Der Guldensack

Die alte Kramerschusterin richtete ihrem Sohn, dem Martl, die Hochzeit zu.

Und da es ans Richtigmachen ging, ließ sie den Braunen vor das Gäuwagerl spannen, zog ihr Feiertagsgewand an und sagte: »Alsdann, Martl, jetzt fahr ma zum Notar, daß er mir mein Austrag schreibt.«

Der Martl meinte freilich, dies wär' doch nicht notwendig bei einem Sohn, wie er einer sei; und auch seine Hochzeiterin, die Brunnfärberlies, pflichtete ihm darin bei und sagte: »Zu was an Notare! Mir san do koane Rauber und koane Spitzbuam! Mir woaß do selm, was si g'hört! Bei ins geht's enk gar nia schlecht, Muatta.«

Aber die Kramerschusterin lachte bloß ein seltsames Lachen und erwiderte nichts weiter als: »Die weißen Haar und der Schimmel am Brot wachsen, bal d' Kinder Herr werden. – Bevor ma si net niederlegt, soll ma si net ganz ausziagn. Kunnt mir leicht aa geh' wia mein Baserl, der alten Windlsusann, oder mein Vettern, an Schimmelkaschban vo Kreiz.«

Ach ja – der Schimmelkaschber!

Das mag jetzt leichtlich an die fünfzig Jahre her sein; da kam dem Kaschber ein neues Regiment ins Haus.

Sein einziger Bub, der Simmer, hatte ihm eine Hochzeiterin heimgebracht: die Lebzelterannemirl.

Und da dem Kaschber sein Buckel sich gemach krummte wie der Stamm des alten Zwetschgenbaumes vor seiner Haustür, da er auch seinem guten und rechtschaffenen Handwerk, der Schuhmacherei, nimmer so nachgehen konnte, wie es notgetan hätte, so legte er Ahle und Zwirn beiseite, zog den pichigen Schaberer aus und meinte:

»Ja no, in Gottesnam. Muaßt halt du weiterwerka, Simmer. Du hast es ehnder im Kreiz und in die Arm, daß d' [835] an Pechdraht durchziagst durch Oberleder, Brandsohl'n und Sohlleder, daß aus dera Dreifaltigkeit a feste Dreieinigkeit wird. Heirat dei Annemirl und haus guat. Mei' Geld und mein Seg'n sollts hab'n.«

Heißa! Da gab's eine lustige Hochzeit und einen fröhlichen Einstand!

Und des Lebzelters Annemirl wurde eine gar riegelsame Schimmelschusterin und war so honigsüß mit ihrem Schwiegervater, grad wie ein Mettränklein oder ein Zuckerzelten aus ihres Vaters süßer Werkstatt.

So mag's auch gekommen sein, daß der gut' Schimmelkaschber willig und zufrieden in seine Austragskammer zog, daß er schöne Wort für bare Münz' nahm und sich an den Ofen setzte, eh' er ihn geheizt hatte. Daß er sich seinen Ausbeding weder verbriefen ließ noch siegeln.

Und da ihm seine Annemirl die schöne, große Kammer neben der Stube einrichtete, da sie ihm gleich am ersten Tag nach der Hochzeit seine Leibspeis' kochte, da dachte er nicht daran, daß es mit dem Kinderdank und der Kindeslieb' geht wie mit dem Stamm eines Fichtenbaumes: Je mehr er sich in die Läng' zieht, desto magerer wird er – und zuletzt hört er ganz auf.

Wohl hatte ihm sein Vetter, der Pfarrer von Michelsberg, gut geraten und hatte gemeint: »Tu dich versorgen! Das Gute, was d' den Kindern gegeben hast in Heuwägen, das werden sie dir vergelten in Fingerhüten!«

Alles es half nichts. Der Tag erschien dem Kaschber freundlich, und so vergaß er auf den Abend. –

Da geschah es, daß die Annemirl krank wurde – daß man eine Wiege in die Stube stellte – daß ein Schimmelkaschberl und ein Simmerl zugleich kamen! Und ein Jahr darauf eine Annemirl. Und darnach noch drei – vier.

