem Ehrerbietung weihn?
Sie bieten wenig, was dem Mann gefiele,
Nennt er dabei nicht auch die Freiheit sein!
Nicht fort von hier zu können, schmerzt unsäglich
Und scheint mir Knechtschaft, schwer und unerträglich.
63.
Daß ich die besten Jahre muß verschwenden,
Des Lebens Blüte mit so schlechter Tat,
Schafft mir im Herzen Leid, das nicht will enden,
Nimmt mir der Freude Lust so früh wie spat.
Ruhmvoller Name, den die Meinen senden
Durch alle Welt, fliegt auf zum Himmel grad:
Mein gutes Teil würd' ich daran wohl haben,
Könnt' ich dahin mit meinen Brüdern traben.
[177] 64.
Mir ist, als ob Erniedrigung mir werde,
Hält mich mein Los zu niedrem Dienste fest,
Wie man zurück den Renner schickt zur Herde,
Hat er am Aug', an Füßen ein Gebrest
Oder was sonst an Mängeln noch die Pferde
Zu Krieg und edlem Zweck untauglich läßt.
Und weil's unmöglich, Freiheit zu erwerben,
Als nur durch Tod, so sehn' ich mich zu sterben.«
65.
Hier machte Guido dem Bericht ein Ende,
Den Tag verfluchend, da er siegreich war
Und dieses Reich bekam in seine Hände,
Die zehn bezwingend und die Frauenschar.
Astolf stand schweigend, bis genug sich fände
An Zeichen und Beweis, zu sehen klar,
Daß der mit Fug sich Ritter Guido nannte,
Den er als Sohn des Oheims Haimon kannte.
66.
»Astolf«, spricht er, »bin ich, aus Englands Reichen,
Dein Vetter«, und umschlingt ihn mit dem Arm,
Nicht ohne Tränen, und mit liebereichen
Gebärden herzt er ihn und küßt ihn warm;
»O Vetter, fehlen könnt' am Hals das Zeichen,
Das dir verlieh die Mutter, ohne Harm;
Daß du der Unsre bist und hoch dein Wert ist,
Genugsam dargetan schon durch dein Schwert ist.«
67.
Wie hieße Guido freudig ihn willkommen,
Fänd' er den Vetter nur an andrem Ort!
Hier grüßt er ihn, das Antlitz ganz beklommen,
Betrübt, ihn hier zu sehn am Meeresport:
Denn wenn er lebt, wird Freiheit dem genommen,
Und zwar am nächsten Morgen schon sofort.
Wird Astolf frei, so muß er selber sterben:
Des einen Heil heißt anderm Mann Verderben.
[178] 68.
Ihn schmerzt es, daß die Freunde, sollt' er siegen,
Hier als Gefangne bleiben ew'ge Zeit;
Und dann auch, sollt' er selber unterliegen,
Ist immer noch dies Los für sie bereit:
Denn wenn Marfisa, einem Sumpf entstiegen,
Im zweiten stecken bleibt, dann hat – o Leid! –
Die Heldin ganz umsonst ihn überwunden:
Sie stirbt – als Sklaven werden die gebunden.
69.
Und wieder: – dieses Jünglings edle Sitten
Und Jugendblüt' und ritterliche Art
Ergriffen alle, in die Seele glitten
Mitleid und Rührung mild und Liebe zart;
Daß Freiheit sie durch seinen Tod erstritten,
Fast als ein niedrig Ding empfunden ward:
Marfisa will, kann sie es nicht vermeiden,
Ihn umzubringen, selber Tod erleiden.
70.
Sie sprach: »Wir wollen all zusammengehen,
Bis Ausgang mit Gewalt erzwungen ist.«
»Ach,« sagte er, »laß Hoffnung dir vergehen,
Ob du besiegt und ob du Siegrin bist!«
Und sie: »Von einem Werke abzustehen
Aus eitel Furcht, pfleg' ich zu keiner Frist;
Auch nicht, die sichre Straße mir zu küren,
Kann Schwertschlag mich in eine andre führen.
71.
Du ließest solche Kraft mich heut erschauen,
Daß ich mit dir bereit zu allem bin:
Wenn morgen auf den Plätzen sind die Frauen
Und alle sitzen im Theater drin,
Laß sie uns rechts und links zusammenhauen
(Ob eine flieh', ob kämpf' als Kriegerin);
Dem Wolf und Geier dann die Leiber lassen
Und Feuersglut die ganze Stadt erfassen.«
[179] 72.
Und Guido sprach: »Dir folg' ich ins Gedränge,
Und sterben will ich dort, zu Seiten dir,
Weil fortzuleben niemals uns gelänge;
Uns rächen muß allein genügen hier.
Zehntausend zählt ja oft die Frauenmenge
Dort auf dem Platz; es wacht im Strandrevier
An Burg und Bucht die gleiche Zahl, und Wege,
Um fortzugehen, gibt es nicht noch Stege.«
73.
Marfisa sprach: »Und wären mehr der Degen
Als durch ganz Persien einst der Männer Hauf
Und als die Seelen, die des Aufruhrs wegen
Vom Himmel lenkten schmachbedeckt den Lauf –
Bist du mit mir, sei's auch nur: nicht entgegen,
An einem Tag räum' ich mit ihnen auf.« –
»Von Wegen, uns zu retten, gibt es einen«,
Sprach Guido drauf; »ich kenne weiter keinen,
74.
Und Hoffnung läßt sich nur auf ihm erschauen
Von allen, die mir sonst im Land bekannt:
Gestattet ist es einzig hier den Frauen,
Den Fuß zu setzen auf den Felsenstrand,
Nun will ich einer Gattin mich vertrauen,
Die jederzeit in Treuen zu mir stand.
Bewiesen hat sie mir schon größre Liebe,
Als gegenwärtig zu beweisen bliebe.
75.
Sie wünscht so heiß wie ich von mir zu heben
Der Knechtschaft Joch, darf sie mit mir nur sein:
Als einz'ge Gattin möchte sie mir leben,
Ohne Genossin, ganz mit mir allein.
Sie soll sich heimlich auf ein Schiff begeben
Im Hafen, eh der Morgen bricht herein:
Für eure Schiffer wird's gerüstet stehen,
Sobald sie kommen, gleich in See zu gehen.
[180] 76.
Ihr sollt, mir nach, euch in ein Fähnlein scharen,
Alle – Matrose, Händler, Rittersmann –,
Die heut als Gäste hier vor den Barbaren
– Nehmt meinen Dank dafür – ich schützen kann;
Mit fester Brust müßt ihr den Durchgang wahren,
Kommt man, uns aufzuhalten, dort heran.
So hoff' ich, wenn dem Schwerte wir vertrauen,
Euch aus der schlimmen Stadt herauszuhauen.«
77.
Marfisa sprach: »Du handle nach Gefallen;
Ich schaffe mir ganz ohne Zweifel Bahn!
Den Tod bringt meine Hand wohl eher allen,
Die feindgesinnt aus diesen Mauern nahn,
Als daß man mich der blassen Furcht verfallen
Sähe, gebissen von des Schreckens Zahn.
Am Tag geh' ich hinaus, durch Kraft der Waffen,
Denn jede andre Art muß Schmach nur schaffen.
78.
Würd' ich erkannt als Weib, darf ich vertrauen,
Man hielte fest mich; Ehren wären mein.
Ich käme in den Rat; mich zählten Frauen,
Die besten, zu den ersten im Verein.
Doch mit den Freunden sahn mich hier die Auen:
Ich will vor ihnen nicht im Vorteil sein.
Zu schlecht wär's, wenn ich frei blieb' oder ginge
Und ließe sie gefangen in der Schlinge.«
79.
Durch diese Worte und noch mehr dergleichen
Bewies sie, daß der anderen Gefahr
Allein im Wege stand der Tugendreichen
(Weil kühnes Handeln jener Schaden war),
Wenn sie nicht gleich ein denkenswürdig Zeichen
Gab höchsten Mutes, stürmend auf die Schar.
So aber ließ sie Guido Sorge tragen,
Den sichern Weg mit ihnen einzuschlagen.
[181] 80.
Mit der Getreuen sprach von diesen Dingen
(Aleria war die gute Frau genannt)
Der Ritter, brauchte nicht in sie zu dringen,
Weil sie in allem ihm zu Willen stand.
Sie ließ ein Fahrzeug rüsten, ließ sich bringen,
Was sie von reichem Schmuck zu Hause fand,
Und stellte sich, als ob gewillt sie wäre,
Mit andern Fraun, zu fahren auf dem Meere.
81.
Zuvor, wie sie befohlen hatte, brachte
Man Panzer, Speer, Schild, Schwert in den Palast,
Wo jeder Händler sich zum Krieger machte,
Dazu die Schifferknechte, nackend fast.
Der eine schlief, derweil der andre wachte,
So teilten sie die Arbeit und die Last,
Ausschauend oft, den Panzer schon am Leibe,
Ob ungerötet noch der Osten bleibe.
82.
Das schwarze Tuch war noch nicht weggezogen
Vom Erdenantlitz nach der Sonn' empor:
Lykaons Kinder, hoch am Himmelsbogen
Die Furchen pflügend, traten kaum hervor,
Als zum Theater kam dahergeflogen,
Des Kampfes Schluß zu schaun, der Weiber Chor,
Wie auf des Korbes Schwell' im Lenz die Bienen,
Wenn Zeit für neues Regiment erschienen.
83.
Das Volk ließ von Trompet' und Horn erklingen
Und Trommeln Erd' und Himmel in der Rund'
Und mahnte seinen Herrn, zu End' zu bringen
Den Kampf, den lang begonnenen, jetzund.
In Waffen Aquilant und Grifon gingen,
Gerüstet auch der Herzog Englands stund,
Guido, Marfisa, Samsonet inmitten
Der andern, teils zu Fuß und teils beritten.
[182] 84.
Vom Schloß zum Hafen und zum Meer zu gehen,
War zu durchkreuzen dieser freie Plan;
Kein Weg, nicht lang, nicht kurz, war sonst zu sehen.
Guido hatt' es den andern kundgetan,
Und mit dem Troste, trefflich werd' es stehen,
Ritt er geräuschlos hin auf seiner Bahn.
Mit mehr als hundert zeigt er sich der Menge
Auf jenem Platze mit dem Volksgedränge.
85.
Guido, zur Eile spornend die Genossen,
Strebt nach dem Ausgang auf der andern Seit';
Allein die vielen Fraun, die ihn umschlossen,
Bewaffnet all und stets zum Kampf bereit,
Erkennen ihn als zu der Flucht entschlossen
(Sie sehn die andern ja nach ihm gereiht):
Ein Teil geht Pfeile auf die Bogen legen,
Ein Teil stellt sich dem Ausgangstor entgegen.
86.
Guido, die Ritter kühn mit ihren Scharen,
Die Heldin allen übrigen voran,
Die Hand zu rühren, traun, nicht säumig waren
Und drängten mächtig nach dem Tor heran.
Doch als den Hagel Pfeile sie gewahren
(Es sank dahin und starb schon mancher Mann)
Von oben her, zur Linken wie zur Rechten,
Besorgen sie, mit Schad' und Schimpf zu fechten.
87.
Vortrefflich ist das Panzerkleid bei allen;
Sonst wären sie sofort dem Tod geweiht.
Tot unter Samson war der Hengst gefallen,
Der von Marfisa legt sich auf die Seit'.
»Laß ich mein Horn«, sagt Astolf sich, »nicht schallen,
Wann gäb's dafür wohl eine bessre Zeit?
Ich will doch sehn, ob ich, versagen Waffen,
Weiß mit dem Horn mir freie Bahn zu schaffen.«
[183] 88.
Das Horn, mit dem er sich in schlimmen Fällen
Zu helfen pflegt, setzt Astolf an den Mund:
Als durch die Luft die grausen Töne gellen,
Da bebt die Erde, bebt des Weltalls Grund.
Schrecken und Furcht den Seelen sich gesellen:
Die Menge stürzt aus des Theaters Rund,
Entsetzt, als habe sie Verstand verloren,
Und niemand denkt an Wache bei den Toren.
89.
Wie manchmal eines Hauses Wohngenossen
Herab vom Fenster oder von dem Dach,
Erfüllt von Schrecken, durch die Lüfte schossen
(Sie wurden plötzlich durch ein Feuer wach,
Das, während Schlaf die Augen hielt umschlossen,
Mit heißen Gluten nahte allgemach) –
So fliehend, unbekümmert um ihr Leben,
Vorm Schreckenston die Fraun von dannen streben.
90.
Hierhin und dorthin wogt entsetzt die Menge,
Hinauf, hinab, zu toller Flucht gewandt.
An jeder Tür sind tausend in der Enge
Und stolpern, fallen, stürzen aufeinand.
Erstickt wird diese hier in dem Gedränge,
Und jene wirft sich von des Fensters Rand;
Da wird ein Arm und dort ein Kopf gebrochen,
Hier die liegt tot, die mit verrenkten Knochen.
91.
Geschrei und Wehruf auf zum Himmel steigen:
Es gellt vom mächt'gen Einsturz, bricht und kracht;
Des Hornes Ton macht jeden gleich zum Feigen;
Der Schwarm, erschreckt, ist nur auf Flucht bedacht.
Wenn die vom niedern Volk sich furchtsam zeigen,
(In niederm Herzensschrein kein Mut erwacht),
So staunt Ihr nicht ob so geringer Gaben:
's ist Art des Hasen, immer Furcht zu haben.
[184] 92.
Was aber werdet Ihr von Guido sagen
Und von Marfisa, die so kühn doch war?
Von ihm, des Hauses Stolz zu allen Tagen,
Dem Oliver entstammten Heldenpaar?
Sie standen vielen tausend ohne Zagen
Und fliehn dahin nun, jedes Mutes bar,
Wie Tauben und Kaninchen sich verstören,
Läßt in der Nähe ein Geräusch sich hören.
93.
Die Zauberkraft, die diesem Horn verliehen,
Eignen wie Fremden gleichen Schaden bringt.
Erschreckt die Brüder mit Marfisa fliehen;
Samson und Guido wird der Fuß beschwingt.
Doch ob sie weithin in die Ferne ziehen,
Noch immerfort der Ton im Ohre klingt.
Astolf streift mit dem Horn durch alle Straßen,
Und immer stärker bläst er, über Maßen.
94.
Die sucht, ob zum Versteck sich Büsche fänden;
Die steigt zum Meer hinab und die bergauf.
Die, ohne jemals nur den Kopf zu wenden,
Hemmt durch zehn Tage nicht den Lauf;
Die meint: der Brücke Rand wird niemals enden –
Und kommt im Leben nimmermehr herauf.
Fort aus den Häusern, Tempeln, Plätzen gehen
Die Fraun, daß schon fast leer die Straßen stehen.
95.
Marfisa, Guido, Samsonet, voll Beben,
Auch die zwei wackern Brüder fliehen fort,
Dem Meere zu, und hinter ihnen streben
Händler und Schiffer nach dem gleichen Ort.
Sie finden, wo die Türme sich erheben,
Aleria, die ein Schiff hat fertig dort.
Die nimmt sie auf, läßt rasch die Segel spannen,
Die Ruder regen, und es geht von dannen.
[185] 96.
Drin in der Stadt und draußen gleichermaßen
Lief Astolf von den Bergen bis zum Meer.
Öd sind und aufgeräumt durch ihn die Straßen;
Geflohn, versteckt ist alle Welt nunmehr.
Und viele so den stolzen Mut vergaßen:
Sie suchten, ob im Unrat Rettung wär'.
Kopflos rennt vieles Volk zum Meer hinunter,
Will sich durch Schwimmen retten und geht unter.
97.
Herr Astolf sucht, der Meeresflut entgegen,
Die andern; er vermutet sie am Strand;
Er wendet um, schaut aus auf allen Wegen
Umsonst: nicht einen zeigt der öde Sand.
Da sieht er sie von ferne sich bewegen,
Schnell wie der Blitz und von ihm abgewandt.
Nun gilt es, andern Reiseplan zu finden,
Weil jene mit dem Schiffe dort verschwinden.
98.
So lassen wir ihn gehn; und seid nicht bange,
Daß durch Barbarenländer, ganz allein,
Er solche Reise mache, schwere, lange,
Auf der man immer muß in Sorge sein:
Wir nehmen an, daß er zum Ziel gelange
Mit seinem Horn, das just ihm half so fein,
Und schauen lieber aus nach den Genossen,
Die furchterfüllt hin durch die Fluten schossen.
99.
Mit vollen Segeln fern vom Blutgestade,
Dem greulichen, ging lange schon die Reis',
Und als nun nimmer auf dem Wasserpfade
Der Schreckenston erklang, nicht laut, nicht leis,
Erfaßte sie ganz ungeheure Scham, gerade
Als brenn' auf ihrer Wang' ein Feuer heiß:
Sie wagen nicht, einander anzusehen,
Und bleiben stumm, gesenkten Blickes, stehen.
[186] 100.
Der Schiffer fährt vorbei, sein Ziel zu finden,
An Zypern, Rhodus; im Ägäer-Meer
Sieht er der Inseln hundert sich entschwinden,
Ums schlimme Kap Maläa rings umher,
Dann ist's, bei günstigen und steten Winden,
Als ob Morea fern versunken wär':
Hinter Sizilien schaut er, wie die Wellen
Dem holden Strand Italiens sich gesellen,
101.
Und eilt zuletzt, bei Luna dort zu landen,
Wo er die eignen Lieben alle ließ,
Und dankt nun Gott, daß er aus Meeresbanden
Gesund kam in sein heimisch Paradies.
Worauf die andern einen Schiffer fanden,
Der sie mit ihm die Reise machen hieß: –
Sie fuhren selben Tags mit ihm von dannen,
Worauf sie bald schon Stadt Marseille gewannen.
102.
Noch war dort Bradamante nicht erschienen,
Die Herrschaft führte über dieses Land;
Sie hätte sonst mit freundlich hellen Mienen
Sie gastlich eingeladen unverwandt.
Und die vier Ritter? – Abschied nahm von ihnen
Fürstin Marfisa jetzt an Meeres Strand,
Auch Guidos Dame dann Valet zu sagen
Und auf gut Glück die Straße einzuschlagen.
103.
Sie meint, daß hinzuziehen so in Scharen,
Den echten, fahrnden Rittern nicht gebührt;
Die Tauben tun ja dieses mit den Staren
Und Has' und Hirsch und was da Furcht verspürt.
Doch, die von andern Hilfe nicht erfahren,
Falk, Aar und was ein freies Leben führt,
Bär, Löwe, Tiger wollen einsam schweifen:
Nie wird sie Furcht vor größrer Kraft ergreifen.
[187] 104.
Doch keiner wollte diese Ansicht teilen;
So ritt Marfisa denn davon allein,
Auf rauhen Pfaden einsam hinzueilen
Durch dichte Wälder und durch öd Gestein.
Grifon und Bruder Aquilant derweilen
Schlagen die Heerstraß' mit den andern ein
Bis sie tags drauf zu einem Schloß gelangen:
Recht artig werden sie darin empfangen.
105.
Zum Schein recht artig, sollt' ich eher sagen,
Denn bald kam grad das Gegenteil heraus:
Der Schloßherr heuchelt freundliches Betragen
Und bietet Unterkunft in seinem Haus.
Und nachts, als arglos sie im Schlummer lagen,
Ließ er sie greifen aus dem Bett heraus
Und früher nicht der Freiheit angehören,
Bis einen Eid voll Schändlichkeit sie schwören.
106.
Doch diese Armen lass' ich jetzt beiseiten,
Weil ich der kühnen Dame folgen muß
Und zur Durance, Rhon' und Saôn' geleiten,
Bis sie gelangt an schatt'gen Berges Fuß.
Sie sah ein Weib in schwarzem Kleide schreiten,
Ein hochbejahrtes, dort an einem Fluß,
Das müd und matt vom Wege, schwer und weit, war,
Doch mehr gedrückt von Trauer und von Leid war.
107.
Es ist die Alte aus den Bergesspalten,
Der Räuber Dienerin im Felsverließ,
Wo die Gerechtigkeit den Grafen schalten
Und strafend jene Schurken töten hieß.
Den Tod befürchtend für ihr schnöd Verhalten
(Wir werden mehr noch hören über dies),
Auf dunklen Wegen sucht sie zu verschwinden,
Stets voller Angst, Bekannte aufzufinden.
[188] 108.
Ganz wie ein fremder Rittersmann bewegte
Marfisa sich in Harnisch und Gewand:
Drum floh die Alte nicht, wie sonst sie pflegte,
Vor allen andern Leuten hier im Land,
Da jetzt Vertraun und Mut in ihr sich regte,
Und wartend an der Furt des Flusses stand
Sie ruhig, machte dann sich auf die Füße,
Damit sie den vermeinten Ritter grüße,
109.
Und bat, er möge sie auf seinem Pferde
Hinübernehmen nach dem Ufer dort.
Großmütig stets, solang sie auf der Erde,
Willfahrt Marfisa diesem Wunsch sofort
Und trägt sie, bis das Pfädchen besser werde,
Und statt des Schmutzes sich ein trockner Ort
Ihr biete. Da – beim Pfadesende sahen
Sie auf dem Wege einen Ritter nahen,
110.
Der auf geschmücktem, reichem Sattel reitet,
In Kleidern schön und fein und Waffen licht;
Er kommt, von einem Knappen nur begleitet,
Und eine Dame, schön von Angesicht,
Von Wesen kaum, hat er zum Fluß geleitet,
Die stolz dareinschaut, liebenswürdig nicht,
Weil auf den Lippen Hochmut breit sich machte;
Wert war sie des Genossen, der sie brachte.
111.
Der Ritter »Pinabel aus Mainz« sich nannte;
Er war's, der jener das Geleite gab,
Derselbe, der vor Monden Bradamante
Stieß tückisch in den Höhlengrund hinab.
Der Seufzer Glut, die schier sein Herz verbrannte,
Die Träne, die ihm rann die Wang' hinab,
Ihr, die ihm jetzt zur Seite reitet, galten
Und die vom Zaubrer ward zurückgehalten.
[189] 112.
Doch als von seiner Höhe dann geschwunden
Das Zauberschloß des alten Atlas war
Und länger nicht an jenen Ort gebunden,
Dank Bradamantes Kraft, die ganze Schar;
Ging sie, die Pinabel, dem liebeswunden,
Ja freundlich und gefällig immerdar,
In der Gesellschaft dieses Spießgesellen
Der Reihe nach zu mancherlei Kastellen.
113.
Die Dame kann beim Anblick jener Alten,
Als spottgeneigt und voller Niedertracht,
Nicht still im Mund die Lästerzunge halten
Und höhnt sie, als sie nahe ist, und lacht.
Marfisa (ein beschimpfendes Verhalten
Geduldig hinzunehmen, nie bedacht)
Rief zornig, daß die Alte, wie man sähe,
Fürwahr noch über ihr an Schönheit stehe,
114.
Was sie dem Ritter gleich beweisen werde;
Ihr selber nähme sie so Roß wie Kleid,
Wenn aus dem Sattel fliege von dem Pferde,
Der als Beschützer ihrem Dienst geweiht.
Graf Pinabel mit kriegrischer Gebärde
(Denn schweigen wäre schimpflich) eilt zum Streit,
Kehrt um das Roß, nimmt Schild und Speer zu Händen,
Gegen Marfisa sich voll Zorn zu wenden.
115.
Sie sprengt mit mächt'ger Lanze ihm entgegen
Und trifft den Grafen mitten aufs Visier:
Am Boden liegt er, ohne sich zu regen,
Und bleibt bewußtlos eine Stunde schier.
Marfisa läßt, nachdem er so erlegen,
Dem Mädchen abziehn Kleid und jede Zier,
Die sie noch weiter an sich trug daneben,
Und alles dies dann ihrer Alten geben.
[190] 116.
Geputzt mit diesen jugendlichen Dingen
Von Kopf zu Fuß, in Schmuck und Kleiderpracht,
Muß sie darauf sich auf den Zelter schwingen,
Den jenes junge Fräulein ihr gebracht,
Auf dem gewählten Weg voranzudringen
(Der Schmuck die Häßlichkeit nur größer macht):
Drei Tage so der Straß' entlang sie gehen,
Doch nichts Bemerkenswertes ist geschehen.
117.
Sie fanden einen Herrn am vierten Tage;
In größter Eile jagte der dahin.
Will einer wissen, wer, je nun, dem sage
Ich's gern: es war der Königssohn Zerbin,
Ein auserlesner Held ganz ohne Frage.
In Zorn und Schmerz zernagt er sich den Sinn,
Daß er vergebens nach dem Schotten jagte,
Der ihn an edler Tat zu hindern wagte.
118.
Umsonst hatt' er gesucht viel lange Stunden
Nach ihm, der solchen Schimpf ihm angetan:
Der war so rasch im dunklen Wald verschwunden
(Er barg sich gut und brach geschickt sich Bahn)
Und hatte Schutz im Nebel noch gefunden,
Der's Licht verhüllte bei des Morgens Nahn,
Daß er des Helden Händen konnt' entrinnen,
Bis Zorn und Mut erlosch im Busen drinnen.
119.
Nicht unterdrücken kann Zerbin das Lachen,
Als er die Alte in dem Aufputz sieht:
Es bietet zu den jugendlichen Sachen
Doch das Gesicht zu großen Unterschied.
»Du weißt es, Ritter, wahrlich, schlau zu machen,«
Rief er, als in die Näh' er nun geriet.
»Du hast ein solches Dämchen auserkoren,
Daß dir kein Neid drob wird heraufbeschworen.«
[191] 120.
Eine Sibyll' und älter noch an Jahren
Erschien sie nach der ganz verschrumpften Haut;
Ein aufgeputzter Aff', umhergefahren
Verkleidet, den man nur mit Lachen schaut.
Vor Ärger glühend (ihre Züge waren
Noch häßlicher dadurch), schalt jene laut:
Denn größern Schimpf noch nie ein Weiblein kannte,
Als wenn man häßlich oder alt sie nannte.
121.
Das hohe Fräulein stellt sich ungehalten,
Derweil sie heimlich dieser Fall ergetzt;
»Bei Gott, hier meine Dam' ist wohlgestalten,
Mehr, als du höflich bist«, sie drauf versetzt.
»Allein ich glaub', in deines Herzens Falten
Ganz anders, als du redest, denkst du jetzt.
Du heuchelst, ihre Schönheit nicht zu sehen,
Willst als ein feiger Mann daneben stehen.
122.
Wo ist ein Ritter ringsum in der Weite,
Den nicht beglückte solcher Jugend Glanz?
Der, fänd' er sie im Wald ohn' ein Geleite,
Nicht zu gewinnen suchte ihren Kranz?«
»So gut«, Zerbin sprach, »paßt sie dir zur Seite;
Man lasse solch ein schönes Bündnis ganz!
Ich meinesteils bin nicht so schlecht gesonnen,
Dich zu berauben solcher hohen Wonnen.
123.
Willst du ein andres Liedlein von mir kennen?
Wie stark mein Arm ist, gerne zeig' ich's dir:
Nur darfst du nicht mich solchen Blinden nennen,
Daß mir's zu tun sei bloß um ein Turnier.
Ob schön sie ist, entscheide du; zu trennen
Solch edle Bande, das sei fern von mir!
Ich wett', ihr werdet stets ein trefflich Paar sein;
Wie ihre Schönheit, wird dein Mut fürwahr sein.«
[192] 124.
Marfisa sprach: »Mußt dennoch um sie ringen,
Ob du nun Lust verspürst, ob keine Lust:
Nicht soll dein Blick zu solchen Reizen dringen,
Weckt er nicht mächtig des Besitzes Lust.«
»Was soll der Mensch sich in Gefahren bringen,«
Versetzt Zerbin, »wenn ihm ganz klar bewußt,
Daß er nur Schaden hat, gelang's zu siegen,
Und aller Vorteil liegt im Unterliegen?«
125.
»Und will dir dieser Vorschlag nicht behagen,
Nicht weigern darfst du einen andern mir,«
Beeilte sich Marfisa drauf zu sagen;
»Werd' ich besiegt, so bleibt mir diese hier;
Sieg' ich, so mußt du sie von dannen tragen.
So laß uns sehn, wer los nun kommt von ihr.
Wenn du verlierst, so bleibst du ihr zur Seite
Und gibst, wohin sie will, ihr das Geleite.«
126.
»Sei's!« rief Zerbin und wendet flugs die Zügel,
Zum Anlauf spornend sein getreues Roß,
Rückt sich zurecht im Sattel, fest im Bügel,
Und um nicht fehl zu gehn, mit sicherm Stoß
Trifft er die Mitte, just des Schildes Hügel –:
Es ist, als stoß' er einen Erzkoloß.
Den Helm traf ihm Marfisas Lanzenspitze,
Betäubt sank er herab von seinem Sitze.
127.
Der Sturz schuf ihm gewaltig Mißbehagen:
Nie war im Kampf ihm Ähnliches geschehn.
Tausend und tausend hat er selbst geschlagen,
Nun glaubt er ewig sich beschimpft zu sehn.
Lang steht er stumm; besonders schwer zu tragen
Ist – ach, er meint vor Kränkung zu vergehn! –,
Daß er dem fremden Mann das Wort gegeben,
Fortan mit jenem alten Weib zu leben.
[193] 128.
Vom Sattel sprach die Siegerin mit Lachen,
Zu ihm sich wendend: »Nimm dein Schätzelein!
Je mehr sie Liebesglut dir wird entfachen,
Um so zufriedner werd' ich selber sein.
Statt meiner wirst du nun den Kämpen machen
Und des Versprechens stets gedenken fein,
Daß als ihr Schutz und Schirm zu allen Zeiten
Du sie, wohin sie will, wirst treu geleiten.«
129.
Ohn' Antwort abzuwarten, schon verschwunden
Ist sie im Wald und treibt den Hengst voran.
Zerbin, der sie als Helden hat befunden,
Sagt zu der Alten: »Nenne mir den Mann!«
Ach, was er hört, will ihm gar wenig munden
Und mutet ihn wie Gift und Feuer an:
Sie sprach: »Ein Fräulein war es, das vom Pferde
Dich aus dem Sattel niederwarf zur Erde.
130.
Sie nahm hinweg, gemäß dem eignen Werte,
Der ritterlichen Kämpen Schild und Speer,
Kam jüngst vom Morgenland, denn sie begehrte
Zu prüfen fränk'scher Paladine Wehr.«
Zerbin vernimmt's, o wie die Scham sich mehrte!
Nicht auf den Wangen nur flammt Rot daher.
Nein, wenig fehlt, so würden Röte weisen
Die Waffen, jedes Stücklein Stahl und Eisen.
131.
Sich selber schalt er drauf beim Weiterreiten,
Daß er nicht fester dort im Sattel saß.
Stichelnd ihm größern Schmerz noch zu bereiten,
Müht sich die Alte ohne Unterlaß.
Sie wußte ja, er mußte sie begleiten,
Wie er auch nicht die Nötigung vergaß.
Gleich müdem Roß, das an dem Bauch die Sporen,
Den Zaum im Maule fühlt, hängt er die Ohren.
[194] 132.
Und seufzend sprach er: »Arges Schicksal, wehe!
Was hast du mir für einen Tausch gebracht!
Die Schönste, die ich hier auf Erden sehe,
Die mein sein sollte, nahm mir deine Macht.
Meinst du, daß mir Ersatz durch die geschähe,
Die du mir sendest? Hast du das gedacht?
Da war Verlust der andern ja noch glimpflich,
Hier dieser Tausch ist ungleich und ist schimpflich.
133.
Das Bild von Huld und Schönheit unermessen,
Dem auf dem Erdenrund sich nichts vergleicht,
Das gabst du dort dem Meergetier zum Fressen,
Wo um Geklipp und Fels die Möwe streicht: –
Und dieser, die der Tod schier hat vergessen
Zur Würmerspeis, mußt du zehn Jahr vielleicht
Und zwanzig mehr als billig war, bescheren,
Um meiner Leiden Bürde zu vermehren!«
134.
So spricht Zerbin und will vor Schmerz vergehen
(Sein Antlitz zeigt's nicht minder als sein Wort),
Daß ihm solch übler Zuwachs soll erstehen
Und daß verloren ging die andre dort.
Das Weib, das sonst noch nie Zerbin gesehen,
Erkannt' an dem Gesprochnen doch sofort:
Der Rittersmann war jener Auserwählte,
Von dem ihr Isabella viel erzählte.
135.
Die Alte war (Ihr werdet Euch entsinnen)
Aus jener Felsenhöhle fortgerannt,
Wo Isabell, in Lieb' erglüht tiefinnen
Für Prinz Zerbin, sich lange Zeit befand.
Von ihr erfuhr sie im Gefängnis drinnen,
Wie sie verließ den heimatlichen Strand
Und wie, vom Sturm erfaßt, vorm Zorn der Welle
Sie flüchtete zum Ufer von Rochelle.
[195] 136.
Des Prinzen schön Gesicht, Gestalt, Gebaren
Ward ihr beschrieben dort so manches Mal;
Als diese Worte nun gesprochen waren,
Und sie die Stirn sah und der Augen Strahl,
Erkannte sie: um diesen hat erfahren
Der Schönen Herz so heiße Liebesqual,
Daß größer war ihr Schmerz, den Freund zu missen,
Als jener Räuber Sklavin sich zu wissen.
137.
Das alte Weib vernimmt des Jünglings Klagen,
Die er zum Himmel strömt in Schmerzen schwer.
Irrtümliches – sie weiß es – hört sie sagen:
Daß Isabell ertrunken sei im Meer.
Allein so boshaft ist sie und verschlagen:
Ihn zu betrüben nur ist ihr Begehr.
Sie schweigt von Dingen, die ihn fröhlich machen,
Und kündet ihm nur böse, trübe Sachen.
138.
Sie sprach: »O du, so stolz und übermütig,
Der du mich schmähst und höhnst so freventlich,
Wie würdest du doch sanft sogleich und gütig,
Belehrt' ich ob der Totbeweinten dich!
Doch eh ich's sage, lieber zorneswütig
Erstick, erwürge, reiß in Stücke mich!
Ja, zeigtest du mir etwas Freundlichkeiten,
Ließ ich am Ende, was ich weiß, entgleiten.«
139.
Wie einem Hund, der auf den Vagabunden
Sich wütend stürzte, ihm die Zähne bot,
Auf einmal aller Grimm ist fortgeschwunden,
Weil der ein Stücklein Käs' gab oder Brot,
So hat jetzt Demut Prinz Zerbin gefunden,
Mehr zu vernehmen, tut gar sehr ihm not:
Ihm winkt – so klang es aus der Alten Munde –
Von ihr, die er als tot beweint hat, Kunde!
[196] 140.
Ihr zugekehrt mit freundlicherm Gesichte,
Fleht er sie an und bittet und beschwört
Bei Gott und Menschen, daß sie ihm berichte,
Ob gut, ob schlecht, was immer sie gehört.
»Fürwahr, erbaulich nicht ist die Geschichte,«
So sprach die Alte hart und noch empört.
»Nicht tot, so wie du meinst, ist Isabelle,
Doch besser wär' sie tot auf alle Fälle.
141.
In zwanzig Händen ist sie wohl gewesen,
Seit du gehört von ihr, die kurze Zeit.
Drum, kehrt zurück zu dir das holde Wesen,
Pflückst du die Blüte nicht in Ewigkeit.«
»Ach, Lug und Trug ist's, den du auserlesen,
Verfluchtes Weib, zu Niedertracht bereit!
Wenn ihrer zwanzig auch zu Leib ihr gingen,
Sie ließe sich von keinem jemals zwingen.«
142.
Er fragt umsonst, wo jene ward gesehen,
Und wann's geschah, bei Anlaß welchen Falls:
Das alte Weib will fürder sich verstehen
Zu keines Wörtleins Spur und keines Schalls.
Zuerst versucht er gütlich vorzugehen,
Dann droht er ihr, er schneid' ihr ab den Hals:
Vergebens; mag er flehen, mag er dräuen,
Die alte Hexe schweigt, ohn' ihn zu scheuen.
143.
Als all die Worte sonder Nutz erklangen,
Verging ihm doch zuletzt der Rede Lust.
Er dachte des Gehörten voller Bangen,
Kaum fand noch Platz das Herz in seiner Brust.
Durch lohend Feuer wär' er gleich gegangen,
Hätt' er, wo jene weile, nur gewußt.
Doch sein Versprechen wurde ja gegeben,
Nur, wie die Alte will, voranzustreben!
[197] 144.
Sie ziehn davon auf rauhen, öden Wegen,
So wie es jenem alten Weib gefällt;
Ohne nur Wimper oder Mund zu regen,
Ob es bergauf geh', ob durch Tal und Feld.
Doch als dem Abend rückt die Sonn' entgegen,
In dieses Schweigen Unterbrechung fällt
Durch einen Rittersmann, den sie gefunden.
Das Weitre soll ein andrer Sang bekunden.

[198] Einundzwanzigster Gesang

1.
Mich dünkt, kein Seil so fest die Last umwindet,
Kein Nagel gibt dem Holz so starken Halt,
Wie Treue alle edlen Herzen bindet
Mit ihres Knotens mächtiger Gewalt.
Die heil'ge Treue, stets bekleidet findet
Sie sich im Altertume dergestalt,
Daß weißen Schleiers Falten sie bedecken:
Ein einz'ger Punkt ja könnte sie beflecken.
2.
Das Wort der Treue läßt sich nicht verdrehen,
Ob man es einem gab, ob einer Schar;
Sei das im Höhlengrund, im Wald geschehen,
Der fern von Städten und von Dörfern war,
Sei's vor Gericht, wo Aktenhaufen stehen,
Und Zeugen sich in Menge bieten dar –
Ohn' Eidschwur, ohne nur die Hand zu heben:
Genug, daß das Versprechen ward gegeben.
3.
So hielt die Treue, wie ein Mann sie halten
In jedem Falle soll, der Rittersmann.
Er zeigte klar, was ihm Versprechen galten,
Als er, vom eignen Weg fort, ritt voran
Mit jener ihm verhaßten bösen Alten,
Verhaßt, wie man nur Krankheit hassen kann
Und Tod: er kann die Macht der Sehnsucht brechen,
Doch nimmermehr gegebenes Versprechen.
[199] 4.
Ihm mußte, zeigt' ich, Gram am Herzen nagen,
Daß er der Alten diente, als Geleit,
Und wütend ritt er, ohn' ein Wort zu sagen;
Stumm trabten sie zusammen lange Zeit,
Da wies das Hinterrad der Sonnenwagen,
Und unterbrochen ward die Schweigsamkeit
Durch einen fahrnden Ritter, der inmitten
Des Wegs dem Paar entgegen kam geritten.
5.
Die Alte kannt' ihn; jener ließ sich nennen
Hermonides und kam von Hollands Strand:
An seinem schwarzen Schild war er zu kennen,
Das dunkle Feld durchkreuzt von rotem Band.
Sie ließ nicht weiter Zorn und Hochmut brennen,
Gab sich voll Demut in des Prinzen Hand
Und bat um Schutz für ihr bedrohtes Leben,
Nach dem Versprechen, das er ja gegeben.
6.
Ihr Feind sei und der Feind von all den Ihren
Der Ritter, der zur Stelle werde sein:
Das Leben mußt' ihr Vater schon verlieren
Durch ihn und dann ihr einzig Brüderlein,
Und auch den Rest noch woll' er massakrieren,
Hab' er geschworen, jenen hinterdrein.
»Weib,« sprach Zerbin darauf, »sei ohne Sorgen:
Solang dein Schutz ich bin, bist du geborgen.«
7.
Schon näher kam der Rittersmann indessen,
Bis er verhaßte Züge schaut', heran:
»Du sollst sogleich im Kampf mit mir dich messen,«
Mit wilder, drohnder Stimme rief er dann,
»Oder den Schutz des Weibes hier vergessen,
Daß sie durch mich gebührend sterben kann.
Wenn du für jene kämpfst, so mußt du sterben;
Denn wer das Unrecht schützt, der muß verderben.«
[200] 8.
Höflich zur Antwort gibt Zerbin dem Recken,
Schlecht sei, was er verlang', und bös gedacht.
Es widerspreche ritterlichen Zwecken
Und Tun, daß eine Frau werd' umgebracht;
Doch woll' er Kampf, werd' er sich nicht verstecken,
Nur noch des einen habe jener acht:
Was es bedeute, daß ein Herr von Mute
Die Hand besudeln woll' in Weiberblute.
9.
Er gibt ihm dies und das zu überlegen;
Umsonst: zum Schwerte schließlich greift die Hand.
Sie nehmen Zwischenraum des Ansturms wegen
Und stürzen vollen Laufes aufeinand.
Raketen nicht so schnell zu schießen pflegen,
Die man zur Festzeit hat emporgesandt,
Wie, von den Rennern hin im Sturm getragen,
Hier zum Zusammenstoß die Ritter jagen.
10.
Des Gegners rechte Seite zu durchbohren,
Hermonides von Holland senkt den Speer;
Doch die Gefahr wird für Zerbin beschworen:
Die schwache Lanze bricht an seiner Wehr.
Allein des Prinzen Stoß geht nicht verloren:
Hin durch den Schild dringt und die Schulter quer,
Zur andern Seit' heraus die Lanzenspitze
Und wirft Hermonides von seinem Sitze.
11.
Ab steigt Zerbin, von Mitleid überwunden,
Im Glauben, jener sei dem Tode nah;
Hat ihm den Helm vom bleichen Haupt gebunden.
Und auf den Jüngling stumm der Krieger sah,
Als hab' er sich bisher im Traum befunden,
Und sprach darauf: »Nicht das, was mir geschah,
Empfind' ich mit so schmerzlichem Gemüte,
Denn du erscheinst der edlen Ritter Blüte;
[201] 12.
Doch daß es um ein treulos Weib geschehen,
Ganz unaussprechlich, Ritter, schmerzt mich dies.
Wie kannst du ihr als Schutz zur Seite stehen,
Die deines Adels unwert sich erwies?
Und könntest du auch nur den Anlaß sehen,
Der mich an jener Rache suchen ließ,
Für immer wohl es Reue dir erweckte,
Daß mich für sie dein Arm zu Boden streckte.
13.
Wenn ich so lange kann den Atem heben
(Doch ach, ich fürcht', ich habe nicht die Zeit),
Will ich dir Kunde hier von dieser geben,
Wie sie versunken ist in Schlechtigkeit.
Mein war ein Bruder; in die Fremde streben
Sah ich das junge Blut von Holland weit,
Und für Heraklius, den Kaiser, stritt er,
Den Herren Griechenlands, als treuer Ritter.
14.
Mit einem Edlen – wacker ohne Frage –
Der Jüngling dort den Bund der Freundschaft schloß:
Der hatt' an Serbiens Grenz' in schöner Lage
Ein starkumwalltes, hoh' und festes Schloß.
Argeus, so hieß der Herr, von dem ich sage,
Hier dieses argen Weibes Ehgenoß,
Auf das er so verliebt und zärtlich blickte,
Wie's für so würd'gen Ritter kaum sich schickte.
15.
Doch flatterhafter, als sich Blätter drehen,
Wenn sie im Herbste, trocken und verbrannt,
Aus Baumeskronen durch den Sturmwind wehen,
Der sie mit seinem Wüten jagt durchs Land,
Ließ plötzlich diese hier den Gatten stehen,
Dem sie doch eine Zeit war zugewandt,
Und hatt' in Herz und Sinn nur ein Beginnen,
Als Liebsten meinen Bruder zu gewinnen.
[202] 16.
Doch trotzt so fest Akrokeraun' mitnichten
Dem Meer, dem es die Felsenstirne beut,
Nicht gegen Boreas stehn so die Fichten,
Die hundertmal der Haare Schmuck erneut,
Derweil die Wurzel, wenn sie auf sich richten
Durch Alpengrund, im Boden bleibt verstreut,
Wie fest mein wackrer Bruder blieb inmitten
Von jenes Lasterausbunds Flehn und Bitten.
17.
Wie's aber gehn mag einem kühnen Ritter –
Es bleibt bei dem, der Händel sucht nicht aus –,
Verwundet ward durch einen Eisensplitter
Mein Bruder, nah dem Schloß, in einem Strauß.
Dahin auch ungeladen oftmals ritt er,
Ob Argeus da war oder nicht zu Haus.
So ging er jetzt auch hin, um dort zu weilen,
So lange, bis die Wunden wieder heilen.
18.
Als er darniederlag, trat eine Reise,
Geschäfte zu erled'gen, Argeus an.
Gleich kam dies schamlos Weib geschlichen leise
Zu meinem Bruder, und ihr Spiel begann.
Doch solchen Stachel wollt' auf keine Weise
An sich mehr dulden jener treue Mann.
Und, um in seiner Treue nicht zu fehlen,
Dacht' er das kleinste Unheil zu erwählen.
19.
Von vielen Übeln schien ihm dieses kleiner:
Aufgeben jetzt den alten Freundschaftsbund;
So weit davonzugehn von ihr, daß keiner
Auch seinen Namen nur ihr mache kund.
Wohl schien's ihm hart, doch ehrlicher und reiner
Als tun, wonach der Sinn des Weibes stund,
Oder bei ihrem Gatten sie verklagen,
Der mehr sie liebte als des Herzens Schlagen.
[203] 20.
Noch schwach von Wunden, eilt er aufzubrechen,
Fort aus dem Schloß, am Leib das Stahlgewand,
Und gibt im treuen Sinn sich das Versprechen,
Nie wieder zu betreten dieses Land.
Jedoch was hilft es! Schicksalslaunen brechen
Und überwält'gen jeden Widerstand;
Sie lassen Argeus heim zum Schlosse kehren:
Da findet er sein teures Weib in Zähren,
21.
Das Haar zerzaust, das Antlitz ganz in Gluten,
Er fragt sie ängstlich, was sie so verstört:
Allein bevor sie Antwort gibt dem Guten,
Läßt sie sein Bitten lange unerhört,
Nur Rache brütend an dem Kaltgemuten,
Der sie durch seinen Weggang hat empört:
Gar rasch in ihrem leichtbewegten Sinne
Hat sich in Groll verkehrt die heiße Minne.
22.
›Wie soll ich‹, sprach sie endlich, ›nicht erzählen,
Was ich, derweil du fern warst, Böses tat?
Könnt' ich es auch der ganzen Welt verhehlen,
Doch im Gewissen blieb' es früh und spat.
Wie muß in Reue sich die Seele quälen,
Die das Bewußtsein hat der sünd'gen Tat!
Der Leib kann niemals solche Pein erdulden,
Wie sie die Seele fühlt durch ihr Verschulden,
23.
Wenn Schuld heißt, was erzwungen ist geschehen.
Doch wissen sollst du's, sei es, was es sei.
Laß dann den reinen Geist von hinnen gehen,
Und mach' ihn von der schmutz'gen Hülle frei!
Ewiges Dunkel laß die Augen sehen,
Ich mag nicht mehr, nach Qualen vielerlei,
Gesenkt sie halten unter Schmach und Grämen
Und mich vor jedem, der mich anblickt, schämen.
[204] 24.
Die Ehr' hat mir genommen dein Geselle,
Hier diesen Leib geschändet mit Gewalt.
Aus Furcht, daß ich als Rächer dich bestelle,
Ging er dann ohne Abschied alsobald.‹
So ward ihm durch die Arge auf der Stelle
Der Freund verhaßt, der sonst ihm alles galt.
Denn Argeus glaubt' ihr; ohn' ein Wort zu sprechen,
Ergriff er seine Wehr, um sich zu rächen.
25.
Bekannt im Land mit allen Weg' und Stegen,
Holt er in kurzer Zeit den Jüngling ein,
Der, schwach und krank, sich langsam muß bewegen;
Er reitet arglos in die Welt hinein.
An öder Stätte, Hand an ihn zu legen,
Kommt wuterfüllt der andre hinterdrein.
Mein Bruder kann das nächste Wort nicht finden:
Der ist entschlossen, mit ihm anzubinden.
26.
Ein Kranker stand vor einem Kerngesunden,
Dem Zorn'gen zugetan noch immerdar.
Er hat nicht Kraft zum Kampf mit ihm gefunden,
Der jetzt ein grimmer Feind geworden war.
Drum ist Philander, vom Geschick gebunden
(So hieß er, der des Glückes also bar),
Weil viel zu schwer für einen kranken Degen
Die Last so wilden Kampfes war, erlegen.
27.
›Nicht lass' es Gott‹, sprach Argeus, ›dahin kommen,
Wär' auch die Zornestat mit Fug geschehn,
Daß dir durch mich das Leben sei genommen!
Ich liebte dich und du (ich will's gestehn)
Auch mich; ist mir's zuletzt gleich schlimm bekommen,
So möge nunmehr alle Welt es sehn,
Daß ich, wie einst in unsrer Liebe Tagen,
Hab' auch im Hasse besser mich betragen.
[205] 28.
Für dich wird sich die Strafe anders zeigen,
Als daß dein Blut von meinen Händen floß.‹
Er sprach's, und eine Bahr' aus grünen Zweigen
Bereitet man und legt ihn auf das Roß,
Trägt ihn zurück halbtot und läßt ihn steigen
Zu einem festen Turm hinauf im Schloß.
Dort soll er bleiben, allezeit gefangen
Für ein Verbrechen, das er nie begangen.
29.
Im übrigen kann er sich nicht beklagen:
Wie früher ist's; die Freiheit fehlt allein;
Er darf gebieten, braucht es nur zu sagen,
Um gleich nach seinem Wunsch bedient zu sein.
Jedoch noch immer konnte nicht entsagen
Das böse Weib den alten Buhlerein.
Sie hat die Schlüssel, öffnet leicht das Gitter
Und kommt fast alle Tage zu dem Ritter
30.
Und läßt nicht ab, wie sonst in ihn zu dringen,
Und jetzt sogar mit noch geringrer Scheu:
›Da siehst du, was dir deine Launen bringen!
Verrat und Falschheit nennt man deine Treu'.
Welch ein Triumph! Wie die Drommeten klingen!
Wie holst du Beute dir und Ehre neu!
Wie steigt dein Ruhm doch hoch hinauf zum Äther,
Wenn alle dich beschimpfen als Verräter!
31.
Wie ehrenvoll für dich und wie ersprießlich
Wär' es, zu tun, was ich gewünscht von dir,
Statt daß du eigensinnig und verdrießlich
So großen sichern Lohn verscherzest hier!
Du bist in Haft; und frei zu werden schließlich,
Nicht hoff' es, zeigst du nicht dich holder mir.
Doch willst du mir willfahren, so beschere
Ich Freiheit dir zurück und Ruhm und Ehre.‹
[206] 32.
›Nein, nein,‹ sprach der darauf, ›du sollst nicht hoffen,
Daß jemals meine Treue wankend sei!
Hat mich ein grausam hart Geschick getroffen,
Trag' ich daran Verschuldung keinerlei;
Und steht mein Name jedem Unglimpf offen: –
Er, dem Verborgenes liegt klar und frei
Und dessen ew'ger Huld ich will vertrauen,
Wird hell und deutlich meine Unschuld schauen.
33.
Genügt es nicht, gefangen mich zu halten,
Nehm' auch des Lebens Last mir Argeus Hand.
Der Lohn wird dort mir wohl nicht vorenthalten
Der guten Tat, ward sie gleich hier verkannt.
Er, der mich Schurke nennt in Herzens Falten,
Er wird, wenn dieser Seele Hülle schwand,
Wie sehr er unrecht mir getan hat, sehen
Und trauernd um den Freund, den treuen, stehen.‹
34.
Schamlos bemüht sie sich, ihn zu berücken,
Es fruchtet nichts, wie oft sie wiederkehrt.
Allein im tollen Wunsche, noch zu pflücken,
Was sünd'ge Leidenschaft so heiß begehrt,
Sucht sie und sucht, will sich den Kopf zerstücken,
Ob nichts aus alten Lastern Hilfe lehrt.
Viel tausend Pläne durch den Kopf ihr jagen,
Eh sie beschließt, den Nagel einzuschlagen.
35.
Sie läßt sechs Monde lang nicht mehr sich sehen
Und kommt nicht mehr wie sonst zum Kerker hin:
Philander meint, ihr tät die Lust vergehen,
Und ist erfreut darob in seinem Sinn.
Da schickt das Los – denn Unheil soll entstehen –
Gelegenheit für die Verbrecherin,
Zu stillen ihr Verlangen übermächtig
Durch eine Tat verrucht und niederträchtig.
[207] 36.
Mit ihrem Mann war feind seit langen Zeiten
Ein Herr, der schöne Morland zubenannt,
Der, wenn er Argeus sah von dannen reiten,
Den Weg zum Schlosse kühnen Mutes fand;
Wenn der zugegen war, blieb er beiseiten,
Mehr als drei Stunden fern vom Mauerrand:
Ihm stellt nun Argeus listig eine Falle
Und sagt, daß er nach Palästina walle.
37.
Und als er wegging und sich Pilger nannte,
Verbreitet' er davon die Kunde laut,
So daß kein Mensch sein wahres Planen kannte;
Nur seinem Weib hatt' er sich anvertraut.
Wenn er sich nachts zurück zum Schlosse wandte,
Hat sie nur in der Nacht ihn dort geschaut.
Verstohlen ist er dann in frühen Stunden,
Den Wappenschild vertauschend, rasch verschwunden.
38.
Er schweift nach allen Seiten, auszuspähen,
Und reitet rings um seine Burg umher,
Morand, falls er getäuscht sei, dort zu sehen,
Versuche der Galan die Wiederkehr.
Er pflegt am Tag nicht aus dem Wald zu gehen,
Doch sank vorm Abendgraun die Sonn' ins Meer,
Kommt er zum Schloß: durch Türen, die verborgen,
Läßt sie ihn ein; dann bleibt er bis zum Morgen.
39.
Und alle, außer dieser Argen, meinen,
Daß viele Meilen weit schon Argeus sei.
Sie sucht, als ihr die Zeit will günstig scheinen,
Philander auf mit neuer Teufelei.
Ein Tränenstrom – denn immer kann sie weinen –
Rinnt vom Gesicht ihr auf die Brust dabei;
Sie ruft: ›Wer ist's, bei dem ich Rettung finde,
Daß man mir nicht der Ehre Gut entwinde!
[208] 40.
Zugleich des Gatten Ehre; wär' er heute
Nur hier, so fürchtet' ich mich wahrlich nicht.
Morand, du weißt, wenn Argeus fern ist, scheute
Nicht Gott; er trotzt den Menschen ins Gesicht.
Durch Drohn und Bitten zwingt er alle Leute
Zum Äußersten: von meinem Volk besticht
Er jeden Menschen, kann ihm einer nützen,
Mich zu gewinnen; ach, wer soll mich schützen?
41.
Nun er vernahm, auf Reisen sei gegangen
Mein Herr, und ich auf längre Zeit allein,
Tritt er ohn' Anlaß, gegen mein Verlangen
Und ohn' Entschuldigung ins Schloß herein;
Wie würd' er, wäre Argeus hier, voll Bangen
Nicht bloß sich hüten, also frech zu sein,
Vielmehr, beim ew'gen Gott, sogar noch zagen,
Sich auf drei Meilen an die Burg zu wagen.
42.
Was er durch Boten suchte zu erreichen,
Heut hat er es verlangt von Mund zu Mund,
In solcher Weise, daß nach allen Zeichen
Unehr' und Schande mir in Aussicht stund.
Und hätt' ich nicht geheuchelt, ihm zu weichen,
Ihn nicht mit Freundlichkeit gespeist jetzund,
Er hätte mit Gewalt sich das genommen,
Was er nun hofft im Guten zu bekommen.
43.
Versprochen hab' ich's; nicht, um es zu halten
(Des, was die Furcht erzwang, hat man nicht acht):
Mein Plan war, ihn von dem zurückzuhalten,
Was mit Gewalt zu tun er schon gedacht.
Der Fall liegt so: du kannst als Retter walten;
Um meine Ehre bin ich sonst gebracht.
Auch Argeus' Ehre würd' ich mitverscherzen,
Sie liegt dir über alles doch am Herzen.
[209] 44.
Und weigerst du mir das, so werd' ich sagen,
Daß nicht dir Treue über alles gilt;
Daß du aus Grausamkeit nur meine Klagen,
Die flehentlichen, niemals hast gestillt;
Für Argeus nicht, ward auch zur Schau getragen
Von dir beständig dieser eine Schild.
Dort wär's verborgen, unter uns geblieben;
Doch hier werd' ich in offne Schmach getrieben.‹
45.
›Für mich, der meinem Argeus ganz ergeben,‹
Philander sprach, ›braucht's solchen Umschweif nicht.
Sag', was du willst; denn, was ich war im Leben,
Immer zu sein, halt' ich für meine Pflicht.
Hat sich ein Unheil draus für mich ergeben,
Ist doch kein Vorwurf gegen ihn gericht't.
Und ob es gegen Welt und Schicksal ginge,
Selber den Tod acht' ich für ihn geringe.‹
46.
›Erschlagen sollst du‹, klingt's aus ihrem Munde,
›Ihn, der auf unsre Unehr' ist bedacht.
Kein Übel droht dir selbst und keine Wunde:
Dich sichern Weg zu führen, hab' ich acht.
Er kommt zurück, wenn um die dritte Stunde
Ringsum am tiefsten liegt die schwarze Nacht.
Hat er ein Zeichen dann von mir empfangen,
Lass' ich ihn heimlich zu mir hingelangen:
47.
In meiner dunklen Kammer eine Weile
(Es ist kein Licht darinnen) harrst du dann,
Bis er die Waffen abgelegt in Eile,
Dann bring' ich dir den nahzu nackten Mann.‹ –
Verderben wird dem Gatten so zuteile,
Vernimm, durchs eigne Weib – o denke dran! –,
Wenn dieser noch der Name Weib gebührte,
Die besser einer Furie Namen führte.
[210] 48.
Und als die Nacht kommt für die schnöde Rache,
Holt sie Philander ab, der sich bewehrt,
Und hält ihn erst versteckt im Fraungemache,
Bis heim ins Haus der arme Burgherr kehrt –
Wie es geplant, verlief die ganze Sache,
Weil übler Ratschluß meistens sich bewährt:
So kam's, daß der Morand zu treffen dachte,
Den guten Argeus, ach, ums Leben brachte.
49.
Den Kopf durchspaltet und den Hals der Degen;
War doch kein Helm, zu hemmen seinen Streich,
Und Argeus kam, ohn' auch sich nur zu regen,
Zu armen Lebens bittrem End' sogleich,
Durch einen, dem dergleichen ferngelegen,
Der's nie gemeint –, o Schicksal wunderreich:
Er tut dem Freund, im Wahn, ihm beizustehen,
Das Schlimmste, das dem Feinde kann geschehen!
50.
Mein Bruder läßt sodann den Toten liegen
Und gibt das Schwert in der Gabrina Hand
(Gabrina heißt sie, die der Höll' entstiegen,
Um jeden zu verraten, den sie fand).
Sie, die bis jetzt die Wahrheit ihm verschwiegen,
Hat auf den Toten nun das Licht gewandt,
Zeigt ihn Philander, und er muß mit Grauen
Argeus, den teuren Freund, erschlagen schauen.
51.
Sollt' er, droht sie Philander, nicht willfahren
Jetzt ihrer langgehegten Liebesglut,
So werde sie den Ihren offenbaren
Die Tat (und leugnen könn' er sie nicht gut):
Verrätertod werd' ihm dann widerfahren,
Hinströmen schnöd' durch Henkershand sein Blut.
Und woll' er auch gering das Leben achten,
Die Ehre zu bewahren müss' er trachten.
[211] 52.
Philander stand voll Schmerzen und Entsetzen,
Er nahm den grausig argen Irrtum wahr;
Schon wollt' ihn grimme Wut auf jene hetzen,
Das Scheusal zu vernichten ganz und gar:
Sie Stück für Stück mit Zähnen zu zerfetzen,
Weil ihm zu Händen keine Waffe war;
Da warnt ihn doch noch die Vernunft geschwinde,
Daß er in Feindeshause sich befinde.
53.
So wie ein Schiff auf hohen Meeres Wellen,
Getrieben von zwei Winden, wird bewegt,
Die blasend sich einand entgegenstellen,
Daß der es vorwärts, jener rückwärts fegt,
Und jetzt dem Bug, jetzt Backbord sich gesellen,
Bis es der stärkere von dannen trägt: –
So folgt Philander hier nach langem Schwanken
Dem minder schrecklichen der zwei Gedanken.
54.
Vernunft belehrt ihn, was noch außerm Sterben
Jetzund an Schimpf und Schmach für ihn bereit:
Wird kund die Tat im Schloß, ist's sein Verderben;
Sich lange zu bedenken, bleibt nicht Zeit.
Ob er nun mag, ob nicht – den Trank, den herben,
Muß er verschlucken und die Bitterkeit.
So ist die Furcht die Herrin denn geblieben,
Hat aus der wunden Brust den Stolz vertrieben.
55.
Die Furcht vor schmählichem und schlechtem Ende,
Sie preßt Philander tausend Schwüre aus,
Er gäbe sich in jenes Weibes Hände,
Sobald sie sicher wären aus dem Haus.
Die Arge pflückt des Wunsches Frucht am Ende,
Und aus den Mauern ziehen sie hinaus.
So kam Philander heim nach unserm Lande –
Und bei den Griechen läßt er Schmach und Schande.
[212] 56.
Tief trägt er noch den Freund im Herzen drinnen,
Den er so dummerweis hat umgebracht,
Um eine böse Prokne zu gewinnen,
Eine Medea voller Niedertracht.
Läg' ihm nicht immerfort der Schwur in Sinnen,
Der ihn gebunden hält mit starker Macht,
Ihr ging's, als er geborgen, an die Kehle;
So aber haßt er sie mit ganzer Seele.
57.
Von dieser Zeit sieht ihn kein Mensch mehr lachen,
Sein karges Wort ist traurig und gepreßt.
Nur Seufzer sind's, die manchmal Luft sich machen,
Er hat sich ganz verwandelt in Orest,
In dem der Rache Furien erwachen
Und den der Muttermord nicht ruhen läßt.
Und unaufhörlich nagt es ihm am Herzen,
Bis krank aufs Bett ihn strecken wilde Schmerzen.
58.
Nun rechnet diese Metze sich zusammen,
Daß sie gar wenig jenem zweiten gelt',
Und ihres Liebesfeuers Asch' entstammen
Ärger und Haß, der schrecklichste der Welt.
Wie gegen Argeus einst in Zornesflammen,
Glüht sie von schnöder Rache und verfällt
Nun auf den Plan, den zweiten hinzuraffen,
Wie sie verstand den ersten fortzuschaffen.
59.
Sie findet einen Arzt, der, voll von Ränken,
Zu solchem Werk genug Geschick beweist,
Der nicht mit Syrup heilt, doch mit Getränken
Und Giften tötet, rücksichtslos und dreist:
Sie werd' ihm alles, das er wolle, schenken,
Worauf sie ihm noch höhern Lohn verheißt,
Schaff' er mit Säften, die zum Morde taugen,
Ihr seinen Herrn in kurzem aus den Augen.
[213] 60.
Schon kam der Alte mit dem Gift in Händen
(Ich selbst mit ein paar andern war dabei),
Um in die Adern, sagt er, Kraft zu senden,
Damit recht bald gesund mein Bruder sei.
Doch diese will das Ding nun anders wenden;
Sie säh' sich gern von dem Genossen frei,
Möcht' auch wohl des Versprechens sich entbinden:
Bevor des Kranken Mund die Tropfen finden,
61.
Greift sie die Hand (die hebt bereits die Tasse,
Darin verborgen jenes Giftes Kraft)
Und spricht: ›Kein Unmut dich darob erfasse,
Daß große Liebe mir Besorgnis schafft!
Gewißheit will ich, daß nicht schlechte Masse
Du darreichst oder einen gift'gen Saft.
Drum soll er nicht den Trank zum Munde führen,
Eh deine eignen Lippen ihn berühren.‹
62.
Du kannst dir denken, Herr, welch ein beklommen,
Verdutzt Gesicht der Alte hat gemacht;
Ob sonst ein Weg noch sei, davonzukommen,
Des hat er bei der kurzen Zeit nicht acht:
Der Trank wird unverweilt von ihm genommen,
Er käme sonst zu sicher in Verdacht;
Der Kranke zögert nicht, darauf zu bauen,
Und schluckt den Rest hinunter voll Vertrauen.
63.
Dem Sperber, der, im Fang den fetten Bissen,
Das Rebhuhn zu verspeisen war bereit
Und plötzlich sich's vom Hunde sieht entrissen,
Dem er als Helfer hat getraut die Zeit,
Glich dieser Arzt, der, des Gewinns beflissen,
Gehofften Vorteil sah gekehrt in Leid.
Du kannst darin das Los der Frechheit sehen:
So mög' es jedem Gierigen ergehen!
[214] 64.
Der Alte war nun willens, zu verschwinden
Nach Hause rasch, aus diesem Zimmer fort,
Um sich dem drohnden Tode zu entwinden;
Zu Hause gibts ja Gegengift sofort.
Doch konnt' er nicht der Frau Erlaubnis finden,
Die ihn so lange bleiben hieß am Ort,
Bis daß im Magen die verdauten Säfte
Mit Deutlichkeit erwiesen ihre Kräfte.
65.
Kein Bitten half, ihn doch hinauszulassen,
Auch nicht, daß er dafür Belohnung bot.
Als er, verzweifelt, sieht, er müss' erblassen
Und rette nicht durch Flucht sich vor dem Tod,
Aufdeckt er's, daß wir all den Handel fassen,
Und dieser hilft nicht Leugnen aus der Not.
So kann der brave Arzt nicht dem entgehen,
Was oft durch ihn den andern ist geschehen,
66.
Und seine Seele ist dahingegangen,
Wohin des Bruders Geist geschwebt voran.
Doch wir, zu deren Ohr die Worte drangen
Des Alten, der so wenig hier gewann,
Wir nahmen diese Bestie gefangen,
Die schlimmste, die im Wald man finden kann,
Sie einzuschließen und zu Feuerflammen,
Dem wohlverdienten Tode, zu verdammen.«
67.
So spricht Hermonides und will erzählen,
Wie sie entronnen ist aus Kerkerhaft;
Doch weil der Wunde Schmerzen jetzt ihn quälen,
Sinkt er aufs Gras hin, bleich und ohne Kraft.
Zwei seiner Knappen unterdessen wählen
Starkes Gezweig, das eine Bahre schafft:
Auf diese ließ Hermonides sich legen,
Denn anders konnt' er nicht sich fortbewegen.
[215] 68.
Zerbin eilt, um Verzeihung ihn zu bitten:
Ihm selber sei um die Verwundung leid;
Allein, die bei ihm sei, nach Rittersitten
Müßt' er verteidigen zu jeder Zeit;
Es hätte seine Ehre sonst gelitten;
Weil zu dem Schutz der Alten stets bereit
Zu sein, ihr beizustehn in allen Nöten,
Gegebene Versprechen ihm geböten.
69.
Sollt', ihm zu dienen, sonst in seiner Macht sein,
So werd' ihn jener allzeit willig sehn.
Dann mög' er, war die Antwort, wohlbedacht sein,
Von diesem Weib Gabrina fortzugehn;
Sonst werd' ihm Unheil bald von ihr gebracht sein
Und er umsonst in Reu' und Schmerzen stehn.
Gabrina konnte nicht die Augen heben:
Auf Wahrheit läßt sich keine Antwort geben.
70.
Von dannen ritt jetzund mit seiner Plage
Der Prinz Zerbin auf die versprochne Fahrt
Und flucht' im stillen bitterlich dem Tage,
Da jener Herr von ihm verwundet ward.
Nun, da – durch kund'gen Mann, ganz ohne Frage –
Er Aufschluß hat von ihrer bösen Art,
Ist sie, bisher schon häßlich und abscheulich,
Ihm so verhaßt, daß ihm ihr Anblick greulich.
71.
Sie ahnt recht wohl des Prinzen tiefes Grollen
Und will zurückstehn, traun, im Hassen nicht;
Sie zahlt ihm heim jed' Quentchen Übelwollen,
Daß sie auf eine Quart flugs eine Quinte sticht.
Der Haß sitzt ihr im Herzen giftgeschwollen
Und gräbt sich mächtig in ihr Angesicht.
So liebevoll gesellt, durch Waldesmitten,
Uralten, sind die zwei dahingeritten.
[216] 72.
Da, wie die Sonne sich gen Abend wandte,
Scholl Lärm von Hieb und Stoß und lautes Schrein:
Im Kampf, so schien's, man aufeinander rannte,
Und nach dem Schalle mußt' es nahe sein.
Den Handel näher anzusehen brannte
Zerbin und schlug die Richtung dorthin ein.
Ihm nachzufolgen säumt das Weib nicht lange.
Was drauf geschah, meld' ich im nächsten Sange.

[217] Zweiundzwanzigster Gesang

1.
Die ihr mit einer Liebe seid zufrieden,
Ihr edlen Damen, eurem Freunde wert
(Ist von so vielen, vielen auch hienieden
Gar selten einer solch ein Sinn beschert),
Grollt nicht, hab' ich den Tadel nicht gemieden,
Da gegen jene sich mein Zorn gekehrt,
Und lass' ich jetzt noch manches Verslein fließen,
Des Grimmes Schale über sie zu gießen.
2.
So war sie ja: – »Du künde recht die Dinge!«
Gebeut man mir: ich bin gehorsam, ganz.
Wobei ich keinem Ruhm Verdunklung bringe,
Wenn eine strahlt in reinen Herzens Glanz.
Der einst den Herrn verriet um Silberlinge,
Nahm Petri Ruhm nicht fort und nicht Johanns.
Und keinen Eintrag tut es Hypermnestern,
Daß sie umgeben war von bösen Schwestern.
3.
Muß ich die Schändlichkeit der einen weisen
(Anders gestattet's die Historie nicht),
Will ich dafür gern hundert andre preisen,
Sie heller zeigen als das Sonnenlicht.
Doch nun zum Werk, dem viele Gunst erweisen
(Heil ihnen!), weil's an Reiz ihm nicht gebricht: –
Ich sprach gerade von dem Schottenritter,
Und jenem lauten Schrein entgegen ritt er.
[218] 4.
Wo zwischen Höhn ein enger Pfad sich windet,
Erschallt der Ruf; nicht weit von diesem Ort
Zerbin ein Tal, ein ringsumschloßnes, findet
Und tot am Boden einen Ritter dort;
Wen, sag' ich später; denn die Muse bindet
Nach Osten mich, vom Frankenreiche fort,
Bis wir den wackern Helden Astolf sehen
Gen Sonnenuntergang die Straße gehen.
5.
Ich hab' ihn in der bösen Stadt verlassen,
Wo er mit seines Hornes Schauerklang
Die wilden Frauen scheuchte aus den Straßen
Und, mit Gefahren viel, von dannen drang.
Die Freunde flohen, eilig übermaßen –
– Unrühmlich sehr derweil – die Flut entlang,
Er aber zog hinweg vom Räuberstrande,
Armenienwärts, und schied aus diesem Lande.
6.
In Anatolien drauf in wenig Tagen
War er und hielt die Richtung Bursa ein,
Den Weg vom andern Meerstrand einzuschlagen
Ins weite Land der Thrazier hinein,
Ließ sich, der Donau nach, durch Ungarn tragen –
Als ob der Renner Flügel hätt' am Bein –:
Durch Mähren, Böhmen, Franken ging es grade
In zwanzig Tagen nach dem Rheingestade.
7.
Durch den Ardennenwald hindurch nach Aachen,
Brabant und Flandern und an Schiffesbord.
Als dann in See mit ihm die Schiffer stachen,
Blies in die Segel starker Wind nach Nord;
Astolf sah mittags schon: die Wellen brachen
An Englands Küste sich; er landet dort,
Steigt rasch zu Pferde, gibt dem Tier die Sporen
Und ist am Abend noch an Londons Toren.
[219] 8.
Als er dort über Otto nun erfahren,
Der sei schon manchen Monat in Paris,
Wo jeder einzle Mann der Ritterscharen
Sich solchen hohen Beispiels würdig wies,
Beschließt er, selber nach Paris zu fahren,
Und kehrt zum Themsehafen, den er ließ;
Aufs neue gleich die Anker dort sie lichten,
Um nach Calais des Schiffes Bug zu richten.
9.
Sacht bläst ein Lüftchen, rührt von links die Wellen,
Lockt wie ein Köder in das Meer hinaus,
Um nach und nach gewaltig anzuschwellen.
Der Schiffer, überwunden, muß dem Graus
Des Sturms entgegen rasch den Backbord stellen;
Sonst taucht das Schiff hinab – und bald ist's aus.
Dem Plan zuwider just in allen Stücken,
Fliegt hin das Schifflein auf des Meeres Rücken,
10.
Bald rechts, bald links (die Richtung kam abhanden),
Hier-, dorthin, wie das Schicksal will, die Bahn,
Um bei Rouen zu guter Letzt zu landen.
Astolf läßt satteln seinen Rabikan,
Sobald sie an dem lieben Strand sich fanden,
Ergreift sein Schwert und zieht die Rüstung an,
Und vorwärts sprengt er, stets das Horn zur Seiten,
Das mehr nützt, als wenn tausend ihn begleiten.
11.
Voran, durch einen Wald, ging's unverdrossen,
Da floß ein heller Quell in Berges Hut;
Die Stunde war's, da, von der Hütt' umschlossen
Oder im hohlen Fels, die Herde ruht.
Von Durst geplagt und Schweiß, den er vergossen,
Nahm er den Helm ab vor der Sonne Glut,
Band fest den Renner in den dichten Zweigen,
Und auf den Born begann er sich zu neigen.
[220] 12.
Noch rührten nicht die Lippen an die Welle,
Da springt ein Kerl, der ins Gebüsch geriet,
Hervor und nimmt den Hengst von seiner Stelle,
Schwingt in den Sattel sich hinauf und flieht.
Astolf blickt auf beim Lärm von seiner Quelle,
Und als er hier sich Schaden drohen sieht,
Vergißt er allen Durst; statt sich zu letzen,
Folgt er dem Diebe nach in mächt'gen Sätzen.
13.
Dem ist es nicht zu tun um höchste Eile,
Er wäre sonst viel weiter schon voran;
Er galoppiert und trabt drauf eine Weile,
Zieht fest den Zaum und lockert ihn sodann:
Verschwunden ist der Waldrand mittlerweile,
Und beide langen an der Stelle an,
Wo nicht gefangen sind viel edle Ritter,
Doch mehr gefangen als mit Schloß und Gitter.
14.
Der Kerl jagt in das Schloß mit jenem Pferde,
Das fast den Winden gleicht an Schnelligkeit,
Und Astolf – denn der Schild macht ihm Beschwerde
Und Helm und andre Waffen – ist noch weit.
Als er nun kommt – verschwunden von der Erde
Ist die verfolgte Spur, denn weit und breit,
Wie weit er suchend läßt die Augen gehen,
Nicht Rabikan ist noch der Kerl zu sehen.
15.
Er läuft umher und sucht an allen Ecken,
Durch Gänge, Zimmer, bis zum Dach hinauf,
Jedoch kein Lohn wird aller Müh' des Recken,
Den argen Räuber treibt er nirgends auf.
Er forscht umsonst, wo Rabikan mag stecken,
Der jedes andre Tier besiegt im Lauf,
Und gänzlich ohne Frucht bleibt sein Beginnen,
Ob auf und ab er suche, draußen, drinnen.
[221] 16.
Verwirrt und müde, sich zu drehn im Kreise,
Merkt er, daß dieser Ort verzaubert war,
Und jenes Büchleins, das ihm für die Reise
In Indien Logistilla reichte dar,
Weil's gegen Zauber nützlich sich erweise,
Dacht' er, und des Registers nahm er wahr:
Da fand er bald heraus, auf welchem Blatte
Man gegen solchen Spuk ein Mittel hatte.
17.
Vom Zauberhaus war viel an jener Stelle
Des Buchs die Rede, und man gab auch an,
Auf welche Weise er den Magier prelle
Und der Gefangnen Bande löse dann:
Ein Geist sei eingeschlossen in der Schwelle,
Der all den Trug und Zauberspuk ersann;
Hebt man den Stein, die Gruft ihm zu erschließen,
So wird durch ihn das Haus in Rauch zerfließen.
18.
Ein Werk so ruhmeswürdig zu vollenden,
Ist eifrig unser Paladin erpicht:
Er bückt sich, prüft dann sorglich mit den Händen,
Wie schwer wohl sein mag jenes Steins Gewicht.
Als Atlas sieht, es naht, den Trug zu enden,
Ein Armepaar, das leicht den Zauber bricht,
Schaut er besorgt dem, was geschieht, entgegen
Und sucht mit neuem Spuke sich zu regen.
19.
Den andern ließ er Astolf jetzt erscheinen,
Durch Geister, in Gestalten mannigfalt:
Er war ein Ries', ein Bäuerlein den einen,
Während er jenen als ihr Todfeind galt;
Und allesamt just den zu sehen meinen,
Von dem sich Atlas borgte die Gestalt:
Den Dieb, durch den bald dies, bald das verschwunden,
Den wähnen sie im Paladin gefunden.
[222] 20.
Roger, Gradaß, Irold und Bradamante,
Prasild und Brandimart – in voller Hast
Auf Astolf jeder, ihn zu töten, rannte,
Von blinder Wut und Irrtum jäh erfaßt;
Doch der jetzund zu seinem Horn sich wandte,
Vor dem der kühnste Mut gar rasch erblaßt.
Half er sich nicht durch seines Hornes Klänge,
Tot läge schon der Herzog im Gedränge.
21.
Allein nun er das Horn geführt zum Munde
Und schallen läßt den grauenvollen Ton,
Wie Tauben vor dem Schuß, so in der Runde
Die edlen Ritter stäuben all davon.
Der Hexenmeister ist zur selben Stunde
Entsetzt aus seinem Höhlenloch geflohn:
Bleich und verstört, fort eilt er weite Strecken,
Bis nicht mehr hörbar ist das Horn der Schrecken.
22.
Der Wächter flieht und sie, die er in Haft hat,
Es flieht zum Stall hinaus der Pferde Hauf,
Weil jetzt kein Strick mehr, sie zu halten, Kraft hat,
Und folgen ihrem Herrn in vollem Lauf.
Selbst Katz' und Maulwurf aus dem Haus geschafft hat
Der Ton, der immer dröhnt: Nur drauf! Nur drauf!
Und Rabikan wär' auch davongegangen,
Ward aber von dem Herrn am Tor gefangen.
23.
Als Atlas und die andern laufen gingen,
Hob Astolf von der Schwelle jenen Stein
Und fand ein Bild mit sonst noch andren Dingen,
Die zu beschreiben nicht wird nötig sein.
Vernichtung all dem Zauberwerk zu bringen,
Schlug er, was er gefunden, kurz und klein,
So wie's in seinem Buch war angegeben,
Und sah das Schloß in Rauch und Dunst entschweben.
[223] 24.
Er fand, von goldner Kette festgehalten,
Den Renner, der einst Roger ward beschert
Von jenem Mohrenzauberer, dem alten;
Hin zu Alcine trug ihn dieses Pferd,
Und Logistilla ließ den Zaum gestalten:
Nach Frankreich ist er dann zurückgekehrt,
Nachdem von Indien bis zum Land der Britten
Er schier die halbe Erdenwelt durchritten.
25.
Er ließ ihn dort, an einen Baum gebunden,
Am Tag – ich weiß nicht, ob Ihr Euch entsinnt –,
Da, nackt, vor Rogers Blick war fortgeschwunden,
Ihm zum Verdruß, von Galafron das Kind.
Das Flügelpferd hat dann den Weg gefunden,
Derweilen Roger staunt, zum Herrn geschwind
Und ist bei ihm die ganze Zeit geblieben,
Bis jetzt des Zaubers Kraft ward ausgetrieben.
26.
Erwünschtres konnte wahrlich nicht geschehen,
Als unserm Herzog ward jetzund beschert,
Denn um zu schaun, was noch verblieb zu sehen,
Von Meer und Ländern, wie sein Herz begehrt,
Und durch die Welt in kurzer Zeit zu gehen,
Kommt höchst gelegen dieses Flügelpferd.
Er weiß gar wohl, es kann ihn trefflich tragen,
Weil er's erprobte schon in frühern Tagen.
27.
Damals in Indien war's, als von Melissen,
Der gütigen und weisen Zauberin,
Er ward der Hand der Schändlichen entrissen,
Die ihn gebannt hielt in der Myrte drin.
Wohl gab er acht und sah, wie mit gewissen
Griffen sie zwang des Hengstes trotz'gen Sinn,
Und ihn zu lenken ganz nach seinem Willen,
Erlernte Roger dort bei Logistillen.
[224] 28.
Entschlossen, auf dem Hengst davonzureiten,
Legt' er den eignen Sattel auf das Tier,
Und einen Zaum verstand er zu bereiten
Aus dem und jenem, bis es paßte schier;
Denn als die Pferde flohn nach allen Seiten,
Blieben von ihnen viele Zügel hier.
Sofort würd' er das Tier gen Himmel lenken,
Doch Rabikans muß er mit Sorge denken.
29.
Und wohl war, ihn zu lieben, Grund vorhanden:
Beim Lanzenritt, da war kein Roß wie er;
Von Indien weit in fernsten Morgenlanden
Trug er ihn nach dem Frankenreiche her.
Er sann – bis beßre Pläne nicht sich fanden,
Als daß er einem Freund zu schenken wär';
Man durft' ihn doch nicht auf der Straße lassen,
Wo ihn der erste beste konnte fassen.
30.
Lang lugt er aus, ob er nicht sähe schreiten,
Sei's Jäger oder Bauer, durch den Wald,
Der irgendwo ihn könne hingeleiten,
Wo Rabikan find' einen Aufenthalt.
Er steht und blickt umher nach allen Seiten
Den ganzen Tag; schon naht der Morgen bald.
Da meint er bei dem früh'sten Dämmergrauen
Im Dickicht einen Rittersmann zu schauen.
31.
Nun kann ich jetzt noch nicht von Weitrem singen,
Will erst nach Roger sehn und Bradamant.
Als nicht das Schreckenshorn mehr hörte klingen
Das schöne Paar und schon sich weit befand,
Da mußte Roger zum Bewußtsein dringen,
Was ihm bisher verbarg des Atlas Hand:
Die Möglichkeiten, kennen sich zu lernen,
Wußt' ihnen jener immer zu entfernen.
[225] 32.
Er schaut sie an, in seligem Entzücken;
Aus ihren Blicken helles Staunen sprüht,
Daß ihm von jenes Alten Zauberstücken
Verdunkelt wurden Augen wie Gemüt.
Er muß ans Herz die schöne Holde drücken,
Darob sie höher als die Rose glüht.
Das Glück vergönnt ihm, von den zarten Lippen
Der Liebe süßen Blütenhauch zu nippen.
33.
Das Herzen und das Küssen will nicht enden,
Wie halten sie so innig sich umfaßt!
Welch frohe Seufzer sie zum Himmel senden!
Die hohe Wonne sprengt den Busen fast.
Sie klagen nur, daß in den Zauberwänden
Sie ziellos irrten in beklommner Hast,
Blind für einander, wie behexte Toren,
Und daß so mancher Glückstag ging verloren.
34.
Gewillt ist Bradamant, ihm zu bescheren
Die Freuden alle, die ein Mägdelein
Dem Liebsten wohl vergönnen mag in Ehren,
Um ihn von jeder Trauer zu befrein,
Und sagt, woll' er das Höchste nicht entbehren
Nicht spröd und hart sie machen obendrein,
Mög' er um sie bei Haimon werben gehen;
Doch vorher wolle sie getauft ihn sehen.
35.
Und er, nicht nur als Christ für sie zu leben
Wär' er in seiner Liebesglut bereit,
So wie es einst sein Vater war, daneben
Das ganze Haus einmal in frührer Zeit,
Nein, freudig würd' er auch sein Leben geben
Und hätt' es augenblicklich ihr geweiht:
»Für dich«, sprach er, »nicht nur ins Wasserbecken
Würd' ich den Kopf, nein, auch ins Feuer stecken.«
[226] 36.
Zur Taufe, und – die Gattin zu erringen,
Macht er sich auf den Weg mit Bradamant.
Sie eilt, nach Vallombrosa ihn zu bringen
(Ein schönes Kloster wurde so genannt,
So reich wie fromm, gastfrei vor allen Dingen,
Drin Aufnahm' allzeit jeder Wandrer fand).
Da sehn sie, als sie aus dem Walde gehen,
Ein Mädchen tiefbetrübt am Walde stehen.
37.
Als Roger – mild und gütig alle Zeiten,
Gegen ein Weib noch mehr als einen Mann –
Die holde Tränenflut sah lieblich gleiten,
Wie sie vom zarten Antlitz niederrann,
Erführ' er gern, was ihr solch Weh bereiten
Wohl könne, und sogleich kam er heran
Mit freundlich art'gem Gruß, um sie zu fragen,
Was Schmerzliches sich habe zugetragen.
38.
Sie hebt den Blick, läßt ihn die Strahlen schauen,
Die feuchten, und gibt höflich ihm Bescheid,
Nicht zögernd, ihm die Gründe zu vertrauen,
Danach er fragt, von ihrer Traurigkeit:
»Wenn Tränen«, spricht sie, »dies Gesicht betauen,
So fließen sie, mein edler Herr, vor Leid;
Denn eines Jünglings Schicksal muß mich rühren,
Den sie bei einem Schloß zum Tode führen.
39.
In Liebe einem schönen Kind verbunden,
Das Herrn Marsils, des Königs, Tochter war,
Im Frauenkleid, den Schleier umgebunden,
Erhoben mädchenhaft das Augenpaar,
Hatt' er des Nachts bei ihr sich eingefunden,
Und niemand in dem Hause ward's gewahr.
Doch kein Geheimnis ist so fein gesponnen,
Es muß zuletzt hervor ans Licht der Sonnen.
[227] 40.
Einer bemerkt's, von dem es zwei erfahren,
Von diesen mehr, bis es zum König kam:
Worauf nun gestern einer aus den Scharen
Die Liebenden im Bett gefangennahm:
Fern voneinander eingeschlossen waren
Sie beide bald im Turm, zu Leid und Gram.
Und kaum den Tag verbringt der Jüngling heute;
In schwerer Qual wird er des Todes Beute.
41.
Ich floh, das Gräßliche nicht anzusehen;
Denn lebend wird der Arme ja verbrannt.
Mir könnte Schlimmres wahrlich nicht geschehen,
Als daß für ihn ein solch Geschick zur Hand,
Und keine Freude kann für mich bestehen,
Denn alles ist in Schmerzen gleich gewandt,
Bringt mir Erinnerung die Flamme wieder,
Die bald nun frißt so feine, schöne Glieder.«
42.
Als Bradamant es hört, steht sie in Sinnen,
Und diese Nachricht, scheint's, bestürzt sie sehr:
Sie hegt um jenen Furcht im Herzen drinnen,
Als ob es einer ihrer Brüder wär'.
Und füglich kann hier Sorge Raum gewinnen,
Wie Ihr von mir noch hören sollt nachher.
Gekehrt zu Roger, sprach sie: »Unsre Waffen
Bekommen, scheint mir, wohl für den zu schaffen.«
43.
»Getröste dich,« drauf spricht sie zu der Bangen,
»Und laß uns heimlich in die Mauern ein.
Ist er bisher nicht in den Tod gegangen,
So lebt er fort, des magst du sicher sein.«
Auch Roger steht in Feuer vor Verlangen,
Aus schlimmer Not den Jüngling zu befrein:
Daß er dem grausen Tode werd' entrissen,
Sieht er die edle Herrin ja beflissen.
[228] 44.
Zu ihr, aus deren Augen Tränen quellen
In Bächen, spricht er: »Auf! Was wartest du?
Nicht Weinen, Helfen nützt in solchen Fällen:
Zeig', wo er weilt, und führ' dem Ort uns zu.
Wir ziehn aus tausend Lanzen den Gesellen,
Und Schwertern, doch geleit' uns fort im Nu!
Es gilt, sich übermaßen anzustrengen,
Daß nicht vorher die Flammen ihn versengen!«
45.
Die stolze Sprach' und Haltung beider Recken,
Der wunderkühne Mut in diesem Paar
Aufs neue jetzt die Hoffnung dort erwecken,
Von wo sie gänzlich schon entwichen war.
Allein weil, mehr noch als die weiten Strecken,
Verlegter Weg jetzt drohte mit Gefahr,
Daß es kaum möglich schien, hinzugelangen,
Stand noch das Mädchen zweifelnd und befangen.
46.
Drauf sprach sie: »Wenn geraden Weg wir reiten,
Der gut und eben führt nach jenem Ort,
Dann kämen wir, so glaub' ich, wohl zu Zeiten;
Das Feuer würde noch nicht lodern dort.
Doch schlechten, krummen Weg muß ich euch leiten,
Mehr als den ganzen Tag nimmt der uns fort;
So daß man, wären wir dann auch zur Stätte,
Den Jüngling wohl schon längst getötet hätte.«
47.
»Warum den kürzern Weg nicht lieber gehen?«
Sprach Roger, und erhielt Bescheid sodann:
»Man sieht dort eine Burg der Grafen stehen
Von Pontier, wo ein schlimmer Brauch begann;
Den ließ, drei Tag' sind's, als Gesetz ergehen
An Damen und an fahrnden Rittersmann
Er, der der ärgste Schelm auf alle Fäll' ist
Und Anselms Sohn, von Haut'rive Pinabel ist.
[229] 48.
Kein Ritter kommt und keine Dame weiter,
Die nicht erfahren hätte Schmach und Leid.
Absteigen müssen sie, und jeder Reiter
Läßt dort die Wehr und jede Frau das Kleid.
Kein Frankenspeer senkt sich auf beßre Streiter
– Und hat sich nicht gesenkt in langer Zeit –,
Als jene vier sind, die im Schloß versprochen,
Daß Pinabels Gesetz bleib' ungebrochen.
49.
Drei Tag' alt ist der Brauch; wie er entstanden
Dort ist im Grafenschloß, tu ich euch kund,
Und sehen sollt ihr gleich: war wohl vorhanden
Für jenen Schwur gut' oder schlechter Grund?
Ein schlimmes Weib hat Pinabel in Banden;
Kein ärgres gibt es auf dem Erdenrund;
Die ward einmal – ich weiß nicht, wann's gewesen –
Verhöhnt von einem Ritter auserlesen.
50.
Verlacht von dieser, einer Alten wegen,
Die auf dem Roß er hielt in seiner Hut,
Focht er mit Pinabel, der nur verwegen,
Doch kraftlos ist in seinem Übermut.
Ihn streckt er hin, sie muß die Füße regen
Und zeigen, ob sie häßlich geht, ob gut:
Zu Fuße muß sie sich von dannen heben,
Vorher jedoch ihr Kleid der Alten geben.
51.
Sie, die zu Fuß bleibt und, voll Durst nach Rache,
Vor Ärger wütend Gift und Galle speit,
Im Bund mit ihm, der jede schnöde Sache
Und Unheil recht zu fördern stets bereit,
Rastlos bei Tag und Nacht hält lauernd Wache
Und sagt, sie kenne nimmer Fröhlichkeit,
Bis tausend Ritter sinken auf die Erde
Und ihr das Kleid von tausend Frauen werde.
[230] 52.
Nun wollt' es sich am gleichen Tage fügen,
Daß ein sich stellten hoher Ritter vier,
Die, heimgekehrt von fernen Wanderzügen,
Erst vor ganz kurzer Zeit erschienen hier;
Man fände vier, die solche Hiebe schlügen
Im Kriegsspiel, nicht auf weiter Erde schier:
's ist Samsonet, Grifon und Aquilante,
Und er, den man den wilden Guido nannte.
53.
Im Schlosse hat sie Pinabel empfangen,
Mit freundlichem Gesicht voll Heuchelei,
Und nachts im Bett sie allesamt gefangen.
Er gab sie nimmer vor dem Schwure frei,
Daß, bis ein Jahr und noch ein Mond vergangen
(Erforderlich just dieser Zeitraum sei),
Sie bleiben würden und die Rüstung nehmen
Den fahrnden Rittern allen, die da kämen,
54.
Und allen Damen, die sie bei sich hätten,
Entreißen erst das Roß, danach das Kleid.
Gebunden sind sie durch des Schwures Ketten
Und halten ihn, ob auch voll Schmerz und Leid.
Sie pflegen jeden in den Sand zu betten;
Noch keiner hielt sich bis zu dieser Zeit.
Unzähl'ge kamen ihnen ins Gehege
Und gingen ohne Rüstung ihre Wege.
55.
Ein jeder ist durch das Gesetz gebunden,
Daß, den das Los trifft, sich zum Kampfe stellt.
Doch hat er dann den Feind so stark befunden,
Daß der im Sattel bleibt, er aber fällt,
Müssen die andern drei, zur Schar verbunden,
Anstürmen, bis bezwungen wird der Held.
Ist einer schon gewaltig, magst du sehen,
Wie's wird, wenn alle dann zusammenstehen.
[231] 56.
Auch darf euch unsre große Not nicht zwingen
(Sie duldet Zögern ja und Aufschub nicht)
Zum Aufenthalt, im Kampf für uns zu ringen,
Und wenn auch euer Aussehn Sieg verspricht,
Und ich vermein', es werd' euch wohl gelingen,
In einer Stund' ist's doch nicht eingericht'.
Und zaudert man, ihm beizustehen heute,
So wird der Jüngling sichre Todesbeute.«
57.
»Uns mag,« sprach Roger, »was da will, geschehen,
Wir machen, was man eben machen kann.
Der Rest mag nach des Himmels Willen gehen
Oder des Glücks! Fängt dieser Handel an,
So wirst du aus dem Strauße gleich ersehen,
Ob wir geeignet sind, den jungen Mann
Zu retten, dem sie heut aus nicht'gen Gründen
Den Scheiterhaufen, wie du sagst, entzünden.«
58.
Ohn' Antwort ist sie drauf vorangeschritten
Und geht auf kürzrem Pfad den beiden vor.
Die sind auf ihm drei Meilen kaum geritten,
So stehn sie an der Brück' und an dem Tor,
Wo viele Raub an Wehr und Kleid erlitten
Und Mancher auch das Leben schon verlor.
Zwei Glockenschläge in die Weite schicken
Die Wächter, die vom Turm die Schar erblicken.
59.
Da sieh, vom Tor her trabt ein alter Reiter
In großer Eil' auf einem schlechten Tier,
Und »Wartet, wartet, halt!« im Nahen schreit er,
»Holla! Bleibt dort! Denn Zoll bezahlt man hier,
Und ward die Satzung euch bekannt nicht weiter,
Die man hier einhält, hört sie jetzt von mir!«
Und jenen Brauch begann er darzulegen,
Den Pinabel bestimmt hat allen Degen.
[232] 60.
Des weitern will er guten Rat noch spenden,
So wie er sonst die Ritter hat belehrt:
»Dem Fräulein, Kinder, laßt das Kleid entwenden,
Von euch sei Roß und Rüstung nicht verwehrt!
Zu trotzen solchen Kriegern, Schwert in Händen,
Das wäre sehr gefährlich und verkehrt:
Pferd, Kleider, Waffe kriegt man immer wieder,
Doch nicht das Leben und gesunde Glieder.«
61.
»Genug, genug,« sprach Roger, »denn soeben
Hört' ich den Handel, und ich habe Lust
Jetzt zu erproben, ob ich für mein Leben
Das bin, was mir die Stimme sagt der Brust.
Pferd, Wehr und Kleider werd' ich niemand geben,
Der nur zu drohn und winken hat gewußt.
Auch wird mein Freund hier wohl nicht daran denken,
Sein gutes Rößlein einfach wegzuschenken.
62.
Doch eile dich, um Gott, uns den zu zeigen,
Der uns das Pferd will nehmen und das Kleid;
Wir müssen jenen Berg noch übersteigen,
Und lang zu weilen hier, bleibt uns nicht Zeit.«
»Dort naht er schon, dem solche Absicht eigen«,
Der Alte sprach. So war's in Wirklichkeit.
Ein Ritter kam in rotem Waffenkleide,
Mit Blumen drauf gestickt aus weißer Seide.
63.
Ihr doch zu lassen dieses erste Ringen,
Ward Roger sehr bestürmt von Bradamant:
Gern aus dem Sattel auf die Erde bringen
Möchte sie den im blumigen Gewand;
Es durchzusetzen, wollt' ihr nicht gelingen,
Und Rogers Wille sie gehorsam fand.
Den ganzen Handel woll' er selbst bestehen;
Sie mußte sich begnügen zuzusehen.
[233] 64.
Als Roger fragt, wie sich der Ritter nenne,
Der aus dem Tor als erster sich bewegt:
»'s ist Samsonet,« der Alte spricht, »ich kenne
Am Kleid ihn und den Blumen, die er trägt.«
Von hier, von dort, daß er den Feind berenne,
Strebt jeder; keiner nur die Lippen regt.
Sie suchen sich, gesenkt die Lanzenspitze;
Die Rosse stürmen an mit gleicher Hitze.
65.
Inzwischen kam mit Pinabel geschritten
Ein Haufe Fußvolk aus der Burg heraus,
Er zieht dem Streiter stets, der Sturz erlitten,
Gleich nach dem Kampfe seine Rüstung aus.
Die kühnen Krieger kamen angeritten,
Die mächt'gen Speere eingelegt zum Strauß
(Zwei Handbreit dick, aus heimatlichen Eichen),
Die bis aufs Eisen ganz einander gleichen.
66.
Ein Dutzend wohl der mächtigen Gebilne
Ward auf Befehl von Samsonet gefällt
Vom grünen Stamme, nah im Waldgefilde,
Und für Turnier und Zweikampf hergestellt.
Von Demant müssen Harnisch sein und Schilde
Und alles, das bei solchem Stoß sich hält.
Den einen Speer hat Roger gleich bekommen,
Den andern hat er für sich selbst genommen.
67.
Mit diesen, stark, um Amboß zu durchspalten
(Vorn, festgestählt, die Spitze sich befand),
Grad auf den Schild die beiden Recken halten
Und treffen vollen Laufes aufeinand.
Herrn Rogers Schild (ihn mußten einst gestalten
Nackte Dämonen) leistet Widerstand;
Der Schild, von dessen Kraft ich schon gesprochen,
Von Atlas stammend, der blieb ungebrochen. –
[234] 68.
Vom Zauberglanz, der sich im Schild befindet,
Sagt' ich, sobald er in ein Auge bricht,
Geschieht's, daß jedem das Bewußtsein schwindet,
Trifft er, von Hülle frei, das Angesicht.
Drum – außer wenn die Not die Hüll' entwindet –
Verdeckt ein Schleier stets des Schildes Licht.
Auch Undurchdringlichkeit muß er besitzen:
Der mächt'ge Lanzenstoß konnt' ihn nicht ritzen.
69.
Der andre darf auf Widerstand nicht hoffen,
Ihn schuf ein Meister minder kund'ger Hand:
Er barst entzwei, gleichwie vom Blitz getroffen,
Worauf das Eisen just die Mitte fand;
Sie fand die Mitte, und darunter offen
Lag nun der Arm ohn' allen Widerstand:
Herr Samsonet muß aus dem Sattel fliegen;
Verwundet sieht man ihn am Boden liegen.
70.
Das war der erste der Gefährten drinnen,
Die sich dem Schutz des schlechten Brauchs geweiht:
Die fremde Rüstung konnt' er nicht gewinnen,
Und aus dem Sattel flog er selbst im Streit.
So folgt das Leid auf lachendes Beginnen,
Und oft zu Launen ist das Glück bereit.
Aufs neu erklingt der Glockenschlag vom Turme
Und lädt die andern Ritter jetzt zum Sturme.
71.
Derweil hat Pinabel sich Bradamante
Genaht, zu hören, wer der Kämpe gut,
Der seinen Ritter ihm vom Pferde rannte
Mit solcher Heldenkraft und solchem Mut.
Gott war es, der ihn dieses Weges sandte
(Für Schuld zu büßen hier mit seinem Blut)
Auf jenem Pferd, drauf er der Flucht beflissen,
Als es durch Trug ward Bradamant entrissen.
[235] 72.
Der achte Monat war gerad vollendet,
Seit ihr der Mainzer das Geleite gab
(Ihr wißt's, wenn Ihr die Blicke rückwärts wendet),
Beim Grab Merlins, da stieß er sie hinab;
Durch einen Zweig ward Rettung ihr gesendet,
Der – und ihr Glück – hielt stützend sie als Stab;
Der Mainzer, wähnend, sie sei umgekommen,
Hatt' ihren Renner mit sich fortgenommen.
73.
Ihr Pferd erkennend, kennt sie auch den Reiter,
Den ungetreuen Grafen Pinabel:
Und als sie seine Stimme hört und weiter,
Aufmerkend schärfer, mustert den Gesell,
Sagt sie: »Das ist der schurkische Begleiter,
Der mich verderben wollt', ich seh' es hell:
Auf diesen Weg mußt' ihn die Untat führen,
Den Lohn zu finden, der ihm will gebühren.«
74.
Drohung und rascher Griff nach ihrem Degen
War eins und anzusprengen mit dem Roß.
Zuvor jedoch galt's, ihm den Weg verlegen,
Daß er nicht fliehen könne nach dem Schloß.
Wie in der Fall' ein Fuchs sich schlecht kann regen,
Der Rettung Hoffnung Pinabel verfloß:
Aufschreiend sucht er in des Waldes Hecken
Ohn' allen Widerstand sich zu verstecken.
75.
Bleich und entsetzt strebt er davonzujagen,
Denn in der Flucht beruht sein letztes Heil.
Die Maid, die grimme, ist ihm dicht am Kragen,
Und mancher Hieb und Stoß wird ihm zuteil.
Es dröhnt der Wald mit Ächzen und mit Klagen;
Sie bleibt ihm auf den Fersen alldieweil.
Davon vernehmen nichts die von der Feste,
Denn nur auf Roger blicken deren Gäste.
[236] 76.
Nun waren auch die andren drei erschienen,
Sie hielten noch bisher im Schlosse Wacht;
Und jene böse Hexe war mit ihnen,
Die solches schlimme Weggesetz erdacht.
Sie meinen, besser, als in Schmach zu dienen,
Werd' ihnen ehrenvoller Tod gebracht.
Schamröte sieht man auf den Wangen stehen,
Daß drei auf einen Mann zum Kampfe gehen.
77.
Sie, die den Brauch hat eingeführt, den schlechten,
Die grausam ränkevolle Buhlerin,
Ruft jetzt den Schwur, im Kampf für sie zu fechten,
Aufs neue den drei Rittern in den Sinn.
»Mein Speer allein hilft dir zu deinen Rechten,
Was schickst du da mir noch Begleiter hin?«
Guido der Wilde sprach. »Und sollt' ich lügen,
Nimm mir den Kopf, gern will ich drein mich fügen.«
78.
Allein beim Kampfe will ein jeder bleiben,
Auch Grifon und sein Bruder Aquilant;
Sie wollen lieber sich dem Tod verschreiben,
Als auf den einen stürzen miteinand.
»Warum viel Worte, und ein Ding betreiben«,
Sprach sie, »ganz ohne Nutzen und Verstand?
Ich bracht' euch, daß ihr Rüstung tragt von hinnen,
Und nicht, ein neu Gesetz hier zu ersinnen.
79.
Als ihr in Haft wart, Weigerungen galten,
Doch nicht an diesem Ort; es ist zu spät.
Ihr seid gezwungen, das Gesetz zu halten,
Genug geschwätzt, auf, an die Arbeit geht!«
»Ihr möchtet Waffen gern und Pferd erhalten«,
Rief Roger, »mit dem neuen Sattel, seht!
Das Kleid der Dame auch, der ich Begleiter;
Wenn ihr das wollt, was zaudert ihr noch weiter?«
[237] 80.
Hier drohte scheltend jenes Weib vom Schlosse,
Dort höhnte Roger sie mit Stimm' und Hand;
So spornten sie zusammen denn die Rosse,
Die Wangen rot und heiß in Scham entbrannt;
Voran der erste und der zweite Sprosse
Des edlen Grafen vom Burgunderland.
Entfernt von ihnen eine kleine Strecke,
Auf schwererm Roß kommt Guido auch, der Recke.
81.
Der Speer, der Samsonet daniederstreckte,
Der gleiche war's, den diesmal Roger trug,
Mitsamt dem Schild (den noch die Hülle deckte)
Des Atlas auf Pyrenes Höhenzug,
Dem Zauberschild, der jedes Aug' erschreckte
Und dessen Glanz kein Menschenkind ertrug,
Des Helden letztes Mittel in Gefahren,
Die durch nichts andres zu bestehen waren.
82.
Nur dreimal half er sich auf diese Weise,
Und zwar in Nöten wirklich übergroß.
Zweimal, als zu der Tugend ging die Reise
(Er riß sich aus der Wollust Banden los):
Dann, als die Orka, nimmersatt der Speise,
Blieb ungefüttert in der Wogen Schoß,
Da sie die schöne Nackte fressen sollte,
Die also bösen Dank dem Retter zollte.
83.
Sonst, ausgenommen die drei Schlachten eben,
Blieb auf dem Schild der Schleier immerdar,
Derart, daß er bequem und leicht zu heben,
Gebot' es eine dringende Gefahr:
So ausgerüstet, voller Mut und Leben,
Kam er geritten, aller Furcht so bar,
Daß die drei Ritter, schien's, ihm minder galten
Als zarter Kindlein schwächliche Gestalten.
[238] 84.
Da, wo Visier und Schild zusammenkommen,
Da trifft den Gegner Ritter Rogers Speer;
Das Gleichgewicht ist Grifon ganz genommen:
Er taumelt, fällt zur Erde hinterher.
Auch Rogers Schild hat einen Stoß bekommen,
Doch nicht gerade, sondern nur die Quer':
Der Speer muß von dem glatten Stahl zur Seiten,
Unschädlich, mit verkehrter Wirkung, gleiten.
85.
Der Schleier reißt, der bergend hielt umschlossen
Das fürchterliche zauberhafte Licht,
Vor dem, sobald die Strahlen sich ergossen,
Geblendet jeder Mensch zusammenbricht.
Herr Aquilant, zur Seite des Genossen,
Zerfetzt ihn ganz –: der Schild blitzt frei und licht,
So daß er Blendung jenem Paar bereitet,
Auch Guido, der gleich hinter ihnen reitet.
86.
Vom Schild sind nicht die Augen bloß geblendet
(Die Krieger sinken auf den Boden schwer),
Auch jedes andern Sinnes Regung endet.
Ohn' Ahnung, daß hier keine Kämpfer mehr,
Kehrt Roger um; und wie das Pferd er wendet,
Faßt er den schneidigen und spitzen Speer
Und sieht: kein Streiter stellt sich mehr von allen,
Denn beim Zusammenstoß sind sie gefallen.
87.
Die Ritter fielen und dazu die Frauen
Und wer zu Fuß kam aus der Burg hervor;
Die Pferde liegen, sind wie tot zu schauen;
So strecken sie die Glieder steif empor.
Er wagt zuerst den Augen nicht zu trauen,
Dann sieht er, links in Fetzen hängt der Flor,
Den seidnen Schleier mein' ich, drin er immer
Verborgen hielt des Schildes bösen Schimmer.
[239] 88.
Umkehrt er rasch, und seine Blicke spähen
Nach ihr, der vielgeliebten Kriegerin:
Er sucht sie, wo er sie vorher gesehen,
Als Zeugin bei des ersten Kampfs Beginn.
Dann denkt er sich: es trieb sie, fortzugehen
Zu dem vom Tod bedrohten Jüngling hin,
Aus Furcht, er mög' am Ende schon verbrennen,
Derweil man Zeit verliert mit Lanzenrennen.
89.
Das Mädchen, das die Schöne hergeleitet,
Liegt auch besinnungslos bei jenen dort,
Er nimmt sie, wie sie schläft, aufs Pferd und reitet,
Im Innern ganz verstört, des Weges fort.
Den Mantel, den sie überm Kleid hat, breitet
Er auf den Zauberschild, und sieh, sofort
Ist sie vom Schlaf erwacht; sie kam zu Sinnen,
Sobald der Glanz erlosch im Mantel drinnen.
90.
Er reitet, Scham in Zügen und Gebärden,
Das glühnde Antlitz tief gesenkt, voran,
Ihm ist, als säh' ein jeder Mensch auf Erden
Den Sieg, den wenig rühmlichen, ihm an.
»Wie mag ich dieser Schande ledig werden?
Ob ich wohl diese Schuld vernichten kann?
Man wähnt nun jeden Sieg, der mir gelungen,
Durch Zauber, nicht durch meinen Wert, errungen.«
91.
So reitend, brütend, tief versenkt in Sinnen,
Erblickt er das, wonach der Sinn ihm stand,
Urplötzlich, mitten in dem Wege drinnen:
Es war ein tiefer Brunnen, den er fand.
Hier ließ sich Wasser in die Kehle rinnen,
Die Herde, weidesatt, im Mittagsbrand.
Er sprach: »O Schild, ich muß mir Mühe geben,
Durch dich nicht andre Schande zu erleben!
[240] 92.
Du sollst mir keinen weitern Vorwurf bringen
Auf dieser Welt, denn dich behalt' ich nicht.«
Er spricht es, eilt vom Renner sich zu schwingen
Und nimmt ein Felsstück groß, schwer von Gewicht,
Knüpft's an den Schild, und sieh, die Fluten schlingen
Die Last hinab, weit, weit vom Sonnenlicht!
Er spricht dazu: »Nun liege hier begraben!
Mit dir soll meine Schmach ein Ende haben.«
93.
Der Brunnen hohl und bis zum Rand die Fluten!
Schwer war der Schild und jenes Felsstück schwer.
Sie sanken, bis sie tief im Grunde ruhten,
Und weiches Wasser wallte drüber her.
Fama verschwieg die Tat des Hochgemuten,
Die edle, große, nicht und preist sie sehr:
Mit vollem Klang läßt sie ihr Horn ertönen,
Daß Frankreich, Spanien und die Welt erdröhnen.
94.
Als durch die ganze Welt von Mund zu Munde
Dies seltsam' Abenteuer ward bekannt,
Aufbrachen viele Helden da zur Stunde
Nach jenem Schild aus nah- und fernem Land.
Doch nicht vom Waldesraum ward ihnen Kunde,
Darin der heil'gen Waffe Brunnen stand,
Weil jenes Mädchen, das die Nachricht brachte,
So Land wie Brunnen niemals kenntlich machte.
95.
Als Roger sich auf seinem Weg befunden,
Nach leichtem Siege, fern von jenem Schloß,
Wo er vier große Kämpen überwunden –
Strohpuppen gleich sank diese Schar vom Roß –,
War mit dem Schild nun auch das Licht verschwunden,
Das Augen wie Besinnung jedem schloß;
Und die vorher wie Tote sanken nieder,
Erhoben staunend sich vom Boden wieder.
[241] 96.
Gesprochen ward an diesem Tag von allen
Nichts andres, als was diesen Fall betraf:
Wie jeder durch das Schreckenslicht gefallen
In einem Nu in diesen Zauberschlaf.
Als sie so reden, hört man Kunde schallen:
Erschlagen liege Pinabel, der Graf.
Daß er getötet sei, hat man erfahren,
Doch übern Täter ist man nicht im klaren.
97.
Inzwischen war erreicht auf engem Pfade
Der Erzschelm Pinabel von Bradamant,
Und hundertmal in Brust und Leib zum Bade
Taucht bis zum Heft das Schwert in ihrer Hand:
Es scheide von der Welt der Fluch, der Schade,
Der angesteckt hat rings das ganze Land.
Drauf ist sie von dem Platz in Waldesmitten
Auf rückerlangtem Roß davongeritten.
98.
Sie will zurück zu ihrem Roger wieder,
Verfehlt jedoch den Weg, sie weiß nicht wie.
Sie sprengt die Höhn hinauf, die Täler nieder,
Die ganze Gegend schier durchreitet sie.
Allein so sehr ist ihr das Glück zuwider:
Dorthin, wo Roger weilt, gelangt sie nie.
Wer sein Behagen fand an den Geschichten,
Dem soll der nächste Sang noch mehr berichten.

[242] Dreiundzwanzigster Gesang

1.
Andern zu helfen, sollst du immer streben,
Meist trägst du die Belohnung mit nach Haus.
Und wenn auch nicht, nun, so entsteht dir eben
Doch weder Tod noch Schad' und Schimpf daraus.
Wer andern Böses tut, muß Rechnung geben
Früh oder spät: die Ahndung bleibt nicht aus.
Das Sprichwort sagt: Der Mensch wird wiedersehen
Den Menschen, während fest die Berge stehen.
2.
Da sieh doch, wie es Pinabel ergangen,
Weil er getan hat gegen Recht und Pflicht:
Er hat der Strafe volles Maß empfangen,
Die Billigkeit dem argen Sinn verspricht!
Das Fräulein aber ist dem Tod entgangen;
Daß Unschuld leide, will der Schöpfer nicht.
Er sandt' ihr Rettung und will Rettung senden
Jedwedem, der an Herzen rein und Händen.
3.
Längst glaubte Pinabel tot und begraben
Die Maid im Abgrund bei dem Felsenpfad;
Nie mehr vor Augen meint er sie zu haben,
Die schwere Sühne fordernd für Verrat.
Nichts half ihm Vaters Schloß und Wall und Graben;
Sie schützten wenig vor der Rächertat.
Umsonst im Tal die Zinnen Hauterives blinken,
Umsonst die nahen Aun von Pontier winken.
[243] 4.
Des Grafen Anselm war die Burg, des alten,
Aus dessen Blut der Bösewicht entsprang,
Dem Clermonts Rächerhand sich fernzuhalten
Durch Beistand und Genossen nicht gelang:
Er mußt' an eines Berges Fuß erkalten,
Da ohne Müh' das Eisen ihn durchdrang;
Zu seiner Rettung konnt' er nichts erfinden,
Als schreiend, Gnade flehend, sich zu winden.
5.
So wurde Tod dem falschen Mann bereitet,
Der einst ihr selbst so böses Ende sann.
Als sie den Weg zurück zu nehmen reitet,
Steht dieses ihrem bösem Stern nicht an.
Sie wird auf einen Seitenpfad geleitet,
Wo öd und einsam graus'ger Wald begann,
Gar dicht und wild verwachsen, zum Erschrecken,
Derweil die Welt schon Abenddunkel decken.
6.
Da sie sich keiner Wohnung kann vertrauen,
Beschließt sie hier zu bleiben über Nacht,
Im Frein, teils schlafend, bis beim Morgengrauen
Auf grüner Lagerstatt der Tag erwacht,
Teils nach Saturn und Jupiter zu schauen,
Venus und Mars und andrer Götter Pracht.
Doch wähnt sie stets mit Roger hier zu säumen,
Er ist bei ihr im Wachen und im Träumen.
7.
Vor Schmerz und Reue, die sie wild erfassen,
Seufzt sie aus tiefstem Herzen schwer und bang,
Denn größer als die Liebe war ihr Hassen:
»Vom Liebsten riß mich Zornes Überschwang,«
Sprach sie, »hätt' ich ein Zeichen nur gelassen,
Eh ich zu übler Jagd ins Dickicht drang!
Das könnte mir, ihn aufzufinden, taugen;
Ich hatte kein Gedächtnis, keine Augen!«
[244] 8.
Wenn weitre Klagen aus dem Munde gehen,
Bewegt mehr noch im Innern still ihr Herz,
Derweilen Seufzer gleich den Winden wehen;
Die Tränen bilden Regenflut von Schmerz.
Nach langem Warten läßt das Licht sich sehen,
Danach sie eifrig spähte morgenwärts.
Ihr Rößlein grast ringsum in Waldgehegen;
Sie nimmt's und zieht dem jungen Tag entgegen.
9.
Sie ritt nicht weit, da war der Wald verschwunden,
Vor dem das Schloß einst, das verhexte, stand,
Wo sie so lang, von Zauber überwunden,
Als jenes Argen Spielball sich befand.
Dort traf sie Astolf, und er hielt gebunden
Im Zaum das Flugtier mit geschickter Hand.
Sie fand ihn in Gedanken, in der Schwebe,
Unschlüssig, wem den Rabikan er gebe.
10.
Zufällig trifft es sich, daß nach dem Reiten
Den Helm vom Haupte nahm der Rittersmann,
So daß sie, als die Blicke dorthin gleiten,
Den Vetter alsogleich erkennen kann.
Sie winkt ihm voller Freude schon vom weiten,
Kommt grüßend näher und umarmt ihn dann,
Und ihren Namen eilt sie ihm zu nennen
Und hebt's Visier: er soll sie doch erkennen.
11.
Kein Mensch schien Astolf trefflicher zu passen
Zum Wächter, traun, für Rabikan, das Pferd,
Daß es in guter Obhut sei gelassen,
Bis, es zu holen, er zurückgekehrt,
Als, deren Arm' ihn schwesterlich umfassen,
Das Herzogskind –: Gott selbst hat's ihm beschert.
Wenn ihm ihr Anblick immer Freude machte,
So jetzt noch mehr, weil er ihm Nutzen brachte.
[245] 12.
Als sie aufs neu sich liebevoll umfangen,
Geschwisterlich, zwei-, dreimal, und darauf
Mit Zärtlichkeit gefragt, wie es ergangen
Dem andern sei in all der Zeiten Lauf,
Spricht er: »Zu lange weil' ich; mein Verlangen
Zieht mich ins luft'ge Vogelreich hinauf,«
Erzählt von seinen Plänen voll Vertrauen
Und läßt sie den beschwingten Renner schauen.
13.
Als sie den Hengst die Flügel sieht entfalten,
Ist ihr Erstaunen drob nicht allzugroß:
Sie schaute ja darauf einmal den Alten,
Als er sie angriff grad auf diesem Roß,
Auch hatte sie im Auge Schmerz behalten
Am Tag, da Roger in die Lüfte schoß,
Auf diesem Pferd von ihr sich fortbewegend
Auf graus'gem Weg in unbekannte Gegend.
14.
Er lass' ihr gern, sagt er, an dieser Stätte
Des Pferdes Rabikan Geschwindigkeit,
Das, wenn ein Pfeil mit ihm flög' um die Wette,
Den überhole ganze Strecken weit;
Lieb wär's ihm auch, wenn sie die Waffen hätte
Bei sich in Montalban für diese Zeit
Und sie gebrauche, bis er wiederkehre;
Denn augenblicks bedürf' er nicht der Wehre.
15.
Sich durch das Reich des Äthers zu bewegen,
Woll' er doch gern so leicht wie möglich sein.
Er trage ja das Horn und auch den Degen,
Ausreichend sei ihm schon das Horn allein.
Sie nimmt des Argalia Speer entgegen,
Des Sohns von Galafron, noch obendrein,
Den Speer, der jeden Kriegesmann von allen,
Die er berührte, ließ zu Boden fallen.
[246] 16.
Astolf hat nun den Flügelhengst bestiegen
Und läßt ihn sich erheben sachte, sacht,
Dann so geschwind mit einem Male fliegen: –
Schon aus den Augen ist er ihr gebracht.
So läßt das Boot erst leis' der Schiffer wiegen,
Der mit dem Lotsen hat der Klippen acht;
Wenn aber Strand und Hafenraum verschwinden,
Gibt er die vollen Segel all den Winden.
17.
Die Dame blieb, als Astolf flog von hinnen,
Gedankenvoll in großen Nöten stehn:
Sie weiß nicht recht, wie soll sie es beginnen,
Nach Montalban mit Waff' und Roß zu gehn!
Auch glüht und nagt der Wunsch im Herzen drinnen,
Roger in Vallombrosa doch zu sehn,
Wenn nicht schon früher; drum in allen Fällen
Muß sie jetzt suchen, dort sich einzustellen.
18.
Als sie so stand, nicht wissend, was nun werde,
Da kam ein Bäuerlein des Wegs daher:
Das nahm für sie die Rüstung von der Erde
Und legt' auf Rabikan die ganze Wehr;
Geleitete dann auch die beiden Pferde,
Beladen eines und das andre leer.
Sie war vorher mit zweien schon versehen,
Denn Pinabels Roß mußte mit ihr gehen.
19.
Nach Vallombrosa will sie sich bewegen,
Sie hofft, dort möge wohl ihr Roger sein;
Nur weiß sie nicht, wie's stehe mit den Wegen;
Man geht nicht gern so in die Welt hinein.
Vom Bauer kommt ihr keine Hilf' entgegen:
So werden sie denn irre gehn zu zwein.
Doch wählt sie eine Straße mit dem Pferde,
Die, meint sie, wohl zum Orte führen werde.
[247] 20.
Hier-, dorthin, um die Richtung zu erfragen,
Späht sie, allein es will kein Mensch sich nahn.
Da sieht – zur Mittagszeit – ein Schloß sie ragen,
Als sie vom Walde kommt auf ihrer Bahn,
Wie Kronenschmuck von einem Berg getragen;
Sie schaut –: ihr ist, als sei das Montalban.
Und Montalban ist's, wo sich Mauern heben.
Drin ihre Mutter und ein Bruder leben.
21.
Kaum hat die Dame diesen Ort gesehen,
Erschrickt sie tief, mehr, als ich sagen kann.
Sie wird entdeckt, bleibt sie ein wenig stehen,
Und weiter fortzuziehn geht nicht mehr an.
Und zieht sie nicht davon, vor Leid vergehen
Und heißer Liebessehnsucht muß sie dann:
Der Anblick Rogers, ach, ist ihr genommen,
Und was geplant, wird nicht zustandekommen.
22.
Sie sann ein Weilchen und beschloß am Ende,
Schloß Montalban den Rücken zuzudrehn,
Damit sie bald in der Abtei sich fände;
Jetzt kannte sie die Wege, die zu gehn.
Da ließ sie – noch in dieses Tals Gelände –
Ihr Stern, ob bös er oder gut war, sehn
Einen der Brüder grad, Alard den Recken;
Nicht war mehr Zeit, vor ihm sich zu verstecken.
23.
Er kam aus der Umgebung dort gegangen
Und hatt' an Kriegervolk Quartier verteilt
(Dies auszuheben rings auf Karls Verlangen
In jener Gegend, war er hergeeilt).
Geschwisterlich die beiden sich umschlangen
Und tauschten Grüß' und Küsse unverweilt,
Worauf sie plaudernd, bald von diesen Dingen
Und jenen bald, nach Montalbano gingen.
[248] 24.
Dort zog nun ein die Schöne mit den Rossen,
Für die umsonst auf die vergrämte Wang',
Ach, der Beatrix Muttertränen flossen,
Als man im Frankenreich sie suchte bang.
Daß Mutter sie und Bruder heiß umschlossen
Mit Küssen, nur ganz schwach ins Herz ihr drang,
Weil sie der Küsse Rogers stets gedachte,
An die zu denken, ach, sie selig machte.
25.
Da sie nun selber nicht dahin die Schritte
Kann lenken, sucht sie einen Mann am Ort,
Der mit der Meldung stracks zu Roger ritte,
Sie könne nicht vorerst von Hause fort
Und bitte (falls es brauche solcher Bitte),
Er möge doch sich taufen lassen dort
Und dann, wie abgemacht, im Schloß erscheinen,
Damit sie durch Vermählung sich vereinen.
26.
Sie ließ darauf zurück zu Roger führen
Vom gleichen Boten auch sein gutes Pferd,
Das er so liebte – liebte nach Gebühren,
Denn zweifellos war es die Liebe wert:
Unmöglich wär's, ein beßres auszuspüren
Im Mohrenreich wie unterm Kaiserschwert,
Und mut'geres von all den andern Rossen,
Nur Güldenzaum und Bajard ausgeschlossen.
27.
Als Roger kühn die Schwingen ließ entfalten
Den Hippogryphen und im Blau verschwand,
Da blieb zurück sein Renner, und behalten
Mußt' ihn, Frontin (so hieß er), Bradamant.
Er kam nach Montalban, ward gut gehalten:
Wenn man einmal die Zügel nahm zur Hand,
Geschah's zu kurzem Ritt und leichtem immer;
Drum war er glänzend auch und feist wie nimmer.
[249] 28.
Rasch läßt sie nach den Fraun und Mädchen schicken:
Es gälte, gleich, mit ihr vereint, in feinstem Stich
Auf weiß und braunes Seidenzeug zu sticken
Goldfäden, allerbeste, säuberlich,
Damit sich Zaum und Sattel allen Blicken
Geschmückt darböten; wählt dann eine sich,
Der Kallitrephia Tochter, von den Frauen,
Der Amme, der sie alles tät vertrauen.
29.
Ihr muß sie wohl viel tausendmal erzählen,
Wie sie im Herzen trägt den teuren Mann:
Wie keine Tugend ihm noch Schönheit fehlen;
Ihr Loblied steigt begeistert himmelan.
Sie sprach: »Ich muß als Boten dich erwählen,
Weil ich hierfür nicht bessern finden kann;
Du bist mir treuer und bist viel gewandter,
Hippalka, als sonst irgendein Gesandter.«
30.
Hippalka hieß sie. »Auf, du sollst mir gehen!«
Spricht Bradamant, zeigt ihr den Weg dabei
Und hat mit aller Weisung sie versehen,
Was ihrem Herrn zu sagen nötig sei.
Er soll entschuld'gen, ward sie nicht gesehen
Im Kloster, und es sei nicht Flunkerei,
Nein, Fügung nur des Glückes, dessen Walten
Ja mehr vermög' als menschliches Verhalten.
31.
Sie setzt sie auf ein Pferd, und in die Hände
Gibt sie Frontins gestickte Zügel ihr;
Wenn einen sie so toll und niedrig fände,
Daß er zu rauben trachte dieses Tier,
Ein einzig Wörtlein sie als Schutz verwende!
Sie werde sehn: sein Hirn gesunde schier.
Denn keinen kenne sie von kühnen Rittern,
Der Rogers Namen höre ohne Zittern.
[250] 32.
Oftmals ermahnt, recht gut sich einzuprägen,
Was sie als Meldung hin zu Roger trug,
Säumt nicht Hippalka, sich's ans Herz zu legen,
Und sprengt davon ohn' weiteren Verzug.
Durch dunkle Wälder auf verschlungnen Wegen
Kommt sie zehn Meilen weit, und mehr, im Flug,
Ohne daß einer Störung ihr bereite,
Oder auch frage nur, wohin sie reite.
33.
Zu Tale steigend – Mittag war's gerade –
In felsigen und öden Wüstenein,
Traf sie Fürst Rodomont auf engem Pfade;
Ein kleiner Zwerg zu Fuß ging hinterdrein.
Der Mohr blickt finster, setzt sich kerzengrade
Und flucht bei seinen Göttern groß und klein,
Daß dies geschmückte Pferd – schön ohne Frage –
Nicht einen Ritter auf dem Rücken trage.
34.
Geschworen hatt' er ja – und Schwüre binden –,
Das erste beste Pferd, das halt' er an.
Er muß als erstes Pferd nun dieses finden,
Ein schönres Tier er gar nicht finden kann.
Doch einem Mädchen müßt' er es entwinden;
Des schämt er sich, und schwankend steht er dann.
Er schaut und schaut – dann spricht der wilde Streiter:
»Wär' doch auf diesem Pferd sein Herr als Reiter!«
35.
»Ja, wär' er's doch!« schallt's aus Hippalkas Munde,
»Du würdest andern Sinnes alsogleich;
Denn er ist mehr als du: im Erdenrunde
Ist ihm an Wert kein andrer Ritter gleich.«
»Und wer schlägt andrer Ehre solche Wunde?«
Fragt er; sie spricht: »Herr Roger ruhmesreich.«
Darauf der Mohr: »Nun muß das Tier ich haben,
Nehm' ich es fort so hochberühmtem Knaben,
[251] 36.
Ihm muß ich – ist es ein so großer Degen
Daß gar kein andrer reicht an ihn heran –
So Pferd wie Reitgeld wohl zu Füßen legen,
So hoch, wie er es nur bestimmen kann.
Sag' ihm, stell' er sich Rodomont entgegen
Zum Kampf, zu jeder Zeit bin ich sein Mann.
Er wird, wo ich nur gehen mag und stehen,
Mich stets im Scheine meines Lichtes sehen.
37.
Ich lasse solche Spuren, wo ich reite,
Wie sie kein Blitz läßt am getroffnen Ort.«
Er spricht es, dreht den goldnen Zaum zur Seite
Und sprengt auf dem geschmückten Renner fort.
Hippalkas Seufzer geben das Geleite,
Und manch ein drohend und verachtend Wort
Schickt sie ihm nach und weint und schmäht den Reiter.
Der hört sie nicht und trabt bergaufwärts weiter,
38.
Auf den von jenem Zwerg gezeigten Wegen
Zu finden Doralis und Mandrikard.
Hippalka muß sich hinterdrein bewegen
Und schilt und flucht noch mehr in ihrer Art.
Was dann kam, tritt uns anderswo entgegen –
Turpin schweift ab, durch den uns Kunde ward –
So gilt es, nach dem Ort uns durchzufragen,
Wo jener Mainzer Ritter lag erschlagen.
39.
Kaum war die Tochter Haimons dort verschwunden,
Sie hatte Eile, von dem Ort zu fliehn,
Als, an die falsche Alte noch gebunden,
Auf anderm Pfad Zerbin, der Prinz, erschien.
Er hat den Toten dort im Tal gefunden,
Nicht weiß er, wen; ein Fremder ist's für ihn.
Als frommer Mann muß er dem schmerzensvollen
Und trüben Fall indessen Mitleid zollen.
[252] 40.
Entseelt liegt Pinabel im Felsengrunde;
Aus so viel Wunden strömt ein rotes Meer,
Als hätten sich zu einem blut'gen Bunde
Vereint wohl hundert Schwerter oder mehr.
Den frischen Spuren folgend in der Runde,
Blickt suchend rings der Schottenprinz umher,
Ob er zur Kunde möge wohl gelangen,
Durch welche Hand die Bluttat sei begangen.
41.
Er sagt Gabrina dann, er komme wieder,
Sie soll' ein Weilchen auf ihn wartend stehn.
Die läßt sofort sich an der Leiche nieder
Und forschend auf und ab die Augen gehn.
Nichts ist der Alten Seele so zuwider,
Wie Tote sonder Zweck geschmückt zu sehn.
Denn, lassen wir das andre auch beiseite,
Habgierig war das Weib wie keine zweite.
42.
Wär' fortzuschaffen, was bequem zu stehlen
(Und wär' die Hoffnung drauf auch noch so klein),
Sie würde gleich die reiche Kleidung wählen,
Die schönen Waffen sämtlich obendrein.
Doch nimmt sie, was sich bergen läßt und hehlen –
Was bleiben muß, drückt fast das Herz ihr ein.
Ein schöner Gürtel ist beim Raub zu finden,
Den nimmt sie, unterm Kleid ihn umzubinden.
43.
Bald kommt Zerbin, der Bradamantes Schritten
Zu folgen hat umsonst sein Roß gelenkt:
Verschlungen war der Pfad, den sie geritten,
Und hatte sich gehoben und gesenkt.
Derweil war fast der Tag hinabgeglitten.
Weil er an Nachtquartier im Frein nicht denkt,
Kehrt er, um eine Herberg' zu erhalten,
Dem schlimmen Tal den Rücken mit der Alten.
[253] 44.
Sie kamen zu dem Schlosse eines Grafen
Zwei Meilen weiter, Hauterive war's genannt;
Da hielten sie, um hier die Nacht zu schlafen,
Die schon im Flug aufstieg am Himmelsrand,
Als plötzlich Klagen ihre Ohren trafen
Und ringsumher ein laut Geschrei entstand.
Die Leute sämtlich, die sie sehen, weinen,
Als ob sich alle gleichem Schmerz vereinen.
45.
Zerbin vernahm sodann auf seine Fragen,
Dem Grafen Anselm ward gemeldet grad,
Es liege Pinabel, sein Sohn, erschlagen
Im Felsental auf einem engen Pfad.
Der Prinz sieht fort und schweigt bei diesen Klagen,
Verdacht nicht zu erregen solcher Tat;
Doch denkt er wohl, es sei der Mord geschehen
An jenem, den er tot am Weg gesehen.
46.
Bald war die Leichenbahre nun zur Stelle,
Latern- und Fackelschein ins Auge drang:
Das Volk schlug sich die Brust, Wehrufe, grelle,
Und Kreischen noch vermehrt zum Himmel klang,
Und stärker von den Lidern rann die Quelle
Und strömt in wahren Bächen auf die Wang'.
Am schwärzesten doch waren anzuschauen
Des armen Vaters kummervolle Brauen.
47.
Sie rüsteten, den Toten zu bestatten,
Prunkvoll und feierlich, den Bräuchen nach
(Wie alte Zeiten sie geschaffen hatten,
Dran stets sich etwas ändert allgemach);
Dann, in des Herren Namen, ging vonstatten
Ein Aufruf, der sogleich den Lärm durchbrach,
Belohnung dem verheißend, nicht geringe,
Der Nachricht von des Sohnes Mörder bringe.
[254] 48.
Von Ohr zu Ohr schallt und von Mund zu Munde
Ruf und Verheißung durch die Gegend hin:
Da hört die böse Hexe jene Kunde,
Die grimmer ist als Bär und Tigerin.
Von Haß erfüllt, plant sie von dieser Stunde
Fortan nur das Verderben von Zerbin,
Sei's, um zu prahlen, daß in ihrem Leibe
Allein nichts sei vom Menschen oder Weibe,
49.
Sei's, daß sie nur ward angelockt vom Preise –
Sie tritt an den betrübten Herrn heran;
Einleitend spricht sie erst geschickterweise,
Nennt den Begleiter als den Täter dann.
Den schönen Gürtel gibt sie zum Beweise,
Den ja der Arme nicht verkennen kann:
Er muß die Sache nach dem Wort der Alten
Und diesem Zeugnis für erwiesen halten.
50.
Zum Himmel hebt er weinend auf die Hände
Und schwört dem Leichnam, daß die Rache wacht,
Die Wohnung wird umzingelt; alle Wände
Zu sichern hat das Volk sich aufgemacht.
Vermeinend, daß kein Feind sich nah befände,
Hat Prinz Zerbin des Überfalls nicht acht.
Im Wahn, von ihm sei jener Mord begangen,
Nimmt Anselm ihn im ersten Schlaf gefangen.
51.
An finsterm Ort, von Ketten schwer umschlossen,
In großen Leiden blieb er diese Nacht.
Eh noch der Sonne Strahlen sich ergossen,
Ward ungerechter Urteilsspruch gemacht:
Da, wo das Blut des Grafen sei geflossen,
Werd' er gevierteilt und zum Tod gebracht.
Man dachte nicht zu prüfen, wie man sollte,
Es war genug, daß es der Herr so wollte.
[255] 52.
Es stellt sich weiß und gelb – mit hellen Röten –
Auroras Nahn am Morgenhimmel dar,
Da schrie das ganze Volk: »Ihn töten, töten!«
Zu strafen den, der gänzlich schuldlos war.
Der dumme Schwarm folgt ihm in seinen Nöten,
Zu Fuß, zu Roß auch, aller Ordnung bar.
Und Schottlands Ritter kommt auf kleinem Pferde,
Gebunden, das Gesicht geneigt zur Erde.
53.
Doch wer auf Gottes Huld setzt sein Vertrauen,
Den läßt er nicht vergehen in der Not;
Der Schottenprinz wird solche Hilfe schauen,
Daß er zur Zeit gesichert ist vor Tod:
Roland erscheint, den Jüngling aus den Klauen
Zu reißen des Verderbens, das ihm droht.
Er war der Leut' im Tale wahrgeworden,
Wie sie den Ritter schleppten, ihn zu morden.
54.
Mit ihm war jenes Mägdelein zur Stelle,
Das er in wilder Felsenhöhle fand,
Kind des Galicierkönigs, Isabelle,
Damals gefallen in der Räuber Hand,
Nachdem ihr Schiff von graus'gen Sturmes Welle
Zerschellt geblieben war am Klippenstrand;
Sie, die Zerbin so innig war ergeben,
Daß er ihr mehr galt als das eigne Leben,
55.
Sie blieb an ihres Retters Roland Seiten,
Nachdem er aus der Höhle sie befreit.
Als sie die Leut' im Tale sieht vom weiten,
Fragt sie, wozu der Haufe sei bereit.
»Ich weiß nicht«, sagt er im Vondannenreiten
Und läßt sie auf dem Berg für eine Zeit.
Er sieht Zerbin: Der will ihm edel scheinen;
Er hält ihn für der wackren Ritter einen.
[256] 56.
Und wie er nah ist, fragt er ihn, weswegen
Man ihn gefangen fortführ' und wohin.
Der Arme hebt sein Antlitz ihm entgegen,
Und als er ganz versteht der Worte Sinn,
Sagt er die Wahrheit: sagt sie klar dem Degen,
Und Rolands Helferhand wird sein Gewinn.
Das Wort Zerbins ließ Unschuld ja erkennen
Und daß sein Tod ein Frevel war zu nennen.
57.
Wie Roland hört, all dies ist ausgegangen
Von jenem Grafen Anselm, alt und schlecht,
Da braucht er nicht im Zweifel mehr zu hangen:
Der tut nichts andres, als was ungerecht.
Es kommt dazu: beim Haß, dem jahrelangen,
Von Clermont gegen Mainz und sein Geschlecht,
Feind waren sie einand seit alten Tagen:
Schmach, Schaden, Mordtat zwischen ihnen lagen.
58.
Er rief: »Ihr Lumpenvolk, macht los den Ritter!
Wo nicht, ich schlag' euch alle kurz und klein!« –
»Wer ist's, der zuhaut so gewaltig bitter?«
Sagt einer, der der Keckste wollte sein.
»Und wär' er Feuer, Blitz und Ungewitter,
Wir Wachs und Stroh, nicht ärger könnt' er schrein!«
Und macht sich wider Roland auf zum Tanze.
Der Paladin senkt gegen ihn die Lanze.
59.
Die Rüstung licht, dem Prinzen abgenommen
Und angelegt vom Mainzer in der Nacht,
Kann gegen Rolands Wucht gar wenig frommen
Und hat dem Träger keinen Schutz gebracht.
Die rechte Wange hat den Stoß bekommen;
Wohl hielt der Helm, aus feinem Stahl gemacht,
Doch so war die Erschütterung im Haupte,
Daß sie den Hals zerbrach, das Leben raubte.
[257] 60.
Die Brust durchsticht er – Rast wird nicht dem Speere –
Dem zweiten Reiter in dem gleichen Lauf,
Läßt da den Spieß, nimmt Durendal, die Wehre,
Und sprengt hinein, wo just recht dicht der Hauf:
Trennt einen Kopf vom Rumpf wie mit der Schere,
Und in zwei Teile bricht ein Schädel drauf.
Den Schlund durchbohrt er hier und dort den Magen –
Im Nu sind hundert fort – geflohn, erschlagen.
61.
Ein Drittel liegt; die andern alle springen
Hinweg, er stößt und haut, spießt und zerspellt.
Sie werfen Waffen fort, die Hindrung bringen,
Speer, Schild, wobei der Helm vom Kopfe fällt.
Der sucht gradaus, der in die Quer' zu dringen,
Der nach der Felsschlucht, der in Wald und Feld.
Heut ist Herr Roland ohne Mitleid eben:
Er gönnt nicht einem einzigen das Leben.
62.
Von hundertzwanzig sind zugrund gegangen
(Turpin zählt) sicher achtzig nacheinand.
Wie bebte doch Zerbin das Herz voll Bangen,
Bis Roland sich am Ende zu ihm fand!
Zum Ausdruck kann in Versen nicht gelangen
Der Jubel, den er in der Seel' empfand.
Er fiele, ihn zu ehren, vor ihm nieder,
Doch fest aufs Roß gebunden sind die Glieder.
63.
Wie Roland diesem, ledig nun der Banden,
Anlegen half so Helm wie Waffenkleid,
Die sich am Führer jener Schar befanden
(Er schmückte sich damit zu seinem Leid),
Des Prinzen Augen Isabella fanden,
Die auf der Höh' geblieben war die Zeit.
Als sie den Kampf vollbracht sah auf den Auen,
Ließ sie ihn näher ihre Reize schauen.
[258] 64.
Die traute Holde sieht der Prinz erscheinen,
Die alles Glück ihm war auf dieser Welt,
Die seine Augen schon als tot beweinen,
Weil man ihm falsche Kunde hat bestellt,
Ein wenig bebt er wohl an Arm und Beinen,
Das Herz ist ihm erstarrt zu Eiseskält' –;
Allein die schwindet; und an ihrer Stelle
Durchströmt ihn Liebesglut mit süßer Welle.
65.
Er schlösse sie sogleich in seine Arme,
Wär' nicht der Ritter von Anglant dabei:
Er wähnt – und glaubt es fest, zu seinem Harme –,
Daß Roland jetzt des Fräuleins Liebster sei:
Von Qualen fällt in Qualen so der Arme,
Und mit dem Jubel ist es bald vorbei.
Daß er sie eines andern Braut sich dachte,
War, was ihm Schmerz, mehr als ihr Tod selbst, machte.
66.
Am meisten aber muß ihn eines grämen:
Sie des zu wissen, der ihm Gutes tat.
Unedel wär' es, sie ihm wegzunehmen,
Und außerdem wohl auch nicht leicht gerad.
Bei keinem andern würd' er sich bequemen,
Sie ruhig ziehn zu lassen ihren Pfad.
Doch gegen den hat er so große Schulden,
Er muß den Fuß auf seinem Nacken dulden.
67.
Nach stillem Ritte nahn sie einer Quelle
Und steigen ab, ein Weilchen da zu ruhn.
Ermüdet, löst den Helm am Flutgefälle
Der Graf und heißt Zerbin dasselbe tun.
Beglückt erkennt den Teuren Isabelle,
Erblaßt und gleicht der lieben Blume nun,
Die, ganz beschwert von Tau und langem Regen,
Das feuchte Haupt der Sonne streckt entgegen.
[259] 68.
Den Hals des Heißgeliebten zu umschlingen
Kam sie, nicht Rücksicht kennend in dem Drang:
Dem Busen konnte sich kein Wort entringen,
Nur Tränenfluten strömten auf die Wang'.
Gespannt folgt Roland den verliebten Dingen;
Er sucht nach größrer Sicherheit nicht lang;
Denn alle Zeichen deutlich sich vereinen:
Sie weisen auf Zerbin nur, sonst auf keinen.
69.
Als ihr die Sprache wieder ist gegeben,
Weiß Isabell, noch feucht auf Wang' und Kinn,
Nicht hoch genug den Ritter zu erheben,
Der immerdar bewiesen edlen Sinn.
Zerbin, dem sie so viel gilt wie sein Leben
Und der für sie auch dieses gäbe hin,
Wirft segnend sich zu Rolands Füßen nieder:
Er gab ihm zwiefach ja das Leben wieder!
70.
Noch weitre Zeit verginge wohl den Degen,
Einander Dank zu weihn und Artigkeit,
Doch plötzlich schallt ein Lärm her von den Wegen,
Die ganz verhüllt des Waldes Dunkelheit.
Kaum ist noch Zeit, die Helme anzulegen
(Barhäuptig waren sie ja allebeid),
Und sieh, ein Ritter und ein Fräulein fliegen
Des Wegs daher, als kaum sie aufgestiegen.
71.
Herr Mandrikard, der Mohr, ist dieser Ritter,
Der hinter Roland war so eilig her,
Alzird und Manilard zu rächen bitter,
Die glorreich hat gefällt des Helden Speer.
Indes, seit Doralis ihm folgte, ritt er
Nicht mehr mit solchem Eifer wie vorher,
Sie, die sein Eichenstamm, wie wir schon wissen,
Jüngst hundert starken Kriegern hat entrissen.
[260] 72.
Nicht weiß der Sarazen, daß hier zur Stelle,
Von ihm verfolgt, der Herr ist von Anglant;
Doch sagen ihm die Zeichen klar und helle,
Ein Ritter sei's von hohem Wert und Stand;
Er hat zu ihm, Zerbins nicht achtend, schnelle,
Von Kopf zu Fuß ihn musternd, sich gewandt:
Als jedes Zeichen stimmt, ruft er in Eile
Dem Grafen zu: »Dich sucht' ich alldieweile!
73.
Zehn Tage müh' ich mich, dir nachzugehen,
So daß ich nie von deinen Spuren ließ.
Mir stach's ins Herz, stets deinen Ruhm zu sehen
(Er drang hinein ins Lager vor Paris):
Daß einer kaum dem Tode konnt' entgehen
Von tausend, die dein Arm zum Hades stieß;
Verkündet wurde dort, wie du verfahren
Mit Tremisenes und Norizias Scharen.
74.
Da brach ich auf sogleich, dich zu erreichen:
Dich sehn, bekämpfen, dazu treibt es mich;
Und weil's dein Wappen lehrt mit allen Zeichen,
So weiß ich nun, du bist es sicherlich.
Und wüßt' ich's nicht und gingst du, zu entweichen,
Und bärgest unter hundert andern dich,
Dein stolzes Aussehn würd' es klar verraten:
Du mußt er sein, der Mann von solchen Taten!«
75.
Sprach Roland drauf: »Man muß dir zugestehen,
Du bist ein wackrer und beherzter Mann;
Niemals kann einer Niedrigkeit begehen,
Der auf so Kühnes und so Hohes sann.
Wenn du gekommen bist, um mich zu sehen,
Schau' mich von innen wie von außen an!
Vom Haupte nehm' ich dieses Helmes Hülle,
Daß, was du wünschest, sich dir gleich erfülle.
[261] 76.
Doch hast du mich studiert in allen Stücken,
Zu dem, was sonst du wolltest, sei bereit;
Den Anlaß gilt's, der dich in meinem Rücken
Auf diesem Wege traben ließ so weit,
Und was mein Aussehn schien dir auszudrücken,
Sieh zu, ob's stimme mit der Wirklichkeit.« –
»Wohlauf zum zweiten Falle!« rief der Heide,
»Ich bin gesättigt von der Augenweide.«
77.
Der Graf muß sich den Mohren nun betrachten;
Von Kopf zu Fuß blickt er an ihm umher:
Da Flank' und Sattel nirgends kenntlich machten,
Daß eine Waffe dort zu finden wär',
So fragt er: wenn umsonst die Speere krachten,
Wie setz' er sich in solchem Fall zur Wehr?
Der sprach: »Nicht sorge, was das mag bezwecken!
Ich bracht' auch so schon vielen andern Schrecken.
78.
Ich schwur, so lang kein Schwert mir anzulegen,
Bis mein die Durendal des Grafen sei;
Ihn suchen geh' ich nun auf allen Wegen,
Gern mit ihm teilen möcht' ich manches Ei.
Ich schwur's (wenn's deine Teilnahm' kann erregen)
Und legte damals diesen Helm mir bei.
Er und die andern Waffen alle waren
Des Hektor einst, der starb vor tausend Jahren.
79.
Es fehlt ein Stück: ich weiß dir nicht zu sagen,
Von wem's gestohlen ward, das gute Schwert.
Mir scheint, es wird vom Paladin getragen;
Daher kommt ihm der kühne Mut und Wert.
Ich denke, hab' ich einmal ihn am Kragen,
Daß mir zurück das schnöd Geraubte kehrt.
Ich such' ihn, denn ich gab mir das Versprechen,
Den hehren Vater Agrikan zu rächen.
[262] 80.
Roland – es konnt' ihm anders nicht gelingen –
Hat ihn getötet bloß mit List und Trug.« –
Nicht länger konnte Roland sich bezwingen;
Er rief: »Du lügst, daß ich ihn so erschlug.
Doch Glück will deinem Wunsch Erfüllung bringen:
Ich, Roland, tötet' ihn mit Recht und Fug.
Du suchst das Schwert – ei, nimm es doch von hinnen;
Dein ist es, kann es deine Kraft gewinnen!
81.
Ist es auch mein, auf edle Art entscheiden
Soll sich, wem es gehör', an diesem Ort.
Im Kampfe dien' es keinem von uns beiden,
Nicht mir, nicht dir; am Baume häng' es dort.
Sobald dein Arm mich läßt vom Leben scheiden
Oder das Schwert du nimmst – so trag es fort!«
Mitten ins Feld bei diesen Worten sprengt er,
Und Durendal an einen Baumzweig hängt er.
82.
Schon sind auf eine halbe Pfeilschußweite
Getrennt die beiden Helden voneinand;
Schon spornt ein jeder seines Rosses Seite
Und kommt mit losen Zügeln angerannt;
Schon dröhnt der erste Lanzenstoß im Streite
Vorn, wo die Spalte vor dem Aug' sich spannt –
Die beiden Speere just wie Eis zerspringen,
Daß sie in Stücken sich zum Himmel schwingen.
83.
In Stücke sind die Lanzen beid gegangen;
Nachdem der Stoß nicht einem Unheil schafft,
Sucht jetzt der Stumpf zum Ziele zu gelangen,
Der Rest, der noch geblieben war vom Schaft.
Sie, die bisher nur immer Eisen schwangen,
Sind wie zwei wilde Bauern, die errafft
Zwei Knüttel dick und um die Grenz' am Hügel,
Oder am Bach beginnen den Geprügel.
[263] 84.
Die Stümpfe überdauern nicht vier Schläge,
Sie gehen drauf in diesen Prügelein.
Stets wächst der Zorn und sucht sich seine Wege,
Um dreinzuschlagen, bleibt die Faust allein.
Etwas zu finden, drauf die Hand man lege,
Hauen sie Schien' und Schuppe kurz und klein.
Man wünsche nicht zu irgendeinem Werke
Zang' oder Hammer von noch größrer Stärke!
85.
Wie kann der Sarazen mit Ehren enden
Das Stelldichein, dem kein Gewinn entspringt?
Dumm wär' es ja, mit etwas Zeit verschwenden,
Das Schläger wie Geschlagnem Unheil bringt:
Zu ringen gilt es –: mit den starken Händen
Der Heide schnell den Paladin umschlingt;
Er sucht ihn zu ersticken auf dem Rosse,
Wie den Antäus einst der Göttersprosse,
86.
Packt ihn mit voller Wucht, hält ihn umfangen,
Reißt, drückt und zerrt an ihm die Kreuz und Quer'
Und ist in seine Wut so ganz verfangen:
Er gibt nicht acht auf seine Zügel mehr.
Der Graf sitzt lauernd, Vorteil zu erlangen,
Und sinnt: Wie schaff' ich jetzt den Sieg mir her?
Fährt übern Kopf des Pferdes mit der Linken
Und läßt behutsam dann die Zügel sinken.
87.
Roland herabzureißen, zu ersticken,
Strengt sich der Sarazen gewaltig an.
In keins von beiden will der Graf sich schicken
Und stemmt die Knie so fest, wie er nur kann.
Bei solchem Zerren, Drücken und Verstricken
Der Sattelgurt zu lösen sich begann:
Der Held liegt unten, ohne zu begreifen:
Der Schenkel schließt, der Fuß ist noch im Reifen.
[264] 88.
So wie ein Sack mit Waffen dröhnt am Grunde,
So dröhnt des Grafen Körper auf dem Feld;
Des Mohren Hengst, der, keinen Zaum im Munde,
Nunmehr den Kopf frei in die Lüfte hält,
Sieht weder Weg noch Baum mehr in der Runde,
So daß er blind in wilden Lauf verfällt:
Hier-, dorthin treibt ihn Angst zu wilden Sätzen;
Er schleppt den Reiter mit sich voll Entsetzen.
89.
Als Doralis ihn sieht von dannen eilen,
Vom Felde weg und weit hinaus ins Land,
Hat sie, aus Furcht, allein am Ort zu weilen,
Im Trab ihr Rößlein hinterdrein gewandt.
Voll Ärger schilt der Mohr sein Pferd derweilen,
Droht, tritt und schlägt drauf zu mit Fuß und Hand,
Als könn' es gleich wie Menschen sich besinnen,
Und heißt es stehn und treibt's nur mehr von hinnen.
90.
Das scheue Tier lief, voll von Schreck und Bangen,
Den Weg nicht achtend, blindlings querfeldein,
Ein Stündchen weit, und wär' noch weiter 'gangen;
Jedoch ein Graben willigt nicht darein:
Der hat sie beide, Mann und Roß, empfangen,
Wenn's auch kein Bett gab oder Kissen fein.
Der Mohr stieß auf den Grund mit starkem Pochen,
Doch blieb er heil und brach nicht einen Knochen.
91.
Hier endlich bleibt der böse Renner stehen;
Doch ohne Zaum zu lenken, geht nicht gut.
Vor Grimm und Zorn will der Tatar vergehen
Und packt das Tier am Haar in seiner Wut.
Er denkt und denkt, weiß nicht, was soll geschehen.
»Nimm meine Zügel hier zu seiner Hut,«
Die Dame sprach, »ich bleibe fest im Bügel,
Mein Pferd ist sanft, ob mit, ob ohne Zügel.«
[265] 92.
Als ihm nun dergestalt der Dame Gaben
Zu brauchen wenig ritterlich erschien,
Sollt' er auf einmal andre Zügel haben;
Das Glück war heute gut gelaunt für ihn
Und ließ des Wegs die alte Hexe traben,
Die, seit von ihr verraten ward Zerbin,
Floh, einer Wölfin gleich im Waldesgrunde,
Die kommen hört die Jäger und die Hunde.
93.
Sie trug mitsamt den schönen Kleidungsstücken
Den jugendlichen Zierat all die Zeit,
Der jener Witzigen voll Spaß und Tücken,
Zum Schmuck für sie, genommen war vom Kleid,
Und kam geritten auf des Zelters Rücken,
Der von den guten war an Trefflichkeit.
Das alte Weib dem Sarazen schon nah war,
Bevor sie noch bemerkte, daß er da war.
94.
Der Aufputz brachte Mandrikard zum Lachen
Und ebenso das Kind des Stordilan,
Denn jene glich in all den schönen Sachen
Einem Gorilla oder Pavian.
Nun will der Mohr sich an die Zügel machen,
Und alsobald wird ausgeführt der Plan.
Er nimmt den Zaum, erschreckt das Tier durch Schreien
Und droht, so daß es flieht, sich zu befreien.
95.
Es flieht davon, hin über Waldespfade
(Die Alte meint des Todes schier zu sein),
Bergauf, bergab, auf Wegen krumm und grade,
Wie's kommt, in Schlucht und Graben stracks hinein.
Doch mehr von ihr zu sprechen, wäre schade,
Und ihre Stelle nehme Roland ein,
Der, was der Sturz am Sattel schlecht gemacht hat,
In aller Ruh' in Ordnung hübsch gebracht hat.
[266] 96.
Er steigt aufs Pferd und läßt es stillestehen
Und harrt des Sarazenen lange Zeit.
Der aber läßt sich gar nicht wieder sehen,
Drum, ihn zu suchen, macht er sich bereit.
Doch, wie's nach feiner Art pflegt zu geschehen,
Empfiehlt er sich zuvor mit Artigkeit
Und Worten, die geziemend sind beim Scheiden,
Aufs höflichste von den Verliebten beiden.
97.
Sehr nahe ging dem Prinzen dieses Scheiden,
Derweil in Tränen Isabella stand.
Sie dachten mitzugehn; er wollt's nicht leiden,
Wie schön und gut er die Gesellschaft fand,
Und trennte sich mit diesem Grund von beiden:
Für Ritter gäb' es keine größre Schand'
Als, wenn ihm Helfer und Genossen kämen,
Wo's einen Waffentanz gilt aufzunehmen.
98.
Er bat sie, dem Tataren doch zu sagen,
Wenn sie ihn träfen, daß – bei seinem Wort –
Roland bis nach dem Ablauf von drei Tagen
Bleib' in der Nachbarschaft von diesem Ort;
Den Weg dann heimwärts denk' er einzuschlagen
Und ziehe nach dem Lilienbanner fort,
Um mit dem Heere Karls sich zu verbinden;
So könn' ihn jener, wenn er wolle, finden.
99.
Dies gern zu tun versprachen sie dem Degen
Und was noch sonst etwa ein Herz begehrt,
Drauf gehn sie so, daß auf getrennten Wegen
Zerbin sich hierhin, Roland dorthin kehrt.
Zuvor jedoch nimmt aus den Waldgehegen
Graf Roland noch vom Baum herab das Schwert.
Den Hengst dann läßt er in der Richtung eilen,
Wo er vermeint, der Heide möge weilen.
[267] 100.
Der tolle Lauf des Pferds, das ohne Pfade
Durchs Waldesdickicht mit dem Mohren bricht,
Läßt Roland irregehn drei Tag' gerade:
Er hört vom Heiden nichts und sieht ihn nicht.
Da kommt er an kristallnen Bachs Gestade
Mit blühnder Au, gar lieblich voll und dicht,
Wo schöne Bäume sich zum Himmel heben,
Von farbenreichen Blumen hold umgeben.
101.
Dem nackten Hirt und seiner Herde brachte
Ein Windhauch Kühlung vor des Mittags Glast,
So daß dem Grafen nicht sich fühlbar machte
Des Schildes, Helms, der ganzen Rüstung Last,
Und er im Schatten auszuruhn gedachte:
Unmilden Ort fand er für seine Rast,
Gar rauhen, bösen – mehr, als ich kann sagen,
An diesem schlimmsten, ach, von allen Tagen.
102.
Gezeichnet sah er, als er um sich wandte,
Der Bäume viel an schatt'gem Uferrand.
Als die sein Auge traf, sogleich erkannte
Er an den Zeichen seiner Göttin Hand.
's war einer von den Orten, die ich nannte;
Oft auf dem Weg vom Hirtenhaus befand
Sich hier mit Medor jene Anmutreiche,
Holdselige aus dem Katai-Reiche.
103.
»Angelika und Medor!« – schön verbunden,
Liest er die hundert Mal' auf dieser Trift;
So viele Nägel ihm das Herz verwunden,
Wie er der Zeichen sieht in dieser Schrift.
Gern hätt' er andre Deutung nun gefunden
Von dem, was ihn mit solchem Schmerze trifft:
Ein andres Mädchen, das den Namen trüge,
Schrieb ja vielleicht hier dieses Namens Züge!
[268] 104.
Drauf sprach er: »Nein, zu oft hab' ich gelesen
Hier diese Schrift; sie ist mir wohlbekannt.
Vielleicht bin Medor ich für sie gewesen,
Und mit dem Namen hat sie mich benannt.«
So hat den Selbstbetrug für sich erlesen
Und von der Wahrheit ganz sich abgewandt
Der arme Roland, Hoffnung zu erraffen,
Von der er fühlt, daß er sie selbst geschaffen.
105.
Nur immer stärker macht er so sich regen,
Den er ersticken möchte, den Verdacht,
Wie unvorsicht'ge Vögel sich bewegen,
Wenn Leim und Rute sie zu Fall gebracht:
Mit Zucken und mit all den Flügelschlägen
Wird die Umstrickung fester nur gemacht.
Der Graf geht weiter hin, wo wie ein Bogen
Der Berg sich wölbt ob klarer Bacheswogen.
106.
Mit krummem Fuß den Eingang hold umwanden,
Den schön geschmückten, Efeurank' und Wein;
Hier, wenn des Tages Glut sie recht empfanden,
Pflegte das Paar der Liebe sich zu weihn.
Innen und außen rings geschrieben standen,
Mehr als an andern Orten auf Gestein
Teils mit der Messerspitz' die Namen beide,
Teils mit der Kohle oder mit der Kreide.
107.
Vom Pferd stieg der Betrübte vor der Pforte,
Und an dem Eingang jener Höhle sah
Er eingeritzt von Medor glühnde Worte
Von Lust und hohem Glück, das ihm geschah
Durch die Geliebte hier am Felsenorte.
Gefaßt in Verse stand es deutlich da.
In seiner Sprache mocht' es lieblich klingen;
Man kann es etwa so in unsre bringen:
[269] 108.
»O froh Gesträuche! Gras, wo Wellen spielen
Und Schatten kühlend um die Höhle rückt,
Drin oftmals, die umsonst begehrt von vielen,
Tochter des Galafron, mich hat beglückt,
Angelika, nachdem die Hüllen fielen,
In meinem Arm! Was ich genoß entzückt,
Kann ich euch lohnen nicht auf andre Weise,
Als daß ich armer Medor stets euch preise,
109.
Und daß ich alle Treuverliebten bitte:
Wer immer, Ritter oder Mägdelein,
Sei's Herrin oder Bäurin, seine Schritte
Mit Absicht oder Zufall lenkt herein
Zu Bach und Höhl' in schatt'ger Pflanzen Mitte,
Spreche: ›Mög' Sonn' und Mond euch freundlich sein
Und auch die Schar der Nymphen euch begnaden,
Daß niemals Herd' und Hirt komm', euch zu schaden‹.«
110.
Arabisch war's und ward von ihm verstanden,
Vollkommen deutlich, wie Latein fürwahr,
Von allen Sprachen aus gar vielen Landen
Dem Paladin just die geläufig war,
Hatt' ihn bewahrt auch oft vor Not und Banden,
Bedrohte ihn im Mohrenland Gefahr.
Doch ist kein Grund, daß er damit jetzt prahle,
Denn ausgeglichen wird's mit einem Male.
111.
Drei-, viermal liest die Inschrift bis zu Ende
Der Arme, strengt mit aller Macht sich an,
Ob man vielleicht sie anders noch verstände;
Doch immer klarer kam es nur heran.
Und jedesmal, als ob ihm kalte Hände
Grausam das Herz zuschnürten, war ihm dann –
Sein Aug' und Sinn blieb haften an den Steinen,
Und steinern könnte man ihn selber meinen.
[270] 112.
Fast wär' ihm das Bewußtsein jetzt geschwunden,
So riß ihn die Gewalt des Schmerzes hin.
Glaubt ihm, der all dies hat an sich empfunden:
So wühlt kein andres Leid im Busen drin!
Der Stirn war ganz der kühne Mut entwunden,
Gesunken auf die Brust herab das Kinn.
Und was er duldet, muß er lautlos tragen;
Die Träne stockt, die Stimme fehlt zum Klagen.
113.
Der ungestüme Schmerz, er haftet innen,
Weil er hinausdrängt mit zu großer Hast:
So bleibt die Wassermeng' im Kruge drinnen,
Wenn viel der Bauch, die Mündung wenig faßt,
Denn allzu eilig will die Flut entrinnen,
Da man den Krug umkehrt: die Wasserlast
Muß nun den engen Weg sich selbst verstopfen,
Durch den sich mühsam Tropfen drängt um Tropfen.
114.
Dann kommt er zu sich, sucht zu überlegen,
Ob es vielleicht nicht doch nur Gaukelei,
Um seiner Dame Namen bloßzulegen,
Und sehnt und hofft und meint, daß es so sei,
Erdacht, um Eifersucht ihm zu erregen –
Daß Gram ihn töte – durch Betrügerei:
Ein Fälscher möge wohl die Kunst entfalten,
Der Dame Handschrift ähnlich zu gestalten.
115.
Solch Hoffen, klein und schwach, weiß Mut zu bringen
Und hebt ihm die gedrückte Stimmung leicht.
Er spornt den Güldenzaum und läßt ihn springen,
Derweil der Sonnengott der Schwester weicht.
Bald sieht er Herdesrauch aus Häusern dringen,
Der um den höchsten Rand der Dächer streicht.
Vieh hört er brüllen, hört die Hunde bellen
Und kommt zum Hof, sich Wohnung zu bestellen.
[271] 116.
Matt steigt er ab und gibt, um ihn zu pflegen,
Den Hengst in eines wackern Knechtes Hut.
Ein andrer nimmt ihm Panzer, Helm und Degen,
Die goldnen Sporen, putzt ihm alles gut.
Das Haus ist's, wo verwundet einst gelegen
Medor und in des Glückes Schoß geruht.
Von Kummer satt und nicht von andern Dingen,
Läßt Roland sich sogleich zur Ruhe bringen.
117.
Doch Ruh' und Frieden ganz sich ihm versagen,
Zu Leid und Not hat alles sich gewandt:
Von den verhaßten Worten, die ihn plagen,
Ist jedes Fenster voll und Tür und Wand.
Er möchte gern, doch wagt er nicht zu fragen,
Weil dann am Ende jeder Zweifel schwand,
Und er noch Nebel will darüber decken,
Etwas zu mildern allzugroße Schrecken.
118.
Doch nützt ihm nicht, sich selber zu betrügen:
Man spricht zu ihm, ob stumm auch bleibt sein Mund.
Der Hirt bemerkt den Gram in seinen Zügen,
Und meldet, um ihn zu zerstreun, jetzund,
Was mancher schon vernommen mit Vergnügen
(Denn wer es hören will, dem tut er's kund):
Von dem verliebten Paare die Geschichte,
Und recht genau ist er mit dem Berichte.
119.
Wie er den Wunden in sein Haus getragen
Auf Bitten jenes schönen Mägdelein;
Wie sie geheilt ihn hab' in wenig Tagen,
In kurzer Zeit ihm stillend Schmerz und Pein;
Wie größre Wund' ihr Amor dann geschlagen
Und wie gemach ein Fünkchen, winzig klein,
Zu einem Feuer ward, das nichts mehr bannte
Und, sie verzehrend, ihr im Herzen brannte.
[272] 120.
Als Königskind, Sproß mächtigsten Geschlechtes,
Wie keins im Abendlande mochte sein,
Das Weib zu werden eines armen Knechtes,
Trieb sie der heißen Liebe holde Pein.
Und als Beweiseszeichen, als ein echtes,
Bringt dann der Hirt das Prachtjuwel herein,
Mit dem, als sie sich auf die Reise machte,
Angelika zum Danke ihn bedachte.
121.
Dem Beilhieb kann dies Ende sich vergleichen,
Wenn er das Haupt mit eins dem Hals entrafft,
Nachdem sich mit unzählig vielen Streichen
Scharfrichter Amor Sättigung verschafft.
Nach Fassung ringt der Graf, doch muß er weichen
– Er kann's nicht hehlen – solchen Schmerzes Kraft,
Gezwungen, ob er woll', ob nicht, mit Bächen
Von Tränen jäh in Stöhnen auszubrechen.
122.
Allein gelassen, als der Hirt gegangen,
Dem wilden Weh er freien Zügel gab,
Und von den Augen rann und von den Wangen
Ein Strom der Zähren auf die Brust herab:
Er wälzte sich mit Seufzern, tiefen, langen,
Auf seinem Bett und härmt' in Pein sich ab.
Das Lager möcht' er harte Kiesel nennen,
Und fühlt wie Nesseln heiß die Kissen brennen.
123.
Und plötzlich will sich der Gedanke regen,
Daß viele Mal' an dieser selben Stell'
Die undankbare Schöne wohl gelegen
Und in der Falschen Armen ihr Gesell.
Da springt er auf, als wär's von Geißelschlägen,
Und flieht aus den verhaßten Federn schnell,
Dem Bauer gleichend, der am Bergeshange
Zu ruhn gedacht und nahen sieht die Schlange.
[273] 124.
Das Bett, das Haus, der Hirt sind ihm zuwider,
Urplötzlich haßt er sie voll Bitterkeit.
Er wartet nicht, daß Luna kehre wieder,
Und harrt nicht auf die junge Morgenzeit;
Nein, Stahl und Eisen legt er um die Glieder
Und sprengt ins Dickicht in der Dunkelheit.
Sobald er fühlt, daß er allein im Freien,
Öffnet er Tür und Tor dem Schmerz mit Schreien.
125.
Er klagt und weint und gönnt sich keinen Frieden
Und hört bei Nacht nicht auf und nicht am Tag.
Jetzt werden Stadt und Dorf von ihm gemieden,
Im Freien liegt er, hart, im dichten Hag.
Er staunt, daß ihm ein Tränenquell beschieden,
Der also reich dem Aug' entströmen mag,
Und seltsam auch will ihm sein Seufzen scheinen,
Und zu sich selber spricht er dann mit Weinen:
126.
»Den Fluten, die sich aus dem Aug' ergießen,
Der Name Tränen fürder nicht gebührt,
Weil ungemildert meinen Schmerz sie ließen;
Der hat nur immer stärker sich gerührt.
Nein, Lebenssäfte sind's; von dannen schießen
Sie auf dem Wege, der durchs Auge führt,
Und führen, während sie von hinnen streben,
Von Glut gejagt, so Schmerzen mit wie Leben.
127.
Und die als Boten meines Schmerzes dringen
Zum Himmel auf, gar keine Seufzer sind.
Die Seufzer fehlen, die Erleichtrung bringen,
Denn nichts macht mir das Leid der Brust gelind.
Nein, Amor regt so mächtig seine Schwingen,
Die Gluten schürt der starken Flügel Wind.
Sprich, Amor, wie du dieses Wunder nennest,
Daß du das Herz mir sengst und nicht verbrennest!
[274] 128.
Nicht ich, nicht ich bin, was die Züge sagen.
Roland war das; tot ist er und im Grab.
Die falsche Herrin hat ihn ja erschlagen:
Den Todesstreich ihr Treuebruch ihm gab.
Ich bin sein Geist und muß in Qualen jagen
Durch diese Höll' – ach, immer – auf und ab.
Sein Schatten nur, der ist in mir zu schauen,
Zur Warnung allen, die auf Amor bauen.«
129.
So irrt er durch den Wald, bis morgens helle
Des Tages Leuchte flammt am Himmelstor.
Da führt ihn sein Geschick an jene Quelle,
Wo auf den Fels die Verse schrieb der Mohr.
Er liest am Berge seine Schmach – mit Schnelle
Schießt, alles sonst verdrängend, jetzt empor
Zum Haupt Wut, Haß und Grimm in heißen Wogen,
Und unverweilt hat er das Schwert gezogen.
130.
In Stücken nach den Wolken fliegt, zerhauen,
Der Felsen und mit ihm die böse Schrift.
Der Höhle weh! Der Säule auf den Auen
Und wo man sonst die beiden Namen trifft!
Vergebens wird fortan nach Kühlung schauen
Der Schäfer und die Herde von der Trift.
Sogar das Wasser hell und klar im Borne,
Es ist bedroht vom fürchterlichen Zorne.
131.
Denn unaufhörlich wirft er Zweig' und Steine
Und Klötz' und Stämm' und Stümpf' ins Wasser her,
Bis er von Grund aus trübt die Flut, die reine
(Und eine hellre kennt die Welt nicht mehr).
Matt stürzt er hin sodann am Bergesraine,
Von Schweiß erschlafft und keuchend tief und schwer.
Vor Grimm hat er nicht Atem mehr gefunden
Und stöhnt empor, vom Wüten überwunden.
[275] 132.
Er bleibt betrübt und müd im Grase liegen
Und starrt zum Himmel stumm und regungslos,
Ißt nicht, läßt sich durch nichts in Schlummer wiegen,
Und dreimal sinkt die Sonn' in Meeresschoß.
Die ihn zum Wahnsinn führten, sind gestiegen.
Nur immer mehr, die Qualen übergroß.
Im Wüten, als der vierte Tag erschienen,
Vom Leibe reißt er Schuppenring und Schienen.
133.
Dort ist der Helm, und weit getrennt vom Schilde;
Der Harnisch hier, die Halsberg' auf der Hald';
Und alles liegt (ich ende mit dem Bilde)
Recht durcheinander und zerstreut im Wald.
Die Kleider riß er ab: nackt zeigt der Wilde
Brust, Rücken, Bauch, die zottige Gestalt.
So tät die grimme Raserei entstehen,
Gräßlich, wie keine noch die Welt gesehen.
134.
Bande der Nacht sich um die Seele schlingen,
Die Wut hat seine Sinne hingerafft.
Er denkt nicht dran, sein gutes Schwert zu schwingen;
Sonst hätt' er, glaub' ich, Wunder schier geschafft.
Auch Beil und Axt nicht soll ihm Hilfe bringen,
Ihrer bedarf nicht seine Riesenkraft.
Und diese Kraft wird offenbar zur Stunde:
Ein Ruck reißt eine Ficht' aus ihrem Grunde.
135.
Er reißt heraus und bricht noch mehr dergleichen,
Als ob es Fenchel, Dill und Attich wär',
Und alten Ulmen geht es so und Eichen
Und Buchen, Eschen, Tannen ringsumher.
Dem Vogelsteller mag er sich vergleichen,
Der für die Netze macht die Stätte leer:
Wie der sucht Bins' und Nessel wegzuräumen,
Springt er mit Eichen um und andern Bäumen.
[276] 136.
Die Hirten, die vernommen dieses Krachen,
Dieweil die Herde grast an wald'gem Ort,
In aller Hast sich auf die Beine machen,
Um zu erkunden, was es gäbe dort. –
Doch sind an einem Punkt jetzund die Sachen,
Daß Ihr vielleicht genug habt; drum sofort,
Damit nicht Länge stör' und Langeweile,
Gedenk' ich auszusetzen eine Weile.

