Charlotte Birch-Pfeiffer
Pfeffer-Rösel
oder
Die Frankfurter Messe im Jahre 1297
Schauspiel in fünf Aufzügen

[2]

Personen

Personen.

    • Adolph von Nassau, Kaiser von Deutschland

    • Amalgundis, seine Nichte

    • Ritter Günther von Nollingen

    • Ritter Schelm vom Berge

    • Meister Alessandro, des Kaisers Arzt und Astrolog

    • Heinrich von Praunheim, Stadtschultheiß zu Frankfurt am Main

    • Jutta, seine Tochter

    • Junker Friedmann von Sonnenberg

    • Konrad von Stade

    • Ein Ritter

    • Antonio Bandini, longobardischer Falkenhändler

    • Daniel Auffenthaler, Silberarbeiter aus Augsburg

    • Beata Auffenthalerin, seine Frau

    • Pfeffer-Rösel, eine Lebkuchenhändlerin aus Nürnberg

    • Giulio, Bandini's Diener

    • Ralph Strichauer, Nollingens Waffenmeister

    • Ein Thorwart

    • Ein Spruchsprecher

    • Vier Schauspieler

    • Ein Narr beim Mummenschanz

    • Ein Geheimschreiber

    • Ein kaiserlicher Trabant

    • Der Reichsmarschalk

    • Ein kaiserlicher Leibdiener

    • Volk

    • Ritter und Damen beim Bankett

    • Waffenherolde

    • Kaiserliche Trabanten

    • Kaufleute auf der Messe

    • Zwerge

    • Narren

    • Maskierte Kinder
    • [2]

1. Akt

1. Szene
Erste Scene
Großer Meßplatz zu Frankfurt am Main. Die Bühne stellt eine bis in den tiefsten Hintergrund laufende Gasse von Meßbuden dar, rechts und links von alterthümlichen Häusern überragt. Ganz vorne rechts ist eine große Bude von drei Abtheilungen, mit prachtvollen Teppichen ausgelegt, auf dem mit einem ähnlichen Teppiche verzierten Ladentische befinden sich goldene Gefäße, in denen prachtvolle Reiherbüsche, große Federsträuße, nach den verschiedenen Farben geschmackvoll geordnet, zum Verkauf stehen; innerhalb der Bude, welche gleichfalls mit Federn aller Art verziert ist, sieht man in der Höhe auf einer Stange mehrere Falken, an goldnen Ketten befestigt, sitzen, mit prächtigen Falkenhauben auf dem Kopfe, darunter zwei weiße Falken. In einer Ecke der Bude steht Antonio Bandini, in reicher italienischer Bürgertracht, und spricht mit seinen Gehilfen. Ihm gegenüber, links die erste Bude, mit zwei Abtheilungen, ist mit reichen Silberarbeiten ausgelegt, die in glänzender Pracht den Ladentisch und das Innere bedecken, Kandelabern von allen Arten, Gefäße, Tafelaufsätze,
Lampen. Wehrgehänge und dgl. hängen von der Decke herab, Beata Auffenthalerin, zierlich, [3] aber ihrem Stande gemäß geputzt, steht in der Bude, geschäftig einer reich gekleideten Bürgersfrau eine Silberkette preisend. Neben ihrer Bude ist ein kleines offenes Ständchen, nach Art armer Krämer, ganz leer. Weiter rückwärts sieht man in dichten Reihen erst eine große Pelzbude, in welcher ein Chinese feil hält, dann eine Bude mit kostbaren Gold- und Silberstoffen, vor welcher ein zierlich gekleideter Lombarde auf und nieder schreitet. Die Wahl der Mannigfaltigkeit der Buden und Costüme ist dem Regisseur überlassen; nur erlaubt sich die Verfasserin die Bemerkung, daß das ganze Treiben nicht in der kleinlichen Art gewöhnlicher Messen gehalten, sondern durchaus großartig seyn muß, und beim ersten Ueberblick auf den Luxus und Reichthum damaliger Zeit hinweisen soll. Im Hintergrunde sieht man Gestalten verschiedenen Alters und Landes sich in regem Leben hin und her treiben, kaufen und verkaufen. Wenn der Vorhang aufgeht, währt die Musik noch einige Takte fort. Viele der Anwesenden handeln und kaufen unbekümmert fort. Als sie weg sind, trittBandini aus seiner Bude, einen Hinweggehenden begleitend, dem er einen Federstrauß auf das Barett heftete. Auch die Bürgersfrau geht mit der silbernen
Kette, die sie eingehandelt hat, über die Bühne.

BEATA
die Bürgersfrau begleitend.

Laßt mich für die Zukunft bestens empfohlen seyn. Zählt ihr Geld. Das war ein harter Kauf; die gute Frau war zäh, und das Geld wollte ihr nicht aus dem Säckel.

[4]
BANDINI
zurückkehrend von dem Fremden, den er begleitet hat.
Einen guten Handel gemacht, Frau Nachbarin?
BEATA.

Mag wohl so gehen! Seltsam genug, daß ich mit Männern leichter Handels einig werde, denn mit Frauen; mein Mann versteht es besser, mit diesen zu Stande zu kommen. Mich ärgert das lange Mäckeln, und oft ließe ich sie gehen, stünde er mir nicht zur Seite.

BANDINI.
Wo habt Ihr ihn denn heute gelassen? Noch selten sah ich Euch so einsam in der Bude.
BEATA
setzt sich in die Bude, den Arm aufstützend.

Ja seht, da ward uns doch neulich ein prachtvolles Geschmeide aus dem Laden entwendet, der Dieb ist entdeckt, und heute mußte mein Mann nach dem Rathhause, um dem Verhör beizuwohnen. Der Dieb ist ein armer Teufel, der Weib und Kinder hat, da wollte mein Mann gern zum Besten reden; ich denke: deßhalb bleibt er wohl gar so lange.

BANDINI.

Zum Besten reden für einen Meßdieb? O meine gute Beata, da kennt Ihr den Schultheißen Heinrich von Praunheim schlecht, wenn Ihr denkt, der kenne die Worte Mitleid und Erbarmen, obendrein mit einem [5] Schelm. Obwohl ein treuer Anhänger des Kaisers, und obgleich dieser ihn sogar seiner höchsten Freundschaft würdigt, ist er von so strengen Grundsätzen, daß selbst der erhabene Herr mehr als einmal vergebens versuchte, seine eiserne Gerechtigkeit zur Milde zu stimmen.

BEATA.

Ja ja; den Ruhm hat er; ich neide ihm solchen nicht. Sie legt eine Kette aus der Hand, an der sie bis jetzt emsig geputzt hat. Aber wo bleibt denn heute Pfeffer-Rösel? Noch immer ist ihr kleiner Stand leer.

BANDINI.

Auch mir fehlt das muntere Ding; wo mag sie stecken? Ich bin dem Mägdlein herzlich gut, sie ist so sittig, und dabei voll Muth, so fröhlich, und so recht von Herzen brav; es geht mir etwas ab, seh ich mir gegenüber ihr freundliches Gesichtchen nicht.

BEATA.

Auch mir geht es so mit ihr; doch seht, dort kommt sie, athemlos in großer Eile, mit ihrem kleinen Kram beladen, das arme Ding! Sie tritt aus der Bude, und geht dem hereintretenden Röschen entgegen. Da bist Du ja, Pfeffer-Rösel, wo bleibst Du denn? Es waren heute schon viele Käufer da, Du hast etwas versäumt!

[6]
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Röschen.

RÖSCHEN
einfach, aber zierlich in Nürnberger Bürgerstracht gekleidet, einen Kasten auf dem Rücken, kommt von rechts.

Sie setzt den Kasten, den ihr Beata abnehmen half, nieder, trocknet sich den Schweiß von der Stirne, und holt tief Athem. Ach, du mein lieber Himmel! das ist ein Weg von dem Sachsenhäuser-Thor bis hieher, absonderlich, wenn Einem das Herz so schwer ist, wie mir das Meine. Danke, danke, gute Beata!Während dieser Rede packte sie aus ihrem Kasten Lebkuchen aller Art, große Reiter, Wickelkinder u. dgl., und stellt Alles, zierlich geordnet, auf ihrem kleinen Ständchen auf, welches sie vorher mit einem weißen Tuche, und mit frischen Blumen schmückte. Bandini tritt zu ihr – ohne sich stören zu lassen, macht sie ihm einen Knix. Schönen guten Morgen, Meister Bandini! Ja, so geht's der armen Pfeffer-Rösel! oft sitze ich in Angst und Hitze den ganzen Tag, und meinen Lebkuchen-Reitern vertrocknet das Mark in den süßen Gebeinen – Sie zieht eben einen stattlichen Reiter heraus, und stellt ihn mit possierlicher Geberde auf, indem sie emsig untersucht, ob er auch noch im guten Stand. wie mir die Hoffnung im Herzen, und Keiner will die kostbaren Pfefferhelden! Und bin ich einmal nicht da, gleich gibt's Käufer! Gib Acht, Beata, jetzt wird es leer bleiben um mein Ständchen, weil die Rösel auf dem Schemel sitzt und wartet. Sie nimmt ein Feldstühlchen aus [7] dem Kasten, und stellt es neben ihren Kram. Da, seht einmal den prächtigen Karl den Großen im Krönungsstaat, mit der Krone von süßen Mandeln, Augen von Rosinen, und dem Scepter von Pommeranzen, und hier den rasenden Roland, seinen durchlauchtigen Neffen. Sie stellt sie auf. Ach – die stehen schon seit 14 Tagen hier Schildwache, und Keiner geht vom Flecke! Ihr könnt mir's glauben, Meister Bandini, Honig und Pfeffer ist in Masse daran vergeudet, ich und die Fliegen haben sie freßlieb, aber nur sonst Niemand. Traurig. Sie werden altgebacken, schnurren ein, und Keiner will sie haben.

BEATA
kehrt wieder in ihre Bude zurück.
Aber, wo bleibst Du denn heute auch?
RÖSEL
traurig.

Ach, Beata, heute Nacht war die Mutter wieder recht krank – der Doctor mit dem rothen Rock will nicht mehr kommen, weil wir ihn nicht Macht die Pantomime des Geldzählens. – nu – weil – Ärgerlich. nun Du kannst Dir denken, warum – wenn meine Lebkuchen-Reiter nicht im Galopp fort wollen, kommt die Rösel auch nicht vom Fleck! Da saß ich die ganze Nacht bei der armen Mutter, und reichte ihr, was ich in meiner Angst und Noth auftreiben konnte. Gegen Morgen nickte sie ein wenig ein, und da mögen mir wohl auch die Augen zugefallen seyn, denn als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch. Gerührt und innig. Da machte ich mich auf, und dachte: Habe ich auch ein [8] paar Pfennige versäumt, schläft doch die Mutter einmal wieder.

BANDINI.
Gute Rösel.
RÖSEL.
Ei was, gut. Das ist meine Pflicht.

Mehrere Käufer treten an Beatens Bude.
RÖSEL
ruft ihnen zu.

Süße Pfefferkuchen aus Nürnberg, nur näher, hohe Herrschaften! Schöne Damen, hier gibts Männer, süß wie Honig; meine Herren, kostbare Frauen von Zucker, tretet näher, Alles billig, sehr billig.


Die Käufer gehen an Röschen vorüber.
3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Jutta von Praunheim. Amalgundis.

JUTTA
tritt zu Bandini's Bude, der schnell herbei eilt.
Ist hier die Bude des Antonio Bandini, des berühmten Falkners?
BANDINI
das Barett abnehmend.

Zu dienen, hohe Frau! er steht vor Euch. Sucht [9] Ihr kostbare Reiherbüsche, stolzer Federn schmiegsame Pracht? mein Lager bietet Euch das Schönste, was ferne Welttheile in dieser Art spenden.

JUTTA
hochfahrend.

Ihr sprecht sehr stolz, Meister Antonio; doch nicht um Federschmuck zu suchen, treten wir zu Eurer Bude; denn was an Pracht diese Zier nur bieten kann, ist längst in unserm Besitze. Ein Falke, wohl zur Reiherjagd gelehrt, das ist's, womit Ihr uns heute dienen könnt.

BANDINI.

Auch hierin, denk' ich, soll kein Zweiter Euch Aehnliches zum Kaufe bieten. Seht diesen weißen Edelfalken an, ist das nicht ein herrlicher Vogel? stolz, klug, treu, stark, kühn; kurz: was diese Thiere immer zieren mag, hier findet Ihr es vereinigt.

JUTTA
höhnisch.

Ihr werdet ja zum Dichter, um Eure Waare zu preisen. Nun, laßt uns das Wunder in der Nähe betrachten.

BANDINI
reicht ihr einen hellgelben rauchledernen Handschuh.
Bedient Euch, edles Fräulein!

Jutta zieht den Handschuh an, indeß Antonio den Falken von der Stange nimmt, und ihr ihn auf die Hand setzt, die Kette haltend.
[10]
AMALGUNDIS
sanft.

Es ist ein schönes Thier – so weiß wie Schnee! solch einen Falken wünscht der Kaiser längst. Wie hoch steht er im Preise?

BANDINI.
Zweihundert Goldgulden.

Beatens Bude ist indeß leer geworden. Im Hintergrunde erscheint der Junker von Sonnenberg.
BEATA.
Sieh einmal, Rösel, dort den Junker an – das ist doch ein stattlicher Geselle.
RÖSEL
verdrießlich.
Was kümmert's mich – will er meine Potentaten nicht, mag er bleiben, wo er ist.
JUTTA
die immerfort leise sprach.
Ihr seid sehr eigensinnig, Meister Antonio!
BANDINI.
Ich kann nicht anders, edles Fräulein!

Jutta gibt den Falken zurück.
RÖSEL.
Du, schau' Beatchen, der Junker kommt hierher – ob er wohl hungrig ist nach Pfefferkuchen?
[11]
BEATA.
Ich wollte Dir es wünschen, Kind!
4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Junker von Sonnenberg.

SONNENBERG
tritt zu Beatens Bude.

Was lacht Ihr mich so freundlich an, rothwangigte Frau! es zieht mich her zu Eurem Stand, und ich denke von Euch zu feilschen. Was habt Ihr wohl, das für mich paßt?

BEATA
sittig vor sich niederblickend.
Gar Manches, das einen edlen Ritter zieren mag.
SONNENBERG.

Da ist es nicht für mich. Ihr seht, die goldnen Sporen fehlen mir noch, und bis zum Ritterschlag hat's wohl noch Zeit.

BEATA
schelmisch.

Ei, Ihr seid jung, und Euere Stirne und adeliges Wesen sagt gar deutlich, daß es im deutschen Reich wohl wenig Ritter geben mag, die dieß prächtige Wehrgehänge [12] von meines Mannes Arbeit besser zu tragen verdienten, als Ihr, Herr Junker!


Sie nimmt es von der Höhe, und betrachtet es wohlgefällig.
SONNENBERG.

Nun, Frauchen, das gesteh' ich, anmuthiger hörte ich noch keine Verkäuferin schmeicheln; und wäre die prächtige Silberkette auch nicht von so kunstreicher Hand gefertiget, ich kaufte sie dennoch, um von Euch ein Andenken zu besitzen. Was verlangt Ihr dafür?

BEATA.
Zu fünfzig Goldgulden steht sie im Preise.

Sonnenberg nimmt einen Säckel vom Gürtel, und zählt das Geld auf.
RÖSEL
sieht mit gierigen Blicken das Geld an, dreht sich auf dem Stuhle hin und her, und sagt endlich traurig.
Es scheint, der hat auch zu meinen Pfefferkuchen keinen Appetit.
SONNENBERG.

Hier, Frau Auffenthalerin, fünfzig Goldgulden, wohlgezählt. Nun macht mir die Freude, schnallt mit Euren zierlichen Händen mir das Wehrgehänge um.

BEATA.
Herzlich gern.

Sie beugt sich über den Ladentisch und hängt ihm die Kette über.
[13]
RÖSEL
halblaut.

Fünfzig Goldgulden – o eitle Hoffart der Reichen! mit dem zehnten Theile wäre meiner armen Mutter geholfen. Sie stützt traurig den Kopf auf beide Arme.

SONNENBERG
der ihre letzten Worte vernahm, beugt nachlässig den Kopf nach ihr hin, und fragt hingeworfen.
Wie theuer Deine Pfefferkuchen, Kleine?
RÖSEL
starrt ihn mit großen Augen an.
Was meint Ihr, Herr!
SONNENBERG
verneigt sich leicht vor Beaten, und tritt vor Röschen hin.
Nun – wie theuer Dein ganzer Kram?
RÖSEL
wie versteinert.

Ja – wollt Ihr denn – Wie ist mir doch? meinen ganzen Pfefferkuchen-Kram wollt Ihr auf einmal schmausen, mit Kaiser Karl und all den Potentaten?

SONNENBERG.

Dafür bewahre mich der Himmel! Da hast Du zehn Goldgulden; bring sie der armen Mutter, und Deinen Kram magst Du obendrein behalten. Er legt ihr das Geld in den Schoos, und will weggehen.

[14]
RÖSEL
springt auf, faßt das Gold mit beiden Händen, sieht es halb lachend, halb weinend an, und ruft mit lauter froher Stimme.

Ach, du lieber gütiger Himmel, das viele Geld mein – Alles mein? Ach das ist ja weit mehr, als alle meine Pfefferkuchen werth sind; da ist uns ja mit einmal geholfen; ich kann den geizigen Doctor zahlen, und die Mutter wird gesund! Ach, lieber Herr Junker! oder Ritter, oder was Ihr sonst seyn mögt, ich danke Euch, ja, so – so – ach ich kann's gar nicht recht sagen, aber aus vollem Herzen – seht nur her, der armen Pfeffer-Rösel laufen ja die hellen Freudenthränen über die Backen. Sie ergreift seine Hand, und bedeckt sie mit Küssen.

SONNENBERG.
Ei, Du närrischer kleiner Schwarzkopf, mach nicht so viel Aufhebens, und laß mich los.
RÖSEL
eifrig.

Aber die Pfefferkuchen gehören Euch – meinen ganzen Kram, den ich zur Messe brachte, sollt Ihr haben. – Meine Kuchen kann der Kaiser alle Tage essen, so süß und würzig sind sie – Ihr dürft sie nicht verschmähen.

SONNENBERG
macht sich los und dreht sich nach der Bude des Bandini.
Schon gut, Pfeffer-Rösel, Du magst sie mir bringen in's Wirthshaus zur Reichskrone.
[15]
RÖSEL
vergnügt.

Ja, lieber Herr, und das noch heute. Der Junker begegnet Amalgundis Blicken, welche die ganze Scene über unverwandt auf ihn hinsah, indeß Jutta mit Bandini sprach, er sieht sie aufmerksam an.

SONNENBERG.
Sagt, liebe Frau, sprecht, wer ist das schöne Frauenbild, das dort am Laden des Italieners steht?
BEATA.

Ich kenne sie nicht, muß aber was Großes seyn, weil der Bandini so höflich thut – ist sonst des ernsten Mannes Sache nicht.

SONNENBERG.
Sie handeln um einen Falken, wie es scheint.

Bandini hält den Falken auf der Hand.

Adieu! freundliches Frauchen, will mir die Schönheit ein Bischen in der Nähe betrachten.
BEATA.

Thut das, mein Junker, und laßt mich zu fernerer Kundschaft empfohlen seyn. Sie setzt sich wieder in ihren Laden hinein, der Junker tritt an Bandini's Bude.

RÖSEL
die indeß Alles zusammenpackte, sieht ihm mit einem seltsamen Blicke nach.

