Denis Diderot
Die geschwätzigen Kleinode
oder
Die Verräter
(Les Bijoux indiscrets)

Erstes Bändchen

[Motto]

Favete linguis!

Horat.

[Einleitung]

[1] Zima, benutzen Sie diesen Augenblick. Aga Nakis unterhält Ihre Mutter. Ihre Erzieherin lauscht am Erker, ob Ihr Vater zurückkommt: nehmen Sie, lesen Sie, fürchten Sie nichts. Entdeckte man aber auch »Geschwätzige Kleinode« hinter Ihrem Nachttisch, glauben Sie etwa, daß man sich darob groß wundern würde? Nein, Zima, nein; es ist ja bekannt, daß »Der Sofa«, »Der Tanzaï« und »Die Beichten« unter Ihrem Kopfkissen lagen. »Sie bedenken sich noch? So wissen Sie denn, Aglae hat nicht verschmäht das Werk in die Hand zu nehmen, das Sie anzunehmen erröten.« »Aglae? Die tugendhafte Aglae?« »Fragen Sie eben die!« antworte ich. Während Zima sich mit dem jungen Bonzen Allelma langweilte oder vielleicht gar sich mit ihm vergaß genoß Aglae des unschuldigen[1] Vergnügens, mich über die Abenteuer Zaidens, Alfanens, Fannys usw. zu belehren. Ihr verdank' ich die wenigen Züge, die mir in Mangoguls Geschichte gefallen; sie sah sie durch und gab mir Winke, wie ich sie verbessern könnte. Denn Aglae ist eine der am meisten tugendhaften und am wenigsten erbaulichen Frauen im Congo, sie ist auch am wenigsten erpicht auf Schöngeisterei und dennoch eine der geistreichsten. Sollte dem ungeachtet Zima immer noch glauben sich zieren zu müssen? Noch einmal, Zima: nehmen Sie, lesen Sie, lesen Sie alles, selbst das Protokoll des reizenden Kleinodes. Man wird es Ihnen verdolmetschen, ohne daß es Ihrer Tugend etwas kostet: nur sei der Dolmetscher weder Ihr Gewissensrat, noch Ihr Liebhaber.

Mangoguls Geburt

Hia uf Zeles Tanzai beherrschte seit langer Zeit das große Scheschian, und dieser wollüstige Fürst war immer das Entzücken [2] seines Landes. Acaju, König von Minuzien erfüllte die Weissagung seines Vaters. Zulmis hatte gelebt, der Graf von Facardin lebte noch, Splendide, Angola, Misapuff und einige andere Regenten Hindostans und Asiens starben plötzlich. Die Volker, müde der Herrschaft schwachsinniger Gebieter, hatten das Joch ihrer Nachkommen abgeschüttelt; und die Abkömmlinge dieser unglücklichen Monarchen durchirrten unbekannt und beinahe unbemerkt die Provinzen ihrer Reiche. Nur der Großsohn der erlauchten Scheherazade saß fest auf seinem Thron, und man gehorchte ihm in Mogolistan unter dem Namen Schah Baham, als Mangogul im Congo geboren wurde. Vieler Fürsten Untergang war, wie man sieht, der traurige Zeitpunkt seiner Geburt.

Ergebzed, sein Vater, berief keine Feen um die Wiege des Sohns. Er hatte bemerkt, daß die Fürsten seiner Zeit, deren Erziehung man diesen weiblichen Genien vertraute, größtenteils Pinsel geworden waren. Doch trug er einem gewissen Codindo [3] auf, ihm seine Nativität zu stellen; einem vom Schlag jener Menschen, die leichter zu beschreiben als zu durchschauen sind.

Codindo war Oberster des Kollegiums der Vogeldeuter in Banza, der uralten Hauptstadt des Reiches. Ergebzed zahlte ihm ein großes Gehalt, und beschenkte ihn und seine Nachkommen mit einem prächtigen Schlosse an der Grenze von Congo, zum Lohn für die Verdienste seines Groß-Oheims, der ein trefflicher Koch war. Codindo hatte die Obliegenheit, den Flug der Vögel wie den Zustand des Himmels zu beobachten und dem Hofe Bericht darüber abzustatten. Das tat er schlecht genug. Allerdings besaß Banza die besten Schauspiele in ganz Afrika, und die häßlichsten Schauspielhäuser; dafür aber hatte es das schönste Observatorium der Welt und die allerelendsten Prophezeiungen.

Codindo wußte, was man in Ergebzeds Palaste von ihm verlangte, und verfügte sich sehr betreten dahin. Der arme Mann konnte so wenig in den Gestirnen lesen, [4] als Ihr und ich. Man erwartete ihn mit Ungeduld. Die vornehmsten Herren des Hofes waren im Gemach der Großsultanin versammelt. Prächtig geputzte Damen umgaben die Wiege des Kindes Höflinge wetteiferten, ihrem Herrn zu den großen Dingen Glück zu wünschen, die er ohne Zweifel über seinen Sohn erfahren würde. Ergebzed als Vater fand nichts natürlicher, als daß man in den noch ungebildeten Zügen eines Kindes erkenne, welch ein Mann dereinst aus ihm werden würde.

Endlich erschien Codindo. »Treten Sie näher,« sprach Ergebzed. »Da mir der Himmel den Prinzen bescherte, den Sie hier sehn, ließ ich den Augenblick seiner Geburt sorgfältig aufnehmen und man hat Ihnen darüber berichten müssen. Reden Sie aufrichtig zu Ihrem Herrn, offenbaren Sie ihm ohne Anstand, welch ein Schicksal der Himmel seinem Sohn bestimmt.«

»Großmächtiger Sultan,« antwortete Codindo, »der Prinz ist von ebenso erlauchten als glücklichen Eltern geboren, sein Schicksal kann nicht anders als groß[5] und glücklich sein; nur würd' ich Ew. Hoheit hintergehn, wenn ich mich vor Ihr mit einer Wissenschaft brüsten wollte, die ich nicht besitze. Die Gestirne gehn mir auf und unter wie andern Menschen und erhellen mir so wenig die Zukunft, als dem allerunwissendsten Ihrer Untertanen.«

»Wie?« versetzte der Sultan, »sind Sie kein Sterndeuter?« – »Großmächtigster Fürst,« antwortete Codindo, »die Ehre hab' ich nicht.«

»Was Teufel sind Sie denn?« erwiderte der alte aber aufbrausende Ergebzed. »Vogeldeuter!« – »Wahrhaftig! es kam mir nicht bei, daß Sie sich das träumen ließen. Glauben Sie mir, Herr von Codindo, lassen Sie Ihre Hühner in Frieden essen, und entschließen Sie sich über das Schicksal meines Sohnes zu sprechen, wie letzthin über das Schnupfenfieber des Papageis meiner Frau.«

Sogleich zog Codindo eine Lupe aus der Tasche, ergriff das linke Ohr des Kindes, rieb sich die Augen, setzte seine Brillen herüber und hinüber, betrachtete dieses [6] Ohr genau, dann das rechte, und sprach: »die Regierung des jungen Prinzen wird glücklich sein, wenn sie lang ist.«

»Ich verstehe,« nahm Ergebzed das Wort: »Mein Sohn wird herrliche Taten verrichten, wenn er Zeit dazu hat. Aber Sackerlot! das will ich ja eben wissen, ob er Zeit haben wird. Was liegt mir daran, wenn er tot ist, daß er der erste Fürst der Erde gewesen wäre, wenn er gelebt hätte? Ich berufe Sie, um das Leben meines Sohnes vorherzusehen, und Sie halten mir seine Leichenrede!«

Codindo antwortete dem Fürsten, es tue ihm leid, nicht mehr zu wissen. Aber er bat Seine Hoheit zu bedenken, daß es wohl genug sei, für die kurze Zeit die er Wahrsager wäre. Und in der Tat, was war Codindo einen Augenblick vorher?

Mangoguls Erziehung

Man erlaube mir über Mangoguls erste Jahre wegzuschlüpfen. Die Kindheit der Fürsten ist wie die Kindheit anderer Menschen; [7] mit dem Unterschiede freilich, daß es ihnen gegeben ist, eine Menge witziger Sachen zu sagen, ehe sie reden können. Kaum war auch Ergebzeds Sohn vier Jahr alt, als eine ganze Sammlung derselben, den hundertvierundsiebzigsten Teil der Kinderbibliothek ausmachte. Ergebzed war ein verständiger Mann und wollte nicht, daß seines Sohnes Erziehung so vernachlässigt werden sollte, wie die seinige. Daher berief er sehr frühzeitig um ihn und besoldete ansehnlich an seinem Hofe, was Congo an großen Männern jeder Art besaß: Maler, Weltweise, Dichter, Tonkünstler, Baumeister, Tanzmeister, Mathematiker, Geschichtslehrer, Fechtmeister usw. Mangogul hatte sehr glückliche Anlagen, und der anhaltende Unterricht seiner Lehrer trug dazu bei, ihn alles wissen zu lassen, was ein junger Fürst in den ersten fünfzehn Jahren seines Lebens zu lernen gewohnt ist. In seinem zwanzigsten Jahre trank er, und aß, und schlief, so vollkommen, als irgendein Gewalthaber seines Alters.

[8] Ergebzed fühlte an der Last seiner Jahre die Last seiner Krone. Er war es müde, die Zügel des Reiches zu halten. Drohende Unruhen schreckten ihn, Mangoguls hervorragende Talente erweckten sein Vertrauen, fromme Gefühle drangen auf ihn ein, bei den Großen sichere Verboten ihres nahen Todes oder ihres Blödsinns, und darum stieg er vom Thron, um seinen Sohn darauf zu setzen: und dieser gute Fürst glaubte der Einsamkeit zu bedürfen, um die Verbrechen einer Verwaltung abzubüßen, deren die Jahrbücher Congos als der allergerechtesten Meldung tun. Also begann im Jahre der Welt 150000003200001, des Reiches Congo 390000070003, die Regierung Mangoguls in direkter Linie des 1234500sten seines Stammes. Häufige Sitzungen im Staatsrat, Kriege, die er bestand, und Betreibung der Geschäfte, lehrten ihn bald, was ihm noch zu wissen übrig blieb, da er aus den Händen seiner Schulmeister kam, und das war etwas.

Unterdessen erlangte Mangogul in weniger als zehn Jahren den Ruf eines großen [9] Mannes. Er gewann Schlachten, eroberte Städte, vergrößerte sein Reich, gab seinen Provinzen Frieden, hob die Unordnung der Staatseinkünfte, ließ Künste und Wissenschaften wieder aufblühen, errichtete Gebäude, machte sich unsterblich durch nützliche Anstalten, befestigte und verbesserte die Gesetze, errichtete sogar Akademien. Das alles tat er, und dennoch – seiner Universität blieb es ewig unbegreiflich! – und dennoch verstand er kein Wort Latein.

Mangogul war nicht minder liebenswürdig in seinem Serail, als groß auf dem Thron. Es fiel ihm nicht ein, nach der lächerlichen Sitte des Landes zu leben. Er sprengte die Pforten des Harems. Er verjagte die beleidigenden Keuschheitswächter, und verließ sich bezüglich der Treue der Damen weislich auf die Damen selbst. Man ging so frei in ihr Gemach, wie man in Flandern in ein Fräuleinstift geht, und betrug sich ohne Zweifel ebenso sittsam darin. Welch ein guter Sultan! Seinesgleichen findet man nur in einigen französischen Romanen. Er war mild, leutselig, fröhlich, [10] einschmeichelnd, von reizendem Aussehen, liebte das Vergnügen, war wie geschaffen dazu, und vereinigte mehr Witz in seinem Kopfe, als alle seine Vorgänger zusammengenommen.

Es läßt sich leicht denken, daß so seltene Verdienste viele Damen bewogen, auf seine Eroberung auszugehn. Einigen gelang es. Die sein Herz verfehlten, versuchten sich mit den Großen seines Hofes zu trösten. Zu den ersten gehörte die junge Mirzoza. Ich darf mich nicht damit aufhalten, ihre Tugenden und ihre Reize herzuzählen. Das gäbe ein Werk ohne Ende, und diese Geschichte soll doch eins haben.

Anfang der Geschichte

Schon waren Jahre verflossen, und Mirzoza blieb Mangoguls Geliebte. Die Liebenden hatten sich alle jene Phrasen gesagt und tausendfältig wiederholt, die selbst den geistreichsten Leuten eine heftige Leidenschaft eingibt. Sie waren bis zur Vertraulichkeit gekommen und hätten es für Sünde [11] gehalten, sich den geringfügigsten Umstand ihres Lebens zu verheimlichen. Sonderbare Fragen wie: »hätte der Himmel, der mich auf den Thron setzte, mich im Staube geboren werden lassen, wären Sie zu mir herabgestiegen? Hätte Mirzoza mich dennoch mit ihrer Liebe gekrönt?« »Wenn Mirzoza ihre geringen Reize verlöre, würde Mangogul sie immer lieben?« Derartige Fragen, sag' ich, die Liebende von Erfindungsgabe im Scharfsinn üben, nicht selten sogar empfindsame Liebende entzweien und die aufrichtigsten Liebenden gar oft zu Lügen verleiten, waren für sie schon verbraucht. Die Favorite, eine große Meisterin in der so notwendigen und seltenen Kunst gut zu erzählen, hatte die Skandalgeschichten von Banza bereits erschöpft. Da sie nicht viel Temperament besaß, so war sie nicht immer aufgelegt, des Sultans Liebkosungen zu empfangen, noch der Sultan immer gelaunt, ihre dergleichen anzutragen. Kurz, es gab Tage, wo Mangogul und Mirzoza nichts zu reden, beinahe nichts zu tun hatten, und, ohne sich [12] darum weniger zu lieben, sich schlecht unterhielten. Solche Tage waren selten, ader es gab ihrer doch, und so einer grade war es.

Der Sultan lag nachlässig auf einem Lehnstuhl, der Favorite gegenüber. Sie häkelte und sprach kein Wort dabei. Eine Spazierfahrt erlaubte das Wetter nicht. Mangogul mochte keine Piquetpartie vorschlagen; und diese verdrießliche Stimmung dauerte fast eine Viertelstunde, als der Sultan nach häufigem Gähnen anfing: »Man muß gestehn, Geliotte sang wie ein Engel!« »Und Ihrer Hoheit wird die Zeit zum Sterben lang,« setzte die Favorite hinzu. »Nein, Madame,« erwiderte der Sultan, und gähnte nur halb, »der Augenblick, in dem man Sie sieht, gehört niemals der Langeweile.« – »Das wäre ja beinahe galant gewesen! Aber Sie träumen, Sie sind zerstreut, Sie gähnen; was fehlt Ihnen, Fürst?« – »Ich weiß nicht,« sagte der Sultan. »Ich errate es«, fuhr die Favorite fort: »Ich war achtzehn Jahr alt, da ich das Glück hatte, Ihnen zu gefallen. Sie lieben mich seit vier Jahren. Achtzehn und vier [13] sind zweiundzwanzig. Ich bin freilich sehr alt.« Mangogul lächelte über die Rechnung. »Wenn ich denn also,« setzte Mirzoza hinzu, »für das Vergnügen nichts mehr tauge, so will ich Ihnen wenigstens zeigen, daß guter Rat bei mir zu finden ist. Die Abwechslung aller Freuden um Sie her hat Sie vor Überdruß nicht bewahren können. Ja, Sie sind übersättigt. Das ist Ihre Krankheit, Fürst.« – »Ich gebe nicht zu, daß Sie recht haben,« sprach Mangogul, »aber gesetzt, es wäre so, wüßten Sie ein Mittel dagegen?« Mirzoza bedachte sich einen Augenblick und antwortete dann dem Sultan: Seine Hoheit hätten ihr soviel Vergnügen an den galanten Abenteuern der Stadt zu finden geschienen, daß sie bedaure, nicht mehr davon zu wissen, oder über die seines Hofes nicht besser unterrichtet zu sein; zu diesem Mittel würde sie wieder ihre Zuflucht genommen haben, bis ihr ein besserer Einfall gekommen wäre. »Das halte er auch für gut,« sagte Mangogul, »aber wer weiß die Geschichte aller jener Närrinnen? Und wenn sie jemand [14] wüßte, wer kann erzählen wie Sie?« – »Suchen wir sie nur zu erfahren,« erwiderte Mirzoza, »es mag sie erzählen wer da will, Ihre Hoheit gewinnen sicherlich mehr an Gehalt der Sache, als Sie an der Einkleidung verlieren.« »Ich werde mir,« sagte Mangogul, »wenn Sie wollen, mit Ihnen zusammen die Damen meines Hofes sehr unterhaltsam vorstellen, aber was hilft mir das? Wären sie noch hundertmal mehr, es ist ja unmöglich dahinter zu kommen.« »Es mag schwierig sein,« antwortete Mirzoza, »aber das ist auch alles, denk' ich. Der Genius Cucufa, Ihr Verwandter und Freund, hat größere Wunder getan. Was fragen Sie den nicht um Rat.« – »Freude meines Lebens!« rief der Sultan, »Sie sind bewundernswert. Was der Genius für mich tun kann, das wird er aufbieten. Daran zweifele ich nicht. Gleich verschließ' ich mich in mein Betzimmer und will ihn heraufbeschwören.« Mangogul stand auf, küßte der Favorite linkes Auge, nach der Sitte von Congo, und ging hinaus.

[15] Die Beschwörung

Der Genius Cucufa ist ein alter Hypochondrist. Aus Furcht, daß die Fallstricke der Welt und der Umgang mit andern Genien seinem Seelenheil gefährlich werden möchten, flüchtete er in einen leeren Raum. Dort beschäftigte er sich nach Herzenslust mit den unendlichen Vollkommenheiten der großen Pagode, kneift sich, kratzt sich, treibt Unfug, hat Langeweile, wütet und hungert. Dort liegt er auf einer Matte. Den Leib in einen Sack genaht, die Lenden mit einem Strick umgürtet, die Arme kreuzweise über die Brust geschlagen, und den Kopf in eine Kutte gehüllt, aus welcher nur das äußerste Ende seines Bartes hervorragt. Er schläft, aber man sollte glauben, er sei in Betrachtung versunken. Seine ganze Gesellschaft besteht aus einem Kauz, der zu seinen Füßen schlummert, aus einigen Ratzen, die an seiner Matte nagen, und aus Fledermäusen, die um sein Haupt schwirren. Wer ihn beschwören will, spricht unter Schellengeläut den ersten Vers des nächtlichen Gebets [16] der Braminen, dann rückt er seine Kappe in die Höhe, reibt sich die Augen, fährt in seine Pantoffeln und eilt herbei. Denkt euch einen alten Camaldulenser Mönch, der zwei große Nachteulen an den Pfoten hält und von ihnen in der Luft getragen wird. In diesem Kostüme erschien Cacufa dem Sultan. »Bramas Segen sei mit dir,« sprach er, als er sich niederließ. »Amen,« antwortete der Fürst. »Was willst du, mein Sohn?« »Eine Kleinigkeit,« sagte Mangogul, »etwas Spaß auf Kosten meiner Hofdamen.« »Sohn! Sohn!« erwiderte Cacufa. »Du allein hast ja mehr Begierden, als ein ganzes Braminen-Kloster. Was denkst du mit dieser Herde Närrinnen anzufangen?« »Ich will wissen, was sie für Liebeshändel haben und hatten, weiter nichts.« – »Das ist ja unmöglich,« sprach der Genius. »Welches Weib beichtet ihre Liebeshändel? Das geschah nicht, geschieht nicht und wird nicht geschehn.« »Es soll aber geschehn,« versetzte der Sultan. Der Genius kratzte sich am Ohr, strich aus Zerstreuung seinen langen Bart durch seine [17] Finger, und versank in Nachdenken. Er erwachte bald daraus: »Sohn,« sprach er zu Mangogul, »ich liebe dich; du sollst deinen Willen haben.« Nun fuhr er mit der Rechten in einen tiefen Sack, der ihm unter der linken Achsel hing, und suchte unter Bildern, Rosenkränzen, Bleimännerchen und verschimmelten Zuckerkörnern ein silbernes Reifchen hervor, das Mangogul anfangs für einen Hubertsring hielt. »Nimm diesen Ring, mein Sohn,« sprach er zum Sultan. »Steck ihn dir an den Finger. So oft du seinen Stein gegen ein Weib wendest, wird sie dir ihre Heimlichkeiten laut, deutlich und verständlich hererzählen. Nur glaube nicht etwa, daß sie durch ihren Mund zu dir reden werde.« »Das wär' der Henker!« rief Mangogul, »wodurch wird sie denn reden?« »Durch den offenherzigsten Teil, der an ihr ist,« sagte Cacufa, »durch den Teil, der das am besten weiß, was du zu erfahren begehrst; durch ihr Kleinod.« »Durch ihr Kleinod?« versetzte der Sultan, mit schallendem Gelächter. »Ihr Kleinod soll reden? das ist ja [18] außer aller Regel!« »Sohn,« sprach der Genius, »ich habe deinem Großvater zu Liebe wohl andre Zeichen getan, also verlaß dich auf mein Wort. Brama sei mit dir! Gebrauche das Pfand wohl, das der Himmel dir verleiht, und erinnere dich, daß der Weise seiner Neugier Schranken setzt.« Mit diesen Worten schüttelte der Gleißner den Kopf, verhüllte ihn wieder in seine Kutte, ergriff die Eulen bei den Pfoten, und verschwand in den Lüften.

Die Versuchung

Kaum war Mangogul im Besitz des geheimnisvollen Ringes, als ihn die Versuchung anwandelte, ihn zuerst bei der Favorite zu erproben. Ich vergaß zu sagen, daß der Ring nicht nur die Eigenschaft hatte, die Kleinode der Weiber reden zu lassen, gegen welche man seinen Stein drehte, sondern daß er auch denjenigen unsichtbar machte, der ihn am kleinen Finger trug. Daher konnte sich Mangogul, vermittels seiner, im Augenblick an hundert Orte versetzten, [19] wo man ihn nicht erwartete; und viele Dinge mit Augen sehn, wobei man gewöhnlich keine Zeugen zuläßt. Er durfte nur den Ring anstecken und sagen, ich will dort sein, sogleich war er da. Er stand also vor Mirzoza.

Mirzoza, die den Sultan nicht mehr erwartete, hatte sich zu Bette bringen lassen. Mangogul näherte sich leise ihrem Lager, und sah bei dem Schimmer eines Nachtlichts, daß sie eingeschlafen war. »Gut, daß sie schläft,« sprach er. »Gleich will ich den Ring an den andern Finger stecken, wieder sichtbar werden, den Stein der schönen Schläferin zudrehn und ihr Kleinod gelinde erwecken ... Doch was hindert mich? Ich zittre. Sollte Mirzoza vielleicht – Nein, das ist unmöglich. Mirzoza ist mir treu. Weg von mir, beleidigende Zweifel! Ich will euch nicht hören, ich darf nicht!« Schon ergriff er den Ring, aber schnell zog er auch seine Hand zurück, als hätt' er auf glühende Kohlen gefaßt: »Was tu' ich, Unglücklicher? Ich trotze Cucufas Warnung. Eine alberne Neugier zu befriedigen, wag' ich meine [20] Geliebte und mein Leben. Wenn ihr Kleinod sich beikommen ließe, albernes Zeug zu sprechen, so säh' ich sie nicht wieder, und stürbe vor Schmerz. Und wer weiß, was ein Kleinod für heimliche Nücken haben kann?« Mangogul war zu sehr erschüttert, um auf seiner Hut zu sein, er sprach die letzten Worte ein wenig laut, und die Favorite erwachte. Sie war minder erstaunt als froh über seine Gegenwart: »Sie sind da, gnädigster Herr?« sagte sie. »Warum hat man Sie nicht gemeldet? Es ziemt Ihnen nicht zu warten, bis ich erwache.«

Der Sultan antwortete der Favorite, indem er ihr den Erfolg seiner Unterredung mit Cucufa erzählte. Er wies ihr den erhaltenen Ring und verheimlichte keine seiner Eigenschaften. »Sie sind im Besitz eines teuflischen Geheimnisses!« rief Mirzoza. »Denken Sie es wirklich zu gebrauchen, gnädigster Herr?« – »Sapperment!« sagte der Sultan, »ob ich's gebrauchen werde? Mit Ihnen fang' ich an, wenn Sie mir lange dreinreden!« Bei diesen fürchterlichen Worten erblaßte die[21] Favorite, zitterte, faßte sich, und beschwor den Sultan, bei Brama und allen Pagoden von Hindostan und Congo, nur nicht an ihr ein Geheimnis zu erproben, wodurch er so wenig Zutrauen in ihre Treue beweisen würde: »War ich immer vorwurfsfrei,« fuhr sie fort, »so wird mein Kleinod kein Wort reden, und Sie haben mir dann eine Beleidigung zugefügt, die ich Ihnen nie vergeben würde. Fällt es ihm aber ein zu schwatzen, so verlier' ich Ihre Achtung und Ihr Herz. Und Sie selbst werden in Verzweiflung geraten. Bis jetzt scheint es, hat Ihnen Ihre Verbindung mit mir nicht leid getan. Warum wollen Sie es wagen, sie zu zerstören? Glauben Sie mir, gnädigster Herr, folgen Sie dem Rat des Genius. Er hat Erfahrung darin; auch ist es immer gut, eines Genius' Winke zu befolgen.« »Das sagt' ich mir eben selbst, als Sie erwachten,« antwortete Mangogul, »hätten Sie aber zwei Minuten länger geschlafen, so weiß ich nicht, was daraus geworden wäre.«

»Was daraus geworden wäre,« sprach [22] Mirzoza, »nun, von meinem Kleinod hätten Sie nichts Neues erfahren, mich aber hätten Sie auf immer verloren.«

»Sehr möglich,« versetzte Mangogul. »Und da ich jetzt die Größe der Gefahr erkenne, der ich entgangen bin, so schwöre ich Ihnen bei der ewigen Pagode, Sie sollen von der Zahl derjenigen ausgenommen sein, gegen die ich meinen Ring kehren werde.«

Darauf schien Mirzoza beruhigt und fing im Voraus an, über die Kleinode zu scherzen, die der Sultan zum Sprechen bringen würde. »Cidaliens Kleinod,« sagte sie, »hat viel zu erzählen. Wenn es nicht bedachtsamer ist als seine Gebieterin, so läßt es sich schwerlich lange bitten. Hariens Kleinod ist nicht mehr von dieser Welt, Ihre Hoheit werden glauben, eine Matrone aus dem vorigen Jahrhundert zu hören. Glauca hat so etwas, dem man gerne nachfragen möchte. Sie ist hübsch und gefallsüchtig.« – »Und gerade deswegen,« erwiderte der Sultan, »wird ihr Kleinod nichts zu sagen haben.« – »So wenden sich Ihre Hoheit [23] doch an Fatime,« versetzte die Sultanin, »sie ist verbuhlt und häßlich.« – »Ja wohl,« nahm der Sultan das Wort, »so häßlich, daß nur eine solche böse Zunge, wie die Ihrige, sie beschuldigen kann, sie sei verliebt. Fatime ist die Keuschheit selbst, das sag' ich Ihnen, ich weiß was ich sage.« »Ihre Hoheit haben zu befehlen,« erwiderte die Favorite, »aber Fatimens Katzenaugen sagen das Gegenteil.« – »So lügen ihre Augen«, antwortete der Sultan, etwas ärgerlich. »Ich mag nichts weiter von Fatimen wissen. Dem Himmel sei Dank, sie ist nicht das einzige Kleinod, das sich ausfragen läßt.« – »Darf man denn, ohne Ihre Hoheit zu beleidigen,« sprach Mirzoza, »sich erkundigen, welches Sie mit Ihrer Wahl beehren werden?« – »Das wird sich bald zeigen,« sagte Mangogul, »wenn sich der Hof bei der Mamimonbanda versammelt. (Das ist im Congo der Name der Großsultanin.) Da soll es uns so leicht nicht fehlen, und werden die Hofkleinode langweilig, so machen wir die Runde durch Banza. Vielleicht finden wir die der [24] Bürgerinnen gescheiter als die der Herzoginnen.« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich kenne alle beide; ich kann Ihnen versichern, es ist kein Unterschied unter ihnen, als das jene etwas vorsichtiger sind.« »Das wollen wir bald erfahren,« erwiderte Mangogul. »Aber ich muß lachen, wenn ich mir vorstelle, wie verlegen und erstaunt alle diese Frauen sein werden bei dem ersten Wort, das ihr Kleinod ausspricht. Ha! Ha! ha! Vergessen Sie nicht, Freude meines Herzens, daß ich Sie bei der Groß-Sultanin erwarte, daß ich meinen Ring nicht eher gebrauche, bis Sie da sind.« »Nur, gnädigster Herr,« sagte Mirzoza, »vergessen Sie auch nicht, was Sie mir versprochen haben.« Mangogul lächelte über ihre Besorgnis, gab ihr aufs neue sein Ehrenwort, begleitete es mit einigen Liebkosungen, und verließ sie.

Alcine

Mangogul ging früher als gewöhnlich zur Großsultanin. Alle Damen saßen am [25] Spieltisch. Er überlief mit seinen Augen diejenigen, deren guter Name fest gegründet war, entschloß sich seinen Ring an einer unter ihnen zu versuchen, und war nur verlegen über die Wahl. Noch stand er ungewiß, mit wem er beginnen sollte, als er eine junge Hofdame Mamimonbandas am Fenster gelehnt erblickte. Sie neckte sich mit ihrem Gemahl. Das befremdete den Sultan. Denn sie waren seit mehr als acht Tagen verheiratet. Sie hatten sich in einer Loge in der Oper gezeigt, sie waren in einem Wagen zum kleinen Korso, ins Bois de Boulogne und den Prater gefahren, sie hatten gemeinschaftliche Visiten beendet, und nunmehr erlaubte ihnen das Herkommen, sich nicht mehr zu lieben, ja nicht einmal zu begegnen. »Ist das Kleinod«, dachte Mangogul bei sich, »ebenso toll als seine Gebieterin, so werden wir ein erfreuliches Selbstgespräch vernehmen.« Indem erschien die Favorite. »Willkommen,« raunte der Sultan ihr zu, »ich habe unterdessen mein Netz ausgeworfen.« »Nach wem?« fragte Mirzoza. [26] »Nach den Leuten, die Sie dort am Fenster mitsammen albern sehn,« antwortete ihr Mangogul mit zwinkernden Augen. »Ein schöner Anfang,« versetzte die Favorite.

Alcine, so hieß die junge Dame, war lebhaft und reizend. Wenige Frauenzimmer des großherrlichen Hofes waren liebenswürdiger, keine hatte mehr Liebhaber. Ein Emir des Sultans hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Was die Lästerzungen von Alcinen verbreiteten, blieb ihm nicht verborgen; es machte ihn stutzig, aber er beobachtete das Herkommen: er fragte seine Geliebte, was er davon denken sollte? Alcine schwur ihm, diese Verleumdungen wären die Rache einiger Gecken, die stumm geblieben wären, wenn sie Gründe gehabt hätten zu reden; übrigens sei ja keiner von beiden gebunden, und sie überlasse es ihm, davon zu glauben, was ihm gut dünke. Der feste Ton dieser Antwort überzeugte den verliebten Emir von der Unschuld seiner Geliebten. Er schloß den Handel, und erhielt den Namen Gemahl mit allen seinen Vorrechten.

[27] Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie. Ein Ausbruch lauten Gelächters, dessen sich Alcine, bei einigen abgeschmackten Reden ihres Gemahls, nicht hatte erwehren können, ward durch die Wunderkraft des Ringes plötzlich gehemmt, und unter ihren Röcken hervor vernahm man alsbald ein Gemurmel: »Endlich hab ich doch einen Titel. Das ist mir herrlich lieb. Rang geht eben über alles. Wer meinem ersten Rat gefolgt wäre, hätte etwas Besseres für mich gefunden, als einen Emir: aber ein Emir ist immerhin besser als nichts.« – Bei dieser Stelle verließen alle Damen das Spiel, um zu suchen, woher die Stimme käme. Dieser Aufstand verursachte viel Geräusch. »Stille,« sprach Mangogul, »dies verdient Aufmerksamkeit.« Man ward still, und das Kleinod fuhr fort: »Ein Gemahl muß ein ansehnlicher Gast sein, weil sein Empfang soviel Vorkehrungen nötig macht. Was für Sorgfalt! Welch eine Sündflut von Myrtenwasser! Wenn man mich noch vierzehn Tage länger so hielte, so war es aus mit mir, so verschwand ich aus der [28] Reihe der Wesen, und der Herr Emir konnten sich anderswo einquartieren, oder Zaubermittel aufsuchen, um mir meine natürliche Gestalt wiederzugeben.« – Hier, versichert mein Gewährsmann, erblaßten alle Damen, sahen sich sprachlos an, machten ernste Gesichter, die man der Furcht zuschrieb, daß das Gespräch möchte allgemein werden, und nicht bei einer allein bleiben. – »Mir scheint freilich,« fuhr Alcinens Kleinod fort, »man brauchte für den Sultan nicht soviel Umstände zu machen; aber ich erkenne die Klugheit meiner Herrin an. Sie sorgte für den schlimmsten Fall, und ich ward für den Herrn eingerichtet, als wär es für seinen kleinen Jockey.«

Das Kleinod wollte in seinen ungewöhnlichen Enthüllungen fortfahren, als der Sultan, der das Ärgernis bemerkte, welches die züchtige Mamimonbanda an diesem seltsamen Auftritt nahm, den Ring zurückzog, und den Redner unterbrach. Der Emir war bei den ersten Worten des Kleinods seiner Frau verschwunden. Alcine verlor [29] die Fassung nicht und stellte sich eine Zeitlang ohnmächtig. Unterdessen flüsterten die Damen einander zu, sie habe Nervenkrämpfe. »Jawohl, Nervenkrämpfe,« sagte ein Stutzer, »die Ärzte nennen dergleichen hysterische Zufälle, das heißt Sachen, die aus der untern Region kommen. Es gibt dagegen ein sehr bewährtes Mittel. Etwas Kraftbewegendes, Kraftannehmendes, Kraftmitteilendes und Kraftbelebendes – ich werd' es den Damen vorlegen.« Man lächelte über diese Spötterei, und unser Zyniker fuhr fort: »Das ist sehr wahr, meine Damen. Ihr untertäniger Diener hat sich dieses Mittels bedient, eine Abnahme seiner Substanz zu hintertreiben.« »Herr Graf!« sagte ein junges Frauenzimmer, »was meinen Sie damit?« – »O Gnädigste,« antwortete der Graf, »das ist ein Umstand, dem jedermann ausgesetzt ist. Mein Gott, so etwas widerfährt uns allen!«

Die verstellte Ohnmacht nahm ein Ende. Alcine setzte sich so unerschrocken zum Spiel, als habe ihr Kleinod nichts gesagt, oder als [30] hab' es die schönsten Dinge von der Welt erzählt. Sie war sogar die einzige, die ohne Zerstreuung spielte. Diese Sitzung trug ihr beträchtliche Summen ein. Die andern wußten nichts was sie thaten, kannten ihre Karten kaum, vergaßen was heraus war, vernachlässigten ihre Inviten, trumpften zur Unzeit, und begingen tausend andere Fehler, die Alcine sich zunutze machte. Endlich hörte man auf zu spielen, und jedermann fuhr nach Hause.

Der Vorfall machte gewaltiges Aufsehn, am Hofe, in der Stadt, und im ganzen Reich. Er ward der Gegenstand vieler Epigramme. Die Rede von Alcines Kleinod ward gedruckt, erläutert, verbessert, vermehrt, und von allen schönen Geistern des Hofes mit Anmerkungen begleitet. Der Emir kam in ein Volkslied, seine Frau ward unsterblich. Im Schauspielhause zeigte man auf sie. Auf den Spaziergängen lief man ihr nach. Um sie her war ein Gedränge, und dann hörte sie murmeln: »das ist sie! ja die! ihr Kleinod hat zwei Stunden lang, hintereinander, gesprochen!« Alcine ertrug diesen neuen [31] Ruhm mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit. Sie blieb bei diesen und tausend andern Äußerungen viel ruhiger als die andern Damen. Diese fürchteten alle Augenblick, daß auch ihr Kleinod anfangen würde zu schwatzen. Aber gar die Begebenheit des nächsten Kapitels brachte sie vollends in Verwirrung.

Da die Gesellschaft aufbrach, gab Mangogul der Favorite den Arm und führte sie auf ihr Gemach. Sie war bei weitem nicht so heiter und fröhlich, als sie gewöhnlich zu sein pflegte. Sie hatte beträchtlich im Spiel verloren, und die Wirkung des fürchterlichen Ringes versenkte sie in ein Nachdenken, aus dem es nicht so leicht war sich zu erholen. Sie kannte die Neugier des Sultans; und das Versprechen eines Mannes, der mehr eigensinnig als verliebt war, schien ihr nicht zuverlässig genug, um sie von aller Unruhe zu befreien. »Was fehlt Ihnen, Wonne meiner Seele?« fragte Mangogul, »warum sind Sie so in Gedanken?« »Nie hab ich mit so beispiellosem Pech gespielt,« antwortete Mirzoza, [32] »Ich hatte zwölf Bilder; ich glaube, ich habe den ganzen Abend nicht drei Stiche gemacht.« »Das tut mir leid,« sagte Mangogul. »Aber was halten Sie von meinem Geheimnis?« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich bleibe dabei, es kommt vom Teufel. Es wird Ihnen unstreitig Vergnügen machen, aber dies Vergnügen wird schreckliche Folgen haben. Sie verbreiten Unruhe in allen Familien, den Männern geht ein Licht auf, die Liebhaber verzweifeln, die Frauen sind verloren, die Mädchen entehrt, und weiß ich, was sonst noch geschehn kann? O gnädigster Herr, ich beschwöre Sie ...« »Bei meiner Seele!« unterbrach Mangogul, »Sie reden ja wie ein Bußprediger! Ich möchte wohl wissen, warum Ihnen gerade heute die Liebe des Nächsten so nahe zu Herzen geht? Nein, Madame, nein, ich behalte meinen Ring. Mag den Männern ein Licht aufgehn, mögen die Liebhaber verzweifeln, die Weiber zugrunde gehen und die Mädchen entehrt werden, wenn ich mich nur dabei gut unterhalte. Bin ich [33] denn umsonst Sultan? Auf Wiedersehn, Madame! Es steht zu hoffen, daß die folgenden Auftritte possierlicher sind, wie der erste, und daß Sie selbst mit der Zeit Geschmack daran finden« – »Das glaub' ich nicht, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza. »Und ich bürge Ihnen dafür. Sie werden die Kleinode unterhaltend finden, so unterhaltend, daß Sie sich nicht erwehren können, Ihnen Gehör zu geben. Was sagen Sie, wenn ich sie Ihnen als Abgesandte zuschicke? Die Langeweile ihrer Reden will ich Ihnen ersparen, wenn Sie es wünschen; aber die Erzählung ihrer Begebenheiten sollen Sie aus ihrem Munde erfahren, oder aus dem meinigen. Der Entschluß steht fest, davon geh ich nicht ab. Lassen Sie es sich also angelegen sein, mit den neuen Sprechern vertraut zu werden.« Darauf umarmte er sie, ging in sein Kabinett, überdachte den Versuch, den er angestellt hatte, und zollte dem Genius Cacufa seinen andächtigen Dank.

[34] Die Altäre

Am andern Abend gab Mirzoza ein kleines Nachtmahl. Die Gäste versammelten sich zeitig in ihrem Gemach. Man war gern bei ihr, bevor sich das Schreckenszeichen des vorherigen Abends ereignete, für heute fand man sich ein, weil man es nicht ändern konnte. Alle Damen sahen verlegen aus und sprachen nichts als einzelne Worte. Sie saßen auf der Lauer und erwarteten jeden Augenblick, es werde sich irgendein Kleinod ins Gespräch mischen. Allen wässerte der Mund, Alcinens Unglück aufs Tapet zu bringen, aber keine wagte davon anzufangen. Nicht als ob ihre Gegenwart jemanden zurückgehalten hätte; denn sie blieb aus, obwohl eingeladen. Man vermutete, daß sie Kopfschmerzen habe. Endlich aber, sei es, daß man vielleicht die Gefahr weniger fürchtete, weil man den ganzen Tag hindurch nur Mäuler hatte reden hören, oder daß man sich nur dreist stellte: Das Gespräch, das einzuschlafen drohte, belebte sich auf einmal, [35] sehr verdächtige Frauenzimmer bekamen wieder Haltung und Sicherheit, und Mirzoza fragte den Hofmann Zegris, ob es nichts Neues gebe: »Gnädige Frau,« antwortete Zegris, »die Vermählung des Aga Chazur mit der jungen Siberine, wovon man Ihnen Mitteilung gemacht hatte, ist rückgängig gemacht worden.« »Warum?« fragte die Favorite. – »Chazur will eine sonderbare Stimme am Nachttisch seiner Dame vernommen haben. Seit gestern wimmelt der Hof von Leuten, die die Ohren spitzen, um, ich weiß nicht was für Geständnisse zu erhaschen, die man gar keine Lust hat ihnen mitzuteilen.«

»Das ist ja toll,« sagte die Favorite. »Alcinens Unglück, wenn es überhaupt eins ist, ist noch gar nicht erwiesen. Noch hat man nicht ergründet ...«

»Gnädige Frau,« unterbrach sie Zelmaide, »ich habe Wort für Wort verstanden. Sie sprach, ohne den Mund aufzutun. Ihre Reden waren sehr deutlich. Auch ließ sich leicht erraten, woher diese befremdliche Stimme kam. Ich gestehe [36] Ihnen, widerführe mir dergleichen, ich wäre auf der Stelle tot.«

»Tot?« versetzte Zegris. »Man überlebt wohl ärgere Dinge.« »Ärgere?« rief Zelmaide. »Was kann ärger sein, als wenn ein Kleinod zu schwatzen anfängt? Alsdann ist kein andrer Rat. Man darf entweder keinen Liebhaber mehr haben, oder man muß sich gefallen lassen, daß die ganze Welt diesen Liebhaber kennt.«

»Die Wahl ist wirklich traurig,« sprach Mirzoza. »Nein, gnädige Frau,« versetzte eine andre, »nicht so traurig, daß man sich endlich nicht darein finden könnte. Man läßt die Kleinode schwatzen soviel sie wollen, und geht seinen Weg fort, ohne das Gerede zu achten. Ob nun das Kleinod einer Dame plaudert oder ihr Liebhaber, was liegt daran? Weiß man deswegen weniger, was man weiß?«

»Sie haben recht,« sagte eine dritte. »Ich glaube sogar, wenn eins von beiden sein muß, so ist es besser, daß die Welt die Heimlichkeiten einer Dame durch ihr Kleinod erfahre, als durch ihren Liebhaber.« [37] »Das ist ein sonderbarer Einfall,« sagte die Favorite. »Eine große Wahrheit,« erwiderte die, welche ihn gewagt hatte. »Bedenken Sie nur, in der Regel bricht der Liebhaber seine Verschwiegenheit, weil er mißvergnügt ist, und dann gerät er leicht in Versuchung, aus Rache zu übertreiben: aber ein Kleinod spricht ohne Leidenschaft und sagt nichts weiter als was wahr ist.«

»Ich meines Orts bin dieser Meinung nicht,« redete Zelmaide dazwischen. »Die Wichtigkeit der Aussagen schadet der Schuldigen weniger, als die Gültigkeit des Zeugnisses. Entehrt ein Liebhaber durch sein Geschwätz den Altar, auf welchem er opferte, so ist er eine Art Gotteslästerer, der keinen Glauben verdient: aber erhebt der Altar selbst seine Stimme, was kann man antworten?«

»Daß er nicht weiß, was er spricht,« versetzte die zweite. Monima hatte bisher nicht geredet, jetzt brach sie das Schweigen, und sagte nachlässig und mit gedehntem Ton: »meinetwegen mag mein Altar, wenn [38] er doch Altar heißen soll, reden oder schweigen; ich fürchte seine Worte nicht.«

Indem trat Mangogul herein und hörte Monimens letzte Worte. Er drehte seinen Ring gegen sie, und ihr Kleinod fing an zu schreien: »Glauben Sie ihr nicht, sie lügt!« Ihre Nachbarinnen sahn einander an und fragten sich, wem das Kleinod gehöre, welches geantwortet habe? »Mir nicht,« sagte Zelmaide; »mir auch nicht,« sprach eine andre; »mir auch nicht,« sagte Monima; »mir auch nicht,« sagte der Sultan. Alle Damen, die Favorite mit eingeschlossen, legten sich aufs Leugnen.

Der Sultan benutzte diese Ungewißheit und wandte sich zu den Damen. »Sie haben also Altäre?« fragt' er; »sind sie auch wohl geehrt?« Und indem er sprach, wandte er schnell hintereinander seinen Ring gegen alle Damen, Mirzoza ausgenommen. Jedes Kleinod antwortete, wie es die Reihe traf. Wie viel Stimmen untereinander! »Ich bin sehr besucht,« »ich gehe zugrunde,« »ich bin verlassen,« »ich bin müde,« »ich bin mit Weihrauch versehen,« [39] »ich bin schlecht bedient,« »ich bin gelangweilt« usw. Alle sprachen, aber so jäh, daß man ihnen nicht folgen konnte. Ihre Sprache, bald dumpf, bald kreischend; und von dem Gelächter Mangoguls und seiner Hofleute begleitet, verursachte ein ganz eigenartiges Geräusch. Die Damen sahen sehr ernsthaft drein, behaupteten aber, es wäre ungemein spaßhaft. »Allerdings,« sagte der Sultan, »es ist außerordentlich verbindlich von den Kleinoden, daß sie unsere Sprache reden und einen Teil der Kosten der Unterhaltung tragen wollen. Die Gesellschaft wird auf diese Weise verdoppelt und gewinnt unendlich dabei. Vielleicht reden wir Männer, bald auch nicht mehr bloß mit dem Munde. Wer weiß? Der Wardein dieser Kleinode ward vielleicht bestimmt, sie auszufragen und ihnen zu antworten. Mein Hofanatom ist freilich andrer Meinung.«

Das Nachtmahl

Es ward aufgetragen, man speiste, man scherzte auf Monimens Kosten; alle Damen [40] sagten ihr auf den Kopf zu, ihr Kleinod habe zuerst geredet. Sie würde diesem Bündnisse erlegen gewesen sein, wenn der Sultan nicht ihre Verteidigung übernommen hätte: »Monime hat vielleicht ebenso viele Liebhaber als Zelmaide,« sprach er, »nur halt' ich ihr Kleinod für verschwiegener. Überdem, wenn sich Mund und Kleinod eines Frauenzimmers widersprechen, wem soll man glauben?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »ich weiß nicht, was die Kleinode in der Folge sagen werden; bis jetzt aber haben sie nur ein Kapitel berührt, das Ihnen sehr geläufig ist. Solange sie die Klugheit beobachten, um von dem zu reden, was sie verstehn, glaub ich ihnen wie Orakelsprüchen.« »Es gibt zuverlässigere Orakel,« sagte Mirzoza. »Madam,« versetzte der Sultan, »was könnte diese bewegen, eine Unwahrheit zu sagen? Nur ein Wahn von Ehre vermöchte sie dahin zu bringen, aber solch einen Wahn hat ein Kleinod nicht. Das ist nicht der Ort, wo Vorurteile gedeihen.« »Ein Wahn von Ehre!« rief Mirzoza. »Vorurteile! [41] Wäre Ihre Hoheit den nämlichen Unzuträglichkeiten ausgesetzt wie wir, Sie würden fühlen, daß unser guter Name kein leerer Wahn ist.« Diese Antwort der Sultanin machte alle Damen dreist; sie behaupteten, es sei überflüssig, sie auf eine gewisse Probe zu stellen. Mangogul gestand, diese Probe sei wenigstens immer sehr gefährlich.

Unter solchen Gesprächen kam der Champagner, man trank, man fühlte ihn, die Kleinode wurden warm. Diesen Augenblick hatte Mangogul ausersehn, mit seiner Tücke wieder anzufangen. Er drehte seinen Ring gegen eine junge fröhliche Dame, die ihm zur Seite und ihrem Gemahl gegenübersaß. Da erhob sich unter dem Tisch eine klagende Stimme, schwache, weinerliche Töne: »Ach! ich bin am letzten! ich kann nicht mehr! Ich sterbe!« »Bei der Pagode Pongo Sabiam!« rief Husseim, »da spricht das Kleinod meiner Frau! Was kann es zu sagen haben ...?« »Das werden wir gleich hören,« antwortete der Sultan. »Erlauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte [42] Husseim, »seiner Rede aus dem Wege zu gehn. Denn wenn ihm irgendwelche Dummheiten entschlüpften, was sollte Eure Hoheit davon denken ...« »Ich denke, Sie sind verrückt,« erwiderte der Sultan, »wenn Sie sich über das Geschwätz eines Kleinodes beunruhigen. Was es sagen wird, wissen wir bereits zum größten Teil, und das Weitere erraten wir. Bleiben Sie sitzen und suchen Sie sich zu unterhalten.«

Husseim setzte sich wieder, und das Kleinod seiner Frau plauderte wie eine Elster; »Soll ich den vierschrötigen Valento ewig behalten?« sprach es. »Andre Männer hören doch einmal auf, aber der ...« Bei diesen Worten geriet Husseim in Wut, ergriff ein Vorlegemesser, stürzte herüber auf die andere Seite der Tafel und hätte seine Frau durchbohrt, aber die Nachbarn hielten ihn zurück. »Husseim,« sagte der Sultan, »wenn Sie toben, versteht man kein Wort. Ist denn das Kleinod Ihrer Frau allein nicht gescheut? Was würde aus diesen Damen werden, wenn ihre Männer so dächten wie Sie! Sie geraten [43] um ein elendes bißchen Abenteuer in Verzweiflung? Weil Valento nicht wieder aufhört. Bleiben Sie ruhig an Ihrem Platze, finden Sie sich in Ihr Schicksal, wie ein kluger Mann. Mäßigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie einem Fürsten schuldig sind, der Sie teil an seinen Vergnügungen nehmen läßt.« Husseim unterdrückte seine Wut, stützte sich auf eine Stuhllehne, verschloß die Augen und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Der Sultan drehte unmerklich seinen Ring, das Kleinod fuhr fort: Valentos junger Bursche würde mir besser gefallen, aber wer weiß, wann er anfangen wird? Bis dieser beginnt und jener zu Ende kommt, ergeb' ich mich in Geduld dem Brahminen Egon. Er ist häßlich, das ist wahr; aber weiß doch aufzuhören und wieder anzufangen. »O, die Brahminen sind geschickte Leute!«

Bei diesem Ausruf des Kleinods errötete Husseim, daß er sich um ein Weib hatte betrüben können, die es nicht verdiente, und stimmte in das Gelächter der Gesellschaft mit ein. Aber seiner Gemahlin [44] schenkte er darum nichts. Da die Tafel aufgehoben war, fuhr jedermann nach Hause, Husseim aber brachte seine Frau in ein Nonnenkloster und ließ sie dort einsperren. Mangogul hörte von ihrer Strafe und besuchte sie. Er fand das ganze Haus beschäftigt, sie zu trösten, oder vielmehr, die Ursache ihrer Verbannung von ihr herauszulocken. »Ich bin einer Kleinigkeit wegen hier,« sagte sie. »Gestern abend gab uns der Sultan ein vertrauliches Nachtessen. Der Champagner strömte, der Tokaier floß, niemand wußte mehr, was er sagte, und so fing auch mein Kleinod an zu schwatzen. Was es geredet haben mag, weiß ich nicht, aber mein Gemahl hat's ihm übel genommen.«

»Daran tut er sehr unrecht, gnädige Frau,« sagten die Nonnen; »wer wird über solche Lumperei böse werden? Wirklich? Ihr Kleinod hat gesprochen? Spricht es noch? Ach, wenn wir doch so glücklich wären, es sprechen zu hören! Das muß allerliebst witzige Einfälle haben.« Sie wurden erhört. Der Sultan drehte seinen [45] Ring gegen die arme Eingesperrte, und das Kleinod dankte den Umstehenden für ihre Höflichkeit, versicherte aber übrigens, diese Gesellschaft sei ihm zwar ungemein erfreulich, doch würde es die eines Brahminen unendlich vorziehn. Der Sultan benutzte diese Gelegenheit, über das Leben der Nonnen einige Einzelheiten zu erfahren. Sein Ring befragte das Kleinod einer jungen Schwester, Namens Celeanthis, und das sogenannte Jungfernding beichtete zwei Gärtner, einen Brahminen und drei Kavallerieoffiziere. Es erzählte, wie es durch Hülfe einer Mixtur und zweier Aderlässe allem Ärgernis vorgebeugt habe. Zephirine gestand durch den Mund ihres Kleinods, sie verdanke dem Klosterverwalter den ehrenvollen Namen Mutter. Was aber den Sultan besonders in Erstaunen setzte, war, daß die wohlverwahrten Kleinode sich so unanständig ausdrückten und daß die Jungfrauen, denen sie angehörten, zuhörten, ohne zu erröten. Das brachte ihn auf die Vermutung, daß, wenn man in dieser Einsamkeit auch wenig [46] praktische Übung habe, man doch im theoretischen Wissen sehr gut beschlagen wäre.

Um sich dessen zu versichern, drehte er seinen Ring gegen eine fünfzehn bis sechzehnjährige Novize. »Flora«, ließ sich ihr Kleinod vernehmen, »hat einen jungen Offizier mehr als einmal durchs Gitter mit dem Glase betrachtet. Ich weiß gewiß, er gefällt ihr. Das sagt mir ihr kleiner Finger.« – Arme Flora! Ihre Vorgesetzten verurteilten sie dafür zu zweimonatlichem Schweigen und Disziplin. Sie ordneten Gebete an, den Himmel zu bewegen, daß er die Kleinode des Stifts verstummen lasse.

Akademie der Wissenschaften

Mangogul hatte sich kaum von den Klosterjungfern entfernt, als das Gerede durch ganz Banza ging, die Nonnen im Stift Coccix-Bramu redeten vermittelst ihrer Kleinode. Husseims gewaltsame Verfügung gab diesem Gerücht Glauben, und die Gelehrten wurden aufmerksam darauf. [47] Die Erscheinung bestätigte sich, und die Freigeister fingen an, durch die Eigenschaften der Materie eine Tatsache erklären zu wollen, von der sie anfangs behauptet hatten, sie sei unmöglich. Das Geschwätz der Kleinode gab Veranlassung zu einer Menge vortrefflicher Aufsätze, und dieser wichtige Gegenstand bereicherte die Schriften der Akademie mit mehreren Abhandlungen, die man als die höchsten Leistungen des menschlichen Verstandes betrachten kann. Die Akademie der Wissenschaften zu Banza zu bilden und zu verewigen, hatte man berufen und berief man noch zu Mitgliedern die vorzüglichsten Gelehrten aus Congo, Monoemugi, Beleguanza und den umliegenden Reichen. Sie umfaßte unter verschiedenen Benennungen die Männer, die sich im Fach der Naturgeschichte, der Naturlehre, der Mathemathik bereits hervorgetan oder Hoffnung gegeben hatten, daß sie sich hervortun würden. Dieser unermüdliche Bienenschwarm arbeitete rastlos, Wahrheiten einzusammeln, und beschenkte das Publikum, [48] jedes Jahr, mit einem Bande Entdeckungen, der die Frucht ihres Fleißes war.

Sie war damals in zwei Parteien gespalten, die eine stritt für die Wirbel, die andere für die anziehende Kraft. Olibri, ein geschickter Meßkünstler und großer Naturkundiger, stiftete die Sekte der Wirbler. Circino, ein geschickter Naturkundiger und großer Meßkünstler, lehrte zuerst die anziehende Kraft. Olibri und Circino machten sich beide zur Aufgabe, die Natur zu erklären. Olibris Grundsätze haben auf den ersten Anblick etwas verführerisch Einfaches. Sie erklären im allgemeinen die hauptsächlichsten Erscheinungen, widersprechen ihnen aber im besonderen. Circino seinerseits scheint hinwiederum von einer absurden Voraussetzung auszugehn, indessen ist nur der Anfang bei ihm schwer. Die Untersuchung gerade der kleinsten Einzelheiten, die Olibris System über den Haufen wirft, befestigt das seinige. Er führt einen Pfad, der zwar beim ersten Schritt dunkel ist, der sich aber immer mehr erhellt, je weiter man vordringt. Olibris[49] Bahn hingegen ist am Eingang sehr erleuchtet, verfinstert sich jedoch immer mehr. Die Philosophie des letzteren verlangt weniger Studium, als Fassungskraft. Wer ein Schüler des ersteren werden will, muß viel Studium aufwenden und viel Fassungskraft besitzen. Olibris Schule betritt man ohne Vorbereitung, jeder mann hat den Schlüssel dazu. Circinos Schule steht nur den ersten Meßkünstlern offen. Olibris Wirbel sind jedem Verstande faßbar. Circinos Schwerkraft ist nur den Algebraisten erster Ordnung verständlich. Also kommen immer hundert Anhänger der Wirbeltheorie auf einen Anhänger der Attraktionslehre, und ein Attraktionär wiegt also immer hundert Wirbler auf. So stand es auch um die Akademie der Wissenschaften von Banza, als sie die Materie der redseligen Kleinode untersuchte.

Man wußte nicht, wie man der Erscheinung habhaft werden sollte. Sie widersprach der Lehre von der anziehenden Kraft. Der Äther drang dahin nicht. Vergebens forderte der Präsident die Herren [50] Mitglieder auf, ihre Meinungen zu eröffnen; ein tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung. Endlich erhob sich der Wirbler Persiflo, der schon eine Menge Abhandlungen über Gegenstände geschrieben hatte, von denen er nichts verstand: »Die Sache, meine Herren, könnte gar wohl mit dem Weltsystem zusammenhängen. Ich vermute sogar, daß sie im allgemeinen auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei, welche Ebbe und Flut bestimmen. Bemerken Sie, ich bitte, daß wir heute Vollmond haben und Tag- und Nachtgleiche. Doch bevor wir auf meiner Hypothese weiter bauen, heißt es abwarten, was die Kleinode in den nächsten vier Wochen sagen werden.«

Man zuckte die Achseln, man mochte ihm nicht einwenden, er rede ja selbst wie ein Kleinod; aber er ist ein durchdringender Kopf, er merkte gleich, daß man es dachte.

Der Anziehungsmann Reciproco nahm nun das Wort: »Meine Herren, ich habe eine Berechnungs-Tabelle über die mutmaßliche Höhe der Flut, in allen Häfen [51] des Königreichs, entworfen. Freilich widersprechen die bisherigen Beobachtungen meinen Berechnungen ein wenig: hoffentlich aber wird dieser kleine Übelstand wieder wettgemacht werden durch den Vorteil der Entdeckung, daß die Redseligkeit der Kleinode mit der Erscheinung der Ebbe und Flut zusammentrifft.«

Ein dritter stand auf, näherte sich der schwarzen Tafel, entwarf eine Figur mit Kreide und sagte: »Diese hier sei das Kleinod A.B. ...« Hier bringt uns die Unwissenheit der Übersetzer um einen Beweis, den der gelehrte Afrikaner sicherlich der Länge nach aufgezeichnet hatte. Es gibt eine Lücke von mehr als zwei Seiten, darauf folgt: »Reciprocos Gründe schienen unwiderleglich, und nach den Proben seiner Dialektik hielt man es für ausgemacht, es sei ihm ein leichtes, dereinst darzutun, die Weiber müßten heutzutage vermittelst ihrer Kleinode reden, weil sie von jeher vermittelst ihrer Ohren gehört hätten.«

Endlich sprach Professor Guallonorone [52] aus der höflichen Zunft Her Zunft der Anatomiker: »Meine Herren, ich halte dafür, es wäre besser getan, sich mit einer Erscheinung gar nicht abzugeben, als ihre Ursachen in luftigen Hypothesen aufzusuchen. Was mich betrifft, so hätt' ich mein Maul gehalten, wenn ich Ihnen nichts als windige Vermutungen auftischen könnte; aber ich habe geprüft, studiert und nachgedacht. Ich habe Kleinode im Paroxysmus beobachtet und habe mit Hilfe der Kenntniß dieser einzelnen Teile und mittelst des Experiments die Gewißheit erlangt, daß das, was wir auf Griechisch Delphos nennen, alle Eigenschaften der Luftröhre besitzt; und daß es folglich Weiber geben muß, die ebensogut mit ihrem Kleinode reden können, wie mit ihrem Munde. Ja, meine Herren, dieser Delphos ist sowohl ein Saiten-Instrument als ein Blase-Instrument, aber weit mehr ein Saiten-Instrument als Blase-Instrument. Wenn die äußere Luft darauf stößt, so verrichtet sie das Geschäft eines Bogens auf den sehnigen Fasern an beiden Klappen, die ich [53] lautfähige Saiten oder Bänder nennen möchte. Durch die sanfte Erschütterung der Luft sprechen die lautfähigen Saiten an, und wie sie schneller oder langsamer erzittern, so sind auch die Töne verschieden, die sie von sich geben. Ein so geschaffenes Kleinod wird entweder lallen, oder reden, oder vielleicht gar singen.

Da es aber nur zwei lautfähige Saiten oder Bänder gibt, und beide ohne allen Zweifel von gleicher Länge sind, so entsteht die Frage: wie können sie wohl hinreichend sein, die Menge tiefer oder hoher, starker oder schwacher Töne hervorzubringen, deren die menschliche Stimme fähig ist? Ich fahre fort, dieses Organ aus der Vergleichung mit einem musikalischen Instrument zu erklären, und antworte: daß die Ausdehnung und Zusammenziehung beider Saiten gar wohl imstande sei, diese Wirkung zu veranlassen.

