Hinrich Borkenstein
Der Bookesbeutel
Ein Lustspiel von Drey Aufzügen

Personen

[6] Personen.

    • Grobian, ein Rentenierer.

    • Agneta, dessen Frau.

    • Sittenreich, sein Sohn.

    • Susanna, seine Tochter.

    • Gutherz, des Grobians Schwager.

    • Ehrenwehrt, ein Fremder aus Leipzig.

    • Carolina, dessen Schwester.

    • Charlotte, Freundin der Susanna.

    • Zwo Mägde.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Agneta, Susanna, in Haustracht, zwo Mägde.
Agneta strickt, Susanna nähet, die Mägde spinnen. Jede hat ein Liederblat vor sich. Sie singen.

Ey was schadt ihm das,

Wenn im grünen Graß

Unser Hänsgen Gretgen küsset.


Von vorne.
2. Auftritt
Zweeter Auftritt.
Sittenreich, die vorigen.
Sie stecken geschwinde die Blätter in die Tasche, eine aber läßt es fallen.

SITTENREICH.

Ey, wenn wird denn das unzeitige Singen einmal aufhören? Ich habe euch schon so oft darum ersucht. Alle Nachbarn sprechen davon. Sie nennen euch bereits die scheinheilige Schwestern, und es ist recht. Ihr verstehet eben so wenig was ihr singet, als ein Papagey was er spricht. Habt ihr denn keinen vernünftigern Zeitvertreib? ... Aber sagt mir, aus was Ursache versteckt ihr eure Bücher vor mir? Seyd ihr etwan bange, daß ich mitsinge? Ihr habet euch doch nicht gar zu wohl vorgesehen, denn hier lieget eins auf der Erde. Er nimmt es geschwinde auf. Laß sehen, was ihr denn gesungen? [7] Er liest. Sechs schöne, neue, weltliche Lieder. 1. Hat dich denn das Ungelücke wieder in den Krug geführt? 2. Gesellen höret an, was mich für Jammer quälet. 3. Ihr Schwäger stellt euch nur bey Tag und Nächten ein. 4. Hans und Gretgen will, morgen in der Still, eines mit einander wagen. 5. Ich bin der Arzt, ich bin der Mann, der allen Mädgen helfen kann. 6. Liebstes Liesgen lege dich. Aber saget mir, schämet ihr euch nicht? Wenn das die Nachbarn merken, so werden sie erst schmälen. Bisher stehen sie in den Gedanken, daß ihr lauter erbauliche Lieder singet; wenn sie aber hinter den wahren Inhalt derselben kommen werden; was haben sie nicht Ursache zu sprechen? Schöne neue weltliche Lieder. Er liest abermal. Ich bin ein rechter Engel, ich bin ganz ohne Mängel, vom Fuß bis auf das Haupt, und wer mir das nicht glaubt, der darf mich nur probieren etc. Trefliche Moralia. Denkt doch! Mutter, Tochter und Mägde sitzen und singen weltliche Lieder, dazu so vortreflich Zeug, welches sich recht vor Leute schicket, die sich so viel einbilden, als ihr thut.

SUSANNA.

Je nu, was gehts euch an, Bruder, wenn die Mama es uns gut heisset? Der Papa hat mir am Sonntage einen Sechsling verehret, dafür habe ich mir die Lieder gekauft, und singe sie zu seinen Ehren.

AGNETA.

Es schicket sich nicht, daß der Sohn die Mutter hofmeistert. Es war in meiner Eltern Haus die Gewohnheit, daß wir alle Tage eine Stunde vor und nach Tische sungen, und gute Gewohnheiten muß man nicht abbringen. So lange als ich lebe, will ich auch darüber halten. Ich hasse zwar sonst alle Neuerungen, denn das Alte ist immer besser, als das Neue: aber das muß ich doch gestehen, daß lange nichts Neues aufgekommen ist, so mir so wohl gefallen, als diese neue weltliche Lieder; und wenn ihr uns ein andermal im Singen ungestört laßt; so werdet ihr mir einen Gefallen thun.

SITTENREICH.
Ich wäre gewiß auch nicht hergekommen, wenn ich nicht etwas nothwendiges anzubringen hätte.
AGNETA.
Und was denn?
[8]
SITTENREICH.

Ich habe vor einiger Zeit mit meiner Schwester von einem jungen und reichen Menschen gesprochen, den ich in Leipzig habe kennen gelernet, und mit welchem ich eine solche genaue Freundschaft gestiftet, daß er blos deswegen gewünschet, mein Verwandter zu werden. Und auf Vernehmen, daß ich eine Schwester hätte, hat er sich entschlossen hierher zu reisen, um zu sehen, ob sie ihm gefiele, und sodann zu ersuchen, ob sie Belieben trüge, sich mit ihm zu verheirathen. Ich möchte ihr dies Glück gerne gönnen, denn mein Freund ist so tugendhaft, als er reich ist. Anietzo eben hat er mir seine unvermuthete Ankunft wissen lassen, und ich habe nicht umhin können, ihn noch vor der Mahlzeit zu mir zu bitten.

AGNETA.

Ich wollte, daß ihr was anders gethan hättet: Es ist kein Zimmer im ganzen Hause rein; alle Vorhänge sind in der Wäsche, und überdem, so habe ich gehöret, daß keine Ehe glücklich seyn kann, wo der Bräutigam zum erstenmal in ein Haus kommt, das nicht rein gemacht ist. Welche Unordnung! Eine Stunde vor der Mahlzeit Fremde zu nöthigen! das ist ja unerhört!

SITTENREICH.

Die Leute sind an andern Orten nicht so thöricht, daß sie aus dergleichen Kleinigkeiten achten. Mein Freund kommt weder um das Haus zu sehen, noch uns an der Mahlzeit zu stören. Die Frau Mutter wird aber sonder Zweifel auch wohl ehe gehöret haben, daß man gegen Fremde höflich seyn muß, und es würde sich nicht geschickt haben, meinen Freund einen Augenblick unbesucht zu lassen. Weil ich aber Kopfschmerzen halber nicht habe ausgehen mögen: so habe ihn zu mir gebeten, und werde ihn am besten hier im Saale bewirthen können.

AGNETA.

Es mag diesmal seyn: Aber erinnert ihn verblümt, daß Staats-Visiten hier nicht länger als eine Viertelstunde währen, und entschuldigt mich vor allen Dingen, daß das Haus nicht rein ist. Behaltet ihn bey Leibe nicht hier, denn ich habe nichts zu essen. Ihr Mägde, packet euch geschwind mit euren Spinnrädern in den Keller oder auf den Boden, daß man euch nicht höret. Und du, [9] Susanna, gehe in die Schlafkammer, und gieb acht, was unsere Nachbarn machen, laß dich aber bey Leibe nicht sehen. Ich will unterdessen die Küche besorgen.


Susanna und die Mägde gehen ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Grobian und die Vorigen.

GROBIAN.
Was ists? was giebts? Wohin führet der Teufel die Mägde und Susanna?
SITTENREICH.
Es kommt ein Fremder zu mir, Herr Vater!
GROBIAN.
Ein Fremder! was will der Kerl?
SITTENREICH.
Er will meine Schwester heirathen, Herr Vater.
GROBIAN.
Heirathen! ist er von unserer Verwandschaft?
SITTENREICH.
Ich sage ja, daß er fremd ist, Herr Vater.
GROBIAN.
Ein Fremder, ein Schelm, ein Dieb will meine Tochter heirathen? Hat der Hund Geld?
AGNETA.

Ey nun, Mann, alle Fremde werden doch wohl keine Schelme und Diebe seyn. Wenn darum unsere Tochter eine gute Heirath treffen könnte: so ließ sich doch die Sache wohl untersuchen.

GROBIAN.
Darum frage ich ja, ob er Geld hat.
SITTENREICH.
Herr Vater, bestehet denn das menschliche Vergnügen nur im Gelde?
GROBIAN.

Ja, du Galgenvogel, wart, laß mir den Kerl herkommen, ich werde ihn willkommen heissen, daß er sich wundern soll. Ich will ihn fragen, ob er den Hacken wohl siehet, woran solche Diebe hängen müssen.

AGNETA.
Ey, lieber Mann, sey doch nicht gar zu unhöflich.
GROBIAN.

Unhöflich! was habe ich nöthig einem Fremden Höflichkeit zu erweisen? überdem will er[10] ja nichts bringen, er will was holen. Zum Sittenreich. Doch sage mir, wie ist der Kerl auf die Gedanken gekommen.

SITTENREICH.

Vor drey Jahren, Herr Vater, als mein Oheim, der Herr Gutherz, mich in Leipzig studiren ließ, bin ich mit ihm bekannt geworden. Wir haben uns, um der Uebereinstimmung der Gemüther willen, ewige Freund- und Brüderschaft geschworen; und auf Vernehmen, daß ich eine Schwester hatte, pflegte er so wohl der Zeit, als auch nachhero in allen Briefen zu scherzen: er wünschte mein Schwager zu werden. Anietzo möchte aus dem Scherz leicht Ernst werden; denn er ist herüber gereiset, ohne mir vorher ein Wort zu schreiben, und hat sich so eben bey mir anmelden lassen; daher ich nicht umhin gekonnt, seinen Besuch anzunehmen.

GROBIAN.

Ich wollte, daß meinen Schwager und dich der Donner und der Hagel erschlagen hätte, ehe du nach Leipzig gegangen. Ich habe es gleich gedacht, daß dein Lernen und dein Reisen nichts Gutes nach sich ziehen würde. Wie listig wuste mir mein Schwager nicht der Zeit vorzuschwatzen, daß dein Studieren mir nichts kosten sollte, daß er dich aus seinem Beutel unterhalten wollte. Er wuste wohl, wenn ich die Unkosten hätte tragen sollen, daß es in Ewigkeit nicht geschehen wäre. Ich gebe kein Geld für Narrenspossen; und mir ist noch immer bange, du habest ihm unter der Hand eine Verschreibung gegeben, daß du nach meinem Tode ihm solches zu bezahlen schuldig seyest.

SITTENREICH.
Hievon ist mir nichts bewust.
GROBIAN.

Ich will dirs auch nicht rathen. Er kann es besser thun, als ich. Er hat keine Kinder. Aber sage mir, wärest du nicht wehrt, daß ich dir was anders wiese? Hat dich mein Schwager darum nach Leipzig reisen lassen, daß du mir einen fremden Kerl über den Hals schicken sollst, der mir Ungelegenheit macht? Ist das die Würkung deiner grossen Gelehrsamkeit, daß du deinem Vater alle Augenblicke Aergerniß verursachest? Ich bleibe dabey der Mensch ist glücklich, der nichts gelernet hat.

[11]
AGNETA.
Mein Sohn, ihr habt mir ja vorhin viel Rühmens von dem Reichthum dieses Fremden gemacht.
SITTENREICH.

Ich muß den Herrn Vater wohl befriedigen. Der Fremde, der ietzt hier kommen will, ist ein Sohn des alten Ehrenwehrts, der oft in Hamburg gewesen, und vor einem Jahre in Leipzig gestorben ist. Der Rede nach, soll er vier Tonnen Goldes hinterlassen haben. Ich zweifle nicht, der Herr Vater wird ihn kennen.

GROBIAN.

Je, du Teufelskind, was wollte ich den alten Ehrenwehrt nicht gekannt haben! Must du mich denn erst zum Zorn reizen? Hättest du mir das nicht sagen sollen? Auf die Weise hat ja mein Schwager was Gutes gestiftet. Ich habe mich zwar seit drey Jahren mit ihm veruneiniget, allein ietzt will ich so gleich zu ihm gehen, und er soll sich mit mir versöhnen, und diesen Nachmittag hier kommen. Du aber, wenn der junge Ehrenwehrt kommt, so halte ihn so lange auf, bis ich wieder da bin. Ich will ihn selber sprechen. Das Eisen muß man schmieden, weil es warm ist. Vier Tonnen Goldes ist kein Dreck.


Gehet ab.
SITTENREICH.
Ich werde mein Bestes thun.

Agneta gehet ab.

Mein Freund könnte wie es scheinet, leicht zu seinem Gesuche gelangen; aber ich fürchte, wenn er meine Schwester sehen und sprechen wird, daß ihr Umgang und ihre Erziehung ihm schlecht gefallen möchte. Ich hätte nimmer geglaubet, daß mein Vater bey seiner alten Meinung, die Kinder nicht das geringste lernen zu lassen, verharren würde, und ich bin daher glücklich, daß mein Oheim sich meiner angenommen hat. Ja, wehrster Gutherz, dir bin ich mehr Dank schuldig für die Erziehung, als meinem leiblichen Vater für das Leben und die zeitlichen Mittel, so er mir einmal nachläßt. Zu meiner völligen Beruhigung fehlet mir nur noch der Besitz der schönen Charlotte; allein hiezu weiß ich nicht zu gelangen. Sie ist tugendhaft und schön, klug und wohl erzogen, mit einem Worte, sie hat alle Eigenschaften eines vollkommenen Frauenzimmers. [12] Ich kann mich rühmen, ihre Gunst zu besitzen, allein sie besitzet nicht die Gunst meines Vaters. Warum? sie hat kein Geld. Verdammte Geldsucht, wie schädlich bist du dem menschlichen Vergnügen! Ohne seine Einwilligung kann ich gleichwohl nichts anfangen. Er würde mich ohnfehlbar enterben. Die letzte Zuflucht soll zum Herrn Gutherz seyn. Doch da kommt mein Freund von einem Frauenzimmer begleitet.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Ehrenwehrt, Carolina und Sittenreich.
Ehrenwehrt und Sittenreich umarmen sich.

EHRENWERT.

Die angenehme Vorstellung, meinen geehrtesten Freund zu sehen, hat mir den Weg von Leipzig bis hier tausendfach verlängert, und die Freude, so ich empfinde, da ich meinen liebsten Bruder umarme, ist unbeschreiblich.

SITTENREICH.

So angenehm es mir jederzeit gewesen ist, von des Herrn Bruders Wohlseyn schriftliche Nachricht einzuziehen; so sehr vergnüget mich, daß ich dessen anietzo so unvermuthet persönlich von ihm versichert werde. Aber darf ich fragen, was für ein artiges Frauenzimmer der Herr Bruder mitgebracht hat?

EHRENWEHRT.

Es ist meine Schwester. Sie war das ganze Jahr, als der Herr Bruder bey uns studirte, bettlägerig, so, daß man auch an ihrem Aufkommen zweifelte; allein sie hat sich nach der Zeit völlig erholet, und wer weiß, wem der Himmel sie vorbehalten hat. Ihre zärtliche Liebe zu mir hat verursachet, daß sie mir auf dieser Reise Gesellschaft geleistet.

SITTENREICH.

Ist es möglich, daß ich in einer ganzen Jahresfrist nichts hievon vernommen habe? Ich schätze mich inzwischen beglückt, die Schwester eines vollkommenen Bruders kennen zu lernen, und in Ansehung der gemachten Freund- und Brüderschaft mit dem Herren Ehrenwehrt, nehme ich mir die Erlaubniß, mir auch dero Gewogenheit auszubitten.

[13]
CAROLINA.

Die Bekanntschaft mit einer Person, wovon mir mein Bruder so viel vortheilhaftes erzählet hat, kann mir nicht anders als höchstangenehm seyn, um so vielmehr, da ich gehöret, daß sie eine artige Schwester haben.

SITTENREICH
etwas verwirret.

Von ihrer Artigkeit wird nicht viel zu rühmen seyn. Das Frauenzimmer in Niedersachsen, einige wenige ausgenommen, wird mehr zur Hausarbeit, als zum Umgange mit Leuten angehalten. Wir müssen den Obersachsen, was die Erziehung des Frauenzimmers anbetrifft, den Vorzug lassen. Da kommt mein Vater.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Grobian und die Vorigen.

GROBIAN.

Gehorsamer Diener, gehorsamer Knecht, mein wehrtgeschätzter Herr! Sind sie nicht der Herr Ehrenwehrt aus Leipzig? Mein Sohn hat mir erst vor einer halben Stunde gesagt, daß sie hier kommen würden, sonst hätte meine Frau ein und andere Anstalten zu ihrer Bewirthung machen sollen. Sie läßt sich auch entschuldigen, daß das Haus nicht rein ist. Sie hat mit der Wäsche zu thun.

EHRENWEHRT.

Ich bin von Herzen erfreuet, den Vater desjenigen kennen zu lernen, den ich über alle Freunde in der Welt schätze.

GROBIAN.

Ja, ja, er ists auch wehrt, er ist ein guter Junge. Er hätte aber noch besser werden sollen, wenn ich ihn selbst erzogen hätte. Zum Sittenreich. Was ist das für ein Mensch, das der Herr bey sich hat?

CAROLINA
zum Ehrenwehrt.
Ein Mensch, lieber Bruder!
GROBIAN.
Was ists, was ists?
SITTENREICH
zur Carolina.

Sie zürnen nicht, schönstes Kind, mein Vater ist niemals in Obersachsen gewesen. Er nimmt das Wort im guten Verstande. Zum Grobian. Herr Vater, das Wort Mensch bedeutet in Obersachsen gar etwas Böses.

[14]
GROBIAN.
Und was denn?
SITTENREICH.
Es bedeutet so viel als eine liederliche Weibsperson, oder mit einem Worte, eine Hure.
GROBIAN.

Je nun, kann ich den Leuten ansehen was sie sind? Eine Hure ist ein Mensch, und eine Jungfer ist auch ein Mensch, und damit ist es aus. Sage mir nur, wer sie ist.

SITTENREICH.
Es ist des Herrn Ehrenwehrts Jungfer Schwester.
GROBIAN.

