Jens Baggesen
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer
Ein dramatisches Gedicht in drei Abtheilungen

Erster Theil

[Motto]

»Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,

Mit trefflichen pragmatischen Maximen –«

Faust der ältere.

Personen

[2] Personen des Vorspiels.

    • Lüthard, Herzog von Romanien.

    • Herzogin, dessen Gemahlin.

    • Graf von Strafmichgott, Generalfeldmarschall.

    • Prinz von Kotbus.

    • Prinz von Ellenbogen.

    • General von Wirbelzopf.

    • Festungscommandant.

    • Obristwachtmeister.

    • Julchen, eine kleine Hofdame.

    • Madame Dauphin. (Frau von Stael.)

    • Opitz, Baron von Boberfeld. (Göthe.)

    • Werder, Hofburgrath. (Wieland.)

    • Jordan Bruno, reisender Gelehrter. (Fichte.)

    • St. Preux. (Jean Paul.)

    • Doctor Stirn. (Dr. Gall.)

    • Doctor Schädlein.

    • Tollhausinspector.

    • Kammerherr.

    • Adjutant des Herzogs.

    • Keit.

    • Ein anderer Toller.

    • Eine Wahnsinnige.

    • Ein Unbekannter.

    • Mehrere Schriftsteller.

    • Mehrere Hofdamen.

    • Mehrere Stabsofficiere.

    • Wirthin in Jauer.

    • Bediente.

    • Romanische Soldaten.

    • Kalmucken, Tataren und Samojeden.

    • Marketenderin.

    • Courriere.

    • Eine Philisterarmee von fünf- bis sechshunderttausend Mann.
1. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Herzog Lüthard und der Generalfeldmarschall Strafmichgott sitzen an einem kleinen Tisch und spielen Schach.Kammerherr steht neben der Thür und zupft an seiner Cravatte.

HERZOG.
Ich nehme Seinen Thurm –
GENERALFELDMARSCHALL
in sein Spiel vertieft.
Dann nimmt der Herzog
Den Thurm, und ich – rochir' –
HERZOG.
Ich nehm' ihn, sag' ich,
Wenn Er nicht deckt.
GENERALFELDMARSCHALL
laut.
Es ist in meinem Plan.

Der Herzog nimmt den Thurm.

Und jetzt rochir' ich. Eure Hoheit dachten
Wohl nicht an diese Wendung? Jetzo steht
[3] Das Spiel gerade so, wie zwanzig Züge
Vorher ich es berechnet, straf mich Gott!
HERZOG.
Das wäre! Laß mal sehn!

Indem er zieht.

Nach meiner Meinung
Ist Seine Königin nicht mehr zu retten.
Zum Beispiel – Schach!
GENERALFELDMARSCHALL.
Auch darauf war ich längst
Gefaßt.

Er bedenkt sich lange, unterdessen wird die Thür geöffnet, und der Kammerherr naht sich dem Herzog.
KAMMERHERR.
Der Polizeiminister!
HERZOG.
Sag' ihm,
Er müsse warten. Mitten jetzt im Schach –
KAMMERHERR.
Es scheint, er habe was entdeckt –
HERZOG.
Entdeckt?
Ist er sehr stark bepackt?
KAMMERHERR.
Wie nie! Er schwitzt.
HERZOG.
Was meint Er, Generalfeldmarschall? Soll ich
Herein ihn lassen?
GENERALFELDMARSCHALL
zerstreut.
Wen?
HERZOG.
Den Polizei-
Minister?
GENERALFELDMARSCHALL
halb vor sich.
Jetzt! wo's Spiel gerade ...

Laut.

Geben
Sich Eure Hoheit überwunden?
HERZOG.
Wie?
[4] Mich überwunden? Nimmermehr! Mein Spiel
Steht besser als das Seine.

Zum Kammerherrn.

Kammerherr!
Bitt' er den Baron Hinketeufel, außen
Ein'n Augenblick zu warten!

Zu Strafmichgott.

Sput' Er sich,
Feldmarschall! denn mein Frühstück wird mir kalt.
GENERALFELDMARSCHALL
sein Spiel betrachtend.
So, straf mich Gott! –

Laut.

Es haben Eure Hoheit
Ja schon gefrühstückt!
HERZOG.
Körperlich. Mein Geist
Ist immer noch des Morgens völlig nüchtern,
Bevor ich, was des Nachts passirt, gehört –
Die Polizeiberichte.
GENERALFELDMARSCHALL.
Seit die Hauptstadt
Vom Feind genommen, bin ich Directeur
Der Polizei, so viel ich weiß –
HERZOG.
Der großen;
Der kleinen aber nicht. Regierungskunst
Steckt ganz in der geheimen Polizei –
Das hab' ich Ihm so oft gesagt – und diese
Besorg' ich durch den Hinketeufel selber;
Der ist mein Auge nur; und nicht einmal: –
Im Grunde nur mein Augenglas. Ich halte
Den Generalstab hoch; doch 's Militair
Kann überall nicht seyn – zumal wenn Alles
Im Lager ist.
GENERALFELDMARSCHALL.
Wo's fehlt, ist ja des Feindes,
Eu'r Hoheit! Das muß man den Vandaln lassen:
Die Polizei verstehn sie. Wo sie sind,
Ist sicher gar kein Aufstand zu befürchten –
Das Gute hat der Krieg auf jeden Fall.

Er vertieft sich wieder in sein Spiel.
[5]
HERZOG.
Der arme Hinketeufel!

Zum Kammerherrn.

Frag' Er doch,

Ihm leis' in's Ohr.

Ob er was Neues bringt von dem bewußten
Hebammen-Pikenik, wo die Maitresse
Des Prinz von Ell .... Genug! Er wird verstehn!

Kammerherr aus, und wieder herein.
KAMMERHERR
dem Herzog leis' in's Ohr.
Noch heute nicht, Eu'r Hoheit.
HERZOG.
Nun – das andre –
Sag' ihm, ich sey beschäftigt jetzt – er mög' Ihm
Die Portefeuillen geben. Werde sie
Nachher durchsehn. –

Zum Generalfeldmarschall, während der Kammerherr aus-, und wieder eintritt.

Ich habe Schach gesagt.
GENERALFELDMARSCHALL.
Thut nichts. Was sagen aber Eure Hoheit
Zu diesem Zug?
HERZOG
betrachtet genau das Spiel, und zieht.
Ich sage Schach, und – Matt!
GENERALFELDMARSCHALL.
Matt – matt! – Schach-matt – was? sagen Eure Hoheit
Matt? was? wo? wie? – Ja! straf mich – Matt! Ist's möglich?
HERZOG.
Es muß wohl, weil es wirklich ist. Feldmarschall!
Fatale Vorbedeutung! Spielt er nicht
Das große Schachspiel bald im Felde besser,
Dann wehe meinem Herzogthum!
GENERALFELDMARSCHALL
aufstehend.
Gerade
Das Gegentheil, erlauben Eure Hoheit!
Sehr gute, straf mich! gute Vorbedeutung.
Ich habe nämlich meinen Plan verfolgt,
[6] Den Regeln der bejahrten Taktik treu,
Und Eure Hoheit haben's Spiel gewonnen.
HERZOG
ebenfalls aufstehend.
Genug vom Spiel! Jetzt zu was Ernsterem.
Er meint denn also, Generalfeldmarschall,
Man müsse nur anrücken lassen?
GENERALFELDMARSCHALL.
Unstreitig, Eure Hoheit, straf mich Gott!
Werd' ich sie Alle schlagen – und je mehr
Je besser. – Darum möcht' ich eben
Sie All', im Lande hier, auf einen Fleck
Zusammenhaben. Denn zusammenhaben
Und sie zusammenhauen, Allzusammen,
Das ist mir allzusammen Eins, so wahr
Ich lebe, straf mich Gott!
HERZOG.
Die Generale,
Zumal der Tatarn und der Samojeden,
Sind alle ganz verschiedner Meinung. Alle
Sind eingekommen mit Gesuchen – haben
Hier vor mir, Einer nach dem Andern, gar
Auf ihren Knien geweint, geschluchzt, gefleht,
Ich möcht' es nicht darauf ankommen lassen,
Nicht warten, bis der Feind uns, überlegen
An Zahl, vielleicht umflügle; sondern gleich
Den Vordertrupp angreifen, und sein Heer
So nach und nach aufreiben.
GENERALFELDMARSCHALL.
Nach und nach? –
Auf einmal müssen, straf mich! alle Heere
Vernichtet werden, ganz, daß auch kein Flüchtling
Am Leben bleibt. – Was ich am meisten fürchte
Vom Feind, ist seine Flucht. Und schlügen wir
Das erste Heer, so flöhen gleich die andern.
HERZOG.
Doch sind dreihunderttausend Mann schon da.
GENERALFELDMARSCHALL.
Vierhunderttausend schon, so straf mich Gott!
[7] Die Reiterei noch ausgenommen, und
Es nahn schon hunderttausend andre.
HERZOG.
Donner!
GENERALFELDMARSCHALL.
Thut nichts, Eu'r Hoheit, straf mich Gott!
HERZOG.
Was giebt
Ihm eigentlich die Zuversicht, Feldmarschall,
Die übergroße Zuversicht?
GENERALFELDMARSCHALL
auf seinen Kopf deutend.
Das hier,
Das grau geworden in der alten Taktik –
Die Festung Dummliz, die unüberwindlich –
Und dieser Stock –

Er macht einen Schwung damit.
HERZOG.
Sein Stock da?
GENERALFELDMARSCHALL.
Ja, mein Stock,
Die Seele der Armee, – der Disciplin
Erfuchtler und Erhalter, tausendfach
In meiner Korporale Marschallstäben
Verkörpert. – Dies von Seiten unsrer! Und
Von Feindes Seiten? Die Grünschnäblerei
Der Führer, und der Plunder der Geführten!
Was sind's am Ende? Winz'ge Zwerghalunken,
Kaum fünf Fuß hoch! nur Lumpenkerls, Gesindel
Aus allen Ständen, Bauerlümmel, Bettler,
Worunter Juden, und Studenten gar,
Perrückenmacher, Schneider und Gelehrte;
Gelehrte, hat man mir gesagt – bedenken
Doch Eure Hoheit! – selbst Gelehrte! Was
Bedeutet all' das Zeug? Laß zehnmal stärker
An Zahl sie seyn – mit einem einzigen
Gehörig durchgefuchtelten Grebiner
Schlag' ich zweitausend lange Hosenträger
Todt – mausetodt, so straf mich Gott!
[8]
HERZOG.
Sie sind
Jetzt auch disciplinirt.
GENERALFELDMARSCHALL.
Kein' Ahnung! Nichts!
Kein Stock wird noch gebraucht. Und ohne Stock
Ist Disciplin so wenig möglich, als
Bewährte Taktik ohne graue Haare,
Und ächter Korporalschnitt ohne Zopf.
HERZOG.
Doch sie gehorchen ihren Führern, und
Die Führer, grüne Schnäbel, wie sie sind,
Verstehen's, wie es scheint.
GENERALFELDMARSCHALL.
Verstehen – was?
Die Taktik, wie gesagt, verstehn sie nicht,
Und also nicht den Krieg.
HERZOG.
Sie waren doch
Bis jetzt beständig Sieger.
GENERALFELDMARSCHALL.
Freut mich eben!
Die Ehr' ist um so größer, sie zu schlagen.
Ich habe zwanzig Jahre drauf gelauert –
Jetzt ist mein Wunsch erfullt.

Man klopft außen an der Thür. Kamemrherr geht hinaus, und kömmt wieder herein – sich gegen den Herzog verbeugend.
KAMMERHERR.
Courrier aus Pilzach,
Mit wichtigen Depeschen, die er selbst
Muß Euer Hoheit übergeben, sagt er.
HERZOG
zum Generalfeldmarschall.
Des Baron Schnüffelbrenner's ganz gewiß!
'S st hohe Zeit. –

Zum Kammerherrn.

Herein!
GENERALFELDMARSCHALL.
Ich –
[9]
HERZOG.
Bleib' Er nur!
Wir lesen sie zusammen gleich. – Er muß
Vor Allen wissen, wie es steht da draußen.

Kammerherr ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
COURRIER
tritt herein und übergiebt dem Herzog die Depeschen.
Wenn gnädigst –
HERZOG
erbricht den Brief.
Wart' Er nur!

Fängt an zu lesen.

»Durchlauchtigster,
Erhabenster, unüberwindlichster
Monarch, mein gnäd'ger Fürst und Herr!« – Nun kömmt's –
Was Teufel? Alles ist chiffrirt! Das muß
Verflucht geheim und wichtig seyn!

Zum Courrier.

Hör' Er!
Versteht Er's dechiffriren?
COURRIER
empfindlich.
Gnäd'ger Herr!
Ich bin Gesandschaftsheimlicher –
HERZOG.
Das heißt?
COURRIER.
Der Secretair der Legation.
HERZOG.
Das freut mich;
So komm' Er her, und les' uns das!
COURRIER
empfängt die Depeschen und liest.
»Gehorsamst,
Pflichtschuldigst, nach dreivierteljähr'gem Tragen,
Antragen und H'rumtragen, eifervoll
[10] Für meines Fürsten Ehr' und Zwischenseyn
In jeder Zufallsfügung« –
HERZOG
unterbrechend.
Halt' Er da! –
Was heißt das Alles, kurz gefaßt!
COURRIER.
Ganz kurz: nach neunmonatlichem Bestreben.
HERZOG.

Wozu denn das Uebrige? Sag' Er von mir dem Baron Schnüffelbrenner, er solle sich künftighin kürzer fassen und deutsch ausdrücken. Denn ich will verstehen, was man mir schreibt. Nun weiter!

COURRIER.

»Umsichtsvoll zugleich und tiefdurchdrungen vom Bedarf der Aufrechthaltung eines erst im Keim aufstrebenden Vereins; das Zwischenseyn« –

HERZOG
unterbrechend.
Was sagt Er?
COURRIER.
Euer Hoheit Zwischenseyn –
HERZOG.
Feldmarschall! versteht Er das?
GENERALFELDMARSCHALL.
Habe noch kein Wort verstanden.
COURRIER.
Bitt' um Verzeihung! Zwischenseyn heißt so viel als Interesse.
HERZOG.

Teufelsdonner! Was ist das für eine Sprache? Kömmt Er mir noch ein einzig Mal mit so 'nem Wort, so sind ihm dreißig sicher, rechn' Er drauf! Nun weiter! aber kurz, hört Er? deutsch und kurz!

COURRIER
fortlesend.

»Das Interesse der Majestät beständig vor Augen, hab' ich endlich herausgebracht, warum der Harzgesandte die Prise, die der Fichtelberger ihm auffallend höflich bot, und die er lächelnd, auch scheinbar artig, annahm, fallen ließ. Das hübsche Fräulein Schmieder, das nun wirklich[11] Hofdame bei der Kurfürstin geworden, wo der Kurprinz sie alle Wochen sieht, und bisweilen spricht, sagt man, steckt dahinter.« –

HERZOG
zum Generalfeldmarschall.

Der Schnüffelbrenner, das muß man ihm lassen, hat eine feine Nase. Bravo! das also hat er am Ende herausgerochen!

GENERALFELDMARSCHALL.
Was geht uns aber –
HERZOG
schnell einfallend.

Das sag' Er nicht! Alles, auch das Kleinste, ist bedeutend. Das sind Cabinetsverkehre, worauf Er sich, wie überhaupt im Ganzen auf Staatsraisons, nicht versteht. Auch braucht Er's nicht, als Feldherr. Er hat nur auf das Große zu sehen.

GENERALFELDMARSCHALL.
Ich seh' auf den Kamaschendienst –
HERZOG.

Da hat Er recht. Mir aber ist auch das Kleine wichtig, denn es liegt das Große im Kleinen, wie der Staat mit allem Räderwerk von Krieg und Frieden in meinem Kopfe. Zum Courrier. Les' Er nur weiter, Gesandtschaftssecretair!

COURRIER
fortlesend.

»Auf diese Spur einmal gebracht, hab' ich mich unverzüglich bei'm Mundkoch Seiner Excellenz, wo das Begebt-Euch des urkundlichen Körpers, –«

HERZOG.
Wessen Körpers?
COURRIER
sich corrigirend.
Des corps diplomatique« –
HERZOG.
Was hat das bei'm Koch zu thun?
COURRIER.
Da ist das Rendez-vous seit mehr als einem Monat.
HERZOG.
Gut! – Weiter!
[12]
COURRIER
fortlesend.

... »einführen lassen, und die hübsche Tochter desselben, der sie Alle den Hof machen, und die mir, ohne mich zu rühmen, besonders gut scheint, – sie hat viel Geist, und weiß von Allem – steckt mir, was Seine Excellenz ihrem Vater Wichtiges vertraut. Auf diese Weise vernahm ich schon gestern, daß auf eine Weise von mir gesprochen worden, die mich hoffen läßt, noch ehe das Jahr um ist, vorgelassen zu werden. – Was man übrigens hier mit uns vorhat, ist mir bis jetzt auszuspüren unmöglich gewesen. So viel scheint indessen gewiß, daß vor dem Herbste schwerlich die Armee, wohin es auch sey, beweglich werde. Das verbürg' ich Euer Hoheit, daß auch, was uns betrifft, sich Keiner rühmen wird, aus mir in irgend etwas je klug geworden zu seyn. – In der tiefsten Demuth –

HERZOG.
Genug!
COURRIER.
Der Brief hat noch eine Nachschrift, Gnädigster –
HERZOG
schnell.
Laß hören!
COURRIER
lesend.

»Während ich beschäftigt bin, diese Depesche zu chiffriren, wird ganz unvermuthet der Armee der Befehl zum Aufbruch gegen uns ertheilt. Während ich selber ihm auf der Ferse nachfolge, sende ich auf gut Glück den Gesandtschaftssecretair als Courrier. Möge er nur früher eintreffen als der feindliche Trompeter!«


Courrier verbeugt sich und geht ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
HERZOG.
Was sagt Er nun dazu, Feldmarschall?
[13]
GENERALFELDMARSCHALL
der, an's Fenster gelehnt, eingeschlafen war, auffahrend.
Straf mich –
Hat Alles nichts zu sagen.
HERZOG.
Hunderttausend –
GENERALFELDMARSCHALL.
Und zehnmalhunderttausend – Alles Eins!
Man warte nur ganz ruhig!
HERZOG.
Marschall! Marschall!
Ich fürcht', Er spielt zu hoch das Spiel, und ich
Bezahl's am Ende. – Doch ich wag' es drauf!
Es ist mir gnug, daß Alle gegen Ihn.
Man soll nicht sagen, daß sich Herzog Lüthard
Hat rathen lassen. Ist sein Zögern doch
Zum mindsten gegen allen Rath!
GENERALFELDMARSCHALL.
Nur That
Ist meine Sach', und meines Herzogs Wille
Mein einziges Gesetz, so straf mich Gott!
Ich weiß, daß auszurotten die Vandalen
Des Herzogs Wille ist –
HERZOG.
In Bund und Grund.
KAMMERHERR
an der Thür.
Courrier!
HERZOG.
Herein!
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
EILBOTE
tritt auf.
Die Philister stehen schon auf dem großen Jauerfelde nahe bei Dummliz; nur zwei Meilen von hier.
[14]
GENERALFELDMARSCHALL.
Laß sie stehen! – Wie stark sind sie?
EILBOTE.

Fünfhunderttausend Mann stark. Und sechshunderttausend, sagt man, seyen nicht weit hinter ihnen her im Anzug.

GENERALFELDMARSCHALL.
Gut!

Eilbote watschelt ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
HERZOG.

Wahrhaftig, Herr Generalfeldmarschall, Er flößt Einem Muth und Vertrauen ein mit seiner Ruhe. Aber sag' Er: Was Teufels hat Er da für Feldcourriere? Der Kerl ist ja nichts als Bauch!

GENERALFELDMARSCHALL.
Der Bote?
HERZOG.

Ja, der Courrier eben. Watschelt er nicht daher wie eine trächtige Kuh? der dickste Fettwanst im ganzen Reich!

GENERALFELDMARSCHALL
lächelnd.

Ich habe ihn selber zu dem Posten ausersehen. Alles mit Vorbedacht, Eure Hoheit! Im Felde ist nichts gefährlicher als Uebereilung. Langsam, sag' ich immer, nur langsam!

KAMMERHERR
an der Thür.
Noch ein Bote kömmt.
HERZOG.
Herein!
[15]
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
ZWEITER EILBOTE
stürzt athemlos herein.
Die siebenhunderttausend Mann, die im Anzug sind –
GENERALFELDMARSCHALL.
Langsam! geb' Er sich nur Zeit! – Nun, was sind sie?
EILBOTE.
Sind zu den Andern schon gestoßen.
GENERALFELDMARSCHALL.
Schön!
EILBOTE.
Nichts zu befehlen weiter, Herr General – –
GENERALFELDMARSCHALL.
Nichts.

Zweiter Eilbote ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
GENERALFELDMARSCHALL.

Wir werden morgen, oder übermorgen aufbrechen; denn sie werden nach so schnellen Märschen ausruhen müssen.

HERZOG.
Generalfeldmarschall!
GENERALFELDMARSCHALL.

Nur ruhig, Majestät! Lassen sie unterdessen die Lustbarkeiten, wie sie hier in Jauer etwa zu haben sind, beginnen. Denn die Schlacht ist, straf mich Gott! schon gewonnen. Uebermorgen findet kein Philister-Esel mehr Futter in ganz Romanien.

HERZOG.
Das gebe Gott!
[16]
KAMMERHERR
öffnet die Thür.
Die Herzogin!
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Herzog. Generalfeldmarschall. Kammerherr. Die Herzogin, vonHofdamen begleitet, die sich zu beiden Seiten stellen, nähert sich dem Herzog, ihn unruhig anblickend.

HERZOGIN.

Wie steht es, Lieber? – Ist Dir nicht wohl? Hast Du nicht gut geschlafen? Ist etwas vorgefallen? Du siehst so ernsthaft aus.

HERZOG.

Das Ding wird auch ernsthaft. Elf- bis zwölfhunderttausend bisher unüberwindliche Krabaten stehen gegenwärtig nur noch ein paar Meilen von Jauer.

HERZOGIN
zu dem Generalfeldmarschall sich wendend.
Und Sie, Herr Feldmarschall, stehen noch hier? Und Riemand rührt sich?
GENERALFELDMARSCHALL.

Freilich, es ist grausam von mir, so lange zu warten, doch Schonung wäre Schwäche, Hochverrath, ja wahre Sünde, Hoheit! Straf mich Gott!

HERZOGIN
zum Herzog.
Was meint er damit? Was will er sagen?
HERZOG.
Daß er mitleidslos sie Alle auf einmal morgen oder übermorgen gräßlich zusammenhauen werde.
HERZOGIN.
Gott sey Dank! Aber ist das gewiß?
ALLE HOFDAMEN.
Ist das gewiß? Ist das gewiß? gewiß? gewiß? –
[17]
GENERALFELDMARSCHALL.
Gewisser als gewiß! Unfehlbar! straf mich Gott!
HERZOGIN
zum Herzog.
Dann bleiben wir, nicht wahr, bis übermorgen hier?
HERZOG.
Natürlich. Denn vorwärts können wir nicht, und ich werde in meinem Leben niemals rückwärts gehen.
HERZOGIN.

Das Wirthshaus hier ist aber ganz erbärmlich, und es fehlt gänzlich an Platz, zumal da es voll von Fremden ist.

HERZOG
zur Herzogin.
Was für Fremde? sind's notable Personen?
HERZOGIN.

Sehr notable. Ich wünschte herzlich, zu einer andern Zeit, die Einen kennen zu lernen, die Andern fürstlich zu bewirthen. Erstlich ist da der gute alte Werder.

GENERALFELDMARSCHALL.
Lebt der noch?
HERZOGIN.
Pfui, schämen Sie sich, Herr Generalfeldmarschall! solches nicht zu wissen.
GENERALFELDMARSCHALL.
Burgrath, glaub' ich – Pah!
HERZOGIN.
Dann Bruno, der berühmte Jordan Bruno aus Nola.
EINIGE HOFDAMEN.
O! den wünschten wirken nen zu lernen.
HERZOGIN.
Warum gerade Den?
HOFDAMEN.
Nur um zu wissen, wie ein Atheist aussieht.
HERZOGIN
auf den Feldmarschall zeigend.
Da sehen Sie nur Den an, nicht Bruno.
[18]
GENERALFELDMARSCHALL.
Straf mich Gott! Die Hoheit belieben zu scherzen. Hab' an Theismus in meinem Leben nie gedacht.
HERZOGIN.
Und dann Saint-Preux!
ALLE HOFDAMEN
vor Freude hüpfend.
Saint- Preux! Saint-Preux!
EINE KLEINE UNTER IHNEN.
O könnt' ich nur die Spitze seines kleinen Fingers sehen! O mein Saint- Preux!
GENERALFELDMARSCHALL.
Wer ist das? Ein Franzos?
HERZOGIN.
Dem Namen nach; aber der Sprache nach ein Deutscher, und übrigens ein Mensch –
EINE HOFDAME.
Mehr als ein Mensch –
EINE ANDERE.
Ein Blumengenius –
EINE DRITTE.
Ein Engel –
EINE VIERTE.
Ein Geist! –
HERZOGIN.
Dann endlich, den Parnaß zu krönen, unser Opitz.
ALLE HOFDAMEN.
Der große Opitz! göttlich, göttlich!
GENERALFELDMARSCHALL.
Der Herr von Boberfeld? ein artiger Mann, und – straf mich Gott! sehr gescheut.
HERZOGIN.
Sie kennen also –
GENERALFELDMARSCHALL.
Den Herrn von Boberfeld? Gar sehr.
HERZOGIN.
Doch schwerlich den Opitz.
HERZOG.

Allerdings sind das notable Personen; vielleicht die [19] notabelsten, die ich in meinen Staaten besitze. Möchte sie gerne einmal um mich versammeln.

HERZOGIN.
Willst Du, mein Bester? Es kann geschehen; wir laden sie zu Mittag!
HOFDAMEN
hüpfend.
Dann haben wir fruchtbringende Gesellschaft.
HERZOG.
Ist aber was zu haben hier?
HERZOGIN.

Sie werden schwerlich mehr essen, als die sieben Obristen, die heute nicht kommen, und auf die man doch gerechnet hatte.

DIE KLEINE HOFDAME.
Saint-Preux ißt nichts.
HERZOGIN.
Woher weißt Du das, mein Julchen?
JULCHEN.
Er lebt von Maienthau?
HERZOGIN.
Närrchen! glaubst Du das?
JULCHEN.

Gewiß! ein wenig Honig vielleicht, und dann und wann ein Bischen Salz dazu – wenigstens hab' ich ihn mir beständig so vorgestellt.

HERZOG.
Sie trinken aber.
HERZOGIN.
Nur Rheinwein.
HERZOG.
Den hab' ich leider nicht.
HERZOGIN.
Ist unser Rheinwein alle?
HERZOG.
Ich fürchte.
HERZOGIN.
Bier trank Opitz vor Zeiten gern, ächtdeutsches Bier. Solches ist hier vortrefflich zu haben.
[20]
HERZOG.
Aber –
KAMMERHERR
öffnet die Thür, ein Bedienter tritt herein, und flüstert ihm etwas in's Ohr.
Der Doctor Stirn steigt eben ab in diesem Wirthshaus.

Alle, außer dem Herzog und der Herzogin, laufen an die Fenster.
MEHRERE HOFDAMEN.
Der ist es! Der ist es! Der mit dem großen Schädel.
JULCHEN.
Himmel! was ist das? Ich glaube, er hat sich einen Todtenkopf zum Reisen aufgesetzt.
EINE ANDERE HOFDAME.
Wahrhaftig! ich möchte aber gern seinen eigenen Kopf sehn.
JULCHEN.
Der liegt noch im Koffer.
HERZOGIN.
Was schwatzt Ihr da für Zeug? Seyd Ihr toll, Ihr Mädchen?
GENERALFELDMARSCHALL.
Straf mich Gott! ich glaube selbst, es ist nur ein Reisekopf.

Ein Bedienter öffnet wieder die Thür.
KAMMERHERR.
Frau Dauphin ist angekommen.
ALLE HOFDAMEN.
Madame Dauphin! Dauphine! Gott! Delphine!
HERZOGIN
zum Herzog.

Ich muß gestehen, Du thätest mir einen großen Gefallen, mein Gemahl! wenn Du mir erlauben würdest, sie alle heute zur Tafel einzuladen.


Die Hofdamen hüpfen.
HERZOG.

In Gottes Namen! – Hätten wir nur mehr Local! In diesem jämmerlichen Wirthshause kann man sich ja [21] kaum rühren. – Sind es doch allesammt solche Namen, die zur Hälfte die halbe Welt erfüllen!

HERZOGIN.
Gerade solche brauchen wenig Platz.
HERZOG.
Es schickt sich noch weniger, Andere so einzuengen, als uns selbst. – Man rufe den Wirth!
KAMMERHERR
indem er die Thür öffnet, und einem Bedienten Ordre giebt.
Es ist eine Wirthin, Eure Hoheit.
HERZOG.
Gleichviel. Zum Generalfeldmarschall. Ist aber nicht noch ein anderes größeres Gebäude hier?
GENERALFELDMARSCHALL.
Das Tollhaus.
HERZOG.
Ist Er toll?
GENERALFELDMARSCHALL.

Das Tollhaus – straf mich Gott! ein hübsch Gebäude: geräumig, Hof und Garten. Man jagt die Tollen heraus sammt dem Inspector.

HERZOG.

Die Tollen loslassen! Ist Er toll? frag' ich noch einmal. Sie würden ja gleich das Dorf anzünden, oder –

GENERALFELDMARSCHALL.
So schlage man sie todt, um Unglück zu verhüten.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Kammerherr öffnet die Thür. Die Wirthin tritt herein mit vielen Knixen.

HERZOG.
Höre Sie, Frau Wirthin! ist hier in Jauer nicht eine Art von Schloß?
[22]
WIRTHIN.

Das Tollhaus – Ihro Hoheit aufzuwarten! Habe mich schon gewundert, daß Ihro Hoheit nicht sogleich darnach gefragt haben. Es war vor Zeiten das Stammschloß – blieb lang verfallen – bis etwa vor sechzig oder siebenzig Jahren es ganz reparirt und aufgeputzt wurde vom seligen Herzog – Gott erhalt' ihn selig, lang, in seinem Grabe! Er war ein gar guter Herr! Wischt sich die Augen mit der Schürze. Wir bekommen schwerlich – doch – Ihro Hoheit sind ja sein Herr Sohn! was sag' ich denn? – Das Haus ist werth, gesehen zu werden. Es haben es auch alle hohe Reisende bis jetzt besichtigt, und waren sehr zufrieden damit. Hat einen großen Garten – schön umgeben mit hohen Mauern, aufzuwarten! Und Keller, Hof und Wagenschaur und Stall, und einen Blitzableiter auf dem Dach seit Ostern. – Die kleine Hoheit da Auf Julchen zeigend. hat es schon von der Küche aus gesehen – und dann ist der Inspector – wie heißt er doch? – Verzeihen Ihro Hoheit! ich kann mir den curiosen Namen nie recht behalten – genug, der Herr Inspector, der Tollinspector ist ein Herr, der lebt wie Ihro Hoheit fast – ein Tisch, wie ehmals bei meinem alten Herrn, dem Superintendenten, –Gott hab' ihn selig! – alle Tage Braten, Geflügel und Pasteten, und den besten Johannisberger, der nicht mehr zu haben – Gott sey's geklagt! – übrigens ein ganz natürlicher, gemeiner Herr, der gar nicht stolz, nein, gar nicht vornehm, auch im Schlosse bei'm ganzen Regiment sehr beliebt ist – obgleich sie sämmtlich – Gott behüte einen jeden guten Christen! und uns Alle! – Sie prickelt sich auf die Stirn. hier rappeln – Ihro Hoheit aufzuwarten!

HERZOG.
Ist Sie fertig?
WIRTHIN.
Der Herr Inspector –
[23]
KAMMERHERR
zupft sie bei'm Rock.
Schweigt doch, schweigt,
Wenn Ihr mit Seiner Hoheit sprecht!
WIRTHIN.
Ja so!
HERZOG.
Laßt den Inspector rufen!
KAMMERHERR
geht zur Thür, die Wirthin mitziehend.
WIRTHIN.
Ihro Hoheit! – Aufzuwarten!

Knixend ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
HERZOG.
Ich will allein seyn.
HERZOGIN
mit den Hofdamen abgehend.
Also mein Gemahl?
HERZOG.
Ich hab's bewilligt – also bleibt's dabei.

Indem sie Alle herausgehen, ruft noch der.
KAMMERHERR.
Der Prinz von Ellenbogen!
HERZOG
mit der Hand abschlagend.
Nicht doch! Niemand.
[24]
2. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Tollhausinspector, und Doctor Stirn, der eben angekommen, gehen im Gespräch mit einander auf und ab. Bruno unterhält sich mit einem Narren auf der einen, und St. Preux mit einer Närrin auf der anderen Seite.

TOLLHAUSINSPECTOR.
Sie sehn, Herr Doctor, daß für frische Luft
Gesorgt ist. Ueberhaupt, ich schmeichle mir,
Daß (ohne mich zu rühmen) schwerlich je
Sich irgendwo zweckvoller eingerichtet,
Vollständiger im Innern, wie im Aeußern,
Und reichsverfassungsmäßiger in Allem
Ein Irrhaus finden wird. Auch, Gott sey Dank,
Fehlt's nicht, seit meiner Obhut hier, an Zufluß
Von allen Orten her. Man strömt, man drängt sich
Um Plätze – vollends seit den letzten Oster-
Und Michaelismessen. Das Gebäude
Glücklicherweis' ist sehr geräumig, weit
Das größt' im ganzen heilg'en röm'schen Reich.
[25]
DOCTOR STIRN.
Das freut mich. In der That, nach dem, was alles
Ich hier gesehen, wäre sehr zu wünschen,
Daß alle Institute gleicher Art
Von der Zweckmäßigkeit –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Da fehlt wohl viel?
Ich habe nie gereist.
DOCTOR STIRN.
Was Inneres
Betrifft, da fand ich solches ungefähr
In allen Instituten ganz dasselbe;
Im Aeußern aber fehlet allerdings
Gar viel, daß irgend eins mit diesem sich
Vergleichen könn' – es möchte höchstens etwa
Das heutige Taubstummeninstitut
Der Freiheit in Paris Ausnahme machen.
Sind die Mitglieder alle hier bekreuzt
Zum Beispiel?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Wie, Herr Doctor, meinen Sie?
DOCTOR STIRN.
Ich mein': ob sie ein äußres Zeichen haben,
Damit man sie von Pflegern, Wärtern, Wächtern,
Und sonstigen Beamten, leicht und schnell
Und unzweideutig unterscheiden könne?
Ein Kreuz, zum Beispiel, wär's auch etwa bloß
Von rother Kreide, wie das Schlächterkreuz
Pikardischer Marktschafe?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nein, bis Dato
Sind sie bloß numerirt gewesen. Doch –
(Ich bin für die Bemerkung Ihnen sehr
Verbunden, werthester Herr Doctor) – nächstens
Werd' ich auch Sorge tragen, daß daneben
Sie decorirt noch werden. Wüßt' ich nur,
Wo solches Zeichen ihnen anzubringen,
Und wie? Denn weit die mehrsten reißen alle
[26] Bedeckung von sich ab. Nicht bloß die Nonnen,
Auch selbst die Brüder Einsiedler (so nennen
Wir die, so hier im Garten innerhalb
Des Hauptgebäudes ihre Zellen haben)
Gehn oft – und zwar am liebsten – splitternackt.
DOCTOR STIRN.
Dann – malen Sie es ihnen auf die Brust –
Noch besser an die Stirn – am allerbesten
(Ich thät's an Ihrer Stelle) an den Hintern –
Da lassen Sie's einbrennen! Ihre Haut
Ist zarter nicht, als die der übrigen
Geschor'nen Wollenthier' – Es wird sogar
Recht angenehm sie kitzeln. Denn so sind
Die Menschen einmal: fast bei keinem Thiere
Fehlt das Organ für Außenwürde gänzlich.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sie unterscheiden wenig, wie es scheint,
Das Zweibein von dem Vierbein, die Vernunft
Vom Sinninstinct, Herr Doctor?
DOCTOR STIRN.
Wenig? – Gar nicht!
Der Mensch ist ein durch Sprache, Priesterthum,
Und Staatsverfassung tollgeword'nes Thier. –
Sie haben einen guten Arzt?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich kann
Noch nicht urtheilen. Doch ich glaub'. Er ist
So eben angekommen. Der vorher'ge
(Der auch Magnetiseur noch war) – erhielt
'nen Ruf nach – Ding – als Universitätsarzt.
Wir haben viel an ihm verlor'n; er kannte
Die Tollen alle, hatte sie studirt,
Und nichts als sie. Er wußt' um so viel besser
Mit ihnen umzugehn, als er auch selber
Ganz richtig nicht im Kopfe war. Indessen
Kann dieser ebenfalls sehr brav noch werden.
Er hat, so jung er ist, schon viel Empirik,
[27] Und ist ein halber Schüler des berühmten
Hirndoctor Stirn.
DOCTOR STIRN.
Der bin ich eben.
TOLLHAUSINSPECTOR
nimmt den Hut ab.
Ist's möglich! Freut unendlich mich, Herr Doctor,
Die Ehre, einen Mann – Verzeihen Sie,
Ich hatte Dero werthen Namen falsch
Gehört. 'S ist unverzeihlich – hätt' an Ihrer Stirne
Gleich lesen sollen –
DOCTOR STIRN.
Sie sind gar zu gütig,
Herr Tollinspector! – Sagen Sie mir doch,
Weil ich nun einmal hier bin, lassen sich
Die Zöglinge die Köpfe gern befühlen?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nicht alle, werthester Herr Doctor. Ein'ge
Hab' ich, als ihr Herr Schüler ankam, mit Gewalt
In rings mit Eisen stark beschlag'ne Tonnen
Festrammeln müssen, um sie etwas still
Bei dem Versuch zu halten. Apropos!
Es stecken drin ein Paar noch. Wenn's gefällig,
So wollen wir sogleich in's Innere
Des Kern-Psychlogikums –
DOCTOR STIRN.
Psychlogikum?
Ist das der Hörsaal?
TOLLHAUSINSPECTOR
lächelnd.
Nein, so nennt Herr Schädlein
Das hies'ge Hirn-Laboratorium.
Dort treffen wir ihn auch; er wird sich freun –
Wenn Sie belieben also jetzt –
DOCTOR STIRN.
Recht gern.

Sie gehen zusammen nach den innern Zellen.

[28]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
BRUNO
zu einem Tollen an der rechten Seite.
Man hat Ihn also, wie es scheint, mit Unrecht
Hieher gebracht? Abscheulich!
DER TOLLE.
Giebt es Recht
Im heutigen Zeitalter?
BRUNO.
Er hat Recht!
Gab man denn gar nichts an, auch als Prätext?
DER TOLLE.
Prätext? Mehr als genug!
BRUNO.
Was?
DER TOLLE.
Meine Lehre:
Ichlehr' – Urlehr' – Alllehr' – Einfachheitslehre –
Mein Allerhöchstichselbstichheitssystem.
BRUNO.
Hat eine Einheitslehre Er geschrieben?
DER TOLLE.
Ein'? – o! mein armes Publicum! – nicht eine;
Drei – neune – neunmalneunzig – neunmal alle –
Geschrieben, längst gesetzt, gedruckt, geboten –
Hör'! hat Er Ohren? hör' einmal! Zuerst
Jordan's; dann Jordan Bruno's; dann Jordanus
Bruno di Nola's; dann unzählige
Schlechthin alleinselbstseligmachende
Einfachheitslehren, die gesammt aus jener
Mithin, schlechthin, selbsthin, urselbstschlechthin
Im logischstrengsten Widerspruche fließen.
BRUNO.
Jetzt hab' ich gnug. Sein Diener!
DER TOLLE.
Warte! warte!
Ich will Ihm sie vom Anfang bis zum Ende,
[29] Das heißt, von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Ganz kurz in einem Privatissimo
Hier öffentlich für ein geringes Ehrgeld
Gratis vorlesen. A
BRUNO.
Spar' Er sich nur
Die Müh'! Ich weiß schon alles, lieber Freund.

Er kehrt sich weg.
DER TOLLE.
Den Teufel mag er wissen! Ist ein Esel!
Kein Anderer weiß etwas, als das Ich;
Und ich bin's Ich. Hör' Er nur, Monsieur Nicht-Ich!
Ich werd' Ihn zum Verstehn schon zwingen: A
BRUNO
vor sich.
Mir wird vor'm A in diesem Munde bange;
Sein Ich macht meines schaudern –
DER TOLLE.
AAA

Bruno eilt zu einer entfernteren Zelle.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
ST.
PREUX zu einer Tollen an der linken Seite.
Sie glauben denn an keinen Gott, Mamsell?
DIE TOLLE.
Es ist kein Gott!
ST.
PREUX.
Wie kommen Sie darauf?
DIE TOLLE.
Christus hat's selbst gesagt.
ST.
PREUX.
Ich steh' versteint –
Wo hat er das gesagt? Wann hat er das
Gesagt? Wem hat er das gesagt?
[30]
DIE TOLLE.
Mir! mir!
Mir selbst hat er's gesagt – und laut, laut, laut –
Die Todten hörten's – und die Lebenden,
Sie starben, als er's sagte – außer ich,
Die todt zwar, aber nicht gestorben bin.
Denn, sieht Er, mein jungfräulich dünner Leib
Ist eine durchgebohrte Seifenblase,
Und mein' ätherisch drin entpuppte Seele
Der Traum im Traume. Sage, kann Er mir
Im Sonnenschein aus weggeschmolz'nem Schnee
Ein tüchtig Petermännchen machen? Was?
Es ist kein Gott in aufgeklärten Zeiten –
Auch giebt es keine Wonne mehr. Dahin!
Dahin! Dahin!
ST.
PREUX vor sich.
Entsetzlich!

Laut.

Haben Sie
Die Bibel nie gelesen?
DIE TOLLE.
Darin stand
Mit großen schwarzen glühenden Buchstaben
Geschrieben –

Sie sinnt nach.

Weh mir! ach! ich hab's vergessen –
Die Worte sind erlöscht; die Kohlen aber
Geblieben – lauter Kohlen!

Sie sinnt wieder nach.

Jetzt erinnr' ich's!
Es steht im Buche Richter, bei Johannes
Am Schluß des Briefes vom Apostel Paul,
Die sämmtlich abgebrannte Himmelsbürger
Zu Hof im Vogtland sind. Kann Er Fractur
Mit bloßen Augen lesen, starrer Blicker?
Da steht's noch deutlich an der hellen Wand
Mit meinem eignen Blute roth copirt –
Schrieb ein Postscriptum drunter noch mit Thränen –
Mit Thränen – aber die erst sichtbar werden
Um Mitternacht.
[31]
ST.
PREUX vor sich.
Mir fährt's durch Mark und Bein!

Laut.

Sie glauben aber doch an den St. Paul?
DIE TOLLE.
Wie sollt' ich nicht! Er glaubt ja auch an mich.
Ich bin, als Jungfrau, seine sel'ge Mutter,
Die schmerzensreiche! Warum betet Er
Sein Ave Magdalena nicht, und wirft
Sich vor mir auf die Kniee nieder, wie
Der Papst, und alle die gekrönten Sünder?
ST.
PREUX weint.
Ich halt' es nicht mehr aus. Unsel'ges Mädchen!
Vielleicht hat Dir mein unvorsicht'ger Traum –
Ach! Wein vertragen kaum die schwachen Nerven,
Geschweige Weingeist, vollends Alkohol
In Quintessenz. Der schönen Seelen Nektar
Hab' ich, befürcht' ich – selbst davon berauscht –
Zu Gift rectificirt.
DIE TOLLE.
Was schwatzt Er da?
Warum doch weint Er? Laß die Thränen mir!
Ich will mich bis zur Seele ganz entblößen;
Ich will mein'n Schawl von Abendroth abwerfen;
Mein himmelblaues Hemd von Aether ausziehn,
Und mein Nachthäubchen von Gestirnen gerne
Wegschmeißen, wenn Er will – Was hat Er doch,
Daß wie 'ne Hopfenstang' Er auf und ab
Da steht, und's Mäulchen hängen läßt?
ST.
PREUX lacht, indem er sich wegkehrt.
Ich kann's
Unmöglich lassen, trotz der inn'gen Rührung!
Der Himmel weint' und lachte laut zugleich,
Als ich empfangen wurde. Schmerz und Scherz
Heiratheten einander in dem Stern,
Worunter ich geboren. –

Laut.

Lebe wohl,
Wahnsinn'ge Heil'ge!
DIE TOLLE.
Gute Nacht, Freund Hain!
[32]
ST.
PREUX geht nach einer andern Zelle, und schreibt, murmelnd, in seine Tafel.
Der Schawl von Abendroth – das Hemd von Aether –
Die Haube von Gestirnen – wenn hinzu
Den Gürtel noch, den brennenden, ich füge –
Von Mutter Erde welch ein Jungfraubild!

Ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Doctor Stirn ohne den Inspector kommt zurück mit dem Arzt.

DOCTOR STIRN.
All mein' Ideen! Es kann niemals fehlen!
Sie stecken überall.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Doch – finden Sie
Nicht diese Kettentolle völlig heillos?
DOCTOR STIRN.
Mein Lieber! unter uns gesagt, ich finde
Die ganz Gesperrten noch gescheiter, als
Die halb Gesperrten – und sie alle wen'ger
Verrückt, als die, so gar nicht eingesperrt.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Wie meinen Sie, Hochwürdigster?
DOCTOR STIRN.
Mich irren
Vernunftgrimassen nicht. Mit einem Wort:
Ich halte fixe Tollheit der Ideen
Für viel ersprießlicher als vage.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Tief,
Und umfangsvoll bemerkt! – Es halb schon ahnend,
[33] Bemüht' ich mich, die eigenen Ideen
Nach Ihrem Hirnsystem mir zu fixiren.
DOCTOR STIRN.
Es wird Sie nicht gereun!
BRUNO
kömmt von der Zelle im Hintergrunde zurück und naht dem Doctor Stirn.
Herr Doctor! hier
Dicht neben Ihnen sitzt, in Nummer Neun,
Ein Erznarr – wollten Sie die Güte haben,
Den Kopf ihm zu befühlen?
DOCTOR STIRN.
Herzlich gern! –

Zu Schädlein.

Doch, läßt er sich's gefallen?
DOCTOR SCHADLEIN.
Hat bisweilen
Nichts lieber – nur, weil er sich fühlt –
DOCTOR STIRN.
Ich weiß schon.
DER TOLLE
indem er Bruno gewahr wird.
Dacht's wohl, daß Er bald wiederkommen würde
Mitsammt den andern Eseln. Guten Morgen,
Langohrig deutsches Publicum!
DOCTOR STIRN
leise zu Schädlein.
Ein Hirn
Voll negativer Höflichkeit, wie's scheint?
DOCTOR SCHÄDLEIN
ebenfalls leise.
Bisweilen kaum zwei Linien entfernt
Von positiver Grobheit.
DOCTOR STIRN
laut, zum Tollen.
Kratzen Sie
Sich einmal auch mit meiner Hand den Kopf,
Ehrwürdigster!
DER TOLLE.
Gesetzt, ich thät's, was dann?
[34]
DOCTOR STIRN
ihm den Kopf befühlend.
Dann werden Sie sich Ihre eignen Finger
Nicht schmuzig machen!
DOCTOR SCHÄDLEIN
für sich.
Merke mir's! – Er weiß,
Wie man mit Tollen sprechen muß!
DOCTOR STIRN
nachdem er jenem hinlänglich den Kopf befühlt, zu Bruno.
Sie wollen
Mir gütigst auch erlauben, Herr Professor?
BRUNO
nimmt den Hut ab.
Sehr gern! – Wenn mein Kopf irgend Aehnlichkeit
Mit einem solchen hat, ist mein System,
Und nicht das Ihrige grundfalsch.
DER TOLLE.
Was sprecht Ihr
Da von Systemen. Mein System ist jetzt
Das einzig mögliche. Steht still! ich werd' Euch
Das sel'ge Leben schon einbläuen: A

Er ballt die Faust durch das Gitter.
DOCTOR SCHÄDLEIN
schiebt den Gitterladen vor.
Wir würden sonst das eigne Wort nicht hören;
Denn wenn er einmal anfängt mit dem A,
Läßt er's bei'm B nicht bleiben.
DOCTOR STIRN.
Pah! ich wette,
Er hört nicht einmal mit dem X auf. Das
Ist die Natur der höchsten Ueberlage.
DOCTOR SCHÄDLEIN
aufmerkend.
Was nennen Eu'r Hochwürden Ueberlage?
Das ist was Tiefes wieder!
DOCTOR STIRN.
Ueberlage
Nenn' ich ein' über die Schneelinie
Des Fixen aller hohen Lagen weit
Protuberirende Anlage.
[35]
DOCTOR SCHÄDLEIN
indem er in seine Tafel schreibt.
Scharf!
DOCTOR STIRN
der indessen Bruno den Kopf umfingert hat.
Der Fall ist einzig! –

Zu Bruno.

Doch – erlauben Sie
Gefälligst, jetzt nur noch ein einzig Mal!
BRUNO
wieder mit entblößtem Haupte.
Dreimal! neunmal! so oft Sie wollen! Wenn,
Wie schon gesagt, mein Kopf mit jenes Schädel
Die mindste Aehnlichkeit hat, ist entweder
Mein, oder Ihr System grundfalsch –
DOCTOR STIRN.
Die Schädellehre
Ist unfehlbar!
BRUNO.
Wenn das ist, und Sie dennoch
Aehnlichkeit finden, so erlaub' ich Ihnen,
Den Kopf mir abzuschlagen –
DOCTOR STIRN.
Sonderbar!
Der Tolle hat gerade ...

Er hält inne.
BRUNO
ungehalten.
Reden Sie!
Was hat er? – Wenn Sie kein Marktschreier sind,
Beb' ich vor keinem Ausspruch; sind Sie's aber,
Noch weniger; denn dann veracht' ich Sie!

