Ferdinand Avenarius
Faust
Ein Spiel

Widmung

Den Werdenden

[5] Vorspiel

Sturmnacht. Beim Blitzen flammt hinten als Schattenbild das Hochgericht auf. Vorn der Bruder, der den ganz ermatteten Faust nach einer Brandstätte hinführt.

BRUDER.
Sieh dort, ein schwarz Gemäuer – weit und breit
Das einzige! Mag sein, eh's abgebrannt,
Hauste der Henker drin. Nun bricht's den Wind
Doch mehr, als nichts. Mit Gott, laß uns hinein!
FAUST.
Hörst du die Stimmen, die im Winde sind? ...
BRUDER.
Die Luft ist voll von Geistern aller Art,
Und an der Richtstätt hinter armen Seelen
Mit Pfiff und Peitschknall hetzt der Teufel her –
Doch wer bereut, um den steht Gottes Schutz
Mit Schild an Schild aus Stahl. Hier, nimm die Kutte
Noch untern Kopf und schlaf – bei Morgengraun
Begleitest du mich auf dem Weg nach Rom,
Und Gottes Stellvertreter löst die Schuld!
FAUST.
Von solcherlei sprach meine Mutter einst,
Und wie die Hand du drückst, so tat's mein Vater.
's ist lang schon her, sprich weiter, guter Mönch!
BRUDER.
Du sollst doch schlafen! Wie ich dich hier fand,
Ohnmächtig unterm Richtplatz, fieberheiß,
Gebadet naß, durchkältet – Freund, bedenk:
Du stürbst vielleicht, bevor du Rom erreichst,
Und brauchst doch Rom! ...
[5]
FAUST.
Hörst du die Stimmen, die im Winde sind? ...
BRUDER.
Ach, laß die Stimmen! Komm, wir beten noch:
Das scheucht den Bösen.

Betend.

Unser Vater du,
Hochheiliger, der du im Himmel bist – (ein stürzender Ast)
Ja, krach nur, Teufel, auch der Herr ist da! –
Vergib uns unsre Schuld, vergib sie, Vater,
Dein ist die Rache, nicht des Bösen ist sie.
Und wenn die ganze Hölle um uns tobt,
Wir schlafen sicher, wie in deinem Schoß.
Dein Name sei gelobt in Ewigkeit!

Laut, wie als Kampfruf.

Amen! Amen!

Kleine Pause. Dann in anderm Ton, behaglich.

He, Fauste, merkst du was?
Die Geister werden leiser! Eia, Bruder,
Sie spüren Ihn! Wie wöffte doch die Meute
Großmäulig, mit gefletschten Zähnen! Jetzt
Kommt Er – und hui, in alle Löcher kriecht's
Mit eingeklemmtem Schwanz ... Eia, gut Nacht!
Heut schläft kein Murmeltier so fest wie ich.

Während sich der Bruder zum Schlafe zurechtlegt und still wird, beginnen sich aus den Stimmen im Winde gesungene und gesprochne Worte einerEinzelstimme zu lösen.
DIE STIMME
singend.
»Da Jesus in den Garten ging
Und ihm sein bitter Leiden anfing,
Da trauert alles, was da was.
Es trauert alles Laub und Gras.

»Maria, die hört ein Hämmerlein klingen:
O weh, o weh, meins lieben Kinds,
O weh, o weh, meins Herzens Kron,
Mein Sohn, mein Sohn will mich verlon.

»Maria kam unter das Kreuz gegangen,
Ihren Sohn, den sah sie am Kreuze hangen ...«

[6]
Die Stimme sprechend.

Gelt, das hab ich damals gesungen,
Im Garten, im Mai?
War aber kein rechte Andacht dabei.
Wie der Riegel klang,
War erst der rechte Gesang!
Und dann das Nachtvöglein im alten Baum ...
Und der Mond im blauen Raum ...
Und wir zwei ...

Wieder singend.

»Johannes, liebster Diener mein,
Laß dir mein Mutter befohlen sein.« ...

Wieder sprechend, fragend und klagend.

Heinrich, wo ist das Mütterlein? ...
Heinrich, wo ist der Bruder mein? ...
Heinrich, wo bin ich selber? ...

Singend.

»Nun bieg dich, Baum, nun bieg dich, Ast,
Mein Kind hat weder Ruh noch Rast«

Sprechend, immer erregter.

Ich kann das Lied nicht mehr singen.
Willst du mich dazu zwingen?
Sonst hab ich bei den Küssen
Doch grade schweigen müssen ...
Magst mich noch küssen?
Auf den Mund?
Der ist nun wund –
Ich hab ihn zerbissen.
Magst du noch auf die Augen?
Werden dir nicht mehr taugen –
Seit zweien Wochen
Sind sie gebrochen!
Streicheln willst du mir noch den Zopf?
Den schnitt ja der Henker vom Schopf!

Ängstlich.

Du, sieh dich vor, faß mich nicht so am Kopf –

[7] Aufschrei.

Du behältst ihn ja in den Händen! ...

Gelächter im Wind.
FAUST
aufstöhnend.
Enden ... enden!

Plötzlich steht Mephistopheles da.
MEPHISTOPHELES.
Hier war's. Hier ritt ich schon einmal zu Zwein
Mit dir vorbei, zur Nacht, am Rabenstein.
Wo sie die Kindesmörderin verscharrt,
Treibt's dich nun um, wie wen der Drehwurm narrt!
Erwache, Doktor, scheint dir das ein Bett?
Lebendig sind ja Sünderinnen nett,
Gerichtet sind sie braven Leuten Pack.
Die du so hoch trugst, deine weise Nase,
Was schnüffelt sie, wie Trüffeln nach, im Grase?
Da unten stinkt's, Verehrter – hab Geschmack!

Kleine Pause.

Ja so, das ist zur Kondolenz kein Ton:
Du trauerst um die liebe Weibsperson!
Zwar treib ich mich manch tausend Jahr herum
Und bin am End' nicht grade extra dumm.
Allein, mein Doktor, was mir nicht erblüht,
Verständnis ist's für menschliches Gemüt.
Erst heißt's: »Das Mädel her schon heut zur Nacht –
Ich bin drauf geil!« Man springt! Und ist's vollbracht
So malt ihr euch aus eignem Farbenglanz
Ein Himmelsschwangefieder auf die Gans –
Dann wird sie, sozusagen, aufgezehrt,
Doch wenn der Braten euch den Leib beschwert,
So barmt ihr: »Heilige Schönheit, die verglüht,
Wärst du noch da!« – und nennt das dann Gemüt.

Vertraulich näher an Faust.

Wer wollt' in den Tiefen der Sinnlichkeit
Glühende Leidenschaften stillen?
Bester Doktor, Ihr seid so weit,
Und bekamt es nach Eurem Willen!
Wer wollte Schmerzen doch und Genuß,
[8] Wer Gelingen und Verdruß
Wechseln lassen, wie's eben kann –
»Nur rastlos betätigt sich der Mann!«
Wollte sich keinem Schmerze verschließen,
Um alles in sich selbst zu genießen,
Häufen in sich die Tief und Höh
Mit Wohl und Weh,
Um so sein Ich im Dunkeln wie im Heitern
Zum Ich der ganzen Menschheit zu erweitern?

Faust richtet sich halb auf.

Wer war's, der sprach vom Rauschen der Zeit,
Vom Rollen der Begebenheit?
Wer, der von Zaubermänteln sprach
Zu Wolkenflügen
Über den Ländern, den Meeren, den Vogelzügen
Nachts unter den kreisenden Sternen hin,
Tags der wandernden Sonne nach
Zum neuen Tag ...
Ei nein, das erste, was der Rede wert,
Zum sanften Büßer hat's den Herrn bekehrt:
Der Übermensch schöpft aus dem Tatenstrudel
Die Götter-Weisheit vom gebrannten Pudel:
Du, Doktor Faustus, als ein Pilger trabst,
Ein Mönchlein neben dir, zum Papa Papst!
FAUST
langsam und schwach.
Höhne die Kirche! Selber tat ich's oft.
Und liebt' sie doch nicht bloß zur Osternacht.
Was Ahn auf Ahn in ehrlichem Gebet
Vom Leuchtenden herniederzog: Geschlechter
Sie bauten's in der Dome Dämmern ein –
Seit ich ein Frevler, singt's als Sehnsucht drin
Und tastet klagend am Gestein hinauf.

Er weckt den Mönch.

Der meiner sich erbarmt, da ich zum Fraß
Für Wölfe dalag, komm, du guter Mönch,
Und geht's noch mühsam, mag es mühsam gehn!
Komm, eh der Morgen Menschen herführt, komm:
's ist stiller worden, laß uns fürbaß ziehn!

Der Mönch erwacht, springt rasch auf und bemüht sich helfend [9] um Faust. Da sieht er Mephistopheles. Mißtrauen erwacht in ihm. Er stützt Faust und geht mit ihm. Wie er zurückblickt, sieht er, daß Mephistopheles nachgehen will. Da wendet er sich und hebt mit beiden Händen das Kreuz seines Rosenkranzes gegen ihn. Mephistopheles zuckt zurück, dann folgt der Bruder Faust.
MEPHISTOPHELES
mit dem Fuße stampfend.
Mich beißt's wie Flohbiß, das verdammte Kreuz!
Ich pfeif, ich spuck drauf, ich zerknack's, das Luder,
Wo ich den Dreck nur an den Kleidern seh ...

Auflachend.

Was, alter Herr, Dich selbst belügst du auch?
Das laß den Pfaffen! Ich veracht' es nicht:
Ich haß das Kreuz: der, dem es dient, hat Macht,
Und ihm beliebt's, mich seiner Macht zu ducken,
Verachtend er ... verachtend er ...

Stummes Spiel der Wut. Achselzucken. Sichfassen.

Da geht der Narr und meint: ich find ihn nicht!
Und trinkt doch schon mit seinem nächsten Schluck
Den Löffel Lethe, den ich dreingemischt,
Daß ihm das Weibsbild blasser Nebel werde,
Das jetzt rumorend meine Kreise stört.
Wo fänd ich nicht, was es zu töten gibt?
Zwar hast du Recht, am Kreuz du, das stirbt nicht,
Was Herbstens welkt. Ja, wär' das Saatkorn tot!
Doch das Gerippe mit der Sense pfuscht.
Bohr dich ins Hirn, in die Gedanken ein,
Erwürge die gesunden, bläh die kranken,
Kriech du ins Herz und saug und seuche drin,
Daß der Gefühle Kinder schon verderbt
Zu neuem Samen werden deinem Gift –
Langsamer wirkt's, mein hastiger Sensenmann,
Als dein Getölpel, doch es rottet aus.

Zwischen den jagenden Wolken ist der abnehmende Mond mehr und mehr zur Geltung gekommen. Jetzt steht er kalt am Himmel. Mephistopheles gewahrt ihn.

Du in die Nacht gehenkter Schädel da,
Du hast's erreicht. Einst warst du auch solch Ding
[10] Wie das hier: grün und bunt von frechem Leben.
Jetzt bist du Eis. Sie sind zu dumm für dich,
Sie girrn zu dir und rammeln unter dir –
Verständen sie die Zukunft, die du zeigst:
Sie hielten heulend sich die Augen zu.
Du meinen Sieg versicherndes Symbol,
Dir bet' ich dankend, du mein Augentrost!
Vorhang.

1. Akt

1. Szene
Erster Aufzug
Rom. Reiche Halle mit Statuen. Der Palazzo ist an der Stelle des Zuschauerraums gedacht, so daß man über die Halle hin zur Balustrade und über sie und die Freitreppe auf das Karnevaltreiben in der Straße hinaussieht. Ein kleiner Schwarm lustiger Leute beiderlei Geschlechts in Masken, mit Mandolinen und Tamburinen, werden mit Wein und Früchten bewirtet. Der vornehme Hausherr bei ihnen. Nun erheben sie sich. Der Bajazzo tritt mit einem Kelche zierlich grüßend zur Verabschiedung vor den Prinzipe und spricht mit geheimen Beziehungen.

Mein Prinz, die ersten bunten Sterne,

Schon streute sie Frau Flora aus,

Das Nymphlein äugelt in die Ferne,

Der alte Pan selbst pflückt den Strauß.

Im Hain begann das erste Singen,

Und Amor spann die neuen Schlingen, –

Da lockt' es her vom Petersdom

Den Lenz zum Karneval nach Rom.


Dir, Prinz, hinfloß er am Palazzo,

Und lächelnd winktest du: herein!

Kennst du uns Masken auch? Bajazzo

So schein ich dir, und mag's nicht sein.

Wie unter Floras Blumenkronen

Die Würzen und die Gifte wohnen ...

Die Masken, Prinz, begrüßen dich.

Die Masken, Prinz, bedanken sich.

PRINZ.
Zwar mag das Gift auch selber Würze sein –
Ihr mischt den Becher fast vermessen fein,
Doch zeigt der Schurke nicht im Scherz sein Ziel,
Ihr spielt mit Drohn, drum droht Ihr nur im Spiel.
[12] Die Welt ist heut ein wunderliches Reich –
Im Lächeln mahnt Ihr, und so dank ich Euch.

Die Masken lachen, verbeugen und entfernen sich rasch. Da lenkt ein Lärmen auf der Straße ab. Unten im Volk böse Rufe.
PRINZ.
He dort, was ist's für Lärm?
RÖMER.
Der Maledetto,
Die Freiheit bricht er: Herr, zwölf Vögelchen,
An jedes Beinlein hatt' ein Schnürchen ich
Mit bunten Schleifchen angebunden, alle
Dann unten hübsch geknüpft, eh, großer Herr:
Warf ich das ganze in die Luft, so flog's
Auf wie ein bunter Strauß, wer's sah, der lachte
Und freute sich. Da kam der Deutsche dort,
Nahm mir mein Spielzeug, schnitt die Fäden weg
Und ließ die Vögel fliegen. Spielverderber,
Verdammter, der er ist! ...

Eifriges Bestätigen der Begleiter.
FAUST.
Das tat ich, ja!
Könnt ihr denn froh sein, wenn ihr quält?
RÖMER.
Was sagt er?
Glaubt er, die Vögel haben Christenseelen?

Sie lachen.
PRINZ.
Sei's nun, wie's mag. Mitbürger seht: er hat
Die Treppe meines Hauses schon betreten.
Er ist mein Gast. Ihr seht es ein: ich müßt'
Ihn schützen. Doch das braucht's ja nicht, ihr wißt:
Heut treibt das Ich in tausend droll'gen Blüten,
Wie tausend Masken treibt der Karneval.
Nehmt das für eine: Laßt sie mir und lacht.
Es ging ja nicht um Donnen, Bürger Roms,
Es ging ja nur um Vögel.
[13]
FAUST
auf die einladende Bewegung des Prinzen.
Macht Ihr mich für den Pöbel zum Bajazz,
Und wollt mich nun als Hausnarrn, großer Herr?
Ich dank Euch, laßt mich gehn.
PRINZ.
Ich kenn Euch schon.
FAUST.
Nein, keiner kennt mich hier.
PRINZ.
Hört mich. Ihr wißt:
Wie sonstwo nach dem Topf mit Silbermünzen,
So gräbt man hierzuland nach altem Stein.
Auch ich bin Freund von altem Meißelwerk,
Doch bin ich's nicht allein: wer Gutes will,
Muß rasch im Griff sein, eh's der andre sieht.
Nun hatte mir ein Gauner ausgespäht:
Dort hinter Ponte Molle, wo zuerst
Der Wandrer nordher Romas Peter sieht,
Dort in der Näh sei Köstliches gefunden.
Und diesmal war es so, ich sah es bald,
Als ich nach Abendrot noch draußen war.

Auf die verhüllte Statue weisend.

Dort steht's! Doch wie ich wartete, vernahm
Ich nah zwei Stimmen. Eine sprach ein Mönch,
Der warf sich angesichts des Peter nieder
Und dankt' und pries und weint' und betete:
»O heil'ger Boden! Dreifach heil'ges Rom,
An dem Sankt Petrus sein Martyrium litt.«
Die andre Stimm war kühler – die spracht Ihr!
FAUST.
Ja, Herr, so war's.
PRINZ.
Was führte Euch nach Rom?
FAUST.
Ein Wahn.
[14]
PRINZ.
Vergebung suchtet Ihr? –
FAUST.
Als könnte
Ein andrer lösen, was ich in mich band!
PRINZ.
Es kann's der Papst.
FAUST.
Als meine Schuld mir Herz
Und Hirn noch quetschte, wähnt ich's auch. Jetzt sah ich
Den heiligen Vater selbst. Der griffe in mich
Mit seiner Liebe Inbrunst heilend ein?
Ich fand ihn Vater, aber heilig nicht.
PRINZ.
Des Heilers Kraft
Gibt nicht sein Ich ihm, nein, die gibt sein Amt.
Sie ist für sich. Er hat sie, wie der Arzt
Den wundersamen Trank aus Morgenland,
Den dort, wovon und wie ist unbekannt,
Ein Magier schuf – genug uns, daß er heilt.
Er hat sie, und sie würde heilen selbst,
Wenn ihres Gebers Hand verworfen wäre.
FAUST.
So hätt' das Irdische ein Eigentum
Im Überirdischen, und das Zeitliche
Könnt' Handel treiben mit der Ewigkeit:
Ich geb, ich nehm, die Börse setzt den Preis?
PRINZ.
Ihr ketzert. Wagt es nur. Hier leben Ketzer
In jedem Hause mehr als Christen.
FAUST.
Christ
Und Ketzer – ist's ein Gegensatz für Euch?
PRINZ.
Ich bitt Euch, Fremder, laßt den Spötterton:
Ihr sprecht mit einem andern, als Ihr meint.
[15] Ich bin nichts Bessres, doch auch Schlechtres nicht,
Weil reich mein Kleid und Eures ärmlich ist.
Die Zeit geht neue Wege; ich bin Kind
Der Zeit. Nicht Denker- und nicht Künstlermensch,
Nur Freund der Denker und der Bildner, der
Ererbtes Gut verwenden möchte, daß
Es freut und nützt. Was aus den Hirnen wächst,
Drängt zu den Hirnen, und sie lechzen drum,
Befruchten will's, befruchtet will es sein –
Was kümmert sich's, wo gleiches Wesen lebt,
Um Gut und Rang und Sprach' und Vaterland?
Als ich in der Campagna Euch gehört,
Spürt ich im herben Klang den gleichen Hall,
Der jetzt erweckend durch die Geister ruft.
Drum freut's mich, daß ich heut Euch wiederfand,
Nehmt mich als einen Sucher wie Ihr selbst,
Der den Gesandten andrer Sucher grüßt ...
Was kann ich tun, damit Ihr mir vertraut?
FAUST.
Vertraun und Mißtraun, das sind Worte, denen
Von Schwergewicht, die um ihr armes Glück
Noch mit dem Leben spielen.
PRINZ.
So zwang es Euch schon ein Verzweifeln auf?
FAUST.
Verzweifeln? Nein. Es wies, wie nebenbei
Am Weg zu Großem eigne Wohlfahrt liegt.
Ihr sprecht mir, Herr, wie noch in diesem Land
Kein andrer zu mir sprach, ich dankt' Euch gern
Und sagt' Euch: seht, das hab' ich, nehmt Euch draus
Was Ihr für Eure – Sammlung brauchen könnt.
Doch nichts ist in mir als ein Nichts, nur daß
Dies Nichts nach Fülle schreit, ja schreit, und daß
Die Inbrunst dieses Schreis mir Leben ist.
PRINZ
nach kurzer Pause.
Ich bitt Euch, sagt mir, wie nach Rom Ihr kamt.
[16]
FAUST.
Als Sünder ich, mit einem Auftrag er,
Der Bruder, den Ihr bei mir saht, und der
Am Geiste schlicht, im Herzen warm, mir half.
Vor jedem Kreuz am Wege sanken wir,
Sank ich auch in die Knie, denn wie den Leib,
So geißelt' ich den Hochmut meiner Seele.
Nur sah ich andres, als die Kreuze noch,
Die er allein sah. Sah, wie langsam auf
Im Süden aus dem Horizont die Berge
Als feine Wellchen stiegen, langsam wuchsen,
Und endlich hoch, daß Berg und Wolke wurden
Ein Eins aus Grau und Licht. Wir schritten drein
Und sahn sie nicht. Ein Wogen nur umwallt' uns,
Durch das der Strom, wir sahn ihn nicht, mit Donnern
Gleich Gottes Stimme aus den Tiefen sang.
Doch eines Tags ward ob uns Sonne, Herr,
Da stiegen wir aus unserm Meer empor
Und in ein Reich von selgen Silberinseln,
Von feierlichen, rings im stillen Blau.
PRINZ.
So sagt auch Ihr, die Alpen wären schön?
FAUST.
Das Meer sank um uns in die Tiefen hin,
In Täler trank sich's ein, verkräuselte,
Lautlos, verrauchte – und da lag
Lichtgrünes Wogen reiner Wiesen da.
In allen lebt es: Vogelsang im Laub,
Von Hütten läuteten die Herden her,
Bei harter Arbeit sah ich schlicht ein Volk ...
PRINZ.
Ich hörte selten, daß die Alpen schön,
Ich hörte meistens, daß sie schrecklich sei'n,
Und daß ihr Volk halb Mensch und halb noch Tier ...
FAUST.
Herr, davon sprach ich nicht, ich sprach von mir!
[17] Dem aus den Dingen ein Umglänzen kam,
Ein wärmendes: um Herz und Hirn die Fesseln,
Die es zerpreßten und zerschnitten, sie,
Die Eisen meiner Schuld ... sie fielen nicht,
Ich fühl sie noch, und bis mein Atem lischt,
Werd ich sie fühlen – doch ich trage sie
Als Last nicht mehr, als Stützen trag ich sie.
Stark bin ich worden, und so fühl ich, daß
Der Schwächling nur in Reue sich zermürbt:
Wer einmal niederriß, soll dreifach baun.
PRINZ.
Ihr wart wohl krank vorher?
FAUST.
Ja, ich war krank.
PRINZ.
Und Ihr genast?
FAUST.
Nein – denn ich bin in Schuld.
Und aber nein, denn so bin ich geboren:
Was ich auch trinken mag, mir wird es Durst.
PRINZ
steht auf.
Ihr sprecht wie einer, der nicht reden kann
Von irgendwas, als dem, was ihn bewegt.
Wir sind hier anders, Nordischer, wir sprechen
Auch um der Schönheit willen, auch im Spiel.
FAUST.
Ist Schönheit Spiel? Ach Herr, so frag' ich nicht
Als Redner nur, im Dünkel. Nein, ich weiß
Es nicht. Der deutsche Blick, im Süden sieht er
So viel an Schönheit, daß ein Rausch ihn faßt,
Der selbst den Schutz ihm nur als Schönheit zeigt.
Herr, welches Land hier, wo der Berg zum Berg
Hintönt als Melodie, wo blauer Himmel
Ein Lächeln nur und nie ein Zürnen kennt!
Herr, Palmen sah ich schon, und welche Menschen,
[18] Und welche Kunst – ich bin in Trunkenheit
Getaumelt, Herr, durch Monde heißen Traums.
Und aus den Pergamenten weiß ich's, Herr,
Und an den Steinen seh ich's: in der Erde
Liegt noch ein totes einstiges Geschlecht
Von Großen. Und man sagt: das steht jetzt auf –
Wird's von Gespenstern, wird's von Menschen sein?
PRINZ.
Ihr Grübelgeist, nun gebt dem Tag sein Recht!
Bleibt als mein Gast, ich bitte Euch, und gebt
Zu unserm Leichtgewicht von Eurem Blei.
Doch wähnt auch nicht, Ihr kämt zu Flattervolk!
Es geht ein Dursten durch Italien,
Ein Dursten nach ... bei Gott, nicht nur nach Wein.
Jetzt kommen Freunde – Fremder, haltet mit:
So lang erträgt ja jeder gern den Durst
Zum mindesten, wie er beim Trinken ist!

Die Gäste, paarweis und zu dritt, in heitern Gesprächen. Begrüßung, dann sitzende Gruppen, von schön und geschmackvoll Gekleideten bedient.
PRINZ.
Heut, Liebe, ehren unsern kleinen Kreis
Zwei neue Gäste. Einer zeigt sich euch
Erst später, einer grüßt euch schon

Vorstellend.

– mein Freund!
Ein Humanist von Norden, fragt nicht mehr:
Der Geist weht über jeden Grenzverschlag
Und frostet oder wärmt nur aus sich selbst,
Ob sein Gewand italisch sei, ob fremd.
Jetzt ist der Geist ein holdes Wehn, er rührt
Den Boden kosend, und er flüstert uns:
Ein neuer Frühling keimt darin für euch,
Wie keine Zeit ihn sah, ein Weltenmai,
Der in die Kränze unsrer Gegenwart
Einflicht vom neuerblühten Einst. Und dies
Ist unser Einst, denn unsre Ahnen sind's,
Die mit ihm auferstehn nun in uns selbst!
Doch wie der Freund am Freunde sich erzieht,
Indem er lehrt und lernt, so danken wir
[19] Den Andern allen, deren Liebe sich
Mit uns bemüht – wie Eure, werter Gast!
Im Norden stoßen sie die Becher an,
Nach eurer Landessitte unsern Gruß!