Meine liebe Jungfer, ich will nicht hoffen, daß sie böse geworden sind. Es wäre fürwahr närrisch, denn ich versichere ihnen, daß ich nicht gewust habe, und auch diese Stunde nicht glaube, daß in ihrem Lande das Wort: Mensch, eine Hure bedeutet, zum Teufel, wir sind ja alle Menschen.

CAROLINA.
Unwissend sündiget man nicht. Ich bitte zu verzeihen, daß wir ihnen so frey zugesprochen.
GROBIAN.

O, daran haben sie wohl gethan. Zum Sittenreich leise. Das ist ein gutes Mädgen vor dich. Zum Ehrenwehrt. Aber sagen sie mir doch, mein Herr, aus was Ursache haben sie eine so weite Reise angetreten?


Sittenreich und Carolina sprechen besonders.
EHRENWEHRT.
Die Reise ist ja so groß nicht.
GROBIAN.
Von Leipzig bis hier sollen doch über hundert Meil Weges seyn.
EHRENWEHRT.
O, nein, es sind nur einige vierzig.
GROBIAN.

Ich habe mich mein Tage nicht um die Wege bekümmert, denn ich bin nicht Willens gewesen zu reisen. Hamburg ist ja doch der größte und beste Ort in der ganzen Welt.

EHRENWEHRT.
Um Vergebung, mein Herr, Paris und London sind weit grösser, anderer zu geschweigen.
GROBIAN.

Ey was Paris, was London. Ich habe einen Vetter, der ist in Paris und London gewesen. Dieser hat mir so viel toll Zeug von diesen Oertern gesagt, daß ich da mich nicht todt wünschen möchte. Zum Exempel: In Paris hat er vor Geld keine Eyermonden kriegen [15] können. In London haben sie nicht gewust, was Krullkuchen vor Dinge sind. Sie haben nicht einmal ein Federbett daselbst gehabt. Der Wein ist dort sechsmal so theuer als hier; so, daß man sich zum Bettler saufen möchte, und was das merkwürdigste; unter hundert Personen ist manchmal kaum einer gewesen, der deutsch verstanden. Kann man das grosse Oerter nennen?

EHRENWEHRT.

In Paris und London haben sie dagegen hunderterley Sachen, die uns in Deutschland fehlen und unbekannt sind. Unter hundert von unsern Landsleuten wird auch kaum einer englisch oder französisch verstehen.

GROBIAN.

Ey, wozu ist das nöthig. Nach meinem Willen sollte die ganze Welt deutsch reden. Was Teufel, die deutsche Sprache kostet ja nichts. Die andern muß man vor Geld und mit grossem Kopfbrechen lernen, und alsdenn klingts, als wenn Hunde und Katzen heulen. Kein Mensch verstehts.

EHRENWEHRT.

Eine jede Nation verstehet ihre Sprache so gut, als wir Deutsche die unsere. In London kostet den Einwohnern, das Englische zu lernen, so viel, als uns Deutschen, das Deutsche, und so ists in Paris mit dem Französischen.

GROBIAN.

Reden sie denn in Paris und London nicht einerley Sprache? Nach meiner Meinung liegt Paris und London so bey einander, als Hamburg und Altona.

EHRENWEHRT.

Nein, mein Herr, sie liegen 70. Meilen von einander. London ist die Hauptstadt in Engelland, und Paris die Hauptstadt in Frankreich. Beyde aber sind die Residenzen der Könige.

GROBIAN.

Das ist mir zu weitläuftig und der Schnickschnack bringt nichts ein. Um einer halben Stunde werden wir speisen, und will der Herr die Ehre haben, und mein Gast seyn, und nebst seiner Jungfer Schwester mit uns vorlieb nehmen; so soll er willkommen seyn. Was wir über der Tafel reden werden, soll vielleicht mehr einbringen.

[16]
EHRENWEHRT.
Wir werden nicht so unhöflich seyn, gleich das erstemal Ungelegenheit zu verursachen.
GROBIAN.

Ey, was Ungelegenheit! Machen sie nur keine unnöthige Complimenten. Ein Schelm, der ihrentwegen Umstände macht.

EHRENWEHRT.
Das wollen wir uns denn von ihnen ausbitten.
GROBIAN.

O, so was gebrauche ich nicht. Wenn der Pabst oder der Türkische Kayser, oder der Teufel und seine Großmutter auf den Stutz zu mir kämen, und hätten die Ehre, daß ich sie zum Essen bäte; so müßten sie mit mir vorlieb nehmen.

EHRENWEHRT.
Das ist auch billig, wenn mans so gut hat als der Wirth selber, so muß man zufrieden seyn.
GROBIAN.

Der Herr ist mein Mann, ich höre es schon. Ich habe das Sprichwort: Wer das nicht essen will, was ich esse, der fresse das, wobey es gekocht ist. Ich will ihnen wohl vorher sagen, was wir speisen werden. Laß sehen, es ist heute Montag, Dienstag, Mittwochen ... Rocken Warmbier und Plücktefinken. Wir essen, Jahr aus Jahr ein, einerley.

EHRENWEHRT.

Die Gerichte sind mir unbekannt; jedoch es sey was es wolle, gute Gesellschaft ist immer mein bestes Gericht.

GROBIAN.

Ey, ey, ich mag doch gerne was Leckers fressen, wenn es nur nicht so viel kostete. Ich wollte daß der Herr gestern gekommen wäre, so hätte ich ihm einen vortreflichen Bunkenknochen vorsetzen wollen. Vielleicht ist noch ein kleiner Rest übrig, daß wir die Probe davon kriegen. Zum Sittenreich. Du, führe den Herrn Ehrenwehrt und seine Jungfer Schwester ins Zimmer, und verkürze ihnen die Zeit. Ich will bald wieder bey euch seyn.


Sittenreich, Ehrenwehrt und Carolina gehen ab.
GROBIAN.

Es kostet mir Mühe von Staats-Affairen zu reden. Ich bin nicht dabey hergekommen und gleichwol konnte ich nicht das erstemal sagen: Herr, wollet ihr meine Tochter haben? Der Narr hätte auch nur [17] gleich das Maul aufthun können. Mein Sohn wird es ihm doch wohl gesagt haben, daß ich es schon weiß. Ueber Tische werde ich nicht lange hinter dem Berge halten, und wenn mir der Kerl lange um den Brey herum gehen will, so werde ich ihm ins Facit sagen: daß er ein Narr ist.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Agneta. Grobian.

AGNETA.

Was Teufel, Mann, schämest du dich nicht, Fremde auf solche Traktamente zu nöthigen? Ich will durchaus der Gäste loß seyn, und sollte ich alles Essen anbrennen lassen.

GROBIAN.

Bist du toll, Frau, oder was schadet dir? wilst du mich unmündig machen? Ich habe ihnen schon gesagt, was wir zu essen haben. Es sind Aussenleute, sie verstehen nichts davon, und sinds wohl nicht einmal so gut gewohnt.

AGNETA.

So magst du mit ihnen allein essen. Ich und meine Tochter wollen uns bey dem Gesinde behelfen, denn es ist nicht Essen genug.

GROBIAN.

Das sollt ihr wohl bleiben lassen. Der Fremde hat viel Geld, und will er mein Schwiegersohn werden, so muß er ja wohl seine Braut sehen.

AGNETA.

Und wenn meine Tochter ewig sollte unverheirathet bleiben, so soll sie heute nicht an der Tafel kommen. Es ist in unserer ganzen Freundschaft kein Gebrauch, daß wir anders, als des Sonntags Gäste haben, und so will ich es durchaus gehalten wissen.

GROBIAN.
Du siehest aber, daß es nicht mehr zu ändern stehet.
AGNETA.
Sollte ich in der Woche rein Tischzeug und zinnerne Teller auflegen? das lasse ich wohl bleiben.
GROBIAN.

Gieb uns das faule Tischzeug und die hölzernen Teller. Es ist nichts daran gelegen so sehen sie, daß wir sparsam sind.

AGNETA.

Nein, ich will auch ausserdem keine Unordnung [18] in meinem Hause haben, und ietzt will ich selber hingehen, und ihnen die Thüre weisen. Will weggehen.

GROBIAN
hält sie.
Wo dich der Teufel nicht regiert.
7. Auftritt
Siebender Auftritt.
Susanna, Charlotte und die Vorigen.

SUSANNA.
Ach! Mama, Mama!
AGNETA.
Was wilst du?
SUSANNA.
Das ist ein artiger Mensch.
GROBIAN.
Hast du ihn gesehen?
SUSANNA.
Ja von ferne.
GROBIAN.
So gefällt er dir?
SUSANNA.
Ach ja, er ist so artig, als mein Bruder ihn mir beschrieben hat.
GROBIAN.
Da, gieb deiner Mutter gute Worte. Sie will ihm eben die Thüre weisen.
SUSANNA.
Ey warum denn, Mama?
AGNETA.

Darum, daß dein Vater sich unterstanden hat, ihn heute zu Gaste zu nöthigen, da es doch nicht Sonntag ist.

SUSANNA.

Ey nun, Mama, es ist ja etwas ausserordentliches. Ein Bräutigam wird sich ja eben nicht am Sonntage melden.

AGNETA.

Dir zu gefallen will ich es diesmal geschehen lassen, du magst dich ankleiden, und mit essen. Ich will so gleich für die Aergerniß was einnehmen, und mich damit zu Bette legen.


Agneta gehet ab.
SUSANNA.

Papa, ich habe Jungfer Charlotte holen lassen. Sie soll mir sagen, was ich mit meinem Bräutigam sprechen muß. Sie hat es aus den Büchern, und Papa weiß, daß ich nicht recht lesen kann.

GROBIAN.

Du hast wohl gethan. Jungfer Charlotte, sage sie ihr doch, wie sie mit dem Fremden und seiner Schwester umgehen muß, und was sonst nöthig [19] ist, so gut als sie es selbst machen würde, wenn sie eine reiche Braut werden sollte. Wenn die Heirath, woran kein Zweifel ist, vor sich gehet, so will ich ihr das Schaustück verehren, so ich neulich gefunden habe. Es ist schön vergöldet, und ein Jude hat mir schon 20 Schillinge dafür geboten.

CHARLOTTE.
Ihnen zu gehorsamen, ist meine Schuldigkeit.
GROBIAN
zur Susanna.

Zu gleicher Zeit kannst du dich ankleiden, und wenn du zu deinem Bräutigam kommst, so halte dich hübsch zu ihm, und sey freundlich. Jungfer Charlotte soll sich neben dich setzen, und kann dir dann und wann einige Redensarten ins Ohr sagen. Mache nur nicht, daß du Schimpf einlegest, und verhüte vor allen Dingen, daß dir der reiche Bräutigam nicht entgehet.

SUSANNA.
Wir wollen es so gut machen, als wir können.

Grobian geht ab.

Ach! Jungfer Charlotte, ein Bräutigam! das Wort klinget doch unvergleichlich! Ein Bräutigam! Ha, ha, ha! .... Aber was soll ich sagen, wenn ich zu ihm ins Zimmer komme?

CHARLOTTE.
Er wird sie ohne Zweifel erst anreden, und sagen: Er schätze sich glücklich, sie kennen zu lernen.
SUSANNA.
Sollte er mich nicht erst küssen?
CHARLOTTE.
Behüte der Himmel, wie würde sich das schicken?
SUSANNA.

Ey, warum nicht? mein Vetter Rothbart küsset mich allezeit wenn er zu mir kommt, und saget kein Wort.

CHARLOTTE.
Ihr Herr Vetter Rothbart weiß nicht zu leben.
SUSANNA.

Ey, er mag zu leben wissen oder nicht, die Mode gefällt mir gleichwol. Was habe ich von den Complimenten?

CHARLOTTE.

Wenn es ihnen nun gleich noch so wohl gefällt, so versichere ich ihnen, ihr neuer Bräutigam [20] wird es nicht thun, sondern er wird sie auf die Weise anreden, wie ich vorhin erwähnet habe.

SUSANNA.
Was soll ich denn antworten?
CHARLOTTE.

Was meinen sie wohl? wenn er zum Exempel so zu ihnen sagte: Ich habe ein besonderes Vergnügen, eine Person kennen zu lernen, von der ich mir in Ansehung ihres Herrn Bruders viel Gutes verspreche, und werde mich glücklich schätzen, wenn diese Bekanntschaft zur künftigen genauern Verbindung etwas beytragen könnte. Was wollen sie hier auf antworten?

SUSANNA.
Ich wollte antworten: Ich bedanke mich.
CHARLOTTE.

Ey, das wäre eben so viel als gar nichts. Zum wenigsten müssen sie sagen: Sie wären nicht weniger erfreuet, seine Bekanntschaft zu erhalten. Ihr Bruder hätte ihnen ebenmäßig so viel Gutes von seiner Person gesagt, daß sie gar nicht zweifelten, sein Umgang würde angenehm seyn; alsdenn müssen sie seine Schwester willkommen heissen; sie fragen: wie sie sich auf der Reise befunden; wie es ihr in Hamburg gefiele; und hören: was sie darauf zur Antwort giebt, alsdenn giebt ein Wort schon das andere.

SUSANNA.

O! das ist mir viel zu hoch. Das kann ich unmöglich behalten; und wenn ich es nicht um des Bräutigams Willen thäte, ich gienge wahrhaftig nicht ins Zimmer. Ich stehe Todes Angst aus, wenn ich daran gedenke.

CHARLOTTE.

So gehts, wenn man sich nicht sagen läßt. Ich habe sie genug gebeten, sie möchten sich ein wenig gute Lebensart angewöhnen. Nun sehen sie, wie es gehet.

SUSANNA.

Mein Vater hat immer gesagt, ich sollte einen aus unserer Verwandschaft heirathen. Das Geld müsse in der Freundschaft bleiben, und also habe ich gedacht, ich hätte es nicht nöthig. Denn wenn unsere Verwandte, Herr Murkopf und Herr Rohtbart hier kommen, so geben wir uns einander die Hände, und der eine sagt: guten Tag, wie gehts? Der andere antwortet: grossen [21] Dank, Gottlob so ziemlich. Denn setzen wir uns nieder und essen so vor uns weg. So bald wir satt sind, so stehen wir auf und geben uns wieder die Hände, und der eine sagt: grossen Dank, gute Nacht; der andere antwortet: wiederum so; und damit geht ein jeder seiner Wege. Hätte ich mir das vorstellen können, daß mein Papa mich würde ausser der Verwandschaft verheirathet haben; So hätte ich leicht ein Paar Complimente lernen können. Aber sage sie mir doch, liebe Jungfer Charlotte, kann ich nicht dann und wann meinem Bräutigam einen guten Bissen von meinem auf seinen Teller legen? Wenn mein Papa und Mama auf den Garten sind, so muß ich mit dem Gesinde speisen; und da habe ich wahrgenommen, daß der Kutscher, wenn er ein gut Stück auf seinen Teller fand, solches dem einen Mädgen, welches die andern vor seine Braut halten, auf ihren Teller legte. Bisweilen biß sie die Hälfte davon, und legte ihm die andere Hälfte wieder auf seinen Teller, die aß er denn auf; das gefiel mir, und so meinte ich, wollte ich es auch machen.

CHARLOTTE.

Dergleichen Caressen hält man Kutschern und Mägden zu gute; vor Leute von ihrem Stande aber schickt sich solches nicht.

SUSANNA.
Aber ich wollte ihm gerne etwas zu Gefallen thun, damit er merken könnte, daß ich ihn lieb hätte.
CHARLOTTE.

Je nun, das muß mit Worten geschehen, und wenn er erst zu ihnen sagen wird, daß er sie lieb hat, hernach ist es Zeit, ihm darauf zu antworten.

SUSANNA.
Je, wenn er nun gar nicht sagt, daß er mich lieb hat.
CHARLOTTE.

So ists ein Unglück, und denn hat sie nicht nöthig darauf zu antworten; oder will sie nach der neuen Mode etwan sich selbst anbieten.

SUSANNA.

Ey nun, das wäre mir ungelegen. Ich risse mir die Haare aus dem Kopfe. Nein Jungfer Charlotte, sie räthet mir nicht recht. Sie will mir nur das Glück nicht gönnen. Ich will zu unserer Köchin gehen, und will die fragen, wie sie es gemacht hat, daß der [22] Kutscher sie so lieb gewonnen, die wird mich gewiß besser belehren. Neulich spielten wir nach der Mahlzeit in der Karte Hahnrey; wer das Spiel verlohr, muste seine Nachbarn zur Rechten und zur Linken küssen, und da wuste sie es immer so zu karten, daß der Kutscher Hahnrey wurde, denn mußte er uns beyde, weil wir bey ihm sassen, küssen. Die andern kriegten nichts, ha, ha, ha!

CHARLOTTE.
Um des Himmels willen! läßt sie sich denn vom Kutscher küssen?
SUSANNA.

Je, warum nicht? Ist er nicht ein ehrlicher Mensch? Meine Mama hat schon einmal dem Spiel mit zugesehen, und wenn der Papa nicht eben gerufen hätte, so hätte sie gewiß mit gespielet.

CHARLOTTE.

Ey, ey, Jungfer Susanna! so vielen Verstand traue ich ihr doch zu, daß sie einsehen wird, wie unter ihr und dem Kutscher ein grosser Unterscheid ist.

SUSANNA.

Wie groß denn? meine Mama hat mir wohl zehnmal gesagt, daß ich darum nicht hoffärtig seyn müsse, weil unsere Abkunft von schlechten Leuten ist; und wenn ich nicht irre, so ist mein Aelter-Vater ein Schuflicker gewesen, daß nun der Himmel meinem Vater gesegnet, davor kann der Kutscher ja nicht.