Und dann kam der Tag, wo die Schimmelschusterin zu [836] dem Alten sagte: »Vater, jetz brauch' i enka Kammer. Ös könnts ja dees hintere Kammerl für enk nehma. An Knecht oder a Magd werd'n mir ja do' net dinga.« Ja, ja. Da kam der Kaschber in die Magdkammer.

Bald darauf gab's wieder eine Änderung, indem der Simmer nämlich meinte: »Wia wär's denn, Vata, wennst von morg'n ab hint in deiner Kammer essen tatst? Da am Tisch is gar koa rechter Platz nimmer für di'! San ma eh scho achte oder gar neune!«

Und dann wurden sie ihrer zehn; und die Hennen legten doch im Tag bloß neun Eier, und die Kühe gaben bloß für neun Personen die Milch – und der Simmer verdiente bloß für neune die Kreuzer zu Fleisch und Bier!

Da sah es denn bald gar armselig und mager aus bei dem alten Schimmel; und er wär' froh gewesen, wenn ihm der Schreiner endlich hätt' das Maß nehmen mögen zu seiner letzten Truchen.

Am End' vergaßen sie auch noch, ihm seine Kammer zu heizen, und da man gerade einen harten Winter hatte, so durfte der gute Kaschber nicht einmal mehr eine Zähre aus den Augen fallen lassen, denn sie wär' ihm leichtlich an die Wange gefroren oder in den Bart.

In solcher Not und Armseligkeit gedachte nun der alte Schimmel seines hochwürdigen Vetters, des Pfarrers von Michelsberg.

Und da er den festen Glauben trug, daß dies der letzte Winter wär', der ihn auf dieser armseligen Erdenwelt schinde und zernigle, daß der Auswärts ihm wahrscheinlich nur noch das schwarze Erdhäuflein über seiner Totenkammer ein wenig erwärmen und mit Gras und Blumen schmücken würde, so bedachte er bei sich: »Es ist wohl besser, ich bring' auch mit dem da droben mein' Sach ins reine; wer kann sagen, wie's geht, und nix G'wiss's weiß der Mensch nit.«

[837] Also ließ er sich eines Tages von einem Fuhrwerk aus Michelsberg mitnehmen und suchte seinen Vetter auf, um ihm zu beichten und dem Herrgott seine Rechnung zu bezahlen. Daheim, bei seinem Sohn, dem Simmer, herrschte darüber große Freude. Hatte man doch endlich die gewisse Aussicht, daß einmal ein Beschluß herging mit dem alten Fresser – dem Hausbettler, dem notigen!

Das Bißlein, was der an barem Gelde eingelegt hatte ins Geschäft, das hatte er wohl leichtlich schon ein dutzendmal verzehrt! Und umsonst, heißt's, ist bloß der Tod – und der kost't 's Leben. Derweilen aber der junge Schimmelschuster und seine Annemirl sich auf das Absterbensamen ihres alten Vaters freuten, kam der nach abgetaner Buß und Beicht mit der Postkutsche wieder daheim an, kreuzvergnügt und schnackerfidel, ging ohne einen Grüßderhimmel in seine Kammer und riegelte sich dorten ein.

Schob auch noch die Vorhäng zu an Fenstern und an der Tür, zog ein artig's Säcklein aus der Joppe und leerte es schmunzelnd auf den wurmstichigen Tisch.

Heißa! Das klirrte und klang – das gleißte und glänzte!

Und der Kaschber begann zu zählen – ganz laut und jedem vernehmlich: »Fünfhundertfuchzg ... sechshundert ... sechshundertfuchzg ... sieb'nhundert ...« Dazu strich er allemal ein Häuflein Gulden in die Hand und warf es in den Geldsack, wobei ihm aber des öfteren passierte, daß der eine oder ander Gulden über den Säckel sprang und klingend über den Boden rollte.

Was Wunder, daß dies die Jungen hörten und sich mit allen Fingern in den Ohren krauten, damit sie jedes Geräuschlein in des Alten Kammer desto feiner und gewisser unterscheiden möchten!