Anstoßen mit gestimmten Gläsern.
ERSTER GAST
Baumeister.
Ihr kamt von Norden, von Pavia ich,
Saht Ihr in meiner Heimat die Certosa?
Was sagt Ihr? Hei, da lenzt das ew'ge Rom!
Da ist des Alten jugendfrischer Sohn,
Von ihm das Antlitz, doch die Liebe jung:
Du holde Welt, her, ich umarm dich neu
Und zeug mit dir noch edler eine Welt!
ZWEITER
Humanist.
Durch Mantua kamt Ihr – saht Ihr Vittorin?
Er war mein Lehrer – leb ich hundert Jahr,
An keinem Tage schweigt mein Dank für den!
»Du«, fragt Ihr, »warst beim Fürstenlehrer?« Herr,
Was fragt ein Vittorino je nach Geld!
»Hast du Talent, dann her mit dir!« Mich nahm er,
Als er mich Verse kritzeln sah. »Von dir?«
»Signore, si!« Oho, ich mußt's beweisen,
Und lernen mußt' ich. Ecco, er war streng,
Mit einem Blick schon nagelt' er uns wohl,
Wie wir die andern Schmetterlinge, fest.
Doch wie der Jäger auf den Lockruf horcht,
So lauscht er jedem nach dem eignen Ton,
Und Fink wie Drossel kam zu eignem Recht.
Wer nichts als Bücherwurm, den haßt' er: Mensch
Heißt Ganzes sein. Den Kopf nicht tummeln bloß,
Auch Arm und Bein ...
DRITTER
Maler.
Du, laß auch mich zum Wort:
Fremdling, saht Ihr auch Mailands Abendmahl?
Und spürtet Ihr die Welle, die vom Wort
Des Meisters durch die Jüngerköpfe wogt
Hinaus und heimwärts, wie sie alles hebt,
[20] Erschüttert und in Graun versenkt? Sagt, wo,
Sagt, wann in aller Zeit, in allem Land
Ward ähnliches geschaffen? ...
VIERTER
Forscher.
In Athen,
Törichter Frager, wo die Vögel pickten
Nach des Appelles Trauben.
DRITTER.
Der war Grieche.
VIERTER.
Griech' oder Römer, Brüder waren das,
Und wir sind ihre Enkel: Leonard
Beweist es, daß wir würdge Enkel sind.
Nicht er nur, manche schon – ach lehrtet ihr,
Gewesene, es wüchse ein Geschlecht
Auf von Genies!
FÜNFTER
Lehrer.
Sie lehren zwar mit Wörtern,
Aus tausend Pergamenten, doch sind Wörter,
Geschriebene, doch immer Zeichen nur,
Ob auch die Weisheit, wunderbar genug,
In alter Zeit sich gleichsam selbst diktierte.
Wenn ich so in den Klöstern saß und klaubte
An einem Satz, bis ich begriff und schrieb,
Oft war mir fast, als stünd' Minerva selber
Mit aufgehobnem Finger da: du, deutle
Nicht superklug, so wie's da steht, so ist's.
Zwar Rätsel bleiben doch. Mehrdeutig dies,
Und eine Lücke dort. Ach, hülfen, Freund,
Die großen Ahnen unsrer Wirrnis selbst
Und zupften uns, wenn wir uns irrn, am Ohr
Und sagten: so begreif du's.
SECHSTER
Poet.
Das Begreifen!
Ach, das Begreifen! Trudle deine Nuß
In den zehn Fingern, knack mit deines Kopfes
[21] Gesamten Zähnen dran – was bringt's? Du sagst:
»Den Kern«, doch dir im Schnabel hört er auf,
Samen zu sein, der treibt.

Sie geraten freundschaftlich aneinander.
PRINZ.
Verstummter Gast von Norden, glaube nicht,
Wir stritten hier. Wir suchen, Freund, und jeder
Auf anderm Wege nach dem einen Ziel.

Auch Faust lächelt. Der Prinz tritt zu der verhüllten Statue.

Steh du uns Rede, ob du bessres weißt,
Du unsres heutigen Abends zweiter Gast.
In der Campagna fand ich ihn, nun fragt!

Er löst einen Vorhang, nimmt eine Fackel und zeigt damit eine neugefundene Statue des Eros. Alle drängen sich darum, entzückte Ausrufe und Gebärden, aber langes Schweigen.
DER MALER.
Er wechselt, wie die Fackel steht: So klagt er
Zum leeren Lager. Bietet so den Gruß,
Den süßen Gruß. So fragt er. Sieh, und so,
So droht er fast. Rot wird er und jetzt bleich.
Jetzt ist's der Psyche Lippe, die der Gleich-
Göttliche sucht. Jetzt denkt er an den Pfeil,
Den giftigen, den ihm die Mutter gab
Aus Lust am Weh der Sterblichen. Und jetzt –
O halt die Fackel so: jetzt ist er Liebe
Zum Unbekannten, das ein jedes Ich
Im Traum nur ahnt.
FAUST.
Wir Menschen nennen ihn
Das große Sehnen.
PRINZ.
Und gemeinsam, Freunde,
Ist jeder unsrer Seelen Eines doch,
Ein Sehnen doch, das Sehnen nach der Welt,
Die war.
[22]
DER BAUMEISTER.
Wie durch die Nacht das feine Wasser singt,
In all den Brunnen rings, das hergeleitet
Einst unsre Ahnen von den Bergen weit,
So sang durch Roms jahrtausendlange Nacht
Das stolze Einst aus unsrer großen Zeit
In ihrer Nachgebornen dunkeln Traum.
DER HUMANIST.
Jetzt dichtet sich's in Stimmen für den Tag.
DER POET.
Jetzt reicht es Blumen aus der Erd herauf.
DER MALER.
Die Statuen, ihr seht, erwärmen sich.
DER FORSCHER.
Die Sarkophage sind nur Schlummerstätten.
FAUST.
Strebst du zu Psyche oder Venus, Gott?

Hereinstürzend ein neuer Gast.

Was träumt ihr hier vor Steinen, wißt ihr nicht
Das Ungeheure? Auf dem Kapitol
Erbrach man einen Sarkophag, und denkt:
Es liegt ein Weib darin, ein römisch Weib ...
RUF.
Wie, ein Geripp?
ER.
Nein!
RUF.
Eine Mumie?
ER.
Nein!
Nein. Menschen faßt's. ... Ach, denkt das Schönste euch,
Was je von Weib ihr saht – und denkt es euch
Noch dreifach schöner – ach, und werft es dann
[23] Beiseit – es ist ja nichts vor diesem da.
Erfaßt's: ein jugendliches Römerweib ...
Im Tod ... Doch wie im leisen Morgenschlaf!
Goldigumlockt der Wange sanftes Rot.
Die Lippen lächelnd, daß ein Zahngeperl
Durchschimmert, und der Augen Lider so,
Daß auch der Blick schon durchzuschimmern scheint –
So schlummert sie all die Jahrhunderte
Vom Rom zum Rom! Das harrt auf euren Blick!

Aufbruch aller.

Vorhang.
2. Szene
Zweiter Aufzug
Im Untergeschoß des Kapitols. In der Mitte nach dem Hintergrund zu der geschlossene Sarkophag. Eine doppelte Kette von Schweizergarden sucht das Volk zurückzudrängen, muß einmal weichen, drängt dann mit den Hellebarden vor.

DER HAUPTMANN.
Die Heiligkeit hat's doch befohlen: keiner
Darf weiter an den Sarkophag! »Sie treiben,«
Sprach Seine Heiligkeit, »Idolatrie!
Schließ du den Deckel!«, sprach der Papst zu mir,
»Und schließ die erznen Türen stählern zu!
Das Götzenbild, das schaff ich dann beiseit!«
STIMMEN DER ANDRÄNGENDEN
eine große, im Einzelnen unkenntliche Masse, aus dem Halbdunkel rhythmisch.
Ein Mensch noch aus der großen Zeit!
Jahrtausendalt ein schlummerndes Weib!
DER HAUPTMANN.
Ei was, 's ist eine Leiche, gut erhalten.
Nichts weiter. seid ihr närrisch hierzuland?
[24]
STIMMEN
rhythmisch.
Ein Mensch, der Legionen sah ...
Der Rom die Völker beherrschen sah ...
Ein Weib, dem Cäsar ins Auge geblickt ...
Eine Edle, der sein Haupt genickt ...
Unsre Ahnin! Unsre Ahnin!
DER HAUPTMANN.
Sie sind verrückt, reicht euch die Hände, Buben,
Fest, wie daheim beim Lupffest in der Schwyz,
Und drängt sie weg!
STIMMEN
wie vorhin.
Römer sind wir ... die Zeit ist reif ...
Öffne die Augen, öffne den Mund,
Schreit in den Tag, erwachtes Geschlecht! ...
Wir sehnen uns! Wir sehnen uns!

Die Schweizer haben die Menschen hinausgedrängt. Man hört noch einmal, verklingend, das »Wir sehnen uns!« und »Die Zeit ist reif!« Dann dröhnen die Tore zu und werden von außen verschlossen und verriegelt. Halbdunkel, Stille. Der Marmor-Sarkophag im säulengetragenen Raum im grauen Licht mitten im Hintergrund. Plötzlich steht eine rot aus dem Boden geschossene Stichflamme da – Mephistopheles.
MEPHISTOPHELES
zum Sarkophag.
Du hörst es, deine Zeit ist reif, so komm!
HELENAS STIMME.
Wer höhnt mich?
MEPHISTOPHELES.
Der, dem du Gewalt gegeben,
Als du den Menelaos morden halfst.
HELENAS STIMME.
Wer bin ich?
MEPHISTOPHELES.
Weib, die, die ich brauche, bist du.
Mir paßt es nicht, wie hier die Dinge gehn,
Das schreit nach Licht – ich will den Glanz. Das schreit
Nach Wahrheit – ich will Schein. Nach Schönheit – ich
Will Reiz.
[25] Drum kirrt' ich aus den Winden deinen Staub:
Lüg Leben!
HELENA.
Geist, ich lebte wahr.
MEPHISTOPHELES.
Und kamst
Zu mir, Weib, drum befehl ich dir:
Denk wieder, wie du dachtest – mach sie meinen:
So hätten alle Griechen einst gedacht,
Und daß du's kannst, befehl ich dir: vergiß,
Wohin dich's brachte. Unbefangen sprich,
In ihrer Sprache sprich von ihren Dingen,
Bleib dennoch du, und so berücke sie:
Daß sei das Feine, daß man sei, wie du.
Vergiß, befehl ich, und noch einmal: sei,
Wie du gewesen. Helena, steh auf!

Der Sarkophagdeckel schwebt auf, so daß er steht. Helena bewegt sich starr, ohne ein Glied zu regen, wie eine aufgerichtete Statue, aus der Lage, die Füße gegen den Beschauer, zum Stand. So steht sie weiß vor dem Sarkophagdeckel. Dann hebt sie mühselig schwer die Hände, bedeckt lange die Augen, öffnet sie wie erwachend, breitet langsam die Arme aus – und lacht.

Vorhang.
3. Szene
Dritter Aufzug
Im Garten des Prinzen. Man kann an eine Villa Albani oder Borghese denken. Lustwandelnde. Mephistopheles, als morgenländischer Arzt gekleidet, in Begleitung anderer, die alle mit ihm sprechen wollen, ohne daß dies bei der Feinheit ihrer Verkehrsformen plump auffällig wird.

MEPHISTOPHELES
erzählend.
Ja, seltsam nicht? – seit jenem Unglückstag
Schlief sie und schlief. Der Herzog hat nicht Müh
[26] Noch Geld gescheut um prima Ärzte – doch ...
Nun: Griechenland ist türkisch, und ihr wißt,
Wie's Türkenärzte machen: durch den Vorhang
Die Hand, und daraus wird kuriert. Was soll
Solch ein Kollege können? Also gut:
Der Griechenherzog schreibt ins Morgenland
Um 'nen berühmten Arzt. So komm ich hin.
Und mir gelingt's: sie tat die Augen auf.
EINER.
Und war geheilt?
MEPHISTOPHELES.
Nicht ganz, denn das Gedächtnis
War weg.
EIN ANDRER.
Verschwunden das Erinnern
An alles, was ihr einst geschehn?
MEPHISTOPHELES.
Weg war's!
Ich hab auf Salamankas hoher Schule
Doch viel gehört, und der arabischen
Genossen Schriften kenn ich wie mein Wams.
Nichts drin zu diesem Fall! Da hört' ich nun,
Daß hier in Rom, das selbst schon so gescheit,
Die alte Welt, die noch gescheiter war,
Zum zweiten Mal lebendig wird. 's ist klar,
So dacht' ich, die gesiebtesten Gesiebten
Gibt's also dort: die konsultieren wir.
Der Herzog gleich dabei. Wir auf ein Schiff.
Doch leider: die erleuchteten Kollegen,
Sie sagen: »ah!« und »Gott, wie ist sie schön!«
Und schicken Blumen, Bilder, Gold und Verse
Samt eingewebten Küssen, aber aufs
Gedächtnis, scheint's, legen sie kein Gewicht.
PRINZ.
Bist du ein Mensch an Hirn und Herz und spottest
Des Zaubers, den sie um sich sät mit jeder
Bewegung, wie Frau Venus Rosen streut?
[27] Ja, wär sie Buhlerin und gleich so schön,
Mich rührt' es nicht – mein totes Weib, mein Kind,
Die holdaufrankende, sie schützten mich.
Sie ist nicht Buhlerin, was ist sie, Arzt?
Wir suchen Schönheit, in der Fern den Blick –
Das Schönste, uns beklemmend tritt es nah,
Stockenden Atems sinken wir aufs Knie,
»Worum ihr bittet«, spricht sie, »nehmt es doch!«
Wir suchen Wahrheit, aus dem Dunkeln blitzt
Ein plötzlich Licht, ein Abgrund aber gähnt,
Wir sehn ihn vor dem Licht – sie lächelt: seht
Ihr nicht die Brücke? Arzt, in diesem Geist,
Der kein Gedächtnis hat, was lebt in ihm?
Wo mir ein Fragen bleibt, sagt sie das Ja,
Der Zweifel weicht, so greif' ich nach dem Ziel,
Doch wenn ich's fasse, Arzt, wird seltsam mir,
Als rücke – ja, als rück' mein eigenes
Gedächtnis von mir in die Fernen hin ...
MEPHISTOPHELES.
Recht, wenn's an dem ...

Sich besinnend.

Ich meine, edler Herr,
Wer weiß, ob wir uns allesamt nicht mit
Zu vielem schleppen: packt doch jedes Jahr
Für Mensch und Menschheit schwerer noch den Korb!
Vielleicht ist's dumm, daß der Patientin ich
Den ihren wieder füllen will! Was steckte
Wohl drin als Weiberputz und Männerbart?
PRINZ.
Arzt, spielt Ihr mit uns? – –

Der Prinz wendet sich verletzt vom Arzt. Helena kommt, mit Faust im Gespräch.
HELENA.
Schwerfälliger, der immer wissen will!
Was habt Ihr denn vom Wissen? Suchen, Irren
Und dunkle Tat und Allerlei, wovon
Mir zu erzählen Ihr nicht lassen könnt.
Ließet Ihr's endlich! Meine Welt ist licht,
[28] Weil das mir fehlt, was der da heilen soll.
Vergeßt das Einstmals und genießt den Tag!
FAUST.
Das Heute ist des Gestern Kind.
HELENA.
Für Euch,
Nicht für den Freien. Frei ist, wer beherrscht,
Und frei das Heut, das keine Eltern kennt.
FAUST.
Zwar schließt nicht jed' Erleben jeden Tag ...
HELENA.
Ich leb in jedem immer nur ihn selbst:
Im Heut das Heut, im Morgen Morgen. Du
Lebst immer in dem Lichte, das verschien.
Du Dämmermann aus Norden, trankst du Wein,
Trankst du die Sonne, trankst du je das Weib
Und warst nicht anderswo, als Weib und Licht?
FAUST.
Du weißt nicht, Fürstin, wie mein lüstern Ohr,
Das Lethelechzende, wie gierig sich's
An deine Worte saugt. Sprach ich zu mir,
Wie du, sprach's eben – ich. Sprichst du es aus,
So sagt dein Haupt: »so denkt, was mich beseelt«,
Dein Leib: »so, was mich adelt – glaube dran:
Du siehst ja: es ist schön«.
HELENA.
Doch braucht das Licht den Schatten, und der Schatten
Braucht Licht, sonst rundet sich kein Erdenbild,
Und mir zum Dienst will ich das Leben ganz.
Ich lieb das Licht, das holde, wärmende,
Doch lieb ich auch die Nacht mit allem Finstern,
Dem Schrecken und dem Schmerz. Versteh mich, Freund:
Wie an des Gatten Eifersucht das Weib,
Weid ich mich dran – und doppelt, kommt's durch mich.

Beide ab. Drei junge Künstler im Gespräch.
[29]
ERSTER.
Vom letzten Festzug sprachen wir: der Amor,
Der schöne Knabe, den sie splitternackt
Vergoldet hatten, wie du weißt, der starb.
Mir tat er leid. Ich sagt's der Griechin. Sie
Lächelt' mich aus. »Erfreut es denn nicht viele,
Das goldne Käferlein?« Ei. Tausende!
»Nun gut, so tat's genug.« – Du, hat sie recht?
ZWEITER.
Hört, neulich sah sie grad mein neuestes Bild:
Maria mit dem Kind. Ich hatte mich
Gar sehr bemüht, daß keusch es sei und fromm.
Sie lachte: »Hast du keinen lust'gern Schatz?
Und meinst du nicht, mit dem erfreust du mehr?« ...
DRITTER.
Ich war dabei, als ihr der Kardinal
Die Stelle wies, da Kaiser Nero einst
Lebendge Christen angebrannt, als Fackeln
Zu leuchten. Ihre Antwort? »Eminenz,
Schön muß es schon gewesen sein.« Der Alte,
Der griff sich an den Kopf.
ERSTER.
Pfui über sie.
Empört dich das denn nicht?
DRITTER.
Mich ärgert's schon.
Doch mußt du's richtig nehmen, sie betont
Die schöne Seite, die der Bürger stets
Zu wenig sieht. Und wir, bedenk, sind Künstler! ...

Sie gehn weiter. Der Kardinal mit seinem Sekretär.
KARDINAL.
Ja, ich versteh es, daß die Zeit Euch drückt:
Ihr seid ein junger Priester, und wer jung,
Der überschätzt wohl seines Amts Gewicht.
[30] Ihr kennt mich, wißt, ich bin kein Sprudelkopf,
Und wißt auch, daß ich guten Wollens bin.
So darf ich offen reden, wie zum Sohn:
Ich, Lieber, weiß bei recht viel Dingen, die
Die Bibel lehrt, nicht, ob ich glauben soll.
Was tut's? Ich überlass' es Gott. Mein Amt
Begleit' ich trotzdem ernst. Die Kirche, Sohn,
Soll Glück verwalten; all das Menschenglück
Verwalten, wie die Bank, die Anvertrautes
Bewahrt und mehrt. Das Volksglück ist der Glaube,
Die Kirche nutzt ihn aus zu tausend Zwecken,
Zu Ordnung, Zucht, zum Wohltun und zur Kunst,
Sie zinst dabei an jeden, der ihr traut,
Und hält und mehrt das arme Menschenglück,
Daß es das Sterben noch versüßt. Mein Sohn:
Ist das kein nützlich Tun? Nur will's von uns
Ein wenig – nenn es so: Schauspielerkunst.
Das lernt sich, und ich treib's. Das Unbekannte,
Das uns regiert, wenn's ein Bewußtsein hat,
So wird es sagen: ja, so solltest du. ...

Abgezogen.

Die Griechin dort. Seh ich dies Weib, so denk ich:
Vor fünfzig Jahren hätt' man sie verbrannt.
Sie spricht als Ketzerin, sie wirkt als Hexe,
Und ihr Begleiter hat vom Teufel was.
Ein schön und kluges Weib aus edler Rasse,
Als halbe Heidin ohne Kirchenzucht
So ausgewachsen, daß die Frauenhand
Das kecklich bietet, was als Feuer wir
Wohl pflegen, aber nicht berühren! Gift
Fürs Volk, doch uns gedeihlich anzusehn.
Den Kopf mach auf, doch schließ das Herz, mein Sohn!
Der nordsche Schwärmer da fliegt grad ins Licht.

Sie treten zurück. Faust und Helena kommen.
FAUST.
Was bös und gut! Nach Leben lechz ich, Frau,
Nach Ungelognem, Unverstecktem, Un-
Verschleiertem, nach Spitzen klimm ich, die
[31] Nach irgendeiner Richtung hin das Sein
Als letzten Vorstoß in das Nichtsein trieb ...
HELENA.
So will ich und so lieb ich dich: den Mann,
Der mich bezwingen will, mich, wie ich bin,
Den Feind, der mich ergänzt. Komm, wenn es Nacht!
Jetzt geh!

Faust tritt zurück. Die andern sammeln sich nach und nach. Großartige und geschmackvolle Festbeleuchtung im Garten.
PRINZ
Ansprache an alle Gäste.
Schutt der Jahrhunderte und armer Zeit
Kärgliches Baun – der Ahnen Atem blies
Durch ihrer Enkel Mund die Seele drein,
Und die geborstnen Säulen reckten sich,
Der Mauern Reste wuchsen aus dem Grund
Und boten nun aus Kirchen und Palästen
Die stolzen Wände dar: hier nehmt und füllt
Mit Spiegelbildern sie des leuchtenden
Geschlechts von einst! Doch blieben's Bilder, Bilder –
Bis eine zu uns trat, wie sie im Rom
Der Alten selbst, noch angebetet wäre
Als Aphrodite – Griechenfürstin, du!

Alle blicken zur Helena, die bezaubernd schön vor den andern dasteht. Der Prinz macht einen Schritt auf sie zu, um ihr den Kranz zu reichen. Plötzliche Rufe.

»Die Heiligkeit! Die Heiligkeit! Der Papst!«

Als er eintritt, senken alle ihm gegenüber ein Knie, nur Helena bleibt aufrecht.
DER PAPST
vor Helena.
Wie Osterglocken vom Erstandnen läuten,
So singt von deiner Schönheit Romas Luft
Durch alle Fenster, wie der Glockensang
Zur Andacht zieht, so zog es mich zu dir.
Du bist die Einzige, die sich mir nicht neigt.
Du hast ein Recht dazu.

[32] Er nimmt dem Prinzen den Kranz ab und setzt ihn der Helena auf. Nach einer abermaligen kleinen Pause der Betrachtung mit einer leichten segnenden Gebärde ringshin.

Erhebt euch, Freunde,
Entschuldigt, daß ich eingedrungen bin.

Alle erheben sich. Schweigen.
HELENA.
Ja, Papst, ich grüße dich als Gleich zu Gleich,
Den höchsten Priester höchste Priesterin.
PAPST.
Wo liegt dein Reich?
HELENA.
In allen Ländern, Papst,
Auf allen Gipfeln, wo die Sonne scheint.
Die Wälder huld'gen dunkel zu ihm auf,
Die Wolken breiten sich zum Fußkuß hin,
Doch Dunst und Lärm verzittert und verstäubt:
Anbeten mag man uns, beläst'gen nicht.
Was niedrig, Papst, ist unsern Sinnen nur,
Wenn's uns erreicht, sei's Jubel, sei's Geschrei,
Ein fernes Spiel – wie du im Bühnenhaus
Eins lächelnd siehst, zeig's Trauer oder Lust:
Es spricht zu dir, doch von dir spricht es nicht –
Die drunten, die betrifft's. Die drunten, ach,
Sie sind ja da, sie wuseln und sie krümmen
Sich müd nach ihrem Bröckchen Glück. Zu Zeiten
Da freilich formt das Niedrige den Geist,
Das Viele, das in Loch und Gang sich drängt
Am Nebenkleinen, und der Große duldet's
Und spricht in seinem Sprächelchen mit ihm –
Wie du.
PAPST.
Wer bist du?
HELENA.
Helena, die Griechin,
So sagen sie. Ich selber weiß es nicht,
Die Schönheit haben andre mich genannt,
Und wieder andre auch die Wahrheit. Papst:
[33] Das bin ich jedem, was sein Innres sucht
Und nirgends findet.
PAPST.
Wann erscheinst, du, Weib?
HELENA.
Wann mich die Zeit gebiert.
PAPST.
Und diese Zeit
Ist deine, Griechin?
HELENA.
Und die deine, Christ!
Die ein und zwei Jahrtausende getrennt,
Die beiden Reiche finden sich im Heut.
Wage zu herrschen; heb mit leichter Hand
Den Fron der Tiefen auf zu deinen Höhn,
Und er wird Höhe.
PAPST
leise zu Helena, mit der er immer so gesprochen hat, als ginge er auf ein künstlerisches Spiel ein.
Holde, Manche sagen,
Das Weib sei niemals große Künstlerin.
Du widerlegst die Toren, komm heut Abend,
Ich bitte dich, zum Vatikan.

Zu den Versammelten laut.

Ihr Freunde,
Für dieses feine Spiel nun meinen Dank
Durch eine Botschaft. Hört ihn, den Beschluß:
Vom deutschen Geld, das für den Ablaß fließt,
Erheb' sich nach der größten Meister Plan
In Majestät, wie nichts auf Erden sonst,
Der neue Dom. Und über des Apostels
Geweihtem Grab, wo Pfeiler, riesenhaft
Gleich Felsen, doch als Felsen höchster Kunst,
Die Andacht auf zu Schwebehöhen tragen,
Daß sie die süßeste Musik der Welt
Mit Engelsfittichen empfängt – dort schwinge
Des Pantheons, des Heidentempels Kuppel
Die ewigen Sphären überm Christendom.

Verabschiedung. Der Papst geht. Alle folgen ihm. Die Bühne wird leer. Nur Helena steht in ihrer Mitte.
[34]
FAUST
der sie gesucht hat.
Die Nacht ist da, jetzt bist du mein, du Weib.
HELENA
lächelnd.
Der wack're Principe erwartet mich.
Er braucht Geduld, und du auch brauchst sie, Freund:
Du weißt wohl nicht, der Papst begehrt mich heut.
FAUST.
Der Papst? Und auch der Prinz? Und wer denn noch?
HELENA.
Wen meine Schönheit schön zu finden und
Mein Geist als geistreich zu erkennen liebt.
Im Heut das Heut, das Morgen morgen. Frei
Ist nur das Heute, dem das Gestern fehlt –
Weiß ich denn, wen ich morgen lieben mag?
FAUST.
Helena, bist du Teufelin?
HELENA.
Was ist das?
FAUST.
Zum Abschluß, Weib!

In aufschäumender Wut sticht er nach ihr. Der Dolch bricht ab. Durch Helena geht ein Erstarren. Eine Statue bleibt an ihrer Stelle. Mit schallendem Gelächter tritt Mephistopheles hervor.
MEPHISTOPHELES
zur Statue.
Da hock nun drin, du erzkokettes Luder,
Und werd uralt, du brauchst doch keinen Puder!
Braust du fortan nur heimlich deinen Dunst,
So merkt kein Mensch, woher es hitzt, wenn's schwält –
Wer Schönheit sucht, den fang ihr weg mit Brunst!

Zu Faust.