CHARLOTTE.

Der Satz hat seine Richtigkeit. Jungfer Susanna, nehmen sie mirs nicht übel. Ich sage alles aus guter Meinung. Will sie es aber nicht annehmen, das stehet ihr auch frey.

SUSANNA.

Es ist schon gut. Alle Leute wissen es schon, daß sie gerne hofmeistern mag; da sie mir nichts anders sagen wollte, könnte sie nur gar still geschwiegen haben. So was brauch ich nicht. Ich weiß selber schon, was ich sagen will.


Lauft weg.
CHARLOTTE
allein.

Meine liebe Jungfer Susanna, ich merke wohl, Herr Rothbart, Herr Ehrenwehrt und der Kutscher sind alle Mannsleute bey euch. Jedoch, was soll ich sagen? Der Apfel fällt selten weit vom Stamme, und wie die Mutter ist, so erziehet sie auch die Tochter.

8. Auftritt
[23] Achter Auftritt.
Sittenreich, Charlotte.

SITTENREICH.
Wie! allein, liebste Charlotte? Wo ist meine Schwester?
CHARLOTTE.
Sie ist so eben von mir gegangen. Ich habe sie erzürnet, und es ist mir leid.
SITTENREICH.
Es ist unmöglich, daß sie jemand erzürnen können.
CHARLOTTE.

Sie erzählte mir eins und das andere von ihrer Lebensart, und ich war so unvorsichtig, ihr keinen Beyfall zu geben.

SITTENREICH.

Es ist ihrer Aufrichtigkeit und nicht ihrer Unvorsichtigkeit zuzuschreiben. Vergeben sie meiner Schwester einen Fehler, der von schlechter Erziehung herrühret. Sie weiß es nicht besser.

CHARLOTTE.

Es hat auch nichts zu bedeuten. Ich bin es schon mit ihr gewohnt. Ich werde ihr dem ohngeachtet, sogleich nachgehen.


Will weggehen.
SITTENREICH.

Erlauben sie, schönste Charlotte, daß ich sie eine kleine Weile aufhalte. Es hat seine Ursachen. Sie wissen, daß ich mich nun schon Jahr und Tag um ihre Gunst bemühet habe. Sie speisen mich stets mit zweifelhafter Hoffnung ab. Sie läugnen ihre Zuneigung nicht, und sagen doch gleichwol nicht ja. Wie lange soll ich denn in Ungewißheit leben? entdecken sie mir kürzlich die Ursachen hiervon. Zweifeln sie an meiner Aufrichtigkeit? oder misfällt ihnen meine Person? oder haben sie ihr Herz bereits anderswo verschenkt? Es scheinet gleichwol, daferne ich mich nicht so sehr schmeichele, daß keines von diesen allen ihre Einwilligung in mein, auf Tugend und Ehre gegründetes Verlangen, hindere. Sie müssen noch also ein Bedenken tragen, so mir unbekannt, und welches gleichwol ihre aufrichtige Erklärung zurück hält. Sie werden aber zu gleicher Zeit nicht unbillig finden, wenn ich mir die Entdeckung dessen, von ihnen ausbitte.

CHARLOTTE.

Ihre Forderung, mein Herr Sittenreich, [24] ist ganz billig. Sie haben recht, es ist nunmehro jährig, als sie mir ihre Zuneigung zu meiner Person entdeckten. Ich begieng den Fehler, ihnen Gehör zu geben; doch hoffe ich, die allerstrengste Damen werden solchen entschuldigen, wenn sie betrachten, daß ein reicher Herr, an dessen Person und Aufführung nicht das Geringste auszusetzen ist, sich einem armen Mädgen anbot. So bald ich Zeit hatte nachzusinnen, nahm ich mir vor, mich ihrer und meiner Regung standhaft zu widersetzen, und ihnen die Unmöglichkeit ihres Verlangens vorzustellen; indem ich aber Gelegenheit hiezu suchte, wurde ihr Herr Vater krank. Diese Krankheit dauerte über ein halbes Jahr; bald war Hoffnung zu seiner Genesung, bald zu seinem Tode. Währende dieser Zeit schnitte ich ihnen alle Gelegenheit ab, mit mir zu reden, denn die Wahrheit zu gestehen; ich wollte erst sehen, wo es mit der Krankheit ihres Herrn Vaters hinaus wollte. Anietzo da er völlig genesen ist, kann ich nicht umhin sie zu bitten, daß sie ihre Liebe von mir ab, und derjenigen Person zuwenden mögen, welcher ihr Herr Vater ihnen aussehen wird.

SITTENREICH.

So höre ich wohl, schönste Charlotte, mein Vater ist derjenige, für welchen sie sich fürchten, und um dessentwillen sie auch mir gehäßig sind.

CHARLOTTE.

Dieses nicht allein. Bedenken sie nur, daß ihr Herr Vater, so lange er lebet, nimmer in diese Heirath willigen würde. Nach seinem Sinne will er: Vors erste, daß seine Kinder sich in seiner Verwandschaft verheirathen. Vors zweete, daß beyde Partheyen gleich reich seyn sollen. Vors dritte, daß nichts ohne sein Vorwissen geschehe. Nun stellen sie sich vor, wie es ihnen gehen würde, wenn ihr Herr Vater erführe, daß sie sich auf eine ihm nicht anständige Art verheirathen wollten. Sie kennen sein hartes und unempfindliches Herz. Er würde sie ohnfehlbar enterben. Die Person, welche sie sich erwählet, wäre sodann die Ursache ihres Unfalls; die Liebe würde erkalten, und Noth und Verdruß würden die Früchte [25] einer übereilten Verbindung seyn. Ich hoffe, daß sie mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden seyn werden, so bald sie die Sache auf eben die Art einzusehen belieben werden, als ich solche bereits eingesehen habe: sogleich werden sie auch meine Aufrichtigkeit entschuldigen. Denn die Wahrheit zu sagen; ich habe mir ein Gewissen gemacht, ihnen das Geringste zu verhelen: und überdem, mit Leuten von ihrer Art, kann man aufrichtig seyn, ohne zu besorgen, daß es übel ausgeleget werde.

SITTENREICH.

Ihre Aufrichtigkeit gefällt mir ungemein, und machet, daß ich sie noch weit stärker liebe. Ihre Entschliessung aber, welche aus diesem Nachsinnen entstehet, misfällt mir aufs äusserste: denn wenn sie mich, so, wie ich sie, lieben; so bin ich entschlossen, auch wider Willen meines Vaters mich mit ihnen zu verheirathen, und alles mit ihnen auszustehen, was das Schicksal über uns verhänget hat.

CHARLOTTE.
Hiezu wird aber erst meine Einwilligung gehören.
SITTENREICH.
O! daran zweifele ich nicht mehr, nachdem sie sich einmal so gütig erkläret haben.
CHARLOTTE.

Verzeihen sie, mein Herr, das Exempel einer meiner Freundinnen, welche sich auf eben die Art, an einen jungen Herrn verheirathet, welcher deßhalben von seinem Vater, drey Tage vor seinem Ende, enterbet worden, aus Verzweiflung Kriegesdienste genommen, meine Freundin erst in Armuth, und kurze Zeit darauf vor Gram und Sorge ins Grab gestürzet hat, lieget mir in gar zu frischem Andenken, als daß ich ihr so bald nachahmen sollte.

SITTENREICH.

Alle Unternehmungen haben keinen gleichen Ausgang, und alle Menschen haben nicht einerley Schicksal. Schönste Charlotte, haben sie guten Muth, und entziehen mir nur ihre Gunst nicht. Das übrige wird sich schon finden.

CHARLOTTE.

Ich weiß hierauf weiter nichts zu sagen, als: wollte der Himmel, ihr und mein Glück stünde [26] in meinen Händen. Jedoch der Wohlstand erfordert, daß ich mich von hier begebe.

SITTENREICH.
Ich werde ihnen sogleich an der Tafel Gesellschaft leisten.

Begleitet sie bis an die Thüre.

Allein. Nun sitze ich recht zwischen zween Stühlen. Der Charlotte habe ich meine Liebe angetragen, sie schlägt solche nicht ab, und nimmt sie auch nicht an. Sie ist liebenswürdig, aber zu mei nem Unglücke verstehet sie vollkommen die Kunst, die Liebhaber mit guter Hoffnung aufzuhalten. Mein Freund, der Herr Ehrenwehrt, giebt mir ganz deutlich zu verstehen, daß er seine Schwester zu meiner Braut bestimmt. Sie ist nicht weniger liebenswürdig, und aus einer kurzen Unterredung, so ich mit ihr gepflogen, habe ich so viel Gutes wahrgenommen, daß ich Ursache hätte zu wünschen, die Charlotte nicht eher gekannt, und mich nicht mit ihr so weit eingelassen zu haben. Bey dieser wird mein Vater mir auch im Wege seyn, so wie er gerne siehet, daß ich die Carolina heirathe. Sollte Charlotte mich auch wohl recht lieben? Sollte es nicht Verstellung seyn? Sollte ich nicht einen Nebenbuhler haben? ... Nein, sie ist zu aufrichtig. Sie liebet mich, aber gar zu vorsichtig. Ohne Vorwurf kann ich sie nicht verlassen. Ich habe mir aber einmal fest vorgenommen, mich von meiner Angehörigen verdrüßlichem Umgange loß zu machen, und hiezu sehe ich ein gutes Mittel, wenn ich die Carolina heirathe. Aber wie handele ich alsdenn bey der Charlotte? Wiewol, da sie ihre Entschliessung so lange zurück hält; könnte sie es mir nicht gar sehr verargen. Mir fällt was ein. Ich will es machen, wie die heutigen neumodischen Freyer, die sich zwey, drey und mehr Bräute auf einmal anschaffen. Ja, ja, daß wird das Beste seyn. Das Glück mag den Ausschlag geben.


Gehet ab.
Ende des ersten Aufzuges.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Agneta. Susanna. Beyde geputzt.

SUSANNA.

Mama, ich habe unmöglich länger an der Tafel bleiben können. Ich weiß nicht, ob ich verrathen oder verkauft bin.

AGNETA.
Wie so, meine Tochter?
SUSANNA.

Der Fremde und mein Bruder haben lauter Zeug gesprochen, wovon ich mein Lebtage kein Wort gehöret habe. Sie redeten von Königen und Fürsten, die alle wunderliche Namen hatten; sie sprachen von Krieg und Blutvergiessen, von Türcken und Moscowitern; hernach fiengen sie von Sonne, Mond und Sterne an; hernach von Steinen, hernach vom Calender und dergleichen albern Zeug mehr, und da waren so viele lateinische Wörter mit eingemischt, daß mir übel dabey wurde. Was mich aber am meisten verdroß, war dieses: daß die fremde Jungfer und Charlotte allenthalben mit einredeten, und daß der Fremde und mein Bruder sie immer lobeten. Ich glaube auch fest, die fremde Jungfer hat sich nur so aufgeputzt. Sie wird wohl eben so ein armes Mädgen seyn, als die Charlotte ist.

AGNETA.
Woher schliessest du dieses?
SUSANNA.

Ja, Mama! weil sie von allen Sachen zu plaudern weiß, so wird sie auch sonder Zweifel viel gelesen und gelernet haben; und Mama hat mir ja immer gesagt, daß die armen Leute viel lernen müßten, und daß die Reichen solches nicht nöthig hätten.

AGNETA.

Es giebt bisweilen auch reiche Leute, die eine Ehre darin suchen, daß ihre Kinder viele Wissenschaften besitzen. Ich halte es für die größte Thorheit, und weiß meinen Eltern noch diese Stunde Dank, daß sie mich mit vielem Kopfbrechen verschonet haben. Mein Mann ist darin, Gottlob, mit mir einerley Meinung. Aber [28] sage mir, wie führete dein Vater sich bey dieser Plauderey auf?

SUSANNA.

Er hat im Anfange sich alle Mühe gegeben, mit zu sprechen. Da er merkte, daß die fremde Jungfer und mein Bruder einmal über seine Reden heimlich lächelten, wurde er ganz böse; ja ich war bange, daß es nicht gut gienge; denn er fieng schon an auf meinen Bruder zu schmälen, allein der Fremde brachte ihm geschwinde die Gesundheit aller wilden Männer; ich glaube er verstunde die Thaler, worauf wilde Männer gepräget sind, denn mein Vater wünschte sie alle zu haben, die in der Welt sind; darüber kam er auf andere Gedanken.

AGNETA.
Das war ein Glück. Aber wie führte sich der Fremde gegen dich auf?
SUSANNA.

Sehr schlecht. Er hat mich kaum angesehen; und wenn er ja einmal mit mir redete, so waren seine Worte so hoch, daß ich nichts darauf zu antworten wuste. Dagegen blieb Jungfer Charlotte ihm nichts schuldig, und er hat hundertmal mehr mit ihr, als mit mir geredet. Die Närrin! wenn sie Geld hätte, so glaube ich, sie unterstünde sich mich auszustechen.

AGNETA.
O, dafür ist dein Brautschatz Bürge. Aber wie gefällt dir sonst dein Bräutigam?
SUSANNA.

Recht gut, ich möchte ihn gerne haben. Er sieht wohl aus. Er ist auch reich, wenn er nur besser Bescheid wüste.

AGNETA.
Dein Bruder hat ja so viel von seiner guten Lebensart gerühmet.
SUSANNA.

Er mag nach seiner Art gut genug zu leben wissen, aber hier wird er damit nicht fort kommen. Er hat mich beym Essen kein einzigesmal genöthiget, ohngeachtet ich dichte bey ihm saß. Als ich neulich zur Hochzeit war, saß ein junger Mensch aus dieser Stadt bey mir, der mich auch mein Lebtage nicht gesehen hatte, der nöthigte mich bey jedem Bissen! Und was Henker! ich hätte ja müssen hungerig vom Tische gehen, wenn mich niemand genöthiget hätte. Seine Schwester weiß eben so [29] schlecht zu leben. Sie hat immer ihren Teller rein ledig gegessen, und hier ist gleichwol die Mode, daß man niemals alles aufißt, was einem vorgeleget wird, sondern allezeit ein Stück auf dem Teller liegen läßt: ja wenn sie nichts mehr vor sich hatte, so langte sie selber zu und nahm sich etwas. Sie schenkte sich auch bisweilen selber ein Glas Wein ein.

AGNETA.
Pfuy, ist das die Lebensart, die dein Bruder so gerühmet hat?
SUSANNA.

Noch mehr, Mama, er hat mich nicht einmal mit dem Fusse angestossen. Wenn mein Vetter Rothbart bey mir sitzet, und es sich eben nicht schicken will, daß wir uns oft die Hände geben; so weiß er mich so sachte mit dem Fusse anzustossen, daß michs recht erfreuet. Ja als ich heute desfals verdrießlich wurde, und um dem Fremden Gelegenheit zu geben, ihn endlich mit meinem Fusse anstieß, so zog er seinen gar weg.

AGNETA.

Der Kerl ist wohl gar ein Flegel. Doch laß dich den schlechten Anfang deiner Heirath nicht verdriessen, wenn darum ein Paar aus euch geworden ist: so wollen wir deinem Liebsten bald unsere Weise beybringen. Hat er nur erst die Anwerbung gethan, und das Jawort erhalten; hernach soll er schon nach unserer Pfeife tanzen. Habe ich deinen Vater allein können zu rechte bringen; so werden wir diesen auch wohl zwingen, denn unserer sind zwo. Dieser hatte auch viele üble Gewohnheiten an sich, allein ich wuste sie ihm mit List bald abzugewöhnen. Vors erste jagte ich alle seine alte Bediente, sie mochten so gut seyn als sie wollten, einen nach den andern zum Hause hinaus, und schaffte mir neue hinein. Vors andere hielte ich ihn mit guten Worten von den Gesellschaften ausser Hause, worin er vor dem gegangen war, ab. Nun hatte er noch ein paar gute Freunde, die ihm dann und wann im Hause besuchten, diese verläumdete ich so lange, bis er auch die abschaffte. Pferde, Hunde, und alles woran er bisher Vergnügen gefunden hatte, wuste ich ihm nach und nach so leid zu machen, [30] daß er zuletzt niemand, als mich hatte, mit dem er umgehen konnte. Mit Hülfe meiner Verwandten habe ich es endlich so weit gebracht, daß er alle Gewohnheiten, so bey uns gebräuchlich sind, angenommen hat; und nun ist es so weit gekommen, daß ich ihm nicht rathen wollte, etwas wider meinen Willen zu thun.

SUSANNA.

Ja, Mama, wenn es erst so weit wäre, so gienge das vielleicht mit mir und meinem Bräutigam auch an, aber die Sache siehet noch verzweifelt weitläuftig aus.

AGNETA.

Ey, das hat nichts zu bedeuten. Es hat mir geahnet, daß ich heute ein Glück erleben soll; und du weist, wenn mir was ahnet, so triffts immer ein. Neulich ahnte mir des Morgens, daß wir Fremde kriegen sollten. Ich machte darum eine kleine Pastete, und setzte sie in die Speisekammer. Es kamen zwar keine Fremde, und ihr lachtet darüber: allein, als ich des Abends nach meiner Pastete sehen wollte, saß ordentlich eine fremde Katze dabey, und fraß, was sie konnte; und also war meine Ahndung doch eingetroffen. Diese Nacht hat mir von nichts als faulen Eyern geträumet, und alle meine Traumbücher sagen, daß dieses eine Braut im Hause bedeute. Sey nur gutes Muths, die Sache wird sich bald ausweisen.

