Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Walpurgisnacht
Dramatisches Volksmärchen in vier Acten

[2]

Personen

Personen.

    • Herzog Heinrich von Wolfenbüttel

    • Die Herzogin, seine Mutter

    • Graf Marquard von der Eiche,
    • Ritter Conrad von Feldau,
    • Ritter Wulfram von der Horst, , seine Vasallen

    • Steffens, Küfnermeister,
    • Ohles, der Schreiner, , im Wolfenbüttelschen ansässig

    • Rudolph Werner, Hammermeister und Besitzer einer Sensenschmiede in der Nähe von St Gilgen

    • Else, seine Frau

    • Friedel, beider Kind

    • Suse, Elsens Base

    • Gertrud Nierichsteinerin, Wittwe des Bürgermeisters

    • Meister Martin, der Schneider

    • Christel, ein alter Knecht in Rudolphs Hause

    • Hanns, Lehrbursche in der Schmiede

    • Gottfried, Altgeselle
    • Wilhelm, Geselle
    • Joseph, Geselle , in der Schmiede

    • Die Alte vom Berge

    • Erster Bauer,
    • Zweiter Bauer,
    • Erste Bäuerin,
    • Zweite Bäuerin , im Wolfenbüttelschen

    • Ein Dämon

    • Geister

    • Hofherren

    • Ritter

    • Damen

    • Schmiedegesellen
    • [2]

1. Akt

1. Szene
Erste Scene
Herrmann. Chor der Schmiede.

HERMANN
der vor der Werkstatt sitzt und eine Sense wetzt.
Des Reitersmanns Leben
Ist Saus und Braus,
Sein Treiben, sein Streben:
Hinaus Hinaus!
Mit Fürsten und Herren er tauschet ja nicht;
Denn höher als Gold steht ihm Ehre und Pflicht.
CHOR
fortarbeitend und mit den Hämmern den Sang begleitend.
Denn höher als Gold etc.
HERRMANN.
Der Reitersmann achtet
Nicht Todesgraun,
Sein Auge nur trachtet
Den Feind zu schau'n.
[3] Sein Reichthum ist Freiheit, sein Liebchen der Krieg;
Ihn kümmern nicht Wunden, wird ihm nur der Sieg.
CHOR DER SCHMIEDE.
»Ihn kümmern nicht Wunden« etc.
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Suse.

SUSE
mit zwei großen Körben an beiden Armen.

Hinter ihr Hanns der Lehrjunge, mit zwei großen Krügen. Sie ist außer Athem und scheint schwer zu schleppen.

DIE SCHMIEDE
rufen ihr entgegen.
Vivat Jungfer Suse, vivat hoch!
SUSE
indem sie die Körbe niedersetzt mit komischem Spott sich verneigend.

Danke schönstens, verehrte Schmiedegesellen – Compagnie! Wahrlich, wenn ich nicht den unreinen Grund der hohen Ehre kennte, welche Ihr mir mit Eurem Vivat erweist, ich würde Freudenthränen vergießen; doch ich weiß Eure edlen Gesinnungen längst auswendig, Ihr Weinschläuche und Schelme. Eure Liebe für mich entspringt in Eurem hungrigen Magen, und die Hochachtung für Jungfer Suse sitzt lediglich in Euren durstigen Kehlen. – Na, ich will Euch Euren Eigennutz vergeben, es ist nun einmal nicht anders. Da, Käse und frisches Brod, und hier schickt Frau Else Wein vom großen Faß Numero Elfe, weil Ihr gestern und heute so schwere Arbeit gehabt. Wohl bekomm's!


Während des Sprechens treten die Gesellen heraus und lassen sich auf der Bank vor der Schmiede nieder, ein runder Tisch steht davor.
DIE GESELLEN.
Vivat! Frau Else!
HERRMANN
steht auf und scherzt mit Susen.
[4]
HANNS
für sich.

Die Gaudiebe! Da können sie schon schreien, wenn's nur wacker zu zechen giebt! Laut. Mit Verlaub, Ihr Herren, ich bin auch dabei, rückt zusammen.

ALTGESELL.

Warum nicht gar! Lehrbursche und Altgeselle auf einer Bank, das wär' was Neues! Steh Du ruhig zur Seite, Bürschchen, mußt noch wachsen, hast's nöthig.

HANNS.
Ich habe den Wein hergeschleppt, so will ich auch mittrinken.
ALTGESELL.
Trinken magst Du, kannst im Stehen auch schlucken.
HANNS
zornig.
Ei was, das ist –!
GESELLEN.
Wird er schweigen, der kecke Bursche?!
SUSE
zieht Hanns bei Seite.

Hanns, wirst Du gleich ruhig sein?! Was hilft es Dir, wenn sie Dir was anthun? Was hast Du davon? Daß ich mich kränke, und –

HANNS.
Aber –
SUSE
leise.
Höre, Hanns, willst Du mich im Ernst einmal heirathen?
HANNS.
Ja freilich, aber –
SUSE.

So lerne bei Zeiten gehorchen, sonst bist Du kein Mann für mich. Gleich gieb nach, ich will's, und damit Punktum.

[5]
HANNS
demüthig.
Na, sei nur nicht böse! – Bitte schönstens, Ihr Herrn, mir auch einen Becher.
SUSE.
So bist Du, wie ein rechter Ehemann werden soll.
ALTGESELL.

Jetzt sing' uns ein Lied, Herrmann. Wird mir gleich anders zu Muthe, höre ich vom Reitersleben. Das war eine Zeit, als ich und der Herr unter den Pappenheim'schen dienten! Vivat die Soldaten!

HERRMANN.
Da thu' ich Dir Bescheid, wackerer Bursche. Stößt an. Vivat die Soldaten!
ALLE.
Vivat!
SUSE.

Bewahre der Himmel! Was für ein Geist ist denn auf einmal in Euch gefahren? Ich stand schon eine Weile und horchte Euch zu, wie Ihr schwarzen Raben am Blasebalg von Krieg und Sieg krächztet. Hahaha! Stattliche Soldaten wärt Ihr ja mit den zierlichen Wämsern, woran man die Farbe eben so vergeblich sucht, als die rothen Wangen in Euren rußigen Gesichtern. Sonst, wenn ich das Vesperbrod brachte, hört' ich schon drüben am Steg:


Singt komisch.

»Der Hammerschmied muß scheiden,
Ade, fein Mägdelein!
Es thut ihn nicht mehr leiden,
Geschieden muß es sein.
Auf daß die Wand'rung er beginn',
Zu einer andern Meist'rin hin.«

Und jetzt träumt Ihr von nichts, als Soldaten und dergleichen. Ei, ei! Herrmann, bist Du es, der unsere friedlichen Gesellen so kriegerisch stimmt?

[6]
HERRMANN.
Sei mir darum nicht böse, Suschen, ich liebe nun einmal das Kriegshandwerk vor allen.
ALTGESELL.

Mögt's auch leicht besser verstehen, als die Schmiedearbeit; denn damit geht's schlecht genug von Statten.

HERRMANN
verlegen.
Ich diente lange als Reitersmann, hab's freilich im Feld fast ganz vergessen.
SUSE
nimmt eine seiner Hände und zieht ihn bei Seite.

Nehmt mir's nicht übel, aber Eure Hände sehen nicht aus, als hätten sie je Eisen geschmiedet oder Blasbälge in Bewegung gesetzt. Seht, neugierig bin ich nicht, das war nie mein Fehler – aber wissen möchte ich doch –

HERRMANN.

Was es für eine Bewandtniß mit mir hat? Ei Suschen, das weißt Du ja längst. Ich bin eines Sensenschmiedes Sohn, zog in den Krieg, hab's nun satt und suche, da es bald Friede wird, die alte Arbeit wieder auf. Da hast Du meine ganze Lebensgeschichte.

GESELLEN
essen und trinken, ohne sich weiter um Herrmann und Suse zu bekümmern, und necken Hanns.
SUSE.

So, so! Ei, ei! – Nun, da Ihr mir nicht vertrauen wollt, obgleich Ihr immer sagt, ich hätte so hübsche, ehrliche Augen, so will ich Euch etwas erzählen. Geheimnißvoll. Seht, wie vor drei Wochen der Herr wegreiste, um die Erbschaft in Linz zu erheben, gingen wir alle früher zu Bette als sonst, weil wir vor Tage schon aufgestanden waren. Es mochte lange Mitternacht vorüber sein, da hörte ich auf einmal im [7] Zimmer der Base laut sprechen. Neugierig bin ich nicht, aber wissen wollte ich doch, was das wäre, und da kroch ich leise zur Thür und sah durch eine Spalte, wie Ihr auf den Knien lagt, mit den Armen fochtet und dann also spracht: »Werthe Frau! erbarmt euch eines Verfolgten, den keine Schuld drückt, und den Ihr allein retten könnt.« – Frau Else schüttelte bedenklich den Kopf, darauf sagte sie: »Thue ich Recht, oder Unrecht, ich weiß es nicht, aber Euer Auge ist nicht das eines Schuldigen – ich will ihm vertrauen und Euch retten!« – Am andern Morgen kommt Ihr als Geselle in's Haus. Ich dachte immer, endlich würdet Ihr der kleinen Suse doch sagen, wie das zusammenhängt; da Ihr aber gar nicht sprecht und die Suse für so dumm haltet, wollte ich Euch nur zeigen, daß die dumme Suse auch zur rechten Zeit schweigen kann; denn ich habe meine Entdeckung keiner Seele mitgetheilt – Mit einem tiefen Athemzug. und das war keine Kleinigkeit, Ihr könnt mir's glauben.

HERRMANN
bestürzt, sie in die Wange kneifend.

Gutes, redliches Suschen, Du bist ja so hübsch, Suschen, so bildhübsch – Du gefällst mir zu sehr – sei auch klug und gedulde Dich nur noch zwei Tage, dann sollst Du wissen, was selbst Frau Elsen bis diese Stunde unbekannt blieb.

SUSE
froh.
Gewiß? Die Hand darauf.
HERRMANN
giebt ihr die Hand.
SUSE.

So, ich gefalle Euch also, und ich soll etwas erfahren, was die Frau Else nicht einmal weiß? Ach, lieber Herrmann, nun kann ich's ja gar nicht mehr aushalten, sagt mir's lieber gleich.

HANNS
der zwischen Beide schlich, steckt den Kopf zwischen sie hinein.

So! Jungfer Suse, nur hübsch gescharwenzelt mit dem [8] neuen Gesellen – das wäre ja Schade, wenn man sich Gewalt anthäte.

SUSE
ärgerlich.
Nun, das denke ich auch, Jammerschade wär's!
HANNS.
Suse, mit uns wird's bald aus sein.
SUSE
schnippisch.
Ei? – Ich denke, da müßte es erst anfangen.
HANNS.
Was? Hast Du mir nicht versprochen, daß Du mich heirathen willst?
SUSE.
Ja, wenn Du erst einen Kopf höher wirst.
HANNS.
Nun, und habe ich nicht alle Aussicht darauf?
SUSE
immer eifriger.

Aussicht genug; denn Du kannst ohne Schaden noch zwei Köpfe größer werden, ehe Du zur Einsicht kommst.

HANNS.
O, da könnte sich die Jungfer irren. – Die Einsicht ist schon da, wir taugen nicht für einander.
SUSE
die Thränen verbeißend.

So? Merkst Du das jetzt erst? Mir ist's schon lange klar. Ein eifersüchtiger Lehrbursche und eine arme Waise sind freilich nicht für einander geschaffen.

GERTRUD
kommt im Hintergrunde über einen Hügel.
ALTGESELL.
Die Frau Bürgermeistern! – Kinder, haltet Ruhe.
[9]
SUSE
erschrocken, schnell demüthig.
Guter Hans, verrathe mich nicht; sie sagt Alles der Base wieder.
HANNS.
Ja, jetzt bin ich der gute Hanns. Zornig. Sapperment, in mir ist aber keine gute Ader mehr.
3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Gertrud.

GERTRUD
in der alterthümlichen Bürgertracht des siebzehnten Jahrhunderts, kostbar gekleidet – ihr Gesicht ist bleich, ihre Züge drücken innern, schweren Kampf aus.
Finster. Guten Abend, Gesellen! –
GESELLEN
stehen auf und nehmen die Mützen ab.
Schönen Dank, Frau Bürgermeisterin.
GERTRUD
zu Suse, die einen Knix macht.
Ist Frau Else im Hause? –
SUSE.

Nein, drüben im großen Hammerwerk. Weil der Herr abwesend, hält sie überall selbst Aufsicht. Doch, wollt Ihr sie sprechen, so zieht nur an der Glocke des Wohnhauses, sie hört's bis zum Hammer hinüber.

GERTRUD.
Schon gut, gehabt Euch wohl. Sie geht dahin ab, woher Suse kam.
GESELLEN
ihr nach.
Guten Abend, guten Abend!

Es schlägt Sieben.

Feierabend! Feierabend! Stehen auf und verlieren sich nach dem Hintergrunde.
[10]
4. Szene
Vierte Scene
Vorige ohne Gertrud und Gesellen.

HANNS.
Suse, ich gehe.
SUSE.
Meinethalben, geh'!
HERRMANN.
Eine Frage, Suschen! Wer ist die junge Frau?
SUSE.

Saht Ihr sie noch nicht? Ach ja so – sie kam immer den andern Weg vom Städtchen her, und Ihr wart hier auf der Schmiede. Ja, da müßte ich Euch eine lange Geschichte erzählen. Geschwätzig. Seht, das ist eigentlich –

HANNS
zupft sie stark am Rocke.
SUSE
stampft ärgerlich mit dem Fuße.
I, geh Deiner Wege, – wenn ich reden will, muß man mich reden lassen.
HANNS
zornig.
Nun, so schwatze bis zum jüngsten Tag! Ich springe in den See.
SUSE.
Wirst nicht lange drin bleiben, das Wasser ist heute sehr naß.
HANNS
läuft ab.
SUSE
vergnügt, daß sie nun wieder reden kann.

Ja seht; die Bürgermeisterin ist eigentlich die Tochter des reichen Stadtpflegers im Orte, und mit ihrer Bürgermeisterschaft [11] hat es seine eigne Bewandtniß. Ehe meine Base Else heirathete, war sie ledig, na, das könnt Ihr Euch denken – aber sie war ein armes Ding, und so hübsch und brav sie war, wollte sich doch kein Freier melden, gerade – wie's jetzt mit mir geht. Da vergaffte sich der Sohn des reichen Sensenschmiedes in sie, und weil der Vater nicht wollte, ward der Sohn störrisch und ging, mir nichts, dir nichts, unter die Pappenheimer. Nach drei Jahren kam er wieder im stattlichen Soldatenrock und verrückte allen Jungfrauen hier den Kopf, und Alle thaten ihm schön, er aber war meiner Base Else so treu geblieben wie sie ihm. Nun, da munkelte man, daß die reiche Pflegerstochter Gertrud dem Rudolph mehr geneigt sei, als ziemlich für eine sittsame Dirne, auch soll sie ihm die Ehe angetragen haben; doch er wies Alles von sich und heirathete Elsen, da sein böser Vater starb. Sie lebten froh und glücklich, die Gertrud aber war voll Neid und Galle, und auf einmal kam der Bürgermeister aus der nächsten Stadt und freite um sie. Das war eine Hochzeit! – Nein, so was habt Ihr mein Lebtag nicht gesehen! Musikanten und Schnurranten dudelten, daß man fast taub wurde von dem Lärm, die Kranzeljungfern strotzten alle in Seide, und die Braut glitzerte wie ein Christbaum voll Goldpapier und Lichter. Als ich aber vollends den Bräutigam sah, mit seinem stattlichen Schmerbauche, den krummen Sichelbeinen und den rothen Locken. Da ward mir ganz seltsam zu Muthe; denn um die Pracht der ganzen Welt, ja nicht einmal um den prächtigen Titel »Frau Bür germeisterin« wäre ich mit dem zum Altar gegangen. Nun, daß ich's kurz mache – sie reiste also mit ihrem Manne zur Stadt und lebte dort mit lauter reichen, vornehmen Leuten, bis er starb. Nun kam sie vor einem Jahre plötzlich wieder hierher. Jung und hübsch genug ist sie, sie könnte alle Tage einen Mann haben, Seufzt tief. die Glückliche! – Aber ich wollte wetten, sie ist noch immer in den Rudolph vernarrt. Sie wußte das Ding so lange zu drehen und zu wenden, bis sie zu uns in's Haus kam. Nun besucht [12] sie uns allwöchentlich und thut so zuckersüß mit der Base, daß es eine Freude ist. – Else, die gute Stunde selbst, merkt nichts; ich aber sage: »mit der ist's nicht richtig, sie führt was im Schilde; denn sie hat zweierlei Gesichter und solche Menschen taugen nichts.« – Na, nun geht mir aber schon der Athem aus – jetzt wißt Ihr Alles, was ich weiß, nun vertraut mir geschwinde, was Ihr wißt; denn ich kann's schon vor Neugier nicht mehr aushalten.

