V.
Befehlerles.

[151][153]

1.

Am ersten Maimorgen prangte an des Wagner Michel's Haus ein stattlicher Maibaum; es war eine schöne schlanke Tanne, welcher man die Aeste abgehauen und nur die Krone gelassen hatte. Weit über alle Häuser hin ragte sie, und stände der Kirchthurm nicht auf dem Berge, die Tanne hätte darüber hinausgeschaut. Sonst war kein Maibaum im ganzen Dorfe, und alle Mädchen heneideten das Aivle 1, des Wagner Michel's älteste Tochter, weil es allein einen Maien hatte.

Die Kinder kamen das Dorf herauf, in ihrer Mitte bewegte sich eine grüne Hütte. Eine zuckerhutförmige, aus Reifen gebundene und mit Laub bedeckte Hütte war über einen Knaben gestülpt, der sich nun von Hausthür zu Hausthür bewegte und eine Weile dort Halt machte; neben ihm gingen zwei andere Knaben, einen mit Spreu und Eiern gefüllten Korb an den Henkeln tragend, ein großer Schwarm von Knaben, grüne Zweige in den Händen haltend, zog hinterdrein. Sie sangen vor jedem Hause:


[153]

Ho! ho! ho!

Der Maiemann ischt do,

Geant auns schnell d'Eier 'raus,

Sust kommt der Marder in's Heanerhaus,

Geant auns Eier, wie mer's wella,

Sust streue mer Spreuer auf dia Schwelle,

Ho! ho! ho! u.s.w.


Wo sie nun keine Eier erhielten, vollführten sie ihre Drohung und streuten mit Jubel und Lachen eine Handvoll Spreu auf die Schwelle. Fast überall aber wurde ihnen willfahrt, und sie gingen von Haus zu Haus; nur an des Schloßbauern Haus gingen sie, ohne anzuhalten, vorbei. Die Aufmerksamkeit des Dorfes war aber diesmal nicht auf den Maienmann gerichtet, denn Alles stand vor des Wagner Michel's Haus und betrachtete den Maibaum. Zur Herbeischaffung eines solchen mußten wenigstens sechs Mann und zwei Pferde geholfen haben. Es war fast wunderbar, wie das so »hehlings« geschehen konnte; denn das Maisetzen war streng verboten und wurde als großer Waldfrevel mit drei Monaten Ludwigsburg, d.i. Arbeitshaus, bestraft. Darum hatte es keiner der Burschen gewagt, nach alter Sitte seinem Schatz diesen gewaltigen Strauß vor's Haus zu stecken; nur des Wendels Matthes, der »zu dem Aivle geht«, hatte dieß trotz des Verbots ausgeführt. Man konnte nicht herausbringen, wer ihm dabei [154] geholfen hatte; man sagte, daß ihm Burschen aus dem eine Viertelstunde entfernten Dettensee, das zum »sigmaringer Ländle« gehört, beigestanden hätten.

Viele Bauern, die mit Egge und Pflug ins Feld gehen wollten, andere mit der Hacke auf der Schulter, machten Halt und betrachteten eine Zeitlang den Maibaum. Auch des Wendels Matthes war unter den Versammelten, und er lachte immer in sich hinein und winkte dem Aivle, das vergnügt zum Fenster heraussah, mit den Augen zu; diese Augen sagten gar viel. Auf die oft schelmisch wiederholte Frage, wer wohl den Maibaum gesetzt, antwortete das Aivle stets nur mit einem schelmischen Achselzucken.

Eben waren die Maikinder am Hause des Wagners Michel angelangt und begannen ihren Spruch, als der Dorfschütz mit dem Bannert 2 herzutrat und laut rief: »Seid still, ihr Krotten!« Die Kinder schwiegen plötzlich; darauf ging der Gestrenge gerade auf den Matthes zu, faßte ihn am Arme und sagte: »Komm mit zum Schultes!«

Der Matthes schleuderte die breite Hand der Polizei von sich weg und fragte: »Warum?«

»Das wirst du schon erfahren; jetzt komm mit, oder es geht dir schlecht.«

Der Mathes schaute sich rechts und links um, als wisse er nicht, was er thun solle, oder als müsse [155] ihm von irgend einer Seite her Hülfe und Rath werden. Da bewegte sich plötzlich die Maihütte gerade auf den Schütz zu und stieß ihm in's Gesicht. Der Bub verließ sich wohl darauf, daß er als Mai eine geheiligte Person und unverletzlich sei; der Schütz aber kannte keine andere unverletzliche Person, als sich selber, und zerfetzte mit einem Risse dem Knaben sein ganzes Laubhaus. Der Christle, der jüngste Bruder des Mathes, sprang daraus hervor, und der Maienmann hatte nun ein Ende.

Unterdessen war das Aivle vom Hause herabgekommen, es erfaßte den Mathes beim Arme, als wollte es ihn retten. Dieser aber rückte auch seine Hand ebenso harsch von sich ab, und der Dorfschütz sagte zum Aivle: »Du wirst noch warten können, bis man dich holt.«

»Ich geh' schon mit,« sagte Mathes, dem Aivle einen vielsagenden Blick zuwerfend. Dieses aber sah nichts mehr, denn die hellen Thränen standen ihm im Auge, und die Schürze vor das Gesicht haltend, ging es schnell zurück in's Haus.

Die Bauern gingen nun auf's Feld, der Mathes mit den beiden Schützen hinein in das Dorf, die Kinder mit Hallo hinterdrein. Als der Schütz den Nachruf nicht mehr hören konnte, riefen einige verwegene Knaben: »Soges! Soges!« Dieß war der Schimpfname des Schützen und brachte ihn jedesmal [156] gewaltig auf. Er hatte nämlich noch in den letzten Jahren der österreichischen Herrschaft sein jetziges Amt versehen; in seiner Dienstbeflissenheit glaubte er auch den österreichischen Dialekt sprechen zu müssen und sagte einmal: »i sog es.« Seitdem schimpfte man ihn den »Soges«.