Es ist unnötig, meine Herren, in einer Versammlung von Gelehrten Ihres Ranges die Fähigkeit dieser Ausdehnung und Zusammenziehung zu beweisen, aber daß [54] der Delphos vermittelst solcher Ausdehnung und Zusammenziehung die tiefen und hohen Töne, kurz alle Veränderungen der Stimme und die ganze Singleiter durchzugehen imstande sei, das ist eine Tatsache, die ich mir schmeichle, Ihnen einwandfrei darlegen zu können. Ich lade Sie ein, diesem Versuch in Person beizuwohnen. Ich werde die Ehre haben, meine Herren, Delphos und Kleinode in Ihrer Gegenwart, sprechen, reden und singen zu lassen.«

So sprach Guallonorone, und er hoffte nichts Geringeres, als die Kleinode eben so berühmt zu machen, als es die Luftröhren durch die Versuche eines seiner Kollegen geworden waren, dessen Entdeckungen der Neid vergebens bekämpfen wollte.

Die Sitzung dauert fort

Noch waren Guallonorones Versuche nicht vorgelegt, und schon machte man ihm Einwürfe. Dies beweist, daß man seine Erklärung mehr scharfsinnig als gegründet [55] fand. »Ist die Gabe der Sprache der Kleinoden natürlich,« fragte man, »warum warteten sie so lange, sich derselben zu bedienen? Freilich hat Brahma den Weibern eine gewaltige Redesucht eingeflößt; wenn er sich aber deswegen auch erbarmt, ihre Sprachwerkzeuge zu verdoppeln, so bleibt es billig befremdlich, daß sie dieses köstliche Geschenk der Natur so lange verkannten, oder vernachlässigten. Warum sprach jedes Kleinod nur einmal? Warum redeten sie alle nur über einen Gegenstand? Durch welchen Mechanismus geschieht es, daß ein Mund genötigt ist, zu schweigen, wenn der andere spricht? Zudem scheint diese Redseligkeit der Kleinode,« fügte man hinzu, »nach den Umständen zu urteilen, unter denen sie mehrenteils den Mund auftaten, und nach den Dingen, die sie vorbrachten – allerdings unwillkürlich zu sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Teile immer stumm geblieben wären, wenn die, welchen sie angehören, ihnen Stillschweigen hätten auferlegen können.«

[56] »Guallonorone hielt es für seine Pflicht, diese Ein wände zu widerlegen; und behauptete, die Kleinode hätten von jeher geredet, aber so leise, daß selbst ihre Besitzerinnen sie zuweilen kaum verstehen konnten. Daß sie in unsern Tagen lauter wurden,« sagte er, »ist kein Wunder; denn der Ton unsrer Unterhaltung ist so frei geworden, daß man über Gegenstände, die ihnen geläufig sind, ohne Unbescheidenheit und Beleidigung reden darf. Sind sie aber nur einmal laut geworden, so muß man daraus nicht folgern, daß es zum ersten- und letztenmal gewesen sei. Schweigen und verschwiegen sein, ist ein großer Unterschied. Reden alle nur über einen Gegenstand, so erstrecken sich ihre Begriffe, vielleicht nur auf einen Gegenstand. Die nicht geredet haben, werden wohl noch reden. Schweigen sie aber, so haben sie eben nichts zu sagen, oder sind mangelhaft gebildet, oder es fehlt ihnen an Begriffen und Ausdrücken. Mit einem Worte,« sagte er, »will man annehmen, daß Brahmas Barmherzigkeit den Weibern ein Mittel gewähren[57] konnte, ihrer gewaltigen Redesucht Genüge zu leisten, indem er ihre Sprachwerkzeuge vermehrte, so muß man auch gestehn, daß seine Weisheit den Übeln vorbauen durfte, die aus dieser Wohltat entspringen konnten, und das hat sie dadurch getan, daß der eine Mund genötigt ist, zu schweigen, indes der andre spricht. Ist es nicht schon peinlich genug für uns, daß unsre Weiber alle Augenblicke andern Sinnes wer den? Was sollten wir anfangen, wenn Brahma ihnen das Vermögen gegeben hätte, Ja und Nein zu gleicher Zeit zu sagen? Überdem ist uns die Sprache nur verliehen, um uns verständlich zu machen: wie aber sollten die Frauenzimmer, die einander mit einem Munde kaum zu Worte kommen lassen, eine der andern verständlich werden, wenn sie mit zweien redeten?«

Guallonorone hatte vieles beantwortet, aber er glaubte alles beantwortet zu haben, und das hatte er nicht. Man setzte ihm hart zu, und er war in Gefahr, nachgeben zu müssen, als der Naturforscher Cimonaze [58] seine Partei ergriff. Nun wurde aus dem Wortstreit ein Getümmel. Man wich von der Hauptsache ab, man verlor sich, man kam auf das Thema zurück, man verirrte sich von neuem, man ward heftig, man schrie, man schrie und schimpfte, und die akademische Sitzung nahm ein Ende.

Frage und Antwort

Während sich die Akademie mit der Redseligkeit der Kleinode beschäftigte, sprach man in Gesellschaften von nichts anderm, gestern und heute und viele Tage hintereinander. Der Gegenstand war unerschöpflich. Zu der Wahrheit gesellte sich die Lüge. Alles fand Glauben. Ein Wunder machte das andere wahrscheinlich. Die Unterhaltung lebte sechs Monate lang davon.

Der Sultan hatte nur drei Versuche mit seinem Ring angestellt, und doch erzählten sich die Hofdamen der Mamimonbanda, was die Kleinode einer Präsidentin und einer Gräfin gesprochen haben sollten. Die frommen Geheimnisse einer Betschwester [59] waren dadurch an den Tag gekommen; viele Frauenzimmer, die nicht zugegen waren, sollten gleichfalls geplaudert haben, und der Himmel weiß, was man ihren Kleinoden in den Mund legte. Man sparte sogar nicht mit Zötchen. Von Tatsachen schritt man zu Betrachtungen. »Der Zauber,« sagte eine der Damen, »denn ein Zauber liegt auf den Kleinoden, versetzt uns allerdings in eine sehr peinliche Lage. Man muß ja immer besorgen, ein freches Gerede aus sich herausgehn zu hören!« – »Aber, gnädige Frau,« antwortete eine andre, »die Angst nimmt uns an Ihnen wunder. Wenn ein Kleinod nichts Lächerliches zu sagen hat, was liegt daran, ob es spricht oder schweigt?« – »Daran liegt so viel,« erwiderte die erste, »daß ich gern die Hälfte meines Schmuckes für Gewißheit gäbe, daß das meinige schweigen werde.« »Wahrlich,« versetzte die zweite, »wer die Verschwiegenheit der Leute so teuer erkauft, muß seine guten Gründe haben.« »Meine Gründe sind nicht besser, wie die jeder andern,« antwortete Cephire, [60] »aber ich bleibe bei meinem Gebot. Meine Ruhe ist um zwanzigtausend Taler nicht zu teuer erkauft. Ich gestehe offenherzig, ich bin mir meines Kleinods ebensowenig sicher, als meines Mundes, und der hat mir in meinem Leben manchen Streich gespielt. Man berichtet mir alle Tage so viel unglaubliche Abenteuer, die ein Kleinod erzählt, bezeugt, haarklein geschildert haben soll, daß, wenn ich auch drei Vierteile davon abziehe, doch noch Schändliches genug übrigbleibt. Lügt mein Kleinod nur halb so viel als die andern, so bin ich verloren. Ist es nicht genug, daß unser Betragen von den Gefühlen unsers Kleinodes abhängt, muß auch unser guter Name auf seine Aussage gegründet sein?« »Ich gehe,« sagte die lebhafte Ismene, »auf diese unendlichen Erörterungen weiter nicht ein. Reden die Kleinode durch Brahma, wie mir mein Brahmine beweist, so wird Brahma ihnen nicht erlauben, zu lügen. Der bloße Zweifel wäre Gotteslästerung. Also rede mein Kleinod, wann und wie viel es will. Was kann es zu sagen haben?«

[61] Und siehe da, es erhob sich eine dumpfe, gleichsam unterirdische Stimme, gleich einem Widerhall: »Vielerlei!« Ismene, die nicht ahnte, woher diese Antwort käme, ward empfindlich, stellte ihre Nachbarinnen zur Rede und vermehrte die Belustigung der Gesellschaft. Dem Sultan war ihr Irrtum willkommen, er verließ seinen Minister, mit dem er beiseite gesprochen hatte, und näherte sich ihr: »Sind Sie auch sicher, schöne Frau, daß nicht eine dieser Damen um Ihre Heimlichkeiten weiß, und daß diese Kleinode nicht so boshaft sind, Geschichten wachzurufen, dessen sich das Ihrige nicht mehr entsinnt?«

Mangogul wußte seinen Ring so geschickt zu drehen, daß er dadurch ein sonderbares Gespräch zwischen der Dame und ihrem Kleinode veranlaßte. Ismene war sich immer selbst genug gewesen, und hatte nie einer Vertrauten bedurft, darum antwortete sie dem Sultan: »Gnädigster Herr, alle Kunst der Lästerzungen, kommt bei mir zu kurz.« »Vielleicht!« antwortete die unbekannte Stimme. – »Vielleicht? [62] wie das?« gab die über den beleidigenden Zweifel gekränkte Ismene zurück. »Was habe ich von Ihnen zu befürchten?« – »Alles, wenn sie soviel wüßten wie ich.« – »Und was wissen Sie?« – »Vielerlei, sag ich Ihnen.« – »Vielerlei ist gar nichts gesagt. Wollen Sie sich deutlicher erklären?« – »Gewiß.« – »Hab ich etwa Herzensangelegenheiten gehabt?« – »Nein.« – »Ränke? Abenteuer?« – »Allerdings.« – »Mit wem, bitte? Mit Stutzern? Mit Militärpersonen? Mit Senatoren? Einem Offizier?« – »Nein.« – »Mit Schauspielern?« – »Nein.« – »Oder mit meinen Pagen, meinen Bedienten, meinem Beichtvater? oder dem Sekretär meines Gemahls?« – »Nein!« – »Also Sie Aufschneider, da sind Sie mit Ihrer Weisheit zu Ende!« – »Noch nicht ganz!« – »Mit wem sollte ich denn also etwas vorgehabt haben? Und wann denn? Vor oder nach meiner Hochzeit? Antworten Sie, Frechling!« – »Ach, Madam, hören Sie auf zu fragen und zwingen Sie Ihren allerbesten Freund nicht zu um so schlimmeren Geständnissen!« – [63] »Reden Sie nur, mein Lieber. Sagen Sie, sagen Sie alles; ich mach mir aus Ihnen so wenig, daß ich nicht einmal Ihre Indiskretion fürchte. Sagen Sie alles, was Sie wissen. Ich bitte, ich befehle!« »Was verlangen Sie, Ismene?« rief mit einem tiefen Seufzer das Kleinod. – »Die Huldigung der Tugend!« – »Nein, tugendhafte Ismene, so erinnern Sie sich nicht mehr des jungen Osmin, des Sangiac Zegris, Ihres Tanzmeisters Alaziel, Ihres Singmeisters Almura?« – »Das sind Lügen!« rief Ismene, »so durft ich mich gar nicht vergehn! Meine Mutter war viel zu wachsam! Wenn mein Gemahl hier wäre, der könnte bezeugen, wie er mich in der Hochzeitsnacht gefunden hat, so wie er es nur wünschen konnte.« – »Alcine ist Ihre Freundin,« antwortete das Kleinod.

»Eine so lächerliche und plumpe Beschuldigung, erwiderte Ismene, verdient nicht, daß man sich darauf einlasse. Ich weiß nicht, welcher Dame das Kleinod gehört, das so viel von mir wissen will, doch das bezeug' ich, meinem Kleinod ist kein [64] Sterbenswort davon bekannt.« – »Und meines, gnädige Frau,« antwortete Cephire, »begnügt sich vollkommen damit, zugehört zu haben.« Die andern Damen versicherten eben das, und man setzte sich zum Spiel, ohne genau zu wissen, wer in dem obenverzeichneten Gespräch eigentlich das Wort genommen habe.

Das Spiel

Die meisten Damen, die sich mit der Mamimonbanda zum Spiel setzten, waren sehr eifrig darauf erpicht, das konnte man sehn, ohne so scharf zu beobachten wie Mangogul. Leidenschaft für das Spiel versteckt sich am wenigsten. Sie offenbart sich durch auffallende Zeichen beim Gewinn wie beim Verlust. »Woher kommt ihnen diese Spielwut?« sprach er zu sich selbst. »Wie können sie sich entschließen, die ganze Nacht hindurch um einen Pharaotisch zu sitzen und vor ängstlicher Erwartung eines Asses oder einer Sieben zu zittern? Dieser Wahnsinn beeinträchtigt ihnen Gesundheit und Schönheit, [65] wenn sie welche besitzen, ganz zu schweigen von den anderen Unannehmlichkeiten, worein sie noch geraten werden. Ich möchte hier wohl noch einen seinen Streich spielen,« sprach er leise zu Mirzoza. »Was nennen Ihre Hoheit hier einen feinen Streich?« fragte die Favorite. »Ich drehe,« antwortete Mangogul, »meinen Ring gegen die ausgelassenste Spielschwester, ich frage ihr Kleinod aus, und dieses Sprachrohr warnt alle schwachen Männer, die töricht genug sind, ihren Weibern zu erlauben, die Ehre und das Glück ihres Hauses auf eine Karte oder auf einen Würfel zu setzen.«

»Der Gedanke gefällt mir sehr,« erwiderte die Favorite. »Aber wissen Ihre Hoheit, daß die Manimonbanda soeben bei ihrem Pagoden geschworen hat, sie wolle keine Gesellschaft mehr bei sich dulden, wenn sich die Engastrimathen noch ein einziges Mal in ihrer Gegenwart derartig vergessen.« – »Welch ein Wort nannten Sie, Wonne meiner Seele?« fragte der Sultan. »Die züchtige Manimonbanda bedient sich[66] dessen,« antwortete die Favorite, »für alle, deren Kleinode reden können.« – »So hat es sicherlich ihr einfältiger Brahmine erfunden, der sich viel darauf zugute tut, daß er Griechisch kann und seine Muttersprache nicht versteht. Aber Manimonbanda und ihr Kapellan mögen mir's nicht übelnehmen, ich habe große Luft, Manillens Kleinod auszufragen; und es wäre wohl gut, daß ich mein Fragamt hier errichte zur Erbauung meines Nächsten.« »Glauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte Mirzoza, »ersparen Sie der Großsultanin diesen Verdruß. Das können Sie tun, ohne daß Ihre und meine Neugier dabei etwas verliert. Versetzen Sie sich in Manillens Wohnung.« »Ihnen zu Gefallen will ich mich dahin begeben,« antwortete Mangogul. »Aber wann?« fragte die Sultanin. »Um Mitternacht,« sprach Mangogul. »Um Mitternacht spielt sie noch,« sagte die Favorite. »So wart' ich bis zwei Uhr morgens,« versetzte Mangogul. »Sie vergessen, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza, »daß drei gerade die [67] schönste Stunde für die Spielerinnen ist. Wollen Ihre Hoheit nur auf mich hören, so überraschen Sie Manille im ersten Schlafe, zwischen sieben und acht Uhr morgens.« Mongogul befolgte Mirzozens Rat und besuchte Manille um sieben Uhr. Ihre Dienerinnen brachten sie gerade zu Bette. Er schloß aus der Traurigkeit, die auf ihrem Gesicht lag, daß sie unglücklich gespielt habe. Sie ging auf und ab, stand still, sah in die Höhe, stampfte mit dem Fuß, drückte die Hand auf ihre Stirn und murmelte etwas zwischen den Zähnen, das der Sultan nicht verstand. Die Mädchen, die sie entkleideten, gaben ihr zitternd nach; sie brauchten viel Zeit, mit ihrem Dienst fertig zu werden, und erduldeten mancherlei Unwillen, der sich nicht blos in Worten äußerte. Endlich legte sich Manille schlafen, ihr ganzes Abendgebet bestand aus Verwünschungen gegen das verdammte As, das siebenmal hintereinander verloren hatte. Kaum waren ihre Augen verschlossen, als Mangogul den Ring gegen sie kehrte. Und ihr Kleinod erhob ein [68] Klagegeschrei: »Ach! ich bin leider kaput und matsch!« Der Sultan lächelte, Ausdrücke des Spiels sogar von Manillens Kleinod zu hören. »Nie,« fuhr es fort, »spiel ich wieder gegen Abidul, er betrügt. Von Dares will ich auch nichts mehr wissen, er sprengt die Bank. Ismal ist ein wackrer Spieler, man kann seiner aber nicht habhaft werden. Mazulin war gut genug, ehe er durch Crissas Hände ging. Zulmis ist eigensinnig. Rica gutwillig, aber er sitzt auf dem Trocknen. Was mach ich mit Lazuli? Der spielt nicht hoch, wenn die schönste Frau von Banza vor ihm stände. Molli ist ein elender Gauner. Kurz, alle Spieler sind keinen Rechenpfennig wert, und man weiß nicht mehr, mit wem man sich einlassen soll.«

Nach dieser Jeremiade erzählte das Kleinod, wie sehr ihm von jeher mitgespielt worden, und wozu seine Gebieterin im Unglück zuweilen hatte greifen müssen. »Ohne mich,« sprach es »wäre Manille schon hundertmal ruiniert. Des Sultans Schatzkammer könnte die Schulden [69] nicht abtragen, die ich bezahlt habe. Einmal verlor sie in einer Sitzung an einen Bankier und an einen Domherrn zehntausend Dukaten. Sie besaß nichts mehr als ihren Schmuck. Aber den hatte ihr Gemahl erst kürzlich ausgelöst, so daß sie ihn nicht von neuem dran wagen durfte. Doch sie bekam Karten in die Hand, und das Unglück sandte ihr eine Ahndung von Gewinnst, wie es immer tut, wenn es jemand zugrunde richten will. Man drang in sie, sich zu erklären. Manille blätterte die Karten durch, griff in ihre Tasche, von der sie sicherlich wußte, daß sie leer sei, nahm die Karten wieder vor, sah sie. von neuem an und sprach kein Wort. ›Was setzen Ihre Gnaden?‹ fragte der Bankier. ›Ich setze,‹ sagte sie, – ›ich setze mein Kleinod.‹ ›Wie viel gilt's?‹ fragte der Bankier. ›Hundert Dukaten,‹ antwortete Manille. Der Domherr stand auf. So viel schien ihm das Kleinod nicht wert. Der Bankier schlug ein. Manille verlor und bezahlte. Die törichte Eitelkeit, ein Kleinod von Stande zu besitzen, [70] verblendete den Bankier. Er bot sich an, meine Gebieterin im Spiel freizuhalten, wenn ich seinem Vergnügen dienen wollte. Der Handel war gleich geschlossen. Aber Manille spielte hoch, und ihr Lieferant war nicht unerschöpflich, so sahen wir bald den Boden seiner Kasse.«

Meine Gebieterin hatte zum Pharao eine glänzende Spielgesellschaft eingeladen. Die ganze Bekanntschaft stand auf der Liste. Es sollten nur Golddukaten gesetzt werden dürfen. Wir rechneten auf unsers Liebhabers Börse. Aber am Morgen dieses großen Tages schrieb uns der Lump, er habe keinen Dreier und ließ uns in der größten Verlegenheit. Wir mußten uns heraushelfen und durften keinen Augenblick verlieren. Endlich ergaben wir uns einem alten Brahminen-Oberhaupt, dem wir einige Gefälligkeiten sehr teuer bezahlen ließen, um die er lange vergebens anhielt. Die Sitzung kostete ihm doppelt so viel, als die jährliche Einnahme seiner Pfründe.

Nach einigen Tagen kam der Bankier [71] wieder zurück. Er wollte verzweifeln, wie er vorgab, daß die gnädige Frau ihn gerade nicht bei Kasse gefunden hatte. Er rechnete immer auf ihre Güte. »Da verrechnen Sie sich, mein Lieber,« antwortete Manille. »Es schickt sich nicht, daß ich Sie weiter empfange. Solange Sie imstande waren, mir zu borgen, wußte die Welt, warum ich Sie ertrüge. Jetzt, da Sie zu nichts gut sind, würde meine Ehre darunter leiden.«

Diese Rede verdroß den Bankier und mich auch, denn es war vielleicht der beste Junge in Banza. Er vergaß sich so weit, Manillen vorzuhalten, sie koste ihm mehr als drei Opernmädchen, die ihm viel mehr Vergnügen gemacht haben würden. »Ach!« rief er seufzend aus, »warum hielt ich mich nicht an mein kleines Wäschermädel? Die war närrisch in mich verliebt! Die war so glücklich, wenn ich ihr ein seidnes Tuch gab!« Manille fand keinen Geschmack an dem Vergleich, unterbrach ihn in einem Ton, vor dem er erbebte, und befahl ihm, sich augenblicklich zu entfernen. Der Bankier kannte sie und wollte lieber friedlich [72] die Treppen hinuntergehn, als aus dem Fenster springen müssen.

Manille borgte in der Folge von einem andern Brahminen, der, wie sie sagte, sie im Unglück tröstete. Der Heilige ward der Nachfolger des Kaufmanns, und wir zahlten ihm mit gleicher Münze. Sie verlor mich noch öfter, und man weiß ja, daß Spielschulden die einzigen sind, die Leute von Welt bezahlen.

Trifft es sich, daß Manille gewinnt, so ist sie die tadelloseste Frau in Kongo. Das Spiel ausgenommen, ist alsdann ihr Betragen so musterhaft, daß man darüber erstaunt. Man hört kein böses Wort von ihr. »Ihre Tafel ist gut besetzt, ihre Putzhändlerin und ihre Leute sind gut bezahlt. Sie beschenkt ihre Bedienten, löst zuweilen ihre Kostbarkeiten ein und tut ihrem Hunde schön und ihrem Gemahl. Aber dreißigmal monatlich setzt sie alle diese liebenswürdigen Eigenschaften und ihr Geld auf ein Pique-As. Dies Leben hat sie geführt, wird sie führen, und der Himmel weiß, wie oft ich noch versetzt werde!«

[73] Hier schwieg das Kleinod, und Mangogul ging schlafen. Man weckte ihn um fünf Uhr abends, und er begab sich in die Oper, woselbst er der Favorite versprochen hatte, sich einzufinden.

Die Oper

Die Oper war das einzige Schauspiel in Banza, das sich hielt. Cedeef und Cisdisfisgisais, jener ein alter Mann, und dieser jung an Ruhm wie an Jahren, beides gepriesene Tonkünstler, arbeiteten wetteifernd für die lyrische Bühne. Diese beiden Originale, ein jeder hatte seine Anhänger. Nichtkenner und Graubärte hielten's mit Cedeef, junge Leute und Virtuosen mit Cisdisfisgisais; und die Kenner, alt und jung, hegten viel Achtung für alle beide.

Cisdisfisgisais, sagten diese, ist vortrefflich, wenn er gut ist, aber er schläft zuweilen, und wem widerfährt das nicht? Cedeef bleibt sich mehr gefestigt und gleichmäßig. Er ist voll von Schönheiten; doch wird man keine bei ihm antreffen, wovon [74] sich bei seinem Nebenbuhler nicht auch Beispiele und auffallendere Beispiele finden ließen. Dieser hingegen hat Züge, die ihm eigentümlich sind, die man bei niemand antrifft als bei ihm. Der alte Cedeef ist ungekünstelt, natürlich, einfach, zuweilen zu einfach, das ist sein Fehler. Der junge Cisdisfisgisais ist eigenartig, glänzend, gekünstelt, gelehrt, zuweilen zu gelehrt, aber das ist vielleicht der Fehler seiner Zuhörer. Jener hat nur einen Anfangskniff, einen sehr schönen Anfangskniff, aber er wiederholt ihn bei jedem seiner Stücke. Dieser kommt von einem Gedanken in den andern, und man möchte jeden festhalten, um ihn wieder und wieder zu hören. An der Hand der Natur wandelt Cedeef die Pfade der Melodie; Nachdenken und Erfahrung ließen Cisdisfisgisais die Quellen der Harmonie entdecken. Wer wird je so richtig reden und solch ein Gewicht auf seine Worte legen, wie der Alte? Wer hingegen wird leichte Arien, wollüstige Weisen und ernste Symphonien schaffen wie der Junge? Cedeef allein versteht den Vortrag. Vor [75] Cisdisfisgisais hatte niemand die zarten Abstufungen von der Zärtlichkeit zur Wollust, von der Wollust zur Leidenschaft, von der Leidenschaft zur Gemeinheit unterschieden. Einige Anhänger des letzteren behaupten sogar, Cedeefs Vortrag sei dem des anderen überlegen. Aber man sollte weniger auf die Ungleichheit ihrer Begabung hinweisen als auf die Verschiedenheit der Dichter, die sie verkörpert haben. »Lest nur, lest,« rufen sie in die Szene mit Dardono, »und ihr werdet die Überzeugung gewinnen, daß wenn man Cisdisfisgisais einen guten Text gibt, so wird er auch so reizende Szenen schreiben wie Cedeef. Dem mag sein, wie ihm will, zu meiner Zeit hielt sich das Publikum an die tragischen Kompositionen des ersten und drängte sich zu den komischen des letzten.«

Gerade damals war ein Meisterstück von Cisdisfisgisais auf die Bühne gebracht, das nur die wenigen Zuhörer eingeschläfert hätte, wenn die Favorite so neugierig gewesen wäre, es sich anzusehen. Zwar eine periodische Unpäßlichkeit [76] der Kleinode kam seinen Neidern zu passe, und die Hauptdarstellerin mußte absagen. Die zweite, ihre Stellvertreterin, sang bei weitem nicht so gut, aber sie entschädigte durch ihr Spiel. Und nichts hielt den Sultan und die Favorite ab, das Schauspiel mit ihrer Gegenwart zu beehren.

Mirzoza war angekommen. Mangogul erscheint. Der Vorhang geht hoch. Man beginnt. Alles ging ausgezeichnet. Die Leistung der Sängerin Chevalier ließ ganz die sonstige Darstellerin Le Maure vergessen, und so kam man zum vierten Akte. Da, mitten im Chor, der dem Sultan zu lange dauerte und der auch die Favorite schon zum zweiten Male gähnen machte, kam Mangogul auf den Einfall, seinen Ring gegen alle Sängerinnen zu drehen. Nie sah man ein Bild von seltsamerer Komik auf der Bühne. Dreißig weibliche Gestalten verstummten auf einmal, sperrten das Maul weit auf und blieben in der theatralischen Stellung stehn, die sie angenommen hatten. Unterdessen gurgelten ihre [77] Kleinode aus Leibeskräften, liederliche Stückchen, Burschenlieder, Bänkelsängerpossen, bekannte kleine Arien mit verkehrten Worten und mehr dergleichen, je dem Wesen einer jeden angemessen. Bei der hieß es: »Ach, liebe Frau Base, hört einmal.« Bei jener: »Wie, zum zwölften Male schon!« Hier: »Blasino, wißt, hat mich geküßt!« Dort: »Pater Cyprian sagt, was ficht Euch an?« Kurz, alle schrien durcheinander und machten einen so merkwürdigen und tollen Lärm, daß ein solcher Chor weder früher noch später nie erhört worden: »O du ... Blusius, wirst ... ficht Euch an ...«

(Hier wird das Manuskript ganz unleserlich.) Das Orchester geigte unterdessen lustig drauflos, und das Gelächter des Parterres, der Logen und der Galerie vereinigte sich mit dem Getöse der Instrumente und dem Gesang der Kleinode, um die Kakophonie vollkommen zu machen.

Einige Schauspielerinnen fürchteten, ihre Kleinode möchten ermüden, Dummheiten zu singen, und anfangen, sie zu sagen. Darum [78] flüchteten sie hinter die Kulissen und kamen mit der Furcht davon. Denn Mangogul hielt sich überzeugt, daß das Publikum nichts Neues von ihnen erfahren würde, und zog seinen Ring zurück. Alsdann verstummten die Kleinode, das Gelächter hörte auf, das Theater ward ruhig, das Stück ging wieder an und nahm ein friedliches Ende. Der Vorhang fiel, der Sultan und die Sultanin fuhren weg, und die Kleinode unsrer Schauspielerinnen begaben sich dahin, wo man ihrer in andrer Absicht wartete, als um sie singen zu hören.

Dieser Vorfall erregte großes Aufsehn. Die Männer lachten, die Weiber erschraken, die Bonzen nahmen Ärgernis daran, und den Akademikern brummte der Kopf. Was sagte aber Guallonorone? Guallonorone triumphierte. Er hatte in seiner Abhandlung behauptet, die Kleinode würden dereinst auch singen. Jetzt hatten sie gesungen. Diese Erscheinung verwirrte seine Kollegen, ihm war sie ein neuer Lichtstrahl und befestigte vollends sein System.

[79] Physiologische Versuche

Es war am fünfzehnten des Monats * * als Guallonorone der Akademie seine Denkschrift über das Geschwätz der Kleinode vorlas. Da er mit großer Zuversicht untrügliche und mehrfach erprobte Versuche ankündigte, so blendete er damit die meisten. Beim Publikum hielt eine Zeitlang der günstige Eindruck an, den es empfangen hatte, und man glaubte fast zwei Wochen lang, Guallonorone habe eine treffliche Entdeckung gemacht.

Seinen Triumph zu vollenden, kam es nur drauf an, daß er diese lärmig ausposaunten Versuche vor der versammelten Akademie wiederholte. Man berief deswegen eine Sitzung, die außerordentlich glänzend war. Die Minister begaben sich in dieselbige, der Sultan verschmähte nicht, dabei zu sein, nur machte er sich unsichtbar.

Mangogul war groß im Monolog-Halten. Die Oberflächlichkeit der Unterhaltung seiner Zeit hatte ihn daran gewöhnt, lieber mit sich allein Selbstgespräche anzustellen: [80] »Dieser Guallonorone,« sagte er zu sich selbst, »ist entweder ein Marktschreier, wie er im Buche steht, oder der Genius, mein Beschützer, ist ein großer Dummkopf. Wenn mein Professor, der doch sicherlich kein Hexenmeister ist, abgeschiedenen Kleinoden die Sprache wieder zu geben imstande ist, so tat mein Genius sehr übel, sich dem Teufel zu verschreiben, um sie lebendigen Kleinoden zu verleihen.«

Noch war Mangogul in diese Betrachtung versunken, als er sich schon mitten in seiner Akademie befand. Guallonorone hatte, wie man sieht, alle Kenner von Kleinoden in Banza zu Zuschauern. Um mit seinem Publikum vollkommen zufrieden zu sein, fehlte ihm nichts, als daß er sein Publikum mit sich zufriedenstellte, aber der Ausgang seiner Versuche war so unglücklich wie möglich. Guallonorone nahm ein Kleinod, setzte es an den Mund, blies, daß ihm der Atem verging, tat es beiseite, nahm es wieder auf, ergriff ein anderes; denn er hatte Kleinode mitgebracht von jedem Alter, jeder Größe, jedem Stande, und[81] jeder Farbe. Aber er mochte immer blasen: man hörte nichts als unartikulierte Töne, von ganz andrer Art, als er versprochen hatte.

Darauf entstand ein Murren, das ihn für einen Augenblick aus der Fassung brachte. Er erholte sich aber bald und entschuldigte sich damit, solche Versuche schickten sich nicht wohl vor soviel Personen. Damit hatte er recht.

Mangogul war sehr aufgebracht, verließ die Versammlung und erschien im Augenblick vor der Favorite: »Nun, gnädigster Herr,« fragte die, sobald sie ihn erblickte, »wer hat recht, Sie oder Guallonorone? Sind seine Kleinode wundertätig?« Der Sultan ging auf und ab, ohne zu antworten. »Ihre Hoheit scheinen unzufrieden?« sagte die Favoritsultanin. »O Madame,« antwortete der Sultan, »die Unverschämtheit dieses Guallonorone geht zu weit! Ich will nichts mehr von ihm wissen. Was wird die Nachwelt sagen, wenn sie erfährt, daß der große Mangogul Hunderttausende von Gnadengehältern auf [82] solche Menschen verwandte, indes tapfere Offiziere, die mit ihrem Blute seiner Stirn Lorbeer netzten, mit vierhundert Pfund Sold vorliebnehmen mußten? Nein, das ist mir zu toll! Meine gute Laune ist auf einen Monat dahin!« Hier schwieg Mangogul und ging von neuem auf und ab im Gemach der Favorite. Er ließ den Kopf hängen, stand still, ging wieder ein Stück und stampfte mit dem Fuß. Endlich setzte er sich, erhob sich schnell wieder, sagte der Sultanin gute Nacht, vergaß sie zu umarmen, und begab sich auf sein Zimmer.

Der gelehrte Afrikaner, der sich durch die Geschichte der glorwürdigsten Regierung Eguebzeds und Mangoguls unsterbliche Verdienste erwarb, fährt in seiner Erzählung also fort: Mangoguls Zorn ließ vermuten, daß er alle Gelehrten aus seinem Reiche verbannen werde. Keineswegs! Tags darauf stand er heiter auf, ritt am Morgen spazieren, speiste am Abend im Garten des Serails unter einem prächtigen Zelt mit Mirzoza und seinen Günstlingen [83] und schien ganz und gar keine Regierungssorgen zu haben. Die Mißvergnügten im Staate, die Nörgler von Kongo, die Neuigkeitskrämer von Banza, unterließen nicht, dieses Benehmen sehr zu tadeln. Und was haben solche Leute nicht zu tadeln? »Heißt das,« sagten sie auf ihren Spaziergängen und in ihren Kaffeehäusern, »heißt das Staatsverwaltung, wenn man den ganzen Tag herumreitet und sich des Abends zu Tische setzt?« »O! daß ich Sultan wäre,« sagte ein Titulär-Rat, der ein ganzes Vermögen im Spiel verloren hatte, von seiner Frau geschieden war und seine Kinder unerzogen herumlaufen ließ, »daß ich Sultan wäre! der Wohlstand des Landes sollte viel blühender sein! Ich wäre der Schrecken meiner Feinde und die Liebe meiner Untertanen. Es sollte mir nur sechs Monate kosten, meine Polizei anders einzurichten, ein neues Gesetzbuch einzuführen, meine Armee auf einen andern Fuß zu bringen und eine Seemacht zu schaffen. Alle Häfen sollten Kriegsschiffe fassen können. Den dürren Sand verwandelte [84] ich alsbald in fruchtbares Erdreich, die Feldwege in feste Heerstraßen. Abschaffen würde ich oder doch um die Hälfte vermindern die Steuern. Und was die Gnadengehälter anlangt, meine Herren Schöngeister, so dürftet Ihr höchstens einmal daran riechen. Gute Offiziere, Pongo Sabiam! Gute Offiziere, alte Soldaten, Beamte, die wie unsereins ihre Arbeitskraft und ihre Nachtruhe opfern, um den Völkern Recht zu schaffen! Das sind die Männer, denen ich meine Wohltaten würde zuteil werden lassen.« »Denkt Ihr noch daran, Ihr Herren,« ließ sich jetzt ein alter, zahnloser Staatsmann vernehmen, der nur noch drei Haare auf dem Kopfe hatte, dessen Rock an den Ellenbogen durchlöchert war, und der zerrissene Manschetten trug, »denkt Ihr noch an unseren großen Kaiser Abdelmaleck aus der Dynastie der Abyssinen, der vor zweitausenddreihundertfünfundachtzig Jahren regierte? Denkt Ihr noch daran, wie der zwei Sterndeuter an den Pfahl schlagen ließ, weil sie sich bei einer Sonnenfinsternis [85] um drei Sekunden verrechnet hatten? und seinen Leibarzt ließ er lebendigen Leibes auseinandersägen, weil er ihm an einem Tage, den der Kalender als unglücklich angab, ein Abführmittel verordnet hatte!«

»Und was sollen uns,« fragte ein anderer, »was sollen uns die nichtsnutzigen Brahminen? Dieses Gezücht, das sich mit unserm Blute mästet? Die überreichen Stiftungen, von denen sie schwelgen, die weit eher uns zukommen?« Ein anderer meinte: »Was wußte man vor vierzig Jahren von einer lothringischen Kirche und von lothringischen Likören? Man hat sich einem Luxus ergeben, der die baldige Vernichtung des Reiches bedeutet und der eine notwendige Folge der Geringschätzung der Pagoden und der Sittenlosigkeit ist. Solange man an der Tafel des großen Kanoglu nur einfaches Rindfleisch aß und nur Sorbet trank, wer wußte da etwas von ausgeschnittenen Kleidern, von Martinscher Schminke, von Rameauscher Musik? Die Mädchen von der Oper waren[86] damals ebenso menschenfreundlich als heutzutage, aber um weit billigeren Preis. Aber seht Ihr wohl, der Fürst ist es, der alles verdirbt. Ja, wenn ich Sultan wäre ...!« »Wenn du Sultan wärst,« antwortete ein alter Soldat, der mit genauer Not dem Gemetzel der Schlacht von Fontanoy entgangen war und der an der Seite seines Fürsten am Tage von Laufeld einen Arm verloren hatte, »dann würdest du noch mehr Dummheiten machen, als du jetzt zum besten gibst. Ach, Freund, du kannst deine Zunge nicht im Zaum halten und willst ein Reich regieren? Du bist nicht einmal Herr in deinem eignen Hause und möchtest dich in Staatsgeschäfte mischen? Halt das Maul, Unglücksmensch! Ehre die Mächte dieser Erde und danke deinem Schöpfer, daß er dich in einem Staate geboren werden ließ und unter der Regierung eines Fürsten, dessen Klugheit seine Minister erleuchtet und dessen Tapferkeit jeder Soldat bewundert, ihn, der gefürchtet ist von seinen Feinden und geliebt von seinen Völkern und an dem man weiter [87] nichts aussetzen kann, außer daß er vielleicht Leute deines Schlages mit zu vieler Nachsicht behandeln läßt.«

Die Brahminen

Da die Gelehrten sich genugsam über die Kleinode ausgesprochen hatten, bemächtigten sich ihrer die Brahminen. Die Religion zog ihre Plauderei vor ihren Richterstuhl, und ihre Diener behaupteten, Brahmas Finger offenbare sich an diesem Werk.

Zu dem Ende ward eine allgemeine Kirchenversammlung ausgeschrieben. Diese beschloß, die besten Federn mit dem förmlichen Beweis zu beauftragen, daß dieses Ereignis übernatürlich sei. Bis aber die Arbeit derselben im Druck erscheinen könne, wollte man diese These in Disputationen, im Privatgespräch, im Beichtstuhl und in öffentlichen Predigten behaupten.

Daß dies Ereignis übernatürlich sei, darüber waren alle einstimmig. Weil man aber in Kongo zwei Grundursachen annahm [88] und sich gewissermaßen zu einer Art der Lehre der Manichäer bekannte, so waren die Stimmen darüber geteilt, welcher von beiden Grundursachen man das Geschwätz der Kleinode zuschreiben müsse.

Die, welche niemals aus ihrer Klause herausgekommen waren und nichts durchblättert hatten als ihre Bücher, schrieben dies Wunder dem Brahma zu.

Nur Er, sagten sie, vermag den Lauf der Natur zu unterbrechen. Die Zeit wird lehren, was Er dabei für weise Absichten hat.

Die Gewissenräte der Damen aber, so man häufiger in den Alkoven traf und öfter in den Schlafgemächern der Frauenzimmer, als in ihren Betzimmern überraschen konnte, fürchteten, irgendein redseliges Kleinod möchte ihre Heuchelei entlarven. Darum schoben sie diese Plaudereien auf Rechnung Cadabras, einer bösartigen Gottheit, der Brahma und seine Diener von jeher befeindete.

Gegen dieses letztere System ließen sich schreckliche Einwürfe machen, auch beförderte [89] es nicht so geradezu die Sittenverbesserung. Seine Verteidiger selbst waren dagegen nicht blind. Aber es kam darauf an, sich selbst zu decken, und sobald das der Fall ist, gibt es keinen Diener der Religion, der nicht hundertmal die Pagoden und ihre Altäre opferte. Mangogul und Mirzoza gingen regelmäßig zum Gottesdienste Brahmas. Die Zeitung unterließ niemals, dem ganzen Reich Nachricht davon zu geben. An einem hohen Festtage befanden sie sich in der großen Moschee. Der Brahmine, an dem die Reihe war, das Wort des Herrn zu verkündigen, bestieg die Kanzel, erbaute den Sultan und die Favorite mit Phrasen, Komplimenten und Langeweile und verbreitete sich beredsam des längeren über die Art, sich in Gesellschaften auf gottgefällige Weise niederzusetzen. Er belegte seine Meinung mit Sprüchen ohne Zahl, als er, auf einmal von heiligem Eifer ergriffen, folgenden Wortschwall losließ, der um so mehr Eindruck hervorrief, als er gänzlich unerwartet kam.

[90] »Was vernehm' ich in jeder Gesellschaft? Ein dunkles Gemurmel, ein unerhörter Laut rührt an mein Ohr. Die Ordnung der Natur ist verkehrt. Bisher hatte Brahmas Gnade der Zunge die Gabe zu reden beigelegt, jetzt hat seine Rache sie andern Werkzeugen mitgeteilt. Und welchen Werkzeugen? Ihr kennt sie, meine andächtigen Zuhörer. Bedurfte es denn noch eines Wunders, um dich aus deiner Dumpfheit zu erwecken, du toll und töricht Volk? Hatten deine Sünden nicht schon Zeugen genug, daß selbst ihre hauptsächlichsten Werkzeuge ihre Stimme noch erheben mußten? Zweifelsohne war das Maß ihrer Sünde voll, da der Zorn des Himmels neue Strafen erdachte. Vergeblich hüllst du dich in Finsternis, vergeblich wählst du stumme Gehilfen deines Frevels. Vernimmst du sie jetzt? sie sagen allenthalben gegen dich aus und offenbaren deine Schande der Welt. O Brahma, der du in Weisheit regierest, o Brahma, dein Urteil ist gerecht! Dein Gesetz verdammt den Diebstahl, den Meineid, die Lüge und den [91] Ehebruch; es untersagt die Bosheit der Verleumdung, die Schleichwege des Ehrgeizes, die Wut des Hasses und die Hinterlist des Betruges. Deine getreuen Diener sind nicht müde geworden, diese Wahrheiten deinen Kindern zu verkündigen und sie mit den Strafen zu bedrohen, die dein gerechter Zorn dem Übertreter vorbehält. Aber umsonst! Die Törichten ergaben sich dem Taumel ihrer Leidenschaft, sie folgten dem Strom, sie verachteten unsern Rat, sie verlachten unsere Warnungen, sie achteten nicht unseres Banns. Ihre Laster wuchsen, wurden stark, wurden viel. Die Stimme ihrer Ruchlosigkeit stieg bis zu dir empor. Wir konnten der furchtbaren Zuchtrute nicht vorbeugen, die du über sie ausstreckst. Lange flehten wir deine Barmherzigkeit an, jetzt laßt uns preisen deine Gerechtigkeit. Deine Schläge haben sie getroffen; werden sie nicht zu dir zurückkehren? Deine Hand liegt schwer auf ihrem Haupt; werden sie sie nicht erkennen? Aber ach! ihr Herz ist verstockt, aber wehe! ihre Augen [92] sind verblendet. Denn sie wagen es, diese Wirkung deiner Macht einem blinden Naturspiel zuzuschreiben. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Brahma! Alle Eigenschaften der Materie sind uns noch nicht bekannt, und dieser neue Beweis ihres Daseins beweist nichts, als die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit derer, die ihn uns entgegenstellen. Auf diesem Grund haben sie Systeme gebaut, Hypothesen erdacht, Experimente aufgestellt. Aber Brahma sitzt auf seinem ewigen Stuhl und blickt herab auf ihr eitles Beginnen, Brahma lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. Ihre frevelhafte Weisheit ist verwirrt, und die Kleinode zerbrachen wie Glas den ohnmächtigen Zaum, den man ihrer Geschwätzigkeit anlegen wollte. Bekennen soll es endlich, das hochmütige Gewürm, die Schwäche seiner Vernunft und die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Aufhören soll es endlich, Brahmas Dasein zu leugnen oder seiner Macht Schranken setzen zu wollen. Es ist ein Brahma. Er ist allmächtig, und er weist sich uns nicht [93] minder deutlich in seinen schrecklichen Strafen, als in seiner unaussprechlichen Gnade.

Aber wer hat über unser unglückliches Land diese Strafen heraufbeschworen? Sind es nicht deine Ungerechtigkeiten, du begehrlicher und treuloser Mann? Deine Buhlereien und Liebesrasereien, o Weib, du schamloses Weltkind? Deine Ausschweifungen und dein schändlicher Frevel, du niederträchtiger Wollüstling? Dein Geiz gegen unsere Klöster, du Habgieriger? Deine Pflichtvergessenheit, du feiler Richter? Dein Wucher, du unersättlicher Kaufmann? Deine Weichlichkeit und dein Unglauben, du gottvergessener weibischer Höfling? Und ihr, der ihr zuerst unter seiner Geißel blutet, ihr Frauen und Mädchen, versunken im Schlamm der Sünde, was kann es euch fernerhin helfen, wenn wir gar unsere Amtspflicht vergessend Stillschweigen bewahrten über eure Verirrungen? Tragt ihr nicht eine Stimme in euch selbst, der ihr noch weniger entrinnen könnt, als der unsrigen? Sie verfolgt [94] euch überall. Überall wirft sie euch eure unreinen Begierden vor, eure sträflichen Neigungen, eure lasterhaften Beziehungen, eure Sorge zu gefallen, eure Künste anzulocken, eure Schlauigkeit festzuhalten, die Unbändigkeit eurer Wollust und die Wut eurer Eifersucht. Was säumt ihr denn, Cadabras Fesseln abzuwerfen und zu Brahmas sanften Geboten zurückzukehren? Aber bleiben wir bei unserem Gegenstande. Die Weltkinder setzen sich, sagte ich euch, auf eine Gott mißfällige Art nieder aus neun Ursachen. Erstlich usw.«

Diese Predigt machte Eindrücke von ganz verschiedener Art. Mangogul und die Sultanin, die allein um das Geheimnis des Ringes wußten, fanden: der Brahmine habe das Geschwätz der Kleinode eben so glücklich mit Hilfe der Religion erklärt, als Guallonorone durch das Licht der Vernunft. Die Damen und Stutzer des Hofes behaupteten, die Predigt sei aufrührisch und der Prediger ein Schwärmer. Der übrige Teil seiner Zuhörer betrachtete ihn als einen Propheten, weinte, betete, geißelte sich [95] sogar und veränderte seine Lebensart nicht.

Selbst in den Kaffeehäusern sprach man davon. Ein schöner Geist entschied, der Brahmine habe die Frage nur obenhin berührt, seine Rede sei ein frostiges, geschmackloses Wortgepränge. Aber nach der Meinung der Betschwestern und Erleuchteten war dieses ein Stück so gründlicher Beredsamkeit, als nur irgendeins seit hundert Jahren in den Tempeln gehört worden sei. Mir scheint, der schöne Geist und die Betschwestern hatten recht.

Die Maulkörbe

Während die Brahminen Brahma reden ließen, Pagoden herumtrugen und die Völker zur Buße ermahnten, dachten andre darauf, aus der Plauderhaftigkeit der Kleinode Vorteil zu ziehen.

Die großen Städte wimmeln von Menschen, welche das Elend erfinderisch macht. Sie stehlen nicht, sie beutelschneiden nicht, aber sie gehören zu den Beutelschneidern, [96] wie die Beutelschneider zu den Spitzbuben. Sie wissen alles, tun alles, haben ein Geheimnis für alles. Sie kommen und gehn und schleichen sich ein. Man findet sie bei Hofe, in der Stadt, auf dem Rathause, in der Kirche, im Schauspiel, in den Häusern der Freude, in der Oper, im Kaffeehause, bei den Sitzungen der Akademie. Sie geben sich zu allem her, was man von ihnen verlangt. Sucht ihr eine Stelle? sie wissen den Weg zum Minister. Habt ihr einen Rechtshandel? sie kennen den Advokaten. Liebt ihr das Spiel? sie sind Bankhalter. Die Tafel? sie sind Brüder, Freimaurer. Die Weiber? sie führen euch bei Aminen oder Akaris ein. Welcher von beiden wollt ihr eine Krankheit abkaufen? Wählen Sie nur, sobald sie Ihnen geworden ist, werden die Leute dafür sorgen, sie wieder wegzuschaffen. Ihre Hauptbeschäftigung ist, die schwache Seite einzelner Menschen auszuspähn und die Einfalt des Publikums zu benutzen. Sie sind es, die an den Ecken der Gassen, an den Kirchtüren, am Eingang [97] der Schauspielhäuser, auf Spaziergängen gedruckte Ankündigungen austeilen lassen, wodurch man ihnen gratis die Nachricht gibt, daß Herr Soundso wohnhaft im Louvre, in Saint Jean, im Tempel oder in der Abtei unter dieser und jener Aufschrift im soundsovielten Stocke von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags die Leute in seiner Wohnung betrügt und den übrigen Teil des Tages in der Stadt.

Kaum fingen die Kleinode an zu reden, als ein Betrüger dieser Art, in allen Häusern von Banza einen kleinen gedruckten Zettel herumtragen ließ von folgender Gestalt und Inhalt. Oben stand mit großen Buchstaben: »Achtung, Ihr Damen!« Gleich darunter in kleinerer Schrift: »mit allergnädigster Bewilligung des Herrn Groß-Seneschall und Genehmigung der königlichen Akademie der Wissenschaften.« Und ganz unten: »Signor Colipolo, Mitglied der königlichen Akademie zu Banza, der königlichen Gesellschaft zu Monoemugi, der kaiserlichen Akademie zu Biafara, der Naturforschenden [98] Gesellschaft zu Monomotapa, des Erekkischen Instituts, der königlichen Akademie zu Beleguanza und Angola, wohlbestellter Professor der Schnurrpfeiferei, der sich seit mehreren Jahren des Beifalls des Hofes, der Stadt und der Provinz erfreut, hat soeben zum Besten des schönen Geschlechts tragbare Maulkörbe oder Mundknebel ersonnen, die den Kleinoden die Sprache benehmen, ohne ihren natürlichen Verrichtungen Einhalt zu tun. Sie sind schicklich und bequem. Man findet ihrer von jeder Größe, für jedes Alter und zu allen Preisen. Er hat schon die Ehre gehabt, Personen von höchstem Stande damit aufzuwarten.«

Man braucht nur einer bestimmten Körperschaft anzugehören, so hat man gewonnen Spiel. Mag eine Leistung noch so lächerlich sein, sie findet Lobredner und Liebhaber. Also hatte auch dem Colipolo seine Erfindung Glück. Man drängte sich in Menge zu ihm. Galante Damen fuhren in ihrer eignen Kutsche hin, sittsame Frauen nahmen einen Mietwagen, fromme schickten [99] ihren Beichtvater oder ihren Diener, sogar Klosterpförtnerinnen fanden sich ein. Alle wollten einen Maulkorb haben, und von der Herzogin bis zur Bürgersfrau hatte jedes Frauenzimmer den seinigen, entweder aus Mode oder aus Bedürfnis.

Die Brahminen, welche die Plauderhaftigkeit der Kleinode als eine göttliche Strafe angegeben und sich Sittenverbesserung oder andere Vorteile davon versprochen hatten, begleiteten mit Seufzern die Erfindung einer Maschine, die die Rache des Himmels und ihre Hoffnungen vereitelte. Eben von ihren Kanzeln herabgestiegen, eilen sie wieder hinauf, donnern, wüten, schleudern Bannstrahlen, verkünden Weissagungen, erklären die Maulkörbe für ein Werk der Hölle und sprechen denen die Seligkeit ab, die sich ihrer bedienen würden. »Ihr Weltkinder,« riefen sie, »tut die Maulkörbe von euch, unterwerft euch dem Willen Brahmas! Möge die Stimme der Kleinode die Stimme eures Gewissens erwecken; möget ihr nicht erröten, [100] die Sünden zu bekennen, die ihr euch nicht schämet zu begehn!«

Sie riefen umsonst. Die Maulkörbe ließen sich so wenig durch Predigten abschaffen, als die bloßen Arme und die durchsichtigen Schleier. Man ließ sie ruhig in ihren Tempeln sich den Schnupfen holen. Man trug die Mundknebel und legte sie nicht eher ab, bis man gesehn hatte, sie wären zu nichts gut, oder bis man ihrer müde war.

Die beiden Betschwestern

Seit einigen Tagen blieben die Kleinode vor dem Sultan in Ruhe. Er war mit wichtigen Geschäften überhäuft, und so blieben die Wirkungen des Ringes aus. In dieser Zwischenzeit machten sich zwei Damen aus Branza zum Gelächter der ganzen Stadt.

Sie waren berufsmäßige Betschwestern. Sie trieben ihre Liebeshändel in möglichster Stille und genossen eines so guten Rufes, das ihn selbst die Bosheit ihrer Mitschwestern verschonte. Man sprach in den [101] Moscheen nur von ihrer Tugend. Die Mütter hielten sie ihren Töchtern zum Muster vor, die Männer ihren Frauen. Beider Hauptgrundsatz war, Ärgernis erregen sei die schlimmste Sünde. Diese Gleichheit, ihre Gesinnungen und vorzüglich die Schwierigkeit, ohne große Mühe ihren Nächsten zu erbauen, der so scharfsichtig ist und so gerne Arges denkt, war mächtiger als die Verschiedenheit ihrer Gemütsstimmung und erhielt eine genaue Freundschaft zwischen beiden.

Zelidens Brahmine verfügte sich zu Sophien; Sophie fand ihren Gewissensrat bei Zeliden; jede brauchte nur mit sich selbst zu Rate zu gehn, um zu wissen, wie es mit dem Kleinod der andern stände. Aber die allgemein verbreitete sonderbare Plauderhaftigkeit der Kleinode setzte beide in peinliche Besorgnis. Sie sahen die Zeit herannahen, wo ihnen die Larven entfallen, wo sie den guten Namen verlieren würden, um dessentwillen sie sich fünfzehn Jahre lang verstellt und geängstigt hatten, was ihnen jetzt große Ungelegenheiten bereitete. [102] Es gab Augenblicke, besonders für Zeliden, wo sie gern ihr Leben hingegeben hätten, um so verschrien zu sein, als der größte Teil ihrer Bekannten. – »Was wird die Welt sagen? Wie wird mein Mann mich behandeln? Wie? Diese so zurückhaltende, so bescheidene, so tugendsame Frau, diese Zelide ist nicht besser wie die andern? Ich möchte verzweifeln, wenn ich daran denke. O ich möchte es am liebsten nie wieder tun, nie jemals getan haben!« rief Zelide erregt aus.

Sie befand sich gerade bei ihrer Freundin, die eben diese Betrachtungen anstellte, aber nicht so sehr dadurch erschüttert ward. Zelidens letzte Worte brachten sie zum Lächeln. »Lachen Sie nur, gnädige Frau, halten Sie sich nicht zurück, lachen Sie laut auf,« sprach Zelide empfindlich. »Sie haben wohl Ursache.« – »Ich kenne wie Sie,« antwortete Sophie kalt, »die Größe der Gefahr, die uns droht. Aber wie sollen wir ihr entgehn? Denn das werden Sie mir doch wohl zugeben, daß Ihr Wunsch unerreichbar scheint?«

[103] »Denken Sie auf ein Mittel,« versetzte Zelide. »Was soll ich mich länger quälen?« fragte Sophie, »mir fällt nichts ein. Wir können uns freilich in der Provinz vergraben; aber die Vergnügungen Banzas verlassen und dem Leben entsagen, ist meine Sache nicht. Damit würde mein Kleinod schlecht zufrieden sein!« – »Was machen wir also?« – »Ja, was machen wir nur?« – »Wir überlassen alles der Vorsehung und lachen schon jetzt, wie ich es eben tat, über jede Nachrede. Ich habe bis jetzt nichts unversucht gelassen, einen guten Namen mit Vergnügungen zu vereinigen. Muß man einem von beiden durchaus entsagen, so wollen wir wenigstens unser Vergnügen behalten. Bisher waren wir einzig in unsrer Art. Von nun an gleichen wir hunderttausend anderen. Scheint Ihnen das so hart?«

»Ja wohl,« erwiderte Zelide. »Es scheint mir allerdings hart, daß ich denen gleichen soll, welchen ich bis jetzt die tiefste Verachtung bezeugte. Diese Schmach zu vermeiden, geh' ich lieber bis ans Ende der Welt!«

[104] »Glück auf den Weg, meine Liebe,« sagte Sophie, »ich bleibe hier. Aber noch eins: sehn Sie sich doch vorher nach einem Mittel um, das Ihrem Kleinod verbietet, unterwegs zu plaudern.«

»Wahrlich,« versetzte Zelide, »der Scherz ist hier sehr übel angebracht, und Ihre Unerschrockenheit ...«

»Sie irren, Zelide, ich bin nichts weniger als unerschrocken. Aus bloßer Ergebung laß ich den Dingen ihren Lauf, den ich nicht ändern kann. Ehrlos sowie so, will ich mir wenigstens den Kummer darüber bis zuletzt aufsparen.«

»Entehrt!« rief Zelide mit Tränen. »Entehrt! Welch ein Schlag! Das überleb' ich nicht! Verdammter Bonze, der du mich ins Verderben stürztest! Ich liebte meinen Gemahl. Ich war tugendhaft geboren, ich würde ihn noch lieben, hättest du nicht dein Amt und mein Vertrauen gemißbraucht! Entehrt, teure Sophie!«

Sie konnte nicht fortfahren, ein Schluchzen unterbrach ihre Worte, und sie warf [105] sich verzweifelnd auf ein Sofa, Zelide fand nun den Gebrauch ihrer Stimme wieder, um weinend auszurufen: »Ach, liebste Sophie, daran gehe ich noch zugrunde. Ich muß zugrunde gehen. Nein, meinen guten Namen überleb' ich nicht!«

»Zelide, liebe Zelide, übereilen Sie sich mit dem Sterben nicht,« sagte Sophie, »vielleicht, wer weiß ...« »Mir hilft kein Vielleicht! Ich muß sterben!« – »Vielleicht könnte man doch ...« – »Man kann nichts, sag' ich Ihnen. Aber was meinen Sie denn? was könnte man?« – »Man könnte vielleicht den Kleinoden das Plaudern wehren.« – »Ach Sophie! Sie suchen mich durch falsche Hoffnung zu trösten! Sie hintergehn mich!« – »Nein, nein, ich hintergehe Sie nicht, hören Sie nur auf mich, statt dieser törichten Verzweiflung nachzugeben. Man erzählt mir viel von Frenicol, Colipilo, von Mundknebeln und von Maulkörben.« – »Was haben Frenicol, Colipilo und die Maulkörbe mit der Gefahr zu tun, die uns bedroht? [106] Was soll mein Galanteriehändler hier? Und was ein Maulkorb?«

»Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe. Ein Maulkorb ist eine vortreffliche Erfindung. Frenicol hat sie erdacht, die Akademie genehmigt und Colipilo verbessert. Darum nennt dieser letztere sich den Erfinder.« – »Nun wohl, was hilft mir diese treffliche Erfindung Frenicols, die die Akademie genehmigte und ein Esel verbesserte?« – »Sie sind von einer Heftigkeit, die über alle Begriffe geht. Diese Maschine wird einfach angemacht, und das Kleinod wird sofort stille, ob es nun will oder nicht.« – »Ist das wirklich wahr, meine Liebe?« – »Die Leute sagen's.« – »Das muß man gleich untersuchen,« versetzte Zelide.