[277] Vierundzwanzigster Gesang

1.
Wer auf die Schlingen Amors setzt die Füße,
Zieh' sie zurück, daß frei die Flügel sei'n,
Denn Lieb' ist schließlich nichts als Tollheit, süße;
Da stimmen alle Weisen überein.
Ob auch nicht jeder gleich wie Roland büße,
So zeigt er sicher andre Narretein.
Was kann vom Wahnsinn klarstes Zeugnis geben? –:
Daß man um andre sich zerstört das Leben!
2.
Der Liebe Wirkung freilich ist verschieden,
Doch rührt sie stets von gleicher Torheit her:
Sie ist ein Wald, drin niemand geht in Frieden;
Denn auf dem Wege bleibt man nimmermehr.
Zu irren hier und dort ist uns beschieden.
Kurzum, nach allem wird mein Schlußsatz der:
Wer bis zum Alter liebt, den soll man betten
(Wie sonst die Strafe sei) in Strick und Ketten.
3.
»Zeigst du den Splitter, Bruder?« wird man fragen,
»Und wirst des eignen Balkens nicht gewahr?«
Mitreden darf ich wohl, kann ich da sagen;
In lichten Augenblicken seh' ich klar.
Auch will ich künftig keinen Tanz mehr wagen,
Vielmehr mich ausruhn, hoff' ich, immerdar.
Doch kann ich's, leider, nicht sogleich beginnen;
Zu tief im Knochen steckt das Übel drinnen.
[278] 4.
Ihr hörtet, Herr, im vorigen Gesange,
Wie Roland tobte, Raserei begann,
Die Rüstung auszog, Schwert und Ring und Spange
Und Kleider fortwarf in des Wahnsinns Bann
Und Bäume ausriß, daß erdröhnend bange
Höhlen und Wälder klangen; daß sodann
Zum Ort ihr Unstern manche Hirten führte,
Vielleicht auch Schuld, der solch ein Lohn gebührte.
5.
Als sie des Tollen grause Stärke sehen,
Die riesige, die kaum man glauben kann,
Da fangen sie – beim Schrecken mag's geschehen –
Blindlings und ohne Ziel zu laufen an.
Rasch ist er hinterdrein, wie sie sich drehen,
Packt einen auf, reißt ab den Kopf dem Mann,
Mit einer Leichtigkeit, wie man vom Baume
Bricht einen Apfel oder eine Pflaume.
6.
Drauf sieht man ihn den Rumpf am Beine schwingen:
Wie eine Keule braucht er ihn mit Macht,
Ein paar gleich auf der Erd' in Schlaf zu bringen,
Das vor dem Jüngsten Tag nicht mehr erwacht.
Die andern fliehen wie auf Windes Schwingen,
Sind flink zu Fuß und haben flink gedacht.
Der Tolle wäre rasch wohl nachgekommen,
Doch ward die Herde von ihm wahrgenommen.
7.
Die Bauern machen sich die Lehr' zu eigen:
Sie lassen Sichel, Hack' im Feld und Pflug;
Man sieht sie auf die Häuser, Tempel steigen
(Denn Ulm' und Weide sind nicht fest genug),
Einander sein erschrecklich Wüten zeigen,
Wie Pferd und Rind er biß und kratzt' und schlug
Und sie zerschmettert und zerbrach in Haufen –
Was fliehen wollte, mußte tüchtig laufen.
[279] 8.
Da, horch!, erklingt rings aus der Häuserkette
Der Nachbarschaft ein Lärmen und Gedröhn,
Geheul und Horn und ländliche Dromette,
Am meisten doch der Glocken hell Getön:
Mit Bogen, Spieß und Schleuder um die Wette
Her humpeln ihrer tausend von den Höhn.
Und aufwärts tausend andre noch sich trollen –
Sie liefern eine Bauernschlacht dem Tollen.
9.
Wie spielend naht die erste von den Wogen
Am salz'gen Meeresstrand, vom Süd bewegt –
Die zweite kommt schon kräftiger gezogen,
Worauf die dritte sich noch stärker regt;
Und immer weiter recken sich die Bogen,
Die nach dem Sand des Windes Peitsche schlägt:
So wachsen gegen Roland wilde Scharen,
Die all aus Berg und Tal gekommen waren.
10.
Ohn' Ordnung nahen zehn: ins Jenseits reisen
Sie schleunig und danach gleich wieder zehn.
Bald will es sich als ausgemacht erweisen,
Daß es geratner ist, hübsch fern zu stehn;
Vergebens haut und sticht auf ihn das Eisen;
Es kann kein Aderlaß an ihm geschehn.
Der Himmelskönig schützt den nackten Fechter
Mit seiner Huld als heil'gen Glaubens Wächter.
11.
Könnt' überhaupt er gehn auf Todes Wegen,
So wär' er jetzt zu sterben in Gefahr;
Hier lernt er, was es heißt, sich ohne Degen
Und waffenlos den Feinden bieten dar.
Der Schwarm begann sich rückwärts zu bewegen,
Da jeder Streich auf ihn vergeblich war.
Als Roland keinen sah, der weiterstritte,
Lenkt er nach einem Häuserhauf die Schritte,
[280] 12.
Wo weder groß noch klein sich mehr befanden;
In Ängsten flohen allesamt hinaus.
Ärmliche Speisen waren gnug vorhanden,
So wie sich's schicken mag fürs Bauernhaus.
Er trennt nicht erst, in wilden Hungers Banden,
Die Eicheln von dem Brote für den Schmaus.
Was dort – sei's roh, gekocht – nur ist zu schauen,
Da braucht er Händ' und Zähne, einzuhauen.
13.
So schweift er durch das Land mit wildem Jagen
Bald auf die Menschen und auf Tiere bald,
Jetzt flinke Geiß im Lauf hinwegzutragen,
Einandermal den schnellen Hirsch im Wald;
Oft auch mit Bär und Eber sich zu schlagen –
Die nackte Hand zwingt tot sie auf die Hald' –
Und mit dem Fleisch und was im Bauch sie haben,
Den Leib sich füllend, gräßlich sich zu laben.
14.
Er kam zu einer Brücke (schon durchzogen
Hat er das Frankenland die Kreuz und Quer');
Da schoß an steilem Ufer unterm Bogen
Ein übervoller mächt'ger Strom daher.
Ein Turm steht aufgerichtet nah den Wogen,
Den Blick auf Näh' und Ferne bietet er.
Doch was geschah, erzähl' ich jetzt mitnichten,
Denn von Zerbin muß ich zuvor berichten.
15.
Nachdem Zerbin den Grafen sah enteilen,
Verzog er etwas, schlägt den Pfad dann ein,
Drauf Roland hergesprengt vor einer Weilen,
Und sacht im Schritte geht sein Rösselein.
Noch war er nicht geritten an zwei Meilen,
Gebunden kam auf einem Klepper klein
Ein Rittersmann daher; zu seinen Seiten,
Ihn zu bewachen, zwei in Waffen reiten.
[281] 16.
Es war, wie Prinz Zerbin sogleich erkannte,
Auch Isabell, als sie ihn nah geschaut,
Jener Biskayer, der sich Odrich nannte,
Der Wolf, dem man das Lämmlein hat vertraut.
Als sich Zerbin als Freund noch an ihn wandte,
Da übergab er ihm die teure Braut,
Voll Hoffnung, daß er diesmal auch die Treue,
Die er sonst stets bewies, ihm halt' aufs neue.
17.
Dem Prinzen alles deutlich zu bekunden,
Erzählt gerad das Fräulein das und dies;
Wie sie im Boote Sicherheit gefunden,
Bevor der Sturm es in die Tiefe stieß;
Wie Odrich mit Gewalt sie hielt gebunden
Und in die Felsenhöhle schleppen ließ.
Noch hatte der Bericht kein End' genommen
Da sahen sie den Schelm, gebunden, kommen.
18.
Den beiden Rittern, die den Odrich brachten,
War Fürstin Isabella wohlbekannt;
Und jener sei ihr Herr wohl, also dachten
Sie gleich, weil er mit ihr sich da befand.
Zumal da ihn die Zeichen kenntlich machten
Auf seinem Schild nach Herkunft und nach Stand.
In seinen Zügen sie bestätigt fanden,
Was sie geahnt, und alle Zweifel schwanden.
19.
Sie stiegen eilig ab vom Pferd und sprangen,
Die Arme weit geöffnet, auf Zerbin;
Ihm huldigend als ihrem Herrn, umschlangen
Sie ihn mit bloßem Haupt, gebognen Knien.
Wie nun des Prinzen Blicke sie durchdrangen,
Erkannt' er einen (Koreb nannt' er ihn),
Dann auch den andern, Almon, die als Boten
Mit Odrich wurden nach dem Schiff entboten.
[282] 20.
Sprach Almon: »Nun es Gottes Huld gefallen,
Durch dich der Königstochter Schutz zu leihn,
So wird dir, Herr, kaum etwas von dem allen,
Das ich dir sagen könnte, fremd mehr sein:
Den Grund dafür, daß Ketten jetzt umkrallen
Hier diesen schlechten Menschen, siehst du ein.
Sie, gegen die das Schlimmste war gerichtet,
Hat dir genau wohl alles schon berichtet:
21.
Wie ich mit Trug mich ließ von ihm umweben
Und er von dannen ging, weißt du jetzund;
Wie Koreb, ganz der Herrin Dienst ergeben,
Erhielt von diesem Kerl die schwere Wund'.
Doch was nach meiner Rückkehr sich begeben
Und nimmer Isabella wurde kund,
Daß sie davon dir jemals könnt' erzählen,
Darüber soll dir mein Bericht nicht fehlen.
22.
Ich kam von jener Stadt zurück zum Strande
Mit Pferden, die ich eilig aufgebracht,
Und immer späht' ich auf und ab am Lande,
Auf sie, die weit zurück war, stets bedacht.
Und weiter komm' ich bis zum Uferrande,
Von wo ich in die Stadt den Weg gemacht.
Ich blicke, blick' umher – sie sind verschwunden!
Im Sande nur wird frische Spur gefunden.
23.
Die führt mich drauf, als ich ihr nachgegangen,
In wilden Wald; nicht lange war ich da,
Als an die Ohren Klagelaute drangen
Und ich im Dickicht diesen liegen sah.
Ich fragt' ihn, wie's der Dame sei ergangen,
Und Odrich, und durch wen ihm das geschah.
Er nannte mir darauf den Missetäter,
Und ich brach auf, zu suchen den Verräter.
[283] 24.
Ich sucht' in jener Gegend auf und nieder,
Doch fand ich keine Spuren diesen Tag.
Zuletzt zum armen Koreb kehrt' ich wieder,
Der, rot den Boden färbend, dort noch lag.
Blieb er da länger, brauchten seine Glieder
Gewiß bald mehr ein Grab in jenem Hag
Und Bruder Mönch, der ihn bestattet hätte,
Als Arzenei und Pfleg' in weichem Bette.
25.
Ich ließ vom Walde fort zur Stadt ihn tragen
Zu einem Wirte, der mir lieb und wert.
Dort wurde Heilung ihm in wenig Tagen
Durch eines alten Arztes Kunst beschert.
Dann gingen wir, um Odrich zu erjagen,
Mit Waffen wohlversehn und gutem Pferd.
Er hatte nach Biskaya sich begeben –
Mir stehen mußt' er dort auf Tod und Leben.
26.
Zu mir stand König Alfons, der Gerechte
(Er gab die Stätte für den Kampf mir frei),
So wie das Glück, das oftmals im Gefechte
Den Sieg verleiht nach Laune mancherlei,
Es fügt, daß mir im Streite jener Schlechte
Erlieg' und also mein Gefangner sei.
Der König, unterrichtet von dem Falle,
Hieß mich dann mit ihm tun, was mir gefalle.
27.
Nicht töten wollt' ich ihn noch frei ihn geben,
In Ketten nahm ich ihn für dich mit fort;
Denn ob er sterbe, ob er bleib' am Leben
In Pein, das sollt' entscheiden erst dein Wort.
Als ich erfuhr, du seist beim Kaiser eben,
Kam ich, dich suchend, hier an diesen Ort.
Ich danke Gott, daß ich dich hier getroffen;
Ich konnt' es jetzt am wenigsten erhoffen.
[284] 28.
Auch dafür, daß ich Fürstin Isabelle
(Wie, fass' ich nicht) bei dir erblicken kann,
Nach allem, das getan hat der Geselle,
Schien jede Kunde mir versagt fortan.«
Zerbin vernimmt's, rührt nicht sich von der Stelle
Und schaut derweil nur immer Odrich an,
Voll Haß nicht – nein, als ob er Schmerz empfinde,
Daß große Freundschaft also kläglich schwinde.
29.
Als der geendet hatte, wie befangen,
In sich versunken stand der Schotte da,
Daß der Verrat von jenem sei begangen,
Von dem er sich's am wenigsten versah.
Doch als er seufzend dann von seiner langen
Betrachtung schließlich in die Höhe sah,
Zu dem Gefangnen wandt' er sich und fragte,
Ob wahr sei, was von ihm der Ritter sagte.
30.
Da läßt sich auf die Knie zu Boden fallen
Der falsche Mann: »O lieber Herr!« er spricht,
»Der Sünd' und Schuld ist, wer da lebt, verfallen,
Und andres scheidet Gut und Böse nicht,
Als daß dem Schlechten Widerstand bei allen
Versuchungen, den kleinen auch, gebricht.
Der Gute Waffen nimmt und sucht zu siegen,
Doch wenn der Feind zu stark, muß er erliegen.
31.
War mir ein Schloß zu schützen aufgetragen
Und zog ich dann beim ersten Sturmeslauf,
Ohne nur Widerstand und Kampf zu wagen,
Am Turme hoch der Feinde Banner auf –
Nahm' ich der Feigheit und – was mehr will sagen,
Verrates Vorwurf richtig in den Kauf.
Hat aber die Gewalt mich überwunden,
So hab' ich Tadel nicht, nein, Lob gefunden.
[285] 32.
Je größer nun die Macht der Feindesscharen,
Je mehr wird einem Milde zuerkannt:
Ich konnte Treue hier nicht mehr dir wahren
Als die verlorne Burg, vom Feind berannt.
Wenn Rat und Einsicht mir verliehen waren
Durch höchste Weisheit, wurden sie verwandt
Zum Schutz der Treue; doch mir drang entgegen
Zu mächt'ger Ansturm – und ich bin erlegen.«
33.
So sprach – ich kann nicht alle Worte sagen –
Odrich und legte noch des weitern dar,
Wie er mit der Versuchung sich geschlagen
Und nicht auf leichten Reiz gewichen war.
Wenn Demut jemals durfte Früchte tragen,
Wenn Haß verging vor Bitten ganz und gar –
War hier der Platz; denn was den Groll entschwinden
Und weichen läßt, das wußt' er wohl zu finden.
34.
Ob er so schwere Missetat soll rächen,
Erwägt Zerbin, schwankt zwischen Ja und Nein;
Jetzt meint er: für so schändliches Verbrechen
Des Lebens muß der Schuft verlustig sein;
Dann fühlt er aber: Mitleids Fluten schwächen
Des Zornes Glut, denkt er, wie im Verein
Mit dem vergingen schöner Freundschaft Stunden –
Und seiner Rache wird das Schwert entwunden.
35.
Derweil Zerbin so schwankt mit Überlegen,
Ob er vernichten soll den Frevler dort,
Ob ihn in Qualen und in Ketten legen
Oder in Freiheit setzen durch sein Wort,
Da kommt mit Schnauben ihm das Roß entgegen,
Dem Mandrikard nahm seine Zügel fort:
Er sieht es jene Alte mit sich führen,
Die ihn gebracht hat an des Todes Türen.
[286] 36.
Der Zelter hatte Leute wahrgenommen
Von fern, und eiligst trabt' er los auf sie;
Auch die er trug, die Alte, mußte kommen,
Wie sehr sie heulte, laut um Hilfe schrie.
Empor zum Himmel hebt Zerbin mit frommen
Gefühlen seine Hand und dankt, daß die
Zusammen sind in seine Macht gegeben,
Die er als einz'ge hassen muß im Leben.
37.
Bis klar ihm werde: was soll nun geschehen? –,
Läßt er ergreifen dieses böse Weib;
Denkt: »Ohne Nas' und Ohren soll sie gehen,
Daß sie den Schuften eine Warnung bleib',
Und besser noch wird man die Buße sehen,
Geb' ich zum Fraß den Geiern ihren Leib.«
Verschiedne Strafen hat er noch erwogen
Und dann zum Schlusse diese vorgezogen:
38.
»Behalten soll der falsche Mann das Leben,«
Zerbin der Prinz zu den Genossen spricht.
»Kann ich ihm auch nicht ganz und gar vergeben,
Verdient er doch so blut'ge Strafe nicht;
In Odrichs Schuld ließ Amor seine weben:
Am Leben bleib' und kettenlos der Wicht.
Da, wo wir Amors Hände merken können,
Ist jedem Fehl Entschuldigung zu gönnen.
39.
Noch festern Sinn wirft Amor ja zuzeiten
Kopfüber hin, als dieses Mannes hier,
Und weiß zu ärgern Dingen zu verleiten,
Als was uns Schaden brachte, euch und mir.
Drum schenk' ich Nachsicht Odrichs Schändlichkeiten;
Zu strafen bin ich selbst: blind war ich schier;
Blind war ich, ihn zum Führer zu ernennen:
Strohbündel leicht – das mußt' ich wissen – brennen.«
[287] 40.
Zu Odrich sprach er: »Höre, was ich sage
Und was fortan soll deine Buße sein:
Ein Jahr lang dieses Weibs Gesellschaft trage,
Und niemals, niemals läßt du sie allein.
Wo du nur gehst und stehst, bei Nacht, bei Tage,
Mit ihr sei alles, alles dir gemein.
Sollst auch, wenn andre je die Frau beleid'gen,
Sie bis zum letzten Atemzug verteid'gen.
41.
Du sollst, wird dir's geboten von der Alten,
Dich stellen gegen jedermann zum Streit,
Und zu durchstreifen bist du noch gehalten
Frankreich von Ort zu Ort in dieser Zeit.«
So spricht Zerbin; durch freventlich Verhalten
Ist Odrich ja mit Recht dem Tod geweiht;
Dies heißt, ihm eine tiefe Grube graben;
Er muß viel Glück, sie zu vermeiden, haben.
42.
So viele Männer sind und Fraun in Scharen
Von ihr verraten worden und gekränkt,
Daß keiner ohne schweren Kampfs Gefahren
Mit ihr zusammen weit die Schritte lenkt.
Drum wird nun beiden Strafe widerfahren:
Ihr für die Schuld, darein sie längst versenkt,
Ihm, weil er jene ohne Schutz gelassen.
Nach kurzer Zeit wird ihn der Tod erfassen.
43.
Dies streng zu halten, mußte Odrich schwören,
Und die Bestimmung ward ihm angedroht:
Lass' er zum Treubruch jemals sich betören,
Schick' ihn Zerbin (sobald der Fall sich bot),
Ohn' alle Gnad', ohn' auf sein Flehn zu hören,
Ganz zweifellos in einen grimmen Tod.
Almon und Koreb drauf Befehl empfingen,
Die Freiheit dem Gefangenen zu bringen.
[288] 44.
So lösten den Verräter denn die beiden,
Langsam gehorchend des Gebieters Wort,
Verdrießlich, daß verboten ward, zu weiden
Ersehnte Rache an dem Frevler dort.
Dann ließen sie den Ungetreuen scheiden:
Mit der verfluchten Alten zog er fort.
Nicht meldet uns Turpin, wo sie geblieben,
Doch las ich einen, der davon geschrieben:
45.
Er sagt, sie waren noch nicht weit gegangen
(Den Namen meines Autors nenn' ich nicht),
Als Odrich, angetrieben von Verlangen,
Sich zu befreien, gegen Eid und Pflicht
Gabrina ließ an einer Ulme hangen,
An Schlingen, die er dazu hergericht't.
Und als zwölf Monde drauf verstrichen waren,
Tät ihm durch Almon gleiches widerfahren.
46.
Weil Rolands Spuren sonst verlorengingen,
Die man gefunden hat zu dieser Frist,
So läßt Zerbin den Seinen Botschaft bringen,
Die man gewiß schon schmerzlich dort vermißt,
Durch Almon, mit noch vielen andern Dingen,
Was aufzuzählen hier nicht nötig ist.
Da Koreb auf der Reis' Almons Geselle,
Ist niemand jetzt bei ihm als Isabelle.
47.
So innig fühlt er Roland sich verbunden
(Auch von dem Fräulein wurde hochverehrt
Der tugendhafte Held zu allen Stunden),
Und gar so gerne säh' er sich belehrt,
Ob er den Heiden wohl hab' aufgefunden,
Der ihn mitsamt dem Sattel zog vom Pferd, –
Daß er nicht früher sich beim Heere zeigte,
Als bis der dritte Tag zu End' sich neigte.
[289] 48.
Zu warten war von Roland vorgeschrieben,
Dem Schwertberaubten, diese Zeit gerad.
Die Stätten, wo das Los ihn hingetrieben,
Die waren's, die auch Prinz Zerbin betrat.
Er kam zum Hain, drin noch zu lesen blieben
Der Ungetreuen Worte fern vom Pfad.
Zertrümmert alles rings von Baum zu Baume
Fand er, mit Quell und Fels, in diesem Raume.
49.
Unfern wollt' etwas Blinkendes sich zeigen:
Des Grafen Harnisch zog Zerbin hervor
Und fand den Helm, nicht den, der einstmals eigen
Als ein berühmter Schmuck Almont, dem Mohr.
Der Renner wiehert, wo mit dichtern Zweigen
Wald steht; er hebt beim Klang den Kopf empor;
Da weidet Güldenzaum im Gras am Hügel
Und schleppt am Sattel hängend nach die Zügel.
50.
Nun sucht er Durendal, und ohne Scheide
Im Gras des Waldes er sie liegen sah,
Fand auch die Fetzen von des Armen Kleide,
Zerstreut rings hundertfach, bald hier, bald da.
Zerbin und Isabell, gar traurig beide,
Zerbrachen sich den Kopf, was wohl geschah.
Sie können alles, nur nicht eines fassen:
Daß Roland vom Verstande sei verlassen.
51.
Säh' man nur einen Tropfen Blutes tauen,
So glaubte man, der Held sei umgebracht.
Da kommt, erschöpft, ein Hirt mit trüben Brauen,
Der seinen Weg am Bachesrande macht.
Von einer Felsenspitze konnt' er schauen
Die Wut des Armen in des Wahnsinns Nacht,
Wie er's Gewand zerriß, das er getragen,
Und wie das Hirtenvolk dann ward erschlagen.
[290] 52.
Der Mann erzählte treu, was vorgegangen,
Gab jeden Aufschluß nach Zerbins Begehr.
Wenn die Beweise gleich ins Auge sprangen,
Konnt' er es glauben kaum und staunte sehr.
Wie das nun sei, betrübt vom Pferde schwangen
Sich beide dann, die Lider tränenschwer,
Um die Reliquien zu Hauf zu tragen,
Die rings zerstreut dort auf dem Boden lagen.
53.
Als Isabell die Waffen von der Erde
Zu nehmen und zu sammeln tätig war,
Da stellte sich mit trauriger Gebärde
Und vielen Seufzern ihr ein Fräulein dar.
Wenn einer wünscht, daß kund ihr Name werde
Und ihres großen Leides Ursach' klar,
Der höre: Flordelis ist, schmerzzerrissen,
Nach ihrem Liebsten auszuspähn beflissen.
54.
Da Brandimarte auf die Flucht sich machte,
Verblieb sie in des Kaisers Stadt allein
Und harrte dort der Monde sechs bis achte.
Von Pyrenän zum Alpenfelsgestein
(Als immer noch ihn nichts zurück ihr brachte),
Von Meer zu Meer durchsucht sie aus und ein
Die ganze Gegend mit den Orten allen,
Sucht aber nicht in Atlas' Zauberhallen.
55.
Wär' sie in jenes Alten Schloß gewesen,
Sie hätt' ihn, irrend mit Gradaß, erkannt,
Mit Roger und viel Degen auserlesen,
Mit Roland, Ferragu und Bradamant.
Dann hat des Hexenmeisters Zauberwesen
Der Schreckensklang von Astolfs Horn verbannt,
Und Brandimart ist gen Paris gefahren:
Nur konnt' es Flordelis noch nicht erfahren.
[291] 56.
Das Fräulein, sagt' ich Euch nach dem Berichte,
Kam unversehns zu jenem Liebespaar;
Den Güldenzaum bekam sie zu Gesichte,
Der, wie die Waffen, ja bekannt ihr war.
Sie hörte schon die traurige Geschichte
Und sieht mit Augen jetzt, die Kund' ist wahr,
Die durch den Hirt vernommen ihre Ohren:
Roland, der Held, hat den Verstand verloren.
57.
Auf eine Fichte als Trophäen legen
Sie all die Stücke zu des Toten Ehr';
Und daß kein Bauer oder fremder Degen
Sie anzuziehen so vermessen wär',
Blickt diese Schrift dem Wandrer dort entgegen:
»Roland des Paladines Waffenwehr.«
Wer nicht ein Roland ist, will dies besagen,
Darf nicht des Helden Roland Waffen tragen.
58.
Dann geht Zerbin, sich auf sein Roß zu schwingen,
Nachdem das fromme Liebeswerk geschehn:
Da will den Mandrikard der Zufall bringen.
Der fragt, als die Trophäen er gesehn,
Was die Bewandtnis sei mit diesen Dingen,
Und die Belehrung läßt Zerbin ergehn.
Der Tatarkönig hört es froh und munter
Und geht zur Fichte, nimmt das Schwert herunter
59.
Und spricht: »Kein Mensch kann dieses Schwert mir nehmen,
Ich hab's zum meinen nicht erst heut gemacht,
Es heißt, mein Eigentum mir wiedernehmen;
Ich hol's, wo mir's vor Augen wird gebracht.
Dem Roland mag die Furcht die Sinne lähmen,
Die andre Tollheit hat er nur erdacht.
Gern will ich milde diese Feigheit richten,
Doch nicht auf meines Sinns Gebrauch verzichten.«
[292] 60.
Da rief Zerbin ihm zu: »Das Schwert laß liegen!
Sonst gibst du mir darüber Rechenschaft.
Konntest du so nur Hektors Waffen kriegen,
So hast du sie mit Diebstahl dir errafft!«
Worauf sie wortlos aneinander fliegen,
Einer dem andern gleich an Mut und Kraft.
Von hundert Hieben dröhnt's mit lautem Klange,
Und noch ist das Gefecht nicht recht im Gange.
61.
Zerbin weiß blitzschnell sich zu drehn, zu schwingen,
Wenn immer Durendal herniederfährt;
Wie einen Rehbock läßt er's Rößlein springen
Hier hin und dort, wie es der Weg gewährt.
Die Drehung muß im Augenblick gelingen,
Denn, trifft ihn nur ein einzig Mal das Schwert,
Hinunter muß er zu den Geistern gehen,
Hin, wo die dunklen Myrten schattend stehen.
62.
So wie der Hund mit tänzelnder Gebärde,
In Sprüngen, kreisend, nachsetzt auf dem Feld
Dem Schwein, das sich verirrt hat von der Herde,
Und dieses wartet, bis er einmal fällt –
So, wie sich hebt das Schwert und senkt zur Erde,
Aufmerkt Zerbin, daß er's im Aug' behält,
Gleichzeitig Ehr' und Leben zu erstreiten:
Drum schlägt er drein und flieht zu gleichen Zeiten.
63.
Und drüben, wo des Mohren grimmer Degen
Mit Hieben voll und leer herniedersaust,
Scheint durch ein Alpental der Sturm zu fegen,
Wie im belaubten Wald im März er haust:
Bald beugt er Wipfel, daß sie schier sich legen,
Bald kommt er Zweige knickend angebraust.
Vermeidet auch Zerbin die meisten Hiebe,
Ein Wunder wär's, wenn unversehrt er bliebe.
[293] 64.
Unmöglich, daß er einen Streich vermeide!
Der trifft ihn zwischen Schwert und Schildesrand.
Dick war der Harnisch, dick am Eisenkleide
Die Schuppen, stark und fest das Stahlgewand,
Doch schützte nichts vor jener grausen Schneide,
Sie fuhr durch alles ohne Widerstand
Und drang – was ihr im Weg stand, ward zerschnitten –
Durchs Panzerkleid noch in des Sattels Mitten.
65.
Hätte der Hieb nicht etwas knapp gesessen,
Ward er durchhaun wie Rohr am Wiesenhang.
Mehr als die Haut war wohl geritzt, indessen
Es schien, daß er zum Sitz des Lebens drang.
Mit einer Spanne würde kaum gemessen
Die Wunde, zwar nicht tief, doch also lang.
Wellen von Blut den blanken Stahl durchbrechen;
Bis auf die Füße strömt's in roten Bächen.
66.
So sah ich einst ein Purpurband gewunden
In silberweißes Linnen, fein gewebt
Von jener weißen Hand, der alle Stunden
Mein Herz aus seiner Brust entgegenstrebt.
Was hilft's Zerbin, daß er im Streit befunden
Als Meister ward und kühn die Klinge hebt?
An Wucht und Fechterkünsten ist dem Degen
Der Tatarkönig allzu überlegen.
67.
Dem Anschein nach war dieser Hieb des Mohren
Viel fürchterlicher als in Wirklichkeit,
Und Isabells erstarrtes Herz durchbohren
Kalten Entsetzens Graus und schweres Leid.
Zerbin, in Zorn und Leidenschaft verloren,
Glühend von Mut und Kraft, erneut den Streit;
Er faßt sein Schwert mit beiden Händen wieder
Und schmettert's auf den Helm des Heiden nieder.
[294] 68.
Der mußte auf des Pferdes Hals sich neigen,
So war die Wucht des mächt'gen Hiebes groß,
Und wäre nicht dem Helm ein Zauber eigen,
Läge der Kopf gespalten da und bloß.
Der Mohr sprach nicht: »Ich will dir's später zeigen«:
Nein, ging sofort auf seine Rache los
Und schwang das Schwert ob seines Gegners Haupte,
Das er zur Brust hinab zu spalten glaubte.
69.
Zerbin lenkt Sinn und Blick zum gleichen Ziele,
Der flinke Hengst wird rasch nach rechts gekehrt;
Zu wenig rasch, daß nicht herniederfiele
Und mitten auf den Schild, das schneid'ge Schwert:
Ihn spaltet Durendal, als wär's im Spiele,
Der Länge nach, dem Arme stahlbewehrt
Hin durch die Schienen einen Schnitt zu bringen
Und durch den Harnisch in das Bein zu dringen.
70.
Wohin auch nur der Schotte suchend schaue,
Was er auch tu', es will ihm nichts gedeihn;
Wie schwer er auf des Heiden Rüstung haue,
Er schlägt auch nicht die kleinste Spur hinein.
Dagegen trifft der andre nicht ins Blaue,
Und solchen Vorteil will das Glück ihm leihn,
Daß er den festen Schild zerstückt mit Hieben
Und halb den Helm, und Wunden schlägt an sieben.
71.
Wie jetzt Zerbin die Kraft allmählich schwindet
Durch solchen Blutverlust, er merkt es nicht;
Das starke Herz, dem nichts den Mut entwindet,
Allein für den geschwächten Körper ficht.
Die Dame, die vor Angst nicht Atem findet,
Naht Doralis mit flehndem Angesicht
Und bittet sie bei Gott, den sie bekennen,
Den Kampf zu hemmen und die zwei zu trennen,
[295] 72.
Und Doralis (wie schön, so edelmütig,
Zumal nicht sicher, was noch mag geschehn)
Erfüllt sehr gern den Wunsch, indem sie gütig
Den Mohr bestimmt, vom Zweikampf abzustehn.
Zerbin auch zeigt sich minder rachewütig
Und mildern Sinns auf seiner Liebsten Flehn.
Hat sich zum Gehen, wie sie will, gewendet
Und läßt den Schwerteshandel unbeendet.
73.
In stummem Schmerz sieht Flordelis den Degen
Des armen Grafen in so übler Hut,
Und bittres Leid und Trauer sie bewegen;
Sie schlägt die Stirn und weint in zorn'gem Mut:
Stünde doch Brandimart dem Mohr entgegen!
Wenn sie ihn findet und ihm Kunde tut,
Dann dürft' es wohl geschehn, daß seiner Beute
Der stolze Heide sich nicht lange freute.
74.
Vergebens, daß sie rings die Blicke sandte
Nach ihrem Brandimart so früh wie spat
Und weit von ihm hinweg die Schritte wandte!
Er war bereits der Stadt Paris genaht,
Als sie zuletzt erblickt und auch erkannte,
Nachdem durch Berg und Tale ging ihr Pfad,
Den armen Paladin auf einer Brücke. –
Allein wir gehn jetzt zu Zerbin zurücke,
75.
Dem nicht so viel die andern Leiden galten,
Wie, daß er Durendal verlassen soll,
Konnt' er sich auch noch kaum im Sattel halten,
Weil immer Blut noch aus den Adern quoll.
Allmählich mußte Glut und Zorn erkalten
Gar bald darauf; der Schmerz nur wuchs und schwoll,
Er schwoll und wollte mächtig sich ergießen,
Sein Leben fühlt Zerbin durch ihn verfließen,
[296] 76.
Vermag vor Schwäche schon nicht mehr zu gehen:
So macht er denn an einer Quelle halt.
Was kann sie tun, dem Armen beizustehen?
Was sagen? Ach, sie sieht nur: bald
Muß er in Schmerz und tiefer Not vergehen;
Zu weit ist's bis zu Menschenaufenthalt,
Wo man für ihn den Arzt, den Helfer finde,
Der ihn – um Lohn, aus Mitleid – gleich verbinde.
77.
Sie kann nur grollen mit den Weltgeschicken
Und nennt den Himmel bös und ohne Herz;
Sie ruft: »Was durft' ich nicht im Meer ersticken,
Als mich die Segel führten morgenwärts?«
Zerbin schaut still sie an mit matten Blicken
Und fühlt ob ihrer Klagen größern Schmerz,
Als ihm so manche Wunde hier gemacht hat,
Die an des Todes Schwelle ihn gebracht hat.
78.
Er sprach: »So willst du, Herz, wenn ich gegangen,
Nie deine Liebe enden? Nimmermehr?
Daß ohne Schutz du bleibst, füllt mich mit Bangen,
Das schmerzt mich, nicht das Sterben wird mir schwer!
Hätte die letzte Stunde angefangen,
Da, wo für dich ein sichrer Hafen wär',
Froh wär' ich noch im Tode und zufrieden,
Weil mir mein End' an deiner Brust beschieden.
79.
Doch da mein hartes Schicksal mich zur Stunde
Dich lassen heißt – weiß nicht, in wessen Hand –,
Schwör' ich bei diesen Augen, diesem Munde,
Bei diesem Haar, das mir die Kette wand,
Verzweifelt fahr' ich nach dem finstern Grunde,
Wo der Gedanke endlos, unverwandt,
Daß ich dich hier ließ, mir zu größrer Pein wird,
Als was von Martern und von Qual noch sein wird.«
[297] 80.
Da neigt das tiefbetrübte Haupt mit Weinen
Auf den Geliebten Isabella hin
Und heftet ihre Lippen auf die seinen,
Schmachtend, wie eine Blumenkönigin,
Die einsam, weil der lange Sommer keinen
Zum Pflücken sandte, welkt im Busche drin.
»Denk nicht, du sollst allein vom Leben scheiden,«
Spricht sie, »die letzte Reise gilt uns beiden.
81.
Drum sollst du, Liebster, keine Furcht verspüren;
Ich folge dir zu Höll' und Himmelsglast.
Zwei Geister sind es, die den Weg sich küren,
Und die auf ewig gleiches Heim umfaßt.
Mich wird der Seele Schmerz zum Tode führen,
Sobald die Augen du geschlossen hast.
Und tut er's nicht, so will ich dir versprechen,
Mit diesem Schwert mich heute zu erstechen.
82.
Und unsern Leibern wird, mehr als im Leben,
Das Glück, ich hoff's, im Tode gütig sein:
Bestattung wird uns ein Barmherz'ger geben,
Der hier des Wegs kommt, und uns Mitleid weihn.«
So spricht sie, und die müden Lippen streben,
Wie sie den letzten Rest noch saugen ein
Des Lebensgeistes, der vom Tod entführt wird,
Bis nur ein schwacher Hauch zuletzt verspürt wird.
83.
»O Teure, laß durch Flehen dich bewegen,«
Die schwache Stimm' erhebend, sprach der Held,
»Bei jener Liebe, die um meinetwegen
Dich trieb vom Vaterhause in die Welt! –
Und als Befehl muß ich dir auferlegen –
Darf ich's –: du lebst, solang es Gott gefällt,
Und eins darf nicht von dir vergessen werden:
Dich liebt' ich, wie kein Mensch geliebt auf Erden.
[298] 84.
Gott wird, vertrau' ich, dir zur Seite stehen
Und dich beschützen gegen arge Tat,
Wie er für dich ließ nach der Höhle gehen
Den Ritter aus dem römischen Senat –
Und half mit seiner Gnad' in Sturmeswehen
Und gegen des Biskayers bösen Rat.
Doch läßt des Sterbens Not sich nicht vermeiden,
So wähle Tod als das geringre Leiden!«
85.
Kaum wurden, glaub' ich, deutlich noch vernommen,
Wie sie gemeint, die letzten Worte leis –
So ist ein schwaches Lichtlein bald verglommen,
Fehlt Wachs und Stoff, der es zu nähren weiß.
Wer sagte, wie von Schmerzen überkommen
Das Fräulein stand, als nun so kalt wie Eis
Und regungslos in ihrem Arm der bleiche,
Der teure Held lag hingestreckt als Leiche!
86.
Und an dem blut'gen Leibe sinkt sie nieder,
Auf den ein Bad von Tränen niederwallt.
Sie schreit vor Weh, auf Meilen tönen wider
Ringsum in weiter Ferne Feld und Wald.
Und büßen müssen's Wang' und Brust und Glieder,
Die sie zerschlägt in ihres Leids Gewalt.
Sie rauft die Locken, die sich golden schlingen,
Und läßt umsonst den teuren Namen klingen.
87.
Zur Raserei schier wollte sich gestalten
Ihr großes Weh: sie hätte leicht das Schwert,
Ohn' ihres Liebsten streng Gebot zu halten,
Gegen den eignen Busen jetzt gekehrt;
Doch ward ihr solches Tun durch einen alten
Klausner, der oft zur Quelle kam, verwehrt.
Denn seine Zelle war nicht fern gelegen.
Der setzte ihrem Vorsatz sich entgegen.
[299] 88.
In dieses frommen Mannes Brust verbanden
Sich Weisheit und die Güte hilfsbereit;
Mit Sprüchen viel, die zu Gebot ihm standen
Zu jeder Zeit, und mit Beredsamkeit
Mahnt er die Arme in des Kummers Banden
Fromm zur Geduld und zur Ergebenheit
Und weiß ihr Fraun als Spiegel vorzuhalten
Vom neuen Testamente wie vom alten.
89.
Erkennen läßt er sie: wahrhaft zufrieden
Sei niemand als in Gott dem Herrn allein;
Zeigt ihr, daß Wunsch und Hoffnung stets hienieden
Vergänglich, flüchtig, ohne Wesen sei'n.
So hat sein weises Wort sie denn geschieden
Vom blut'gen Plan: dem Dienst des Herrn zu weihn
Beschließt sie, was ihr fürder noch gegeben
An Erdentagen sei – ihr ganzes Leben.
90.
Doch will sie drum den teuren Leib nicht lassen,
Noch ihre große Lieb' im Herzen drin;
Sie hegt ihn Tag und Nacht; auf allen Straßen,
Wo sie nur sei, führt sie ihn mit sich hin.
Der Klausner, für sein Alter übermaßen
Noch stark und rüstig, hilft mit treuem Sinn.
Sie setzten auf ihr traurig Roß die Leiche
Und ritten lang in jenes Walds Bereiche.
91.
Der kluge Greis beschloß: für alle Fälle
Bleib' er nicht mit dem schönen Kind allein
Dort, wo ganz nah war seine stille Zelle
In eines Höhlenraumes Felsgestein.
Er dachte: »Wenn ich Stroh zur Fackel stelle
In einer Hand, so wird's gefährlich sein.«
Mißtrauend seiner Weisheit, seinen Jahren,
Wollt' er das lieber nicht an sich erfahren.
[300] 92.
Er dacht' in die Provence sie zu geleiten,
Wo bei Marseille in einem schönen Schloß
Ein Kloster reich und voll von Herrlichkeiten
Scharen von heil'gen Frauen in sich schloß.
Sie ließen einen Sarg zuvor bereiten
Dem armen Ritter, wohlverpicht und groß,
In einer Burg, die sie am Weg berührten,
Worauf sie ihren Toten mit sich führten.
93.
Durch weite Strecken, öd stets und entlegen,
Geht es durch viele Tage krumm und grad:
Weil alle Straßen voll des Krieges wegen,
Sind sie dem Ziele leis, versteckt genaht.
Da kommt dem Paar ein Reitersmann entgegen,
Der schimpft und schmäht und sperrt dazu den Pfad.
Gelegentlich noch sprech' ich von dem Reiter;
Jetzt geh' ich zum Tatarenkönig weiter.
94.
Als die den Strauß zu End' gefochten hatten,
Von dem Ihr hörtet, ging zum klaren Quell
Der Heidenfürst und zu den kühlen Schatten
Und nahm dem Renner Zaum und Sattel schnell:
Dem kam der Wiese zartes Gras zustatten;
Hier sucht sein Herr sich eine Ruhestell'.
Nicht lange währt's, da kommt mit einem Male
Ein Rittersmann: er steigt vom Berg zu Tale.
95.
Den Fremden sieht schön Doralis erscheinen,
Und hastig spricht sie zu Fürst Mandrikard:
»Da kommt der Rodomonte, sollt' ich meinen;
Werd' ich von meinen Augen nicht genarrt.
Jetzt mag dir Kraft mit Kühnheit sich vereinen:
Dich sucht er auf, ein Zweikampf deiner harrt.
Es kränkt ihn, daß er mich, die Braut, verloren,
Und grimme Rache hat er uns geschworen.«
[301] 96.
So mag ein Falke stolz das Haupt erheben,
Wenn er, sei's Ente, Schnepfe, Taube, Staar,
Sei's andren Vogel, zu sich her sieht schweben
(Er nimmt die Beute keck und fröhlich wahr),
Wie Mandrikard (daß ihm der Sieg gegeben
Wird über Rodomont, erscheint ihm klar):
Kühn und erfreut faßt er sein Roß; in Bügel
Setzt er den Fuß und nimmt zur Hand die Zügel.
97.
Als sie einand so nah, daß jeder hören
Kann seines Gegners trutzig-stolzes Wort,
Mit Hand und Haupt zu drohen und zu schwören
Beginnt der Herr von Algier da sofort,
Er soll es büßen, ließ er sich betören,
In unverschämter Lust zu schwelgen dort,
Im Wahn zu trotzen ihm sei leichte Sache,
Der nun erschienen hier zu blut'ger Rache.
98.
Sprach der: »Man macht nicht gar so leicht mir grauen;
Mich schreckt nicht also drohnder Worte Wind.
So magst du Kinder scheuchen oder Frauen
Und wer noch sonst nicht weiß, was Waffen sind;
Nicht mich, den Schlacht und Kampf viel mehr erbauen
Als jede Ruhe – den bereit man find't
(Sei's unbewaffnet, sei's das Schwert zur Seite,
Zu Fuß, zu Roß, in Feld und Platz) zum Streite.«
99.
Geschrei und Schelt- und Zornesruf ergehen,
Derweilen Schwertgeklirr und Lärm sich regt,
So wie der Wind erst kommt mit sanftem Wehen,
Bis er die Buch' und Eichen niederlegt
Und läßt zum Himmel wirbelnd Staub sich drehen
Und Häuser stürzt und Bäume fortbewegt,
Ins Meer eintauchend, Stürme bringt der Erde,
Tod aber der im Wald verstreuten Herde.
[302] 100.
Kühnheit und Riesenkraft sind diesen Heiden
Wie sonst hienieden keinem mehr beschert:
Mit mächt'gen Schlägen treffen sich die beiden,
Die ihres grimmen, wilden Samens wert.
Die Erde bebt in ihren Eingeweiden,
Wenn aufeinanderdröhnen Schwert und Schwert,
Und tausendfache Funken aus den Klingen,
Nein, tausend Fackeln sich zum Himmel schwingen.
101.
Ohn' Atemholen, ohne je zu rasten,
Ringen die zwei in urgewalt'gem Streit;
Die Schienen, Schuppen zu durchhauen hasten
Sie bald auf dieser, bald auf jener Seit'.
Als ob sie Wall und Graben rings umfaßten,
Rückt keiner vor noch weicht er händebreit;
Als steh' ein Zoll des Raums zu hoch im Preise,
Drehn sie sich stets in knappem, engem Kreise.
102.
Da trifft ein Hieb, von tausend, die ergehen,
Den Algierkönig auf das Haupt einmal,
Daß sich im Aug' ihm plötzlich Lichter drehen
Und helle Blitz' und Fackeln ohne Zahl:
Er neigt, als woll' ihm alle Kraft vergehen,
Auf seines Renners Kreuz den Kopf zu Tal
Und droht vor ihr, die teuer ihm vor allen,
Den Steg verlierend von dem Roß zu fallen.
103.
Doch wie sich wohl ein Kran mag aufwärts schwingen,
Aus gutem Stahl, drauf schwere Ladung liegt –
Je mächt'ger Hebel ihn und Winden zwingen,
Je mehr die große Last ihn niederbiegt,
Mehr als empfangen, wird er Schaden bringen,
Wenn er empor, der Bürde ledig, fliegt –:
So hebt der Afrikaner rasch sich wieder,
Den Hieb verdoppelnd auf des Gegners Glieder.
[303] 104.
Er trifft die gleiche Stell' in seinem Trutze,
Darauf des andern Schwert herabgekracht;
Doch jenem kommt der Trojahelm zunutze,
Der das Gesicht ihm unverwundbar macht.
Er wird nur so betäubt trotz diesem Schutze,
Daß er nicht weiß, ob's Tag ist oder Nacht.
Aufs Haupt ihm zielend, wild schlug Rodomonte
Noch einen Hieb voll Wucht, so stark er konnte.
105.
Dem andern Pferd, dem vor dem Schwerte bang ist,
Das niedersaust, macht jetzt zum bösen Glück
Ganz plötzlich einen Satz, dieweil sein Drang ist,
Durch Flucht dem Herren beizustehn, zurück;
Das Schwert, das auf den Herren selbst im Gang ist,
Dringt in des Pferdes Kopf ein gutes Stück.
Kein Trojahelm schützt dieses vor Verderben,
Wie seinen Herrn; drum muß das Rößlein sterben.
106.
Aufspringt, nicht mehr betäubt, als es gefallen,
Fürst Mandrikard, und Durendal er schwingt;
Zorn um das Pferd macht heiß das Blut ihm wallen,
Und grimme Wut in seine Schläfe dringt.
Auf ihn läßt Rodomont den Renner prallen,
Doch Mandrikard drum nicht zur Seite springt.
Gleich wie ein Fels im Meer steht er dem Reiter:
Der Renner stürzt, er aber hält sich weiter.
107.
Der Afrikaner, ohne Roß gelassen,
Schlüpft aus dem Steg und lehnt am Sattelknauf;
Er weiß zu Fuße Stellung rasch zu fassen.
Gleich sind sie nun für weiteren Verlauf,
Und höher steigt der Zorn, der Stolz, das Hassen;
Die Kampfwut lodert neu entzündet auf.
Lang hätt' es noch gewährt, da bringt den Frieden
Ein Bote: dieser hat die zwei geschieden.
[304] 108.
Ein Bote kam, wie schon durch Frankreich viele
Vom Mohrenvolke waren ausgesandt,
Daß schleunigst sich zu stellen jetzt gefiele
Führern und Einzelrittern miteinand.
Der Kaiser mit den Lilien, nah dem Ziele,
Habe das Lager selbst ja schon berannt;
Und wenn nicht rasch sich Hilf' und Truppen fänden,
Werd' es mit bald'gem Untergange enden.
109.
Der Bot' erkannte gleich die beiden Streiter,
Nicht nur am Wappen und am Waffenkleid,
Auch an den Streichen, die ja niemand weiter
So mächtig führen konnt' in jener Zeit.
Doch sie zu trennen wagte nicht der Reiter,
Gab schon des Königs Auftrag Sicherheit.
Auch der Gedanke will nicht Trost verleihen,
Daß nie Gesandte zu bestrafen seien.
110.
Nur Doralis erzählt er, daß umschlossen
Sei Agramant, auch Stordilan, Marsil,
Mit schwacher Wehr und wenigen Genossen
Im Lager durch der Christenscharen viel,
Und fleht sie an und bittet unverdrossen,
Daß sie beende jenes böse Spiel,
Die zwei versöhne und in aller Eile
Zum Lager führe zu des Volkes Heile.
111.
Das Fräulein wirft sich zwischen die zwei Degen
Voll Mut und spricht: »Bin ich euch wirklich wert,
Und liebt ihr mich, sollt ihr beiseite legen
Zu besserer Verwendung euer Schwert
Und stracks nach unserm Lager euch bewegen,
Das eure Schwerterhiebe jetzt begehrt,
Belagert in den Zelten, in Bedrängnis;
Kommt schnelle Hilfe nicht, kommt das Verhängnis.«
[305] 112.
Der Bote zeigt des Mohrenvolks Gefahren,
Legt alles dar; auch Briefe ließ er sehn,
Die von dem Sohn Trojans geschrieben waren,
Dem kühnen Sproß des Königs Ulien.
Beschlossen wird, es sollen Frieden wahren
Ohn' Hinterlist Tatar und Sarazen
Bis zu dem Tag, wenn die Gefahr beschworen
Und der Belagrung ledig alle Mohren.
113.
Sobald jedoch die Not sei überwunden
Und von Belagerung das Volk befreit,
Aller Gemeinschaft seien sie entbunden,
Und neu entbrenne Haß und blut'ger Streit,
Bis durch die Waffen werd' herausgefunden,
Wessen die Dame sei nach Würdigkeit.
Sie, deren Hand empfing der Ritter Eide,
Leistet die Sicherheit für alle beide.
114.
Die Zwietracht stand dabei, sehr unzufrieden
(Sie muß ja grollen, wenn man sich vergleicht).
Mit ihr der Stolz: gern hätt' er die geschieden,
Daß des Vertrages Ende werd' erreicht;
Doch Amor war zugegen, dem hienieden
An Macht ja keiner von den beiden gleicht;
Und vor den Pfeilen von des Gottes Bogen
Hat Zwietracht sich wie Stolz zurückgezogen.
115.
Der Friede zwischen jenen ward beschworen,
Weil's ihr gefiel, die hier die Herrin war.
Nun ging ja von den Pferden eins verloren:
Tot sah das seine liegen der Tatar.
Statt dessen wurde Güldenzaum erkoren,
Der bot sich auf der Weid' am Bache dar. –
Zum Sangesschluß sind angetan die Sachen,
Drum will ich, mit Verlaub, ein Punktum machen.

[306] Fünfundzwanzigster Gesang

1.
O Kampf in junger Brust! Will sich vertragen
Der edle Trieb nach Ruhm mit Liebesdrang?
Wer mehr vermag, nicht kann man's füglich sagen,
Weil jener bald, bald der den Sieg errang.
In starke Bande hatten sie geschlagen
Gefühl der Ehr' und Pficht ihr Leben lang
(Drum setzten sie den Liebesstreit beiseite,
Bis man Entsatz dem Lager dort bereite) –
2.
Doch Lieb' in stärkre noch: ward nicht gesprochen
Von ihrer schönen Herrin jenes Wort,
Sie hätten nicht den Zweikampf unterbrochen,
Bis einer trug des Sieges Lorbeer fort;
Umsonst würd' ihrer harren Tag' und Wochen
Herr Agramant mit all den Seinen dort.
Es kommt zuweilen Glück durch Amors Gnaden,
Wenn auch der Schalk meist Unheil bringt und Schaden.
3.
Nachdem die Händel so verschoben waren,
Das Ritterpaar den Ort des Kampfs verließ,
Um beizustehn den Afrikanerscharen,
Und ritt mit jener Schönen nach Paris,
Dem Zwerg auch, der, den Spuren des Tataren
Nachfolgend, seinem Herrn die Fährte wies,
Bis Aug' in Aug' mit ihm er Rodomonte,
Den eifersuchtgeplagten, bringen konnte.
[307] 4.
Man kommt zu einem Wiesengrund: da laben
An eines Baches Rand vier Ritter sich,
Zwei waffenlos, und zwei, die Helme haben;
Ein Fräulein auch, gar schön und minniglich.
Wer jene sind, die sich dorthin begaben,
Sag' ich Euch später noch; jetzt wend ich mich
Zu Roger, der – Ihr werdet Euch besinnen –
Den Schild fortwarf: im Brunnen liegt er drinnen.
5.
Er war vom Brunnen fern noch keine Meile,
Da kam ein Bot' in Hast dahergerannt,
Von denen einer, die mit großer Eile
Der Sohn Trojans durchs Frankenland entsandt.
Er kündet, wie Herr Karl seit einer Weile
Das Mohrenvolk bedrängt mit starker Hand;
Wolle der Retter sich nicht bald erheben,
Müss' er die Ehre lassen und das Leben.
6.
Viele Gedanken Rogers Sinn durchzogen –
Zusammen stürmt auf ihn die ganze Schar;
Doch was das Beste sei, recht wohlerwogen
Das auszudenken, bot nicht Zeit sich dar.
Er ließ den Boten, kam den Weg geflogen,
Auf dem als Führerin die Dame war;
Und immer wieder trieb er sie, zu eilen,
Und gab ihr keine Zeit, um zu verweilen.
7.
Als sich die Sonne dann beginnt zu neigen,
Ist er – dem Weg nach – einem Schloß genaht,
In Frankreichs Herzen, dem Marsilius eigen;
Er nahm es Karl in diesem Krieg gerad.
An Brück' und Pforte will sich niemand zeigen,
Und keiner schließt und keiner sperrt den Pfad;
Und dennoch machen sich viel Leut' in Waffen
Am Gitter und am Graben dort zu schaffen.
[308] 8.
Das Fräulein war gekannt von ihnen allen:
Man ließ, als sie mit Roger kam herbei,
Auch den Begleiter schweigend sich gefallen
Und fragte nicht, woher und wer er sei.
Er kommt zum Platz und sieht ein Feuer wallen,
Voll ist der Ort von Kerlen allerlei;
Und der verurteilt ist, steht unter ihnen,
Ein Jüngling zart mit leichenblassen Mienen.
9.
Als nun sein Blick sich auf das Antlitz wandte,
Das er gesenkt hielt, weinend, auf den Grund,
War ihm, er sähe – deutlich – Bradamante!
Noch stärker gab die Ähnlichkeit sich kund,
Je mehr er forschend nun die Augen sandte
Auf Mien' und Haltung, Blick und Wang' und Mund:
»Sie ist es,« sprach er, »ist nicht zu verkennen,
Oder ich bin nicht Roger mehr zu nennen.
10.
Sie führte kühner Mut wohl zu dem Knaben,
Den sie allein zu schützen hat gemeint.
Nun mochte sie beim Handel Unglück haben
Und wurde dann gefangen, wie es scheint.
Was mußte sie hierher so eilig traben?
Konnt' ich das Werk nicht tun mit ihr vereint?
Doch dank' ich Gott: er wollte mich geleiten,
Daß ich noch helfen kann zu rechten Zeiten.«
11.
So nahm er, ohne sonst sich aufzuhalten,
Das Schwert (sein Speer beim andern Schloß zersprang),
Sprengt auf die Waffenlosen, hier die Brust zu spalten,
Wonach auf Seit' und Bauch der Huf erklang.
Der Degen kreist, schlitzt dem die Stirnesfalten
Und diesem Mann die Kehl' und dem die Wang'.
Der Pöbel flieht, und mancher liegt erstochen
Oder verstümmelt, Glied und Kopf gebrochen.
[309] 12.
So wie beim Vogelschwarm, der sich am Teiche
In Sicherheit auf seiner Weid' erbaut –
Wenn plötzlich unter ihn vom Wolkenreiche
Ein Falk' stößt, einen packt und hackt und haut –
Nur jeder einzle sucht, wie er entweiche,
Und nicht dabei auf den Genossen schaut –
So flohen diese mit verstörten Mienen,
Als Roger derart hauste unter ihnen.
13.
Vier, sechsen kam geschwind der Kopf abhanden,
Weil sie der Fuß zu langsam weiter trug;
Gleichviele sich zur Brust gespalten fanden,
Zu Aug' und Zähnen andere genug.
's ist wahr, daß ihm nicht Helme widerstanden,
Derweil er manchen Eisenhut durchschlug;
Doch ließe sich ein feiner Helm hier schauen,
Genau so würde Roger ihn durchhauen.
14.
In keinem unsrer heut'gen Ritter wären
Kräfte zu finden wie in Rogers Faust,
In keinem wilden Tier, nicht Löwen, Bären,
Und schlimmerm, ob es hier, ob auswärts haust;
Im Erdgebebe mag es also gären
Und in dem »großen Teufel«, wenn er braust,
Der meines Herrn (nicht der vom Höllengrunde);
Dröhnt er, so dröhnt die Welt in weiter Runde.
15.
Bei jedem einzelnen von seinen Schlägen
Fiel einer nieder, meist jedoch ein paar;
Vier, fünf sind öfters einem Hieb erlegen,
Daß er in kurzer Zeit bei hundert war.
Von ihm gezückt, schnitt stets der gute Degen
Durch harten Stahl, als wär' es Milch fürwahr.
Von Falerina war das Schwert geschaffen,
Roland, den Paladin, dahinzuraffen.
[310] 16.
Im Garten von Organa; sie bereute
Das sehr, als drauf ihr Garten ward verheert.
Welch Schlachten, welch Gemetzel bringt nun heute,
Von solchen Kriegers Hand geführt, dies Schwert!
Wenn seine wilde Kraft je Roger freute,
Wenn je zutage trat sein hoher Wert,
War's hier: er glaubte, daß er an der Stätte
Hier die Geliebte jetzt zu retten hätte.
17.
Wie vor den Hunden flink die Hasen rennen,
So zeigen sich die Leute gegen ihn:
Die starben, sind recht zahlreich schon zu nennen,
Unzählig jene, die von dannen fliehn.
Das Fräulein geht, die Stricke aufzutrennen,
Die sich um des Gefangnen Hände ziehn,
Und ihm die Waffenrüstung zu bereiten:
Den Schild, das Schwert und was man braucht zum Streiten.
18.
Empört ob allem, das er hat ertragen,
Will er gerächt an diesem Volke sein:
Mit solcher Wucht beginnt er dreinzuschlagen –
Schon dadurch ist sein Kriegerruhm nicht klein.
Die goldnen Räder an dem Sonnenwagen
Tauchten ins Meer des Westens schon hinein,
Da Roger und sein junger Kampfgenosse
Als Sieger gingen aus dem Ritterschlosse.
19.
Als nun der Jüngling draußen vor der Pforte
In Sicherheit mit Roger sich befand,
Dankt' er dem Retter sehr mit warmem Worte
Und edlem Wesen, Anmut und Verstand,
Daß er, sich selbst gefährdend, nach dem Porte
Gebracht ihn habe, der ihm unbekannt,
Und bat, daß er ihm seinen Namen gönne,
Damit er wisse, wem er danken könne.
[311] 20.
»Ich seh' die holden Züge mir sich neigen,«
Sprach Roger, »die Gestalt, das Angesicht;
Doch hör' ich nicht den Wohllaut, der da eigen
Der Stimme Bradamantes, wenn sie spricht.
Auch würde sie mir andre Huld erzeigen:
So dankt sie dem getreuen Liebsten nicht.
Ist aber wirklich Bradamant zur Stelle,
Vergißt sie meinen Namen alsoschnelle?«
21.
Vorsichtig, um Gewißheit zu gewinnen,
Sprach er darauf: »Ich hab' Euch schon gesehn
Und denk' und müh' mich ab im Kopfe drinnen
Und finde nicht heraus, wo das geschehn:
Sagt Ihr mir's doch, könnt Ihr Euch drauf besinnen,
Und nennt Euch, bitte, daß ich wisse, wen
Die Feuersgluten bald verschlungen hätten
Und wen es mir vergönnt war heut zu retten!«
22.
»Ob Ihr mich saht? – Es wäre möglich (sagen
Könnt' ich Euch freilich nicht das Wann und Wo;
Weit durch die Welt hat mich der Fuß getragen,
Bin hier und da der Abenteuer froh) –
Wenn's nicht die Schwester war: denn hinzujagen
In Waffenrüstung pflegt sie ebenso.
Als Zwilling' ähnlich, sind wir nicht zu trennen,
Von der Familie selbst nicht zu erkennen.
23.
Ihr irrt nicht als der erste oder dritte,
Denn die Verwechslung ist schon nicht mehr rar:
Sind wir beisammen in der Leute Mitte,
Nimmt keinen Unterschied der Vater wahr.
Nun trag' ich freilich kurz nach Männersitte
Und wild zerstreut, wie alle sonst, das Haar;
Sie trug es lang und um den Kopf gewunden
Und wurde früher so herausgefunden;
[312] 24.
Doch wurde sie verletzt von Schwertesstreichen
Am Kopf (was hier ich nicht erzählen kann),
Da mußten ihre langen Haare weichen –
Die schnitt ihr damals ab ein heil'ger Mann –,
Nun gibt's für uns kein Unterscheidungszeichen,
Als was Geschlecht und Namen kündet an.
Rinald ist unser Bruder, und man nannte
Mich Richardet, die Schwester Bradamante.
25.
Wollt Ihr mich etwas jetzt erzählen lassen,
So kund' ich Euch, wie ich vor einer Zeit
Der Ähnlichkeit verstand mich anzupassen
Und Lust genoß und später großes Leid.«
Kein schöner Lied, meint Roger, sei zu fassen
Und Märe nicht von größrer Süßigkeit
Als, die von ihr spricht, dringt in ihn mit Flehen,
Und also läßt er den Bericht ergehen:
26.
»Es traf sich, als im Wald in diesen Tagen
Die Schwester ging, von einer Mohrenschar
Ward unversehns ein Schwerthieb ihr geschlagen,
Da sie gerad ohn' ihren Helmschutz war.
Sie mußte nun gestutzt die Haare tragen –
Denn von der Wunde drohte sonst Gefahr,
Die oben auf den Kopf ihr ward gehauen –
Und ließ das kurze Haar im Walde schauen.
27.
Sie ritt dahin und kam zu einer Quelle,
Und weil sie sich zerschlagen fühlt' und matt,
So stieg sie, helmlos, ab an dieser Stelle
Und nahm das zarte Gras zur Ruhestatt.
Ich glaub', ein Märchenbuch auf alle Fälle
Kein Abenteuer schön wie dieses hat.
Die span'sche Flordespina kam geschritten,
Die jagen ging in jenes Waldes Mitten.
[313] 28.
Als sie das Mädchen sieht von Stahl umschlossen
Und ganz in Waffen, nur das Antlitz nicht,
Glaubt sie zu sehen einen Rittersprossen,
Denn statt der Kunkel glänzt ein Degen licht.
Regungen süß sich in ihr Herz ergossen:
So schön ist Haltung ja und Angesicht.
Sie lädt zur Jagd sie ein, und dann im Schatten
Verbirgt sie sich mit ihr auf grünen Matten.
29.
Wie der Entdeckung Sorge nun geschwunden
Und sie mit ihr allein am stillen Ort,
Enthüllt sie nach und nach des Busens Wunden,
Des pfeilgetroffnen, durch Gebärd' und Wort.
Dem Herzen haben Seufzer sich entwunden,
Die Wünsche kündend, die sich bergen dort.
Erbleichen und Erglühn davon erzählen,
Und einen Kuß wagt sie zuletzt zu stehlen.
30.
Nun hatte meine Schwester wohl gesehen,
Welcher Verblendung jene sich geweiht.
Und konnt' ihr helfend nicht zu Diensten stehen
Und war gewaltig in Verlegenheit.
Sie sprach zu sich: ich laß den Wahn vergehen,
Den dummen, drin befangen ist die Maid,
Will mich ein edles Weib zu sein befleißen
Viel lieber, als ein schlechter Mann zu heißen.
31.
Ganz richtig, traun! Dem wäre Feigheit eigen,
Und einem Manne stünd' es an von Lehm:
Will sich in Huld ein schönes Kind ihm neigen,
Voll Nektarsäften süß und angenehm –
Bei ihr dann nur als Schwätzer sich zu zeigen
Mit mattem Flügelschlag bei alledem!
Geschickt und klug spann sie der Rede Fädchen
Und sagt' ihr ganz zuletzt, sie sei ein Mädchen
[314] 32.
Und komm' aus Mohrenland, um zu erraffen
Ruhm, wie Camilla und Hippolyta,
Geübt am Meer von Jugend auf in Waffen
Dort in der Stadt Arzill in Afrika.
Doch all dies wollte Lindrung nicht verschaffen
Den Gluten des verliebten Mädchens da.
Zu spät kam dieses Mittel eine Weile,
Denn gar zu tief schon steckten Amors Pfeile.
33.
Nicht minder glommen hold der Augen Gluten,
Nicht minder hold war Art und Angesicht,
Das Herz im Busen schien ihr zu verbluten,
Das innen barg geliebter Strahlen Licht.
Schaut sie das Kleid, dann nahe däucht der Guten
Lindrung der Qual, die fast das Herz ihr bricht.
Will der Gedanke sich damit vereinen,
Daß dies ein Weib ist, muß sie schmerzlich weinen.
34.
Wer Zeuge dieser Tränen wär' und Klagen,
Er stimmte weinend in den Jammer ein.
›Könnt' eine Qual,‹ hört Bradamant sie sagen,
›Die schlimmste Qual, grausam wie meine sein!
Voll Hoffnung würd' ich jede Liebe tragen,
Bös oder gut, daß einst Erlösung mein;
Die Rose könnt' ich von den Dornen pflücken,
Doch hier wird nie Erfüllung mich beglücken.
35.
Mißfiel dir, Amor, so mein Glück hienieden?
Wenn du mir schaffen wolltest Leid und Qual,
Was gabst du nicht mit Schmerzen dich zufrieden,
Wie Liebende sie fühlten allzumal?
Liebe von Frau zu Frau ward nie beschieden,
Sei's Menschen, sei's Getier in Berg und Tal.
Kein Weib wird andern Weibern schön erscheinen,
Nie Hindin mit der Hindin sich vereinen.
[315] 36.
In Luft und Erd' und Meer ward nie gefunden
So grimmes Weh, wie das durch dich mich fand,
Damit an meinem Unglück werd' empfunden
Die höchste Macht von deiner starken Hand.
Du schlugst des Ninus Weib verruchte Wunden,
Die für den eignen Sohn ja war entbrannt,
Der Kretrin Herz ward auf den Stier gewendet,
Jedoch die tollste Gier ward mir gesendet.
37.
Das Weib trieb dort zum Manne das Verlangen,
Sie strebte nach dem Ziel, bis sie's gewann;
Sie wußte in die Holzkuh zu gelangen;
Und andre Frauen fangen's anders an.
Doch käm' durch Lüfte Dädalus gegangen,
Kein Mensch mir diesen Knoten lösen kann;
Ihn hat Natur, die Meistrin, ja gewunden,
Die stets wird als die mächtigste befunden.‹
38.
So härmt nun und verzehrt sich sonder Ende
Das schöne Mägdelein und faßt sich nicht,
Schlägt sich und rauft das Haar und ringt die Hände,
Sich an sich selbst zu rächen nur erpicht.
Aus Mitleid weint, als ob sie Schmerz empfände,
Mit ihr die Schwester, tröstet mild und spricht
Und zeigt den Wahn, die Torheit ihres Strebens,
Doch ohne Frucht: sie drängt und mahnt vergebens.
39.
In ihr, die Hilfe sucht, nicht gute Lehren,
Nur immer stärker Schmerz und Klag' erwacht.
Der Tag will längres Säumen jetzt verwehren,
Im Westen rötlich sinkt der Sonne Pracht.
Die Stunde mahnt, zum Hafen heimzukehren,
Wer nicht im Wald verbringen will die Nacht,
Drum ward vom Fräulein Bradamant gebeten,
Mit ihr ins nahe Landhaus einzutreten.
[316] 40.
Sie konnt' es nicht wohl weigern, mitzugehen,
Und also kamen beide nach dem Ort,
Wo ich im Feuer würde jetzt vergehen,
Erschienest du nicht als mein Retter dort.
Und Bradamant bekam im Schloß zu sehen
Viel Artigkeit auf Flordespinas Wort;
Die ließ sie nun in Frauenkleider stecken,
Daß ihr Geschlecht ein jeder konnt' entdecken.
41.
Denn sie erwog, weil niemand gut gefahren –
Das sei erwiesen – mit der Mannestracht,
So wolle sie vorm Anlaß sich bewahren,
Daß ihr ein Vorwurf werde draus gemacht.
Und gab es bei dem einen Kleid Gefahren,
Daß sie dabei sich Irriges gedacht,
Solle das richt'ge Kleid ihr hilfreich bleiben,
Um aus dem Kopf den Wahn herauszutreiben.
42.
In einem Bett zur Nacht die beiden ruhten,
Jedoch verschieden war die Ruhe sehr:
Die eine schläft, die andre jagt in Gluten
Der Seufzer heiße Lust nur immer mehr.
Und schließt ein Schlaf das Aug' der Hochgemuten,
So ist der kurze Schlaf von Träumen schwer;
Verwandelt ruht dann neben ihr der echte
Genoß, und zwar von besserem Geschlechte.
43.
Der Kranke sieht, vom Durst in Bann geschlagen –
Schlief er mit gierigem Gelüste ein –,
In schlechter Ruhe Wasserfluten jagen,
So viel ihm einst vor Augen mochten sein.
So glaubt nun diese Lindrung ihrer Plagen
Zu sehn im Trugbild ihrer Träumerein.
Sie fährt empor, die Hand will Wahrheit finden –
Da fühlt sie nur den falschen Traum entschwinden.
[317] 44.
Wie suchte sie durch Bitten zu erweichen
Den Mohammed, die Götter in der Nacht,
Daß jene doch, mit klaren, rechten Zeichen,
Mit besserem Geschlechte sei bedacht!
Doch all ihr Flehen wollte nichts erreichen,
Vielleicht ward sie vom Himmel ausgelacht.
Die Nacht verging, Phöbus der blonde, hehre
Stieg, Licht der Welt zu bringen, aus dem Meere.
45.
Vom Bett erhoben sich recht früh die beiden,
Und Flordespinas Klagelied begann
Von neuem, denn das Wirrsal zu vermeiden,
Trat Bradamant nunmehr den Heimweg an.
Ein herrlich spanisch Roß gab ihr beim Scheiden,
Mit Gold verziert, das liebe Mädchen dann,
Zusammen mit gar schönem Oberkleide,
Von ihrer Hand gestickt mit feiner Seide.
46.
Sie hat die Schwester noch ein Stück geleitet,
Dann kehrt sie weinend um in Liebesqual,
Indessen Bradamant geschwinde reitet;
Sie ist in Montalban beim Abendstrahl.
Froher Empfang wird ihr durch uns bereitet,
Die Brüder und die Mutter allzumal.
Uns bangte, weil wir nichts von ihr gesehen,
Es sei vielleicht ein Unglück gar geschehen.
47.
Wir sahen, als den Helm sie niederlegte,
Mit Staunen kurz das sonst gewundne Haar;
Verwundrung auch das neue Kleid erregte,
Das fremde, das an ihrem Leibe war.
Der Reihe nach erzählte sie und legte
Was ich Euch eben mitgeteilt, uns dar:
Wie ihr im Wald die Wunde ward zuteile
Und sie das Haar abschnitt, damit sie heile;
[318] 48.
Wie sie am Bach sich ließ vom Schlaf umfangen
Und wie dazu die schöne Jägrin kam,
Die dann des Truges Netze gleich umschlangen,
Daß sie zur Einsamkeit sie mit sich nahm;
Und wie der Schönen Klagen drauf erklangen
Und Mitleid weckte alsogroßer Gram;
Wie beide miteinand der Ruhe pflagen,
Und was sich bis zur Rückkehr zugetragen.
49.
Das schöne Kind war mir nicht fremd geblieben,
In Frankreich sah ich sie und Saragoß,
Und Aug' und Wang' gefielen meinen Trieben,
Wenn ich den Wunsch auch tief in mir verschloß:
Torheit und Wahn ist's, ohne Hoffnung lieben,
Und aussichtsloses Schmachten mich verdroß,
Allein da jetzt das Glück mir scheint zu lachen,
Die alten Flammen plötzlich neu erwachen.
50.
Aus dieser Glut schuf Amor sich die Schlingen,
Die er aus andrem Stoff wob immer mehr:
Er zeigt den Weg, Ersehntes zu vollbringen;
Die Schöne leiht vielleicht dem Wunsch Gewähr.
Und wohl, so scheint es, darf die List gelingen:
Es täuschte ja schon viele andre sehr
Die Ähnlichkeit mit meiner Schwester Zügen;
Sie wird vielleicht das Fräulein auch betrügen.
51.
Soll ich nun? – Soll ich nicht? – Mir scheint, die Taten,
Die uns erfreun, gehn auf der rechten Bahn:
Ich lasse mir von keinem Menschen raten,
Und keinem Menschen künd' ich meinen Plan.
Ich ging, als nun die Morgenstunden nahten,
Und legte meiner Schwester Waffen an,
Besteig' ihr Roß und mach' mich auf die Beine,
Ohne zu merken, daß der Tag erscheine.
[319] 52.
Ich geh' im Dunkel – Amor will mich leiten –,
Um bei dem schönen Fürstenkind zu sein,
Und bin dort angelangt: – gerade gleiten
Der Sonne Strahlen in das Meer hinein. –
Heil ihm, wer, diese Nachricht zu verbreiten,
Der Erste wird bei seiner Herrin sein,
Erfüllt von Hoffnung, für die gute Kunde
Lohn zu empfahn und Lob aus ihrem Munde!
53.
Sie nahmen alle mich für Bradamante,
Wie du, getäuscht, es selber hast getan,
Zumal man ja das Pferd, das Kleid erkannte,
Das tags zuvor sie an der Schwester sahn.
Und heitre Blicke zum Willkommen sandte
Die Herrin, um dann zärtlich mir zu nahn,
Lieblich und froh –: die Sonnenstrahlen schienen
Im Erdenrund nicht auf beglücktre Mienen.
54.
Der schöne Arm umschlingt mich alldieweile
Und drückt mich hold; dann küßt sie mir den Mund.
Du magst dir denken, wie von Amors Pfeile
Die Spitze mir im tiefsten Herzen stund,
Und hin zur Kammer führt sie mich in Eile,
Und keinen andern Händen wird's vergunnt,
Den Helm mir abzuziehn und Wehr und Sporen:
Sie hat sich selbst zu diesem Dienst erkoren.
55.
Sie ließ ein Kleid, geschmückt und reich, sich bringen,
Entfaltet's selber hübsch und reicht mir's dar,
Putzt mich heraus mit lauter Frauendingen
Und bindet in ein goldnes Netz mein Haar.
Am Boden sittsam meine Augen hingen,
Auch in Gebärden nahm ein Weib man wahr,
Die Stimme, die Verdacht wohl möchte wecken,
Verstell' ich – und kein Mensch kann mich entdecken.
[320] 56.
Wir gingen, bis zu einem Saal wir kamen,
Darin sich eine Höflingsschar befand;
Die ehrten mich, wie man die höchsten Damen
Und eine Fürstin ehrt in ihrem Land.
Ich lachte, weil aufs Korn mich manche nahmen:
Sie ahnten nicht, was unter dem Gewand
Stark war und rüstig, sich für sie nicht schickend,
Und schmachteten mich an, begehrlich blickend.
57.
Als weiter nun der Abend vorgeschritten
Und aufgehoben schon die Tafel stund,
Drauf sich die besten Leckerspeisen stritten,
Der Jahreszeit gemäß, gar reich und bunt,
Erwartet nicht die Dame meine Bitten,
Das zu gewähren, was der Reise Grund:
Nein, sie beginnt von selbst, aus eignen Gnaden,
Mich in ihr Bett für diese Nacht zu laden.
58.
Nachdem die Fraun und Fräulein all verschwanden,
Pagen und Kammerherrn, und wir schon drin
Im Bette, ausgekleidet, uns befanden
– Aus Fackeln strömte Tageslicht dahin –,
Sagt' ich: ›Zu staunen ist kein Grund vorhanden,
Herrin, daß ich zurückgekommen bin.‹
Ihr saht mich freilich kaum von dannen gehen
Und dachtet, mich erst, Gott weiß, wann, zu sehen.
59.
Ich meld' Euch erst, warum ich fortgegangen,
Und dann den Grund von meiner Wiederkehr.
Konnt' ich Euch kühlen, Herrin, Glut und Bangen,
Wie gern ich dann bei Euch geblieben wär'. –
O, stets bei Euch zu sein, würd' ich verlangen,
Und vor dem Tode schied' ich nimmermehr.
Doch weil ich sah, daß ich Euch Schaden brachte
Durch Bleiben, kam's, daß ich zu fliehn gedachte.
[321] 60.
Durch einen Wald, wo sich zum Dickicht ballen
Verschlungne Zweige, meine Straße geht.
Da hör' ich einen Ruf ganz nah erschallen,
Wie eines Weibes, das um Hilfe fleht.
Ich eil' hinzu: in Faunes Netz gefallen
Ist, wo ein See mit klaren Wellen steht,
Ein nacktes Mägdlein mitten in den Fluten,
Und Mahlzeit halten will er an der Guten.
61.
Ich kam dahin, mit meinem Schwert in Händen,
Denn anders konnt' ich sie ja nicht befrein,
Und ließ des argen Fischers Leben enden;
Sie aber sprang gleich in die Flut hinein
Und sprach: ›Das soll sich dir zum Guten wenden,
Und was du wünschst, es soll erfüllt dir sein,
Wie hoch sich dein Verlangen auch erhebe,
Weil ich ja Nixe bin, im Wasser lebe.
62.
Ich habe Macht, zu tun gewalt'ge Sachen,
Und zwinge dir Natur und Element.
Verlange nur, laß meine Kraft erwachen,
Und frage nicht, wie weit sie Grenzen kennt!
Willst du den Mond? Soll Luft ich fest dir machen?
In Eis verwandeln Glut, die lodernd brennt?
Die Erde haben meines Worts Gewalten
Bewegt und schon die Sonne festgehalten.‹
63.
Ich bat nun nicht, mir Schätze zu bescheren,
Nicht Herrschaft wünscht' ich über Volk und Land,
Nicht Macht und Kraft, um stärker mich zu wehren;
Siegreich zu sein gen jeden Widerstand,
Nur Eures Wunschs Erfüllung zu gewähren,
Das Mittel möge spenden ihre Hand.
Es trieb mich nicht, dies oder das zu haben:
Nach Gutbefinden wähle sie die Gaben.
[322] 64.
Kaum hab' ich meine Bitte so geendet,
So taucht sie wieder unter in dem Teich;
Kein Wort der Rede wird an mich verschwendet,
Nur Wasser spritzt sie her aus ihrem Reich.
Sobald sie diesen Strahl mir hat gesendet,
Bin ich – nicht weiß ich, wie – verwandelt gleich.
Kaum glaub' ich's, doch ich seh's, ich fühl's am Leibe,
Ich wandle mich zum Mann aus einem Weibe.
65.
Ihr würdet mir wohl keinen Glauben schenken,
Wär' der Beweis nicht alsobald erbracht.
Nur Euch zu dienen, werd' ich fürder denken,
Wie ich's im anderen Geschlecht gedacht,
Nach Eurem Sinn den Willen stets zu lenken.
Befehlt nur: er ist frisch und auf der Wacht!
Ich sag's und führ' die Hand dem lieben Kinde,
Damit es selbst die volle Wahrheit finde.
66.
Wie dem es geht, der schon hat aufgegeben
Die Hoffnung auf ein lang ersehntes Ding:
In Leid und Wut zermartert er sein Leben,
Je mehr ihm fehlt, woran das Herz ihm hing –
Und wird es ihm miteinemmal gegeben,
Mag Schmerz, mit dem im Sand er säend ging,
Und die Verzweiflung wohl den Sinn ihm rauben:
Er steht verwirrt und kann sich selbst nicht glauben. –
67.
So steht sie, die doch fassen kann und schauen,
Worauf ihr ganzer Wunsch gerichtet war:
Sie wagt nicht, auf Gefühl und Blick zu bauen,
Und stellt sich wie erstarrt und träumend dar;
Und guter Proben braucht's, um ihr Vertrauen
Zu geben, daß dies alles wirklich wahr.
›Gott,‹ sprach sie, ›gib, daß nicht mich Träume necken!
Sonst schlaf' ich immer, niemand soll mich wecken.‹
[323] 68.
Und daß wir drauf zum Liebessturme gingen,
Braucht' es nicht Trommeln und Trompetenklang,
Nein, Küsse, wie einand sie Tauben bringen,
Lehrten, ob man zurück, ob vorwärts sprang.
Wir hatten andre Wehr als Pfeil' und Klingen,
Daß ich ins Schlößlein ohne Leiter drang.
Dort pflanz' ich stolz mein Banner auf beim Siege,
Als ich die Feindin glücklich niederkriege.
69.
Wenn in der Nacht zuvor in diesem Bette
Nur Klagen klangen, Seufzer, Weh und Ach,
So war es jetzt des höchsten Jubels Stätte,
Und Scherz und Spiel und Lachen wurde wach,
Wo kein Akanth so fest geschlungen hätte
Die Knoten um Gebälk und Säul' und Dach,
Wie wir uns hielten Hals und Brust umwunden
Und Hüft' und Bein und Arm in jenen Stunden.
70.
Still und verschwiegen blieben wir verbunden.
So währte mondelang die frohe Zeit;
Dann ward die Sache doch herausgefunden,
Und vor den König kam's zu meinem Leid.
Nachdem Ihr mich den Flammen habt entwunden,
Die auf dem Platze schon für mich bereit,
So wird der Rest von Euch bereits verstanden;
Doch ich, Gott weiß es, lieg' in Kummers Banden.«
71.
So sprach zu Roger Richardet beim Reiten
(Wobei des nächt'gen Weges Mühe schwand)
Den Berg hinauf; steil war es an den Seiten:
Senkrecht hinab ging da die Felsenwand.
Ein enger Pfad, wo Stein an Stein sich reihten,
War Schlüssel, der am Wegtor sich befand.
Burg Agrismont lag auf der höchsten Zinne:
Die hatte Aldiger von Clermont inne,
[324] 72.
Als Bastardsohn des Bov emporgeschossen,
Ein Bruder von Vivian und Malegis.
Wer ihn da nennt als Gerhards echten Sprossen,
Der irrt und schafft der Wahrheit Hindernis.
Man fand ihn stets als wackern Kampfgenossen,
Kühn, klug, der feiner Sitten sich befliß.
Bei Tag und Nacht hielt er mit treuem Sorgen
Durch Wachen seines Bruders Schloß geborgen.
73.
Den Vetter Richardet begrüßt der Degen
Mit Freundlichkeit, wie das natürlich war.
(Die beiden lieben sich, wie Brüder pflegen),
Und bringt dann Roger auch Willkommen dar.
Jedoch nicht froh tritt er dem Paar entgegen,
Wie er's gewohnt, nein, aller Freude bar,
Weil man gerad ihm eine Nachricht brachte,
Die ihm das Herz und Antlitz traurig machte.
74.
Er sprach zu Richardet beim Gruß beklommen:
»Mein lieber Bruder, Gutes meld' ich nicht;
Durch sichre Boten hab' ich heut vernommen:
Der Bertolas, der arge Bösewicht
Dort von Bayonne, ist übereingekommen
Mit der Lanfusa, der er Raub verspricht;
Sie läßt dafür die Brüder ihm in Händen
Und will Vivian und Malegis ihm senden.
75.
Seit Ferragu die beiden nahm gefangen,
Hält sie das Paar in schnöder Kerkernacht,
Bis der Vertrag nun soll zur Tat gelangen,
Der schändliche, den ich dir kundgemacht.
Der Mainzer soll sie morgen früh empfangen.
Gegen Bayonne hin werden sie gebracht.
Er kommt, den Preis fürs beste Blut zu geben
Von allen Wackern, die in Frankreich leben.
[325] 76.
Hin zu Rinald ließ ich die Nachricht tragen,
Im Sturme fliegt ein Bote querfeldein;
Doch wird er ihn zur Zeit wohl kaum erjagen:
Der Weg ist lang, zu spät schon mag es sein.
Mir fehlen Leute, mich hinauszuwagen;
Der Geist ist willig, doch die Kraft ist klein.
Hat sie der Schuft, so wird er sie erschlagen.
Ich weiß nicht, was zu tun ist, was zu sagen.«
77.
Gar schwer trifft Richardet die neue Kunde,
Und weil sie ihn trifft, trifft sie Roger schwer.
Als er sie stehen sieht mit stummem Munde
(Und beider Sinnen – scheint es – nützt nicht sehr),
Spricht er voll Mut: »O seid getrost! Zur Stunde
Gebt nur an mich den ganzen Handel her.
Statt tausend Schwerter gilt mir dieser Degen:
Ich führ' euch eure Brüder frei entgegen.
78.
Ich möchte nicht, daß andre mit mir kämen:
Ich trau' mir zu, daß ich genügend sei;
Ein Führer nur soll an den Ort mich nehmen,
Der ausersehn ist für die Tauscherei.
Ihr sollt am Schreien bis hierher vernehmen,
Wer für den schnöden Handel dort dabei!«
Er sprach's, und was er sagte, will dem einen,
Der keine Schläge sah, gewagt erscheinen,
79.
Wie einem, der viel spricht, nichts zu vollbringen,
Meist nur ein halbes Ohr der Hörer leiht.
Doch leis erzählt der Freund von Wunderdingen,
Wie er vom Feuer ward durch ihn befreit;
Und sicher werd' ihm Größres noch gelingen,
Als er versprach, wenn Ort sich biet' und Zeit.
Aufmerksamkeit muß der ihm nun gewähren
Und immer mehr ihn achten und verehren.
[326] 80.
Bei Tafel, wo des Füllhorns Ströme flossen,
Ward Roger wie ein Lehensherr geehrt.
Dort – ohne weitre Hilfe – wird beschlossen,
Die Brüder zu befreien mit dem Schwert.
Als sich zum trägen Schlaf die Augen schlossen
Der Herren wie der Mannen stahlbewehrt,
Wird Roger, weil in seines Herzens Falten
Ein Denken ihn beschwert, noch wach erhalten.
81.
Über die Nachricht muß er immer sinnen,
Daß in Bedrängnis König Agramant.
Er sieht: läßt er die kleinste Zeit verrinnen,
Eh er ihm hilft, wird es Verrat genannt.
Geht er mit Feinden seines Herrn von hinnen,
Wie wird ihn Schmach verfolgen dann und Schand'!
Und ließ' er hinterher sich gar noch taufen,
So müßt' er's mit der Feigheit Schimpf erkaufen.
82.
Man könnte wohl zu andern Zeiten meinen,
Daß wahrer Glaubenseifer ihm gebot,
Doch jetzt, da Agramant bedarf der Seinen,
Sich zu befrein aus der Belagrung Not,
Da wird es jedem eher Kleinmut scheinen
Und Feigheit, weil Gefahr im Felde droht,
Als irgendeine Sorg' um Glaubensfragen:
Das mußte schwer an Rogers Herzen nagen.
83.
Ohn' Abschied soll er fort – auf fremden Wegen –
Von seiner Königin – wie quält es ihn!
Da wechselvoll sich die Gedanken regen
Und ihn bald hierhin und bald dorthin ziehn!
Schon lang nicht mehr kann er die Hoffnung hegen,
Er finde sie im Schloß der Flordespin,
Wo sie zusammen ja – Ihr habt's vernommen –
Dem Richardet zu Hilfe wollten kommen.
[327] 84.
Auch sollt' er sich nach Vallombrosa wenden,
Um sie zu treffen, fällt darauf ihm ein.
Wenn sie nun käm', und ihre Augen fänden
Ihn nicht – ihr Staunen drüber wär' nicht klein.
Könnt' er nur einen Boten, Briefe senden,
Um sie von Sorg' und Klage zu befrein,
Daß er, obwohl ja durch sein Wort gebunden,
Ohn' allen Abschied auf einmal verschwunden!
85.
Und er beschloß nach vielem Überlegen,
Ihr doch zu schreiben, was geschehen war;
Zwar, wie der Brief in ihre Hand zu legen
Durch sichern Boten sei, war wenig klar;
Doch unterlassen wollt' er's nicht deswegen:
Es biete wohl ein Bote noch sich dar!
Nicht säumt er länger, aus dem Bett zu springen,
Und läßt sich Licht und Tint' und Feder bringen.
86.
Die klugen, aufmerksamen Diener eilen
Und bringen Roger her, was er begehrt.
Er schreibt, schickt Grüße in den ersten Zeilen,
Wie man gewöhnlich ja beim Brief verfährt,
Um ihr darauf die Nachricht mitzuteilen
Vom König: der verlange Rogers Schwert;
Und könnt' er nicht geschwind zu ihm gelangen,
Erschlagen werde jener, sei's gefangen.
87.
Dann heißt es: weil der Herr an ihn sich wende,
Um sich mit seiner Hilfe zu befrein,
Wär' eine Weigerung Schimpf ohne Ende
Für ihn gewiß, das sähe sie wohl ein;
Zu sorgen hab' er, daß kein Fleck sich fände
An ihm, der doch ihr Gatte solle sein.
Denn nicht geziem' es ihr, der Hohen, Reinen,
Mit etwas Häßlichem sich zu vereinen.
[328] 88.
Und hab' er je gestrebt, Ruhm zu erlangen
Und Namen hell durch Taten mancherlei,
Und sei er jemals darauf ausgegangen,
Zu wahren schon gewonnenen dabei,
So tu' er's jetzt mit brennendem Verlangen,
Da ja von ihr geteilt sein Name sei,
Die als sein Weib sich ganz mit ihm vermähle:
Zwei Körper und in ihnen eine Seele.
89.
Auch möcht' er die Versicherung ihr geben,
Erneuend, den er mündlich schwur, den Eid:
Sei er nach jenem Zeitraum noch am Leben,
Da ihn die Pflicht des Königs Dienst geweiht,
Wirklich ein Christ zu werden woll' er streben,
Wie er's zu sein schon immerfort bereit,
Um sie vom Vater in der Seinen Mitten
Und von Rinald als Gattin zu erbitten.
90.
»Ich will den König«, schrieb er, »erst befreien
Von der Belagrung, wenn es Euch gefällt,
Damit der dumme Pöbel nicht mit Schreien
Über mich her mit der Beschuld'gung fällt:
Er stand getreu in Agramantes Reihen,
Solang es gut ging, Tag und Nacht im Feld;
Nun, seit Fortuna will Herrn Karl geleiten,
Wehn seine Fahnen auf des Siegers Seiten.
91.
Um eine Frist von fünfzehn, zwanzig Tagen
Drum bitt' ich Euch, zu zeigen mich am Ort,
Bis das Belagrerheer zurückgeschlagen
Durch mich vom Lagerplatz der Mohren dort.
Inzwischen such' ich Gründe zu erjagen
Gerecht und schicklich auch, zu gehen fort.
Nur dies möcht' ich erbitten meiner Ehre,
Damit mein übrig Leben Euer wäre.«
[329] 92.
So war's, daß Rogers Worte sich ergossen,
Die ich Euch alle nicht berichten kann,
Noch viele andre aus der Feder flossen:
Er füllte bis zum Rand den Bogen an.
Gefaltet und mit Siegeln wohlverschlossen
Im Busen barg er dieses Schreiben dann,
Voll Hoffnung, daß der Herrin es zu bringen
Durch einen Boten mög' am Tag gelingen.
93.
Er schließt den Brief und schließt danach die Lider
Auf seinem Lager: Ruh' wird ihm geschenkt;
Denn Schlaf erscheint und netzt die müden Glieder
Mit seinem Zweig von Letheflut getränkt.
Er ruht, bis daß sich rot und weiß hernieder
Ein Blumennebel auf die Lande senkt
Vom lichten Osten her und rings in Prangen
Aus goldnem Hause kommt der Tag gegangen.
94.
Und als die Vöglein in den grünen Zweigen
Dem jungen Lichte brachten Grüße dar,
Stand Aldiger, der nun den Weg zu zeigen
Roger und seinem Freund beflissen war,
Daß nicht dem wilden Bertolas zu eigen
Werd' ausgeliefert jenes Brüderpaar,
Zuerst auf Füßen; als sie ihn vernahmen,
Auch aus dem Bett die andern beiden kamen.
95.
Wie sie gerüstet stehn im Waffenkleide,
Bricht Roger auf, mit ihnen fortzuziehn,
Nachdem er oft gebeten alle beide,
Der Handel bleibe ganz allein für ihn.
Aus Sehnsucht nach den Brüdern dort im Leide
Und weil es wenig ritterlich erschien,
Bleiben beim »Nein« die Zwei wie Felsen stehen
Und lassen ihn ohn' ihr Geleit nicht gehen.
[330] 96.
Sie brechen auf am Tag, da man erhalten
Für Waren sollte Malegis, den Held.
Frei konnten rings Apollos Strahlen walten
Auf einem offnen, ausgedehnten Feld.
Nicht Myrte kann noch Lorbeer sich entfalten,
Nicht Esch' und Buche hier dem Aug' gefällt,
Nein, schlecht Gestrüpp und Kies nur ist zu schauen;
Kein Mensch denkt da zu hacken und zu bauen.
97.
Die drei beherzten Krieger bleiben stehen,
Wo sich ein Pfad durch diese Wüste gräbt,
Als einen Rittersmann sie kommen sehen,
Ein reicher Schmuck von Gold die Rüstung hebt:
Die Zeichen seines grünen Schilds bestehen
Im Vogel, der ein voll Jahrhundert lebt. –
Nicht weiter, Herr, vergönnt! Ich möchte schließen
Hier den Gesang und Ruhe jetzt genießen.

[331] Sechsundzwanzigster Gesang

1.
In alten Zeiten gab es edle Frauen,
Die Tugend liebten und den Reichtum nicht;
Jetzt solche finden – wer mag sich getrauen?
Nur auf Gewinn ja sind sie heut erpicht.
Die wenigen, die nicht nach Schätzen schauen,
Geiz hassen, ganz auf Güte nur gericht't,
Verdienen die Glückseligkeit hienieden
Und ew'gen Ruhm, wenn sie dahingeschieden.
2.
Ewigen Lobes wert ist Bradamante,
Weil sie, vom Wunsch nach Macht und Schätzen weit,
Nur für den Hochsinn ihres Roger brannte
Und seine edle Art und Trefflichkeit –
Und wert, daß sich zu ihr in Liebe wandte
Ein Ritter, der die Zier war seiner Zeit,
Und ihretwillen manche Tat vollbrachte,
Deren als wunderbar die Nachwelt dachte.
3.
Ich sagt' Euch schon, daß Roger im Vereine
Mit denen aus Clermont gekommen war,
Herrn Aldiger und Richardet ich meine,
Hilfe zu bringen jenem Brüderpaar:
Da bot ein Herr, stolz nach dem Augenscheine,
Sich auf dem Brachfeld ihren Blicken dar;
Den Vogel führt er als sein Wappenzeichen,
Der sich erneut und nie hat seinesgleichen.
[332] 4.
Ihm dünkt, er hat die Schar bereit gefunden
Zu einem Flug mit kräft'gem Flügelschlag.
Da könnte eine Probe gleich erkunden,
Ob hinter wackrem Scheine Wahrheit lag:
»Hätt' einer gerne mit mir angebunden,«
Rief er, »zu sehn, wer mehr von uns vermag,
Im Kampf, sei's mit dem Schwert, sei's mit dem Speere,
So lang, bis einer überwunden wäre?«
5.
Sprach Aldiger: »Zu Diensten würd' ich stehen
Im Lanzenbrechen oder mit dem Schwert,
Jedoch ein Fall – du kannst es selber sehen,
Wenn hier du bleibst – so sehr mir das verwehrt,
Daß er nicht Zeit, jetzt zum Turnier zu gehen,
Kaum die, mit dir zu sprechen, mir gewährt:
Wir warten hier auf wohl sechshundert Leute,
Mit denen wir Geschäfte haben heute.
6.
Zu retten zwei von uns, die sie gefangen,
Führt Mitleid uns hierher und Liebespflicht.«
Und gibt noch mehr von dem, was vorgegangen
Und sie gerüstet herführt, ihm Bericht.
Der Krieger sprach: »Gerecht ist solch Verlangen,
Und was du sagst, ich widerspreche nicht;
Und, traun, das Zeugnis muß ich wohl euch gönnen,
Daß wenige sich euch vergleichen können.
7.
Erproben wollt' ich erst mit ein, zwei Schlägen,
Wie es bestellt wohl sei mit eurem Wert;
Doch brauch' ich kein Turnier, mir kommt's gelegen,
Daß er auf andrer Kosten sich bewährt.
So bin ich denn mit euch, ihr guten Degen,
Mit meinem Helme hier und Schild und Schwert.
Zu zeigen hoff' ich euch in allen Fällen,
Daß ich nicht unwert solcher Kampfgesellen.«
[333] 8.
Nun hörte wohl mancheiner ohne Frage
Den Namen dessen gern, der als ein Held
Sich den drei Rittern in so schwerer Lage
Anbot als Kampfgenoß auf blut'gem Feld:
Sie ist's (und nicht mehr er ich fürder sage),
Marfisa, die Gabrina jüngst gesellt
Zerbin, dem Armen: alle Laster galten
Als gleich willkommen dieser bösen Alten.
9.
Gern ließen von Marfisa sich geleiten
Die drei und nahmen sie in ihre Schar,
Vermutend einen Ritter froh zum Streiten
Und nicht ein Fräulein, wie es wirklich war.
Ein Weilchen drauf nimmt Aldiger vom weiten
– Er zeigt's den andern – eine Fahne wahr:
Die Lüfte lassen sie vergnüglich wehen,
Und hinterdrein ist vieles Volk zu sehen.
10.
Und als sie etwas weiter vorgeschritten
Und besser sahn das Sarazenenkleid,
Erkannten sie die Mohren: in der Mitten,
Gebunden, die zwei Brüder Seit' an Seit',
Geschleppt auf Kleppern, zu den Mainzern ritten,
Dem Umtausch in gemünztes Gold geweiht.
Marfisa spricht: »Was fehlt denn noch zum Feste?
Wohlauf zum Spiel, gekommen sind die Gäste!«
11.
»Erschienen ist ein Teil, jedoch nicht alle«,
Sprach Roger, »viele fehlen noch dabei.
Wir rüsten uns zu einem großen Balle
Und wollen sorgen, daß er festlich sei.
Doch kommen sie nun bald in jedem Falle.«
Er spricht's, als sie von fern schon Reiterei
– Die Mainzer, die Verräter sind's – erblicken;
So mag denn nun der kleine Tanz sich schicken.
[334] 12.
Von dort her kam das Mainzervolk gegangen;
Maultiere führten sie mit Ladung schwer
Von reichen Panzern, Kleidern, Gold und Spangen –
Von dieser Seit', inmitten Schwert und Speer
Und Bogen, die zwei Brüder, trüb, gefangen.
Sie fanden wartend schon das Mainzerheer
Und hörten Bertolas, den Feind, den frechen,
Gottlosen, mit dem Mohrenhauptmann sprechen.
13.
Nicht Haimons Sohn beim Anblick des Gesellen,
Nicht der des Bov das Säumen mehr ertrug:
Wie sie zugleich jetzund die Lanzen fällen!
Sie stürzen auf den falschen Mann im Flug:
Helm und Gesicht sieht man den einen spellen,
Der andre trifft den Bauch und Sattelbug.
Möchten doch alle Bösen so verschwinden
Und einen Lohn genau wie diesen finden!
14.
Nicht wartet, daß zum Kampf geblasen werde,
Marfisas oder Rogers Heldenkraft:
Getötet liegen drei schon auf der Erde,
Eh in der Hand zerbricht der Lanze Schaft.
Vom Leben schied, der angeführt die Herde,
Würdig, daß ihn ein Roger hingerafft.
Vom gleichen Stoß den Tod zwei andre fanden;
Sie gingen hin – vereint – nach dunklen Landen.
15.
Ein Irrtum nun entstand aus diesen Taten
Den zwei Partein, der ihr Verderben war:
Die Mainzer erstens glaubten sich verraten
Und durch die Sarazenen in Gefahr;
Die Mohren anderseits, in Not geraten,
Nannten die Mainzer eine Mörderschar,
Worauf sie sich mit Bogen, Schwertern, Speeren
Zu großem Blutbad gen einander kehren.
[335] 16.
In beide Reihen sieht man Roger springen:
Bald da, bald hier zehn, zwanzig rafft er fort.
Des Fräuleins Hände just so viel vollbringen,
Und ihre Opfer fallen hier und dort.
Wer nur berührt wird von den scharfen Klingen,
Tot aus dem Sattel gleitet er sofort.
Vor solcher Kraft muß Helm wie Harnisch weichen,
Gleich trocknem Holz, wenn Flammen es erreichen.
17.
Ihr wißt vielleicht – sei's, daß Ihr es gesehen,
Sei's, daß man Euch hat den Bericht gebracht –,
Wie aus dem Korb entzweite Bienen gehen,
Und in der Luft entbrennt dann eine Schlacht;
Ein Schwälbchen kommt (es sah den Zwist entstehen)
Und frißt und würgt: – gar viel sind lahm gemacht –
Dann malt Ihr's wohl Euch aus, daß sich auf diese
Art hier verhielten Roger und Marfise.
18.
Nicht also die zwei Vettern: sie verfahren
Ganz anders, wechseln nicht beim Tanz die Reihn;
Beiseite lassen sie die Mohrenscharen
Und achten auf die Mainzer ganz allein.
Die Kräfte Richardets gewaltig waren,
Mit großem Mut und Kühnheit in Verein:
Heut ist der Tag, da Mut und Kraft beim alten
Haß gegen Mainz sich doppelt stark entfalten.
19.
Aus gleichem Grund hat wie die wilden Leuen
Des Bovo Bastard sich im Kampf bewegt,
Der mit dem Schwert die Helme stets vom neuen
Zerspaltet oder wie ein Ei zerschlägt.
Wer würd' auch hier zu streiten sich nicht freuen,
Zu einem zweiten Hektor angeregt,
Mit Roger und Marfisa als Genossen,
Der Blüt' und Krone aller Heldensprossen?
[336] 20.
Derweil Marfisa wütet mit dem Schwerte,
Schaut sie nach den Gefährten oft umher,
Und als sie sah, wie jeder sich bewährte,
Da pries sie, ganz verwundert, alle sehr.
Doch Roger war's, der Wunder ihr bescherte,
Und einzig auf der Erde schien ihr der:
Oft deucht es ihr, es sei, um hier zu kriegen,
Vom fünften Himmel Mars herabgestiegen.
21.
Sie sah des Helden fürchterliche Streiche
Und sah genau: das Ziel erreichten all.
Vor Balisarda schien der Stahl nur weiche
Masse Papier und nicht ein hart Metall.
Durch Helm und Panzer schlug er Leich' auf Leiche,
Hieb bis aufs Pferd noch durch in manchem Fall,
Und streckte gleiche Zahl der Gegner nieder
Auf dieser Seite, dann auf jener wieder.
22.
Er tötete den Reiter samt dem Pferde:
Sie stürzten beide von demselben Schlag.
Die Köpfe flogen schockweis auf die Erde,
Und oft die Brust fern von der Hüfte lag.
Fünf, sechs fällt er zugleich; – aus Furcht, man werde
Mir Glauben weigern, wenn ich Wahrheit sag'
(Ach, Wahrheit hat oft die Gestalt von Lügen!),
Muß ich mich mit der kleinern Zahl begnügen.
23.
Glaubt's oder weigert Glauben der Geschichte,
Ein Hörer kennt die Wahrheit doch: Turpin;
Er spricht von Rogers Taten im Berichte, –
Hört ihr's, wohl einen Lügner nennt ihr ihn.
Die andern waren grad wie kalte Wichte
Vor ihr, die heiß wie Feuersglut erschien.
Muß sie bewundernd auf den Jüngling schauen,
Hebt er voll Staunen auf zu ihr die Brauen.
[337] 24.
Und war er ihr vorher als Mars erschienen,
Bellona würde sie von ihm genannt,
Hätt' er nur die Gestalt in Panzerschienen,
Darin sie einem Manne glich, erkannt.
Wettstreit am Ende schürt den Eifer ihnen;
Der hat zum Unheil jener sich gewandt,
An deren Fleisch und Mark es galt zu zeigen,
Wem größre Heldenschaft von beiden eigen.
25.
Kurz: derart ist die Kraft von wen'gen Mannen,
Daß sie ein Doppelheer zusammenschlägt.
Nur wen'ge waren, die dem Tod entrannen,
Mit jener Waffe, die man hinten trägt.
Heil, wen ein schneller Renner führt von dannen,
Weil nicht nach Paß und Trab sich Nachfrag' regt.
Und wem kein Roß gegeben, muß gewahren:
Zu Fuß zu kämpfen, ach, ist voll Gefahren!
26.
Den Siegern bleibt das Schlachtfeld und die Beute:
Kein Treiber, kein Soldat ist mehr am Ort.
Hier fliehn die Mohren, dort die Mainzer Leute;
Die lassen Schätze, die Gefangne dort.
Die Blicke zeigten, wie das Herz sich freute:
Sie führten ja, gelöst, die Brüder fort!
Die Diener auch sind eifrig: ohne Rasten
Reihn sie Gepäck, die Säcke, Kist' und Kasten.
27.
Es gab dort Silberschätze, die sie fanden,
Zu allerlei Gerät in Form gebracht,
Auch eine Zahl von schönen Fraungewanden
In feinster Arbeit, von erlesner Pracht;
Für Königszimmer dann aus Flanderns Landen
Tapetenwerk, aus Seid' und Gold gemacht,
Und andre reiche Dinge, groß und kleine,
Und Brot und Speisen und in Flaschen Weine.
[338] 28.
Man sah, als sie den Helm herunternahmen,
Der Helfer war ein Fräulein edler Art:
Man sah die goldnen Haare edler Damen
Und auch das Antlitz, schön und fein und zart.
Sie ehrten sie, erbaten ihren Namen,
Der hier gekrönt vom höchsten Ruhme ward.
Zu Freunden höflich stets in ihrem Leben,
Hat sie auf Fragen den Bescheid gegeben.
29.
Sie wurden nimmer müd, sie zu betrachten,
Die so gewaltig schlug im Kampfe drein.
Auf Roger blickte sie, schien nicht zu achten
Der andern sonst; nur seiner ganz allein.
Da kamen Diener, die ihr Meldung brachten,
Man lade sie zu einem Mahle ein,
Das man ganz nah an einem Quell bereite,
Wo vor der Sonn' ein Hügel Schatten breite.
30.
Von Quellen des Merlin ist dies die eine
(Er hat in Frankreich deren vier gemacht),
Umgeben rings von schönem Marmelsteine,
Glatt, weiß wie Milch, in leuchtend heller Pracht.
Die Kunst Merlins hat eingegraben feine,
Erhabne Bilder, die sein Geist erdacht.
Man meint fürwahr, daß sie den Atem heben
Und, fehlte nicht die Stimme, daß sie leben.
31.
Ein grausam Tier, abscheulich anzusehen,
Kam dort, so schien es, aus dem Wald hervor,
Vom Hunger dürr; in Wolfesrachen stehen
Wolfszähne, auf dem Kopf ein Eselsohr.
Sonst ist's ein Fuchs, doch Tatzen hat's zum Gehen
Wie Leun; man meint, daß es vom Waldestor
Durch Frankreich, Spanien, England kommen werde,
Italien, Asien, kurz die ganze Erde.
[339] 32.
Verwundet hat es übrall und erschlagen
Viel hohe Häupter, viel aus niedrem Stand.
Zumeist doch an den Großen scheint's zu nagen,
An König, Fürsten, Herren und Trabant.
Das Ärgste darf's am röm'schen Hofe wagen:
Wo's Päpst' und Kardinal als Opfer fand.
Den heil'gen Stuhl Sankt Petri hat's geschändet,
Des Glaubens Reich in Ärgernis gewendet.
33.
Vor diesem schlimmen Tiere, scheint es, fallen
Schutzwehr und Mauer, die man finden kann,
Und keine Stadt erwehrt sich sein von allen;
Kein Schloß, das es nicht öffnend sich gewann:
Nach Gottes Ehre streckt es seine Krallen;
Das dumme Volk, das betet gar es an:
Es maßt sich an, die Schlüssel zu besitzen
Des Himmels und des Orts, wo Sünder sitzen.
34.
Den kaiserlichen Lorbeer in den Haaren,
Sieht man den stolzesten der Ritter gehn.
Drei Jünglinge, auf herrlichen Talaren
Goldlilien tragend, ihm zur Seite stehn.
Mit ihnen kommt aufs Untier losgefahren
Ein Leu: er läßt die gleichen Zeichen sehn.
Und ihre Namen teils zu Häupten standen,
Teils tiefer, auf dem Saum an den Gewanden.
35.
Er, dessen Schwert zum Griff im Bauch geblieben
Des bösen Tieres war beim mächt'gen Stich,
Trug »Franz von Frankreich« über sich geschrieben
Und hatte Max von Östreich neben sich.
Der fünfte Karl hatt' in den Schlund getrieben
Den Speer gerad dem Unhold meisterlich.
Der mit dem Pfeil die Brust ihm klaffen machte,
Herr Heinrich war's von Engelland, der Achte.
[340] 36.
Den Leun sieht man die Schrift »Der Zehnte« tragen;
Es packt sein Zahn des Ungeheuers Ohr,
Um es mit Lust zu schütteln und zu jagen;
Da wagen sich auch andre noch hervor.
Genommen sind der Welt des Schreckens Plagen:
Vergangnes gut zu machen, regt ein Chor
(Kein allzu großer) edler Herrn die Hände,
Und mit dem Scheusal geht es nun zu Ende.
37.
Marfisa mit den Rittern fühlt Verlangen,
Zu hören, wie's mit jenen sei bewandt,
Die auf das Untier ihre Waffen schwangen,
Durch das solch Unheil kam in Stadt und Land!
Wenn auch die Namen auf dem Steine prangen,
War von den Trägern doch noch nichts bekannt.
Wer drüber wisse, baten drum die Helden,
Möge den andern die Geschichte melden.
38.
Da sprach, auf Malegis den Blick gerichtet,
Der schweigend stand, sein Bruder Vivian:
»Du bist von diesen Dingen unterrichtet;
Gewiß, ich seh' dir's an den Augen an.
Durch wen wird jenes Untier dort vernichtet,
Mit Pfeilen und mit Speeren abgetan?«
Sprach Malegis: »Es gab uns bis zur Stunde
Noch kein Bericht von der Geschichte Kunde.
39.
Das Erdendasein ward noch nicht gegeben
Den Menschen, die vermerkt sind auf dem Stein:
Sieben Jahrhundert schwinden, eh sie leben,
Um Zierde einer andern Zeit zu sein.
Merlin ließ dieses Brunnenrund erheben
Zu König Artus Tagen; im Verein
Mit tücht'gen Künstlern dann, was einst zu schauen
In Zukunft sein wird, hier in Marmor hauen.
[341] 40.
Das Tier ward damals, als zuerst Kontrakte
Entstanden, von der Hölle ausgespien,
Als Ackergrenzen, Maß, Gewicht und Pakte,
Verschreibungen und Schriften hier gediehn;
Worauf es noch nicht alle Stätten packt
Und manche Landschaft noch geborgen schien.
Jetzt rührt es sich schon weithin auf der Erde,
Doch macht es nur dem niedren Volk Beschwerde.
41.
Stets fortgewachsen ist der Unhold häßlich
Und weiterwachsen wird er immerdar,
Bis überflügelt ist, was jemals gräßlich
Und widerwärtig noch hienieden war.
Python, das Ungetüm (man stellt verläßlich
Durch Tint' und Feder es als widrig dar),
War noch nicht halb so groß und, wenn auch greulich,
Doch nicht so ekelhaft und so abscheulich.
42.
Es haust – kein Ort kann sich von ihm befreien –
Ganz grauenvoll, vernichtet und befleckt.
Das Bild kann wenig Ausdruck nur verleihen
Dem Unheil, das im Tun des Scheusals steckt.
Ist heiser schon die Welt vom Hilfeschreien,
So werden die hier, die der Stein entdeckt,
Und deren Name hell glänzt wie Karfunkel,
Aus Nöten Hilfe bringen, Licht im Dunkel.
43.
Niemand wird schärfer dann das Scheusal fassen
Als der Franzosen großer König Franz.
Wird keinen vor sich, viele nach sich lassen,
Und mit ganz wenigen teilt er den Kranz.
Wer schon vollkommen schien, dem muß erblassen
Vor seiner hohen Königspracht der Glanz,
Vor seinem Wert – auch Sternglanz muß vergehen,
Läßt sich am Firmament die Sonne sehen.
[342] 44.
In seiner Herrschaft glücklichem Beginnen –
Kaum sitzt die Krone fest – zu Alpen bahnt
Er seinen Weg und läßt in nichts zerrinnen,
Was bei des Bergs Besetzung man geplant.
Gerechter Ingrimm lebt im Herzen drinnen,
Daß immer noch der Schimpf sei ungeahnd't,
Den von der Wut aus Hütten her und Weiden
Das Heer von Frankreich früher mußte leiden.
45.
Er steigt zur reichen Lombardei hernieder,
Wohin er Frankreichs stolze Blüte bringt.
Er schlägt den Schweizer (so, daß nimmer wieder
Feindlich das Horn zu heben ihm gelingt
Zur Schmach von Spanien und der Kirche Glieder),
Bis von Florenz er in die Feste dringt
(Als Sieger, mit dem Lorbeer auf dem Haupte),
Die man zuvor ganz uneinnehmbar glaubte.
46.
Zustatten kommen, mehr als andre Waffen,
Wird ihm dabei sein ehrenreiches Schwert.
Er weiß das Tier aus seinem Weg zu schaffen,
Von dem die ganze Gegend ward verheert.
Dies Schwert pflegt jede Fahne hinzuraffen
Der Feinde, die nicht rasch zur Flucht sich kehrt:
Und keine Stadt mit Mauern und mit Graben
Wird Schutz vor dieser starken Wehre haben.
47.
Vorzüge, die ein Herrscher je besessen,
Wird man vereinigt in dem Fürsten sehn:
Des großen Cäsar Mut, die Klugheit dessen,
Der an der Trebia focht, am Trasimen;
Und Alexanders Glück nicht zu vergessen:
Fehlt dies, wird jeder Plan in Dunst vergehn;
Freigebigkeit, die niemand kann erreichen,
Und der das Vorbild fehlt von ihresgleichen.«
[343] 48.
So redet Malegis. Die andern fragen
Und bitten ihn, er künde doch noch mehr
Von solchen, die mit ihm das Tier erschlagen,
Das selbst zuvor erschlug so großes Heer.
Den Namen Bernhard sah man einen tragen
Der Ersten, und Merlins Buch preist ihn sehr.
Er sprach: »Berühmt sein wird durch den Bibbiena,
Auch seine Nachbarin Florenz und Siena.«
49.
Sigmund Gonzaga nicht und Ludwig stehen
Von Aragon zurück noch Herr Johann,
Der aus dem Haus Salviati ist; wir sehen,
Ein jeder greift das Untier wacker an:
Gonzaga, Franz; in Vaters Spuren gehen
Will auch Herr Friederich, ein ganzer Mann.
Eidam und Schwager hat er sich zur Seite:
Den von Urbin; Ferrara ist der zweite.
50.
Der Sohn des einen will nicht überwunden
Vom Vater sein noch sonstwem – Guidobald.
Mit Ottoban von Flisco ist verbunden
Zum Angriff auf das Tier Herr Sinibald.
Hier, dessen Pfeil schlägt in den Hals ihm Wunden:
Herrn Ludwig von Gazol zeigt die Gestalt.
Apoll war's, der den Bogen einst bescherte,
Als ihn auch Mars beschenkte mit dem Schwerte.
51.
Zwei Herkules, zwei Hippolyt von Este,
Ein andrer Herkules und Hippolyt
Von Medici, Gonzaga, sind beim Feste,
Folgen dem Tier und lähmen seinen Schritt.
Julian wetteifert mit dem Sohn aufs beste,
Ferrant hält mit dem Bruder gleichen Tritt.
Andrea Doria läßt bereit sich finden,
Und niemand kann Franz Sforza überwinden.
[344] 52.
Vom edlen, reinen Blut Avalos zeigen
Sich zwei, und jenen Felsen führt ihr Schild,
Der überm Schlangenfuß scheint aufzusteigen
Und überm Haupte des Typhäus wild.
Den beiden ist die größte Jagdwut eigen;
Niemand hetzt mehr als sie das grimme Wild.
Laßt uns den einen, Franz Pescara, grüßen!
»Alfons del Vast« steht bei des andern Füßen.
53.
Ferrant Gonsalvo, ei, wo ließ ich diesen?
Die Zierde Spaniens, weit mit Ruhm genannt,
Der also ward von Malegis gepriesen,
Daß man nicht viele seinesgleichen fand?
Mit denen, die das Tier zur Jagd erkiesen,
Regt Wilhelm von Montferrat auch die Hand.
Von einer kleinen Zahl nur wird's bezwungen
Und hat so viele doch vorher verschlungen.
54.
Mit art'gen Spielen und Gesprächen brachten
Sie nach dem Essen hin den heißen Tag,
Worauf sie sich's bequem auf Decken machten,
Im Schatten um den Brunnen rings im Hag.
Die Brüder Malegis und Vivian wachten,
Derweil die kleine Schar der Ruhe pflag.
Da kommt im Trab, von niemandem begleitet,
Ein Weib, das rasch nach dieser Stelle reitet.
55.
Hippalka war es, der Fürst Rodomonte
Den guten Renner raubte, den Frontin.
Sie war ihm nachgeeilt, so gut sie konnte,
Verfolgte teils mit Schmähn, teils Bitten ihn.
Zu Roger wollte sie nach Agrismonte
Zurück, nachdem ihr Plan zu nichts gediehn.
Da hört sie unterweges jemand melden,
Ich weiß nicht wen, sie finde hier den Helden.
[345] 56.
Und weil sie schon das Brunnenplätzchen kannte
(Sie war in frührer Zeit an diesem Ort),
Kams, daß sie gradenwegs zum Quell sich wandte;
Sie traf ihn auch, so wie ich sagte, dort.
Doch führt, sie als erfahrene Gesandte
Den Auftrag besser aus als nach dem Wort:
Sie fand hier ihrer Herrin Bruder stehen
Und schien das Antlitz Rogers nicht zu sehen.
57.
Sie ging zu Richardet, dem Hochgemuten,
Als ob sie seinethalb gekommen wär':
Er, der sie kannte, neigte sich der Guten
Und fragte sie nach dem Wohin, Woher.
Die Augen rot noch von den Tränenfluten,
Den langen, spricht sie unter Seufzen schwer
(Doch laut, damit Herr Roger es verstehe,
Denn dieser weilte ganz in ihrer Nähe):
58.
»Ich nahm mit mir«, so hörte er sie sagen,
»Ein schönes Roß, das jeder herrlich fand:
Von deiner Schwester war mir's aufgetragen;
Sie liebt es sehr, Frontin ist es genannt.
Und auf Marseille zu, wo in wenig Tagen
Sie bleiben wollte, war ich durch das Land
Geritten mit dem Renner dreißig Meilen,
Um, wo die Herrin harrte, hinzueilen.
59.
So kühn und sicher war ich im Vertrauen,
Ich sei geschützt vor jeder Räuberei,
Und wähnte, keiner werde sich getrauen,
Zu nehmen, was Rinaldos Schwester sei.
Doch irrig sollt' ich meine Rechnung schauen:
Das Schicksal führte einen Mohr herbei,
Den, zu erfahren, wem das Tier gehörte,
In seinen Diebsgelüsten wenig störte.
[346] 60.
Ich fleht' ihn an in diesen beiden Tagen
Und ließ ihn unter Drohn und Schelten dann,
Als ich umsonst mein Bitten sah und Klagen,
Hier in der Näh': er müht sich, wie er kann,
Matt schon, auf müdem Pferde, sich zu schlagen,
Schwert in der Hand, mit einem Rittersmann,
Und dieser Held bedrängt so sehr den Frechen,
Daß ich die Hoffnung hab', er wird mich rächen.«
61.
Auf springt Herr Roger rasch, als sie geendet
(Er hielt es kaum zum Schluß der Rede aus);
Zu Richardet hat er sich hingewendet:
Zum Lohn für guten Dienst und jenen Strauß
Werde mit ihm das Mädchen gleich entsendet –
Und zwar allein, so bittet er – hinaus,
Bis wo sie sah den räuberischen Mohren,
Durch den der edle Renner ging verloren.
62.
Für Richardet war dieses unerquicklich:
Zu gönnen, daß ein andrer für ihn tu',
Was ihn doch anging, deucht ihn wenig schicklich,
Doch stimmt er dem Verlangen Rogers zu.
Der schied von der Gesellschaft augenblicklich,
Und mit Hippalka war er fort im Nu,
Nicht nur erstaunt zurück die andern lassend,
Nein, wie erstarrt, vor solchem Wert erblassend.
63.
Als sie, den andern fern, ein Stück in Eile
Geritten sind, tut ihm Hippalka kund,
Sie sei von ihr entsandt, die jederweile
Sein Heldenbildnis trag' auf Herzens Grund.
In klaren Worten wird ihm nun zuteile,
Was zu dem Mädchen sprach der Herrin Mund.
Unmöglich sei's, weil Richardet zugegen
Vorher gewesen, alles darzulegen.
[347] 64.
Sie sagte: »Der das Tier mir hat entrissen,
Der sprach dabei mit stolzem Angesicht:
›Ist dieses Rogers Pferd, so mög' er wissen,
Der Umstand gibt dem Raub noch mehr Gewicht
Ist er des Rückerwerbs vielleicht beflissen,
So sag' ihm, denn verbergen will ich's nicht:
Ich bin es, den sie Rodomonte nennen
Und dessen Ruhm der Erde Länder kennen.‹«
65.
In Rogers Antlitz steht es klar zu lesen,
Mit welchem Ingrimm er das Wort vernahm:
Weil sein Frontin ihm lieb und wert gewesen;
Weil als Geschenk er kam, von wo er kam;
Weil das ein Schimpf ihm dünkt ganz auserlesen.
Er meint, Unehre wink' ihm, Schand' und Scham,
Wenn er das Roß nicht Rodomont entreiße
Und würd'ger Rache sich dazu befleiße.
66.
Voll Eifer, ihn zum Sarazen zu bringen,
Jagt ohne Säumen fort die Führerin.
Zwei Wege bald von ihrer Straße gingen:
Der führt zur Ebne, der zum Berge hin;
Auf beiden kann man nach der Gegend dringen,
Wo sie den Mohren ließ im Tale drin.
Kurz war der eine Weg, doch rauh für Reiter,
Der andre glatt und eben, aber weiter.
67.
Der Wunsch, den Renner wiederzuerlangen
Und Schmach zu rächen, ließ sie steil empor
Auf jenem rauhen Bergespfad gelangen,
Auf dem man weniger an Zeit verlor.
Inzwischen auf dem andern Wege drangen
Der Skythenkönig vorwärts und der Mohr.
Da sie auf ebner Straße sich bewegen,
So kommen beide Roger nicht entgegen.
[348] 68.
Sie hörten (dieses wißt Ihr) auf zu streiten,
Bis Beistand find' Herrn Agramantes Heer,
Und ziehen mit dem Grund der Zwistigkeiten,
Der schönen Doralis, jetzund daher.
Vernehmt den Gang nun der Begebenheiten!
Sie nahten stracks dem Quell, wo Aldiger,
Marfisa, Richardet der Ruhe pflagen
Und Vivian, Malegis mit ihnen lagen.
69.
Marfisa hatt' ein Frauenkleid genommen,
Weil man sie bat, und von des Schmuckes Pracht
(Lanfusa sollte diesen ja bekommen;
Für sie hatt' ihn der Mainzer hergebracht).
Gar selten ward sie helmlos wahrgenommen
Und ohne Waffen, die man braucht zur Schlacht.
Jetzt ließ sie ohne die, nach Art der Frauen
Im Kleid, auf Wunsch der Freunde hier sich schauen.
70.
Kaum hat Marfisa der Tatar gesehen
(Kein Zweifel des Gelingens steigt ihm auf),
Da will er gleich zum Tausch sie ausersehen
Mit Doralis; so denkt er den Verlauf.
Als ob sich Amor lenken ließ' und drehen,
Daß man ein Liebchen nähm' in Tausch und Kauf,
Und ohne weitern Gram – ging es verloren –
Sogleich ein neues Schätzchen werd' erkoren.
71.
Mit einer Maid den Gegner zu begaben
Und daß die andre Schöne bleibe sein,
Will er Marfisa (jeden Mann zu laben,
Den allerbesten, scheint sie wert zu sein –:
Als könne man bald die, bald jene haben
Zur Trauten!) Rodomont als Liebchen weihn,
Und alle Ritter, die er als Geleite
Der Schönen sieht, die fordert er zum Streite.
[349] 72.
Vivian und Malegis, die, beid' in Waffen,
Zur Sicherheit des Häufleins hielten Wacht,
Verfehlen nicht, vom Platz sich aufzuraffen,
Bereit in gleicher Weise für die Schlacht.
Sie wähnen, mit zwei Kämpen gäb's zu schaffen,
Obwohl der Mohr zum Streit nicht Anstalt macht:
Er macht kein Zeichen, will sich nicht bewegen;
So reiten sie dem einen denn entgegen.
73.
Als erster sprengt Vivian heran zum Tanze
Und senkt voll Mut den Speer gar dick und groß;
Der Heidenfürst in hellen Ruhmes Glanze,
Mit überlegner Kraft, geht auf ihn los.
Ein jeder richtet auf den Fleck die Lanze,
Wo, wie er meint, am besten sitzt der Stoß.
Vivian hat sich den Helm zum Ziel erkoren:
Zum Wanken nicht einmal bringt er den Mohren.
74.
Des Heiden Speer war härterm Holz entsprungen,
Von Eis, so meint man, sei des Gegners Schild,
Und aus dem Sattel fliegt Vivian, bezwungen,
In Gras hinein und Blumen im Gefild.
Drauf hat die Waffen Malegis geschwungen,
Nun es des Bruders Los zu rächen gilt.
Umsonst! Wenngleich ihn Sorge rasch zur Stell' schafft:
Nicht Rache bringt er ihm, nein, nur Gesellschaft.
75.
Der dritte Bruder sprang noch vor dem Vetter
Aufs Roß, gehüllt in Stahl und Waffenkleid,
Und mit verhängten Zügeln wie ein Wetter
Schoß er daher, zu kühnem Tun bereit.
Der Stoß klang auf dem Helme mit Geschmetter,
Unterm Visiere einen Finger breit.
Vierfach gebrochen fliegt der Speer in Splitter,
Doch unerschüttert bleibt der Heidenritter.
[350] 76.
Herr Aldiger indeß ward links getroffen
Von einem Stoß so mächtig und so schwer,
Daß nichts von Schild und Harnisch war zu hoffen:
Als wär' es Rinde, fuhr hindurch der Speer
Und legte noch die weiße Schulter offen.
Verwundet schwankt der Ritter hin und her
Und sinkt zuletzt auf Gras und Blumen nieder,
Das Antlitz bleich, doch Waffen rot und Glieder.
77.
Voll Kühnheit kommt Herr Richardet geritten,
Und eine große Lanze legt er ein
Und zeigt: er streitet, wie er hat gestritten,
Und würdig ist er, Paladin zu sein.
Er wär' auch zum Beweise jetzt geschritten,
Wenn gleiche Wage wäre bei den zwein;
Doch mußt' er einen Sturz vom Pferd erdulden:
Darunter lag er, ohne sein Verschulden.
78.
Weil nun kein Ritter sonst mehr ist vorhanden,
Dem Heiden noch zu stehen im Turnier,
Glaubt er die Dame schon in seinen Banden,
Und nach der Quelle geht er hin zu ihr
Und spricht: »Da keine Kämpen mehr sich fanden
Für Euch, mein Fräulein, so gehört Ihr mir.
Nicht widersprechen könnt Ihr, nicht Euch wahren;
So wird nach Kriegesrecht mit Euch verfahren.«
79.
Marfisa sprach darauf mit stolzem Heben
Des Haupts: »Du irrst, dein Wort gar wenig paßt.
Wohl wäre, was du sagst, dir zuzugeben;
Von deiner Hand würd' ich nach Recht erfaßt,
Wäre mein Herr bei denen, die du eben
Besiegt hier auf den Grund geworfen hast.
Doch mir gehör' ich: wer mich will gewinnen,
Muß mit mir selbst zuvor den Strauß beginnen.
[351] 80.
Ich schwinge Schild und Speer im Kampfesreigen
Und fällte manchen schon als Kriegerin;
Ein gutes Roß und Waffen sind mir eigen.
Gebt sie mir her!« rief sie zum Knappen hin,
Zog ab das Kleid, im Wamse sich zu zeigen;
Ein wohlgebauter Leib erschien darin:
Sie glich dem Mars, vom Antlitz abgesehen;
Man meinte: Ja, so muß der Kriegsgott gehen.
81.
Sie stand gerüstet, ließ das Schwert sich bringen,
Bestieg mit leichtem Schwung das Roß sodann,
Macht es sich bäumen, hier- und dorthin springen
Und trieb's zu raschem Lauf drei-, viermal an,
Nun trutzig auf den Heiden einzudringen,
Die Lanze fällend, und der Kampf begann.
Penthesilea sah man sich bewegen
Gegen Achill so, den Thessalierdegen.
82.
Die Speere brachen bis zum Griff und flogen
Wie Glas zersplitternd fort bei solchem Stoß;
Doch keinen Finger breit darum sich bogen,
Die also aufeinander stürmten los.
Um zu erproben, ob ihr wohl gewogen
Bei näherem Gefechte sei das Los
Und gegen diesen Heiden Sieg bescherte,
So griff Marfisa jetzt zum scharfen Schwerte.
83.
Als er sie noch im Sattel sah sich halten,
Auf Erd' und Himmel flucht der grimme Mohr.
Sie glaubte gleichfalls ihm den Schild zu spalten,
Und Zorn und Grimm loht auch in ihr empor.
Im Hauen beide große Kraft entfalten
Und nehmen ein gewaltig Hämmern vor.
Daß sie gefeite Rüstung beide hatten,
Kam ihnen heute wie noch nie zustatten.
[352] 84.
So gut ist Ring und Schiene: niemals litte
Die Wehr Verlust durch Speer und Schwerterschlag,
Wenn auch das Paar in wildem Kampfe stritte
Hier diesen und den ganzen nächsten Tag.
Doch Rodomont wirft sich in ihre Mitte;
Er mahnt den Gegner jetzt an den Vertrag
Und spricht: »Schaffst du dir einen Streit zu Händen,
So laß, den wir begannen, erst uns enden!
85.
Wir sind, du weißt, durch den Vertrag gebunden,
Zu helfen unsrer Heere Feldpanier,
Und dürfen, eh die Feinde überwunden,
In andrer Schlacht nicht kämpfen noch Turnier.«
Drauf zu Marfisa, höflich und verbunden
Gewendet, zeigt er jenen Boten ihr,
Der auf Befehl des Königs Meldung machte
Und das Geheiß sich einzustellen brachte,
86.
Und bittet, abzulassen doch vom Streite,
Wenn nicht, zu warten, bis die Pflicht getan;
Auch gebe sie sich jetzt in sein Geleite
Zum Nutzen für den Sprossen des Trojan.
Dann werde mit noch höhrem Flug ins Weite
Ihr Heldenruhm sich schwingen himmelan,
Statt daß sie, so geringer Ursach' wegen,
Sich großem Plane hindernd stell' entgegen.
87.
Marfisa, die ja Karls, des Kaisers, Scharen
Erproben wollte längst mit Schwert und Speer
(Denn um zu prüfen, war sie ausgefahren
Von solcher Ferne bis nach Frankreich her,
Ob wohlverdient, ob nicht, gefeiert waren
Die großen Namen all im Christenheer),
Ist gleich bereit, zu Agramantes Nutzen,
Weil er bedrängt ist, Kaiser Karl zu trutzen.
[353] 88.
Hinter Hippalka war indes in Eile
Roger der Höh' auf steilem Pfad genaht:
Er sieht, zum Platz gelangt, daß mittlerweile
Der Mohr verschwunden ist auf andrem Pfad,
Und wendet in der Meinung, jener weile
Nicht fern, bereits am Brunnen sich gerad
Des Weges fort, den Spuren nachzugehen,
Die deutlich auf dem Boden noch zu sehen.
89.
Daß bald die Maid nach Montalban gelange
(Ein Tag war's bis dahin), schickt er sie fort;
Es wär' ein Umweg, dauerte zu lange,
Nähm' er sie mit zu jener Quelle dort.
Und daß er den Frontin zurückerlange,
Des sorge nicht die Herrin, mahnt sein Wort.
Erfahren solle sie's zu Haus geschwinde.
Wenn nicht, am Ort, wo sie sich grad befinde.
90.
Er gibt den Brief, der in der Brust geblieben
Seit Agrismont, geschrieben in der Nacht;
Bestellt durch sie viel Grüße seiner Lieben;
Ihn zu entschuld'gen sei sie wohlbedacht.
Hippalka hat sich's hinters Ohr geschrieben:
Sie schied und trabte fort mit aller Macht,
Worauf sie rastlos sich als Botin rührte,
Bis sie der Abend nach dem Schlosse führte.
91.
Und Roger folgt von jener Wegesstelle
Den Spuren des gewalt'gen Sarazen;
Holt ihn nicht ein, doch hat er nah der Quelle
Mit Mandrikard zuletzt ihn reiten sehn.
Sie kamen überein, auf alle Fälle
Von Feindlichkeit so lang noch abzustehn,
Bis sich das Lager könn' ins Freie wagen,
Drein Karl jetzt sinnt die Zähne einzuschlagen.
[354] 92.
Roger hat schnell sein Roß und, aus der Lage
Der Dinge, auch den Reitersmann erkannt.
Er fordert stolz, daß der sich mit ihm schlage,
Über den Speer bereits nach vorn gewandt.
Der Mohr tut mehr als Hiob an dem Tage,
Denn seinen mächt'gen Stolz hält er gebannt
Und weigert sich, mit Roger jetzt zu streiten,
Den er doch eifrig suchte lange Zeiten.
93.
Der erste Tag ist dies und auch der letzte,
Daß Algiers Fürst es ablehnt, zuzuhaun;
Er möchte, daß man seinen Herrn entsetzte;
Geboten deucht's ihn, den befreit zu schaun:
War' Roger wie ein Hase, den er hetzte
Und schon als schneller Pardel hielt in Klaun,
Er würde sich den Augenblick versagen,
Der nötig ist, um einen Hieb zu schlagen.
94.
Auch wußt' er ja – das mögt Ihr nicht vergessen –
's ist Roger, der zu kämpfen hier begehrt,
Der Held, mit dem kein andrer sich kann messen,
Wer immer sonst mit Ruhme führt das Schwert;
Den er doch aufzufinden war versessen,
Zu prüfen, was in Wahrheit wohl sein Wert.
Und dennoch darf sich Kampfeslust nicht regen! –
So sehr ist er besorgt des Königs wegen.
95.
Dreihundert, tausend Meilen wär' er 'gangen,
In andrem Fall, um eine solche Schlacht;
Doch, wollt' Achilles ihn zum Streit verlangen,
Er hätt' es auch nicht anders heut gemacht;
So hielt er seine Kampfeswut gefangen,
Gedämpft in Asche und zur Ruh' gebracht.
Er nannte Roger seiner Weigrung Gründe
Und bat ihn, daß er ihnen sich verbünde.
[355] 96.
Dann tu' er eine Tat, die nur zu loben
Sei an dem Ritter, der dem Herrn getreu;
Wenn einmal die Belagrung aufgehoben,
Könnten den Zwist sie enden ohne Scheu.
Sprach Roger: »Gern wird von mir aufgeschoben
Hier dieser Kampf, bis Agramant aufs neu
Vor Kaiser Karl kann frei die Stirn erheben,
Allein vorher sollst du Frontin mir geben.
97.
Soll ich den Nachweis, wie du's schlecht getrieben
Und nicht gehandelt hast als Rittersmann,
Da du das Pferd nahmst – soll ich das verschieben,
Bis wir am Hof des Königs langen an,
So laß Frontin: gib ihn in mein Belieben!
Sonst wähne nicht, daß etwas fruchten kann,
Mich zu bewegen, daß ich Kampf vermeide
Oder auch nur ein Stündlein Aufschub leide.«
98.
Wie Roger also drängt, zum Kampf zu schreiten
Oder ihm auszuliefern den Frontin,
Und der das Tier nicht geben will noch streiten
Und in die Länge sucht das Ding zu ziehn,
Erhoben Händel sich von andern Seiten,
Drin Mandrikard mit neuem Zwist erschien:
Er sah, Herr Roger führ' im Schild als Zeichen
Den Vogel, der da herrscht in luft'gen Reichen.
99.
Dies war das Wappen einst auf Trojas Fahnen:
Ein weißer Aar auf himmelblauem Feld.
Den starken Hektor zählte zu den Ahnen,
Den ruhmesreichen, Roger ja der Held.
Allein Herr Mandrikard kann das nicht ahnen
Und will nicht leiden und für Schimpf es hält,
Daß Hektors weißen Aar im Schild zu tragen,
Noch außer ihm ein andrer sollte wagen.
[356] 100.
Den Vogel führt er selbst im Schilde drinnen,
Der Ganymed fort in die Lüfte trug,
Er wußt' als Siegespreis ihn zu gewinnen,
Als er in jener Schreckensburg sich schlug.
(Ihr werdet auf den Fall Euch wohl besinnen
Und wie die Fee auf ihn dort übertrug
Den Schild mit all den andern schönen Waffen,
Von Gott Vulkan für Hektor einst geschaffen.)
101.
Schon einmal lagen früher sich in Haaren
Roger und Mandrikard aus gleichem Grund.
Was damals zwischen beide war gefahren,
Erzähl' ich nicht; denn allen ist es kund.
Nie mehr seitdem – bis auf den Tag hin – waren
Sie sich begegnet: als der Fürst jetzund
Das Zeichen hat auf Rogers Schild gesehen,
Schreit er ihm drohend zu: »Du sollst mir stehen!
102.
Du wagst, Verwegner, meinen Schild zu tragen!
Und ich verwies es dir vor langer Zeit.
Narr, meinst du denn, ich werd' es stets vertragen,
Weil ich zur Rücksicht einmal war bereit?
Wenn Drohn und Warnen so bei dir versagen
Und nichts von dieser Tollheit dich befreit,
Will ich dir zeigen, daß es besser wäre,
Du hättest gleich getan, was ich begehre.«
103.
Wie trocken Holz, geheizt an Feuersgluten,
Plötzlich, bei leisem Windhauch schon, entglimmt,
So flammt's in Roger auf, dem hochgemuten,
Beim ersten Wort, das er von dem vernimmt:
»Feigheit, so scheint's, willst du in mir vermuten«,
Sprach er, »weil der auch gegen mich ergrimmt.
Doch dir zu zeigen will ich mich befleißen:
Ich kann euch beiden Roß und Schild entreißen.
[357] 104.
Wir sind schon früher aneinand geraten
Aus diesem Grund und vor nicht langer Zeit.
Doch dich zu töten, konnt' ich dort entraten,
Du trugst kein Schwert ja damals an der Seit'.
Ein Wink war es zuvor, jetzt gilt es Taten;
Der weiße Vogel, glaub's, wird dir zum Leid,
Das alte Zeichen unseres Geschlechtes:
Du hast dir's angemaßt, ich führ' mit Recht es.«
105.
»Du maßt dir's an,« rief Mandrikard dagegen,
»Mein ist das Wappenschild!« und zog das Schwert,
Mit dem noch jüngst, eh er's auf Waldeswegen
In Tollheit fortwarf, Roland war bewehrt.
Roger, der Rittersinn zeigt allerwegen
Und rücksichtsvoll auch mit dem Feind verfährt,
Sieht in des Gegners Faust das Schlachtschwert blinken
Und läßt drum selber auch die Lanze sinken,
106.
Zückt Balisarda, fester galt es fassen
Den guten Schild, den er am Arme hält:
Da kommt der Mohr, der Zwist will ihm nicht passen;
Zu ihm hat auch Marfisa sich gesellt.
Nun fleht das Paar, vom Kampfe abzulassen,
Wobei es jedem in die Zügel fällt.
Und Rodomonte klagt, zweimal gebrochen
Habe der andre, was er doch versprochen.
107.
Erst hab' er, um Marfisa zu erlangen,
Mit Schwertesstreichen viele Zeit verbracht;
Dann lass' er Agramant in Nöten hangen,
Auf Rogers Wappen ganz allein bedacht:
»So mög' erst unser Streit zu End' gelangen,«
Sprach er, »hast du des Königsworts nicht acht:
Geziemender ja wär' es und gescheiter,
Als daß du Händel anfängst immer weiter.
[358] 108.
Es war Bedingung ja, uns zu vertragen;
Nur unter dieser gönnten wir uns Frist.
Hab' ich den Kampf mit dir zu End' geschlagen,
Mit jenem um das Pferd zu rechten ist;
Du magst ihn dann ob deines Schilds befragen
Und fechten, wenn du noch am Leben bist.
Doch dergestalt denk' ich's mit dir zu treiben,
Daß Roger nicht viel mehr soll übrigbleiben.«
109.
»So geht es doch wohl nicht, magst du's auch denken,«
Zu Rodomont sprach jener mit Verdruß.
»Ich habe vor, dir's tüchtig einzutränken,
Und schwitzen lass' ich dich von Kopf zu Fuß.
Mir bleibt genug, um weiter auszuschenken;
Denn niemals fehlt's an Wasser meinem Fluß,
Und Roger soll's, und tausend andre, finden,
Wer immer sonst mit mir wagt anzubinden.«
110.
Der arge Wirrwarr wächst von allen Seiten,
Zornige Worte schnellen hin und her:
Beiden zu stehn, und zwar zu gleichen Zeiten,
Ist jetzt des wilden Mandrikard Begehr.
Roger sucht nicht Vertrag mehr, sondern Streiten,
Beschimpfung duldet er ja nimmermehr.
Marfisa will besänftigen die Grimmen –
Unmöglich ist es ihr, sie umzustimmen.
111.
Der Bauer, wenn der Fluß durch hohe Dämme
Sickernd die Bahn sich sucht, die ihm gefällt,
Bemüht sich, daß die Flut nicht überschwemme
Die grünen Wiesen und das Weizenfeld:
Er stopft und wehrt und steckt doch in der Klemme;
Denn sorgt er hier, daß gut die Brustwehr hält,
So sieht er's dort durch lockre Stellen fließen,
In viele Bäche spritzend sich ergießen.
[359] 112.
Also, derweil mit zornigem Gemüte
Die drei hier tobten außer Rand und Band
Und jeder zu beweisen sich bemühte,
Daß er an Mut und Kraft am höchsten stand,
Wirkte Marfisa mahnend dem Gewüte
Entgegen; doch umsonst – die Zeit verschwand;
Denn scheint ihr's bei dem einen zu gelingen,
Sogleich zwei neue aufeinanderspringen.
113.
Sie zu besänft'gen, spricht sie: »Wollt ermessen
Den Rat, den ich euch gebe; habt wohl acht:
Beschloßt ihr nicht, den Hader zu vergessen,
Bis Agramant sei aus der Not gebracht?
Sonst muß auch ich mit Mandrikard mich messen,
Wenn jeder nur auf seinen Fall bedacht,
Und zu erproben will ich gleich beginnen,
Ob er mit Waffenkraft mich mag gewinnen.
114.
Doch gilt es, helfend Agramant zur Seiten
Zu stehen, – nun, so legt die Waffen fort!«
Sprach Roger: »Wohl, gern will ich vorwärts reiten,
Gibt Rodomont mir meinen Renner dort.
Das soll er tun! Wo nicht, so soll er streiten!
Statt vielen Redens hört dies eine Wort:
Tot bleib' ich hier, sollt' es dem andern glücken,
Oder ich reit' auf meines Pferdes Rücken.«
115.
Sprach Rodomont: »Das eine zu erhalten,
Wird nicht so leicht wie jenes zweite sein.«
Und weiter sagt er: »Sollt' es sich gestalten
Zum Schaden unsres Herrn, die Schuld ist dein.
Was mich betrifft, so lass' ich mich nicht halten
Zu tun, was Pflicht ist, diese lädt mich ein.«
Ein Vorwurf war's, den Roger wenig hörte;
Das Schwert riß aus der Scheide der Empörte.
[360] 116.
Vorstürzt er, wie ein Eber kommt gelaufen,
Und teilt mit Schild und Schulter Püffe aus
Und drängt und wirft den Mohr fast übern Haufen:
Er wankt; ein Fuß glitt aus dem Steg heraus.
Und Mandrikard schreit: »Roger, laß das Raufen!
Wenn nicht, beginn zuvor mit mir den Strauß!«
Und falsch und grausam mehr als je, ergrimmt er,
Und Rogers Helm zu seinem Ziele nimmt er.
117.
Tief neigt sich Roger auf des Pferdes Mähne,
Daß er nicht gleich sich wieder heben kann.
Denn mächtig hauend drängt der Sarazene,
Der Sohn des Ulien, auf ihn heran.
Zerspellt hätt' er das Haupt bis auf die Zähne,
Wär' Demant nicht der Stahl durch Zauberbann.
Betäubung hält Herrn Rogers Hand gebunden,
Hat ihm den Zaum, zugleich das Schwert entwunden.
118.
Der Renner führt ihn fort in solcher Lage;
Zurück bleibt Balisard, die Wehre gut.
Marfisa, ihm gesellt an diesem Tage
Als Kampfgenossin, brennt in lichter Glut,
Daß er allein sich mit den beiden schlage;
Und weil sie tapfer ist und hochgemut,
So wendet sie sich Mandrikard entgegen
Und schwingt mit höchster Wucht auf ihn den Degen.
119.
Fast hat der Mohr nun Roger in den Fängen:
Noch einen Hieb, und ihm gehört das Pferd.
Doch siehe, Richardet und Vivian sprengen
In seinen Weg, und gegen ihn gekehrt
Weiß einer ihn von Roger abzudrängen
Mit großer Kraft; der andre hat sein Schwert –
Es ist Vivian – zu Roger hingenommen,
Der zur Besinnung mittlerweil gekommen.
[361] 120.
Als Roger sich der Ohnmacht nun entwunden
Und Vivians Degen fühlt in seiner Hand,
Zur Rache hat er schnell den Weg gefunden
Und Algiers König schleunig angerannt,
Gleich einem Löwen, der nicht Schmerz empfunden,
Als er sich auf des Stieres Horn befand:
So treiben ihn und hetzen, spornen, stechen
Unmut und Zorn und Ingrimm, sich zu rächen.
121.
Aufs Haupt des Mohren schmettert Rogers Wehre,
Und wenn ihm seine eigne Balisard
Nicht zu Beginn entrissen worden wäre,
Wie ich's erzählte, auf Verräterart,
So glaub' ich nicht, der Helm, der starke, schwere,
Hätte dem Rodomont den Kopf bewahrt;
Der Helm, den Babels König einst ließ schlagen,
Um mit den Sternen oben Kampf zu wagen.
122.
Die Zwietracht, überzeugt, hier könn' es enden
Nicht anders als mit Streit und Zänkerei,
So daß in Zukunft nimmer Eingang fänden
Fried' und Versöhnung, sagt zum Stolz dabei,
Daß zu den Mönchlein sich nach Haus zu wenden
In aller Ruh' die Zeit gekommen sei.
Wir lassen diese ziehn und bleiben stehen,
Wo wir den Hieb aufs Mohrenhaupt gesehen.
123.
Und solche Kraft war diesem Hiebe eigen,
Daß auf dem Kreuz des Renners Helm und Schild,
Die Haut des Drachen sich gespalten zeigen,
Die da den Rücken schützt dem Heiden wild:
Drei-, viermal schwankt er hin und her, zu neigen
Begann er sich herab auf das Gefild'.
Auch würd' ihm dieser Streich das Schwert entwinden,
Hätt' er versäumt, es an die Hand zu binden.
[362] 124.
Indes muß Mandrikard gewaltig schwitzen
An Brust und Stirne durch Marfisas Streich':
Er seinerseits läßt auch nichts auf sich sitzen;
Doch beider Rüstung ist so wunderreich,
In keiner Weis' an einem Punkt zu ritzen,
Daß sie einander ganz vollkommen gleich.
Doch weil ihr Roß geschwenkt hat im Gefechte,
Bedarf nunmehr Marfisa Rogers Rechte.
125.
Das Pferd glitt durch ein allzu kurzes Drehen
Auf Wiesengrund, der feucht war überall,
Beim Wenden aus: so könnt' es denn geschehen,
Daß er nach rechts hin gänzlich kam zu Fall.
Als er bemüht ist, eilig aufzustehen,
Rennt Güldenzaum die Quer' mit scharfem Prall:
Unritterlich spornt ihn der Heide weidlich;
So war ein neuer Fall denn unvermeidlich.
126.
Als Roger sah des Fräuleins üble Lage,
Nicht säumig war er mit dem Beistand, traun!
Das ging jetzt an: betäubt vom schweren Schlage,
Irrt ja der andre ferne durch die Aun.
Er trifft den Helm; auch würde ohne Frage
Der Kopf gleichwie ein Krautstrunk abgehaun,
Wenn Roger mit der Balisarda schlüge,
Oder der König andern Stahlhelm trüge.
127.
Der Herr von Algier, der indes erwachte,
Kehrt um: da hat er Richardet erkannt
Und überlegt, wie der sich lästig machte,
Als er zur Seite Rogers helfend stand.
Als er es ihm zu lohnen jetzt gedachte –
Er hatte schon das Roß auf ihn gewandt –,
Da kam dazwischen Malegis gefahren,
Durch Zauber seinen Vetter zu bewahren.
[363] 128.
Denn Zauberkünste wußt' er anzuwenden,
Wie sie der beste Magier nur versteht,
War ihm zur Zeit auch nicht das Buch zu Händen,
Mit dem durch ihn die Sonne stille steht.
Doch durch Beschwörung Geister auszusenden,
Die Formel grad noch durch den Kopf ihm geht:
Rasch läßt er einen in den Zelter dringen
Der Doralis, das Pferd in Wut zu bringen.
129.
Der fromme Gaul, darauf zu reiten pflegte
Das Töchterlein des Königs Stordilan,
Barg einen Minos-Engel. Dieser regte
Sich nach dem Spruch des Bruders von Vivian:
Er, der nur dann, gehorsam, sich bewegte,
Wenn ihm die Hand am Zügel wies die Bahn,
Muß unversehens in die Lüfte schnellen,
Acht Ellen hoch und weit an fünfzehn Ellen.
130.
Ging's hoch hinauf bei diesen Springereien,
Blieb ungefährdet doch die Reiterin:
Man hört sie in der Luft gewaltig schreien,
Sie wähnt dem Tod sich nah in ihrem Sinn.
Als ob die Teufel hinterm Gaule seien,
Jagt er nach jenem Sprung mit ihr dahin
(Die laut nach Hilfe ruft zum Steinerweichen),
So eilig, daß kein Pfeil ihn kann erreichen.
131.
Rasch hat vom Kampf sich Rodomont erhoben,
Als er die Stimmen hört von ungefähr,
Und hinter jenes tollen Gaules Toben,
Zu seiner Dame Hilfe, jagt er her.
Auch Mandrikard hat nicht die Reis' verschoben;
Marfisa, Roger schadet er nicht mehr.
Ohne zuvor sich Frieden zu erbitten,
Ist er den beiden andern nachgeritten.
[364] 132.
Aufsteht Marfisa nun, vor Ärger brennend;
Und Ingrimm und Verdruß verzehrt sie schier:
Fern sieht sie schon den Feind, von dannen rennend;
Nah schien die Rache, man entriß sie ihr.
Und Roger, diesen Kampfesschluß erkennend,
Seufzt nicht, er brüllt gleich einem Löwentier.
Frontin und Güldenzaum, man weiß es, werden
Nicht eingeholt von ihren schwächern Pferden.
133.
Der eine, Roger, will vom Kampf nicht weichen,
Bis er von Rodomont erlangt sein Pferd;
Sie will mit Mandrikard sich nicht vergleichen,
Bis sie erprobt ihn hat, wie sie's begehrt.
Zu dulden, daß sie nicht ihr Ziel erreichen,
Wär' ihrer, deucht es ihnen, wenig wert.
Und sie beschließen beide, sonder Weilen
Zusammen den Beleid'gern nachzueilen.
134.
Die sind im Mohrenlager wohl zu sehen
(Wird man nicht früher beider noch gewahr),
Dem eingeschloßnen König beizustehen,
Bevor ihn Karl vernichte ganz und gar:
Dorthin muß man geraden Weges gehen;
Man trifft sie da gewiß, so meint das Paar.
Nur, ohne mit den Freunden erst zu sprechen,
Gedachte Roger doch nicht aufzubrechen.
135.
Zu ihm, den seine Dame Bruder nannte,
Herrn Richardet (der stand gerad beiseit),
Ging er: als seinen wahren Freund bekannte
Er sich für gute und für schlechte Zeit.
Und Grüße an die liebe Schwester sandte
Er durch ihn ab, fein und voll Artigkeit,
Und so geschickt ist er dabei verfahren,
Daß all die andern ohne Argwohn waren.
[365] 136.
Er sagt Valet Herrn Aldiger, dem wunden,
Vivian und seinem Bruder Malegis,
Die alle sich als Schuldner ihm bekunden:
Sie würden ihm zu Dienst sein ganz gewiß.
Marfisa war schon ohne Gruß verschwunden;
So trieb ihr mutig Herz sie nach Paris.
Doch geht Vivian, und Malegis desgleichen,
So weit, daß Grüße sie von fern erreichen;
137.
Auch Richardet; es konnte nicht erscheinen
Herr Aldiger, der ja verwundet war.
Den Weg zur Seine nahmen schon die einen,
Den beiden folgte nun das zweite Paar.
Im nächsten Sange zeigt sich, sollt' ich meinen,
Was – übermenschlich, Herr, und wunderbar –
Die beiden Paare, die den Weg hier machten,
Zum Schaden Karls und seines Heers vollbrachten.