2. Auftritt
Zweeter Auftritt.
Grobian. Und die Vorigen.

GROBIAN.

Zeit meines Lebens hat mir keine Mahlzeit so schlecht geschmecket, als die heutige. Der Henker in der Hölle hat den Schnickschnack erdacht, den ich über Tisch habe anhören müssen. Was Teufel gehen mich die Sterne und die Confusion der Planeten an? Meinetwegen mag der Türke sechs oder sieben Bürgen haben, und wenn er einen grossen Ofen hat, so mag er auch sehen, wo er Holz zum Einhitzen kriegt. Ich wollte, daß dem ersten, der in meiner Gegenwart von Staatssachen redet, die [31] Zunge im Halse verlähmte. Zur Susanna. Du hast dich auch aufgeführet, wie ein Beest. Läufst vom Tische, wie die Mahlzeit halb war.

SUSANNA.

Ey, Papa wer konnte den Wind anhören? es war mir gleichfalls ärgerlich. Wenn noch einer so vernünftig gewesen wäre, und hätte das Essen gelobet, wie unsere andere Freunde thun, die hier bisweilen kommen, oder hätte nach unserm Gesinde gefraget, oder ob unsere Hüner gut legten, so hätte man noch mit einsprechen können: allein von allem, was heute vorfiel, habe ich kein Wort verstanden, und als mir endlich die Zeit lang wurde, lief ich gar davon.

GROBIAN.

Da, ruf mir deinen Bruder heraus, und bleibe so lange bey denen Fremden, und höre wohl zu, was dein Bräutigam saget. Stelle dich nur freundlich gegen ihn, so wird er ja endlich das Maul aufthun, und sein Gewerbe anbringen, warum er hergekommen ist.


Susanna gehet ab.

Ist das nicht ein Leben, die Hauptsache versäumen wir, und plaudern von Dingen, die uns nicht angehen. Von der Philosophie, von der Mathematischen Poesie, vom grossen Cometen uud Klipfisch am Himmel, und wie der Ouark alle heißt. Ich hätte meinem Sohne gerne ein paar Ohrfeigen gegeben, wenn ich es nicht aus Furcht, die Fremden möchten sich daran stossen, unterlassen hätte. Zur Agneta. Nun, liebe Frau, wie stehts mit deiner Gesundheit?

AGNETA.
Es ist ein wenig besser.
GROBIAN.

Gottlob! Ich bin deinetwegen recht besorgt gewesen. Ich gedenke aber, ich werde mich nun an deine Stelle müssen ins Bett legen.

AGNETA.
Hast du dich denn so sehr geärgert?
GROBIAN.

Je, das möchte den Henker nicht verdriessen. Der Kerl kommt da her und will meine Toter heirathen, und wenn es ans Klappen gehet, so fängt er ein Wischewasche von Dingen an, die keinem vernünftigen Menschen etwas angehen. Mein Sohn desgleichen. [32] Ich habe ihm hinters Ohr gesteckt, er solle sich an die Schwester machen, so sitzt er da und unterstützt den andern in seiner albernen Plauderey, und haben mich zum Narren. Wo die Schurken sich einbilden, daß sie ihre Gelehrsamkeit vor mir wollen sehen lassen; so wollte ich, daß sie samt ihrer Gelehrsamkeit im Galgen vertrockneten.

AGNETA.

Je, nun, lieber Mann! ärgere dich nur nicht mehr. Es liegt blos daran, daß ich nur nicht dabey gewesen bin. So bald ich mich ins Spiel mischen werde, soll es ganz anders kommen.

GROBIAN.
Nun, nun, mich soll denn verlangen, was du wirst für Künste sehen lassen.
AGNETA.

Ey, ey, besinne dich nur, wie es uns selber ergangen ist, als wir uns heiratheten. Mein Lebtage wäre aus uns kein Paar geworden, wenn meine Mutter nicht das Beste gethan hätte. Ja wenn die Eltern nicht klüger wären, als die Kinder, so würde es oft toll aussehen.

GROBIAN.

Ja, wenn ich zurück denke, so habe ich Ursache deiner Mutter zu danken. Denn als ich nicht wuste, wie ich die Sache angreifen sollte, und unsere Heirath vor sehr weitläuftig, ja vor ungewiß ansahe, überrumpelte deine Mutter mich und meine Eltern, und die Sache war richtig, ehe ichs mich versahe. Sie war gewiß eine vernünftige Frau in Puncto des Kuppelns. Es ist Schade, daß sie in der Erde verfaulen soll.

AGNETA.

Meine Mutter hat mir die Regeln des Kuppelns selber beygebracht, und also werde ich das Handwerk ja wol verstehen. Höre nur an: Wenn wir ietzo werden Caffee trinken, so will ich mit dabey seyn; und da soll es nicht fünf Minuten währen, so will ich unsere eigene Tochter, in des Fremden Namen, um die Ehe ansprechen. O, wie lange ist die Mode schon gewesen, daß die Heirathen von Seiten der Braut gesucht werden. Wenn die Mädgen immer so lange warten sollten, bis der Bräutigam sie selber anspricht, so würde aus mancher Heirath in Ewigkeit nichts werden. Die Mannspersonen sind oft blöde, da muß man ihnen zu Hülfe kommen.

[33]
GROBIAN.

Ich wünsche dir Glück zu deinem Vorhaben. Ich habe dich immer vor eine vernünftige Frau gehalten, und die Wahrheit zu sagen, das Kuppeln kleidet auch die Frau besser, als den Mann.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Sittenreich und die Vorigen.

SITTENREICH.
Was beliebet dem Herrn Vater?
GROBIAN.

Es ist dein Glück, daß du nicht ein paar Minuten eher gekommen bist. Deine Mutter hat mich eben besänftiget; sonst würde es toll ausgesehen haben. Habt ihr Teufelskinder euch beredet, daß ihr mich zum Narren haben wollt? Was vor Possen habt ihr diesen Mittag vorgehabt? Meinet ihr, daß mit euerer Freierey ein ganzes Jahr vergehen soll? Ich will noch heute ein Ende darin wissen, oder das Wetter soll darein schlagen.

SITTENREICH.

Ja, Herr Vater, das läßt sich ja nicht zwingen. Herr Ehrenwehrt muß ja erst meine Schwester kennen lernen. Er wird ja nicht so hinein platzen.

GROBIAN.

Bist du toll, oder was schadet dir? hat er nicht so viel Vertrauen zu dir, daß er glaubet, daß sie Geld hat?

SITTENREICH.

So denkt der Herr Ehrenwehrt nicht. Es ist ihm nicht ums Geld zu thun. Er siehet hauptsächlich aufs Gemüth.

GROBIAN.

So ist er ein Narr, wie du bist. Was Teufel, als ich meine Frau heirathete, war keine andere Frage, als: Wieviel Geld ist da? Wir hatten uns wohl von ferne gesehen, aber niemals gesprochen. Ihre und meine Eltern kamen zusammen, und wir hatten ein jeder einen Ring mitgebracht. Die Eltern führten das Wort und wir vertauschten die Ringe, ohne das Geringste zu sprechen. Ja ich erinnere mich, daß unsere Verwandte uns brav vexirten, da wir so gar denselben ganzen Abend nicht mit einander sprachen. Dem ohngeachtet sind wir nachhero bekannt genug geworden, und da war mehr als [34] zu viel Zeit, dasjenige mit einander zu sprechen, was wir uns zu sagen hatten. Und Trotz sey dem geboten, der auf unsere Lebensart was zu sagen hat. Die Ehen werden im Himmel gemacht. Aber ihr junge Narren wollet alles vorher untersuchen. Darüber gehet manche schöne Heirath zurück.

SITTENREICH.

Aber Herr Vater, woher kommen denn die unglücklichen Ehen? Ich sollte meinen, aus Ungleichheit der Gemüther.

GROBIAN.

Halts Maul. Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst nicht raisoniren. Wenn Geld und Geld zusammen kommt, das giebt die besten Ehen. Die Gemüther sind eine Nebensache. Aber sage mir, hast du auf Universitäten auch gelernet, daß der Sohn dem Vater gehorsam seyn soll?

SITTENREICH.
O, das verstehet sich, in billigen Dingen.
GROBIAN.
So will ich, daß du noch heute des Herrn Ehrenwehrts Schwester um die Ehe ansprichst.
SITTENREICH.
Herr Vater, ich habe keine Lust zum Heirathen. Ich finde mehr Vergnügen am ledigen Stande.
GROBIAN.
Vergnügen hin, Vergnügen her. Ich befehle es dir, und deine Mutter will es auch.
AGNETA.

Ja, lieber Sohn, wenn ihr wünscht, daß es euch wohl gehen soll; so thut eurer Eltern Willen. Ihr kriegt ja alles, was ihr verlangen könnet. Eure Braut ist, wie ich höre, schön und reich.

SITTENREICH.

Wenn der Herr Vater und die Frau Mutter so hart darauf dringen, so will ich mein Heil versuchen. Wie aber, wenn sie mir eine abschlägige Antwort giebt?

AGNETA.

O, dafür laßt mich sorgen. Ich will sogleich Caffee mit euch trinken, und da sollt ihr sehen, wie ich das Wort für euch führen will.


Gehet ab.
GROBIAN.

Ich muß doch gewiß ein gedoppelt rechtschaffener Mann seyn: weil der Himmel mir auf einmal ein gedoppeltes Glück bescheret. Nun, du hast studiret, lege mir das einmal aus.

[35]
SITTENREICH.
Der Herr Vater ist reich und ...
GROBIAN.
Heraus damit.
SITTENREICH.
Reich und gei ...
GROBIAN.
Willt du es sagen oder nicht?
SITTENREICH.
Reich und sparsam.
GROBIAN.

Gelt, du bist nach gerade mit mir einerley Meinung, daß nichts mehr Vergnügen bringet, als wenn man viel Geld hat, und täglich was dazu erobert.

SITTENREICH.
Ja, wenns mit gutem Gewissen geschiehet.
GROBIAN.
Was ist das vor ein Ding, das Gewissen?
SITTENREICH.

Das Gewissen überhaupt ist eine beständige Erinnerung des Guten und Bösen, so wir verrichtet haben; und einem Wucherer, wovon hier die Rede ist, wird es fleißig vorhalten, ob er erlaubte oder unerlaubte Zinsen von seinem Gelde genommen hat. In dem ersten Falle heißt es ein gutes, und in dem zweeten ein böses Gewissen.

GROBIAN.

O, so habe ich ein gutes Gewissen, denn ich habe mein Lebtage nicht über 10 pro Cento auf Pfand genommen. Wenn man einmal minderjährigen, oder andern Leuten, die in Noth sind, hundert Rthlr. vorschiebt, und läßt sich hundert Ducaten dafür verschreiben, das kann nicht gerechnet werden, denn solches sind ausserordentliche Zufälle, und kommen, leider! sehr selten vor. Doch wieder auf unsere vorige Materie zu kommen; sollte es dem Herrn Ehrenwehrt wohl ein rechter Ernst um deine Schwester seyn? Ich will ja nimmer hoffen, daß du mir was weiß gemacht hast. Ich hienge dich auf, und mich dabey.

SITTENREICH.

Ey, Herr Vater, was sind das für argwöhnische Gedanken. Was hätte ich denn vor Ursache, dem Herrn Vater was weiß zu machen?

GROBIAN.

Vielleicht deine Freunde dann und wann zu Gaste zu bitten, und mir auf die Weise das Geld aus dem Beutel zu vexiren.

SITTENREICH.

Das wäre eine schlechte Sache. Es verlohnet sich wol der Mühe, von einer Mahlzeit zu [36] reden. Wenn es nichts anders gewesen wäre, so hätte ich es dem Herrn Vater gesagt. Er hätte meinen alten Bekannten doch wol ein paar Mal zum Essen genöthiget.

GROBIAN.

Das hätte ich wohl bleiben lassen. Meinest du, daß Mahlzeiten kein Geld kosten? Ist mir nicht diesen Mittag eine ganze Boutellie Wein darauf gegangen? Und kurz von der Sache zu reden: Wenn du mich die Wahrheit gesaget hast, so will auch noch heute ein Ende darin wissen, oder ...

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Gutherz und die Vorigen.

GUTHERZ.
Lieber Schwager, ich freue mich, daß ich sie noch bey guter Gesundheit sehe.
GROBIAN.

Nun, das gestehe ich! Ich dachte, sie wären mir ganz böse; Haben sie nicht wider meiner Frau gesagt: Ich hätte sie beleidigt? Wie ist es denn möglich, daß sie zu mir kommen, da sie kaum merken, daß ich Lust habe, mich mit ihnen zu vertragen?

GUTHERZ.
Ich habe gehöret, daß sie diesen Morgen in meinem Hause gewesen sind.
GROBIAN.
Ha, ha, da kommts her. Ihnen ist mit der Ehre gedienet.
GUTHERZ.
Keinesweges.
GROBIAN.

Meinen andern Schwägern soll es auch so gut nicht werden, kommen sie nicht erst zu mir: ein Schelm, der sich mit ihnen verträgt.

GUTHERZ.
Ich glaube, sie haben ihnen eben so viel zu leide gethan, als ich.
GROBIAN.

Das thut zur Sache nichts. Ich bin der Reichste unter ihnen, und also gebühret mir auch die größte Ehre.

GUTHERZ.

Das ist eine schlechte Folge. Doch begnüge ich mich damit, wenn sie mir das Zeugniß geben, daß ich mich jederzeit gegen sie als ein rechtschaffener Freund bewiesen habe.

[37]
GROBIAN.

Ich habe keine andere Ursache, als sie für meinen liebsten Schwager zu halten, und werde es auch künftig thun, wenn sie mir nur noch diesmal einen Gefallen erweisen wollen.

GUTHERZ.
Von Herzen gerne; sagen sie mir nur, worin der Dienst bestehen soll.
GROBIAN.

Der junge Ehrenwehrt von Leipzig und seine Schwester sind hier gekommen. Mein Sohn hat mir gesagt, daß es blos darum geschehen ist, weil er meine Tochter heirathen will; und ich bin nicht allein Willens, ihm meine Tochter zu geben; sondern ich sähe auch gerne, daß mein Sohn seine Schwester heirathete. Denken sie, welch eine vortrefliche Sache wäre das! Ihr Vater hat ihnen vier Tonnen Goldes hinterlassen.

GUTHERZ.

Herr Ehrenwehrt aus Leipzig will ihre Tochter heirathen? Ich habe viel Gutes von ihm gehöret. Ey, beschreiben sie mir einmal seine Aufführung. Wie gefällt er ihnen?

GROBIAN.
Er ist mit einem Worte ein Narr, er hat studieret.
GUTHERZ.
Wollen sie denn ihre Tochter einem Narren geben?
GROBIAN.
Er ist ein reicher Narr. Wäre er ein armer, so möchte er wieder hingehen, wo er hergekommen ist.
GUTHERZ.

So, so. Aber hat er denn ihre Tochter schon angesprochen, und will er ihrem Sohne seine Schwester geben?

GROBIAN.

Das ist es eben, worin sie uns behülflich seyn sollen. Die Sache siehet sonst noch weitläuftig aus. Sie haben diesen Mittag mit uns gespeiset, und da ist nichts vorgefallen. Sie kennen mich. Mir ist nichts verdrießlicher, als das lange Zaudern, zumal wenn es einem Unkosten verursachet. Da haben sie mir schon den ganzen Tag auf die Küche gelegen, und mir würde ein schlechter Gefallen geschehen, wenn dieses oft kommen sollte.

[38]
GUTHERZ
zum Sittenreich.

Was sagen sie denn dazu, mein Vetter? Sollte Herr Ehrenwehrt ihnen wohl seine Schwester geben, und die ihrige dagegen heirathen?

SITTENREICH.

Daß er in der Absicht hieher gekommen ist, um sie zu sehen, das kann ich ihnen versichern; ob sie ihm aber anstehe und ob er sie heirathen wird, desgleichen, ob seine Schwester mich liebet, das alles sind Dinge, welche der Erfolg lehren wird. Der Herr Vater ist ein bißgen allzueilig.

GROBIAN.

Und du bist eine alte Hure. Was Teufel, hier sind ja Umstände, wo es keiner Weitläufigkeit bedarf. Ihr habt alle vier Geld. Ist das nicht genug? Hören sie, lieber Schwager, ich verlasse mich auf sie. Sie sind ein vernünftiger Mann, sie werdens so machen, daß ich noch heute ein Ende darin sehe.


Gehet ab.
GUTHERZ.

Lieber Vetter, nachdem sie mich vor einiger Zeit zum Vertrauten ihrer Geheimnisse in Ansehung des Liebesverständnisses mit der Jungfer Charlotte gemacht haben: so habe ich nicht ermangelt, solche theils bey mir zu überlegen, theils auch bey der Jungfer Charlotte mich selber zu erkundigen, wie sie gegen ihnen gesinnet sey. Um ihnen nur also mit kurzem meine Meinung zu eröffnen; so wissen sie: daß ich sie gleich vor dem Eintritt in diesen Saal gesprochen, und aus ihren Reden so viel vernommen habe, daß sie ohne Einwilligung ihres Herrn Vaters sich nicht entschliessen will, in ihren Antrag zu willigen. Wenn nun des Herrn Ehrenwehrts Jungfer Schwester ihren Augen so wohl gefiele, als die Jungfer Charlotte: so wäre mein Rath, ihr Glück bey dieser zu versuchen. Ihre Hauptabsicht ist doch nur, sich des verdrießlichen Umganges ihrer Angehörigen zu entziehen. Und da die Jungfer Charlotte sie schon so lange aufgehalten hat, so sind sie gar nicht an sie gebunden. Gesetzt auch, sie schmeichelten sich mit der Hoffnung, daß sie dieselbe endlich überredeten, wiewol es nicht unmöglich wäre: So stellen sie sich dagegen die Schwürigkeiten vor, ihres Herrn Vaters Einwilligung zu erhalten. Ich bekenne in diesem Stücke mein [39] Unvermögen. Ueberlegen sie es kürzlich. Erwägen sie aber hauptsächlich, daß sie nicht alle Tage eine so schöne Gelegenheit haben, ihren Zweck zu erreichen.