Sie zog an die Klingel, ein Kammermädchen erschien, sie schickte nach Frenicol. »Warum nicht nach Colipilo?« fragte Sophie. »Frenicol macht weniger Aufsehen,« antwortete Zelide. Der Juwelier ließ nicht auf sich warten. »Willkommen, Frenicol,« sagte Zelide. »Eilen Sie zwei [107] Frauenzimmer aus einer großen Verlegenheit zu reißen.« – »Was befehlen Sie, meine Gnädigen? Brauchen Sie etwas von Kleinoden?« – »Nein, wir haben selbst zwei Kleinode und möchten gern ...?« – »Sie unter der Hand veräußern? Gut, meine Gnädigen, lassen Sie sehn. Ich nehm sie oder tausche sie um ...« – »Sie irren sich, Herr Frenicol, wir haben nichts auszutauschen.« – »Ach, ich verstehe! Ihre Gnaden besitzen etwa ein Paar Ohrgehänge, die Sie so verlieren möchten, daß die gnädigen Herrn Gemahls sie bei mir wiederfänden?« – »Keineswegs. Aber so sagen Sie ihm doch, Sophie, worum es sich handelt!« – »Frenicol,« fuhr Sophie fort, »wir brauchen zwei ... Was, Sie verstehn mich immer noch nicht ...?« – »Wie soll ich verstehn, gnädige Frau? Sie sagen ja nichts?« – »Man kann doch auch gewisse Dinge nicht bei Namen nennen,« antwortete Sophie, »wenn man auf Sittsamkeit hält.« – »Aber,« erwiderte Frenicol, »der Name gehört doch zur Sache. Ich bin ja Juwelier und [108] kein Rätselrater!« – »Diesmal aber müssen Sie dennoch raten.« – »Je mehr ich Sie ansehe, meine Gnädigen, desto minder versteh' ich Sie. Wenn man so jung, so reich und so schön ist wie Ihre Gnaden, so braucht man sich doch nicht mit nachgemachten Dingen zu behelfen. Übrigens muß ich Ihren Gnaden gestehn, ich handle mit so etwas nicht. Mit solchem Zeug mögen junge Kollegen handeln, die eben erst anfangen.«

Unsre frommen Damen fanden das Mißverständnis des Galanteriehändlers so lustig, daß sie beide zu gleicher Zeit in ein Gelächter ausbrachen, worüber er die Fassung verlor. »Erlauben mir Ihre Gnaden,« sagte er, »daß ich mich untertänigst empfehle. Ich hoffe, Ihre Gnaden haben Spaß genug mit mir gehabt.« »Bleiben Sie, bleiben Sie, lieber Herr,« sprach Zelide und lachte immer fort, »das war unsre Absicht nicht. Aber aus Mangel an Verständnis verfielen Sie auf solche possierliche Gedanken ...« – »Es liegt nur an Ihro Gnaden, ob ich endlich besser verstehe. [109] Was steht zu Ihrem Befehl?« – »Lassen Sie mich nur erst auslachen, Frenicol, ehe ich Ihnen antworte.«

Zelide lachte bis zum Ersticken. Der Galanteriehändler dachte bei sich, sie habe hysterische Zufälle oder sei verrückt geworden, und gab sich in Geduld. Endlich hörte Zelide auf. »Nun gut,« sprach sie, »von unsern Kleinoden ist die Rede; von unsern, verstehn Sie, Herr Frenicol? Es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, daß es seit einiger Zeit Kleinode gibt, die wie Elstern schwatzen: nun möchten wir nicht gern, daß die unsrigen diesem bösen Beispiel folgten.« – »Ah! jetzt versteh ich alles,« erwiderte Frenicol, »Ihro Gnaden brauchen einen Maulkorb.« – »Sie haben's getroffen. Man hat mir ja immer gesagt, Herr Frenicol sei nicht auf den Kopf gefallen ...« – »Ihro Gnaden sind zu gnädig. Ich führe solche Maulkörbe von allen Sorten und eile sogleich, Ihro Gnaden einige vorzulegen.«

Frenicol ging fort. Unterdessen umarmte Zelide ihre Freundin, dankte ihr [110] für ihren Rat, »und ich,« sagt der gelehrte Afrikaner, »ich ruhte derweil ein wenig aus, bis er wieder kam.«

Der Galanteriehändler

Der Galanteriehändler kam zurück und brachte unsern frommen Damen zwei derbe Maulkörbe mit. »Gott sei uns gnädig!« rief Zelide. »O du Gerechter!« rief Zelide. »Was für Maulkörbe! was für ungeheure Maulkörbe sind das, und wer sind die Unglücklichen, die derlei tragen sollen? Die sind ja eine Klafter lang! Lieber Freund, da haben Sie wohl an der Stute des Sultans Maß genommen?«

»Ja,« sagte Sophie nachlässig, die sie indessen betrachtet und mit den Fingern abgemessen hatte, »für die Stute Seiner Hoheit oder für die alte Rimosa.« – »Ich schwöre Ihnen, meine Gnädigen,« versetzte Frenicol, »es ist das gewöhnliche Maß. Zelmaide, Zirfile, Amiane, Zulica und hundert andre tragen sie so.« – »Das ist unmöglich,« erwiderte Zelide. – [111] »Und dennoch ist es so,« antwortete Frenicol. »Aber anfangs sprachen alle Damen wie Ihro Gnaden, und Ihro Gnaden werden wie sie davon zurückkommen, wenn Sie sie nur anprobieren.« – »Herr Frenicol mag sagen, was er will, er wird mich doch nicht überzeugen, daß mir das paßt«, sprach Zelide. »Mich auch nicht,« sagte Sophie, »er zeige uns andre, wenn er welche hat.«

Frenicol hatte sehr oft erlebt, daß man die Weiber in diesem Punkt nicht bekehrt, und bot ihnen also Maulkörbe für Dreizehnjährige. »Ja, das ist was für uns!« riefen beide zugleich. »Ich wünsche es,« sprach Frenicol leise. »Was sollen sie kosten?« fragte Zelide. – »Nur zehn Zechinen, gnädige Frau.« – »Zehn Zechinen! wo denken Sie hin, Frenicol?« – »Es ist ein gewissenhafter Preis, gnädige Frau.« – »Wir müssen die Neuheit mit bezahlen.« – »Es ist auf Ehre nur meine Auslage.« – »Sie sind freilich sehr niedlich gearbeitet; aber zehn Dukaten ist gewaltig viel Geld.« – »Ich kann nichts ablassen.« – »So gehn [112] wir zu Calipilo!« – »Das tun Ihre Gnaden nach Gefallen, aber Arbeit und Arbeit, Maulkorb und Maulkorb ist ein Unterschied!« Frenicol blieb bei seiner Forderung, und Zelide gab nach. Sie bezahlte die beiden Maulkörbe, und der Galanteriehändler ging in der festen Überzeugung nach Hause, sie würden ihnen zu kurz sein, und es könne nicht fehlen, daß er sie zu einem Vierteil des Preises wieder annehmen würde, wofür er sie verkauft habe. Er irrte sich. Mangogul fand gerade keine Gelegenheit, seinen Ring auf diese beiden Frauen zu wenden, und so bekamen auch ihre Kleinode keine Lust, ungewöhnlich laut zu reden. Das war ein Glück für sie. Denn da Zelide ihren Maulkorb anprobierte, fand sie ihn um die Hälfte zu klein. Doch gab sie ihn nicht zurück, weil sie glaubte, es sei fast eben so gefährlich, ihn auszutauschen, als sich seiner nicht zu bedienen.

Diese Umstände erfuhr man durch eine der beiden Damen, die sie ihrem Liebhaber im Vertrauen erzählte, der sie im Vertrauen andern erzählte, die sie als ein [113] Geheimnis an ganz Banza vertrauten. Auch Frenicol hielt nicht reinen Mund. Die Geschichte unsrer beiden Betschwestern ward ruchbar und beschäftigte eine Zeitlang alle Lästerzungen in Congo.

Zelide war untröstlich darüber. Diese Frau, die mehr Mitleid als Tadel verdiente, bekam einen Widerwillen gegen ihren Brahminen, verließ ihren Gemahl und schloß sich in ein Kloster ein. Sophie nahm die Larve ab, ließ die Leute reden, legte Rot auf und Schönheitspflästerchen und lebte in der Welt mit der Welt.

Die Erstickung

Die Bürgerfrauen in Banza dachten wohl, daß ihre Kleinode schwerlich die Ehre haben würden, zu reden, dennoch versahen sie sich sämtlich mit Maulkörben. Man legte zu Banza Maulkörbe an, wie wir Hoftrauer anlegen.

Hier bemerkt der gelehrte Afrikaner mit Erstaunen, daß der mäßige Preis und der bürgerliche Gebrauch der Maulkörbe dieser [114] Mode dennoch im Harem kein Ende machte. »Dreimal,« schreibt er, »siegte der Nutzen über das Vorurteil.« Eine so alltägliche Bemerkung verdiente nicht mehr als einmal gesagt zu werden. Es scheint mir aber der Fehler aller Congoschen Schriftsteller gewesen zu sein, daß sie sich wiederholen. Vielleicht wollten sie dadurch ihren Werken einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit und Leichtigkeit geben, oder vielleicht besaßen sie nicht so viel Fülle der Gedanken, als ihre Bewunderer ihnen zuschreiben. Dem sei, wie ihm wolle. Mangogul ging eines Tages in seinem Garten spazieren. Der ganze Hof begleitete ihn. Es fiel ihm ein, seinen Ring gegen Zelais zu kehren. Sie war hübsch. Man hatte sie im Verdacht, mehr als einen Liebhaber gekannt zu haben. Dennoch lallte ihr Kleinod nur und brachte nichts als abgebrochene Worte vor, welche die Spötter ausdeuteten, wie sie wollten. »Schau!« sagte der Sultan, »dieses Kleinod hat eine schwere Zunge. Es muß ihm wohl irgend etwas im Wege sein, das es am Sprechen hindert.« Er [115] ließ also seinen Ring stärker wirken. Das Kleinod zwang sich noch einmal zum Sprechen, überwand endlich zum Teil das Hindernis, das ihm den Mund zuhielt, und man vernahm sehr deutlich: »Ach! Ach! Ich ... er ... er ... sticke. Ich kann nicht mehr ... Ach! ... Ach! ... ich ersticke!« Zelais fühlte sich in diesem Augenblicke wirklich der Erstickung nahe. Ihr Antlitz erblaßte, ihre Kehle schwoll an, ihre Augen schlossen sich, sie sperrte den Mund auf und fiel in die Arme ihrer Nachbarn.

An jedem andern Orte hätte Zelais schleunige Linderung bekommen. Man durfte nur den Maulkorb abnehmen und ihrem Kleinode wieder Luft geben. Aber wie konnte man ihr in Mangoguls Gegenwart hilfreiche Hand leisten? »Geschwind, geschwind, schickt nach Ärzten!« rief der Sultan, »Zelais stirbt!«

Edelknaben rannten aufs Schloß und kamen zurück. Leibärzte folgten ihnen mit gemessenen Schritten, Guallonorone an ihrer Spitze. Einige rieten zu Aderlaß, [116] andere zu einem Brechmittel. Aber der tiefblickende Guallonorone ließ Zelais in einen nahegelegenen Pavillon tragen, besah den Schaden und zerschnitt die Riemen ihres Korbes. Dieses geknebelte Kleinod war eins von denen, die er sich rühmte, im Parorxysmus gesehen zu haben.

Indessen, eine außerordentliche Schwellung hatte sich eingestellt, und Zelais würde noch länger gelitten haben, hätte sich der Sultan nicht ihrer erbarmt. Er drehte seinen Ring zurück, ihre Lebensgeister kamen wieder ins Gleichgewicht, Zelais erholte sich, und Guallonorone nannte sich den Wundertäter dieser Genesung.

Zelaidens Unfall und ihres Arztes Plaudermaul taten dem guten Ruf der Maulkörbe großen Schaden. Guallonorone achtete Colipilos Vorteil nicht, er sah den Augenblick sein Glück auf die Trümmer eines andern zu bauen, nannte sich von nun an wohlbestellter Gesundheitsrat gegen den Kleinods-Rheumatismus, und bis auf diese Stunde sieht man seine Anschlagzettel noch in abgelegenen Gassen. [117] Anfangs gewann er Geld damit, zuletzt ward er verächtlich. Der Sultan machte sich ein Vergnügen daraus, den Stolz des Empirikers zu demütigen. Sooft sich Guallonorone rühmte, ein Kleinod zum Schweigen gebracht zu haben, das nie eine Silbe gesprochen hatte, war Mangogul grausam genug, es reden zu lassen. Man bemerkte endlich, daß jedes Kleinod aus langer Weile anfing zu plaudern, sobald Guallonorone es zwei- oder dreimal besuchte. Bald zählte man ihn, mit Colipilo, zu der Klasse der Marktschreier. Beide werden darin bleiben, bis es Brahma gefällt, sie herauszuziehen.

Man zog die Schande dem Schlagfluß vor. Man stirbt am Schlagfluß, sagte man. Also verzichtete man auf die Maulkörbe. Man ließ die Kleinode reden, soviel sie wollten, und niemand starb daran.

Nervenschwäche

Es gab eine Zeit, wie man sieht, wo die Weiber aus Furcht, daß ihre Kleinode [118] reden möchten, erstickten und fast umkamen. Darauf folgte eine Zeit, wo sie sich über diese Besorgnis wegsetzten, die Maulkörbe abschnallten und nur Nervenschwäche hatten.

Unter den Freundinnen der Favorite befand sich ein sonderbares Mädchen. Ihre Laune war allerliebst, obwohl ungleich. Sie veränderte zehnmal des Tags ihr Gesicht, aber sie gefiel in jeder Veränderung. Ihre Schwermut war nicht minder einzig als ihre Fröhlichkeit. In ihren ausgelassensten Augenblicken entschlüpften ihr Worte von außerordentlicher Feinsinnigkeit; und in ihren traurigsten Anfällen Torheiten, worüber man herzlich lachen mußte. Dies närrische Ding hieß Callirhoe. Mirzoza war so sehr an sie gewöhnt, daß sie fast nicht ohne sie leben konnte. Eines Tages beklagte sich der Sultan, die Favorite etwas unruhig und kühl zu finden. Dieser Vorwurf setzte sie in Verlegenheit. »Gnädiger Herr,« antwortete sie, »wenn ich meine drei Tiere nicht um mich habe, meinen Kanarienvogel, meine Katze und meine [119] Callirhoe, so tauge ich nichts. Sie sehn, die letzte geht mir ab.« – »Warum ist sie denn nicht hier?« fragte Mangogul. »Ich weiß nicht,« antwortete Mirzoza, »sie sagte mir freilich schon vor einigen Monaten, wenn Mazul mit ins Feld müßte, so würde sie sicherlich Nervenschwäche bekommen, und Mazul ist gestern abgereist.« »Der mag noch hingehen,« erwiderte der Sultan, »das nenne ich durchaus begründete Nervenzustände. Aber warum fällt es hundert andern ein, sie sich beizulegen, die ganz junge Männer haben und keinen Mangel an Liebhabern leiden?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »es ist die Modekrankheit. Nervenschwäche zu haben, das verleiht einer Frau Ansehen. Ohne Liebhaber und Nervenschwäche weiß man nichts vom guten Ton; und dann muß jede Bürgersfrau in Banza so etwas haben.«

Mangogul lächelte und faßte sogleich den Entschluß, einige dieser Nervenkranken zu besuchen. Er begab sich geradeswegs zu Salica. Sie lag im Bette, den Busen bloß, die Augen entzündet, das Haar aufgelöst. [120] Der kleine stammelnde bucklige Arzt Farfadi saß neben ihrem Kopfkissen und plauderte ihr vor. Unterdessen streckte sie bald einen Arm aus, bald den andern, gähnte, seufzte, rieb sich die Stirn und rief schmachtend aus: »Ach! ... Ich kann es nicht aushalten! ... Macht das Fenster auf! ... Luft! Luft! ... Ich kann es nicht aushalten! ich sterbe!«

Mangogul nutzte den Augenblick, da die geängstigten Kammerfrauen und Farfadi die Bettdecke abzogen, seinen Ring gegen sie zu drehen, und sogleich hörte man: »O! wie mich dies alles langweilt! Nun will die gnädige Frau Nervenschwäche haben. Das wird acht Tage lang anhalten; und ich will auf der Stelle sterben, wenn ich weiß warum? Farfadi hat sich ja so angestrengt, das Übel in der Wurzel zu heben, daß es billig nicht mehr fortdauern sollte.« – »Gut!« sagte der Sultan und zog den Ring zurück. »Ich verstehe, die ist nervenkrank, weil sie es mit ihrem Arzte gut meint. Wir müssen doch weiter sehn.«

Er verließ Salicas Behausung und verfügte [121] sich zu Arsina, die in der Nachbarschaft wohnte. Bei seinem Eintritt in ihre Gemächer hörte er ein lautes Gelächter und nahte sich in der Meinung, daß sie Gesellschaft haben würde. Dennoch fand er sie allein, und Mangogul wunderte sich darüber nicht sehr. »Will eine Frau Nervenzufälle haben,« sprach er, »so wählt sie fröhliche oder traurige, wie es gerade paßt.«

Er drehte seinen Ring gegen sie, und alsbald lachte ihr Kleinod aus vollem Halse. Plötzlich ging es von diesem traurigen Gelächter zu lächerlichen Jammertönen über. Denn Narses war abwesend, ihm riet es als ein guter Freund, seine Rückkehr zu beschleunigen, und dann fing es von neuem an zu schluchzen, zu weinen, zu ächzen, zu seufzen, zu verzweifeln, als wären all die seinigen zu Grabe gebracht.

Über eine so seltsame Betrübnis hätte der Sultan bald die Fassung verloren. Er drehte seinen Ring wie der zurück und ging weg. »Mögen,« sagte er zu sich selbst, »Arsinoe und ihr Kleinod nach Herzenslust wehklagen; es sind doch nicht alle Sprichwörter wahr!«

[122] Von verlornen und wiedergefundnen Dingen
Anhang zu Panicirollus gelehrtem Werk und
zu den Abhandlungen der Akademie
der Altertumsforscher

Mangogul kehrte zu seinem Palast zurück und dachte über die Torheiten nach, worin die Weiber verfallen, als er sich, entweder aus eigner Zerstreuung, oder aus einem Versehen seines Ringes, in dem Säulengange des prachtvollen Gebäudes befand, das Thelis mit der reichen Ausbeute ihrer Liebhaber schmückte. Er benutzte die Gelegenheit, ihr Kleinod auszufragen.

Thelis war die Gemahlin des Emir Sambuco, dessen Vorfahren Guinea beherrschten. Sambuco war in Congo angesehen, er hatte Erguebzeds Feinde fünf-oder sechsmal besiegt. Er war ein eben so geschickter Staatsmann als Feldherr und brachte verschiedene ihm aufgetragene Unterhandlungen von Wichtigkeit mit großen Ehren zustande. Bei seiner Wiederkunft von Loango sah er [123] Thelis und liebte sie. Damals war er dicht an fünfzig Jahren, Thelis aber höchstens fünfundzwanzig. Sie besaß mehr Anmut als Schönheit; die Weiber fanden sie liebenswürdig, die Männer beteten sie an. Mächtige Freier hatten um sie geworben: aber entweder war ihr Plan schon gemacht, oder der Unterschied des Vermögens zwischen ihr und ihren Werbern war zu groß: alle bekamen einen Korb. Sambuco sah sie, legte unermeßliche Reichtümer zu ihren Füßen, Namen, einen Ruhm und einen Rang, der nur von dem eines Fürsten übertroffen wurde, und ward erhört.

Thelis blieb oder schien tugendhaft sechs lange Wochen nach der Hochzeit. Aber ist ein Kleinod zur Wollust geboren, so vermag es nur selten sich selbst zu bändigen; und ein fünfzigjähriger Gemahl mag in jeder andern Rücksicht ein Held sein, er ist toll, wenn er diesen Feind zu besiegen hofft. Thelis betrug sich freilich mit vieler Vorsicht, doch blieben ihre ersten Verirrungen nicht unbekannt. Also schrieb man ihr auch in der Folge mehr zu, als man erfuhr, und Mangogul, [124] neugierig, die Wahrheit zu erfahren, eilte aus dem Vorhof ihres Palastes in ihr Wohnzimmer.

Es war gerade mitten im Sommer, die Hitze sehr groß, und Thelis hatte sich nach aufgehobener Tafel auf ein Ruhebett gestreckt in einem entlegenen Gemach, das mit Spiegeln und Gemälden geschmückt war. Sie schlummerte; noch ruhte ihre Hand auf einer Sammlung persischer Märchen, die sie eingeschläfert hatten.

Mangogul betrachtete sie eine Zeitlang, gestand sich, daß sie reizend sei und drehte seinen Ring gegen sie.

»Es ist mir noch so im Gedächtnis, als ob es jetzt geschähe,« sagte Thelidens Kleinod sogleich: »Neun Liebesproben in vier Stunden! Welch ein Genuß! Göttlicher Zermunzaid! So verfährt der alte frostige Sambuco nicht! Teurer Zermunzaid! Ich kannte die wahre Freude, das höchste Gut der Menschen nicht. Du hast es mich kennen gelehrt.«

Mangogul wünschte die näheren Umstände des Umganges Thelidens mit Zermunzaid [125] zu erfahren. Das Kleinod hielt sich nur an das, was einem Kleinod das wichtigste ist, und schlüpfte darüber weg. Mangogul rieb ein Weilchen den Stein seines Ringes gegen sein Gewand, bis er glänzend ward, und kehrte ihn aufs neue gegen Thelis. Bald empfand das Kleinod seine Kraft, begriff besser, was man eigentlich von ihm verlangte, und nahm mehr den Ton eines Geschichtschreibers an:

»Sambuco stand an der Spitze des Heeres zu Monoemugi, ich folgte ihm ins Feld. Zermunzaid war sein Adjutant; der Feldherr beehrte ihn mit seinem besondern Vertrauen und übergab uns seinem Geleit. Der eifrige Zermunzaid wich nicht von seinem Posten; er schien ihm zu angenehm, um ihn einem andern abzutreten; und die Furcht, ihn zu verlieren, war seine einzige Furcht während des ganzen Krieges.

Im Winterquartier bekam ich neue Gäste. Kassil, Zekia, Almamun, Jesub, Selim, Mansora, Nereskim: alles Offiziere, die Zermunzaid geführt hatte, aber keiner war so viel wert als er. Der leichtgläubige[126] Sambuco verließ sich in Ansehung der Tugend seiner Frau auf sie selbst und auf Zermunzaids Vorsorge. Die unermeßlichen einzelnen Vorkehrungen des Krieges, der große Plan, den er zu Ehren von Congo vorbereiten wollte, machten ihm so viel zu schaffen, daß er nicht Zeit hatte, den Verdacht zu fassen, daß Zermunzaid ihn verrate oder Thelis ihm untreu sei.

Der Krieg dauerte fort, die Heere rückten wieder ins Feld, und wir stiegen wieder in unsre Sänften. Da die nur sehr langsam vorwärts gingen, so verloren wir unmerklich den Kern der Armee aus dem Gesicht und blieben beim Nachtrab. Zermunzaid führte ihn. Dieser tapfre Junge, den der Anblick der größten Gefahr nie vom Wege des Ruhms entfernen konnte, ließ sich durch die Lockungen der Liebe verleiten. Er überließ einem untergeordneten Offizier die Beobachtung des Feindes, der uns beunruhigte, und stieg in unsern Wagen. Aber kaum war er drinnen, als wir Waffengeklirr und verwirrtes Geschrei vernahmen. Zermunzaid ließ seine Arbeit unvollendet [127] und wollte aussteigen, aber er ward zu Boden gestreckt, und wir blieben in der Gewalt des Siegers.

So verschlang ich die Ehre und die Verdienste eines Offiziers, der von seiner Tapferkeit und seiner Tüchtigkeit die erste Stelle, die höchsten Kriegsämter erwarten durfte, wenn er nie die Gattin seines Generals gekannt hätte. Mehr als dreitausend Menschen blieben bei der Gelegenheit auf dem Platz. So viel gute Untertanen haben wir dem Staat entwendet.«

Man bedenke, wie Mangogul über diese Rede erstaunen mußte! Er hatte Zermunzaids Leichenpredigt mit angehört und erkannte ihn an dieser Schilderung nicht wieder. Erguebzed, sein Vater, hatte den Verlust dieses Offiziers bedauert. Alle Zeitungen, die man las, verschwendeten das höchste Lob an seinen glänzenden Rückzug und schrieben seine Niederlage und seinen Tod der feindlichen Übermacht zu, die sechsmal stärker gewesen sei als er. Ganz Congo beklagte einen Mann, der seine Pflicht so gut erfüllt hätte. Seine [128] Frau bekam ein Gnadengehalt, sein ältester Sohn das Regiment seines Vaters und der jüngste die Anwartschaft auf eine Domherrnstelle.

»Das ist abscheulich!« rief Mangogul leise. »Die eheliche Treue gebrochen, den Staat verraten, die Mitbürger aufgeopfert, alles das um ein Kleinod! Und der Frevel bleibt unentdeckt und wird sogar noch wie eine Tugend belohnt!«

Thelidens Kleinod hatte nur geschwiegen, um Atem zu schöpfen. Jetzt fuhr es fort: »So war ich dem Feinde auf Gnade und Ungnade ergeben. Ein Dragoner-Regiment war bereit, auf uns einzudringen. Thelis schien darüber in Verzweiflung und wünschte doch nichts sehnlicher als das. Aber die Schönheit der Beute streute Zwietracht unter die Räuber. Man zog die Schwerter, und dreißig bis vierzig Menschen wurden im Augenblick umgebracht. Der Befehlshaber vernahm das Getümmel, eilte herzu, besänftigte die Wütenden und wies uns zu unsrer Sicherheit ein Zelt an, wo wir uns [129] kaum umsehen konnten, als er schon hereintrat, den Lohn seines Dienstes zu fordern. Die Überwundenen sind unglücklich! rief Thelis, und warf sich auf ein Bett, wo sie die ganze Nacht hindurch ihr Unglück empfand.

Am Tage darauf waren wir am Ufer des Niger. Ein Schiff erwartete dort meine Gebieterin und mich, damit wir dem Kaiser von Benin vorgestellt würden. Die Fahrt dauerte vierundzwanzig Stunden. Der Schiffskapitän bot Thelis seinen Beistand an, ward zugelassen, und ich machte die Erfahrung, daß der Seedienst unendlich rascher geht als der Landdienst.

Wir kamen vor den Kaiser von Benin. Er war jung, feurig und wollüstig. Thelis eroberte auch ihn. Aber die Eroberungen ihres Gemahls jagten ihm Furcht ein. Er bat um Frieden und brachte sich dadurch um drei Provinzen und mein Lösegeld.

Andre Zeiten – andre Sorgen. Sambuco erfuhr, ich weiß nicht wodurch, was an dem Unglück des vorigen Feldzuges [130] schuld gewesen sei. In dem nächstfolgenden gab er mich einem seiner Freunde in Verwahrung, der ein Haupt der Brahminen war. Der Mann Gottes wehrte sich nicht lange; er wich Thelidens Reizen aus, und in weniger als sechs Monaten verschlang ich seine unermeßlichen Einkünfte, drei Teiche und zwei hochstämmige Wälder.«

»Gott steh mir bei!« rief Mangogul. »Drei Teiche und zwei Wälder! Das Kleinod hat eine gesegnete Verdauung.« »Wir können mehr vertragen,« erwiderte das Kleinod. »Es ward Friede, und Thelis begleitete ihren Gemahl auf seiner Gesandtschaft nach Monomotapa. Sie spielte und verlor vielleicht hunderttausend Zechinen an einem Tage, die ich in einer Stunde wiedergewann. Ein Minister, dessen Zeit nicht ganz und gar von den Angelegenheiten seines Herrn ausgefüllt wurde, kam mir unter die Zähne, und ich verzehrte ihm in drei bis vier Monaten ein schönes Landgut, ein Schloß mit allen Möbeln, einen Park und einen Staatswagen mit einem Zuge von sechs Schecken.[131] Eine vier Minuten lange Gunst, gehörig aufgeschoben, erwarb uns Feste, Geld und Geschmeide. Sambuco war entweder blind oder klug und störte uns nicht.

Ich mag hier nicht anführen, wie viel Grafschaften, Rittergüter, Lehnsrechte, Wappenschilder usw. vor mir verschwunden sind. Mein Sekretär kann Ihnen sagen, was daraus geworden ist. Ich habe die Krongüter von Biafara sehr beschnitten und besitze eine ganze Provinz von Beleguanza. Als Erguebzed alt ward, machte er mir den Vorschlag ...« – Hier drehte Mangogul seinen Ring zurück und ließ den Strudel verstummen. Aus Ehrfurcht für das Gedächtnis seines Vaters wollte er nichts hören, was den Glanz der großen Eigenschaften, die er an ihm kannte, verdunkeln würde.

Bei der Rückkunft in seinen Harem unterhielt er die Favorite von den Nervenkranken und vom Versuch seines Ringes an Thelis. »Sie schenken dieser Frau Ihren vertraulichen Umgang,« sprach er, »aber wahrscheinlich kennen Sie sie nicht so gut [132] wie ich.« »Ich verstehe Sie, gnädigster Herr,« antwortete die Sultanin. »Ihr Kleinod ist so einfältig gewesen, Ihnen ihre Abenteuer mit dem General Mikokof, den Emir Feridur, dem Senator Marsufa und dem Oberbrahminen Ramadanutio zu beichten. Man weiß überdies, daß sie sich den jungen Alamir hält, und daß es dem alten Sambuco so gut bekannt ist als Ihnen, wenn er gleich dazu schweigt.«

»Sie erraten's nicht,« erwiderte der Sultan, »ich hab aus ihrem Kleinod alles herausgeholt.« »Hatte es Ihnen etwas weggenommen?« fragte Mirzoza. »Mir nicht,« antwortete der Sultan, »aber meinen Untertanen, den Großen meines Reichs und benachbarten Fürsten: ihre Länder, Provinzen, Schlösser, Teiche, Wälder, Edelsteine und Staatswagen mit sechs Schecken.« – »Und obendrein ihren guten Namen und ihre Tugenden,« setzte Mirzoza hinzu. »Ich weiß nicht, welchen Vorteil Ihnen Ihr Ring bringen wird, aber mit jedem neuen Versuch desselben wird mir mein Geschlecht verhaßter: die selbst nicht ausgenommen,[133] denen ich Achtung schuldig zu sein glaubte. Ich bin gegen sie so aufgebracht, daß ich selbst Ihre Hoheit bitte, mich einige Augenblicke allein zu lassen.« Mangogul wußte, daß der Favorite jeder Zwang zuwider sei, küßte dreimal ihr rechtes Ohr und verließ sie.

Mangoguls Kritik der praktischen Vernunft

Mangogul war ungeduldig, die Favorite wiederzusehn, schlief wenig, stand früher als gewöhnlich auf und war bei ihr, da es eben Tag ward. Sie hatte schon geschellt, man zog ihre Vorhänge auf, und ihre Zofen wollten sie gerade aus dem Bette nehmen. Der Sultan gab auf alles genau acht, und da er kein Schoßhündchen um sie erblickte, fragte er sie nach der Ursache dieser Sonderbarkeit. »Halten Sie mich deswegen für sonderbar?« fragte Mirzoza. »Ich sehe doch,« erwiderte der Sultan, »daß alle übrigen Damen meines Hofes Schoßhündchen um sich haben. Sie würden [134] mir also einen Gefallen tun, wenn Sie mich belehren wollten, warum sich jene Schoßhündchen zulegen, oder warum Sie keinen leiden? Die meisten haben sogar mehr als eins, und jede verschwendet Liebkosungen an das ihrige, die sie ihrem Liebhaber selbst kaum zu verstatten scheint. Wodurch verdienen diese Tiere den Vorzug? Was tut man mit ihnen?«

Mirzoza wußte keine Antwort auf diese Fragen. »Mein Gott,« sagte sie, »man hält sich eben ein Hündchen, so gut wie einen Papagei oder Kanarienvogel. Vielleicht ist es lächerlich, sich an Tiere zu gewöhnen; aber es kann niemand befremden, daß man sie besitzt. Sie unterhalten zuweilen und schaden nie mals. Liebkost man sie, so hat das weiter keine Folgen. Glauben Sie denn übrigens, gnädigster Herr, ein Liebhaber begnügte sich mit einem solchen Kuß, wie ihn seine Dame ihrem Möpschen gibt?« »Allerdings glaub ich das,« sagte der Sultan. »Er müßte wahrhaftig sehr begehrlich sein, wenn ihm der nicht genug wäre.«

[135] Eine der Kammerfrauen Mirzozens, die durch ihre Sanftmut, Geschicklichkeit und Treue die Gunst des Sultans und der Favorite gewonnen hatte, nahm das Wort: »Diese Tiere sind lästig und schmutzig. Sie beflecken die Kleider, verderben die Stühle, zerreißen die Spitzen und richten in einer Viertelstunde mehr Unheil an, als erforderlich wäre, unsere allergetreueste Kammerfrau in Ungnade fallen zu lassen. Dennoch werden sie beibehalten.«

»Obschon sie nach der gnädigen Frau zu weiter nichts gut sind,« setzte der Sultan hinzu.

»Fürst,« antwortete Mirzoza, »wir legen eben auf unsre Grillen Wert. Ein Möpschen um sich haben, muß wohl auch so eine Grille sein wie viele andre, die diesen Namen nicht mehr verdienen würden, wenn wir uns Rechenschaft darüber geben könnten. Mit der Herrlichkeit der Affen ist's vorbei, die Papageien halten sich noch. Die Hunde waren ganz abgekommen, jetzt kommen sie wieder in Aufnahme. Haben doch auch die Eichhörnchen ihre Zeit gehabt. [136] Das ist Modesache. Mit den Tieren geht's, wie es der Reihe nach gewesen ist mit dem Italienischen, mit dem Englischen, mit der Geometrie, mit all dem Firlefanz von Stickereien und Falbeln.«

»Mirzoza,« erwiderte der Sultan und schüttelte den Kopf, »weiß zwar viel, aber doch nicht alles. Wenn die Kleinode reden wollten ...«

»Ihre Hoheit glauben doch nicht etwa,« sagte die Favorite, »daß uns Harias Kleinod erklären könnte, warum diese Frau den Tod ihres Sohnes, einer Tochter und ihres Gemahls ohne Tränen sah und vierzehn Tage über den Verlust ihres Möpschen trauerte?«

»Warum nicht,« antwortete der Sultan. »Wahrhaftig,« sagte Mirzoza, »wenn unsere Kleinode jede weibliche Grille erklären könnten, so wüßten sie mehr als wir selbst.«

»Wer kann das leugnen?« erwiderte der Sultan. »Auch halt' ich dafür, daß das Kleinod eine Frau hundert Dinge tun läßt, ohne daß sie es gewahr wird. Ich bemerkte bei mehr als einer Gelegenheit, [137] daß eine, die ihrem Kopfe zu folgen glaubte, nur ihrem Kleinod gehorchte. Ein großer Philosoph suchte den Sitz der Seele, unsrer Seele nämlich, in der Zirbeldrüse. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so weiß ich wohl, wohin ich sie versetzte.«

»Ich erlasse Ihnen, mich darüber zu belehren,« meinte Mirzoza hastig.

»So erlauben Sie mir wenigstens,« sprach Mangogul, »Ihnen einige Vermutungen über die Weiber mitzuteilen, auf die, unter der Voraussetzung, daß sie eine Seele haben, mein Ring mich gebracht hat. Die Versuche meines Ringes haben mich zu einem großen Moralisten gemacht. Ich bin nicht so witzig wie La Bruyère, nicht so logisch wie Port-Royal, nicht so reich an Einbildungskraft wie Montaigne, nicht so weise wie Charon, aber ich habe Tatsachen gesammelt, die ihnen vielleicht abgingen.«

»Reden Sie, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza spöttisch, »ich werde ganz Ohr sein. Die moralischen Versuche [138] eines Fürsten von Ihren Jahren müssen etwas sehr Merkwürdiges sein.«

»Guallonorone ist ein Narr mit seinem System, sein Kollege, der berühmte Hiragu, mag sagen, was er will. Doch hat er manchen Einwurf, der ihm gemacht ward, sehr verständig beantwortet. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so würd' ich ihm gern einräumen, daß ihre Kleinode von jeher geredet haben, nur leise, und daß Cucufas Reiz keine andre Wirkung hervorbringt, als eine Verstärkung ihrer Stimme. Unter dieser Voraussetzung wäre nichts so leicht, Euch alle, so viele Ihr seid, nach Eurem Kleinode zu bestimmen:

Die kluge Frau zum Beispiel hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf.

Die spröde stellt sich, als ob sie nicht darauf höre.

Die eroberungssüchtige hat ein Kleinod, das zuviel begehrt, und dem sie zuviel gewährt.

Die wollüstige hört gern auf ihr Kleinod.

Die verbuhlte hat ein Kleinod, das stets verlangt und dem nichts abgeschlagen wird.

[139] Die Gefallsüchtige hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf; gibt aber jedem Manne, der sich ihr naht, die Hoffnung, ihr Kleinod werde endlich reden, und sie werde nicht immer taub bleiben.«

»Nun Wonne meines Lebens, was denken Sie von meinen Erläuterungen?«

»Ich denke,« antwortete die Favorite, »Ihre Hoheit vergessen die zärtliche Frau.«

»Ich erwähne ihrer nicht,« antwortete der Sultan, »weil ich noch nicht recht weiß, wie es um sie steht. Kluge Leute behaupten ohnedem, das Wort zärtlich habe keinen Sinn, wenn es sich gar nicht auf das Kleinod bezieht.« »Keinen Sinn?« rief Mirzoza. »Es gibt also gar keine Mittelstraße. Ein Frauenzimmer kann nichts sein, als nur spröde, eroberungssüchtig, gefallsüchtig, wollüstig oder ausschweifend?«

»Wonne meines Lebens,« sagte der Sultan, »ich gestehe Ihnen gerne, daß meine Rangliste unvollständig ist. Ich will die zärtliche Frau den vorher genannten Merkmalen hinzufügen, aber unter der Bedingung, daß Sie mir eine Erklärung von ihr [140] geben, die unter den meinigen nicht schon mit inbegriffen war.«

»Sehr gern,« sagte Mirzoza. »Ich hoffe das zustande zu bringen, ohne Ihr System zu verlassen.«

»Lassen Sie hören,« versetzte Mangogul.

»Nun denn,« erwiderte die Favorite, »die zärtliche Frau ist die ....«

»Nur Mut, Mirzoza!« rief der Sultan.»O! verwirren Sie mich nicht, wenn ich bitten darf. Die zärtliche Frau ist die ..., die geliebt hat, ohne daß ihr Kleinod sprach, – oder deren Kleinod immer nur für den einzigen Mann sprach, den sie liebte!«

Es wäre nicht artig vom Sultan gewesen, die Favorite zu ärgern und zu fragen, was sie unter lieben verstehe; daher tat er es nicht. Mirzoza hielt sein Schweigen für ein Eingeständnis und, stolz darauf, sich mit soviel Anstand aus einer schwierigen Lage gezogen zu haben, sprach sie: »Ihr Männer glaubt immer, weil wir von Beweisführung nichts wissen wollen, so vermöchten wir auch nicht zu denken. Lernt endlich einmal, daß wir eben so leicht das [141] Falsche an Euren Paradoxen herausfänden, als Ihr die Schwäche unsrer Gründe, wenn wir uns nur die Mühe geben wollten. Läge Eurer Hoheit nicht jetzt so viel daran, Ihre Neugier über die Schoßhündchen zu befriedigen, so gäb ich Ihnen vielleicht meinerseits eine kleine Probe meiner Philosophie. Aber ich schenke sie Ihnen darum nicht; ich spare sie für einen andern Tag, wenn Sie mir etwas länger zuhören wollen.«

Mangogul antwortete: er wisse auf der Welt nichts Besseres zu tun, als sich die Schätze ihrer Philosophie aufschließen zu lassen. Die Metaphysik einer zweiundzwanzigjährigen Sultanin müsse wenigstens ebenso merkwürdig sein, als die Sittenlehre eines Fürsten von seinen Jahren.

»Aber Mirzoza, die besorgte, dies sei von Mangoguls Seite nur Nachgiebigkeit, erbat eine Frist, um sich vorzubereiten, und gab dadurch dem Sultan einen Vorwand, dahin zu fliegen, wohin ihn seine Ungeduld berufen mochte.«

[142] Die Schoßhündchen

Mangogul versetzte sich alsbald zu Haria und sprach nach seiner beliebten Gewohnheit mit sich selbst: »diese Frau legt sich nie schlafen ohne ihre vier Hunde. Wenn ein Kleinod etwas von diesen Tieren weiß, so erfahr' ich es durch das ihrige; denn es ist, Gott sei Dank! bekannt, daß sie ihre Hunde bis zur Anbetung liebt.« Am Ende dieses Selbstgesprächs stand er in Harias Vorzimmer und merkte schon von weitem, die gnädige Frau pflege der Ruhe in ihrer gewöhnlichen Gesellschaft. Sie bestand aus einem Dackelhund, einem kleinen Windspiel und zwei Möpsen. Der Sultan zog seine Schnupftabaksdose hervor, versah sich mit zwei Prisen guten Tunko und näherte sich Haria. Sie schlief noch, aber die Koppel hatte ein feines Ohr, hörte, daß sich etwas rege, fing an zu bellen und erweckte sie. »Stille, stille, Kinderchen,« sagte sie so freundlich, daß man unmöglich glauben konnte, sie rede mit ihren Tieren, »schlaft doch, schlaft doch noch und stört mich und euch nicht in unsrer Ruhe.«

[143] Einst war Haria jung und artig. Es fehlte ihr nicht an Liebhabern ihres Standes, aber sie verschwanden schneller noch als ihre Reize. Um sich über diese Verlassenheit zu trösten, verfiel sie in eine Art seltsamen Prunkes und hatte die wohlgewachsensten Lakaien in Banza. Sie ward immer älter, die Jahre zwangen sie zur Einschränkung, sie begnügte sich mit vier Hunden und zwei Brahminen und ward ein Muster der Erbaulichkeiten. In der Tat fand die giftigste Satire nichts an ihr herumzubeißen, und Haria genoß seit zehn Jahren ungestört des hohen Rufes ihrer Tugend und ihrer Tiere. Man kannte sogar ihre ausgesprochene Zärtlichkeit für die Schoßhündchen, so daß man die Brahminen nicht mehr in Verdacht hatte, teil daran zu nehmen.

Haria wiederholte ihre Bitte an die Tiere, und sie waren so gefällig, zu gehorchen. Darauf drehte Mangogul an seinem Ring, und das bejahrte Kleinod begann sein letztes Abenteuer zu erzählen. Die vorhergehenden hatten sich vor so undenklicher [144] Zeit zugetragen, daß es sich derselben kaum erinnerte. »Geh weg, Medoro,« sprach es mit heiserer Stimme, »du tust mir weh. Lisette gefällt mir viel besser, sie ist ungleich sanfter.« Medoro kannte die Stimme des Kleinods nicht und fuhr immer fort. Aber Haria erwachte und fuhr fort: »Nun, so geh doch, kleiner Schelm, ich kann vor dir nicht schlafen. Das ist wohl zuweilen gut, aber was zuviel ist, ist zuviel.« Medoro ging fort, Lisette legte sich an seine Stelle, und Haria schlief wieder ein.

Mangogul hatte die Wirkung seines Ringes aufgehoben, jetzt drehte er ihn wieder, und das wohlbetagte Kleinod holte mit einem tiefen Seufzer aus und fing an zu faseln: »Warum mußte doch die große Windhündin sterben, es war ein so gutes Geschöpf, so einschmeichelnd, so liebkosend. Lauter Leben und Feuer! Ihr seid unvernünftiges Vieh gegen sie. Der garstige Mensch hat sie umgebracht. Denk' ich an die arme Zinzoline, so treten mir die Tränen in die Augen. Ich glaubte, meine Gebieterin hätte den Tod davon. Sie aß und [145] trank nicht zwei Tage lang, der Kopf schwirrte ihr nur so. Stellen Sie sich vor, wie traurig sie war! Ihr Beichtvater, ihre Freunde, selbst ihre Hunde durften ihr nicht nahe kommen. Sie befahl ihren Kammerfrauen, den gnädigen Herrn nicht vorzulassen, wenn sie nicht um ihren Dienst kommen wollten.« »Das Ungeheuer hat mir meine teure Zinzoline geraubt!« rief sie, »er komme mir nicht vor die Augen! ich will ihn nie wieder sehn!«

Mangogul ward neugierig, Zinzolinens Sterbegeschichte zu erfahren, belebte die elektrische Kraft seines Ringes, indem er ihn gegen die Schöße seines Rocks rieb und auf Haria richtete, und das Kleinod begann von neuem: »Haria, Romedios Witwe, verliebte sich in Sindor. Dieser, ein junger Mensch von Stande, aber arm, besaß ein Verdienst, das den Weibern gefällt, und war nach den Schoßhündchen Harias vorherrschende Leidenschaft. Sindor verabscheute Harias Alter und Hunde, aber seine Dürftigkeit machte ihn nachgiebig. Zwanzigtausend Taler Einkünfte ließen in seinen [146] Augen die Runzeln seiner Liebhaberin und die Unbequemlichkeit ihres Schoßhündchen verschwinden; sie ward seine Frau.

Er hatte sich geschmeichelt, durch seine Talente und Gefälligkeiten unsern Tieren den Rang abzulaufen und sie gleich beim Anfange seiner Regierung in Mißgunst zu bringen, aber er täuschte sich. Nach einigen Monaten, während deren er sich um uns verdient gemacht zu haben glaubte, ließ er sich beikommen, der gnädigen Frau vorzustellen, ihre Hunde wären im Bett keine so gute Gesellschaft für ihn, als für sie; mehr als drei Hunde zu halten, sei lächerlich; und man mache aus dem ehelichen Lager einen Hundestall, wenn man mehr als einen der Reihe nach darin zulasse.«

»Ich rate Ihnen,« antwortete Haria mit erhobener Stimme, »solche Reden nicht ferner zu führen. Was untersteht sich so ein elender Gaskognischer Landjunker, den ich aus einem Loch gerissen habe, das meinen Hunden nicht gut genug wäre, hier den Zartfühligen zu spielen? Man besprengte dem jungen Herrn wohl die Bettücher mit [147] Wohlgerüchen, als er in der möblierten Stube wohnte? Lern' er ein für allemal, daß meine Hunde viel früher als er in meinem Bette geschlafen haben, und daß er sich herausscheren mag, oder sich gefallen lassen muß, es mit ihnen zu teilen.«

Die Erklärung war deutlich, und unsre Hunde behaupteten ihren Posten. Aber eine Nacht, als wir alle schliefen, kehrte Sindor sich um und stieß unglücklicher Weise Zinzolinen mit dem Fuß. Das Windhündchen war solche Begegnung nicht gewohnt und biß ihn in die Waden. Die gnädige Frau erwachte über Sindors Geheul. »Was fehlt dem Herrn?« fragte sie. »Will ihn jemand an die Kehle? Träumt er?« – »Ihre Hunde, gnädige Frau,« antwortete Sindor, »fressen mich bei lebendigem Leibe auf; Ihre Windhündin hat mir eben ein Stück Wade weggebissen.« »Ist das alles?« sagte Haria und legte sich wieder auf die Seite, »Sie machen recht viel Lärmens um nichts.«

Sindor verdroß die Rede, er stieg aus dem Bette und schwor, keinen Fuß mehr [148] hineinzusetzen, solange die Koppel darin bliebe. Er bot gemeinschaftliche Freunde auf, die Verbannung der Hunde zu bewirken. Aber allen mißriet die wichtige Unterhandlung. Haria antwortete ihnen, Sindor sei ein Windbeutel, den sie aus einer Dachstube erlöst habe, wo er bei Ratzen und Mäusen wohnte. Es zieme sich nicht für ihn, so anspruchsvoll zu sein. Er schlafe die ganze Nacht. Sie liebe ihre Hunde. Die vertrieben ihr die Zeit. Von Kindheit auf habe sie an ihren Liebkosungen Geschmack gefunden und sei entschlossen, sich erst im Tode von ihnen zu trennen. »Sagen Sie ihm noch,« fuhr sie gegen die Vermittler fort, »wenn er sich meinem Willen nicht unterwirft, so werde er das sein ganzes Leben lang bereuen; ich widerrufe die Schenkung, die ich ihm gemacht habe, und füge sie den Summen bei, die mein letzter Wille der Nahrung und dem Unterhalt meiner Kinderchen aussetzt.«

»Unter uns,« bemerkte das Kleinod, »Sindor war wohl ein ganzer Tropf, als er hoffte, man werde für ihn tun, was [149] zwanzig Liebhaber, ein Gewissensrat, ein Beichtvater und eine ganze Litanei von Brahminen nicht hatten erlangen können, die alle bald mit ihrem Latein zu Ende waren. Sooft indessen Sindor unseren Tieren begegnete, wandelte ihn eine Ungeduld an, die er kaum zurückzuhalten vermochte. Eines Tages fiel ihm die unglückliche Zinzoline in die Hände. Er packte sie am Halse und schleuderte sie aus dem Fenster. Das arme Vieh starb an seinem Fall. Da ward ein schönes Lärmen. Haria stieg das Blut zu Gesicht; ihre Augen schwammen in Tränen ...« Das Kleinod wollte noch einmal sagen, was es schon gesagt hatte, denn Kleinode lieben die Wiederholungen sehr, aber Mangogul schnitt ihm das Wort ab. Doch dauerte sein Schweigen nicht lange. Als der Fürst glaubte, das faselnde Kleinod von seinen Tautologien abgebracht zu haben, gab er ihm die Freiheit der Sprache wieder. Da brach die Plaudertasche in ein Gelächter aus und erinnerte sich uralter Zeiten: »Da fällt mir ein, ich habe Ihnen noch nicht erzählt, wie[150] Haria ihre erste Hochzeitsnacht feierte. Ich sah viel lächerliche Auftritte in meinem Leben, aber niemals so einen. Nach einem festlichen Mahl führte man die Eheleute in das Schlafzimmer. Alle Gäste zogen sich zurück, der gnädigen Frau Kammerfrauen ausgenommen, die sie entkleideten. Sie war entkleidet. Man legte sie ins Bett, Sindor blieb allein bei ihr. Da bemerkte er, daß die Wachtelhunde, die Möpse, die Windhunde geschwinder waren als er und sich seiner Gemahlin bemächtigten.« Drum sagte er: »Erlauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich meine Nebenbuhler ein wenig beiseite räume?« »Tun Sie, was Sie vermögen, mein Schatz,« antwortete Haria, »ich habe nicht das Herz, sie wegzujagen. Die kleinen Tierchen hängen an mir, und ich habe seit geraumer Zeit keine andre Gesellschaft.« »Vielleicht sind sie so höflich,« erwiderte Sindor, »mir heute den Platz abzutreten, den ich einnehmen soll ...« »Da sehn Sie zu, mein Herz,« antwortete Haria.

»Sindor versuchte zuerst den Weg der [151] Güte und bat Zinzolinen, sich in eine Ecke zu verfügen. Aber das ungelehrige Tier fing an zu knurren; der übrige Teil der Truppe wurde gleichfalls unruhig, und der Mops und die Wachtelhunde bellten, als ob jemand ihrer Gebieterin an die Gurgel wollte. Sindor war über dieses Gekläff ungeduldig, ließ den Mops einen Purzelbaum schießen, schob einen der Schoßhunde zurück und griff Medoro an die Pfote. Medoro, der getreue Medoro, sah sich von seinen Bundesgenossen verlassen, versuchte aber diesen Verlust durch eine vorteilhafte Stellung zu ersetzen. Er stand zwischen den Lenden seiner Gebieterin, seine Augen funkelten, die Haare sträubten sich ihm, er sperrte das Maul auf, kräuselte die Schnauze und zeigte dem Feinde zwei Reihen spitzer Zähne. Sindor wagte mehr als einen Angriff, und mehr als einmal schlug ihn Medoro mit blutigen Händen und zerrissenen Handkrausen zurück. Länger als eine Viertelstunde hatte das Treffen mit einer Hartnäckigkeit gewütet, an der nur Haria Vergnügen fand, als Sindor gegen seinen [152] Feind, den er durch Gewalt zu überwinden verzweifeln mußte, eine Kriegslist ersann. Er streckte seine Rechte gegen Medoro. Medoro beobachtete diese Bewegung und ward darüber der Linken nicht gewahr, die ihn am Halse griff. Nun machte er, um sich loszureißen, unerhörte, aber vergebliche Anstrengungen! Er mußte das Schlachtfeld räumen und Haria aufgeben. Sindor hielt seinen Einzug, aber es hatte ihm Blut gekostet. Wahrscheinlich war es bei Haria beschlossen, daß ihre Hochzeitsnacht blutig sein sollte, und die schöne Verteidigung ihrer Tiere betrog sie in ihren Hoffnungen nicht.«

»Das Kleinod,« sagte Mangogul, »schreibt einen besseren Bericht, als mein Sekretär.« Er wußte jetzt, was er von Schoßhündchen denken sollte, und kehrte zur Favorite zurück. »Machen Sie sich,« rief er ihr schon von weitem zu, »auf die tollsten Dinge gefaßt! Das ist schlimmer als Palabriens Affen. Können Sie glauben, daß Hariens vier Hunde Nebenbuhler ihres Mannes gewesen sind, begünstigte Nebenbuhler; daß[153] der Tod eines Windspiels die Eheleute unversöhnlich geschieden hat?«

»Was sagen Sie?« versetzte die Favorite. »Hunde als Nebenbuhler? Davon versteh' ich kein Wort. Ich weiß, daß Haria ihre Schoßhündchen bis zur Bewußtlosigkeit liebhat. Ich kenne aber auch Sindor als einen heftigen Menschen, der vielleicht nicht alle Höflichkeiten beobachtete, die gewöhnlich Frauen verlangen, denen man sein Glück verdankt. Wie er sich aber auch betragen haben mag, so verstehe ich doch nicht, was ihm Nebenbuhler hat zuziehen können. Haria scheint mir so ehrwürdig, daß ich wohl wünschte, Ihre Hoheit möchten geruhen, sich deutlicher zu erklären.«

»So hören Sie denn,« antwortete Mangogul, »und gestehn Sie mir, daß die Weiber zuweilen, milde gesprochen, wenigstens einen sehr seltsamen Geschmack haben.« Darauf berichtete er ihr Wort für Wort, was Harias Kleinod ausgesagt hatte. Mirzoza mußte über das Treffen der ersten Nacht freilich lachen; doch sprach sie bald wieder ernsthaft: »Ich weiß nicht, welch ein Unwillen [154] willen sich meiner bemeistert. Von nun an verabscheu' ich diese Tiere und alle, welche sie halten, und erkläre meinen Zofen, daß ich die erste von ihnen verabschiede, die in den Verdacht gerät, einem Hunde ein Stück Brot gegeben zu haben.«

»Wer wird doch seinen Haß so weit erstrecken?« fragte der Sultan. »Müssen denn die Frauenzimmer alles übertreiben? Hunde sind gut auf der Jagd, notwendig auf dem Lande und sonst noch zu mancherlei Gebrauch, ganz zu schweigen davon, wie Haria sie verwendet.«

»Wahrlich,« sprach Mirzoza, »ich fange an zu glauben, es wird Ihrer Hoheit schwerfallen, eine ehrliche Frau zu finden.«

»Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt?« antwortete Mangogul, »aber übereilen wir uns nicht. Sie könnten mir dereinst vorwerfen, ich verdanke Ihrer Ungeduld ein Geständnis, das ich nur den Versuchen meines Ringes schuldig sein will. Gerade jetzt habe ich einen Plan vor, der Sie in Erstaunen setzen soll. Noch sind nicht alle Geheimnisse entschleiert, und die Kleinode, [155] denen meine Untersuchung bevorsteht, sollen mir wichtigere Dinge beichten.«

Mirzoza war immer für das ihrige besorgt. Mangoguls Rede setzte sie in eine Verwirrung, die sie ihm nicht verbergen konnte. Aber der Sultan war durch seinen Eid gebunden und im Grunde seines Herzens ein frommer Mann. Er beruhigte sie, so gut er vermochte, umarmte sie einigemal sehr zärtlich und begab sich in seinen Staatsrat, wohin wichtige Dinge ihn riefen.

Das Gnadengehalt

Unter Kanoglus und Erguebzeds Regierung war Congo durch blutige Kriege beunruhigt. Beide Monarchen machten sich durch Eroberungen über ihre Nachbarn unsterblich. Die Kaiser von Abex und Angota blickten auf Mangoguls Jugend und auf den Antritt seiner Regierung als auf eine günstige Gelegenheit, die Provinzen wiederzuerlangen, die man ihnen weggenommen hatte. Also bekriegten sie Congo von allen Seiten. Mangoguls Staatsrat [156] war der beste, den es in ganz Afrika gab. Der alte Sambuco und der Emir Mirzala hatten in den vorigen Kriegen gedient. Man stellte sie an die Spitze des Heeres und erfocht Siege über Siege. Feldherren bildeten sich, die imstande waren, sie zu ersetzen. Das ward ein noch wichtigerer Vorteil als die Siege.

Dank der Tätigkeit des Kriegsrats und der guten Führung der Feldherren kam der Feind, der das Reich zu verheeren sich vorgenommen hatte, nicht einmal unsern Grenzen nahe, verteidigte die seinigen schlecht und ließ seine Festen und Provinzen zerstören. Doch trotz so beständiger und glorreicher Siege wurde Congo je größer, desto schwächer. Die häufigen Rekrutenaushebungen entvölkerten Stadt und Land. Die Einkünfte des Staats wurden erschöpft.

Belagerungen und Schlachten hatten viel Menschen weggerafft. Der Großwesir, der wenig sparsam mit dem Blute seiner Soldaten umging, wurde beschuldigt, unnütze Schlachten geschlagen zu haben. [157] Alle Familien waren in Trauer, jede beweinte einen Vater, einen Bruder oder einen Freund. Die Zahl der erschlagenen Offiziere war unermeßlich und nur mit der Zahl der Witwen zu vergleichen, die um ein Gnadengehalt anhielten. Die Kabinette der Minister wurden von ihnen bestürmt. Selbst den Sultan überhäuften sie mit Bittschriften, worin das Verdienst und die Taten der Verstorbenen, der Schmerz der Witwen, die traurige Lage ihrer Kinder und andere herzbrechende Gründe nicht vergessen wurden. Nichts schien gerechter als ihre Forderungen; wo sollte man aber ein Gehalt für sie hernehmen, dessen Ausgabe sich auf Millionen belief?

Die Minister hatten alle guten, zuweilen auch bösen und barschen Worte erschöpft; endlich pflegten sie Rat, wie man dem Dinge abhelfliche Maße verschaffen könne. Aber aus einem vortrefflichen Grunde kam nichts zustande. Man hatte keinen roten Heller. Mangogul war der Ausflüchte seiner Minister und der Klagen der Witwen überdrüssig und fand endlich den Ausweg, [158] den man so lange gesucht hatte. »Ihr Herren,« sprach er in seinem Rat, »mir scheint, ehe wir ein Gnadengehalt zugestehn, müssen wir doch genau untersuchen, ob es auch wirklich verdient ist.« »Die Untersuchung,« antwortete der Groß-Seneschall, »wird kein Ende nehmen und ungeheuer viel Zeit erfordern. Wie sollten wir unterdessen dem Geschrei und der Verfolgung der Weiber entgehn, die Ihrer Hoheit vorzüglich zur Last fällt?« »Das hat nicht so viel Schwierigkeiten, als Sie, Herr Groß-Seneschall, glauben,« erwiderte der Sultan. »Ich verspreche Ihnen, morgen mittag soll alles nach den Gesetzen strengster Billigkeit entschieden sein. Bescheiden Sie sie nur morgen früh um neun Uhr zu mir in Audienz.«

Der Rat war aufgehoben. Der Groß-Seneschall verfügte sich in seine Kanzlei, überlegte alles wohl und entwarf den folgenden Anschlag, der drei Stunden hernach gedruckt, bei Trommelschlag vorgelesen und an alle Gassenecken von Banza geheftet ward.

[159] Auf Seiner Majestät allerhöchsten Spezialbefehl tun wir pleniff. Tit. Tit. Gänseschnabel, Groß-Seneschall von Congo, Wesir mit den drei Schweifen, Caudatarius der großen Manimombanda, Oberbesenkehrer des Diwans, kund und zu wissen allen, so daran gelegen, daß morgen früh um neun Uhr der großmächtigste Sultan allen Witwen der im allerhöchsten Kriegsdienst gebliebenen Offiziere Gehör erteilen werden, um ihre Forderungen zu untersuchen und darauf zu verfügen, was Rechtens. Gegeben in unsrer Seneschallkanzlei, den zwölften des Monden Regeb, 147200000009. Alle Leidtragenden in Congo, und es gab ihrer gar viele, unterließen nicht, den Anschlag zu lesen oder durch ihre Lakaien lesen zu lassen, und sie fanden sich natürlich zur bestimmten Stunde im Vorzimmer des Thronsaales ein. Um aller Unordnung vorzubeugen, befahl der Sultan, sollten nur immer sechs Damen auf einmal eintreten. »Wenn wir sie vernommen haben, öffnet man ihnen die Hintertür, die auf den Schloßhof führt. [160] Gebt wohl acht, ihr Herren, und entscheidet über ihre Forderungen.«

Darauf gab er dem ersten Türsteher ein Zeichen, und die sechs Damen, die der Tür am nächsten standen, wurden eingeführt. Sie waren in lange Trauerkleider gehüllt und beugten sich tief vor Seiner Hoheit. Mangogul wandte sich an die jüngste und hübscheste. Sie hieß Isek. »Haben Sie Madame Ihren Gemahl schon lange verloren?« fragte er. »Vor drei Monaten, Hoheit,« sprach sie mit Tränen. »Er war Ihrer Hoheit Generalleutenant. Er blieb in der letzten Schlacht, mir bleibt nichts von ihm als sechs Kinder« – »Von ihm?« unterbrach sie eine Stimme, die von Isek kam und doch nicht ganz ihren Ton hatte. »Das weiß die gnädige Frau besser, als sie spricht. Alle sechs hat ein junger Brahmine angefangen und vollendet, um sie zu trösten, während ihr Herr im Felde war.«

Man errät leicht, woher die verräterische Stimme kam, die diese Antwort aussprach. Die arme Isek verlor alle Fassung, erblaßte, wankte, fiel in Ohnmacht. »Die [161] Dame hat Nervenkrämpfe,« sprach Mangogul ruhig. »Man bringe sie in ein Zimmer meines Harems und leiste ihr Hülfe.« Darauf wandte er sich an Phenice: »War Ihr Gemahl nicht Pascha, Madame?« – »Ja, gnädigster Herr,« antwortete Phenice zitternd. – »Wie haben Sie ihn verloren?« – »Er starb in seinem Bett, gnädigster Herr, an den Beschwerden des letzten Feldzuges.« – »An den Beschwerden des letzten Feldzuges?« fiel Phenicens Kleinod ein. »Ei, gnädige Frau, Ihr Herr Gemahl kam aus dem Feldzuge gesund und stark zurück. So würd' er noch leben, wenn nicht zwei oder drei Landstreicher ... Sie verstehen mich, sorgen Sie für Ihre eigne Gesundheit.« – »Schreibt, ihr Herren,« sagte der Sultan: »Phenice fordert ein Gnadengehalt für die treuen Dienste, die sie dem Staat und ihrem Gemahl geleistet hat.«

Eine dritte ward um das Alter und den Namen ihres Gatten befragt, von dem es hieß, er sei bei dem Heere an den Blattern gestorben. »An den Blattern?« fragte das Kleinod, »das ist eine schöne Lüge! Sagen [162] Sie lieber, gnädige Frau, an zwei tüchtigen Säbelhieben, die ihm der Sangiac Cavagli versetzte, weil er es übelnahm, daß sein ältester Sohn dem Sangiac so ähnlich sehen sollte, wie ein Ei dem andern. Die gnädige Frau weiß wohl,« setzte das Kleinod hinzu, »daß keine Ähnlichkeit auf der Welt einen besseren Grund hat.«

Die vierte wollte eben reden, ohne daß Mangogul sie befragte, als ihr Kleinod aus der Tiefe heraufrief: sie habe ihre Zeit seit diesem zehnjährigen Kriege wohl angewandt, zwei Edelknaben und ein vierschrötiger Livreebedienter hätten den Platz ihres Mannes vollkommen ausgefüllt; und das Gnadengehalt, um welches sie sich bewerbe, sei zweifelsohne bestimmt, einen Sänger aus der komischen Oper zu besolden.