Der feine Junker findet, wie mir scheint, mehr Gefallen an hübschen Jungfrauen, denn an süßen Pfefferkuchen. [16] Na – thut nichts – er soll die meinen doch haben. So, nun bin ich fertig. Gehab Dich wohl, Beatchen, ich mache mich auf zur Mutter.

5. Szene
Fünfte Scene
Im Hintergrunde erhebt sich Lärm und Geschrei, dazwischen hört man eine verworrene Musik – eine Menge Volk strömt zwischen die Buden hinein; schon von ferne hört man rufen:
Platz da, Platz da, ein Mummenschanz!

BEATA.

O, Himmel, Rösel, horch, ein Mummenschanz kommt, und gewiß hieher, wo der Platz am breitesten ist. Wäre doch nur mein Mann hier! Wie soll ich arme Frau mich des Volkes erwehren in meinem Silberladen? – Dazu brauchte ich tausend Augen! Was fang' ich an?

RÖSEL
entschlossen.

Ei, was braucht's da viel Kopfzerbrechens; schnell den Laden zu, damit ist's abgemacht, und ich helfe, wenn Du willst.

BEATA.
Ja, Gold-Rösel, Du hast Recht; Du weißt doch für Alles Rath. Komm, hilf!

Indeß der Vorgrund sich mit Volk anfüllt, schließen die Frauen den Laden. Amalgundis und Jutta treten, vom Volk gedrängt, in den Laden des Italieners. Sonnenberg steht ganz vorne, dicht an der Bude, und sieht nach Amalgundis hin. Verworrener Lärm.
[17]
NARR
tritt in die Mitte und klingelt mit dem Schellenstab.

Stille, Ruhe, ehrsames Bürgervolk der freien und weltberühmten Reichsstadt Frankfurt am Main. Ruhe, ihr Fremden und Schaulustigen, auf daß der Mummenschanz erscheinen, und seine Künste produziren könne.

ALLE.
Ruhe – Stille – Ordnung!
NARR.

Danke ergebenst, meine Herren und Frauen, auch Kinder und Unvernünftige. Danke, daß Ihr Eure verehrten Köpfe so schnell unter einen Hut steckt, wenn es Etwas zu schauen gibt – möchtet Ihr doch späterhin eben so gleichen Sinnes Eure Hände in den Säckel stecken, und mit milden Gaben die Kur unsers schwindsüchtigen Geldbeutels übernehmen! Also, tretet vor, Ihr Mummen! –

EIN SCHAUSPIELER
halb schwarz, halb roth gekleidet, eine goldpapierne Krone auf dem Kopfe, tritt vor.
– Auf seiner Brust hängt eine Tafel mit den Worten: Ich bin der böse Luzifer.
NARR
Meine Herrschaften, Ihr sehet allhier den schlimmen Fürsten der schlechten Geister.
ZWEITER SCHAUSPIELER
tritt vor.

Ganz weiß angethan mit rosenrothen Flügeln und einen Palmzweig in der Hand, auf der Brust die Tafel mit den Worten: Ich bin ein guter Geist.

[18]
NARR.

Was der ist, könntet Ihr wissen, wenn Ihr lesen könntet; so aber will ich's Euch sagen: Er ist ein guter Genius.

DRITTER SCHAUSPIELER
als Mann gekleidet, aber eine lange Schleppe umgebunden, eine Krone auf dem Kopfe, tritt langsam vor.
Auf der Tafel steht: Ich bin die schöne Judith.
VIERTER SCHAUSPIELER
auf ähnliche Weise gekleidet, mit der Tafel: Ich bin die böse Esther.
RÖSEL
während der Narr dem gaffenden Volke die letztern Personen vorstellt, ist sie bemüht, sich Bahn zu machen.
Laßt mich durch, Ihr Leute, ich bitt' Euch darum!
EIN BÜRGER
tritt zur Seite.
Gern, mein freundliches Kind!
RÖSEL
schlüpft an ihm vorüber, und stößt an Ralph Strichauer, der mit dem Volke herauskam, und sich breit vor Beatens Bude postirte.
RALPH
Na, Kröte, was drängst Du? Bleibe, wo Du bist, und störe nicht andere Vornehmere und Größere in ihrer Schaulust.
[19]
RÖSEL
sieht ihn keck an.

Daß Ihr was Großes seyd, seh' ich; lang genug wärt Ihr dazu; aber was Vornehmeres, als Euch, denke ich auf jeder Straße zu finden.

RALPH.

Wie? Solch Bettelvolk wagt's, den Waffenmeister des Günther von Nollingen zu höhnen? – Das soll ja gleich –

RÖSEL.
Macht nicht solch Aufhebens, und laßt mich durch!
RALPH.
Alles Wetter der Sündfluth soll Dich –
VOLK.
Ruhe – Stille – der Schanz fängt an.

Die Schauspieler hatten sich indeß untereinander beschäftigt.
JUDITH
tritt in den geöffneten Kreis.
Hör' zu, o Volk! ich will es Dir erzählen,
Wie mich die Esther thut alltäglich quälen,
Daß mir nicht mundet Essen, Trinken, Schlafen;
Ach, weßhalb ward ich Aermste doch erschaffen?
EINIGE
rechts.
Was drängt Ihr so? Bleibt ruhig auf Euren Plätzen.
[20]
EINIGE
welche dicht vor Bandini's Bude stehen.
Ihr habt gut reden, nehmt die Barette herunter, wir sehen nichts.
EINER
vorn.
Wer zuerst kommt, malt zuerst – sucht Euch bessere Plätze, wir rücken nicht von der Stelle.
EINER
der hinten steht.
Er hat Recht; laßt uns auf die Bude steigen.
ANDERE
lachend.

Das ist ein prächtiger Einfall. In Bandini's Bude hinein. Macht Platz hier! In großer Schnelligkeit werfen sie die Gefäße mit dem Federschmuck in die Bude hinein, so, daß der Ladentisch leer wird, klettern hinauf, und stehen, fünf bis sechs, in der Reihe oben.

BANDINI
von Innen, mit lauter Stimme.
Was thut Ihr, keckes Volk? Was unterfangt Ihr Euch? denkt Ihr nicht des Meßfriedens?
DIE OBENSTEHENDEN
lachend.
Halt's Maul, oder wir wollen Dir den Meßfrieden zeigen.
VOLK.
Still da drinnen – Ruhe – die Esther kommt.
[21]
ESTHER
tritt vor.
Wie kannst Du doch so unvernünftig klagen
So viele Lug' in einem Athem sagen?
Du weißt recht wohl – –
BANDINI
von Innen, außer sich vor Wuth.

So laßt uns denn Gewalt mit Gewalt vertreiben. – Auf, meine Gesellen! zeigt den Troßbuben, was Rechtens ist.


Bandini und seine Gesellen stemmen sich von Innen gegen die auf dem Ladentisch Stehenden; diese stürzen herab und reißen im Fallen mehrere der Umstehenden nieder. Ein allgemeines Gelächter entsteht. Die Schauspieler drängen sich durch und fliehen. – Alles ruft wüthend durcheinander gegen die Bude zu.
EINER.
Schlagt den italienischen Hund todt, der uns das gethan.
ANDERE
schreien.
Schlagt ihn todt.
RALPH
alle überschreiend.
Der Hexenmeister ist reich – plündert seine Bude, da gibt's einen Fang.
ALLGEMEINES GESCHREI.
Ja, plündert ihn, plündert!

Die ganze Masse stürmt auf die Bude ein.
[22]
SONNENBERG
springt vor den Ladentisch, die Hand am Degen, und donnert ihnen zornig entgegen.

Zurück, Gesindel, keinen Schritt vorwärts! oder, so wahr ich lebe, ich spieße den Ersten, der sich naht, an mein Schwert! Seyd Ihr Bürger? Räuber und Lumpenpack verkündet Euer tolles Treiben. Zurück, sage ich noch einmal, zurück, wenn Euch gesunde Glieder und eine glatte Fratze am Herzen liegen!


Der Haufe weicht stumm ein paar Schritte zurück, so, daß der Platz vor der Bude frei wird. Man sieht Amalgundis, die bleich, einer Ohnmacht nahe, sich auf Bandini stützt. Der Junker steht, mit der Hand am Schwert, in drohender Stellung – in diesem Augenblick tritt Jutta aus der Bude, legt dem Junker die Hand auf die Schulter, und sagt stolz.
JUTTA.

Gebt mir Raum, Herr Junker, ein Wort von mir wird schnell den Sturm beschwören, und zitternd werden sie auseinander stieben, wie Spreu vor dem Winde. Sie tritt mit Hoheit vor den Junker, und spricht mit lauter Stimme. Was soll das? Haltet Ihr so den Meßfrieden, den heiligen Meßbann? Ich bin Jutta von Praunheim, die Tochter Eures Schultheißen, welcher der Erste ist in dieser Stadt, ich gebiete Euch, augenblicks ruhig und still von dannen zu gehen.


Jutta steht hoch aufgerichtet mit befehlender Geberde – ein lautes Gelächter schallt ihr entgegen.
[23]
EINER.
Sie gebietet, das stolze Jungfräulein!
EIN ANDERER.
Ihr habt uns was Rechtes zu befehlen.
DRITTER.
Diese Keckheit! aber die gold'nen Spangen soll sie uns zur Buße abgeben.

Von allen Seiten wird ihr gedroht, Jutta weicht entsetzt zurück.
SONNENBERG.
Nur hier herein.

Jutta tritt in die Bude, und bedeckt das Gesicht. Alles drängt wieder nach der Bude.

Gesindel! Seht Ihr denn nicht, daß Galgen und Rad Euer wartet, wenn Ihr den schändlichen Vorsatz ausführt? Dem Ersten, der sich nähert, fährt mein Schwert in die Gurgel.


Das Volk steht schweigend und verdutzt.
RALPH
tritt vor.

Ihr lumpiges Gesindel! Ihr Rauf- und Lärmbolde? – Ist das Eure Courage? Bei Euch heißt's: viel Geschrei und wenig Wolle. So ein Milchbart, der noch in den Windeln lag, als ich die ersten zehn Ungläubigen wie Lerchen spießte, treibt Euch zu Paaren? hic Rhodus, hic Salta, sagen die Lateiner. Ihr ausgeleerte [24] Weintonnen – ich will mich Eurer erbarmen, Ihr Wichte! Tretet bei Seite, mein Junkerlein, was geht Euch am Ende die Geschichte und der welsche Hund da drinnen an? Wißt Ihr was? wir Zwei kämpfen Mann gegen Mann, ehrlichen Zweikampf – siegt Ihr, so ziehen wir ruhig von dannen, und haben unser Recht an den Italiener verloren; verliert Ihr, so ist die Bude unser in statu quo, wie die Lateiner sagen.

VOLK.
Ja, so soll es seyn?
SONNENBERG.

Wahrlich! Es möchte dem Edeljunker herrlich ziemen, sich mit solch niederm Burschen in einen Zweikampf einzulassen. So es Dir ernstlich darum zu thun, mit mir anzubinden, so wehre Dich wohl; denn das schwöre ich Dir bei meiner Ehre, erfrechst Du Dich zu einem Angriff auf meine Person, so stopfe ich Dir das ungewaschene Maul, daß Du meiner mit Schrecken gedenkst Dein Lebelang.

RALPH
zieht das Schwert, und stürzt auf den Junker ein.
»Habeas tibi,« sagen die Lateiner.
SONNENBERG.

Hier, Wicht, wenn Du nicht anders willst. Er haut ihn über den Kopf, daß Ralph taumelnd zurückprallt; in diesem Augenblick rufen Stimmen im Hintergrund. [25] Im Namen der Gerechtigkeit! Platz dem Stadtschultheißen!

VOLK.
Der Schultheiß! Weh uns – macht, daß wir fort kommen.

Der Haufen stiebt nach allen Seiten auseinander, und verschwindet hinter den Coulissen; Niemand bleibt, als Beata, die sich hinter ihrer Bude verkroch, das Pfeffer-Röschen, welches längst seinen Kasten abnahm, sich neben Beaten, aber ohne versteckt zu seyn, auf demselben niedersetzte, und dem Treiben muthig zusah – und Ralph, der sich betäubt an Beatens Bude aufrecht hält, und bemüht ist, seine Leibbinde um den Kopf zu wickeln – dann Bandini und seine Leute, Jutta, Amalgundis und Sonnenberg vor der Bude stehend.
6. Szene
Sechste Scene
Zwölf Stadttrabanten, in deren Mitte der Schultheiß Heinrich von Praunheim, hinter ihm Ritter Günther von Nollingen und Schelm vom Berge. Neben dem Schultheiß ein alter Bürger.

SCHULTHEISS.

Was muß ich erleben? beim Himmel, unerhört! In langen Jahren hat man solchen Frevel gegen den Meßfrieden nicht gewagt – ich danke Euch für Euren Bericht. Wer an Zeugen noch zugegen, trete hervor.

JUTTA
eilt heraus.

Mein Vater! gebt mir Genugthuung, gebt mir [26] Rache gegen die Frevler, die es wagten, Eure Tochter zu verhöhnen.

SCHULTHEIß finster. Tritt zur Seite, Jutta, und störe mich ferner nicht; die Gesetze sind verhöhnt, da kann von Dir wohl keine Rede seyn.


Nollingen tritt zur Jutta, die verdüstert auf die Seite ging, und spricht beide Frauen mit galanten Mienen an.

SCHULTHEIß auf Ralph deutend. Ist's wahr, daß dieser Raufbold hier zuerst das Schwert gezogen?
BANDINI.
Ja, das ist wahr.
RÖSEL
muthig hinterdrein sprechend.
Ja, der Schläger drang auf den Junker ein, das ist reine Wahrheit.
SCHULTHEIß zu den Trabanten. Nehmt ihn gefangen.
RALPH
wehrt sich.
Das fehlte mir noch, daß solch Bürgerpack mich greifen sollte. Laßt mich ungeschoren!

Er wird entwaffnet, und die Hände ihm gebunden.

[27]
SCHULTHEIß winkt dem Junker, näher zu treten. Wer seyd Ihr, junger Mann?
SONNENBERG.

Ich nenne mich Friedmann von Sonnenberg, und komme von meinem Vater, dem Reichsmarschalk, an kaiserl. Majestät mit Siegesbotschaft abgesendet. Seit drei Tagen harre ich hier der Ankunft des erlauchten Herrn.

SCHELM VOM BERGE
tritt näher.

Mein kleiner Friedmann, den ich aus der Taufe hob? Ei, grüß Dich Gott, Du wackerer Cumpan, Du würdiger Sohn meines alten Waffenbruders; kamst Du mir doch gleich so bekannt vor. Doch, seit der Bart sich Dir so zierlich um die Lippen windet, bist du mir aus den Augen gewachsen.

SONNENBERG.
Ihr mir nicht, Herr Schelm vom Berge.
SCHELM.
Wetterjunge, kennst mich noch?
SONNENBERG.

Ich werde doch meines edlen Vaters Waffenbruder und meines hohen Kaisers treuesten Freund wieder erkennen?

[28]
SCHULTHEISS.

Herr Junker! Ihr habt unserer freien Stadt, so wie dem Kaiser und meinem Hause, durch Eure Entschlossenheit einen großen Dienst erwiesen. Dieß edle Fräulein, meiner Hut von kaiserl. Majestät vertraut, wie meine Tochter hier, habt Ihr bewahrt vor schwerer Unbill – ich danke Euch, und freue mich, daß Ihr nicht der Erste war't, der das Schwert gezogen, denn vergebens würde ich Euch dann gegen die Strenge der Gesetze vertheidigt haben. Ihr, Meister Bandini, habt durch Gewaltthat den Frieden gefährdet, und zahlt 20 Goldgulden an die Stadt – mit diesem hinweg.

RALPH
der sich nach und nach von der Betäubung erholt.

Ich lasse mich nicht hinwegführen. Ihr habt kein Recht an mich; denkt Ihr, ich wisse nicht quid juris? Ich stehe nicht unter Eurem Gericht. Mein Herr ist der Günstling des Kaisers, der wird Euch schon lehren, wie man einen ehrlichen Waffenmeister traktirt.

NOLLINGEN
tritt erstaunt vor.

Bei meinem Leben! ja, es ist der Ralph Strichauer, mein wackerer Waffenmeister. Leichthin zum Schultheißen. Das ändert wohl die Sache; nicht wahr, verehrter Freund? Ja, er ist mir zur Strafe verfallen. Ihr werdet mir ihn ungesäumt ausliefern.

SCHULTHEISS.

Mit nichten, Ritter von Nollingen! Ist er Euer [29] Waffenmeister, so beklage ich Euch, daß Ihr Raufbolde dieser Art im Dienste habt; übrigens ist er der freien Stadt zur Strafe verfallen; er hat den heiligen Meßfrieden gestört, und die Gerichte der Stadt werden ihn züchtigen.

NOLLINGEN
stolz und zornig.

Wie? Ihr könntet mir, dem Freunde Eures Hauses, dem Liebling des Kaisers, den eignen Diener vorenthalten?

SCHULTHEISS.

Dem Kaiser selbst den eignen Diener, wenn dieser unsern Gesetzen anheim fällt. Nichts rettet diesen Verletzer des Meßbanns, und morgen, auf öffentlichem Markte, verliert er die verbrecherische Faust, die er erhob, den Wohlstand und die Ehre unserer Stadt zu gefährden, fort mit ihm.


Nollingen stampft mit dem Fuße; man hört aus weiter Ferne Musik und Glockengeläute.

Folgt mir, Ihr Herren! das Zeichen kündet, daß schon des Kaisers Schiffe, den Main herab, der Stadt zu schwimmen. Laßt uns den erhabenen Herrn begrüßen.


Er reicht Amalgundis die Hand.
AMALGUNDIS
die den weißen Falken auf der Hand trägt, macht sich, mit [30] einer leichten Verbeugung, von dem Schultheiß los, wendet sich nach dem Junker, und sagt mit einem milden Lächeln.

Ich bin Euch sehr verschuldet, edler Junker! wollt meinen wärmsten Dank mit Freundlichkeit empfangen.


Sie verbeugt sich, und folgt – Jutta neigt kaum den Kopf auf seine höfliche Verbeugung; Alle ab, bis auf.
7. Szene
Siebente Scene
Beata. Rösel. Sonnenberg. Bandini.

SONNENBERG
der Abgehenden nachsehend.

Das ist fürwahr ein holdes Frauenbild! Sprecht, Meister Antonio, Ihr scheint mir hier gar wohl bekannt, wer ist die Dame?

BANDINI.

Werther Junker, Ihr habt mir heute einen großen Dienst erwiesen; doch Euch selbst einen größern. Die schöne Amalgundis ist's, des Kaisers Nichte, und einen großen Schritt in kaiserlicher Gnade habt Ihr gethan, da Ihr derselben einen Dienst erwiesen. Ihr werdet hoch noch steigen in des Glückes Gunst, doch hört das Wort des alten Italieners, der Hof und Welt nur all zu gut kennt. Der Günther von Nollingen ist eine Schlange, die Eurem Paradiese droht, vor dem hütet Euch, der duldet Keinen in der höchsten Nähe, und kommt Ihr an den Hof, so seyd blind mit sehenden [31] Augen, taub mit lauschendem Ohr, und stumm mit geschmeidiger Zunge. Diese Lehre sey mein Dank. Und nun gehabt Euch wohl, mein feiner Junker!Ab.