SITTENREICH.

Lieber Herr Oheim, ich habe die Sache bereits auf eben die Art überleget; ich habe auch schon dieselbe Entschliessung gefasset, und nur gewartet, daß sie durch ihren allezeit treuen Rath mich darin stärken möchten. Ja, ich will der Carolina mein Herz anbieten, und hoffe glücklich zu seyn. Sie hat eben so viel reizendes, als die Charlotte, und ihr Besitz wird mir durch die Einwilligung meines Vaters leicht gemacht. Nur fürchte ich, daß Charlotte mich einer Untreue beschuldigen möchte, und also erachte vorher nothwendig zu seyn, ihr mein Vorhaben zu eröffnen.

GUTHERZ.

Nein, das finde ich nicht rathsam. Ich will es schon bey ihr verantworten, und hernach mich auch ihrer annehmen.

SITTENREICH.
Ich nehme ihren guten Rath denn als einen Befehl an.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Agneta und die Vorigen.

AGNETA.
Guten Tag, mein lieber Bruder! Es ist mir lieb euch wohl zu sehen. Woher hat man das Glück?
GUTHERZ.
Es ist ein Glück, welches ihr so oft haben könnet, als ihr es verlanget, liebe Schwester.
AGNETA.
O, ihr seyd immer hönisch.
GUTHERZ.
Ey, versteht mich doch einmal.
AGNETA.
Ey, was verstehen? Alle Leute können nicht so viel verstehen, als ihr.
GUTHERZ.
Wer den Verstand hätte, der uns beyden fehlet, der hätte mehr als wir.
AGNETA.

Ich habe Verstand genug. Wenn ich meinem Mann gefalle, so bin ich zufrieden. Aber wenn ihr hieher kommt, so ist immer genug über mich zu klagen.

GUTHERZ.

Ich habe dann und wann von der schlechten [40] Kinderzucht gesprochen, dazu hat mich mein Gewissen verbunden: denn hievon entstehet alles Böse, was in der Welt ist.

AGNETA.

Ich habe bey der Erziehung meiner Tochter keinen Hofmeister nöthig gehabt. Sie kann so viele Gerichte kochen, als Tage in der Woche sind, und ich und mein Mann essen, Jahr aus Jahr ein, immer einerley; das wird sich mein künftiger Schwiegersohn auch gefallen lassen. Sie kann stricken und nähen. Sie singet Vor- und Nachmittage mit mir ein Lied. Sie liebet die Einsamkeit, und geht lieber mit geringen Leuten um, als in grossen vornehmen Gesellschaften. Sie spielet nicht um Geld; sondern irgend um einen Kuß oder so was. Sie trinkt nicht, ausser dann und wann ein Glas Branntwein, um den Wein zu ersparen. Wie soll ein Frauenzimmer besser beschaffen seyn?

GUTHERZ.

Es ist zu späte ietzo davon zu reden. Die Früchte dieser Erziehung werden sich künftig zeigen. Ich bin überdem aus keiner andern Absicht hergekommen, als unsere Freundschaft zu erneuern, und euch zu dem Vorhaben, eure Kinder zu versorgen, Glück zu wünschen.

AGNETA.

Da seht ihrs nun, daß meine Tochter gleichwol einen Mann kriegt, ohngeachtet sie so schlecht erzogen ist.

GUTHERZ.
Ist es denn damit genug, daß sie einen Mann kriegt? Daran habe ich niemals gezweifelt.
AGNETA.
Ja was hat das Frauenzimmer weiter vor Glück in der Welt zu erwarten, als einen Mann zu kriegen?
GUTHERZ.

Bleibet nur bey euren Meinungen. Ich werde doch nicht vermögend seyn, euch des Gegentheils zu überführen.

AGNETA.

Das will ich auch. Es ist mir bishero gut dabey gegangen, ich werde auch ferner wohl dabey fahren. Zum Sittenreich. Ach denkt doch, mein Sohn, welch ein Unglück! Ich habe zu meiner alten Muhme geschickt, und fragen lassen, wie man sich verhalten müsse, wenn Sohn und Tochter in einem Hause zu gleicher Zeit versprochen [41] sind. Da kriege ich zur Antwort: In einigen achzig Jahren wäre dergleichen Exempel ihres Wissens nicht vorgekommen. Nun weiß ich mich bey niemand anders Raths zu erholen. Denn dies ist die einige Frau, die das Herkommen und den Schlendrian recht aus dem Grunde verstehet. O, was müssen Eltern um ihrer Kinder willen nicht manche Sorgenvolle Stunde haben!

SITTENREICH.
Ey, Frau Mutter, wir wollens machen, so gut wir können.
AGNETA.
Ey, wir wollen uns auslachen lassen?
SITTENREICH.
Wer fraget nach närrischer Leute Gelächter?
AGNETA.

Ich war neulich auf einen Besuch einer Kindbetterin, da waren die klügste und vornehmste Frauen von der ganzen Stadt, die hatten über funfzig Fehler angemerket, die sich bey allerhand Freuden- und Trauerfällen zugetragen hatten. Solte ich auch so über ihre Zunge springen? ich müßte mich wahrhaftig todt schämen.

GUTHERZ.
Ja, ja, in den Wochenstuben ist der Sitz der Weisheit.
AGNETA.

Das geht euch schon wieder nichts an. Genug, ich will so lange nachfragen, bis ich weiß, was das alte Herkommen in diesem Stücke erfordert. Ein anderer kann thun, was er will.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Ehrenwehrt, Carolina, die Vorigen.

SITTENREICH
zum Gutherz.

Lieber Oheim, da ist der Herr Ehrenwehrt und seine Jungfer Schwester.Zum Ehrenwehrt. Lieber Bruder, das ist meine Mutter, und das ist der Herr Gutherz, mein Oheim.

EHRENWEHRT.
Ich schätze mich glücklich, sie kennen zu lernen.
AGNETA
neigt sich.
Ich bedanke mich.
CAROLINA.
Ich erfreue mich gleichfals, mit ihnen bekannt zu werden.
[42]
AGNETA.
Ich bedanke mich.
EHRENWEHRT.
Wir beklagen, daß wir ihrer Gesellschaft bey der Tafel haben entbehren müssen.
AGNETA.
Ich bedanke mich.
CAROLINA.
Man sagte uns, daß sie unpäßlich wären, und es soll mir lieb seyn zu hören, daß es sich gebessert.
AGNETA.
Ich bedanke mich.
EHRENWEHRT.

Wir bedauren inzwischen, daß wir Ungelegenheit verursachet haben, doch es ist auf Befehl des Herrn Liebsten geschehen.

AGNETA.
Ich bedanke mich.
CAROLINA.
Wir haben die Güte zu rühmen, so uns dero Herr Liebster erwiesen.
AGNETA.
Ich bedanke mich.
EHRENWEHRT.

Die Bekanntschaft mit dem Herrn Sohne, so ich zu Leipzig erhalten, hat mich begierig gemacht, auch dessen wehrte Angehörige zu kennen.

AGNETA.
Ich bedanke mich.
CAROLINA.
Sie haben ein überaus wohleingerichtetes Haus.
AGNETA.

Ich bedanke mich. Ich bitte gleichwol nicht übel zu deuten, daß es so unrein aussiehet, und daß die Vorhänge abgenommen sind. Wir haben mit der Wäsche zu thun.

EHRENWEHRT.
O, das haben wir nicht einmal bemerket. Der Umgang mit wackern Leuten ist alles, was wir suchen.
GUTHERZ.
So ist ihnen die heutige Tischgesellschaft, ohne Zweifel, sehr angenehm gewesen?
EHRENWEHRT.

O ja, wenn man einen alten Bekannten zum erstenmale wieder siehet, und ein artiges Frauenzimmer zugleich antrifft, da kann es nicht anders seyn.

AGNETA.
Mein Herr, sie müssen sich in Hamburg verheirathen, weil ihnen unser Frauenzimmer so wohl gefällt.
EHRENWEHRT.
Ich höre, es werden hier viele Umstände dazu erfordert.
[43]
AGNETA.

Ach nein; wenn ich zum Exempel meine Tochter verheirathen sollte, dazu würde nicht viel Weitläuftigkeit gehören. Ihre ganze Aussteuer ist fertig. Ich gebe ihr von jedem Stücke sechs Dutzend mit, und am baaren Gelde, 20000. Rthlr. Das ist fürwahr keine schlechte Parthie. Und wenn ein braver Mann käme, der uns gefiele: so sollte er noch heute das Jawort haben.

EHRENWEHRT.
Das Glück wollte ich wohl einem Menschen gönnen, der ihrer wehrt wäre.
AGNETA.

Ach ja, mein Herr, wenn sie etwa einen guten Bräutigam für sie wissen; so will ich bitten, uns solchen vorzuschlagen.

EHRENWEHRT.
O, da wird sich leicht einer finden. Ich will mich nur ein wenig besinnen.
AGNETA.

Vor ihre Ehrlichkeit stehe ich ein. Hier kommt keine fremde Mannsperson ins Haus, ausser ein Paar von unserer Freundschaft, und von denen ich nichts zu befürchten habe.

EHRENWEHRT.

Ey, solche Gedanken muß man sich nicht in den Kopf setzen. Das Vertrauen zu einer wohlerzogenen Tochter muß stärker seyn, als die Furcht für alle Mannspersonen in der Welt.

AGNETA.

Ja, ja, aber Gelegenheit macht doch Diebe. Ich weiß, was ich in meiner Jugend für Anfechtung gehabt habe. Und wenn ich von meiner Tochter Ehre, Rede und Antwort geben soll, so muß ich sie selbst hüten. Dieses habe ich auch so viel möglich gethan. Wenn ich sie aber unumgänglich aus den Augen habe lassen müssen; so habe ich ihr eine alte Amme zur Aufseherin bestellet. Dieses Mensch ist mir so getreu, daß sie eher ihr Leben liesse, als zugäbe, daß einer meine Tochter nur anrührete.

EHRENWEHRT.
Auf diese Weise ist sie in guten Händen gewesen.
AGNETA.

O ja, die gute Amme ist in ihrer Jugend selbst ... betrogen worden, und also kann sie aus der Erfahrung warnen.

[44]
EHRENWEHRT.
Die Eltern sind glücklich, welche Freude an ihren Kindern erleben.
AGNETA.

Meine Tochter hat sich von Jugend auf bemühet, mir ähnlich zu werden. Das ist alles, was man mit Recht von Kindern fodern kann, und ich versichere ihnen, sie ist gar nicht aus der Art geschlagen. Der Verstand aber kommt nicht vor den Jahren; und das Gute, so sie noch nicht von mir angenommen hat, wird sie gewiß mit der Zeit kriegen.

EHRENWEHRT.
O, so wird sie vollkommen so werden, als ihre Mutter ist.
AGNETA.
Ich bedanke mich.
EHRENWEHRT
zur Carolina.

Liebe Schwester, verweilet ein wenig hier, und höret, was die Frau Agneta euch vor gute Lehren giebt, ich will nur ein paar Worte mit Herrn Sittenreich allein reden.

GUTHERZ.
Ich werde sie begleiten, denn ich habe ihnen beyden etwas zu sagen.

Ehrenwehrt, Sittenreich und Gutherz gehen ab.
AGNETA.
Nun meine liebe Jungfer Carolina, wie gefällt es ihnen in unserer Stadt?
CAROLINA.
Ich kann noch nicht viel davon sagen. Ich bin eine sehr kurze Zeit hier.
AGNETA.
Aber wie gefällt es ihnen denn in meinem Hause?
CAROLINA.
Was ich bishero gesehen, gefällt mir sehr wohl.
AGNETA.

Sie werden einen grossen Unterscheid finden, wenn sie erst zu andern Leuten kommen werden. In unserm Hause gehet alles ganz ordentlich zu. Solten sie nur in unsers Nachbarn Haus kommen; sie würden eine Lebensart finden, daß sie sich wundern müsten. Fremde Leute kommen da mehr, als Verwandte; in unserm Hause darf kein Fremder riechen. Hunderterley Essen wird da gekocht, wovon wir unser Lebtage nicht einmal den Namen gehöret haben. Da wird der beste Wein getrunken, wenn wir uns mit Bier vergnügen. Da sind [45] die neuesten Moden von Kleidungen. Wenn wir einmal zur Hochzeit oder auf eine Gasterey gehen; so borgen wir den Schmuck von den Galanteriehändlern, unter dem Vorwande, als wollten wir ihn kaufen, schicken ihn aber des andern Tages wieder hin, und lassen sagen: er hätte uns nicht angestanden. Uns darf niemand was übel nehmen, denn wir sind reiche Leute. Wenn wir nun des Abends gewöhnlichermassen um neun Uhr, um das Licht zu ersparen, zu Bette gehen; so sitzen sie noch ein paar Stunde und lachen. In unserm Hause wird gar nicht gelacht. Wenn vor den Armen gesammlet wird, geben wir einen Sechsling, und sie einen Gulden. Mein Mann kann sich nicht genug darüber verwundern. Er hat vor zehn Jahren schon prophezeyet, daß diese Leute zum Thore hinaus gehen würden; sie leben aber noch auf eine Weise, und bleiben doch im Lande.

CAROLINA.
Ohne Zweifel werden die Leute sehr reich seyn.
AGNETA.

O nein! Sowohl der Mann als die Frau haben wenig Vermögen gehabt, als sie sich geheirathet haben; und dieses verdriesset eben meinem Manne, daß er von seinem grossen Gelde das nicht thun kann, was diese Leute von ihrem mittelmäßigen Vermögen thun.

CAROLINA.
So werden sie ihre Kinder sonder Zweifel auch wohl erziehen?
AGNETA.

Sie haben nur eine Tochter, der halten sie wohl ein halb Dutzend Lehrmeister. Mein Mann hat ausgerechnet, wenn man jährlich hundert Reichsthaler an einem Kinde ersparet, daß solches in einer Zeit von zwölf Jahren, nebst der Zinse, die er mit diesem Gelde erwerben kann, wenigstens dreytausend Reichsthaler betrüge. Wenn man die zum Brautschatze legt, ist das nicht besser als alle Wissenschaften?

CAROLINA.

Ja, ja, mit Geld kann man vieles ausrichten, aber Geld und gute Erziehung kann auch wohl beysammen stehen.

AGNETA.

In unserer Verwandschaft werden alle[46] Töchter nach einer Weise erzogen. Und denken sie nur, wenn wir zusammen kämen, und ein Mädgen wollte es dem andern in der Lebensart zuvor thun; würde es nicht hundert Stichelreden, ja gar eine ewige Feindschaft setzen?

CAROLINA.
Hievon zu urtheilen, bin ich zu ungeschickt.
AGNETA.

Wenn man sich in allen Fällen nach seinen Verwandten richtet, das träget viel zum Hausfrieden bey. Man hat einerley Ordnung, einerley Gewohnheit, einerley Lebensart. Wir halten so streng darüber, daß wir unter uns verabredet, keinen Fremden in unsere Gesellschaft zu bringen. Wer Henker wollte sich alle Augenblicke auslachen lassen? Es kommen so viele neue Redensarten, so viele neue Moden bey Tische und andern Gelegenheiten vor, daß man bis an sein Ende lernen müste. Wozu soll die Unglegenheit? Wenn man bleibt, wie man ist, so darf man sich den Kopf nicht zerbrechen.

CAROLINA.
Ganz recht.
AGNETA.

Ueberdem sagt mein Mann immer, daß man von Fremden die Verschwendung lernet; und wenn wir allein sind, so reden wir von nichts, als von der Sparsamkeit.

CAROLINA.

Solche reiche Leute, wie sie sind, haben ja nicht nöthig, sich unnöthige Sorgen zu machen. Was sollen denn die Armen thun?

AGNETA.

Ey, sagen sie das nicht. Es läßt sich ein Königreich verzehren. Mein Mann spricht immer von schlechten Zeiten. Er hat das letzte Jahr 50. Reichsthaler weniger eingenommen, als das vorige; die habe ich müssen in der Haushaltung ersparen, kostet das kein Kopfbrechen? Der Himmel gebe meinem Sohne eine Frau, die es mit ihm so redlich meinet, als ich mit meinem Manne; so wird es ihm fest wohlgehen. Denn das ist schon bey meinen Voreltern ein Sprichwort gewesen: Daß der reichste Mann verarmen muß, wenn ihm die Frau nicht sparen hilft. Und, die Wahrheit zu gestehen, [47] mein Sohn ist eben nicht der Sparsamste. O Himmel! sollte ich das Unglück erleben, daß mein Sohn verarmete, ich thäte mir zu nahe.


Fängt an zu weinen.
CAROLINA.
Ey, wie kann ihnen solches einfallen?
AGNETA.

Ja, ja, das ist meine größte Sorge, von meinem Wochenbette an bis hieher gewesen, daß meine Kinder nicht an den Bettelstab gerathen möchten.

CAROLINA.

Das wäre ganz gewiß ein grosses Unglück, wenn es sich zutragen sollte. Allein von einer solchen Vermuthuug ist ja nicht die allergeringste Wahrscheinlichkeit, und also thut man unbillig, wenn man durch dergleichen Vorstellung sich niederschlägt, an statt daß man sich, um seiner eigenen Gesundheit willen, aufmuntern und das Leben versüssen soll.