Das lob ich mir, ihr habt noch Temp'rament
Und ihr versteht's, für Kunst euch zu begeistern:
Wär's nicht aus einem Extrastoff gemacht,
Ihr hättet ja mein Püppchen umgebracht!
Ein Mördchen mehr – an Euch hat's nicht gefehlt,
Ei was, Ihr seid der Alte – Hand her, topp! –
[35] Doch ich, gebt zu, bin auch nicht zu verachten
Als Reisemarschall mindestens – wo sind
Die Knaben, die Euch derlei netter machten?
Sprecht, wollt Ihr Weiber? Schwarz, blond, braun und rot –
Ein Riesenlager stell ich zu Gebot.
Wollt Ihr die Augen süß und fromm und sinnig?
Die Lippen herbe oder dick und minnig?
Wollt Ihr Gemütsgeflöt und langen Zopf,
Wollt Denkmechanik Ihr und Tituskopf?
Debattenrassel und Ideenaufschnapper?
Nein? Seufzerröhr und sanfte Augenklapper?
Zum Malen? Zum Besingen? Kalt und steif?
Noch Grünfrucht oder lieber überreif?
Ich liefre dem Herrn Doktor, was er mag
Und springlebendig frisch an jedem Tag.
Was Ihr nur ausgeheckt im heißen Kopf,
Koch ich Euch täglich gar in meinem Topf,
Und dächte doch, die Probe gäb mir recht:
Nahmt ihr mein Hexlein etwa nicht für echt?
In Muster eins habt Ihr euch prompt verliebt
Und ahnt noch nicht, was es da alles gibt!

Faust schweigt.

Ihr schweigt? Ei: die Affaire war fatal!
Mit mir im Bund passiert' sie nicht noch mal!

Faust schweigt noch.

Ihr mögt nicht? Hm.

In anderm Ton.

Herr Doktor Fauste, sag:
Gibt's zwischen uns nicht was wie n'en Vertrag?
FAUST
gewinnt die Kraft über sich zurück.
Bis meines Lebens letzter Stundenschlag
Verhallt, verpflichtet der Vertrag nur dich
Und pflichtet dich zu tun, wie ich befehle.
Und so befehl ich dir kraft des Vertrags:
Ich will dich nicht, so schweig du jetzt und geh!

Mephistopheles wie ein Raubtier unterm Blick seines Bändigers Gebärden und Geknurr. Er verschwindet.

Vorhang.
4. Szene
[36] Vierter Aufzug
Inneres von St. Pietro in Vincoli. Nur die ewige Lampe brennt, aber wenn draußen der Karneval lärmt, huschen durch die Kirchenscheiben Lichter von Fackeln und Laternen herein. Im Hintergrunde das Juliusgrabmal, aus dem sich der Moses eindrucksvoll hervorhebt.

BRUDER.
Wie dank ich Gott, daß er dich finden ließ!
Komm, Fauste, hier herein, wo einst St. Petrus
In Fesseln lag, und laß uns beten, Bruder,
Für Rom und für die Kirche und für uns!
Was sahn und was erlebten wir! Wie helfen
Wir Armen, Schwachen, wenn auf Petri Thron
Der Heide sitzt! Was können wir, als beten?
Komm, laß uns beten!

Vertieft sich ins Gebet.
FAUST.
Zwar bist du eng, doch ehrlich bist du auch,
Und das tut wohl!

Steht still am Pfeiler.
Pause, während der man den Karneval-Lärm aus der Ferne hört. Dann durch eine kleine Tür der
greise Michelangelo mit seinem Diener, der ein Licht trägt. Sie gehn zum Moses.
MICHELANGELO
am Gewande des Moses bemüht.
Halt's Licht mehr links, Augusto! So! Halt's ruhig,
Daß ich erkennen kann.

Meißelt.

Die Falt' im Stein
Hat mich im Schlaf gedrückt ...

Lärm draußen.

Ja, lärmt ihr nur:
Das wußt ich wohl, daß ich beim Karneval
Hier ungestört, wie in der Werkstatt bin ...

Sieht Augusto.

Ach so, du? Deiner Hilfe brauch' ich nicht mehr,
Dank schön! Geh' Freund, und schlaf' dich aus, Augusto!

Diener geht. Michelangelo in die Betrachtung der Statue vertieft. Wieder Lärm draußen. Zum steinernen Moses.

Hörst du's? Sie tanzen um das goldne Kalb!

Faust aus dem Dunkel hervor.
[37]
FAUST.
Ich knie hier nicht vor Euch, hinknie ich vor
Dem Geiste, der sich Eurer Hand bedient.
Ihr seid ein Mensch wie ich, nicht mehr als ich.
Vor Euren Werken aber spürt' ich Gott,
Denn Schaffen spürt' ich da.
MICHELANGELO.
Sein Schaffen spürt' ich
Auf Stunden. Was die Selbstqual mir im Hirn
Niemals erkämpfen konnte, noch des Herzens
Hinblutendes Gebet – dann war es da,
Und leicht, wie Wind die Schwanenfeder lenkt,
Regt' es den Meißel meiner armen Hand ...
In Stunden, seltnen Stunden! Aber sonst
Ist Dienst. – Wer seid Ihr, Mann?
FAUST.
Ein Sucher
Vom Norden.
MICHELANGELO.
Und Ihr sucht?
FAUST.
Das sagt mir Ihr:
Was suche ich?

Pause.
MICHELANGELO.
Ihr fragt, als wäret Ihr von meiner Art.
Doch wäret Ihr's, so wüßtet Ihr ja: wir,
Wonach wir suchen, wir erfahren's nie.
Der Wandrer weiß es, der sein Ziel erstrebt,
Der Arzt, der heilen will, der Richter, der
Urteilen muß, der Denker, den die Frage
Zur Antwort ruft, der Krieger, der den Feind
Besiegen will, der Künstler, der ein Bild
Aus Erz, aus Farben oder Steinen baut
Zu dem und jenem Zweck. Wir wissen's nicht.
FAUST.
Doch bautet Ihr und bildetet Ihr selbst!
[38]
MICHELANGELO.
Ich diente! Diente, wie die andern auch.
Wir sind ja nicht allein, uns nährt und kleidet
Und hilft und schmerzt und freut der andre Mensch ...
Der Nächste, sagt die Bibel. Wohl: wir dienen
Im Ausgleich ihm. Mein Ich, das dient ihm – mit,
Nun: dem, was uns gemeinsam.
FAUST.
Und es fragt
Nach Brudergeist, indem es sich bekennt.
MICHELANGELO.
Meist nennt man so, was ich Verlangen nenne
Nach Ehr' und Ruhm. Die schätzt' ich, als ich jung.
FAUST.
Wann wart Ihr glücklich?
MICHELANGELO.
Glücklich, gilt Euch das?
FAUST.
Wann lebtet Ihr am höchsten?
MICHELANGELO.
Ei, ich könnt'
Euch allerlei erzählen, daß Ihr Euch
Verwundertet, wie der, den alle preisen,
So kindisch sei. Einst stach mich eine Mücke,
Da fing ich sie, und wie ich sie besah,
Bestaunt ich erstmals ihren Wunderbau.
Saht Ihr, und wär' es von Cellinis Hand,
Ein Formerwerk wie diese Spinn' am Pfeiler?
Trug je der Papst ein Meßgewand, der Kaiser
Den Krönungsmantel edelschön wie dort
Ihr Kleid die Motte? Und der Menschenleib!
Mir ward einmal ein toter Mohr geschenkt,
Das Messer in der Hand, ging seinen Wundern
[39] Ich Tag' und Nächte nach – nie lebt' ich höher!
Mann: jede Form der Welt ist eine Kraft.
Erfaßt die Form und bildet sie in Euch,
In Euch hinein und dann aus Euch heraus, –
Und in Euch lebt die Kraft. Als ich Gestalten
Für jene Decke hinwarf, da hab' ich ...
Ja: Mensch auf Menschen aberhundertmal
Einströmen in mich fühlen, in mir sein.
Ich durft' sie bannen. Und sie leben noch.
Für mich. Für andre? Ach, die malten ab,
Krausten, verrenkten, trumpften, bliesen auf,
Und sagten: das ist Kunst. Wie viele Narren
Hab' ich gemacht!
FAUST.
Und gab das Gott?
MICHELANGELO.
Er duldet es, denn wißt:
Die Narren zählen nicht. Die Menschheit geht
Mit leisem Tritt durch ihr Geschrei. Fühlt einer,
Nur einer im Jahrhundert jenen Hauch
Der Gottheit, der durch mich ging, aus dem Werk,
Befruchtet's weiter auch die Kommenden.
FAUST.
Du Glücklicher, der das

Auf Moses hinweisend.

vollendet hat!
MICHELANGELO.
Jung war ich, und der edelste der Päpste
Vertraute mir sein Grab. Aus Marmorblöcken
Rief mich Gestalt an auf Gestalt: erlöse
Mich aus dem Stoff, damit ich sprechen kann!
Wo nur ein Höcker war im Stein, ein Fleck,
Erkannt' ich eine Seele, die mich rief.
Und wie sie mich umringten, ordnete
Sich Stimm zu Stimme und Gebild zu Bild,
Daß eine heil'ge Insel – nicht aus Stein:
Aus Licht sich hob, die Ewigkeiten sang. –
Was du hier siehst, ist ein geretteter
Schiffbrüchiger von dem, was ich verlor.
[40]
FAUST.
Der aber ist vollendet ...
MICHELANGELO.
Das ist nichts,
Was noch den Weg durch Menschenseelen geht.
Wir stammeln weiter, was die Gottheit sprach.
Zehn Hiebe nur, die selber sie geführt,
Dann weg die Hand, denn ob du Bruchwerk nur
Und Wunden siehst, das, was sie will, das sagt's.
Ein andermal: Drei Jahre Müh' auf Müh',
Ihr nachzutasten, fühlst du, daß du's sollst –
Und daß du's sollst, bleibt alles, was du fühlst,
Und daß du tastest. Aber andern singt's.
Du sprichst von Brudergeist, nach dem du suchst?
Es sucht durch dich, das Unbekannte sucht,
Und sagt durch dich wohl, was du selbst nicht weißt,
Zu Unbekannten, wie der Funke springt,
Den Unbekannten, die es sucht. – Ich dien'.

Er fängt wieder an zu arbeiten. Draußen abermals Karneval-Lärm und Lichter, deren Scheine über Moses hinhuschen und sein Gesicht zum Drohenden beleben.
DER BRUDER
tritt vor.
Komm, wir verstehn den Sonderbaren nicht,
Komm nun und laß uns weiterziehn, mein Faust!
FAUST
vor dem Moses.
Furchtbarste der Gestalten, die nur Zorn
Und Kraft und Zorn, und nichts als Kraft und Zorn,
Hast du denn stets gedroht und drohst du stets?
Auch die zu Götzen beten, suchen Gott!
Wie find' ich denn den rechten, frag' ich nicht
Das, was im eignen Herzen wärmt und drängt?
Und äfft es mich, was äffte mich als das,
Wer äffte mich, als der es in mich tat?

Zu Michelangelo.

Dich, Sucher, Irrer, Finder, Meister – dich
Frag' ich: wie hör ich Gottes Stimm heraus,
[41] Die eine leise, echte, wenn die Welt,
Die er geschaffen, meiner eignen Brust
Die Antwort braust im Chor?
MICHELANGELO.
Ich dien'.
Vorhang.

2. Akt

[42] Zweite Handlung

Deutsche Hochschulstadt. Ein Lehrsaal des Professors. Vorn rechts der Domherr mit dem Bruder im Gespräch, im Hintergrunde links auf einem langen Tisch eine Leiche, um welche präparierende Studenten beschäftigt sind. Faust als Prosektor unterweist sie und hilft ihnen. Zwischen den Studenten sitzt, sich beteiligend, der Professor, ein schon älterer Mann als Faust. Während sie hinten schweigend arbeiten, spricht der Domherr vorn gedämpft auf den Bruder ein. Wenn sie hinten sprechen, lauscht vorn der Domherr.

FAUST
hinten; zu einem der Präparierenden, den er unterweist.
Ein Nerv ist zart, üb' Vorsicht mit dem Nerv –
Nicht gleich das Messer, das Skalpell zuvor! ...
Nun zur Aorta ...

Sie arbeiten weiter.
DER BRUDER
vorn; zum Domherrn.
Ihr ängstigt mich, Ihr sprecht so gar gelehrt ...
DOMHERR.
Es ist doch einfach, was wir wünschen, Freund!
Der Papst, der jetzt auf Petri Throne sitzt,
Ruft anders, als der Vorfahr. »Helft mir«, ruft er,
»Für Jesu Kirche! Wo ihr Altarraum
Beschmutzt, da fegt den Unrat aus, wo Spalten
Im Mauerwerk, prüft bis ins Fundament
Und richtet's mit dem Ganzen eurer Kraft,
Denn eure Ewigkeit ist in Gefahr.«
BRUDER.
Doch nicht nur durch den Luther in Gefahr!
DOMHERR.
Auch andre Irrlehr, ja Gottlosigkeit
Im Doktormantel ...
[43]
BRUDER.
Den Professor meint Ihr?
Herr, eine rein're Seele kennt Ihr nicht!
DOMHERR.
Und grade so ist ja des Teufels Art,
Daß er ins Beste seinen Samen legt.
Und Gute fördern ihn! Wer unterscheidet
Von Edelblumen Unkraut, wenn es jung?
Der Gärtner kann's, im Garten Christi sind
Die Gärtner wir ...
FAUST
hinten; beim Aufzeigen.
Nun hebt den Beutel sacht
Vom Herzen weg, und in die Kammern jetzt
Entschloss'nen Schnitt! Was wir am Tier gelernt,
Am Menschen seht ihr's da, als wär' er Tier ...
Der rechte Vorhof frei! Die Ader führt,
So sagen sie: Luft aus der Lung' ins Herz ...
Bei der Aorta die Verschlüsse dort
Mit ihren Klappen meisterklug gebaut ...
Das Bind- und Zugwerk hier aus Seil und Strang
Feinstkennerisch gewebt ...

Erklärt weiter.
BRUDER
vorn; zum Domherrn.
Sagt klar mir, was Ihr wünscht!
DOMHERR.
Die Jugend kennt
Sich leider da nicht aus. Sie ißt, was schmeckt.
Nur einer der Studenten kam zu mir,
Ein ältrer schon, er hinkt ...
BRUDER.
Da kenn' ich keinen ...
DOMHERR.
Ihr übersaht's. Bevor er heimwärts zog,
Kam er zu mir: »Herr«, sprach er, »mein Gewissen
Bedrückt mich: eine Menschenleiche jetzt
Zergliedert unser Lehrer, darf er das?«
BRUDER
unruhig.
Der Nachbarherzog hat sie ihm geschenkt.
[44]
DOMHERR.
Der Humanist. Gleichviel, es wird verziehn.
Ich konnte den Studenten leicht beruhigen.
»Da atm' ich auf«, so sprach er, eh' er ging,
»Nur hab' ich Sorgen wegen jenes Fremden,
Der zum Besuch beim Meister eingekehrt
Und den der Meister schätzt. Er hat verdächtigen
Verkehr – daß ich's gesteh: selbst an den Teufel
Dacht' ich bei einem, den ich mit ihm sah.
Doch ist der weg, und der geblieben ist,
Sieht nicht nach Teufel aus.« Da meint er Euch.
»Gebt dem die Weisung«, sagt er, »und er dient
Als treuer Wachthund uns'rer Kirche.« – Tut's!
BRUDER.
Herr, einen andern wählt! Den armen Sünder,
Den Doktor Faust, den fand ich einst in Not,
Und ich gelobte Gott: genest er, will
Ich ihn behüten, daß er gläubig bleibt.
Nun weilt er hier ...
DOMHERR.
Und das gefährdet ihn?
BRUDER.
Wie sprecht Ihr nur! Herr, sorgt' ich mich einmal,
Wenn ich's in Ruh' bedacht, war's falsch verstanden.
So räumt' ich jüngst des Meisters Werkstatt auf
Und stäubt' auch eine große Kugel ab,
Die im Gestell im Messingreifen hing.
»Ei«, scherzte der Professor, »sagt' ich nun:
Solch eine Kugel ist die Sonn', und drum
Kreist wie ein Steinchen an der Schleuderschnur
Die große Erde – wie gefiel dir das?«
O, ich erschrak, dann aber sprach ich: »Herr,
Die Erde kann doch keine Kugel sein,
Sonst sähen ja am Jüngsten Tag die unten
Den Herrn nicht thronen droben zum Gericht«. –
Da nickt' er lächelnd: »Glaube, was du glaubst!«

[45] Hinten sind sie aufgestanden. Der Professor zu Faust.

Da, sagt das Volk nun, wohnt die Seele drin!
Sie wohnte dann in adligem Palast –
Wie denkst du drüber, Faust?
FAUST.
Daß nichts ich weiß.
PROFESSOR.
Doch manches Neue wissen wir durch dich.
Sie sind im Süden älter, was du drüben
Gewannst, du hast es sorglich hergetragen
Und frei verschenkt – ich, der so lang der Jugend
Ein Lehrer war, dein Schüler ward auch ich –
Nimm unsern Dank denn zum Semesterschluß!
FAUST.
Du sprichst von Dank, ich weiß, du höhnst mich nicht.
Vor aller Jugend hier will ich dir danken ...

Gebärde des Professors.

Ach nein, nicht dafür, daß mir Flücht'gem du,
Mir Armem Amt du gabst und Heim – ich danke
Für das, was du uns allen bist: ein Eins
Von Wort und Tat, und das heißt: Vorbild.

Die Studenten drängen sich froh um den Professor.

Ich,
Ich bin euch keins.
EIN STUDENT.
Wir danken Euch auch, hochgelehrter Mann!
FAUST.
Weil ich Gelerntes an euch weiter gab?

Auf den Professor weisend.

Der fragt die Dinge, die er lehrt, und was sie
Ihm sagen, lebt er dann in euch hinein.
Mich fragen sie, daß ich an euch vorbei
Hin zu den Dingen lausche – die mich narrn.
PROFESSOR.
Doch wenn sie fragten, zeigtest du: dort frag es,
Dann sah'n auch wir die Frage. Als ein Licht
[46] Vor einem Gang, den wir noch nie entdeckt,
Und in ihn zog's hinein und zog uns nach,
Das Fragen, das ein Leuchten war ...
FAUST.
Doch sorgt' ich
Für euch? Ich sorgte nur für mich.

Bewegung.

Für mich!
Ich spreche hart? Ich rede wahr. Du Jugend
Willst lernen, wie du hilfst. Ich suche Hilfe
Für mich.

Die Studenten betroffen, der Professor tritt an ihn heran.
PROFESSOR.
Und bist doch keiner, dem die Liebe fehlt!
FAUST.
Die hatt' ich einst, und da mißbraucht' ich sie.
Mag sein, sie wartet wo im warmen Licht,
Und schaut nach mir mit Mitleidaugen aus.
Doch trennt von ihr ein Panzer mich von Nacht,
Der hart wie Stahl ist. Nah' ich ihm, so bohrt
Er folternd Fragestrahlen in mich ein –

Auf den Leichnam zeigend.

Wie dort aus dem, den selbst sie jüngst zerbohrt.
PROFESSOR.
Laß das Vergang'ne, Faust ...
FAUST
bitter.
»Und leb' im Heute,
Das nichts vom Gestern weiß«. – So sprach der Spuk.

Träger haben die Bahre mit der Leiche aufgenommen.
DOMHERR
tritt vor.
Das Ebenbild des Herrn, und ob den Leib
Die Seele selbst zerstört hat, ist nicht da,
Damit der Neugier Messer darin wühlt.
Die Kirche fordert diesen Leib für sich!

Erregung. Faust will dem Domherrn entgegnen.
[47]
PROFESSOR
mit einer beruhigenden Gebärde.
Domherr, wenn Jesus seinen Jüngern rief:
»Helfet einander«, lehrte dieser Tote,
Wie kein Lebendger kann, den Leidenden
Zu helfen. Was er nützen konnte, hat
Er nun genützt. Hätt' er's noch nicht, ich dürft'
Ihn Euch nicht übergeben, denn auch unser
Mandat ist Gottes. – Tragt den Leichnam dorthin,
Wohin der Domherr euch befiehlt.

Kalte Verneigungen, Domherr, Träger ab.
EIN STUDENT
ein junger, der sich eben eifrig mit andern besprochen hat.
Sollen wir helfen, Meister, so befehlt!
PROFESSOR.
Ein seltsamer Semesterschluß! Doch: helfen?
Wer tut mir was? Ein eifriger Prälat,
Ein übereifriger vielleicht – er hat,
Was er begehrt, – wir warten auf den nächsten!
An eure Jugend, Junge! Laßt die Sorgen
Grauköpfigen, Kahlköpfigen, uns Alten,
Die's in der Jugend nicht gehabt, wie ihr.
Wie feiert ihr den Ferienbeginn?
EIN JUNGER.
Den Wurfstab in der Hand auf der Palaestra.
ANDRE.
Wir mit Musik und Tanz.
WIEDER ANDRE.
Wir wollen reiten.
Weit über Land, ach, weit!
PROFESSOR
rings vertraulich zwischen dem Schwarm.
Fürs Hirn habt ihr die Wochen her gesorgt
So einigermaßen, meine Stubenhocker, (Fröhlichkeit)
Übt Arm und Schenkel, Lunge nun und Nerv!
EINER.
Und, Meister, auch das Herz.

Lachen.
[48]
PROFESSOR.
Das hast du, Nasweis,
Auch hier schon nicht versäumt ... ja, werd nur rot:
Ich weiß Bescheid. Und gönn' dir's, Junge! Liefen
Nur zwischen Hecken Bub und Dirn getrennt,
Irrgarten wär's – und ihr vergeßt ja nie,
Daß ihr vom Adel seid. Der kann in allen
Vom Schöpferodem sein bei Bursch und Magd,
Und ihr erkennt euch, grüßt ihr euch mit dem!
Schaut nach dem Volk, das unsre Heimat ist ...
EINIGE.
Wir wollen wandern, Meister!
PROFESSOR.
Klopft an Hütten,
Nicht nur an Kauf- und Pfarrhaus und Palast –
Was von uns Weisen an der Hochschul keiner
Verhandeln kann, sie schenken's euch zum Dank! –
Und ihr zwei beiden?
DIE ZWEI.
Ei, wir wollen nichts
Als Schönheit suchen.
PROFESSOR.
Gebt dem Auge Trank
Aus Gottes Quellen selbst, statt nur von Spiegeln
Aus Leinwand und Papier! Übt es als Auge,
Doch mit dem Auge übt die Seele mit!
Fühlt eure Arme in den Eichbaum ein,
Der durch Jahrhunderte die Äste reckt,
Schwingt mit der Lerche eure Lieb ins Blau,
Baut mit den Wolken aufwärts euren Stolz,
Laßt euer Sehnen stürmen mit dem Wind
Und euer Hoffen leuchten im Gestirn!
EINER
vortretend, jäh.
Ich, Meister fühl' mich alt genug zur Tat.
Die Unterdrückten rüsten sich zum Kampf,
Nicht lange, und die Bauern schlagen los.
Freiheit dem Volk ...
[49]
PROFESSOR.
Vielleicht, vielleicht auch Knechtschaft,
Noch schlimmre, als schon heut. Ich kenn dich, Franz,
Weiß, du bist reif, und weiß: du mußt so tun.
Denn dir befiehlt's dein Ich. Gott schütze dich ...

Sich aus ernsten Gedanken zurückrufend, herzlich.

So lebt denn alle, alle, alle wohl!
DIE STUDENTEN.
Auf Wiedersehn! Auf Wieder-, Wiedersehn!

Die Studenten gehn, der Professor bleibt mit Faust allein.
PROFESSOR
blickt ihnen versonnen nach; für sich.
Auf Wiedersehn! Wie töricht, daß dies Wort
Mir heute schwer zu sprechen wird! Da kauert
In irgendeiner Höhl' ein Aberglaube,
Ein dummer, kindischer, und kommt uns was
Für quer, so quäkt er sein: »Berufe nichts!«
Weg, Maulwurf, in dein Loch! Auf Wiedersehn,
Ihr, die mir Jugend gebt: auf Wiedersehn!

Dann zu Faust.

Was bist du heut so stumm? Das kann ja doch
Nicht sein, daß dich's verärgert, wenn einmal
Besonnener ich bin als du? Der Domherr
Mußte so reden, wie er's tat.
FAUST.
Du, der mich schon so viel gelehrt, du warst
Auch hier im Recht. Ich seh's, doch fühl ich's nicht.
PROFESSOR.
Ja, was dir aus dir selber nicht erstand,
Das läßt dein Kopf herein, doch nicht dein Herz,
Seltsamer du! Dafür, du Quellender,
Wie vieles schon, das am Vertrocknen war,
Auf grünt es, seit du kamst!
[50]
FAUST.
Werde dir das, daß echtes Grünen sei,
Wo immer Grün du siehst! Doch spürst du selbst,
Wie durch das große Lenzen dieser Zeit
Ein Frösteln geht.
PROFESSOR.
Ich fühl' den Frühling rings.
FAUST.
Und nicht den Frost?
PROFESSOR.
Den Frost im Frühling mit.
Doch willst du, daß ich mich drum grämen soll
Und andre grämen machen? Ach, Freund Faust,
Dazu fand ich den Frost zu oft im Mai!
Der prickelte und stach, der schnitt und knickte,
Der brach und würgte – die Poetlein sangen:
Weh, weh, der Spätfrost mordet uns den Lenz –
Und doch, mein Doktor, sahst du einen Frost,
Nur einen einzigen, dem kein Sommer folgte?
Das Grün wuchs stets dem Froste übern Kopf!
FAUST.
Ach, wächst es langsam!
PROFESSOR.
Doktor Ungeduld,
Du treibst und treibst, auch wo kein Treiben hilft!
Ich schütz in meinem Garten vor dem Frost,
So gut ich kann – ihn heizen kann ich nicht.
FAUST.
Und wieder sag ich: ja, du bist im Recht,
Und trotzdem wieder: mir gefällt das schlecht!
Und bästl' ich selbst am heutigen Vernünftigen,
Im Herzen pocht das Sehnen nur zum Künftigen.
Am Horizonte überm Meere fern,
Da schimmert's auf, ist's Insel, ist's ein Stern?
Ich weiß nur das: in diesem Funken glüht
Gesammelt alles, was mein heiß Gemüt
Mein ganzes Leben lang hinausgesprüht:
[51] Dort ist die Jugend, dort die Manneskraft,
Dort, was verschenkt, und dort, was Neues schafft,
Gesammelt wartet's mein, und fest und dicht
Mit seinen Händen hält's empor das Licht,
Ein Ausblick dorther, und mir wär' erhellt
Die Welt ...
Fliegt, ihr Gedanken, dorthin, rastlos fliegt
Ihm nach, dem Blinken –
Wenn ihr nicht siegt,
Was liegt daran, wenn wir im Meer ertrinken?
PROFESSOR.
Und ich, mein Freund, ich lobe mir das Schiff:
Das zimmr' ich tüchtig gegen Well und Kliff,
Und wie mich auch im West der Schimmer lockt:
Erst wird gebaut, gesichert und gedockt.
Mit derben Rippen strammt sich schon der Rumpf,
Und hebt sich endlich auch der Mast als Trumpf,
Dann ist es Zeit, dann über festem Kiel
Mit Jakobstab und Kompaß hin zum Ziel.
»Methode« heißt mein Schiff, und wenn ichs nicht vollende
Führt Sohn und Enkel Bau und Fahrt zum Ende.
FAUST.
Du singst Geduld! Du hast ihn noch, den Glauben
An Hebel und an Schrauben.
PROFESSOR.
Mein Faust, die Frage wär' wohl gar zu leicht,
Was denn mit deinem Glauben du erreicht –
Sie wär auch krumm,
Denn was für mich gescheit, für dich wär's dumm.
Du bist kein Forscher, Faust, du bist ein Dichter –
Die zwei beisammen, und die Welt wird lichter!
Zeig du uns Ziele, flieg dahin, wie nie
Ein andrer kann, den Flug der Phantasie.
Und wenn dein Erdbild so zum Sternbild wird,
Doch dient's dem Schiffer, der sich sonst verirrt!