SONNENBERG
schüttelt den Kopf, und sieht ihm sinnend nach.
Seltsam! die Lehre stimmt genau mit dem, was mir mein Vater sagte.
RÖSEL
die seitwärts stand, und ihn aufmerksam betrachtete.
Soll ich Euch sagen, Junker, was Ihr jetzt denkt?
SONNENBERG
aus seinem Nachsinnen auffahrend.
Ei, Pfeffer-Rösel, bist Du noch hier?
RÖSEL
empfindlich.
Zürnt nicht, Herr Junker, gleich werde ich fort seyn; ja, was Ihr denkt, wollte ich Euch sagen.
SONNENBERG
lächelnd.
Laß einmal hören, kluges Rösel!
RÖSEL.

Ihr sagtet eben bei Euch selbst: das ist doch Jammerschade, daß die schöne Amalgundis gerade des Kaisers Nichte seyn muß! –

[32]
SONNENBERG
sieht sie verwundert an.
Du närrischer Schwarzkopf, wie weißt Du das?
RÖSEL
erschrocken.

Hab' ich's errathen? Mit einem tiefen Seufzer. Ja, ja, die Schönen sind doch recht glücklich; wär' ich hübsch, nennten sie mich schon lange Pfeffer-Röschen, statt der plumpen Rösel. Nun, wie der Himmel will, der Mensch kann nicht Alles haben. Schnell wieder lustig. Bin ich doch stets frohen Sinnes und rüstigen Muth's, das ist auch Etwas, nicht wahr, Junker? Nun seht, Ihr mögt alle hübsche Mädchen leiden, und das gefällt mir nicht sonderlich; aber ich muß Euch deßhalb doch sagen, daß Ihr ein tüchtiger Kumpan seid, und Euch gar wacker gegen die Raufbolde gehalten habt, und das – seht, das gefällt mir; und dann wollte ich Euch noch ferner sagen – daß Ihr der schönen Amalgundis nicht gar zu nah – doch nein, das war es nicht, was ich Euch sagen wollte – ich wollte – ja, danken wollte ich Euch noch einmal, guter Herr Junker, recht aus voller Seele, und – und – Sie bricht in Thränen aus, und drückt schnell seine Hand an die Lippen. Ach, lieber Himmel! ich bin heute ganz verdreht, das macht die Freude, und – gehabt Euch wohl, Junker. Läuft schnell ab.

SONNENBERG
sieht ihr verwundert nach.
Ein seltsam lieblich Kind, das Pfeffer-Röschen!

[33] Im Hintergrunde geht ein Zug Trabanten über die Scene, Alles ruft, und eilt aus Rechts nach Links.

Der Kaiser! der Kaiser! vivat Adolphus!
SONNENBERG.
Der Kaiser ist schon da? Was träume ich hier? Schnell fort, zu meiner Pflicht! Ab.

Musik und Lärm dauert fort, man sieht Stadtsoldaten über die Bühne ziehen. Der Vorhang fällt.

Ende des ersten Aufzuges.

[34]

2. Akt

1. Szene
Erste Scene
ALESSANDRO
sitzt an einem Tische, unter Pergamenten kramend, und zählt.

Der schwarze Punkt hier, die ungleiche Zahl, verdirbt jede Berechnung. Diese Nacht schwammen des Kaisers Sterne wieder in tiefem Dunkel. Gerhard von Mainz, der Gräßliche, raubte unserm Gestirn den Glanz, und wehe uns, wenn ihm gelingt, was er jetzt gegen den Kaiser spinnt.

2. Szene
Zweite Scene
Der Kaiser. Alessandro.

KAISER
im Hauskleid, blaß und trübe.
Du schon hier, mein weiser Ales?
[35]
ALESSANDRO
erhebt sich.

Noch hier, mein Herr und Kaiser. Ich mußte diese Nacht in Deiner Nähe die Sterne belauschen, wenn ich Dir die versprochene Berechnung liefern sollte.

KAISER.

Bleib' an Deinem Platze, Alter! Alessandro setzt sich, und fährt fort in seiner Berechnung, der Kaiser öffnet das Fenster. Die Morgenluft weht scharf, doch sie erquickt. Da liegt das freie Frankfurt dämmrig um mich her, das ist ein Anker, denk' ich, der mir halten soll in jeder Noth.

ALESSANDRO.
Frankfurt ist treu; Du magst immer bauen auf die kühnen Bürger.
KAISER
am Fenster lehnend.
Wenn Du das sagst, kann ich es glauben, Meister; denn selten ist dieß Wort in Deinem Munde.
ALESSANDRO.
Weil ich es niemals an Unwürdige verschwende.
KAISER
abbrechend.
Wie ist's, Freund Ales, was hast Du in dieser langen Nacht entdeckt?
ALESSANDRO.

Des Guten wenig, kaiserlicher Held, doch Neues [36] nicht, noch Unerwartetes. – Dir droht ein schweres Unheil, wend' es ab!

KAISER.
Wie kann ich? Alles Unheil, das mich trifft, es kommt von Gerhards Hand, des Unversöhnlichen.
ALESSANDRO.

Versöhn' ihn Dir, er ist ein fürchterlicher Gegner, und seine Macht ist größer, als die Deine, weil er das Verbrechen zum Bundsgenossen wählte.

KAISER.

Der Abtrünnige! Der Eidbrüchige! Er ist für mich auf immer verloren, ist unwiederbringlich dahin. Darf ich gewähren, was seine Habsucht heischt, was sein Stolz fordert? Darf ich das deutsche Reich zerstückeln, um seiner nie zu befriedigenden Ländergier zu fröhnen? Nein, es ist keine Versöhnung mehr denkbar zwischen ihm und mir. – Wir kämpfen auf Tod und Leben! Ich mit den Waffen des Rechts in offener Fehde, er mit denen des Trugs, und auf jedem krummen Wege, selbst auf dem des Verraths und des Mords – der über uns entscheide, ich stehe in seiner Hand, und fürchte nichts.

ALESSANDRO.

Fürchtest Du auch nicht die Schlange, die Du sorglos im Busen nährst? Von Freun des Hand droht Dir das nächste Unheil. Höre mich, Kaiser! banne den Günther von Nollingen aus Deiner Nähe.

[37]
KAISER.

An meiner Seite wuchs er auf, ein unbefangener Knabe, als noch fern von meiner Seele die Ahnung lag, daß mich der Herr erlesen, einst den Kaiser-Thron zu besteigen – und damals hing er schon an mir mit fester Liebe; was zog ihn anders zu dem armen Grafen von Rassau, als sein Herz? Als Mann blieb er derselbe. Zweimal rettete ich ihm das Leben, und das Band der Freundschaft schlang sich fester um unsere Herzen. – Jetzt bin ich Kaiser; soll ich den Jugendfreund verstoßen, weil mich das Schicksal also hoch gestellt?

ALESSANDRO.

Weil ihn sein böses Trachten also tief erniedrigt, deßhalb sollst Du ihn bannen aus Deiner Nähe. War er nicht auch des Gerhards Jugendfreund? Hast Du die Plane seines Ehrgeizes je befriedigt? Denkst Du, dem Uebermüthigen genüge Deine Freundschaft? Nollingen küßt die Feindeshand, die ihm den Kurhut auf die Schläfe drückt – und lähmt, wenn er's vermag, den Arm des Freundes, der seinem Stolze nicht Genüge leistet.

KAISER.

Nein, sag' ich, nein, und tausendmal nein! Günther kann mich nicht verrathen. Er hat in blutigen Schlachten neben mir gekämpft. Wie oft stand es in seiner Hand, meine Gegner mit einem Streiche von ihrem Feinde zu befreien. – Nein, in seiner treuen Brust schlägt nimmer das Herz eines Verräthers.

[38]
ALESSANDRO.

Denk' zurück, o Kaiser! Wer bewog Dich zur Trennung von Imagina, Deiner Gattin? mit ihr, der Stolzen, fielen die Herzoge von Baiern und Schwaben von Dir ab; wer überredete Dich zum Kauf der Thüring'schen Erblande, um die der unglückselige Krieg noch immer Deine Staaten zerfleischt? Günther von Nollingen war es, dessen Rathschläge Du befolgtest. Dein Thron wankt, seit Du ihm allein vertraust! Doch – Du bist Herr, Dein Wille ist Gesetz – ich folgte meiner Pflicht, ich warnte Dich – sey auf der Huth.


Man hört von Außen die Stimme des Ritters Schelm vom Berge.
KAISER
horcht nach der Thüre.

Ist das nicht das ungeduldige Murren des wackern Schelm vom Berge? Ruft. Herein, mein alter Waffenbruder, was stehst Du draußen, und schmählst?

3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Schelm vom Berge. Sonnenberg.

SCHELM.

Vergebt mir, kaiserlicher Herr! doch draußen ward mir die Zeit ein wenig lang, dieweil dieSecretarii, – die da sitzen in der Halle in langen schwarzen Röcken, [39] und mit wichtiger Miene am Federkiele schnitzeln, – mir altem Manne verwehren wollten, auf und nieder zu schreiten nach meiner festen Art; das störe sie, meinten sie, und das verdroß mich denn ein wenig.

KAISER.

Ich glaub' es Dir, mein werther alter Freund! Doch mußt Du es ihnen heute zu Gute halten, sie forschen emsig in den Kaufpakten der Thüring'schen Erblande, welche man uns streitig machen will, ob wirklich ein Punkt zu finden, den man verdrehend, unsere guten Rechte schmälern könnte. Nur selten lege ich diese wichtigen Pergamente in ihre Hand, d'rum lass' Dich's heute nicht so sehr verdrießen. Wen bringst Du mir denn da?

SCHELM.

Den Junker von Sonnenberg, den Sohn Ludwigs von Sonnenberg, Eurer Majestät Statthalter und Reichsmarschalk; einen tüchtigen Kumpan, der das Zeugniß seiner ritterlichen Fähigkeit hiemit zu den Füßen seines allergnädigsten Kaisers legt.


Junker von Sonnenberg läßt sich auf ein Knie nieder, und überreicht dem Kaiser schweigend ein Pergament.
KAISER.

Steh' auf, junger Mann! wir lieben es nicht, daß man vor uns kniee, nur vor Gott geziemet solche Demuth. Du hieltest Dich, wie uns berichtet ward, durch drei Monde gegen die Ecksteiner in Deines Vaters [40] Burg. Hat das Pergament geöffnet und liest. Bei meiner Ehre, Du hast gethan, wie ein erfahrner Kriegsmann, Du hast gekämpft wie ein tüchtiger Ritter, und Dich hoch verdient gemacht, um uns und unser Erbland. Du hast die Burg behauptet gegen die Uebermacht meines erbittertsten Feindes, des Gerhard von Mainz; auch sind wir Dir, wie unsre theure Nichte uns versichert, noch für einen zweiten Dienst gar hoch verpflichtet. Junker von Sonnenberg, hast Du Lust, Deinem Kaiser zu dienen?

SONNENBERG
feurig.
Mit Gut und Blut, mit Leben und mit Ehre!
KAISER
legt ihm die Hand lächelnd auf die Schulter.
Du gefällst mir, Junker! was meinst Du, Ales? Sieh einmal in seine Hand?
ALESSANDRO.

Sieh in sein Auge, Kaiser, meiner Wissenschaft genügt der eine Blick, ihm magst Du trauen, halte ihn lieb, und feßle ihn an Deinen Schritt.

KAISER
lächelnd.

Mein wackrer Junker, Du magst wohl von Glück sagen; denn Du vernahmst ein seltenes Wort aus dem Munde unsers würdigen Arztes. Friedmann von Sonnenberg, von heute an soll Dich ein Dach mit Deinem Kaiser schirmen. Wir ernennen Dich zu unserm [41] Leib- und Ehrenjunker, und werde Sorge tragen, daß man Dich von den Pflichten dieses Amtes in Kenntniß setze.

SONNENBERG
in freudigem Staunen.
Mein Kaiser – wie, dies unverdiente Glück?
SCHELM.

Ich danke Euch, mein kaiserlicher Herr, im Namen meines fernen Waffenbruders. – Ihr habt gewiß keinen Fehlgriff gethan, da Ihr seinen edlen Sohn an Euch gefesselt; ein guter Stamm treibt einen guten Zweig und die Lehren des Vaters werden Euch goldne Früchte tragen in den Werken des Sohnes.

KAISER.
Davon sind wir auch überzeugt, und denken wohl und klug gewählt zu haben.
4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Günther von Nollingen.

NOLLINGEN.
Verzeiht, mein Herr und Kaiser! wenn ich vielleicht zur ungelegenen Stunde mich in Eure Rähe dränge.
KAISER.

Du weißt, Günther, daß unsere Gemächer Dir [42] stets geöffnet sind; auch haben wir Wichtiges mit Dir zu sprechen.

NOLLINGEN.

Und Wichtiges führt mich zu Euch, mein Kaiser. Im Gedränge gestern wurde ein verkappter Bursch von meinen Leuten verhaftet, und als man mir heute die Papiere bringt, welche sich bei ihm fanden, entdecke ich mit Entsetzen einen neuen Frevel, der gegen Euer kaiserliches Haupt gesponnen wird. Seht selbst.


Er überreicht dem Kaiser ein Blatt Pergament.
KAISER
wirft einen Blick hinein.
Es ist die Hand des Gerhard von Mainz.
NOLLINGEN.
Dafür erkannte auch ich's im ersten Augenblick.
KAISER
liest.

»Vor allen Dingen meldet ohne Säumen, bis wann der Kaiser die Stadt verläßt und mit wie viel Gefolge. – Am Rhein liegt ein verstecktes Plätzchen, dort denke ich der Majestät habhaft zu werden durch wohl ersonnene List, und sie lebendig oder todt dem Philipp von Frankreich auszuliefern.« Ruhig, doch schmerzlich. So ruht doch dieser grimmige Tieger nie! Siehst Du, Ales, Deine Weissagung trifft zu, von Freundes Hand droht uns ein neues Unheil – Schwer. War Gerhard nicht unser Freund in früher Jugend? – Doch an wen ist das Schreiben?

[43]
NOLLINGEN.

Vergebens forschte ich darnach – der Bursch scheint eisenfest. Zwei Foltergrade hat er bereits bestanden, und noch kam kein Laut über seine Lippen, der Gerhard weiß seine Leute zu wählen! Ich denke ihm jedoch die Wahrheit zu entpressen, ehe es zum fünften Grad kommt.

KAISER.

Nicht doch, Günther, wozu die grausame Marter, was soll sie nützen, einen neuen Verräther zu entdecken? Du weißt, ich hasse das; entlaßt den Buben, seine Strafe hat er schon empfangen; er möge seinem Herrn berichten, daß Kaiser Adolphus es verschmäht, sich an feigen Verräthern zu rächen.


Nollingen tritt mit einer mißbilligenden Bewegung zurück.

Du bist mit meiner Milde nicht zufrieden? Ich kenne Deine Treue, und danke für den wichtigen Dienst, den Du uns geleistet.

ALESSANDRO
schüttelt den Kopf, und sieht Nollingen mit einem langen Blicke an, steht auf, und geht durch eine Seitenthüre ab.
KAISER
Mein Ales ist oft sonderlicher Laune, doch dem Weisen mögen wir das zu Gute halten.
[44]
5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Geheimschreiber.

KAISER.
Was gibt es, Dominik?
GEHEIMSCHREIBER
mit einer Rolle Pergament, woran zwei große Siegel hängen.

Hier lege ich die Urkunden und Dokumente über den Verkauf der Thüringer-Erblande in Euerer Majestät allerhöchst eigene Hände zurück.

KAISER
nimmt die Pergamentrolle, und legt sie auf den Tisch zur Rechten, an welcher früher Alessandro saß.

Habt Ihr sie nochmals aufmerksam durchforscht, ist keine Klausel vorhanden, die unser Recht zu schwächen vermöchte?

GEHEIMSCHREIBER.

Nein. Euch, mein gnädigster Herr und Kaiser, kann kein Sterblicher mit Recht den Besitz der Thüringer-Erblande streitig machen, so lang diese Papiere in Euren Händen sind.

KAISER.

Nun, so bist Du einerlei Meinung mit uns und unserm Reichsrathe; rufe den Ales, daß er die Dokumente [45] wieder an sich nehme, und sie verwahre an dem alten Orte in meinem Schatze.


Geheimschreiber verbeugt sich, und entfernt sich durch die Thüre, wo vorhin Alessandro abging.

Was meinst Du, Günther, wenn der Gerhard diese Papiere in seinen Händen hätte, was gäbe er wohl um den Besitz?

NOLLINGEN
mit einem leisen Anfluge von Betroffenheit aber schnell gefaßt.

Vielleicht sein stolzes Mainz; denn wären diese Urkunden erst vernichtet, dann würde es ihm leicht, zu erweisen, was er dem deutschen Reiche so gerne glauben machen möchte, daß Ihr den Besitz der Thüringer-Erblande Euch widerrechtlich angeeignet.

KAISER.

Und wir haben sie doch bezahlt mit unserm schweren Golde, drum wollen wir nicht leichtsinnig unser gutes Recht verscherzen.

SCHELM
der am Fenster stand, und seine Ungeduld nicht bergen konnte.

Eure Majestät bekommen Besuch, wie mir's bedünken will, denn Fräulein Amalgundis und Jungfrau Jutta von Praunheim steigen so eben aus der Sänfte.

[46]
KAISER.

Wie? unsre holde Nichte? das ist ja recht erfreulich. Nun, mein wackerer Leibjunker – eine schönere Gelegenheit findest Du wohl nicht, dein Amt zu beginnen, geh hinab, und geleite die Frauen zu mir her.


Junker verbeugt sich tief, und geht hinaus.

Und Du, mein alter Freund, folge Deinem Schutzbefohlnen, damit er sein erst Geschäft mit Geschick und Anstand verrichte.

SCHELM.

Nach Eurer Majestät Befehl – doch wollte ich fast darauf wetten, daß der Junge solch Geschäft weit besser verstehen mag, als ich alter Kämpe. Ab.

KAISER.

Was meinst Du, Günther! die Frauen sind doch eine schöne Zierde des Daseyns. – Ihr Anblick schon erheitert, und es dünkt mir oft, es sollte so nicht seyn, wie es jetzt mit uns ist; doch davon nachher, ich höre sie kommen.

NOLLINGEN
hat sich unbemerkt dem Tische mehr und mehr genähert, erfaßt mit Blitzesschnelle die Pergamente, als der Kaiser den Rücken wendet, verbirgt sie in seinen Mantel, und schließt sich augenblicklich an den Kaiser an.
[47]
6. Szene
Sechste Scene
Die Mittelthüre stand offen – als der Kaiser zurück geht, sieht man an der Thüre Dienerschaft erscheinen, welche vorantritt, dann Amalgundis, vom alten Schelm geführt, hinter ihnen Jutta, an Junker von Sonnenbergs Hand – beide Frauen sind kostbar gekleidet, Amalgundis trägt den gekauften Falken auf der Hand.
Vorige. Amalgundis. Jutta. Schultheiß. Schelm. Sonnenberg

KAISER
geht ihnen bis zur Thüre entgegen, – Amalgundis will ihm die Hand küssen; er aber, ohne es zu dulden, küßt sie auf die Stirne.

Sei mir gegrüßt, mein theures Kind; auch Ihr, Jungfrau Jutta, seid herzlich mir willkommen. Wir danken Euch, Herr Schultheiß, daß Ihr uns die Nichte so wohl bewahrt, indeß uns Krieg und mannigfaches Treiben fern von Frankfurt hielt.

SCHULTHEISS.

Ich fühle mich gar hoch geehrt durch das Glück, Euch, mein kaiserlicher Herr, einen Dienst leisten zu können.

AMALGUNDIS.