St. Preux naht sich ihnen.
DOCTOR STIRN.
Nun gut! Der Tolle hat die sämmtlichen
Protuberanzen, welche Sie ...
BRUNO
äußerst aufgebracht.
Sie lügen!
DOCTOR STIRN
gelassen.
So hören Sie mich aus doch, Herr Professor!
Er hat die sämmtlichen Protuberanzen,
Die Sie nach außen haben, innwärts. Dies
Ist einzig – ist ein höchst merkwürd'ger Fall. –
Es wird dadurch vollkommen mir bestätigt,
[36] Was ich vermuthete, daß das Gehirn,
Wie der Handschuh-Polyp, sich kehren läßt –
Daß Weisheit, demzufolge, streng genommen,
Nichts andres sey, als ganz verkehrte Tollheit.
BRUNO.
Wenn's so ist, mußte sich der Kerl einbilden,
Ein Vielfachspinsel, ein Nicolaït,
Ein Nicht-Ich-Klecks zu seyn.
DOCTOR STIRN.
Ganz umgekehrt,
Verehrtester! Er muß sich schlechterdings
Einbilden, Sie zu seyn. Auch wett' ich drauf,
Sein hypophysisch leerer Kopf hat diese
Stoffgas-Idee fixirt.
ST.
PREUX der aufmerksam zugehört hat.
Das scheint mir klar.
Er muß sich wähnen, ein Onurb zu seyn,
Ein Bruno stehend auf dem Kopf – ein Nadroj
Ein von der Mündung bis zur Quelle rückwärts-
Fließender Jordan – kurz, Ihr Gegenpol –
Verehrungswürdigster! das Nadir Ihres
Zeniths – Ihr Ich im Spiegel, das dem Ihr'gen
Zwar gegenüber steht, doch auf ein Haar
Demselben gleicht, wie, fallend, der Erz-Engel
Dem steigenden Ur-Teufel ähnlich sieht –
Ihr einziges Object, wenn sie im Weltnichts
Das einzige Subject sind – wenigstens
Ihr, wenn Sie vorwärts, Rückwärtsgehender,
Nur im Indifferenzpunkt beider Rücken
Mit Ihnen fester Zwillingsgegenfüßler –
Der linke Bogen Ihres größten Cirkels –
Die hintre Seite, Bester! Ihres Mondes –
Die von der Erde weggekehrt bisher –
Mit einem Wort: das Ich-Posterius
Von Ihrem A-prior'-Ich. Mich erfreut's
Den Hauptbegriff von negativer Größe
Auf einmal so befriedigend und klar
In die Philosophie versetzt zu sehen.
[37]
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Mir scheint es völlig evident.
BRUNO.
Entgegen-
Gesetzt mag er mir seyn – die ganze Welt
Ist mir entgegen ohnehin; allein
Entgegen heißt nicht ähnlich, heißt nicht gleich.
ST.
PREUX.
Davon auch ist ja nicht die Rede, Theurer!
Der Doctor, ganz neutral, behauptet nur
Polarische Identität. Ich hoffe,
Wir sind doch all' in der Philosophie,
Seit Ostern, hoch genug emporgestiegen,
Um einig über einen Punkt zu seyn,
Den nämlich: daß (von Allem abgesehn)
Die Tugend und das Laster, Gut- und Böses,
Dem Einblick absolut identisch sind.
EIN TOLLER
ruft aus einer der nächsten Zellen.
Echo!
DOCTOR SEHÄDLEIN.
An sich ist allerdings darin
Gar nichts zu unterscheiden.
ST.
PREUX immer zu Bruno.
Daher auch
Das Uebel, wie Sie wissen, Selbstgesetzter!
Durch diese höchst fatale Unterscheidung
Des Nichtzuunterscheidenden entstand.
Daß man vom Bösen unterschied das Gute,
Drin grade ja bestand der Sündenfall.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Es ist unstreitig, daß Indifferenz
Das ein'ge Höchste sey.
BRUNO.
Das alles sind
Bombastische Nach-Sätze, die mit meinen
Vor-Sätzen nichts gemein, als Sylben haben –
Pausback-Ausfüllungen des magren Nichts!
[38]
ST.
PREUX.
Sie ziehen rein' Ausleerungen des Fetten
In Allem vor. Plus-Minus! – Bombast-Bruno
Zwei leidner Flaschen, beide spinozistisch
Geladen!
BRUNO
abbrechend.
Wo doch blieb der Herr Inspector?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Er ist zum Herzog abgerufen worden,
Und läßt sich sehr entschuld'gen.
DER TOLLE.
Echo! Echo!
ST.
PREUX.
Was ruft der dort?
DER TOLLE
noch lauter.
Hei! Echo! Echo!
ST.
PREUX horchend.
Laß hören doch einmal, was jener ruft!
DER TOLLE.
Verfluchtes Echo! schweige bis ich rufe!
DOCTOR SCHÄDLEIN
geht zur Zelle hin, und streichelt dem Tollen die Backen.
Was giebt's, mein armer Keit? wo fehlt's?
DER TOLLE.
Mich däucht, ich hört' ein Echo, das der Stimme
Voranlief. So was duld' ich nicht; es ist
Impertinent!
DOCTOR STIRN.
Unstreitig!
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Sey nur ruhig!
Und lerne Deine Rolle gut!

Er giebt ihm ein Stück Honigkuchen.
DER TOLLE.
Ich möchte lieber
'Ne geräucherte Heuschreckenkeule
Jetzt fressen.
[39]
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Die sollst Du zu Mittag haben,
Wenn Du dich in der Probe nicht verplapperst.
ST.
PREUX nachdenkend.
Novalis hat doch Recht: Dichtkunst und Wahnsinn
Sind nah verwandt!

Zu Bruno.

Sie haben doch gehört?
»Ein Echo, das der Stimme kühn voranläuft!«
BRUNO.
Mir scheint dergleichen Unsinn mehr, als Wahnsinn.
ST.
PREUX.
Weil Ihre productive Phantasie
Durchaus nur negativ ist. Mir hingegen,
Der eine höchst indifferente hat,
Ist's gleich, was Witz betrifft, ob er den Weg
Um's Vorgebirg der guten Hoffnung, oder
Um das Cap Horn nimmt, wenn er nur die Linie
Passirt, und zu den fernsten Antipoden
Des platten Sinns gelangt.

Zu Doctor Stirn.

Doch, apropos,
Thun Sie mir den Gefallen, jenem blassen,
Höchst schwärmerischen Mädchen dort den Kopf
Ein wenig zu befühlen.
DOCTOR STIRN.
Mit Vergnügen.
ST.
PREUX.
Ich werde mich so, hinter Ihnen, stellen,
Daß sie mich nicht gewahr wird; denn es scheint,
Ich wirke zu magnetisch auf sie.
DOCTOR STIRN.
Stille!

Sie nahen sich alle Vier.
DIE TOLLE.
Was? naht sich dort der Berg des Todes selbst?
Noch niemals sah ich Golgatha in Schuhen
Und seidnen Strümpfen. Todesfels, du kömmst
Zum Tanz mich einzuladen! Welch Geruch!
ST.
PREUX leise, hinter Doctor Stirn.
Sie wittert schon die Schädellehre!
[40]
DOCTOR STIRN.
Stille! –
Ich komm' von Osten her, Dich anzubeten
Und zu umarmen, heilige Westnymphe.
DIE TOLLE.
Ist Er der vierte von den heiligen
Drei Königen?
DOCTOR STIRN.
Ich bin der Mohr daneben.

Er befühlt ihr den Kopf.
DOCTOR SCHÄDLEIN
leise zu den Andern.
Bewundrungswerth, wie der Herr Doctor weiß
Zu sprechen mit den Tollen – vollends mit
Den Damen! Denn ich habe drinnen schon
Die delicatesten Conversationen
Gehört.
ST.
PREUX leise.
Er ist in Wienn gebildet worden.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Kein Wunder! – Es giebt freilich nur ein Wienn!
DIE TOLLE
zu Dr.
Stirn.
Du bist sehr weiß für einen Mohrenkopf.
DOCTOR STIRN.
Natürlich, Schatz! Du weißt, ich bin ein Weiser
Aus Mohrenland.
DIE TOLLE.
Hofirst mir, wie ein Narr!
Wär' ich die Gnadenmutter, gäb' ich Dir
Ein' Ohrfeig' –
BRUNO
schiebt voll Unwillen den Gitterladen vor.
Es ist unter aller Würde
Der Menschheit, lange sich in einem solchen
Zerrspiegel zu betrachten!
ST.
PREUX drückt Bruno die Hand.
Ernsthaft Edler!
Sie haben Recht. Die beiden Herrn sind Aerzte –

Leise ihm in's Ohr.

Das heißt soviel als Cyniker –
[41]
BRUNO.
Mag seyn;
Wir sind es aber nicht.
ST.
PREUX laut zu Stirn.
Was fanden Sie,
Herr Doctor?
DOCTOR STIRN.
Nichts außer der besonderen Structur
Gewöhnlicher kathol'scher Nonnenköpfe.
Sie sind dies Jahr, selbst in Berlin, nicht selten.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Sie ist noch auszuhalten. Aber Gretchen –
Das Gretchen –
DOCTOR STIRN.
Ja, das Gretchen!
DOCTOR SCHÄDLEIN
zu St.
Preux.
Gretchen nämlich
Wird eine hies'ge Clausnerin genannt,
Weil sie sich einbild't, die vom sel'gen Faust
Verführte Margaretha selbst zu seyn –
ST.
PREUX.
Ist sie noch rührender als diese?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Oh!
Oh!
DOCTOR STIRN.
Oh!!
ST.
PREUX.
Dann will ich sie nicht sehn!

Schnell zu Schädlein, ihn bei Seite führend, und seine Hand ergreifend.

Herr Doctor!
Empfangen Sie, beim Abschied hier, in Gold,
Mein letztes Honorar zur Pflege beider
Unglücklichen – und sorgen Sie dafür,
Daß täglich werd' in was dadurch versüßt
Ihr Schicksal.

Er steckt ihm eine Rolle in die Tasche.

Nur Geheimniß bitt' ich mir
[42] Von Ihnen aus. Ich bau' auf ihr Gewissen.

Zu Stirn und Bruno

Empfehle mich auf's beste, meine Herrn!

Er eilt davon.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen, außer St. Preux.

BRUNO
zu Schädlein.
Sie kannten schon den Herrn, der eben wegging?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Es ist ein großer Dichter – leicht Romaniens –
Mithin Europas und der Erde – größter.
BRUNO.
Vielleicht noch größer, hätt' er wen'ger Witz.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Ich gebe zu, er hat zuviel; doch hat er
Noch mehr Gefühl, und noch mehr Phantasie –
DOCTOR STIRN.
Mich sprach er überaus phantastisch an.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Sein anerkannter Vorzug ist sehr glänzend!
DOCTOR STIRN.
Sein anerkannter Fehler ebenfalls.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Nur Mängel hat er keine –
BRUNO.
Lücken aber
Hab' ich ihm abgemerkt.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Für jede Lücke
Hat er zehn Lückenbüßer.
BRUNO.
Das ist möglich.
Ein Kopf wie seiner scheint mir eine Hölle.
[43]
DOCTOR STIRN.
Mir auch.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Doch ist der ganze Himmel drin –
Und vollends nun sein Herz. Es thut mir leid,
Daß mir verboten ist, es zu beweisen.
BRUNO.
Mich soll's von Herzen freun, wenn ich mich irre –
Die Sach' ist nicht abstract. – Doch apropos!
Wenn ich recht hörte, sagten Sie vorher
Zu einem Tollen, dem Sie Kuchen gaben:
»Er solle seine Rolle gut studiren« –
Was meinten Sie damit?
DOCTOR SCHÄDLEIN
lacht.
Ja, das errathen
Sie schwerlich! Denken Sie einmal, wir haben
Theater hier!
BRUNO.
Worauf die Tollen spielen?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Gerade sie.
DOCTOR STIRN.
Das wundert mich gar nicht.
BRUNO.
Und ordentliche Stücke?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Ja, so, so,
Wie deutsche sind – nicht eben nach den Regeln
Des Aristoteles.
BRUNO.
Von Kotze ...
DOCTOR SCHÄDLEIN
unterbrechend.
Nein!
So ganz gemeines Zeug doch nicht. Zwar möchten
Die Schwächling' und Blödsinnigen sie lieber.
BRUNO.
Ist's möglich, daß die Tollen andre Stücke,
Wenn schlecht auch, spielen können?
[44]
DOCTOR STIRN.
Warum nicht?
Sie haben viel Gedächtniß – an poet'scher
Einbildungskraft fehlt's ihnen nicht – sie bleiben
Auch immer ihrem Selbstcharakter treu.
BRUNO.
Ja – doch nur dem bestimmten ihrer Tollheit.
Drum aber nimmt mich Wunder, daß sie sich
In andre sollten hinversetzen können.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Man sorgt dafür natürlich, daß sie immer
Nur eigne Rollen spielen – oder richt'ger:
Sie sorgen selbst für solches.
BRUNO.
Welche Stücke
Denn spielen sie?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Sie haben den Alarcos
Nicht übel – ein Paar Acte Genovefa's
Recht sehr gut – und den ganzen Octavianus
Unübertrefflich schon gegeben. Aber
Sie spielen selbst originale Sachen
Mitunter auch.
BRUNO.
Was heißt: originale,
Wenn jene nicht es sind?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Selbsteig'ne Stücke
Von ihrer eignen Composition.
DOCTOR STIRN
lachend.
Die werden genialisch seyn!
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Herr Doctor,
Sehr genialisch, ich versichre Sie!
Sie würden selbst erstaunen –
DOCTOR STIRN.
Ich? Gar nicht!
Es ist das Alles mir nichts Wunderbares.
[45]
BRUNO.
Ich möchte gern doch einmal eine solche
Komödie, zumal der eig'nen, sehn.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Es wird gerade diesen Abend eine
Zum erstenmal gegeben – und worauf
In einer Stunde Probe wird gehalten.
Sie haben einen ganzen Monat dran
Geschwitzt, um sie sich recht einzustudiren.
Sie scheint mir ihr bisher'ges Meisterstück.
Nur, leider! ist der Zutritt allen Fremden
Versagt.
DOCTOR STIRN.
Zuschauer haben sie denn keine?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Verzeihen Sie – den Herrn Inspector selbst,
Seine Familie – die Tollhauswärter –
Und sonst'ge Tollbeamte (wenn sie nicht
Als Sing-Choristen, oder Tanz-Statisten
Auftreten) – mich – und unter ihnen selbst
Die nicht wahnsinnig gnug, um mitagiren
Zu können.
BRUNO.
Also haben sie Orchester,
Decorationen, und dergleichen?
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Alles!
Der Herr Inspector liebt das deutsche Schauspiel
Mit Leidenschaft; und hat seit zwanzig Jahren
Ausschließend für die Bühne nur gesorgt.
Es ist auch in der That uns allen hier
An einem Ort, wo sonst gar kein' Ergötzung,
Wohlthätige Zerstreuung. Thut mir leid,
Daß ...

Zu Doctor Stirn.

Sie, Herr Doctor, glaub' ich, könnten schon,
Als Obertollgeheiminspector ....
DOCTOR STIRN.
Frage
[46] Gar nichts darnach. Ich seh' am liebsten Hunde-
Komödien.

Zu Bruno.

Wenn Ihnen, Herr Professor,
Indessen dran gelegen ist, vermöcht' ich
Bei dem Inspector wohl es auszurichten,
Daß er uns zuließ' heut –
BRUNO.
Ich muß gestehn,
Mir ward längst die halb tolle Welt zum Ekel;
Ich möcht' einmal auch die ganz tolle sehn.
Wenn mir nur die Philister nicht dazwischen
Bald kommen – die ich fliehe, wie die Pest.
Sie sollen, wie ich höre, nur vier Stunden
Von hier seyn – und ich baue nicht sehr viel
Auf die hochweise Langsamkeit, die wir
Der tollen Schnelligkeit entgegensetzen.

Alle Drei nahen sich dem Ausgang.
DOCTOR STIRN.
Wir leben offenbar in schwier'gen Zeiten!
Das Aequinoctium des Mordorgans
Bringt's mit sich – vollends um die Zeit des Vollmonds.
DOCTOR SCHÄDLEIN.
Sehr treffend, und befriedigend bemerkt!
BRUNO.
Im Zeitenschwalle der Sündhaftigkeit.
DOCTOR STIRN.
War's jemals anders? wird's je anders werden?
BRUNO.
Sonst möcht' ich nie gewesen seyn, noch werden!

Alle ab.
[47]
3. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Madame Dauphin in Reisetracht auf einem Koffer sitzend. Den ganzen Boden beinahe nimmt eine große Bache ein, worauf der Prinz v. Ellenbogen, Herr v. Boberfeld, St. Preux, und einige berühmte JauerscheSchriftsteller sich gelagert haben.Bedienter geht herum und präsentirt Chocolade.

PR.
V. ELLENBOGEN halb auf den Knieen. Euer Gnaden sind uns Deutschen also doch ein wenig hold?
MD.
DAUPHIN. Ich lieb' und ich verehre die Deutschen sehr.
PR.

V. ELLENBOGEN. Aufrichtig? ganz aufrichtig gesprochen? Was finden Sie Verehrungswürdiges an uns Hermannsenkeln?

MAD.
DAUPHIN. Unter anderm den gänzlichen Mangel an Nationalcharakter.
PR.
V. ELLENBOGEN. Das halten wir gerade für unsern größten Fehler.
[48]
MAD.

DAUPHIN. Mit Unrecht. Völker, die solchen haben, sind reif – und das ist wohl in diesem Fall gleichbedeutend mit faul.

PR.
V. ELLENBOGEN. Ich mag fast lieber faule, als grüne Maulbeeren.
MAD.
DAUPHIN. Maulbeeren sind die deutschen Beeren nicht, so viel ich weiß.
SAINT-PREUX. Eher Winteräpfel.
PR.

V. ELLENBOGEN. Ich meine, die Deutschen sollten doch deutsch seyn, wie die Engländer Engländer, und die Franzosen Franzosen.

SAINT-PREUX. Und die Juden selbst, trotz Judäamangel, Juden.

MAD.

DAUPHIN. Vielleicht ist es gut, daß irgendwo noch Menschen übrig bleiben. Ich halte viel auf Bürgerthum, aber die Menschheit ist mir doch noch lieber. Es muß auch einen geistigen Staat auf Erden geben, und ein solcher kann – fang' ich jetzt an zu glauben – mit keinem bürgerlichen mehr bestehen.

EIN GELEHRTER.
Das giebt dem germanischen Körper, leider! nur wenig Trost.
MAD.
DAUPHIN. Ich will auch den Geist nur trösten.

Die Thür wird geöffnet und Bruno mit dem Dr.Stirn treten herein.

[49]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
BRUNO
betroffen.
Bitt' um Verzeihung! – ich habe, wie ich sehe, mein Zimmer verfehlt.

Er will wieder hinausgehen.
PR.

V. ELLENBOGEN aufspringend. Erlauben Sie – daß ich den berühmten Doctor Stirn, den Kopf der Physiker –

OPITZ
ebenfalls aufstehend, und Bruno vorführend.
Und ich den Herrn Professor Bruno, das Haupt der Metaphysiker, Ihnen vorstelle.
MAD.

DAUPHIN. Wie glücklich! Sehr willkommen, meine Herren! Doch verzeihen Sie, alle zusammen, daß ich hier den romanischen Parnaß so schlecht empfange.


Verbeugungen.
PR.
V. ELLENBOGEN. Wo die Göttin sich zeigt, da ist der Olymp.
OPITZ.
Dergleichen fühlt man, und schweigt.
EIN JUNGER GELEHRTER
halb vor sich.
Ich möchte Midasohren haben, wenn lange besser, als kurze, hörten.
EIN ALTER GELEHRTER
mit einem Hörrohr.
Ich höre deutlich jedes Wort – zumal Vormittags.

Er setzt das Horn an.
PR.

V. ELLENBOGEN nachdem sich Stirn und Bruno gesetzt haben. Wir sprachen eben von unserm armen, unglücklichen Romanien. Zu Bruno. Aus Ihren Schriften hab' ich viel gelernt. Zu Stirn. Den Türkenschädel habe ich zu Hause jetzt.Zu Madame Dauphin. Sie lieben uns? Ach, liebenswürdig sind die rohen Germanen wohl nicht!

MAD.
DAUPHIN. Wie können Sie das sagen? Sind sie denn nicht unglücklich?
[50]
PR.
V. ELLENBOGEN küßt ihr die Hand. Herz wie Geist!
EINER DER GELEHRTEN.
Was halten wohl Euer Gnaden von der Literatur im Reich?
MAD.
DAUPHIN. Das darf ich wohl in diesem Kreise nicht sagen.
DER GELEHRTE
mit dem Hörrohr.

Wir lieben wohl motivirten Tadel, gründliche Kritik gar sehr – zumal von einer Philologin wie Euer Gnaden. Er steht auf und herbeugt sich tief. Habe mit unendlichem Vergnügen Dero vortreffliche Version des Homer, vorzüglich der Noten wegen, durchstudirt.

MAD.
DAUPHIN. Sie scheinen in einem Irrthum zu seyn, Herr Professor!

Alle die Anderen sehen ihn mit großen Augen an.
DER GELEHRTE.
Habe ich die Ehre nicht, die weltberühmte Madame Dacier –

Einige lachen.
MAD.

DAUPHIN. Es thut mir leid, diese Ehre mir und Ihnen, Herr Professor, entziehen zu müssen – ich bin nur Frau von –

DER GELEHRTE
unterbrechend.

Oh! Eure Gnaden brauchen Dero werthen Namen mir nicht auf Deutsch zu übersetzen! Also zwei Mesdames Dacier? Ich wußte nicht, daß mehr als Eine in der Literatur berühmt geworden.

MAD.
DAUPHIN lachend. Sehe ich denn so schrecklich großmutteralt aus, Herr Professor? –
DER GELEHRTE.

Ich weiß wohl – allein es giebt ja französische Damen, die niemals altern, wie zum Beispiel die berühmte [51] gelehrte Ninon de l'Enclos. Da dacht' ich, es wäre mit Euer Gnaden auch der Fall.

PR.
V. ELLENBOGEN lachend. Gestehen Sie – gestehen Sie, meine Gnädige!
DER GELEHRTE
sich wieder setzend.
Wußt' es wohl. Er setzt sein Horn wieder an.
ST.

PREUX zu Madame Dauphin. Sie sind und bleiben die Repräsentantin der französischen Literatur, man mag es wenden, wie man will. Der Irrthum auch, der es verfehlt, verkennt Sie doch nicht.

OPITZ.
Artig genug! Die Uebersetzerin Homer's wird, wenn man sie in's Deutsche übersetzt, Original.
ST.

PREUX. Der schönste Sieg der deutschen Sprache über die französische. Denn wer gäbe nicht gern zwölf Mesdames Dacier für eine halbe Sie? –

DER ERSTE GELEHRTE
unterbrechend.

Es hat, wie ich bemerke, der Faden des Gesprächs sich verloren. Wenn ich nicht irre, so war von der Reichsliteratur die Rede. Euer Gnaden wollten Dero Meinung nicht in diesem Kreise sagen. Doch erführen wir gerne die Kritik.

MAD.

DAUPHIN. Die überlasse ich Ihnen. Was Dichtkunst und Philosophie betrifft, Romaniens einheimische Producte, so möchte ich vielleicht nur ein gar zu enthusiastisches Lob aus voller Seele darbringen – und –

OPITZ
vertraulich.
Geniren Sie sich nicht! das horen wir noch lieber, meine Gnädige!
MAD.

DAUPHIN. Ich glaubte, die Romantiker wären in Allem verschieden von den Philistern. Freilich die Dichter an der Seine –

[52]
EIN STUDENT.
Dichter? – Also Dichter haben Sie wirklich in Frankreich?
PR.
V. ELLENBOGEN. Zu Hause schwerlich, denn die Muse ist ja davongegangen.
MAD.
DAUPHIN. Zu den Musageten.
PR.
V. ELLENBOGEN klatschend zu Opitz. Was sagen Sie dazu?
OPITZ.
Ich höre.
PR.
V. ELLENBOGEN zu Dr. Stirn. Und Sie?
DOCTOR STIRN.
Ich sehe.
PR.
V. ELLENBOGEN zu Bruno. Und Sie, mein werthester Professor?
BRUNO.
Ich denke.
ST.

PREUX vor sich. Mir bleibt nichts übrig, als zu fühlen – und allenfalls zu schreiben. Leider genirt mich die Gesellschaft.


Trinkt seine Tasse Chocolade.
PR.

V. ELLENBOGEN unterhält flüsternd Madame Dauphin. Die Gelehren Paar und Paar sprechen leise mit einander. Der Bediente stolpert mit Tassen über die Bache bei'm Herausgehen.

MAD.

DAUPHIN. Apropos! Wie kömmt es, daß der Hof hier in dem Wirthshause logirt, und nicht im großen alten Schlosse, das zwar entsetzlich gothisch aussieht, das aber doch bewohnbar zu seyn scheint.

OPITZ.

Der Hof mag in diesem Augenblick nicht gerne viel Aufsehen machen, der Herzog liebt die Pracht nicht – und ohnehin ist jenes große Schloß das hiesige Tollhaus.

[53]
MAD.

DAUPHIN. Was sagen Sie? Ist hier im Lande der Weisheit, der Dichtkunst und der Wissenschaft ein Tollhaus?

OPITZ.
Ich wüßte kaum – die Wahrheit zu sagen – daß hier in Jauer etwas Anderes wäre.
EIN JAUERSCHER GELEHRTER.

Allein, mit Verlaub, Tollhaus und Tollhaus sind zweierlei, wie Schule und Schule. Eine hohe Schule nennt man eine Universität, und ein hohes Tollhaus eine Irrenanstalt, Herr Baron!

OPITZ.

Verzeihen Sie, wenn ich dem Palladium des Ortes zu nahe trat. Ich meinte es nicht so böse. Denn ich hege viel Respect für's Institut, Herr Irren-Anstalts-Bibliothekar!

BIBLIOTHEKAR.
Es ist die größte Anstalt dieser Art in Europa.
OPITZ.
Das ist unstreitig.
BIBLIOTHEKAR.
Und ohne sie möchte ich wohl wissen, was aus allen unsern übrigen Anstalten wohl werden sollte.
ST.
PREUX. Nur gar zu wahr!
MAD.
DAUPHIN. Sie machen mich höchst neugierig.
BIBLIOTHEKAR
voll Eifer.

Madame! hören Sie! Es ist der Stolz Romaniens. Sie haben nichts Aehnliches auf Ihren Reisen noch gesehen. Was irgend Fleiß, was achte Kunst und wahre Wissenschaft, durch landesväterliche Gnade und Fürsorge gehörig unterstützt, nur immer leisten können, das ist an der hiesigen, ächt nationalen Anstalt verschwendet worden, ohne es zu verschwenden. Sie müssen es sehen, meine Gnädige! sonst glauben Sie es nicht. Der Büchersaal allein schon hat seines Gleichen nicht. Es ist eine Welt im Kleinen; ich möchte fast sagen, im Großen.

[54]
DOCTOR STIRN.
Bin eben da gewesen, hab' es gesehen.
BRUNO.
Ich auch.
ST.
PREUX. Ich auch.
MAD.
DAUPHIN zu Doctor Stirn. Und nun, was sagen Sie davon? Sie sind ja ein Kenner, Herr Hirninspector!
DOCTOR STIRN.
Der Herr Bibliothekar sagt nicht zu viel.
MAD.
DAUPHIN. Ich werde, fürchte ich, selber verwirrt vor Erstaunen und Neugier.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Die Vorigen. Bedienter tritt herein.

BEDIENTER.

Des Herzogs und der Herzogin Hoheiten lassen gnädigst die Frau Baronesse, mit Seiner Durchlaucht dem Prinzen von Ellenbogen, dem Herrn Geheimenrath von Boberfeld, dem Herrn Hofburgrath Wer der, dem Herrn Professor Bruno und Herrn von Saint-Preux, nebst Herrn Doctor Stirn und Herrn Tollhausbibliothekar von Zeu sel – für heute Mittag zur Tafel einladen.

MAD.
DAUPHIN. Ist Herr Burgrath Werder hier?
OPITZ.
Allerdings.
MAD.
DAUPHIN zum Bedienten. Geh hin –
BEDIENTER.
Er schläft noch, hat mir sein Bedienter gesagt.
[55]
MAD.
DAUPHIN. Nun, so denn, wenn's Tag wird –
PR.
V. ELLENBOGEN lächelnd. Ein kleiner Gallicismus, meine Gnädige!
MAD.

DAUPHIN. Ich werde mich bemühen dergleichen in Germanismen umzuwechseln. Zum Be dienten. Wenn er also aufgestanden seyn wird, gehe hin –

BEDIENTER.
Euer Gnaden! Der Kammerbote –
MAD.
DAUPHIN. Was denn –
BEDIENTER.
Er wartet auf Antwort draußen.
MAD.

DAUPHIN. Das thun alle Boten. Zu der Gesellschaft. Ich hoffe, meine Herren! also wieder bei Tafel das Vergnügen zu haben –

BEDIENTER.
Ich vergaß – um zwei Uhr ganz präcis.
MAD.

DAUPHIN aufstehend, zu den Herren. Verzeihen Sie – ich habe noch nicht ausgepackt. Zum Bedienten, indem sie Alle aufstehen. Ich werde die Ehre haben zu kommen.

ALLE DIE EINGELADENEN.
Werden unterthänigst die Ehre haben.
PR.

V. ELLENBOGEN sich empfehlend zu Madame Dauphin. Kommen Sie nur so – im Reisekleid – ohne alle Toilette, ganz wie Sie sind. Der Hof ist gar nicht ceremoniös; und wir sind, so zu sagen, seit der Feind die Hauptstadt inne hat, und fast das ganze Land dazu, bis auf die Festung Dummlitz, Alle auf der Reise.


Alle ab, mit vielen Verbeugungen.
[56]
4. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Herzog vor einem kleinen Tische sitzend. Der Tollhausinspector neben ihm stehend.

HERZOG.
Wie viel Wahnsinn'ge sind denn wohl zur Zeit
Hier unter Seiner Aufsicht, Herr Inspector?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Zwölf Jauersche Studenten, Eure Hoheit,
Aus Fichtelberg, worunter drei Magistri
Legentes – ein schwabmünchner Apotheker –
Ein fränk'scher Kohlenbrenner – drei Reichsjuden –
Ein böhm'scher Schuster – ein hannöverscher
Ex-Postillion – ein nürembergscher Maler –
Ein hallischer Trompeter – und ein Schock
Einsiedler – die für ganz unheilbar heillos
Gehalten werden – dann ein Dutzend tolle
Sonst art'ge Mädchen, wovon drei zum Binden –
Zweihundertsechzig Andre noch, die meistens
Blutjunge, kaum angehende Gelehrte,
Von denen man nur wenig Hoffnung hat –
[57] Nebst einem einzigen Gescheiten. Macht
In Allem just dreihundertfünfundsechzig,
So viel als Tag' im Jahr; und Alle sämmtlich
Gebor'ne Landeskinder Eurer Hoheit!

Er verbeugt sich.
HERZOG
notirt in ein auf dem Tische liegendes Etui.
Sie sind mir alle theuer – Herr Inspector,
Als Fürst und Landesvater; denn es ist
Jetzt ungefähr die Hälfte meiner eignen
Getreuen Unterthanen, die seit letztem
Vandalenkrieg noch übrig. Zwar das halbe
Roman'sche Reich gehört mir heute noch,
Doch steht es auf dem Spiel – obgleich mein Feldherr
Die beste Hoffnung giebt. Drum möcht' ich sie
Der Reihe nach genauer kennen lernen:
Wo möglich im Detail. Ich unterrichte
Mich gern in höchster eigener Person
Von jeder Kleinigkeit in meinen Staaten.
TOLLHAUSINSPECTOR.
So thaten's alle großen Landesväter
Im glücklichen Romanien von jeher!
Eur Hoheit ist bekannt als das Plus-ultra
Der allerhöchsten Jauerfürsten Weisheit.
HERZOG
bietet dem Inspector eine Prise Tabak.
Schweig davon, Herr Inspector! Was ich kann,
Das thu' ich, trotz den Besten; aber ungern
Hör' ich mich loben.
TOLSHAUSINSPECTOR
nachdem er ehrfurchtsvoll die Prise genommen.
Weisester!
HERZOG
ihm die Dose zuschiebend.
Behalt' Er nur
Die Dose!
TOLLHAUSINSPECTOR
gerührt.
Gnädigster!
[58]
HERZOG.
Laß gut seyn! Merk' Er's
Sich wohl! kein Lobspruch mehr! Ich will nur Wahrheit.
TOLLHAUSINSPECTOR.
O, was ist wahrer als das Lob des größten
Des weisesten, des besten aller Fürsten
Des glücklichen Romaniens!
HERZOG.
Ich sag' Ihm,
Herr Oberhofinspector! nichts davon!
Nichts mehr davon! Ich werde böse.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Großer,
Unendlich guter Fürst! Sie nannten mich –
Geruhten mich zu nennen – Ober – hof –
Inspector – darf ich allerunterthänigst
Mich unterstehn, zu wähnen –
HERZOG.
Hab' ich Ihn
Genannt, so ist Er's.
TOLLHAUSINSPECTOR
wirft sich zu des Herzogs Füßen.
Sprachlos – –
HERZOG
ihm die Hand reichend.
Steh Er auf!
Ich bin Ihm sehr affectionirt. Doch jetzt
Erzähl' Er mir nur weiter von den Tollen:
Freimüthig, ohne Scheu!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Der braucht es nicht!
In Eurer Hoheit Deroselbstregierten
Glücksel'gen Staaten läßt sich gar kein Elend
Berichten, woran die Regierung Schuld.
HERZOG
steht auf, geht zu einer Commode und zieht eine Schublade heraus.
Ich setze meine Schlafmütz' auf.

Er setzt die Schlafmütze, die er aus der Commode genommen, auf den Kopf, und setzt sich wieder.

Nun sprech' Er
[59] Mit mir, als wär' ich Seinesgleichen, als
Wär' ich der Aeltre nur und Er der Jüngre,
Vertraulich, ungenirt. Auf diese Weise
Wird Er berichten unverblüfft, und ruht
Auch meine Majestät ein wenig aus,
Die von dem ew'gen Imponiren müde.
TOLLHAUSINSPECTOR
die Mütze anblickend.
Ach, Eure Hoheit imponiren so
Nur imposanter noch! die Majestät
Des Blicks, des Tons, der Miene, der Gestalt
Verbirgt dem treuen Diener keine Mütze.
Die Herzogskrone macht den Herzog nicht –
Das Herz, das große, gute, macht den Herzog!
HERZOG.
Hol' Er sich einen Stuhl und setz' Er sich!

Der Tollhausinspector holt einen Stuhl.

Hier! näher! – hier! ganz nah'! Und sprech' Er nur
Rein von der Leber weg! Wir sind ja doch,
Wenn Herzog ich, Er Oberhofinspector,
Im Grunde beide Menschen. Lass' Er sich
Durch meine Fürstenmiene gar nicht stören!

Der Tollhausinspector setzt sich dicht neben denHerzog.

Er nannte, däucht mich, unter den dreihundert
Und fünfundsechzig Tollen einen Klugen?
Wie kommt das? Wer ist der? Wie geht das zu?
Warum hat man den eingesperrt?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Er ist
Der ält'ste Sohn vom Hause Berlichingen;
Die Mutter, eine Weißlingen vom Rhein,
Heirathete nach seines Vaters Tode
Den böhm'schen Grafen Strafmichgott, mit dem
Sie Zwillinge sogleich bekam. Die Söhne
Der ersten Ehe sind im Türkenkrieg
Geblieben. Dieser ward unsel'gerweise
Nur leicht verwundet, und, gleich nach der Schlacht,
Auf Cabinetsbefehl hieher geschickt.
Es hieß, er sey im Hirn erschüttert worden,
[60] Und müss', als völlig rasend, gleich in Ketten
Geschlossen werden – was denn auch geschah.
Ich schloß ihn selber ein; versichre aber
In tiefster Ehrfurcht Euer Hochdurchlauchten,
Der junge Mann ist so gescheit, gesund,
Und unverletzt, als ich – und übrigens
Ein durchaus sittlicher und sanfter Mensch.
Doch, wenn ich unterthänigst bitten darf,
Nicht meine Worte wieder; denn der Graf,
Sein Stiefpapa, der Herr von Strafmichgott,
Soll ein sehr mächt'ger Mann bei Hofe seyn.
HERZOG.
Was, Donnerblitz! erzählet Er mir da
Für 'ne Sappermentsgeschichte? – Strafmichgott?
Es ist mein Generalfeldmarschall eben,
Mein rechter Arm, mein treuster Unterthan.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bitt' allerunterthänigst um Verzeihung
Eur Hoheit, daß der Graf, Sein' Excellenz,
Der Generalfeldmarschall – – Welch ein Bock!
HERZOG.
'S ist ja nicht seine Schuld, daß er es ist.
Ich werd' es untersuchen.

Notirt in das Etui.

Und die zwölf
Studenten, unter welchen drei Magistri
Legentes, wenn ich richtig mich besinne –
Worin – sag' Er nur frei und offenherzig,
Und ohne Rückhalt, keck – worin besteht
Ihr Irrthum? Welches Schlags ist ihre Tollheit?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sie ist dreifach, Eur hochfürstlichen Hoheit,
Und doch, einfach zugleich, rein philosophisch –
Theils metaphysisch, theils poetisch, theils,
Wie mir hauptsächlich auffällt: chronologisch.
Zwei, drei von ihnen bilden fest sich ein,
Gewunderhörnt zu seyn – obgleich an Stirne
So glatt wie neugeborne Kälber, und
Dazu noch Junggesellen. Andre haben
[61] Sich in den Kopf gesetzt, daß sie steinreiche
Gemüthsbesitzer sey'n, und sowohl Schafzucht,
Als Schweinerein, in's Große treiben können.
Die Meisten halten sich für Etwas, oder
Für Alles gar; nur immer für was Andres,
Als was sie sind. Der Erste glaubt, Spinoza
Der Zweite, Fichte (der mir übrigens
Historisch unbekannt) – der Dritte, Plato
Der Vierte, Shakspear selbst zu seyn. Der Fünfte
Erklärt sich für den Vater des berühmten
Professor Kant in Königsberg. Der Sechste
Verdammt sich drauf, er sey der Theophrastus-
Bombastus-Paracelsus- und was weiß ich?-
Von Hohenheim – und ist vielleicht es auch;
Denn er ist wirklich unter diesem Namen
Hier aufgenommen worden.
HERZOG
notirt.
Bombast heißt er?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ja, Bombast, Eure Hoheit – B, o, m, Bom
B, ast, Bast.
HERZOG
corrigirend, mit Lächeln.
B, a, s, t! muß Er sagen –

Schreibt.

So richtig! – Und der bild't sich, sagt Er, ein,
Sich selbst zu seyn?
TOLLHAUSINSPECTOR.
So scheint's, mein gnäd'ger Fürst!
Der Himmel weiß –
HERZOG.
Und jetzt der Apotheker?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bild't ebenfalls sich ein, Bombast zu seyn –
Was macht, daß sie einander in die Haare
Gerathen – und das giebt oft blut'ge Nasen.
HERZOG.
Das glaub' ich! Aber welcher ist der wahre?
[62]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich weiß nicht, Eure Hoheit, ob sie beide
Sich irren, oder ob sie beide recht –
Nur zwei der Tollsten sind's in jedem Falle.
HERZOG.
Heißt denn der Apotheker Bombast auch?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nein, gnäd'ger Herr! sein wahrer Nam' ist Höchner.
HERZOG
notirt.
Der also irrt sich.
TOLLHAUSINSPECTOR
halb vor sich.
Himmel, welch ein Blick!
HERZOG.
Was sagt Er?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich bewundre still' in mir
Bei jedem Fall, wo schwer ist zu entscheiden,
Wie Eure Hoheit, selbst im Kleinsten, gleich
Den rechten Fleck im Mittelpunkte treffen,
Und was mir, der ich doch in diesem Wirrwarr
Zu Hause, dunkel ist, den Augenblick,
Als wär's Höchstdero tägliches Geschäft,
In's Reine bringen. Ohne solchen Blick
In's Kleine wär's wohl sicher auch unmöglich,
Das Große zu regieren!
HERZOG.
Hofinspector!
Ich kann nicht Lob vertragen; doch hier trifft Er
Gerade das, was ich vertragen kann,
Weil ich's vielleicht verdiene. So 'nen Blick
(Man nennt's coup d'oeil trau' ich mir zu; und 's freut mich,
Daß Er mir's abgemerkt; denn es verbürgt mir,
Er sey nicht selber ohne.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Könnte blind seyn,
Mein gnäd'ger Fürst, und doch, was mir die Augen
Durchbohrt, vernehmen!
[63]
HERZOG.
Höchner heißt mir also
Der Apotheker. Und der Kohlenbrenner?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Heißt Keit, und der ist ganz und gar verkehrt.
Er bild't sich ein, katholisch werden wollen,
Und der altfränk'sche König Ludovic
Der Heilige zu seyn. Nebst dem gemeinen
Modernen Trieb nach gothischen Antiken
Hat er noch die besondre Leidenschaft
Für alte schwäbische Nachtwächterlieder
In böhm'scher Tonart. Mir kommt wenigstens,
Was alles er in Es- und Bemoll singt,
Als lauter böhm'sche Dörfer vor. Die andern,
So toll sie sind, gebehrden sich verständig,
Mit ihm verglichen. Bei dem Kohlenbrennen
Soll er in Jakob Böhm's berühmten Schriften
Ganz toll studirt sich haben – und ist jetzt
Nicht bloß wahnsinnig, sondern übersinnig,
Unsinnig, widersinnig, tiefblödsinnig,
Und gar dabei halbsinnig auch. – Er beißt.
HERZOG.
Blitz Donnerwetter! Beißt er? Und sein Biß
Ist tödtlich, wird man sehn, Herr Hofinspector!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das doch nicht, Eure Hoheit; man wird nur
Allmälig toll davon. Er hat schon Ein'ge, die
Nur halb unsinnig waren, angebissen,
Und die sind allerdings ganz rasend worden.
HERZOG.
Das ist ein Teufelskerl! Wie nennt Er ihn?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Keit, Eure Hoheit!
HERZOG
notirt.
Richtig, Keit! – Zum Teufel!
Er scheint mir eine wahre Pest zu seyn –
Im Institut. Er muß heraus, Inspector!
[64] Herr Oberhofinspector! sag' ich! h'raus!
Wie viele hat er toll gebissen?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sechzig
Bis Dato nur.
HERZOG.
Das ist genug. Er muß
Heraus! Er beißt mir sonst die übrigen
Zweihundert alle vollends toll.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Dreihundert – will die Hoheit sagen. – Doch
Ich bitte für den armen Kauz. Er meint's
Mit allem dem nicht bös'. Es ist unmöglich,
So sehr er beißt, ihm nicht recht gut zu seyn.
HERZOG.
Das Beißen ist meschant; das leid' ich nicht.
'S hat was Satyrisches – und so ein Kerl
Ist boshaft, sag' ich Ihm
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nicht immer, großer
Und guter Fürst! Ich bitt' auf meinen Knieen,
Ihn uns zu lassen. Er ergötzt uns alle
Mit seiner Engelslaune; wär' er nicht,
Das Haus verginge ganz vor Langerweile –
Selbst die von ihm Gebissenen sind froh,
Daß er sie toll geküßt, und kosen ihm.
HERZOG.
Das Herz ihm also sitzt am rechten Fleck?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das ist es, Eure Hoheit!

Legt seine Finger auf die Stirn.

Hier nur ist's
Verkehrt. Nicht daß der Kopf nicht auch vortrefflich;
Allein, ich weiß nicht wie – Wer ist vollkommen?
Wer hat nicht hier zu wenig, oder dort
Zu viel?
HERZOG.
Das ist was Andres! Hätt' Er mir
[65] Das gleich gesagt. »Wenn's Herz nur schwarz ist«, sag' ich
Mit dem kulörten Küster. Gott und ich,
Wir sehn auf's Herz, und nicht auf schwarze Hosen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Dann werd' ich selig hier und dort, trotz meinen
Beinkleidern voll hellrothem Sammt, Eur' Hoheit!
HERZOG
lacht.
Das hat er gut gesagt. – Der Gute bleibt
Denn also trotz dem Beißen. – Zu den Juden!
Was machen sie?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Die Zellen schmuzig – glauben
Sich Christen übrigens – der größte Wahnsinn,
In welchen Juden fallen können. – Nur
Der Aelteste von ihnen macht sonst was.

Die Thür geht auf.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Kammerherr tritt herein.

HERZOG
unwillig.
Hab' ich geklingelt?
KAMMERHERR.
Eure Hoheit halten
Zu Gnaden! Der Feldmarschall wünschte gleich –
HERZOG.
Was gleich! Ich habe wichtige Geschäfte –
Sag' Er, er solle warten –

Vor sich.

hab' ich doch
Oft gnug auf ihn gewartet! – bis ich klingle.

Kammerherr ab.

[66]
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
HERZOG.
Wo blieben wir?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bei'm Juden –
HERZOG.
Recht! – und der?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Heißt Isaak Mendel, Gnädigster! und steht,
Trotz seinem Christenthum, im festen Wahn,
Er sey der alte Heidengott Homerus.
Er ist stockblind und macht sehr kauderwälsche
Reimlose Hexameter.
HERZOG.
Hexenmetre –
Was nennt Er Hexenmetre? – Mackbethsverse?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Verzeihen, Eure Hoheit! Nein. Es sind
Sechsfüß'ge Verse – die sechs Pedes haben.
Man nennt sie auch Sechsfüßler –
HERZOG
lachend.
Juden-Verse
Ja, ja! die Juden sind ein schmuzig Volk.
TOLLHAUSINSPECTOR
nachlächelnd.
Bald sind die sechs Versfüße nur Spondäen,
Dann kriechen sie; sind's aber Dactylen,
Dann hüpfen sie.
HERZOG.
Das sind mir droll'ge Verse!
Dergleichen sind mir nie noch vorgekommen;
Der Burgrath Werder, der doch viel gereimt,
Hat keine solche. Die sind wohl gemein –
Zu pöbelhaft, um sich am Hof zu zeigen –
Poetisch bettelhaftes Zeug – nicht wahr?
[67]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Was Elendes und Bettelhaftes scheint
Des Mendel's anzuhängen allerdings;
Doch wenn sie gut sind, ächthomerisch, vossisch,
Heißt wohl von ihnen, was im Nathan steht:
»Der wahre Bettler ist der wahre König.«
HERZOG
mit Nachdruck.
Darin hat Nathan Recht! Das ist mein Spruch:
»Der wahre Bettler ist der wahre König
TOLLHAUSINSPECTOR
halblächelnd.
Dann wären, so zu sagen, Eure Hoheit
Der Bettler Bettler.
HERZOG.
Was ich heut nicht bin,
Das kann ich übermorgen werden.

Die Thür geht wieder auf.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Kammerherr tritt ängstlich ein.

HERZOG
zornig.
Was?
Er untersteht sich –
KAMMERHERR.
Der Finanzminister –
Verzeihen Eure Hoheit – schreit da draußen,
Er müsse vor – es sey'n schon alle Kassen,
Bis auf die Kriegs- und Witwen-Kasse – leer.
HERZOG.
Da seh' er zu! das ist ja seine Sache –
Bin ich Finanzminister? – he?
KAMMERHERR.
Er sagt,
Er könn' es nicht mehr seyn, wenn Eure Hoheit
Nicht gnädigst einen neuen Plan vielleicht –
[68]
HERZOG
ungeduldig.
Sag' Er ihm nur von mir, er solle neue
Banknoten machen. Hoffentlich sind doch
Im Lande Lumpen gnug! –

Kammerherr ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
HERZOG
seine Schlafmütze, die wegen der Finanzen in Unordnung gerathen, zurecht drehend.
Wo blieben wir?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bei'm Juden, Eure Hoheit!
HERZOG.
Recht! bei'm Juden,
Der Hexenverse macht. – Bei'm Reich, dies Tollhaus
Interessirt mich! Weiß Er wohl, Herr Toll- –
Herr Oberhofinspector, wollt' ich sagen –
Daß mix sein Referat ganz ungemein
Gefällt. Ich wollt', Er wäre mein Minister
Des Innern – und des Aeußeren zugleich –
Sein Vortrag ist präcis, und doch daneben
Zerstreuend, unterhaltend, munter – kurz,
Nach meinem Herzen.
TOLLHAUSINSPECTOR
sich krümmend.
Weil ich mich erkühne,
Wohl kennend meines Herzogs Herzog-Herz,
Ein Echo seiner muntern Bonhommie,
– Wenn auch ein schwaches nur – zu seyn.
HERZOG
lächelnd.
Nicht wahr?
Je suis bon homme? n'est-ce pas?
[69]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Verstehe
Französisch, leider! nicht genug.
HERZOG.
Was? sprach ich
Französisch? Curios! wie die Erziehung
Selbst über die Natur geht! – Wollte sagen:
Ich bin ein guter Mann, so recht ein biedrer
Kreuzbraver Kerl, der mit sich spaßen läßt.
Zur Zeit, versteht sich, nicht zur Unzeit! – Und
Das hat Er nicht verstanden? –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Hab's gefühlt,
Ohn' zu verstehn, mein guter, gnäd'ger Herzog!
HERZOG.
Doch jetzt zu unsern Tollen wieder! – Also
Der Betteljude macht nur laus'ge Verse –
Hex – Hexenmetre – war's nicht so?

Lacht.

Ha, ha!
Das werd' ich Werdern heut' erzählen! – Jetzt

Im Etui nachsehend.

Kömmt unser böhm'scher Schuster. Was macht der?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nur Schuh für die Versfüße höchstens – aber
Ganz mystische. Sein Nam' ist Jakob Pilz;
Er war vorher Schuhflicker lang' in Pilsen,
Und nährte redlich sich mit Frau und Kind;
Bis eines Sonntags in die kleine Werkstatt
Der Blitz einschlug, so wie er saß und sohlte,
In Jakob Böhm vorlesend. Seit der Zeit
Glaubt er sich selber Jakob Böhm zu seyn.
HERZOG.
Da fällt mir auf, der Jakob Böhm – der hat
Mir schon den Guten – den der beißt – wie hieß er –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Keit –
HERZOG.
Toll gemacht. – Lebt der verruchte Kerl
In meinen Staaten?
[70]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Er ist lange todt.
HERZOG
schnell.
Warum verbietet man nicht seine Bücher
Im Meßcatalogus?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sie werden, glaub' ich,
Sogar darin befohlen – wenigstens
Empfohlen werden sie bei jeder Messe.
HERZOG.
Das soll man bleiben lassen! – Will mir's merken!

Notirt.

Und der nürnberger Maler, wie heißt der?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Pinsel, Eur' Hoheit! Ich weiß eben nicht,
Worin gerade seine Tollheit steckt,
Wenn nicht im Malen. Ein erbärmlicher
Strohpinsel ist er allerdings.
HERZOG.
Und jetzt
Der kurhannöversche Ex-Postillon?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Heißt Dietrich – sonst der dicke Faust genannt –
Ein ganz unbändig grober Kerl – vierschrötig,
Steinplump, und baumstark, wie ein Auerochs.
Er flucht beständig, und muß immer eine
Knallpeitsche haben in der rechten Faust,
Sonst ist er ganz und gar nicht zu regieren.
Er hat sich in den Kopf gesetzt, er sey
Der Kubus des Barons von Boberfeld,
Der, dreimal mit sich selbst multiplicirt,
Sein Facit, als vollkommner Opitz, macht –
Den übrigens er Faust nennt, und nicht selten
Mit dem reichsfürstlichen Correspondenten
Und Superintendenten Fust verwechselt,
Wie mehrmals ich bemerkt. Die Sach' ist die
(Nach allem, was bis jetzt ich schließen kann):
[71] Die Pferde sind ihm einmal in der Haide
Bei Schafstall durchgegangen, und seitdem
Hat er den Koller selbst bekommen – wähnend,
Der Herr Geheimerath von Foßt zu seyn,
Für den er fuhr – und der, nach viel gelehrten
Nachspürungen in allen deutschen Blättern
Des Herren Tollhausbibliothekars,
Ein mecklenburgischer Stallmeister Fotsch,
Der etwas über edle Pferdezucht
Geschrieben hat, gewesen seyn soll. Alle
Die andern Tollen halten ihn doch meistens
Für einen Bastard des berühmten alten
Schwarzkünstlers, oder wenigstens für Opitz
Drei, vier Studenten etwa ausgenommen,
Die den unsterblichen Geheimenheimlicher
In Breslau oft mit eignen Augen selbst
Gesehen haben sollen.
HERZOG.
Dieser scheint
Mir vollends der verrückteste von allen,
Und der impertinenteste zu seyn.
Ist er gefesselt?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Alle diese sind
In eisernen Schloßketten, Eure Hoheit –
Doch so, daß jeder Arme, Bein' und Zunge
An Sonn'- und andern Feiertagen frei
Bewegen darf. Papier, und Dint' und Feder
Muß ich indeß tagtäglich Allen lassen,
Sonst würde gar zu wüthend ihre Wuth.
HERZOG.
Es ist doch, hör' Er, eine kurr'ge Sache
Mit der Schreibfreiheit! Wäre diese nicht,
So gäb' ich meinen Unterthanen gern
Die Preßfreiheit, wonach sie alle schrein.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ja freilich, Eure Hoheit. Nur den Tollen
Muß man durchaus doch diese höchst gefährliche
[72] Schreibfreiheit lassen – wenn sie nicht noch toller
Als toll am Ende werden sollen.
HERZOG.
Also das
Besänftigt sie?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sie gießen dann die Wuth
In ungenirter genial'scher Hülle
Bald lyrisch, bald dramatisch, stets romantisch-
Barbarisch auf's Papier. Denn an Genie
Fehlt's den Krabaten nicht; es sind fast lauter
Höchstseltne Köpfe – würden auch im Durchschnitt
Unsäglich viel Verstand drin haben, wenn sie
Ihn nicht verloren hätten. Jetzt, zum Beispiel,
Arbeiten sie – und zwar die allertollsten,
Hauptsächlich, im Verein an einem großen
Lust-Trauerspiel in Versen.
HERZOG
lächelnd.
Gar in Versen?
In Hexenmetern – in den Bettelversen –
Nicht wahr? Das werden königliche seyn!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bitt' um Verzeihung, Gnädigster! die hassen
Sie vielmehr. Reime halten sie weit höher.
HERZOG.
Die mag ich auch am liebsten – nächst der Prosa.
Ich reime selbst bisweilen was sub rosa.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Doch reden Eure Hoheit meist in Jamben,
Wie unterthänigst ich bisher bemerkt.
HERZOG.
Da weiß ich nichts von. Sind sie gut? Was nennt Er
Injamben?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ganz vortrefflich, Eure Hoheit!
Sind kurz' und lange Fuße.
[73]
HERZOG.
Das muß hinken
Doch, mein' ich, etwas?
TOLLHAUSINSPECTOR
begeistert.
Ja, wie Tamerlan
Und Alexander hinkten. Alle Helden
Und große Fürsten: Göthe's, Schiller's Helden,
Und selbst der weise Nathan hinkten so. –
– Jetzt sprach ich auch in Jamben, Eure Hoheit!
HERZOG
halbverdrießlich.
Das klang recht gut. Doch mag ich lieber, wenn
Er ganz in Prosa spricht. Man giebt sich doch
In Jamben – wie Er's nennt – so einen Ton –
Ich mag's vornehme Wesen nicht. Ich bin
Kein Held – will auch nicht, daß man mir trompete.
Doch à propos, der hallische Trompeter

Die Thür wird geöffnet.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Kammerherr tritt zitternd herein.