HERRMANN.
Nun, mein liebes Suschen, Du hast mir weit mehr erzählt, als ich eigentlich wissen wollte, aber –
SUSE.

So, jetzt habt Ihr's nicht einmal wissen wollen? Warum fragt Ihr denn? Warum laßt Ihr mich schwatzen bis mir die Zunge lahm wird?

ELSE
hinter der Scene.
Suse! Suse! – Wo bist Du denn?
SUSE
erschrocken.

O weh! Die Base! Was wird sie denken, wenn sie mich hier allein mit Euch trifft? ich schäme mich! Sagt, ich wäre nicht hier, ich wäre zur Schmelzhütte gegangen, sagt, was Ihr wollt, nur verrathet mich nicht – aber wegen –

ELSE
näher.
Suse, Suse! hörst Du nicht?
SUSE
in komischer Eile.

Morgen müßt Ihr mir's sagen, was es für eine Bewandtniß mit Euch hat, ich kann's Euch nicht schenken, denn wenn ich's nicht erfahre, so wird's mein blasser Tod. Läuft hinter die Schmiede ab.

HERRMANN
sieht ihr nach.

Ländliche Einfalt, ich werde Dich mit Undank belohnen [13] müssen; denn Du wirst nie erfahren, wer der Herrmann war. Ich muß fort von hier, denn ich bin verrathen.

5. Szene
Fünfte Scene
Else. Gertrud. Herrmann.

ELSE.

Aber Suse! Auch hier ist das Mädchen nicht! Guten Abend, Herrmann; wo steckt die kleine Hexe? Was gilt's, sie läuft wieder mit dem Hanns umher, indeß drüben im Hammer die Arbeiter nach dem Abendbrode verlangen. Sie geht hin und räumt die Becher in den Korb. Ei, ei! da liegt und steht noch Alles, wie es die Gesellen verließen, die Suse wird alle Tage nachlässiger, muß auf etwas denken –

GERTRUD
finster.
Sie zu strafen! sie verdient es wohl, sie ist keck und leichtsinnig.
ELSE
gutmüthig lächelnd.

Wie alle Mädchen von Siebenzehn Jahren, die gesund und rüstig sind. Muß das Mädchen verheirathen, da wird sie schon zur Vernunft kommen. Nehmt's nicht übel, Frau Gertrud, ich folge Euch gleich zum See, aber Ordnung muß erst sein. Das Mädchen muß mir erst zum Hammer hinüber.

GERTRUD.
Ihr seid zu nachsichtig gegen die Dirne.
ELSE.

Laßt's gut sein, sie ist verliebt, wir waren's ja auch einmal und unter uns, ich bin's noch heutigen Tags. Ach! Gertrud lacht mich nicht aus, aber wenn mein Rudolph hier ist, bin ich oft zerstreuter als das Mädchen. Zehn Jahre sind wir nun verbunden, aber noch ist er wie am Tage unserer Hochzeit, und ich – wenn ich's recht gestehen [14] sollte, närrischer als in der ersten Stunde, da er mir seine Liebe gestand. Ein braver Mann ist doch recht eine Gottesgabe! – Wer einen solchen fand, der halte ihn hoch in Ehren; denn man sagt, es wären ihrer heutigen Tages nicht im Ueberfluß vorhanden.

GERTRUD
bemüht, ihre Erschütterung zu verbergen.
Ja wohl! ja wohl! Ich mußte es mit Schmerzen erfahren.
ELSE.

Ich habe da eine traurige Erinnerung geweckt – vergebt mir, ich dachte wahrlich nicht daran. Aber die Suse kommt immer nicht, geh Herrmann, sei so gut und suche sie auf.

HERRMANN.
Wie Ihr befehlt, Frau Else! Doch vorher auf ein Wort – Zu Gertrud mit aller Art. Vergebt mir, Dame.
GERTRUD
sieht ihn verwundert an, geht dann nach der Bank und läßt sich nachdenkend nieder.
ELSE.
Was ist's, Herrmann?
HERRMANN
leise.

Meine Wohlthäterin! Ich kann diese Gegend nicht verlassen, ohne Euch zuvor gedankt zu haben für Eure Hilfe in der Noth.

ELSE.
Wollt Ihr denn schon fort, Herr?
HERRMANN.

Ich kann es jetzt ohne Gefahr wagen, die Verfolger haben meine Spur verloren, hier bin ich verrathen. Ich wollte verschwinden, wie ich kam, aber ich vermag es nicht, mein Herz zog mich zurück, ich mußte Abschied von Euch nehmen.[15] Gott lohne Euch! Die Hoffnung winkt mir, bald vielleicht kann ich zur Heimath wiederkehren, und dann werdet Ihr von mir hören. Drückt ihre Hand an seine Lippen und eilt schnell ab.

ELSE.
Lebt wohl, mein lieber Herr! Sieht ihm gerührt nach. Guter, braver Mensch!
GERTRUD
kommt wieder vor.
Was ist's mit ihm? Wer ist er? Ein Schmiedegeselle wohl nimmermehr.
ELSE
lächelnd.
Zum ersten Male in meinem Leben quält mich die Neugier – wahrlich, das weiß ich Euch nicht zu sagen.
GERTRUD
rasch.
Wie, Ihr wißt nicht, wer er ist?
ELSE.
Gewiß nicht, warum sollte ich es sonst verschweigen?
GERTRUD.
Aber, wie kam er zu Euch?
ELSE
stockend.

Nun, wie alle unsere Gesellen; doch von ihm allein weiß ich's nicht, woher er kam, noch wohin er zu gehen gedenkt.

GERTRUD
von einem Gedanken ergriffen.
Ich könnte Euch dies zu wissen verschaffen – doch Ihr wollt ja nicht.
ELSE.

Ei, Gertrud! Seht, das ist nun einmal nicht recht von Euch, daß Ihr mir immer erzählt von Eurer geheimen Wissenschaft, und mich reizen wollt, dergleichen auch zu lernen. Ich halte so was für sündlich, und –

GERTRUD.

Pfui! Schämt Euch Else! Sprecht Ihr nicht, wie ein [16] Kind, dem man Ammenmährchen erzählt? Es giebt geheime Kräfte, die sich nur dem höhern Geiste anschmiegen, nur von diesem sich zu seinem Zwecke nützen lassen. Das kann doch nimmer Sünde sein, einzudringen in die Geheimnisse der Natur? –

ELSE.

Das ist Alles gut; – Ihr sprecht recht gelehrt davon, – aber mein einfacher Sinn hält es einmal für Unrecht, mehr wissen zu wollen, als jeder andere fromme Christenmensch auch weiß.

GERTRUD.

Ihr seid thöricht! Mich gerade erhebt der Gedanke, mehr zu wissen, als der gewöhnliche Alltagstroß. Bin ich nicht fromm? Gehe ich nicht fleißig zur Messe, verläßt ein Armer ungelabt meine Thür? So kann mein Treiben auch nichts Schlimmes sein. Versucht es nur einmal; gebt mir sieben Haare von Eurem Haupte, mehr bedarf es nicht, und morgen um diese Stunde kann ich Euch sagen, wer dieser räthselhafte Jüngling ist, was er war, und was er sein wird.

ELSE
mit heimlicher Neugier.

Ei! Hm! Warum nicht gar! Sieben Haare? Das klingt seltsam. Freilich Sie zieht die goldene Nadel aus dem aufgewundenen Haare, es fällt aufgerollt über ihre Schultern. Haare hätte ich genug, die sieben könnte man wohl hundert Mal herausziehen, ehe ich sie vermißte.

GERTRUD
sieht sie mit lauernden Blicken an.
ELSE.

Das ist doch wahrlich seltsam! Sie zieht die Haare durch die Finger. Wie soll man aus fremden Haaren Vergangenheit und Zukunft eines Dritten weissagen können? O geht, Ihr wollt mich necken.

[17]
GERTRUD
sich kaum verbergend.

Nein, wahrlich nicht, versucht's nur – was liegt an ein paar Haaren, wagt sie an den Scherz, weiter ist es ja nichts, und täusche ich Euch, Scherzend. der Verlust ist ja nicht unersetzlich.

ELSE
lachend.

Nein, darin habt Ihr Recht. Wissen möchte ich doch, wen ich da beherbergte. Am Ende ist's ja doch nur ein Scherz. Sie zählt indeß aus dem aufgerollten Haare. Eins, Zwei – Drei – und nicht wahr, Gertrud, sagen werdet Ihr's Niemandem?

GERTRUD
schnell betheuernd.
Gewiß nicht!
ELSE
zählt.

Vier – Fünf – Sechs – Nein, wenn das die Suse wüßte, daß die Else, die zehn Jahre älter ist, als sie, noch so neugierig wäre, ich schämte mich ja zu Tod – Sieben! – Sie faßt die gezählten Haare an und zieht sie herzhaft aus. In diesem Augenblicke flattert eine Wolke von Raben über die Bühne. – Else stößt einen Schrei aus und fährt mit der Hand nach dem Kopfe.

GERTRUD
faßt schnell nach den Haaren, schlingt sie um die Hand und ruft.
Was ist Euch?
ELSE.
Weh mir! Ein stechender Schmerz im Kopfe!
GERTRUD
widerlich lachend.

Einbildung, weiter nichts. – Nun, morgen Abend komme ich wieder und stille Eure Neugier. – Den Gang nach dem See unterlassen wir wohl heute, denn es steigt ein schweres Ungewitter auf. – Seht wie es finster wird, ich darf eilen, um nicht vom Regen überfallen zu werden. Gehabt Euch wohl, Freundin! Morgen auf Wiedersehen. Sie eilt ab.


Es wird Nacht.

[18]
6. Szene
Sechste Scene
ELSE
allein.

Wie ist mir denn? Welch ein seltsamer Schauer durchrieselt mich? Wie betäubt ist mein Kopf! Mir wird ganz unheimlich zu Sinne. – Hm! Hm! Im Grunde war's doch nicht recht. Sagt nicht die Schrift: Laß dich den Bösen bei einem Haare fassen – Fröstelnd. Ei, wie fällt mir das auch eben jetzt ein? Ein Windstoß. Es ist so einsam hier und wird so finster. – Hu! der Wind saust schon durch die Eichen! Ruft. Suse! Suse! Wenn nur wenigstens das Mädchen hier wäre. Suse!

SUSE
hinter der Scene.
Da bin ich, Base! Da bin ich!
ELSE
aufathmend.
Endlich! Gott sei Dank!
7. Szene
Siebente Scene
Else. Suse.

SUSE
kommt athemlos von der Seite, wohin Herrmann und Gertrud abgegangen.
Da bin ich – Da bin ich, Base! Ich bin da!
ELSE.

Das sehe ich! Wo steckst Du denn? Und was ist Dir begegnet, daß Du so furchtsam und scheu umherblickest? Ihre Furcht schlecht verbergend. Du wirst Dich doch nicht fürchten?

SUSE.

Nein Base, gar nicht, obgleich der Wind in den Bäumen saust und schwarze Wetterwolken aufsteigen, Mit zitternder Stimme. fürchten thu' ich mich doch nicht. Aber geschehen ist mir etwas, ich kann es gar nicht sagen, es ist mir so was Seltsames begegnet!

[19]
ELSE
gezwungen lachend.
Ja, ja, Jungfer Suse ist eine wichtige Person, der kann auch etwas begegnen.
SUSE
beleidigt.

So! Meint Ihr nicht, da sollt Ihr's gleich anders hören. Ich saß unter den Erlen und sah auf den See hinunter und dachte eben – Stockt.

ELSE.
Nun, woran dachtest Du?
SUSE.

An nichts, Base, an gar nichts. Nun wie ich so in meinen tiefen Gedanken sitze, kommt Jemand aus dem Gesträuch, nimmt mich am Kopfe und giebt mir einen herzhaften Kuß, da seht – Hält die Wange hin. da sitzt er noch.

ELSE.
Und das littest Du so geduldig?
SUSE.
Ja, ich wollte mich eben wehren, da lief er aber schon davon.
ELSE.
Ei der Tausend! – Und wer war denn der Jemand?
SUSE
dumm.
Wer's war –?
ELSE.
Nun ja, Du mußt's doch wissen!
SUSE.
Na, Base, das weiß ich nicht, ich habe ihn nicht im Gesichte gesehen.
ELSE.
Nicht? So, und er küßte Dich doch?
[20]
SUSE
noch dümmer.

Ach, Base, ich drückte vor lauter Schreck die Augen fest zu. – Ihr könnt mir's glauben – ich sah ihn nicht an.

ELSE.
Sollte es nicht der Hanns gewesen sein?
SUSE
sehr schnell, heimlich triumphirend.
Nein, nein, Base, der Hanns war's nicht.
ELSE.
Nicht? Woher weißt Du denn das so gewiß, wenn Du ihn nicht ansahst?
SUSE
sehr verlegen.
Nein, das kenn' ich gleich, der Hanns küßt nicht so mir nichts, dir nichts.
ELSE.
Also der Hanns küßt Dich doch auch?
SUSE
erschrocken.

Das habe ich nicht gesagt, Base!Fast weinend. Ihr fragt einen aber auch so aus, man weiß gar nicht mehr, wo man hin soll. –

ELSE.
Nun, sei nur ruhig. Sollte der herzhafte Je mand nicht Herrmann gewesen sein?
SUSE
schnell und froh.
Ja, Base, der Herrmann war's.
ELSE.
Ei, was Du doch Alles mit geschlossenen Augen siehst! Den Herrmann hast Du also gesehen?
SUSE.
Nun seht, einmal hab' ich nur so ein Wenig geblinzelt –
[21]
ELSE.

Gut für Dich, daß der Bursche – Unterbricht sich schnell. Nun erzähle nur, was Dir denn eigentlich geschah!? –

SUSE.
Ist Euch das noch nicht genug? Mir schon!
ELSE.
Nun deshalb brauchst Du Dich doch nicht so zu fürchten?
SUSE.

Nein, deshalb gewiß nicht, Base, aber seht, Ihr dürft mich nicht auslachen; als ich noch dort saß, und mich wunderte, wie der Herrmann doch so schnell laufen könne, flog auf einmal eine ganze Wolke großer Raben krächzend über mich hin, und nach einer Weile schoß die Bürgermeisterin wie ein Pfeil an mir vorüber, dem Felsenweg zu, wo die Alte vom Berge wohnt. Sie lachte tückisch vor sich hin, bis sie zwischen den Felsen verschwand. Da war mir auf einmal so unheimlich, daß ich vor lauter Furcht anfing zu laufen, was ich konnte, und als über mir die Bäume zu sausen begannen, da meinte ich alle Augenblicke, es hätte mich Einer am Kopfe. Seht, deshalb fürchtete ich mich so, als –Eine große Nachteule ließ sich indeß auf die Schmiede nieder, schlägt mit den Flügeln und glotzt mit feurigen Augen herab. ich kam und Euch traf, Base – Sieht sich um. Aber ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch auch. Sie schmiegt sich an sie an.

ELSE
mit zitternder Stimme immer näher zu Suse hinrückend.
Ich? Warum nicht gar! Du bist wohl nicht klug.
SUSE
zitternd.

Ach, liebe Base, sagt, was Ihr wollt, Ihr fürchtet Euch. Ausbrechend, mit weinerlicher Stimme. Na, da möchte ich wissen, warum sich unsereins schämen soll, wenn sich so eine kluge Frau, wie die Base fürchtet!

[22]
ELSE.

Närrisches Ding, wovor denn? Sie sieht heimlich um sich, erschrocken. Suse, Suse! Siehst Du die Eule dort?

SUSE
sieht sie.

O weh! O weh! Das ist gewiß eine Gevatterin der alten Hexe vom Berge. Seht, wie uns das häßliche Thier anglotzt! Base, lauft davon mit mir, geht nach Hause, es ist immer besser in Gesellschaft einer ehrlichen Gans in der Küche sitzen, als sich von dem Beest angaffen zu lassen. Kommt Base, kommt!

ELSE
zitternd.
Mich durchrieselt es eiskalt, und doch kann ich die Blicke nicht von dem gräßlichen Vogel wenden.

Die Eule bewegt die Schwingen.
SUSE
schreit auf.

Gott steh uns bei, das Vieh versteht Deutsch! Sobald sie ruft; »Gott steh' uns bei«, fliegt die Eule mit starkem Flügelschlag davon. Da fliegt es hin, am Ende uns nach. Base, thut, was Ihr wollt, ich laufe. Läuft ab.

ELSE
hinter ihr her.
Suse, warte doch, ich gehe mit!Läuft ihr nach, ab.