Ich war wohl versorgt in seiner gütigen Huth, und bin zu doppeltem Dank Euch verpflichtet, mein kaiserlicher Ohm, daß Ihr auch in der Ferne so väterlich für Eure arme Nichte sorgt.

[48]
KAISER.

lächelnd. Ei, unser Fräulein Nichte weiß die Worte heut' ja besonders wohl zu setzen, doch – was bringst Du da? Gar ein Geschenk für Deinen Ohm?

AMALGUNDIS
schüchtern.

So oft hörte ich Euch klagen um den weißen Falken, den Ihr bei der letzten Reiherjagd verloren. – Der Zufall ließ mich dieses herrliche Thier hier finden, und so wagte ich's ...

KAISER
heiter.

Wir danken Dir, mein holdes Kind, Du weißt nicht, wie herzlich Dein Geschenk uns erfreut. Herr Schultheiß, tretet dort hinein mit den Frauen, wir folgen Euch sogleich.


Schultheiß, Amalgundis, Jutta links ab.

Du, Ritter Schelm vom Berge, trage Sorge, daß unserm Leibjunker seine Gemächer in unserer Nähe angewiesen werden. Wir erwarten von Dir, Junker von Sonnenberg, daß Du fortwandelst auf der neuen Bahn Deines Lebens in der Weise, wie Du sie betreten; das Recht stets im Auge, Muth im Herzen, und das Schwert in der Hand: so wollen wir unsern Leibjunker finden zu jeder Frist. – Und nun gehabt Euch wohl!


Winkt mit der Hand, Beide ab.

[49]
7. Szene
Siebente Scene
Kaiser. Nollingen.

KAISER.

Mein Günther, höre, was Dein Kaiser beschlossen hat, seiner Pflicht und besserer Ueberzeugung folgend. Ich sehne mich nach Frieden. – Mit Gerhard von Mainz werde ich mich nie versöhnen, Du weißt, warum ich es nicht kann – doch, ein Opfer, das in meiner Macht steht, werde ich bringen; ich reiche Imagina, meiner stolzen Gattin, die Hand zur Versöhnung.

NOLLINGEN
tritt erstaunt zurück.
Wie, mein Kaiser?
KAISER
rasch.

Kein Wort, Günther; ich folgte einst Deinem Rathe, da ich sie von mir stieß – es war nicht gut, daß ich es that. Es ist beschlossen, und Dir nur sei es vertraut, auf daß Du fühlest, wie nichts meine Freundschaft zu Dir zu erschüttern vermag. Am nächsten Sonntag halte Dich bereit, früh Morgens machen wir uns mit wenig Treuen auf gen Hildesheim, wo die Kaiserin jetzt Hof hält – hier soll meine Entfernung nicht ruchbar werden; denn mißlingt der Schritt, zu dem ich mich entschloß, will ich mich nimmer zum Gespötte meiner Feinde machen.

[50]
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Alessandro.

ALESSANDRO.
Du hast befohlen, kaiserlicher Herr!
KAISER
zeigt auf den Tisch.

Die Dokumente dort, sollst Du wieder in Verwahrung nehmen. Zu Nollingen. Also, mein Günther, Sonntag Morgens sei fertig, Deinen Kaiser zu geleiten dorthin, wo er mit redlichem Herzen Friede sucht und Versöhnung.Will abgehen.

ALESSANDRO
geht zum Tisch, sucht und frägt, als der Kaiser aus der Thüre treten will, wo vorhin Amalgundis abging.
Was soll ich in Verwahrung nehmen, hoher Herr?
KAISER
ungeduldig.
Die Dokumente des Thüringer Länderkaufes.
ALESSANDRO.
Hier sind sie nicht.
KAISER UND NOLLINGEN.
Wie?
ALESSANDRO
vom Tische wegtretend.
Geruhe selbst doch zu prüfen, ich kann hier nichts entdecken.
[51]
KAISER
vorgehend.
Unmöglich! vor wenigen Minuten legte ich sie selbst dort nieder.
NOLLINGEN
näher tretend.
Sie müssen vorhanden seyn.
KAISER
durchsucht rasch die Papiere.
Nichts – beim Himmel – Nichts! wie ist das möglich?
NOLLINGEN
sucht auf dem gegenüberstehenden Tische.
Auch hier nichts! Unbegreiflich!
ALESSANDRO.
Das ist Diebstahl, mein kaiserlicher Herr! Wer war hier?
NOLLINGEN.
Unerhört – solcher Frevel sollte gewagt werden in den Gemächern Sr. kaiserlichen Majestät?
KAISER.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll? Ich verließ das Gemach nicht, seit Dominik hier war – es ist unmöglich, sage ich – kann nicht seyn. Nollingen, [52] Deinem Späherauge sei es überlassen, die Dokumente zu entdecken. Sind sie geraubt – was ich nimmer glauben will und mag – so wirst Du den Räuber entdecken und strafen.

ALESSANDRO
mit einem durchbohrenden Blick auf Nollingen.
Ich fürchte, mein Kaiser, der Räuber steht Dir näher, als Du glaubst.
KAISER
zurückfahrend.
Wage nicht zu viel auf die Gnade Deines Herrn, ich verzeihe Deinem Alter Manches, vergiß das nicht.
ALESSANDRO.
Von Freundes Hand droht heute Dir ein Unheil, bedenk' es wohl!
NOLLINGEN.

Was sollen die dunkeln Worte, weiser Meister? ahnet Ihr den Frevler, so nennt ihn, es ist Eure heiligste Pflicht.

KAISER.

Forsche nicht, Günther, Dein redlich Herz bewahrt Dich davor, die Blicke des Argwohns zu verstehen, Zu Alessandro. komm, alter Freund, sieh nicht so finster, Du bist ja doch unser treuer Alessandro, wir wollen Dich schon wieder versöhnen, wenn wir gleich [53] nicht Alles mit Deinen Augen sehen können. Auf Wiedersehen, Günther! Ab.

NOLLINGEN
finster auf Alessandro zugehend.
Was soll das, Meister Alessandro?
ALESSANDRO
ihn mit Bedeutung ansehend.

Wenn schnöder Verrath über argloses Vertrauen triumphirt, wacht das Auge des Herrn, den Frevler zu bestrafen. – Deren denkt oft, Ritter von Nollingen, denn Euer Gestirn hat Flecken; ich fürchte, es wird sich bald gänzlich verdunken.


Folgt dem Kaiser.
9. Szene
Neunte Scene
NOLLINGEN
allein.

Meinst Du, alte Schlange! den Fuchs überlistest Du nimmer, trotz Deiner Tücke und weisen Berechnungen. Die Dokumente und den Kaiser selbst kann ich Dir liefern, Gerhard – ha! nun wirst Du wohl nicht länger den Kurhut mir verweigern. Doch Eile gilt es jetzt, und Muth!


[54] Verwandlung.
Zimmer des Antonio Bandini.
10. Szene
Zehnte Scene
Bandini. Giulio.

BANDINI
ist beschäftigt Federn und andere Waaren in Kasten zu packen.
Nun, denke ich, haben wir Alles zu Stande gebracht; Giulio, hast Du die Falken gefüttert?
GIULIO.

Ja wohl, Meister Antonio; doch sagt mir, wozu diese eilige Abreise? die Meßzeit ist ja kaum zur Hälfte um?

BANDINI.

Ei, Du kluger Bursch, denkst wohl, ich werde harren, bis der rachsüchtige Pöbel mir das Haus über dem Kopf in Brand steckt? Und wähnst Du wirklich, daß der Zorn des Nollingen, seinen Waffenmeister meinetwegen verstümmelt zu sehen, sich nicht sein Opfer suchen werde?

GIULIO.

Ei, wißt Ihr das nicht, Meister? dem Schultheiß ist die Freude versalzen, das Gerüst am Markte umsonst [55] erbaut; der Ralph Strichauer, des Nollingen Diener, hat sich aus dem Staube gemacht, und findet sich wohl nicht wieder ein.

BANDINI.

Entflohen? So? nun ja, der Nollingen hat lange Arme, thut nichts! – mach vorwärts, daß auch wir das liebe Frankfurt bald im Rücken haben.

11. Szene
Eilfte Scene
Vorige. Rösel.

RÖSEL
sehr eilig.

Ach, Meister Antonio, Gott sei Lob und Dank, da seid Ihr endlich. – Wie habe ich Euch gesucht; den ganzen langen Tag eile ich von einer Herberge, von einer Bude zur andern; aber Niemand gibt mir Rede und Antwort. Eben als ich schon ganz verzagt nach Hause gehen will, kommt mir Euer Diener in den Weg, und sagt mir, wo ich Euch finde, da lief ich, was ich laufen konnte, und da bin ich nun.

BANDINI.

Das sehe ich, meine liebe Pfeffer-Rösel – aber was willst Du denn von mir – was führt Dich her, mein freundliches Kind?

RÖSEL.

Was ich will? Ja seht, es ist seltsam; erst meinte [56] ich, ich müßte Euch sprechen, und es wäre hochwichtig, was ich Euch zu entdecken hätte, und Niemand als Euch dürfte ich es vertrauen, aber – nun ich vor Euch stehe – nun dünkt mir mein Treiben so kindisch und läppisch, daß ich gar nichts sagen kann.

BANDINI.

Aber Rösel, so sprich doch nur; so gern ich Dich sehe und höre, so kurz ist meine Zeit gemessen – meine Saumthiere sind gepackt, und in einer Stunde, will's Gott, liegt die Stadt hinter mir.

RÖSEL
erschrocken.

Wie? O Du mein Himmel! da ist es doch zu spät, und da muß ich am Ende doch zum Junker selbst gehen; ach, und das kommt mir recht hart an, Meister, recht hart!

BANDINI
lächelnd.

Und warum denn? Ich dachte doch, Du warst dem Junker nicht eben böse, als er Dir gestern das viele Geld schenkte.

RÖSEL.

Nein, Meister Antonio, gewiß, böse war ich ihm nicht – aber seht, nu, ich will's Euch wohl sagen, warum ich gar nicht mehr zu ihm gehen kann. Gestern Nachmittag lief ich hin zur Herberge bei der Reichskrone, wo der Junker wohnt, und brachte alle meine Lebkuchen mit, so viel ich ihrer hierher nach Frankfurt [57] geschafft, weil sie ihm von Gottes- und Rechtswegen gehören. Der Junker war nicht da – da baute ich nun eine stattliche Burg in seinem Gemach von lauter süßen Kuchen, und eben, als ich mitten im Geschäfte bin, tritt der Junker ein. Er lachte viel, und begann gar freundlich mit mir zu reden, ich mußte ihm allerlei Schnurren erzählen – auf einmal sah er mich an mit einem Blick – so seltsam – huh, es rieselt mir noch durch Mark und Bein, wenn ich an den Blick denke – und dann kniff er mich in die Wange, und flüsterte: mein süßes Röschen! Hört Ihr, Meister, schen – nicht Pfeffer-Rösel; mir ward ganz weinerlich und weich um's Herz, ich wand mich los, und wollte fort, denn ich schämte mich; da, denkt nur – Pfui, Meister, seht mich nicht an, dort in die Ecke schaut. Sie stößt ihn sanft mit dem Ellbogen an, daß er sich abwenden muß. Da küßte mich der Junker recht herzhaft! – Ich riß mich los, stürzte fort, und weinte den ganzen Abend und die halbe Nacht. Das schöne Fräulein Amalgundis hätte er wohl ungeküßt gelassen, so gern er's auch gethan – aber die arme Pfeffer-Rösel dünkt ihm zur Kurzweil gut genug – und da verschwor ich's, nimmermehr zu einem Junker hinzugehen.

BANDINI.

Da thust Du wohl, mein Kind, obgleich er's nicht so böse gemeint. Nun, war es das, was Du mir entdecken wolltest?

RÖSEL.

Ach, bewahre, lieber Meister, das ist weit schlimmer. [58] Geheimnißvoll. Schickt den Gehilfen fort, ich muß es Euch doch sagen.


Bandini winkt, Giulio geht ab.

Seht, diese Nacht ward meine Mutter schwer krank, ich weckte die Hausfrau, lies sie zurück, die Mutter zu hüten, steckte ein Goldstück zu mir, und eilte fort in meiner großen Angst, den Doctor zu holen. Ich lief, was ich konnte; schon war ich durch die halbe Stadt gekommen, da führt mich der Weg durch ein kleines Gäßchen an einer langen Gartenmauer hin. – Auf einmal ist mir's, als höre ich neben mir sich eine Pforte öffnen, ich erschrecke, stehe still, lausche, und die Angst um mein Goldstück befällt mich – da tritt eine weibliche Gestalt aus der Mauer, und geht ein paar Schritte das Gäßchen hinauf, ich drücke mich hinter einen Brunnen, den ich in der Dunkelheit erspäht, und warte mit Herzklopfen, was da kommen soll. – Nun sehe ich am andern Ende des Gäßchens Laternenschein; zwei Männer, der Eine in einen Mantel gehüllt, schreiten eilig daher. »Endlich!« ruft die vermummte Frauensperson, »endlich!« »Hier sind wir, meine Jutta« – sagte der Mann im Mantel, im nämlichen Augenblick fällt das Licht der Blendlaterne auf sie, und – wahrlich Meister, ich erkannte die schöne Jutta von Praunheim.

BANDINI.
Was sagst Du?
RÖSEL.

Ja, hört nur weiter! – »Gib mir die Schlüssel [59] Günther« – sprach sie weiter, »mein Vater schläft noch fest, aber es ist schon spät, wir haben Eile;« darauf wandte sie sich zu dem andern Mann, und sagte etwas lauter: – »Ihr, toller Raufbold, verdient es wohl nimmermehr, daß ich Euch rette aus meines strengen Vaters Hand, dankt es Euerm Herrn, und meiner Liebe für ihn – ich habe Euch in unserm Hause ein Kämmerlein bereitet, wo man Euch wohl nicht suchen wird.« Der Mann wollte Etwas sprechen; doch der Mann im Mantel unterbrach ihn: »Schweig, Ralph, spare Deinen Dank zu gelegner Zeit, und merke auf, was Dir jetzt zu thun obliegt.« Nun gebt Acht, Meister, was der Mann im Mantel sagte: »Bis Morgen nach Mitternacht wird Dir das Fräulein die bewußten Doku mente übergeben, nebst einem Schreiben von mir, ich führe einen Meisterstreich im Schilde, Du magst dem Gerhard sagen, einen kühnern hätte ich nie für ihn vollführt; sobald Du die Papiere hast, begibst Du Dich auf den Weg, am Thore, gegen Mainz, ist der Thorwart unser, Du rufst ihm zu: lup – lup – ja, wartet ein wenig – lupus in fabula, – richtig, das ist der Spruch, – und er wird Dir ohne Säumniß öffnen; jenseits der Stadtgrenze wird Dir, bei der schwarzen Bank, ein Mann im weißen Mantel die Dokumente abverlangen; Du gibst sie ihm, wenn er Dich mit dem Spruche:lupus in fabula, anredet, er wird dann schon für Deine fernere Sicherheit Sorge tragen; mach' Deine Sache gut, denn dießmal gilt's das Höchste.« Darauf schieden sie, und als sich der im Mantel umwandte, erkannte ich – doch [60] kaum wage ich es zu sagen – aber ich will dennoch schwören, daß er es war, ja, ich erkannte des Kaisers Freund, den Günther von Nollingen.

BANDINI
zusammenfahrend.

Den Günther? – den Günther von Nollingen? des Kaisers Liebling? Ja, nun ist Alles wahr, was Du gesagt, und klarer, als Du denken kannst, liegt das höllische Gespinnst vor meinen Blicken.

RÖSEL
stolz.

Nun, Meister, daß es auf eine Verrätherei hinausläuft, wenn des Kaisers Freund in dunkler Nacht Botschaft senden will an Gerhard von Mainz, seinen ärgsten Todfeind – das ward der Pfeffer-Rösel doch auch klar, so dumm Ihr sie immer halten mögt; auch wäre ich gerne hingelaufen, und hätte Alles dem Kaiser entdeckt, denn dazu fehlt es mir nicht an Muth. Ihr mögt es glauben; aber erstlich rief mich die Sorge für die Mutter heim, und dann dachte ich auch: wer wird der armen Pfeffer-Rösel glauben, wenn sie gegen solche vornehme Leute ihre Stimme erhebt. Da, als die Mutter besser ward, dachte ich an Euch, Meister Antonio, wie Ihr so recht ein wackerer ehrenfester Mann seid, und Gott ließ mich Euch finden.

BANDINI
in großer Bewegung.

Du thatest wohl, mein kluges Kind. Ha! Nollingen, [61] der Antonio lebt noch – die Rache kommt – reift sie auch langsam, endlich naht sie doch! Klugheit, Vorsicht nur führt hier zum Ziele; ich kann nicht zeugen gegen ihn, Du kannst es nicht, und die Beweise fehlen.Pause. Wie, wenn ich – ja, der Junker von Sonnenberg ist ein edler Jüngling voll ritterlichen Muthes, er hat mir einen Dienst erwiesen, ich will ihm einen leisten, der ihn hoch erheben kann; Rösel, zeige mir den Weg zu ihm.

RÖSEL
froh.

Ja, ja, der Junker muß es wissen; kommt, Meister, laßt uns zu ihm eilen, an der Thüre kehr' ich gern um, aber, wenn der Tag graut, komm' ich wieder, dann müßt Ihr mir Alles sagen, was sich weiter begeben. Nicht wahr, Meister, Alles, Wort für Wort! Kommt nur. Geschwinde, kommt! –


Indem ihn Rösel geschäftig fortzieht, fällt der Vorhang.

Ende des zweiten Aufzuges.

[62]

3. Akt

1. Szene
Erste Scene
Gemach in der kaiserlichen Pfalz. Eine Lampe hängt von der Decke herab, das Gemach schwach beleuchtend.
Als aufgezogen wird, hört man aus der Ferne ein frommes Lied von mehreren Stimmen singen, aber sehr schwach.

SONNENBERG
allein, liegt in einem Lehnstuhl und schläft.

Er ist im Nachtkleide und spricht träumend. Mein holdes Röschen! – bist Du's wahr und wahrhaftig, die vor mir steht? Er breitet die Arme aus, erwacht von der raschen Bewegung, springt auf, und sieht erstaunt um sich. Wo bin ich? Wo war ich? Ein Traum das Alles? Und welch ein Traum? Sah ich nicht das liebliche Röschen vor mir stehen, und breitete sie die Arme nicht aus, und tausend Stimmen jubelten um uns her? Ach, da vernahm ich wohl den Sang, mit dem der fromme Kaiser sich jede Nacht vor dem Schlafengehen ergötzt, und der spielte neckend herüber in meinen Traum, und schuf das seltsame Bild. Der Gesang verstummt. So – jetzt wird mir schon viel [63] nüchterner zu Muthe. Was doch ein Traum vermag. Ist mir nicht die Brust erfüllt mit einem Sehnen nach – Was stocke ich? warum es mir verbergen? Nach dir, du holdes Unschuldsbild, nach dir, mein süßes Röslein. – O trügest du so viele Ahnen im Stammbaum, als Liebesblicke im Auge, wie ganz könnt' ich mich dann dem Zug des Herzens überlassen.

2. Szene
Zweite Scene
Bandini in einem Mantel gehüllt. Sonnenberg.

BANDINI
vorsichtig auftretend, sieht sich um.
Seid Ihr allein, Junker!
SONNENBERG
nach dem Schwert fahrend.
Was soll's?
BANDINI
näher tretend.