Der Bruder kommt, scheu und unruhig.
[52]
BRUDER.
Ein Bote möcht Euch sprechen.
PROFESSOR.
Laßt ihn ein!
Was fragst du denn so scheu?

Bruder ab. Professor zu Faust.

Ein seltsam Wesen
Hat unser Guter heut. Ja, wüßt' ich nicht,
Daß seine Frommheit Übles nicht vermag –
Ich meint', er hätt' ein schlecht Gewissen.

Ein fahrender Schüler, verneigt sich tief. Dann mit einem Blick auf Faust.

Der mich gesandt und den Ihr nie gesehn,
Wie er Euch nie, er sprach zu mir: den Meister,
Ersuch ihn, daß er dich allein empfängt ...
PROFESSOR.
Was sich ergänzt, das ist ein Einzges nur,
Ein Einziger sind Faust und ich. Sprich so,
Wie du zu mir sprächst, ständ' sonst keiner hier.
SCHÜLER.
Zu sprechen hab' ich nichts, zu geben nur,
Doch sollt' ich geben, daß es niemand sieht.
PROFESSOR.
Du bist geheimnisvoll – was bringst du denn?
SCHOLAR.
Herr, ein versiegelt Buch!
PROFESSOR.
Und welch ein Buch?
SCHOLAR.
Das weiß ich nicht, mein Meister sprach: der Reife
Verstünd' es erst. Ich sei nicht reif. – Darf ich
Jetzt gehn?
[53]
PROFESSOR.
Du kamst in weiter Fahrt!
So labe dich und wohn bei uns.
SCHOLAR.
Ich möchte
Doch lieber gehn.
PROFESSOR
betroffen, kurz.
Was heißt das?
SCHOLAR.
Herr, ich möchte ...
PROFESSOR.
Du willst mich nicht beleidigen, das seh ich,
Und nur ein Wille kränkt, der kränken will –
Sprich und erkläre!
SCHOLAR.
Herr, ich war im Dom,
Der Mutter Gottes für den Schutz der Reise
Zu danken ... Herr, ein Priester sprach darin,
Ein strenger Mann ... und hart klang, was er sprach ...
Vom Aufruhr sprach er, der jetzt Tag und Nacht
Auf allen Straßen umgeh, von den Bauern,
Die sich empören gegen Obrigkeit,
Die Gott gesetzt. Doch – sprach er – wären sie
Nicht gar so keck, wenn nicht der Aufruhrgeist,
Und er erwähnt auch Euch ... man solle, sprach er,
Den Umgang mit Euch meiden ... Herr, ich bin
Ein treues Kind der Kirche ...
PROFESSOR
aufgerichtet.
Geh mit Gott!

Der Scholar mit tiefer Verneigung ab.

Das war noch nie.

Nach einem Schweigen.

Ich fühl den Spätfrost, Faust.
[54]
FAUST.
Kühlt er dein eignes Herz, daß du gelassen
Bei solchem Treiben bleibst? Ein frecher Pfaff
Hetzt gegen dich ...
PROFESSOR.
Ein frecher Hetzer? Glaubt er,
Daß ich die Seelen ins Verderben reiße,
So muß er mich bekämpfen! Daß er's glaubt,
Das ist das Stück vom Winter noch im Mai.
Doch daß er so mich von der Kanzel her
Bekämpfen durfte ... Weg, Gedanken! Her
Das rätselhafte Buch!

Er betrachtet das Siegel.

Das Zeichen da
Sah ich doch schon.

Interessierter.

Wie, wär's von dem?

Das Buch öffnend.

Ach, Faust:
Tabellen, Ziffern, mathematische Zeichen –
»Hebel und Schrauben« – nichts für dich! Es wird
Ein Doctorandus sein, der mich ersucht,
Ihm nachzurechnen, ob's auch stimmt. Da steckt
Ja auch der Brief! Was, ohne Unterschrift?

Mit wachsender Beteiligung.

»Der dieses schreibt, ist nun ein alter Mann,
Als er sein Werk begonnen, war er jung.
Bei vierzig Jahren hat er dran gedacht,
Beobachtet, gerechnet und geprüft.
Wenn Ihr sein Buch zur Hand nehmt, ist er tot:
Ein Fremder schickt's in seinem Auftrag Euch.
Gleichgültig ist mein Name. Daß mein Werk
Fortzeuge, Ihr verbürgt es, wenn Ihr's kennt.
Den Denker grüßt der Denker. Lebet wohl!«
Faust! Faust! Das ist von ihm!

Der Professor ist in höchster innerer Erregung mit dem Buche an einen Tisch geeilt, wo er nun fieberhaft blättert, Stichproben nachrechnet, vergleicht, einzelne Blätter Faust zureicht und mit diesem gemeinsam prüft. Plötzlich stürzt des Professors Gattin herein, ihre zwei weinenden Kinder hinter ihr.

Um aller Heiligen willen, flüchte dich!
Belarvte Männer suchten dich im Haus,
[55] Bei uns im Haus, um Gott, was kann das sein?
Ich lief voraus zur Werkstatt, dich zu warnen,
Flieh, flieh!
PROFESSOR
ganz ohne Aufmerksamkeit.
Ja, ja, ich flieh ...

Das Buch hochhaltend.

Hier ist es, Faust, hier ist,
Was uns gefehlt!

Jauchzend.

Faust, nun erleben wir's!
FAUST.
Muß ich besonnen sein für dich? Entflieh!
PROFESSOR.
Sprich, wenn du das gelesen hast, mein Faust!
Den Mann, den kenn ich, da ist nicht zu zweifeln,
Nichts nachzurechnen – siebenmal gesetzt
Und vierzehnfach begründet baut' er stets
Für jedes Wort wie Felsen den Beweis,
Und was er schließt, wie Zahn in Zahn, so greift's
In alles ein, was du und ich gedacht:
Die Räder gehn, Faust, – und die Erde geht!

Der Bruder schwankt herein. Die Gattin des Professors weicht ihm mit einem Schaudern der Empörung aus.
DER BRUDER.
Ich bin kein Judas, Herr, ich mußte sprechen,
Ich hätte Gott belogen, log ich jetzt!

Die Diener der Inquisition, an ihrer Spitze der Domherr.
PROFESSOR.
Sprecht nicht erst viel, ich weiß es, was ihr wollt!
Ich schein euch ketzerisch, ihr wollt mich fragen –
»Peinlich« vielleicht, wie meine Lehre sei.
Mag sein, vorhin noch käm' ich von euch los,
Von ungewissem Hoffen sprach ich nie
In Schrift, in Wort, in Blick Unmündigen,
Denn ein Vermuten werf' der Mensch nicht hin,
Wenn andrer Glück darüber stürzen kann.
Jetzt aber weiß ich es: die Erde dreht
Sich um die Sonne.

[56] Größte Bewegung. Des Professors Gattin schreit auf und reißt die Kinder an sich. Die Diener wollen den Professor ergreifen, der Domherr wehrt sie heftig ab. Der Professor geht zu seiner Gattin und den Kindern. Er macht eine Gebärde, um ihnen beruhigend über die Haare zu streichen. Die Frau bebt, auch ihre Kinder vor ihm schützend, zurück.

Meine lieben drei,
Durft' ich die holden Stunden euch verwirrn
Mit Ungewissem?

Zur Sonne, die glühend untergeht.

Ja, du Herz der Welt,
Vielleicht zum letzten Male grüß ich dich,
Da ich zum ersten Mal im Wissen
Von dem dich grüße, was du bist ...
Ich war ein Kind, als durch die Schlummerkammer
Der Mond sein schüchtern Wächterlichtlein trug,
So warst du damals die »Frau Sonne« mir,
Die gute, runde, die behäbige
Verwalterin im Haushalt Welt,
Die das Lebendge weckt und auferzieht,
Ernährt, betreut und noch den Greisen wärmt ...
Ich wuchs, da merkt' ich, daß der Blumenteppich
Sich auf- und einrollt, wie du Sommers bliebst
Und Winters gingst, kam deine Zeit, so sangen
Die Wälder auf, und schiedest du, so hob
Das Feld sein goldnes Dankgeschenk zu dir.
Ich lernt – da lernt' ich: über Land und Meer
Wölbe sich reinster blauender Kristall
Zum Himmelsbau, und die Planeten schritten
Wie Priester und wie Zauberer dran hin
Mit gut und böser Kraft, und so auch du ...
Ich sann. Die Zweifel flüsterten. Umsonst
Versuchte stillzuschmeicheln sie der Glaube,
Sie stillzukünsteln die Befangenheit.
Sie runzelten die Stirn, sahn in die Nacht
Und suchten, suchten ...
Faust, da fand ich dich.
[57]
FAUST.
Im Herzen krank und irr im Geist, so kam
Ich zu dir, Forscher, und du lehrtest mich,
Du Mensch, mitsammen laß uns auch zum Tod!
PROFESSOR.
Uns gab es Gott: was wir erreichten, bleibt.
Du Fernenschauer zeigtest mir das Ziel,
Zu unsern Fahrten baute ich am Schiff,
In einem andern aber saß am Steuer

Auf das Buch weisend.

Der schon, der Einsame ...

Wieder in die Sonne vertieft.

Nun sprang die blaue Kuppel,
Die uns umengt: und unermeßlich dehnt
Nach allen Seiten sich das Ewige.
Nun wuchsest, Sonne, du millionenfach
In einem Ruck, und die Planeten biegen
Aus ihren wirren Pfaden ein zum festen
Wandel um dich, du Aller Königin.
Um dich, ein Kind an seiner Mutter Hand,
Vom Lenz zum Herbst geht auch die Erde hin ...
DOMHERR.
Ich ließ Euch sprechen, denn ein Geist wie Eurer
Verrät von sich im eignen Feuer mehr,
Als bei des Foltrers Glut ...
PROFESSOR
überhört ihn.
Du aber, Sonne, nun du dich enthüllt:
Die Mauern, die um unser Denken auf
Mit harten Quadern starrten, taust du weg
Wie schmutzgen Schnee, frei wird die Welt und warm
Und leicht und weit! Faust, sieh zum Horizont
Nach Ost und West, nein, um die Kimmung sieh
Nach aller Richtung, daß der Erde Rund
Vor deines Geistes Aug zur Fläche wird,
Drauf alle Völker wohnen – allen Völkern
Von diesem Tag ab wird ihr Geist befreit ...
[58]
DOMHERR.
Zum End! Zum Ende!
PROFESSOR.
Mann, mein Ende ist,
Denn meines Daseins Dursten ist gestillt.
Ich fühl' ihn, Faust, den höchsten Augenblick!
FAUST
fast schreiend.
Der dich entreißt?
PROFESSOR.
Wo Lieben ist, ist Gott,
Und den zerreißt kein Mensch.
FAUST.
Die Freiheit fehlt!
PROFESSOR
ruhig.
Die Freiheit, Werdender, die wächst aus sich.
DOMHERR.
Hin jetzt zum Kerker!
PROFESSOR.
Stellt mich auf den Stoß,
In seiner Flamme spür' ich noch die Sonne –
Was könnt ihr tun, am Schluß ist doch die Ruh.

Er schreitet hinaus, gefolgt vom Domherrn und seinen Dienern. Faust regungslos im Vordergrund links. Die Frau verzweifelt bei den Kindern. Der Bruder betend.

Vorhang.

3. Akt

1. Szene
Erster Aufzug
Vor einem Wirtshaus an der Landstraße.

PRÄDIKANT
mitten in der Rede.

Viel Zwischenrufe. Nehmt's ihnen nit für ungut, Leut! Begreift: kann der Edelmann brav Geld vom Pfeffersack auf der Straß' nehmen, wenn ihm dann der Stadtbund die Burg zerhaut? Also, was bleibt: muß den Bauern noch mehr schinden! Drum, wenn schon heut traurige Kirchweih ist, ei, so sag ich doch: wart aufs Himmelreich, Bauer! Hungerst du, friß Stein – sollen etwa die Herrn dir abgeben? Sind doch deine Oberkeit, eingesetzt vom Herrn Gott, dich zu binden und zu schinden. Was klapperst? So könnt's nimmer gemeint sein, was in der Bibel steht? Hei, so frag die Doktores drum, die Latein verstehn, Dummbart, – sind gleich alle Menschenkinder getauft und Brüder im Herrn, gelöst durch sein allerköstlichstes Blut, ist doch nur Recht, daß der eine den andern zwackt, bis er sein sterblichen Leib zerknackt. Du da, wer hat dir dein Bein zerschossen?

EIN BAUER.
Ist in der Fehd mit dem Steinberger geschehn, als ich mitmußt' als Roßknecht!
PRÄDIKANT.

Und was gab's als Lohn? .. Schweigst still? J, so hat's dein Gnädger auf Zins gelegt, wann du tot bist, kriegst es auszahlt. Dicker da, warum bist du blind?

MEHRERE
durcheinander.

Der kann nit antworten, ist auch stumm. Sie haben ihm die Augen ausstochen, weil er gesagt hat, die Hirsch auf seinem Acker ärgerten ihn, und die Zung ausrissen, weil er dabei geschimpft hat!

[60]
PRÄDIKANT
hohnlachend.

Wollten dir Zung und Aug doch auch bloß verwahren, weil sie noch nit recht brauchen kannst. Die Stimme erhebend. Und die verfluchten Schinder und Henker wollt ihr ansehn als Oberkeit? Meint, unser lieber Herrgott wär's, der sie eingesetzt zu Gewalt über euch? Unser Herrgott, der da ist das Erbarmen, sodaß er geschickt hat sein eigen Kind für euch zu sterben viel schmerzhaften Tod am Kreuz? Der soll sie begabt haben mit Gewalt über euch, – die Hetz hunde da, die Tiger da? Eia, Brüder, wißt ihr das nit, wer ihnen die Macht gibt? Gott nicht, der Herr Jesus nicht, aber der Höllenfürst! Und hat seine abertausend Trabanten wohl selber in die Seelen geschickt! Die laufen herum zwischen euch, sehen aus wie ihr, laufen über euch, sehen aus wie Herren – sehn wie gottverfluchte römische Juristen aus, die euch prellen um euer gutes Recht, sehn aus wie Pfaffen, die euch schröpfen mit Trug, als gehört sie nit euch, die liebe Gotteserd, darüber der Herr die Sonne läßt scheinen und den Regen fallen und die Ernten aufgehn wem, wenn nit euch? Wem, wenn nit, wer sie beackert hat? Wem, wenn nit euch, die ihr freie Bauern gewesen seid's von Alters und freie Bauern noch heute seid's vor Gott! Herrgott ja, nur noch vor Gott!

EIN BAUER.

Prädikant, so hat mein Bruder zu Waldburg zu einem Mönche gesagt, haben sie ihn in den Turm geschmissen – war ein schöner Knab, ein brav Herz – und dann haben sie ihn befragt und gereckt und ersäuft haben's ihn.

PRÄDIKANT.

Soll der himmlische Zorn sie selber ersäufen und ihre Jungen! Schaut um – eh noch war Schnee im Land, heute treibt's! O du herzige Ostersonne, die du's meinst, daß die Knösplein aufbrechen, weck Alles auf! »'s ist eine Lust zu leben«, hat's der umsonsten gesagt? Gibt's denn der Hutten im Lande nit mehr? Sein Macht und Reich zerbrochen ist in Roma schon dem Antichrist, wenn er auch noch sitzt auf dem Ablaßkasten ...

PLÖTZLICHER RUF.
Bundschuh! Bundschuh!
[61]
PRÄDIKANT.
Und wär's mit dem Bundschuh ...
RUF.
Der Wächter!
EIN BAUER.

Ruhe da jetzt! Kommen Bischöfliche, fünf Reuter, vom großen Rotdorn aus drunten über der Mühl – hat einer davon einen Bauern am Roßschweif.

EIN ANDERER.
Weg mit dir, Prädikant! Weg, weg!
WIEDER EINER.
Schnell mit dem da, bei dem ins Heu! Darf um Gottshimmelswillen noch nichts auskommen.

Alles zerstreut sich schnell bis auf wenige. Drei Reiter.
ERSTER REITER
zum Wirt.

Bier her! Wein her! Schinken her! Eier her! Potz Donner, tummle dich, Hund, haben die Kehle bis zum Magen runter voll Staub. Wird's? Stößt ihn, alle setzen sich um den Tisch.

ZWEITER REITER.
Daß deine Lausbuben auf die Rösser passen!
DRITTER REITER.
Brüder, ich mein, das gefangene Mistvieh müßten wir hier han, sie geben ihm sonst zu fressen.
ZWEITER REITER.
Sollten ihn lieber laufen lassen ...
NOCH ZWEI REITER
einen Bauern vor sich stoßend.
VIERTER.

Da habt's ihn. Bindet einen Strick, den der Bauer um den Hals hat, an den eingerammelten Bauerntisch, stößt den Bauern. Schau zu, Hund, wie's schmeckt! Wann hast zum letzten Mal gepamst und gesoffen?

BAUER
demütig.
Ehgestern zu Vesper, Euer Edelgeboren.
[62]
ERSTER REITER
lachend.

Hätt'st heut morgen so manierlich scharwenzt, hättst nit hinterm Roßschweif herlaufen müssen! Zum Wirt. Sind jetzt wie die Bremsen, überall summt's, muß man die vordringlichsten wegfangen. Zum Bauern. Jetzt schau zu, was wir kriegen und was du kriegst! Wird dir dann leicht klarer, ob's schon einerlei ist, Reitersmann und Roßmuck, daß du den Deckel darfst auf den Läusen behalten.

ZWEITER REITER
leiser zu den andern.

Hat mir aber sonsten der Ritt nit gefallen. Zu viel Gesindel auf allen Straßen. Haben sie immer noch nit genug zum schaffen, daß sie rumlaufen?

VIERTER REITER.

Stand da oben einer an der Brücke, grüßte, wie's gehört, sah bescheiden drein. Als wir vorbei sind, dreh ich mich um, ballt er die Faust und husch in Busch.

DRITTER REITER.

War so was Großes, daß du's noch mal erzählen mußt! Machen sie Männchen, sind's doch nur Hasen, schmeißt sie ein Stein zusamm.

ZWEITER REITER.
Warst nit mit im Schwäbischen drunten, hast sie nit bei Bohrdorf gesehn!
ERSTER REITER
zum Bauern.
Spitz nit die Ohren, Esel, waren da immer noch andre Kerle, denn du!
ZWEITER REITER
gedämpft zum ersten.

Mir gefallt's aber auch nimmer so. Wär für den Spaß mit dem da eh nit gewesen ohne den Wein im Kopf! Heimtückisch Volk! Und viel!

DRITTER REITER.
»Gegen einen gewappneten Mann kommen nit hundert Bauern an« ...
[63]
ZWEITER REITER.

Fällst noch in dein eigen Großmaul. Aufruhrgeist überall im Land. Trau auch den Städten nit! Nicht mal den Fürsten! Mag der Luther jetzt Wasser spritzen, das Feuer, damit er die Bullen verbrannt hat, greift um.

DER GEFANGENE BAUER
demütigst.
Wenn ich dürft bitten, ein Brot! Hab seit gestern zum Vesper nichts gessen.
DRITTER REITER
ihn anschreiend.
Darfst nit bitten! Beißt's dich in den Bauch, beiß'n wieder.
DER BAUER
wie vorhin.
Wenn ich dann schon ein Trünklein Wasser hätt ...
DRITTER REITER
wie vorhin.
Beiß dich in die Pfote, sauf's Blut!
ERSTER REITER.

Hast das vom Schlupftal drüben gehört, Matz? Wie sich der Bauernrüssel gerächt hat? Treibst du's scharf, besser gleich ausmachen. Nimmst ihn halt mit, unterwegs gibt's Bäume. Aber jetzt auf! Glaub's nit, daß wir nach Tager drei hier noch so sitzen könnten. Mir wird die Bank schon hint heiß. Schleunt euch, daß wir noch vor Nacht heim sind.


Die Reiter haben kaum die Bühne verlassen, als ein halbwüchsiges Mädel aus dem Versteck vorbricht.
DAS MÄDEL.
Der da, der war's!
WIRT.
Der mit dem Fuchsschwanz auf dem Kopf?
DAS MÄDEL.
Der rote!
WIRT.

Ist eingekerbt und wird bezahlt! Weg mit dir!Stößt sie weg. Aus den Verstecken füllt sich der Raum rasch wieder. Es wird wie vor dem Reiterbesuch.

Vorhang.
2. Szene
[64] Zweiter Aufzug
Predigt in der Hochschulkirche. Auf der Kanzel der Domherr aus dem zweiten Akt. Unten alles mit Studenten, Professoren und sonst Leuten der Hochschule gefüllt, vor allem mit »Domschülern«.

DOMHERR.
Wär' das nicht unsrer lieben Hochschul Kirche,
Nicht dürft' ich sprechen, wie der Vater darf
Inter familiam: ja, gesündigt ward,
Geirrt ward und gesündigt auch von uns.
Wir bergen's zwar mit Schämen vor der Welt,
Dem Vogel gleich, der nicht sein Nest beschmutzt.
Indes, so ist's, Geliebte: manches Recht
Auf Zehnt und Gülden unsrer heilgen Kirche
Steht nit ganz fest auf altgewachsnem Stein,
Und mag schon sein, daß im rein Geistlichen,
Ich mein, in Glaubenssachen, das und dies
Sich anders angesehn auch anders zeigt.
Doch sei der Mensch den Obern untertan!
Das sagt die Bibel. Wohl denn: Unsre Obern,
Die mögen sehn, daß einst sie beim Gericht
Gerecht befunden – Dank dir, gütger Gott,
Daß solcher schweren Sorg du uns enthobst:
Wir Untertanen folgen. Aber wie,
Folgen wir wirklich? Aufruhr zischelt rings,
Der Bundschuh spukt aufs neu, die Büberei,
Verruchte Bauern heben gar die Hand,
Und nach der Hand, nach eben dieser Hand,
Was tastet nach ihr? Glaubensaufruhrgeist!
Wie sie nach ihm: gib du mir nur die Waffen
Vom Bibelarsenal für meine Faust,
Lehr mich zu lügen, daß der Papst, der Bischof,
Der Kaiser und der Fürst von dieser Welt,
Dann sind wir gleich und gleich, und sie sind wenige
Und wir sind viel! Hei, Herrlichkeit der Welt,
Dann mästet sich mit Klostergut der Bauer
Am gleichen Tische mit dem Ketzer. Was?
Das Jenseit? Pah: das Diesseit hoch! Ach, Freunde,
[65] Der Satanas war mitten auch bei uns!
Ihr blickt so traurig, Freunde, ich versteh's:
Ihr denkt an den vom Bischof eingezognen
Professor, an den einst verehrten Mann,
Geliebten Mann, und fragt: wie sollt' auch er?
O Gott, es ist so – man verhaftet' ihn,
Mußt ihn verhaften, ach, ich weiß Bescheid:
Dem Teufel selber stand der Mann im Bund!

Unruhe. Aus dem Hintergrunde die StimmeFausts.

Das stand er nicht.

Wachsen der Bewegung.
DOMHERR.
Durch kecken Zuruf wird
Die Predigt, wird der Gottesdienst gestört?
FAUST.
Gott ist die Wahrheit, und du logest, Pfaff:
Der Wahrheit dient, den ihr in Ketten schlugt.
DOMHERR.
Wähnst du, von der geweihten Kanzel hier
Im heilgen Kirchenraume disputiert' ich?
Ergreift den Frevler!
FAUST.
Ja, so wart ihr stets!
Die Kirchen hat der Geist sich aufgebaut,
Nun steckt ihr drin wie der Schmarotzerkrebs
Im Schneckenhaus und schreit: mich schützt der Geist.
DOMHERR
noch lauter.
Ergreift den Frevler!

Diener wollen an ihn.
EIN STUDENT.
Ihr berührt ihn nicht!
FAUST.
Nicht durch mein Stören frevl ich, doch ich bin,
Ich bin ein Frevler – und ihr traut mir doch?
[66]
EIN STUDENT.
Wir kennen den Professor, und du bist
Sein Freund!
FAUST.
Weg, ich will frei sein.

Einige Studenten stellen sich um ihn, Faust drängt mit ihnen in den Vordergrund.