Verwandlung
Eine finstere Felsenhöhle.
Schränke und Tische von seltsamer Arbeit an den Wänden umher. Vom Plafond herab hängt an eisernen Ketten eine riesengroße Eidechse, im Rachen eine brennende Fackel haltend, welche die Höhle matt erleuchtet. Auf den Schränken und Tischen sitzen große Katzen von verschiedenen Farben mit feurigen Augen. In der Mitte der Bühne ein schwarzer Kessel. Als es verwandelt, beginnt die Musik und ein unsichtbares Chor. Während des Chors steigt Die Alte vom Berge in grauer Vermummung aus der Erde. Sie sitzt auf einem Schemel, zu ihren Füßen kauern zwei Katzen, um ihren Hals schmiegt sich eine Schlange, neben ihr ein Stein, worauf eine Flamme lodert.

[23]
8. Szene
Achte Scene
Die Alte vom Berge. Gertrud.

CHOR
hinter der Scene.
Die schwarze Saat
Reift schnell zur That,
Sie kommt, sie naht,
Erfüllend den Rath.
Ihr Schwestern, das Opfer ist bereitet,
Von bösen Geistern wird's hergeleitet.

Während des Gesanges flattern die Raben über die Bühne.
GERTRUD
stürzt nach wenig Augenblicken bleich und mit aufgelöstem Haar in die Höhle.
Die Musik, begleitet melodramisch die ganze Scene. In fieberhafter Aufregung.
Wie ich versprochen, Weib, hab' ich gethan;
Doch zög're nicht den Lohn mir zu gewähren;
Die Zeit entflieht, schon naht der Mai heran,
Und Rudolph wird zurück zur Heimath kehren;
Begonnen und vollendet sei die That,
Eh' sehnend er dem Kreis der Seinen naht.

Pause.
DIE ALTE.
Mit flüchtigen Sohlen
Eilst Du heran; –
Wie ich befohlen,
Hast Du gethan?
GERTRUD.
Sie hat sich gegeben
In meine Hand;
Daß Wahrheit ich spreche,
Verbürget dies Pfand. –
Hier sind sieben Haare
Von Elsens Haupt,
Sie gab sie freiwillig,
Nicht sind sie geraubt.
[24]
DIE ALTE
grinsend.
Da warst Du recht fleißig
Lieb' Töchterlein,
Kannst's kaum mehr erwarten,
Willst eilig frei'n. –
Ich muß Dich ja loben;
Doch Tochter fein,
Ich hab' Dich gewarnt,
Sollst blind nicht sein,
Ich will Dir erst zeigen
Das eig'ne Loos,
Ob's gleich noch verhüllet
Der Zeiten Schooß.
GERTRUD.
Mach nicht so viel der überflüß'gen Worte;
Die Gegenwart zu nützen kam ich her. –
Nicht öffne mir der Zukunft düstre Pforte;
Von meiner Bahn giebt's keine Rückkehr mehr.
Wie Du versprachst, die Pflanze laß erstehn,
Daß meine Wünsche ich erfüllt mag sehn.
DIE ALTE.
Dein Loos ist gefallen,
Du hast's erwählt;
Doch frei ist Dein Wille,
Dein Herz sei gestählt.

Sie tritt zu dem Kessel und gießt eine Phiole hinein, alsbald schlägt eine helle Flamme empor.

Hier sind sieben Haare von Elsens Haupt,
Sie gab sie freiwillig, nicht sind sie geraubt.
Gleich wie aus dem Vorsatz entspringet die That,
Erhebe dich Baum aus der giftigen Saat.

Aus dem Kessel entstehen langsam: Erst ein Kranz kolossaler grüner Blätter und Zweige, denen der Aloë ähnlich, dann erhebt sich nach und nach aus den Blättern eine riesengroße purpurrothe Tulpe, auf einem grünen Stamme, welcher immer höher wächst, bis die Pflanze ungefähr Mannshöhe erreicht.
GERTRUD
blickt schaudernd hin.
[25]
DIE ALTE.
Nicht wahr, Du erbebest, Dein Herzblut erstarrt.
Siehst Du sich gestalten, was längst Du erharrt.
Ermessen nur kannst Du, was jetzt Du gesäet;
Doch nimmermehr ahn'st Du die Frucht, so entstehet.
GERTRUD.
Was soll mir die Pflanze riesengroß?
ALTE.
Reiß kühn von dem Stamme dies Zweiglein Dir los.

Sie deutet auf einen Zweig, an dem eine rothe Knospe hängt.
GERTRUD
will darnach greifen, hält aber zögernd inne.
ALTE.
Das wahrst in der Kammer Du sorglich und still,
Auf daß es Dein Wünschen und Hoffen erfüll'.
Im Thau dieses Zweigleins benetz' Dein Gesicht
Bei jeglichen Morgens erwachendem Licht;
Tritt dann vor den Spiegel; denn was Du begehrt,
Das hat Dir die Macht dieser Pflanze gewährt.
GERTRUD
sich überwindend.
Es bebt meine Seele, der Herzschlag steht still!
Fort kindisches Grausen! – Es sei denn – ich will!

Sie tritt hinzu und erfaßt mit kräftiger Hand den Zweig, bemüht sich, ihn von dem Stamm zu reißen. Plötzlich schreit sie auf.

Welch wilder Schmerz – weh mir! – mein Herz will brechen.

Sie stürzt mit dem abgerissenen Zweig in der Hand sinnlos zu Boden. Leiser Donner. In diesem Augenblicke entfaltet sich der Kelch der Tulpe und enthält ein kolossales Dömonenhaupt. Zwischen den Blättern werden in einem Kreis unter diesem kleinere, lachende Fratzen sichtbar. Im Hintergrunde spaltet sich die Wand und graue Schattengestalten in Gruppen, blau beleuchtet, werden sichtbar, sie deuten triumphirend auf Gertrud.
DIE ALTE
steht plötzlich in einem feuerfarbenen Gewande da.
Es wird die That sich an dem Thäter rächen!

Unter dieser Gruppe und wilder Musik fällt der Vorhang.
[26]

2. Akt

1. Szene
Erste Scene
Else. Suse. Friedel.

ELSE
am Spinnrocken.

Nun, Suse, Du hängst ja gewaltig den Kopf. Was fehlt Dir denn heute? Es ist ohnedem so traurig, wenn Rudolph nicht daheim ist, und wenn nun vollends Dein Plappermaul still steht, wird einem ja gar Zeit und Weile lang.

SUSE
Garn abwindend.
Mir ist nichts, Base, gar nichts.
ELSE.
Wer's glaubt. Ich wollt's fast rathen –
FRIEDEL
am Boden sitzend, ein großes Buch im Schooß, auf's Buch deutend.
Mutter! Ist das der Wallenstein?
ELSE
sieht in das Buch.
Was fällt Dir ein, Friedel? Das ist der Kaiser Nero. Hat's Dir Dein Vater nicht oft genug gesagt?
[27]
FRIEDEL
schlägt auf das Buch.

Nein, Mutter, der mit dem großen Bart und der spitzigen Mütze ist der Wallenstein, das muß ich wissen – Herrmann hat mir's gesagt.

ELSE
gutmüthig.

Nun, meinetwegen, liebes Herz, so mag's der Wallenstein sein. Der Herrmann hat mir alle Köpfe verdreht; der Jungfer hier, dem Friedel und den Gesellen, die nichts träumen als vom Reitersleben.

FRIEDEL.

Ja, Mutter, ich werde auch ein Reitersmann. Der Vater bringt mir aus Linz einen hölzernen Gaul mit, er hat's gesagt.

ELSE.
Ja, ja, mein Junge!
FRIEDEL.
Aber, wo steckt denn der Herrmann? Kommt er denn nicht bald?
ELSE.
Nein, mein Kind, er kommt gar nicht wieder, er ist nach seiner Heimath gewandert.
SUSE
springt auf.
Dacht ich's doch, der schlechte Mensch! Nein, das ist zum ärgern.
ELSE
steht verwundert auf.
Der schlechte Mensch! Suse! Was fällt Dir ein? Ich will nicht hoffen –?
SUSE
halb weinerlich.

Ja Base, schlecht ist's von ihm mich so anzuführen. Gestern versprach er mir, in zwei Tagen sollte ich Alles erfahren, was es für eine Bewandtniß mit ihm habe, woher er komme, wohin er gehe, kurz Alles, und nun läuft er fort,[28] und ich weiß nichts, und die Neugier bleibt ungestillt. Ach Base, wenn's mir nur nicht Schaden thut.

ELSE
lachend.

Ja, ja, da ist allerdings was zu fürchten. Pfui! Schäme Dich! Ein Mädchen in Deinen Jahren, und so neugierig sein. –

SUSE.
Seid Ihr nie neugierig gewesen, Base?
ELSE
stotternd.
O ja – doch – zu Zeiten – aber so! –
SUSE.

Na, so geht mir's auch – ich bin auch nur zu Zeiten neugierig, aber wenn ich nun einmal anfange, und dann nicht Alles genau erfahren kann, muß ich vor Aerger weinen, – wie mir's jetzt geschieht.

ELSE
gutmüthig.

Suse! Suse! Wenn Du nur aus Aerger weinst, ist's gut, aber, aber – ich denke, Du solltest heirathen, das wäre das Beste.

SUSE
wie versteinert.
Heirathen, Base? Das mein' ich auch; aber wen denn?
ELSE
scherzend.

Ja, das ist der Umstand. Der reiche Schneider Martin hat neulich auf dem Jahrmarkt um Dich geworben, der wäre keine üble Parthie.

SUSE
erschrocken.

Base, liebste Base! goldne Base! Um's Himmelswillen, das kann Euer Ernst nicht sein. Denkt nur, wie alt und häßlich er ist. Seine Nase glänzt wie Karfunkel, und drei Frauen hat er schon begraben.

ELSE.
Was thut's? um so mehr wird er die vierte zu schätzen wissen.
[29]
SUSE.
Base, goldne Base, denkt doch nur, er hat vor vier Wochen die letzte Tochter verheirathet.
ELSE.
Aber er ist reich, und Du wirst Frau Meisterin.
SUSE.

Reich! Du lieber Himmel! Wie hat er's erworben? Mit Wucher und Sünde – der abscheuliche Mensch! Hat er nicht neulich der armen Wittwe das letzte Kalb genommen, weil sie die Trauerkleider für sich und die Würmer nicht sogleich bezahlen konnte? Nein Base, ehe ich auf solche Art Frau Meisterin werde, macht mich lieber – zur Frau Lehrburschin.

ELSE.

Ei das wäre mir ein prächtiger Titel! Nun warte nur bis mein Mann kommt, der soll Dir den Kopf zurechtsetzen.

FRIEDEL
der indessen mit dem Buche spielt.
Suse hat Recht, daß sie keinen Schneider will, soll einen Reitersmann nehmen.
SUSE
rasch.
Wär' mir auch lieber, wenn ich nur schnell einen hätte.
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Schneider Martin.

ELSE.
Still, Plaudertasche, da kommt wahrlich der Martin im Bratenrock, prächtig anzusehen.
SUSE.
Ja wohl, die rothe Nase leuchtet auf zehn Schritte durch's Gebüsch.
[30]
ELSE.

Der Martin ist ein böser Mensch, ich mag nichts mit ihm zu schaffen haben. Sieh Du zu, wie Du ihn los wirst. Komm Friedel, geh mit. Mit Friedel in's Haus ab.

SUSE.
Ja, die Base hat gut reden – da laufe ich lieber auch davon. Sie will ab.
MARTIN.
Holla he! Jungfer Suse! Dageblieben! Da wären wir.
SUSE.
Das sehe ich, leider Gott, daß Ihr da seid.
MARTIN
ohne sie zu beachten, setzt sich im Vordergrund breit nieder.

Kein kleiner Weg aus dem Ort in's Thal daher! Uff! Wischt sich ab. Das ist warm, könnte gleich zerfließen vor Hitze, wenn sichs nur für einen ehrbaren Bräutigam schickte. – Na so weit wären wir mit Gottes Hilfe! – Also Jungfer Suse, hört einmal. Ihr seid ein niedliches Ding bis auf die allzukleine Nase, welcher Mangel jedoch, wie ich vernehme, an Eurer Zunge reichlich ersetzt sein soll.

SUSE.
Wäre möglich!
MARTIN.

Da mich also die Langeweile gewaltig plagt, und ich gerne so ein plauderhaftes Wesen um mich leiden mag, mit dem ich bald tändeln und scherzen, bald zanken und keifen kann, so habe ich Euch, der ärmsten Dirne im Dorfe, die Ehre zugedacht, Euch zu meiner ehelichen Sponsin, zur Frau Schneidermeisterin in aller Form Rechtens zu erheben – wasmaßen ich allhier den Verlobungsring an Euren Finger und den Strauß in Euer Mieder stecke.

SUSE
bei Seite.

Warte! Laut. Ach, lieber Meister, die Base hat mir [31] schon alles gesagt, ich weiß gar nicht, was ich nur anfangen soll vor Glück und Freude.

MARTIN
schmunzelnd.
Schau, schau, wie die Wetterhexe zierlich spricht.
SUSE.
Aber Meister! ihr seid ja ganz roth. – Ist's wahr, daß Ihr so vollblütig seid?
MARTIN.
Ja, mein Täubchen, 's ist so, gefallen Dir die rothen Backen?
SUSE.
O sehr! Seht, man sagt' mir immer, daß vollblütige Leute zum Zorne geneigt wären.
MARTIN.

'S ist wahr! Suschen, 's ist wahr, Du mußt in unserer Ehe sehr auf der Hut sein; denn ich kann mich gleich ärgern, daß mich der Schlag treffen könnte.

SUSE
springt umher und klatscht freudig in die Hände.
Ach, das ist schön, das ist prächtig!
MARTIN
verwundert.
Was ist schön?
SUSE.

Daß Ihr Euch so ärgern könnt. Ihr werdet mir doch gleich im Ehecontrakt verschreiben, was ich bekomme, wenn Ihr sterbt?

MARTIN.
Nun freilich: Tausend Silbergulden. Aber reden wir von was Anderem.
SUSE
ausgelassen.

O, das ist prächtig! Das ist prächtig! Mit tausend Gulden kaufe ich dann eine Schmiede. Still stehend. Wann ist denn die Hochzeit? Ich kann's gar nicht erwarten.

[32]
MARTIN
verblüfft.

Aber was schwatzt denn die Suse? Worüber freut sie sich so? Und was spricht sie von der Schmiede? Ich bin ja kein Schmidt, sondern ein Schneider.

SUSE
seelenvergnügt.

Ach, lieber Meister, ich bin ein armes Ding, und der Hanns, der Lehrbursche, ist noch ärmer – Da danke ich dem Himmel, der mir das Glück bescheert, Euch zum Manne zu bekommen; denn seht, mir ist's eigentlich nur um Euer Geld zu thun; ich will Euch täglich so viel ärgern, als ich nur immer kann. Fällt ihm um den Hals. Dann lieber Meister, dann seid Ihr so gut und laßt Euch den Schlag treffen, und ich heirathe meinen Hanns.

MARTIN
wie versteinert.

So!? Ei nun, die Jungfer hat gute Pläne! Werde Ihr den Spaß schon vertreiben; wird mich Ihr zu Gefallen just der Schlag nicht treffen. Sie ist mir eine saubere Frucht! Schau! schau! Sieh, sieh! Mich todtärgern, mein Geld einsacken, und dann den Lehrburschen heirathen! Ne, da suche Sie sich einen andern Narren, mit mir ist's nichts. Ich sehe schon, die rothesten Aepfel sind wurmstichig, da nehme ich lieber die bucklichte Bäckerliesel, die wird mich nicht todt ärgern, denn sie kann mit der Sprache nicht fort, weil die Zunge zu kurz gerathen.

SUSE.
Wie, Meister, Ihr wollt mich sitzen lassen? Und ich hab' so sicher auf die tausend Gulden gerechnet.
MARTIN.

Teufelsbraten! Satanskraut! Diesmal hast Du Dich verrechnet. Nein daraus wird nichts. Wenn man mir das Mädel auf dem Bräsentirteller bringt, ich mag sie nicht. Hungere Sie mit Ihrem Lehrburschen nach Gefallen, Jungfer Betteldirne, aber die Gedanken auf den Meister Martin lasse Sie [33] sich vergehen, für Sie ist der reichste Mann im Orte nicht gewachsen, aber Sie wird's noch bereuen, – bereuen sag' ich Ihr! Läuft zornig ab.

3. Szene
Dritte Scene
Suse. Else kommt.

ELSE.
Nun, Suse, der Schneider schrie ja gewaltig, bist Du ihn los, kleine Hexe?
SUSE.
Ja Base, der kömmt mir gewiß so bald nicht wieder. Seid Ihr mir aber nicht böse?
ELSE.
Nein, närrisches Ding, ich wollte nur wissen, wen eigentlich –?
SUSE
sie unterbrechend.

Mein Herz erwählt? Ach Base – dem Hanns bin ich recht gut, recht – und –Sieht beschämt vor sich nieder. wenn ich den Herrmann nicht bekommen kann, ist mir am Ende doch der Hanns noch am liebsten.

ELSE
mütterlich.