Hinter der geheimnisvollen braunen Hausthüre des Schultheißen verschwanden Soges, Mathes und Bannert. Der Schultheiß schalt den Angeklagten wegen seines Verbrechens sogleich tüchtig aus.

Mathes stand ruhig da, er spielte nur leise mit dem Fuße nach einer Melodie, die er innerlich sang; endlich sagte er: »Seid Ihr bald fertig, Herr Schultheiß? Das geht mich Alles nichts an, ich habe keinen Maien gesetzt; jetzt machet nur weiter, ich kann schon noch eine Weil' zuhören.« Der Schultheiß fuhr auf; er wollte gerade auf Mathes los, aber der Soges sagte ihm etwas ganz leise, und seine geballte Faust senkte sich. Er befahl nun dem Soges, den Verbrecher wegen groben Läugnens 24 Stunden einzusperren.

»Ich bin ein Kind aus dem Ort, man weiß, wo ich zu finden bin, ich verlauf' wegen so einem Bettel nicht; man kann mich nicht einstecken,« sagte Mathes mit Recht.

»Man kann nicht?« rief der Schultheiß zornglühend, »das wollen wir doch sehen, du –«

[157] »Oha! es ist genug geschimpft, ich geh' schon,« sagte Mathes, »aber mit einem Bürgersohn sollt' man nicht so verfahren. Wenn mein Vetter, der Buchmaier, daheim wär', dürft' das nicht geschehen.«

Noch auf dem Wege zum Gefängnisse begegnete Mathes dem Aivle, aber er versuchte es nicht einmal, mit ihm zu sprechen. Aivle konnte sich das nicht erklären, es schaute Mathes lange nach, und von der Schande und dem Kummer niedergedrückt, ging es gesenkten Blickes in des Schultheißen Haus. Die Frau Schultheißin war die Firmgode Aivles, dieses wollte nun nicht eher vom Platze gehen, bis der Mathes frei wäre. Aber diesmal half die so einflußreiche Verwendung nichts; der Schultheiß hatte mit nächstem das Ruggericht zu erwarten, und er wollte sich durch unnachsichtige Strenge beim Oberamtmann beliebt machen.

Im Verein mit dem Soges, seinem getreuen und weisen Minister, setzte der Schultheiß einen Bericht auf, und am andern Morgen in aller Frühe ward Mathes nach Horb transportiert. Es war gut, daß der Weg nach der andern Seite des Dorfes zuging und das Aivle den Mathes nicht sah, denn es war ein erbärmlicher Anblick, wie der sonst so muthige und säuberliche Bursche jetzt so geknickt und verwahrlost erschien; eine einzige Nacht im Gefängnisse hatte ihn so zugerichtet. Von allen Hecken, an denen [158] Mathes vorüberkam, riß er sich im Zorne einen Zweig ab, warf ihn aber bald wieder weg, nur als er durch den Tannenwald auf der Steige geführt wurde, riß er sich ein Tannenreis ab und hielt es zwischen den Zähnen fest. Auf dem ganzen Wege sprach er kein Wort; es war, als ob dieses Tannenreis ihm das sichtbare Sinnbild seines Schweigens über den Maibaum wäre, als ob dieses Reislein seine Zunge wie mit einem Zauber festbinden sollte. Vor dem Oberamte nahm er schnell das Tannenreis heraus, und fast ohne es zu wissen, steckte er das Sinnbild seiner Anklage in die Tasche.

Wer nie in den Händen des Gerichts war, weiß nicht, welch ein schreckliches Loos es ist, so auf einmal nicht mehr Herr über sich zu sein; es ist, als ob einem der eigene Körper genommen wäre. Von Hand zu Hand geschubt, muß man freiwillig seine Füße aufheben, um doch nur dahin zu gehen, wohin andere wollen. Das fühlte Mathes, denn er war in seinem ganzen Leben jetzt zum erstenmal vor Gericht. Es war ihm so schwer und so bang zu Muthe, als ob er ein recht großer Verbrecher wäre, als ob er einen Menschen ums Leben gebracht hätte; er meinte, die Kniee müßten ihm zusammenbrechen, als er die vielen Treppen den Berg hinaufgeführt wurde. Er ward nun in den Turm gesperrt, der so zudringlich hoch auf dem Berge steht, wie eine [159] Zwingburg, wie ein großer steinerner Zeigefinger, der der ganzen Umgegend zuwinkt: »Hütet euch!«