Die fünfte trat unerschrocken hervor und forderte mit dreister Stimme den Lohn für die Dienste ihres seligen Manns, der als Janitscharenaga unter den Wällen von Mantanas sein Leben eingebüßt hatte. Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie, aber [163] umsonst. Ihr Kleinod blieb stumm. »Sie war aber auch,« sagt mein gelehrter Afrikaner, der sie gesehen hatte, »so grundhäßlich, daß es ein großes Wunder gewesen wäre, wenn ihr Kleinod etwas zu sagen gehabt hätte.«

Mangogul war bei der sechsten, und dies sind die ausdrücklichen Worte ihres Kleinods: »Wahrhaftig,« sprach es, »die gnädige Frau, die nämlich, deren Kleinod so hartnäckig geschwiegen hatte, mag sich's wohl einfallen lassen, um ein Gnadengehalt einzukommen, da sie vom Spiel lebt, da sie eine Pharaobank bei sich gestattet, die ihr mehr als dreitausend Zechinen jährlich einträgt, da sie auf Kosten der Spieler kleine vertrauliche Abendgesellschaften in ihrem Hause veranstaltet. Sechshundert Zechinen hat ihr Osman bezahlt, um auch mich dahin zu locken, und als ich einmal da war, ergriff der Verräter ...«

»Man wird Ihren Forderungen Gerechtigkeit widerfahren lassen, meine Damen,« sagte der Sultan. »Sie können jetzt hinausgehn.« Dann wandte er sich zu[164] seinen Räten und fragte sie, ob sie es nicht lächerlich finden würden, wenn man eine Menge kleiner Bastarde von Brahminen und andern Gnadengehalte aussetzte und Frauen, die sich nur damit beschäftigt hätten, den tapfern Männern Schande zu machen, die auf Kosten ihres Lebens, in seinem Dienste nach Ehre strebten?

Der Seneschall stand auf, antwortete, perorierte, resümierte und meditierte recht dunkel, ohne daß ihn jemand verstand. Derweilen er redete, hatte sich Isek von ihrer Ohnmacht erholt, wütete über ihren Unfall, erwartete kein Gnadengehalt für sich und wäre verzweifelt gewesen, wenn es einer andern zuteil werden würde, wie es sehr wahrscheinlich geschehen mußte; also ging sie wieder in das Vorzimmer und flüsterte zweien oder dreien Freundinnen zu: man habe sie nur herberufen, um ihre Kleinode nach Herzenslust plaudern zu hören, sie selbst sei im Audienzsaal dabei gewesen, als eines schreckliche Dinge ausgesagt habe; Gott solle sie doch [165] bewahren, es zu nennen, aber man müsse wohl nicht gescheit sein, um sich der nämlichen Gefahr aussetzen zu wollen. Die Nachricht schlich von Ohr zu Ohr und zerstreute die Menge der Witwen. Als der Türsteher die Tür zum zweitenmal öffnete, fand er niemand mehr davor. »Nun, Seneschall?« sagte Mangogul, als er dieses allgemeine Ausreißen erfuhr, und klopfte dem ehrlichen Mann auf die Schulter, »werden Sie mir ein andermal glauben? Ich versprach, Ihnen die Klageweiber vom Halse zu schaffen, da sind Sie sie los. Dennoch waren Sie sehr beharrlich, Ihnen aufzuwarten trotz Ihrer fünfundneunzig Jahre. Aber was Sie auch für Ansprüche haben mögen, denn ich weiß, daß Ihnen dergleichen gegen diese Damen nicht schwerfällt, so hoffe ich doch, Sie werden mir Dank wissen, daß ich sie fortschickte. Die Last war am Ende größer als das Vergnügen.«

Der gelehrte Afrikaner berichtet, das Andenken an diesen Versuch habe sich in Congo erhalten; und darum gehe die dortige [166] Regierung so schwer daran, ein Gnadengehalt zu erteilen. Aber das war nicht die einzige gute Wirkung von Cucufas Ring, wie wir im folgenden Abschnitt sehn werden.

Rechtsfrage

Notzüchtigung wurde in Congo sehr strenge bestraft. Unter Mangogul trug sich ein sehr berühmter Fall solcher Art zu. Der Fürst hatte, wie alle seine Vorgänger, bei der Thronbesteigung geschworen, diesem Verbrechen keine Gnade widerfahren zu lassen; aber die Strenge der Gesetze hält diejenigen nicht zurück, die einen großen Bewegungsgrund haben, sie zu übertreten. Der Schuldige ward verurteilt, den Teil seines Leibes zu verlieren, durch den er gesündigt hatte. An dieser grausamen Operation starb er gemeiniglich.

Kersael, ein junger Mann von Stande, schmachtete seit sechs Monaten in einem Kerker in Erwartung dieser Strafe. Fatme, eine junge hübsche Frau, war seine Lukretia [167] und Anklägerin. Sie standen einst sehr gut miteinander, das wußte jedermann, Fatmes nachsichtiger Gemahl hatte nichts dawider. So würde es auch dem Publikum wenig geziemt haben, sich um ihre Angelegenheiten zu bekümmern.

Nach zwei Jahren ruhigen Verkehrs befreundete sich Kersael, entweder aus Unbestand oder aus Überdruß, mit einer Operntänzerin zu Banza und vernachlässigte Fatme, ohne doch offenkundig mit ihr zu brechen. Er wollte sich mit Anstand zurückziehen, darum mußte er ihr Haus noch besuchen. Fatme wütete über diesen Abschied, sann auf Rache und benutzte diesen Rest seiner Anhänglichkeit zum Verderben des Ungetreuen.

Eines Tages ließ sie der gefällige Ehemann allein beisammen. Kersael hatte sein Schwert abgelegt und suchte Fatmens Argwohn durch jene Beteuerungen zu beschwichtigen, die dem Liebhaber zwar nichts kosteten, aber auch die Leichtgläubigkeit einer Frau nicht hintergehn, deren Verdacht einmal erwacht ist. Ihre Augen [168] blickten wild, mit fünf oder sechs Handgriffen brachte sie ihren Anzug in Unordnung, stieß ein fürchterliches Geschrei aus, rief Gemahl und Bediente zu Hilfe. Sie liefen herbei und wurden Zeugen der Gewalttätigkeit, die Fatme von Kersael erlitten haben wollte. Sie zeigte auf sein Schwert: »Zehnmal,« sagte sie, »hat er es gegen mich gezückt, um mich seinen Begierden zu unterwerfen.« Der junge Mann war über die Bosheit der Anklage so sprachlos, daß er weder Kraft hatte, zu antworten noch zu fliehn. Man ergriff ihn, er ward ins Gefängnis geführt und der verfolgenden Gerechtigkeit des Cadilesker überlassen.

Die Gesetze befahlen, Fatme müsse besichtigt werden. Sie ward es also, und die Aussage der Hebammen war dem Beklagten sehr ungünstig. Sie hatten ihre Vorschrift, wie eine genotzüchtigte Frau aussehen müsse, und alle nötigen Anzeichen stimmten gegen Kersael zusammen. Die Richter befragten ihn, Fatme ward ihm gegenübergestellt, man vernahm[169] Zeugen. Freilich bestand er auf seiner Unschuld, leugnete die Tat und versuchte durch seinen zweijährigen Umgang mit der Klägerin nachzuweisen, daß dies keine Frau sei, der man Gewalt antun brauche. Den Umstand mit dem Schwert, ferner, daß er allein bei ihr gewesen, Fatmes Geschrei, Kersaels Verwirrung, da er den Gemahl und die Bedienten erblickte: alles dieses bestärkte die Richter in ihrem Verdacht, daß Notzucht vorläge. Fatme ihrerseits war weit entfernt, Gunstbezeigungen einzugestehn, und wollte nicht einmal einen Schimmer von Hoffnung gegeben haben. Sie behauptete, die hartnäckige Anhänglichkeit an ihre Pflicht, der sie nie das mindeste vergeben, habe Kersael ohne Zweifel dahin gebracht, ihr das gewaltsam zu entreißen, was er durch Verführung zu erhalten verzweifeln wußte; die Aussage der Matronen war gleichfalls ein schreckliches Aktenstück. Man durfte sie nur durchlesen und mit den Verfügungen des Strafgesetzbuches zusammenhalten, um das Verdammungsurteil des unglücklichen Kersael [170] darin zu finden. Weder seine Verteidigung, noch der Einfluß seiner Familie ließen ihn Erbarmung hoffen, und die Obrigkeit hatte das Endurteil seines Rechtshandels auf den dreizehnten des Monats Regeb festgesetzt. Man hatte es sogar dem Volke, wie gewöhnlich, mit Trommelschlag angekündigt.

Man sprach viel über diese Begebenheit, die Meinungen waren lange darüber geteilt. Einige alte Vetteln, die keine Notzüchtigung jemals zu befürchten hatten, schrien, Kersaels Frevel sei unverzeihlich. Wenn man da nicht ein strenges Beispiel gebe, so werde die Unschuld nie mehr sicher sein, und eine ehrliche Frau laufe Gefahr, sogar noch an den Füßen des Altars beschimpft zu werden. Dann zählten sie Fälle auf, wo unverschämte Jünglinge die Tugend achtungswürdiger Damen anzugreifen gewagt hätten. Aus den näheren Umständen ersah man, sie selbst wären zweifelsohne die achtungswürdigen Damen, von denen sie sprachen. Alle diese Reden führten Betschwestern, so sittsam wie Fatme, [171] mit Brahminen, die weniger unschuldig waren als Kersael: das nannten sie eine erbauliche Unterhaltung.

Hingegen die Stutzer, und sogar einige Stutzerinnen, waren der Ansicht, Notzucht sei ein Hirngespinst. Man ergebe sich immer nur unter gewissen Bedingungen, und wenn ein Platz noch so schlecht verteidigt werde, so sei es ganz unmöglich, ihn mit Gewalt zu erobern. Beispiele unterstützten diese Grundsätze. Die Weiber wußten so viele solche Beispiele, die Stutzer erfanden sie, und man führte unzählige Frauen an, die nicht vergewaltigt worden wären. »Armer Kersael!« rief man. »Was Teufel fiel ihm ein, sich in die kleine Bimbreloque zu vergaffen?« so hieß die Tänzerin. »Warum blieb er Fatme nicht treu? Sie standen so gut miteinander, und der Mann ließ sie ihres Weges gehen, daß es eine wahre Freude war.« »Die Hexen, die Hebammen,« setzte man hinzu, »haben ihre Brillen schief aufgesetzt und nicht die Bohne gesehen. Denn wer vermöchte dort klar zu sehen? Und die Herren Senatoren [172] wollen ihm seiner Freude berauben, weil er eine offne Tür eingerannt hat. Es wird dem armen Jungen das Leben kosten. Daran ist kein Zweifel. Wozu wird von nun ein mißvergnügtes Weib nicht berechtigt sein?« »Findet die Operation statt,« setzte ein andrer hinzu, »so werd' ich Freimaurer!«

Der Sultan spottete über Kersaels künftigen Zustand. Mirzoza, von Natur mitleidig, stellte ihm vor, daß, wenn auch die Gesetze gegen Kersael sprächen, der gesunde Menschenverstand doch nicht für Fatme sei! »Es ist übrigens unerhört,« fuhr sie fort, »daß eine weise Regierung sich so sehr an den Buchstaben der Gesetze bindet, daß die bloße Aussage einer Klägerin genügt, das Leben eines Bürgers in Gefahr zu bringen. Die Wirklichkeit der Notzüchtigung könne nicht strenge genug bewiesen werden, und Ihre Hoheit müssen gestehn, über diese Tatsache mag Ihr Ring wenigstens ebensogut entscheiden, als Ihre Räte. Es wäre doch sonderbar, wenn sich die Hebammen besser [173] auf diesen Punkt verständen, als die Kleinode selbst. Bis hieher, gnädigster Herr, hat Ihr Ring fast nur dazu gedient, Ihre Neugier zu befriedigen. Sollte der Genius, von dem Sie ihn erhielten, keinen erhabenern Zweck damit gehabt haben? Fürchten Sie etwa, Cucufa zu beleidigen, wenn Sie ihn gebrauchen, die Wahrheit zu entdecken und Ihre Untertanen glücklich zu machen? Versuchen Sie es immer! Sie haben ein unfehlbares Mittel in Händen, Fatme das Geständnis ihres Verbrechens oder den Beweis ihrer Unschuld zu entlocken.« »Sie haben recht,« antwortete Mangogul, »Sie sollen Ihren Willen haben.«

Sogleich machte sich der Sultan auf. Es war die höchste Zeit. Denn dies geschah den zwölften Regeb abends, und am dreizehnten sollte der Senat entscheiden. Fatme hatte sich soeben niedergelegt, ihre Vorhänge standen offen. Ein Nachtlicht warf seinen traurigen Schimmer auf ihr Gesicht. Sie schien dem Sultan schön, obwohl durch heftige Aufregung entstellt.[174] Mitleid und Haß, Kummer und Rache, Unverschämtheit und Scham spiegelten sich in ihren Augen, je nachdem sie in ihrem Herzen wechselten. Sie stieß tiefe Seufzer aus, vergoß Tränen, trocknete sie, weinte von neuem, blieb eine Zeitlang mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen, erhob sie wieder und schaute wütend empor. Was tat Mangogul unterdessen? Er sprach leise zu sich selbst: »Alles dies sind Kennzeichen der Verzweiflung. Ihre alte Zärtlichkeit für Kersael ist in ihrer ganzen Stärke wieder erwacht. Sie sieht nicht mehr die Schande, die er ihr antat, und hat nichts vor Augen, als die Strafe, die ihres Liebhabers wartet.« Mit diesen Worten drehte er den Zauberring gegen Fatme, und ihr Kleinod rief heftig:

»Noch zwölf Stunden, und wir sind gerächt. Der Verräter, der Undankbare muß sterben und sein Blut ...« – Fatme erschrak über die sonderbare Bewegung, die in ihr vorging. Die heimliche Stimme ihres Kleinods schreckte sie, sie bedeckte es [175] mit beiden Händen, um ihm die Sprache zu benehmen. Aber die Macht des Ringes fuhr fort zu wirken, das ungelehrige Kleinod stieß jedes Hindernis zurück und sprach weiter: »Ja! wir werden gerächt. O du, der du mich verraten hast, unglücklicher Kersael, stirb! Und Du, die er mir vorgezogen, Bimbreloque, verzweifle! Noch zwölf Stunden. Welch eine lange Zeit? Beflügelt euch, süße Augenblicke, wo ich den Verräter, den ungetreuen Kersael, unter dem Messer der Henker sich verbluten sehen werde! Unglücklicher! Was sag' ich? Werd' ich ohne Schauder den Gegenstand meiner innigsten Liebe sterben sehn? Ich soll das verhängnisvolle Messer gezückt sehen? Ach ferne sei von mir der grausame Gedanke. Freilich, er haßt mich, er hat mich verlassen um Bimbreloque. Aber vielleicht wär' er dereinst ... Was sag' ich vielleicht? Gewiß hätte ihn die Liebe zu mir zurückgeführt. Seine Laune für die kleine Bimbreloque wird vergehen, nicht lange dauern. Früher oder später muß er erkennen, wie ungerecht er war, sie mir [176] vorzuziehen und wie lächerlich, sie zu wählen. Tröste dich Fatme, du sollst Kersael wiedersehen. Ja, du sollst es. Steh auf, eile, fliege, die schreckliche Gefahr abzuwenden, die ihn bedroht. Zitterst du nicht, zu spät zu kommen? Aber wohin soll ich, ich feiges Geschöpf, laufen? Verkündigt mir Kersaels Verachtung nicht, daß er mich auf ewig verlassen hat? Bimbreloque besitzt ihn, für sie sollt' ich ihn erhalten? Nein, lieber sterb' er tausendfachen Tod! Lebt er nicht für mich, was kümmert es mich, ob er stirbt? Ja, ich fühl' es, mein Zorn ist gerecht. Der Undankbare verdient meinen ganzen Haß. Ich kenne keine Reue mehr. Alles tat ich, um ihn zu erhalten, alles tu' ich, um ihn zu verderben. Noch einen Tag, und meine Rache war verfehlt. Aber sein böser Genius hat ihn mir in dem Augenblicke ausgeliefert, da er mir entrann. Er ist in die Falle gegangen, die ich ihm stellte. Ich hab' ihn. Die Zusammenkunft, zu der ich dich lockte, war die letzte, die du mir bestimmtest. Du sollst sie sobald nicht vergessen. [177] Wie schlau brachtest du ihn so weit, als du wolltest, Fatme? Wie war deine Unordnung so natürlich? Dein Geschrei, dein Schmerz, deine Tränen, deine Bestürzung, alles, sogar dein Schweigen, verurteilte Kersael. Nichts kann ihn dem Schicksal entreißen, das seiner wartet. Kersael stirbt. Du weinst, Unglückliche? Er liebt eine andre, was liegt dir an seinem Leben?«

Mangogul entsetzte sich vor dieser Rede und drehte den Ring zurück. Fatme erholte sich, er flog zur Sultanin. »Nun, gnädigster Herr?« fragte sie, »was haben Sie gehört? Ist Kersael noch immer schuldig? Und die keusche Fatme ...?« »Erlassen Sie mir, bitt' ich, Ihnen die Greuel zu wiederholen, die ich vernahm. Wie fürchterlich ist ein aufgebrachtes Weib? Wer sollte glauben, daß ein Körper, von den Grazien gebildet, ein Herz verschließen könne, das die Furien verhärteten? Aber die Sonne soll morgen nicht über meinen Staaten untergehn, ohne daß ich sie von einem Ungeheuer befreie, das gefährlicher [178] ist als die, welche meine Wüsten erzeugen!« Sogleich ließ der Sultan den Groß-Seneschall rufen, befahl ihm, Fatme gefangenzunehmen, Kersael in ein Gemach des Serails zu bringen und dem Senat zu verkünden, daß Seine Hoheit sich die Erkenntnis in dieser Sache vorbehalte. Noch in der nämlichen Nacht wurden seine Befehle erfüllt.

Den andern Morgen begab sich der Sultan mit Tagesanbruch, begleitet vom Groß-Seneschall und einem Effendi, in Mirzozas Gemach. Dahin ward Fatme geführt. Die Unglückliche warf sich zu Mangoguls Füßen, gestand ihr Verbrechen mit allen Umständen und beschwor die Favoritin, sich ihrer anzunehmen. Unterdessen war Kersael hereingebracht. Er erwartete den Tod, dennoch erschien er mit derjenigen Zuversicht, die nur die Unschuld geben kann. Einige schlimme Spötter sagten, seine Verzweiflung würde größer gewesen sein, wenn das, was man ihm zu nehmen drohte, sich der Mühe verlohnt hätte. Die Damen wollten gern wissen, [179] ob etwas daran sei. Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor seinem Herrn. Mangogul winkte ihm, sich aufzurichten, und reichte ihm die Hand. »Du bist unschuldig,« sprach er, »sei frei; danke Brahma für deine Rettung. Um dich wegen der Leiden zu entschädigen, die du erlitten hast, weise ich dir zweitausend Zechinen Gehalt auf meine Schatzkammer an, und die erste erledigte Komturei im Krokodillen-Orden.«

Je mehr Gnadenbezeigungen Kersael erhielt, desto mehr Strafe fiel auf Fatme. Der Groß-Seneschall erkannte auf ihren Tod nach dem Gesetze: Femina ff. de vi C. calumniatrix. Der Sultan war für ewige Gefangenschaft. Mirzoza fand jenes Urteil zu strenge, dieses zu nachsichtig und verdammte Fatmes Kleinod zu Schloß und Riegel. Diese florentinische Erfindung ward ihr öffentlich angelegt auf der Bühne, die zu Kersaels Hinrichtung errichtet war. Von da ward sie in ein Zuchthaus gebracht. Mit ihr die Matronen, die über diesen Handel so weislich entschieden hatten.

[180] Mirzozens Seelenlehre

Während Mangogul die Kleinode Harias, der Witwen und Fatmes ausfragte, hatte Mirzoza Zeit genug, ihre philosophische Vorlesung zu bereiten. Eines Abends hielt die Mamimonbanda ihre Andacht, es gab weder Spiel noch Gesellschaft bei ihr, und die Favorite war beinahe gewiß, der Sultan werde sie besuchen. Da nahm sie zwei schwarze Unterröcke, legte einen an wie gewöhnlich, hing sich den andern um die Schultern, steckte beide Arme durch die Schlitzen, setzte die Allongen-Perücke von Mangoguls Seneschall auf und die Kappe seines Kaplans. So sah sie einer Fledermaus nicht unähnlich, sie aber hielt das für die Kleidung eines Philosophen.

In diesem Anzuge spazierte sie durch ihre Zimmer hin und her, wie ein Professor des Collège Royal, der auf Hörer wartet. Sie nahm sogar die finstere nachdenkliche Miene eines meditierenden Gelehrten an. Mirzozas erzwungener Ernst hielt nicht lange vor. Der Sultan trat mit einigen [181] seiner Hofleute herein und machte dem neuen Philosophen eine tiefe Verbeugung, dessen Gravität seine Zuhörer um ihre würdige Haltung brachte. Und diese ihrerseits durch ihr lautes Lachen brachten wiederum den Philosophen aus der Fassung. »Gab Ihnen Geist und Gestalt nicht Überlegenheit genug, Madame,« fragte Mangogul, »brauchten Sie noch diese Robe? Auch ohne sie würden Ihre Worte alles Gewicht haben, das Sie nur wünschen könnten.« – »Es scheint mir, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »Sie ehren diese Robe sehr wenig. Ein Schüler sollte mehr Achtung für das haben, worin wenigstens die Hälfte des Verdienstes seines Meisters besteht.« – »Ich merke,« erwiderte der Sultan, »Sie besitzen schon den Geist und die Sprache Ihres neuen Standes. Jetzt zweifle ich auch gar nicht mehr, daß Ihre Gelehrsamkeit der Würde Ihres Anzuges entspricht, und erwarte den Beweis davon mit Ungeduld.« – »Sie sollen noch in dieser Minute befriedigt werden,« antwortete Mirzoza und setzte [182] sich mitten auf ein großes Sofa. Der Sultan und die Höflinge nahmen um sie herum Platz, und sie begann:

»Gnädigster Herr, haben die Philosophen von Monoemugi, denen Ihre Erziehung anvertraut war, Ihre Hoheit nie von der Natur der Seele unterhalten?« – »O, sehr oft,« antwortete Mangogul, »aber alle ihre Systeme brachten mir am Ende nur sehr ungewisse Vorstellungen bei; und hätt' ich nicht ein inneres Gefühl, das mir zuzuflüstern scheint, sie sei ein von der Materie verschiedenes Wesen, so würd' ich ihr Dasein leugnen oder mit dem Körper für einerlei halten. Wollen Sie es übernehmen, dieses Chaos zu entwirren?«

»Das will ich wohl bleiben lassen,« erwiderte Mirzoza. »Darüber gesteh' ich nicht mehr zu wissen als Ihre Erzieher. Der einzige Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, daß ich das Dasein einer von der Materie unabhängigen Substanz nur vermute, die Sie für erwiesen halten. Wenn aber diese Substanz da ist, so muß sie irgendwo ihren Sitz haben. [183] Haben sie Ihnen nicht auch darüber viel Seltsames vorerzählt?«

»Nein,« sagte Mangogul, »alle stimmten so ziemlich darin überein, daß ihr Wohnsitz der Kopf sei, und diese Meinung schien mir wahrscheinlich. Der Kopf denkt, dichtet, überlegt, urteilt, ordnet, befiehlt; und man hört alle Tage von einem Menschen, der nicht denkt, daß er kein Hirn habe, daß es ihm an Kopf fehle.«

»Das also,« erwiderte die Sultanin, »ist Ihrer langen Studien und Ihrer ganzen Philosophie kurzer Sinn, daß Sie die bloße Vermutung einer Tatsache mit alltäglichen Redensarten zu stützen suchen? Gnädigster Herr, was würden Sie von Ihrem ersten Geographen sagen, wenn er Ihrer Hoheit die Karte Ihrer Staaten vorlegte und Osten mit Westen oder Süden mit Norden vertauschte?«

»Der Irrtum wäre zu grob,« erwiderte Mangogul, »den hat noch kein Geograph begangen.«

»Das mag sein,« versetzte die Favorite, »also waren Ihre Philosophen ungeschickter, [184] als der allerungeschickteste Geograph es sein kann. Sie hatten kein großes Reich aufzunehmen, sie brauchten nicht die Grenzen der vier Weltteile bestimmen, sie sollten nur in sich selbst hinabsteigen und den wahren Sitz ihrer Seele erforschen. Sie aber nennen Osten Westen und Süden Norden. Sie verkünden, daß die Seele im Kopfe sitze, während die meisten Menschen sterben, ohne daß die Seele diesen Aufenthalt genommen hat, da sie immer noch ihren ersten Wohnsitz innehat, nämlich in den Füßen.«

»In den Füßen?« unterbrach sie der Sultan. »Das ist der sonderbarste Gedanke, der mir jemals vorgekommen ist.«

»Jawohl, in den Füßen,« erwiderte Mirzoza; »und diese Meinung, die Ihnen so närrisch dünkt, braucht nur tiefer begründet zu werden, um für vernünftig zu gelten. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Meinungen, die Sie für wahr annehmen, und die man für falsch erkennt, wenn man sie tiefer ergründet. Ihre Hoheit gaben mir eben zu, das Dasein unserer [185] Seele gründe sich nur auf das innere Zeugnis, das sie sich von sich selbst gibt, und ich will Ihnen beweisen, daß alle erdenklichen Gefühle an der Stelle zustande kommen, die ich ihr anweise.«

»Das bin ich begierig zu hören,« sagte Mangogul.

»Ich verlange keine Schonung,« fuhr sie fort. »Ich bitte Sie alle, mir Ihre Bedenken zu äußern. Also, wie gesagt, der erste Wohnsitz der Seele sind die Füße. Dort beginnt ihr Dasein, denn durch die Füße geht sie in den Körper über. Ich berufe mich mit dieser Tatsache auf die Erfahrung und lege vielleicht in diesen meinen weiteren Ausführungen den Grund zu einer Experimental-Metaphysik.

Wir alle erfuhren in unsrer Kindheit, daß die unentwickelte Seele ganze Monate hindurch in einem Zustande des Schlafes verweilt. Unsre Augen öffnen sich, ohne zu sehn, unser Mund, ohne zu reden, unsre Ohren, ohne zu hören. Die Seele regt sich und erwacht an einer ganz andern Stelle. Ihre ersten Kräfte zeigen sich an andern [186] Gliedern. Durch die Füße verkündigt das Kind seine Ausbildung. Leib, Kopf und Füße ruhn unbeweglich im Schoß der Mutter. Aber seine Füße werden lang und beweglich und offenbaren sein Dasein, vielleicht seine Bedürfnisse. Rückt die Stunde der Geburt heran, was würde aus Kopf, Leib und Armen werden? Sie blieben ewig in ihrem Gefängnisse, wenn die Füße ihnen nicht zu Hülfe kämen. Hier spielen die Füße die Hauptrolle und treiben den übrigen Leib hinaus. Dies ist die Ordnung der Natur, und will irgendwo ein andres Glied befehlen, tritt zum Beispiel der Kopf an die Stelle der Füße, so geht alles verkehrt, und Gott weiß, was dann zuweilen aus der Mutter und dem Kinde wird.

Ist das Kind geboren, so bewegen sich wiederum an ihm vorzüglich die Füße. Man wird genötigt, sie zur Ruhe zu bringen, und dabei bezeigen sie sich immer etwas widerspenstig. Der Kopf ist ein Klotz. Aus ihm macht man, was man will. Aber die Füße fühlen, schütteln das Joch [187] ab und scheinen die Freiheit verteidigen zu wollen, die man ihnen raubt.

Kann das Kind endlich stehn, so strengen die Füße sich auf tausenderlei Art an, um sich fortzubewegen. Sie setzen alles in Tätigkeit. Sie befehlen den andern Gliedmaßen. Und die gehorsamen Hände stützen sich gegen die Wand und halten sich vor, um einen Fall zu vermeiden und den Fortschritt der Füße zu erleichtern.

Worauf richten sich alle Gedanken eines Kindes, was sind seine Vergnügungen, wenn es sich fest auf den Beinen fühlt und seine Füße die Geschicklichkeit erlangt haben, sich zu bewegen? Es übt sich im Gehen, im Kommen, im Laufen, im Springen, im Hüpfen. Diese Unruhe gefällt uns, wir halten sie für ein Zeichen des Verstandes und erklären ein Kind für einfältig, wenn wir es träge und traurig sehn. Wollen Sie ein vierjähriges Kind betrüben, so lassen Sie es eine Viertelstunde lang sitzen, oder halten es zwischen vier Stühlen gefangen. Dann wird es verdrießlich und ärgerlich. Denn Sie berauben damit nicht[188] bloß die Beine ihrer Bewegung, Sie kerkern auch seine Seele ein. Bis ins zweite oder dritte Jahr bleibt die Seele in den Füßen. Im vierten steigt sie in die Beine. Im fünfzehnten kommt sie in die Knie und Lenden. Dann mag man tanzen, fechten, wettrennen und andere heftige Leibesbewegungen gern leiden. Das ist die herschende Leidenschaft aller jungen Leute. Bei einigen steigert sie sich bis zur Raserei. Und die Seele sollte nicht an der Stelle wohnen, wo sie sich fast allein offenbart, wo sie ihre angenehmsten Empfindungen erfährt? Wohnt sie aber in der Jugend an einem andern Ort, als in der Kindheit, warum sollte sie nicht das ganze Leben lang ihren Wohnsitz ändern?«

Mirzoza hatte dieses alles so geschwinde hergesagt, daß sie fast darüber außer Atem gekommen war. Selim, ein Günstling des Sultans, benutzte den Augenblick, wo sie Luft schöpfte, und sprach zu ihr: »Gnädige Frau, ich mache von Ihrer gütigen Erlaubnis, Einwände zu äußern, hiermit höflichst Gebrauch: Ihr System ist geistreich. [189] Sie haben es eben so anmutig als klar vorgetragen. Aber so sehr hat es mich doch nicht verführt, daß ich es für erwiesen annehmen sollte. Mir scheint, man könne Ihnen sagen, daß selbst in der Kindheit der Kopf den Füßen befehle, und daß von dort aus sich die Geister mit Hilfe der Nerven in alle Glieder verbreiten, sie anhalten oder bewegen, nach Willkür der Seele, die auf der Zirbeldrüse sitzt. Gleichermaßen, wie man von der Hohen Pforte die Befehle des Großherrn ausgeben sieht, die alle seine Untertanen in Bewegung setzen.«

»Das kann man freilich,« erwiderte Mirzoza, »aber man würde damit eine sehr dunkle Sache behaupten, auf die ich mit einer Tatsache der Erfahrung antworten möchte: Kein Kind weiß mit Gewißheit, daß sein Kopf denkt, und selbst Sie, edler Herr, so tüchtig der Ihrige auch ist, und obwohl Sie bereits im zartesten Alter für ein Wunder von Verstand galten, entsinnen Sie sich vielleicht, damals gedacht zu haben? Aber dessen können Sie sich wohl versichert halten, daß, als Sie mit Ihren [190] Füßen zur Verzweiflung Ihrer Gouvernanten wie ein kleiner Satan strampelten, eben diese Füße den Kopf regierten.«

»Das beweist gar nichts,« sagte der Sultan. »Selim war lebhaft, wie es tausend Kinder sind. Sie überlegen nicht, aber sie denken. Die Zeit verfliegt, das Gedächtnis verliert sich, sie erinnern sich nicht mehr gedacht zu haben.«

»Aber womit dachten sie?« versetzte Mirzoza. »Das ist die Frage.«

»Mit dem Kopf,« antwortete Selim.

»Gehen Sie mir mit diesem Kopfe, an dem man gar nichts sieht,« erwiderte die Sultanin. »Lassen Sie diese Blendlaterne, die nur für den ein Licht hat, der sie trägt. Hören Sie meine Erfahrung und bekehren Sie sich zur Wahrheit meiner Hypothese. Es ist so ausgemacht, daß die Seele ihre Wanderschaft durch den Körper bei den Füßen beginnt, daß es Männer und Weiber gibt, in denen sie niemals höher stieg. Edler Herr, Sie haben tausendmal Ninis Leichtigkeit und Saligos Sprünge bewundert. Antworten Sie mir offenherzig, [191] glauben Sie, daß diese Geschöpfe ihre Seele anderswo haben als in ihren Beinen? Haben Sie nicht selbst bemerkt, daß Volucers und Zelindors Kopf den Füßen untergeordnet ist? Ein Tänzer hat beständig Lust, auf seine Beine zu sehn. Er tut keinen Schritt, bei welchem nicht das Auge die Spur des Fußes aufmerksam verfolgt. Sein Haupt neigt sich so ehrfurchtsvoll vor seinen Füßen, als die unüberwindlichen Paschas vor Seiner Hoheit.«

»Diese Beobachtung ist richtig,« sagte Selim, »aber sie trifft nicht immer zu.«

»Ich behaupte ja auch nicht,« erwiderte Mirzoza, »daß die Seele immer in den Füßen wohnt. Sie dringt weiter, sie wandert umher, sie verläßt einen Teil, kehrt dahin zurück, verläßt ihn wieder. Aber das behaupt' ich: alle andern Teile sind dem Teile untergeordnet, den sie bewohnt. Das ändert sich je nach den Jahren, nach dem Temperament des Bluts, nach den Umständen. Daher entsteht die Verschiedenheit des Geschmacks, der Neigungen, der [192] Eigenschaften. Bewundern Sie nicht die Reichhaltigkeit meines Prinzips? Spricht die Menge der Erscheinungen, die es erklärt, nicht für seine Gewißheit?«

»Madame,« antwortete Selim, »wenn Sie die Anwendung auf nur einige machten, so gäbe das uns vielleicht einen Grad von Überzeugung, den wir noch nicht besitzen.«

»Sehr gern,« versetzte Mirzoza, die ihre Überlegenheit zu fühlen anfing. »Sie sollen zufrieden sein. Folgen Sie nur meiner Gedankenreihe. Ich versteife mich nicht auf große Beweisführung. Ich spreche mit dem Herzen. Das ist für uns Frauen Philosophie, und die verstehn Sie beinahe eben so gut wie wir. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Seele bis zum achten oder zehnten Jahre in Füßen und Beinen bleibt. Dann, oder vielleicht etwas später, verläßt sie dies Quartier, entweder aus eignem Antriebe, oder aus Not. Aus Not, wenn ein Lehrmeister gewisse Werkzeuge gebraucht, um sie aus ihrem Heimatlande herauszujagen und in das Gehirn zu treiben, [193] wo sie sich gewöhnlich in Gedächtnis verwandelt und beinahe niemals in Urteilskraft. Das ist der Fall mit Knaben, die zur Schule gehn. Gleicherweise, wenn eine dumme Gouvernante sich abmüht, ein junges Mädchen zu bilden, ihr den Geist mit Kenntnissen vollpfropft und Herz und Sitten vernachlässigt. Dann steigt die Seele schnell zu Kopf, verweilt auf der Zunge oder tritt in die Augen. So wird die Schülerin eine langweilige Schwätzerin oder ein gefallsüchtiges Frauenzimmer. So auch wohnt der Wollüstigen Seele in ihrem Kleinod und weicht nimmer von dannen.

Die Seele der galanten Frau wohnt bald in ihrem Kleinod, bald in ihren Augen.

Die Seele der Zärtlichen ist gewöhnlich in ihrem Herzen, doch zuweilen auch im Kleinod.

Die Seele der Tugendhaften ist bald im Kopf, bald im Herzen und niemals anderswo.

Wohnt die Seele im Herzen, so formt sie die empfindsamen, mitleidigen, wahrheitsliebenden, [194] edelmütigen Charaktere. Verläßt sie das Herz, um nie zurückzukehren, und verbannt sie sich in den Kopf, so wird der Mensch hart, undankbar, betrügerisch und grausam.

Zahlreich ist die Menschenklasse, deren Seele den Kopf nur als Sommerwohnung besucht und nicht lange darin verweilt. Dahin gehören die Stutzer, die Gefallsüchtigen, die Tonkünstler, die Dichter, die Romanschreiber, die Höflinge, und was man hübsche Frauen nennt. Hören Sie diese Leute reden, und Sie werden sogleich erkennen, daß ihre Seele umherirrt, daß sie von jedem verschiedenen Himmelsstriche, den sie durchwanderte, etwas angenommen hat.«

»Wenn dem so ist,« sprach Selim, »so hat die Natur viel Überflüssiges getan. Und doch behaupten unsre Weisen steif und fest, sie habe nichts vergebens hervorgebracht«.

»Lassen wir Ihre Weisen und deren hohe Worte beiseite,« antwortete Mirzoza. »Und was die Natur anbelangt, so wollen wir sie bloß mit den Augen der Erfahrung betrachten, [195] dann werden wir lernen, daß sie die Seele in den Leib des Menschen versetzt, wie in einen geräumigen Palast, dessen schönstes Gemach nicht immer sie bewohnt. Kopf und Herz sind ihr vorzüglich bestimmt als Mittelpunkt der Tugenden und Aufenthalt der Wahrheit. Aber sehr oft bleibt sie unterwegs und bevorzugt einen Keller, einen zweideutigen Ort, eine armselige Herberge, wo sie in immer währenden Rausch einschlummert! Ach! könnte ich die Welt nur vierundzwanzig Stunden lang nach meiner Laune einrichten, so wollt' ich Ihnen ein seltsames Schauspiel geben. Ich nähme jeder Seele auf einmal alle Teile ihrer Wohnung, die sie nicht braucht, und dann würden Sie den Charakter jeder Person aus dem übrigbleibenden Teile erkennen. Dann beständen die Tänzer nur aus zwei Füßen, bestenfalls aus zwei Beinen, die Sänger aus einer Kehle, die meisten Weiber aus einem Kleinod, die Helden und Fechter aus einer bewaffneten Faust, gewisse Gelehrte aus einem hirnlosen Schädel. Eine [196] Spielerin behielte nichts als zwei Hände, um ihre Karten zu mischen, ein Vielfraß aus zwei beständig kauenden Kinnbacken, eine Gefallsüchtige aus zwei Augen, ein Wüstling aus dem bloßen Werkzeug seiner Begierden, Unwissende und Faulenzer aus gar nichts mehr.«

»Wenn Sie den Weibern freie Hand ließen,« sagte der Sultan, »so würde man den Männern, denen nichts als das Werkzeug ihrer Begierden bliebe, schön nachlaufen. Das gäbe eine feine Jagd, und stellte man diesen Vögeln überall ebensosehr nach als in Congo, so stürbe die Gattung bald aus.«

»Was bliebe aber von den zarten gefühlvollen Seelen, den beständigen treuen Liebenden übrig?« fragte Selim die Favorite.

»Ein Herz,« antwortete Mirzoza, »und ich weiß wohl, wem das meinige zufliegen würde,« sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf Mangogul. Der Sultan konnte dieser Rede nicht widerstehn, er verließ seinen Lehnstuhl, um auf die Favorite zuzueilen, die Hofleute verschwanden, und der Lehrstuhl [197] des neuen Philosophen ward der Schauplatz ihrer Freuden. Er bewies ihr zu wiederholten Malen, daß er nicht minder bezaubert sei von ihren Gefühlen, als von ihren Vorlesungen, und der professoralische Anzug geriet dadurch in Unordnung. Mirzoza gab ihrem Frauenzimmer die schwarzen Unterröcke wieder, sandte dem Lord Seneschall seine ungeheure Perücke zurück und dem Herrn Abbé seine viereckige Mütze mit der Versicherung, daß er sich als Kandidat auf der Liste der nächsten Rangerhöhung befände. Wie weit hätte er es nicht gebracht, wenn er ein schöner Geist gewesen wäre! Ein Sitz in der Akademie war die geringste Belohnung, die er erwarten durfte, aber unglücklicherweise wußte er nur zwei- oder dreihundert Worte und hatte es nie so weit gebracht, sich damit auch nur einige Male zu wiederholen.

Mangoguls Kritik der reinen Vernunft

Mangogul hatte Mirzozens philosophische Vorlesung angehört, ohne ihr zu widersprechen. [198] Darüber war sie erstaunt, da er doch sonst gern widersprach. »Sollte der Sultan mein System von Anfang bis zu Ende annehmen?« sprach sie zu sich selbst. »Nein, das ist nicht wahrscheinlich. Sollte er es zu schlecht befunden haben, um es seiner Bekämpfung zu würdigen? Das könnte eher sein. Zugestanden: meine Gedanken sind wohl nicht die richtigsten, die man bisher gehabt hat; sie sind doch aber auch nicht die falschesten, und ich meine, es mag noch ungereimtere Meinungen geben.«

Um aus diesem Zweifel herauszukommen, entschloß sich die Favorite, Mangogul zu befragen: »Nun, Fürst, was denken Sie von meinem System?« »Es ist bewundernswert,« antwortete der Sultan, »es hat nur einen Fehler.« – »Welcher Fehler wäre das?« – »Es ist falsch, grundfalsch. Waren Ihre Vermutungen richtig, so müßten wir alle Seelen haben; aber sehen Sie, Wonne meines Lebens, diese Folgerung widerspricht dem gesunden Menschenverstand: Ich habe eine Seele; da ist ein Wesen, das sich mehrenteils beträgt, [199] als ob es keine hätte, und vielleicht hat es auch keine, selbst dann nicht, wenn es so handelt, als ob es eine hätte. Aber dieses hat eine Nase wie ich; ich fühle, daß ich eine Seele habe und denke. Folglich hat auch das Wesen eine Seele und denkt auch. Seit tausend Jahren macht man diese Folgerung und ebensolange schon ist man anmaßend.«

»Ich gestehe,« sagte die Favorite, »es ist nicht immer klar, daß andre Leute denken.« »Sagen Sie lieber,« erwiderte Mangogul, »in hundert Fällen ist es klar, daß sie nicht denken.« »Dennoch,« versetzte Mirzoza, »wäre der Schluß ein wenig voreilig, daß sie nie gedacht haben und niemals denken werden. Man ist nicht immerein Tier, weil man es zuweilen gewesen ist, und Ihre Hoheit ...«

Mirzoza fürchtete, den Sultan zu beleidigen, und verstummte. »Fahren Sie fort, Madam,« sagte Mangogul, »ich verstehe Sie. ›Und ist meine Hoheit niemals wie ein Tier gewesen, wollen Sie sagen, nicht wahr?‹ Darauf antwort' ich, ja, ich [200] war manchmal so, und dann verzieh ich andern gern, wenn Sie mich dafür hielten. Sie können sich wohl denken, daß sie das auch taten, obgleich sie nicht das Herz hatten, es mir zu sagen.« »Ach! Fürst,« rief die Favorite, »wenn die Menschen dem größten Monarchen der Erde eine Seele absprächen, wem könnten sie eine zugestehn?«

»Keine Schmeicheleien,« sagte Mangogul. »Für diesen Augenblick hab' ich Krone und Zepter niedergelegt. Jetzt bin ich nicht Sultan, sondern Philosoph und kann die Wahrheit hören und sagen. Von jenem hab' ich Ihnen, glaub' ich, Beweise gegeben. Sie sehn, ich ließ mir geduldig und nach Ihrem Gefallen den Vorwurf machen, daß ich zuweilen nur ein Tier bin. Erlauben Sie aber auch, daß ich die Pflichten meiner neuen Rolle ganz erfülle.

Weit entfernt,« fuhr er fort, »Ihnen zuzugeben, daß das alles, was Füße, Arme, Hände, Augen und Ohren hat wie ich, auch eine Seele besitzt wie ich, erkläre ich Ihnen vielmehr, daß nach meiner Überzeugung,[201] von der mich nichts abbringen soll, drei Vierteile der Männer, und alle Weiber nur Automaten sind.«

»Ihre Worte sind am Ende vielleicht gerade so höflich wie wahr,« antwortete die Favorite.

»Oh!« sagte der Sultan, »die gnädige Frau wird wohl gar böse? Warum auch zum Teufel, lassen Sie sich beikommen, eine Philosophin zu werden, wenn Sie die Wahrheit nicht hören wollen? Sucht man denn Höflichkeit auf der hohen Schule? Ich habe Ihnen freie Hand gelassen, gönnen Sie nun auch mir gefälligst Spielraum Ich sagte Ihnen also, Ihr alle seid Tiere..«

»Ja Fürst,« antwortete Mirzoza, »dafür eben blieben Sie mir den Beweis schuldig.«

»Der ist leicht geführt,« erwiderte der Sultan. Darauf kramte er all die Frechheiten aus, die man so oft, ohne Witz und Anmut, gegen ein Geschlecht vorgebracht hat, das diese beiden Eigenschaften im höchsten Grade besitzt. Nie ward Mirzozas Geduld auf eine härtere Probe gestellt, nie in Ihrem Leben würden Sie so viel [202] Langeweile empfunden haben, als wenn ich ihnen Mangoguls Vernunftsgründe vorlegen wollte. Dieser Fürst, dem es sonst nicht an gesundem Menschenverstande fehlte, war an jenem Tage von einer schier unbegreiflichen Geschmacklosigkeit. Urteilen Sie selbst: »Zum Teufel!« sagte er, »das Weib ist so wahrhaftig nur ein Tier, daß ich wette, wenn ich Cucufas Ring gegen eine Stute kehre, so laß ich sie plaudern wie ein Frauenzimmer.«

»Das ist ohne Zweifel,« antwortete Mirzoza, »das stärkste Beweismittel, das man bisher gegen uns aufgeführt hat und aufführen wird.« Darauf lachte sie wie eine Närrin. Mangogul ward empfindlich, daß das Gelächter kein Ende nahm, und ging plötzlich hinaus mit dem Entschluß, den seltsamen Versuch anzustellen, der seiner Phantasie vorschwebte.

Die kleine Stute

Ich bin kein großer Porträt-Maler. Die Schilderung der Favoritsultanin hab' [203] ich dem Leser erlassen, aber die Schilderung der Stute des Sultans kann ich ihm unmöglich schenken. Sie war von mittlerer Größe und trug sich sehr gut, nur fand man an ihr auszusetzen, daß sie den Kopf ein wenig vornübersenkte. Sie war blondhaarig, blauäugig, die Füße klein, die Beine mager, die Schenkel fest, die Kruppe leicht. Sie hatte lange tanzen gelernt und machte ihre Verbeugung wie ein Weihbischof. Kurz, es war ein ganz niedliches Tier, besonders sehr sanft, ließ gut aufsitzen, aber man mußte ein vortrefflicher Reiter sein, um nicht von ihr aus dem Sattel geworfen zu werden. Sie gehörte vordem dem Senator Aaron; aber an einem schönen Nachmittage nimmt der kleine Eigensinn den Zaum zwischen die Zähne, wirft Seine Wohlweisheit ab in die Luft, daß er alle viere von sich streckte, und jagt mit verhängtem Zügel in die Stuterei des Sultans. Sie trug auf ihrem Rücken Sattel, Zaum, Geschirr, Schabracke und Fliegennetz mit sich fort. Das war alles sehr kostbar und stand ihr so [204] wohl, daß man nicht für gut fand, es zurückzuschicken.

Mangogul ging in seinen Marstall hinab. Sein Geheimschreiber Zikzak begleitete ihn. »Hören Sie aufmerksam zu,« sprach der Sultan, »schreiben Sie!« Sogleich drehte er seinen Ring gegen die Stute. Sie fing an zu springen, die Beine übereinanderzuwerfen, hinten auszuschlagen, sich im Kreise herumzudrehen und unter dem Schweif zu wiehern. »Worauf warten Sie?« sagte der Sultan zu seinem Geheimschreiber. »Schreiben Sie doch!« »Sultan,« antwortete Zikzak, »ich warte nur auf Ew. Hoheit ...« »Meine Stute,« sagte Mangogul, »wird Ihnen diesmal statt meiner diktieren.« »Schreiben Sie!« Zikzak hielt sich durch diesen Befehl zu sehr herabgesetzt. Er wagte dem Sultan vorzustellen, er werde sich immer sehr geehrt finden, sein Geheimschreiber zu sein, aber nicht der seiner Stute. »Schreiben Sie, sag ich,« wiederholte der Sultan. »Ich kann nicht, gnädigster Herr,« antwortete Zikzak. »Ich kann nicht die Rechtschreibung [205] dieser Art Worte.« »Schreiben Sie immer!« sagte der Sultan. »Ich möchte verzweifeln, daß ich Ihrer Hoheit nicht gehorchen kann,« erwiderte Zikzak, »aber ...« »Sie sind ein Hundsfott,« unterbrach ihn der Sultan, voll Zorn über die übel angebrachte Weigerung. »Packen Sie sich fort aus meinem Palast und kommen Sie mir nie wieder herein.«

Der arme Zikzak verschwand und lernte durch Erfahrung, daß ein Mann, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, sich den meisten Großen nicht nahen darf, oder seine Grundsätze vor ihrer Tür zurücklassen muß. Man rief den zweiten Kanzelisten. Es war ein offenherziger, ehrlicher, besonders aber sehr uneigennütziger Provenzale. Er eilte, wohin er glaubte daß Pflicht und Glück ihn beriefen, beugte sich tief in den Staub vor dem Sultan, noch tiefer vor der Stute und schrieb alles nieder, was der Mähre einfiel, ihm in die Feder zu sagen.

Man wird mir erlauben, die neugierigen Leser deshalb an das Archiv von Congo zu verweisen. Der Sultan ließ sogleich [206] Abschriften dieser Aussage an alle Dolmetscher und Lehrer ausländischer alter und neuer Sprachen verteilen. Einer sagte, es wären Auftritte aus alten griechischen Trauerspielen, die ihm ungemein rührend schienen. Ein anderer brachte es mit vielem Kopfzerbrechen so weit, ein wichtiges Bruchstück alter ägyptischer Glaubenslehren darin zu entdecken. Dieser behauptete, es sei der Eingang einer punischen Leichenrede auf Hannibal. Jener versicherte, es sei ein Gebet an Confuzius' altchinesischer Schrift.

Über diese gelehrten Mutmaßungen verlor der Sultan die Geduld, erinnerte sich an Gullivers Reisen und zweifelte nicht, daß ein Mann, der so lange wie dieser Engländer auf einer Insel lebte, wo die Pferde eine Staatsverwaltung haben, Gesetze, Könige, Götter, Priester, Gottesdienst, Tempel und Altäre, der von ihren Sitten und Gebräuchen so vollkommen unterrichtet scheine, auch ihre Sprache vollkommen verstehen müßte. In der Tat, Gulliver las und erklärte die Aussage der [207] Stute sehr geläufig, wiewohl sie von Schreibfehlern wimmelte. Seine Übersetzung ist die einzig gute, die man in Congo findet. Mangogul erfuhr zu seiner Befriedigung und zur Ehre seines Systems, daß es ein kurzer historischer Abriß der Liebesgeschichte eines dreischweifigen Paschas mit einer kleinen Stute war, die schon eine unendliche Menge Esel vor ihm besprungen hatten. Die Nachricht klingt sonderbar, aber daß sie wahr sei, wußte der Sultan, der Hof, ganz Banza und das ganze Reich ohnedem.

Träume eines Geistersehers

»Ach!« sagte Mangogul, gähnte und rieb sich die Augen, »mir tut der Kopf weh! Daß sich keiner wieder unterstehe, mir etwas vorzuphilosophieren! Solche Gespräche sind ungesund. Gestern leg ich mich mit solchen krausen Gedanken nieder, und anstatt zu schlafen wie ein Sultan, hat mein Gehirn mehr gearbeitet, als die meiner Staatsminister in einem Jahre. Sie lachen, aber [208] ich will Ihnen beweisen, daß ich nicht übertreibe! Ich will mich für die üble Nacht rächen, die Ihre Vernünfteleien mir zugezogen haben. Sie sollen meinen ganzen Traum zu hören bekommen. So wie ich anfing einzuschlafen, erwachte meine Einbildungskraft. Ich sah ein seltsames Tier mir zur Seite sich tummeln. Es hatte den Kopf des Adlers, die Füße des Greifen, den Leib des Pferdes und den Schweif des Löwen. Ich ergriff es trotz seiner Sprünge, hielt mich an seine Mähne und schwang mich leicht auf seinen Rücken. Sogleich breitete es lange Fittige aus, die aus seinen Seiten drangen, und ich fühlte mich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft getragen.

Wir waren schon lange unterwegs, als ich mitten im freien luftigen Raum ein Gebäude sah, als schwebt' es durch Zauberkraft. Es war sehr groß. An seiner Grundlage konnte man nichts aussetzen, denn es stand auf nichts. Seine Säulen, die nur einen halben Fuß dick waren, erhoben sich so hoch, daß man ihr Ende nicht absehen [209] konnte, und unterstützten Gewölbe, die man nicht mehr erkannt haben würde, wenn nicht durch ihre gleichmäßigen Öffnungen Licht gefallen wäre.

Am Eingange dieses Gebäudes hielt mein Träger still. Anfangs schwankte ich, abzusteigen; denn wirklich schien es mir minder gefährlich, auf diesem Pferdegreif herumzufliegen, als in jenen Hallen zu lustwandeln. Indessen die Volksmenge, die ich dort erblickte, und das hohe Bewußtsein von Sicherheit, das ich auf ihren Gesichtern las, ermutigten mich. Ich steige ab, gehe näher, mische mich in das Gedränge und betrachte die, woraus es bestand.

Es waren aufgedunsene Greise ohne festes Fleisch, ohne Kraft und beinahe alle mißgestaltet. Einer hatte einen zu kleinen Kopf, ein anderer zu kurze Arme, dem fehlte es an Rumpf, jenem an Beinen. Die meisten hatten keine Füße und gingen auf Krücken. Ein Hauch warf sie um, und dann blieben sie auf der Erde liegen, bis es einem Neuangekommenen gefiel, sie[210] aufzuheben. Trotz aller dieser Fehler gefielen sie beim ersten Anblick. Sie hatten in ihren Gesichtszügen etwas Anziehendes und Kühnes. Sie waren fast nackend, denn ihre ganze Kleidung bestand aus einem kleinen Tuchlappen, der nicht ein Hundertteilchen ihres Körpers bedeckte.

Ich dränge mich weiter durch und gelange endlich zu den Füßen einer Tribüne, der ein großes Spinnengewebe zum Baldachin diente. Übrigens war sie nicht minder kühn aufgeführt als das Gebäude, zu dem sie gehörte. Sie schien mir auf einer Nadelspitze zu ruhen und sich im Gleichgewicht darauf zu erhalten. Hundertmal zitterte ich für den, der darauf stand. Es war dies ein Greis mit langem Bart, ebenso hager und viel nackter noch als seine Schüler. Er tauchte einen Strohhalm in einen Becher voll feiner flüssiger Materie, setzte ihn an den Mund und blies Blasen auf eine Menge Zuschauer hinab, die ihn umgaben und sich abmühten, diese Blasen hoch in die Wolken zu treiben.

›Wo bin ich?‹ fragte ich mich, durch solche [211] Kindereien verwirrt. ›Was will dieser Bläser mit seinen Blasen? Was all diese verlebten Knaben, die sie in die Höh treiben? Wer wird mir dies alles erklären?‹ Auch die kleinen Tuchfetzen hatten mich in Erstaunen versetzt. Je größer sie waren, hatt' ich beobachtet, desto weniger bekümmerten sich die, welche sie trugen, um die Blasen. Diese sonderbare Wahrnehmung gab mir den Mut, denjenigen anzureden, der mir am wenigsten unbekleidet scheinen würde.

Einen erblickt' ich, dessen Schultern durch so künstlich zusammengenähte Lappen halbbedeckt waren, daß man es gar nicht sah. Er ging im Gedränge hin und her und bekümmerte sich wenig um das, was geschah. Sein Ansehn war freundlich, sein Mund lachend, sein Gang edel, sein Blick sanft. Ich trat gerade auf ihn zu. ›Wer sind Sie? Wo bin ich, und wer sind alle diese Leute?‹ fragt' ich ihn ohne alle Umschweife ... ›Ich bin Plato,‹ antwortete er. ›Sie sind im Reich der Hypothesen. Jene Leute sind Systematiker.‹ ›Aber durch welchen [212] Zufall‹, fragt' ich, ›befindet sich der göttliche Plato hier? Was sucht er unter den Unsinnigen?‹ ›Rekruten,‹ antwortete er mir. ›Weit von dieser Halle hab' ich ein kleines Heiligtum, wohin ich diejenigen führe, die von den Systemen zurückkommen.‹ – ›Und womit beschäftigen Sie sie?‹ –›Den Menschen kennenzulernen, Tugenden zu üben und den Grazien zu opfern.‹ – ›Das ist schön. Aber was bedeuten alle diese kleinen Tuchlappen, wodurch Sie mehr Bettlern als Philosophen ähnlich sehen?‹ – ›Was fragen Sie mich?‹ sprach er seufzend. ›Welche Erinnerung wecken Sie in mir? Dies war vormals der Tempel der Philosophie. Leider ist jetzt die Stätte sehr verändert. Hier stand einst der Lehrstuhl des Sokrates.‹ – ›Was sagen Sie?‹ unterbrach ich ihn. ›Hatte auch Sokrates einen Strohhalm? und blies er gleichfalls Seifenblasen?‹ – ›Nein, nein,‹ antwortete Plato. ›Nicht auf die Art verdiente er sich von den Göttern den Namen des weisesten Menschen. Solang' er lebte, beschäftigte er sich damit, Köpfe zu machen [213] und Herzen zu bilden. Mit seinem Tode ging sein Geheimnis verloren. Sokrates starb, und das schöne Zeitalter der Philosophie war zu Ende. Diese Stoffteilchen, die zu tragen selbst die Systematiker sich zur Ehre anrechnen, sind Fetzen seines Gewandes. Kaum hatte er die Augen geschlossen, als die, welche auf den Titel Philosophen Anspruch machten, sich über seinen Mantel herwarfen und ihn zerrissen.‹ ›Ich verstehe,‹ sagt' ich, ›und diese Lappen dienten ihnen und ihrer Nachkommenschaft zum Abzeichen.‹ ›Wer wird diese Stücke zusammenlesen,‹ fuhr Plato fort, ›und Sokrates' Mantel uns wiedergeben?‹

So rief er feierlich, als ich in der Ferne ein Kind sah, das mit langsamen, aber sichern Schritten auf uns zuging. Sein Kopf war klein, sein Leib dünn, die Arme schmächtig, die Beine kurz. Aber alle seine Gliedmaßen wurden stärker und länger, wie es näher trat. In diesem Fortschritt seines allmählichen Wachstums erschien es mir unter hunderterlei Gestalten. Ich[214] sah es ein langes Sehrohr gegen den Himmel richten, mit einem Pendel den Fall der Körper bestimmen, mit einer quecksilbergefüllten Röhre die Schwere der Luft abmessen und durch ein Prisma in seiner Hand die Lichtstrahlen zerlegen. Dann ward es ein ungeheurer Koloß; sein Haupt reichte zum Himmel, seine Füße verloren sich in den Abgrund, seine Arme umfaßten beide Pole. In der Rechten schwang es eine Fackel, deren Glanz sich weit in die Luft verbreitete, tief unten die Gewässer erhellte und in die Eingeweide der Erde drang. ›Wer ist diese Riesengestalt,‹ fragt' ich den Plato, ›die auf uns zukommt?‹ ›Erkennen Sie die Erfahrung,‹ erwiderte er. ›Sie ist es selbst.‹ Kaum hatte er diese kurze Antwort gegeben, als ich die Erfahrung näher treten sah. Und die Säulen der Hypothesenhalle wankten, ihr Gewölbe senkte sich, ihr Fußboden öffnete sich unter unseren Füßen. ›Fliehn wir,‹ sagte Plato wieder ›dies Gebäude steht keinen Augenblick länger!‹ Er geht, ich folge ihm. Der Koloß kommt an, zertrümmert [215] die Halle, sie stürzt mit schrecklichem Geräusch zusammen, und ich erwache.«

»O Fürst,« rief Mirzoza, »wer kann träumen wie Sie? Ich hätte Ihnen gern eine geruhige Nacht gegönnt, aber jetzt, da ich Ihren Traum weiß, täte es mir sehr leid, wenn Sie nicht geträumt hätten.« »Madame,« sagte Mangogul, »ich habe doch bessere Nächte verbracht, als mit diesem Traum, der Ihnen so sehr gefällt. Hätte ich meine Reise bestimmen können, so würde ich meinen Lauf schwerlich in das Land der Hypothesen gerichtet haben, wo ich nicht hoffen durfte, Ihnen zu begegnen. Dann empfänd' ich auch die Kopfschmerzen nicht, die mir jetzt zu schaffen machen, oder wenigstens hätt' ich Ursache, mich darüber zu trösten.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »es steht zu hoffen, die werden nicht viel zu sagen haben, und ein oder zwei Versuche Ihres Ringes werden Sie davon befreien.« »Das wird die Zukunft lehren,« sagte Mangogul. Die Unterhaltung zwischen dem [216] Sultan und Mirzoza dauerte noch einige Augenblicke. Er verließ sie erst gegen elf Uhr, um sich dahin zu begeben, wo wir ihn im folgenden Abschnitt antreffen werden.