AGNETA.

Ja, ja, wer beständig mit solchen ernsthaften Gedanken umgehet, als mein Mann und ich, dem soll die Süßigkeit des Lebens und die Aufmunterung wohl vergehen; und es wäre zu wünschen, daß alle Leute so für ihre Wohlfahrt sorgen möchten, als wie wir, so würden wir nicht so viele traurige Exempel haben.

CAROLINA.

Daß man für seine Erhaltung Sorge trägt, ist billig; aber diese Sorge muß sich nicht so weit erstrecken, daß man darüber krank oder mißvergnügt wird Denn das Vergnügen und die Gesundheit sind doch nicht mit Gelde zu bezahlen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Sittenreich, und die Vorigen.

AGNETA.
Mein Sohn ich habe eurentwegen schon Thränen vergossen.
SITTENREICH.

Ich danke der Frau Mutter für alle Liebe, die sie mir erweiset; ich beklage aber, wenn meine Aufführung hiezu Anlaß gegeben.

CAROLINA.
Ihrer Frau Mutter ist bange, daß sie eine Frau kriegen, welche sie an den Bettelstab bringet.
SITTENREICH.
Ey, Frau Mutter, was ist das für [48] eine Sorge? Wenn der Himmel einfiele, das wäre ein Unglück.
AGNETA.
Spottet nur, die Zeit wird kommen, da ihr an mich gedenket.
SITTENREICH.
Ich werde Zeit Lebens an die Frau Mutter gedenken, aber nicht an diesen Einfall.
AGNETA.
Ich muß erst recht ausweinen, alsdenn hoffe ich sie wieder zu sehen.

Geht weinend ab.
SITTENREICH.

Meine Mutter so wohl als mein Vater, haben eine ganz ausserordentliche Geschicklichkeit sich selber zu quälen. O, wie bin ich ihrer Gesellschaft überdrüßig! Ich habe schon oft mir einen eigenen Heerd gewünschet, um mein Brodt in Ruhe und Frieden zu verzehren; allein ich habe solchen nicht finden können. Schönste Carolina! sollte sich anietzo wohl Gelegenheit dazu zeigen? Ich glaube, der Himmel hat sie hergesandt, mich von diesem verdrießlichen Umgange zu befreyen.

CAROLINA.

Ich wüste nicht wie dieses zngehen sollte. Kann ich aber zu ihrem Vergnügen etwas beytragen: so versichere ich ihnen, daß solches gerne geschiehet.

SITTENREICH.

Mein einziges Vergnügen, meine Befreyung von einem verdrießlichen Umgange, mein Leben, ja meine ganze Wohlfahrt beruhet in dem Besitz ihrer wehrten Person.

CAROLINA.

Ich habe mich nach meiner Eltern Tode gänzlich der Aufsicht meines Bruders übergeben, und bin also auch entschlossen, keinen andern Liebsten zu wählen, als welchen er mir vorschlagen wird. Sollte inzwischen seine Wahl auf sie fallen; so versichere ich ihnen für mein Theil, daß ich an ihrer Person nicht das geringste auszusetzen weiß.

SITTENREICH.

Ich bin mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden, und um dero Herrn Bruders Ausspruch zu hören, wollen wir uns so gleich zu ihm begeben.

CAROLINA.
Da kommt er so eben her.
8. Auftritt
[49] Achter Auftritt.
Ehrenwehrt, und die Vorigen.

SITTENREICH.

Der Herr Bruder kommt zu rechter Zeit, um in einer Sache den Ausspruch zu thun, woran meine ganze Wohlfahrt hänget.

EHRENWEHRT.
Ich bin begierig dieselbe zu hören.
SITTENREICH.

Ich liebe dero Jungfer Schwester, und habe sie so eben um ihre Gegenliebe ersuchet. Sie verwieß mich an den Herrn Bruder, um statt ihrer, von demselben eine Antwort auf meinen Vortrag zu bekommen.

EHRENWEHRT.

Die Sache ist von solcher Wichtigkeit, daß ich nicht so gleich darauf antworten kann. Ich will sie einen Augenblick verlassen, um es bey mir zu überlegen. Es soll nicht lange währen; so will ich wieder bey ihnen seyn.


Gehet ab.
SITTENREICH
bey Seite.

Wie soll ich das verstehen? Er hat mir zu dieser Liebe anfangs selber Gelegenheit gegeben, und nun scheinet es, als ob er Schwürigkeiten machen wollte?

CAROLINA.
Wie so tiefsinnig, Herr Sittenreich?
SITTENREICH.

In Wahrheit, ihres Herrn Bruders Bezeigen macht mich ganz verwirret. Ich dachte, bey einem solchen Herzensfreunde könnte man keine Fehlbitte thun, und nun erfahre ich das Gegentheil. Ja ich fürchte, er möchte mir gar eine abschlägige Antwort geben, und alsdenn würde ich bereuen, daß ich es auf seinen Ausspruch ankommen lassen.

CAROLINA.

Mein Bruder wird ganz wichtige Ursachen haben, daß er seinen Ausspruch verzögert. Ich kenne ihn. Er ist nicht gewohnt, in wichtigen Dingen zu scherzen, vielweniger seine Freunde zu hintergehen. Doch da kommt er, um uns aus dem Traume zu helfen.

9. Auftritt
[50] Neunter Auftritt.
Ehrenwehrt. Charlotte, und die Vorigen.

EHRENWEHRT.

Hier bringe ich eine Person, welche in ihrer Sache den besten Ausspruch geben kann. Was sagen sie, schönste Charlotte! Herr Sittenreich verlanget meine Schwester. Kann ich sie ihm mit gutem Gewissen geben?

CHARLOTTE
zum Sittenreich.
Ungetreuer, ist es erlaubt sein Herz mehr als einmal zu verschenken?
CAROLINA.

Ey, mein Herr, das hätte ich mir von einem Menschen, den mir mein Bruder so vortheilhaft beschrieben, nicht vorgestellet. Der Himmel bewahre mich für einen unbeständigen Liebsten.

CHARLOTTE.
Und mich für einen solchen, der mit Schwüren und Eiden scherzet.
SITTENREICH.
O Himmel! in was für Umstände bin ich gerathen?
CAROLINA.

Wie glücklich bin ich, daß ich ihre Wankelmuth bey Zeiten kennen lernen. Jungfer Charlotte, ich begehre ihr nicht ihren Liebsten abspenstig zu machen.

CHARLOTTE.
Ich mag keinen Liebsten, welcher in so kurzer Zeit auf andere Gedanken kann gebracht werden.
SITTENREICH.
Ich bin verlohren.
EHRENWEHRT.

Ich sehe wohl, ich muß der Schiedsmann seyn. Zum Sittenreich. Herr Bruder, dieser Streich kommt von mir, doch Gedult! Ich habe der Jungfer Charlotte mein Herz angetragen, erfuhr aber, daß der Herr Bruder einige Anforderung an dem ihrigen habe; und daß sie ohne Zurückziehung derselben mir solches nicht schenken könne. Da mir nun der Herr Bruder durch den Anspruch um meine Schwester selbst Gelegenheit an die Hand gab, konnte ich nicht umhin, mich solcher zu bedienen. Der Herr Bruder werde darum nicht böse. Vielleicht mache ich es wieder gut.

SITTENREICH.

In Wahrheit, Herr Bruder, der Streich war ein bisgen schlimm. Was inzwischen meine [51] Absicht auf die Jungfer Charlotte betrifft: So ists wahr, daß ich sie verschiedenemal um ihre Gegengunst gebeten, aber auch allemal abschlägige Antwort erhalten, glaube also, daß meine Untreue nicht so groß seyn wird, als man mir beschuldiget.

CHARLOTTE.

Mein Herr Sittenreich, sie sehen aber, daß ich gewissenhafter bin, als sie sind. Ich habe ohne ihre Einwilligung mein Herz nicht verschenken wollen.

SITTENREICH.

Es ist wahr, liebste Charlotte, ich habe einen Fehler begangen. Ich erkenne solchen, und will zu meiner Entschuldigung nicht einmal sagen: daß die Hitze meines Vaters, und das Zurathen des Herrn Gutherz mich dazu verleitet haben. Nur dieses will ich bitten, daß sie auf keine weitere Rache denken; denn der Schrecken, den sie mir abgejaget, ist fürwahr Rache genug. Dem Herrn Ehrenwehrt hätte ich mein Recht an ihrem Herzen ohnedem mit oder wider Willen abtreten müssen; denn für einen solchen Nebenbuhler hätten viel geschicktere als ich, hinten an stehen müssen.

EHRENWEHRT.

Der Herr Bruder schmeichelt mir gewiß, meiner Schwester wegen. Ja, ja, es ist in der That eine schöne Sache, wenn man eine hübsche Frau, eine artige Schwester oder Tochter hat. Mancher wird desfalls verehret, und bildet sich ein, es gelte ihm selber.

SITTENREICH.

Dieses wird bey dem Herrn Bruder nicht nöthig seyn. Ich habe das gute Vertrauen zu ihm, daß er auch ohne Schmeicheln mein Freund seyn wird, und erwarte also zu vernehmen, was der Herr Bruder, nachdem er mich auf eine so harte Probe gesetzt hat, in meiner Liebessache vor einen Ausspruch thun wird.

EHRENWEHRT
zur Carolina.
Liebste Schwester, was saget ihr dazu?
CAROLINA.
Ich stelle alles in euren Willen, liebster Bruder.
EHRENWEHRT
führet sie dem Sittenreich zu.

So empfangen sie denn von meiner Hand diejenige Person, welche [52] ich für sie aufbehalten habe, und erkennen daraus, daß ich ihr Freund bin.

SITTENREICH
zur Carolina.

Ist es möglich, schönste Carolina, daß sie denjenigen lieben können, an dessen Aufrichtigkeit sie vor kurzer Zeit zu zweifeln Ursache gehabt haben?

CAROLINA.

Die Umstände haben mich überführet, daß ich ihnen zu nahe gethan habe. Der Zweifel hat völlig aufgehöret, und ich bereue meine Uebereilung.

SITTENREICH.

So empfangen sie denn mit der Hand zugleich ein Herz, welches nicht aufhören wird, diejenige Person zu lieben, woran mir mehr als an allen Schätzen der Welt gelegen ist. Zum Ehrenwehrt. Ihnen aber, Herr Bruder, bin ich unendlich verbunden, für ein Geschenk, welches ich nicht vermögend bin zu ersetzen, wie gerne ich auch wollte.

EHRENWEHRT.
Des Herrn Bruders beständige Gewogenheit ist allein vermögend, mich ihm zu verbinden.
CHARLOTTE.
Nun, Herr Sittenreich, haben sie den Schrecken vergessen, den wir ihnen verursachet haben?
SITTENREICH.
O ja, und zwar das darauf erfolgte Vergnügen ist um so viel angenehmer.
CHARLOTTE.

So verzeihen sie mir denn auch, was ich auf Anstiften des Herrn Ehrenwehrts dazu beygetragen habe. Beschuldigen sie mich aber keiner Unbeständigkeit; sondern gedenken: daß ich nicht anders verfahren können, zumal, da ich erfuhr, daß ich eine Nebenbuhlerin hatte. Ich mußte also, wie sie, das Gewisse, dem Ungewissen vorziehen.

SITTENREICH.

Ich glaube, sie wollen sich noch einmal an mir rächen. Jedoch, einem Frauenzimmer, das in kurzer Zeit einen Bräutigam bekommen, muß man nicht übel deuten, was es in der ersten Hitze spricht. Ich bin auch mit meinem Schicksal so vergnüget, daß ich nicht Zeit habe, ihnen von der Unbeständigkeit des Frauenzimmers eine Rede zu halten, welche sie vielleicht, ohne böse zu werden, nicht anhören mögen.

[53]
EHRENWEHRT.

Ey, ey, Herr Bruder! junge Freyer müssen nicht einmal wissen, daß es unbeständiges Frauenzimmer giebt.

SITTENREICH.
Das ist wahr, denn die Liebe wird ja blind abgemahlet.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Gutherz, und die Vorigen.

EHRENWEHRT.
Es ist gut, mein Herr, daß sie kommen, sonst wären wir in Zank gerathen.
GUTHERZ.

Ey, ey, wenn Verliebte sich zanken, das ist ein gutes Zeichen. Jedoch mir deucht, der Zank muß nicht weit her gewesen seyn, denn sie sehen alle so vergnügt aus.

EHRENWEHRT.

Wir haben uns zankend vereiniget, daß Herr Sittenreich der Bräutigam meiner Schwester, und Jungfer Charlotte meine Braut seyn soll.

GUTHERZ.

Ich glaube, daß sich mancher auf die Weise gerne einmal zankte. Inzwischen nehme ich gar vielen Theil an ihrem Vergnügen, und wünsche ihnen von Herzen Glück; allein das macht mir Sorge, daß mein Schwager damit nicht friedlich seyn wird. Er stehet in den Gedanken, daß Herr Ehrenwehrt eine Absicht auf seine Jungfer Tochter habe; und er wird abscheulich schmälen, wenn er hören wird, daß sie von der Jungfer Charlotte ausgestochen worden.

EHRENWEHRT.

Mein Herr Gutherz, es ist würklich an dem, daß ich die Meinung gehabt habe, die Jungfer Tochter des Herrn Grobian zu heirathen. Nachdem ich sie aber gesehen, und ihre schlechte Erziehung wahrgenommen habe, so habe ich meine Meinung geändert. Im Heirathen muß man seiner eigenen und nicht anderer Leute Neigung folgen, und also sagen sie nur meinenthalben dem Herrn Schwager: daß ich zwar gesonnen, meine Freiheit zu verkaufen, aber nicht um einen so schlechten Preis, als seine Tochter.

[54]
CHARLOTTE.

Sagen sie der Jungfer Susanna meinetwegen: Sie könne sich mit gutem Gewissen einen schlechtern Freier erwählen.

GUTHERZ.
Ich werde ein unangenehmer Bote seyn Jedoch, was ist zu thun?

Ende des zweeten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Grobian und Agneta.

GROBIAN.
Mich soll doch beym Teufel verlangen, was endlich aus der Sache werden wird.
AGNETA.

Habe nur guten Muth, mein lieber Mann, es wird sich schon geben. Seitdem ich darzwischen gekommen bin, hat die Sache ein ganz ander Ansehen gewonnen. Ich habe meinen Sohn mit der Jungfer Carolina allein gelassen. Ich weiß, was das nach sich ziehet, wenn man mit Mannspersonen alleine ist.

GROBIAN.

Ha, ha, sprichst du aus eigener Erfahrung? Bist du auch wohl eher mit Mannspersonen allein gewesen? Nun gestehe es nur. Hast du Geld dafür bekommen, so soll es nicht darauf ankommen?

AGNETA.
Ich glaube, daß du nicht gescheut bist. Bin ich nicht oft mit dir allein gewesen?
GROBIAN.
So, so, laß es denn gut seyn; erzähle mir nur weiter.
AGNETA.

Ich gedenke, unser Sohn wird sich der Gelegenheit bedienet haben; denn ich habe befohlen, daß in einer halben Stunde niemand zu ihnen hin ein gehen soll.

GROBIAN.

Die Erfindung ist ungemein; und wenn deine Anschläge glücken, so sollt du Zeit Lebens eine Erzkupplerin heissen.

AGNETA.

Dem Herrn Ehrenwehrt habe ich so verblümt zu verstehen gegeben, daß unsere Tochter ihm unversagt [55] wäre, und also ein rechter dummer Schöps seyn müßte, wenn er es nicht gemerket hätte. Es scheinet aber, als wenn es ihm kein rechter Ernst wäre; und ich glaube, er ist von der Art, die lieber plaudern und haseliren, als heirathen.

GROBIAN.

Warum gebet ihr ihm Gelegenheit zum Plaudern? Warum habt ihr die Charlotte holen lassen? Und warum sie annoch nicht zum Hause hinaus geworfen? Wahrhaftig, wenn die mir den Handel verdürbe, ich ließ ihr einen Staubbesen im Keller geben. Da kommt es her, wovon wir so oft gesprochen haben, daß der Umgang mit Fremden lauter Unglück nach sich ziehet. Es ist nicht genug, daß einem die Teufelskinder das Haus unrein machen, den besten Bissen aus der Schüssel fressen, sondern wenn man einmal ernsthafte Geschäfte hat: So sitzen die verfluchte Hunde einem dazu im Wege. Es wäre genug, wenn die Närrin unsers Gleichen wäre; so möchte sie sich auf Herrn Ehrenwehrt Rechnung machen. Aber dafür ist meiner Tochter Brautschatz Bürge. Einen Quark wirst du kriegen. Herr Ehrenwehrt ist aus einem Geschlechte, das den Wehrt des Geldes so gut kennet, als ich.

2. Auftritt
Zweeter Auftritt.
Sittenreich. Die Vorigen.

GROBIAN.

Nun, nun, wie stehts, mein Sohn? Wie hast du deine halbe Stunde angewandt, die du mit der Jungfer Carolina allein zugebracht?

SITTENREICH.

Recht wohl, Herr Vater! Ich habe nicht allein ihr Herz erobert, sondern auch die Einwilligung ihres Bruders erhalten.

GROBIAN.
Das ist ja unvergleichlich.
AGNETA.
Das habt ihr mir zu danken.
GROBIAN.
Wie stehts aber mit deiner Schwester? Hat der Herr Ehrenwehrt sich noch nicht heraus gelassen?
SITTENREICH.