Die Zeit wurde dem Mathes sterbenslang. Er war, solange er denken konnte, nie eine Stunde allein ohne Arbeit gewesen; was sollt' er nun thun? Er lugte eine Weile durch das doppelt vergitterte Fenster in der sechs Schuh dicken Mauer hinaus, aber er sah nichts als ein Stückchen blauen Himmel. Auf der Pritsche liegend, spielte er lange mit dem Tannenreis, das er in seiner Tasche fand, das war noch ein Ueberrest aus der grünenden Welt draußen. Er steckte es zwischen eine Brettspalte und dachte es sich als den großen Maibaum, der an des Aivles Haus stand; es kam ihm vor, als ob es schon hundert Jahre wäre, seit er diesen gesehen hatte. Seufzend fuhr er auf, er schaute wirr umher und stampfte mit den Füßen; er fing nun an, pfeifend die Nadeln an dem Tannenreis zu zählen. Mitten drin aber hörte er auf und betrachtete das Reis genauer; er sah jetzt zum erstenmal, wie schön so ein Reis ist; unten waren die Nadeln dunkelgrün und hart, nach der Spitze zu aber waren sie noch so sanft und hellfarbig, so weich wie der Flaum eines Vogels, der noch nicht flügge ist, und ganz oben war der kleine Keim mit seinen zierlich übereinander gelegten Schuppen – das sollte ein Tannzapfen werden. Besser als Lavendel und Rosmarin roch der frische [160] Harzduft des Zweiges. Mathes fuhr sich mit demselben leise und sanft über das ganze Gesicht und über die geschlossenen Augen; den Zweig in der Hand haltend, schlief er endlich ein. Im Traume war es ihm, als ob er auf einer schwankenden Tanne festgebannt wäre, so daß er kein Glied rühren könnte; er hörte die Stimme Aivles, das den bösen Geist bat, daß es zu ihm hinaus dürfe, um ihn zu erlösen. Er erwachte und hörte wirklich die Stimme Aivles und die seines Bruders Christle. Sie hatten ihm das Mittagessen gebracht und baten den Gefängniswärter, ihn in seinem Beisein besuchen zu dürfen, aber es wurde nicht gestattet.

Erst gegen Abend wurde Mathes in das Verhör gebracht. Der Oberamtmann redete ihn sogleich mit Du an und schimpfte ihn auf Hochdeutsch ebenso, wie gestern der Schultheiß auf Bauerndeutsch. Solange die Gerichtsverhandlungen nicht öffentlich sind, wie sie es zu alten Zeiten in Deutschland überall waren, solange wird ein Beamter immer mit einem Angeklagten machen können, was er will; darf er ihn auch nicht mehr auf die Folter spannen oder prügeln lassen, es gibt noch viele andere, oft härtere Mißhandlungen.

Sporenklirrend im Zimmer auf und nieder schreitend, ein kleines Papierchen stets rasch zwischen den Fingern drehend, stellte der Oberamtmann seine Fragen:

[161] »Wo hast du den Baum gestohlen?«

»Ich weiß von nichts, Herr Oberamtmann.«

»Vermaledeiter Spitzbub, du lügst,« sagte der Amtmann rasch, indem er auf Mathes zutrat und den Zipfel seines »Brusttuches« 3 faßte.

Mathes zuckte rückwärts zusammen, seine Hand ballte sich unwillkürlich.

»Ich bin kein Spitzbub,« sagte er endlich, »und Ihr müsset das, was Ihr da gesagt habt, in's Protocoll 'neinschreiben; ich will sehen, ob ich ein Spitzbub bin. Mein Vetter, der Buchmaier, kommt schon wieder heim.«

Auf diese Rede kehrte sich der Amtmann um und kniff die Lippen über einander.

Wäre die Sache des Mathes nur eine bessere gewesen, es hätte dem Amtmann schlecht ergehen können; wohlweislich aber ließ dieser seine Rede nicht in's Protocoll setzen. Er klingelte und ließ den Soges hereinkommen.

»Was habt Ihr für Beweise, daß der da den Maien gesetzt hat?«

»Jed' Kind im Dorf, die Ziegel auf dem Dach wissen's, daß der Mathes zu dem Aivle geht; nichts für ungut, aber ich mein', das Kürzeste wär', man läßt das Aivle kommen, da wird er's nimmer läugnen, [162] er kann keinen auf die Gabel 4 nehmen, daß es nicht wahr ist.«

Als der Mathes das hörte, sperrte er die Augen weit auf und seine Lippen zuckten, aber er schwieg. Der Amtmann war eine Zeitlang stutzig, er erkannte das Ungehörige eines solchen Beweismittels wohl; aber er wollte »ein Exempel statuieren«, wie er sich in der Gerichtssprache ausdrückte.

Nachdem Mathes, der Soges und die herkömmlichen zwei Gerichtsschöppen – oder wie man sie bei uns heißt, Gerichtsbeischläfer – das Protocoll unterschrieben hatten, war das Verhör geschlossen. Mathes hatte den Muth nicht, seine frühere Forderung in Betreff der Schimpfreden des Oberamtmanns zu wiederholen, er wurde abermals in das Gefängniß abgeführt.

Es war schon spät gegen Abend, da saß Aivle oben an der Steige und schaute hinüber nach dem Turme auf dem Berge jenseits; es meinte, der Mathes müsse doch endlich kommen. Es saß hinter einer Hecke, um von den Leuten nicht gesehen und befragt zu werden. Da sah es den Soges die Bergwiese heraufkommen; es ging nach der Straße, der Soges winkte ihm zu, es sprang ihm schnell entgegen.

[163] »Thur stet 5, Aivle,« rief der Soges, »ich hab' dir nur sagen wollen, du sparst mir einen Gang, du mußt morgen früh um acht Uhr vor Oberamt.«

Das Aivle stand leichenblaß da und schaute wie verwirrt drein, dann rannte es schnell den Berg hinab und hielt erst unten am Neckar inne; es blickte sich verwundert um, es war ihm gewesen, als würde es jetzt gleich eingesperrt, und als müsse es auf und davon laufen. Still weinend und gesenkten Hauptes kehrte es heim.

Fast die ganze Nacht that Aivle kein Auge zu, denn morgen sollte es ja zum erstenmal vor Gericht; allerlei Schreckbilder von schwarzbehangenen Gemächern standen vor seiner Seele, und hätte sich nicht sein Gespiel, des Schneiderles Agath, erboten, bei ihm zu schlafen, es wäre gestorben vor Angst.

Als kaum der Morgen graute, ging Aivle nach dem Schranke, holte sein Sonntagshäs 6, und die Agath mußte es ankleiden; es konnte vor Zittern kein Bändel knüpfen. Wehmüthig betrachtete es sich in seinem zerbrochenen Spiegel; es war ihm, als müßte es in seinen Sonntagskleidern zu einem Leichenbegängnisse.