Einstens wart
Ihr's nicht, da lebtet ihr in Engen,
Beäugtet euch, beäugtet scheu die Welt,
Und wie der Schulbub mit den Federn sticht,
Ob er was trifft, so stacht ihr in den Büchern
Neugierig mit dem Tasteblick herum,
Ob er was aufstäch, das euch nützen könnte:
Ein Kenntnischen, wohl ein Gedankchen gar,
Das um drei Batzen sich verwerten ließ.
Gelt, war's nicht so?
STUDENT.
Einst, Faust, doch jetzt nicht mehr ...
FAUST.
Nein, nicht mehr, seit ihr zum Professor kamt.
STUDENT.
Der gab den Drang uns zum Zusammenfinden,
Zum Eins in Alles Weben, Faust, der gab
Uns Leben.
FAUST.
Ja, den Samen warf er hin
Als nächsten euch – und schläft der Same noch?
Spürt ihr es nicht: der Frühlingsboden rings,
Im Quellgerinnsel flüstert er und wirbt:
Ihr tragt die Keime, und er weckt sie auf.
STUDENT.
Faust, wir verstehn Euch!
FAUST.
Jünglinge, es ruft
Die Zeit zum Wachen, und das heißt zur Tat.

[67] Der Domherr hat mit einer Gebärde der empörten Verwahrung die Kanzel verlassen, Faust hat sie erstiegen, die Domschüler umdrängen ihn.

Ihr schlanken, strebenden, ihr hebenden Pfeiler,
Ein halb Jahrtausend lang steigt aus den Grüften
Der Ahnen Sehnen schon durch euch empor,
Doch eure goldnen Adern biegen sich
Erlahmend um im blauenden Gewölb.
Noch ist nicht Himmel droben, Farbe ist's,
Auf Stein getüncht – du Kirche auch, du teure,
Bist Leben nur, das noch im Keime schläft.
Ruf' ihrer Kraft, du freies Himmelslicht!
Und nähr' sie hoch, du quellenreiche Zeit!
Daß über den zehntausend Kirchen auf
Die eine wächst, die alle Lande schützt
Mit dem Gewölb, an dem die Sonne geht!

Studenten öffnen das Portal. Lichtstrahl auf die Knieenden. Rufe.

Wir schwören, Faust, wir schwören bis zum Tod.
FAUST.
Ein jeder Schwur geht bis zum Tod. Wir schwören.
Eng und verängstet haben vor den Büchern
Wir all gehockt, ein jeder einzeln, jetzt
Hat die Gefährdung unsres Besten, hat
Die Liebe uns den Weg zur Tat gezeigt.
Und brächen wir des Bischofs Trutzburg nicht,
Wir wenigen, die vielen brechen sie.
So zieht hinaus, eh euch die Schergen fangen,
Ein jeder Sucher, jeder Werber, jeder
Ein Funke Feuer, streut euch übers Land!
Der Vorhang fällt schnell.
3. Szene
[68] Dritter Aufzug
Freundliches Landschulstübchen, Blumen und Vogelbauer vor den gereihten Fenstern, durch die man ein Dorf mit Kirche sieht, an den Wänden Bilder und Büchergestell. Der Schulmeister hat eben seine Buben und Mädel unterrichtet, als der Ritter und Faust eintreten. Alle stehn auf.

SCHULMEISTER
zu den Eintretenden.

Wir sind eh fertig. Zu den Kindern. Diesmal hat jedes von euch mindestens zwei Pfund Gescheitheit zu Kropf gebracht. Wißt was? Steckt Erdbeeren dazu, verdaut sich leichter!

EIN MÄDEL
in die Hände klatschend.
Von dem Beet am Brunnen?
EIN BUB.
Bitt schön, bitt schön, von dem bei der silbernen Glaskugel!
SCHULMEISTER.

Weil's heut ist: von allen Beeten, von allen, so groß der Garten ist, und daß ihr mir aufpaßt Streng tuend. keine einzige Beer darf draußen drauf bleiben. Jubel, die Kinder hinaus.

DER RITTER.

Wenn das Geheimtun noch vonnöten wär, zwischen Eurem Kindervolk suchte uns keiner. Sind alle nur auf Wirtshäuser aus.

FAUST.
Hat's doch Wirte genug unter den Führern, einer davon gefällt mir schlecht.
RITTER.
Mir auch. Aber der hat seine Leut, und seine Leut brauchen wir.

Beide gehn miteinander auf und ab. Der Ritter bleibt vor den Töpfen am Fenster stehn.

Schulmeister, wie du deine Blumen lieb hast! Meinst dir wohl bei jedem Pflänzel was?
[69]
SCHULMEISTER
lächelnd.

Ihr denkt's, er wird bei jedem vermeinen, das sei ein Bub, der nun verzogen ist, und pflegt er's Nelklein, geht's dem Buben gut.

RITTER.

Träf ich's nit? Und bei Meis' und Rothkehlchen meint er: singen die ihm hell, singt draußen irgendwo ein Dirnel, das eh hier mitgesungen hat. Ich kenn Euch doch!

SCHULMEISTER.

Hat jeder seine Blumentöpf Aberglauben in Zucht, und schlägt vom Dutzend nur einer gut an, hält er auf alle was.

RITTER.
Prophezeien deine auch übern Bauernkampf?
SCHULMEISTER.

Ah nein, nur vom Frieden. Wie die Welt ein Paradeisgarten schon hier drunten wird, wenn erst die Leut Korn statt Bilsenkraut, und Pflüge statt Schwerter anbaun ...

RITTER.
Und all deine Buben und Mädel statt Menschenmucken im Kopf Engelsflügle am Rücken haben.
SCHULMEISTER.

Grad jetzt in der Notzeit treiben die. Die Knöpfeln könnt ihr schon an manchem Schulterblatt sehn, wo's spitzig wird.


Kleine Pause.
RITTER.
Schulmeister, warst du nicht einmal Priester?
SCHULMEISTER.

Geschworen und geweiht. Aber die Liebe kam. Konnt' sie nit zwingen. Was tun? Gelübd' brechen? Nein! Meß lesen mit einem Lockenkopf innen im Aug vor dem Sterbenden da am Kreuz? Ging auch nit. Sie, ja, die zog in weitfernes Land. So wurden wir zwei, meine heimliche Lieb und ich miteinander, was ich bin.


Kleine Pause.
[70]
FAUST
ans Fenster.
Immer noch nichts zu sehn!
RITTER.

Ja, kriegsmännische Zuverlässigkeit ist auch was Guts. Davon wissen nur meine Altgedienten was. Jetzt gilt's aber nehmen, wer hilft. Die Bauern haben sich nicht selber gemacht, und wenn sie kindisch sind, und wenn sie hündisch sind, ist's unsere Schuld auch mit.

FAUST.
Ihr habt Schweres auf Euch genommen, Ritter.
RITTER.
Man nimmt's nicht, 's wird einem aufgelegt.
FAUST.
Tatet's doch aus freiem Willen.
RITTER.
Nein. Wenn ihr mit eurem Volke fühlt und gegen euern Stand, müßt ihr, oder in euch zerbricht was.
FAUST.
Frau und Kind, Brüder, Freunde!
RITTER.

Die seh ich nit, hör ich nit, spür ich nit. Höre nur ganz im Fernen das Kindeskind, das sagt: der Ahn tat recht.

FAUST.
Den Enkel hört Ihr?
RITTER.

Den Urahnen auch, den Besten von uns, auch ganz im Fernen, aber auch ganz klar. Immer das Herz auch dahinten und immer das Herz auch voraus, und immer dabei doch eins – mich dünkt, das ist Adel.

FAUST.
So stolz, und liebt doch dies Volk?
[71]
RITTER
lachend.
Liebt Ihr Eure jungen Geschwister nit, ob sie auch Dummheiten machen?
FAUST.
Meine jungen Geschwister? ...
SCHULMEISTER.
Lug' eins! Jetzt kommen sie über den Pfad links her; und ich hab immer falsch ausgeschaut.
RITTER
zu Faust, der hinaus will.
Besser nit vor die Tür! Sind eh schon da.

Die Führer, sehr erregt, Kehrbach angetrunken.
KEHRBACH.
Ei so, ihr Drei, ihr guckt schon sauer drein –
Kein Grund, beim Eid! Wir kommen spät zum Tisch,
Doch setzen wir 'nen Knödelteller drauf,
Der wird euch schmecken: Grünburg ist bei uns.
RITTER.
So schlossen Sie sich an?
KEHRBACH.
Sie selber sich?
Drei Boten ritten mit der Fahne vor,
Der Herold blies, und überm Tor stelzt' auf
Der Burgherr. Wir drehn unser Sprüchel hin,
Wir kennen's ja, auch das Gelächter drauf
»Holt's euch's, Roßmucken!« Da ...
BEHNDORF.
Ja, Hauptmann, s' ist ein neuer Mann bei uns ...
Mit Narrenspossen, doch der Kopf voll Grips,
Ein toller Kerl, sie heißen ihn den Deix.
Denkt: wie nun unsre Reiter wenden, taucht
Der Deix schon droben auf der Mauer auf,
Brüllt: »Her, sie übergeben!« Wir gehn dran –
Die Brücke, holterpolter, rasselt nied,
[72] Erschlagen plauzt der Burgherr klirrklapp hin,
Und eh sich einer recht versehn hat, wie,
Ist alles gar.
KLEINMAIER.
Ja, Gott weiß, wie's geschehn!

Lebhafte Gespräche unter sich, der Ritter-Hauptmann tritt vor.
RITTER.
Ich bitt euch, nehmt nun Platz! Ich spreche nicht nur
Für mich, nein, als Vertrauensmann des Rats,
Und so läßt der euch künden, hört drum gut:
Die zwölf Artikel sind uns A und O,
Und unsre Einheit sind sie, unsre Kraft,
Sie sind gerecht, da ist nicht Baur, noch Bürger,
Noch Pfaff, noch Ritter oder Fürst, der nicht
Zugeben müßte, wenn er ehrlich spricht:
Sie sind gerecht. Und darum müssen sie
Anziehn zu sich, was in der Welt gerecht,
Und diese Welt ist ja von Gott gemacht.
Drum spricht der Volksrat: meidet, wo ihr könnt,
Blut, Brand, Gewalt. Zu Bürger, Ritter, Pfaff
Hintretend sprecht: wenn meist wir Bauern sind,
Wolln wir doch nit bloß für die Bauern sein,
Haltet zu uns, so treten wir zusammen
Vor Kaisers Majestät und sagen: Herr,
Das ganze Volk als Eines spricht zu Dir,
Richt mit uns neu ihm Glück und Größe auf!
Er ist ja auf dem Reichstag in der Näh,
Die Schranke hält kein Schranze, kommt das Volk.
KEHRBACH.
Und wo sie sich nicht fügen, wo sie höhnen,
Gelt, solln wir betteln: seid so gut, wo nicht,
So ziehn wir eben ab?
RITTER.
Nein, denkt der Rat, wo's sein muß, braucht Gewalt!
Des Rechtes Grundsatz, der ist sonnenklar,
Wer Fall auf Fall nicht untersuchen mag
[73] Mit Ehrlichen aus anderm Stand, wer meint,
Ein Göttlein sei er, das halt kommandiert –
Weg mit dem Göttlein aus der Macht! Das solln
Sie wissen. Auch der Kaiser soll's.
KEHRBACH
macht eine ungeduldige Bewegung, Faust will sprechen, der Ritter legt jedem von ihnen eine Hand zurückhaltend auf den Arm.
RITTER.
Jetzt handelt sich's um Grafenstein, die stärkste,
Die Burg der Burgen birgt den schlimmsten Feind,
Den mächtigsten, den unversöhnlichsten,
Ich kenn den Mann, auf den jetzt alle schaun:
Sein Will ist Eisen, sein Gedanke Trotz.
Ein Bund mit uns?

Gebärde.

Und übergeben? Nie!
Also gilt Kampf. Wer stürmt den Grafenstein?
KEHRBACH
höhnisch zu ihm.
Ei du!
RITTER
sich beherrschend.
Du weißt, ich darf nicht dran:
Der Rat hat anders über mich bestimmt,
Ich soll gen Feldstein und gen Seeberg hin,
Die Städt für uns gewinnen.
KEHRBACH.
Dann der Deix!
RITTER.
Noch ist die Fahne mit dem Bundschuh rein ...
KEHRBACH.
Ihr kennt den Deix ja nicht.
RITTER.
Ich kenn ihn nicht.
FAUST.
Nehmt die Studenten, die den heiligen Mut
In Bischofsburg mit ihrem Blut bezeugt ...
[74]
KEHRBACH.
Und die man schlug bei ihrem ersten Putsch?
FAUST.
Mann, fünffach war die Übermacht, sie wagten's
Trotzdem, um ihren Meister zu befrein ...
KLEINMAIER.
Privatsach! Was geht uns ihr Meister an?
KEHRBACH.
Ein Narr, wer mit dem Kopf rennt gegen Stein!
FAUST.
Wer zwang das Mögliche, der nicht zunächst
Unmögliches versucht?
RITTER.
Doktor, die hundert
Aus unkriegskundger Jugend zwängen's nicht.
KEHRBACH.
So nehmt den Deix.
RITTER.
Es ist noch einer da,
Bachmüller mit den Seinen.
KLEINMAIER.
Nein, der fiel.
KEHRBACH.
Den Deix – und jedem doppelt sich die Kraft!
RITTER.
So stimmt denn ab!

Alle Führer außer dem Ritter, Faust und dem Schulmeister heben die Hand.
RITTER.
Die Mehrheit für den Deix!
Zur Arbeit also!

[75] Die später Gekommenen erheben sich und gehn hinaus. Der Ritter, Faust und der Schulmeister bleiben noch. Der Schulmeister geht zu seinen Bildern, nimmt eins herab und gibt es dem Ritter.
SCHULMEISTER.
Nimm's, »Ritter, Tod und Teufel«. Hat ein Nürnberger gemacht, was für dich!

Zu Faust.

Er hat auch noch eine Melancholie gemacht, die hab ich nicht, hätte ehdem für Euch gepaßt, jetzt, hoff ich, nit mehr. Aber das da ist auch von ihm, das nehm ich mit: den heiligen Hieronymus im Gehäus. Den leg ich mir unter's Wams, da hab ich die Heimat bei mir.


Zu den Töpfen, die er noch einmal durchsieht.

Euch pflanz ich noch aus, daß ihr Regen und Sonnenschein habt, wie's Gott gefällt.

Nimmt einen Vogelbauer nach dem andern und öffnet sie durchs Fenster.

Da fliegt! Pfeift sich doch wohl besser im Freien. Fliegt weit! Fliegt hoch! Durchs Fenster zu den Kindern draußen. Und ihr geht heim, Kinder, brav graden Weg, heut ist's besser, und grüßt mir all eure Leut recht schön, und wenn wieder Schule sein kann, sag ich's an. Ade! Ade! Sie kommen zu ihm und geben ihm von draußen die Hand. Ade!Kleine Pause, er sieht ihnen nach, dann zu Faust und dem Ritter. Nun gehör ich zu euren Leuten. Nehmt mich mit. Nütz ich Alter nit viel, werd ich nit schaden.

Vorhang.
4. Szene
Vierter Aufzug
Nacht. Im Burghof von Grafenstein. Die siegreichen Bauern treiben mit Stößen gebundene Leute über den Hof, Männer, Weiber, Kinder, viele mit Spottzeichen, alles roh und gemein. Schreie, Kreischen, huschende Beleuchtung von Brandstellen her. [76] Beherrschend und mit zwei Fackeln umgeben. Deix-Mephisto, zu dem alles kommt, was eine Weisung haben will. Ein Haufen kommt eben unter sich streitend her.

EINER DARAUS, MATTHES.

Das nit, Deix! Sie haben sich vollgesoffen aus dem Keller – war heiße Arbeit vorher, mag hingehn! Aber das kannst nit durchlassen, daß sie so stehlen und unsinnig all's kreuz und klein schlagen, was s'nit mögen! Sind kein Raubgesindel wir, ist hier christliches Heer!Die Mehrzahl gegen ihn, aber seinen Part hält ein andrer, Franz. Und das geht erst recht nit, daß sie's mit den Mägden treiben wie Schandbuben und mit den Männern wie Mörderpack! Hab ihrer drei bei 'nem zehnjährigen Dirndl erwischt. Mach Ordnung, Deix, hier ist christlich Heer! Die Mehrzahl auch gegen ihn, man versteht nur: »Der Deix hat aber gesagt, sollt' ein lustiger Tag sein«. Die beiden dawider. Red, Deix – der Schwarze und der große Feldrat, die wollten's nit so.

MEPHISTOPHELES
der bisher mit ironisch bedauernder Gebärde geschwiegen hat.

Audiatur et alters pars, sagt der Magister, frag auch das Roß, wenn's ausschlägt, warum. Ist euch die Sanftmut ausgangen, lieben Leut? Haben euch die Pfaffen noch nit genug eintrichtert gehabt und die Doktores römisch ins Recht geschraubt und die Junker auf eure Rücken gebläut?

IM HAUFEN.
Da hörst's, Franz, der Deix ist der rechte. Spann die Ohren, Matz!
MATTHES.
Willst du etwa gegen den Hauptmann, Deix?
MEPHISTOPHELES.

Gegen den geehrten Herrn Ritter Lüpft ironisch die Mütze, wie hätt ich vor so vornehmem Herrn keinen Respekt – aber leider, der speisen wohl grad mit den Hochmögenden in Protzenburg, wenn sie nit schon beim Ratswein sind. Ihr müßt's entscheiden, ihr seid hier! Daß ich mir was herausnähm gegen die Mehrheit, ich füg mich. Beim Weib ist die Sanftmut, fragt die Zarten, die Frauen, da ist ja eine.

[77]
DIE HOFMÄNNIN.
Weiber seid's alle miteinander ihr, der Mann bin ich. Plagen mich die Mäus, vergift ich sie.
MEPHISTOPHELES.
Aber, Hofmännin, die heilige Moral!
HOFMÄNNIN.
Als ich jung und verliebt war, hat wer danach gefragt beim Ersten-Nacht-Recht?
MEPHISTOPHELES.
Aber, Hofmännin, das Interesse der heiligen deutschen Nation!
HOFMÄNNIN.
Kenn' keine zehn Meilen rings.
MEPHISTOPHELES.

Sollt's etwa ein Schwindel sein, daß neue Herren die alten wegdrängen wollen und auch in Zukunft kujonieren wie die? Sind zwar nur lauter Bauern im obersten Rat. ...

RUFE.
Sind's nit! Sind's nit! Sitzen Pfaffen und Schreiber, sitzen gar Edelleut drin!
MEPHISTOPHELES.
Hatt ich doch beinah vergessen! Aber gute, gelt?
HOFMÄNNIN.
Wolf bleibt Wolf.
MEPHISTOPHELES.
Und Schaf, was sich scheren läßt, meinst?

Ein Trupp bringt aus der Schloßkapelle Schnitzereien angeschleppt. Sein Führer.

Deix, sie haben Gott zum bemalten Männlein gemacht ...
MEPHISTOPHELES.
Hat so viele ins Fegfeuer gesteckt, laß sehn, ob er selber 's Brennen verträgt – gelt?
[78]
EIN ZWEITER.
Hockt zwischen der heiligen Marie und Ann wie der Türk im Harem. Liebe macht eh heiß, helft nach!
EIN DRITTER.

Da, eine Gottesmutter dazu in blauem Mantel mit Goldlätzlein und Edelstein-Klunkern, wie die Frau Bürgermeistrin beim Tanz ...

MEPHISTOPHELES.
Aber ihr Bub muß frieren, ist ja nackt, der Aff – macht's ihm warm!

Halloh. Sie bringen den zitternden Pfaffen.
EINER.

Greif ich untern Altar, find ich das! Stoß ich's auf den Spund, grunzt's: »Gnade, Gnade!« Warum versteckst dich, Luderpfaff, wenn du gutes Gewissen hast?

HOFMÄNNIN
herantretend, ihn beäugend und betastend, immer leidenschaftlicher, immer grausiger.

He, die Klobennas, Hochwürden, kennt ich die nit? Bockmaul du, hätt ich dich noch nit blecken gesehn? Warst nit in Untersbach ehdem? Warst nit in der Kindslehre, gell? Bei meinem Kind, gell? Und wie ich dich sprechen wollt, weißt schon warum – plötzlich weg? Zu seinen SchutzheiligenAusbrechend in unbezähmte Wut. ins Feuer mit ihm!


Unter Lärmen und Gejohl ergreifen sie den heulenden und schreienden Pfaffen, da drängt mit »Halt, halt!« durch die Menge Faust herein. Mit höchstem Staunen erkennt er in Deix Mephistopheles.

Du hier, verfluchter Geist!
MEPHISTOPHELES
ganz gelassen.
Der hält mich für 'nen Geist. Schaut, wieder einer,
Der umgeschnappt. Kalt Wasser auf den Kopf!
FAUST
sich allmählich fassend.
Ja, so bist du!

Zu den Andern.

Der Teufel spricht mit euch!
[79]
MEPHISTOPHELES
gelassen.
Was Euereins nicht paßt, das nennt Ihr Teufel,
Wer bist du, Schwarzrock?
KEHRBACH.
Ei, den kennt Ihr nicht?
Der Führer der Studenten ...
MEPHISTOPHELES.
Die beim Stein
Die Denkerstirnen am Verließ zerklopften,
Drin der Professor spinnt? War das ihr Hammel,
So paßt er zu den Schafen.
FAUST.
Ach, hätt ich noch die Reinheit, daß dich nieder
Ein lautres Feuer meiner Zunge brennt!
Ich war dein Paktgenoß ...
EINER.
Großkopfeter,
Zieh ab!
FAUST.
Wollt ihr auf mich nicht hören, Männer, hört
Auf euren Führer, der der heiligen Sache
Jetzt in den Städten werbend dient. Er sendet
Mich her, der Schwarze Ritter bittet euch –
Nein, er beschwört euch: an das Ganze denkt,
Mit dem der Teil zugrund geht oder siegt!
Der Bau'r aus allen Gaun, aus allen Städten
Der Bürger – das ist Volk und das nur siegt.
Höhnt mich, hört meine Gründe nicht, allein
Das seht ihr doch: wenn Mißtat hier geschieht,
So stutzt der Schwankende und zuckt zurück.
MEPHISTOPHELES.
Großkopfeter, guckt: unser kleines Hirn,
Für Euer »Ganzes« ist kein Platz mehr drin,
Für Euer »Volk« – 's ist eh schon vollgepfropft.
Mit was? Mit Erbgut, das der Pfaff ergaunert,
[80] Drauf jetzt der Vogt sitzt, hier

Auf die Stirn zeigend.

gehört's uns noch,
Ist auch bewohnt da. He, womit? Mit Weibern,
Die sie geschändet, Männern, die gepeitscht,
Mit Kindern, die verhungert sind – Ei, Doktor,
Das preßt sich 'was in unserm kleinen Kopf,
Quietscht und rumort .. bleibt halt kein Platz fürs »Volk«.
Und was rumort's? Was schreit es? Eins nur: Rache.
HOFMÄNNIN
kreischend.
In's Feuer den Pfaffen!

Tumult. Sie stürzen über den Pfaffen her und binden ihn. Die Hofmännin, während sie immer gierig auf ihn hinstiert.

In's Feuer mit ihm! Und röstet ihn schön braun,
Spart aber's Fett ...

Sie zieht ihr Messer und wetzt es an den Schuhen.

Die Messer raus, Gesellen!
In seinen Wanst, und schmiert damit die Schuh!

Während sie den Pfaffen fortschleppen, dringt Faust auf sie ein. Mephisto stellt sich höhnend dazwischen.
MEPHISTOPHELES.
Volkswille – Gotteswille, guter Mann!
FAUST.
Denk an den Pakt, Verfluchter! Ich befehl's!
MEPHISTOPHELES
horcht auf, dann leise zu Faust.
Jaso, dir gilt er wiederum, der Pakt?

Zu dem Haufen.

Ich weiß euch Feinres: schafft zum Seilwerk den
Und spindelt ihm die Därme auf und macht draus
Wurst für die Säu!

Viehisches Gelächter, der Haufe mit dem Pfaffen ab. Zu Faust.

Zum Seilwerk geht's am Keller hin, sie plündern
Die Fässer und besaufen sich, der Pfaff
Entwischt. Ich nehm's auf den Vertrag!

Faust wendet sich geekelt weg.

[81] Ihr seid
Mir böse, weil wir uns beim Spiel verzankt.
Wir sind doch Compagnons, ich hab ein Recht,
Dabei zu sein. Als Partner durft ich nicht,
So spielt ich auf der Gegenseite mit.
Ganz unterhaltsam war's, einträglich auch.
Doch bleib ich brav beim Pakt.
FAUST.
Ich glaub dir, weil
Du mußt. – Was grinsest du?
MEPHISTOPHELES.
Ich freu mich, Doktor,
Daß wir einmal von einerlei Geschmack.
Für die Ihr Euch ins Zeug da legt, die Leutchen,
Die mag ich auch.
FAUST.
Bild dir nichts ein auf sie,
Du hast sie nicht, die Menschen haben sie
Verteufelt, die Verteufler haß ich drum,
Die Opfer will ich retten.
MEPHISTOPHELES.
Ei der Daus –
Die da?
FAUST.
Glaubst du, man schleppt den Freund
Mir auf den Stoß, und ich bleib, der ich war?
Glaubst du, der Jammer um mich tausendfach
Knickt nieder vor dem Ich-Altar von einst?
Zu helfen hab' ich.
MEPHISTOPHELES.
Ei, da wird was draus!
FAUST.
Und wenn dein Spott mit schärfstem Stachel träfe,
Nur ritzen würd' er, wo mein eigner längst
Zerfleischend schnitt. Wohin ich komme, komm ich
Zu spät, und wo ich greife, greif ich leer.
Und grade darum brauch ich dich. Der Kaiser,
[82] Hört er das Volk nur, hilft er seiner Not,
Doch keiner kommt ihm nah, der's kennt und liebt.
Schaff mich noch heut zum Reichstag, durch die Schreiber
Brichst du zum Kanzler mir und durch die Schranzen
Zum Kaiser Bahn, daß ich ihn sprechen kann.
MEPHISTOPHELES.
Ihr wollt ihn sprechen? Seine Majestät
Sind in dem Alter, da das Gockelchen
Das Krähn erlernt, doch sind sie trotzdem noch
Weich wie ein federloser Spatz im Nest,
Drum packt man sie in Zeremonienröcke.
Die sind mit großen Ohren stolz bestickt,
Allein was drauffliegt, sticht der Schreiber auf
Und kehrt der Schranz mit Puderbürsten weg –
Mann, leichter brecht Ihr durch granitnen Fels,
Als wie durch Schranz und Schreiber. Doch ich zwing's.