[366] Siebenundzwanzigster Gesang

1.
Entschlüsse, die dem Augenblick entspringen,
Glücken den Frauen, ob auch unbedacht;
Der Vorzug zählt zu all den guten Dingen,
Damit der Himmel sie so reich bedacht.
Den Männern wird oft guter Plan mißlingen,
Ward er mit Überlegung nicht gemacht:
Reiflich Erwägen muß das Handeln lenken;
Ein Kopfzerbrechen braucht es, lang Bedenken.
2.
Der Plan des Malegis – Ihr habt's erfahren –
Erschien ganz gut; doch war's nicht wohlgetan
(Bewahrt er gleich den Vetter vor Gefahren,
Von denen ihn bedroht die Freunde sahn),
Weil durch den Dämon fortgenommen waren
Der Mohr und jener Sohn des Agrikan.
Er ahnt nicht, daß nun hingezogen werden
Die zwei zum Christenheer, es zu gefährden.
3.
Hätt' er die Zeit gehabt zu überlegen,
So konnt' er wohl bei aller Sorglichkeit
Das Nöt'ge tun des lieben Vetters wegen,
Doch ohne Schaden für die Christenheit.
Er brauchte ja den Geist nur anzuregen,
Daß er nach Westen oder Osten weit
Die Dame mit dem Zelter so entführe,
Daß man von ihr in Frankreich nicht erführe,
[367] 4.
Ihr wären die Verliebten nachgegangen,
So wie sie nach Paris ihr gingen nach.
Doch dieser Schluß war Malegis entgangen,
Weil er nicht dachte, als das Wort er sprach.
So wußt' es Höllenbosheit anzufangen
(Die ja den Mord liebt, Blut und Brand und Schmach),
Daß sie den Weg nahm, der Herrn Karl beschwerte.
Weil ihr der Meister diesen nicht verwehrte.
5.
Vom Pferd wird Doralis dahingetragen,
Dem in dem Leibe steckt der Dämon drin,
Und Fluß und Abhang, Sumpf und Wald verschlagen
Dem Zelter nichts und seiner Reiterin;
Hindurch, wo Englands, Frankreichs Banner ragen
Und aller jener, die mit frommem Sinn
Für Christus, unsern Herrn, die Waffen nahmen,
Bis sie zum König von Granada kamen.
6.
Am ersten Tage sind ihr auf dem Rasen
Ein Stück die beiden Heiden nachgesetzt.
Sie sahen sie – recht fern – von dannen rasen,
Bis sie den Blicken ganz entschwand zuletzt.
Dann folgten sie der Spur, wie nach dem Hasen
Oder dem Rehbock man die Hunde hetzt.
Nicht eher fanden Ruh' die müden Glieder,
Bis man erfuhr, sie sei beim Vater wieder.
7.
Karl, hüte dich! Dir dräuen jetzt Gefahren
Durch Wut und Haß, und Rettung seh' ich nicht.
Unheil soll durch Gradaß dir widerfahren,
Der bald mit Sakripant ins Lager bricht.
Ins Mark zu treffen dich und deine Scharen,
Nimmt dir das Glück zugleich ein Doppellicht,
Der Klugheit und der Stärke hell Gefunkel;
Und blind bist du geblieben, ach, im Dunkel!
[368] 8.
Ich meine Roland und Rinald, die Degen:
Der schweift – in toller Raserei Gewalt –
Mit nacktem Leib bei Sonnenschein und Regen,
Bei Hitz' und Kälte hin durch Berg und Wald;
Und der, viel klüger nicht, auf fernen Wegen,
Fehlt dir, indem er durch die Fremde wallt.
Weil er sie dort nicht (in Paris) gefunden,
Sucht er Angelika, die ihm verschwunden.
9.
Ein ränkevoller alter Zaubrer machte
Ihn glauben (wie ich anfangs hab' erzählt),
Indem er ein phantastisch Trugbild brachte,
Die Schöne habe Roland auserwählt;
Und Eifersucht in seinem Herz erwachte,
Die größte, die noch Liebende gequält.
Kaum hatt' er in Paris den Hof gesehen,
So ließ ihn das Geschick nach England gehen.
10.
Er kam zurück, als in der Schlacht bezwungen
Und ihm zum Ruhm umringt war Agramant:
In jedes Kloster ist er eingedrungen
Und wo ein Haus nur, eine Burg sich fand.
Sie aufzufinden, meint man, wär' gelungen,
Blieb sie nicht eingesperrt durch Säul' und Wand.
Er fand sie nicht und konnte nichts erfragen:
Da zog es ihn, den beiden nachzujagen.
11.
Mit Roland – also dacht' er – wird sie teilen
In Anglant, Brava, Lust und Fröhlichkeit.
Er säumte nicht, nach jeder Burg zu eilen:
Auf keiner ward ihm über sie Bescheid.
Dann sah man zu Paris ihn wieder weilen,
Im Glauben, daß den Grafen mit der Zeit
Die Pflicht doch müss' in seine Hände treiben:
Denn Tadel fand bereits sein Fernebleiben.
[369] 12.
Als ihm so ein, zwei Tage hingegangen
Und Roland nicht erschien, so geht Rinald
Aufs neu nach Anglant, Kunde zu erlangen,
Nimmt auch in Brava suchend Aufenthalt,
Reitet im Dunkeln, bei des Morgens Prangen,
In Mittagsglut, am Abend rauh und kalt
Und macht bei Sonnenlicht und Mondenstrahle
Den Weg nicht einmal, nein, zweihundert Male.
13.
Der alte Feind, der Mutter Evas Streben
Nach dem verbotnen Apfel einst gewandt,
Lenkt seinen scheelen Blick auf Karl, als eben
Der Held Rinald, ihm fern, durchstreift das Land.
Der ganzen Christenheit den Rest zu geben,
Scheint ihm der rechte Augenblick gesandt:
Er hat zum Sturm der Truppen Kern erkoren,
Der auf der Welt vorhanden bei den Mohren.
14.
Den Königen Gradaß und Sakripante
(Sie fanden als Genossen sich zuletzt,
Seit Atlas' Zauberhaus sie nicht mehr bannte)
Hat er den Vorsatz in den Kopf gesetzt,
Zu helfen dem bedrängten Agramante
(Vernichtung drohen sie dem Kaiser jetzt):
Er hat sie durch das fremde Land geleitet
Und ihnen ebnen, guten Weg bereitet.
15.
Es kam ein Geist noch aus der Hölle Mitten,
Der den zwei Heiden jetzt die Pfade wies,
Wo mit dem tollen Roß davongeritten,
Vom andern Geist geleitet, Doralis.
Zuletzt entsandte Satan einen dritten,
Der Roger und Marfisa nicht verließ,
Allein, wenn er auch dieses Paar wohl führte,
Sich nicht so eifrig wie die andern rührte.
[370] 16.
Von ihm gelenkt, verwenden jene beiden
Um eine halbe Stunde mehr an Zeit:
Der schwarze Engel will es schlau vermeiden
(Weil seine Absicht sonst, der Christenheit
Zu schaden, könnte Hinderung erleiden),
Daß um das Roß entbrenne neuer Streit:
Sind Roger und der wilde Mohr zusammen,
Wird augenblicklich frischer Hader flammen.
17.
Hin, wo bereits zu sehen die Quartiere
Der drängenden und der bedrängte Schar
Und die im Winde flatternden Paniere,
Begab sich jenes erste Doppelpaar.
Beratung hielten gleich darauf die viere,
Und das Ergebnis die Entschließung war,
Beistand – trotz Karl – dem Agramant zu geben
Und die Belagerung von ihm zu heben.
18.
Sie sprengten dichtgeschlossen auf dem Wege
Zum Lagerplatz des Christenheers heran
Und künden sich als Heiden allerwege,
Ihr »Afrika und Spanien!« rufend, an.
Dort drüben ward der Ruf nach Waffen rege,
Doch ein Getümmel noch zuvor begann
Und von der Nachhut her ein arg Gedränge;
Schon gibts von Fliehnden eine große Menge.
19.
Kopfüber geht es zu – was Lärm und Schreien
Bedeuten, weiß kein Mensch – im Christenheer.
Sie denken an Gascogner Raufereien
Und Schweizer, denn dergleichen gab es mehr.
Den meisten bleibt der Grund verhüllt; – so reihen
Die einzlen Völker denn sich ringsumher:
Die Trommeln wirbeln, die Trompeten tönen,
Den Himmel macht der mächt'ge Lärm erdröhnen.
[371] 20.
Der Kaiser kommt, von seiner Schar umgeben,
Gewappnet ganz; den Kopf nur trägt er frei.
Er kommt, zu fragen, was sich denn begeben,
Warum gestört des Heeres Ordnung sei;
Hält den und jenen auf; da sieht er eben:
Dem einen schlug ein Hieb die Brust entzwei;
Der kam am Hals und der am Kopf zu Harme,
Dem fehlt die Hand, und der ist ohne Arme.
21.
Dann sah er viele – als er vorgedrungen –
Nicht auf der Erde, nein, in rotem Meer,
Vom eignen Blute schauerlich umschlungen:
Da hilft kein Arzt, kein Hexenmeister mehr;
Sah Köpfe, die von ihrem Rumpf gesprungen,
Und grausig Arm' und Beine ringsumher:
Vom ersten bis zum letzten Zelte lagen
Von seinen Kriegern viele tot, erschlagen.
22.
Da, wo das Fähnlein sich hat durchgehauen,
Für ew'ge Zeiten hellen Ruhmes wert,
In langem Streifen ist das Mal zu schauen,
Das für die Nachwelt hinterließ ihr Schwert.
Karl sieht, erstaunt, mit tiefgefurchten Brauen,
Das Blutbad, während Ingrimm ihn verzehrt,
Wie einer, dem ein Wetterstrahl durchs Haus fuhr,
Sucht, wo der Blitz hinein und wo hinaus fuhr.
23.
Noch nicht gelangt war an des Königs Wälle
Die erste Hilfe, dieses Häufchen klein,
Da – mit Marfisa – dringt an andrer Stelle
Roger, der kühne Held, ins Lager ein.
Nachdem das stolze Paar ein-, zweimal schnelle
Hat ausgeblickt, wo man zu Karl hinein,
Dem eingeschloßnen, komm' auf nächsten Wegen,
Eilt es dem Mohrenlager stracks entgegen.
[372] 24.
So wie, um eine Mine zu entzünden,
Die gier'ge Flamme plötzlich loht und beißt
(So schnell, daß kaum das Aug' es mag ergründen),
Den Weg entlang, den ihr die Furche weist,
Und Krachen, Dröhnen dann den Tod verkünden,
Die Mauer bricht, der harte Fels zerreißt –
Vernichtend so die beiden vorwärtsdrangen,
Mit ihnen ist der Tod den Weg gegangen.
25.
Sie hauen Arm' und Schultern ab in Scharen
Und spalten Köpfe rings die Läng' und Quer',
Wo da nicht flink genug die Leute waren,
Um auszuweichen, in dem Christenheer.
Wer durch ein Tal je sah den Sturmwind fahren,
Den Teil verschonend und verheerend schwer
Die andre Bergeshalde – wird verstehen:
Den Überfallnen mußt' es schlimm ergehen.
26.
Gar mancher, der vor Rodomontes Hieben
Und jener andern auf die Seite bog,
Froh, daß ihm noch ein leichtes Bein geblieben,
Ein flinker Fuß, drauf er von dannen flog,
Ward diesem Paar vom Schicksal zugetrieben
Und fand, wie sehr die Hoffnung ihn betrog;
Weil ja kein Mensch durch Bleiben oder Fliehen
Sich dem bestimmten Lose kann entziehen.
27.
Es fällt, wer der Gefahr sich hat entwunden,
In jene, und den Zoll zahlt sein Gebein.
So läuft der Fuchs mit seiner Brut den Hunden,
Wenn er zu fliehn sucht, ins Gebiß hinein,
Weil sein Versteck der Nachbar hat gefunden:
Der klopft mit tausend Schlägen hinterdrein,
Nun er ihn schlau mit Glut und Rauch gestört hat
Am Ort, der lange Zeit dem Fuchs gehört hat.
[373] 28.
Marfisa ist ins Lager eingetreten
Gesund und heil, Herrn Roger zugesellt.
Mit Jubel grüßt man sie und Dankgebeten,
Und freudig blickt das Aug' zum Himmelszelt.
Vor Karl ist niemand bang mehr und betreten;
Der Feigste trotzt jetzt Hunderten im Feld.
Sie fassen den Beschluß, nach allen Nöten
Sofort mit Blut das Kampfgefild zu röten.
29.
Trompeten, Hörner, Mohrenpauken klingen,
Füllen mit graus'gem Schall den Himmel an.
Paniere und Standarten sieht man schwingen;
Im Winde flatternd, ziehen sie heran.
Von drüben Karls, des Kaisers, Feldherrn dringen
Her mit Bretagnern und Italiens Bann;
Engländer kommen, Deutsche und Franzosen:
Ein blutig wilder Kampf beginnt zu tosen.
30.
Fürst Rodomont, der schreckliche Geselle,
Der starke Mandrikard, von Wut entbrannt,
Der edle Roger, aller Tugend Quelle,
Gradaß, rings in der Welt mit Ruhm genannt,
Marfisa kühn und, der an zweiter Stelle
Genüber keinem steht, Herr Sakripant,
Sie wüten, daß der Kaiser zieht von dannen
Und fleht zu Sankt Denis und Sankt Johannen.
31.
Wie schlimm es diese Ritter all getrieben,
Wie wild Marfisa, wunderbar und groß,
Das wird nicht leicht, o hoher Herr, beschrieben;
Sich's vorzustellen, das vermag man bloß.
Dann sagt man sich, wie viele dort geblieben
An diesem Tag, und welch gewalt'ger Stoß
Traf Kaiser Karl. Nun rechnet noch zu jenen,
Mit Ferragu, manch tapfern Sarazenen!
[374] 32.
Im Fluß ist eine Menge umgekommen,
Die Brücke reicht nicht aus für solche Schar:
Wie Ikarus zu fliegen, wär' willkommen,
Denn vorn und hinten beut der Tod sich dar.
Den Graf von Vienne und Holger ausgenommen,
Fast jeder Paladin gefangen war:
Ein Schwerthieb hat des Dänen Haupt gefunden,
Herr Oliver trägt an der Seite Wunden.
33.
Wär' aus dem Spiel auch Brandimart geschieden,
Wie das durch Roland und Rinald geschah,
Karl hätte flüchtig sein Paris gemieden,
War, nach dem Kampf, er überhaupt noch da.
Der Held vollbringt, was möglich ist hienieden,
Weicht, als er weitres ganz unmöglich sah.
So lachte heut das Glück Herrn Agramante,
Daß er Paris zum zweitenmal umspannte.
34.
Das Schrein der Witwen und beraubten Alten,
Der Weheruf verwaister Kinderlein
Vom Erdendunst zur sel'gen Höhe schallten
Bis in den Sitz Sankt Michaels hinein:
Er sieht: bald werden Wolf und Rabe schalten;
Die Christenheit wird ihre Beute sein;
Aus Frankreich, England und dem deutschen Lande
Die Krieger lagen tot ringsum im Sande.
35.
Es röten sich des sel'gen Engels Wangen,
Weil der Befehl ja nicht vollzogen war
Des Herrn, so schien's; er wähnt sich hintergangen
Von ihr, der Zwietracht falsch und wandelbar.
Zwist zu entflammen, war sie ausgegangen
Auf sein Geheiß hin zu der Heidenschar:
Das Gegenteil war nun durch sie geschehen;
An allen Zeichen meinte man's zu sehen.
[375] 36.
Ein treuer Knecht, an Liebe stark, mit schwachen
Gedächtniskräften, der vor Schreck verging,
Als er vergessen fand hochwicht'ge Sachen,
Darob ihm Leib und Leben schien gering,
Müht sich in Hast, den Fehler gut zu machen
(Sonst merkt sein Herr noch selber ja das Ding):
So will nicht eh'r zu Gott der Engel steigen,
Bis er den Auftrag kann vollzogen zeigen.
37.
Zum Kloster ist er rasch hinabgestiegen,
Wo er die Zwietracht sah so manches Mal;
Er findet sie im Sessel dort sich wiegen,
Als im Kapitel grade große Wahl,
Vergnügt, zu schaun, wie die Breviere fliegen
Um all die Köpfe durch den weiten Saal. –
Da zausen ihr das Haar des Engels Hände,
Und Schläge, Tritte regnet's ohn' ein Ende.
38.
Er hieb sie auf den Rücken, Kopf und Arme,
Mit einem Kreuzesstab, der ihm zerbrach;
Laut heulend fleht sie, daß er sich erbarme,
Umschlingt ihm seine Knie mit Weh und Ach.
Der Engel läßt sie nicht: dem Heidenschwarme
Ins Lager Agramants schickt er sie nach
Und spricht: »Noch schlimmer wird es dir ergehen,
Läßt du dich außerhalb des Lagers sehen.«
39.
Ob ihr zerbleut der Rücken und die Hände,
So denkt der Möglichkeit ihr banger Mut,
Daß sie ein zweites Mal sich noch befände
Unter so grimmen Hieben, solcher Wut.
Drum nimmt sie ihren Blasebalg behende
Und schürt und mehrt die schon entfachte Glut,
Und manche neue weiß sie zu entflammen,
Bis über viele schlägt die Glut zusammen;
[376] 40.
Läßt Rodomont und Mandrikard erglühen:
Sie gehn mit Roger hin zu Agramant
(Karl schuf gerad den Feinden keine Mühen,
Auf deren Seite ja der Vorteil stand)
Und melden, wie der Zwist begann zu sprühen
Und weitergriff, und wie er Nahrung fand,
Und stellen es in ihres Herrn Ermessen,
Welch Paar zuerst sich kämpfend solle messen.
41.
Marfisa kommt mit ihrem Fall desgleichen
Und drängt darauf, mit Mandrikard den Streit
Zu enden jetzt, und will davon nicht weichen,
Weil sie dazu gekommen von so weit.
Kein Tag, nicht eine Stunde soll verstreichen;
Keinem den Vortritt gönnt die kühne Maid;
Nein, sie besteht darauf als ihrem Rechte,
Daß sie zuerst mit dem Tataren fechte.
42.
So will auch Rodomont nicht länger weilen
Und ausgetragen sehn den Streit jetzund,
Den er, um in das Lager herzueilen,
Abbrach und aufschob bis zu dieser Stund'.
Die Stimm' erhebt auch Roger mittlerweilen:
Nicht dulden würd' er, also tut er kund,
Daß Rodomont Frontin, den Renner, nähme
Und nicht zuerst mit ihm zu kämpfen käme.
43.
Da naht, den Wirrwarr ärger noch zu schlingen,
Der Skythe, weigert Roger jedes Recht,
Den Aar zu führen mit den weißen Schwingen,
Und ist so sehr vor Wut des Wahnsinns Knecht,
Daß er die drei auf einmal will bezwingen,
Wenn diese darauf eingehn, im Gefecht.
Und würd' es von dem König nicht mißbilligt,
So hätten auch die andern eingewilligt.
[377] 44.
Mahnend und bittend sucht der Herr der Mohren
Frieden zu stiften, wie er immer kann;
Und als er sieht, er predigt tauben Ohren,
Denn Ruh' und Frieden nimmt nicht einer an,
Hätt' er den einen Ausweg gern erkoren,
Daß sie zum Kampfe gingen Mann für Mann.
Am besten scheint ihm dies zuletzt: den Grimmen
Durchs Los die Reihenfolge zu bestimmen.
45.
Vier Zettel läßt er legen: »Mandrikard« steht
Und »Rodomonte« auf dem einen Blatt;
Auf einem andern »Roger-Mandrikard« steht;
Ein drittes »Rodomont und Roger« hat,
Bis dann »Marfisa« noch und »Mandrikard« steht.
Entscheidung findet nach der Willkür statt
Der laun'schen Göttin, und sie hat erkoren
Den Skythen erst und Rodomont den Mohren.
46.
»Roger und Mandrikard« war dann geschrieben
Und »Roger-Rodomont« als drittes Paar;
»Marfisa-Mandrikard« war noch geblieben,
Darob das Fräulein recht verdrießlich war.
Auch Roger ging es gar nicht nach Belieben:
Er nahm schon oft die Kraft der beiden wahr
Und meint, sie möchten wohl die Streitfäll' enden,
So daß Marfis' und er das Nachsehn fänden.
47.
Ein Ort war bei Paris, nicht ferne eben,
Noch nicht an Umfang eine kleine Stund',
Von einem ziemlich hohen Wall umgeben,
Und bot sich dar wie ein Theaterrund.
Dort stand einmal ein Schloß; – was man sich heben
An Mauern sah, war Trümmerrest jetzund.
Wir können Ähnliches am Wege sehen,
Wenn wir von Parma gegen Borgo gehen.
[378] 48.
Dort machte man, den Kampfplatz abzustecken,
Aus kurzen Hölzern eine Art von Zaun,
Viereckig, wohlgeeignet zu den Zwecken,
Zwei große Pforten waren auch zu schaun.
Am Tag, vom Herrn bestimmt und von den Recken,
(Man brauchte keinen lang zu mahnen, traun),
Ließ man, den Schranken nah, an beiden Seiten
Gegen die Tore hin die Zelte breiten.
49.
Im Zelte, das nach Westen ist gelegen,
Ragt Algiers Fürst empor wie ein Gigant,
Die Drachenhaut ihm um den Leib zu legen
Bemühn sich Ferragu und Sakripant.
Im Zelt nach Osten, ihm gerad entgegen,
Mit Falsiron, Gradaß, der König stand:
Hier wollen mit der Troerwehr die beiden
Den kühnen Sohn des Agrikan bekleiden.
50.
Auf hohem Bühnensitz gebietend thronen
Die Herrn Granadas, Spaniens, Afrikas,
Und was noch sonst von mächtigen Baronen
Das Heer der ganzen Heidenschaft besaß.
Wohl ihm, der hoch auf Zinn' und Baumeskronen
Erhaben ob der niedern Erde saß!
Von allen Seiten kam das Volk in Menge,
Und um die Schranken wogte dicht Gedränge.
51.
Die Königin Kastiliens war erschienen
Und Fürstinnen und edle Fraun genug
Aus Aragon, Granada, die ihr dienen,
Bis wo das Meer an Atlas' Säulen schlug.
Die Tochter Stordilans saß unter ihnen,
Die aus zwei Stoffen reiche Kleider trug:
Das eine grün und eins von blasser Röte,
So zart, als ob ein Hauch die Farbe töte.
[379] 52.
In aufgeschürztem Kleide kam Marfise,
Wie es der Kriegrin anstand und der Frau.
Hippolyta erschien wohl einst wie diese
Mit ihrer Schar auf des Thermodon Au.
Im Wappenrock mit Agramants Devise
Trat nun der Herold auf vor diesem Bau,
Gab das Gesetz mit Strafen und Verboten,
Die jedem, der hier ein sich mische, drohten.
53.
Voll Ungeduld schon harrt dem Kampf entgegen
Der dichte Haufen, der die Ritter schilt
Als Säumige, die langsam sich bewegen;
Da schallt, stets wachsend, ein Getöse wild
Vom Zelte Mandrikards dem Volk entgegen.
Vernehmt, o Herr, wem dieses Lärmen gilt:
Es kommt das wüste Schreien und das Wüten
Vom Serikanerkönig und vom Skythen.
54.
Der Serikaner hat mit eignen Händen
Die Rüstung dem Tataren umgetan
Und will zuletzt sich nach dem Schwerte wenden,
Das Rolands war auf seiner Heldenbahn:
Da sieht er »Durendal« an Griffes Enden
Geschrieben – Almonts Wappen blickt ihn an,
Das einst der junge Roland, bei dem Bronnen
In Aspramont, dem Armen abgewonnen.
55.
Daß es das Schwert des Ritters von Anglante,
Das vielberühmte, sei, wird gleich ihm klar,
Um das sein herrlich Heer (denn niemals kannte
Das Morgenland ein schöneres fürwahr)
Vor kurzem erst Kastilien übermannte
Und auch des Frankenlandes Kriegerschar;
Doch unerklärlich ist ihm eins geblieben:
Wo Mandrikard das Schwert hat aufgetrieben.
[380] 56.
Er fragt, ob er durch Kampf, ob er durch Güte
Das Schwert erhielt, und wo, an welcher Zeit.
Und wie er focht, erzählte drauf der Skythe,
Mit Roland in gewaltig heißem Streit;
Und dieser heuchle Wahnsinn, und er wüte,
Verstecke seiner Seele Bangigkeit:
»Er wußt', im Kriege müss' er mit mir leben,
Bis er die gute Waffe mir gegeben.«
57.
Dem Biber, mein' er, müsse Roland gleichen,
Denn seine Geilen werfe fort das Tier,
Wenn es den Jäger sähe näherschleichen,
Dem es zu tun nur sei um diese hier.
Nicht alles kann Gradassos Ohr erreichen;
Er spricht: »Ich lass' es weder ihm noch dir.
Gekostet hat's mich Gold und Müh' und Leute,
So viel; – mein darf ich's füglich nennen heute.
58.
Du mußt dich einem andern Schwert vertrauen;
Denn dies will ich! Erstaune nicht zu sehr!
Ob Roland heil ist, ob in Wahnsinns Klauen –
Wo ich sie finde, nehm' ich mir die Wehr.
Du fandst das Schwert (kein Zeuge war zu schauen)
Und maßt dir's an; ich bring's zum Richter her,
Mein Säbel sagt den Grund dir auf der Stelle.
Auf! Daß die Schranke hier das Urteil fälle!
59.
Bevor du gehst, das Schwert im Kampf zu schwingen,
Für dich es zu gewinnen sei bedacht;
Zu kaufen gilt es Waffen, zu erringen
Nach altem Brauch – sodann erst geht's zur Schlacht.« –
»Kein süßrer Laut kann mir zu Ohren dringen«,
Die Stirn erhebend spricht der Skyth' und lacht,
»Als der mich aufruft zum Gebrauch der Wehre.
Sieh nur, daß Rodomont die Frist gewähre.
[381] 60.
So gehe du voran, und es gehöre
Dem Sarzakönig dann der zweite Streit!
Sei außer Sorgen, daß ich dich erhöre:
Ich bin für dich und jedermann bereit.« –
»Doch ich will nicht, daß man den Takt mir störe,«
Schrie Roger drein, »man schiebt ihn ja beiseit!
Der Anfang bleibt dem Rodomont mit Rechte,
Komm' ich nicht selbst als Erster zum Gefechte.
61.
Und will sich's, wie Gradaß es sagt, gebühren,
Daß man erwirbt die Waffen, eh man ficht,
So darfst du auch den weißen Aar nicht führen;
Zuerst mich zu entwaffnen, wäre Pflicht.
Doch weil ich schon mich drein gefunden, rühren
Werd' ich an meinen Spruch auch jetzo nicht,
Bleibt Rodomonte nur der erste Streiter,
So daß ich selber nach ihm komm' als zweiter.
62.
Denkt ihr ein Stück der Ordnung aufzuheben,
Heb' ich sie ganz auf, sag' ich euch bestimmt.
Und meinen Schild sollst du sofort mir geben,
Wenn deine Faust nicht gleich die Waffe nimmt.« –
»Und wär' auch Mars in Euch zu neuem Leben,«
Antwortet Mandrikard jetzund ergrimmt,
»So wär doch keiner da, der mir verwehrte,
Beim Adler zu verbleiben und beim Schwerte.«
63.
Und Jähzorn ließ ihn jetzt die Fäuste ballen:
Über den Serikaner fiel er her
Und schlug ihn auf die rechte Hand: entfallen
Mußte ihm Durendal, die gute Wehr.
Gradaß sah – nicht gewärtig bei dem allen,
Daß jener solchen Wahnsinns fähig wär' –
Nun unversehens sich das Schwert entrissen
Und mußte Durendal, die hehre, missen.
[382] 64.
Als Wut, Beschämung keine Grenzen kannte
Und Flammen sein Gesicht zu sprühen schien,
Da fühlt' er, daß die Schmach ihn doppelt brannte,
Denn man beschimpfte vor den Leuten ihn.
Rückwärts, nach schwerer Rache dürstend, wandte
Er sich etwas, den Säbel rasch zu ziehn.
Des Skythen Zuversicht ist nicht geringe:
Er fordert auch noch Roger vor die Klinge:
65.
»Kommt nur, ihr beiden, daß ich euch empfange!
Es komm' auch noch als Dritter Rodomont!
Spanien und Afrika halt' ich die Stange:
Das Fliehen hab' ich nimmer ja gekonnt!«
So spricht er (nichts auf Erden macht ihm bange)
Und schwingt dabei das Schlachtschwert des Almont.
Den Schild ergriff er – wild die Klinge zog er,
Verächtlich blickend auf Gradaß und Roger.
66.
»Laß mir die Kur!« so rief Gradaß. »Wirst sehen:
Von seiner Tollheit heil' ich jenen dort.«
»Nichts lass' ich dir, bei Gott! Mir soll er stehen,«
Rief Roger drauf, »da geb' ich dir mein Wort.«
»Geh du zurück!« »Nein, du!« – Die beiden gehen
Nicht einen Schritt und schreien immerfort.
Schon wollten sie zu dreien gar sich raufen,
Und sicher wär's als toller Spaß verlaufen,
67.
Doch zwischen dieses Wüten kam gefahren
Ein großer Hauf, ob schlecht beraten schon;
Fast hätten sie am eignen Leib erfahren:
Vermittlern wird gar oft ein übler Lohn.
Nichts auf der Welt wohl trennte die Barbaren,
Wär' mit dem Spanierkönig nicht der Sohn
Trojans, des hochberühmten Herrn, erschienen,
Dem alle andern voller Ehrfurcht dienen.
[383] 68.
Herr Agramant hört den Bericht, weswegen
Aufs neu entbrannt sei solch ein wilder Streit,
Und sucht den Mandrikard dann zu bewegen,
Daß er Gradaß erlaub' in Freundlichkeit,
Das Schwert – an diesem Tag nur – anzulegen,
Das Hektor einst, der Held, trug an der Seit',
Bis Zeit es sei, den Zwist, den er in Händen
Mit Rodomont schon habe, zu beenden.
69.
Derweilen sorglich Ruh' zu schaffen dachte,
Bald den, bald jenen mahnend, Agramant,
Vernahm er, daß ein neuer Zank erwachte
(Jetzt zwischen Rodomont und Sakripant):
Zirkassiens Fürst – wovon Bericht ich machte –
Mit Ferragu bei Rodomonte stand,
Ihn mit den Waffen, wie es sich gebührte,
Zu rüsten, die sein Ahnherr, Nimrod, führte.
70.
Dann gingen zu dem Pferde hin die beiden,
Das schäumend an dem reichen Zügel riß,
Frontin, um den sich unter Gram und Leiden
Herr Roger wütend auf die Lippen biß.
Gern wäre Sakripant, der einzukleiden
Solch einen starken Ritter hat, gewiß,
Ob gut das Tier beschlagen, wohlversehen,
So wie es sich geziemt, zum Kampf zu gehen.
71.
Wie staunt er, als bei näherem Betrachten
Der zierlich schlanke Bau, der feine Bug
Und alle Zeichen deutlich kund ihm machten,
Milchstirn sei dies, der Hengst, der einst ihn trug!
Den aufzufinden lange schon sein Trachten!
Um den er ja getrauert schon genug!
Nie wollt' er fürder sich zu Pferde setzen:
So wußt' er dieses edle Tier zu schätzen.
[384] 72.
Es war ihm vor Albrakka fortgeschwunden:
Ihm stahl's Brunel am gleichen Tage ja,
Als er Angelika den Ring entwunden
Und Roland Wehr und Horn gestohlen sah,
Ihr Schwert Marfisa: seinen Weg gefunden
Hat dann der Schelm zurück nach Afrika,
Wo Pferd und Wehre an Herrn Roger kamen:
»Frontin« gab er dem guten Roß als Namen.
73.
»Herr«, spricht er dann, zu Algiers Fürst gewendet
(Bestimmt erkannt' er seinen Renner dort):
»Das Tier ist mein: es wurde mir entwendet;
Man stahl mir's vor Albrakka heimlich fort.
Durch Zeugen würde Zweifel leicht geendet,
Doch gibt es deren keine hier am Ort.
Bestreitet's einer, in der Hand das Eisen,
Will ich die Wahrheit meines Worts beweisen.
74.
Ich sag' als dein Genoß in diesen Tagen:
Ich willige für heute gern darein,
Daß dich der Renner soll beim Kampfe tragen;
Ich seh' ja wohl, es kann nicht anders sein.
Doch mußt du dem Besitzesrecht entsagen
Und anerkennen, daß der Renner mein.
Du kannst ihn nicht auf andre Art dir schaffen;
Sonst müßtest du mir stehen mit den Waffen.«
75.
Und Rodomont, der stolzeste der Degen,
Die jemals führten Stahl in ihrer Hand,
Dem auch als Gleicher keiner tritt entgegen
Von allen, die vorher die Welt gekannt,
Erwidert: »Wär' ein andrer so verwegen,
Zu sprechen so wie du, mein Sakripant,
Es wäre wahrlich besser für den Toren
– Er sollt' es sehen –, wär' er stumm geboren.
[385] 76.
Doch weil wir als Genossen, sagst du, gingen
Und wir den Weg hierher vereint gemacht,
So will ich Rücksicht dir entgegenbringen
Und raten: sei zu warten hübsch bedacht,
Bis meine Art, mit Feinden umzuspringen,
Der Kampf dir zeigt, den der Tatar entfacht.
Du wirst Belehrung dann von hinnen tragen
Und freundlich bittend: ›Nimm den Renner!‹ sagen.«
77.
»Da grobe Worte dir für artig galten,«
Rief der Zirkassier drauf, von Zorn verzehrt,
»Sag' ich's dir deutlich jetzt: du wirst nicht schalten
Mit meinem Renner, wie dein Sinn begehrt.
Solang ich's rächend mag in Händen halten,
Verwehrt dir solches hier mein gutes Schwert.
Zerbricht es, sollst du nicht besiegt mich wähnen;
Dann wehr' ich dir's mit Nägeln und mit Zähnen!«
78.
Da sie von Worten nun zu Taten gehen,
Ist nach dem Schrein und Drohn das Schwert zur Hand;
Weil schneller Streit und Kampf aus Zorn entstehen,
Als mit dem Stroh wird Feuer angebrannt.
Mit voller Rüstung ist der Mohr versehen,
Und Schiene nicht noch Ring hat Sakripant;
Doch flink und hurtig und geschmeidig wehrte
Zirkassiens Fürst sich bloß mit seinem Schwerte.
79.
Vor Rodomontes Wucht, die ohnegleichen,
Wie seine große Wildheit, auf der Welt,
Will die Gewandtheit nicht die Segel streichen,
Die Sakripant zu seiner Kraft gesellt.
Kaum kann so große Schnelligkeit erreichen
Der Stein, der in der Mühle Korn zerspellt;
So weiß sich Sakripant mit Füßen, Händen
Bald hier-, bald dorthin, wie er's braucht, zu wenden.
[386] 80.
Doch Serpentin und Ferragu, sie kamen,
Das Schwert gezückt, und mischten sich hinein,
Auch Isolier und Herrn von stolzem Namen;
Grandon mit vielen andern stellt sich ein.
Dies war der Lärm, den sie im Zelt vernahmen,
Vergebens wollte aller Mühe sein,
Die, Roger, Fürst Gradaß und den Tataren
Noch zu versöhnen, hergekommen waren.
81.
Die Nachricht kam zu König Agramante
Als wohlverbürgt, daß um den Renner sich
Dort zwischen Rodomont und Sakripante
Entspann ein Zweikampf wild und fürchterlich;
Worauf der König zu Marsil sich wandte
Und zu ihm sprach: »Sogleich bemühe dich,
Daß Schlimmres zwischen diesen nicht geschehe,
Indes ich nach der andern Störung sehe.«
82.
Als ob vorm König jetzt sein Zorn verglimme,
Weicht Rodomonte in den Hintergrund;
Auch Sakripant, gebietend seinem Grimme,
In Ehrfurcht vor dem Herrn beiseite stund.
Voll Hoheit, und mit ernster, tiefer Stimme,
Fragt Agramant sie nach des Zwistes Grund
Und sucht darauf den Streitfall beizulegen,
Doch ohne Wirkung bleibt es auf die Degen.
83.
Sein gutes Roß will der Zirkassier wieder
Und Algiers König zwingen zum Verzicht,
Beugt er sich nicht so weit zur Demut nieder,
Daß er an ihn ein Wort der Bitte richt't.
Doch stolz blickt Rodomont und reckt die Glieder
Und ruft: »Nicht du und auch der Himmel nicht
Wird jemals mich das abzugeben zwingen,
Was ich durch meine Stärke kann erringen.«
[387] 84.
Der König heischt, daß Sakripant berichte,
Welch Recht er hat und wie das Pferd verschwand:
Und nach und nach erzählt er die Geschichte,
Und seine Stirne kam vor Scham in Brand,
Als er beschrieb, wie von dem schlauen Wichte,
Der in Gedanken ihn versunken fand,
Gestützt der Sattel durch der Speere vier ward
Und unter ihm geraubt das nackte Tier ward.
85.
Marfisa war bei dem Geschrei erschienen;
Als sie vom Raube jenes Pferds vernahm,
Sah man sie stillstehn, mit betroffnen Mienen,
Weil sie ja damals um ihr Schlachtschwert kam.
Das Roß erkennt sie, dem der Wind zu dienen
Beim Fliehen schien, den Renner wundersam;
Sieht auch den guten König Sakripante,
Der sie die Zeit vorher noch nicht erkannte.
86.
Bekannt war alles rings den Mohrendegen
(Oft prahlte mit dem Meisterstreich Brunel):
Sie wandten sich mit Zeichen ihr entgegen
Und Winken: also sei's auf alle Fäll'.
Doch wollte noch Verdacht in ihr sich regen;
Sie fragt bald hier, bald dort, und findet schnell,
Es sei nach allem, was man sagt und glaubte,
Bestimmt Brunel, der dort das Schwert ihr raubte.
87.
Sie hört auch dies: der Schuft erhielt zum Lohne,
Statt um den Hals gedreht ein hanfen Band,
Durch König Agramant die Herrscherkrone
– Ganz unerhört – im Tingitanerland.
Gedenkend, wie zu Schmach ihr ward und Hohne,
Daß unterwegs man ohne Schwert sie fand,
Voll neuen Grimmes ob der alten Sache
Beschließt sie augenblicklich böse Rache.
[388] 88.
Sie ließ vom Knappen ihren Helm sich geben;
Mit andern Waffen war sie wohlversehn.
Daß sie ohn' Harnisch ging, in ihrem Leben
Find' ich dafür noch nicht der Fälle zehn
Vom Tag, da sie, dem Kriegeswerk ergeben,
Zuerst sich ließ im Eisenkleide sehn.
Dann geht sie hin, im Helm und voll gerüstet,
Wo in den ersten Reihn Brunel sich brüstet.
89.
Sie packt ihn an der Brust beim ersten Pralle
Und hob ihn in die Höh' (so hebt fürwahr,
Wenn er's ergriffen hat mit krummer Kralle,
Das Huhn empor der räuberische Aar)
Und trug ihn hin, wo um den König alle
Die Ritterschaft beim Zwist versammelt war.
Brunel, der merkt, er ist auf üblem Pfade,
Weint unaufhörlich, schreit und fleht um Gnade.
90.
Trotz alles Lärms und Dröhnens in den Zelten,
Wie groß im Lager rings das Toben sei,
Die Rufe des Brunel so mächtig gellten,
Sein Gnadewimmern und sein Hilfgeschrei,
Daß Volk und Krieger sich zusammenstellten
Und alles lief auf diesen Ton herbei.
Zum Afrikanerkönig trat Marfise;
Die stolze Rede, die sie sprach, war diese:
91.
»Aufhängen will ich mit den eignen Händen
Hier diesen Dieb; als Lehnsmann dient er dir;
Am Tag, da er den Renner ging entwenden
Dem andern dort, stahl er den Degen mir.
Hat einer was dagegen einzuwenden,
Er trete vor und sprech' ein Wörtlein hier;
Die Lüge schieb' ich ihm in seine Schuhe
Und zeig' ihm, daß ich meine Pflicht nur tue.
[389] 92.
Doch sagt man etwa, daß ich dies nur wage,
Weil viele unsrer Helden jetzt entzweit,
Und mancher, der berühmtern Namen trage,
Verhindert sei durch einen andern Streit,
So gönn' ich diesem Manne noch drei Tage,
Bis ihm zu helfen einer sei bereit.
Nachher, wenn keiner kommt, der mir's verweise,
Geb' ich den Vögeln seinen Leib zur Speise.
93.
Von hier zu jenem Turm hin will ich gehen,
Der nahe beim Gehölz zum Himmel ragt;
Zur Seite soll mir kein Geleite stehen
Als nur ein einz'ger Knapp' und eine Magd;
Und wer den Schelm hier will in Freiheit sehen –
Ich warte dort, daß er ihn ab mir jagt!«
Sie sagt's und wendet sich nach jenem Orte
Und wartet nicht auf eines andern Worte.
94.
Sie hält ihn alldieweile bei den Haaren
Und legt vor sich aufs Pferd Brunel, den Wicht.
Der weint und fleht, vorm Tod ihn zu bewahren,
Ruft jeden an, des Hilf' er sich verspricht.
Bestürzt steht Agramant: aus den Gefahren
Von diesen schweren Händeln kommt er nicht.
Am meisten aber ist sein Sinn beklommen,
Daß sich Marfisa den Brunel genommen.
95.
Nicht daß er jenen liebe oder achte;
Nein; Haß vielmehr statt jeder Neigung kam,
So daß er oftmals sich Gedanken machte,
Seit man den Ring von diesem Schelme nahm.
Doch weil man in das Spiel die Ehre brachte,
Erglühen ihm die Wangen heiß vor Scham.
Ihr nach gedenkt er eilig aufzubrechen
Und sich mit aller Macht an ihr zu rächen.
[390] 96.
Da ist es Fürst Sobrin, der – grad zugegen –
Ihm dies Beginnen ernstlich widerrät.
Die große Höhe stellt sich dem entgegen,
So meint er, von des Königs Majestät.
Und kann man auch die feste Hoffnung hegen,
Daß er als Sieger aus dem Felde geht,
Sagt man: mit Müh' ein Weib zu überwinden,
Bringt Ehre nicht, nein, Tadel muß es finden.
97.
Recht groß sei die Gefahr, gering die Ehre
Jedweden Kampfes mit der Kriegerin,
So daß man aller Not am besten wehre,
Gab' er Brunel ihr für den Galgen hin.
Und wenn ein Wink genug zur Rettung wäre,
So dürfe doch der Herr in seinem Sinn
Nicht daran denken, weil er sonst ja störe,
Was zur Gerechtigkeit einmal gehöre.
98.
»Du kannst nun Botschaft an Marfisa senden:
Sie möge dir das Richtamt zugestehn.
Am Galgen solle jener Räuber enden;
Sie werde völlig sich befriedigt sehn.
Doch käm' es, daß die Bitten taub sie fänden –
Wohlan, was sie verlangt, das laß geschehn.
Sie möge, wenn sie treu und Freund dir bliebe,
Den Falschen hängen und die andern Diebe!«
99.
Gern folgte diesem Rat des weisen Alten,
Des Vielerfahrnen, König Agramant:
Er ging nicht selbst und ließ Marfisa schalten,
Schuf ihr auch Kränkung nicht durch andre Hand;
Der Bitten wollt' er gleichfalls sich enthalten,
Ließ alles gehn, wie schwer er's auch empfand,
Um größre Streitigkeiten zu bezwingen –
Und in sein Lager endlich Ruh' zu bringen.
[391] 100.
Darüber muß wie toll die Zwietracht lachen.
Daß je hier Friede sei, sorgt sie nicht mehr.
Sie weiß nicht recht, was vor Vergnügen machen,
Und läuft und tanzt durchs Lager hin und her.
Auch Stolz will immer mehr die Glut entfachen
Und springt mit ihr herum und freut sich sehr.
Er schreit so laut, daß in den luft'gen Reichen
Sankt Michel oben hört das Siegeszeichen.
101.
Bei diesem Ton ging durch Paris ein Beben,
Die Seine schäumte übern Uferrand;
Er klang, wo die Ardennen sich erheben,
Daß all Getier aus seinem Nest entschwand;
Algier und die Cevennen Antwort geben
Und Blaye und Arles und von Rouen der Strand.
Er klang am Rhein wie an Garonn' und Saône;
Ihr Kind umschlang die Mutter an der Rhône.
102.
Fünf Ritter lassen ihre Waffen klirren,
Zu enden als die Ersten ihren Zwist,
Der so verschlungen scheint; Apoll muß irren,
Wenn er den Fall zu klären sich vermißt.
Der König denkt den Knäuel zu entwirren
Des nächsten Streits, von dem gemeldet ist,
Daß um die Tochter Stordilans der Skythe
Und auch sein Afrikaner sich bemühte.
103.
Er will, die beiden sollen sich vergleichen,
Spricht mit dem einen und dem andern dann
Und gibt von güt'gem Sinne manches Zeichen,
Wie ein gerechter Herr und Freund nur kann,
Und als sie beide nicht vom Platze weichen,
Hartnäckig taub (denn keinem stand es an,
Freiwillig jener Schönen zu entsagen,
Um die sie beide sich in Haaren lagen),
[392] 104.
Entschließt er sich zuletzt zu dem Befehle
(Und einverstanden sind die andern zwei),
Daß jene sich als Gattin den erwähle,
Der von den beiden ihr der liebste sei,
Kein Schwanken, welchen immer auch sie wähle,
Solle dann gelten mehr, noch Zänkerei.
Ein Ausweg, dem die Herrn nicht widerstreben;
Sie wähle ihn nur, meint ein jeder eben.
105.
Der Schönen war der Sarzafürst verbunden
In treuer Liebe eine längre Zeit
Und hatte jede Gunst bei ihr gefunden,
Die wohl ein keusches Kind dem Liebsten weiht.
Drum kündet ihm der Spruch beglückte Stunden;
Gesichert meint er seine Seligkeit;
Nicht er allein; der gleichen Ansicht waren
Die andern sämtlich in den Mohrenscharen.
106.
Sie wissen alle, was mit Jagen, Streiten
In Krieg und Spiel der Mohr für sie vollbracht:
Den Skythen müsse doch der Teufel reiten,
Daß er, verblendet, den Vertrag gemacht.
Doch der gedenkt bei sich der Heimlichkeiten,
Die er mit ihr gehabt in stiller Nacht;
Er weiß, ihm kann die Trümpfe niemand rauben
Und lacht nur dessen, das die andern glauben.
107.
Die Nebenbuhler, stolz und stark, vollzogen
Die Übereinkunft in des Königs Hand.
Als sie selband nun zu der Dame zogen,
Senkt sie die Augen schamhaft auf den Sand:
Dem Skythenfürsten sei sie mehr gewogen,
Sprach sie, und alles höchst betroffen stand,
Verwirrt und so bestürzt Fürst Rodomonte,
Daß er den kühnen Blick nicht heben konnte.
[393] 108.
Doch als die Scham, die auf der Wang' ihm brannte,
Vor der gewohnten Zorneswut erblich,
Zog er sein Schwert und schwang es hoch und nannte
Den Spruch verkehrt und falsch und freventlich
Und rief – die Menge hört's und Agramante –:
»Dies gebe den Entscheid, verlange ich,
Nicht eines Weibes launenhaftes Schwanken,
Das nur auf Schlechtes richtet die Gedanken!«
109.
Aufs neue hat sich Mandrikard erhoben
Und spricht: »Gesehen' es denn nach deinem Wort!«
So ginge weiter wohl des Sturmes Toben,
Bevor das Schifflein käm' in sichern Port;
Allein der König hat die Schuld geschoben
Auf Rodomont: der darf nicht länger dort
Den andern reizen dieses Zwistes willen;
Und so gelang's, das wilde Meer zu stillen.
110.
Zwiefach beschämt durch seine Niederlage
Sieht sich der Fürst vor aller Mohrenschar:
Von seiner Dame und am selben Tage
Vom Herrn, dem er auch jetzt gehorsam war.
Drum sinnt er, daß der Fuß ihn weitertrage,
Und von den Seinen wählt er aus ein Paar,
Von all den vielen nur die beiden Mannen,
Und sprengt vom Mohrenlager rasch von dannen.
111.
Der Stier, dem seine Jungkuh ward entrissen,
Die einem stärkern Werber sich ergab,
Er wendet sich, der Einsamkeit beflissen,
Den Weiden fern, zum dürren Sand hinab;
Bei Tag und Nacht dort brüllt er schmerzzerrissen,
Und doch nimmt seine Liebeswut nicht ab:
So sucht der Mohr, betäubt von seinen Leiden,
Sein falsches Lieb und alle Welt zu meiden.
[394] 112.
Ihm nach gedachte Roger sich zu wenden,
In Waffen schon: er will sein gutes Pferd;
Den Handel aber gilt es erst zu enden
Mit Mandrikard – so fällt ihm ein – durchs Schwert.
Er läßt es bei des Mohren Flucht bewenden
Und hat sich gegen Mandrikard gekehrt,
Bevor zum Kampf der Serikaner schreite
Ob Durendals an des Tataren Seite.
113.
's ist hart, daß sein Frontin ihm so entschwindet –
Vor Augen – und er's nicht verwehren kann.
Doch wenn der Handel hier ein Ende findet,
Steht eins ihm fest: er holt den Renner dann.
Herr Sakripant, den hier kein Streitfall bindet,
Wie Roger, bricht indes als freier Mann,
Den nichts zurück mehr hält auf diesen Fluren,
Rasch auf und folgt des Sarzakönigs Spuren.
114.
Ihn einzuholen, wär' ihm auch gelungen,
Hätt' ihn nicht unterwegs ein sondrer Fall
Zur Rast bis in die Abendzeit gezwungen,
Und so verlor er denn die Spuren all:
Ein Fräulein, von der Seineflut verschlungen,
Es wär' ertrunken in dem Wogenschwall,
Kam nicht die Rettung mit der größten Schnelle –
Er sprang hinein und zog sie aus der Welle.
115.
Darauf war ihm der Renner durchgegangen:
Nicht willig bot er sich dem Zügel dar
Und ließ sich ohne weiteres nicht fangen:
Der Reiter folgt' ihm, bis es Abend war;
Dann faßt er ihn; wie nun zurückgelangen?
Der Weg zur frühern Stelle war nicht klar.
Zweihundert Meilen sucht er Rodomonte
Bergauf und -ab, bis er ihn finden konnte.
[395] 116.
Wo er ihn fand und wie dann ward gestritten
Mit großem Nachteil für Herrn Sakripant,
Wie er das Pferd verloren, Haft erlitten,
Das sag' ich nicht; zuerst mach' ich bekannt,
Wie Rodomont vom Lager fortgeritten,
Das Herz voll Ingrimm gegen Agramant
Und jene Dame, seine Augenweide,
Und wie er sich beklagte über beide.
117.
Wo er nur ging, durchbohrt von Schmerz unsäglich,
Entzündet' er die Luft mit Seufzern heiß.
Mitleid'gen Echos Antwort schallt ihm kläglich
Aus hohlem Fels entgegen laut und leis:
»O Frauensinn, wie bist du leichtbeweglich,
Der immer sich zu drehn, zu wenden weiß,
In dem das Gegenbild der Treu' ich sehe;
Dem Armen, der dir traute – wehe, wehe!
118.
Kein langes Dienen, keine große Liebe
(Durch tausend Zeichen ja dir klar und hell)
Erreichten, daß dein Herz gefesselt bliebe,
Zum wenigsten nicht schwankte gar so schnell.
Warum doch suchten jenen deine Triebe?
Ich bin so viel doch wert wie der Gesell;
Kein Grund ist, den ich für den Fehlschlag kenne
Als dieser eine: daß man Weib dich nenne.
119.
O bös Geschlecht, dich wollte Gott bescheren
Zur Strafe dieser Welt; das glaub' ich fest;
Dem Mann als schlimme Last, ihn zu beschweren:
Sonst wär' ihm Leben ein zu großes Fest;
Wie die Natur ja Schlangen, Wolf und Bären
Und für das Reich der Luft entstehen läßt
Die widerwärt'gen Bremsen, Wespen, Mücken
Und in den Weizen mischt des Unkrauts Tücken.
[396] 120.
Was konnte die Natur sich nicht entschließen,
Den Mann allein zu schaffen, ohne dich?
So wie durch Menschensorgfalt Äpfel sprießen
Und Birnen, Kirschen, alles ganz für sich.
Doch übers Ziel muß sie ja immer schießen;
Und seh' ich näher zu, so finde ich,
Daß nichts Vollkommenes in ihrem Bau ist,
Weil die Natur ja selber eine Frau ist.
121.
Drum sollt ihr euch nicht blähen und erheben,
Ihr Fraun, nennt ihr den Mann gleich euren Sohn,
Weil Rosen auch die schlechten Dornen geben;
Die Lilie hat ein stinkend Kraut zum Thron.
Hochmütig, giftig, niedrem Tun ergeben,
Kennt ihr nicht Lieb' und Treu', nur Spott und Hohn;
Grausam und ungerecht, leichtsinn'ge Toren,
Der Welt zum ew'gen Fluch seid ihr geboren!«
122.
Mit diesen und mit vielen andern Klagen,
Endlosen, trabt der arme Fürst daher
(Bald laut, daß es die Winde fernhin tragen,
Bald murmelnd spricht er, kaum vernimmt man's mehr)
Und schilt das Fraungeschlecht und sein Betragen;
Das war ganz sicher unverständig – sehr:
Auf ein, zwei schlechte gibt es, ich vermute,
Wohl unter ihnen an die hundert gute.
123.
Fand ich auch selber freilich keine treue,
Obschon mir manche schenkte ihre Huld,
Nenn' ich sie doch nicht undankbar (ich scheue
Mich dessen), gebe meinem Los die Schuld.
Es waren viel und sind, die ohne Reue
Der Mann sich lobt, hat er nur hübsch Geduld.
Doch, ist von hundert eine schlimm – auf Erden –
Mein Schicksal will's – muß ihre Beut' ich werden.
[397] 124.
Nun will ich suchen, ob ich es erreiche,
Daß eine wohl auch mir die Treue hält,
Vor meinem Ende, eh das Haar mir bleiche;
Vielleicht lebt eine doch auf dieser Welt.
Und find' ich sie (daß nie die Hoffnung weiche!)
Ihr öffne ich, soweit es ihr gefällt
Und ich es nur vermag, des Ruhmes Pforten
In Vers und Prosa und mit Tint' und Worten!
125.
Bald zeigte sich's, daß ebenso im Grimme
Gegen den König sich der Mohr gefiel:
Er schalt ihn laut mit aufgebrachter Stimme
Und schoß damit aufs neue übers Ziel,
Wünschte dem Reich des Herren alles Schlimme,
Von Stürmen und von Ungemach so viel,
Daß es in Afrika zum Ende treibe
Und nicht ein Stein mehr auf dem andern bleibe.
126.
Und daß der König arm und elend lebe,
Verjagt aus seinem Reich, in Weh und Leid,
Und er durch Treu' ihn auf den Thron erhebe,
Ihm wiederbringend alte Herrlichkeit,
Und also deutlich den Beweis ihm gäbe,
In Recht und Unrecht sei zu jeder Zeit
Der Freund zu schützen und auf alle Fälle,
Ob sich die ganze Welt dagegenstelle.
127.
So in Gedanken, in des Unmuts Träumen,
Was er dem Herrn, was seiner Dame tu',
Ritt er gewalt'ge Strecken ohne Säumen:
Frontin dem Hengste gönnt' er wenig Ruh'. –
Tags drauf sah er der Saône Wogen schäumen
Und sprengt' aufs Meer geradesweges zu,
Hin zur Provence; denn seine Pläne waren,
Nach seinem Reich in Afrika zu fahren.
[398] 128.
Von Booten und von Kähnen sonder Ende
Wimmelt der Fluß bis an den Uferrand.
Von vielen Seiten ward aus dem Gelände
Verpflegung für die Truppen hergesandt,
Seitdem gefallen in der Mohren Hände –
Von Stadt Paris bis zu dem holden Strand
Von Aiguesmortes –, was man nach rechts an Auen,
Gerichtet gegen Spanien hin, kann schauen.
129.
Daß man auf Wagen, Tiere sie verlade,
Wird aus den Kähnen weggeschafft die Fracht
Und fortgezogen auf dem Uferpfade,
Wo sich der Wasserweg unmöglich macht.
Von feistem Schlachtvieh voll sind die Gestade,
Das rings aus den Provinzen ward gebracht.
Die Führer, die das Vieh am Ufer treiben,
Zur Nacht in den verschiednen Häusern bleiben.
130.
Nun bat ein Landwirt (immer düstrer balle
Sich Nachtgewölk, und Dunkel brech' herein)
Den König Algiers, daß es ihm gefalle,
Bei ihm, dem Bauersmanne, Gast zu sein.
Die Mahlzeit kam, sobald das Pferd im Stalle,
Mit Speisen mannigfalt und Griechenwein.
Ob sonst ein Sarazen, nahm von den Franken
Der Fürst doch gern die Weine, die sie tranken.
131.
Mit guter Tafel und noch beßrer Miene
Sucht seinen Gast der Landwirt zu erbaun;
Denn daß er einem großen Herren diene,
Das könnt' er an des Ritters Wesen schaun.
Der sitzt, als ob er selbst entrückt sich schiene,
Und zeigt den ganzen Abend üble Laun'
Und schweigt, weil wider Willen die Gedanken
Aufs neu zurück zu seiner Herrin schwanken.
[399] 132.
Der Wirt mocht' einer von den höchstgewandten
Und besten aus dem Frankenlande sein;
Da Feinde seine Habe nicht entwandten
(Kehrt auch recht viel Gesindel bei ihm ein),
Nahm er zu seiner Hilfe von Verwandten
Ein paar geschickte Leut' zu sich herein.
Als man den Mohr gedankenvoll und stumm sah,
Sprach niemand, wie auch keiner nur sich umsah.
133.
Dem schweifen in die Weite die Gedanken,
Auf dieses bald und bald auf das gericht't,
Wobei die Augen nicht vom Boden wanken,
Und keinem blickt er in das Angesicht.
Aufseufzend tief zuletzt gleich einem Kranken,
Der mühsam aus dem Schlaf erwacht zum Licht,
Rafft er sich auf, und mit erhobnen Brauen
Beginnt er die Gesellschaft anzuschauen.
134.
Mit hellerm Blick und freundlicherm Betragen,
Minder verstört, bricht er das Schweigen dann
Und wendet an die Leute sich mit Fragen:
Sei unter ihnen wohl ein Ehemann?
Als »ja« der Wirt und all die andern sagen,
Fragt er nach ihrer Antwort weiter an,
Was ihre Meinung sei von ihren Frauen,
Und ob sie wohl auf deren Treue bauen.
135.
Ein jeder spricht nun gut von seinem Weibe,
Den Landwirt ausgenommen ganz allein.
Der sagt: »Mit eurem Wahn geht mir vom Leibe!
Ich weiß ja doch, euch trügt ein falscher Schein.
Nun kostet euch die Dummheit dies: ich bleibe
Dabei, ihr seid nur Gimpel insgemein.
Der Ansicht wird der Herr hier gleicherweis sein;
Wenn nicht, so müßte Schwarz für ihn ja Weiß sein.
[400] 136.
Man findet außer einem Phönix keinen;
Nur immer einen hat die weite Welt.
So gibt's von Männern, sagt man, auch nur einen,
Den seine Gattin nicht zum Narren hält.
Ein jeder nimmt den Glücksfall für den seinen:
Er trägt die Palme, der erlesne Held!
Wie kann denn das für jeden möglich werden,
Wenn niemals mehr als einer lebt auf Erden?
137.
Einst war ich selber in dem Wahn befangen,
Es gäbe noch der keuschen Fraun genug.
Da kam ein Venezianer Herr gegangen,
Den in das Haus mein guter Stern mir trug.
Durch manch Exempel wußt' er's anzufangen,
Daß die Betörung mir entschwand im Flug.
Valerio – Johann Franz – ist er geheißen;
Das kann mir nichts aus dem Gedächtnis reißen.
138.
Der Frauen Ränke wußt' er zu berichten,
Kannt' ihre Listen all und Schelmerein,
Aus Altertum und Neuzeit die Geschichten,
Und gab, was er erfahren, obendrein.
Er zeigte, keusche Frauen gäb's mit nichten,
Ob es nun arme oder reiche sei'n.
Glaubt man einmal, man habe eine reine,
Ist's, weil sich gut verstellt die liebe Kleine.
139.
Und unter andern viel (mir ist geblieben
Von allem nur der dritte Teil vielleicht)
Ist ein Geschichtchen wie in Stein geschrieben
In meinen Kopf, daraus es niemals weicht.
Wer's hört, wird ob der Argen – schlau, durchtrieben –
Zur Ansicht kommen, die der meinen gleicht.
Das möcht' ich zur Beschämung ihnen allen,
Erzählen, will es Euch, o Herr, gefallen.«
[401] 140.
»Ich wüßte«, sprach der Sarazen, »mit nichten,
Was mehr Vergnügen mir zur Zeit verspricht
Als ein Exempel, eine der Geschichten:
Sie setzen, was ich denke, hell ins Licht.
Daß ich kann besser hören, du berichten,
Sitz her zu mir und schau mir ins Gesicht.«
Was nun der Wirt dem Mohren vorgetragen,
Das werd' ich in dem nächsten Sange sagen.

[402] Achtundzwanzigster Gesang

1.
Ihr Fraun, und wer die Frauen weiß zu schätzen,
Ich bitt' euch, leiht der Märe nicht das Ohr,
Die jener Wirt, um euch herabzusetzen,
Sich anschickt zu erzählen vor dem Mohr,
Kann euch auch nicht berühren und verletzen
So niedre Zunge: kommt's doch immer vor,
Man weiß es längst, daß dumme Leute schmähen,
Und um so mehr, wovon sie nichts verstehen.
2.
Laßt diesen Sang: auch ohne solche Kunde
Bleibt der Zusammenhang nicht minder klar.
Weil sie Turpin hat, bring' ich sie zur Stunde
Und nicht voll List und böser Absicht gar.
Durch tausend Proben – nicht nur mit dem Munde,
Der euch zu feiern niemals müde war –
Hab' ich, daß ich euch liebe, ja bewiesen,
Und daß ich euren Dienst nur kann erkiesen.
3.
Sechs, acht der Blätter möge, wem's gefalle,
Hier übergehn; liest einer weiter fort,
Acht' er's nicht mehr als jene Märchen alle,
Die tollen, die man hier trifft oder dort.
Doch kommen wir jetzund zu unserm Falle!
Der Wirt nimmt Platz, nachdem er für sein Wort
Gehör erwirkt, den Ritter im Gesichte,
Und alsobald beginnt er die Geschichte:
[403] 4.
»Astolf, der Longobarde, dem gelassen
Vom Mönch, dem Bruder, jenes weite Reich,
War jung so schön, es ließ sich gar nicht fassen;
Es kam ihm wohl kaum jemals einer gleich:
Apelles', Zeuxis' Kunst müßt' hier erblassen,
Und wer an Malern noch berühmter gleich.
Schön waren seine Züge, schön sie galten;
Am schönsten ward er von sich selbst gehalten.
5.
Nicht daß er sich des höchsten Rangs erfreute
Weit über alle andern, wie's ihm schien;
Sein Volk auch nicht, und daß er Goldesbeute
Reichlich gewann, entzückt' am meisten ihn,
Nein, daß er angestaunt ward: alle Leute
Erhoben seine Wohlgestalt und Mien'.
Am liebsten hört er, daß auf alle Weise
Man seine hohe Schönheit lob' und preise.
6.
In seiner Gunst stand Faust Latin (er ragte
Da sehr hervor), ein röm'scher Edelmann.
Der oft auf ihn – was ihm gar wohl behagte –,
Auf Hand und Antlitz, stimmt ein Loblied an.
Als er nun eines Tages diesen fragte,
Reich' irgendwo (nah – fern) an ihn heran
Ein schöner Mann – ganz anders, als er dachte,
Der Ritter Faustus die Entgegnung machte:
7.
›Nach allem, das ich sah und andre meinen
Und laut bekennen, klang's aus Faustus' Mund,
»An Schönheit wen'ge dir gewachsen scheinen;
Doch lebt ein Bruder mir – er heißt Jukund:
Die wenigen beschränk' ich auf den einen.
Nimmt man ihn aus, kann sich im Erdenrund
An Schönheit, glaub' ich, niemand dir vergleichen;
Der wird dich schlagen oder doch erreichen.«‹
[404] 8.
Das waren Worte, die unglaublich klangen:
Bisher nannt' Astolf stets die Palme sein.
Er fühlte übermächtiges Verlangen,
Jenen zu prüfen durch den Augenschein,
Bis seine Bitten schließlich Faustus zwangen,
Herbeizuholen jenes Brüderlein,
Obwohl den zu der Reise zu bewegen
Recht schwer erschien; auch sagt ihm Faust, weswegen:
9.
Sein Bruder sei ein Mann, der nie im Leben
Heraus aus Rom und seinen Mauern kam;
Der allezeit, was ihm das Glück gegeben,
Wunschlos und ruhig zu genießen nahm;
Der weder sinken ließ noch auch sich heben,
Was er an Gut vom Vater einst bekam.
Ihm werde weiter, nach Pavia wandern
Erscheinen als zum Don hin einem andern.
10.
Als größte Schwierigkeit jedoch verbleibe,
Ihn von der Gattin losgetrennt zu sehn;
Mit solcher Liebe häng' er an dem Weibe:
Ohn' ihren Willen könne nichts geschehn.
Doch weil die Pflicht ihn zu gehorchen treibe,
Tu' er Unmögliches und wolle gehn.
Der König fügte Spenden zu den Bitten,
Und jeder Weig'rungsgrund ward abgeschnitten.
11.
Der geht: eh viele Tage noch verstreichen,
Zu Rom in seinem Hause langt er an
Und fleht und sucht den Bruder zu erweichen,
Bis er ihn schließlich überreden kann;
Und schweigend stand ('s war schwerer zu erreichen)
Die Schwägerin, als er vor ihr begann,
Der Sache Vorteil auseinandzusetzen:
Stets werd' er dankbar ihre Güte schätzen.
[405] 12.
Nun sorgt Jukund für Diener und für Pferde,
Bestimmt auch für den Aufbruch dann den Tag,
Nimmt Festgewand und Schmuck, daß deutlich werde,
Wie Putz die Schönheit zu erhöhn vermag.
Die Frau sagt Tag und Nacht, mit Schmerzgebärde,
Mit Augen tränenschwer und lauter Klag',
Sie wisse nicht, ob sie wohl noch zu leben
Vermöge, müsse sie sich drein ergeben.
13.
Schon beim Gedanken woll' es ihr erscheinen,
Als reiß' ihr aus dem Busen sich das Herz.
›Ach, süßes Leben,‹ sprach er, ›laß das Weinen!‹
Und weint doch selbst mit ihr in bittrem Schmerz.
›So möge Glück sich meinem Weg vereinen:
Ich strebe in zwei Monden heimatwärts,
Und laß um keinen Tag mich länger halten,
Sollt' ich des halben Reichs als Herrscher walten.‹
14.
Doch wenig Trost vermag ihr das zu bringen:
Sie meint, zu lange währe solche Pein
Sollt' ihr zu leben bis dahin gelingen,
So würde dies ein wahres Wunder sein.
Sie kann nicht Speise mehr hinunterschlingen –
So wild packt sie der Schmerz –, schläft nicht mehr ein.
Jukund, dem Mitleid fast das Herz gebrochen,
Bereut, was er dem Bruder fest versprochen.
15.
Sie nahm von ihrem Nacken eine Kette
Mit einem Kreuz und Steinen reicher Art,
Reliquien, die einst an heil'ger Stätte
Ein Böhm' gesammelt hatte und bewahrt.
Ihr Vater, der ihn bis zum Sterbebette
Im Hause pflegte nach der Pilgerfahrt,
Hatte sie nach des Kranken Tod bekommen:
Dies Kettlein hat sie jetzt vom Hals genommen
[406] 16.
Und bringt's dem Gatten, fleht, daß er es trage
Am Hals: so denk' er stets an sie zurück.
Jukund gefiel die Gabe ohne Frage;
Zwar brauch' er nicht ein solch Erinnrungsstück,
Denn keine Ferne, keine Lebenslage
Und keine Zeit noch bös und gutes Glück
Trüben ihr Bild ihm – Lachen nicht noch Trauern –;
Selbst nach dem Tod werd' ihm Erinnrung dauern.
17.
Die ganze Nacht bis zu des Frührots Prangen
(Die letzte Frist war dieser Tagesschein)
Fühlt er halbtot im Arm die Gattin hangen,
Die bald ihm nun entrissen sollte sein.
Sie schliefen nicht. Eh Dämmrung kommt gegangen,
Stellt sich Jukund zum Abschiednehmen ein.
Er steigt zu Pferd und scheidet von der Stätte:
Die Gattin aber ging zurück ins Bette.
18.
Er ritt noch keine Stunde, schmerzzerrissen,
Als er des Kreuzleins, das sie ihm geweiht,
Gedenkt: er legte 's abends unters Kissen,
Und dort verblieb es aus Vergeßlichkeit.
›Ach,‹ sagt er sich, ›ein Mittel jetzt zu wissen,
Daß mir die gute Gattin dies verzeiht!
Ich achte nicht, wird sie gewiß nun denken,
Womit sie Liebe trieb, mich zu beschenken.‹
19.
Er sinnt. Dann meint er, schlechte Aufnahm' fänden
Bei ihr Entschuldigung und jedes Wort,
Das er durch Leut' und Boten könne senden;
Am besten trag' er selbst die Botschaft fort.
Er hält und spricht zu Faust: ›Geh du dich wenden
Hin nach Baccan, langsam, zum Wirtshaus dort.
Ich muß nach Rom zurück in aller Schnelle,
Worauf ich baldigst schon mich dir geselle.
[407] 20.
Die Sache selbst zu tun, dünkt mich gescheiter;
Ich bin bei dir in kurzer Zeit bestimmt.
Leb' wohl! Er geht, wobei er als Begleiter
Sich aber niemand vom Gesinde nimmt.
Und als aufs neu den Fluß gekreuzt der Reiter,
Flieht schon die Nacht, und Licht im Osten glimmt.
Zu Haus ist er sogleich ans Bett gegangen
Und findet die Genossin schlafumfangen.
21.
Geräuschlos, leis läßt er den Vorhang gleiten
Und sieht – o, nimmer ahnt er solche Schau! –
Die keusche, treue Gattin, und zu Seiten
Hat einen Jüngling noch die schöne Frau.
Er kannte diesen schon seit langen Zeiten
Als einen Hausgenossen ganz genau.
Ein Bursche war's, den er zu seinem Knechte
Erzogen hatt', aus niederem Geschlechte.
22.
Ob er versteinert stand und wie vernichtet,
Dies zu erfahren stets euch ferne sei!
Doch denkt es euch und glaubt, was man berichtet
Vom großen Schmerz, den er empfand dabei!
Im ersten Grimm hätt' er sie fast gerichtet:
Er dacht' ans Schwert, zu töten alle zwei,
Bis seinen Zorn die große Liebe kühlte,
Die er – ob widerwillig – jetzt noch fühlte.
23.
Sie aufzuwecken, wehrt die böse Liebe
(So hat sie ihn, ihr Knecht zu sein, gelehrt);
Er möchte lieber, daß sie schlafend bliebe;
Sie fände sich vor ihm sonst schuldbeschwert.
Er schleicht hinab die Trepp' gleich einem Diebe,
Ganz leis, und schwingt sich draußen auf sein Pferd
Und spornt, wie ihn die Liebe spornt von innen,
Und trifft die Schar, eh sie im Orte drinnen.
[408] 24.
Verändert fanden alle seine Mienen:
Daß er nicht frohgestimmt, war ihnen klar.
Doch keiner konnte mit dem Schlüssel dienen,
Und das Geheimnis ward nicht offenbar.
Er ging nach Rom hin, also schien es ihnen,
Derweil er wirklich doch in Hornberg war.
Daß Lieb' im Spiel sei, mochte jeder sehen;
Doch niemand weiß zu sagen, was geschehen.
25.
Der Bruder sucht die Ursach' immer wieder:
Er härmt sich, denkt er, daß die Frau allein;
Und just das Gegenteil lähmt ihm die Glieder:
Daß sie Gesellschaft hat, das macht ihm Pein.
Der Arme steht und schaut zum Boden nieder;
Er kraust die Stirn und preßt die Lippen ein.
Umsonst sucht Faust ihm jeden Trost zu spenden:
Er kennt den Grund nicht, kann das Leid nicht enden.
26.
Er salbt den wunden Fleck mit falschen Säften,
Daß er nicht heilt und immer ärger sticht;
Er bohrt und zerrt am Riß, statt ihn zu heften,
Indem er stets ihm von der Gattin spricht.
Ruh' flieht den Bruder, und er kommt von Kräften;
Schlaf, Eßlust weichen, er erholt sich nicht.
Sein Antlitz, früher doch so schön zu nennen,
Verändert sich und ist nicht mehr zu kennen.
27.
Die Augen wollen sich im Kopf verstecken,
Die Nase wächst, das Angesicht wird klein.
Die Schönheit schwand, kann nicht mehr Neid erwecken
Und geht nun nimmer einen Wettstreit ein.
Am Arno, an der Arbia hält den Recken
Gefangen noch ein Fieber obendrein.
Und was sich von der Schönheit mochte finden,
Muß, gleich der Ros' im Sonnenbrande, schwinden.
[409] 28.
Ist Faustus sehr betrübt des Bruders wegen,
Der ihm vor Augen dergestalt verfällt,
Will ihn der Kummer noch viel mehr bewegen,
Daß Astolf ihn für einen Lügner hält.
Versprach er doch den allerschönsten Degen
Und bringt den häßlichsten, der auf der Welt.
Indessen muß er weiter mit ihm traben,
Bis sie erreicht die Stadt Pavia haben.
29.
Nicht aber plötzlich soll ihn Astolf sehen,
Damit er nicht des Unverstands ihn zeih'.
So läßt er denn voraus ein Schreiben gehen:
Sein Bruder komm' und kaum am Leben sei.
An Herzensgrame schein' er zu vergehen;
Durch den, und schlimmes Fieber noch dabei,
So jammervoll entstellt sein Antlitz scheine,
Daß man nicht ihn Jukund, zu sehen meine.
30.
Nichts Lieb'res konnt' es für Herrn Astolf geben;
Er freute sich, als käm' ein Freund daher,
Den schönen Mann zu sehn! Niemals im Leben
Ersehnt' er noch bisher etwas so sehr.
Und daß es mit der Schönheit hapert eben,
Mißfällt ihm nicht; denn Sieger bleibt nun er.
Er sah recht wohl: das Übel kam gelegen;
Der wär' ihm gleich sonst oder überlegen.
31.
Er läßt ihn wohnen im Palaste drinnen,
Besucht ihn täglich, schickt ihm Boten her,
Behagen, ist sein Wunsch, mög' er gewinnen,
Und überhäuft ihn schier mit Gunst und Ehr' –:
Jukund siecht hin: es nagt das böse Sinnen
Ob eines schlimmen Weibs an ihm zu sehr.
Nicht Spiel, Musik und was das Herz mag freuen,
Kann einen Deut von seinem Schmerz zerstreuen.
[410] 32.
Er hatte nah dem Dach die letzten Zimmer
Und einen Saal davor, gar alt und weit.
Dort pflegt' er, weil Gesellschaft, Festesschimmer
Ihm widerwärtig war, in Einsamkeit
Zu weilen; still für sich erwägt er – immer
Mit schwereren Gedanken – altes Leid.
Hier ward – wer möcht' es glauben! – ihm zum Heile,
Genesung seiner Wunde jetzt zuteile.
33.
Wo es ganz finster ist, am andern Ende
(Zu öffnen pflegte man die Läden nicht),
Schließt schlecht die Planke, sieht er, an die Wände,
Und aus der Fug' ein heller Lichtstrahl bricht.
Er lugt und sieht, was er unglaublich fände,
Sagt' es ein Menschenmund ihm ins Gesicht.
Er hört es nicht von andern, kann es schauen
Und wagt doch seinen Augen nicht zu trauen.
34.
Das Leibgemach war's, drein die Blicke drangen,
Das allerschönste der Gebieterin,
Wo niemand anders ward von ihr empfangen,
Als wer ihr zugetan mit treustem Sinn,
Und seltsam jetzt im Kampf sich dort umschlangen
Ein Zwerg, ein kleiner, und die Königin;
Wobei der Knirps so starke Tat vollbrachte,
Daß er die Königin erliegen machte.
35.
Verblüfft, betäubt und wie aus Stein gehauen,
Zu träumen wähnend, erst der Ritter stand;
Dann wagt' er es, sich selber zu vertrauen,
Als er nicht einen Traum, nein, Wahrheit fand.
›Solch garst'gem Unhold, greulich anzuschauen,‹
Sprach er bei sich, ›gibt die sich in die Hand!
Sie hat den Schönsten, der im Weltgebiet ist,
Zum Ehgemahl! Was das für Appetit ist!‹
[411] 36.
Er sinnt nun nach, und Reue will ihn fassen,
Daß er an seinem Weib so schwer es rügt,
Weil sie sich mit dem Knecht hat eingelassen;
Entschuldbar scheint es, sagt er sich vergnügt.
Den Fehler des Geschlechtes muß man hassen,
Das niemals sich mit einem Mann begnügt!
Steht jede da mit ihrem Tintenkleckse,
So wählte sie sich doch kein Mißgewächse.
37.
Er ist aufs neu am nächsten Tag zur Stelle,
Zur selben Stund' und an demselben Ort,
Und wieder wirft die Frau und ihr Geselle
Den Ehrenschatz des Königs über Bord.
So Tag für Tag: flott geht auf alle Fälle
Und ohne Feiertag die Arbeit fort,
Und – daß ein Rätsel nach dem Rätsel bliebe –
Die Fürstin klagt, wie lau der Zwerg sie liebe!
38.
Er sah sie eines Tags mit blassen Wangen,
Voll Traurigkeit, verstört das Angesicht.
Zweimal war schon die Zofe fortgegangen,
Den Zwerg zu rufen, und er kam noch nicht.
Sie schickt ein drittes Mal: ›O Herrin,‹ klangen
Der Zofe Worte, ›spielend sitzt der Wicht!
Der Rüpel weigert sich, Euch jetzt zu sehen:
Es könnt' ein Heller ihm verlorengehen.‹
39.
Des Ritters Stirne glättet sich zur Stunde,
Nachdem sein Glück ihn solches sehen ließ:
Sein Auge strahlt, ein Lächeln spielt am Munde
Und heiter ward er wirklich, wie er hieß.
Fröhlich und dick und rot macht ihn die Kunde,
Wie einen Engel aus dem Paradies.
Sein Bruder und der Fürst und all die Seinen
Ob der Verwandlung höchst verwundert scheinen.
[412] 40.
Wenn Astolf brennt, vom Ritter zu erfahren,
Was ihm so plötzlich habe Trost gebracht,
So brennt Jukund, es ihm zu offenbaren,
Daß ihm der Frevel werde kundgemacht.
Doch soll der Herrscher strenger nicht verfahren,
Als er der eignen Unbill hatte acht.
Drum nicht zu strafen, was er werde hören,
Ließ er ihn auf das Agnus Dei schwören.
41.
Er ließ ihn schwören: was er auch vernähme
Und was den Augen noch sich zeigen tät',
Und wenn auch unbedingt zu Schaden käme
Die Ehre selber Seiner Majestät,
Er doch zu keiner Zeit drob Rache nähme,
Auch allzeit schweige drüber, früh und spät,
Der Schuld'ge dürfe nimmermehr gewahren,
Durch Wort und Tat, daß es der Herr erfahren.
42.
Der Fürst, der allem andren mehr entgegen
Als solcher Kunde sah, tat seinen Schwur.
Jukund begann nun alles darzulegen:
Wie er die Untreu' seines Weibs erfuhr,
Das ihn betrog so niedren Knechtes wegen,
Und wie der Kummer ihn ohn' eine Kur,
Die ihm geworden sei an dieser Stätte –
Zur rechten Zeit! –, wohl bald getötet hätte.
43.
In Seiner Hoheit Haus jedoch entfalte
Sich etwas, das ihm lindre seine Pein:
Wenn ihm sein Los sich auch zur Schmach gestalte,
So wiss' er doch, es treff' ihn nicht allein.
Er spricht's und führt den König nach der Spalte
Und zeigt den Zwerg ihm unten, häßlich, klein,
Der grad die fremde Stute hat bestiegen
Und so sie spornt, daß ihre Schenkel fliegen.
[413] 44.
Ob tadelnswert dem Fürsten das geschienen –
Glaubt's ohne Schwur! Euch sagt es der Verstand:
Er war wie toll, mit wutverzerrten Mienen,
Und wollte mit dem Kopfe durch die Wand,
Den Pakt mißachten; drohen wollt' er ihnen,
Doch schweigen muß er trotz dem Zornesbrand,
Den Trank hinunterschlucken, drein sich finden,
Weil ihn die Schwüre auf die Hostie binden.
45.
›Was tu' ich, Freund? Was rätst du zu beginnen,‹
Spricht er zum Ritter, ›weil du ja gewillt,
Daß meine würd'ge Rach' im Busen drinnen
Und höchst gerechter Zorn bleib' ungestillt?‹ –
›Laß uns den Falschen,‹ sprach Jukund, ›entrinnen;
Die fremden jetzt es zu erproben gilt:
Den Frauen andrer soll's durch uns ergehen,
Wie unsern durch die andern ist geschehen.‹
46.
Jugend und Schönheit sind uns beiden eigen,
Wie man nicht leicht sie findet in der Welt.
Wie sollt' ein Weib uns Sprödigkeit erzeigen,
Wenn sie dem Häßlichen zum Opfer fällt?
Und will sie nicht sich junger Schönheit neigen,
Nun, dann gewinnt sie eben unser Geld.
Bis du von tausend Fraun des Sieges Ehren
Erobert hast, sollst du nicht wiederkehren.
47.
Durch Länder schweifen, lange ferne weilen,
Verkehr mit andern Fraun an fremdem Ort,
Nimmt, scheint es, oft das Gift von Amors Pfeilen,
Die Liebesleiden aus dem Herzen fort.‹ –
Astolf gebeut, die Reise zu beeilen,
Denn löblich fand er seines Freundes Wort.
In wenig Stunden, außer mit dem Ritter
Noch mit zwei Knappen, seines Weges ritt er.
[414] 48.
Durch Welschland in Verkleidung und durch Franken
Und dann nach Flandern ging's und Engelland:
Wo hold ein Wänglein lockte die Gedanken,
Fand ihre Bitte keinen Widerstand.
Sie gaben – nahmen Trinkgeld ohne Schwanken,
Wobei sich oft Ersatz für Zahlung fand.
Wenn sie um Gunst gar viele Damen flehten,
So wurden sie von vielen auch gebeten.
49.
Ein Monat hier, zwei Monde dort vergehen,
Sie finden allerorten den Beweis:
Wie bei den eignen Frauen, ist zu sehen
Bei fremden Keuschheit, Treu' in keiner Weis'.
Allmählich will es ihnen widerstehen,
Stets Neues zu verfolgen auf der Reis':
In andrer Türen schleichend einzudringen,
Muß ja Gefahr des Todes mit sich bringen.
50.
Drum auszuwählen scheint es mehr ersprießlich
An Mien' und Art ein angenehmes Kind:
Befriedigung dann haben beide schließlich,
Und ohne daß sie eifersüchtig sind.
›Warum‹, sprach Astolf, ›wär' ich doch verdrießlich,
Daß ich in dir nun den Genossen find'?
Ich weiß ja, daß vom ganzen Weiberheere
Zufrieden keine mit nur einem wäre.
51.
Wir könnten, ohn' uns allzusehr zu plagen,
Sobald der Wunsch käm', in Bequemlichkeit
Der einen uns erfreun, und in Behagen,
Und hätten niemals Hader oder Streit.
Sie selber dürfte kaum sich drob beklagen,
Denn, hätte jede zwei zu gleicher Zeit,
Mehr als dem einen wär' sie treu wohl zweien,
Und nimmer gäb's so viele Zänkereien.‹
[415] 52.
Mit dem, was Astolf sagte, einverstanden
Erschien vollkommen Romas Rittersmann.
Durch Berg und Tal hindurch in vielen Landen
Mit solcher Absicht schweiften sie sodann,
Bis sie die Tochter eines Schankwirts fanden
(Der auf Gewinn im Port Valencias sann);
Sie, niedlich, artig und mit holden Blicken,
Scheint sich für ihren Plan recht wohl zu schicken.
53.
Die Kleine stand im ersten Lenzesprangen,
War zart, fast herb; der Vater hatt' im Haus
Zu seinem Ärger gar so viele Rangen,
Und Armut war für diesen Mann ein Graus.
So war es leicht, das Mädchen zu erlangen;
Er lieferte das Kind den Herren aus:
Sie dürften, wo sie wollten, sie behalten,
Nachdem sie zugesagt, sie wohl zu halten.
54.
Wie sie beim Mädchen nun den Dienst versehen!
Erst der, dann der, in Frieden, wohlgemut,
Wie Blasebälge nacheinander wehen,
Erst der, dann jener, in des Ofens Glut!
Dann reisen sie, ganz Spanien anzusehen
Und Syphax' Reich jenseits der Meeresflut.
Am Tag des Abschieds von Valencia dachten
Sie in Xativa noch zu übernachten.
55.
Die Herren machten gleich sich auf die Beine,
Um Straßen, Kirche, Markt zu sehn und Schloß;
Denn so vergnügten sie sich im Vereine
In jeder Stadt, die ihnen sich erschloß.
Zu Hause beim Gesinde blieb die Kleine:
Da ward das Bett besorgt und hier das Roß,
Die Mahlzeit dort, daß alles fertig wäre
Zum Speisen, wenn die Herrschaft wiederkehre.
[416] 56.
Im Gasthof führt ein Bursch als Knecht den Besen,
Der in des Mädchens Haus in frührer Zeit,
Beim Vater dienend, war ihr Schatz gewesen;
Sie hatt' ihm ihre Blüte einst geweiht.
Sie sahn sich, zeigten aber fremdes Wesen,
Entdeckung fürchtend von Vertraulichkeit.
Doch heben sie, als Herren und Gesinde
Gegangen sind, die Augenbraun geschwinde.
57.
Der Bursche fragt, wohin die Reise gehe,
Und welchem von den Herrn sie sei zur Hand:
Drauf meldet ihm Flammette, wie es stehe
(So wurde sie und Greco er genannt).
›Nun ich, mit dir zu leben, grad – o wehe! –‹,
Sprach Greco dann, ›die Zeit gekommen fand,
Flammette, Liebchen, willst du just verschwinden?
Wir werden nimmer, ach, uns wiederfinden!
58.
O daß in Leid sich süße Träume wenden,
Nun du mit andern gehst in weite Welt!
Ich wollte – denn ich hatte just in Händen,
Mit Müh' und Schweiß erspart, ein Sümmchen Geld
Vom Lohn zurückgelegt und was von Spenden
Im Wirtshaus durch die Gäste man erhält –
Zurück zum Vater nach Valencia gehen,
Als Ehefrau von ihm dich zu erflehen.‹
59.
›Zu spät!‹ mit Achselzucken spricht die Kleine:
›Was stellst du nicht zur rechten Zeit dich ein?‹
Und Greco weint (und übertreibt, ich meine):
›So willst du, daß ich sterben soll in Pein?
Einmal zum wenigsten sei noch die Meine,
Damit gekühlt der Sehnsucht Gluten sei'n.
Machst du mich glücklich, ehe du geschieden,
Nur einen Augenblick, sterb' ich zufrieden.‹
[417] 60.
Das Mädchen läßt von Mitleid sich erfassen
Und spricht: ›Glaub' mir, ich wäre gern bereit;
Doch sind zu viel der Augen, und nicht passen,
In keiner Weise, will hier Ort und Zeit.‹
Greco versetzt: ›Es wird sich machen lassen.
Fühlst du ein Dritteil meiner Zärtlichkeit,
So kannst du in der Nacht es sicher fügen,
Daß wir uns etwas miteinand vergnügen.‹
61.
Die Kleine spricht: ›Wie sollte das geschehen?
Ich liege zwischen zwein die ganze Nacht
Und muß von einem stets zum andern gehen,
Weil dieser bald, bald der sich Kurzweil macht.‹
Greco versetzt: ›Wirst schon 'nen Ausweg sehen
Aus dieser Klemme, sei nur drauf bedacht!
Du kommst heraus, liegt dir es recht am Herzen
Und wenn du Mitleid hast mit meinen Schmerzen.‹
62.
Sie überlegt und sagt, er möge kommen,
Sobald im Hause schlafe jedermann;
Was ihm beim Kommen und beim Gehn mag frommen,
Das zeigt sie klar, und was geschehen kann.
Als Greco kein Geräusch mehr hat vernommen
Des Nachts, geht er – so wies das Kind ihn an –
Zur Tür und drückt: sie weicht, und leise, leise
Mit Füßen tastend, fängt er an die Reise.
63.
Ein Bein lang vorgestreckt, eins stützt, so schreitet
Er wohlbedacht, als ob ihm bange sei –
Dem Manne gleich, der über Glas hingleitet
Oder den Weg sich sucht von Ei zu Ei –,
Wobei die Hand das Schleichen stets begleitet;
Er tappt und schwankt und kommt ans Bett dabei,
Und wo der andern Füße sich erhoben,
Hat er, den Kopf voran, sich vorgeschoben.
[418] 64.
Und zwischen beide Kniee der Flammette,
Die auf dem Rücken liegt, gelangt er hier,
Küßt droben sie, als ob er Eile hätte,
Und bleibt fast bis ans Tageslicht bei ihr.
Er ritt sehr scharf – und ritt doch nicht Stafette,
Denn nie zu wechseln braucht' er ja sein Tier.
Gar munter schien das Rößlein ihm zu traben:
Ohn' abzusteigen, möcht' er's immer haben.
65.
Obwohl das Herrenpaar das Stampfen hörte,
Davon das Bett erbebte immerfort,
Kam's daß sie beide dieser Wahn betörte:
Der Freund, der andre, sei am Werke dort.
Als Morgenlicht den Burschen Greco störte,
Glitt er auf gleichem Wege wieder fort.
Am Horizonte war die Sonn' entglommen:
Aufsteht Flammett' und läßt die Diener kommen.
66.
Der König spricht im Scherz zu dem Genossen:
›Gewiß hat, Bruder, dich der Weg beschwert;
Ruh' hübsch dich aus, viel Zeit ist ja verflossen;
Du warst die Nacht beständig auf dem Pferd.‹
Drauf spricht Jukund – er spricht es recht verdrossen:
›Dein Ratschlag hätte sich bei dir bewährt:
Du solltest rasten; laß dir's gut behagen!
Du rittest ja die ganze Nacht zum Jagen.‹
67.
›Wohl hatt' ich Lust,‹ spricht der, ›zur Jagd zu ziehen;
Gern schickt' ich meinen Rüden ins Gefild:
Hättest du nur das Rößlein mir geliehen
Ein Weilchen, bis die Sehnsucht mir gestillt.‹
Jukund versetzt: ›Nach Wunsch wär' dir's gediehen;
Ich bin Vasall: des Herrschers Wille gilt.‹
Es brauchte keiner Umschweif' hier, ich meine;
Was sagtest du nicht einfach: ›Laß die Kleine!?‹
[419] 68.
Der sprach und der; allmählich kam's zum Streite,
Bis derber schon ein jeder um sich schlug:
Manch beißend Wort gab nun dem Scherz Geleite,
Weil keiner so gefoppt zu sein vertrug:
Man ruft Flammette (diese stand beiseite,
Voll Furcht, daß schon entdeckt sei der Betrug).
Sie soll ins Antlitz beiden jetzt erzählen,
Was, wie es scheint, sie beid' einander hehlen.
69.
›Sprich‹, so beginnt der Fürst mit strengen Brauen,
›Und fürchte nichts von diesem noch von mir,
Wer war der Held, der bis zum Morgengrauen
Dich hielt und keinem gönnte Teil an dir?‹
Ein jeder will den Freund als Lügner schauen
Und harrt gespannt auf den Bescheid von ihr –
Entdeckt sich wähnend, wirft sich da Flammette
Auf ihre Knie, daß sie das Leben rette,
70.
Fleht um Verzeihung, daß aus Wohlgefallen
Und Mitleid mit dem Freund aus frührer Zeit
In liebgequälten Herzens heißem Wallen
(Er litt um sie auch gar so manches Leid)
Die Nacht sie in den Fehler sei gefallen,
Und gibt dann Kunde nach der Wirklichkeit,
Wie er der Hoffnung voll sich herbegeben,
Daß jeder denk', es sei der Freund daneben.
71.
Die zwei – wie sie verdutzte Mienen machen,
Vor Staunen starr das Haupt und das Genick!
Sie meinen, niemals gab es solche Sachen,
Nie traf zwei Männer noch ein solch Geschick!
Dann platzen sie heraus in tolles Lachen,
Mit offnem Mund und mit geschloßnem Blick:
Der Atem stockt, es schmerzen Brust und Seiten,
Bis hintenüber auf das Bett sie gleiten.
[420] 72.
Die Augen weinten, und die Stirnen glühten,
Die Rippen taten weh, Bewußtsein schwand.
Dann sagten sie: ›Wie kann ein Weib man hüten,
Wie leisten dem Verhängnis Widerstand,
Wenn zwei umsonst sich die zu sichern mühten,
In ihrer Mitte, greifbar mit der Hand?
Nichts kann den Ehmann vor Verrat bewahren,
Wär' er versehn mit Augen wie mit Haaren.
73.
Wir prüften tausend, die als schön zu loben:
's war keine drunter, die da sagte nein.
So zeigt sich's auch, wenn wir die andern proben,
Doch dieses soll die letzte Prüfung sein.
Als schlimmer können nicht beiseit geschoben
Die unsern werden und als minder rein.
Sind sie nun alle so vom ganzen Schwarme,
So gehn wir heim in unsrer Frauen Arme.‹
74.
Sie riefen – das schien wirklich noch am besten –
Auch Greco durch Flammett' an jenen Ort
Und gaben ihm das Mädchen vor den Gästen
Als Eheweib mit einer Mitgift dort.
Drauf stiegen sie zu Pferd, und statt nach Westen,
So wie bisher, nach Osten ging es fort.
Sie ließen sich bei ihren Frauen nieder
Und härmten sich um diese niemals wieder.«
75.
Zu Ende ging der Wirt mit dem Berichte,
Den allgemeines Lauschen wohl empfahl.
Still folgte Rodomont auch der Geschichte;
Er unterbrach sie nicht ein einzig Mal.
Dann sprach er: »Frauenränke, die dem Lichte
Verborgen blieben, sind wohl ohne Zahl.
Daß nur ein Tausendteil verzeichnet werde,
Dazu reicht kein Papier der ganzen Erde!«
[421] 76.
Da war ein alter Mann von Mut und Geiste,
Dem gab ein beßres Urteil sein Verstand,
Ihn litt's nicht länger, daß man sich erdreiste,
Die Frauen so zu richten miteinand.
Er spricht zu ihm, der hier das allermeiste
Gesündigt hat: »Man hört oft, wie bekannt,
Etwas erzählen, das doch gar nicht wahr ist;
Daß dies von deiner Märe gilt, mir klar ist.
77.
Dem Mann, der dir's erzählt, will ich nicht trauen,
Und wär' er sonst auch ein Evangelist.
Nicht auf Erfahrung scheint er aufzubauen,
Nein, auf Vermutung, wie man Fraun bemißt.
Unbillig haßt und schmäht er alle Frauen,
Weil er mit einer, zwein zerfallen ist.
Doch ist sein Zorn vorbei, wird sich's erweisen:
Mehr, als er jetzt sie schilt, wird er sie preisen.
78.
Viel weiter ist, sobald wir loben wollen,
Als wenn es Fehler rügen gilt, das Feld:
Wir müssen Hunderten Verehrung zollen,
Wo Tadel auf nur eine Schlechte fällt.
Nicht alle schelten, nein, verkünden sollen
Wir Trefflichkeit der vielen aller Welt.
Und will dies dein Valer nicht gelten lassen,
Dann spricht sein Meinen nicht, es spricht sein Hassen.
79.
Nun sagt einmal: wird einer sich begnügen
Von euch, die Treu' zu halten, die er schwor?
Ist einer, der nicht, konnt' es so sich fügen,
Sogar mit Geldverlust, ein Lieb erkor?
Gibt's einen in der Welt? Der würde lügen,
Der's sagte; wer es glaubte, wär' ein Tor.
Gibt's eine Frau, die euch gerufen hätte
(Ich spreche nicht von Dirnen großer Städte),
[422] 80.
Vom schönsten Weib die Schritte fortzulenken –
Wer wäre nicht sogleich dazu bereit,
Dürft' er das Ziel nur zu erreichen denken
Bei einer andern Frau mit Leichtigkeit?
Was tät' er, wenn ihn, lockend mit Geschenken,
Zu kommen bät' ein Frauchen, eine Maid?
Ich glaub', um der und jener zu gefallen,
Da wäre feil die eigne Haut uns allen.
81.
Wo eine Frau dem Mann nicht treu geblieben,
Da ist er selber schuld gemeiniglich:
Sie sah, wie er, durch Gier von Haus getrieben
Zu andern, lüstern seine Wege schlich.
Wer selbst geliebt sein will, der muß auch lieben:
Wo nicht, in gleichem Maße rächt es sich.
Ich gäb' (hätt' ich zu schaffen mit Gesetzen)
Eins – keiner dürfte dem sich widersetzen:
82.
Den Tod, so hieß' es, soll der Frau man geben,
Die je dem Gatten ihre Treue bricht,
Beweist sie nicht, daß er in seinem Leben
Einmal durch Ehbruch selbst vergaß die Pflicht.
Beweist sie's, darf sie sich von dannen heben,
Frei, ohne Furcht vor Ehmann und Gericht.
Wir sollen uns bei Christi Wort bescheiden:
Tut keinem, was ihr selbst nicht wollt erleiden!
83.
Man sagt, die Fleischeslust läßt sich nicht töten;
Das gilt wohl manchmal, nur nicht allgemein.
Doch sind wir da nicht selbst in größern Nöten?
Kein einz'ger wird von uns enthaltsam sein.
Da müßten wir viel stärker noch erröten:
Denn Lug und Trug und Mord und Räuberein,
Lästrung und was noch Ärgres mag geschehen,
Seh' ich die Männer fast allein begehen.«
[423] 84.
Zu seinen Gründen gibt der wackre Alte
Aufrichtig noch Exempel allerlei,
Von mancher, keusch in Tat und Herzensfalte,
Die von der Tugend nie gewichen sei.
Ergrimmt jedoch, daß Wahrheit sich entfalte,
So wild blickt auf ihn hin der Mohr dabei –
Er bleibt aus Furcht in seiner Rede stecken;
Nur seine Meinung nahm ihm nicht der Schrecken.
85.
Als sich der Fürst vom Tisch zum Gehn gewendet,
Nachdem der Streit durch ihn sein End' erreicht,
Streckt er sich auf das Bett. – Die Ruhe endet,
Als früh die dichte Dunkelheit entweicht
(Mehr Zeit als für den Schlaf hat er verwendet
Zum Schelten auf die armen Fraun vielleicht).
Sobald die Strahlen nun gekommen waren,
Beschloß er, mit dem Schiff davonzufahren.
86.
Doch weil er wohl die rechte Rücksicht kannte
Des guten Reiters auf ein gutes Pferd
Und jenes Prachttier, das er Sakripante,
Und Roger auch, bis jetzt noch hat verwehrt,
Sehr stark ins Joch – an beiden Tagen – spannte
(Das ist ja sonst bei gutem Roß verkehrt), –
Nimmt er ein Boot, um diesem Ruh zu gönnen
Und selbst die Reise schneller tun zu können.
87.
Er heißt den Fährmann flugs das Schiff bereiten;
Und seht, die Ruder tauchen in die Flut.
Stromabwärts auf der Saône hin sie gleiten:
Weil schwach beladen, geht die Barke gut.
Doch will zu Land und Wasser ihn begleiten
Ein treuer Weggesell, der trübe Mut:
Er ist am Spiegel, ist am Stern zu finden;
Beim Reiten will er nicht vom Pferde schwinden.
[424] 88.
Er sitzt im Herzen, ist zum Kopf geschlichen,
Aus dem er Freud' und Ruh' entfliehen läßt.
Der Arme sieht, die Rettung ist entwichen,
Setzt sich der Feind in seiner Burg schon fest.
Der Hoffnung letzte Schimmer sind erblichen,
Wenn seine eigne Mannschaft ihn verläßt.
Bei Tag und Nacht, statt ihm zur Seit' zu stehen,
Die Argen gegen ihn zu Felde gehen.
89.
In tiefem Leid so Tag und Nacht ihm schwinden,
Als er dahinfährt längs dem Uferrand:
Er kann die schwere Kränkung nicht verwinden
Von seiner Braut und König Agramant,
So daß ihn Gram und Pein im Schiffe finden,
Wie auf dem Land die Qual den Reiter fand.
Das Feuer drinnen löschen keine Fluten;
Die Orte wechseln, nicht des Schmerzes Gluten.
90.
Ein Kranker, den das Fieber will verzehren,
Er wechselt schwach und müde oft den Ort:
Er muß sich auf die andre Seite kehren,
Und stets Erleichterung verhofft er dort:
Doch keine Lage will ihm Ruh' bescheren;
Gequält, gepeinigt bleibt er immerfort.
So sucht zu Land, zu Wasser dieser Heide
Umsonst Erleichterung in seinem Leide.
91.
Zuletzt verdrießt es ihn, so hinzugleiten:
Er steigt ans Land, um nach Lyon im Trab,
Dann nach Vienne und nach Valence zu reiten
Und nach der Brück' von Avignon hinab;
Denn alles Land, vom Fluß bis wo vom weiten
Gebirge auf die Ebne schaun herab,
Gehorchte Afrikas und Spaniens Scharen,
Seitdem sie in der Schlacht die Sieger waren.
[425] 92.
Er wandte sich nunmehr nach rechtshin gegen
Stadt Aiguesmortes, nach Algier rasch zu gehn;
Da sah er, hübsch an einem Fluß gelegen,
Bacchus und Ceres lieb, ein Dörflein stehn,
Doch öd und leer, vielfacher Plündrung wegen
Durch Kriegesvolk; kein Mensch war drin zu sehn;
Hier weites Meer, dort in den Tälern sonnig
Wogen die reifen Ähren blond und wonnig.
93.
Da zeigt sich ihm ein Gotteshäuschen droben,
Ganz frisch erbaut auf eines Hügels Rand:
Die Priester waren alle fortgestoben,
Nachdem die Kriegesfackel rings entbrannt.
Weil's schön gelegen, dacht' er nun hier oben
Zu wohnen – auch, weil es so ferne stand
Vom Kriegsgezelt, das seine Augen hassen;
Drum will er Algier für das Kirchlein lassen.
94.
Er gibt es auf, nach Afrika zu eilen,
So lieblich dünkt ihn dieser Ort, und schnell
Nimmt er Besitz; der Hengst, die Diener teilen
– Wie sein Gepäck – die gleiche Ruhestell'.
Entfernt ist Montpellier nur ein paar Meilen
Und nah bei manchem prächtigen Kastell
Das Dorf, daran des Baches Wellen fließen;
Behaglichkeit kann er hier wohl genießen.
95.
Dort steht er eines Tags in tiefem Sinnen
(So wie es jetzt gewöhnlich seine Art),
Als er – auf keinem Pfad – in Wiesen drinnen,
Die er durchkreuzt, ein Mägdelein gewahrt,
So hold, sie muß ein jedes Herz gewinnen;
Ein Mönch geleitet sie mit weißem Bart.
Hinter dem Paare kommt ein Hengst gegangen
Mit einer Last, und die ist schwarz behangen.
[426] 96.
Wer's sei, und wer der Mönch, und was da trage
Das Pferd, das wird Euch wohl nicht dunkel sein.
Ihr denkt schon Isabellas ohne Frage
Und Prinz Zerbins in seinem schwarzen Schrein.
Ich ließ sie bei dem Greis in trüber Lage:
Sie wollte in das Land Provence hinein,
Auf das Geheiß des Mönchs ihr reines Leben
Fortan dem Dienste Gottes hinzugeben.
97.
Obschon ihr ein verhärmtes Antlitz eigen
Und ob verwirrt und ungepflegt ihr Haar,
Ob Seufzer aus dem heißen Busen steigen,
Die Augen strömen – wie zwei Quellen klar –
Und noch gar viele andre Spuren zeigen,
Wie traurig und wie schwer ihr Leben war,
Ist groß ihr Reiz, gleich einem holden Traume,
Der Grazien und Gott Amors Lieblingsraume.
98.
Der Mohr hat jene Schöne dort gesehen,
Worauf er plötzlich keine Lust mehr spürt,
Die liebe Schar zu hassen und zu schmähen,
Der für des Daseins Schmuck der Kranz gebührt.
Recht würdig scheint sie ihm und ausersehen,
Daß er als zweites Schätzchen sie erkürt
(Versunken soll die erste Liebe bleiben,
Wie Nägel aus dem Brett die Nägel treiben).
99.
Er kommt heran, und mit so süßem Munde
Wie möglich, süßrem Blicke noch dabei,
Erbittet er ob ihrer Lage Kunde,
Und sie erklärt ihm, wie die Sache sei:
Wie sie zu frommem Tun, mit Gott im Bunde,
Sich scheide von der Weltlust Narretei.
Der Heide lacht: er glaubt nicht, daß ein Gott ist,
Weil Satzung, Religion für ihn nur Spott ist.
[427] 100.
Er meint, daß sie damit sich selbst betrüge;
In argem Irrtum habe sie gelebt
Und mahn' an eines Geiz'gen Gier und Lüge,
Der seine Schätze vor der Welt vergräbt,
Nicht etwa, weil er sich damit vergnüge,
Nein, nur, damit kein andrer Mensch sie hebt.
Man schließe Löwen ein und Bären, Schlangen,
Unschuld'ge Dinger nicht und zarte Wangen.
101.
Gefahr bedroht nun leicht die Tugendreiche,
Drum lauscht und wacht besorgt der gute Greis
Als kund'ger Schiffer (daß sie nimmer weiche
Vom guten Weg), der wohl zu steuern weiß,
Und rüstet sich, daß er ein Mahl ihr reiche,
Ein geistlich Mahl, köstlich erlesne Speis';
Doch war Geschmack dem Mohren nicht beschieden:
Er rümpft die Nas' und zeigt sich unzufrieden.
102.
Und als er oft den Mönch hat unterbrochen
Und der nur weiterredet, immer mehr,
Da hat die Ungeduld den Zaum gebrochen,
Wild fällt er über diesen Pred'ger her. –
Nun hätt' ich selbst am End' zu viel gesprochen,
Wenn ich jetzund nicht mäuschenstille wär'.
Ich schließe; was durch Reden mag geschehen,
Läßt mich der Alte wie im Spiegel sehen.

[428] Neunundzwanzigster Gesang

1.
O Männersinn, unstet und leicht beweglich!
Wie sehr ist unsre Laune wechselvoll!
Wie ändern sich doch die Gedanken täglich,
Zumal die uns gebracht der Liebesgroll!
Ich sah den Mohr in Wut und Grimm unsäglich
Gegen die Fraun, ganz außer sich und toll:
Lau würden, glaubt' ich, solchen Hasses Flammen
Nimmer – und niemals sänken sie zusammen.
2.
Ihr edlen Fraun, was an Verrätereien
Der Mohr, euch scheltend ohne jedes Recht,
Begangen hat, werd' ich ihm nicht verzeihen,
Bis er es merkt, wie bös er war und schlecht.
Und Tint' und Feder soll dem Ausdruck leihen,
Damit man sieht, wie sehr's ihm Nutzen brächt',
Hätt' er sich eh'r die Zunge abgebissen,
Als euren hohen Wert herabgerissen.
3.
Zwar daß er wie ein Narr, dumm und verwegen,
Gesprochen hat, macht ihm Erfahrung klar:
Auf alle schwang er wild des Zornes Degen,
Sah nicht: es gibt doch Unterschied fürwahr –
Da blitzt ihm Isabellas Aug' entgegen,
Und andrer Meinung wird er ganz und gar:
Statt jener möcht' er sie sein eigen nennen,
Beim ersten Blick und ohne sie zu kennen.
[429] 4.
Und weil ihn neuer Liebe Wunden stechen,
Bringt er hervor unnützer Worte Schwall,
Den hohen, reinen Sinn in ihr zu brechen,
Auf ihn gerichtet, der da schuf das All.
Ihr Hort, der Mönch, mit frommer Rede Bächen
Will sie beschützen, hindern ihren Fall,
Und sucht aus stärkern und aus bessern Gründen
Zum Schirm ein sicher Bollwerk ihr zu gründen.
5.
Als lang der Heide mit verhaltnem Grolle
Gehört des tapfern Mönchleins Litanei
Und ihm umsonst geraten hat, er trolle
Sich hübsch allein in seine Wüstenei,
Und merkt, daß jener keinen Frieden wolle
Und offen ihm zu schaden eifrig sei,
Greift er ihm an das Kinn mit wildem Hassen
Und reißt vom Bart heraus, was er kann fassen.
6.
Es wuchs sein Wüten: und er schnürt dem Greise
Den Hals mit Händen wie mit einer Zang';
Dreht ihn ein-, zweimal flink herum im Kreise,
Daß er sich durch die Luft zum Meere schwang.
Was aus ihm ward, weiß ich in keiner Weise;
Verschiedene Gerüchte sind im Schwang:
Am Felsen ward er so zerschellt – sagt einer –
Was Kopf war, was die Füße, wußte keiner.
7.
Ein andrer sagt, er sei ins Meer geflogen,
Das eine Stunde sich von da befand,
Und sei dort umgekommen in den Wogen,
Trotz Betens, weil er Schwimmen nicht verstand.
Ein Heil'ger hab' ihn an den Strand gezogen,
So sagt ein andrer; sichtbar war die Hand.
Erlaubt, daß auf Ergründung ich verzichte:
Er kommt nicht weiter vor in der Geschichte.
[430] 8.
Als Rodomont ihn sah von dannen schweben
(Der alte Schwätzer stört' ihn länger nicht),
Begann er gleich viel milder sich zu geben,
Zeigte der Dam' ein freundliches Gesicht
Und nannte sie sein Herzchen und sein Leben
Und was wohl sonst noch ein Verliebter spricht;
Sein Hoffen, seinen Trost, mit vielen Dingen
Und Namen, wie sie oft zusammenklingen,
9.
Bemüht, sich rechten Anstands zu befleißen,
Mit keiner Spur von Zwang und von Gewalt –
Gelöscht hat und vernichtet all die heißen
Flammen des Stolzes diese Huldgestalt.
Er könnte gleich die Frucht wohl an sich reißen
Und macht bescheiden an der Schale halt:
Ihm ist, als ob der Kern nicht munden könne,
Wenn sie ihn nicht als frei Geschenk vergönne.
10.
Für seine Lust gedacht' er zu gewinnen
Allmählich so die Dame hier im Haus.
Ihr war an diesem öden Ort zu Sinnen
Wie wohl im Katzengriff der armen Maus:
Sie wäre lieber ja im Feuer drinnen –
Und schaut inzwischen stille für sich aus,
Ob irgendwie nicht Weg und Mittel seien,
Um rein zu bleiben und sich zu befreien.
11.
Lieber durch eigne Hand den Tod erleiden,
So steht es fest in Isabellas Sinn,
Als schnöd zu Willen sein dem argen Heiden,
Gegen den Teuren eine Sünderin:
Ja, Schuld an ihrem Herrn will sie vermeiden,
Der ihr getötet ward im Arme drin
Und dem sie schwur im innersten Gedanken,
In ihrer Keuschheit nimmermehr zu wanken.
[431] 12.
Sie sieht von immer stärkrer Gier entzündet
Den Sarazen und weiß sich keinen Rat.
Sie merkt, daß sich bereits der Ausgang kündet,
Trotz ihres Ringens, zu der schnöden Tat.
Da hat sie doch ein Mittel noch ergründet,
Nachdem sie lang erwogen früh und spat,
Zu ew'gem Ruhm die Keuschheit sich zu wahren;
Und wie? Das sollt Ihr alsogleich erfahren.
13.
»Darf ich,« sprach sie zum wüsten Sarazenen,
Der jetzt schon in sie drang in andrer Art
Und auch mit andern Worten, als mit denen
Ihr anfangs Höflichkeit erwiesen ward,
»Darf ich mich meiner Ehre sicher wähnen?
Zeigt, daß Ihr jeden Unglimpf mir erspart!
Dann könnt' ich etwas sagen, und es wäre
Euch mehr wert als der Raub an meiner Ehre.
14.
Um Freuden, die so rasch wie die vergehen
(Ihr trefft sie überall im ganzen Reich),
Solltet Ihr nicht ein dauernd Gut verschmähen
Und wahren Schatz, der keinem andern gleich:
Leicht könnt Ihr hundert, tausend Frauen sehen
Von holdem Antlitz und an Schönheit reich;
Doch niemand oder wenige nur leben
Auf Erden wohl, Euch solch ein Gut zu geben.
15.
Ich kenn' ein Kraut, und noch beim Kommen schaute
Ich einen Ort, wo es sich finden läßt:
Kocht's bei Zypressenfeuer drin mit Raute
Und Eppich! Wird der Saft dann ausgepreßt,
Macht er, wenn einer Jungfrau Hand ihn braute,
Den, der drin dreimal badet, also fest,
Daß er sich gegen Feuersglut und Eisen
Vollkommen unverwundbar wird erweisen.
[432] 16.
Er muß dem Bade dreimal sich vertrauen,
So bleibt er einen Monat unverletzt.
Dann gilt's aufs neue nach dem Kessel schauen;
Nicht länger hilft es, daß man sich benetzt.
Das Wasser kenn' ich, will es heut noch brauen:
Ihr sollt es gleich erproben, heut und jetzt.
Es mag Euch, denk' ich, größre Freude schaffen,
Als zwängt ihr ganz Europa mit den Waffen.
17.
Ihr legt den Schwur auf Eure Treue nieder,
Daß Ihr, sobald der Saft für Euch bereit,
In Wort und Tat mir künftig nimmer wieder
Noch meiner Zucht und Ehre lästig seid.«
Sie spricht's und macht den Mohren plötzlich bieder:
Gar sehr lockt ihn die Unverwundbarkeit:
Er hätte, geh' ihm diese nicht verloren,
Viel mehr noch als von ihm verlangt beschworen.
18.
Und seinen Schwur gedacht' er auch zu halten,
Bis er erprobt den wunderbaren Saft,
Und jetzt sich der Gewalttat zu enthalten,
Nicht zu mißbrauchen seine große Kraft;
Sodann jedoch nach Willkür frei zu schalten,
Nicht Gott und Heil'genfurcht hielt ihn in Haft:
So wenig achtet keiner Schwures Bande,
Durchsucht man Afrikas verlogne Lande.
19.
Er schwört der Dame mehr als tausend Eide,
Auf Rücksicht sei er allezeit bedacht,
Daß es nur bald sich mit dem Saft entscheide,
Der ihn zum Cygnus und Achilles macht.
Fern Stadt und Dorf, hat sie der stillen Heide,
Der Bergeshänge, dunkler Tiefen acht
Und sammelt viele Kräuter; ihr zur Seite
Bleibt stets der Mohr und gibt ihr das Geleite.
[433] 20.
Kräuter genug, gepflückt von fleiß'gen Händen,
Teils mit, teils ohne Wurzel, sind bereit,
Worauf sich beide zum Gemache wenden:
Dort will dies Muster von Enthaltsamkeit
Die Nacht, die angebrochen, ganz verwenden
Zum Kräuterkochen, bis zur Morgenzeit.
Und allen Zaubers bleibt dabei gewärtig
Der Fürst von Algier, bis das letzte fertig.
21.
Die wen'gen Diener braucht er als Genossen
Und hat im Spiele dort die Zeit verbracht.
Als, in dem engen Raume eingeschlossen,
Das Feuer ihnen allen Durst gemacht,
Geschah es, daß in ihre Kehlen flossen
Zwei Fässer Griechenwein in dieser Nacht
(Den führten mit sich unterwegs zwei Leute:
Man nahm die Fässer fort als gute Beute).
22.
Nun wußte Rodomont nichts von den Weinen,
Weil sie verpönt sind für den Muselman;
Der Trank sei herrlich, göttlich, möcht' er meinen,
Nicht Manna und nicht Nektar reicht heran.
Die Mohrensatzung wollt' ihm schlecht erscheinen:
Becher und Krug – voll – durch den Schlund ihm rann,
Der gute Wein mußt' in der Runde gehen,
Bis alle Köpfe sich wie Kreisel drehen.
23.
Vom Feuer, drin die Kräuter alle sieden,
Nimmt nun das Fräulein ihren Kessel fort
Und spricht: »Ist Zweifel noch, werd' er vermieden!
Ich sprach nicht in den Wind ein leeres Wort;
Was Wahrheit oft von Lüge hat geschieden
Und was selbst Dummen wird ein Weisheitshort,
Biet' ich: Erfahrung, daß sie dir verbleibe,
An andern nicht, nein, hier an meinem Leibe.
[434] 24.
Zuvörderst will ich an mir selbst erproben
Die Zauberkraft der Mischung wundervoll;
Dann wird der Argwohn auch beiseit geschoben,
Daß ich ein tödlich Gift dir bringen woll'.
Zu Hals und Brust herab vom Scheitel oben
Sogleich der Saft die Haut mir salben soll.
Versuche Kraft und Schwert: es wird sich zeigen,
Ob Schärfe diesem, Wucht der andern eigen.«
25.
Sie wusch sich, wie sie sprach, hielt ihm entgegen
Den bloßen Hals: – der unbedachte Mohr
(Ja, unbedacht, dazu dem Wein erlegen:
Kein Helm und auch kein Schildrand schützt davor),
Er schenkt ihr Glauben, schwingt den grausen Degen,
Den unbarmherzigen – der arge Tor –,
Und von dem schönen Haupt, dem Sitz der Liebe,
Trennen sich Brust und Rücken bei dem Hiebe.
26.
Drei Sprünge tat es, und man hörte schallen
Den Namen, den sie scheidend rief: »Zerbin!«
Sie fand, um dem Geliebten nachzuwallen,
Seltsamen Weg, dem Mohren zu entfliehn.
O Seele, die du höher hieltst vor allen
Das Gut (das fremd und unbekannt erschien
In unsrer Zeit) der Treue und der Tugend
Als selbst dein Leben, deine blühnde Jugend,
27.
Geh, selig schönes Wesen, geh in Frieden!
Es fehlt am Willen nicht und nicht an mir,
Wär' meinem Liede nur die Kraft beschieden,
Die aller Redekunst gibt Schmuck und Zier –
Zu singen, daß viel tausend Jahr' hienieden
Dein heller Name kling' auf Erden hier.
Zieh hin in Frieden nach den Himmelsauen,
Der Treue Vorbild für der Erde Frauen!
[435] 28.
Der Schöpfer blickte von dem Himmel oben
Auf diese Tat erhaben, wundersam,
Und sprach dabei: »Dich muß ich höher loben
Als, die Tarquin das Reich im Sterben nahm.
Drum sei jetzt dieses zum Gesetz erhoben
(Von jenen, denen nie ein Ende kam),
Und bei den ew'gen Fluten will ich schwören:
Kein künftiges Jahrhundert soll's zerstören!
29.
Jede, die deinen Namen noch wird führen
In künft'ger Zeit, soll hohen Geistes sein
Und Schönheit, Huld und Anmut sich erküren
Mit aller Ehr' und Weisheit im Verein.
Der Dichter preisend Lied wird ihr gebühren,
Es krönt der Ruhm den hehren Namen dein:
Vom Helikon, Parnaß und Pindus helle
Erkling' es: Isabelle, Isabelle!«
30.
Des Herren Wort läßt rings den Wind sich legen;
Es glättet sich, wie nie zuvor, das Meer.
Dem dritten Himmel fliegt die Seel' entgegen
Und feiert mit Zerbin die Wiederkehr.
Der zweite Brehus blieb zurück, verlegen,
Der Mitleidlose, mit der blut'gen Wehr.
Nachdem des Weines Dünste nun verflogen,
Sind Reu' und Trübsinn in sein Herz gezogen.
31.
Besänft'gen möcht er, wenn nicht ganz versöhnen
Den sel'gen Geist der edlen Isabell:
Wenn er zu Tode schlug den Leib der Schönen,
Leb' ihr Gedächtnis fort an dieser Stell'.
Er will, um sie zur Milde zu gewöhnen,
Zu einem Grabmal wandeln die Kapell',
In der sie wohnte, wo sie ward erschlagen:
Wie das geschah, will ich Euch weiter sagen.
[436] 32.
Rings aus den Orten, nahen so wie weiten,
Durch Güt' und Schrecken holt er Meister her;
Sechstausend kommen so von allen Seiten;
Dann schlägt er in den Bergen Blöcke schwer
Und läßt ein mächtiges Gebäu bereiten,
Hoch neunzig Ellen (soviel zählet er),
Und schließt die Kirch' hinein, damit sie berge
Vom treuen Liebespaar die beiden Särge.
33.
Der prächt'gen Burg, die an des Tibers Wällen
Erbaut hat Hadrian, das Bauwerk glich.
Noch einen Turm ließ er zum Grabmal stellen
(Dort weilt' er selbst nachher gelegentlich),
Ein schmales Brücklein bauen, breit zwei Ellen;
Zum andern Rand des Flusses streckt es sich.
Lang war der Steg, allein gering an Breite:
Kaum schritten dort zwei Pferde Seit' an Seite,
34.
Wenn sie den schmalen Weg zusammen gingen,
Oder sich trafen von verschiednem Strand;
Die Enge konnte stets zu Falle bringen,
Weil kein Geländer auf dem Steg sich fand:
Es sollte keinem Menschen je gelingen,
Ihn zu gebrauchen hier von Rand zu Rand;
Der Mohr gedenkt mit tausend Beutestücken
Erschlagener der Dame Gruft zu schmücken.
35.
Zehn Tage gehen hin, da steht vollendet
Der Steg, der hier zu gehen möglich macht;
Der Bau wird aber nicht zugleich beendet;
Dem Turm ist noch die Spitze nicht gebracht,
So hoch indeß, daß leicht, hinauf gesendet,
Ein Kriegsmann oben Umschau hält und Wacht,
Um alle Ritter, die zu nahen streben,
Durch Hornstoß Rodomonte kundzugeben.
[437] 36.
Der wappnet sich, stellt jedem sich entgegen,
Auf dieser bald und bald auf jener Seit':
Will einer sich vom Turm aus fortbewegen,
Ist Rodomont am andern Strand bereit.
Dann, auf dem engen Brücklein, kommt's zu Schlägen,
Und weicht das Pferd nur ein paar Spannen breit,
So stürzen in die Wellen Roß und Reiter –:
Die Welt kennt solche Fährlichkeit nicht weiter.
37.
Wenn er sich öfter in Gefahr begebe,
So wähnt der Mohr, und falle dort hinein,
Kopfüber, wo es Wasserschlucken gebe,
So müss' ihn dieses von der Schuld befrein,
Die er beging durch jenen Saft der Rebe,
Und rein und sauber werd' er künftig sein;
Als ob das Werk von Wein, von Zung' und Händen
Durch Wasser oder Wein sich könne wenden.
38.
In wen'gen Tagen kommen ihrer viele.
Die einen ziehn geradenwegs fürbaß;
Denn wer Italien, Spanien hat zum Ziele,
Der fände nimmer so bequeme Straß.
Bei andern ist die Ruhmbegier im Spiele,
Der Wunsch, sich auszuzeichnen über Maß.
Sie müssen alle, statt zu triumphieren,
Die Waffen, oft das Leben auch, verlieren.
39.
Bezwang er Heiden, ließ er sich's genügen,
Zu nehmen, was er grad an Waffen fand
Für seine Mauer, wo in großen Zügen
Der Name des beraubten Ritters stand.
Die Christen (bis sie Sklavenketten trügen,
Zu Algier) hielt der Kerker festgebannt.
Da läßt – als noch im Bau die Werke stehen –
Der tolle Roland sich am Turme sehen.
[438] 40.
Zufällig muß der Graf gerad erscheinen
Am Ufer hier, der hirnverrückte Mann,
Als Rodomont, wie schon gesagt, mit seinen
Bauwerken all nicht fertig werden kann,
Dem Turm, der Gruft, kaum mit dem Steg, dem kleinen,
Und alle seine Waffen hatt' er an
Bis auf den Helm – den hatt' er abgezogen –,
Als Roland eintraf an des Flusses Wogen.
41.
Roland ward von dem Wahnsinn so geleitet,
Daß er zur Schranke und aufs Brücklein sprang;
Zu Fuße, wie er ist gerade, schreitet
Der Mohr mit finstern Braun den Steg entlang,
Von weitem drohend; doch sein Schwert bereitet
Ihm nicht – zu viel der Ehre wär's – Empfang:
»Du frecher Lümmel, unverschämter,« schreit er,
»Tollkühner Rüpel, geh vom Stege weiter!
42.
Der wird von Herrn und Rittern nur erkoren
Und ist für dich, du Rindvieh, nicht gemacht!«
Doch Roland, in Gedanken tief verloren,
Geht stets voran und hat des Rufs nicht acht.
»Ich muß ihn zücht'gen, den verrückten Toren«,
Der Heide spricht und naht mit aller Macht,
Weil den hinabzuwerfen ihn gelüstet;
Auf Widerstand, traun, ist er nicht gerüstet.
43.
Da – seht! – ein edles Fräulein kommt gegangen
Zum Steg, der nach dem andren Strande führt,
Zierlich geschmückt und schön, mit holden Wangen
Und schüchtern, wie für Mägdlein sich's gebührt.
Sie ist's (Ihr kennt sie, Herr!), die voll Verlangen
Allübrall hat nach Brandimart gespürt;
Nur nach Paris, wo ihr Geliebter steckte,
Ihr eifrig Forschen niemals sich erstreckte.
[439] 44.
Als Flordelis (wie sich das Fräulein nannte)
Nun an die Brücke hingekommen war,
Wo Rodomont gerad auf Roland rannte,
Der ihn ertränken wollte, Mitleids bar,
Nahm sie, die ja genau den Grafen kannte,
Beim ersten Blick den Ritter Roland wahr
Und mußte sehr ob dieser tollen Launen,
Die splitternackt ihn gehen ließen, staunen.
45.
Sie steht und schaut, wer wohl den andern zwänge,
Von zweien also stark an Kraft und Mut.
Daß er den Gegner von der Brücke dränge,
Was nur ein Mensch vermag, ein jeder tut.
»Bringt eines Narren Kraft mich in die Enge?«
Knirscht in die Zähne Rodomont voll Wut.
Er windet, dreht sich, nimmt in Zornes Flammen
All seinen Stolz und seine Macht zusammen.
46.
Mit der und jener Hand, so wie er seinen
Vorteil ersieht, sucht er stets neuen Halt;
Stemmt vorne erst, dann zwischen Rolands Beinen
Den linken Fuß jetzt und den rechten bald.
Dem dummen Bären gleicht er, sollt' ich meinen,
Der – ihn zu fällen – einen Baum umkrallt,
Von dem er niederstürzte auf die Erde,
Und Wut schnaubt, daß darob ihm Rache werde.
47.
Roland – den Sinn, wer weiß wo, in den Weiten –
Hat unwillkürlich nur die Kraft verwandt,
Die große Kraft, darin zu allen Zeiten
Ein Nebenbuhler kaum ihm noch erstand.
Er läßt sich rücklings in das Wasser gleiten,
Umschlingt dabei den Mohr mit Arm und Hand:
Sie stürzen beid' in Stromes Tiefen nieder –
Aufspritzt die Flut, die Ufer hallen wider.
[440] 48.
Schnell lassen sie sich los im Wasser drinnen:
Roland ist nackt und schwimmt wie Fische; leicht
Mit Arm und Füßen rudert er von hinnen
Und hat das andre Ufer bald erreicht
Und läuft und denkt nicht dran, sich zu besinnen,
Ob das zum Lob, zum Tadel ihm gereicht.
Der Heide, stark beschwert von seinen Waffen,
Kann erst viel später sich der Flut entraffen.
49.
Das schöne Fräulein ist indes gegangen –
Ganz ungefährdet – nach des Ufers Port;
Blickt auf und ab am Grab: – am Ende prangen
Des teuren Brandimarte Waffen dort.
Doch weder Rock noch Rüstung sieht sie hangen
Und hofft, sie treff' ihn wohl an anderm Ort.
Den Weg zurück zum Grafen laßt uns finden,
Der Turm und Fluß sah hinter sich verschwinden!
50.
Toll wär' es, jede Tollheit zu erzählen,
Die er begangen, alles nach der Reih';
Damit zu enden, würde Zeit mir fehlen,
So viele waren's und so mancherlei.
Als wert des Sanges laßt mich eine wählen,
Die recht für die Geschichte passend sei:
Berichten will ich, was durch ihn geschehen
Unweit Tolosa, in den Pyrenäen.
51.
Durch manche Länder war der Graf gegangen
Und stets, vom Wahn getrieben, fortgeeilt.
Da muß er zu dem Berge hingelangen,
Der spanisch Volk von dem Franzosen teilt –
Die Stirne dorthin, wo der Sonne Prangen,
Bevor es in der Meerflut auslöscht, weilt.
Hier geht er nun auf einem schmalen Pfade,
Steil über einem engen Tal gerade.
[441] 52.
Zwei Burschen kamen, als er dort erschienen –
Holzhauer waren's –, diesen Weg daher;
Ein holzbeladner Esel war mit ihnen;
Daß es im Kopf mit ihm nicht richtig wär',
Erkannten sie sogleich an seinen Mienen.
Sie schrien laut ihn an und drohten sehr:
Umkehren soll er oder stehn beiseite,
Die Mitte lassend in der ganzen Breite.
53.
Roland hat alles schweigend hingenommen;
Ein Tritt nur mit dem Fuß von ihm ergeht;
Den hat der Esel auf die Brust bekommen
Mit jener Kraft, vor der ja nichts besteht,
Und in der Luft gleich solche Höh' erklommen: –
Ein Vogel scheint er Euch, wenn Ihr ihn seht;
Und fällt auf einen Berg mit einem Male,
Hoch oben, eine Stunde überm Tale.
54.
Dann stürzt der Tolle sich auf die zwei Jungen:
Der eine, der mehr Glück hat als Verstand,
Ist in der Todesangst hinabgesprungen
Die sechzig Ellen hohe Felsenwand.
Auf halbem Weg Gestrüpp, mit Grün verschlungen,
Macht linder seinen Fall durch Widerstand:
Es kratzt die Haut ihm vom Gesicht herunter,
Entläßt ihn aber sonst doch frei und munter.
55.
Der andre packt ein Felsriff, dran zu hangen
Und nach der Höhe sich emporzuziehn:
Er hofft, könn' er nur erst hinaufgelangen,
Der Wut des Narren oben zu entgehn.
Der aber hat nach seinem Blut Verlangen,
Und an den beiden Füßen faßt er ihn
Und spreizt die Arme, wie er sie kann strecken –:
Zerrissen ist der Knab' vom tollen Recken!
[442] 56.
Wir sehen wohl, daß man auf solche Weise
Mit einem Reiher, einem Huhn verfährt,
Wenn man sein heißes Eingeweid' als Speise
Dem Falken oder Sperber auch beschert.
Ein Glück, daß jener bei der schnellen Reise
Den Hals nicht brach, er blieb fast unversehrt,
Damit er andern melde die Geschichte
Und so zuletzt Turpin sie uns berichte!
57.
Dies und viel andres hat er auf dem Pfade
Übers Gebirg vollbracht mit starker Hand.
Nach langem Suchen steigt er ab, gerade
Gen Mittag und hinein in spanisch Land,
Wo sich um Tarragona her, am Bade
Des Meers, die Straße hinzieht dicht am Strand;
Und wie des Wahnsinns Launen just erwachen,
Denkt er im Sande Wohnung sich zu machen:
58.
Er gräbt sich in den Sand, den dürren, feinen,
Und schützt sich also vor der Sonne Strahl,
Dort bleibt er. – Da mit einemmal erscheinen
Angelika und Medor, ihr Gemahl.
Sie stiegen (Ihr entsinnt Euch, möcht' ich meinen)
Von dem Gebirg hernieder in das Tal.
Sie hatt' ihn früher noch nicht wahrgenommen
Und war auf Armesläng' ihm nahgekommen,
59.
Ohne daß sie den Paladin erkannte
(Denn nichts gemahnte hier sie mehr an den).
Immer, seitdem ihn dort der Wahnsinn bannte,
In Sonn' und Schatten war er nackt zu sehn.
Wär' er geboren, wo der Garamante
Den Ammon ehrt, im glühenden Syen
Oder wo Nilflut strömt von Bergen nieder,
Nicht ausgedörrter wären seine Glieder.
[443] 60.
Das Antlitz mager, wie ein Knochen trocken,
Das Auge steckte in der Höhlung tief;
Zerzaust, verworren, struppig, wild die Locken;
Beim wirren Bart ein Graun sie überlief.
Sie sah den Tollen und, zum Tod erschrocken,
Voll Beben, wandte sie das Roß und rief
Hinauf zum Himmel, kehrte sich voll Beben
Um Hilfe dann zum Reitersmann daneben.
61.
Sie festzuhalten, ist nun aufgesprungen
Roland der Tor, sobald er sie gewahrt:
Verlangen war ihm gleich ins Herz gedrungen,
So schön fand er das Wänglein hold und zart.
Daß sie ihn einst zu Lieb' und Dienst gezwungen,
Davon hat die Erinnrung nichts bewahrt.
Er läuft ihr nach, so wie durch das Gefilde
Der Hund, begierig schnuppernd, einem Wilde.
62.
Der Jüngling sieht den tollen Menschen eilen
Hinter der Dam' und stößt auf ihn das Pferd
Und haut zugleich und sticht auf ihn derweilen,
Sobald er sieht, daß der den Rücken kehrt.
Er meint, das Haupt vom Halse abzuteilen,
Doch Haut, wie Knochen hart, ihm das verwehrt,
Vielmehr wie Demant, weil der Graf gefeit ist
Und unverwundbar seit der frühsten Zeit ist.
63.
Als Roland hinten einen Streich verspürte,
Hat er, die Faust geballt, sich umgedreht,
Worauf er einen Schlag aufs Rößlein führte
Mit jener Kraft, die zu Gebot ihm steht;
Er trifft den Kopf –: als ob er Glas berührte,
Zerspringt der Schädel, der in Stücke geht.
Gleich wendet sich der Narr, in mächt'gen Sätzen
Der Schönen, die entfliehn will, nachzusetzen.
[444] 64.
Die Dame treibt ihr Pferd zur höchsten Eile,
Mit Sporn und Gerte stachelt sie das Tier;
Doch flög' es auch dahin gleich einem Pfeile,
Für ihre Hast erschien es langsam schier.
Sie denkt des Rings: der wird ihr ja zum Heile,
Wenn sie zum Mund ihn führt; sie hat ihn hier,
Und sieh! – wie noch die Kraft in ihm sich findet:
So wie ein Licht man auslöscht, sie verschwindet.
65.
Sei's, weil ihr bangte, oder weil die Gute
Zu hastig nahm den Ring von ihrer Hand,
Sei's, daß ins Stolpern just geriet die Stute
(Ob's dies ob das war, ist mir unbekannt):
Sobald der Ring auf ihrer Zunge ruhte,
Und vor dem Blick ihr hold Gesicht verschwand,
Da rutschten aus dem Sattel ihre Glieder,
Kopfüber sank sie auf den Boden nieder.
66.
War dieser Sprung zwei Zoll zu kurz geschehen,
So flog sie grad dem Tollen an den Hals
Und müßte durch den Stoß zu Grabe gehen:
Ihr Stern beschützt sie vor der Wucht des Pralls.
Gern würde sie ein neues Pferdchen sehen,
Wie jüngst sie eines stahl; denn jedenfalls
Wird sie dies Rößlein niemals wiederkriegen,
Das sie vor Roland sieht von dannen fliegen.
67.
Nun, zweifelt nicht, daß sie sich helfen werde!
Wir folgen Roland nach zu dieser Frist.
Stets wilder fliegt er, grimmer von Gebärde,
Weil sie sich ihm versteckt mit arger List.
Hin durch den nackten Sand folgt er dem Pferde,
Bis daß er näher, immer näher ist:
Jetzt rührt er's an – und jetzt die Mähne hält er –
Und jetzt den Zaum – und bringt zum Stehn den Zelter.
[445] 68.
Mit solcher Freude hält er es am Zügel,
Wie wohl ein andrer hielte seinen Schatz,
Sorgfältig ordnet er ihm Zaum und Bügel
Und springt in Sattel drauf mit einem Satz.
Viel Meilen jagt er's über Tal und Hügel,
Hier-, dorthin, ruhelos, in wilder Hatz;
Doch läßt er ihm den Zaum, den Sattel immer
Und gönnt ihm Gras und gönnt ihm Futter nimmer.
69.
Nun über einen Graben will er jagen:
Kopfüber fällt er mit dem Pferd hinein.
Er fühlt es nicht und kann es auch vertragen,
Doch liegen bleibt das arme Tier in Pein.
Was diesem helfen mög' in seinen Plagen,
Er weiß es nicht, packt auf das Rösselein
Und geht voran mitsamt der schweren Bürde,
So weit ein Pfeilschuß dreimal dringen würde.
70.
Er merkt, daß ihm das Tier doch Last bereitet,
Und legt es ab, zieht mit der Hand es fort.
Als hinter ihm das Rößlein hinkend schreitet.
Spricht Roland: »Geh!« – vergebens ist sein Wort.
Und hätt' es ihn auch im Galopp begleitet,
Sein Wahnsinn würd' es stacheln, immerfort.
Dem Kopf hat er den Halfter dann entwunden
Und an dem rechten Fuß ihn festgebunden.
71.
So schleppt er's fort und sucht ihm Trost zu spenden:
»Nun, geht es jetzt nicht viel bequemer?« schreit
Er, fragt nicht, ob am Weg sich Steine fänden:
Hautfetzen, Haare fliegen weit und breit.
Und schließlich muß das arme Roß verenden
Vor Ungemach und Schmerz und Mattigkeit.
Er sieht es nicht, und ohn' etwas zu denken,
Eilt er, die Schritte weiter fortzulenken,
[446] 72.
Läßt noch das tote Tier am Boden schleifen
Und richtet stets den Lauf nach Westen hin,
Um plündernd so durch Haus und Hof zu schweifen,
Wenn Appetit sich regt im Magen drin,
Und blindlings Früchte, Fleisch und Brot zu greifen,
Und alle Leute quält sein Räubersinn.
Den einen läßt er tot und lahm den andern,
Bleibt kurze Zeit, und weiter geht das Wandern.
73.
Auch seine Dame büßte es wohl bitter,
Versteckte sie sich nicht durch ihren Ring;
Denn Schwarz und Weiß nicht unterscheidend schritt er,
Und Schaden bracht' er, wenn er helfen ging.
Verwünscht der Ring, verwünscht auch jener Ritter,
Von dem Angelika ihn einst empfing!
Wenn seine Zauberkraft nicht Schutz ihr brächte –
Wie Roland sich und tausend andre rächte!
74.
Nicht sie bloß sollt' in Rolands Hände kommen,
Nein, alle Fraun von heute miteinand:
Undankbar haben alle sich benommen;
An keiner noch ein gutes Haar man fand.
Mißtönig aber würden leicht vernommen
Des Liedes Saiten, schlaff in meiner Hand:
Ein andermal drum will ich weitersingen,
Daß sie dem Hörer nicht verdrießlich klingen.