Der Wagner Michel begleitete seine Tochter, er konnte das Kind ja nicht allein gehen lassen. In [164] der Oberamtei zog er seinen Hut ab, strich sich die kurzgeschorenen Haare glatt und machte schon jetzt ein demüthig freundliches Gesicht, als er mit den Füßen scharrend vor der Stubenthür stand. Er stellte seinen Schlehdornstock an die Wand, und den dreieckigen Hut mit der linken Hand vor die Brust haltend, den Kopf demüthig vorgebeugt, klopfte er an. Die Thür öffnete sich. »Was will Er?« fragte eine rauhe Stimme.

»Ich bin der Wagner Michel, und das da ist mein' Tochter, das Aivle, und das fürcht' sich so, da hab' ich fragen wollen, ob ich nicht mit 'nein darf vor Gericht.«

»Nein,« war die rauhe Antwort, und die Thür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen, daß der Wagner Michel zurücktaumelte. Er konnte seine weitere Begründung, daß eigentlich er und nicht seine Tochter vor Gericht gehöre, da der Maien vor seinem Hause stand, nicht mehr anbringen.

Die beiden Hände auf den Schlehdorn gelegt und das Kinn auf die Hände gestemmt, so saß der Wagner Michel neben seiner Tochter auf der Hausflur und heftete seinen Blick auf die Steine des Fußbodens, die so kalt und theilnahmlos waren wie das Antlitz des Beamten. Dann brummte er vor sich hin: »Wenn der Buchmaier da wär', müßt' er andere Saiten aufziehen.« Das Aivle konnte kein Wort [165] reden, es hatte die Hände gefaltet und hustete nur manchmal ganz leise in sein schön gebügeltes Sacktuch hinein.

Endlich wurde es in die Gerichtsstube gerufen; es stand rasch auf, Vater und Tochter sahen sich stumm an, und das Aivle verschwand hinter der Thüre. Es blieb an der Thüre stehen; der Oberamtmann war nicht da, aber dort saß der Schreiber und spielte mit der Feder in der Hand, neben ihm die beiden Gerichtsschöppen, sie pisperten leise mit einander. Aivle zitterte und bebte an allen Gliedern; die Stille dauerte fast zehn Minuten, für Aivle eine halbe Ewigkeit. Endlich hörte man Sporenklingen, der Oberamtmann kam. Aivle schien ihm sehr zu gefallen, denn er faßte es am Kinn, streichelte ihm die heißen, rothen Wangen und sagte dann: »Setz' dich nur.« Aivle gehorchte, sich zaghaft auf den Rand des Sessels niederlassend.

Nachdem es mit niedergeschlagenen Augen auf die Fragen: Name, Stand, Alter u.s.w. angegeben, fragte der Oberamtmann: »Nun, wer hat dir den Maibaum gesetzt?«

»I kahn's et wisse, Herr Oberamtmann.«

»Hast du nicht das Seil zum Anbinden an dem Dachfenster hergegeben?«

»Noan, Herr Oberamtmann.«

»Weißt du auch nicht, wer dein Schatz ist?«

[166] Aivle fing laut an zu weinen. Es war ihm schrecklich, daß es hier läugnen sollte, und doch konnte es auch nicht eingestehen. Der Amtmann half ihm, denn er sagte:

»Nun, was ist denn da zu läugnen? Der Mathes ist dein Schatz, ihr wollt euch ja bald heirathen.«

Aivle dachte daran, daß sie über vier Wochen sich beim Amte die Heirathserlaubniß holen wollten; es glaubte, wenn es jetzt leugne, bekäme es die »Papiere« und die »Annahme« nicht; auch durfte es nicht Nein sagen, das war gegen sein Gewissen. Sein Herz klopfte rasch, ein gewisses Gefühl des Stolzes erhob sich in ihm, ein Bewußtsein, das über alle Gefahren hinausragte, belebte sein ganzes Wesen, es dachte plötzlich nicht mehr an die Papiere, nicht mehr an den Oberamtmann, nicht mehr, wo es war, es dachte nur an Mathes; die letzte Thräne fiel von seinen Wimpern, sein Auge leuchtete hell, es erhob sich rasch, schaute wie siegverklärt umher und sagte: »Jo, koan andere uf der Welt nähm i.«

»Der Mathes hat dir also den Maien gesetzt?«

»'s kann wol sein, aber me derf jo et dabei sein, und i bin diesell Nacht –« es konnte wiederum vor Weinen nicht weiter reden.

Es war gut, daß Aivle die Augen zuhielt und das Lächeln der Gerichtsmänner nicht sah.

[167] »Gesteh's nur, kein Andrer hat dir den Maien gesetzt?«

»Was kahn i wisse?«

Durch allerlei Querfragen und durch die freundliche Versicherung, daß die Strafe nur gering sei, brachte der Oberamtmann endlich das Geständniß Aivles heraus. Nun wurde ihm das Protocoll vorgelesen, worin die Aussagen in hochdeutsche Sprache über'setzt und in zusammenhängende Rede gebracht waren; von all dem Weinen und den Qualen des Mädchens stand kein Wort darin. Aivle erstaunte über Alles das, was es da gesagt hatte; aber es unterschrieb doch und war seelenfroh, als es wieder fort durfte. Als die Thüre hinter ihm wieder zu war und die Klinke in's Schloß fiel, stand es plötzlich wie festgebannt da und faltete die Hände; ein schwerer Seufzer entlud sich seiner Brust, es meinte, der Boden müsse unter ihm zusammensinken, denn es überdachte jetzt erst recht, was es seinem Mathes gethan haben konnte. Sich an das Treppengeländer haltend, ging es furchtsam die steinernen Stufen hinab und suchte seinen Vater, der im Lamm einen Schoppen zur Herzstärkung trank; ohne ein Wort zu reden und ohne einen Tropfen über die Lippen zu bringen, saß Aivle neben ihm.