Mit falschem Ausdruck.

Erlaubt mir's nur – mit Wonne dien ich Euch!
Vorhang.

4. Akt

[83] Vierte Handlung

Festsaal einer Reichsstadt, in welche der Kaiser zum Reichstag gekommen ist. Vor der Audienz. Prälat, Hauptmann, Schatzmeister warten mit dem Hofmarschall zusammen. Durch offene Fenster sieht man in geschmückte Straßen. Lärm vom fröhlichen Treiben draußen.

PRÄLAT.
Die Majestät befahl uns zur Audienz
Jeden 'ne halbe Stunde nach dem Andern,
Doch ihr beliebte, scheint's, uns aufzureihn
Zu einer Perlenkette ... Hofmarschall,
Wann kommt der Kaiser?
HOFMARSCHALL.
Seine Majestät
Sind jung –
PRÄLAT.
So schaun wir uns die Bilder an!

Umhergehend.

Adam und Eva vor dem Sündenfall –
Je nun, ihr Paradies kennt Wurst und Kloß,
Und dort der Noah ist von Bier berauscht.
Doch die Madonna, brav, der die gemalt,
Hat sich in Mailands Kirchen umgesehn –
Die Südkunst kommt herüber wie der Föhn.
HOFMARSCHALL.
Und mischt sich mit dem Nord.
PRÄLAT.
Das loben wir!
Blieb stets verschieden, was verschieden ist,
Wann ließ' mit einem Wort sich jeder lenken,
Wann reifte so die Welt zum Gottesstaat
Mit einer Herde einem Hirten zu?
[84]
HOFMARSCHALL.
Daß wir vom Süden nehmen, lob ich auch,
Was nimmt der Süd vom Norden?
PRÄLAT.
Aber Freund:
Der drängt mit seinem Ernst und ruft dadurch
Den Süden wach. Der Mönch in Wittenberg –
Drei Kreuze schlag ich! – Aber seht Ihr nicht,
Wie in der Kirche allzu munterm Bunt
Das Schwarz sich kräftigt? Das verdankt sie ihm –
Zerschlagen wollt' er, und er schmiedet sie
Fest, bis sein eigner Hammer dran zerspringt. –
Ihr, stark im Glauben, Hauptmann, hab ich Recht?
HAUPTMANN
der immer abseits steht, schwerfällig.
Prälat, in meiner Schar sind Römische –
Und Luthrische – und Deutsche allerlei
Aus Nord und Süd, und so und so. Ich mag
Sie alle wohl, denn gerad aus seiner Art
Nimmt jeder seine Kraft. 's ist wie ein Land:
Da Feld mit Korn, mit Weizen eins, nicht weit
Mit Flachs eins, Hopfen, auch ein Hang mit Wein.
Und Wiesen da und Wälder rings mit Wild,
Und Städte, drin das Handwerk, so und so,
Allerlei schafft – im Land ist all das drin,
Und alles das zusammen, sozusagen,
Macht, sozusagen, aus dem Land das Volk.
Draus kommt mein Heer. Da steht der Feind – he du,
Verschmitzter, schleich dich drum! Du derber du,
Faß ihn gradaus! Mir scheint, wir würden arm,
Würd' alles einerlei ...

Draußen erhöhter Lärm, der auf das Nahen des Kaisers deutet, der Hauptmann bleibt aber, einmal in der Fahrt, beim Thema.

Zu Fähnlein eint sich,
Was sich verträgt und lieb hat, stärkt und hilft.
Treib's jedes Fähnlein doch, wie's ihm beliebt,
Stehn alle nur zusammen widern Feind!
[85]
PRÄLAT.
Für Gottes Sach.

Draußen Fanfarenstöße.
HOFMARSCHALL.
Die Majestät, ihr Herrn, die Majestät!

Ab.
HAUPTMANN
schwerfällig, noch beim Thema.
Die Sache, Eminenz,
Die nennt sich selber immer Gottes Sach,
Verzeiht! Wer nur Soldat, versteht das so:
Die rechte Sach ist die, zu der du schwurst.
Ich, beispielsweis, ich schwur zum Bund, drum bin ich
Der Bauern Feind und Freund von Pfaff und Ritter,
Bin's, weil ich schwur, und sonst aus keinem Grund,
Und steh als Feind der Bauern darum hier.

Der Kaiser. Die Pforten öffnen sich unter Trompetenstößen. Dann schreiten, gemessen und feierlich, die Großen in Zügen herein, teilen und ordnen sich nach dem Thronsessel hin, den Weg für den Kaiser freilassend. Die Pagen streuen Blumen. Würdenträger. Beim dritten Trompetenstoß tritt der Hofmarschall wieder herein, und stößt mit dem Stabe auf.
HOFMARSCHALL.
Des Kaisers Majestät.

Alle neigen sich tief. Da kommt heiter, mit leicht markiertem Tanzschritt, wie ein vornehmer Herr,
der gutgelaunt mitmacht, an der Hand des neuen Narren Mephistopheles der junge Kaiser herein. In der Mitte der Bühne hält der Narr plötzlich inne und stellt, den Hofmarschall nachäffend, seinerseits vor.
NARR.
Des Kaisers Majestät.
DER KAISER
wie aufgewacht, verlegen.
Verzeiht, der Festrausch und der Straßenscherz –
Was tat ich da!
[86]
PRÄLAT.
O hohe Majestät,
Uns aus dem Süden freut es, wenn die Sonne
Auch hier im Norden aus den Wolken lacht.
KAISER.
Nein, war das schön, was draußen ich gesehn!
War das noch eine Stadt? Die bunten Häuser,
In Kränz' und Blumen grünt' und blühten sie,
Der schmale Himmel ob den Gassen droben,
Wie leuchtet' er, der Himmelsbach von Blau,
In Fahnenwogen schwamm er lachend hin,
Und durch die Straßen wie von Blumen schwamm's,
Von Rosen, Lilien, Apfelblüten, Malven –
Weiß ich, wovon? Vom Menschenvolk im Putz,
Das grüßt und lacht' und weht' und glänzt' mich an
Und war mir gut! Wie bin auch ich ihm gut,
Sein Kaiser will ich sein, und will ihm helfen,
Was ich nur kann – und dann die schönen Fraun –
Ach Freunde, diese Frauen hier ... und eine ...

Auf den Narren deutend.

Da fand ich den, denkt, zwischen Mädchen stand er,
Und plötzlich vor mir – »Wie ich springen kann,
So kann ich alles«, sagt er, »nimm mich mit,
Dann tanzt die Welt dir immer wie im Rausch«.
Ich lacht und sagte: »Komm ..« Verzeiht, ihr Herrn ...
Ich bin noch jung, doch folg ich gutem Rat ...
NARR.
Verzeiht ihm, Herrn, und glaubt: er hat Talent.

Während der Kaiser spricht, ist ungesehen von ihm, aber wo er vorbeikommt tief begrüßt, derKanzler langsam hereingeschritten. Ein Greis, dessen Erscheinung sofort seine überragende Bedeutung erkennen läßt.
[87]
KANZLER
zum Kaiser mit ehrerbietiger Verneigung und vom Anfang bis zum Schluß ohne jede merkbare Ironie im Ton.
Die zur Audienz Befohlnen sind bereit.

Zu den Hereingekommenen.

Den übrigen dankt Seine Majestät
In Gnaden für das festliche Geleit.
Zum Reichstag kam sie her, zum Staatsgeschäft,
Doch eine Sonne, die den Jubel weckt,
Verschmäht auch nicht, dem Jubel noch zu leuchten.
Indessen jetzt ruft kaiserliches Amt:
Auf Wiedersehn! grüßt euch die Majestät
Und dankt euch!
KAISER.
Ja, ich dank euch, meine Lieben!

Zum Kanzler, leise.

Du weißt doch immer Rat – ich danke dir.

Während sich der Saal von den Nichtbestellten allmählich leert.
KANZLER.
So sprichst du wieder – hoher Herr, es ist
Die kleine Übung täglichen Geschäfts,
Für die du dankst dem, den in jeder Stunde
Du so beschenkst, daß du nur durch ihn wirkst.
Als Geist auch, Herr! O nein, ich schmeichle nicht:
Wie klug du bist, nicht du nur denkst in dir,
Die Gnade auch, die unser Gott dir gab.
Herr, ich erprobt's mit deinen Räten allen:
Was da ein weißer Kopf in heißen Mühen
Aus fünfzig Jahren schwerer Arbeit zog:
Trug ich dir's vor – mit einem raschen Blick,
Kaum überflogen, war es schon durchschaut!
Kein junger Menschengeist vermöchte das:
Das spricht daraus, was dem Gesalbten erst
[88] Zum höchsten Amt die höchste Einsicht gibt
Die Gnade Gottes nur – der Majestät.
KAISER.
Was Ihr da sagt, versteh ich noch nicht ganz.
NARR.
Noch ein paar Wochen, Kaiser, und du glaubst's!
KANZLER
zum Narrn.
Was hieß dich sprechen?
NARR
sich gegen ihn verneigend.
Neid auf meinen Meister!
KANZLER
freundlicher.
Meint's einer ernst, verbünd' er sich dem Spaß ...
KAISER
im Vorbeigehn zwinkernd zum Narrn.
Du, ihre Augen!
NARR
ebenso.
Träumen nur nach dir ...
KANZLER
weiter zum Narrn.
Zum Angebinde, Freund.

Wirft ihm einen Beutel zu.
NARR.
Da barmen sie:
Das Geld sei rar. Es fliegt ja in der Luft!

Die Anwesenden sind bis auf die zur Audienz Berufenen unter Verneigungen hinausgegangen. Der Kaiser nimmt den Thronsessel ein. Der Narr zu seinen Füßen. Audienz.
KANZLER.
Sahn wir dich früher, eh du Kaiser warst:
Den klugen Jüngling liebten wir in dir,
Den schönen, der die Herzen rasch gewann.
Wenn jetzt du reisest durch das alte Reich,
Gesalbter du, gleich einer irdschen Sonne
Hinziehst befruchtend du von Land zu Land.
[89] Der Reichstag wartet drauf: du prüfst – es sinkt
Zu Boden, was du ablehnst, und wir wissen:
Was sinkt, verdient's, und was du hoch hältst, taugt ...
NARR
leise zum Kanzler.
Und dein Berater ...
KANZLER
leise zum Narrn.
Hat wie Gold den Strick ...
NARR
laut.
Und dein Berater, wie zur Palmenkrone
Vom Boden her das Wasser helfend quillt,
Fügt er zum Himmelslicht den irdschen Quell ...
KANZLER
laut, scheinbar unwillig.
Narr, sprich, wenn man dich fragt!
KAISER
zum Narrn.
Nachher, mein Junge ...

Verträumt.

Nachher, nachher. ...
KANZLER.
Eh du zum Reichstag trittst
Genehmigst du, die Räte hier zu hören?
KAISER
macht ein Zeichen.
KANZLER.
Schatzmeister, tretet vor!
SCHATZMEISTER.
Mein gnädiger Herr,
Ich komm zu dir vor allen, denn ich bin
Der Mann, zu dem sie alle gehn. Der da

Auf den Feldherrn weisend.

Macht Krieg, wer soll's bezahlen? Ich! Und der

Auf den Prälaten weisend.

Will Kirchen baun, ist's meine Sache? Nein!
Nun frag ihn, kommt er trotzdem nicht zu mir?
Abgaben will er, wer gibt ab? Nun: ich!
[90] Dein Hofmarschall

Auf ihn zeigend.

– ich freu mich auch der Pracht
An deinem Hof, doch soll ich sie bezahlen.
Und brauch ich Zoll und Steuern, sprech: »Gebt her!«
Zu andern Leuten, heißt's: ich wär' ein Jud –
Nun, gabt ihr mir mein Amt nicht grade drum,
Weil ihr das braucht, was ich als Jud versteh?
Verzeih des Kaisers hohe Majestät,
Ich wend mich nicht ans Himmlische in ihr,
Wie der Herr Kanzler, nein, ich frag den hellen,
Den klugen jungen Herrn, den so gewaltigen:
Was kann er tun, es kostet alles Geld?
Anstand ist fein und Ideal ist fein,
Und Ehrfurcht fein, und feinfein ist der Ruhm,
Allein das Wirtschaftliche, Herr, entscheidet,
Drum denkt an mich auch, wenn Ihr Taten tut,
Denn, unter uns, in aller Zeiten Adern
Fließt aufgelöst in ihrem Blute Gold,
Und Gold, das ist's, was die Geschichte macht!
PRÄLAT.
Du mißverstehst es nicht, was jener spricht:
Wer alles Denken seiner Arbeit gibt, –
Der sieht nur sie, der Schatzverwalter sieht
Allein des Schatzes Kraft, um die er sorgt.
Ich rüg ihn nicht, so lang er treulich dient!
Wir aber von der Kirche, denen Gott
Die Menschenseele mit der Mahnung gab:
Führt sie mir treu durchs dunkle Erdenleben
Hin ohne Schaden in die Ewigkeit –
Wir wissen, daß allein der Seele Wohl
Entscheidet und entscheiden darf! Die Seele,
Die göttliche unsterbliche, o Herr,
Sie fromm zu leiten, ist das schwerste Amt
Und heiligste! O Herr, verkürz uns du
Die Mittel nicht, ihr Stab und Hort zu sein:
Nichts geht im Irdschen ohne Irdsches an,
Nun rührt der Aufruhr an die irdischen Rechte,
Gewinngier hämmert frech an unsre Truhn,
Und Satan selbst schleicht tückisch durch die Zeit
Und sucht nach Bündnis, Kaiser, wider uns.
[91]
KAISER.
Wohlwollend prüfen werd ich, was du sprichst!

Zum Kanzler.

Das muß ich immer sagen, ist's nicht so?
KANZLER.
Wie Gott ihr eingab, spricht die Majestät!

Gleichzeitig mit diesem Wortwechsel der zurücktretende Prälat zum Narren.
PRÄLAT.
Die Kirche liebt auch Scherz, sie ist dein Freund!

Gibt ihm einen Säckel.
NARR.
Wem stünd ich heiterer zu Dienst, als ihr?
FELDHERR.
Ich mein, wir sollten zur besondern Sach.
SCHATZMEISTER.
Die oder die, auf Geld kommt jede raus!
KAISER.
Ich hörte doch von einem Goldland sprechen ...
KANZLER.
In deiner Vorfahrn Auftrag ward's entdeckt.
Man sandte Männer hin, um zu erobern ...
PRÄLAT.
Und zu bekehren, Eure Majestät!
KANZLER.
Und zu bekehren – arme Heiden sind's!
Wohl!

Auf den Schatzmeister weisend.

Dieses tüchtgen Manns Gedanken zogen
Mit unsern Priestern auf den Fahrten mit.
Nun gibt es sich, daß erst vor Wochen heim
Der Kühnsten einer übers Weltmeer kam,
Und deine Diener riefen ihn hierher,
Bericht zu geben deiner Majestät –
Er ist im Vorraum, willst du ihn empfangen?
[92]
KAISER.
Verlängert das?
KANZLER.
Es kürzt die Arbeit ab,
Denn jene rohe Not um gelb Metall,
Mag sein, aus dem, was jener Mann erzählt,
Entnimmst du, was für immer sie verbannt.
KAISER.
Dann komm er ja!

Zum Narrn vertraulich scherzend.

Du, wartet sie auf mich?
NARR.
Bei Tag und Nacht.

Während der Reisende geholt wird, benutzt der Schatzmeister, der auch die Vertraulichkeit des Kaisers mit dem Narren beobachtet hat, die Pause, um an diesen unauffällig heranzutreten.
SCHATZMEISTER
leise zum Narrn, auf den Kaiser hinspielend.
Du machst's mit Weibern. Nun, ist auch ein Weg!
Ein kluger Weg! Auf gut Geschäft, mein Freund!

Gibt ihm einen Säckel.
NARR.
Da schau, Ihr gebt dem Narrn sogar

Den Beutel werfend.

Verstand!
HAUPTMANN.
Herr Kaiser, Ihr verzeiht, daß ungefragt
Ich dreinred, aber länger leid's mich nit.
KANZLER.
Das Wichtige vor dem Minderwichtigen, Herr!
HAUPTMANN.
Zehn Meilen weit von hier ...
KANZLER.
Fließt Blut, ich weiß –
Ist's der Soldat, der das so schlecht verträgt?
[93]
HAUPTMANN.
Zehn Meilen weit von hier fließt unnütz Blut,
Längst wär der Kampf am End, die Bauern längst
Bei Herrn und Fron im Werk, bei Weib und Kind,
Hätt ich die Landsknecht, die mir zugesagt.
Nun drucken sie ein Fähnlein da zurück,
Dort dringt eins vor, hin geht's und her, die Schelme
Meinen, sie zwingens, meine Leut, die murrn,
Und so und so. Nicht Krieg noch Frieden ist's,
Sind wackre Leut bei meinen. Wackre Leut
Doch, doch, auch drüben! Bei den armen Hunden
Auch Edle, nebenbei gesagt – ach was,
Mich geht nichts an als die beschworene Sach!
Die will ich gut verrichten, Majestät:
Drum bitt ich um die zugesagten Leut
Und um den Sold, den wir den alten schulden.
Die Großen tun ihr Sach nicht: schaff uns Geld,
Daß wir ein Ende machen, unserthalb
Und auch der Bauern halb, des Landes halb.
Verschaff uns Sold, sie plündern sonst vom Volk –
Und dann: schaff Dienst im Ausland, nicht daheim.
KAISER.
Ich will's wohlwollend ...

Der Hauptmann neigt sich kurz, der Kaiser verstummt betroffen.
KANZLER.
Sprich nicht weiter, Herr,
Er ist von kleinen Leuten, er versteht
Die bessre Sprache nicht ...
EDELMANN
vortretend.
Ich bin vom Adel,
Ich klag ihn an: er pflegt sein Amt nicht recht –
Bei Baumbach hätt ein bissel List genügt,
Man sagte: »Legt die Waffen ab, 's ist Friede«,
Sie waren ja bereit, und fing sie dann.
HAUPTMANN.
Kampf schwur ich, nicht Verrat.
[94]
EDELMANN.
Ei Teufel, Herr,
Jetzt ist doch Not!
BÜRGERMEISTER
vortretend, eifrig.
Weiß Gott ist Not, Herr Ritter,
Doch kommt den Städtern sie vom Bauern nicht –
Wer plagt den Handel?
EDELMANN.
Und wer protzt uns vor,
Die wir doch edlern Bluts? Ein Sonntagsrock,
Wie ihn das Weib vom Pfeffersacke trägt,
Kostet den Zins von einem Dorf im Jahr!
KANZLER.
Wollt ihr euch zanken vor der Majestät
Um Bauernschmutz?
HAUPTMANN.
Es gilt ein Volk in Not!
KANZLER.
Da warten hundert Völker auf der Erde ...
PRÄLAT.
Von unerlösten Heiden ...
KANZLER
ganz ablenkend.
Daß sie bade
Des Kaisers Huld in eine neue Gnade.
Aus allen Reden, Kaiser, die du hörst,
Und ob sie sich mit Edelpelz verbrämen,
Wirst du den einen stillen Wunsch vernehmen,
Den einen starken Wunsch, den dieser Mann

Auf den Schatzmeister zeigend.

Mit kaltem Kopfe kalt nur fassen kann,
Den Wunsch nach Geld

Unwillige Gebärde des Kaisers.

Nein, nein, er hat nicht Recht!
Dem widerstrebt dein kaiserlich Geschlecht,
Dem widerstrebt, was in uns allen ringt
Und aus den Herzen dir zum Throne dringt:
[95] Das Gold ist starr und tot, ist nur Metall,
Die Macht allein ist's, was regiert im All,

Immer eindringlicher.

Die grünend wächst und purpurfarben blüht,
Bis aus den Blumen leuchtend Frucht erglüht
Und ihren Samen saatenschwer versprüht!
Die Macht ist Gottheit für ein stolz Gemüt,
Die Macht ist Leben, Schaffen ist die Macht,
Das Edles lohnt und Frevelndes zerkracht –
Was ist dir Gold! Du strebst nach Macht, mein weiser,
Mein jugendkühn zum Licht gewandter Kaiser,
Nach Macht zu beugen, daß sie knien und flehn ...
KAISER
beteiligt.
Auch zu erheben, daß Befreite stehn ...
KANZLER.
Macht heißt, zur Wüste flüchtet sich der Feind ...
KAISER.
Macht: aus der Wüste hol ich ihn als Freund ...
KANZLER.
Macht, daß im Reiche deiner Majestät
Die Gottessonne niemals untergeht.
KAISER.
Bei deinen Worten, Kanzler, scheint der Traum
Ein lebendes Gebild im wachen Raum!
KANZLER.
Nimm dir's, du kannst es!
SCHATZMEISTER.
Aber Waff und Sold
Und Schiff und Heer heißt immer wieder: Gold.

Der Abenteurer wird gemeldet. Während der Erregung infolge des gesteigerten Gesprächs, und während der Abenteurer hereintritt und den Kaiser mit dem Knie grüßt, sagt der.
KANZLER
schnell zum Narrn.
Ich rate dir, du schweigst!
[96]
NARR.
Ich tat's schon lang,
Vor deinem – Witz wird meinem armen bang!
HOFMARSCHALL
zum Kaiser.
Der Spanier, der den kühnen General
Begleitet hat ins überseesche Land.
KANZLER
zum Kaiser.
Und hast du oft vernommen, was geschah,
War's doch Bericht nur, redendes Papier.
Hier kommt ein Mensch, der alles miterlebt.
ABENTEURER
mit Haltung.
Was willst du hören?
KAISER
zum Abenteurer.
Sprich vom Heidenkaiser,
Warst du dabei, als man ihn fing?
ABENTEURER
dem Unlust anzumerken ist.
Ich war's.
KAISER.
Erzähl! Erzähl!
ABENTEURER.
Euch dient's nicht, Majestät,
Erlaßt mir's!
KAISER.
Und warum?
ABENTEURER.
Die Abenteurer,
Die schwadronieren gern – das hört' ich oft,
Da hab ich mir das Reden abgewöhnt.
KAISER.
Doch ich befehl's!
ABENTEURER
Gebärde, dann.
Was ich erlebt, mein Kaiser,
Mit diesem Arm und Bein ist fremder dir
Und allen hier, nicht nur als heller Tag,
[97] Nein, als ihr Traum noch, denn ihr Träumen spielt
Mit Mensch und Dingen, die ihr Wachen kennt.
Drüben ist alles neu. Das Meer schon wird's,
Beim Reisen schon. Ihr fahrt und meßt und meßt –
Die Sterne kennt ihr, sonst ist nichts als See,
Da legt der stehnde Mond sich hin als Schiff
Und selbst die Sterne ändern sich. Ihr fahrt ...
KANZLER.
Zur Sache!
ABENTEURER.
Ja, verzeiht, ihr wart ja nicht
Mit drüben. Mir ward all das andre gleich,
Es machte satt mich, See und Himmel nicht ...
Wohl denn, ihr kommt hinüber. Andre Menschen,
Rote, sie tun euch nichts, sie fliehn, ihr fangt sie,
Sie haben Gold, ihr nehmt's, ihr fragt: wo mehr?
»Mehr Gold – ja, da und dort!« »Was holt ihr's nicht?«
Sie fragen: »lohnt sich das?« Ihr aber sucht,
Zieht weiter, durstet, tötet, hungert, späht,
Wühlt euch durch Urwald, lechzt durch Wüsten hin.
Endlich: dort liegt's. Was liegt da? Ein Gebirg
Riesig wie keines sonst der Welt. Hinein!
Ihr steigt und steigt – Gott, deine Welt ist groß! –
Aus den Äquatorgluten steigt ihr auf
Zu milden Sommern, nun zu Frühlingsländern,
Und nun zum Schnee, und aller Zonen Sterne
Sie wandeln grüßend in der Nacht vorbei.
Dann wird die Erde sanft: ganz fremde Menschen
Hüten ganz fremde Tiere, Dörfer, Städte,
So sorgsam aufgebaut, daß du die Fugen
Von Stein zu Steine kaum erkennst – die Wege
Wie feine Mauern, die man hingelegt,
Felder, sechshundertfach an Frucht.
»Gold willst du? Da, so nimm!« Sie bieten alles
Dir lächelnd, diese Menschen, sie sind froh,
Sind glücklich. »Euer Kaiser?« Der ist dort,
An jenem Platz mit vierzigtausend Streitern!
Wir sind nur hundert. Du ziehst hin, er kommt
Mit seinen Edelsten in unser Lager,
Der Sonnensohn, der Kaiser dort des Reichs.
[98] Und wie der General ihn hat, da schlägt er
In Fesseln ihn: und vierzigtausend Mann
Sie stehn gelähmt aus Angst um ihren Herrn.
Der General: »In meines Kaisers Namen
Nehm ich von deinem Reich Besitz, um dich
Und alle euch zu Christo zu bekehren«.
Er bietet Lösegeld. So weit wandauf
Sein Arm sich recken kann im Riesensaal,
So weit werd er gefüllt mit lauterm Gold,
Gefüllt weit über Manneshöh ein Saal
Vierfach so groß, wie hier, mit lauterm Gold –

Bewegung.

»Topp«, sprach der General, »dann wirst du frei!«
Und nun ging's an – jeglicher Weg, der rings
Her von den Bergen floß, er füllte sich
Mit goldbeladnen Trägerzügen an.
Er glitzerte, er schwoll, er ward ein Bach
Von flüssigem Gold, daß das Gebirge weit
Im Sonnenglanz ein Netzwerk schien von Gold,
Von lauterm Gold, ein lebendes – es floß
Zu uns herein, legt' sich, und hob sich dann ...
Europa, schien uns, birgt in allen Reichen
So viel nicht Golds, wie schwellend dieser See
Von lauterm Gold. ...
KAISER.
Der Heiden Kaiser, und was ward mit dem?
ABENTEURER.
Bedenke, hoher Herr: der General,
Wenn der ihm Freiheit ließ, was ward aus uns?
KAISER.
So brach der General sein Wort?
ABENTEURER.
Er brach's
Nicht ohne weiters. Der Verschwörung zieh
Er den Gefangnen. Und erdrosselt' ihn.