Das stumme Kleinod

Unter allen Damen, die am Hofe des Sultans glänzten, hatte keine mehr Anmut und Witz, als die junge Aglae, Gemahlin des Ober-Mundschenks Seiner Hoheit. Sie war immer bei Mangoguls Gesellschaften, der ihre gefällige Unterhaltung liebte; und als ob Freude und Vergnügen nur da wohnten, wo sich Aglae befände, ward auch Aglae bei jeder Gesellschaft der Großen seines Hofes zugezogen. Bei Bällen, Schauspielen, Versammlungen, Gastmählern, Abendmahlzeiten, Jagden, Spielen, überall wollte man Aglae haben, und man traf sie auch überall. Es schien, als ob der Geschmack an Unterhaltung sie so allgegenwärtig machte, als das Verlangen nach ihr. Ich darf also nicht erst sagen, daß kein Frauenzimmer so überall gesucht und so überall zu finden war als Aglae.

[217] Immer ward sie von einer Menge Anbeter verfolgt, und man war überzeugt, sie habe nicht alle verschmachten lassen. Aus Unvorsichtigkeit oder Gefälligkeit sah das, was sie als bloße Höflichkeit meinte, oftmals einer ausgezeichneten Achtung ähnlich; und die, welche ihr zu gefallen strebten, redeten sich zuweilen ein, ihr Blick sei zärtlich, wo sie an weiter nichts dachte, als sich freundlich zu erweisen. Sie war weder bissig noch schadenfroh und öffnete den Mund nur, um etwas Verbindliches zu sagen. Das geschah aber mit so vieler Empfindung und Lebhaftigkeit, daß ihre Lobsprüche mehrmals den Verdacht erregten, als habe sie eine Wahl zu rechtfertigen.

Das heißt, diese Welt, deren Zierde und Freude Aglae ausmachte, war ihrer nicht wert.

Man konnte glauben, ein Frauenzimmer, an der man vielleicht nur ein Übermaß von Gutherzigkeit aussetzen durfte, müsse keine Feinde gehabt haben. Und doch hatte sie welche, und zwar grausame. Die Betschwestern von Banza fanden ihr Betragen [218] zu frei, ihr Benehmen ein wenig zu ausgelassen, ihre ganze Aufführung ein ewiges Streben nach den Freuden der Welt: schlossen daraus, ihre Sitten müßten wenigstens zweideutig sein, und waren so menschenfreundlich, das einem jedem zuzuflüstern, der es hören wollte.

Die Hofdamen behandelten sie nicht besser. Sie dachten Arges von Aglaes Verbindungen, meinten, sie hätte Liebhaber, ließen sie gar in einigen Abenteuern eine Hauptrolle, in anderen eine Nebenrolle spielen. Man wußte die kleinsten Umstände, man nannte Zeugen. »Jaja,« so raunte man sich ins Ohr, »neulich wurde sie bei einem Stelldichein mit Melraim in einem Boskett des großen Parks überrascht.« »Aglae hat Verstand,« setzte man hinzu, »aber Melraim noch viel mehr, um sich mit bloßen Worten zu begnügen um zehn Uhr abends in einem Boskett.« – »Da irren Sie sich,« antwortete ein Stutzer, »ich bin wohl in der Dämmerung mit ihr hundertmal spazieren gegangen und habe mich ganz gut dabei unterhalten. Wissen [219] Sie übrigens, daß Sulemar immer in ihrem Ankleidezimmer sitzt?« – »Freilich wissen wir das, und daß sie sich immer nur anzieht, wenn ihr Gemahl beim Sultan Dienst hat.« – »Der arme Celebi,« fuhr eine andre fort, »wahrhaftig, seine Frau bringt ihn ins Gerede mit dem Diadem und dem Ohrgehänge, das ihr der Pascha Ismael geschenkt hat.« – »Wissen Sie das gewiß, gnädige Frau?« – »Ganz gewiß, von ihr selbst. Aber um Brahmas willen, nichts weitersagen! Aglae ist meine Freundin, es sollte mir sehr leid thun.« – »Ach,« rief eine dritte bekümmert aus, »das arme kleine Weibchen rennt mutwillig in ihr Verderben. Es ist doch schade! Aber zwanzig Liebhaber auf einmal! Wer kann das aushalten?«

Die Stutzer schonten ihrer ebensowenig. Einer erzählte von einer Jagd, auf der sie sich zusammen verirrt hätten. Ein andrer verschwieg aus Achtung für ihr Geschlecht die Folgen eines sehr lebhaften Gesprächs, das er auf einem Maskenballe mit ihr geführt hatte. Ein dritter lobte ihren Witz [220] und ihre Reize und zeigte schließlich ein Miniaturbild von ihr, das ihm, wie er zu verstehn gab, aus den besten Händen kam. »Es ist viel ähnlicher,« sagt' er, »als das, was sie Jenaki gegeben hat.«

Diese Reden kamen endlich vor ihren Gemahl. Celebi liebte seine Frau, aber freilich mit Anstand, und ohne daß man das geringste dabei fand. Den ersten Nachrichten maß er keinen Glauben bei. Aber man wiederholte sie so oft und von so vielen Seiten, daß er endlich glaubte, seine Freunde seien scharfsichtiger als er. Je mehr Freiheit er Aglaen verstattet hatte, desto leichter argwöhnte er, daß sie ihrer mißbraucht habe. Eifersucht bemächtigte sich seiner Seele. Er fing an seine Frau einzuschränken. Aglae ertrug dieses veränderte Verfahren um so ungeduldiger, als sie sich unschuldig fühlte. Ihre Lebhaftigkeit und guter Freundinnen Rat bewogen sie zu unüberlegten Schritten, so daß sie sich scheinbar ins Unrecht setzte und beinahe ums Leben gekommen wäre. Der heftige Celebi überlegte heimlich tausend Anschläge [221] der Rache durch Stahl, Gift oder Strang und entschloß sich endlich, sie eine langsamere, grausamere Strafe erdulden zu lassen: Verbannung auf seine Güter. Das ist der wahre Tod für eine Dame vom Hofe. Kurz und gut, der Befehl ist bald gegeben, eines Abends erfährt Aglae ihr Schicksal; man bleibt unempfindlich gegen ihre Tränen, taub gegen ihre Rechtfertigung, und so wird sie achtzig Meilen weit von Banza in ein altes Schloß verbannt, wo man ihr keine andre Gesellschaft läßt, als zwei alte Weiber und vier schwarze Verschnittene, die sie nicht aus den Augen verlieren.

Kaum war sie entfernt, so war sie unschuldig. Die Stutzer vergaßen ihre Liebeshändel, die Damen verziehen ihrem Witz und ihren Reizen, die ganze Welt beklagte sie. Mangogul erfuhr aus Celebis' eignem Munde, warum er ein so schreckliches Urteil gesprochen habe, und war der einzige, der ihm recht zu geben schien.

Seit sechs Monaten schmachtete die unglückliche Aglae in ihrer Verbannung, als sich das Abenteuer mit Kersael ereignete. [222] Mirzoza wünschte sie unschuldig zu finden, wagte es aber kaum zu hoffen. Doch sprach sie eines Tages zum Sultan: »Fürst, Ihr Ring hat Kersaels Leben erhalten, vielleicht könnt' er Aglaens Verbannung ein Ende machen? Aber was fällt mir ein! Da müßten Sie ja ihr Kleinod befragen, und die arme Gefangene stirbt achtzig Meilen von hier vor langer Weile.« »Geht Ihnen Aglaes Schicksal sehr zu Herzen?« fragte Mangogul. »Ja, gnädigster Herr, vornehmlich, wenn sie unschuldig sein sollte,« antwortete Mirzoza. »Das sollen Sie wissen, ehe eine Stunde vorüber ist,« erwiderte Mangogul. »Erinnern Sie sich nicht an die Eigenschaften meines Ringes?« Mit diesen Worten begab er sich in seinen Garten, drehte den Ring und befand sich fünfzehn Minuten darauf in dem Lustwäldchen des Schlosses, das Aglae bewohnte.

Dort sah er Aglae einsam und in Gram versunken. Ihr Kopf stützte sich auf ihre Hand, sie nannte zärtlich den Namen ihres Gemahls, ihre Tränen strömten auf den [223] Rasen, worauf sie saß. Mangogul nahte sich ihr und drehte seinen Ring. Traurig sprach Aglaens Kleinod: »ich liebe Celebi.« Der Sultan erwartete, was noch kommen würde, aber es kam nichts weiter. Deswegen hielt er sich an seinen Ring, rieb ihn einigemal gegen seinen Turban und kehrte ihn dann wieder gegen Aglae. Aber seine Mühe war vergebens. Das Kleinod sprach wieder: »ich liebe Celebi,« und schwieg. »Ist das ein verschwiegenes Kleinod!« sagte der Sultan. »Wir müssen doch noch einmal sehen und den Stein etwas fester reiben.« Zu gleicher Zeit gab er seinem Ring allen Nachdruck, dessen er fähig war, und drehte ihn plötzlich auf Aglae, aber ihr Kleinod blieb stumm. Und so schwieg es beständig fort, oder wiederholte höchstens im Klageton: »ich liebe Celebi, und nie hab‹ ich einen andern geliebt!«

Mangogul fand sich darein und kehrte in fünfzehn Minuten zur Favorite zurück. »Wie, gnädigster Herr,« sagte sie, »Sie sind schon wieder da? Was haben Sie erfahren? Gibt es Stoff für unsre Unterhaltung?« [224] »Ich bringe nichts mit,« antwortete der Sultan. – »Nichts. – Ganz und gar nichts. Ein so stummes Kleinod ist mir niemals vorgekommen. Kein Wort ist aus ihm herauszubringen als: ich liebe Celebi, und nie hab' ich einen andern geliebt'.« »Ach! gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza lebhaft, »was sagen Sie mir da? welche fröhliche Nachricht! Das also ist endlich eine sittsame Frau! Soll sie länger unglücklich bleiben?« »Nein,« antwortete Mangogul, »ihre Verbannung wird ein Ende nehmen; aber fürchten Sie nicht, daß ihre Tugend darunter leiden werde? Aglae ist sittsam, aber, Wonne meines Herzens, sehn Sie, was Sie verlangen? ich soll sie zurückberufen, und sie soll es bleiben? Doch Ihr Wille geschehe!«

Sogleich ließ der Sultan Celebi vor sich kommen und sagte ihm, er habe den über Aglae verbreiteten Gerüchten nachgeforscht und sie alle als falsch und verleumderisch erkannt; er befehle ihm, sie an seinen Hof zurückzubringen. Celebi gehorchte und stellte seine Frau dem Sultan vor. Sie [225] wollte sich Seiner Hoheit zu Füßen werfen, aber Mangogul tat ihr Einhalt: »Madam,« sagte er, »Ihr Dank gebührt Mirzoza. Ihre Freundschaft für Sie hat mich vermocht, die Wahrheit der Tatsachen zu untersuchen, die man Ihnen zur Last legte. Fahren Sie fort, meinen Hof zu verschönern, aber erinnern Sie sich, daß eine hübsche Frau sich durch Unvorsichtigkeit zuweilen ebensosehr schadet, als durch wirkliche Abenteuer.«

Tags darauf erschien Aglae bei der Manimonbanda, die sie mit einem Lächeln empfing. Die Stutzer taten noch einmal so albern gegen sie als zuvor; die Damen eilten sie zu umarmen, ihr Glück zu wünschen, und fingen wieder an, sie zu zerpflücken.

[226]

Zweites Bändchen

[Motto]

Non sine diis animosus

Horaz


[227][229]
Die Wette

Seit Mangogul Cucufas Zaubergeschenk erhalten hatte, waren die Lächerlichkeiten und Laster der Weiber der ewige Gegenstand seines Spottes. Darin konnte er sich gar nicht genug tun, und das langweilte die Favorite oftmals. Aber Langeweile brachte bei der Sultanin, sowie bei sehr vielen andern Damen zwei grausame Wirkungen hervor: sie ward verdrießlich und mischte Bitterkeit in ihre Reden. Dann wehe denen, die ihr zu nahe kamen; sie machte keinen Unterschied und verschonte selbst den Sultan nicht.

»Gnädigster Herr,« sagte sie eines Tages in solch einem Anfall von Verdruß, »Sie wissen so vieles, aber vielleicht wissen Sie nicht die Neuigkeit des Tages.« – »Was wäre das?« fragte der Sultan. – »Man sagt, Ihre Hoheit lernten alle Morgen drei [229] Seiten Histörchen aus Brantôme oder Quville: denn noch ist man nicht einig, welches klassische Werk bei Ihnen den Vorzug hat.« – »Man irrt sich, Madam,« sagte Mangogul, »ich lese meinen Crébillon ...« – »O Sie dürfen sich jener Leserei nicht schämen,« unterbrach ihn die Favorite. »Die neuen Bosheiten, die man über uns schreibt, sind so geschmacklos, daß man weit besser tut, die alten aufzuwärmen. Es stehn wahrlich sehr hübsche Sachen in diesem Brantôme: verbinden Sie mit diesen Geschichten drei oder vier Kapitel aus Bayle, und Sie werden sich augenblicklich ebensowitzig finden, als den Marquis D .... und den Chevalier de Mouhi. Das würde eine erstaunliche Mannigfaltigkeit in Ihre Unterhaltung bringen. Wenn Sie die armen Weiber ganz in die Pfanne gehauen hätten, so würden Sie auf die Pagoden verfallen, von den Pagoden kämen Sie auf die Weiber zurück. Wahrlich, Ihnen fehlt nichts als eine kleine Sammlung Gotteslästerungen, um ein vollkommen guter Gesellschafter zu sein.«

[230] »Sie haben ganz recht, Madame,« antwortete Mangogul, »und ich werde sie mir kommen lassen. Wer in dieser und jener Welt nicht betrogen sein will, kann gegen die Macht der Pagoden, die Rechtschaffenheit der Männer und die Sittsamkeit der Weiber nicht genug auf seiner Hut bleiben.«

»Diese Sittsamkeit,« versetzte Mirzoza, »ist nach Ihrer Meinung also wohl etwas Zweideutiges?« »Weit mehr, als Sie glauben,« antwortete Mangogul.

»Fürst,« erwiderte Mirzoza, »Sie haben mir Ihre Minister hundertmal als die rechtschaffensten Männer von Congo angepriesen. Ich habe die Lobreden auf Ihren Seneschall, auf die Statthalter Ihrer Provinzen, auf Ihre Geheimschreiber, auf Ihren Schatzmeister, kurz auf alle Ihre Staatsdiener, so oft anhören müssen, daß ich sie Ihnen Wort für Wort wiederholen kann. Es ist sonderbar, daß der Gegenstand Ihrer Zuneigung, unter allen, die die Ehre haben, sich Ihnen zu nähern, allein von Ihrer guten Meinung ausgeschlossen sein soll.«

[231] »Wer hat Ihnen das gesagt?« versetzte der Sultan. »Bedenken Sie doch, Madame, daß alles, was ich Wahres oder Falsches von den Weibern behaupte, Sie nichts angeht; Sie müßten sich denn einfallen lassen, Ihr ganzes Geschlecht darzustellen.«

»Das wollt' ich der gnädigen Frau nicht raten,« sagte Selim, der bei dem Gespräch zugegen war, »dabei könnte sie nichts gewinnen als Fehler.«

»Ich nehme keine Schmeichelei an,« erwiderte Mirzoza, »die man auf Kosten meines Geschlechts macht. Wer mich loben will, muß keine andre deswegen herabsetzen. Die meisten schönen Worte, die man an uns verschwendet, gleichen den kostbaren Festen, die Ihrer Hoheit Paschas Ihnen geben: das Publikum muß sie immer bezahlen.«

»Reden wir nicht davon,« sprach Mangogul. »Aber gestehen Sie aufrichtig, sind Sie noch nicht überzeugt, daß die weibliche Tugend in Congo ein Hirngespinst sei? Sehn Sie nur, Wonne meines Lebens, auf die heutige Erziehung, auf das [232] Beispiel, das die jungen Mädchen von ihren Müttern erhalten, auf das Vorurteil, das man einer hübschen Frau beibringt, als führe sie ein trauriges Leben, als sterbe sie vor Langeweile und begrabe sich lebendig, wenn sie sich fein zu Hause hält, um die Wirtschaft bekümmert und nur für ihren Mann da ist. Und dann sind wir Männer so unternehmend, und ein junges Kind ohne Erfahrung ist außer sich vor Freuden, daß ihr jemand nachstellt. Ich habe behauptet, sittsame Weiber wären selten, außerordentlich selten: und so weit bin ich entfernt, das zurückzunehmen, daß ich gern hinzusetze, es ist zu verwundern, daß sie nicht noch seltener sind. Fragen Sie Selim, was er davon denkt.«

»Fürst,« antwortete Mirzoza, »Selim ist unserem Geschlecht zu viel Dank schuldig, um es ohne Erbarmen zu verlästern.«

»Gnädige Frau,« sagte Selim, »Seine Hoheit konnte unmöglich eine Dame unerbittlich finden, und muß also natürlicherweise so von den Weibern denken, wie er denkt. Sie aber haben die Güte, andre [233] nach sich zu beurteilen, und können also keine andre Meinung haben, als die Sie verteidigen. Ich muß indessen gestehn, ich bin geneigt zu glauben, daß es verständige Frauenzimmer gibt, denen die Vorzüge der Tugend aus Erfahrung bekannt sind, und denen ihr Nachdenken die unangenehmen Folgen eines Fehltritts gezeigt hat. Sicherlich finden sich Frauenzimmer, glücklich organisiert und wohlerzogen, die ein Gefühl für ihre Pflicht haben, zu lieben, und nie von ihr ablassen werden.« »Was brauchen wir uns in Abstraktionen zu verlieren?« setzte die Favorite hinzu, »ist nicht die lebhafte, liebenswürdige, reizende Aglae gleichzeitig ein Muster von Sittsamkeit? Fürst, daran können Sie nicht zweifeln, ganz Banza weiß es aus Ihrem Munde. Gibt es aber eine sittsame Frau, so mag es ihrer tausend geben.«

»O!« sagte Mangogul, »gegen die Möglichkeit hab' ich nichts einzuwenden.«

»Gestehn Sie diese Möglichkeit ein,« versetzte Mirzoza, »wer offenbart Ihnen dann, daß sie nicht wirklich vorhanden sind?«

[234] »Niemand als ihr Kleinod,« antwortete der Sultan. »Ich gebe allerdings zu, dieses Zeugnis ist minder stark als Ihr Beweisgrund. Ich will zum Maulwurf werden, wenn Sie den nicht einem Brahminen ablernten! Lassen Sie den Kaplan der Manimonbonda rufen, und er wird Ihnen sagen, daß Sie mir das Dasein der sittsamen Frau ungefähr ebenso bewiesen haben, wie die Brahminologie das Dasein Brahmas beweist. Wurden Sie vielleicht in dieser erhabnen Schule erzogen, ehe Sie in den Harem kamen?«

»Bitte, keine schlechten Scherze,« erwiderte Mirzoza. »Ich berufe mich ja nicht bloß auf die Möglichkeit, sondern auf eine Tatsache der Erfahrung.«

»Ja,« fuhr Mangogul fort, »auf eine verstümmelte Tatsache, auf eine Erfahrung, die einzeln dasteht. Und ich habe eine Menge Versuche für mich, die Ihnen bekannt sind. Aber ich will Ihren Unwillen durch langen Widerspruch nicht vermehren.«

»Es ist ein Glück,« sagte Mirzoza verdrießlich,[235] »daß Sie nach Verlauf von zwei Stunden müde werden, mich zu verfolgen.«

»Hab' ich diesen Fehler begangen,« antwortete Mangogul, »so will ich versuchen, ihn wieder gut zu machen. Ich begebe mich aller meiner vergangenen Siege, Madame, und findet sich in der Reihe der Prüfungen, die ich noch anstellen werde, eine einzige Frau, die wahrhaftig und anhaltend sittsam ist ...« – »Was wollen Sie dann tun?« unterbrach ihn Mirzoza hastig.

»So werde ich, wenn Sie wollen, öffentlich bekanntmachen, daß mich Ihr Beweis über die Möglichkeit sittsamer Weiber entzückt; so unterstütz' ich Ihre Logik mit aller Macht; so schenk ich Ihnen mein Lustschloß Amana nebst allem sächsischen Porzellan, womit es geziert ist, ohne den emaillierten Wickelschwanzaffen auszunehmen und all den übrigen Kram dazu, den ich von Madame de Véru gekauft habe.«

»Fürst, ich werde mich mit dem Porzellan des Schlosses und dem kleinen Wickelschwanzaffen begnügen.«

»Es gilt,« sagte Mangogul, »Selim sei [236] Schiedsrichter. Ich verlange nur einige Zeit, um selbst Aglaens Kleinod zu befragen. Man muß doch der Hofluft und der Eifersucht des Mannes etwas Zeit lassen zu wirken.«

Mirzoza gestand dem Sultan einen Monat zu; er hatte nur halb so viel begehrt, und beide schieden voller Hoffnung voneinander. Ganz Banza hätte für und wider sie gewettet, wenn des Sultans Versprechen ruchbar geworden wäre. Aber Selim schwieg, und Mangogul schickte sich heimlich an, zu gewinnen oder zu verlieren. Er verließ eben das Gemach der Favorite, als sie ihm aus dem Zimmer nachrief: »Fürst ...! Und den kleinen Wickelschwanzaffen!« »Und den kleinen Wickelschwanzaffen,« antwortete Mangogul, indem er sich entfernte. Er begab sich von da in das kleine Haus eines Senators, wohin wir ihm folgen.

Alfane

Der Sultan wußte gar wohl, daß jeder junge Herr an seinem Hofe ein kleines [237] Häuschen habe; aber man berichtete ihm, daß auch einige Senatoren sich solcher Absteigequartiere bedienten, und das setzte ihn in Erstaunen. »Was machen sie da?« fragte er bei sich. Denn er wird in diesem Bande die Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen beibehalten, die er im ersten Bande angenommen hat. »Es scheint mir, ein Mann, dem ich die Ruhe, das Glück, die Freiheit und das Leben meines Volks vertraue, sollte kein geheimes Häuschen haben. Aber vielleicht ist das Häuschen eines Senators ein ganz ander Ding, als das eines Stutzers. Eine obrigkeitliche Person, die meiner Untertanen wichtigste Angelegenheiten in ihrer Obhut hat, die über das Los der Witwen und Waisen entscheidet, sollte der Würde ihres Standes und der Wichtigkeit ihres Amts vergessen? Und sollte sie, während ein redlicher Sachverwalter umsonst das Geschrei der Unterdrückten an ihre Ohren bringen läßt, unterdessen über den Ankauf wollüstiger Gemälde nachdenken, um die geheime Zuflucht ihrer Ausschweifungen damit auszuschmücken? [238] Das kann nicht sein! Doch muß ich mich überzeugen.«

So sprach er und stand in Alcanto. Dort lag das Häuschen des Senators Hippomanes. Er tritt hinein, durchläuft die Gemächer, prüft die Einrichtung. Alles scheint ihm wollustatmend. Agesilas, der weichlichste, sinnlichste seiner Hofleute, trieb die Üppigkeit nicht weiter. Schon wollt' er wieder gehen, unschlüssig, was er denken sollte; denn am Ende waren die Ruhebetten, die Spiegelzimmer, die Sofas mit Sprungfedern, die Ambradüfte wohlriechender Wasser und alles übrige doch nur stumme Zeugen dessen, was er gern erfahren möchte; als er eine dicke Person, auf ein Sofa gestreckt, in tiefem Schlummer liegen sah. Gegen die drehte er seinen Ring und erfuhr von ihrem Kleinod folgende Nachrichten:

»Alfane ist die Tochter eines Rechtsgelehrten. Wäre ihre Mutter früher gestorben, so befände ich mich nicht hier. Die unermeßlichen Reichtümer ihrer Familie sind der alten Närrin durch die Finger gegangen [239] und sie hat ihren vier Kindern beinahe nichts nachgelassen: dreien Söhnen und einer Tochter, deren Kleinod ich bin. Ach! das bin ich wohl zur Strafe für meine Sünden. Wie viel Schmach ich schon ausgestanden habe! Wie viel ich noch werde erdulden müssen! Die Welt sagt, ein Kloster schicke sich am besten für meiner Herrin Vermögen und Gestalt; aber ich fühlte sehr gut, es schickt sich nicht für mich. Ich zog die Kriegskunst dem Klosterleben vor, und ich machte meinen ersten Feldzug unter dem Emir Asalaf mit. Unter dem großen Nangasaki vervollkommnete ich mich. Aber ich ward des undankbaren Handwerkes überdrüssig, und vertauschte den Degen gegen das Richtergewand. Jetzt werd' ich also einem Schuft von Senator gehören, der sich seiner Verdienste rühmt, seines Witzes, seines Aussehens, seines Postzuges und seiner Ahnen. Ich erwarte ihn seit länger als einer Stunde. Er kommt wahrscheinlich noch, denn sein Kammerdiener hat mir gesteckt, es sei eine Grille von ihm, immer lange auf sich warten zu lassen.«

[240] So weit war Alfanens Kleinod, als Hippomanes hereintrat. Vom Geräusch seines Wagens und dem Gebell eines Windspiels, das sein Liebling war, erwachte Alfane. »Endlich finde ich Sie, meine Königin!« sagte der kleine Präsident. »Es kostet viel Mühe Ihrer habhaft zu werden. Sagen Sie doch, wie gefällt Ihnen mein Häuschen? Nicht wahr, es darf sich sehen lassen?«

»Alfane spielte die einfältige, die furchtsame, die verzweifelte, als hätten wir nie ein heimliches Häuschen gesehn,« sagte ihr Kleinod, »und als hätt' ich nie eine Rolle bei ihren Abenteuern gespielt.« Sie rief mit Tränen: »Herr Präsident, für Sie setz' ich alles aufs Spiel! Meine Leidenschaft muß mich schrecklich verblenden, daß ich die Gefahr nicht sehe, worin ich mich stürze. Was würde die Welt von mir sagen, wenn sie mich hier wüßte?«

»Sie haben recht,« antwortete Hippomanes. »Dies ist ein zweideutiger Schritt. Aber verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

[241] »Ich verlasse mich auch auf Ihre Bescheidenheit,« versetzte Alfane.

»Allerdings,« sagte Hippomanes grinsend, »werd' ich mich sehr bescheiden aufführen. Wer wird denn in einem heimlichen Häuschen sein und sich nicht fromm betragen? Straf mich Gott! Sie haben einen vollen Busen ...«

»Seien Sie doch artig,« antwortete Alfane, »Sie halten schon nicht Wort.«

»Ich will Wort halten,« erwiderte der Präsident, »aber Sie müssen mir auch Antwort geben. Wie gefällt Ihnen meine Einrichtung?« Dann wandte er sich gegen sein Windspiel: »Komm her, Favorite! Pfötchen, mein Liebling! Favorite ist ein gutes Tier. Wollen das Fräulein meinen Garten besehn? Die Aussicht von der Terrasse ist allerliebst. Es können mir zwar einige Nachbarn hineinsehn, aber denen sind Sie vielleicht nicht bekannt ...«

»Ich bin nicht neugierig, Herr Präsident,« antwortete Alfane empfindlich. »Mich deucht, wir sind hier besser.«

»Wie Sie befehlen,« versetzte Hippomanes. [242] »Sind Sie müde, so ist da ein Bett. Wenn Sie irgend Lust haben, so rate ich Ihnen, es zu versuchen. Die junge Asteria, die kleine Fenisse, verstehn sich auf dergleichen und versichern, es sei gut.« In diesem unverschämten Ton sprach Hippomanes zu Alfane, zog ihr das Gewand über die Schultern, schnürte ihr das Mieder auf, löste die Bänder von ihren Röcken und streifte von zwei dicken Füßen zwei kleine Pantoffel ab.

Alfane war beinahe nackend, als sie bemerkte, daß Hippomanes sie entkleide. »Was tun Sie da?« rief sie erschrocken. »Was fällt Ihnen ein, Präsident? Ich werde im Ernst böse.«

»O! meine Königin,« sagte Hippomanes, »wie könnten Sie gegen einen Mann böse werden, der Sie so liebt wie ich? So wunderlich können Sie nicht denken. Darf ich Sie bitten, sich in dieses Bett zu legen?«

»In dieses Bett?« versetzte Alfane. »Ach! Herr Präsident, Sie mißbrauchen meine Zärtlichkeit. Ich soll mich in ein Bett legen? Ich? in ein Bett?«

[243] »Nun, nun, meine Königin,« antwortete Hippomanes, »Sie sollen sich auch nicht von selbst hineinlegen; aber Sie erlauben schon, daß ich Sie hinführen darf, denn Sie begreifen wohl, daß ich bei Ihrer Figur keine Lust habe, Sie hinzutragen ...« Dennoch faßte er sie um den Leib und machte einen kleinen Versuch – »O, die wiegt!« sagte er. »Mein liebes Kind, wenn du dich nicht etwas leichter machst, so kommen wir nicht vorwärts!«

Alfane fühlte die Wahrheit dieser Worte, machte sich so leicht, wie sie konnte, und so gelang es ihr endlich, sich zu erheben und dem Bette, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte, halb freiwillig, halb durch Hippomanes gezogen, näher zu treten. Dabei stammelte sie geziert: »Wahrhaftig! ich war wohl nicht gescheit, hierher zu kommen. Ich rechnete auf Ihre Bescheidenheit, und Sie sind so unerhört ausgelassen.«

»Keineswegs,« antwortete der Präsident, »keineswegs! Sie sehn wohl, ich beobachte stets den Anstand, strengsten Anstand.«

[244] Vielleicht sagten sie sich noch tausend artige Sächelchen. Aber der Sultan hielt nicht für ratsam, ihrem Gespräch länger zuzuhören, und so ging es für die Nachwelt verloren. Das ist schade!

Die Stutzer

Zweimal wöchentlich sah die Favorite große Gesellschaft bei sich. Den Abend vorher nannte sie die Damen, die sie dabei wünschte, und der Sultan gab die Liste der Herren. Man kam sehr geputzt dahin. Die Unterhaltung war allgemein oder geteilt. Wenn die galante Chronik des Hofes keinen Stoff zu unterhaltsamen Abenteuern aus dem Reiche der Liebe darbot, so erfand man dergleichen oder gab sich wohl gar mit elenden Märchen ab und nannte das dann »Tausendundeine Nacht fortsetzen«. Die Herren hatten Erlaubnis, allerlei Seltsamkeiten zu sagen, und die Damen durften sticken beim Zuhören. Der Sultan und die Favorite mischten sich ungezwungen unter ihre Untertanen; [245] ihre Gegenwart stand keiner Unterhaltung im Wege, und Langeweile war sehr selten. Mangogul hatte früh gelernt, daß ein Vergnügen sich nur an des Thrones Stufen fände, und niemand stieg so gern und mit so vielem Anstand herunter als er, niemand wußte besser, zur rechten Zeit die Majestät abzulegen.

Während er des Senators Hippomanes verschwiegenes Heim durcheilte, wartete Mirzoza seiner im Rosen-Saal. Mit ihr waren die junge Zaide, die fröhliche Leokris, die lebhafte Serica, Amine, die an zwei Emirs verheiratete Bensaire, die spröde Orfise und die Groß-Seneschallin Vetula, die weltliche Mutter aller Brahminen. Bald erschien auch der Sultan. Ihn begleitete der Graf Maikäfer und der Chevalier von Flachkopf.

Der alte Wollüstling Trübewasser und sein Schüler, der junge Murmelbach, folgten. Zwei Minuten darauf kamen der Pascha Greifgreif, der Aga Breitschnabel und der Seliktar Sammtpfötchen. Das waren die ausgezeichnetsten Stutzer des [246] Hofes. Mangogul hatte sie mit Fleiß versammelt. Er hatte von ihren ritterlichen Taten gegen die Weiber dermaßen die Ohren voll, daß er sich endlich vornahm, mit Gewißheit zu erfahren, was an der Sache sei: »Nun, Ihr Herren,« sagte er, »Ihr wißt doch alles, was im Gebiet der Liebe vorgeht, was also gibt es neues? Wie steht's mit den redseligen Kleinoden?«

»Gnädigster Herr,« antwortete Trübewasser, »ihre Sprachverwirrung nimmt immer zu. Geht das so fort, so wird bald niemand mehr sein eignes Wort verstehen. Aber unter allen Aussagen ist keine possierlicher, als die von Zobeidens Kleinod. Es hat ihrem Manne eine ganze Liste von Abenteuern geliefert.« »Es übersteigt allen Glauben,« fuhr Murmelbach fort: »Fünf Agas, zwanzig Rittmeister, beinahe eine vollständige Janitscharenkompanie, zwölf Brahminen! Man sagt, es habe auch mich genannt, aber das ist Verleumdung.«

»Das Gute an der Sache ist,« nahm Greifgreif das Wort, »daß der Ehemann [247] erschreckt davonlief und sich beide Ohren zuhielt.«

»Das ist ja abscheulich,« sagte Mirzoza. »Ja, gnädige Frau,« unterbrach sie Breitschnabel, »schrecklich! schändlich! abscheulich!« »Alles das und noch mehr,« sprach die Favorite weiter, »einer Frau auf bloßes Hörensagen die Ehre abzusprechen!«

»Es ist buchstäblich wahr, meine Gnädige, Murmelbach hat nichts übertrieben,« sagte Sammtpfötchen. »Es ist Tatsache,« sagte Greifgreif. »Es ist bereits ein Epigramm darüber im Umlauf,« setzte Maikäfer hinzu, »und Epigramme macht man nicht ohne Grund. Warum sollten die Kleinode nicht von Murmelbach reden dürfen? Hat Cynarens Kleinod doch auch meiner erwähnt und mich unter Leute gebracht, deren Gesellschaft mir gar nicht ansteht! Wie kann man der gleichen vermeiden?« »Man tröstet sich sehr schnell darüber,« sprach Sammtpfötchen. »Sie haben recht,« antwortete Maikäfer und fing an zu singen:


»Das Glück hat mir so wohlgetan,
daß ich es selbst kaum glauben kann!«

[248] »Graf,« sprach Mangogul und wandte sich zu Maikäfer, »Sie haben also Cynaren genau gekannt?«

»Gnädigster Herr,« antwortete Sammtpfötchen, »wer wüßte es nicht? Er ist länger als einen Monat mit ihr herumgezogen, man sang schon Liedchen über sie. Die Liebschaft würde noch andauern, aber er bemerkte endlich, daß sie nicht hübsch sei und einen großen Mund habe.« »Stimmt,« antwortete Maikäfer, »aber dafür besaß sie einen andern Vorzug, der äußerst selten ist.«

»Ist das Abenteuer schon lange her?« fragte die spröde Orfise. »Gnädige Frau,« sagte Maikäfer, »der eigentlichen Zeit kann ich mich nicht genau mehr erinnern, ich muß erst die chronologischen Tabellen meiner Liebschaften nachsehn. Dann läßt sich Zeit und Stunde bestimmen; aber es ist ein dicker Foliant, mit dem sich meine Leute im Vorzimmer die Zeit vertreiben.«

»Warten Sie,« sprach Trübewasser »ich kann Ihrem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Gerade ein Jahr später überwarf sich [249] Greifgreif mit der Frau Seneschall. Sie besitzt ein Engelsgedächtnis, sie wird uns gewiß sagen ...« »Daß Ihre Angabe eine Unwahrheit ist,« sprach die Seneschallin würdig. »Die ganze Welt weiß, daß solche Windbeutel nie nach meinem Geschmack waren.« »Dennoch,« versetzte Trübewasser, »werden Ihre Exzellenz uns nicht einreden, daß Murmelbach sehr artig war, als man ihn über eine verborgene Treppe in Ihr Gemach führte, sooft Seine Hoheit den Herrn Groß-Seneschall in den Staatsrat berief.« »Ich finde es höchst abgeschmackt,« setzte Sammtpfötchen hinzu, »sich ohne Grund und Ursache verstohlenerweise bei einer Dame einzuschleichen: denn man hielt Murmelbachs Besuche nur für ... Besuche, und Ihre Exzellenz genossen damals schon den Tugendruf, den Sie in der Folge so gut behauptet haben.«

»Das ist ja aber schon ewig lange her,« sagte Flachkopf. »Um die nämliche Zeit ward Zuleica dem Herrn Seliktar ungetreu, der ihr untertänigster Diener war, und machte Greifgreif glücklich, dem sie sechs[250] Monate später den Laufpaß gab. Jetzt ist Breitschnabel an der Reihe. Ich neide meinem Freunde sein Glück nicht. Ich sehe, bewundere, und mache keine Ansprüche.«

»Und doch ist Zuleica sehr liebenswürdig,« sagte die Favorite. »Sie hat Witz, Geschmack und einen reizenden Ausdruck in ihrem Gesicht, der mir lieber ist als Schönheit.« »Das gebe ich zu,« antwortete Flachkopf, »aber sie ist mager, hat keinen Busen und zum Erbarmen knöcherne Lenden.« »So genau sind Sie mit ihr bekannt?« fragte die Favorite. »Ach, gnädige Frau,« versetzte Maikäfer, »so etwas läßt sich erraten. Ich habe bei Zuleica nur wenig verkehrt und kenne sie nicht besser als Flachkopf.« »Das will ich glauben,« sagte die Favorite.

»Aber,« sprach der Seliktar, »darf man Herrn von Greifgreif fragen, ob er Zirfilen lange für sich allein behalten wird? Das ist eine niedliche Frau. Sie hat einen sehr schönen Leib.«

»Wer zweifelt daran?« setzte Murmelbach hinzu.

[251] »Der Seliktar hat's gut,« fuhr Flachkopf fort. »Und Flachkopf,« unterbrach ihn der Seliktar, »hat am ganzen Hofe das meiste Glück. Er hat, soviel ich weiß, zwei Wessirs-Frauen, die beiden schönsten Opernsängerinnen, und ein allerliebstes Bürgermädchen, das er in einem Häuschen untergebracht hat.« – »Und ich gäbe,« erwiderte Flachkopf, »die Wessirs-Frauen, beide Sängerinnen und das Bürgermädchen mit Freuden um einen einzigen Blick einer Dame, deren Gunst der Seliktar genießt, und die sich nicht einmal beikommen läßt, daß die ganze Welt darum weiß. Wahrhaftig, gnädige Frau,« sagt' er und wandte sich gegen Leokris, »Sie haben Farben zum Entzücken.«

»Maikäfer,« sagte Murmelbach, »hat eine ewige Zeit zwischen Melissen und Fatimen geschwankt. Das sind zwei reizende Frauen. Heute gehört er der blonden Melissa und morgen der braunen Fatima.« »Das ist eine sonderbare Verlegenheit,« fuhr Flachkopf fort, »warum nahm er sie nicht alle beide?« »Das tat er endlich,« sagte Trübewasser.

[252] Unsre Stutzer waren, wie man sieht, auf zu gutem Wege, um stehn zu bleiben, als sich Zobeide, Cynare, Zuleica, Melissa, Fatime und Zirfile anmelden ließen. Das war ihnen für den Augenblick ungelegen und brachte sie aus der Fassung. Doch erholten sie sich bald und kamen auf andre Damen zu reden, die sie mit ihren Lästerungen nur verschont hatten, weil es ihnen an Zeit gebrach, sie zu zerpflücken.

Mirzoza, ihrer Reden ungeduldig, sagte: »Meine Herren, man muß Ihnen Verdienste und besonders Rechtschaffenheit zugestehn. Man darf also nicht zweifeln, daß Sie ganz so glücklich in der Liebe gewesen sind, als Sie sich rühmen. Doch muß ich Ihnen bekennen, ich möchte die Kleinode dieser Damen gern darüber vernehmen und würde Brahma von ganzem Herzen danken, wenn es ihm gefiele, durch ihren Mund der Wahrheit Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«

»Das heißt,« sagte Maikäfer, »Ihro Gnaden wünschen eine und dieselbe Sache [253] zweimal zu hören. Wir können sie ja nochmals erzählen, wenn Sie befehlen.«

Unterdessen drehte Mangogul seinen Ring nach der Rangordnung des Alters. Er fing bei der Seneschallin an. Ihr Kleinod hustete dreimal und sprach dann mit gebrochener zitternder Stimme: »Dem Groß-Seneschall verdank' ich die Erstlinge meiner Freuden. Doch gehört' ich ihm kaum seit sechs Monaten, als ein junger Brahmine meiner Gebieterin begreiflich machte, sie begehe keine Untreue gegen ihren Gemahl, wenn sie an einen Mann Gottes denke. Seine Moral gefiel mir. In der Folge glaubt' ich mit gutem Gewissen einen Senator zulassen zu können, hernach einen Staatsrat, einen Hohenpriester, ein paar Geheimschreiber, einen Geiger ...« »Und Murmelbach?« ergänzte Flachkopf. »Murmelbach kenn' ich nicht,« antwortete das Kleinod. »Vielleicht ist es der junge Geck, den meine Gebieterin aus dem Hause werfen ließ wegen einiger Frechheiten, deren ich mich nicht mehr genau erinnere.«

[254] Cynarens Kleinod nahm das Wort: »Nach Trübewasser, Greifgreif, Flachkopf fragen Sie mich? Ich habe wohl viel Bekanntschaften gemacht, aber diese Namen hör' ich zum erstenmal. Vielleicht werden der Emir Amalek, der Finanzrat Tenelor oder der Wessir Abdiram mir Nachricht von ihnen geben können. Das sind meine Freunde. Die kennen die ganze Welt!«

»Cynarens Kleinod ist sehr verschwiegen,« sagte Maikäfer. »Es schweigt von Zarafis, Ahiram, dem alten Trebister und dem jungen Mahmud, den man doch nicht so leicht vergißt. Es klagt nicht den kleinsten Brahminen an, ohnerachtet es sich seit zehn oder zwölf Jahren in den Klöstern umhertreibt.«

»Ich habe doch gewiß schon manchen Besuch in meinem Leben empfangen,« sagte Melissens Kleinod, »aber Greifgreif und Breitschnabel, und noch weniger Maikäfer sind jemals zu mir gekommen.«

»Herzens-Kleinodchen,« antwortete Greifgreif, »du irrst. Breitschnabel und mich magst du verleugnen, soviel dir beliebt, [255] aber mit Maikäfer stehst du ein bißchen besser, als du zugeben willst. Er hat mir etwas davon anvertraut, ist der wahrhaftigste Junge in Congo, gilt mehr als einer, den du genannt hast, und kann einem Kleinod nur Ehre machen.«

»Ja, die Ehre eines Betrügers gehört ihm und seinem Freunde Flachkopf,« sprach Fatimens Kleinod schluchzend. »Was hab' ich den abscheulichen Menschen getan, daß sie mir Übles nachreden? Der Sohn des Kaisers von Abessinien kam an Erguebzeds Hof. Ich gefiel ihm. Er bewarb sich um mich, aber es wäre ihm mißlungen, und ich wäre meinem Gemahl treu geblieben, der mir teuer war, hätten der verräterische Sammtpfötchen und sein niederträchtiger Mitschuldiger Flachkopf meine Zofen nicht bestochen und den jungen Prinzen mir im Bade zugeführt.«

Zirfilens und Zuleicas Kleinod hatten sich gegen den nämlichen Vorwurf zu verteidigen und sprachen beide zu gleicher Zeit, aber so hastig, daß es außerordentlich schwer war, jedem das Seine zu geben.[256] »Gunstbezeigungen,« rief das eine. – »An Sammtpfötchen?« das andre ... »Ja! wär' es Zinzim ... Zerbelon ... Benengel ... Agarias ... der welsche Sklave Franz Rikeli ... der junge Ethiope ... Thezaka ... aber der schmacklose Sammtpfötchen ... der unverschämte Flachkopf! ... ich schwöre beim Brahma ... ich rufe die große Pagode und den Genius Cucufa zu Zeugen ... ich kenne diese Menschen nicht – ich habe nie mit ihnen zu tun gehabt!«

Zirfile und Zuleica sprächen noch, hätte Mangogul seinen Ring nicht zurückgedreht. Aber da diese Zauberkraft nicht mehr auf sie wirkte, verstummten ihre Kleinode plötzlich, und eine tiefe Stille folgte dem Geräusch. Dann erhob sich der Sultan und warf den unbesonnenen Buben zornige Blicke zu: »Ihr seid sehr dreist,« sprach er, »Damen zu verleumden, die Euch nie der Ehre würdigten, ihnen nahekommen zu dürfen, und kaum Eure Namen kennen. Wer macht Euch so frech, in meiner Gegenwart zu lügen? Zittert, Nichtswürdige!« Mit diesen Worten legte er [257] Hand an sein Schwert, aber die erschrocknen Frauenzimmer schrien laut auf, und er hielt ein. »Ich wollt' Euch,« fuhr Mangogul fort, »dem Tode übergeben, den Ihr verdient, aber die Damen habt Ihr beleidigt, sie mögen Euer Schicksal entscheiden. Kriechendes Gewürm! von ihnen hängt es ab, Euch zu zertreten oder Euch das Leben zu schenken. Reden Sie, meine Damen, was befehlen Sie?«

»Sie mögen leben,« sprach Mirzoza, »und schweigen, wenn sie können.«

»So lebt denn,« sagte der Sultan, »diese Damen erlauben's. Vergeßt Ihr aber jemals die Bedingung, unter der Ihr lebt, so schwör' ich bei der Seele meines Vaters ...«

Mangogul vollendete seinen Schwur nicht. Einer seiner Kammerherren unterbrach ihn mit der Nachricht, daß die Schauspieler bereit wären. Der Fürst hatte es sich zum Gesetz gemacht, die Zuschauer niemals warten zu lassen. »Man kann anfangen,« sagt' er und gab seine Hand der Favorite, die er bis an ihre Loge begleitete.

[258] Das Schauspiel

Hätte man in Congo an guter Deklamation Geschmack gehabt, so würde man einiger Komödianten haben entraten können. Die Gesellschaft bestand aus dreißig Personen, worunter kaum ein großer Schauspieler und zwei mittelmäßige Schauspielerinnen waren. Der Geist der Dichter mußte sich zu der Mittelmäßigkeit des großen Haufens herabstimmen, und man durfte sich nicht schmeicheln, daß ein Stück mit nur irgendwelchem Erfolge gespielt werden würde, wenn man nicht so vorsichtig gewesen war, seine Charaktere nach den Untugenden der Komödianten umzumodeln. Das nannte man zu meiner Zeit Theaterpraktik. Vordem modelten sich die Schauspieler nach den Stücken, jetzt machte man Stücke für die Schauspieler. Bot jemand der Bühne ein neues Drama an, so untersuchte man ohne Widerrede, ob der Vorwurf unterhaltsam wäre, der Knoten gut geschürzt, die Charaktere wohlbegründet, die Sprache rein und fließend sei; [259] fand sich aber keine Rolle darin für Roseius und Amiane, so nahm man es nicht.

Der Kissar Agasi, Oberaufseher der Großherrlichen Vergnügungen, hatte die Gesellschaft auf gut Glück verschrieben, und an diesem Tage gab man im Serail die erste Vorstellung eines Trauerspiels. Es war von einem neueren Dichter, der seit so langer Zeit mit Beifall überhäuft war, daß, selbst wenn sein Stück nichts als ein Gewebe von Ungereimtheiten gewesen wäre, man es doch gewohnheitsgemäß beklatscht haben würde. Aber er hatte sich nicht verleugnet. Sein Trauerspiel war gut geschrieben, die Auftritte mit Kunst vorbereitet, die Ereignisse geschickt gesteigert. Die Teilnahme wuchs mit jedem Augenblick, die Leidenschaften entwickelten sich immer mehr, die Akte zwanglos mitsammen verbunden waren voller Handlung; der Zuschauer war unablässig gespannt auf das, was kommen würde, und zufrieden mit dem, was geschehen war. Schon spielte der vierte Akt dieses Meisterwerkes, eine lebhafte Szene diente eben zur Vorbereitung [260] einer wichtigeren, als Mangogul, um sich nicht dadurch lächerlich zu machen, daß er bei rührenden Stellen Achtung gäbe, sein Augenglas hervorzog, und um den Unaufmerksamen zu heucheln, von einer Loge in die andre blickte. Da fiel ihm ein Frauenzimmer auf, das sehr gerührt zu sein schien, aber von einer Rührung, die mit dem Stücke wenig zu tun zu haben, sondern sehr unangebracht zu sein schien. Sogleich drehte er seinen Ring gegen sie, und mitten in einer sehr traurigen Erkennungsszene hörte man ein Kleinod nach Luft schnappen und dem Schauspieler zuseufzen: »Ach! ... Ach! ... Orgoglio, halt ein ... du erschütterst mich zu sehr ... Ach! ... Ach! ... das halt' ich nicht aus!«

Man horchte auf, man sah allenthalben umher, von wannen diese Stimme komme, man sagte sich im Parterre, es habe ein Kleinod geredet. »Welches Kleinod? Was hat's gesagt?« fragte man sich. Während man es zu erfahren suchte, hörte man nicht auf, mit den Händen zu klatschen und »dacapo!« »dacapo!« zu rufen. Der Dichter [261] stand unterdessen hinter den Kulissen, fürchtete, dieser unzeitige Auftritt möchte sein Stück unterbrechen, schäumte vor Wut und wünschte alle Kleinode zum Teufel. Der Lärm war groß und anhaltend. Nur aus Achtung vor dem Sultan blieb es bei diesem Zwischenfall. Aber Mangogul winkte zur Stille, die Schauspieler fuhren fort und kamen zu Ende.

Doch war der Sultan neugierig, die Fortsetzung dieser öffentlichen Liebeserklärung zu erfahren, und ließ dem Kleinod aufpassen, von dem sie kam. Bald erfuhr er, der Schauspieler sei zu Erifilen bestellt. Kraft seines Ringes war er vor ihm da und befand sich im Gemach dieser Dame, als Orgoglio gemeldet wurde.

Erifile war gerüstet, d.h. wollüstig entkleidet, und nachlässig auf einem Ruhelager hingestreckt. Der Schauspieler trat herein, voller Wichtigkeit, stolz, eingebildet und geckenhaft. In seiner Linken schwenkte er einen einfachen, mit einer weißen Feder verzierten Hut und mit den Fingerspitzen seiner Rechten streichelte er sich die Nase. [262] Diese seine theatralische Haltung pflegte von den Kennern sehr bewundert zu werden. Seine Verbeugung war artig, seine Begrüßung vertraulich: »Wie schön Sie sind!« sprach er in geziertem Tone zu Erifilen. »Wissen Sie wohl, daß Sie im Negligé entzückend sind?«

Das Benehmen dieses Windbeutels ärgerte den Sultan. Ein junger Fürst weiß nicht immer, was draußen in der Welt Brauch ist. »So gefall' ich dir also, lieber Junge?« sagte Erifile. – »Über alle Maßen.« – »Das ist mir lieb. Sei doch so gütig, mir die Stelle noch einmal zu wiederholen, die mich heute abend so tief erschütterte. Die Stelle ... ja, ja, die ... Ganz recht ... O, wie der Schelm verführerisch ist! ... Aber weiter! ... weiter ... das rührt mich außerordentlich!«

Und Erifile warf Blicke auf ihren Helden, die mehr als Worte sagten, und reichte ihm eine Hand, die der unverschämte Orgoglio nur obenhin wie zur Quittung küßte. Denn stolzer auf sein Talent als auf seine Eroberung, war seine Seele ganz bei seiner [263] Deklamation, und seine gefühlvolle Zuhörerin beschwor ihn, bald aufzuhören, bald fortzufahren. Mangogul schloß aus allen Bewegungen, daß ihr Kleinod gern eine Rolle spielen würde bei dieser Probe, und er zog es vor, das Ende des Auftritts lieber zu erraten, als ihm beizuwohnen. Er verschwand und begab sich zur Favorite, die seiner wartete.

Der Sultan erzählte ihr den Vorfall. »Was Sie da sagen, Fürst!« rief sie aus. »Sind also die Weiber zum tiefsten Grade der Erniedrigung herabgesunken? Ein Schauspieler! Ein Sklave des Publikums! Ein Lustigmacher! Ja, hätten diese Menschen nur das Vorurteil gegen ihren Stand wider sich! Aber die meisten sind ohne Sitten und Grundsätze, und Orgoglio ist nur ein Klotz unter ihnen. Er hat niemals selbst gedacht, und hätte er nicht Rollen auswendig gelernt, vielleicht würde er nie geredet haben.«

»Wonne meines Herzens,« antwortete Mangogul, »Sie wissen nicht, worüber Sie klagen. Haben Sie denn Hariens Koppel [264] vergessen? Ein Schauspieler scheint mir doch auch so viel wert wie ein Mops.«

»Sie haben recht, Fürst,« versetzte die Favorite. »Ich bin nicht gescheit, daß ich mich um Geschöpfe bekümmere, die der Mühe nicht wert sind. Palabria bete ihre Wechselbälge an; Salica lasse ihre Nervenschwäche durch Farfadi vertreiben, wie sie es versteht; Haria lebe und sterbe mitten unter ihrem Vieh; Erifile gebe sich allen Seiltänzern von Congo preis: was geht das mich an? Ich kann nichts dabei verlieren als ein Lustschloß. Das muß ich aufgeben, seh' ich, und ich bin ganz dazu entschlossen.«

»Ade, kleiner Wickelschwanzaffe!« sagte Mangogul.

»Ade, kleiner Wickelschwanzaffe!« wiederholte Mirzoza, »und ade auch du gute Meinung, die ich von meinem Geschlecht hatte! Die werd' ich wohl niemals wieder finden. Fürst, erlauben Sie mir, daß ich wenigstens vierzehn Tage lang kein Frauenzimmer vor mich lasse?«

[265] »Man muß doch Menschen sehn,« versetzte der Sultan.

»Ich werde Ihrer Gesellschaft genießen oder warten,« antwortete die Favorite, »und sollte ich einige Augenblicke übrig haben, so geb ich sie Ricarie oder Selim, die mir zugetan sind, und deren Umgang mir gefällt. Hab' ich der Gelehrsamkeit meines Vorlesers genug, so wird ihr Kammerherr mich mit den Erfolgen seiner Jugend unterhalten.«

Ästhetik

Die Favorite liebte die schönen Geister, ohne selbst schöner Geist sein zu wollen. Man erblickte auf ihrem Nachttische unter Schmuck und Putz die neuesten Romane und die flüchtigen Stücke der Zeit; sie beurteilte sie sehr richtig. Sie ging, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, von einer Partie Cavagnol oder Binibi zu der Unterhaltung mit einem Akademiker oder Gelehrten über; und alle gestanden, die bloße Feinheit ihres Gefühls entdeckte ihr zuweilen [266] Schönheiten oder Fehler in deren Werken, die dem Auge der Kenner entgangen wären. Mirzoza setzte sie durch ihren Scharfsinn in Erstaunen, brachte sie durch ihre Fragen in Verlegenheit, aber mißbrauchte den Vorteil niemals, den ihr Witz und Schönheit gaben. Es war durchaus nicht unangenehm, ihr gegenüber unrecht zu haben.

Gegen das Ende eines Nachmittags, den Mangogul bei ihr zugebracht hatte, kam Selim, und sie ließ auch Ricarie rufen. Selims Schilderung hat der gelehrte Afrikaner sich für eine andre Stelle aufgehoben. Hier teilt er uns nur mit, daß Ricarie Mitglied der Akademie von Congo sei, daß seine Gelehrsamkeit ihn nicht verhinderte, viel Verstand zu besitzen, daß er gründlich in die Kenntnis vergangener Dinge eingedrungen sei, einen gewissenhaften Eifer für die Regeln der Alten zeigte, die er beständig im Munde führte, daß er ein Prinzipienreiter war und der eifrigste Anhänger der ersten Congoschen Schriftsteller, vornämlich aber eines gewissen [267] Mirufla, der vor ungefähr 3100 Jahren ein erhabenes Poem in kaffrischer Sprache über die Eroberung eines großen Waldes verfaßte, woraus die Kaffern Affen verjagt hatten, die seit undenklicher Zeit darinnen wohnten. Ricarie hatte ihn ins Congosche übersetzt und eine schöne Ausgabe des Originals besorgt mit Anmerkungen, Scholien, Varianten und allen Verzierungen eines gelehrten Benediktinerkodex. Auch besaß man von ihm zwei nach allen Regeln der Kunst schlechte Trauerspiele, ein Loblied auf die Krokodille und einige Opern.

»Gnädige Frau,« sprach Ricarie mit einer Verbeugung, »hier ist ein Roman, den man der Marquise von Tamazi zuschreibt, unglücklicherweise aber erkennt man Mathazens Hand darin. Dies ist die Antwort unsers Präsidenten Lambadago auf die Rede des Poeten Tuxigraph, sie ist erst gestern herausgekommen. Dies ist Tuxigraphens Tamerlan.«

»Das ist bewundernswert,« sagte Mangogul. »Die Druckerpressen haben weder Ruh noch Rast. Täten die Ehemänner [268] von Congo ebenso ihre Schuldigkeit wie die Schriftsteller, ich könnte in weniger als zehn Jahren sechzehnmal hunderttausend Menschen auf die Beine bringen und Monoemugi erobern. Den Roman lesen wir bei Gelegenheit. Jetzt wollen wir uns die Rede ansehen, vor allem die Stellen, die mich betreffen.«

Ricarie durchlief sie mit den Augen, und dabei fiel sein Blick auf folgende Periode:. »Die Vorfahren unsers erlauchten Kaisers haben sich ohne Zweifel berühmt gemacht. Aber Mangogul, größer als sie, hat den Jahrhunderten der Zukunft weit mehr Gelegenheit gegeben, ihn zu bewundern. Was sag' ich bewundern? Um es genauer auszudrücken: sie werden kaum glauben wollen, was sie hören. Hatten unsere Vorfahren schon recht, zu versichern, die Nachkommenschaft werde die Wunder von Kanoglus Regierung für Märchen achten; wie viel mehr recht haben wir, zu denken, unsre Enkel werden die Weisheit und Tapferkeit, deren Zeugen wir sind, für übernatürlich und unmöglich halten!!!«

[269] »Armer Lambadago,« sagte der Sultan, »was bist du für ein erbärmlicher Phrasenheld! Ich habe recht, zu glauben, daß deine Nachfolger dereinst meine Ehre durch die Ehre meines Enkels verdunkeln lassen werden, wie du jetzt den Ruhm meines Großvaters vor dem meinigen verschwinden läßt. Das wird immer so fortgehen, solang' es Akademiker gibt. Was halten Sie davon, Herr Ricarie?«

»Ich kann weiter nichts sagen, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »als daß die Periode, die ich Ihrer Hoheit vorgelesen habe, dem Publikum ungemein gefiel.«

»Desto schlimmer,« erwiderte Mangogul. »Ist denn der Geschmack für wahre Beredsamkeit in Congo ganz erloschen? So lobte der erhabene Homilogo den großen Aben nicht.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »wahre Beredsamkeit ist nicht anders als die Kunst, in edlen Ausdrücken und zugleich angenehm und überzeugend zu sprechen.«

»Und vernünftig,« sagte der Sultan. »Nun richten Sie über Ihren Freund [270] Lambadago. Ich habe alle Achtung für die neuere Beredsamkeit, aber er ist ein verlogener Deklamator.«

»Aber Fürst,« versetzte Ricarie, »bei aller Eurer Hoheit schuldigen Ehrfurcht möchte ich mir doch erlauben – – –«

»Ich erlaube Ihnen,« fiel Mangogul lebhaft ein, »den gesunden Menschenverstand höher zu achten als meine Hoheit; und mir aufrichtig zu gestehen, ob ein beredter Mann sich erlauben dürfe, diesen Menschenverstand zu verleugnen?«

»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, und er wollte eben eine lange Reihe von Autoritäten aufzählen und alle Redner von Afrika, Arabien und China anführen, um eine Sache zu beweisen, die sich von selbst verstand, als Selim ihn unterbrach.