Siehst Du, Suschen, wie gut es ist, daß der Herrmann so schnell verschwand. Ich weiß zwar so wenig als Du, woher er kam, noch wohin er ging, aber er war sicherlich was Vornehmeres als wir, und der gute Hanns taugt besser in unsern stillen Kreis. Wenn er Dir nur nicht böse ist?

SUSE
heimlich.

O Base, seid nicht bange, den will ich schon wieder versöhnen, da laßt mich nur machen Die Sonne ist schon unten, jetzt laufe ich schnell zur Schmiede hinab, und begleite ihn heim. Aber Base, liebe Base, verrathet mich nicht, ich[34] bitte Euch; denn seht, es ist wegen des schuldigen Respekts, den ein ordentlicher Ehemann doch immer vor seiner Frau haben muß, versteht Ihr? Nun, Ihr wißt ja auch wie das ist. Ade Base! Läuft ab.

4. Szene
Vierte Scene
Else allein. Es wird Abend.

Ja, ja, die muß heirathen, das ist die höchste Zeit. Sieh, sieh, wie es schon dämmert, muß nun hinein, und für das Abendbrod Sorge tragen. – Die Suse bekomm' ich wohl so schnell nicht wieder zu Gesicht. Sich umsehend. Die Gertrud scheint auch ihres Versprechens nicht mehr zu gedenken. – Nun, – was liegt daran? Närrisches Zeug! Ich habe mich wohl umsonst gefürchtet und gequält –, das sind Possen. Seltsam genug, gerade, weil sie nicht Wort hält, bin ich neugieriger als je, zu wissen, wer dieser Herrmann war. Es muß doch ein eignes Ding sein um diese geheime Wissenschaft.

5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Christel, dann Friedel.

CHRISTEL
aus dem Hintergrunde.
Frau Hammermeisterin, Frau Hammermeisterin!
ELSE
dreht sich schnell um.
Christel, bist Du's? Grüß Dich Gott, ehrlicher Bursche! Wo ist der Herr?
CHRISTEL.

Schönstens bedankt für den Gruß. Der Herr läßt Euch, Macht einen Kratzfuß. mit Verlaub, nehmt's nur nicht übel, der Herr läßt Euch herzlich küssen, und morgen gegen Abend [35] kommt er an mit Sack und Pack. Er ist nur nach Sanct Florian hinüber, um die Schenkung der seligen Tante im Kloster selbst zu übergeben.

ELSE.
Mein Rudolph! Endlich, endlich! Ach Christel, ich könnte Dir gleich um den Hals fallen vor Freude.
CHRISTEL.

Thut's, Frau Hammermeisterin, thut's, ist mir in den letzten zwanzig Jahren spärlich passirt. Ja hört, Ihr werdet Euch wundern, des Herrn Tante hat tüchtig hinterlassen, da kommt Geld, prächtige Kleider, Silberzeug, Perlen und –

ELSE.

Ach, was soll mir das? Aber mein Rudolph kommt, mein lieber, guter Mann! Bleibt er lange in Sanct Florian? Kommt er gewiß morgen?

CHRISTEL.

Gewiß, Frau Else! – Denn er rief mir noch nach: Ich werde eilen, denn mein Herz drängt mich zu Weib und Kind.

ELSE.
Der theure Mann!
FRIEDEL
kommt aus dem Hause.
Mutter, das Abendbrod ist fertig, komm herein, mich hungert.
CHRISTEL.
Lieb' Friedel, siehst Du mich nicht?
FRIEDEL.

Christel! Ei Christel, bist Du da? Springt an ihm hinauf. Nun kommt wohl auch der Vater wieder? Habt Ihr mir ein Pferd und Linzertorte mitgebracht?

[36]
CHRISTEL.
Ei freilich! Eine mächtig große Torte! Komm nur, ich packe gleich aus. Trägt Friedel hinein.
ELSE
nebenherschreitend.

Der Junge träumt von nichts als Reiten und Torten. Warte, wenn der Vater kommt, der wird Dich naschen lehren. In's Haus ab.


Es wird ganz finster. – Im Innern des Hauses erscheint Licht hinter den Fenstern, nach einer Pause schlägt die Glocke neun Uhr.
6. Szene
Sechste Scene
Sobald die Uhr ausgeschlagen, erscheint.

GERTRUD.

Neun Uhr – Das Reich der finstern Nacht beginnt, die Geister lüften ihre Schwingen.Man hört aus weiter Ferne zum Abendgebet läuten. Walpurgisnacht bricht an. Einst ruhte ich wohl im Frieden, wenn diese Glocke durch die Mainacht drang, und gedachte ich zufällig, daß es Walpurgis sei, so drückte ich schaudernd das Haupt in die Kissen, und im ruhigen Schlummer fand mich der erwachende Tag. Damals röthete die Gluth der Gesundheit meine Wange und der Glanz der Unschuld strahlte aus meinem Auge. Sie bedeckt das Gesicht. Wohin bist du verschwunden, unvergeßliche, selige Zeit? Wilde unbefriedigte Wünsche im Busen, grauenvolle Pläne im düstern Sinn, wandle ich jetzt durch die Nacht. Schauder und Entsetzen sind mir fremd geworden; denn finstre Mächte schützen mich. Jahre entflohen; doch meine Liebe zu Rudolph steht fest in der Brust, ob er mich auch um Elsens Willen von sich stieß. Er ist's, der mich elend machte, er hat mich in den Abgrund gestürzt, er muß mich erheben zum höchsten Glück, dann will ich sterben, vergehen in Leid! Doch wie ich's erringe – gräulich ist's – thu' ich's? – unterlaß ich's? – Ach immer weiß ich meines Jammers kein Ende.

[37]
ELSE
singt im Hause.
Herzenskindlein schlaf nur zu;
Denn Dein Englein wacht –
Reines Herz giebt sanfte Ruh,
Ist's auch finstre Nacht.
Gott verläßt die Seinen nicht;
Er ist uns're Zuversicht!
GERTRUD
erschüttert.

Sie singt das Kind in den Schlaf. Zum letzten Male – ich muß, ich darf nicht zögern. – Das Schwerste ist gelungen. – Ich hatte keine Macht an sie, da sie noch jeden Gedanken an die unsichtbare Macht mit Abscheu von sich wies, jetzt aber gab sie ihre Neugier in meine Hand; schnell nun vollendet, was so glücklich begann! Was stockt mein Fuß? Ist die Welt nicht groß und schön? Glücklich sein kann man überall – und war sie es nicht lange genug? Hat sie ihn geliebt, wie ich? O nie, niemals! Sie eilt rasch zum Haus und klopft leise an's Fenster.

ELSE
von innen, erschrocken.
Was ist's, klopft man draußen?
GERTRUD
freundlich und mild.
Ich bin's, gute Else – ich komme, Euch Wort zu halten –
ELSE
öffnet das Fenster.

Ihr seid's, noch so spät? Eben wollte ich zu Bette gehen. Gleich komm' ich, ich will nur erst das Mieder wieder zunesteln. Verschwindet.

GERTRUD.

Sie kommt! Wie schlägt mein Herz! Wird mein Werk gelingen? – wird sie mir folgen? Was will, was wünsche ich! Wehe mir, ich verliere die Besinnung.

[38]
7. Szene
Siebente Scene
Else. Gertrud.

ELSE
tritt aus der Thür.

Nun da bin ich – doch halt!Tritt schnell wieder zurück, macht das Gitter zu und lehnt sich mit dem Oberkörper heraus, wie aus einem Fenster. Eben fällt mir bei, heute ist Walpurgis, da mag ich mein friedliches Haus nicht verlassen; die Schwelle ist geweiht, hier können mir die bösen Geister nichts anhaben.

GERTRUD
gezwungen lachend.
Ihr seid thöricht, Else, wovor fürchtet Ihr Euch?
ELSE.

Wovor? Ei das wißt Ihr so gut, wie ich; vor Hexen und Kobolden, die in der ersten Mainacht losgelassen sind.

GERTRUD.

Wahrhaftig, Else! Ich schäme mich in Eure Seele! Könnt Ihr, eine vernünftige Frau, die albernen Ammenmärchen des Pöbels wiederholen, ja, sogar glauben?! Wohl sind in der ersten Mainacht alle Naturkräfte mächtiger, weil der Frühling erwacht; die Elemente erzeugen geheimnißvolle Gestalten, die der starke Geist des Menschen sich unterthan machen kann, aber im edleren Sinne als Euer armes Mährlein berichtet; auch ich ziehe hinaus auf die leuchtende Bergspitze, wo man vereint findet, was die Erde an Herrlichkeit erzeugt. Wollt Ihr mit Else?

ELSE.

Behüte mich der Himmel! Nein, geht nur allein, mich verlangt nicht nach solcher Herrlichkeit. Laßt überhaupt die seltsamen Redensarten, und erzählt mir lieber, was Ihr von Herrmann erfahren, damit ich meinem Rudolph morgen doch wenigstens sagen kann, welchen Gast ich beherbergte.

GERTRUD
schnell.
Kommt Euer Mann morgen schon?
[39]
ELSE.
Ja wohl, ich zähle ja jede Minute.
GERTRUD
für sich.

Weh mir – auch ich – doch eine um die andere verrinnt. In diesem Augenblicke fliegt ein Feuerball über die Bühne.

ELSE
schreit laut auf und versteckt sich hinter die Thür.
GERTRUD
sieht sich ruhig um.
Ich komme!
ELSE.
Gott steh' mir bei! Was war das?!
GERTRUD
kalt.
Eine Sternschnuppe, die mich mahnte, daß es an der Zeit sei, aufzubrechen.
ELSE.
Fahrt Ihr denn wirklich auf den Blocksberg zum Hexentanz?
GERTRUD.

Erzürnt mich nicht Else, hört auf mit Euren Possen! Ihr könnt doch unmöglich solchen Unsinn glauben? Ich gehe, die Elementargeister in ihrer Pracht zu belauschen, und so mein Wissen zu vermehren, währet Ihr klug, so ginget Ihr mit.

ELSE
mit Neugier kämpfend.

Nein! Danke schönstens! Den Weg mögt Ihr allein machen, dazu bekommt Ihr die Else nicht. Prasselnd rollt ein kleines Fuhrwerk auf die Bühne.

GERTRUD.
Seht, hier ist mein Fuhrwerk schon.
ELSE
biegt sich neugierig aus der Thür.
Es ist so finster, ich kann nichts unterscheiden; das ist wohl ein Besen oder eine Ofengabel?
[40]
GERTRUD
lacht höhnisch.

Ihr macht mich lachen mit Eurem tollen Kinderwahn – Tretet heraus und betrachtet mein leichtes Wägelchen; Ihr würdet Euch Eurer Thorheit schämen.

ELSE.

Ich möchte wohl so etwas ansehen, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das sein muß; wenn ich mich nur nicht vor den bösen Geistern fürchtete.

GERTRUD.

Ich bin ja hier und schütze Euch, ich Eure treueste Freundin; was sollte Euch denn widerfahren? Die Musik beginnt.

ELSE
tritt heraus.
Da habt Ihr Recht; Nun, da bin ich! Wo seid Ihr denn mit Eurem Fuhrwerk?
GERTRUD.
Reicht mir die Hand, ich will's Euch zeigen.
ELSE
streckt die Rechte nach ihr aus.

GERTRUD faßt rasch ihre Hand und zieht sie zu dem Wagen, indem sie sagt: Hier ist es, Else! Hier, seht Ihr es nicht?

ELSE.
Nein, ich meine, es wird immer dunkler; laßt mich los, mir wird bange.
GERTRUD
stößt Elsen in den Wagen und hält sie fest, indem sie ruft.
Du bist in meiner Gewalt.
ELSE.
O wehe, weh' mir, was hab' ich gethan! Sinkt bewußtlos in dem Wägelchen zusammen.
GERTRUD.

Ein Laut bringt Dir den Tod. Der Wagen verwandelt sich in eine riesige Eule mit feurigen Augen und ausgespannten Flügeln.

[41]
GERTRUD
beschwörend.
Nun Geist aus der Tiefe herauf! herauf!
Beginn durch die Lüfte den schwindelnden Lauf!

Nach dem Worte »Herauf« erscheint dicht hinter Elsen ein grauer Dämon mit großen dunklen Fittigen und einer blau lodernden Fackel, er tritt an ihre Seite. – Die Eule entschwebt mit Beiden.
GERTRUD.
Dort ziehen sie hin durch den Nebelduft;
So ist es geschehen! mein Schicksal ruft!

Sie eilt rechts ab.
Unter stürmischer Musik fällt der Vorhang.
[42]

3. Akt

1. Szene
Erste Scene
Der Dämon schwebt mit Else auf der Eule nieder.

ELSE
liegt ohnmächtig mit aufgelöstem Haar.
Sobald sie am Grabe sind.
DÄMON.
Vollbracht ist die Arbeit, das Werk gelang,
Weil sie nicht die sündige Neugier bezwang.
Bin gierig, den Lohn meiner That zu empfahn;
Denn wie mir geboten, so hab' ich gethan.

Er hebt Elsen herab und legt sie auf das mittelste Grab, dann hält er die Fackel mit ausgestreckter Hand über ihr Haupt.

Verflossen sind siebenmal sieben Tage,
Seit dem Du geschlafen ohn' Schmerz und Klage.
Nicht länger darf Waldesnacht Dich umhüllen,
Was selbst Du verschuldet, muß sich erfüllen.
Bald wird er entschwinden der magische Schlummer,
Dann sollst Du erwachen zu Qual und Kummer;
Denn fern von den Deinen, im fremden Land,
Wirst einsam Du stehen und unbekannt.
Dein treulos Gedächtniß soll nimmermehr kennen
Die Namen, die Heimath und Gatten Dir nennen.
[43] Der eigne Name selbst soll Dir entschwinden,
Wirst nichts, als die Last Deines Leid's empfinden,
Bis Dir einst ein Nam' aus der Heimath erklingt,
Der siegend die Kraft dieses Zaubers bezwingt.

Tritt in den Flugwagen.

Nun fort mit gewaltigem Flügelschlag;
Denn drohend erhebt sich der junge Tag.
Drum eilenden Flugs ob der Erde hin,
Daß rasch ich mir hole der Arbeit Gewinn.

Die Eule entschwebt mit dem Dämon durch die Luft. Finstere Nacht bedeckt noch immer die Bühne. – Rauschende Musik bis der Dämon entschwand, dann geht die Musik nach und nach in ein weiches Adagio über. – Die Morgenröthe steigt im Hintergrunde auf und beleuchtet Wolfenbüttel. Man hört Schalmeien, als ob der Hirt austriebe.
ELSE
macht einige unruhige Bewegungen im Schlafe, ohne zu erwachen.
MEHRERE BAUERSLEUTE
gehen über die Bühne.

Nach und nach wird es hell. Man hört endlich Glockengeläute und Kanonendonner, aber sehr fern. Nach einer Pause treten auf.
2. Szene
Zweite Scene
Zwei Bauern mit ihren Weibern. Diese Costüme müssen durchaus fremdartig gehalten werden, wie die Bauerntracht im Wolfenbüttelschen. – Else schlafend.

ERSTES WEIB.
Dort schaut hin, da schläft gar eine auf dem unheimlichen Fleck. – Hu! – Laßt uns vorübergehen.
ZWEITES WEIB.

Nein, wir wollen sie lieber wecken – das arme Weib weiß sicher nicht, daß dort die drei Räuber verscharrt liegen, welche den Handelsherrn aus Hamburg erschlugen. Geh hin Mann, und rufe sie an.

ERSTER BAUER.
Was geht's mich an.
[44]
ZWEITES WEIB.

Ei was! Ihr habt doch gar keinen christlichen Sinn. Die Frau denkt am Ende zum Fest zurecht zu kommen und verschläft's hier. Geht hin. Frau! Frau! Wacht auf.

ELSE
fährt auf.
ZWEITES WEIB.
Hört Ihr nicht den Kanonendonner und das Glockengeläute?
ELSE
starrt sie sprachlos an.
ZWEITES WEIB.

Ihr könnt Euch beeilen, wenn Ihr noch zur Huldigung kommen wollt; und von den Gräbern geht weg, da liegen drei Mörder, hört Ihr's? – Gehabt Euch wohl indeß.


Alle ab.
3. Szene
Dritte Scene
ELSE
allein.