[447] Dreissigster Gesang

1.
Wenn sich Vernunft vom Zorn ließ übermannen,
Vom Ungestüm, und Zunge dann und Hand
Im blinden Wüten allerlei begannen,
Darob sich mancher Freund beleidigt fand –
Ob Seufzer stiegen und ob Tränen rannen,
Wird doch der Fehler nicht dadurch verbannt.
Wie schmerzt mich, ach, was ich in Zornes Drange
Sprach ganz zuletzt im vorigen Gesange!
2.
Doch einem Kranken bin ich zu vergleichen,
Der sich, geduldig, lang hielt in Gewalt –:
Wenn allzu stark heran die Schmerzen schleichen,
So flucht er wohl und wütet ohne Halt.
Nun weicht der Zorn, sobald die Schmerzen weichen,
Die Anlaß waren, daß die Zunge schalt:
Er grollt sich selbst – bereut wird und geklagt wird,
Doch, was gesagt ist, drum nicht ungesagt wird.
3.
Ich hoff', ihr Fraun, mir wird von euch verziehen
(Ich fleh' zu eurer Huld und mildem Sinn),
Ließ herbes Weh Vernunft von mir entfliehen.
Der große Schmerz riß mich zum Faseln hin,
Und meine Feindin sei der Schuld geziehen:
So schlimm ist niemand dran, wie ich es bin.
Sie läßt mich schreiben, was ich sonst nicht schriebe;
Gott kennt ihr Unrecht, kennt auch meine Liebe.
[448] 4.
Ich bin, so sehr wie Roland, selbst von Sinnen
Und ebenso wie er des Mitleids wert,
Der, bald auf Auen, bald in Bergen drinnen,
Vom Reich Marsils ein großes Stück durchfährt.
Den toten Gaul stets schleppt er mit von hinnen
Viel Tage lang – kein Hindernis ihm wehrt –,
Dann, wo zum Meere Fluten sich ergießen,
Muß er das Tier zu lassen sich entschließen.
5.
Und weil er immer wie ein Fisch geschwommen,
So taucht er und gelangt zum andern Rain.
Da ist des Wegs zu Pferd ein Hirt gekommen,
Der führt gerad sein Tier zur Tränk' herein.
Daß Roland naht, hat er wohl wahrgenommen,
Doch achtet's nicht: er ist ja nackt, allein.
Der Tolle sprach: »Wir tauschen unsre Pferde:
Daß meine Stute jetzt die deine werde.
6.
Ich zeig' sie dir, willst du die Augen heben:
Tot liegt sie dort am Ufer auf dem Feld.
Du kannst sie heilen; ruf sie dir ins Leben;
Nichts andres ist, was mir an ihr mißfällt.
Magst mir dein Roß mit einem Aufgeld geben:
Nun steig hübsch ab, weil mir dein Pferd gefällt.«
Drauf lacht, doch keine Antwort gibt der Reiter
Und trabt vom Narren fort zur Tränke weiter.
7.
»Ich will dein Pferd; holla, wirst du verstehen?«
Ruft Roland und dringt nach in voller Wut.
Der Hirt hatt' einen Stecken, wohlversehen
Mit Knoten, und er traf den Tollen gut.
Den sollt' er nun in seinem Grimme sehen,
Denn wilder als noch jemals schäumt sein Mut:
Ein Faustschlag hat des Hirten Kopf zerbrochen;
Tot liegt er da, zermalmt den Schädelknochen.
[449] 8.
Aufs Pferd springt Roland, durch das Land zu streifen,
Und plündert viele Menschen weit und breit.
Nie Korn und Heu für seinen Klepper reifen,
Daß er zusammenbricht in kurzer Zeit.
Doch nicht zu Fuße drum will Roland schweifen,
Nein, sich bewegen in Bequemlichkeit.
Er nimmt sich, was er finden kann von Pferden,
Derweil der Tiere Herrn erschlagen werden.
9.
Allein das Ärgste hat er angerichtet,
Als er zuletzt kam hin nach Malaga:
Nicht Hab und Gut nur hat er dort vernichtet,
Daß man nach Jahren noch den Schaden sah,
Auch die Bevölkrung schrecklich zugerichtet,
So viele hingemordet fern und nah,
Zerstört, verbrannt die Häuser in der Runde –:
Ein Drittel aller Leute ging zugrunde.
10.
Zizera sah er dann (am Meeresstrande
Am Sund von Zibilterra liegt der Ort;
Sie nennen ihn auch Zibeltar im Lande,
Denn man verwendet beide Namen dort).
Es stieß gerad ein Boot vom Uferrande;
Drin fuhren viel vergnügte Leute fort,
Sich zu ergötzen in der Morgenstunde,
Denn ruhig war das Meer in weiter Runde.
11.
Ihm kam die Lust, im Boote mitzufahren,
Und »Halt!« und »Wartet dort!« so rief er laut.
Allein umsonst Geheul und Schreie waren:
Von solcher Ladung ist man nicht erbaut.
So hurtig streicht das Schifflein durch die klaren
Wellen, wie man die Schwalb' in Lüften schaut:
Er aber schlägt das Roß, weiß es zu zwingen
Und schließlich nach dem Meeressaum zu bringen.
[450] 12.
Nun muß es auch ins Wasser vom Gestade:
Vergebens stemmt es sich und scheut davor;
Es beut die Knie, den Bauch, das Kreuz dem Bade,
Den Kopf, und schließlich ragt's kaum mehr empor.
Nicht hoff' es Rückkehr von dem Wasserpfade,
Solang ihm hier die Gerte fährt ums Ohr!
Kann's nicht nach Afrika hinübertreiben,
So muß es tot, ach, in den Fluten bleiben.
13.
Das Boot, das ihn vom trocknen Strand gezogen
Zur See heraus, erblickt er nun nicht mehr:
Es ist zu fern und seinem Aug' entzogen,
Denn Wellen hüpfen spielend um ihn her.
Doch treibt er noch sein Roß hin durch die Wogen;
Er bleibt dabei: er will durchs weite Meer.
Weil Wasser viel dem armen Tier gegeben,
Luft wenig, läßt es Schwimmen sowie Leben.
14.
Es sinkt hinab und zög' auch mit den Reiter,
Hätt' er sich nicht zu rudern aufgerafft:
Mit Fuß und Hand hilft er sich rüstig weiter
Und drängt die Welle schnaubend fort mit Kraft.
Das Meer ist ruhig und die Lüfte heiter;
Die höchste Stille ist's, die Rettung schafft:
Wenn nicht die weite Meerflut völlig schliefe,
Er würde tot hinabgezogen in die Tiefe.
15.
Allein das Glück trieb ihn zum Strand von Sette
(Narren zu helfen, ist es stets bereit),
Unfern den Mauern war's, an eine Stätte,
Von dort wohl zweimal einen Pfeilschuß weit.
Aufs G'ratewohl lief er am Meeresbette
Viel Tage hin nach Ost mit Schnelligkeit,
Bis er von Schwarzen eine mächt'ge Bande
Gelagert fand an jenem Uferrande.
[451] 16.
Wir lassen Roland seinem Wanderleben;
Es kommt wohl später noch die Zeit für ihn.
Was, Herr, sich mit Angelika begeben,
Die, aus der Hand des tollen Paladin
Befreit, fortzog, mit gutem Schiff und eben-
So gutem Wetter, und zu Haus erschien,
Um Medor Indiens Krone dort zu bringen –
Ein andrer mag's mit beßrer Leier singen.
17.
So vieles bleibt ja sonst noch dem Berichte,
Daß, der zu folgen, nicht die Zeit mehr reicht.
Zum Skythen kehrt die liebliche Geschichte,
Der, weil der Gegner nun die Segel streicht,
Sich freut in jener Schönheit hellem Lichte,
Der in Europa keine zweite gleicht,
Seitdem Angelika nach Haus gezogen
Und Isabella himmelangeflogen.
18.
Mag Mandrikard sich in dem Schiedsspruch sonnen,
Den ihm zugunsten gab die schöne Dam',
Erfreun ihn doch nicht dessen ganze Wonnen,
Weil es ja noch zu andrem Streitfall kam.
Einen hat ihm Jung Roger angesonnen,
Als er den Aar für sich in Anspruch nahm;
Den andern sucht Gradaß ihm zu bescheren:
Er will ihm Durendal, das Schwert, verwehren.
19.
Der König sucht die Händel beizulegen;
Umsonst strengt auch Marsil mit ihm sich an.
Daß jene Wilden Fried' und Freundschaft pflegen,
Das Paar vergebens zu erreichen sann;
Sie können Roger nicht einmal bewegen,
So lang vom Schild zu lassen des Trojan,
Und nicht Gradaß, daß er aufs Schwert verzichte,
Bis diesen oder jenen Streit man schlichte.
[452] 20.
Herr Roger wollte nicht den Schild mehr geben
Zu andrem Kampf; Gradaß, der König fand,
Auf ihn nur dürfe jenes Schwert sich heben,
Das einst geführt des Helden Roland Hand.
»So laßt uns sehn: das Los entscheid' es eben!
Genug der Worte!« sprach Herr Agramant.
»Fortuna zeige, wem sie wohlgewogen,
Und wen sie vorzieht, der sei vorgezogen.
21.
Und wollt ihr auch noch weiter mir willfahren
(Ich wüßt' euch Dank dafür auf alle Zeit),
Lost, wer sich mit dem Skythen hat zu paaren,
Mit der Bestimmung: Einer geh' zum Streit,
Der andre lass' den eignen Handel fahren;
Wer siegt, zugleich dem zweiten Sieg verleiht;
Wenn aber sich der erste ließ besiegen,
Müss' auch der andre Mann mit ihm erliegen.
22.
Gradaß und Roger, beide Helden zeigen
Den gleichen oder fast den gleichen Wert:
Wer auch von ihnen mag zu Pferde steigen,
Der höchste Ruhm gewiß den Kämpfer ehrt.
Die Siegespalme werde dem zu eigen,
Dem sie des Himmels Ratschluß hat beschert.
Wer unterliegt, ist ohne Schuld geblieben;
Dem Glück nur sei der Ausgang zugeschrieben.«
23.
Mit Schweigen ward des Königs Wort vernommen
Von Roger und Gradaß: sie stimmten ein,
Wer auch durchs Los zum Kampfe werde kommen,
Beendet sollten beide Fehden sein.
Zwei gleiche Rollen wurden dann genommen,
Und ihre Namen schrieben sie hinein:
Man schloß die Rollen ein, dann ward gerüttelt
Die Urne mit den Losen und geschüttelt.
[453] 24.
Ein Knab' die Hand nun in die Urne legte
Und griff ein Los, und sieh, das Händchen trug
Die Rolle, die Herrn Rogers Namen hegte;
Des Serikaners Rolle blieb im Krug.
O wie voll Jubel Rogers Herz sich regte,
Als man den Zettel auseinanderschlug!
Der Serikaner aber muß sich grämen –:
Nun, was der Himmel schickt, hat man zu nehmen.
25.
Gradaß, bemüht, Herrn Roger eine Strecke
Den Weg zu ebnen, hilft ihm, was er kann,
Daß Sieger sei im Kampf der junge Recke;
Er zeigt ihm Vorteil, den er selbst gewann:
Wie bald das Schwert und bald der Schild ihn decke;
Wie echter Stoß, wie Finte komm' heran;
Wann man das Glück soll scheuen, wann ihm trauen,
Das alles läßt er nach und nach ihn schauen.
26.
Die Stunden, die vom Tage bleiben, gehen
Nun nach Vertrag und Ziehung so zu End',
Daß ratend ihrem Kämpfer beizustehen
Die Freunde sich bestreben, wie Ihr's kennt.
Die Menge, gierig, solchen Strauß zu sehen,
Drängt sich, weil sie auf gute Plätze brennt.
Vielen genügt's nicht, früh sich aufzumachen,
Sie kommen jetzt schon, um die Nacht zu wachen.
27.
Das dumme Volk, das ganz aus Rand und Band ist,
Will kämpfen sehn so hohes Ritterpaar.
Es sieht und faßt ja nichts, als was zur Hand ist
Und vor den Augen liegt der Pöbelschar.
Sobrin, Marsil, wer sonst noch bei Verstand ist,
Dem stellt die Sache sich ganz anders dar:
Sie tadeln sehr, daß sich die Fürsten schlagen
Und Agramant nicht fest war, nein zu sagen.
[454] 28.
Sie führen ihm vor Augen, welch Verderben
Jetzt leicht entstehe für das Mohrenheer,
Möge der Skythe, möge Roger sterben
(Das grimme Los schickt, was es will, daher),
Es fehl' im Kampf mit des Pipinus Erben
Von beiden einer doch und gelte mehr
Als zehnmaltausend, die vor ihm verschwänden,
Weil kaum im Schwarm sich gute Männer fänden.
29.
Der König sieht wohl ein: die Sach' ist richtig;
Doch weigern kann er nicht, was er versprach.
Er bittet die zwei Kämpfer sehr gewichtig:
Erlaßt mir, was gewährt ist, gebt doch nach!
Zumal der Grund des Streites also nichtig,
Für ernsten Waffengang ja viel zu schwach!
Doch, sollten sie zu folgen nicht belieben,
So möchten sie den Zweikampf bloß verschieben.
30.
Fünf Monat' oder sechs werd' er verschoben
– Ob mehr, ob minder – bis zu jener Zeit,
Da Karl von ihnen seines Reichs enthoben,
Und ohne Zepter, ohne Kron' und Kleid. –
Ob heimlich willig – hart wie Eichenkloben,
Unbeugsam, stehn die Trotzigen beiseit:
Schimpf nennt es jeder, sich des Herrn Beschlusse
Zu fügen, und verharrt bei dem Verdrusse.
31.
Doch mehr noch als der König, mehr als alle
Bittet das schöne Kind des Stordilan;
Mit Weinen und mit großer Klagen Schalle
Fleht sie um Frieden ihren Skythen an:
Er möge tun, was Agramant gefalle:
Den andern schein' es auch ein guter Plan.
Sie weint und klagt, sie müsse stets am Morgen
Bis spät zur Nacht um ihn vergehn in Sorgen.
[455] 32.
»Wie soll ich,« rief sie, »ach, ein Mittel finden,
Um auszuruhn von allem diesem Leid,
Treibt's Euch aufs neue stets, Euch umzubinden
Bald gegen den, bald den das Eisenkleid?
Was half's, im Herzen Freude zu empfinden,
Daß glücklich ausgelöscht sei jener Streit,
Der mit dem andern dort war abzumachen,
Soll gleich ein neuer, kleinrer nicht, erwachen!
33.
Ich Törin – weh mir! – fühlte Stolz im stillen:
Ein edler König und ein Ritter wert
Stürzen in Todesnot um meinetwillen,
In grausam blut'gen Zweikampf mit dem Schwert!
Nun seh' ich, daß Ihr jetzt aus leeren Grillen
Euch zur Gefahr des gleichen Loses kehrt.
Ihr folgtet Eures Herzens wildem Triebe
Viel mehr bei alledem als Eurer Liebe.
34.
Doch lebt in Euch die Liebe, jene heiße,
Die Ihr mir sucht zu zeigen allerwärts,
Fleh' ich bei ihr – und länger nicht zerreiße
Hier diese Seele Qual und bittrer Schmerz! –:
Steht auch in Rogers Schild der Aar, der weiße,
O so beschwert Euch nicht darum das Herz!
Vorteil und Schaden kann Euch nicht erreichen,
Ob er nun läßt und ob er trägt das Zeichen.
35.
Gewinn nur wenig, doch in vielen Stücken
Verderben wohl entspringt aus dieser Schlacht.
Und sollt' Euch auch den Aar zu nehmen glücken,
Hat große Mühe kleinen Lohn gebracht.
Kehrt aber Euch Fortuna gar den Rücken
(Daß Ihr den Schopf faßt, ist nicht ausgemacht),
Entsteht ein Unheil, dran auch nur zu denken,
Muß meine Seele tief und schmerzlich kränken.
[456] 36.
Ist Euch an Eurem Leben nichts gelegen,
Und steht Euch höher ein gemalter Aar,
Sollte sich Sorg' in Euch um meines regen,
Denn keins erlischt für sich allein fürwahr.
Vereint mit Euch ging ich dem Tod entgegen,
Im Leben Euer und in Todsgefahr;
Allein nicht gerne stürb' ich unzufrieden,
Wie dann, wenn Ihr vor mir dahingeschieden.«
37.
Mit diesen Worten, Tränen aus den Augen
Und schweren Seufzern aus des Herzens Grund
Gibt (daß dem Teuern Fried' und Ruhe taugen)
Sich in der Nacht ihr heißes Drängen kund.
Er spricht – und holde Flut und süße Pein zu saugen
Aus feuchten Strahlen sucht dabei der Mund
(Zwei rote Röslein ihm die Lippen scheinen) –
Zu ihr darauf, nun selber unter Weinen:
38.
»Bei Gott, nicht Grämen komm' Euch, o mein Leben,
Um einen so geringen Anlaß nah;
Wenn Frankenland und Mohrenvolk daneben
Und Karl und unser Herr aus Afrika
Die Banner sämtlich gegen mich erheben,
So wär' auch dann kein Grund für Sorge da.
Ihr habt zu mir fürwahr kein hoch Vertrauen,
Macht dieser eine Roger schon Euch Grauen.
39.
Gedenkt, allein, mit einem Lanzensplitter
(Denn ohne Säbel war ich, ohne Schwert),
Zerstreut' ich einen großen Haufen Ritter,
Der, wohlbewaffnet, mir den Weg verwehrt
(Gradaß, ob auch mit Scham und Ärger bitter,
Sagt's jedem, der zu hören es begehrt!
In Syrien saß er mir im Turm, gefangen),
Und tät doch andern Ruhm als der erlangen!
[457] 40.
Und weiter wird Gradaß Euch noch erzählen,
Auch weiß es Isolier und Sakripant;
Er, der Zirkassierfürst, wird's nicht verhehlen,
Auch Ritter Grifon nicht und Aquilant
(Noch hundert andern ging es an die Kehlen,
Die dort gefangen waren miteinand,
Getaufte Leut' und Volk vom Mohrenschlage),
Daß ich befreit sie hab' an einem Tage.
41.
Ihr Staunen drob will immer noch nicht enden:
Ich habe Größres jenen Tag vollbracht,
Als wenn vereint mir gegenüberständen
Die Mohrenschaft und alle Frankenmacht.
Was kann mir da geschehn von Rogers Händen,
Des jungen Grünspechts? Hab' ich dessen acht?
Wenn mein sind Durendal und Hektors Waffen: –
Wie kann ein Roger nun euch Schrecken schaffen?
42.
Was durft' ich, ach, nicht zu dem Zweikampf gehen,
Wo ich gewiß Euch mit dem Schwert errang?
Ihr hättet, was mein Wert ist, dann gesehen
Und wäret eher jetzt für Roger bang.
Trocknet die Tränen und – laßt mich's erflehen! –
Weissagt nichts Böses! Keinen Klaggesang!
Wißt, meine Ehre geht mir über alles!
Des weißen Vogels denk' ich keinesfalles.«
43.
So redet er; indes so gut dagegen
Spricht seine tiefbetrübte Dame jetzt:
Er ändert nicht den Sinn nur ihretwegen –
Nein, Säulen hätt' er gleich um sie versetzt.
Ob er auch Waffen trägt, doch überlegen
In ihrem Frauenkleid wär' sie zuletzt:
Des Königs Vorschlag will er sich bequemen,
Sobald er wiederholt wird, anzunehmen.
[458] 44.
So wär's geschehn. Doch als zur Morgenstunde
Schön Eos die gewohnte Bahn sich kürt,
Da bringt Herr Roger aller Welt die Kunde,
Daß ihm die hehre Wappenzier gebührt,
Und, um zu sichern, daß von Hand und Munde
Nichts weiter komme, was zum Aufschub führt –
Mit Hörnerschall dort, wo die Leute gaffen,
Stolz nach den Schranken sprengt er hin in Waffen.
45.
Sobald der Skythe hört das Horn ertönen,
Das ihn so trutzig ruft hinaus zum Streit,
Kein Wort mehr will er wissen vom Versöhnen;
Er springt vom Bett: nach Waffen laut er schreit.
Solch grimmes Antlitz zeigt er seiner Schönen,
Der Mut entschwindet jetzt ihr selber weit,
Von Aufschub und Verträgen noch zu sprechen: –
Es kommt – nun ist's gewiß – zum Haun und Stechen.
46.
Er wappnet sich und gönnt der Knappen Händen
Dabei die Zeit für ihre Dienste kaum,
Um eilig sich zum guten Hengst zu wenden
Des Schützers von Paris, dem Güldenzaum,
Und sprengt, die große Fehde zu beenden,
Das Schwert gezückt, zum abgesteckten Raum.
Der König und der Hof sind bald zur Stelle;
So geht es denn zum Kampf in aller Schnelle.
47.
Befestigt ist der Helm von lichtem Glanze,
Und beiden Rittern reicht man ihren Speer;
Laut ruft Trompetenschall zum blut'gen Tanze,
Und tausend Wangen werden bleich umher.
Sie nahn einand mit eingelegter Lanze;
Den Renner spornend, sprengen sie daher;
Mit welcher Wucht sie aufeinander prallen! –
Tut sich der Grund auf? Will der Himmel fallen?
[459] 48.
Den Vogel sieht man hier und dort sich wiegen,
Der durch die Luft den Göttervater trug.
So mocht' er öfter in Thessalien fliegen,
Mit andern Federn, aber gleichem Flug.
Wie jeder kühn ist und gewillt zu siegen,
Das zeigt des schweren Speeres Wucht genug,
Zumeist doch, daß sie fest gleich einem Turm sind
Und wie die Felsen in der Wellen Sturm sind.
49.
Die Splitter – und Turpin hat nicht gelogen,
Der's meldet – steigen bis zum Firmament;
Gar mancher hat den Feuerkreis durchflogen:
Man sieht, wie er, zur Erde sinkend, brennt.
Ein jeder Kämpe hat das Schwert gezogen,
Dringt als ein Held, der bleiche Furcht nicht kennt,
Auf seinen Gegner ein: – mit scharfer Schneide
Gerade aufs Visier drauf schlagen beide.
50.
Beim ersten Hieb wird aufs Visier geschlagen:
Sie zielen nicht, wie das wohl nützlich ist,
Aufs Pferd, um es zu fällen; Tiere tragen
Ja keine Schuld an ihrer Herren Zwist.
Wer an Vertrag hier denkt, ist weit verschlagen
Von Wahrheit fort und alten Brauch vergißt.
Ein Ritter mußte jederzeit sich schämen,
Auch ohne Pakt den Gaul zum Ziel zu nehmen.
51.
Die Helme, die sie doch gedoppelt hatten,
Die konnten kaum dem Wüten widerstehn:
Ein Hieb folgt auf den andern ohn' Ermatten;
Die Schläge so wie Schloßen niedergehn,
Die Laubwerk, Halm und Zweige auf den Matten
Und auch des Landmanns Hoffen niedermähn.
Was Durendal und Balisarda bringen,
Ihr wißt es – wenn sie solche Hände schwingen!
[460] 52.
Doch fielen Streiche, wie sich die gebühren
Für sie, noch nicht – so stehn sie auf der Wacht.
Den ersten sollte Roger jetzt verspüren:
Ihm hätte der beinah den Tod gebracht.
Mit solchem Hieb, wie ihn nur Helden führen,
Zerspellt den Schild ihm des Tataren Macht
Und legt darunter auch den Harnisch offen,
Bis noch das warme Fleisch dort wird getroffen.
53.
Schrecken und Furcht, eiskalt, zum Herzen steigen
Des dichten Volks, das um die Schranken hält,
Weil sich zu Roger Gunst und Wünsche neigen
Der allermeisten, wenn nicht aller Welt;
Und müßte sich Fortuna willig zeigen,
Zu tun, was hier dem größten Teil gefällt,
Tot wär' der Skythe oder doch gefangen,
Drum steht das ganze Lager jetzt in Bangen.
54.
Erschien vielleicht, wie das gar mancher glaubte,
Ein Himmelsengel zu des Jünglings Hut?
Antwort gab Roger rasch, der Rache schnaubte,
Schrecklich wie niemals noch in seiner Wut.
Sein Schwert traf mächtig Mandrikard am Haupte,
Doch allzu hastig war sein heißer Mut,
Und Zorn und Ingrimm er so jäh verspürte,
Daß er den Hieb nicht mit der Schneide führte.
55.
Wär' Balisard gerad herniedergangen,
So hielte Hektors Zauberhelm nicht stand.
Betäubt war Mandrikard, vom Schlag befangen,
Die Zügel glitten langsam aus der Hand.
Er wankt dreimal, läßt tief die Stirne hangen,
Und ungeleitet läuft umher im Sand
Hengst Güldenzaum (von dem bekannt der Nam' ist),
Der um die neue Last noch stets in Gram ist.
[461] 56.
Getretne Schlang' ist nie so aufgefahren,
Kein wunder Leu in wilden Grimmes Haft,
Wie nun, nachdem Besinnung dem Tataren
Zurückgekehrt er sich hat aufgerafft.
Je stärker Zorn und Stolz im Herzen waren,
Je mehr wuchs ihm die Kühnheit und die Kraft!
Er läßt auf Roger zu den Renner springen;
Hoch sieht man ihn das Schwert in Lüften schwingen.
57.
Er hebt sich, auf des Gegners Helm zu halten:
Des Glaubens ist er voller Sicherheit,
Ihn dieses Mal bis auf die Brust zu spalten;
Doch rascher nützt Herr Roger seine Zeit.
Denn eh der Arm kann seine Kraft entfalten,
Sticht er ins Panzerhemd ein Guckloch weit:
Die rechte Achselhöhle stand ihm offen;
Die hat sein Stoß von unten her getroffen.
58.
Und auf dem Rückweg zog des Bluts, des lauen,
Des scharlachroten, Balisard genug
Und wehrte Durendal, zu stark zu hauen:
Ihr ward gehemmt der allzu mächt'ge Flug,
Ob Roger gleich, aufzuckend mit den Brauen,
Sich bog vor Schmerz auf seines Pferdes Bug.
Zum Glück schützt ihn ein Helm so auserlesen:
Verhängnisvoll wär' sonst der Hieb gewesen.
59.
Er gibt nicht nach und laßt den Renner springen
Und stürmt von rechts auf den Tataren ein.
Der feinste Stahl, der schwer ist zu durchdringen
Und wohlgehärtet, kann nicht Schutz verleihn;
Den Weg zu finden, muß dem Schwert gelingen;
Es ist sogar gefeit noch obendrein,
Daß vor dem Streiche nichts zur Rettung diene,
Sei's Zauberpanzer oder Zauberschiene.
[462] 60.
Durch alles schnitt es durch, und in der Seite
Getroffen, blieb verwundet der Tatar,
Der Flüche bebend aussandt' in die Weite
Und lauter brüllt' als Meer im Sturm fürwahr.
Zusammen nahm er sich zum letzten Streite:
Den Schild – im blauen Feld den weißen Aar –,
Den wirft er grollend fort, den Kampf zu enden,
Und faßt sein gutes Schwert mit beiden Händen.
61.
»Ha, was das Wappen hat durch dich erlitten,«
Ruft Roger, »zeigt, du bist nicht seiner wert:
Jetzt wirfst du's fort; zuvor hast du's zerschnitten;
Daß dir es nicht geziemt, hast du gelehrt.«
Er spricht's und fühlt auf seines Hauptes Mitten,
Wie Durendal voll Wut herniederfährt.
Sie drückt auf seine Stirn mit solcher Schwere,
Als ob ein Berg herabgefallen wäre,
62.
Durchschneidet das Visier – zum guten Glücke
Für Roger traf sie nicht das Angesicht –,
Saust durch den Sattelbug (die Eisenstücke
Und doppelte Bekleidung schützen nicht),
Auch durch den Panzer, wie wenn Wachs sie drücke
(Der Stahl und was darüber liegt, zerbricht),
Und fährt noch tief in Rogers Schenkel nieder:
Lang sollt' es dauern, bis er heilte wieder.
63.
Als zwiefach in dem roten Strom den beiden
Das warme Blut vom Eisenpanzer rann,
Erschien es schwierig, sicher zu entscheiden,
Wer Vorteil in dem Streit bis jetzt gewann.
Den Zweifel löst das Schwert, das bittre Leiden
In Rogers Hand schon brachte dann und wann:
Es sucht die Stelle, die den scharfen Hieben,
Nachdem der Schild gefallen, frei geblieben,
[463] 64.
Und bohrt sich in des Panzers linke Seite,
Bis es zum Herzen hin die Straße fand
In einem Loch von über Spannenbreite;
Der Anspruch auf den Aar dem Skythen schwand;
Ein andrer Anspruch gab ihm das Geleite:
Der auf das hehre Schwert in seiner Hand,
Und – wichtiger als Schwert und Schild – daneben,
Ach, noch der Anspruch auf das teure Leben.
65.
Doch nimmer ohne Rache wollt' er enden:
Als ihn der Stoß traf, sollte grad in Eil'
Sein Schwert – kaum seins noch – einen Streich entsenden,
Daß Rogers Antlitz nie mehr würde heil.
Der aber hatte schon des Gegners Händen
Die Kraft geraubt; so schwand der Wucht ein Teil.
Zuviel an Kraft und Nachdruck war genommen,
Seit untern Arm er jenen Stich bekommen.
66.
Als Roger grade hatte zugestochen
(Der Skythe sank schon in den Tod hinein),
Ward durch des Gegners Hieb ihm selbst zerbrochen
Ein Eisenring, die Stahlhaub' obendrein;
Und Durendal zerschnitt ihm Haut und Knochen,
Zwei Zoll tief drang sie in den Schädel ein;
Er wird betäubt; es sinken ihm die Glieder;
Er fällt – ein Blutstrom fließt vom Kopfe nieder.
67.
Als ersten sah man Roger niederfallen;
Es währte lange, bis der andre lag.
Man denkt: ihm muß des Sieges Ruhm erschallen;
Er war der Stärkre mit dem letzten Schlag.
Und Doralis, im Irrtum selbst gleich allen
(Oft weint' und lachte sie an diesem Tag),
Die dankte Gott mit aufgehobnen Händen,
Daß er in solcher Art den Kampf ließ enden.
[464] 68.
Doch als sich's zeigt: es lebt, wer noch hat Leben,
Und tot ist, wer zu atmen ganz vergißt,
Wie da die Herzen andern Schlags sich heben!
Die Rollen sind vertauscht zu dieser Frist.
Der König und die andern Herrn umgeben
Roger, der mühsam aufgestanden ist,
Und küssen ihn und jubeln, wie sie können –
O wie sie Preis und Ehr' dem Helden gönnen!
69.
Mit Roger freun sich alle; tief im Grunde
Des Herzens fühlt ein jeder, was er spricht.
Gradassos Zunge nur gibt andre Kunde,
Und sein Gedanke folgt der Lippe nicht.
Sein Antlitz zeigt wohl Freude, gleich dem Munde,
Doch innen regt der Neid sich, fern dem Licht.
Er flucht, daß Rogers Name ward gezogen,
Weil dem das Glück, sei's Zufall, war gewogen.
70.
Was sag' ich von des Königs Zärtlichkeiten?
Von seiner Huld so liebevoll und wahr
Zu Roger, ohne den in frühern Zeiten
Kein Banner flattern sollte seiner Schar?
Mit ihm nur wagt er übers Meer zu gleiten
Und auf sein Heer zu traun, so groß es war.
Jetzt, nun vertilgt von Agrikan der Samen,
Hoch über allen steht ihm Rogers Namen.
71.
Und nicht nur Männergunst sollt' ihn erheben:
Nein, ihm geneigt sind auch die edlen Fraun,
Die sich aus Afrika zum Heer begeben,
Und von Hispanien, nach den fränk'schen Aun.
Selbst Doralis, die Schmerzen hingegeben,
Läßt um den bleichen Freund die Zähren taun,
Würd' unter ihnen auch vielleicht gefunden,
Wär' sie durch Zügel nicht der Scham gebunden.
[465] 72.
»Vielleicht«, sag' ich und will es nicht beschwören,
Doch soll's mich gar nicht wundern, wenn's geschieht,
Weil Ruhm und Schönheit Roger ja gehören,
Und artig ist er, wie man wen'ge sieht;
Sie läßt von raschen Launen sich betören,
Ich sang davon Euch früher schon ein Lied.
So könnte sie, um Liebe zu genießen,
Recht wohl ins Herz den jungen Roger schließen.
73.
Gut war des Skythen, des lebend'gen, Stärke;
Was fängt sie, seit er tot ist, mit ihm an?
Ihr fehlt ein Recke, der zum nöt'gen Werke
Bei Tag und Nacht ihr rüstig dienen kann.
Der beste Hofarzt kam; dem Augenmerke
Des Vielerfahrnen bot sich Roger dann:
Nachdem der Arzt die Wunden all gesehen,
Fürs Leben, spricht der Alte, könn' er stehen.
74.
Behutsam mußte man Herrn Roger legen
In König Agramantes eignes Zelt,
Damit er stets ihn sehen könn' und pflegen,
Bei Tag und Nacht; so lieb ist ihm der Held.
Die Waffen Mandrikards hängt er dem Degen
Ans Bett mit eigner Hand, und er behält
Nur Durendal allein: er will Gradassen,
Dem Serikanerkönig, diese lassen.
75.
Die Rüstung und die Beutestücke alle
Gibt man an Roger, Güldenzaum dabei,
Das schöne Tier aus Mandrikardos Stalle,
Das Roland ließ in seiner Raserei.
Er gab's dem König; daß es ihm gefalle,
Sah er, und daß es ihm willkommen sei.
Genug davon; das Lied will fort uns tragen,
Wo eine Rogers denkt mit Angst und Zagen.
[466] 76.
Ich muß das große Liebesleid Euch singen,
Das harrend dort erduldet Bradamant.
Hippalka eilte, Nachricht ihr zu bringen
Von ihm, der ihr allein im Herzen stand:
Von Rodomont und all den Nebendingen
Und wie er ihr Frontin, das Pferd, entwand,
Und wie sie Roger später finden konnte
Mit Richard und den Herrn von Agrismonte,
77.
Und wie er auf den Weg mit ihr sich machte
Zur Jagd nach jenem starken Sarazen;
Wie er ihn für die Schmach zu strafen dachte,
Die einem schönen Kind durch ihn geschehn;
Wie er dann aber nicht den Plan vollbrachte,
Weil ihn das Glück ließ andre Bahnen gehn;
Und wie nach Montalban er solchenfalles
Nicht kommen konnte; kurz, sie meldet alles
78.
Und gibt getreulich all die Worte wieder,
Damit er sich entschuldigen gewollt,
Und zieht danach das Schreiben aus dem Mieder,
Das sie der Herrin weitergeben sollt'.
Und diese sah betroffen vor sich nieder,
Nachdem die ganze Botschaft ihr entrollt.
Sie würde alles frohern Mutes lesen,
Wär' ihn zu sehn sie nicht erpicht gewesen.
79.
Sie hatte doch gehofft, ihn selbst zu schauen –
Nun abgespeist zu werden mit Papier!
Furcht, Leid, Enttäuschung trüben ihre Brauen;
Sie küßt das Schreiben hundert Male schier.
Die Tränen, die vom Auge niedertauen –
Denn zu dem Liebsten strebt das Herz in ihr –
Verhindern, daß es brenn' in hellen Flammen,
Von Seufzern, die aus heißem Busen stammen.
[467] 80.
Sie liest fünf-, sechsmal ihres Trauten Kunde,
Und immer neu, wovon das Schreiben spricht,
Will sie vernehmen aus der Botin Munde,
Die Nachricht brachte und den Briefbericht.
Sie weint und weint – ich glaube, bis zur Stunde
Tät' sie es noch, blieb' ihr die Hoffnung nicht
(Es ist der ganze Trost für sie, der eine):
Daß Roger doch in kurzem wohl erscheine.
81.
Rückkehr hatt' er gelobt in zwei, drei Wochen
Und zugesagt dem Mädchen unter Eid:
Er werde kommen, hatt' er fest versprochen;
Und Wortbruch kannt' er ja zu keiner Zeit.
»Ein Unfall hat schon manches Wort gebrochen,«
Sprach sie »und deren gibt es weit und breit,
Zumal, wie jetzt, in argen Kriegeswirren:
Wie viel kann ihn da hindern und verirren!
82.
Ach, Roger, ach! – Nun ich mit heißen Trieben
Dich so viel mehr geliebt als jemals mich,
Kannst du – nicht andre bloß –, nein, Feinde lieben,
Viel mehr als mich; und diese hassen dich!
Du hilfst, wo du vernichten sollst mit Hieben;
Wo's helfen gilt, da kränkst du bitterlich!
Zu lohnen falsch und falsch zu strafen gröblich,
Ich weiß nicht, scheint dir's häßlich, scheint dir's löblich?
83.
Dein Vater starb (ob dir es wohl bekannt ist?)
Durch den Trojan; die Steine wissen's ja:
Und all dein Sinn auf seinen Sohn gewandt ist,
Daß ihm nicht Unehr' und nicht Schande nah'.
Ist das die Rache, wie sie dir zur Hand ist?
Und die für dich als Rächer waren da,
Belohnst du, daß du mich, aus ihrem Blute,
Mit Qualen züchtigst und der Marterrute?«
[468] 84.
Zu Roger sprach sie so und rang die Hände
Und rief den Fernen unter Tränenflut,
Nicht nur ein einzigmal, nein, schier ohn' Ende.
Hippalka höbe gerne ihr den Mut:
Weil Roger es versprochen habe, wende
Er sich wohl her; hübsch warten tue gut
(Nichts Beßres gäb' es jetzt für Bradamante)
Bis zu dem Tage, den ihr Roger nannte.
85.
Hippalkas Trost und sie, die nicht entschwinden
Verliebten will, ihr ständiges Geleit,
Hoffnung, sie sind's, die Kraft dem Schmerz entwinden,
Und nicht mehr unaufhörlich klagt die Maid.
Sie will ans Schloß von Montalban sich binden,
Ohn' Unterbrechung, bis zu jener Zeit,
Da Roger ihr die Heimkehr hat versprochen,
Mit Schwüren, die er, ach, dann doch gebrochen.
86.
Nur lag die Schuld nicht an dem jungen Degen,
Wenn unerfüllt blieb sein gegebnes Wort:
Bald dies, bald das trat hindernd ihm entgegen
Und hielt ihn fern von dem verheißnen Ort.
Er mußt' als Kranker in das Bett sich legen
Und in Gefahr des Todes blieb er dort
Mehr als vier Wochen; also schmerzlich waren
Die Wunden nach dem Kampf mit dem Tataren.
87.
Sie harrt voll Sehnsucht und mit Kummermienen
An jenem Tag auf den geliebten Mann.
Nur was sie hörte, muß als Trost ihr dienen,
Erst von Hippalka, von dem Bruder dann:
Wie Roger ihm als Retter war erschienen
Und Malegis befreit ward und Vivian.
Fand sie auch diese Nachricht recht erfreulich,
War drin ein Beischmack, bitter und abscheulich:
[469] 88.
Sie hörte von Marfisas Rosenwangen,
Wie sie an Wert die Männer überwand
Und wie mit dieser Roger fortgegangen,
Hin, wie er sagte, wo an Abgrunds Rand
Auf schwachem Punkt in Nöten und mit Bangen,
Schwer von Gefahr bedräut, der König stand.
Das nicht zu loben, würde sie sich scheuen,
Doch kann sie nicht im Herzen drob sich freuen.
89.
Ein Argwohn – kein gelinder – will sie plagen:
Ist schön Marfisa wie voll Ruhm und Mut
Und stets mit ihm in allen diesen Tagen –
Ein Wunder wär's, fühlt' er nicht Liebesglut.
Sie schwankt, so daß sich Furcht und Hoffnung jagen.
Den Tag, der alles schlimm macht oder gut,
Erwartet sie und seufzt und lenkt die Schritte
Niemals hinweg aus ihres Schlosses Mitte.
90.
Dort stand sie noch; da kam zu dem Kastelle
Der Herr, der Brüder Haupt (die Jahre nicht,
Die Ehre setzt' ihn an die erste Stelle;
Zwei sahn vor ihm der Erde Angesicht),
Rinald, der seinem Haus gab Glanz und Helle,
Gleichwie dem Sternenheer das Sonnenlicht.
Man sah ihn um die Mittagszeit erscheinen;
Nur einen Knaben hatt' er mit, sonst keinen.
91.
Als er den Rückweg einst von Brava machte
(Ihr wißt, er ritt dahin oft von Paris,
Weil er die Spur dort aufzufinden dachte,
Die ihm die Näh' Angelikas verhieß),
Geschah's, daß man die schwere Mär ihm brachte
Von seinem Vivian und Malegis,
Die jener böse Mainzer sollte haben;
Er eilte drum, nach Agrismont zu traben:
[470] 92.
Vernahm, wie ihnen Rettung sei geworden
Und wie die Gegner tot und abgetan
(Den Brüdern schafften aus den Feindeshorden
Die Schwerter Rogers und Marfisas Bahn);
Wie Brüder dann und Vettern nach dem Morden
Zusammen gingen hin nach Montalban.
Jetzt will ein Stündchen schier ein Jahr ihm scheinen;
Es gilt, sich mit den Lieben zu vereinen.
93.
Er kommt nach Montalban, dort zu umschlingen
Die Mutter und die Brüder, Weib und Kind
Und Vettern, die zuvor in Ketten gingen:
Es scheint, wie alle so beisammen sind,
Ein Schwälbchen – Futter seiner Brut zu bringen
Nach Hungersnot – sei kommen durch den Wind.
Er bleibt zwei Tage; hat sodann gemieden
Das Schloß, und andre sind mit ihm geschieden.
94.
Die beiden Richard, Alard, ihm zur Seite
Quiscard der Ältere, umgeben ihn,
Und Malegis und Vivian als Geleite
In Waffen folgen hinterm Paladin.
Die Jungfrau, wähnend, daß nun näherschreite
Die Stunde, die ihr gar zu langsam schien,
Sagt (denn nicht gerne ginge sie in Waffen),
Es mach' ihr eine Krankheit jetzt zu schaffen.
95.
Wohl war sie krank, doch nicht von Fieber rannen
Die Pulse, nicht von körperlichem Schmerz:
Die Sehnsucht will im Busen übermannen
Mit arger Qual das liebeskranke Herz.
Rinald zieht nun von Montalban von dannen
Und führt des Hauses Blüte seinewärts.
Wie zu Paris Karl Hilfe von dem Helden
Erhielt, werd' ich im nächsten Sang Euch melden.
[471][472][1]

Einunddreissigster Gesang

1.
Welch süßern, holdern Zustand könnt' es geben,
Als den die lieberfüllte Brust sich schafft?
Was bringt ein sel'ger, freudenreicher Leben,
Als sich zu finden in der Liebe Haft?
Wenn nicht die bösen Zweifel sich erheben,
Des Argwohns Stachel, jener Unheilskraft,
Mit Leid und Qualen, die das Herz zerreißen,
Der Wahn, die Tollheit: Eifersucht geheißen.
2.
Was sonst an Bitternis sich widersetzen
Mag dieser wonnigsten und größten Lust,
Vermehrt nur und erhöht noch das Ergetzen,
Der Liebe Reiz verfeinernd in der Brust.
Das Wasser wird viel mehr beim Durst uns letzen,
Hunger macht guter Speis' uns recht bewußt.
Wem nicht zuvor war Krieges Pein beschieden,
Der kennt und achtet nicht den holden Frieden.
3.
Man trägt es, wenn die Augen nicht erblicken,
Was allezeit die Seele doch gewahrt.
[1]
Wie sehr wird uns das Wiedersehn erquicken,
War die Geliebte fern auf weiter Fahrt!
In lange Knechtschaft selbst will man sich schicken,
Wofern der Hoffnung nur ein Plätzchen ward.
Wird treuer Dienst auch danklos hingenommen,
Und säumt der Lohn: er muß doch schließlich kommen.
[1] 4.
Ablehnung, Härte, Trotz, vermeintes Hassen,
Kurz, alle Liebesqual und Liebespein
Wird bald in der Erinnerung erblassen;
Wie mundet dir's, stellt Gutes spät sich ein!
Ließ aber von der Höllenpest sich fassen
Ein kranker Sinn, vergiftet wird er sein.
Wenn spätre Tage Lust und Freude brachten,
Der Kranke wird's nicht schätzen und nicht achten.
5.
Das ist die giftige, die schlimme Wunde,
Bei der kein Pflaster hilft, kein Heilgetränk,
Kein Spähn, ob gut und glücklich sei die Stunde;
Kein Sprüchlein, des die Hexe eingedenk,
Und keine Weisheit oder Zauberkunde,
Von Zoroaster selber ein Geschenk.
Die Wunde bringt unsäglich herbe Schmerzen:
Der Mensch muß sterben mit gebrochnem Herzen.
6.
O Weh, unheilbar, in die Seele windet
Es heimlich sich hinein mit Leichtigkeit
(Ob man Verdacht mit Recht, mit Unrecht findet)!
So grausam drückt den Menschen schweres Leid,
Daß die Vernunft und der Verstand verschwindet
Und ihm der Schmerz ein andres Aussehn leiht.
Ach, Eifersucht, du gingst, den frommen Glauben
(Wie sehr mit Unrecht!) Bradamante rauben!
7.
Nicht red' ich von dem Schmerz, den die Geschichte
Hippalkas und der Brüder ihr gebracht,
Vielmehr von einem häßlichen Berichte,
Den man ihr ein paar Tage drauf gemacht,
Vor diesem sank die erste ganz zunichte:
Wir haben seiner etwas später acht.
Zuvörderst von Rinald erzähl' ich heute:
Er führte nach Paris hin seine Leute.
[2] 8.
Am zweiten Abend sprengt auf dem Gefilde
Mit einer Dam' ein Reitersmann daher
In schwarzem Waffenkleid, mit schwarzem Schilde;
Ein weißer Streifen nur zog sich die Quer'.
Voraus ritt Richardet, der ganz dem Bilde
Kampffrohen Ritters glich: den fordert er.
Und da er niemals einen Strauß versagte,
So nahm er Feld, worauf er vorwärts jagte.
9.
Stumm, ohn' ein einzig Wort zum Streite gehen
Die beiden Ritter, fragen sich nicht aus.
Rinald und all die Seinen bleiben stehen
Und warten, wie verlaufen mag der Strauß.
»Den werden wir jetzt gleich am Boden sehen,
Find' ich mein Fleckchen nur an ihm heraus«,
Sprach Richardet zu sich in aller Stille;
Allein ganz anders war des Schicksals Wille.
10.
Denn auf den Helm traf ihn der fremde Streiter,
Und unter dem Visier, mit solchem Stoß –
Aus seinem Sattel flog der junge Reiter,
Und die Entfernung war zwei Lanzen groß.
Sogleich sprengt, ihn zu rächen, vor als Zweiter
Alard und liegt betäubt gleich auf dem Moos,
Übel verstaucht: der Schild ist ihm gespalten,
So wuchtig sah man jenen Fremden schalten.
11.
Herr Guiscard eilt die Lanze einzulegen,
Als jene fielen von des Speers Gewalt,
Umsonst ruft: »Ich bin dran!« Rinald, der Degen,
»Als Dritter: du sollst bleiben, halte, halt!«
Doch Guiscard sprengt dem Rittersmann entgegen,
Eh noch den Helm hat umgeknüpft Rinald.
Indes auch Guiscard wußte nicht zu siegen,
Er muß als Dritter auf dem Boden liegen.
[3] 12.
Nun rühren die drei andern auch die Hände,
Herr Richard, Malegis und Vivian;
Allein Rinald macht ihrem Streit ein Ende:
In Wehr vor allen kommt er nun heran;
»Zeit ist es, daß man nach Paris sich wende:
Zu lange währt' es, ließ ich Mann für Mann
Euch alle miteinand zum Kampfe gehen,
Um euch der Reih' nach hingestreckt zu sehen.«
13.
Er sprach's bei sich: es wurde nicht vernommen,
Denn kränkend würd' es für die andern sein.
Nun haben beide Herren Feld genommen
Und dringen mächtig aufeinander ein.
Rinald ist nicht vom Stoß zu Fall gekommen:
Die andern alle wiegt er auf allein.
Wie Glas zerbrochen fort die Speere fliegen,
Ohne daß zollbreit sich die Ritter biegen.
14.
Den beiden Rossen schuf der Stoß Beschwerde;
Sie stürzen auf den Grund vom argen Prall.
Bajard erhebt sogleich sich von der Erde:
Kaum unterbrach den Lauf ihm dieser Fall.
Doch mißlicher erging's dem andern Pferde,
Denn Bug und Rückgrat sind zerschmettert all.
Vom toten Tier hat sich der Herr geschwungen
Und auf die Füße rasch ist er gesprungen.
15.
Zum Haimonssprossen, der mit leeren Händen
Schon fort sich wandte, sprach er: »Herr, das Tier,
Das dir in Sinn kam, in den Tod zu senden,
Und das im Leben wert und teuer mir, –
Müßt' es – so mein' ich – ungerächt verenden,
Für mich wär's eine Pflichtversäumung schier.
Komm her! und wohl zu kämpfen dich bereite,
Denn stehen sollst du mir im ernsten Streite!«
[4] 16.
Rinald versetzte: »Kam das Tier ums Leben
Und lockt kein andrer Grund dich zum Gefecht,
Mag man aus meiner Schar ein Pferd dir geben,
Du wirst es finden, denk' ich, grade recht.«
Der andre drauf: »Du mißverstehst mich eben,
Um einen Gaul bekümmer ich mich schlecht.
Willst du vom Wink dich nicht belehren lassen,
So muß ich, scheint es, deutlicher mich fassen.
17.
Mir däucht's ein Fehler – dieses möcht' ich sagen –,
Erprobt ich dich nicht auch mit meinem Schwert,
Zu sehn, ob du verstehn wirst, mich zu schlagen
Im neuen Tanz, ob mir der Kranz beschert.
Steig ab nun oder laß vom Pferd dich tragen!
Wenn nur die Hand den Reigen nicht verwehrt!
Um mit dem Schwert erproben dich zu können,
Will ich dir gerne jeden Vorteil gönnen.«
18.
Nicht lange hielt Rinald ihn in der Schwebe
Und sprach: »Wohl, ich verspreche dir die Schlacht.
Damit die Schar dir nicht Besorgnis gebe,
Und deinen Sinn durchkreuze kein Verdacht,
Will ich, daß jene sich von dannen hebe:
Ein Knappe nur soll bleiben hier und acht
Derweil auf diesen meinen Renner haben.«
Er sprach's und ließ die andern weitertraben.
19.
Der Fremde sah den Paladin entfalten
So hohen Rittersinn – und lobt' es sehr.
Rinald stieg ab, ließ von dem Knappen halten
Das Streitroß Bajard, seine gute Mähr'.
Und als nun ferner schon die Fähnlein wallten
(Sie schwanden beider Blicken immer mehr),
Den Schild ergriff er, und den Degen schwang er,
Und auf den Fremden ein zum Angriff drang er.
[5] 20.
Und nun begann ein urgewaltig Streiten,
Wie man es mächtiger noch niemals fand:
Die Kämpfer staunten – just zu gleichen Zeiten –
Über des Gegners zähen Widerstand:
Sie hielten immer Schritt auf beiden Seiten.
Als keiner fröhlich, keiner traurig stand,
Da ließen sie den Stolz und Ärger fahren,
So daß sie nur bedacht auf Vorteil waren.
21.
Von schweren Hieben dröhnen die Gefilde,
Und laut wird ringsumher das Echo wach:
Die Kanten fliegen ab vom dicken Schilde,
Von Schupp' und Eisenring mit lautem Krach.
Parieren gilt's, nicht Hauen stark und milde,
Sonst steht der eine leicht dem andern nach.
Es kostet ew'gen Schaden oder Leben,
Hat man die erste Blöße sich gegeben.
22.
Sie kämpften fast zwei Stunden ohn' Ermatten,
Bis schon im Meer der Sonnenball verschwand.
Lang ausgebreitet lag der finstre Schatten
Am Horizont, bis an den fernsten Rand,
Und nie geruht und nie gerastet hatten
Die Krieger mit der stahlbewehrten Hand,
Das Paar, das nicht von Groll und Hassestrieben,
Nein, nur von Ehre ward zum Kampf getrieben.
23.
Inzwischen sinnt Rinald, wer wohl der Degen
Sein möge, dieser fremde Rittersmann,
Der nicht nur stand ihm hält kühn und verwegen,
Nein, oft den Tod ihm schon zu drohn begann
Und ihm so heiß macht, daß sich Zweifel regen,
Was wohl des Kampfes Ende werden kann,
Und daß er gern bereit zum Schlusse wäre,
Wenn sich's vereinen ließe mit der Ehre.
[6] 24.
Der fremde Ritter auf der andern Seite
(Ihm machte noch bis jetzt kein Ahnen kund,
Daß Herr Rinald, dem Ruhm gab das Geleite
Zu aller Heldenschaft im Erdenrund,
Mit nacktem Schwert ihn hier bedräu' im Streite,
Und zwar um so geringen Feindschaftsgrund),
War sicher, daß von einem größern Helden
Kein Buch des Waffenruhmes könne melden.
25.
Er wünschte jetzt vom Handel abzustehen
Und seiner Rache für das tote Pferd,
Und, könnt' es ohne Tadel nur geschehen,
Hätt' er dem Tanz den Rücken gern gekehrt.
Die Hiebe müssen jetzt daneben gehen,
Weil Finsternis schon durch die Lande fährt.
Sie können nicht parieren, kaum noch hauen,
Weil sie das Schwert nicht in den Händen schauen.
26.
Rinald war's, der zuerst den Vorschlag machte,
Den Kampf zu lassen auf dem dunklen Feld;
Bis seinen Lauf der träge Stern vollbrachte,
Arctur, sei alle Feindschaft eingestellt;
Worauf er ihn als Gast zu haben dachte:
Er finde Sicherheit in seinem Zelt,
Bedienung und Willkomm mit reichen Ehren;
Und rät ihm, nicht woanders einzukehren.
27.
Er brauchte nicht geraume Zeit zu bitten,
Der edle Ritter nahm die Ladung an,
Worauf selband zur Schar Rinalds sie schritten,
Die schon gelagert war auf sicherm Plan.
Ein schönes Pferd – ein Knapp' hatt' es geritten –
Nahm dort Rinald, voll Kraft und wohlgetan,
Zu Schwert- und Speergebrauch im Kampfesreigen
Und gab's dem fremden Rittersmann zu eigen.
[7] 28.
Der Fremde hatt' inzwischen doch erfahren,
Daß es Rinald sei; solches ward ihm klar,
Als jenem selber war der Nam' entfahren,
Eh er ins Zelt trat zu der andern Schar.
Nun überkam ihn, weil sie Brüder waren,
Ein süß Gefühl im Busen, wunderbar:
Er weint, das Herz ergriffen von Bewegung,
Vor Lust und Lieb' und heller Freude Regung.
29.
Guido, der wilde, war's, den als Genossen
Marfisa hatte auf des Meeres Well',
Und Samsonet, von Oliver die Sprossen,
Wie's Euch berichtet ward an andrer Stell'.
Und daß viel Zeit, bis er nun kam, verflossen,
Daran war schuld der arge Pinabel,
Der ihn gefangennahm, um ihn zu zwingen,
Zur Geltung dort sein schlimm Gesetz zu bringen.
30.
Er hört, dies sei Rinald, der schlachtbewährte,
Von dem die ganze Welt bewundernd spricht,
Und den zu schaun er heißer ja begehrte
Als ein Erblindeter verlornes Licht, –
Und ruft erfreut: »Daß mir das Los bescherte,
Euch zu bekämpfen, dessen Angesicht
Ich lange hab' ersehnt mit heißem Triebe
Und den ich über alles ehr' und liebe!
31.
Guido bin ich: an Schwarzen Meers Gestade,
Am fernsten Rand, Konstanze mich gebar.
Ich rühm' mich hohen Stamms, wie Ihr gerade:
Haimon, der edle Held, mein Vater war.
Die Sehnsucht trieb mich fort die weiten Pfade,
Nach Euch und all den andern unsrer Schar.
Da, wo ich kam, um Ehrfurcht Euch zu zollen,
Hab' ich Beleidigung nun bringen sollen!
[8] 32.
Mir komme die Entschuldigung zugute:
Ich kannt' Euch selbst und auch die andern nicht!
Und Sühne zahl' ich Euch mit frohem Mute;
O nennt sie mir! Gehorchen ist mir Pflicht.«
Nachdem nun schließlich das Umarmen ruhte,
Das stets erneute, Herr Rinaldo spricht:
»Nun wollet der Entschuldigung vergessen,
Daß wir in einem Kampfe uns gemessen!
33.
Um darzutun und klar zu zeigen eben,
Daß Ihr von unserm Stamm ein echtes Reis,
Kein besser Zeugnis könnt' es wahrlich geben;
Der große Wert war deutlichster Beweis.
Wär' Eure Art mehr friedlich, glatt und eben,
Unglaube regte dann vielleicht sich leis.
Nicht von der Hindin kann der Leu entspringen,
Die Taube wird nicht Aar noch Falken bringen.«
34.
Sie lassen nicht vom Sprechen ab im Reiten
Und setzen ihren Weg beim Reden fort
Und kommen, wo die Zelte sie bereiten:
Den Seinen meldet da Rinald sofort,
Dies sei Herr Guido, den seit langen Zeiten
Sie zu erblicken wünschten, und dies Wort
Schuf gleich Bewegung, eine freudenreiche:
Sie fanden all, daß er dem Vater gleiche.
35.
Nicht meld' ich weiter, wie sie ihn empfingen,
Alard und Richardet und andre mehr,
Wie Malegis, Vivian ihn grüßen gingen,
Und gleicherweis der Vetter Aldiger;
Wie sie ihn ehrten hoch in allen Dingen;
Was sie gesprochen und dann wieder er;
Ich sage nur: es ging recht gut vonstatten,
Weil alle von der Sipp' ihn gerne hatten.
[9] 36.
Wohl würde Guido stets von seinen Leuten
Begrüßt, das weiß ich ja, mit Herzlichkeit;
Doch um des großen Werkes willen freuten
Sie sich wohl mehr noch als in andrer Zeit.
Als früh die jungen Strahlen sich erneuten,
Ihr goldnes Licht vergießend weit und breit,
Sahn sie, wie Guido sich zum Waffenstreite
Mit Brüdern, Vettern unters Banner reihte.
37.
Zwei Tage lang nun hieß es vorwärts eilen,
Bis der umringten Stadt am Seinestrand
Sie nahgekommen sind auf wenig Meilen.
Das Fähnlein hatte gutes Glück: es fand
Die Brüder, die gar hohen Ruhm sich teilen:
Den weißen Grifon und Herrn Aquilant,
Den schwarzen, weitgenannt als Kampfgenossen,
Gismonda und Herrn Oliver entsprossen.
38.
Mit einem jungen Fräulein sprachen beide,
Das war dem Aussehn nach von hohem Stand
Und trug ein weißes Kleid aus feiner Seide,
Mit goldnem Streifen hübsch verbrämt am Rand.
An Schönheit, Anmut eine Augenweide,
War sie voll Trauer, weinte unverwandt,
Und man erkannt' an Antlitz und Gebärde,
Daß hier von Wichtigem gesprochen werde.
39.
Gesellt war Guido noch vor ein paar Tagen
Den beiden Brüdern, und so kannt er sie;
»Seht dort die beiden!« hört Rinald ihn sagen;
»An Heldenschaft erreichen wen'ge die.
Wenn sie mit uns jetzt auf die Mohren schlagen,
So dächt' ich, daß es denen schlecht gedieh.
Rinald hat gleiche Meinung von den zweien
Und sagt, daß es erlesne Krieger seien.«
[10] 40.
Er hat an der gewohnten Tracht derweilen
Die Helden schon von fern erkannt: er weiß,
Es schmückt sie reiche Tracht, wo sie nur weilen:
Schwarz geht der eine und der andre weiß.
Man sieht, daß drüben beide sich beeilen:
Und Freude zeigen sie auf jede Weis',
Rinald wie einen guten Freund umfassend
Und ganz den alten Haß beiseite lassend.
41.
Lang ist es her, daß jener Zwist entbrannte
Um Truffaldin (was ich nicht melden kann),
So daß man jetzt nur Lieb' und Freundschaft kannte:
Sie herzten sich, der alte Groll zerrann,
Worauf Rinald zu Samsonet sich wandte
(Der kam ein wenig später erst heran)
Und Ehr' ihm zollte, wie sie dem gebührte,
Der einen solchen Heldennamen führte.
42.
Des Fräuleins Blick ruht auf Rinaldos Mienen;
Dann meldet sie (denn sie erkannt' ihn gleich,
Weil wohlvertraut mit allen Paladinen)
Ihm eine Nachricht schwer und schmerzenreich:
»Dein Vetter, den wir stets der Kirche dienen
Sahn«, also sprach sie, »und dem hohen Reich,
Roland, ist toll, der hochgeehrte, weise,
Und macht im Wahnsinn durch die Welt die Reise.
43.
Was diesen argen Zustand hat geschaffen,
Ich weiß es nicht: mir ward's nicht aufgehellt.
Ich sah sein Schwert nur und die andern Waffen,
Umhergestreut von ihm, auf einem Feld;
Sah einen Ritter sie zusammenraffen:
Der hat darauf sie sorglich aufgestellt.
Er ließ sie alle wie Trophäen prangen,
Gar stolz und schön von einem Baume hangen.
[11] 44.
Doch fortgenommen wurde von dem Sohne
Des Agrikan das Schwert am gleichen Tag.
Du kannst ermessen, Herr, wie das zum Hohne
Der ganzen Christenheit gereichen mag,
Daß Durendal aufs neu den Heiden frone,
In deren Banden sie schon einmal lag.
Auch Güldenzaum, der, wo die Waffen waren,
Frei schweifte, ward geraubt von dem Tataren.
45.
Vor ein paar Tagen sah ich Roland rennen;
Schamlos und sinnlos, nackt lief er umher,
Mit Heulen, Schreien, gräßlich schier zu nennen;
Kurzum, ich sage dir: verrückt ist er.
Wär's nicht, daß meine Augen gut ihn kennen,
So Greuliches, ich glaubt' es nimmermehr.«
Sie kündet, wie von Rodomont umschlungen,
Er von der Brücke war hinabgesprungen.
46.
»Scheint einer mir dem Grafen wohlgewogen,
Dem sag' ich dies«, so fuhr sie weiter fort:
»Ob jemand nicht, von Mitgefühl bewogen,
Versuchen möge, daß der Arme dort
Zur Heilung werde nach Paris gezogen
Oder auch sonst nach einem Freundesort.
Bereit zu helfen Brandimarte wäre,
Das weiß ich sicher, hört er diese Märe.«
47.
Und Flordelis (der Brandimart ergeben
In heißer Liebe), war die edle Dam'.
Sie wollt', ihn suchend, nach der Seine streben,
Wobei von ihr die Ritterschar vernahm,
Daß es zu Zwist und Kampf auf Tod und Leben
Zwischen Gradaß und dem Tataren kam:
Und daß, als Mandrikard sein Blut gelassen,
Die Wehre Durendal fiel an Gradassen.
[12] 48.
Manch Seufzer tief und Weheruf entwindet
Sich Herrn Rinald beim kläglichen Bericht:
Das Herz im Leibe schmilzt ihm und entschwindet,
Wie Eis zerschmilzt bei warmem Sonnenlicht;
Und suchen will er, bis er Roland findet;
Drauf ist, unwandelbar, sein Sinn gericht't!
Er hofft, sei nur der Paladin gefunden,
Werd' er von seiner Tollheit schon gesunden.
49.
Doch, weil Verstärkung kam in seine Reihen
(Ob das nun Fügung, ob es Zufall war),
Wollt er zuerst die Stadt Paris befreien,
Von ihr verjagen alle Mohrenschar;
Und zwar, nachdem genaht die Schatten seien
Der tiefen Nacht – den Vorteil nimmt er wahr –,
Wenn erst die dritte, vierte Wacht verflossen
Und Lethes Flut vom Schlaf sei ausgegossen.
50.
Im Wald versteckt hielt er sein Volk so lange,
Bis auch der letzte Rest des Tags verschwand;
Doch als die Welt im Dunkel schwer und bange
Und fern im Meer die Sonne sich befand
Und Bär und Bock und giftelose Schlange
Und anderes Getier am Himmel stand,
Verhüllt erst durch des großen Lichts Gefunkel,
Führt' er die Schar im stillen durch das Dunkel
51.
Und kam mit Grifon, Alard, Aquilante,
Guido, dem wilden, auch und Vivian
Und Samsonet, der hell vor Eifer brannte,
Lautlos, mit leisem Tritt zur Stell' heran,
Wo schlafend lag die Wacht des Agramante:
Getötet werden alle, Mann für Mann.
Nun gilt's, das andre Mohrenvolk bestehen:
Sie werden nicht gehört und nicht gesehen.
[13] 52.
So unversehns gepackt, beim ersten Pralle
Ward aufgerieben diese ganze Wacht:
Kein einz'ger lebt, erschlagen liegen alle.
Nachdem der Vorhut ward dies End' gemacht,
Steht's für die Mohren schlimm in jedem Falle
Und keiner ist zu sehn, der jetzt noch lacht.
Schlaftrunken, bang und furchtsam, ohne Waffen,
Geben sie solchen Kriegern nicht zu schaffen.
53.
Rinald läßt, mehr Entsetzen noch zu bringen,
Miteinemmal, beim ersten Überfall,
Gewaltig Hörner und Drommeten klingen
Und seinen Namen schrein mit lautem Schall.
Er spornt Bajard, läßt ihn hinüberspringen
Ins Lager, hoch ob Pallisad' und Wall,
Wirft Reiter um, zerstampft des Fußvolks Glieder
Und schmettert Zelte und Baracken nieder.
54.
Dem kühnsten Mann geht da der Mut verloren,
Und bleich Entsetzen sträubt das Haar bergan,
Als ihm der Schreckensruf dröhnt in die Ohren,
Der grausige: »Rinald von Montalban!«
Da flieht der Spanier mit den Libyermohren
Und nimmt nicht Zeit zu sorgen für Gespann.
Erwarten wollen nicht die bangen Scharen
Die Wut, die sie gar schmerzlich schon erfahren.
55.
Nicht minder stark haut Guido auf die Heiden,
Die Sprossen gleicherweis des Oliver,
Alard und Richardet, die andern beiden:
Gewaltig stürmt Herr Samsonet daher.
Hei, wie so mächtig jetzt die Klingen schneiden
Von Vivian und auch von Aldiger!
Und überall, wo Clermonts Banner wehen,
Die Krieger mit dem alten Ruhm bestehen.
[14] 56.
Von denen, die in Schloß und Dörfern wohnen,
Hat siebenhundert bei sich Herr Rinald.
Sie tragen Waffen wie die Myrmidonen
Achills, zu jeder Zeit, sei's warm, sei's kalt,
Und ihrer hundert scheun nicht Legionen,
So trauen sie des starken Arms Gewalt,
Und viele sind von diesen Kampfgesellen,
Die sehr berühmte Herrn in Schatten stellen.
57.
War auch Rinald nicht überreich an Golde,
An Schätzen nicht und stolzer Städte Pracht,
So machten Wort und Miene, freundlich holde,
Und weil er auch zu spenden stets bedacht,
Daß nie ein andrer Herr mit höherm Solde
Einen verlockte seiner Kriegermacht.
Er war von Montalban nur, wenn es nötig,
Zu einem Zug mit dieser Schar erbötig.
58.
Jetzt aber – daß Herrn Karl geholfen werde –
Ließ er in kleiner Hut sein Montalban;
Dem Afrikaner bringt die Schar Beschwerde,
Die ich besing' auf ihrer Ruhmesbahn;
Denn ihm geschah, was oft der Wolf der Herde
Tut auf phalantischen Galesus' Plan
Oder der Leu dem Bärt'gen, am Gestade
Des wilden Cynips, auf dem Beutepfade.
59.
Karl, der zuvor hat von Rinald erfahren,
Daß er sich nahe bei Paris befand,
Zu nächt'gem Überfall auf die Barbaren,
Zur rechten Zeit des Tags gerüstet stand.
Er kam Rinald zu Hilfe mit den Scharen
Und Paladinen, samt des Monodant,
Des mächt'gen, Sohn, dem kühnen Brandimarte,
Der treuen Sinnes der Geliebten harrte.
[15] 60.
Sie hatte viele Tag' auf weiten Wegen
Nach ihm gesucht ringsum im Frankenreich:
Am Wappenzeichen kannte sie den Degen,
Das stets er trug, aus weiter Ferne gleich.
Und Brandimart kam eilig ihr entgegen
Und ließ den Krieg und wurde gut und weich,
Sie hold mit tausend Küssen zu umschlingen
(Ein paar nur sind in Abzug wohl zu bringen).
61.
Zu Fraun und Mädchen hatte man Vertrauen
In jenen Zeiten stets in hohem Grad:
Sie gingen ungeleitet durch die Auen,
Durch Berg und Täler, oft auf wildem Pfad,
Und waren nach der Rückkehr lieb zu schauen
Und schön, und keiner dachte an Verrat.
Der Ritter hört aus der Geliebten Munde
Von Roland von Anglant die trübe Kunde.
62.
Den andern Leuten glauben, was die Traute
Ihm Schlimmes sagt, das könnt' er nimmermehr:
Allein auf seine Flordelis, da baute
Er fest (und noch ganz andres glaubt er der),
Die ihm nicht nur, was sie gehört, vertraute:
Vor ihren Augen kam der Narr daher.
Sie kannte Roland ja, sah, was sein Los war,
Und meldet ihm ganz deutlich, wann und wo's war.
63.
Und von der Brücke weiß sie zu berichten,
Wo Rodomont den Übergang bewacht,
Und wie er dort ein Grabmal läßt errichten
Und es verziert mit der Besiegten Tracht.
Von Roland sah sie Dinge – kaum erdichten
Ließ sich, was er vor ihrem Aug' vollbracht;
Wie er den Mohr ließ in der Flut versinken
Und selbst dabei Gefahr lief zu ertrinken.
[16] 64.
Er liebt den Grafen, wie man Gutgesellen,
Dem Bruder oder Sohn ist zugetan:
Entschlossen ist er, alles anzustellen
(Durch Not und Leid verfolgt er seine Bahn),
Bis daß durch Ärzte, Magier, Zauberquellen
Dem bösen Wahnsinn Einhalt sei getan;
Drum, wie er war, im Sattel, ohne Mannen,
Ritt er mit der Geliebten stracks von dannen.
65.
Hin, wo die Dame jüngst ihn noch gesehen,
Wird von dem treuen Paar der Weg gemacht:
Sie reiten unablässig, bis sie stehen,
Wo Algiers stolzer König hält die Wacht.
Der Wächter läßt ein Zeichen rasch ergehen:
Das hat den Rodomont ins Feld gebracht,
Mit Roß und Wehr, gerad, als dort am Stege
Ihm Ritter Brandimart kommt ins Gehege.
66.
Der Heide ruft mit wuterfüllter Stimme:
»Wer du auch sein magst, steig herab vom Pferd,
Ob du verirrt dich hast, ob dir das schlimme
Geschick mit Wahnsinn hat das Hirn versehrt!
Die Rüstung gib! Sonst fällst du meinem Grimme.
Und hier das Grabmal sei von dir verehrt,
Bevor dich ohne Gnade packt Verderben:
Ein Opfer ihrer Schatten, mußt du sterben.«
67.
Der ließ zu keiner Antwort sich bewegen;
Der Speer gibt sie dem stolzen Mann allein:
Vor stürmt auf seinem Roß Batold der Degen
Und legt so herzhaft seine Lanze ein:
Man sieht, an hohem Mut ihm überlegen
Kann kaum ein Ritter auf der Erde sein.
Im vollen Lauf mit vorgestreckter Lanze
Kommt Rodomont auf engem Steg zum Tanze.
[17] 68.
Sein Renner, der das Brücklein oft beschritten,
Drauf abgerichtet, daß zur Wasserflut
Durch ihn die Kämpfer in die Tiefe glitten,
Kam her zum Waffenstrauß mit sicherm Mut.
Das andre Tier ging mit besorgten Tritten,
Schwankend und zitternd, immer auf der Hut.
Der Steg auch bebt, es neigen sich die Ränder;
Eng ist die Bahn – und nirgends ein Geländer!
69.
Die Ritter, die den Kampf gleichgut verstanden
Und Speere hatten wie die Balken groß,
So wie sie einst im Waldesgrunde standen,
Stachen nicht zärtlich aufeinander los.
Daß sie die Pferde gut und kräftig fanden,
Das half nicht viel bei so gewalt'gem Stoß:
Die beiden Tiere schlagen um und fallen,
Daß sie mit ihrem Herrn zum Knäul sich ballen.
70.
Sie suchen hastig wieder aufzustehen,
So wie die Sporen heischen in der Seit':
Da ist kein Platz mehr auf dem Weg zu sehen,
Raum für die Füße keine Spanne breit.
Zur Tiefe – durch ein gleich Verhängnis – gehen
Sie miteinand: es dröhnt der Himmel weit,
Wie einst von unserm Fluß, als in die Wogen
Des Lichtes schlechter Lenker kam geflogen.
71.
Mit dem Gewicht sank jedes Tier zur Tiefe
Des Reiters (der gar fest im Sattel stund),
Zu suchen, ob kein schönes Nixchen schliefe
Verborgen unten auf des Stromes Grund.
's wär' nicht das erstemal, daß so verliefe
Das Ding für Rodomont; zu mancher Stund'
Ist er mit seinem Hengst hinabgefahren.
Er wußte, wie des Flusses Strecken waren:
[18] 72.
Die festen kannt' er und die weichen Stellen,
Wo tief des Wassers Grund, wo wieder seicht.
Kopf, Brust und Seiten hebt er aus den Wellen
Und kommt in Vorteil vor dem Gegner leicht.
Der treibt im Kreise mit des Stromes Schnellen:
Das Roß, dem unterm Huf der Boden weicht,
Gräbt tief sich ein und will im Schlamm versinken.
Schon drohen Roß und Reiter zu ertrinken.
73.
Die Welle steigt: kopfüber fortgeschoben,
Treibt Roß und Mann zur tiefsten Stelle hin;
Der Renner unten, Brandimart liegt oben.
Da hat vom Steg mit tiefbetrübtem Sinn,
Und weinend Flordelis die Stimm' erhoben:
»Ach, Rodomont! Bei ihr, der Dulderin,
Die du noch tot verehrst! – erhör' mein Flehen:
Laß nicht den Ritter elend untergehen!
74.
Ließt du dein Herz von Liebe je bewegen –
Ich lieb' ihn – edler Mann, erbarm' dich mein! –,
Genüg' es dir, in Kerker ihn zu legen;
Mit seinem Wappen schmücke deinen Stein!
Gewannst du Beute dir mit Schwertesschlägen,
Wird dies die würdigste, die schönste, sein.«
Sie sprach so trefflich, daß sie diesen grimmen
Barbarenfürsten wußte umzustimmen,
75.
Und eilig hin zu ihrem Liebsten sprang er,
Den unterm Roß begrub das Wellenspiel
(Hinüber fast ins dunkle Jenseits drang er,
Denn ohne Durst, ach, trank er allzu viel):
Dem Sinkenden erst Schwert und Helm entrang er,
Eh ihm zu helfen Rodomont gefiel.
Dann zog er ihn heraus und ließ ihn wandern,
Halbtot, in seinen Turm zu vielen andern.
[19] 76.
Der Dame kam die Freudigkeit abhanden,
Als im Gefängnis saß der teure Mann.
Allein, sie wußt' ihn lieber doch in Banden,
Als daß der Tod ihn dort im Fluß gewann.
Die eignen Fehler ihr vor Augen standen,
Und weinend klagte sie der Schuld sich an,
Weil sie erzählte, daß den tollen Grafen
Am bösen Brücklein ihre Blicke trafen.
77.
Sie geht von hinnen, geht in tiefem Sinnen,
Und nimmt sich vor, Rinald den Paladin,
Sei's Samsonet, sei's Guido zu gewinnen,
Sei's irgendwen vom Hofe des Pipin,
Wie Rodomont mit Mut im Herzen drinnen,
Den schweren Kampf zu wagen wider ihn,
Reicher an Gunst des Glücks, wenn nicht an Stärke,
Als Brandimart es war bei diesem Werke.
78.
Tage vergehn, und keiner will sich zeigen
Von jenem Schlag, wie sie den Mann sich denkt,
Der mit dem Mohr vollführe so den Reigen,
Daß ihrem Freund die Freiheit sei geschenkt.
Sie sucht und sucht, wem solcher Wert wohl eigen,
Bis einer doch daher die Schritte lenkt:
In reich geschmücktem Kleid sah man ihn prangen,
Darauf Zypressen schön zur Höhe drangen.
79.
Erlaubt, daß ich, wer's war, Euch später sage;
Ich wende mich zuvörderst nach Paris
Und melde von der großen Niederlage
Der Mohren durch Rinald und Malegis.
Weiß nicht, wie viele flohn an diesem Tage,
Wieviel zum Styx hinab das Eisen stieß.
Gern wär' Turpin ans Zählen wohl gegangen,
Allein im Dunkeln war nichts anzufangen.
[20] 80.
Im Zelt im ersten Schlaf lag Agramante.
Um ihn zu wecken, trat ein Ritter ein:
Wer nicht zur allerschnellsten Flucht sich wandte,
Sagt er, der werde bald gefangen sein.
Der König sah sich um, und er erkannte
Verwirrung mit Bestürzung im Verein:
Sie flohen kopflos, nackt und ohne Waffen;
Es fehlte Zeit, den Schild nur aufzuraffen.
81.
Als er in seinen Harnisch war gefahren,
Verwirrt und ratlos ob so großer Not,
Kam Falsiron und der den Kriegerscharen
Grandons, des toten Königs, jetzt gebot.
Sie und noch andre zeigten die Gefahren,
Gefangen hierzubleiben oder tot.
Von Glücke könn' Herr Agramante sagen,
Geling's, das Leben nur davonzutragen.
82.
So spricht Marsil und so die Fürsten alle,
Darunter auch der wackre Fürst Sobrin:
Daß nicht Rinald und Tod ihn überfalle,
In aller Schnelle gelt' es zu entfliehn,
Denn wenn der Schwarm von Kriegern auf ihn pralle
Mit ihrem Herrn, dem grimmen Paladin,
Gefangen blieben sie in seinen Händen,
Wenn sie den Tod nicht allzusammen fänden.
83.
Den Weg nach Arles und auf Narbonne zu hätte
Er jetzt noch offen für das kleine Heer;
Fortführen könnten diese guten Städte
Den Krieg, und wenn's auf lange Zeiten wär'.
Und wenn er nur zunächst sich selber rette,
Könn' er auf Rache sinnen, furchtbar schwer,
Indem er rasch ein neues Heer bereite:
Dann sieg' er wohl noch über Karl im Streite.
[21] 84.
Gezwungen ist der König, nachzugeben,
Schafft ihm der Aufbruch gleich gar bittres Leid.
Er geht (und Flügel, traun, scheint er zu heben)
Auf sicherm Weg nach Arles zur rechten Zeit.
Ein Glück für alle, daß sie rückwärts streben
Mit guten Führern und in Dunkelheit.
Es waren zwanzigtausend wohl, ich schätze,
Die so Rinald entschlüpften aus dem Netze.
85.
Wieviel durch ihn und seine Brüder sanken,
Und durch die jungen Herren von Vian;
Wieviele durch die siebenhundert Franken,
Die Mannen des Rinald von Montalban,
Wieviel durch Samsonet, wieviel ertranken,
Als in die Seine sie den Sprung getan, –
Wer's sagen könnte, dürft' es auch erwählen,
Die Blüten all im Mond April zu zählen.
86.
Mancheiner sagt, es habe teilgenommen
Auch Malegis am Siege dieser Nacht;
Nicht, daß durch ihn das Feld im Blut geschwommen,
Und er viel Mohren hätte umgebracht,
Nein, aus den Höllenschlünden ließ er kommen
Teuflische Geister her durch Zaubermacht
Mit soviel Lanzen, Fahnen und Panieren,
Als in zwei Frankenreichen aufmarschieren.
87.
Soviel Drommeten, Trommeln ließ er klingen
Und Töne von verschiedenem Metall,
Töne von Rossen, die mit Wiehern springen,
Getümmel wie von Fußvolk, Stimmenschwall –:
Daß Berg und Täler an zu beben fingen
Bis weit hinaus, vom mächt'gen Widerhall, –
Und blasse Furcht ergriff die Mohrenrecken:
Sie wandten sich zum Fliehen voller Schrecken.
[22] 88.
Der König dachte Rogers auch, des wunden,
Der in Gefahr noch war und Schmerzen litt:
Man legt' ihn, eingeschnürt und wohl verbunden,
Sanft auf ein Pferd mit weichem, leisem Tritt.
Als man sich dann auf sicherm Pfad gefunden,
In einer Sänfte führte man ihn mit,
Um ihn bequem nach Arles der Stadt zu schaffen,
Wo alles Volk zusammenkam in Waffen.
89.
Die also vor Rinald und Karl verschwanden
(Es waren hunderttausend wohl am Ort),
Durch Berg und Tal, wo Busch und Wälder standen,
Da flohn sie wild vom Volk der Franken fort;
Die meisten, die den Pfad geschlossen fanden,
Machten den grünen Grund zu rotem dort.
Der Serikanerkönig tat's mitnichten,
Gewohnt, auf höhern Plan das Ziel zu richten.
90.
Sobald er von dem Ansturm hörte sagen,
Und daß am Platz Rinald von Montalban,
Da schwoll sein Herz von innigem Behagen:
Er fängt vor Freude gar zu tanzen an,
Preist seinen Stern: zum Heil sei ausgeschlagen
Ihm alles, hofft, daß er gewinnen kann
Bajard das Roß in dieser nächt'gen Stunde,
Dem keins vergleichbar auf dem Erdenrunde.
91.
Es war sein Wunsch ja schon seit langen Zeiten
(Ich glaub', Ihr last dies schon vorher einmal),
Den auserlesnen Renner dort zu reiten,
Zu schwingen die berühmte Durendal.
Er war gekommen, diese zu erstreiten
Mit seinen hunderttausend wohl an Zahl.
Schon manches Mal versucht er unterdessen,
Im Kampf ums Pferd sich mit Rinald zu messen.
[23] 92.
Er dachte mit dem Helden sich zu raufen,
Wie's festgesetzt war, an des Meeres Strand;
Doch Malegis warf alles übern Haufen:
Er machte, daß der Vetter rasch verschwand,
Und ließ ein Schiff mit ihm vom Stapel laufen
(Nicht mach' ich die Geschichte jetzt bekannt).
Gradaß nahm dies für Bangigkeit und Zagen
Und hielt Rinald für feig seit jenen Tagen.
93.
Nun freut es ihn: er hat Rinaldo wieder,
Nachdem er weiß, daß er im Feld erschien.
Alfana nimmt er, Eisen um die Glieder
Und sucht im Dunkeln rings den Paladin.
Wen er nur trifft, streckt er zu Boden nieder;
In der Verwirrung kümmert's wenig ihn,
Ob der ein Frank ist, ob vom Mohrenheere;
Er fällt sie alle mit dem guten Speere.
94.
Er sucht ihn hier und dort, blickt in die Weite,
Und laut, wie er nur kann, ruft er ihn auf
Und wendet immer sich nach jener Seite,
Wo sich am höchsten türmt der Leichenhauf,
Bis Schwert an Schwert sie nah sind (denn im Streite,
Da flogen hoch zum Sitz der Nacht hinauf,
Zerbrochen in viel tausend kleine Splitter,
Die beiden Lanzen dieser starken Ritter).
95.
Gradaß erkennt Rinald, den kühnen Streiter
(Nicht, weil er's Wappenzeichen sähe recht,
Nein, an der Wucht, womit der Bajardreiter
Dreinschlägt, als end' er jetzt schon das Gefecht),
Und säumt nicht, ihn zu schelten; unwert, schreit er,
Des Ruhmes zeige sich Rinald und schlecht,
Weil ja der Held zum Kampfe nicht erschienen
Der damals war vereinbart zwischen ihnen.
[24] 96.
»Du mochtest«, sprach er, »in der Hoffnung leben,
Es werde nie, verstecktest du dich gut,
Mehr für uns zwei ein Wiedersehen geben
Auf dieser Welt: nun fand dich meine Wut.
Und solltest du zum Himmel auf entschweben
Und tauchen in des Styxes tiefste Flut –
Ich folge dir, gehst du mit deinem Pferde,
Sei's abwärts, sei's hinauf von dieser Erde!
97.
Hast du den Mut nicht, um mir hier zu stehen
(Du siehst, daß du mir nicht gewachsen bist),
Und kann dir Leben über Ehre gehen,
So gib den Renner mir zu dieser Frist;
Kein Leid und Schade wird dir dann geschehen;
Lebe, wenn dir das Leben teuer ist:
Lebe zu Fuß, kein Pferd soll mehr dich tragen,
Kannst du der Heldenschaft derart entsagen.«
98.
Guido mit Richardet war noch zugegen;
Die grimmen Worte schallten an ihr Ohr:
Zugleich die Schwerter zogen beide Degen,
Damit er seh', er sprach als rechter Tor.
Allein Rinald setzt rasch sich dem entgegen;
Er will, unangefochten sei der Mohr,
Und spricht: »Meint ihr, daß ich nicht selbst mich wehre,
Wenn einer sich vergreift an meiner Ehre?«
99.
Zum Heiden drauf: »Ich will den Irrtum enden,
Wenn du mich hörst, Gradaß, und zeige klar:
Wo wir bestimmten, daß wir zwei uns fänden,
Zum Seestrand kam ich, wie's versprochen war.
Und dann verfecht' ich's mit dem Schwert in Händen,
Was ich gesagt, es ist gewiß und wahr.
Du aber lügst, willst du in Abred' stellen,
Daß ich ein Ritter sei, in allen Fällen.
[25] 100.
Nun bitt' ich dich, eh noch der Kampf entbrenne,
Des Falls Erklärung werde jetzt dir kund,
Indem ich dir des Wortbruchs Ursach nenne;
Nicht schelte, grundlos, mich fortan dein Mund.
Nur Kampf zu Fuß sei's, den das Ringen kenne,
Wie die Bestimmung ja zuvor bestund,
Genau so festgesetzt nach deinem Willen:
Mann gegen Mann, für uns allein, im stillen!«
101.
Voll Höflichkeit, wie hochgemute Seelen,
War Herr Gradaß, der Serikaner Hort.
Weil ihm Rinald den Vorfall will erzählen,
Folgt er des Gegners Vorschlag, und sofort
Gehn sie, den Platz an Flusses Rand zu wählen:
Rinalds gesprochnes einfach wahres Wort
Zieht dort den Schleier weg von der Geschichte;
Gott ruft er an zum Zeugen beim Berichte.
102.
Er ließ darauf den Sohn des Bov erscheinen,
Der hier die beste Kenntnis ja besaß;
Der wiederholte nach und nach von seinen
Künsten und Sprüchen alles vor Gradaß.
Rinald versetzte drauf: »Was ich mit meinen
Worten bewies, mein Schwert bekräft'ge das
Und bringe jetzt und sonst zu jeder Stunde,
Die dir gefällt, die allertreuste Kunde!«
103.
Gradaß, besorgt, er müss' am End' verzichten
Auf sein Duell durch einen neuen Zwist,
Läßt drum in Frieden alles sich berichten
Und fragt nur still: »Ob es wohl Wahrheit ist?«
Sie wollen nicht den Fall am Seestrand schlichten
Von Barcelona, wie zu jener Frist;
Nein, sie beschließen, mit der Morgenhelle
Sich einzufinden nah an einer Quelle.
[26] 104.
Dahin soll auch Rinald den Renner bringen,
Der halte in der Nähe von den zwein:
Versteht Gradaß den Sieg sich zu erringen,
So nimmt er Bajard fort, und der wird sein.
Sollt' es dem König aber schlecht gelingen,
Sei's, daß er geh' in andre Welt hinein,
Sei's, daß Rinald ihn zwingt, sich zu ergeben,
Gehöre Bajard seinem Gegner eben.
105.
Rinald – mit großem Schmerz im Herzen drinnen
Mehr als mit Staunen – wie Ihr wißt, vernahm:
Der Paladin, sein Vetter, sei von Sinnen;
Gemeldet hatt' es die verliebte Dam';
Und wie man stritt, die Waffen zu gewinnen,
Und was aus diesem Kampf noch alles kam;
Und daß jetzund Gradaß die Wehre führte,
Der jede Palm' – in Rolands Hand – gebührte.
106.
Der Heidenkönig ritt nach dem Vertrage
Sogleich zurück zu seiner Heeresmacht,
Wieviel Rinald auch höflich bittend sage,
Daß er sein Gast doch sei für diese Nacht.
Gradaß nimmt seine Wehr am frühen Tage;
Rinald desgleichen hat sich aufgemacht,
Und beide kommen in des Quelles Nähe,
Daß Kampf um Schwert und Renner vor sich gehe.
107.
Sehr um Rinald besorgt sind all die Seinen,
Daß er Gradaß bekämpf' im Einzelstreit,
Die Freunde auch, die schwer bekümmert scheinen,
Bekunden Zeichen großer Bangigkeit,
Weil Kraft und Kunst im Heiden sich vereinen
Und hoher Mut; da sie an seiner Seit'
Auch noch das Schwert des Milonsprossen sehen,
So müssen sie in schwerer Sorge stehen.
[27] 108.
Mehr als die andern zittert für den Degen
Bei diesem Kampf der Bruder des Vivian.
Er möchte gern die Hand dazwischenlegen,
Damit die Wirkung bleibe ungetan:
Doch fürchtet er, daß neuen Eingriffs wegen
Ihn ewig hasse der von Montalban;
Noch war der Zorn Rinalds ja nicht verglommen,
Daß er im Schiff ihn hatte fortgenommen!
109.
Doch ob die andern trüb und zagend stehen,
Rinald geht zu dem Kampfe froh und gern:
Er hofft, der Tadel solle ganz vergehen,
Der ihn bisher verfolgt hat aus der Fern'.
Und ruhig, wie man sie noch nie gesehen,
Von Pontier sind und Hautefeuille die Herrn.
Er kommt voll Sicherheit und ohne Bangen,
Gewiß, des Sieges Ehren zu erlangen.
110.
Sie gehn, von hier, von dort, nach jener Quelle,
Und langen an fast zu der gleichen Zeit
Und küssen sich, die Stirne ganz so helle,
So freundlich blickend und voll Heiterkeit,
Wie wenn zum Clermontsprossen sich geselle
Gradaß als Freund, zu frohem Tun bereit.
Wie aber dann die beiden sich geschlagen,
Davon will ich ein andermal Euch sagen.

[28] Zweiunddreissigster Gesang

1.
Vom Argwohn – fällt mir ein – dacht' ich zu sagen
(Ich hatt's versprochen und vergaß es dann),
Der die betrübte Dame kommt zu plagen,
Wie sie auf Roger harrt, den teuren Mann,
In ihre Brust noch schärfern Zahn zu schlagen
Und giftigern, als der Verdacht es kann,
Der ihr die Seele peinigt und vernichtet
Nach dem, was Richardet ihr hat berichtet.
2.
Das wollt' ich – und fing andres an zu singen,
Weil plötzlich sich Rinald zur Stelle fand,
Und Guido kam dazu mit manchen Dingen,
Der eine Weil' ihm dort im Wege stand.
Kurz, eines mußte stets das andre bringen:
Ich dachte nicht der holden Bradamant.
Jetzt denk' ich ihrer, will sie mir erwählen,
Dann von Rinald Euch und Gradaß erzählen.
3.
Zuvor jedoch leg' ich noch etwas heute
Vom Heidenkönig Agramante dar:
Er hat nach Arles geführt den Rest der Leute,
Der ihm seit jener Nacht geblieben war.
Gut ist der Platz, das Volk hier, das zerstreute,
Zu sammeln, auch Proviant und neue Schar;
Geschützt gelegen an des Flusses Rande:
Nah sind von Spanien, Afrika die Lande.
[29] 4.
Marsil sucht Mannschaft rings auf allen Pfaden,
Gut oder schlecht, wie sich's gerade stellt;
Rüstet zu Barcelon an Meergestaden,
Was ihm an Schiffen in die Hände fällt.
Zum Kriegsrat wird tagtäglich jetzt geladen:
Herr Agramant scheut Mühe nicht noch Geld.
Auf Libyens Städte – ohne je zu rasten –,
Legt er der Steuern viel und schwere Lasten.
5.
Umsonst, des Helden Rückkehr zu erreichen,
Bot er sein Bäslein an dem Rodomont
(Mitsamt Oran, dem großen, schönen, reichen),
Ein holdes Kind, die Tochter des Almont.
Von seinem Platz am Brückchen dort zu weichen,
Den stolzen Mohren nichts bewegen konnt'.
Und viele Waffen nahm er schon den Recken;
Er könnte dort den Fels damit bedecken.
6.
So hielt's Marfisa nicht: als sie erfahren,
Wie sich gestaltet hat der Dinge Lauf,
Daß viel im Mohrenheer gefallen waren,
Gefangen noch dazu ein großer Hauf,
In Arles der König mit geringen Scharen, –
Da bricht sie, ohne Ladung, eilig auf,
Um Kron' und Reich nach ihrer Kraft zu nützen,
Mit Gut und Blut den Herrn zu unterstützen,
7.
Und macht ihm ein Geschenk noch mit Brunellen,
Der gegen ihn ja niemals sich verging;
Zehn Tag' und Nächte hielt sie den Gesellen,
Der schon vor Angst im Geist am Galgen hing.
Als kein Verteidiger sich wollte stellen,
Sei's bittend, kämpfend –, schien ihr zu gering
Sein Blut: sie wollte sich mit ihm nicht schänden
Und ließ ihn frei aus ihren stolzen Händen,
[30] 8.
Erließ ihm all die alten schweren Sünden
Und nahm ihn mit nach Arles zu Agramant.
Als nun die Heldin kam, sich ihm verbünden,
Denkt Euch, ob er wohl Jubel drob empfand?
Wie er sie hochhielt, wollt' er gern ihr künden,
Und zum Beweis war hier Brunel zur Hand.
Was ihm zu tun sie früher nur gedachte:
Ihn aufzuhängen, war, was er vollbrachte.
9.
Er ließ den Wicht an einsam wilder Stätte
Als Speise für den Raben und den Aar.
Roger, der ihm den Hals gerettet hätte
Und früher schon einmal sein Schützer war,
Lag krank – durch Gottes Zorn – in seinem Bette,
Unfähig, ihm zu helfen in Gefahr.
Als er's erfuhr, war alles schon vorüber;
Ohn' allen Beistand ging Brunel hinüber.
10.
Und Bradamant indessen klagt' und grollte,
Daß also lang die zwanzig Tage sei'n,
Nach denen Roger wiederkehren sollte
Zu ihr, und zu der Treue obendrein.
Nie dem Gefangnen, dem Verbannten rollte
Die Stunde träger hin, die ihn befrein
Soll und der teuren Heimat wiedergeben
Oder dem süßen ungebundnen Leben.
11.
Zu lahmen scheinen ihr und stillzustehen
Athon, Pyroïs oft in dieser Zeit,
Oder das Rad entzwei; denn sich zu drehen
Säumt's über das Gewohnte – meint sie – weit;
Der Tag so lang wie, da zum Himmel gehen
Der Jude durfte der Gerechtigkeit,
Lang wie die Nacht, drin Herkules gemacht ward,
Fortan ihr jeder Tag und jede Nacht ward.
[31] 12.
Wie hat sie oft beneidenswert gefunden
Das Murmeltier und den verschlafnen Bär!
Sie möchte schlafen, schlafen all die Stunden,
Die ganze Zeit erwachen nimmermehr,
Nichts hören, bis von Roger sie entwunden
Endlich dem trägen, langen Schlummer wär'.
Doch weit entfernt, bis dahin es zu bringen,
Kann sie auch nicht ein Stündchen Schlaf erzwingen;
13.
Nein, hin und her wälzt sie die schlanken Glieder
Auf läst'gem Flaume, findet Ruhe nicht
Und öffnet dann das Fenster hin und wieder,
Um auszuschaun, ob vor dem Morgenlicht
Wohl Tithons Gattin Rosen streut hernieder
Und Lilien weiß, und durch das Dunkel bricht.
Und kam der Tag, wünscht sie den nächt'gen Himmel
Lieber zu sehn, mit seinem Sterngewimmel.
14.
Als es vom Zeitpunkt sind noch vier, fünf Tage,
Von Stund' zu Stunde harrt sie früh wie spat,
Der Hoffnung voll, daß man ihr Botschaft trage,
Die sie so lang ersehnt: »Herr Roger naht!«
Oftmals auf hohen Turm in freier Lage,
Ausblickend über Wald und Feldersaat,
Steigt sie, um nach dem Wege hinzusehen,
Den von Paris her alle Boten gehen.
15.
Läßt sich von fern ein Glanz wie Waffen schauen
Oder was einem Ritter ähnlich scheint,
Dann werden fröhlich ihre schönen Brauen,
Weil sie den teuren Mann zu sehn vermeint.
»Ein Bote kommt«, so sagt sie voll Vertrauen,
Wenn waffenlos, zu Fuß, ein Mann erscheint.
Merkt sie darauf, sie hab' es schlecht getroffen,
Klammert sie doch sich gleich an neues Hoffen.
[32] 16.
Dann wieder nimmt sie Waffen, ihm entgegen –
So scheint es ihr – geht sie hinab zum Plan:
Und hofft darauf, er mög' auf andern Wegen
Heraufgekommen sein nach Montalban;
Mit gleicher Sehnsucht wie hinunter, regen
Sich jetzt die Füße nach dem Schloß hinan.
Er ist nicht hier, nicht dort, – die Frist verstrichen,
In der die Hoffnung nicht von ihr gewichen.
17.
Der Tag darauf und drei und sieben gingen
Und acht und zehn und vierzehn, zwanzig gar:
Als er nicht kam und nicht ließ Kunde bringen,
Wie herzzerbrechend, ach, ihr Jammern war!
Im Hades könnt' es Mitgefühl entringen,
Selbst bei den Furien mit dem Schlangenhaar,
Und wenig wollt' es, traun, den schönen Augen,
Der weißen Brust, den goldnen Locken taugen.
18.
»So ehr' ich also«, sprach sie, »einen Recken,
Der voll Verachtung auf mich niederschaut?
Will, den ich suche, sich vor mir verstecken,
Gefühllos, hart bei meiner Bitte Laut?
Ich liebe, dem ich Haß nur kann erwecken,
Und der so sehr dem eignen Wert vertraut,
Daß eine Göttin müßte niedersteigen,
Um zu empfahn ein liebendes Sichneigen!
19.
Der Stolze weiß, ich bin ihm ganz ergeben,
Und will mich nicht als Freundin, nicht als Magd.
Der Arge weiß, er wird den Tod mir geben,
Und Rettung wird vom harten Mann versagt.
Damit die Lippen Vorwurf nicht erheben
Und ihn erweichen, wenn mein Leiden klagt,
Verbirgt er sich vor mir, wie sich die Schlange,
Um wild zu bleiben, birgt vor dem Gesange.
[33] 20.
O halt ihn, Amor, der sich mir entwunden
Und flink voraus eilt meinem müden Schritt!
Wo nicht, – laß mich, wie früher, ungebunden,
Als ich nicht Knechtschaft, auch von dir nicht, litt!
Die Hoffnung hab' ich trügerisch gefunden,
Daß du voll Mitleid nahst mit leisem Tritt.
Es weiden dich und nähren und ergetzen
Die Tränenbäche, die die Wangen netzen.
21.
Doch wen verklag' ich sonst als das Verlangen,
Das unvernünftig, töricht mich beschlich!
Mich hebt's empor, zum Himmel zu gelangen:
Dort an der starken Glut versengt es sich;
Ist, mich zu halten, ihm die Kraft vergangen,
Stürz' ich herab: neu wachsend tragen mich
Die Schwingen, immer brennend; – wieder,
Ohn' Ende fall' ich aus dem Himmel nieder!
22.
Mehr noch als Sehnsucht ziemt sich's anzuklagen
Mich selbst, daß ich die offne Brust dir bot:
Sie kam, Vernunft von ihrem Sitz zu jagen;
Mein Widerstreben bringt ihr keine Not.
Sie will vom Schlimmen mich zum Schlimmern tragen.
Man zähmt sie nicht: kein Zaum ist, der ihr droht.
Sie wird mich sicherlich zum Tode führen;
Erwartet Unheil läßt sich stärker spüren.
23.
Ach, soll ich gegen mich mit Vorwurf wüten?
Da doch dich lieben bloß mein Fehler war!
Wenn, zart und schwach, die Frauensinne glühten
Und dir erlagen, ist es wunderbar?
Wie hätt' ich suchen sollen zu verhüten,
Daß mir nicht lieblich schienen, süß und wahr
Die weisen Worte und die edle Miene? –
Arm wäre, wem nicht schön die Sonn' erschiene.
[34] 24.
Nicht nur mein Los hat mir es vorgeschrieben,
Mich zog dahin auch ein Prophetenwort;
Es winke höchste Wonne meinem Lieben,
Der größte Lohn der Erde, hieß es dort.
Hat, der so sprach, es falsch mit mir getrieben,
Und riß ein trügerischer Rat mich fort,
So kann ich ob Merlin mich wohl beklagen,
Doch meiner Liebe nimmermehr entsagen.
25.
Und ob Melissen klag' ich gleichermaßen,
Werd' ob der beiden klagen jede Stund'.
Sie haben mich die Früchte sehen lassen
Des Stamms, durch Geister aus dem Höllenschlund,
Nur um mit falscher Hoffnung mich zu fassen;
Ich weiß nun freilich nicht, aus welchem Grund.
Mag sein, daß beide Neid darob empfanden,
Wenn mir so friedenvoll die Tage schwanden.«
26.
Kein Fleckchen bleibt, – so hält sie Schmerz gefangen –
In ihr, wo Platz für Tröstung könnte sein.
Doch Hoffnung kommt trotz alledem gegangen
Und nistet mitten in der Brust sich ein,
Sie mild erinnernd, welche Worte klangen
Beim Scheiden Rogers in ihr Herz hinein,
Und mahnt sie, trotz der feindlichen Gewalten
An seiner Rückkehr harrend festzuhalten.
27.
So stützte sie die Hoffnung, das Vertrauen,
Noch einen Mond nach abgelaufnem Tag,
Daß nicht ihr Herz so ganz in Schmerzes Klauen,
Wie es wohl sonst gewesen wäre, lag.
Als einst sie ging, nach Roger auszuschauen,
Was sie zu tun so viele Male pflag,
Gar böse Kunde ward der Tugendreichen,
Und Hoffnung, ihre letzte, mußte weichen.
[35] 28.
Entgegen kam ihr ein Gascogner Reiter
Vom Heidenlager, der in jener Nacht
Des Unheils focht für Karl als Christenstreiter
Und damals zum Gefangnen ward gemacht.
Sie fragt nach dem und jenem ihn und weiter
Zum vorgesteckten Ziele rückt sie, sacht
Auf Roger kommend: hier nun bleibt sie stehen
Und will nicht fort von diesem Zeichen gehen.
29.
Bescheid zu geben wußt' er allerwegen
(Denn dort am Hofe war er wohlbekannt),
Sagt ihr, wie Roger stand dem Skythendegen,
Und wie der Starke fiel von seiner Hand,
Und wie er an den Wunden dann gelegen,
Vier Wochen, und den Tod beinahe fand.
Ward hier ein End' gemacht mit der Geschichte,
So bliebe Roger schuldlos im Berichte.
30.
Doch fügt' der Mann hinzu, es sei erschienen
Marfisa in dem Lager, eine Maid
So kühn und heldenhaft wie schön an Mienen,
In jedem Waffenwerk voll Trefflichkeit:
Sie liebe Roger, er sei ihr zu dienen
Beflissen und fast stets an ihrer Seit',
Und diese zwei – die Leut' im Lager meinen –
Hätten einand gelobt, sich zu vereinen;
31.
Sobald es Rogers Zustand möge leiden,
Werd' öffentlich der Ehbund kundgetan,
Und jeder König, jeder Fürst der Heiden
Hab' helle Lust und eitel Freude dran:
Denn von der übergroßen Kraft der beiden
Ein mächtiges Geschlecht erhoffe man
In kurzer Zeit, von Kriegern auserlesen,
So stark und kühn wie je nur eins gewesen.
[36] 32.
Der Ritter lag in dieses Rufes Banden
Nicht ohne Grund; rings in der Mohrenschar
In solchem Glauben alle Mohren standen,
Und allgemein Gespräch die Sache war.
Vielleicht, daß die Gerüchte dort entstanden,
Als Freundschaftszeichen wechselte das Paar.
Entfloh ein gut, ein schlecht Geschwätz dem Munde,
Ins Riesenhafte wächst sogleich die Kunde.
33.
Da sie mit ihm den Mohren Hilfe brachte,
Sich ohne ihn nicht sehn ließ, – ihr Gesell
Erschien er: und wenn so der Glaub' erwachte,
Wuchs er nachher noch durch sie selber schnell;
Denn als man sie vom Lager ferne dachte
(Mit ihr ging damals, wie Ihr wißt, Brunel),
Da kam sie, ungerufen, ganz im stillen
Zurück, und alles nur um Rogers willen:
34.
Ihn zu besuchen, der mit schweren Wunden
Daniederlag, ging sie zum Lager dort,
Nicht einmal nur, nein oft: die Tagesstunden
Verblieb sie da, des Abends ging sie fort.
Und seltsam ward es von dem Volk befunden,
Daß sie, die aller Welt in Mien' und Wort
Nur Stolz wie lauter schlechtem Pöbel zeigte,
In Güt' und Demut sich zu Roger neigte.
35.
Was der Gascogner ihr als wahr erzählte,
Schuf Bradamant so schweres Herzeleid,
Daß sich zu halten fast die Kraft ihr fehlte
Und sie gefallen wär'. Auf den Bescheid
Wandte den Renner schweigend die Gequälte,
Der Zorn, die Eifersucht gab ihr Geleit,
Und alle Hoffnung bannend aus dem Herzen,
Sucht sie ihr Zimmer auf in tausend Schmerzen.
[37] 36.
Sie wirft – ohn' erst die Rüstung abzulegen –
Sich auf das Bett, im Kissen das Gesicht;
Um nicht Verdacht durch Schreien zu erregen,
Verstopft sie sich den Mund mit Tüchern dicht.
Stets klingen jene Worte ihr entgegen,
Und übermaßen wächst der Schmerz: sie bricht –
Denn länger ist das Leid nicht zu ertragen –,
Sich Luft zu machen, aus in bittre Klagen:
37.
»Wem soll ich, ach, fortan noch Glauben schenken?
Falsch, grausam nenn' ich jeden ohne Scheu,
Kannst du, mein Roger, durch Verrat mich kränken,
Den ich für edel hielt und gut und treu?
Was ließ sich Schlimmes, Grausiges erdenken
In trag'schen Mären, ob sie alt, ob neu,
Das nicht gering erschien' und schier verschwände,
Wenn deine Schuld sich dem genüber fände?
38.
Wenn nirgends sich ein Ritter mag vergleichen
An Kühnheit und an Leibesschönheit dir
Und nicht entfernt kann deinen Wert erreichen
Noch deines edlen Wesens hohe Zier, –
Was einest du mit hoher Gaben Zeichen
Nicht auch Beständigkeit, o sage mir?
Und Treue nicht, die fest, unwandelbar ist
Und Königin der Tugenden fürwahr ist?
39.
Weißt du denn nicht, daß jeder Wert gering ist,
Wenn sich die Treue nicht mit ihm verband?
Daß nichtig auch das allerschönste Ding ist,
Und unsichtbar, sobald das Licht verschwand,
Und leicht ein Mädchen in des Truges Schling' ist,
Das einen Gott in dir und Herren fand?
Dir hätt' ich ja geglaubt, das Licht sei dunkel
Und blaß und kalt der Sonne hell Gefunkel!
[38] 40.
Was kann, du Arger, noch als Schuld dir gelten,
Wenn deiner Trauten Mord dich nicht gereut?
Kann der wohl einen Fehl verwerflich schelten,
Der vor dem Bruch der Treue sich nicht scheut?
Wie mag der seinen Feinden wohl vergelten,
Der, grausam, Tod getreuem Herzen beut?
Gefahr ist, daß der Mensch des Himmels lache,
Säumt jetzt Gerechtigkeit mit ihrer Rache.
41.
Ist Undank als der schwerste Fehl zu meiden,
Den je der Mensch begeh' in böser Stund',
Und mußte drum der schönste Engel meiden
Des Himmels Glanz, verbannt in dunklen Schlund:
Muß große Sünde große Strafe leiden
(Wäscht Buße nicht die Schuld vom Herzensgrund),
So wird gewiß dich schwere Straf' erfassen:
Bist undankbar und willst die Schuld nicht lassen!
42.
Dazu des Raubs hab' ich dich anzuklagen,
Schlimmen Vergehens, unbarmherz'ger Mann!
Daß du mein Herz hast, soll hier nichts verschlagen;
Weil ich in diesem Fall verzeihen kann:
Nein, daß du mir gehörtest, wollt' ich sagen,
Und wider Recht dich mir entzogst sodann.
Gib dich mir wieder! Denn – du wirst es wissen –
Wer andrer Gut nimmt, muß den Himmel missen.
43.
Du ließest mich: ich kann von dir nicht lassen:
Unmöglich ist's: auch will ich's nimmermehr.
Jedoch entfliehn den Qualen, die mich fassen,
Das kann ich, und ich will's, – sie sind zu schwer.
Nur ohne deine Liebe zu erblassen,
Schmerzt mich; – wenn mir vergönnt gewesen wär',
Als du noch hold mir warst, dahinzuscheiden,
Nie könnte sel'gern Tod ein Mensch erleiden.«
[39] 44.
Sie spricht es, springt, um Hand an sich zu legen,
Vom Bett und gönnt sich keine längre Frist:
Sie richtet auf das Herz den spitzen Degen –
Da merkt sie, daß sie noch gerüstet ist,
Und in der Brust beginnt sich so zu regen
Ihr beßrer Geist: »Die du entsprossen bist
Aus hohem Haus, willst du, von edlem Schlage,
In solchem Schimpf denn enden deine Tage?
45.
Ist es nicht besser, in den Tod zu gehen,
Da wo man rühmlich stirbt, im Kriegesfeld?
Und sinkst du dort, so mag es wohl geschehen,
Daß Rogers Blick voll Mitleid auf dich fällt.
Doch bist du seinem Schwertstreich ausersehen,
Stirbt eine dann beglückter in der Welt?
Ihm ziemt es ja, nimmt er dir fort das Leben,
Weil er den Grund zu solchem Leid gegeben.
46.
Zuvor mag dir vielleicht noch eins gelingen:
An jenem Weib Marfisa rächst du dich,
Die sich mit argem Trug und schlechten Dingen
Die Liebe Rogers – dir zum Tod – erschlich.«
Von Überlegung läßt sie Rat sich bringen,
Und eine Tracht und Zeichen wählt sie sich,
Die auf Verzweiflung deuten und auf Qualen
Und Wunsch, zu scheiden von der Sonne Strahlen.
47.
Dem Oberkleid ist jene Farbe eigen
Des toten Laubs, wenn abgestreift das Blatt
Vom Baum ist, oder wenn sich aus den Zweigen
Der Saft, der Leben bringt, verloren hat.
Zypressenstücke, aufgestickt, sie zeigen,
Daß alles leblos ist, erstorben, matt,
Weil hart getroffen von dem grimmen Beile:
Der rechte Anzug ward ihr, ach, zuteile.
[40] 48.
Sie nimmt den Hengst, den Astolf einst bestiegen,
Dazu den goldnen Speer, der jeden Mann,
Den er berührt, läßt aus dem Sattel fliegen.
Warum ihn Astolf gab und wo und wann,
Von wem er ihn erhielt, damit zu kriegen,
Zu wiederholen ich verzichten kann.
Sie nahm ihn, ohne seinen Wert zu kennen,
Der wahrlich ganz erstaunlich war zu nennen.
49.
Und ohne Knappen, gänzlich ungeleitet,
Steigt sie vom Berg hinunter, und alsbald
Geraden Weges auf Paris zu reitet
Sie nach der Mohrenkrieger Aufenthalt.
Noch hatte sich die Kunde nicht verbreitet,
Daß sie, bedrängt durch Paladin Rinald,
Dem Karl und Malegis zu Hilfe kamen,
Die Truppen fort von der Belagrung nahmen.
50.
Cahors und Quercy waren freigegeben
Und das Gebirg, von dem hinab zur Au
Der Fluß Dordogne strömt, sowie daneben
Von Clermont und von Montferrant der Gau.
Da sah sie gleichen Weges vorwärtsstreben
Mit güt'gen Blicken eine schöne Frau.
Ein prächt'ger Schild hing ihr am Sattelbogen,
Drei Ritter kamen noch mit ihr gezogen.
51.
Auch andre Fraun und Knappen sah sie reiten,
Voraus und hinterdrein, in langer Reih'.
Die Tochter Haimons fragt', als ihr zuseiten
Ein Knappe ritt, wer wohl die Dame sei.
»Wir gehn zum Frankenkönig und geleiten
Sie als Gesandtin,« sprach er, »mancherlei
Hat sie aus Nordpolgegend zu bestellen,
Von einer Insel fern in Meereswellen.
[41] 52.
Verlornes Eiland, Island auch genannt wird
Die Insel, wo die Königin zu Haus,
Die als das schönste Weib der Welt gekannt wird;
So zeichnete des Himmels Gunst sie aus.
Wenn jener Schild jetzt an Herrn Karl gesandt wird,
So schickt sie die Bedingung noch voraus,
Daß er dem besten Rittersmann ihn gebe,
Der seiner Ansicht nach auf Erden lebe.
53.
Da sie sich schöner dünkt als andre Frauen
Und wirklich ist die schönste auf der Welt,
Will sie nur einem Ritter sich vertrauen,
Der über alle sich erweist als Held.
Denn ihr Entschluß steht fest, um drauf zu bauen,
So daß er nicht durch tausend Stöße fällt;
Nur, wer die höchste Waffenehr' errungen,
Der wird von ihr als trauter Mann umschlungen.
54.
Sie hofft, in Frankreich, dort im Heldenkreise
Des Kaisers Karl, trifft man den Ritter an,
Der dargetan in tausendfacher Weise,
Daß er der kühnste und der stärkste Mann.
Die drei, die jener folgen auf der Reise,
Sind Könige: ihr Land ich nennen kann:
Von Schweden ist, Norwegen, Gotland einer,
So stark wie die sind wen'ge oder keiner.
55.
Die drei Gebiete sind nicht nahe eben,
Doch nicht so weit wie das ›verlorne Land‹
(Man hat den schlimmen Namen ihm gegeben,
Denn Schiffer kennen kaum noch jenen Strand):
Sie sind der Königin in Lieb' ergeben
Und warben um die Wett' um ihre Hand,
Worauf von ihnen mancherlei vollbracht ward,
Wodurch ihr Name hochberühmt gemacht ward.
[42] 56.
Als Gatten möchte sie nur den ertragen,
Der für die Welt der erste Meister wär'.
›Ihr habt euch gut bewährt‹, pflegt sie zu sagen,
›Doch schätz' ich dieses just nicht allzusehr.
Sollt' über zwei von euch der dritte ragen,
So wie die Sonne übers Sternenheer,
Würd' ihm der Ruhm doch, scheint mir, nicht gebühren,
Alle zu schlagen, die da Waffen führen.
57.
Man soll von mir zu Karl dem Großen bringen
(Dem weisesten der Herrscher auf der Welt)
Hier diesen Goldschild: ich muß ausbedingen,
Daß ihn nur jener Rittersmann erhält,
Auf den des Ruhmes höchste Lieder klingen
Und der gepriesen wird als erster Held.
Und ob er Lehn von Karl, von andern trüge,
Des Königs Meinung ganz allein genüge.
58.
Nahm Karl den Schild, und hat ihn dann empfangen
Der Held von solchem Ruhm durch Mut und Kraft,
Wie den die andern Ritter nicht errangen,
Und euer einer kann durch Heldenschaft
Im Kampf von ihm den Schild zurückerlangen,
So daß er mir ihn hier zur Stelle schafft,
Will ich ihm Lieb' und Zärtlichkeit nicht wehren
Und ihn als Gatten und Gebieter ehren.‹
59.
Das sind die Worte, die zum Kaiser senden
Die drei von ihrem fernen Meergefild:
Beschlossen ist's: sie sterben von den Händen
Des Siegers oder bringen heim den Schild.«
Gespannt vernimmt das Fräulein, bis sie enden
Die Rede hört, was es zu schaffen gilt.
Der Knappe spornt sein Roß; den andern Mannen
Sich zu gesellen, sprengt er rasch von dannen.
[43] 60.
Sie galoppiert nicht, um ihm nachzueilen:
In Ruhe reitet sie des Weges fort,
Und vieles geht ihr durch den Kopf derweilen:
Sie fürchtet, daß der Schild im Lager dort
Die großen Streiter werde feindlich teilen
Und Zwietracht wecken, wenn des Kaisers Wort
Über die andern einen werd' erheben
Als besten Helden und den Schild ihm geben.
61.
Dies drückt ihr Herz, jedoch noch mehr beklommen
Und trauriger sie der Gedanke macht,
Daß Rogers Liebe von ihr fortgenommen
Sei und dem Weib Marfisa dargebracht.
Von ihrem Grübeln gänzlich überkommen,
Hat sie beim Reiten nicht des Weges acht
Und sie versäumt, nach Herberg' auszuschauen,
Der sie zur Nacht sich könnte gut vertrauen.
62.
Ein Schiff, das in den Fluß die Winde trieben
Oder ein andrer Unfall riß vom Strand,
Läßt ganz allein sich von der Strömung schieben,
Denn Fährmann nicht noch Steuer ist zur Hand;
So wird auch sie geführt von ihren Trieben,
Die ganz allein auf Roger hingewandt.
Das Roß geht, wie es will: Gedanken weilen,
Anstatt zu lenken, weit – gar viele Meilen.
63.
Sie blickt empor zuletzt; den Rücken zeigen
Muß schon der Sonnengott dem Bacchusland,
Um nach dem Schoß der Amme sich zu neigen,
Dem Taucher gleich, fern von Marokkos Strand.
Nun für die Nacht im Freien abzusteigen,
Das wäre, meint sie, wahrlich Unverstand.
Es weht ein kalter Wind, und Schnee und Regen
Droht in der schweren Luft der Nacht entgegen.
[44] 64.
Nun ist sie hastiger vorangeritten,
Den Sporn am Roß: es hat nicht lang gewährt,
Da kommt ein Hirt des Wegs dahergeschritten,
Der mit der Herde heim vom Felde kehrt.
Ihn fragt das Fräulein unter vielen Bitten,
Werd' ihr wohl Obdach in der Näh' beschert,
Gut oder schlecht: wie's komme, soll es gehen,
Denn schlimmer wär's, im Regenguß zu stehen.
65.
Der Schäfer sprach: »Von Plätzen wüßt' ich keinen
Hier nahebei: vier Stunden oder mehr
Entfernt sind all die andern, bis auf einen,
Den man die Tristanburg nennt rings umher.
Doch mißlich ist es, dort als Gast erscheinen,
Denn jeder muß, in seiner Faust den Speer,
Die Unterkunft durch Kämpfe sich bereiten
Und auch das fürdre Bleiben sich erstreiten.
66.
Sobald ein Ritter kommt, wird er empfangen
Vom Herrn des Schlosses, wenn die Zimmer frei,
Falls er verspricht, wenn mehr noch angelangen,
Daß er bereit zum Kampf mit ihnen sei.
Er bleibt in Ruh, kommt niemand mehr gegangen;
Doch sonst muß er im Waffenkleid herbei
Zum Streit: und wer besiegt wird von den zweien,
Räumt das Gemach und sucht ein Dach im Freien.
67.
Wenn viele kommen, läßt man sie in Frieden,
Obs zwei, drei, vier sind oder gar ein Hauf.
Dem Einzeln ist ein schlimmes Los beschieden:
Den Kampf mit allen nimmt er in den Kauf.
Langt einer an und ruht sich aus zufrieden,
So rufen ihn zum Lanzenbrechen auf
Die zwei, drei, vier: ist Kraft und Mut ihm eigen,
So braucht er sie gar wohl und kann sie zeigen.
[45] 68.
Wenn eine Frau sich eingefunden hätte,
Geleitet oder nicht, in diesem Haus,
Und eine andre käme, blieb' im Bette
Die schönre und die andre müßt' hinaus.«
Das Fräulein fragt, wo sei denn diese Stätte:
Der Schäfer ist gefällig überaus
Und macht den Platz ihr klar mit Hand und Worten:
Zwei Stunden sind es zu des Schlosses Pforten.
69.
Ob auch des Renners Beine flink sich regen,
Und seiner Herrin Sporn ihm Kraft verleiht
Auf diesen schmutzigen und schlechten Wegen,
Die arg zerrissen von der Regenzeit,
Ist bei der Ankunft tiefe Nacht gelegen
Ringsum, und dichtes Dunkel weit und breit.
Verschlossen ist das Tor: sie sagt der Wache,
Ihr Wunsch sei, daß man drin Quartier ihr mache.
70.
Der meint, mit Gästen sei bereits versehen
Das Schloß, so Herrn wie Damen, für die Nacht,
Die um das Feuer drinnen harrend stehen,
Bis daß die Mahlzeit werd' hereingebracht.
»Die hat, wenn die Verspeisung nicht geschehen,
Der Koch, so denk' ich, kaum für sie gemacht.«
Die Dame sprach: »Sag drin, daß ich bereit bin
Und, mit dem Brauch bekannt, gewillt zum Streit bin.«
71.
Der Wächter geht und bringt hinein die Kunde
(Die Herren stehn behaglich dort umher):
Unmöglich, daß die Nachricht ihnen munde,
Denn Kälte schafft im Freien viel Beschwer,
Und auch ein starker Regen fällt zur Stunde.
Doch stehn sie auf und nehmen sacht die Wehr.
Die andern bleiben bei den Herdesflammen;
Sie gehen langsam vor das Schloß zusammen.
[46] 72.
Drei Ritter waren's, hochberühmt im Streite,
Wie auf der Welt man wenig sehen mag:
Dieselben, die an der Gesandtin Seite
Zu sehen waren an dem gleichen Tag:
Sie, die sich rühmten, nach des Schilds Geleite
Ihn heimzubringen durch der Schwerter Schlag;
Sie spornten etwas eiliger die Rosse
Und waren so vor Bradamant im Schlosse.
73.
Wenn wen'ge sie im Waffenwerk erreichen,
Wird Bradamant von diesen Wen'gen sein;
Zu fasten draußen und sich einzuweichen
Die liebe lange Nacht, fällt ihr nicht ein.
Die drinnen sehn den Stößen zu und Streichen
Vom Gang und Fenster, bei des Mondes Schein:
Der weiß sein Licht durch Wolken hinzugießen,
Mag auch der Regen mächtig niederfließen.
74.
Wie sich der Buhle freut, der süßem Spiele,
Von heißer Glut entflammt, entgegengeht,
Merkt er nach langem Warten, nah dem Ziele,
Daß endlich leise sich der Schlüssel dreht,
So fühlt die Jungfrau freud'ger Wonnen viele,
Frohlockend, daß sie Helden jetzt besteht:
Es klirrt das Tor, die Brücke senkt sich nieder,
Und sie erscheinen, stahlbewehrt die Glieder.
75.
Sobald sie jenseits von der Brücke waren
Und, fast in einem Haufen, rückten an,
Da nimmt sie Feld, um auf sie loszufahren,
So schnell der gute Renner laufen kann,
Fest eingelegt den Speer, den unfehlbaren
Des Vetters, der so sicher seinen Mann,
Und wär' es auch der Kriegsgott selbst, vom Pferde,
Den Sattel leerend, schleudert auf die Erde.
[47] 76.
Der Schwede, der als Erster sich bewegte,
Als Erster auch von seinem Pferde schoß.
Der Speer, der nie umsonst zu treffen pflegte,
Zerbrach den Helm; die Wucht war allzugroß;
Worauf von Gotland der sich niederlegte,
Die Füße oben, fern von seinem Roß.
Kopfüber fliegt, das gleiche Los zu haben,
Der Dritte, wird im Sumpfe halb begraben.
77.
Nachdem sie jene drei zu Boden brachte
(Der Kopf lag unten und die Füße hoch),
Ging sie zur Burg, wo sie zu bleiben dachte,
Bereit zu einem neuen Kampf jedoch
(Weil diesen Schwur man zur Bedingung machte),
Melde vielleicht ein neuer Gast sich noch.
Der Schloßherr, der den Streit sah mit den dreien,
Ließ Ehr' und Huldigung ihr angedeihen.
78.
Das gleiche tat die Dame, die gekommen
Mit jenen Rittern war und abgesandt
Vom nord'schen Eiland, wie Ihr schon vernommen,
Als Botin an den Herrn vom Frankenland.
Sie ging aufs Fräulein zu, hieß es willkommen,
Anmutig erst begrüßt von Bradamant,
Nahm lächelnd drauf die Hand der Hochgemuten
Und zog sie mit sich nach des Feuers Gluten.
79.
Die ging, sich Helm und Rüstung abzuschnallen,
Weil ihr der Schild schon abgenommen war:
Da läßt sie mit dem Helm ein Häubchen fallen
Aus Gold, darin verdeckt ihr langes Haar, –
Und frei die Locken auf die Schultern wallen
Und machen ihr Geschlecht auf einmal klar:
Ein Mägdlein ist vor aller Aug' erschienen,
So kühn im Waffenkampf wie schön an Mienen.
[48] 80.
So wie, wenn man den Vorhang aufgehoben,
Die Bühn' erscheint mit Lampen groß und klein
Und Bogen – stolze Bauten sieht man oben
Und Statuen und Gold und Malerein; –
Oder wie plötzlich aus den Wolken droben
Die Sonne glänzt mit freundlich hellem Schein,
So bot, nachdem der Helm gefallen, diese
Dem Blick die Aussicht nach dem Paradiese.
81.
Die Zeit hat schon das Haar ihr wachsen lassen
(Das ihr verkürzt war durch des Mönches Scheer'):
In einen Knoten hinten kann sie's fassen,
Wenn's auch noch nicht so lang ist wie vorher.
»Auf Bradamant nur kann dies alles passen,
's ist klar«, sagt sich der Herr des Schlosses, der
Sie früher sah, und eifrig ist sein Streben,
Ihr darzutun, wie sehr er ihr ergeben.
82.
Als alle drauf sich froh ans Feuer setzen,
Erlabt ein heiteres Gespräch das Ohr;
Um später auch den ganzen Leib zu letzen,
Bereitet man noch sonst'ge Speise vor.
Das Fräulein fragt, seit wann man mit Gesetzen
Wohl diese Form der Herberg' sich erkor;
Wie alles kam, wer die Verordnung wählte,
Worauf der Ritter folgendes erzählte.
83.
Als Faramund regierte, da vertraute
Clodion, der Königssohn, sich einer Maid:
So schön und fein und lieblich war die Traute,
Wie sonst ein Mädchen nur der alten Zeit.
Die liebt' er inniglich, und nimmer schaute
Er von ihr weg (wie, wachsam und bereit,
Bei Io stets ihr Schäfer war geblieben):
Denn seine Eifersucht glich seinem Lieben.
[49] 84.
Hier barg er sie (von Faramund dem Alten
Hatt' er den Platz), nur selten ging er fort.
Und noch zehn Ritter, die für trefflich galten,
Von Frankreichs besten, wachten mit ihm dort;
Da sah man vor dem Schloß Herrn Tristan halten
Mit einer Dame, die an wald'gem Ort
Der Held in eines Riesen Hand gefunden
Und rasch befreit, gerad vor wenig Stunden.
85.
Tristan erscheint, als Phöbus dem Gestade
Sevillas schon den Rücken hat gewandt,
Und sagt, daß er sich drin zu Gaste lade,
Denn auf zehn Meilen sei kein Haus im Land.
Doch Clodion, sehr verliebt, indes gerade
So eifersüchtig, weigert's kurzerhand:
Kein fremder Mann – und sei er, wer er wolle,
Solang die Dame drin, dort weilen solle.
86.
Auch lange, wiederholte Bitten gingen
Umsonst vorüber; sprach der Rittersmann:
»Wohlan, so werd' ich, dir zum Trotz, erringen,
Was ich mit Höflichkeit nicht finden kann!«
Und Clodions und der zehn Genossen Klingen
Kündet er Trutz mit stolzem Streitruf an
Und will dem Schloßherrn, in der Hand das Eisen,
Wie grob und niedrig jener sei, beweisen;
87.
So zwar: wenn der mit seinem ganzen Trosse
Den Sattel räum', er aufrecht bleib' allein,
Werd' er allein herbergen in dem Schlosse
Und ausgesperrt der Burg Bewohner sein.
Nicht diese Schmach zu dulden, steigt zu Rosse
Der Prinz und sprengt fast in den Tod hinein:
Er stürzt, getroffen, mit den andern allen:
Tristan sperrt aus vom Schlosse, die gefallen.
[50] 88.
Drin in der Feste hat er sie gefunden,
Die in des Prinzen Herz gesenkt den Pfeil
(Durch Frau Natur – sonst karg zu allen Stunden –
Ward auserlesne Schönheit ihr zuteil);
Er spricht mit ihr; in bittrer Qual gewunden
Hat sich der Prinz vor seinem Tor derweil:
Er zaudert nicht, den Ritter anzuflehen,
Er mög' ihm doch sein Liebchen zugestehen.
89.
Schlägt auch um Tristan keine Glut zusammen
(Er kann für niemand glühen als Isold,
Der Zaubertrank bestimmte, daß er Flammen
Niemals für eine andre fühlen sollt'),
Möcht' er zur Strafe Clodion doch verdammen;
Weil er so große Härte zeigen wollt',
Und spricht: »Mir schien's, ich täte böse Dinge,
Wenn solche Schönheit aus dem Schlosse ginge;
90.
Und will sich Clodion nicht damit begnügen,
Im Frein zu schlafen, der Gesellschaft fern,
Mag eine Kleine sich zu ihm verfügen,
Die ich gebracht, ist's auch kein großer Stern.
Sie kommt zu ihm, so glaub' ich, mit Vergnügen,
Erfüllt auch alle seine Wünsche gern.
Jedoch die Schönste darf allein sich geben
Ihm, der die größte Kraft uns ließ erleben.«
91.
Der ausgesperrte Clodion, sehr verdrossen,
Ging schnaubend auf und ab die ganze Nacht,
Als hielt' er über sie, die, eingeschlossen,
In allem Frieden schliefen, dort die Wacht.
Weit mehr als Regenfluten, die da gossen,
Hatt' ihm der Raub des Liebchens Schmerz gebracht.
Tristan, dem er nun leid tat, gab am Morgen
Sie ihm zurück und stillte seine Sorgen;
[51] 92.
Er führe sie, so sagt' er, ihm entgegen
– Und er bewies es –, wie sie war vorher;
Wenn jener auch der groben Haltung wegen
Fürwahr jedweder Schande würdig wär',
Soll es genug sein, daß in Kält' und Regen
Er eine Nacht hindurch litt viel Beschwer,
Wobei er nimmer die Erklärung dulde,
Daß große Liebe jenen Fehl verschulde;
93.
Denn edlen Sinn soll Lieb' ins Herz uns senden
Und nicht in edle Herzen niedern Hang.
Als er nun Tristan sah sich weiter wenden,
Blieb Clodion auch im Schlosse nicht mehr lang.
Er gab es einem Rittersmann zu Händen,
Der sich besondre Huld von ihm errang,
Bestimmend, daß er, und wer nach ihm käme,
Für Gäste diesen Brauch als Richtschnur nähme:
94.
Der Herr, der stärker hat sein Schwert geschwungen,
Die schönre Dame findet Wohnung dort;
Den Platz räumt, wer im Kampfe ward bezwungen,
Schläft draußen oder sucht sich andern Ort.
Ihr seht, der Brauch hat Geltung sich errungen
Und dauert bis zum heut'gen Tage fort.
Als er, des Brauchs Entstehung nachzuweisen,
Gesprochen, bringt der Truchseß grad die Speisen.
95.
Die Tafel stand in großen Saales Weiten:
Kein schönrer wär' in aller Welt zu schaun.
Nun kommen sie, mit Fackeln zu geleiten
Zum Mahl herein die beiden schönen Fraun.
Das Fräulein läßt umher die Augen gleiten,
Und auch die Dame tut's aus Islands Aun.
Man sieht, erhabne Malereien decken
Ringsum die Wände, die sich endlos strecken.
[52] 96.
Die Gäste schaun auf herrliche Gestalten,
Und an das Essen denken sie noch nicht,
Obwohl der Leib, in Atem stets gehalten,
Es brauchen kann, weil Frische ihm gebricht.
Schon klagten Koch und Truchseß, und sie schalten,
Kalt würden ja die Speisen; einer spricht:
»Bedünken will mich, es wird besser taugen,
Ihr weidet erst den Magen, dann die Augen!«
97.
Sie setzten sich und dachten zuzugreifen:
Da fand der Wirt mit einemmal heraus,
Zwei Frauen dürfe nicht das Schloß begreifen
Als Gäste, und die eine müss' hinaus,
Wo Regen klatsche und die Winde pfeifen:
Die Schönre nur von ihnen bleib' im Haus.
Denn weil die zwei nicht miteinander kamen,
So müsse eine weichen von den Damen.
98.
Er ruft zwei Greise, ruft auch ein paar Frauen,
Geschickt zu solchem Urteil, drauf herbei
Und heißt sie, wohl die Damen anzuschauen
Und zu entscheiden über jene zwei.
Zuletzt – einstimmig – sagen diese Grauen,
Daß Ritter Haimons Kind die Schönre sei
Und ihre Schönheit just so überwiege,
Wie sie an Wert die Krieger all besiege.
99.
Zu der von Island, die schon voller Bangen
All dem entgegensah, der Schloßherr spricht:
»Sind wir nach Brauch, o Dame, vorgegangen,
So findet Euch darein und scheltet nicht!
Sucht nun ein ander Obdach zu erlangen,
Weil's klar ist, daß ein schöner Angesicht
Und größre Wohlgestalt hier dieser eigen,
Beliebt ihr auch, sich ohne Schmuck zu zeigen.«
[53] 100.
Wie plötzlich sich empor zum Himmel heben
Die dunklen Wolken aus dem feuchten Tal,
Daß sie mit finstrem Schleier ihn umgeben,
Verhüllend ganz der Sonne hellen Strahl,
Sah man die Dame – schön und fröhlich eben –
Bei diesem harten Spruch mit einemmal
Verwiesen in die Nacht, von andrem Wesen
Und nicht mehr lieb und hold, wie sie gewesen.
101.
Man sah sie bleich, die Züge ganz verzogen,
Denn dieses Urteil stand ihr wenig an.
Doch Bradamant, von Mitgefühl bewogen,
Wehrt ihr hinauszugehn, und sprach sodann;
»Mir scheint ein Urteilsspruch nicht wohl erwogen,
Auch, daß man nichts gerecht entscheiden kann,
Vergönnt man der Partei nicht, daß sie Gründe
Und, was sie zugibt, was bestreitet, künde.
102.
Den Fall verteidigend, sag' ich: Zu fragen
Hilft nicht, wer schöner sei: ich kam herein
Nicht als ein Weib, und will, daß mein Betragen –
Und Tun hier keinem frauenhaft erschein'.
Ob ich wie diese bin, wer will es sagen,
So lang ich hier mag voll bekleidet sein?
Was man nicht weiß, das soll man auch vermeiden
Zu sagen; gar, wenn andre drunter leiden.
103.
Langlockig sieht man viele noch im Leben
Und nennt sie doch nicht Frauen um das Haar.
Ob ich als Ritter Anspruch kann erheben
Auf Obdach, ob als Frau, das ist wohl klar.
Was wollt Ihr mir den Weibesnamen geben,
Wenn all mein Handeln hier doch männlich war?
Nach Eurem Brauch soll Weib dem Weibe weichen,
Nicht überwunden sein mit Schwertesstreichen.
[54] 104.
Und wär' ich Weib, so wie ich Euch erscheine
(Ich geb's nicht zu, doch nehmen wir es an!),
Und vor der Schönheit dieser müßte meine
Zurückstehn, würdet Ihr den Lohn sodann
Für meinen Sieg mir nehmen? – Nein, ich meine:
Reicht' ich auch nicht an ihren Reiz heran,
Nicht recht wär's, daß mir Schönheit wieder raube,
Was ich durch Waffentat errungen glaube!
105.
Und müßt' es auch nach Euerm Brauch geschehen,
Und sollt' ich, minder schön, aus diesem Haus,
Würd' ich für mich doch nicht vom Platze gehen,
Lief es nun günstig oder übel aus.
Wie ungleich unser Streit ist, müßt Ihr sehen,
Und Unrecht käm' auf jeden Fall heraus:
Denn immer ginge die verkürzt von hinnen –
Sie könnte nur verlieren, nie gewinnen.
106.
Wo nicht für beide Teile gleich zu nennen
Gewinn ist und Verlust, steht's ungerecht.
Drum sollt Ihr diese jetzt von uns nicht trennen,
Durch Gunstbeweis, und auch nach strengem Recht.
Doch wer die Kühnheit hätte, zu bekennen,
Nicht gut sei dies mein Urteil, sondern schlecht,
Dem will ich nach Belieben mit dem Eisen,
Daß irrig seine Meinung ist, beweisen.«
107.
Voll Mitleid, daß man also vor die Pforte
Das edle Fräulein wies zu nächt'ger Stund',
In Regenguß und wo an keinem Orte
Ein Obdach, sei es eine Hütte, stund,
Drang in den Burgherrn ein mit klugem Worte
Das Haimonskind, und mancher gute Grund,
Zumeist jedoch die letzte Wendung, machte,
Daß sie auf ihre Seit' ihn schließlich brachte.
[55] 108.
So wie das Blümlein, wenn der Gluten Weben
Es schmachten ließ im schlimmsten Sonnenbrand,
Schon fühlte, daß der Saft entschwand soeben,
In dem noch seine letzte Kraft bestand,
Und dann durch Regen neu erwacht zum Leben –
Schön und der Freude wieder zugewandt,
Stand die Gesandte, da ihr so zum Heile
Ward glänzende Verteidigung zuteile.
109.
Das Mahl, das unberührt so lang gestanden,
Genoß man jetzt in froher Sicherheit,
Und da sich nächt'ge Gäste nicht mehr fanden;
Vermied man jede neue Schwierigkeit.
Nur Haimons Kind lag in des Kummers Banden:
Schmerz nagt' an ihr gar sehr die ganze Zeit,
Derweil Verdacht, den sie zu allem mitnahm
Im tiefsten Herzen, ihr den Appetit nahm.
110.
Auf stand nach Schluß der Tafel Bradamante.
Noch länger hätte wohl gewährt das Mahl,
Doch Augenweide lockte: die Gesandte
Stand gleichfalls auf und blickte nach dem Saal.
Sieh da, auf einen Wink des Schloßherrn brannte
Wächserner Kerzen eine große Zahl:
Ein Lichtglanz, daß jed Eckchen hell zu sehn ist. –
Der nächste Sang erzählt, was dann geschehn ist.

[56] Dreiunddreissigster Gesang

1.
Timagoras und Polygnot die Meister,
Protogenes, Apollodor, Timant,
Der allergrößte auch – Apelles heißt er –,
Parrhasius, Zeuxis und die sonst genannt
Aus alter Zeit uns sind als hohe Geister
(Ob auch durch Klotho Leib und Werk verschwand)
Und die, so lang man lesen wird und schreiben,
Dank den Autoren, werden leben bleiben;
2.
Und sie, die jetzt sind oder jüngst noch waren,
Mantegna, Lionardo, Gian Bellin,
Zwei Dossi, Michael (gleichwohl erfahren
Mit Meißel, Pinsel –, Engel nennt man ihn),
Raffael, Bastian, Tizian (sie bewahren
Cadore Ruhm, Venedig und Urbin),
Die uns mit Augen Werke sehen lassen,
Die dort wir aus Beschreibung nur erfassen;
3.
Sie, die wir schon seit tausend Jahren schätzen. –
Sie, die noch schaffen mit der Künstlerhand,
Nur mit geschehnen Dingen uns ergetzen,
Sei's nun auf Brettern, sei es auf der Wand.
Doch die das Künftige vor Augen setzen,
Hat Altertum, hat Neuzeit nie gekannt.
Und dennoch gab's Geschichten einst zu sehen,
Gemalt bereits, als sie noch ungeschehen.
[57] 4.
Doch rühmen kann sich, das vollbracht zu haben,
Kein ird'scher Maler – weder neu noch alt –:
Geknüpft ist diese Kunst an Zaubergaben,
Die Teufelsgeister halten in Gewalt.
Dem Saal, in den wir uns zuletzt begaben,
Lieh einst Merlin in einer Nacht Gestalt
Durch jenes Buch, in des Avernus Gründen
Geweiht, wenn nicht in Nursias grausen Schlünden.
5.
Verloren ist für unsre Zeit gegangen
Die Kunst, an der die Ahnen sich gefreut.
Doch nun zurück, wo schon zu sehn verlangen
Die Gäste Bild um Bild, das dort sich beut.
Ich sagt', es war des Burgherrn Wink ergangen,
Die Kerzen anzuzünden, und zerstreut
Von ihrem Glanz entwich mit einem Male
Die Nacht; nicht heller wär's beim Sonnenstrahle.
6.
Der Hausherr sprach: »Es sind noch ungeschlagen
Der Schlachten viele, die der Saal hier weist;
Man kennt erst wenige in unsern Tagen:
Was dort gemalt, ist ungeschehn zumeist.
Der Maler sah Triumph und Niederlagen
Aus einer spätern Zeit voraus im Geist:
Wann wir uns Sieger, wann Besiegte nennen
Dereinst, ist hier im Bilde zu erkennen.
7.
Jeden der Frankenkriege – mag er enden
Gut oder schlecht – jenseit vom Bergrevier,
Auf tausend Jahr hinaus, hat an den Wänden
Des Saals gezeigt Merlin der Weise hier:
Er ließ von Artus sich an jenen senden,
Der Herrscher ward als Sohn von Markomir.
Warum die Sendung und das Werk geschehen
Dort an den Mauern ist, sollt ihr nun sehen.
[58] 8.
Als Faramund zuerst mit seinen Scharen
Hinüber ging nach Gallien übern Rhein,
Kam's ihm zu Sinn, in unser Land zu fahren,
Ob es von ihm zu zügeln möchte sein.
Denn immer schwächer ließ sich dort gewahren
Die Römermacht: sie sank jahraus, jahrein.
Vereint mit Artus dacht' er hier zu streiten.
Denn beide lebten zu denselben Zeiten: –
9.
Artus, der keinem Plan sich angeschlossen,
Ohn' anzufragen beim Prophet Merlin
(Merlin, dem, als vom Höllenfürst entsprossen,
Blick in die ferne Zukunft war verliehn).
Durch ihn erfuhr er nun, und dem Genossen
Tat er es kund, welch großes Unheil ihn
Samt seinem Volke würd' im Land ereilen,
Das Alp und Meer schließt, Apenninen teilen.
10.
Die Heere (also ließ Merlin ihn sehen)
Der Frankenherrscher aller spätern Zeit,
Sie würden durch das Schwert zugrundegehen
Oder durch Hunger, Pest dem Tod geweiht;
Kurz würden jubeln, lange trauernd stehen
Die Könige, nach kleinem Vorteil Leid
Und Schaden heimwärts tragen; niemals werde
Die Lilie wurzeln in Italiens Erde;
11.
Der Eindruck, den auf Faramund dies machte,
Gab eine andre Richtung seinem Heer.
Merlin sah deutlich, was die Zukunft brachte,
Als ob das alles schon geschehen wär',
Und stellte für den König – wie man dachte,
Durch Zauber – alle die Gemälde her,
Daß künft'ge Tat, als wäre sie gewesen,
Der Franken sei zu schauen und zu lesen,
[59] 12.
Damit ein spätrer Herrscher wohl begreife,
Ihm winke reiche Ehr' im Siegeslauf,
Wenn für Italien er das Schwert ergreife,
Abwehrend wütenden Barbarenhauf;
Doch wenn er, es zu schäd'gen, südwärts streife
Und es beherrschen woll' und knechten drauf,
So wiss' er, eines sei für ihn zu hoffen
Hinterm Gebirg: – ein Grab bereit und offen.«
13.
Er spricht's und führt zur Wand die beiden Frauen,
Wo da beginnt die Reihe: »Sigibert
Ist, nach dem Schatze lüstern, dort zu schauen,
Den ihm das Wort Mauritius hat gewährt;
Seht, wie vom Jovisberg nach ebnen Auen
Des Lambro und Ticin er niederfährt!
Seht Autari, der ihn nicht nur verdrängt hat,
Nein, in die Flucht geschlagen und zersprengt hat!
14.
Den Alpenpaß hinab mit Chlodwig ziehen
Dem Tal entgegen hunderttausend Mann;
Dem Herzog Benevents ist Mut verliehen:
Er greift ihn mit geringer Anzahl an,
Kehrt sich darauf, dem Anschein nach, zum Fliehen,
Und lauernd liegt er: als der Franke dann
Schmachvoll dem welschen Weine nachgegangen,
Dem Fisch am Köder gleich, wird er gefangen.
15.
Seht, Feldherrn hat mit Heeresungetümen
Der Franke Childibert uns hergesandt:
Doch kann er sich nicht mehr als Chlodwig rühmen,
Er hab' erbeutet oder überrannt.
Das Schwert des Himmels trifft den Ungestümen:
Der Seinen Leichen füllen rings das Land,
Weil Sommers Glut und Ruhr vereint sie fällen:
Kaum einer kehrt zurück von zehn Gesellen.«
[60] 16.
Karl zeigt er ihnen nebst Pipin dem Kleinen,
Die nacheinander unserm Lande nahn,
Und beiden will des Glückes Sonne scheinen,
Denn keiner kommt mit einem bösen Plan:
Der Hirte Stephan wird beschirmt vom einen,
Leo vom andern gleichwie Hadrian.
Aistulf zähmt der, den Sohn wirft jener nieder
Und gibt dem Papst die alten Ehren wieder.
17.
Pipin den Jüngern läßt er dann sie sehen:
Wie seine Scharen dicht gedrängt im Feld
Vom Po zum Palästiner Strande stehen;
Er hat mit langer Müh' und vielem Geld,
Daß man bis zum Rialto möge gehen,
Bei Malamokk die Brücke hergestellt.
Dann flieht er; tot im Meer läßt er zurücke
Sein Heer, denn Wind und Flut zerbrach die Brücke.
18.
»Seht, Ludwig von Burgund kommt guter Dinge:
Er wird besiegt und festgenommen dort
Und tut den Schwur, nie wieder feindlich dringe
Er in des Überwinders Land hinfort,
Und fällt aufs neu doch – seht nur! – in die Schlinge,
Er hat gebrochen sein gegebnes Wort.
Zur Strafe wird er, seht ihr, dort geblendet
Und hier als blinder Maulwurf heimgesendet!
19.
Hugo von Arles, den kühnen, seht verjagen
Die Berengare aus Italien jetzt!
Zwei-, dreimal hat er jene schon geschlagen,
Die Hunn' und Bayer haben eingesetzt.
Allein zum Schluß muß er sich doch vertragen;
Ein kurzer Lebensrest bleibt ihm zuletzt.
Der Sohn ist sich zu halten nicht imstande,
An Berengar nun fallen alle Lande.
[61] 20.
Damit des guten Hirten Augen lachten,
Entflammt ein andrer Karl hier neue Glut:
Zwei Kön'ge bringt er um und schlägt zwei Schlachten,
Manfred und Konradin, das junge Blut.
Als seine Mannen Sitt' und Recht verachten
Und er die Herrschaft führt mit Frevelmut,
Wird, was vorhanden ist von seinen Leuten,
Seht, in der Stadt erwürgt beim Vesperläuten!«
21.
Dann zeigt er, wie nach vielen, vielen Jahren
(Doch Jahre nicht, Jahrzehnte sind's vielmehr)
Ein Gallierfeldherr kommt vom Berg gefahren:
»Den mächtigen Visconti dräut er sehr.
Zu Fuß, zu Rosse lagern seine Scharen
Um Alessandria im Kreis umher.
Des Herzogs Truppen aber sieht man drinnen,
Ihn selbst im Hinterhalt auf Listen sinnen.
22.
Die armen Franken fallen in die Schlingen
Da, wo man sie mit Kunst hat ausgespannt.
Auch Armagnac der Graf, mit dem sie gingen
Im Unglückszug – ist in den Tod gerannt.
Zur Stadt hinein läßt man Gefangne bringen,
Als Leichen deckt die größte Zahl das Land.
Von Blut mehr als von Wasser angeschwollen,
Zum Po hin des Tanarus Wogen rollen.«
23.
Ein de la Marche, dazu drei Angeviner
Erscheinen nach einander; jener sagt:
»Die Bruttier, Daunier, Marsen, Salentiner,
Die werden arg von diesen, seht, geplagt.
Der Franke hilft umsonst und der Latiner:
Kein einz'ger bleibt, sie werden all verjagt.
So oft sie kommen, müssen sie von hinnen,
Um Alfons, dann Ferrante zu entrinnen.
[62] 24.
Seht Karl den Achten dort herniedersteigen
Von Alpenhöhn, mit ihm, was kühn und wert:
Vom Liris an nennt er das Reich sein eigen,
Senkt nicht einmal den Speer und braucht kein Schwert.
Die eine Klippe nur will nicht sich neigen,
Die des Typhöus Leib und Arm beschwert.
Dort stellt sich ihm aus Avalos Geschlechte
Graf Inigo del Vasto zum Gefechte.«
25.
Der Herr des Schlosses, der mit dem Berichte
Der Bilder Deutung gab für Bradamant,
Ließ Ischia sehn: »Mein Führeramt verrichte
Ich gleich noch weiter,« sprach er, »an der Wand;
Vernehmt indes zuvor noch die Geschichte,
Die mir durch meinen Urahn ward bekannt:
Von seinem Vater hab' er überkommen,
Sagt er, was ich als Kind von ihm vernommen,
26.
Und der von einem andern seiner Sippe,
Ahn oder Vater; also bis auf den,
Der's hörte von des Mannes eigner Lippe,
Der Bilder ohne Pinsel ließ entstehn,
Weiß, blau und rot: das Schloß dort auf der Klippe
Gab einst Merlin dem Könige zu sehn
Und sprach (der Ahn vernahm's) von künft'gen Tagen,
Was ich in dieser Stunde euch will sagen:
27.
Am Ort, den dort der Held sich hat erkoren,
Und den er schirmt mit so verwegnem Mut –:
Das Feuer hat den Graus für ihn verloren,
So scheint's, das bis zum Leuchtturm loht in Wut –,
Da werd' einmal ein Rittersmann geboren
(Das Jahr, und auch den Tag gar, wußt' er gut),
Der allen, die gewesen auf der Erde,
Als überlegen sich beweisen werde.
[63] 28.
Nireus, Achill so schön und stark nicht waren,
So mutig kein Ulysses sich erweist,
So schnell nicht Ladas, nicht so klug, erfahren
Nestor, der viel gesehn hat, wie es heißt.
Großmüt'ger ist er, als von Romas Scharen
Der Fama Mund den edlen Cäsar preist;
Sie alle werden gegen diesen einen,
Den Ischia bringt, an Ruhme leicht erscheinen.
29.
Als einst der Sproß des Himmels ward gegeben
Dem alten Kreta, hob es stolz die Braun:
Bacchus und Herkules erfreuten Theben,
Das Zwillingspaar der Insel Delos Aun;
So mag der Jubel himmelhoch sich heben
Auf diesem Eiland, wenn die Sonne schaun
Der große Markgraf wird, es zu beglücken,
Den Himmels Huld und alle Gaben schmücken.
30.
Merlin sagt öfter noch, er werd' erscheinen
In schwerster Zeit, vom Schicksal aufgespart,
Da man das Reich verloren könnte meinen:
Es wird vor Knechtschaft nur durch ihn bewahrt.
Doch nehm' ich nichts voraus, weil ihr von seinen
Großtaten auf den Bildern mehr gewahrt.«
Er sprach's und wandte sich, wo Karl des Achten
Berühmte Taten die Gemälde brachten.
31.
»Hier reut«, so sprach er, »Ludwig sein Betragen,
Und daß er Karl rief in das Land herein
(Den Nebenbuhler wollt' er nicht verjagen,
Nein, nur dem alten Gegner lästig sein);
Er hat sich zu den Feinden jetzt geschlagen,
Verlegt den Weg, mit diesen im Verein.
Den Speer gesenkt, kommt Karl mit wehnden Fahnen
Und bricht sich, ihnen trotzend, freie Bahnen.
[64] 32.
Dem Heer, das er zurückläßt in den Landen,
Ist solch ein günstig Los nicht zugedacht;
Denn Ferdinand, durch Mantuaner Banden
Verstärkt, erwächst sehr bald zu großer Macht:
Kein Frank ist mehr zu Land und See vorhanden;
Sie wurden miteinander umgebracht.
Durch einen dann, der durch Verrat gestorben,
Ist ihm die ganze Freud' am Sieg verdorben.«
33.
Zum Bild des Alfons von Pescara gingen
Sie weiter, und er sprach: »Seht diesen Mann,
Der herrlich sich bewährt in tausend Dingen
(An seinen Glanz reicht kein Pyrop heran),
Gefallen in verruchten Negers Schlingen,
Der einen doppelten Verrat ersann:
Seht dort den Pfeil ein blutig End' bereiten
Dem besten Rittersmann aus jenen Zeiten!
34.
Der zwölfte Ludwig« – läßt er drauf sie wissen –,
»Umringt von Welschen, steigt zu Tal jetzund:
Er hat den Maulbeerbaum herausgerissen
Und pflanzt die Lilie in Viscontigrund.
Den Spuren Karls zu folgen ist beflissen
Sein Volk (am Liris eine Brück' entstund):
Bezwungen seht ihr's dann zu Boden sinken,
Zerstreut, getötet, und im Fluß ertrinken.
35.
Nicht besser ist's dem Frankenheer ergangen
Dort in Apulien, schon zur Flucht gewandt;
Zweimal, wie in der Falle, wird's gefangen
Vom Spanier, Herrn Gonsalvo Ferdinand.
Wenn mürrisch hier, wird Ludwig hold empfangen
Von Frau Fortuna in dem reichen Land,
Das zwischen Alp und Apennin gerade
Der Po teilt bis zum Adriagestade.«
[65] 36.
Er schilt sich selbst, als er gesprochen eben,
Weil er zuvor noch andres melden sollt',
Und einen zeigt er, der den Herrn – gegeben
Ward ihm ein Schloß von dem – verrät um Gold;
Den falschen Schweizer auch, der gar das Leben
Des Herrn verkauft, der Brot ihm gab und Sold:
Zwei Frevel haben Ludwig Sieg verliehen;
Er braucht nun nicht einmal das Schwert zu ziehen.
37.
Er zeigt den Cäsar Borgia, der, getragen
Von dieses Königs Gunst, rasch wächst herauf:
Von dem vertrieben werden und geschlagen
Die Rom ergebnen edlen Herrn in Hauf;
Zeigt Ludwig; aus Bologna läßt er jagen
Die Säge, und die Eichen pflanzt er auf:
Er schlägt in Flucht und bändigt Genuesen,
Weil sie Empörer gegen ihn gewesen.
38.
»Seht,« spricht er dann, »das Kriegsvolk, das gefallen,
Bedeckt das Feld von Ghiaradadda dicht.
Geöffnet wird das Tor dem Herrn von allen,
Und lange, scheint's, hält sich Venedig nicht.
Hier läßt er sich's vom Papste nicht gefallen,
Daß er durch der Romagna Grenzen bricht,
Ferraras Modena sodann entwendet
Und weiter raubt; man weiß nicht, wo er endet.
39.
Er läßt dafür Bologna sich entwinden;
Die Bentivoglio ziehen wieder ein.
Zum zweitenmal sind Franken hier zu finden
In Brescia, das sie schlimmer Plündrung weihn,
Dort in Felsina, das sie sich verbinden!
Hier sprengen sie des Kirchenheeres Reihn.
Von beiden Seiten in die Niederungen
Von Chiassi sind die Heere eingedrungen.
[66] 40.
Seht hier die Franken, dort die Spanier schreiten!
Entbrannt ist heißer Kampf in weiter Rund'.
Der Krieger fallen viel auf beiden Seiten,
Und purpurrot ist rings umher der Grund.
Blut fließt in allen Gräben, wo sie streiten:
Mars zaudert mit der Palme lang; jetzund
Hilft ein Alfons dem Frankenheer zum Bleiben
Und weiß die Spanierscharen zu vertreiben.
41.
Ravenna wird der Plündrung preisgegeben;
Seht, wie der Papst die Lippe sich zernagt
Vor Schmerz! Durch ihn naht rasch wie Sturmesweben
Die deutsche Wut: der Franke, den sie plagt,
Wird, ohne nur den Kopf emporzuheben,
Über die Alpen hin zurückgejagt.
Sie pflanzt ein Reis des Maulbeerbaumes wieder
Und wirft im Beet die goldnen Lilien nieder.
42.
Der Franke kommt aufs neu: seht ihn geschlagen
Hier von den Ungetreun, der Schweizerschar,
Die sich dem Sohn als Helfer angetragen,
Ob auch von ihr verkauft sein Vater war.
Die unterm Rade der Fortuna lagen,
Sie stellen mit dem neuen Herrn sich dar,
Der dort auf Rache sinnt in ihrer Mitten
Für Schmach, die bei Novara er erlitten.
43.
Mit besserm Glücke steigen sie hernieder:
Seht Franz, den König, an der Spitze hier!
Vernichtend dringt er in der Schweizer Glieder
Und bricht die stolzen Hörner ihrem Stier.
Nun schmückt sie jener Titel nimmer wieder,
Den sich die Bauern angemaßt als Zier:
Sie möchten gern der Kirche Schützer heißen
Und Fürstenbänd'ger, die den Herrn zerreißen.
[67] 44.
Mailand wird trotz der Liga, seht, bezwungen,
Und Franz verträgt sich mit des Sforza Sohn.
Hier ist der Bourbon in die Stadt gedrungen
Zum Schutz, da wilde Deutsche sie bedrohn.
Doch als dem König andres nützt, dem jungen,
Und er von seiner Leute Wut und Hohn,
Vom Übermut gar wenig scheint zu wissen,
Der drinnen herrscht, wird ihm die Stadt entrissen.
45.
Ein andrer Franz (er gleicht an Wert dem Ahnen,
Nicht mit dem Namen bloß, den jener trug)
Verdrängt den Gallier aus der Heimat Bahnen,
Die ihm die Kirche wiedergab mit Fug.
Aufs neue wehn heran des Franken Fahnen,
Doch diesmal zieht er nicht durchs Land im Flug.
Denn am Ticin stellt ihm sich in die Quere
Der Herr von Mantua mit seinem Heere.
46.
Ist Friedrich wert (noch stört ihm auf den Wangen
Kein leichter Flaum den jugendlichen Flor),
Durch Lanz und Schwert in ew'gem Ruhm zu prangen,
Ragt seine Weisheit höher noch empor:
Pavia zeigts, des Franken Wut entgangen,
Und daß der Meerleu seinen Raub verlor.
Seht zwei Marchesen, beide unserm Heere
Ein Schrecken, und zugleich Italiens Ehre.
47.
Aus einem Nest, aus einem Blut entsprossen:
Der dort Alfonsos von Pescara Sohn,
Des Blut durch jenen Neger einst geflossen,
Die Steine rötend jener Bastion.
Bedrängt durch seinen klugen Plan, verdrossen,
Räumte der Gallier oft Italien schon.
Der andre, dessen Augen gütig schauen
Und treulich, heißt Alfons, aus Vastos Auen.
[68] 48.
Der gute Ritter ist's, von dem ich eben
Gesagt, als ich vorm Eiland Ischia stund:
Merlin begann ihn eifrig zu erheben,
Da er die Zukunft wies dem Faramund:
Der Himmel werd' ihn an Italia geben,
Daß Kirche, Land und Reich in trübster Stund',
Die ihnen je beschieden hier auf Erden,
Gerettet vor Barbarenhorden werden.
49.
Er macht (der Vetter und Colonna schenken
Ihm Rat und Hilfe, wahrlich nicht gering),
Daß dort die Schweizer und die Franken denken,
Bicocca sei fürwahr ein teures Ding.
Seht Frankreich hier in neue Bahnen lenken,
Zurückzuholen, was verloren ging!
Seht Franz bei den Lombarden hier erscheinen!
Auch Napel zu erobern schickt er einen.
50.
Doch die dem Wind gleicht, der emporzujagen
Ein Weilchen pflegt den Staub im Sturmeswehn,
Um ihn zum Himmel hoch hinauf zu tragen
Und wieder läßt hinab zur Erde gehn,
Gibt ihm den Wahn ein, daß, den Feind zu schlagen,
Dort bei Pavia hunderttausend stehn:
Er sieht, wieviel ihm durch die Hände laufen,
Doch nicht, ob abnimmt oder wächst der Haufen.
51.
So durch des Königs Güte und Vertrauen,
Und weil die Diener gierig oder blind,
Läßt nur ein Teil sich bei den Fahnen schauen,
Als in der Nacht der Waffenlärm beginnt:
Die klugen Spanier, die wohl ohne Grauen
Bereit zum Sturm auf Höll' und Himmel sind,
Wenn zwei vom Haus Avalos nur sie leiten,
Dringen ins Lager ein von allen Seiten.
[69] 52.
Seht hingestreckt von Frankreichs Edlen allen
Die besten, der Vasallen Glanz und Wert!
Wie dicht sich Feindeshaufen um ihn ballen,
Seht, wie der König unverzagt sich wehrt!
Er wankt nicht, gibt sich nicht, als schon gefallen
Ist unter ihm – seht dort – sein gutes Pferd;
Mag gleich auf ihn nur zielen, ihn umringen
Die Überzahl, und niemand Hilfe bringen.
53.
Zu Fuße kämpft der tapfre König weiter,
Badet im Blut der Feinde immerfort;
Doch Mut erliegt zu großer Zahl der Streiter:
Seht ihn gefangen hier, in Spanien dort!
Pescara und del Vasto, sein Begleiter,
Der treue, seht, wie sie sogleich am Ort
Den allerersten Ruhmeskranz erringen,
Weil sie Herrn Franz besiegten und ihn fingen.
54.
Das andre Heer bleibt nun am Wege hangen,
Daß es nicht Napel mehr Bedrängnis schafft;
Der Lampe gleich, wenn ihr das Wachs zergangen
Oder das Öl auch ward dahingerafft.
Seht, wie der König, Freiheit zu erlangen,
Die Söhne läßt in der Iberier Haft!
Er sucht Italien heim, doch ihm bereiten
Feinde das gleiche Los zu selben Zeiten.
55.
Seht, wie sie unsrer Roma Jammer bringen
Allüberall mit Mord und Räuberein!
An heil'gen frevelnd und an Menschendingen,
Durch Brand und Schändung alles rings entweihn!
Zum Heer der Liga Klag' und Wehruf dringen;
Von draußen sehen sie die Wüstenein
Und lassen, statt sich vorwärts zu bewegen,
Den Erben Petri dort in Fessel legen.
[70] 56.
Lautrec erscheint mit neuen Kämpferreihen;
Nicht mit Lombarden will er neuen Streit,
Nein, aus der feigen Frevlerhand befreien
Das Haupt – und Glieder auch – der Christenheit.
Doch säumt er also lang, daß schon im Freien
Der Heil'ge Vater ist, den Nöten weit.
Er zieht zu der Sirene Grab von dannen,
Und rings das Land verheeren seine Mannen.
57.
Des Kaisers Flotte seht in Wogenmitten!
Sie denkt den eingeschloßnen beizustehn:
Von Doria wird der Weg ihr abgeschnitten;
Sie muß, verbrannt, zerstückt, zur Tiefe gehn.
Doch launisch sein liegt in des Glückes Sitten:
Bis jetzt hat Frankreich seine Gunst gesehn;
Nun bringt es Tod mit Fiebern, nicht mit Speeren;
Heim kann von tausend noch nicht einer kehren.«
58.
Diese Gemälde, andre noch in Massen
(Nicht alle nenn' ich Euch) enthielt der Saal,
Der groß genug war, um sie wohl zu fassen,
In Farben schön und ausgesucht nach Wahl.
Den Frauen ward es schwer, die Pracht zu lassen:
Sie kehrten zweimal um, zum drittenmal,
Und lasen öfter, was – in Gold getrieben –
Unter dem schönen Werke stand geschrieben.
59.
Die Fraun und wer sich noch im Saal befunden
(Man geht umher und schaut und plaudert jetzt)
Geleitet dann der Wirt, der alle Stunden
Der Gäste Ehrung sich zum Ziel gesetzt.
Nachdem die andern schon vom Schlaf gebunden,
Legt Bradamant sich auch zur Ruh' zuletzt,
Kehrt sich zur Rechten bald und bald zur Linken,
Doch Schlummer kann nicht auf die Lider sinken.
[71] 60.
Das Frührot will ihr endlich ihn bescheren;
Da ist's, als stelle Roger ihr sich dar.
Er sagt zu ihr: »Wie kannst du dich verzehren
Und etwas glauben, das doch gar nicht wahr?
Bergaufwärts eher wird der Fluß sich kehren,
Als daß nicht dein mein Herz sei immerdar!
Wär' mir die Liebe nicht zu dir geblieben,
Könnt' ich mein Herz nicht, meine Augen lieben.«
61.
»Mich taufen lassen«, scheint er noch zu sagen,
»Ging ich; gegebnes Wort – ich halt' es dir;
Und säumt' ich war's, weil Wunden schwer mich plagen,
Ein andrer Feind als Amor schlug sie mir.« –
Da kommt der Morgenstrahl den Traum verjagen,
Und Roger steht nicht länger mehr vor ihr.
Aufs neue quillt es aus dem Aug' in Bächen,
Und bei sich selbst beginnt sie so zu sprechen:
62.
»Ein falscher Traum hat Wonne mir gegeben;
Nur allzu wahr ist wache Bitterkeit.
Das Glück war Traum und mußte rasch entschweben;
Kein Traum, o weh, ist Kümmernis und Leid!
Was hörbar, sichtbar ist in Traumes Weben,
Warum ist's nicht dem wachen Sinn bereit?
Wie könnt' ich meinen Augen denn vertrauen,
Die Glück geschlossen, Unheil offen schauen?
63.
Traum ist, was mich in Friedensruh' entrückt hat,
Das bittre Wachen zeigt die Kriegesbahn:
Falsch war der süße Traum, der mich berückt hat, –
Das bittre Wachen, weh, das ist kein Wahn!
Wenn Wahrheit kränkt und Falsches mich beglückt hat,
So bleibe Wahrheit fern und abgetan!
Kann Traum erfreuen, Wahrheit elend machen,
So laßt mich schlafen! Laßt mich nie erwachen!
[72] 64.
Beglückte Tiere, fest vom Schlaf umwunden,
Sechs Monde lang vom Wachen nicht bedroht!
Daß solch ein Schlaf werd' als ein Tod befunden,
Wachen als Leben –, das hat keine Not.
Denn höchst verkehrt wird ja von mir empfunden
Der Schlaf als Leben, Wachen als ein Tod.
Sinkt aber Tod als solch ein Traum hernieder
Gleich jetzt, dann schließe mir, o Tod, die Lider!«
65.
Als in der Früh' die nächt'gen Schatten weichen,
Und keine Wolken mehr am Himmel stehn,
Und nun der Tag nicht jenem scheint zu gleichen,
Den sie, voll Trübsinn, hier zuletzt gesehn,
Da wacht sie auf, hat rasch die Wehr genommen,
Rechtzeitig weiter ihres Wegs zu gehn;
Nicht ohne daß sie Dank dem Schloßherrn zollte,
Weil er sie ehren und bewirten wollte.
66.
Und draußen kam sie zu der Abgesandten,
Die aus der Burg bereits mit ihrem Chor
Von Zofen und mit Knappen und Trabanten
Gegangen war zu jenen drei zuvor,
Die aus dem Sattel auf den Boden sandten
Des Speeres Stöße vor des Schlosses Tor,
Und die gar schlecht bei Regen, Wind und Kälte
Genächtigt hatten unterm Himmelszelte.
67.
Noch schlimmer war, daß sie mit leerem Magen
Samt ihren Rossen hielten böse Rast,
Die Zähne stampfend aufeinand zu schlagen:
Allein noch mehr fast – richt'ger, ohne »fast« –
Weil in den Gliedern schwer die Sorgen lagen,
Die Botin möge künden im Palast
Der Herrin, daß sie all im Land der Franken
Beim ersten Lanzenstoß zu Boden sanken.
[73] 68.
Zu sterben oder für die Schmach geschwinde
Rache zu üben, eilen sie herbei,
Damit der Abgesandten (und ich finde,
Daß sie Ullania geheißen sei)
Aus dem Gemüt die schlechte Meinung schwinde,
Die sie wohl hege schon von ihnen drei.
Kaum sehen sie die Jungfrau draußen reiten,
So fordern sie das Haimonskind zum Streiten,
69.
Weil keiner eine Maid in ihr erkannte,
Denn nichts an ihr wies auf ein Fräulein hin.
Zuerst den Kampf verweigert Bradamante
Als eine, die nur Eile hat im Sinn.
Doch als man dringender sich an sie wandte,
Vorwurf zu meiden, senkt die Kriegerin
Den Speer und streckt sie alle dreie nieder;
Und damit war der Fall zu Ende wieder.
70.
Ohne sich umzudrehen, kehrt sie ihnen
Den Rücken zu und reitet eilig fort.
Den andern, die, den Goldschild zu verdienen,
Gekommen sind von also fernem Ort,
Entschwand der kühne Mut aus ihren Mienen;
Sie stehen kleinlaut auf und ohn' ein Wort,
Erheben nicht zur Botin ihre Brauen:
O wie die drei verblüfft und traurig schauen!
71.
Sie gaben sich – mit Hochmut in Gebärden –
Als Helden erst, in großer Prahlerei:
Man finde keinen Rittersmann auf Erden,
Der ihrer einem nur gewachsen sei.
Das Fräulein nun, damit noch kleiner werden
Und ganz den Stolz verlieren alle drei,
Macht ihnen kund, nicht großem Frankendegen,
Nein, einem Weibe seien sie erlegen.
[74] 72.
Sie spricht: »Hat eine Frau euch hier geschlagen,
Wie stellt sich dann mit Roland wohl der Fall
Oder Rinald, die jeden überragen,
Gewiß mit Grund geehrt allüberall?
Kriegt deren einer nun den Schild zu tragen,
Wollt ihr, die durch ein Weib hier kamt zu Fall,
Ihn solchem Helden im Turniere rauben?
Das glaub' ich nicht; – ihr werdet's auch nicht glauben.
73.
Ihr braucht nicht weitre Proben darzulegen;
Was ihr vermögt, ist ja schon aufgeklärt,
Und wer von euch so kühn ist und verwegen,
Daß er noch mehr Erfahrungen begehrt,
Der schickt den Schaden nur der Schmach entgegen,
Die er bereits erfuhr und noch erfährt;
Es sei denn, daß, von hohem Paladine
Zu sterben, ihm erwünscht und nützlich schiene.«
74.
Und als nun deutlich die Beweise kamen,
Daß jener Rittersmann ein Fräulein war
(Sie sahen schwarz wie Pech die eignen Namen,
Die früher weithin glänzten, hell und klar),
Und es bestätigt ward durch Herrn und Damen
– Statt eines Zeugen war es eine Schar! –,
Sah man, wie Wut und Schmerzen sie beschwerten,
Daß sie das Schwert fast auf sich selber kehrten.
75.
Als Zorn und Grimm unsagbar sie bedrücken,
So reißen sie die Rüstung sich vom Leib
Und auch das Schwert – sie wollen's nie mehr zücken:
Im Graben drunten hab' es den Verbleib!
Und weil sie hingestreckt sind auf den Rücken,
Besiegt und überwältigt durch ein Weib,
So schwören sie, um Buße sich zu schaffen,
Sie gehn ein volles Jahr lang ohne Waffen
[75] 76.
Und immer nur zu Fuß, zu allen Zeiten,
Im ebnen Tale hin, bergab, bergauf;
Sie wollen Stahl nicht anziehn und nicht reiten,
Bis daß vollendet eines Jahres Lauf,
Wofern sie Roß und Waffen nicht erstreiten
Durch eignen Arms Gewalt aus Feindes Hauf.
So ziehn sie waffenlos zu ihrer Buße
Mit ihren Reitern fort, sie selbst zu Fuße.
77.
Zu einem Schloß kam in den Abendstunden
Auf ihrem Wege Fräulein Bradamant.
Von Karl hat sie die Nachricht dort gefunden:
Er und Rinald besiegten Agramant.
Quartier war gut, die Mahlzeit könnte munden,
Doch war es nicht, was ihr zu Sinne stand:
Kaum aß sie, suchte kaum die Lagerstätte
Und fand auch nicht die kleinste Ruh' im Bette.
78.
Doch hält mich nicht so sehr die Tugendreiche,
Daß mir entginge jenes Ritterpaar:
Ihr wißt, daß bei dem Quell nach dem Vergleiche
Sein Pferd von jenem angebunden war.
Es geht um Länder nicht noch Königreiche
Der Kampf – ich stell' ihn alsobald Euch dar –,
Nein, darum, wer die Durendal besitze,
Und wer als Reiter auf dem Bajard sitze.
79.
Trompeten sagen nicht noch Kriegesweisen,
Wann man den Anfang macht, und wann den Sprung,
Auch nicht, wie Meister Streich' und Deckung weisen,
Das Herz entzündend zur Begeisterung:
Sie ziehen in derselben Zeit das Eisen
Und zeigen sich behend und flink und jung.
Die schweren, raschen Hiebe hört man schallen,
Und schon beginnt der Zorn emporzuwallen.
[76] 80.
Unmöglich wär's, zwei solche Waffen bringen;
So gut und hart und fest war jedes Schwert:
Sie würden bei dem dritten Hieb zerspringen;
Nie fände solche Wucht sie unversehrt.
Doch dieses waren so vollkommne Klingen,
Als sicher in gar manchem Strauß bewährt:
Sie stellten unbeschädigt tausend Schlägen,
Vielleicht sogar noch andern sich entgegen.
81.
Rinald, des Gegners Klinge zu vermeiden,
Dreht sich mit Kunst und mit gewandter Hast:
Er weiß ja, Durendal versteht zu schneiden
Durch jedes Eisen, das sie nur erfaßt.
Viel stärker ist der Hiebe Wucht beim Heiden,
Doch in den Wind nur gehen alle fast.
Und wenn ein Schlag auf seinem Gegner krachte,
So traf er, wo er wenig Schaden brachte,
82.
Dieweil der Christ sein Ziel bedächt'ger findet
Und oft des Heiden Arm ermüden läßt;
Bald, wo der Helm dem Harnisch sich verbindet,
Bald in die Hüfte wird das Schwert gepreßt;
Doch keine Masche löst sich oder schwindet.
Die Rüstung bleibt wie Diamant so fest.
Daß sie an Kraft und Härte auserwählt ist,
Erklärt sich, weil sie durch Magie gestählt ist.
83.
Als ohne auszuruhn die Krieger streiten,
Auf Haun und Stechen ganz allein erpicht,
Gradaus nur blickend, niemals nach den Seiten,
Stets in des Gegners grimmig Angesicht,
Da macht ein Nachbarkampf die Augen gleiten,
Daß sich der Sinn vom Zorn auf andres richt't;
Ein Lärm erschallt; sie heben ihre Brauen
Worauf sie Bajard schwer gefährdet schauen.
[77] 84.
Den bracht' ein Ungeheuer ins Gedränge,
Größer als er; sah wie ein Vogel aus,
Mit einem Schnabel von drei Ellen Länge,
Sonst an Gestalt wie eine Fledermaus;
Und scharfe Nägel hatten seine Fänge,
Federn wie Tinte schwarz, voll Schreck und Graus.
Die Augen Feuer, grimmig seine Mienen,
Und Segel seine großen Flügel schienen.
85.
Vielleicht ein Vogel war's: wo solch ein Wesen
Und wann es gab, das weiß ich freilich nicht;
Hab's nie gesehn und nie davon gelesen –
Turpin ist's, der von diesem Untier spricht.
So glaub' ich denn, ein Teufel ist's gewesen,
Und Malegis hat ihn mit dem Gesicht
Dorthin geschickt und mit dem Vogelleibe,
Damit der Kampf der beiden unterbleibe.
86.
Rinald auch glaubt's (ihm brachte die Geschichte
Streit mit dem Vetter später mancherlei:
Doch der macht die Beschuldigung zunichte
Und schwört, daß man der Tat ihn fälschlich zeih',
Schwört es beim Urquell von dem Sonnenlichte,
Und daß er rein in dieser Sache sei).
Ob Vogel oder Teufel, – überfallen
Hat dieses Untier Bajard mit den Krallen.
87.
Dem Renner ist so große Kraft gegeben,
Daß er die Zügel voller Grimm zerreißt,
Um auf den Feind den Eisenhuf zu heben.
Der aber flieht, als Bajard schlägt und beißt,
Und kommt zurück und läßt die Schwingen schweben,
Hackt mit den Klauen, da er ihn umkreist.
Bajard ist außer sich und, als er keine
Hilfe sich weiß, macht er sich auf die Beine.
[78] 88.
Zum nahen Wald zu fliehn ist ihm gelungen;
Er sucht sich stets die Stellen dichtbelaubt.
Ihm nach hat sich der Vogel aufgeschwungen,
Auslugend scharf, sobald's der Weg erlaubt.
Doch Bajard ist ins Dickicht tief gedrungen,
Bis eine Höhl' ihn dem Verfolger raubt.
Das Flügeltier, das nun die Spur verloren,
Hat in der Luft sich neue Beut' erkoren.
89.
Die Zwei, die ohne Siegespreis geblieben
Und ohne Gegenstand für ihren Zwist,
Beschließen ihren Handel zu verschieben,
Bis Bajard vor den Klaun gerettet ist,
Die nach dem dunklen Wald ihn fortgetrieben;
Und wer ihn finde, soll ohn' Hinterlist
Sich mit dem Hengst zurück zur Quelle wenden,
Um kämpfend dort den Streitfall zu beenden.
90.
Sie brachen auf und folgten von der Quelle
Den frisch geschaffnen Spuren durch den Wald,
Doch ihre Schritt' erreichten nicht an Schnelle
Den Hengst und fanden manchen Aufenthalt.
Gradaß traf seine Stut' an ihrer Stelle,
Sprang in den Sattel rasch und ließ Rinald
Weit hinter sich, der, unwirsch und verdrossen
Wie nie, verschwinden sah den Königssprossen.
91.
Des Renners Spur ist bald nicht mehr zu sehen,
Denn dieser wählt gar seltsam rauhen Pfad,
Wo Felsen, Bäche, Dickicht, Schluchten stehen,
Den schlimmsten Weg und dornigsten gerad,
Um jener scharfen Kralle zu entgehen,
Die ihm, vom Himmel kommend, wehe tat.
Rinald kehrt nach vergeblich langem Mühen
Zurück, wo von dem Quell die Tropfen sprühen,
[79] 92.
Und wartet dort; den Renner wiederbringen
Sollte Gradaß, wie es vereinbart war.
Doch als die Stunden ohne Frucht vergingen,
Kehrt' er zu Fuß betrübt zu seiner Schar. –
Zu ihm jetzt, dem es besser soll gelingen,
Durch Weisheit nicht, durch reines Glück fürwahr:
Das ließ ihn nah zur Felsenhöhle kommen,
Und Bajards Wiehern hat er dort vernommen.
93.
Er fand ihn noch ganz zitternd von dem Schrecken
Und dem Entsetzen, das er überstand:
Er wagte nicht den Kopf hinauszustrecken,
Und so geriet er in des Heiden Hand.
Wohl kam es in den Sinn des Mohrenrecken,
Daß ihn sein Schwur zum Quell zu gehen band;
Doch den zu halten ist er nicht gesonnen
Und hat mit sich die Zwiesprach so begonnen:
94.
»Trachte, wer will, mit Waffen nach dem Pferde;
Ich nehm' es lieber doch in Frieden hier.
Vom fernsten Ende kam ich her der Erde,
Und bloß, um zu gewinnen dieses Tier.
Wenn einer meint, daß ich es lassen werde,
Nun ich es hab' – ein Narr erscheint er mir.
Und ist dem Herrn Rinald das nicht willkommen –
Wie ich hierher, mag er nach Indien kommen!
95.
So sicher ist die Serikanerseite,
Wie zweimal für mich selbst der Frankenort.«
Er spricht es, strebt nach Arles hin durch die Weite
Und findet da sein Heer und geht an Bord
Geteerter Kriegsgaleer' (ihm gibt Geleite
Bajard und Durendal) und segelt fort. –
Wir wollen Ruhe gönnen Herrn Gradassen
Und ihn und Frankreich und Rinald verlassen
[80] 96.
Und schaun nach Astolf, der mit Zeug und Zügel
Nach Reiterart so rasch hin durch den Raum
Sich tragen ließ von seines Tieres Flügel:
Es folgten ihm wohl Falk und Adler kaum,
Durch Gallien von Pirene bis zum Hügel
Am Rheinstrom, und von Meer zu Meeressaum;
Bis er nach Westen das Gebirg ereilet,
Das Frankreich von dem Lande Spanien teilet,
97.
Kommt nach Navarra, kommt nach Aragona
(Und staunend sieht den Flieger jedermann),
Läßt rechts Biskaya sein, links Taragona
Und langt im Reich der Kastilianer an,
Erblickt Galicien drauf und Ulisbona
Und Cordova und auch Sevilla dann,
Sieht alle Städte, sei's am Meeresstrande,
Sei's in dem Innern tief vom Spanierlande.
98.
Cadix, wo Herkules den Schifferscharen
Der Vorzeit gab das Ziel, erblickt er da
Und schickt sich an, vom Atlasmeer zu fahren
Zum End' Ägyptens quer durch Afrika,
Sieht die berühmten Inseln Balearen
Und auch Eviza seinem Wege nah.
Dann nach Arzilla überm Meeresschaume,
Der Spanien abgrenzt, lenkt er mit dem Zaume.
99.
Marokko, Fez, Hippona, Algier zeigen
Sich, auch Buzea, Städte stolz und hehr:
Sie nennen jede Städtekron' ihr eigen,
Kronen von Gold, von Laub und Blatt nicht mehr.
Biserta, Tunis schlingt sich in den Reigen,
Capis, Alzerb als Eiland tief im Meer.
Bernike, Tripolis und andre Städte,
Bis wo der Nil nach Asien gräbt sein Bette.
[81] 100.
Er sieht die Länder alle, die gelegen
Zwischen dem Meer und wilden Atlas sind,
Schweift dann, sich nach Cyrene zu bewegen,
Ab vom Gebirg Carena, und geschwind
Geht's Albajad an Nubiens Grenz' entgegen;
Über die Wüsten flog er wie der Wind.
Das Grab des Battus blieb ihm hinterm Rücken
Und Ammons hoher Tempel, jetzt in Stücken.
101.
Ein andres Tremisen! Die drinnen leben,
Befolgen Mohammeds Gebote all.
Nun muß der Vogel nach Äthiopien schweben
– Jenseit des Nils und seiner Wogen Schwall –,
Zur Nubierhauptstadt drauf den Flug zu heben
Zwischen der Stadt Dobada und Coall.
Hier wohnt der Christ, und drüben wohnt der Heide:
Stets an der Grenz' in Waffen stehn sie beide.
102.
Senap, Äthiopiens Kaiser, der in Händen
Den Stab des Kreuzes trägt an Zepters Statt,
Hat Land und Leute, Gold auch zum Verschwenden,
Bis wo das Rote Meer den Ausgang hat;
Ist unsres Glaubens fast; dies mag ihm wenden
Einst die Verdammung nach der bösen Statt.
Und irr' ich nicht, so führt er dort das Steuer,
Wo man beim heil'gen Taufen braucht das Feuer.
103.
Am großen Hof ist Astolf abgestiegen,
Von Nubien, zu besuchen den Senap.
Mehr reich war das Kastell als fest in Kriegen,
Das Schutz dem Fürsten der Äthiopier gab;
Die Brückenketten zeigten Gold, gediegen,
Gold alles bis zum kleinsten Schloß hinab.
Kurz, überall wird Gold gebraucht von ihnen,
Wo wir des Stahls, des Eisens uns bedienen.
[82] 104.
Gab's auch in Menge herrliche Metalle,
War doch darum der Wert des Goldes groß;
Und Säulen aus dem lichtesten Kristalle
Stützten die Hallen um das Königsschloß.
Blau, grün, gelb, weiß und rot sodann um alle
Die Söller rings ein Meer von Strahlen schoß,
Die wohl verteilt aus vielen Feldern schienen,
Saphir, Smaragd, Topase und Rubinen.
105.
Auf Dach und Wand und Dielen, da zerstreuten
Sich Perlen viel und edeles Gestein.
Der Balsam kommt von dort; was zu erbeuten
Jerusalem vermochte, scheint hier klein.
Auch unser Bisam kommt von jenen Leuten,
Und unser Ambra stellt von dort sich ein.
Kurzum, aus jenem fernen Lande stammen
Die Dinge, die wir preisen, allzusammen.
106.
Man sagt, Ägyptens Herr muß sich bequemen
Zu Huldigung an jenen und Tribut,
Weil der den Nil vom Bette könnte nehmen
Ablenkend, und dann ohne seine Flut
Wohl Hungersnöte rasch nach Kairo kämen
Und andern Landen in des Sultans Hut.
Er ist es, den Senap die Seinen nennen,
Wir aber als Johann, den Priester, kennen.
107.
Wieviel auch Herrscher in Äthiopien waren,
Er war der Fürst an Reichtum und an Macht;
Jedoch bei allen Schätzen, allen Scharen
Verlor er's Augenlicht und sank in Nacht.
Und gar viel Schlimmres sollt' er noch erfahren;
Die größte Not hat eines ihm gebracht:
Daß er, den man den reichsten König nannte,
Nie Sättigung, nur wilden Hunger kannte.
[83] 108.
Nahm jemals Speise oder Trank der Arme,
Von Durst geplagt und grimmer Hungerqual,
War er umringt von jenem Höllenschwarme,
Den scheußlichen Harpyien, mit einemmal.
Sie stürzten die Gefäß' um, ihm zum Harme,
Mit Räuberklaun, und rissen fort das Mahl:
Was der gefräß'ge Bauch nicht wollte fassen,
Das haben sie besudelt hinterlassen.
109.
Und dies, weil er in herber Jugend Blüte,
Als er empor zu solchen Ehren stieg,
Gewähnt, sein, wie an Reichtum und Geblüte,
Sei überall durch Mut und Kraft der Sieg:
Ein Luzifer, vermessen im Gemüte,
Wider den eignen Schöpfer sann er Krieg.
Zum Berg, von dem der Nilstrom seine Wogen
Herabwälzt, kam er mit dem Heer gezogen.
110.
Er hörte, oben auf den Felsenkanten,
In Wolken, sei das ird'sche Paradies,
So wie es Adam einst und Eva kannten,
Eh sie der Engel aus der Pforte wies.
So kam's, daß er mit Fußvolk, Elefanten,
Kamelen frevelnd ebnes Land verließ,
Begierig, alles oben seiner Krone
Zu unterwerfen, wenn ein Volk da wohne.
111.
Gott ließ den Wahnwitz nicht das Ziel erreichen:
Des Himmels Engel in der Schar erschien,
Der hunderttausend Nubier macht' erbleichen;
Zu ew'ger Nacht verdammt' er aber ihn.
Drauf ward dem Scheusal aus der Hölle Reichen
An seinen Tisch zu kommen Macht verliehn,
Das Mahl zu rauben, und es zu beflecken,
Daß er es nie genießen konnt' und schmecken.
[84] 112.
Ein Seher prophezeite (in Entsetzen,
Verzweiflung war des Königs Leid gekehrt):
Er werd' an reinen Speisen erst sich letzen,
Von Staub verschont, nicht durch Gestank versehrt,
Am Tage, wenn er durch die Lüfte setzen
Mit einem Reiter seh' ein Flügelpferd.
Nun mußt' er hoffnungslos und traurig stehen,
Denn nimmer, meint er, könne dies geschehen.
113.
Als jetzt die Leute voller Staunen schauen
Den Ritter, wie er über Mauerrand
Und Türme fliegt, eilt einer gleich mit Grauen
Und macht dem König diesen Fall bekannt.
Der denkt der Prophezeiung voll Vertrauen
Und nimmt vor Freude nicht den Stock zur Hand,
Den treuen: nein, er hilft sich tastend weiter
Und kommt mit Schwanken hin zum luft'gen Reiter.
114.
Hernieder senkte sich in weiten Kreisen
Astolf und hielt am Platze vor dem Schloß.
Der König ließ sich zu dem Reiter weisen:
Die Hände ringend kniet er vor dem Roß
Und spricht: »Du Engel, Heiland, laß dich preisen!
Find' ich Verzeihung nicht – mein Fehl ist groß –
Bedenk, ob wir nicht rasch, zu sünd'gen, seien
Und ihr bestimmt, Zerknirschten zu verzeihen!
115.
Ich bitte nicht – denn allzugroß ist, wehe,
Die Sündenschuld – um meiner Augen Strahl.
Wohl glaub' ich, daß es leicht durch dich geschehe;
Bist Gottes Liebling, aus der Sel'gen Zahl.
Genüge dir das Leid, daß ich nicht sehe,
Und laß mich nicht vergehn in Hungers Qual!
Verjage nur die stinkenden Harpyien,
Die räuberisch die Speisen mir entziehen!
[85] 116.
Und einen Tempel will ich dir errichten
In meiner Königsburg aus Marmelstein,
Von Golde Tür und Dach, und Schmuck von lichten
Juwelen soll ihm reichen Glanz verleihn.
Er soll von deiner Wundertat berichten,
Benannt nach deinem heil'gen Namen sein.«
Der Blinde spricht's, der schwer hat dulden müssen,
Und sucht umsonst des Herzogs Fuß zu küssen.
117.
»Ich bin kein Engel,« sprach der Prinz dagegen,
»Kein Heiland, komme nicht vom Himmel her,
Bin sterblich und der Sünde selbst erlegen,
Verdiene solche Gnade nimmermehr;
Doch alle Kräfte brauch' ich deinetwegen:
Fliehn oder sterben soll das Teufelsheer.
Dem Herrn, nicht mir, magst du den Lobsang zollen,
Daß er den Flug hierher hat lenken wollen.
118.
Gelobe Gott, was du an Herrlichkeiten
Versprachst zu bauen, Kirch' und Goldaltar!«
Worauf sie beide nach dem Schlosse schreiten,
Von Höflingen umringt und edler Schar.
Der König hieß sogleich das Mahl bereiten,
Weil er so ganz der frohen Hoffnung war,
Den Unholdinnen werd' es nicht gelingen,
Ihm dieses Mal die Speisen zu entringen.
119.
Und drinnen wird sogleich in reichem Saale
Gerüstet das Bankett mit großer Pracht.
Mit dem Senap saß ganz allein beim Mahle
Der Herzog, und die Speise ward gebracht.
Da, horch, erbebt die Luft mit einem Male
Vom Sturm, durch graus'ger Schwingen Schlag entfacht!
Harpyien nahn in scheußlichem Gedränge,
Gelockt vom Duft aus reicher Speisen Menge.
[86] 120.
's ist eine Schar von sieben: wie von Frauen
Ist ihr Gesicht, erstorben, bleich und alt
(Den Tod zu sehen macht nicht solches Grauen),
Vertrocknet, welk, von Hungers Pein umkrallt;
An räuberischen Händen krumme Klauen,
Die Flügel groß und schrecklich mißgestalt,
Stinkend und lang der Bauch, und hinten findet
Ein Schwanz sich, der sich schlangenartig windet.
121.
Kaum in der Luft vernahm man sie, so saßen
Sie auf der Tafel alle miteinand
Und warfen Schüsseln um und raubten, fraßen,
Derweil den Bäuchen Unrat sich entwand;
Der stank entsetzlich, über alle Maßen,
Daß stopfend nach der Nase fuhr die Hand.
Sogleich ist Astolf zornig aufgesprungen
Und hat aufs Federvieh sein Schwert geschwungen.
122.
Die trifft er auf den Hals und die am Kopfe,
Die auf die Brust und auf die Flügel die –:
Als ob er einen Sack mit Werge klopfe,
Erlahmt der Hieb und wirksam ist er nie.
Berührt wird, was in Schüssel ist und Topfe,
Und eher nicht den Saal verlassen sie,
Bis sie gefräßig all die Gottesgaben
Durch Raub vernichtet und besudelt haben.
123.
Verjagt zu sehen diese Teufelinnen,
Des armen Königs ganze Hoffnung war;
Die will mit einemmal ihm nun verrinnen;
Er seufzt und stöhnt, verzweifelt ganz und gar.
Doch halt! – Dem Herzog kommt sein Horn zu Sinnen,
Das oft geholfen hat in der Gefahr.
Er überlegt bei sich, daß diese Weise
Vielleicht sich als die nützlichste erweise:
[87] 124.
König und Hof muß sich vor allen Dingen
Mit warmem Wachs verstopfen erst das Ohr,
Damit sie, wenn des Hornes Töne klingen,
Nicht voll Entsetzen fliehen vor das Tor.
Dann eilt er, auf das Flugtier sich zu schwingen,
Und zieht sein schönes Wunderhorn hervor,
Worauf dem Truchseß Wink und Hände sagen:
Er möge eilen, wieder aufzutragen.
125.
Gerichtet wird ein Tisch in offner Halle,
Und neue Speisen bringt man her jetzund.
Wie früher kommen die Harpyien alle;
Da führt der Herzog rasch sein Horn zum Mund,
Und weil mit Ohren ungeschützt dem Schalle
Kein einziger der Vögel widerstund,
So haben sie, auf tolle Flucht versessen,
Das Mahl und alles übrige vergessen.
126.
Der Herzog hinter ihnen spornt zur Schnelle
Sein Flugroß: von der Halle fliegt es auf,
Eilt fern der Stadt, wie fern von dem Kastelle,
Wild jagt es jener Ungeheuer Hauf.
Und immer bläst Herr Astolf schaurig, grelle:
Die Rotte flieht zum höchsten Berg hinauf,
Um bis zur roten Zone hin zu dringen
(Wenn irgendwo, muß dort der Nil entspringen).
127.
Ein tiefer Höhlenraum zieht unterm Grunde
Sich gleichsam an der Bergeswurzel fort,
Und wer hinab will nach dem Höllenschlunde,
Der findet, heißt's, den besten Eingang dort.
Hier flüchtet hin die Schar, die ohrenwunde,
Als wäre das ihr Heim und sichrer Port,
Hinunter bis zu des Cocytus Wellen,
Daß nicht ins Ohr die Schaudertöne gellen.
[88] 128.
An dieses Höllentores finstrer Weite,
Durch das nur, wer vom Licht sich kehrte, ging,
Legt Astolf sein entsetzlich Horn beiseite
Und wendet rückwärts seines Renners Schwing'. –
Nun will ich, eh ich weiter ihn begleite –
Ich schätzte sonst ja meinen Brauch gering –
Zumal die Seiten alle vollgeschrieben,
Ein wenig ruhn und den Bericht verschieben.