Nicht so rasch, Junker! Laßt das Schwert in der Scheide. Zwar ist mein Sinn nicht friedlich, noch mein Geschäft, doch habt Ihr gegen mich den Ernst nicht nöthig.

SONNENBERG.

Ihr seid's, Meister Antonio Bandini? Was wollt Ihr mir? Was sucht Ihr bei einbrechender Nacht in der Kaiserpfalz? Und wie kommt Ihr herein?

[64]
BANDINI.

Frank und frei, als gehörte ich zu den kaiserlichen Leibdienern. Hier nur in den Gängen schlich ich mit einiger Vorsicht umher, bis ich Euch fand.

SONNENBERG.
Und was sucht Ihr, Meister?
BANDINI
feierlich.

Festen Jugendmuth und Selbstbeherrschung, Kraft und ein ritterliches Schwert, dieß Alles in Euch, und habe es gefunden, wenn Ihr Euerm Kaiser zugethan mit Leib und Leben, und offne Augen für das Unrecht habt.

SONNENBERG.

Daß ich dem Kaiser eigen bin mit Blut und Leben, das weiß der Herr, der mein Herz durchschaut. Doch – was soll das Alles?

BANDINI
sieht sich um.
Kann uns des Kaisers Majestät hier hören?
SONNENBERG.
Nicht doch, er schläft im dritten Zimmer von hier.
BANDINI.

Nun, Junker, habt Ihr Zeit und Lust; so will ich Euch ein Histörchen erzählen, dessen Gleichen Euch wohl kaum im Ohr geklungen.

[65]
SONNENBERG.

Seltsamer Mensch! Eure Augen sprühen Blitze, Eure Glieder zittern – sprecht, wenn es Euch beruhigen kann.

BANDINI
feierlich.

Beruhigen? mich? – Wo findet glühende Rache Ruhe, denn im Blut? Noch ist's nicht zur Beruhigung Zeit, doch Euch erheben zu der Stimmung, die Euch noth, das wird meine Mähr, und ich denke, sie soll ihren Zweck sicher nicht verfehlen. – Nicht immer war ich Handelsmann wie jetzt, und zog als Antonio Bandini auf den Märkten umher. Mein Name ist Vilardi, mein Vater war ein Arzt zu Salerno, und ich erlernte seine edle Wissenschaft. Da ich vernahm, daß in Deutschland diese edle Kunst noch in der Wiege liege, ein unmündig Kind, begab ich mich auf den Weg, zum Nutz und Frommen der Menschheit, und zog von Stadt zu Stadt, Gold und Ehre in Fülle erwerbend. So führte mich mein böser Engel vor 6 Jahren nach Mainz, wo gerade der weltberühmte Dichter Frauenlob mit dem Tode rang. Ich heilte ihn, und bald strömte Reich und Arm mir zu, und mein Ruf stieg im Munde des tollen Pöbels riesenhaft. Bald war ich nicht der Arzt Vilardi mehr, nein! der Neid der ergrimmten Doctoren leitete die Stimmung des Volks, ich war ein Schwarzkünstler, mit dem bösen Geist verbündet. Eines Abends kehr' ich, entschlossen, Mainz zu verlassen, nach meiner Wohnung zurück, und finde [66] mein Haus in Flammen, den Pöbel beschäftigt, sich in meine Reichthümer zu theilen, und der Ruf: »Heraus mit dem Hexenmeister, verbrennt ihn,« erschütterte rings um mich die Luft. Ralph Strichauer, des Nollingen Waffenmeister, schien der Anführer des Tumults. Schnell gefaßt, wende ich mich zur Flucht nach einer dunklen Straße, ein Haufe Bewaffneter tritt mir entgegen, ruft: Im Namen Gerhards von Mainz, Ihr seid unser Gefangener,« und schleppt mich nach seinem Pallast. Der Scheiterhaufen war mir gewiß, da ich in seine Gewalt gegeben.

SONNENBERG.
Armer Mann! weiter! weiter!
BANDINI.

Man riß mich in Eile fort, die Treppe hinan, und stieß mich in ein prächtig verziertes Gemach. Hier änderte sich plötzlich die Scene. – Ein Ritter trat mir mit freundlichem Anstande entgegen, bot mir an, mich niederzulassen, und versicherte, gleich würde der erhabene Herr selbst vor mir stehen. Darauf verließ er mich durch eine Tapetenthüre, und von den seltsamsten Gefühlen bestürmt, blieb ich allein. Es dauerte lange, Niemand erschien. Ich gehe endlich zu jener Tapetenthüre, sie öffnet sich geräuschlos, ich trete in ein dunkles Gemach; aus einer nur angelehnten Thüre strahlt mir Licht entgegen, ich vernehme eine starke männliche Stimme, schleiche hinzu, und – denkt Euch meinen Zustand, als ich den fürchterlichen Gerhard [67] von Mainz erblicke, aus dessen falschen Schlangenaugen höllische Freude blitzt, der sich eben vertraulich zu dem Ritter hinüberbeugt, welcher mich vorhin verließ, also sprechend: Du meinst also, Nollingen? –

SONNENBERG.
Nollingen?
BANDINI
ohne sich stören zu lassen.

»Du meinst also, Nollingen, daß dieß der rechte Mann sey, uns den vergifteten Ring zu schaffen, den du dem treuherzigen Kaiser aufzuschwatzen gedenkst?« worauf der Andere erwiederte: »Sicherlich, mein erhabener Freund! er allein kann uns das treffliche Arcanum bereiten, das langsam sterben macht, und so jeden Verdacht vernichtet; er ist ein Schwarzkünstler, und wird uns dienen um sichern Lohn.« »Wohlan – sprach der gräßliche Gerhard mit einem Satanslächeln; so laß uns denn versuchen, mein treuer Nollingen, was unsre Ueberredungskunst vermag.«

SONNENBERG.
Unerhört! – Schändlich! – Weiter, weiter!
BANDINI.

Ich hatte genug gehört, schlich leise wieder zurück, und nach wenig Minuten stand Gerhard von Mainz vor mir, neben ihm Nollingen, des Kaisers Günstling. – Mit gleisnerischen Worten machte er mir den [68] Vorschlag, mir alle verlorne Habe zu ersetzen, wenn ich ihm den vergifteten Ring liefern würde. – Mein Entschluß war gefaßt. »Ich verstehe mich nicht auf solche Kunst, erhabener Herr,« entgegnete ich dem Gerhard, dessen Miene sich plötzlich wandelte, – und würde sie, auch wenn ich sie verstünde, zu Eurem Zwecke nie mißbrauchen. – »Er sträubt sich – lächelte höhnisch Nollingen – Ihr seht, erhabener Freund, daß hier eingreifendere Maßregeln nöthig.« – Gerhard maß mit großen Schritten das Gemach, sah mich mit den stechenden Tiegeraugen durchbohrend an, und nickte plötzlich bejahend mit dem Kopf. – Ralph Strichauer, der getreue Helfershelfer des Gestrengen, trat ein mit vier Henkersknechten – man schleppte mich hinab in die Folterkammer, Gerhard allein blieb zurück. Als die eiserne Thür hinter uns zufiel, fragte mich Nollingen mit einer höflichen Verbeugung und einem Teufelslächeln: Wie gefällt's Euch hier, mein verehrter Herr Doctor? betrachtet Euch einmal die niedlichen Instrumente, mit denen wir Euch zu kitzeln denken. Werdet Ihr den Ring fertigen? Nein, sprach ich kalt. – Man schraubte mich auf den Martertisch. Nein, war der einzige Laut, der sich bei den Qualen mir entpreßte, die mir der hämische Satan mit hohnlächelnder Miene bereiten ließ. – Ich hatte keinen Gedanken in meiner Höllenpein, als den der Rache, der mich aufrecht hielt. Plötzlich tönte eine ferne Glocke in das Martergewölbe herab. »Das läutet zur Abendtafel,« sprach Günther von Nollingen. »Kommt, meine Freunde! laßt uns den müden Leib mit Speis und Trank [69] erquicken; dem starrköpfigen Gelehrten hier, wird ein kurzes Stündchen Nachdenken in seiner bequemen Lage von großem Nutzen seyn; auch kann er sich stärken zum dritten Grade, der seiner wartet.« Mit einem lauten Gelächter entfernte sich die Mörderrotte. Drauf klirrten die Riegel, und ich blieb allein zurück, schmachvoll mit eisernen Schrauben auf dem Martertisch befestigt. Eine dunkel flammende Fackel zeigte mir die Schreckenswerkzeuge an den Wänden umher, mein Geist bebte zurück vor der Hilflosigkeit, mit der ich der Rache meiner Feinde preisgegeben war. Meine Seele riß sich empor aus den Krallen der Verzweiflung, und erhob sich zu dem Herrn. Ein brünstiges Gebet entrang sich meiner Brust: »Du wirst mich nicht rettungslos verderben lassen in den Händen dieser Teufel, Du wirst mich retten, Barmherziger, dessen Auge wacht!« rief ich mit der letzten Kraft meines schwindenden Lebens. Da tönte ein seltsam schrillender Laut durch das Gewölbe, die Schraube, welche meinen rechten Arm hielt, war gesprungen; ich machte mich los von der Marterbank, und in wenig Augenblicken stand ich frei in der gräßlichen Kammer. Meine Kraft kehrte wieder mit dem Bewußtseyn: Der Ewige hat dich nicht verlassen! – Ich riß die Fackel von der Wand, durchforschte das Gewölbe, und siehe, zu meinen Füßen zeigt sich eine Thüre. Nicht achtend meiner Schmerzen, öffne ich sie, steige einige Stufen hinab, und finde einen langen, schmalen Gang, der mich in unendlichen Krümmungen abwärts führt. Nicht lange währt's, so höre ich in der Ferne die Stimmen meiner [70] Verfolger, meine Kraft will mich verlassen, da – o großer Gott! da weht mich frische Nachtluft an, – meine brennenden Füße netzt kühles Wasser, – die Sterne des Himmels blicken auf mich nieder, ich stehe am Ufer des Rheins, werfe mich in einen Kahn, und Gottes Schild deckt mich, ich bin gerettet!

SONNENBERG.
Gelobt sei Gott! Mein armer Meister! Doch was ward aus Euch?
BANDINI.

Ich entsagte auf ewig der Kunst, die mich in's Verderben riß, und ward, unter fremdem Namen, als Falkenhändler reich.

SONNENBERG.
Und der Bösewicht?
BANDINI.

Lebte fort in Wonne und in Freude, täuscht den besten Herrn mit höllischer List, und spinnt jeden Morgen neuen Verrath.

SONNENBERG
außer sich.

Doch jetzt ist's aus mit ihm, seine Stunde hat geschlagen! Dir soll Rache werden, armer Gemarterter, und dem Kaiser Licht; ich will das Ungeheuer ihm aus dem Busen reißen, das sein bestes Herzblut saugt, und sollte ich nicht länger leben.

[71]
BANDINI
kalt.

Wie wollt Ihr das? Wo sind Beweise? Denkt Ihr, der Leibjunker Sonnenberg werde ohne diese Glauben finden gegen den geprüften Jugendfreund der Majestät?

SONNENBERG
stampft mit dem Fuße.
Verwünscht, daß Du die Wahrheit sprichst.

Es schlägt Zwölf.
BANDINI
horcht.

Da schlägt es Mitternacht, das ist die Stunde; jetzt, muthiger Junker, jetzt gilts! Fürchtet Ihr das Wetter nicht, das drohend den Himmel umhüllt, wollt Ihr Beweise, die den Verräther unrettbar verderben? Wollt Ihr Eurem Herrn vielleicht das Leben retten, so folgt mir, und überlaßt Euch meiner Leitung.

SONNENBERG.
Ob ich will? Mensch, kannst Du zaubern?
BANDINI.

Das nicht. Doch der böse Geist des Nollingen schläft diese Nacht. Laßt uns die Stunde nutzen, verstreicht sie, so ist Alles verloren. Folgt mir, Junker!


Ferner Donner.
SONNENBERG.
Aber wohin?
[72]
BANDINI.
Wo der Verrath gesponnen wird.
SONNENBERG.

Doch – wie kann ich? Es ist mein erster Dienst, darf ich das Vorgemach verlassen, den Kaiser unbehütet wissen?


Der Donner wird stärker.
BANDINI.

Den Kaiser schützen seine treuen Nassauer, auch steht er in Gottes Hand; dort droht ihm ein schwerer Schlag. Eure Pflicht ist's, ihn hier zu verlassen, um ihm dort zum Retter zu werden. Er rafft einen weißen Mantel auf, den er mitgebracht, und wirft ihn dem Junker über. In einer Stunde sind wir zurück, und Ihr habt ein großes Werk verrichtet. – Vorwärts, junger Held! es gilt des Kaisers Leben! –

SONNENBERG.

Nun denn, mit Gott! – Ist's Unrecht, was ich jetzt wage, so that ich's doch nur zu meines Kaisers Ehre.

BANDINI
ihn forziehend.

Und Gottes gnäd'ge Huld, die mich errettete von der Marterbank, wird uns jetzt schützend leiten. Die [73] Rache reift, und Nollingens Gestirn soll diese Nacht für immerdar erbleichen.


Beide ab, man hört von Außen die Thüre verschließen; wiederholter Donner.
3. Szene
Dritte Scene
Nach einer kurzen Pause hört man von Innen rufen, aber sehr ferne.
Junker von Sonnenberg! –
Nach einer zweiten Pause näher:
Junker von Sonnenberg! –
Wieder nach einer kleinen Pause tritt ein.

DER KAISER
bleich und verstört, im Nachtkleid, einen silbernen Armleuchter in der Hand.

Was ist das, Junker? Schlaft Ihr all so fest bei diesem schweren Ungewitter? Er geht im Zimmer umher. Ich hörte reden hier, ich kann mich nicht täuschen. – Er ist nicht da? Erstaunt. Unmöglich, was soll das? Die erste Wache, die er hat – und er fehlt? – Er geht zur Thüre. Die Thüre von Außen fest verschlossen? Was soll ich denken? Ich bin wohlgehütet, wie es scheint. – Nun, Freund Ales, sollte deine Weisheit dich nicht täuschen? Der Junker von Sonnenberg, der treue Jüngling, verläßt seine Wache in dieser stürmischen Nacht. – Ist's nicht Verrath, so ist es unerhörter Leichtsinn; Eins wie das Andere will strenge Ahndung. [74] Er geht hin, und verriegelt die Thüre von Innen. Für diese Nacht ist Euch das Gemach verschlossen, flüchtiger Junker, wohl Euch, wenn es nicht für immer ist. Geht ab, wo er heraus kam.


Verwandlung.
Waldige Felsengegend unweit Frankfurt, im Hintergrunde der Main, vorn ein Gebüsch mit einer Bank. Als es verwandelt, hört man das Sausen des Windes, des Regens, und zuweilen zucken einzelne Blitze durch die Finsterniß. Nach einer Pause.
4. Szene
Vierte Scene
Sonnenberg in den weißen Mantel gehüllt. Bandini.

BANDINI.

Wir sind zur Stelle! – Hier ist die sogenannte schwarze Bank, hier laßt uns harren. Ein Donnerschlag. Das ist ein schweres Ungewitter.

SONNENBERG.

Doch, wenn man Dich getäuscht, wenn er nicht käme, wenn ich das Wagniß, meinen Posten zu verlassen, vergebens unternommen?

RALPH
hinter der Scene.
In vino veritas, sagen die Lateiner.
[75]
BANDINI
leise.
Da habt Ihr die Antwort auf Eure Bedenklichkeiten – Sie treten zur Seite.
5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Ralph.

RALPH
gänzlich berauscht, schlägt mit dem Schwert um sich.

Könnt Ihr nicht bei Seite gehen, Ihr Bursche, wenn der Ralph kommt, des Nollingen Waffenmeister, der ein Freund des Kaisers ist! Ha, ha, ha! ein wackrer Freund! der versteht's, das muß man sagen. Tappt vorwärts. Huh! das ist eine Nacht, keinen Hund sollte man hinaus jagen, aber der Ralph Strichauer ist beständig ein gehetztes Wild, der darf nicht fragen nach Wind und Wetter, wenn ihn der Gerhard oder Nollingen commandiren.

BANDINI
leise.
Hört Ihr?

Der Junker fährt mit der Hand nach dem Schwert.
RALPH.

Horch! klappert da nicht was? Er tappt vorwärts, ein Blitz erleuchtet die Scene. Es war der Wind. Danke schönstens, den Blitz konnte ich just brauchen; da ist die schwarze Bank. Taumelt darauf zu. In vino veritas, [76] sagt der Lateiner! hi hi hi! nicht immer! denn obgleich ich meine Freiheit noch vor dem Thorschluß benutzt, und schnell im nächsten Wirthshaus sechs Maß Augsburger Bier ausstach, so wette ich doch, daß mir kein Mensch das Geheimniß erpressen soll, daß ich jetzt wohl versiegelt, des Kaisers Wohl und Weh, auf der Brust trage – ja, Sapperment! Er haut in den nächsten Strauch. Wer hat was dagegen? des Kaisers Wohl und Wehe!

BANDINI.

Nun ist's Zeit, mit dem betrunknen Raufbold werden wir bald im Reinen seyn. Zähmt Euch, List, nicht Gewalt frommt hier.

RALPH.
Es rührt sich was. Wer da?
SONNENBERG
tritt vor.
Lupus in fabula.
RALPH
demüthig.
Ach gestrenger Herr Weißmantel, Gottlob! daß Ihr da seid, das ist ein Wetter!
SONNENBERG.
Hast Du die Dokumente?
RALPH
zieht sie hervor.

Da sind sie nebst einem Schreiben des gestrengen [77] Herrn Günther von Nollingen, Ihr würdet mir schon sagen, was weiter nun zu thun.


Der Junker steckt die Papiere in die Brust, und wendet sich zum Abgehen. In diesem Augenblick erhellt ein starker Blitz die Bühne, und aus Rechts tritt.
6. Szene
Sechste Scene
EIN RITTER
in einen weißen Mantel gehüllt, und ruft.
Lupus in fabula! – Ralph Strichauer, bist Du hier?
RALPH
auftaumelnd.
Was ist das? Ein zweiterlupus? Verrätherei?
RITTER
zum Junker.
Halt! steh' mir Rede! wer bist Du?
SONNENBERG
schleudert den weißen Mantel von sich, und haut den Ritter über den Kopf.
Ein Feind aller Verräther! ein Freund des Kaisers. Verschwindet mit Antonio im Hintergrund.
RITTER
taumelt nieder.
Ralph! halt ihn auf! wir sind verrathen! Tod und Hölle!

Ralph haut in blinder Wuth um sich.
[78]
RITTER
bläst in sein Hüfthorn, vergebens bemüht, sich aufzurichten.

Weh' mir! ich kann nicht mehr! Was wird der Gerhard sagen! Aus den Gebüschen stürzen Bewaffnete herzu. Dort, dort hinaus? wir sind getäuscht – nur schnell, ein Mann mit weißem Mantel.


Die Bewaffneten eilen in die Gegend wo der Junker und Antonio abgingen.
RALPH
taumelnd.
Er hat die Dokumente; er war der erste Lupus in fabula, holt ihn ein, haut ihn nieder!

Dieß Alles muß durcheinander gerufen werden, bis der Vorhang fällt.

Ende des dritten Aufzuges.

[79]

4. Akt

1. Szene
Erste Scene
Günther von Nollingen. Ein Leibdiener.

LEIBDIENER.

Ihr werdet wohl ein Weilchen hier verziehen müssen, Herr Ritter, denn Seine Majestät halten sich noch mit dem Arzte Alessandro eingeschlossen in Ihren Gemächern.