Unterdeß kam auch der Mathes abermals zum Verhör, und als er das Geständniß Aivles hörte, [168] stampfte er mit dem Fuß auf den Boden und knirschte die Zähne. Diese Aeußerungen wurden sogleich als Grundlagen des Geständnisses genommen, und müde gehetzt gab sich Mathes gefangen; aber er gebärdete sich noch wie ein Wild, das im Netze steckt, sich nach allen Seiten hin und her windet, um sich loszumachen, aber immer tiefer sich hineinwirrt.

Auf die Frage, wo er den Baum geholt, sagte Mathes zuerst, daß er ihn aus dem Dettenseer Walde (aus dem Sigmaringischen) genommen. Als man hierauf eine neue Untersuchung einleiten und an das Amt Haigerloch berichten wollte, gestand er endlich, daß er den Baum aus seinem eigenen Walde, im »Weiherle« gelegen, genommen und daß es ein solcher sei, der nächster Tage von dem Förster ausgezeichnet worden wäre.

In Betracht dieser mildernden Umstände wurde Mathes um zehn Reichsthaler gestraft, weil er vor der Auszeichnung einen Baum aus seinem eigenen Walde geholt hatte.

Oben an der Steige, dort, wo der Mathes Tages zuvor einen Zweig abgerissen, traf er mit dem Aivle und ihrem Vater zusammen, die den Wiesenweg heraufkamen. Mathes wollte ohne Gruß weiter gehen. Da sprang das Aivle auf ihn zu, faßte seine Hand und rief schwer athmend: »Mathes, trutz et, guck, do hoscht du mein Anhenker und au meine Granate, [169] wenn du Strof zahle muscht. Dank aunserm Heiland, daß du nimmeh eing'sperrt bischt.«

Nach einigem Hin- und Herreden gab Mathes nach, Hand in Hand ging er dann mit seinem Aivle das Dorf hinein und wurde von allen freundlich bewillkommt.

Das ist die Geschichte von dem Maibaum an des Wagner Michel's Haus; am Hochzeitstage der beiden Liebenden ward er mit rothen Bändern geschmückt. Der Himmel schien mehr Wohlgefallen an dem Baum zu haben als die löbliche Polizei, denn auf eine fast wunderbare Weise grünte der Baum und schlug neue Wurzeln; noch heutigestags prangt er als ewiges Liebeszeichen an dem Hause der Glücklichen.

Fußnoten

1 Eva.

2 Bannwart, Waldschütz.

3 Brusttuch, so viel als Jacke.

4 Einen auf die Gabel nehmen, so viel als einen Eid schwören; von dem Bilde der erhobenen drei Finger genommen.

5 Geh langsam.

6 Häs, Kleider.

2.

Mit dieser Geschichte hängt aber noch eine andere von allgemeiner Bedeutung zusammen. – Das Maiensetzen, sowie noch andere nach dieser Zeit vorgekommene Waldfrevel veranlaßten den Oberamtmann, eine Verordnung zu erlassen, die ihm schon lange in der Feder schwebte. – Seit alten Zeiten ist es nämlich ein Recht und eine Sitte der Schwarzwälder Bauern, bei einem Gange über Feld, d.h. von einem Orte zum andern, eine kleine Handaxt am linken Arme zu tragen; nur die »Mannen«, d.h. [170] die verheiratheten Männer, tragen dieses Wahrzeichen, die »Buben«, die ledigen Bursche, aber nicht. Es mag wohl sein, daß dies, wie die Sage geht, noch ein Ueberrest von der allgemeinen Wehrhaftigkeit ist.

Am ersten Pfingsttage war in allen Dörfern des Oberamtes am schwarzen Brette des Rathhauses folgende Verordnung zu lesen:


»Da man in Erfahrung gebracht, daß viele Waldfrevel von dem unbefugten Tragen der Aexte herrühren, so wird anmit zur öffentlichen Kunde gebracht: Von heute an soll jeder, der sich auf der Straße oder im Walde mit einer Axt umhertreibt, dem ihn betreffenden Landjäger, Flur- oder Waldschützen genaue Auskunft geben, wozu und warum er die Axt bei sich hat; sofern er hierüber nicht genügenden Ausweiß geben kann, verfällt er beim erstmaligen Betreffen in die Strafe von 1 Reichsthaler, bei Wiederholung in die von 3 Reichsthalern und beim abermaligen Zuwiderhandeln in eine Gefängnisstrafe von acht Tagen bis vier Wochen.

Der Oberamtmann

Rellings


Viele Bauern standen nach der Nachmittagskirche am Rathhause; der Mathes, der nun auch zu den Mannen gehörte, las die Verordnung laut vor. Alle schüttelten die Köpfe und murmelten Verwünschungen und Flüche vor sich hin; der alte Schultheiß aber [171] sagte laut: »Des wär' vor alters et g'schea, des sind aunsere G'rechtsame.«

Da sah man den Buchmaier mit der Axt am Arme vom obern Dorfe herabkommen; Alles schaute nach ihm hin, wie er so daherschritt. Es war ein behäbiger, kräftiger Mann in seinen besten Jahren, nicht groß, aber breitschulterig und dick. Aus den kurzen ledernen Beinkleidern hatte sich das Hemd etwas aufgestaucht; aus der offenen rothen Weste sah das breite Querband der an Nesteln 1 aufgehakten Hosenträger hervor, das buntgewoben und in der Ferne wie ein Pistolengurt aussah; der dreieckige Hut saß auf einem fast unverhältnismäßig kleinen Kopfe, dessen milde Gesichtszüge besonders um Mund und Kinn etwas weiblich Zartes ausdrückten; die weitgeschlitzten, hellglänzenden blauen Augen mit den emporstehenden dunkeln Augenbrauen verkündeten Klarheit und männlichen Trotz.