[89] Vierunddreissigster Gesang

1.
Gefräßige Harpyien, böse, wilde,
Uns für Verblendung und für Unverstand,
Vielleicht für alte Schuld, in die Gefilde,
Auf jeden Tisch durch Gottes Rat gesandt!
Kindlein und Mütter gleich des Hungers Bilde
Vergehn und schaun, wie ihr verschlingt im Land
Auf einmal Speisen, die genügend wären,
Fürs Leben ihnen Nahrung zu gewähren!
2.
Weh ihm, der ihre Höhlen aufgeschlossen,
Die doch verriegelt waren lange Zeit,
Daraus der Pesthauch Gier sich hat ergossen,
An dem Italien krankt zu schwerem Leid!
Tot ist das schöne Leben, weggeflossen!
Und Friede, ach, und Ruh', wie sind sie weit!
Italia liegt in Armut, Not und Kriegen
Und wird darin noch viele Jahre liegen,
3.
Bis sie am Haar die Söhne wird ergreifen,
Die säumigen, die Lethe noch begräbt,
Mit diesem Ruf: »Soll niemals Glück mir reifen,
Daß mir ein Kalaïs, ein Zetes lebt,
Um Krallen mir und Schmutz vom Tisch zu streifen,
Damit ihn alter Glanz aufs neu umwebt,
Wie jenes Paar dem Phineus Hilfe brachte
Und wie's der Herzog beim Senapus machte?«
[90] 4.
Geflohen war vor Astolfs Schauerklängen
Der häßlichen Harpyien arger Chor,
Bis er zu guter Letzt in einer engen
Höhl' an des Berges Fuße sich verlor.
Der Herzog lauschte dort: da war's, als drängen
Von unten Klagen und Geheul hervor;
Ein schrecklich Jammern klang aus Felsenspalten,
Und für die Hölle mußt' er dieses halten.
5.
Astolf beschloß nun, dort hinabzugehen
Zu denen, die geschieden sind vom Licht,
Ins Innerste des Erdenraums zu spähen,
Zu dringen in der Hölle tiefste Schicht.
»Was furcht' ich mich? Was kann mir denn geschehen?«
Dacht er, »hilft denn mein gutes Horn mir nicht?
Pluto muß fliehen samt dem Satanasse;
Auch Zerberus aus dunklem Felsgelasse.«
6.
Nichts war mit seinem Flugtier zu beginnen;
So steigt er ab und läßt's an einem Strauch.
Nun ist er mit dem Horn im Schlunde drinnen
(Die Hoffnung ruht auf seines Horns Gebrauch).
Bald aber wird ihm fürchterlich zu Sinnen;
In Aug' und Nase dringt ein dunkler Rauch,
Ärger, als Pech und Schwefel ihn bereiten;
Doch läßt er drum nicht nach voranzuschreiten.
7.
Als dichter sich die Finsternisse schlingen
Und Qualm verdickt, merkt er: – voranzugehn
Noch weiter hier, das läßt sich nicht erzwingen;
Er muß sich zu der Rückkehr wohl verstehn.
Da sieht er etwas in der Höhe schwingen,
Wie es bei einem Leichnam mag geschehn,
Wenn ihn der Wind bewegt und er in Regen
Und Sonnenschein hat lange Zeit gelegen.
[91] 8.
Fast gar kein Licht, nur schwache Schimmer waren
In dieser schwarzen, qualmerfüllten Gruft:
So konnt' er nicht verstehen noch gewahren,
Was baumelnd sich bewege durch die Luft;
Ein-, zweimal hieb er, um darob im klaren
Zu sein, nach oben in der dunklen Kluft.
Ein Geist, so schien ihm, müsse dort sich rühren,
Denn nichts als Nebel glaubt' er zu verspüren.
9.
Da war's, als ob im Klageton es klinge:
»Geh weiter, ach! Tu andern doch kein Leid!
Genug, daß schwarzer Rauch mir Schmerzen bringe,
Den mir die Hölle aus der Tiefe speit!«
Betroffen blieb er stehn und sprach: »Die Schwinge
Des Rauches lähme Gott für alle Zeit!
Nicht länger mög' er quälend dich umwallen;
Doch laß mich aufzuklären dir gefallen!
10.
Und soll ich über dich die Welt belehren,
So sprich, damit ich Kunde bringe dort!«
Der Schatten sprach: »Zum Licht zurückzukehren
Und – sei's dem Namen nach – zu leben fort,
Danach will solche Sehnsucht mich verzehren –
Sie reißt mir von dem Lippenrand das Wort –
Daß ich dir Namen so wie Schicksal sage,
Ob ich auch Sprechen mühsam nur ertrage.«
11.
Herr, Lydia bin ich, einst im Glanz geboren
Dem Lyderkönig und in Herrlichkeit,
Nach Gottes Richterspruche nun verloren
Und hier vom Rauch gequält auf ew'ge Zeit,
Weil ich dem treuen Freund, der mich erkoren,
Grausam und undankbar, schuf großes Leid.
Du kannst die Klüfte voll von andern sehen,
Also bestraft für ähnliche Vergehen.
[92] 12.
Anaxaret' ist's schlimmer noch ergangen:
Sie leidet tiefer unten Rauch und Pein.
Die Seele duldet hier in Qual und Bangen,
Der Körper ward verwandelt dort in Stein,
Weil sie den Liebenden ließ fühllos hangen,
Ohne gerührt von seinem Leid zu sein.
Daphne, hier nahe, wird es töricht nennen,
Daß sie Apollo ließ vergebens rennen.
13.
Zu lange währt' es, wollt' ich alle künden
Die Frauen, die für Undank büßen hier,
Unsel'ge Geisterschar, in diesen Schlünden;
Zu viele sind es, nicht zu zählen schier.
Von Männern aber, für des Undanks Sünden
Verdammt, umschließt noch mehr dies Nachtrevier.
Ein schlimmrer Ort ward ihnen zugesprochen,
Wo Rauch sie blendet, Glutenfeuer kochen.
14.
Weil wir zu Glauben und Vertrauen neigen,
Wird härter der bestraft, der Fraun betört.
Das mußte sich an Theseus, Jason zeigen
Und ihm, der dem Latin das Reich gestört,
Und jenem, der sich Thamar nahm zu eigen,
Zu blut'gem Zorn hat Absalon empört,
Und andern vielen, die verlassen hatten
Die Gattin diese, jene ihren Gatten.
15.
Doch um dir das Vergehen kundzugeben,
Das hier an diesen Ort mich hat gebannt,
So war ich schön, doch stolzer noch im Leben;
So sehr, wie kaum sich eine andre fand.
Nicht wüßt' ich, wer von diesen beiden eben
– Schönheit und Stolz – den andern überwand;
Wenn jene gleich, die meine Schönheit priesen,
Dem Stolz und Hochmut recht die Wege wiesen.
[93] 16.
Ein edler Thrazier war in jenen Tagen,
Kein beßrer Ritter mocht' auf Erden sein;
Der hörte viel von meiner Schönheit sagen
Und rühmen, nicht von einer Seit' allein,
Und er beschloß, sein Herz mir anzutragen
Und einzig meinem Dienste sich zu weihn,
Hoffend, daß ich der Lieb' ihn würdig achte,
Weil er so große Taten schon vollbrachte.
17.
Er kam nach Lydien, und noch mehr gebunden,
Nachdem er mich gesehn, fühlt' er sich da.
Im Adel, der am Hofe sich befunden,
War er es, der sich hoch gefeiert sah.
Wie er sich Ruhmeskränz' ums Haupt gewunden,
Ich kann es dir nicht melden, fern und nah,
Und wie er sich Verdienst erwarb zu diesen,
Hätt' er's dankbarerm Manne nur erwiesen.
18.
Pamphilien, Karien und Cilicien waren
Besiegt von meinem Vater nur durch ihn;
Nur wenn er's gut hieß, wollten Kriegerscharen
Und, wie den Rat er gab, zu Felde ziehn.
Da kam's, daß, Lohn für Mühen und Gefahren
Erwartend, dieser Held am Hof erschien
Und bat, daß man für Siegesbeut' und Ehre,
Die er gewann, ihm meine Hand beschere.
19.
Allein der Antrag ward zurückgewiesen;
Mein Vater wollte hoch mit mir hinaus:
Für einen Fürsten sei ich, nicht für diesen;
Verdienst mach' allen seinen Reichtum aus.
Mein Vater hat zu sehr Gewinn gepriesen,
Und jedes Laster kommt aus Geizes Haus.
Der Geiz schätzt edle Art, das Gute, Schöne,
So wie der Esel schätzt der Leier Töne.
[94] 20.
Als ihm die Bitte so ward abgeschlagen
(Alcest war dieser Rittersmann genannt)
Von dem, der auch noch Größres nicht versagen
Ihm durfte, schied der Ritter aus dem Land.
»Den König soll es reun,« hört man ihn sagen,
»Verweigert er mir seiner Tochter Hand.«
Zum Herrn Armeniens, der kein geringer
Rival und Feind war meines Vaters, ging er.
21.
Zu stacheln wußt' er ihn und zu bewegen,
Den Vater jetzt mit Krieg zu überziehn.
Ihm selber ward, vollbrachter Taten wegen,
Die Leitung übers ganze Heer verliehn.
Was er gewinne, sprach er, mit dem Degen,
Gehör' Armenien; eins nur sei für ihn:
Zum Lohne woll' er meinen Leib, den jungen,
Wenn er das ganze Lyderreich bezwungen.
22.
Unmöglich ist es, daß ich dir berichte,
Was uns für Schaden wurde durch Alcest:
Vier Heere macht' er in dem Jahr zunichte;
Vom ganzen Land blieb uns als einz'ger Rest
Nur eine Burg von trutz'gem Angesichte,
Durch Klippen stark; in dieses Felsennest
Muß sich der König mit den Seinen betten
Und dem, was von den Schätzen noch zu retten.
23.
Alcest belagert uns; er macht das Leben
Fortan dem Vater schwer in kurzer Zeit:
Als Weib mich ihm zu lassen und daneben
Als Sklavin, wär' er gerne jetzt bereit,
Sein halbes Reich dazu, säh' er nur eben
Vor weiterer Bedrängnis Sicherheit.
Es war ihm klar, er werde bald verderben
Und drauf den Tod als ein Gefangner sterben.
[95] 24.
Versuchen möcht' er, ehe das geschehe,
Ob er ein Rettungsmittel find' heraus,
Und mich, die Anlaß war von all dem Wehe,
Schickt er vom Felsen zu Alcest hinaus.
Ich liefre – denk' ich, als ich zu ihm gehe –
Mich ihm mit dieser einen Bitte aus,
Daß er, was ihm vom Reich genehm, behalte,
Damit nach böser Zwietracht Frieden walte.
25.
Doch kaum vernimmt der Sieger mein Erscheinen,
So kommt er mir entgegen, zitternd, blaß.
Er sei der Überwundne, könnt' ich meinen;
Auf seinen bangen Zügen las man das.
Als ich ihn glühen sah, entsag' ich meinen
Bisherigen Gedanken, und voll Haß
Entwerf' ich nach der Stimmung, die ich finde,
In meinem Kopfe neuen Plan geschwinde:
26.
Ich klage wild und treib' ihn in die Enge
Und fluch' ihm, daß er – liebend – rauh und hart
Den Vater also ungerecht bedränge
Und gar sein Glück von der Gewalt erwart';
In kurzer Zeit ihm vieles wohl gelänge,
Wär' er geblieben bei der alten Art,
Wie er begonnen einst, und die uns allen,
Auch meinem Vater, habe wohlgefallen.
27.
Ward gleich die Bitte, die er vorgetragen,
Zu Anfang von dem König nicht gewährt
(Rauh sei er von Natur; beim ersten Fragen
Werd' immer erst ein Nein hervorgekehrt),
So durft' er doch nicht treuem Dienst entsagen
Und sich dem Zorn vertrauen und dem Schwert,
Nein, mußte stets durch größre Dienste streben,
Nach dem ersehnten Ziel sich zu erheben.
[96] 28.
Und hätt' auch noch der Vater widerstanden,
So stürmt' ich selbst mit Bitten auf ihn ein,
Bis er uns eine durch der Ehe Banden.
Verharr' er aber doch bei seinem Nein,
Sei ein geheimer Weg ja noch vorhanden,
Mit dem Alcest zufrieden könnte sein.
Doch seit er's nun auf anderm Weg betrieben,
Sei ich entschlossen, nimmer ihn zu lieben.
29.
Und ob ich schon zu ihm herausgegangen,
Weil Mitleid mit dem Vater mir's gebot,
Genöss' er kurze Lust, wenn sein Verlangen
Er etwa stille mir zur Schmach und Not.
Denn fest an diesem Vorsatz werd' ich hangen;
Mein Herzblut mache dort die Erde rot,
Sobald die schnöde Freveltat gelungen,
Und ich durch schändliche Gewalt bezwungen.
30.
Dies – als ich fand, ich könn' ihm ganz gebieten –
Sprach ich zu ihm und manches andre Wort.
Ich sah ihn, reuiger als Eremiten
Es sind an irgendeinem heil'gen Ort;
Sah ihn auf seinen Knien den Dolch mir bieten
Nun seinerseits, damit er mir sofort
Die Sühne für sein schwer Vergehen bringe:
Er wollte, daß ich selbst die Waffe schwinge.
31.
So plan' ich denn bei mir, wie ich zu Ende
Den Sieg wohl führe, mir vergönnt vom Glück:
Ich laß ihn hoffen, daß mein Sinn sich wende
Und daß er die gewünschte Blume pflück',
Wenn er, den Fehler bessernd, in die Hände
Des Vaters liefer' unser Reich zurück
Und künftig strebe, daß er meine Minne
Durch Dienst und Liebe, nie durch Krieg, gewinne.
[97] 32.
Und er versprach's; ich bin zur Burg gegangen
So unberührt, wie erst ich kam daher:
Er wagte keinen Kuß auf meine Wangen.
Sperrt' ich ihn nicht ins Joch, sprich, fest und schwer?
Ließ ich ins Herz nicht Amors Pfeil gelangen?
Brauchte der Gott zu senden ihrer mehr?
Nun ging er zum Armenier, der bekommen
Sollte, was uns an Ländern ward genommen,
33.
Und bat ihn mild, wie feiner Sinn ihn lehrte,
Er gönne ihrem alten Herrn fortan
Die Lande, die sein Schwert bisher verheerte:
Den Weg nach Hause tret' er friedlich an.
Worauf der Fürst voll Zorn sich zu ihm kehrte
Mit kurzem Wort: er denke nicht daran;
Krieg führ' er in dem Land, darin er bleibe,
Bis er vom letzten Zoll den Lyder treibe.
34.
Ließe der andre durch ein Weib sich fangen
Und girre, nun, so sei der Schade sein;
Er dürfe nicht Verzicht auf das verlangen,
Was Jahresmüh' gebracht voll Not und Pein.
Als alle Bitten nicht zum Ziel gelangen
Und weder Flehn noch Klagen ihm gedeihn,
Gibt, jetzt im Zorn, Alcest ihm zu verstehen,
Sein Wille müss' auf jeden Fall geschehen.
35.
Wie Zornes Fluten rasch gewachsen waren,
Kam es zu schlimmrer Tat von schlimmem Wort.
Den König konnten tausend nicht bewahren:
In ihrer Mitt' erschlug Alcest ihn dort,
Der Menge trotzend, führte seine Scharen
Zum Sieg dann gegen die Armenier fort:
Wobei, die sich in seinem Sold befanden,
Und Thrazier und Cilicier zu ihm standen.
[98] 36.
Ohn' Aufwand für den Vater, bloß aus Gnaden
Gab er das Reich ihm wieder nach dem Sieg,
In Monatsfrist; auch ließ er für den Schaden,
Nachdem der König neu den Thron bestieg,
Zu andrer Beute mit Tribut beladen
Oder erobern mit Gewalt und Krieg
Der Kappadozier und Armenier Lande,
Und durch Hyrkanien zog er bis zum Strande.
37.
Wir aber sannen, ihm den Tod zu geben
Statt des Triumphs nach seiner Wiederkehr;
Doch ließen wir's, nicht Fehlschlag zu erleben,
Denn allzu groß war seiner Freunde Heer.
Ihn mit der Hochzeit Hoffnung zu umweben,
Zeig' ich ihm – heuchelnd – Liebe, täglich mehr.
Doch vorher soll er, was an Kraft ihm eigen,
So sag' ich, gegen unsre Feinde zeigen.
38.
Auf Abenteuer send' ich ihn vom neuen
Allein, sei's mit geringen Scharen, aus –:
Verderbend müßt' es jeder sonst bereuen,
Er aber kommt mit heiler Haut nach Haus,
Und immer darf er sich des Sieges freuen,
Oft gegen Ungetüme voller Graus,
Grimme Giganten oder Lästrygonen,
Die öfter nahten unsern Regionen.
39.
So ward nicht von Eurystheus dem Alkiden,
Nicht von der argen Mutter zugesetzt,
Der nach Nemea, Thrazien, zu Numiden,
Nach Erymanth und Lerna ward gehetzt,
Ätolien und so fort, wie ich den Frieden
Ihm stören ging: mit falschen Bitten jetzt,
Dann mörderisch mit Tücke, gift'gen Waffen,
Einzig bedacht, ihn aus der Welt zu schaffen.
[99] 40.
Als es auf diesem Weg nicht will gelingen,
Wird etwas andres noch von mir erdacht:
Ich laß ihn allen denen Kränkung bringen,
Die für ihn sind, daß er verhaßt sich macht.
Er, dessen Glück es ist, vor allen Dingen
Mir zu gehorchen, hat nur dessen acht,
Daß es nach meinen Winken mög' ergehen,
Ohne die Opfer auch nur anzusehen.
41.
Als alle Gegner so beseitigt schienen
Von meines Vaters Haus im Land umher,
Besiegt Alcest auch – durch Alcest – mit ihnen,
Denn keinen einz'gen Freund nun hatt' er mehr,
Trat ich vor ihn mit unverstellten Mienen
Und sagt' ihm klar, was ich verhehlt bisher:
Ich hasse ihn im tiefsten Herzen drinnen;
Sein Tod –, das sei mein Sehnen und mein Sinnen.
42.
Doch ließ ich diesen jetzt ihm angedeihen,
So würd' ich grausam von der Welt genannt,
Und über Undank würden viele schreien
(Denn was er für uns tat, war ja bekannt);
Von seinem Anblick soll er mich befreien,
Aus meiner Nähe bleib' er stets verbannt.
Nie sehn woll' ich ihn mehr, nie sprechen hören;
Kein Brief, kein Bote dürfe je mich stören.
43.
Mein schnöder Undank schuf ihm solche Qualen,
Daß er zuletzt durch schwere Herzensnot,
Nach Flehn und Bitten zu verschiednen Malen
In Krankheit sank und schließlich in den Tod.
Nun muß ich hier für mein Vergehn bezahlen:
Mein Auge trieft, und schwarzes Qualmen droht
Erstickung – diese Qual wird ewig dauern:
»Verzeihung kennen nicht der Hölle Mauern.«
[100] 44.
Als so die Worte Lydias verklingen,
Will Astolf umschaun nach noch andern mehr,
Doch wallt die Finsternis, die Strafe bringen
Dem Undank soll, um ihn so dicht und schwer:
Auch keinen Zoll breit kann er vorwärts dringen.
Er muß an Rückkehr denken und gar sehr
Die Beine rühren: es bedarf der Eile,
Daß er im Qualme nicht für ewig weile.
45.
Nur raschem Lauf ist solch ein Wechsel eigen
Der Sohlen, nicht dem bloßen Schritt und Trab;
So weit gelangt er bei dem Aufwärtssteigen,
Daß ihm die Höhlenöffnung kund sich gab:
Wobei sich Schimmer bloß vom Lichte zeigen;
Sie blitzen in die Finsternis hinab.
Keuchend und mühsam aus dem Höhlengrunde
Kommt er hinauf, und aus dem rauch'gen Schlunde.
46.
Um allen Bestien mit den Vogelbeinen,
Den gierigen, die Rückkehr zu verbaun,
Beginnt er aufzuhäufen Stein auf Steinen
Und Pfefferbäum' (und andre) abzuhaun,
Und vor der Höhle macht er so mit seinen
Händen ein Schutzwerk oder einen Zaun.
Ganz übermaßen gut gelang ihm alles:
Harpyien kommen fürder keinesfalles.
47.
Nicht nur daß Qualm und Rauch ihn dicht umschlangen,
Als er im schwarzen Schlunde sich befand,
Nein, tiefer war der arge Schmutz gegangen,
Unter die Rüstung hin und das Gewand.
Wasser zu finden ist nun sein Verlangen:
Er sucht und sieh! – aus einer Felsenwand
Im Waldesdickicht fließt ein Bächlein helle:
So wäscht er sich von Kopf zu Fuß im Quelle,
[101] 48.
Steigt dann aufs Flügelroß: es regt die Schwinge,
Emporzufliegen jenen Berg hinan,
Von dessen Gipfel man zum Mondesringe,
Wie man vermeint, hinaufgelangen kann.
Er wünscht gar sehr, daß er zur Höhe dringe:
Verläßt die Erde, schwebt nur himmelan,
Bis mehr und mehr zurück die Lüfte weichen,
Und Mann und Roß das höchste Joch erreichen.
49.
Die Blumen dort auf heitern Auen schienen
Demant und Chrysolith und Hyazinth,
Saphir, Topase, Perlen, Gold, Rubinen,
Emporgezaubert von dem lauen Wind.
Und Gras und Blatt so grün: besiegt von ihnen
Steht der Smaragden helle Pracht, es sind
Nicht minder schön der Bäume Laub und Äste,
Geschmückt mit Blüten, Früchten stets aufs beste.
50.
Und holde Vögel singen in den Zweigen,
Blau, weiß und grün und rot und gelb zu sehn;
Die Helle der Kristalle muß sich neigen
Vor muntern Bächlein und vor stillen Seen.
Gleichmäßig wallt der sanften Winde Reigen,
Die niemals rauh, nur immer lieblich wehn:
Der Hauch macht rings die Lüfte schaukelnd beben,
Daß niemals starke Gluten Plagen geben.
51.
Den Blumen, Früchten, Pflanzen allzusammen
Stahl er die Düfte mannigfach und rar,
Und eine Mischung ließ er dem entstammen,
Die Wonn' und Süßigkeit der Seele war;
Und ein Palast, wie von lebend'gen Flammen
Entglommen, ragte mächtig, wunderbar.
Ein solcher Glanz ringsum und solches Leuchten,
Daß sie Euch sicher überirdisch deuchten.
[102] 52.
Der Paladin läßt dem Palast entgegen,
Der rings an sieben Meilen wohl umfaßt,
Sein Tier bedächtig, langsam sich bewegen,
Das Land bewundernd und den hellen Glast;
Und häßlich scheint vor dieser Pracht dem Degen,
Und Gott und der Natur zugleich verhaßt,
Die schmutz'ge Erde, die wir hier bewohnen:
So herrlich ist's in jenen lichten Zonen.
53.
Ergriffen bleibt er stehn von heil'gem Schauer,
Als er das Dach, das schimmernde, erreicht;
Ein einz'ger Edelstein ist dort die Mauer,
Vor dessen Glanz Karfunkels Helle weicht.
Erhabnes Werk! Dädalischer Erbauer!
Was ist auf Erden, das sich dem vergleicht!
Stumm muß ein jeder bleiben und vernichtet,
Der von den sieben Wundern stolz berichtet.
54.
Der Herzog ward begrüßt von einem Alten
Am Säulengang des Hauses licht und hehr;
Weiß war das Kleid und rot des Mantels Falten,
Das weiß wie Milch und rot wie Mennig der.
Zur Schulter weiß die Haare niederwallten,
Weiß auf die Brust der Bart gar lang und schwer,
Und so verehrungswürdig seine Mienen,
Als sei der Sel'gen einer hier erschienen.
55.
Zu Astolf, der vom Tier war abgestiegen,
Mit fröhlichem Gesichte sprach der Greis:
»Der du zum Paradiese durftest fliegen
Der Erde, auf des Himmelsherrn Geheiß,
Mag auch der Grund dafür verdeckt dir liegen,
Wie seiner Sehnsucht Zweck dein Herz nicht weiß,
Nicht ohne tief Geheimnis, sollst du wissen,
Warst du des Wegs vom Norden her beflissen.
[103] 56.
Zu hören, wie du Karl kannst Hilfe bringen
Und wie beenden heil'ger Kirche Haft,
Zu mir her mußtest du von ferne dringen,
Planlos, wo rechten Plan mein Rat dir schafft.
Doch schreibe, lieber Sohn, ein solch Gelingen
Nicht eigner Klugheit zu noch eigner Kraft.
Nicht nützten Horn und Flügelpferd hienieden,
Wäre die Hilfe nicht von Gott beschieden,
57.
Was zu besprechen wir noch Muße haben;
Und wie du handeln mußt, hörst du von mir.
Jetzt soll bei uns dich Trank und Speise laben,
Das Fasten hat wohl keine Gunst bei dir.«
Und weiter sprechend zeigt er hohe Gaben
Und setzt den Herzog in Erstaunen schier,
Als er sich nennt; der Greis, der ihn zu Gast hat,
Ist – er, der's Evangelium verfaßt hat,
58.
Der Jünger, der zumeist dem Herrn willkommen.
Die Sage ging, es wurde Sankt Johann
Nicht so wie wir vom Tod hinweggenommen.
Zu Petrus sprach der Herr: »Was geht's dich an,
Bleibt er allhier, zu warten auf mein Kommen?«
So deutete der Heiland einst es an;
Er sagte nicht, daß er nicht sterben sollte,
Doch man erkennt, daß er es sagen wollte.
59.
Er ward entrückt dorthin; nicht einsam stand er,
Denn Henoch war, der Patriarch, schon da;
Elias ferner, den Propheten, fand er,
Der auch noch nicht den letzten Abend sah.
Sie freun sich ew'gen Lenzes miteinander,
Nicht mehr den schlimmen Erdenlüften nah;
Einmal verkünden Engelshörner ihnen,
Daß Christ, der Herr, auf weißer Wolk' erschienen.
[104] 60.
Im Saal, zu dem der Ritter unterdessen
Vom Heil'gen gastlich hingeleitet war
(Das Roß bekam woanders Korn zu fressen),
Bot Auserlesnes sich in Fülle dar.
Die Früchte, die man Astolf gab zu essen,
Sie schmeckten, schien ihm, köstlich, und fürwahr:
Entschuldigung verdienen ein'germaßen
Die ersten Eltern, wenn sie davon aßen.
61.
Nachdem der Herzog in der rechten Weise
Den Anspruch der Natur befriedigt hat
(Durch Ruhe jetzt, sowie zuvor durch Speise,
– Alles war gut und schön an dieser Statt –),
Sieht er, als Eos schied von ihrem Greise
(Der ihr noch lieb war, ob auch altersmatt),
Sobald er sich vom Bette hat erhoben, –
Den Jünger, lieb dem Herrn im Himmel droben.
62.
Der nahm ihn bei der Hand, ließ ihn verstehen,
Was hier in Ehrfurcht zu verschweigen ist,
Und sprach dann: »Sohn, du weißt nicht, was geschehen
In Frankreich, draus du doch gekommen bist:
Weil Roland ließ die heil'gen Banner wehen
Und seinen Weg ging, hat zu dieser Frist
Ihn Gott bestraft, der immer das Verbrechen
Des, der ihm lieb ist, schwerer pflegt zu rächen.
63.
Ihm wurde von dem Schöpfer ja gegeben
Die höchste Kühnheit und die höchste Kraft,
Und daß kein Eisen ihn verletzt im Leben,
Das jedem andern Menschen Wunden schafft;
Denn zum Beschützer wollt' ihn Gott erheben
Des heil'gen Glaubens und der Christenschaft,
So wie er den Philistern einst zum Trutze
Den Simson schickte zu der Juden Schütze.
[105] 64.
Doch euer Roland hat für solche Gnade
Nur üblen Dank bewiesen seinem Herrn:
Als das getreue Volk ihn braucht gerade,
Da bleibt er dem bedrängten König fern.
Verblendend lockt ihn Lieb' auf Frevelpfade;
Lieb' einer Heidin war sein böser Stern.
So wild und grausam ist er schon geworden,
Daß er den treuen Vetter wollte morden.
65.
Die Strafe ist, daß er, von Wahn gebunden,
Mit nackter Brust und Hüfte schweifend rennt,
Verstand ist ihm gestört und ist geschwunden,
Daß er nicht andre und sich selbst nicht kennt.
So hat die Strafe Gottes einst gefunden
Ihn, den das Buch Nebukadnezar nennt,
Der, sieben Jahr lang toll, war drauf versessen,
Dem Rinde gleich, nur Gras und Heu zu fressen.
66.
Doch weil der Graf sich minder schwer vergangen,
Als jener Herrscher in der alten Zeit,
Soll er nach Gottes Willen Gnad' erlangen,
Wenn er drei Monat büßte voller Leid.
Dich aber ließ der Heiland hergelangen
Zu keinem andern Zwecke von so weit,
Als daß du hörest, wie es mag gelingen,
Ihm des Verstandes Kraft zurückzubringen.
67.
Da gilt es freilich eine neue Reise;
Mit mir verläßt du gänzlich diese Welt.
Ich führe dich hinauf zum Mondeskreise
(Kein Sternbild hat sich uns so nah gesellt),
Weil er die Arzenei, die wieder weise
Den Grafen Roland macht, in sich enthält.
Wenn nachts der Mond uns wird zu Häupten stehen,
Soll unsre Fahrt dahin vonstatten gehen.«
[106] 68.
Dies und noch andres legt in diesen Stunden
Dem Herzog Astolf der Apostel dar;
Doch als die Sonne war im Meer verschwunden
Und Lunas Hörner glänzten hell und klar,
Hat sich für sie ein Wagen eingefunden,
Der für so luft'ge Fahrten passend war.
Durch ihn ward in Judäas Bergen droben
Vor Menschenblick Elias aufgehoben.
69.
Vier Renner, röter noch als Flammen, spannte
Der heil'ge Jünger diesem Wagen vor
Und setzte sich mit Astolf hin und wandte,
Die Zügel fassend, rasch sich hoch empor
Durch Ätherluft, bis wo das Feuer brannte,
Das ewig lodernde, am Himmelstor;
Da plötzlich ließ der Greis des Feuers Spuren
Durch Wunder schwinden, während sie's durchfuhren.
70.
Hin durch die Feuersphäre ging's beim Fliegen:
Sie kommen nach dem Reich des Mondes dann,
Sehn ihn wie fleckenlosen Stahl dort liegen
Und finden, daß er sich vergleichen kann
Dem andern Ball, von dem sie aufgestiegen
(Der mutet sie nur etwas größer an),
Ich rede von dem Teil am Erdenballe,
Den rings das Meer umschließt mit Wogenschwalle.
71.
Zwei Dinge mußten Staunen dort erregen:
Daß man den Mond so ausgedehnt erfand,
Den wir von unten klein zu schauen pflegen;
Nur tellergroß erscheint von hier dies Land;
Dann, daß man, um zu sehn, was hier gelegen,
Länder und Meer, den Blick so angespannt
Ausschicken muß: da sie kein Licht verbreiten,
Sind sie nur nah zu sehn und nicht vom weiten.
[107] 72.
Ein anderes Gefild ist dort zu schauen
Als hier bei uns und andre Flüss' und Seen
Und andre Berg' und Täler, andre Auen,
Darinnen Städte viel und Schlösser stehn.
So große Häuser, wie sie droben bauen,
Hat Astolf vor- und nachher nie gesehn.
Und hohe Wälder dicht und einsam ragen,
Darin die Nymphen wilde Tiere jagen.
73.
Nicht alles konnt' er dort genau betrachten,
Denn nicht zu diesem Zwecke kam er ja.
Nach einem engen Tal in Bergen machten
Sich beide auf den Weg, und siehe, – da
War wunderbarlich aufgehäuft in Schachten,
Was einst hier war, ob's durch die Zeit geschah
Oder durch Zufall oder Schuld von Toren;
Kurz, hier wird aufbewahrt, was wir verloren.
74.
Nicht Herrschaft nur und Reichtum mein' ich eben,
Die zu zermalmen ist das Rad bedacht,
Nein, was Fortuna nie vermag zu geben
Noch fortzunehmen: Ruhm ward hingebracht,
Gar viel und großer, dran die Zeit im Leben
Gleich einem Wurme nagt bei Tag und Nacht;
Gelübde mancherlei, Gebet und Flehen,
Die von uns Sündern hin zum Himmel gehen;
75.
Die Zeit, die ungenützt verstreicht beim Spiele,
Die Seufzer all von der Verliebten Heer,
Unausgeführte Plän', Entwürfe, Ziele,
Der Tagediebe Muße lang und leer.
Von eitlen Wünschen aber sind so viele:
Nichts andres dort verstopft den Platz so sehr.
Kurzum, was hier auf Erden dir entschwunden,
Dort oben auf dem Monde wird's gefunden.
[108] 76.
Der Führer, der den Herzog will geleiten,
Belehrt ihn über all die Schachte dort.
Als Berg sich aufgeblähte Blasen breiten;
Draus schallt ein Lärmen, Schrein und heftig Wort:
Die Kronen sind es aus den alten Zeiten,
Der Lyder einst und der Assyrer Hort,
Der persischen und auch der Griechenscharen,
Die – jetzt ein Name kaum – so ruhmvoll waren.
77.
Angeln aus Silber, Gold in großen Massen
Sind Gaben, dargebracht von Gier nach Lohn,
Wie sie die Könige sich machen lassen
Oder ein geiz'ger Großer, ein Patron.
Kränze, die eine Schlinge in sich fassen,
Sind Schmeicheleien mit verstecktem Hohn.
Es zeigen Verse, die den Fürsten loben,
Sich in Gestalt geplatzter Heimchen droben.
78.
Mißglückte Liebeshändel sind zu schauen
Als goldne Ketten, reich an edlem Stein.
Da waren ferner, hör' ich, Adlerklauen –:
Die Macht, die große Herrn dem Diener leihn.
Blasbalg mit vollen Schläuchen – ist Vertrauen
Und Gunst: – die lassen Fürsten angedeihn
Wohl ihren Ganymeden eine Weile,
Damit sie mit der Jahre Blüt' enteile.
79.
Schlösser und Städte sieht er, die vergangen,
An Schätzen reich, von Trümmern zugedeckt –:
Verträge, Meutereien, die mißlangen,
So hört er, sind's; meist werden die entdeckt.
In Mädchenköpfen mit dem Leib von Schlangen
Falschmünzerwerk und Diebestrachten steckt;
Dann mancherlei zerbrochne Wasserflaschen;
Das war der Dienst bei Herrn mit leeren Taschen. –
[109] 80.
Breisuppen viel, verschüttet, ausgelaufen;
Beim Führer holt er die Belehrung sich:
Almosen sind's, die Seligkeit zu kaufen,
Zu spenden erst, nachdem das Leben wich.
Von Blumen sieht er einen Bergeshaufen:
Einst roch es gut, jetzt stinkt es fürchterlich.
Das waren – mit Verlaub – der Schenkung Rester,
Gemacht von Konstantin an Papst Silvester.
81.
Leimruten sah er dort in großer Menge:
Das waren eure Reize, schöne Fraun!
Doch wär's zu lang: ich käme ins Gedränge,
Wollt' ich aus allem meine Verse baun,
Weil mir's mit Tausenden noch nicht gelänge:
Alles von dort war einst bei uns zu schaun. –
Der Torheit nur konnt' er nicht habhaft werden:
Die – weicht ja nicht von uns; sie bleibt auf Erden.
82.
Dann stieß er auch auf eigne Tag' und Taten,
Die einst ihm nutzlos schwanden aus der Hand,
Hätt' ihm der Führer dieses nicht verraten,
Er hätt' in der Gestalt sie nicht erkannt.
Drauf sah er, was wir nie von Gott erbaten,
Weil wir's so reichlich haben –, den Verstand.
Von diesem wahre Berge dort sich fanden:
Mehr gab's davon, als was noch sonst vorhanden.
83.
Es ist wie Flüssigkeit, die, schlecht verschlossen,
Als fein und ätherhaft verfliegt zumeist.
In mannigfache Krüg' ist's eingegossen,
Wie grade jeder passend sich erweist.
Der größte Krug dort barg des Milonsprossen
Gewalt'ges Denken, seinen hohen Geist.
Und ein Erkennungszeichen war geblieben:
»Rolands Verstand« war deutlich draufgeschrieben.
[110] 84.
So waren auch die andern sonst mit Scheinen,
Wem der Verstand gehörte, dort versehn.
Ein gutes Teil erblickt er auch des seinen;
Am meisten staunt er, daß er manchen, den
Durchaus verständig alle Leute meinen
Und dem auch nicht ein Gran schien abzugehn,
Nun muß für einen armen Schlucker halten,
Weil er den Krug so vieles sah enthalten.
85.
Dem nahm ihn Ehrgeiz, dem ein tolles Lieben,
Dem Hoffnung, auf der Fürsten Gunst gesetzt;
Dem hat ihn dumme Schwarzkunst ausgetrieben,
Dem Habsucht, die ihn auf das Meer gehetzt;
Dem war nur Sinn für Bilder, Stein geblieben,
Und der hat blindlings andres hoch geschätzt.
Auch viele Krüge von Poeten waren,
Von Astrologen- und Sophistenscharen.
86.
Astolf nahm seinen her, denn nicht verwehren
Wollt' er es, der die Offenbarung schrieb.
Wie er dran roch, – schien sich der Krug zu leeren,
Was den Verstand zur alten Stelle trieb:
Turpin erzählt, daß Astolf nun in Ehren
Für lange Zeit ein weiser Meister blieb,
Bis das Gehirn noch einmal mußte weichen,
Durch einen weitern Fall von dummen Streichen.
87.
Im größten, vollsten Kruge war enthalten,
Wodurch der Graf so weise ward gemacht.
Ihn nahm sich Astolf; als er ihn erhalten,
Fand er ihn schwerer, als er sich gedacht.
Bevor er nun zurückfährt mit dem Alten,
Zu niedern Sphären aus des Lichtes Pracht,
Sind sie zu einem großen Schloß gezogen:
In seiner Nähe wälzt ein Strom die Wogen.
[111] 88.
Allübrall sehn sie Flockenbündel stehen
Aus Wolle, Baumwoll', Flachs und Seide gar,
Vielfarbig, häßlich teils, teils schön zu sehen.
Im Vorhof spann ein Weib mit grauem Haar
Und ließ das alles durch die Haspel gehen.
So zieht im Dorf im Sommer Frauenschar
Die Fäden aus des Wurms benetztem Kleide,
Beim Sammeln und beim Haspeln neuer Seide.
89.
Wenn ein Pack fertig ist, kommt von den Leuten
Ein Mann sogleich mit neuem Stoff herein.
Ein Weib erscheint, die Reihen auszubeuten:
Schönes allein und Schlechtes auch allein.
»Das Werk versteh' ich nicht: was soll's bedeuten?«
Fragt Astolf jetzt. – »Du sollst befriedigt sein:
Die Frauen hier sind Parzen, und sie weben«,
Der Alte spricht, »euch Menschen so das Leben.«
90.
So lang gerade, wie die Flocken währen,
Währt Leben auch, darüber nicht hinaus.
Natur und Tod hierher die Augen kehren:
Sie finden so das Lebensend' heraus.
Durch Schmuck des Paradieses Glanz zu mehren,
Sucht jene sich die schönen Fäden aus.
Die schlechten aber, die dem Knäul entstammten,
Braucht man als rauhen Strick für die Verdammten.
91.
An allen Bündeln, die vom Haspel gingen,
Gesichtet, weil nun anderm Werk geweiht,
Auf Plättchen eingedrückt, die Namen hingen
Aus Eisen, Silber oder Goldgeschmeid'.
Viel Haufen türmten sich aus diesen Dingen,
Davon ein Alter ohne Müdigkeit
Fortnahm (nie dacht' er dran, sich zu erholen),
Und immer kam er, neues fortzuholen.
[112] 92.
Als wär' er nur geboren, um zu laufen,
Flink, hurtig ist der Greis, der also eilt:
Was andrer Namen trägt, nimmt er vom Haufen
In seines Mantels Zipfel unverweilt.
Warum er's tut, und ohne zu verschnaufen,
Werd' Euch im nächsten Sange mitgeteilt,
Wenn Ihr mich mit gewohnter Huld bedenket
Und mir ein Zeichen Eures Beifalls schenket.

[113] Fünfunddreissigster Gesang

1.
Wer wird für mich herab vom Himmel bringen,
Was ich verlor, o Herrin, an Verstand,
Der, seit aus Eurem Aug' ins Herz mir dringen
Die scharfen Pfeile, mehr und mehr verschwand? –
Doch will ich drob nicht Klagelieder singen,
Wenn keine neuen werden ausgesandt.
Denn, muß ich ihn noch mehr geschmälert sehen,
So wird mir's, fürcht' ich, bald wie Roland gehen.
2.
Ich brauch' in solche Höhen nicht zu steigen,
Um einzubringen meines Geists Verlust,
In Mondeskreis und Paradiesesreigen;
Daß er so hoch nicht weilt, ist mir bewußt.
Als Wohnsitz ist ihm Euer Antlitz eigen;
Die Alabasterhügel Eurer Brust
Durchschweift er, und ich kann mit diesen Lippen,
Glaub' ich, wenn Ihr's vergönnt, zurück ihn nippen.
3.
Der Herzog war durchs hohe Schloß gegangen,
Das Leben Kommender zu schaun, gespannt
Nach denen, die zu weben angefangen
Hatt' auf dem Haspel schon der Parze Hand.
Da glänzt ein Bündel: so vermag zu prangen
Nicht allerfeinstes Gold; es überwand
Vieltausendmal die schönsten Edelsteine
(Ließen sich Fäden ziehn) mit seinem Scheine.
[114] 4.
Das Prachtgespinst – kein schönres wär' zu spinnen –
Gefällt dem Paladin ganz ungemein:
Ihm wächst der Wunsch sogleich im Herzen drinnen,
Zu hören, wann solch Leben werde sein.
Johannes, ohne lang sich zu besinnen,
Sagt: »Zwanzig Jahr' eh M wird im Verein
Mit D darstellen einst das Jahr des Wortes,
Des fleischgewordnen, und des Menschenhortes.
5.
Wie jeder Glanz vor diesem muß erbleichen
Und kein Gespinst mit dem sich messen kann,
Wird jenem Dasein keines sich vergleichen,
Wenn es auf Erden einst Gestalt gewann.
Denn, was Natur an Gaben, wunderreichen,
Was eigner Fleiß mag schenken einem Mann,
Was gütiges Geschick vermag zu geben,
Wird ewig zieren dieses hohe Leben.
6.
Wo sich des Flüssekönigs Hörner recken,
Bescheiden«, sprach er, »liegt ein kleiner Ort.
Vorn fließt der Po, dahinter ziehn sich Strecken
Von sumpf'gem Lande durch den Nebel fort.
Im Lauf der Jahre wird aus diesem Flecken
Erblühn der Stolz ital'scher Städte dort
Durch Häuser schön in weiter Mauern Mitten,
Doch auch durch Wissenschaft und edle Sitten.
7.
Erhebung also rasch und so viel Ehre,
Ein bloßer Zufall ist's in keiner Weis';
Es ward von Gott bestimmt, daß würdig wäre
Des Baumes Stätte für ein solches Reis.
Will man erzielen, daß er Frucht beschere,
So pfropft man und man pflegt ihn recht mit Fleiß.
Geläutert wird auch Gold von hellem Scheine,
Sich zu verbinden mit dem Edelsteine.
[115] 8.
Noch niemals trugen früher Erdengäste
Ein Kleid so lieblich und von solcher Pracht;
Kaum ward, kaum wird von dieser Himmelsfeste
Solch hehrer, würd'ger Geist der Welt gebracht,
Wie der, daraus Herrn Hippolyt von Este
Der Quell der ew'gen Weisheit künftig macht.
Er, dem von Gott solch reich Geschenk gesandt wird,
Ippolito von Este zubenannt wird.
9.
Was man genug für viele möchte meinen
Und diesen allen hohe Zierde schafft,
Das sammelt sich als Schmuck für diesen einen,
Von dem ich reden wollte: Wissenschaft
Und Tugenden wird er ein Hort erscheinen;
Und nähm' ich hier zusammen Zeit und Kraft,
Daß ich sein ganz Verdienst dir hier verkünde,
Gehirnlos lange noch Herr Roland stünde.«
10.
Der Jünger Christi gab mit diesen Worten
Astolf Bescheid; und als sie beide dann
Sich umgeschaut an diesen hehren Orten,
Wo man das Los des Menschenlebens spann,
So gingen sie zum Fluß, der, nah den Pforten,
Mit häßlichen und trüben Wogen rann,
Als sie den Alten zu Gesicht bekamen,
Der forttrug all die Plättchen mit den Namen
11.
Und uns an meines jüngsten Sanges Ende
(Besinnt Ihr euch darauf?) den Abschied gab;
Im Antlitz alt, sonst hurtig und behende:
Mit jedem Hirsche nahm er's auf im Trab.
Den Namenhaufen griffen seine Hände:
Nie ward er fertig, nahm der Berg auch ab.
Er hat die Last, wo Lethes Wellen flossen,
Entladen – oder besser – ausgegossen.
[116] 12.
Kaum ist er angelangt an Flusses Rande,
So schüttet der verschwenderische Greis
Die Tafeln allesamt aus dem Gewande
Und gibt sie jenen schmutz'gen Wogen preis.
Zahllose sinken unter dort am Strande,
So daß man nichts damit zu machen weiß.
Von hunderttausend, die zur Tiefe wallten,
Hat kaum ein einzig Plättchen sich erhalten.
13.
Rings an des Flusses Ufern flattern krächzend
Raben und Krähn, Gevögel mancherlei;
Gefräß'ge Geier nahn und Dohlen, ächzend,
Mit Lärmen und mißtönigem Geschrei,
Und eilen, nach der reichen Beute lechzend,
Die sie verstreut sehn, durch die Luft herbei
Und packen dies mit Schnabel, das mit Krallen,
Doch lassen sie es, eh sie weit sind, fallen.
14.
Wie sie versuchen, durch die Luft zu streichen,
Da fühlen sie sich durch die Last beschwert,
Und nach den Lethefluten muß entweichen
Manch reicher Name, der Erinnrung wert.
Ein Paar von weißen Schwänen nur (sie gleichen,
Herr, Eurem Wappen) froh zur Höhe fährt,
In stolzer Sicherheit die Flügel schlagend
Und seine Namen in den Schnäbeln tragend.
15.
So werden einige des Flusses Wogen,
Dem sonst der neid'sche Greis die Namen weiht,
Durch jene guten Vögel wohl entzogen:
Die andern all verschlingt Vergessenheit.
Bald flügelschlagend und bald schwimmend, flogen
Die heil'gen Schwäne durch die Lüfte weit
Zu einem Hügel an des Flusses Strande:
Dort ragt ein Tempel auf am Bergesrande.
[117] 16.
Geweiht war der Unsterblichkeit die Stelle:
Vom Hügel eine schöne Nymphe kam
Hinab zum Strand, bespült von Lethewelle,
Die aus der Schwäne Mund die Tafeln nahm.
Ein Bildnis ragt auf einer Säule Helle:
Das schmückt sie mit den Platten wundersam,
Geweihte Stätte ihnen zu bereiten,
Wo man sie schauen kann für ew'ge Zeiten.
17.
Über den Greis wär' Astolf gern im klaren;
Was sinken jene Namen nutzlos hin?
Was ist es mit dem Ort? den Vogelscharen?
Was mit der Nymphe dort im Tempel drin?
Von alldem wünscht er sehnlich zu erfahren
Das tief' Geheimnis, den verborgnen Sinn.
Vernehmt nun, was der heil'ge Jünger sagte,
Nachdem der Herzog Astolf ihn befragte:
18.
»Kein Zweiglein, wisse, kann dort locker werden,
Davon ein Zeichen nicht sich hier entfalt':
Die Wirkung ist im Himmel und auf Erden;
Nur zeigt sie sich in anderer Gestalt.
Der Alte mit den eiligen Gebärden,
Dem lang der Bart zur Brust herniederwallt,
Wisse, daß er das Werk zu tun bereit ist,
Das auf dem Erdenball verliehn der Zeit ist.
19.
Ein Menschenleben muß zu Ende gehen,
Sind von dem Rad die Fäden eingereiht;
Der Ruf wird dort, das Zeichen hier bestehen.
Fortdauern würden beid' in Ewigkeit,
Wär' er nicht, den wir zottelwangig sehen,
Hier oben – und dort unten nicht die Zeit.
Der wirft sie fort, wo Lethes Fluten winken;
Die läßt sie in Vergessenheit versinken.
[118] 20.
Und wie hier oben Geier, Krähen, Raben
Und was von Vögeln sonst zu schauen war,
Davonzuschleppen alle Müh' sich gaben,
Wodurch ein Name schön erschien und rar:
So machen's Schelme, Schmeichler, feile Knaben,
Schalksnarren, Schnüffler und die ganze Schar,
Die irgendwie hat Dienst bei Hof genommen,
Dort mehr oft als der Redliche willkommen.
21.
Hofleute nennt man sie, von feinen Sitten –
Sie äffen ja dem Esel nach und Schwein –:
Wenn ihrem Herrn den Faden abgeschnitten
Die Parze hat ('s ist Venus mehr und Wein),
Dann läßt (wie Speisen nach dem Wanste glitten,
War stets der Faulen Sinnen ganz allein)
Der Schwarm den Namen ein paar Tag' erschallen,
Dann in Vergessenheit hinunterfallen.
22.
Doch wie mit frohem Sang der Schwäne Scharen
Zum Tempel tragen jener Plättchen Glast,
Poeten vor Vergessenheit bewahren,
Die ja noch schlimmer ist als Sterben fast.
Heil euch, ihr Fürsten klug und wohlerfahren,
Die ihr des Cäsars Beispiel habt erfaßt
Und – weise – macht die Sänger euch gewogen!
Euch schrecken nimmermehr der Lethe Wogen!
23.
So wie die Schwäne, sind Poeten selten
(Sie, die wir solchen Namens würdig sehn),
Sei's, weil nach Gottes Rat in diesen Welten
Ein Reich Erlesener nicht soll bestehn,
Sei's, weil die Herren – Geiz'ge muß man schelten –
Die hohen Geister lassen betteln gehn;
Unwert erheben und Verdienst verbannen:
So jagen sie die rechte Kunst von dannen.
[119] 24.
Getrübt hat ihnen – glaubt mir – Gott die Lichter
Des Denkens und genommen den Verstand;
Sie scheuten, ach! die hohe Kunst der Dichter;
So löscht nun alles aus des Todes Hand.
Sie schritten, ob verdammt vom Totenrichter,
Sonst lebend weiter über Grabes Rand
Und röchen – öffnet Cirra ihre Grüfte –
Noch lieblicher als Nard- und Myrrhendüfte.
25.
Aeneas war so fromm nicht, wie wir lesen;
Hektor, Achill so stark nicht und voll Mut –
Wohl tausend, tausend, tausend sind gewesen
Noch besser oder doch gerad so gut;
Doch die Paläste, Villen auserlesen –
Der Söhne Spende solche Wunder tut:
Der Dichter Hand schuf all die hohen Ehren,
Zu denen sie sonst nie gekommen wären.
26.
So, wie's verkündet hat Vergils Trompete,
So gütig, heilig war Augustus nie:
Daß guter Wind bei ihm für Dichter wehte,
Das war's, was ihm der Ächtung Schuld verzieh.
Es könnte sein, daß sich die Meinung drehte
Für Nero und ihm gleichen Nachruhm lieh'
(Wären auch Erd' und Himmel strenge Richter),
Hätt' er zu Freunden sich gemacht die Dichter.
27.
Siegreichen Agamemnon zeigt Homer dir;
Der Troer ist bei ihm ein feiger Wicht;
Penelope gefällt, die treue, sehr dir,
An der die Freierschar so viel verbricht;
Enthüllte sich die Wahrheit aber mehr dir,
So klänge wohl ganz anders die Geschicht':
Penelope wär' schlecht und wenig züchtig,
Die Troer Sieger und die Griechen flüchtig.
[120] 28.
Sieh anderseits, wie Dido hat erhalten
Für ihre Keuschheit, ach, so schlechten Zoll!
All ihre Tugenden als Ränke galten,
Weil Herr Vergil nicht hold und liebevoll.
Doch staune nicht, wenn ich mich aufgehalten,
Und mir zuletzt sogar die Galle schwoll;
Ich mußt' es tun, ich liebe die Autoren,
Hab ich die Schreiberzunft doch selbst erkoren!
29.
Dadurch gewann ich hohe Herrlichkeiten,
Denn nie kann Zeit und Tod ja mich bedrohn:
Vergönnt ward mir durch Christ, den Benedeiten,
Zu seinem Ruhm unsagbar großer Lohn.
Mich jammert, wer da lebt in bösen Zeiten,
Wenn Edelmut verschloß die Türen schon
Und bleiche Menschen, abgezehrt wie Knochen,
Bei Tag und Nacht umsonst an ihnen pochen.
30.
So ist – was schon gesagt, zu wiederholen –
Klein der Gelehrten und der Dichter Kreis:
Sogar das Wild entflieht, wo nicht zu holen
Ein Weidefutter oder andre Speis.«
Er spricht's – und Flammen sprüht wie Feuerkohlen
Dabei sein Augenpaar –, der sel'ge Greis.
Mit weisem Lächeln drauf und nicht mehr bitter,
Nein, heiter, freundlich wandt' er sich zum Ritter.
31.
Mit ihm, der's Evangelium geschrieben,
Bleib' Astolf, – denn von mir sei jetzt voll Wucht
(Ich bin zu lang auf Flügeln schon geblieben
Und müd) ein Sprung zur Erd' hinab versucht.
Zum Fräulein kehr' ich, dem ins Herz getrieben
Der böse Stachel ward durch Eifersucht.
Ich ließ sie nacheinand zu Boden strecken
In kurzem Kampfe die drei Königsrecken.
[121] 32.
Vernommen hatte sie noch spät am Tage
In einem Schlosse, ihrem Wege nah,
Daß Agramant nach seiner Niederlage
In Arles sei: – und die Hoffnung sagt ihr da,
Sie finde nun den Teuren ohne Frage.
Drum als in ihr Gemach der Morgen sah,
Ritt sie provencewärts; Karl mit seinen Mannen,
So hörte sie, zog auch dahin von dannen.
33.
Sie nahm den nächsten Weg in großer Eile;
Da fügte sichs, daß sie ein Fräulein fand,
Der Lieblichkeit und Anmut ward zuteile,
Wenngleich ihr Auge jetzt voll Tränen stand.
Wir kennen sie: getroffen von dem Pfeile,
Heiß liebte sie den Sohn des Monodant
Und ließ bei Rodomonte ihren Ritter
Am Steg, gefangen hinter Schloß und Gitter.
34.
Sie sucht, wie sie des Kämpen habhaft werde,
Des kampferprobten, der – der Otter gleich –
Imstande sei, mit jenem auf der Erde
Zu ringen und dazu im Wasserreich.
Die Leiderfüllte sah die Schmerzgebärde
Der Freundin Brandimarts, und alsogleich
Trat sie mit feinem Gruße ihr entgegen
Und bat sie, ihren Kummer darzulegen.
35.
Als Flordelis auf sie die Augen kehrte,
Da stand vor ihrem Aug' der Held gerad;
Sie meldet, wie der Fürst den Steg verwehrte
Und ihrem Freunde dort den Weg vertrat,
Ihm fast das Leben raubte mit dem Schwerte;
Nicht daß er etwa stärkre Schläge tat,
Nein, weil die Hilfe, die der Fluß ihm brachte,
Der schlaue Heide sich zunutze machte.
[122] 36.
»Du bist so edel,« sprach sie, »kühn an Mienen:
O wenn du beides bist in Wirklichkeit,
So wolle mir – um Gott! – als Rächer dienen
An ihm, der meinen Herrn hält, mir zum Leid!
Sonst sage mir, ob wohl ein Held erschienen,
Der jenen Mohr bestehen könn' im Streit,
Erfahren so im Kampf und Werk der Waffen,
Daß Brück' und Fluß dem keine Hilfe schaffen.
37.
Du tust damit, was ja vor allen Dingen
Des wackern Ritters Schuldigkeit und Pflicht;
Auch wirst du's für den besten Mann vollbringen,
Der Treuverliebter Spiegel ist und Licht.
Ich will kein Loblied seinen Gaben singen:
So viele sind's, ich zählte sie dir nicht.
Und sollte sie ein Krieger doch nicht kennen,
So ist er wahrlich taub und blind zu nennen.«
38.
Die edle Maid, die jeder Tat beflissen,
Sobald sie kühn und rechten Lobes wert,
Will hohen Ruhms Gelegenheit nicht missen,
Und hat sich, hinzugehn, bereit erklärt;
Jetzt um so mehr: nun ihr das Herz zerrissen,
Gilt ihr es gleich, wird ihr der Tod beschert.
Sie glaubt sich, ach, von Roger ja verlassen
Und weiter fortzuleben, muß sie hassen.
39.
»Verliebtes Mädchen,« sagte Bradamante,
»Nach allen Kräften still' ich dir dein Weh
Und tue, was dein Mund gefährlich nannte,
Aus andern Gründen, die ich übergeh',
Zumeist doch, weil er jenem zuerkannte,
Was ich an wenigen zu rühmen seh':
Die Liebestreu'; ich sag's mit dürren Worten:
Treubrüchig sind die Männer allerorten!«
[123] 40.
Sie endigt seufzend, wie mit einer Klage;
Der Seufzer war dem Herzensgrund entflohn.
Drauf sprach sie: »Gehen wir!« Am andern Tage
Gelangten sie zum Paß des Schreckens schon.
Der Krieger, der die Wache hielt am Schlage,
Meldet sie an mit seines Hornes Ton.
Drauf wappnet sich der Mohr und kommt geritten,
Wie er's gewohnt ist, auf der Brücke Mitten.
41.
Und als er sieht, sie naht sich jener Stelle,
Bedräut er gleich mit Tod die Kriegerin,
Gebe sie nicht die Wehr in aller Schnelle
Als Opfer an das große Grabmal hin.
Ihr aber war bekannt, daß Isabelle
Gestorben war durch seinen harten Sinn
(Denn Flordelis erzählt' ihr von den beiden),
Und Antwort gab sie nun dem stolzen Heiden:
42.
»Was, Bluthund, du verbrachst mit argem Mute,
Büßt es die Unschuld mit der reinen Hand?
Versöhne jene mit dem eignen Blute:
Sie starb durch dich; der Welt ist das bekannt.
Ein beßres Opfer, traun, empfängt die Gute
Als jene, die dein Schwertschlag überwand,
Mit allen ihren Rüstungen und Waffen –
Kann ich, sie rächend, dich zur Hölle schaffen.
43.
Willkommner wird ihr sein, was ich ihr sende,
Weil ich, wie sie, ja selbst ein Mädchen bin;
Ich kam hierher nur, daß sie Rache fände;
Allein nach diesem Ziele steht mein Sinn.
Doch eh wir sehn, wie Kampfesglück sich wende,
Laß den Vertrag uns schließen zu Beginn:
Wenn du im Streite mich zu Boden brachtest,
So tu mir, wie du's mit den andern machtest.
[124] 44.
Erliegst du aber, will ich mir gewinnen –
Ich hoff's – die Rüstung und das Pferd von dir.
Bloß diese weih' ich dann im Grabmal drinnen;
Die andern alle nehm' ich fort von hier,
Und alle Krieger ziehen frei von hinnen.«
Sprach Rodomont: »Gerecht erscheint es mir;
Doch könnt' ich die Gefangnen dir nicht geben:
Die hab' ich nicht mehr hier am Ort; sie leben
45.
In Afrika, gesandt nach meinen Reichen.
Doch ich verspreche fest und feierlich:
Fügt es sich wirklich nach des Schicksals Streichen,
Daß du im Sattel bleibst, am Boden ich,
Frei sollen die Gefangnen all entweichen,
Und zwar sofort, nachdem die Zeit verstrich,
Die wohl ein Bote braucht, dorthin zu eilen
Und, was du mir gebietest, mitzuteilen.
46.
Mußt du nun – wie's sich mehr ziemt – unten liegen
(Und sicher weiß ich, also wird es sein),
Behalt die Wehr; zur Schar, die sich besiegen
Ließ, trage deinen Namen nicht der Stein:
Das schöne Haar, drauf Lieb' und Lust sich wiegen,
Das Antlitz und die holden Äugelein,
Sie will ich ja mit meinem Sieg beschenken
Und deinen Sinn vom Haß zur Liebe lenken.
47.
Ich bin so kühn, an Kräften so gewaltig:
Von mir besiegt zu sein ist keine Schand'.«
Ein Lächeln, aber etwas wermuthaltig,
Darin mehr Zorn als andres sich befand,
Gab Antwort auf sein Prahlen mannigfaltig:
Sie sprengte vorwärts an des Brückleins Rand,
Und mit dem Goldspeer, eingedrückt die Sporen,
Stürmte die Jungfrau auf den stolzen Mohren.
[125] 48.
Gerüstet hat sich Rodomont zum Streiten:
Er kommt in vollem Lauf, die Brücke kracht,
So daß sie Menschen in entfernten Weiten
– Wohl kann es sein – die Ohren dröhnen macht.
Die alte Wirkung muß den Speer begleiten;
Der Mohr, sonst so gewaltig in der Schlacht,
Hoch aus dem Sattel in die Luft gehoben,
Fliegt auf den Steg, Kopf unten, Füße oben.
49.
Kaum bot die Brücke Platz der Hochgemuten,
An ihm vorbeizukommen mit dem Roß:
Fast stürzte sie hinunter in die Fluten
– Gefahr war groß –, als sie hinüberschoß.
Doch flink ist Rabikan, der Feuergluten
Und Sturmwind ja, dem brausenden, entsproß:
Er schlüpft dahin am äußern Rand gerade;
Ein scharfes Schwert wär' ihm genug zum Pfade.
50.
Sie kehrt sich um, jetzt beim Vorüberfliegen,
Zu dem am Boden; neckend spricht sie dann:
»Wer von uns beiden muß nun unten liegen?
Du siehst wohl, wer verlor und wer gewann?«
Starr war der Heide (seine Lippen schwiegen);
Er faßt nicht, daß ein Weib ihn fällen kann.
Ob er nicht sprechen wollte, ob nicht konnte
Wie stumpf und sinnverstört blieb Rodomonte.
51.
Traurig und stumm beginnt er aufzustehen,
Bewegt sich vier, fünf Schritte langsam, schwer,
Reißt Schild und Helm, wo Schupp' und Ring zu sehen,
Sich ab und schleudert hin die ganze Wehr,
Um dann allein, zu Fuß, davonzugehen.
Dem Knappen gab er Auftrag noch vorher,
Mit den Gefangnen möge man verfahren
So, wie sie übereingekommen waren.
[126] 52.
Er schied, und nichts von ihm vernahm man weiter,
Als daß er jetzt ein Höhlenloch bewohn'.
Indes wird aufgehängt vom Mohrenreiter
Die Rüstung an dem hohen Grabmal schon.
Das Fräulein nimmt die Wehr der andern Streiter,
Die sie als Kämpfer für des Kaisers Thron
Erkannte; jeder Name stand geschrieben.
Sonst sind die Waffen dort am Platz geblieben.
53.
Von Samsonet die Wehre sah sie hangen,
Von Oliver, vom Sohn des Monodant.
Die ersten waren gradeswegs gegangen,
Den Ritter aufzufinden von Anglant:
Sie wurden von dem grimmen Mohr gefangen
Und – gestern erst – nach Afrika gesandt.
Das Fräulein nimmt vom Grabmal ihre Waffen
Und läßt sie in Verschluß des Turmes schaffen.
54.
Die andern bleiben an dem Marmorsteine,
Die sonst der Heidenfürst erbeutet hat,
Auch eines Königs: diesen lenkte seine
Sehnsucht zum edlen Hengste Frontalatt.
Womit ich des Zirkassiers Waffen meine:
Der lief sich über Tal und Hügel satt,
Hier auch sein zweites Roß noch einzubüßen
Und waffenlos zu scheiden – auf den Füßen.
55.
Ja, waffenlos, zu Fuße muß er scheiden
Vom bösen Brücklein da, der Mohren Hort,
Denn die Geschlagnen zogen – wenn sie Heiden –,
Von Rodomont entlassen, alle fort.
Den Weg zum Lager ließ er sich verleiden;
Er zeigte sich, beschämt, jetzt nimmer dort,
Weil frühre Prahlereien es verwehren,
Also beschämt dahin zurückzukehren.
[127] 56.
Nach ihr, für die sein Herz sich will verzehren,
Hat Sakripant aufs neu sich aufgemacht;
Da ließ das Glück die Kunde ihm bescheren
(Ich weiß nicht, wer die Nachricht ihm gebracht),
Sie sei jetzt auf dem Wege, heimzukehren.
So eilt er denn, gespornt von Amors Macht,
Und folgt der Teuren Spur auf jenen Auen –
Doch nach der Haimonstochter will ich schauen.
57.
Weil eine andre Inschrift hier erzählte,
Wie dieser Paß von ihr ward freigelegt,
Befragt sie Flordelis, die Schmerzgequälte,
Die noch die nassen Blicke niederschlägt,
Liebreich, ob sie die Straße schon sich wählte,
Darauf der Zelter sie von dannen trägt.
Sprach Flordelis: »Der Weg ist mir erkoren;
Er geht nach Arles ins Lager zu den Mohren.
58.
Dort hoff' ich, um hinüber aufzubrechen,
Ein Schiff zu finden und ein gut Geleit,
Und nie werd' ich die Reise unterbrechen,
Bis ihn zu finden mir das Glück verleiht.
Will alles tun, die Ketten ihm zu brechen,
Versuchen alle Wege mit der Zeit,
Damit ich, trog des Mohren Schwur am Ende,
Noch dieses Mittel oder jenes fände.«
59.
»Ein Stück des Weges«, sagte Bradamante,
»Bin ich bereit Genossin dir zu sein;
Bis hin vor Arles; als meine Abgesandte,
Bitt' ich, geh dann in jene Stadt hinein
Und suche Roger auf bei Agramante!
Sein Name klingt im Land jetzt fast allein.
Tritt vor ihn hin mit diesem guten Pferde,
Von dem ich Rodomont warf auf die Erde,
[128] 60.
Und sag' ihm Wort für Wort: ›Ein fremder Degen
(Er ist der Welt es darzutun imstand
Und fest gewillt, es deutlich darzulegen,
Daß er des Treuebruchs dich schuldig fand)
Gab – stell' dich unverzüglich ihm entgegen! –
Hier dieses Roß für dich in meine Hand.
Nimm eilig, sagt er, Schupp' und Panzerringe!
Er harrt, daß er im Kampfe mit dir ringe.‹
61.
Sprich dies, – nicht mehr! Fragt er, so sagst du eben,
Ich sei dir unbekannt.« Voll Freundlichkeit,
Wie stets, spricht Flordelis: »Das Leben,
Und nicht nur Worte, wär' ich gern bereit
In deinem Dienste für dich hinzugeben;
Du botest ja das deine mir zur Zeit.«
Das Fräulein dankt ihr, faßt Frontin behende
Und gibt ihr Zaum und Zügel in die Hände,
62.
Worauf den Fluß entlang die Pilgerinnen
Gar eilig ziehen, jung und hold und schön,
Bis Arles erscheint, und dann ihr Lied beginnen
Des fernen Meeres Wogen mit Gedröhn.
Die Kriegerin bleibt in der Vorstadt drinnen,
Nah bei der Außenschanzen letzten Höhn,
Daß Flordelis die nöt'ge Zeit sich gönne
Und ihren Hengst zu Roger bringen könne.
63.
Die ritt durchs Gatter nach der Brück' und Pforte
Und nahm dann einen, der Geleit ihr gab
Zur Wohnung Rogers: angelangt am Orte,
Steigt Flordelis von ihrem Pferd herab,
Meldet dem Jüngling Bradamantes Worte
Und liefert ihm Frontin, den Renner, ab.
Sie wartet nicht, ob er Bescheid erteile,
Und geht, zu eignen Wegen, fort in Eile.
[129] 64.
Roger zermartert sich mit Grübeleien
Verdutzt den Kopf und quält sich ab im Geist:
Wer fordert ihn, spricht von Verrätereien,
Der doch zugleich ihm Freundlichkeit erweist?
Wie kommt es? Kann man ihn des Treubruchs zeihen?
Wie kommt es, daß ihn einer treulos heißt?
Er faßt es nicht; am wenigsten von allen
Wär' er auf Bradamante hier verfallen.
65.
Wär's Rodomont? Der könnte – möcht' er meinen –
Vielleicht von allen es am ersten sein;
Zwar, daß er dem auch sollte falsch erscheinen, –
Es anzunehmen fällt kein Grund ihm ein;
Doch kennt er auf der weiten Welt nicht einen,
Mit dem er Streit gehabt, als ihn allein.
Inzwischen ruft zum Kampf die kühne Schöne,
Denn mächtig schallen ihres Hornes Töne.
66.
Die Nachricht, daß ein Kämpfer sei erschienen,
Ward zu Marsil gebracht und Agramant.
Durch Zufall stand Herr Serpentin bei ihnen;
Der rief nach Waffen gleich und Stahlgewand:
Dem Übermüt'gen, sagt' er, woll' er dienen,
Wo rings viel Volk auf Mauern sich befand.
Zu Hause blieben Alte nicht noch Kinder:
Sie sähen alle gern den Überwinder.
67.
In reichem Kleid und Harnisch, in den Bügel
Sprang mutig Serpentin vom Stern zum Strauß:
Er fällt beim ersten Stoß; als trüg' es Flügel,
So schnell entflieht sein Roß, gar weit hinaus.
Die Dame holt es ein, bringt's ihm am Zügel
Und spricht voll Höflichkeit: »Sitz auf, zu Haus
Dem König, deinem Herrn, von mir zu sagen:
Ich möchte mich mit beßrem Krieger schlagen.«
[130] 68.
Dem König, der mit vielen von den Seinen
Auf Mauerhöh', um zuzusehn, erschien,
Will wundersam die Höflichkeit erscheinen,
Die dort der Held erzeigt hat Serpentin:
»Er durft' ihn greifen füglich, sollt' ich meinen,
Und tat's nicht!« ruft er laut; rings hört man ihn.
Da meldet Serpentin, ihm sei befohlen,
Nun bessern Kämpen zum Turnier zu holen.
69.
Vom Spanierland der wildeste der Streiter
– Der stolze Volternaner ist's, Grandon –
Erscheint (auf seine Bitten) jetzt als Zweiter
Und kommt zum Plane hin mit grimmem Drohn:
»Nun hilft dir deine Höflichkeit nicht weiter;
Gefangenschaft wird dir von mir zum Lohn,
Wenn ich dich lebend auf den Boden lege;
Doch stirbst du, wenn ich leiste, was ich pflege.«
70.
Sie sprach: »Für deine Grobheit zu vergessen,
Was Höflichkeit erheischt, sei fern von mir.
Eh deine Glieder drum den Boden messen,
Zu deinem Herrn zu gehen rat' ich dir:
Sag' ihm von mir, du bist der Held nicht, dessen
Ich mich versah, als ich erschienen hier;
O nein, ein Krieger von erlesnem Werte
War es, den ich als Gegner mir begehrte.«
71.
Die herben Worte, beißend scharf, erregen
Im Herz des Mohren großen Zornes Glut:
Was setzt er solchem Stolze wohl entgegen? –
Er schwenkt sein Tier herum voll Grimm und Wut.
Den Goldspeer eilt das Fräulein einzulegen,
Und auf den Kühnen sprengt sie wohlgemut.
Kaum klirrt der Zauberspeer auf seinem Schilde –
Den Fuß zum Himmel streckt Grandon der wilde.
[131] 72.
Die Edle hat das Pferd ihm eingefangen
Und spricht zu ihm: »Ich sagt' es ja voraus:
Dir frommte mehr, dem König mein Verlangen
Zu melden, als ein solcher Waffenstrauß.
Laß, bitt' ich, nun den Wunsch zu ihm gelangen,
Er suche einen mir Gewachsnen aus.
Möchte mir nicht mit Euch Ermüdung schaffen,
Die ihr geringe Übung habt in Waffen.«
73.
Wie alle auf der Mauer staunend fragen:
Wer sitzt in seinem Sattel dergestalt?
Und große Namen nun einander jagen
(Der Klang macht ihnen im August schon kalt)!
Es sei wohl Brandimarte, viele sagen;
Die meisten aber raten auf Rinald,
Sie würden auch den Namen Rolands nennen,
Doch allesamt sein traurig Schicksal kennen.
74.
Den dritten Gang Lanfusas Sohn begehrte;
Er sprach: »Nicht weil auf Sieg ich rechnen kann,
Doch weil ich gern den Tadel jener wehrte:
Man rechnet's, fall' ich, ihnen minder an,«
Worauf er sich mit allem wohl bewehrte,
Das man gebraucht; von hundert Rennern dann,
Die er im Stalle hatte, wählt' er einen,
Den besten, aus, mit leichten, flinken Beinen.
75.
Eh er den Streithengst läßt zum Angriff rennen,
Grüßt er, und sie dann ihn, voll Höflichkeit.
Die Dame sprach: »Wollt Euren Namen nennen,
Wenn ich Euch bitten darf um den Bescheid«!
Darauf gibt Ferragu sich zu erkennen;
Versteckt hat er sich noch zu keiner Zeit.
»Ihr seid«, versetzt sie, »mir nicht unwillkommen,
Doch andern Namen hätt' ich gern vernommen.«
[132] 76.
»Und welchen denn?« der Sarazene fragte –
»Roger,« sprach sie, und sprach es nur mit Müh'.
Ihr Antlitz färbte sich, da sie es sagte,
Als ob ein Röselein darauf erblüh'.
»Weil er als Krieger alles überragte,«
So fuhr sie fort; »man sagt' mir's spät und früh.
Mein ganzes Sorgen ist, mein ganzes Sinnen,
Ob er von mir wohl mag den Sieg gewinnen.«
77.
Was manche boshaft deutelnd könnten drehen,
Das sagt sie harmlos und voll Einfachheit.
Sprach Ferragu: »Laß erst zuvor uns sehen,
Wer von uns beiden mehr versteht im Streit.
Geschieht mir, was schon vielen ist geschehen,
Dann mag die Heilung meiner Traurigkeit
Vielleicht dem edlen Rittersmann gelingen,
Sehnst du dich alsosehr nach solchem Ringen.«
78.
Derweil aus ihrem Mund die Worte klangen,
Hielt sie emporgeschlagen das Visier.
Der Heide sieht der holden Züge Prangen
Und fühlt schon, ach, sich halb bezwungen schier:
»Ein Engel wollt' herab zu uns gelangen,«
Spricht er zu sich im stillen: »hat er mir
Noch mit der Lanze nicht den Schild getroffen,
Schlägt mich sein schönes Auge, hell und offen.«
79.
Sie nahmen Feld, – und wie die andern Streiter
Flog aus dem Sattel Ferragu sofort.
Das Fräulein bringt das Roß zurück dem Reiter
Und spricht: »Geh hin, gedenke an dein Wort.«
Beschämten Blickes zog der Heide weiter,
Und Roger fand er bei dem König dort,
Worauf er ihm des Ritters Botschaft brachte,
Der sich im Kampf mit ihm zu messen dachte.
[133] 80.
Ob Roger auch noch nicht den Fremden kannte,
Der solcher Art den Streit mit ihm begann,
War er doch siegsgewiß; vor Freude brannte
Sein Herz; rasch legt' er Ring' und Schuppen an:
Wenn jener, meint er, gleich zur Erde sandte
Die Gegner all, ihn das nicht schrecken kann.
Wie er zum Kampf ging, was die Folgen waren,
Das will ich für den nächsten Sang versparen.

[134] Sechsunddreissigster Gesang

1.
Ein edles Herz muß seinen Adel zeigen
– Es kann nicht anders – stets und überall:
Was durch Natur ihm und Gewohnheit eigen,
Das abzutun, vermag's in keinem Fall.
Ein niedrig Herz wird sich zu Niederm neigen;
Bosheit zeigt allerorten ihre Krall';
Natur lenkt sie, läßt sie Gewohnheit werden,
Und schwer nur ändert diese sich auf Erden.
2.
Des Rittersinns, des Edelmuts Exempel
Ward oft bei alten Kriegern offenbar,
Bei neuern nicht; allein der Bosheit Stempel,
Ruchloser, stellt sich Aug' und Ohren dar.
Im Kriege, Hippolyt, als Ihr die Tempel
Mit Fahnen schmücktet aus der Feinde Schar,
Und die genommnen Schiffe, reich beladen
Mit Beute, zogt nach heimischen Gestaden,
3.
Da ward viel Schlimmres noch, als durch Tataren
Geschah und Türken je und Mohrenmacht,
Nicht durch die Venezianer (diese waren
Auf Recht stets und Gerechtigkeit bedacht),
Nein, durch verbrecherische Mietlingsscharen
Mit frevlerischen Händen ward's vollbracht.
Ich sag's nicht um der vielen Brände willen,
Die in den Gärten rasten unsrer Villen –
[135] 4.
Zwar schnöde Rache war auch dies zu nennen
Zumal an Euch, der Ihr, wie doch bekannt,
Als Padua der Cäsar ließ berennen,
Gar manche Feuersbrunst habt abgewandt
Und Kirch' und Dorf gerettet vorm Verbrennen,
Als dieses schon in hellen Flammen stand,
So wollt' es jener Huld, die Euch vor allen,
Und schon seit früher Jugend, schmückt, gefallen –
5.
Nicht diese Untat will ich hier berühren
Und auch so manchen andern Frevel nicht;
Nur was zu Tränen Steine könnte rühren,
Sobald man von dem Ungeheuren spricht:
Ich sah, o Herr, – Ihr kamt, die Euren führen,
Wohin nach festem Ort in Massen dicht
(Bei üblen Zeichen, traun) der Gegner Scharen,
Den Schiffen fern, zurückgewichen waren –
6.
Ein Herkules, ein Alexander gingen
(Wie Hektor und Aeneas einst, am Meer
Auf Griechenschiffe Fackelbrand zu schwingen),
Von kühnem Mut befeuert allzusehr,
Zuerst von allen in den Feind zu dringen,
Bis zu den Schanzen, in der Gegner Heer –
So weit, daß kaum der eine sich befreite
Und in Gefangenschaft verblieb der zweite.
7.
Davonkam Ferrufin: – was du empfunden,
Sprich, Herr von Sora, als den Sohn Cantelm
(Dem Edlen ward, vor Augen dir, entwunden
Inmitten tausend Schwerter, ach, der Helm)
Aufs Schiff geführt du sahst und festgebunden,
Um dort geköpft zu werden wie ein Schelm?
Mußte das Schauspiel nicht von solchen Nöten,
So wie das Eisen deinen Sohn, dich töten?
[136] 8.
Wo lerntest du, blutdürstiger Slawone,
Den Kriegsgebrauch? Welch roher Skythe lehrt,
Daß dem Gefangnen werde Tod zum Lohne,
Wenn er sein Schwert gab und sich nicht mehr wehrt?
Weil seiner Heimat Schutz wird von dem Sohne,
Mordest du ihn? – Bist du der Sonne wert,
Grausame Welt, die voll ist von Barbaren,
Thyestes-, Tantalus- und Atreusscharen?
9.
Du nahmst das Haupt dem herrlichsten gerade
Der Jünglinge, die nur zu finden sein,
Von Pol zu Pol, von Indiens Gestade
Bis wo die Sonne sinkt ins Meer hinein.
Den Polyphem selbst rührten wohl zur Gnade
Die Schönheit und der Jugend lichter Schein,
Nicht dich, der ärger als der Lästrygone,
Zyklop und was auf Erden sonst noch wohne.
10.
Ein solches Beispiel ist aus alten Zeiten,
Soviel ich weiß, von Kriegern nicht bekannt;
Man war voll Edelmut und Artigkeiten,
Nicht hart, wenn man den Gegner überwand.
Wer vor dem Speer zu Boden mußte gleiten,
Dem tat nichts Böses Fräulein Bradamant;
Sogar den Renner führt sie ihm entgegen,
Und frei von dannen darf er sich bewegen.
11.
Ihr hörtet mich von dieser Dame sagen,
Sie habe, kühn und schön, den Serpentin
Vom Stern im Kampf als Siegerin geschlagen,
Grandon und Ferragu danach wie ihn.
Sein Rößlein durfte jeden weiter tragen.
Dann sagt' ich, wie der dritte Mann erschien,
Zu melden, Roger soll im Kampf ihr stehen,
Da, wo sie noch in ihr den Ritter sehen.
[137] 12.
Roger vernimmt's mit freudehellen Mienen:
Man bringt ihm eiligst seine Rüstung her.
Wie er sich nun zur Waffnung läßt bedienen,
Raten die Herrn aufs neue kreuz und quer,
Wer doch der Ritter sei, der dort erschienen,
Und dessen Stöße treffen alsoschwer.
Ob er den Helden kenne, also fragen
Sie Ferragu, und Nähres könne sagen.
13.
Sprach Ferragu: »Auf dieses mögt Ihr bauen:
Keiner von den Genannten ist der Mann.
Er mutete – sein Antlitz konnt' ich schauen –
Mich wie Rinaldos jüngrer Bruder an;
Doch seit ich ihn erprobt hab' auf den Auen,
Weiß ich, daß der nicht solches leisten kann:
Da möcht' ich eh'r die Schwester hier erkennen,
Die sie dem Bruder äußerst ähnlich nennen.
14.
Sie habe große Kraft, die Leute meinen,
Ganz wie Rinald und jeder Paladin;
Nach dem, was heut ich sah, will es mir scheinen,
Sie schlägt den starken Vetter und auch ihn.«
Als Roger das vernimmt von jener einen,
Sein Antlitz rote Schimmer überziehn,
Wie, wenn die nächt'gen Schatten früh verrinnen:
Sein Herz erbebt, er weiß nicht, was beginnen,
15.
Erglühend bei der Kunde, neu gestochen
Und angestachelt von dem Liebespfeil;
Eisige Schauer fühlt er durch die Knochen
Mit eins gejagt, von banger Furcht, derweil.
Durch frischen Groll, so wähnt er, sei gebrochen
Der Liebe Macht, die reich ihm ward zuteil:
Verwirrt und schwankend steht der Unruhvolle,
Ob er hinausgehn, ob er bleiben solle.
[138] 16.
Marfisa war zugegen (sehr gelüsten
Wollt' ihr nach einer solchen Heldenschlacht),
Im Panzer (sie im Kleid zu finden, müßten,
Wir wahrlich lange suchen Tag und Nacht);
Als sie nun Roger sieht zum Kampf sich rüsten,
So wähnt sie sich schon um den Sieg gebracht,
Ließe sie ihn vor ihr zum Streite traben:
Sie will die Erste sein, die Palme haben.
17.
Und eilig strebt sie auf gesporntem Pferde
Hin, wo im Felde harrt das Haimonskind
(Bebend, ob er von ihr gefangen werde),
Und immer nur das eine denkt und sinnt,
Wo ihn der Speer berühre sonder Fährde
Und wie der Stoß ihn treffe ganz gelind.
Da naht Marfisa aus der Mauerpforte,
Den Phönix auf dem Helme, diesem Orte.
18.
Will sie damit aus Hochmut wohl bekunden,
Daß sie allein voll Kraft auf Erden sei?
Hat sie so stolz der Keuschheit Zwang empfunden,
Für alle Zeit zu bleiben gattenfrei?
Als Bradamant die Züge nicht gefunden,
Die schönen, die sie sehnlich wünscht herbei,
So fragt sie nach dem Namen, und muß hören,
Sie sei's, der Rogers Triebe jetzt gehören:
19.
Von der sie glaubt – so müßt' ich richt'ger sagen –,
Daß er ihr angehör', und die sie haßt –:
Müßte sie sich die Rach' an ihr versagen,
So stürbe sie vor Wut und Ärger fast.
Sie wendet, auf die Feindin los zu jagen,
Nicht, sie zu werfen bloß in solcher Hast,
Nein, gleich sie mitten durch die Brust zu rennen
Und keines Argwohns Schmerzen mehr zu kennen.
[139] 20.
Marfisa setzte sich dem Stoß entgegen –
Doch muß sie sehn, ob hart der Grund, ob weich,
Was nicht verfehlt, zur Wut sie zu erregen
(Ganz unerhört ist ihr ein solcher Streich):
Sie zieht, kaum auf den Füßen noch, den Degen
Und will die Rache für den Sturz sogleich.
Das Haimonskind ruft stolz und ohne Bangen:
»Was machst du da, du bist ja schon gefangen!
21.
Mocht' ich den andern Höflichkeit erzeigen,
Erzeig' ich sie, Marfisa, doch nicht dir;
Denn alle Niedrigkeiten sind dir eigen
Und aller Übermut und schnöde Gier!«
Wie im Geklüft des wilden Meersturms Reigen,
So grollt Marfisa; mächtig tobt's in ihr:
Sie schrie, derweil sie Grimm und Wut umfingen,
Und konnt' es nicht zu einer Antwort bringen,
22.
So daß sie auch aufs Pferd die Schneide wandte,
Auf Weich' und Brust, wie auf die Reiterin;
Allein am Zügel faßt ihn Bradamante
Und riß ihn schnell nach andrer Seite hin,
Und einen neuen Stoß zugleich entsandte
Das Haimonskind mit zornerfülltem Sinn:
Marfisa wird getroffen kaum am Schilde –
Und rücklings in den Sand hin stürzt die Wilde.
23.
Am Boden kaum, hat sie sich rasch erhoben
Und Böses will sie schaffen mit dem Schwert.
Aufs neue senkt der goldne Speer sich oben:
Aufs neue fällt sie, als er niederfährt.
Ist Bradamant als Kriegrin hoch zu loben,
War doch Marfisa nicht so wenig wert,
Daß sie bei jedem Stoß gefallen wäre:
Die große Kraft lag in dem Zauberspeere.
[140] 24.
Es waren ein paar Reiter hergeritten
(Und sie gehörten unsern Leuten an):
Die sahen zu, wie in der Lager Mitten –
Ein Stündchen kaum entfernt – der Kampf begann,
Wie dort die beiden Krieger kräftig stritten,
Und wie gewalt'ge Stöße gab ihr Mann
(Ihr Mann – sie kannten ihn ja sonst nicht weiter
Und sahen nur in ihm den Christenstreiter).
25.
Die Frankenreiter sah von seiner Stelle
Trojans des Königs edelmüt'ger Sproß;
Nun galt es, Sicherheit für alle Fälle
Zu schaffen gegen Fährnis; er beschloß:
In Waffen sollen eiligst vor die Wälle
Viel Mohrenscharen ziehen, Mann und Roß,
Darunter Roger, dem, zum Kampf zu kommen,
War durch Marfisas Hurtigkeit benommen.
26.
Der treuverliebte Jüngling sah dem Gange
Des Kampfes zu: wie bebte ihm der Mut!
Um seine teure Gattin war ihm bange –
Marfisas Stärke kannt' er nur zu gut –
Bange, zu Anfang, mein' ich, und solange
Sie geneinander stürmten voller Wut.
Als er darauf den Ausgang angesehen,
Blieb er voll Staunen, schier versteinert, stehen.
27.
Und als der erste Stoß kein Ende machte,
Wie bei den andern doch, dem ganzen Streit,
Wie zweifelvoll er an den Ausgang dachte,
Bangend und tief im Herzen schweres Leid!
Weil er ja beiden Lieb' entgegenbrachte
Und guten Wunsch; obwohl verschieden weit
Dies Lieben war: das eine Flamm' und Gluten,
Das andre wie der Freundschaft stille Fluten.
[141] 28.
Ein Ende möcht' er gern dem Kampf bereiten,
Ließ es sich nur vereinen mit der Ehr';
Allein die Mohren, die ihn noch begleiten –
Zum Schutz vor jenen von des Kaisers Heer
(Und stärker scheinen sie bereits), – sie reiten,
Den Kampf zu stören, jetzt mit Macht daher.
Nun kommen anderseits die Christenreiter
Herangesprengt –: so geht das Ringen weiter.
29.
Nach Waffen ruft man hier und dort mit Schalle,
Wie man's fast täglich war gewohnt jetzund.
»Steigt auf, zu Pferd, und waffnen geht euch alle!
Zur Fahne komm' ein jeder, tu ich kund!« –
So mahnen kriegerisch mit schrillem Halle
Die Schlachttrompeten rings in weiter Rund'.
Wie sie die Reiter wecken, also wecken
Das Volk zu Fuß die Pauken und die Becken.
30.
Den Knäul der Kämpfer sieht man dichtverschlungen,
So wild und blutig wie man denken mag.
Der Tochter Haimons ist's ins Herz gedrungen
Mit Grimm und Ärger, daß an diesem Tag
Ihr die ersehnte Rache nicht gelungen:
Daß nicht Marfisa tot am Boden lag.
Sie sprengt umher, und auf und ab, und trachtet,
Zu finden Roger, ihn, nach dem sie schmachtet.
31.
Sie kannt' ihn an dem Aar mit Silberschwingen,
Den der Geliebte trug im blauen Schild,
Und ihre Augen und Gedanken hingen
An Brust und Schulter, bis sie zu dem Bild
Des leichten Gliederspieles weitergingen,
Des anmutreichen; dann auf einmal, wild,
Daß eine andre dies genießen solle,
Spricht sie, ganz außer sich, mit tiefem Grolle:
[142] 32.
»Duld' ich, daß sie am süßen Munde nippe,
Wenn ich nicht selbst ihn küssen kann? – O nein!
Dich küsse niemals einer andern Lippe!
Denn keiner sollst du sein, bist du nicht mein.
Eh'r treff' uns hier durch mich des Todes Hippe,
Als daß vor Wut ich sterbe ganz allein.
Verlier' ich dich, soll dich mir Hades geben,
Damit wir dort vereint für ewig leben.
33.
Du tötest mich und mußt der Rache Streichen
Dich beugen, mir zum Trost, aus Billigkeit,
Weil hierin ja sich die Gesetze gleichen:
Wer andre tötet, ist dem Tod geweiht.
Doch kann dein Schaden meinen nicht erreichen:
Dich trifft mit Recht und mich mit Unrecht Leid;
Ich töte, wer den Tod mir will ersinnen,
Du, wer dich ehrt und liebt mit heißem Minnen.
34.
Warum denn solltest du, o Hand, nicht wagen,
Des Feindes Herz zu treffen mit dem Stahl?
Der, in der Liebe Frieden, mir geschlagen
Hat grause Todeswunden ohne Zahl
Und, ohne jetzt nach meinem Schmerz zu fragen,
Nach meinem Leben trachtet noch einmal?
So töt' ihn einmal, meine Seele, mutig
Und räche meine tausend Tode blutig!«
35.
Sie sprengt voran und ruft noch voll Empören:
»Treuloser Roger, sei nun auf der Hut!
Dir soll kein stolzes Mädchenherz gehören,
Wenn ich es hindern kann, zum Beutegut.«
Als Roger das vernimmt, meint er zu hören,
Wie's wirklich ist, die Stimme, die so gut
Er im Gedächtnis hat – von Bradamante,
Die leicht sein Ohr aus Tausenden erkannte.
[143] 36.
Er merkt, die Worte wollen mehr besagen:
Weil er die Übereinkunft hat verletzt,
Meint er, sie wolle deshalb ihn verklagen;
Aufklärung ihr zu geben, macht er jetzt
Ein Zeichen ihr, er hab' etwas zu sagen.
Doch sie, von Schmerz und Zorn getrieben, setzt,
Geschlossen das Visier, sich ihm entgegen,
Ihn noch in andres als in Sand zu legen.
37.
Als er sie nahen sieht in solcher Hitze,
In Sattel macht er sich und Rüstung schwer;
Die Lanze legt er ein, senkt nur die Spitze
Dahin, wo sie nicht Schaden bringe mehr.
Die Dame, die daherstürmt gleich dem Blitze,
Den Busen grausam und erbarmenleer,
Vermag nicht, als sie nah sich hat befunden,
Ihn hinzustrecken oder zu verwunden.
38.
Die Lanzen beim Zusammenstoße schwenken
Ab in die leere Luft: es war genug,
Daß Amor, eifrig, seinen Speer zu senken,
Ihn tief hinein in beider Herzen schlug,
Worauf sie, nicht imstand mehr, ihn zu kränken,
Von Roger fort den lohen Ingrimm trug,
Der ihr die Brust verbrannte, und vollbrachte,
Was sie berühmt für ew'ge Zeiten machte.
39.
Dreihundert hat sie mit der goldnen Lanze
Geworfen auf den Grund in kurzer Zeit:
Die Mohren schlug in diesem Kriegestanze
Mit ihrer Hand allein die kühne Maid.
Als Roger dann sie trifft – er hat das ganze
Schlachtfeld durchsucht –, spricht er: »Dem Tod geweiht
Bin ich, kann ich nicht jetzt sogleich dich sprechen.
Was fliehst du mich? Sag', was ist mein Verbrechen!«
[144] 40.
So wie beim Hauch der südlich lauen Winde,
Die sanft vom Meer mit warmem Odem wehn,
Das Eis, noch oben hart, zerschmilzt geschwinde
Und frei von Schnee die Bäch' und Ströme gehn,
So wird durch Mitleid plötzlich weich, gelinde
Bei diesem Bitten, diesem kurzen Flehn
Das Herz des Haimonskinds, des zornesvollen,
Das Zorn und Groll in Stein verwandeln wollen.
41.
Antworten will sie, kann sie nicht dem Degen: –
Sie spornt den Rabikan quer durch das Land,
Möglichst entfernt den Stößen und den Schlägen,
Und winkt, zu folgen, Roger mit der Hand.
Sie kam zu einem Tal, still und entlegen,
Darinnen sich ein kleiner Platz befand;
Zypressen sah sie ragen in der Mitte:
Die schienen alle wie von gleichem Schnitte.
42.
Aus weißem Marmor war ein Grab errichtet,
Ein hohes, kürzlich erst in diesem Hain.
Wer drinnen lag, darüber ward berichtet
In kurzen Sprüchlein außen auf dem Stein.
Doch Bradamant, auf andres jetzt gerichtet,
Ließ sich die Schrift nicht angelegen sein.
Den Renner läßt Herr Roger munter springen,
Und kann mit Bradamant ins Wäldchen dringen.
43.
Doch zu Marfisa nun, die mittlerweilen
Sich wieder in des Renners Sattel schwang
Und jene Kriegrin suchte zu ereilen,
Die sie zu Boden warf beim ersten Gang,
Und die sie sah den Kämpferknäul zerteilen,
Derweilen hinterdrein auch Roger drang.
Sie meinte nicht, daß Lieb' ihn hingeleite,
Nein, Wunsch nach Rache nur in blut'gem Streite.
[145] 44.
Die Sporen gibt sie alsobald dem Pferde
Und langt dort an zusammen mit dem Paar.
Wie schafft ihr Kommen diesem doch Beschwerde!
Das weiß, wer je verliebt im Leben war.
Das Fräulein zeigt die zornigste Gebärde,
Denn ihrer Leiden Ursach' nimmt sie wahr;
Wer könnt' ihr aus dem Herzen wohl den Glauben,
Daß jene Rogers wegen komme, rauben?
45.
Aufs neu als treulos muß sie ihn erkennen:
»So willst du«, ruft sie, »nicht zufrieden sein,
Daß mir die andern deine Falschheit nennen?
Du bringst vors Auge mir Verräterein?
Vom Wunsch, mich loszusein, seh' ich dich brennen:
Dem schnöden Trieb Erfüllung zu verleihn,
Sterb' ich, – allein mit mir soll jene sterben,
Die über mich gebracht hat das Verderben.«
46.
Und einer Viper gleich, so springt die Wilde,
Als sie's gesprochen, auf Marfisa los:
Die stürzt kopfüber hin, als auf dem Schilde
Die Lanze dröhnt mit Wucht, gewaltig groß;
Ihr halber Helm begräbt sich im Gefilde.
Und doch nicht unversehens kam der Stoß:
Sie setzte ihm die ganze Kraft entgegen
Und mußte trotzdem auf den Grund sich legen.
47.
Das Haimonskind, entschlossen, Tod zu leiden
Oder zu geben, ist so wutentbrannt:
Sie bloß zu werfen will sie jetzt vermeiden
Und hat den Speer nicht weiter angewandt:
Nein, von dem Rumpfe denkt sie abzuschneiden
Den Kopf, der halb begraben steckt im Sand.
Die goldne Lanze wirft sie auf die Erde
Und mit dem Schwert springt sie herab vom Pferde:
[146] 48.
Zu spät! Entgegen tritt ihr schon Marfise
Mit Zorn und Grimm, dem nichts auf Erden gleicht
(Weil sie der zweite Gang sah auf dem Kiese
Und weil sie aus dem Sattel flog so leicht);
Da Schreien, Bitten unnütz sich erwiese,
Herrn Roger große Bangigkeit beschleicht:
Verblendet sind sie so von Haß und Grolle,
Sie fechten wie Verzweifelte, wie Tolle.
49.
Die Schwerter sind zur Hälfte, rasch zersprungen,
Doch vorwärts geht's beim Trotze, der erwacht,
Und ineinander sind sie so verschlungen:
Nur Hand zu Hand ist möglich noch die Schlacht.
Der Degen fällt – sein Amt ist ja mißlungen –,
Auf andre Waffen sind sie jetzt bedacht.
Ob Roger bitten mag und sie beschwören,
Es fruchtet nichts, weil sie nicht auf ihn hören.
50.
Sie wollen nichts von seinem Flehen wissen?
So trenne sie Gewalt! Das ist sein Sinn:
Er hat die Messer ihrer Hand entrissen
Und legt sie am Zypressenstamme hin.
Nochmals ist er des Bittens, Drohns beflissen,
Als ohne Waffen jede Kriegerin:
Umsonst; sie können jetzt mit Stahl nicht schalten –
Da müssen sie an Faust und Fuß sich halten.
51.
Roger faßt hier den Arm und dort die Hände
Und sucht sie voneinander wegzuziehn –
Da wandte sich, mit aller Macht, am Ende
Der wilde Zorn Marfisas gegen ihn;
Wie sie die ganze Welt verächtlich fände,
Ihr auch an Roger nichts gelegen schien.
Sie riß sich los, zu ihrem Schwerte sprang sie,
Ließ Bradamante, und auf Roger drang sie.
[147] 52.
»Man stört nicht, Roger, andrer Leute Streiten;
's ist bäuerisch, ziemt einem Ritter nie.
Die Reue drob soll dir mein Arm bereiten:
Genügend ist er wohl für dich und die!«
Zur Mäßigung sucht Roger sie zu leiten,
Mit sanftem Wort; allein er findet sie
So wild und wütend, daß er sieht: Paktieren
Und Sprechen ist so viel wie Zeit verlieren.
53.
Er zog das Schwert, indem er um die Wette
Mit ihr in roten Zornesgluten stand.
Kein Schauspiel, mein' ich, noch an einer Stätte
– Sei's Rom, Athen und sonst ein Ort – sich fand,
Das solche Lust dem Volk geboten hätte,
Wie sie bei diesem Anblick jetzt empfand,
Die eifersuchterfüllte Bradamante,
Der jeden Argwohn alsobald verbannte.
54.
Sie hat ihr Schwert emporgerafft vom Grunde
Und hielt, um zuzuschauen, sich beiseit.
Und Roger, traun, däucht ihr in dieser Stunde
Der Kriegsgott selbst an Kraft und Herrlichkeit.
Doch eine Furie, dem Höllenschlunde
Entstiegen, schien Marfisa ihr zurzeit.
Er hatte anfangs sich zurückgehalten,
Nicht alle seine Kräfte zu entfalten
55.
(Wohl wissend, welch ein Wunderschwert er schwinge,
Erfahrung lehrte das ja tausendfach). –
Damit die Zauberkraft verlorenginge
Und nutzlos bliebe oder matt und schwach,
Traf er gar niemals schneidend mit der Klinge
Und mit der Spitze nicht; nein, immer flach.
Als er mit Vorsicht alles dies bedachte,
Geschah etwas, das um Geduld ihn brachte:
[148] 56.
Marfisa nimmt, den Kopf ihm zu zerspalten,
Zu grausem Hieb zusammen alle Macht;
Er hebt den Schild, das Haupt gedeckt zu halten,
So daß der Streich auf seinen Adler kracht.
Der Zauber widerstand des Hiebs Gewalten,
Doch Roger wird der Arm betäubt gemacht.
Hätt' er die Waffen Hektors nicht getragen,
So wäre jetzt der Arm ihm abgeschlagen
57.
Und auch das Haupt getroffen, wie's gelegen
Im Plane jener wilden Kriegrin war.
Den linken Arm kann Roger kaum mehr regen;
Fast hält er nicht mehr aufrecht seinen Aar.
So darf ihn Mitleid fürder nicht bewegen:
Wie Fackeln glüht's in seinem Augenpaar,
Und einen Stoß führt er nach all den Streichen –
Weh dir, Marfisa, kann dich der erreichen!
58.
Ich weiß nicht, wie das Ding geschah: geschwinde
Fährt Rogers Schwert in einen Baum hinein,
Dringt handbreit tief durch der Zypresse Rinde
(Denn diese standen dichtgedrängt im Hain);
Ein Schütteln, Beben ging (gleichwie vom Winde)
Durch Berg und Tal –: da schien aus jenem Stein
Ganz urgewalt'ge Stimm' hervorzudringen,
Wie man auf Erden keine hört erklingen.
59.
Die Stimme rief: »Laßt ab vom Kampf, ihr beiden!
Unmenschlich ist's und wider das Gebot,
Wenn Schwestern von den Brüdern Tod erleiden,
Oder die Schwester gibt dem Bruder Tod.
Laß, o mein Roger, dich von mir bescheiden!
Vernimm, Marfisa, welch Verbrechen droht:
Von einem Schoße wurdet ihr empfangen,
Um dann vereint zum Lichte zu gelangen.
[149] 60.
Roger dem Zweiten wurdet ihr geboren,
Die Mutter war Galaziell' genannt:
Als ihre Brüder ihm den Tod erkoren,
Da wurde sie von jener Mörder Hand,
Obwohl in ihrem Schoß noch ungeboren
– Sie wußten's – sich ein Zwillingspaar befand,
Aufs Meer gebracht in schwachem Schiff, zu sinken
Und in den wilden Wogen zu ertrinken.
61.
Doch Glück, das euch zu herrlichen gerade
Und hohen Dingen hatte ausersehn,
Ließ jenes Boot zum öden Meergestade
Jenseit der Syrten – euch zum Heile – gehn.
Die Auserwählte stieg zum Thron der Gnade
(Nach Gottes Willen mußt' es so geschehn),
Nachdem sie dort das Dasein euch gegeben;
Und dieses sollt' ich selber miterleben.
62.
Sie hat durch mich ein ehrlich Grab erhalten,
So gut sich's tun ließ in dem öden Sand;
Euch Kleine trug ich in Gewandes Falten
Von dannen, wo der Berg Carena stand;
Und eine Löwin, zahm – durch Zaubers Walten –
Vom Dickicht her zu euch die Wege fand.
Aus ihren Zitzen – Mühe galt's verwenden! –
Ließ ich euch zwanzig Monde Nahrung spenden.
63.
Nun war ich einmal über Land gegangen
Und fort von unsrer Wohnung ziemlich weit,
Als Räuber, Arber, in das Innre drangen
(Vielleicht, daß ihr des eingedenk noch seid);
Die nahmen, o Marfisa, dich gefangen,
Doch Roger nicht, der schneller lief. Voll Leid
Blieb ich zurück, verloren dich zu haben,
Und eifriger noch sorgt' ich um den Knaben.
[150] 64.
Du weißt, wie über dich, mein Roger, wachte
Atlas, dein treuer Lehrer, früh und spat.
Als mir der Sterne Lauf die Kunde brachte,
Tod drohe dir bei Christen durch Verrat,
Wollt' ich den bösen Einfluß hemmen, dachte
Dich fernzuhalten von dem Unglückspfad.
Doch konnt' ich dich nicht lenken auf die Dauer;
Da ward ich krank und starb vor Schmerz und Trauer.
65.
Ich sah vorm Tod, ihr kämpft an diesen Stellen
Hier im Zypressenwald einst grimmen Streit,
Und ließ erbaun durch höllische Gesellen
Dies Grab aus mächt'gen Steinen für die Zeit,
Ließ auch den Ruf an Charons Ohren gellen:
Nicht früher nimm den Geist in dein Geleit
Von diesem Wald, bis Roger einst erscheine,
Zu kämpfen mit der Schwester hier im Haine!
66.
So harrt' ich hier im Schatten lange Zeiten,
Auf euer Kommen stets den Sinn gericht't:
Laß, Bradamant, dich nicht vom Wahn verleiten,
Und Roger treu zu lieben sei dir Pflicht!
Doch Zeit ist's, in die Finsternis zu gleiten:
Nicht fürder duldet mich der Sonne Licht.«
Hier schwieg er still und ließ, als er gegangen,
Die drei von Staunen und von Graun umfangen.
67.
Marfisas Bruder! – Wie das ihm behagte!
Und sie stand ihm an hellem Glück nicht nach.
Sie küßten sich (und jene Dritte klagte
Darüber nicht; kein Neid ward in ihr wach).
Bald er, bald sie, der Kindheit denkend, sagte:
»Da war ich«, und »da tat ich«, und »ich sprach«.
Und immer sichrer finden sie begründet,
Ganz ohne Zweifel, was der Geist verkündet.
[151] 68.
Der Schwester brauchte Roger nicht zu hehlen,
Ans Herz sei ihm gewachsen Bradamant,
Und liebevoll begann er zu erzählen,
Wie sehr er gegen sie verpflichtet stand,
Und ließ es nicht an Drängen, Bitten fehlen,
Bis sich in Liebe aller Groll gewandt:
Den Friedensschluß besiegeln, Mund auf Munde,
Die beiden, jetzt vereint zum Freundschaftsbunde.
69.
Marfisa drang in Roger viel mit Fragen
Über den Vater: was er war und wer;
Auf welche Art, von wem er ward erschlagen,
Ob im Turnier, ob von der Feinde Heer;
Wessen Befehl es war, daß fortgetragen
Die arme Mutter werd' ins weite Meer;
Vernahm sie's auch in ferner Kindheit Stunden,
Aus dem Gedächtnis war es ihr geschwunden.
70.
Roger begann: von Troja sei entsprungen
Und von des großen Hektor Stamm ihr Haus.
»Als dem Astyanax die Flucht gelungen
War von Ulyß und aus dem Netz heraus
(An seiner Stelle ließ man einen Jungen
Des gleichen Alters), zog der Knabe aus,
Fuhr lang umher, kam nach Siziliens Strande
Und schlug die Stadt Messina dort in Bande.
71.
Den Enkeln mußten dann die Lande fronen
Kalabriens, diesseit der Meeresflut,
Doch gingen, in der Stadt des Mars zu wohnen,
Nachfolgende Geschlechter hochgemut.
Es trugen Königs- und auch Kaiserkronen
In Rom und sonstwo viel' aus diesem Blut,
Mit Konstantin und Konstans zu beginnen;
Auch in den Adern Karls noch sollt' es rinnen.
[152] 72.
Roger und Gianbaron, Bov, Rambold waren
Von diesen, und der zweite Roger dann,
Der, wie du ja von Atlas schon erfahren,
Als Gattin unsre Mutter sich gewann.
Wie ruhmvoll das Geschlecht ist, offenbaren
Ein jedes Blatt der Welthistorie kann.«
Dann sprach er von der Ankunft Agolantes,
Von Almont und dem Vater Agramantes.
73.
Wie seine Tochter mit ihm kam gezogen,
Ein Fräulein stark und kühn, von Heldenart,
Durch die viel Ritter aus dem Sattel flogen;
Wie sie dem Vater trotzte nach der Fahrt
(Weil sie in Liebe Roger war gewogen)
Und Christin dann und Rogers Gattin ward;
Wie, für die Schwägerin erglühend, später
Beltram sie schnöd verfolgte, der Verräter:
74.
Damit Erfüllung seine Wünsche kröne,
Verriet er Vater, Brüder, Vaterland,
Gab Risa an den Feind um jene Schöne
(Der hauste schrecklich dort zu Schmach und Schand'),
Und Agolant und seine schlimmen Söhne
Stießen die Frau, die schwanger war, vom Strand
Ins Meer hinaus im Kahn, dem steuerlosen,
In winterlichen Sturmwinds ärgstes Tosen.
75.
Marfisa stand, das Antlitz froh und helle,
Des Bruders Worten lauschend voller Lust:
Daß sie entsprungen ist dem schönen Quelle,
Der hehre Ströme schuf, schwellt ihr die Brust.
Mongran, und Clermont sind auf alle Fälle,
Die Bäche hochberühmt, ihr wohl bewußt,
Gefeiert ob der Helden ohnegleichen:
Kein andrer auf der Welt kann die erreichen.
[153] 76.
Als sie erfuhr, wie in dem fernen Lande
Herr Roger, durch die Ohme und den Ahn
Verraten, starb, und wieviel Schimpf und Schande
Der lieben Mutter wurden angetan,
Da war sie zuzuhören nicht imstande:
»Du gingst, mein Bruder, nicht die rechte Bahn!«
So fiel sie ein, »ich nenn' es ein Verbrechen,
Daß du versäumst, des Vaters Tod zu rächen.
77.
Waren Trojan und Almont nicht zu fassen,
Da jeder Sicherheit im Grabe fand,
So mußten ihre Söhne doch erblassen:
Warum, wenn du lebst, lebt noch Agramant?
Der Flecken wird sich niemals tilgen lassen:
Er blieb nicht nur verschont von deiner Hand,
Nein, du vermagst, statt ihm den Tod zu geben,
In seinem Sold sogar am Hof zu leben.
78.
Ich schwör's bei Gott (dem Christ will ich mich weihen,
Dem echten Gott, der meines Vaters war),
Daß niemals abgelegt die Waffen seien,
Bis Rache wurde unserm Elternpaar!
Doch über dich, ach, muß ich wehe schreien,
Stellst du fortan dich in dem Heere dar
Des Königs oder eines andern Mohren;
Es sei denn, daß du kämst, ihn zu durchbohren!«
79.
Wie strahlen freudig Bradamantes Blicke,
Als sie Marfisas Absicht hier erfährt!
Sie mahnt, daß Roger in den Plan sich schicke:
Zur Meinung seiner Schwester ganz bekehrt,
Geh' er zu Karl, daß er sein Herz erquicke;
Der Vater werde noch von ihm verehrt,
Den er als hochberühmten Helden achte;
Kaum daß die Zwischenzeit Ersatz ihm brachte.
[154] 80.
Zu Anfang wäre besser dies geschehen,
Ward drauf von Roger richtig eingewandt:
Zu lange hab' er also zugesehen;
Die Dinge waren ihm nicht recht bekannt.
Der König gab das Schwert, ihm beizustehen:
Verräter würd' er ja mit Recht genannt,
Gebraucht er, ihn zu töten, seine Waffen,
Den er sich selbst zum Herren doch geschaffen,
81.
Doch er verhieß, sich eifrig umzusehen
(Wie er das Bradamante schon versprach),
Bis daß ein Weg ihm werde offenstehen,
Den König zu verlassen ohne Schmach.
Auch trage sie, wenn dieses nicht geschehen,
Die Schuld davon nur dem Tataren nach,
Der in dem Kampf, von dem sie sicher hörte,
Allein ihn ließ und seine Pläne störte!
82.
Marfisa könn' am besten Zeugnis bringen
(Sie kam zu seinem Lager täglich hin).
So ließen Red' und Antwort hier erklingen
Die eine und die andre Kriegerin,
Bis sie zuletzt darin zusammengingen:
Roger verbleib' im Mohrenlager drin
So lange noch, bis sich ein Anlaß finde,
Daß er in Ehren sich mit Karl verbinde.
83.
»Sei ohne Sorgen, laß ihn ruhig gehen,«
So sprach Marfisa drauf zu Bradamant:
»In wenig Tagen mag es wohl geschehen,
Daß er nicht mehr zum Herrn hat Agramant.«
Sie sprach's, doch ließ sie noch nicht weiter sehen,
Was für ein Plan ihr vor den Augen stand.
Zuletzt will Roger sich von dannen heben
Und zu dem Könige zurückbegeben;
[155] 84.
Da scholl ein Klagen her durch das Gelände
Vom nahen Tal, und alle lauschten still:
Als ob ein Weib den Jammerruf entsende,
Klang es an ihre Ohren, laut und schrill.
Mein Lied, so will ich, nehme hier ein Ende;
Gutheißen mögt Ihr füglich, was ich will.
Denn wer mit mir zum nächsten Sange käme,
Viel schönre Dinge noch vielleicht vernähme.