HERZOG
aufgebracht.
Hab' ich geklingelt? – Donner schwere Noth!
Wie wagt Er unaufhörlich –
KAMMERHERR.
Gnäd'ger Herr!
Der Generalfeldmarschall dringt, der Obrist
Der Garde, sechs Courriere –
HERZOG.
Schick' Er sie
Zu dem Minister der auswärtigen
Affairen! – Wozu halt' ich Den? Soll ich
Denn einzig Alles, Alles, Alles thun?
Fort, sag' ich Ihm – ich habe hier Geschäfte
[74] Des Innern, welche doch – zum Teufel! – wohl
Den äußern vorgehn. – Zum Minister! fort!

Kammerherr ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
HERZOG
sich in den Stuhl zurückwerfend.
Da sieht Er, Hofinspector! meine Muße,
Und was es heißt, regieren Land und Staat.
Wünsch' Er sich's nicht!
TOLLHAUSINSPECTOR.
O Himmel! nur mein Tollhaus
Giebt mir genug zu schaffen.
HERZOG.
Dennoch ist
Das kaum wie eine Grafschaft – denk' Er sich
Ein ganzes Reich.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Schon der Gedanke macht,
Wer nicht dazu geboren, toll.
HERZOG.
Ein Mann
Wie Er sieht so was ein; doch leider! nicht
Die Herren Philosophen, die da glauben
'S Regieren sey so leicht, als Bücherschreiben.
TOLLHAUSINSPECTOR
lächelnd und die Achsel zuckend.
Weil, gnäd'ger Herr, die Meisten dafür halten,
Die Welt besteh' aus Dinte.
HERZOG
lacht.
Nimmt Er mir's
Doch gleichsam von den Lippen weg! Nun also
Zurück zum hallischen Trompeter!

Er sieht auf die Pendeluhr.

Blitz!
Die Glock' ist schon halb zwölf! – Und der Trompeter! –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Vor dem würd' oft mir selber bange werden,
[75] Wär' er nicht ein Coujon im Grund'. Er ist
Der überschwenglich tollste, Eure Hoheit.
Er giebt ein' Ohrfeig jedem, der ihn nicht
Eur Allerhöchstgeboren nennt. Genie
Hört er am liebsten sich betiteln; nämlich
So nennt er auch am häufigsten sich selbst.
Er spricht von nichts als seinen eignen Werken,
Und seiner tragisch-göttlichen Natur –
Sein wahrer Nam' ist Pausback, sagt man, aber
Sie nennen Till ihn. Er ist pudeldrollig
In guter Laun', und hat unläugbar viel
Von unsrem seligen Till Eulenspiegel.
HERZOG.
Tell Eulenspiegel! will Er sagen. Schiller
Hat den beschrieben. – Wilhelm hieß er auch –
Hat einst dem guten alten Hause Oestreich
Viel Schabernack gethan! – Er war ein Schweizer.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Der Till, von dem ich spreche, Eure Hoheit,
Macht freilich Schabernack genug – allein –
HERZOG.
Weiß wohl; Er spricht nur von dem tollen Tell;
Er ist hochmüthig, sagt Er, aufgeblasen?
Das kömmt von dem Trompeten! Mag das nicht.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Gar Niemand mag's, mein gnäd'ger Fürst. Es hassen
Ihn alle, selber die Blödsinnigen,
Auch prügelt oft ihn weidlich ab der Faust,
Zumal, wenn er zu laut von der Erkennung
Des Donnergotts in seinen Locken spricht,
Und zu verstehen giebt, er sey geheimer
Papa von allen öffentlichen Kindern.
HERZOG.
Was bildet sich der dumme Prahlhans ein!
Wer ist er seiner eignen Meinung nach?
TOLLHAUSINSPECTOR.
All', Eure Hoheit. Das ist, seit er ankam,
Der ewige Streitapfel in dem Garten.
[76] Er bild't sich ein, zu seyn, wofür die Andren
Sich halten. Er ist Keit – er ist Bombastus
(Und beide zwar, der rechte, wie der linke),
Ist Shakspear, Daus, und Meister Opitz selbst.
Dem armen Juden macht er den Homer
Gar streitig, und behauptet fest, Er könnte
Ganz andre Hexameter machen, wollt' er
Von seiner Höh' so tief herab sich lassen.
HERZOG.
Das meint er? Er ist also doch Poet –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nur ein Trompeter ist er – 'ne Trompete
Noch eigentlicher, die sich selber bläst.
HERZOG.
Ich mag ihn gar nicht. Ist er lange toll?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Wie? lang, Eur' Hoheit? Er ist toll geboren!
HERZOG.
Kann man denn toll geboren werden auch?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Es halten viele Hirnphysiologen
Dafür, mein gnäd'ger Fürst, daß ächte Tollheit
Durch keine bloße Kunst erschwungen werde.
Daß, wer's zur Meisterschaft darin will bringen,
Vor der Geburt im Mutterleibe rappeln müsse.
HERZOG.
Ich werde heute den Hirndoctor Stirn
Bei Tisch darüber fragen.

Notirt.

Aber, sag' Er,
Mein Oberhofinspector, alle diese
Verrückten Kerls – sie scheinen mir, nach Seiner
Beschreibung, alle tücht'ge starke Pursche.
Könnt' ich nicht die Armee, die theils durch Frieden
Und theils durch Krieg, bis auf den Generalstab,
Fast eingeschmolzen, damit recrutiren?
Wie? ließen sie sich gegen die Vandalen
Nicht schicken? Freilich müßten sie ein Jahr
Vorher gehörig exercirt noch werden. –
[77]
TOLLHAUSINSPECTOR
verlegen.
Der Plan, großmächt'ger Fürst, ist ganz der tiefen
Reichsweisheit des romanischen Gebieters
Im höchsten Grade würdig. – Keiner ist
Zweckmäßiger, und keiner könnte je
Politischer ersonnen werden. – Nur
Ist leider die Ausführung ganz unmöglich.
HERZOG.
Warum denn? Lassen sich die Kerls denn nicht
Discipliniren? Sind's ja doch Discipel
Im Grunde nur, und Schüler, und dergleichen!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ganz sicher, Eure Hoheit! aber dennoch –
HERZOG.
Sie arbeiten zusammen, sagt Er mir,
An einem großen Trauerspiel. Sie lassen
Sich also doch in Reih' und Glieder stellen –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das allerdings, mein gnäd'ger Herr; allein –
HERZOG
ungeduldig.
Gehorchen sie nicht Ihm? Ich will Ihn selber
Zum General des ganzen Corps ernennen.
Sie können doch, zum Teufel! wenigstens
Marschiren, oder stille stehn, und tapfer,
Wie andre Corps, sich schlagen lassen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Freilich
Eur hochfürstlichen Durchlaucht – aber – aber –
HERZOG
mit steigender Ungeduld.
Was will Er denn mit seinem Aber? Blitz!
Ich mag kein Aber mir, muß ich Ihm sagen.
Zu meinem Hofinspector hab' ich Ihn
Ernannt; doch das ist immer unter der Bedingung,
Daß Er nicht inspectire, sondern auch
Hübsch respectire, was ich Ihm zu sagen.
TOLLHAUSINSPECTOR
steht betroffen auf.
Bitt' in der tiefsten Demuth um Verzeihung,
[78] Eur allerhöchsten Hoheit! ach! ich wollte
Ganz allerunterthänigst nur anmerken –
HERZOG
kurz.
Das soll Er bleiben lassen. Merke mir
Schon alles selber an.
TOLLHAUSINSPECTOR
zitternd.
Sie sollen also,
Bewaffnet, exercirt, und commandirt
Von mir, in's Feuer, gegen die Vandalen –
HERZOG
heftig.
Das sollen sie.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Dem allergnädigsten
Befehl gehorch' ich allerunterthänigst –
HERZOG.
Da thut Er wohl daran. Ich rath' es Ihm.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Obgleich sie mich zuerst todtschlagen werden –

Er holt einen langen Seufzer.
HERZOG.
Warum das?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Weil sie, leider! alle feindlich
Gesinnt sind.
HERZOG
erstaunt.
Schwerenoth! was sagt Er mir?
Vandalisch sind sie?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Doppelt, ach! und dreifach
Vandalisch sind sie – noch vandalischer
Als die Vandalen.
HERZOG.
Wie? Was hör' ich?
Woher vermuthet – woraus schließt Er das?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Aus allen ihren lauten Aeußerungen,
Mein gnäd'ger Fürst. Erst sind sie jakobböhmisch-
HERZOG.
Ist das dasselbe wohl als jakobinisch?
[79]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nein, aber noch viel ärger, Eure Hoheit!
HERZOG
etwas beruhigt.
Das gab Ihm Gott ein. Wenn's dasselbe wäre,
Wär's aus mit Ihm, daß Er mir solches längst
Nicht angegeben. – Was denn Aergers sind sie?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Mehr als republikanisch, ohnehosig,
Barbarisch, ganz zigeunrisch, mehr als türkisch.
Sie machen gar viel aus dem Attila,
Der Weltzerstörung wegen, die just ihnen
Ganz recht ist. Ferner sind sie ganz unbändig,
Ganz unbeschreiblich frech, und stehn, als Ritter,
Incognito in sarazen'schem Solde.
Dann endlich sind sie ganz und gar altfränkisch,
Altindisch, provenzalisch, burigundisch,
Nachtgallisch, madrigallisch, drudegallisch,
Kurz gallischer als alle Gallogallier.
Die eine g'rad' Idee, worin die queren
Zusammenlaufen, und in welcher Alle
Durch Widerspruch ganz einig sind, ist die:
Daß gänzlich die bisherige Vernunftwelt
Zerstört muß werden – das Vandalenland
Zwar auch, sammt allen cultivirten Ländern –
Doch förderlichst vor allen erst ihr eignes
Allzu gebildetes, aristokrat'sches,
Und nicht genug barbar'sches Vaterland.
HERZOG.
Wenn das ist, müssen sie noch heute Alle
Gehangen werden. So toll hätt' ich mir
Sie nicht gedacht, bei weitem nicht. Ich hatte
Sie mir verrückt – daß heißt, noch raisonnabel-
Wahnsinnig – nur vermuthet: ungefähr
Wie alle Philosophen sind, im Durchschnitt,
Zumal Poeten; – aber diese Tollheit
Geht über alle deutsche Grenzen gar.
Ich lasse sie noch heute hängen – Alle!
[80]
TOLLHAUSINSPECTOR
demuthsvoll eindringlich.
Bedenkt jetzt aber meines Herzogs Herz,
Des Vaters – o des Vaters! denn ich kenn' es –
Daß Höchstdieselben dadurch einen Theil –
Und einen Kerntheil zwar – des einz'gen kleinen
Kostbaren Ueberrests von Dero treuen
Allzeit ergeb'nen Unterthanen streng
Des Tods, des schmählichsten, krepiren lassen?
Es war vor Zeiten, hab' ich sagen hören,
Ein König Johann ohne Land – und heute ....
HERZOG
lächelnd.
Vielleicht ein Herzog Lüthard ohne Leute:
Sagt Er?
TOLLHAUSINSPECTOR
niedergeschlagen.
Das sag' ich nicht.
HERZOG
noch lächelnder.
Ich sag' es aber.
Und es ist etwas grade von dem Besten,
Sprichwörtlichsten und Drolligsten, was ich
In meinem Leben je gesagt.
TOLLHAUSINSPECTOR
heiter.
Die Nachwelt
Wird's einst aufzeichnen, und die Ewigkeit
Auswendig lernen, um sich todt zu lachen –
Unendlich großer, guter Fürst!
HERZOG
laut lachend.
Das hoff' ich.
TOLLHAUSINSPECTOR
seine Brieftasche hervorziehend.
O dürft' ich allerunterthänigst es vorher
Aufschreiben?

Halblaut.

Göttlich! göttlich! o wie war's doch?
O wenn ich lachen dürfte!
HERZOG
mit sichtbarem Wohlgefallen.
Lach' Er nur!
Ich will es Ihm dictiren, und zugleich
Mir's selbst aufschreiden – denn ich seh', Inspector,
Er hat Gefühl für's Groß', und offnen Sinn
[81] Für ächten, königlichen Mutterwitz.

Dictirt und schreibt zugleich.

»Einst König Johann ohne Land, und heute
»Vielleicht der Herzog Lüthard ohne Leute!«

Der Tollhausinspector hält sich den Bauch, und lacht zum Ersticken.
HERZOG.
Es ist ein Einfall, sieht Er, auf den Fall –
TOLLHAUSINSPECTOR
vor Lachen stammelnd.
O! 's ist ein Einfall über alle Fälle!

Ein wenig zu sich kommend.

Wie hoch muß über allem Hohen stehn,
Der auf das Höchste selbst so tief herabsieht,
Und lacht, wo Millionen weinen!
HERZOG
sehr munter.
Ja! –
Setz' er sich wieder doch – dem Einfall kann
Er jetzt mit allen seinen Jakobböhmern
Das Leben danken; denn er hat mir ganz
Die gute Laune wieder aufgeweckt. –
Mein größter Stolz, mein höchster, ist und bleibt,
Daß, als gemeiner Mensch und Bürger, ich
So groß seyn würde, größer noch vielleicht,
Als auf dem Thron.
TOLLHAUSINSPECTOR
innig.
Ich bet' in meinem Herzog,
Seitdem ich das erhab'ne Glück gehabt,
Persönlich ihn zu kennen, mehr den Dorfschulz,
Als den gekrönten Landesfürsten an.
HERZOG
ihm auf die Schulter klopfend.
Er ist ein braver Mann, mein Hofinspector!
Er hat was Offenes, was Jovial'sches,
Wie mir's gerade recht; und scheint mir auch
Viel Welt- und Menschenkenntniß zu besitzen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bin zwanzig Jahre lang Tollhausinspector
Gewesen, Eure Hoheit.
[82]
HERZOG
ernst.
Zwanzig Jahre
Hab' ich nun auch Romanien regiert.
Ich bin sein sehr affectionirter Herzog.
Auch will ich heute, zum Beweis, wie hoch
Er bei mir steht, mit meinem ganzen Hof,
Und allen meinen Gästen, unter welchen
Die Frau Dauphin, der Doctor Stirn, der Prinz
Von Ellenbogen, und noch andre mehr
Notable sind, zu Mittag bei Ihm speisen,
Ganz sans façon.
TOLLHAUSINSPECTOR
verwundert.
Im Tollhaus, Eure Hoheit?
HERZOG.
In Seinem Hause, ja – wo, wie ich höre,
Von Alters her ein großer Speisesaal,
Und auch ein Garten seyn soll.
TOLLHAUSINSPECTOR
verlegen.
Ich ersterbe
Vor Dankbarkeit, ganz einziger Regent!
Doch ach! wie werd' ich –
HERZOG.
Hat Er guten Rheinwein?
TOLLHAUSINSPECTOR
schnell.
Den besten, Eure Hoheit!
HERZOG.
Gut! und Platz –
Das ist genug – das Andre wird gebracht.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Auch hab' ich sonst noch Dies und Jenes, das
Vielleicht so hohen Gästen hier in diesem
Entblößten Ort nicht unwillkommen – Tafel-
Musik, zum Beispiel –
HERZOG.
Ei! was sagt Er? schön!
Nicht meinet- nur der Gäste wegen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Und
[83] Nach Tafel Schauspiel – freilich deutsches nur,
Doch nicht einfältig eben.
HERZOG.
Blitz! was sagt Er?
Hat man ein Schauspiel hier?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Im Tollhaus eben.
Das Trauerspiel, wovon ich sprach, wird heute
Zum ersten Mal gegeben.
HERZOG.
Von den Tollen
Gespielt?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Von ihnen selbst, mein Herzog!
HERZOG.
Das wird was Drolliges wohl seyn?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sehr drollig.
HERZOG.
Das lieb' ich eben. – Weiß Er was, mein Lieber!
Sein Tollhaus, nach dem Allem, und nach dem,
Was sonst man mir davon gesagt, gefällt mir.
Der Name nur chokirt mich. Könnt' Er nicht
Ihm einen andern Namen geben – wie
Zum Beispiel: Institut – Museum, oder
Lyceum, Athenäum – wie sie heißen,
Die Schulcollegien – Hochschule, oder
So etwas?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das können Eure Hoheit nur.
HERZOG
steht auf – der Tollhausinspector fliegt von seinem Stuhle.
Da fällt mir ein: Er ist nicht länger Toll-,
Ist Oberhofinspector jetzt – wie wär' es?
Ja, ja, das geht! Ich will es – also heiße
Das Haus vom heut'gen Tag' an, ohne weitres,
Der Obertollhof! – Ist Er's so zufrieden?
[84]
TOLLHAUSINSPECTOR
außer sich.
Ich küsse dankbar Eurer Hoheit Hand
In meinem und des Obertollhofs Namen.
HERZOG.
Bis drei Uhr mach' Er also fertig Alles,
Uns zu empfangen. Ich ertheile jetzt
Dem Hofmarschall die Ordre, sich sogleich,
Mit sammt dem Koch und übrigen Bedienten,
Hin nach dem Obertollhof zu begeben.

Er nimmt die Schlafmütze wieder ab. Der Tollhausinspector geht rücklings, unter tiefen Verbeugungen, hinaus.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
HERZOG
allein.
Das ist doch noch ein Kerl, will's Gott, auf den
Ich bauen kann. Gerade, schlicht, natürlich,
Gutlaunig; gar nicht dumm dabei! vielmehr
Gescheit. Lang sucht' ich einen solchen. Hätte
Mein erster Staatsminister nur die Hälfte
Von seiner Einsicht! Zwar, der meint's auch gut;
Doch ist er überadelig bornirt,
Und weiß vom Staat so viel, – als meine Mütze.

Klingelt.

Ist Niemand da?
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
KAMMERHERR
springt herein.
Das ganze Ministerium –
HERZOG.
Soll warten!
[85]
KAMMERHERR.
Der Generalfeldmarschall, und –
HERZOG.
Soll warten!
KAMMERHERR.
Der Baron Schnüffelbrenner –
HERZOG
finster.
Sollen warten –
Sag' ich Ihm ein für allemal. Es geht
Mein Dienst wohl allem andern vor noch, hoff' ich.
Der Hofmarschall muß sich sogleich zum Tollhaus
Verfügen. – Meld' Er auch der Herzogin,
Daß dort wir bei dem Oberhofinspector,
Dem Oberhofinspector! merk' Er sich's,
Der eben von mir wegging, nebst den Gästen,
Die eingeladen, heute speisen werden,
Zu Mittag, und – daß Abends dort auch Schauspiel.

Kammerherr ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
HERZOG
allein.
Was sie doch sagen werden All' heut Abend
Zu meinem Schauspiel! Bin auch selbst begierig.

Sieht auf die Pendeluhr und klingelt.

Ach! jetzo muß ich, leider! wieder anziehn
Den Herzog; und mich steif frisiren lassen.

Klingelt wieder.

Jetzt sind sie Alle fort!

Klingelt sehr stark.

Vermuthlich stecken
Sie mit dem Marschall alle schon im Tollhaus.

Da Niemand kömmt, so geht der Herzog selber in ein Nebenzimmer.

Der Vorhang fällt.
[86]
5. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
GENERAL VON WIRBELZOPF
im Zelt.
Es lebe hoch der Herzog!
PRINZ VON KOTBUS.
Hoch! dem Herzog!

Commandant der Festung stößt an mit dem neben ihm sitzenden grauen Mantel.
OFFICIERE
im Zelte, zechend.
Der große, gute Herzog Lüthard lebe!
ROMANISCHE SOLDATEN
außen.
Hoch! hoch!
[87]
KALMUCKEN.
Hoch! hoch!
ZIGEUNER.
Hoch! hoch!
KOSAKEN.
Hoch! hoch!
ALLE
in und außer dem Zelt.
Hoch! hoch!
EINE BASZSTIMME
innen.
Schon seh' ich seine jüngste That, wie brausend
Ein Flug von Fersen vor ihm weht;
Er aber seinen Gang durch vier-, fünfhunderttausend
Zertret'ne Bäuche geht.
Der Generalfeldmarschall lebe!

Romanier, Kalmucken und Kosaken murren.
ZIGEUNER
außen.
Hoch!
TENORSTIMME
im Zelt.
Die tapfern Jauern hör' ich, ihre Lieder,
Ihr Fest bei jedem Freudenmahl
Ist Er, der wider alle Vandeln flucht, und wider
Philister ohne Zahl.
OFFICIERE
anstoßend.
Hört! wie er wider alle Vandeln flucht und wider
Philister ohne Zahl!
FERNE STIMME
vom vandalischen Vorposten herüberschallend.
Foutre!

Der Mann im grauen Mantel lacht.
SOLDATEN
auf dem Boden neben ihren Erbsentöpfen.
Sie wollen Futter dort.
TATARN UND KALMUCKEN.
Es sind die Pferde.
OFFICIERE
im Zelt.
Die Festung Dummliz auch soll leben!
GRAUER MANTEL
stößt an mit den Festungscommandanten.
Leben!
[88]
ALTSTIMME.
Verwandelt in Verwünschungen die Lieder
Bei diesem Siegesmahl!
Stoßt an mit hunderttausend Brennerflüchen wider
Vandalen ohne Zahl!

Alle fluchen und trinken.
STIMMEN
vom vandalischen Lager, lauter.
Foutre!
EINIGE OFFICIERE IM ZELT.
Wer ruft?
WACHE VOR DEM ZELT.
Die Feinde dort.
OFFICIERE.
Was rufen sie?
WACHE.
Nach Futter rufen sie.
GENERAL VON WIRBELZOPF
innen.
Krepiren schon
Vor Hunger!

Grauer Mantel neben dem Commandanten lacht.
STIMMEN DER PHILISTER.
Futter! Futter!
GENERAL VON WIRBELZOPF.
Schwerenoth!
Geduldet Euch bis Morgen, Esel! Dann
Wird Euch das Maul mit Schrot und Koth gestopft.
ALLE IM ZELT
klatschen.
Brav! Unser General soll leben! Brav!
Stoßt an!
STIMMEN DER PHILISTER
sehr laut.
Futter! Futter! Futter!
GENERAL VON WIRBELZOPF.
Teufels Donner!
Schocksapperment! Sie röcheln, glaub' ich, schon.

Der graue Mantel lacht überlaut.
ALTER OBRISTWACHTMEISTER.
Das Schrein nach Futter ist ein böses Zeichen.
[89]
COMMANDANT DER FESTUNG
zu seinem Nachbar.
Was lachen Sie so überlaut?
GRAUER MANTEL.
Ich muß wohl.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Ein Eilbote dringt vor.

ALLE
im Zelt.
Wer da?
WACHTHABENDER OFFICIER.
Der Feldcourrier.
VON WIRBELZOPF UND DER COMMANDANT
zugleich.
Was bringt er uns
Vom Generalfeldmarschall. Kömmt er?
FELDCOURRIER.
Nein.

Soldaten murren.
VON WIRBELZOPF.
Was läßt er mir denn sagen?
FELDCOURRIER.
»Uebermorgen
Find' kein Philister-Esel Futter mehr
In ganz Romanien?« Es sagte mir
Der Kammerherr bei'm Weggehn, dieses seyn
Des Generalfeldmarschalls eigne Worte.
Der Herzog übrigens ist mit dem Hofe
Ganz ruhig –
VON WIRBELZOPF.
Schwerenoth! das kann er wohl;
Wir sind ja hier!

Grauer Mantel lacht in den Bart.Kalmucken murren.

[90]
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Ein zweiter Eilbote dringt vor.

WACHE.
Wer da?
EILBOTE.
Courrier vom Hofe.
WACHTHABENDER OFFICIER
in's Zelt hinein.
Courrier vom Hof!
EILBOTE
stöhnend.
Der Generalfeldmarschall
Hat nichts zu sagen.
ALLE OFFICIERE
erstaunt.
Wie?
EILBOTE.
Nichts zu befehlen –
»Schön!« sagt er, »Alles gut!«
ALTER OBRISTWACHTMEISTER.
Sonst weiter nichts?
EILBOTE.
Es ist aber heute großes Schauspiel
In Jauer.
ALLE.
Schauspiel?
VON WIRBELZOPF.
Hundeschauspiel oder
Concert von Katzen – so was.
FELDCOURRIER.
Richtig! das
vergaß ich. Es sind viele Fremde da:
Die Frau Dauphin, der Doctor Stirn, und Andre.
Man giebt ein großes Fest, und ein Tedeum,
Tedeum, glaub' ich, nannten sie's.
ZWEITER EILBOTE.
Geschwätz!
Laß mich ausreden! Ich bin unterrichtet
[91] Von Allem, weiß die Sach', ich hab's vom Koch.
Der ganze Hof mit allen hohen Gästen
Und niedrigen (denn es sind Todtengräber
Darunter, sagt der Koch) geht in das Tollhaus,
Wo Hofkomödie wird aufgeführt und Bal
En domino. Der Tollhauswärter ist
Zum Oberhofmarschall, und ich weiß nicht
Wie viele Tolle Hosenträger-Ritter –
ERSTER COURRIER
corrigirend.
Ritter vom Hosenbande –
ZWEITER EILBOTE.
Schweig! ich bin
Der letztens Abgereiste. War ich doch
Selbst mit dem Leibkoch in der Tollhausküche,
Wo's drüber jetzt und drunter geht.
PRINZ VON KOTBUS.
Bei'm Teufel!
Da muß ich hin.
COMMANDANT DER FESTUNG.
Ich auch – die Festung läuft
Ja nicht davon.
VON WIRBELZOPF.
Ich auch – wir haben Zeit –
MEHRERE STABSOFFICIERE.
Wir auch.
VON WIRBELZOPF.
Die Wache haben, müssen bleiben.
EINIGE.
Versteht sich, ja!
ANDERE.
Versteht sich, nein!
ALTER OBRISTWACHTMEISTER
ernst.
Der Prinz
Von Kotbus hat die Wach'.
VON WIRBELZOPF.
Ich weiß – allein
Er giebt sie einem Andern – und als Prinz –
[92]
ALTER OBRISTWACHTMEISTER
bestimmt.
Prinz hin, Prinz her! – er bleibt.
VON WIRBELZOPF.
Was, Schwerenoth!
Wer hat hier zu befehlen?
ALTER OBRISTWACHTMEISTER.
Ich!
VON WIRBELZOPF
lacht.
Man sattle
Die Pferde des gesammten Generalstabs!
Auch die des Prinzen, gleich!
ALTER OBRISTWACHTMEISTER
steht vom Tisch auf, zur Wache.
Herbei! verhaftet
Den General!
VON WIRBELZOPF
fährt auf vom Tisch, zieht.
Schockdonner Schwerenoth!
COMMANDANT DER FESTUNG
zum Obristwachtmeister.
Nur nieder mit dem Hundsfott!

Grauer Mantel reibt sich die Hände.Wache eilt herbei.
Alle springen vom Tisch auf.
ALTER OBRISTWACHTMEISTER
zieht ebenfalls.
Bin fertig!

Sie fechten. Allgemeiner Tumult im Zelt, Lärm und Geschrei. Die Einen laufen gegen die Anderen mit gezücktem Degen, fluchen und toben. Der Obristwachtmeister wird verwundet. Die Pferde werden indessen außen vorgeführt. Der Prinz von Kotbus springt durch die Mitte der Fechtenden über den Tisch, schwingt sich auf seinen Schimmel, und sprengt davon. Die Meisten, etwas
schwer von Wein, fallen im blinden Gefecht mehr oder weniger verwundet zu Boden. Dieromanischen Soldaten, Tataren, Kalmucken, Kosaken springen von ihren Erbsentöpfen auf, und ergreifen ihre Gewehre. DieZigeuner schreien Zetermordio. DieMarketenderin läuft wie eine Furie mit fliegenden Haaren um das Zelt. Die Trommeln werden gerührt. Das Futter-Rufen im Hintergrunde bringt von Zeit zu Zeit vernehmlich durch den Tumult im Vordergrunde. Man hört endlich eineStimme, von der linken Seite des Zeltes her, rufen:

Still! Im Namen Seiner Hoheit
Des Herzogs!
[93]
EINIGE.
Hört ihn!
ANDERE.
Hört ihn nicht! Er kömmt
Vom Generalfeldmarschall.
WACHTHABENDER OFFICIER
meldend.
Adjutant!
SOLDATEN
draußen.
Des Herzogs eigner Adjutant! Respect!
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
ADJUTANT
zu Pferde, reitet vor.
Der Herzog ladet durch den General-
Feldmarschall, der mich abgeschickt, die Herren
Stabsofficiere sämmtlich, von dem Ersten
Bis zu dem Letzten, welche mit dem Orden
Des goldnen Jauerkreuzes decorirt,
Zum Schauspiel ein, im Hauptquartier zu Jau'r
Heut Abend, doch mit Vorbefehl, daß Alle
Vor Mitternacht zurück in's Lager kehren.

Trompetenstoß.
GRAUER MANTEL
zum Festungscommandanten.
Ein Mann wie Sie, nicht decorirt! nicht Ritter!

Lautes Murren.
ALLE MIT ORDEN BEHANGENE
in eine Gruppe zusammentretend.
Hoch! hoch dem Herzog! – hurtig unsre Pferde!

Sie sitzen Alle auf, der General von Wirbelzopf an der Spitze, und jagen davon.

[94]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Allgemeine Stille. Die zurückgebliebenen Officiere sehen einander an.

ALTER OBRISTWACHTMEISTER
blutend.
Laß ziehn die Narren!
MEHRERE OFFICIERE.
Fort mit ihnen, auch
Nach Mitternacht!
ANDERE.
Es lebe hoch der Obrist-
Wachtmeister! hoch! Zum Teufel mit den Andern!

Die Sonne geht unter.
ALTER OBRISTWACHTMEISTER.
Wir sind nur Hunde!

Alle versammeln sich um den blutenden Alten.
EINER
laut.
Warum lassen wir
Uns von den Knaben hetzen? Rufen wir
Den Obristwachtmeister zum General
Der hies'gen Truppen aus! Es liebt das Heer ihn.
Wir sind die Stärksten hier!
ALLE ZURÜCKGEBLIEBENEN OFFICIERE.
Der General
Wachtmeister lebe!

Ziehn die Degen.
DIE WACHE
präsentirt.
Hoch!
KALMUCKENHAUPTMANN.
Er commandir' uns!
Und sitze vor sogleich am Tisch! Es sind
Noch sechzig Flaschen ungeleert –
COMMANDANT DER FESTUNG.
Und hundert
Bouteillen liegen draußen noch im Sand,
Die Wirbelzopf für morgen aufbehalten.
[95]
ALTER OBRISTWACHTMEISTER.
Man theile sie sogleich den Corporalen
Im Lager aus!
WACHTHABENDER CORPORAL
vorne.
Ein ächter Generals-
Befehl! In aller Corporale Namen:
Hoch unserm General!
ALLE.
Hoch! hoch!
CORPORAL
eilt vom Zelt und spricht leise mit den ringsum versammelten Soldaten.
Laut.
Um Mitternacht!
ROMANIER, TATAREN, KALMUCKEN, KOSAKEN, KROATEN UND ZIGEUNER.
Es lebe hoch der General-Wachtmeister!
Der Generalfeldmarschall und der Herzog!
CORPORAL
zu den Soldaten.
Jetzt, Cameraden, kommt und sauft!
KOSAKENHAUPTMANN.
Und wir –
Vollenden wir das frohe Siegesmahl,
Bevor der Sieg uns überrascht!

Alle setzen sich wieder um den Tisch, derObristwachtmeister oben in der Mitte.
OBRISTWACHTMEISTER
sein Glas nehmend, während der Feldchirurgus ihn verbindet.
Dem Siege!
KALMUCKENHAUPTMANN
anstoßend.
Dem Sieg!
KROATENHAUPTMANN
das Glas in der Hand.
Dem Sieg!
ROMANISCHER HUSARENOBRIST
ebenso.
Dem Sieg!
GRAUER MANTEL
mit dem Festungscommandanten anstoßend.
Dem Wohlbewußten!

Sie trinken Alle, mit jedem neuen Glase eine neue Gesundheit bringend – des neuen Generals – des neuen Oberhofmarschalls [96] im Tollhause – der Armee – der romanischen Mädchen – der
Herzogin – der Festung Dummliz – des jauerschen Tollhauses sogar; bis sie unter Gläserklirren und Trompetenstößen allmälig Alle einnicken. DerFestungscommandant und der Graue Mantel stehen auf, und treten im leisen Gespräch mit einander aus dem Zelt.
GRAUER MANTEL
halblaut.
Es wäre jetzo Zeit –
SOLDATEN
links – zu dem dicken Eilboten, der sich bei ihnen gelagert.
Wird also morgen
Wohl aufgebrochen?
FELDCOURRIER.
Freilich!
FESTUNGSCOMMANDANT
zu dem gelagerten Haufen.
Cameraden!
Entfernt Euch einen Augenblick!
EIN SOLDAT
murrend.
Er braucht
Viel Platz zum –
FELDCOURRIER
brummend.
Donner! – Niemals Ruhe!
KROAT
stößt ihn mit dem Kolben auf den Hintern.
He! Platz da für den Commandanten!

Der Haufe verliert sich allmälig, und der
Festungscommandant bleibt allein im Vorgrund zur Linken mit dem Mann im grauen Mantel.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
FESTUNGSCOMMANDANT.
Aber
Was bürgt mir denn –
[97]
DER UNBEKANNTE IM GRAUEN MANTEL
sieht sich nach allen Seiten um.
Chut! Chut!
FESTUNGSCOMMANDANT.
Wir sind allein –
Und – ohnehin bin ich nur ausgesetzt;
Sie haben nichts zu fürchten.
DER UNBEKANNTE
schlägt den Mantel zurück.
FESTUNGSCOMMANDANT
betroffen.
Tod und Teufel!
Vandal'sche Uniform!
DER UNBEKANNTE
sich wieder einhüllend.
Nur still! – Für wen
Denn haben Sie bis jetzo mich gehalten?
FESTUNGSCOMMANDANT.
Für einen Fichtelberger.
DER UNBEKANNTE.
Nein, mein Herr!
Ihr Glück ist sicherer als so.

Reicht ihm ein Papier.

Hier hunderttausend –
Und gleich bei'm Einziehn in die Festung morgen
Dreihunderttausend! Nur um Blut zu sparen –
FESTUNGSCOMMANDANT
das Papier einsteckend.
Und Pulver – Blut und Pulver! Folgen Sie!

Er geht mit dem Graumantel fort. Sie verschwinden Beide im Hintergrunde.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
SCHILDWACHE
zur Rechten des Zelts eingeschlafen, ruft im Traum.
Wer da?
[98]
SCHILDWACHE
zur Linken, erwachend.
Wer da?
EINER DER ZUR RECHTEN GELAGERTEN SOLDATEN
lachend.
Gut Freund!
KALMUCK.
Schlaf wohl!
KROAT
gähnend.
Ich schlafe.
MARKETENDERIN
von der Seite herkommend.
Ein Gläschen noch vom Guten!

Schenkt dem Kroaten ein.
STIMMEN
fern im Hintergrunde.
Futter!
MEHRERE OFFICIERE
im Zelt, gähnend.
Hoch!
DISCANTSTIMME
innen, etwas heiser und schläfrig.
Des Lebens Aengsten, er wirft sie weg;
Hat nichts mehr zu fürchten, zu sorgen.
Er schlummert dem Schicksal entgegen keck;
Weckt's heute nicht, weckt es wohl morgen.
Und weckt es morgen, so laßt uns heut
Noch schlürfen die Neige der schlafenden Zeit!
DUMPFER CHOR.
Und weckt es uns morgen, so laßt uns heut
Noch schlürfen die Neige der schlafenden Zeit!

Sie schlafen Alle,
wie der Chor ausgesungen hat, ein.

Der Vorhang fällt.
[99]

Zweiter Theil

Erste Abtheilung
[Motto]

– »Was ihr den Geist der Zeiten nennt,

»Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

»In dem die Zeiten sich bespiegeln.«

Faust der ältere.


[101][103]
Personen

Personen des Stücks.

      Handelnde.
    • Faust.

    • Satan.

    • Mephistopheles.

    • Keit, der Kohlenbrenner.

    • Klingel.
    • Flecht.
    • Schrelling.
    • Einbein.
    • Poz.
    • Peter Droll.
    • Trompeter Till, Philosophen und Minnesänger des neunzehnten Jahrhunderts.

    • Bombastus, Naturphilosoph.

    • Höchener, der Apotheker.

    • Pinsel, der Maler.

    • Pilz, der Schuhflicker.

    • Mendel, ein blinder Jude.

    • Baron von Wicht, angehender Genialist.

    • Attila, der Hunnenkönig.
    • (Im Stück König Ezel genannt.)
    • Chrimhilde, dessen Königin.
    • Rüdiger, dessen Kämmerer.
    • Volk, dessen Hofnarr.
    • Schwämmelein. Fiedelare.
    • Werbelein. Fiedelare.
    • Die zwölf Könige am Hofe Attila's, Personen des Stücks im Stücke.

    • Die Mutter Satans.

    • Grethe, stumme Person, die nicht gesehen wird.

    • Barbara.
    • Kätchen.
    • Lucinde, Geliebte.

    • Hans Wurst.

    • Prologus.

    • Echo.

    • Sieben Todtengräber.

    • [103] Zwölf Knaben mit Posthörnern.

    • Mehrere Recken vom 5ten Jahrhundert.

    • Die Romanze.

    • Ein Zicklein.

    • Ein Lindwurm.

    • Recensent.

    • Heuschrecken, Fledermäuse, Holzwürmer, und mehrere nicht vorkommende Thiere.

Zuschauende.

    • Lüthard, Herzog von Romanien.

    • Herzogin, dessen Gemahlin.

    • Graf von Strafmichgott, Generalfeldmarschall.

    • Prinz von Kotbus.

    • Prinz von Ellenbogen.

    • Madame Dauphin.

    • Opitz, Baron von Boberfeld.

    • Werder, Hofburgrath.

    • Jordan Bruno, reisender Gelehrter.

    • St.-Preux.

    • Doctor Stirn.

    • Tollhausinspector.

    • Julchen, eine kleine Hofdame.

    • Mehrere andere Hofdamen.

Chöre.

    • Chor von Königen und Recken.

    • Chor von Weinenden und Zähneklappernden.

    • Chor von Teufeln.

    • Chor von Halbtollen.

    • Chor von Blödsinnigen.

    • Chor von Zuschauern.
Prologus
Prologus.

Offener Platz vor dem Tollhause, von einer hohen Mauer umgeben. Im Vorgrund ein Balcon, mit einer Thür zur Linken, worauf die Hoheiten mit ihren Gästen so sitzen, daß man über sie wegsehen kann. Der offene Platz, oder die eigentliche Bühne, stellt einen Park voll Pappeln und Acazien vor, in dessen Hintergrunde ein Apollotempel. Zu beiden Seiten Büsten, und in der Mitte eine Platane, mit einer Bank darunter.


(Trompetenstöße.)


Die Hoheiten sitzen schon; die Andern setzen sich; nur der Tollhausinspector und derKammerherr neben der Thür bleiben stehen.

HANS WURST
tritt auf als Ankündiger.
Werden die Ehre haben, und der hohen Gesellschaft die Ehr' erweisen, aufzuführen:

»Hol's der Teufel! oder der vollendete Faust« –


Declamirend.

'Ne plunderwitzige
Wohl wunderspitzige,
[105] Sehr minneliebliche,
Doch sinnetriebliche,
Natürlichmagische,
Recht lustigtragische,
Halb girrerührende,
Halb irreführende,
Theils schief poetische,
Theils tief prophetische,
Zwar sehr erweckliche,
Doch mehr erschreckliche,
Hanssachsisch sehre gothische,
Ganz shakspearsch schwerenothische,
Nichts weniger als neualt griechisch-römische,
Allein vollkommen altneu tieckisch-böhmische
Tragöthico-Komödia
(Ad modum der Mysteria)
In allerlei Aufzügen und Auftritten,
Nach Art der allerneusten alten Sitten,
Mit Echo, Chören, Teufeln und Prologen,
Hans Wurst, und Satanas, und Epilogen,
Nebst allem Zubehör, nicht gänzlich ohne Zoten,
Im kräftigen Geschmack der neuen alten Gothen.
Mehr göttlich,
Als göthisch;
Mehr spöttlich,
Als spöttisch;
Mehr dünstlich,
Als künstlich,
Gerichtet,
Geschlichtet,
Gedichtet
Von den sieben Weisen allhier.

Hans Wurst athemlos ab.
[106]
WERDER
auf dem Balcon.
Das wird ganz höllisch tolles Zeug noch werden.
OPITZ.
Hm! Herr Collega, sagen Sie das nicht!
WERDER.
Mir däucht, Ihr Faust – verzeihen Sie mir doch –
War schon, nach meiner Meinung, so zu sagen,
Gewissermaßen höllisch toll genug!
OPITZ.
Doch nur gewissermaßen!
WERDER.
Allerdings!
Obgleich doch immer auf der andern Seite
Nun eben, wie Sie wissen –
OPITZ.
O! ich weiß schon
Doch, lieber Herr Collega, laßt uns jetzt
Die andre Seit' auch sehen!
WERDER.
Freilich kann man
In diesem kreuz- und quer-vielfachen Leben
'Ne Sache nimmer von zu vielen Seiten
Betrachten. Das war stets auch unmaßgeblich
Von jeher, wie Sie wissen, die Maxime,
Die niemals ich geändert –
OPITZ.
Bleiben Sie
Jetzt einen Augenblick dabei, Herr Burgrath!
WERDER.
In Gottes Namen. Da doch die Hoheiten
So närrisch sind, ein so erztolles Ding
Mit anzuhören, kann ich endlich auch
Zu dieser wahren Abderit-Ergötzung
Herab mich lassen. Doch, verzeihen Sie,
Wenn ich einschlafen sollte!
OPITZ.
Ganz von Herzen!
[107]
HERZOGIN
zu Werder'n.
O! sprechen Sie doch lauter, lieber Hofrath!
Damit wir Andern von der Unterhaltung
Auch etwas mitgenießen!
PROLOGUS
in der Person der Barbara, mit einer goldpapiernen Glorie um's Haupt, tritt auf, und declamirt.
Mir ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie zwölfhundert Säuen –

Hält inne.
HERZOG
auf dem Balcon.
Schwerenoth!
Das fängt jetzt kräftig an! –
DOCTOR STIRN.
Reine Natur!
PROFESSOR BRUNO.
Schweine-Natur doch – wollen Sie wohl sagen.
DOCTOR STIRN.
Ich gebe mich mit der Metaphysik
Als Arzt nicht ab. Natur ist mir Natur –
Die ein' ist mir so rein, als nur die andre.
PROLOGUS
lauter.
Mir ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie dreihundert Säuen –

Hält wieder inne.
MAD.
DAUPHIN zu Opitz.
Was sagt die Himmlische? Ich habe nicht
Verstanden –
OPITZ.
Nicht? Sie würden's übersetzen:
Je suis extrêmement charmée.
MAD.
DAUPHIN.
Ah! so!
PROLOGUS.
Mir ist ganz kalibanisch wohl,
Als wie –

(Läuft nach der Coulisse, und frägt laut hinein.

Wie viel doch Schweine sind's? ich hab's vergessen.
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Fünfhundert! Aber das ist erst im Chor;
Du mußt den Prologus hersagen, Barb'ra!
[108]
PROLOGUS.
Ich hab' den Prologus vergessen.
STIMME HINTER DEN COULISSEN
indem eine Hand ihr ein Stück Papier hinreicht.
Da!
Lies ihn vom Blatte! Das thut nichts.
PROLOGUS.
Zum Henker!
Kann ja nicht lesen! Ist es denn gedruckt?
HERZOGIN
auf dem Balcon.
Das Stück geräth in's Stocken, wie es scheint.
HERZOG.
Es fing auch gar zu kräftig an.
PRINZ V.
KOTBUS.
Erbärmlich!
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Stell' Dich nur hin, und thu' als wenn Du sprächest!
Mach schöne hochpathetische Geberden,
Du weißt wohl, und ich werde laut die Worte
Für Dich hersagen.
PROLOGUS
gesticulirt, während die Stimme hinter den Coulissen spricht.
Ihr habt nun Alle mit Lust und Grauen
Können vernehmen, und fühlen, und schauen
In dieser Ergänzung des Opitz-Fragments
Die hunnische Wendung, und goth'sche Tendenz –
Die goth'sche Tendenz, und die hunnische Wendung;
Die breite Dehnung und lange Sequenz –
Die lange Sequenz und die breite Dehnung –

Es entsteht ein Geräusch hinter den Coulissen.
STIMME.
Halt – halt! halt! Sapperment!

Die Hand streckt sich wieder aus der Coulisse hervor, und winkt dem noch immer fortgesticulirenden Prologus, inne zu halten.

Halt inne, sag' ich. Der Narr sagt, es sey der Epilog; ich habe das unrechte Papier genommen. Aber warte nur ein wenig, und mache keine Geberden, damit [109] Du nicht wie eine Windmühle da stehst, die ohne Wind geht – wir werden gleich das rechte finden. – Pause.

MAD.
DAUPHIN.
Das Stück hat Mühe
In Gang zu kommen.
WERDER.
Hab' ich's nicht gesagt?
OPITZ.
Anfang ist schwer, wie Ende, Herr Collega.
HERZOGIN.
Den Tollen wäre, meint' ich, jeder Anfang
Gerade leicht?
OPITZ.
Als Tolle fangen sie
Ja toll genug das Stück an, Eure Hoheit.
WERDER.
Es ist nicht auszuhalten; es ist ganz
Unmenschlich toll!
HERZOG.
Ja! meiner Meinung nach,
Ist dieser Anfang gänzlich unter aller
Vernünftigen Kritik.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Es thut mir leid –
OPITZ.
Daß Tolle nicht gescheit sind? Mich hingegen
Ergötzt es; und der Anfang, wenn das Ende
Nur hält, was er verspricht –
MAD.
DAUPHIN.
Sie werden, hoff' ich,
Das ganze Stück von hinten rückwärts spielen.
OPITZ.
Das, leider, wird der Narr verhindern.
[110]
MAD.
DAUPHIN.
Wer?
Wer ist der Narr?
OPITZ.
Der, welcher den Hans Wurst macht,
Der arme sehr gescheite junge Mann,
Mit dem wir heut am Eingang sprachen.
HERZOG.
Stille!
Die Hand der Stimme winkt; 's fängt wieder an.
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Jetzt, Barbara! ich hab's – agire weiter!
PROLOGUS
fängt an heftiger zu gesticuliren.
Ihr seht in mir, und nicht im Bilde nur,
Die Urkraft der unendlichen Natur,
Das Mutterrad der heut'gen Weltenuhr,
Die Tilgerin der zeitlichen Cultur,
Der Zukunft und der Gegenwärtigkeit
Erzeugerin – kurz, die Vergangenheit

Die Stimme holt Athem und räuspert sich.
ST.
-PREUX.
Das nenn' ich uranfangen a priori!
PROLOGUS.
Die Gottgebärerin, die Poesie –
ECHO.
– Sie!
PROLOGUS.
Der allerneuesten Philosophie –
ECHO.
– Fie!
HERZOG
zum Tollhausinspector.
Wer macht das Echo?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Der Hans Wurst, Eur' Hoheit!
PROLOGUS.
Mit einem Wort, das heil'ge Kontrafei
Der hochehrwürd'gen alten Barbarei:
[111] Die Niebelungen und das Heldenbuch
In einem einz'gen großen Widerspruch –
ECHO.
Hei! hei!
PROLOGUS.
Das Mittelalter betete mich an,
Als Mutter Gottes; das war wohlgethan!
Denn wer ist Gottes Mutter, ist es nicht
Die Sprache, die sich selber widerspricht?
ECHO.
Hei! hei! hei! Stimme, du verplapperst Dich –
PROLOGUS.
Der Sprache Widerspruch – das Mutter-Ich –
Das All im Nichts – die Welt – versteht ihr mich?
Die Gottheit – das Genie – die Wissenschaft
Der Kunst-Natur – die leere, volle Kraft –
Das Unaussprechliche – das Groß' und Klein' –
Liegt in dem Widerspruch der Sprach' allein.
ECHO.
Läufst irre, Prologus! Lenk' wieder ein!
PROLOGUS.
Versteht Ihr meiner Dichtung Ja und Nein?
ECHO.
– Nein!
PROLOGUS.
Dringt ihr in meiner Weisheit Tief' hinein?
ECHO.
– Nein!
PROLOGUS.
Denn in der Sprache Spaltung legt ihr Ei
Die Allgebärerin, die Phantasei –
Was nicht sich widerspricht, ist platt und schlicht;
Gemeine Dichtung widerspricht sich nicht. –

Die Stimme holt wieder Athem.
ECHO
halblaut.
Ich kann mit meinem Winken und Souffliren
Der Prologinne Stimme nicht regieren.

Zum Vorleser.

[112] Such' auf dem Blatt: »Ich war, als Mutter Gottes!«

Pause.
WERDER.
Mir ist, als wenn ich alle die Poeten
Und Philosophen sämmtlich, auf einmal
In Luft und Wasser krähn und quaken hörte.
EINE STIMME UNTEN.
Thut nichts! Laß immer laufen! Klingt recht gut.
ECHO.
Ein bischen Widerspruch nicht übel thut –
HERZOG
zu Bruno.
Verstehen Sie es, Herr Professor?
BRUNO.
Nein!
So wenig als die Sprache meiner Schüler.
PROLOGUS.
Ich war, als Mutter Gottes, also ja –
ECHO.
– Ja!
PROLOGUS.
Vor Ops, und selbst vor Vater Opitz da –
ECHO.
– Da!
ST.
-PREUX zu Opitz.
Das Mädchen zeigt auf Sie –
OPITZ.
Gar zu viel Ehre!
PROLOGUS.
Vor aller Dichtung und Philosophie
War das poetische Naturgenie –
Vor Kirch', Altar, und Papst, und Klerisei
War die Gebärerin, die Barbarei –
Nach jenen Allen werd' ich auch bestehn!
Ihr werdet's sehn, ihr Herrn! ihr werdet's sehn!
Es sprechen Sieben hier aus meinem Mund,
Euch dies, als Prologus, zu machen kund.
Denn sieben sind die neuen Lichter,
Die großen Dichter,
[113] Die diesen Faust mit Macht
Hervorgebracht,
Zum Zeichen,
Daß ihren Kräften alle Kräfte weichen.
Gebt Acht!
Ich rede jetzt in lauter Melodie,
Als ächt poetische gewes'ne Poesie,
Die kommen wird, in ihrem Namen –
Amen!
Im alten, wohlbekannten Fauste
Hauste
Maurig,
Wie das Käuzchen in der Kirchenmauer –
Sauste
Schaurig,
Wie das Hexlein durch den Schornsteinschauer –
Brauste
Traurig,
Wie die Orgel zu Schön Gretchens Trauer,
Etwas von dem mittelalten Ur-
Sprung –
Etwas von dem neuesten Cultur-
Schwung
Unsrer kirchenmaurig –
Unsrer uhuschaurig –
Unsrer orgeltraurig –
Maurig-schaurig-traurigen Natur.
Leise Tritte, gleichsam ohne Spur,
So zu sagen, in den Lücken nur.
Manches tiefe Quellchen
Quoll;
Manches breite Wellchen
Schwoll;
Manches hohe Bellchen
Boll –
Leis' ankündend unsre tiefren Quellen,
Unsre längren, breitren, weitren Wellen,
[114] Unser überlautes hohes Bellen;
Aber – nur in ausgelaßnen Stellen.
Haben solch' auch immer unsr' Estime,
So wie mancher in dem Schakspear auch,
Wenn der Rüpel spricht, der droll'ge Gauch
(Sonderlich in Stücken nicht von ihme.) –
Denn – bis unsre letzten sieben Wochen –
Haben, seit der Monden Anbeginn,
Von der Dichtkunst wahrem Sinn
Sieben nur – in allem – was gerochen:
Shakspear, Dant', Hans Sachs, und viere noch,
Unter welchen Opitz wohl das Meiste roch –
Doch gleichsam nur im Vorübergehen –
Wir aber blieben dabei nicht stehen;
Rochen und witterten nicht allein,
Sondern steckten die Nasen hinein.
Drum haben wir jetzo gefüllt die Lücken
In unseren Schau-, Bruch- und Meister-Stücken,
Lassend das gar zu Gedachte darin,
Das allenfalls ging für den ersten Beginn,
Und hebend im Ganzen aus dem Fragmente
Nur die gewaltige Haupttendenz
Und die gediegene Quintessenz,
Die Opitz bis Dato behielt in mente:
Jede Scene,
Notabene,
Die er schuldig uns geblieben,
Und bisher, und nimmer, nie geschrieben.
Denn das Tiefste spricht nur aus sein Schweigen,
Und das Höchste malt sein leeres Blatt;
Was er dem hinzugesetzt, ist matt –
Alles Tiefst' und Höchste bleibt uns eigen.
So sprechen durch mein zartes Mündlein klein
Die sieben großen Dichterlein.
Jetzt muß ich fort von meinem Posten gahn,
Und darf, als Prologus, nicht länger stahn –
Doch, unter uns gesagt, ich kumme
Bald wieder umme –
[115] Ich spiel' im Stück noch andre Rollen fein,
Gar züchtig, wie ein Engelein –
Und wenn das Stück ist aus, wer mehr will wissen,
Bericht' ich's gar zu gern dort hinter den Coulissen – –

Die Stimme schweigt. – Prologus macht eine naive Reverenz, und läuft davon.
ST.
-PREUX.
Ein ächt romantischer Prolog!
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Recht nett!
PRINZ VON KOTBUS.
Ich habe nur den Schluß davon verstanden.
GENERALFELDMARSCHALL.
Und ich gar nichts.
HERZOG.
Ich ebenfalls gar nichts.
OPITZ.
Wer weiß, ob die Verfasser auch verstanden
Gerade wollten seyn?
MAD.
DAUPHIN.
Ich ahne was.
HANS WURST
tritt wieder auf.
Verzeiht, Ihr Herrn! ich muß
Als Epiprologus
Noch Eins verkünden:
Es fängt jetzt an der zweite Act;
Der erste wird nachher gemacht,
Aus guten Gründen.
Die Hauptperson, der Faust, der nun auftreten sollte,
Muß, wegen plötzlicher Kolik,
Abtreten einen Augenblick –
Ich kann's nicht ändern jetzt, so gern ich wollte.
Versich're übrigens bei meiner Ehr',
Daß gar der Gang des Stücks dabei nicht leidet sehr.