Sieht besinnungslos um sich, fährt mit der Hand nach der Stirne, faßt ihr herabhängendes Haar, betrachtet es mit Staunen, sucht die goldene Nadel auf ihrem Kopf, dann die Tasche mit dem Gürtel an der Seite. – Ihre Bewegung zeigt, daß sie erschrocken Alles vermißt. Endlich sieht sie über sich die Eiche und dann die Gräber. Wo bin ich denn? Lag ich nicht eben auf meinem Lager und mein kleiner Junge wollte mich nicht einschlafen lassen? Wie, oder sprach nicht Jemand hier von Huldigung und von Mördern? Sie wischt sich die Augen und setzt sich bequemer. Nein, was einem doch für närrisches Zeug träumen kann, ich bin ja zu Hause. Sie sieht wieder auf. Himmel, nein! Da sehe ich ja immer noch die Eiche über mir und hier – Sie betrachtet den Hügel, auf dem sie saß und springt auf. Weh' mir! Das ist ein Grab. Wo bin ich denn? Sieht sich um. Dort eine große Stadt – und – ja, jetzt hör' ich's deutlich, Glockengeläute summt um mich her. – Dort ziehen ferne Wanderer die Straße – und meine Berge kann ich nirgends schauen! Sie faßt sich selbst leidenschaftlich bei beiden Armen und betastet sich. Das bin ich – ich selber, [45] nicht ein Schatten, es ist auch kein Traum – ich wache, sehe, höre, fühle! Du großer, gütiger Gott! Was ist mit mir geschehen?

4. Szene
Vierte Scene
Else. Küfnermeister Steffens. Ohles.

ELSE.
Hier kommen Leute – ist das Alles wirklich – wirklich?
OHLES.
Ich sage Euch, Gevatter, wenn Ihr so fortwackelt, sehen wir von dem Huldigungsacte nichts mehr.
STEFFENS.

Ihr habt gut reden, Ihr wandelt auf Storchbeinen, aber mich schaut an, mich, den stattlichsten Schmeerbauch im ganzen Gau.

ELSE
schüchtern ihnen in den Weg tretend.
Vergebt mir, Ihr Herrn, wenn ich Euren Gang aufhalte.
OHLES
verdrüßlich.
Was soll's!
STEFFENS
freundlicher.
Was steht zu Diensten, Frau?
ELSE.
Wollt mir doch sagen, wo ich hier bin und wie man die Stadt dort in der Ferne nennt?
STEFFENS
sieht Ohles betroffen an.

Das ist eine curiose Frage. Ihr habt uns wohl zum Besten? Das dort ist Wolfenbüttel und hier sind wir im Wolfenbüttelschen Gebiet.

ELSE.

Wolfenbüttel? Die Stadt hörte ich in meinem Leben [46] nicht nennen. Großer Gott! Da bin ich wohl weit – weit von der Heimath fern?

OHLES.
Die Frau kommt mir seltsam vor! Wo ist denn Eure Heimath?
ELSE.

Ich bin in – Sie erschrickt plötzlich, sinnt nach und sagt dann in staunender Angst. Ist's möglich? Der Name meines Geburtsortes fällt mir nicht ein. –

STEFFENS.
Nun, aber woher Ihr seid, das müßt Ihr doch wissen?
ELSE.

Ja wohl, lieber Herr, ja wohl! Daheim im Vaterland ist ein großes Hammerwerk unser, und eine reiche Sensenschmiede, welche zwischen hohen Felsen liegt, das Land durchströmt ein prächtiger Fluß, der blühende Gauen befruchtet, Wohlstand und Redlichkeit gehen Hand in Hand, die Fluren lachen wie der Menschen Antlitz; doch wo sie liegt die theure Heimath, wie man sie nennt und wie ich hierher gekommen, dies, liebe Herren, vermag ich nicht zu sagen.

STEFFENS
sieht Ohles kopfschüttelnd an.
Aber, wie Ihr heißt, das werdet Ihr doch wissen?
ELSE.

Ei freilich! Mein Name ist – Sie sinnt eine Weile und ruft dann verzweifelnd. Allmächtiger! ich bin meiner gesunden Sinne beraubt! Herr, auch meinen Namen weiß ich nicht zu nennen.

STEFFENS
ungeduldig.

Hört Frau, nun reißt mir die Geduld. Ich stehe hier aus purer, klarer Güte, verplaudere die Zeit, indeß unser junger Herzog sich huldigen läßt, versäume das prächtige Fest; Alles um mich zum Besten halten zu lassen von einer – Landstreicherin – darnach seht Ihr mir so ziemlich aus, daß ich's nur gerade heraussage.

[47]
ELSE.

O, womit habe ich denn so großen Jammer verdient, mein Herr und Gott? Mein Kopf ist wüst – meine Gedanken verwirren sich, und wenn ich mein Gedächtniß martere, so kann ich, wie ich hierher kam, nicht enträthseln. – Nichts, nichts ist mir klar, als daß daheim ein liebender Gatte, ein theures Kind nach mir rufen und daß ich verbannt bin aus dem Vaterlande vielleicht für ewig. Ach ich weiß ja nicht einmal, wie weit mich die Ferne trennt von den Meinen, nur daß ich elend bin und verzweifle.

OHLES.

Ihr thut dem Weibe unrecht, das ist keine Landstreicherin, es ist eine Wahnsinnige! Laßt uns gehen, wir können ihr doch nicht helfen. Sie wenden sich zum Gehen.

ELSE
ihnen nacheilend, indem sie vor Steffens niedersinkt.

Mann, Ihr habt ein Antlitz, das Mitleid und Herzensgüte ausspricht, seid menschlich, erbarmt Euch einer Elenden, nehmt mich mit Euch, verlaßt mich nicht.

5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Graf Marquard von der Eiche.

GRAF.

Der Herzog mag mit meinem tollen Pferde rechten, nicht mit mir. Die Huldigung ist sicherlich vorüber, und ich komme zu spät.

STEFFENS.

Ei, Gott zum Gruß! gestrenger Herr Graf! Helft uns doch aus der Noth. – Da liegt ein närrisches Weibsen an der Landstraße, das mich nicht vom Fleck lassen will, sie giebt vor, nicht zu wissen, wer sie ist, noch woher sie kommt, und will durchaus mit mir nach Hause. Nun, ich hätte just nicht [48] so viel dagegen, aber sie ist jung und hübsch, mein Weib aber ist alt und häßlich, das paßt denn eben nicht zum Besten zusammen. Ihr seid ein Hagestolz, edler Herr, nehmt Euch des armen Weibes an.

GRAF.

Das ist eine seltsame Zumuthung, Meister! Denkt Ihr, weil Ihr zu meinem Wein die Fässer macht, dürft Ihr für meine Burg die Bewohner liefern? Das will mir schlecht behagen. Wer seid Ihr, Frau?

ELSE
mit starrem Blick.
Ich weiß es nicht.
GRAF.

Nicht? Das ist seltsam genug. Zu Steffens. Sie. blickt starr und wild, sie ist wohl am Ende wahnsinnig?

ELSE
zuckt zusammen.

Wahnsinnig, Herr? Ja, Ihr habt Recht, es wird wohl so sein, und bin ich es nicht, so muß ich es wohl werden, ich muß! Vor sich hinstarrend. allein, verlassen, fern vom Vaterland, meiner Sinne beraubt, die Sehnsucht nach den Meinen in der wunden Brust, und Nacht um mich – über mir, – in mir! – Ha! Wehe! Seht Ihr dort die Eule mit schwarzen Schwingen? Ja, jetzt besinne ich mich – Die Eule war's, die mich hinwegtrug aus der Heimath. Berge, Ströme, Städte, Wälder flogen an mir vorüber – es flammte um mich, ich schrie laut, da fiel ich, und fiel, – und fiel – bis alles um mich finster ward, und meine Sinne schwanden. Dort ist der gräßliche Vogel wieder – nehmt mich mit, laßt mich nicht hier; denn Angst und Grausen tödten – Verzweiflung! Wehe! Sinkt ohnmächtig zusammen.

GRAF.

Unglückliche! Fürwahr ich nehme Theil an ihr! – Doch was mit ihr beginnen? Helft sie von hinnen schaffen, Ihr [49] Herrn; so ganz verlassen können wir sie hier doch nicht liegen lassen. Legt Hand an, Meister Steffens, sie ist ja auch ein Geschöpf Gottes, denkt jetzt nicht Eurer zänkischen Frau. Helft, Meister, helft!

STEFFENS
erhebt sie mit Hülfe des Ohles und beide führen sie langsam dem Grafen nach.

Ja, Ihr habt gut reden, Herr Graf, meine Anna ist gar eine böse Sieben. Gutmüthig. Na, kommt Weibsen, erholt Euch!

GRAF.

Nur vorwärts, Ihr Herrn, vorwärts nach der Stadt, ich will mir indeß überlegen, was zu thun.Alle ab.


Verwandlung.
Prächtiger Saal.
Im Hintergrunde ein Thronhimmel, unter welchem Heinrich von Wolfenbüttel im Krönungsornat steht. – Ein zahlreicher glänzender Hof umgiebt ihn knieend. Als verwandelt wird, Trompeten- und Paukenschall und der Ruf:
Es lebe unser gnädiger Herzog, er lebe hoch!
6. Szene
Sechste Scene
Heinrich von Wolfenbüttel. Herzogin. Hofherren und Damen.

HERZOG.

Ich danke Euch, meine lieben Getreuen! Nach langer Trennung, nach so mancher Gefahr und Noth, hat es dem Ewigen gefallen, mich glücklich wieder in mein Land, in die Mitte meines treuen Volkes zurückzuführen. Den Eid der Treue habt Ihr heute in meine Hand auf's Neue beschworen, vergessen sei, was Euch, wie mir der Drang der Zeit und die Uebermacht der Feinde auferlegt, laßt des Friedens uns erfreuen und haltet fest an unserem Haus und Land.

[50]
HERZOGIN
welche von Damen umgeben zur Rechten des Herzogs steht.

Nach schwerem Leid sind nun die heißen Wünsche Deiner Treuen erfüllt – Du bist uns zurückgegeben, mein theurer Sohn!

ALLE
rufen.
Es lebe der Herzog und seine edle Mutter!
HERZOG.

Und nun meine Freunde! Da der Sonnenschein des Glückes uns wieder lächelt, laßt mich die heiligste der Pflichten, die des Dankes, ungesäumt erfüllen. Ihr wißt, wie ich durch die Uebermacht der Schweden aus dem eignen Lande verdrängt nach Wien hinabgezogen war, um bei Kaiserlicher Majestät Hülfe zu erflehen. Ich lebte still und zurückgezogen dort, und suchte weder Zank noch Hader; dennoch fand sich ein schwerer Streit zwischen mir und einem Prinzen des Hauses, ich griff zum Schwerdt wie jener, und erschlug ihn im ehrlichen Zweikampf. Da war meines Bleibens nicht mehr zu Wien. Nur die Flucht konnte mich retten. Mehrere Tage irrte ich in dem schönen Oestreicher Lande umher, da gewährte mir endlich ein wackeres Weib durch Wochen lang Aufenthalt und Schutz, sie rettete mich aus dieser schweren Bedrängniß. Euch Ritter Conrad von Feldau und Euch Wolfram von der Horst rufe ich auf, zieht hin in jenes herrliche Felsenthal, unweit Sanct Gilgen, ob der Enns führt der Weg – fragt nach dem Hammermeister Rudolph Werner, dessen Gattin ist's, der ich für alle Zeit verschuldet bin. Nimmt eine prächtige Kette vom Halse. Bringt ihr dieses kostbare Geschmeide, sagt ihr, wen sie gerettet und wer es sendet, sie möge es tragen zu meinem Gedächtniß.

7. Szene
Siebente Scene
Vorige. Graf Marquard.

HERZOG.

Ei mein alter Marquard, würdiger Freund! Ihr kommt, da unser Fest beendet! Ist Euch denn meine Ladung nicht zugekommen?

[51]
GRAF
nachdem er die Herzogin feierlich begrüßt.

Das will ich meinen, mein gnädigster Herr! Und wär's auch nicht, ohne Ladung würde ich nicht gefehlt haben in dieser feierlichen Stunde! Aber, diesmal war ich wie behext! Erstens, meldet sich mein altes Uebel, das böse Zipperlein wieder an, und ich muß mich nolens volens in eine Sänfte packen lassen, um zu guter Zeit hier anzukommen. Das ging denn auch ganz prächtig, bis zum Kreuzweg, zwei tausend Schritte vor der Stadt – da wird einer meiner Hengste stutzig, und als wäre der Satan drein gefahren, ist er nicht mehr von der Stelle zu bringen. Ich steige aus der Sänfte und denke: besser langsam vom Fleck, als gar nicht – und gehe so frisch Feld ein, indeß Konrad bei den Pferden bleibt, da aber, ja seht, da begegnet mir ein seltsamer Casus. An der Landstraße finde ich ein junges hübsches Weib in einem Zustande, der mein Mitleid auf eine solche Weise erregt, daß ich sie mir nichts dir nichts aufpacke, und so schon langsam den Weg nach der Stadt beende.

HERZOGIN
scherzend.
Ein junges hübsches Weib! Ei, ei! Graf Marquard! Was meinst Du dazu, mein Sohn?
GRAF.

Hat sich was zu meinen! Mit Verlaub, Frau Herzogin! Euch bringe ich das Weibsen und denke sie Eurem milden Herzen zu empfehlen. Ich weiß nicht recht, ist sie gescheidt oder verrückt; denn seit sie sich erholt, spricht sie ganz vernünftig, sobald man sie aber fragt, woher sie kommt, und wer sie ist, will sie verzweifeln, weil sie versichert, dieses nicht zu wissen. Mir kommt die Sache absonderlich vor; denn für eine Betrügerin mag ich sie nicht halten, – sie sieht so ehrlich aus, so recht herzensgut und brav!

HERZOGIN.

Nun wackerer Graf, so bringt die Aermste uns vor's Antlitz, wir wollen heute Gnaden spenden in reichem Maaße, da Gott uns so hoch begnadet.

[52]
GRAF.

Wirklich? Darf ich, edle Frau? Nun seht, das ist schön und brav, das ist recht ein Einfall, der Euch ziemt. Ich hole sie, und gebt Acht, Ihr werdet des alten Marquard von der Eiche nicht ferner spotten, weil er ein weiches Herz hat. Eilt ab.

HERZOGIN.
Wackerer Mann! Du gestattest mir's doch, mein Sohn?
HERZOG.

Wohlthun ist das Gebiet einer edlen Seele; wer möchte Euch verwehren, meine Mutter, in Eurem angebornen Reiche zu herrschen?

8. Szene
Achte Scene
Vorige. Graf mit Else.

GRAF.

Da ist sie, gestrenge Frau – Nun Weiblein, redet für Euch selber, der alte Marquard hat das Seine schon gethan.

ELSE
tritt schüchtern und mit niedergeschlagenem Blick in den Kreis.
HERZOGIN
zu Heinrich.
Wie bleich sie ist! – Rede, armes Weib!
ELSE
schlägt die Augen auf, starrt die Herzogin an, dann sieht sie staunend um sich.

Mein Herr und Gott, das ist ja Alles doch nur ein toller seltsamer Traum! Aus Nacht und Elend fliege ich schnell hinüber zu Glanz und Licht. Nein, solche Pracht und Herrlichkeit ist ja im irdischen Leben gar nicht zu finden! Hier ist wohl das Feenland, von dem man mir in meiner Jugend oft erzählt? Mit gefalteten Händen, zur Herzogin. Ach, seid [53] Ihr so mächtig, wie die alte Anna sagte, und so gut, In Thränen. so bringt mich in die Heimath, zu Mann und Kind.

HERZOGIN.
Siehst Du wohl, die Aermste ist verrückt.
HERZOG
tritt Elsen näher.

Ich weiß es nicht. Doch ist sie verrückt, so scheint mir's fast, es steckt ihr Wahnsinn an; denn je mehr ich sie betrachte, je seltsamer wird mir zu Muthe. – Wenn es nicht Unsinn wäre, wenn es irgend im Kreise der Möglichkeiten läge, so sagte ich: dies Weib ist meine Retterin, von der ich Euch so eben sagte. Jene blühte freilich in froher Gesundheit, und aus diesen bleichen Zügen spricht der Wahnsinn; aber dennoch – diese Aehnlichkeit – selbst ihre Tracht ist dieselbe!

ELSE
welche Anfangs mit verwirrten Sinnen zuhörte, scheint den Ton seiner Stimme allmählich zu erkennen, sie horcht und horcht, ihre Züge werden immer starrer, endlich ruft sie.
Mann, Dich sah ich schon!
HERZOG.
Gütiger Himmel! Sie ist es! Frau Else! –
ELSE
fährt mit beiden Händen in die Luft, als wollte sie den Klang erhaschen, dann ruft sie.

Else! – Else! – Else! – – Ja, ja, das ist mein Name! Ach wißt Ihr meinen Namen, so sagt mir auch, wo ich daheim, wo die Meinen sind, wo ich sie finde?

HERZOG
staunend.

Ist's möglich? Else – das Alles hättet Ihr vergessen? – Im schönen Oestreicher Land seid Ihr zu Hause, in der Nähe von Sanct Gilgen, der Hammermeister und Sensenschmidt Ru dolph Werner ist Euer Mann, und –

ELSE
welche in zitternder Bewegung seine Worte begleitet, und in jedem Nerve ihre zurückkehrende Besinnung verkündet, fällt ihm rasch in's Wort, jubelnd.

