37. Hans Winter.

Mündlich in Warmbüttel.


Ein Imker hatte seinen Honig in die Stadt gebracht und viel Geld dafür gelöst. Als er nach Hause zurückkam, zählte er das Geld auf den Tisch, legte das Silber für sich und das Gold für sich und sprach zu seiner Frau: »Das weiße hier ist für Hans Winter«; damit meinte er aber, für das Silber wollten sie im Winter leben. Hierauf schloß die Frau das Gold in den Koffer, das Silbergeld hingegen kam in einen Auszug von der Kommode; und das alles sahen die drei Kinder. Am andern Tage, als die Eltern über Feld waren, sagten die Kinder unter einander: »Ob Hans Winter wohl schon dagewesen ist?« Als sie die Kommode öffneten, lag das Geld noch alle drin; und sie stellten sich aus Stubenfenster, unter welchem der Fußweg vorbeigieng, und [123] so oft jemand vorüberkam, fragten sie: »Heißt ihr Hans Winter? Das Geld ist noch da!« Lange wollte erst keiner kommen, der Hans Winter hieß; endlich jedoch ließ sich von fern ein Schusterjunge sehen und hören, der war aus der Stadt und trug ein Paar Stiefel auf dem Rücken, mit welchen er pfeifend und singend nach einem andern Dorfe gieng. Als er unter das Fenster kam, fragten die Kinder auch ihn: »Heißt ihr Hans Winter? Das Geld ist noch da!« Der Junge besann sich nicht lange und antwortete: »Ich heiße Hans Winter; so gebt mir das Geld!« Sie warfen ihm alle blanken Thaler und Groschen durchs Fenster in einen der Stiefel, und er gieng singend und pfeifend weiter. – Gegen Mittag kehrten die Eltern heim, und als die Mutter vor die Kommode gieng, um die Eßlöffel herauszunehmen, merkte sie den Verlust und fragte: »Wo ist das Geld geblieben?« Die Kinder antworteten: »Hans Winter hat's geholt.« Die Mutter erschrak nicht schlecht und fragte genauer nach; da erfuhr sie denn die ganze Geschichte und peitschte die Kinder durch; hierauf rief sie den Vater herein, und da bekamen sie noch eine tüchtige Portion. Damit indes war das Geld nicht wieder da, und als die Kinder den Hans Winter genau beschrieben hatten, giengen sie mit dem Vater hinter ihm her.

Es dauerte nicht lange, so waren sie im Walde, und da sich der Weg hier theilte, mußten sie dem einen nachgehen, während der Vater den andern einschlug. Dieser suchte vergebens bis an den Abend, da kehrte er nach Hause zurück; den Kindern sollte es anders ergehen. Als sie nämlich eine Weile gegangen waren, begegnete ihnen ein reisender Handwerksbursch, und auf ihre Frage nach Hans Winter und auf ihre Beschreibung desselben erfuhren sie, daß sie sich auf dem rechten Wege befänden. Noch mehrere Leute trafen sie an, und alle sagten dasselbe aus; und sie giengen und giengen, und alle Augenblick riefen sie: »Hans Winter! Hans Winter!« Einmal hatten sie wieder aus Leibeskräften geschrieen; da plötzlich knackte es im Gebüsch, und gleich darauf trat ein großer Fuß vor sie hin, der saß an einem baumdicken Beine; bald kam ein zweiter Fuß nach, und damit stand ein gefährlicher [124] Riese vor ihnen. »Was soll Hans Winter?« brüllte Hans Winter; denn so hieß der Riese. Die Kinder konnten erst nicht sprechen, so hatten sie sich erschrocken; als sie ihm aber die Geschichte erzählt und den kleinen Hans Winter genau beschrieben hatten, lachte er unmäßig und sprach: »Wenn ihr den sucht, so müßt ihr euch an einen andern wenden; schreit hier aber nicht wieder so laut, sonst freß' ich euch.« Mit den Worten gieng er weg, und die Kinder machten gleichfalls, daß sie fortkamen. Als sie noch eine Weile gegangen waren, kamen sie an ein Haus, und siehe, vor dem Hause saß der Schusterjunge auf einer Bank und schlief. Es war aber schon dämmerig geworden, und so schlichen sie sich leise hinzu, daß sie niemand bemerke, nahmen den Stiefel sammt dem Gelde und liefen zurück in den Wald. Eine Stunde darauf weckte der Wirth den Schusterjungen, und als diesem nicht nur das Geld, sondern auch der Stiefel fehlte, rannte er wie toll umher und tobte so heftig, daß der Wirth ihn aus dem Hause warf. Und er lief heulend durch den Wald und schrie; da faßte eine große Hand zwischen den Bäumen durch, und indem der Riese sprach: »Stört ihr mich schon wieder, ihr Schreihälse?« schluckte er den armen Schusterjungen mit Haut und Haar hinunter. Das hatten die drei Kinder alles mit angehört, denn sie lagen dicht dabei hinter einem Busche; und als der Riese wieder weg war, liefen sie, daß sie zu den Eltern kamen.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 37. Hans Winter. 37. Hans Winter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5682-E