Hans Wurst klettert auf die Platane in der Mitte der Bühne, wo er während des ganzen Acts sitzen bleibt.
1. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Klingel und Flecht treten auf.

KLINGEL.
Du bringst mich auf unendliche Gedanken,
Mein theurer Flecht! auf neue, niegedachte,
Die längst ich selber oft gehabt. Die Welt,
So wie sie ist, die wirkliche, die jetzige,
Gemeinvernünftige – wie soll ich sagen –
Zum Ekel sittliche, durch Luther vollends
Verhunzte Welt muß untergehn, muß rein
Vernichtet werden.
FLECHT.
Hab's gesagt. Es steht
Geschrieben! Sag' es noch, und schreib' es wieder
Schlechthin. Ihr könnt's ja hören, könnt's ja lesen.
Was geht's mich weiter an? Die Welt muß rein
Vernichtet werden! Punctum! Soll ich denn
Es ewig wiederholen? oder – Esel!
Versteht Ihr gar kein Deutsch?
[117]
KLINGEL.
Die Welt muß rein
Vernichtet werden! Wie gesagt, das war
Von jeher meine Meinung auch –
FLECHT.
Was, Meinung?
Ich meine nicht; ich weiß. Nachplappern könnt Ihr,
Ich kenn' euch schon. Von hinten faßt ihr alles,
Von vorne nichts.
KLINGEL.
Du zielst doch, hoff' ich, nicht
Mit diesem Pfeil auf mich?
FLECHT.
Er trifft wohl sonst –
Seyd alle miteinander Esel!
KLINGEL.
Freilich! Alle –
Das sag' ich auch; nur bitt' ich Eins mir aus:
Ich bin es nicht; denn Ich bin Ich, wie Du.
FLECHT.
Kann seyn – beweis' es!
KLINGEL
giebt ihm eine tüchtige Ohrfeige.
Da! von vorne! da!
FLECHT
versetzt ihm einen entsetzlichen Nasenstüber.
Da! vorner noch, Du Hund!
KLINGEL
mit blutender Nase.
O, Kraft und Kraft!
Du bist ein Philosoph, ich ein Poet –
Grobgöttlich, göttlichgrob, Ich-Helden beide.
Genie ward jedem, einziges, die Welt
Entsetzendes Genie. O! laß uns nicht
Das Göttliche verschwenden gegen uns!
Vereinigen wir lieber unser Höchstes
Und Einziges im Kampfe gegen Alle!
Laß jen' Ohrfeige, diesen Nasenstüber
Das Ich vom Ich nicht trennen! Sey's vielmehr
Ein inniger, verhängnißvoller Bund! –
[118]
FLECHT
desänftigt.
Wohlan, ich sage Topp! – Es werde Fleisch
Das Wort! Die kalte Wissenschaft erscheine
Nun auch in heißer Dichtung!

Sie umarmen einander.

Doch was thun
Vereint wir nun zu unserm großen Zwecke?
Wie kommen wir zum Ziel?
KLINGEL
sein Nasenbluten mit dem Schnupftuche stillend.
Die Barbarei
Muß wieder eingeführet werden, und
Die Schulen alle, die von griechischer
Und römischer Cultur verpestet sind,
Rein abgeschafft – bis auf die unsre!
FLECHT.
Gut!
Und weiter?
KLINGEL.
Alles sonst, was Wissenschaft
Und Kunst bisher geschienen, muß zerstört
Und ausgerottet werden. Hier in Jauer
Muß angefangen werden, hier im Kern
Romaniens: dann fällt von selbst das Andre.
FLECHT.
Ganz recht! Doch welche Mittel haben wir
Zur physischen Zerstörung – der Gebäude,
Der Gärten, der Gemälde, der Gebilde,
Der Professoren, der Bibliotheken –
Des Musentempels hier, zum Beispiel, und
Der Büsten, und dergleichen?
KLINGEL.
Unsre Fäuste,
Wenn wir nur einig sind.
FLECHT.
Was wird uns einig
Wohl machen können? Hassen wir im Grunde
Doch all' einander brüderlich! Wer wird uns
Wohl zwingen, Eins zu werden je?
[119]
KLINGEL.
Der Stärkste.
FLECHT.
Wer ist's?
KLINGEL.
Der dreimal stark ist: ich, und Du,
Mit einem Dritten! Und es helfen uns
Zum Ueberfluß die herrlichen Vandalen
Bei'm Niederreißen schon. Wir fangen heute
Das Werk schon an! Bist Du's zufrieden?
FLECHT
reicht ihm die Hand.
In meinem Namen!
KLINGEL
einschlagend.
Heil'ger, sel'ger Bund
Der Denkkraft und der Dichtkunst! – Das Gemüth,
Das Wohl- und Weh-erfüllte, sangbegabte,
Nur fehlt uns noch.

Man hört hinter den Coulissen etwas leise trampen.

Da kömmt es schon!
FLECHT
nach der Seite blickend.
Bist du gewiß auch, jener sey der Dritte,
Der unserm Bunde Noth? Trügst Du Dich nicht? –
Er sieht mir etwas läppisch aus.
KLINGEL.
Ein Geist
Hat immer wenig Körperschein. Er ist's!
Ich bin's gewiß – ich kenn' ihn durch und durch –
Er ist ganz nur Gemüth!
FLECHT
immer nach den Coulissen blickend, wo das Trampen zunimmt.
Kenn' ich ihn nicht?
Wie heißt er?
KLINGEL.
Schwerlich kennst Du ihn persönlich;
Denn niemals war er in Collegien
Bis jetzt; auch ist er nicht so sehr Student,
Als Kohlenbrenner eigentlich. Er haust
Im Walde stets – auch auf den Gottesäckern,
[120] Gewissermaßen halb begraben schon.
Die Meisten sehn ihn an für ein Gespenst;
Doch frißt er Eicheln wenigstens. Sein Nam'
Ist Keit.

Das Trampen wird immer näher gehört, mit Schellengeklingel vermischt.
FLECHT.
Woran erkennst Du aber, – sag'
In Eile mir in's Ohr – daß er der wahre
Gediegne Geist der Wunder ist, und würdig,
Von meinem Ich und Deinem auszugehn?
KLINGEL
dem Flecht in's Ohr.
Er findet göttlich mich, und göttlich Dich.
FLECHT.
Das zeichnet freilich ihn zu seinem Vortheil
Gar sehr von allen Andern aus. Er singt?
KLINGEL.
Natürlich! Geister sprechen selten. Still!
Er sieht uns nicht. Wir wollen ihn belauschen
Hier hinter diesem Baum. Du wirst schon merken
Aus dem Gesang, wie ganz Gemüth er ist!

Sie verstecken sich hinter den Baum.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.

KEIT, DER KOHLENBRENNER mit ellenlangen Schnabelschuhen, an deren Spitzen kleine Glöckchen angebracht sind, ganz altfränkisch gekleidet, mit einer Kette um den Hals, und einem Jägerhorn an der Schulter, tritt stampfend auf, und singt.

Mit Ahnsinn Wahnsinn, lächelndweinend,

Einend –

Mit schiefe Tiefe, dunkelmeinend,

Scheinend –

Der Enge Läng' entflammt in weiten Breiten,

Muß licht der Dichter durch die Zeiten gleiten.


[121] Ein Zwitter von Gewitter, bebend,

Schwebend –

In Luft und Kluft, dem Tode lebend,

Webend –

Bald himmelschwimmel, bald am Grabe Rabe,

Bringt Licht er dicht, und Matten Schatten abe.


Im Dunkeln funkeln seine spitzen

Blitze –

Daß er das Herz im Scherz mit Witzen

Ritze –

Er sprengt mit Macht zur Nacht der Moore Thore,

Daß er in's Herz den Schmerz durch's Ohre bohre.


Doch muß als Kuß er auch bisweilen

Eilen –

Von Mund zu Mund, und trotz dem Eilen

Weilen –

Wenn Mäulchen-Knäulchen, zartumschlingend, zwingen

Den Wetter-Schmetterling, deß Schwingen ringen.


Von fernen Sternen kommen süße

Grüße –

Und Rosen sprossen in der Wonne

Sonne –

Die Lippen nippen ihm der Küsse Süße;

Das Knäulchen-Mäulchen schlürft der Sonne Wonne.


Zerfließend, sich ergießend, windet – bindet

Der Gruß den Kuß, der Kuß den Gruß im Gusse;

Es fällt die Welt; doch wenn sie schwindet, findet

Er bieder wieder sie als Nuß im Kusse. –


Flecht und Klingel treten hervor.

O Witz! Blitz! Wonne! Sonne! – –


Er wird sie gewahr, und hält plötzlich inne mit dem Gesang, verdrießlich murmelnd:

Teufelsdreck!

[122]
KLINGEL
zu Flecht.
Ist das nicht Poesie? Hast je gehört
Was Höheres, was Tieferes?
FLECHT.
Ich staune!
Wenn mit dem Kuß die Freiheit er versteht,
Das Ich, das Absolute – mehr, weit mehr
Als Poesie! Schlechthingesungne Selbstich-
heitslehre!
KLINGEL.
Sollte meinen.
FLECHT
zu Keit, der ein schiefes Maul macht und stampft.
Ich zum Gruß!
Ich hab's gesagt, geschrieben, und gedruckt –
Wir sind schon alte Freund' im neuen Ich;
Schlag' ein! Der Geist erkennt den Geist sogleich
Bei'm ersten Blick. Du kennst mich. Ich bin Ich.
KEIT
höhnisch.
Ich ebenfalls.
KLINGEL
sich die Hände reibend.
Ich ebenfalls.
FLECHT.
Macht Eins!
Macht Alles! Wie gesagt, es steht geschrieben.

Zu Keit.

Nicht wahr, Dein Kuß ist A gleich A? Die Nuß
Ist die Vernunft, die Wissenschaft –
KEIT
spuckt aus.
Der Teufel
Mag's seyn und nicht mein Kuß! Was geht Dein A
Mich an, Dein Ich, der ganze Plunder von
Vernunft und Wissenschaft? Ich hasse die
Philosophie. Mein Weg geht weit von ihr,
Von Deinem Wege, Setzer! –

Er reißt aus; Klingel will ihn halten –

Laß mich! Laß mich!

Er läuft davon.

[123]
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
FLECHT
Klingel grimmig anblickend.
Das hab' ich Dir zu danken.
KLINGEL.
Was?
FLECHT.
Ei was?
Daß jener tolle Tropf mich so beschimpft –
Ich möchte rasend werden, daß ich ihm
Die Hand gereicht, die mit drei Fingerstrichen
Drei Millionen seinesgleichen rein
Zernichtet!
KLINGEL.
Höre mich!
FLECHT.
Der Pudelnarr!
Der Wicht! Der Schwanz vom Unding! Der Kolai –
Der Lai von Nikolai!
KLINGEL.
Höre mich!
Es ist ein unbedeutend Mißverständniß!
Er hat nicht Dich beleidigt. Merkt' ich's doch
Den Augenblick. Er nahm für Bruno Dich;
Und diesen haßt er, wie das Leben, grimmig.
FLECHT.
Und warum nahm der Esel mich für Bruno?
KLINGEL.
Du hast von ihm im Aeußern manchen Zug –
FLECHT.
Das heißt, der Bruno hat 'nen Zug von mir.
KLINGEL.
Gleichviel! Ihr seyd im Ton und in Geberden
Einander ähnlich. –
[124]
FLECHT.
Warum sieht der Schuft
Nicht auf das innre Wesen?
KLINGEL.
Weil er blind,
Halb von Natur, und halb durch freie Kunst.
Er sieht nicht scharf, zumal bei Tag; und stößt
Ihm etwas auf, macht er die Augen zu.
Das ist es grade, was mir ihn zum ersten
Der Weltanschauer macht, nächst mir und Dir.
Er hat was Indisches, was Weltentferntes,
Was Uranfängliches im höchsten Grade:
Er hört, sieht, fühlt, und riecht, und kostet nicht –
Er ahnet alles.
FLECHT.
Und nicht mich?
KLINGEL.
Es war
Ganz Deine eigne Schuld! Du kamst ihm mit
Vernunst und Wissenschaft – ich selber stutzte –
Was wolltest Du damit?
FLECHT.
Ich gebe zu,
Das hätt' ich können bleiben lassen. Doch
Ich blieb aus Schonung bei der alten Sprache,
Nicht träumend, daß ein Dritter, neben mir
Und Dir, darüber weg –
KLINGEL.
Das ist er sehr –
Selbst über Dein' und Mein' ist jener weg –
Weg über alle Sprache. Grade drum
Ist er geschickt, uns, die wir beide noch
Gar zu sprachrichtig sind, zu offenbaren.
Gestehen wir's nur immer! Die Cultur
Hat viel an uns verdorben; manche Kenntniß
Hängt uns noch an, Orthographie, zum Beispiel.
Du hast den Ficht' studirt, und ich den Lessing,
Jacobi beid' – Er nicht nur nichts, sogar
[125] Unendlich weniger als nichts! Begreifst Du jetzt
Sein edles Zürnen?
FLECHT.
Allerdings! Das ist
Was Andres; wenn dem so ist, ganz was Andres!
Er hatte völlig recht. – Doch sage, wie
Das wieder gut zu machen? Denn wir müssen
Zumal, um's Niederreißen anzufangen,
Durchaus ihn haben. – Aber wie nunmehr?
Er wähnt mich seinen Feind – und ach! zum Unglück
Ist's nur ein Wahn, der uns getrennt! Denn sieh,
Ich habe mir den Kerl schon construirt –
Und wünschte, daß er nicht sich irrte; denn
Er kehrte so viel leichter um.
KLINGEL.
Gewiß! –
Doch sey nicht bang! Ich weiß ein Mittel, wieder
Ihn zu gewinnen. Kennst Du den verrückten
Schuhflicker Jakob Pilz?
FLECHT.
Wie sollt' ich nicht?
Er hat mir diese Stiefel jüngst besohlt.
KLINGEL.
Sind sie bezahlt?
FLECHT.
Noch nicht.
KLINGEL.
Bezahle sie!
Und gieb ihm doppelt Trinkgeld; allenfalls
Ein tüchtig Glas Ratafia dazu –
Du hast Ratafia – nicht wahr?
FLECHT.
Ich trinke
Des Morgens nur Ratafia. Doch, sprich,
Wozu das Alles? –
KLINGEL.
Unsern Geist zu fangen.
Du weißt, der Pilz, der schon verrückt, sobald
[126] Er nur ein Glas zu viel getrunken, wird
Ganz jakobböhmisch, und sein Wahn, er sey
Der große Schuster, bis zur Täuschung, Wahrheit.
Ich bring' ihn mit dem Keit zusammen, der
Ihn nie gesehn; und diese wird gewiß
Für Jakob Böhm ihn nehmen, wie er Dich
Für Bruno nahm. Weil eben Du die Sohlen
Ihm rund bezahlt, wird er von Dir mit Lob
Unfehlbar sprechen, und es giebt von selbst
Das Weitre sich. – Geh jetzt nach Deiner Wohnung;
Ich schicke Dir den Pilz.
FLECHT.
Wo treffen wir
Uns wieder?
KLINGEL.
Bist Du heute nicht bei Faust
Auch eingeladen, wo das große Werk
Beginnen soll, im Auerbach'schen Keller
Wenn alle trunken?
FLECHT.
Eben.
KLINGEL.
Also dort.
FLECHT.
Doch apropos von Faust – der Bursch fängt an
Bedenklich mir zu werden. Niemand weiß,
Was er im Schilde führt. Begreifst Du ihn?
Mir ist unheimlich oft bei ihm zu Muthe.
Er ist's hauptsächlich, der mich zwingt, ein Ich
Noch außer meinem anzunehmen –
KLINGEL.
So
Geht's eben auch mir selbst. Er trinkt mich oft
Ganz unter'n Tisch – und im Duell
Besteht ihn Keiner, seit er aus der Hand
Mir hundert Fuß weit meinen Degen schlug –
Er säuft Dir Gloria, wie Wasser – und
[127] Es ist ein Ungeheuer (unter uns)
Von Kraft!
FLECHT.
Ein schaffendes Genie –
KLINGEL.
Zugleich
Ein tilgendes, befürcht' ich. Esel nennen –
Wir Alle, die nicht Wir. – Er prügelt aber
Als Esel Alle, die nicht Er. – Wir schimpfen zwar
Auf die Aufklärer – was thut aber er?
Er schlägt sie todt!
FLECHT.
Doch nur die Leiber! Das
Will nicht viel sagen.

Vor sich seufzend.

Greth'! ich habe Dir
Die Seele todtgeschlagen! als ich Dich,
Unschuldige, verführte! –
KLINGEL
ohne zu hören.
Haben sie
Denn mehr? – Und nun sein Tisch! sein Wein! sein Brenz!
Wodurch er alle Dirnen, alle Bursche,
Sogar uns selbst, in seinen Strudel zieht!
O Jammer! wenn er wirklich mehr als bloß
Ein Traumbild unsrer kräft'gen Phantasie,
Die schöpferisch ihr Ideal vom Ich
Sich ausgebildet, und nun außer sich,
Als militairischen Studenten, wirft.
Ich hoff', er ist nicht da – ganz unerträglich
Ist mir der Zweifel bloß an seinem Nichtseyn.
FLECHT
nachdenkend.
Er ist nicht da. Sey ruhig, sag' ich Dir –
Denn – wär' er da, unmöglich wären wir.
Die Gottheit kann die Gottheit nicht verletzen;
Das Größte kann das Größere nicht setzen.
KLINGEL.
Das gebe Gott!
[128]
FLECHT.
Will sagen, Ich!
KLINGEL.
Versteht sich.
FLECHT.
Das hindert aber nicht, daß wir noch heute
Zusammen trinken seinen guten Wein.
KLINGEL.
Was neben uns, ist Wir; was unter, unsre Beute;
Was gegen uns, ein Nichts; was über uns, ein Schein. –

Beide ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Pinsel und Poz gehen neben einander über die Scene.

PINSEL.
Wie ich Dir sag', es kömmt das Meist', und Alles
Auf den Gesichtspunkt an.
POZ.
Du thätest besser
Doch, selbst als Maler, glaub' ich, hier zu bleiben.
Was willst Du in Italien? Es ist
Nichts Nordisches ja dort.
PINSEL
kehrt rechts um.
Nichts Nordisches?
Und waren denn die Cimbrer, Hunnen, Gothen,
Und Longobarden nord'sche Völker nicht?
POZ
kehrt mit ihm.
Sie sind ja, leider! nicht mehr da.
PINSEL.
Doch wohl
Zum mind'sten ihre Spuren. Welches Land
[129] Hat mehr gelitten von dem Norden wohl
Als grad' Italien? Was sind am Ende
Die weltberühmten herrlichen Ruinen
Wohl anders als noch sprechende Denkmäler
Der kräft'gen nord'schen Barbarei? – Was sind
Die Wunder aller Steinbildkünste gegen
Den Torso, diesen wahren Marmor-Faust!
Und was ist dieser göttliche wohl anders
Als ein gemeiner griech'scher Herkules,
Woran die kühne gothische Gewalt
Die letzte Hand gelegt hat?
POZ.
Du frappirst mich!
Mir leuchtet's ein. Im Grunde haben wir
Dem Mittelalter Alles doch zu danken.
PINSEL
kehrt links um.
Was gut ist, Alles – in der Malerei
Nun vollends Alles. Es ist Schade nur,
Daß es nicht länger dauerte. Es hörte
Mit Pietro Perugino auf, der schon
Halb zu modernisiren anfing. – Denn,
Nach meiner heiligsten Kunstüberzeugung,
Hat Raphael der wahren Malerei
Den Todesstoß gegeben.
POZ
kehrt mit ihm.
Sollt' er das?
PINSEL.
Nicht anders! Unter uns gesagt, es ist,
Die Werke seiner Kindheit ausgenommen,
Kein einzigs unter allen seinen Stücken,
Kein einzigs, das ich hätte malen mögen.
POZ.
So schlecht ist es?
PINSEL.
Erbärmlich! Wie ich sage,
Der Raphael ist nichts als der Virgil
Der Maler mir.

Er spuckt im Vorbeigehen auf Virgil's Büste.
[130]
POZ.
Damit ist Alles freilich
Gesagt; dann ist er allerdings auch mir
Ein jämmerlicher Pinsel.

Spuckt auch.

Aber wenn ich
Nicht irre, hab' ich dennoch öfters Keit
Ihn rühmen hören stark.
PINSEL
kehrt rechts um.
Er meint es nicht;
Hat ohnedem gar nichts von ihm gesehen.
Wär' er, wie ich, im Louvreschen Museum
Gewesen, würd' er sicher uns von ihm
Ein andres Lied gesungen haben. – Nur
Im Umriß, und im Colorite hat
Er was von Holbein – aber dies auch nur
In seinen ersten Stücken. –
POZ
kehrt mit ihm.
Aber was
Willst Du denn in Italien wohl malen?
PINSEL.
Landschaften – nichts als nur Landschaften.
POZ.
Das
Hat schon so Mancher längst gethan; und Du
Willst ja nichts thun, was irgend je ein Andrer
Vor Dir gethan. Es geht ja jeder Pfuscher
Nach Süden, um Landschaften zu studiren. –
PINSEL.
Nicht in den Städten, wie ich's werde thun.
'S kömmt Alles auf die Ansicht an.
POZ.
Was hat
Man aber in den Städten von Landschaften,
Das werth –
PINSEL.
Den Thurm von Pisa zum Exempel.
Davon hat man aus Zeichnungen bisher
Noch keinen Schatten von Begriff; und doch
Ist's eins der allerkühnsten Kunstproducte
[131] Der gothischen Romantik. Weder Römer
Noch Griechen haben je was Aehnliches
Von Baukunst aufzuweisen.
POZ.
Steht er nicht
Ganz schief, schräg über seine Basis hängend,
Als wenn er fiele?
PINSEL
wieder umkehrend.
Freilich!
POZ
mit ihm, und so die ganze Scene durch.
So gerade
Hab' ich ihn selbst im Kupferstich – ganz schief –
PINSEL
lächelnd.
Ja schief genug! Das ist's. Ich will ihn aber
Darstellen von der Seite, wo er ganz
Gerade aussieht. Und in Rom nun vollends –
Was giebt's nicht da für plastische Natur!
Dantische – buonarottische Natur!
Die Kuppel – das Portal – das Innere
Der Peterskirche –
POZ.
Das ist doch nicht gothisch
So eigentlich.
PINSEL.
Wie man's bisher genommen.
Die Kuppel werd' ich aber erst von oben
Anschaulich machen.
POZ.
Doch das Innere
Hat man auf alle Weise, selbst sogar
In Panoramen ja –
PINSEL.
Nur nicht von außen.
POZ.
Zum wenigsten ist das Portal –
PINSEL.
Von vorne;
Ich will's von hinten zeichnen.
[132]
POZ.
Das ist wahr –
An diese Ansicht dacht' ich nicht. Du bist
Ein Teufelskerl!
PINSEL.
Wie ich Dir sag', es kömmt
Auf den Gesichtspunkt Alles an. Die Welt,
Und jeder Theil davon, aus neunundneunzig
Betrachtet, ist gemein, prosaisch, wirklich,
Zweckmäßig, endlich, nützlich, und wie sonst
Das Zeug heißt – nur aus einem einz'gen großen
Gesichtspunkt angeschaut: original,
Poetisch, täuschend, malerisch, unendlich,
Ganz zwecklos, unnütz, göttlich – diesen trifft
Nur das Genie. – Aus diesem ist mir auch
Sogar die Sünde heilig, ja der Teufel
Ein Gott, und selbst ein Himmel jede Hölle.
POZ.
Es ist der Mittelpunkt poetischer
Philosophie – der indische Gesichtspunkt
Gemüthlicher Romantik. Könntest Du
Nicht aus demselben auch Dein Hier-in-Jauer-
Verweilen als 'ne Reise nach Italien
Betrachten?
PINSEL.
Das Genie wählt frei; ich ziehe
Den vor, die Reise dort als ein Hierbleiben
Gemüthlich anzusehn.
POZ.
Du kömmst doch heute
Zum Schmaus bei Faust auf jeden Fall?
PINSEL.
Ich weiß nicht.
Er hat die ganze Welt ja eingeladen.
POZ.
Im Gegentheil, nur die Ausnahmen, uns,
Die genialischen, die plastischen,
[133] Romantischen Naturen – die Platonen,
Shakspeare, Danten, Michelangeln,
Und Holbein' unsrer Universität.
'S wird eine wahre Einsamkeit da seyn;
Denn so was kann man nicht Gesellschaft nennen.
Ich hasse sie so gut wie Du. Es kömmt
Kein einziger Professor; aber ein'ge
Von ihren Frauen, sagt man.
PINSEL.
Also werd' ich
Das Nackte dort studiren!

Vor sich.

Gretchen's Formen
Werd' ich nun freilich nicht da finden!

Laut.

Gut!
Ich werde kommen.
POZ.
Bringe Dein Portrait
Von Faustens Schatten mit! Es sind da Viele,
Die's nicht gesehen haben.
PINSEL.
Wohl! ich bring' es.

Beide zu verschiedenen Seiten ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Bombastus und Höchener treten auf.

HÖCHENER
im überredenden Tone.
Du würdest, däucht mir, viel dabei gewinnen,
Und könntest dann zur Rechten und zur Linken
Auf zweien Niederschlägen der Vernunft,
Mit beiden Füßen, so zu sagen, ruhen.
BOMBASTUS
sich auf seinen Knotenstock lehnend.
Ich ruh' auf nichts als auf mir selbst. Allein
Gebührt's dem absoluten Selbst, zu seyn. –
[134]
HÖCHENER.
Unstreitig; ich behaupte nur – Du nimmst
Doch außer Dir was an?
BOMBASTUS.
Gar nichts!
HÖCHENER.
Heißt Alles!
BOMBASTUS.
Mir, wie gesagt, ist Alles Nichts.
HÖCHENER.
Mir auch;
Doch so, daß Nichts mir alles ist – Subject-
Object.
BOMBASTUS.
Ich bin Object-Subject.
HÖCHENER.
Nun wohl!
Gar groß ist die Verschiedenheit wohl nicht –
Identisch –
BOMBASTUS.
Allerdings; doch nur in Mir
Liegt der Identität unendlich All,
Das Welt-Ich. Um mich her ist Alles leer,
Und nichtig ganz und gar.
HÖCHENER.
So geht's mir auch
Gewissermaßen. Doch in diesem Nichts-All,
In diesem All-Nichts, nimmst Du doch Tendenzen,
Intelligenzen, Sensibilitäten,
Und gar Spontanibilitäten an?
BOMBASTUS.
In mir – zu mir – für mich.
HÖCHENER.
In mir doch auch –
BOMBASTUS.
Wenn nur mit deinem Mir Du Mich verstehst –
HÖCHENER.
Und überhaupt, als Urnatur, an sich?
[135]
BOMBASTUS.
An sich ist Alles mein Residuum.
HÖCHENER
ärgerlich.
Auch ich hab' etwas abgesetzt, vielleicht
So viel als Du! Zum Teufel, Du bist nicht
Der einz'ge Gott, der ordentlichen Stuhlgang
Des ewigen Verdauens seiner Selbst
Im Raume hat; obgleich ich gar nicht läugne,
Daß Du unendlich viel, als Hypotheker,
In der Chymie gethan.
BOMBASTUS.
Was brummst Du da
Von Hypothek, armsel'ger Apotheker?
Dein' Apothek' ist meine Hypothek –
Gehört mir – bis Du alles mir bezahlt,
Was Du mir schuldig.
HÖCHENER.
Nichts bin ich Dir schuldig,
Als ein'ge Loth gefrorener Musik,
Und ein paar Tropfen aufgethauter Baukunst,
Die nicht viel nütz', und lange schon verflogen.
Denn die krystallisirte Poesie
Hab' ich Dir längst mit gallischen Organen,
In Kupfer, baar bezahlt. –
BOMBASTUS.
Elender Wicht!
Mir gar nichts schuldig sonst? Und meine Thaler
Von Platina?
HÖCHENER.
Brauch' ich nicht mehr. Stecknadeln,
Westknöpfe, Flaschenpfröpfe, Hosenschnallen,
Kartoffeln, Pfeffernüsse schwingen auch
Polarisch.
BOMBASTUS.
Und das Schwingen selbst?
HÖCHENER.
Hätt' ich
Auch ohne Dich erzwungen.
[136]
BOMBASTUS.
Und die Thiere
Des negativen Pols?
HÖCHENER.
Mach' ich nun selber
So gut wie Du.
BOMBASTUS.
Und jenes Arsenik,
Das nicht nur Ratten, sondern Geister tödtet,
Und Ungeweihten gleich Bauchgrimmen giebt
Bei'm bloßen Anblick? – und der Teufelsdreck
Von potenzirtem Stickstoff, den ich Selbstgeruch,
Auto-Zibetha, nannte?
HÖCHENER.
Freilich der
Gehört Dir ganz; ich mußt' ihn aber gleich
Wegwerfen; denn er stank mir gar zu sehr.
Ich habe meinen ganzen Sauerstoff
Verbraucht, die Luft darnach im Haus zu rein'gen;
Und dennoch stinkt's noch immer so entsetzlich,
Daß nicht bloß meine Nachbarn, sondern selbst
Auch meine Gegenfüßler sich die Nasen
Zuhalten müssen.
BOMBASTUS.
Und die Kraftmixtur
Von frischem Wasser aus dem Flusse Jordan,
Und Schlamm aus jenem faulen See, worein
Sich die beseßnen Gergesener-Schweine
Gestürzt? – Und jenes kleine theure Stück
Von dem gestohlnen markerfüllten Knochen
Kielmaier's, woraus tausend Armensuppen
Wir schon gekocht, und Millionen noch
Zu kochen denken? – Und die Quintessenz
Von allen Süd- und Nord-Marktschreiereien,
Und allen Ost- und West-Impertinenzen?
HÖCHENER.
Die hatt' ich schon von meinem Freunde Pregel.
[137]
BOMBASTUS.
So? – Hast von ihm wohl auch den Bodensatz
Von Fichtenbier? den großen halben Schinken
Geräuchertes Gedankenfleisch von Göthe? –
Das äußerst seltne Nebelpetrefact
Von Herder's vorsündfluthlichen Ideen?
Den neuen Phosphorus von Benedikt's
Und Friedrich Heinrich's, erst durch mich gegangner,
Filtrirter und vergeisterter Essenz?
Die angebißne Logik? die verzehrte
Physik? und den gefressenen Begriff
Von dem Unendlichen?
HÖCHENER.
O nec-plus-ultra
Von ganz entstimmtem grobem Bombastiren!
Das bin ich schuldig Dir? Gestehst in einem Athem,
Der Bierstein sey von Ficht', und 's Fleisch von Göthe,
Das Andre von Spinoza und Jacobi,
Und schreibst's auf Deine Rechnung? Die
Gefreßnen Wissenschaften (unter welchen
Auch der Begriff von dem Unendlichen)
Gehören Novălis, genannt Novālis,
Nicht Dir!
BOMBASTUS.
O Mittelpunkt, und Süd- und Nordpol
Nichtsvoller aufgedunsner Höchnerei!
Willst Du mir auch ablügen das Skelett
Der Ewigkeit nach außen, das ich Dir
Auf vierzehn Tage lieh – und jenes Knäuel
(So groß fast wie mein Kopf) Bewegungszwirn,
Das, eingewickelt, ist der Raum, und, auf-
Gewunden, ist die Zeit – und's große Stück
Vom dickgeronnenen Milchstraßen-Schatten
Des Nebenmonds?
HÖCHENER.
Du lügst! Den Zwirn zwar hab' ich,
Und auch's Skelett; allein den dicken Schatten
[138] Hab' ich, bei meiner Seele, nicht; den hast
Du niemals mir gegeben; hab' ihn nie
Sogar gesehn. Auch, wenn ich's recht bedenke,
Kann er – so gern ich auch ihn haben möchte –
Niemals gefunden werden; denn es können
Ja, grade wenn der Mond am Himmel ist,
Milchstraßen-Sterne keinen Schatten werfen,
Am wenigsten des Monds.
BOMBASTUS.
Du Kothbegriff!
Des Nebenmonds, hab' ich gesagt, der noch
Am Horizont kann stehn, wenn schon der andre
Herunter. –
HÖCHENER
betroffen.
Hast Du noch von diesem Schatten
Vorräthig was?
BOMBASTUS
wegwerfend.
Voll eine Butte!
HÖCHENER
außer sich.
Gott! –
Ich nenne Gott Dich gern – will Alles seyn –
Will Nichts seyn, sag' ich – wenn Du mir davon
Nur einen Löffel voll willst schenken.
BOMBASTUS
besänftigt.
'S sey!
Ich bring' ihn Dir bei Faust.
HÖCHENER.
O schön! – Doch so,
Daß Niemand's sieht? –
BOMBASTUS.
Auch das! Nur nenne Gott mich
Bei Fausten! und gestehe mir, der Flecht
Ist ganz ein jämmerlicher Schuft, ein Nichts,
Noch weniger als Nichts sogar!
HÖCHENER.
Wie alle
Die Andern! Dennoch müssen wir bis weiter,
[139] Des Pöbels wegen, treu zusammenhalten.
Man trennt nachher sich, wenn der Zweck erreicht;
Und tilgt sich dann einander ganz vielleicht!

Sie verschwinden unter den Bäumen.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
(Eigentlich Anfang des ersten Acts.)
Faust im Schlafrock, mit einer Knallpeitsche in der Hand, tritt auf. – Poz folgt ihm. –

FAUST
trotz allen Winken von Hans Wurst, setzt sich auf die Bank unter dem Platanus, streckt die Beine weit aus einander, dehnt sich, und gähnt, während Poz ehrfurchtsvoll neben ihm stehen bleibt.

Hans Wurst ruft ihm herunter: »Es ist noch nicht an Dir, Faust!« Er thut aber, als wenn er's nicht hörte, und fängt ruhig an.

Habe, Gottlob! weder Philosophie,

Juristerei, noch Medicin,

Noch viel weniger Theologie,

Noch sonst was studirt mit großem Bemühn!

Bin deswegen kein armer Thor,

Der dann wäre so klug wie zuvor.

Hab' auch fast keine Bücher gelesen;

Denn das ist alles erbärmlich Wesen;

Schlage mir auf ein einzigs nur,

Nämlich die genial'sche Natur

Meines eigenen großen Ichs –

Such' ich etwas, da findet sich's.

Alles was strahlt im Himmel, auf Erden,

Was in der Höll' entdeckt mag werden,

Jegliche weiß' und schwarze Magie,

Find' ich in meinem allmächt'gen Genie.


Knallt mit der Peitsche.
[140]
POZ.
Wo mehr als Alles ist, da find't sich Alles –
Du kannst unmöglich Deine Größe so
Wie ich empfinden – wenigstens unmöglich
Sie so bewundern:
FAUST.
Zehnmal mehr! Es faßt
Mich Keiner, wie ich selbst mich fasse.
POZ.
Freilich!
Allein man kann doch fühlen tief – zum Sterben
Sogar, was man nicht faßt! –
FAUST.
Ich zweifle sehr.
POZ.
Der Berg zerschmettert eine Maus im Fallen –
FAUST.
Noch sicherer ein Haus; und sichrer noch
Ein Schloß; am allersichersten sich selbst.
POZ.
Du kannst Dich wenigstens nicht selbst beneiden.
FAUST.
Wen sonst?
POZ.
Mich – um die Wollust, die ich fühle,
Dich anzubeten!
FAUST.
Wollust nennst Du das?
Qual aller Qualen wär' es mir, wenn etwas
Ich außer mir anbeten müßte.
POZ.
Freilich,
Dem Gott ist Schande, was dem Menschen Ehre!
Ein jedes Wort aus Deinem Mund' ist Gold,
Wofür sich Ballen von gedruckten Wörtern
Einwechseln lassen.

Man sieht Jemand zwischen den Bäumen nahen.

Sieh! da kömmt schon einer,
[141] Den sicher Deine Gottesgegenwart
Hiehergezogen! Der will etwas auch
Von den Goldkörnern, die Dir aus dem Munde
Beständig fallen, haschen.
HANS WURST
im Baume, halblaut.
Schwerenoth!
Ich muß es gehen lassen.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
BARON VON WICHT
tritt vor Faust hin mit einer adeligen Verbeugung.
Irr' ich mich?
Ist's nicht der große Faust, den ich zu Hause
Gesucht, und den man in dem Parke mir
Zu treffen Hoffnung gab, der große Faust,
Deß Kraftgenie die Welt erfüllt?
FAUST
ohne aufzustehen.
Ich bin's.
Es ist nicht leicht mich zu verfehlen. Was
Ist Ihr Gesuch, mein Werther?
VON WICHT.
Kurz und gut; –
Denn Umweg' hass' ich sehr –
FAUST.
Ich auch.
VON WICHT.
Ich komme,
Sie zu bewundern.
FAUST.
Das thun Alle. – Nichts
Besondres sonst?
[142]
VON WICHT.
Was nennen Sie Besondres?
Indem ich Sie bewundre, Blick in Blick,
Wort gegen Wort, mich, so zu sagen, reibe,
Ganz nah', an Ihrem mächtigen Genie,
Hoff' ich, daß mit dem meinen es zum Durchbruch
Auch endlich kommen wird.
FAUST.
Wenn etwas da ist,
Wird's so zum Durchbruch kommen, oder nie.
Doch – sind Sie sicher, daß was da ist?
VON WICHT.
Ziemlich!
Was sag' ich? – ganz gewiß! Denn haben will ich's,
Es koste was es wolle. So ganz rasend
Erpicht auf genialisches Genie,
Wie ich, war sicher Niemand, seit's dergleichen
Auf Erden gab. Ich hab' es also schon
In diesem Theil des Kopfs, den man den Willen
Benennt; nur möcht' ich's in den andern Theilen
Auch haben – ja, wo möglich, gar in allen,
Bis im Gedächtniß, das ich sonst verachte.
Mit einem Wort: ich wünschte mein Genie
Nicht bloß mir selber, sondern Andern auch
Handgreiflich –
FAUST.
Ich verstehe – wollten gern
Für ein Genie passiren?
VON WICHT.
Man passirt
Ja sonst gar nicht.
FAUST.
Wie viel sind Sie gesonnen
Darauf zu wenden?
VON WICHT.
Auf ein drei, vier tausend
Goldfriedrichs kömmt es mir nicht an, wenn erst
Ich sicher wäre des vollkommnen Durchbruchs;
[143] Denn ich bin teufelmäßig reich. Allein
Gewiß auch müßt' es seyn.
FAUST.
Ihr werther Name?
VON WICHT.
Baron Franz Alexander Karl von Wicht.
FAUST.
Der Nam' ist gut. Ich halte zwar gewöhnlich
Für Freunde nur ein Privatissimum
In Genialität. – Doch, wenn ich wüßte,
Daß es der Mühe –
VON WICHT
hurtig.
Hundert Friedrichsd'or
Für jede Stunde!
FAUST.
Meine Stunden sind
Für Gold allein zu haben nicht. Laß sehen!
Antworten Sie mir recht gewissenhaft
Auf ein'ge Fragen. Haben Sie Talente?
VON WICHT
mit Zuversicht.
Gar keine.
FAUST.
Schlechterdings gar kein Talent
Zu irgend etwas?
VON WICHT
bestimmt.
Nicht das mindeste!
Zwar meine Feinde sagen, daß zum Drechseln –
Ist aber die absurdeste Verläumdung.
Ich wäre nicht so unverschämt gewesen,
Mich einem Genius, wie Faust, zu nähern,
Hätt' ich das mindeste Talent.
FAUST.
Nun, freilich,
Das wäre nicht das beste Zeichen. Kenntniß
Ist auch wohl nicht der Schuh, der sehr Sie drückt?
VON WICHT.
Gottlob! nichts weniger. Bin in der Schule
Niemals gewesen; habe nichts gelernt.
[144] Mein Informator war ein Halbgenie;
Das heißt, er hatte g'nug, um der Natur mich,
Und meinem eignen Sinn, zu überlassen.
Unwissend bin ich wie ein Vieh.
FAUST.
Schon was!
Wie finden Sie sich sonst im Durchschnitt?
VON WICHT.
Dumm
Wenn anders dumm das Widerspiel von witzig;
Denn, ohne Prahlerei, so ganz entblößt
Von allem Witz war schwerlich je ein Mensch.
Nicht bloß, wie heißt er doch? der die Pücelle
Geschmiert: ein amsterdamer Ladendiener
Hat, glaub' ich, mehr. Ich werde läppisch, flach,
Erbärmlich, abgeschmackt (Sie glauben's nicht),
Zum Ekel platt, sobald ich witzig seyn will.
Das sagen Alle, die mich kennen; auch
Ist dieses fast mein größter Stolz.
FAUST.
Sehr gut;
Doch noch nicht Alles. Haben Sie Geschmack?
VON WICHT
empfindlich.
Wofür denn sehen Sie mich an? Ich schäme
Der Frage mich, die Zweifel ja voraussetzt.

Mit Ernst.

Mein Vater hatte die Manie der Schweine-
Stallfütterungen. Niemals kam ein Schwein
Aus seines Kobens Koth heraus; sie lebten
Und starben unbekannt mit Feld und Wald,
Sogar mit Hofabtritten – konnten also
Sich wenig bilden, wenig Eleganz,
Urbanität, und Zartgefühl (das alles
Nur außerstalls zu holen ist) erwerben.
Nun gut; ich sage nicht zu viel, wenn ich
Behaupte kühn, daß keins von diesen Schweinen,
Sogar das blindgeborne nicht, entfernter
Von aller Bildung und Geschmack, als ich.
[145] Ich lebte viel mit ihnen, und mit Pferden,
Stallknechten, Kutschern, Hunden, und dergleichen.
Was von Cultur ich hab', ist Stallcultur,
Die fast natürlicher und roher ist
Als die Natur. – Ich trotze jedem Jaurer
In völliger Geschmackeslosigkeit. –
FAUST.
Ich sehe, noch ist nichts verdorben. Haben
Sie was im Werk? Studiren Sie bisweilen?
VON WICHT.
Was nennen Sie studiren? Ein Student seyn?
Collegien schwänzen, Landesvater singen,
Bier saufen, Hoch' und Pereate bringen,
Und duelliren?
FAUST.
Das nun freilich auch;
Vorzüglich mein' ich aber: was erkennen
Zu streben.
VON WICHT.
Mich studir' ich also selber
Fast unaufhörlich; denn ich strebe recht
Gewaltig, zu erkennen, was für Kraft
In mir verborgen liegt. Deswegen komm' ich
Grad' hieher, damit Sie drin mir helfen.
FAUST.
Sie sind auf gutem Wege. Haben also
Schon angefangen, Ihre Kraft zu prüfen?
Was haben Sie sich anerkannt, das nach
Genie besonders riecht?
VON WICHT.
Zuerst, wie schon
Gesagt, totalen Mangel alles Andern
Ist, glauben Sie, das nicht genug?
FAUST.
Nein, lieber Herr Baron! Sie müssen auch
Was Positives haben, das sich äußert!
Sie wollen, sagen Sie, Genie; Sie wünschen's
[146] Ganz rasend; kurz, es treibt Sie: – spüren Sie
Gar keine Triebe sonst in sich?
VON WICHT.
Potztausend!
Ja! einen Trieb besonders ganz unbändig!
Kein Weib ist vor mir sicher – und ich weiß –
Das ist ein starkes Zeichen.
FAUST.
Ohne Zweifel!
Mit wenig Zusatz gar die Sache selbst.
Ich habe große Hoffnung – mehr als Hoffnung –
Nur noch ein kleines Fräglein: Kostet's Ihnen
Viel Mühe, grob und unverschämt zu seyn?
VON WICHT.
Ganz umgekehrt! Es kostet mir Anstrengung,
Nicht immer es zu seyn. Es ist mir Spaß,
Auf Professoren Koth zu werfen, und
Haargrauen Rednern laut »Halt's Maul!« zu sagen.
FAUST.
Mein' allerletzte Frage! Schreiben Sie
Grammatikalisch?
VON WICHT.
Orthographisch? oder –
Wie meinen Sie?
FAUST.
Die Frag' ist mir genug.
Sie haben höllisch viel Tendenz, mein Lieber!
Zur Genialität – ich würde sagen
Genie sogar – wenn erst – doch das wird kommen.

Knallt ihm um die Ohren mit der Peitsche.

Ich lade Sie, mit meinen Freunden, ein,
Zum Schmaus im Auerbach'schen Keller.
VON WICHT.
Gut!
Das Schmausen lieb' ich.
[147]
FAUST.
Haben Sie ein Mädchen,
So bringen Sie es mit!

Knallt mit der Peitsche.
VON WICHT.
Bin erst in Jauer
Seit einer Stunde; doch das find't sich wohl.
FAUST
nickt mit dem Kopfe.
Auf Wiedersehn! Schlag sieben! – Suchen Sie
Ein hübsches sich!
VON WICHT
sich verbeugend.
Empfehle mich unendlich
Dem großen Genius der Zeit. – Schlag sieben!

Ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
POZ
zu Faust, der sich streckt, gähnt, und von der Bank aufsteht.
Ein ganz gottvoller Kerl! nicht wahr?
FAUST
gähnend.
Ein Esel!
POZ.
Ich meine, gottvoll in der Eselei.
FAUST.
Mit viel Tendenz –
POZ.
Unendlich viel –
FAUST.
Und Ansatz
Zum Stallschweinigel.
POZ.
– Allerdings.
[148]
FAUST
abgehend.
Wie hat
Er Dir gefallen?
POZ
verlegen.
Mir? – Vollkommen so!
FAUST
mit der Peitsche ihm um die Ohren knallend.
O du lebendiges Bewundrungs-O!

Beide ab.
Zwischenspiel
[149] Zwischenspiel.
HANS WURST
steigt von dem Platanus herunter, zieht aus der Tasche ein Stück Brot und ein in ein Papier gewickeltes Rebhuhn, und spricht zu den Zuschauern.
Bin müde, habe zu lange gesessen,
Zu viel soufflirt, und zu wenig gegessen.
Will jetzt hier stehen, um auszuruhn,
Und essen mein gebratenes Huhn.

Er ißt.
TOLLHAUSINSPECTOR
auf dem Balcon zum Herzog.
Ich hab's ihm von der Tafel hingeschickt,
Mit Bitt', es auf der Bühne selbst zu essen,
Damit 'ne Art von Handlung gleich da sey.
HERZOG.
Ich sehe für mein Leben gern was essen
Im Schauspiel.
MAD.
DAUPHIN.
Mir giebt's immer Appetit.
PRINZ VON KOTBUS
leise.
Mir giebt das Stück unendlich Langeweile.
HERZOGIN.
Es ist viel wen'ger Phantasie darin,
Als ich erwartet. Es wird nur geschwatzt –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das, Eure Hoheit! rührt nur davon her,
Daß sie noch nicht so recht im Athem sind.
[150]
HANS WURST
essend.
Auch die Gesellschaft zu recreiren,
Möcht' ich ein wenig philosophiren,
Und über der hiesigen Weisheit Thun,
Gleichsam als Chorus, reflectiren.
Zuerst denn thu' ich zu wissen kund,
(Nur bitt' ich, zu halten reinen Mund)
Daß alle die mächtigen All-Regenten,
Die hier man über die Bühne gehn,
Als Dichter und Philosophen, gesehn,
Nichts sind als Jauersche junge Studenten.
Auch, die noch ferner an diesem Ort
Erscheinen werden, bald hier, bald dort,
Das Universum zu ruiniren,
Sind lauter Studenten, die nicht studiren.
Den Schuster, den Maler, den Juden, den Sohn
Des Gretchens, den hannöverschen Postillon,
Den Apotheker und den Trompeter,
Den langen Poz und den kleinen Peter –
Nur ausgenommen, die, neun an der Zahl,
Auch gar Studenten nicht sind einmal –
Obgleich von der neuesten Weisheit voll,
Gleich jenen über die Maßen toll.
Dies Alles – nebst Drei'n, die sie nennen Göttinnen,
Die durch Verführung kamen von Sinnen –
Ist eingeschlossen von einer Mauer,
Die weit sich dehnt um das innre Jauer,
Und stellt drin dar – wie's Euch gefällt –
Dramatisch das heutige Streben der Welt,
In fixen Ideen, ganz ungenirt,
Wie solches der Kraft des Genies gebührt.

Nachdem er das Huhn aufgegessen.

Ich sag' Euch vorher, es wird schrecklich kommen!
Ihr habt nur das Flüstern bisher vernommen
Vom genialischen Sturm und Drang,
Wobei in Kurzem Ihr werdet zittern,
Wenn Alles was hier nur noch intra schwärmt,
Ganz extra und ultra begeistert lärmt,
[151] Wie bei drei tausend Schock Ungewittern.
Doch werdet indessen nicht gar zu bang!
Es kann Euch keiner von diesen verwunden;
Denn alle sind tüchtig mit Eisen gebunden,
Ich selber sogar –

Er zeigt die Kette an seinem Arm.

und es freut mich sehr;
Denn bin ich nicht toll, so kann ich's werden;
Vor solchem ist sicher hienieden auf Erden
Kein Mensch, der unter den Weisen lebt,
Und den beständig ihr Geist umschwebt.
Ich spüre sogar, wie sehr ich auch fühle
Das närrische Nichts in dem tollen Gewühle,
Beständig verhöhnt als ein Nicht-Genie,
Zu Zeiten die Lust, es zu machen wie Sie. –
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Hans Wurst! Hans Wurst! da! lies!