[156] Siebenunddreissigster Gesang

1.
Wenn so, wie andre Dinge zu erjagen,
Die niemals ohne Fleiß Natur verleiht,
Die wackern Frauen Tag und Nacht sich plagen
Mit höchster Sorgfalt, langer Emsigkeit,
Manchen Erfolg dann auch davonzutragen
Durch Werke, hochgepriesen weit und breit, –
Sie doch sich widmen wollten jenen Dingen,
Die ew'gen Ruhm der ird'schen Tugend bringen!
2.
Sie sollten selbst durch Niederschreiben zeigen,
Wie es bestellt ist mit der Frauen Wert,
Statt Bettelns bei Autoren, denen eigen
Mißgunst und Neid ist, der das Herz verzehrt,
So daß sie, was da Gutes ist, verschweigen,
Derweilen Böses alle Welt erfährt, –
Hoch in die Lüfte stiegen ihre Namen,
Wie Männerruhm und Glanz noch niemals kamen.
3.
Nicht nur bemüht, einander hochzurecken,
Als rühmlich hinzustellen vor der Welt
Gehn viele darauf aus, nur aufzudecken,
Was bei den Frauen mißlich ist bestellt.
Sie dulden's nicht, sucht eine sich zu strecken,
Und sorgen gleich, daß sie zu Boden fällt:
Die Alten, mein' ich, – just als könnt' es ihnen
Zur Ehre – wie der Sonne Nebel – dienen.
[157] 4.
Doch ob man's sagen mag, ob niederschreiben,
Nie gab, nie gibt es Zunge oder Hand
(Wie sehr sie auch, was schlecht ist, übertreiben
Und das verkleinern, was sich gut erfand),
Die Frauenruhm kann tilgen; immer bleiben
Wird noch ein Teil davon – und der hält stand.
Freilich, daß Ruhm gelange bis zum Ziele
Oder nur nah, – gibt's nicht Exempel viele.
5.
Tomyris nicht, Harpalyce daneben,
Nicht, die für Turnus, – Hektor, schwang die Wehr;
Die Sidons Schar, in Libyen zu leben,
Und Tyrervolk fortführte weit durchs Meer;
Zenobia, sie, vor der Assyrien beben
Mußte, der Perser und der Inder Heer: –
Nicht diese nur (und manche noch mit ihnen)
Den Waffenruhm für ew'ge Zeit verdienen.
6.
Auch treue, keusche, weise, starke waren
Nicht bei den Römern und den Griechen nur,
Nein, überall, wo mit den goldnen Haaren
Die Sonne niedersteigt zur Erdenflur;
Ohn' Ehr' und Ruhm sind sie dahingefahren:
Von Tausenden vielleicht blieb eine Spur.
Gekommen sind sie all um ihre Rechte
Durch neiderfüllte Schreiber, arge, schlechte.
7.
Doch wanket nicht, o Fraun, von euren Wegen,
Die ihr das Gute wirket froh und frei;
Dem hohen Werke steh' nicht Furcht entgegen,
Daß rechter Ruhm euch vorenthalten sei.
Ist Gutes selbst dem Zeitenlauf erlegen,
So geht – bedenkt es! – Böses auch vorbei.
Tint' und Papier war nicht auf euren Seiten
Bis jetzt, allein – es ändern sich die Zeiten.
[158] 8.
Wißt, daß zu euch Marull, Pontanus stehen,
Zwei Strozzi, Sohn und Vater, lang zuvor;
Bembo, Capell; er, den wir selber sehen,
Führt er des echten Höflings Bild uns vor; –
Dann Alamann, mit dem zwei andre gehen,
Geliebt von Mars und von der Musen Chor,
Aus jenes Landes Herrscherblut entsprossen,
Durch das, versumpft, der Menzo kommt geflossen.
9.
Den einen, der euch schon aus eignem Drange
Stets hochzuehren und zu preisen sann
Und Cynthus und Parnaß erfüllt mit Klange
(Sein Loblied auf die Fraun steigt himmelan), –
Gibt jene Lieb' und Treue (die nicht bange
Drohung mit Tod und Unheil machen kann),
Wie Isabella stets sie pflegt zu zeigen,
Euch ganz und gar – mehr als sich selbst – zu eigen.
10.
Er trachtet nur, wie er den Ruhm euch mehre,
Und huldigt euch in muntern Liederlein.
Und schilt euch einer, greift er gleich zur Wehre;
Kein andrer Ritter schlägt so hurtig drein;
Kein andrer setzt für Tugend und für Ehre
So freudig allezeit sein Leben ein.
Stoff beut er, daß ein andrer drüber schreibe,
Und schreibt, damit der Ruhm von andern bleibe.
11.
Gar wohl verdient er, daß solch herrlich Wesen,
An allem Mute reich und Trefflichkeit,
Die je in Frauenkleid zu schaun gewesen,
Von Treue nie wich einen Finger breit
(Als eine Säule wahrlich, auserlesen),
Mißachtend, was das Schicksal bring' an Leid:
Daß beid' einander wert sind, allen klar ist,
Weil auf dem Erdenrund kein beßres Paar ist.
[159] 12.
Wenn ihm Trophä'n am Oglio sich erheben,
Läßt er bei Feuer, Schiffen, Kriegsgespann
Und Stahl manch wohlbeschriebnes Blatt entschweben,
Daß Neid der Nachbarfluß verspüren kann.
Ein Ercol Bentivoglio daneben
Stimmt euch zu Ehren helle Lieder an;
Trivulz, wie mein Guidett, gesellt sich diesen,
Und Molza, den Apoll euch zugewiesen.
13.
Von Carnutum der Herzog hebt die Schwingen,
Sohn meines Herzogs; wie ein Schwan zu sehn,
Steigt er empor, von eurem Ruhm zu singen,
Läßt eure Namen hoch zum Himmel gehn.
Del Vast will – durch sich selbst – nicht Stoff nur bringen
Für manch ein neues Rom und neu Athen
Mit Taten; nein, die Feder in den Händen
Sorgt er, daß eure Namen niemals enden.
14.
Und außer diesen allen, die euch gaben
Und jetzt noch immer geben Ruhm und Ehr',
Könnt ihr ja beides durch euch selber haben:
Denn viele ließen Nadel schon und Scher',
Um mit den Musen sich am Quell zu laben
Der Aganippe, und nach Wiederkehr,
Da boten sie uns auserlesne Werke:
Wir brauchen eure, ihr nicht unsre Stärke.
15.
Wollt' ich, wer diese sind, genau erzählen,
Und brächt' ich jeder meines Lobes Zoll,
Kein ander Lied käm' heut aus meiner Kehlen,
Und schreiben müßt' ich manchen Bogen voll.
Und dächt' ich fünf bis sechs nur auszuwählen,
Erregt' ich leicht der andern Haß und Groll.
Was tu ich nun? Nenn' ich am Ende keine?
Wähl' ich von all den vielen mir nur eine?
[160] 16.
Nur eine! ja! es muß vor ihr sich neigen,
Als überwunden, auch der Neid fürwahr.
So zürnt mir keine, wenn ich dann mit Schweigen
Vorüberlasse aller andern Schar.
Nicht sie nur macht unsterblich ja der Reigen
Von süßen Liedern hehr und wunderbar:
Von wem sie spricht und schreibt, den – reißt vom Grabe
Zu neuem Leben ihres Sanges Gabe.
17.
Sol gibt der weisen Schwester hellres Scheinen,
Hat sie mit größerm Lichterschmuck geehrt
Als Venus, Maja, was an groß' und kleinen
Gestirnen oben steht und kreisend fährt:
So hat er größre Süße dieser einen,
Die ich genannt, und höhre Kunst beschert;
Lieh ihren Worten Kraft zu unsrer Wonne:
Nun schmückt den Himmel eine neue Sonne.
18.
Viktoria heißt sie; und, dem Sieg entsprossen,
Sah sie, daß alles ihr zum Sieg gedieh.
Und von Viktorien ist sie stets umschlossen
Und von Trophän; der Sieg verläßt sie nie.
Lob hat auf Artemisia sich ergossen
Ob ihrer Treu' zu Mausolus; doch sie
Tat mehr: den Gatten aus dem Grabe heben
Ist herrlicher als ihm Bestattung geben.
19.
Laodamia, Porzia hört man preisen,
Evadne, Arria, – die Zahl ist groß
Der Fraun, die, ihre Liebe zu beweisen,
Zu teilen gingen toter Männer Los;
Viktorias Lob klingt in noch höhern Weisen:
Sie riß den Gatten fort aus Lethes Schoß
Und aus den neunfach dichtgeschlungnen schwarzen
Gewässern trotz dem Tod und trotz den Parzen.
[161] 20.
Neid zollte Alexander dem Peliden
(Denn ein Homer gab seinem Namen Glanz),
Wie würd' er, wär' ihm Leben noch beschieden,
Pescara, dich beneiden, großer Franz!
Dir schlingt ein keusches, teures Weib hienieden
Dein Ruhmlied singend ew'ger Ehren Kranz!
Viktoria läßt deinen Namen tönen:
Drommeten können nicht so hell erdröhnen.
21.
Wenn ich hier alles, das ich möchte, schriebe
Und meldete, was noch zu sagen wär',
Ich käme nicht zu Ende; immer bliebe
Ein großer Teil noch zu berichten mehr,
Und unvollendet säh' ich demzuliebe
Marfisas und der andern schöne Mär,
Die ich versprach, wer weiter meinem Helden
Noch folge, hier in diesem Sang zu melden.
22.
Ihr seid gekommen, und Ihr lauscht mir wieder. –
Weil nun ein Mann Versprochnes nicht vergißt,
Schreib' ich bei größrer Muße, hoff' ich, nieder,
Wie sehr sie höchsten Lobes würdig ist:
Zwar, sie bedarf nicht etwa meiner Lieder,
Macht deren viele selbst zu jeder Frist –
Nein, eigner Wunsch nur treibt mich, ein Begehren,
Sie hoch zu preisen, und sie zu verehren.
23.
Kurz, viele hat vor euch die Welt gesehen,
Ihr Fraun, des Lobes wert, zu jeder Zeit;
Doch mit dem Tode mußtet ihr vergehen
Als Unbekannte durch der Schreiber Neid.
Das wird nun künftighin nicht mehr geschehen,
Weil ihr der Herold eures Wertes seid.
Gedächten des die zwei, wie sie es müßten,
Wär's sicher, daß wir mehr von ihnen wüßten;
[162] 24.
Marfis und Bradamante, will ich sagen:
Die kühnen Taten, die durch sie geschehn,
Bemüh' ich mich ans helle Licht zu tragen;
Allein es fehlen neun mir wohl von zehn.
Das, was ich weiß, will ich zu künden wagen,
Denn alles Schöne soll die Sonne sehn;
Doch tu ich's auch, weil ich ja euch vor allen,
Die ich verehr' und liebe, will gefallen.
25.
Zum Abschied ging's; ich hab' euch schon gesungen,
Wie er vorm Gehen jenen sich empfahl.
Er hatte auch das Schwert dem Baum entrungen,
Der nicht, wie früher, weigerte den Stahl;
Da ist ein Klaglaut an sein Ohr gedrungen,
Der aus der Nähe kam; hinab ins Tal
Wandt' er sich eilig mit den beiden Frauen,
Um, ob man helfen könnte, nachzuschauen.
26.
Sie dringen vor, und deutlicher ertönen
Die Klagen: man versteht bald jedes Wort.
Im Tal wird ihnen Anblick von drei Schönen,
Die sind in wunderbarem Aufzug dort:
Es nahm ein Unhold, um sie zu verhöhnen,
Die Kleider ihnen bis zum Nabel fort.
Sie sitzen, weil sie bessern Schutz nicht wissen,
Am Boden, der Verhüllung so beflissen.
27.
Wie jener Sohn Vulkans, dem einst das Leben
Ward, ohne Mutter, durch den Staub verliehn
(Pallas hatt' an Aglauros ihn gegeben,
Die allzu Wißbegier'ge, zum Erziehn),
Die Füße auf den Wagen pflog zu heben,
Von ihm ersonnen und gemacht für ihn,
So suchten die drei Schönen voller Schrecken
Die Heimlichkeiten sitzend zu bedecken.
[163] 28.
Beim greulich-unerhörten Schauspiel brannte
Die Farb' im Antlitz beider edlen Fraun,
Wie man sie dort in Pästums Gärten kannte,
Wenn Rosen standen auf den Frühlingsaun.
Und alsobald sah deutlich Bradamante:
Ullania war bei jenen drei zu schaun,
Ullania, die vom fernen Inselstrande
Als Botin war geschickt zum Frankenlande.
29.
Über die andern war sie auch im klaren:
Wo jene erste, sah sie auch die zwei;
Des Wortes Vorzug galt es ihr zu wahren,
Der sie die höchste Ehre gab der drei.
Sie fragte, welch ein Ausbund der Barbaren
So bar des Anstands und der Sitte sei,
Daß Heimlichkeiten er dem Blick entdecke,
Die doch nach Kräften stets Natur verstecke.
30.
Nach Sprach' und Wappen mußte die sich sagen,
Daß jene starke Kriegrin vor ihr stand,
Die bei dem Kampfe dort vor wenig Tagen
Warf die drei Nordlandsfürsten in den Sand.
Sie sagt, ein Rüpelhauf, hierher verschlagen,
Zu einer nahen Burg die Wege fand:
Der ließ sie Schläg' und Ungemach erleiden
Und ihre Kleider so zum Hohn zerschneiden.
31.
Sie weiß nicht, was aus jenem Schild geworden,
Was aus den Königen, die durch die Welt
Ihr folgten als Geleit vom hohen Norden:
Ob sie Gefangenschaft, ob Tod sie hält.
Sie kam, beim Kaiser gegen jene Horden
(Wie sehr ihr das Zufußgehn auch mißfällt)
Zu klagen, auf dem Weg an diese Stelle;
Von Karl erhofft sie Sühn' auf alle Fälle.
[164] 32.
Der Anblick trübte Roger und den Damen
(So kühn wie stets zu guter Tat bereit)
Noch mehr als was sie mit dem Ohr vernahmen,
Die heitern Züge: bei so schwerem Leid
Vergessend, daß sie selbst um andres kamen,
Vergönnen sie ihr nicht zur Bitte Zeit,
Daß Rache für die Schmach die Frevler finde
Und nach dem Ort hin sprengen sie geschwinde.
33.
Einmütig hatten gütevoll die beiden
Zuvor die Oberröcke losgemacht;
Die Blöße der drei Armen zu bekleiden,
Erschien genügend auch die neue Tracht.
Nicht gehen darf die Botin (nimmer leiden
Will's Bradamant) den Weg, den sie gemacht:
Sie muß auf Bradamantes Renner steigen;
Auch den zwei andern wird ein Sitz zu eigen.
34.
Ullania zeigt, wie man zum Schloß gerade
Komm' auf dem allernächsten Weg heran,
Und hört sich trösten durch des Fräuleins Gnade,
Die Rache sollen fühlen Mann für Mann.
Vom Tal auf langem und gewundnem Pfade
Steigen sie hoch, bald rechts, bald links, hinan:
Erst, als die Sonne tief im Meer verborgen,
Will diese Schar für Rast am Wege sorgen.
35.
Auf eines Hügels steilem Rande oben
Ein kleines Dörfchen ausgebreitet lag:
Sie fanden Unterkunft und Kost zu loben,
Wie man's an solchem Ort nur wünschen mag,
Und hielten Umschau rings und sahen droben
Allüberall nur Fraun in Dorf und Hag,
Junge wie alte, doch von Männern keinen,
Nicht einen einzigen, im Dorf erscheinen.
[165] 36.
Nicht Jason und die andern Argonauten,
Bei Lemnos landend an dem Uferbord,
Mit solchem Staunen auf die Weiber schauten,
Die ihre Männer töteten durch Mord
Und auch die Söhn' und Väter, die ergrauten,
So daß es nicht zwei Männer gab am Ort. –
Wie Roger staunte und die mit ihm kamen,
Als sie zur Dämmerzeit da Herberg' nahmen.
37.
Am Abend gaben die zwei Kriegerinnen
Drei Röcke (zwar von Stoff nicht allzufein,
Doch ganz) Ullania und den Dienerinnen.
Herr Roger rief sodann zu sich herein
Eine der Frauen aus dem Dorfe drinnen,
Sie zu befragen, wo die Männer sei'n,
Die nicht zu sehen waren in den Straßen,
Und Antwort gab das Weib ihm diesermaßen:
38.
»Was Euch mag zur Verwunderung gereichen,
Daß hier kein Mann ist bei den Fraun im Land,
Das ist für uns ein Leiden ohnegleichen:
Wir leben hier vereinsamt und verbannt.
Und weil die Not den Gipfel soll erreichen,
Sind Gatten, Söhn' und Väter miteinand,
Die teuren, ach, auf lange uns entrissen;
Der Wütrich ist zu quälen uns beflissen.
39.
Fern seinem Land (es ist nur wenig Stunden
Von hier, war unser aller Heimatstatt)
Hält der Barbar uns an dies Dorf gebunden,
Nachdem er uns gekränkt, geschlagen hat,
Und droht den Gatten Qual und Todeswunden
Und uns dazu, der blut'ge Nimmersatt,
Hört er, daß je hierher die Männer kämen
Und wir sie zu uns in die Häuser nähmen.
[166] 40.
Keine von uns darf sich zu nahn getrauen;
So sehr ist ihm der Name Weib verhaßt.
Als bring' ihm Krankheit der Geruch von Frauen
Und allem, was da weiblich, scheint es fast.
Die Bäume ließen zweimal kahl sich schauen
Und wiederum belaubt im Frühlingsglast,
Seit also schlimm der Herr, der böse, wütet,
Und keinen Menschen gibt es, der's verhütet.
41.
Das Volk ist so voll Angst vor ihm und Bangen,
Es fürchtet ihn noch ärger als den Tod.
Bei ihm vereinigt sich dem Wutverlangen
Kraft, wie sie keinem noch stand zu Gebot.
Er bringt mit seinem Leib, dem riesenlangen,
Allen, und wären's über hundert, Not.
Nicht nur wir Heimischen sind so geschlagen:
Die fremden Frauen läßt er mehr noch plagen.
42.
Nehmt ihr die Ehre und, die euch begleiten,
Dort die drei Fraun, jetzund in rechte Hut,
So sucht euch einen andern Weg beizeiten
(Kehrt um! Nur das ist nützlich hier und gut).
Auf diesem würdet ihr zum Schlosse reiten
Und dort erfahren, was der Unhold tut,
Um Herrn und Damen, die auf diesen Pfaden
Sich nahen, Schimpf zu bringen, Schmach und Schaden.
43.
Der böse Marganor (denn also nennen
Wir jenes Schlosses Herren, den Tyrann) –
Nero und, wen wir sonst als grausam kennen,
War kein so arger, kein so schlechter Mann –,
Nach Menschen-, Frauenblut pflegt er zu brennen,
Wie es ein Wolf nach Lämmerblute kann.
Mit Schande läßt er alle Fraun verjagen,
Hat sie ein Unstern nach dem Schloß verschlagen.«
[167] 44.
Warum in ihn denn solche Wut gefahren,
Vernähmen nun die Gäste gern, und wann:
Sie baten jene Frau, doch fortzufahren,
Vielmehr zu sprechen, recht von Anfang an. –
»Wildheit und Grausamkeit war im Barbaren
Wohl immerdar,« das gute Weib begann.
»Doch weil er eine Zeitlang dies versteckte,
Kam's, daß man seine Bosheit nicht entdeckte.
45.
Als seine beiden Söhne noch am Leben,
Verschieden von dem Vater ganz und gar
(Den Fremden hold, der Gastlichkeit ergeben
Und fern von rohem Frevel war das Paar),
Da boten feine Sitten, edles Streben
Und wackres Tun und Höflichkeit sich dar.
Hatte den Vater auch der Geiz am Kragen,
Stört' er doch nicht den Söhnen ihr Behagen.
46.
Wenn Damen oder Ritter hier erschienen,
War trefflich der Willkomm der Brüder dort:
Die Gäste zeigten sich entzückt von ihnen,
Nur widerstrebend zog man weiter fort.
Sie weihten sich, der Ritterschaft zu dienen,
Zusammen heil'ger Pflicht am gleichen Ort,
Der Tanaker geheißen, der Xylander:
Mutig und frisch, sie waren wert einander.
47.
Geblieben wären sie auch wohl der Ehren
Und guten Rufs und jeden Lobes wert,
Wenn sie zur Beute nicht gefallen wären
Dem, was als Liebe wird so sehr begehrt.
Die weiß die guten Pfade zu verwehren
Und hat sie rasch dem Irrtum zugekehrt.
Was jemals Wackres taten beide Recken,
Besudelt blieb es plötzlich und voll Flecken.
[168] 48.
Ein Ritter kommt vom Griechenhof gezogen,
Und einer Dame gibt er das Geleit,
Vornehm von Wesen, artig, fein erzogen,
Schön, wie man keine findet weit und breit.
Ins Herz Xylanders schnellt der Pfeil vom Bogen:
Er meint, wird sie nicht sein, stirbt er vor Leid.
Und als sie Abschied dann von ihm genommen,
Von Sinnen wär' er fast vor Schmerz gekommen.
49.
Und weil er sah, nicht fruchten würden Bitten,
So wollt' er sie gewinnen mit Gewalt:
Unweit vom Schloß, wo sie vorüberritten,
Bewaffnet lauert er im Hinterhalt,
Gewohnter Mut und Liebesfeuer litten
Nicht Überlegung lang, und als er bald
Den Ritter nahen sah auf jenen Wegen,
Zum Angriff, Speer auf Speer, sprengt' er entgegen.
50.
Und Sieg und Dame hofft er zu erringen,
Wenn bei dem ersten Stoß der Gegner fällt;
Doch der – ein Meister war's in Waffendingen –
Hat ihm den Harnisch so wie Glas zerspellt.
Der Vater hört's, läßt eine Bahre bringen:
Auf ihr kommt in die Burg der junge Held.
Der Alte sieht ihn tot, birgt ihn mit Jammer
Neben den Ahnen in der Grabeskammer.
51.
Doch blieb noch Fremden Obdach zugestanden;
Man ließ sie willig in die Burg hinein,
Wo sie den Tanaker so höflich fanden
Wie einst den Bruder, ritterlich und fein.
Im gleichen Jahre kehrt aus fernen Landen
Mit seinem Weib im Schloß ein Freiherr ein,
Er auserlesen kühn und stark in Waffen,
Sie hold und lieblich, wie zur Lust geschaffen.
[169] 52.
Und nicht nur schön, von Edelsinn durchdrungen,
In jeder Hinsicht allen Lobes wert;
Der Ritter, aus erlauchtem Stamm entsprungen,
Im Kampf wie irgendeiner nur bewährt.
So ist es recht: wenn höchstes Gut errungen
Wird von Verdienst und wohlgeführtem Schwert.
Olind, so hieß der Herr, von Lungavilla,
Und seine Dame war genannt Drusilla.
53.
Wie einst der Bruder für Drusilla glühte,
Ist Tanaker für diese jetzt entbrannt,
Die erst ihm das Begehren ins Geblüte
Und dann ein bittres Ende hat gesandt.
Auf heil'gen Gastrechts Bruch war sein Gemüte
Mit Grübeln und mit Sinnen hingewandt,
Damit er nicht ein schmerzenvolles Ende
Durch dies gewalt'ge neue Sehnen fände.
54.
Allein des Bruders Los gibt ihm zu denken:
Dem hat sich der Versuch in Tod gekehrt!
Drum sucht er die Beraubung so zu lenken,
Daß nicht Gefahr droht, wenn sich jener wehrt.
So mußte Flut des Unrechts ganz ertränken
– Und nicht bloß schwächen – seinen frühern Wert,
Der Halt ihm bot, daß nicht des Lasters Wogen
Ihn wie den Vater nach der Tiefe zogen.
55.
In nächt'gem Schweigen ließ er mit sich reiten
Der Knappen zweimal zehn nach einem Wald,
Und fern vom Schloß durch Höhlen sich verbreiten,
Die unterwegs es gab, zum Hinterhalt.
So fand Olind am Tag von allen Seiten
Versperrt jedweden Ausgang mit Gewalt.
Und ob er lang sich wehrte wild und bitter,
Leben und Weib verlor der edle Ritter.
[170] 56.
Der Jüngling führt' die Dame fort gefangen:
Verzweifelt ist sie und vor Schmerz wie toll:
Zu sterben ist ihr einziges Verlangen;
Sie fleht, man töte sie erbarmungsvoll.
Ein Sprung von Felsen, die sie überhangen
Sieht nach dem Tal, den Tod ihr bringen soll;
Sie kann nicht sterben, doch, das Haupt zerbrochen,
Liegt sie am Boden mit zermalmten Knochen.
57.
Auf einer Bahre nur, der Wunden wegen,
Bringt Tanaker die Dame in sein Haus.
Mit aller Sorgfalt läßt er dort sie pflegen:
So teure Beute gibt er nicht heraus.
Er müht sich, sie zu heilen und zu hegen,
Und rüstet sich derweil zum Hochzeitschmaus;
Denn solcher keuschen, solcher schönen Dame
Gebührt der Gattin, nicht der Freundin Name.
58.
Er kann nichts andres denken, andres sinnen –
Er kümmert sich um nichts als ihre Huld.
Vorwürfe macht er sich im Herzen drinnen,
Und gutzumachen sucht er seine Schuld:
Umsonst –, je größer, heißer sein Beginnen,
Durch Liebe zu versöhnen und Geduld,
Je mehr verfolgt sie ihn mit Haß und Grolle
Und ist entschlossen, daß er sterben solle.
59.
Doch läßt sie sich vom Hasse nicht verblenden;
Sie sieht im stillen dieses deutlich ein:
Solle geplante Rache sich vollenden,
Des Heuchelns müsse sie beflissen sein,
Und List und Falschheit gelt' es anzuwenden:
Sei auch sein Untergang ihr Wunsch allein,
So müsse sie sich doch ihm huldvoll neigen
Und alte Liebe als vergessen zeigen.
[171] 60.
Das Antlitz heuchelt Frieden, aber Hassen
Und Rache kennt das Herz nur auf der Welt.
Viel überlegt sie, manches dann zu lassen;
Wählt dies, indem sie das in Zweifel stellt.
Das Ziel, so glaubt sie schließlich, kann sie fassen,
Stirbt sie mit ihm, – der Plan den Sieg behält:
Den Teuren rächend so dahinzugehen –
Wann könnte sie beglückters Ende sehen?
61.
So läßt sie denn fortan sich fröhlich schauen,
Voll Sehnsucht nach der Hochzeit und bereit
(Nie mehr scheint ihr vor dieser jetzt zu grauen),
Als finde sie noch allzulang die Zeit.
Sie schminkt und schmückt sich mehr als andre Frauen;
Olind, so scheint's, ist in Vergessenheit;
Doch so, wie sie zu Hause Hochzeit halten
Im Vaterland, soll sich das Fest gestalten.
62.
Daß wirklich solche Bräuche dort bestanden,
Entsprach der rechten Wahrheit freilich nicht;
Doch da sich keine andern Wege fanden
Und all ihr Sinn stand auf das Ziel gericht't,
War Hoffnung in der Lüge nur vorhanden;
Sonst gab es für den Mörder kein Gericht.
Der Heimat Sitten wolle sie bewahren,
Sprach sie, und legte dar, was diese waren.
63.
Die Witwe, die sich neuen Gatten wähle,
Komm' ihrem Bräutigam nicht früher nah,
Bis daß durch Messen erst versöhnt die Seele
Des Toten (dem ja Kränkung doch geschah),
Damit nicht Nachlaß frührer Sünden fehle,
Im Tempel selbst, der die Gebeine sah.
Nachdem die Opferung zu Ende ginge,
Dann komm' erst der Verlobte mit dem Ringe.
[172] 64.
Ein schickliches Gebet des Priesters schließe
Sich an, zu segnen den gebrachten Wein:
Er müsse, daß man würdig den genieße,
Mit frommen Sprüchen ihn beständig weihn;
Den heil'gen Trank für die Verlobten gieße
Er ganz zuletzt in einen Becher ein.
Sache der Braut sei's, diesen Wein zu geben,
Und auch, zuerst ihn an den Mund zu heben.
65.
Der Jüngling sieht nicht ein, warum die Sache
Geschehen soll, gerad in der Gestalt.
Doch spricht er: ›Sei's! Daß man ein Ende mache!
Dann sind wir beide doch zusammen bald!‹
Der Ärmste weiß nicht, daß nur wilde Rache
Für den Erschlagnen steht im Hinterhalt:
Er ist so ganz auf eines nur versessen;
Er kann nichts andres denken und ermessen.
66.
Drusilla hatt' in ihrem Fraungeleite
Ein altes Weib, das ihr geblieben war.
Vorsichtig rief sie die, nahm sie zur Seite
Und sagt' ihr (niemand ward's im Haus gewahr):
›Eins deiner raschen Gifte mir bereite,
Wie du's verstehst; reich mir's verschlossen dar!
Ich fand ein Mittel und gebrauch' es später,
Den Schurken zu verderben, den Verräter.
67.
Wie ich mein Leben rette dann und deines,
Erfährst du, wenn wir minder sind in Hast.‹
Die Alte geht und richtet her ein feines,
Tödliches Gift und bringt es zum Palast:
In eine Flasche süßen Zypernweines
Ward von Drusilla jener Trank gefaßt
Und aufbewahrt bis zu der Hochzeit Stunden,
Denn alle Schwierigkeit war nun geschwunden.
[173] 68.
Am Hochzeitstag, in reichen Brautkleids Prangen,
Juwelgeschmückt, trat sie im Tempel ein,
Man hatte für Olind auf ihr Verlangen
Errichtet auf zwei Säulen dort den Schrein.
Das Hochamt ward gefeiert, Priester sangen,
Es drängten sich der Fraun und Männer Reihn.
Den Marganor, der Freunde Schar zuseiten,
Sah man vergnügt mit seinem Sohne schreiten.
69.
Sobald die Totenfeier dann zu Ende
Und auch der Wein mitsamt dem Gift geweiht,
So gibt der Priester in Drusillas Hände
Den Becher, wie bestimmt war für die Zeit.
Sie trinkt so viel, als man geziemend fände
Und als erforderlich für Wirksamkeit,
Und reicht dem Gatten lächelnd hin die Schale:
Der leert sie auf den Grund mit einem Male,
70.
Gibt sie dann weg; – Drusilla zu umfangen,
Kommt er nun zärtlich lächelnd auf sie zu.
Da war die holde Sanftmut ganz vergangen
Und alle milde Süßigkeit im Nu.
Aus ihren Augen Feuergluten sprangen;
Sie stieß ihn fort und schrie: ›Verräter du!‹
Sie rief es zum Entsetzen, wie von Sinnen:
›Hinweg, Verräter, hebe dich von hinnen!
71.
Dir sollt' ich Wonne, Freud' und Lust gewähren,
Derweil du mich der Qual, den Tränen weihst?
Mit eigner Hand wollt' ich dir Tod bescheren,
Und Gift war dieser Trank, wenn du's nicht weißt!
Dein Henker, lass' ich dir zu viel der Ehren;
Mich schmerzt, daß leichter Tod hinab dich reißt:
Nicht Hände gibt es, Martern so abscheulich,
Wie dein Verbrechen furchtbar ist und greulich.
[174] 72.
Mich kränkt's, daß ich nicht so das Opfer bringen,
Wie ich gewünscht, mit diesem Tode kann:
Fand mein Gedanke völliges Gelingen,
Ganz anders, ohne Mängel wär' es dann.
Mein Gatte lasse Nachsicht mich erringen,
Der teure; nur mein Wollen schau' er an.
Unmöglich war, worauf mein Sinn gerichtet:
So hab' ich, wie ich's konnte, dich vernichtet.
73.
Was dir an Qual nicht konnte hier geschehen,
Wie ich es gern mir hätte vorgestellt,
Wird deine Seel' – ich hoff's mit anzusehen –
Erleiden drüben in der andern Welt.‹
Sie sprach's, und dunkelnd schon, doch heiter gehen
Aufwärts die Blicke nach dem Himmelszelt:
›Olind, das Opfer wolle mir verstatten,
Das treugewillt die Gattin bringt dem Gatten!
74.
Erbitte dort für mich des Herren Gnade,
Daß ich im Paradiese sei mit dir!
Und geht man nicht verdienstlos jene Pfade,
So sag' ihm dies: Verdienst bring' ich mit mir.
Als Siegesbeute auf die Schultern lade
Ich für den Tempel dort dies Scheusal hier.
Von Pestilenz die Erde zu befreien –
Kennst du Verdienste wohl, die größer seien?‹ –
75.
Zugleich war Sprach' und Leben ihr geschwunden;
Im Tod noch fröhlich schien ihr Angesicht,
Daß Strafe habe noch zuletzt gefunden
Des Gatten grauser Mord durch ihr Gericht.
Ob früher – später sich dem Leib entwunden
Der Geist des Tanaker, ich weiß es nicht.
Vor jener, glaub' ich, ist er hingesunken,
Denn von dem Gifte hatt' er mehr getrunken.
[175] 76.
Als Marganor ihn stürzen sah zur Erde,
In seinem Arme leiden Todespein,
Da meint' er, daß es ihn auch töten werde,
So unversehens brach der Schlag herein.
Zwei Söhne hatt' er bei sich einst am Herde! –
Durch zweier Frauen Schuld ist er allein.
Der erste mußt' um einer willen enden;
Die gab dem zweiten Tod mit eignen Händen.
77.
Schmerz, Liebe, Mitleid, Grimm und Wut erfüllen
Den Vater, Durst nach Mord und Rachelohn:
Er brüllt, wie sturmgepeitschte Wogen brüllen,
Die auf dem wilden Meer Verderben drohn.
Er stürzt herbei und sieht, daß aus den Hüllen
Des Leibs Drusillas Seele schon entflohn.
Er schlägt im tollen Haß, der ihn umwindet,
Ein auf den Körper, der nichts mehr empfindet.
78.
So wie die Schlang' umsonst die Lanzenspitze,
Die sie am Boden hält, mit Zähnen beißt,
Der Hund sich müht, wie er den Kiesel ritze,
Den ihm der Wandrer hinwarf – zerrt und reißt
Und stets vergebens schnappt in Zorneshitze,
Weil ihm die Wut verkehrte Wege weist –
So am entseelten Leib im grimmen Drange
Rast er viel wilder noch als Hund und Schlange.
79.
Doch weil ihm das Zerfleischen und Zerhauen
Den Blutdurst und die Wut nicht stillen kann,
So stürzt er auf die dichtgescharten Frauen,
Sieht nicht erst eine nach der andern an;
Nein, wie beim Mähn der Bauer ist zu schauen,
So kommt er mit dem grimmen Schwert heran:
Da ist kein Schutz, und wie die Hiebe fliegen,
Sind dreißig tot, verwundet hundert liegen.
[176] 80.
Keiner der Männer hat das Haupt erhoben,
Weil allesamt ihn fürchten, jung und alt.
Die Frauen mit dem Volke sind zerstoben:
Wer aus der Kirch' herauskam, macht' nicht halt.
Gehemmt wird endlich das verrückte Toben
Durch Bitten und durch freundliche Gewalt,
Bis sie zum Schloß hinauf den Wütrich bringen,
Derweil von unten Klag' und Wehruf klingen.
81.
Allein verjagt wollt' er sie alle sehen,
Weil er sich immer noch in Zorn befand,
Nachdem des Volkes und der Freunde Flehen
Dem Mord der Weiber doch im Wege stand.
So ließ er selben Tags Befehl ergehen,
Die Frauen sollten weichen aus dem Land,
Und hier des Dorfes Grenze soll uns binden:
Weh ihr, die man beim Schlosse werde finden!
82.
Die Gattin muß sich von dem Gatten scheiden,
Die Mutter ist getrennt vom lieben Sohn:
Und wohl bedacht sei, Spähervolk zu meiden,
Wer doch sich herwagt, dem Verbot zum Hohn!
Gar mancher mußte schlimme Strafen leiden,
Getötet hat der Unmensch viele schon,
Der sich im Schloß dort ein Gesetz gemacht hat,
Das greulichste, das noch die Welt erdacht hat.
83.
Wird jemals in den Talesgrund verschlagen,
Was manchmal doch geschehn kann, eine Frau,
Mit Ruten wird ihr Rücken wundgeschlagen
Und fortgetrieben wird sie aus dem Gau;
Doch kürzt man erst ihr Kleid, und offen tragen
Muß sie, was Anstand doch verbirgt, zur Schau.
Wenn aber eine herkommt, die umgeben
Von Reitern ist, verliert sie gleich das Leben.
[177] 84.
Denn fängt er eine von den so Gebrachten,
Führt sie der Frevler schnöd, erbarmungslos
Zur Gruft der Söhne hin, um sie zu schlachten:
Als Opfer da zu sterben ist ihr Los.
Und Pferd und Waffen nimmt er, die sie brachten,
Und das Geleit umfängt der Kerkerschoß.
Weil mehr als tausend Mannen ihn umringen,
Bei Tag und Nacht, kann er es auch vollbringen.
85.
Entläßt er einen – dies vernehmt noch weiter! –
So leistet erst den feierlichen Schwur,
Und auf die heil'ge Hostie zwar, der Reiter,
Daß er fortan die Frauen hasse nur.
Erscheint Euch, zu verderben, nun gescheiter,
Euch und die Damen hier, so sucht die Flur
Des Bösewichts nur auf, um zu erfahren,
Wie groß die Kraft und Bosheit des Barbaren!«
86.
Sie sprach's, und gleich (von Mitleid erst bewogen,
Von großem Zorn und von Empörung dann)
Wären die Damen nach dem Schloß gezogen;
Doch weil die Nacht schon ihren Schleier spann,
So ruhten sie. Als früh am Himmelsbogen
Eos den Sternen kundzutun begann,
Daß jetzt das Dunkel von der Sonne scheide,
Sitzt alles auf dem Pferd im Eisenkleide.
87.
Wie sie gerad zum Aufbruch sich bereiten,
Tönt Hufschlag hinten: alle blicken auf
Und schauen forschend um nach allen Seiten
Und spähn hinunter nach des Tales Lauf;
Da sehen sie, auf etwa Steinwurfweiten
Den engen Pfad hin trabt ein Reiterhauf.
Wohl zwanzig sind es, alle stahlumschlossen,
Ein Teil davon zu Fuß, ein Teil auf Rossen.
[178] 88.
Auf einem Pferde führten diese Wichte
Ein Weib (und viele Jahre schien sie alt);
So schleppt man arme Sünder zum Gerichte,
Zum Block, zum Strick, zum Feuer mit Gewalt.
Ob fern, war sie doch kenntlich am Gesichte
Und auch an Kleidern deutlich und Gestalt.
Es sei die Alte von den Dienerinnen
Drusillas, sagen die vom Dorfe drinnen,
89.
Die Kammerfrau, die, wie Ihr wißt, gefangen
Blieb mit der Herrin in des Räubers Macht,
Von der Drusilla dann das Gift empfangen,
Das alles Unglück und den Tod gebracht.
Sie war nicht nach der Kirche mitgegangen,
Denn ob der Folgen hegte sie Verdacht,
Vielmehr zu einem Ort geflohn am Morgen,
Wo sie geschützt sich wähnte und geborgen.
90.
Als Späher drauf dem Marganor erzählen,
Sie habe sich nach Österreich gewandt,
Da sann er, zum Verbrennen oder Pfählen
Sie zu bekommen: und weil offne Hand
Und Lohnverheißung Wirkung nicht verfehlen,
Hieß ein Baron, ein Geizhals, dessen Land
Das Weiblein aufgesucht, die Alte fassen
Und sie für Geld Marganor überlassen.
91.
Er ließ sie bis nach Konstanz hingelangen
Auf einem Maultier, wie man Waren führt;
Geknebelt, daß die Sprach' ihr war vergangen,
Und wohl in eine Kiste festgeschnürt.
Dort ward sie von des Mannes Schar empfangen,
Den nimmer weiches Mitleid noch gerührt;
Worauf man sie zu jenem Unhold brachte,
Der seine Wut an ihr zu kühlen dachte.
[179] 92.
So wie vom Visoberg des Stromes Wellen
Dem, wie er weiter nach dem Meere drängt,
Lambro, Ticin und Adda sich gesellen,
Von denen allen er Tribut empfängt,
Nur immer mächtiger und stolzer schwellen,
Wird Rogers Brust von Grimm stets mehr beengt,
Je mehr er hört; so wachsen Zornesgluten
Der beiden Mädchen auch, der hochgemuten.
93.
Erfüllt von Hasse gegen den Barbaren,
Und weil der Frevel immer größer schien,
Beschlossen sie, trotz seiner vielen Scharen,
Den Wüterich zur Rechenschaft zu ziehn,
Wobei sie über eines einig waren:
Ein rascher Tod sei allzu mild für ihn,
Gerechter würd' es sein, wenn er sein Ende
Langsam und unter vielen Qualen fände!
94.
Zuerst doch gilt es, helfen jener Alten,
Bevor die Knechte mit dem Tod ihr nahn.
Ein scharfes Spornen, schlaffes Zügelhalten
Macht flinken Rennern kurz die lange Bahn.
So starken, herben Ansturm auszuhalten,
Erscheint das Wächtervolk nicht angetan.
Sie lassen Schild, Frau, Rüstung, alle Sachen,
Froh, unbeschwert sich auf die Flucht zu machen.
95.
Der Wolf, der eine Beute hat gefunden
Und sich, der Höhle nah, schon sicher glaubt
Und dann den Jäger sieht mit seinen Hunden
Und des erhofften Weges wird beraubt:
Der wirft die Last fort, ist mit eins verschwunden,
Zum Wald hinein, wo der recht dicht belaubt: –
So rühren die zu rascher Flucht die Glieder,
So stürzen die zum Angriff auf sie nieder.
[180] 96.
Sie lassen nicht das Weib nur und die Waffen,
Nein, lassen auch zurück gar manches Pferd
Und suchen, wo da Schlucht und Höhle klaffen,
Weil solcher Grund ja der Verfolgung wehrt.
Des freun sich Roger und die Fraun: sie raffen
Drei Hengste auf, die hier der Feind beschert,
Und lassen jene drei im Sattel sitzen
(Sie machten gestern die drei Rosse schwitzen).
97.
Man wendet nun sich eilig nach der Seite,
Wo jene Burg liegt, der verruchte Ort.
Sie wollen, daß die Alte sie geleite
Und sehe: Rache naht Drusilla dort.
Sie suchte, Böses fürchtend, gern das Weite
Und heult und schreit und sträubt sich fort und fort.
Frontin, der Hengst, muß mit Gewalt sie tragen;
Dann läßt ihn Roger wacker vorwärts jagen.
98.
Sie kamen eine Höh' hinaufgeritten,
Sahn, daß im Tal ein reicher Flecken stand;
Nach allen Seiten wehrte nichts den Schritten,
Denn weder Graben gab's noch Mauerwand.
Ein Felsen ragte aus der Häuser Mitten,
Darauf ein hoher Burgbau sich befand.
Die Rächer nahten dieser Felsenklause,
Weil klar war, daß der Wüterich zu Hause.
99.
Kaum waren sie im Flecken drin erschienen,
Als rasch die Wache dort, ein Knechtetroß,
Des Eingangs Schranke sperrte hinter ihnen,
Worauf ein andrer Ausgang auch sich schloß.
Der Herrscher kommt mit Mannen, die ihm dienen,
In Waffen allesamt, zu Fuß, zu Roß,
Und meldet ihnen kurz mit stolzem Worte,
Welch schlimme Satzung gelt' an diesem Orte.
[181] 100.
Marfisa hatte schon mit Bradamante
Und Roger alles einzle wohl bedacht:
Sie gab nicht Antwort, – nach dem König wandte
Sie sich, wobei sie, auf des Armes Macht
Vertrauend, ihn nicht mit dem Speer berannte;
Sie ließ das gute Schwert auch außer acht,
Nur ihre Faust klang mächtig auf dem Helme –
Die Sinne schwanden auf dem Pferd dem Schelme.
101.
Die Heldin Frankreichs kommt zugleich gesprungen
Auf ihrem Hengst; auch Roger harrt nicht lang:
Er ist mit solcher Wucht vorangedrungen,
Gleich sechse sind gespießt beim ersten Gang;
Der durch den Bauch, ein andrer durch die Lungen,
Der durch den Hals und jener durch die Wang'.
Am fliehnden sechsten ist der Speer gebrochen;
Er ward vom Rücken bis zur Brust durchstochen.
102.
Die Haimonstochter kam, zur Erde flogen
Die Krieger, wenn berührt vom goldnen Speer:
Sie gleicht dem Blitzstrahl aus dem Himmelsbogen,
Der, was er trifft, in Stücken streut umher.
Das Volk, erschreckt, hat sich durchs Tal verzogen
Und auf den Fels; ins Haus verschließt sich der;
Der sucht zum Schutz die Kirche zu erreichen,
Und auf dem Platze bleiben nur die Leichen.
103.
Die Hände werden Marganor gebunden,
Marfisa schnürt sie auf den Rücken fest.
Als Wache wird die Alte gut befunden:
Die sieht darin – zufrieden jetzt – ein Fest!
Verbrennen soll der Ort in wenig Stunden,
Wenn sich das Volk nicht schnell bestimmen läßt,
Des Königs bös Gesetz ganz aufzuheben
Und das zu nehmen, das die Sieger geben.
[182] 104.
Es machte keine Not, dies zu erlangen:
Marfisa könne ja imstande sein
– So sagte sich das Volk in Furcht und Bangen –
Zu töten und verbrennen groß und klein.
An Marganor sah man nicht einen hangen;
Verhaßt war jene Satzung obendrein.
Doch, sie gehorchten, wie die große Masse
Meist dem gehorcht, dem sie nur folgt mit Hasse;
105.
Denn keiner traut dem andern, und zu sagen,
Was jeder heimlich denkt, da fehlt der Mut.
So läßt man den verbannen, den erschlagen,
Dem Ehre nehmen, jenem Hab und Gut.
Doch, schweigt das Herz, schickt es empor die Klagen,
Und Gott mit seinen Heil'gen straft aufs Blut:
Er macht – scheint seine Rache lang zu schlafen –
Die Säumnis gut mit ungeheuren Strafen.
106.
Der Schwarm, voll Haß und Zorn, sucht sich zu rächen
Mit übler Rede, wie mit blut'ger Tat.
Das Sprichwort sagt: ein jeder eilt zu brechen
Holz vom gefallnen Baume früh und spat;
Zu euch, ihr Herrscher, laßt das Beispiel sprechen,
Daß bösem Tun ein böses Ende naht:
Sieht man, der Untat folgen Straf' und Rache,
So ist's für groß und klein erwünschte Sache.
107.
Sie, die das Blut der Gattin sahen rinnen,
Der Tochter, Mutter, – alle kommen nun
(Man hehlt nicht mehr den Haß im Herzen drinnen),
Um ihn mit eignen Händen abzutun.
Kaum widerstehen dem die Kriegerinnen
Und Rogers starke Faust kann nimmer ruhn!
Sie wollen ja in Qual ihn sterben lassen,
In Schmerzen und in Not soll er erblassen.
[183] 108.
Wie zorn'ge Weiber nur den Gegner hassen,
So haßt den König dieser Alten Mut;
Ihr wird er nackt, gebunden, überlassen,
Kommt hier nicht frei, auch in der höchsten Wut.
Sie – Rache der Verschuldung anzupassen –
Färbt ihm den Körper rot mit seinem Blut,
Durch einen Stachel, den in ihre Hände
Ein Bauer gab zu diesem blut'gen Ende.
109.
Die Botin mit den Zofen folgt der Alten
(Niemals vergißt sie die erlittne Schmach)
Und braucht die Hände nicht am Leib zu halten:
Mit Herzenslust macht sie's der Greisin nach.
Doch nicht genug kann Rache sich entfalten;
Vorm Wünschen bleibt das Können immer schwach,
Die will ihn steinigen, und diese beißen,
Die möchte mit den Nägeln ihn zerreißen.
110.
Ein Bergstrom, dem ein überreichlich Tauen
Von Schnee und langer Regen Kraft verleiht,
Führt vom Gebirge Bäume durch die Auen,
Verheert Gefild und Ernte weit und breit;
Und friedlich wieder ist er anzuschauen
Und schwach und matt zu einer andern Zeit,
So daß ein Kind, ein Weib in voller Muße
Ihn überschreiten kann, mit trocknem Fuße –:
111.
So fühlte vor dem Wütrich jeder Beben
Ringsum, ward nur sein Nam' allein genannt:
Da ließ ihn seines Stolzes Fall erleben,
Das Horn ihm brechend, eine starke Hand.
Jetzt kann ein Kind ihm Nasenstüber geben;
Den Bart, das Haar zaust schwacher Unverstand.
Den Fels bestieg nun Roger mit den Damen,
Bis sie zur Höhe nach dem Schlosse kamen.
[184] 112.
Man gab es, ohne Schwierigkeit zu machen,
In ihre Hand, auch Waffen viel dabei.
Meist ließen sie zum Plündern dort die Sachen,
Auch zum Ersatz Ullania mancherlei.
Man fand den goldnen Schild und, die bewachen
Der Unhold ließ, die Könige, die drei,
Die – doch ich glaub', Ihr wißt das schon von ihnen –
Zu Fuße dort und waffenlos erschienen.
113.
Der Sattel ihrer Rosse sah sie nimmer,
Seit sie zu Boden streckte Bradamant;
Sie folgten waffenlos dem Fräulein immer,
Das von der fernen Insel war entsandt.
Weiß nicht: war's für sie besser oder schlimmer,
Daß keiner dort gerüstet sich befand.
Zum Schutze wären freilich besser Waffen;
Mißlingen hätte schlimmres Los geschaffen.
114.
Man hätte sie, verteidigten sie Ritter,
Wie jede mit bewaffnetem Geleit,
Vielleicht nach jener Brüder Grabesgitter
Geschleppt, die arme Frau dem Tod geweiht.
Gegen das Sterben ist doch minder bitter,
Entblößt zu werden, und doch milder weit.
Und jeder Schimpf ist kleiner, kann man sagen:
Mich zwang Gewalt, die Unbill zu ertragen.
115.
Eh sich die Kriegerinnen wegbegeben,
Schwört die Bevölkerung erst allgemein,
Fortan den Fraun das Regiment zu geben
In Haus und Land, den Frauen ganz allein.
Sei jemand frech genug, zu widerstreben,
Dann dulde der Verbrecher Straf' und Pein.
Kurz, was die Leute Männern anvertrauen,
Das fällt hier alles ins Bereich der Frauen.
[185] 116.
Sie müssen ferner sich zum Schwur bequemen:
Kein Knecht darf in den Ort, kein Rittersmann,
Und wenn in hellen Haufen solche kämen;
Zum Obdach nahe keiner sich heran,
Wenn er nicht schwört, die Pflicht zu übernehmen,
Bei Gott und Heil'gen, wie man schwören kann,
Zu hassen, wen die Frauen hassen; ihnen
Ergeben stets zu sein und treu zu dienen.
117.
Ob sie vermählt, ob nicht, zu jenen Zeiten,
Ob früh, spät, nie sie nehmen eine Frau,
Sie müssen tun, wie sie die Weiber leiten,
Und ihrem Willen folgen ganz genau.
Marfisa droht: eh sich die Blätter breiten,
Da komme sie aufs neue her zur Schau,
Und säume man, die Satzung gut zu halten,
So werde sie mit Schwert und Feuer walten.
118.
Man hob Drusillas Leib aus kot'gen Stätten,
Bevor man schied von dieses Orts Bereich,
Um mit dem Gatten ihn vereint zu betten,
In einem Grabmal möglichst schön und reich.
Dem Unhold färbt indes in seinen Ketten
Das Weib den Rücken rot mit Stich und Streich.
Klagt, daß ihr Atem und die Kräfte fehlen,
Ohn' Unterbrechung, immer ihn zu quälen.
119.
Die kühnen Fraun sehn eine Säule stehen:
Vor einem Tempel ragt sie himmelauf.
Drauf ist zu lesen, was da soll geschehen,
Nimmt die verruchte Satzung ihren Lauf.
Sie hängen nun nach Weise der Trophäen
Von Marganor dort Schild und Rüstung auf
Und schreiben das Gesetz sogleich daneben,
Das als Ersatz sie jenem Orte geben.
[186] 120.
Die Schar verweilte, bis man fertig brachte
Marfisas Inschrift für die Säule dort,
An Stelle der, die jede Frau verlachte
Und Schmach und Tod ihr drohte hier am Ort.
Nur eine, die den Rock sich wieder machte,
Die Botin, zog nicht mit den andern fort.
Erschiene sie in anderm Kleid im Lande,
An Kaisers Hof, so wär' es, meint' sie, Schande.
121.
Ullania blieb; es blieb vor allen Dingen
Bei ihr der Unhold. Daß der Bösewicht
Nicht gar am Ende löse seine Schlingen,
Aufs neue auf der Frauen Qual erpicht,
Mußt' er von hohem Turm herunterspringen;
So großen Sprung tat er sein Lebtag nicht – –
Wir lassen sie und die sie dort begleiten:
Auf Arles zu mit den andern gilt es reiten.
122.
Den ganzen Tag und bis zur Tageswende
Den nächsten noch ging's immerzu voran;
Da ziehen sich zwei Straßen durchs Gelände:
Hier geht's zum Lager, dort nach Arles hinan.
Die Liebenden umarmen sich ohn' Ende –
's ist immer bitter, fängt das Scheiden an.
Nach Arles geht Roger jetzt, die beiden Frauen
Zu Karl. – Mein Sang soll hier sein Ende schauen.

[187] Achtunddreissigster Gesang

1.
Die ihr mir freundlich lauschet, wenn ich singe,
Ich seh's euch, güt'ge Fraun, an Augen an:
Daß Roger sich aufs neu der Braut entringe,
Nicht euer Wohlgefallen finden kann.
Voll Mißvergnügen hört ihr diese Dinge,
An Bradamantes reicht es fast heran.
Ihr meint, die Sache sei nicht recht geheuer,
Und nicht sehr groß des Helden Liebesfeuer.
2.
Wär' er aus einem andern Grund gegangen,
Entgegen auch dem Wunsch von Bradamant,
Und sei's, um größre Schätze zu erlangen,
Als man bei Krösus oder Krassus fand,
So sagt' ich selbst: nicht in die Tiefe drangen
Amors Geschosse, für sein Herz entsandt.
Denn solch Entzücken, solche hohe Wonne
Erkauft nicht alles Gold im Licht der Sonne.
3.
Galt es jedoch die Rettung seiner Ehre,
Verdient er – nicht Entschuldigung, nein, Preis;
Rettung, sag' ich, denn große Schande, schwere,
Bedroht ihn andernfalles laut und leis.
Und wenn das Fräulein eigensinnig wäre
Und hielt' ihn fest in ihrem engen Kreis,
Wär' es ein Zeugnis, das sie selbst sich schriebe,
Von wenig Urteil oder wenig Liebe.
[188] 4.
Dem Liebenden muß des Geliebten Leben
Lieb wie das eigne, ja noch teurer sein
(Den mein' ich, den der Pfeilschuß Amors eben
Noch tiefer traf als bloß ins Kleid hinein) –
Doch mehr gilt, seine Ehre hochzuheben,
Denn alle Lust ist vor der Ehre klein;
Die Ehre muß noch übers Leben gehen,
Mag dies sonst hoch ob allen Freuden stehen.
5.
Sich dem Gebieter jetzt nicht zu versagen,
War Rogers Pflicht; wenn er sich der entwand,
So hätt' er eitel Schmach davongetragen,
Weil sich kein Grund, ihn zu verlassen, fand.
Hatt' Almont auch den Vater ihm erschlagen,
Trug keine Schuld daran Herr Agramant:
Oft hatt' er sich bemüht, durch tausend Sachen,
Die Fehler der Verwandten gutzumachen;
6.
's ist seine Pflicht, zu seinem Herrn zu stehen,
Er folgt ihr, und auch sie tut ihre Pflicht.
Sie könnt' ihn zwingen durch erneutes Flehen,
Dennoch zu bleiben, und sie tut es nicht.
Der Liebenden kann wohl ihr Recht geschehen
Ein andermal, wenn's jetzt daran gebricht.
Doch hast du einmal dich der Ehr' entzogen,
Wird's nicht in hundert Jahren aufgewogen.
7.
Er ging nach Arles zurück, wo Agramante
Zusammenzog den Rest von seiner Schar.
Marfisa ritt, und mit ihr Bradamante,
In Freundschaft ihr verbunden ganz und gar,
Hin, wo der Kaiser große Müh' verwandte,
Die Macht zu zeigen, die zur Hand ihm war,
Voll Hoffnung, daß Belagrung oder Schlachten
Jetzt Frankreich seiner Geißel ledig machten.
[189] 8.
Die Heldin kam, und voller Freude waren
Die Krieger, als sie durch die Gassen ritt.
Willkommen bietend, grüßt man sie in Scharen;
Sie neigt zum Dank das Haupt auf Schritt und Tritt.
Rinald, der von der Ankunft auch erfahren,
Geht ihr entgegen, Richardet kommt mit,
Richard und die dem gleichen Blut entstammen,
Die grüßen sie gar fröhlich allzusammen.
9.
Und als es heißt, daß sich bei ihr befinde
Marfisa, die berühmte Kriegerin,
Der alle Welt die Siegeskränze winde
Von China bis zu Spaniens Grenzen hin –
Herbei kommt hoch und niedrig gar geschwinde,
Und niemand bleibt mehr in den Zelten drin:
Man stolpert, drängt und stößt, um an der beiden
Heldinnen Anblick staunend sich zu weiden.
10.
Sie gehn, um Ehrfurcht Kaiser Karl zu zollen.
Marfisa hatte nie, so schreibt Turpin,
Vorher die stolzen Kniee beugen wollen.
Kein andrer als der Sprosse des Pipin,
Wie laut auch immer Ruhmeslieder schollen,
Deucht ihr der Ehre wert; so herrlich schien
Karl vor den Herrschern, die in Heidenlanden
Und bei den Christenvölkern rings sich fanden.
11.
Karl grüßte sie mit Huld und Freundlichkeiten
Und kam ihr gar entgegen aus dem Zelt –
Hieß sie sich setzen dicht an seiner Seiten;
Zurückstand jeder König, Fürst und Held.
Gehn mußte, wer von selbst nicht ging beizeiten,
So daß allein die Zierde blieb der Welt
Mit seinen Paladinen ohnegleichen:
Die aus dem Volke mußten alle weichen.
[190] 12.
Voll Wohlklang tönten jetzt Marfisas Worte:
»Erhabner Cäsar, dessen starke Hand
Vom Indermeer bis zu des Westens Porte,
Von Skythiens Schnee zu Libyens Sonnenbrand
Dein Kreuz hell leuchten läßt an jedem Orte
(Gerechtern, weisern Herrscher kennt kein Land),
Dein Ruhm – und keine Schranke kann ihn fassen –
Hat mich aus fernster Weite kommen lassen.
13.
Bekriegen wollt' ich dich – Wahrheit verschweigen
Sei ferne –, Neid bloß führte mich daher,
So mächt'gem König wollt' ich nicht mich neigen,
Der andern Glaubens, ob auch hoch und hehr.
Springbrunnen Christenblutes ließ ich steigen
Und hätte wohl, dir schadend lang und schwer,
Als deine Feindin fürder noch gehandelt,
Wäre durch eins mein Sinn nicht umgewandelt.
14.
Ich sann dir Schlimmres grad, da hört' ich sagen
(Wie, meld' ich später), daß mein Vater sei
Roger von Risa, den so schnöd erschlagen
Des Bruders schändliche Verräterei.
Im Leib der Mutter übers Meer getragen,
Sah ich das Licht in Nöten mancherlei.
Ein Zaubrer hat mich sieben Jahr erhalten,
Bis mich ein Arberhauf entriß dem Alten
15.
Und einem Perserfürst als Sklavin brachte. –
Herangewachsen, schlug ich diesen tot,
Weil er die Ehre mir zu nehmen dachte;
Den schlechten Stamm verjagt' ich ohne Not
(Nachdem ich erst den Hoftroß niedermachte),
Bestieg den Thron, und – wie das Los es bot –
Mit achtzehn Jahren durch des Schwertes Streiche
Hatt' ich erfochten sieben Königreiche.
[191] 16.
Dir mußt' ich, wie gesagt, den Namen neiden,
Und so beschloß ich denn in meinem Mut,
Den allzugroßen Ruhm dir zu beschneiden;
Vielleicht gelang es schlecht, vielleicht auch gut.
Doch dieser Wunsch muß Abbruch jetzt erleiden,
Und sinken muß die Schwinge meiner Wut;
Denn unterwegs hab' ich herausgefunden:
Wir beide sind durch Schwiegerschaft verbunden.
17.
Mein Vater war dir treu als Knecht und Vetter;
Ich will dir treu als Magd und Muhme sein,
Und jenes neid'schen Hasses Sturmeswetter
Verzieh' sich in Vergessenheit hinein.
Herr Agramant sei's, den mein Haß zerschmetter'
Und, wer da nur verwandt, ob groß, ob klein,
Dem Ohm und Vater, die zu solchem Leide
Mir mordeten die lieben Eltern beide.«
18.
Sie werde Christin auch in jedem Falle,
Sprach sie, nach Untergang des Agramant,
Und wolle gehen, wenn es Karl gefalle,
Ihr Volk zu taufen dort in ihrem Land;
Sie kämpfe jetzt als Feindin gegen alle,
Die Mahom ehren oder Trivigant,
Und sie verspreche, nie sich zu bedenken,
Was sie gewinne, Christi Reich zu schenken.
19.
Der Kaiser, so beredt wie groß und weise
Und unvergleichlich kühn im Waffenstreit,
Erhebt die edle Maid mit hohem Preise,
Den Vater und des Stammes Trefflichkeit,
Und (Wahrheit gibt sich kund in jeder Weise,
Durch Mien' und Blick) gibt gütig ihr Bescheid.
Er schloß, indem er sie als Anverwandte
Aufnahm und sie als Tochter anerkannte.
[192] 20.
Dann steht er auf und küßt sie auf die Wangen,
So wie ein Vater küßt sein Töchterlein.
Nun kommen alle frohen Blicks gegangen,
Ganz Clermont und Mongrana stellt sich ein.
Was ihr zur Ehr' Rinald hat angefangen,
Muß, weil die Zeit fehlt, hier verschwiegen sein
(Er sah sie oft im Kampfe ja beim Ringen
Dort um Albrakka Wunder schier vollbringen);
21.
Verschwiegen auch, wie aus den Ritterscharen
Der junge Guido grüßte lieb und nett
Und, die zur Weiberstadt mit ihr gefahren,
Grifon und Aquilant und Samsonet,
Und die beim Untergang der Mainzer waren,
Vivian und Malegis und Richardet;
Gegen das Krämervolk aus Spaniens Landen
Hatte sie ihnen treulich beigestanden.
22.
Am nächsten Tag soll man zur Taufe schreiten,
Und Karl will selbst dafür nach allem sehn:
Festlich geschmückten Platz läßt er bereiten,
Darauf die Handlung mag vonstatten gehn.
Bischöf' und Kleriker von allen Seiten,
Die gut des Glaubens Satzungen verstehn,
Versammelt er: Marfisa wird von diesen
In Christi Lehre sorglich unterwiesen.
23.
Turpin, der Erzbischof, im Festgewande
Des Hohenpriesters, tauft sie; Karl als Pat'
In feierlicher Weis' am Beckenrande
Hebt selbst sie aus dem segenvollen Bad. –
Doch Zeit ist's, daß dem Haupt, dem vom Verstande
Gekommenen, der Flasche Hilfe naht,
Die aus dem untern Himmel ward getragen
Durch Herzog Astolf auf Elias Wagen.
[193] 24.
Vom Lichtkreis nieder kam er mittlerweile
Auf unsrer Erde höchsten Spitzen an
Mit jenem edlen Safte, der zum Heile
Dem großen Schlachtenmeister werden kann.
Ein Kräutlein, dem besondre Kraft zuteile
Geworden sei, zeigt ihm Johannes dann,
Und nach der Rückkehr zu den Nubierreichen
Soll er damit des Königs Augen streichen;
25.
Der gebe dann als Dank ihm Volk zur Seite,
Mit diesem dring' er in Biserta ein;
Wie er die Unerfahrnen all zum Streite
Bewaffnen könn' und ihnen Zucht verleihn
Und ohne Schaden durch die Wüste schreite,
Wo Menschen durch den Sand geblendet sei'n –
Was Punkt für Punkt im Auge sei zu halten,
Hört er des heil'gen Greises Wort entfalten.
26.
Das Tier, das Atlas hat zuvor getragen,
Dann Roger, gibt er ihm zurück zur Reis',
Und Astolf muß Valet der Stätte sagen,
Der heiligen, und dem erhabnen Greis.
Den Nil entlang des Rosses Flügel schlagen,
Das bald das Nubierland zu finden weiß:
Es senkt sich aus der Luft zur Hauptstadt nieder
Und bringt den Herzog zum Senapus wieder.
27.
Wie groß ist Freud' und Jubel dieses Alten,
Als er den Ritter sieht zurückgekehrt,
Der – im Gedächtnis hat er's wohl behalten –
Ihm die Harpyienschwärme abgewehrt!
Doch als der zähe Schleim ihm ward gespalten,
Der ihm die Augen also lang beschwert,
Und ihm aufs neu der Sonne Licht geschienen –
Wie einem Gott möcht' er dem Retter dienen.
[194] 28.
Drum hat er ihm nicht nur die Schar gegeben,
Die Astolf für Biserta brauchen kann,
Nein, andre hunderttausend noch daneben,
Und bietet selber sich als Krieger an.
Der Zug (er soll zu Fuße dorthin streben)
War groß, daß er im Feld kaum Platz gewann;
Derweil die Rosse dort im Lande fehlen,
Ist's reich an Elefanten und Kamelen.
29.
Die Nacht, eh noch die Fahnen vorwärtsfliegen,
Die Scharen führend aus dem Nubierheer,
Ist Astolf auf den Hippogryph gestiegen;
Er steuert gegen Süden, eilig sehr,
Bis er zuletzt den Berg sieht unten liegen,
Daraus der Notus losfährt auf den Bär.
Da ist die Höhle; aus dem engen Schlunde
Fährt, wenn erwacht, der Wilde in die Runde.
30.
Und wie der Meister lehrte dort, der weise,
Hatt' er den leeren Schlauch noch mitgebracht.
Den spannt er, während, müd von langer Reise,
Notus im Felsenraum sein Schläfchen macht,
Nun vor den Ausgang recht geschickt und leise.
Der Wind, nie Späher kennend, hat's nicht acht,
Und, als er in der Früh' denkt auszufliegen, –
Im Schlauch, erhascht, gebunden, bleibt er liegen.
31.
Froh kehrte, mit dem Beutefang beladen,
Astolf zurück, und eh der Tag entschwand,
Ging er mit schwarzem Volk auf Kriegespfaden,
Und hinten nachgeschleppt ward Proviant.
Zum Atlas führt das Heer ohn' allen Schaden
Der edle Feldherr durch den feinen Sand:
Sie ziehen sorglos durch der Wüste Mitten
Und haben von dem Wind kein Leid erlitten.
[195] 32.
Diesseit des Bergjochs, wo sich Ebnen strecken
Und man den Strand sieht, da die Meerflut rinnt,
Wählt Astolf sich die Tüchtigsten der Recken,
Die wohl geschult und kühn im Kampfe sind,
Und läßt sie eines Hügels Fuß bedecken,
In Reihn geteilt, wo ebner Plan beginnt.
Dort bleiben sie; er steigt der Höh' entgegen
Gleich einem Mann, der Großes muß erwägen.
33.
Er betet heiß, die Kniee auf der Erde,
Zu seinem heil'gen Meister Sankt Johann.
Gewiß, daß dem Gebet Erfüllung werde,
Rollt er zu Tale Stein um Stein sodann.
(Was tut, wer fromm auf Christ baut, ohne Fährde! –)
Die Steine – seht nur! – wachsen mählich an
Und haben, als sie unten angekommen,
Ganz unnatürlich Bein, Kopf, Hals bekommen.
34.
Nun hüpfen sie mit hellem Wiehern nieder
Der Ebne zu, und angelangt im Tal
Schütteln sie sich und haben Pferdeglieder,
Rotbraun, gefleckt und grau und schwarz und fahl.
Dort gehen Krieger wartend hin und wieder,
Und Rosse greifen alle sonder Wahl.
Auch Zaum und Sattel bringt das Roß dem Streiter:
Und alle Krieger sind nun plötzlich Reiter.
35.
So wußt' aus Fußvolk Reiter schnell zu schaffen
Astolf achttausend, hundert und noch zwei,
Die Afrika nun Agramant entraffen,
Mit Plünderung und Beute mancherlei.
Sein dortgelegnes Land hatt' er den Waffen
Von starken Herrn vertraut: es waren drei,
Branzard und Fersa mit dem Algazieren;
Sie sind's, die gegen Astolf jetzt marschieren.
[196] 36.
Die lassen erst ein rasches Boot enteilen,
Das segelnd sowie rudernd Flügel schlägt,
Dem König Agramante mitzuteilen,
Daß Nubien große Not dem Land erregt.
Das Schiff darf weder Tag noch Nacht verweilen,
Bis sich's bei der Provence vor Anker legt:
Es trifft bei Arles den König halbbezwungen
Und Karl auf eine Meil' herangedrungen.
37.
Der König sah: zu Hause drohn Gefahren,
Derweil er ficht um Lande des Pipin;
Er rief zum Rat die Führer seiner Scharen,
Und jeder Fürst vom Mohrenvolk erschien.
Ein-, zweimal nickt er zu den weißen Haaren
Hier des Marsil und drüben des Sobrin,
Der Ältesten im Rate, klug und weise
Wie keine sonst, und sprach in dieser Weise:
38.
»Schlecht steht's dem Feldherrn an, muß er bekennen:
Ich hab' an dieses, jenes nicht gedacht.
Doch wenn ein Schaden menschlichem Erkennen
Zu fern liegt und Erwägung schwierig macht,
Darf man den Fehler wohl verzeihlich nennen,
Das ist mein Fall: ich ließ es außer acht,
Mein Afrika mit Truppen zu versehen,
Sollt' Angriff von den Nubiern her geschehen.
39.
Wer aber könnte – außer Gott – vermuten
(Dem alle Zukunft offen liegt und klar),
Uns zu bedrängen komm' aus Wüstengluten,
Aus weiter Ferne, solche große Schar,
Von uns durch Sand getrennt, den doch wie Fluten
Der Südwind aufregt jede Stund' fürwahr?
Schon vor Biserta liegt sie mittlerweile,
Hat arg verheert unzähl'ge Landesteile.
[197] 40.
Darüber muß ich euren Rat verlangen:
Schiff' ich mich – ohne Frucht zu pflücken – ein?
Soll ich, bis Karl besiegt sei und gefangen,
Des Kämpfens weiter hier beflissen sein?
Wie kann ich dieses Reiches Sturz erlangen
Und meines retten, beides im Verein?
Weiß einer Rat, den bitt' ich, nicht zu schweigen:
Zu tun das Beste gilt's, erst muß man's zeigen.«
41.
So sprach der Herrscher, und er kehrt die Blicke
Zum Spanierkönig dicht an seiner Seit',
Andeutend, daß für ihn sich Rede schicke,
Das Wort zu nehmen halt' er sich bereit;
Voll Ehrfurcht steht der auf, mit dem Genicke
Und mit den Knien grüßt er zu gleicher Zeit;
Dann nimmt er wieder seinen Platz der Ehren,
Um seinen König also zu belehren:
42.
»Gerüchte, Herrscher, stets zu wachsen pflegen,
Ob man von Gutem, ob von Bösem spricht.
Drum soll mich Bangen nicht zu sehr bewegen
Und gleicherweis zu große Freude nicht,
Bringt man mir böse, gute Kund' entgegen.
In jedem Fall denk' ich mit Zuversicht:
's ist anders, kleiner, was durch viele Zungen
So nach und nach an unser Ohr gedrungen.
43.
Und um so wen'ger soll man Glauben schenken,
Je mehr verletzt wird die Wahrscheinlichkeit.
Läßt als wahrscheinlich nun sich dieses denken:
Mit so viel Leuten sollte von so weit
Ein König her zu uns die Schritte lenken?
Nach Afrika, so stark und kampfbereit?
Durch Sand, dem einst Kambyses aus der Ferne
Sein Heer vertraute, unter bösem Sterne?
[198] 44.
Ich möchte glauben, Arberhaufen drangen
Vom Bergland ein; Gesindel sengt und brennt
Und plündert, tötet oder nimmt gefangen,
Wo man den rechten Widerstand nicht kennt;
Und Branzard wird, der jetzt vielleicht mit Bangen
Statthalter sich und Vizekönig nennt,
Zu einer Tausend jede Zehn gestalten,
Damit man ihn entschuldigt möge halten.
45.
Meintwegen mochten sie vom Himmel fallen,
Die Nubier, im Regen niedergehn,
Oder es mußten Wolken sie umwallen,
Weil sie kein Mensch auf Wegen hat gesehn:
Glaubst du, dein Land fällt in der Räuber Krallen,
Wenn dort nicht größre Heere widerstehn?
Die Krieger steckten, traun, in schlechten Häuten,
Bewiesen sie hier Furcht vor solchen Leuten!
46.
Wenn du nur wenig Schiffe willst entsenden,
Damit sie deine Kriegesfahne schaun,
So werden sie sich schleunig heimwärtswenden,
Bevor gelöst ein paar von unsern Taun.
Die Meinung, daß wir all uns fern befänden,
Durchs Meer verhindert, drüben zuzuhaun,
Hat feigem Nubiervolk den Mut verliehen,
Dein Afrika mit Krieg zu überziehen.
47.
Zur Rache gilt's den Zeitpunkt ausersehen:
Fern weilt der Neffe Karls; solang er weit
Ist von den Scharen, kann dir widerstehen
Kein einz'ger Mann der ganzen Christenheit.
Läßt du dir Sieg – er harret dein! – entgehen,
Sei es durch Blindheit oder Lässigkeit,
Wird statt des Schopfs sich dir der Kahlkopf zeigen,
Und Schmach und Schaden bleibt uns dann zu eigen.«
[199] 48.
Dies war der Grund, drauf er den Rat erbaute,
Ihn klüglich stützend noch durch andres viel,
Man halte noch das Frankenland, das traute,
Bis Karl sei fortgetrieben ins Exil.
Allein Sobrin, der klar den Weg erschaute,
Den eingeschlagen hatte Fürst Marsil,
Und daß ihn mehr der eigne Nutzen führte
Als aller Heil, dagegen so sich rührte:
49.
»O würd' ich, weil ich abriet, aufzubrechen
Zum Kriege, falscher Seherkunst geziehn!
O hättest du, mußt' ich die Wahrheit sprechen,
Geglaubt, Herr, deinem redlichen Sobrin!
Du ließest dich von Rodomont bestechen,
Von Marbalust, Alzird und Martasin!
Könnt' ich, mit ihnen ins Gericht zu gehen,
Zumal mit Rodomont, sie vor mir sehen!
50.
Zerbrechen wollt' er Frankreich wie die Scheiben
Aus schwachem Glase – des vermaß er sich –;
Bei deinem Speer in Höll' und Himmel bleiben,
Dräng' er nicht gar noch weiter vor für dich, –
Um nun – in Nöten – sich den Bauch zu reiben,
Versenkt in Faulheit schnöd und jämmerlich.
Ich, der ich, weil ich Wahrheit sprach, ein schlimmer
Feigling genannt ward, bin bei dir noch immer
51.
Und werd' es sein, bis daß zu End' dies Leben,
Das ich noch täglich, ob an Jahren schwer,
Für dich bereit bin jedem hinzugeben,
Der ruhmvoll bei den Franken führt den Speer.
Und keiner, wer es sei, kann Klag' erheben,
Was ich vollbracht, sei schlecht, des Lobes leer.
Mehr tat – so viel nur – keiner der Gesellen,
Die über mich sich durch ihr Prahlen stellen.
[200] 52.
So sprech' ich, weil's mich treibt, dir darzulegen:
Was ich dir sagte und dir sag' aufs neu,
Dazu will nicht die Feigheit mich bewegen,
Nein, Lieb' allein und des Vasallen Treu'.
Ich rate: laß nach Haus die Ruder regen,
Schleunigst, ich wiederhol' es ohne Scheu.
Denn wenig weise scheint des Manns Beginnen,
Der Eignes aufgibt, Fremdes zu gewinnen.
53.
Ward dies erreicht? Du weißt's. Vom Hafen zogen
Wir, zweiunddreißig Kön'ge, mit dir her:
Und wird am heut'gen Tag der Stand erwogen,
So lebt der dritte Mann, vielleicht nicht der.
Daß mehr nicht fallen, sei uns Gott gewogen!
Sollt' aber weiterkämpfen unser Heer,
Auch nicht der vierte und der fünfte blieben –:
Dein armes Volk, es würde aufgerieben.
54.
Wohl fehlt – 's ist gut für uns – des Roland Toben:
Wo wenig sind, wär' keiner mehr am End',
Doch wird dadurch nicht die Gefahr gehoben:
Ein Aufschub ist's, was unser Schicksal kennt.
Da ist Rinald: er zeigte oft in Proben,
Daß man ihn Roland schier gewachsen fänd',
Und Paladine, seines Hauses Recken,
Waren für unsre Mohren stets ein Schrecken.
55.
Ein zweiter Mars ist dann ein andrer Ritter
(Den Feind zu loben find' ich freilich hart):
Wie Rolands Schwerthieb trifft der seine bitter;
Den kühnen Helden mein' ich, Brandimart.
Teils sah ich seinen Wert auf Kosten Dritter
Teils dadurch, was mir selbst bewiesen ward.
Seit Roland fehlt, viel Tage schon verrannen;
Doch wir verloren mehr als wir gewannen.
[201] 56.
Und starben unsrer viele, fürcht' ich, töten
Wird man uns bald noch eine größre Schar.
Den Boden mußte Mandrikard schon röten;
Der Hilfe des Gradaß auch sind wir bar.
Marfisa ließ uns in den höchsten Nöten,
Wie Algiers Fürst; von diesem gilt fürwahr:
Wär' er so treu, wie wir ihn tapfer sehen,
So könnten ruhig jene beiden gehen.
57.
Derweil uns diese Stützen sind genommen
Und so viel Tausende der Unsern tot
Und, was nur kommen kann, schon ist gekommen
Und nicht Ersatz mehr bringt ein andres Boot,
Sind dort bei Karl vier neu hinzugekommen,
Die kaum Rinald und Roland überbot;
So glaubt man, und mit Recht, weil rings auf Erden
Schwer nochmals solche vier gefunden werden.
58.
Ich weiß nicht, ob dir Samsonet, der wilde
Guido, die Sprossen Olivers, bekannt.
Sie acht' ich mehr als wer ins Kampfgefilde,
Ob aus dem deutschen oder anderm Land,
Von hohen Herrn mit Lanze kam und Schilde
Und für das Reich uns gegenüberstand,
Wiewohl ich auch die andern nicht mißachte,
Die – uns zum Schaden – Karl ins Lager brachte.
59.
Wie oft du ausziehn magst, du wirst erliegen,
Wenn man dich nicht vernichtet in der Schlacht.
Konnt' Afrika mit Spanien noch nicht siegen,
Da wir noch sechzehn waren gegen acht.
Wie wird es, wenn die Franken überwiegen
Mit Deutschen, Briten und Italiens Macht,
Und wir nun sechse gegen zwölfe stehen?
Wird nicht nur Schad' und Unheil dann geschehen?
[202] 60.
Dein Volk da, dort dein Reich verloren wären,
Bliebest du trotzig hier noch längre Zeit.
Allein entschließt du dich zurückzukehren,
Uns dienst du wie des Staates Sicherheit.
Marsil zu lassen brächte wenig Ehren:
Vermissen würde man die Dankbarkeit.
Doch einen Ausweg gibt es: schließe Frieden!
Stimmst du nur zu, so ist's auch Karl zufrieden.
61.
Doch wenn's der Ehre scheint zu widerstreben,
Ihn als Gekränkter darum anzugehn,
Und du dem Kampfe willst den Vorzug geben
(Du hast, was da herauskommt, ja gesehn),
Als Sieger suche dann das Schwert zu heben!
Das wird, wenn du mir folgst, vielleicht geschehn:
Wähl' einen als Vertreter deiner Sache,
Und zum Vertreter unsern Roger mache!
62.
Ich weiß – wie du – welch Heldentum ihm eigen,
Wenn er allein als Mann ficht gegen Mann:
Nicht größern Wert Rinald und Roland zeigen
Und, wer sich denen sonst vergleichen kann.
Wählst du jedoch der vollen Feldschlacht Reigen –
Und reicht er an Heroen auch heran –
So bringt ihn doch, den einen in der Menge,
Ein Schwarm gleichstarker Gegner ins Gedränge.
63.
Ich meinte – wenn es deinen Beifall fände –,
Du schickst den Vorschlag an den König dort:
Damit das Blutvergießen nehm' ein Ende,
So vieler Seinen und der Deinen Mord,
So wähl' er einen Krieger, den er sende
Gegen den kühnsten Recken hier am Ort.
Der ganze Krieg soll bei den zweien stehen,
Bis wir den siegen, den am Boden sehen,
[203] 64.
Mit der Bestimmung: wer sodann erlegen,
Deß König zahlt dem andern Herrn Tribut.
Ich glaube, Karl setzt dem sich nicht entgegen,
Steht auch für ihn zurzeit die Sache gut.
Und auf der Kraft von Roger, unserm Degen,
Mein voll Vertrauen in den Ausgang ruht.
So sehr ist auch das Recht auf unsrer Seite:
Er müßte siegen über Mars im Streite.«
65.
Dies und noch mehr sprach vor dem Rat der Mohren
Sobrin so gut, daß er das Spiel gewann.
Die Boten werden alsobald erkoren
Und langen selben Tags beim Kaiser an.
Karl, dem so mancher Held hat zugeschworen,
Hegt Zuversicht, den Sieg gewinnt sein Mann,
Weil er Rinalds, des wackern, Schwert vertraute,
Auf den, nach Roland, er am meisten baute.
66.
Als beide Herrscher den Vertrag beschließen,
Herrscht Freud' im Christen- und im Mohrenheer.
Die Kriegesmühen, die ermatten ließen,
Sie lagen ja auf allen Kriegern schwer.
Nun denkt zu ruhn ein jeder, zu genießen,
Was ihm beschieden noch an Tagen mehr;
Das Wüten und den Zorn vermaledeite
Jedweder, und was sonst die Leut' entzweite.
67.
Rinald, erfüllt von hohem Stolz tiefinnen,
Daß sich der Kaiser jetzt an ihn gewandt
Vom ganzen Heer zu wichtigem Beginnen,
Rührt, alles herzurichten, froh die Hand.
Nichts gilt ihm Roger, und im Herzen drinnen
Hält er undenkbar dessen Widerstand
Und sieht in ihm durchaus nicht seinesgleichen,
Sank auch Fürst Mandrikard von seinen Streichen.
[204] 68.
Auch Roger fühlt erhoben wohl die Seele,
Zu gelten als der allerbeste Held,
Den sich sein Herr aus vielen guten wähle,
Auf den des Reiches Wohlfahrt sei gestellt;
Doch sieht er aus, als ob ein Leid ihn quäle;
Nicht etwa, weil ihn heimlich Furcht befällt:
Furcht vor Rinald allein? – Nicht würd' ihm bangen,
Und käm' auch Roland mit Rinald gegangen.
69.
Nein, daß ihn Bruder nennt die holde, treue
Geliebte, das nur ist's, was ihn ergrimmt;
Die brieflich ihn bedrängt; sie mahnt zur Reue,
Als eine, über Kränkung schwer verstimmt.
Fügt er zur alten Sünde jetzt die neue,
Daß er zum Tod Rinalds die Waffen nimmt,
Statt ihn zu lieben, wird sie Roger hassen
Und kaum sich jemals mehr versöhnen lassen.
70.
Derweil er schweigend dacht' in Sorg und Bangen
Des Streits, den er mit Unlust übernahm,
War fast vor Schmerz und Weh die Maid vergangen,
Als sie – gar bald – die Neuigkeit vernahm.
Sie rauft das Goldhaar, kränkt unschuld'ge Wangen
Und schlägt die schöne Brust in wildem Gram;
Und bittre Klage, Jammerruf der Armen,
Nennt Roger hart, das Schicksal ohn' Erbarmen.
71.
Wie sich der Kampf der beiden Ritter wende,
Für sie kommt nichts heraus als eitel Leid:
Daß seinen Tod ihr trauter Roger fände, –
Ihr Herz steht still, denkt sie der Möglichkeit.
Bringt aber Gottes Strafgericht das Ende
Dem Frankenreich für Schuld der Christenheit,
So sieht sie nicht allein den Bruder sterben,
Nein, größrer Schaden naht noch und Verderben.
[205] 72.
Nur unter Schmach und Tadel und der schweren
Feindschaft des eignen Hauses wird sie dann
Zu Roger hin als seine Gattin kehren,
Nicht offen vor der Welt, daß jedermann
Es sehen möge, nicht in Glanz und Ehren,
Wie sie bei Tag und Nacht es heimlich sann.
Denn, was sie feierlich einand versprochen,
Wird nicht durch Reu und Widerruf gebrochen.
73.
Doch jene, die noch stets in Unglückstagen
Der Jungfrau so getreu zur Seite stand,
Melissa mein' ich, konnte nicht ertragen
Das Weh und Leid, drin sich die Arme wand.
Sie kommt sie trösten, Rettung zuzusagen:
Die sei bestimmt zur rechten Zeit zur Hand.
Sie werd' ein Ende machen jenem Streite,
Der solche Sorg' und Tränen ihr bereite.
74.
Die Waffen holen unterdeß zum schlimmen
Begegnen Roger und Rinald hervor;
Die Wahl hatt' aber jener zu bestimmen,
Den sich als Kämpen Kaiser Karl erkor,
Und weil man nur zu Fuße sah den grimmen,
Seit er den Renner Bajard einst verlor,
Wählt' er den Kampf zu Fuß, im Panzerkleide
Mit Dolch und mit der wucht'gen Streitaxt Schneide.
75.
War's Zufall, war's, daß er den Rat bekommen
Von Malegis, der, klug, vorsicht'ger Art,
Wohl wußte, wie gar wenig Mittel frommen
Genüber der gefräß'gen Balisard?
Kampf ohne Schwerter, so wie ihr's vernommen,
Von beiden Kriegern jetzt beschlossen ward.
Als Ort die Flur, der Mauer nah gelegen
Des alten Arles, bestimmen dann die Degen.
[206] 76.
Kaum hob Aurora noch, die früherwachte,
Das lichte Haupt aus ihres Tithon Haus,
Das den Beginn von Tag und Stunde brachte,
Der festgesetzt war für den großen Strauß,
Als sich der Ordner auf die Beine machte
So hier wie dort: Am End' des Schrankenbaus
Schlug man zwei Zelte auf und ließ daneben
Einen Altar sich – hier und dort – erheben.
77.
Nicht lange drauf, in wohlgereihten Scharen,
Erschien das Mohrenheer, und in der Mitte sah
Man, reich geschmückt nach Sitte der Barbaren,
Prächtig bewehrt, den Herrn aus Afrika;
Auf braunem Hengst mit schwarzen Mähnenhaaren
Gefleckten Füßen, weißer Stirne; nah
Dem König ritt Herr Roger, dem zu dienen,
Bereit Marsil war mit den stolzen Mienen.
78.
Den Helm, den ihm nach heißem Waffengange
Gelassen hat der schreckliche Tatar;
Des Hektor Helm, in höherem Gesange
Gefeiert schon durch mehr als tausend Jahr,
Trug ihm Marsil, ein Fürst von solchem Range.
Danach die Herrn und der Barone Schar,
Dann sieht man Ritter noch mit Waffen gehen,
Die reich mit Gold und Steinen sind versehen.
79.
Von andrer Seite naht sich aus den Wällen
Der König Karl mit seinem ganzen Heer:
Worauf die Kämpfer sich geordnet stellen,
Als zögen sie zum Kriegeswerk daher.
Zu Karl die hohen Pairs sich rings gesellen,
Und auch Rinald in seiner vollen Wehr.
Nur des Mambrinus Helm sieht man nicht ragen,
Weil der vom Dänen Holger wird getragen.
[207] 80.
Der Streitäxt' erste trug Herr Naims, die zweite
Herr Salomon aus dem Bretagnerland.
Die Christen all auf ihres Kaisers Seite,
Und drüben Afrika mit Spanien stand.
Leer in der Mitte blieb des Feldes Weite:
Kein Mensch im großen Raume sich befand.
Verkündet war: sollt' einer dort verweilen
Außer den Kämpfern, würd' ihn Tod ereilen.
81.
Die zweite Waffenwahl wird freigegeben
Ihm, der fürs Heidenvolk betritt die Bahn;
Zwei Priester, hier und drüben auch, begeben
Sich, Buch in Händen, auf den weiten Plan:
Das eine war von Jesu Christi Leben
Die Botschaft und das andre der Koran.
Das Buch, das als die Bibel man erkannte,
Nahm Karl, das andre drüben Agramante.
82.
Karl am Altar, errichtet von den Seinen,
Erhob die Hand, den Himmel anzuflehn,
Und sprach: »O Gott, gestorben für die Deinen,
Daß wir in Sünd' und Schuld nicht untergehn!
Jungfrau, in der, auf Erden zu erscheinen,
Gott seine Menschgestalt einst ließ entstehn,
In deinem heil'gen Schoß neun Monat wohnend
Und immer deines Magdtums Blüte schonend,
83.
Bezeugt: für mich und Kind und Kindeskinde,
Wem je der Thron gehört, der heute mein,
An Agramant, und, wer noch sonst sich finde
Als Herr dort, zahl' ich Lasten Goldes fein
Alljährlich zwanzig, deß ich mich verbinde,
Wenn hier mein Kämpe wird erlegen sein;
Und Waffenstillstand will ich jetzo halten,
Der sich zu ew'gem Frieden soll gestalten.
[208] 84.
Und brech' ich dies, so treffe von euch beiden
Sogleich mich Zorn und schreckliches Gericht:
Und ich nur und, mein Haus soll es erleiden
Und andre, die da seien, treff' es nicht;
Damit es rasch und klar sich mög' entscheiden,
Was es euch gilt, wenn man Gelöbnis bricht!«
Er spricht es, mit der Bibel in den Händen,
Indem die Blicke sich nach oben wenden.
85.
Hinüber gehn sie nun, wo aufgerichtet
Die Heiden haben ihren Prunkaltar.
Der König schwört, daß er die Anker lichtet,
Um heimzuführen seine ganze Schar,
Und auch Tribut zu zahlen sich verpflichtet
Im Fall, daß Roger der Besiegte war.
Ein ew'ger Friede solle nun bestehen,
So, wie von Karl der Eidschwur war geschehen.
86.
Und laut, um heil'ger Ketten Zwang zu schaffen,
Beim großen Mahomed versichert er
Und schwört aufs Buch in Händen seines Pfaffen,
Von seinem Eid zu weichen nimmermehr.
Rasch gehn sie dann zurück zu ihren Waffen,
Der zu den Christen, der zum Mohrenheer.
Nun sind die Kämpfer an der Reih' zu schwören
Und lassen folgende Versprechen hören:
87.
Roger verspricht, woll' aus dem Kampf ihn reißen
Oder ihn stören lassen Agramant,
Nicht mehr sein Ritter und Baron zu heißen,
Fortan dem Dienst des Kaisers zugewandt.
Rinald schwört, werd' er jetzt von Karl geheißen,
Zu weichen aus dem Streit mit läss'ger Hand,
Eh Roger oder er sei überwunden, –
Als Diener Agramants bleib' er gebunden.
[209] 88.
Nun kehren sie zurück nach beiden Seiten,
Nachdem die Zeremonien fertig sind.
Nicht lange währt's, da rufen schon zum Streiten
Trompeten hell –: der wilde Kampf beginnt:
Zum Gegner schreiten hin die Schlachtbereiten,
Mit Kunst die Schritte messend, kluggesinnt.
Seht, wie sie aufeinand zum Angriff dringen,
Bald hoch, bald tief ein klirrend Eisen schwingen!
89.
Mit Kolben jetzt, dann mit den schweren Stielen
Galt es dem Fuß und gleich darauf dem Haupt.
So hurtig und geschickt die Hiebe fielen,
Daß Ihr's, wenn ich's berichte, gar nicht glaubt.
Roger (auf ihren Bruder muß er zielen,
Die, ach, ihm seine Seele hat geraubt)
Läßt bei dem Hieb so große Rücksicht walten,
Daß er für minder mutig wird gehalten.
90.
Nach Deckung ging er aus, mehr als nach Hieben,
Und was er wollte, wußt' er selber nicht:
Schlimm steht's für ihn, wenn tot Rinald geblieben,
Doch selbst zu sterben ihm die Lust gebricht.
Hier muß ich die Geschichte nun verschieben;
Einstweilen ist am Ende mein Bericht.
Wenn Ihr mir folgen wollt zum nächsten Sange,
Ist's möglich, daß ich dann zum Schluß gelange.

[210] Neununddreissigster Gesang

1.
Nichts kann dem Leiden Rogers sich vergleichen
Und grausam und erschrecklich ist's fürwahr;
Seele wie Leib schmerzt von des Schicksals Streichen:
Daß Tod ihn bald ereilen muß, ist klar,
Ob ihn Rinald – sollt' er an Kraft ihm weichen –
Oder die Braut leg' auf die Totenbahr'.
Sie haßt ihn, muß er Tod dem Bruder geben,
Und ihre Liebe ist ihm mehr als Leben.
2.
Rinald ist von Bedenken nicht umfangen,
So daß er trutzig seine Keule schwingt,
Bemüht, für sich den Sieg hier zu erlangen,
Ob Arm und Kopf zu treffen ihm gelingt.
Roger ist rasch ihm aus dem Weg gegangen,
Pariert und schlägt und windet sich und springt.
Und haut er, ist's nach einem Ort gerade,
Wo wenig nur ein Hieb dem Gegner schade.
3.
Recht ungleich will schon jetzt der Streit erscheinen
Den meisten Herren aus dem Heidenland:
Roger deucht lässig, langsam all den Seinen;
Gar unsanft zaust ihn seines Gegners Hand.
Es seufzt und schnaubt und bebt an Arm' und Beinen,
Verblüfft den Angriff schauend, Agramant;
Sobrin, den Alten, schilt der Aufgebrachte,
Weil dessen Rat das Unheil ja entfachte.
[211] 4.
Indessen hat Melissa (auf der Erde
Ist sie der Zauberweisheit reinster Quell),
Damit sie Algiers König ähnlich werde,
Die Form vertauscht und weiblich Aussehn schnell:
Sie gleicht ihm an Gesicht und an Gebärde
Und kommt bekleidet mit dem Drachenfell,
Bei dem man Schild und Schwert auch sehen konnte:
Nichts fehlt am Waffenkleid des Rodomonte.
5.
Sie spornt den Teufel zum betrübten Sohne
Trojans in der Gestalt von einem Pferd;
Die Stirn gerunzelt und mit lautem Tone
Sprach sie zu ihm: »Herr, das ist ganz verkehrt,
Daß gegen ihn, der Gallierhelden Krone,
Ihr unerfahrnem Knaben gabt das Schwert,
In einem Fall, wie wir doch hier ihn sehen,
Wenn auf dem Spiele Reich und Ehre stehen.
6.
Der Zweikampf dort, gleich werd' er unterbrochen,
Weil er ja Schaden nur und Unheil schafft!
Fall' es auf Rodomont, wenn hier gebrochen
Der Eid wird, und Verpflichtung fortgerafft!
Erprobt die Schwerter auf den Christenknochen!
Durch mich verhundertfacht ist eure Kraft!«
So mächtig wirkt auf Agramant die Rede;
Ohne zu denken, stürmt er vor zur Fehde.
7.
Der Glaube, Rodomont sei bei den Heeren,
Läßt ihn mißachten gänzlich den Vertrag;
Wenn tausend Ritter jetzt gekommen wären,
Er schätzte es so hoch nicht diesen Tag.
Plötzlich von Rossen und gesenkten Speeren
Hier, dort bedeckt die weite Stätte lag.
Melissa, die das Gaukelwerk erfunden,
Ist, seit der Kampf im vollen Gang, verschwunden.
[212] 8.
Die beiden Kämpen, die gestört sich sehen
Entgegen dem Vertrag und heil'gem Eid,
Nicht weiter feindlich aufeinander gehen;
Sie lassen jede Schädigung beiseit,
Verpflichten sich, dem Streite fern zu stehen,
Bis daß zu sehn in voller Deutlichkeit,
Wer also Recht und Redlichkeit verkannte,
Ob Karl der Greis, ob Jüngling Agramante.
9.
Und sie versprechen sich aufs neue, weiter
Dem feind zu sein, der so der Treue bar.
Kopfüber geht's, sei's Fußvolk oder Reiter:
Der beut die Brust und der den Rücken dar.
Wer ein beherzter, wer ein feiger Streiter,
Das wird hier durch die gleiche Handlung klar:
Zu laufen ist bedacht der ganze Haufen,
Nur daß die vorwärts, jene rückwärts laufen.
10.
Der Windhund, der ringsum von dannen springen
Und überall sich regen sieht das Wild
Und doch der Koppel nicht sich kann entringen,
Zu jagen mit den Rüden im Gefild
(Man meint, es woll' ihn zur Verzweiflung bringen),
Er martert sich und zerrt und winselt wild: –
So fühlten Grimm und Zorn im Herzen drinnen
An diesem Tag die beiden Kriegerinnen.
11.
Sie sahn bis jetzt so lockend sich entfalten
Die reiche Beute dort auf weitem Plan
Und wurden durch den Schwur zurückgehalten
Und durften nicht mit Rächerhänden nahn.
Sie konnten sich der Seufzer nicht enthalten
Und schauten trüb auf die versperrte Bahn.
Nun, da man bricht, was heilig war geschworen,
Da stürzen sie frohlockend auf die Mohren.
[213] 12.
Dem ersten, den Marfisa kann erjagen,
Fährt durch die Brust ihr Speer zwei Ellen lang,
Worauf dann flink – so flink kann ich's nicht sagen
Vieren durch sie der Helm wie Glas zersprang.
Nicht minder viele Bradamant erlagen,
Doch anders ihres Goldspeers Weise klang:
Zweimal so viele warf sie wohl vom Pferde,
Doch lebend lag ein jeder auf der Erde.
13.
Wie sie, so nah gesellt, all dies vollbrachten,
Sah eine stets der andern Ruhmestat.
Dann gingen sie getrennt ans Mohrenschlachten,
Wie sie der Zorn, der Zufall führte grad.
Wer zählt, wie viele die Verbeugung machten,
War ihnen jener goldne Speer genaht?
Und wie geköpft, zerspalten mancher Heide
Sank von des Schwertes mörderischer Schneide?
14.
So wie im Lenz bei sanfter Lüfte Weben,
Wenn grüne Schultern zeigt der Apennin,
Zwei trübe Ströme nach dem Tale streben,
Beim Fallen dann verschiedne Straße ziehn
Und Baum und Fels vom hohen Ufer heben
Und, was auf Feldern von der Saat erschien,
Fortreißen, grad als gelt' es eine Wette,
Wer größern Schaden bringe jener Stätte –
15.
Also – getrennt – vernichtend niederfahren
Die Heldenjungfraun auf das Mohrenheer,
Ein Blutbad wirkend unter den Barbaren,
Die mit dem Schwerte, jene mit dem Speer.
Herr Agramant hält kaum noch seine Scharen
Beim Banner, und die Flucht bedroht ihn schwer:
Wohin er blicken, wen er fragen konnte –
Niemand berichtet ihm von Rodomonte.
[214] 16.
Er brach den Eid doch (wähnt' er) seinetwegen,
Den feierlich zum Himmel er gesandt,
Zum Zeugnis alle Götter zu bewegen –
Nun hat er plötzlich sich davongewandt.
Sobrin auch fehlt. Er ritt der Stadt entgegen;
Unschuldig hat er sich zuvor bekannt,
Gewiß, daß ob des Treubruchs schwere Rache
Für Agramant noch diesen Tag erwache.
17.
Marsil auch ist am Platz nicht mehr zu schauen:
Er floh zur Stadt, von frommer Furcht beschwert.
Kaum kann sich Agramant nun noch getrauen,
Daß er den Weg dem Heere Karls verwehrt
Aus Deutschland, England und Italiens Auen
Mit lauter Kriegern von erprobtem Wert,
Aus denen sich die Paladine heben
Wie Edelstein aus reichen Goldgeweben,
18.
Und mit den Pairs; kühn wie nur einer ragte
Manch hoher Held noch aus der Krieger Schar:
Guido der wilde so, der unverzagte,
Von Oliver das tapfre Söhnepaar.
Ich sage nicht, weil ich's schon vielmal sagte,
Wie stark Marfis' und Bradamante war.
Sie töteten so viele Sarazenen –
Kein Ende gäb' es, keine Zahl von denen.
19.
Doch laß ich diesen Kampf nun eine Weile,
Und ohne Schiff mach' ich durchs Meer die Fahrt.
Mit Frankreich hat es nicht so große Eile,
Daß mir die Sorg' um Astolf bleib' erspart.
Wie Sankt Johannes' Huld ihm ward zuteile,
Erzählt' ich; auch – so mein' ich – wie, geschart
Um Branzard und den Herrn von Algazere,
Auf ihn sich wandten jene Mohrenheere.
[215] 20.
Was nur das Land an Mannschaft mocht' enthalten,
Das reihte sich in Scharen allzumal,
Die starken Jungen wie die schwachen Alten;
Fast trugen auch sogar die Frauen Stahl.
Denn Agramant, die Rache festzuhalten,
Hatt' Afrika geleert zum zweitenmal.
Es gab nur wenig, die geblieben waren:
So bildeten sich feige, schlechte Scharen.
21.
Bald zeigte sich's: sie stoben in die Weite,
Als sie von ferne sahn der Feinde Heer.
Astolf und seine Leute, kriegsbereite,
Trieben sie gleichwie Schafe vor sich her,
Wobei er eine Schar dem Tode weihte.
Nicht viele kamen nach Biserta mehr.
Herr Buzifar, der Feldherr, ward gefangen;
Herr Branzard konnte in die Stadt gelangen.
22.
Weit mehr als was verloren ging soeben
Schmerzt der Verlust des tapfern Buzifar.
Groß ist Biserta; Wälle galt's erheben,
Was ohne Buzifar nicht möglich war.
Gern möcht' er einen andern für ihn geben.
Wie er sich quält und denkt, da wird ihm klar:
Er kann durch Dudo ihn zurückerlangen,
Den er ja Monde lang schon hält gefangen.
23.
Er fiel dem Sarzafürsten in die Hände
Zu Monaco beim ersten Übergang.
Seitdem erlitt Gefangenschaft ohn' Ende
Dudo (der dänischem Geschlecht entsprang).
Daß Buzifar für ihn die Freiheit fände,
Schickt Branzard Boten, weil es ihm gelang,
Durch zuverläss'gen Späher zu erfahren,
Astolf sei Führer jener Christenscharen.
[216] 24.
Willkommen müss' ihm sein, den Paladinen
– Er selbst ein Paladin! – zu helfen fort.
So hat der Fall dem Herzog auch geschienen:
Er nimmt den König Branzard rasch beim Wort.
Dudo, befreit, will sich die Huld verdienen:
Voll Dankbarkeit beeilt er sich sofort
Mit Astolf alles Nötige beim Streiten
Zu Wasser und zu Land vorzubereiten.
25.
Da sich um Astolf viele Krieger finden
(Erliegen müßten sieben Afrika),
Will seinem Kopf die Mahnung nicht entschwinden
Des heil'gen Manns, durch den der Zug geschah:
Er solle Aiguesmortes dem Mohr entwinden
Und, was am Strand ihn noch als Herren sah –:
So wählt' er die nun aus vom ganzen Heere,
Die ihm als brauchbar galten auf dem Meere,
26.
Worauf er Laub in beide Hände drückte,
So viel sie faßten, wie er's ringsumher
Von Palmen, Lorbeern und Oliven pflückte
Und Zedern, trug dann alles hin ins Meer –:
O Seelen, lieb dem Himmel, hochbeglückte!
O Huld (Gott zeigt sie so der Welt nicht mehr)!
O hohes Wunder! Welche Formen nahmen
Die Blätter dort, als sie ins Wasser kamen!
27.
Sie wuchsen rasch, nachdem sie niedergingen,
Und wurden lang und dick, gekrümmt, gerad;
Die Adern, die sich durch die Blätter schlingen,
Sind Planken und Gebälk im Wasserbad;
Und durch die Flut, vorn spitzig bleibend, schwingen
Sich plötzlich Schiffe hin den feuchten Pfad,
Verschiedenartig und so viel im ganzen,
Wie Blätter waren mannigfalt'ger Pflanzen!
[217] 28.
Ein Wunder ist's, wie aus dem Laub entsprießen
Galeeren, Kutter, Schifflein allerlei;
Wie Tau und Segel aneinander schießen,
Ruder und was man sonst noch braucht dabei.
Auch Leute fand er, die sie schwimmen ließen,
Mit Kunst gelenkt, wie schlimm der Sturm auch sei;
Das nahe Korsika, Sardinien boten
Matrosen, Steuermänner und Piloten.
29.
Man zählt das ganze Schiffervolk am Strande:
Und sechsundzwanzigtausend ziehen fort.
Erfahren auf der See wie auf dem Lande,
Gebeut der weise Dudo hier an Bord.
Die Flotte liegt noch still am Uferrande
Und harrt auf beßre Gunst des Windes dort,
Da naht ein feindlich Fahrzeug den Gestaden,
Und mit gefangnen Kriegern ist's beladen,
30.
Die alle bei dem Unglücksbrücklein waren,
Wo auf so knappem Raum der Kampf geschah;
Nur Rodomonte bracht' er nicht Gefahren:
Genug von diesem Falle sprach ich ja.
Des Grafen Schwager war noch mitgefahren,
Auch Brandimart und Samsonet sind da;
Italer auch, Gascogner, Deutsche kamen
Im Schiff, – ersparen kann ich mir die Namen.
31.
Der Schiffer, der noch nicht den Feind am Orte
Gesehen hat, fährt mit dem Fahrzeug ein;
Weit hinter ihm liegt Algier mit dem Porte,
Wo er zuerst vor Anker wollte sein:
Es blies ein Wind von neckisch arger Sorte
Ganz übermaßen mächtig hinterdrein;
So hofft' er heimzufliegen zu den Seinen,
Wie Prognis zum geschwätz'gen Nest der Kleinen.
[218] 32.
Doch als des Kaisers Banner vor ihm wehen,
Die Lilien, der Pardel und der Aar –
Bleich vor Entsetzen will er schier vergehen
Wie einer, der – die Füße nackt und bar –
Trat auf die gift'ge Natter unversehen,
Die unterm Waldgras eingeschlafen war;
Er flieht, weil Schreck und Graus ihn übermannen,
Vor Gift und Wut der Schlafenden von dannen.
33.
Allein der Schiffer konnte nicht entspringen
Noch niederhalten die Gefangnen drin,
Mit Oliver und Brandimart: sie gingen
Mit Samsonet und vielen noch dahin,
Wo Astolf und Herr Dudo sie empfingen,
Willkommen spendend mit erfreutem Sinn.
Ihm ward zum Lohn, daß er sie hergeleitet,
Bald auf der Ruderbank ein Platz bereitet.
34.
Die Ritter sahn bei König Ottos Sprossen
Sich, wie ich das schon sagte, hoch geehrt,
Im Herrenzelte ward das Mahl genossen;
Sie wurden ausgestattet und bewehrt.
Auch ein paar Tage weiter noch verflossen,
Bis Dudo fuhr: ihm war nicht minder wert,
Sich hier mit solchen Herren zu besprechen,
Als etwas früher in die See zu stechen.
35.
Und was des Kaisers und des Reiches Lage
In diesen Zeiten sei, erfährt er jetzt,
Und wo er sicher seine Landung wage,
Und wie dem Feinde werde zugesetzt.
Derweil man Auskunft gibt auf seine Frage,
Ein Lärm – noch wachsend stets – das Ohr verletzt;
Dazu von Waffen ein Geklirr und Krachen,
Daß alle sich Gedanken drüber machen.
[219] 36.
Der Herzog und die adligen Genossen,
Die im Gespräche hier beisammen sind,
Sitzen, im Nu bewaffnet, auf den Rossen
Und reiten auf das Schreien zu geschwind,
Und folgen dem Getümmel unverdrossen,
Bis sich die Schar auf einem Platz befind't,
Wo einem ganzen Lager sich entgegen,
Allein und nackt, ein Kämpe stellt verwegen.
37.
Und in der Faust, da schwang er einen Stecken,
Der war so wuchtig, stark und hart und groß,
Daß man ihn jedesmal zu Boden strecken
Sah einen Mann, und nicht verwundet bloß.
Tot lagen dort schon mehr als hundert Recken.
Nicht in der Näh' mehr ging man auf ihn los,
Nein, schoß von ferne Pfeile nur vom Bogen,
Derweil dem Prügel alle sich entzogen.
38.
Die Angekommnen, Astolf, Dudo waren
– Nicht minder Brandimart und Oliver –
Voll Staunen ob der Kraft, der wunderbaren,
Des Manns im Kampf mit einem ganzen Heer,
Als sie ein Fräulein in der Näh' gewahren,
In schwarzem Kleid; und eilig sprengt sie her –
Zu Brandimart und küßt ihn auf die Wangen
Und hält ihn mit den Armen lang umfangen.
39.
's ist Flordelis, in treuen Liebesgluten
Für ihren teuren Helden Brandimart;
Als sie beim Brückensteg verlor den Guten,
Es schmerzte sie, daß sie fast rasend ward.
Aufklärung gab der Mohr, und durch die Fluten
Des blauen Meeres ging die weite Fahrt,
Nachdem sie hörte, daß er fortgeschafft sei
Und mit noch vielen Rittern dort in Haft sei.
[220] 40.
Als von Marseille sie auszufahren dachte,
Erschien ein Fahrzeug aus dem Morgenland,
Das dorthin einen alten Ritter brachte,
Als Boten von dem Hof des Monodant,
Der als ein Suchender die Reise machte,
Nach Brandimart, zu Wasser und zu Land,
Weil ihm die Kunde ward auf seinen Wegen,
Im Frankenreiche find' er wohl den Degen.
41.
Berdin war's, der die Dame gleich erkannte,
Derselbe, der einst zu des Königs Gram
Den kleinen Brandimart ihm einst entwandte
Und zur Erziehung nach der Waldburg nahm.
Und als er Anlaß seiner Reise nannte,
Bestimmte sie, daß er zum Schiffe kam,
Erzählend, wie es Brandimart ergangen:
Er weil' in Afrika und sei gefangen.
42.
Gelandet, hörten sie die Neuigkeiten,
Daß Herzog Astolf vor Biserta lag.
Auch hieß es, Brandimart mög' ihn begleiten,
Doch Sichres wußte niemand diesen Tag.
Nun zeigt sie, als sie ihn erblickt vom weiten,
Den höchsten Jubel, den es geben mag,
Und um so größern, als ja überstanden
Und abgetan die Leiden all sich fanden.
43.
Nicht minder Wonne fühlt der edle Gatte
Beim Anblick der Geliebten treu und gut,
Des Höchsten, das für ihn die Erde hatte:
Er herzt und drückt und küßt sie frohgemut,
Küßt, ohne daß die Lippe nur ermatte
Und daß erkalte seines Feuers Glut,
Als seine Augen Herrn Berdin erschauten;
Herangekommen war er mit der Trauten.
[221] 44.
Die Hände streckt' er aus, wollt' ihn umfangen
Liebreich und fragen: Sprich, was führt dich her?
Doch ließen's jene nicht dazu gelangen,
Die durcheinanderflohen kreuz und quer
Vorm Stecken, den des Nackten Fäuste schwangen,
Den Weg ihm bahnend durch das ganze Heer.
Als ihn die Blicke Flordelisas trafen,
Sprach sie zu Brandimart: »Sieh dort den Grafen!«
45.
Astolf erkannte Roland gleicherweise,
Mit Namen hat er ihn sofort genannt
(Ihm gaben in dem Paradies die Greise,
Die heiligen, ein Zeichen an die Hand),
Sonst hätte keiner aus dem Ritterkreise
Den edlen Herrn in diesem Narrn erkannt.
Das Menschliche war durch den Wahn gewichen:
Verwahrlost, einem Tier die Züge glichen.
46.
Und tiefes Mitleid will zum Auge steigen
Des guten Herzogs; Tränen ruft es wach –
»Graf Roland ist's!« mit trübem Kopfesneigen
Zu Oliver und Dudo leis er sprach,
Und sieh, die wohlbekannten Züge zeigen
Sich den gespannten Blicken nach und nach.
Den Armen also jammervoll zu schauen,
Erfüllt sie mit Erbarmen und mit Grauen.
47.
Und weinend stehn die Herrn zum großem Teile;
Er jammert sie so sehr, ihr Schmerz ist groß.
Der heil'ge Astolf sprach: »Daß man ihn heile,
Das frommt wohl besser, statt zu klagen bloß.«
Und aus dem Sattel schwang er sich in Eile,
Und auch die andern machten rasch sich los,
Um auf des Kaisers Neffen einzudringen
Zusammen, ob sie wohl den Armen fingen.
[222] 48.
Verzweifelt schwingt der Tolle seinen Stecken,
Als er bemerkt, daß ihn die Schar umkreist:
Herrn Dudo, der sich mit dem Schild zu decken
Und durch den Ring zu dringen sich befleißt,
Läßt er die schwere Wucht des Knüttels schmecken:
Brach nicht das Schwert Herrn Olivers zumeist
Des Schlages Kraft, zerschmetterte der Wilde
So Helm wie Haupt und Körper samt dem Schilde.
49.
So brach der Schild nur: auf dem Helme krachte
Es mächtig –: hin sank Dudo auf den Grund,
Als Samsonet der guten Wehr gedachte:
Er traf mit solcher Kraft den Stock jetzund,
Daß er ihn um zwei Ellen kürzer machte,
Worauf die Arme Brandimarts (er stund
Dahinter) fest des Grafen Hüft' umwanden,
Und Astolf hielt des Tollen Bein' in Banden.
50.
Da reckt' sich Roland – und ein Dutzend Schritte
Fliegt Astolf weit, wonach er niederfällt,
Derweilen Brandimart des Narren Mitte,
So stark er es vermag, umschlungen hält.
So nah kommt Oliver mit kühnem Tritte,
Daß er gar bösen Schlag der Faust erhält:
Man sieht ihn totenbleich zu Boden schießen,
Und Ströme Bluts aus Nas' und Augen fließen.
51.
Und war der Helm nicht gar so auserlesen,
So tötete den guten Ritter dies;
Er fiel, als sei die Seele schon gewesen
Auf halbem Wege nach dem Paradies.
Astolf und Dudo stehen auf, genesen
(Die Beule nur Herrn Dudo nicht verließ):
Mit Samsonet, dem jener Streich gelungen,
Sind alle jetzt auf Roland eingedrungen.
[223] 52.
Von hinten hält ihn Dudo fest umwunden
Und streckt den Fuß, um ihn zu fällen, vor.
Die andern haben ihm den Arm gebunden,
Und doch bezwingt ihn nicht der ganze Chor.
Wer sah gehetzten Stier? Ihm wird von Hunden,
Die an ihm hangen, arg zerfleischt das Ohr –
Er läuft und brüllt und muß sie mit sich schleifen,
Und nie gelingt es ihm, sie abzustreifen. –
53.
Denkt Roland Euch mit solchen Stiers Gebärde,
Wie er die Krieger schleppte miteinand!
Indes hob Oliver sich von der Erde,
Wo ihn der Faustschlag hatte hingebannt:
Er sah, daß schwerlich so gelingen werde,
Was Astolf plante, und er sann und fand,
Damit der tolle Graf zu Boden fiele,
Ein ander Mittel: – dieses führt zum Ziele.
54.
Er hieß ihm eine Reihe Stricke bringen,
Und lose Schlingen bracht' er eiligst an;
Die ließ er über Arm' und Beine schwingen
Des armen Grafen und den Leib sodann.
Die Enden, die nach vielen Seiten gingen,
Gab er zu halten dem und jenem Mann.
So wie der Hufschmied Rinder oder Pferde,
So ziehen sie Graf Roland auf die Erde.
55.
Sie stürzen vor, sobald er liegt, und binden
Mit starken Fesseln Fuß und Hand ihm fest.
Er sträubt sich, sucht dem Zwang sich zu entwinden,
Dem er die ganze Kraft entgegenpreßt.
Nun gilt's, die rechte Heilung ihm zu finden,
Weshalb ihn Astolf weiterbringen läßt:
Der große Dudo, der ihn aufgeladen,
Trägt ihn zum Sand hin an des Meers Gestaden.
[224] 56.
Man wäscht ihn siebenmal dort in den Wogen
Und taucht ihn siebenmal bis auf den Grund.
Der Rost und Schimmel, die ihm ganz umzogen
Gesicht und Glieder, lösen sich jetzund.
Mit Kräutern, auserlesen, wohlerwogen,
Stopft man, als er nun schnaubt und speit, den Mund,
Daß er durch diesen nicht den Atem blase:
Nicht durch die Lippen, sondern durch die Nase.
57.
Das Fläschlein, drin des Helden Geist enthalten,
War noch in Astolfs Händen unversehrt.
Dies wird ihm an die Nase jetzt gehalten,
Daß er's beim Atemholen gänzlich leert:
Im Augenblick – ein Wunder scheint zu walten –
Ist der Verstand – wie einst – zurückgekehrt,
Und, was er spricht, zeigt seinen Kopf genesen,
Ja, heller, leuchtender, als er gewesen.
58.
Wie einer, der aus wirrem Traum erwachte
(Darin er Ungetüm' und Fratzen sah,
Wie niemals wirklich noch Natur sie machte,
Und Wunderliches durch ihn selbst geschah),
Noch staunt, ob auch der Morgen Klarheit brachte
Und er bei Sinnen und kein Trug mehr nah,
So hat sich Roland noch betäubt gefunden,
Nachdem schon Wahn und Trübung ihm geschwunden.
59.
Den Bruder Aldas, Brandimart den Streiter,
Der den Verstand ihm brachte, sieht er an
Und denkt und denkt, allein kein Wort dem leiht er;
Er weiß nicht, wie er hergeriet und wann.
Er blickt umher, erst näher und dann weiter,
Weil er die Sache nicht verstehen kann –
Und ist verblüfft, sich also nackt zu sehen,
Gebunden von den Schultern zu den Zehen.
[225] 60.
Dann sprach er, wie Silen, als sie mit Stricken
Ihn fest umschnürten in der Höhle Grund:
»Solvite me«, und mit so heitern Blicken
Und Mienen so verständig und gesund,
Daß sie ihn lösen und mit Trost erquicken:
Nicht trauern mög' er, sagen sie, jetzund
Ob jenes bösen Wahns, der ihn befallen;
Man bracht' ihm Kleider dann von ihnen allen.
61.
Roland, nun hergestellt und männlich, weise
– Wohl gar in höherm Grad noch als zuvor –,
War auch erlöst aus Amors Zauberkreise:
Die Schöne, die sein Herz sich einst erkor,
Die er geliebt, geehrt in solcher Weise –
Sie kam ihm niedrig und verächtlich vor,
Und all sein Streben war und all sein Sinnen,
Was Liebe raubte, wiederzugewinnen.
62.
Berdin indes erzählte Brandimarte:
Gestorben war der Vater Monodant,
So daß die Heimat seines Zepters harrte,
Und zwar als Erster Bruder Ziliant.
Im Meer das Inselreich, so sagt er, warte,
Dazu das Volk im fernsten Morgenland.
An Reichtum, Völkerzahl und Schönheit gleiche
Kein andres auf der Erde diesem Reiche.
63.
Und wie sie reden, wird von ihm erhoben
Der lieben Heimat hohe Süßigkeit.
Versteh' er sich dazu, sie zu erproben,
Werd' er das Schweifen hassen allezeit.
Doch Brandimart hat Zusag' aufgeschoben:
Sein Dienst sei Karl und Roland jetzt geweiht;
Bis er an sich zu denken Anlaß fände,
Sobald genaht des großen Krieges Ende.
[226] 64.
Tags drauf geschieht es, daß mit Holgers Sprossen
Die Flotte hin nach der Provence fährt,
Derweil der Graf beim Herzog unverdrossen
Über den Stand des Krieges sich belehrt.
Biserta hat er gänzlich eingeschlossen,
Auf Astolf aber stets den Ruhm gekehrt
Des ganzen Siegs, wiewohl der Herzog eben
Nur tat, was Roland an die Hand gegeben.
65.
In welcher Schlachtreih', welchem Sturm erklommen
Biserta ward, auf welcher Seite, wann,
Und wie's beim ersten Kampfe ward genommen
Und welchen Anteil Roland hatte dran, –
Ich geh' nicht weit und werde wiederkommen –
Beiseite lass' ich's, stoßt Euch nicht daran!
Inzwischen mag zu hören Euch behagen,
Wie Karl die Mohrenheere weiß zu jagen.
66.
Verlassen in den äußersten Gefahren
Des Kriegs war Agramant und fast allein:
Es gingen in die Stadt mit vielen Scharen
Marsilius und Sobrin; ins Schiff hinein
Zog mancher sich zurück, nach Haus zu fahren,
Aus Furcht, zu Land nicht sicher mehr zu sein,
Und Führer viel und Ritter von den Mohren
Hatten dies Beispiel auch für sich erkoren.
67.
Doch Agramant steht noch dem Feind entgegen,
Und als er schließlich sieht, es geht nicht mehr,
Da kehrt er um, und auf geraden Wegen
Zurück aufs nahe Tor hin reitet er,
Und Bradamant mit Sporen und mit Schlägen
Treibt Rabikan in Eile hinterher.
Sie trachtet ihm, weil er so oft im Leben
Ihr Roger nahm, nunmehr den Tod zu geben.
[227] 68.
Die Racheschuld des Vaters zu begleichen,
Wünscht auch Marfisa das; wie einen Pfeil
Jagt sie den Hengst dahin; an Sporn und Streichen
Merkt er es klar: die Kriegerin hat Eil'!
Doch war nicht Zeit, das Tor noch zu erreichen,
Um zu verhindern, daß zu seinem Heil
Der König in die ringsumschloßne Stätte
Eindringe und sich auf die Flotte rette.
69.
So wie zwei Pardelweibchen, die entsprangen
Von ihrer Koppel zu derselben Zeit,
Und denen Hirsch- und Rehjagd nicht gelangen
(Weil jenes Wild bereits in Sicherheit) –
Heimkehren und die Köpfe lassen hangen,
Gleichsam beschämt ob ihrer Säumigkeit:
Also mit Seufzen, da sie jenen Heiden
Gerettet fanden, kehrten heim die beiden.
70.
Doch blieben sie nicht müßig: ins Gedränge
Der Fliehnden hauen sie gewaltig ein,
Und aufzustehn vergessen eine Menge,
Die ihren Schwertstreich spürten in den Reihn.
Schlimm waren die Besiegten in der Enge:
Es half nur wenig, auf der Flucht zu sein.
Damit die Christen ihn entkommen ließen,
Hieß Agramant die Tore sämtlich schließen,
71.
Und auf dem Rhonestrom brach er die Brücken.
Ach, unglückselig Volk! Du giltst nicht mehr
Fürwahr, als Schafe gelten oder Kücken,
Schafft's dem Tyrannen einen Vorteil her! –
Der färbt den Grund mit Blut aus seinem Rücken
Und der ertrinkt im Fluß und der im Meer.
Nur wenig sind gefangen, – auf dem Felde,
Da liegen viel –: es fehlt am Lösegelde.
[228] 72.
Wieviel auf beiden Seiten hat in Scharen
Hinabgerissen grimmen Todes Hand
(Nicht gleich an Zahl, weil ja von den Barbaren,
Sei's durch Marfisa, sei's durch Bradamant
Mehr in die Nacht hinabgegangen waren),
Davon sind heut noch Spuren dort zu Land:
Bei Arles, wo Rhonewellen sacht verflauen,
Erblickt man viele Gräber auf den Auen.
73.
Der König sandt' indes die Kriegsgaleeren,
Die größern Schiffe, in das Meer hinaus;
Ein paar läßt er am Strand, die minder schweren;
So schickt er seine Flüchtigen nach Haus.
Er bleibt zwei Tage, weil die Winde wehren
(Auch nach Versprengten schaut er jetzt noch aus).
Am dritten Tag läßt er die Anker lichten,
Die Fahrt nach seinem Heimatland zu richten.
74.
Marsil, besorgt – er ist voll Angst und Grauen,
Sein Spanien zahl' am End' die Zeche dort,
Der finstre Sturm vernichte seine Auen
Und reiße alles zum Verderben fort –
Steigt in Valencia aus, und aufzubauen
Denkt er Kastell und Burg und festen Ort,
Und Krieg zu rüsten (doch in spätern Zeiten
Sollt' ihm dies alles nur den Sturz bereiten).
75.
Gen Afrika fährt Agramant; ihn tragen
Fast leere Schiffe, schlecht gerüstet all,
Fast ohne Volk, von Trauer voll und Klagen:
Dreiviertel kamen ja durch Karl zu Fall.
Stolz sei der König, grausam, dumm, sie sagen;
So daß – gewöhnlich ist es so der Fall –
Nur schlechter Wunsch ihm galt und böser Wille,
Verhielten sie sich gleich aus Furcht noch stille.
[229] 76.
Zwei oder drei wohl, enge Freunde eben,
Einander trauend, öffnen ihren Mund,
Um dem Verdruß, dem Ärger Luft zu geben;
Und Agramant, der arme, wähnt zur Stund'
Sich noch von Mitleid und von Lieb' umgeben.
Warum? – Noch niemals ward ihm andres kund
Als eitel Schmeichelei und Trug und Lüge:
Er sah nur falsche, nur verstellte Züge.
77.
So kam's, daß alle ihn entschlossen fanden,
Nicht einzulaufen in Bisertas Port;
Denn er vernahm bestimmt, die Nubier standen,
Den ganzen Uferstrand beherrschend, dort.
Er sei gewillt, mehr oberhalb zu landen,
Sagt er, wo besser, minder steil der Ort.
Geradenwegs dann wollt' er heimwärtsgehen,
Um dem bedrängten Volke beizustehen.
78.
Allein sein böser Stern ist nicht gewogen
Dem guten Plan, so klug und wohlbedacht;
Er läßt die Flotte, die emporgezogen
Ward aus dem Laub durch hohen Wunders Macht
Und jetzt nach Frankreich hin durchfurcht die Wogen,
Der seinigen begegnen in der Nacht,
Bei trübem Wetter, unter Nebelwehen,
Daß um so schlimmre Nöte ihm entstehen.
79.
Noch war dem Mohr nicht Nachricht zugegangen,
Es nahe sich ein solches Flottenheer:
Daß hundert Schiff' aus einem Busch entsprangen,
Wer's sagte, Glauben fänd' er nimmermehr.
So segelt er denn vorwärts ohne Bangen,
Man könne Trotz ihm bieten auf dem Meer.
Und in den Mastkorb schickt er keine Wachen,
Um, was sich zeige, schleunig kundzumachen,
[230] 80.
So daß Herr Dudo nun und seine Leute,
Bewaffnet wohl und voll von kühnem Mut
(Sie sahn die Schiffe schon am Abend heute
Und wandten sich nach ihnen auf der Flut),
Angriffen, eh man wußte, was da dräute;
Sie enterten und schlugen Brücken gut,
Als sie erkannt am Sprechen, daß Barbaren
Und ihre Feinde diese Segler waren.
81.
Beim Ansturm gleich, den ihre Schiffe machten
(Der Wind blies günstig hinter ihnen drein),
War manches Boot, das sie zum Sinken brachten;
So drangen sie mit voller Wucht herein.
Und als erst recht nun Hand und Kopf erwachten,
Da hat von Feuer, Eisen, Felsgestein
Ein solcher Sturm und Hagel sich ergossen,
Wie keiner auf die Meerflut noch geflossen.
82.
Die Christen, denen Kraft und kühnes Wagen
Im höchsten Grad von Gott verliehen war
(Die Strafe vieler Sünden sollte tragen,
Das Schicksal wollt' es, jetzt die Mohrenschar),
Verstanden nah und fern so dreinzuschlagen,
Daß Agramant fast jedes Schutzes bar;
Denn aus der Höhe hagelt es von Pfeilen,
Seitwärts von Schwertern, Haken, Spieß und Beilen.
83.
Aus Schleudern kommen und aus Wurfmaschinen
Felsblöcke schwer und groß Gestein im Flug,
Dem Meere Tore öffnend, und von ihnen
Zerschmettert liegen Steuerteil und Bug.
Zur stärksten Schädigung muß Feuer dienen:
Im Nu ist's da; gelöscht wird's schwer genug.
Das arme Schiffsvolk will der Not entfliehen
Und muß nur schlimmre Leiden auf sich ziehen.
[231] 84.
Der, zu entgehn dem Schwert und anderm Harme,
Wirft sich ins Meer und findet da den Tod;
Der rührt die Beine mächtig und die Arme
Und klammert sich zur Rettung an ein Boot.
Doch überladen ist's vom großen Schwarme;
Ihn aufzunehmen brächte jenen Not:
Am Schiffsrand hängt die Hand nun, abgehauen;
Vom Rumpfe sind die Wellen rot zu schauen.
85.
Der hofft im Meer noch Rettung für das Leben
Oder doch Tod in minder großer Pein;
Dann, als er kaum den Atem mehr kann heben
Und keine Freundeshände Beistand leihn,
Läßt ihn zurück zur Glut die Sorge streben,
Verderben reiß' ihn in die Flut hinein;
Er packt ein brennend Schiff: in Angst, er leide
Den oder jenen Tod, stirbt er nun beide.
86.
Der sucht, als Spieße nahen oder Beile,
Vergebens in den Wogen Schutz vor Leid:
Es folgen ihm ja Kiesel oder Pfeile;
Die gönnen ihm die Flucht nicht allzuweit.
Doch aufzuhören, wenn noch Gunst zuteile
Dem Sange wird, deucht rätlich und gescheit;
Es könnte leicht ein allzulanges Singen,
Beharrt' ich weiter, Überdruß Euch bringen.

[232] Vierzigster Gesang

1.
Es würde lange währen noch, zu sagen,
Was weiter in der Seeschlacht ist geschehn;
Und wollt' ich Euch das zu erzählen wagen,
Hochherz'ger Hippolyt, mir würd' es stehn
Wie Krokodile nach Ägypten tragen,
Krüge nach Samos, Eulen nach Athen.
Darf ich etwas zu melden mir getrauen,
So tatet Ihr's und ließt es andre schauen.
2.
Lang sahn, als ob sie im Theater seien,
Eure Getreuen ja bei Tag und Nacht
Dort auf dem Po der Feindesschiffe Reihen
Zwischen das Erz und Feuers Glut gebracht. –
Was man vernehmen kann an Heulen, Schreien,
Sehn, welcher Art der Tod kommt in die Schlacht
Und wie vom Blute rot die Wogen gehen –
Ihr saht's – und ließt es viele andre sehen.
3.
Ich sah es nicht; ich war in Hast gegangen,
Die Pferde wechselnd stets, sechs Tag' vorher,
Vorm großen Hirten knieend zu erlangen,
Daß er zur Hilfe rasch entsend' ein Heer.
Doch nicht um Beistand braucht' ich mehr zu bangen:
Des Leuen Klauen und Gebisses Wehr
Bracht Ihr schon so, daß Unbill oder Plage
Von ihm hübsch unterblieb seit jenem Tage.
[233] 4.
Herr Alfons Trott, der beigewohnt dem Schlachten,
Pier Moro, Albert, Hannibal, Afran,
Bagno und Zerbinatt mir Nachricht brachten,
Und drei Arioste haben kundgetan,
Was mir am klarsten doch die Banner machten,
Die dort im Tempel meine Augen sahn,
Und fünfzehn Kriegsgaleeren, die in Banden,
Mit tausend andern Schiffen, sich befanden.
5.
Wer dort die Brände sah, die mannigfalten
Tötungen, Schiffbruch, all die Metzelein,
Die für erlittnen Brand als Rache galten,
Bis unser jedes Boot war groß und klein,
Der wird sich deutlich auch vor Augen halten,
Was jener Mohren Leiden mochten sein,
Was sie erduldeten in Meeres Mitten,
Als Dudo nachts zum Angriff kam geschritten.
6.
Nacht war's – und nicht ein Licht auf allen Schiffen,
Als dort begann der grauenhafte Streit;
Doch als den Bug, das Heck nun rasch ergriffen
Pech, Schwefel, Teer, geschleudert weit und breit,
Gefräß'ge Flammen prasselten und pfiffen
Auf Booten, die noch nicht zum Kampf bereit –
Klar in der Runde sah man jede Stelle,
Als sei die Nacht vertauscht mit Tageshelle.
7.
Solang die Feinde sich in Nacht befinden,
Schätzt Agramant den Angriff nur gering
Und meint sie allgemach zu überwinden,
Wenn er sie nur recht trutziglich empfing'.
Da sieht er, als die Finsternisse schwinden,
Was ihm gedeucht ein ganz unglaublich Ding –:
Zweimal so stark steht ihm der Feind entgegen,
Und andern Plan beginnt er zu erwägen.
[234] 8.
Mit Güldenzaum und andern Kostbarkeiten
Und wenig Leuten füllt er einen Kahn,
Zwischen den Schiffen heimlich hinzugleiten,
Und er gelangt zum sichern Ozean,
Fern von den Seinen, die mit Dudo streiten
Und, schwer von ihm bedrängt, dem Tode nahn:
Stahl frißt, die Glut verzehrt, die Wellen drohen –
Er, der das Unheil schuf, er ist geflohen.
9.
Geflohn: Sobrin noch nahm er mit, den treuen –
Was der mit seinem Seherauge sah,
Er glaubt es nicht, – wie mocht' es ihn gereuen!
Das Unglück, das er zeigte, nun ist's da! –
Doch eilen wir zu Roland jetzt vom neuen!
Der rät, bevor der Stadt noch Hilfe nah,
Mög' Astolf sehn, daß sie am Boden liege,
Damit sie nimmer Frankreich mehr bekriege.
10.
Und öffentlich läßt er die Weisung geben:
Bereit zum dritten Tage sei das Heer.
Astolf hat viele Schiffe noch daneben,
Denn alle gab er nicht an Dudo her.
Zum Feldherrn will er Samsonet erheben,
Als Führer wacker wie zu Land, zu Meer.
Der fährt nun aus und hält sich mittlerweile
Entfernt von Stadt und Hafen eine Meile.
11.
Als echte Christen, die sich in Gefahren
Gott anvertraun mit Herzen und mit Mund,
Gebieten beide öffentlich den Scharen,
Man halte Fasten und Gebet jetzund:
Und wenn am dritten Tage die Fanfaren
Das Zeichen geben für den Angriff kund,
Beginne Sturm auf jene Stadt der Heiden,
Die Plünderung und Feuer soll erleiden.
[235] 12.
Nachdem sie also sich entsündigt meinen
Und himmelauf Gebete sind entsandt,
Zu einem frommen Mahle sich vereinen
Die Kämpfer, die befreundet und verwandt.
Sie stärken den erschöpften Leib mit Weinen,
Umarmen sich und küssen dann einand
Und sprechen zärtlich: »Die sich Freunde nennen
In Wahrheit, tun das, ehe sie sich trennen.«
13.
Die heil'gen Priester in Biserta schlagen
Wie die betrübte Menge, schmerzverstört,
Sich auf die Brust und rufen laut mit Klagen
Den Mahom flehend an, der sie nicht hört.
Wie manches Opfer wird ihm angetragen!
Wie manch Gelübde still der einzle schwört!
Derweil sie öffentlich dem Herrn dort oben
Bildsäulen, Tempel und Altar geloben.
14.
Nachdem der Kadi gab dem Volk den Segen,
Bewaffnet sich's und eilt zum Mauerbord.
Die Erde harrte noch dem Licht entgegen,
Aurora schlief mit Tithon weiter fort,
Als Astolf hier, dort Samsonet der Degen
Gerüstet standen, beid' an ihrem Ort,
Bis daß des Grafen Hornsignale klangen,
Worauf sie mutig auf Biserta drangen.
15.
Vom Meer umschlossen waren zwei der Seiten,
Und nach dem trocknen Land zu lag der Rest.
Vortrefflich aufgebaut in alten Zeiten,
Ragt Mauerwerk, als wär's ein Felsennest.
Kaum etwas andres konnte Schutz bereiten,
Denn seit der König Branzard saß hier fest,
Konnt' er nicht Zeit, auch Meister nicht, gewinnen,
Noch stärkre Wäll' und Werke zu beginnen.
[236] 16.
Der Libyer soll die Zinnen all bestreichen
(Drum wird der erste Angriff ihm zuteil),
Bis die Verteidiger von dannen weichen
Vor Schleuder, Armbrust und dem Feuerpfeil,
So daß den untern Mauerrand erreichen
Fußvolk und Reiterei gesund und heil.
Sie tragen Steine, Balken und Maschinen,
Bretter und was noch sonst zum Sturm mag dienen.
17.
Was nun für Sachen da hinunterflogen,
Bald dies, bald das, von Hand zu Hand gereicht!
Die Flut ward Tags vorher schon abgezogen,
So daß der Graben sumpfig war und seicht.
Bald ist der Grund so hoch wie sonst die Wogen:
Des Bodens Höhe wird zuletzt erreicht,
Und Astolf, Oliver und Roland lassen
Zum Sturme vorwärtsgehn des Fußvolks Massen.
18.
Die Schar der Nubier, ungeduld'ge Leute,
Lockte die Hoffnung auf so manchen Schatz,
Daß keiner winkendes Verderben scheute:
Sie schleppten unter »Schildkröt'« oder »Katz'«
Sturmböck' und was das Mauerwerk bedräute,
Schafften in Toren, auch auf Türmen Platz:
Sie eilten sich, dem Mauerrand zu nahen,
Wo sie die Mohren ihrer harren sahen.
19.
Denn Eisen, Feuer, schwere Dächer, Zinnen
Stürzten herunter gleichwie Wetterschlag;
In den Maschinen klafften Löcher drinnen,
Und manches Sturmgerät zertrümmert lag.
Arg duldeten im Dunklen beim Beginnen
Wohl die Getauften; aber als der Tag
Sein goldnes Haus verließ und Licht bescherte,
Sah er: das Glück dem Mohr den Rücken kehrte.
[237] 20.
Graf Roland läßt den wilden Ansturm toben,
Von überall, vom Lande wie vom Meer.
Mit Samsonet hat sich die Flott' erhoben,
Läuft in den Hafen und zur Küste her.
Mit Schleudern und mit Wurfgeschoß von oben
Und Pfeilen sucht er heim die Mohren schwer.
Speere und Leitern werden rasch entsendet
Und was auf Schiffen sonst wird angewendet.
21.
Oliver, Roland, Brandimart, der Reiter,
Der auf dem Flugtier hat die Luft durcheilt,
Beginnen da, wo sich die Küste weiter
Ins Land zieht, starken Angriff unverweilt.
Ein jeder kam mit einem Teil der Streiter,
Dem Viertel, das ihm wurde zugeteilt.
Als der zum Tor, der zu dem Wall sich kehrte,
Sah man, wie jeder sich mit Glanz bewährte.
22.
So wird viel mehr, als wenn gemischt sie gingen,
Klar, wie's mit einem jeden sei bestellt:
Wer hohen Ruhmes würdig, wer geringen,
In tausend – nicht geschloßne – Augen fällt.
Holztürme, seht, läßt man auf Rädern bringen!
Auf Elefanten sind sie aufgestellt,
In solche Höhe durch das Tier getragen,
Daß sie die Zinnen weit noch überragen.
23.
Kommt Brandimart, die Leiter anzulegen,
Klimmt aufwärts, macht zugleich den andern Mut.
Und viele folgen tapfer und verwegen;
Wen er geleitet, meint: nun geht es gut.
Und keiner denkt zu prüfen von den Degen,
Wie groß die Last, die auf der Leiter ruht.
Herr Brandimart hat nur den Feind im Sinne:
Er steigt und ficht und kommt auf eine Zinne.
[238] 24.
Mit Händen und mit Füßen fest sie packend,
Springt er hinauf und schwingt das Schwert im Kreis,
Und hauend trifft er, stoßend, bohrend, hackend,
Und zeigt die Heldenschaft in alter Weis'.
Auf einmal aber bricht die Leiter knackend,
Die solche Lasten nicht zu tragen weiß,
Und außer Brandimart kopfüber wandern
All in den Graben, einer auf den andern.
25.
Drob ist dem Ritter Kühnheit nicht geschwunden:
Den Fuß zurückzuziehn fällt ihm nicht ein,
Hat ihn auch dort der Feind als Ziel gefunden,
Und ohne Krieger, ganz für sich allein.
Kein »Ja« hat ihm der Seinen Flehn entwunden,
Zurückzukehren, – nein, er springt hinein;
Springt dreißig Ellen hoch vom Mauerrande
Hinunter, sag' ich, zu der Mohrenbande.
26.
Als hätten Federn ihn und Stroh getragen,
Erhob er sich (der Fall tat ihm kein Leid),
Umsichzuhaun, zu stechen und zu schlagen,
Als ob er Tuch zerfetz' und teil' und schneid'.
Wenn die, dann jene seinem Stahl erlagen,
So flohen da, hier, dort die andern weit.
Die draußen, die den Sprung mitangesehen,
Meinten, es sei zu spät, ihm beizustehen.
27.
Wie sich die Mär durchs Lager hin verbreitet,
Geht Raunen, Flüstern leis von Mund zu Mund,
Weil rasch die flücht'ge Fama Flügel breitet
(Sie macht es – die Gefahr vergrößernd – kund);
Wo Ottos Sohn, wo Oliver (man streitet
An vielen Punkten) und wo Roland stund,
Allüberall will sie die Schwingen regen
Und nicht ein einzigmal zusammenlegen.
[239] 28.
Nachdem die Herrn, Roland zumal, vernommen
(Sie schätzten alle Brandimart gar sehr),
Es drohe, wenn sie zaudern, umzukommen
Der herrliche Genoß im Feindesheer –
Wie sie die Leitern um die Wett' erklommen!
Ihr Mut erschien so königlich und hehr,
Die Mienen zeugten von so kühnen Rittern,
Daß vor den Blicken schon die Feinde zittern.
29.
Wie Meeres wogen, die vom Sturme beben,
Dem kecken Fahrzeug dräuen voller Wut
Und es bald vorn empor, bald hinten heben
Und immer, bohrend, Eingang sucht die Flut,
Der Schiffer, dem nicht Herz noch Geist gegeben,
Sich selbst zu helfen, seufzt in trübem Mut –
Da naht sich, alles füllend – eine Welle,
Und wo sie kam, sind andre gleich zur Stelle –:
30.
So ist, als diesen drei der Sturm gelungen,
Zugang geschaffen nun, genügend breit,
Und sicher sind die andern nachgedrungen,
Denn tausend Leitern standen jetzt bereit.
Durch harte Widder war indes gesprungen
Mit mächtigem Gekrach der Wall so weit:
Man konnte Beistand schon durch manche Türen
Zu Brandimart, dem kühnen Helden, führen.
31.
So wie der Ströme Fürst mit Machtgebärde
Voll Wüten Dämme bricht und Uferbord,
Den Pfad sich bahnend durch okneïsche Erde –
Hier raubt er Korn und reiche Äcker dort,
Mit ihren Hütten auch die ganze Herde,
Trägt mit den Hunden noch die Hirten fort
(Die Fischlein zappeln in den Ulmenwipfeln,
Wo früher Vögel hüpften in den Gipfeln)–:
[240] 32.
So wütend stürmten jetzt die wilden Scharen,
Wo eine Lücke war im Mauerwall,
Mit Stahl – das Antlitz rot – auf die Barbaren,
Das schlecht geführte Volk vertilgend all.
Von Blut und Beute voll die Hände waren;
Durch Raub und Mord kam hier die Stadt zu Fall,
Die mächtige, zum Herrschen auserlesen,
Die einst die Fürstin Afrikas gewesen.
33.
Allübrall lagen Tote; aus den Wunden,
Unzähligen, ein See sich schwarz ergoß:
So grauenvoll hielt nicht die Höll' umwunden
Der Sumpf, der um das Reich des Pluto floß.
Die Flamme leckend hat den Weg gefunden
Von Haus zu Haus, frißt Tempel, Hall' und Schloß.
Die leeren Dächer dröhnen laut von Klagen,
Verzweifeltem Geheul und Brüsteschlagen.
34.
Mit Beutestücken, die sich reichlich fanden,
Gehn Sieger aus dem Unglückstor; man zieht
Mit Prachtgerät dahin und Prunkgewanden
Und Silber, das der Tempelschatz beschied:
Der führt die Mutter, der das Kind in Banden,
Und manche Greul- und Schreckenstat geschieht.
Astolf und Roland müssen vieles sehen
Und können nicht den Freveln widerstehen.
35.
Gefällt durch Oliver mit einem Streiche
War Buzifar vom Algazerenland;
Fürst Branzard machte selber sich zur Leiche,
Als jeder Trost ihm, jede Hoffnung schwand.
Den dreifach wunden Folvo, nah dem Reiche
Plutos, der Herzog mit dem Pardel band.
Das waren jene drei, die Agramante
Scheidend zu Wächtern seines Lands ernannte.
[241] 36.
Der König, der im Meere ließ die Seinen
Und mit Sobrin entfloh nach Afrika,
Seufzte von ferne um die Stadt mit Weinen,
Als er die große Flamm' am Ufer sah.
Wie Boten mit der Kunde dann erscheinen,
Was seinem Reiche Schreckliches geschah,
Will er den Tod sich geben mit dem Schwerte,
Und tät' es, wenn Sobrin es nicht verwehrte.
37.
Sobrin sprach: »Kann es einen Sieg wohl geben,
Der mehr, o Herr, erfreue deinen Feind,
Als wenn er Afrika – sobald du eben
Im Grab liegst – ruhig zu genießen meint?
Das untersagt ihm noch zurzeit dein Leben,
Weil dem Besitz doch stets die Furcht sich eint.
Er weiß gar wohl: erst, wenn du eine Leiche,
Kann er sich freun am Afrikanerreiche.
38.
Stirbst du, dann raubst du ja den Untertanen
Die Hoffnung auch, jetzt noch ihr einzig Gut.
Lebst du, folgt einst der Sieg noch deinen Fahnen,
In Jubel wandelnd allen trüben Mut.
Dein Tod bannt uns auf ew'ger Knechtschaft Bahnen;
Elend bleibt Afrika und zahlt Tribut.
Drum, wolltest du zu deinem Besten sterben,
Leb', Herr, um uns zu retten aus Verderben!
39.
Ägyptens Sultan wird uns Mannschaft schicken,
Als Nachbar, und auch Geld; vertrau auf ihn.
Er sieht nur ungern Afrika umstricken
Durch jenen starken Sprossen des Pipin.
In deinem Reich dich wieder zu erblicken,
Bemüht sich dann dein Schwager Norandin:
Der Perser, Arber, Türk', Armenier, Meder –
Rufst du sie an um Beistand, hilft dir jeder.«
[242] 40.
Die Hoffnung, die dem Herren will verrinnen,
Dämmt so der kluge Greis bedächtig ein:
Bald könn' er Afrika zurückgewinnen,
Meint er, mag ihm auch heimlich bange sein.
Er weiß, gar mißlich ist des Manns Beginnen;
Vergebens schickt ja Seufzer hinterdrein,
Wer hofft, daß ihm Barbaren wiederbringen,
Was er sich, allzu schwächlich, ließ entringen.
41.
Hierfür im Altertume Zeugen waren
Jugurtha wie der große Hannibal.
Ludwig, der Mohr, hat es bei uns erfahren,
Der durch den andern Ludwig kam zu Fall.
Belehrt durch jener törichtes Gebaren,
Nannt' Euer Bruder, Herr, die Menschen all
(Ich mein' Alfons den Herzog) eitel Narren,
Die, statt auf sich zu baun, auf andre harren.
42.
Als drum im Kriege, den mit ihm begonnen
Des Papstes zornig wilde Leidenschaft
(Kein großer Plan zwar ward von ihm gesponnen;
Als viel zu schwach ja kannt' er seine Kraft),
Ihm von dem Feind sein Reich war abgewonnen,
Und, wer ihm half, war außer Lands geschafft, –
Drohn und Versprechen rangen da mitnichten
Dem Herren ab ein schwächliches Verzichten.
43.
Der König läßt den Bug nach Osten wenden
Und segelt in das hohe Meer hinaus,
Da kommt vom Strand aus südlichen Geländen
Ein wilder Windhauch, seitwärts, mit Gebraus.
Der Schiffer spricht, das Steuer in den Händen,
Und sorgend blickt er nach dem Himmel aus:
»Es drohen eines argen Sturms Gewalten,
Und unser Schiff wird sich in ihm nicht halten.
[243] 44.
Wollt ihr, o Herrn, euch meinem Rat bequemen,
Hier links ist eine Insel in der Näh'.
Gut wär's, wenn wir an ihr Gestade kämen,
Zu bleiben, bis der Sturm vorübergeh'.«
Worauf sie nach dem Strand die Richtung nehmen,
Der zu der Schiffer Heil in jener See,
Und, zwischen Libyen und den Schmiedestätten
Vulkans, dem Seemann öfter half sich retten.
45.
Nicht Menschenhütten sind darauf gelegen,
Myrt' und Wachholder sprießen im Gefild,
In Einsamkeit, wo Hirsche nur sich regen
Und Böcke, Hasen, Reh und andres Wild.
Nur Fischer kommen hin, der Netze wegen,
Die's auf gestutztem Zweig zu trocknen gilt.
So lang sie überm Sande friedlich hangen,
Schläft in der See das Fischlein ohne Bangen,
46.
Man fand, es war ein Fahrzeug grad erschienen:
Ein Zufall bracht' es her an diesen Strand.
Der Kriegsfürst, dem die Serikaner dienen,
Ging auf dem Weg von Arles her dort ans Land.
Die Herrscher, Würd' und Anstand in den Mienen,
Grüßen, wie's Königen gebührt, einand.
Sie waren Freunde, kürzlich noch Genossen,
Als sie vereint die Stadt Paris umschlossen.
47.
Was er vom Unglück Agramants berichten
Ihn hört, vernimmt Gradaß mit vielem Leid;
Dann sucht er ritterlich ihn aufzurichten,
Erklärt sich selber auch zu Dienst bereit.
Dem Plan nur ob Ägyptens beizupflichten,
Des falschen, ungetreuen, ist er weit.
»Was dort des Flüchtlings harrt an Not und Plagen,«
So sprach er dann, »Pompejus kann es sagen!
[244] 48.
Wenn mit Äthiopiern, dem Senap ergeben,
Astolf, der in dein Land – du sagst es ja –
Erobernd drang, vom Throne dich zu heben,
Die Hauptstadt hat verbrannt von Afrika,
Und sich zu ihm auch Roland hat begeben,
Den man noch jüngst gestörten Geistes sah,
So denk' ich jetzt ein Mittel anzuwenden: –
Mir scheint es gut, es soll die Not dir enden.
49.
Ich fordre ihn zum Kampf, um zu beweisen:
Ich bin dir zugetan und helfe dir:
Und wär' er auch von Kupfer oder Eisen,
Nichts kann ihm einen Schutz verleihn vor mir.
Starb er, ist mir das Christenvolk, was Geisen
Dem hungertollen Wolf in seiner Gier.
Ich hab's bedacht, und leicht wird es mir glücken,
Die Nubier aus dem Land hinauszudrücken.
50.
Die andern Nubier dort, die jenen grollen
(Der Glaube trennt sie und die Flut des Nil),
Und Araber, Makrobier (die mit vollen
Goldsäcken, jene reich durch Pferde viel),
Chaldäer, Perser – manche Völker zollen
Ja meinem Zepter – bring' ich all ins Spiel;
Den Krieg laß ich ins Land der Nubier tragen,
Daß sie von deinem Reich nach Hause jagen.«
51.
Den zweiten Vorschlag hat nun gut befunden
Herr Agramant, und er behagt ihm sehr.
Er nennt sich der Fortuna höchst verbunden,
Die ihn zum Inselstrand gebracht hierher.
Doch keineswegs will der Gedank' ihm munden
– Und wenn's der Preis auch für Biserta wär' –
Daß jenen Kampf Gradaß statt seiner führe,
Weil das zu sehr ihm an die Ehre rühre.
[245] 52.
»Wenn's Roland fordern gilt, bin ich's vor allen,«
Versetzt er, »mir gebührt ein solcher Streit.
Ergeh' mir's, wie's dem Himmel mag gefallen,
Gut oder schlecht sodann; ich bin bereit.«
Gradaß entgegnet: »Mir ist eingefallen
Ein Ausweg – nimm ihn an! – zur rechten Zeit:
Du sollst mit mir zum Kampf mit Roland gehen;
Ein zweiter Mann mag ihm zur Seite stehen.«
53.
Sprach Agramant: »Ob erster oder zweiter,
Wenn ich nur mit dabei bin, schelt' ich nicht:
Ich weiß gar wohl, der ganzen Erde weiter
Ein solcher Kampfgesell wie du gebricht.«
»Und ich, wo bleib ich? Dünk' ich euch als Streiter
Auch etwas alt,« Sobrin der weise spricht,
»So bin ich doch dafür wohl mehr erfahren:
Zur Kraft braucht man den Rat noch in Gefahren.«
54.
Sobrin war frisch und kräftig anzuschauen,
Ein rüst'ger Greis, und vielbewährt im Strauß.
Er sagt, er fühl' in seinem Haar, dem grauen,
Sich stark, – die Jugend habe nichts voraus.
Sein Vorschlag fand der beiden Herrn Vertrauen:
Sie senden schleunigst einen Boten aus
Zum Afrikanerstrand; von ihrer Seite
Lad' er Graf Roland ein zum Einzelstreite:
55.
Nach Lipadusa mög' er sich begeben,
Und zwar mit einem andern Ritterpaar
(Ein Eiland ist's, vom gleichen Meer umgeben,
Wie dieses hier, wo die Beratung war).
Der Bote segelt, läßt die Ruder heben
(Wie einer zeigt: ich habe Eil' fürwahr)
Bis nach Biserta, wo an seine Leute
Roland Gefangne gab und andre Beute.
[246] 56.
Daß Kampf mit jenen drei ihm angetragen
(Verkündet wurd' es vor dem ganzen Heer),
Erfüllte Roland höchlich mit Behagen:
Den Boten ehrt er mit Geschenken sehr.
Er wußte – die Gefährten hört' er's sagen –
Die Durendal sei jetzt Gradassos Wehr.
Er wäre fast, sie wieder zu erlangen,
Schon nach dem fernen Indien hingegangen.
57.
Denn seit Gradaß vom Frankenreich geschieden,
Meinte der Graf, in Indien müss' er sein.
Nun deucht ihm früher Rückgewinn beschieden,
Stellt jener sich an näherm Orte ein.
Er hört die Fordrung darum auch zufrieden:
Es winkt ihm nicht Almontes Horn allein,
Auch Güldenzaum: er hörte, daß in Händen
Des Agramant sich alle zwei befänden.
58.
Den Schwager kürt sich Roland als Genossen
Und Brandimart den treuen noch dabei.
Ihm hat sich längst der beiden Wert erschlossen;
Er weiß, er hat die Liebe aller zwei.
Nach Schuppenkleidern, Schienen, guten Rossen
Sucht er, und Speeren, Schwertern mancherlei,
Für sich und sie: Ihr werdet wohl noch wissen,
Daß alle die gewohnten Waffen missen.
59.
Der Graf warf seine Wehr fort – oftmals singen
Konnt' ich davon – in nachtumwölktem Sinn;
Die andern ließ sich Rodomonte bringen
Und birgt sie dort am Fluß im Turme drin.
In Afrika war nichts von diesen Dingen,
Denn Agramant nahm mit nach Frankreich hin,
Was er nur fand an guten Eisensachen,
Weil sie davon in Libyen wenig machen.
[247] 60.
Blank, rostig – wie die Waffen sind gerade –
Roland nimmt alles, das er finden kann.
Vom nahen Kampfe sprechend, am Gestade
Des Meers mit den Gefährten geht er dann.
Zwei Stunden sind sie so auf ihrem Pfade,
Da schaut er auf die Flut –: es naht heran
Ein Schiff, die Segel vollgeschwellt, dem Lande,
Und unaufhaltsam treibt es nach dem Strande.
61.
Kein Schiffer, keine Rudrer! Wie sich fingen
Die Winde, wie es just dem Glück gefällt,
Die hohen Segel durch die Meerflut dringen,
Bis auf dem Sand zuletzt das Schifflein hält.
Doch eh ich mehr hiervon vermag zu singen,
Geschieht's, daß Roger in den Weg sich stellt
Und will, daß ich zuvörderst die Geschichte
Vom Clermontritter und von ihm berichte.
62.
Daß von dem wilden Kampf die Krieger beide
Sich ferngehalten haben, sagt' ich schon,
Sie sahn verletzt das Recht und schwere Eide,
In Aufruhr jede Schar und Legion.
Wer nun die Schuld sei an so großem Leide
Und wer so heil'gen Schwüren spreche Hohn,
Ob Karl, ob jener König der Barbaren,
Das suchen sie durch Fragen zu erfahren.
63.
Ein Diener Rogers, wacker und verschlagen
(Er sah die ganze Zeit als treuer Mann
Die Kriegesleute aufeinanderschlagen
Und schaute unverwandt den Herren an),
Kommt jetzt, ihm Schwert und Renner anzutragen,
Weil Roger seinem Volke helfen kann.
Roger besteigt das Roß und nimmt den Degen,
Ohn' im Getümmel Hand mitanzulegen.
[248] 64.
Zuvor noch, eh Rinald hinweg sich wende,
Hat er mit diesem den Vertrag erneut:
Wenn er den Mohrenkönig treulos fände,
Verlass' er ihn mit seiner Schar noch heut.
Der Kampf war diesen Tag für ihn zu Ende.
Es gab nur eines: Fragen alle Leut'!
Bei jedem blieb er, bis er ihn gesprochen,
Ob Karl, ob Agramant den Eid gebrochen.
65.
Von allen hört er, daß es Mohren waren;
Sie brachen den Vertrag für Agramant.
Ihn hatte Roger lieb: was er erfahren,
Es ist ihm schmerzlich, löst ihr Freundschaftsband.
Zersprengt, geschlagen fliehen die Barbaren
(Das sagt' ich schon), um von dem höchsten Rand
Des Rads hinunter auf den Grund zu gehen,
Wie's ihr gefällt, die alles weiß zu drehen.
66.
In sich gekehrt, sucht Roger Rats zu pflegen,
Ob er nun gehen, ob er bleiben soll:
Die Lieb' ist da, den Zaum ihm anzulegen
Und Libyen zu entreißen, zornesvoll:
Sie dreht ihn um, spornt ihn zu andern Wegen,
Droht ihm mit Strafen und mit schwerem Groll,
Wenn in den Sinn ihm komme, das Versprechen,
Das er Rinald noch eben gab, zu brechen.
67.
Nicht minder spornt ihn nach der andern Seite
Die wache Sorge peinigend und schwer,
Man zeihe, lass' er seinen Herrn im Streite,
Ihn wohl der Furcht, der Feigheit in dem Heer,
Wenn mancher seinen guten Grund bestreite,
Wie zwingend er auch für die andern wär'.
Es gelte nicht ein Schwur – so werd' er hören,
Wenn's unerlaubt und schlecht war, ihn zu schwören.
[249] 68.
Der ganze Tag, die Nacht nach diesem Tage,
Der nächste noch ihn einsam brüten sah,
Er quält sich ab mit dieser einen Frage:
Muß er wohl gehn? Bleibt er in Ehren da?
Er findet schließlich: seines Herren Lage
Ruf' ihn zurück zum fernen Afrika.
Vermocht auch viel in ihm die Gattenliebe,
So waren Ehr' und Pflicht doch stärkre Triebe.
69.
Er geht nach Arles, von Hoffnung noch bewegen,
Die Flotte dort zu sehn und Schiffesbord:
Kein Boot im Fluß, kein Boot auf Meereswogen,
Kein Sarazen! – Nur Tote gibt es dort.
Mit Agramant ist jedes Schiff gezogen;
Den ganzen Rest verbrannte man im Port.
Nach diesem Fehlschlag nahm er seine Pfade
Gegen Marseille hin an des Meers Gestade.
70.
Dort werd' ihm, meint er, wohl ein Fahrzeug winken;
Das nehm' er, sei es gütlich, sei's mit Zwang!
Schon lag, geführt vom Dänensohn, dem flinken,
Die Flott' am Strand mit dem Barbarenfang.
Kein Hirsekörnlein könnt' ins Wasser sinken:
So dichtgereiht zog sich den Strand entlang,
Von Siegern und Gefangnen schwer, die Menge
Der Schiffe dort in wimmelndem Gedränge.
71.
Die Heidenschiffe, die den Feuergluten
Entgingen und dem Schiffbruch jener Nacht,
Bis auf ein paar, entkommen auf den Fluten,
Waren von Dudo nach Marseille gebracht.
Mit sieben Schiffen, drauf die Waffen ruhten,
Weil unterlegen vor der Christenmacht,
Ergaben sich der Mohrenfürsten sieben,
Die weinend, stumm versenkt in Jammer, blieben.
[250] 72.
Dudo befand gerad sich auf dem Lande:
Zu Karl dem Kaiser wollt' er hin noch heut,
Und zum Triumphzug hatt' er längs dem Strande
Gefangne aufgestellt und Kriegesbeut';
Die Mohren stehn in Reihn am Uferrande,
Um sie die Nubiersieger, all erfreut.
Sie lassen Dudos Namen rings mit hellen
Rufen erklingen über Land und Wellen.
73.
Roger vermeint beim Anblick dieser Scharen,
Es sei das Flottenheer des Agramant,
Und sprengt heran, die Wahrheit zu erfahren:
Da hat er Nasamonas Herrn erkannt
(Nachdem sie deutlicher zu sehen waren),
Gefangen; Bambirago, Farurant,
Balaster, Manilard mit Agrikalten,
Und Rimedont gesenkt die Stirne halten.
74.
Der Jüngling möchte gern ihr Schicksal wenden;
Er liebt sie und erträgt den Anblick nicht.
Er weiß: zu kommen hier mit leeren Händen,
Es ist umsonst, wenn es an Macht gebricht;
So senkt er, ohne Bitten zu verschwenden,
Die Lanze mit dem üblichen Gewicht
Und zieht das Schwert: – in einem Augenblinken
Der Krieger hundert auf die Erde sinken.
75.
Dudo vernimmt den Lärm, sieht Rogers Morden,
Doch weiß er nicht, wer sein mag jener Held.
Er sieht, wie voller Angst die Nubierhorden
Mit Schrein und Klagen fliehen über Feld.
Sobald ihm Renner, Schild und Helm geworden
(Weil er schon Brust und Arm gewappnet hält),
Springt er aufs Pferd und läßt den Speer sich neigen,
Bedacht, als Paladin sich nun zu zeigen.
[251] 76.
Er spornt den Renner, um davonzujagen,
Und ruft den Seinen zu: »Macht Platz geschwind!«
Roger hat wieder hundert Mann erschlagen,
Und der Gefangnen Hoffnung wächst gelind.
Als er zu Pferd sieht Ritter Dudo ragen
(Derweil die andern all zu Fuße sind),
So hält er für ihr Haupt den stolzen Degen
Und sprengt ihm voller Kampfeslust entgegen.
77.
Schon nah war Ritter Dudo; als er einen
Ohne die Lanze sah, so meinte er,
Es zieme nicht, im Vorteil hier zu scheinen,
Und auf die Erde warf er seinen Speer.
Denkt Roger – eingenommen von der feinen
Und stolzen Haltung –: »Nicht verleugnet der,
Daß er zu den Erlesnen sich bekannt hat,
Die Frankreichs Paladine man genannt hat.
78.
Eh andres jetzt geschehe, will ich kennen
Den Namen dessen, der mit mir sich mißt.«
Er fragt und hört den Feind sich Dudo nennen,
Der vom Geschlecht des Dänen Holger ist.
Er legt dann Roger gleiches auf vorm Rennen:
Höflich wird ihm Bescheid zur selben Frist.
So wußte jeder nun des andern Namen,
Als sie zum Aufruf und zum Ernste kamen.
79.
Die Eisenkeule schwang Herrn Dudos Rechte,
Die tausendfach ihm ew'gen Ruhm errang:
Mit ihr bewies er, daß er dem Geschlechte
Holgers und edlem Heldenblut entsprang.
Und jenes Schwert zückt Roger zum Gefechte,
Das jeden Harnisch, jeden Helm durchdrang;
Das beste Schwert der Welt; den Christen lehrte
Die gute Klinge viel von Rogers Werte.
[252] 80.
Doch seine Braut zu schonen mußt' er denken,
So weit es anging; still in seinem Mut
Gestand er sich, es werde arg sie kränken,
Vergöss' er dieses edlen Ritters Blut.
Beatrix durfte einst der Welt sie schenken
(Er kannte Frankreichs Adelsbücher gut);
Die Schwester, Muhme seiner Bradamante,
Sich Armelina, Mutter Dudos, nannte.
81.
Er hieb nur selten zu mit starken Schlägen,
Und mit der scharfen Spitze stach er nie,
Lenkte die Keule seitwärts mit dem Degen;
Er mied sie oder er parierte sie.
An Roger hab' es, meint Turpin, gelegen,
Ob Dudos Brust noch fürder Atem zieh'.
Sah er, daß ungedeckt der andre bliebe,
Traf er ihn bloß mit einem flachen Hiebe.
82.
Er weiß so flach wie scharf sein Schwert zu schwingen,
Das breiten Rücken hat und vieles schafft,
Und läßt ein seltsam Trommelspiel erklingen
Auf Ritter Dudo mit so großer Kraft,
Daß dem die Funken aus den Augen springen;
Fast wird er auf den Boden hingerafft.
Um meinen Hörern aber zu gefallen,
Lass' ich ein andermal mein Lied erschallen.