NOLLINGEN
nicht ohne innerliche unterdrückte Bewegung.

Wißt Ihr denn nicht, Freund Altinger, was Se. Majestät bewog, mich herrufen zu lassen zu dieser ganz ungewohnten Stunde? Noch graut kaum der Morgen; ich dachte den Kaiser noch im tiefsten Schlafe.

LEIBDIENER.

Bei uns ist's schon lange Tag. Vor einer Viertelstunde [80] ward mir geboten, Euch zu rufen; dieß ist Alles, was ich zu sagen weiß. Man hört eine Glocke. Doch, horch – man fordert mich – verzeiht! Ab.

NOLLINGEN
allein.

Wäre ich entdeckt? Es ist unmöglich! Längst sind die Dokumente in Gerhards Händen, und welcher Sterbliche kann dann beweisen gegen mich? Welch eine Anwandlung, Günther? Furcht kanntest du doch nie!

2. Szene
Zweite Scene
Thorwärtel. Nollingen.

THORWÄRTEL.
Seid Ihr da, Herr Ritter? Gott sei Dank!
NOLLINGEN.
Unvorsicht'ger! Wie kannst Du's wagen, mich hier zu suchen?
THORWÄRTEL.

Euer mächtiger Name machte mir überall Bahn, ich mußte Euch finden, denn meine Botschaft läßt sich keinen Augenblick verzögern. Eurem Befehle zufolge ließ ich Zwei, die mir die Losung brachten, passiren diese Nacht.

NOLLINGEN.
Zwei? – Nur Ralph wußte die Losung.
[81]
THORWÄRTEL.

Ja, mir kam's auch seltsam vor; aber es steht mir nicht zu, über Eure Befehle zu grübeln. Ungefähr zwei Uhr mochte es seyn, da wurde von Außen Einlaß begehrt; ich wollte nicht d'ran, weil ich sehr müde war, doch plötzlich rief mir eine Stimme zu: In des Kaisers Namen öffne, oder ich klage dich morgen als Hochverräther an. – Ich lief, was ich laufen konnte, und da ich aufmachte, eilten zwei Männer athemlos an mir vorüber. Der Eine entkam mir, den Andern hielt ich am Arm fest, und rief: Mit Verlaub, wer seid Ihr denn, daß Ihr so keck Einlaß fordert? der aber blitzte mich mit zornigen Augen an, und fuhr auf mich ein: Habt Ihr etwa Lust, den kaiserlichen Leibjunker von Sonnenberg aufzuhalten? – Ich erkannte ihn sogleich; war's doch derselbe, der dem Ralph die Kopfwunde beibrachte auf der Messe – und ließ ihn gehen.

NOLLINGEN.
Der Sonnenberg? Das klingt fürwahr sehr seltsam.
THORWÄRTEL.

O! noch ist's nicht Alles. Kaum lag ich wieder auf dem Ohr, so klopfte es noch heftiger als vorher außerhalb der Stadt. Ich sprang zur Lucke, und frug, was es gäbe? Da hielt unten ein Mann auf einem schwarzen Hengst, und wetten wollt' ich, es war der Gerhard von Mainz in eigner Person.Lupus in fabula, [82] rief er mit unterdrückter Stimme; sage Deinem Gönner, die Dokumente wären dem betrunkenen Strichauer mit List entwendet, und befänden sich wahrscheinlich wieder in der Stadt; wir hätten ihn zum Botenlohn an der nächsten Eiche aufgehängt! Damit sprengte er von dannen.

NOLLINGEN
entsetzt.

Was sagst Du? Wär' es möglich? Nun, dann bin ich ein Mann des Todes? – Wärens die Pergamente allein, so lachte ich der Gefahr; doch mein eigner Brief verdirbt mich. Fluch über den, der mich die Schreibekunst erlernen ließ, sie spinnt mir das Todesnetz. – Jetzt begreife ich, warum der Kaiser mich so früh – Weh' mir, ich bin verloren.

3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Der Leibdiener, ihm auf dem Fuße nach der Kaiser, hinter ihm Alessandro.

LEIBDIENER.
Seine Majestät.
NOLLINGEN
zum Thorwärtel rasch und leise.
Hebe Dich hinweg!
[83]
KAISER
bemerkt den Abgehenden.

Ah, Nollingen! – Doch, was will der Mann? Wie kommt er her in unser Vorgemach zu dieser frühen Stunde?

NOLLINGEN
schnell gefaßt.

Mißverstandner Diensteifer, Euer Majestät! des Auftrags stets gedenkend, mit welchem mein gnädiger Kaiser mich beehrte, dem Räuber der Dokumente nachzuspüren, gab ich Befehl an allen Thoren, so sich zur Nachtszeit etwas Verdächtiges zeigen möge, mir sogleich am frühen Morgen Meldung zu machen.

KAISER
rasch.
Nun, hat sich Etwas dergleichen begeben?
NOLLINGEN
immer kühner werdend.

Allerdings, Euer Majestät, klingt es verdächtig. Diese Nacht, nach zwei Uhr, ward im Namen kaiserlicher Majestät Einlaß begehrt. Es war der Junker von Sonnenberg, der in nicht zu bergender Gemüthsbewegung seinen Weg eilig fortsetzte. Dieß schien dem Wärtel allerdings verdächtig, da er vor dem Thore allerlei Bewegung wahrgenommen haben will; so versichert er, daß ein Mann, auf schwarzem Hengste sitzend, bis dicht an die Mauern geritten sei, den er für den Gerhard von Mainz selber halte.

[84]
KAISER
sich allmählig von seinem Staunen erholend.

Nun, Meister Ales, was meinst Du dazu? Es ist unglaublich, doch die Wahrheit läßt sich hier wohl kaum verkennen. Thorwärtel, Du magst gehen, und schweigen, hörst Du? Thorwärtel verbeugt sich tief, und geht ab. Zum Leibdiener. Hole mir den Trabanten von der Weststiege, schnell!Leibdiener geht ab. Nun, Nollingen, was sagst Du? Diese Nacht weckt mich das Ungewitter, ich eilte in das Zimmer meines Leibjunkers Sonnenberg, und finde es leer; noch halte ich es für unerhörten Leichtsinn, doch muß ihm Strafe werden. Ich wollte gern, daß Deine Leute ihn im Stillen früh Morgens verhaften sollten, ohne Aufsehen, damit er lerne, seine Pflicht zu thun, doch – was ich jetzt vernahm – ich muß gestehen, klingt schlimmer, als ich es wohl je geahnet.

NOLLINGEN
sichtlich erleichtert.

Mein Kaiser, wie, wenn er die Dokumente Euch geraubt, wenn er, eine Creatur Gerhards, sich nur deßhalb in Eure Nähe geschlichen, und diese erste Nacht dazu benützte, seinen Raub in Sicherheit zu bringen? Was hat er in dunkler Nacht zu schaffen vor der Stadt? Was läßt sich Alles daraus folgern?

ALESSANDRO.

Vieles, leider! Doch – bedenkt, Herr Günther! [85] es ist Hochverrath, dessen Ihr den armen Junker zeiht, das ist ein gräßlich Wort!

4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Leibdiener. Ein Trabant.

KAISER.
Du hattest Wache diese Nacht auf der Weststiege, sahst Du nichts Verdächtiges auf dem Junkergang?
TRABANT.

Nicht, das ich wüßte. Um halb 12 Uhr ungefähr, kam ein Mann in einen Mantel gehüllt, und ging durch den Gang. Nach einer halben Stunde kam er wieder mit einem Andern, den ich, obgleich er in einen weißen Mantel gewickelt war, für den neuen Leibjunker Eurer Majestät erkannte.

NOLLINGEN
rasch.
In einen weißen Mantel?
TRABANT.
So ist's. Sie gingen Beide in die Seitenpforte, die nach dem Mainzer-Thore führt.

Der Kaiser sieht Alessandro bedeutend an, dieser schüttelt den Kopf, und zieht die Schulter.

Nach 2 Uhr kam der Junker sehr eilig zurück, und hatte keinen Mantel mehr an. Ich hörte ihn lange drehen [86] an seinem Schlosse, dann stampfte er ungeduldig mit dem Fuße, eine halbe Stunde wohl schritt er im Gang auf und nieder, dann, als der Tag zu grauen begann, ging er hinab nach dem Schloßgarten, und ich sah ihn von dem Fenster oben noch lange durch die Alleen wandeln.

KAISER.

Schon gut, Du bist entlassen. Trabant ab. Nun, Meister Alessandro, ich will nicht sagen, er ist ein Verräther, doch nur zu oft hab' ich die Schlange im Busen genährt, blindes Vertrauen sei fern von mir. Strenge Untersuchung dieser Sache geziemt uns vor allem Andern. Nollingen! sei vorsichtig, vermeide zu großes Aufsehen, und verhafte den Junker, wo Du ihn findest, in unserm Namen; Gerechtigkeit muß gehandhabt werden gegen Freund und Feind. – Komm Alessandro. Ab.

ALESSANDRO
mit einem Blick auf Günther.

Die Wahrheit muß an's Licht dringen, sagt ein arabischer Weiser: begräbst Du sie auch im Schooße des Nils.


Folgt dem Kaiser.
NOLLINGEN
allein.

Ich denke sie tiefer zu begraben als im Schooße des Nils, der Schooß des Grabes ist fester. Ich bin gerettet! Welch ein Ungefähr! Alles wälzt den Verdacht [87] auf ihn, und es soll mir nicht schwer werden, ihn gänzlich zu vernichten. Ha, Sonnenberg! bist Du's, der die Dokumente durch List zurückgebracht? Wehe Dir; habe ich Dich einmal im Kerker, sollst Du nimmermehr an's Tagslicht kommen, und wäre auch Deine Unschuld klar wie die Sonne.


Verwandlung.
Schloßgarten. Im Hintergrunde läuft ein prächtiges, mit Gold verziertes, Eisengitter über die Scene, welches oben mit ausländischen Stachelgewächsen verziert ist. Hinter dem Gitter ragen Häuser hervor, als ob der Garten an eine Straße stieße. Eine Eisenpforte ist nur angelehnt. Das Gitter muß auf ein paar Stufen stehen, welche Terassenmäßig mit Blumen besetzt sind. Nach alter holländischer Art stehen rechts und links weiße Statuen, mit Buxbaumhecken eingefaßt. Im Vordergrunde rechts eine dichte Hecke von Buxbaum und Rosensträuchern. Die Statue einer Diana, mit dem Windspiel, steht in der Hecke auf einem Piedestal von Marmor, dicht an dem Piedestal steht eine Rasenbank, auf welcher der Junker liegt; sein Haupt lehnt an der Statue, er hat die Arme verschlungen, und liegt im tiefen Schlaf. Das Barett liegt neben ihm auf der Bank, sein Collet ist im Schlaf aufgegangen, und es hängt eine Kapsel von dem Pergament nur halb daraus hervor an einem rothen Band. Als es verwandelt, sieht man im Hintergrunde, hinter dem Eisengitter, Röschen hin und her schleichen, sie kann vor der Hecke den Junker nicht sehen.

[88]
5. Szene
Fünfte Scene
Sonnenberg. Rösel.

RÖSEL
hinter dem Gitter.

Dort oben sind die Fenster des Junkerganges; aber vor den verwünschten Sträuchern kann man nichts sehen. – Es ist schon ganz Morgen, ich meine, nun müßte man doch bald Etwas erfahren – aber es ist noch Alles so todt und still, als wäre es tief in der Nacht. Sie bleibt vor dem Gitterthore stehen. Ach, wer da hinein könnte, da ließe sich's heimlicher lauschen, als hier draußen. – Sie faßt die Stäbe, und lehnt das Köpfchen an die Thüre. Ach, da drinnen ist's herrlich!Die Thüre weicht von dem Druck. Ach, es ist ja offen hier – nun könnte ich hineingehen, wer darf mir's wehren? Sie öffnet nur halb, und schlüpft hinein. Da bin ich ja schon! Tief Athem holend. Ist mir's doch, als hätte ich recht was Böses gethan, ach, und 's ist doch nur die Sorge um den armen Junker. Der Antonio, sagten sie, wär' schon abgereist, aber ich glaub's nicht recht. Wo bekomm ich nun Nachricht, als bei dem Junker selbst? – Die ganze Nacht konnte ich kein Auge schließen, und wie der Tag graute, stahl ich mich schon fort, was hilft's! – wenn ich den Junker nun anrede auf der Straße, ist er vielleicht stolz geworden, und gibt mir gar keine Antwort. Aergerlich. Warum haben sie ihn auch zum kaiserlichen Leibjunker gemacht;[89] jetzt wird er die arme Pfeffer-Rösel nicht einmal mehr küssen. Sie ist während dieses Selbstgesprächs nach und nach vorwärts gegangen, so, daß sie jetzt ganz vorn steht, aber auf der entgegengesetzten Seite, wo der Junker schläft. Pfui, Rösel, das war ohnedem nicht recht. Seufzt. Aber ist denn ein Kuß gar so was Böses? Ich denke doch so gerne daran, und je öfter ich daran denke, je lieber denke ich daran. – Ach einmal, nur einmal möcht ich den Junker noch sprechen, daß er mir selber sagte: Wehmüthig. ob er es denn so schlimm mit mir meint. Der Junker macht eine leise Bewegung im Schlaf, Rösel wendet sich erschrocken um, und fährt vor Schrecken bis an's andere Ende der Bühne, da sie den Junker erblickt. Gott steh' mir bei, da ist er selbst! Sie steht athemlos, preßt die Hände auf's Herz, und sagt in der heftigsten Bewegung. Was wird er von mir denken? – was werden die Leute denken, wenn sie mich hier sehen? Sie betrachtet ihn froh. Aber er schläft ja? er rührt sich nicht – wahrhaftig, er schläft! Sie geht wieder etwas näher, beruhigt. Im Schlafe kann er mir nichts thun; er liegt ja so fromm! was er wohl träumen mag? wie schnell er Athem holt! Sie tritt wieder näher. Und wie hübsch er ist, ach, Jemine, wie schrecklich hübsch! So nahe und lange hab' ich nie noch mir getraut, ihn anzusehen. Sie stellt sich auf die Zehen. Es ist doch ganz ein ander Ding, wenn einer die Augen zu hat, da hat man gleich Courage. Aber, wenn er jetzt hersähe? – Sie bedeckt, sich schnell abwendend, das Gesicht mit der Hand. Huh, das wär' eine Schande! Sie dreht langsam den Kopf, und sieht durch die gespreitzten Finger nach ihm hin. Er sieht nicht her! – Er hat wohl lang gewacht, [90] daß er so fest schläft! Neugierig. Ei schau – was guckt denn da für eine Kapsel heraus, das ist am Ende gar – gewiß – das ist das Conterfei von seiner Liebsten. – Hat er denn eine Liebste? – Ach Rösel, wenn du das wüßtest –Sie legt die Hand auf's Herz, schmerzlich. Das möchte dir recht gesund seyn. Sie sieht sich nach allen Seiten um, leise. Es ist noch Alles still – er schlummert fest; wenn ich – Sie schielt nach der Kapsel. Pfui, Rösel, das ist abscheulich! wenn ich aber doch – nur einmal ansehen, und Sie kommt immer näher. wacht er auf, so lauf ich davon. Sie schleicht auf den Zehen hin, faßt mit zwei Fingern die Kapsel, und zieht an derselben das Pergament mit heraus, sobald sie es hat, bleibt sie vor Schreck regungslos stehen, ohne den Muth zu haben, weder rechts noch links zu sehen. Gottlob! er schläft fort – Sie schleicht von ihm weg, und betrachtet ihren Raub. Da habe ich einen schönen Fang gethan! Ein altes Pergament! Sie macht die Kapsel auf. mit einem großen Wappen d'ran, ist das sein Liebchen? Froh. Das mag ich ihm gönnen. Aengstlich. Doch – wenn er nun erwacht, und sucht das Pergament? den Pack kann ich ihm nicht mehr in den Koller stecken, das wäre tollkühn. Immer banger. Gott! was fang' ich damit an? Sie sieht nach ihm hin. Aha – hier leg' ich's unter das Barett – wenn er es nimmt, muß er es finden, und ich mache mich aus dem Staube. Sie schleicht hin, erhebt leise das Barett, und versteckt die Pergamente darunter. Die Bank muß auf einem erhöhten Tritt stehen; als sie zurücktreten will, gleitet sie, und fällt so, daß sie knieend vor dem Junker liegt, schreit. Ach!

[91]
SONNENBERG
fährt auf.
Was ist's – Er sieht Röschen. Mein Röschen, Du?
RÖSEL
in schrecklicher Verlegenheit.
Ach, nein, nein, Herr Junker! – ich bin's nicht! – ich war – ich wollte –
SONNENBERG
milde.
Hast Du hier meinen Schlaf belauscht?
RÖSEL
angstvoll.

Ach, denkt nur nichts Arges, ich – ich sah Euch schlafen, und da konnt' ich nicht mehr fort, ich mußt' Euch immer ansehen, und wieder ansehen, und da – Sie bricht plötzlich in Thränen aus, und bedeckt das Gesicht mit beiden Händen.

SONNENBERG.

Und da? Und da? Er zieht ihr langsam die Hände vom Gesicht, und legt sie, in den seinigen gefaltet, auf sein Kniee, so daß Rösel sich zu ihm hinüberbiegen muß. Mein süßes Röschen, und was war da?

RÖSEL.

Fragt mich nicht so, mein lieber Junker! Sagt auch nicht Röschen zu der armen Pfeffer- Rösel, das ist ja viel zu vornehm für mich, und macht mir nur das Herz recht bang und schwer.

[92]
SONNENBERG
legt leise seinen Arm um ihren Nacken.
Und warum, Du holdes Kind?
RÖSEL.

Ja seht, wenn Ihr so lieblich sprecht, so ist mir gleich zu Muthe, als stünd' ich Euch nicht gar so fern, als wären wir uns schon lange zugethan mit Seel und Leib, und als dürfte ein treues Herz wohl auch dem vornehmen Junker sich ergeben in warmer –

SONNENBERG.
In warmer – Liebe – sprich es aus, mein Röschen, wolltest Du so sagen?
RÖSEL
sieht ihn einen Augenblick schweigend an, dann nickt sie treuherzig mit dem Haupt.
SONNENBERG
springt auf, und reißt Rösel mit sich empor in seine Arme.
Röschen, Du bist mein! Ich liebe Dich von ganzer Seele.
RÖSEL
an seinem Hals.

Ach, Junker, so geht es ja mir auch! – Horchend. Horch! was ist das? Sie reißt sich aus seinem Arm. Es nahen Bewaffnete – wenn man mich hier – hier bei Dir fände – die Schande! – dort! – Sie springt hinter die Hecke, und verkriecht sich hinter dem Piedestal der[93] Diana, dann winkt sie mit der Hand hervor. Auf Wiedersehen, mein Junker!


Der Junker sieht ihr träumend nach.
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Günther von Nollingen. Vier Bewaffnete.

NOLLINGEN.
Im Namen des Kaisers – Ihr seid mein Gefangener.
SONNENBERG
tritt vor.
Ich? – Ihr träumt wohl, Günther von Nollingen?
NOLLINGEN.

Ich träume nicht, aber Ihr träumtet, als Ihr keck Eure Verrätherei spannet unter den Augen des Kaisers, und wähnen konntet, unentdeckt zu bleiben. – Ergreift ihn!


Die Bewaffneten umringen den Junker, der das Schwert zog, und drängen ihn auf die entgegengesetzte Seite, so, daß Nollingen allein in der Nähe der Rasenbank steht, welcher er jedoch den Rücken wendet.
SONNENBERG.