Erregung.

Man wundert sich in diesem Männerkreis?
[99]
KANZLER.
Die Majestät hat das wohl schon gehört.
KAISER.
Wie trug er's?
ABENTEURER.
Herr, er war verstockt. Zwar taufte
Der Bischof ihn zuguterletzt, doch glaub ich,
Er starb als Heide. »Zu den Vätern geh ich«,
Sprach er, »zur Sonne.« – Seine Weiber, die
Ermordeten sich selbst.
PRÄLAT.
Er hatte Weiber,
Nicht eine Gattin nur?
ABENTEURER.
Nein, hundert Fraun.
PRÄLAT.
Und selber brachten sie sich um?
ABENTEURER.
Zum Opfer,
Sie opfern Menschen dort am hohen Fest.
PRÄLAT.
Dann fand Verruchtheit den gerechten Lohn!
ABENTEURER.
Und dieser Sünder ward so sehr geliebt,
Daß, als wir ihn getötet hatten, alle
Treu dem Gebot: »den Fremden tut ihr nichts!«
Ins eigne Schwert sich stürzten, Mann für Mann.
PRÄLAT.
Schweig, schweig, die Christenseele trägt es nicht:
So in Verworfenheit ein ganzes Volk!
ABENTEURER.
Das Gold jedoch, die Christen trugen's gern,
Der ärmste Bursch, als Reicher keucht' er fort.
[100]
HAUPTMANN.
Was ward aus ihnen, wunderlicher Mann?
ABENTEURER.
Ich glaub, die meisten hat's dann totgedrückt.
Ich mag keins mehr.
SCHATZMEISTER.
Schafft's her! Schafft's her! Schafft's her!
KAISER
erhebt sich.
Ich bin noch jung, mir scheint da was nicht ganz
Der Ehr gemäß, doch ich versteh's wohl falsch ...
HAUPTMANN.
Mein Herr und Kaiser, schreite nicht hinaus,
Eh du mir Kunde gibst: was soll ich tun?
Die Äcker rings sind tot, die Dörfer brennen,
Die Menschen, sie verkommen, geht's so fort:
Verschaffst du dem Soldaten nicht den Sold,
Geht er zum Aufruhr, und das Land zugrund!
KANZLER.
Hauptmann, du hörst, um was für Großes jetzt
Die Zeitgeschichte geht. Und kommst mit Bauern,
Die gegen Gutsherrn lärmen!
NARR
wie den Hauptmann entschuldigend.
Hohe Herrn,
Auch unsern Hauptmann jückt's doch nur nach Geld,
Wie, irr ich nicht, den hochverehrten allen.
Den Kaiser langweilt stets dasselbe Lied.
Ein andres her!
KANZLER.
Der neue Narr scheint fad.
NARR.
Doch weiß er Leute, die nicht fade sind.
Zum Beispiel einen, der so unterhält,
Daß, mit Verlaub, ihr aus dem Häuschen kommt
Und nicht von Geld ...
[101]
KAISER
leise zum Narrn.
Zur Lieb' zunächst, vom Mädchen dann zum Kampf,
So wird man Held.
NARR
tut, als verstände er falsch.
Nein, nicht von Geld ... Ach, Herr, 's ist nicht gescheit,
Daß ich's verrate: kennt Ihr den einmal:
Mit meinem Ruhm und meinem Amt ist's aus.
Das schönste Weib, die neue Helena,
Er kennt's, er weiß, wo's steckt, – ein Viertelstündchen
Dem Obernarrn! Erlaubst du, Majestät?
Er tut toternst, und du, du lachst dich krank!
Gib ihm ein Thema ...
KAISER.
Alle Lust verging
Bei dem Geschwätz von Bauern.
NARR.
Wohl, ich hab's:
Grad davon laß ihn schwätzen – und er jagt
Die letzten Wölkchen mit der Pritsche weg!

Plötzlich tritt Faust vor.
NARR.
Der Kaiser wünscht's, Kolleg: vom Bauern sprich.
FAUST.
In dieser Stunden stolze Pracht, mein Fürst,
Tritt mit mir Bitternis – laß mich's entgelten,
Doch hör mich an ...
NARR
scheinbar bewundernd.
Nun, Kaiser, spielt er gut?
FAUST.
Sie spielen alle. Du selbst, Hauptmann, der
Nicht ganz zu sprechen, wie er sollte, wagt!
Und spielst du nicht, behäbiger Prälat,
Der du nach Geld gierst und du sagst: nach Gott,
Du, Kanzler, nicht, der du den Jüngling da
[102] Mit Schmeicheln fängst, du, Kaiser, nicht, der du
An Weiber denkst, wenn du vom Reiche sprichst?
KAISER
lachend.
Narr, Narr, verrat mich nicht!
FAUST.
Ich komm zu dir
Der Bauern wegen, die im Kampfe stehn,
Die man verachtet, die man quält, o Herr:
Die Bauern, Kaiser, sie sind Mensch wie du!

Heiteres Oho!
NARR
erläutert lachend.
Versteht's nur recht, die Bauern glauben's wirklich:
Sie wären Menschen, wie der Kaiser Mensch.
FAUST.
Sie tragen andre Kleider –
KAISER
lachend.
Ja, mir scheint's.
FAUST.
Herr, nimm mich, wie ich sprech, ich bitte dich ...
KANZLER.
Und statt der Hand die Pratze, statt des Mundes
Das Maul und statt des Hirnes ein Gekrös,
Gebläht vom Aufruhr.
FAUST.
So denkt Ihr vom Volk,
So von dem Grund, der euch die Ernten bringt?
NARR
immer lachend, wie erläuternd.
Dafür, so meint er, kakt ihr Hintrer Gold.
KAISER
gibt ihm einen Klaps.
Anständig, Narr!
[103]
FAUST.
Mein Kaiser, hör mich du!
Als ich aus meinen Büchern Hochmut spann,
Sah ich, was lebt, durch ein Geweb wie jene,
Jetzt seh ich auch die Starkheit noch im Volk
Aufbäumen sich, weil sie nicht sterben darf,
Und sich begatten mit dem neuen Geist,
Und das ist's, was uns Zukunft zeugen wird.
PRÄLAT.
Brav, brav, mein Narr! Kein Wort ist zu verstehn,
Allein es klingt! So treibt der Prädikant
Den Gimpelfang – er macht ihn köstlich nach!
FAUST
immer nur zum Kaiser.
In jedem Menschen ist ein Tier, das Tier
Im Volk, es kann zur Bestie werden, Kaiser –
Ein Volk als Bestie,

Kurze Gebärde des Grauens.

Herr, sie hoffen noch.
KAISER.
Das alles ist so sonderbar und neu ...
KANZLER.
Willst du von Zukunft zwitschern, wackrer Narr?
Jetzt ist noch Gegenwart, und die verlangt
Die Majestät zum Mahl. Du schließest, Kaiser?
FAUST
tief eindringlich, er zwingt sich nieder.
Sie hoffen noch! Herr, sieh mich auf den Knien,
Mich einen nicht, für meine Brüder sieh mich
Viel tausendfach, so siehst du hier dein Volk.
Du bist so jung, und sieh, doch bittet dich's,
Wie man den Vater bittet, hilf dem Kind!
Du bist so jung, und wie zum Bruder fleht es:
In seiner Jugend Herzen klopft das Blut
Wie dir, der Frühling blüht, die Liebe singt
Durch sie, wie dich, nach Freiheit und nach Licht.
»Volkskaiser will ich werden«, sprachst ja du:
Wirst du's, so fließt, was all den Herzen quillt,
[104] Durch dich gesammelt als ein Strom von Glück,
Wirst du's, so lenzt die Welt ...
NARR
lachend.
Volkskaiser – fein, Kolleg: 'ne Majestät
Von Mäulern, Pratzen und Gekrös' im Kopf! –
Eia, das muß doch locken!
FAUST.
Weg, Verfluchter!
KAISER.
Volkskaiser wollt' ich werden, und ich will's!
FAUST.
Und kannst es heut, da noch die Jugend dir
Im Denk' und Fühlen das Erstarrte schmilzt –
Sei heute kühn! –
KANZLER.
Pfui, Narr, das geht zu weit!
Du treibst mit Heilgem Spiel in deinem Hohn!
KAISER.
Mit Heilgem Spiel?
KANZLER
zum Kaiser.
Du gütige Majestät,
Der Stunden denk ich, da mein altes Herz
Erzitternd sah, wie dich der heiße Kampf
Von Lieb und Pflicht im Innersten ergriff!
Hier war dein Volk, hinschenken wolltest du
Ihm Recht auf Recht – dort stand ich Greis und bat:
Gib's ihnen nicht, sie kaufen Tand dafür,
Verwalt's für sie und leite sie ins Glück! –
KAISER
dem Kanzler die Hand hinstreckend.
So sprachst du, ja. Und dann: dem Menschen in dir
Gib, was er mag, nur gib ihm nicht den Staat,
Und Rechte sind des Staats.

Nicht ohne Wehmut.

Gelt, lernt' ich's brav?
Ich will ja lernen, Kanzler.

Nicht ohne Humor.

Gottes Gnade,
[105] Sie hilft mir wohl.

Um sich blickend.

Nun steh ich dumm vor euch,
Weil ich vergaß, es war ein Narr, der sprach ...

Zum Kanzler.

Doch sei nicht streng! Heut ist ja doch ein Fest,
Nein, gebt 'nen vollen Humpen beiden Narrn,
Sie sind einander wert, und stopft sie mir
Mit Schweinebraten aus!

Er winkt und geht. Alles bricht auf.
KANZLER
zu Faust.
Ich will Euch sprechen, wartet!

Längere Pause. Während der folgenden Szene weicht draußen ganz allmählich der Sonnenschein. Nachdem der Saal sich geleert hat, tritt der Kanzler zu Faust.

Das war kein Narrenspiel, wer bist du, Narr?
FAUST.
Gibst du mir Antwort?
KANZLER.
Fragen willst du? Sprich!
FAUST.
Antwort vom Kopf, nicht nur vom Mund?
KANZLER.
Der Kopf,
Ins Hier- und Dorthin hat er zwei Gesichter,
Wie Janus, doch es bleibt der eine Kopf.
Indes – wir sind allein.
FAUST.
Du schmeichelst, Kanzler,
Dem Kaiser, daß beherrscht er dir gehorcht?
KANZLER.
So ist's.
FAUST.
Wie einst du das mit Treu und Eid?
KANZLER.
Wie ich die Phrase eine mit der Tat.
Ziel ist die Tat. Die Rede jeder Art,
Hör: jeder Art, ist Mittel hin zum Ziel,
Und weiter nichts.
[106]
FAUST.
Das Wort sät aus, was Herz und Hirn erschuf,
Am Wort wächst aus dem Tier die Menschheit auf,
Am echten Wort gedeiht und mit dem falschen
Verkommt sie – leugnest du's?
KANZLER.
Mich geht's nichts an.
FAUST
heiß, dringend.
Was geht dich an? Kanzler, ich will versteh'n:
Was geht dich an?
KANZLER.
Mein Amt: der Kanzler bin ich,
Und da ein Knabe Kaiser dieses Reichs,
Gab es sein Schicksal jetzt

Sehr betonende Gebärde.

in diese Hand.
Das Reich ist groß, im Westen steigt's ins Meer,
Fern aus des Ozeans erwärmten Fluten
Steigt's wieder auf, und durch die Neue Welt
Hindehnt sich's aber bis zum Ozean.
Ich hoff, die Erd' umspannt es noch einmal,
Und dem man das verdanken soll, bin ich.
FAUST
immer an sich haltend.
Wie zwingst du das?
KANZLER.
So, wie ich's kann.
FAUST.
Durch Kampf?
KANZLER.
Wo wir die Stärkern.
FAUST.
Oder Lüge?
KANZLER.
Dort,
Wo wir die Schwächern.
FAUST.
Durch Betrug, Verrat,
Verleumdung, Diebstahl, Räuberei und Mord?
[107]
KANZLER.
Und Massenmord und Sünd am heilgen Geist –
Laß Weib und Kind verhungern, kämpft der Mann,
Und barm dabei: O Gott, er ist nicht fein,
Verleumd ihn tot und wein dazu: er lügt,
Wein's inniglich: die Welt ist in Gefahr
Vor ihm, vor ihm, – daß du die Dummen fängst –
S'ist Alles recht, führt's nur voran zum Ziel.
Das Größte in der Welt, ein Weltreich ist's,
Hast du's gebaut, so richt' es sittig ein,
Doch erst erbau's! Mit Bibelsprüchen? Auch,
Wo's weiter hilft! Mit Edelmut? Probat,
Wo's vorwärts bringt. Mit jeder Niedertracht,
Wo's besser frommt – ja: frommt, denn was die Einen
Im Heut vernichtet, und wenn's tausend sind,
In hundert Jahren schmerzt es keinen mehr,
Millionen aber freun sich an der Frucht.
FAUST.
Und schmecken nicht, was von Lebendigem du
Zum Aas gemacht, damit es für dich düngt.
KANZLER.
Wir streun ja Rosen drüber, bittrer Mann.
Was drunter liegt, wer riecht's, wer denkt noch dran?
Sie preisen dich: auf Rosen läßt er wandeln ...
FAUST.
Spracht je zum Volk Ihr als mit Heuchelei?
KANZLER.
Nicht, daß ich mich erinnnern könnte.

Gebärde Fausts.

Ach,
Das ärgert dich? Hab ich dich überschätzt?
Ich hielt dich für gescheit. Ich lüge, Mann,
In jedem Fall, wo das mein Führeramt
Verlangt, und nur mit Luftgespiegel bringst
Ein Volk durch Wüsten du zu anderm Ziel,
Als seine Krämerstraßen, die es kennt.
[108]
FAUST.
Die Ausgesognen bringst du hin, die Schädel,
Die Hülsen sind, der lahmen Raupe gleich,
In der die Wespe sitzt.
KANZLER
immer ganz ruhig.
Da meinst du mich,
Und ganz mit Recht. Ich sitz in diesen Hülsen,
Mehr: wie sie sich bewegen, ist's durch mich.
»Dorthin!« Sie gehn. Und wollen's – meinen sie.
»Begeistert euch!« Sie jubeln. »Seid empört!«
Sie schlagen tot und glauben, daß sie's müssen.
So hab ich Fuß und Faust millionenfach,
Und in Millionen Hirnen denk' nur ich.
FAUST.
So denkt statt der Million von Hirnen eins,
Und der Millionen Eigengrünen ist dir
Unkraut.
KANZLER.
Im Korn!
FAUST.
Das du gesät, nicht Gott.
KANZLER.
Ist Gott allmächtig, denkt in den Millionen
Von Raupenseelen er durch mich.
FAUST.
Durch dich!
Sind Wespenmaden göttlichern Geschlechts
Als Raupen, draus der Schmetterling entblüht?
Gott denkt in allem, das aus Eignem wird,
Wo es aus Tiefen quillt, da denkt es Gott,
So hebt er sich aus allem, was gedeiht,
Grundher in ewgem Werden selbst empor,
Wo Eignes lebt. Gott wächst!
KANZLER.
Du ketzerst, Guter.
Mich kümmert's aber nicht, mich unterhält's.
[109]
FAUST.
Du gibst dich frei, ist das auch Lüge, weißt du,
Wie klein du bist, der du als Schleicher lebst?
Du gibst dich groß – und all dein Denken ist
Doch nichts als Staub, der sich im Winde bläht,
Im heißen, eiteln Winde, der verdörrt
Landauf, landab, daß, was sonst grün und rot
Aus eignem Saft schwölle zu Blum und Frucht,
Staub selber wird und dürr nun mit dir fegt
Und mit dir lechzt. Groß wär dein Weltreich, Mann?
Die Kleinheit wär's, – denn mit dem Raum hört's auf,
Die Enge wär's, – das die Gedanken preßt,
Die Armut wär's, – nährt sich ein Herz von Gold?
Groß wär dein Reich? Groß wie die Wüste wär's,
Mit Sand und Hitz und Trugspuk in der Luft,
Die Erdenwüste wär's, es wär der Tod!
Am Schaffen mordest du ...

Er hält inne und betrachtet ihn düster.

doch bist du stark,
Weil du dem Wahne dienst ...
KANZLER
der bisher ruhig auf und ab gegangen, bleibt vor Faust stehn.
Wären wir nicht
Allein, vielleicht, ich disputiert' mit dir,
Denn es ist klug, den Anschein wachzuhalten,
Man ging' den Reden andrer prüfend nach.
Und doch: wer unterm Hut noch trägt, was ich
Am Schuh längst abtrat, wer noch Jugend hat,
Der tut mir leid, wenn meinen Kreis er stört,
So daß die Sache will, daß ich ihn töte.
Und da in mir ein seltsam Lüsten lebt,
Von Zeit zu Zeit ein Weilchen wahr zu sein,
So ehr ich ihn durch ehrliches Gespräch.
Daß keiner mehr vor Menschen zeugen darf,
Der in mich sah, verstehst du.

[110] Klingelt. Ein Hauptmann mit zwei Bewaffneten. Zum Hauptmann.

Diesen Herrn
In ritterliche Haft, dorthin, wo jüngst
Der Literat verstarb.
FAUST
die Augen gegen Unsichtbares.
Dämon der Finsternis, bist du auch Herr
Des Tags? In hundert Masken sah ich dich
Das Volk durchschleichen, Gift in Wort und Blick,

Gepreßt und irr.

Dämon der Finsternis, bist der da du?

Wie halluzinierend.

Nein, du bist dort auch – dort – und dort und dort

Draußen ballen sich Gewitterwolken. Eine scharfe, schrille, laute Stimme.
DIE STIMME.
Riß es dir endlich doch die Augen auf,
Die blinden?
Was du nur siehst, mich wirst fortan du finden!
Ich bin der Herr in jeder Stirn, die denkt,
Ich lenk das Hirn dem, der die Hirne lenkt,
Ich bin der Herr der Welt,
Ich! Ich!
Blick durch! Mit all den Farben narrt's,
Der Grund ist schwarz
Blick durch! Sieh mich!
FAUST.
Ja, dort auch stehst du, Ungeheuer, da,
Aus Wolken aufgeballt, fahlgrau, umkrochen
Von gelben Schlangen, hingelastet breit
Ob aller Erde ...
STIMME.
Mensch!
Bete mich an, und meine Hagel schlagen
Nur deinem Feind ins Korn! Und meine Blitze
Entflammen nur für dich! Die Seelensümpfe
[111] Aufschwemmen laß ich aus den Tiefen dir,
Darauf die Irrlichtschwärme der Gedanken
Nach deinem Willen tanzen, locken, narrn,
Und unter sich ersäufen, was du magst!
Bete mich an, dann schenk ich dir den Flug
Zur höchsten Höh und dort den Adlerblick,
Der im Versteck noch seine Beut' erspäht
Und aller Klugheit Schnellkraft, die sie fängt ...
FAUST.
Was gibst du mir?
STIMME.
Die Erdenherrschaft, Mensch!
FAUST
fieberisch.
Verschrieb ich mich um meine eigne Lust,
Ich armer Tor, als wär mein Tropfen Blut
Nicht mit dem Ganzen glücklich oder krank,
Als brennte nicht im höchsten Himmel selbst
Im Mitleid der Verdammten Qual auch mich:
Jetzt weiß ich's besser! – Geist, das gibst du mir:
Für meine Ewigkeit mir deine Kraft
Sie frei zu brauchen, wem es sei zum Dienst?
STIMME.
Für wen es sei? Wem opfert wer als sich?
Sein Leben gibt, wer meint, der Himmel zahlt's,
Doch seine Ewigkeit hat noch kein Gott
Für andre weggeschenkt, und du bist Mensch! ...
FAUST.
Ja, ich bin Mensch! Mein Gott, der Pakt besteht –
Der Pakt besteht! So stoß mich, Gott, hinab,
Auf ewig, Gott – doch gib als Opfer mich,
Daß es die Brüder, die verzweifelnden,
Vom Bruder grüß', der ihrer denkt – genug,
Wenn mir die Glut kühlt eine Träne Dank ...

Zur Stimme.

Her denn die Macht, ich brauch' sie, wie ich will!
[112]
STIMME.
So bet mich an!
FAUST.
Für aller Höllen Flammen
Nach meinem Erdentod in Ewigkeit
Biet ich mich dir ...
STIMME.
So bet mich an!
FAUST.
Den Fluch?
STIMME.
Für deinen Feind!
FAUST
ringend.
Den Bösen?
STIMME.
Und den Herrn,
Den Herrn der Welt, der dich zum Herrn erhebt!
FAUST
erlahmend.
Anbeten dich – das ... kann ... ich nicht ...

Als Antwort ein pfeifendes Aufheulen, das mit dem Sturme verkreischt. Faust, beide Hände gegen die Stirn gepreßt, wird sich des Kanzlers wieder bewußt und wendet sich an ihn, der ihn während des ganzen Auftritts regungslos beobachtet hat.

Mich hält kein Kerker, Mann. Dich könnt' ich töten,
Doch tät ich's, trät ein andrer hin wie du.
KANZLER
zum Offizier.
Mir scheint, der Mann hat Schreckliches erlebt,
Er ist am Geist erkrankt. Tut, was ich wies.

Die beiden Soldaten der Wache treten Fausten zur Seite, der Offizier tritt hinter sie. Während sie so stehn, schreitet der Kanzler, mit auszeichnendem Gruße gegen Faust, hinaus.

Vorhang.

5. Akt

[113] Fünfte Handlung

Vorschreitende Dämmerung. Berghang mit niedrigem Gebüsch. Vor einer kleinen Einsiedlerhöhle. Links ein Altar aus Steinen, darauf ein Totenkopf und ein Kruzifix, darüber eine kleine ewige Lampe. Der Ritter, der Schulmeister und die Überlebenden der Studentenschar.

DER RITTER.
... Sind alle Wachen drauß'?
Der Heinz am Abhang, Franz rechts an der Fichte,
Weißmann am Pfad, Lothar am roten Bach?
DER ÄLTESTE DER STUDENTEN.
Ich kenn die Gegend doch, wie, Hauptmann, Ihr!
RITTER.
So ruht 'ne Weile, meine tapfern Jungen ...
Wie ihr euch durchschlugt! Nein, hätt's nicht gedacht,
Daß das die Jugend kann! ... Zwei Meilen sind's
Zu meiner Burg, die euch beschützen soll,
Der Feind belagert sie, ein Stündchen Wegs
Bringt uns zum Kampf. Erschlaft die Kraft dazu!

Sie verteilen sich im Hintergrunde und strecken sich aus. Der Hauptmann geht mit verschränkten Armen auf und ab. Der Schulmeister nimmt, vorn zur Seite, vom schwachsinnigen Eremiten unbeholfen
unterstützt, dessen Kessel, gießt Wasser ein, macht Feuer darunter. Der Hauptmann bleibt bei ihm stehn.

Und war doch alles auf so gutem Weg!
Im Rat der Reichsstadt hatt ich lang gesprochen
So warm, wie's kommt, wenn leuchtend das Gesicht
Der Hörer selbst dich wärmt. Sie lauschten treu
Und nickten gut. Da kam der Bote mit
Der Teufelskunde, und was mußte, kam:
Befreier gestern, sind wir heut Zerbrecher,
Und von dem Umbau aller deutschen Welt
Bleibt uns als Aufgab: die paar Knaben dort
Zu retten.
[114]
SCHULMEISTER
der beim Feuer fertig geworden ist, zum Eremiten, der das Kruzifix heimlich weggenommen hat.
Zeig, womit spielst du da?

Nimmt ihm sein Kruzifix aus der Hand.
EREMIT
ängstlich.
Das Glück, das Glück!
SCHULMEISTER.
Bleibt deins! ... Da schau, die Rückwand läßt sich schieben,
Und drinnen ist, ei Blitz, Goldfiligran
Um ein klein Löcklein Frauenhaar!
EREMIT
weinerlich, wie gelernt.
Reliquie der heiligen Kathrein.
SCHULMEISTER
klopft ihm auf die Schulter.
Ich weiß von deiner heiligen Kathrein,
Du warst ein feiner Goldschmied, sie war schön ...

Schiebt es zusammen und gibt's ihm wieder.

Hier hast du deine heilige Kathrein!

Zum Hauptmann.

Und machen wir's nicht all' ein bissel so:
Was wir geliebt, das heiligen wir zurecht?
Das Bild, das wir vom deutschen Reich ersehn,
In uns ersehn, wir hielten's für des Reichs
Lebendgen Kindskeim in der Zukunft Schoß
Und meinten: die Geburtshilf' will's von uns.
Es war kein Kindskeim, Freund, es war ein Bild,
Erträumt von uns im Wirrschlaf dieser Zeit.
RITTER.
Wird's auch mit uns vergehn?
SCHULMEISTER.
Steht eine Weid' am Fluß und spiegelt sich.
Die Well, die hebt ihr Bild, die Weide schaut's,
Die Welle geht, das Bild zerbricht, die neue
Hebt wieder eines auf und bricht's aufs neu.
[115] Der Baum trinkt von der Welle, und er bleibt,
Verändert sich, und wächst, und andre Bilder
Nun schon vom größern Baume hebt's ihm zu
Dort aus dem Fließenden. Keins nimmt er an,
Aus aller Bilder Wellen aber trinkt er.
Die Wellen heben, spiegeln und vergehn,
Der Baum wird groß.
RITTER.
Ein Bilderspiel, ist's mehr?
SCHULMEISTER.
Zum Zeitvertreib, rein gar nichts mehr.
FAUST
ist mittlerweile hereingekommen und hat im Dunkeln zugehört.
Vortretend, hart.
Ein Tand!
Vom Wasser wächst der Baum, nicht vom Gespiegel.
SCHULMEISTER.
Ich gönnte dir die Freud' am Taugeglitzer,
Am Nebelsilber und am Spiegelspiel.
FAUST.
Ich will kein Spiel. Das will ich, daß mein Auge
Den Trug durchbohren lern in allem Schein.
SCHULMEISTER.
So lang du Körper, ist dein Auge weich.
FAUST.
Drum ist mein Leben Schmiede für den Geist.
RITTER.
Faust, bringst du Hilfe?
FAUST.
Nein, ich bringe Hohn,
Verdienten, daß ich nicht beim Leisten blieb,
Magister schustern, Pfaffen ölen half,
Und schließlich gar der Wahrheit nützen wollte,
Statt schön zu predigen, daß sie allzeit herrscht.
[116]
RITTER.
Was sahst du unterwegs?
FAUST
nebenhin.
Beim Nepomuk
Besetzten sie die Brücke.
RITTER.
Das versperrt
Den Seitenweg.