Die Wahrheit zu gestehen, Herr Vater, ich habe meiner eigenen Sache wegen nicht Acht [56] darauf haben können. Ich glaube aber, es wird sich wohl geben. Bey Seite. Der Henker sage ihm die Wahrheit.

GROBIAN.

Nun höret, weil der eine Punkt seine Richtigkeit hat, so bemühet euch alle beyde, daß ihr den andern auch so weit bringet. Du, liebe Frau, hast ungemein Glück im Kuppeln, und du, mein Sohn, hast Verstand, das merke ich heute zum erstenmale, indem du dich ein reiches Mädgen zur Frau erwählet hast. Wenn ihr beyde euch zusammen macht, so wird es schon gehen. Mit einem Worte: Ich habe viel Vertrauen zu euch. Ich will indessen unter meinen Pfändern suchen, ob ich nicht ein paar Ringe und andere Sachen, welche sich für euch schicken, finden kann, die will ich den Eignern fürs halbe Geld abdringen. Man muß seinen Staat auf anderer Leute Rechnung führen können.


Gehet ab.
AGNETA.

Nun, mein Sohn, ihr müsset denn auch hinführo mit eurer Braut, ob sie gleich eine Ausländerin ist, nach unserer Landesweise leben. Vors erste muß die Heirath noch vier Wochen verschwiegen bleiben, hernach müßt ihr sie nicht anders, als Sonntags, Dienstags und Donnerstags besuchen.

SITTENREICH.

Liebe Frau Mutter, ich werde es morgen allen Leuten sagen; und hernach des Montags, Mittwochs, Freytags und Sonnabends hingehen.

AGNETA.

Was! wollet ihr mir zu guter letzt noch ungehorsam seyn? Wisset ihr nicht das alte Sprüchwort: Ländlich, sittlich. Wisset ihr wohl, daß unsers Nachbarn Sohn, da er am Sonnabend nach seiner Braut gehen wollte, das Bein zerbrach? Wisset ihr wohl, daß man kein Stern noch Glück hat, wenn man es nicht so macht, wie die lieben Alten es gemacht haben.

SITTENREICH.

Ey, Frau Mutter, verschonen sie mich doch mit abergläubischen Dingen, und laßt uns doch einmal vernünftig werden.

AGNETA.

Saget mir doch eure Meinung, wie bringen wir die Heirath der Susanna am besten zu Stande.[57] Ihr seht, daß mein Mann ganz verdrießlich wird, weil es so lange währet.

SITTENREICH.
Er wird noch viel verdrießlicher werden, wenn er höret, daß gar nichts daraus wird.
AGNETA.

Warum sollte nichts daraus werden? Was Henker! Herr Ehrenwehrt ist ja blos deswegen hieher gekommen. Er würde sich ja schämen, wenn er unverrichteter Sache wieder weggehen sollte.

SITTENREICH.

Ich habe von jeher daran gezweifelt. Denn obwol seine Absicht würklich gewesen ist, meine Schwester zu heirathen: So bedenke die Frau Mutter dagegen, wenn ein Mensch von solcher Lebensart, von solchen Sitten und von solchem Herkommen, als Herr Ehrenwehrt ist, ein so verwildertes Mädgen zu sehen kriegt, wie meine Schwester ist, nicht Ursache hat seine Meinung zu ändern?

AGNETA.

Schweigt, sage ich! von eurer Schwester Lebensart. Sie ist gut genug. Sie kann zehn Männer vor einen kriegen.

SITTENREICH.

Das glaube ich gar wohl. Ihres gleichen, das ist, solche Leute, welche man alle Augen blicke von der Gasse greifen kann. Aber von der Art, wie der Herr Ehrenwehrt ist, das möchte viele Mühe erfordern.

AGNETA.
Der Herr Ehrenwehrt wird doch nicht mehr Künste können, als andere Mannspersonen?
SITTENREICH.

Ja freylich kann er die. Zum Ehestande gehöret mehr als Essen, Trinken und Schlafen. Es wird ein angenehmer Umgang und eine gute Begegnung beyder Gatten erfordert, welche die verdrießliche Stunden, so im Ehestande vorkommen, versüssen; wodurch einer den andern beständig aufmuntert, und wodurch die Liebe immer wächset, an statt sie bey andern abnimmt. Es wird Verstand erfodert, wenn einer dem andern seine Fehler zu gute hält. Es sollen auch wohlgezogene Kinder, und nicht solche Ungeheuer ....

AGNETA.

O, schweigt, schweigt! Von so vielen Weitläuftigkeiten habe ich mein Lebtage nicht gehöret, und lebe gleichwol im Ehestande.

3. Auftritt
[58] Dritter Auftritt.
Susanna, und die Vorigen.

SUSANNA.
Mama, mein Bräutigam sitzt immer bey der Charlotte, und sagt mir kein Wort.
AGNETA.
Das ist nicht gut.
SITTENREICH.

Meine liebe Schwester, wovon soll er mit euch reden? Ihr wisset ihm ja nichts zu antworten. Da sehet ihr nun, daß ich es gut mit euch gemeinet habe, wenn ich euch ermahnet, daß ihr euch zur guten Lebensart gewöhnen solltet. Wahrhaftig! von Kutschern und Mägden lernet man solche nicht. Da habt ihr nun schöne Ehre, daß euch ein armes Mädgen vorgezogen wird.

SUSANNA.
Das beste ist, daß ich nicht viel darnach frage.
AGNETA.
Wie so? gefällt dir dein Bräutigam nicht?
SUSANNA.
Er gefällt mir zwar wohl, aber die Wahrheit zu sagen, er ist mir zu vornehm.
SITTENREICH.

Hat jemand sein Lebtage gehöret, daß einem Frauenzimmer ein Bräutigam zu vornehm seyn kann? Ich merke wohl, eure Reden bedürfen einer Erklärung. Ihr wollet gewiß sagen: Er ist nicht niederträchtig. Aber saget lieber: Ihr seyd ihm zu geringe, denn das läuft auf eins hinaus. Jedoch saget mir: Wie reimet sich das mit euerer Einbildung? Ich habe euch wohl hundertmal sagen hören, ihr wäret eine von den vornehmsten Jungfern in der Stadt? Wisset ihr aber wohl, worin alle eure Vorzüge bestehen? In euerer und anderer Leute schlechten Einbildung, und in dem Reichthum, den ihr besitzet. Sonst seyd ihr nichts weniger, als vornehm oder edel; und derjenige, welcher euch mit dem rechten Namen nennen will, heißt euch den reichen Pöbel.

SUSANNA.

Ich habe gar nicht nöthig, von euch dergleichen hönische Reden zu vertragen. Wenn ihr sonst nichts wollet; könnet ihr nur euerer Wege gehen.

SITTENREICH.
Ich mag ohnedem nicht länger mit euch reden, denn ich ärgere mich, so oft ich euch sehe.

Gehet ab.
[59]
AGNETA.
Meine liebe Tochter, was wird der Vater sagen, wenn er höret, daß unsere Sachen so schlecht laufen?
SUSANNA.

Ich stelle mir noch immer das Beste vor. Wenn Charlotte mir nur nicht im Wege wäre. Ich habe sie holen lassen, daß sie mir Anleitung geben sollte, wie ich mit meinem Bräutigam umgehen müste; aber sie hat mir schöne Anleitung gegeben. Sie ist die Einzige, die mir im Wege sitzet.

AGNETA.
Ey, wir wollen ihr die Thüre weisen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Gutherz und die Vorigen.

GUTHERZ.
Wohin so eilig?
AGNETA.
Wir wollen die Charlotte zum Hause hinaus schmeissen.
GUTHERZ.
Warum das?
AGNETA.
Weil sie meiner Tochter hinderlich ist, und verursachet, daß ihr Bräutigam nicht mit ihr reden kann.
GUTHERZ.

Meinet ihr denn, liebe Schwester, wenn Charlotte nicht gegenwärtig ist, daß er alsdenn eurer Tochter sogleich einen Liebesantrag thun wird?

AGNETA.
O ja!
GUTHERZ.
Ich versichere euch das Gegentheil.
AGNETA.
Wie so?
GUTHERZ.

Es thut mir leid, daß ich Zeuge gewesen bin. Er hat sich in meiner Gegenwart mit der Jungfer Charlotte verlobet.

SUSANNA
weinend.
Ach, Mama!
AGNETA.
Ey, das hättet ihr nicht zugeben müssen; ich meinte ihr wäret ein aufrichtiger Freund unsers Hauses?
GUTHERZ.

Ich bin aber kein Herr über den Willen des Herrn Ehrenwehrt. Ich habe das Meinige gethan, aber die Antwort, so ich erhalten, klingt eben nicht zu vortheilhaft.

AGNETA.
Was sagte er denn?
[60]
GUTHERZ.

Er sagte: Ich möchte dem Herrn Grobian nur hinterbringen, daß er seine Freiheit nicht um einen so geringen Preis, als die Jungfer Susanna, verkaufen möchte.

AGNETA.
Der Narr, verachtet meine Tochter, und wählet sich ein nacktes Mädgen!
SUSANNA
weinend.
Ach, Mama! ich kriege nun mein Lebtage keinen Mann.
AGNETA.
O, gräme dich nur nicht! Ich will dir einen aussuchen, der besser nach deinem Sinne ist.
GUTHERZ.

Ihr habt in Wahrheit wenig Ehre davon, daß Herr Ehrenwehrt ein armes wohl erzogenes Mädgen einer reichen übel gerathenen Jungfer vorgezogen hat.

AGNETA.
O, ihr habet immer was zu weissagen.
GUTHERZ.
Und ihr wollet nicht einmal durch Schaden klug werden.
AGNETA.

Ihr könnet euer Gewerbe bey meinem Manne selber anbringen. Ich habe nichts damit zu thun. Er wird für Zorn aus der Haut fahren.

GUTHERZ.
Euer Mann fürchtet sich ja sonst für niemand mehr, als für seine Frau.
AGNETA.
Das ist ein vernünftiger Mann, der sich von seiner Frau regieren läst.
GUTHERZ.

Und für einen unvernünftigen Mann ist es ein Glück, wenn er eine vernünftige Frau hat, die ihn regieren kann.

AGNETA.
Es ist keine Frau in der Welt, die nicht mehr Verstand hat, als ihr Mann.
GUTHERZ.
Es ist wohl wahr, denn sie haben immer den Hut.
AGNETA.
Wenn ich meinem Manne in vielen Dingen nicht gerathen hätte; es würde oft toll ausgesehen haben.
GUTHERZ.
Indem man andern guten Rath ertheilet, vergißt man sich gemeiniglich selber.
AGNETA.

Ich merke wohl, daß ihr darauf zielet, daß meine Tochter nicht nach eurem Sinne erzogen ist.[61] Allein, wenn ich mit ihr zufrieden bin, so bekümmert mich nicht, was andere davon sprechen. Wissenschaften verleiten das Frauenzimmer nur zu Eitelkeiten; und wenns ans Heirathen geht, so heißt es doch: Wie viel Geld ist da? Die armen Jungfern mögen noch so viel gelernet haben; so bleiben sie doch sitzen.

GUTHERZ.
Von dem Gegentheil haben wir heute ein klares Exempel.
AGNETA.

O, das ist etwa seltenes, und beweist, daß Herr Ehrenwehrt nicht recht klug ist. Ein Exempel aber, daß sich unter hundert tausenden kaum einmal zuträgt, kann nicht gerechnet werden. Genug, meine Tochter soll gewiß nicht sitzen bleiben.

GUTHERZ.
Ich wünsche, daß sie das Ziel ihres Verlangens noch heute erreichen möge.

Agneta und Susanna gehen ab.
GUTHERZ.

Soll ich es ihm denn anbringen, so mag es darum seyn; so will ich ihm auch alles sagen, was ihm zu wissen nöthig ist, er mag so böse werden, als er will.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Grobian und Gutherz.

GROBIAN.

So geht mirs immer. Wenn ich meine, ich habe hundert Reichsthaler verdienet, so sind es nur neun und neunzig. Wenn ich eine Erbschaft von 20000 Reichsthaler kriege; so müssen wenigstens 300 Reichsthaler schlechte Schulden darunter seyn. Kein Wunder wäre es, wenn man sich zu nahe thäte. Da habe ich einen schönen Schmuck von Perlen und Juwelen, der bey mir versetzet ist; da gedachte ich fest, ich wollte ihn dem Eigner für das halbe Geld abdringen: so muß ich zu meinem Unglück hören, daß er morgen eingelöset werden soll; und bin also genöthiget, die Steine und Perlen, so zu meiner Kinder Hochzeitschmuck erfodert werden, für baares Geld zu kaufen. O, bin ich nicht der unglückseligste [62] Mensch von der Welt! ich kann doch nicht sagen, wie einem zu Muthe ist, der eine recht vergnügte Stunde hat. Siehe da, Herr Schwager, sind sie hier?

GUTHERZ.
Ja, ich bins, und höre mit Verwunderung, wie sie sich über ihr Unglück beklagen.
GROBIAN.

Habe ich nicht recht? gehet wohl eine Sache nach meinem Sinne? Es sind ohngefehr acht Tage, da fand ich auf der Gasse einen kleinen Beutel, welchen vermutlich jemand verlohren, darin zählte ich vier Goldstücke. Als ich solche des andern Tages wollte taxiren lassen, war eines darunter, so nur von Silber und vergöldet war; darüber ärgerte ich mich dermassen, daß man mir zur Ader lassen muste.

GUTHERZ.
Das hat ihnen jemand zum Possen gethan.
GROBIAN.

Das ist möglich, denn es giebt viele Verschwender. Jedoch ich wollte, daß man mir auf die Art oft einen Possen spielte.

GUTHERZ.
Das wäre eine Gewissenssache. Wie! wenn sie sich einmal todt ärgerten?
GROBIAN.
O, das hat nichts zu bedeuten. Wenn ich Geld dafür bekomme, so schadet mir die Aergerniß nicht.
GUTHERZ.

Ich höre, wenn sie Stockschläge kriegen, so ärgern sie sich auch nicht, um die Proceßkosten zu ersparen.

GROBIAN.

Ich merke schon, worauf sie zielen. Es haben mir schon andere vorgerücket, daß ich neulich in öffentlicher Gesellschaft Stockschläge bekommen; allein das sind Schelme und Diebe, die es gesagt haben. Wie die Schlägerey anfieng, war ich eben weggegangen.

GUTHERZ.
Wenn ihr Rücken damit zufrieden ist; so kann ich es auch leiden.
GROBIAN.

Ein jeder muß seine Sachen ausführen, wie ers für sich selbsten am zuträglichsten findet; und das sind Schurken, die sich um anderer Leute Schläge bekümmern.

GUTHERZ.
O, das sind Kleinigkeiten, wenn ihnen nicht sonst jedermann mit Fingern nachwiese.
[63]
GROBIAN.
Ey, laß sie mir hinten fingeriren, so viel sie wollen.
GUTHERZ.

Aber wollen sie denn nicht einmal in sich schlagen, und sich für sich selber schämen? Betrachten sie nur ihre Gestalt. Sie gehen auf der Gasse wie ein Bär, und nicht anders, als wenn sie bestellt wären, jedermann zu verfolgen. Sie grüssen ihre besten Freunde nicht.

GROBIAN.
Ey, mein Hut kostet Geld.
GUTHERZ.

Alle Leute klagen über ihre Unempfindlichkeit. Neulich hat jemand vor ihrer Thüre ein Wagenrad zerbrochen, und sie haben ihm nicht einmal eines von ihren Rädern leihen wollen, daß er hätte nach Hause kommen können.

GROBIAN.
Ey, Räder kosten Geld.
GUTHERZ.

Ihre ganze Verwandschaft fürchtet sich mit ihnen umzugehen. Sie gehen ihnen aus dem Wege, als einem Raubthiere oder einem Trunkenen.

GROBIAN.
Ich glaube, sie sind herkommen, um mich toll zu machen.
GUTHERZ.

Es ist meine Schuldigkeit, ihnen diejenige Aufführung vorzuhalten, wodurch sie sich in der ganzen Stadt eine üble Nachrede machen.

GROBIAN.
Nachrede hin, Nachrede her. Wenn die Leute sagen, daß man kein Geld hat, das ist eine üble Nachrede.
GUTHERZ.

Wenn sie sagen, daß man hochmüthig ist, das ist noch eine ärgere Nachrede; und ihnen die Wahrheit zu sagen: Der Hochmuth ist eben die Wurzel ihrer Grobheit. Sie bilden sich ein, daß niemand in der Stadt sey, an dem mehr gelegen ist, als an ihnen. Wenn sie sich in den Finger schneiden, und der Nachbar bricht einen Arm oder ein Bein; so ist ihr Unglück doch das größte. Sie meinen, die ganze Welt sey nur allein zu dem Ende da, daß sie ihnen zolle. Wie wäre es sonst möglich, daß sie sich ärgern könnten, wenn sie etwas finden, daß nicht so viel wehrt ist, als sie sich vorstellen? oder wie können sie mit Fug verlangen, daß ihnen jemand [64] Kleinodien oder andere Sachen für den halben Wehrt verkaufe? Und wie können sie wohl mit Recht böse werden, wenn man ihnen dergleichen Thorheiten vorhält, da sie doch allen Leuten, die mit ihnen umgehen, nichts als Grobheiten sagen.

GROBIAN.

Wenn mir jemand anders dergleichen Dinge sagte, den sollte der Beelzebub aus meinem Hause führen. Weil ich aber ihrer Hülfe heute noch benöthiget bin, so will ich sie mit Höflichkeit bitten, das verfluchte Maul zu halten, und mir statt dessen zu sagen: wie meiner Kinder Heirathsachen stehen.