»Alle Ihre Schriftsteller,« sprach der Hofmann, »werden mir nie beweisen, daß Lambadago etwas anders, als ein ungeschickter unbescheidner Schwätzer sei. Vergeben Sie mir diese Ausdrücke, Herr Ricarie. Ich schätze Sie ganz besonders, [271] aber alle kollegialen Vorurteile beiseite: müssen Sie uns nicht darin recht geben, daß unser gnädigster Herr, der gerecht, liebenswürdig, wohltätig und ein großer Krieger ist, der Stelzen Ihrer Redner nicht bedarf, um ebensogroß zu sein als seine Vorfahren? Ein Sohn, den man dadurch erhebt, daß man seinen Vater und Großvater herabsetzt, muß wohl lächerlich eitel sein, wenn er nicht fühlt, man entstelle ihn mit einer Hand, indem man ihn mit der andern verschönert. Oder wäre Ihre Meinung: wer beweisen wolle, daß Mangogul einen ebenso ansehnlichen Wuchs habe, als einer seiner Vorgänger, müsse notwendig den Bildsäulen Erguebzeds und Kanoglus die Köpfe herunterschlagen?«

»Herr Ricarie,« sprach Mirzoza dazwischen, »Selim hat recht. Lassen wir jedem, was ihm zukommt, und hüten wir uns, beim Publikum den Verdacht zu erregen, unsre Lobreden seien eine Art heimlichen Diebstahls am Gedächtnis unsrer Väter. Sagen Sie das meinetwegen der [272] versammelten Akademie in der nächsten Sitzung.«

»Man ist seit zu langer Zeit auf diesen Ton gestimmt,« sagte Selim, »als daß ich hoffen könnte, diese Warnung werde etwas nützen.«

»Ich glaube, Sie irren sich, mein Herr,« antwortete Ricarie dem Selim. »Die Akademie ist noch das Heiligtum des guten Geschmacks, und ihr goldnes Zeitalter bietet uns weder Philosophen noch Dichter, denen wir nicht Philosophen und Dichter entgegenzusetzen hätten. Unsre Schaubühne galt für die erste in Afrika und kann noch dafür gelten. Welch ein herrliches Werk ist der Tamerlan des Tuxigraph! Er vereinigt das Pathos des Eurisop mit Asofs Erhabenheit. Das ist reinstes Altertum.«

»Ich war bei der ersten Vorstellung Tamerlans zugegen,« sagte die Favorite, »und fand, wie Sie, das Stück wohlgeführt, die Sprache zierlich und die Regeln gut beobachtet.«

»Wie groß ist der Unterschied, gnädige Frau,« sagte Ricarie, »zwischen einem Dichter [273] wie Tuxigraph, der sich durch die Schriften der Alten nährte, und den meisten Neueren!«

»Aber diese Neueren,« sprach Selim, »denen Sie hier nach Herzenslust hohnsprachen, sind nicht so verächtlich, wie Sie meinen. Können Sie Ihnen Geist, Erfindung, Feuer, seine Züge, Charakter, Sentenzen absprechen? Was kümmern mich die Regeln, wenn man mir nur gefällt? Gewiß sind es nicht die Regeln des weisen Almudir und des gelehrten Abaldok, noch die Dichtkunst des erfahrnen Farcadin, die ich nie gelesen habe, um derentwillen ich Abulcassems, Mubardas, Albabukers und andrer Sarazenen Stücke bewundere. Gibt es eine andre Vorschrift als die Nachahmung der Natur? Und haben wir nicht die nämlichen Augen, wie die, welche sie studierten?«

»Die Natur,« antwortete Ricarie, »zeigt sich uns jeden Augenblick von einer andern Seite. Alle sind wahr, aber nicht alle sind gleich schön. Gerade aus den Schriftstellern, auf die Sie keinen großen Wert zu legen [274] scheinen, muß man lernen, die Wahl zu treffen. Sie sammelten ihre Erfahrungen und die Erfahrungen ihrer Vorgänger. Wenn man noch so viel Verstand hat, so sieht man doch nur einen Gegenstand nach dem andern, und ein Mensch darf sich nicht schmeicheln, in der kurzen Spanne seiner Lebenszeit alles zu sehen, was man in den Jahrhunderten entdeckte, die ihm vorangingen. Sonst müßte man annehmen, eine einzige Wissenschaft dürfe ihre Entstehung, ihre Fortschritte und ihre ganze Vollkommenheit einem einzigen Kopfe verdanken. Dawider streitet die Erfahrung.«

»Herr Ricarie,« versetzte Selim, »aus Ihren Schlüssen folgt weiter nichts, als daß die Neueren, die die Schätze genießen, welche man bis auf ihre Zeit zusammenbrachte, reicher sein müssen als die Alten: oder daß, mißfällt Ihnen dieser Vergleich, wer auf den Schultern des Riesen steht, weiter sehen müsse als der Riese. Und in der Tat, was ist ihre Naturlehre, ihre Sternkunde, ihre Schiffahrt, ihre Mechanik, ihre Rechenkunst gegen die unsrige? Und [275] warum sollten auch unsre Beredsamkeit und unsere Dichtkunst nicht den Vorrang besitzen?«

»Den Grund dieses Unterschiedes, Selim,« antwortete die Sultanin »wird Ihnen Ricarie ein andermal darlegen. Er wird Ihnen sagen, warum unsre Trauerspiele denen der Alten nachstehen. Daß dem also sei, soll mir leicht fallen, Ihnen zu zeigen.« »Nicht,« fuhr sie fort, »als ob ich Ihnen den Vorwurf machen wollte, die Alten nicht gelesen zu haben. Sie haben einen viel zu gebildeten Geist, als daß ihre Schaubühne Ihnen unbekannt wäre. Setzen Sie nur gewisse Begriffe beiseite, die auf ihre Gebräuche, auf ihre Sitten und ihre Religion Bezug haben, und die Sie nur stören, weil sich die Umstände geändert haben: und gestehen Sie, daß ihre Stoffe edel, gut gewählt und anziehend sind; daß sich die Handlung gleichsam durch sich selbst entwickelt, daß ihre einfache Sprache der Natur sehr nahekommt, daß die Auflösung ungezwungen, das Interesse nicht geteilt und die Haupthandlung nicht [276] mit Nebenhandlungen überladen ist. Versetzen Sie sich im Geist auf die Insel Alindala, beobachten Sie alles, was dort vorgeht, hören Sie alles, was dort gesprochen wird von dem Augenblicke an, wo der junge Ibrahim und der listige Forfanti ans Land treten; nähern Sie sich der Höhle des unglücklichen Polipsil; verlieren Sie kein Wort von seinen Klagen und sagen Sie mir dann, ob Sie irgend etwas aus der Illusion reißt? Nennen Sie mir ein neueres Stück, das die nämliche Prüfung besteht, das dieselbe Prüfung aushalten und auf einen gleichen Grad von Vollkommenheit Anspruch machen könnte, und ich will mich für besiegt erklären.«

»Beim Brahma!« rief der Sultan gähnend aus, »Madam hat eine akademische Vorlesung gehalten!«

»Ich verstehe mich nicht auf Regeln,« fuhr die Favorite fort, »und noch weniger auf die gelehrten Ausdrücke, worin sie abgefaßt sind. Aber ich weiß, nur Wahrheit gefällt und rührt. Weiter weiß ich, die Vollkommenheit eines Schauspiels besteht [277] in so genauer Nachahmung einer Handlung, daß der Zuschauer in ununterbrochener Täuschung selbst bei der Handlung gegenwärtig zu sein sich einbildet. Ist das nun der Fall bei den Trauerspielen, welche Sie uns rühmen?«

»Bewundern Sie ihre Szenenführung? Die ist ja gewöhnlich so verwickelt, daß so viele Dinge in so kurzer Zeit nur durch ein Wunder geschehen könnten. Der Sturz oder die Erhaltung eines Reichs, die Vermählung einer Fürstin, der Untergang eines Fürsten, das alles geschieht im Handumdrehen. Soll eine Verschwörung dargestellt werden? Man entwirft sie im ersten Aufzuge; im zweiten verbindet und befestigt man sie; im dritten werden alle Maßregeln ergriffen, alle Hindernisse weggeräumt, jedem Verschworenen sein Posten angewiesen; sogleich folgt ein Aufruhr, Waffengetöse, vielleicht ein Treffen zwischen zwei Heeren; und das nennen Sie Linienführung, Interesse, Wärme, Wahrscheinlichkeit? Nein, das könnt' ich Ihnen nie vergeben! Sie wissen zu genau, wieviel[278] Mühe es zuweilen kostet, eine erbärmliche Intrige zu Ende zu führen; wieviel Zeit mit Maßregeln, Unterhandlungen und Entschließungen über die geringfügigste Staatsangelegenheit vergeht.«

»Es ist wahr, gnädige Frau,« antwortete Selim, »unsre Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein notwendiges Übel: wenn die Nebenhandlungen uns nicht zu Hilfe kämen, so müßten wir erfrieren.«

»Das heißt: um der Darstellung einer Tatsache Leben einzuhauchen, muß man sie weder wiedergeben, wie sie ist, noch wie sie sein sollte. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken? Oder es müßte denn nicht mehr absurd sein, die Geigen ein lebhaftes Stück oder muntere Sonaten spielen zu lassen, während die Gemüter der Zuschauer das Vorgefühl haben, ein Fürst ist nahe daran, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren.«

»Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul, »alsdann muß man Trauermelodien anstimmen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen.« Mangogul stand auf, ging hinaus, [279] und die Unterredung wurde nun zwischen Selim, Ricarie und der Favorite fortgesetzt.

»Wenigstens werden Sie nicht leugnen, gnädige Frau,« versetzte Selim, »daß, wenn die Nebenhandlungen uns aus der Täuschung reißen, der Dialog uns wieder hineinversetzt? Darauf aber versteht sich niemand besser, als unsre tragischen Dichter.«

»Dann versteht es also niemand,« versetzte Mirzoza. »Der Schwung, die Geistreicheleien und Geziertheiten, die darin herrschen, sind tausend Meilen entfernt von der Natur! Vergeblich sucht der Dichter sich dahinter zu verstecken, meine Augen dringen hindurch, und ich sehe ihn beständig hinter seinen Gestalten stehen, Cinna, Sertorius, Maximus, Ämilia sind mir in jedem Worte das Sprachrohr Corneilles. So spricht man nicht miteinander bei unseren alten Sarazenen. Herr Ricarie wird Ihnen, wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen, und Sie werden merken, wie in ihrem Munde die reine Natur zum [280] Ausdruck kommt. Gern möchte ich den Neueren zurufen: ›Meine Herren, anstatt bei jeder Gelegenheit eurer Person Geist zu geben, versetzt sie lieber in eine Lage, die ihnen welche gibt.‹«

»Ihro Gnaden,« sagte Selim, »haben über den Verlauf und den Dialog unsrer Dramen sich in einer Weise ausgesprochen, daß die Entwicklungen schwerlich Gnade vor Ihnen finden werden.«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete die Favorite. »Es gibt hundert schlechte auf ein gutes. Die eine ist nicht vorbereitet, das andre arbeitet mit Wundern. Weiß ein Dichter nicht, was er mit einem Menschen anfangen soll, den er fünf Aufzüge hindurch von einem Auftritt zum andern schleppte, so befördert er ihn mit einem Dolchstoß ins Jenseits. Dann fängt alles an zu weinen, und ich lache wie toll. Und dann: hat man jemals so gesprochen, wie wir deklamieren? Schreiten Fürsten und Könige anders einher, als jemand, der einen guten Gang hat? Werfen sie die Arme in die Luft wie Besessene oder Rasende? Sprechen die [281] Prinzessinnen, indem sie wie Schlangen zischen? Man nimmt allgemein an, wir hätten die Tragödie auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht; und ich halte es beinahe für erwiesen, daß von allen Literaturgattungen, welche die Afrikaner in den letzten zwei Jahrhunderten gepflegt haben, gerade diese die unvollkommenste geblieben ist.«

So weit war die Favorite in ihrem Ausfall gegen unsre Theaterstücke gekommen, als Mangogul wieder hereintrat. »Madam,« sprach er zu ihr, »Sie werden mich verpflichten, wenn Sie fortfahren. Ich habe, wie Sie sehen, das Geheimnis, eine Dichtkunst abzukürzen, wenn sie mir zu lang wird.«

»Ich will einmal annehmen,« fuhr die Favorite fort, »es käme einer soeben frisch aus Angote neuerdings ans Land, der sein Lebtag nichts vom Schauspiel gehört habe, dem es aber weder an Verstand noch Weltkenntnis fehlte, der ein wenig die Fürstenhöfe, die Ränke der Hofleute, die Eifersüchteleien der Minister und die Hetzereien [282] der Weiber kennte. Dem nun sagte ich im Vertrauen: ›Mein lieber Herr, es gehen im Serail schreckliche Bewegungen vor. Der Fürst, unzufrieden mit seinem Sohne, von dem er argwöhnt, daß er in die Mamimonbanda verliebt sei, scheint mir ganz der Mann, an beiden eine grausame Rache zu nehmen. Das Abenteuer wird allem Anscheine nach traurige Folgen haben. Wollen Sie, so werde ich Sie zum Zeugen aller kommenden Ereignisse machen.‹ Er nimmt mein Anerbieten an, und ich führe ihn in seine mit Gitterwerk versehene Theaterloge, von wo er die Bühne erblickt, die er für den Palast des Sultans hält. Glauben Sie, der Mensch werde, wenn ich auch ein noch so ernsthaftes Gesicht dazu mache, sich auch nur einen Augenblick täuschen lassen? Im Gegenteil. Sie werden mir zugeben, daß er bei dem gespreizten Gange der Schauspieler, bei ihrer wunderlichen Tracht, bei ihren höchst seltsamen Gebärden, bei dem merkwürdigen Tonfall ihrer gereimten und gemessenen Sprache mich gleich im ersten Auftritt auslachen[283] und mir sagen wird, entweder wollte ich mich über ihn lustig machen, oder der Fürst und sein ganzer Hof seien verrückt geworden.«

»Ich gestehe Ihnen,« sagte Selim, »dieses Beispiel bringt mich selbst in Verlegenheit; aber könnte man Ihnen nicht dagegen einwenden, daß man nicht ins Schauspiel geht mit der Überzeugung, ein Ereignis an sich, sondern nur seine Nachahmung zu sehen?«

»Und soll diese Überzeugung etwa verhindern,« erwiderte Mirzoza, »daß man die Handlung so natürlich darstelle als möglich?«

»Sieh da, Madame,« sagte Mangogul, »auf einmal sind Sie ja an der Spitze der Tadler?«

»Und wenn man Ihnen glauben wollte,« fuhr Selim fort, »droht dem Reiche der Verfall des guten Geschmacks, feiert die Barbarei ihre Auferstehung, und sind wir auf dem besten Wege, in die Unwissenheit der Zeiten Mamurehas und Orondados zurückzufallen?«

[284] »Hoher Herr, fürchten Sie nichts dergleichen. Ich hasse die Unglückspropheten und werde ihre Zahl nicht noch vermehren. Auch ist mir der Ruhm Seiner Hoheit zu teuer, als daß ich dem Glanz seiner Regierung jemals zu nahe treten möchte. Aber das ist doch wahr, Herr Ricarie: wenn man uns Glauben schenkte, würde die Literatur vielleicht in höherem Glanze strahlen.«

»Wie?« fragte Mangogul. »Sollten Sie dieserhalb etwa meinem Seneschall eine Denkschrift überreichen wollen?«

»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie. »Doch nachdem ich Ihrer Hoheit im Namen aller Literaten für den neuen Aufsichtsrat, den Sie uns gaben, gedankt habe, werde ich vielleicht dem Herrn Seneschall untertänigst vorstellen, daß die Wahl der Gelehrten, die mit der Durchsicht der Handschriften betraut werden sollen, eine sehr heikle Angelegenheit ist, daß man diese Sache Männern überträgt, die der Aufgabe keineswegs gewachsen sind, und daß daraus eine Menge böser Folgen entsteht, wie zum Beispiel die Verstümmelung [285] guter Werke; die Unterdrückung der vorzüglichsten Köpfe, die, weil es ihnen nicht erlaubt ist, nach ihrer Weise zu schreiben, entweder gar nicht mehr schreiben oder ihre Werke im Auslande drucken lassen und ihm dadurch beträchtliche Summen zuführen; die Verbreitung einer schlechten Meinung über die Gegenstände selbst, deren Behandlung man verbietet, und tausend andre Nachteile, die alle der Reihe nach Eurer Hoheit aufzuzählen zu weit führen würde. Ich möchte ihm ferner raten, den Gehalt gewisser schreibseliger Blutegel zu kürzen, die ohne Grund und Unterlaß Geld fordern. Ich meine die Glossatoren, Antiquare, Kommentatoren und andre Leute dieser Art, die sehr nützlich sein würden, wenn sie mit ihrem Handwerk Gutes stifteten, die aber die unglückliche Gewohnheit haben, über dunkle Dinge wegzugehen und klare Stellen zu erklären. Ich wünschte ferner, er überwachte die Unterdrückung fast aller literarischen Nachlasse und litte nicht, daß das Gedächtnis eines großen Schriftstellers [286] durch einen habsüchtigen Verleger besudelt werde, der lange nach dem Tode eines Mannes solche Werke sammelt und herausgibt, die der Lebende zur Vergessenheit verurteilt hatte.« »Und ich,« fuhr die Favorite fort, »möchte ihm eine kleine Anzahl angesehener Männer nachweisen, wie z.B. Herrn Ricarie, die er mit Ihren Wohltaten überhäufen könnte. Ist es nicht erstaunlich, daß dieser arme Junge keinen Heller hat, während der köstliche Chyromant der Manimonbanda jährlich tausend Zechinen aus Ihrer Schatzkammer erhält?«

»Gut, Madam,« antwortete Mangogul, »Herr Ricarie erhält künftig ebensoviel aus meiner Schatulle zum Lohn für die Wunder, die Sie mir von ihm erzählen.«

»Herr Ricarie,« sagte die Favorite, »ich muß auch etwas für Sie tun. Ich opfre Ihnen die kleine Empfindlichkeit meiner Eigenliebe. Ich vergesse, zum Dank für die Belohnung, die Mangogul Ihnen soeben bewilligte, die Beleidigung, die er mir zufügte.«

[287] »Darf man fragen, Madam, worin diese Beleidigung besteht?« sagte Mangogul.

»O, gnädiger Herr, das sollen Sie erfahren. Sie selbst verwickeln uns in ein Gespräch über die schönen Wissenschaften. Sie leiten es ein mit einer kleinen Rede über die neuere Beredsamkeit, die nicht eben schön ist, und da man aus Gefälligkeit gegen Sie sich eifrig bemüht, das triste Gespräch, das Sie angefangen haben, fortzusetzen, überfällt Sie Langeweile und Gähnen. Sie werfen sich auf Ihrem Lehnstuhl hin und her, verändern hundertmal Ihre Lage, ohne eine einzige bequeme zu finden, werden es endlich überdrüssig, die schlechteste Haltung der Welt länger beizubehalten, fassen einen raschen Entschluß, stehen auf und verschwinden. Und wohin gehen Sie wieder? Vielleicht ein Kleinod anzuhören!«

»Ich gebe die Tatsache zu, Madam, finde aber darin keine Beleidigung. Wer bei guten Sachen Langeweile empfindet und sich mit schlechten unterhalten kann, leidet selbst am meisten darunter. Dieser ungerechte Vorzug benimmt dem Verdienste [288] dienste nichts, das er vernachlässigt; er allein erklärt sich dadurch für einen schlechten Richter. Dem könnt' ich noch hinzufügen, Madam, daß, während Sie sich mit Selims Gespräch beschäftigten, ich mir eben so vergebliche Mühe gab, Ihnen ein Schloß zu verschaffen. Muß ich aber dennoch schuldig sein, da Sie es einmal ausgesprochen haben, so erklär' ich Ihnen, daß Sie auf der Stelle gerächt wurden.«

»Wieso?« fragte die Favorite. »Auf folgende Weise,« antwortete der Sultan. »Um mich von der akademischen Sitzung ein wenig zu zerstreuen, die ich aushalten mußte, wollt' ich einmal wieder ein Kleinod hören ...« »Das wissen wir ja, gnädigster Herr ...« »Und bin unglücklicherweise auf zwei verfallen, deren Abgeschmacktheit alles übertrifft, was ich jemals vernahm..«

»Das ist mir unendlich lieb,« erwiderte die Favorite.

»Beide redeten in einer mir unverständlichen Sprache; ich habe alles behalten, was sie sagten, aber ich will auf der Stelle sterben, wenn ich ein Wort davon verstehe.«

[289] Die Schönsprecherin
Manuskript für Freunde

»Das ist sonderbar,« fuhr die Favorite fort. »Bis jetzt glaubt' ich, man könne den Kleinoden keinen andern Vorwurf machen, als den, daß sie zu deutlich gesprochen hätten.« »O wahrhaftig!« antwortete Mangogul, »diese beiden trifft der Vorwurf nicht. Verstehe sie, wer da kann!«

»Sie kennen das kleine kugelrunde Weib, deren Kopf tief in den Schultern steckt. Man wird die Arme kaum gewahr. Die Beine sind ihr so kurz, der Bauch sitzt so tief unten, daß sie aussieht wie ein porzellanener Affe oder wie ein dicker schlecht entwickelter Embryo. Man nennt sie Spheroid, die Abgeplattete. Sie bildet sich ein, Brahma habe sie zur Erlernung der Geometrie ausersehen, weil sie von ihm die Gestalt einer Weltkugel erhielt. Sie hätte sich aber ebenso folgerecht für das Geschützwesen bestimmt halten können, denn nach der Art ihrer Rundung muß sie aus dem Schoß der Natur gekommen sein, wie eine Kugel aus einer Kanone.

[290] Ich wollte doch wissen, wie es um ihr Kleinod stände, und hab' es befragt. Dieser Wirbel aber antwortete mir in so gründlichen geometrischen Ausdrücken, daß ich ihn nicht verstand, und vielleicht verstand er sich selbst nicht. Er sprach von nichts als geraden Linien, konkaven Flächen, gegebenen Größen, von Länge, Breite, Tiefe, festen Körpern, lebendigen Kräften, toten Kräften, Kegeln, Zylindern, Kegelschnitten, Bogen, Spannbogen, Bogen, die in sich selbst zurückkehren mit konjugierter Spitze ...«

»O! erlassen mir Ihre Hoheit das übrige!« rief die Favorite wehklagend. »Sie haben ein grausames Gedächtnis. Das ist zum Umkommen. Davon werd' ich wahrscheinlich acht Tage lang Migräne haben. Ist das andre Kleinod vielleicht ebenso unterhaltend?«

»Darüber urteilen Sie selbst,« antwortete Mangogul. »Bei Brahmas großer Zehe, ich habe ein Wunder zuwege gebracht! Ich habe sein Kauderwelsch Silbe vor Silbe behalten, obwohl es so ganz [291] und gar ohne Sinn und Verstand ist, daß ich es als ein anmutiges Geschenk betrachten würde, Madam, wenn Sie mir eine feine und kritische Auslegung davon geben möchten.«

»Wie haben Sie gesagt, Fürst?« rief Mirzoza. »Ich will des Todes sterben, wenn Sie diese Redensart nicht irgend jemand entlehnt haben!«

»Ich weiß selbst nicht, wie das kommt,« erwiderte Mangogul, »denn die beiden Kleinode sind die einzigen Personen, denen ich heute Audienz gegeben habe.« Als ich gegen das letzte meinen Ring drehte, schwieg es einen Augenblick und sprach dann, als rede es zu einer Versammlung:

»Meine Herren! Ich habe nicht nötig, zur Schande meiner eigenen Vernunft mich nach einem Muster für meine Denk- und Ausdrucksweise umzusehen. Wenn ich dennoch etwas Neues vorbringe, so wird das keinerlei Ziererei sein. Mein Stoff legte es mir in den Mund. Wiederhole ich aber etwas, was schon einmal gesagt worden ist, so hab' ich es eben gedacht wie die anderen.

[292] Möge der Spott sich enthalten, diesen Eingang lächerlich zu finden oder mich anzuklagen, daß ich nichts gelesen oder daß ich umsonst gelesen habe. Ein Kleinod wie ich ist nicht gemacht, um zu lesen, noch um vom Lesen Nutzen zu ziehen, noch um einen Einwand vorher zu merken, noch um darauf zu antworten.

Ich will mich aber keineswegs den meinem Gegenstande angemessenen Betrachtungen und kunstreichen Redewendungen verschließen, und zwar um so weniger, als er in dieser Hinsicht von außerordentlicher Bescheidenheit ist, die weder auf Reichtum noch auf Glanz Anspruch macht. Aber ich will vermeiden, auf geringe und dürftige Einzelheiten einzugehen, die Sache eines unfruchtbaren Redners wären. Der bloße Verdacht eines solchen Fehlers könnte mich zur Verzweiflung bringen.

Nachdem Sie nun wissen, meine Herren, was Sie von meinen Entdeckungen und meiner Beredsamkeit zu erwarten haben, werden wenige Pinselstriche genügen, Ihnen meinen Charakter flüchtig zu zeichnen.

[293] Sie, meine Herren, wissen alle ebensogut wie ich, daß es zweierlei Arten von Kleinoden gibt: hochmütige Kleinode und bescheidene Kleinode. Jene wollen überall die erste Geige spielen. Diese hingegen bemühen sich, nachgiebig zu sein, und setzen immer eine unterwürfige Miene auf. Solche verschiedene Absicht offenbart sich auch in ihrem verschiedenen Betragen und bewegt beide, je nach Maßgabe des Geistes, der sie treibt, zu handeln.

Die Vorurteile meiner ersten Erziehung ließen mich glauben, ich würde mir eine zuverlässigere, leichtere, anmutigere Laufbahn durch das Leben eröffnen, als wenn ich die Rolle der Demut der Rolle des Hochmuts vorzöge: und so bot ich mich allen, denen ich zu begegnen das Glück hatte, mit kindischer Scham, mit freundlichen Bitten dar.

Doch wie ungünstig sind die Zeitläufte! Nach unzähligen Wenn und Wie und Aber, bei denen dem unbeschäftigtsten Kleinod die Geduld vergangen wäre, ließ man sich endlich meine Dienste gefallen.[294] Doch ach, man ward ihrer bald müde. Mein erster Besitzer, dem der schmeichelhafte Ruhm einer neuen Eroberung winkte, ließ mich im Stich, und so verfiel ich wieder in Untätigkeit.

Ich hatte soeben einen Schatz verloren und hoffte nicht, daß das Schicksal mich entschädigen würde. In der Tat aber ward der erledigte Platz durch einen Sechziger wieder besetzt, aber nicht ausgefüllt. Sein Geist war willig, aber das Fleisch war schwach.

Zwar bemühte er sich nach Kräften, mich die Vergangenheit vergessen zu machen. Er versuchte es mit allen Mitteln, die in meiner Laufbahn für höflich und wirksam galten, doch seine Anstrengungen vermochten nicht, meinen Kummer zu beseitigen.

Wenn der Fleiß, der, wie man sagt, nie zu kurz kommt, ihn in den Schätzen der Natur einige Linderung für meine Pein finden ließ, so schien mir solche Entschädigung unzulänglich trotz meiner Einbildungskraft, die sich vergeblich bemühte, neue Beziehungen zu suchen oder auch nur im Geiste sich vorzustellen.

[295] Das ist der Vorzug der ersten Liebe, daß sie Besitz ergreift vom Denken und eine Schranke bildet gegen alles, das sich nachher in anderer Gestalt uns darbietet; das auch ist, zu unserer Schande sei es gestanden, die natürliche Undankbarkeit der Kleinode, daß sie den guten Willen niemals für die Tat nehmen.

Die Bemerkung scheint mir so natürlich, daß, ob ich sie gleich niemand verdanke, sie doch vielleicht auch andre vor mir gemacht haben dürften. Drängte sie sich aber auch schon vor mir jemand auf, so schmeichle ich mir doch, meine Herren, das Verdienst um sie zu besitzen, sie Ihnen zuerst vorgelegt zu haben.

Ich will es wohl bleiben lassen, so undankbar zu sein, denjenigen, welche bislang ihre Stimme erhoben, vorzuwerfen, daß sie diesen Charakterzug übersahen. Meine Eigenliebe ist vollauf befriedigt, nach einer so großen Anzahl von Rednern meine Beobachtung noch als etwas Neues hinstellen zu können.«

»Ach, Fürst,« rief Mirzoza ungeduldig, [296] »mich deucht, ich höre den Chriomanten der Manimonbanda. Wenden Sie sich an den Mann und Sie werden die feine und kritische Deutung bekommen, die Sie als ein anmutiges Geschenk vergebens von jedem andern erwarten würden.«

Mangogul lächelte und fuhr fort: »›Aber‹, sagt der gelehrte Afrikaner, ›ich werde mich wohl hüten, seine Rede weiter zu berichten. Schon der Eingang derselben ist nicht so lustig als die ersten Seiten der Fee Maulwurf, und die Fortsetzung möchte leicht noch langweiliger ausfallen als die letzten der Fee Zwickelbart.‹«

Mirzoza vom Erhabnen und Schönen

Endlich vollendete Mangogul die akademische Rede der Schönsprecherin; es war spät, man begab sich zur Ruhe.

Diese Nacht konnte sich die Favorite einen tiefen Schlaf versprechen. Aber die Unterhaltung des vergangenen Abends kam ihr im Traum wieder in den Kopf, die Gedanken, die sie beschäftigt hatten, vermischten [297] sich mit andern, und es zeigte sich ihr ein seltsames Gesicht, so daß sie nicht unterließ, dem Sultan davon zu erzählen.

»Ich lag,« sprach sie zu ihm, »im ersten Schlummer, als ich mich in eine Galerie versetzt fühlte, die voll von Büchern war. Was sie enthielten, kann ich Ihnen nicht angeben; sie waren nun für mich, was sie für viele Leute sind, die nicht schlafen. Ich sah keinen Titel an: ein weit auffallenderes Schauspiel zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

Von Raum zu Raum zwischen den Schränken, die die Bücher enthielten, erhoben sich Fußgestelle mit schönen marmornen oder erzenen Büsten. Der Zahn der Zeit hatte ihrer geschont, mit Ausnahme einiger Schäden waren sie ganz und vollkommen. Sie trugen den Stempel eines edlen Geschmacks, wie ihn das Altertum seinen Werken zu geben wußte. Die meisten hatten lange Bärte, hohe Stirnen, wie die Ihrige und einen interessanten Gesichtsausdruck.

Ich war neugierig, ihre Namen zu erfahren [298] und ihre Verdienste kennenzulernen, als aus einem Erker ein Frauenzimmer hervortrat und mich anredete. Stolz war in ihrem Wuchs, Majestät in ihrem Schritt, Adel in ihrem Gange. Milde und Hoheit vereinigten sich in ihrem Blick, und in ihrer Stimme lag ein unnennbarer Zauber, der mir ins Herz drang. Ein Helm, ein Brustharnisch, ein flatternder Rock aus weißer Seide waren ihre ganze Kleidung.« »Ich kenne Eure Verlegenheit,« sprach sie, »und will Eure Neugierde befriedigen. Die Männer, deren Büsten Euch auffielen, waren meine Günstlinge. Sie haben ihre schlaflosen Nächte der Vollendung der schönen Künste geweiht, deren Erfindung man mir verdankt; sie bewohnten den gesittetsten Teil der Erde; ihre Schriften wurden das Vergnügen ihrer Zeitgenossen und sind noch die Bewunderung der Jetztzeit. Tretet näher und Ihr werdet in flacher Bildhauerarbeit an den Fußgestellen, die ihre Brustbilder tragen, einige interessante Vorwürfe bemerken, die Euch wenigstens den Charakter [299] ihrer Schriften sollen erkennen lassen.«

»Die erste Büste, die ich betrachtete, war ein majestätischer Greis, der mir blind zu sein schien. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er Schlachten gesungen, denn sie waren der Gegenstand der Seiten seines Fußgestells. Auf der Vorderfläche stand die einzelne Gestalt eines jungen Helden. Seine Hand faßte kühn nach dem Griff seines Schwerts, ein weiblicher Arm hielt ihn bei den Haaren zurück und schien seine Wut zu mäßigen.

Diesem gegenüber stand das Brustbild eines jungen Menschen, er war die Bescheidenheit selbst. Seine Blicke waren mit großer Aufmerksamkeit auf den Greis gerichtet. Auch er hatte Krieg und Schlachten gesungen, aber diese Dinge hatten ihn nicht allein beschäftigt; von den Bildhauerarbeiten, die ihn umgaben, stellten die wichtigsten auf einer Seite Ackersleute dar, über ihren Pflug gebeugt oder ihr Feld bauend, und auf der andern Hirten im Grase liegend und zwischen Schafen und [300] Hunden die Flöte blasend. Die Büste über dem Greis auf der nämlichen Seite zeigte einen verstörten Blick, sein Auge schien einen fliehenden Gegenstand zu verfolgen, und darunter hatte man eine fortgeworfene Leier abgebildet, zerstreute Lorbeerreiser, zertrümmerte Wagen, unbändige Rosse, die ihrem Führer entlaufen, sich in der weiten Ebene tummelten.

Diesem gegenüber stand ein Kopf, der mich ungemein interessierte, ich glaub' ihn noch zu sehen: er hatte ein feines Gesicht, eine starke Adlernase, einen festen Blick und ein spöttisches Lächeln. Die Bildhauerarbeiten, die sein Fußgestell schmückten, waren so überladen, daß ich gar nicht fertig würde, wenn ich sie Ihnen beschreiben wollte.

Noch untersucht' ich verschiedne andre Brustbilder und dann fragt' ich meine Führerin: ›Wer ist dieser hier, der die Wahrheit auf den Lippen und die Rechtschaffenheit im Antlitz trägt?‹ ›Er war,‹ sagte sie zu mir, ›der Wahrheit und der Rechtschaffenheit Freund und Opfer. Solange [301] er lebte, war er einzig bestrebt, seine Mitbürger gebildet und tugendhaft zu machen, und die undankbaren Mitglieder nahmen ihm das Leben.‹ ›Und diese Büste daneben?‹ – ›Welche?‹ – ›Die von den Grazien getragen scheint, die man auf das Untergestell gemeißelt hat?‹ – ›Ja die ...!‹ ›Die stellt den Schüler und Erben der Lehren des tugendhaften Unglücklichen dar, von dem ich Ihnen soeben sprach.‹

›Und jener dicke Pausbäckige da, den man mit Weinlaub und Myrten bekränzt hat, wer ist er?‹ – ›Das ist ein liebenswürdiger Philosoph, dessen einzige Beschäftigung es war, die Freude zu besingen und zu genießen. Er starb in den Armen der Wollust.‹

›Und der andere da, der Blinde?‹ ›Das ist,‹ sagte sie zu mir ... aber ich hörte ihre Antwort nicht mehr. Denn nun kam mir alles bekannt vor, was ich sah. Ich eilte zu dem Kopf, der jenem gegenüberstand. Er ruhte auf einer Trophäe mit den verschiedenen Attributen der Wissenschaften und der Künste: Liebesgötter balgten sich [302] miteinander auf einer Seite seines Untergestells. Auf der anderen hatte man die Genien der Politik, der Geschichte und der Philosophie gruppiert. Auf der dritten sah man zwei Heere in Schlachtordnung aufgestellt: Staunen und Schrecken herrschten auf den Gesichtern; auch Spuren von Bewunderung und Mitleid konnte man gewahren. Diese Gefühle entstanden offenbar aus den Schilderungen, die sich dem Auge darboten. Alles in diesen Gestalten war von höchster Schönheit, sowohl die Verzweiflung der einen als die Todesmüdigkeit, die alle Glieder der anderen befallen zu haben schien. Ich trat näher und las darunter in goldenen Buchstaben: ›Wehe! es war sein Sohn!‹

Auf einer andern Fläche war ein wütender Soldat gemeißelt, der einem jungen Mädchen angesichts einer großen Volksmenge den Dolch ins Herz stieß. Die einen wandten sich ab, die anderen weinten. Um das Bildwerk herum waren die Worte eingegraben: ›Seid Ihres N'rest an?‹

Ich wollte mich gerade zu anderen Büsten [303] wenden, als ein plötzliches Geräusch mich den Kopf drehen ließ. Es ward durch eine Menge schwarzbemäntelter Leute verursacht, die in die Galerie stürzten. Einige trugen Rauchfässer, aus denen ein dicker Dampf aufstieg, andre hatten Kränze von Kuhnelken und anderen wahllos gepflückten und geschmacklos gewundenen Blumen. Sie versammelten sich um die Brustbilder, beräucherten sie und sangen ihnen Gesänge in zwei mir unverständlichen Sprachen. Der Rauch ihrer Weihe hängte sich an die Büsten, denen die aufgesetzten Kränze ein lächerliches Aussehen gaben. Aber bald nahmen die Antiken ihren ursprünglichen Glanz wieder an, der Dampf verzog sich, und die Kränze lagen verwelkt und entblättert am Boden. Unter ihren barbarischen Anbetern entstand ein Zank, weil einige nach der Meinung andrer ihr Knie nicht tief genug gebeugt halten: und schon waren sie nahe daran, deswegen handgemein zu werden, als meine Führerin sie mit einem Blick zerstreute und den Frieden ihrer Wohnung wiederherstellte.

[304] Sie waren kaum verschwunden, als ich durch eine entgegengesetzte Tür eine lange Reihe von Pygmäen hereinkommen sah. Diese kleinen Menschen waren nicht zwei Spannen hoch, dagegen besaßen sie äußerst spitze Zähne und sehr lange Nägel. Sie teilten sich in verschiedene Rotten und bemächtigten sich der Brustbilder. Einige suchten die Bildwerke der Gestelle zu zerkratzen, und der Fußboden war mit den Trümmern ihrer Krallen bedeckt. Andre, unverschämter noch als jene, kletterten einer dem andern auf die Schulter, bis sie so hoch waren wie die Köpfe, denen sie Nasenstüber gaben. Aber was mich belustigte, war die Wahrnehmung, daß diese Nasenstüber, weit entfernt, die Nasen der Brustbilder zu erreichen, auf die Nasen der Zwerge zurückprallten. Auch fand ich bei näherem Anblick, daß sie fast alle stumpfnasig waren.

›Ihr seht,‹ sagte meine Führerin, ›worin die Frechheit und die Strafe dieser Myrmidonen besteht. Der Krieg dauert schon lange und immer zu ihrem Nachteil. Gegen [305] sie verfahr' ich weniger strenge, wie gegen die Schwarzröcke. Der Weihrauch der letzteren könnte die Brustbilder entstellen, die Bemühungen jener haben gemeiniglich den Erfolg, ihren Glanz nur zu mehren. Da Ihr aber ein oder zwei Stunden hier verweilen dürft, so rat ich Euch, weiter Umschau zu halten.‹

Sogleich öffnete sich ein großer Vorhang, und ich erblickte eine Werkstube mit einer andern Zwergenart angefüllt. Diese hatten weder Zähne noch Nägel, dagegen waren sie mit Rasiermessern und Scheren versehen. Sie hielten Köpfe, die Leben zu atmen schienen, in Händen und schnitten sehr eifrig dem einen die Haare weg, einem andern rissen sie Nase und Ohren ab, dem das rechte, jenem das linke Auge, kurz, sie verstümmelten alles. War diese saubere Operation vollbracht, so besahen sie, was sie gemacht hatten und lächelten dazu, als ob sie wunder etwas Schönes daraus gemacht hätten. Die armen Köpfe schrien zwar aus Leibeskräften, aber man würdigte sie keiner Antwort. Einen besonders [306] hört' ich seine Nase wieder fordern und behaupten, es sei ihm unmöglich, sich ohne dieses Glied sehen zu lassen. ›Herzallerliebstes Köpfchen,‹ antwortete der Pygmäe, ›du bist nicht gescheit. Wie kannst du nur deine Nase zurückwünschen? Sie entstellte dich ja. Sie war so lang, so lang! Mit der war kein Glück zu machen. Seit ich dich gestutzt und geschnitten habe, bist du allentzückend; die ganze Welt wird dir nachlaufen.‹

Das Schicksal dieser Köpfe rührte mich, als ich in der Ferne mitleidigere Zwerge entdeckte, die mit Brillen auf der Erde herumkrochen. Sie sammelten Nasen und Ohren auf und paßten sie einigen alten Köpfen an, denen die Zeit sie geraubt hatte. Einigen gelang das wohl, aber nur sehr wenigen: andre setzten die Nase an die Stelle des Ohrs oder das Ohr an die Stelle der Nase, und die Köpfe sahen nur noch häßlicher aus als vorher.

Ich war sehr neugierig, zu wissen, was alles dieses bedeutete: ich befragte meine Führerin darum, sie öffnete schon den [307] Mund, mir zu antworten, und plötzlich erwacht' ich.«

»Das ist grausam,« sagte Mangogul, »dieses Frauenzimmer hätte Ihnen sehr viele Geheimnisse offenbart. Da wir ihrer aber nicht habhaft werden können, so rat' ich Ihnen, sich an meinen Taschenspieler Bloculocus zu wenden.« »An wen? An den Pinsel,« sagte die Favorite, »dem Ihre Hoheit das ausschließende Vorrecht erteilt haben, Ihrem Hofe die Zauberlaterne zu zeigen?« »Gerade an den,« antwortete der Sultan, »er oder keiner kann Ihren Traum deuten. Bloculocus soll kommen,« sprach Mangogul.

Schweigen ohne Unschuld

Der gelehrte Afrikaner sagt uns nicht, was Mangogul tat, während Bloculocus auf sich warten ließ. Wahrscheinlich ging er hinaus, um einige Kleinode zu befragen, war zufrieden mit dem, was er von ihnen erfuhr, und kehrte wieder zur Favorite mit dem Freudengeschrei zurück, womit dieser Abschnitt anhebt: »Sieg! Sieg! Sie [308] triumphieren, Madam! Das Schloß, das Porzellan und der kleine Wickelschwanzaffe gehören Ihnen!«

»Sie sahen Aglae?« fragte die Favorite. »Nein, Madame, nicht Aglae,« unterbrach sie der Sultan, »eine andre!« »O Fürst,« sagte die Favorite, »entziehn Sie mir nicht länger dies Vergnügen, diesen Phönix zu kennen.« – »Sie werden mir nicht glauben, wenn ich ihn nenne ...« »Nun, wer denn ...?« fragte die Favorite. »Fricamone,« antwortete der Sultan. »Fricamone?« versetzte Mirzoza, »ich sehe darin nicht Unmögliches. Die Frau hat den größten Teil ihrer Jugend im Kloster zugebracht, und seit sie es verließ, ein sehr erbauliches, eingezogenes Leben geführt. Kein Mann setzt einen Fuß in ihr Haus. Sie ist gleichsam die Priorin einer Herde frommer Jungfrauen, die sie zur Vollkommenheit heranbildet und von denen ihr Haus nicht leer wird. Da war nichts für Euch Männer zu holen,« setzte die Favorite hinzu und schüttelte lächelnd den Kopf.

[309] »Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul. »Ich fragte ihr Kleinod; es gab keine Antwort. Ich verdoppelte die Kraft meines Ringes und rieb ihn einmal über das andre. Es kam nichts. ›Das Kleinod muß taub sein,‹ sprach ich bei mir selbst und war schon im Begriff, Fricamone auf dem Ruhebette zu verlassen, wo ich sie gefunden hatte, als sie anfing zu reden, nämlich durch den Mund:

›Teure Acaris!‹ rief sie, ›wie glücklich bin ich in den Augenblicken, die ich allem Lästigen entziehe, um dir anzugehören. Die Augenblicke, die ich in deinen Armen zubringe, sind das Glück meines Lebens! Nichts zerstreut mich, alles ist still um mich her. Die halbgeöffneten Vorhänge lassen vom Tage nur so viel herein, als nötig ist, mich zärtlich über dein Bild zu beugen. Ich befehle meiner Phantasie, sie ruft dich herbei, und ich sehe dich leibhaftig vor mir. Teure Acaris! wie schön bist du! Ja, das sind deine Augen, das ist dein Lächeln, dein Mund! Verbirg mir nicht diesen werdenden Busen! Laß ihn mich küssen. [310] Ich kann mich nicht satt an ihm sehen. Noch einen Kuß! O, laß mich sterben an ihm! Was für eine Raserei packt mich! Acaris, teure Acaris, wo bist du? Komm doch, teure Acaris! O liebe, teure Freundin, ich schwöre dir, ein nie gekanntes Gefühl bemächtigt sich meiner Seele. Es füllt mich ganz, es setzt mich in Erstaunen, es überwältigt mich. Fließt, o kostbare Tränen, fließt und kühlt die Glut, die mich verzehrt! Nein, teure Acaris, nein, dieser Alicali, den du mir vorziehst, liebt dich nicht wie ich! ... Aber ich höre ein Geräusch ... Das ist Acaris, das ist Acaris! Komm, o komm, teure Seele ...«

»Fricamone täuschte sich nicht,« fuhr der Sultan fort, »es war wirklich Acaris. Ich überließ sie ihrer freundschaftlichen Unterhaltung, und in der festen Überzeugung, das Fricamonens Kleinod fortfahren würde, zu schweigen, eilte ich her, um Ihnen anzukündigen, daß ich verloren habe.«

»Aber ich verstehe diese Fricamone nicht,« sagte die Sultanin. »Sie ist entweder verrückt oder hat erschreckliche Nervenkrämpfe. [311] Nein, Fürst, ich bin gewissenhafter, als Sie glauben. Zwar hab' ich nichts gegen diese Prüfung einzuwenden, aber ein inneres Gefühl erlaubt mir nicht, Vorteil daraus zu ziehen, und so werde ich mir's auch nicht zunutze machen. Das steht fest. Ich entsage Ihrem Schloß und Ihrem Porzellan oder ich gewinne sie durch ein besseres Recht.«

»Ich verstehe Sie nicht, Madam,« antwortete Mangogul. »Das ist ja eine unbegreifliche Bedenklichkeit. Sie müssen wohl den kleinen Wickelschwanzaffen nicht recht betrachtet haben.«

»Ich habe ihn genau betrachtet,« erwiderte Mirzoza. »Ich weiß, wie schön er ist. Aber ich hege einen Argwohn, daß diese Fricamone nicht mein Fall ist. Wollen Sie, daß ich Ihre Wette einmal gewinnen soll, so klopfen Sie an andre Türen.«

»Meiner Treu, Madam,« versetzte Mangogul, »ich habe reiflich nachgedacht und wüßte nur noch Mirolos Geliebte, die Ihnen zum Gewinn verhelfen könnte.«

»Was fällt Ihnen ein?« sagte die Favorite. [312] »Zwar kenn' ich den Mirolo nicht, wenn er aber eine Geliebte hat, so ist sie's doch nicht umsonst.«

»Wahrhaftig nicht,« antwortete Mangogul, »und doch wett' ich, so hoch man will, Callipigiens Kleinod hat kein Wort zu sagen.«

»Seien Sie nur mit sich selbst einig,« sagte die Favorite. »Es sind doch bloß zwei Fälle möglich. Entweder Callipigiens Kleinod ... Aber ich hätte mich da beinahe auf einen lächerlichen Streit eingelassen. Tun Sie, was Sie für gut halten, Fürst. Befragen Sie Callipigiens Kleinod. Bleibt es stumm, um so schlimmer für Mirolo, um so besser für mich.«

Mangogul verließ sie und befand sich im Augenblick zur Seite des dunkelfarbigen, silbergestickten Sofas, auf welchem Callipigia ruhte. Kaum drehte er seinen Ring gegen sie, als eine dumpfe Stimme folgende Worte murmelte: »Was wollen Sie von mir? Ich verstehe Ihre Fragen nicht. An mich denkt überhaupt keiner. Und doch halt' ich mich nicht für schlechter, [313] als irgendein anderes Kleinod. Freilich kommt Mirolo oft bei meiner Tür vorbei, aber ...«

An dieser Stelle befindet sich eine beträchtliche Lücke. Der würde sich um die gelehrte Republik sehr verdient machen, der uns die Rede des Kleinods der Callipigia wieder ergänzte, von welcher uns nur die beiden letzten Zeilen noch übrig sind. Wir ersuchen alle Gelehrte, darüber nachzusinnen und zu erwägen, ob nicht der Verfasser vielleicht diese Lücke vorsetzlich gelassen habe; weil er nicht zufrieden mit dem war, was er gesagt hatte und nichts Besseres zu sagen wußte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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»Meinem Nebenbuhler, sagt man, würden jenseits der Alpen Altäre errichtet. Ach, gäbe es keinen Mirolo, mir errichtete die gesamte Welt welche!«

Mangogul kehrte sogleich zum Harem zurück und wiederholte der Favorite die Klage des Kleinods der Callipigia, Wort für Wort; denn er hatte ein bewundernswürdiges Gedächtnis. »Sie haben jetzt [314] gewonnen Spiel, Madam,« sagte er, »ich überlasse Ihnen alles, und Sie können sich bei Callipigia dafür bedanken, sobald Sie es für gut halten.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza ernsthaft, »nur der bewährten Tugend will ich meinen Gewinn verdanken und nicht ...«

»Aber Madam,« versetzte der Sultan, »welche Tugend ist mehr bewährt, als die den Feind so in der Nähe erblickte?«

»Ich weiß, was ich sage, Fürst,« antwortete die Favorite. »Da sind Selim und Bloculocus; sie mögen entscheiden.«

Selim und Bloculocus nämlich traten gerade hinein. Mangogul legte ihnen den Fall vor, und sie stimmten beide für die Meinung der Favorite.

Der Traumdeuter

»Edler Herr,« sprach die Favorite zu Bloculocus, »Sie müssen mir noch einen Gefallen erweisen. In der letzten Nacht sind mir eine Menge merkwürdige Dinge durch meinen Kopf gegangen. Es war ein [315] Traum, aber, Gott weiß, welch ein Traum! Man versichert mir, Sie wären der erste Traumdeuter von Congo. Sagen Sie mir also geschwind, was dieser bedeutet!« und sogleich erzählte sie ihren Traum.

»Madam,« antwortete Bloculocus, »ich verstehe mich leider nur schlecht auf die Oneirokritik.«

»O, verschonen Sie mich gefälligst mit allen Kunstworten!« rief die Favorite. »Lassen Sie die Wissenschaft beiseite und reden Sie vernünftig.«

»Wie Ihro Gnaden befehlen,« antwortete Bloculocus. »Ich habe einige sonderbare Vermutungen über die Träume; ihnen allein verdank' ich vielleicht die Ehre, Sie zu unterhalten und den Beinamen ›Sonderbarer Schwärmer‹. Diese Vermutungen will ich Ihro Gnaden so deutlich darzulegen suchen als möglich.

Ihro Gnaden wissen,« fuhr er fort, »was die meisten Philosophen und die Leute, die ihnen nachsprechen, darüber auskramen. ›Die Gegenstände,‹ sagen sie, ›die uns bei Tage besonders aufgefallen sind, beschäftigen [316] unsere Seele auch in der Nacht. Die Spuren, die sie beim Wachen den Fasern unseres Gehirns eindrücken, dauern fort. Die Lebensgeister sind gewohnt, sich an gewisse Orte zu begeben, und folgen der Bahn, die ihnen geläufig ist. Daher entstehen die unwillkürlichen, angenehmen oder unangenehmen Vorstellungen.‹ Diesem System zufolge sollte man glauben, ein begünstigter Liebhaber müsse auch durch seine Träume gut bedient werden. Doch trifft es sich zuweilen, daß eine Person, die im Wachen nicht unmenschlich gegen ihn ist, ihn im Schlafe behandelt wie einen Neger, oder daß er statt eines reizenden Frauenzimmers ein kleines ungestaltes Ungeheuerchen in seinen Armen hält.«

»So ging es mir gerade in vergangener Nacht,« unterbrach ihn Mangogul. »Denn ich träume beinahe jede Nacht. Das ist eine Familienkrankheit; wir träumen alle von Vater auf Sohn, seit dem Sultan Togrul, der ums Jahr 743500000002 zuerst zu träumen anfing. Nun, vergangene Nacht sah ich Sie, Madam,« sprach er zur [317] Favorite. »Es waren Ihre Hand, Ihre Arme, Ihr Busen, Ihr Hals, Ihre Schultern, dieses feste Fleisch, dieser schlanke Wuchs, diese unvergleichliche Rundung, kurz, Sie selbst waren es; nur daß statt des reizenden Gesichts, statt des anbetungswürdigen Kopfes, den ich suchte, ich mit der Nase an die Schnauze eines Möpschens stieß.

Ich fing schrecklich an zu schreien. Kotulk, mein Kammerherr, lief herbei und fragte, was mir fehlte. ›Mirzoza‹, antwortete ich ihm im Halbschlaf, ›hat die scheußlichste Verwandlung erlitten. Sie ist ein Mops geworden.‹ Kotulk fand nicht für gut, mich vollends munter zu machen, ging wieder zurück, und ich schlief wieder ein. Aber das kann ich Ihnen versichern, ich erkannte Sie ganz genau. Sie, Ihren Körper und den Hundskopf. Wird mir nun Bloculocus das Phänomen erklären können?«

»Daran zweifle ich nicht,« antwortete Bloculocus, »wenn mir Ihre Hoheit ein sehr einfaches Prinzip zugeben. Alle Wesen, behaupt' ich, stehen in unendlich[318] mannigfacher Beziehung zueinander durch die Eigenschaften, die sie gemeinschaftlich besitzen: und die Vereinigung gewisser Eigenschaften ist das bestimmende und unterscheidende Kennzeichen des einzelnen.«

»Das ist klar,« antwortete die Favorite. »Ipsifile hat Füße, Hände und einen Mund wie eine geistvolle Frau.« »Und Phararmome,« setzte Mangogul hinzu, »trägt seinen Degen wie ein tapfrer Mann.«

»Ist man nicht hinlänglich unterrichtet, welche Eigenschaften sich vereinigen müssen, um diese oder jene Gattung zu bilden, oder schließt man zu voreilig, eine solche Verbindung finde bei diesem oder jenem einzelnen Wesen statt oder nicht statt, so läuft man Gefahr, Kupfer für Gold zu halten, geschliffenes Glas für Edelsteine, einen Kalkulator für einen Geometer, einen Wortkrämer für einen Schöngeist, Citron für einen anständigen Menschen ...« »Und Fatime für eine hübsche Frau,« setzte die Sultanin hinzu.

»Wissen Ihro Gnaden,« fragte Bloculocus, [319] »was man den Leuten vorwerfen könnte, die solche Urteile fällen?«

»Daß sie im Wachen träumen,« antwortete Mirzoza. »Sehr wohl, gnädige Frau; und bei tausend Vorfällen gibt es keinen philosophischeren, logisch richtigeren Ausdruck, als die gewöhnliche Redensart: ich glaube, Sie träumen. Denn nichts ist so gewöhnlich, als daß Menschen sich einbilden, Vernunftschlüsse aufzubauen, die doch nichts tun, als mit offenen Augen zu träumen.«

»Bei denen trifft es wohl buchstäblich ein,« unterbrach ihn die Favorite, »daß dies ganze Leben nur ein Traum ist.«

»Ich kann nicht genug bewundern,« versetzte Bloculocus, »mit welcher Leichtigkeit Ihro Gnaden die abstraktesten Begriffe erfassen. Unsre Träume sind nichts als übereilte Schlüsse, die unglaublich rasch aufeinander folgen, Dinge vereinigen, welche nur in sehr fernen Beziehungen zueinander stehen und dadurch ein abenteuerliches Ganze zusammensetzen.«

»O, wie gut ich Sie verstehe,« sagte Mirzoza. [320] »Das gibt denn so eine Art Mosaikarbeit, deren zusammen gebrachte Stücke mehr oder weniger zahlreich, mehr oder weniger regelmäßig sind, je lebhafter der Geist, je rascher die Einbildungskraft, je treuer das Gedächtnis ist. Sollte die Verrücktheit nicht die nämliche Ursache haben? Und wenn ein Bewohner des Irrenhauses schreit, daß er Blitze sieht, daß er den Donner rollen hört, daß sich Abgründe unter seinem Fuß eröffnen; oder wenn eine alte Jungfer, vor ihrem Spiegel sitzend, sich selber Beifall zulächelt, ihre Augen lebhaft, ihre Gesichtsfarbe blühend, ihre Zähne blendend weiß und den Mund klein findet: betrachten dann nicht beide gestörten und durch entfernte Beziehungen getäuschte Hirne eingebildete Dinge für wahr und wirklich?«

»Ja, gnädige Frau,« antwortete Bloculocus, »das ist der Fall. Wer einen Narren genau beobachtet, der findet, daß sein Zustand nur ein fortdauernder Traum ist.«

»Ich selbst habe einige Erfahrungen gemacht,« sagte Selim und wandte sich gegen [321] Bloculocus, »auf die Ihre Grundsätze sich wunderbar anwenden lassen, und das bestimmt mich, sie anzunehmen. Einmal träumte mir, ich hörte wiehern und sähe aus der großen Moschee zwei Reihen sonderbarer Tiere nebeneinander herausgehen: sie stolzierten sehr gewichtig auf den Hinterpfoten; ihre Schnauzen waren in Kappen gehüllt, aus deren Löchern oben ein Paar langer, beweglicher, haariger Ohren heraussahen, und lange Ärmel umhüllten ihre Vorderfüße. Damals quält' ich mich sehr, einige Bedeutung dieser Erscheinung beizumessen; jetzt erinnere ich mich, daß ich den Abend vorher auf Montmartre gewesen war.

Ein andermal befand ich mich im Felde, wo der Großsultan Erguebzed in Person das Heer anführte. Ich schlief, ermüdet nach einem anstrengenden Marsche, in meinem Zelt, als es mir vorkam, ich habe beim Diwan die Entscheidung eines wichtigen Rechtsstreites zu betreiben. Eben wollt' ich mich dem Rate der Regentschaft vorstellen, aber denken Sie, wie ich erschrak. [322] Ich fand den Saal voller Raufen, Krippen, Freßtröge und Hühnerbauer. Im Lehnstuhl des Groß-Seneschalls saß ein wiederkäuender Ochse; auf dem Platze des Seraskiers ein Hammel aus der Barbarei; auf der Bank des Teftesdar ein Geier mit krummem Schnabel und langen Klauen; an der Stelle des Kiaja und Kadilesker zwei große Eulen im Pelzmantel und statt der Wesire Gänse mit Pfauenschweifen. Ich überreichte mein Gesuch und hörte in dem Augenblick ein verzweifeltes Gekrächze, wodurch ich erwachte.«

»Der Traum ist wohl recht schwer zu entziffern?« sagte Mangogul. »Sie hatten gerade damals dem Diwan etwas vorzutragen und gingen, ehe Sie sich dahin begaben, durch das Tierhaus. Aber ich, Herr Bloculocus, wie steht's mit meinem Hundekopf?«

»Es ist hundert gegen eins zu wetten,« sagte Bloculocus, »daß Sie an der gnädigen Frau oder an einer Dame, die Ihre Augen auf sich zog, einen Kragen mit Zobelschwänzen bemerkt hatten, und daß Ihnen [323] die Möpse zum erstenmal aufgefallen waren. Beide Gegenstände sind einander zehnmal näher verwandt, als nötig ist, um die Seele zur Nachtzeit zu beschäftigen. Die Ähnlichkeit der Farbe verwandelte bei Ihnen einen Pelzkragen in einen Tierhals, und sogleich setzten Sie eine häßliche Hundeschnauze an die Stelle eines sehr schönen Damenkopfes.«

»Ihr System scheint mir begründet,« antwortete Mangogul, »warum lassen Sie es nicht drucken? Es könnte zur Beförderung der Traumkunde beitragen, einer wichtigen Wissenschaft, die man vor zweitausend Jahren sehr pflegte und seitdem zu sehr vernachlässigt hat. Ein andrer Vorzug Ihrer Lehre ist der, daß sie über viele alte und neuere Werke Licht verbreiten würde, die nichts als ein Traumgewebe sind: z.B. über Platos Abhandlung von den Ideen, über die Fragmente des Hermes Trismegistos, über die literarischen Parodoxen des Paters N ..., über den Newton, über die Optik der Farben und über die Universalmathematik eines [324] gewissen Brahminen. Könnten Sie uns zum Exempel nicht sagen, Herr Seher, was Guallonorone an jenem Tage gesehen hatte, als er seine Hypothese erträumte? was dem Pater C ... geträumt hatte, als er sich anschickte, seine Farbenlehre zu fabrizieren, und was Cleobul für einen Traum gehabt hatte, als er seine Tragödie verfaßte?«

»Dahin hoffe ich es durch Nachsinnen zu bringen, gnädigster Herr,« antwortete Bloculocus. »Aber ich erspare diese heiklen Phänomene bis auf die Zeit, wo ich dem Publikum meine Übersetzung des Philoxenus vorlegen werde, deren Privileg ich mir von Eurer Hoheit erbitte.«

»Sehr gern,« sagte Mangogul, »aber wer ist der Philoxenus?« – »Fürst,« antwortete Bloculocus, »es ist ein griechischer Schriftsteller, der sich ungemein wohl auf Träume verstand.« – »Sie verstehn also Griechisch?« – »Keineswegs, gnädigster Herr.« – »Sie übersetzen doch den Philoxenus, der griechisch geschrieben hat?« – »Ja, gnädigster Herr, aber was braucht [325] man eine Sprache zu verstehn, um sie zu übersetzen? Man übersetzt ja nur für Leute, die sie nicht verstehn.«

»Das ist vortrefflich,« sagte der Sultan. »Also, Herr Bloculocus, fahren Sie fleißig fort, aus dem Griechischen zu übersetzen, das Sie nicht verstehn. Ich verspreche Ihnen, ich will es niemand wiedersagen und Sie deswegen nicht minder hochschätzen.«

Fanny

Die Unterhaltung war früher zu Ende als der Tag. Darum entschloß sich Mangogul, vor Abend noch einen Versuch mit seinem Ringe zu machen, wäre es auch nur, um sich mit fröhlicheren Gedanken zu Bette zu legen, als die ihn bisher beschäftigt hatten. Er begab sich alsobald zu Fanny, aber er fand sie nicht. Nach dem Nachtmahl kam er wieder hin, sie war aber immer noch abwesend. Also verschob er seine Prüfung auf den andern Morgen.