Mathes sprang dem Buchmaier entgegen, meldete ihm die Verordnung und sagte: »Vetter, ihr seid alle keine rechten Gemeinderäthe, wenn ihr euch das gefallen lasset.«

Der Buchmaier wandelte in seinem gemessenen Gange fort, ohne auch nur einen Schritt zu beschleunigen; er ging geradeswegs auf das Brett zu. Alles[172] wich zurück, damit er bequem lesen könne, er rückte seinen Hut etwas in die Höhe, erwartungsvolle Stille herrschte ringsum. Als der Buchmaier leise zu Ende gelesen hatte, schlug er sich mit der flachen Hand auf die Rundung seines Hutes, ihn fester setzend; das deutete etwas Unternehmendes an. Darauf nahm er ruhig seine Axt vom linken Arm und mit einem »Da!« hieb er sie in das schwarze Brett mitten durch die Verordnung; dann wendete er sich zu den Umstehenden und sagte: »Wir sind Bürger und Gemeinderäthe; ohne Amtsversammlung, ohne Beistimmung von allen Gemeinderäthen kann man keine solche Verordnung erlassen; ich will einmal sehen, ob die Schreiber Alles sind, und ob wir denn gar nichts mehr gelten, und wenn es bis an den König geht, wir dürfen das nicht leiden. Wer mit mir einig ist, der nehme meine Axt da heraus und hau' sie noch einmal in's Brett.«

Der Mathes war der Erste, der zugriff; der Buchmaier aber hielt ihm den Arm und sagte: »Laß die älteren Leute zuerst dran.«

Dieses Wort wirkte auf die Verzagten und Zweifelnden, die über die Handlungsweise des Buchmaiers betroffen waren und nicht wußten, was sie thun sollten. Der alte Schultheiß führte zuerst seinen Hieb mit zitternder Hand, dann griffen alle tapfer zu; von allen Umstehenden schloß sich keiner aus, und [173] besonders der Name des Oberamtmanns wurde kreuz und quer zerhackt. – Nach und nach kam das ganze Dorf herbei; alle wurden zur gleichen sinnbildlichen Handlung ermuntert, und unter Lachen und Jubeln that jeder seinen Hieb.

Der Schultheiß, von dem, was geschehen war, benachrichtigt, wollte Landjäger von Horb kommen lassen; sein weiser Minister aber riet ihm von diesem Aufgebote ab, da das doch nichts helfe; auch dachte der kluge Soges bei sich. »Gut, laß sie nur alle freveln, das gibt eine ganze Ernte Vorladungen, und für jede Vorladung einen Batzen; hauet nur wacker zu, es geht euch in's Fleisch, und das ist mein Batzenfleisch.« Mit fröhlicher Miene berechnete Soges bei einem Schoppen im Adler seinen Gewinn aus den Dorfhändeln.

So blieb endlich außer dem Soges und dem Schultheißen keiner im ganzen Dorf an dem Excesse unschuldig.

Am Dienstage gingen auf Veranlassung des alten Schultheißen die Gemeinderäthe selber vor Amt und machten die Anzeige von dem, was sie gethan hatten. Der Oberamtmann wütete und fluchte in der Stube umher. Er hieß nicht umsonst Rellings, er sah wirklich aus wie ein geschorner Kater 2, dem man eine Brille aufsetzt und Sporen an die Füße heftet. Er wollte [174] die Verbrecher sogleich einstecken lassen; der Buchmaier aber trat scharf vor ihn und sagte: »Ist das Eure ganze Kunst? Einsperren? Da hat's noch gute Weil'. Wir sind da, um Gegensprach' einzulegen, wir bekennen frei, was wir gethan haben, und da kann von keinem vorläufigen Einsperren die Rede sein: ich bin kein Landläufer, Ihr wisset, wo ich wohn', ich bin der Buchmaier, das da ist der Bäck, das da der Schmiedhannes, und das da des Michel's Basche, wir sind auf unserm eigenen Grund und Boden zu finden. Ohne Urtel kann man uns nicht einsperren, und dann gibt's noch einen Ausweg weiter 'naus, Reutlingen zu oder Stuttgart, wenn's sein muß.«

Der Oberamtmann lenkte wieder ein und lud die Männer auf morgen um neun Uhr zum Verhöre vor.

Dieses Letzte war wenigstens insofern gut, daß der Soges dadurch um seine wohlgezählten Batzen geprellt wurde. – So betrügen sich oft die großen und kleinen Herren in ihren Berechnungen.

Es sah fast kriegerisch aus, als des andern Tages mehr als hundert Bauern, die Handäxte am Arme, durch das Dorf hinauswanderten. Sie hielten oft vor einem Hause und riefen einen Verspäteten an, der sich in der Eile noch auf der Straße seinen Rock anzog, manche Scherze und Witzreden wurden nicht weiter gesponnen, wenn man den Buchmaier [175] ansah, der die Augenbrauen tief hereinzog. Kein Tropfen wurde getrunken, ehe man vor Amt ging: »Erst Rothes und nachher Brotes« 3, war der Wahlspruch der Bauern.