Und Friedel Herz – Friedel heißt mein liebes, liebes Kind. Stürzt auf die Knie. O Du mein großer, gütiger [54] Gott und Herr, ich danke Dir! jetzt weiß ich ja Alles, Alles wieder!

HERZOG
gerührt.

Ja, Frau Else, dankt dem Ewigen; denn Euer Bewußtsein ist wiedergekehrt. Kein Feenland umgiebt Euch hier – Alles ist Wirklichkeit. Ich bin Herzog Heinrich von Wolfenbüttel, der, als Hermann Euer Geselle war, der Euch seine Rettung dankt! Alles, was Ihr hier erlebt ist Wirklichkeit, und nichts ist unbegreiflich, als wie Ihr hieher kommt aus Eurer hundert Meilen weiten Heimath, wo ich Euch vor wenig Monden froh und gesund verließ.

ELSE.

Wie? – Monde sind indeß verstrichen? O! die Macht des Bösen ist groß, größer aber die des ewigen Vaters! Jetzt weiß ich Alles, was mit mir geschah, der Bann böser Geister ist gelöst. Glaubt mir Herr, nicht Wahnsinn ist's, was aus mir spricht, Wahrheit vernehmt Ihr. Ein falsches, gräßliches Weib hat mich aus meinem Hause verlockt. Ein böser Geist trug mich über Berge, Städte und Länder hin. O Herr, wenn Ihr Euch mir verpflichtet glaubt, so hört mein Flehen. Laßt mich nach der Heimath ziehen zu den Meinen.

HERZOGIN.
Wie sollten wir Euch das verwehren, arme Frau?
HERZOG.
Ja, Frau Else, eine weiche Sänfte soll Euch tragen. Vier Ritter geleiten Euch.
ELSE.

Nicht also, edler Herr, ich habe nicht verdient, auf solche Weise geehrt zu werden. Buße ziemt mir, schwere Buße – habe ich doch durch sündliche Neugier das Unheil herabgerufen auf mich und die Meinen. Gebt mir, so viel mir nöthig ist, ein Pilgerkleid, am Wanderstabe will ich die Heimath suchen, um dann entsühnt mein friedliches Haus zu betreten.

[55]
HERZOG.

Ihr sollt Eure Wünsche erfüllt sehen, Frau Else, und das noch heute – Aber wollt Ihr uns denn schon verlassen, dem kranken Körper keine Ruhe gönnen?

ELSE.

Der Leib ist nicht krank, Herr, die Seele war es. Doch Gott der Herr hat sie gnädig geheilt, ich bin gesund und stark! Glaubt Ihr, ich fände Ruhe im fremden Lande, indeß die Meinen sich daheim zergrämen? – Die Gattin, die Mutter, die Hausfrau fehlt an dem verlassenen Heerd, denkt Ihr, ich könnte das Auge zum Schlummer schließen, so lange der Angstruf meiner Lieben bei jedem Laut mir im Ohr dröhnt, so lange ich mein altes Glück nicht wieder habe? Nein, nein, laßt mich fort, für mich ist nicht Ruhe noch Friede auf Erden mehr, ehe ich die Geliebten nicht in den Armen halte! – Dann sende ich Euch Kunde, edler Herr, dann erst kann ich Euch danken wie Ihr verdient, dann erst habt Ihr das Rettungswerk vollbracht!

Gott wird Euch lohnen – doch heißt mich nicht weilen,

Mein sehnend' Herz will nach der Heimath eilen!


Eilt ab.
Der Vorhang fällt rasch.
[56]

4. Akt

1. Szene
Erste Scene
ELSE
im Pilgerkleide mit Stab und Hut eilt auf die Mitte der Bühne, stürzt auf die Knie und ruft.

Allmächtiger! Im Staube dankt Dir Deine Magd! Die heimathliche Erde trägt mich wieder, die reine Bergesluft kühlt mir die Stirne, und dort im Thale, das noch der Nebel deckt, dort lebt mein Rudolph, dort mein theures Kind, wenn Du barmherzig bist, Du gütiger Gott! – Wie ist mir so seltsam bang zu Sinnen! Meine Knie brechen ein – ich kann nicht weiter! Wankt zu der Bank vor der Hütte. Den höchsten Schmerz hab' ich ertragen und meine Kräfte erlagen nicht, es trieb mich vorwärts ohne Rast und Ruhe, und jetzt – jetzt – wo ich dem Ziele so nahe, jetzt lähmt die Freude meinen Fuß! – Hier eine Hütte? Ja, hier will ich rasten und dann hinab in das Thal, die Stunde Weges werden mich doch die müden Glieder noch vorwärts tragen? Sie pocht stark an die Thür. Ist Niemand da?

2. Szene
Zweite Scene
Christel an einem Stock. Else.

CHRISTEL.
Wer klopft so früh? Es tagt ja kaum! Was soll's?
[57]
ELSE
sieht ihn staunend an.
Täuschen mich meine Sinne? Bist Du nicht der Christel vom Eisenhammer?
CHRISTEL.
Ja wohl bin ich's.
ELSE.
Wie kommst Du denn hierher? Bist Du nicht mehr auf dem Hammer?
CHRISTEL.
Ach nein! Vor zwei Monden schon jagte man mich aus dem Hause.
ELSE.

Wie? Dich? der dreißig Jahre auf dem Hammer diente, der den Rudolph gehätschelt und gepflegt von Kindesbeinen auf? Das kann ja nimmermehr wahr sein.

CHRISTEL.
Ihr seid wohl recht bekannt hier in der Gegend, da Ihr Alles so wißt?
ELSE.
Kennst Du mich denn nicht mehr, Christel?
CHRISTEL.

Eure Stimme wohl; denn die klingt mir lieb und befreundet und ruft mir alte gute Zeiten ins Gedächtniß. Seht, mich hat das Unglück seit Kurzem schwer getroffen. Vor ein paar Monden, bald darnach, als der Hammermeister von Linz heimkam, hatten wir einmal viel Arbeit, ich legte Hand mit an, war schwer erhitzt, da geschah es, daß der kleine Friedel in den Hammerbach stürzte –

ELSE
aufschreiend.
Wie, der Friedel?
[58]
CHRISTEL.

Ja, Frau; ich aber sprang nach und holte den Jungen heraus. Ich mochte mich wohl jählings erkältet haben, es fiel mir auf die Augen und so bin ich fast ganz erblindet.

ELSE
schlägt die Hände zusammen.

Erblindet, großer Gott! Erblindet, Du, um seines Kindes willen, und Rudolph hat Dich aus dem Hause gewiesen?

CHRISTEL.

Nicht er – ach er ist gut! – Er kaufte mir hier die Hütte und sorgt redlich für mich, aber es ist doch nicht das Haus, in dem ich alt wurde. – Nun, dem Hausfrieden mußte er mich wohl opfern; die Frau konnte mich nicht leiden.

ELSE.
Die Frau – welche Frau?!
CHRISTEL.
Nun, die junge Hammermeisterin.
ELSE
starr.
Hat denn der Rudolph – wieder geheirathet?
CHRISTEL.

Hatte er schon früher eine Frau? Davon weiß ich nichts, müßte im Kriege gewesen sein. Hier im Orte ist er seit zehn Jahren verehlicht mit der Else, die jetzt das ganze Haus umwendet und eine gar sonderbare Wirthschaft treibt.

ELSE.
Nein, nein, nein! Das ist nicht möglich, sage ich, die Else war ja weit getrennt von den Ihren.
CHRISTEL.

Da hat man Euch falsch berichtet, Frau, sie war nie vom Hause fort; – aber seit der Herr von Linz zurück [59] kam, ist sie wie verwandelt, sie quält ihn und Alle, die sie umgeben; Solche, die aus der alten Zeit stammen, kann sie gar nicht mehr leiden. Die Gesellen meinen, die Bürgermeisterin Gertrud habe ihr was angethan, weil sie sich geärgert über das Glück der braven Leute.

ELSE.
Und was treibt die Bürgermeisterin?
CHRISTEL.

Die ist verschwunden seit dem ersten Mai. Viele sagen, sie sei mit einem jungen saubern Burschen, der ein paar Wochen auf dem Hammer gewesen, davon gegangen.

ELSE
vor sich hinstarrend, in sich hinein.

Die Gertrud verschwunden seit dem ersten Mai – die Else daheim – und sie war, sie, die – Mit plötzlichem Entschluß. was hier geschehen, kannst nur Du enthüllen, Du mein gütiger Gott! Du hast mich aus Noth und Jammer gerettet, Du wirst mich auch jetzt nicht verlassen! Hier waltet ein dunkles unbegreifliches Räthsel, ich will es lösen und bräche mir auch das Herz darob. Leb wohl, Christel! Auf den Abend bist Du wieder im Hammer, oder Du siehst mich niemals wieder. Eilt ab.

CHRISTEL
tappt nach der Hütte.

Ich weiß nicht, träum' oder wache ich, je mehr ich darüber sinne, je deutlicher wird mir's – die Stimme klang wie El sens; doch dann müßten Herz und Gesinnung sich wunderbar geändert haben. Nun, auf den Abend werde ich's auf dem Hammer ja wohl von ihr hören. Ab.


Verwandlung
Großes reinliches Zimmer, wie es in reichen Meierhöfen zu finden. Alles verräth Wohlhabenheit, ohne den ländlichen Charakter zu verläugnen. In der Mitte der Bühne, ziemlich nach dem Hintergrunde zu, läuft von der Decke herab, gleichsam den Plafond stützend, ein [60] dicker Balken auf das Podium herab, wodurch sich zwei Bogen bilden. Ganz im Hintergrunde zwei große Fenster, durch welche man die Felsen sieht – zwischen diesen, auch auf der Hintergardine, der Haupteingang, welcher jedoch geschlossen ist. An dem Thürpfosten desselben ein Weihbrunnen-Kessel von Zinn, wie in Bauernhäusern üblich. Um den Strebebalken hängen Gewehre, besser unten ein Vogelbauer, davor steht ein Tisch mit Blumentöpfen, ganz im Vorgrund ländliche Tische und Stühle.
Als es verwandelt hört man vier Uhr schlagen; es muß klingen wie von einem fernen Kirchthurme. – Im Hintergrunde scheint brennende Morgenröthe durch die Fenster. Im Vorgrund dunkel.
3. Szene
Dritte Scene
Sobald verwandelt ist, tritt Suse rechts aus einer Seitenthür, dehnt sich wie aus dem Schlafe kommend, gähnt und zählt.

SUSE.
Eins – zwei – drei – vier –

Nach den Vierteln ertönt der Stundenschlag, welches anders klingen und ein anderes Tempo haben muß.

Eins – zwei – drei – vier – Horchend. Nichts mehr? Was, erst Vier? Wieder eine Stunde zu früh aus dem Bett, und hier ist's auch noch so todt, als wollte es nimmer Tag werden. – Prr! Sie schüttelt sich. Ist mir's doch wunderlich zu Muthe; sonst brachte mich die Base nicht aus dem Schlaf und jetzt bin ich immer die Erste aus den Federn. Das macht, glaube ich, die Furcht und das unheimliche Wesen hier. Sobald ich allein in der Kammer bin, sehe ich nichts als Hexen und Kobolde, da ist's denn freilich mit dem Schlafen vorbei! 's ist aber auch Alles wie verdreht hier im Hause, seit der verwünschten Walpurgis-Nacht – mit der Base ist's gar nicht mehr auszuhalten, die ist wie umgewechselt, und der Vetter, Schlägt die Hände zusammen. der ist, als gehöre er gar nicht ins Haus und als wären sie nicht mehr Mann und Frau. Ja, jetzt weiß ich, warum ich mich so schrecklich fürchte, weil kein Mannsbild mehr im Hause ist. Seit er von der Reise kam, hat er sich drüben im [61] Hammerwerk einlogirt, schläft dort bei den Gesellen, »um Aufsicht zu halten«, sagt er – und uns Frauen könnte hier der Böse mit aller Gemächlichkeit holen, der Vetter würde es erst am andern Morgen erfahren. Legt den Finger an die Nase. Hm, hm! Sonst ging das Hammerwerk Tag und Nacht ohne den Vetter – dahinter steckt etwas! – Freilich, Else ist meine Base, aber daß er sie nicht mehr mag, nehme ich ihm nicht übel; denn sie ist so verändert – so – ich möchte sie auch nicht mehr, wenn ich wäre wie er. – Was sie nur des Morgens in der Kammer dort immer treibt? Neugierig war ich mein Tage nicht, aber das möchte ich doch endlich wissen. – Horch! es rührt sich was drinnen – das ist sie! Ich muß einmal sehen, was sie macht. Schleicht auf den Zehen an die Thür. Neugier ist gewiß nicht mein Fehler, aber das müßte ich wissen, und wenn's mein Tod wäre! Bückt sich zum Schlüsselloche. Ei, der Tausend, was hat sie da für eine seltsame Pflanze vor sich stehen? so was sah ich in meinem Leben nicht. Wie der Thau auf den breiten schönen Blättern steht! Das ist kurios – in der Kammer liegt der Thau auf dem Gewächs, wie kommt der herein durch die Decke? – Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Sieh einmal, was macht sie da? Verwundert. Sie wäscht sich das Gesicht mit dem Thau von den Blättern! Jetzt sieht sie auf. Fährt plötzlich von der Thür zurück, so daß sie einen Sessel umwirft. O weh, da ist sie schon.

4. Szene
Vierte Scene
Die falsche Else muß immer von derselben Schauspielerin dargestellt werden, welche die wahre spielt.
Suse. Gertrud-Else tritt rasch heraus mit der Lampe. Ihr ganzes Benehmen muß verändert sein, ihr Gang, ihre Sprache wie im Charakter Gertrud's, ihre Haltung aufrechter als früher, ihr ganzes Wesen muß eine decidirtere Richtung des Charakters bezeichnen, hier und da bricht ein Zeichen ihres schuldbefleckten Gewissens durch und der quälende Schmerz über ihre getäuschten Hoffnungen; sie ist sehr bleich.

[62]

GERTRUD-ELSE bestürzt. Was giebt es hier? Welch ein Gepolter! Was soll's? Sie hält die Hand vor die Lampe, welche sie blendet. Du bist es, Suse?! Streng. Was suchst Du hier?

SUSE.

Ich, Base? gar nichts!

GERTRUD-ELSE. Du übernimmst wohl das freundliche Amt, mich zu belauschen, von Rudolph dazu gemiethet? Immerhin! ich habe mich längst daran gewöhnt, eine Fremde im eigenen Hause zu sein.

SUSE.

Aber Base, was fällt Euch ein? Was führt Ihr für anzügliche Redensarten? Ich komme eben aus den Federn, suche schlaftrunken nach dem Schlüssel zur Hausthür und werfe einen Stuhl um – das ist Alles. Läuft hin, nimmt den Schlüssel vom Tische, geht gleich damit in den Hintergrund, öffnet die Thür, welche nach innen zu aufgeht. – Von Außen sieht man nun das Halbgitter wie im zweiten Act.

GERTRUD-ELSE spricht indessen. Es ist schon heller Tag, die Lampe hat ausgedient. Verlöscht sie. Suse, mich täuschest Du nicht, Du wolltest mich belauern – Du bist eine verschmitzte Dirne, ich habe Dich längst durchschaut; es freut Dich, daß Rudolph und ich in Unfrieden leben.

SUSE.

Nein, Base, das ist mir zu viel! Ihr mögt wohl Recht haben, daß ich Fehler habe – lieber Himmel! Menschen sind wir Alle, aber schlecht war ich mein Tage nicht, und das müßte ich wohl sein, könnte ich mich darüber freuen, daß zwei Eheleute, die sich Jahrelang liebten, auf einmal mit einander leben wie wildfremde Leute. Der Herr wohnt auf dem Hammer, Ihr hier im Haus – und sprächet Ihr nicht zuweilen zwei Worte, sollte man denken, Ihr ginget einander [63] gar nichts an. Nein, wenn ich denke, wie das sonst hier im Hause war – Eintracht und Liebe – Frohsinn und –

GERTRUD-ELSE auffahrend. Schweig, ich will nichts hören von sonst und jetzt.

SUSE.

Nun ja, es ist doch wahr; sonst sah mich der Vetter Tage lang nicht an, jetzt ist er oft freundlicher mit mir als mit Euch.

GERTRUD-ELSE faßt sie fest am Arm. Nicht wahr? Siehst Du das auch?

SUSE.

Base! Ihr thut mir weh! Laßt mich los.

GERTRUD-ELSE schleudert ihren Arm fort. Du mußt fort aus diesem Hause. Für sich. Alles, Alles soll nach und nach verschwinden, was ihm das Sonst täglich vor die Seele führt! Laut. Suse, der Schneider Martin hat um Dich geworben, Du wirst ihn heirathen, hörst Du?!

SUSE
versteinert.

Base! Was sagt Ihr?! Habt Ihr nicht vor drei Monden selbst erlaubt, daß ich ihm die Thür gewiesen? –

GERTRUD-ELSE. Und heute bin ich andern Sinnes – Du wirst noch in dieser Woche sein Weib, oder Du magst Dein Brod als Magd suchen, wo es Dir gefällt; ich habe Dich lange genug gefüttert.