»Heute war Mangogul,« sagt der gelehrte Afrikaner, dessen Tagebuch wir übersetzen, [326] »um halb zehn Uhr bei Fanny.« Man hatte sie eben zu Bette gebracht. Er trat an ihr Bett, betrachtete sie eine Zeitlang und konnte nicht begreifen, wie sie mit so wenig Reizen so viele Abenteuer hatte erleben können.

Fanny ist so blond, daß sie infolgedessen nichtssagend aussieht; groß, schlottrig, hat einen unanständigen Gang, ausdruckslose Züge, wenig Anmut, ein Gesicht von einer Keckheit, die nur bei Hofe erträglich ist; gerade so viel Verstand, als die Gewohnheit, zu lieben und sich lieben zu lassen, gewähren kann. Eine Frau müßte außerordentlich dumm von Natur sein, wenn sie nach zwanzig Liebeshändeln nicht wenigstens des alltäglichen Geschwätzes Meisterin wäre; denn so weit hatte es Fanny schon gebracht.

Ganz zuletzt war sie einem Manne zuteil geworden, der ihrem Charakter ganz angemessen war. Ihre Untreue machte ihm wenig Kummer, obwohl er nicht so gut wie die ganze Welt davon unterrichtet war, wie sie es trieb. Eine Grille führte [327] sie ihm zu, aus Gewohnheit behielt er sie bei sich, und sie führte ihm den Haushalt. Sie hatten die Nacht durch getanzt, waren um neun Uhr zu Bette gegangen und ohne weiteres eingeschlafen.

Alonsos Gleichgültigkeit würde Fanny minder gepaßt haben, wäre nicht eben deswegen so gut mit ihm auszukommen gewesen. Unsere beiden Leutchen schliefen also Rücken an Rücken recht fest, als der Sultan seinen Ring gegen Fannys Kleinod drehte. Sogleich fing es an zu reden, seine Gebieterin zu schnarchen und Alonso zu erwachen.

Nach vielem Gähnen: »Das ist nicht Alonso. Was ist die Glocke? Was soll ich? Mich deucht, ich bin erst eben ein wenig eingeschlummert. Man lasse mich in Ruh!«Das arme Ding wäre gern wieder eingeschlafen, aber das war nicht des Sultans Absicht. »Welch eine Belästigung?« fing das Kleinod wieder an. »Noch einmal, was soll ich? Wehe dem, der erlauchte Ahnen hat! Ein Kleinod von Stande befindet sich in einer dummen Lage. Könnte [328] mich etwas über die Beschwerden meines Standes trösten, so wäre es die Gutherzigkeit des Herrn, dem ich angehöre. O, in dem Stück ist er der beste Mann von der Welt. Er hat uns nie den mindesten Seitensprung gemacht, wir aber haben dagegen auch unsre Freiheit trefflich ausgenutzt. Beim Brahma! was hätt' ich anfangen sollen, wenn ich einem der abgeschmackten Kerle zuteil geworden wäre, die nichts tun als auflauern? Das würde ein schönes Leben gegeben haben!«

Hier fügte das Kleinod einige Worte hinzu, die Mangogul nicht verstand, und entwarf darauf mit unbegreiflicher Geschwindigkeit eine Menge heroischer, komischer, burlesker, tragikomischer Auftritte, die es ganz außer Atem brachten, darauf fügte es hinzu: »Sie sehn, ich habe kein schlechtes Gedächtnis. Aber es geht mir wie allen, ich behalte doch nur das Wenigste von dem, was man mir anvertraut. Also seien Sie mit dem Erzählten zufrieden, auf mehr entsinne ich mich nicht.«

»Das ist auch genug,« sprach Mangogul [329] zu sich selbst. Doch drehte er immer fort. »Ach, was sind Sie neugierig!« hob das Kleinod wieder an. »Als ob man sonst nichts zu tun hätte, als zu plaudern! Aber meinetwegen weiter, wenn es einmal sein muß: ich hoffe doch, wenn ich alles gesagt habe, wird es gestattet sein, etwas anderes zu tun.«

»Fanny, meine Gebieterin,« fuhr das Kleinod fort, »bekam den unerklärlichen Einfall, der Welt zu entsagen, verließ den Hof und schloß sich in ihr Haus zu Banza ein. Es war gerade in den ersten Herbstwochen, und niemand befand sich in der Stadt. Was machte sie denn in der Stadt? fragen Sie. Das weiß ich wahrhaftig nicht. Aber Fanny hat immer nur eins gemacht, und wenn sie sich damit abgegeben hätte, so müßte ich darum wissen. Wahrscheinlich hatte sie gar nichts vor. Ja, jetzt fällt mir's ein, wir brachten anderthalb Tage damit zu, nichts zu tun und vor Langerweile zu platzen.

Vor Kummer über diese Lebensweise wär' ich schier gestorben, als Amisadar sich [330] einfallen ließ, uns herauszureißen ...« »Ach! sind Sie da, mein guter Amisadar? Das ist mir sehr lieb. Sie kommen mir sehr gelegen.« – »Wer sollte Sie in Banza vermuten?« fragte Amisadar. – »Kein Mensch, das weiß ich wohl. Weder du noch andere lassen sich so etwas träumen. Du ahnst wohl auch nicht, was mich hierher geführt hat?« – »Nein, in der Tat, das weiß ich nicht.« – »Wirklich nicht?« – »Ganz und gar nicht.« – »Nun, so höre und staune, lieber Junge, ich wollte mich bekehren.« – »Dich bekehren?« – »Allerdings. – Sehn Sie mich doch einmal an!« »Ach, Sie sind ja so reizend als jemals. Das Gesicht sieht mir nicht nach Bekehrung aus.« – »Sie scherzen.« – »Nein, auf Ehre, es ist mein völliger Ernst.« – »Ich bin entschlossen, der Welt zu entsagen; sie langweilt mich.« – »Die Grille wird Ihnen bald vergehn. Ich werde eher sterben, als Sie fromm werden.« – »Das will ich doch, sag' ich dir. Es ist keinem Manne mehr zu trauen.« – »Ist Masul Ihnen etwa untreu?« – »Nein, den sah ich [331] seit hundert Jahren nicht.« – »Oder Zufolo?« – »Erst recht nicht, den sehe ich überhaupt nicht mehr.« – »Ah, ich weiß schon, der junge Imola?« – »Wer mag solche Zierpuppen lange behalten?« – »Was also ist los?« – »Ich weiß nicht; ich hasse die ganze Welt!« – »O, gnädige Frau, Sie haben sehr unrecht. Diese Welt, der Sie so übelwollen, kann Ihnen Ihren Verlust hundertfach ersetzen.« – »Glaubst du aufrichtig, Amisadar, daß es noch gute Seelen gibt, die der Verderbnis unsers Zeitalters entgangen sind und zu lieben verstehn?« – »Zu lieben? Geben Sie sich noch mit solchem Elend ab? Wollen Sie etwa gar geliebt werden?« – »Warum nicht?« – »Bedenken Sie nur, gnädige Frau, ein Mann, der Sie liebt, fordert ebenfalls Liebe und fordert sie ausschließlich. Sie sind zu gescheit, sich der Eifersucht und den Launen eines zärtlichen, treuen Liebhabers zu unterwerfen. Nichts ist so lästig als solche Leute. Man soll nur sie sehn, nur sie lieben, nur von ihnen träumen, nur für sie witzig, fröhlich, reizend [332] sein. Das ist Ihnen gewiß nicht recht. Es würde Ihnen schön stehen, in so eine richtige Leidenschaft zu versinken und sich vor der ganzen Welt so lächerlich zu betragen wie eine armselige Bürgersfrau!« – »Mich deucht, Amisadar, Du hast recht. In der Tat, glaub' ich, würd' es uns nicht anstehn, lange Süßholz zu raspeln, Abwechslung ist nötig, und abwechseln will ich auch. Auch seh' ich nicht, daß die zärtlichen Frauen, die man als Muster aufstellt, glücklicher wären als andere!« – »Wer sagt Ihnen das, gnädige Frau?« – »Niemand, aber ich ahne es.« – »Trauen Sie dieser Ahnung nicht! Eine zärtliche Frau macht sich selbst und ihren Liebhaber glücklich, aber diese Rolle liegt nicht allen Frauenzimmern ...« »Auf Ehre, lieber Freund, sie liegt keinem, und alle befinden sich schlecht dabei. Welchen Vorteil kann es auch haben, sich zu binden?« – »Tausend. Eine anhängliche Frau behält ihren guten Namen, wird von ihrem Liebhaber über alles hochgeachtet, und Sie möchten nicht glauben, wieviel die Liebe der Achtung [333] verdankt.« – »Ich verstehe nichts von derlei Reden. Du wirfst alles durcheinander: guten Namen, Liebe, Achtung und ich weiß nicht was noch alles. Man sollte glauben, Unbeständigkeit sei eine Schande. Was heißt das? Ich nehme einen Liebhaber und bin schlecht daran; ich nehme einen andern, der paßt mir auch nicht recht; ich vertausche ihn gegen einen dritten, der mir ebensowenig genehm ist; und wenn ich nun das Unglück gehabt habe, zwanzigmal schlecht zu wählen, so darf ich mich nicht beklagen, so verlangst du ...« – »Ich verlange, gnädige Frau, daß eine Dame, die sich bei ihrer ersten Wahl getäuscht hat, keine zweite anstelle, aus Furcht sich von neuem zu täuschen und aus einem Irrtum in den andern zu verfallen.« – »Welche Sittenlehre! Mich deucht, guter Freund, Du predigtest eben eine ganz andere. Darf man fragen, wie ein Frauenzimmer nach Ihrem Geschmack beschaffen sein müßte?« »Das will ich Ihnen gern sagen, meine Gnädige, aber es ist spät, und das würde nur zu weit führen ...« – »Desto besser, [334] ich habe niemand, und du kannst mir Gesellschaft leisten. Setze dich auf diesen Armstuhl und fahre fort. So werde ich dir bequemer zuhören können.«

Amisadar gehorchte und setzte sich neben Fanny. »Sie haben da, gnädige Frau,« sagte er, beugte sich gegen sie und enthüllte ihren Busen, »einen Umhang, der Sie ganz vermummt.« – »Du hast recht.« – »Und warum so viel schöne Dinge verbergen?« sprach er und küßte, »was er sah.« – »Hören Sie doch auf! Sie sind wirklich nicht gescheit! Sie werden unverschämt, Herr Sittenrichter! Fahr' lieber in Deiner Vorlesung fort.«

»So wünscht' ich denn,« fuhr Amisadar wieder fort, »bei meiner Geliebten ein schönes Gesicht, Verstand, Empfindung und vornehmlich Anstand. Ich möchte, daß sie meine stumme Sorge um sie gutheiße; daß sie mir nicht sozusagen einen stummen Korb gäbe; daß sie mir aufrichtig sagte, ob ich ihr gefalle; daß sie mir selbst die Mittel angäbe, ihr noch mehr zu gefallen; daß sie mir die Fortschritte nicht verhehlte, die ich in ihrem [335] Herzen machte; daß sie nur auf mich hörte, nur für mich Augen hätte, nur an mich dächte, nur von mir träumte, nur mich liebte, sich nur mit mir beschäftigte, nichts täte, als was mich davon überzeugen könnte; und daß, wenn sie endlich meinem Verlangen nachgäbe, ich deutlich sähe, daß ich alles ihrer und meiner Liebe verdankte. Das wäre ein Triumph, meine Gnädige! Wie glücklich ist der Mann, der eine solche Frau besitzt!« – »Aber, mein lieber Amisadar, du weißt nicht, was du redest. Das ist das Porträt einer Frau, die es nicht gibt.« – »Um Verzeihung, meine Gnädige, es gibt solche. Sie sind selten, das räum' ich ein. Ich war indessen so glücklich, eine zu finden. Ach! hätte der Tod sie mir nicht geraubt, denn es ist immer nur der Tod, der einem solch eine Frau raubt, vielleicht läge sie jetzt in meinen Armen.« – »Aber wie benahmst du dich denn ihr gegenüber?« – »Ich liebte sie über die Maßen. Ich versäumte keine Gelegenheit, ihr Beweise meiner Zärtlichkeit zu geben. Ich genoß der süßen Genugtuung, zu sehn, [336] daß sie gut aufgenommen wurden. Ich war ihr ängstlich treu, sie ebenso mir. Wir stritten nur darüber, wer den andern am meisten liebte. Durch solche kleine Plänkeleien lernten wir uns besser kennen. Nie waren wir zärtlicher, als wenn wir unsre Herzen erforscht hatten. Nach einer solchen Erklärung wurden unsre Liebkosungen immer lebhafter. Wie liebevoll und wahr wurden dann unsre Blicke! Ich las in ihren Augen, sie las in den meinigen, daß wir vor gleicher wechselseitiger, Liebe brannten.« – »Und wo lief das alles hinaus?« – »Auf Freuden, die allen minder liebenden, minder wahrhaftigen Sterblichen unbekannt sind.« – »Sie genossen?« – »Ja, ich genoß eines mir unendlich teuren Glücks. Zwar die Achtung selbst berauscht mich, aber sie vermehrt den Rausch um ein großes. Wir legten uns unsre Herzen offen dar, und Sie können nicht glauben, wie sehr die Leidenschaft dabei gewann. Je tiefer mein Blick drang, je mehr Tugenden ich entdeckte, desto größer war mein Entzücken. Eine Hälfte meines Lebens verlebt' ich zu [337] ihren Füßen, die andre sehnt' ich mich nach ihr. Sie war glücklich durch mich, ich war unaussprechlich glücklich durch sie. Ich sah sie immer mit Vergnügen und verließ sie immer ungern. So lebten wir. Jetzt entscheiden Sie, gnädige Frau, ob eine zärtliche Frau so sehr zu beklagen sei.« – »Nein, das ist sie nicht, wenn Sie mir die Wahrheit sagen; aber es wird mir schwer, Ihnen zu glauben. So liebt niemand. Und selbst die Leidenschaft, deren Sie sich bewußt sind, muß nach meinen Begriffen die Freuden, die sie gibt, durch große Unruhe erkaufen.« – »Die empfand ich auch, gnädige Frau, aber sie war mir teuer. Ich fühlte Aufwallungen der Eifersucht. Die geringste Veränderung, die ich auf dem Gesicht meiner Geliebten bemerkte, erschütterte die geheimsten Tiefen meiner Seele.« – »Welch eine Ausschweifung! Alles in allem, schließ' ich, daß man besser tut, zu lieben, wie die heutige Welt liebt; nach Gefallen zu wählen, sich treu zu bleiben, solange man sich unterhält und sich zu trennen, sobald man Langeweile fühlt oder [338] an einem andern Gegenstand Geschmack findet. Unbeständigkeit beut uns eine Abwechslung von Freuden, die ihr liebekranke Herzen nicht kennt.« – »Ja, ich gebe zu, für kleine Lebedamen, für käufliche Frauen mag diese Manier gut genug sein; aber ein Mann von feinem zarten Gefühl gibt sich damit nicht ab. Höchstens kann ihm das die Zeit vertreiben, wenn sein Herz frei ist und er Vergleichungen anstellen will. Mit einem Wort, eine Buhlerin könnte mir nie gefallen.« – »Du hast recht, lieber Amisadar, ich höre dich gern so reden. Doch in wen bist du denn gegenwärtig verliebt?« – »In niemand, gnädige Frau, außer in Sie; aber ich wage nicht, es Ihnen zu sagen.« – »Ach, mein Lieber, wag' es immerhin, du kannst es sagen,« versetzte Fanny und sah ihn fest an.

Amisadar verstand diese Antwort sehr gut, setzte sich zu ihr auf das Sofa und fing an mit einem Bande zu tändeln, das um Fannys Busen flatterte. Man ließ ihn gewähren. Seine Hand fand kein Hindernis [339] auf ihrem Wege und glitt weiter. Man fuhr fort, Blicke auf ihn zu schießen, die er nicht mißverstand. »Ich merkte wohl,« sagte das Kleinod, »er habe recht.« Er küßte den Busen, den er so gepriesen hatte. Man gebot ihm, einzuhalten, aber mit einem Tone, der einen Gehorsam übelgenommen hätte; daher gehorchte er auch nicht. Er küßte die Hände, küßte den Busen wieder, küßte den Mund und fand keinen Widerstand. Unmerklich schoben sich seine Lenden unter Fannys Beine. Seine Hand berührte sie, sie waren sehr wohlgebildet, Amisadar übersah das nicht. Man hörte seine Lobeserhebungen mit zerstreuten Blicken an. Durch diese Unaufmerksamkeit begünstigt, machte Amisadars Hand Fortschritte und kam gar bald bis an das Knie. Die Unaufmerksamkeit dauerte fort, und Amisadar fing an, sich zurechtzusetzen, als Fanny wieder zu sich selbst kam. Sie beschuldigte den jungen Philosophen, er überschreite die gebührende Achtung, aber nun war er zerstreut: er hörte nichts oder beantwortete die Vorwürfe, die man ihm machte,[340] nicht anders als durch Vollendung seines Glücks.

»Wie reizend schien er mir! Unter der Menge seiner Vorgänger und Nachfolger war mir keiner jemals so zu Dank. Noch da ich von ihm spreche, bebe ich vor Erregung. Aber erlauben Sie mir, Atem zu schöpfen; mich deucht, ich rede ziemlich lange dafür, daß ich zum erstenmal rede.«

Alonso verlor kein Wort von Fannys Kleinod und war eben so begierig als Mangogul, das Ende des Auftritts zu erfahren. Beide hatten keine Zeit, ungeduldig zu werden, denn das historienerzählende Kleinod fing gleich wieder an:

»Soviel ich durch Nachdenken verstehen konnte, ging Amisadar einige Tage hernach aufs Land. Man fragte ihn, was er in der Stadt gemacht habe, und er erzählte seinen Auftritt mit meiner Gebieterin. Denn einer ihrer gemeinschaftlichen Bekannten kam an unserem Haus vorbei, fragte zufällig oder absichtlich, ob die gnädige Frau da sei, ließ sich anmelden und trat herein.« – »O, gnädige Frau! Wer sollte Sie in [341] der Stadt vermuten? Wie lang sind Sie schon hier?« – »Seit hundert Jahren, mein Lieber! Es sind schon vierzehn Tage, daß ich aller Gesellschaft entsage.« – »Darf man Ihro Gnaden fragen, warum?« – »Sie ward mir zur Last. Die Weiber leben in der Welt so ausschweifend, daß man es nicht mehr mit ihnen aushalten kann. Man müßte es ihnen entweder gleichtun, oder sich für geziert ausschreien lassen, und, aufrichtig gesagt, beides scheint mir sehr ...« – »Aber, gnädige Frau, Sie kommen mir ganz erbaulich vor. Haben etwa die Predigten des Brahminen Brelibibi Sie bekehrt?« – »Nein, es ist nur eine philosophische Anwandlung, ein Andachtsfieber. Das hat mich auf einmal gepackt, und an dem guten Amisadar lag es wahrlich nicht, wenn ich jetzt keine Heilige bin.« – »Haben Ihro Gnaden den kürzlich gesehn?« – »Ja, ein paarmal.« – »Niemand sonst?« – »Keine Seele. Es ist das einzige denkende, redende, handelnde Wesen, das mich in meiner ewigen Einsamkeit besucht hat.« – »Das ist sonderbar.« – »Sonderbar? [342] Warum?« – »Gerade in diesen Tagen hat er auch einen Auftritt mit einer Dame aus Banza gehabt, die einsam war wie Ihro Gnaden, fromm wie Ihro Gnaden, von der Welt abgewandt wie Ihro Gnaden. Das muß ich Ihnen doch erzählen, es wird Sie vielleicht interessieren.« – »Ich zweifle nicht daran,« antwortete Fanny. »Darauf erzählte ihr Amisadars Freund ihr eignes Abenteuer Wort für Wort, wie Sie es von mir gehört haben,« sagte das Kleinod,»und als er so weit war als ich,« fragte er:»Was sagen Ihro Gnaden dazu? Ist Amisadar nicht vom Glück begünstigt?« »Er ist vielleicht ein Aufschneider,« antwortete Fanny. »Glauben Sie, daß ein Frauenzimmer so frech sein könnte, aller Schamgute Nacht zu sagen?« »Bedenken Ihro Gnaden nur,« versetzte Marsufa, »einen Namen hat Amisadar nicht genannt: was könnt' er also dabei gewinnen, uns etwas vorzureden?« – »Jetzt fällt mir's ein,« sagte Fanny, »Amisadar hat Geist, es ist ein schöner Mann. Er wird der armen Einsiedlerin wollüstige Empfindungen eingeflößt [343] haben, unter denen sie erlag. Ja, so ist es auch! Wer solche Verführer anhört, der ist verloren, und Amisadar scheint mir einzig in seiner Art.« – »Wieso, gnädige Frau?« unterbrach sie Marsufa. »Sollte Amisadar allein die Kunst der Überredung besitzen? Wollen Sie niemand sonst die Gerechtigkeit widerfahren lassen, ihm ein Plätzchen in Ihrer Achtung zu schenken?« – »Von wem reden Sie, wenn ich fragen darf?« – »Von mir selbst, gnädige Frau, ich finde Sie entzückend und ...« – »Ich glaube, Sie spotten meiner. Sehn Sie mich doch recht an, Marsufa. Ich bin weder weiß noch rot geschminkt. Die Schlafhaube steht mir nicht. Man möchte vor mir weglaufen.« – »Ihro Gnaden sind in einem großen Irrtum. Diese halbe Kleidung steht Ihnen wunderbar; sie gibt Ihnen so etwas Rührendes, Zärtliches! ...«

Zu solchen galanten Reden fügte Marsufa noch andere. Unvermerkt mischte auch ich mich in die Unterhaltung, und als Marsufa mit mir fertig war, fing er mit meiner Gebieterin wieder an. »Wirklich? Hat[344] Amisadar Sie bekehren wollen? Der Mensch versteht sich trefflich aufs Bekehren. Könnten Sie mir nicht ein Kapitel aus seiner Sittenlehre wiederholen? Ich möchte wetten, sie ist von der meinigen wenig verschieden.« – »Wir haben gewisse Punkte der Liebe gründlich untersucht. Wir haben den Unterschied zwischen der Zärtlichen und der Verbuhlten genau erörtert. Er ist für die Zärtliche.« – »Sie auch ohne Zweifel?« – »Keineswegs, mein Lieber. Ich gab mir alle mögliche Mühe, ihm zu beweisen, wir wären eine wie die andre und handelten alle nach den nämlichen Grundsätzen. Er ist dieser Meinung nicht. Er findet einen unendlichen Unterschied, der aber, denk' ich, nur in seiner Einbildung besteht. Er hat sich irgendein idealisches Geschöpf erschaffen, ein weibliches Hirngespinst, ein Luftgebild, dem er einen Unterrock anzieht.« – »Gnädige Frau,« antwortete Marsufa, »ich kenne Amisadar. Es ist ein Mann von Verstand, er hat viel Verbindungen mit Frauenzimmern gehabt. Sagt er Ihnen, es gebe solche Weiber, [345] so ...« – »Es mag solche geben oder nicht,« unterbrach ihn Fanny, »ihre Manier wird nie die meinige!« – »Ganz gewiß nicht, gnädige Frau,« versetzte Marsufa. »Ihro Gnaden haben eine Lebensart erwählt, die sich für Ihre Geburt und für Ihre Verdienste besser schickt. Solche Zierpuppen muß man den Philosophen überlassen; am Hofe würden die versauern.«

Hier schwieg Fannys Kleinod. Es war eine Haupt-Eigenschaft dieser Redner, zu rechter Zeit einzuhalten. So sprachen sie, als ob sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan hätten. Daraus folgerten einige Schriftsteller, sie wären bloße Maschinen. Daran sieht man ihre Methode. Hier wiederholt der gelehrte Afrikaner lang und breit den metaphysischen Erweis der Kartesianer gegen die Seele der Tiere und wendet ihn mit allem nur möglichen Scharfsinn auf das Geschwätz der Kleinode an. Mit einem Wort, er ist der Meinung, die Kleinode hätten gesprochen, wie die Vögel singen: das ist, ohne Lehrmeister, dennoch so vollkommen, daß nicht daran zu [346] zweifeln sei, ein höheres Wesen habe durch ihren Mund geredet.

»Und was fängt er mit seinem Fürsten an?« werdet Ihr mich fragen. Er schickt ihn der Favorite zur Mittagstafel; wenigstens finden wir ihn dort im nächsten Abschnitt.

Selim. Selim. Selim

Mangogul dachte nur daran, wie er sein Vergnügen abwechseln und die Versuche seines Ringes vervielfachen könnte. Er hatte die merkwürdigsten Kleinode seines Hofes ausgefragt und war nunmehr neugierig, einige Kleinode aus der Stadt zu vernehmen. Was er aber durch sie erfahren dürfte, davon hatte er schon im voraus keine besondere Meinung, und hätte wohl gewünscht, sie nach seiner Bequemlichkeit vorladen zu können, ohne sich die Mühe zu geben, sie aufzusuchen.

Wie sollte er sie aber zusammentrommeln? Darüber war er in Verlegenheit. »Das ist wohl der Mühe wert, nachzusinnen,« [347] sagte Mirzoza. »Geben Sie mir eine Freiredoute, gnädigster Herr, und ich verspreche Ihnen noch diesen Abend mehr Redner von dem Schlage, als Sie werden anhören mögen.«

»Freude meines Herzens, Sie haben recht,« antwortete Mangogul. »Ihr Vorschlag ist um so besser, weil er uns sicherlich nur solche verschafft, die mir in den Kram passen.« Alsbald erhalten der Kiflar-Ugasi und der Schatzmeister Befehl, das Fest anzuordnen und nur viertausend Billette auszugeben. Wahrscheinlich verstand man dort besser als anderswo, wie vielen Raum viertausend Menschen einnehmen. Bis die Stunde der Redoute herankam, sprachen Mangogul, die Favorite und Selim über Neuigkeiten. »Wissen Ihro Gnaden,« fragte Selim die Favorite, »daß der arme Codindo gestorben ist?« »Das erste Wort, was ich höre! Woran ist er gestorben?« sagte die Favorite. »Leider, gnädige Frau,« antwortete Selim, »ist er ein Opfer der anziehenden Kraft geworden. Auf dieses System war er von Jugend an versessen, [348] und auf seine alten Tage wurde er darüber verrückt.« »Wie das?« fragte die Favorite.

»Halley und Circino, zwei berühmte Sternkundige von Monoemugi, hatten berechnet, ein gewisser Komet, der gegen das Ende der Regierung Kanoglus großes Aufsehen machte, müsse vorgestern wieder erscheinen. Codindo befürchtete, dieser Komet möchte seinen Schritt beschleunigen und ihm die Ehre rauben, seiner zuerst gewahr zu werden. Daher entschloß er sich, die Nacht auf der Sternwarte zuzubringen, und sah noch gestern morgen um neun Uhr unverwandt durch das Fernrohr.«

Sein Sohn befürchtete, eine so lange Sitzung könne dem Vater nachteilig werden, näherte sich ihm um acht Uhr und zupfte ihn am Ärmel: »Vater! Vater!« Keine Antwort. »Vater! Vater!« wiederholte der junge Codindo. »Er muß gleich kommen,« antwortete Codindo, »er wird gleich kommen. Er soll mir wahrhaftig nicht entgehn.« – »Das ist unmöglich, Vater, es nebelt viel zu stark.« – »Ich will ihn sehn und ich muß ihn sehn.«

[349] Diese Antworten überzeugten den jungen Menschen, daß es bei seinem Vater rapple. Er rief um Hülfe, man kam. Er ließ Tarfadi aufsuchen, man fand ihn bei mir, es ist mein Arzt. »Geschwind, geschwind, Herr Doktor, verlieren Sie keine Zeit; der alte Herr Codindo.« – »Nun, Johann? was fehlt deinem Herrn?« – »Er ist närrisch geworden.« – »Dein Herr verrückt?« – »Ach! leider, es ist gewiß. Er ruft immer, er will Tiere sehen, es müßten welche kommen! Der Herr Apotheker ist schon da, und man erwartet Sie ebenfalls. Kommen Sie schnell!« – »Tollheit!« sagte Farfadi, und suchte seinen Doktorhut. »Tollheit, ein schrecklicher Anfall von Tollheit!« Dann zum Bedienten: »Johann,« fragte er, »sieht dein Herr nicht auch Schmetterlinge? Zupft er nicht kleine Flocken aus seiner Bettdecke?« »Ach nein, Herr Doktor,« antwortete Johann. »Mein armer Herr sitzt oben auf der Sternwarte. Seine Frau, seine Töchter und sein Sohn halten ihn bei allen vieren. Kommen Sie schnell; Ihren Doktorhut können Sie morgen [350] suchen.« Codindos Krankheit schien mir zum Lachen. Farfadi stieg in meinen Wagen, und wir fuhren zusammen zur Sternwarte. Unten an der Treppe hörten wir schon Codindo wie besessen rufen: »Ich will den Kometen sehn! Ich muß ihn sehn. Laßt mich ungeschoren!«

Wahrscheinlich hatte seine Familie, da sie ihn nicht bereden konnte, herabzusteigen, sein Bett oben auf den Turm gebracht, denn wir fanden ihn im Bette. Man hatte den nächsten Apotheker herbeigeholt und den Brahminen des Kirchensprengels, der ihm, als wir kamen, in die Ohren rief: »Bruder, lieber Bruder, bedenken Sie, es geht ums Seelenheil! Sie können um diese Stunde mit gutem Gewissen keinen Kometen erwarten. Sie kommen sonst in die Hölle.« »Das ist meine Sache,« sagte Codindo. »Was werden Sie zu Brahma sagen, vor dem Sie nun bald erscheinen müssen?« fing der Brahmine wieder an. »Herr Pfarrer,« versetzte Codindo und sah mit keinem Auge vom Fernrohr weg, »ich werde ihm sagen, daß es Ihr Amt ist, mich [351] für mein Geld zu ermahnen und das des Herrn Apothekers, mir sein warmes Wasser anzupreisen; daß mein Herr Arzt seine Schuldigkeit tut, wenn er mir den Puls fühlt und nichts davon versteht, und daß ich meine Pflicht tue, wenn ich den Kometen erwarte.« Trotz aller Anstrengung brachte man kein anders Wort aus ihm. Er fuhr heldenmütig fort zu beobachten und starb in der Regenrinne, die linke Hand auf das linke Auge, die rechte am Fernrohr haltend, das rechte Auge auf das Okularglas gerichtet. Um ihn standen sein Sohn, der ihm zurief, er habe sich verrechnet; sein Apotheker, der ihm vorschlug, etwas einzunehmen, sein Arzt, der den Kopf schüttelte und behauptete, es sei nichts mehr zu machen; und sein Beichtvater, der ihn aufforderte, sich zu bekehren und seine Seele Brahma zu befehlen.

»Das heiße auf dem Bette der Ehren sterben,« sagte Mangogul. »Mag der arme Codindo in Frieden ruhn,« sprach Mirzoza, »und reden wir von etwas Lustigerem.« Darauf wandte sie sich gegen Selim: »Sie[352] haben Ihre besten Jahre hier zugebracht, Sie liebten die Frauenzimmer, Sie lebten an einem Hofe, wo das Vergnügen zu Hause ist. Mit Ihrem Witz, Ihrem Verdienst und dem guten Ansehn, das Ihnen zuteil ward, ist es nicht zu verwundern, daß die Kleinode Ihr Lob gesungen haben: ich vermute sogar, daß sie nicht alles angegeben haben, was sie von ihnen wußten. Nun verlang' ich zwar von Ihnen darüber keinen Nachtrag: Sie könnten Ihre guten Ursachen haben, dies Ansinnen von sich abzulehnen. Aber nach allen Abenteuern, die diese Geschöpfe auf Ihre Rechnung schreiben, müssen Sie ein Kenner des weiblichen Geschlechts sein: das können Sie doch ohne Zweifel zugeben?«

»Diese Schmeichelei, gnädige Frau,« antwortete Selim, »würde meiner Eigenliebe sehr gefallen haben, da ich zwanzig Jahr alt war. Aber jetzt besitz' ich Erfahrung und halte keine Bemerkung für so sicher, als die: je mehr man dies Handwerk treibt, je dunkler wird's einem. Ich ein Weiberkenner? Bloß studiert hab ich sie.« »Gut [353] also, was halten Sie von ihnen?« fragte die Favorite. »Ich denke, gnädige Frau, daß alle Weiber meine Achtung verdienen, ihre Kleinode mögen sagen was sie wollen.«

»Wahrhaftig, mein Lieber,« sagte Mangogul, »Sie verdienten selbst ein Kleinod zu sein.« »Sie hätten keinen Maulkorb nötig. Selim,« setzte die Favorite hinzu, »geben Sie den satyrischen Ton auf und sagen Sie uns die Wahrheit.« »Gnädige Frau,« antwortete der Hofmann, »in der Schilderung, die ich entwerfen soll, möchten unangenehme Züge vorkommen: erlassen Sie mir die Notwendigkeit, ein Geschlecht zu beleidigen, das mich immer gut behandelt hat und dem ich schon deswegen Ehrfurcht schuldig bin.« – »Ehrfurcht hin, Ehrfurcht her,« unterbrach ihn Mirzoza, »nichts ist so scharf als die sanftmütigen Männer, wenn sie's darauf anlegen!« Sie bildete sich nämlich ein, Selim sei aus Achtung für sie zurückhaltend, und fuhr fort: »Lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht abschrecken; wir wollen uns hier ja unterhalten. Ich gebe Ihnen mein [354] Ehrenwort, ich will alles auf mich deuten, was Sie verbindliches von meinem Geschlecht sagen werden, und das übrige andern Frauenzimmern überlassen. Sie haben also die Frauen gut studiert? Schön, erzählen Sie die Geschichte Ihrer Studien; sie muß glänzend sein, nach dem bekannten Erfolg zu urteilen, und man darf wohl annehmen, daß Sie nicht durch das, was uns davon unbekannt blieb, Lügen gestraft werden.« Der alte Höfling gab ihrem Drängen nach und begann folgendermaßen:

»Die Kleinode haben viel von mir gesprochen, das gesteh' ich. Aber sie haben nicht alles gesagt. Die meine Geschichte vollständig machen könnten, leben nicht mehr, oder leben nicht in unserm Himmelsstrich, und die sie angefangen haben, erwähnten ihrer nur obenhin. Bis jetzt hab' ich das unverbrüchliche Geheimnis beobachtet, das ich ihnen versprach, obwohl ich eher zum plaudern gemacht war als sie: da sie aber das Schweigen gebrochen haben, so scheint es, sie entbinden auch mich der Verschwiegenheit.

[355] Geboren mit feurigem Temperament, wußte ich kaum, was ein schönes Weib sei, als ich es liebte. Meine Erzieherinnen verabscheut' ich freilich, dagegen ließ ich mir meiner Mutter Kammermädchen wohl gefallen. Sie waren mehrenteils jung und hübsch. Sie unterhielten, kleideten und entkleideten sich in meiner Gegenwart ohne Scheu, forderten mich sogar auf, mir Freiheiten bei ihnen herauszunehmen und bei meiner natürlichen Anlage zur Galanterie ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Diese Kenntnisse begleiteten mich in meinem fünften oder sechsten Jahr unter die Hand männlicher Erzieher, und Gott weiß, wie sehr sie sich vermehrten, als man mir die alten Dichter gab und meine Lehrer einige Stellen daraus verdolmetschten, deren Sinn sie vielleicht selber nicht faßten. Meines Vaters Edelknaben lehrten mich einige Schulstückchen und borgten mir die Aloysia zum Lesen, was meinen Trieb nach Vervollkommnung noch vermehrte. Ich war damals vierzehn Jahr alt.

Ich blickte um mich und suchte unter den [356] Frauenzimmern, die in unser Haus kamen, an wen ich mich wenden sollte; aber alle schienen mir gleich geschickt, mich einer Unschuld zu entledigen, die mir lästig ward. Ein Anfang von Bekanntschaft und mehr noch der Mut, den ich in mir fühlte, eine Person von meinen Jahren anzugreifen, was ich gegen Erwachsene nicht wagte, bestimmten mich, eine meiner Muhmen zu wählen. Emilie war jung, ich auch; ich fand sie reizend und gefiel ihr; sie war nicht schwierig, ich unternehmend; ich hatte Lust zu kernen, sie war nicht minder begierig zu wissen. Wir legten uns oft sehr naive und starke Fragen vor: eines Tages hinterging sie die Wachsamkeit ihrer Erzieherinnen, wir unterrichteten uns. Ach, was für eine große Lehrmeisterin ist die Natur! Sie ließ uns bald den Genuß entdecken und wir überließen uns ihren Trieben, ohne deren Folgen einigermaßen zu ahnden. Das war nicht das Mittel ihnen vorzubeugen. Emilie bekam Übelkeiten, die sie um so weniger verbarg, als sie ihre Ursache nicht argwohnte. Die Mutter [357] fragte sie aus, entriß ihr das Geständnis unsers Umgangs und mein Vater erfuhr davon. Der gab mir einen Verweis deswegen, wobei er aussah, als ob es ihm nicht leid täte, und alsbald ward ausgemacht, daß ich reisen sollte. Mich begleitete ein Hofmeister, mit dem Auftrage, meine Aufführung sorgfältig zu beobachten, ohne sie einzuschränken: und fünf Monate hernach erfuhr ich durch die Zeitung, Emilie sei an den Blattern gestorben, und durch einen Brief meines Vaters, die Zärtlichkeit, die sie für mich empfunden, koste ihr das Leben. Der erste Sprößling meiner Liebe dient jetzt mit Ehren im Heere Ihrer Hoheit: mein Einfluß hat ihn immer unterstützt und noch kennt er mich nur als seinen Gönner.

Die Nachricht von seiner Geburt und seiner Mutter Tod erhielt ich in Tunis. Sie erschütterte mich heftig, und ich glaube, ich wäre darüber nicht zu trösten gewesen, hätt' ich nicht gerade eine Liebschaft mit der Frau eines Korsaren gehabt, die mir keine Zeit ließ zu verzweifeln. Die Tuniserin [358] war unerschrocken ich verrückt. Alle Tage warf sie mir die Strickleiter zu, worauf ich aus unsrer Wohnung auf ihren Altan stieg und von da in ein Kabinett, wo sie mich vervollkommnete, denn bei Emilien blieb ich im ersten Entwurf. Ihr Mann kehrte gerade von einer weiten Reise zurück, als mein Hofmeister, der seine Instruktion befolgte, in mich drang, nach Europa zu gehen. Ich setzte mich auf ein Schiff, das nach Lissabon abging, aber vorher beurlaubte ich mich mehr als einmal zärtlich bei Elviren, die mir den Diamanten gab, den Sie hier sehen.

Unser Schiff hatte viel Waren an Bord, aber nach meinem Geschmack war die Frau des Kapitäns die kostbarste. Sie zählte kaum zwanzig Jahre, ihr Mann war eifersüchtig wie ein Tiger, und nicht ganz ohne Ursache. Bald verstanden wir uns untereinander. Donna Velina begriff auf einmal, daß sie mir gefiele, ich, daß ich ihr nicht gleichgültig, ihr Gemahl, daß er uns im Wege sei. Der Seemann entschloß sich, sie niemals aus den Augen zu lassen, [359] bis wir im Hafen von Lissabon ankommen würden. Ich las in den Augen seiner teuren Gattin, wie leid es ihr sei, so von ihrem Manne belagert zu werden. Die meinigen sagten ihr eben das, und der Ehemann erriet uns ohne Mühe. Zwei Tage dursteten wir unaussprechlich nach Genuß und wären sicherlich vor Durst verschmachtet, hätte sich der Himmel nicht ins Spiel gemischt. Aber der steht immer den Bedrängten bei. Kaum waren wir durch die Meerenge von Gibraltar gesegelt, als ein wütender Sturm sich erhob. Wäre es hier nicht um Geschichte zu thun, so würde ich nicht unterlassen, gnädige Frau, die Winde um Ihre Ohren pfeifen und den Donner über Ihr Haupt rollen zu lassen, den Himmel mit Blitzen zu entzünden, die Wogen bis an die Wolken zu schleudern und Ihnen den fürchterlichsten Sturm zu schildern, der Sie jemals in einem Roman betroffen hat. Jetzt begnüg' ich mich, Ihnen zu sagen, daß der Kapitän durch das Geschrei der Matrosen gezwungen ward, seine Kajüte zu verlassen und sich[360] einer Gefahr auszusetzen, um der andern zu entgehen. Mein Hofmeister begleitete ihn, und ich stürzte mich ohne Bedenken in die Arme der schönen Portugiesin, vergaß gänzlich Meer, Sturm, Ungewitter und das zerbrechliche Schiff und überließ mich rückhaltlos dem treulosen Element. Unsre Fahrt war schnell, und Ihro Gnaden ermessen leicht, daß man in wenig Stunden weit kommt, wenn der Wind in die Segel stößt. Wir stiegen in Cadix ans Land, wo ich meiner Sennora versprach, sie zu Lissabon wieder aufzusuchen, wenn es mir mein Mentor erlauben würde, dessen Absicht gerade nach Madrid ging.

Die Spanierinnen sind viel eingezogner und verliebter als unsre Damen. Dort pflegt man der Liebe durch Botschafterinnen, die den Auftrag haben, die Fremden auszuspähen, ihnen Anträge zu machen, sie hin- und zurückbegleiten; und die Damen nehmen die Mühe auf sich, sie zu beglücken. Der Zufall fügte es, daß ich dieser Umstände nicht bedurfte. Eine große Revolution hatte einen französischen Prinzen [361] auf den Thron dieses Landes versetzt; seine Ankunft und seine Krönung veranlaßten Feierlichkeiten am Hofe, bei denen ich erschien. Man sprach zu mir auf einer Redoute, man schlug mir eine Zusammenkunft für den folgenden Tag vor; ich nahm sie an und begab mich in ein abgelegenes Haus, wo ich einen verlarvten Menschen fand, bis an die Nase in seinen Mantel gehüllt, der mir ein Briefchen zusteckte, wodurch Donna Oropesa unsre Unterhaltung auf die nämliche Stunde des morgenden Tages verschob. Ich fand mich wieder ein und ward in ein prächtig möblirtes, von Wachskerzen erleuchtetes Zimmer geführt. Meine Göttin ließ nicht auf sich warten. Sie folgte mir auf dem Fuß und warf sich in meine Arme, ohne ein Wort zu sprechen oder ihre Larve abzulegen. War sie häßlich? war sie schön? Das wußte ich nicht. Nur auf dem Sofa, wohin sie mich führte, ward ich gewahr, daß sie jung und gut gebaut sei und das Vergnügen liebte. Als sie meiner Lobeserhebungen genug hatte, entlarvte sie sich [362] und zeigte mir das Original des Gemäldes, das Sie auf dieser Dose sehn.«

Selim zog, indem er dies sagte, eine trefflich gearbeitete goldne Dose, mit Edelsteinen besetzt, hervor. »Das ist ein schönes Geschenk,« sagte Mangogul. »Das Gemälde darauf ist mir das schätzbarste,« sagte die Favorite. »Was für Augen! Welch ein Mund! Welch ein Busen! Ist dabei nichts geschmeichelt?« »So wenig, gnädige Frau,« antwortete Selim, »daß mich Oropesa vielleicht in Madrid festgehalten hätte, wenn ihr Gemahl, der unsern Umgang erfuhr, ihn nicht durch seine Drohungen unterbrach. Oropesa war mir lieb, das Leben war mir lieber. Auch schien mein Hofmeister nicht geneigt, mich den Dolchstichen des Mannes auszusetzen, damit ich seine Frau einige Monate länger genösse. So schrieb ich also der schönen Spanierin ein rührendes Lebewohl, das ich einem Roman ihres Landes entlehnte, und reiste nach Frankreich.«

Der Monarch, der damals Frankreich beherrschte, war Großvater des Königs von [363] Spanien, und sein Hof galt mit Recht für den prächtigsten, gesittetsten und liebeseligsten von Europa. Ich erschien wie ein Naturphänomen. »Ein junger Herr aus Congo?« sagte eine schöne Marquise. »Das muß doch sehr spaßhaft sein. Da gibt's ganz andre Männer als bei uns. Congo liegt, denk' ich, nicht weit von Marokko.« Man veranstaltete meinetwegen Gesellschaften. Sprach ich auch nur ein ganz wenig vernünftiges Wort, so fand man mich aufgeklärt und wunderbar frei. Man pries mich um so lauter, weil man mir anfangs die Ehre erzeigt hatte, zu argwöhnen, ich habe keinen Menschenverstand. »Er ist allerliebst!« rief eine andre Hofdame mit Lebhaftigkeit. »Es ist ein wahrer Mord, daß ein so hübsch gebildeter junger Mann in ein Land zurückkehren soll, wo die Frauenzimmer von Männern bewacht werden, die keine Männer sind!« »Ist das wohl wahr, mein Herr? Man sagt, sie haben garnichts. Das muß einem Manne übel stehn.« »Wir müssen sehn,« sagte eine andre, »wie wir den Jungen hier unter [364] bringen. Er ist ja von gutem Hause. Wenn alles fehlschlägt, wird er Maltheser-Ritter. Ich wills auf mich nehmen, ihn zu versorgen; und die Herzogin Viktoria, meine Freundin von jeher, kann im Notfall bei dem König selbst für ihn sprechen.«

Bald hatt' ich unverdächtige Beweise ihres Wohlwollens. Ich setzte die Marquise in den Stand, das Verdienst der Einwohner von Congo und Marokko zu beurteilen: »aber ich erfuhr, der Posten, den die Herzogin und ihre Freundin mir versprochen hatten, sei schwer auszufüllen, und gab ihn auf. Hier lernt' ich einer hohen Leidenschaft vier und zwanzig Stunden nachhängen. Sechs Monate lang trieb ich mich wie in einem Wirbel umher, wo eine Liebschaft anfing, ehe die andre ein Ende nahm, wo man nichts suchte als Genuß. Verzögerte sich der, oder war er erlangt, so flog man neuen Freuden zu.«

»Was sagen Sie, Selim?« antwortete die Favoriti. »Anstand ist also in diesem Lande unbekannt?« »Vergeben Sie mir, gnädige Frau,« antwortete der alte Höfling. [365] »Man führt kein Wort so häufig im Munde. Aber Sklavinnen der Sache sind die Französinnen so wenig als ihre Nachbarinnen.« »Was für Nachbarinnen?« fragte Mirzoza. »Die Engländerinnen,« versetzte Selim, »kalt und spröde dem Anschein nach, aber heftig, wollüstig und rachsüchtig; minder witzig, aber vernünftiger als die Französinnen. Diese lieben das Geschwätz der Empfindungen, jene ziehen den Ausdruck des Genusses vor. Doch liebt man zu London wie zu Paris, verläßt sich und verbindet sich aufs neue, um sich aufs neue zu verlassen. Ich vertauschte die Tochter eines Lord Bishop – das ist eine Art verheirateter Brahminen – gegen die Frau eines Ritters Baronet. Unterdes er sich im Parlament erhitzte, um die Sache seines Volkes gegen die Eingriffe des Hofes zu verteidigen, hatten seine Gattin und ich zu Hause ganz andre Debatten. Aber das Parlament endigte seine Sitzungen, und Mylady war gezwungen, ihrem Baronet auf seinen Landsitz zu folgen. Da verfiel ich auf die Gemahlin [366] eines Obersten, dessen Regiment in einem Seehafen in Garnison lag. Endlich gehört' ich der Frau des Lordmajors. Ach, welch eine Frau! Nie hätt' ich Congo wieder gesehen, wenn mich nicht die Klugheit meines Hofmeisters, der mich hinschwinden sah, dieser Galeere entriß. Er erdichtete Briefe meiner Familie, die meine Rückkunft sehnlich verlangte, und wir schifften uns nach Holland ein, von wannen wir durch Deutschland gehn und uns nach Italien begeben wollten, wo es uns nicht an Gelegenheit fehlen konnte, nach Afrika zurückzukehren.«

Wir sahen Holland bloß auf der Extrapost und hielten uns in Deutschland nicht viel länger auf. Alle Frauenzimmer von Stande glichen dort wichtigen Festungen, die man förmlich belagern muß. Sie ergeben sich endlich, aber man muß sich ihnen mit großer Vorsicht nähern; und es gibt so viele Wenn und Aber als Bedingungen der Übergabe, daß mir diese Eroberungen bald Langeweile machten.

Nie werd' ich die Worte einer Deutschen von hohem Range vergessen, als sie im [367] Begriff war, mir einzuräumen, was sie vielen andern nicht abgeschlagen hatte: »Ach!« rief sie mit Thränen, »was würde der große Alziki, mein Vater, sagen, wenn er wüßte, daß ich mich einem unbedeutenden Congoer überlasse!« »Er soll nichts sagen, gnädige Frau,« versetzt' ich. »So viel Größe setzt mich in Erstaunen, und ich ziehe mich ehrfurchtsvoll zurück.« Daran tat ich sehr weislich; ich möchte ein Andenken davongetragen haben, wenn ich Ihre Hoheit mit meiner Niedrigkeit bloßgestellt hätte. Brama, der unser gesundes Land in seine Obhut nimmt, war im Geiste mit mir in dieser mißlichen Stunde.

Die Italienerinnen, mit denen wir hernach zu tun hatten, sind nicht so hochnäsig. Sie unterrichteten mich in den verschiedenen Arten des Vergnügens. Es liegt oft in diesen verfeinerten Genüssen viel Launenhaftigkeit und Seltsamkeit; aber, meine Damen, Sie werden mir verzeihen, das muß zuweilen sein, um Ihnen zu gefallen. Ich habe aus Florenz, Venedig und Rom verschiedene Freudenrezepte mitgebracht, [368] die mein barbarisches Vaterland vor meiner Rückkunft nicht kannte. Der Ruhm dieser Neuerung gebührt den Italienerinnen.

Ungefähr vier Jahre hatte ich in Europa zugebracht und kehrte ausgebildet, wie Sie sehen, und mit den seltenen italienischen Entdeckungen bereichert, die ich ohne Säumen bekannt machte, durch Ägypten in unser Reich zurück.

Hier, sagte der gelehrte Afrikaner, bemerkte Selim, daß die abgedroschenen Bemerkungen, die er der Favorite über seine europäischen Reisen und über den Charakter der Weiber der von ihm bereisten Länder auskramte, den Sultan in tiefen Schlummer gewiegt hatten; und weil er fürchtete, ihn aufzuwecken, näherte er sich der Sultanin und fuhr mit leiserer Stimme fort:

»Gnädige Frau, müßt' ich nicht besorgen, Sie durch einen Bericht ermüdet zu haben, der vielleicht nur allzulang gewesen ist, so würd' ich Ihnen noch mein erstes Abenteuer in Paris erzählen, von dem ich nicht[369] begreife, wie es mir vorhin entfalle konnte.«

»Tun Sie das, lieber Selim«, antwortete die Favorite. »Ich will meine Aufmerksamkeit verdoppeln und Sie, so viel an mir ist, für die des schlafenden Großherrn entschädigen.«

»Wir brachten,« fuhr Selim fort, »von Madrid Empfehlungsschreiben an einige französische Herren mit und kamen auf die Art gleich bei unsrer Ankunft in gute Gesellschaft. Es war gerade in der guten Jahreszeit, und mein Hofmeister und ich gingen des Abends gewöhnlich im Palais Royal spazieren. Da wurden wir einst dort von einigen Stutzern angeredet, die uns die hübschesten Damen nachwiesen, ihre wahre oder falsche Geschichte erzählten und sich selbst nicht dabei zuletzt erwähnten, wie Sie leicht denken können. Schon waren sehr viel Frauenzimmer im Garten, aber gegen acht Uhr bekamen sie eine ansehnliche Verstärkung. Nach der Menge ihrer Edelsteine, der Pracht ihrer Kleidung und ihrem zahlreichen Gefolge hielt ich [370] sie wenigstens für Herzoginnen. Ich sagte meine Gedanken einem jungen Herrn aus der Gesellschaft, der mir antwortete, er merke wohl, daß ich ein Kenner sei; wenn ich aber wollte, könnte ich das Vergnügen haben, noch am nämlichen Abend mit einigen der liebenswürdigsten zusammen zu speisen. Ich nahm sein Anerbieten an; sogleich raunte er zweien oder dreien seiner Freunde etwas ins Ohr, die sich unter die Spaziergänger zerstreuten und in weniger als einer Viertelstunde zurückkamen, Rechenschaft von ihrer Unterhaltung abzulegen.«

»Meine Herren,« sagten sie, »man erwartet Sie zum Nachtessen bei der Herzogin Asteria.« Die nicht eingeladen waren, priesen laut unser Glück; man ging noch einigemal auf und ab; man trennte sich, und wir warfen uns in unsern Wagen, um dieses Glück zu genießen.

Wir hielten an einer kleinen Tür am Fuß einer engen Treppe, die wir bis in den zweiten Stock hinaufstiegen, wo ich die Zimmer geräumiger und besser möbliert [371] fand, als sie mir jetzt vorkommen würden. Man stellte mich der Frau vom Hause vor, der ich eine sehr tiefe Verbeugung und ein so ehrfurchtsvolles Kompliment machte, daß sie beinahe die Fassung darüber verlor. Es ward aufgetragen, und man setzte mich neben eine junge reizende Person, die die Herzogin spielte, so gut sie konnte. Wahrhaftig, ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, mich in sie zu verlieben; und doch passierte mir das. »Sie haben also einmal in Ihrem Leben geliebt?« fragte die Favorite. »Ja, gnädige Frau,« antwortete Selim, »wie man eben mit achtzehn Jahren liebt, mit jener außerordentlichen Ungeduld, eine angesponnene Liebschaft zu Ende zu bringen. Ich schlief die Nacht nicht, und sobald der folgende Morgen graute, entwarf ich den zärtlichsten Liebesbrief an meine schöne Unbekannte. Ich schickt' ihn fort, man antwortete und bewilligte mir ein Stelldichein. Weder der Ton der Antwort noch die Nachgiebigkeit der Dame enttäuschten mich, und ich eilte an den bestimmten Ort mit der festen [372] Überzeugung, ich werde die Frau oder Tochter eines Premierministers besitzen. Meine Göttin erwartete mich auf einem breiten Sofa. Ich warf mich zu ihren Füßen. Ich ergriff ihre Hand, küßte sie mit lebhafter Zärtlichkeit und wünschte mir Glück zu der Gewogenheit, die sie mir bezeugte.« »Ist es auch wirklich wahr,« sagte ich, »daß Sie Selim erlauben, Sie zu lieben und es Ihnen zu sagen? Darf er, ohne Sie zu beleidigen, sich mit so süßer Hoffnung schmeicheln?«

So sprach ich und drückte einen Kuß auf ihren Busen. Da sie liegen blieb, rüstete ich mich eifrig, diesem Anfang unsrer Unterhaltung Nachdruck zu geben, aber sie hielt mich auf und sprach: »Halt, halt, guter Freund, du bist ein schöner Junge, du hast viel Witz, du sprichst wie ein Engel, aber ich brauche vier Louis.« »Was sagen Sie?« fragte ich. »Ich sage dir,« antwortete sie, »wenn du mir nicht vier Louis gibst, so ist nichts zu machen ...« »Wie, Mamsell!« rief ich mit Erstaunen aus, »Sie sind nicht mehr wert? Das lohnte [373] sich wahrlich der Mühe, von Congo herzukommen!« Sogleich bring' ich mich wieder in Ordnung, stürze die Treppe hinunter und eile fort.

»Sie sehen, gnädige Frau, in meiner ersten Zeit hielt ich Figurantinnen für Prinzessinnen.« »Das nimmt mich sehr Wunder,« versetzte Mirzoza, »der Unterschied ist doch außerordentlich groß.« »Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Selim, »daß Ihnen tausend Ungeschicklichkeiten entschlüpften. Aber was wollen Sie? Ein Fremder, ein junger Mensch sieht darauf nicht so genau. Man hatte mir in Congo so viel schlechte Geschichten über die Freiheit der Europäerinnen erzählt ...« So weit kam Selim, als Mangogul erwachte: »Ich glaube, Gott verdammt mich!« sagte er, gähnte und rieb sich die Augen, »er befindet sich noch immer zu Paris. Darf man Sie fragen, Herr Schönredner, wann Sie hoffen, wieder in Banza anzulangen, und ob ich noch lange schlafen soll? Denn Sie müssen wissen, mein lieber Freund, daß es unmöglich ist, in meiner Gegenwart [374] eine Reise zu beginnen, ohne mir eine Anwandlung von Gähnen zu verursachen. Das ist eine üble Gewohnheit, die ich angenommen habe, seitdem ich Tavernier und andere lese.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Selim, »ich bin schon seit einer Stunde wieder in Banza.«

»Dazu wünsch' ich Ihnen Glück,« versetzte der Sultan. Darauf wandte er sich zur Favorite: »Madam, die Stunde des Balles ist da; verfügen wir uns dahin, wenn die Ermüdung der Reise es Ihnen zuläßt.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich bin bereit.« Mangogul und Selim hatten schon ihre Dominos, die Favorite nahm den ihrigen. Der Sultan gab ihr die Hand, und sie begaben sich in den Ballsaal, wo sie sich trennten, um sich in der Menge zu zerstreuen. Selim folgte ihnen, »und ich auch,« sagt der gelehrte Afrikaner, »obwohl ich mehr Lust hatte zu schlafen, als tanzen zu sehen.«

[375] Ein Maskenball und seine Folgen

Die ausgelassensten Kleinode von Banza unterließen nicht, dem Ruf der Freude zu folgen. Sie kamen in ihren eignen Kutschen, in Mietwagen und sogar zu Fuß. »Ich würde kein Ende finden,« sagt der gelehrte Afrikaner, dessen Schleppenträger ich zu sein die Ehre habe, »wenn ich alle Streiche umständlich erzählen wollte, die Mangogul ihnen spielte. In dieser einzigen Nacht gab er seinem Ring mehr zu tun, als seit der ganzen Zeit, da er ihn vom Genius erhielt. Bald drehte er ihn gegen die, bald gegen jene, bald gegen zwanzig auf einmal; dann entstand ein schönes Lärmen.« Ein Kleinod schrie mit kreischender Stimme: »Geiger, bitte, den Kotillon von Dünkirchen!« Ein anders mit heiserem Ton: lieber die Saubriots! Ein drittes: nein, die Tricolets. Und eine Menge rief auf einmal nach Baureé, Quatre Faces, Le Pictolet, La Marieé und anderen abgeleierten Kontertänzen. Dazwischen gab es eine Million Possen von jeder Art. Hier [376] rief eins: »Fort mit dem Taugenichts, man muß ihn in die Schule schicken!« Dort: »Ich soll also heimkehren, ohne eine Probe abzulegen?« An anderer Stelle: »wer zahlt mir meine Kutsche?« und drüben: »fort ist er, aber so soll er mir nicht entwischen!« und wieder wo anders: »nur gut! morgen früh! aber zwan zig Louis, sonst ist nichts zu machen!« Und so verriet jedes Wort entweder Willen oder Tat.

In diesem Getümmel erkannte eine junge niedliche Bürgerin den Sultan, verfolgte ihn, redete ihn an, neckte ihn und trieb es so lange, bis er seinen Ring gegen sie drehte. Sogleich hörte man ihr Kleinod ausrufen: »Warum fliehen Sie? Halten Sie doch, schöne Maske, seien Sie nicht unempfindlich gegen die Glut eines Kleinods, das für Sie brennt!« Den Sultan verdroß diese verwegene Liebeserklärung, er beschloß, die Unverschämte dafür zu bestrafen. Sogleich verschwand er, suchte unter seiner Leibgarde jemanden aus, der ungefähr von seiner Größe war, gab ihm seine Larve und seinen Domino und überließ ihn den Verfolgungen [377] der kleinen Bürgerfrau, die immer durch den Schein getäuscht, dem, den sie für Mangogul hielt, tausend Torheiten zu sagen fortfuhr.

Der falsche Sultan war kein Narr; der Mann wußte durch Zeichen zu reden. Ein Zeichen von ihm lockte die Schöne an einen abgelegenen Ort, wo sie sich eine Stunde lang für die Favorit-Sultanin hielt, und Gott weiß, was für Pläne in ihrem Hirnchen reiften. Aber der Zauber dauerte nicht lange. Als sie den angeblichen Sultan mit Liebkosungen überhäuft hatte, bat sie ihn, sich zu entlarven. Das tat er und zeigte ihr ein Gesicht mit zwei riesigen Zähnen, die dem Sultan wahrlich nicht gehörten. »O pfui!« rief die kleine Bürgerfrau, »pfui!« – »Wasch fehlt dir, jungsch Wibel?« sagte der Schweizer. »Hon i dir nit guet gnu augewartet, dasch du bösch uf my schyescht?« Aber seine Göttin hielt sich mit keiner Antwort auf, entschlüpfte ihm schnell unter den Händen und verlor sich im Gedränge.