Der ist des Todes, der sich naht! Wie, Du Hochverräther, [94] Du wagst es, mich des Verbrechens zu zeihen, das Du begingst? Beim Himmel! das krönet Deine Thaten.

NOLLINGEN.

Entwaffnet den Frechen! Der Junker wird entwaffnet, dann ihm näher tretend halb höhnisch, halb ängstlich. So ist also jenes wichtige Dokument in Deinen Händen? Du stahlst es, gib es heraus.

SONNENBERG.
Das Dokument? Ich hab' es nicht!
NOLLINGEN.

So früh schon solltet Ihr es untergebracht haben? Das macht einem Andern glauben.Er tritt auf ihn zu, reißt ihm das Kollet auf, der Junker fährt bestürzt zurück, und schlägt die Hände wie abwehrend vor die Brust. Nichts!

RÖSEL
welche während der ganzen Scene lauschend den Kopf hinter dem Piedestal hervorstreckte, greift bei den letzten Worten hastig nach dem Barett, stößt es leise herab, faßt die Pergamente, und verbirgt sich rasch wieder hinter dem Piedestal.

Dieß Alles muß so geschehen, daß das Publikum sieht, was vorgeht, und die Aufmerksamkeit der Spielenden ausschließend auf den Junker gerichtet scheint.

SONNENBERG
halb staunend, halb freudig.

Nichts, wahrhaftig nichts! – Sieht mit einem [95] Blicke Röschens Thun, und sagt, ohne wieder hin zu blicken. Das Dokument ist in guter Hand!

NOLLINGEN.
Führt ihn zum Kerker; es werden sich wohl Mittel finden, Euch das Wort des Räthsels zu entpressen.
SONNENBERG
im Abgehen.

O ja, ich weiß es, daß dem Ritter von Nollingen solche Mittel gar wohl bekannt, und er sehr flink ist, sie zu gebrauchen, doch – macht Euch darauf keine Hoffnung. Ihr habt schon einmal die Erfahrung gemacht, wie fester Sinn durch zwei Foltergrade trotzen, und dann noch dem Feinde entrinnen kann – hofft bei dem Sohne des Reichsmarschalks Ludwig von Sonnenberg so festen Muth zu finden, als bei irgend einem armen Arzte des ganzen römischen Reichs.


Ab mit den Bewaffneten.
NOLLINGEN.

Was war das? Ist er mit dem Satan im Bunde? Sollte er auch um die Geschichte wissen? Er hat die Dokumente – kein Zweifel mehr; ich muß entdecken, wo er sie verbarg; nie darf der Kaiser sie erblicken. Doch – wie diesen Trotz beugen? Wie immer auch – es gilt das Höchste! Nollingen, dein Leben steht auf dem Spiele. Dießmal schone nichts. Er folgt den Abgegangenen.

[96]
7. Szene
Siebente Scene
RÖSEL
allein, steckt den Kopf hervor, kriecht dann leise auf den Knieen hinter der Hecke hervor, und sieht in possirlicher Stellung dem Günther nach, endlich sagt sie aufspringend.

So! – jetzt ist der Spitzbube weit genug entfernt! – Wie ist mir denn? Was war das Alles? Summt mir's doch im Kopfe, als wäre eine Windmühle darin. Froh. Der Junker liebt mich von ganzer Seele! Traurig. Gefangen haben sie ihn in den dunkeln Kerker geführt. Froh. Und, »Du bist mein!« hat er gesagt. Traurig. Und gewiß verfolgt ihn der böse Nollingen unschuldig. Plötzlich besonnen. Aber mit dem Pergament hast du sicher einen sehr klugen Streich gemacht, Pfeffer-Rösel; das war gewiß ein Glück, daß er es nicht mehr hatte. Sie nimmt es unter der Schürze hervor, und faßt es säuberlich mit zwei Fingern, hebt es in die Höhe, und legt nachdenkend den Finger an den Mund. Wer mir sagte, was da drinnen steht! – Das sind wohl die Papiere, die sie dem Ralph abnahmen, und darin muß eine große Spitzbüberei stecken, weil der Nollingen so wichtig damit thut. Sagte er nicht: »nie darf der Kaiser sie erblicken!« Ei, ei, schau, schau, – wenn's richtig damit wär', warum fürchtet er den Kaiser? So viel ist einmal gewiß, der Schatz ist besser aufgehoben in meiner Hand, als in der Seinen. Aber was mach' ich nun damit? – Vor allen Dingen such' ich den Antonio auf, denn ich glaub's nicht, daß er fortgereist ist, und find' ich ihn nicht,[97] Pause. nun, so wird mir schon auf eig'ne Faust Etwas einfallen; an Muth und klugen Gedanken hat's der Pfeffer-Rösel nie gefehlt, und nun ich gar sein Röschen geworden, wird mich die Liebe auch nicht im Stiche lassen.


Läuft ab.
Der Vorhang fällt.

Ende des vierten Aufzuges.

[98]

5. Akt

1. Szene
Erste Scene
Vieles Volk geht über die Scene. Beata mit ihrem Manne Daniel. Beide stattlich geputzt.

BEATA.
Aber warum denn hieher, Daniel? Dort oben bei dem Rathhaus kann man den Zug viel besser sehen.
DANIEL.
Hier aber werden wir von der Menge nicht so molestirt.
EIN GRIECHE
im vollen Kostüme.

Kommt mit mir, Herr Daniel, nebst Eurer schönen Frau; ich habe Bekanntschaft am Hofe, nehme Euch mit in die kaiserliche Pfalz, da können wir das Bankett recht in der Nähe sehen.

[99]
DANIEL.
Ei, Meister Gregor, das wäre gar nicht schlecht.
BEATA
zupft ihn.

Was fällt Dir ein, warum nicht gar! Mit dem langbärtigen Menschen, der aussieht wie ein Türke, gehe ich nicht einen Schritt über die Straße.

DANIEL.

Wie Du meinst, sei nur nicht böse. Verlegen. Wir danken schön, Meister Gregor, wir wollen noch die Nachbarin abholen.

GRIECHE.
Wie Ihr wollt. Geht über die Bühne.
DANIEL.
Was dem Weibe nur wieder einfällt, Alles muß nach ihrem Kopfe gehen.
BEATA
verdrießlich.

Das ist nicht mehr als billig. Hätten sie den hübschen Junker Sonnenberg nur nicht in den Kerker gesteckt, der hätte uns gewiß einen guten Platz beim kaiserlichen Bankett angewiesen. Oder wäre der Meister Antonio hier, der weiß auch überall Rath.

[100]
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Rösel athemlos.

RÖSEL.

Gott grüß' Dich, Beata! Wie froh bin ich, daß ich Dich finde. Weißt Du mir nicht zu sagen, wo sich Meister Antonio herumtreibt; ich suche ihn durch die ganze Stadt; ich muß ihn sprechen; und nirgends kann ich ihn finden.

BEATA.

Just sprachen wir von ihm; auch ich wünsche ihn zur Stelle; aber seit vorgestern kam er mir nicht zu Gesichte! Doch sprich, Pfeffer-Rösel, auch Dich sah man nirgends; Du bist so seltsam, so bewegt, Deine Wangen glühen – ist Deine Mutter vielleicht kränker geworden?

RÖSEL
schnell.

Ih, der gehts recht gut, wäre sie kränker, ließe ich sie nicht allein. Doch sage mir, was gibt es denn, daß fast alle Meßbuden geschlossen sind, und die Leute truppweise auf der Straße herumziehen?

BEATA.

Das weißt Du nicht? Ei, Rösel, wo hast Du denn Deinen Kopf? Heut ist ja das prächtige Bankett, das der Kaiser der Stadt Frankfurt gibt, um zu danken für den Empfang, der ihm geworden. Wär' unser [101] hübscher Junker frei, so hätten wir's gut. Doch das weißt Du wohl auch nicht, daß der gefangen sitzt?

RÖSEL
verlegen.
Ja – das weiß ich schon.
BEATA.

Auch was er Alles gethan? Ach, lieber Gott! wie kann man so jung seyn, Seufzend. und so bildhübsch, Zornig. und solch ein Bösewicht! – Denk' nur, dem Kaiser hat er wichtige Dokumente gestohlen, hat den hocherhabenen Herrn verrathen wollen an den Gerhard von Mainz.

RÖSEL
rasch und zornig.

Das ist nicht wahr; das ist schändlich gelogen! Pfui, Beata, schäme Dich in Dein Herz hinein, solche Schlechtigkeiten nachzusagen. Der arme Junker! aber wartet nur! wartet nur!

BEATA
ärgerlich.

Schau, was sie sich einbildet! Wie kannst Du mich denn eine Lügnerin heißen, wenn ich nachsage, was das Gericht sagt? Und wenn Du Dich noch so sehr ereiferst für seine Unschuld, so wird er doch morgen gehenkt, wie sein Urtheil lautet.

RÖSEL
ganz starr.
Gehenkt? – Sein Urtheil schon gesprochen? O Du gerechter Gott!
[102]
BEATA
gutmüthig.
Du wirst blaß, Rösel? – Ich bin ja schon wieder gut – erhole Dich doch, Du armes Kind!
RÖSEL
ganz außer sich.

O du mein lieber Himmel! Er ist ja unschuldig! – Wenn ich doch nur den Antonio finden könnte, der weiß es ja, der muß es wissen. In Todesangst. Daniel, lieber Herzens-Da niel, helft mir nur den Antonio suchen, ich muß ihn finden.

DANIEL.

Wenn mich nicht Alles trügt, so sah ich ihn vor ein paar Stunden vor der Herberge zur Reichskrone mit dem Ritter Schelm vom Berge sprechen, der war eben hingegangen, um die Papiere des Junkers, auf den Befehl des Kaisers, in Empfang zu nehmen. Er hatte es gar nöthig mit ihm.

RÖSEL
aufmerksam.
Und wer ist der Herr Schelm?
DANIEL.
Ein wackrer, ehrlicher, alter Herr!
RÖSEL
ernsthaft die Hände zusammenschlagend.
Aber mein Himmel! wie kann ein Mensch, der ehrlich ist, Schelm heißen?
[103]
DANIEL
ruhig.

Nun, warum denn nicht? Heißt doch Mancher ehrlich, und ist ein Schelm. Er ist obendrein ein guter Freund des Junkers, der Euch so am Herzen liegt.

RÖSEL.
Ist er das? Nun, und glaubst Du, daß ich den Antonio finde bei dem Herrn Ritter Schelm?
DANIEL
immer sehr phlegmatisch.
Für gewiß kann ich's nicht sagen, aber zu erfragen, meine ich, sollte er dort seyn.
RÖSEL
entschlossen und froh.

Ich danke Dir, mein guter Daniel, ich danke Dir. Ach, nun wird mir das Herz schon um Vieles leichter! – Wenn ich ihn finde, dann ist Alles gut, Alles. – Also bei der Reichskrone – Schelm vom Berge – vor zwei Stunden – ein guter Freund des Junkers – ich kann es nicht verfehlen. Fällt plötzlich auf die Knie. O lieber Gott! Nur heut verlaß' mich nicht in meiner großen Angst, nur heute steh' mir bei! Läuft ab, indem sie sich immer die Worte: »Schelm vom Berge – guter Freund – vor zwei Stunden u. s. w. repetirt.

DANIEL
sieht ihr nach.
Ist die Pfeffer-Rösel verrückt geworden?
[104]
BEATA
nimmt ihn am Arm.

Komm dort hinauf zum Rathhaus, und frage nicht so läppisch. Was verrückt! Merkst Du denn nicht – das arme Ding ist verliebt in den Junker. – Das ist noch ein rechtes Glück für sie, wenn sie den armen Schelmen aufhängen; was sollte denn das werden, so eine Pfefferkuchen-Rösel und der stattliche Junker! – das gäbe eine schöne Bescheerung.


Dieß Alles muß während des Abgehens gesprochen werden, so wie Daniels Antwort.
DANIEL.

Ja so – Nun geht mir ein Licht auf. Sieh, sieh, Du bist doch immer klüger als ich. Komm, laß uns sehen, ob wir nicht auch ohne den Junker Sonnenberg Einlaß in die kaiserliche Pfalz finden.Beide ab.


Verwandlung.
Kurze Vorhalle in der kaiserlichen Pfalz.
3. Szene
Dritte Scene
Der Kaiser. Alessandro.

KAISER
festlich gekleidet.
Hat sich der Nollingen noch nicht blicken lassen?
[105]
ALESSANDRO.
Noch immer nicht.
KAISER
auf- und niederschreitend.
Das Verhör scheint lange zu währen.
ALESSANDRO.
So scheint's.
KAISER.

Es wäre schändlich, wenn die Dokumente schon in Gerhards Hand. Ich tröste mich noch immer mit der Hoffnung, daß die Vorsehung solchen Verrath nicht zulassen konnte.

ALESSANDRO.

Die Vorsehung rüstete den Sterblichen mit Klugheit und Umsicht genugsam aus, um sich gegen Verräther schützen zu können.

KAISER
ungeduldig.

Was sollen diese Antworten, Meister Alessandro? Ich bin nicht in der Stimmung, dergleichen Redensarten zu ertragen.

ALESSANDRO.
So erlaube mir, kaiserlicher Herr, daß ich Dich meines Anblicks überheben darf.
[106]
KAISER
gebieterisch.
Bleib!

Man vernimmt aus der Ferne einzelne Trompetenstöße.

Was ist das? Versammelt man sich schon?
ALESSANDRO.
Schon seit einer halben Stunde erwartet man Eure Majestät zum großen Zug in den Bankettsaal.
KAISER
zornig.
Wo der Nollingen bleibt! Trompetenstoß.
4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Leibdiener. Später Amalgundis. Heinrich von Praunheim. Jutta.

LEIBDIENER.
Es nahen Eurer Majestät erhabene Nichte, nebst mehreren Andern.
KAISER.
Schon da? Nur immer näher?

Amalgundis vom Schultheiß geführt. Jutta von einem Leibjunker geleitet. Alle festlich geschmückt. Hinter ihnen prächtig gekleidete Diener, welche jedoch außerhalb der Thüre bleiben.
KAISER
galant.

Seid uns willkommen, holde Jungfrau'n, als [107] Zierde unsers Festes. – Wir grüßen Euch, Stadtschultheiß. Die Zeit des Banketts ist schnell herangerückt, und zögern wir noch wenige Minuten, so rechnet's uns nicht zu, ein dringendes Geschäft hält uns zurück.

AMALGUNDIS
schüchtern.

Mein kaiserlicher Ohm ist stets gequält mit Sorgen. Soll denn kein Tag Euch frei und ohne Drang lästiger Geschäfte entschwinden, selbst der heutige nicht?

KAISER.

Nein, mein Kind! so wohl soll es Deinem Ohm nie werden! Doch sieh, wie hast Du köstlich Dich geschmückt? Auch Ihr, Fräulein Jutta, prangt, uns zu Ehren, in selt'ner Pracht. Wie? Ein Myrthenzweig schlingt sich durch die Diamanten Eures Hauptschmuckes? Gütig. Sollten wirs errathen, was dieß verkündet?

SCHULTHEISS.

Mit Eurer Erlaubniß, mein allergnädigster Herr, wünsche ich diesen Tag zu nutzen, um die Verlobung meiner Tochter mit dem edlen Günther von Nollingen öffentlich kund zu thun.

KAISER
erheitert.

Was sagt Ihr? Ihr überrascht uns angenehm, und erhöht die Freuden dieses Tages. Wir denken [108] selbst nach der Tafel dieß fröhliche Geschäft zu übernehmen.

AMALGUNDIS.

Die Stirne meines erhabenen Oheims klärt sich auf; nun darf ich es wohl wagen, ein schüchtern Wort für einen Armen zu sprechen, der ganz vergessen scheint. Dem Kaiser näher tretend, und schmeichelnd seine Hand fassend. Schont des Junkers von Sonnenberg, mein güt'ger Kaiser! Seid mild und gnädig gegen ihn. Er ist nicht schuldig, kann kein Verbrecher seyn.

KAISER
entzieht ihr finster seine Hand.

Was fällt Dir ein, Amalgundis? Was kümmert Dich die Sache eines Hochverräthers? Du mischest Dich in eine Angelegenheit, die Dir fremd.

AMALGUNDIS
lebhaft.

Das ist sie nicht, mein kaiserlicher Ohm. O nimmermehr könnt Ihr so niedrig von Eurer nächsten Verwandten denken, daß Ihr das Schicksal eines Mannes fremd seyn könnte, der sie vor sich'rer Schmach und schwerer Unbill errettet. Nein, mein Kaiser, und müßt' ich selbst das Unglück tragen, Euren Unwillen zu erregen, ich darf nicht schweigen. Die Stadt ist von dem schrecklichen Ruf erfüllt, morgen solle der Aermste durch den Strang enden. Schaudert. Mein kaiserlicher Herr! gönnt ihm nur einmal noch die Gnade Eures [109] milden Anblicks. Ihr müßt Euch überzeugen, daß so kein Hochverräther aussehen kann. Diese freie Stirn trägt nicht das Brandmal des schändlichsten Verbrechens, dieses offene Auge, das sich nicht senkt, selbst seinem Kaiser gegenüber, ist der Bürge einer reinen Seele. Sinkt plötzlich dem Kaiser zu Füßen. Hier auf ihren Knieen fleht Amalgundis zu Euch, mein theurer Kaiser, seht den Unglücklichen noch einmal, ehe Ihr ihn verdammt.

KAISER
bewegt.
Amalgundis, steh' auf! –
5. Szene
Fünfte Scene
Nollingen. Vorige.

KAISER
erschüttert.

Du hast mich ergriffen – ich will – Ah Nollingen – endlich! Sprich schnell, was hast Du entdeckt? Hat er gestanden?

NOLLINGEN
ebenfalls festlich gekleidet, zuckt die Achseln.

Gestanden wohl, doch nichts, was Euch nützen könnte. Bei solcher Jugend solche Verschlagenheit, solchen Trotz, es ist kaum glaublich. Daß er die Dokumente mit List entwendet, bekennt er, daß er sie in remde Hände gegeben, auch; doch keine List, selbst [110] nicht die Freiheit, die ich ihm anbot, wenn er sie in meine Hand zurückliefern würde, konnte ihn zu einem andern Ausspruch bewegen, als den Worten: die Dokumente sind auf immerdar für Euch verloren.

KAISER.

Unerhört! – Hast Du das vernommen, Amalgundis? Er läugnet nicht einmal den Verrath. – Machte die Aussicht auf seinen nahen Tod keinen Eindruck auf den Verblendeten?

NOLLINGEN.

Nicht den geringsten. Er lächelte höhnisch. Er scheint sicher auf Rettung durch Gerhard von Mainz zu hoffen. Ich wünschte, Eure Majestät ließen sich selbst herab, einem Verhör dieses Verstockten beizuwohuen, Sie würden sich überzeugen, daß hier nur die Folter –

KAISER.

Schweig, Nollingen! Du weißt, wie sehr wir dieses Mittel hassen. Wir wollen ihn nicht mehr sehen. Die Dokumente sind verloren. Den Raub läugnet der Elende nicht, sein Verbrechen ist erwiesen; es bleibt bei unserm Ausspruche. Jetzt folgt uns zum Bankett.

AMALGUNDIS
reicht dem Kaiser mit einem tiefen Seufzer die Hand, und sagt für sich.
Er ist verloren!

Mit dem Kaiser ab.
[111]
JUTTA
an Nollingens Arm.
Hast Du's gehört? Du siegst!
NOLLINGEN.
Das Junkerlein hätten wir glücklich geborgen!