Der Oberamtmann sah im Schlafrock mit der langen Pfeife im Munde zum Fenster heraus. Als er nun den bewaffneten Zug so daher kommen sah, machte er schnell das Fenster zu und sprang nach der Klingel, weil er aber stets Sporen an den Stiefeln hatte, verfing er sich in dem Vorhange und stürzte der ganzen Körperlänge nach auf den Boden; die lange Pfeife lag wie seine Waffe neben ihm. Er erhob sich indes schnell wieder, klingelte nach dem Amtsdiener, schickte ihn zum Stationskommandanten, zum Wachtmeister der Landjäger, und befahl, daß sie alle mit scharfgeladenen Gewehren herkommen sollten. Leider aber waren nur noch vier Mann im Orte. Er befahl nun, daß sie sich unten in der Amtsdienerstube halten und jeden Augenblick bereit sein sollten. In der Amtsstube befahl er sodann, daß von den Bauern einer nach dem andern hereinkommen und daß sogleich immer wieder geschlossen werden solle.

Als nun der Buchmaier zuerst hereingerufen wurde, sagte er, die Thür in der Hand haltend: »Guten Morgen, Herr Oberamtmann,« und sich [176] sogleich umkehrend, sagte er zu den Draußenstehenden: »Kommet 'rein, ihr Mannen, wir haben gemeinschaftliche Sach', ich red' nicht für mich allein.« Ehe sich's der Oberamtmann versah, war die ganze Stube mit den Bauern gefüllt, die ihre Aexte im linken Arme trugen. Der Buchmaier trat vor, auf den Schreiber zu, und seine Hand ausstreckend, sagte er: »Schreibet's auf, Wort für Wort, was ich sag'; sie sollen's bei der Kreisregierung auch wissen.« Er fuhr sich sodann zweimal mit der rechten Hand durch den Hemdkragen, stemmte seine Faust auf den grünen Tisch und begann:

»Allen Respekt vor Euch, Herr Oberamtmann, der König hat Euch geschickt, und wir müssen Euch gehorchen, wie das Gesetz will; der König ist ein braver, rechtschaffener Mann, er will gewiß nicht, daß man die Bauern wie das Vieh hudeln oder wie die Kinder mit Döble 4 einschulen soll. Die kleinen Herrle, die von oben bis 'runter stehen, die haben Freud' an dem Befehlerles-Spielen; zuletzt schreiben sie's noch nach Noten vor, wie die Henn' gackern muß, wenn sie ein Ei legt. Ich will Euch einmal das Deckele vom Häfele 5 thun, ich will Euch den klaren Wein einschenken. Ich weiß wohl, es nützt jetzt nichts; gesagt muß es aber sein, ich muß den [177] Putzen einmal 'rausthun, es würgt mich schon lang. Die Gemeind' soll jetzt gar nichts mehr gelten, Alles soll in den Beamtenstuben abgethan werden. Ei so pflüget und säet und erntet auch in den Beamtenstuben. So ein verzwängtes Schreiberle kujoniert ein ganzes Rathhaus voll Bauern, und eh' man sich's verlugt, wird ein Schreiberschultheiß nach dem andern auf das Dorf gesetzt; da ist hernach Alles in der besten Schreiberordnung. Wahr ist wahr, Ordnung muß sein, aber zuerst muß man sehen, ob's nicht ohne Schreiber besser geht; und dann, wir sind grad' auch nicht auf den Kopf gefallen, und ist's auch nicht im Amtsstil, wir können's doch auch. Es muß g'studierte Leut' geben, die über Alles eine Aufsicht haben; aber zuerst müssen die Bürger selber ihr Sach' in Ordnung bringen.«

»Zur Sache, zur Sache!« drängte der Amtmann.

»Das gehört' zur Sach'. Mit eurem Schreiberwesen wisset ihr nichts mehr zu befehlen und ihr kommt ans Verhüten, Vorsorgen und Verhindern, ja Verhindern, ich hätt' schier gesagt – Zuletzt stellet ihr noch an jeden Baum einen Polizeidiener, damit er keine Händel kriegt mit dem Wind und nicht zu viel trinkt, wenn's regnet. Wenn das mit dem Befehlerles so fort geht, möcht' man ja auf der Kuh fortreiten 6. Alles, alles wollt ihr uns nehmen; [178] jetzt ist eins da, um das lassen wir uns nicht bringen.« Erhob die Art hoch auf und fuhr dabei zähneknirschend fort: »Und wenn ich mit der Axt da die Thüren bis zum König aufbrechen muß, ich geb' sie nicht aus der Hand. Von alten Zeiten her ist es unser Recht, daß wir Aexte tragen, und wenn man sie uns nehmen will, so muß es die Amtsversammlung oder der Landtag thun, und da haben wir auch ein Wort mitzureden. Aber warum wollet ihr sie uns nehmen? Damit kein Waldfrevel geschieht? Dafür sind Waldschützen und Strafen und Gesetze da, und die gelten gleich für Edelmann und Bettelmann. Wie viel Zähn' braucht ein armer Bauer, um Grundbirnen 7 zu essen? Reißt ihm die andern 'raus, damit er nicht in Versuchung kommt, Fleisch zu stehlen. Und warum lasset ihr denn die Hund 'rumlaufen mit ihren Fangzähnen? Wenn ein Bub' acht, neun Jahre alt ist, hat er sein Messer im Sack, und wenn er sich in den Finger schneid't, ist er eben selber daran schuld; thut er einem andern 'was damit, klopft man ihm auf die Finger. Wer sagt denn euch, daß wir noch ärger als kleine Kinder sind, und ihr unsere Lehrer und Vormünder? Ihr Herren thut grad', als wäret ihr dran schuld, daß ich jetzt nicht zum Fenster 'nausspring'; in der Hauptsach' vom Leben muß ja doch jeder für sich [179] und jede Gemeinde für sich sorgen und nicht ihr Herren. Was sag' ich da? Herren! Unsere Diener seid ihr, und wir sind die Herren. Ihr meinet immer, wir sind euretwegen da, damit ihr was zu befehlen habt; wir bezahlen euch, damit Ordnung im Land ist, und nicht, um uns cujonieren zu lassen. Staatsdiener seid ihr, und der Staat, das sind wir, die Bürger. Wenn uns kein Recht wird, so gehen wir nicht zum Brünnele, sondern zum Brunnen, und eh' leg' ich meinen Kopf auf den Block und laß mir ihn mit der Axt da vom Henker abhauen, eh' ich mir sie von einem Beamten ohne meinen Willen nehmen lass'. So ist's, ich bin fertig.«