Eine Hand reicht ihm ein großes Heft in Quarto.
HANS WURST
verwundert.
Was ist's?
STIMME.
Laut! deutlich!
Daß nicht allein die Logen, das Parterre,
Die Galerie, das ganze Schauspielhaus,
Wir selber – sondern auch, wenn's möglich ist,
Die draußen sind, es hören!
HANS WURST
das Heft nehmend.
Gut! – was ist's?
STIMME.
Die Recension von unserm Stück!
HANS WURST.
Von diesem?
STIMME.
Natürlich!
HANS WURST.
Sackerlot! ist die schon fertig?
STIMME.
Nicht fertig nur – vollendet – ganz vortrefflich!
Ein Meisterstück – ein Muster – mehr noch werth
[152] (Und dreimal größer auch) als selbst das Stück –
Nicht eine Recension so sehr, als eine
Charakteristik, Allgemeinisirung,
Herleitung, Construction, und Uebersicht
Der ganzen Poesie!
HANS WURST
erstaunt.
Von wem ist sie?
STIMME.
Wer wär' im Stande, solch' ein Werk zu liefern?
Niemand!
HANS WURST.
Von Niemand ist sie?
STIMME.
Von uns selbst.
HANS WURST
vor sich.
Wie, Teufel! sind sie damit fertig worden?

Laut.

Allein, wär's besser nicht, zu warten, bis
Das Stück erst ausgespielt?
STIMME.
Das ganze Stück
Ist vorn mit abcopirt; lies das zuerst! –
Läßt sich wohl zweimal hören –
HANS WURST.
Allerdings!
Allein –
STIMME
ungeduldig.
Mach' keine Schwierigkeit, Hans Wurst!
Sonst setzen wir Dich ab. Die Recension,
Als Zwischenspiel gelesen! Pfeift man aus
Das Stück, so sieht das Publicum doch, was
Es auspfiff.
HANS WURST
das dicke Heft durchblätternd.
Es ist aber gar zu lang;
Das Spiel wird dadurch aufgeschoben.
STIMME.
Auf-
Geschoben ist nicht aufgehoben! Morgen
[153] Wird auch gespielt! Die Ewigkeit ist lang.
MEHRERE STIMMEN HINTER DEN COULISSEN
während die geballten Fäuste vordringen.
Die Recension, Hans Wurst! Die Recension!
Wir sind begierig!
ERSTE STIMME.
Solltest selbst heißhungrig
Danach seyn, däucht mir.
HANS WURST
vor sich.
Bin es auch, weiß Gott! –

Laut.

Darf ich doch wenigstens nicht überspringen
Das Stück?
EINIGE STIMMEN.
Ja! Ja! Die Recension nur! gleich!
Wir sind ganz ungeduldig.

Man hört die Ketten rasseln.
HANS WURST
macht wehmüthige Geberden gegen die Zuschauer.
Ach!
OPITZ
ruft vom Balcon.
Die Recension!
HERZOG.
Die Recension!
CHOR DER ZUSCHAUENDEN.
Die Recension, Hans Wurst!
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Hörst Du? hörst Du? Das wußten wir im Voraus,
Sie würde Sensation erregen!
HANS WURST
Opitz anblickend.
Also –
In Opitz' Namen!

Liest.

»Hol's der Teufel! oder –«
Et cetera – »Faust. Jauer, ohne Druckort–«

Vor sich.

(Das glaub' ich! ist's doch noch nicht ausgeschrieben!)

Laut.

»Fünfhundertfunfzig Seiten in Octavo,
[154] Mit gothischen Fracturen, und mit Kupfern
Von Pinsel, all' in Holzschnitt. Erstes – Erstes –
Erstes Sonett

Hans Wurst lacht laut.
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
W'rum lachst Du?
HANS WURST
lachend.
In Sonetten
Ist die Recension?
STIMME.
Natürlich! Was
Giebt's da zu lachen? Und in wunderschönen –
Wie Du bald sehen wirst – die eingefaßt
In Hexametern sind, wie Turmaline
In Quarz. Lies weiter nur!
HANS WURST
liest.
»Der Welt Darstellung ist die Kunst; die Welt
Darstellung der Natur; und die Natur ist
Darstellung dessen, das nicht dargestellt
Bisher ist worden, weil's unmöglich pur ist.

Dem Blinden selbst die Wahrheit draus erhellt,
Daß wahre Poesie Darstellung nur ist
Des Darstellbaren, das nicht dargestellt
In Welt, Natur, und künstlicher Cultur ist.

Denn wahre Poesie stellt einzig dar,
Was über Kunst, Natur, und Welt erhaben,
Nicht hörbar, nicht zu fühlen, nicht zu sehen;

Es ist durch sie, was niemals wird, noch war;
In ihr allein ist jener Schein zu haben,
Woraus Natur und Welt und Kunst bestehen.«

Klatschen hinter den Coulissen.

»Was sagt Novălis, öfters genannt Novālis, in seinen
Leider! verlorenen Schriften – das heißt: was lassen ihn Tieck und
[155] Schlegel im zweiten Theil Unübertreffliches sagen?
Undarstellbares stellet uns dar der wirkliche Dichter;
Sieht, was unsichtbar ist, und fühlt, was gänzlich unfühlbar;
Ist allwissend zumal; hat Sinn auch für Mysticismus,
Wahrhaft sinnenberaubt. Dafür kömmt Alles ihm vor auch.
Nahe verwandt ist sein Sinn mit dem religiösen des Wahnsinns.
Kurz: was ist Poesie? Poesie! Des Scheinenden Urschein!«

Lautes Klatschen hinter den Coulissen.
HERZOG
zum Tollhausinspector.
Bis Dato ist mir Alles noch zu hoch,
Herr Oberhofinspector!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Eure Hoheit!
Es wird schon sinken mit der Zeit! Geruhten
Nur Höchstdieselben, gnädigst mit Geduld,
Ein wenig noch zu warten. Jetzo steigt
Sehr hoch die Fluth – die Ebbe kann nicht fern seyn.
HANS WURST
blättert und schlägt um.

»Zweiundzwanzigstes Sonett.


Des Scheins Kritik ist wieder Poesie.
Durch die Zerlegung todtgeschlagner Theile
Erfährt sie nur das Was, und nicht das Wie –
Der Pfeil' Erprobungen sind neue Pfeile.

Die Massen neu zusammensetzet sie.
Was dort der Dichter bildete mit Eile:
Das Ganz' in aller Glieder Harmonie –
Das bildet die Kritik nur um, mit Weile.

Schön, wenn Gemachtes so wird neu gemacht,
Und Dargestelltes wieder so gestellet,
Daß durch die Krise kömmt der Strauß als Strauß;

[156] Doch schöner noch, wenn in verjüngter Pracht,
Und glänzender vom Probelicht erhellet,
Es kömmt ein Vogel Phönix gar heraus!«

Klatschen hinter den Coulissen.

»Was sagt Friederich Schlegel vom fünften Buche des Meisters?
›Ein' Annäherung, nicht gar selten,‹ sagt er, ›zum Wahnsinn
Scheint die Lieblingsbeziehung zu seyn; und der Ton in dem Ganzen;
Und es steigt die Verwirrung darin am höchsten.‹ – Wodurch wohl?
Durch die Beleuchtung der Wunderkritik, die neu es gestaltet!«

Hans Wurst schlägt wieder um.

»Dreiunddreißigstes Sonett.


»Demnach behauptet Recensent, Kritiken
Erfodern mehr Genie zum wahren Dichten
(Wenn sie erfüllen sollen alle Pflichten
Der neuesten erhabnen Aesthetiken –

Weit über jene Charakteristiken
Als selbst die Meisterstücke wahrer Dichtung,
Die, nach genauer bildender Besichtung,
Nur alte Schuhe sind, die neu sie flicken.

Indem sie nämlich solche gänzlich kehren,
Entstehen draus Wallfische – da Genieen
(Nach Claudius) dergleichen Meerpersonen –,

Die umgekehrte Schuhe sind. Verehren
Wir also genial'sche Poesieen;
Doch mehr noch genial'sche Recensionen!

Klatschen hinter den Coulissen.

Aller Schuh' unendlichster, ganz dem poetischen Weltfuß
Recht, von Rhinocerosleder gemacht, ist das hiesige Schauspiel,
[157] Faust, der vollendete. Kehren wir ihn, wird schwerlich ein Wallfisch
Je sich mit unsrer Kritik an Größ' hinführo vergleichen.«

Hans Wurst schlägt um.

»Vierundvierzigstes Sonett.


»Der Recensent gesteht, der Organismus
Ist erst in diesem Drama, so zu sagen,
Entsprechend der Physik in unsern Tagen,
Ein dickgeronnener Idealismus.

Der Hauptcharakter ist der Despotismus;
Die Peitsche darf darin das Meiste wagen.
Auch wird darin gehörig vorgetragen
Gall's große Lehr', und der Radicalismus.

Drauf zeigt es unsrer Zeiten größte Thaten:
Jedwede Seite flucht und tobt und kollert; –
Von Menschenblut wird jedes Blatt geröthet;

Das Stück vom Anfang bis zum Ende tollert; –
Dreitausend Seelen werden drin gebraten,
Und dreimalhunderttausend drin getödtet.

Ungemeines Klatschen hinter den Coulissen.

Meisterlich spricht sich darin die politische ganze Natur aus,
Kömmt in jeder Person, und in jeder Scene zum Durchbruch –
Nicht in Maximen allein, in Thaten – in kräftiger Handlung,
Alles zerstörend, und selber sich selbst am Ende, wie's seyn soll.«

Hans Wurst schlägt um.

»Hundertundfünftes Sonett.


»Wie wimmelt es von glänzenden Kriterien
Des unbehos'ten Ultra-Terrorismus!
Wie herrscht darin ein kräftiger Cynismus!
Auch fehlt es nicht an Wundern und Mysterien.

[158] Der Ezelhof stellt dar den Barbarismus,
Die kalte Wuth des Kriegs in Friedensferien,
Und andre viele herrliche Materien,
Mit wahrem genial'schem Priapismus.

Doch was am meisten Recensent bewundert,
Ist nicht die ganze Rüstung Melpomene's,
Das Komische, der Wortspielgeist, der Ahnsinn,

Das Fluchen, und die Zoten, die zu hundert –
Es ist nicht Das, und Das, und Dies und Jenes;
Es ist das ganze Wunderwerk von Wahnsinn.«

Der Balcon klatscht.
Hans Wurst verbeugt sich, und fährt fort zu lesen.

Denn, was zuvor Annäherung nur zum lange Gesuchten
War, erscheinet uns hier im Scheitelpunkte des höchsten
Ueberschwenglichen Flugs aufwärts zum schwindlichten Gipfel
Aller Tendenzen. – Es setzt die Kritik dem Werke die Kron' auf.«

»Hundertundsechstes Sonett.


»So wird gebaut die wundervolle Brücke
Von Pol zum Pol der höchsten Hypothetik
In der Kritik von diesem Stück der Stücke
Durch genialische Naturgenetik.

Es findet sich im neuen Faust, zum Glücke,
Gefüllt das alte Loch in der Poetik;
Und diese Recension erfüllt die Lücke
Zugleich in kritisirender Aesthetik. –

Das Künft'ge wird gesetzt als schon vergangen;
Vergangnes Künftiges wird gegenwärtig;
Anfang und End' umarmen sich im Breiten –

Gestillt wird jedes höhere Verlangen;
Das Chaos ist entwirrt, die Welt ist fertig:
Vollendet ist das Meisterwerk der Zeiten.«

Der Balcon klatscht.
[159]
HANS WURST
sich verbeugend.
Die Recension ist aus!

Für sich.

Das glückte mir!
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Du hast viel übersprungen – hast das Beste
Rein weggelassen –
HANS WURST.
Keine Titel –
STIMME.
Wie denn?
Die Recension hielt zehnmal zehn Sonette,
Außer den Hexametern, und enthielt
Noch viel mehr Lob, als Du gelesen hast.
HANS WURST.
Ganz umgekehrt! ich habe viel bei'm Lesen
Hinzugefügt, zum Beispiel: sechs Sonette,
Kommata, Puncta, Kolons, Semikolons,
Und Uebergänge, die ja gänzlich fehlten.
STIMME.
So mußt Du höllisch schnell gelesen haben.
HANS WURST.
Ihr hörtet's ja, und klatschtet selbst dabei –
STIMME.
Wir hörten nichts; wir klatschten aber, weil
Wir recht gut wußten, was darin enthalten.
HANS WURST.
Der Hof-Balcon hat aber auch geklatscht.
STIMME.
Ja! das ist wahr. Du mußt mit allem dem
Abscheulich schnell gelesen haben.
HANS WURST.
Freilich
Hab' ich sie nicht langsam herbuchstabirt.
Ich las zwanzig Sonett' in der Minute,
Macht drei Secunden per Sonett – absichtlich;
Denn eine Recension – wie warmer Punsch –
Muß schnell geschöpft und heiß getrunken werden.
Sie ist moussirendem Champagner gleich,
[160] Den man, dieweil er siedet, braust und schäumt,
In größter Eil' hinunterstürzen muß,
Damit nicht mit dem Schaum der Geist verfliege.
Nun vollends eine Recension wie diese,
So fließend, und zugleich so inhaltsschwer,
Schien mir noch ähnlicher geschmolznem Blei,
Das man wohl nie herunterbringen würde,
Wenn man's kalt werden ließe. Dünkt Euch nicht?
FAUST'S STIMME H. D. COUL.
Hans Wurst hat Recht!
ALLE DIE ANDERN.
Hast Recht, Hans Wurst, hast Recht!
Wir sind zufrieden. Wollen also jetzt
Den dritten Act tragieren.
FAUST'S STIMME.
Aber noch
Ist Keit nicht da. Wart' einen Augenblick!
Hans Wurst, hörst Du! Mach wiederum den Narren.
Laß nicht die Bühne leer! Ersinne was!
Sag' einen Schwank zum Lachen, bis wir fertig!
HANS WURST
sich an die Zuschauer wendend, und Opitz anblickend.
Die Erd' ist gänzlich, wie ich seh',
Bedeckt mit neugefallnem Schnee.
Im schönen klaren Mondenschein,
Wer schreitet einher darüber drein?
Der große Kepler (betrügt mich nicht
Mein nicht gar scharfes Hans-Wurst-Gesicht),
Den Blick, wie gewöhnlich, gen Himmel gericht't,
Anblickend den Mond und auch die Sterne
Dort oben in der gewölbten Ferne,
Gar wenig achtend, worauf er geht:
Den schimmernden Schnee, der so leicht verthaut,
Und den das gemeinste Thier beschaut. –
Doch sieh! jetzt plötzlich er stille steht –
Und denkt, und – sinnt, und – weiter geht. – –
Das ließ in dem Schnee nun gelbe Spuren,
Einige grad', und die meisten krumm,
[161] Ganz geometrische Figuren –
Er kümmert sich aber gar nicht darum;
Macht das so hin, ganz ohne Bedacht,
Wie etwa Opitz ein Schauspiel macht. –
Er denkt wohl höchstens: es drängt' ihn so;
Und ist, daß er's quitt, recht herzlich froh.
Da kommen nun aber (betrügt mich nicht
Mein nicht gar scharfes Hans-Wurst-Gesicht),
Den Blick, wie gewöhnlich, nach unten gericht't,
Die lieben Schüler darüber her –
Und sehn die Figuren, die kreuz und quer.
»Ei!« schreien sie laut, »gebt Acht! gebt Acht!
Da liegt das System in der ganzen Pracht!
Da seht ihr die praktische Theorie
Von unsrer neuen Astronomie!
Seht ihr die Bahnen hier der Planeten?
Und hier die schieferen der Cometen?
Wie der Meister das künstlich herausgedacht,
Und recht anschaulich uns hier gemacht!«
Fangen denn an, die Figuren zu messen;
Möchten den Schnee vor Bewunderung fressen.
Ist hier oder dort ein Strich zu fein
(Sonderlich bei dem Mondenschein),
Werden mit Augen deß nicht gewärtig,
Stecken sie gar die Nasen hinein –
Und riechen sich das System so fertig.

Zu den Coulissen sich wendend.

Was sagt Ihr zu diesem kleinen Schwank,
Ihr Recensenten?
MEHRERE STIMMEN
hinter den Coulissen.
Wir sagen Dank!
Ueber Astronomie, und dergleichen Sachen,
Magst Du dich immer nur lustig machen;
Ist nur Gelahrtheit, und gar nichts mehr –
Und die verachten wir selber sehr.
HANS WURST
durch die Bäume hinsehend.
Da kömmt schon der alte besoffene Schuster –

[162] Halblaut.

Der neuesten Weisen erhabenes Muster!

Zu dem Balcon.

Ich muß, als Theaterdirecteur,
Als Echo, Regisseur und Souffleur,
Hinauf in meinen Baum zurück,
Daß nicht gar zu toll uns werde das Stück.

Er klettert in die Platane wieder hinauf.
[163]
2. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Hans Wurst im Baume. Schuster Pilz ungesehen hinter einem andern Baume.
Feierliche Stille.

WERDER
auf dem Balcon.
Hans Wurst ist ein ganz köstlich kluger Kerl!
OPITZ.
Er wird der tollste noch von Allen werden.
WERDER.
Das sollte leid mir thun; denn mein's Erachtens
Hat er viel Aehnlichkeit mit meinem sel'gen
Freund Jonathan.
OPITZ.
Drum eben! Wie ging's ihm?
SCHUSTER
hinter dem Baume.
A
ECHO
von der Platane herab.
Ah! –

Pause.
[164]
MAD.
DAUPHIN zu Opitz.
Verzeihen Sie mir, Herr von Boberfeld!
Ich glaube nicht, daß er toll werden wird.
SCHUSTER.
U
ECHO
Uh! –

Pause.
OPITZ
zu Mad.
Dauphin.
Und was wird, meinen Sie, den Armen sichern
Vor seines Aufenthaltes Pest?
MAD.
DAUPHIN.
Sein Herz!
Die Freude drüber, daß er, wie die andern,
Gebunden sey, scheint mir ein liebenswürd'ger
Charakterzug. Er hat mich tief gerührt.
Und wie er sie erträgt! – Ich werde weinen,
Wenn er auch toll wird.
SCHUSTER.
R
ECHO
Herr! –

Pause.
OPITZ.
Güte schützt vor Tollheit
Gewiß nicht!
MAD.
DAUPHIN.
Doch gewiß Bescheidenheit!
SCHUSTER.
O
ECHO.
Oh! –

Pause.
GENERALFELDMARSCHALL.
Ich fürchte, wir sind hier nicht gar zu sicher
Vor diesem rappelnden Poetenspuk –
Mir schaudert fast mitunter. – Diese Pausen!
[165]
HERZOGIN.
O! wären wir so sicher gegen jene
Prosaischen Vandalen nur! – Hans Wurst
Beruhigt mich viel mehr – als Sie, Feldmarschall!
SCHUSTER.
R
ECHO.
Herr! –

Pause.
DOCTOR STIRN
zum Tollhausinspector.
Ich muß gestehen, ich fürchte halb den Faust.
Er hat 'nen Tigerschädel, wie ich keinen
Noch außerhalb des Kaiserthums gesehn.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Seyn Sie nur ruhig, werthester Herr Doctor!
SCHUSTER.
A
ECHO.
Ah! –

Pause.
BRUNO
zu St.
-Preux.
Wer ruft dort unten?
ST.
-PREUX.
Räthselhaft genug –
Es ist die Stimme wohl des alten Schusters.
JULCHEN.
Ich fürcht', es ist sein Geist.
SCHUSTER
hinter dem Baume lauter.
Au
ECHO.
Auh! –

Pause.
EINE ANDERE HOFDAME.
Was es auch sey,
'S ist eine schauerliche Stimme.
BRUNO.
Heiser,
Und rauh nur klingt sie mir.
[166]
DIE HOFDAME.
Ja, schauerlich!
ST.
-PREUX.
Und roh zumal!
WERDER.
Sie scheint mir inspirirt.
SCHUSTER.
Ro
ECHO.
Roh!

Pause.
HERZOG
zum Tollhausinspector.
Was ruft der Schuster hinter'm Baum?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Eur Hoheit,
Er buchstabirt Aurora.
HERZOG.
Und das Echo?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Betet ihn an!
MAD.
DAUPHIN.
Die Scen' ist äußerst mystisch!
ST.
-PREUX.
Ha! jetzt wird's losgehn! Da kömmt durch die Bäume
Der Kohlenbrenner rechts – der Schuster links.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
KEIT
ohne den Schuster zu sehen, zwischen den Bäumen hervortretend, singt.
Zerfließend, sich ergießend, windet, bindet –
ECHO.
– Bindet –
[167]
SCHUSTER
noch immer hinter dem Baume.
Au
KEIT
horchend.
Der Gruß den Kuß, der Kuß den Gruß, im Gusse.
ECHO.
– Gusse –
SCHUSTER.
Ro
KEIT
überall umblickend.
Es fällt die Welt; doch wenn sie schwindet, findet –
ECHO.
– findet –
SCHUSTER.
Ra
KEIT
erstaunt.
Er bieder wieder sie, als Nuß im Kusse.
ECHO.
– Kusse.
SCHUSTER
sehr laut.
Aurora!
KEIT
entzückt.
Aurora! Wonne! Sonne! Himmelschwimmel!
Karfunkel! Dunkel! Dichterstrom der Ströme!
O Gruß! o Kuß! Gewimmel aller Himmel!
O Welt, die fällt! o Nuß im Kuß! o Böhme!
Wo bist Du?
HANS WURST
im Baume.
Oben! unten! hier, und dort –
Im Tanzsaal jener Siedelei, wo Leben
Den Tod begabt, mit alten Zwillingen,
Die nie geboren werden, eh' sie sterben –
Wo die Prinzessin Fisch in Diamanten
Und Gold gehüllt, ein langes Herzogthum
An jedem Ohr, in Ketten betteln geht –
Wo jede Werkelwoch' ist Fastnacht – wo
An jedem dichterischen Montag, Dienstag,
Mittwoche, Donnerstag, Sonnabend, Sonntag,
Man feiert der Vernunft Charfreitag, – auch
[168] Den Freitag selbst nicht ausgenommen; – wo
Die Wurzeln aufwärts wachsen, und die Stämme
Hinabwärts – und wo jeder arme Mensch,
Der ohne Rufer was Geheimes flüstert,
An Gott ein wenig glaubt, ein bischen Tugend
Verstohlen übt, und Hosen trägt, zum Tode
Verdammt wird – in dem Land, wo zwei und zwei
Waldeselinnen neun Göttinnen machen –
Im Reich der lichten Schatten!
KEIT
außer sich.
Heil'ges Land!
Holdselig Land! o wundersüßes Land!
Land aller Länder, wo mein Jakob wohnt,
Und wo vermuthlich die Romanze thront!
Ist's weit von hier? Kann man dahin zu Fuß;
Und ohne Flügel, da die Siedler alle,
Einsiedler sicher, dort wohl schweben nur?

Schwärmerisch versunken.

Wie sehnt sich mein Gemüth dahin, von hinnen,
Mit allem Schmachten, Trachten, Minnen, Sinnen!

Zu der Stimme.

O sage mir noch mehr davon! Vollende
Das große Bild! und ohne Maß und Ende
Die Züge, die so wunderseltsam, häufe,
Daß ganz sich meine Seele drin ersäufe!
HANS WURST
im Baume, singt.
Kennst Du das Land, wo die Caldron'chen blühn,
An jedem Baum Turlin-Orangen glühn,
Ein rauher Nord aus Süden laulich weht,
Der Mohn die Füll', und hoch das Tollkraut steht?
Kennst Du es wohl?
KEIT.
Dahin! Dahin
Möcht' ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn!
DIE STIMME.
Kennst Du den Berg mit seinem luft'gen Steg?
Das Hexlein sucht auf Besen seinen Weg.
[169] Bring Wasser! ruft des Meisters junge Brut;
Der Besen stürzt – und über ihn die Fluth.
OPITZ.
Nicht übel!
DIE STIMME.
Kennst Du es wohl?
KEIT.
Dahin! Dahin
Möcht' ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn!
DIE STIMME.
Kennst Du das Haus – ein Loch in jedem Fach –
Es flucht der Saal, es wimmelt das Gemach –
Die frommen Nonnen nackt in Fesseln stehn –
Was ist mit Dir, o süße Maid! geschehn?
OPITZ.
Capital!
DIE STIMME.
Kennst Du es wohl?
KEIT
mit unaussprechlicher Wehmuth.
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater! laß uns ziehn!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
JAKOB PILZ
springt auf, tritt hervor, und steckt seine Aurora in die Tasche.
Wir sind schon da!
KEIT
eilt zu ihm hin.
O Vater! laß mich jetzt
Dich hier anbeten! – Sieh auf mich hernieder!
Gieb Deinen Segen mir! o nimm mich an
Als Flickerjunge! Sieh! die ganze Welt,
Brot, Ehre, Glück, Verstand, und Weib, und Kind,
[170] Geb' ich dahin, mit Dir auf einem Brett,
Zu Deinen Füßen nur, die Beine quer
Gekreuzt, zu sitzen – Dir den Zwirn zu wichsen
In stiller Andacht. O! verstoß mich nicht
Des bischen Logiks wegen, das mir Sünder
Vielleicht noch anzuhaften scheint! O sieh'
In Gnad' auf meine Wehmuth, Demuth, Dummuth –
Die ohne Grenzen, noch im Wachsen sind!
O! schlage mich mit Deinem heil'gen Riemen
Zum Ritter Deines Kreuzes!

Er stürzt zu seinen Füßen.
JAKOB PILZ.
Warum nicht?
Von Herzen gern, Gelbschnabel! Da!

Fegt ihn tüchtig mit dem Riemen.
KEIT
knieend.
Ja wohl,
Gelbschnabel bin ich gegen Deinen Goldmund!
Doch Gelb wird Gold, und Schnabel Mund, wenn Du
Das erste um-, das zweite segnend berührst!
JAKOB PILZ.
Was brummst Du da von um und be? Sprich derber,
Wenn ich Dich fassen soll! Ich spei' auf alle
Gelehrsamkeit, Gelahrtheit, und Geleertheit –
KEIT.
Ich auch, so viel ich kann, aus aller Macht.
JAKOB PILZ.
Schon gut! – Aurora – hörst Du mich? Aurora –
KEIT.
Ich höre.
JAKOB PILZ.
Au – gieb Acht!
KEIT.
Ich bin ganz Achtung.
JAKOB PILZ.
Aurum ist Gold, und Ora Mund: Aurora!
Von hinten nun sprich nach! Arorua!
[171]
KEIT.
Arorua!
JAKOB PILZ.
Kehr' um die ersten drei:
Ora!
KEIT.
Ora! ora! ora! –
JAKOB PILZ.
Halt's Maul!
Halt's Maul, und bete! Falte Deine Hände!
Rua! ruf dreimal an den Geist! ruf Rua!
KEIT.
Ruah! Ruah! Ruah!
JAKOB PILZ.
Jetzt küsse mir
Den Vordermund!
KEIT
küßt ihn mit Inbrunst.
JAKOB PILZ.
So gut! – Jetzt küsse mir
Mit Andacht auch –
KEIT
noch inbrünstiger.
O heiliges Mysterium!

Der Vorhang fällt; geht aber gleich wieder auf.
JAKOB PILZ.
Bist eingeweiht nunmehro musterrecht.
Empfang den Segen nun als Schusterknecht!
Und merke Dir dabei die gute Lehr',
Es wird Dir wohl gedeihen immer mehr.
Ueb' Dich in meiner kräft'gen Art zu sprechen,
Und thu die Zähn' weit aus einander brechen!
Mach gegen schiefen Mund ein schiefes Maul!
Vor allem sey zum Fratzenziehn nicht faul!
Bist dennoch allzusehr verdrossen,
Und steckst voll dummer ird'scher Possen;
So steck die Nas' in ein gutes Buch,
Damit Du werdest gesund und klug.
Ich habe Dir eben ein solches erschlossen,
Wovon den Titel Du schon genossen;
[172] Da mach' Dich drüber und spinne Dich ein,
In Poeterei recht heimisch zu seyn.
Ueb' dann im Ernst das Volle, Tolle, Tüchtige,
Und auch im Scherz das Hilde, Wilde, Flüchtige!
Erwärm' Dein Herzelein in alter Lieb',
Erweck' in Dir den wohlbekannten Trieb!
Sey schnickisch und schnackisch! sey tippisch und täppisch,
Altfränkisch, katholisch, und kindisch und läppisch!
Laß gellen die Schellen! und zürnt man darob,
Sey derber als derbe, sey gröber als grob!
KEIT
aufstehend.
Dafür bin ich, fürcht' ich, zu gut erzogen –
JAKOB PILZ.
Halt's Maul, Gelbschnabel! das ist erlogen.
KEIT
demüthig.
Ich halte das Maul; und werde mir sehr
Vom Herzen in's Herz einprägen die Lehr'.
Es fehlt mir noch an hundert Ecken;
Doch hoff' ich, es werde mir bald erklecken.
Ich werde mich setzen auf meinen Anus,
Und schreiben einen längeren Octavianus.
JAKOB PILZ.
Das wird Dir immer nützlich seyn.
Auch will ich mich darüber freun,
Wenn Du zu Stande bringst was Tüchtiges,
Was mehr als gewöhnlich Großes und Wichtiges.

Er zieht einen Stiefelknecht aus dem Busen hervor.

Da bringe vorher diesen Stiefelknecht,
Zu dem A der Aurora, dem göttlichen Flecht!
KEIT
erstaunt.
Was, Flecht? dem entfiederten, trocknen Vernunftspecht?
Dem Setzer, dem Logiker!
JAKOB PILZ.
Bist nur ein Zunftknecht –
Zunftmeister ist Er – im Kreise der Muster
Der hiesigen himmelerbauenden Schuster.
[173] (Er hat mich bezahlt und tractiret galant!)
Sein derbes Gemüth ist mir nahe verwandt.
KEIT
betroffen.
Will's wieder gut machen! – Ich hab' ihn verkannt.
Ist also der nicht, der die Wissenschaftslehre

Nimmt den Stiefelknecht.
JAKOB PILZ.
Zum Teufel! dergleichen verbitt't er sich sehre.
Hat von Wissen und Lehren und trockner Vernunft
Nicht mehr als die übrige Schusterzunft.
KEIT
fröhlich.
Dann werd' ich mit Thaten, mit Worten und Mienen,
Wie Dir, o mein göttlicher Meister, ihm dienen.
JAKOB PILZ.
Sobald Du mir Botschaft von Flechten gebracht,
Werd' ich mich Dir zeigen in all meiner Pracht!

Er verschwindet unter den Pappeln.
KEIT.
Wo treff' ich Dich wieder, o Meister groß?
HANS WURST
vom Baume herab.
Im Feur – auf'm Meer – in der Erde Schooß!
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
KEIT
allein, mit dem Stiefelknecht.
Ist's möglich? darf ich es mir ganz gestehn?
Ich habe den großen Jakob Böhm gesehn!
Ihn selbst, den tief verkannten Helden,
Der in sich trug die beiden Welten!
Hab seinen heil'gen unentweihten Mund,
Der aller Geister Tiefe machte kund,
Geküßt! und seinen Ruf gehört erschallen
[174] Mit diesen Augen, Ohren, Sinnen allen!
Gewiß? Er war's?
HANS WURST
im Baume.
Er war's!
KEIT.
Er war's! o Himmel!
Ich zweifle nimmer!
HANS WURST.
Zweifle nicht!
KEIT
die Stimme für die eines Engels haltend.
Nein, nein!
Ich zweifle nicht, holdselig Engelein! –
Vor Seligkeit bin ich ganz überschwimmel!
Der ganze Himmel stürzt in mich hinein.
Er war's! – So Schuster ganz! so derb und bieder!
So ächt ursprünglich grob, so schlecht und recht,
So deutsch (und deutscher noch) als meine Lieder –
So unpolirt wie dieser Stiefelknecht!
Ganz wie ich mir gedacht den Himmelsflicker;
Nur etwas schmutz'ger noch, und etwas dicker!

Er geräth in immer böhmischere Begeisterung.

O! wie die Gluth ich fühle mich entzunden!
Die Poesie sich regt in dem Gemüthe.
Gluth brenne! dufte Duft! und blühe Blüthe!
Mein volles Herz will sich der Welt verkunden.
HANS WURST
als Stimme von oben.
– Verkunde!
KEIT.
Hör' Echo, Du im Baume droben!
HANS WURST.
– Oben!
KEIT.
Ihr Bäche dort im Thale drunten!
HANS WURST.
– Unten!
KEIT.
Die alte Zeit kommt jetzt in meine Sinne –
[175]
HANS WURST.
– Inne!
KEIT.
Die neue Welt zerfetz' ich draußen –
HANS WURST.
– Außen!
KEIT.
Der einz'ge Flecht in dem Gefecht soll leben –
HANS WURST.
– Leben!
KEIT.
Wenn er den Stiefelknecht will wiedergeben!
HANS WURST.
– Geben.

Keit geht in Entzückung ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Pinsel und Droll, mit einer großen Rolle unter dem Arm.

DROLL
rollt das Gemälde auf, das er trägt, und stellt es so auf die Bank an den Platanus in der Mitte der Bühne, daß man es sieht.
Hat Faust es selber schon gesehn?
PINSEL.
Noch nicht
Vollendet.
DROLL
das Gemälde betrachtend.
Doch – ich muß gestehn – je mehr
Ich's anseh', und je länger ich's betrachte,
Je länger find' ich die Gestalt.
[176]
PINSEL.
Natürlich!
DROLL
mißt die Figur vom untern Rande des Gemäldes bis zum obern mit der Hand.
Zwölf Spannen hoch und eine breit – ich weiß nicht –
Mich dünkt doch die Figur zu lang.
PINSEL
lacht.
Zu lang?
Wie wirst Du meine Ewigkeit dann finden?
DROLL.
Der Faust ist kurz und dick –
PINSEL.
Sein Schatten aber
Bei'm Untergang ist dünn und lang.
DROLL
immer das Gemälde betrachtend.
Dann scheint's
Mir auch, als Schatten, gar zu blaß!
PINSEL.
Du Vieh!
Als könnt' ein Mondscheinschatten anders seyn!
DROLL.
Ein Mondscheinschatten ist's?
PINSEL.
Das sieht ein Blinder!
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
TILL
der Trompeter, kommt, wirft ein Auge auf das aufgerollte Gemälde.
Kühn! idealisch! kolossalisch! groß!
Das hast Du gut gemacht! Was stellt es vor?
[177]
PINSEL.
Den Schatten Faust's bei'm Untergang des Mondes.
TILL.
Die Grundidee ist göttlich! wie Du weißt,
Hab' ich sie Dir gegeben.
PINSEL.
Es ist möglich,
Daß Du dieselb' in Poesie gehabt.
TILL.
Warum den Faust abconterfeien immer?
Du mußt auch, hörst Du, meinen Schatten mir
Beim Sonnenaufgang malen, hörst Du? Aber
Noch kolossaler!
PINSEL.
Bald!
DROLL
rollt das Gemälde wieder zusammen.
Wir müssen jetzt
Uns sputen, Pinsel!
TILL.
Und wohin?
PINSEL.
Zu Faust,
Der etwas Großes vorhat, wie gewöhnlich.
TILL.
Ich gehe mit – das heißt voran – Ihr folgt mir!

Alle drei ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Schrelling und Einbein laufen mit Spießgerten über die Bühne.

SCHRELLING.
Das wird ein Leben seyn!
[178]
EINBEIN.
Im Götterkoth –
SCHRELLING.
Und wenn's der Teufel wäre!
EINBEIN
die Gerte schwingend.
Mord und Tod!

Ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Klingel und Bombastus gehen mit Knotenstöcken über die Bühne.

KLINGEL.
Erst durch die Hölle!
BOMBASTUS.
Dann zum Hunnenfürst!
KLINGEL.
Gar schreckliche Natur Du sehen wirst!

Ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Höchener und Poz, jeder mit einem Hammer in der Hand, gehen über die Bühne.

HÖCHENER.
Und kömmt's zum Angriff, schlag' ich Jeden todt!
POZ
ihm folgend.
Wo Du vorangehst, hat es keine Noth.

Ab.
10. Auftritt
[179] Zehnter Auftritt.
Faust, mit der Knallpeitsche, an der Spitze von sieben Todtengräbern, mit Beinhausknochen in den Händen, geht über die Bühne.

EINER DER TODTENGRÄBER.
Wohin, o Faust! wohin?
FAUST
knallend.
Zur Heimath ohne Namen!
DIE SIEBEN TODTENGRÄBER.
Amen!

Alle ab.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Zwölf Knaben, jeder mit einem alten Posthorn, gehen Paar und Paar langsam dreimal um die Bühne. Ab und zu stoßen sie in die Hörner.

MAD.
DAUPHIN während sie vorüberziehen.
Die Handlung rückt auf einmal eilig vorwärts.
WERDER.
Es ist gar keine Handlung in dem Stück.
Nur Wort' und Töne, weiter nichts.
ST.
-PREUX.
Wo Dichter
Und Philosophen nur auftreten, ist
Schon Singen bloß und Reden Handlung. Mir
Scheint's Stück sehr ordentlich, voll ächter Einheit.

Hörnerstoß unten.
MAD.
DAUPHIN.
Ja, der Prolog nur ausgenommen, ließ'
Es, glaub' ich, sich auf unsrer Bühn' aufführen.
[180]
HERZOG.
Es freut mich sehr, Madam, daß Sie es nicht
Ganz unter Ihren Tragédies finden.
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Nur Großmuth!
MAD.
DAUPHIN.
Freilich ist's ein Melodrama.
WERDER
zu Opitz.
Was ich am wenigsten dabei begreife,
Ist, wie man das entsetzlich tolle Ding
Nur den vollend'ten Faust hat nennen können?
Es kömmt ja gar von Ihrem Fauste nichts
Darin zum Vorschein, bester Herr Collega!
ST.
-PREUX.
Lucus a non lucendo!

Hörnerstoß unten.
OPITZ.
Meinen Sie? –
Und die fünfhundert Säue?
WERDER.
Das ist erstlich
So viel als nichts; und zweitens haben sie
In Schweine sie verwandelt; drittens endlich
Sind sie allein durch ein Versehen
Drin angebracht.
OPITZ.
Und vollends nun die Lücken –
Die ausgelaßnen Stellen?
WERDER.
Haben sie,
Nach meinem unmaßgeblichen Erachten,
Höchst wunderbar und seltsam ausgefüllt.
Es ist, als wenn ein Philolog die Lücken
Im Livius mit etwa der Geschichte
Des Hanse-Bunds ausfüllen wollte – oder,
Als wenn man die Auslassungen im Shakspear
Mit Griechen-Skolien ersetzen würde.

Hörnerstoß unten.
[181]
HERZOG.
Ich bin des Herrn Hofburgraths Meinung ganz –

Zu Bruno.

Was sagen Sie dazu, mein Herr Professor?
BRUNO.
Ich habe keine Stimm' in angewandter
Aesthetik. Die Streitfrage scheint mir auch
Nicht scharf genug bestimmt fixirt.

Die Knaben unten ab.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
HANS WURST
steigt von der Platane herab.
Was fehlt?
Wo Teufel bleibt der Chor? – Ich muß ihn holen.

Läuft gegen die Coulissen und ruft.

Fang' an den Reflexionsgesang!
CHOR
hinter den Coulissen.
Es fehlen
Uns zwölf Paar Ueberohren noch –
HANS WURST.
Thut nichts!
Die eignen sind im Grunde lang genug.
13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt.
Funfzig Halbtolle und funfzig Blödsinnige, theils wie Philister, theils wie andere ehrliche Leute gekleidet, fast alle mit ellenlangen papierenen Ohren, wimmeln aus den Coulissen hervor. Hans Wurst ordnet sie in zwei einander gegenüberstehende Reihen, zur Rechten und Linken, und stellt sich selbst hinter die Platane.

[182]
CHOR VON HALBTOLLEN.
Ganz erbärmlich ist unser Loos,
Schmachvoll, ach! und, was noch das
Unerträglichste Kreuz ist,
Mehr als ich sagen Euch kann, – langweilig!

Müßig müssen wir stille stehn,
Armehängend, wie Mumien,
Ganz statistischen Zuschnitts;
Und, wie die großen Nationen, thatlos.

Hören dürfen wir nur, und sehn
Was uns lieber verborgen blieb.
Denn zu größeren Rollen
Sind wir Armen nicht toll genugsam.
CHOR VON BLÖDSINNIGEN.
Reflexionen sind uns erlaubt;
Aber weil uns befohlen ist
Applaudiren und Klatschen,
Finden dazu wir nur wenig Muße.

Lesen müssen, wie Hunde, wir –
Hübsch auflesen die Brocken, die
Von den Tischen der Autorn
Fallen; drum nennen sie auch uns Esel.

Und dann schelten sie ärger uns
Als die Brüder auf Vieren selbst;
Tituliren uns Volk, und
Menschen und Publicum und dergleichen!
BEIDE CHÖRE.
Wehe! wehe den Sterblichen –
Wenn ein heutiges Schauspiel
Wird gegeben mit Chören –
Die zum Agiren nicht toll genug sind!

Chorus ab.

Der Vorhang fällt.
Zwischenspiel [2]
[183] Zwischenspiel.
Die Scene wird unten verändert mit sehr vielem Geräusch. Die Lichter werden allmälig ausgelöscht.

MAD.
DAUPHIN auf dem Balcon.
Ce pauvre choeur me touche.
WERDER.
Es ist nicht
Im Tollgeschmack des Uebrigen; es ist
Ganz Euripidisch, und mir weit das Beste
Bisher im Ganzen. Ich geselle mich
Zu den Halbtollen.
ST.
-PREUX.
Ich auf keinen Fall!
Sie haben's zwar gesungen, aber schwerlich
Es selbst gemacht. Es ist ganz Sophokleisch.
OPITZ.
Aristophanisch ist es. Der Hans Wurst
Steckt offenbar dahinter.
BRUNO.
Dennoch ist
Ein schlechtes Wortspiel darin mit dem Lesen
Und Eseln
OPITZ.
Kein schlechtes eben. Gerade weil vom Tollen
Die Red', ist mehr als Spiel mit Worten drin.
ST.
-PREUX.
Es ist auch Seele drin!
[184]
HERZOGIN.
Wie doch genießt man
Ganz anders so ein Schauspiel mit Zuschauern,
Die nicht allein Zuhörer sind.
EINE HOFDAME.
Mir geht's
Weit über das Stück selbst!
OPITZ.
Wir wollen doch
In Acht uns nehmen, ja nicht gar zu sehr
Damit zu unserm Nachtheil abzustechen.
HERZOG
die Bühne unten betrachtend.
Was ist's? Sie löschen alle Lichter aus!
Es wird stockdunkel!
WERDER.
Nun in Gottes Namen!
Das wird was Neues geben!

Der Vorhang wird wieder aufgezogen; man sieht aber nichts.
[185]
3. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Die auftretenden Personen werden gehört; aber nicht gesehen.

CHOR VON ZÄHNKLAPPERNDEN.
Weh! weh! wo schleppt man mich Armen hin?
Welch unanschaulicher scheußlicher Ort!
EINE HOHLE STIMME.
Fort!
CHOR VON WEINENDEN.
Weh! weh! wie saust es und braust es drin!
Wie stinkt's mir entgegen hier und dort!
HOHLE STIMME.
Fort!
ERSTER CHOR.
Was ist's, das so von oben gräßlich saust
Herab durch mein erschüttertes Geknöchel?
HOHLE STIMME.
Der Luft Geröchel.
ZWEITER CHOR.
Was ist's, das siedend immer aufwärts braust
In schwarzen Wolken ungeheuer?
[186]
HOHLE STIMME.
Das unter Feuer.
ERSTER CHOR.
Was frißt der dort,
Am Felsen dort,
Zu stillen des Hungers Schmerz?
HOHLE STIMME.
Des Erdballs Herz.
ZWEITER CHOR.
Was trinkt der hier,
Am Strome hier,
Zu stillen des Durstes Wuth?
HOHLE STIMME.
Des Meeres Blut.
BEIDE CHÖRE.
Weh! weh! was harret uns Todten dort!
Welch unanschaulicher scheußlicher Ort!
HOHLE STIMME.
Fort!
EINE ANDRE NOCH HOHLERE STIMME.
Wirf sie all' in den Drachenpfuhl
Hinter des Fressenden Riesenstuhl!

Man hört ein tiefes Plumpen.
CHOR VON WEINENDEN UND ZÄHNKLAPPERNDEN.
Oh! oh! oh! oh!
HOHLE STIMME
mit gräßlichem Gelache.
Halloh! halloh! halloh!
Wir betten Euch nur so.
Seyd froh!
Der Pfuhl nur bis an die Nasen steigt –
Wir sind Euch geneigt.
DIE HOHLSTE STIMME
fürchterlich laut.
Schweigt!

Lange Pause, um die grausenvolle Stille recht fühlbar zu machen.
HOFRATH WERDER
leise.
Das soll vermuthlich uns die Hölle gar
Vorstellen?
[187]
OPITZ
leise.
Und nicht übel!
MAD.
DAUPHIN leise.
Gerade, weil
Man gar nichts sieht.
ST.
-PREUX leise.
Ich finde diese Stille
Noch höllischer als Alles.
HERZOG
halblaut.
Macht mich schaudern!
Man weiß gar nicht, was da geschieht.
BRUNO
leise.
Ein Werk, unsichtbar ganz, und ohne Namen!
GENERALFELDMARSCHALL
laut.
Man sieht gar nichts.
HERZOGIN
leise.
Mir däucht, ich sehe gerade
Die gräßlichsten Gestalten, wie im Traum.
EINE HOFDAME
leise.
Ich auch! Mir wird ganz bange. Julchen! –

Laut.

Julchen!
Mein Gott! was ist's?
HERZOGIN
laut.
Was ist's?
DIE HOFDAME
ihr Fläschchen suchend.
Sie liegt in Ohnmacht –

Sie gießt ihr das ganze Fläschchen auf die Stirn.
JULCHEN
erwachend.
Wo bin ich? leb' ich noch?
HERZOGIN.
Sey ruhig, Kleine!
Wir sind im Schauspiel alle.
OPITZ
leise.
So was macht
Effect.
MAD.
DAUPHIN leise.
Das wäre nun, zum Beispiel, ganz unmöglich
Bei uns!
[188]
HERZOGIN
leise.
Wie so?
MAD.
DAUPHIN leise.
Man würde diese Stille
So laut beklatschen, daß man sie nicht hörte.
Das Pianissimo der Bühne wird
Beständig vom Parterre-Fortissimo
Begleitet.
HERZOGIN
leise.
Dadurch geht's ja ganz verloren?
MAD.
DAUPHIN leise.
Natürlich! – lieb' es auch nicht.
OPITZ
leise zu Mad.
Dauphin.
Aber doch
Liebt man bei Ihnen alles was Effect macht?
MAD.
DAUPHIN immer leise.
Zum Rasen liebt man den Effect, und macht ihn
Gerade drum am liebsten selbst.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
DIE HOHLSTE STIMME
mit plötzlichem Gebrüll.
Bewege Dich her aus der Felsenkluft,
Herodesgerippe! Dein Herrscher ruft!
Wie viel sind wohl in der letzten Nacht
Von sieben Nächten heruntergebracht?
HOHLE STIMME.
Neun Feldherrn – hundert Stabsofficiere –
Gemeine Soldaten dreitausend und viere –
Dreihundert Pfaffen – zweihundert und drei
Die Handel getrieben – Matrosen zwei –
Vier Admiräl' – ein einziger Bauer –
Ein halber König, für den in Trauer
[189] Sich doch hat gehüllt ein ganzes Land,
Weil gleich nach ihm man 'nen ganzen fand.
DIE HOHLSTE STIMME
vermuthlich Satans.
Ist das Alles?
HOHLE STIMME.
Außer den Scribenten,
Den Weibern und den Recensenten:
Von den Ersten und Letzten hundert und acht,
Meistens Franzosen in deutscher Tracht.
Die Weiber liefen ihn'n nach wie toll,
Und machten uns die zweihundert voll.
Sie waren sogar dabei recht munter.
DIE HOHLSTE STIMME.
War kein unschuldiges Mädchen darunter?
HOHLE STIMME.
Wie verstehen Ihro Durchlaucht das?
DIE HOHLSTE STIMME.
Verführtes mein' ich, oder so was?
HOHLE STIMME.
Es war darunter ein zart und fein
Sechs-, siebzehnjährig Hofkätzelein,
Erzogen am Hofe gar sehr charmant
Von einer französischen Gouvernant',
Und witzig und hübsch ganz ungemein,
Stechend und blühend, wie ein Röschen,
Das mit 'nem zwanzigjährigen Klößchen
Von aufgeschossenem Bauerlein
Geschwärmt ein wenig im Mondenschein,
Ohne die Folgen noch recht zu kennen –
Weiß nicht, ob man das verführt kann nennen. –
DIE HOHLSTE STIMME.
Ist mitgekommen der Bauerkloß?
HOHLE STIMME.
So wenig als seines Vaters Roß.
Nicht besser als das, gewiß! vermöcht' er
Was zu verführen – bei Hofe zumal.
[190]
DIE HOHLSTE STIMME.
Waren unter der übrigen Zahl
Gar keine sächsische Pfarrerstöchter?
HOHLE STIMME.
Keine.
DIE HOHLSTE STIMME.
Das ist mir gar nicht recht!
Das geht alles erbärmlich schlecht.
Hat mir immer annoch bis heute
Nichts zu sagen die ganze Beute,
Bringt Ihr mir Pfarrerstöchter nicht.
HOHLE STIMME.
Weiß wohl, warum es uns dran gebricht.
Haben wir nicht die Poesie,
Nämlich die deutsche, wir kriegen sie nie.
Aber an's Heiligste, so zu sagen,
Dürfen wir uns so recht nicht wagen.
DIE HOHLSTE STIMME
aufgebracht.
Weg, Du lumpiger Teufelswicht,
Weg! mir alle aus dem Gesicht!
Bringt mir immer nur eitel Plunder –
Marsch! in die Langweilshölle hinunter!
Sollt dort eine Höllenwoche lang
Hören Sonetten- und Kettenklang,
Lesen französische Trauerspiele,
Deutsche Komödien eben so viele –
Trinken dazu, statt Menschenblut,
Aus den Gefäßen der bösen Lüste
Teufelsmilch, und die kalte Wuth
Aus Gergesenerschweinebrüsten!

Pause.
HOFRATH WERDER.
Den Kerl da braucht man eben nicht zu sehen,
Um zu vernehmen, wer er sey.
OPITZ.
So spricht
Ein ächter Teufelsfürst.
[191]
WERDER.
Ich muß gestehen,
So sprechen wenigstens die Götter nicht.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
SATAN
nunmehro ganz ausgemacht Er.
Jetzt bin ich fürchterlich allein –
Bin bange vor mir selbst – möcht' es nicht lange seyn!
Säh' mich das Leben hier, es würde Stein;
Säh' mich das Licht, es würde bald ermatten –
Die Sonne säh' sich blind an meinem Schatten;
Der Tod allein mir gegenüber harrt.
Wie grauenvoll aus seinen hohlen Augen,
Die meine Züge nur zu spiegeln taugen,
Mein eigen Bild mir hier entgegenstarrt!

Man hört ein starkes Getöse.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
SATAN.
Was stürzt herab?
EINE FREMDE HOHLE STIMME.
Dein erster Unterthan!
SATAN.
Mein Mephistopheles! – Was bringst Du Böses,
Dein werth, und des entsetzlichen Getöses?
[192]
MEPHISTOPHELES
athemlos.
'Nen neuen Faust! und glückt mit ihm mein Plan,
Ist's um das Reich des obern Lichts gethan.
SATAN.
Empfange der gesammten Hölle Gruß!

Es tönt aus allen Orten ein unendliches Weh!