Aber es waren wahrhaftig gute Silbergulden, die da klangen und sangen. Und er hatte zugeriegelt! Der alte Tropf! Doch die Annemirl war nicht um einen guten Rat verlegen, [838] und sie flüsterte dem Simmer in die Ohren: »Schick doch amal an Kaschberl eini, daß er eahm beim Aufklaub'n hilft! A Kinderbuckel biagt si leichter als a alter –«

Ei freilich! Daß ihm dies nicht lang schon selber eingefallen war, dem Simmer!

Also pochte bald ein Bubenfäustlein an die Tür des Alten, und der Kaschberl rief: »Großvata, mach auf! I möcht' helfen zum Aufklaub'n!«

Und da ihm der Alte willig auftat, konnte das Büblein gar bald davon berichten: »Lauter Gulden sands! Achtzehnhundert, hat er g'sagt, der Ahnl!« Achtzehnhundert Gulden!

Der Tropf, der scheinheilige!-

Schon um die Essenszeit war die Annemirl vor seiner Kammertür.

»Vata! Geh', mögts net bei ins hervorn essen? Is gar so mentisch kalt heunt in der Kammer hinten!«

Ja, ja, er mochte!

Aber jetzt fing das Gefrage an.

»Der Kaschberl sagt ... von achtzehnhundert hat er g'red't ...«

»Wenn's g'langt«, erwidert bedachtsam der Alt'; »wenn's nur g'langt. I bin no net ganz firti mit 'n Zähl'n.«

Ja ...woher ...?

»Mei, dees hab i' die ganzen Jahrl her bei insan geistlinga Herr Vetter aufg'hebt g'habt. Aber indem daß i in Sinn hab', daß i mi' wo einkaaf ... in a Spital ... oder a Pfreimd ...«

»Jess' Maria! Vata! Du werst do' net! Die Schand' werst ins do net otoa! Daß 's hoaß'n tät, beim Schimmelschuasta hams eahnan Alten so schlecht versorgt, daß er si eikaaffa hat müass'n ...«

»Ja no. – Es wird mir halt do' guatding z'kalt da hinten in mein Kammerl. – Und hie und da a Fleischsuppen hat aa [839] a jeder gern. – Und auf a scheens Eingrab'n schaug i aa. Wer woaß's, wias geht bei enk ...ob d' Not net scho so groß is bei enk, daß 's mi amal auf Gemeindekosten einscharr'n lassen müaßts!«

Achtzehnhundert Gulden! Und in die Pfründ! Das schöne Geld!

»Aber Vata! – Auf G'meindekosten! – Wo denkst denn hi! – Moanst, daß ma di net schee und mit alle Ehr'n eingrab'n tät'n!«

»Ja no – nix G'wiss's woaß ma net. – Dees müaßt i' halt scho' schriftli' hab'n ...«

O! Sie gaben ihm das schönste Begräbnis schriftlich – mit großen, steifen Buchstaben – und von beiden unterzeichnet!

Und er kam wieder in seine schöne Kammer, der alt' Kaschber, hatte es schön warm und aß, was ihm grad schmeckte, bis an sein selig's End', das ihm so um die Osterzeit beschieden war.

Schad', daß er nun dahin war! Daß er's nimmer erleben konnte und mit ansehen, was nach seinem Abscheiden geschah!

Da wurden Kästen geräumt und Truhen geleert. Laden umgestülpt und Schreine durchwühlt, Säcke und Taschen geprüft und der Strohsack aufgeschnitten. Aber es fand sich nichts als ein verschlossener Brief, darin zu lesen stand:

An meine Kinder!

Dieweilen ihr Gulden sucht, werdet ihr Kreuzer finden. Denn die Gulden waren meines geistlichen Vetters Eigentum. Gut, daß er nicht nur Hirte ist, sondern auch ein Schelm. Und daß er aus mir auch einen gemacht hat.

Amen. [840]

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TextGrid Repository (2012). Christ, Lena. Erzählung. Bauern. Der Guldensack. Der Guldensack. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-52E0-9