Andächtige Stille herrschte ringsum, ein Jeder sah den Andern an, blinzelte mit den Augen, die gleichsam sagten: »Der hat sein Sach', jetzt kann er's sieden oder braten.« Der Basche aber sagte ganz leise zum Bäck: »Da paßt das Sprüchwort recht: dem ist's gut von der Haue gefallen.« – »Ja, der hat das Maul nicht in der Tasch'!« erwiederte der Bäck.

Der Oberamtmann ließ den Eindruck dieser Rede nicht lange andauern; ein Papierchen zwischen den Fingern drehend, begann er mit ruhigem Tone die Schwere des geschehenen Verbrechens darzustellen. Mancher scharfe Seitenhieb auf den Buchmaier fiel; dieser aber schüttelte immer nur leise den Kopf, als[180] ob er Fliegen abwehre. Zuletzt sprach der Oberamtmann von Proceßkrämern und Aufrührern, von eingebildeten Herrenbauern, die einmal mit einem Advokaten einen Schoppen getrunken, die läuten hörten und nicht wüßten wo? Von dieser allgemeinen Abschweifung ging er sodann wieder auf das Vorliegende über; er nannte einzelne Anwesende bei Namen, lobte sie als ruhige, verständige Bürger, die zu einer solchen That unfähig seien. Er sprach seine tiefe Ueberzeugung aus, daß sie sich von dem Buchmaier hatten verleiten lassen; er beschwor sie bei ihrem Gewissen, bei ihrem Gehorsam gegen König und Gesetz, bei ihrer Liebe zu Frau und Kindern, die schwere Schuld nicht auf sich zu laden, offen und frei die Verführung zu bekennen, und ihre Strafe werde mild sein.

Wiederum herrschte Stille; Einige sahen einander an und blickten dann verlegen zur Erde. Der Buchmaier erhob sein Antlitz hoch und kühn, er schaute Allen frei in's Angesicht, seine Brust hob sich, erwartungsvoll hielt er den Athem an. Der Mathes hatte schon den Mund geöffnet, um zu sprechen; da hielt ihm der Schmiedhannes den Mund zu, denn eben erhob sich der alte Schultheiß, der von allen Anwesenden allein auf einem Stuhle gesessen hatte. Mit schweren Tritten, die Füße kaum erhebend, ging er vor an den grünen Tisch, Anfangs keuchend und oft Athem holend, dann aber in fließender Rede [181] sagte er: »Groß Dank für die gute Nachred', die Ihr mir und an dern gehalten habt, Herr Oberamtmann, aber was der Buchmaier gesagt hat, unterschreibe ich aufs Tüpfele 8 hin. Wenn's noch einen Beweiß braucht', daß uns die Herren wie kleine Kinder, wie Unmündige ansehen, so hättet Ihr ihn geliefert, Herr Oberamtmann; nein, ich bin 76 Jahre alt und bin zwanzig Jahre Schultheiß gewesen. Wir sind keine Kinder, die sich zu so etwas wie zu einem Bubenstreich verführen lassen, die Axt bleibt bei mir, bis man mir sechs Bretter mitgibt. Wer als ein Kind dasteht, der soll's nur bekennen: Ich bin ein Mann, der weiß, was er thut; wenn's zur Straf' kommt, bin ich auch dabei.«

»Wir auch!« riefen alle Bauern wie aus einem Mund; die Stimme des Mathes tönte vor.

Das Antlitz des Buchmaiers war wie mit Licht übergossen; er faßte noch mit der rechten Hand seine Axt und drückte sie innig an's Herz.

Nachdem die herkömmlichen Förmlichkeiten beendet, das Protocoll unterschrieben und der Buchmaier sich eine Abschrift davon erbeten hatte, verließen die Bauern still die Oberamtei.

Noch mehrere andere Gemeinden thaten Einsprache gegen die neue Verordnung; die Sache kam bis vor die Kreisregierung. Diejenigen, welche auf eine so [182] ungebührliche Weise mit den Aexten selber Einsprache gethan hatten, wurden um eine namhafte Summe bestraft. Indes wurde nach einiger Zeit der Oberamtmann Rellings versetzt, die Verordnung aber nicht mehr erneuert.

Nach wie vor tragen die Mannen ihre Axt am linken Arme.


Ich erzähle wohl ein andermal noch Weiteres vom Buchmaier.

Fußnoten

1 Wegen dieser Nesteln statt der Knöpfe gehören die Schwarzwälder zu den Nestelschwaben.

2 Man nennt im Schwarzwalde einen Kater Relling.

3 Erst Rathen, nachher Braten.

4 Tatzen, Schläge auf die Hand.

5 Topf.

6 Sprüchwörtlich, so viel als: das äußerste Fluchtmittel ergreifen.

7 Kartoffeln.

8 Pünktchen.

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TextGrid Repository (2011). Auerbach, Berthold. Erzählungen. Schwarzwälder Dorfgeschichten. Erster Band. 5. Befehlerles. 5. Befehlerles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1431-9