Sie setze Dich, zu meinem rechten Fuß,
Auf diesen eingesunkenen Vulkan!
Noch näher! – eine Höllenmeile näher –
Ganz nah'! – Erzähle, mein gewandter Späher,
Ist mit den Dichtern etwas Dir geglückt. –
MEPHISTOPHELES.
Du weißt mein altes Werk. Sie sind verrückt,
Dank sey's dem ersten Faust! schon längst geworden,
Am Busen tragend unsern rothen Orden;
Doch durch den zweiten bring' ich's noch dahin
(Das Werk ist schon in kräftigem Beginn),
Daß sie den schwarzen auch im Busen tragen;
Und – mehr als eine Grethe wird's beklagen!
Allein der neue Faust will auch dafür
Sehr viel – fast mehr als höllische Gebühr.
SATAN.
Du hast ihn also noch nicht ganz in Händen?
MEPHISTOPHELES.
Nein, großer Meister, nur die beiden Enden.
SATAN.
O, dann ist jede Schwierigkeit ein Scherz!
MEPHISTOPHELES.
Das Mittelstück ist noch nicht mein, das Herz!
SATAN
Was will dafür er? sprich!
MEPHISTOPHELES.
Ich darf's kaum sagen –
SATAN.
Sprich! ich befehle Dir –
MEPHISTOPHELES.
Ich darf's nicht wagen. –
[193]
SATAN
in aufgeblasenem Ton.
Ist's mehr als ich dem Nero droben gab,
Mehr als die Welt zum Haus, und Ewigkeit zum Grab?
MEPHISTOPHELES.
So viel nun eben nicht; doch schwerer Dir zu geben!
SATAN
ungeduldig.
Ist es die Welt zum Grab, und Ewigkeit zum Leben?
MEPHISTOPHELES.
Du prahlst! Das giebt nur der, den ich nicht nennen
darf,
Deß Blick vom Himmel Dich und mich herunterwarf.
SATAN.
Was will er denn?
MEPHISTOPHELES.
Erst bei dem höchsten Schwur
Der Hölle sichre mir –
SATAN.
Vorher die Frage nur:
Was wird er leisten? Wird er alle Grethen
In Deutschland lehren magdalenabethen?
Wird er die Pfarrerstöchter alle Dir
Verführen? Daran liegt am meisten mir!
MEPHISTOPHELES.
Das nach und nach; und überhaupt, was gut
Und rein, und heilig ist auf Erden: Jugend,
Genie, Natur, Kunst, Wissenschaft, und Tugend
Verwandeln in barbarisch tolle Wuth.
SATAN.
Wenn er das leistet, schwör' ich bei dem Haupt
Der Menschenschänder, das der Erde raubt
Die letzte Hoffnung –
MEPHISTOPHELES.
Schwör bei dem, was Dir
Noch höher, heilig, und noch theurer mir!
SATAN.
Wohlan denn – bei dem Ganzen jenes Haupts,
Wovon es selbst ein Theilchen nur ist, glaubt's
Auch, Alles gar zu seyn – bei'm höchsten Lug!
[194] Er fordert nie von meiner Macht genug.
Sprich also!
MEPHISTOPHELES.
Schwör' auch mir, mich nicht zu strafen,
Wenn Du den Schwur bereust!
SATAN.
Ich schwöre Dir
Bei'm Lug!
MEPHISTOPHELES
zaudernd.
Es läßt sich nicht aussprechen –
Die Sprache weigert sich der Forderung des Frechen.

Er giebt Satan ein unsichtbares Zeichen.
SATAN.
Was? mit der Sünde selber? – ist er toll?
MEPHISTOPHELES.
Gerade! Thut man sonst, was man nicht soll?
Der Sünde Sünd' hat er zu denken Dich gelehrt;
Du siehst daraus allein, der Kerl sey etwas werth.
SATAN.
Durch den Gedanken bloß gehört er mir;
Nicht That allein verdammt, auch schon Begier.
MEPHISTOPHELES.
Wenn Wunsch schon Wille wäre, zugegeben!
Allein da fehlt noch viel. Ein junges Leben
Kennt nichts als Wunsch und That – die letzte nur
Beweist das Ueberschreiten der Natur.
O! gäben böse Lüste, Wünsche, Triebe,
Begier – und überhaupt die Sündenliebe
Der Hölle schon zu einer Seele Recht,
Gehört' uns längst das ganze Menschgeschlecht.
Zwar zweifl' ich nicht, er wird uns nicht entlaufen –
Er kömmt von selbst, wenn wir ihn auch nicht kaufen,
Einmal am End' – allein was bringt das Dir,
'Nen Höllenbraten mehr zu haben hier?
'Nen Teufel mehr dort oben, um zu Haufen
Die Braten uns zu senden, willst du kaufen.
Ein junger Dichter, der die Sünde lehrt,
Ist mehr als tausend alte Sünder werth,
[195] Die keine Pfarrerstöchter uns entflammen,
Und höchstens kümmerlich sich selbst verdammen.
SATAN.
Es liegt mir viel an deutscher Poesie –
Philosophie – des Ew'gen Offenbarung –
Der Unschuld – und der freien Seelen Nahrung –
MEPHISTOPHELES.
Durch diesen neuen Faust bekömmst Du sie!
SATAN.
Doch, auf der andern Seite, mich zum Lachen
Ihm Preis zu geben – mich zum Werkzeug machen
Der eignen Schande!
MEPHISTOPHELES.
Schand'? o! spreche nicht,
Von Schand', und zeig der Hölle Dein Gesicht!
Du trügst hier Keinen, ewiger Betrug!
Was? glaubst Du zu verbergen dieses grelle
Brandzeichen, das Dir lodert an der Stelle
Der Krone, die Dein Haupt als Seraph trug?
Noch Schande scheut, der schwört bei'm ew'gen Lug?
Bei Sich! – Es ist zum Toll-, zum Rasendwerden!
Es scheut sich nicht einmal Dein Knecht auf Erden. –
SATAN
versunken in sich selbst.
O Höllenhöhe! Höllengröße! Thron
Der ew'gen Nacht! was kostest Du mir schon!
Dich zu erringen ward der Engel Teufel –
Dich zu erhalten wird der Teufel weit
Das kriechendste der weltverworfnen Thiere,
Das niederträchtigste der Niederträchtigkeit. –

Mit auffahrender Stimme.

Ich hab's geschworen bei dem ew'gen Lug!
Es sey! bring mir ihn her in schnellem Flug!
MEPHISTOPHELES.
Dein Wink mir, großer Meister, ist genug.

Er fährt unsichtbar, aber sehr hörbar ab.

[196]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
SATAN
allein.
O! hätt' ich Seraphsthränen – Engelblut –
Cherubenschweiß – zu kühlen meine Wuth!
Erscheine rings in Flammen, Höllenbrut!
Zittr', Erde!
Es werde
Gluth!!

Die ganze dunkle Bühne lodert auf einmal auf,
und der Vorhang fällt.
Zwischenspiel [3]
[197] Zwischenspiel.
HERZOG.
Der Satan ist ein ganz gediegner Kerl!

Zum Tollhausinspector.

Die Höll' ist ihnen übel nicht gelungen!
Ist, freilich, auch was Tolles.
BRUNO.
Die Idee
Nichts weniger als toll!
HOFRATH WERDER.
Die tollste nämlich
Von allen, meiner Meinung nach.
OPITZ.
Sie selbst
Doch glauben an den Teufel, Herr Collega!
WERDER.
Ich – an den Teufel?
OPITZ.
Sagten Sie nicht einst:
»Oft sieht ein Kurfürst, was der Höllenfürst gethan,
Aus eitlem Stolz für eigne Arbeit an.«
Sie haben viel Vortreffliches gesagt;
Doch nichts Vortrefflicheres!
WERDER.
Das war damals!
Ich zweifl' an Allem jetzt.
[198]
OPITZ
zum Prinzen von Ellenbogen.
Was sagen Sie,
Mein Prinz, zur Höll'?
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Ich, Herr Geheimrath?
Recht nett! Die letzte Scene war recht nett –
Doch, Sie gestehn mir, etwas gar zu dunkel,
Und zu geschmacklos.
OPITZ.
Allerdings.
HERZOG.
Zum Teufel!
Sie wollen in der Hölle selbst Geschmack?
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Du goût! vor Allem! überall!

Zu Mad. Dauphin.

Ich hab'
Einst in Paris, in Ihrer großen Oper,
›Ne Höll‹ – ›ne Höll‹ –

Er legt die zwei Kußsingerspitzen auf seine Lippen.

Es war ganz zum Entzücken!
Man kann nichts Schönres sehn! – zumal die Psyche!
Wir Deutsche haben kein' Idee davon.
MAD.
DAUPHIN.
Sie haben eine doch?
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Erst seit Paris –
Sie geben mir noch viele. Hätt' ich lange
Das Glück – ich würde ganz Idee.
MAD.
DAUPHIN.
Sie sind
Gar zu galant! Man ist das länger nicht
In Frankreich.
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Alle Moden, leider! kommen
Uns hier zu spät.
HERZOGIN.
Wie geht es, armes Julchen?
[199]
JULCHEN.
Jetzt wieder gut; doch seh' ich immer vor mir
Den Fresser auf dem Riesenstuhl, und das
Entsetzliche Gerippe – huh! die Todten,
Die schrieen!

Zu St.-Preux.

Ich hielt mich fest an Ihrem Arm,
Sonst wär' ich umgefalln.
ST.
-PREUX.
Ich war im Himmel
Dabei.
JULCHEN.
Sie sind ja überall im Himmel!
ST.
-PREUX leise.
Holdselige!
HERZOGIN.
Was sagen Sie, Herr Bruno?
BRUNO.
Ich denk' in Hofgesellschaft ungern laut.
HERZOGIN.
Dadurch verliert die Hofgesellschaft sehr.
BRUNO.
Ich bin nur hier, zu sehen und zu hören.
HERZOGIN.
Dann wünscht' ich, 's Stück wär' aus –
PRINZ VON KOTBUS.
Ich auch,
Wär's nicht der hiesigen Gesellschaft wegen.
DOCTOR STIRN.
Zwei Acte sind noch übrig?
COLLHAUSINSPECTOR.
Viere noch,
Wenn nicht gar fünf. Das Stück hat sieben Acte.
Doch sagte mir Hans Wurst; man könnt' es theilen
In zwei Portionen, wenn –
HERZOG.
Das freut mich sehr; –
Denn mir gefällt es immer mehr und mehr.
[200]
GENERALFELDMARSCHALL.
Mir auch!
HOFMARSCHALL.
Mir auch!
KAMMERHERR.
Mir auch!
JEDE HOFDAME.
Mir auch!
PRINZ V.
KOTBUS.
Mir auch!
PRINZ V.
ELLENBOGEN.
Trotz allen Fehlern gegen den Geschmack,
Natur ist drin; das kann man gar nicht leugnen.
HERZOG.
Hans Wurst ist ganz mein Mann, obgleich ich nicht
Verstehe völlig alles, was er spricht.
GENERALFELDMARSCHALL
schnell.
Das kömmt daher, Eur Durchlaucht, weil er toll,
Der allertollste, wenn ich sagen soll –
OPITZ.
Noch nicht –
GENERALFELDMARSCHALL.
Schon lange! wenn auch äußerlich nur dumm,
Im Innern, straf mich Gott! ganz toll, zum Rasen!
HERZOG.
Er kennt ihn also, Generalfeldmarschall?
GENERALFELDMARSCHALL
betroffen.
Nicht anders als durch Hörensagen, und
Durch seine Possen hier.
HERZOG.
Wie weiß
Er denn, daß er im Innern toller
Als äußerlich?
GENERALFELDMARSCHALL.
Er spielt den Narrn im Stück
Umsonst nicht; haben sie doch wohl den Tollsten
Dazu gewählt!
[201]
HERZOG.
Das sag' Er nicht; er spielt
Den Directeur auch.
GENERALFELDMARSCHALL.
Das ist alles Eins,
Eur Hoheit, dazu wählt man oft den Tollsten,
Wo nur von tollem Zeug, wie hier, die Red' ist.
HERZOG.
Wir werden sehn! Ich werd' ihn kommen lassen,
Wenn's Stück aus ist. –
GENERALFELDMARSCHALL.
Das thun ja Eure Hoheit
Um alles in der Welt nicht!
HERZOG.
Und warum?
GENERALFELDMARSCHALL.
Weil, straf' mich Gott, Gefahr! Ich möchte lieber
Der ganzen, großen feindlichen Armee,
Die doch vernünftig ist, allein, ganz nah',
Im Feuer gegenüberstehn, als hier
Dicht neben einem Tollen –
HERZOG.
Die Gefahr
Nehm' ich auf mich.
GENERALFELDMARSCHALL.
Dann schickt's sich auch ja gar nicht,
Für Eure hochfürstliche Hoheit, Sich
In eigener Person mit einem Narren
Zu unterhalten!

Zur Herzogin.

Nicht wahr, Eure Hoheit?
HERZOGIN.
Es muß doch wohl; wir hätten sonst am Hofe
Zu wenig Unterhaltung.
GENERALFELDMARSCHALL
heftig.
Sagt er aber,
Er sey nicht toll, so lügt er, straf mich Gott!
HERZOG
zu Doctor Stirn.
Was sagt Er wohl dazu, Herr Doctor? Ist
Hans Wurst verrückt nach seiner Meinung?
[202]
DOCTOR STIRN.
Pah!
Ich hab' ihm heute noch den Kopf befühlt:
Kein' Ahnung!
GENERALFELDMARSCHALL.
Glaub' es wohl; er hat 'nen andern
Für's Schauspiel aufgesetzt!
HERZOGIN.
Was hat der arme
Hans Wurst dem Generalfeldmarschall doch
Gethan?
HERZOG.
Nachher – wenn's Stück zu Ende!
Jetzt wollen wir soupiren. – Können wir
Halt machen hier, Herr Oberhofinspector?
COLLHAUSINSPECTOR
indem alle aufstehen.
Wenn Eure Hoheit so befehlen, gleich!
HERZOG
lachend, indem er aufsteht, und mit der Herzogin, gefolgt von allen Uebrigen, hinausgeht.
Die Hölle hat mir Appetit gegeben.

Der große Vorhang fällt.
[203]
Zweite Abtheilung
[Motto]

– »Gieb nur erst Acht, die Bestialität

Wird sich gar herrlich offenbaren.«

Alter Mephistopheles.

[205]
Personen
Zueignung
Zueignung.
Traum.
– Doppelte Terzinen-Terzine. –

(AnFlorens.)


Ich saß in meines Daseyns enger Kammer,

Nachsinnend der Gemüther hohen Tiefen,

Und der Verstand' und der Vernünfte Jammer;


Als plötzlich mir aus ihren Gräbern riefen

Vernehmlich alle stummen Herzensgründe

Der Todten, die vorlängst in Gott entschliefen.


Und vor mir stand im härenen Gewinde

Cecilia, mit ihrer heil'gen Zitter,

Und sang: »Das Vließ des Glaubens such' und finde!«


Geweckt nun blickt' ich durch der Träume Gitter,

Und schaute vor mir offne Todesauen,

Voll grüner Stürm' und blühender Gewitter.


Um sieben Hügel, gräblich anzuschauen,

Wand sich ein leichendampfendes Gestade,

Und drauf ein Lamm in eines Löwen Klauen!


[207]

Leu brüllte Rach', und Lämmchen blökte Gnade –

Da sang Cecilia: »Kannst Du's ergreifen,

Wird Deine seyn der Liebe volle Lade!«


Und unwillkürlich fing ich an zu pfeifen.

Schnell auf den Pfiff kam der gebratne Lorenz;

Und eilends ließ der Leu das Lämmchen streifen –


Den heil'gen Braten schnappt' er; o, mein Florens!

Ich sehe noch das Lamm im Grase streifen,

Und den an dessen Statt verschluckten Lorenz.


Ich aber fuhr noch immer fort zu pfeifen,

Und lockte, stets die Augen auf die Lade,

Das Lämmchen, das sich ruhig ließ ergreifen.


Und's Lämmchen sprach: »Jetzt wird Dir große Gnade,

Daß mich gerettet aus des Löwen Klauen

Dein frommes Pfeifen hier am Dampfgestade!


Nimm meine Lade hin! da wirst Du schauen

Der Erdenwüste Stürm' und Ungewitter

Verwandelt in Gedüft der Himmelsauen!


Blick' in das Inn're durch das äußre Gitter,

Und was Du zeitlich suchtest, ewig finde,

Weil fromm Du horchtest jener heil'gen Zitter!«


Ich guckt' hinein. O Pracht! im Lichtgewinde

Von Engeln, die in Lilienwiegen schliefen

Auf Rosenwellen blauer Aethergründe,


Sah ich eilftausend Jungfraun, die mir riefen:

»Halleluja! verschwunden ist Dein Jammer!

Wir öffnen Dir der Seligkeiten Tiefen!«


Und jede zog mich leis' in ihre Kammer,

Mein Herz in heil'ge Wonne zu vertiefen;

Als bei der letzten – Jammer über Jammer! –


[208]

Ich fand eilftausend Jünglinge, die riefen:

»Wir haben zu Geseufz eilftausend Gründe;

»Auch wir sind Märtyrer: wir alle schliefen,


»Entflohen aus dem weltlichen Gewinde,

»Gelockt von der Cecilia heil'gen Zitter,

»Bei diesen Jungfraun. Glaube! such' und finde!


»Erscholl's auch uns. Wir suchten hinterm Gitter –

»Was fanden wir? Du wirst es bald mit Grauen

»Entdecken!« – Wie vom plötzlichen Gewitter


Getroffen, lag ich, ohn' umherzuschauen,

Gleich einem Schifferleichnam am Gestade,

Gepackt auf einmal von eilftausend Klauen.


Vergebens schrie ich: Gnade! Gnade! Gnade!

Die Klauen fuhren fort, mich anzugreifen

Es stinkte, wie in einer Leichenlade –


Ich pfiff, voll Todesangst; doch auf mein Pfeifen

Kam diesmal weder Leu, noch Lamm, noch Lorenz.

Sie fingen an die Haut mir abzustreifen


Bis auf die Knochen. O, mein theurer Florens!

Ich flucht' in diesem Augenblick dem Streifen,

Dem Suchen, Allem, selbst dem heil'gen Lorenz,


Trotz seiner Unschuld, und zumal dem Pfeifen. –

Mir Knochenmann in meiner Todeslade

War endlich gar kein Fleisch mehr anzugreifen;


Doch mein Gerippe selbst ward ohne Gnade

Zerrissen von den unsichtbaren Klauen,

Bis auf die Seel'. Am nämlichen Gestade,


Wo ich zuerst erwacht', und wo zu schauen

Die sieben Hügel waren voll Gewitter,

Fand ich mich jetzt, ganz auf denselben Auen.


[209]

Doch, statt Cecilia, stand dort am Gitter

(Was ich noch immer unbegreiflich finde)

Ich selber, in der Hand, statt einer Zitter,


'Nen Stiefelknecht, mit spanischem Gewinde

Von Schafgedärm. Ich spielt', und Alle schliefen

Um mich herum, und, was ich nie ergründe,


Auch ich schlief ein – als wieder laut mich riefen

Eilftausend Stimmen, ach! zu neuem Jammer,

Aus diesen wunderbaren weiten Tiefen


Zurück in meines Daseyns enge Kammer. –

4. Akt
1. Auftritt
Erster und einziger Auftritt.
Trompetenstöße beim Eintritt des Herzogs, mit Gefolge, auf den Balcon.

HANS WURST
in einem großen buntschäckigen Mantel, aber ohne Hut, mit freifliegenden Haaren, springt aus einer hohlen Eiche hervor.
O! Wundernacht!
HERZOG
zum Tollhausinspector.
Da haben wir ihn wieder!
HANS WURST
sich gegen den Herzog und die Zuschauer verbeugend.
Ich bin in dieser neuen Tracht
Der aufgeschobne erste Act
Zum Vortheil nämlich für das Ganze,
Geschickt verwandelt in Romanze. –

Gar Vieles kann und muß geschehn
Auf dem Theater, wie auf Erden,
[211] Das ohne Scheu gehört darf werden,
Und doch sich schicklich nicht läßt sehn;
Oft, was am meisten urpoetisch,
Natürlichschön, und grundgenetisch:
(Zum Beispiel, was der Reichssoldat
In Götz von Berlichingen that) –
Die stärkste der herkulschen Thaten –
Die erste beste Niederkunft –
Es billigt solches die Vernunft;
Die Tugend selber darf's errathen;
Die Polizei verbietet's nicht;
Die Kirche selbst hat nichts dagegen;
Ist eigentlich der größte Segen –
Und doch beleidigt's das Gesicht. –
O! wäre die Romanze nicht,
Und dürfte sie nicht Alles sagen –
Wie Vieles ginge dem Gedicht
Verloren, selbst in unsern Tagen!

Er wirft den Mantel ab, und steht plötzlich als die Romanze selbst in Frauenzimmerkleidern da.
Der ganze Balcon klatscht.
Die Romanze.

Jüngst in einem hochgewölbten

Engen Zimmer, gothisch, dunkel,

Zugemacht das kleine Thürchen

Mit dem ausgesägten Herzen –


Auf dem wunderbaren Kreisloch

Mit dem Zapf (der Erde Zeichen

Magisch ruhend ohne Ruhe –

Saß der junge wackre Faustus.


Grimm im Kopfe, Grimm im Bauche,

Welt und Daseyn laut verwünschend

(Denn er ist ein großer Dichter,

Und ein großer Philosophe!)


[212]

Saß er da, wie Polyphemos,

Gegen Gott, Natur, und Schicksal

Trotzig donnernd, plastisch wüthend –

Und genirte sein Genie nicht;


Es werden ab und zu Trompeten- und Hörnerstöße im Hintergrunde gehört.

Fluchte, tobte, schimpfte kecklich,

Blasphemirt' auf's allerbeste –

Dachte Sätze, Scenen, Thaten,

Unerhörte, niegedachte.


Lag ihm nämlich sehr im Sinne,

Zu gemüthen etwas Größres,

Genialisch-gothisch-großes,

Als bisher gemüthet worden.


Jagdhörnerstoß.

Unter sieben Jauer-Purschen,

Eben so viel Unstudenten,

Jeder voll gewalt'ger Thierkraft,

War er schon der Leu seit lange.


Jeder trieb's, mit tief entblößtem

Schweinigen, auf seine Weise,

(Ganz des Teufels nur zu werden)

In Genie, so weit er konnte;


Weit am weitsten doch im Schlemmen,

Saufen, Prügeln, und dergleichen

Trieb's der göttlich grobe Junge;

Lange doch nicht weit genugsam.


Zwar bewundert und beneidet

War er von den andern Allen;

Lange doch, trotz allem Unthun,

Angebetet – von sich selbst nur.


[213]

Endlich am besagten Orte,

Nach viel gar verwegnem Sinnen,

Glückt' es ihm, sich auszudenken

Productiver Sünden Sünde.


Trompetenstoß.

Alsobald erschien der Böse

(Denn er kömmt auf der Gedanken

Wink), durch's Herz der Thüre fahrend,

Fragend ihn: »Was willtu, Meister?«


»Wer bistu, der mich zu stören

Wagt?« begann der kecke Fauste,

Wenig nur vom Sitze hebend

Seinen Körper in die Höhe.


»Mephistopheles, der Schildknapp

Deines sel'gen großen Vaters!«

Gab zur Antwort ihm der Böse,

Mit gar schönem Pferdekratzfuß.


»Lügner!« rief der Fauste zornig,

»In drei Worten dreimal lügend!

Erstlich war nicht Faust mein Vater;

Zweitens war mein Vater groß nicht;


Drittens holt' ihn ja der Teufel,

Mithin ist er wohl nicht selig. –

Willtu täuschen, dichte so, daß

Der Belogne wird betrogen!«


Drauf der Mephistophel pfiffig

(Denn das sind die meisten Teufel;

Alle nicht; es giebt auch dumme!):

»Freilich hab' ich Dir gelogen –


(Muß es thun, der Uebung wegen) –

Aber diesmal log ich Wahrheit:

Nennst nicht Faust Dich? hast den Teufel

Nicht gerufen? kennst nicht Gretchen?«


[214]

»Rothwamms«, rief der Junge, gierig

Mehr zu hören (denn er wußte

Nichts von seiner Herkunft, hoffte

Bloß, er sey vielleicht ein Hurkind.)


»Faust zwar nannten mich die Eltern,

Arme, längst gestorbne Hütt'ner

Draußen in dem wilden Schwarzwald,

Wo ich anfangs auferzogen –


Unter uns gesagt, doch glaubt' ich,

Nur der starken Hände wegen,

Die sich schon im dritten Jahre

Grimmig gegen Beide ballten.


Oft zwar rief ich auch den Teufel,

Mir mit Höllenkraft zu helfen,

Daß ich aller Schüler Meister

Werd' in genial'scher Allmacht.


Eine Greth' auch kenn' ich – oder

Habe sie aus der Geschichte

Mir studirt – die Grethe nämlich,

Die der große Faust verführte.«


Wunderhörnerstoß.

»Weiß das alles!« sprach der Voland,

»Weiß es besser als Du selber –

Hab' auch Deinen Wunsch vernommen!

Und bewundre seine Freche


Aber sage: magstu Alles

Wissen? darfstu Alles hören,

Was von Deiner tiefverborgnen

Herkunft ist der Hölle kundig?«


»Alles!« rief der kecke Jüngling

(Denn vor nichts zurückebebte

Seine Lust, sich auszuzeichnen);

»Alles, Alles will ich wissen!


[215]

Wenn's nur tragisch ist und gräßlich,

Hör' ich selbst das Gute gerne!

Sprich! und ohne Worte viele

Bring uns Beide bald zum Ziele!«


Trompetenstoß.

»Wisse dann,« begann Mephisto:

»Diese Grethe, die so rührend

In dem göttlichen Fragmente

Liebte, fiel, und Mutter wurde –


Diese Greth' ist Deine Mutter!

Unter ihrem Herzen lagstu

Schon, als Deinen sel'gen Vater,

Wie man sagt, der Teufel holt'.


Wie darauf sie, ganz von Sinnen,

In ein Kloster gehen wollte,

Wurde sie von Dir entbunden

Unterwegs im wilden Walde.


Jagdhörnerstoß.

Ganz, wie sie Dich einst empfangen, –

O Du kühner Sproß der Sünde!

O Du theures Pfand der Hölle!

Warf sie Dich, bewußt – und sinnlos;


Ging von dannen, ließ Dich liegen.

Als da kam ein armer Waldhirt,

Hörte wimmern was im Busch', und

Fand Dich in dem seidnen Halstuch;


Trug das Kindelein, voll Mitleid,

Heim zu seinem frommen Weibe,

Die Dich pflegt' und Faust Dich nannte,

Weil im Tuch der Name Faustus.


Wie Du weißt, hastu schon frühe

Beid' ins Grab gebracht durch Deine

Wilde Genialität, die

Sie nicht recht zu schätzen wußten.


[216]

Selig nannt' ich Deinen Vater,

Ob er ewig gleich verdammt ist,

Weil er solchen Sohn erzeuget,

Der ihn noch wird übertreffen.«


Wunderhörnerstoß.

Laut aus vollem Halse mußte

Jetzt der biedre Junge lachen,

Wie er von dem Teufel hörte

Seine tragische Geschichte.


Lachen mußt' er – weil von allen

Genialischen Geburten

Keine dichterischer, kühner,

Gothischer, und wunderbarer.


Lachen mußt' er endlich – weil er

Hätte sonst verzweifeln müssen. –

Als er sattsam ausgejauchzet,

Sprach der offne, brave Junge:


Trompetenstoß.

»Freut mich baß, daß ich des alten

Teufelabgeholten Doctors

Sohn und Erbe bin, und also

Von bewährtem Dichteradel.«


Was noch mehr der brave Jüngling

Keck bemerkte, war so kräftig,

Daß ich's (weil ich doch ein Mädchen,

Trotz der Wildheit) nicht kann sagen.


Sämmtliche Hörner schweigen.

Gnug, nachdem der Bote Satans

Das Gemüth erprobt gefunden,

Wie in Worten, so in Thaten,

So in Thaten, auch in Worten –


[217]

Und nachdem 's Gemüth ihm gottlos

Durch der Flüche Fluch versprochen,

Binnen Jahresfrist die deutsche

Dichtkunst ganz zu ruiniren –


Fuhr zur Höll' er mit dem Auftrag,

Den wir kennen; und als diesen

Satan angenommen, holt' er

Fausten ab, wie wir vernommen.


Dieser, nach der That der Thaten,

Die ihm trefflich wohl gerathen,

Ist nunmehr, mit Haut und Haar,

Rein des Teufels ganz und gar.


Thut mit unsern Jauern schalten,

Wie er will, und foppt die Sieben,

Bei der Nase führend alle,

Wie wir sehen werden balde.


Mephistophel commandirt er

Rechts und links; er muß ihm Alles

Schaffen, immer neue Peitschen,

Alten Wein, und junge Gretchen.


Klingel, Flecht, Bombastus, Höch'ner,

Keit, und Till, und Schrelling – jeder

Wähnend für sich selbst zu kollern,

Kollern nur vor seinem Wagen. –


Doch bis jetzt ist all sein Treiben

Heimlich und versteckt geblieben;

Bald wird ganz sich offenbaren

Seine Macht den blinden Sieben!


In dem Auerbach'schen Keller

Wird er herrlich sie tractiren;

Und sie werden alle dummeln;

Aber er wird dominiren.


Stöße – Knallen – Halloh! Halloh! im Hintergrunde.

[218]

Ich empfehle mich auf's allerbeste,

Meine schönen Herren! als Romanze.

Wie die süße Braut zum Hochzeitfeste,

War ich gar zu nöthig für das Ganze.


Die Romanze macht einen Knix und verschwindet unter den Bäumen.

Der Vorhang fällt.
Zwischenspiel
[219] Zwischenspiel.
HERZOG.
Das war ein langer Monolog.

Zu Werder'n.

Nicht wahr,
Herr Hofrath, Monolog nennt man so was?
HERZOGIN.
Der gute Hofrath schläft.
HOFMARSCHALL
Werder'n zupfend.
Herr Rath! Herr Hofrath!
HERZOGIN.
O, lassen Sie ihn schlafen.
HERZOG
zum Tollhausinspector.
Auf den Keller
Bin ich begierig; da wird's wohl recht drüber
Und drunter gehn, Herr Oberhofinspector?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Der Probe nach zu schließen, ziemlich bunt!
Nur bitt' ich im Voraus um gnäd'ge Nachsicht,
Wenn's hin und wieder etwas sehr naiv –
HERZOG.
Je besser, je naiver; wenn's Naive
Nur nicht zu fein und zu gelehrt. Nicht wahr?
Was sagen Sie dazu Herr Reichsbaron?
OPITZ.
Ich habe nichts dagegen.

Zur Herzogin.

Wie hat wohl
Gefallen Eurer Hoheit die Romanze?
HERZOGIN.
Ich habe wenig Acht gegeben drauf. Ich dachte
[220] Die ganze Zeit an des Feldmarschalls Worte,
Und Widerwillen gegen den Hans Wurst.
GENERALFELDMARSCHALL.
Nicht Animosität, Eur' Hoheit, straf mich Gott!
Ich habe Mitleid sehr mit jedem Tollen.
HERZOGIN
lächelnd.
Ein schönes Mitleid das! »Man jag' die Tollen
Heraus mit dem Inspector!« –
JULCHEN.
»Schlag' sie todt,
Um Unglück zu verhüten!« War's nicht so?
HERZOGIN.
Hans Wurst ist ohnehin nicht toll. Man bilde
Mir nimmer ein, daß ein Wahnsinniger
Romanzen von der Länge lernen könne.
ST.
-PREUX.
Und vollends wenn so schwer und hölzern sie,
So holpricht, steif und trocken, so ganz verslos.
OPITZ.
Wie die Romanzen heut'gen Tages sind.
GENERALFELDMARSCHALL.
Er hat vielleicht sie selber nur gemacht;
Und dann ist's keine Kunst –
ST.
-PREUX.
So schwer,
So steif und trocken, flach und platt sie ist,
So ist zu toll sie nur für einen Tollen.
Das objective Streben drin verhunzt
Das Lyrische, naiv Sentimentale; –
Ein Toller hätte mehr romant'sche Fülle,
Und Colorit zumal, hineingebracht.
JULCHEN
schmeichelnd.
O, wollten Sie wohl nicht die Güte haben,
Zu wiederholen, was Sie eben sagten?
ST.
-PREUX leise.
Sie, Himmlische! verstünden es doch nicht;
Denn ird'sche Wahrheit hab' ich nur gesprochen.
[221]
JULCHEN
leise.
Auch solche hört' ich gern aus Ihrem Mund.
ST-PREUX leise.
Sie hörten sie ja, Engel!
JULCHEN
leise.
Nur den Schall!
ST.
-PREUX immer leise.
O lassen Sie uns garst'gen Männern gern
Das Andre; – wünschte, daß dergleichen Wahrheit
Ich selber nicht verstünde!
JULCHEN
ebenso.
Warum aber
Denn sagen Sie sie doch?
ST.
-PREUX.
Damit man mich
Nicht etwa für ein Frauenzimmer halte.
JULCHEN.
Und warum wollen Sie als Mann erscheinen,
Wenn es so garstig ist?
ST.
-PREUX.
Nicht scheinen bloß –
Es seyn sogar!
JULCHEN.
Es seyn? Und warum das?
ST.
-PREUX.
Um Sie nur anzubeten, Himmlische!
JULCHEN
seufzt.
O Gott!

Es wird ein großer Lärm an der Thür des Balcons gehört.
KAMMERHERR
zum Generalfeldmarschall in's Ohr.
Ein Feldcourrier ist von dem Lager draußen. –
GENERALFELDMARSCHALL
für sich.
Der kommt mir wie gerufen!

Zum Herzog.

Gnäd'ger Herr!
Ich muß mich jetzt entfernen – die Geschäfte –
Sie rufen schleunigst mich in's Hauptquartier.
HERZOG.
Was giebt's? Warum so plötzlich? Weil Hans Wurst –?
[222]
GENERALFELDMARSCHALL.
Es ist ein Feldcourrier da, straf mich Gott!
HERZOG.
Was bringt denn der?
GENERALFELDMARSCHALL.
Ich weiß nicht, Euer Hoheit!
Doch wichtig ist's gewiß! Sonst, straf mich Gott! –
HERZOG.
Laßt ihn herein! Ich will ihn selber hören,
Hofmarschall! Lass' Er den Courrier herein.
HOFMARSCHALL
zum Kammerherrn.
Höchstselber wollen den Courrier vernehmen.
KAMMERHERR
zum Hofmarschall.
Es geht nicht an. Der ungeheure Dickbauch
In zween Stiefeln eingepfählt, an denen
Die ganze Hälfte von der Jauer-Straße
Nach Dummliz hängt! Der Balcon trägt ihn nicht.
HOFMARSCHALL.
Der Herzog will's, und darum muß es gehen.
GENERALFELDMARSCHALL
zum Tollhausinspector leise.
Hans Wurst ist toll, wie ich Ihm sage, oder –
TOLLHAUSINSPECTOR.
Gesetzt nun aber, Excellenz, er wär's nicht?
GENERALFELDMARSCHALL.
Dann muß er's werden! 'S ist ein Staatsgeheimniß!
Hör Er, Inspector, wenn Er nicht verhindert,
Daß ihn der Herzog spricht, sprech' ich mit Ihm!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Doch was vermag ich gegen Seine Hoheit?
GENERALFELDMARSCHALL.
Er kann ja dafür sorgen, daß er wegläuft,
Unsichtbar wird, – verschwindet, – und was weiß ich –
Noch eh' das Stück vorbei. Ich fürchte
Für die Person der Majestät nur, straf mich! –
HERZOG.
Wo Teufel bleibt denn der Courrier? Feldmarschall!
HOFMARSCHALL.
Der Kammerherr befürchtet, daß der Balcon
[223] Die Last nicht tragen könne; zentnerschwer
Sind seine Stiefeln und –
ALLE HOFDAMEN
fahren zusammen.
Um Alles –
HERZOG
lacht.
Lass' ihn
Nur meinethalb die Stiefel vorher ausziehn!

Hofmarschall geht hinaus.
GENERALFELDMARSCHALL
zum Tollhausinspector leise.
Schaff' Er mir den Hans Wurst nur fort, dann, hör' Er!
Darf Er auf reichliche Belohnung
Vom Herzog rechnen! Unter uns – der Herzog –
Der – thut nur so – und muß so thun – versteht Er?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Versteh' kein Wort, Eur Excellenz. – Das Stück
Geräth in's Stocken, wenn ich fort ihn schaffe.
GENERALFELDMARSCHALL.
Was liegt mir an dem Stück?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Mir aber viel!
Die Bühne darf prostituirt nicht werden,
Und ohnehin – gehorch' ich nur dem Herzog!
GENERALFELDMARSCHALL
äußerst verlegen.
Hat doch den Cabinetsbefehl erhalten,
Um einzusperren den Hans Wurst?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Das that ich.
HERZOG.
Blitz, Donner! der Courrier? wo bleibt er?
KAMMERHERR
wieder hereinkommend.
Hoheit!
Da draußen haben die Bedienten Mühe,
Mit Hülfe von der Wache, seine Stiefel
Ihm abzuziehn; – auch hat er keine Strümpfe.
HERZOG.
Was thut denn das? Herein mit ihm, sag' ich.

Kammerherr wieder hinaus.
[224]
EINE HOFDAME
ihr Fläschchen hervorziehend.
Der Kammerherr schon roch nach dem Courrier.

Der Lärm wird immer größer am Eingange.
HERZOGIN
zum Herzog, bittend.
O, könntest Du nicht, Lieber –
HOFMARSCHALL
zurückkommend.
Gnäd'ger Fürst!
Sein Bauch kann durch die Thüre nicht herein.
HERZOG
zum Generalfeldmarschall.
Schockdonnersapperment! ich sag' es nochmals,
Was hat er mir für Ochsen von Courrieren?

Zum Hofmarschall.

Man bringe den Rapport!
GENERALFELDMARSCHALL.
Die Uebereilung –
KAMMERHERR
hereinstürzend.
Empörung, Aufstand ist im Lager, sagt er –
Der General von Wirbelzopf verhaftet –
Ein Anderer zum Chef ernannt, und alle
Die Officiere, die nicht da – cassirt.
HERZOG, GENERALFELDMARSCHALL UND PRINZ VON KOTBUS zugleich.
Blitz! – Teufel! – Mord und Tod! – Was sagt Er!
KAMMERHERR
fortfahrend.
Der Feind rückt unterdessen an vor Dummliz.

Allgemeine Sensation auf dem Balcon.
HERZOGIN.
Da haben wir's!
ALLE HOFDAMEN.
Mein Gott! mein Gott!
JULCHEN
sich an St.
-Preux anschließend.
Ich sterbe!
HERZOG.
Ja, wenn ich jetzt den Kopf verlöre! – Ruhig!
Ich bin noch Herr!
GENERALFELDMARSCHALL.
Ich eile schleunigst –
[225]
HERZOG
nimmt sein Etui.
Nein!
Bis 's Stück aus ist! Wir haben was in's Reine
Zu bringen hier!

Schreibt.
GENERALFELDMARSCHALL.
Doch, gnäd'ger Herr, dort, straf mich!
Ist meine Gegenwart –
HERZOG
immer schreibend.
Erst morgen nöthig!
Ein inneres Geschäft darf ohnehin
Nie wegen eines äußren leiden! Alles
Der Ordnung nach! – Der Prinz von Kotbus eile
Sogleich in's Hauptquartier zurück, und setze
Den Wirbelzopf in meinem Namen wieder
Auf freien Fuß!

Schreibt immer.

Warum auch kam er nicht
Hieher?
PRINZ VON KOTBUS.
Sein Pferd stürzt' unterweges, und
Er kehrte, nah beim Lager, um.
HERZOG
schreibend.
Ist wahr!
In meinem Namen setzen Sie ihn wieder
Auf freien Fuß. Sie werden meine Ordre
Doch respectiren, hoff' ich!

Giebt dem Prinzen das Blatt.

Sie sind jetzt
Ad interim Feldmarschall – Eilen Sie;
Und wenn Sie mit der Vollmacht, die Sie haben,
Die Ungebühr gestillt, und Alles ruhig,
So kommen Sie zurück!

Prinz von Kotbus ab.
HERZOGIN.
Mein Gott! was wird
Das werden?

Alle bewegen sich unruhig.
GENERALFELDMARSCHALL.
Straf –
[226]
HERZOG.
Sey ruhig! Laß mich sorgen –
Es brennt noch nicht!

Der Vorhang wird wieder aufgezogen, und man sieht den Keit unter der Platane.

Sieh da! da haben wir
Den Guten wieder, den, der beißt!

Zum Tollhausinspector.

Nicht wahr?
Er wird im Stück noch beißen, Hofinspector?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich glaube nur sich selber, Eure Hoheit!
[227]
5. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
KEIT
auf der Bank unter der Platane, worin Hans Wurst durch die Blätter hervorguckt, sitzt und schneidet Merinosdärme der Länge nach in Faden, womit er den Stiefelknecht, der auf seinen Knieen liegt, nach und nach besaitet.

Sein ganzes Geberdenspiel ist ein wechselnder Ausdruck von tiefster romantischer Wehmuth und höchster mystischer Demuth. Nach einigen schwer geholten Seufzern fängt er an zu singen.


Warme Darme, jetzt in kalten Falten,
Dünn zu schneiden jeder, einer, feiner –
Von dem seidnen Leder – keiner kleiner,
Weiche, gleiche, laßt euch alte spalten!

Laßt zu Saiten fromm euch hier bereiten,
Ihr, die sehr in Klagen bang gemurret,
Wenn ihr leer im Magen lang geknurret,
Murrt und knurrt noch lange bange Keiten!

Wehmüthig.

Denn mit Leiden schneiden seine reine
Händ' am End' euch Därmeleine kleine –

Demüthig.

[228] Aber daß zum Sang der Strang mag klingen,
Muß sein frommes Herz den Schmerz bezwingen.

Er spannt die Saiten auf und declamirt.

Einst fand
Im Sand,
Erhellet von der Morgenröthe,
Die Schale der zerdorrten Kröte
Der alte Keit in Griechenland:
Kohlbrenner Linos
Bezog sie mit Darmsaiten auch,
Doch mit gemeinen nur. Der arme Gauch!
Es gab noch keine spanische Merinos.
Auch klang's darnach
In Metern – ach!
Ohn' Reim' erbärmlich, daß sich's Gott erbarme!
Nichts von Romanz',
Von Bar noch Stanz',
Von Assonanz
Gar nichts zu hören.
Doch ließen sich
Die Griechen von dem Ding in Chören
Bethören,
Erbärmelich!
O! wie nunmehr ganz anders ich –
Thüringens Linos,
Kohlbrenner Keit!
So weit, wie über Griechenschaf Merinos
Emporragt, wenigstens so weit
Erheb' ich meine Mittelaltrigkeit
In Dichtung über jene Fabelzeit!

Zum Stiefelknecht.

Und Du, kreuzförmig Schild mit hackenrunder Gabel,
Geheimnißvolles Bild der neuen Wunderfabel!
Erschalle feiner als der vor'gen Kröte Schild,
Und halle reiner als der Morgenröthe Bild!

Er fängt an zu klimpern und singt:

Feinohrig sing' ich, rund und schön, von wegen
Des Stiefelknechtes stummer Wunderkraft –
[229] Mein vorig Klingen und Getön dagegen
Wie schief und schlecht und dumm und plunderhaft!

Mit Verwundrung über sich selbst.

Wie mir nun schier so baß in ganzen Stanzen
Allhier mit Zier die As-sonanzen tanzen!
Das macht, es kracht mit panischer Begleitung
Das Holz schon stolz von spanischer Besaitung.

Er klatscht.

Unübertrefflich!
HANS WURST
oben im Baume.
Trefflich!
EINE HOFDAME
auf dem Balcon.
Ganz vortrefflich!

Klatscht.
KEIT.
Das Echo klatscht! Vortrefflich!
HANS WURST
klatschend.
Trefflich!
KEIT
klatschend.
Aefflich! –
Goldherz'ger Flecht! wie hatt' ich Dich mißkannt!
Gabst mir, und noch dazu schier ungebeten,
Den größten Schatz, den je die Kunst erfand,
Die Leyer aller künftigen Poeten!
Denn kenn' ich anders eine Leyer recht,
Bist eine Leyer jetzt, o Stiefelknecht!
Hast Hörner, Boden, Stuhl, und sieben Saiten,
Und alles, was 'ne Leyer haben soll,
Gereimte Reime zu begleiten,
Vom Assonanzenklange voll!

Er steht auf und declamirt mit steigender Begeisterung.

Und einst – wenn ich das große Loos erzielet,
Und Dich gehörig eingespielet,
Noch etwa funfzig Jahr' lang, unverdrossen –
Daß, wie mein eigen heiligtolles Herz,
Voll Scherz und Schmerz und wundersamen Possen,
Du klingst, als wohlbekannter Schellenklang,
Den meinem minneliederlichen Sang
[230] Allmälig angewöhnten Zeitgenossen –
Wenn vielunzähl'ge Stanzen und Romanzen
In zahllosvielen Trippel-Assonanzen
Durch dein gewürmtes faules Holz geflossen –
Wenn dies Dein Kreuz, das noch ist ohne Glanz,
Dann schimmert wie ein großer Wurm Johanns –
Wird man sich um Dich reißen, wie um Gold,
Und hold Dich nennen Leyer-Wunderhold!
Nach tausend Jahren endlich, wenn ich schlafe
Schon längst bei jenem sel'gen span'schen Schafe,
Das Deine Saiten hier fournirt –
Wenn selbst mein Jägerhorn nicht länger existirt –
Wird man die Griechenleyer, die so helle
Bisher gefunkelt an dem Himmelsring,
Herunterschmeißen, als ein klatrig Ding,
Und oben setzen Dich an ihre Stelle –
Vielleicht selbst da, wo Sobiesky's Schild,
Mit dem Du hast viel Aehnlichkeit im Bild.
Als Barbar-Lyra wirst Du dann zum Singen
Des ruinirten Himmels ewig klingen,
Begleitend ein unendlich langes Ach
Von der Natur Chriemhildens-Rach'!
Dann denke meiner, der mit herzlichem Bemühen
Durch mittelalterchristliches Erziehen
Dich nach und nach hinaufgebracht
Vom armen, niedrigdunkeln Stiefelziehen
Zu dieser Glorie voll Glanz und Pracht!

Er geht trampirend und stampfirend ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Lucinde und Kätchen treten auf.

KÄTCHEN.
Denk'! ich bin eingeladen, Lützel!
[231]
LUCINDE.
Wo?
KÄTCHEN.
Zum Faust im Auerbach'schen Keller.
LUCINDE.
So?
Vom blinden Juden Mendel wohl?
KÄTCHEN.
Warum
Von ihm nun eben?
LUCINDE.
Bist Du so dumm,
Das nicht einmal, Du Schneegans, zu verstehen?
Charmirst Du jemals Juden selbst, die sehen?
KÄTCHEN.
Das soll wohl wieder eine Spitze seyn?
Glaubst Du, ich merk' es nicht? – Ich bin zu fein.
LUCINDE
lacht höhnisch.
Ja, fein Du – wie Dein Hemd!
KÄTCHEN.
Mein Hemd ist gut!
LUCINDE.
Ich glaub', es ist von Hanf.
KÄTCHEN.
Dein Uebermuth
Wird bald die Schuh' ausziehn, und baarfuß gehn!
Dein Keit
LUCINDE.
Was der?
KÄTCHEN.
Fängt an, nach mir zu sehn.
LUCINDE.
Was sich das Ding einbildet! Als ob noch
An ihr etwas zu sehen wär! – Du Conterfei
Von dürrem Schafsgerippe! Vogelscheu!
KÄTCHEN
empfindlich.
Sag was Du willst, Vollmond! er liebt mich doch.
Der lacht am besten, der zuletzt – gieb Acht,
[232] Wer von uns Beiden noch am letzten lacht!
Du wirst am Ende noch vor Neid vergehn –
Keit hat mich eingeladen. Mach nur Mienen!
Es hilft Dir nichts. Bei Fausten wirst Du sehn,
Auf welchem Fuß wir mit einander stehn!
LUCINDE
gedankenvoll.
Er ist vernarrt in Trümmern und Ruinen –
Das wußt' ich lange – Sollt' es möglich seyn!

Zu Kätchen.

Geh, Hexenhälfte, laß mich hier allein!

Kätchen geht langsam ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
LUCINDE
allein.
Er hat sie eingeladen – und mich nicht!
Ist's möglich? Läßt es sich von ferne glauben?
Ihr Steckenleib – ihr halbes Angesicht –
Hat mir sein Herz – im Dunkeln, denn bei Licht
Wär's doch wohl ganz undenkbar – können rauben?
Er? Er? mein Keit! der mir im Schooße lag
So fromm, so sanft, so treu, so minnehold –
(Ich glaubt', er läge so zum jüngsten Tag) –
Ich weiß nicht länger, was ich denken soll.

Sie weint.

Wär's wenigstens die Barbara gewesen –
Ich würde von dem Schmerz vielleicht genesen;
Sie hat doch einen Busen, rund und voll,
Und ziemlich Alles, wie man's haben soll;
Doch diese Hopfenstange, dieser Besen –
Was sag' ich, Besen – dieser Besenstiel!
Ach, es empört zur Wuth mein ganzes Wesen –
Das ist zuviel – zuviel! zuviel! zuviel!

Sie lehnt sich an einen Baum.

[233] Ich will mich der Verzweiflung schnell ergeben,
Noch weil ich an dem Rand des Zweifels stehe;
Und, weil's noch Zeit ist, nehmen mir das Leben,
Bevor ich meine Schmach mit diesen Augen sehe!

Sie nimmt eine große Stecknadel aus ihrem Halstuche, und droht, sich damit den Busen zu durchbohren.
HANS WURST
von der Platane herab.
Halt inne, Liebesopfer, unschuldvolles!
Beginne nicht, Holdselige, was Tolles!
Der Schein bei Euch dort unten öfters trügt –
Wer weiß, ob nicht vielleicht das Kätchen lügt?
LUCINDE
läßt die Stecknadel fallen, und holt aus tiefer Brust einen lindernden Seufzer.
Ich hörte laut die Stimme meines Engels.
HANS WURST.
Verwechsle meine nicht mit Deines Bengels!
LUCINDE
eine neue Anwandlung bekommend.
Ist Keit ein Bengel?
HANS WURST.
Bengel oder nicht,
Getröste Dich – da kömmt der Herr von Wicht!

Der Herr von Wicht tritt auf.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Lucinde weinend. Von Wicht auf sie losrennend.

VON WICHT.
Weinende Schönheit, laß Dich umfangen!
Unschuld in Thränen! rührendes Bild!
Laß mich ein wenig am Halse Dir hangen;
Stille mein glühendes heißes Verlangen;
Denn ich bin Jüngling, und fürchterlich wild.

Er umarmt sie heftig.
[234]
LUCINDE
sich sträubend.
Mein Herr, was unternehmen Sie?
Nein! sieh mir doch!
VON WICHT
sie immer küssend.
Ein ungebändigtes Genie –
Das kennt kein Joch.
LUCINDE.
Nein! sieh mir doch! was denken Sie?
Noch immer? noch?
VON WICHT.
Gediegne Lebenspoesie!
Du folgst mir doch?
LUCINDE.
Wohin?
VON WICHT.
Zum Faust –
Da wird geschmaust.
HANS WURST
oben im Baum.
Hin! hin!
LUCINDE.
Mein Herr, ich kenne Sie noch nicht –
VON WICHT
sie im Arme wegtragend.
Wir werden dort Bekanntschaft machen –
Sonst heiß' ich kurz: Baron von Wicht.
LUCINDE.
Ich folg' – ich folg' –

Vor sich.

O weh uns Schwachen!

Beide ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Der blinde Jude Mendel tritt auf mit einer alten Harfe, woran nur drei Saiten sind. Er tappt so lange herum, bis er den Baum in der Mitte findet, und setzt sich auf die Bank.

MENDEL
in die Harfe greifend.
Stille nur darrt, Ihr Freier, und Er, des Stedteverwisters
[235] Sprößele, lerm' Er nicht so mit seinem schnurrenden Brummtopf!
Schweigt, Ihr schniffelnden Schweine, die darrt der kettliche Säuhirt
Hertreibt! Bellet, Ihr Hind', und brillt, Ihr Stiere, so laut nicht!
Denn es rauscht durch die Saiten nunmehr der Davidsharfe
Meiner Bekeisterung Sturm. Lausch' auf Du, Penelopeia!
Doch was hehr' ich, und seh' ich! o wai mir! Tohu! Vabohu! –
Wettre hinein, o Du mit Deinen flammenden Rossen,
Fäbos! –

Die dritte Saite der Harfe springt.
HANS WURST
mit einer feinen Stimme die Penelope nachahmend.
Halt! Du mühst Dich umsonst, mein armer Homeros!
Niemand hört Dich. Die Freier sind fort. Telemachos schläft noch.
Alle die Bänke sind leer. Kein erdaufwühlendes Schwein grunzt.
Fern ist Eumeios; und fern all mein schwerwandelndes Hornvieh.
Auch bellt jetzo kein Hund.
MENDEL.
Thut nichts! ich singe für Dich nur.
HANS WURST
als Penelopeia.
Aber auch ich bin ferne sogar, und höre Dich jetzt nicht;
Denn es befällt mein Auge, das müd', ein drückender Schlummer.

Hans Wurst läßt einige Groschen in den Hut des Juden, der neben ihm auf der Bank liegt, herabfallen.