[253] Einundvierzigster Gesang

1.
Wenn Duft auf schönen Kleidchen, zarten, raren,
Auf eines Jünglings wohlgepflegtem Bart
Und auf des holden Mägdleins Lockenhaaren,
Das weinend oft geweckt von Amor ward,
Noch fühlbar bleibt, ist man darob im klaren:
Nachdem er lange köstlich sich bewährt,
Will solche Wirkung deutlich dieses zeigen:
Von Anfang war die Trefflichkeit ihm eigen.
2.
Der edle Saft, den in der Schnitter Magen
Zu seinem Leid ließ gleiten Ikarus,
Der Kelten lockte hin, wo Alpen ragen,
Daß sie nicht Mühsal fühlten noch Verdruß,
War gleich von Anfang süß, weil er Behagen
Und Süße bot noch an des Jahres Schluß.
Der Baum, dem in der Herbstzeit Blätter bleiben,
Den sah man herrlich grün im Lenze treiben.
3.
Der hohe Stamm, der edlen Sinns gewaltet
Im Licht des Ruhmes hat so lange Zeit
Und jetzt – so scheint's – den höchsten Glanz entfaltet,
Läßt uns vermuten auch mit Sicherheit:
Er, der das Estehaus einst hat gestaltet,
An Sitte reich und aller Trefflichkeit,
Die je zum Himmel Menschen hat erhoben,
Hell muß er strahlen wie die Sterne droben.
[254] 4.
Wie Roger allerweg ein fürstlich Wesen
Und hohen Sinn bewies und Höflichkeit
Durch Proben mannigfalt und auserlesen
– Zu wachsen schien die Großmut mit der Zeit –,
So ist er gegen Dudo auch gewesen,
Dem er die überlegne Kraft im Streit
(Ich sagte dieses schon) verhehlen wollte,
Aus Mitleid nur, damit er leben sollte.
5.
Herr Dudo sieht des Gegners Seelengröße,
Der ihn zu töten ganz und gar verschmäht,
Und merkt, er gibt dem andern manche Blöße,
Und fühlt sich matt, daß es kaum weitergeht,
Indessen Roger mäßigt Hieb und Stöße
Und Rücksicht übt und schonend widersteht:
Da will er, wenn an Kraft, ihm obzusiegen,
Doch nicht an Höflichkeit ihm unterliegen:
6.
»Um Gott,« so sprach er, »Herr, gewähre Frieden!
Ich seh' es ja: der Sieg wird nimmer mein:
Er kann's nicht mehr; ich bin, schon ist's entschieden,
Gefangner deiner Großmut und bin dein.«
Spricht Roger drauf: »Wie du, bin ich's zufrieden!
Doch laß es unter der Bedingung sein,
Daß mir die Sieben werden losgebunden,
Die ich gefesselt hab' hier vorgefunden.«
7.
Er zeigte, wo die sieben Fürsten waren,
Betrübt zu Boden starrend miteinand:
Er möge sie nicht hindern, abzufahren
Mit ihm, hinüber nach dem Libyerstrand. –
So wurden frei die Fürsten der Barbaren,
Weil Dudo alles gerne zugestand.
Ein Schiff zu nehmen, wollt' er auch gestatten,
Nach eigner Wahl; so ging die Fahrt vonstatten.
[255] 8.
Das Schiff stößt ab, läßt seine Wimpel wehen
Und gibt sich ganz in falscher Winde Hut,
Die anfangs günstig alle Segel blähen
Zur Fahrt gradaus; froh ist des Schiffers Mut.
Das Ufer flieht und ist nicht mehr zu sehen;
Versunken scheint es in der Meeresflut.
Doch als sich Tageslicht zur Dämmrung wandte,
Geschah's, daß man des Windes Tück' erkannte.
9.
Er hat vom Heck zur Seite sich gezogen,
Zum Bug sodann, springt um in jeder Weis';
Kommt seitwärts, vornen, hinten angeflogen
Und dreht zu aller Schreck das Schiff im Kreis.
Stolz bäumen sich und drohend auf die Wogen,
Mit Brüllen stürmt dahin die Herde weiß.
Sie sehn voll Angst, wie viele nahn der Wellen,
So viele Tode sich entgegenstellen.
10.
Vom Rücken kommt ein Wind – der kommt entgegen,
Der treibt das Schiff zurück und der voran;
Der, seitwärts kommend, sucht es umzulegen;
Von allen Seiten grinst sie Schiffbruch an.
O wie den Steurer Furcht und Angst bewegen!
Er seufzt verzweiflungsvoll, ein bleicher Mann.
Vergebens schreit er, winkend mit den Händen,
Man solle Rahen senken oder wenden.
11.
Winken und Schrein hilft nichts in diesen Dingen,
Zu sehn verwehrt die regnerische Nacht,
Worauf die Rufe in der Luft verklingen,
Der Luft, durch die mit noch viel größrer Macht
Wehruf, Geheul der Schifferleute dringen,
Derweil die Sturmflut an die Planken kracht.
Nicht hinten, vorn, nicht auf den Seitenbanden
Wird irgendein Kommandowort verstanden.
[256] 12.
Im Tauwerk, drin der Wind sich hat verfangen
Und rast und tobt, da wimmert's laut und stöhnt;
Die Luft durchzucken feurig Blitzesschlangen;
Der Donner rollt, daß rings der Himmel dröhnt.
Der faßt das Steuer, nach den Rudern langen
Die andern; jeder tut, wie er gewöhnt;
Der löst und jener bindet fest danieder,
Und der gießt Wasser in das Wasser wieder.
13.
Seht Boreas, wie er, den Sturm zu jagen
Jäh wütend kommt! Grausig sein Pfeifen schallt!
Gepeitscht die Segel an den Mastbaum schlagen,
Das Meer steigt zu den Wolken, wogt und wallt.
Die Ruder sind zerschellt und fortgetragen!
So tobt das Meer mit rasender Gewalt,
Daß sich die Spitze dreht: hin nach den Wellen,
Wehrlos, muß sich des Schiffes Seite stellen.
14.
Schon droht das Schiff kopfüber sich zu wenden:
Die rechte Seit' ist eingetaucht jetzund.
Sie flehn zum Himmel mit gerungnen Händen,
Kein Zweifel ist, sie sinken auf den Grund.
Und mehr des Unheils will Fortuna senden,
Zum ersten macht sich gleich ein neues kund:
Es leckt das Schiff, von wilder Flut bezwungen,
Der Feind, das Meer, ist schon hineingedrungen.
15.
Von allen Seiten gierig, grausam, springen
Des Sturmes Horden auf die Armen ein:
Sie sehn das Meer so hoch empor sich schwingen,
Als ging' es in den Himmel grad hinein,
Dann wieder sie hinab zur Tiefe bringen,
Als gelt' es, auszuspähn der Hölle Schein.
Nichts oder wenig will die Hoffnung taugen,
Als unvermeidlich steht der Tod vor Augen.
[257] 16.
Sie drehen sich die Nacht im Sturmesreigen,
Hierhin und dorthin, wie der Wind es schafft,
Der böse, der, statt in der Früh' zu schweigen,
Zu größerm Wüten sich hat aufgerafft,
Als nackte Klippen vor dem Schiff sich zeigen;
Sie wollen fliehn und haben nicht die Kraft,
Sie werden wider Willen hingetragen
Durch Sturmgewalt, wo jene Felsen ragen.
17.
Drei-, viermal sucht zu wenden mit dem Rade,
Wie er's vermag, der bleiche Steuermann,
Herumzudrehn nach sicherm Wasserpfade:
Die Welle bricht es und verschlingt es dann.
Mit solchen Lungen bläst der Wind gerade,
Daß man die Wucht um nichts vermindern kann.
Zeit fehlt für Hilf' und Rat in diesen Nöten;
Zu plötzlich droht sie die Gefahr zu töten.
18.
Sobald sie sehn, daß alles jetzt vergebens,
Und unvermeidlich Schiffbruch hier im Meer,
Sorgt jeder nur für Rettung seines Lebens
Und kümmert sich um gar nichts andres mehr.
Das Boot wird jetzt der Zielpunkt alles Strebens,
Allein es ist miteinemmal so schwer
Vom Menschenschwarm, der sich darin befindet,
Daß es schon in den Fluten fast verschwindet.
19.
Als Roger Bootsmann und Patron entweichen
Vom Schiffe sah mit all der andern Schar,
Beschloß er in das Boot zu gehn desgleichen,
Im Wams und ohne Waffen wie er war.
Schon viele – fand er – wußten's zu erreichen,
Und immer wuchs die Menge noch sogar,
Bis es, von Überlast hinabgezogen,
Mit seiner Ladung hinsinkt in die Wogen
[258] 20.
Zum tiefen Meeresgrund samt ihnen allen,
Die aus dem Schiff die Hoffnung trieb zuvor.
Da tönt Gejammer, Weherufe schallen
Und Hilfgeschrei zum Himmelszelt empor.
Doch diese Stimmen hört man bald verhallen,
Weil das ergrimmte Meer sich Bahn erkor
Miteinemmal, wo die verzweiflungsvollen
Klagen und wildes Angstgeheul erschollen.
21.
Der sinkt hinab und kommt nicht mehr nach oben,
Und jener steigt zur Oberfläch' herauf;
Der schwimmt einher und hält den Kopf erhoben;
Ein Arm hier, dort ein nacktes Bein blitzt auf.
Auch Roger, furchtlos bei der Stürme Toben,
Schwingt aus dem tiefsten Grunde sich hinauf
Und sieht, nicht ferne, jene Klippen stehen,
Denen sie aus dem Wege wollten gehen.
22.
Er hofft, mit Fuß und Arm ein kräftig Schwimmen
Bring' ihn wohl noch an einen trocknen Ort:
Mit Keuchen kommt er, vom Gesicht die schlimmen
Wellen und starken Fluten stößt er fort.
Indessen jagen Wind und Sturm, die grimmen,
Das leere Schiff, mit niemand mehr an Bord
Von allen, die der Wunsch, sich flott zu machen
Zur Fahrt ins Leben, trieb in Todes Rachen.
23.
O trügerisch ist armer Menschen Sinnen!
Das Schiff entkommt, das schon verloren galt:
Als Leut' und Lenker sind im Boote drinnen,
Das Fahrzeug steuerlos in Sturmsgewalt,
Die Winde plötzlich andern Kurs beginnen:
Da wird der Kiel, jetzund kein Aufenthalt
Für Menschen mehr, weit in die See getrieben;
Dort ist er nun auf sichrer Bahn geblieben.
[259] 24.
Gesteuert hat das Schiff den Weg verloren;
Jetzt ohne Steuer kommt's zum Libyerstrand.
Zum Landen ward ein Plätzchen ihm erkoren,
Biserta nah, Ägypten zugewandt.
Dort blieb es in dem dürren Sand der Mohren,
Nachdem der Wind und auch das Wasser schwand,
Zur Stunde grad, als Roland kam gegangen,
Wie ich zu melden hatte angefangen.
25.
Er wünscht zu wissen, ob's allein geschwommen
Zum Strand, und ob befrachtet oder leer,
Und hat ein Boot mit Brandimart genommen
Und Oliver, und fährt zur Stell' im Meer.
Dann, unter das Verdeck hinabgekommen,
Sieht er von Menschen keine Seele mehr.
Außer dem Hengst Frontin, dem pfeilgeschwinden,
Sind Rogers Schwert und Rüstung noch zu finden.
26.
So großer Eile mußt' er sich befleißen;
Das Schwert zu nehmen fand er keine Zeit.
Er kannt' es: Balisarda war's geheißen
Und hatt' ihm angehört geraume Zeit.
Wie Fallerina sich es ließ entreißen,
Das habt Ihr selbst gelesen wohl, zur Zeit
Wie er den schönen Garten ihr zerstörte
Und wie dem Dieb Brunel das Schwert gehörte,
27.
Der am Carenaberg aus freien Stücken
Es Roger schenkte sonder Gegenlohn.
Wie gut die Schneide war und wie der Rücken,
Aus mancher eignen Probe wußt' er's schon
(Ich meine Roland), war drob voll Entzücken
Und schickte Dank hinauf zum Himmelsthron,
Vermeinend (wie er später oft bekannte),
Daß Gott es ihm für große Dinge sandte;
[260] 28.
Für solch ein Werk, wie jetzt ihm mit dem Streite
Gegen den Serikaner ward beschert,
Der riesenstark, noch Durendal zur Seite
Trug und den Bajard auch besaß, das Pferd.
Die Rüstung, die dem Schwerte gab Geleite,
Erkannt' er nicht in ihrem hohen Wert,
Wie einer, der's erprobt; ihm wollte scheinen,
Sie sei wohl gut, doch von den reichen, feinen.
29.
Weil er nicht nötig hat die schönen Gaben
(Er ist gefeit, daß nichts ihn ritzen kann),
So soll der Schwager Oliver sie haben,
Nur nicht das Schwert; das schnallt er selber an,
Und Brandimart soll auf dem Renner traben.
Jedwedem der Gefährten also sann
Er einen Teil der Beute zu gewähren,
Die freundlich gute Sterne ihm bescheren.
30.
Gewänder, neu und reich in allen Stücken,
Schafft jeder für den Tag des Kampfs herbei:
Das Wappen Rolands sieht man Babel schmücken,
Getroffen grad vom Blitz, in Stickerei.
Ein Hund aus Silber, Koppel auf dem Rücken,
Gestreckt, gefällt Herrn Oliver; dabei
Als Motto steht: »Bis daß er kommt« zu lesen;
Von Goldstoff ist das Kleid und auserlesen.
31.
Herr Brandimart gedenkt, des Vaters wegen
Und eigner Ehre willen für den Streit
Nicht prunkende Gewänder anzulegen,
Nein, nur ein dunkles, ungeschmücktes Kleid.
Mit edelem Gestein und Prachtbeschlägen
Sucht Flordelis am Saum die Einfachheit
Zu heben durch ein leuchtendes Gefunkel
Und feines Tuch; der Rest ist schwarz und dunkel.
[261] 32.
Für seinen Harnisch schufen ihre Hände
Die Oberkleidung dem geliebten Mann
(Dem feinre Rüstung freilich besser stände)
Und Mähn' und Kreuz und Brust des Rosses dann.
Vom Anfang an bis zu des Werkes Ende
Kein Lächeln wandelte sie jemals an,
Und auch in spätrer Zeit nicht mehr erschienen
Frohsinn und Heiterkeit auf ihren Mienen.
33.
Denn Furcht und Bangen will von ihr nicht weichen,
Den Liebsten zu verlieren dieses Mal.
Sie sah ihn wohl umdräut von tausend Streichen
In großen, wilden Schlachten ohne Zahl –:
Nichts macht' ihr noch die Wange so erbleichen,
Das Blut gefrieren so wie diese Qual;
Und diese Neuheit, sich voll Furcht zu sehen,
Läßt wieder Angst in ihrer Seel' entstehen.
34.
Der Harnisch ist bereit und jede Wehre,
Die Segel schwellen und die Wimpel wehn.
Astolf mit Samsonet bleibt bei dem Heere
Am Land, der Schar der Gläub'gen vorzustehn.
Den Blick gerichtet nach dem hohen Meere,
Solange noch die Segel nur zu sehn,
Steht Flordelis, dem Himmel hoch – mit Klagen
Erfüllt sie rings die Luft – ihr Leid zu sagen.
35.
Den beiden Herren wollt' es kaum gelingen,
Sie fortzuführen von der Uferstätt'
Und endlich zum Palaste hinzubringen;
Dort blieb sie bleich und zitternd auf dem Bett,
Indes die drei Erlesnen vorwärtsdringen.
Die Winde halfen ihnen um die Wett',
Weil stracks das Glück zum Ort sie bringen wollte,
Wo man den Strauß, den großen, kämpfen sollte.
[262] 36.
Herr Oliver und Brandimart, sie halten
Am Ufer mit dem Ritter von Anglant,
Worauf sie klug ihr Zeltdach da entfalten,
Wo jene Inselchen nach Ost gewandt.
Die Gegner auf der andern Seite schalten,
Denn angekommen ist auch Agramant:
Doch weil vom Tage nicht mehr viel geblieben,
Muß man den Kampf für's Morgengraun verschieben.
37.
Von da bis zu der neuen Tageshelle
Stehn beiderseits die Diener auf der Wacht.
Am Abend noch geht Brandimart zur Stelle
Hin, wo die Mohren lagern für die Nacht,
Und spricht mit Agramant – einst sein Geselle
War er – mit Rolands Wissen vor der Schlacht;
Nach Frankreich hin war Brandimart gefahren
Zu jener Zeit mit Agramantes Scharen.
38.
Nach Händedruck und Grüßen zwischen beiden
Drang dort der treue Ritter eifrig ein
Mit vielen Gründen auf den Herrn der Heiden:
Er lasse diesen Kampf doch lieber sein,
Und um Verlust der Städte zu vermeiden
Vom Nil zu Herkuls Säulen, obendrein
Zum Sohn Mariä mög' er sich bekennen,
Dann dürf' er sie aufs neu sein eigen nennen.
39.
»Ich hab' Euch«, sprach er, »diesen Rat gegeben
Als immer noch in Lieb' Euch zugetan.
Ich selbst hab' ihn befolgt – ja, für mein Leben! –
Und weiß – o glaubt mir – gut ist dieser Plan.
Christus ist Gott, Mahom ein Trug daneben;
Nun brächt' ich gern auch Euch auf meine Bahn:
Teilhaftig sollt Ihr, Herr, des Heiles werden
Mit mir und allen, die mir lieb auf Erden.
[263] 40.
Kein Ratschluß, Herr, der taugt, steht sonst Euch offen:
So wahrt Ihr Euer Glück aufs allerbest.
Am schlimmsten aber habt Ihr's dann getroffen,
Wenn Ihr Euch mit dem Sohn des Milon meßt:
Geringer Nutzen ist beim Sieg zu hoffen,
Der dem Verlust sich nicht vergleichen läßt.
Wenig gewinnt Ihr, könnt Ihr triumphieren;
Wenn Ihr verliert, so müßt Ihr viel verlieren.
41.
Vermögt Ihr Roland, uns auch, umzubringen,
Die zu ihm stehn, wie's immer geh' dabei,
Wird Euch, soweit ich sehe, nicht gelingen,
Daß etwas am Verlust geändert sei:
Umschwung geschieht in allen diesen Dingen,
Auch wenn wir sterben sollten, keinerlei:
Karl wird genug an Heeresmacht entfalten,
Bis auf den letzten Turm das Land zu halten.«
42.
So sprach der Held und hätte wohl gesprochen
In guter Absicht noch gar manches dort –
Da wird er von dem Heiden unterbrochen,
Den riß der Hochmut und der Jähzorn fort –:
»Zur Unzeit hat der Hafer dich gestochen;
Toll bist du und ein jeder – auf mein Wort! –,
Der ungerufen mir bei meinen Taten,
Was gut sei oder übel, wagt zu raten.
43.
Und daß der Rat der Liebe soll entstammen,
Die du gefühlt hast und noch fühlst zu mir,
Versteh' ich nicht fürwahr, seh' ich zusammen
Dich doch zu dieser Stund' mit Roland hier;
Da glaub' ich eher, in die ew'gen Flammen
Willst du mich reißen und die Welt mit dir,
Nachdem du selbst die Beute wardst des Drachen,
Der da die Seelen schlingt in seinen Rachen.
[264] 44.
Ob ich soll leben – sterben; ob mich wenden
Zur Heimat, ob in ew'gen Banden sein,
Das fügte Gott; es liegt in seinen Händen;
Nicht du, und auch nicht Roland schaut hinein.
Unkönigliche Furcht soll nicht mich schänden;
Nicht werd' ich tun, was niedrig und gemein.
Gilt's sterben, geh' ich lieber von der Erde,
Als daß ich meinem Haus ein Schandfleck werde.
45.
Nun magst du gehn; kannst du nicht besser dienen
Den Deinen dort mit Waffen auf dem Feld,
Als deine Rednerkunst mir ist erschienen,
Ist es mit Rolands Helfer schwach bestellt.«
So sprach ergrimmt mit zornesroten Mienen
Zu Brandimart Herr Agramant, der Held.
Sie gingen beide dann zurück und ruhten,
Bis sich der Morgen hob aus Meeresfluten.
46.
Bei Tagesanbruch saßen auf den Rossen
Die Kämpfer hier und dort; von Schar zu Schar
War man gewohnt, daß wenig Reden flossen;
Aufschub und Pause fehlten ganz und gar:
Fest an die Seite wird der Speer geschlossen. –
Doch unrecht tät' ich, edler Herr, fürwahr,
Ließ ich, durch Meldung von den Kampfgemuten,
Roger ertrinken in den Meeresfluten.
47.
Der Jüngling rührt so Fuß wie Arm geschwinde,
Die Wellen spaltend, auf dem wilden Meer;
Der Sturm bedroht ihn mächtig und die Winde,
Doch sein Gewissen plagt ihn noch viel mehr.
Er fürchtet, daß ihn Christi Rache finde:
Weil er, als Zeit es war, sich allzusehr
Der Taufe reinen Wassers hat entzogen,
Drum werd' er nun getauft in salz'gen Wogen.
[265] 48.
Was er der Trauten vielemal versprochen,
Kommt ihm zu Sinn und andres obendrein:
Was er geschworen hat und dann gebrochen
Beim Kampfe mit Rinald, fällt jetzt ihm ein.
Daß diesmal noch die Schuld bleib' ungerochen,
Fleht er voll Reue; Gott mög' ihm verzeihn;
Und Christ zu werden schwört er für die Gnade,
Wenn er die Füße setze ans Gestade,
49.
Und daß er nie mehr Waffen nehmen wolle,
Um Mohren gegen Gläub'ge beizustehn;
Auch werd' er, daß er Karl die Ehren zolle,
Die schuldigen, nun bald nach Frankreich gehn;
Nicht länger harre Bradamant! sie solle
Nun bald am Ziel ihr treues Lieben sehn.
Und wunderbar! – als das Gebet beendet,
Fühlt er den Gliedern neue Kraft gespendet.
50.
Ihm wächst die Kraft, es wächst der Mut desgleichen,
Die Wellen teilt er mit gewalt'ger Hand,
Wie sie ihn heben, senken, drängen, weichen;
Er zwingt den Weg durch alle miteinand.
Nach großer Mühe könnt' er dann erreichen,
Bald steigend und bald fallend, trocknen Sand.
Wo sich geneigt zum Meer die Hügel zogen,
Durchnäßt und triefend, stieg er aus den Wogen.
51.
Die andern alle, die ins Boot sich schwangen,
Besiegt vom Meere, sanken in die Flut.
An ödem Felsenriff blieb Roger hangen,
Wie Gottes Güt' ihn nahm in ihre Hut,
Als er auf rauhem Stein dem Meer entgangen,
Bedroht ein neues Bangen seinen Mut:
In engen Raum geschlossen, zu verderben
Und schließlich hier den Hungertod zu sterben.
[266] 52.
Doch ungebeugten Sinns, bereit auch, seine
Strafe zu leiden, wenn es Gott gefiel,
Hinschreitet er auf hartem Felsgesteine
Nach rechts und nimmt die Bergeshöh' als Ziel.
So geht er eine Strecke, eine kleine,
Als, welk von Jahren und von Fasten viel,
Ein Greis erscheint im Klausnerkleid, mit hehren
Zügen voll Milde, würdig aller Ehren.
53.
»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« So sagte,
Nachdem er näher kam, der hehre Greis;
Wie einst der Heiland ja Sankt Paulus fragte,
Als er ihn schlug so wunderbarerweis.
»Du wolltest übers Meer, doch dir behagte
Das Fährgeld nicht, das Gott zu nehmen weiß:
Er hat dich eingeholt mit langen Händen,
Da du recht fern ihm dachtest dich zu wenden.«
54.
Und mehr noch sprach der heil'ge Gottesstreiter,
Der durch Gesichte sah in jüngster Nacht,
Daß Roger, mit dem Heiland als Geleiter,
Zur öden Klippe werde hergebracht;
Das frühre Leben und das künft'ge weiter,
Auch seinen schlimmen Tod; dazu die Macht,
Zu der sich Söhn' und Enkel einst erheben,
Hatt' anzuschaun der Himmel ihm gegeben.
55.
Er trifft des Jünglings Herz mit Geißelhieben
Für seine Schuld und tröstet ihn sodann.
Er tadelt, daß er schwach war, aufzuschieben
Das sanfte Joch, das er wohl tragen kann.
Frei mußt' er schaffen, was ihm vorgeschrieben,
Sobald ihn Christus rief zu sich heran.
Mit schlechtem Anstand sei er erst gekommen,
Als er die Peitsche habe wahrgenommen.
[267] 56.
Dann tröstet er: Verstoßen will mitnichten,
Wer früh, wer spät ihn anfleht, Gottes Sohn!
Und er begann vom Weinberg zu berichten
Und wie dort alle hatten gleichen Lohn.
Langsam darauf, um ihn zu unterrichten,
Eifrig und liebevoll, in Religion,
Zur Klause lenkt der Eremit die Schritte,
Die er gehaun aus spröden Felsens Mitte.
57.
Ein kleines Kirchlein ist dort hoch gelegen,
Ziemlich bequem und schön gebaut und gut.
Nach Morgen steht es, steht dem Licht entgegen;
Darunter zieht ein Hain sich nach der Flut:
Fruchtreiche Palmen, die im Wind sich regen,
Wacholder, Myrt' und Lorbeer wohlgemut,
Und murmelnd rieselt von des Bergs Gefälle,
Alles benetzend, eine lichte Quelle.
58.
Der fromme Bruder saß, vom Meer umgeben,
Auf dieser Klippe vierzig Jahr' beinah,
Die für ein einsam gottgeweihtes Leben
Der Heiland als den rechten Ort ersah.
Von Nahrung, wie sie Frücht' und Pflanzen geben,
Das reine Wasser trinkend, lebt er da,
Um frisch und rüstig, ohne Leid und Bangen,
Zu vollen achtzig Jahren zu gelangen.
59.
Nun lodert in der Klause Feuerhelle,
Obst beut der Tisch, beladen bis zum Rand;
Ein wenig stärkt sich Roger in der Zelle,
Nachdem getrocknet Haare und Gewand.
Mit Muße lernt er dann an dieser Stelle
Des Glaubens heil'ge Tiefen; aus der Hand
Des Alten selbst empfängt er noch im Laufe
Des nächsten Tags im klaren Quell die Taufe.
[268] 60.
Zufrieden war, so wie die Dinge lagen,
Hier Roger; denn der brave Gottesmann
Versprach, wohin er wollt', in wenig Tagen
Ihn zu entsenden, frei von jedem Bann.
Indes erörtert er noch manche Fragen
Auf Gottes Reich bezüglich; dann und wann
Auch redet er von Rogers eignen Dingen
Und was sein Stamm der Erde werde bringen.
61.
Der Klausner hatte durch den Herrn erfahren,
Für den das Dunkle deutlich ist und hell,
Daß Roger sterben werd' in sieben Jahren,
Vom Tag der Tauf' an dort im Bergesquell:
Ihm werde beigelegt von Mainzer Scharen
Der Gattin Tat, der Tod des Pinabel.
Die argen Mainzer sinnen auf Verderben,
Auch, weil ihr Bertolas ja mußte sterben.
62.
Man werde vom Verrat nicht Kunde haben,
Denn alles spinne sich gar heimlich fort:
Die Schurken werden ihn sogleich begraben,
Wo er getötet ward, am selben Ort.
Spät werde Rache seine Manen laben
Durch Gattin und die Schwester für den Mord,
Und schwangern Leibes werd' auf allen Auen
Die treue Gattin suchend nach ihm schauen.
63.
Wo zwischen Brenta und dem Etschgestade
Antenor einst das Land so sehr gefiel
(Mit Schwefeladern und der Ströme Bade,
Mit heitern Wiesen, schönen Feldern viel),
Daß nicht des Xanthus, des Askanius Pfade
Nicht mehr der hohe Ida war sein Ziel, –
Dort werde sie im Schatten laub'ger Äste
Gebären, nah dem phrygischen Ateste.
[269] 64.
Der Knabe wachs' an Schönheit, Mut und Stärke
– Man werd' ihn Roger nennen – froh heran;
Vom Volk, das bald das Troerblut bemerke,
Zum Herrn erwählt, führ' er die Troer an;
Als Jüngling helf' er Karl bei seinem Werke
Im Langobardenkrieg; er werde dann
Des schönen Landes Lehn von ihm empfangen
Und auch den Titel Markgraf dort erlangen.
65.
Weil Karl wird auf lateinisch sagen: Este
Hic domini, wenn er die Schenkung macht,
Wird glückverheißend mit dem Namen Este
Das Land im künft'gen Säkulum bedacht;
Um die zwei ersten Lettern wird Ateste,
Der alte Name, dergestalt gebracht.
Auch offenbarte Gott die Art und Weise
Der Rache für den Tod dem frommen Greise:
66.
Erscheinen wird, kurz eh's beginnt zu tagen,
Roger als Traumbild seinem treuen Weib,
Und, wer die Mörder sind, wird er ihr sagen,
Den Ort auch nennen, wo da liegt sein Leib.
Sie wird nach Pontier mit der Schwägrin tragen
Eisen und Feuer, daß kein Stein mehr bleib'.
Und nicht geringres Leid wird Mainz erfahren,
Sobald der junge Roger kommt zu Jahren.
67.
Den Azz, Alberti, Obizi gewunden
Hat er den Kranz bis hin zu Leonell
Und zu des Niccolo und Borso Stunden,
Ercol, Alfons, Hippolyt, Isabell.
Doch hielt er klug die Zunge fest gebunden,
Nicht alles kündend, das er schaute hell;
Was ihm zu wissen gut war, Roger zeigend,
Was minder dienlich, weisheitsvoll verschweigend.
[270] 68.
Oliver, Roland, Brandimart indessen,
Gesenkt die Speere, brechen rüstig auf,
Sich mit dem Sarazenen-Mars zu messen
(Gradaß ruft diesen Gott fürwahr herauf)
Und mit den Zwein, die drüben aufgesessen,
Sie spornen ihre Hengste frisch zum Lauf
(Den König mein' ich, mit Sobrin im Bunde) –
Und Küste dröhnt und Meerflut in der Runde.
69.
Sie stoßen aufeinander und zerspellen
Die Schilde, daß der Stumpf gen Himmel springt;
Man sieht vom großen Lärm die Meerflut schwellen,
Vom großen Lärm, der bis nach Frankreich dringt.
Gradaß und Roland feindlich sich gesellen:
Der Wage Zünglein steht; doch Vorteil bringt
Bajard der Renner wohl dem Sarazenen,
Und überlegen könnte man ihn wähnen.
70.
Das schwächre Pferd (Graf Roland muß es reiten)
Hat er mit solchem Stoße angerannt,
Daß man es schwanken sieht nach beiden Seiten;
Dann mißt es, seiner Länge nach, den Sand.
Zum Aufstehn sucht es Roland zu verleiten
Drei-, viermal, mit dem Sporn und mit der Hand:
Doch als es sich nicht will erheben lassen,
Eilt er, den Schild und Balisard zu fassen.
71.
Dem König stand Herr Oliver entgegen,
Und gleich und gleich verhielt sich dieses Paar.
Mit Brandimart maß sich Sobrin der Degen:
Er wurde bügellos, doch war's nicht klar,
Ob es am Reiter, ob am Roß gelegen:
Sobrin im Sattel meist wie Eisen war.
Lag nun an ihm die Schuld, lag sie am Pferde –
Genug, der Fürst Sobrin lag auf der Erde.
[271] 72.
Am Boden sah ihn Brandimarte liegen:
So griff er ihn zunächst nicht weiter an.
Um auf Gradaß statt seiner loszufliegen,
Der über Roland gleichen Sieg gewann.
Die beiden andern fuhren fort zu kriegen
In gleicher Weise wie der Kampf begann.
Als auf den Schilden beide Speere brachen,
Da hieben sie mit nackter Kling' und stachen.
73.
Als Roland sieht, daß in Beschlag genommen
Gradaß und jetzt nach ihm nicht mehr begehrt
(Von Brandimart hätt' er ihn nicht bekommen,
So drang der auf ihn ein mit seinem Schwert),
Kehrt er sich um: da hat er wahrgenommen
Sobrin zu Fuß, der auch des Kampfs entbehrt;
Er stürzt auf ihn – den Himmel faßt ein Beben,
Als sich des Grafen Füße dräuend heben.
74.
Sobrin, dem Mächt'gen sich zu widersetzen,
Hüllt sich mit aller Kraft in Waffen ein,
Dem Schiffer gleich, wenn mit gewalt'gen Sätzen
Brüllende Meerflut springt ins Schiff hinein:
Er lenkt das Steuer, und an trocknen Plätzen,
Fern von dem Graus der Wogen möcht' er sein.
Sobrin hält seinen Schild dem Tod entgegen,
Der niederfährt von Fallerinas Degen.
75.
Mag auch ein Kämpfer ganz in Stahl sich stecken,
Es fruchtet nichts bei Balisard, der Wehr,
Zumal in Händen eines solchen Recken,
Denn keinen zweiten sieht die Erde mehr.
Sie schneidet durch den Schild, ob ihn bedecken
Gleich Reifen feinen Stahles ringsumher;
Sie schneidet durch, hat ihn zum Grund gespalten
Und in der Schulter erst sich aufgehalten;
[272] 76.
Der Schulter; doppelt Eisenblech mit Ringen
Beschützte die nun freilich stark und gut,
Allein das sollt' ihr wenig Nutzen bringen:
Aus einer großen Wunde floß das Blut.
Sobrin schlägt zu, doch Rolands Haut durchdringen! –
Es ist umsonst; ihn nahm in seine Hut
Der Lenker ja des Himmels und der Sterne:
Verwundung, wollt' er, bleib' ihm ewig ferne.
77.
Der Graf holt aus, gedenkt den Kopf des Alten
Mit einem Hiebe jetzt vom Rumpf zu haun.
Sobrin weiß wohl, der ist nicht aufzuhalten,
Und hat zu seinem Schilde kein Vertraun:
Er weicht zurück, ein Stück der Kraft entfalten
Kann aber Balisard auf seinen Braun.
Stark, wenn auch flach, trifft sie des Mohren Stirne:
Der Helm zerspringt ob dem betäubten Hirne.
78.
Beim mächt'gen Hieb stürzt Fürst Sobrin vom Pferde,
Um lange Zeit nicht wieder aufzustehn.
Er liege tot, wähnt Roland, auf der Erde;
So brauch' er nicht mit ihm zum Kampf zu gehn.
Er hat es auf Gradaß (sein Ansturm werde
Leicht Brandimart zu kräftig) abgesehn:
Denn jener ist an Rüstung, Pferd und Degen,
Vielleicht an Kraft, dem Gegner überlegen.
79.
Und Brandimart, der den Frontin ja reitet,
Das gute Roß, das Rogers war vorher,
Gar wacker mit dem Sarazenen streitet:
Im Vorteil ist der Mohr nicht allzusehr.
Wäre sein Harnisch fein aus Stahl bereitet,
Wie des Gradaß, so trotzt' er ihm noch mehr.
Doch, schlecht bewaffnet, mußt' er vor den Streichen
Bald nach der Rechten, bald der Linken weichen.
[273] 80.
Ganz nach dem Wink des Reiters zu verfahren,
So, wie Frontin, kein andres Pferd verstand:
Droht Durendal mit Wucht herabzufahren,
Hierhin und dorthin wich es aus gewandt.
In mächt'gem Kampf derweil begriffen waren
Herr Oliver und König Agramant,
Die beid' in Waffenkunst sich hoch erhoben;
Auch war an Kraft ein jeder gleich zu loben.
81.
Nachdem Sobrin zu Boden war geglitten,
Ließ Roland – sagt' ich – ihn und ging von da,
Zum Beistand Brandimarts, mit großen Schritten
Los auf Gradaß (zu Fuße war er ja),
Als er vorm Angriff auf des Feldes Mitten
Spazieren gehn des Fürsten Rößlein sah,
Das nach dem Fall Sobrin war durchgegangen:
Gleich macht' sich Roland auf, es einzufangen.
82.
Er nahm den Renner, der sich gar nicht wehrte,
Und sprang mit einem raschen Satz hinauf.
Des Grafen rechte Hand lag auf dem Schwerte,
Die linke zog den prächt'gen Zaum herauf.
Ihn sah Gradaß, den keine Furcht beschwerte:
Mit Namen fordert' er zum Kampf ihn auf.
Ihm wollt' er zeigen und den andern beiden,
Daß Nacht es sei noch vor der Sonne Scheiden.
83.
Er eilt zum Grafen (Brandimart bleibt stehen):
Wie er den Panzerkragen glatt durchsticht!
Durch alles will es, doch ins Fleisch nicht gehen;
Der größten Müh' und Wucht gelingt das nicht.
Und Balisarda saust wie Sturmeswehen,
Vor deren Schneide jeder Zauber bricht.
Schild, Helm und Halsberg', Harnisch sind zerrissen,
Sobald das Wunderschwert hineingebissen.
[274] 84.
Durch Antlitz, Brust und Schenkel ist gehauen
Der Serikanerfürst und stark verletzt;
Er sah noch nie sein Blut aus Adern tauen,
Seit er die gute Rüstung trägt; und jetzt
Hat dieses Schwert – er fühlt's mit Angst und Grauen
('s ist nicht mal Durendal) ihn so zerfetzt!
Ward etwas näher hin der Hieb geschwungen,
Wär' er vom Kopf bis durch den Leib gedrungen.
85.
Er kann sich fürder nicht dem Schutz der Waffen
Wie sonst vertraun: die Probe ist gemacht.
Mit Vorsicht sucht er Deckung sich zu schaffen
Und nimmt sich mehr als je bisher in acht.
Herr Brandimart, der sich den Kampf entraffen
Von Roland ließ, mischt jetzt sich in die Schlacht:
Er stellt sich mitten zwischen beide Paare,
Um da zu helfen, wo er Not gewahre.
86.
Wie dergestalt beim Kampf die Dinge standen,
Ist Fürst Sobrin, den Ohnmacht lang umfing,
Mit einemmal erwacht und aufgestanden;
Schulter und Antlitz schmerzten nicht gering,
Er suchte, wo die Kämpfer sich befanden,
Und sah gefährdet seinen Herrn und ging
Zu seinem Schutz, mit langen Schritten, leise,
So daß er hinkam unbemerkterweise,
87.
Und hinter Oliver ist er geschlichen,
Der achtete des Gegners ganz allein,
Und traf des Franken Roß mit bösen Stichen;
Das Knie durchbohrt er ihm am Hinterbein,
Daß alle Kräfte gleich dem Tiere wichen.
Der Reiter fällt, kann nicht den Fuß befrein,
Den linken Fuß: der blieb beim Sturz des Recken
Mitsamt dem Bügel unterm Pferde stecken.
[275] 88.
Sobrin vermeint, den Kopf ihm abzuschneiden,
Und führt die Quere urgewalt'gen Streich;
Doch will's der lichte, feine Helm nicht leiden,
Gestählt für Hektor in Hephästos Reich.
Was droht, sieht Brandimart, und auf den Heiden
Sprengt er mit vollen Zügeln an sogleich
Und schlägt ihn auf den Kopf und wirft ihn nieder,
Doch bald erhebt der trotz'ge Greis sich wieder.
89.
Und daß er Oliver ins Jenseits bringe,
Hat er sich nach dem Liegenden gekehrt;
Gelingt es nicht, so bleibt er in der Schlinge
Zum mindesten, und drunten unterm Pferd.
Der Markgraf macht Gebrauch von seiner Klinge,
Indem er mit dem freien Arm sich wehrt:
Mit Stoß und Stichen nach des Fürsten Seite
Hält er ihn fern auf eine Schwertesweite.
90.
Er meint, der Fall wird bald sich ändern müssen,
Bleibt auch Gradaß ein Weilchen fern gebannt:
Aus seinen Adern strömt's in roten Flüssen;
Es rinnt so viel hernieder in den Sand,
Daß er bewältigt wird von Blutergüssen:
Schon ist er schwach und hält kaum fürder Stand;
Trotz aller Mühe will's ihm nicht gelingen,
Unter dem Tiere sich emporzuringen.
91.
Indes traf Brandimart den Agramante,
Und wie ein Sturmwind griff er diesen an,
Den vorn und seitwärts jetzt Frontin berannte,
Sich drehend, wie es nur ein Kreisel kann.
Hat solchen Hengst der Sohn des Nonodante,
So reicht des Mohren Roß an den heran:
Von Roger hatt' er Güldenzaum bekommen,
Der ja dem Mandrikard war abgenommen.
[276] 92.
Der König hat den Vorteil nach den Waffen:
Die sind erprobt und trefflich überaus.
Die seinen mußte Brandimart erraffen,
Wo grad er fand, was nötig war zum Strauß.
Doch beßre wird er schon sich bald verschaffen;
So malt es ihm des Herzens Kühnheit aus,
Färbt ihm auch eine Wunde, eine große,
Die Schulter rot, von Agramantes Stoße,
93.
Und gilts auch in der Seite die zu tragen,
Die – nicht zum Spiel – vorher Gradaß ihm schlug.
Wie spähend also auf der Lauer lagen
Des Franken scharfe Augen lang genug,
Weiß er des Feindes linken Arm zu schlagen
Und streift auch noch die rechte Hand im Flug.
Doch mit Gradassos Hieben im Vergleiche,
Und Rolands, waren Spaß nur diese Streiche.
94.
Roland ist halb entwaffnet schon zu schauen:
Der Helm klafft oben und an Seiten weit,
Der Schild liegt unten auf dem Gras der Auen,
Geöffnet ist so Ring und Panzerkleid.
Er selbst ist fest; kein Hieb hat eingehauen,
Und reichlich hat er heimgezahlt sein Leid.
Der Kopf, der Hals, die Brust des Heiden blieben
Wund, abgesehn von dem, was ich beschrieben.
95.
Den Leib vom eignen Blut befleckt zu sehen,
Macht nun Gradaß besorgt: er faßt entsetzt,
Derweil der Feind vom Kopf bis zu den Zehen
Nach solchen Schlägen heil und unverletzt,
Zweihändig jetzt das Schwert: in Stücke gehen
Meint er, muß Kopf und Hals und Brust, zerfetzt,
Und auf die Stirn – nicht besser konnt' er's hoffen –
Hat er mit halbem Schwert den Feind getroffen.
[277] 96.
Auch mußte dieser Hieb bei andern sitzen,
Den Feind zum Sattel spalten ganz und gar.
Doch, flach geschwungen, konnt er hier nicht ritzen;
Blank blieb das Schwert, so leuchtend wie es war.
Vor Rolands Augen freilich Sterne blitzen:
Der Schlag nahm ihm Bewußtsein um ein Haar,
So daß er Schwert und Zaum gelassen hätte,
Hielte sie nicht am Arme fest die Kette.
97.
Dem Pferd, das hier den Grafen hat getragen,
Wird von dem Schall des grausen Hiebes bang:
Es zeigt jetzt, was es leisten kann im Jagen,
Und flieht das sandige Gestad entlang.
Vom Hieb betäubt, den ihm der Mohr geschlagen,
Lenkt Roland nicht den Zaum; so irrt es lang.
Es würde sicher eingeholt vom Mohren,
Allein der brauchte nicht dazu die Sporen:
98.
Er sah gerad, als er die Blicke wandte,
Den König arg in Not, verloren fast:
Ihm hatte schon der Sohn des Monodante
Mit seiner linken Hand den Helm erfaßt
Und löste vorn die Schnallen Agramante
Und schaffte mit dem Dolch in großer Hast.
Der König wehrt sich schwer nur und beklommen,
Denn aus der Hand ist ihm das Schwert genommen.
99.
Drum schwenkt Gradaß – den Grafen läßt er reiten –,
Dem König dort zu helfen in der Schlacht.
Den Gegner lasse Roland nicht entgleiten,
Meint Brandimart, und hat nicht seiner acht;
Bestrebt, dem Mohr ein Ende zu bereiten,
Gebraucht er seinen Dolch mit aller Macht.
Nun kommt Gradaß, um ihm mit beiden Händen
Den fürchterlichsten Schlag aufs Haupt zu senden.
[278] 100.
O laß zu deinen auserwählten Scharen,
Vater des Himmels, den Getreuen ein,
Der nun, die Segel reffend, nach Gefahren,
Sturmvoller Reise will im Hafen sein!
O Durendal, wie muß dein Herr erfahren,
Durch deine Grausamkeit, so schwere Pein,
Daß ihm durch dich sein Freund getötet werde,
Der liebste, der ihm ward auf dieser Erde?
101.
Den Helm umschloß von Eisen rings ein breiter,
Zwei Finger dicker Ring: der ward durchhaun;
Gespalten durch den mächt'gen Hieb noch weiter
Die Kappe stählern um des Ritters Braun.
Erloschnen Blickes stürzt der Christenstreiter
Jählings herab vom Renner auf die Aun,
Derweil vom Haupt die roten Bäche fließen
Und in den Sand des Bodens sich ergießen.
102.
Der Graf hat sich erholt, schaut in die Runde
Und hat den Ritter auf dem Grund entdeckt;
Der Heide beugt sich auf des Toten Wunde:
Man sieht es wohl, er hat ihn hingestreckt.
War größer Schmerz, war's Zorn? Nicht hab' ich Kunde;
Zum Weinen war die Frist zu kurz gesteckt:
So bleibt der Schmerz, der Zorn entschlüpft behende. –
Doch Zeit ist's nun, daß ich den Sang beende.

[279] Zweiundvierzigster Gesang

1.
Läßt sich ein Eisenband, ein Zügel finden,
Ja, mögen es demantne Ketten sein,
Den Zorn zu Maß und Ordnung festzubinden,
Daß er sich füg' in eine Regel ein,
Wenn du mit Trug siehst, mit Gewalt umwinden,
Wen deine Liebe dir ins Herz hinein
Mit einem starken Schlüssel hat geschlossen,
Und siehst ihn leiden, siehst sein Blut vergossen?
2.
Führt dann der Drang zu grausigem Beginnen,
Daß er entmenschte Rache sich verschafft,
Entschuldigung verdient's: im Herzen drinnen
Hat die Vernunft nicht Zepter mehr noch Kraft.
Achill sah von dem falschen Helme rinnen
Des Freundes Blut: – ihn, der ihn hingerafft,
Zu töten, wollte seine Wut nicht enden:
Er mußt' ihn schleifen auch, er mußt ihn schänden.
3.
Siegreicher Fürst! Solch einen Zorn entfachte
Damals in Eurer Schar der schwere Stein,
Der an der Stirn Euch traf, daß jeder dachte,
Die Seele müsse schon entflohen sein;
Entfachte mächtig: keine Rettung brachte
Dem Feind der Wall mit Graben und Bastein,
Sie fielen allesamt von unsern Hieben,
Daß für die Nachricht keine Boten blieben.
[280] 4.
Der Schmerz, den sie um Euren Fall empfanden,
Trieb Eure Krieger bis zur Raserei.
Bliebt Ihr auf Füßen danach aufrecht, fanden
Vielleicht sich ihre Schwerter minder frei.
Euch war's genug, daß sie nicht widerstanden
So viele Stunden dort in der Bastei,
Als Tage nötig für Granadas Scharen
Und Cordovas, sie wegzunehmen, waren.
5.
Vielleicht gefiel es Gott, es so zu wenden,
Damit nach jenem Wurfe in der Schlacht
Die argen Frevel ihre Sühne fänden,
Die unsre Feinde vor dem Kampf vollbracht,
Als, müd und wund, von ihren Mörderhänden
Der arme Vestidell ward umgebracht,
Er, waffenlos, in hundert Schwerter Mitten
Durch jene Rotte, gottlos und beschnitten!
6.
Ich muß – und damit schließ' ich nun – gestehen,
Daß wohl kein andrer Zorn dem Grimme gleicht,
Der, wenn wir einen Freund mißhandelt sehen,
Genossen oder Herren, uns beschleicht.
Drum ist jetzund auch Roland nicht zu schmähen,
Wenn hier sein Zorn das höchste Maß erreicht,
Als von Gradassos fürchterlichem Streiche
Am Boden liegt der Freund wie eine Leiche.
7.
Wie der Nomadenhirt, – wenn er geschwinde
Die Schlange huschen sieht, zur Flucht gekehrt,
Die grad im Sande seinem lieben Kinde
Mit gift'gem Zahn das Leben hat versehrt, –
Wütend und grimmig schwingt den Stock im Winde,
So schwingt das unvergleichlich scharfe Schwert
Mit wildem Zorn der Ritter von Anglante:
Der erste, den er trifft, ist Agramante,
[281] 8.
Der, blutbedeckt, den Schild entzweigehauen,
Des Schwerts beraubt – los hing der Helm ihm an –
(Die Wunden zähl' ich nicht an Leib und Brauen),
Den Händen Brandimarts gerad entrann,
Ein schwacher Sperber aus des Habichts Klauen,
Zu dem er, dumm und neidisch, flog heran.
Nun kommt der Graf, und mit des Schwertes Schneiden
Trifft er die Stell', wo Kopf und Rumpf sich scheiden.
9.
Frei war der Hals (gelöst der Helm vom Bande),
So daß er glatt ihn durchschnitt wie ein Rohr.
Er fiel; im letzten Zucken auf dem Sande
Lag er, der Libyens Herrscher war zuvor.
Der Geist entwich zur Flut: von ihrem Strande
Zog Charons krummer Haken ihn empor.
Der Paladin verweilt bei ihm nicht weiter,
Und Balisarda sucht den nächsten Streiter.
10.
Als dort Gradaß sah fallen Agramante,
Des Kopfs beraubt durch jenen großen Streich,
Da fühlt' er Furcht, die er noch niemals kannte;
Im Herzen bebend stand er, fahl und bleich.
Und als ihm naht' der Ritter von Anglante,
Scheint er besiegt; sein Schicksal ahnt er gleich.
Von Deckung wagt er Rettung nicht zu hoffen
Und wird vom Todesstreiche frei getroffen,
11.
Getroffen wird er in der rechten Seite
Unter der Rippe: und es ragt der Stahl
Links aus dem Bauch hervor um Spannenbreite,
Und bis zum Griffe spritzt des Blutes Strahl.
Der beste Held – durch alle Erdenweite –
Von allen Kriegern rings in Berg und Tal
Ist er gewiß, dem dieser Fürst erlegen,
Den keiner übertraf der Mohrendegen.
[282] 12.
Doch Roland kann der Sieg nicht freudig stimmen,
Und aus dem Sattel springt er unverweilt,
Worauf, mit nassen Augen und mit grimmen,
Zu Brandimart, dem armen Freund, er eilt.
Er sieht sein teures Haupt im Blute schwimmen;
Der Helm ist ihm wie mit der Axt zerteilt;
Und hätt' ihn eine Rinde sollen schützen,
Sie könnt' ihm wahrlich weniger nicht nützen.
13.
Der Graf löst ihm den Helm und sieht zerhauen
Das Haupt hinunter bis zum Nasenbein,
Gerade mitten zwischen beiden Brauen,
Doch so viel Leben nennt der Wunde sein,
Daß er dem Himmelsherrn sich kann vertrauen
Und vor dem Hingang flehn um sein Verzeihn,
Auch Roland, den in Tränen aufgelösten,
Noch zur Geduld ermahnen und ihn trösten.
14.
»Roland,« so sprach er an des Jenseits Borde,
»O schließe mich, mein Freund, in dein Gebet!
Und laß mich dir empfehlen meine Florde –«
»– lis« wollt' er sagen, doch es war zu spät.
Es tönen weiche himmlische Akkorde,
Wie Engelsstimmen durch die Luft geweht:
Gelöst vom Leibe, unter süßem Reigen
Zum Reiche Gottes geht die Seele steigen.
15.
Zwar freuen sollte Roland sich tiefinnen
So frommen Tods; er weiß, daß Brandimart
Zur Himmelshöh' als Sel'ger ging von hinnen:
Er sah es, wie sie ihm geöffnet ward. –
Doch bei der Schwachheit unsrer Menschensinnen
Erscheint es seinem Herzen allzuhart,
Für immer nun zu missen diesen einen
– Ihm mehr als Bruder –, ohne drum zu weinen.
[283] 16.
Sobrin, dem Bäche Bluts auf Wangen wallen
Und auf die Seite nieder, ist vorher
(Schon eine Weile mag es sein) gefallen
Und hat die Adern nun wohl ziemlich leer.
Nicht recht will's unterm Pferde dort gefallen
Herrn Oliver, er löst das Bein nur schwer;
Es ist verrenkt und von des Tieres Knochen,
Die auf ihm lagen, schon beinah zerbrochen.
17.
Hätte der Schwager nicht sich eingefunden
– Weinend und traurig –, um ihm beizustehn,
Selbst hätt' er nie dem Pferde sich entwunden:
Und solche Qualen hat er auszustehn,
Nachdem er frei ist, – Kraft ist ihm geschwunden,
Sich auf den Fuß zu stützen und zu gehn:
Das Bein ist ihm betäubt; kaum kann er's regen,
Kann ohne Hilfe nicht sich fortbewegen.
18.
Den Grafen macht der Sieg durchaus nicht heiter;
Mit Gram gedenkt er und mit Traurigkeit:
Tot liegt sein Brandimart, der edle Streiter;
Und nun vermehrt der Schwager noch das Leid!
Man fand Sobrin am Boden etwas weiter,
Mit wenig Licht an ihm, viel Dunkelheit:
Zu reichlich hatte sich das Blut ergossen;
Fast war mit ihm das Leben fortgeflossen.
19.
Den Blutbefleckten ließ nun Roland pflegen
Und auch behandeln klug mit Arzenei;
Er bracht' ihm, gütig sprechend, Gunst entgegen,
Nicht anders schier, als ob's ein Vetter sei.
Denn nach der Tat voll Milde war der Degen,
Von allem Groll und Übelwollen frei.
Er nahm den Toten Waffen fort und Rosse;
Was sonst noch übrig war, blieb seinem Trosse.
[284] 20.
Fulgoso will nun Zweifel hier erheben,
Ob wirklich wahr, was ich berichte, sei.
Er hat sich mit der Flotte ja begeben
Zu jedem Orte fast der Berberei.
Er fand das Eiland, sagt er, wenig eben,
Bergig und voll von Klippen mancherlei.
Es sei kein Platz darauf, so möcht' er schätzen,
Wo man den Fuß vermöge hinzusetzen.
21.
Ganz unwahrscheinlich sei's, müss' er bekennen,
Daß sechs erlesne Ritter an dem Ort
Die Pferde ließen aufeinander rennen.
Auf solchen Einwand hab' ich dieses Wort,
Daß wohl ein Platz, der passend war zu nennen,
Damals noch lag am Fuß der Klippe dort,
Erdbeben aber einen Fels bewegten
Und ihn hinunter auf die Stätte legten.
22.
Drum, heller Glanz Fulgosischen Geschlechtes,
Du heitrer, allezeit lebend'ger Strahl,
Sprachst du von mir ob dieser Sache Schlechtes
Und vor dem unbesiegten Herrn zumal,
Durch den dein Land sich wieder freut des Rechtes,
Das Zwietracht fernehält in Berg und Tal,
Dann bitt' ich, sag' ihm doch – sei so gewogen! –
Ich hätte wohl auch hierin nicht gelogen.
23.
Roland sah auf der Meeresflut vom weiten
Ein schönes Fahrzeug nahn, gar leicht und fein:
Das schien in großer Hast daherzugleiten
Und mit dem Kiel just nach dem Inselein.
Wer kam, bleib' eine Weile noch beiseiten,
Es wartet ja schon mehr als einer mein.
Laßt schauen, wie in Frankreich stehn die Sachen;
Ob nach dem Sieg sie weinen oder lachen!
[285] 24.
Wir wollen nach der Treuverliebten fragen,
Die all ihr Glück sah scheiden, ach, so weit;
Ich meine Bradamant, die, unter Klagen,
Den Schwur nun falsch fand, den vor kurzer Zeit
Ihr Roger schwor, und der ans Ohr getragen
Der Christen ward und Heiden beiderseit.
Nun er auch diesen Eid nicht hat gehalten,
Kann Hoffnung keine Schwinge mehr entfalten.
25.
Und Klag' erklingt aufs neu, und Tränen quellen,
Die nun vertraut ihr sind von lange her;
Falsch schilt sie Roger – wie in frühern Fällen –
Und nennt ihr Schicksal gar zu hart und schwer.
Dann läßt sie voll des Schmerzes Segel schwellen:
Das Strafgericht des Himmels säume sehr,
Und ungerechte Langmut sei's und Schwäche,
Wenn es gebrochnen Eid nicht schleunig räche.
26.
Wie sie des Seherspruchs dabei gedachte,
Da wußte sie Melissa wenig Dank,
Die ja mit lügnerischem Rate machte,
Daß sie – zum Tod – im Liebesmeer versank;
Worauf sie ihren Schmerz Marfisa brachte,
Den Bruder treulos nennend: liebeskrank
Weint sie und jammert, läßt nicht ab mit Flehen,
Ihr doch mit Rat und Hilfe beizustehen.
27.
Marfisa zuckt die Achseln, tut am Ende,
Was sie vermag, indem sie tröstend spricht,
Sie glaube nicht, daß er sich von ihr wende;
Gewiß sei schon sein Schritt hierher gericht't.
Doch wenn sie Roger wirklich treulos fände,
So duldete sie solches Unrecht nicht.
Er müsse seinem Eid Erfüllung bringen;
Sonst werde sie durch blut'gen Kampf ihn zwingen.
[286] 28.
So lindert sich ein wenig Schmerz und Bangen:
Wenn man ihm Luft macht, mildert sich der Brand.
Nun wir in Pein und Ängsten sahen hangen
(Und Roger treulos nennen) Bradamant,
Laßt schauen, ob es besser wohl ergangen
Dem Bruder, der mit Puls und Herz und Hand
Und Nerven, Mark und Knochen allzusammen
– Rinaldo mein' ich – glüht von Amors Flammen,
29.
Rinald, dem, ach, die Sinne schier vergingen
– Ihr wißt's – vor Sehnsucht nach Angelika.
Nicht ihre Schönheit zog ihn in die Schlingen,
Der Liebe Zauber war's, durch den's geschah.
Die Paladine gönnten Ruh' den Klingen;
Gebrochen war die Macht der Mohren ja.
Das Schicksal wollt' es, daß in Pein der Liebe
Von allen Siegern er gefangen bliebe.
30.
Er hatte hundert Späher ausgesendet
Und selbst nach ihr gesucht als eigner Bot'
Und sich zuletzt an Malegis gewendet,
Der ihm schon öfter half in seiner Not.
Nachdem er sein Geständnis hat beendet,
Gesenkten Blickes und das Antlitz rot,
So bittet er, daß er ihm Aufschluß gönne,
Wo man Angelika wohl finden könne.
31.
Erstaunt hört Malegis den jungen Degen
Von Lieb' erzählen und von Sehnsuchtsqual:
Hat's in Rinalds Belieben doch gelegen,
Mit ihr im Bett zu sein wohl hundertmal.
Er suchte damals selbst ihn zu bewegen
– Durch Drohen auch –, zu tun nach ihrer Wahl.
Jedoch mit allem, was er unternommen,
War er bei diesem nicht zum Ziel gekommen:
[287] 32.
Und Malegis saß doch im Kerker drinnen,
Und leicht konnt' ihn Rinald damit befrein!
Aus freien Stücken will er's jetzt beginnen,
Da schwierig alles, nutzlos obendrein.
Er möge sich – drängt Malegis – besinnen,
Wie schlecht es war, ihm nicht zur Hand zu sein.
Fast war die Weigrung Malegis' Verderben:
Er konnte leicht im dunklen Kerker sterben.
33.
Allein, je lästiger die Bitten klangen
Des Vetters und je schlechter angebracht,
Nur um so stärkre Zeichen – sah er – drangen
Zu ihm von dieser großen Liebe Macht.
Die Wellen der Vergessenheit verschlangen
Bei Malegis hinab in tiefe Nacht
Erinnerung, des Unrechts Angedenken,
Und er entschloß sich, Beistand ihm zu schenken.
34.
Er nahm sich Frist zur Auskunft, ließ ihn hoffen,
Daß für ihn günstig laute der Bescheid:
Wo nur Angelika werd' angetroffen,
Erfahr' er's wohl, und sei sie noch so weit.
Zur Grotte dann, verborgen hinter schroffen
Felswänden, wo er der Magie sich weiht,
Geht Malegis und ruft zum Dienst als Meister
Mit seinem Zauberbuch die Schar der Geister.
35.
Einen, der wohl erfahren in der Minne,
Wählt er daraus und heißt ihn künden, was
Es mit dem Jüngling sei, den, hart von Sinne
Und hart von Herzen, plötzlich Lieb' erfass',
Und hört: zwei Brunnen geb's; aus einem rinne
Der Liebe Glut und aus dem andern Haß.
Vom Übel eines Quelles aber heile
Stets nur der andre mit dem Gegenteile.
[288] 36.
Vom Wasser – hört' er –, das die Glut vergehen
Macht, nippte einst Rinald am Brunnen hier,
Versagte sich darum dem langen Flehen
Angelikas so hart und grausam schier.
Doch Unstern wollte, Unheil soll' entstehen:
So trank der Ritter liebende Begier
Vorn andern Quell, daß ihm fortan vor allen
Die teuer war, die früher ihm mißfallen.
37.
Derweil nun er, von Mißgeschick getrieben,
Aus eis'gem Bache schlürfte Feuerglut,
Trank sie vom andern Quelle, der das Lieben,
Die süße Regung, raubt mit seiner Flut;
So ferne war sie jetzt von holden Trieben:
Wie eine Schlange haßt sie ihn voll Wut.
Er brannte, dem an Lieb' es eben fehlte,
Nicht minder stark, als erst ihn Groll beseelte.
38.
Ausführlich hat der Geist nun unterrichtet
Vom wunderbaren Fall den Malegis,
Und von Angelika danach berichtet,
Wie sie dem jungen Mohr sich überließ,
Und wie sie dann die Anker hat gelichtet
Und indienwärts ihr Schifflein segeln hieß,
Europa fern, dort auf dem span'schen Meere,
In kühner katalanischer Galeere.
39.
Als drauf der Vetter kam, um nachzufragen,
Da sagte Malegis, er wär' ein Tor,
Lieb' er sie noch; die habe sich betragen
Recht ungeziemend mit dem niedern Mohr;
Auch sei sie jetzt von Frankreich weit verschlagen,
Daß sich beinah schon ihre Spur verlor.
Von ihr und Medor sei vom Frankenlande
Der halbe Weg getan zum Heimatstrande.
[289] 40.
Daß seine Vielgeliebte fortgegangen,
Das hätt' ihn wohl nicht also schwer bedrückt;
Auch schüf' ihm der Gedanke wenig Bangen,
Von fern zu holen, die sein Herz entzückt.
Doch daß ein Mohr konnt' ihre Gunst erlangen,
Daß ihm der Liebe Knospe weggepflückt, –
Das macht sein Herz in solchem Leid erbeben,
Wie er's noch niemals hat gefühlt im Leben.
41.
Nicht fähig einer Antwort ist der Ritter,
Die Lippen zittern wie des Herzens Grund;
Die Zung' ist herb – als tränk' er Gift – und bitter,
Sie stockt; kein Wörtlein bringt hervor der Mund.
Hinweg von Malegis auf einmal schritt er
Und, von der Eifersucht gejagt jetzund,
Mit Kummer und mit Klagen ungeheuern
Zum Morgenland beschloß er hinzusteuern.
42.
Er bat den Kaiser, Urlaub zu gewähren,
Ein Vorwand diente, daß er den bekam:
Er müsse gegen den Gradaß sich wehren,
Der wider Ritterpflicht das Roß ihm nahm;
So zieh' er jetzt des Wegs, ihn zu belehren:
Nie dürf' er prahlen ohne jede Scham,
Er komm' auf einem Streitroß angeritten,
Das er von einem Paladin erstritten.
43.
Voll Trauer ließ es Kaiser Karl geschehen,
Und in die Trauer stimmte Frankreich ein;
Doch mocht' er seinem Wunsch nicht widerstehen,
So wohlbegründet schien er ihm zu sein.
Dudo und Guido wollten mit ihm gehen,
Indes verweigert ward es allen zwein.
Er läßt Paris, allein mit Gram im Herzen,
Und Seufzern viel und großen Liebesschmerzen.
[290] 44.
Er konnte sie vieltausend Male haben,
So führt Erinnerung ihm quälend vor:
Und tausendmal so seltner Schönheit Gaben
Verschmähte trotzig, ach, der blinde Tor.
Statt wonnevoll am Glücke sich zu laben,
Geschah's, daß er die schöne Zeit verlor.
Zu sterben würd' ihn heute nicht verdrießen,
Könnt' er sie einen kurzen Tag genießen.
45.
Und immer sinnt er – Stunden über Stunden –
Wie es geschah, daß solch ein armer Fant
Ihr Lieb' und Schätzung andrer hab' entwunden
Und diese gänzlich ihrem Sinn entschwand.
Also gedankenschwer, im Herzen Wunden,
Macht Herr Rinald sich auf zum Morgenland,
Zum Rhein geschwind, nach Basel zu gelangen,
Bis der Ardennen Wälder ihn umfangen.
46.
Als er so manche Meile war geritten
Hin durch den abenteuerreichen Wald,
Befand er sich in öden Grundes Mitten,
Von Städten fern und Menschenaufenthalt,
Wo vor die Sonne plötzlich Wolken glitten,
Und ganz umdüstert war der Himmel bald;
Aus einer Höhle trat – ihn faßte Grauen –
Ein Ungetüm: war wie ein Weib zu schauen;
47.
Am Kopf hat's tausend Augen ohne Lider,
Kann sie nicht schließen, immer schlummerlos;
Hat tausend Ohren auch; es ringelt nieder
An Haares Statt ein Schwarm von Schlangen groß.
Hervor aus Höllendunkel regt es Glieder
Entsetzenvoll, geht auf den Reiter los.
Ein wilder, mächt'ger Wurm dient ihr zum Schweife
Und schlingt sich um die Brust zu einer Schleife.
[291] 48.
Und nun geschah, was niemals vorgekommen
War bei Rinald in schrecklichster Gefahr:
Als er das Untier sieht zum Angriff kommen
Und auf ihn stürzen mit dem Schlangenhaar,
Macht plötzlich solche Furcht sein Herz beklommen,
Wie sie vielleicht noch nie zu spüren war.
Doch eilt gewohnter Mut sich zu erheben:
Der Ritter schwingt das Schwert, wiewohl mit Beben.
49.
So mächtig ist das Scheusal vorgedrungen,
Daß man erkennt, es ist im Kampf bewährt;
Die Schlange hat sich in die Luft geschwungen,
Bis sie mit Zischen wieder niederfährt.
Von allen Seiten kommt es angesprungen,
Daß er den Hieb verfehlt und schlecht sich wehrt.
Er haut die Quer, haut mit geraden Streichen,
Doch kann er nie das Ungetüm erreichen.
50.
Das Scheusal warf ihm auf die Brust die Schlange,
Daß es wie Eis ihm durch die Adern floß,
Und stieß sie durchs Visier auf Hals und Wange,
Wo das Gewürm nun auf und nieder schoß.
Da wich Rinald des kalten Grausens Drange,
Mit aller Kraft spornt er sein gutes Roß:
Allein die Höllenfurie ist behende
Und schwingt sich hinter ihm aufs Pferd am Ende.
51.
Er reitet kreuz und quer, doch sonder Fehle
Bleibt bei dem Ritter die verwünschte Pest;
Wie er sie loszuwerden auch sich quäle
Und seine, Sporen brauch' aufs allerbest.
Es bebt wie Espenlaub des Jünglings Seele,
Wenn sonst der Wurm auch Schaden unterläßt;
Doch solchen Schauder fühlt er, solches Grauen –
Er kreischt und wünscht das Licht nicht mehr zu schauen.
[292] 52.
Das ärgste Dickicht sucht er, Wüsteneien,
Die trübsten Schluchten und den tiefsten Grund,
Wo schwarz die Luft, die Pfade dornig seien
Und mühevoll und steil durch Klipp' und Schlund.
So hofft er von dem Ding sich zu befreien,
Dem grausigen, das in der Höll' entstund.
Die Sache nähme wohl ein schlechtes Ende,
Wenn Hilfe nicht zur rechten Zeit sich fände.
53.
Von einem Ritter sollte sie ergehen,
Der schön gerüstet kam in lichter Wehr:
Ein Joch, zerbrochen, war am Helm zu sehen;
Um gelben Schild wallt rote Flamme her.
Dieselben Zeichen sind am Kleid zu sehen
Und an des Pferds Schabracke dann noch mehr.
Er naht, den Speer im Arm, das Schwert zur Seiten;
Die Keul' am Sattel blitzt in ferne Weiten.
54.
Ewigen Feuers voll ist dies Gewaffen,
Das immer leuchtet, niemals sich verzehrt.
Kein Schild, kein Harnisch kann sich ihm entraffen,
Kein Helm – wie stark er sei – hat Schutz beschert.
Allübrall muß der Ritter Raum sich schaffen,
Wohin er nur die ew'ge Leuchte kehrt.
Und keiner andern Rettung aus den Klauen
Des Ungetüms kann sich der Held vertrauen.
55.
Als echter Ritter, wo der Lärm erklungen,
Da sprengt der Fremde hin ohn' Aufenthalt
Und sieht: von Knoten tausendfach umschlungen
Ist von dem Schlangenscheusal Herr Rinald.
Denn loszukommen war ihm nicht gelungen,
Und immer wechselnd ward ihm heiß und kalt.
Der Ritter kommt und sticht und macht zur Linken
Vom Pferd das arge Scheusal niedersinken.
[293] 56.
Doch kaum gestürzt, hat es sich schon erhoben
Und schwingt und dreht die große Schlang' im Kreis.
Der andre hat den Speerstoß aufgeschoben
Und macht dem Untier mit dem Feuer heiß:
Da, wo die Schlange zischt, da fliegt der Kloben,
Und Schlag um Schlag! Man meint, ein Hagel sei's.
Der Bestie fehlt die Zeit, um aufzuspringen:
Kein Hieb – ob gut, ob schlecht – will ihr gelingen.
57.
Das Untier haltend oder jagend (Schläge
Rächen des Scheusals Frevel ohne Zahl),
Rät er Rinald, zu fliehen auf dem Wege,
Der in die Höhe führ' hinauf vom Tal.
Gehorsam eilt der fort auf jenem Stege
Und blickt auch nicht zurück ein einzigmal,
Bis er entschwindet dem Gesicht der Schlimmen,
Ist auch der Berg gar mühsam zu erklimmen.
58.
Nachdem zum dunklen Höllenloch der Ritter
Das arge Scheusal hat zurückgejagt
(Aus tausend Augen weint und klagt es bitter,
Derweil es sich zerfleischt und sich zernagt),
Galt es, Rinaldo führen: weiter ritt er;
Er folgt ihm nach, hin, wo die Höhe ragt,
Zur Bergesspitz' hinauf ihn zu begleiten
Und aus der Finsternis herauszuleiten.
59.
Als wieder die zwei Herrn zusammenkamen,
Da schwur Rinald dem Retter Dankbarkeit:
Die werde, sagt' er, nimmermehr erlahmen,
Sein Leben geb' er ihm zu jeder Zeit.
Dann fragt' er höflich nach des Ritters Namen,
Zu wissen, wer ihn aus der Not befreit;
Damit er aller Welt den Helden weise,
Zumal Herrn Karl, und seine Güte preise.
[294] 60.
Der Ritter sprach: »Mög' es dir nicht mißfallen,
Verschweig' ich meinen Namen noch jetzund:
Eh einen Schritt die Schatten länger fallen,
Und bald wird das geschehn, mach' ich ihn kund.«
Dann sehn sie eines Bächleins Fluten wallen,
Es murmelt, lockt die Schäfer in der Rund'
Und Wandrer, wenn die müden Glieder sinken,
Vergessenheit der Liebe dort zu trinken.
61.
Hier war es, Herr, daß kalt die Fluten flossen,
Die jeder Lieb' entreißen die Gewalt.
Der Haß Angelikas war da entsprossen:
Sie trank – und fühlte Abscheu vor Rinald.
Und hatt' auch ihn das Fräulein erst verdrossen,
Und nahm sein Haß so mächtige Gestalt,
So trugen alle Schuld nur diese Wogen:
Aus ihnen hatt' er seinen Haß gesogen.
62.
Er, dem's gefiel, den Jüngling zu begleiten,
Sprach, angelangt an jener klaren Flut
(Müd von der Hitze, hielt er an im Reiten):
»Ein wenig Rasten keinen Schaden tut.«
»Nein,« sprach Rinald, »nur Gutes kann's bereiten:
Es drückt ja nicht allein des Mittags Glut;
Auch das Gespenst hat arg mich mitgenommen,
Da wäre Rast mir lieb und hochwillkommen.«
63.
Das Paar steigt ab und läßt die Renner weiden
Nach Herzenslust im Walde dichtbelaubt.
Im Hag, den Blumen rot und gelb umkleiden,
Da nehmen beide ihren Helm vom Haupt.
Nun will Rinald nicht länger Durst erleiden:
Er geht zum Quell und trinkt – und eh er's glaubt,
Hat ihm ein Schluck aus jenen kalten Fluten
Den Durst verjagt und aus der Brust die Gluten.
[295] 64.
Als ihn der fremde Held sah aufgestanden
(Rinald zog seinen Mund vom Wasser dort,
Und Liebeswahn und tolles Sehnen schwanden
Aus reuigem Gemüte gänzlich fort),
Da reckt' er sich, und strengen Ausdruck fanden
Die Blicke, und der Mund sprach dieses Wort:
»Der Männerstolz, Rinald, bin ich geheißen
Und kam, unwürd'gem Joch dich zu entreißen.«
65.
Er spricht's und ist im Augenblick verschwunden,
Zu gleicher Zeit verschwunden auch das Roß.
Ein Wunder ward es von Rinald befunden:
Er blickt umher: »Ob er in Luft zerfloß?«
Und weiß nicht, hat ihn Gaukelwerk umwunden
Des Malegis, der seinem Dienertroß
Vielleicht gebot, die Ketten zu zerspalten,
Die ihn umstrickt so lange Zeit gehalten?
66.
Schickte den Engel ihm der Weltenmeister,
Wie ihn Tobias seine gnäd'ge Hand
In großer Güte, um den zähen Kleister
Vom blinden Aug' zu nehmen, hat gesandt? –
Doch seien's gute, seien's schlimme Geister,
Durch wen er immer seine Freiheit fand,
Dem zollt er Lob und Dank; ihm ganz allein ist
Zu danken, daß er frei von Liebespein ist.
67.
Aufs neu ist ihm Angelika zuwider,
Und gänzlich unwert deucht sie ihm zu sein,
Er regt für sie nicht länger seine Glieder,
Geschweige weithin, nein, kein Stündelein.
Bloß seinen Bajard hätt' er gerne wieder:
So zieht es ihn nach Indien doch hinein,
Wozu ihn jetzt die Ehre noch verpflichtet;
Auch hat er ja dem Kaiser so berichtet.
[296] 68.
Tags drauf kam er nach Basel, wo zur Stunde
Die Nachricht von dem Kampfe war bekannt,
Den Roland sollte, mit noch zwein im Bunde,
Gegen Gradaß bestehn und Agramant.
Ins Frankenland gelangte diese Kunde
Nicht etwa durch den Ritter von Anglant;
Ein Mann war, der sie aus Sizilien brachte,
Und eiligst mit dem Schiff die Reise machte.
69.
Rinald sieht sich entfernt von jener Stätte
Und nähme gerne doch am Kampfe teil:
Er wechselt Pferd und Führer um die Wette
Und treibt und spornt und peitscht sein Tier zur Eil'.
Es geht nach Konstanz; von des Rheines Bette
Hin nach Italien über Alpen steil,
Verona und dann Mantua vorüber
Zum Po, und in der größten Hast hinüber.
70.
Die Dämmerungen lagen auf der Gegend,
Am Himmel stieg das erste Sternlein auf,
Da stand Rinald am Ufer, überlegend,
Ob er ein Pferd sich satteln soll zum Lauf,
Ob bleiben, bis, die Nacht zur Flucht bewegend,
Die schöne Eos wieder steig' herauf:
Und einen Ritter sah er vor sich stehen,
Edel von Wesen, männlich anzusehen.
71.
Der grüßt, und höflich stellt er drauf die Frage,
Ob einem Weib er wohl verbunden sei.
»Ja,« sprach Rinald, »das Ehejoch ich trage«;
Ein wenig wundert er sich wohl dabei.
Sprach der: »Mich freut es, daß ich's offen sage.«
Und weiter, zu erklären mancherlei,
Sagt er: »Ich bitte, wolle dich bequemen,
Für diese Nacht Quartier bei mir zu nehmen!
[297] 72.
Was jeder, der ein Weib hat an der Seiten,
Gern sehen sollte, laß ich gleich dich schaun.«
Rinald, teils weil er müd vom langen Reiten,
Sich wohl der Ruhe möchte anvertraun,
Teils, weil ihm Abenteuer Lust bereiten
Und ihn zu allen Zeiten recht erbaun,
Ist – willig zu willfahren dem Verlangen –
Auf neuem Pfad dem Ritter nachgegangen.
73.
Nach Pfeilschußweite war ein Weg: sie wandten
Sich seitwärts, kamen bald zu einem Schloß,
Wo zum Empfange viele Knappen rannten,
Mit Fackeln, draus ein Lichtstrom sich ergoß.
Rinald sah drinnen, als die Fackeln brannten,
Pracht, wie er nur noch selten sie genoß:
Ein hoher Bau mit Räumen, schönen, weiten –
Und ein Privatmann könnt' es kaum bestreiten.
74.
Porphyr und harter Serpentin, sie fügen
Zum Prunkgewölb' sich bei der Pforte gleich.
Figuren an der ehrnen Tür – als trügen
Die Bilder Leben, regten sich sogleich! –
Am Bogen hin läßt sich der Blick betrügen
Durch Mosaik, erlesen, schön und reich.
Ein Viereck folgt; darum sind Hallengänge,
Jeder hat hundert Ellen in der Länge.
75.
Ihr eignes Tor hat jede solche Halle;
Ein Halbrund geht von ihr nach diesem Tor.
Gleich ist der Umfang, doch in jedem Falle
Der Meister andres Schmuckwerk sich erkor.
Nach oben führen hin die Bogen alle,
Und so bequem: ein Lasttier stieg' empor.
Auf jeder Trepp' ist solch ein Halbrund oben
Als Eingang jedem Saale vorgeschoben.
[298] 76.
Die Bogen oben aus der Linie ragen
So weit, dem großen Tor ein Dach zu sein.
Und je zwei Säulen einen Bogen tragen,
Aus Erz zum Teil, zum Teil aus starkem Stein.
Zu lange würd' es währen, wollt' ich sagen,
Wieviel Gemächer waren, schmuck und fein,
Und was, wohin das Auge nicht kann schauen,
Der Meister unten noch verstand zu bauen.
77.
Die Säulen mit den goldnen Kapitälen,
Darauf juwelenreich die Decke ruht,
Aus fremdem Marmor Statuen in den Sälen,
Kunstreich geformt von hohen Meistern gut,
Und Bilder viel und Bronzen nicht zu zählen
(Wiewohl dem Blick das Dunkel Abbruch tut).
Zusammen einen solchen Reichtum zeigen –
Zwei Königen ist solcher Schatz nicht eigen.
78.
Noch herrlicher als diese Kostbarkeiten
Und was im Saale sich noch sonst befand,
Ein Brunnen war: der goß nach allen Seiten
Quellfrische Flut bis an des Beckens Rand.
Auf diesem Platz ging man den Tisch bereiten,
Weil er sich in der Mitte grad befand:
Vier Tore sah man – und man ward gesehen –
Von hier: so reichlich war das Schloß versehen.
79.
Von hochgelehrtem Meister klug ersonnen
Und kunstvoll und mit vieler Müh' vollbracht
In Zeltes Art, stand hier der schöne Bronnen,
Schattig und kühl, geteilt in Felder acht.
Ein goldner Himmel, fein, wie übersponnen
Mit buntem Schmelze, hielt ihn überdacht:
Aus weißem Marmor sah man acht Gestalten,
Von deren linker Hand er ward gehalten.
[299] 80.
Füllhörner sieht man in den rechten Händen
(So wollt' es klug des Meisters hoher Sinn):
Dort in das Alabasterbecken senden
Sie murmelnd frische Wasserfluten hin.
Kunstvoll gestaltet ist aus Pfeilerwänden
Stets eine hohe Frau und Herrscherin.
Verschieden an Gewändern wohl und Mienen,
Doch alle gleich an Huld und Schönheit schienen.
81.
Zwei Statuen je (auf ihren Schultern stehen
Fraunbilder) sind darunter angebracht
Und lassen durch den offnen Mund ersehen,
Daß ihnen Sang, Musik Vergnügen macht,
Und daß ihr Wunsch und Werk darin bestehen,
Zu preisen jener Damen Huld und Macht,
Dem Dienst der edlen Frauen ganz ergeben,
Wenn jeder wäre, was er scheint, im Leben.
82.
Die unteren Figuren alle halten
Beschriebne Rollen, mächtig groß und breit:
Es scheint, daß sie die ganze Kraft entfalten,
Zu loben ihre Damen allezeit.
Sie zeigen auf die Namen der Gestalten,
Die man dort liest in aller Deutlichkeit.
Rinald kann bei den Fackeln gut erkennen,
Wie sich die Damen und die Ritter nennen.
83.
Die erste Inschrift nennt mit hohen Ehren
Lucrezia Borgia, ruhmvoll überaus,
Die Romas alten Glanz noch weiß zu mehren
Und über jene erste ragt hinaus.
Die beiden, die sie preisend hoch verehren
(Sie machen Pflicht und Ehre sich daraus),
Als Tebaldeo, Strozzi hier genannt sind
Und einem Orpheus, Linus nah verwandt sind.
[300] 84.
Nicht minder schön erscheint an zweiter Stelle
Ein andres Standbild, und die Inschrift heißt:
»Ercoles Tochter ist es, Isabelle.
Daß wir sie unser nennen, höher preist
Dies einst Ferrara in des Glückes Helle,
Als was ihm das Geschick noch sonst erweist
An Gunst – so weit die holden Jahre rollen –
Mit reichen Gaben und verheißungsvollen.«
85.
Die zwei dort – die voll heller Freude scheinen,
Daß ihren Ruhm die weite Erde find' –
(Der Name Gian Jacob wird sie vereinen),
Calandra und Herr Bardellone sind.
An dritter und an vierter Stell' erscheinen,
Wo rasch das Wasser aus dem Zelte rinnt,
Zwei Damen, denen gleicher Stamm beschert ist;
Und gleich auch Heimat, Schönheit, Ehr' und Wert ist
86.
Beiden, Elisabeth und Leonoren;
Der Mantostadt – so meldet dort der Stein –
Ist auch dies Paar zu solchem Ruhm erkoren
Und wird durch sie so hoch gefeiert sein,
Daß nicht Vergil den Mauern dort und Toren
Vermöchte größre Glorie zu verleihn.
Am Saum der Erstgenannten sind zu sehen
Bembo und Sadolet, die huld'gend stehen.
87.
Arelio mit dem feinen Castiglione
Als Träger unterm Fuß der andern stand.
Man rühmt sie jetzt als hoher Weisheit Krone;
Doch damals waren sie noch nicht bekannt.
Nun kam die Dame, der vom Himmelsthrone
Gott solche Tugend gibt: in keinem Land,
Ob es nun Glück mag oder Unglück kennen,
Ist eine zweite neben ihr zu nennen.
[301] 88.
Lucrezia Bentivoglio nennt zu Füßen
Die Goldschrift; bei dem Lob, das man ihr beut,
Heißt es, daß, sie als Tochter zu begrüßen,
Sich einst der Herzog von Ferrara freut.
Camill singt ihr mit Tönen, hellen, süßen: –
Am Reno, in Felsina, da erneut
Sich Staunen, so, wie einst am Uferhange
Amphrysus lauschte jenes Schäfers Sange –
89.
Mit ihm ein andrer: Ruhm dem Lande bringen
Soll er, wo der Isaur wird salzesschwer –
Zum Inder und zum Mohren wird er dringen
Vom Südgestade nach des Nordens Meer
Und heller als das Gold des Römers klingen,
Von dem der ew'ge Name rührte her, –
Dich mein' ich, Postumo, den ehrenreichen,
Dem Pallas mit Apoll den Kranz wird reichen.
90.
Als nächste sieht Diana man erscheinen.
Stoßt euch nicht dran – die Schrift des Marmors spricht's –,
Daß stolz sie dreinschaut; denn in ihr vereinen
Sich mildes Herz und Schönheit des Gesichts.
Durch Celio Calcagnin ertönt – und seinen
Gesang – ihr Name bis zum Land des Lichts,
Zum Reiche des Monäses und des Juba;
Indien und Spanien hören seine Tuba
91.
Und des Cavall, der eine Musenquelle
Entspringen läßt dort bei Ancona dicht,
Wie Pegasus an jener Bergesstelle
(Am Helikon? – Parnaß? – ich weiß es nicht).
Beatrix drauf erhebt die Stirn, die helle,
Und folgendes von ihr die Inschrift spricht:
»Sie wird das Glück des Gatten sein im Leben,
Nach ihrem Tod ihn an das Unglück geben,
[302] 92.
Ihn und Italien: denn verlorengehen
Wird's ohne sie; mit ihr es triumphiert.«
Den von Correggio kann man drunter sehen,
Der einen Hymnus hohen Stils studiert.
Timotheus scheint diesem beizustehen,
Er, der das Haus der Bendedei ziert.
Den Strom, wo einst des Ambra Tropfen quollen,
Der beiden süße Lieder fesseln wollen.
93.
Zwischen der ersten dieser edlen Frauen,
Der Borgia, wie gesagt, und dieser hier
In Alabaster schön ist ausgehauen
Ein Frauenbild, erhaben scheint es dir.
Im Schleier nur und schwarzen Kleid zu schauen,
Ohne Juwelen, ohne goldne Zier,
Strahlt unter den Geschmückten diese eine,
Wie Venus strahlt bei andrer Sterne Scheine.
94.
Wer sie so recht betrachtet, muß sich fragen,
Ob Anmut mehr, ob Schönheit uns erbaut:
Ob höher Geist und Seelenadel ragen,
Ob Hoheit holder auf uns niederschaut.
»Wer« – heißt's am Stein – »von dieser Frau zu sagen
Das, was ihr wohl gebührte, sich getraut,
Der hat das Höchste, traun, sich vorgenommen,
Doch wird er nie damit zu Ende kommen.«
95.
Wie sehr auch immer Huld und Anmut eigen
Dem edelschönen, wohlgeformten Stein,
Scheint er doch Unmut ob des Sangs zu zeigen,
Den einer anstimmt, ach, mit Stümperein
(Kein zweiter Sänger führt mit ihm den Reigen,
Weiß nicht, warum); er trägt das Bild allein.
Der Name war bei allen sonst geschrieben,
Und ungenannt nur diese beiden blieben.
[303] 96.
Umringt von diesen Bildern, mit Korallen
Gepflastert, schlingt sich, trocken, dort ein Rund,
Wo lieblich Kühle weht; denn frisch, kristallen
Ergießt die Flut sich aus der Röhren Mund,
Um fruchtbar draußen als ein Bach zu fallen
Auf eine Wiesenau, von Blumen bunt,
Wohin noch Rinnen kühles Wasser schicken
Und durstiges Gesträuch und Gras erquicken.
97.
Mit seinem art'gen Wirte saß beim Essen
Plaudernd der Paladin; von Zeit zu Zeit
Ermahnt er ihn, doch ja nicht zu vergessen,
Den er ihm geben wollte, den Bescheid.
Allein des Wirtes Seele schien zu pressen –
Aufblickend sah er das – ein großes Leid:
Ein tiefer Seufzer aus des Herzens Grunde
Stieg jeden Augenblick herauf zum Munde.
98.
Oft kam der Laut, getrieben von Verlangen,
Rinald zu fragen, an des Ritters Ohr;
Doch weiter ließ die Scheu ihn nicht gelangen,
Und wieder schloß sich seiner Rede Tor.
Da setzt, nachdem die Mahlzeit hingegangen,
Ein Junker, den der Herr zum Dienst erkor,
Hin auf den Tisch ein Trinkgefäß, ein feines,
Mit Steinen außen, drin voll edlen Weines.
99.
Lächelnd und mit verlegenem Gebaren
Der Wirt dem fremden Gast ins Auge sah:
Wer acht gab, konnte leicht dabei gewahren,
Ihm war das Weinen mehr als Lachen nah.
Er sprach: »Du sollst, woran du mahnst, erfahren:
Die Zeit dafür, so scheint mir, ist nun da.
Sogleich erblickst du eine Musterprobe,
Die wert ist, daß ein Ehemann sie lobe.
[304] 100.
Ich bin der Meinung: jeder Ehmann achte
Auf seiner Gattin Liebe; ob am End'
Sie Tadel, ob sie eitel Ehr' ihm brachte;
Ob man ein Tier ihn oder Menschen nennt.
Man trägt die Hörnerlast gar leicht und sachte,
Wenn auch die Welt nicht größre Schande kennt.
Fast alle Leute sehn die Hörner ragen,
Nur die nicht, die sie auf dem Haupte tragen.
101.
Wem treu die Gattin war zu allen Stunden,
Der hat zu Lieb' und Ehre Grund fürwahr,
Mehr als, wer seine Gattin schlecht befunden,
Und einer, der darob in Zweifel war.
Der Gatte schlug gar manchem Weibe Wunden
Durch Eifersucht, das treu war immerdar.
Und mancher geht des Weges stillzufrieden,
Dem dauerhafte Hörner sind beschieden.
102.
Willst du, ob treu dein Weib ist, nun erfahren –
Du glaubst es, glaub' ich, wie du's glauben mußt,
Denn ohne Nachweis (dieses liegt im klaren)
Gewährt ein andrer Glaube wenig Lust –
Kannst du der andern Zeugnis dir ersparen:
Ein Schluck aus diesem Krug macht dir's bewußt!
Nur darum ließ ich auf den Tisch ihn stellen,
Um, was ich dir versprach, nun aufzuhellen.
103.
Trinkst du, wird sich ein großes Wunder zeigen:
Trägst du die Helmeszier von Cornewall,
Kann nach dem Gaumen nicht ein Tropfen steigen:
Der Wein verspritzt sich auf dem Busen all.
Du trinkst ihn, wenn ein treues Weib dein eigen.
Wohlan, so prüfe: was ist nun dein Fall?« –
Er spricht's und schaut gespannt, zu sehn entschlossen,
Daß sich der Wein hab' auf die Brust ergossen.
[305] 104.
Als such' er schleunigst, was ihm nach dem Nippen
Am Ende sehr gereut, will Haimons Sohn
Die Probe machen, und an seine Lippen
Führt er das Krüglein, das gepackte, schon:
Da denkt er plötzlich, was für böse Klippen,
Wenn er vom Weine trinke, hier ihm drohn. –
Doch laßt mich, Herr, ein wenig Ruhe pflegen:
Nehmt dann Rinalds Erwiderung entgegen!

[306] Dreiundvierzigster Gesang

1.
Verruchter Geiz! O Hunger, zu erwerben!
Mich wundert's wenig, daß gemeiner Sinn
(Bei dem bricht alles Gute ja in Scherben)
Gefangen bleibt in deinen Netzen drin:
Doch reißt der gleiche Strick auch zum Verderben,
Der gleiche Griff der Klaue einen hin,
Den man, wenn er nur dir entgangen wäre,
Von hohem Geiste nennte, wert der Ehre.
2.
Der hat den Himmel, Erd' und Meer gemessen,
Kennt der Natur Gesetze groß und klein,
Darf alles zu erklären sich vermessen
Und blickt dem Herrgott in die Brust hinein –
Und weil dein Giftzahn ihn hat angefressen,
Läßt er's sein heißestes Bestreben sein,
Gold anzuhäufen; dieses zu gewinnen,
Ist Hoffnung ihm und Heil, ist all sein Sinnen.
3.
Der schlug aufs Haupt der Feinde Kriegesbanden,
Bis er im Tor genommner Städt' erschien;
Wenn sie die tapfre Brust als erste fanden
Beim Sturm, so sah man auch als Letzten ihn: –
Du hältst ihn fest in deinen dunklen Banden;
Dir kann er – bis zum Tod – sich nicht entziehn.
In Kunst und Studien nimmst du andern Ehren,
Die ohne dich berühmt, gefeiert wären.
[307] 4.
Was soll ich von den hohen Damen sagen,
Die wackerm Freunde, schönem, treuem Mann,
Und seinem langen Dienste sich versagen,
Wie Marmor hart, in ihrer Spröde Bann?
Da naht der Geiz: – welch anderes Betragen!
O seht nur: wie verzaubert sind sie dann,
Und plötzlich, ohne Liebe (soll man's glauben?)
Darf sie ein Greis, ein Fratz, ein Untier rauben.
5.
Beklag' ich mich, so hab' ich meine Gründe
(Versteh's, wer kann; ich selbst verstehe mich).
Was ich mir vorgenommen habe, künde
Ich auch, vergess' es niemals freventlich.
Doch daß der Strom nicht bei Vergangnem münde!
Was noch zu sagen, daran gehe ich.
Wir wollen hin zum Paladin uns wenden,
Der dastand, mit dem Weinkrug in den Händen.
6.
Ich sagte, sinnend stand er eine Weile,
Eh er zum Munde hob den Krug empor.
Dann sprach er: »Wer da suchen geht in Eile,
Was er nicht finden will, der ist ein Tor.
Mein Weib ist Weib, und Schwachheit ward zuteile
Jedweder; laß mich glauben wie zuvor!
Bis jetzt ist mir mein Glaube gut bekommen:
Was kann mir weiter noch die Probe frommen?
7.
Verlieren kann ich viel und nichts gewinnen;
Versuch' ich Gott, am Ende sagt er nein.
Ob töricht sei, ob weise mein Beginnen,
Genügend ist mir Wissen, das schon mein.
So nehme man den Weinkrug nur von hinnen,
Ich bin nicht durstig, will es auch nicht sein.
Gewißheit hat uns Gott nicht geben wollen,
Wie Adam nicht vom Baum hat essen sollen.
[308] 8.
Dieweil er in den Apfel einst gebissen,
Was Gott mit eignem Munde untersagt,
Hat er, aus Seligkeit in Leid gerissen,
Sich immerfort im Elend nur geplagt.
So fällt aus Fröhlichkeit, wer alles wissen
Will von der Frau, was sie getan – gesagt,
Heraus, um sich in Leid und Weh zu finden;
Und nimmermehr kann er empor sich winden.«
9.
So hört den Paladin, den wackern, sprechen
(Rinald stieß jenen argen Becher fort),
Und laut beginnt in Tränen auszubrechen,
Der hier gebeut an diesem schönen Ort.
Etwas erholt sodann von seinen Schwächen,
Spricht er: »Oh, daß ich folgte jenem Wort
Und, ach, der bösen Probe war beflissen,
Die mein geliebtes Weib mir hat entrissen!
10.
Was kannt' ich nicht, um Rat dich zu befragen,
Dich in den Jahren, die vergangen sind,
Eh noch begonnen hatten Leid und Klagen,
Der Tränenstrom, durch den ich fast schon blind!
Ich will vor dir des Schleiers mich entschlagen,
Damit dein Mitleid meinen Jammer find';
Ursach und ersten Anfang sollst du kennen
Der Qual, die ohnegleichen ist zu nennen.
11.
Dort oben hast du eine Stadt gelassen,
Ein Fluß umschließt sie wie ein Landsee klar;
Der wächst und läßt sich dann vom Po umfassen;
Sein Ursprung stellt sich im Benacus dar.
Die Stadt entstand, nachdem in Trümmermassen
Gestürzt des Kadmus Drachenmauer war,
Zur Welt dort kam ich, arm an Erdengute,
In niederm Dach, wenngleich aus edlem Blute.
[309] 12.
Ließ so das Glück den Reichtum mich entbehren,
Ward mir Ersatz durch die Natur gebracht:
Sie wollt' erlesne Schönheit mir bescheren,
Und manche Liebesglut hab' ich entfacht,
Sah Fraun und Mädchen sich um mich verzehren
In meiner Jugendzeit; ich war bedacht
(Mag man auch Eigenlob befremdlich finden),
Damit ein artig Wesen zu verbinden.
13.
Es lebt in unsrer Stadt, gelehrt, erfahren
Gar sehr in jeder Kunst, ein weiser Mann;
Gelangt zu hundertachtundzwanzig Jahren
War er, als seine Lebensfrist verrann.
Der wußte streng und einsam sich zu wahren,
Bis ihn zuletzt der Liebe Netz umspann:
Er hat – durch Geld – sich seine Frau erkoren;
Ein Töchterlein ward heimlich ihm geboren.
14.
Damit das Kind nicht seiner Mutter gleiche –
Sie gab die Ehre hin um schnödes Geld,
Die doch ein höhres Gut, als was die reiche
Erde ringsum an blankem Gold enthält –,
Bestimmt er, in die Einsamkeit entweiche
Das Kind, den Menschen fern; auf ödem Feld
Baut er dies schöne Schloß, um drin zu wohnen,
Durch Zauberkunst ihm dienender Dämonen.
15.
In Obhut züchtiger und alter Frauen
Zu großer Schönheit wuchs das Kind empor.
Niemals bekam sie einen Mann zu schauen,
Kein Wort, das einem Mann galt, traf ihr Ohr.
Um sie nur gutem Beispiel zu vertrauen,
Ließ er die keuschen Damen, die das Tor
Des Herzens schlossen vor verbotnen Dingen,
In Stein und Farben ihr vor Augen bringen.
[310] 16.
Nicht bloß, die, aller Tugend zugewendet,
Dem grauen Altertume Glanz verleihn
Und deren Ruhm der Keuschheit nimmer endet,
Weil die Autoren ihr Bewundrung weihn, –
Auch die ein gutes Schicksal später sendet,
Durch reinen Sinn Italiens Schmuck zu sein,
Gab er, mit ihren Zügen, dieser Stelle,
Wie deren acht du sahst schon an der Quelle.
17.
Als drauf das Mädchen reif erschien dem Alten,
Daß ihre Frucht gehöre rechtem Mann,
Ward ich vor allen ihrer wert gehalten.
(War's Glück, war's Unglück, daß ich sie gewann?)
Als Mitgift hab' ich den Palast erhalten,
Den herrlichen, fischreiche Seen und dann
Noch Länderein, neun Stunden in der Runde;
Das alles gab er mir beim Ehebunde.
18.
Sie war so hold, so lieblich anzusehen
(Unmöglich schien da Sehnsucht nach noch mehr!),
Im Sticken äußerst kundig und im Nähen,
Als ob es Göttin Pallas selber wär'.
O hört sie singen, seht das Kind nur gehen!
Ein Engel sang, ein Engel schritt daher!
Auch in die Künste war sie eingedrungen:
Fast wie dem Vater war es ihr gelungen.
19.
Ward sie voll Geist und Schönheit, ach, befunden
(Ein Stein ja würde weich und mild bei ihr),
Hat sich damit noch Süßigkeit verbunden, –
Denk' ich daran, mich übermannt es schier!
Die größte Lust war ihr zu allen Stunden,
Bei mir zu sein, zu stehn, zu gehn mit mir.
So lebten wir, ohn einmal uns zu streiten;
Streit gab's – durch mich – genug in spätern Zeiten.
[311] 20.
Nachdem ihr Vater war dahingegangen
In meiner Ehebande sechstem Jahr,
Beeilten sich die Leiden anzufangen,
Die noch ich fühle. Höre, wie es war!
Als Liebe zu der Holden mich umfangen
Hielt mit den starken Flügeln ganz und gar,
Stand eine von den edlen Fraun im Lande
Von heißer Leidenschaft für mich im Brande.
21.
Die kennt so viel von Spuk und Zaubersachen,
Wie es die größte Hexe mag verstehn:
Kann schwarz den Tag und hell das Dunkel machen,
Hält fest die Sonne, läßt die Erde gehn;
Doch kann sie nicht die Lust in mir entfachen,
In dieser Liebespein ihr beizustehn.
Unmöglich war es, Heilung ihr zu schenken,
Ohne mein liebes Weib zu sehr zu kränken.
22.
Nicht weil ich sie als hübsch und niedlich kannte,
Nicht weil ich sah der großen Liebe Spur,
Nicht weil sie alle Lockungen verwandte,
Mich mit Versprechung drängend stets und Schwur,
Blieb ich bei meiner ersten Glut, entwandte
Für jene nichts, auch nicht ein Fünkchen nur,
Weil, daß ich treu die liebe Gattin wußte,
Mich von der andern stets entfernen mußte.
23.
Bei dieser Hoffnung, Sicherheit und diesen
Gefühlen für die treue gute Frau
Hätt' ich der Leda Tochter abgewiesen,
Trotz ihrer Herrlichkeit, mit fester Brau,
Und was als Lohn dem Hirten ward gewiesen –
Macht und Verstand – auf Idas Bergesau.
Doch, mocht' ich mich als treu und fest entdecken,
Umsonst war alles, jene abzuschrecken.
[312] 24.
Sie trifft mich eines Tags in Waldgehegen
(Melissa heißt die böße Zauberin)
Und kann in Muße sprechen; aufzuregen
Aus seinem Frieden weiß sie meinen Sinn,
Die Saat des Mißtrauns mir ins Herz zu legen;
Mein gläubiges Vertrauen geht dahin.
Sie lobt die gute Absicht dort aufs neue,
Ihr treu zu sein, die mir bewahre Treue.
25.
›Nur, daß sie treu sei, kannst du ja nicht sagen,
Solang es einer Probe noch gebricht.
Erst, wenn Versuchung ward zurückgeschlagen,
Weiß man, daß sie bei Ehre blieb und Pflicht.
Doch, darf sie nicht allein vors Haus sich wagen,
Und zeigt kein andrer Mann ihr sein Gesicht,
Wie kannst du glauben und es kühn bekennen,
Sie sei untadelhaft und rein zu nennen?
26.
Geh fort einmal, und daß du fortgeritten,
Laß es erzählen rings in Stadt und Land:
Sie sei allein mit ihren guten Sitten!
Gib Boten und Verliebten freie Hand!
Und bleibt sie, den Geschenken und den Bitten
Trotz bietend, fest in ihrem Widerstand,
Da sie doch sünd'gen kann verstohlner Weise,
Dann ist es Zeit, daß man sie rühm' und preise.‹
27.
So bohrt die Zauberin, bohrt ohne Ende,
Bis ich zuletzt erklär', es sei mir recht,
Daß eine Probe die Entscheidung sende,
Ob meiner Gattin Tugend gut und echt.
Gesetzt den Fall, so sagt' ich, daß man fände,
Was jetzt zu glauben häßlich sei und schlecht,
Wodurch erlang' ich denn die rechte Probe,
Ob ich sie strafen soll, ob ich sie lobe?
[313] 28.
Sie sprach: ›Ich will dir zur Verfügung stellen
Ein Trinkgefäß, mit Wunderkraft bedacht.
Morgana hat's, den Fehler aufzuhellen
Ginevras, für den Bruder einst gemacht.
Wes Gattin keusch ist, trinkt des Weines Wellen;
Nicht, wem die Gattin ward zu Fall gebracht.
Er kann den Krug nur an die Lippen führen:
Der Wein bleibt draußen, wird die Brust berühren.
29.
Erprobe nun den Krug noch vor der Reise:
Der Wein wird ganz gewiß hinuntergehn;
Denn rein ist noch dein Weib in jeder Weise.
Ich glaub' es gern; allein du wirst ja sehn.
Ob er sich nach der Rückkehr so erweise,
Ob anders, dafür wag' ich nicht zu stehn.
Man muß, vermagst du trinkend dich zu letzen,
Dich als den glücklichsten der Gatten schätzen.‹
30.
Sie reicht den Krug. Drauf mach' ich, einverstanden,
Die Prob': es geht vortrefflich überaus.
Ganz wie's mein Wunsch war, keusch und gut erfanden
Wir mein geliebtes Eheweib zu Haus.
Melissa sprach: ›Nun geh nach andern Landen!
Bleibe zwei Monat' oder einen aus,
Dann komm zurück und sieh, ob dich aufs neue,
Statt dich zu netzen, solch ein Trunk erfreue.‹
31.
Mich wollt' es hart bedünken, fortzugehen:
Nicht daß ein Zweifel mir gekommen wär' –
Ach nein, daß mir ein einz'ger Tag vergehen
Soll ohne sie – nur dieses fiel mir schwer.
›Du sollst die Wahrheit‹, sprach Melissa, ›sehen:
Auf anderm Wege führ' ich dir sie her.
Ich kann ja Stimmen dir und Kleid maskieren;
Als Fremdling magst du dann dich präsentieren.‹
[314] 32.
Fluten des Po, Herr, Hörnern zu vergleichen,
Bilden für eine nahe Stadt die Wehr.
Ihr Wille, ihre Macht und Satzung reichen,
Bis wo da kommt und wieder geht das Meer.
An Alter muß sie Nachbarstädten weichen,
An Schönheit und an Reichtum nimmermehr.
Dort war's, daß Söhne Trojas wohnen blieben,
Als sie die Geißel Attilas vertrieben.
33.
Ein junger Herr, der hier die Zügel führte,
An Schätzen reich und Wohlgestalt und fein,
Folgt, als sein Falk hierher die Flügel rührte,
Ihm nach und stellt im Schloß bei uns sich ein!
Er sah mein Weib: beim ersten Blicke spürte
Er tief im Herzensgrund der Liebe Pein,
Versuchte dies und das und hatt' im Sinne
Nichts andres mehr, als wie er sie gewinne.
34.
Dann endlich ließ er ab, ihr zuzusetzen,
Weil sie mit Deutlichkeit ihn von sich stieß;
Allein ihr Bild, geschmückt mit Amors Schätzen,
Ihn im Gedächtnis nimmermehr verließ.
In dieses Herrn Gestalt mich zu versetzen,
War, was Melissa als das Beste pries:
Sie weiß mir wunderbar durch Zaubereien
Sein Antlitz, Stimm' und Aug' und Haar zu leihen.
35.
Nachdem ich meinem Weib gesagt, zu fahren
Sei ich genötigt nach dem Morgenland,
Kehrt' ich zurück mit jenes Jünglings Haaren
Und Gang und Stimme, Antlitz und Gewand.
Mit eines Pagen Aussehn und Gebaren,
Wobei Melissa mir zur Seite stand,
Die köstlichsten Juwelen in den Händen,
Die Indien oder Erythräa spenden.
[315] 36.
Im Schloß bekannt mit allen Weg' und Stegen,
Tret ich, mit mir die Zauberin, herein,
Und, siehe da! – es trifft sich sehr gelegen;
Wir finden seine Herrin ganz allein.
Erst bitt' ich, und, zum Bösen anzuregen,
Den argen Stachel brauch' ich hinterdrein.
Smaragd erglänzt, Rubine, Diamanten,
Die auch das stärkste Herz wohl übermannten.
37.
Dies alles, sagt' ich, seien kleine Teile
Von dem, was an Geschenken sei bereit;
Worauf ich bei dem günst'gen Stern verweile.
Daß jetzt ihr Gatte just auf Reisen weit.
Erwägen möge sie, von Amors Pfeile
Verwundet, harr' ich schon so lange Zeit;
Nur billig sei's, wenn sie belohn' und labe,
Wer solche Lieb' und Treue für sie habe.
38.
Ich sah sie unmutvoll zuerst erbeben;
Errötend weist sie uns schon fast vom Ort;
Doch als den lichten Schein die Steine geben,
Wie Feuer hell, da schwand die Härte fort,
Und stockend sagt sie schließlich – ach, das Leben
Entschwindet mir, gedenk' ich an das Wort! –:
Sie wolle mir willfahren nach Gefallen,
Wenn es verborgen bleibe stets vor allen.
39.
Giftig ins Herz hinein sich bohrend, glichen
Die Worte einem Pfeil, der mich durchdrang,
So daß durchs Mark mir kalte Schauer schlichen,
Gehemmt im Schlunde blieb der Stimme Klang,
Als durch Melissa jetzt die Zauber wichen,
Und mich die eigne Form aufs neu umschlang.
Bedenk, in welche Farb' ihr Rot sich wandte,
Als, so verirrt, den Gatten sie erkannte.
[316] 40.
Die Lippen stumm, die Wangen fahl, so standen
Wir beide da, die Augen auf dem Grund;
Schwer löste sich die Zunge aus den Banden;
Es klang, vernehmlich kaum, aus meinem Mund:
›So gibst du, ist ein Käufer nur vorhanden,
Die Ehre hin für Gold und Steine bunt?‹
Nicht Antwort gab sie, keine Worte klangen,
Nur Tränen, Tränen rollten auf die Wangen,
41.
Weil groß die Scham, doch größer noch der Groll war,
In meiner Gegenwart beschimpft zu sein;
Wuchs Zorn, von dem sie bis zum Bersten voll war,
In einen wilden, blinden Haß hinein.
Ihr Plan, nachdem ihr so die Galle schwoll, war
Zu fliehn; als Phöbus' Wagen sinkt, hinein
Steigt sie an Flusses Bord in einen Nachen,
Abwärts die Nacht hindurch die Fahrt zu machen.
42.
Und in der Früh' ist sie bei ihm erschienen,
Der schon sein Herz ihr schenkte ganz und gar:
Mit dessen Aussehn und mit dessen Mienen
Ich, sie zu prüfen – weh! –, gekommen war.
Daß ihn, der noch bereit war ihr zu dienen,
Ihr Kommen höchlich freute, das ist klar.
Von dort hat ihre Botschaft mich getroffen,
Ich dürf' auf ihre Liebe nimmer hoffen.
43.
Zusammen nun in Freuden bleiben beide
Seit jenem Tage, und sie spotten mein;
Und ich verzehre mich in meinem Leide,
Das niemand heilt, und selbstgeschaffner Pein.
Das Übel wächst –: daß ich den Tod drum leide,
Ist nur gerecht, und bald schon wird es sein.
Ich wäre längst vom Kummer überwunden,
Hätt' ich in einem Ding nicht Trost gefunden:
[317] 44.
Der ist: daß allen, die noch Rast genossen
Hier im Palast – zehn Jahre sind es jetzt –
Der Wein sich auf den Busen hat ergossen;
Denn jedem wird der Weinkrug vorgesetzt.
Ich hab' in meinem Leide viel Genossen;
Das ist noch, was ein wenig mich ergetzt.
Du warst bis diesen Tag der einz'ge Kluge,
Der sich hat ferngehalten von dem Kruge.
45.
Weil ich erkennen wollt' auf seinem Grunde,
Was man bei seiner Frau nicht suchen soll,
Genieß' ich keine ruhevolle Stunde,
Sei kurz, sei lang mein Leben jammervoll.
Melissa lachte wohl mit höhn'schem Munde,
Jedoch die Freude wurde bald zu Groll:
Denn weil durch sie das Unheil war geschehen,
So haßt' ich sie, – ich konnte sie nicht sehen.
46.
Es schmerzt sie, Haß des Mannes zu erleben,
Der mehr ihr (sagte sie) als Herzblut galt;
Hier Herrin sein, war früher all ihr Streben
(Nachdem mein Weib nahm andern Aufenthalt);
Nicht mehr den Blick auf dieses Haus zu heben,
Ging sie vom ganzen Land hinweg, und bald.
Nie hört' ich mehr von ihr; sie blieb verschwunden
Von jener Zeit an bis auf diese Stunden.«
47.
Nicht weiter hat der arme Herr gesprochen.
Rinald (verstummt war der betrübte Mann)
Hat eine Zeit das Schweigen nicht gebrochen,
Des Mitleids voll; die Antwort gab er dann:
»Daß solch ein Wespennest werd' aufgestochen,
Das riet Melissa dir zum Unglück an.
Du hättest nimmer also suchen sollen,
Was du doch keineswegs hast finden wollen.
[318] 48.
Wenn Habsucht deine Frau ins Wanken brachte,
Und wenn sie strauchelte – so lang dir treu –,
Staunst du? 's ist nicht die erste, nicht die achte,
Die also fiel: sie wimmeln ja wie Spreu,
Von denen manche Ärgres noch vollbrachte,
Um weit geringern Preis, ganz ohne Scheu.
Haben nicht Männer oft mit Schurkentaten
Für Gold den Gönner und den Freund verraten?
49.
So mächtig stürmen durftest du ja nimmer,
Wofern du ernsthaft ihren Sieg gewollt:
Auch Stahl und Marmor, sie erliegen immer
Vor Edelsteinen und vor rotem Gold.
So stark sie zu versuchen, scheint mir schlimmer
Als der Tribut, den sie der Schwäche zollt.
Hätt' also dich zu prüfen ihr gefallen,
Wer weiß? Am Ende wärst du selbst gefallen.«
50.
So schließt Rinald, steht auf zugleich vom Tische,
Ein wenig noch zu schlummern in der Nacht,
Ein Stündlein wohl; denn vor der Morgenfrische
Hätt' er sich gerne auf den Weg gemacht.
Zeit fehlt; daß er die rechte Stund' erwische,
Die kurze Frist benutzend, hat er acht.
Belieb' ihm, meint der Wirt, sich hinzulegen,
Mög' er in seinem Schloß der Ruhe pflegen,
51.
Wo schon bereit das Bett im Zimmer stehe;
Allein er könne, folg' er seinem Rat,
Nach Wunsche schlafen, bis die Nacht vergehe,
Und manche Meile tun auf seinem Pfad.
»Es liegt ein Nachen«, sprach er, »in der Nähe,
Den richt' ich her, und wie im Bett gerad,
Schläfst du und fährst zugleich durchs Wasser leise,
Und einen Tag gewinnst du deiner Reise.«
[319] 52.
Rinald war dieser Vorschlag nicht zuwider;
Er nahm ihn gern, dem Schloßherrn dankend, an.
Ohne zu säumen, nach dem Fluß hernieder,
Wo Schiffer seiner harrten, stieg er dann.
Behaglich streckt er dort zum Schlaf die Glieder,
Der Nachen gleitet unterdes voran,
Von drei Paar Rudern leicht dahingetragen,
Wie durch die Lüfte rasche Vögel jagen.
53.
Kaum läßt er seinen Kopf aufs Kissen sinken,
So schläft der Paladin von Frankreich ein:
Er sagte, wenn Ferraras Mauern winken,
So wünsch' er alsobald geweckt zu sein.
Melara bleibt am Uferrand zur Linken,
Sermide folgt am rechten hinterdrein,
Figarolo, Stellata drauf sich zeigen,
Wo sich des zorn'gen Flusses Hörner neigen.
54.
Das linke Horn den Venezianern lassend,
Hat sich das Boot zum rechten hingewandt.
Bondeno naht sich. (Allgemach erblassend
Im Osten schon der blaue Schatten schwand,
Und rot und weiß, den Blumenkorb erfassend,
Streut' holde Blüten aus Auroras Hand.)
Als sich die Felsen zeigten des Tealdo,
Hob aus dem Schlaf sein Haupt empor Rinaldo.
55.
Er sprach: »O Stadt, das Glück will dich geleiten!
Denn Malegis, mein Vetter, sagt es ja,
Der es – ein Sehergeist stand ihm zuseiten –
Aus Sternen- und Planetenlauf ersah:
Du wirst, so kündigt er, in spätern Zeiten
(Wir machten miteinand die Reise da)
So hoch an Ruhm und hoher Ehre steigen:
Italias ganzer Preis wird dir zu eigen!«
[320] 56.
Er spricht's. Der Nachen fliegt, als hätt' er Schwingen,
Den königlichen Strom hindurch derweil,
Um nach dem kleinen Eiland vorzudringen
(Von da zur Stadt ist's eine kleine Weil'),
Und wenn sich Unkraut hier und Dickicht schlingen,
Freut sich Rinald und ruft dem Platze Heil.
Er sah im Geist, wie dieses Stückchen Erde
Im Lauf der Jahre schön und herrlich werde.
57.
Durch Malegis ward ihm Bescheid und Lehre
(Er ging mit ihm): wenn siebenhundertmal
Im Kreise sich gedreht die vierte Sphäre
Mitsamt dem Widder, werd' ein Sonnenstrahl
Kein holder Eiland schaun in Fluß und Meere
Und in den schönsten Seen im Erdental.
Wer hier auf diese Pracht den Blick gehoben,
Der werde kein Phäakenland mehr loben.
58.
Er hört, die Bauten werden überragen
Die schönen der Tiberiusinsel all;
Der Boden werd' erlesne Pflanzen tragen –
Hesperien steh' zurück in jedem Fall,
Und Tiere geb' es, wie sie nimmer lagen
Bei Kirkes Zauberschloß in Hürd' und Stall.
Man werde nicht in Zypern mehr und Knidos
Den Sitz der Grazien suchen und Kupidos.
59.
Durch einen Herrscher, der mit Können, Wissen
Das Wollen eine, solle dies geschehn;
Er werde, ihres Schutzes ganz beflissen,
Sie fest mit Mauern und mit Wall versehn,
Daß sie der andern Hilfe könne missen,
Um gegen eine Welt auf sich zu stehn.
Als Herkuls Sohn werd' er die Welt begaben
Und einen Herkules als Sprossen haben.
[321] 60.
Da solcher Zukunft Herr Rinald gedachte,
Wie sie geweissagt war durch Malegis
(Wenn seine Seherkunst in ihm erwachte
Und er dem Vetter ferne Zukunft wies),
Und nun die dürft'ge Stadt sich kenntlich machte,
Sprach er bei sich: »Hier wird ein Paradies?
Wie mag die Kunst entblühn in Wüsteneien?
Wie Studium hier und Wissenschaft gedeihen?
61.
Wie mag erwachsen aus so kleinem Flecken
Doch eine Stadt, jedweder Schönheit voll?
Und wo jetzt Sümpfe sich und Schlamm erstrecken,
Ein fröhliches Gefild sich dehnen soll?
Stadt! Deinen Herrn, den ritterlichen Recken,
Und ihrer Huld bring' ich der Ehrfurcht Zoll,
Wie deine Großen, deine Bürger, weise
Und jedes Ruhmes wert, ich ehr' und preise.
62.
Dir sei des Heilands Gnade stets beschieden!
Durch sie und deiner Herrn Gerechtigkeit
Genieße frohen Mutes Lieb' und Frieden
Und reicher Felder Frucht für alle Zeit!
Der Feinde Fallstrick werde klug vermieden:
Du trotzest ihrer Wut in Sicherheit!
Weckt andrer Scheelsucht dein Gedeihn und Segen,
Soll dir doch niemals einer Neid erregen!«
63.
Derweil Rinald es spricht, schießt durch die Wogen
Der Kahn in solcher Eile leicht und frei,
Nicht rascher kommt zur Lockspeis' hergeflogen
Der Falk, gerufen von des Jägers Schrei.
Zum rechten Ast des Horns wird eingebogen:
Es ziehen Dach und Mauer sanft vorbei.
San Giorgio flieht; vorüber flieht am Kahne
Der Fossaturm, der Turm dann von Gaibane.
[322] 64.
Wie ein Gedanke will Gedanken bringen,
An diese wieder neue bald sich reihn,
So denkt Rinald des Herrn vor allen Dingen,
Der ihn am Abend nahm ins Schloß hinein
(Der konnte, traun, der Stadt kein Loblied singen:
Und hatte Grund zu Zorn und schwerer Pein);
Darauf an jenes Weingefäß aufs neue,
Daraus ersichtlich wird der Gattin Treue,
65.
Und denkt an das zugleich, was von den Proben
Ihm durch Bericht des Ritters wurde kund:
Wie keiner, der den Becher noch erhoben,
Ihn leeren konnte bis auf diese Stund'.
Es reut ihn bald, bald sagt er: 's ist zu loben,
Führt' ich den bösen Krug nicht an den Mund.
Gelang es, stand es so, wie ich mir dachte;
Wie aber, wenn ich's nicht zustande brachte?
66.
Mein Glaub' ist fest, so fest wie sichres Wissen;
Auch wachsen, mein' ich, könnt' er kaum noch mehr.
Den Vorteil von der Sache kann ich missen,
Verlief die Probe gut von ungefähr;
Erführ' ich aber Böses von Clarissen,
Bedrückte solch ein Fall mich wahrlich sehr;
Tausend zu eins, – das wär' der Satz des Spieles;
Wenig gewänn' ich und verlöre vieles.
67.
Derweil nun dies Rinalds Gedanken waren
Und seine Augen nicht vom Boden sahn,
Blickt' einer sehr gespannt auf sein Gebaren,
Der grad ihm gegenüber saß im Kahn.
Den Grund des Sinnens möcht' er gern erfahren
Und, was für Dinge wohl dem Herrn geschahn:
Er spricht mit klugen Worten und mit kecken,
Und den Bericht vernimmt er von dem Recken.
[323] 68.
Sie kommen beide zu den gleichen Sätzen:
Fürwahr ein großer Tor ist jener Mann!
Die Gattin der Versuchung auszusetzen,
Der größten, die ein Weib bestehen kann!
Die Frau, die reichem Golde trotzt und Schätzen,
Und keuschen Herzens da den Sieg gewann,
Die wahrt viel leichter gegen tausend Speere,
Und mitten in der Feuersglut, die Ehre.
69.
Der Schiffer sprach: »Genötigt beizupflichten
Bin ich: sie so zu locken war nicht recht;
Nicht recht, so schwer Geschütz auf sie zu richten:
Gar manche Brust verträgt das allzuschlecht.
Du hörtest wohl von jener Frau berichten
(Vielleicht, daß Ihr bei Euch darüber sprecht),
Die fand heraus: das gleiche tat ihr Gatte,
Wofür er sie zum Tod verurteilt hatte.
70.
Ein goldner Schatz trägt allen Trotz von hinnen –
Die Weisheit kennt man wahrlich doch schon lang:
Doch wollte sich mein Herr nicht drauf besinnen
Und sorgte so für seinen Untergang.
Auch kannt' er ja, was in den Mauern drinnen
Dort in der Stadt aus einem Fall entsprang,
In unsrer Heimat, die mit Sumpf und Graben
Des Menzo Dämme rings umschlossen haben.
71.
Adonio mein' ich, der mit einem Hunde
Des Richters Gattin ein Geschenk gemacht.«
»Mir ward davon«, sprach jener, »nicht die Kunde;
Über die Alpen ward sie nicht gebracht.
In Frankreich und den Ländern in der Runde
Ist noch kein Echo von der Mär erwacht.
Drum wenn es dir gefällt, magst du berichten;
Ich lausche mit Vergnügen den Geschichten.«
[324] 72.
»Es lebt ein Mann Anselmus hier im Lande
Aus würdigem Geschlecht,« der Schiffer sprach,
»Der forschte lang in wallendem Gewände
Der Lehre Ulpians mit Eifer nach.
Er sucht' ein Mädchen für die Ehebande,
Adlig und schön, wie es dem Stand entsprach.
In einer Stadt von hier nicht allzuferne
Fand er ein solches, schön gleich einem Sterne,
73.
Mit holdem Wesen, lieblichen Gebärden:
Das schien die Lieb' und Anmut selbst fürwahr;
Zu sehr vielleicht, um dessen Weib zu werden,
Für den dergleichen gar nicht nötig war.
Kaum hat er sie, bot er wie nie auf Erden
Das Bild des eifersücht'gen Ehmanns dar;
Nicht, daß sie jemals Anlaß ihm gegeben –
Nur allzu schön und reizend war sie eben.
74.
Die Stadt hatt' einen Ritter, einen jungen
Aus altem Hause, gut und wohlgetan,
Vom stolzen Stamm, der sich der Saat entrungen –
So meldet man – aus gift'gem Schlangenzahn.
Manto und alle sind aus ihm entsprungen,
Die meiner Heimat öffneten die Bahn.
Der Rittersmann – Adonio war sein Name –
Verliebte sich in diese schöne Dame.
75.
Und um das Ziel der Liebe zu erreichen,
Gab er sein Geld hinaus ohn' Unterlaß,
Für Kleider, Prunk und Feste sondergleichen,
Wie's je ein größrer Herr sich nur vermaß.
Tiberius' Schatz, der würde hier nicht reichen
Bei solcher Gutvergeudung ohne Maß.
Zwei Winter, glaub' ich, hatten nicht geendet,
Da war des Vaters Erbe ganz verschwendet.
[325] 76.
Das Haus, wo doch zuvor in Glanz und Schimmer
Stets Gäste wandelten, treppauf, treppab,
Stand jetzt verlassen, seit es drinnen nimmer
Rebhühner, Wachteln und Fasanen gab.
Er, sonst des frohen Haufens Hauptmann immer,
Blieb dort allein fast mit dem Bettelstab.
Nachdem er also in sein Unglück rannte,
Dacht' er zu gehn – hin, wo kein Mensch ihn kannte.
77.
Er zieht, ohn' andern nur ein Wort zu sagen,
Aus seinem Heimatort mit trübem Sinn,
Seufzend und weinend, und die Füße tragen
Ihn nach dem Sumpfe vor den Mauern hin.
Allein inmitten noch von seinen Plagen
Vergaß er nicht des Herzens Königin –
Als freundlich ihn aus seinem Leid, dem tiefen,
Zum höchsten Glück des Schicksals Launen riefen.
78.
Er sieht, ein Bauer stößt mit einem Stecken
Auf einen Fleck Gestrüpp und Strauchwerk los.
Adonio fragt den Mann, zu welchen Zwecken
Er so in Zweigen wühle, Stein und Moos.
Der sagt, er sah sich im Gebüsch verstecken
Dort eine Schlange, mächtig, alt und groß.
So groß und dick, wie er noch niemals eine
Gesehen habe, noch zu sehen meine.
79.
Erst wenn er sie aus ihrer Ruhe störte
Zum Töten, geh' er von dem Platze fort.
Als ihn Adonio dies sagen hörte,
Unwillig war er ob des Bauern Wort,
Da seine Gunst den Schlangen stets gehörte;
Zeigte doch Schlangen als des Hauses Hort
Sein Wappen; denn es war in fernen Landen
Aus Schlangenzähnen sein Geschlecht entstanden.
[326] 80.
Dem Bauern wußt' er solchen Rat zu geben,
Daß er (ungern) nicht auf der Jagd bestand;
Und jene Schlange blieb durch ihn am Leben,
So daß sie keine Störung weiter fand.
Adonio hat sodann sich wegbegeben
Nach einem Orte, wo er unbekannt.
Der Heimat fern ist er der Jahre sieben
In Trauer und in Ungemach geblieben.
81.
Trotz der Entfernung, trotz der Not, der bangen,
Die den Gedanken wenig schweifen läßt,
Hält Amor ihn gebunden und gefangen;
Der Pfeil wird tiefer nur ins Herz gepreßt:
Er muß zurück zu jenen holden Wangen,
Die anzuschauen seiner Augen Fest.
Bärtig, in schlechten Kleidern und beklommen
Ging er den Weg zurück, den er gekommen.
82.
Zum Fürsprech bei dem Papst in Rom entsandte
Die Stadt nun damals einen rechten Mann;
Der sollte dort verweilen, und man kannte
Bei uns den Zeitpunkt nicht genau, bis wann.
Der Richter war es, den das Los verbannte: –
O welch ein großes Klagen stimmt' er an!
Welch Sträuben und Versprechen, Flehn und Bitten!
Zuletzt, gezwungen, ist er fortgeritten.
83.
Ihm war, als ob dies Qualen ihm bereite,
So grausigen und fürchterlichen Schmerz,
Als öffne ihm ein Messerschnitt die Seite,
Und eine Hand nehm' aus dem Leib sein Herz.
Er fleht in bleicher Furcht (eh in die Weite
Er von der Frau sich wendet tiberwärts)
Mit vielen Gründen, dringlich, klug und weise,
Sie mög' ihm treu sein während seiner Reise.
[327] 84.
Nicht Adel, sagt er, Reichtum nicht und Schöne
Für eine rechte Frau genügend sei –
Und ob die höchste Ehre gleich sie kröne –
Besitze sie nicht Keuschheit auch dabei;
Das größte Loblied jener Frau ertöne,
Die aufrecht bleib' in Angriff mancherlei.
Nichts sei so wohl geeignet wie die Reise,
Daß sie voll echter Tugend sich beweise.
85.
Mit solchen Worten sucht er sie zu binden
An rechte Treue und an Sittsamkeit.
Sie muß die Trennung – o wie hart empfinden!
Und wie sie weint, o Gott, und wie sie schreit!
Eh werde man die Sonne dunkel finden,
Schwört sie, bevor ihn kränke solches Leid,
Wie Treuebruch! O nimmer! – Nein, man solle
Sie sterben sehen, eh sie dieses wolle.
86.
Ist seiner Sorge nun ein Teil geschwunden,
Denn nach dem Schwur fühlt er Vertraun zu ihr,
So ruht er nicht und schlägt sich neue Wunden,
Verleitet von zu großer Wißbegier.
Ihm lebt ein Freund, dem sind der Zukunft Stunden,
So rühmt man, klar, wie vor den Augen schier.
Es heißt, daß ihm bekannt von Zaubereien,
Wenn alle nicht, so doch die meisten seien.
87.
Den bittet er, ihm freundlich aufzuhellen,
Ob seine Gattin (die Argia heißt)
Treu werde sein und keusch in allen Fällen,
Nachdem er aus der Stadt sei fortgereist.
Der willigt ein, das Horoskop zu stellen,
Und forscht, was hier der Himmel wohl verheißt.
Anselm läßt ihn das Nötige besorgen
Und holt die Antwort sich am nächsten Morgen.
[328] 88.
Der Astrolog nun möcht' ihm Pein ersparen
Und will nicht sagen, wie die Sache steht;
Er weiß, er würde Schmerzliches erfahren.
Doch als der Doktor auf Bescheid besteht,
Sagt er: ›Sie wird die Treue nicht dir wahren,
Sobald dein Fuß von eurer Schwelle geht;
Nicht, weil sie Schönheit lockt und Bitten rühren,
O nein, weil Gold sie und Gewinn verführen.‹
89.
Wie ihm zumut ist, als zu seinem Zagen
Und seiner Furcht die Drohung sich gesellt
Der Sterne, magst du leicht dir selber sagen,
Ist Liebesglück und Liebesleid dein Feld,
Doch eins muß ihm die schlimmste Wunde schlagen:
Was ihm am schwersten auf die Seele fällt,
Ist der Gedanke, ach: – er soll erleben,
Sie werd' aus Habsucht ihre Keuschheit geben.
90.
Nach Kräften sie der Klippe fernzuhalten,
Die, wie man ihm berichtet, sie bedroht,
Stellt er (denn selbst mit Tempelgute schalten
Die Menschen räuberisch, wenn in der Not)
Ihr, was sein voller Geldschrank mocht' enthalten,
Geld und Juwelen, alles zu Gebot:
Einkünfte, Renten, Reichtum schier ohn' Ende;
Was er besaß, gab er in ihre Hände.
91.
Er sprach: ›Du magst damit nach Wunsch dich laben
Und die Verwendung schreib' ich dir nicht vor:
Verkauf' es oder schenk' es fort als Gaben,
Wirf's weg, wie deine Laune sich's erkor.
Und keine Rechnung will ich drüber haben,
Nur, daß ich so dich finde wie zuvor.
Bist du mir so, wie jetzt du bist, geblieben,
Mag Hab und Gut verschwinden nach Belieben.‹
[329] 92.
Er bittet, daß sie nicht im Stadthaus bleibe,
So lang er fern; viel angenehmer sei
Der Landsitz, wo man sich die Zeit vertreibe
Bequem, von lästigen Besuchen frei.
Er sagt's, und meint, es drohe seinem Weibe
Gefahr beim biedern Landvolk keinerlei:
Wo man das Feld bestell' und Tiere weide,
Da tue man der Keuschheit nichts zuleide.
93.
Argias schöne Arm' indessen schlangen
Sich um den Hals dem sorgerfüllten Mann,
Bis heiße Zähren aus den Augen sprangen
Und eine Salzflut auf die Wangen rann.
Als habe sie den Treubruch schon begangen,
So höre sie ihn reden, klagt sie dann.
Und wenn er voller Argwohn auf sie schaue,
Gescheh's, weil er der Gattin nicht vertraue.
94.
Zu lange währt es, wollt' ich Euch erzählen,
Was sie beim Abschied sprachen Wort für Wort.
›Laß meine Ehre mich dir anempfehlen!‹
Sprach er zuletzt noch und verließ den Ort.
Und wie beim Reiten Schmerz und Leid ihn quälen!
Ihm ist, als reiße man das Herz ihm fort.
Sie schaut ihm nach, so lang sie kann: es brechen
Aus ihren Augen Tränen, ach, in Bächen.
95.
Adonio ist indes, gedrückt, befangen –
Ich sagt' es –, bärtig und verhärmt und bleich,
Den Heimweg in der Zuversicht gegangen,
Es kenn' ihn keine Seel' im Stadtbereich.
So mußt' er nach der Stelle hingelangen,
Wo er der Schlange damals half am Teich,
Die jener Bauer mit dem mächt'gen Stecken
So eifrig suchte tot dahinzustrecken.
[330] 96.
Da (eben mit dem ersten Morgengrauen –
Noch blinkt herab vom Himmel Sternenschein –)
Sieht er sich nahen, fürstlich anzuschauen,
In grünem Kleid ein hehres Mägdelein
Am Ufer her, ganz ohne Knapp' und Frauen:
Voll Hoheit schreitet sie des Wegs allein.
Sie grüßt den Wandersmann mit holdem Nicken
Und spricht zu ihm mit freundlich hellen Blicken:
97.
›Ich bin, magst du mich, Ritter, gleich nicht kennen,
Dir sehr verbunden und dir anverwandt;
Verwandt, weil wir als Sprossen uns bekennen
Des großen Kadmus aus der Griechen Land.
Manto bin ich, die eine Fee sie nennen,
Und gründete dies Dorf mit meiner Hand.
Von mir ist auch – du hast es wohl vernommen –
Der Name Mantua dem Ort gekommen.
98.
Der Feen, wie ich dir sagte, bin ich eine:
Erfahre, wie's bestellt ist mit den Feen.
Von allen Erdenplagen fehlt uns keine
Und keins der Übel, außer Sterbengehn.
Doch mit der ew'gen Dauer im Vereine
Ist etwas, herb wie Sterben anzusehn:
Uns ward bestimmt, daß alle sieben Tage
Der Schlange Haut als Schlange jede trage.
99.
Zu sehn, wie Schuppen unsern Leib bedecken,
Zu kriechen ist ein Ekel, eine Last –:
Kaum hat die Welt noch solchen Graus und Schrecken;
Das Leben ist den Feen all verhaßt.
Was ich dir schulde (denn ich will entdecken,
Mit welchem Dienst du mich verpflichtet hast),
Vernimm nunmehr: an jenem Tag, als Schlangen,
Sind wir von Übeln und Gefahr umfangen.
[331] 100.
Kein Tier ist, das die Menschen also hassen
Wie Schlangen: Schlangen sind wir nach der Haut
Und müssen Unbill uns gefallen lassen:
Wer uns nur sieht, der jagt uns, sticht und haut.
Will uns im Boden keine Zuflucht passen,
Wird uns die Wucht des Bauernarms vertraut.
Viel lieber möchten wir des Todes sterben,
Als so zerstückelt werden und verderben.
101.
Nun hast du mich zu großem Dank verbunden:
Du lenktest hier zum kühlen Strand den Schritt;
Durch dich ward ich des Bauern Hand entwunden,
Von der ich Ungemach und Schmerzen litt.
Ich habe Rettung nur durch dich gefunden;
Sonst nahm ich ein zerbrochen Rückgrat mit.
Konnt ich auch sterben nicht von seinen Hieben,
So wär' ich doch zerquetscht und lahm geblieben.
102.
Wenn wir uns so am Boden kriechend plagen,
Die Brust im Staub, in eklem Schlangenkleid,
Dann will der Himmel uns die Gunst versagen
Und Zauberkraft, die er uns sonst verleiht.
Die Sonne hemmen wir an andern Tagen
Und wandeln ihren Glanz in Dunkelheit.
Die feste Erde dreht sich um im Kreise;
Das Eis wird Glut, das Feuer wird zum Eise.
103.
Die Stunde, dir zu danken, kam soeben,
Und dir es zu beweisen, bin ich hier.
Ein Wunsch wird zur Erfüllung sich erheben,
Wenn abgestreift die Schuppenhaut von mir.
Reichtümer, dreimal mehr als dir gegeben
Ward als des Vaters Erbe, schenk' ich dir.
Verarmen können sollst du fürder nimmer:
Je mehr du brauchst vom Schatze, wächst er immer.
[332] 104.
Ich weiß vom alten Netze dich umfangen,
Mit dem vor Zeiten Amor dich umwand.
Zu einem Mittel sollst du jetzt gelangen,
Zu löschen deines Sehnens heißen Brand.
Der Ehemann ist aus der Stadt gegangen,
Ich bin mit gutem Rate dir zur Hand.
Du sollst sogleich die schöne Dame sehen
Auf ihrem Gut, und ich will mit dir gehen.‹
105.
Sie sagt ihm, wie er dort erscheinen solle,
Um bei der Frau mit Ehren zu bestehn,
Bestimmt sein Kleid und seine ganze Rolle
Und sagt ihm, wie er bitten soll und flehn;
Auch, welche Form sie selber nehmen wolle;
Denn, von den Schlangentagen abgesehn
Konnte Gestalt sie wählen und Gebärde
Von jedem Wesen auf der ganzen Erde.
106.
Sie wandelt ihn in jener Pilger einen,
Wie sie gar oft von Tür zu Türe ziehn;
Sie selbst als Hund – der kleinste von den kleinen,
Die je Natur erschuf – begleitet ihn,
Lieblich zu schaun, mit Haaren langen, feinen,
Weiß wie der allerschönste Hermelin.
Als sie so umgestaltet sind, bewegen
Sie sich dem Gut der schönen Frau entgegen.
107.
Eh sie nach einem andern Orte gingen,
Vor Bauernhütten macht der Jüngling halt
Und läßt Musik aus seinem Rohr erklingen;
Das Hündlein tanzt mit wichtiger Gestalt.
Die Töne und das Schrein zur Herrin dringen:
Um zuzuschauen, kommt sie selber bald,
Und läßt in ihren Hof den Pilger treten,
So wie's dem Doktor sagten die Planeten.
[333] 108.
Adonio heißt das Tierlein Künste zeigen,
Und augenblicklich folgt der kleine Hund,
Tanzt heim'sche Tänze, tanzt auch fremde Reigen
Und tut Geschmack in Schritt und Haltung kund;
Dann mit Manieren, wie sie Menschen eigen,
Vollführt er alles nach des Herren Mund,
So sorglich, daß die Leute, die ihn schauen,
Nicht blinzeln, kaum zu atmen noch sich trauen.
109.
Die Dame staunt, Verlangen will sie plagen:
Der allerliebste Hund liegt ihr im Sinn.
Sie schickt, Verkauf dem Pilger vorzuschlagen
Zu nicht geringem Preis, die Schaffnerin. –
›Und legte man auch Schätze, die Behagen
Der Frauenhabsucht bringen, vor mich hin,‹
Spricht der, ›so wäre nicht genug geboten,
Um zu bezahlen meines Hundes Pfoten.‹
110.
Der Wahrheit Probe will er gleich bestehen,
Und mit der Botin hält er sich beiseit
Und läßt ans Hündlein den Befehl ergehen:
›Ein Goldstück bringe fein mit Höflichkeit!‹
Es schüttelt sich – ein Goldstück ist zu sehen.
Adonio schenkt es ihr; zu gleicher Zeit
Spricht er zu ihr: ›Wieviel mag es nun gelten,
Solch auserlesnes Tierlein, schön und selten?
111.
Was ich als Wunsch ihm nur zu Ohren bringe,
Es läßt mich niemals gehn mit leerer Hand,
Es schüttelt jetzt mir Perlen, schöne Ringe
Heraus und dann ein köstliches Gewand.
Sag' deiner Herrin, Gold und solche Dinge,
Ihn zu erwerben, sei das nicht imstand.
Sie wird den Hund nur dann besitzen können,
Will sie mir eine Liebesnacht vergönnen.‹
[334] 112.
Er spricht's, und ein Juwel, gerad vom Hunde
Geschüttelt, für die Herrin gibt er ihr.
Sie meint, daß solche Zahlung besser munde,
Als wenn man zehn Dukaten da verlier',
Und zu der Herrin bringt sie heim die Kunde
Und drängt, erwerben möge sie das Tier,
Den wunderschönen Hund, zu einem Preise,
Der, wenn gezahlt, doch nicht Verlust beweise.
113.
Die Schöne spielt zunächst die Aufgebrachte;
Teils weil sie Treue wahren möchte fein,
Teils aber auch noch deshalb, weil sie dachte,
Unmöglich könne, was die sage, sein.
Indessen bohrt und feilt die Alte sachte:
Gar selten stelle solch ein Glück sich ein!
Und weiß der Frau den Auftrag abzuringen,
Das Hündlein in ihr Schlafgemach zu bringen.
114.
Adonio kam gegangen, und es kamen
Des Doktors Tod und Untergang zugleich:
Es regneten, daß sie kein Ende nahmen,
Dublonen, Edelstein und Perlen reich
Und machten stolzen Herzens Kraft erlahmen;
Es wurde um so mehr nun mürb und weich,
Als sie im Pilger jenen Herrn erkannte,
Der schon in fernen Zeiten für sie brannte.
115.
Der Zuspruch ihrer kupplerischen Alten,
Des Freundes Gegenwart und Schmeichelein,
Die goldnen Schätze, die sich hier entfalten,
Des armen Doktors langes Fernesein,
Hoffnung, die Sache stets geheim zu halten –
Bestrickten ihre Seele keusch und rein:
Sie ließ den Hund sich als Geschenk gefallen
Und dann – sich in des Ritters Arme fallen.
[335] 116.
Adonio lag in aller Ruh' und pflückte
Die süße Frucht, derweil voll Freundlichkeit
Die Fee mit ihrer Huld die Frau beglückte:
Sie mußte bei ihr weilen allezeit.
Als drauf die Sonne durch die Zeichen rückte,
Ward Anselm von dem Botenamt befreit.
Er kam zurück zur Stadt, jedoch von Bangen,
Ob dessen, was verkündet ward, umfangen.
117.
Kaum angelangt, ins Haus des Astrologen
Begibt er sich in Eil' und bittet ihn,
Zu sagen, ob die Gattin ihn betrogen,
Ob Lieb' und Treue, ihm zum Heil gediehn.
Der hat des Poles Linien gezogen
Und den Planeten ihren Platz verliehn.
Vergeblich, sagt' er drauf, sei solches Hoffen:
Was er vorausgesagt, sei eingetroffen.
118.
Sie hab' indes sich einem Mann ergeben,
Verführt durch Prachtgeschenke wunderfein.
Das hat dem Doktor einen Stoß gegeben,
Dagegen wären Lanzenstiche klein.
Mocht' auch kein Zweifel mehr sein Herz umweben,
So ging er doch, um ganz gewiß zu sein,
Zur Alten hin, mit großer Kunst beflissen,
Ihr zu entreißen, was sie möge wissen.
119.
Er sucht sie erst von weitem zu umkreisen,
Ob dieses oder jenes bringe Licht.
Im Anfang wollte keine Spur sich weisen,
Wie sehr er auf die kleinste auch erpicht;
Denn sie, gar wohl vertraut mit solchen Weisen,
Leugnet und zeigt ein steinernes Gesicht
Und läßt den Herrn in zweifelnden Gedanken
Von ja zu nein durch einen Monat schwanken.
[336] 120.
An die Gewißheit hätt' er denken sollen,
Dann schiene Zweifel köstlich wohl dabei!
Vergeblich bittet er, läßt Münzen rollen,
Damit die Alte spreche, frank und frei.
Als schließlich keine Taste wahrheitsvollen
Klang gab, da sagt er sich, das Beste sei
– Ein kluger Mann! –, er harr' auf Zwistigkeiten:
Wo Frauen sind, gibt's Zanken auch und Streiten.
121.
Und wie gedacht, so hat sich's zugetragen:
Die Alte kommt nach ihrem ersten Zwist,
Sagt alles – und er braucht nicht erst zu fragen –
Und ohne daß sie nur ein Haar vergißt.
Welch herbes Leid der Richter da getragen,
Das zu beschreiben, kaum mir möglich ist:
Er stand geknickt, wie mit gebrochnem Herzen,
Und kam fast von Verstand vor wilden Schmerzen.
122.
Sein Weib zu töten, selber dann zu sterben,
Das ist's, was er beschließt im Zornesmut:
Sein Leiden tilgend, ihre Schmach, soll färben
Das gleiche Eisen ihrer beider Blut.
Den Sinn auf Mord gerichtet und Verderben,
Kehrt er zur Stadt zurück in blinder Wut.
Einen Vertrauten schickt er dort von hinnen,
Gebeut ihm ein entsetzliches Beginnen:
123.
Zum Landgut reiten und Argia bringen
In seinem Namen soll er dieses Wort:
Ein heftig Fieber werd' ihn bald bezwingen,
So daß sie kaum ihn lebend find' am Ort.
Sie solle schleunig auf ein Pferd sich schwingen:
Das trage sie ohn' ein Geleite fort.
(Sie werde kommen und nicht widersprechen,
Und unterwegs soll er sie niederstechen.)
[337] 124.
Der Bote ging, die Frau nach Haus zu holen,
Und gab ihr seines Herren Willen kund.
Sie stieg zu Pferde, so wie ihr befohlen,
Doch nahm sie auf das Pferd den kleinen Hund.
Der warnte vor Gefahren sie verstohlen;
Indes zu bleiben, sagt er, sei kein Grund.
Er habe schon gesorgt und vorgesehen,
Um in der großen Not ihr beizustehen.
125.
Der Diener ritt, seitab den großen Wegen,
Auf öden Pfaden hin durch wüstes Feld,
Und einem Bache führt er sie entgegen,
Vom Apennin, der in den Strom dort fällt:
Da stand ein Hag mit dunklen Waldgehegen,
Von Stadt und Dorf entfernt und aller Welt.
So menschenleer und düster war es drinnen:
Dem Diener schien's der Ort für sein Beginnen.
126.
Er zieht das Schwert, und seines Herrn Verlangen,
Den blut'gen Auftrag, teilt er jener mit.
Verzeihung möge sie von Gott erlangen
Und beten, eh zum Tode geh' der Schritt.
Ich weiß nicht recht, wie sie es angefangen:
Eh noch des Dieners Stahl herniederglitt,
Ist sie verschwunden; wie er auch mag spähen,
Er findet nichts, muß als Geprellter stehen.
127.
Er kehrt zurück, dem Herrn Bescheid zu geben,
Verblüfft und starr, das Antlitz rot vor Scham,
Und er berichtet ihm, was sich begeben;
Er könne nicht erklären, wie es kam;
Wobei, daß Manto auf dem Gute neben
Argia stand, der Gatte nicht vernahm,
Weil jene, die sonst alles ihm erzählte,
Ihm dies – ich weiß nicht recht, warum – verhehlte.
[338] 128.
Was soll er tun? die Schande schwer und bitter
Ist nicht gerächt, sein Leiden nur vermehrt.
Ein Balken ist, was früher war ein Splitter
Und wie ein Balken ihm das Herz beschwert.
Der Fehl war ihr bekannt und jenem Ritter;
Er sorgt, daß jetzt es alle Welt erfährt.
Erst konnte sich die Schmach verhehlen lassen;
Jetzt wird man sie verkünden auf den Gassen:
129.
Nun er des Herzens Absicht ließ durchschauen,
Wird sie – das sieht der arme Ehmann ein –
Wohl einem mächt'gen Herrn sich anvertrauen,
Nicht in Gewalt des Gatten mehr zu sein.
Man wird sie halten, darauf kann sie bauen,
Und den Verlaßnen höhnen obendrein,
Vielleicht gar wird sie einem sich vereinen,
In dem sich Buhle sowie Kuppler einen.
130.
Das zu verhindern, läßt er Boten gehen,
Briefschaften oder Leute schickt er fort,
Läßt jede Stadt der Lombardei durchspähen;
Hier sucht der eine, und der andre dort.
Am Ende treibt's ihn selber, nachzusehen;
Spione schickt er aus von Ort zu Ort.
Doch wie er auch sich müht, sie bleibt verschwunden:
Auch nicht die kleinste Spur wird aufgefunden.
131.
Zuletzt ruft er dem Mann, dem aufgetragen
Die Bluttat war, die niemals ward vollbracht,
Und geht mit ihm zum Ort, wo fehlgeschlagen
Die Sache, so wie ich es kundgemacht:
Sie könn' am End' nicht aus dem Busch sich wagen
Und irgendwo sich bergen über Nacht.
Der Diener führt ihn hin, doch keine Bäume stehen
Mehr dort: ein glänzend Schloß nur ist zu sehen.
[339] 132.
Das stellte hier, aus Alabastersteinen,
Im Nu die Fee auf Wunsch Adonios hin;
Von hellem Golde, inn und außen, scheinen
Gerät und Zierat durch die Zauberin.
Kein Sinn ermißt, kein Mund sagt, wie sich einen
Reichtum von außen und die Schätze drin.
Des Herzogs Haus, das gestern dir gefallen,
Wär' eine Hütte gegen jene Hallen.
133.
Wandteppiche, gewirkte, Webereien,
Behänge köstlich, mannigfalt und fein,
Schmücken die Ställ', als ob es Säle seien,
Auch Keller noch, die Zimmer nicht allein.
Vasen von Silber, Gold, in langen Reihen,
Rot, blau, grün, manch geschnittner Edelstein,
Geformt zu großen Schüsseln, Becken, Schalen –
In Gold und Seide spielen Sonnenstrahlen.
134.
Der Richter fand – Ihr habt es schon erfahren –
Ganz unversehns des Schlosses lichte Pracht,
Wo nichts als Bäume zu erwarten waren,
Und er kein Hüttchen vorzufinden dacht':
Es hätt' ihn Staunen um des wunderbaren
Anblicks beinah um den Verstand gebracht.
Er weiß nicht, ob er trunken sei, ob träume,
Ob sein Gehirn entflog in luft'ge Räume.
135.
Am Tore sah er einen Neger stehen,
Des Antlitz wulst'ge Nas' und Lippen wies.
Noch niemals hab' er ein Gesicht gesehen,
Meint Anselm, das mehr Abscheu hinterließ;
Wie ein Äsop – mit ihm vereint, vergehen
Würd' einem schier die Lust am Paradies;
In bettelhafter Kleidung, schmutzig, gräßlich;
Das sagt nicht halb, wie sehr der Neger häßlich.
[340] 136.
Da niemand sonst vorhanden, ihm zu sagen,
Wer im Palaste Hausherr möge sein,
Tritt Anselm näher, um den Mohr zu fragen.
Der gibt die Antwort: ›Dieses Haus ist mein.‹
Der Richter nimmt's für unverschämt Betragen
Und andres nicht als eitel Flunkerein.
Der Neger aber wiederholt und schwört ihm:
Er sprach die Wahrheit und das Haus gehört ihm.
137.
Er schlägt ihm vor, im Schloß Besuch zu machen
Und nach Belieben dort sich umzusehn;
Was ihm gefallen sollt' an schönen Sachen,
Das werd' ihm alles gern zu Diensten stehn.
Der Richter läßt den Mann das Pferd bewachen
Und eilt, in den Palast hineinzugehn,
Durchschreitet viele Säle, viele Zimmer,
Und sieht voll Staunen all den Glanz und Schimmer.
138.
Blickt auf die Form, den Zierat hin, den reichen,
Schaut zu der königlichen Pracht empor
Und sagt: ›Dies zu bezahlen würde reichen
Kein Gold der Welt, soviel man grüb' hervor.‹ –
›Hat alles Preis, hat ihn das Schloß desgleichen,‹
Erwidert drauf der mißgestalte Mohr.
Bezahlen das nicht Summen ungeheuer,
Bezahlt es etwas doch, das nicht so teuer.
139.
Er läßt darauf den gleichen Vorschlag hören,
Mit dem Adonio die Frau gewann,
Anselm vernimmt die Worte mit Empören
Und hält für viehisch und für toll den Mann.
Der läßt sich durch den Widerstand nicht stören,
Drei-, viermal, immer wieder kommt er an
Und weiß geschickt das Schloß herauszustreichen,
Bis er den andern sieht der Lockung weichen.
[341] 140.
Argia stand verborgen im Gemache.
Als sie in ihr Vergehn ihn fallen sah,
Sprang sie hervor und rief: ›O würd'ge Sache
Von meinem weisen Doktor seh' ich ja!‹ – –
Entdeckt in also lasterhaftem Fache,
Rot stand er – ihr begreift's – und schweigend da.
Was tatest du den Schlund nicht auf, du Erde,
Damit er ganz von dir verschlungen werde?
141.
Sich zu entlasten, ihn in seinen Nöten
Noch zu beschämen, schrie sie auf ihn ein
Und sprach: ›O welche Strafen, sag' mir, böten
Wohl Sühne für Verbrechen so gemein?
Ich folgte der Natur: du willst mich töten,
Weil ich dem Liebsten mußte willig sein,
Der, schön und hold, mir Schätze dargebracht hat,
Dergleichen nicht dies Schloß mit seiner Pracht hat.
142.
Wenn ich dir schuldig eines Todes scheine,
Wie viele hundert dann verdienest du?
Bin ich gleich hier so mächtig, daß ich deine
Geschicke lenk' und meinen Willen tu,
So nehm' ich doch für deinen Fehler keine
Rache zu dieser Strafe noch hinzu.
Laß Soll und Haben, mein Gemahl, sich heben:
So wie ich dir, so magst du mir vergeben!
143.
Laß in Vergessenheit den Fehl uns senken,
Und Frieden sei fortan und Einigkeit!
Nicht Wort noch Tat mehr zeige, daß wir denken
Des andern großer Schuld, für alle Zeit!‹ –
Und sieh, zur Nachsicht ließ der Mann sich lenken,
Denn der Gedanke schien ihm recht gescheit.
In Eintracht lebten sie fortan und Frieden,
Und Lieb' und Glück ward ihnen neu beschieden.«
[342] 144.
So sprach der Schiffersmann. Bei der Geschichte,
Glaubt mir, daß Herrn Rinald ein Lachen kam,
Und rot wie Feuer ward er im Gesichte,
Als der erzählte von des Doktors Scham.
Er lobt Argia sehr nach dem Berichte,
Daß sie zu schlauem Spiel die Zuflucht nahm,
Den Vogel in dem gleichen Netz zu fangen,
Darein sie – mit geringrer Schuld – gegangen.
145.
Hoch stieg die Sonne; als sie stärker brannte,
Da richtet man Rinald die Tafel her,
Die nachts zuvor der Mantuaner sandte,
Mit Speisen, fein und reich, beladen schwer,
Worauf das Land sich links von hinnen wandte,
Und rechts entwich der Sumpf, groß wie ein Meer,
Argenta und der Strand vorüberzogen,
Wo der Santern sein Haupt verbirgt in Wogen.
146.
Die Schanze, glaub' ich, war noch nicht vorhanden,
Die Spanien hat gar wenig Ruhm gebracht
Zur Zeit, als droben seine Banner standen;
Doch schlimmer ging's der Romagnolermacht.
Nach Filo stracks entlang den Uferlanden
Wird wie im Fluge dann der Weg gemacht.
Vorüber geht es an dem toten Graben,
Bis sie Ravenna mittags vor sich haben.
147.
Mocht' oft des Ritters Tasch' an Geldnot kranken,
War's gut, daß sie für diesmal g'nug umschloß:
Geziemend konnt' er so den Schiffern danken,
Eh er zur Weiterreise sich entschloß.
Er kam noch, als die Abendschatten sanken,
Nach Rimini mit neuem Pferd und Troß,
Ließ dann noch vor dem Morgen Montefiore
Und stand im Frühlicht vor Urbinos Tore.
[343] 148.
Kein Friedrich oder Guido war vorhanden,
Nicht Lisabeth mit gastlich holdem Wort,
Nicht Franz Maria und Lenora standen
Mit freundlichem (nicht stolzem) Zwange dort,
Den Gast zu schlagen in der Güte Banden –
Der Glückliche kommt dann so bald nicht fort –,
Wie sie seit Jahren tun und auch noch heute,
Wenn Damen nahn des Wegs und Rittersleute.
149.
Rinald stieg dann, von niemand dort gehalten,
Nach Cagli ab, wo er den Berg betrat,
Den der Metaurus und der Gaurus spalten
(Nicht rechts mehr blieb der Apennin); gerad
Durch Umbrien und Etrurien ging's; entfalten
Sah er sich Rom und Ostia; auf dem Pfad
Des Meers fuhr er zur Stadt, die einst vom frommen
Aeneas hat Anchises Leib bekommen.
150.
Er läßt von einem andern Schiff sich fahren
Nach Lipadusa hin, dem Inselstrand,
Zum Streit gewählt von jenen Kämpferpaaren,
Von denen jeder schon sich dort befand.
Wiewohl die Schiffer – rudernd – fleißig waren
Und taten, was in ihren Kräften stand,
Wollte der Wind doch nicht dem Plane dienen;
So sind sie, wenig nur, zu spät erschienen.
151.
Gefallen durch des Ritters von Anglante
Glorreiche Taten war bereits das Los;
Gradaß dahin und König Agramante;
Jedoch der Preis für diesen Sieg war groß:
Tot lag im Blut der Sohn des Monodante,
Und von gefährlichem und schwerem Stoß
Färbt Oliver den Sand mit seinen Wunden
In Schmerz und arger Pein, den Fuß zerschunden.
[344] 152.
O wie aus Rolands Augen Tränen tauen,
Als er Rinald umarmt: den Paladin
Läßt er den toten Brandimarte schauen,
Der so voll Lieb' und Treue war für ihn.
Rinald auch mußte weinen, als, zerhauen,
Das edle Haupt des Freunds vor ihm erschien.
Man führte ihn zu Oliver zum Gruße,
Hin, wo er ruhte mit gebrochnem Fuße.
153.
Was er an Trost besaß, das gab er ihnen,
Wiewohl er selbst sich ohne Trost befand:
Er war zu spät, zum Nachtisch erst, erschienen,
Vielmehr, als abgeräumt die Tafel stand.
Die Diener tragen nach den Stadtruinen
Die Leichen hin, Gradaß und Agramant,
Besorgen in den Trümmern das Begräbnis
Und künden in Biserta das Begebnis.
154.
Die Helden Samsonet und Astolf zeigen
Befriedigung bei diesem Siegsbericht;
Doch rechte Freude wäre ihnen eigen,
Sähe noch Brandimart das Tageslicht.
Vor seinem Tode muß der Jubel schweigen:
Zur Heiterkeit zwingt keiner das Gesicht.
Wer bringt es übers Herz von beiden Helden,
Nun Flordelis das große Leid zu melden?
155.
Die Nacht, die diesem Tag vorhergegangen,
Sah Flordelis im Traume das Gewand,
Das Brandimarte jüngst von ihr empfangen,
Verfertigt und gestickt von ihrer Hand:
Als wär' ein Wetter drüber hingegangen,
In roten Tropfen nach der Mitt' entsandt.
Und diese stickten, schien es, ihre Hände:
Ihr war, als ob sie drüber Schmerz empfände,
[345] 156.
Sprechend: »Mir war vom Herrn doch aufgegeben,
Ihm herzustellen ein ganz schwarzes Kleid?
Wie konnt' ich seinem Willen widerstreben
Mit Stickerei von solcher Seltsamkeit?«
Und schlimme Ahnung schien sie zu umschweben,
Bis dann die Nachricht kam zur Abendzeit,
Die Astolf lange zu verhehlen dachte,
Bis er mit Samsonet sie selber brachte.
157.
Die treten ein –: sie schaut's an ihrem Munde,
Nach solchem Sieg so gänzlich freudeleer!
Sie braucht nicht Nachricht, braucht nicht weiter Kunde:
Sie weiß, ihr Brandimart – er ist nicht mehr.
Das schlägt dem Herzen eine böse Wunde:
Das Aug' erträgt das Licht der Sonne schwer;
Sie steht wie sinnverwirrt und wie betrunken –
Wie tot ist sie zu Boden dann gesunken.
158.
Als ihr Besinnung kommt, schlägt sie die Wange,
Rauft sich das Haar und fängt zu jammern an;
Umsonst den teuren Namen ruft sie bange
Und tut sich Leides, was sie immer kann,
Und schreit so gräßlich, wie im Wahnsinnsdrange
Ein Wahnbeseßner je zu schrein begann
Und wie Mänaden sich zusammenballten
Und wälzten, wenn der Hörner Klänge schallten.
159.
Ein Messer, um das Herz sich zu durchbohren,
Verlangt sie: enden will sie ihre Qual;
Will dann zum Hafen (wo der Leib der Mohren
Nun angelangt), am Schiffe mit dem Stahl
An beiden, die das Leben schon verloren,
Schreckliche Rache üben noch einmal;
Will übers Meer dann, suchen in der Weite
Und sterben an des lieben Gatten Seite.
[346] 160.
»Mein Brandimart, zu solchem Strauße gehen,
Wie konntest du's«, so rief sie, »ohne mich?
Nie hat man sonst allein dich fortziehn sehen;
Denn Flordelis war bei dir sicherlich.
Ich hätt' es auch vermocht, dir beizustehen,
Die Augen stets gerichtet nur auf dich,
Damit ich dich mit einem Schreie warnte,
Eh noch Gradaß von hinten dich umgarnte.
161.
Den Hieb vielleicht vermocht' ich aufzufangen,
War ich auf Schnelligkeit nur wohl bedacht:
Und wär' er auf das Haupt mir niedergangen,
Gern hätt' ich es zum Schild für dich gemacht.
Zum Tode werd' ich nun auch so gelangen;
Doch wird dadurch kein Nutzen mehr gebracht.
O hätt' ich, dich beschützend, sterben können!
Nichts Schönres kann ein andrer Tod mir gönnen.
162.
Und weigert es der Himmel, daß ich wende
Dein hartes Los; und durft' ich helfen nicht,
Den letzten Kuß doch gab ich dir vorm Ende,
Mit Tränen doch benetzt' ich dein Gesicht.
Bevor zum Schöpfer hin dein Geist entschwände
Mit Engelsscharen nach dem ew'gen Licht,
Sagt' ich: zu harren meiner, geh in Frieden!
Bald dir zu folgen, ist mein Wunsch hienieden.
163.
Muß dies, mein Lieb, als Königreich dir frommen?
Warst du auf solche Krone denn bedacht?
Läßt du nach Dammogir mich also kommen?
Führst du mich ein in solche Herrscherpracht?
O, welche Pläne hast du fortgenommen,
Schicksal! Um welche Hoffnung mich gebracht?
Nun ich verlor mein höchstes Gut im Leben,
Was säum' ich, auch den Rest noch hinzugeben?«
[347] 164.
Sie spricht's und wird aufs neue fortgerissen
Zu wildem Wüten und zu Raserein:
Als wär' ihr schönes Haar der Tat beflissen,
Ihr schönes Haar zerrauft sie sich zur Pein,
Zerfleischt die Hand mit Schlägen und mit Bissen
Und gräbt die Nägel in die Lippen ein.
Wir lassen sie in Schmerzen sich verzehren,
Zu Roland und den andern hinzukehren.
165.
Roland, um seinen Vetter wohl zu pflegen,
Der einen Arzt braucht, und an würd'gem Ort
Den toten Freund in seine Gruft zu legen,
Begibt sich mit dem Schiff zum Berge dort,
Der hell das Dunkel macht durch Feuerregen
Und mit dem Rauch nimmt Tages Helle fort.
Der Wind ist günstig ihrem Wasserpfade,
Und rechts, nicht fern mehr, zeigt sich das Gestade.
166.
Die Taue sind gelöst, von dannen fliegen
Sie mit dem Winde, wie der Abend sinkt,
Und sehen deutlich ihre Straße liegen,
Weil hell das Horn der stillen Göttin winkt.
Als sie am andern Tag zum Strande stiegen,
Wo lieblich Agrigents Gefilde winkt,
Bestellte Roland, was sie nötig hatten,
Den Freund am nächsten Abend zu bestatten.
167.
Alles verläuft, wie's Roland hat gefallen,
Nachdem die Sonne schwand am Firmament
(Zur Trauerfeier viele Gäste wallen
Vom Adel aus dem Land um Agrigent,
Indessen Weheruf und Klagen schallen,
Und am Gestad' ein Meer von Fackeln brennt),
Hat Roland sich zum Toten hinbegeben,
Den er so treu geliebt in Tod und Leben.
[348] 168.
Da steht Berdin, gebeugt von vielen Jahren,
Und an der Leichenbahre weint er sehr.
Er hat geweint schon beim Herüberfahren
Und hat vor Tränen fast kein Auge mehr.
Daß Gott und Sterne viel zu grausam waren,
Gleich krankem Leuen brüllt und stöhnet er.
Im grauen Haare wüten ohne Ende,
Und in der welken Haut, ruchlose Hände.
169.
Und stärker scholl das Jammern und das Klagen,
Als Roland jetzt, dem Toten zugewandt,
Zum Sarge trat und, ohn' ein Wort zu sagen,
Mit starrem Aug' und bleichem Antlitz stand,
Bleich wie am Abend – wenn gepflückt beim Tagen –
Ligustrum wird und zärtlicher Akanth.
Mit tiefem Seufzer, stets der Blicke Lichter
Auf ihn gerichtet, schließlich also spricht er:
170.
»O Starker, Lieber! Treuster der Genossen!
Wenn hier du starbst, du gingst zum Himmel ein.
Dort hat sich dir ein Leben aufgeschlossen,
Da dringt nicht – tötend – Hitz' und Kält' hinein.
Verzeih die Tränen, die für dich geflossen!
Ich weine, noch auf dieser Welt zu sein,
Und daß mir's nicht vergönnt, dein Glück zu teilen;
Nicht, daß du nimmer sollst auf Erden weilen.
171.
Ich bin allein: nichts mehr wird hier gefunden,
Was ohne dich mir lieblich scheint fortan.
War ich mit dir in Sturms und Kampfes Stunden,
Warum nicht auch in Ruh' und Freude dann?
Mein Fehl ist groß: er hält mich hier gebunden,
Daß aus dem Schlamm ich nicht dir folgen kann.
War ich bisher bei dir in Not und Leiden,
Von deinem Glücke soll ich nun mich scheiden.
[349] 172.
Du hast Gewinn – ich muß Verlust beklagen;
Du hast das Glück – ich nicht das Leid allein.
Mein Schmerz wird Wellen durch ganz Frankreich schlagen,
Nach deutschem und ital'schem Land hinein.
Wie schwer wird dies mein Ohm und König tragen!
Wie werden trüb die Frankenhelden sein!
Wie singt man in der Kirche Trauerlieder!
Wann kommt ihr solch ein Hort und Schützer wieder?!
173.
Wie wird der Schrecken jetzt den Feinden schwinden!
Wie kommt dein Tod dem Heidenvolk zugut!
Wie wird man's stärker und verwegen finden!
Wie wächst ihm jetzt Vertraun und neuer Mut!
Wie wird in Schmerz sich deine Gattin winden!
Ich hör' ihr Schrein, seh' ihrer Zähren Flut.
Anklagen wird sie mich, vielleicht mich hassen:
Du hast – ihr Hoffen – sie um mich verlassen!
174.
Doch eins, o Flordelis, kann Trost uns geben,
Sind wir um Brandimart in schwerem Leid:
Die Krieger all, die jetzt auf Erden leben,
Sie fühlen ob so hohen Ruhmes Neid.
Kodrus, den die Argiver hoch erheben,
Die Decier, die dem Abgrund sich geweiht,
Sind für ihr Land nicht herrlicher gestorben
Und haben nicht mehr Ehre sich erworben.«
175.
So sprach der Graf. Da läßt der Zug sich sehen
Der frommen Brüder schwarz und grau und weiß.
Mit ihnen all die andern Priester gehen
In langer Reihe, feierlicherweis,
Um für den Toten jetzt zu Gott zu flehen,
Daß er ihm gönne seinen sel'gen Preis.
Von Fackeln – vorn, rings, mitten – das Gefunkel
Könnte zum Tage wandeln nächtig Dunkel.
[350] 176.
Man nahm den Sarg; nun trugen sie den Toten
Abwechselnd, manch ein Graf und Rittersmann.
Die Decke war aus Seidenstoffen, roten,
Und stolzer Schmuck von Perl und Gold daran,
Kissen von höchstem Reichtum, und sie boten
Die feinste Arbeit, die man je ersann.
Dort lag der tote Held in einem Kleide
Von gleichen Farben aus derselben Seide.
177.
Dreihundert waren schon vorausgedrungen
– Die ärmsten aus dem Land – gleich zu Beginn,
Ein schwarz Gewand um ihren Leib geschlungen:
Gleichförmig allen hing's zur Erde hin.
Auf starke Rosse hatten sich geschwungen
Dann hundert junge Pagen, kühn von Sinn;
Und die Schabracken ihrer Schlachtenpferde
Streiften mit ihrem Trauerrand die Erde.
178.
Und vorn und hinten kommen mit Fanfaren,
Fahnen, entfaltend vieler Wappen Pracht,
Und wallen um den Sarg; besiegten Scharen,
Wohl Tausenden, entrissen in der Schlacht
Für Cäsar und die Kirche in Gefahren
Durch seines Armes nun gebrochne Macht;
Auch Schilde mit den Namen würd'ger Krieger,
Die er von ihnen sich erstritt als Sieger.
179.
Hundert und hundert kamen unverdrossen,
Für den und jenen Zweck, im Zug; die Hand
Hielt eine Fackel; jeder war umschlossen
Mehr als bekleidet durch ein schwarz Gewand.
Dann folgte Roland, seine Tränen flossen;
Er blickte trüb; rot war der Augen Rand.
Nicht froher ging Rinald. Es konnt' um seinen
Gebrochnen Fuß nicht Oliver erscheinen.
[351] 180.
Weitläufig wär's, wollt' ich in Verse bringen
Die Zeremonien alle miteinand:
Wie Trauermäntel auf den Schultern hingen,
Wie viele Fackeln wurden abgebrannt.
Als sie im Zug zur Kathedrale gingen,
Kein einzig Auge ohne Tränen stand:
So jung, so schön, so gut! – Mitleid gebührte
Dem Toten, der sie alle innig rührte.
181.
Man legt ihn nieder: fürder nicht erschallten
Der Fraun unnütze Klagen laut und leis,
Auch Sang der Priester und Gebet verhallten,
Das Sanktus und Eleison gleicherweis';
Zwei Säulen nun den Schrein des Toten halten
(Bedeckt schön, auf des Paladins Geheiß,
Mit Goldbrokat): hier soll er ruhn so lange,
Bis eine stolze Gruft ihn einst umfange.
182.
Roland bestellte Alabasterplatten
Und Porphyrstein, eh er Sizilien ließ,
Wo – hochbelohnt – den Plan gefertigt hatten
Die Meister, die man als die ersten pries.
Der Quadern, Säulen Bau geht dann vonstatten;
Für alles sorgt mit Liebe Flordelis.
Sie kam herüber aus dem Libyerlande,
Als Roland fern war dem Sizilierstrande.
183.
Und wie die Tränen unermüdlich quellen,
Und immer neu empor der Seufzer dringt,
Und, was sie auch an Messen mag bestellen,
Doch ihrer Sehnsucht nichts Genüge bringt,
Will sie dem Ort für ewig sich gesellen,
Bis aus dem Körper sich die Seele ringt,
Und läßt im Grab sich eine Zelle bauen,
Dem Stein bis an ihr End' sich zu vertrauen.
[352] 184.
Der Graf schickt nicht nur Boten oder Schreiben,
Er lenkt zu ihr auch selber hin den Schritt:
Glänzend belohnt, soll sie in Frankreich bleiben
Bei Galerana, das ist seine Bitt';
Und wolle Sehnsucht sie zum Vater treiben,
Bis Lizza komm' er als Begleiter mit.
Wenn sie die Magd des Himmels werden wolle,
Ein Kloster ihr errichtet werden solle.
185.
Sie blieb im Grabmal, ganz der Buß' ergeben,
Versenkt in frommes Beten Tag und Nacht.
Nicht lange währt' es, bis dem edlen Leben
Der grimmen Parze Scheer' ein Ende macht'.
Schon hatten sich vom Eiland fortbegeben,
Wo Grotten sahen der Zyklopen Macht,
Die drei von Frankreich: mit betrübten Sinnen
Ohne den vierten zogen sie von hinnen.
186.
Sie wollten sich zur Reise nicht verstehen
Ohn' einen Arzt für ihren Oliver.
Es war im Anfang manches ja versehen,
Darum die Heilung mühevoll und schwer.
Vor Schmerzen schien der Arme zu vergehen;
Sie sorgten sich um seine Wunden sehr.
Dann ist dem Schiffer etwas eingefallen
Zu guter Letzt, das Anklang fand bei allen.
187.
Er meinte, daß man einen Klausner fände
Nicht weit von hier an felsig wildem Ort,
An den man niemals sich vergebens wende;
Ohn' Hilf' und Rat geh' keiner weg von dort,
Weil er die Toten noch ins Leben sende;
Und Dunkelheit nehm' er den Blinden fort;
Er banne Winde mit des Kreuzes Zeichen,
So daß die wilden Stürme plötzlich weichen.
[353] 188.
Man dürf' in Zweifel nimmermehr verfallen,
Daß dieser Gottesmann, dem Höchsten wert,
Den Wunden heile, weil bisher noch allen,
Und schlimmer Kranken, Rettung ward beschert.
Der Vorschlag hat dem Grafen sehr gefallen,
Worauf das Schiff zum heil'gen Orte fährt:
Ohn' andre Richtung jemals ihm zu geben,
Sahn sie die Klipp' am Morgen sich erheben.
189.
Geführt von Männern, auf der See erfahren,
Naht sich das Schiff dem Fels in Sicherheit.
Herrn Oliver ans Land zu bringen, waren
Bemüht die Diener mit Behutsamkeit:
Durch Brandung mußte man zum Felsen fahren;
Von dort war's nach dem heil'gen Haus nicht weit,
Dem heil'gen Haus mit jenem selben Alten,
Durch den einst Roger seine Tauf' erhalten.
190.
Er, der dem Himmelsherren pflegt zu dienen,
Empfängt den Grafen und die Kumpanei
Und segnet alle mit erfreuten Mienen
Und fragt nach ihren Wünschen auch dabei
(Ihm waren Engel kurz zuvor erschienen,
Zu melden, daß die Schar im Anzug sei).
Er hat vom Grafen den Bescheid empfangen,
Sie möchten für den Wunden Hilf' erlangen,
191.
Der ja für Christi Lehre focht im Streite;
Er schwebe jetzt in äußerster Gefahr.
Der Heil'ge bannte gleich die Furcht ins Weite:
Er werd' ihn heilen, sagt' er, ganz und gar.
Und ohne daß er Salben zubereite
– Der Menschenheilkunst war er völlig bar –,
Ging er zur Kirche: zum Erlöser bat er,
Und dann heraus mit großer Kühnheit trat er
[354] 192.
Und ließ im Namen von den ew'gen Dreien,
Vom Vater und vom Sohn und Heil'gen Geist,
Dem Kranken seinen Segen angedeihen: –
Und seht, wie er den Schmerz vergehen heißt
(Oh, Wunderkraft will Glaube ja verleihen)!
So daß der Fuß sich als gesund erweist,
Geschmeidig, fest, von Kräften auserlesen –
Zugegen ist auch Fürst Sobrin gewesen.
193.
Er war gar übel dran mit seinen Wunden,
Und schlimmer fühlt' er sich von Tag zu Tag.
Als er den Kranken durch den Mönch gesunden
Sah also wunderbar mit einem Schlag,
Da war sein Glaub' an Mohammed geschwunden:
Christum bekannt er, der so viel vermag,
Und bat, das Herz zerknirscht und voller Bangen,
Des Christentumes Lehre zu empfangen.
194.
Der Klausner tauft ihn; durch sein frommes Flehen
Stellt er in voller Kraft ihn wieder her.
Roland und die Genossen alle sehen
So froh Sobrins Bekehrung, wie vorher
Das Wunder, das an Oliver geschehen,
Als er genas von gräßlicher Beschwer.
Am frohsten doch hat Roger es empfunden
Und sich im Glauben stärker noch gefunden.
195.
Er war, seit er zur Klippe hergeschwommen,
Geblieben in der Felsenwüstenei.
Der Greis ermahnt mit Reden, heil'gen, frommen,
Die Krieger alle, daß ihr Streben sei,
Rein durch die trübe Lache hinzukommen,
Die Leben heißt, von Schmutz und Kote frei
(Sie könnte ja den Toren nur gefallen),
Und immer nach des Himmels Ziel zu wallen.
[355] 196.
Vom Schiffe holt man Proviant indessen
Und läßt nicht Brot, Wein, Käs' und Schinken ruhn,
Der Gottesmann, der den Geschmack vergessen
Bei seinen Früchten längst von Schnepf' und Huhn,
Muß zur Gesellschaft auch vom Fleische essen
Und trinkt vom Wein und tut, was alle tun.
Als sie gesättigt drauf vom Tische gingen,
Da führten sie Gespräch von vielen Dingen.
197.
Wie es bei Unterhaltung mag geschehen,
Daß eines leicht zum andern sich gesellt:
Rinald und Oliver und Roland sehen
Zuletzt in Roger jenen großen Held,
Des Taten in so hohem Ansehn stehen
Und den zu preisen einig ist die Welt,
Wiewohl Rinald nicht gleich den Feind erkannte,
Der gegen ihn einst in den Schranken rannte.
198.
Sobrin allein vermocht' es zu bekunden,
Als er ihn mit dem Alten kommen sah;
Jedoch zu schweigen hielt er sich verbunden:
Die Möglichkeit des Irrtums gab es ja.
Nachdem die andern nun herausgefunden:
Roger, der große Held, sei dieser da,
Des edler Sinn und Kraft verherrlicht werde,
Und hohe Kühnheit, auf der ganzen Erde,
199.
Und sei von denen jetzt, die Jesu dienen –
Da kamen sie zu frohem Gruß heran
Und drückten ihm die Hand mit hellen Mienen,
Umarmten ihn mit Küssen, Mann für Mann.
Am meisten ehrt ihn doch Rinald von ihnen:
Er tut ihm Liebes, was er irgend kann.
Den Grund zu sagen, möcht' ich nun verschieben
Zum nächsten Sange, will es Euch belieben.