SUSE
bricht in Thränen aus.

Base, Gott verzeih mir die Sünde! – Das kann nicht mit natürlichen Dingen zugehen! Ihr müßt verhext sein; denn das seid Ihr ja gar nicht mehr selbst!

GERTRUD-ELSE. Wohl bin ich nicht mehr die weiche Thörin, die ich gewesen; [64] Niemand achtete mich hier im Hause, weil ich verächtlich war, jetzt sollt Ihr mich kennen lernen, und will er, will Rudolph mir die Liebe nicht gewähren, die ich von ihm fordern kann, so soll er mich wenigstens fürchten lernen und zittern bei meinem Anblick. Hörst Du Suse? Ihr Alle sollt vor mir zittern lernen. Geht wieder in ihr Zimmer links ab.

5. Szene
Fünfte Scene
SUSE
allein.

Ach lieber Gott! Das brauche ich nicht erst zu lernen, ich zittere jetzt schon an Arm und Bein! – Welch ein Satan ist denn in dies friedliche Haus eingezogen? O wäre doch nur der Hanns da, der würde Augen machen! – Den Martin heirathen, oder in die weite Welt gehen? Ach, was soll aus mir werden!

6. Szene
Sechste Scene
Suse. Rudolph.

RUDOLPH
bleich und trübe, einen Hut auf, den er abnimmt und auf den Tisch wirft, sobald er eintritt.

Guten Tag, Suse! – Was ist Dir? Er geht hin und nimmt ihr die Hand von den Augen. In Thränen, am frühen Morgen? Mit einem schweren Seufzer. Da ist wohl Else schon wach?

SUSE
schluchzend.

Ja wohl, Vetter! Ihr Morgengruß war, daß ich den häßlichen Martin heirathen müsse, oder in die weite Welt gehen könnte.

RUDOLPH.

Ja, ja, so etwas sah ich lange kommen. Arme Waise, ich werde Dich nicht verlassen! Thue, was Du willst, Du bist glücklich, denn Du kannst aus diesem Hause ziehen, das Ruhe und Glück auf ewig floh.

[65]
SUSE.

So? – meint Ihr, damit sei mir gedient, Vetter? Seit Jahren habt Ihr Vaterstelle an mir vertreten, Ihr seid unglücklich, und ich soll Euch verlassen? Was soll aus dem armen Friedel werden, wenn ich nicht für ihn sorge – und – der Hanns ist ja doch auch auf dem Hammer. Nein, Vetter, ich kann wahrhaftig nicht fort.

RUDOLPH.

Großer Gott! Dahin ist's gekommen, daß ohne dies wackere Mädchen mein Haus verödet ist! – O Else! einst meine Seligkeit – was ist aus Dir geworden?

SUSE.

Ja, das weiß der Himmel! Aber Vetter, nehmt mir's nicht übel – Eins wie das Andere. Auch Ihr seid nicht, wie Ihr solltet, die Reise nach der Erbschaft hat Euch ganz verwandelt.

RUDOLPH.

Nein Suschen! Die Reise nicht – Else hat mich verwandelt. Mit frohem, seligem Herzen flog ich am Tage meiner Rückkehr in ihre Arme, sie umschlang mich mit heißer Inbrunst und rief: »Endlich, Rudolph, endlich!« – Aber es war die liebe Stimme meiner Else nicht mehr, ich hielt sie umschlungen, sie war's und doch mir so ganz fremd geworden! Als es Abend wurde, als die Gebetglocke aus dem Thale zu uns herüberklang, faltete ich die Hände und dankte dem Herrn, daß er mich glücklich wieder zurückgeführt in den Kreis der Meinen. Else betete nicht mit mir, sie saß schweigend an meiner Seite und als mein Blick den ihren traf, da war mir plötzlich – aber Suse, verrathe nicht, was Du jetzt hörst – mir war's, als schauten aus Elsens liebem, freundlichem Gesicht mich – Gertruds wilde Feueraugen tückisch an. Der Blick ging mir durch Mark und Bein. Von diesem Augenblicke verschloß sich ihr mein Herz. Als die Nacht einbrach, ergriff mich ein unbeschreibliches Gefühl, [66] unheimlich war mir das alte trauliche Haus, ich floh wie vor Gespenstern in den Wald hinaus und – so blieb es! Seit ich heimgekehrt, hat sich nie Ein Dach ob unserem Schlaf gewölbt. Ich kämpfe mit dem eignen Herzen – sobald der Tag erwacht, zieht mich die einst geliebte Gestalt in ihre Nähe. Doch klingt mir ihr Ton oder funkelt mir ihr Blick entgegen, dann faßt mich kaltes Grausen und ich möchte fliehen, wär's auch in mein frühes Grab.

SUSE
leise und geheimnißvoll.

Vetter, was Ihr da sagt, kommt mir sehr seltsam vor, und nun erst, da Ihr so was zu sehen geglaubt, Ihr, so ein vernünftiger Mann, darf die Suse auch sagen, was sie gesehen. Aber Vetter, verrathet mich nicht; denn seit einiger Zeit fürchte ich die Base so sehr als den Gottseibeiuns! In der Nacht, ehe Ihr aus Linz kamt, war's gar unheimlich hier im Hause. Ich hörte Frau Elsen noch spät sprechen, und da guckte ich – aber nehmt's nicht übel, Vetter, 's ist so meine Art, wenn ich gerne etwas aus dem Grunde wissen will, ja ich guckte dort in meiner Kammer ein Bischen durch's Schlüsselloch, und sah, wie die Base dort in der Thür lehnte, und in die Nacht hinaussprach, und ich erkannte die Stimme der unheimlichen Gertrud, von der die Leute immer munkelten, daß sie mit Hexen und Geistern verkehre. Auf einmal fiel mir ein, daß es Walpurgisnacht sei, und ich fing an, mich so zu fürchten, daß ich zähnklappernd in's Bett sprang und die Decke über die Ohren zog. Nach ein Paar Stunden hörte ich ein Gepolter, ich sprang wieder zur Thür, da sah ich – aber Vetter – lacht mich nicht aus – ich sah durch's Schlüsselloch, wie die Base Deutet auf den allgemeinen Eingang. dort herein huschte, als hätte sie Flügel. Sie trug eine Pflanze im Arm, eine Lampe in der Hand, und ging damit nach der Kammer, das Licht fiel auf ihr Gesicht und es kam mir auf einmal vor, als sähe ich Gertruds bleiche Züge und ihre Feueraugen. Das Licht mußte mich so seltsam getäuscht haben; denn als sie wieder herauskam, [67] war es die Else frisch und blühend, wie die Base immer ist. Seit dieser Nacht ist sie so verwandelt und da – aber seid nicht böse, Vetter, da meine ich denn immer, die Base ist unter die Hexen gegangen.

RUDOLPH
aus tiefen Gedanken auffahrend.

Suse, was Du mir gesagt, klingt wunderbar – ja, fürchterlich! – Wenn Dich auch Furcht und Schrecken getäuscht haben mögen, so viel ist gewiß, Else ist nicht mehr, die sie war. – Ich mag den unheimlichen Grund davon nicht erforschen. Der Himmel wolle mir's vergeben, aber ich muß mich bezwingen, sie nicht zu hassen.

SUSE.
Ach, wie hat Alles sich doch verwandelt!
7. Szene
Siebente Scene
Vorige. Friedel.

FRIEDEL.
Ach Vater! Vater! Bist Du da?
RUDOLPH
hebt ihn auf.
FRIEDEL
schlingt beide Arme um seinen Nacken.
Wie froh bin ich, wenn ich Dich habe!
RUDOLPH.
Mein theurer Friedel! Hast Du mich so lieb?
FRIEDEL.
Ach ja, Vater! Du liebst mich ja auch. Du und Suse!
RUDOLPH
setzt ihn nieder.
Nun Friedel, und sonst Niemand?
FRIEDEL
langsam und gedehnt.

O ja, die Mutter liebt mich auch. Er zieht Susen an der Schürze [68] bei Seite. Lieb' Suschen, gieb mir doch ein Stücklein Brod, sag es aber dem Vater nicht, daß der arme Friedel so sehr hungert. Gestern gab mir die Mutter nichts zu essen.

RUDOLPH
schleicht sich hinzu, ohne daß Friedel ihn sieht.
SUSE
kauert sich zu ihm an den Boden.
Wie, Friedel, das ist ja unmöglich.
FRIEDEL
legt die Hand auf die Brust.

Gewiß, Suschen, Du kannst's glauben. Ich weinte gestern so sehr und sagte: »Mutterchen, kommst mir gar nicht mehr vor, als wenn Du dasselbe gute Mutterchen wärst. – Sei wieder wie sonst, da hatten wir Dich alle so lieb!« Da schlug sie mich, und warf mich zur Erde, und gab mir kein Abendbrod. Ach Suse, mir ist wohl recht weinerlich zu Muthe, aber ich darf nicht, sonst sieht es der Vater, dann wird sie wieder böse.

RUDOLPH
reißt das Kind an seine Brust.

Großer Gott! Das arme, liebe Kind mißhandelt die Rabenmutter! Komm Friedel, ich will Dich schützen, ich will Dich ihren Händen entreißen. Komm, mein Kind.

FRIEDEL.

Willst mich forttragen, Vater? O thu's nicht, laß mich hier, 's ist ja doch mein Mutterchen lieb, und singt sie mich auch nicht mehr wie sonst in den Schlaf, so erscheint sie mir doch wie sonst im Traum, und dann hat sie mich so lieb – so lieb – Bleib da, Vater!

8. Szene
Achte Scene
Gertrud-Else. Vorige.

GERTRUD-ELSE. Guten Morgen, Rudolph.

[69]
RUDOLPH
bemerkt sie nicht.
GERTRUD-ELSE streckt ihre Hand nach ihm aus. Rudolph!
FRIEDEL
ängstlich.
Vater, die Mutter!
RUDOLPH
auffahrend.
Ja so, guten Tag! Geh Suse, bringe den Friedel zum Hammer hinüber.
SUSE.
Gleich, Vetter!
FRIEDEL
froh.
Ja, Suse, zum Hammer! Komm! komm! Mit Suse ab.
RUDOLPH
ihm nachsehend.
Liebes Kind!
GERTRUD-ELSE schmerzlich. Du liebst Alles, was Dich umgiebt, nur mich nicht.
RUDOLPH.
Die Herzensstimme läßt sich nicht bezwingen.
GERTRUD-ELSE. So sprachst Du einst, aber in anderem Sinne!
RUDOLPH.

Ich weiß, worauf Du zielst, Else! Du denkst an Gertrud, die mich mit ihrer Liebesgluth verfolgte, und die ich von mir stieß, weil meine Treue Dein war; doch damals warst Du liebenswerth, nun hast Du Dich verwandelt, Dein Herz ist dem meinen fremd geworden.

GERTRUD-ELSE schmerzlich. Rudolph! – Trage ich die Schuld? Habe ich jemals aufgehört, Dich zu lieben?

RUDOLPH
weicher.

Nein Else, das glaube ich nicht, und dennoch. – [70] Laß uns davon schweigen – sprich mir nicht von den alten Zeiten.

GERTRUD-ELSE ausbrechend. Ich muß, Rudolph, ich muß! So kann's nicht bleiben, es muß anders werden, – endlich muß es klar sein zwischen uns. Seit Du von Linz zurück bist, gab's nur einen Augenblick, wo Liebe mir aus Deinen Augen strahlte, es war der erste Augenblick des Wiedersehens. Seitdem bin ich, die Hausfrau, Dir eine Fremde, mein Anblick verscheucht Dich aus Deinem Eigenthum, Du fliehst die Mauern des eignen Hauses, Du liebst mich nicht! Rudolph, seit ich Dich kenne, hab' ich Dich geliebt mit gränzenloser Liebe. Unsägliches hab' ich um Dich gelitten, tausend Thränen um Dich geweint. Dumpf. Du weißt nicht Rudolph, was ich Dir geopfert – ich habe nichts – nichts im weiten Reich der Dinge, als Dich, auf Dich bin ich gewiesen mit allen Hoffnungen, Freuden, ja, meine Seligkeit, sie ruht in Dir. Ohne Deine Liebe ist mein Dasein eine ewige Qual, ein langer Schmerz, der nagend mein Lebensmark zerstört. Rudolph, verlaß mich nicht, ich kann nicht leben ohne Dich! Sinkt an ihm nieder.

RUDOLPH
hebt sie empor und preßt sie an seine Brust.

Else, Du zerreißest mir das Herz! Habe ich je aufgehört, Dich zu lieben? Ist es meine Schuld, daß, während Du an meiner Seite stehst, eine unbegreifliche Sehnsucht meine Seele hinauszieht, hinaus –

GERTRUD-ELSE außer sich. Zu ihr?!

RUDOLPH.

Zu wem?

GERTRUD-ELSE plötzlich gefaßt. Zu einer Andern, Verräther! Fremde Liebe fesselt Dich, sonst könntest Du unmöglich ein Herz wie das meine, eine Treue, wie die meine, kalt von Dir stoßen! Rudolph, ich [71] habe das Letzte an Dir versucht, Du bist ein Elender, der meine Verachtung verdient, nicht meine Liebe. Mann! noch kennst Du mich nicht; so unbegränzt ich Dich bis jetzt geliebt, will ich Dich hassen, und kannst Du mein Dasein nicht beglücken, so steht es in meiner Macht, das Deine zu vergiften, und wahrlich, diese Macht will ich benützen.

RUDOLPH
sieht sie starr an.

Weib –! Else –! Bist Du's noch, die einst in meinen Armen lag, und weinend schwur: ihr ganzes Dasein einzig meinem Glück zu weihen? Nein! Nein! Die Welt hat sich verkehrt, Du bist's nicht mehr die ich geliebt, für die ich mein Herzblut hingegeben hätte! Alles ist Trug und Falschheit. O fort, hinweg, daß ich die lügnerischen Züge nicht mehr schaue. Stürzt hinaus.

GERTRUD-ELSE bedeckt mit den Händen ihr Gesicht. Wehe mir, verloren Alles! Alles!

9. Szene
Neunte Scene
Vorige. Suse.

SUSE
läuft schnell herein.

Base! Base! – geht doch schnell hinüber zum Hammer; die Gesellen zanken sich auf Tod und Leben. Hiebe hat's schon abgegeben, und macht Ihr nicht Friede, giebt's noch Mord und Tod. Den armen Hanns haben sie schon blau geschlagen.

GERTRUD-ELSE. Schon gut – ich gehe! Du aber Suse, erwartest hier den Bräutigam, und kommt er, so holst Du mich augenblicklich vom Hammer; hörst Du, ich will's! Durch den Haupteingang ab.

[72]
10. Szene
Zehnte Scene
SUSE
allein.

Sieht ihr nach. »Ich will's –!« Ich aber will's nicht! Werde es wohl bleiben lassen, sie herbeizuholen, da müßte ich toll geworden sein! – Dem Hanns hab' ich mein Leid geklagt, der meinte, lieber mit einander in's Hammerwerk springen, als den Meister heirathen. Resolut. Nein! Da denke ich ganz anders! – Vor der Hand laufen wir lieber ein Bischen auf und davon, in's Wasser springen können wir immer noch, wenn uns das nicht behagt; die Donau wird indeß nicht davon fließen. – Aber schau, Sieht sich um. nun wäre ich wieder einmal ganz allein im Hause, – nun könnte ich spekuliren, was die Base mit dem grünen Laubwerk dort drinnen macht. Wichtig. Ich habe mir das Ding überlegt – eigentlich hab' ich bemerkt, daß, wenn die Base todtenbleich und mit finsterer Stirne da hineinging, kam sie immer mit rothen Wangen und heitern Zügen, ganz frisch und glänzend wieder heraus. Sollte es gar ein Schönheits mittel sein? Ja, ja, so ist's; umsonst wäscht sie sich nicht mit dem Zeug! – Wer da hinein könnte. Ich bin zwar schon so ziemlich hübsch, aber – ein Paar Mal waschen könnte mir nicht schaden; da wär's vollends vor Schönheit nicht mehr zum Aushalten mit mir. Schleicht hinzu. Ja, dergleichen verschließt unsereins gut, die Base ließ wohl auch den Schlüssel nicht stecken. Wie? Nein beim Himmel, es ist offen! Das hat sie gewiß vor Zorn über mich vergessen. – Suse, jetzt kannst Du Dein Glück machen, in der Welt kann man so nie schön genug sein. Ich probier's einmal mit dem kuriosen Kraut, – was kann's mir thun? Ha! Dann will ich erst den Hanns verblüffen, der wird Augen machen, wenn er mich wieder steht, schön wie eine Prinzessin! Nur Muth, Suse, Muth! Schlüpft in die Kammer, eben als Hanns eintritt.

[73]
11. Szene
Elfte Scene
Hanns. Suse.