Die Studenten schlafen nicht. Ein Student hat die Laute gestimmt und beginnt nun.

Stelzt vor dem Zug ein langer Mann,
Ei, wie der trommeln und pfeifen kann,
Und wenn der pfeift, so singt wer dazu ...
Und wenn der trommelt, springt wer dazu ...
Aufs Wohl, Kamerad!

Im Graben steht er auf jeder Wacht,
Warum er wohl herüberlacht?
Sein Bruder lacht auf der andern Seit,
Und wer den sieht, dem kam die Zeit ...
Aufs Wohl, Kamerad!

Im Lager hockt er mit im Kreis –
Du, wie der zu erzählen weiß!
Du, was der spricht, das lacht und weint,
Als wenn es einen selber meint,
Aufs Wohl, Kamerad!

Ein älterer zu ihm.

Mußt's muntrer singen. Hans.

Der jüngere nickt ihm zu. Der ältere reicht ihm die Hand.
WACHE VON DRAUSSEN.
Da glimmt ein Schein
Talaufwärts. Späht doch hin!

Sie gehn nach einem freien Punkt.
RITTER.
Ein Lagerfeuer
Vor meiner Burg ... Zwar, etwas hoch dafür ...

[117] Sie beobachten weiter, plötzlich starke Bewegung,Rufe durcheinander.

Ein Feuerstreif! ... Stichflammen! ... Was, die Burg?
Herrgott, die Burg brennt!
RITTER.
Und das sagt: Verrat.
Hin! hin!

Bewegung.

Nein, bleibt! Was könnt ihr, wenn die ... Bleibt!
Verrat von drinnen. Vetter, das bist du!

Die andern treten teils scheu zurück, teils wollen sie trösten. Der Ritter setzt sich und starrt. Pause. Weiter der Ritter.

Ja, Vetter, du. Seht ihr den Erker dort?
Dahinter wuchsen wir, mir war er Bruder,
Und seine Schwester war dabei, das blonde
Stolzschlanke Dirnlein mit den krausen Lippen.
Stolz blieb sie, und zum Bruder wandt' sie sich
Vom Pöbelfreund, von mir. Seht ihr sie da?
Sie zieht an seiner Hand ins andre Lager!
Sie nimmt mir's ab, um sie besorgt zu sein.
Seht ihr sie da? ... Verzeiht, wie schwatz ich dumm,
Ich seh sie, doch es sind zwei Meilen hin –
Du Väterschloß, die Liebe zieht dich nah –
Ei was, du bist Gerümpel. So verbrenn. –
Was macht die Laute, Bursch, fahr fort im Lied!

Der Bursch wieder zur Laute.

Von meiner weiß er dies und das,
Von jedem seiner weiß er was,
Und wie daheim die Wiese steht,
Und wie der Wind durch die Blumen geht ...
Aufs Wohl, Kamerad!

Rumplum, sissidi, die Nacht ist rot,
Erzähl nur weiter, Kamerad Tod!
Bist überall wie heut und hier ...
Fragt nit, wie lang noch leben wir?
Aufs Wohl, Kamerad!

Unruhe draußen. Kurzes Waffengeräusch. Ruf: »Wer bist du?« und Antwort: »Wer, der sich ergibt!« Stille. Sie führen den Bruder her.
[118]
BRUDER
zu seinem Führer.
Mach dir kein Unruh ob dem schnellen Hieb,
Der traf mich nur am Arm, ich hab 'nen andern
Von gestern schon, und der gibt mir den Rest.
Ich will zu Faust!

Faust macht eine abweisende Gebärde. Bruder wie verwundert, dann wehmütig lächelnd.

Ja so, du bist noch hier.
Ich bin mehr drüben. Hass', verachte mich –
Das ist jetzt eins. Wie auf der Fahrt gen Rom
Lieb ich dich heut noch – das ist meine Sach.
Hör: gestern haben auf dem Platz am Stein
Den Denker sie verbrannt.

Erregung. Studenten zürnend gegen den Bruder.
RITTER.
Schutz ihm, er ist Gefangener!
FAUST.
Und was willst du – der ihm das angetan?
BRUDER
ruhig, liebevoll.
Ich mußt ihn nennen, Faust, mein Glaube wollt's –
Verstehst du's hier nicht, drüben wirst du's tun! ...
Mir sollt er beichten, bessre lehnt' er ab,
Gebeichtet, trotzdem, Faust, hat er mir nicht.
Doch fragt' er: »Mann, versprichst du mir, ein Wort
Als mein Vermächtnis Faust zu bringen?« Ich
Sagt' zu. Da sprach er: »Sie bewegt sich doch«.

Lange Pause, der Bruder sinkt zusammen.
SCHULMEISTER.
Ich bin Geweihter deines Glaubens, komm:
Wir wollen miteinander reden, Sohn!

Sie tragen den Bruder auf ein Lager. Im Verlauf des Folgenden zündet der Schulmeister an der ewigen Lampe einen Span als Sterbekerze an, der Eremit assistiert ihm so gut er's kann.
[119]
RITTER
zu den Studenten.
Ich, der euch schützen wollte, kann's nicht mehr,
Die Burg sinkt ein, und wenn der Morgen kommt,
Kommt her der Tod. Der Rückweg ist noch frei ...

Sie schweigen, er fährt fort, mit der Hand brandabseits weisend.

Dort sind die Eltern, dort ist Bruder, Freund,
Dort ist die Lieb, das Leben dort, das lange,
Das warme, sonnige ...
EINER.
Hauptmann, gebt's auf –
Wir haben's eh bedacht und lang gewählt.
RITTER.
Ihr zogt zum Kampf, den einen Mann zu retten,
Der frei und groß und euer Vorbild war.
Der ist dahin. Die Jugend will Person.
EIN ANDRER.
Er hat gelehrt: nur wenn Person und Sache
Unteilbar eins, lebt sie für mehr als Zeit.
RITTER.
So seid ihr Männer worden durch den Streit!
Das zeigt den Mann, daß er die Sache fühlt
Nicht als ein Totes, nein, als lebend Ich,
Das liebend über ihm als Vater waltet,
Erfreut, erzieht, auch heischt, doch dreimal schenkt,
Und alles, was ihn ehdem fremd umstand,
Einzieht ins gleiche Aderwerk mit ihm.
EINER.
Was wird aus dem, wofür wir fochten, Hauptmann?
RITTER
langsam.
Freund, gar die Sach, um die gestorben wird,
Ist erst ein seltsam Ding: die ist gefeit.

Während er herumgeht und jedem die Hand gibt.

Ein seltsam Ding, um was gestorben ist!
Und ob's verborgen durch die Menge geht,
[120] Verliert sich's nie, es finden's Augen auf
Und sehn ums Haupt ihm eine Strahlenschrift:
Hier ist ein Ding, um das gestorben ward.
FAUST
schreitet plötzlich zum sterbenden Bruder.
So knietest du, als einstmals du mich fandest,
So nahmst du meinen Kopf in deinen Schoß.

Der Bruder tastet nach ihm. Faust streicht ihm übers Haar. Der Bruder stirbt. Der Schulmeister schlägt das Kreuz. Kurzes Gebet.
RITTER.
Ihr Freunde, Schönres bringt das Leben nicht,
Als daß es die einander finden läßt
Aus seinen Wirrn, die zu einand gehören.
Kommt, laßt uns ruhvoll schlafen diese Nacht!

Sie verteilen sich und strecken sich in der Klause und im Gebüsch zum Schlafe aus, sodaß die eigentliche Bühne frei bleibt.
Nacht mit noch bedecktem Himmel. Faust allein. Ein leises Rauschen in der Luft wächst an und schwillt wieder ab.
FAUST.
Ein Vogelzug, der noch zum Süden strebt
Hin ob den Bränden, ob den Kämpfen hin,
Geruhsam hin! Für hundert Gottgeschöpfe
Trägt er ihr Leben – ihnen ist der Brand,
Der dir das Heim zerfrißt, ein Schimmer Lichts,
Dir sind sie selbst ein flüchtiger Laut im Ohr.
Wir sind uns fremd. Wenn ihr im Frühling singt,
Wenn Blumen-Holdheit unsre Kunst beschämt,
Wenn uns der Schmetterling mit einer Pracht,
Uns unnachschaffbar durch die Blicke spielt –
Ists nur ein Zittergruß von Fäden Seins,
Die sich durchschneiden, wie der Strahl den Strahl,
Doch von einand nichts kennen als den Schnitt.
Du Schweigensreich, das jeden Tag durchdüstert,
Und unser ganzes Erdendasein hin
Auch in der Stunden alleredelster
Kaum flüstert,
[121] Du Erdgeistreich, das tausend goldne Sphären
In heilgem Ineinander schwingt,
Doch nur in sich die großen Harfen klingt –
Dich zu erfassen, Weltenwelt, betasten
Wir einen Strahl ...

In den Büschen dämmert ein feiner Lichtschein auf und nimmt die Gestalt Gretchens an. Ein leiser Ruf.

Heinrich!
FAUST
mühsam gefaßt.
Dich hab ich einst gekannt!
GRETCHEN
mit heiterer Freundlichkeit.
Gelt du, dann konnt ich mich besser verstecken,
Als damals beim Necken
Zwischen Frau Martens Hecken?
FAUST.
Gretchen, ich sah dich beim Hochgericht!
GRETCHEN.
Mich nicht,
Dich sahst du hinaus und deine Schrecken,

Mitleidig.

Das nahmst du für mich.
Aber all deine ganze Krankheit lang
Bin ich um dich geschlichen,
Und nie gewichen –
Bei deinem Erbarmen
Mit den Armen,
Durch ihr Gesicht
Sah ich dich an –
Heinrich, erkanntest du mich denn nicht?
Freilich, noch mußt' ich ja immer schweigen.
Aber jüngst, als das große Brausen war
Vom Bösen,
Und ich nun wußte: du bist genesen,
Und es dann jauchzte, das heilige Licht,
Kam auch zu mir das Erlösen:
Schau, eh ihr das tut, was sie sterben nennen,
Darf mit altem Aug und Mund
Jede zu dem noch einmal kommen,

[122] Leiser.

Der ihr einst das Herz genommen ....

Verhallend.

Eh ihr das tut, was sie sterben nennen ...

Sie neigt sich über ihn, küßt ihm die Stirn und verschwindet. Faust sinkt, die Hände vor den Augen, in sich zusammen und bleibt so; nah beim Kruzifix, links im Vordergrund. Nach einer Weile sieht man im Hintergrunde Mephistopheles schleichen, wie er sich bei den Hingestreckten heimlich zu schaffen macht.
MEPHISTOPHELES.
Nun wedelt euch zum letztenmal der Schlaf
Mit seinem bunten Traumtuch weg, was ist.
Hei, was als Jugend prahlt, als Schönheit, Kraft,
Gewandtheit und Gescheitheit, Güte, Mut,
Das Morgen kehrt das all zusammen weg,
Und nur Kadaver bleiben, Stück für Stück
Vier Groschen Dung wert.

Er spritzt auf die Schlafenden.

Da, ich helf noch nach
Mit Mohn aus eignem Bau – schlaft tief und stört
Mir nicht mein Fest,

Er blickt grimmig auf Faust.

Mein Fest trotz alledem!

Kleine Pause, dann düster.

Dich glaubt ich endlich reif, da sagt ich's ihm,
Dem Herrn der Nacht ...

Wieder im Spotton.

dem Chef,

Wieder düster.

und wie zu Jenem
Im Judenland einst auf den Berg er trat,
Kam Satan hin zu dem

Wieder in leichtem Spotton.

und macht' Offert

Wieder düster.

Und alles, was er bot, und alles, was
Die Hölle nur zu bieten hat, und alles,
Wofür wir alles gaben – Alles – Alles ...
Für einen Teil wovon schon ich dereinst ...

Zwingt den Gedanken weg. Knirschend.

Ihm war's noch nicht das Knie zu beugen wert.
Für andre seine Seligkeit! Und bietet
Sie uns: »da nehmt – ich geb's für andre!« Grausen
[123] Macht mich das Wort: für andre. Was durchglüht
Von ihm, für uns geladen ist's mit Blitz ...

Sich fassend, wieder in leichtfertigem Spotton.

Mein Fest trotz alledem! Ich geb dich auf
Für später, Faust, hier aber hab ich dich
Und will ihn kosten, meinen Teil vom Pakt,
Will kosten sie, die Lust an deiner Qual
Vom Leckersten in dir, von dem in dir,
Was der da oben dir hineingeschenkt.

Er tritt an Faust heran. Dieser bemerkt ihn jetzt erst.
FAUST.
Wie kommst du her?
MEPHISTOPHELES.
Interessiert's den Herrn?
Die Raben fliegen und die Haie schwimmen,
Ich stech mich durch den Grund – 's ist halt 'ne Technik!
Heut ist der Tag, da unser Pakt begann.
FAUST.
Hast du ihn denn erfüllt? Wo ist das Faulbett,
Drauf ich mich dehne, vom Genusse fett?
MEPHISTOPHELES
nah an ihn heran.
Mein Doktorchen, der Pakt ist nett und rund:
Ich amüsier dich erst, und dann mich du,
Doch kaum hast du den ersten Braten drin,
Schreist du: »Genug!« Was hast du vom Verzicht,
Die ganze Menschheit geilt doch oder frißt,
Normale tuns mit dem, was dazu da,
Verrückte geil' und fressen mit dem Hirn,
Doch immerhin: für sich. Du willst's für Andere
Drum schob ich meinen Karrn auf neuen Weg
Und hol mir so herum mein Teil vom Pakt.
FAUST.
Meinst du, ich sah das nicht, wie jedes Werk
Du mir verdarbst? ...
[124]
MEPHISTOPHELES.
Der Spaß allein, daß du mich wieder riefst! ...
FAUST.
Wie deine Wonne war, die Seele mir
Am Heiligsten zu quälen?
MEPHISTOPHELES.
Himmelsmann,
Sieht sich dein Haupt über den Wolken um,
Ist das ein bißchen hoch, die Beine zappeln
Dann in der Luft – das sah mir lustig aus.
Nach Wahrheit gierst du ja, die Wahrheit, gut,
Die sollst du sehn, die sollst du sehn, und die
Brennt dir die Seele,

Gemütlich.

wie die Feuerchen
Die Leiber mir in meinen Töpfen kochen.

Lachend.

So dacht ich. Offne reden vom Geschäft.
Und wer wie du, will trotzdem meinen Dienst!
FAUST.
Ich will der Menschheit Zukunft sehn!
MEPHISTOPHELES.
Die deine?
FAUST.
Nein, Menschheitzukunft!
MEPHISTOPHELES.
In die Hölle sehn
Willst du schon jetzt? Das, Doktor, schaff ich dir!

Er dreht sich um und pfeift in die Tiefe der Bühne einen grellen Pfiff, der, vom Echo an den Hängen herumgeworfen, sich zu verstärken, zu vervielfachen scheint, in Windheulen übergeht und als solches die Szene begleitet. Mit ihm gemischt und an den Höhestellen ihn verdrängend tauchen all die Geräusche auf, auf welche die Worte deuten. Aber alles unbestimmt, auch die Bilder nur als Rauch-und Dunstgebilde.

Ihr Unsichtbaren um mich habt's gehört!
Die ihr gewesen seid, Uralte ihr,
Und heute seid und morgen werdet – her,
Heraus für Menschenaugen!

[125] In der Landschaft hinten beginnt ein graues Brauen, das dann und wann bis um die beiden brodelt und durch die Szene in steter Bewegung bleibt. Mephisto zu Faust.

Sieh in den Grund,
Er ist nicht, wie noch eben:
Den Urbrei siehst du,
Draus es kriecht, das Leben –
Ist's Dunst, ist's Land, ist's Wasser,
Was drum wallt?
Doch bald, –
Da ist's schon! –
Zeigt sich auch Gestalt.
Im Wuchern der Lachen
Schnappt's auf mit ungeheurem Rachen:
Das Freßtier ist's,
Das frühste auf der Welt,
Und schlingt und schlingt,
Was nur der Wanst ihm hält.
Sieh, schon ist's mehrfach,
Eins des andern Schreck –
Paß auf, bald frißt
Den Fresser selbst wer weg:
Das Raubvieh ist's –
Noch lauert's –
Das mitten in der Mast –
Jetzt kauert's
Zum kecken Satz –
Hei, wie's die Gurgel faßt!
Und siehst du dort,
Was noch am Boden kriecht?
Man sieht's nur schwer,
Weil's fremde Farben lügt:
Das Schlautier ist's,
Das alles noch besiegt.
Versteh's: die Welt wird dadurch, daß, was ist,
Sich frißt.
FAUST.
An allen Stellen
Rasch wandelt sich's ...
[126]
MEPHISTOPHELES.
Wie nichts war, du,
Gab's Ruh:
Das war die Hoch-Zeit,
Abwärts geht's im Schnellen ...
FAUST.
Wie starre Wellen
Was bleibt da stehn?
MEPHISTOPHELES.
Der See sinkt weg,
Da wird zum Berg der Dreck.
FAUST.
Was ist das drauf?
MEPHISTOPHELES.
Aha,
Das ist sein Nest –
Der Mensch ist da!
Die Bestie, die
Sich stets hinauf vermißt
Und alle frißt.
Doch das versteh:
Die Welt ist nicht so dumm,
Es kommt nichts um,
Wie er die Leiber aufgeräumt, vergaß er
Die Seelen nicht,
Der Viecher-Seelen auch,
Die fraß er:
Er fraß sie mit,
Sie sind nun in ihm drin –
Jetzt wie ein Raubdrach
Giert er in der Höhle,
Doch in ihm selber
Giert die Drachenseele ...
FAUST
für sich, hingerissen.
Wie's webt, wie's wirkt!
[127]
MEPHISTOPHELES.
Jahrtausende verhuschen –
Nun stehn schon Gaue
Wider sich im Kampf,
Und was hierher weht,
Stinkt von Pulverdampf,
Zum Trost dir, Faust:
Die Urviehseelen kamen
So mit der Zeit zu allerfeinsten Namen:
Die Raubtierseele prellt
Dir vor, sie wäre Mut,
Und nennt sich Held,
Das Wutvieh,
Nun heißt's Feuerblut:
Das Wanstvieh frißt,
Was alles macht, das Geld,
Man nennt das Wirtschaft,
Und das fleckt:
Der Geldsack selber heckt!
Schau, erdteildick
Hat schon die Vielfraßseele ihren Bauch,
Ihr Salbungsmaul
Schleimt erst die Länder ein,
Dann rutschen sie
Ihm glatt zum Schlund hinein:
»Fräß' es die Welt!«,
Hörst du begeistert schrein,
Denn wird erst die Gemeinheit kolossal,
Heißt sie ein Ideal ...
FAUST.
Wovon wird's heiß?
MEPHISTOPHELES.
He, Freundchen, merkst du was?
Die Feuerdrachenseele macht's, der Haß,
Den züchten sie
Als Hausvieh sich an Ketten,
Und letzen
[128] Sich d'ran, wie's bellt,
Und hetzen,
Wenn's ohnehin schon alles übergellt,
Doch bricht er los,
So bleibt nicht viel zu retten.
Hoho, hoho,
Jetzt hetzt er aus dem Stall
Die alten Vier,
Die Reiter hin ins All:

Der Lärm der Dämonen steigert sich und gipfelt.

Der Hunger märkelt
Die Knochen aus,
Die Seuche werkelt
Sich Tanzklöppel draus,
Spielt auf, spielt auf
Zum Krieg
Dem auf dem Klepper zum Sieg!
Zertanzt, was noch hält,
Und sind zerschellt
Noch die Trümmer der Welt –
Allher zusammen,
Sieh, springt die Flut,
Sind's Wellen, sind's Flammen,
Ist's Glut oder Blut?
S'ist Wut! ...
Das sind, die du liebst, Faust,
Das sind, für die du alles gibst, Faust,
Heia, macht dir's nicht wohlgemut?

Über allem wächst am Horizont ein riesengroßes wahnsinnverzerrtes Menschengesicht herauf.
FAUST.
Was wächst entsetzlich dort herauf?
MEPHISTOPHELES.
Merk auf:
Das ist der Direktor.
FAUST.
Der Satan selber wär's?
[129]
MEPHISTOPHELES.
Ah nein, oh nein:
Das ist der heiligen Menschheit Haupt –
Nur leider der Vernunft beraubt:
Die Viecherseelen,
Die sein Hirn besessen,
Sie haben's mit der Zeit
Ihm ausgefressen,
Das aber heißt:
Zum feinsten präpariert –
Hohl erst ward's reif,
Daß es die Welt regiert!

Losbrechend.

Würg es hinein, das Bild, und dran verrecke!
FAUST
zum Gesicht.
Ich will dich sprechen.
MEPHISTOPHELES.
Mensch, das wär' dein Ende!
FAUST
zum Gesicht.
Wer bist du, Spuk?
MEPHISTOPHELES
spottend.
Ein Spuk mit Erz und Stahl,
Pest und Verhungern, Gift und Feuerstrahl!

Das Gesicht beginnt sich zu verändern, indem sich seine Verzerrtheit mindert.
FAUST.
Wer zeugte dich?
GESICHT
anfangs lallend, mühselig, wie einer im Traum unterm Alb.
Die Ehre ...

Ringend.

mit ... der Gier ...
FAUST.
Wer säugte dich?
GESICHT.
Im Menschen ... war's ... das Tier ...
[130]
FAUST.
Wer tränkte dich?
GESICHT.
Der Opf'rer ... eignes Blut ...
FAUST.
Wer lenkte dich?
GESICHT.
Die Liebe ... und die Wut ...
MEPHISTOPHELES.
Genug geläppischt, euer Hü und Hott!
FAUST
ihn nicht beachtend, zum Gesicht.
Bist du vom Teufel?
GESICHT
sich freier ringend.
Und ich bin von Gott!
Und hab gemein mit Höchstem einen Ahn,
Vom Sehnen stamm ich ...
FAUST
hell und laut.
Ja, du bist der Wahn!

Im Gesicht wächst die Veränderung, die kranken Züge vergehen, Klarheit und Ruhe breiten sich aus.
FAUST.
Haupt, du veränderst dich, in deine Züge strebt
Ein Innres auf, darin das Edle lebt –
MEPHISTOPHELES
für sich.
Den kenn ich doch, den niederträchtigen Schein ...
FAUST.
Wahn, beides ist in dir!
MEPHISTOPHELES
höchst unruhig.
Pfuscht mir ... der ... Andre ... drein?
FAUST.
Du wärst der Wahn? So bist du Wahn, der hehr!
Du warst der Wahn, du bist der Wahn nicht mehr!
O Menschenleid, um eine Wahrheit warben
Die Sucher auch, die um ein Wähnen starben,
[131] Und selbst wenn mordend sich die Welt zerfleischt,
Ist Sehnen drin, das Recht und Frieden heischt ...
MEPHISTOPHELES
schreiend.
Verschwinde, Bild!
FAUST
aufjubelnd.
Dämon! Es bleibt! Es bleibt!
Nicht du, nicht du bist's, der die Erde treibt!
Das Sehnen ist's, und wenn's den Leib zerreibt,
Das Schaffen wird, und ewig formend hebt,
Gott ist's, der lebt!

Zum Gesicht.

Du bist die Menschheit, die im Suchen irrt!
GESICHT.

Ist mittlerweile zu einem überaus edeln Haupt geworden, das an den Goethe seiner reifsten Zeit erinnern mag.

Es baut der Gedanke
Ahn auf Ahn,
Wie er auch ranke,
Sich Wahn über Wahn –
Was dunkelt,
Sinkt heim in den schaffenden Schoß,
Was leuchtet,
Leuchtet die Wahrheit groß ...
Die Gottheit bin ich, die im Menschen wird.

Das Gesicht taucht langsam ins Dunkel zurück, an seiner Stelle beginnen die Sterne durchzubrechen.
FAUST
hebt sich zu vollster Höhe mit erhobenen Händen beseligt auf.
In mir auch wird!
Wie sucht ich, Gott, nach dir,
Und was mich suchen hieß,
Warst du in mir!

Jetzt gewahrt er plötzlich den Mephisto, der ihn wie eine Hyäne die noch lebende Beute umschlichen hat. Wie der Dämon sich gesehen fühlt, hält er lauernd an, so daß eine kurze Weile beide starr einander gegenüberstehn.

Du da, du bist nicht mehr!

[132] In entfesselter Wut springt die jetzt ganz teuflische Dämongestalt auf Faust zu und schlägt ihn mitten auf's Herz. Dann wühlt sie sich, verschwindend, schnell in den Grund. Am Himmel sind überall die Sterne durchgedrungen.

Das traf den Leib, die Seele traf es nicht!

Faust stützt sich.

Er ist erlebt, der höchste Augenblick

Faust sinkt nieder.

Und gütig zieht den Leib zur sanften Erde
Das Alles neu verwandelnde Geschick.
Ihr Sterne, die ihr aus dem Dunkeln taucht,
Ihr haucht
Mir Atem zu ... Ich fühl durch mich das Rinnen
Der Kräfte, die durch Welten spinnen ...
Was jemals wird, dort webt
Und wirkt es schon,
Und noch, was je gelebt ...
So löse mich in deinen Wogen auf,
Heiliger Schöpferstrom von Nacht und Licht!

Er stirbt. Nichts ist zu sehn als weiter Himmel in feierlicher Größe mit blinkenden Sternen aus blauer Nacht. Tiefste Ruhe. Nach einer langen Pause sinkt langsam der Vorhang.

Ende

[133]

Notes
Erstdruck: München (G.D.W. Callwey) 1919.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Avenarius, Ferdinand. Faust. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1635-2