[356] Vierundvierzigster Gesang

1.
In niedern Hütten, wo sich Nöte finden
Und Kümmernis und schwerer Trübsal Last,
Wird Freundschaft kräftiger die Herzen binden
Als unter neid'schem Reichtum und in Glast
Und Üppigkeit des Hofs: gar oft entwinden
Sich Hinterlist und Argwohn dem Palast,
Wo's mit der Liebe meist gar schlecht bestellt ist
Und nur sich Freundschaft kundgibt, die verstellt ist.
2.
So kommt es denn: der fürstlichen Parteien
Verträg' und Pakte brechen gar geschwind:
Ob heut im Bund Papst, König, Kaiser seien, –
Vielleicht, daß sie schon morgen Feinde sind.
Was für ein Bild der Anschein möge leihen,
Im Herzen ist man anders stets gesinnt.
Recht oder Unrecht will nicht viel verschlagen:
Was Nutzen bringt, nur das pflegt man zu fragen.
3.
Kann Freundschaft kaum in solche Herzen dringen
(Denn gerne weilt sie an den Orten nicht,
Wo man in ernsten und in leichten Dingen
Nur heuchlerische, falsche Worte spricht),
So braucht ein herbes Los sie nur zu bringen,
Vereint, an eine Stätte still und schlicht, –
Da werden sie an Freundschaft mehr erfahren
In kurzer Zeit als sonst in langen Jahren.
[357] 4.
Der gute Greis knüpft mit so starken Banden
Zur Liebe beide Gäste seiner Klaus',
Daß sich an Königshöfen kaum wohl fanden
So feste Knoten, und im Fürstenhaus.
Getreu die Ritter zueinander standen,
Erst mit dem Leben ging die Freundschaft aus.
Der Alte sah sie wacker, rein von Sinnen:
Wie außen weiß der Schwan ist, sind sie's innen.
5.
Er sieht, ein edles Herz ist ihnen eigen,
Nicht jenen gleich – wie ich Euch dargetan –,
Die, ganz verworfen, nie sich offen zeigen
Und immer nur sich voll Verstellung nahn.
Versenkt blieb in Vergessenheit und Schweigen,
Was sie sich Übles hatten angetan:
Sie liebten sich wie eines Stamms Genossen,
Als wären sie dem gleichen Schoß entsprossen.
6.
Rinald zumal ließ Roger widerfahren
Der Ehren viel und jede Freundlichkeit;
Teils, weil er mit den Waffen schon erfahren
Des Jünglings Mut und Kraft in frührer Zeit;
Teils, weil gewinnend Rogers Sitten waren
Und hold wie keines Ritters weit und breit;
Zumeist doch, weil Rinald herausgefunden,
Wie mannigfach er Roger war verbunden.
7.
Er wußte, daß er aus den schwersten Nöten
Befreite dort den jungen Richardet,
Als ihn der Spanierkönig wollte töten
(Er fand ihn ja in seiner Tochter Bett);
Auch eh ihr Blut den Boden konnte röten,
Wußt' er den Söhnen Bovos ihre Kett'
Aus Mohrenhänden und Gewalt der bösen
Scharen des Mainzer Bertolas zu lösen.
[358] 8.
Verpflichtet fühlt' er sich, ihn recht zu lieben:
So dünkte jene Dankesschuld ihn schwer.
Daß sie zu tilgen lange unterblieben
– Er konnt' es früher nicht –, bedrückt ihn sehr.
Damals war Roger Agramant verschrieben,
Und er, Rinald, stand noch in Kaisers Heer.
Nun freut er sich, da er als Christ ihn findet,
Zu tun, wozu die Pflicht ihn längst verbindet.
9.
Mit Ehr' und Artigkeit ihn zu umringen,
Ist drum Rinald bestrebt die ganze Zeit.
Der kluge Greis hat Lust an diesen Dingen
Und tritt zu ihnen voll Behaglichkeit
Und spricht: »Noch eines gilt es zu vollbringen,
Und machen wird sich's, denk' ich, ohne Streit:
Daß, wie sich Freundschaft schon bei euch entfaltet,
Auch zwischen euch sich Schwägerschaft gestaltet,
10.
Damit Geschlecht sich und Geschlecht vereine,
Wie auf der Welt kein drittes mehr besteht,
Ein Stamm entsprieße, der noch heller scheine
Als Licht, so weit die Sonne nur sich dreht,
Und immer größrer Glanz dem Glanz sich eine,
Wenn Jahr um Jahr im Zeitenlauf vergeht
(Wie mir der Herr für sich es kundgetan hat),
Solang der Himmel die gewohnte Bahn hat!«
11.
Und weiter rät der Greis: Rinald soll geben
Dem neuen Freund die Schwester Bradamant:
Die zwei zu bitten, war nicht nötig eben.
Auch Oliver und Roland von Anglant,
Die solchen Bund als wünschenswert erheben,
Hoffen, daß Karl, der Herr vom Frankenland,
Ihn billige, und Haimon auch und allen
Im Reiche diese Bande wohlgefallen.
[359] 12.
Sie wissen nicht, daß, wie sie dieses sagen,
Herr Haimon mit des Kaisers Willen schon
Die Tochter halb vergab in diesen Tagen
An Kaiser Konstantin, der auf dem Thron
Der Griechen sitzt; er hatt' ihr angetragen
Des Reiches Erben, Leo, seinen Sohn;
Er war noch nie mit Bradamant zusammen,
Stand bloß auf ihrer Kühnheit Ruf in Flammen.
13.
Die Antwort Haimons war, er geb' einstweilen
Noch nicht Bescheid und werd' ihn erst dem Herrn
Nach Rückkehr seines Sohns Rinald erteilen;
Denn dieser sei zurzeit von Hofe fern.
Er werde nun wohl gleich zum Schlosse eilen;
So hohen Schwager seh' er sicher gern.
Aus Achtung woll' er immerhin vermeiden,
Allein in solcher Sache zu entscheiden.
14.
Und so versprach Rinald, ohn' alle Kunde,
Was auf des Kaisers Antrag dort geschah,
Roger die Schwester jetzt mit Hand und Munde.
Roland und, die mit ihm noch weiter da,
Zeigten ihr Wohlgefallen an dem Bunde;
Am freudigsten jedoch der Greis ihn sah.
Und Haimon, meint er, werde mit Vergnügen
Sich einem solchen Schwiegersohne fügen.
15.
Sie bleiben Tag und Nacht beim klugen Greise
Und auch vom nächsten Tag noch einen Teil,
Gedenken fast nicht mehr, so scheint's, der Reise,
Verheißen gleich die Winde Glück und Heil.
Den Schiffern nur behagt's in keiner Weise;
Sie schicken Boten, mahnen sehr zur Eil'
Und laden alle dringend nach dem Schiffe,
Daß sie vom Klausner scheiden und vom Riffe.
[360] 16.
Aus der Verbannung, die so lange währte
(Denn von dem Felsen wich er ja nicht mehr),
Ging Roger, und vom Greis, der ihm erklärte,
Der heil'ge Meister, wahren Glaubens Lehr';
Und Roland gab ihm außer seinem Schwerte
Frontin, den guten Hengst, und Hektors Wehr,
Um seine große Liebe recht zu zeigen;
Auch waren sie ja früher schon ihm eigen.
17.
Das Schwert zwar, das gefeite, zu behalten,
Hätt' ein viel beßres Recht der Paladin
(Denn damals mußt' er alle Kraft entfalten,
Es jenem Schreckensgarten zu entziehn),
Als Roger, der vom Diebe ihn erhalten,
Zusammen mit dem Hengste, dem Frontin.
Doch gern, sobald der Wunsch ward kundgegeben,
Ließ er die Waffen, ohne Widerstreben.
18.
So kehren alle mit des Greises Segen
Endlich zurück an ihres Schiffes Bord:
Die Segel schwellen, Ruder frisch sich regen;
Bei klarem, heitrem Wetter geht es fort,
Und nicht aufs Beten braucht man sich zu legen,
Heil zu gelangen in Marseilles Port.
Dort mögen sie nun bleiben eine Weile,
Bis ich noch Astolf ihnen zuerteile.
19.
Der Herzog hatte von dem Sieg erfahren
(Gar blutig ging er, wenig fröhlich aus),
Und sah, daß nun die Franken sicher waren
Vor Afrika und weiterm Schlachtengraus.
Der Nubierkönig mit den schwarzen Scharen,
Der ziehe, meint er, wiederum nach Haus,
Und auf dem Wege zwar, den er gegangen,
Um zu dem Sturm Bisertas zu gelangen.
[361] 20.
Die Flotte, die den Feind schlug auf den Wogen,
Hatt' Holgers Sohn zurückgesandt durchs Meer.
Ein neu Mirakel, hört! Davongezogen
War aus den Schiffen kaum das schwarze Heer,
Als Bug und Heck sich rasch zusammenbogen,
Und alles wurde Blätter wie vorher.
Die heben sich, gejagt von schnellen Winden,
Hoch in die Lüfte, wo sie bald verschwinden.
21.
Die Nubierscharen wurden heimgesendet;
Zu Fuß, zu Pferde zogen alle ab.
Vorher hatt' Astolf großen Dank gespendet,
Und unvergänglichen, an den Senap,
Der selber kam, nachdem er aufgewendet
Das ganze Volk, dem er Befehle gab.
Den Südwind auch, im Schlauche fest gefangen,
Ließ er durchs Heer ins Nubierland gelangen.
22.
Er gab den Wind ihm – sagt' ich –, eingeschlossen,
Der her von Mittag bläst (mit solcher Wut,
Daß dürrer Sand kommt himmelwärts geschossen,
Sich bäumend, hoch wie Wellen in der Flut):
Sie möchten achten auf den Sturmgenossen –
Weil er ja unterwegs leicht Schaden tut –,
Und dann, sobald sie nach der Heimat kämen,
Ihn frei zu lassen, aus dem Schlauche nehmen.
23.
Turpin erzählt: sie waren an den Seiten
Des hohen Atlas; – plötzlich ward zu Stein
Ein Pferd ums andre, all zu gleichen Zeiten;
So wie man auszog, zog man wieder ein. –
Doch Astolf muß nunmehr nach Frankreich reiten!
Er läßt, fürs Mohrenland besorgt zu sein,
In all die wicht'gen Plätze Mannschaft legen
Und drauf den Hippogryph die Schwingen regen.
[362] 24.
Ein Flügelschlag! – Sardinien ist zur Stelle,
Und Korsika erscheint mit seinem Strand;
Nun geht der Weg ob blauer Meereswelle
(Ein Ruck am Zaum lenkt etwas linker Hand).
Zuletzt grüßt er die Niederung, die helle
Und reiche, dort im Provenzalenland.
Und hier ist mit dem Flügeltier geschehen,
Was der Evangelist vorausgesehen.
25.
Bloß zur Provence soll er den Sporn ihm geben –
Das war's, worauf der heil'ge Jünger drang –,
Es dann entlassen, ja nicht widerstreben,
Mit Zaum und Sattel, seinem Freiheitsdrang.
Hin, wo Verlornes weilt, schien aufzuschweben,
Zum niedern Himmel, schon des Hornes Klang:
Der Ton – seit er zum heil'gen Ort gedrungen –
War nicht nur leiser, nein, durchaus verklungen.
26.
Am Tag, als Astolf zu Marseille erschienen,
Kam auch Graf Roland an, und Oliver;
Der Herr von Montalban war dort mit ihnen,
Sobrin der wackre, Roger, wacker mehr.
Des Freunds Gedenken wehrt den Paladinen
Den allzugroßen Jubel: fehlt doch er!
Ein jeder klagt, daß er im Grabe liege,
Und kann nicht recht sich freun am schönen Siege.
27.
Karl hatte von Sizilien schon die Kunde
Vom Tod der Herrn und, daß in Haft Sobrin,
Und Brandimart verschied mit blut'ger Wunde.
Auch über Roger unterwies man ihn.
Er stand beglückt, mit freudehellem Munde,
Weil eine Last ja nun gehoben schien,
Die seine Schultern gar zu schwer empfanden:
Er blieb gebeugt, als schon die Sorgen schwanden.
[363] 28.
Zu ehren, die des Reiches Säulen waren,
Des heiligen, durch Kraft und hohen Sinn,
Schickt Karl (um seinen Gruß zu offenbaren)
Des Landes Edle bis zur Saône hin.
Er selbst, mit den Erlesnen seiner Scharen,
Fürsten und Herrn, und mit der Kaiserin
Verließ die Mauer im Geleit von Frauen
Und edlen Fräulein, lieblich anzuschauen.
29.
Der Kaiser – strahlend – und, die mit ihm gingen,
Verwandte, Paladine, Freundeschar,
Der Adel und das Volk, sie alle bringen
Den Nahenden der Liebe Zeichen dar.
Mongran' und Clermont! rings die Rufe klingen.
Der Jubel zeigte die Begeistrung klar,
Als Roland, Oliver, Rinald sich rührten
Und Roger hin zu Karl, dem Kaiser, führten.
30.
Aus Risa, sagten sie, von Roger stamme
Der Held und sei an Wert dem Vater gleich.
Die Unsern wissen, wie herniederflamme
Des Hochgemuten Schwert mit wucht'gem Streich.
Nun kam Marfisa und die tugendsame
Gefährtin Bradamant, an Anmut reich.
Die eine hat den Bruder froh umfangen;
Voll Haltung kommt die Kriegerin gegangen.
31.
Der Kaiser heißt den Jüngling wieder reiten
(Denn ehrfurchtsvoll stieg er herab vom Pferd):
Als sein Genosse muß er ihn begleiten.
Was edlem Gast an Ehren widerfährt,
Davon läßt Karl kein Tüpfelchen beiseiten.
Er wußte, Roger habe sich bekehrt:
Denn als die Ritter kaum im Trocknen waren,
So ließen sie's den Herrscher gleich erfahren.
[364] 32.
Mit Siegespomp und festlich hohem Reigen
Ziehn alle miteinander nach der Stadt
(Wo Laubgehänge prangt mit grünen Zweigen
Und selbst das Pflaster Teppichdecken hat,
Und Blumengrüße sich den Siegern neigen
Von oben und den Seiten, Blüt' und Blatt,
Die schöne Damen dort mit vollen Händen
Herab aus Fenster und Balkon entsenden).
33.
Und Ehrenpforten, herrliche, mit vielen
Trophän und Bogen waren für sie da;
Gemalt war, wie Bisertas Mauern fielen,
Und manches, was noch sonst im Krieg geschah;
Dann Schaugerüste, wo man außer Spielen
Viel Lustbarkeit und Pantomimen sah;
Und aller Orten stand in großen Lettern
Die Inschrift, gut und wahr: »Des Reiches Rettern!«
34.
Derweil die Hörner und die Pfeifen schallen
Und alle Art Trompeten und Schalmein
Mit Lachen und mit Jubelruf von allen,
Die kaum mehr in die Straßen gehn hinein,
Steigt ab der Kaiser vor des Schlosses Hallen,
Und Tag um Tag ergötzt er hinterdrein
Die Menge mit Turnier und Spiel und Tanze
Und Späßen, Gasterein und Mummenschanze.
35.
Rinald sagt eines Tags dem Vater, freien
Solle Jung-Roger Schwester Bradamant,
Und Oliver und Roland Zeuge seien:
Dem Helden ward versprochen ihre Hand;
Sie meinten, so wie er, mehr Glanz verleihen
Könnt' ihrem Hause kein Verwandtschaftsband:
Kein Freier übertreff' ihn, und es gleiche
An Blut und Wert kaum einer ihm im Reiche.
[365] 36.
Daß die Verlobung, ohn' ihn zu befragen,
Der Sohn bestimmt, legt Haimon übel aus:
Sie, der ein Kaisersohn sich angetragen,
Soll mit dem jungen Roger ziehn hinaus,
Der nicht nur ohne Land ist, nein, zu sagen
Ist er nicht mal imstand: das ist mein Haus!
Mag edlem Blute hoher Wert entstammen,
Erst Reichtum fügt das Ganze gut zusammen.
37.
Noch stärker ist Beatrix ungehalten,
Und störrisch nennt den Sohn die Herzogin:
Nie solle Roger Bradamant erhalten;
Heimlich und offen hat sie eins im Sinn,
Betreibt's mit aller Macht: ihr Kind soll schalten
Im fernen Osten dort als Kaiserin.
Auf allem aber will Rinald bestehen:
Von seinem Wort soll auch kein Jota gehen.
38.
Beatrix, wähnend, daß zu ihr im Streite
Die Tochter halte, stolz, dringt auf sie ein:
Eh Bradamant solch armen Ritter freite,
Möchte die Mutter gleich des Todes sein.
Doch stehe sie dem Bruder gar zur Seite,
Nicht länger sei sie dann ihr Töchterlein.
Sie solle standhaft sein vor allen Dingen:
Rinald vermög' es doch nicht zu erzwingen!
39.
Stumm bleibt das Fräulein, denn sie darf nicht wagen,
Zu widersprechen so geradheraus:
Sie denkt als gutes Kind in allen Lagen
Niemals an einen Widerstand im Haus.
Doch wär's auch ein Vergehen, ja zu sagen,
Wenn sie im voraus weiß: sie führt's nicht aus,
Sie führt's nicht aus, weil sie nicht kann – verschwunden
Ist ihre Kraft, seit Amor sie gebunden.
[366] 40.
Nicht weigern kann sie sich, nicht drein sich geben:
Sie seufzt; doch schweigend bleibt sie immerdar,
Nur wenn sie unbemerkt allein ist, heben
Sich Tränen, fließen wie ein Strom fürwahr.
Der Busen muß die Qualen miterleben,
Die sie zerfleischen, und das blonde Haar:
Das rauft sie aus, und den die Fäuste schlagen;
Die Zähren rinnen, und die Lippen sagen:
41.
»Kann ich denn wollen, was sie mir verwehren,
Die über meinen Willen haben Macht?
Darf ich der Mutter Wunsch so wenig ehren,
Daß ich nur meines Willens hätte acht?
Was kann ein Mädchen, ach, so sehr beschweren,
Was hätt' ihm größern Tadel eingebracht,
Als ihr entgegen einen Gatten wählen,
Die, was es immer sei, hier darf befehlen?
42.
Weh! soll ich mich der Kindespflicht vertrauen?
Soll ich entsagen dir, o Roger mein?
Soll ich auf eine neue Liebe bauen?
Auf neuen Wunsch? Darauf voll Hoffnung sein?
Soll ich mißachtend auf die Ehrfurcht schauen,
Die gute Kinder guten Eltern weihn?
Soll ich mich fragen nur, was meinen Augen
Gefällt, was mir und meinem Glück wird taugen?
43.
Ich weiß, wonach ich Arme sollte trachten;
Ich weiß, wie handeln muß ein gutes Kind.
Allein was hilft's, wenn in des Busens Schachten
Schwach die Vernunft ist, stark die Sinne sind,
Verstand und Willen auf die Flucht sich machten
Vor Amor? Wenn ich nur Gedanken find',
Auf ihn gerichtet, wie ich ihm vor allen
Mit Worten und mit Taten mag gefallen?
[367] 44.
Haimons und Beatrices Tochter bin ich,
Zugleich auch Amors Sklavin und sein Gut.
Ich hoffe, wenn ich irr' geh, so gewinn' ich
Vergebung bei den Eltern; – sie sind gut!
Doch kränk' ich Amor, dann vergebens sinn' ich,
Wer mich beschützen wird vor seiner Wut:
Er wird auf meine Gründe gar nicht hören;
Er wird mich töten gleich, wird mich zerstören.
45.
Zum wahren Glauben Roger hinzuziehen,
Hab' ich mit Mühen lang und schwer gesucht,
Und endlich wird Erfüllung mir verliehen: –
Was hilft es, pflücken andre nun die Frucht?
So ist's der Biene nicht zu Nutz gediehen,
Daß sie jahraus, jahrein den Honig sucht.
Doch lieber wollt' ich, daß mein Ende käme,
Als daß ich einen andern Gatten nähme!
46.
Und wenn ich nicht gehorsam mich erweise
Den Eltern, folg' ich meinem Bruder doch,
Der mehr als sie verständig ist und weise:
Voll hat er das Gehirn im Kopfe noch.
Vom Sinn Rinalds ist Roland gleicherweise,
Und der und jener; mehr hält beide hoch
Die ganze Welt – stehn diese zwei zusammen –
Als alle sonst, die unserm Haus entstammen.
47.
Wenn sie nun Clermont Glanz und Glorie geben,
Daß keiner ihren Wert zu leugnen wagt,
Und über alle höher sich erheben,
Als übern Fuß hinaus die Stirne ragt; –
Soll ich dann Haimons Wunsch zu folgen streben,
Mehr, als was Roland wie Rinald mir sagt?
Zumal die meinem Ritter fest verhießen,
Was meine Eltern dort in Zweifel ließen?«
[368] 48.
Wenn so das Fräulein bitter sich gequält hat,
Ist auch nicht ruhevoll des Jünglings Brust,
Weil ihm der Dinge Lauf sich nicht verhehlt hat,
Wiewohl die Stadt noch nichts davon gewußt.
Er klagt sein Schicksal an, daß ihm gefehlt hat
Genuß des Glücks in Freudigkeit und Lust,
Weil es ihm Geld und Güter vorenthalten,
Damit so reichlich tausend Schlechtre schalten.
49.
Von allem Guten sonst, ob man erreichen
Es kann durch Fleiß, ob es Natur verleiht,
Besitzt er, was sich füglich darf vergleichen
Den höchsten Gaben irgendeiner Zeit:
Denn jede Schönheit muß der seinen weichen,
Es triumphiert die Kraft in jedem Streit,
Und er verdient an Glanz und Edelsinne,
Daß er vor andern solchen Preis gewinne.
50.
Allein das Volk, das Ehren pflegt zu geben
Und sie beliebig hierhin, dorthin streut
(Und überm Volke steht nur der mir eben,
Der wirklich hohen Geistes sich erfreut;
Tiara nicht noch Kron' und Zepter heben
Die Päpst' und Kaiser über andre Leut',
Was doch allein Verstand und Urteil können
– Der Himmel will es wenigen vergönnen –),
51.
Nun also dieses Volk – so wollt' ich sagen –,
Das voll Verehrung nur vom Reichtum spricht,
Es pflegt zu ihm die Augen aufzuschlagen,
Und alles andre sieht's und achtet's nicht,
Sei's Kraft des Körpers, Schönheit, kühnes Wagen,
Gewandtheit, Tugend und des Geistes Licht,
Güte des Herzens, – und in Heiratssachen
Will Gold noch mehr als sonst sich geltend machen.
[369] 52.
Herr Roger sprach: »Hegt Haimon das Verlangen,
Daß seine Tochter trage Kaiserkron',
Ei, warten mög' er, bis ein Jahr vergangen!
Nicht jetzt geschlossen sei der Handel schon.
Das Reich des Leo denk' ich zu erlangen,
Und seinen Vater jag' ich von dem Thron:
Hab' ich die Krone jenem fortgenommen,
Bin ich als Schwiegersohn ihm wohl willkommen.
53.
Doch will zum Schwiegervater sich gestalten
Von Bradamant schon jetzt Herr Konstantin,
Und Haimon das Versprechen mir nicht halten,
Gemacht von Roland und Rinald für ihn
In Gegenwart des gottgesandten Alten,
Vor Markgraf Oliver und Fürst Sobrin, –
Was soll dann ich tun? Soll ich mich bescheiden?
Soll ich, bevor ich's dulde, Tod erleiden?
54.
Was soll ich tun? Soll ich voll Zorn erfassen
Den Vater der Geliebten? Nicht genug,
Daß solches Tun mir wenig könnte passen
– Es mag dahin stehn: ist es dumm, ist's klug? –
Setz' ich den Fall, ich ließe ihn erblassen;
Wenn ich mit ihm sein ganzes Haus erschlug,
Wird mir daraus kein Vorteil sich entfalten,
Vielmehr zum Gegenteil muß sich's gestalten.
55.
Nach ihrer Liebe ging und geht mein Trachten
Und nicht nach ihrem Haß: wenn nun den Tod
Dem Vater Haimon meine Hände brachten,
Und ihrem Haus durch mich Verderben droht,
Muß sie mich nicht als ihren Feind erachten?
Gilt ihr dann Trennung nicht als Pflichtgebot?
Was soll ich also tun? Mich drein ergeben? –
Beim Himmel, nein! Dann lieber nicht mehr leben!
[370] 56.
Nein, leben will ich! Aber er soll sterben,
Leo, der Griechenprinz, mit größerm Recht,
Der herkam, mir die Freude zu verderben;
Er sterbe mit dem Vater arg und schlecht!
So ward bestraft nicht Paris für sein Werben,
So ward nicht an Pirithous gerächt
Proserpina, wie sie mein Weh und Grollen,
Der Vater und der Sohn, bezahlen sollen!
57.
Vielleicht, mein Leben, läßt du ohne Grämen
Roger um jenen Griechen dort im Stich?
O könntest du, weil's Haimon will, ihn nehmen,
Hätt' er auch deine Brüder noch für sich?
Dem Wunsch des Vaters lieber dich bequemen
Und lieber ihn befriedigen als mich?
Im Glanz der Kaiserkrone lieber scheinen,
Als einem schlichten Ritter dich vereinen?
58.
Wär's möglich, daß der Name zu dir spräche,
Der Königsprunk, der Titel Kaiserin,
Und meiner Trauten hohen Wert bestäche,
Tugend und großes Herz und edlen Sinn,
Daß sie, die Treu geringer achtend, bräche,
Was sie gelobt, und Schwüre gäbe hin?
Statt ihres Vaters Grollen zu ertragen
Und, was sie sagte, immer mir zu sagen?«
59.
Dies und noch vieles sprach der Grambetörte
Bei sich, und sprach es so zu mancher Zeit,
Daß, was ihm also schwer den Sinn verstörte,
Erlauscht ward, stand ein Mensch gerad nicht weit.
So kam es, daß zuletzt auch sie es hörte,
Um die dem Jüngling ward so großes Leid.
Und dies zu hören, schuf ihr solche Schmerzen,
Daß sie nicht stärkre litt für sich im Herzen.
[371] 60.
Doch nichts von dem, das ihr aus seinem Munde
Durch Weitersagen wurde dargetan,
Schlägt wie des Liebsten Furcht so schwere Wunde,
Sie laß ihn, sei dem Griechen zugetan!
Ihn aufzurichten durch willkommne Kunde
Und auszutreiben jenen bösen Wahn,
Ließ sie zu Roger eine Botschaft tragen
Durch ihre Magd und folgendes ihm sagen:
61.
»Roger, so wie ich war, so bleib' ich immer,
Bis in den Tod und weiter, wenn es geht,
Ob Amor Dunkel schickt, ob Glückes Schimmer,
Und wie sich auch Fortunas Rad mir dreht.
Von Treue weich' ich gleich dem Felsen nimmer,
Der fest im Meer bei Sturmeswüten steht.
In Glück und Leid sahst du mich niemals schwanken;
So bleib' ich dir getreu ohn' alles Wanken.
62.
Aus Blei gemachte Feil' und Meißel bringen
Viel eher eine Form dem Diamant,
Eh's Amors Zorn und Unheil soll gelingen,
Mein Herz zu beugen, dir nur zugewandt;
Zum Bergesgipfel siehst du eher dringen
Des brausend wilden Stromes Schlamm und Sand,
Als daß in andre Bahn mein Herz, mein Denken
Des Glückes oder Unglücks Fälle lenken.
63.
Ihr habt von mir mein ganzes Reich erhalten,
O Roger; und vielleicht ist's nicht so klein;
Und keinem Herrscher treure Schwüre galten,
So viele je geschworen mögen sein.
Kein Kaiser oder König kann entfalten
Macht und Besitz, die mehr gesichert sei'n:
Ihr braucht Euch keines Turmbaus zu befleißen
Aus Furcht, ein andrer könn' es Euch entreißen,
[372] 64.
Weil ohne Söldnerschar in Eurem Lohne
An diesem Reich sich jeder Angriff bricht;
Dem Reichtum wird sein Ansturm nur zum Hohne:
So niedrig gibt ein edles Herz sich nicht.
Nicht Rang und Adel nützt und Herrscherkrone,
Was dummem Volke blendet das Gesicht.
Mag Schönheit leicht den schwachen Sinn verführen,
An Euer Bild wird keine Macht mir rühren.
65.
Meint Ihr, mein Herz hab' neue Form erlitten?
O wißt, daß die Besorgnis schwinden mag!
Zu tief ist Euer Bild hineingeschnitten.
Es muß drin bleiben bis zum letzten Tag.
Nicht trag' ich Wachs in meines Herzens Mitten,
Denn oft schon führte Amor Schlag um Schlag,
Bevor davon ein Splitter war gesprungen,
Bis Eure Form sich hat dem Stein entrungen.
66.
Was immer mag dem Meißel widerstreben,
Harte Juwelen oder Elfenbein,
Es bricht, läßt keine Formung mehr sich geben,
Behält nur jene, die man grub hinein.
Nicht anders ist's mit meinem Herzen eben:
Es wahrt die Formung wie der Marmelstein,
Und Amor könnt' es eher ganz zerspalten,
Als es in neue Schönheit umgestalten.«
67.
Und andre Worte weiß sie ihm zu schenken,
Des Trostes voll, und voll von Lieb und Treu;
Und starb er tausendmal, es müßt' ihn lenken
Zurück zum Leben tausendmal aufs neu.
Als sie der Hoffnung Schiff im Hafen denken
Und, daß kein Wettergraus es mehr bedräu' –
Ach, schleudert sie ein neuer Sturm gerade
Ein wütender, ins Meer, weit vom Gestade.
[373] 68.
Denn Bradamante wollte mehr vollführen
– Unendlich mehr noch – als ihr Wort verhieß.
Sie fühlte den gewohnten Mut sich rühren,
So daß sie Rücksicht gänzlich von sich stieß.
Sie trat vor Karl und sprach: »Wenn Lohn gebühren
Will dem, was Eure Hoheit wacker hieß,
Und wenn ich jemals, Herr, bestand in Ehren,
So wollt mir eine Gnade nicht verwehren.
69.
Bevor mein Wunsch sich klar Euch kann entfalten,
Bitt ich, daß ihr bei Eurem Wort versprecht,
Ihn zu erfüllen! Hab' ich das erhalten,
Sollt ihr auch sehn: gut ist es und gerecht.«
»Mich zwingt dein Wert, nach Willen dir zu schalten,
Mein Kind; zu bitten, ist dein gutes Recht,«
Sprach Karl; »willst du, daß dir ein Teil gehöre
Von meinem Reich? Ich geb' ihn dir, ich schwöre.«
70.
»Was ich von Eurer Hoheit Huld erflehe,«
Die Jungfrau sprach, »ist dies: laßt keinem Mann,
Der um mich freien will, mich geben, ehe
Er über mich im Kampf den Sieg gewann.
Wer mich begehrt, im Streite mich bestehe;
Mit Schwert und Lanze stürm' er auf mich an.
Dem ersten Sieger will ich mich vertrauen;
Sieg' ich, mag er nach andrer Gattin schauen.«
71.
Der Kaiser sagt mit Lächeln und Behagen,
Die Bitte sei fürwahr der Jungfrau wert;
Sie möge jeder Sorge sich entschlagen:
Geschehen soll es, wie von ihr begehrt.
Das hat sich so geheim nicht zugetragen,
Es fügt sich, daß die Welt davon erfährt:
Am gleichen Tag will alles sich dem alten
Haimon und Frau Beatrix schon entfalten.
[374] 72.
Gleich stark hat dies zu Ärger sie entzündet
Und höchlich auf die Tochter aufgebracht;
Denn jene Bitte hatte ja verkündet,
Sie habe Rogers mehr als Leos acht:
Zu einem Plan nun ist das Paar verbündet,
Weil's anders gehn will, als es sich gedacht!
Derweil die beiden listig Fäden spannen,
Nach Rochefort führten sie ihr Kind von dannen.
73.
Herr Haimon hatte eine Burg empfangen
Von Kaiser Karl, bei Perpignan: sie stand,
Wenn man auf Carcassonne zu will gelangen,
An wicht'ger Stelle, hoch am Meeresrand,
Dort hielt man in der Hoffnung sie gefangen,
Sie fortzuschicken nach dem Morgenland,
Bis sie, ob gern, ob ungern, sich bequeme,
Daß sie von Roger lasse, Leo nehme.
74.
Obwohl das Fräulein, sittsam und bescheiden
Nicht minder wie voll Kühnheit und voll Kraft,
Keine Bewachung hatte zu erleiden
(Ein freier Ausgang ward ihr dort verschafft),
Blieb sie gehorsam unterm Zaum der beiden;
Jedoch entschlossen, lieber Tod und Haft
Und alle Qual und Marter zu ertragen,
Als Roger, ihrem Teuren, zu entsagen.
75.
Rinald, der sich durch Hinterlist des Alten
Die Schwester sieht genommen aus der Hand
Und seiner Macht entrückt, daß er zu halten,
Was er versprach, nicht länger ist imstand,
Denkt nicht als guter Sohn sich zu verhalten:
An Haimon hat er klagend sich gewandt.
Doch dieser läßt dadurch sich wenig rühren
Und will den Fall nach seinem Sinne führen.
[375] 76.
Roger vernimmt's und muß Besorgnis hegen,
Die Heißgeliebte lass' ihn bald allein:
Sie werde, könne Leo noch sich regen,
Ihn, sei's aus Liebe, sei's gezwungen, frein;
Darum beschließt er, ihn ins Grab zu legen:
»Augustus« soll nun bald ein »Divus« sein –
Er hofft, den Vater auch vom Thron zu heben
Und ihm das Reich zu nehmen und das Leben.
77.
Die gute Wehr, die Hektor trug vor Zeiten
Und später Mandrikard, die legt er an,
Bestellt Frontin – er denkt den Hengst zu reiten –
Und wechselt Schild und Kleid und Helmbusch dann.
Der weiße Adler soll ihn nicht begleiten,
Im himmelfarbnen Feld; er wählt fortan
Ein weißes Einhorn zu dem Wappenbilde;
Hell wie die Lilie steht's in rotem Schilde.
78.
Er läßt den treusten Mann zu Pferde steigen,
Gesellt nur ihn sich als Begleiter bei
Und schärft ihm ein, allübrall zu verschweigen,
Daß sein Gebieter Ritter Roger sei.
Nun geht's zu Maas und Rhein, und wo sich zeigen
Östreichs und Ungarns Auen mancherlei.
Am rechten Strand des Isterstroms, da streichen
Sie hin, bis sie Belgrad die Stadt erreichen.
79.
Wo in die Donau läßt die Fluten rinnen
Die Sav' und mit ihr weiter strebt zum Meer,
Erblickt er vieles Kriegsgezelt und drinnen
Mit Konstantins Panier ein großes Heer.
Der Kaiser will die Stadt zurückgewinnen
(Die der Bulgaren Faust ihm nahm vorher).
Die Herrscher selbst, er und Prinz Leo waren
Hier mit der ganzen Macht an Kriegerscharen.
[376] 80.
In Belgrad, auf den Bergen allerwegen
Und wo die Au hinab zum Strom sich senkt,
Stehn der Bulgaren Kämpfer ihm entgegen;
So daß der Savefluß zwei Heere tränkt.
Der Grieche will die Brücke drüber legen,
Was der Bulgar' ihm zu verwehren denkt;
Roger erscheint: – ein ganz gewaltig Raufen
Ist schon im Gange zwischen beiden Haufen.
81.
Die Griechen, stark (vier gegen einen), stehen
Mit Brückenschiffen rings am Uferrand;
Sie wollen mit Gewalt hinübergehen –
Die Lust ist da, man sieht's – zum andern Strand.
Leo derweil, versteckt und ungesehen,
Hat sich vom Strome seitwärts hingewandt,
Schwenkt dann zu ihm, die Brücke rasch zu schlagen
Und nach dem andern Ufer hinzujagen.
82.
Mit großer Macht – zu Fuß, im Sattel – drängt er
(An zwanzigtausend fehlt auch nicht ein Mann)
Am Ufer hin; mit wildem Ansturm sprengt er
Auf der Bulgaren Flankenreih' heran.
Kaum hat der Kaiser das gesehn, so fängt er
Den Übergang zum linken Ufer an,
Anreihend Schiff an Schiff und Brück' an Brücken,
Darauf die Scharen stracks hinüberrücken.
83.
Und der Bulgarenfürst, Vatran, in Waffen
Als Held erprobt, ein Krieger stark und gut,
Sucht sich zum Widerstand noch aufzuraffen
Und wehrt sich, hier und da, mit kühnem Mut;
Er wird umringt – am Pferde Wunden klaffen:
Es stürzt, begräbt ihn unter sich im Blut.
Und weil er nicht dem Feind sich will ergeben,
So rauben tausend Schwerter ihm das Leben.
[377] 84.
Noch hatten die Bulgaren widerstanden,
Doch als ihr Oberherr gefallen war,
Und sie den Angriff immer wachsend fanden,
Nahm, statt der Stirn, der Feind den Rücken wahr.
Wie Roger – mitten unter Griechenbanden –
Das sieht, denkt er nicht lang und eilt, der Schar
Der Fliehnden – Konstantin muß er ja hassen,
Und Leo mehr – Hilf' angedeihn zu lassen.
85.
Er spornt Frontin, dem Windesschnelle eigen
– All andern Rennern fliegt der Hengst voraus –,
Erreicht sie, die voll Furcht bergaufwärts steigen
Und aus der Ebne fliehn entsetzt hinaus.
Er stellt, zwingt sie, das Kinn dem Feind zu zeigen,
Senkt selber dann den Speer und sprengt zum Strauß
Ins Griechenheer mit wilder, stolzer Miene,
Daß er für Mars und Zeus erschrecklich schiene.
86.
Voraus den andern ward ein Herr gefunden
(In rotem Kleid, mit Gold und Stickerein;
Darin ein Kolben, noch dem Stiel verbunden,
Aus Seide: Hirse war's nach allem Schein),
Des Kaisers Neffe (doch zu allen Stunden
Ihm teuer, wie ein Sohn es könnte sein):
Schild, Harnisch bricht er ihm wie Glas zu Stücken,
Und handbreit ragt der Speer noch aus dem Rücken.
87.
Den läßt er tot, und Balisarda schwingt er
Auf eine Kriegerschar mehr nahebei,
Und gegen den, dann gegen jenen springt er,
Schlägt dem den Rumpf und dem den Kopf entzwei,
Und dem die Seite, dem die Brust durchdringt er,
Und legt dem andern dort die Kehle frei,
Drauf Arm und Händ' und Schultern abzuhauen –
Im Tal das Blut ist wie ein Bach zu schauen.
[378] 88.
Als man gewahr wird solch ein greulich Morden,
Ist keiner mehr, der noch zu kämpfen wagt:
Der Schlacht Gesicht ist plötzlich anders worden;
Denn der Bulgar, noch eben ganz verzagt,
Bietet die Stirne jetzt den Griechenhorden;
Das Wild, das floh, geht selber auf die Jagd,
Und alle Ordnung hat miteins geendet;
Die Fahnen sämtlich sind zur Flucht gewendet.
89.
Es nahm von einem Hügel hochgelegen
Leo der Prinz die Flucht der Seinen wahr;
Bestürzt und traurig blickt er auf den Degen
(Denn von da drüben sah er alles klar),
Dem von dem Griechenvolk so viel erlegen:
Durch ihn vernichtet schien das Heer sogar,
Wie sehr der Held ihm Schaden bringt dort oben,
Er kann nicht anders, nein: – er muß ihn loben.
90.
Am Wappen und am Kleid läßt sich gewahren
Und an der Rüstung goldgeschmückt und licht: –
Erschien er gleich, zu helfen den Bulgaren,
Von diesen Feinden einer ist es nicht.
Er sieht das mehr als menschliche Gebaren
Und fragt sich: stieg vom Himmelsangesicht
Ein Engel wohl zum Fluch der Griechen nieder?
Wir waren Gottes Willen oft zuwider!
91.
Statt ihn, wie's mancher täte, nun zu hassen,
Will er – von Herzen groß – die Herrlichkeit
Des kühnen Helden voller Lieb' umfassen
Und säh' ihn gern bewahrt vor allem Leid.
Wo einer von den Seinen muß erblassen,
Verlör' er lieber sechse noch im Streit,
Würd' einen Teil auch seines Reiches missen,
Als solchen hohen Helden tot zu wissen.
[379] 92.
Ein Kind, das von der Mutter ward geschlagen,
Von ihr in Zorn und Unmut weggedrängt,
Wird nicht bei Schwester oder Vater klagen;
Es kommt, bis jene liebend es umfängt.
So kann auch Leo, ward ihm gleich erschlagen
Durch Roger eine Schar und mehr bedrängt,
Nicht hassen; denn er wird vom Wert zum Lieben
Mehr als durch Schädigung zum Zorn getrieben.
93.
Wenn Leo Roger Liebe schenkt und Ehre,
So geht er einen schlechten Handel ein;
Denn Roger haßt ihn; sein Ergötzen wäre,
Sein höchstes, selber ihn dem Tod zu weihn.
Er sucht nach ihm, hält Umfrag' auch im Heere,
Wo nur der Prinz zu finden sei; allein
Von Leos Klugheit und von seinem Sterne
Ward es gefügt: der Ritter blieb ihm ferne.
94.
Leo tritt, Rückzug blasend, um das Leben
Des Heers zu retten, rasch den Heimweg an
Und schickt zum Kaiser, ihm den Rat zu geben,
Den Fluß hinüber führ' er Mann für Mann;
Lasse der Weg sich noch gewinnen eben,
So sei ihr Volk fürwahr recht glücklich dran,
Kam er dort auf der Brücke erst herüber,
So geht er jetzt, mit wenig Volk, hinüber.
95.
Es blieben viel in Händen der Bulgaren,
Am Berg getötet und am Uferrand,
Und allen wäre solches widerfahren,
Doch bot der Fluß zum Glück noch Widerstand.
Von Brücken stürzen sie hinab in Scharen,
Und wieder andre fliehen unverwandt
Weithin, zur Furt des Stromes zu gelangen.
Nach Belgrad schleppt man viele fort gefangen.
[380] 96.
Nachdem somit die Schlacht zu End' geschlagen,
Drin die Bulgaren nach des Herren Tod
Viel Schimpf und Schande hätten zu beklagen,
Wenn sich als Retter nicht der Krieger bot,
Der Held, von dem das Einhorn wird getragen,
So leuchtend weiß und hell im Schilde rot, –
Da eilen sie, den Ritter zu umringen
Jubelnd, der ihnen Rettung wollte bringen.
97.
Die beugen sich: »Willkommen!« schallts von denen,
Die küssen ihm die Hand, die Füße die;
Ihm nah zu sein, ist eine Wonne jenen:
Selig, wem ihn zu schaun das Glück verlieh!
Mehr noch, wer ihn berührt! Die Guten wähnen,
Der Himmel sandt' ein Wunder her für sie.
Und zu den Wolken auf die Rufe schallen,
Ihr Herr und Fürst zu sein mög' ihm gefallen.
98.
Roger versetzt, ihr König oder Leiter,
So wie sie das sich wünschten, woll' er sein;
Doch rühr' er nicht an Stab und Zepter; weiter
Geh' er jetzt nicht, zieh' nicht in Belgrad ein;
Ehe der Prinz noch heimwärts seine Streiter
Führ' übern Fluß hin, müss' er hinterdrein,
Und keine Ruhe woll' er jenem geben,
Bis er ihn treffe; jenem geh's ans Leben.
99.
Nur darum sei er lange Meil' auf Meile
Geritten, und aus keinem andern Grund.
So läßt er denn die Scharen sonder Weile,
Den Weg entlang, da (solches ward ihm kund)
Leo zur Brücke zog in großer Eile,
Aus Furcht vielleicht, man sperre sie jetzund.
Roger hat seinen Knappen ganz vergessen
Und sprengt davon, auf Rache nur versessen.
[381] 100.
Dem Prinzen war beim Fliehn das Glück verbunden
(Der Rückzug wurde besser Flucht genannt):
Der Übergang ward offen noch gefunden;
Er bricht die Brücke, setzt die Schiff in Brand.
Als Roger kommt, ist schon die Sonn' entschwunden
Und für die Nacht kein Obdach rings zur Hand.
Er reitet weiter, denn der Mond scheint helle;
Doch weder Dörfer trifft er noch Kastelle.
101.
Weil er nicht weiß, wohin, so muß er reiten,
Ohn' abzusteigen, jene ganze Nacht.
Links sieht er eine nahe Stadt sich breiten,
Als in der Früh' das erste Licht erwacht.
Dort, um dem Renner Ruhe zu bereiten,
Will er verweilen, bis ein Tag vollbracht;
Er ließ das Tier bisher nicht aus dem Zügel,
Nur immer traben über Tal und Hügel.
102.
Ein Freund des Konstantin und sein Genosse,
Ungard, war Hausherr hier, dem Kaiser wert.
Dem hat er für den Krieg aus seinem Trosse
Gar manchen Mann gestellt, zu Fuß, zu Pferd.
Und weil man keinem Reiter wehrt noch Rosse,
Tritt Roger ein: Empfang wird ihm gewährt
So gut und schön: er braucht nicht fortzugehen,
Nach einem bessern Obdach auszuspähen.
103.
Am Abend kommt ein Krieger angeritten,
Die Nacht zu bleiben, aus Romania;
Er hat in jenem Kampfe mitgestritten,
Der Rogers Tat für die Bulgaren sah.
Mit Mühe war er seiner Hand entglitten,
Voll Schrecken über das, was dort geschah.
Er bebt noch jetzt, und überall voll Grauen
Meint er den Einhornritter zu erschauen.
[382] 104.
Kaum hat er auf den Schild den Blick gerichtet,
So nimmt er jenes Ritters Zeichen wahr,
Der in der Schlacht die Griechen hat vernichtet
Und umgebracht so manche Kriegerschar.
Er läuft zum Schloß; dem Hausherrn wird berichtet,
Ein wicht'ger Bote stelle just sich dar.
Und der erzählt – was? (will's Euch nicht verschlagen),
Verbleibe meinem nächsten Sang zu sagen.

[383] Fünfundvierzigster Gesang

1.
Siehst du der armen Menschen einen gehen
Recht hoch auf der Fortuna flücht'gem Rad,
Dann sei gefaßt, die Füße bald zu sehen,
Wo er den Kopf jetzt hat, auf seinem Pfad.
Als Zeugen Dionys und Krösus stehen,
Polykrates und viele, die, gerad
Im höchsten Glück sich wähnend in Gedanken,
An einem Tag hinab zum Elend sanken.
2.
Und umgekehrt: liegt einer auf dem Grunde,
Daß ihn das Rad recht tief im Staube hält,
So naht am allerersten ihm die Stunde,
Da er sich aufschwingt, in die Höh' gestellt.
Vom Todesurteil wurde manchem Kunde,
Der andern Tags Gesetze gab der Welt.
Ventidius, Servius, Marius bewiesen
Vor Zeiten solches: Ludwig tat's in diesen,
3.
Ludwig der König, unsers Ercol Schwäher,
Sohns meines Herrn: – besiegt bei Sankt Albin,
Geriet er in des Feindes Klauen, näher
Dem Richtblock als der Krone hielt man ihn.
In größerer Gefahr noch, etwas eher,
Befand der Held Matthias sich, Corvin:
Der ward für Frankreich, als der Sturm beschworen,
Der andre für der Ungarn Thron erkoren.
[384] 4.
Man sieht, gar manches Beispiel kann's belegen
Aus der Historie alt' und neuer Zeit:
Es folgt das Gute nach den Schicksals schlägen,
Und hinterm Ruhme steht der Schimpf bereit.
Drum soll der Mensch kein blind Vertrauen hegen
Auf Länder, Schätze, Sieg und Herrlichkeit,
Im Unglück nicht verzweifelt sich erweisen;
Denn immer muß das Rad Fortunas kreisen.
5.
Der Sieg, den Roger hat davongetragen
Über des Kaisers und des Prinzen Heer,
Gibt ihm ein solch Vertrauen: voll Behagen
Glaubt er nur an sein Glück und seine Wehr;
Ohne Geleite, meint er, könn' er's wagen,
Ob auch kein einz'ger Helfer mit ihm wär',
Durch Tausende zum Kaiser hinzudringen
Und ihm und seinem Sohn den Tod zu bringen.
6.
Doch sie, die nicht will, daß man auf sie zähle,
In wenig Tagen jetzt ihm deutlich macht,
Daß sie bald Gunst, bald Feindschaft sich erwähle,
Zu heben und zu stürzen sei bedacht.
So stiehlt sich jetzt, nach des Geschicks Befehle,
In Eile jener Ritter durch die Nacht;
Er hatte sich der Schlacht mit Müh' entwunden,
Und dann den Weg zu jenem Haus gefunden.
7.
Der sorgt dafür, daß Ungard rasch erfahre,
Der Krieger, der die Macht des Konstantin
Gebrochen habe dort für viele Jahre,
Der weil' in seinem Haus; nachts find' er ihn:
Greif' er den Mann, werd' er das Glück, am Haare
Gepackt, ohn' alle Müh' zum Kaiser ziehn
Und diesem fernre Müh' und Kampf ersparen;
Denn unters Joch dann zwing' er die Bulgaren.
[385] 8.
Schon war dem Schloßherrn der Bericht geworden,
Durch flüchtig Volk, vom Kampf an jenem Ort
(Sie kamen nach und nach an Flusses Borden;
Denn alle faßte nicht die Brücke dort);
Gemeldet war ihm auch das große Morden:
Der Griechen Streitmacht schwand zur Hälfte fort.
Dies hab' ein einz'ger Rittersmann verrichtet,
Gerettet jenes Heer und das vernichtet.
9.
Der hat nun, ohne doch gejagt zu werden, –
Ihn wundert's – selbst den Kopf zum Netz gebracht.
Wie das ihn freut, er zeigt es durch Gebärden
Und frohen Blick und Mund, – und lacht und lacht,
Wartet, bis jener schläft; dann ganze Herden
Schickt er von seinen Leuten sachte, sacht.
Der gute Ritter – arglos – wird im Bette
Ergriffen und gefesselt mit der Kette.
10.
Herr Roger liegt zu Novengrad in Banden,
Verraten, ach, von seinem eignen Schild;
Und Ungard jubelt laut, daß sie ihn fanden:
Wie sonst kein zweiter ist er bös und wild.
Was tut nun Roger, den sie schlafend banden?
Was tut er, nackt wie Röhricht im Gefild?
Zu Konstantin muß gleich ein Bote jagen
Von Ungard, um die Nachricht hinzutragen.
11.
Der Kaiser war vom Savestrand voll Bangen
Nachts umgekehrt mit seiner ganzen Schar
Und bis nach Beletich zurückgegangen,
Das Androphil, dem Schwager, eigen war,
Vater des Herrn, durch den hindurchgegangen
(Als sei die Rüstung weiches Wachs fürwahr)
Der erste Speerstoß jenes kühnen Ritters,
Der dort bei Ungard saß in Haft des Gitters.
[386] 12.
Der Kaiser läßt die Mauern stärker bauen,
Die Tore fest'gen gegen Feindesstoß;
Denn den Bulgaren ist es zuzutrauen,
Daß sie mit einem Führer alsogroß
Ihm seines Heeres Rest zusammenhauen,
Nicht mehr zufrieden mit dem Schrecken bloß.
Jetzt, als man den gefangen ihm verkündet,
Scheut er sie nicht, mit aller Welt verbündet.
13.
Der Kaiser schwimmt in einem Wonnemeere;
Was er vor Freude tun soll, weiß er nicht.
»Nun ist es aus mit dem Bulgarenheere!«
So ruft er fröhlich und voll Zuversicht,
Als ob des Siegs er schon so sicher wäre,
Wie einer, der dem Feind die Arme bricht.
Zu solcher Höh' empor schoß sein Verlangen,
Als er vernahm, der Ritter sei gefangen.
14.
So wie der Vater, mit vergnügten Sinnen
Hört es der Sohn: als Sieger nicht allein
Denkt er zu weilen bald in Belgrad drinnen
Und alles Land vom Feinde zu befrein,
Durch Lohn den fremden Helden zu gewinnen
Für seine Kriegsschar hofft er obendrein.
Wohl darf er Karl Rinald und Roland lassen,
Will dieser seine Hand als Freund erfassen.
15.
Um andres kommt nun Theodora bitten,
Die Mutter jenes Ritters, der die Quer
Ward von der Brust zum Rücken durchgeschnitten
– Die Spitze flog hinaus – durch Rogers Speer.
Sie kommt zum Bruder, Konstantin, geschritten,
Wirft sich zu Füßen ihm mit Tränen schwer,
Die reichlich auf den Busen sich ergießen,
Und sucht sein Herz dem Mitleid zu erschließen:
[387] 16.
»Ich werde«, rief sie, »mich nicht mehr erheben,
Bis du, o Herr, zu strafen willig bist
Den Schuft, der meinem Kinde nahm das Leben,
Nun er in unsre Hand gefallen ist.
Bedenk, er war dein Neffe, dir ergeben,
Hat sich für dich bewährt zu jeder Frist,
Und unrecht wär's, wenn er für so viel Liebe
Ohne die Rache an dem Mörder bliebe!
17.
Gerührt von unserm Leide, müßt Ihr wissen,
Nahm Gott den Wütrich fort in seiner Gnad':
Just wie ein Vogel war er selbst beflissen,
Zu fliegen in das Netz hinein gerad,
Damit mein Sohn nicht lange schmerzzerrissen,
Bleib' ungerächt dort an des Styx Gestad'.
O gib ihn mir, Herr, daß mit deinem Willen
Ich meine Qualen mög' an seinen stillen!«
18.
Sie weint und fleht so sehr; ihr ist verliehen
Dabei Beredsamkeit von solcher Macht –
Sie will sich nicht erheben von den Knieen
(Wenngleich drei-, viermal Konstantin bedacht
Mit Wort und Tat, sie in die Höh' zu ziehen) –,
Daß sie den Kaiser schließlich mürbe macht
Und er nach dem Gefangnen schickt am Ende:
Man liefert ihn der Dame in die Hände.
19.
So wird der Ritter denn – ich fürcht', ich bleibe
Zu lange Zeit bei diesem Gegenstand –
Nun übergeben jenem grimmen Weibe,
Eh mehr als dieser eine Tag entschwand.
Daß er mit Schande bei lebend'gem Leibe
Gevierteilt werde, sie zu glimpflich fand
Und kleine Strafe, und nach langem Sinnen
Beschloß sie ein schier unerhört Beginnen.
[388] 20.
Die Furie legte ihn, den Hals umschlossen
Und Fuß und Hand mit Ketten, ins Verlies,
Drein nie Apollos Strahlen sich ergossen,
Wo sich der Grund am schwärzesten erwies.
Ein wenig muffig Brot nur ward genossen
Von ihm als Speise, manchmal fehlte dies
Zwei Tage lang; als Wächter mußte stehen
Ein Kerl, der's ihm noch schlimmer ließ ergehen.
21.
O würde doch der Haimonstochter Kunde,
Der kühnen! Nähme doch Marfisa wahr,
Wie Roger wird gequält auf Turmes Grunde
So jämmerlich, jedweder Hilfe bar!
Wie trotzten Beide dann, vereint im Bunde
Zu seiner Rettung, jeglicher Gefahr!
Die Tochter würde nicht erst Haimon fragen
Oder die Mutter, um herbeizujagen.
22.
Karl dachte des Versprechens mittlerweile,
Gegeben feierlich an Bradamant:
Sie werde keinem Manne je zuteile,
Der in den Waffen nicht vor ihr bestand.
Trompeten melden's laut; es fliegt in Eile
Vom Hof die Botschaft durch das ganze Land
Und in die Welt hinaus nach allen Seiten,
So weit sich nur des Reiches Grenzen breiten.
23.
Und dies verkündet der Trompeten Klingen:
Wer um die Tochter Haimons wolle frein,
Der such' in Waffen auf sie einzudringen
Vom Morgenlichte bis zum Abendschein.
Laß er bis dahin nicht sich niederzwingen,
Sei ohne weiteres die Dame sein;
Sie woll' als überwunden sich bekennen
Und nicht sich weigern, Gatten ihn zu nennen,
[389] 24.
Ohne nach seinem Namen nur zu fragen;
Die Wahl der Waffen stelle sie ihm frei,
Gewohnt, auf alle Weise sich zu schlagen,
Ob es zu Pferd, ob es zu Fuße sei.
Der Krone trotzen! – Haimon kann's nicht wagen
Und will es nicht; zuletzt drum stimmt er bei,
Und er beschließt, zum Hof – nach viel Bedenken –
Mit Bradamant den Schritt zurückzulenken.
25.
Ob Zorn und Groll die Mutter noch beschweren,
So läßt sie doch manch glänzendes Gewand
Dem Kind bereiten zu des Hauses Ehren,
Vom feinsten Schnitt und Farben allerhand,
Um dann mit ihr zum Hof zurückzukehren:
Als Bradamant den teuren Mann nicht fand,
Da meinte sie des Hofes Glanz geschwunden,
Den sie vorher so zauberhaft gefunden.
26.
Wer einen Garten sah, mit grünen Zweigen
Geschmückt, und holden Blumen im April,
Und schaut ihn wieder, wenn sich südwärts neigen
Am kurzen Tag die schräge Sonne will,
Dem wird die Stätte nichts als Öde zeigen:
So scheint der Hof dem Fräulein öd und still
Und – seit der Vielgeliebte ihn gemieden –
Nicht jener mehr, von dem sie jüngst geschieden.
27.
Sich zu erkundigen – sie darf's nicht wagen
(Vermehrt ja würde dann nur der Verdacht) –
Sie lauscht und hofft, es werd' auch ohne Fragen,
Wo Roger weile, wohl ihr kundgemacht.
Man weiß, das Roß hat ihn davongetragen;
Wohin jedoch, das ward nicht hinterbracht.
Zu hören hat kein Mensch ein Wort bekommen,
Der Knappe nur, – den hat er mitgenommen.
[390] 28.
O wie sie seufzt! Wie weint sie voller Bangen,
Daß er die Flucht, um sie zu meiden, nimmt!
Sie zu vergessen, sei er wohl gegangen:
Das ist, was über alles sie verstimmt.
Er sei, verzweifelnd, je sie zu erlangen
(Denn Haimon sah er gar so sehr ergrimmt),
Fernhingezogen, nur, um zu verschwinden
Und sich dem Bann der Liebe zu entwinden.
29.
Vielleicht hab' ihn der Plan hinweggetrieben,
Sich diese Neigung aus dem Sinn heraus-
Zubringen und ein ander Weib zu lieben:
Dann löschten ja die ersten Gluten aus,
So wie man sagt, daß man vom Holz mit Hieben
Auf Nägel jagt die Nägel gut hinaus.
Auf den Gedanken aber folgen neue
Und zeigen ihren Roger voller Treue:
30.
Und ihr, der Törin, sei es schlecht zu danken,
Daß sie dem Argwohn hab' ihr Ohr geliehn.
So schilt und lobt sie Roger in Gedanken;
Bald hierhin will sie's und bald dorthin ziehn.
Sie muß hinüber und herüber schwanken;
Zur Sicherheit ist ihr noch nichts gediehn.
Doch scheint's, daß sie bei guter Meinung bleibe:
Sie hält die andre schaudernd sich vom Leibe.
31.
Dann wieder muß sie Rogers Wort erwägen,
Das er so viele Male ihr gesagt,
Und reuig will sich ihr Gewissen regen,
Sie hab' ihn oft mit Eifersucht geplagt,
Und schuldbewußt, als wär' er hier zugegen,
Schlägt sie die Brust: »Ich hab gesündigt,« sagt
Sie reuig, »habe Sündenstraf' erduldet;
Doch schuld ist, wer noch Schlimmres hat verschuldet.
[391] 32.
Amor ist schuld, der tief ins Herz mir drückte
Dein holdes Bild, die herrliche Gestalt,
Der mich durch deinen Geist und Mut entzückte
Und deinen Wert, des Ruhm die Welt durchhallt.
Daß schon dein Anblick jede Frau berückte,
Wer immer nur dich schaue, mit Gewalt,
Das stand mir fest; sie müssen darauf sinnen,
Von mir dich lösend, selbst dich zu gewinnen,
33.
Hätt' Amor doch mir deinen Sinn gegraben
In meinen, wie er grub dein Bild ins Herz!
Den klar enthüllten würd' ich vor mir haben!
Jetzt seh' ich nur den dunklen allerwärts;
Und Eifersucht, sie wäre ganz begraben,
Die mir noch immer Schande bringt und Schmerz.
Derweil ich in Gefahr bin zu erliegen,
Würd' ich sie töten dann, nicht nur besiegen.
34.
Wir sehn den Geizhals an den Schätzen kleben:
Ihm gleich' ich, der nur Sinn hat für sein Geld
Und nicht vermag, entfernt von ihm zu leben,
Und stets in seinem Gut bedroht sich hält.
Seit sich nicht mehr auf dich die Blicke heben,
Weicht Hoffnung so, daß Sorge mich befällt.
Wenn ich sie trügerisch und eitel glaube,
Fall' ich – es muß so sein – ihr doch zum Raube.
35.
Kaum aber, daß die Augen wiederfanden
Der heißgeliebten Züge frohes Licht,
Die mir, eh ich es noch geahnt, entschwanden
– Nach welchem Erdteil, Roger, weiß ich nicht –,
Hält wahre Hoffnung falsche Furcht in Banden,
Bis sie versinkt und ganz zusammenbricht.
Komm wieder, mir die Hoffnung aufzurichten,
O Roger! Schon will Furcht sie ganz vernichten!
[392] 36.
Wenn Sonne scheidet, mehren sich die Schatten,
Daraus erwächst des leeren Schreckens Macht;
Kommt sie, so muß des Dunkels Kraft ermatten,
Bis Zuversicht im zagen Sinn erwacht:
So fühl' ich Bangen ohne meinen Gatten,
Und seh' ich ihn, so wird mir Mut gebracht.
O komm, mein Roger, laß dich schleunigst sehen;
Sonst muß mein Hoffen ja in Furcht vergehen!
37.
Wie nachts ein Fünkchen helle Strahlen sendet
Und rasch erlischt beim ersten Tagesschein,
Hat Sorge gegen mich ihr Horn gewendet,
Da meine Sonne sank ins Meer hinein:
Doch wenn sie naht am Himmel, gleich geendet
Hat alle Furcht, und Hoffnung stellt sich ein.
Beeile dich, mein Licht, zurückzukehren,
Die Ängste scheuchend, die mich hier verzehren!
38.
Wenn fern die Sonne rückt an kurzen Tagen,
Verbirgt die Erde, was sie Schönes hat;
Eis kommt und Schnee, bebende Winde klagen,
Kein Vogel singt, und Blume geht und Blatt:
Und hast du ferne deinen Glanz getragen,
O meine Sonne, dann die Lagerstatt
Für rauhen Winter rüsten Sorg' und Bangen
Gar oft in mir, bevor ein Jahr vergangen.
39.
Komm wieder, meine Sonne, mir zu bringen
Des holden Lenzes heißersehntes Gut!
Vernichte Schnee und Eis! Laß Freude dringen
Aufs neu in den umwölkten dunklen Mut!« –
Wie Philomelens, Prognis Klagen klingen,
Die Futter suchte für die junge Brut
Und leer das Nest sah, – oder wie die Taube,
Wenn der Gefährte fiel dem Feind zum Raube –
[393] 40.
So klagt, weil sie den teuren Mann zu missen
Für immer bangt, um Roger Bradamant,
Die Wang' in Tränen badend, schmerzzerrissen,
Doch heimlich, daß es niemand wird bekannt.
O wüßte sie, was sie nicht konnte wissen,
Wie es in Wirklichkeit um Roger stand!
Daß er im Kerker lag in Schmerzen, herben,
Verurteilt, martervollen Tod zu sterben,
41.
In Qualen, die das böse Weib erkoren
Für ihn, den guten Ritter, im Verlies,
Und daß sie ihm den Tod hat zugeschworen
Und unerhörte Marter überdies!
Bis Gottes Güte Kunde zu den Ohren
Des edlen Sohnes Cäsars dringen ließ:
Sie gab ihm ein, daß er zur Seit' ihm stehe,
Damit sein hoher Wert nicht untergehe.
42.
Der Prinz hielt Roger in sein Herz geschlossen,
Ohne zu wissen, Roger sei der Mann
(Sein Mut erschien ihm einzig, – Menschensprossen,
Sie reichtem ja an solchen nicht heran –):
Er überlegt, – da hat sich ihm erschlossen
Ein Weg zuletzt, wie er ihn retten kann,
Ohne daß sich die Muhme, jene tolle,
Beleidigt fühlen und beschweren solle.
43.
Dem Kerkermeister ganz geheim und leise
Sagt er, den Kriegsgefangnen woll' er sehn,
Bevor in grausam schreckensvoller Weise
Vollzug des argen Urteils sei geschehn;
Nimmt einen nachts, der ihm von Mut Beweise
Gab, stark und willig, seinen Mann zu stehn,
Worauf der Schließer, ohne daß man wußte,
Es sei der Prinz, die Tür ihm öffnen mußte.
[394] 44.
Der Kastellan, den Diener nicht begleiten,
Führt Leo und den andern leis hinein
(Im Turm muß Roger schon sich vorbereiten
Zum Tode und zu namenloser Pein).
Die beiden werfen drin zu gleichen Zeiten,
Als sich der Schließer dreht zum Gitterlein,
Ihm Schlingen um den Hals, die ihn umstricken
Und augenblicklich in das Jenseits schicken,
45.
Öffnen die Luk': – ein Seil wird da gefunden
Für ihren Zweck, zum Klettern angebracht.
Mit einer Fackel wird hinabgewunden
Leo, der Prinz, wo er in Kerkernacht
Nun Roger sieht auf einen Rost gebunden,
Der spannenhoch das Wasser überdacht.
In einem Monat wär' er hier verdorben,
Bloß durch den Ort – ohn' andern Grund – gestorben.
46.
Umarmend den Bewohner dieser Stätte,
Sprach Leo mitleidsvoll: »Für alle Zeit
Knüpft mich dein Wert als unlösbare Kette,
Ritter, an dich zu freier Dienstbarkeit.
Mir gilt gar wenig – wenn ich dich nur rette –
Mein eignes Wohl und eigne Sicherheit,
Der Vater oder wen ich auf der Erde
Noch habe – daß mir deine Freundschaft werde.
47.
Ich komme selber, um dir beizustehen
– Prinz Leo bin ich, Sohn des Konstantin –;
Mag es mir auch beim Vater schlimm ergehen,
Wenn sie das melden zum Verdruß für ihn;
Müßt' ich die Fremde als Verbannter sehen,
Und würde mir nicht mehr von ihm verziehn;
Seit du bei Belgrad vieles Volk erschlagen
Und ihn besiegt hast, muß er Haß dir tragen.«
[395] 48.
Und sprach noch andres mehr, um ihn ins Leben
Zurückzuführen aus des Todes Pein,
Und gänzlich wußt' er draus ihn zu erheben.
»Wie dank' ich dir!« sprach Roger drauf, »und dein
Ist dieses Dasein, das du mir gegeben,
Und immer soll dir's zur Verfügung sein,
Sobald du's willst, weil ich zu jedem Ende,
Wenn du's gebrauchen kannst, es gern verwende!«
49.
Man zog den Jüngling aus der Gruft der Leiden
Und ließ an seiner Statt den Toten dort,
Auch blieb er unerkannt wie jene beiden.
Nach seinem Hause führt ihn Leo fort,
Und vier, fünf Tage mußt' er sich bescheiden
Und still verweilen an dem sichern Ort,
Bis Roß und Wehr, die Ungards Leute nahmen,
Aufs neu in ihres Herren Hände kamen.
50.
Den Wächter tot – geflüchtet, wer gefangen,
Fand man, als das Verlies ward aufgemacht,
Und riet wohl hin und her, wie's zugegangen,
Doch keiner traf's; es blieb in tiefer Nacht,
Daß Leo selber jene Tat begangen:
Man hätt' an jeden andern eh'r gedacht.
Der hätte Grund – so denken wohl die meisten –,
Ihn abzutun, nicht Beistand ihm zu leisten.
51.
Von solchem Edelmute ganz betroffen
Steht Roger voller Staunen und gerührt:
Verändert ist sein Trachten und sein Hoffen,
Das ihn so viele Meilen weit geführt.
Sein erster Wunsch, sein zweiter liegt ihm offen,
Und keiner wird vom andern noch berührt.
Erst kannt' er Gift nur, Zorn und Hassestriebe,
Jetzt ist er voll von Mitleid und von Liebe.
[396] 52.
Sein Sinn ist Tag und Nacht auf eins gerichtet,
So daß er an nichts andres fürder denkt:
Wie er die Schuld, die ihn so sehr verpflichtet,
Durch eine gleiche, größre, wohl versenkt.
Wenn er sein Leben auch als Lohn entrichtet,
Sei kurzes oder langes ihm geschenkt,
Bereit, vieltausendmal den Tod zu dulden, –
Noch immer größer scheinen seine Schulden.
53.
Nun kam's, daß man auch dort die Nachricht kannte,
Die Karl durch alle Lande ließ ergehn:
Wer freien woll' um Fräulein Bradamante,
Der müsse sie mit Lanz' und Schwert bestehn.
Wie übel das sich für den Prinzen wandte!
Mit bleichen Wangen sah man jetzt ihn stehn:
Er weiß ja, wie's mit seiner Kraft beschaffen,
Und daß er ihr erliegen muß in Waffen.
54.
Er kann – dies findet er beim Überlegen –
Durch List ersetzen, was an Kraft ihm fehlt:
Mit seinem Wappen tret' ihr dort entgegen
Der Held, der ihm den Namen noch verhehlt
Und wohl sich messen kann mit allen Degen,
Die man in Frankreich als die besten zählt.
Er meint, könn' er den Kampf ihm anvertrauen,
So werd' er Bradamant bezwungen schauen.
55.
Noch zweierlei bedarf es zum Gelingen:
Erst, daß zur Sache sich versteht der Held;
Dann gilt es in die Schranken ihn zu bringen,
Ohne daß jemand auf Verdacht verfällt.
Er ruft ihn, spricht mit ihm von diesen Dingen,
Gesteht beweglich, wie's mit ihm bestellt,
Und bittet sehr, für ihn den Kampf zu wagen
Und seinen Namen, seinen Schild zu tragen.
[397] 56.
Leos Beredsamkeit wird Lob gebühren,
Doch größern Zwang als von Beredsamkeit
Muß Roger von der Dankesschuld verspüren,
Von der ihn nichts auf weiter Welt befreit,
Ob es auch hart ihm scheint und auszuführen
Kaum möglich, sagt er doch mit Heiterkeit
Der Miene (nicht der Brust), was Leo wolle,
Von ihm in jedem Fall geschehen solle.
57.
Obwohl ein wilder Schmerz, sobald gesprochen
Dies Wort, ihm in der Brust das Herz zerstückt
(Das blutet Tag und Nacht mit wildem Pochen
Und fühlt sich stets gequält und stets bedrückt)
Und er wohl sieht: der Tod ist ihm versprochen, –
Bleibt er bei seinem Schwur doch unverrückt:
Zum Sterben streckt' er tausendmal die Glieder,
Eh er dem Willen Leos wär' zuwider.
58.
Sterben ist ihm gewiß; muß er entsagen
Der Teuren, dann entsagt er auch dem Licht:
Schmerz, Kummer wird sein Herz zu Tode nagen;
Und tötet ihn der Gram, die Schmerzen nicht,
Wird er der Seele Hülle selbst zerschlagen,
Daß sie befreit aus ihren Fesseln bricht.
Ertragen will er, was ihm mag geschehen;
Nur nicht, sie eines andern Weib zu sehen.
59.
So will er sterben; – welchen Tod erwählen?
Das fragt er sich; darüber schwankt sein Sinn;
Er könnte seine Stärke ja verhehlen,
Beut er die nackte Brust der Kriegerin.
Auf schönres Sterben könnt' er nimmer zählen,
Rafft ihn der Vielgeliebten Hand dahin.
Doch, kann sie Leo nicht als Weib erlangen,
So hat er an dem Schwure sich vergangen:
[398] 60.
Versprochen hat er, in den Kampf zu gehen
Mit Bradamant im abgesteckten Raum,
Sie ernstlich, nicht zum Schein nur, zu bestehen
(Dergleichen nützte ja dem Prinzen kaum).
So muß denn, was er ihm versprach, geschehen;
Alle Gedanken hält er drum im Zaum,
Die sonst sich regen; steht zu dem aufs neue,
Der als Gebieter ihn ermahnt – zur Treue.
61.
Leo derweil hat alles zubereitet
Mit Urlaub seines Vaters Konstantin
Und macht sich auf, von Dienern so begleitet,
Wie es gebührt, um seines Wegs zu ziehn;
Wobei der Held in seiner Rüstung reitet
(Die er zurückerhielt, wie auch Frontin). –
Und Tag um Tag auf ihrer Straße schwinden,
Bis sie zuletzt sich in Paris befinden.
62.
Nicht in der Stadt denkt Leo abzusteigen,
Er schlägt sein Lager auf im freien Feld,
Schickt gleichen Tages Botschaft, anzuzeigen
Dem Frankenkönig, daß er draußen hält;
Und Karl, gewohnt, sich huldreich ihm zu neigen,
Beschenkt ihn; kommt auch oft in sein Gezelt.
Drauf meldet Leo, was ins Land ihn bringe,
Und bittet um Beschleunigung der Dinge.
63.
Der Dame harr' er in den Schranken drinnen,
Die sich nicht füge minder starkem Mann.
Er sei gekommen, um sie zu gewinnen;
Mißling' es, tue sie den Tod ihm an.
Der Kaiser sagt es zu: mit Tags Beginnen
Kam sie zum abgesteckten Platz heran,
Der nächtlich hergerichtet vor den Toren
Der Mauern war und für den Kampf erkoren.
[399] 64.
Dem Jüngling war die jüngste Nacht vergangen
So wie sie einem armen Sünder schwand:
Er denkt des Urteilspruches voller Bangen,
Daß früh er sterben muß durch Henkershand.
Weil durch den Panzer nie die Blicke drangen,
Wählt Roger sich das volle Stahlgewand.
Verbannt auch sollte Lanzenstoß und Pferd sein,
Die einz'ge Angriffswaffe nur das Schwert sein.
65.
Die Lanze fehlt, – nicht, daß ihm etwa graute
Vor Argalias und des Herzogs Speer,
Den Astolf nachher Bradamant vertraute
(Er machte stets des Gegners Sattel leer),
Weil keiner noch die Zauberkraft durchschaute;
Der eignen Kraft schrieb's jeder zu bisher,
Bis auf den König, der die Lanze machte
Und als Geschenk sie seinem Sohne brachte.
66.
Astolf und sie auch, die den Speer noch führte,
Erkannten jenen Zauber nicht im Schaft.
Sie wähnten immer, ihnen nur gebührte
Der Ruhm, errungen durch die eigne Kraft,
Die auch bei andrem Speer der Feind verspürte:
Er würde dann von jenem hingerafft.
Will Ritter Roger nicht zu Pferde steigen,
Hats einen Grund: er mag Frontin nicht zeigen.
67.
Das Fräulein würd' ihn bei den ersten Schritten
Erkennen, käm' der Hengst mit auf die Bahn:
Sie hatte vielemal ihn ja geritten,
Als er dort bei ihr war in Montalban;
Und, nicht erkannt zu sein, derweil sie stritten,
War Rogers Trachten jetzt und einz'ger Plan.
Er ließ den Hengst wie all die andern Sachen,
Die ihn beim Kampfe würden kenntlich machen.
[400] 68.
Auch will er sich mit anderm Schwert bescheiden;
Denn Balisard – das ist ihm ja bekannt –
Pflegt durch die Rüstung wie durch Teig zu schneiden,
Und keine Stählung hält dagegen stand.
Sogar die Schärfe muß noch Abbruch leiden;
Den Hammer nimmt er zu dem Zweck zur Hand.
Also gerüstet, bei der ersten Helle,
Ist Roger auf dem Kampfesplatz zur Stelle.
69.
Um Leo nun im Äußern ganz zu gleichen,
Nahm er ein Oberkleid, das Leos war;
In rotem Felde trug der Schild das Zeichen:
Den doppelköpf'gen goldnen Kaiseraar.
So ließ sich leicht der Zweck der List erreichen;
Weil sie an Form und Größe ganz und gar
Einander glichen. Einer kam zum Streite,
Verborgen blieb der andre in der Weite.
70.
Ganz anders war, was Bradamant begehrte;
Von Roger sehr verschieden war ihr Sinn:
Wenn er der Schneide mit dem Hammer wehrte
Die Spitze wie die Schärfe gab er hin –
Leiht sie die volle Schneide ihrem Schwerte:
Ins Herz zu treffen sucht die Kriegerin,
Und Hieb und Stoß mit voller Wucht zu geben;
Eindringen will sie in des Gegners Leben.
71.
Man sieht vorm Seil ein Berberroß sich regen,
Das feurig nach des Rennens Anfang späht,
Und seine Füße immerfort bewegen;
Wie es die Ohren spitzt, die Nüstern bläht! –
So harrt die Maid – sie weiß nicht, daß der Degen
Ihr Roger ist, der vor der Klinge steht –
Als ob ihr Feuer durch die Adern dringe,
Voll Ungeduld, daß doch das Zeichen klinge.
[401] 72.
Wie nach dem Donner jähe Winde wehen –
Kopfüber stürmen Wellen hin im Lauf,
Wie dann die Wogen bis zum Himmel gehen,
Und dunkler Staub fliegt von der Erd' hinauf,
Und Hirt und Herde kann man fliehen sehen,
In Regen, Hagel löst die Luft sich auf –
So, mit gezücktem Schwert, eilt die Empörte
Auf Roger zu, als sie das Zeichen hörte.
73.
Doch fest, wie vor dem Sturm die alten Eichen
Und starke Türm', auf Felsen angebracht,
Und Klippen, die des Meeres Wut nicht weichen,
Das sie ringsum bedräut bei Tag und Nacht,
Steht Roger mit der Rüstung ohnegleichen,
Die einst Vulkan für Hektor hat gemacht,
Fest in der mächt'gen Streiche wildem Wettern,
Die auf das Haupt, Brust, Seiten niederschmettern.
74.
Sie kommt mit Hieben jetzt, gleich drauf zu stechen,
Und sucht die Fugen sich als Ziel heraus,
Um zwischen Stahl und Stahl hindurchzubrechen
(Gern tobten Grimm und wilder Zorn sich aus),
Und späht bald hier, bald da nach seinen Schwächen,
Dreht sich und springt – und härmt sich überaus,
Was sie ersinnen mag, den Grund zu röten –
Nichts will gelingen, ihren Feind zu töten.
75.
Wer eine Stadt versucht zu Fall zu bringen,
Durch Wall und Mauern fest, stürmt oft heran,
Strebt bald durchs Tor, bald durch den Turm zu dringen
Und ihn zu brechen, füllt die Gräben an,
Opfert sein Volk und kann es nicht erzwingen,
Kein Zugang ist, was er auch nur ersann –
So müht sich Bradamant mit vielen Streichen,
Doch Ring und Schuppen sieht sie nirgends weichen.
[402] 76.
Bald regnet's auf den guten Helm von Hieben,
Bald auf den Schild; vom Harnisch Funken licht
Durch tausend Schläg' auf Brust und Arme stieben,
Bald kreuz und quer und bald gradaus gericht't.
Auf Dächer einer Stadt ward nie getrieben,
Klirrend vom Sturm, der Hagel also dicht.
Roger ist auf der Hut, weiß sich zu wahren
Geschickt und bringt der Feindin nie Gefahren.
77.
Er steht, weicht dann zurück, springt ihr entgegen,
Und seinen Fuß begleitet oft die Hand;
Er schirmt sich, schwingt das Schwert, wie's ihm gelegen
Und wie der Feindin Waffe sich gewandt.
Er trifft sie nicht – und wenn, mit schwachen Schlägen
Zur Schädigung sind sie dann kaum imstand.
Das Fräulein wünscht des Kampfes Schluß zu sehen,
Bevor des Tages Stunden sterben gehen.
78.
Sie denkt des Spruchs und der Gefahr voll Bangen,
Die sie bedroht, gelingt's nicht, rasch zu sein:
Wird der nicht heut getötet, nicht gefangen,
Dann gilt sie als bezwungen und ist sein.
Zu des Alciden Säulen war gegangen
Phöbus und tauchte in die Wogen ein,
Als ihr Vertraun begann gemach zu schwinden:
Sie mußte bald sich ohne Hoffnung finden.
79.
Je mehr sie das Vertrauen fühlt entweichen,
Je größer ihre Wut; sie führt mit Macht
Das Schwert, um durchzudringen mit den Streichen,
Was sie tagsüber nicht zustand gebracht:
So meint der Arbeit Ziel noch zu erreichen,
Wer säumig war und sieht, es naht die Nacht;
Er mag sich eilen, mag sich mühn und quälen
Umsonst, bis Kraft zugleich und Tag ihm fehlen.
[403] 80.
Ach, wüßtest du, wem du den Tod willst geben,
Du armes Mägdelein! Der Kämpe hier,
Dein Roger ist es, er, an dem dein Leben
Ja hängt, du weißt, mit allen Fasern schier!
Du würdest eher gegen dich erheben
Den grimmen Stahl, so teuer ist er dir!
Lernst du ihn einst als deinen Roger kennen,
Wird jeder Hieb dir auf der Seele brennen.
81.
Als Karl – und mit ihm viele – Leo sehen
(Denn kein Gedanke schweift zu Roger hin)
So trefflich, stark und leicht den Kampf bestehen
Mit Bradamant, der stolzen Kriegerin,
Sich wehren, ohne daß ein Leid geschehen
Ihr könne, ändern alle Herrn den Sinn
Und sagen: ja, man müss' es gelten lassen,
Daß sie, einander wert, zusammenpassen.
82.
Der Sonnengott versank in Meeresfluten,
Da gab Herr Karl, nachdem zu End' der Streit,
Die Dam' an Leo hin, den hochgemuten,
Und keine Weigrung dulde der Bescheid.
Und Roger – ohne daß die Glieder ruhten,
Ohne zu lüften Helm und Eisenkleid –
Auf einem Klepper trabt in großer Eile
Zum Zelt, wo Leo wartet mittlerweile.
83.
Der hat ihn mit den Armen gleich umschlossen
Zwei-, dreimal oder öfter brüderlich;
Er nahm den Helm ihm – Freundschaftsworte flossen –
Und herzt und küßt ihn, drückt ihn fest an sich:
»Verfahr mit mir wie deinem Blutsgenossen,«
Sprach er, »wie dir's gefällt; nie sollst du mich
Verdrossen sehn, willst du mit vollen Händen
Fortan mein reiches Hab und Gut verschwenden.
[404] 84.
Ich weiß, ich löse mich mit keinem Lohne,
Für solchen Dienst des Dankes quitt zu sein,
Und nähm' ich auch von meinem Haupt die Krone
Und sagte dir: da nimm, mein Reich ist dein!«
Nur wenig Antwort gibt dem Kaisersohne
Roger, das Herz, den Sinn voll schwerer Pein
Und lebensmüd. Er legt die Zeichen nieder
Des Wappenschilds und nimmt sein Einhorn wieder.
85.
Sobald es angeht, in Gespräches Mitten,
Unlustig, müd sich stellend, geht er fort
Und ist nach seinem Zelt zurückgeritten.
Um Mitternacht nimmt er die Waffen dort,
Sattelt den Hengst; ohn' Abschied zu erbitten
Von irgendeiner Menschenseel' am Ort,
Aufsteigt er, läßt das Pferd beliebig traben,
Mag's hierhin oder dorthin Neigung haben.
86.
Jetzt quer durchs Feld und dann auf Waldespfaden
Trägt seinen Herrn Frontin die ganze Nacht,
Auf krummen Wegen bald und bald geraden –
Die wilde Pein ist immer neu erwacht:
Er ruft den Tod, der Schmerzen, Qual und Schaden
– Das ist sein einz'ger Trost – vergessen macht.
Unsagbar großem Leid sich zu entwinden,
Weiß er nichts andres als den Tod zu finden.
87.
»Wen soll ich,« spricht er, »wehe mir! verklagen,
Daß mir auf einmal all mein Glück entschwand?
Will ich das Ungemach nicht still ertragen,
Wen straft denn – brauch' ich Rache – meine Hand?
Den bösen Streich hab' ich mir selbst geschlagen;
Kein andrer hat ins Elend mich gesandt.
Was da geschah, ich hab' es selbst verbrochen:
So werd' an mir die Untat denn gerochen!
[405] 88.
Hätt' ich das Unrecht nur an mir begangen,
Mir selber könnt' ich noch vielleicht verzeihn,
Wenn auch nur schwer –: Vergebung hier empfangen?
Ich sag' es ohne Umschweif': lieber nein!
Doch nun die Kränkung gegen sie ergangen,
Wie gegen mich, sollt' ich da milder sein?
Sollt' ich mir selber auch vergeben können,
Ihr muß ich – so geziemt sich's – Rache gönnen.
89.
Drum sie zu rächen sterb' ich; nicht beschweren
Soll mich der Tod: ich habe sein nicht acht.
Durch ihn nur kann ich meinen Qualen wehren;
Durch ihn nur wird mir Linderung gebracht.
Konnte man früher nicht mir Tod bescheren,
Eh ich für sie das Leid so groß gemacht?
O, welches Glück wär' es für mich gewesen,
Hätt' in dem Kerker mich der Tod erlesen!
90.
Mußte das Leben unter Qualen schwinden,
Wie es gewollt des Weibes Grausamkeit,
Mitleid bei Bradamante doch zu finden,
Durft' ich erhoffen – ja, mit Sicherheit.
Doch hört sie, Leo wollt' ich mir verbinden,
Mit freiem Willen sie für alle Zeit
Ihm geben, selber von der Treue lassen –
In Tod und Leben muß sie dann mich hassen.«
91.
Und als er diese nun und andre Worte
Mit Schluchzen und mit vielen Seufzern spricht,
Umgibt ihn, als der Morgen früh die Pforte
Geöffnet hat, Walddunkel öd und dicht.
Weil er, verzweifelt, an verborgnem Orte
Den Tod sucht, scheint zum Abschied von dem Licht
Der stille Platz geeignet und vollkommen
Für das gemacht, was er sich vorgenommen.
[406] 92.
Wo sich am dichtesten die Zweige schlingen
Im dunkelen Gebüsch, da tritt er ein;
Zuvor entbürdet er vor allen Dingen
Frontin und schickt ihn in die Welt hinein.
Er sprach: »Könnt' ich den rechten Lohn dir bringen,
O mein Frontin, des du magst würdig sein,
Du neidetest das Roß nicht, das, zum Sterne
Gewandelt, flog hinauf in Himmelsferne.
93.
Kyllaros war nicht so wie du zu preisen,
Arion nicht verdiente solchen Lohn
Noch sonst ein Roß, darauf die Fabeln weisen
Von einem Römer oder Griechensohn.
Wenn sie in allem sich dir gleich erweisen,
In einem, weiß ich, sprichst du ihnen Hohn:
Keins kann sich rühmen, daß es auserlesen
Für Lob und Ehre so wie du gewesen.
94.
Der Kühnsten, Schönsten, die noch mag erscheinen
Und je der Erde früher ward beschert,
Warst du so teuer, – ihr, der Einzigeinen,
Daß ihre Hand dich hat gepflegt, genährt.
Mein Fräulein war's, – o sprech' ich von der Meinen,
Wird sie nun einem andern Mann gewährt?
Ich gab sie hin mit meinen eignen Händen:
Was säum' ich, gegen mich das Schwert zu wenden?«
95.
Wenn also Rogers Klagen schallt und Grämen,
Davon nur Wild und Vögel Zeugen sind
(Denn niemand sonst kann seinen Ruf vernehmen,
Die Zähre sehn, die auf die Brust ihm rinnt),
Vermeint drum nicht, daß sie in angenehmen
Gedanken dort sich zu Paris befind',
Als sich kein Aufschub fürder läßt erreichen,
Kein Vorwand finden, Leo auszuweichen.
[407] 96.
Sie ist bereit zu jeglichem Beginnen,
Will man sie einem andern Manne frein:
Dem trotzen, was Verwandte, Freunde sinnen;
Ihr Wort verleugnen, sich mit Karl entzwein;
Zuletzt mag Gift die Freiheit ihr gewinnen
Oder das Eisen, kann's nicht anders sein.
Ja, lieber will sie sich dem Tod verschreiben,
Als leben, aber ohne Roger bleiben.
97.
»Mein Roger, ach, wo bist du hingegangen?«
Sprach sie, »verbirgt dich solch entferntes Land,
Daß du nicht jene Kunde dort empfangen,
Die jedem andern Menschen ward bekannt?
Denn, konnte sie zu deinem Ohr gelangen,
Kein andrer wäre früher hier zur Hand.
Wär's möglich, andres wohl sich vorzustellen
Als – ach, den schlimmsten von den schlimmen Fällen?
98.
Ist's möglich, du nur hörtest nicht die Dinge,
Die außer dir die ganze Welt erfuhr?
Du wärst herbeigeeilt auf Windesschwinge:
Drum bist du tot? – Bist du gefangen nur?
Dem Sohn des Griechen gingst du in die Schlinge:
Gewiß – hier bin ich auf der rechten Spur!
Versperrte dir die Straße der Verräter,
Daß er zuerst komm' – und du Armer später?
99.
Nicht minder starkem Mann mich zu vereinen,
Um diese Gunst fleht' ich den Kaiser an;
Denn dich nur, Roger, dacht' ich als den einen,
Mit dem ich nicht im Kampf mich messen kann.
Sonst achtet' ich auf dieser Erde keinen –
So kam's, daß mir der Himmel Strafe sann:
Denn er, dem Ehrenvolles nicht gelungen
In seinem Leben, er hat mich bezwungen,
[408] 100.
Bezwungen – ja, weil ich ihn nicht gefangen
Und nicht getötet hab' in jenem Streit:
Das scheint mir nicht gerecht, und Karls Verlangen
Bin ich zu folgen keineswegs bereit.
Ich weiß, bin ich vom Worte abgegangen,
Dann heiß' ich wankelmütig weit und breit.
Doch bin ich nicht die erste noch die letzte,
Die man als unbeständig schätzt und schätzte.
101.
Es sei genug, die Treue will ich halten
Dem teuren Manne fest wie Felsgestein,
Daß nicht in neuen Zeiten, nicht in alten
Jemals dergleichen wird zu finden sein.
Für schwankend mögen mich die Leute halten –
Bringt mir der Wankelmut doch Vorteil ein –:
Man möge flatterhaft wie Laub mich nennen,
Brauch' ich nur nicht vom Liebsten mich zu trennen!«
102.
Dies und noch andres, oftmals unterbrochen
Von heißen Tränen und von Seufzern groß,
Hat sie die Nacht hindurch zu sich gesprochen,
Die sich an jenen Tag des Unglücks schloß.
Doch als Nokturn sich ins Geklüft verkrochen
Kimmeriens mit dem dunklen Schattentroß,
Hilft ihr der Himmel, der ihr zum Genossen
Roger zu geben ja schon längst beschlossen.
103.
Er läßt Marfisa früh zum Kaiser gehen:
Mit Klagen tritt sie vor sein Angesicht;
Daß ihrem Bruder Unrecht sei geschehen,
Diesem zu steuern halte sie für Pflicht.
Die Gattin also ihm geraubt zu sehen,
Ohn' eine Nachricht nur, sie duld' es nicht
Und woll' im Kampfe gegen jeden zeigen,
Daß Bradamante Roger sei zu eigen.
[409] 104.
Sie woll' es gleich beweisen, ihr vor allen,
Wenn sie es abzuleugnen sich erdreist':
Vor ihren Ohren sei das Wort gefallen,
Mit dem man als gebunden sich erweist;
»Sie ließ auch«, sprach sie, »sich den Brauch gefallen,
So daß der Bund so fest geschlossen heißt,
Daß keins mehr frei verfügen kann von beiden,
Und nicht um andre darf vom Gatten scheiden.«
105.
Wollte sie Wahrheit oder Falsches sagen?
Ich glaub', im stillen ihr Gedanke war,
Die Werbung Leos doch noch abzuschlagen,
Mit Recht, mit Unrecht, sei's nun falsch, sei's wahr,
Mit Willen Bradamants; denn fortzujagen
Den Griechen bot ja sonst kein Weg sich dar,
Und Bradamant mit Roger zu verbinden;
So galt es denn, in diesen sich zu finden.
106.
Dem Kaiser ist das sehr die Quer gekommen,
Und Bradamante ruft er gleich herbei:
Er sagt ihr, was Marfisa unternommen
Zu zeigen habe. Haimon steht dabei.
Zu Boden blickt die schöne Maid beklommen
Und sagt nicht, ob es – ob es nicht so sei:
Leicht könnte man verstehn auf diese Weise,
Daß sich Marfisas Wort als wahr erweise.
107.
So fügt's am Ende doch des Schicksals Walten,
Denkt froh Rinald und jener von Anglant,
Daß nicht die Schwägerschaft sich mag gestalten,
Die sich beinahe schon vollzogen fand,
Und Roger könnte Bradamant behalten,
Wie trutzig auch Herrn Haimons Widerstand;
Und ohne weitern Kampf wird es gelingen
Und ohne sie dem Vater zu entringen.
[410] 108.
Entschlüpften diese Worte ihrem Munde,
Ist's abgemacht für alle Ewigkeit:
Was sie versprachen, halten sie zur Stunde
Ehrlich und gut und ohne neuen Streit.
»'s ist Truggeweb',« ruft Haimon, »falsche Kunde!
Doch sag' ich euch, daß ihr im Irrtum seid:
Wär' es auch wahr, was ihr zu fein erdacht habt,
Wißt, daß ihr nicht mich auf den Sand gebracht habt!
109.
Vorausgesetzt – doch wird's nicht zugestanden
Und nicht geglaubt von mir –, daß jener Mann
Und diese hier so töricht sich verbanden,
Hinüber und herüber, sagt mir an,
Damit Beweis sei schlicht und klar vorhanden:
Wo ist es denn geschehen? Wo und wann?
Geschehen konnt' es – hört auf mich, den Alten! –
Nur, eh die Taufe Roger noch erhalten!
110.
Doch, hat sich's, eh er Christ war, zugetragen,
Kann man der Sache keinen Wert verleihn:
Der Ehe wird man Giltigkeit versagen,
Wenn Christenkind und Heid' einander frein.
So hat sich Leo nicht umsonst geschlagen,
Der hier so leicht des Todes konnte sein.
Auch wird der Kaiser, mein' ich, sein Versprechen
Auf solchen Anlaß ganz gewiß nicht brechen.
111.
Den Einwand bringen mußtet ihr beizeiten,
Als sich die Sache nicht im Gang befand;
Bevor noch Karl die Ladung ließ verbreiten,
Die Leo zog zum Kampf in dieses Land.«
So trennte Haimon gern durch Zwistigkeiten
Mit Roland und Rinald das Liebesband.
Es lauscht Herr Karl mit stillem Überlegen,
Setzt sich nicht dem, und jenem nicht entgegen.
[411] 112.
Wie man, was Boreas und Auster raunen,
Die Zweig' im Waldesdickicht murmeln hört;
Wie Wogen brausen, wenn in üblen Launen
Gegen Neptun sich Äolus empört,
So wirbelt ein Gerücht, das jetzt in Staunen
Ganz Frankreich setzt, des Volkes Ruhe stört;
So viel zu hören gibt es und zu sagen –
Es kann kein andrer Stoff hervor sich wagen.
113.
Zu Roger die, zu Leo jene stehen,
Die meisten aber pflichten Roger bei:
Für zehn will einer kaum mit Haimon gehen.
Der Kaiser äußert Meinung keinerlei:
Entscheidung soll durchs Parlament geschehen,
Weil dieser Streit ein schwerer Rechtsfall sei.
Da hat sich – die Vermählung ward verschoben –
Marfisa mit erneutem Plan erhoben.
114.
Sie spricht: »Der Eheschluß kann nicht beginnen,
Solang den Atemzug mein Bruder tut:
So mag ihm Leo diesen abgewinnen!
Das Leben nehm' er ihm durch Kraft und Mut!
Wer von den zweien liegt im Grabe drinnen,
Der läßt die Braut in des Rivalen Hut.«
An Leo meldet's Kaiser Karl zur Stunde
(Er gab ihm vorher auch von anderm Kunde).
115.
Prinz Leo meint, er brauche nicht zu zagen:
Der Einhornritter werde jederzeit
Auch Roger, den berühmten Helden, schlagen;
Drum schreck' ihn nicht der allerschwerste Streit.
Er ahnt nicht, daß die Schmerzen ihn getragen
Zum finstern Walde, in die Einsamkeit;
Meint, bald von seinem Ritte werd' er kommen,
Und hat den üblen Vorschlag angenommen.
[412] 116.
Allein das schuf gar schnell ihm Reu' und Klage;
Denn er, von dem er sich so viel verhieß,
Kam nicht an diesem, nicht am nächsten Tage;
An aller Nachricht fehlt' es überdies.
Daß er allein den Kampf mit Roger wage,
War kein Gedanke, der ihn lächeln ließ.
Zur Abwehr drum von großem Schimpf und Schaden
Schickt er nun Boten aus auf allen Pfaden.
117.
Durch Stadt und Land nach jenem, der entschwunden,
So fern wie nah späht er, die Kreuz und Quer,
Steigt selber auf und reitet lange Stunden,
Mit Boten nicht zufrieden, rings umher.
Doch hätt' er keine Spur wohl aufgefunden,
Noch irgendeiner aus des Kaisers Heer,
Wäre Melissa nicht. Was ihr gelungen,
Davon werd' Euch im nächsten Sang gesungen.

[413] Sechsundvierzigster Gesang

1.
Läßt mich die Meereskarte Wahrheit schauen,
So ist jetzund der Hafen nicht mehr weit:
Ich danke bald am Strand – darf ich vertrauen –
Ihm, der durchs große Meer mir gab Geleit.
Ach, drauf zu scheitern wollte schon mir grauen,
Oder umherzuirren ew'ge Zeit.
Mich deucht zu sehn – vielmehr ich kann es sehen –
Das Land, das Land! – Die Küsten offen stehen!
2.
Da horch! Die Flut erbraust, die Lüfte hallen,
Und Freudenruf erklingt und lautes Wort,
Und Pfeifen hör' ich und Trompeten schallen,
Drein Jubel tönt von vielem Volke dort.
Nun seh' ich auch die Züge schon von allen:
Sie füllen grüßend rechts und links den Port:
Von heller Freude strahlt, wer immer da ist,
Daß meiner langen Seefahrt Ende nah ist.
3.
O wie geschmückt von holden, schönen Damen,
Von ritterlichen Herrn ist rings der Strand!
Wie viele Freunde haben meinen Namen,
Auf ewig mich verpflichtend, ausgesandt!
Mamma, Ginevra und die sonst noch kamen
Vom Stamm Correggios, stehn ganz vorn am Rand;
Veronica da Gambera mit ihnen,
Die Phöbus und den Musen weiß zu dienen.
[414] 4.
Vom gleichen Blute seh' ich dann noch eine
Ginevra, und mit ihr ist Julia;
Sforzas Hippolyta; im heil'gen Haine
Genährt, erscheint sodann Trivulzia;
Dann du, Emilia Pia; im Vereine
Mit Margherita Borgias Angela!
Graziosa, Bianca und Diana zeigen
Sich mit Ricciarda und dem Schwesterreigen.
5.
Sieh dort die schöne, tugendhafte, weise
Barbara Turca, Laura zugesellt!
Nicht größre Trefflichkeit schaut auf der Reise
Phöbus vom Indus bis zum Maurenzelt.
Und dort Ginevra, die gewohnterweise
Der Malatasta Haus durch Glanz erhellt
Aus ihres Geistes Gold und Prachtjuwelen,
Wie sie dem Schatze vieler Könige fehlen.
6.
War sie zu Arimin in Cäsars Zeiten,
Als er, stolz auf den Sturz der Galliermacht,
In Zweifel stand, den Fluß zu überschreiten –
Er hätte Rom sich nicht zum Feind gemacht,
Nein, wohl die Siegstrophän von allen Seiten,
Das Heer entlassend, jener dargebracht;
Nur ihrem Willen hätt' er sich verpflichtet
Und nie vielleicht die Freiheit Roms vernichtet.
7.
Die Gattin, Mutter, Muhme und Cousinen
Von meinem edlen Herrn von Bozolo;
Fraun der Visconti und Pallavicinen,
Torelli, Bentivogli ebenso,
Und sie, die allen, denen rühmend dienen
Die Menschen heut und dienten irgendwo,
Und die man schön und edel hat befunden,
Den Kranz des höchsten Ruhmes hat entwunden:
[415] 8.
Julia Gonzaga! Wo sie mag sich zeigen,
Wohin sie nur die heitern Augen kehrt,
Da muß sich ihrer Schönheit jede neigen,
Da wird sie wie ein Himmelskind verehrt.
Die Schwägrin kommt mit ihr, der Treue eigen
Allzeit, und ward ihr auch das Glück verwehrt,
Dem sie so lang die Stirn bot, tapfer immer. –
Sieh Anna dort, del Vastos Glanz und Schimmer,
9.
Tempel der Keuschheit und der treuen Liebe,
Anna, die edle, holder Anmut Zier,
Mit ihr die Schwester, und verdunkelt bliebe
Jedwede Schönheit sonst vor dieser hier.
Seht jene, die dem dunkelen Getriebe
Am Styx entriß – das einz'ge Beispiel schier! –
Trotz Tod und Parzen im Bereich der Schatten,
Daß er am Himmel leuchte, ihren Gatten!
10.
Meines Ferraras Flor will sich entfalten,
Und der auch von Urbin; es sind dabei
Damen von Mantua und Huldgestalten
Des Tuskerlandes und der Lombardei.
Der Herr dort, den sie so in Ehren halten
(Hab' ich vom Schönheitsglanz den Blick noch frei
Und ungeblendet), dürfte sein – mich deuchte –
Accolti, er, Arezzos große Leuchte.
11.
Auch Benedikt, den Neffen, kann ich sehen,
Im Purpurhut: rot glänzt der Mantel her.
Mit ihm noch Ercol und Campeggio gehen,
Des heil'gen Rates hoher Ruhm und Ehr';
Und Freude scheint in ihrem Blick zu stehen
Ob meiner Rückkehr (täuscht nicht Wahn mich sehr).
Sie wollen mich durch ihre Huld verpflichten:
Schwer wird mir, Dank geziemend zu entrichten.
[416] 12.
Lactanz, Paul Pansa, Giuvenal erscheinen
Und Claudio Tolomei mit Dressin,
Die meinem Capilupi sich vereinen,
Und Sasso, Molza, Florian Montin;
Und er, der rasch uns leitet, wenn wir seinen
Weg hin zu den askräischen Quellen ziehn,
Giulio Camill; auch Berna dort bricht Bahn sich,
Und Marc Anton Flamin und Sanga nahn sich.
13.
Seht Alexander, meinen Herrn Farnese!
Gelehrte Kumpanei folgt seiner Bahn:
Fedro, Capell, Philipp der Bolognese,
Der Maddalena, Porzio, Volterran,
Pierio, Blasio, Vida der Cremonese,
Der Dichtkunst unversiegter Quell; es nahn
Auch Lascaris, Musur und Navagero,
Andrea Maro und der Mönch Severo;
14.
Zwei Alexander noch in jenen Scharen
Seh' ich, den Orologio, den Guarin,
Mario d'Olvito mit der wunderbaren
Geißel der Fürsten, Pietro Aretin,
Und zwei Hieronymi kann ich gewahren:
Der Verità ist's und der Cittadin.
Ich sehe Mainard, Celio, Leoniceno,
Den Panizzato mit dem Teocreno.
15.
Bernard Capell und Bembo stehen droben,
Der unsre Muttersprache süß und rein
Aus dem gemeinen Brauche hat gehoben:
Sein Beispiel zeigt uns, wie sie sollte sein.
Guaspar Obizzi, der gar sehr zu loben
Die edle Feder weiß, geht hinterdrein.
Auch Fracastorio, Bevazzano schreiten
Daher und Trifon; Tasso mehr vom weiten.
[417] 16.
Und Tiepoli erhebt nach mir die Brauen,
Und eifrig blickt Amanio zu mir her;
Fulgoso zeigt, am Ufer mich zu schauen,
Verwunderung und Fröhlichkeit noch mehr.
Dort mein Valer verließ die Schar der Frauen;
Vielleicht mit Barignan (es kam auch der)
Geht er, von ihnen stets gekränkt, zu Rate,
Wie er nicht immer neu in Glut gerate.
17.
Ich sehe dort, durch Lieb' und Blut verbunden,
Pico und Pio, dieses Meisterpaar.
Jenen, dem hoher Ehre Kranz gewunden
Von allen wird, nahm ich noch niemals wahr;
Doch – hab' ich recht die Zeichen nur gefunden –
So ist's der Mann, der meine Sehnsucht war,
Jacobus Sannazar, der zum Gestade
Des Meers die Musen führt' am Bergespfade.
18.
Seht mit den Acciajuoli den getreuen
Gelehrten Sekretar Pistofilo!
Sie jubeln alle, daß sich nun zerstreuen
Um mich die Sorgen; Angiar ebenso.
Mein Vetter Malaguzz auch will sich freuen
Mit Adoard: von diesem hoff' ich froh,
Daß einst von unserm Nest ans End' der Erde,
Zum Indus hin, sein Ruhm noch fliegen werde.
19.
Und Vittor Fausto und Tancredi senden,
Und Andre, Grüße des Willkommens aus.
Damen und Herren winken mit den Händen
Und scheinen froh, daß ich nun bald zu Haus.
So laßt uns rasch den kurzen Weg vollenden,
Der bleibt – der Wind ist günstig überaus –
Und laßt uns zu Melissa wiederkehren;
Sie wollte Roger Rettung ja bescheren.
[418] 20.
Melissa war – Ihr habt's aus meinem Munde
Schon oft gehört – vom heißen Wunsch entbrannt,
Fest zu vereinigen im Ehebunde
Den Ritter Roger ihrer Bradamant;
Und wissen wollte sie zu jeder Stunde,
Wie es ums Wohl und Weh der beiden stand:
Weshalb von Geistern immer einer nah war;
So daß, wenn einer ging, ein andrer da war.
21.
Sie sah den jungen Helden schmerzzerrissen
Am Boden liegen in der Wildnis dort:
Er hatte sich entschlossen, keinen Bissen
Von Nahrung führ' er an den Mund hinfort:
Des eignen Mordes war er so beflissen,
Doch hilfreich ist Melissa schon am Ort.
Sie hat sich nach dem Wege hin soeben,
Wo ihr der Prinz begegnen muß, begeben.
22.
Der hatte nacheinander seine Leute
Entsandt, nach allen Stätten im Gefild,
Während er selbst nicht auszuspähn sich scheute,
Wo jener stecke mit dem Einhornschild.
Es zügelte der Geister einen heute
Die Zauberin, zu gutem Werk gewillt:
Sie schenkt ihm eines wackern Kleppers Gaben
Und läßt ihn Leo so entgegentraben.
23.
»Herr,« sprach sie, »tragt Ihr Adel im Gemüte,
Wie Ihr ihn außen tragt im Angesicht,
Wenn immer Großmut und die rechte Güte
Der leiblichen Erscheinung ganz entspricht, –
Versagt des Rittertumes schönster Blüte
Dann Euren Trost und Euren Beistand nicht!
Denn wenn er Trost nicht bald und Beistand findet,
So glaub' ich, daß sein Leben ihm entschwindet.
[419] 24.
Der beste Held und Ritter auserlesen,
Der je den Schild getragen hat und trägt,
Der edelste, der schönste, der gewesen
Und ist, so weit ein Herz der Menschen schlägt,
Soll, weil ihm eigen adlig hohes Wesen,
Sterben, wenn hilfreich keine Hand sich regt?
Kommt mit, o Herr – um Gott! –, und seht geschwinde
Ob ihn zu retten sich ein Mittel finde.«
25.
In Leos Geiste will es plötzlich tagen:
Von dem man ihm erzählt, der Rittersmann,
Er ist's, nach dem sie jetzt das Land durchjagen
Und den er selber aufzufinden sann;
Drum hinter jener, die ihm angetragen
Das fromme Werk, spornt er den Renner an:
Als sie ein Stücklein Weges vorwärts dringen,
Sehen sie Roger mit dem Tode ringen.
26.
Drei Tage sonder Speise schon ihm schwanden,
Und seine Mattigkeit war also groß:
Wär' er mit Mühe wirklich aufgestanden,
Er fiele wieder um, auch ohne Stoß.
Er lag in seinen stählernen Gewanden,
Im Helm, das Schwert umgürtet, auf dem Moos,
Ein Ruhekissen hatt' er an dem Schilde;
Das weiße Einhorn prangte drauf im Bilde.
27.
Wenn er bedachte, wie er sich vergangen –
Daß er als schlecht ihr galt, schien ihm gewiß –,
Nicht Schmerz und Pein nur in die Seele drangen,
Er fühlte, daß der Grimm sein Herz zerriß:
Die Tränen rannen endlos auf die Wangen,
Indes der Zahn auf Händ' und Lippen biß.
Also von den Gedanken mitgenommen,
Hört er nicht Leo noch Melissa kommen.
[420] 28.
Drum unterbricht er nicht die bittre Klage,
Und Seufzer gehn und Tränen weiter fort;
Der Prinz hält an und lauscht, was jener sage;
Dann steigt er ab und naht sich still dem Ort.
Daß Liebe schuld an diesem Leide trage,
Versteht er wohl; doch weiß er noch kein Wort
Von jener, die so großen Schmerz ihm brachte,
Weil Roger sie bisher nicht kenntlich machte.
29.
Und näher kommt er, immer näher, leise,
Bis Angesicht nun schaut ins Angesicht,
Und grüßt ihn hold in brüderlicher Weise,
Derweil sein Arm ihn liebevoll umflicht.
Ob er damit willkommen sich erweise
Dem Schmerzergriffnen, weiß ich freilich nicht.
Denn dieser fürchtet Störung und Beschwerde,
Und daß er ihn am Sterben hindern werde.
30.
Sanft sprechend, wie es wahre Freunde pflegen,
Mit Worten mild, wie sie nur finden kann
Ein liebreich Herz, sagt er: »Laß dich bewegen:
Gib mir den Grund von deinen Schmerzen an!
Was sich an Übeln find't auf Erdenwegen,
Es rettet sich daraus ein rechter Mann,
Liegt nur der Grund zutag; währt noch das Leben,
Wird's auch – und des vertrau' ich – Hoffnung geben.
31.
Wohl schmerzt es mich, kannst du von mir dich trennen,
Der dir doch zugehört mit Herz und Hand,
Nicht nur, seitdem wir uns als Freunde kennen
(Und nimmer lös' ich dieser Freundschaft Band), –
Schon damals, als mich deinen Feind zu nennen,
Für alle Zeit, so manchen Grund ich fand;
Du mußtest wissen: deine Not zu enden,
Würd' ich mein Alles, Gut und Blut, verwenden.
[421] 32.
So laß des Leides Kunde dir entringen,
Daß ich versuchen mag zu dieser Frist,
Ob ich ihm Lindrung kann mit Schätzen bringen,
Mit Koseworten, Macht und Kunst und List.
Und will's mit allem diesem nicht gelingen,
Zuletzt der Tod ja noch ein Mittel ist.
Allein erst dann sollst du zu diesem schreiten,
Wenn keine Rettung kam von andern Seiten.«
33.
Und eifrig fährt er fort, ihn anzuflehen,
Und schmeichelt gütig in sein Herz sich ein:
Roger vermag nicht ihm zu widerstehen;
Sein Herz ist nicht von Eisen oder Stein.
Ließ er den Prinzen ohn' Erwidrung gehen,
Unhöflich wär's und boshaft obendrein.
So sprach er – aber zwei- und dreimal stockte
Das Wort im Mund, bevor er's ihm entlockte –:
34.
»Wenn du vernimmst, o Herr, aus meinem Munde,
Was ich dir jetzt zu sagen bin bereit,
Dann findest du, gleich mir, nach dieser Kunde
– Noch mehr vielleicht –: ich bin dem Tod geweiht.
Ich bin, der dir verhaßt ist diese Stunde:
Roger, der selbst dich haßte lange Zeit
Und diesen Hof verließ vor manchen Tagen
Mit einer Absicht nur: dich zu erschlagen –
35.
Sonst würde mir genommen Bradamante;
Denn ich erfuhr, daß sich in Haimons Haus
Die Sache ganz zu deinen Gunsten wandte.
Allein es denkt der Mensch, und Gott führt aus:
Die Not, sie schuf mich um; denn ich erkannte
Das Herz in dir so edel überaus:
Da fiel miteins nicht nur mein Haß zur Erde;
Mein Trachten war, wie ich der Deine werde.
[422] 36.
Du batest mich, die Jungfrau zu gewinnen
Für dich, nicht ahnend, daß ich Roger war:
Verlangen hieß es aus der Brust tiefinnen
Mein pochend Herz, wenn nicht die Seele gar.
Stand mehr nach deiner Seligkeit mein Sinnen,
Als nach der meinen? Ist es dir nun klar?
Die Braut ist dein; so nimm sie hin in Frieden!
Dir sei, nicht mir, der Erde Glück beschieden!
37.
Ist sie mir denn geraubt, wohlan! – verstatte,
So sei mir auch geraubt das Leben hier;
So lange nur, als Bradamant ich hatte,
So lange war die Seele noch in mir.
Und leb' ich noch, so bist du nicht ihr Gatte;
Rechtmäßig dann gehört sie nimmer dir:
Wir konnten durch Verlobung uns vereinen;
Zwei darf sie ja nicht nehmen, nur den einen!«
38.
Als Leo hört, Herr Roger sei der Degen,
Starr steht er vor Erstaunen: kann kein Glied,
Die Hände und die Füße nicht bewegen;
Er zuckt auch nicht mit einem Augenlid,
Dem Bildwerk gleich, das man zu Füßen legen
Den lieben Heiligen in Kirchen sieht:
Er meint, daß solchen Edelmut die Erde
Niemals gesehen hab' und sehen werde.
39.
Nun er des Helden Namen auch erfahren,
Glaubt Ihr, daß Gunst und Freundschaft da entflohn?
Sie wuchsen noch; ihm selber schmerzlich waren
Die Leiden, die er Roger sah bedrohn.
Deshalb und auch um jetzt zu offenbaren,
Mit Rechten sei er eines Kaisers Sohn,
(Könnt' er in anderm Roger nicht erreichen)
So wollt' er ihm an Edelmut nicht weichen
[423] 40.
Und sprach: »Hätt' ich die Kunde schon empfangen
An jenem Tage, da du schlugst mein Heer
– Und war ich gleich von wildem Haß umfangen,
Daß Roger jage meine Schar daher –,
So hätte mich dein Wert besiegt, gefangen
(Geschah's doch, ohne daß ich wußte, wer
Es sei), ich hätte allen Haß vertrieben,
Zu bringen, was du jetzt erhieltst, – mein Lieben.
41.
Wohl tat mir einst der Name Roger wehe,
Bevor du mir als Roger warst bekannt,
Ich leugn' es nicht; doch, daß nun weitergehe
Der Haß, das weis entschieden von der Hand!
Hätt' ich gewußt im Kerker, wem's geschehe,
Wie jetzt ich's weiß, so tät' ich unverwandt
In jener Zeit schon ganz gewiß das gleiche,
Das jetzt, so will ich, dir zum Heil gereiche.
42.
Tat ich, als ich noch nicht mit dir verbunden,
Für dich schon alles, das in meiner Macht,
Sollt' ich es jetzt nicht tun, in diesen Stunden?
Undankbar würd' ich doch mit Recht eracht't.
Dein höchstes Gut, du hast es dir entwunden,
Den höchsten Wunsch mir opfernd dargebracht:
Ich geb's zurück, von höherm Glück durchdrungen,
Als hätt' ich durch dein Opfer sie errungen.
43.
Du, mehr als ich, verdienst es, sie zu haben;
Ist sie mir teuer auch durch ihren Wert,
Denk' ich doch nicht, man müsse mich begraben,
Sobald ein andrer Werber besser fährt.
Auch soll mich nicht dein Tod mit ihr begaben,
Könnt' er – wenn euer Bund sie mir verwehrt –
Nach Lösung dieses Bandes gleich gestatten,
Mich anzusehn als ihren rechten Gatten.
[424] 44.
Nicht ihr bloß, allem andern zu entsagen,
Und auch dem Leben selbst, bin ich bereit,
Eh solchen Ritter nach dem Grabe tragen –
Durch mich – der Gram und schweres Herzeleid.
Ob deines Mißtrauns muß ich mich beklagen;
Du konntest über mich doch allezeit
Verfügen. Willst du denn mit Schmerz dich töten,
Statt daß du Hilfe von mir nimmst in Nöten?«
45.
Dies und noch andres sagt er dort (zu geben
Die Worte allesamt, die Zeit gebricht)
Und weiß mit klugem Worte rasch zu heben,
Was Roger wider seine Bitte spricht.
Der spricht zuletzt: »Ich füge mich: zu leben
Bin ich bereit, und ich verschmäh' es nicht.
Doch soll ich zweimal Leben durch dich finden,
Wie lös' ich Dankesfesseln, die mich binden?«
46.
Melissa ließ nun feine Speise kommen,
Köstlichen Wein dazu (mit einem Schlag),
Und stärkte Roger, der, gar mitgenommen,
Dem Tode nahe, auf dem Boden lag,
Frontin, der Pferde hatte wahrgenommen,
War fortgelaufen schleunig durch den Hag.
Der Prinz ließ durch die Knappen, die ihn fingen,
Den Renner satteln und zu Roger bringen.
47.
Nur mühsam konnt' er sich in Sattel schwingen,
Obwohl ihm Leo beistand hilfbereit,
Weil ja die Kräfte schon beinah vergingen,
Die er besaß vor noch so kurzer Zeit,
Als er allein ein ganzes Heer zu zwingen
– In falscher Rüstung – wußte dort im Streit. –
Als sie kein Stündchen weit sich fortbewegen,
Da schaut ein Klosterhaus den drei'n entgegen,
[425] 48.
Wo sie des Tages Rest in Ruh' verbrachten,
Den nächsten Tag, den dritten überdies,
Bis voll des Einhornritters Kräft' erwachten
Und er die frühre Stärke neu bewies.
Dann ging es weiter: mit der Zaubrin machten
Die zwei den Weg zurück bis nach Paris,
Wo nachts vorher vom Volke der Bulgaren
Gerad Gesandte eingetroffen waren.
49.
Denn Roger ward zu seiner Taten Lohne
Zum König auserwählt; nun wollten ihn
Die Boten holen von des Kaisers Throne
(Weil dort der starke Held zu weilen schien),
Um ihm zu huld'gen und des Volkes Krone
Zu bringen, die man ihm daheim verliehn,
Wobei der Knappe Rogers auch nicht fehlte;
Er war es, der am Hof von ihm erzählte,
50.
Wie er zu Belgrad mächtig dreingefahren
Und den Besiegten half und in der Schlacht
Schlug Konstantins und seines Sohnes Scharen,
Und wie viel Krieger wurden umgebracht,
Und ihn zum König wählten die Bulgaren
Und nicht der eignen Herren hatten acht;
Wie Ungard ihn von Novengrad, gefangen,
In Theodoras Hände ließ gelangen,
51.
Und wie der Wächter wurde tot gefunden
– So ging's von Mund zu Mund im ganzen Land –,
Der Kerker offen und er selbst verschwunden,
Und wie man weiter keine Spuren fand.
Zur Stadt kam Roger in den Abendstunden
Auf Umweg und von keiner Seel' erkannt.
Im Kaiserschloß bei Karl war er zur Stelle
Frühmorgens, auch Prinz Leo, sein Geselle.
[426] 52.
Dieselben Zeichen mußten wieder dienen,
Im roten Feld der goldne Doppelaar,
Und – also ward's vereinbart zwischen ihnen –
Helmbusch und Kleid auch waren ganz und gar
Dieselben, drinnen er zum Streit erschienen,
Und stellten sich durchbohrt und schartig dar,
So daß ihn alle Welt als den erkannte,
Der jenen Zweikampf focht mit Bradamante.
53.
Und reich geschmückt, in fürstlichen Gewanden
Ging Leo waffenlos an seiner Seit',
Und vor ihm, neben, hinter ihm befanden
Sich hohe Herrn als würdiges Geleit.
Er neigte sich vor Karl, der aufgestanden
Schon war, und Roger hielt er all die Zeit
An seiner Hand und sprach – indessen harrten
Die andern lautlos, die verwundert starrten –:
54.
»Das ist der Ritter, der vom Tagesgrauen
Sich hat gewehrt bis zum Beginn der Nacht,
Und da er nicht zu Boden ward gehauen,
Gefangen nicht und nicht vom Platz gebracht,
So muß er Eures Aufrufs, Herr, vertrauen
Und meinen, daß man ihn als Sieger acht',
Und seinen Anspruch kommt er zu erheben
Und bittet, Bradamant ihm jetzt zu geben.
55.
Kein Anspruch kann dem seinen sich vergleichen;
Und wär' auch nicht der Satzung Vorschrift da,
Wird sie gewonnen von des Schwertes Streichen –:
Ist einer also würdig fern und nah?
Gehört sie dem am meisten liebereichen,
Sprecht, ob man bessern, – nein, nur solchen sah!
Will jemand ihm sein Recht nicht zugestehen,
Wird man es durch das Schwert bewiesen sehen.«
[427] 56.
Wie Karl und seine Großen sprachlos standen! –
Des sichern Glaubens war ja jedermann,
Prinz Leo habe jenen Streit bestanden
Und nicht der unbekannte Rittersmann.
Marfisa hört es auch, die in den Banden
Des Schweigens länger sich nicht halten kann.
Als Leo seine Rede kaum beendet,
So tritt sie vor und spricht, zu ihm gewendet:
57.
»Fehlt Roger, und kann nicht durch ihn geschehen
Im Kampf um seine Gattin der Bescheid,
Soll er sie doch sich nicht entrissen sehen,
Weil ihm Verteid'gung mangle hier im Streit:
Ich, seine Schwester, will hier jedem stehen
(An seiner Stelle zu dem Kampf bereit),
Der Anspruch will auf Bradamant erheben
Und sich den Vorrang über Roger geben.«
58.
Und solchen Ingrimm sah man sie entfalten
Und solchen Zorn, daß mancher Sorge trug,
Sie stürme, ohn' Erlaubnis zu erhalten
Vom Kaiser, vor, ohn' Aufschub und Verzug.
Nicht länger Roger jetzt verdeckt zu halten,
Schien Leo Zeit: den Helm des Ritters schlug
Er auf und sprach: »Da sieh ihn selbst, den Helden!
Aufklärend wird er alles dir vermelden.«
59.
So wie den Ägeus Schrecken übermannte,
Als klar ihm ward bei jenem Frevelmahl,
Daß er zum eignen Sohn mit Gift sich wandte,
Gedrängt durch sein verbrecherisch Gemahl,
Und ihn beinah schon nach dem Hades sandte,
Eh er ihn kannte an des Schwertes Stahl –:
So ging's Marfisa, als ihr klar geworden,
Daß sie bereit war, Roger hinzumorden.
[428] 60.
Und eilig lief sie hin, ihn zu umschlingen,
Und trennte sich von seinem Hals nicht mehr.
Roland, Rinald, voraus der Kaiser, gingen
Und herzten ihn mit großer Liebe sehr;
Wie Oliver und Dudo ihn umfingen!
Nur ihn zu sehn, war Fürst Sobrins Begehr.
Kein Paladin, kein Reichsfürst ließ sich halten,
Rogers Willkommen festlich zu gestalten.
61.
Leo, der wohl die Worte weiß zu stellen,
Beginnt, nachdem das Küssen nun vorbei,
Vor Karl die Taten Rogers aufzuhellen,
Und rings vernimmt's die ganze Kumpanei:
Wie Mut und Kraft, die sich in ihm gesellen
(Ob's auch zum Schaden seines Heeres sei),
Bei Belgrad all sein Herz zu Roger lenkten,
Wenngleich Verlust und Niederlag' ihn kränkten;
62.
Wie dann es glückte, als der Held, gefangen
Von jener, die zu töten ihn gedacht,
Im Kerker saß, ihm Freiheit zu erlangen,
Trotz all der Seinen und des Hauses Macht,
Und Roger drauf für das, was er empfangen,
Voll Großmut jene hohe Tat vollbracht,
Die nie von einem andern Werk auf Erden
Wann es auch sei – verdunkelt könne werden.
63.
So kam es, daß er Punkt für Punkt erzählte,
Was sonst für ihn durch Roger noch geschah;
Wie dieser in dem Schmerze, der ihn quälte,
Als er getrennt sich von der Liebsten sah,
Dem Tode schon, den er für sich erwählte,
Entgegenging, bis endlich Hilfe nah.
So schön und rührend wußt' er's zu beschreiben:
Es konnt' auch nicht ein Auge trocken bleiben.
[429] 64.
Und so geschickt bestürmt er dann mit Flehen
Und wicht'gem Wort des Haimon Eigensinn,
Daß der nicht nur bestimmt wird, abzustehen
Von Plänen, tief gehegt im Busen drin –
Nein, um Verzeihung Roger anzugehen,
Begibt der Greis sich selbst zum Helden hin
Und bittet ihn, sein Schwiegersohn zu heißen:
So wird ihm Bradamante denn verheißen.
65.
Zu ihr, die in der Kammer saß, der engen,
Ihr Mißgeschick beweinend kummervoll,
Mit lauten Rufen und mit frohen Klängen
Die neue Mär in großer Eil' erscholl:
Ließ erst das Weh das Blut nach oben drängen
Mit aller Macht, daß es zum Herzen quoll,
Strömt es heraus in solcher Schnelle wieder:
Sie sinkt vor Freude fast zur Erde nieder.
66.
Miteins ist alle Stärke fortgeschwunden,
Zu stehen kaum besitzt sie noch die Kraft,
Sie, die Ihr so gewaltig habt befunden,
So hohen Mutes und voll Heldenschaft.
Selbst wen die schwarze Binde schon umwunden,
Wer schon sich fühlte in des Todes Haft,
Zum Block verurteilt, Galgen oder Rade,
Hört nicht so hochbeglückt das Wörtlein »Gnade«.
67.
Mongran' und Clermont freun sich an dem Bunde
Der beiden Zweige; daß es also kam,
Betrübt Anselm; auch hören diese Kunde
Mit Ärger Falco, Gini und Ginam;
Doch sie verdecken, lächelnd mit dem Munde,
Den Ingrimm und den Haß und neid'schen Gram
Und lauern still, der Rache Tag zu sehen,
Wie Füchs' am Wege nach dem Hasen spähen.
[430] 68.
Sie fanden Unheil viel vor ihren Toren
Durch Roland und Rinald, ohn Unterlaß,
Obwohl der Hader noch von Karl beschworen
Durch weisen Rat ward und durch dies und das.
Lachen verging dem Haus, seit sie verloren
Noch jüngst den Pinabel und Bertolas.
Doch schien es gut, daß sie den Groll versteckten,
Als ob sie noch die Täter nicht entdeckten.
69.
Am Hofe die bulgarischen Gesandten,
Die an den Hof hierher – ich hab's erzählt –
Sich wegen jenes Einhornritters wandten,
Den man zu ihrem Herren hatt' erwählt, –
O wie sie sich vom Glück begünstigt nannten:
Hat doch dem Wunsch Erfüllung nicht gefehlt!
Sie werfen sich zu seinen Füßen nieder:
Er kehre – flehn sie – nach Bulgarien wieder,
70.
In Adrianopel harre, ihn zu schmücken,
Das Königszepter und die Krone schon.
Doch kommen mög' er und den Feind erdrücken:
Es heiße, daß die Griechen seinem Thron
Bereits mit größern Scharen näherrücken,
Geführt von ihrem Kaiser in Person.
Doch woll' er ihnen seinen Beistand bringen,
So würden sie ihm wohl sein Reich entringen.
71.
Der Antrag ward von Roger angenommen,
Und er versprach den Herrn, zur Bulgarei
In dreier Monde Frist zurückzukommen,
Spiel' ihm Fortuna keinen Streich dabei.
Prinz Leo sagt, als er den Fall vernommen,
Wenn Roger König der Bulgaren sei,
Versichern könn' er ihn bei seiner Treue,
Daß Friede sich mit Konstantin erneue.
[431] 72.
Er brauche nicht so rasch davonzustreben
Und nehme nicht das Kriegesschwert zur Hand:
Freiwillig werde Konstantin ihm geben,
Was er gewann von der Bulgaren Land.
Wie sehr man Roger mochte hoch erheben,
Nichts hat Beatrix mehr ihm zugewandt,
Die jetzt als Schwiegersohn ihn lieben sollte,
Als daß man ihm den Namen »König« zollte.
73.
Die Hochzeit ging mit Königspracht vonstatten,
Des hohen Herrn, der sie besorgte, wert:
Karl gab sie so, als hätt' er einen Gatten
Dem eignen lieben Töchterlein beschert.
Das Fräulein und die andern, alle hatten,
Das ganze Haus, vortrefflich sich bewährt:
Müßt' er sein halbes Reich verwendet sehen,
So deucht ihm doch kein Übermaß geschehen.
74.
Ein jeder Mann darf frei zu Hofe gehen,
Bleibt hier in aller Sicherheit und mag
In freiem Felde seinem Gegner stehen
(Hader zu enden) bis zum neunten Tag.
Ein Feld wird ausgeschmückt, und Tücher wehen
Von Gold und Seide; Zweige, grün vom Hag,
Sieht man mit Blumen herrlich sich verweben:
Es kann nichts Schönres auf der Erde geben.
75.
Paris die Stadt, sie könnte nicht umschließen
Der fremden Gäste ungezählte Schar,
Der arm und reichen, die zusammenstießen,
Sei's Grieche, sei's Latiner und Barbar.
Gesandte, die ein fernes Land verließen,
Sie stellten sich in hellen Haufen dar.
In Zelten fand man, unter Laubendächern
Bequemlichkeit just wie in Prunkgemächern.
[432] 76.
Mit auserlesnen, hohen Kostbarkeiten
Hatte Melissa schon in jüngster Nacht
Das Brautgemach begonnen zu bereiten,
Darauf sie schon gar lange war bedacht.
Des Ehebundes (seit geraumen Zeiten)
Hatte sie eifrig und in Sehnsucht acht,
Weil sie, der Zukunft kundig, deutlich wußte,
Was diesem Treffliches entspringen mußte.
77.
Gegeben war ein Platz dem Hochzeitbette
Mitten in einem glänzenden Gezelt,
Dem reichsten, schönsten, das an einer Stätte
Im Krieg, im Frieden, je war aufgestellt,
Und wie man niemals eins gefunden hätte.
Entnommen war es Thraziens Uferfeld,
Dem Kaiser überm Haupte weggezogen
Bei seiner Rast an blauen Meereswogen.
78.
Melissa ließ – der Prinz war einverstanden –
(Sie gäbe gern von ihrer Kunst Beweis,
Und von dem Höllenwurm in ihren Banden,
Und daß er handeln mußt' auf ihr Geheiß,
Und seine Geister sich gezwungen fanden
Zu dienen ihrem Wort in jeder Weis')
Durch styg'sche Boten dieses Zelt erraffen
Und von Byzanz zum Seinestrande schaffen:
79.
Sie packten's vor des griech'schen Kaisers Blicken,
Des Konstantin, ob seinem Haupte auf
Und trugen es mit Stangen und mit Stricken
Und außerdem mit all der Sachen Hauf,
Die sich zur Wohnung Rogers mochten schicken,
Am hellen Mittag in die Luft hinauf
Und setzten nach der Hochzeit alles wieder
Am Platz, wo sie's genommen hatten, nieder.
[433] 80.
Zweitausend Jahre waren fast verflossen,
Seit dieses reiche Werk zustande kam:
Ein Troerkind, durch dessen Adern schossen
Prophetentrieb und Neigung, unternahm
Das Werk und stickte nächtlich unverdrossen
Mit großer Müh' das Zelt so wundersam.
Ihr kennt die Troerin: Kassandra hieß sie
Und Hektor als Geschenk die Arbeit ließ sie.
81.
Vom Bruderstamm des besten Ritters Züge
Der jemals künftig streb' ans Tageslicht
(Daß Zweig um Zweig vorher schon Blätter trüge,
Fern von der Wurzel, das entging ihr nicht),
Die waren dort in künstlichem Gefüge
Aus Seid' und Gold gestickt und hergericht't.
Das Werk war Hektor lieb, dem Mann der Waffen,
Als Kunstwerk und weil jene es geschaffen.
82.
Doch als er durch Verrat verlor das Leben,
Und Griechenland das Volk der Troer schlug
(Wobei weit Schlimmres noch sich hat begeben,
Als Bücher melden, nach des Simon Trug),
Ward es dem Menelas durchs Los gegeben,
Der es dann weiter nach Ägypten trug:
Proteus hat es von Menelas bekommen
Fürs Eheweib, das der Tyrann genommen,
83.
Die Helena; der Meergott hat empfangen
Aus ihrer Hand das wunderbare Zelt.
Die Ptolemäer sollen's dann erlangen;
Dann ist's Kleopatra, an die es fällt;
Wonach es ihr Agrippas Leut' entrangen
Dort im Leukad'schen Meer; August erhält
Es drauf; dann zählt es zu Tiberius' Schatze;
In Rom blieb's bis auf Konstantin am Platze.
[434] 84.
Durch ihn, den stets Italien schilt mit Klagen,
Solange noch das Rad der Zeiten rollt,
Ward nach Byzanz das hohe Werk verschlagen
(Er war dem Tiber ja nicht länger hold).
Dem zweiten Konstantin wird's fortgetragen:
Der Schaft war Elfenbein, die Stricke Gold.
Figuren sah man, schön gestickte, prangen,
Wie sie Apelles' Pinsel kaum gelangen:
85.
Der Grazien Schar in lieblichen Gewanden
Half einer Königin in Kindeswehn:
Ein Knabe war's: – ob vier Jahrhundert' schwanden,
Sie haben nie ein schönres Kind gesehn;
Mit vollen Händen Mars und Venus standen;
Zeus und Merkur, der Redner, ließen wehn,
Ambrosia streuend, süße Himmelsdüfte,
Und Blumen spendeten des Äthers Lüfte.
86.
Geschrieben stand, für wen die Schätze waren,
Denn auf den Windeln las man Hippolyt:
Glück führt ihn an der Hand in spätern Jahren,
Und vor dem Knaben geht der Tugend Schritt:
Ein neues Volk erscheint mit langen Haaren,
Und von Corvinus bringen sie die Bitt',
Ihn mit dem zarten Sprößling zu begaben;
Er möcht' ihn gern für sich vom Vater haben.
87.
Man sieht ihn ehrfurchtsvoll von Ercol gehen,
Von Mutter Leonore zieht er fort,
Besucht die Donau (um ihn anzusehen,
Drängt sich das Volk, wie um des Himmels Hort);
Seht Ungarns weisen König staunend stehen,
Welch reifes Wissen wohn' im Knaben dort,
Dem feinen, zarten, aufgeblüht nur eben;
Ob aller Großen will er ihn erheben,
[435] 88.
Sorgt, daß er schon in jugendlichen Zeiten
Das Zepter von Strigonia erhält;
Auf Schritt und Tritt muß ihn das Kind begleiten,
In den Palast und in das Kriegeszelt:
Ob gegen Türken, gegen Deutsche streiten
In Waffen mag der königliche Held,
Stets folgt ihm Hippolyt, und in der Jugend
Auf hohe Taten blickend, lernt er Tugend.
89.
Man sieht der Jahre Blüt' ihn hier verbringen,
Der Wissenschaft und edler Kunst geweiht.
Verborgnen Sinn der Schriften zu durchdringen
Des Altertums, lehrt Fusco, ihm zur Seit':
»Willst du dich hoch zu ew'gem Ruhme schwingen,
So folge diesem, halte jenes weit!«,
Scheint er zu sagen: also deutlich werden
Läßt das Gemälde Handlung und Gebärden.
90.
Als Kardinal – noch in den Jünglingstagen –
Im Rat des Vatikans stellt er sich dar
Und scheint beredt und voller Geist zu sagen,
Was staunen macht der weisen Männer Schar;
Man sieht, daß sie sich voll Verwundrung fragen:
»Wie zeigt ihn später wohl ein reifer Jahr?
O, wenn ihn Petri Mantel mag umschließen –
Welch Glück wird dann die fromme Welt genießen!«
91.
Des hohen Jünglings Spiel und Kurzweil künden
Die Bilder drauf an einer andern Stell':
Er trotzt dem Eber hier in sumpf'gen Gründen,
Dem Bären dort auf Alpenhöh'; und schnell
Wie Sturmwind folgt er in des Waldes Schlünden
Hindin und Bock als kühner Weidgesell;
Er spaltet – seht! – das Wild dort in zwei gleiche
Teile voll Kraft mit einem einz'gen Streiche.
[436] 92.
Mit Philosophen geht er, mit Poeten
In vielgeehrtem Chor einher; man sieht,
Wie Unterweisung über die Planeten,
Die Erde da, den Himmel dort geschieht.
Der kommt mit Elegien, der scheint zu beten,
Der singt ein leichtes, der ein Heldenlied.
Er lauscht der Tonkunst mannigfachen Weisen,
Und jedes Schrittes Anmut ist zu preisen.
93.
Wenn so im ersten Teil zum Bild gelangen
Die Jahre seiner frühen Lebenszeit,
So ließ Kassandra in dem zweiten prangen
Züge von Klugheit und Gerechtigkeit,
Drein Mut und Mäßigung sich herrlich schlangen
Und, die zu ihnen sich als fünfte reiht:
Den vollen Lichtglanz pflegt sie ihm zu senden,
Die Tugend, mein' ich, als ein Fürst zu spenden.
94.
Seht ihn sich dort zu Mailands Herren halten,
Dem vielgeprüften: wie er mit ihm spricht,
Im Frieden, kluge Pläne zu entfalten,
Und wie er dort die Schlangenfahne richt't!
Von gleicher Treue stets ist sein Verhalten,
In dunklen Zeiten, in des Glückes Licht:
Er flieht mit ihm, bleibt tröstend ihm zur Seite
In Trübnis, gibt ihm bei Gefahr Geleite,
95.
Hegt hier Gedanken tief im Haupte drinnen,
Es gilt Alfonsos Heil, Ferraras Staat,
Entdeckt durch fein verschlungenes Beginnen
(Und zeigt's dem edlen Bruder), daß Verrat
Ihm seines eignen Hauses Glieder sinnen,
Und zwar die allerteuersten gerad,
Und soll den Ehrennamen so erlangen,
Den Cicero vom freien Rom empfangen.
[437] 96.
Seht ihn in Waffen! Hell blinkt seine Wehre;
Er ist auf Beistand für den Papst bedacht;
Entgegen tritt er wohlgeschultem Heere
Mit einem Haufen, eilig aufgebracht.
Daß er zugegen ist, genügend wäre,
Um Luft zu schaffen für der Kirche Macht:
Die Gluten sterben, eh sie kaum noch brennen;
Man kann's ein »Veni-vidi-vici« nennen.
97.
Seht dort ihn mit der größten Flotte ringen,
Der stärksten auch, am heimatlichen Strand,
Die Türk' und Grieche jemals noch empfingen,
Von Venezianern gegen sie gesandt:
Er schlägt sie, geht dem Bruder dann sie bringen
Samt all der reichen Beute, die er fand.
Die Ehre nur will er für sich behalten;
Man kann mit ihr ja nicht für andre schalten.
98.
Wie aufmerksam die Ritter und die Frauen,
Ohne den Sinn zu fassen, dieses sehn!
Sie haben niemand, ihnen zu vertrauen,
Daß jene Ding' in Zukunft erst geschehn.
Da sie mit Lust auf schöne Mienen schauen
Und auf die Namen, die darunter stehn,
Sah's still für sich genießend Bradamante,
Die durch Melissas Wort schon alles kannte.
99.
Roger – war ihm auch nicht so viel erschlossen
Wie Bradamant – besann sich doch auf dies,
Daß Atlas ihm von seinen Enkelsprossen
Den Hippolyt so ganz besonders pries. –
Wer sagt in Versen, welche Huld genossen
Bei Karl die Gäste; wie er folgen ließ
Ein schönes Fest aufs andre, Spiel auf Spiele,
Wie stets die Tafel trug der Speisen viele!
[438] 100.
Da zeigt sich's, wer ein Ritter sei zu nennen,
Wenn man am Tag wohl tausend Lanzen bricht –
Hier Kampf zu Fuß, und dort zu Pferd ein Rennen –,
Wenn man gedoppelt und in Rotten ficht!
Und Roger kämpft bei Tag und Nacht, sie kennen
Bei den Turnieren andern Sieger nicht.
Beim Tanz, beim Kampf, bei jedem andern Werke
Stets triumphiert mit Ehren seine Stärke.
101.
Am letzten Tag (gerad zur Tafel schreiten,
Der festlichen, die Gäste miteinand,
Der Kaiser hat die Gatten sich zu Seiten –
Herrn Roger links und rechts Frau Bradamant –)
Sehn sie durchs Feld gewappnet einen reiten:
Stracks auf den Tisch zu hat er sich gewandt,
Hochragend, ganz verhüllt, auf schwarzem Pferde,
Und übermütig scheint er von Gebärde.
102.
's ist Algiers Fürst; ihm war zu Herz gegangen
Der Schimpf, den er vom Fräulein dort erfuhr:
Kein Schwert zu ziehn, in Waffen nicht zu prangen,
Nicht aufzusitzen – also war sein Schwur,
Bis daß ein Jahr, ein Mond und Tag vergangen,
Und eine Höhle zu bewohnen nur.
Damals war's Ritterbrauch in jedem Lande,
Sich selbst zu strafen für erlittne Schande.
103.
Wiewohl ihm kund ward seines Herren Lage
Und was dem König weiterhin geschah,
Zwang ihn der Schwur, daß er dem Kampf entsage,
Als sei der ganze Fall für ihn nicht da.
Als nun das Jahr mit Monat und dem Tage
Vergangen, kam's, daß er sich neu versah
Mit Roß und Rüstung und mit Schwert und Lanze –
So naht er sich des Kaiserhofes Glanze.
[439] 104.
Ohn' abzusitzen, ohne sich zu neigen,
Der Höflichkeit und Ehrerbietung bar,
Mißachtung schien er allen zu bezeigen,
Dem Kaiser und der hohen Herren Schar.
Die sahen, starr vor Staunen all, in Schweigen,
Wie ungebührlich dies Benehmen war,
Worauf sie Speisen sowie Reden lassen,
Nur auf das Wort des Kriegers aufzupassen.
105.
Sobald ihn Karl, auch Roger, hören konnte,
Hochmütig, stolz bewegt er sich und schreit:
»Ich bin's, der Fürst von Sarza, Rodomonte,
Der dich, o Roger, fordert hier zum Streit
Und, eh die Sonne sinkt am Horizonte,
Beweist, daß man mit Recht Verrats dich zeiht
An deinem Herrn, und man in keiner Weise
Dir Ehre zollen darf im Ritterkreise.
106.
Die Felonie liegt zwar zutag, ich meine:
Du kannst nicht leugnen, bist du doch ein Christ.
Doch, daß sie offenkund'ger noch erscheine,
Beweis' ich's hier im Feld zu dieser Frist:
Vernimm, daß jeder Ritter noch, der deine
Sach' auf sich nimmt, mir hier willkommen ist;
Nicht einem nur, – vier, sechsen will ich stehen;
Daß ich mein Wort verfechte, sollt ihr sehen!«
107.
Roger springt auf, als er sich so verklagen
Hört; mit des Kaisers Gunst erklärt er frei,
Der andre lüg' und wer noch möge sagen,
Man zeih' ihn jemals der Verräterei.
Mit seinem Herrn hab' er sich so betragen,
Daß er vor jedem Tadel sicher sei.
Bereit auch sei er, daß sein Schwert erweise:
Es ward der Pflicht genügt in jeder Weise.
[440] 108.
Ohne daß andre noch zur Seit' ihm stehen,
Woll' er verfechten seinen eignen Strauß.
Ausreichend werde man den einen sehen,
Vielleicht zu viel; das weise bald sich aus.
Eifrig, für Roger in den Kampf zu gehen,
Sind Herr Rinald und Roland überaus;
Der Markgraf auch, zwei Söhne an den Seiten,
Marfisa, Dudo sind gewillt zu streiten.
109.
Wie sie ihm darzutun beflissen waren,
Beim Feste ruh' ein neuvermählter Mann,
Sprach Roger: »Lasset solchen Einwand fahren!
Er ist zu lahm; ich denke nicht daran.«
Nun brachte man die Rüstung des Tataren,
Voll Beulen ganz; Herr Roger zog sie an,
Und Roland kommt: er schnallt ihm fest die Sporen.
Das Schwert zu gurten hat sich Karl erkoren.
110.
Marfisa und Frau Bradamant, sie legen
Ihm Schienen an, dazu das Eisenkleid.
Den Renner führt Herr Astolf ihm entgegen,
Den Bügel hält des Dänen Sohn bereit.
Platz schaffen eilig mit noch andern Degen
Rinald, Naims, Oliver in dieser Zeit
Und richten das Geheg (für solche Fälle,
War immer alles Nötige zur Stelle).
111.
Bleich stehn die Frauen, können kaum sich regen,
Verzagt wie Tauben, die, vom Sturm erfaßt,
Zitternd, hin, wo das sichre Nest gelegen,
Aus körnerreichen Auen fliehn in Hast:
Das Dunkel schreckt sie, Hagel wild und Regen,
Des Donners Rollen und des Blitzes Glast:
So zagen sie um Roger und erbleichen;
Denn an den Heiden scheint er nicht zu reichen.
[441] 112.
So will's dem Volk auch und den meisten scheinen
Der hohen Herren und der Ritterschaft;
Denn die Erinnerung verließ noch keinen,
Was in Paris der Heide hat geschafft:
Mit Feuer und mit Schwert ward von dem einen
Ein großer Teil der Stadt dahingerafft
Und blieb zerstört für noch gar viele Tage;
Kein Schaden ist, den man so sehr beklage.
113.
Am meisten fühlt jedoch ihr Herz erbeben
Frau Bradamant, obwohl vom Glauben weit,
Der Feind könn' über Roger sich erheben
An Kraft und Heldenmut und Tapferkeit;
Auch fehlt das beßre Recht dem Mohren eben,
Meint sie, das oft allein den Sieg verleiht.
Vor Bangigkeit ist sie drum nicht geborgen –:
Sie liebt! so muß sie bangen denn und sorgen.
114.
Wie gerne hätte sie es übernommen,
Den Kampf, den zweifelhaften, zu bestehn,
Ließ auch Gewißheit, darin umzukommen,
Sich deutlicher als mit den Augen sehn!
Mehr als ein einz'ger Tod wär' ihr willkommen
(Könnte man mehr als einmal sterben gehn),
Als in so fürchterlichen Abenteuern
Den Herrn bedroht zu sehn, den lieben, teuern!
115.
Doch nicht durch Bitten läßt er sich bewegen,
Sich fernzuhalten von der Kampfesglut:
So steht sie denn und blickt der Schlacht entgegen
Mit trübem Antlitz, zitternd, schwergemut.
Und aufeinander stürmen jetzt die Degen,
Gesenkt den Speer, das Tier gespornt zur Wut.
Wie Eis gebrochen beide Lanzen liegen,
Daß Splitter, Vögeln gleich, zum Himmel fliegen.
[442] 116.
Des Schildes Mitte traf, wie er es dachte,
Des Heiden Speer, doch war die Wirkung matt;
Vulkan, der diesen Schild für Hektor machte,
Hatt' ihn gestählt in seiner Schmiedestatt.
Als auf dem andern Rogers Lanze krachte,
Ward er durchstoßen ganz und gar und glatt:
Vorn Stahl und hinten, in der Mitte Knochen
Und eine Spanne dick – er ward durchstochen.
117.
Hätte die Lanze besser ausgehalten
(Allein sie brach beim ersten Stoß entzwei,
Man sah die Splitter Fliegekunst entfalten;
Die Stümpfe stoben in die Luft dabei),
Sie hätte gleich den Panzer durchgespalten –
So wütend war sie – ob er Demant sei:
Dann war's vorbei; allein sie brach. Die Pferde
Sich beide rücklings setzen auf die Erde.
118.
Nun zwingen Zaum und Sporn sie, aufzustehen:
Die Kämpfer haben nicht des Speeres acht;
Der fliegt hinweg, und mit dem Schwerte gehen
Sie auf den Leib einand mit aller Macht.
Wie sie voll Meisterschaft die Renner drehen
So leicht und flink und stets mit Fleiß bedacht,
Zu prüfen mit der Spitze, wo das Eisen
Sich möge spärlicher und schwach erweisen!
119.
Dem Mohren deckt nicht mehr die Brust der Kragen
Aus harten Schuppen, jene Schlangenhaut;
Auch den gewohnten Helm nicht darf er tragen
Noch Nimrods Schwert, das also schneidig haut:
Denn als er auf der Brücke ward geschlagen
In jener Rüstung dort von Rogers Braut,
Ließ er die Waffen an das Denkmal hängen
(Ihr wißt es wohl aus früheren Gesängen).
[443] 120.
Nun hatt' er andre, zwar der wunderbaren
Nicht zu vergleichen, aber gut genug.
Doch wäre Balisarda durchgefahren
Durch härtre noch, wenn Roger mit ihr schlug;
Kein Zauber konnte seinen Mann bewahren
Noch feinster Stahl, wenn ihn der Gegner trug.
Roger ist seines Werks gar wohl beflissen
Und hat die Rüstung vielfach aufgerissen.
121.
Als rot der Heide sieht die Brünnlein quellen
Und merkt, er sei jetzt nicht imstande mehr,
Zu hindern, daß die Stöß' an vielen Stellen
Hinein ins Fleisch ihm dringen durch die Wehr,
Da fluten mächtig seines Zornes Wellen,
Mehr als in Wintersmitt' ein stürmisch Meer:
Er wirft den Schild fort, um mit beiden Händen
Gewalt'gen Hieb auf Rogers Helm zu senden.
122.
Wie auf dem Po die höchste Wucht entfalten
Mag die Maschine, die auf Schiffen zwein
Von Menschen und von Räderwerks Gewalten
Gehoben, stürzt auf spitze Pfähl' hinein,
So möchte Rodomont mit Roger schalten:
Mit beiden Armen schlägt er mächtig drein.
Allein vom Zauberhelm ward aufgehalten
Der Streich; sonst wäre Mann und Roß gespalten.
123.
Zweimal das Haupt schon mußte Roger neigen;
Es öffnen Arm und Beine sich zum Fall.
Eh wieder des Bewußtseins Kräfte steigen,
Verdoppelt kracht des Mohrenhiebes Schall;
Ein dritter Schlag! – doch nicht geduldig zeigen
Will sich der feine Stahl bei solchem Prall.
In Stücke fliegt das Schwert; des Heiden Rechte,
Die grimmige, bleibt wehrlos zum Gefechte,
[444] 124.
Nur, ohne daß es Rodomont erschreckte:
Er nahte Roger, dieser merkt' es nicht,
Weil, ganz verhüllt, Besinnung sich versteckte,
Umnebelt, und es schwand ihm das Gesicht –
Als aus dem Schlaf der Sarazen ihn weckte,
Der ihm mit starkem Arm den Hals umflicht;
Herrn Roger reißt die Klammer von dem Pferde,
Daß er vom Sattel niederfällt zur Erde.
125.
Doch sprang er auf, weil er sich rasch ermannte,
Des Zornes nicht so voll wie voll von Scham,
Denn bei dem Blick auf seine Bradamante
Sah er, wie Schreck ihr jede Farbe nahm:
Ihr schien, daß sich die Seel' von hinnen wandte,
Wie der geliebte Mann zu Falle kam!
Die Schmach zu löschen, hoch das Schwert erhoben,
Entgegen stellt er sich des Riesen Toben.
126.
Der spornt sein Pferd, um ihn zu überreiten:
Roger weicht aus (und keine Not entsteht),
Faßt mit der Linken beim Vorübergleiten
Des Mohrenpferdes Zaum, daß es sich dreht;
Und wie die Rechte Brust und Bauch und Seiten
Des Gegners treffe, wird von ihm erspäht –
Und an zwei Stellen wird der Mohr gestochen:
Erst an der Hüfte, dann am Schenkelknochen.
127.
Dem Mohren brach das Schwert zwar im Gefechte,
Doch Knauf und Heft noch hält er in der Hand:
Er stößt, daß wieder fast Betäubung brächte
Die mächt'ge Wucht, auf Rogers Helmesrand.
Der aber wollte siegen nach dem Rechte:
Er griff des Gegners Arm, zog unverwandt,
Stark, mit der Rechten dran wie mit der Linken:
Vom Sattel mußte Rodomonte sinken.
[445] 128.
Gewandtheit aber oder Kraft bewährte
Der Mohr, gleich stehen beide Mann an Mann.
Er fiel auf seine Füße; in dem Schwerte
Bestand der Vorteil, den der Christ gewann,
Wobei er bloß von fern dem Gegner wehrte;
Dicht an den Heiden kam er nicht heran,
Weil ihm ja gar zu leicht Bedrängnis brachten
Gewicht und Masse dieses Ungeschlachten.
129.
Auch sah er Blut schon aus der Seite fließen,
Dem Schenkel und gar mancher andern Wund';
Wenn jenen seine Kräfte bald verließen,
Meint er, so fleh' um Gnade wohl sein Mund.
Da Knauf und Heft des Heiden Händ' umschließen,
Schnellt er sie fort mit aller Macht jetzund
Und meint damit den Gegner so zu finden,
Daß diesem mehr als je die Sinne schwinden.
130.
Auf Wang' und Schulter trifft der Wurf mit Krachen,
Und Roger fühlt die Wucht, die große, sehr:
Kaum einen Schritt noch kann er weiter machen
Und schwankt und strauchelt, hält sich aufrecht schwer.
Der Feind dringt vor, doch mit dem Bein, dem schwachen,
Dem wunden Schenkel, kommt er mühsam her,
Und als er nun zu eilig regt die Glieder,
Fällt er mit einem Knie zur Erde nieder.
131.
Roger verliert nicht Zeit: mit starken Schlägen
Auf Kopf und Brust des Feinds sein Eisen klingt;
Gewaltig hämmernd muß sein Schwert sich regen,
Bis es den Mohren auf den Boden zwingt.
Doch ringt er sich empor, Roger entgegen,
Erreicht, daß er mit Armen ihn umschlingt;
Die Kämpfer schütteln, drehen sich und pressen,
Daß Kunst an Kunst und Kraft an Kraft sich messen.
[446] 132.
Des Heiden Stärke war zum Teil geschwunden,
Durch bloße Lend' und Seite hingerafft;
Bei Roger ist Geschick mit Kunst verbunden:
Er hat im Ringen Übung – und die Kraft.
Den Vorteil nutzt er: wo das Blut aus Wunden
Am reichsten strömt, wo eine Stelle klafft,
Dahin mit Macht die Brust und Arme klemmt er;
Zugleich darauf die beiden Füße stemmt er.
133.
Wie jetzt im Mohren Wut und Ingrimm toben!
Des Gegners Hals und Schulter packt er fest;
Er drückt und zerrt ihn, hat ihn hochgehoben,
Ihn schweben lassend, dann aufs neu gepreßt,
Umschlungen und gedreht und fortgeschoben:
Ob er sich wohl zu Falle bringen läßt.
Roger, in sich gefaßt, weiß zu entfalten
Verstand und Kraft, sich über ihm zu halten.
134.
Er wechselt immer mit dem Griff der Hände,
Bis er zuletzt den Gegner stark umfaßt,
Drückt ihm die Brust auf linke Seit' und Lende
Und stemmt sich drauf mit aller Macht und Last;
Schiebt unters linke Knie ein Bein am Ende,
Auch unters rechte, stößt mit voller Hast
Und hebt nun in die Luft die mächt'gen Glieder
Und wirft ihn köpflings auf die Erde nieder.
135.
Der Mohr schlägt mit dem Rücken und dem Kopfe
Zu Boden, und so heftig ist der Stoß:
Blut rinnt aus Wunden wie aus einem Topfe
Und bildet eine Lache rot und groß.
Roger (er hat Fortuna jetzt beim Schopfe)
Kniet – leicht ringt sonst der Heide ja sich los –
Ihm auf dem Bauch, ihn würgend mit der Linken,
Und läßt den Dolch vor seinen Augen blinken.
[447] 136.
Wie in Pannoniens, in Iberiens Minen,
Wo man die Schätze roten Goldes hebt,
Ein Bergsturz jene, die der Habsucht dienen,
Der bösen, oft ganz unversehns begräbt
(Sie stehen so gepreßt, beengt, daß ihnen
Kein Ausgang bleibt, wo nur der Geist entschwebt),
Also gepreßt lag hier der Mohrendegen
Unter dem Helden da, dem er erlegen.
137.
Der Sieger läßt am Helmvisier ihn schauen
Des Dolches Spitze, auf ihn zugekehrt:
Ergibt er sich, darf er auf Rettung bauen
Und sterben muß er, wenn er noch sich wehrt.
Allein der Tod schafft jenem minder Grauen,
Als einmal Feigheit zeigen, die entehrt.
Er müht sich, ohn' ein Wort hervorzubringen,
Durch Schütteln, Drehn dem Feind sich zu entringen.
138.
Der Schafhund, von der Bulldogg' überwunden –
Sie leckt ihm von der Gurgel schon das Blut –
Hat sich umsonst gemüht und abgeschunden,
Voll Schaum die Lippen und im Auge Glut:
Er wird durch nichts der Drängerin entwunden,
Die ihn an Kraft besiegt, doch nicht an Wut –
So muß der Mohr der Hoffnung sich begeben,
Aus Rogers Siegerhand sich zu erheben.
139.
Doch lassen Drehn und Rütteln ihm gelingen,
Daß er zuletzt den bessern Arm befreit;
Die rechte Hand sucht es zustand zu bringen,
Mit seinem Dolch (auch er zog ihn im Streit)
Unten in Rogers Weichen einzudringen.
Der Jüngling aber merkt zur rechten Zeit,
Welch ein Verderben jetzt ihn leicht erfasse,
Wenn er den wilden Heiden leben lasse:
[448] 140.
Zwei-, dreimal in der graus'gen Stirn des Recken –
Den Arm so hoch, wie ihm nur möglich war –
Barg er den ganzen Dolch und ließ ihn stecken,
Der Klemme so entschlüpfend und Gefahr.
Zu Acherons trübsel'gen Uferstrecken
Floh aus dem Leib, erkaltet ganz und gar,
Mit wildem Fluch und grimmigen Gebärden
Der Geist, der solchen Stolz gehegt auf Erden.
Finis.
Pro bono malum.
[449]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Ariosto, Ludovico. Epos. Der rasende Roland. Der rasende Roland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-033E-5