HANNS.

Denk nur, Suse – wo ist sie denn hingekommen? Ging sie nicht eben dort hinein? Suse! Die hört und sieht nicht. Geht hin und stößt die Kammerthür auf. Suse! Was treibst Du da? Verblüfft. Die wäscht sich erst?

SUSE
von innen.
Was erschreckst Du mich so? Bleibe draußen, ich komme gleich. –
HANNS.

Aber höre nur! Sieh Dich nur um! Fährt plötzlich zurück. Wa – was Teufel! Das ist ja Frau Elsens Gesicht! Fällt auf die Knie, und schlägt ein Kreuz. Gott steh mir bei! das ist Hexerei.

SUSE
schreit drinnen laut auf, springt heraus und dreht sich taumelnd im Kreise.
Was ist mir denn geschehn?
HANNS
zitternd.
Nun ist's wieder Susens Gesicht!
SUSE.

Was fällt dem Dummkopf ein? Was erschreckt er mich so, und was kniet er dort und klappert mit den Zähnen?

HANNS
wie oben.

Ja, da mag ein Andrer nicht klappern. Erst stehst Du mit dem Rücken gegen die Thür, und ich sehe Dich eifrig Dein Gesicht waschen, dann wendest Du Dich um, und auf einmal hast Du Frau Elsens Kopf auf, wie sie leibt und lebt. – Drauf rufe ich in meinem Schrecken den lieben Gott an und schlage ein Kreuz – da fährt eine blaue Flamme durch die Kammer, und Du bist wieder die Suse! [74] Wer da keine Gänsehaut bekäme, müßte ein Fell von Leder haben.

SUSE
zornig.
Du bist wohl verrückt worden, Hanns?Will auf ihn zugehen.
HANNS
springt auf, retirirt sich mit langen Schritten rückwärts gehend hinter den Tisch.
Nicht rühr' an, Du Gestalt Du!
SUSE.

Was, Du nennst mich eine Gestalt? Beide Arme in die Seite stemmend. Was willst Du damit sagen, he? Was?

HANNS
hält abwehrend die Hände vor sich hin.
O eigentlich gar nichts.
SUSE
will gehen.
Wenn Du nicht gleich vernünftig bist, so laufe ich davon, und nehme den Schneider.
HANNS
ängstlich rufend.

Um's Himmelswillen Suse, bleib stehen, wende Dich nicht um. Vorher warst Du von rückwärts meine Suse und als Du Dich wandtest, hattest Du Frau Elsens Gesicht – jetzt bist Du von vorne die Suse, wer steht mir denn dafür, daß Du nicht Frau Elsens Gesicht auf dem Rücken hast?

SUSE.

Hanns, nun reißt mir die Geduld, gleich sei gescheidt. Willst Du mich als deine Suse anerkennen, oder nicht?

HANNS.
Ach Suse, ich möchte schon gerne, geh' an den Tisch dort, Suse, ich bitte Dich, thu's.
SUSE
thut es, ohne sich umzuwenden.
[75]
HANNS
kömmt ängstlich hinter seinem Tische hervor.

So, nun schlage auf den Tisch, daß es patscht, thu' es! ich muß ein Zeichen haben, daß Du es selbst bist, nicht ein höllischer Spuk.

SUSE
eilt hin und giebt ihm eine derbe Ohrfeige.
Da hast Du ein Zeichen, Dummerjan!
HANNS
mit verklärtem Gesicht.
Ja Suse, ich erkenne Dich. Du bist's, Du bist's! Fällt ihr um den Hals.
SUSE.
Nun, Gottlob! Aber jetzt sage mir Hanns, sah ich denn wirklich aus wie die Else?
HANNS.
Wie sie leibt und lebt.
SUSE.

Mir kam's auch seltsam vor, als Du den lieben Gott anriefst und das Kreuz schlugst, da fuhr es mir wie ein Schlag durch alle Glieder. – Hanns, mir geht ein Licht auf! Gott steh uns bei! Ich hatte doch recht. Die Base hat sich auf die Hexerei verlegt. Das kommt gewiß von dem wunderlichen Kraut, mit dessen Thau ich mir das Gesicht wusch! Da könnte ja jeder die Else vorstellen, der das Kraut hat. Hanns, mir läuft's eiskalt über den Rücken, ich rühre das Hexenzeug im Leben nicht mehr an. Aber dem Vetter will ich's sagen, damit er doch weiß, was die Base treibt. O Hanns Fällt ihm um den Hals. lieber Hanns! was wird noch aus uns Allen werden?

[76]
12. Szene
Zwölfte Scene
Vorige. Gertrud-Else welche man durch die Fenster kommen sieht.

GERTRUD-ELSE noch im Hintergrunde. Ha, freche Dirne, deshalb jagtest Du mich zum Hammer hinüber, um ungestraft hier mit dem Burschen kosen zu können? Vorkommend. Das ist zu viel; solch Treiben unter meinem Dache soll nicht länger währen. Ich meinte es gut mit Dir, wollte Dein Glück machen; doch Du verdienst es nicht. Schnüre Dein Bündel und hebe Dich von hinnen, der Abend soll Dich nicht mehr unter diesem Dache finden.

SUSE
fällt auf die Knie.

Base – Base! – Um des Himmelswillen, habt ein Einsehen, jagt Eure nächste Blutsverwandte nicht so grausam in die weite Welt hinaus. Nein, Ihr könnt nicht so an mir handeln.

HANNS
ebenso.

Frau Else, habt ein Einsehen, wir bitten Euch.

GERTRUD-ELSE. Ihr sollt sehen, daß ich kann, was ich will. Hinweg mit Euch Allen. Ich mache jetzt einen Gang in die Felsen, in der reinen Luft des Berges nur ist mir wohl. In einer Stunde komme ich wieder heim; trachte, daß Du dann schon weit von meinem Hause bist, hörst Du Dirne? Weit! – Denn finde ich Dich noch hier, dann wehe Dir! Ab, wo sie kam.

13. Szene
Dreizehnte Scene
Hanns. Suse noch immer kniend, sehen sich mit traurigen Gesichtern an.

SUSE.
Hanns!
[77]
HANNS
weinerlich.
Suse!
SUSE
ebenso.
Wie seh ich denn aus, Hanns?
HANNS.
Recht jämmerlich, arme Suse. Und was mache denn ich für ein Gesicht?
SUSE
wie oben.
Ach Dein gewöhnliches, recht ein erbärmliches.
HANNS
weint bitterlich.
O jemine! O jemine!
SUSE
wie oben.
Ach Gott! Ach Gott! Nachdem Beide eine Weile so einander gegenüber geschluchzt haben, sagt.
HANNS
trocken.
Suse, gehst Du fort?
SUSE
hebt den Kopf aus der Schürze auf und sagt ebenso ruhig als trocken.
Ne Hanns, fällt mir nicht ein.
HANNS
aufspringend.
Ja, was fangen wir aber an?
SUSE
ebenso.

Wird sich schon finden. Der erste Schreck ist vorüber, die Base hatte mich anfangs wohl verblüfft, aber so was dauert bei mir nicht lange.

HANNS.
Ach Suse, Du wirst eine prächtige Frau werden.
SUSE.
Das will ich meinen.
[78]
HANNS.
Aber wie willst Du's machen, daß Du hier bleibst?
SUSE.

Denkst Du, ich werde mich von der Base so mir nichts, dir nichts aus dem Hause jagen lassen? Schau, jetzt steigt mir erst die Galle auf! Mit den Armen in der Seite. Was bildet sie sich denn ein? Wer war sie denn? Eine blutarme Dirne, wie ich. Das Haus gehört dem Herrn, und um mich hinauszuwerfen, braucht's Zwei. Nun Hanns, Nimmt ihn unter den Arm. laß Dir den Schrecken vergehen, der Vetter ist gewiß auf der Sensenschmiede, wir laufen zu ihm und sagen ihm Alles, und heißt Er mich gehen, na Hanns – dann muß ich freilich mein Bündel schnüren, aber dann – dann schauen wir uns zusammen die Welt an, sie soll recht groß und hübsch sein, wir sind zwei kluge Leute, ich kann reden zur rechten Zeit, Du verstehst zu schweigen, wo Du mußt, und da kann's uns gar nicht fehlen. Es thut nichts, wenn Du auch nur ein Lehrbursche bist, will mit der Zeit schon einen Meister aus Dir machen! Also nur muthig, Hanns, es wird Alles recht werden! Alles dies spricht sie im Abgehen. Man sieht Beide durch die Fenster über die Hügel links gehen. Sobald sie ab sind, kommt.

14. Szene
Vierzehnte Scene
ELSE
auch durch die Fenster sichtbar, aber dicht am Hause von rechts aus dem Hintergrunde.

Sie eilt vor Freude sprachlos in den Vorgrund, wirft den Pilgerstab von sich und ruft. Da bin ich! Guter Gott, da bin ich! Mag mich auch das Schlimmste erwarten, die Mauern meines Eigenthums umschließen mich – ich bin daheim! – Wie still und öde ist Alles hier? – Als stünde das Haus leer und verlassen, so war's nicht in den Tagen unserer frohen Eintracht. O Himmel, was werde ich entdecken müssen! Ist denn Niemand daheim? Nicht Rudolph, nicht Friedel? Wo sind die Meinen? Eilt in die Kammer, wo Gertrud bei Anfang des Actes herkam.

[79]
15. Szene
Funfzehnte Scene
RUDOLPH
kommt von einer andern Seite, so daß man ihn nicht durch die Fenster kommen sieht.

Vergebens! Nirgends finde ich Ruhe, nirgends den Seelenfrieden, der mich auf ewig floh! So kann es nicht bleiben, so nicht! Ich bin ein zu Grunde gerichteter Mann! Else oder ich muß diesen Ort räumen; geht sie nicht willig, so nehme ich mein Kind, fliehe aus der Heimath und suche eine Stätte, mein Haupt ruhig zu legen, gleichviel wo es sei.

16. Szene
Sechzehnte Scene
Rudolph. Else aus der Kammer.

ELSE.

Auch hier Niemand. Alles leer! Sie eilt in das Zimmer und ruft von ihrem Gefühle überwältigt. Rudolph!

RUDOLPH
wendet sich.
Was soll's?
ELSE
stürzt an seine Brust und umschlingt ihn mit beiden Armen.
Rudolph! Mein Rudolph! Ja, Du bist es noch! O Gott, die Freude wird mich tödten.
RUDOLPH
schiebt sie von sich.
Was soll das Possenspiel? Die Mummerei?
ELSE
wirft das Pilgerkleid ab.
Rudolph, kennst Du Deine Else nicht mehr?
RUDOLPH
bitter.

Wohl kenne ich Dich! – eben schwurst Du mit ewigem Haß mein Dasein zu vergiften. Du hast Dein Wort schon längst erfüllt.

[80]
ELSE.

Ich? Ich?! Großer Gott, nur jetzt laß mich nicht erliegen, nur jetzt erhalte meine Sinne! Rudolph, das war nicht ich – ich lebte fern von Dir seit drei Monden, mein Leichtsinn trennte mich von Dir, ach, und alles Leid der Erde hat sich indeß an meinen Schritt gekettet. Rudolph, mit bebendem Herzen nahte ich Dir. Wenn meine Kräfte schwanden, wenn meine Füße bluteten vom raschen Lauf – »zu ihm, zu ihm« jubelten dann tausend Stimmen in meiner Brust, und fort eilte ich durch Nacht und Sturm, durch Regen und Gewitter! O Rudolph! hab' ich das um Dich verdient! Dein treues Weib, die Mutter Deines Kindes stößest Du kalt zurück? Sieh die heißen Thränen, die mir gewaltsam aus den Augen stürzen – Rudolph, spricht diese Stimme nicht zu Deiner Seele, so möge der Tod meine Lippen auf ewig verschließen.

RUDOLPH
im bittersten Kampfe.

Gott! Diese Töne! – Else! Breitet die Arme nach ihr aus, schaudert zurück. Nein, Lügenbild, zu oft und bitter hast Du mich getäuscht. Hinweg!

ELSE
bedeckt ihr Gesicht.
O Herr, Du prüfest mich hart! Ist meiner Leiden noch kein Ziel?
17. Szene
Siebzehnte Scene
Vorige. Friedel.

FRIEDEL
kommt gesprungen.
Vater! Vater! Die Suse und der Hanns! –
ELSE
stürzt auf Friedel zu, faßt ihn in die Arme und sinkt an ihm nieder auf die Knie.

Friedel! Friedel! O Du mein herzliebstes Kind! Komm, laß Dich küssen, bis mir die Wonne das Herz zerbricht.

[81]
FRIEDEL
ängstlich von ihr hinweg zum Vater eilend.
Ach Mutter, Mutter, thust Du mir auch nichts?
ELSE.
Ich Dir, mein Friedel, ich Dir? Wann hat Dein Mutterlein Dir je Leides gethan?
FRIEDEL
sieht sie starr an.
Vater, sieh doch nur, so war die Mutter lange nicht, sie ist wieder wie damals!
RUDOLPH.
Glaub's nicht, sie ist falsch, sie spielt mit unserm Leid!
ELSE
in Thränen ausbrechend und ihm die Arme entgegenbreitend.

Der Vater verstößt mich – Kind, das ich unter meinem Herzen trug, schweigt auch in Dir die Stimme der Natur?

FRIEDEL
reißt sich vom Vater los und schreit.

Vater, Vater! Ja glaub's nur, das ist die rechte Else! Schlägt die Arme um ihren Nacken. Das ist mein liebes altes Mütterlein.

18. Szene
Achtzehnte Scene
Hier beginnt die Musik, welche die folgende Scene melodramisch begleitet, bis zum Fallen des Vorhangs. Rudolph wendet sich, auf's Heftigste erschüttert, nach dem Hintergrunde. In diesem Augenblicke tritt Gertrud ganz wie Else gekleidet ins Zimmer, sie trägt einen Büschel grüner Kräuter auf dem Kopfe, von denen Zweige unordentlich um sie herabhängen. Mit der einen Hand hält sie den Büschel gerade über der Stirne, so daß das Publikum ihr Gesicht nicht sieht. Ihr Kopf ist vorwärts gebeugt, als ginge sie in tiefen Gedanken, ihre andere Hand hängt schlaff herab.

[82]
RUDOLPH
als er sie erblickt, taumelt entsetzt zurück, hält sich an dem Tische fest und stammelt leise.
Weh mir, es sind ihrer Zweie!
ELSE
starrt Gertrud entsetzt an, springt dann auf, eilt an Gertrud vorüber nach dem Weihbrunnen- Kessel an der Thüre und taucht die Hand ein, Gertrud ist indeß so weit vorgeschritten, daß sie außerhalb des einen Bogens in gerader Linie mit dem Strebebalken steht.

– Else, hoch aufgerichtet, Gertrud mit dem Weihwasser besprengend. Im Namen des Dreieinigen Gottes, Verlorene! zeige Dich in Deiner wahren Gestalt!


Eine Flamme schlägt auf.
GERTRUD
stößt einen lauten Schrei aus, das Bündel entfällt ihr, sie steht als Gertrud da, in dem Gewande des ersten Acts.
Weh mir! Weh!
RUDOLPH
entsetzt.
Gertrud? Er breitet die Arme aus. Else!
ELSE
stürzt an seine Brust.
GERTRUD
ist todtenbleich, ihr Haar hängt wild um die Schultern.

Verloren Alles! Weh! – Wehe! – Wehe! – Umsonst mein Heil, mein Lebensglück vergeudet. Euch sehe ich selig, mich verschlingt der Abgrund des Jammers! Rudolph, ich kann nicht leben ohne Dich. – Lügengeister, die ihr mich getäuscht, gebt mir den Tod – das ist Alles, was mir eure fürchterliche Macht gewähren kann – den Tod – den Tod! – Ein Knall erschüttert die Luft. – Sie stürzt zusammen mit dem Rufe. Wehe! wehe!


Der ganze Hintergrund des Hauses fällt ein und deckt mit seinen Trümmern Gertrud. Der Strebepfeiler hält den Vordertheil des Zimmers aufrecht. – Aus den Ruinen schwingt sich eine große Eule empor. – Auf dem Hügel im Hintergrunde steht.

[83]
19. Szene
Neunzehnte Scene
Die Alte vom Berge die Arme weit ausgebreitet in blauer Beleuchtung. Else, Rudolph, Friedel stürzen sich fest umschlingend auf die Knie.

DIE ALTE
mit furchtbarer Stimme.
Sie selbst hat gesä't die verbrech'rische Saat,
D'rum mußte sie ernten die Früchte der That!
RUDOLPH.
Wir sind gerettet! Gott schütze uns!
ELSE
Friedel in die Höhe hebend.
Sein Engel war uns nah!

Der Vorhang fällt.

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TextGrid Repository (2011). Birch-Pfeiffer, Charlotte. Dramen. Die Walpurgisnacht. Die Walpurgisnacht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-350C-2