GUTHERZ.

Von ihrem Sohne werden sie vernommen haben, daß er der Jungfer Carolina Herz gewonnen hat. Was aber ihrer Jungfer Tochter Absicht auf den Herrn Ehrenwehrt betrifft, daraus möchte wohl nichts werden.

GROBIAN.
Was! nichts werden?
GUTHERZ.

Nein! Und, um sie nicht aufzuhalten so wissen sie: daß der Herr Ehrenwehrt ihre Tochter nicht verlanget, weil sie nicht nach seinem Sinne erzogen ist; dagegen hat er sich die Jungfer Charlotte zur Braut erwählet.

GROBIAN.

O Himmel! Laßt den Barbierer kommen, daß er mich zur Ader läßt! Schickt zum Doctor, daß er ein Pulver mitbringe! ach, ein Clystir! Wo ist meine Frau mit ungarischem Wasser? Ha, ich zerreisse mich! ich werde toll! ich bin des Todes! Ich bin verdammt! Ach, meine Tochter! Charlotte! Meine Frau! Herr Ehrenwehrt! Mein Sohn!

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Agneta und die Vorigen.

AGNETA.
Was ists? was giebts? wollen sie dich umbringen, lieber Mann?
GROBIAN.
Ach, liebe Frau! hast du das entsetzliche Unglück gehöret?
AGNETA.
Was denn?
[65]
GROBIAN.
Herr Ehrenwehrt will die Charlotte heirathen.
AGNETA.

Je, sonst nichts? ich dachte was es wäre. Das habe ich schon längst gewust. Darum stelle dich nur nicht so ungebehrdig an.

GROBIAN.

Ach, ist die Ursache nicht wichtig genug? Die verfluchte, vermaledeyete Charlotte! Halt mich, oder ich begehe einen Mord.

AGNETA.
Ey schäme dich, Mann! willst du ein Narr dazu werden?
GROBIAN.

Ach, muß ich das Unglück erleben, daß es armen Leuten wohl gehet! Ein Strick her! ich will mich erhängen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Susanna und die Vorigen.

SUSANNA
weinend.
Ach, Papa! denk, Papa! wie ich heute verachtet werde.
GROBIAN.
Gehe mir aus den Augen, du Aas, oder ich trete dich mit Füssen.
AGNETA.
Je, was kann das arme unschuldige Mädgen dafür, daß Herr Ehrenwehrt ein Narr ist?
GROBIAN.

Was! sie sollte sich besser aufgeführet haben. Warum hat sie die Charlotte hergerufen? und da sie sahe, daß sie ihr hinderlich war, warum sie nicht gleich fortgeschickt? Ja komm nur her, du Bestie, du sollst das Gelag bezahlen.


Will sie schlagen.
SUSANNA
schreyet.
Ach, Mama! Mama!
AGNETA
tritt vor ihr.
Ey, rühre sie einmal an, ich will dir weisen, mit wem du zu thun hast.
GROBIAN.

Stärke sie nur in ihren Lastern, so kann sie hernach mit dem Kutscher davon laufen, wenn sie sich die andern Freyer von der Nase wegnehmen läßt. Er lauft so schon hinter ihr her.

AGNETA.

Was! willst du deiner Tochter selbst einen bösen Namen machen? Schweige, sage ich dir, oder es gehet nicht gut.

[66]
GROBIAN.
Der Henker weiß, was ihr beyde wohl betreibet, wenn ich nicht zu Hause bin.
AGNETA.
Ich sage dir noch einmal, du sollst schweigen, oder ich kratze dir die Augen aus.
GROBIAN.
Nu, nu, ich will denn schweigen.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Sittenreich. Carolina und die Vorigen.

GROBIAN.
Ha, Jungfer Carolina! ihr Bruder ist ein schöner Kerl.
CAROLINA.
Wie so? mein Herr!
GROBIAN.
Wissen sie nicht, was er gemacht hat?
CAROLINA.
Mir ist nichts böses bewußt.
GROBIAN.
Ich kann mir auch nicht einbilden, daß sie es wissen, denn sonst hätten sie es nimmer zugegeben.
CAROLINA.

Sollte mein Bruder etwas begangen haben, daß wider ihres Hauses Ehre wäre: so will ich es ihm selber verweisen.

GROBIAN.
Freylich, hat er mein Haus geschändet, und ich werde es ihm mein Lebtage nicht vergeben.
CAROLINA.
Behüte der Himmel! worinn bestehet denn sein Verbrechen?
GROBIAN.
Darin, daß er die Charlotte heirathen will. Denken sie doch, ein nacktes Mädgen!
CAROLINA.
O, das ist mir schon bekannt; thut er daran übel?
GROBIAN.
Ich höre wohl, sie sind auch im Kopfe verrückt. Ist das nicht eine Verachtung meiner Tochter?
CAROLINA.
Er kann ja aber nur eine nehmen.
GROBIAN.

Das weiß ich ohnedem wohl; aber er hätte doch wohl klüger gethan, wenn er statt eine armen, ein reiches Mädgen erwählet hätte.

CAROLINA.

Hierinn sehe ich keinen Unterscheid. Man heirathet ja die Person, und nicht das Geld. Die Jungfer Charlotte wird meinem Bruder besser gefallen haben, darum hat er ihre Jungfer Tochter nicht verachtet. [67] Meines Bruders Absichten beym Heirathen sind blos auf sein eigen Vergnügen gerichtet.

GROBIAN.
So weiß er schlecht, worin das Vergnügen bestehet.
CAROLINA.

Ein jeder sucht sein Vergnügen nach seiner Einsicht. Was den einen ergötzt, ist oft dem andern zuwider.

GROBIAN.
Wer sich am Gelde nicht ergötzt, der muß toll und rasend seyn.
CAROLINA.

Das Geld ist freilich eine schöne Sache, weil man dessen nicht entbehren kann; der Ueberfluß aber, welchen man einsperret, und welchen man nicht geniesset, ist schädlich; und wer einen Abgott daraus macht, der handelt gar thöricht. Mit einem Worte. Der Misbrauch einer jeden Sache ist unerlaubt; und das Geld ist zu keinem andern Endzweck da, als daß wir es zu unserer Bedürfniß anwenden, und mit dem Ueberflusse uns Freunde machen.

GROBIAN.

Für den besten Freund in der Welt gebe ich keinen falschen Sechsling. Wenn man reich ist, muß jeder unsere Freundschaft suchen, und sichs für eine Ehre schätzen, wenn wir einmal zugeben, daß er in unserm Hause sich eine halbe Stunde vor uns schmieget und bücket. Aber, höre sie, meine liebe zukünftige Schwiegertochter! da sie so vielen Verstand gehabt hat, sich einen reichen Bräutigam zu erwählen; so rede sie ihrem Bruder zu, daß er die Charlotte laufen läßt, und meine Tochter nimmt.

CAROLINA.
Da kommt er eben her. Sie werden seine Meinung von ihm selber am besten erfahren.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Ehrenwehrt, Charlotte und die Vorigen.

EHRENWEHRT.
Ist etwan Feuer im Hause? Es war ja vor kurzem ein abscheuliches Geschrey hier.
GROBIAN.

Wenn nur kein Feuer in des Herrn Gehirne ist. Ich werde ja wohl Macht haben, in meinem eigenen Hause Lerm zu machen?

[68]
EHRENWEHRT.

Sie verzeihen, mein Herr, wenn ich so fürwitzig gewesen bin. Es kam mir zum wenigsten vor, als wenn sich ein Unglück zugetragen hätte, und ich wollte gerne deswegen mein Mitleid bezeugen.

GROBIAN.
Wir brauchen des Herrn Mitleid nicht. Es thut ihm selber nöthig, daß man Mitleiden mit ihm träget.
EHRENWEHRT.
Wie so?
GROBIAN.

Ist der Herr nicht so närrisch gewesen und hat sich mit einem nackten Mädgen vertändelt? Wahrhaftig, wenn ich es nicht in Betrachtung, daß mein Sohn sein Schwager wird, unterliesse, ich spie ihm ins Gesicht.

EHRENWEHRT.
Ey, ey, mein Herr! nicht so hitzig!
GROBIAN.
Meinet der Herr, daß meine Tochter eine Närrin ist?
EHRENWEHRT.
Ich habe nicht das geringste an ihrer Jungfer Tochter auszusetzen.
GROBIAN.

Warum will der Herr sie denn nicht heirathen? Meinet er nicht, daß ich weiß, daß er blos deswegen nach Hamburg gekommen ist? Hat den Herrn etwan sonst niemand umsonst beherbergen wollen?

EHRENWEHRT.

Ich gestehe gerne, daß meine Absicht gewesen ist, ihre Jungfer Tochter zu heirathen. Ich habe es ihrem Herrn Sohne auch selbst gesagt. Allein eben darum bin ich auch selbst anhero gekommen, um sie erst zu sehen. Daß ich ihnen nun die Ursache nicht sage, warum ich meine Neigung geändert habe, belieben sie meiner Bescheidenheit zuzuschreiben.

GROBIAN.

Bescheidenheit hin, Bescheidenheit her. Der Herr hat einmal meine Tochter verlanget, er muß sie auch nehmen. Ich halte es überdem nur für eine Uebereilung; wenn der Herr sich erst recht besinnet: so wird er die Charlotte bald laufen lassen, und dagegen meine Tochter nit beyden Händen ergreifen. Und ihr, Jungfer Charlotte, ihr habt hier nichts zu thun, da schert euch zum Hause hinaus.

CHARLOTTE.

Ich habe ietzo keinen andern Befehlshaber, [69] als den Herrn Ehrenwehrt; sobald mich der verstößt, will ich gehen.

GROBIAN.
Was! in meinem eigenen Hause?
EHRENWEHRT.
Sie soll gehen, doch mit dem Bedinge, daß ich sie begleite.
GROBIAN.
Nein, das ist die Meinung nicht, der Herr soll hier bleiben.
EHRENWEHRT.

Ey, das würde sich nicht schicken. Sie ist ein für allemal meine Verlobte, und also kann uns niemand trennen.

GROBIAN.
So will der Herr also meine Tochter nicht haben?
EHRENWEHRT.
Mein Herr, dringen sie nicht so stark in mich; es schickt sich nicht, daß ich nein sage.
GUTHERZ.
O, es wäre nicht das erstemal, daß Mannspersonen dem Frauenzimmer einen Korb geben.
GROBIAN.

Weiß der Herr wohl, daß er nach hiesigen Stadtrechten, wenn es zur Klage käme, meiner Tochter etwas für den Abtritt geben müste?

EHRENWEHRT.

Die Sache würde sehr weitläuftig auszumachen seyn. Jedoch, wenn es auch darauf ankäme, so wollten wir uns schon vergleichen.

GROBIAN.

Ich rufe euch alle zu Zeugen. Herr Ehrenwehrt hat sich anheischig gemacht, meiner Tochter etwas für den Abtritt zu geben. Mein Herr! wenn er allezeit so fix mit seinem Gelde ist; so hätte er sich zu meinem Schwiegersohne nicht geschickt; denn von Verschwendern bin ich ein Todfeind! Er mag also mit seiner nackten Braut immer hinlaufen.

EHRENWEHRT.

Ich versichere sie, mein Herr! daß ich vergnügter mit ihrer blossen Person bin, als mit der reichsten Jungfer ohne Erziehung.

GROBIAN.
Ey, meinetwegen heirathe der Herr des Teufels seine nackte Großmutter.
AGNETA.
Unsere Tochter soll auch schon einen Mann kriegen, das soll meine Sorge seyn.
[70]
EHRENWEHRT.
Ich wünsche ihr einen Liebsten, wie sie ihn verlanget.
AGNETA.

Kriegt sie denn keinen, der so reich ist, so soll sie auch keinen Verschwender haben. Meine Tochter! wenn sonst niemand ist, so sollst du den Rothbart heirathen.

SUSANNA.
Ach ja, Mama! mit dem können wir machen, was wir wollen, er ist nicht so vornehm.
SITTENREICH.

Mit dem könnet ihr auf dem Feuerheerd in der Karte spielen; der kann auch schöne weltliche Lieder mit euch singen.

GUTHERZ.
Es ist besser ein schlechter Mann, als gar keiner.
AGNETA.
Es ist besser ein ehrlicher Mensch, der das Seine zu rathe hält, als ein reicher Verschwender.
GUTHERZ.
Liebe Schwester! der Fuchs schalte die Trauben sauer, als er sie nicht erreichen konnte.
GROBIAN.
Habe ich etwan nicht Aergerniß genug gehabt?
AGNETA.

Ach, lieber Mann! du kennest ja meinen Bruder, er mag gerne weissagen. Es ist der Mühe nicht wehrt, daß man ihn antwortet. Und wenn Herr Ehrenwehrt sein eigen bestes nicht wissen will; so können wir ihn nicht helfen. Gieb mir nur dein Wort, daß Herr Rothbart unsere Tochter heirathen darf; so will ich bald Anstalt dazu machen: Denn diese Sache habe ich mehr in meiner Gewalt. Was sagst du, meine Tochter! was gilts, Herr Rothbart gefällt dir besser, als Herr Ehrenwehrt?

SUSANNA.
Mama! ich lasse mir alles gefallen, was sie für gut findet.
SITTENREICH.

Liebe Schwester! wenn man die Fliegen von einer mit Speisen besetzten Tafel verjagt, so setzen sie sich gemeiniglich auf einen Misthaufen, und stillen ihren Hunger mit eben so großem Appetit.

GUTHERZ.

Darum haben auch die lieben Alten gesagt: Ein Vater soll seinen Sohn verheirathen, wenn er will, und seine Tochter, wenn er kann.

AGNETA.

Haben das die lieben Alten gesagt! o, [71] so laß ich meinen Mann keinen Frieden, bis ers in meine Hände stellet, daß ich meine Tochter an den ersten, der mir und ihr anstehet, verheirathen mag; denn für alte Sprüchwörter und das Herkommen lasse ich mein Leben.

SUSANNA.
Ach, ja, Mama! Blos um des Schimpfes wegen, daß ein armes Mädgen eher als ich einen Mann bekommt.
CHARLOTTE.

Ich will auch eine Fürbitte für sie einlegen, Jungfer Susanna! Bedenken sie doch, Herr Grobian, daß es ihnen den vergöldeten Schaupfennig von 20 Schill. gekostet hätte, wenn Herr Ehrenwehrt ihre Jungfer Tochter genommen; der wäre ihnen doch hart abgegangen.

GROBIAN.

Ich hätte euch gerne 5 Marck 4 Schill. zum Staubbesen gegeben, wenn ihr mir nur heute aus dem Hause geblieben wäret.

CAROLINA.
Sie sind doch der Herr Grobian.
EHRENWEHRT.

Nu, nu, mein Herr! geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Wir müssen ins künftige doch als gute Freunde mit einander leben, um so viel mehr, da meine Schwester die Ehre hat ihre Schwieger-Tochter zu heissen.

GROBIAN.
Erst thut man alles, was man will; hernach kommt man mit solcher dummen Schmeicheley angestochen.
EHRENWEHRT.
Ich will ihnen nebst meiner Liebsten Abbitte thun, wenn sie es verlangen.
GROBIAN.

Ey, mit Ehre ist mir nichts gedienet; aber das will ich haben, daß sie die Juwelen und andere Sachen, welche sie ihrer Braut schenken, von mir kaufen. Es werden oft dergleichen Sachen bey mir versetzt, und da habe ich Gelegenheit sie wohlfeil zu erhandeln.

EHRENWEHRT.

Dies verspreche ich ihnen, und noch dazu will ich ihnen geben, was sie dafür verlangen, und nichts davon abdingen.

GROBIAN.

O, ho! wenn man endlich weiß, wofür man eine Sache thut, so gehet man oft etwas ein, was [72] man sonst bleiben liesse. Ich wünsche ihnen mit ihrer Jungfer Braut Glück und Segen. Geld ist die Losung.

CAROLINA.
Nun, mein lieber künftiger Herr Schwieger-Vater, sind sie mir denn auch böse?
GROBIAN.
Meine Gewogenheit gegen ihnen wird sich nach der Grösse ihres Brautschatzes richten.
EHRENWEHRT.
Für 10000. Rthlr. jährliches Einkommen bin ich Bürge.
GROBIAN.

O, so sind sie meine allerbeste Schwieger-Tochter. Der Himmel segne euch beyde und verleihe euch die edle Sparsamkeit, so werdet ihr mit der Zeit aus diesen 10000. Rthlr. 20000. machen.

SITTENREICH.
Wir wollen uns bestreben, dem Herrn Vater, so viel möglich, jederzeit gefällig zu seyn.
CAROLINA.
Wir wollen hübsch häußlich leben.
GROBIAN.
Der Himmel gebe sein Gedeyen dazu.
AGNETA.
Nun, lieber Mann, laß doch das arme Mädgen nicht ungetröstet.
GROBIAN.
Meinetwegen verheirathe sie an den Schinder.
AGNETA.

Nun, so gieb dich zufrieden, meine Tochter! in vier und zwanzig Stunden soll Herr Rothbart dein Bräutigam seyn.

GUTHERZ.

Es fehlet nichts, als daß ich noch mein Vergnügen über diese dreyfache Verbindung an den Tag lege. Mich deucht, keiner unter ihnen hätte besser wählen können, und ein jeder, der davon hören wird, muß sagen: Gleich und gleich gesellet sich gerne.


Ende des dritten und letzten Aufzuges.
[73]

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TextGrid Repository (2012). Borkenstein, Hinrich. Drama. Der Bookesbeutel. Der Bookesbeutel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3C47-4