Alle ab, bis auf den Arzt, der von Ferne stand.
ALESSANDRO
Nollingen nachsehend.
War doch noch nichts so fein gesponnen,
Es kam denn endlich an die Sonnen.

Ab.
Verwandlung.
Großer Bankettsaal. Rechts und Links von der ersten Coulisse bis zum Hintergrund laufen lange prächtig geputzte Tafeln. In der Mitte, eine Stufe erhöht, steht eine Extra-Tafel, welche jedoch nicht
groß seyn darf, für den Kaiser, Amalgundis und den Stadtschultheiß gedeckt. Den Hintergrund bildet eine offene Gallerie, zu welcher eine breite, mit prächtigen Geländern und Blumen verzierte Treppe führt. Durch die offenen Bögen, deren nur drei seyn dürfen, sieht man ins Freie. Die Gallerie muß so hoch seyn, daß, wenn auch die ganze Bühne mit Menschen angefüllt ist, man dennoch genau sehen kann, was oben geschieht. Die Coulissen enthalten Gallerien, worauf viele Zuschauer steh'n. – Sobald verwandelt ist, beginnt der Marsch. Dem Zug voran geht ein Spruchsprecher, in bunten Farben gekleidet, hinter ihm Knaben und [112] Mädchen als Waldgötter und Satyre in possirlichen Sprüngen einher hüpfend, dann sechs kaiserliche Leibtrabanten. Nun folgen mehrere Paare Ritter im Festkleide, ihre Damen zierlich an der Hand führend. – Vor jedem Ritter ein Wappenherold, in die bunten Farben seines Hauses gekleidet, auf Brust und Rücken das Wappen des nachfolgenden Herrn. – Hinter jedem Paare vier Diener desselben, gleichfalls in den Hausfarben des Voranschreitenden. Vor jedem Wappenträger geht, nach der Sitte damaliger Zeit, entweder ein geputzter Zwerg, ein Mohr, oder ein Narr mit der Schellenkappe. Günther und Jutta sind das letzte Paar. – Als der Zug der Ritter vorbei ist, erscheint
der Stadtschultheiß an der Spitze von 12 Rathsherren; diesen folgen wieder 6 Trabanten des Kaisers, dann 6 kaiserliche Leibjunker mit Fackeln, dann der Kaiser selbst, Amalgundis an der Hand führend, im Kaisermantel, 6 Pagen tragen seine Schleppe – hinter ihm wieder 6 Leibjunker mit Fackeln, hinter diesen Trabanten, dann des Kaisers Narr, prächtig geputzt – hinter diesem mehrere Zwerge und Mohren, welche in abenteuerlichen Sprüngen folgen. Ein kaiserlicher Marschalk mit dem weißen Stabe – dann beschließt ein Musikchor den Zug, welcher sich sogleich auf der Gallerie feststellt, aber nur Rechts und Links, so, daß der mittelste Bogen, zu welchem die Treppe führt, frei bleibt. Sobald der Zug steht, die Ritter und Damen an den Tafeln, die Diener theils im Hintergrunde, theils hinter jedem Herrn einer vertheilt sind, winkt der Spruchsprecher mit seinem Stabe, und die Musik schweigt.
[113]
SPRUCHSPRECHER.
Willkommen all Ihr Herrn und Frau'n,
Die hier im bunten Kranz zu schau'n!
Es wünscht des Kaisers Majestät,
Daß man sich baß ergötzen thät:
Dieweil zu Ehr' der guten Stadt
Das Fest der Herr eröffnet hat.

Pauken und Trompeten erschallen; Alles, was zum Gefolge des Kaisers gehört, ruft:

Hoch die Stadt Frankfurt! hoch!

Die zum Fest versammelten Gäste verbeugen sich alle tief.
CONRAD VON STADE
tritt vor, und verbeugt sich.

Wir danken kaiserlicher Majestät! der Herr erhalte uns den Kaiser bei stets gleicher Gesinnung, so wie bei steter Gesundheit und leichtem Herzen. Er stärke das Licht seiner Augen, sie mögen dringen in die verborgenste Falte, auf daß kein Verrath sicher sei, selbst nicht im Herzen des Verräthers. Mit solchen wohlgemeinten Wünschen danken wir kaiserlicher Majestät für gewürdigte Ehre.

DIE RITTER UND ALLE.
Vivat, Adolphus! Heil dem Kaiser!
KAISER
verbeugt sich, winkt alsdann, und nimmt Platz in der Mitte der kleinen für ihn gedeckten Tafel.

Sobald er sitzt, winkt [114] der Marschalk mit dem Stabe. – Alles setzt sich – Amalgundis rechts, der Schultheiß links an der Seite des Kaisers. An der Tafel zur Rechten sitzt auf dem ersten Platz zum Publikum, Günther von Nollingen, neben ihm Jutta, an der ganz besetzten Tafel links bleibt der erste Platz leer. – Eine sanfte Tafelmusik beginnt. Die Treppe herab kommt ein Zug kaiserlicher Leibdiener, den ersten Gang in glänzenden Geschirren auftragend. Der Spruchsprecher und der Narr ziehen sich rasch zu den Bedienten zurück.

KAISER
bemerkt den leeren Platz.
Wir bemerken einen leeren Platz an uns'rer Tafel – was soll das?
CONRAD VON STADE.
Euer Majestät zu dienen, es ist der Ehrenplatz, bestimmt für den edlen Ritter Schelm vom Berge.
KAISER.

Ja fürwahr, das gewahren wir nicht ohne Mißvergnügen, daß unser würd'ger alter Freund hier fehlt. Man sende rasch nach ihm. – Und wo steckt die Laune unsers Narren? Seine Kappe hören wir klingeln, aber von seinem Witze will sich nichts zeigen.

NARR
kommt mit einem possirlichen Sprunge vor.
Willst, Kaiser, Du bei der Suppe schon lachen,
Was soll denn Dein Narr bei dem Braten machen?
[115]
KAISER.

Bist Du heute so schlecht mit Laune bestellt, daß Du nicht auszureichen gedenkst bis zum Braten; so ziehe Dich zurück zu den Troßbuben, und sende uns einen, der Deinen Platz würd'ger bekleide.


Während dem Alles dieß vorgeht, ist im Hintergrunde auf der Gallerie Röschen und Antonio Bandini erschienen, sie sprechen emsig zusammen. Röschen geht endlich die breite Treppe zögernd
herab, sie ist festlich geputzt, aber in Bürgerstracht, hält ein Päckchen in der Hand in ein buntseidenes Tuch eingewickelt. Antonio bleibt oben auf der Gallerie, und wird nur von Zeit zu Zeit sichtbar.
RÖSEL
zitternd und sichtbar verzagt läßt sich vor dem Kaiser auf ein Knie nieder.

Mein Herr und Kaiser! willst Du einem armen Mädchen verstatten, daß es Dir an diesem festlichen Tage einen Dienst erweisen dürfe?


Alles wendet sich erstaunt nach dem Mädchen.
KAISER
betroffen.

Du uns einen Dienst? – Fürwahr, wir sind geneigt, einen solchen gern zu empfangen, wäre es auch von dem letzten unserer Unterthanen. Erhebe Dich, sage, wer Du bist, und welche Art von Dienst Du uns zu erweisen denkst?

[116]
RÖSEL
steht auf, muthiger.

Das ist ein Wort, Herr Kaiser, das sich hören läßt, und seid Ihr milder und gütiger, als alle Eure Dienersleute. Dreimal schon war ich in Euern Vorgemächern heute, doch Alle meinten, mit solch armer Dirne habe die Majestät nichts zu verhandeln. Ich aber habe mit der Majestät zu verhandeln, dachte ich, und so nahm ich das Herz in beide Hände, und stehe nun hier, wie Ihr seht. – Ich bin die kleine Pfeffer-Rösel aus Nürnberg, Mit einem Knix. Tochter des weiland Pfefferkuchen-Fabrikanten Stücklein – meinem gnädigsten Kaiser zu dienen – und denke Allerhöchstdenselben die Wahrheit zu sagen.

KAISER
aufmerksam.

Ei, ei, mein Kind, das wäre denn allerwegen ein Dienst, welcher unsers Dankes werth. Nun, laß hören. Zu Amalgundis. Das ist sicherlich ein Possenspiel, welches uns der schlaue Narr bereitet.

RÖSEL.

Ja, da müßt Ihr mir verstatten, Euch ein seltsames Mährlein zu berichten. Der Kaiser winkt, Alles sieht mit gespannter Aufmerksamkeit auf Rösel. Diese zupft Anfangs etwas verlegen an der Schürze, wird aber immer muthiger. [117] Es war einmal ein reicher, vornehmer Mann, der hatte einen Schatz, den er gar sorglich bewahrte. Zum Wächter desselben stellte er seinen besten Freund – der aber war der Wolf im Schafspelze, und stahl dem reichen Manne den theuern Schatz, und gedachte ihn, im Schutz der Nacht, seinen Helfershelfern auszuliefern. Er that auch so. – Es begab sich aber, daß ein armer Diener des reichen Mannes, der an seinem Herrn hing mit Leib und Seele, durch Gottes Fügung ahnete, was jener schlaue Fuchs spann – er machte sich daher auf bei Nacht und Sturm, und jagte dem Diebe seinen Raub wieder ab – der aber, groß und mächtig, warf den Jüngling in einen finstern Thurm, und log dem reichen Mann, dieser habe ihn bestohlen. Der reiche Mann glaubte auch dem vermeintlichen Freunde mehr, als dem armen Diener, und verdammte diesen, den Tod des Verbrechers zu sterben.

KAISER
sie unterbrechend.

Was soll das Possenspiel? Genug, Du bist gedungen, um Deine Lügen vor mir auszukramen – ich will nichts weiter hören.

RÖSEL.

Um Euch die Wahrheit zu verkünden, Herr Kaiser, dazu hat mich mein eig'nes Herz gedungen, zeigt, daß Ihr sie hören könnt.

[118]
KAISER.
Beim Himmel, Du bist kühn! Doch ende immerhin das Mährlein.
RÖSEL.

Kein Mährlein, Kaiser! Jener treue Diener vertraute den wiedergewonnenen Schatz gar sichern Händen. Sie hebt plötzlich die Hand mit dem Päckchen in die Höhe. Hier ist er, kaiserlicher Herr, und zeugen wird er für des Jünglings Unschuld. Seht, jener prächtige Ritter dort, der Herr Günther von Nollingen, würde mir wohl für das kleine Päckchen hier ein paar stattliche Burgen gegeben haben, hätt' ich nur Lust zu dem Tausche. Doch – so genügsam bin ich nicht; ich fordere mehr; der Preis ist hoch – Ihr nur, Herr Kaiser, könnt ihn bezahlen. Sie stürzt auf die Knie, reißt das Tuch von den Dokumenten, und ruft, sie emporhaltend, heftig bewegt. Ein Menschenle ben gilt's, um dieses nur könnt Ihr den Schatz erstehen.

KAISER
springt auf, faßt darnach und ruft heftig bewegt.
Ist's möglich? – Die Dokumente!
ALLE
stehen auf und rufen.
Die Dokumente?
[119]
NOLLINGEN
der Anfangs im Gespräche mit Jutta verloren, Rösel nicht beachtete, und erst aufmerksam ward, als sie an den Schluß der Erzählung kam, ruft leise.
Beim Satan, die Dokumente sind's!

Der Kaiser öffnet das Pergament, seine Züge zeigen den höchsten Ausdruck von Freude, Alles sieht ihm schweigend zu. Jetzt fällt ein Blatt heraus, er scheint es nicht zu bemerken, Rösel bückt sich rasch, und reicht es ihm dar, er beginnt zu lesen, seine Züge verändern sich, Erstaunen, Schreck, Wuth, zuletzt Verachtung malt sich in seinen Mienen. Er sieht, als er gelesen, mit einem langen, durchbohrenden Blick nach Nollingen hinüber, dann läßt er die Arme mit dem Blatt sinken, und blickt gen Himmel – Alles ist erstaunt. Nollingen steht in gräßlicher Spannung. In diesem Augenblicke erscheint auf der Treppe Ritter Schelm vom Berge, ganz schwarz geharnischt, hinter ihm zwei schwarz geharnischte Ritter.
KAISER
geht von seiner Tafel auf Nollingen zu, ihn fest im Auge haltend.

– Nollingens Kniee zittern, je mehr er sich nähert; sein ganzes Wesen spricht die tödlichste Angst aus. Als der Kaiser dicht vor ihm steht, und ihn mit einem langen Blick gemessen, den Jener nicht aushielt, hält er ihm plötzlich das Blatt vor die Augen. Wer schrieb dieß?

NOLLINGEN
sinkt mit einem unartikulirten Laut auf seinen Platz zurück.
[120]
KAISER
wendet mit einem schmerzlichen Ausdruck das Gesicht von ihm.

Und wär' es nicht die Hand, die ich kenne seit den Tagen argloser Kindheit, die unläugbar die Seine, wie mir unläugbar jetzt das Licht des Tages leuchtet, diese Miene spräche sein Urtheil. Er erhebt das Blatt, und liest Anfangs mit wankender Stimme, dann immer fester werdend. »Erhabener Freund, würd'ger Gerhard von Mainz! Endlich ist es gelungen, der Meisterstreich vollführt; die Gegenwart des Kaisers selbst hielt mich nicht ab, mein Wort zu halten; die Dokumente sind in meinem Besitz, und Ralph Strichauer, unser treuer Diener, legt sie, so das Glück will, noch diese Nacht in Eure Hand. Doch dieß ist das Kleinste, was ich für Euch that. Der Kaiser denkt sich mit seiner Gattin zu versöhnen, und reitet Sonntag früh in aller Stille, nur von Wenigen gefolgt, gen Hildesheim hinunter – dort am grünen Busch, bei der Mainbiegung, kann Er Euch nicht entrinnen, wird er nicht gewarnt. Dafür denke ich endlich die Reichsgrafenwürde zu verdienen. Euer immer dienstwilliger Freund

Günther von Nollingen


Allgemeines Entsetzen – laute Bewegung.
KAISER.

Nur ihm, nächst Gott, vertraute ich meinen Plan, [121] gen Hildesheim zu ziehen. – Es ist kein Zweifel mehr, die Schlange ist enthüllt, die ich mit meinem Herzblut nährte. Sprecht, was gebührt dem Hochverräther?


Alles verstummt.
SCHELM VOM BERGE
der indeß herabkam, und vor dem Alles entsetzt zurückwich, beide Arme über Nollingens Haupt erhebend.

Der Tod durch Henkershand! – Schmach und Schande auf Günther von Nollingen – sein Name sei gebrandmarkt, sein Wappen zerbrochen. Ich vervehme ihn und sein Gut; ich vervehme ihn und sein Recht; ich vervehme ihn und sein Schwert – er sei frei alles Schutzes, wie das Wild im Walde, wie der Vogel in der Luft – sein Gedächtniß erlösche unter den Redlichen, er sei verflucht für alle Zeiten, denn er ist schuldig des Hochverraths.

ALLE
rufen entsetzt.
Wehe; er ist vervehmt!

Sie ziehen sich wie vor einem Pestkranken zurück.
JUTTA
sinkt mit einem Schrei ohnmächtig an seiner Seite nieder.
NOLLINGEN
welcher sich erholt, und dessen Besinnung zurückkehrt.

Strömt dort unten nicht der Main? Kann ich nicht schwimmen? So leicht sollt Ihr den Nollingen nicht haben. Er reißt plötzlich sein Schwert aus der Scheide, [122] und ruft mit furchtbarer Stimme. Zurück von dem Vervehmten!


Alles steht erstaunt. – Nollingen flieht mit Blitzesschnelle dem Hintergrunde zu, eilt die Treppe hinan, und faßt oben schon das Geländer der Gallerie, um hinabzuspringen. In diesem Augenblicke springt.
BANDINI
hinter der Säule auf der Gallerie hervor, faßt ihn von rückwärts mit beiden Armen, und schleudert ihn, zurückreißend, mit furchtbarer Gewalt zur Treppe, so, daß dieser niederstürzt, und oben auf der Treppe liegt, sein Schwert entfällt ihm.

Dieß Alles muß sehr rasch geschehen. Sobald er liegt, ruft Bandini. Gemach, gemach, Günther von Nollingen! der gefolterte Antonio Vilardi lebt noch, um Euch von Henkershand sterben zu sehen.


Die Vehmrichter, welche ihm nachgeeilt, kommen jetzt oben an, und nehmen Nollingen in Empfang.
NOLLINGEN.
Wehe – Vilardi! – es ist aus mit mir!
KAISER.
Schafft uns den Verräther aus den Augen – sein Urtheil ist gesprochen.
[123]
6. Szene
Letzte Scene
Vorige. Alessandro. Sonnenberg.
Beide traten schon früher ein. Als der Kaiser sich von Nollingen wendet, der abgeführt wird, liegt der Junker zu seinen Füßen.

ALESSANDRO.
Er ist schuldlos, kaiserlicher Herr, halt' ihn nicht länger fern aus Deiner Nähe.
KAISER.

Ja, Sonnenberg, ja, Du bist schuldlos! Du thatest viel für mich, viel hab' ich wieder gut zu machen. Verlange, ford're, jetzt in dieser feierlichen Stunde soll Dir kein Wunsch versagt seyn.

SONNENBERG.

Mein Herr und Kaiser, entzieht mir nie wieder Euer kostbares Vertrauen, und – erfüllt mir die höchste Bitte meines Lebens. Er springt auf, und zieht Rösel, die schüchtern im Hintergrunde stand, zu des Kaisers Füßen. Erhebt die Jungfrau hier, deren Muth und Klugheit ich Ehre und Leben danke, aus dem Stand der Niedrigkeit, damit ich ihr die Hand bieten möge als meinem ehelichen Gemahl.

KAISER
die Hand auf ihr Haupt legend.

Mein Mägdlein, Deinen adelichen Sinn hast Du [124] bewährt in dieser Stunde. Tretet näher, Ihr edlen Frauen! und Diejenige unter Euch, so sie würdig findet der Hand eines wackern Edelmanns, wie unser Junker hier, lege die zarte Rechte weihend auf ihr Haupt – ich lasse jeden Handschlag einen Ahnen gelten.


Die Frauen sehen sich einen Augenblick lang schweigend an, die Männer treten zurück, so, das der Raum um Röschen frei bleibt, die noch immer kniet. Amalgundis tritt zuerst hinzu, und legt ihr die Hand auf das Haupt, auf einmal treten sie Alle entschlossen hinzu, und legen, rings um das Mädchen einen Kranz bildend, Jede die Rechte auf ihr Haupt.
KAISER
froh bewegt.

Beim Himmel, schönern Nitterschlag hat wohl Keiner von uns empfangen. Sie zählt mehr Ahnen, als wir Alle. Er hebt sie auf, und legt sie in Sonnenbergs Arme. Nimm sie hin, ich denke, Dich belohnt zu haben.

SONNENBERG.
Röschen!
RÖSCHEN.
Mein Junker!
BEIDE
vor dem Kaiser niedersinkend.
Heil Euch! mein gnäd'ger Kaiser!
[125]
AMALGUNDIS
schlingt ihre Arme um des Kaisers Hals.
Heil Euch, mein theurer Ohm.
ALLE
unter dem Klang der Trompeten.
Heil! Heil dem gnäd'gen Kaiser!

Der Vorhang fällt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Birch-Pfeiffer, Charlotte. Dramen. Pfeffer-Rösel. Pfeffer-Rösel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3516-A