Da hast Du Geld; jetzt trolle Dich fort!
[236]
MENDEL.
Nur hehre den Himnus
Erst an Fäbos!
HANS WURST.
Er ist mir zu lang.
MENDEL.
Wie kennen's noch wissen?
Haben's ja noch nich gehehrt!
HANS WURST.
Der Anfang war mir zu lang schon,
Ach! und zu laut! Hast gänzlich das Ohr mir Armen zerschmettert!
Daß, wenn auch hören ich wollt', ich doch unmöglich es könnte.
MENDEL.
Aber ich bin doch Homeros, der krehste der kriechischen Tichter –
HANS WURST.
Lassen wir das gut seyn! Nimm Deine Groschen, und troll Dich;
Oder ich schließe Dir gänzlich mein Haus.
MENDEL
fühlt sich die Groschen aus dem Hut heraus.
Na! freilich um diese
War's mir zu thun vorziglich.

Er steckt sie ein, nimmt die Harfe, und tappt davon.

Adjes! – Am Ende was scheert's mich,
Hehren sie mich, oder nicht – ich weiß recht kuth, daß ich taudt bin.

Ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
KLINGEL
tritt auf.
So hab' ich endlich Alles jetzt in gutem Gang
Das Ganze heimlich lenkend; denn mir sind fürwahr
[237] So Flecht und Keit, wie Höch'ner und Bombast, und Till,
Und Droll, und Pinsel, Poz und Pilz, und jener Jud',
Einbein und Schrelling, und der aufgeblas'ne Wicht
Nur Puppen, die an meinem unsichtbaren Draht
Ich hin und her bewege, wie ich will. – Denn sie,
Traun! sind unkundig, was sie thun und lassen hier;
Mein Werk ist Alles; – meine Veranstaltung dies
Geheimnißvolle Treiben, Todtengraben, und
Zerstören jeglicher Gestalt bis auf des Schauspiels selbst.
Nach meinem Zweck erschien die Höll', erscheint hinfort
Die Ezelzeit; und selbst der jetz'ge Schmaus bei Faust
Giebt sich durch mich. Wähnt er auch blind sich selbst, als Wirth,
Amphitryon, ich bin der Zeus Amphi – – – Doch sieh!
Da kömmt der Flecht – ich eil' ihm vor, zum Keller, schnell.

Er springt weg.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Man hört eine Glocke sieben schlagen.

FLECHT
tritt auf.
'S schlägt sieben! Bin ich doch begierig jetzt,
Zu sehn, ob wirklich außer meinem Ich
Ein andres waltet in der Dinge Schein.
Die andern Schatten alle kenn' ich schon
In ihrer Nichtigkeit, den Keit, den Klingel,
Den Höch'ner, den Bombast, und was noch sonst
So thut, als existirt' es. Nur den Faust
Muß ich genauer untersuchen.

Er wird Bombastus gewahr.

Weh!
[238] Da kömmt das Haupt-Nichts! Wär' es was, ich bliebe;
Doch so enteil' ich.

Ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
BOMBASTUS.
Wie ich Alle, dort, wenn erst
Von Wein und Dampf sie recht geschwollen, aufgedunst
Sich Gothen-Götter dünken, und zumal die drei
Dreckseifenblasen: Klinglein, Flecht und Keit, bevor
Sie sich's versehn, mit einem wunder-plötzlichen
Allmächt'gen Puh zerblasen werd' in leere Luft!
Wie freu' ich mich auf das Zerknallen Puff in Puff
Der pol- und achselosen Kugel ihrer Hirn'!
Und auf den Rauch vom großen Todtenkopfe Faust's,
Des übermüth'gen! Ha! ha! ha! ha! ha! –

Ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
TILL
tritt trompetend auf.
Triumph!
Triumph! Die große Stund' ist da,
Halleluja!
Worin sich offenbaren wird mein Alles!
Weit durch die ruinirte Welt erschall' es:
Anbetung, Preis, und Ehr'
[239] In Ewigkeit dem wundergroßen Till,
Dem alles möglich, was er will,
Und mehr –
Mehr, sag' ich! denn was der, und der, und der
Besonders will, vollbring' ich, und nicht Er.
So bin ich's eigentlich, der Alles hier bethöret,
Der alles Leben, und sogar den Tod zerstöret,
Der einzig vorwärts in dem Rückzug geht,
Und groß und hehr im eignen Falle steht.
Als Eulenspiegel hab' ich mich verstellt,
Bald werd' ich mich als Ezel zeigen.
Des jüngsten Tags Trompeten werden schweigen,
Wenn bald mein Horn erschallt, und ringsumher die Welt
Fällt.

Trompetend ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Schrelling und Einbein kommen mit großen Prügeln, statt Gerten, in den Händen. Sie fangen, trotz allen Winken des Hans Wurst an, auf die Büsten Homer's und Virgil's loszudreschen.

SCHRELLING.
Herunter mit den unromantischen Philistern!
EINBEIN.
Herunter mit den alten classischen Magistern!
SCHRELLING
homer's Büste herunterschlagend.
Da! lieg' Du da, Pedant!
EINBEIN
virgil's Büste herunterschlagend.
Da, lieg' im Koth,
Kunst-Pickelhering!
[240]
HANS WURST
herabrufend.
Teufelsschwerenoth!
Was fangt Ihr an?
SCHRELLING UND EINBEIN
verwundert.
Ist's nicht im Plan?
HANS WURST.
Noch nicht! Es ist zu früh! Packt Euch von dannen!
Sonst ruf' ich Meister Faustus, Euch zu bannen.
Hier ist ja nicht der Sammlungsort –
Zum Auerbach'schen Keller packt Euch! Fort!

Sie gehen brummend ab.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
HANS WURST
steigt von der Platane herab, hebt Homer's und Virgil's Büsten auf, und stellt sie wieder auf ihre Gestelle.
Noch eine Stunde daure wenigstens
Hier Eur' Unsterblichkeit!

Sich zum Tempel wendend.

Ihr Musen alle,
Bald ist's um Euch gethan! Im Keller, ach!
Wird jetzt schon über Euch Gericht gehalten;
Und noch vor Abend stürzt, Apoll, Dein Thron!
Ach! retten kann ich Armer nicht; es treibt
Auch, wider Willen, mich, den Einzelnen,
Gewaltig fort der allgemeine Strom;
Und einen Chorus muß ich hier noch bilden
Von der gewöhnlichen Schriftstellerwelt,
Die von der bloßen Lesewelt getragen
Des Genius gestirnten Himmel trägt.

Er schlägt mit einer Peitsche auf den Boden, und ruft hinab.

Herauf, was lesen kann, und niemals schreibt!

Es hebt sich allmälig auf der Mitte des Theaters eine breite gewölbte [241] Masse, gleich einer ungeheuren
Kröte, empor. – Hans Wurst ruft in die Runde:

Hieher, was lesen, und was schreiben kann!

Es stürzen aus allen Coulissen mehrere als Schriftsteller vom zweiten Range gekleidete Personen hervor, und betreten den gewölbten Boden. Hans Wurst rangirt sie, und flicht ihnen Arme und Beine so künstlich in einander, daß sie am Ende alle zusammen einen ungeheuren Elephanten bilden. – Nachdem er sie so zusammen und auf einander gestellt, ruft er in die Höhe:

Herab, was schreiben kann, und niemals liest! –

Es sinkt von oben ein großer Luftballon herunter, der, mit schwerem Geist gefüllt, sich auf den Rücken des Elephanten lagert.
CHOR DES KRÖTENBODENS.
Ich schweige – Du schweigst –
Er schweigt –
Wir schweigen – Ihr schweiget –
Sie schweigen.
CHOR VON DEN ZUSAMMENGEFLOCHTENEN.
Weh mir stammelndem, nur im Leid
Thätigem, lückebüßendem
Literarischem Vapulo!
Weh mir unter den wortgebornen

Unglückseligstem, ohne Kraft
Strebendem, immer murrendem,
Mitseynwollendem Taugenichts!
Weh mir schriftlichem Elephanten!

Zwar dickhäutig und knochenstark
Schuf mich, eh er das Handwerk
Recht gelernt, der Naturbildhauer –
Hätte nur nicht er zugleich den Rüssel

Mir gegeben, den Uebergang
Zu dem feineren Geistesgliede,
Das so hoch in die Luft sie tragen,
Jene Drücker auf mich: die Nase!

[242] Lieber möcht' ich die Kröte seyn:
Zahlendes, platzeinnehmendes,
Ganz stillschweigendes Passivum,
Jene Kröte, die selbst auch mich trägt.

Der Elephant stürzt mit entsetzlichem Gepolter aus einander. – Aus dem Ballon, der durch den Stoß in zwei Hemisphären zerfällt, stürzen rechts und links zwei Chöre auf die Bühne, die sich einander gegenüberstellen. –
RECHTER CHOR
mit geballten Fäusten.
Schaut meinen dicken Nacken, breite Schultern hier!
Fuß steif, geballt die Faust, steh' ich, ein steinern Gott,
Einfach, und rauh, ursplitternackt, und groß,
Das All in mir begrenzend. Plastik heiß' ich. –
LINKER CHOR
mit gefalteten Händen.
Einem zerflatternden Blümelein gleich, auf welkendem Stäng'lein,
Schweb' ich, die Händchen gefaltet, ein sterbendes Eng'lein;
Luftend und duftend in's All mich unendlich verlierend,
Und mit romantischer Binde mein Stirnelein zierend.
RECHTER CHOR.
Griechische Weise polirten mich, ach! Aristarchen Athenes
Feilten mich, selbst im Homer, glatt und geründet und schön,
Legten Sandalen mir an; und der Dichter römische Jungfrau
Hüllte mir mehr als den Fuß, ach! und verpfuschte mich ganz. –
LINKER CHOR.
Mir ging's erbärmlich auch in beiden Spanien;
Erbärmlich gar zuletzt in den Germanien.
Der Tasso zupfte schon mit bösem Fleiß
Mir manche bunte Feder aus dem Steiß.
Cervantes riß mir ab die wundervolle Binde –
Milton und Klopstock selber ließen mir
Von meinen hundert Flügeln kaum noch vier.
[243] Die Lümmel glaubten mit dem Mistbeetdüngen
Mein mittelaltes Blühen zu verjüngen.
RECHTER CHOR.
Feuer vom Himmel geholt blies in die steinerne Nase,
Weh mir! Göthe. Zum Glück kamen die Schüler nachher,
Pauschten die Backen und bliesen, und pusteten, pauschten und spritzten,
Bliesen von hinten und vorn, Heil mir! und bliesen es aus!
Wär' ich doch sonst vielleicht organisch nach oben geflogen,
Statt im krystallenen Schutt unten erstarrend zu ruhn. –
LINKER CHOR.
Wie nah', o Jammer! war ich Aermste dem Verderben!
Es fing schon Schiller an, mich an den Boden hier
Zu fesseln, und der Welt mich einzuwurzeln schier!
Er bracht' ein' Art von Wachsthum in mein Sterben:
Ich grünte schon als Lebensbaum am Born –
Da kam zum Glück ein Knab' mit einem Wunderhorn,
Und sah am Boden irdisch mich genesen,
Statt himmlisch in den Lüften zu verwesen;
Zerhaute mir die Wurzel zart und fein,
Und sprach: »Zerfliege wieder Schmetterlein!
Viel süßer ist romantische Verwesung,
Als plastische, gar classische, Genesung!«
Seit diesem Rettungsruf ersterb' ich immerdar
Im bloßen Aether ganz und gar. –
BEIDE CHÖRE.
O starrer, flüss'ger Segensfluch!
Polarische Gemüthstendenz!
Umarme Dich im lauten Widerspruch
Der schweigenden Indifferenz!

Sie umarmen einander, und versinken auf den sinkenden Elephantentrümmern, mit dem sinkenden Boden.

[244]
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Eine sanfte Musik läßt sich hören.

HANS WURST.
Kyrie Eleison!
DIE VERSUNKENEN.
Kyrie Eleison!

Masse von Stimmen von Außen:
MYSTIKER.
Der Sonnennacht geheimnißvolle Myrie
JUDEN.
Der Urim Pomp –
ADELIGE.
Der Ewigkeit Memorie
PRINZEN VOM GEBLÜT.
Der Thronen Blüth' –
ALLERLEI VOLK.
Ist Alles nur Kikorie
Statt Caffee gegen Deinen Glanz –
ALLE.
O Kyrie!
ROMANTIKER
Es loben die von Hessen
CLASSIKER.
Die von Hyrie
ROMANTIKER.
Altdeutsch' –
CLASSIKER.
Und Althellenen –
BEIDE.
Deine Glorie!
CLASSIKER.
Sie preiset jede Fabel –
ROMANTIKER.
Und Historie.
[245]
GRIECHEN.
Ihr dienet Parze –
INDIER.
Dewa –
GOTHEN.
Und Valkyrie.
CHOR DER MYSTIKER.
O! strahle dunkler noch durch die Materie!
Karfunkle vom Altar des Sinnes Furie
Mit Deines heil'gen Urgemüths Samarie!
SCHLUSZCHOR DER ROMANTIKER.
Vor allen hüll' in seines Wurfs Mysterie
Der Auserwählten klingende Centurie,
Daß nicht umsonst sie singe Martyr-Arie!
Kyrie Eleison!
Der Vorhang fällt.
Zwischenspiel [2]
[246] Zwischenspiel.
HERZOGIN.
Es ist ein eignes, sonderbares Stück.
Je weiter's vorrückt, um so weniger
Begreif' ich's.
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Ja, je länger, desto toller.
HERZOG.
Ich selber werde nicht recht klug daraus;
Denn es kömmt immer anders, als man denkt.
OPITZ.
Es hat darin gar viele Aehnlichkeit
Mit dieser Zeit, worin wir leben.
HOFMARSCHALL.
Jedoch erlaub' ich mir ganz unterthänigst,
Gar Manches zu bemerken.
HERZOGIN.
Lassen Sie
Uns ihre Meinung hören, Hofmarschall!
HOFMARSCHALL.
Vorerst denn find' ich, daß es gar zu eigen,
Zu sonderbar, und unbegreiflich sey.
HERZOGIN.
Wahrhaftig!
HOFMARSCHALL.
Und zweitens find' ich, daß man gar nicht klug
[247] Daraus kann werden, weil stets etwas Andres
Herauskömmt, als man denkt.
HERZOG.
So sagt' ich auch.
Er hat ganz Recht, Hofmarschall!
HERZOGIN.
Nun! und drittens?
HOFMARSCHALL
verlegen.
Und drittens? Drittens – ist es – ich weiß nicht,
Es recht zu sagen – so – man könnt' es nennen –
Mir wenigstens kömmt es so vor – ein wenig –
Ich such' ein Wort dafür –
HERZOGIN.
Vielleicht – bizarr?
HOFMARSCHALL.
Bizarr – drückt meine Meinung, Ihro Hoheit!
Vollkommen aus – nur viel vollkommener,
Als ich es jemals hätte sagen können.
Was kann, zum Beispiel, wohl bizarrer seyn,
Als dieser Elephant aus in einander
Geflochtenen Choristen.
PR.
VON ELLENBOGEN.
Einen solchen
Sah ich wohl ehedem auf einer Tabatiere,
In dem Palaisroyal.
HOFMARSCHALL.
Auf einer Tabatiere,
Da lass' ich's gelten; aber – im Theater!
OPITZ.
Ja, das ist freilich etwas ganz Verschiednes.
HOFMARSCHALL.
Nicht wahr, mein Herr Baron! so ganz verschieden,
Und in der Größe nun zumal. Dergleichen
So kolossale Monstruositäten,
Die revoltiren nicht en miniature.
HOFRATH WERDER
der bei dem Gepolter des Elephanten erwacht ist.
Was ich noch immer gegen dieses Stück
[248] Am meisten einzuwenden, ist die Länge.
Ich fürchte fast, es höre niemals auf.
MAD.
DAUPHIN.
Mir scheint es immer erst noch anzufangen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich glaub' an dem Hans Wurst bemerkt zu haben,
Daß ein Versehen ist begangen worden;
Denn in der Probe war mehr Ordnung drin.
DOCTOR STIRN.
Es ist ein Act noch übrig.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Zwei! die besten
HERZOG.
Gesteh' Er's nur, Herr Oberhofinspector,
Er hat die Finger mit darin gehabt?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nicht im Geringsten, Eure Hoheit. Nur
Die Decorationen sind von mir.
HERZOG.
Die sind Ihm auch gelungen. Wollte gerne,
Der Vorhang fiele nie. Mit solcher Freude
Betracht' ich den Hans Wurst im Ahornbaum;
Und jenen Pavillon dahinten werd' ich
Im Stern von meinem Garten bauen lassen.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich werde unterthänigst Eure Hoheit
Mit einer Zeichnung gleich bedienen können.
HERZOG.
Auch die neun Dinger dort – die Musen mein' ich,
Die auf den Säulen – machen sich nicht übel.
Der Park gefällt mir überhaupt gar sehr,
Viel Perspectiv' ist drin.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Bin ganz beschämt!
HERZOG.
Nein, schäme Er sich nicht! 's ist keine Schande,
[249] Die schönen Wissenschaften und die Kunst
Zu cultiviren, treibt man's nur zu weit nicht.

Leise dem Tollhausinspector in's Ohr.

Ich hab's Ihm ja gesagt, ich mache selber
Mitunter einen Vers.

Laut.

Die Hölle aber
Ist Ihm sehr wohlfeil doch zu stehn gekommen,
Was Decorationen anbelangt, – ha! ha!

Er lacht.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Hans Wurst, der wollte sie durchaus nicht anders.
Doch Eure Hoheit werden später noch
Zu sehn bekommen – –

Man hört einen starken Lärm auf der Bühne.
HERZOG.
Still!

Der Vorhang geht auf.

Da ist der Keller!
[250]
6. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Lichter brennen. Umher an den Wänden Weinfässer. Rings in Gruppen um kleine Tische zechen diePhilosophen und Dichter. Baron von Wicht hat die Lucinde, Till dieBarbara, und Keit das Kätchen auf dem Schooß. Einige taumeln schon hin und her. Die Fenster sind bereits zum Theil ausgeschlagen.

FLECHT
singt.
»Nun mach' ein Jeder so oft als ich
Den Wein im Glase kapott;
Am Ende findet er sich, wie mich,
Den wahren einzigen Gott!
Dann ist verschlungen der Wein –
Und gleichsam ein Ich, der das Nicht-Ich verschlang, sitzt man trunken da,
Halleluja!
Das wahre Nicht-Ich ist Wein!«
EINIGE IM CHOR.
»Ja, gleichsam ein Ich, der das Richt-Ich verschlang sitzt man trunken da,
Halleluja!«
[251]
ANDERE.
Pfui! ein behostes Lied! Weg, weg damit!
FAUST.
Kann's Keiner besser? Keine Spuren
Seh' ich von Euren Urnaturen!
Armsel'ge Kerls! Ihr zecht ja nur
Wie die bisherige Cultur!

Entreißt dem Herrn von Wicht die Lucinde.

Komm her, mein Kind!
LUCINDE.
Und wenn's die Grethe säh'?
FAUST.
Was Grethe? Laß die Grethe!
MEPHISTOPHELES
durch ein ausgeschlagenes Kellerfenster.
Bravo, Faust!
KLINGEL
zu Faust.
Du bist der Wirth! bring was herbei
Von genial'scher Schwelgerei!
FAUST
wirft ihm ein volles Glas Wein in's Gesicht.
Da hast Du was! –
Kein Wein mehr! Schnapps nur eingeschenkt!
ANDERE.
Brenz!
ANDERE.
Opium!
WIEDER ANDERE.
Gloria!

Alle springen auf, schenken sich ein, und taumeln mit gefüllten Gläsern unter einander. Sie sagen unsägliche Dinge, und thun allerhand unthunliche Thaten.
KEIT
betudelt.
Der Geist kommt über uns! Es glühn die Zungen!
POZ
illuminirt.
O Fluth!
FLECHT
begeistert.
O Sündfluth der Begeisterungen!
[252]
HÖCHENER
gedeckt.
Ein hoher Wind aus allen Tiefen weht –
SCHRELLING
halbsieben.
Ich wundre mich, daß stets die Welt noch steht –
EINBEIN
fettig.
Der ganze Keller rund mit mir sich dreht –
KLINGEL
selig.
Mir gar der sechste Sinn beinah vergeht.
FAUST
die Lucinde loslassend.
Das ist der Anfang nur von unserm Zechen.
VON WICHT
geliefert.
Verzeiht! ich muß mich dennoch schon erbrechen.
BOMBASTUS
unter'm Tische.
Du bist ein jämmerliches Halbgenie!
FAUST
zu Till, dem er die Barbara wegschnappt.
Trompete Deine neue Melodie!

Zu den Uebrigen.

Die Gurgeln sind gestimmt – ich gurgle vor –
Ihr Andern grunzet und hoyahnt im Chor!
Er singt mit der Barbara auf dem Schooße:

»Ein freches Leben führen wir,
Ganz schweinisch genialisch:
Der Zahmste flucht für Zweie hier,
Und schwelgt für Drei, und säuft für Vier,
Unmäßig kannibalisch.«
CHOR.
»Unmäßig kannibalisch!«
FAUST
immer von der Trompete begleitet.
»Und haben wir mit Erdensaft
Die Herzen ausgebadet,
So schwören wir, voll Teufelskraft,
Selbst mit dem Schwarzen Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet!«
CHOR.
»Der in der Hölle bratet!«
[253]
FAUST.
»Dann geht's im vollen Saus und Braus
Erst recht barbarisch munter –
Die Stirne heiß, den Schädel kraus,
Die Faust geballt, die Fuchtel h'raus,
Frisch in die Höll' hinunter!«
CHOR.
»Frisch in die Höll' hinunter!«

Mephistopheles öffnet die Thür, und guckt in die Versammlung hinein.
FAUST
der ihn gewahr wird.
Nur herein!
Du kömmst uns wie gerufen!
EINIGE.
Was? Ein Pferd'fuß?
ANDERE.
Wer ist der Hörnerträger dort?
FAUST.
Was Teufel!
Kennt Ihr ihn nicht?
KEIT
zu Till, der noch immer trompetet.
Kennst Du ihn nicht?
TILL
mit gelähmter Zunge.
Zum Henker!
Wie sollt' ich alle Grafen kennen, denen
Ich Hörner aufgesetzt.
FLECHT.
Du Prahlhans!
KLINGEL.
Faust!
Wer ist der Lümmel dort?
FAUST.
Der Meistersänger!

Zum Teufel.

Setz' Dich in unsre Mitte! mach' den Herren
Durch Deine Stimme Dich bekannt!
POZ.
Er wird uns schwerlich übertrumpfen, Faust!
[254]
FAUST.
Wer weiß?

Zum Teufel.

Du hast gehört die letzte Strophe –
Setz' eine noch hinzu!
TILL.
Wir wollen sie
Vorher noch wiederholen; denn ich weiß,
Hab' ich sie nicht gemacht, ich könnt' sie machen.
ALLE.
»Dann geht's im vollen Saus und Braus
Erst recht barbarisch munter –
Die Stirne heiß, den Schädel kraus,
Die Faust geballt, die Fuchtel h'raus –
Frisch in die Höll' hinunter.«
CHOR.
»Frisch in die Höll' hinunter!«
TILL
während der Wiederholung des Chors.
Mich übertrumpfen wird ihm halten schwer –
Gebt ihm doch einen kleinen Schluck vorher!
MEPHISTOPHELES
nimmt ein volles Faß an der Wand, hebt es auf, setzt es an den Mund, und leert's in einem Zug.
TILL
während die Anderen große Augen machen.
Bei'm Dichterborn, deß Quell ich einmal austrank,
Das war ein Schluck!
FAUST.
Halt's Maul Du!
EINIGE.
Gut gesoffen!
CHOR.
»Frisch in die Höll' hinunter!«
MEPHISTOPHELES
mit so entsetzlichem Gebrüll, daß alle noch übrigen Fensterscheiben springen, und keine Flasche mehr ganz bleibt.
»Dann kollern wir, trotz Sünd' und Mord,
Von da zur Himmelsschwelle,
Und packen wild die Engel dort,
[255] Und schleppen lustig sie mit fort
Zum Walzer in der Hölle.«
CHOR
mit wüthendem Enthusiasmus.
»Zum Walzer in der Hölle!«
FAUST
läßt die Barbara fahren – sie und die übrigen Mädchen laufen davon – und ergreift seine Knallpeitsche.
Genug geengelt! Jetzt gebengelt!

Er knallt allen Besoffenen um die Ohren.

Folge,
Wer ächt begeistert, mir!
ALLE
außer Keit, der in tiefen Gedanken verloren dasteht.
Wir folgen Alle!

Faust und Mephistopheles gehen hinaus; alle die Anderen raffen ihre rings im Keller zerstreuten Knotenstöcke und übrigen Waffen zusammen, und stürzen ihm nach. Keit bleibt auf der verlassenen Bühne zurück.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Der blinde Jude Mendel sitzt neben seiner Harfe in einer Ecke eingeschlafen. Zerschlagene Flaschen und Gläser, zerbrochene Stühle und umgestürzte Tische liegen am Boden.

KEIT.
Welch feierlich Verstummen! Welch ein Kirchhof
Voll Geisterhüllen um mich her!

Die Weinfässer anblickend.

Ihr Särge
Schon auferstand'ner Trauben, seyd mir Zeugen,
Daß ich alleine, treu dem Tode lebend,
Umringt von blut'gen Leichen, unter Gräbern,
Hier in des stillen Auerhofs Ruinen
Verwese! – Halber Mond! wie minnehold
Dein blasses Wunderhorn auf meine Leyer
[256] Durch jenes ausgeschlag'ne Fenster blickt! –
Mir wird unendlich ruinirt zu Muthe –
O! Kätchen! grausam holdes, von der Minne
Zerstörtes Himmelskind! mondgleiche, halbe,
Verblühte Maid! o hast Du mich verlassen?
Bin ich Dir noch zu ganz?

Er bleibt schwebend vor einem Spiegel stehen.

Wie minneblaß,
Wie wadenlos! ein halb Gerippe schon
In meinem jugendlichen Mittelalter!
O! wär' ich ganz ein Trumm! Was hindert mich?
Ich will es seyn! Laß jene draußen toben,
Gleich Enten, wenn es wetterleuchtet, laut
Die Oberwelt zerstörend – ich indessen
Zertrümmre stille hier die Unterwelt!
Sey Hippe mir, verwesungschwangre Leyer!

Er nimmt den Stiefelknecht, taumelt herum und zerschlägt damit alle auf den Tischen übrig gebliebenen Flaschen und Gläser. – Drauf zerbricht er im heiligen Eifer alle Tische und Stühle, und kömmt endlich vor den Spiegel wieder, dem er mit der Leyer einen tüchtigen Hieb versetzt, so daß er in drei Stücke zerspringt.

So! – Doch indem ich, Alles um mich her
Romantische Ruin', mich selbst genau
In dem zerschlagnen Spiegel ernst betrachte,
Find' ich mich zu modern, zu rund, zu ganz,
Die Nase zu correct, zu regelmäßig
Die Zähn' im Mund, und meine Zwiegliedmaßen
Am Leibe zu symmetrisch. Pfui! zum Teufel!
Ich seh' am Ende classisch aus! O Kätchen!
Mich wundert nicht, daß Du dem blinden Juden
Mich treulos opferst! Doch ich werde balde
Dein und der andern Trümmer würdig seyn.

Er schlägt sich mit dem Stiefelknecht einige Zähne ein.

So! – Jetzt hat schon der fromme blut'ge Goldmund
Mehr Aehnlichkeit mit Goslar als mit Mannheim!
Mit Cöln als mit Vicenza! Weiter nur!

Er schlägt sich keck das rechte Auge ein.

[257] Das machte mich die Sterne sehen! Thut nichts!
Jetzt noch ein guter Nasenstüber!

Er versetzt sich einen gewaltigen Hieb quer über die Nase, wodurch diese eine ganz andere Figur bekömmt.

Trefflich!
Gerade wie ich's wünschte, wie der Schnauz
Des Meister Jacobs! Göttlich gothisch! – –
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Keit vor dem Spiegel, im Begriff, sich selbst ganz zu zerstören. Pinsel springt herein mit einem Säbel in der Hand.

PINSEL.
Keit! Keit! wo bleibst Du? Während wir da draußen rasch
Die ganze Welt vernichten. Herrlich, herrlich geht's! –
Doch wie? was Teufel machst Du hier noch? siehst ja aus
Wie 'n alter Galgen, wovon eine Hälfte schon
Herabgefallen ist!
KEIT.
Das gebe Gott! – Noch nicht!
Doch balde hoff' ich –
PINSEL.
Aber sag', was machst Du hier?
KEIT.
Ich ruinire mich ein wenig selbst allein.
PINSEL.
Wie so? – Bist nicht schon längst hinlänglich ruinirt?
KEIT
Ich meine die Gestalt nur noch. O, leihe mir
Für einen Augenblick Dein scharfes Schwert!
[258]
PINSEL.
Wozu?
KEIT.
Nur um den rechten Arm mir abzuhauen schnell.
PINSEL.
Bist Du rein rasend toll?
KEIT
beide Arme in die Seiten stemmend.
Bist Du ein Holbein? sprich!
PINSEL.
Das bin ich, wenn es Einer war! ich könnte wohl
Des Holbein's Vaters Vaters Vater seyn, zumal
In Zeichnung!
KEIT.
Und begreifest nicht, wie besser baß
Mir stehen würd', einarmig unter Trümmern, schief
Einherzustolpern, wie ein Kreuzwegzeigerstrunk,
Als doppelarmig, gleich dem ersten besten Stadt-
Philister-Urnentopf umherzustehn, geformt?
PINSEL.
O! das begreif' ich gut! Allein – die Leyer Freund!
KEIT.
Die Leyer spiel' ich immer links nur, wie zuvor!
PINSEL.
Wenn nur ein Arm und eine Hand Dir übrig? Wie?
KEIT.
Die Hand mir lassend, Theurer! hau nur ab den Arm!
PINSEL.
Es wird mir nie gelingen, fürcht' ich, solcher Hieb!
KEIT.
Nie siegt, wer nie gewaget! Fürchte nicht! versuch's!
PINSEL.
Du willst's! Dir sey gewillfahrt, edler Knecht! ich hau' –
KEIT.
O, zögre nicht! ich steh' auf Gluth voll Ungeduld!
PINSEL.
Dich meiner Seele Hälfte, Dich noch theilen! weh!
KEIT.
Den Geist multiplicirt, was dividirt den Leib!
[259]
PINSEL.
Dir ziemt die Eil', doch mir die Weil' bei solcher That!
KEIT.
Der Hülfe Heil verdoppelt, traun! der Wohlthat Eil'!
PINSEL.
Den Freund halbiren steht ein wenig an der Freund!
KEIT.
Die Seele flickt was irdisch nur den Leib zerreißt.
PINSEL.
Wohlan! Der Himmel weiß, ich thu's nur Dir zu Lieb'!
KEIT.
Den Liebesdienst wird danken Dir mein ganz Geschlecht!
PINSEL.
Wohlan! – es muß denn seyn! grausames Lamm!
Doch – noch bevor ich haue – fällt mir ein –
Die Hand wird nimmermehr zu retten seyn –
Die Rechte nämlich!
KEIT.
Mir ist eben recht
Die Linke – wenn ich die behalte schlecht,
Zum Leyern auf dem Gottesstiefelknechte,
Vergeh' die Recht' und alles andre Rechte
Mir de- und wehmuthsvollem Troubadour
In Gottes Namen bis zur letzten Spur!
PINSEL.
Doch – noch zum letzten Mal, bevor der Säbel
Zum Pfriemen umgestaltet Deine Gabel,
Erbärmlich wunderholde Creatur!
Erlaube der Bedenklichkeit Verstärkung
Bei diesem Hieb die nüchterne Bemerkung:
Wenn abgehaun wird seyn die rechte Hand,
Wirst länger nicht die Leyer können halten;
Und also nicht zu spielen seyn im Stand!
Laß also's lieber bleiben bei dem Alten!
Auch widert mir, die Wahrheit zu gestehn,
Dein Blut in Strömen fließen sehn!
Thu's lieber selbst! da geb' ich Dir mein Schwert!
Dein Spiel, mein theurer Keit, ist mir zu werth!
[260]
KEIT
will zuhauen.
Die Freundschaft macht Dich Pinsel ganz zum Tropf.
Sieh wenigstens doch zu!
PINSEL.
Hau lieber ab den Kopf,
Den brauchst Du wenigstens zum Leyern nicht.
KEIT.
Dein Beifall, o holbeinigster der Pinsel,
Mein Freitag auf der wüsten Todesinsel,
Ist mir von gar zu großem Urgewicht.
Ich überlasse Dir, zu wählen,
Was mir am Leibe jetzt soll fehlen.
Nur möcht' ich eben jetzt, da mir geglückt,
Ihn ganz und gar zu ruiniren,
Den Kopf gerade nicht verlieren.
Er ist mir lieb geworden.
PINSEL.
Hau Dir sonst
Was Andres ab; nur nicht den Leyerträger!
KEIT.
Was meinst Du? Du hast gothischen Geschmack!
Betrachte mich! Urtheile, was mir noch
Zum Zerrbild fehlt – Was hab' ich noch zu viel
Von regelmäßiger Gestalt? – Entscheide keck!
PINSEL
betrachtet ihn mit einem Augenglase sehr aufmerksam.
Bei Holbein's Todtentanz! ich finde Dich
Zum Malen wie Du bist! Erlaube mir,
Mit einem einz'gen leichten Säbelhieb
Dir nur ein Ohr glatt wegzunehmen!
KEIT
die Haare mit der linken Hand wegschiebend.
Zu!
Hau zu!
PINSEL.
Doch unter der Bedingung nur,
Daß, so zerstört, Du gleich zur Weltzerstörung
Mir folgst, wo sehnlich alle Deiner harren!
[261]
KEIT
entschlossen.
Mit Freuden! Hau nur zu!
PINSEL
haut ihm mit einem schnellen Hieb das linke Ohr glatt ab.
Da liegt es schon!
KEIT
schwankt hin, und hebt es vom Boden auf.
Ich bring' es Käthen!
PINSEL.
Heil'ger Malchus! jetzt
Sieht nichts in der gesammten Trümmerwelt
Romant'scher aus als Du! Du wirst noch Papst
Der neuen Heil'gen werden! Nimm die Leyer,
Und folge mir zu der Zerstörung Feier!

Keit nimmt die Leyer. Beide ab.

Die Scene wird geändert.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Der Park.
Die ganze Schar der Zecher strömt aus dem Hintergrunde hervor, lärmend und tobend. Einige sind mit Knotenstöcken, Andre mit Holzäxten, Andre mit Hämmern, und Mehrere mit bloßen Händen bewaffnet.

FAUST
an der Spitze, mit der Peitsche knallend.
Den Platanus herunter!
ALLE
indem sie ihn umhauen.
Bei'm Hörnerschalle,
Bei'm Peitschenknalle,
Philister, falle!

Der Platanus fällt.
[262]
FAUST.
Jeder fälle
Jetzt eine Pappel! 'S sind moderne Bäume!

Die Gruppe zerstreut sich, die Pappeln umzuhauen. Faust und Mephistopheles spazieren unterdessen auf und ab. – Eine Pappel fällt nach der anderen.
DIE UMHAUENDEN.
Bei'm Peitschenknalle,
Bei'm Hörnerschalle,
Philister, falle!
FAUST.
Die Büsten jetzt herunter!
ALLE
indem sie die Büsten herunterschlagen und zertrümmern.
Bei'm Hörnerschalle,
Bei'm Peitschenknalle,
Philister, falle!
FAUST
fürchterlich knallend.
Jetzt den Tempel
Gestürmt! Mir nach! Du, Mephistophel, mache
Hier Feuer unterdessen!

Alle folgen Faust, der den Apollon in der Mitte des Tempels herabwirft. Die Uebrigen fallen die Musen an, und hämmern auf die Säulen los. –Mephistopheles zündet zu gleicher Zeit ein großes Feuer an der Stelle des gefällten Platanus an. – Die Todtengräber kommen von verschiedenen Seiten her mit Schubkarren voll Bücher.
ALLE
bei'm Niederreißen.
Falle, Musentempel! diene
Der Romantik als Ruine!

Die zwölf Knaben mit Posthörnern umringen die Tempelstürmer, und blasen. Till stellt sich in ihre Mitte, und trompetet. – Die Kuppel des Apollotempels stürzt ein.
TILL.
Jericho
Fiel auch so!
FAUST
kömmt, von Einigen gefolgt, vorwärts, und läßt die Todtengräber abladen.
Mephistophel!
[263]
MEPHISTOPHELES
mitten aus dem Feuer springend.
Hier!
FAUST.
Bist in Deinem Element! Lauf hin,
Und hole mir die Barbara! Sey schnell!

Mephistopheles verschwindet.

Indessen halt' ich hier Gericht. –
KLINGEL.
Jetzt merk' ich,
Was Du mit unsern Classikern gewollt. –
FAUST.
In's Feuer mit dem ganzen Plunder! Schürt!

Er nimmt ein Buch nach dem andern, und wirft's in's Feuer. Die Anderen folgen alle jauchzend seinem
Beispiele. – Die Todtengräber schüren. –
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Keit, von Pinsel geführt, tritt auf, ohne von den Andern gesehen zu werden.

PINSEL.
Was hab' ich Dir gesagt?
KEIT
den zerstörten Park anstaunend.
O Dante's Hölle!
Vielsüßer Anblick meinem wunden Auge!
Waldhörnerschall vernimmt mein blutend Ohr!
Träum' oder wach' ich? Sind's nicht Todtengräber,
Die schüren dort?
PINSEL.
Steig' auf dies Piedestal,
So wirst Du mehr noch sehen!

Er hilft ihm hinauf.
[264]
KEIT.
O! wilder Forst!
O Kohlenbrennergegend! O Ruin,
Mir selber gleich! Jetzt werd' ich erst voll Wunden
In dieser wundervollen Welt gesunden!
Arorua! Aurora! Rora! Ora! –
PINSEL.
Ich muß Dich zeichnen so! Beim Brockentanz!
Ein Ideal von gothischem Popanz!

Er zeichnet ihn. – Unterdessen drängen sich Einige hinzu, und bewundern mit Erstaunen den einäugigen, einohrigen, nasezerquetschten Heiligen.
MEHRERE STIMMEN.
Sanct Donquixott! Sanct Lazarus! Sanct Malchus!
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Barbara mit einem Zicklein auf dem Arm, vonMephistopheles geführt, tritt auf. – Faust nimmt sie feierlich bei der Hand, und führt sie durch die Mitte der Andern, quer über das Feuer, zum ruinirten Tempel im Hintergrunde. – Klingel führt den heruntersteigenden Keit nach. – Alle Uebrigen folgen Paar und Paar, und verschwinden hinter den Flammen im Rauch. –Mephistopheles bleibt allein zurück im Vorgrund und ordnet die gefällten Bäume als Sitze zu beiden Seiten. – Während er damit beschäftigt ist, kömmt auf Krücken die Mutter Satans. – Es wird der Einbildungskraft der Zuschauer ganz überlassen, sich die Scheußlichkeit der uralten Hexe vorzustellen; denn der gewaltige Rauch vom Bücherbrande verhindert ihre deutliche Sichtbarkeit.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Die Teufelsmutter undMephistopheles.

DIE TEUFELSMUTTER.
Wo ist Dein Herr, mein Goldfisch Faust, Mephisto?
[265]
MEPHISTOPHELES
erstaunt, macht einen Kratzfuß.
Um aller Sünde! Madam Mutter, Sie
Zu Fuß? allein? in diesem kalten Wetter?
DIE TEUFELSMUTTER.
Wo ist Dein Herr, mein goldner Vogel, Faust?
MEPHISTOPHELES.
Wenn Seine Majestät, der Sohn, 's erführe!
Wie sind Eu'r Gnaden losgefesselt worden
Vom Krötenpfuhl des alten Höllenlehnstuhls?
TEUFELSMUTTER
trippelnd mit allen Füßen.
Wo ist Dein Herr, mein süßes Hündchen, Faust?
Antworte! mir begegnet sonst ein Uebles.
MEPHISTOPHELES.
Der Faust hat jetzt gar dringende Geschäfte.
TEUFELSMUTTER.
Bei wem? Bei wem? – Bei Grethe nicht – ich komme
Von ihr – grad' aus dem Beinhaus. Führe mich
Zu ihm, damit ich ihr mit diesen Krallen
Die queren Katzenäugelein ausreiße!
MEPHISTOPHELES.
Das geht nicht, Euer Gnaden! Aber seyn Sie
Nur unbesorgt! Mein Herr hat ganz was Andres
Zu thun in diesem Augenblick.

Man hört von dem Hintergrunde laut durch den Rauch herschallen:

»So kollern wir von Ort zu Ort
Bis an des Himmels Schwelle;
Und fassen all' die Engel dort,
Und schleppen lustig sie mit fort,
Zum Walzer in der Hölle.«
TEUFELSMUTTER
horchend.
Was ist's? Wird dort gewalzt? Dann muß ich
Gleich hin!
MEPHSTOPHELES
verlegen.
Nichts weniger, Frau Mutter! Nichts!
'S ist nichts! sind nur besoffene Studenten,
Mein Herr ist unter ihnen nicht – ist weit
Von da – macht ganz was Andres jetzt –
[266]
TEUFELSMUTTER.
Was macht er?
Was macht er denn?
MEPHISTOPHELES.
Er greift mit starker Faust
In's große Rad der Zeit. – Bald wird sich anders
Umdrehn die Welt! Der Teufelsjunge baut
'Ne neue Kirche!
TEUFELSMUTTER
erstaunt.
Kirche?
MEPHISTOPHELES.
Seine nämlich.
TEUFELSMUTTER.
Drin werden Nacht und Tag Wachskerzen brennen
Auf dem Altar für mich? nicht wahr?
MEPHISTOPHELES.
Natürlich!
Obgleich sie eigentlich dem Mittelalter
Geweiht wird.
TEUFELSMUTTER.
Ich bin mittelalt.
MEPHISTOPHELES.
Herr Satan,
Hochdero Sohn und Eh'gemahl, ist doch
So alt schon wie die Welt, wenn ich nicht irre.
TEUFELSMUTTER.
Thut nichts! Bin mittelalt geboren, und
Will sterben mittelalt. Mein Leben ist
Ein wonnefauler Mittelalter-Tod,
Voll junge Geier reizender Verwesung –
Wie der Goldjunge sagte. – Doch was schwatz' ich?
Wann wird die Kirche gar?
MEPHISTOPHELES.
Um Mitternacht;
Dann, gnäd'ge Frau Mama!

Er bietet ihr den Arm.

Darf ich so frei seyn?
[267]
TEUFELSMUTTER
giebt ihm eine Krücke und ihren Arm.
Die Zeit wird lang mir werden, bis dahin.
O! sorge, daß Dein Herr sich nicht verläuft
Bei Bärbchens in der Barbarei! Was ich
Vermag zu Haus', und in der Küch' –
MEPHISTOPHELES
sie abführend.
Ich werd' ihn stets
Wie 'n ächter treuer Höllenhund bewachen.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Man hört im Hintergrunde großen Lärm und besonders die Peitsche Faust's fürchterlich knallen. – Flecht und Klingel kommen durch den Rauch auf die vordere Bühne.

FLECHT
zu Klingel.
Er wird ganz unerträglich; knallt er nicht,
Uns um die Ohren, als wenn er allein
Regiert' in der unendlichen Zerstörung,
Die doch im Anfang ich –
KLINGEL.
Und ich am Ende –
FLECHT.
Gedacht, gesetzt –
KLINGEL.
Gedichtet, und gewirkt –
FLECHT.
In mir, zu mir?
KLINGEL.
Aus mir, für mich?
FLECHT.
Abscheulich!
Ich trenne mich.
[268]
KLINGEL.
Ich auch!
FLECHT.
Du bist die Schuld!
KLINGEL.
Wie so?
FLECHT.
Der Keit, der Narr, der Esel, hat
Durch seine grenzenlose Wehmuth, Demuth,
Und Dummuth 's Spiel verdorben.
KLINGEL.
Schimpfen hilft
Jetzt nichts! Faust gegen Faust ist auch umsonst.
Er ist der stärkste! Nur durch schlaue List
Kann noch was ausgerichtet werden. Söhne
Mit Höch'ner und Bombast Dich aus – ich will
Dem Till und Pinsel freundlich thun. Mein Rath
Ist jetzt, die große Sitzung zu benutzen,
Indem wir all' uns stellen, als wenn einig
Wir wären, jede Feindschaft tief verbergend.
Bis jetzt ist ohnehin ja nichts geschehn,
Was nicht uns selbst erwünscht.
FLECHT.
Bis auf die Macht,
Die Allmacht möcht' ich sagen, jenes Ich's
Der Peitsche.
KLINGEL.
Doch wir haben einen Vortheil:
Sie alle sind berauscht, und wir allein
Sind nüchtern.
FLECHT.
Faust berauscht?
KLINGEL.
Ist er's nicht,
Wird er's bald werden von dem ew'gen Weihrauch
Des Keit, des Poz, des Pinsel und des Wicht –
Und stolpert er einmal –
[269]
FLECHT.
Ich fürcht', er wird
Am Ende Papst.
KLINGEL.
Wenn auch! So wird man Kaiser
Und spricht mit ihm am Ezelhof! Getrost!
Sanct Keit, den Martyr, werd' ich schon für uns
Durch Jakob Pilz umstimmen. Kehren wir
Zurück zur Procession!

Er sieht die von Mephistopheles geordneten Bäume auf dem Boden.

Hier, glaub' ich, sind uns
Die Sitze schon bereitet.
FLECHT
mit ihm gehend.
Nolens volens!

Beide ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
HANS WURST
kömmt zurück mit der Hörnermaske in der einen, und dem Pferdefuß in der andern Hand.
Ist in der Welt ein armer Teufel,
Welcher beständig herumgejagt,
Aerger wird als in der Hölle geplagt:
Bin ich's dermalen sonder Zweifel.
Nicht genug, daß ich Directeur,
Chorvorsteher, und Regisseur,
Echo zugleich bin und Souffleur,
Muß ich noch, außer dem Narrn der Tollen,
Spielen verschiedene andere Rollen,
Als die Romanz' in Mädchentracht,
Neulich allein einen ganzen Act.
Bald mit Sanftmuth und bald mit Grimme
[270] Penelopeia's und Satans Stimme,
Dann Mephistopheles, und jetzo gar
Aller Versammelten Secretar.
Aber ich höre sie schon von Weitem –
Muß in der Eile den Tisch bereiten.

Er drückt eine Springfeder an dem Pferdefuß, der sich wie ein Regenschirm aufschlägt, und bohrt ihn auf der Mitte des Theaters in den Boden ein, bis er fest steht.

Dint' und Feder auch hab' ich hier –

Er stellt die Maske umgekehrt auf den Tisch, und zieht aus dem einen Horn eine Feder heraus, und tunkt ein in das andre.

Mir fehlt anjetzo nur noch Papier –

Er sucht in seinen Taschen umsonst, erblickt aber etwas Weißes am Boden in den Coulissen.

Hier liegen zum Glück die papiernen Ohren,
Die einige der Choristen verloren.

Er hebt sie auf, wickelt sie aus, und legt sie auf den Tisch.

Jetzt komme der Rath sobald er will!

Trompetenstöße.

Er kömmt! ich höre trompeten Till.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Das Feuer auf der Mitte der Bühne ist verschwunden. – Man erblickt im Hintergrunde an der Stelle des ruinirten Apollotempels etwas, das einer Capelle ähnlich sieht. – Aus dieser kommen nach einander heraus: Till an der Spitze, trompetend; Paar und Paar: Flecht undKlingel, Bombastus und Höchener, Keit und Droll, Pinsel und Poz, Schrelling und Einbein, alle dieTodtengräber und Hörnerknaben, hinter Allen Faust mit der Peitsche. Nachdem sie in feierlicher Procession sich der Mitte genähert, theilen sie sich in zwei Reihen und lagern sich auf die gefällten Bäume im Halbkreis um den kleinen Tisch. Die Trompete schweigt. Hans Wurst, nachdem er alle feierlich gegrüßt, nimmt auf Faustens Wink einen halbverbrannten Folianten aus der Asche, stellt ihn vor den Tisch, und setzt sich.

[271]
FAUST.
Der neuen Tafelrunde Sitzung ist nunmehr
Eröffnet. Fangen wir sogleich die Schöpfung an –
Verfassung – Grundgesetz – Constitution! Wohlan,
Die Namen erst! – Wie werden wir uns nennen? wie
Die Nachwelt? Einen Namen müssen wir gesammt
Erst haben.
TILL.
Das ist wahr! daran gebricht's uns noch
Ein wenig; denn nur ich –
FAUST.
Halt's Maul! gerade Du
Hast noch gar keinen. Doch die Red' ist davon nicht –
Ist nicht von Einzelnen –
KLINGEL.
Von Allen! – Warte doch!
Was sind wir Alle, die wir so verschieden hier
An kolossaler Größe?
POZ.
Genialisch sind
Wir Alle sicher.
FAUST.
Zweifl', ob Du es bist –
BOMBASTUS.
Ich auch.
FAUST.
Was sind wir unbezweifelt Jedem Alle?
HANS WURST
halblaut.
Jung!
FAUST.
Hans Wurst hat Recht. Hat Jemand was dagegen? Sprecht!

Alle schweigen.

»Die Jungen« also.
KEIT.
Klingt zu jung! Vergessen wir
Ja nicht, daß jung wir doch das Alte lieben sehr,
Das Mittelalte –
[272]
SCHRELLING.
Hm! wie heißen sie doch gleich
Im heil'gen alten Lied, die jungen Recken, die
Nieb-Nisseljungen, wenn sie, bartlos noch, wie wir
In frischer Frühlingsschöne blühn?
EINBEIN.
»Die Dummen«, wenn
Ich richtig mich besinne.
KEIT.
Recht! Die Dummen! Schön!
Viel waidlich schön! Der Nam' ist grimmig wunderschön!
Barbarisch lieblich, altneu, recht für uns gemacht,
Und wir für ihn! Wir sind noch alle herzlich dumm,
Ich selbst der Allerdummst'; und bin ich's nicht,
So kann ich's werden; denn ich gehe rückwärts
In Raum und Zeit wie Keiner –
FAUST.
Still'! ich glaub', Du kömmst
Aus dem Trimeter, Keit, ein wenig!
KEIT.
Eben drum!
Er ist uralt, und ich bin mittelaltrig dumm.
FAUST.
Die Dummen also – Schreib', Hans Wurst!
HANS WURST.
Die Dummen: Colon.
FAUST.
Nun unsre Titel?
ALLE.
Recken! Ritter! das versteht sich.
FAUST.
Wovon?
EINER.
Vom neuen Alten! von der künftigen
Vergangenheit, –
EIN ANDRER.
Von der vergangnen Zukunft!
[273]
EIN ANDRER.
Die
Idee ist groß! muß aber bildlich, muß
Ganz plastisch dargestellt –
EIN ANDRER.
Versteht sich!
EIN ANDRER.
Ritter vom –
Vergangnen – Zukunft – von dem vordern Hintern!
EINBEIN.
Vom Vordersteiß ist kräftiger; und auch
Anschaulicher!
POZ.
Vollkommen!
FAUST.
Ritter von dem Vorder-
Steiß! Schreib',Hans Wurst!
HANS WURST.
– Steiß. Punktum.
KEIT.
Hindert nicht,
Daß jeder ein besunder Recken sunst auch – ich
Vom Stiefelknecht, zum Beispiel?
ALLE.
Das versteht sich!
FAUST.
Die Tracht nun, und das Ordensband?
SCHRELLING.
Die Kappe, bunt,
Mit Schellen und mit Glöckelchen, mit beiden zwar
Für die, so reimen; und für die, so aber nicht,
Mit Schellen nur allein; das Ordensband darüber
Ein umgekehrter Hosenträger, silberweiß,
Mit einer goldnen Schnalle vorne dran – Das Erst'
Ein bildlich Zeichen der vergangnen Unschuld, und
Das Zweit' ein zeichnend Bild von unsrer künft'gen Schuld.
EINIGE.
Was Schuld? Schuld? –
[274]
KEIT.
Schuld ist Recht, ist Grund,
ist Ursach! –
EINIGE.
So? –
Dann gut!
FLECHT.
Vor allern aus den Hut, den Freiherrnhut –
ALLE.
Als Freiherrn! allerdings –
FLECHT.
Freiherrn von Ich! Ob rund,
Ob eckig?
ALLE.
Eckig! Feder dran, die bis hinan
Gen Himmel aufemporstrotzt!
KEIT.
Und die Schuhe
Mit langen krummen Messingschnäbeln, auch
Metallnen Glocken dran, damit man unsre Füße, trotz
Den Reimen, und den Assonanzen, schon von weitem schreiten hören könne stark!
HANS WURST.
Stark! Punktum. – Jetzt benamt, betitelt All' und
Decorirt herschreitet die hochpreisliche Versammlung
Der Dummen, Ritter von dem Vordersteiß,
Freiherrn von Ich, zur Constitution
Entwerfend die Gesetze – Man verzeihe
Die Jamben mir! Die Uhr ist schon halb zwölf!
KEIT.
Ist schon halb Mitternacht am hellen Mittag!
Laß gehn in Jamben; aber von Gesetzen
Mir rede nicht!
SCHRELLING.
Auch mir nicht!
VON WICHT.
Mir auch gar nicht!
[275]
ALLE.
Nichts von Gesetzen! keine!
KEIT.
Haben sie
Die Schöpfung doch vom Anfang schon im Keim
Verdorben!
ALLE.
Nur zu wahr!
HANS WURST.
Höchstpreisliche!
Verzeiht mir, dumme Ritter!
KEIT.
Recken sage!
Noch lieber Räkel!
HANS WURST.
Dumme Räkel! die
Vernunft –
EINIGE
naserümpfend.
Vernunft?
HANS WURST.
Ich meine nicht die dünne,
Die wäss'rige – die dicke feurige
Vernunft.
EINIGE.
Giebt's eine solche?
SCHRELLING.
Allerdings
Giebt's eine dicke feurige Vernunft,
Die ha' ich grade selbst –
FLECHT.
Ich nicht –
KEIT.
Ich auch nicht –
Weg überhaupt mit jeder Art Vernunft!
HANS WURST.
Doch, trefflich dumme Räkel! die Natur –
FLECHT.
O! vollends weg mit der Natur!
[276]
DIE MEHRSTEN.
Weg! weg
Mit der Natur!
SCHRELLING.
Natur ist wohlverstanden –
KEIT.
Natur! – Im Grund ein classischer Philister,
Der erste Schöpfungs-Aristoteles,
Wie das bisherige System der Sonnen
Und Sonnensphären, die zum Ekel hell,
Zum Ekel rund, zum Ekel ordentlich,
Plan-, zweck- und ebenmäßig, alle fast
Kunstwerke, möcht' ich sagen, sind, beweiset.
Die Sonn' und die Planeten haben viel
Von der bornirten Gräcität; der Mond
Und die Cometen, deren Hörner zwar
Und Schwänze sonst nicht übel, sind modern.
Anfang, und Mitt' und Ende, jene drei
Pedanteinheiten, find' ich überall
In der Natur; 's giebt überhaupt blutwenig
Romantisches im ganzen Weltgebäude
So wie es ist. – Wenn auch ich selbst Gebrauch
Von Sternen so mitunter mache, sind's
Nicht jene, sondern andre, die ich selbst
Gemacht, und die kein Mensch am Himmel sieht.
Ich glaubte von den Nebelsternen lange
Was Gutes, bis uns Herschel gab Bericht,
Es sey nichts Neblichtes daran, so wenig
Als an den übrigen; und seit ich weiß,
Daß die Milchstraße selbst, an der ich mich
Als Kind so oft gelabt, so trocken wie
Die Friedrichsstraße sey, geb' ich dafür
Auch keinen Heller. – In der Schöpfung herrscht
Mir eine unerträgliche Correctheit,
Die bei'm Urheber eben kein Genie
Verräth. Auch wird das Universum nie für mich
Ein Interesse haben, bis es einst damit
[277] Wie mit den andern classischen Gebäuden
Der Alten geht.
PINSEL.
Da hat er Recht, sogar
Nach meiner Ansicht, aus dem malerischen
Gesichtspunkt, angeschaut – es muß zur Hälft'
Einfall'n, und Moos drauf wachsen. Jetzo geht
Zur Noth die Erde noch, besonders hier
In Thüringen; der Himmel aber ist
Ganz unter aller dicht'rischen Kritik,
Viel zu gehoben, ohne scharfen Umriß,
Zu rund, und gar zu hell, zumal am Tage.
Durch diese runde Hell', und helle Ründung,
Geht all' Erhabenheit zum Teufel ganz –
Der Münsterthurm zu Strasburg ist viel höher
In meinen Augen.
POZ.
In den meinen auch.
BOMBASTUS.
Der Münsterthurm, das glaub' ich; was geht über
Dies Hohelied von Stein, – dies schroffe, kühne,
Durchaus krystallisirte Heldenbuch, worin
Der unterird'schen Tiefen Andacht,
Die hoch gen Himmel ihre Flammenzunge
Hinaufstreckt, fest versteinert steht! –
PINSEL.
Jean Paul hat völlig Recht, wenn er die Welt
Und Gott Antiken nennt; nur füg' ich bei:
Die leider unverstümmelt, durch die Zeit
Noch wenig oder nichts gelitten.
POZ.
Bravo!
ALLE.
Weg mit Gesetzen der Natur, wie mit
Gesetzen der Vernunft!
HANS WURST.
Sie spielen unter Decke,
Das glaub' ich selber, mit einander –
[278]
ALLE.
Ja!
Und gegen uns!
HANS WURST.
Was aber an der Stelle?
FLECHT.
Ur-Sätze!
SCHRELLING UND EINBEIN.
Sätz'! Aufsätze! Gegensätze!
EINIGE.
Vorsätz' und auch –
TILL
macht einen Bockssprung.
Ansätze!
KEIT.
Traditionen,
Zumal in altherkömmlichen Gebräuchen.
HANS WURST.
Herkömmlichen Gebräuchen: Colon. Welche?
FAUST.
Vor allem aus, was für Religion?
ALLE.
Gar keine!
KEIT.
Glauben! ächten Köhlerglauben
FAUST.
An wen?
ALLE.
An uns – an Wunder –
KEIT.
Jakob Böhm –
ALLE.
An alle Heiligen, und alle Teufel. –
HANS WURST.
-Le Teufel. Punktum.
FAUST.
Welche Wissenschaften?
[279]
FLECHT UND EINIGE ANDERE.
Gar keine! Wissenschaften nicht; nur Wissen-
schaftslehren!
KEIT UND EINIGE ANDERE.
Und Legenden, und Mysterien.
EINBEIN UND EINIGE ANDERE.
Polemik und poetische Kritiken, –
Und Eisenfeil' und Charakteristiken, –
SCHRELLING.
Und die Chemie, die Alcchymie, soll heißen:
Darin liegt Alles!
FAUST
zu Hans Wurst.
Schreib' es!
HANS WURST.
– Alles. Punktum.
FAUST.
Und unsre Künste?
ALLE.
Keine Künste! nämlich
Was man bishero so genannt! – Tendenzen,
Kolossischgenialische Tendenzen,
Durchbrüche der Tendenzen, wo sie seyn –
SCHRELLING.
Im Wort!
KEIT.
Im Klang!
PINSEL.
In Farb' –
TILL.
Im Ton.
POZ.
Im Stein!
ALLE DIE ANDERN.
Im Fleisch und Blut, zumal wenn die Begier
Uns greift erzeugend göttlich, wie das Thier!
SCHRELLING.
Das ist der Form Geheimniß, Kunst der Kunst!
Und der Natur Natur, sonst Alles Dunst.
[280] Im freud'gen Thier und in der Wollust Ringen
Schaut an die Urkraft, sonst wird nichts gelingen.
FAUST.
Nun die Regierungsform?
ALLE.
Was? – Reine Freiheit
Und Gleichheit!
FAUST.
Das versteht sich! Doch, die Macht
Vollkommenheit, die Souveränetät?
EINIGE.
In der Einheit des Ich's.
MEHRERE.
In der Gesammtheit,
In Allen!
FAUST.
Recht! In Allen.
HANS WURST.
– Allen: Colon.
FAUST.
Wie ausgeübt?
ALLE
außer Flecht und Klingel.
Durch Alle.
FLECHT UND KLINGEL.
Nein, durch Drei!
DIE ANDEREN.
Das geht nicht! wir sind Alle gleich und frei!
FAUST.
Ganz recht! – Wir üben Alle gleich die Macht
Und Freiheit aus?
SCHRELLING.
Durch Wahl.
ALLE.
Durch freie Wahl!
HANS WURST.
»Von Allen ausgeübt durch freie Wahl.«
FAUST.
Ganz gut. Doch damit in der Allheit Einheit,
[281] Und in der Freiheit Macht und Größe sey,
So wählen Alle frei aus Allen Einen,
Der die gesammte Kraft repräsentirt.
Dann sind in Einem Alle frei und gleich.
MEHRERE
murrend.
Nun zeigt sich's deutlich, wo der Kerl hinauswill! –
FAUST
aufgebracht.
Ihr Esel! – Seyd Ihr denn nicht frei, zu wählen?
Wählt wen Ihr wollt! – Doch wenn Ihr mehr als
Wahl
Zur Freiheit wollt, so sag' ich ganz mich los
Von Eurem Bund, Ihr dummen Vordersteiße!
Begebe mich zu den Vandalen gleich;
An ihrer Spitze dann das große Werk
Der Weltzerstörung zu vollenden!
POZ
demüthig bittend.
Faust!
Verlaß uns nicht!
PINSEL
ebenso.
O bleibe, Freiester
Von allen Freien!
VON WICHT.
Bleib! sonst folg' ich Dir.
KEIT.
Des Mittelalters große Kirchenfürsten,
Sie wählten auch, gewählt, aus ihrer Mitte
Den Einen, der als Papst das Haupt des Ganzen.
So halten wir es auch: wen Alle wählen
In freier Wahl, der sey als Papst begrüßt.
ALLE.
So sey's! Wen Alle wählen, der sey Papst.
FAUST
besänftigt.
So schreib! Hans Wurst!
HANS WURST.
Ist schon geschrieben. Punktum.
FAUST.
Und nun die Sprache?
[282]
KEIT.
Die wir stammeln schon,
Die wenigstens ich athme, seufze, weine:
Das alte junge – dumme, wollt' ich sagen,
Klangvolle, minneliederliche Deutsch –
EINBEIN.
Der Nibelungen Sprache – uraltschwäbisch,
Gothallemannisch, vorhanssächsisch –
HANS WURST.
– sächsisch.
FAUST.
Noch eine Frage jetzt: fortfahren wir
Auf zwei zu gehen? oder wär', auf vier
Grundsäulen herzuwandeln kühn und grimmig,
Nicht mehr mit unsrer tiefen Größe stimmig?
Hans Jakob schon, der nur ein Halbpoet,
Roch die Tendenz der Genialität.
Ist's nicht viel edler, als ein Leu zu patscheln,
Denn gleich der Ent' auf zween einherzuwatscheln?
Mir däucht, wir sollten tapfer rückwärts gehn
In Allem, und bei'm Gang nicht stille stehn –
Wie – wenn wir thäten, was einst Rousseau lehrte,
Wenn unsre Genialität nun kehrte
Die ganze Bestialität heraus?
SCHRELLING.
Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.
TILL.
Ich dachte längst daran.
KEIT.
Ich habe mich
Im Stillen schon geübt.
MEHRERE.
Ich auch! ich auch!

Keit hängt sich den Stiefelknecht um den Hals, und trollt sich auf allen Vieren herum.
[283]
TILL
bäumt sich, und springt, die Trompete im Mund.
Ich mach' es besser –
FAUST
hält ihm die Knallpeitsche vor.
Ueber diesen Stock!
Herr Bessermacher! Macht er einen Bock,
So fuchtl' ich ihn.

Till nimmt einen Ansatz und springt über die Peitsche, purzelt aber auf die Nase.
EINBEIN.
Er macht den Bock, wie Keiner!
FAUST
auf Till lospeitschend, bis er aufsteht.
Es geht doch nicht. Es ist zu früh! Wir müssen
Noch eine Zeitlang gehn auf zweien Füßen.
KEIT
indem er aufsteht.
Wie – wenn wir rückwärts gingen in dem Raum,
Wie in der Zeit.
FAUST.
Gar schön! doch geht es kaum –
Laßt sehen!

Keit zuerst, die Uebrigen alle ihm nach, gehen rückwärts gegen den Hintergrund der Bühne, und fallen, indem sie über den erhöhten Bretterboden stolpern, so daß sie die Beine in die Höhe kehren.

Nicht so heftig! – nur gemach!
Es wird schon besser gehen nach und nach.
Ich mein', es ist jetzt Zeit, uns zu bereiten
Durch einsam stille Schwärmerein
Mit unsern trauten Mägdelein
Im Walde dort, zum Weiterschreiten –
Ich meine, zu der großen Wahl
Des Papsts, der Allen fehlt noch allzumal.
KEIT.
Ich schwärme schon – es wird mir ganz symbolisch!
SCHRELLING.
Ganz mystisch –
[284]
FLECHT.
Ganz unendlich –
TILL.
Ganz katholisch!
ALLE.
Es wird uns Allen gar zu eng der Saal.
FAUST
zu Hans Wurst.
Verwahre nur, Hans Wurst, das Ritual.

Alle ab.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
HANS WURST
mit dem großen Papierbogen, worauf er alles geschrieben.
Mir selber dreht sich Alles um und um,
Nach diesem mystischen Concilium,
Mir ist als hört' ich klingen noch und brummen
Die Schellen und die Glocken dieser Dummen;
Ich selber werde noch ganz toll und dumm!
O! Ihr, die dort vernehmet nur von ferne,
Den Sphärengesang der poetischen Sterne,
Uneingewirbelt in dem Bim-Bum –
O! betet für mich! ich bitt' Euch drum.

Ist das die Rach', o Götter! weil einmal
In meiner unerfahrnen Jugend
Mir alles Schulgerechte war fatal,
Sogar die schulgerechte Tugend!
Mir ekelte Kritik, Philologie,
Nichts ging mir über Shakspear und Genie.
Das Schicksal warf mich in das Lager –
Bornirte Kerls rings um mich her –
Mein Zeltgesell war ein erzdummer dicker Prager,
Nach dem ich jetzt mich sehne sehr.
[285] O! dacht' ich, könntest Du mit Jenen leben,
Die der gemeinen Welt entrückt,
Von Reizen des Unendlichen entzückt,
Hoch über uns Pandouren schweben!
Als eine Kugel, streifend meinen Kopf,
Mir nahm den Zopf,
Und brachte mich hieher in dies Gewimmel
Der philosophischen Genieen,
In diesen Himmel aller Himmel
Der dichterischen Phantasieen –
Das Amt des Secretairs der Schöpfer zu verwalten!
Und o! was setzt' ich jetzo nicht daran,
Was gäb' ich nicht darum, fern von den neuen Alten,
Nicht hörend das Getön, nicht sehend die Gestalten,
Die sich in diesem neuen Faust entfalten,
Mit einem ehrlichen bornirten Mann
Mich auf ein Stündchen nur zu unterhalten!

Verzeiht, wenn dieser Monolog,
Der meinen Lippen, wie dem Herzen,
Theils unbewußt, und theils bewußt entflog,
Indem ich eigentlich nur wollte scherzen,
Ein wenig Euch im Lachen hat gestört!
– Ich hoff', Ihr habt ihn nicht gehört.

Ab.

[286]
Zwischenspiel [3]
Zwischenspiel.
HERZOG.
Es that mir leid doch um den guten Keit,
Der sich so biß und beißen ließ; ich hätte
Viel lieber Faust von ihm gesehn gebissen.
GENERALFELDMARSCHALL.
Es fehlt' ihm an Courage, Eure Hoheit!
HERZOGIN.
Er hatte nicht die Ihrige, Feldmarschall.

Generalfeldmarschall macht einen Diener.
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Im Keller ging es gar zu plump doch her, –
Zu genialisch; – in Paris – da wäre
Es nicht gut angebracht –

Zu Mad. Dauphin.

Nicht wahr, Madame?
MADAME DAUPHIN.
Ich habe vor dem Lärm gar nichts gehört.
JULCHEN.
Und ich gar nichts gesehn!
ST.
-PREUX leise zu Julchen.
O, Unschuld!
HERZOG.
Und wie ich sage! Dieses Stück gefällt mir
Stets mehr und mehr; – es ist so kräftig!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Und Eure Hoheit! jetzt Decorationen
[287] Erscheinen werden, wie im ganzen Reiche
Nie schönere zu sehn. Es geht das Stück
Ein dreizehnhundert Jahre weit zurück;
Und Till wird, weiß ich, Attila darstellen.

Man hört lärmen auf der Bühne.

Es fängt schon wieder an, mein gnäd'ger Fürst!
HERZOG.
Ich möchte, wie ich sage, gerne stets
Schauspiele hier aufführen sehn; es geht
So rasch, und ohne Hülfe des Parterrs.
Der Vorhang geht auf.
[288]
7. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
König Ezel, sonst Attila genannt, auf einem Thron im Hintergrunde; Chriemhilde neben ihm. – Viel Könige, Vögte, Recken undGarzune zu beiden Seiten stehend.

CHRIEMHILDE
sieht zwei Fiedeler mit den sieben Verbündeten, Faust an der Spitze, kommen.
O! wehe mir der leide! was kommt da wieder her?
Sind's nicht die Burigunden? es ist mir leid viel sehr!
Die schnellen Nibelungen! glaubt' ich doch in der Noth
Schon seit Sunnawendentage sie genug geschlagen todt!
RÜDIGER.
In Treuen, mein' Frau Chriemhild, es war am Sunnawendentag,
Da all' die kühnen Recken in ihrem Blute lag,
Mir ist es wie im Traume! daß ich schluge Gerenot
Mit meinem Schwert so scharfe, und daß er schlug mich todt.
[289]
CHRIEMHILDE.
O weh' mir dieser Schwere! o weh' mir Ezelinneweib!
Es sind die Mörderrechen! ich seh des Dieterichen Leib!
Die viel elenden Dummen! was wollen sie wieder büßen?
Hei! muß ich waideliche Frau noch alle die Leiber küssen?
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.

SCHWÄMMELEIN, DER FIEDELER, führt Faust nebst den sieben Weisen vor den König.

Sind dumme Recken aus der künft'gen Zeit,

Sie kommen, Herre! Dir zu dienen,

Hier in das Heunenland, gar weit, –

Du siehst's an ihren blöden Mienen.

VOLK, HOFNARR DES HEUNENKÖNIGS.

Wann ich schau sie von hinten, schau sie von vorn,

Wollt' schwör'n, sie sey'n noch gar nicht gebor'n.

FAUST.
Wir kommen, Ezelherre! Dich zu grüßen,
Vom neunzehnten Jahrhundert her –
Der Weg war lang; der Gang war schwer;
Wir haben immer rückwärts gehen müssen.

Sie werfen sich auf die Kniee nieder vor dem Thron.
KÖNIG EZEL.
Kutja! Kutja! Terrrrrremmtete!
KEIT
vor sich.
Das ist die Heunensprache?
FAUST
zum Fiedeler.
Spricht Seine Majestät nicht schwäbisch?
FIEDELER.
Nein.
Schwabburigundisch spricht die Königin allein.
FAUST.
Ist's jetzt erlaubet, ihren Leib zu grüßen?
[290]
FIEDELER.
Ihr müßt vorher das Mündelein ihr küssen!
KEIT.
Wird nicht darüber Seine Majestät jaloux?
FIEDELER.
Pah! – puh!
FAUST
naht sich zuerst der Königin, und küßt sie; bekömmt aber eine derbe Ohrfeige.
– Leise zum Fiedeler.
Ist das der Brauch?
FIRDELER.
Natürlich; wo sie kann,
Uebt sie die Rach' an jedem Niblungsmann.

Alle die Andern küssen nach der Reihe, und bekommen ihre Ohrfeige.
KÖNIG EZEL.
Terrrrrremtete!
CHRIEMHILDE.
Was bringt Ihr meinem Leibe so michelschwere Noth?
Seyd Ihr die Nibelungen, die schon geschlagen todt?
FAUST.
Ach nein! wir sind die neuen Nibelungen,
Die rückwärts in die Ezelzeit gedrungen!
Gewissermaßen sind wir noch nicht da –
Und doch –
KÖNIG EZEL
niest.
Terrremtete!
DIE ZWÖLF KÖNIGE.
Halleluja!
ALLGEMEINER CHOR.
Halleluja! dem Räkel aller Recken!
Dem alle Könige die Füße lecken!
Dem, wo sein Roß nur trat mit Hufesschlag,
Kein Gras mehr wächst bis an den jüngsten Tag!
CHRIEMHILDE.
Wer seyd Ihr denn, ihr Sieben, eigentliche?
FAUST.
Blutdumme Recken, minneliederliche,
[291] Biderbe Ritter von dem Vordersteiß,
Freiherrn von Ich, zukünft'ge Nebeljungen,
Und denen schon viel Gräßliches gelungen.
Ich Faust, gleichsam ihr Hort, der Dietrich bin,
Deß hat die Barbarei viel groß Gewinn.
CHRIEMHILDE.
Was wollt Ihr hier?
FAUST.
Anbeten voller Minne
Den Großen Ezel und die Ezelinne,
Und das Barbar'sche lernen aus dem Grund,
Es hörend hier aus seinem eignen Mund –
CHRIEMHILDE.
Hei! hei!
KÖNIG EZEL
niest wieder.
Terrremtete!
DIE ZWÖLF KÖNIGE
niederfallend.
Halleluja!
FIEDELER.
Stürzt nieder jedesmal, sobald der König niest,
Und ruft Halleluja! man sonst Euch Alle spießt.
FAUST
während die Andern niederstürzen, und Halleluja rufen.
Halleluja! Doch bleib' ich auf den Beinen!
Ich bin so gut wie Ezel, sollt' ich meinen.
KÖNIG EZEL
niest zum dritten Mal.
Terrremtete!
MEHRERE KÖNIGE
mit Erstaunen.
Der Kerl beleibet stahn,
Ganz trutzig, ungefüge! Das wird ihm übel gahn!
CHRIEMHILDE.
Weh mir viel armem Weibe, was darf der Recken wagen!
Hei! Das ist Er!
HOFNARR.
Wer, Ezelinne?
CHRIEMHILDE.
Von Troneg Hagen!
[292]
KÜDIGER.
Das nicht wolle Gott im Himmele! Da giebt's viel schwere Noth!
CHRIEMHILDE.
Wenn nicht ihn schlagt mein Ezel, hei! schlag' ich ihn selber todt!
Er schlug mir meinen Friedel, und nahm ihm grimmiglich den Leib,
Von ihm kommt aller Jammer mir armem jämmerlichem Weib. –
HOFNARR.
Wir wollen immer hoffen, das müss' unmögeliche seyn,
Zugleich zu wesen der Dieterich und der Hagene ganz allein;
Drum Ezelinne nicht weine! halt inne den mörderlichen Zoren,
Zumal da jene gestorben, und dieser noch nicht geboren!
Da liegen ja die Niblungen getödtet an einem Hauf' –
CHRIEMHILDE.
Thut nichts! ich kenne die Recken; sie stahn alle wieder auf.
HOFNARR.
Sind sicherliche nur Gespenster, viel adelige Fraue mein,
Die nach viel hunderte Jahren umspuken, als Nibelungelein.
CHRIEMHILDE.
Das wolle Gott im Himmele!
HOFNARR.
Deß bin ich überzeugt,
Weil der gar viel morderliche König so stille zu Allem schweigt;
Er hätt' sie schon alle gespießet, gebraten, auch bloß zum Spaß,
Vorlängsten zu Nichts sie geblasen, die Trotzigen, wären sie was.
KÖNIG EZEL
nickt mit dem Haupte.
Kutja! Terrremtete!
[293]
EIN LANGER HEUNENRECKE.
Heraus! heraus auf allen Vieren!
Der König giebt Signal zum Buhurdiren!

Alle stürzen sich nieder, und gehen rückwärts auf allen Vieren aus dem Gezelt hinaus – nur Faust nicht.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Hart am Ufer der Donau.
Die Recken rennen alle mit den Lanzen gegen einander; – die Mehrsten stechen sich durch und durch; – Viele stürzen rücklings in die Donau, die allmälig ganz roth wird, von den Blutströmen, die hineinfließen. – Während des blinden Spielgefechts fiedeln die Spielmänner, der Hofnarr tanzt, und die Garzunen und Mägde singen.

GARZUNEN UND MÄGDE.
Ueber Fluh, über Grat,
Ueber Weid', über Waat!
Trampft nieder die Saat!
Bum! Bum!
Haut den Wald um!
Dringt in Diel' und Verließ!
Bohrt die Mutter in's Vließ
Steckt's Kindel auf's Spieß!
Pan! Pan!
Zündet Städt' an!
Ueber See, über Land
Mit stürmender Hand
Steckt Alles in Brand!
Bum! bum!
Stürzt die Welt um!
Hört Heunengebot!
Hört brüllen den Tod!
[294] Hört wimmern die Noth!
Pan! Pan!
Seht den Krieg an!
CHOR VON SIEBEN HEUNENMÄDCHEN
jede mit einem blutigen Kopf, den sie den Ankömmlingen vor die Nase halten.
Hört Heunengebot!
Hört brüllen den Tod!
Hört wimmern die Noth!
Pan! Pan!
Seht den Krieg an!
DIE SIEBEN ANKÖMMLINGE.
Göttlich!

Allmälig verschwinden alle noch übrig Gebliebene von dem Kampfplatz vor dem Zelt. – Nur Ezel undChriemhilde bleiben sitzen auf dem Thron.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
DER HOFNARR
mit der Maske eines Todtenkopfs, singt.
Trallala! la! la!
Ha! ha! ha! Ha! ha!
Da liegen sie! – Da!
Todt –
Schon nicht mehr roth!

Das kitzelt mich baß!
Wie grinseln sie graß!
Wie blecken sie blaß!
Traun!
Sie mich anschaun!

Die Saat ist zertreten, der Wald ist verbronnen!
Das Mark ist verzehrt, und das Blut ist zerronnen!
[295] Die Wüste nunmehr hat der Sieger gewonnen!
Pan!
Seht den Sieg an!
FAUST.
Unübertrefflich! Dieses Spiel
Erreicht des Lebens höchstes Ziel!
Wir wollen's, wenn wir wieder sind daheime,
Bei uns einführen mit und ohne Reime.
CHOR
hinter der Scene.
Victoria!
Halleluja!
Halleluja dem Räkel aller Recken,
Dem alle Könige die Fußtritt' lecken!
Auf deß Gebot da fällt, was alles steht,
Und auf deß Wink die ganze Welt vergeht!
Dem großen Erdverwüster Attila
Halleluja!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
DIE DREI KÖNIGE
die von den Zwölfen übrig geblieben, kommen mit einigen Recken, die ebenfalls nicht auf dem Buhurdirplatz geblieben, wieder herein, und stürzen sich vor dem König Ezel nieder.
Wir Deine Knechte, ganz erbärmeliche,
Bedauern, daß trotz jedem Stoß und Stiche,
Dir zu bezeugen unsre Demuth blind,
Wir doch annoch im Leben übrig sind.
KÖNIG EZEL
spuckt.
Terrremtete!
CHRIEMHILDE
zu den Königen.
Wir sind zufrieden mit Euch, waideliche Frommen,
Habt guten Muth! Ihr könnt im nächsten Spiel umkommen!
[296]
DIE KÖNIGE UND RECKEN.
Dem großen Attila
Halleluja!
KÖNIG EZEL
gähnt.
– – – – – –
FAUST
zu den Andern.
Das ist mir ein Kerl, der versteht's Regieren,
Zu schalten und walten und imponiren –
Hat kaum uns Alle nur angeguckt –
Flucht sein Terremtete, niest und spuckt –
Würdigt zur Noth, seinem nächsten Magen
Und Gesandten der Nachwelt, Kutja! zu sagen,
Sitzt da wie der Gott des jüngsten Gerichts –
Es geht doch über so 'nen Ezel nichts!
HOFNARR
der die Todtenmaske wieder abgelegt hat, zur Ezelinne.
Das seit' ich Euch fürwahre, viel holde Fraue mein!
Daß Jene nimmermehre Niblungen kunnten seyn.
Wär's Nibelungen wesen, wir hätten's schwer gespürt,
Doch bei dem Buhurdiren hat Keiner sich gerührt.
RÜDIGER.
Wie hätten sie auch können so kommen rückewärts?
CHRIEMHILDE.
Geh, Rüdiger, und schlage den Dietrich todt zum Scherz
HOFNARR.
Es wird, sobald du hauest, der jämmerliche Schuft,
Deß bin ich ganz getroste, zerfließen in die Luft.
RÜDIGER
geht auf den Faust zu, im Begriff zuzuhauen.
Elender Traum! verschwinde!
FAUST
seine Knallpeitsche hervorziehend.
Traum vom Traum!
Laß sehen, wer von uns am dicksten füllt den Raum.

Peitscht den Rüdiger ganz entsetzlich, bis er hinfällt – alle die Andern gerathen darüber in Aufruhr.
DIE MEHRSTEN STIMMEN
schreiend.
Faust! bist Du rasend? wir sind keine Puppen!
[297]
FAUST.
Um so viel besser fühlt Ihr meine Schnuppen!
KÖNIG EZEL
springt herab vom Thron.
Kutja! Terremtete!
FAUST.
Schlag Dich der Donner
Zehntausend Meilen tief in's Höllenloch
Der Erd' hinein, verruchter Heunenbock!
KÖNIG EZEL.
Kutja! Terrremtete!
FAUST
auf ihn lospeitschend.
Terremmte nur!
Auch ich bin von despotischer Natur!
CHRIEMHILDE
stürzt ebenfalls vom Thron herab, mit fliegenden Haaren.
O Rache! Rache!
KÖNIG EZEL.
Hei! hieher, Ihr Recken!
Zersplittert mir den Hund in Millionen Stecken!
FAUST
immer peitschend.
Erkenne Deinen Herrn! und reime besser, Vieh!
KLINGEL.
O Faust! mißbrauche nicht Dein göttliches Genie!
Zerstöre nicht, Zerstörer, die Zerstörung!
CHRIEMHILDE.
O Rache, Rache!
HÖCHENER.
Schreckliche Bethörung!
Wir spielen, Faust, ja nur – wir spielen nur!
FAUST
giebt ihm eine Maulschelle.
Halt's Maul! verworfne Creatur!
KÖNIG EZEL.
Ich bin ganz todtgepeitscht –
RÜDIGER.
Ich auch –
HOFNARR.
Ich auch –
[298]
KEIT.
Weh meinem Schädel, ach!
DROLL.
Weh meinem Bauch!
KÖNIG EZEL.
Weh meinem All im All! ich sterbe gar;
Doch selbst im Tode bleib' ich, der ich war!
FAUST
ihn peitschend.
Ich peitsche Dich lebendig, Wicht!
Bekennst Du nicht!
KÖNIG EZEL.
Hei! hei! was muß ich denn bekennen?
FAUST.
Daß ein Trompeter nur Du bist,
Kein reicher Heide, kaum ein armer Christ,
Ein Esel-König eher zu benennen,
Als König Ezel –
TILL
ganz die Königsrolle aufgebend.
Ich bekenne schon!

Vor sich.

Wie bin ich gegen diesen Faust Coujon! –
ALLE.
Halleluja! dem Eselkönig! Ha!
Wie ganz erbärmlich steht er jetzo da!
CHRIEMHILDE.
Ich bin wohl also wieder Barbara?
EINIGE.
Wir sind jetzt wieder in dem alten Stücke,
Im neunzehnten Jahrhunderte, zurücke.
EINBEIN.
O Faust! wenn Deine Peitsche, Dein Genie,
Dein wunderbares, weiß nicht was und wie,
Nicht fesselte mit Göttermacht mein Leben:
Ich würde diesen Streich Dir nie vergeben.
KEIT.
Du wecktest uns aus einem süßen Traum.
FAUST.
Seyd ruhig, und gebt keinen Grillen Raum!
[299] Laßt Euch von mir ein wenig dirigiren,
Bis selbst Ihr lernt despotisch commandiren. –
Jetzt kehren wir aus dieser Ezelei
Zurück in unsre neue Barbarei.
Ihr habt gesehn, gezeichnet nach dem Leben,
Den Punkt, woraus wir gehn, das Ziel, wonach wir streben.
Wenn Eure Kirche dort den rechten Papst nur wählt,
So bürg' ich Euch, das Ziel wird nimmermehr verfehlt!
CHOR VON HALBTOLLEN.
Unglaublich ist, nicht auszusagen,
Was Alles so ein Faust darf wagen
In unsren Tagen!

Der Ezel, der im Sturm gewettert,
Hochher die halbe Welt zerschmettert,
Wird überklettert.

O, mehr als heunisches Getümmel!
Auf Erden zittert das Gewimmel!
Es bebt der Himmel!

Die Welt wird gänzlich ruiniret,
Die Höll' allein ist ungeniret,
Sie triumphiret;

Unglaublich ist, nicht auszusagen,
Was Alles so ein Faust darf wagen
In unsren Tagen!

Alle ab, außer Hans Wurst.

[300]
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
HANS WURST
allein.
Habe zur Noth, mit großer Schwier',
Im Zaum gehalten das Stück bis hier,
Daß nicht zu weit aus einander schwirre
Der Scenen und der Personen Gewirre!
Daß in dem gewaltigen Siebengang
Noch bleib' ein bischen Zusammenhang;
Doch jetzt muß ich alle Hoffnung verlieren,
Es länger zu bändigen und zu regieren.
Seitdem sich der Faust das Peitschen erlaubt,
Ist aller Muth mir für immer geraubt –
Sie kehren zurück zu den eignen Rollen
Und sagen nicht mehr, was im Stück sie sollen –
Extemporiren, und kommen, und gehn,
Ohn' auf die winkende Hand zu sehn,
Ohne mein Stichwort anzuhören; –
Wollen nicht bloß in dem Stück zerstören,
Was in dem Plan zu zerstören war;
Sondern Alles ganz offenbar; –
Haus und Bühne, Geschicht' und Fabel
Sind sie mir ganz zu zerstören kapabel.
Während man nur an dem Drama schrieb,
Da war ich Allen gar werth und lieb,
Machten mir viele Complimente
Wegen Geschicklichkeit und Talente,
Wegen Grammatik und Orthographie, –
Nur ohne Gemüth und ohne Genie, –
Gaben mir drum ihre sieben Sapphire,
Daß ich sie schleife und fein polire,
Daß ich sie fasse in einen Ring,
Wie ich am besten verstände das Ding.
Also setzt' ich aus ihren Flammen
[301] Diese dramatische Sonne zusammen;
Spannend doch eigne Pferde vor
In mancher Scen', und zumal im Chor.
Angesehen der Phöbus Sol
War ganz ein andrer Phöbus Apoll.
Setzten sich selbst, als Weise, in Karren,
Und mich Hans Wurst auf den Bock als Narren;
Selber sie sieben Apollo's waren;
Dennoch erlaubten sie mir zu fahren,
Und so ging es bis jetzt gemuth –
Leidlich im Gleise, wenn auch nicht gut;
Denn sie ließen mich ruhig lenken,
Ohne was Weitres dabei zu denken;
Bis sich der Faust auf die Peitsche besann –
Und plötzlich auf Kutscher sowohl als Gespann
Fing an klitsch klatsch mit Gewalt zu schmettern,
Als ging' es in tausend Donnerwettern;
Mir blitzt' und knallt' um's Aug' und um's Ohr,
Daß ganz aus der Hand ich den Zügel verlor.
Jetzunder sollen den Papst sie wählen;
Dabei wird's schwerlich an Zwiespalt fehlen.
Denn nimmermehr kommen sie überein;
Ich fürcht', es wird geben ein höllisch Schrein.
Ich habe zwar selbst in den Schluß gewilligt,
Und die Katastrophe gar sehr gebilligt,
In wiefern nach des Stückes Tendenz
Drin ist hinlängliche Consequenz;
Aber den Papst, der im Stück gegeben,
Werden sie wieder im Spiel aufheben.
Denn sie spielen im Spiel nicht mehr,
Sondern es ist ihnen Ernst gar sehr. –
Indeß, sie mögen es kehren und wenden,
So toll sie wollen, es wird doch enden. –
Daß gar nichts dauert, wie's auch gestellt,
Daß jedes Gebäude zuletzt doch fällt,
Ist der einzige Trost in dieser Welt!
[302]
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
FAUST
tritt auf.
Du gingst nicht mit uns? wozu Dein Weilen?
Der Papst ist doch das Wichtigste im Stück!
HANS WURST.
Wozu die Wahl, da Deiner Peitsche Knallen
Nicht erst erlaubte andrer Meinung –
FAUST.
Gut!
Doch siehst Du wohl, Hans Wurst, ich bin vernünftig,
Und halt' auf Dich ein Stück, ich rede frei
Mit Dir. – Zwar brauch' ich nicht der Wahlen,
Um sicher die Tiare zu empfahen,
Doch sieh, die Narren wollen einmal wählen,
Gefallen sich im Schatten ihrer Freiheit,
Und glauben zu regieren, wenn sie wählen. –
Doch sage mir, was hast Du hier gesprochen?
Mir däucht, ich hörte Dich von Lessing reden.

Schwingt die Peitsche.

Gestehe mir –
HANS WURST.
Ach nichts, mein Faust, ich dachte
An jene Fabel nur vom alten Ring,
Die Nathan einst erzählte.
FAUST.
Also das
Ist hier Dein Treiben, ist Dein Thun, Dein Denken.
An solche Feenmährchen sinnest Du?

Zornig.

Zur Strafe trete selber auf und rede,
Wie Lessing's Nathan sprach! – Mit Witz
So viel Du willst, doch albern, rein genielos
Und unpoetisch. – Thust Du's nicht, so knallt
Die Peitsche Dir um's Ohr, bis Du es thust!
[303] Ich gehe jetzt zur Wahl, doch werd' ich merken,
Ob dem Gebot Du folgst – Nun, zögre nicht!

Abgehend.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
HANS WURST
fängt zitternd an, und Faust entfernt sich bei den ersten Strophen der Erzählung.
Ihr Herrn! was soll ich sagen, daß von Euch
Gleich Jeder schwöre: das ist Lessing selber!
So spricht nur Lessing! Ganz genielos zwar
Und unpoetisch bin ich; aber das
Ist selbst nach jener Genialitäten
Geständniß nicht genug. – Ich wag' es doch!
Will lieber ungepeitscht mein bischen Witz,
Als ein- und ausgepeitscht ihn von mir geben. –

Weil Göthe – Heil dem Meister, wenn die Jünger
Mich auch noch ärger plagten! – meisterhaft
Altdeutsches aufgefaßt und dargestellt,
Muß Alles jetzo durchaus altdeutsch seyn. –
Weil er den Faust gemacht, und mit Gewalt
Darin die Faust des Riesenarms geballt,
Muß Alles jetzo fausten und sich ballen,
Bis auf des kleinsten Zwergleins kleinste Krallen! –
Wenn sie mich nur nicht hören! – Bin ich Lessing,
Dann sag' ich so: Weil einmal unser Herrgott
Den Krebs gemacht, der rückwärts geht, und gut,
Wie Alles was er sonst gethan, vortrefflich,
So ganz vortrefflich, daß der Philosoph,
Wenn er bei'm Krebse stehen bleibt, und sieht
Das Ganz', und im Detail, den Wunderbau,
Die Fügung aller Glieder, die Vereinung
[304] Des Flüssigen und Starrn zu einem Leben,
Das rücklings sich bewegt, bewundernd ausruft:
Wer das kann machen, der kann mehr als das –
Weil unser Herrgott so 'nen Krebs gemacht,
Drum müssen alle Thiere nun auf Erden,
Wir, unsre Kinder, und die ganze Welt,
Auch rückwärts gehn! – Wenn sie mich nur nicht hören! –
Ach! Lessing bin ich nicht! muß nur so scheinen!
Verzeihe, großer Genius, dem kleinen! – –
Wie wenn ich Euch erzählte, schlecht und recht,
Das Märchen von dem ersten Stiefelknecht?
Zur Zeit des Urstamms aller Völker, als
Nur ein Geschlecht auf Erden wohnt' und dies
In einem einz'gen Dorf ansässig war,
Gab's in der Welt nur einen einz'gen Schuster,
Denn's ganze Dorf behalf sich, merkt's! mit Einem.
Das ging nun eine Zeitlang ziemlich gut,
Bis alle Kinder, die noch baarfuß gingen,
Groß wurden, und auch Stiefel haben wollten.
Allmälig mehrten sich im Menschgeschlecht
Die schon erwachsnen Beine so, daß kaum
Der Schuster, fleißig nähend Tag und Nacht,
Ein Drittel noch so so bestiefeln konnte.
Drei Söhne hatte dieser brave Mann
Zum Glück, die er das Schustern alle lehrte,
Theils aus Patriotismus, theils wohl auch,
Weil's Handwerk reichlich allen Brot verschaffte;
Zumal nach seinem Tode. – Wie sie groß
Nun wurden, und so gut wie er die Stiefel,
Vielleicht noch besser machten, deckten sie
Schon drei'n Welttheilen – (damals nur drei Dörfern)
Mit ihrem Leder die vornehmsten Beine.
Der Vater, der nunmehr so rastlos nicht
Zu schustern brauchte, gönnte sich des Sonntags
Ein bischen Ruh', wie nicht ihm zu verdenken,
Zumal da selbst sein Ausruhn Arbeit war,
Nur eine andre; denn er hatte mehr
[305] Als ein Talent; nicht blos Genie zum Schustern.
War's Zufall, war's Berechnung? gnug, er fand
Die Form des nützlichen, der Menschen Händ'
Ersparenden, jetzt so bekannten, und
Gemeinen Hausgeräths, wodurch man leicht
Sich selbst die Stiefel auszieht; und im Stillen
Sann, brütet' er und bohrt' und schnitt so lang,
Bis er in Holz das Ding realisirte,
Und froh der äußersten Vollendung – starb.
Die Söhne fanden unter seinem Bett,
Nebst vielem alten unbrauchbaren Quark,
Den wunderschönen Stiefelknecht, noch nicht
Den Zweck einsehend, doch die Form bewundernd.
Ei! sprachen sie, welch göttlich Ding ist das!
Und lange blieb's bei'm kindlichen Bewundern
Des Vaterwerks, bis einst der ältste Sohn
Die eigne Stiefelferse in die Gabel
So passend eintrat, daß ihm der Gebrauch
Und jede Folge draus für ihn und für
Das Stiefelausziehn des gesammten Menschen-
Geschlechtes hell vor seine Seele sprang.
Er ging an's Werk, und machte jenen nach
In Tannenholz. Des Vaters war von Ceder.
Als er ihn fertig, bracht' er ihn dem König,
– Denn einen König hatten schon die Dörfer –
Und dieser, froh der trefflichen Erfindung,
Bezahlt' ihn fürstlich; – für den ganzen Hof
Ließ er davon ein Dutzend gleich bestellen.
Die beiden Brüder, als sie sahn, wie sehr
Das leichte Werk gefiel, begannen nun
Auch Tannenholz zu schneiden statt des Leders,
Und Keiner dacht' an's Stiefelmachen mehr.
Anfangs auch ging's recht gut. Vom König bis
Zum Schornsteinfeger wollte Jeder, selbst
Wer keine Stiefel, einen Stiefelknecht.
Und wie es geht, die Mode wurde Luxus,
Und drauf der Luxus Mode. – Jener Knecht
Des Vaters schien den Brüdern gar zu einfach;
[306] Stark war er nur, bequem, dem Zweck genügend,
Und damit gut. – Sie machten schöne Schnörkel
Und allerlei Verzierungen daran,
Daß so ein Stiefelknecht von Tannenholz,
Von Pergament, zuletzt von dickem Papp-
Papier, mehr kostete als drei Paar Stiefel.
Selbst Damen ließen sich von Marzipan
Dergleichen bei den Brüdern machen, ganz
Zum Fressen schöne, bloß der Mode wegen.
Allmälig aber waren an der Hauptstadt,
– Das größte Dorf war Hauptstadt worden – an
Des Hofes, und sogar des Königs Stiefeln
Gar keine Sohlen mehr. Der alten Kunst
Bedürfniß ward gefühlt. Man flehte, bat
Die Stiefelknechterschaffer, Stiefel doch
Zu machen, gäbe gern für ein Paar Stiefel
Drei Dutzend Stiefelknechte jetzt. Umsonst!
Die Schöpfer wollten sich so tief herab
Nicht lassen; konnten auch im Grunde nicht:
Das Schustern war verlernt. Die neue Kunst
Ward unnütz, und die alte war verloren.
Baarfuß verfluchte lang das Menschgeschlecht
Den wunderschönen ersten Stiefelknecht.

Zu dem Balcon.

Verzeiht, wenn mir die Rolle schlecht gelungen.
Ihr Herrn! Ihr saht, ich ward dazu gezwungen. –
Der Vorhang fällt.
Schlußspiel
[307] Schlußspiel.
HERZOG.
Wenn, was ich mein', ich ehrlich sagen soll,
Scheint mir Hans Wurst nichts weniger als toll.
Sein Stiefelknecht hat mir gar sehr gefallen.
OPITZ.
Mir ebenfalls.
GENERALFELDMARSCHALL.
Mir nicht.
HERZOGIN.
Mit einem Wort, uns Allen!
WERDER.
Wenn ich auch unmaßgeblich meine Meinung
Hier sagen darf, gefiel mir Nathan's Ring,
Wenn auch verhunzt, viel besser als das Stück.
ST.
-PREUX.
Herr Hofrath leben lieber in Gesellschaft
Von Engeln als von Teufeln, und bei Weisen
Auch lieber als bei Narren.

Leise zu Julchen.

Haben Sie
Verstanden, Engel! was ich sagte?
JULCHEN.
Ach!
Verstand? ich habe keinen.
ST.
-PREUX.
Mir entschwindet
Der meinige beim Anschaun Ihres Auges!
[308]
MAD.
DAUPHIN.
Hans Wurst hat seine Rolle gut gespielt,
Der Stiefelknecht auch paßte sich zu ihm
Wie jener Ring zum Nathan.
PRINZ V.
ELLENBOGEN.
Ah! charmant!
GENERALFELDMARSCHALL.
Ich wollt', das Stück wär' aus, so straf mich Gott!
'S sind alle Narren, und Hans Wurst der größte.
Ist's nicht bald aus, Herr Obertollinspector?
HERZOGIN.
Geduld! Das Stück hat ja kaum angefangen.
ST.
-PREUX.
Ich hoffe, wir sind erst in der Exposition.

Zu Julchen.

An Ihrer Seite mag es ewig dauern.

Der Vorhang geht auf.
HERZOGIN.
O, stille! Seht, der Schauplatz wird verändert.

Man hört einen erschrecklichen Lärm von Wagen und Pferden, Kanonen und Trommeln.

Behüt' uns Gott! was giebt's?
DIE HOFDAMEN
schreiend.
Was giebt's?
HERZOG.
Was ist in aller Welt denn los?
OPITZ.
So lange
Hans Wurst noch ruhig bleibt, befürcht' ich nichts.

Der Lärm wird immer entsetzlicher. Die Fenster zerspringen; das ganze Haus zittert; die Bühne wird mit Staub und Rauch erfüllt.
MAD.
DAUPHIN.
C'est un orage!
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Es ist ein Orkan!
BRUNO.
Mir scheint es ein Erdbeben!
[309]
DOCTOR STIRN.
Diese Tollen,
Befürcht' ich, werden Alle gänzlich toll!
WERDER.
Sie wollen, glaub' ich, jetzt den Himmel stürmen.
HERZOG.
Das wär' zu arg!

Zu dem Generalfeldmarschall.

Feldmarschall, lauf Er schnell,
Und sehe, was es giebt!
GENERALFELDMARSCHALL
will die Thür aufmachen; kann nicht.
So straf mich Gott!
Die Thür ist zugeschlagen, – nicht zu öffnen, –
Das ist wohl in Erdbeben oft der Fall.
HERZOG.
Wir können also nicht heraus, Inspector?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Nur über das Orchester und Theater; aber
Doch rath' ich das nicht an; denn ob sie gleich
Gekettet sind, so könnt' ich doch nicht einstehn
Für Unglück, Eure Durchlaucht.
HERZOG.
Tollinspector!
Was meinen Sie denn, daß es sey?

Der Lärm wird immer fürchterlicher. Alle Damen liegen in Ohnmacht.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Ich will
Hans Wurst befragen.

Ruft.

He! Hans Wurst! Hans Wurst!
HANS WURST
im Baume.
Was wollen Eur Gestrengen?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Hörst Du nichts?
Und siehst Du nichts?
HANS WURST.
Ja, allerdings!
[310]
TOLLHAUSINSPECTOR.
Woher
Kommt dieser fürchterliche Lärm, als wenn
Die ganze Welt in Stücke ginge?
HANS WURST.
Ja!
Das soll sie eben nach dem Stück! Das ist
Im Plan, gestrenger Herr!
TOLLHAUSINSPECTOR.
Sey wahrhaft,
Und spaße nicht zur Unzeit! Es sind nicht
Die Tollen, welche diesen Lärm jetzt machen.
HANS WURST.
Nein, freilich nicht! Sie warten Alle ruhig
Nur auf mein Stichwort hinter den Coulissen.

Der Lärm nimmt zu. Es ist als wenn tausend Donner über die Bühne rollten.
TOLLHAUSINSPECTOR
ungeduldig.
Was ist es denn? Willst Du antworten, gleich?
HANS WURST.
Es ist gar nichts, als – – – Warte nur, ich muß
Erst selbst recht hören – was der Commandant
Der Garde Seiner Hoheit mir von Außen
Zuruft –

Man sieht den Kopf des Commandanten über die Mauer im Hintergrunde der Bühne hervorgucken.Hans Wurst spricht mit ihm. Bald darauf tritt ein fremder Officier hinzu. Man kann aber wegen des entsetzlichen Getöses nicht hören, was sie einander zurufen.
HERZOG
höchst ungeduldig.
Hans Wurst!
HANS WURST
ohne herabzusteigen, mit fröhlichem Gesicht.
Es ist nichts, Euer Hoheit!
Nichts, als die feindliche vandalische Armee,
Die hinter dieser Bühne durch die Gassen
Von Jauer einzieht, und – wie mir so eben
Der Commandant berichtet, ganz Romanien
[311] Fast ohne Schwertstreich eingenommen hat.
Ich hab' indessen über diese Mauer
Mit dem verruchten Kerl, dem General,
Noch glücklich unterhandelt, und beschlossen:
Daß Euer Durchlaucht dieses ganze Haus
Mit sammt dem ganzen Hof, und allen Ihren
Getreuen Unterthanen, die sich hier
Befinden, lebenslänglich, unumschränkt,
Als souveraines Eigenthum behalten.
Nur soll der einz'ge Faust, und ich, – Gott weiß
Warum? – zur Stunde ausgeliefert werden.
[312]
Dedication
Dedication.
An Ihro Majestät des deutschen Publicums.

Zu Füßen leg' ich Höchstdenselben hier

Ein treu gemaltes Bild, nicht ohne Bangen,

Daß Sie danach gar nicht verlangen,

Weil's nur von mir,

Der fremd und namenlos – zum wenigsten vergessen –

Ganz ungebeten, und vielleicht vermessen,

Zum höchsten Thron der Menschheit mich genaht,

Aus bloßer Lust zum Malen in der That.

Ich leugn' es nicht, Sie haben mir gesessen;

Ich stahl bei'm Zwielicht in Ihr Kämmerlein

Mich zwischen Ihrem Schlaf und Wachen ein.

Verzeihen Eure Majestät indessen

Der – wenigstens für mich – brotlosen Kunst zulieb

Dem armen Dieb!

Sie nehmen ja mit jedem Werk vorlieb –

Und Dero Gottesgnad' in Kunst ist nicht zu messen:

Das weiß ich – und das giebt mir für mein Werk den Muth,

Ohn' all' Empfehlung großer Mäcenaten

In Höchstderselben selbst regierten Staaten

Es dem Augustus Selbst zu bringen kurz und gut.

Betrachten Sie's! Sie werden, will ich hoffen,

Wenn anders Sie sich recht im Spiegel je gesehn,

[313]

Mit einem gnäd'gen Lächeln mir gestehn,

Es sey, wenn auch nicht schön, doch wenigstens getroffen.

Nur mögen Eure Majestät darin,

Nicht wie der sel'ge Kaiser einst von Tschin,

Deß Bild ein Brite malte, sehr erschrecken

Vor den scheinbaren vielen schmutz'gen Flecken!

Sie haben ja für's Dunkle deutschen Sinn,

Und nicht chinesischen für's bloße Helle.

Ich habe jeden Zug gemalt nach der Natur,

Und Schatten angebracht, wie Licht, an seiner Stelle:

Sind hier und dort die ersten etwas grelle,

Sie heben um so mehr das Helle nur.


Der Verfasser.

[314]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baggesen, Jens. Dramatische Dichtung. Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1E3F-A