Den Kleinoden, die nicht nach so hohen Ehren trachteten, gelang es, Genuß zu [378] finden, und alle kehrten sehr vergnügt über diesen Ausflug nach Banza zurück.

Die Redoute ging zu Ende, als Mangogul zwei seiner höchsten Offiziere heftig miteinander reden hörte. »Es ist meine Geliebte,« sagte einer, »mein seit einem Jahr, und Sie sind der erste, dem es einfällt, mir ins Gehege zu gehen. Warum wollen Sie mich stören, wo ich bin? Nasses, lieber Freund, wenden Sie sich doch an eine andere. Sie werden hundert Damen finden, die sich nur zu glücklich preisen werden, Ihnen anzugehören.« »Ich liebe Amine,« antwortete Nasses, »sie allein gefällt mir. Sie hat mir Hoffnung gemacht, und Sie werden erlauben, daß ich dieser Hoffnung Raum gebe.« »Hoffnungen?« fragte Alibey. – »Ja, Hoffnungen.« – »Bei Gott, das ist nicht wahr.« – »Es ist wahr, mein Herr, und Sie werden mir auf der Stelle Genugtuung dafür geben, daß Sie mich Lügen strafen.« Sogleich gingen sie die Haupttreppe hinunter. Schon waren ihre Säbel gezuckt, und der Streit wäre auf eine tragische Weise ausgetragen worden, wenn [379] nicht der Sultan unter sie trat und ihnen verbot, sich zu schlagen, bevor sie ihrer Helena den Zwist vorgelegt hätten.

Sie gehorchten und verfügten sich zu Aminen, wohin Mangogul ihnen folgte. »Ich bin ermüdet von der Redoute,« sagte sie. »Mir fallen die Augen zu. Sie sind sehr grausam, meine Herren, daß Sie jetzt zu mir kommen, da ich gerade zu Bette gehen will. Aber Sie sehen beide so seltsam aus. Darf ich fragen, was Sie zu mir führt?« »Eine Kleinigkeit,« antwortete Alibey. »Der Herr dort«, und er zeigte auf seinen Freund, »rühmt sich, und sogar sehr laut, daß Sie ihm Hoffnungen gaben. Ist das wahr, gnädige Frau?« Amine öffnete den Mund, aber der Sultan drehte in diesem Augenblick seinen Ring gegen sie. Sie schwieg, und ihr Kleinod antwortete an ihrer Statt: »Herr Nasses dürfte sich irren. Nein, auf ihn hat es meine Gebieterin nicht gemünzt. Doch hat sie nicht einen stattlichen Bedienten, der mehr wert ist als er? Wie einfältig sind doch die Männer, zu glauben, daß Würde, Rang und Ehrenstellen, [380] daß Titel, Namen und sinnlose Worte auf Kleinode Eindruck machen! Jeder hat seine Philosophie. Und die unsrige besteht hauptsächlich darin, das persönliche Verdienst, das wahre von dem eingebildeten zu unterscheiden. Herr von Claville mag mir's nicht übelnehmen, davon versteht er weniger als wir. Das will ich Ihnen beweisen.«

»Sie kennen beide,« fuhr das Kleinod fort, »die Marquise Bibicosa. Sie wissen um ihre Liebe zu Cleander und ihr Unglück, und wie sie sich jetzt hoher Andacht weiht. Amine ist eine treue Freundin; sie hat ihre Verbindung mit Bibicosen nicht aufgehoben und fährt fort, ihr Haus zu besuchen, wo man Brahminen von aller Art antrifft. Einer von ihnen drang einmal in meine Gebieterin, ein gutes Wort für ihn bei Bibicosa einzulegen.« »Was soll ich von ihr verlangen?« antwortete Amine. »Die Frau ist zugrunde gerichtet, sie kann für sich selber nichts. Sie würde Ihnen wahrlich Dank wissen, daß Sie ihr noch Einfluß bei Hofe zutrauen. Weder Fürst Cleander noch [381] Mangogul werden ihretwegen etwas tun, und Sie könnten sich in den Vorsälen der Großen ein Bein erfrieren.« »Aber gnädige Frau,« antwortete der Brahmine, »es kommt hier nur auf eine Kleinigkeit an, die unmittelbar von der Marquise abhängt. Sie hat ein kleines Minarett in ihrem Palaste angelegt, unstreitig, um Sala darin lesen zu lassen. Dazu braucht sie einen Iman, diesen Posten möcht' ich gern bekleiden.« »Was sollte sie einen Iman brauchen?« versetzte Amine. »Sie braucht nur einen Marabu, den sie von Zeit zu Zeit rufen läßt, wenn es schlecht Wetter ist, oder wenn sie vor Schlafengehen Luft hat, Sala zu hören. Aber Bibicosa kann sich keinen Iman halten, der in ihrem Hause wohnt, ißt und trinkt, gekleidet wird und Gehalt bekommt. Ich kenne ihre Verhältnisse. Die arme Frau hat nicht sechstausend Zechinen Einkommen, und Sie verlangen, sie solle zweitausend an einen Iman verwenden? Das ist ein schöner Vorschlag!« – »Bei Brahma! das tut mir leid,« erwiderte der heilige Mann. »Denn sehen Ihre Gnaden nur, [382] wär' ich erst ihr Iman gewesen, so hätt' ich mich bald noch unentbehrlicher machen wollen, und hat man es erst so weit gebracht, dann regnet's Geld und Gnadengehälter. Wie Sie mich hier sehen, bin ich aus Monomotapa und kenne meine Pflicht recht gut.« »Ach!« sagte Amine mit zitternder Stimme, »Ihre Angelegenheit ist dennoch nicht unmöglich. Schade, daß das Verdienst, von dem Sie reden, sich nicht ohne Prüfung voraussetzen läßt!« »O, wer sich meiner Landsleute annimmt,« sprach der von Monomotapa, »läuft keine Gefahr. Aber entscheiden Sie selbst!« Und in diesem Augenblick gab er Aminen den vollständigen Beweis seiner so bewundernswürdigen Geschicklichkeit, daß Sie in diesem Augenblick die Hälfte des Werts verloren, den sie Ihnen sonst beilegte. »Ach, es leben die Leute von Monomotapa!«

Alibey und Nasses schnitten lange Gesichter und sahen sich an, ohne ein Wort zu sagen. Endlich erholten sie sich von ihrem Erstaunen, umarmten sich, warfen einen verächtlichen Blick auf Aminen und sanken[383] dem Sultan zu Füßen, um ihm zu danken, daß er sie von dieser Frau geheilt und ihnen Leben und wechselseitige Freundschaft erhalten habe. Sie kamen gerade an, als Mangogul zur Favorite zurückgekehrt war und ihr Aminens Geschichte wiedererzählte. Sie lachte darüber und gab deswegen nichts mehr auf die Damen des Hofes und auf die Brahminen.

Wieder Selim

Mangogul ging, um von der Redoute auszuruhen. Mirzoza war gar nicht aufgelegt, zu schlafen, ließ Selim rufen und forderte ihn auf, die Geschichte seiner Liebschaften fortzusetzen. Selim gehorchte.

»Gnädige Frau, die Liebeshändel nahmen nicht meine ganze Zeit weg. Augenblicke, die ich dem Vergnügen entzog, widmete ich ernsteren Beschäftigungen und, die Abenteuer, denen ich nachging, verhinderten mich nicht, die Kriegsbaukunst, das Reiten, das Fechten, das Tanzen zu erlernen und Musik zu treiben. Auch beobachtete [384] ich die Sitten und Gebräuche der Europäer und studierte ihre Staatswissenschaft und ihre Kriegskunst. Als ich nach Congo zurückkam, stellte man mich dem kaiserlichen Großvater des Sultans vor, der mir einen ehrenvollen Posten in seinem Heere anvertraute. Ich erschien am Hofe; bald war ich der beständige Begleiter des Prinzen Erguebzed, und folglich nahm ich auch teil an Abenteuern mit hübschen Frauen. Ich lernte Frauenzimmer von jeder Nation, von jedem Alter, von jedem Stande kennen und fand wenig grausame darunter, sei es, daß mein Rang sie blendete, oder daß sie mich gern plaudern hörten, oder endlich, daß meine Gestalt für mich sprach. Ich besaß damals zwei Eigenschaften, mit denen man es weit in der Liebe bringt; ich war dreist und von mir eingenommen.

Anfangs ging ich nur mit Frauenzimmern von Stande um. Ich traf sie abends in Gesellschaft am Spieltisch der Manimonbanda. Ich brachte die Nacht mit ihnen zu, und am Morgen darauf kannten wir uns [385] fast nicht mehr. Diese Damen haben zwei Beschäftigungen auf der Welt: nämlich, sich Liebhaber zu verschaffen, sollten sie sie auch ihren besten Freundinnen wegnehmen und sodann sie wieder los zu werden. Aus Furcht, sie möchten einmal unversorgt sein, während sie eine Intrige anzetteln, schauen sie gleich nach zwei oder drei Liebhabern aus. Sie haben, ich weiß nicht wieviel, kleine Künste, um den einzufangen, auf den sie ihr Augenmerk gerichtet haben, und halten hunderterlei Vorwände in Bereitschaft, um den los zu werden, den sie besitzen. So war es von jeher, so wird es immer sein. Ich will keine Namen nennen, aber ich habe alle Damen gekannt, die nur an Erguebzeds Hofe für jung und schön galten und alle diese Verhältnisse wurden innerhalb sechs Monaten angeknüpft, gelöst, wieder aufgenommen und vergessen.

Da ich dieser Welt überdrüssig war, begab ich mich zu den Antipoden. Ich sah Bürgerinnen, die, falsch und auf ihre Schönheit stolz, alle nur das Wort Ehre im Munde führten, beinahe immer von wilden brutalen [386] Ehemännern oder von sogenannten plattfüßigen Vettern umlagert waren, die den lieben langen Tag vor ihren teuren Mühmchen die Leidenschaftlichen spielten und mir sehr mißfielen. Man konnte diese Weiber keinen Augenblick allein haben. Diese Bestien kamen immer dazwischen, störten jede Zusammenkunft und mischten sich bei jeder möglichen Gelegenheit ins Gespräch. Doch überwand ich diese Schwierigkeiten und brachte fünf oder sechs dieser Zierpuppen so weit, als ich wollte, ehe ich sie sitzen ließ. Was mir an ihrem Umgang Spaß machte, war, daß sie mit aller Gewalt empfindsam sein wollten, so daß ich mich auch empfindsam stellen mußte und Zeug von ihnen zu hören bekam, worüber ich mich fast totlachte. Auch forderten sie viel Aufmerksamkeiten und Sorgfalt. Alle Augenblicke sollt' ich gegen sie gefehlt haben. Sie predigten eine so einwandfreie Liebe, daß man bald davon genug hatte. Aber das Schlimmste war, daß sie immer meinen Namen im Munde führten, und daß ich zuweilen genötigt war, mich mit ihnen zu [387] zeigen und alles Lächerliche einer Philisterliebe auf mich zu nehmen. Das ward mir endlich zu toll, und ich rettete mich eines Tages aus den Kramläden und der Rue Saint Denis, um in meinem Leben nicht wieder hinzukommen.

Damals wurden die kleinen heimlichen Häuschen Mode. Ich mietete mir eines in der morgenländischen Vorstadt und hielt mir nach und nach einige Mädchen darin, die man sieht und bald nicht mehr sieht, mit denen man plaudert, denen man nichts mehr zu sagen hat und die man zum Teufel schickt, wenn man ihrer satt ist. Dahin lud ich meine Freunde und Spielerinnen von der Oper, dort gab ich kleine Abendgesellschaften, die Prinz Erguebzed selbst zuweilen mit seiner Gegenwart beehrte. Ach! gnädige Frau, ich hatte köstlichen Wein, herrliche Schnäpse und den besten Koch in Congo.

Aber nichts hat mich mehr belustigt als ein Streich, den ich in einer entlegenen Provinz ausführte, wo mein Regiment in Quartier lag. Ich verließ Banza, um es zu [388] mustern. Das war das einzige Geschäft, das mich aus der Stadt entfernte, und meine Abwesenheit würde nicht lange gedauert haben, wenn ich nicht einem närrischen Einfall nachgelaufen wäre. Es gab ein Kloster zu Baruthi, welches wunderschöne Mädchen enthielt. Ich war jung und hatte noch keinen Bart, ich ließ mir beikommen, mich dort als Witwe einzuschleichen, die eine Zuflucht gegen die Nachstellungen der Welt suchte. Man machte mir ein Frauenkleid, ich zog es an, und so trat ich vor das Gitter der Nonnen. Sie nahmen mich liebreich auf, trösteten mich über den Verlust meines Gatten, bestimmten mein Kostgeld, und ich blieb bei ihnen.

Das Gemach, das man mir einräumte, stieß an den Schlafsaal der Novizen. Es waren ihrer viele, mehrenteils junge und außerordentlich frische. Ich kam ihnen mit Höflichkeiten zuvor und ward bald ihre Freundin. In weniger als acht Tagen lehrte man mich die Verfassung der kleinen Republik von allen Seiten kennen; schilderte mir die Charaktere, erzählte mir [389] Anekdoten, vertraute sich mir in jeder Rücksicht, und ich bemerkte, daß wir Weltkinder uns auf üble Nachreden und Verleumdungen nicht so gut verstanden wie sie. Ich hielt streng auf die Klosterregel; ich nahm eine scheinheilige Miene und einen sanften Ton an, und man sagte sich ins Ohr, es werde ein großes Glück für das Kloster sein, wenn ich mich dort einkleiden ließe.

Kaum glaubte ich meinen guten Ruf im Hause befestigt, als ich mich an ein junges Mädchen machte, das eben den ersten Schleier genommen hatte. Es war eine herrliche Brünette, sie nannte mich Mütterchen, ich nannte sie meinen kleinen Engel. Sie gab mir unschuldige Küsse, ich gab ihr zärtliche Küsse zurück. Die Jugend ist wißbegierig. Zirzifile sprach alle Augenblicke mit mir vom Heiraten und von den Freuden, die ein Mann gäbe. Sie fragte mich, wie es darum stände? Ich vermehrte ihre Neugier auf geschickte Weise und von Fragen zu Fragen führte ich sie endlich zur Beherzigung der Lehren, die ich ihr gab. Das war nicht die einzige Novize, die ich [390] unterrichtete. Auch einige junge Nonnen kamen in meine Zelle, um sich zu erbauen. Ich wußte die Augenblicke, die Stunden, die Zusammenkünfte so gut zu verlegen, daß keine der anderen im Wege war. Kurz, was soll ich Ihro Gnaden sagen? Die fromme Witwe erwarb sich eine zahlreiche Nachkommenschaft. Als aber das Ärgernis ausbrach, worüber man lange heimlich geseufzt hatte, als der versammelte Rat der Ältesten den Klosterarzt berief, dacht' ich auf meinen Rückzug. In einer Nacht, während das ganze Haus im Schlaf lag, kletterte ich über die Gartenmauer und verschwand. Ich begab mich nach den Bädern von Piombino, wohin der Arzt das halbe Jungfernstift gesandt hatte, und vollendete dort in Uniform das Werk, was ich in Witwentracht begonnen hatte. Das ist eine Tatsache, gnädige Frau, deren sich das ganze Reich erinnert, wovon aber Sie allein den Urheber kennen.«

»Den Rest meiner Jugend,« fuhr Selim fort, »verbracht' ich mit ähnlichen Vergnügungen. Immer fand ich Weiber aller Art, [391] selten Heimlichkeit, viel Schwüre und keine Aufrichtigkeit.« – »So haben Sie also nie geliebt?« fragte die Favorite. »Ach, was dacht' ich damals an Liebe?« sagte Selim. »Ich suchte nichts als Genuß, und die, welche einem dazu verhelfen ...« »Hat man aber Genuß ohne Liebe?« unterbrach ihn die Favorite. »Was heißt Genuß, wenn das Herz stumm ist?« »Ei, gnädige Frau,« versetzte Selim, »ist es denn das Herz, das im achtzehnten oder zwanzigsten Jahre spricht?«

»Und was nun ist das Resultat aller dieser Erfahrungen? Was halten Sie von den Weibern?«

»Daß die meisten keinen Charakter haben,« antwortete Selim. »Drei Dinge wirken mächtig auf sie: Eigennutz, Vergnügen und Eitelkeit. Vielleicht gibt es keine, die nicht von einer dieser Leidenschaften beherrscht wird; die aber alle drei in sich vereinigen, sind Ungeheuer.«

»Das Vergnügen mag noch hingehen,« sprach Mangogul, der in diesem Augenblick hereintrat. »Es ist zwar kein Verlaß auf [392] die Weiber, aber man muß sie doch entschuldigen. Ist das Blut bis zu einem gewissen Grade erhitzt, so trägt es wie ein flüchtiges Pferd seinen Reiter über Stock und Block, und fast alle Weiber sitzen rittlings auf einem solchen Roß.« »Darum,« sagte Selim, »nennt vielleicht die Herzogin Menega den Ritter Kaidar ihren Oberstallmeister.«

»Aber ist es möglich,« fragte die Sultanin den Hofmann, »daß Sie nie die geringste Herzensaffäre hatten? Sind Sie nur darum aufrichtig, um ein Geschlecht zu entehren, das Sie glücklich machte, wenn Sie zu seinem Vergnügen beitrugen? Wie? unter einer so großen Menge Frauenzimmer nicht eine, die geliebt sein wollte, die geliebt zu werden verdiente? Das ist unbegreiflich.«

»Ach, gnädige Frau,« antwortete Selim,, »ich fühle, weil es mir so leicht wird, Ihnen zu gehorchen, daß die Jahre die Macht einer liebenswürdigen Frau über mein Herz nicht geschwächt haben. Ja, gnädige Frau, auch ich habe geliebt. Sie wollen alles [393] wissen, ich will alles sagen, Sie mögen entscheiden, ob ich nicht mit Ehren in der Rolle eines Liebhabers gut bestanden habe.«

»Kommen in diesem Teile Ihrer Geschichte Reisen vor?« fragte der Sultan. »Nein, Fürst,« antwortete Selim. »Desto besser,« versetzte Mangogul, »denn ich fühle mich gar nicht aufgelegt, zu schlafen.«

»Mir aber wird Selim einen Augenblick auszuruhen gestatten,« erwiderte die Favorite.

»Er kann auch schlafen gehen,« sagte der Sultan. »Und während Sie schlafen, will ich Cypria ausfragen.« »Aber, Fürst,« versetzte Mirzoza, »Ihre Hoheit bedenken nicht, daß dieses Kleinod Sie in unendliche Reisen verwickeln wird.«

Hier meldet der gelehrte Afrikaner, der Sultan, dem Mirzozens Bemerkung einleuchtete, habe sich mit einem starken Gegenmittel wider den Schlaf versehen. Er setzt hinzu, daß Mangoguls Arzt, der zugleich sein Freund war, ihm das Rezept dazu mitgeteilt habe und daß er es als Vorrede vor sein Werk gesetzt hätte. Doch leider sind [394] uns von dieser Vorrede nur die drei letzten Zeilen erhalten geblieben, die ich hier mitteilen will:


Recipe von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von Marianne und der Bauer. Roman von . . . . . vier Seiten
von Irrungen des Herzens ein Blatt
von Die Beichten fünfundzwanzig und eine halbe Zeile.
Das gereiste Kleinod

Unterdes die Favorite und Selim sich von den Anstrengungen der Nacht erholten, durcheilte Mangogul mit Erstaunen Cypriens prächtige Gemächer. Diese Frau hatte mit ihrem Kleinode so viel Vermögen erworben, wie ein Generalpächter. Er durchschritt eine lange Reihe Zimmer, eines köstlicher wie das andere, und trat endlich in den Gesellschaftssaal, wo er mitten unter [395] zahlreichen Gästen die Gebieterin des Hauses an einer unermeßlichen Menge von Edelsteinen erkannte, die sie entstellten; und ihren Gemahl an der Gutmütigkeit, die auf seinem Gesichte lag. Zwei Geistliche, ein Schöngeist und drei Mitglieder der Akademie von Banza saßen neben Cypriens Lehnstuhl. Im Hintergrunde des Saales flatterten zwei Stutzer umher und ein junger aufgeblasener Beamter, der seine Handkrausen immer zurecht blies, unaufhörlich an seiner Perücke herumzupfte, seinen Mund beguckte und glückselig immerzu vor den Spiegeln sein geschminktes Gesicht betrachtete. Diese drei Schmetterlinge ausgenommen, bewies die übrige Gesellschaft die tiefste Ehrfurcht für die ehrwürdige Mumie, die sich sehr unanständig dehnte, gähnte, im Gähnen plauderte, über alles urteilte, über alles schlecht urteilte und keinen Widerspruch fand. »Wie ist es möglich,« sagte Mangogul zu sich, der lange nicht mit sich selbst gesprochen hatte, und jetzt vor Sehnsucht danach fast verschmachtete, »wie ist es möglich, daß sie mit diesem [396] linkischen Wesen, mit dieser Gestalt, einem Manne von gutem Hause zu seiner Schande gefallen konnte?« Cypria wollte, man sollte sie für blond halten. Ihre gelbliche, rotgefleckte Haut ahmte einer streifigen Tulpe nicht übel nach. Sie hatte glotzige, kurzsichtige Augen, einen kurzen Leib, eine durchsichtige Nase, ein breites Maul, ein scharfgeschnittenes Gesicht, eingefallene Backen, eine niedrige Stirn, eine magere Hand, keinen Busen und einen spindeldürren Arm. Mit solchen Reizen hatte sie ihren Gemahl zu bezaubern vermocht. Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie, und sogleich hörte man etwas kreischen. Die Gesellschaft war im Irrtum und glaubte, Cypria rede durch ihren Mund und wolle eine Meinung äußern. Aber ihr Kleinod ließ sich solchermaßen vernehmen:

»Geschichte meiner Reisen. Ich ward geboren zu Marokko 17000000012 und tanzte auf dem Operntheater, als Mehemet Tripathud, der mich aushielt, von unserm mächtigen Kaiser an die Spitze einer Gesandtschaft an den König von Frankreich [397] gestellt wurde. Ich begleitete ihn auf dieser Reise.

Die Reize der französischen Frauen beraubten mich bald meines Geliebten; unverzüglich griff ich zu Repressalien. Die neuerungssüchtigen Höflinge wollten's einmal mit der Marokkanerin versuchen – so nannte man nämlich meine Herrin; die behandelte sie sehr menschenfreundlich, und ihre Leutseligkeit trug ihr in einem halben Jahre zwanzigtausend Taler in Schmucksachen ein, ebensoviel in barem Gelde und ein kleines möbliertes Hotel. Aber der Franzose ist unbeständig, und ich kam bald aus der Mode. Es war durchaus kein Vergnügen für mich, in den Provinzen herumzuziehen; die großen Talente brauchen auch ausgedehnte Schauplätze: ich ließ also Tripathud gehen und wandte mich der Hauptstadt eines andern Königreiches zu.

A Wealthy Lord, travelling through France, dragg'd me to London. Ay, that was a man indeed! He water'd me six times a day, and as often a night. His prik like a Comet's tail shot flaming darts. [398] I never felt such quick and thrilling thrusts. It was not possible for mortal prowess, to hold out long at this rate: so he drooped by degrees, and I received his foul distilled through his Furie. He gave me fifty thousand guineas. This noble Lord was succeeded by a couple of Privateer-Commanders, lately returned from cruising. Being intimate friends, they fock'd me, as they had fail'd in company: endeavouring who should show most vigour and serve the readiest fire. Whilst the one was riding at anchor, I towed the other by his Tarse and prepared him for a fresh tire. Upon a modest computation, I reckon'd in about eight days time, I received a hundred and eighty shot. But I soon grew tired, with Keeping so strict an account; for there was no end of their broad-sides. I got twelve thousand pounds from them for my share of the prizes they had taken. The Winter-Quarter being over, they were forced to put to sea again, and would fain have engaged me as a tender; but I had [399] mad a prior contract with a Germat! Count.

Duxit me Viennam in Austria, patriam suam, ubi venerea voluptate, quanta maxima poteraur, ingurgitatus sum, per menses tres integros ejus splendide nimis epulatus hospes. Illi, rugosi et contracti, Lotharingo more colei, et eo usque longa crassaque mentula, ut dimidiam nondum acciperem, quamvis iterato coitu fractus, rictus mihi misere pateret. Immanem ast usu frequenti vagina tandem admisit laxe gladium, novasque excogitavimus artes, quibus fututionum quotidianarum vinceremus fastidium. Modo me rusupinum agitabat; modo ipsum eques adherescens inguinibus, motu quasi tulutorio versabam. Saepe turgentem spumantemque admovit ori priapum, simulque appressis ad labia labiis, fellatrice me lingua perfricuit. Et si Veneri nunquam indulgebat posticae; a tergo me tamen adorsus, cruribus altero sublato, altero depresso, inter femora subibat, voluptuaria quaerens per impedimenta transire. Amatoria Sanchesii praecepta [400] calluit ad unguem, et festivas Aretini tabulas sic expressit, ut nemo melius. His a me laudibus acceptis, multis florenorum milibus mea solvit obisequia, et Roman secessi.

Quella città e il tempio di Venere ed il soggiorno delle delizie. Tuttavia mi dispiacevu che le natiche leggiadre fossero là ancora più festeggiate delle piu belle potte; quello che provai il terzo giorno del mio arrivo in quel paese. Una cortigiana illustre si offerisce a farmi guadgnare mille scudi, s'io voleva passar la sera con lei in una vigna. Accettai l'invito; salimmo in una carozza e giungemmo in un luogo da lei ben conosciuto, nel quale due Cavalieri colle braghesse rosse si fecero incontro a noi e ci condussero in un boschetto spesso e folto, dove cavatosi subito le vesti, vedemmo i piu furiosi cazzi che risaltarono mai. Ognuno chiavò la sua. Il trastullo poi si prese a quadriglie, dopo per farsi guatare in bocca, poscia nelle rette. Alla perfine, uno de' chiavatori impadronissi del mio rivale, mentre [401] l'altro mi lavorava. L'istesso tu fatto alla conduttrice mia; e ciò tutto dolcemente condito di bacci alla fiorentina. E quando i campioni nostri ebbero posto fine alla battaglia, facemmo la fricarella per risvegliar il gusto a quei benedetti signori, i quali ci pagarono con generosità. In più volte simili guadagnai con loro sessanta mila scudi; e due volte altretanto con coloro che mi procurava la cortigiana. Mi ricordo di uno che mi visitava spesso e che sborrava sempre due volte senza cavarlo; e d'un altro il quale usciva da me pian piano, per entrare fottilmente nel mio vicino; e per questo bastava fare su e giù le natiche. Ecco una usanza curiosa, che si pratica in Italia!«

Darauf fuhr Cypriens Kleinod in seiner Geschichte halb kongoisch, halb spanisch fort. Es verstand die letzte Sprache ohne Zweifel nicht hinlänglich, um sich ihrer allein zu bedienen. »Man lernt eine Sprache nur,« sagt der gelehrte Afrikaner, der sich lieber aufhinge, als daß er die Gelegenheit vorbeiließe, eine alltägliche Bemerkung anzubringen, [402] »wenn man sie häufig spricht, und Cypriens Kleinod hatte in Madrid fast keine Zeit zu sprechen.«

»Ich rettete mich aus Italien,« sagt' es, »obwohl einige heimliche Begierden mich zurückriefen, in fluxo malo del clima! y tuve luego la resolucion de ir me a una tierra, donde pudiesse gozar mis fueros, sin partir los con un usurpador. Ich reiste nach Alt-Kastilien, wo man ihn auf seine hergebrachte Beschäftigung herabsetzte: das war aber meiner Rache nicht genug. Le impuse la tarea de batter el compas en los bayles que celebrava de dia y de noche; und das tat er so geschickt, daß wir uns miteinander aussöhnten. Wir erschienen am Hofe zu Madrid als gute Freunde.Al entrar de la ciadad, me liegó con un papo vererabile por sus canas. Das war ein Glück für mich; denn er erbarmte sich meiner Jugend und teilte mir ein Geheimnis mit, die Frucht einer sechzigjährigen Erfahrung, para guardarme del mal de que merecieron los franceses ser padrinos por haver sido sus primceros pregones. Dieses Hausmittelchen [403] und meine Liebe zur Reinlichkeit, die ich vergeblich in Spanien einzuführen suchte, bewahrten mich vor allen Unfällen in Madrid, wo nur meine Eitelkeit gekränkt ward. Meine Gebieterin hat, wie Sie sehen, einen sehr kleinen Fuß. Esta prenda es el incentivo mas poderoso de una imaginacion castellana. Ein kleiner Fuß ist in Madrid ein Empfehlungsbrief für jedes Mädchen, que tiene la mas dilatada sima entre las piernas. Ich entschloß mich, nicht länger in einem Lande zu bleiben, wo ich meine meisten Triumphe fremdem Verdienst verdankte, y me arime a un definidor muy virtuoso, que passava a las Indias. Unter den Flügeln Seiner Hochwürden sah ich das gelobte Land, das Land, wo der glückliche Ordensbruder, ohne Ärgernis zu geben, Geld im Beutel trägt, einen Dolch im Gürtel und seine Schöne vor sich auf seinem Pferde. Was für ein entzückendes Leben verbracht' ich dort! Welche Nächte! Götter! welche Nächte! Hay demi! al recordarme de tantos gustos me meo! Algo mas! Ya! Ya! pierda el fentido! tue muero!

[404] Nachdem ich ein Jahr zu Madrid und in Indien verbracht hatte, schiffte ich mich nach Konstantinopel ein. Die Sitten eines Volkes gefielen mir nicht, das die Kleinode vermauert, und ich verließ bald wieder ein Land, wo meine Freiheit auf dem Spiele stand. Doch lernte ich die Muselmänner gut genug kennen, um zu bemerken, daß sie sich durch den Umgang mit Europäern sehr gebildet haben. Ich fand bei ihnen die Lebhaftigkeit des Franzosen, das Feuer des Briten, die Stärke des Deutschen, den Langmut des Spaniers und ziemlich starke Spuren des italienischen Scharfsinns. Mit einem Wort, ein Aga an sich ist so viel wert, wie ein Kardinal, vier Herzöge, ein Lord, drein spanische Granden und zwei deutsche Fürsten.

Von Konstantinopel begab ich mich, wie Sie wissen, meine Herren, an den Hof des großen Erguebzed, wo ich unsere liebenswürdigsten Herren herangebildet habe; und als ich zu nichts mehr gut war, warf ich mich an diesen Menschen da fort,« sagte das Kleinod und zeigte mit einer ihm geläufigen [405] Bewegung auf Cypriens Gemahl. »Ein schöner Sturz!«

Der gelehrte Afrikaner schließt diesen Abschnitt mit einer Bemerkung für die Damen, die in Versuchung geraten könnten, sich die Stellen verdolmetschen zu lassen, wo Cypriens Kleinod sich in fremden Sprachen ausdrückt: »Ich würde gegen die Pflicht des Geschichtschreibers verstoßen haben,« sagt er, »wenn ich sie unterdrückt hätte; und gegen die Ehrfurcht, die ich dem weiblichen Geschlecht schuldig bin, wenn ich sie meinem Werk einverleibte, ohne die tugendsamen Damen zu benachrichtigen, daß Cypriens Kleinod sich auf seinen Reisen an einen garstigen Ton gewöhnt hatte und daß es unendlich freier in seinen Erzählungen sei, als irgend etwas, das sie jemals heimlich gelesen haben.«

Cydalise

Mangogul kehrte zur Favorite zurück, wo sich Selim vor ihm eingefunden hatte. »Nun, Fürst,« sagte Mirzoza, »sind Ihnen Cypriens Reisen gut bekommen?« »Weder [406] gut noch schlecht,« antwortete der Sultan, »ich verstehe sie nicht.« »Warum nicht?« fragte die Favorite. »Weil ihr Kleinod wie eine Polyglotte alle Sprachen spricht,« antwortete der Sultan, »nur die meinige nicht. Es ist ein ziemlich frecher Erzähler, aber einen trefflichen Dolmetscher könnt' es abgeben.« »Wie?« erwiderte Mirzoza. »Haben Sie denn von seinem ganzen Bericht nichts verstanden?« »Nur so viel, Madam,« antwortete Mangogul, »daß Reisen für die Schamhaftigkeit der Weiber noch nachteiliger sind als für die Religion der Männer; und daß es wenig verdienstlich ist, mehrere Sprachen zu verstehen. Man kann Lateinisch und Griechisch, Italienisch, Englisch und Kongoisch vollkommen verstehen und nicht klüger sein als ein Kleinod. Das ist auch Ihre Meinung, Madam? und Selims? So beginne er denn seine Geschichte. Aber um Himmels willen nichts mehr von Reisen! Die machen mir tödlich Langeweile.« Selim versprach dem Sultan, Einheit des Orts zu beobachten, und hub an:

[407] »Ich war ungefähr dreißig Jahre alt; mein Vater war vor kurzem gestorben. Ich hatte mich verheiratet, um mein Geschlecht nicht ausgehen zu lassen, und lebte mit meiner Frau, wie sich's gehört. Wir waren voll Achtung gegeneinander, gefällig, höflich, wenig vertraut, aber sehr verbindlich. Fürst Erguebzed hatte den Thron bestiegen. Lange vor seiner Regierung genoß ich seiner Gewogenheit, er hat sie mir bis in seinen Tod erhalten, und ich habe diesen Beweis seines Wohlwollens durch Eifer und Treue zu rechtfertigen gesucht. Der Posten des Generalinspektors seines Heeres war erledigt; ich erhielt ihn und mußte seinetwegen oft die Grenze bereisen.«

»Schon wieder reisen?« rief der Sultan. »Wenn Sie noch ein einziges Mal reisen, so schlaf' ich bis morgen. Merken Sie sich das!«

»Fürst,« fuhr Selim fort, »auf einer dieser Rundfahrten macht' ich die Bekanntschaft mit der Gemahlin eines Obersten der Spahis, Ostaluk. Der Mann war tapfer, ein guter Offizier, aber ein wenig bequemer[408] Gatte, eifersüchtig wie ein Tiger, und mit gutem Grunde eifersüchtig, denn er war abscheulich häßlich.

Er hatte Cydalise seit kurzem geheiratet. Sie war jung, lebhaft, hübsch. Sie gehörte zu jenen seltenen Frauenzimmern, denen man beim ersten Anblick etwas mehr als Höflichkeit bezeigt, von denen man sich ungern trennt, deren man sich hundertmal erinnert, bis man sie wiedersieht.«

Cydalise dachte logisch und drückte sich angenehm aus. Ihre Unterhaltung war anziehend, man ward nicht müde, sie zu sehen, man ward noch weit weniger müde, ihr zuzuhören. Diese Eigenschaften gaben ihr ein Recht, starken Eindruck auf alle Herren zu machen. Auch ich sollte das erfahren. Ich schätzte sie hoch, bald empfand ich eine zärtliche Neigung für sie, und mein ganzes Betragen nahm schließlich die Form einer innigen Leidenschaft an. Die Leichtigkeit meiner vorhergehenden Triumphe hatte mich ein wenig verzogen. Als ich Cydalisens Eroberung unternahm, bildete ich mir ein, sie würde nur kurze Zeit widerstehen [409] und sich durch die Aufforderung des Herrn Generalinspektors so geehrt finden, daß sie nur eine Verteidigung aus Anstandsgründen mir entgegensetzen würde. Also können Sie denken, wie erstaunt ich über ihre Antwort auf meine Erklärung war: »Edler Herr,« sagte sie, »wär' ich auch so von mir eingenommen, zu glauben, daß Ihnen etwas an mir gefallen könne, so beginge ich doch eine große Torheit, wenn ich auf Reden achtete, wodurch Sie tausend andre vor mir hintergangen haben. Was ist Liebe ohne Achtung? Sehr wenig, und Sie kennen mich nicht genug, um mich zu achten. Soviel Geist und Scharfsinn man auch besitze, so hat man doch nicht in zwei Tagen den Charakter eines Frauenzimmers hinlänglich genug ergründet, um sich ihre Liebe zu verdienen. Der Herr Generalinspektor sucht sich zu unterhalten, er hat recht. Cydalise hat auch recht, daß Sie niemand gefällig sein mag.«

Ich mochte schwören, soviel ich wollte, daß ich wahre Leidenschaft für sie empfände, daß mein Glück in ihren Händen wäre, [410] daß ihre Gleichgültigkeit mein künftiges Leben vergiften würde. »Worte,« sagte sie »nichts als Worte. Denken Sie nicht mehr an mich, oder halten Sie mich nicht für so unbesonnen, daß ich abgenutzten Beteuerungen glauben könnte. Was Sie mir da sagen, sagt jedermann, ohne es so zu meinen, und hört jedermann, ohne es zu glauben.«

Hätte Cydalise mir nur gefallen, so würden ihre Sprödigkeiten mich beleidigt haben, aber ich liebte sie, und so betrübten sie mich. Ich kehrte an den Hof zurück, ihr Bildnis folgte mir dahin. Die Abwesenheit, anstatt die Leidenschaft zu tilgen, die ich zu ihr gefaßt hatte, fachte sie nur noch mehr an.

So sehr war ich von Cydalise eingenommen, daß ich es mir hundertmal vornahm, ihr die Ämter und den Rang aufzuopfern, die mich an den Hof fesselten; nur die Ungewißheit des Erfolges hielt mich davon ab.

»Da es mir unmöglich war, dahin zu fliegen, wo ich sie verlassen hatte, geriet ich [411] auf den Einfall, sie zu mir hin zu locken. Ich bediente mich des Vertrauens, womit Erguebzed mich beehrte: ich pries ihn Ostaluks Verdienste und Tapferkeit. Er ward zum Leutnant der Spahis bei der Leibwache ernannt. Dieser Posten fesselte ihn an die Person des Fürsten. Ostaluks erschien am Hofe und Cydalise mit ihm, die alsbald die herrschende Schönheit ward.«

»Sie haben wohlgetan, Ihre Stelle zu behalten und Ihre Cydalise an den Hof zu berufen,« sagte der Sultan, »denn ich schwöre bei Brahma, ich hätte Sie ruhig in die Provinz ziehen lassen.«

»Man beäugelte, bewunderte, belagerte sie,« fuhr Selim fort, »aber alles umsonst. Nur ich genoß des Vorrechts, sie alle Tage zu sehen. Je näher ich sie kennen lernte, desto mehr Anmut und Vorzüge entdeckte ich an ihr, desto kopfloser ward ich in sie verliebt. Es fiel mir ein, das frische Andenken meiner unzähligen Liebeshändel sei mir vielleicht bei ihr nachteilig. Dieses auszulöschen, sie von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen, verbannte ich [412] mich aus der Gesellschaft und sah keine Dame sonst, als die ich von ungefähr bei ihr antraf. Dieses Betragen schien Eindruck auf sie zu machen und ihre anfängliche Strenge ein wenig herabzustimmen. Ich verdoppelte meine Bemühungen, ich bat um Liebe, man gewährte mir Achtung. Cydalise fing an, mich auszuzeichnen, ich hatte teil an ihrem Vertrauen, sie zog mich oft bei Familienangelegenheiten zu Rate, aber über Herzensangelegenheiten sprach sie kein Wort. Redete ich von Gefühlen, so sprach sie mir von Grundsätzen, und ich war untröstlich. Dieser peinliche Zustand hatte lange gedauert, als ich den Entschluß faßte, damit ein Ende zu machen und ein für allemal zu erfahren, woran ich wäre.« »Wie fingen Sie das an?« fragte Mirzoza. »Das werden Sie gleich hören, Madam,« antwortete Mangogul. Und Selim fuhr fort:

»Ich sagte Euer Gnaden, daß ich Cydalise täglich sah. Von nun an sah ich sie etwas weniger, dann wurden meine Besuche noch seltener, endlich kam ich fast gar nicht mehr [413] zu ihr. Wenn ich sie bisweilen unter vier Augen sah, sprach ich ihr so wenig von Liebe vor, als hätt' ich nie den geringsten Funken davon gespürt. Diese Veränderung befremdete sie. Sie argwöhnte, ich hätte eine heimliche Verpflichtung, und eines Tages, da ich ihr die galante Geschichte des Hofes mitteilte,« sagte sie mit einem zerstreuten Gesicht: »Selim, Sie erzählen mir nichts von sich selbst. Sie erzählen wunderbar von anderer Leute Glück, aber mit dem Ihrigen sind Sie sehr zurückhaltend.« »Gnädige Frau,« antwortete ich, »das kommt wahrscheinlich daher, weil ich nicht glücklich bin oder weil ich glaubte, es schicke sich besser, zu schweigen.« »O ja,« unterbrach sie mich, »es schickt sich gar wohl, daß Sie mir heute Dinge verhehlen, die morgen die ganze Welt weiß.« »Das muß ich mir gefallen lassen, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn sie nur niemand von mir erfährt.« »Wahrlich,« erwiderte sie, »dieses Geheimtun steht Ihnen sehr gut. Weiß man denn nicht, daß Sie auf die blonde Missis, die kleine Zibeline, die braune Sefere [414] Absichten haben?« »Auf wen Sie wollen, gnädige Frau,« fügte ich kühl hinzu. »Wahrhaftig,« sagte sie, »ich glaube gern, daß das nicht die einzigen sind. Seit den zwei Monaten, die Sie sich nur aus Gnade und Barmherzigkeit zeigen, sind Sie gewiß nicht untätig geblieben, und mit solchen Damen geht's geschwind.« »Ich untätig bleiben?« sagte ich, »das hätte mich zur Verzweiflung gebracht. Mein Herz ist geschaffen, um zu lieben, vielleicht sogar, um ein wenig geliebt zu werden, und ich gestehe Ihnen auch, ich bin es. Aber fragen Sie mich nicht weiter. Vielleicht sagt' ich schon zuviel.«

»Selim,« antwortete sie ernsthaft, »ich habe keine Geheimnisse Ihnen gegenüber, Sie sollten auch keine mir gegenüber haben. Wie weit sind Sie gekommen?« – »Beinahe bis zum Schluß des Romans.« – »Und mit wem?« fragte sie eifrig. – »Kennen Sie Marteza?« – »Ja, gewiß; es ist eine sehr liebenswürdige Frau.« – »Nun wohl, nachdem ich alles vergeblich aufbot, Ihnen zu gefallen, hab' ich meine Wünsche [415] an die gerichtet. Man hatte seit einem halben Jahre Sehnsucht nach mir. Zwei Zusammenkünfte bahnten mir den Weg, die dritte wird mein Glück vollkommen machen, und Marteza erwartet mich heute zum Nachtessen. Sie ist unterhaltend, ungezwungen, ein wenig ironisch, aber übrigens die gutherzigste Seele von der Welt. Man steht sich besser bei solchen närrischen Dingen, als bei den zugeknöpften Herrschaften, die ...« »Aber mein Herr,« unterbrach mich Cydalise mit niedergeschlagenen Augen, »so sehr ich Ihnen zu Ihrer Wahl Glück wünsche, darf ich wohl bemerken, daß Marteza nicht ganz neu ist und schon vor Ihnen Liebhaber hatte?« ... »Was liegt daran, gnädige Frau?« war meine Antwort; »wenn Marteza mich aufrichtig liebt, so werde ich mich für den ersten halten. Aber die verabredete Stunde naht, erlauben Sie ...« »Noch ein Wort, mein Herr. Sind Sie auch gewiß, daß Marteza Sie liebt? ...« »Ich glaube es.« – »Und Sie lieben Marteza wieder?« fragte Cydalise. – »Gnädige Frau,« war meine Antwort, [416] »Sie selbst haben mich der Marteza in die Arme geworfen. Das dürfte Ihnen genug sagen ...« – Ich wollte herausgehen, aber Cydalise ergriff mich beim Dolman und kehrte mir dann schnell den Rücken. »Befehlen Madam noch etwas? Haben Sie mir noch etwas aufzutragen?« »Nein, mein Herr. Wie? Sind Sie denn noch da? Ich glaubte, Sie wären längst fort.« – »So will ich eilen, daß ich fortkomme.« – »Selim!« – »Cydalise!« – »Sie gehn wirklich fort?« – »Ja, gnädige Frau.« – »O Selim, wem opfern Sie mich? Ist Cydalisens Achtung Ihnen nicht mehr wert, als Martezens Gunst?« – »Ohne Zweifel, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn auch ich nur Achtung für Sie empfunden hätte. Aber ich liebte Sie ...« – »Das ist nicht wahr!« rief sie mit Heftigkeit. »Hätten Sie mich geliebt, Sie hätten meine wirklichen Gefühle erkannt; Sie hätten geahnt, Sie hätten sich geschmeichelt, Ihre Beständigkeit werde endlich meinen Stolz besiegen. Aber Sie sind ermüdet, Sie haben mich aufgegeben, vielleicht in [417] dem Augenblick aufgegeben, wo ...« Cydalise hielt inne, ein Seufzer entrang sich ihr, ihre Augen wurden naß. »Reden Sie,« sagte ich, »vollenden Sie, Cydalise. Wenn nun trotz Ihrer Strenge, die mich bedrückt, meine Zärtlichkeit noch fortdauerte, so könnten Sie« – »Ich kann nichts! Sie lieben mich nicht mehr, und Marteza erwartet Sie.« – »Und wenn nun Marteza mir gleichgültig wäre und wenn mir Cydalise teurer wäre als jemals, was würden Sie dann tun?« – »Welche Torheit, auf solche bloßen Voraussetzungen hin lange Erklärungen ...« – »Cydalise, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir so, als ob es keine bloßen Voraussetzungen wären. Angenommen, Cydalise sei noch immer die liebenswürdigste Frau der Welt in meinen Augen, und ich hätte nie die mindeste Absicht auf Marteza gehabt. Noch einmal: was würden Sie dann tun?« – »Was ich immer getan habe, Sie Undankbarer!« antwortete nun endlich Cydalise. »Ich würde Sie lieben!« – »Und Selim betet Sie an!« rief ich, »warf mich zu ihren [418] Füßen, küßte ihre Hände und benetzte sie mit Freudenzähren. Cydalise war sprachlos. Diese unverhoffte Wandlung brachte sie aus der Fassung. Ich nutzte ihre Verwirrung, und unsere Versöhnung ward durch Beweise einer Zärtlichkeit besiegelt, denen sie sich nicht zu versagen vermochte.«

»Und was sagte der gute Ostaluk dazu?« sprach Mangogul. »Ohne Zweifel erlaubte er seiner teuren Ehehälfte, dem Manne ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen, durch den er Leutnant der Leibwache war?«

»Fürst,« antwortete Selim, »Ostaluk war dankbar, solange man mich nicht erhörte. Sobald ich glücklich war, wurde er unbequem, ungestüm und unausstehlich gegen mich, brutal gegen seine Frau. Er begnügte sich nicht, uns persönlich zu stören, er ließ uns belauschen; wir wurden verraten und Ostaluk, der seiner angeblichen Schande gewiß war, hatte die Keckheit, mich zum Zweikampf herauszufordern. Wir schlugen uns auf der großen Aue, ich brachte ihm zwei Wunden bei und zwang ihn, mir sein Leben zu verdanken.

[419] Während er von seinen Wunden genas, verließ ich seine Frau keinen Augenblick. Aber der erste Gebrauch, den er von seiner Gesundheit machte, war, uns zu trennen und Cydalise zu mißhandeln. Sie schilderte mir die ganze Traurigkeit ihrer Lage, ich schlug ihr vor, sie zu entführen, sie willigte ein; und als der Eifersüchtige von einer Jagd zurückkam, auf die er den Sultan begleitet hatte, fand er zu seinem Erstaunen, er sei Witwer geworden. Aber Ostaluk brach gegen den Urheber der Entführung nicht in unnütze Klagen aus, sondern sann augenblicklich auf Rache.

Ich hatte Cydalise in einem Landhaus verborgen, zwei Stunden von Banza, und um die zweite Nacht stahl ich mich aus der Stadt, um nach Cisara zu gehen. Unterdessen setzte Ostaluk einen Preis auf den Kopf seiner Ungetreuen, bestach meine Bedienten mit schwerem Gelde und ward in meinen Lustgarten eingelassen. An jenem Abend schöpfte ich dort gerade frische Luft mit Cydalise. Wir hatten uns tief in einen dunklen Gang zurückgezogen, und [420] eben wollt' ich sie mit den zärtlichsten Liebkosungen umfangen, als eine unsichtbare Hand ihr vor meinen Augen den Dolch in die Brust stieß. Es war der grausame Ostaluk. Mich bedrohte das nämliche Schicksal, aber ich kam Ostaluk zuvor, zog meinen Dolch, und Cydalise war gerächt. Ich warf mich über die teure Frau; noch klopfte ihr das Herz; ich ließ sie eiligst ins Haus tragen, aber sie verschied, ehe sie dahin kam, meine Lippen fingen ihren letzten Atemzug auf.

Als ich Cydalisens Glieder in meinen Armen erstarren fühlte, schrie ich laut, meine Leute liefen herzu und entrissen mich dem grauenvollen Aufenthalt. Ich kehrte nach Banza zurück und, verzweifelt über Cydalisens Tod, verschloß ich mich in mein Haus, indem ich mir die grausamsten Vorwürfe machte. Ich liebte sie wirklich, sie liebte mich innig wieder, und ich hatte Zeit genug, den großen Verlust zu fassen, den ich erlitten hatte, und ihn zu beweinen.«

»Aber endlich fanden Sie Trost?« fragte die Favorite. »Ich hielt es lange für unmöglich,« erwiderte Selim; »machte aber [421] später die Erfahrung, daß kein Kummer ewig dauert.«

»Man soll mir nur nichts mehr von den Männern erzählen,« sprach Mirzoza. »So sind sie alle! Das heißt mit anderen Worten, Herr Selim: die arme Cydalise, deren Geschichte so rührend ist, die Sie so sehr bedauerten, war sehr dumm, daß sie auf Ihre Schwüre baute. Und während sie Brahma jetzt vielleicht für ihre Leichtgläubigkeit strenge büßen läßt, verbringen Sie Ihre Zeit aufs angenehmste in den Armen einer andern!«

»Ei, gnädige Frau,« erwiderte der Sultan, »beruhigen Sie sich. Selim liebt noch, Cydalise wird gerächt werden.« »Ihre Hoheit könnten falsch berichtet sein,« antwortete Selim. »Meine Geschichte mit Cydalise hat mir für mein ganzes Leben beweisen müssen, daß die wahre Liebe unglücklich macht.« »Das hat sie freilich,« unterbrach ihn Mirzoza, »dennoch wett' ich, Ihren Beweis gründen zum Trotz, Sie sind jetzt viel heftiger in eine andere verliebt.«

»Viel heftiger – das wag' ich nicht zu behaupten,« erwiderte Selim. »Seit fünf [422] Jahren bin ich aber mit dem Herzen einer reizenden Frau zugetan. Es hat mir viel Mühe gekostet, Erhörung zu finden, denn man war immer so tugendhaft gewesen ...« »Tugendhaft!« rief der Sultan. »Bravo, Freund! es macht mir immer viel Vergnügen, wenn man mir von einer tugendhaften Dame am Hofe erzählt.« »Selim,« sagte die Favorite, »fahren Sie nur in Ihrer Geschichte fort.« »Und glauben Sie als guter Muselmann nur getrost an die Treue Ihrer Geliebten,« setzte der Sultan hinzu. »Ach, Fürst,« erwiederte Selim lebhaft, »Fulvia ist mir treu!« »Treu oder nicht treu,« versetzte Mangogul, »was tut das zu Ihrem Glück? Sie glauben es; das genügt.« »Jetzt also lieben Sie Fulvia?« fragte die Favorite. »Ja, gnädige Frau,« antwortete Selim. »Um so schlimmer, mein Lieber,« fügte Mangogul hinzu: »in die setz' ich gar kein Vertrauen. Sie ist beständig von Brahminen belagert und, die Brahminen sind schreckliche Leute. Dann find' ich auch, sie hat kleine chinesische Augen, eine Stumpfnase und sieht sehr vergnügungssüchtig [423] aus. Unter uns, wie steht's damit?« »Gnädigster Herr,« antwortete Selim, »ich glaube, sie haßt das Vergnügen nicht.« »Nun also,« erwiderte der Sultan, »solches Verlangen überwältigt alles, das müssen Sie besser wissen als ich, oder Sie sind ...« »Ihre Hoheit irren sich,« nahm die Favorite das Wort, »man kann außerordentlich gescheit sein und das nicht wissen. Ich wette ...« »In einem fort dieses Wetten,« unterbrach sie der Sultan, »Sie machen mich ungeduldig; solche Frauen sind halt einmal unverbesserlich. Gewinnen Sie erst Ihr Schloß, Madam, und dann wetten Sie von neuem.«

»Gnädige Frau?« fragte Selim die Favorite, »könnte Ihnen Fulvia nicht vielleicht zu etwas nützlich sein?« »Wie das?« fragte Mirzoza. »Ich habe bemerkt,« antwortete der Hofmann, »daß die Kleinode fast immer nur in Gegenwart Seiner Hoheit gesprochen haben, und ich bilde mir ein, der Genius Cucufa, der für Kanoglu, des Sultans Großvater, so befremdliche Wunder bewirkte, möge gar wohl seinem Enkel die [424] Gabe erteilt haben, sie reden zu lassen. Aber Fulvias Kleinod hat, soviel ich weiß, noch nicht den Mund geöffnet. Gibt es kein Mittel, es zu befragen, Ihnen das Schloß zu verschaffen und mich von der Treue meiner Geliebten zu überzeugen?« »Allerdings,« sprach der Sultan. »Wie denken Sie darüber, Madam?« – »O! ich mische mich nicht in einen so kitzligen Handel. Selim ist zu sehr mein Freund, als daß mich die Aussicht auf ein Schloß bewegen sollte, das Glück seines Lebens aufs Spiel zu setzen.« – »Sie wissen nicht, was Sie sagen,« erwiderte der Sultan. »Fulvia ist treu. Dafür legt Selim die Hand ins Feuer. Er hat's gesagt, er nimmt sein Wort nicht zurück.« »Nein, gnädigster Herr,« antwortete Selim, »und wenn mich Ihre Hoheit zu Fulvia bescheiden, so bleib' ich gewiß nicht aus.« »Überlegen Sie den Vorschlag wohl!« versetzte die Favorite. »Selim, guter Selim, Sie gehen sehr rasch zu Werke, und bei all Ihrer Liebenswürdigkeit ...« – »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau. Der Würfel ist gefallen: [425] ich werde Fulvia hören. Das Schlimmste, was mir begegnen kann, ist der Verlust einer Ungetreuen.« »Über deren Verlust Sie sich zu Tode grämen werden,« setzte die Favorite hinzu. »Was für Geschichten!« sagte Mangogul. »Halten Sie Selim für so schwachsinnig? Er hat die zärtliche Cydalise verloren und ist frisch und gesund: warum sollte er sterben, wenn er Fulvias Untreue erkennt? Wenn ihm nur ein solcher Tod droht, so verbürg' ich ihm ewiges Leben. Selim, auf morgen bei Fulvia, verstehen Sie mich? Ich werde Ihnen die Stunde ansagen lassen.« Selim verbeugte sich, Mangogul ging hinaus, die Favorite fuhr fort, dem alten Hofmann vorzustellen, welch ein gefährliches Spiel er spiele. Selim dankte ihr für diesen Beweis ihres Wohlwollens, und alle legten sich schlafen in Erwartung großer Dinge.

Fulvia

Der gelehrte Afrikaner, der die Charakterschilderung Selims irgendwo versprochen hatte, läßt sich einfallen, sie hier zu entwerfen. [426] Ich ehre die Werke des Altertums zu sehr, um zu behaupten, daß dieser Entwurf anderswo schicklicher hätte angebracht werden können. »Es gibt,« sagt er, »gewisse Leute, denen ihr Verdienst jede Tür eröffnet; die durch die Anmut ihrer Gestalt und durch Lebhaftigkeit ihres Geistes in ihrer Jugend die Lieblinge vieler Frauen sind; und deren Alter geehrt wird, weil sie durch die Kunst, ihre Pflicht mit ihrem Vergnügen zu vereinbaren, ihr mittleres Alter durch dem Vaterlande geleistete Dienste verschönten. Mit einem Worte: es gibt Leute, die zu jeder Zeit die Freude der Gesellschaft sind, und Selim gehörte zu ihnen. Er war freilich schon sechzig Jahre alt und hatte die Bahn des Vergnügens früh betreten, aber eine robuste Gesundheit und Schonung bewahrten ihn vor Hinfälligkeit. Edles Ansehen, ungezwungener Anstand, verführerische Sprache, große, auf lange Erfahrung gegründete Weltkenntnis und die Gewohnheit, mit Frauenzimmern umzugehen, ließen ihn bei Hofe für einen Mann gelten, dem jeder [427] gern geglichen hätte, dem man aber nicht erfolgreich nachahmen könnte, weil man auch die Talente und den Geist von der Natur erhalten haben müsse, wodurch er sich auszeichnete.«

»Jetzt frag' ich,« fährt der gelehrte Afrikaner fort, »ob dieser Mann recht hatte, sich über seine Geliebte zu beunruhigen und seine Nacht zu verbringen, als ob er seinen Verstand verloren hätte? Denn es ist Tatsache, daß er, je mehr er Fulvia liebte, desto mehr fürchtete, sie untreu zu finden. ›In welches Labyrinth hab' ich mich führen lassen?‹ sprach er zu sich selbst, ›und warum?‹ Was hilft es mir, daß die Favorite ein Schloß gewinnt? und in welche Lage stürze ich mich, wenn sie es verliert? Aber warum sollte sie es verlieren? Bin ich nicht Fulvias Zärtlichkeit sicher? Ach! ich besitze sie ganz, und spricht ihr Kleinod, so ist es nur von mir! Aber wenn es zum Verräter würde? Nein, nein, das hätt' ich schon früher geahnt; ich würde Unregelmäßigkeiten bemerkt haben; man hätte sich in fünf Jahren doch einmal vergessen. Die [428] Prüfung bleibt freilich immer gefährlich; doch ist es nicht mehr Zeit, zurückzutreten. Ich habe den Becher an meine Lippen gesetzt, ich muß ihn leeren, sollte ich auch dabei den ganzen Trank verschütten. Vielleicht ist mir auch das Orakel günstig. Aber, ach, was darf ich erwarten? Warum sollten andere eine Tugend vergeblich angegriffen haben, die ich besiegte? Vergib, teure Fulvia, ich beleidige dich durch diesen Argwohn und ich vergesse, was es mich kostete, dich zu über winden. Mir leuchtet ein Strahl von Hoffnung, ich schmeichle mir, das Kleinod wird hartnäckig stumm bleiben!«

Selim war in dieser Gemütsbewegung, als man ihm von seiten des Großherrn ein Briefchen überreichte, worauf nur diese Worte standen: »Seien Sie heute abend auf den Schlag halb zwölf am verabredeten Orte!« Selim nahm die Feder und schrieb zitternd: »Fürst, ich werde gehorchen!«

Selim brachte den übrigen Tag wie die vergangene Nacht schwankend zwischen Furcht und Hoffnung zu. Nichts ist so gewiß, [429] als daß die Liebhaber Ahnungen haben. Ist ihre Geliebte ungetreu, so ergreift sie ein gewisser Schauder, ungefähr wie die Tiere, wenn schlechtes Wetter eintritt. Der argwöhnische Liebhaber gleicht einem Kater, dem bei Nebelluft die Ohren jucken. Die Tiere und die Liebhaber haben auch das miteinander gemein, daß sich diese Ahnung bei Haustieren verliert und beim Liebhaber abstumpft, wenn er Ehemann wird.

Die Stunden schienen Selim sehr langsam fortzuschleichen, er sah hundertmal nach der Uhr, endlich kam der entscheidende Augenblick, und der Hofmann begab sich zu seiner Geliebten. Es war spät, ihn aber ließ man zu jeder Stunde vor, und so ward ihm Fulvias Gemach geöffnet. »Ich erwartete Sie nicht mehr,« sprach sie zu ihm, »und mußte mich mit Kopfschmerzen niederlegen, die ich meiner Ungeduld über Sie zu danken habe.« »Gnädige Frau,« antwortete Selim, »Pflichten des Standes und sogar Geschäfte haben mich bis jetzt an den Großherrn gleichsam gefesselt und mir, [430] seit ich Sie nicht mehr sah, keinen Augenblick für mich gelassen.« »Darüber,« erwiderte Fulvia, »hab' ich vieles ausgestanden. Wissen Sie, daß ich in zwei langen Tagen nichts von Ihnen gewahr ward?« »Es ist Ihnen ja bekannt,« erwiderte Selim, »wozu mein Rang mich verpflichtet, wie sicher uns auch die Gunst der Großen scheinen mag ...« »Wie das?« unterbrach ihn Fulvia, »ist der Sultan kühl gegen Sie geworden? Sollte er Ihre Dienste vergessen haben? Sie antworten mir nicht, Selim? Sie sind zerstreut? O wenn Sie mich lieben, was liegt Ihnen an der Gunst oder Ungunst des Fürsten? Nicht in seinen Augen, sondern in den meinen liegt ja Ihr Glück, und in meinen Armen sollen Sie es suchen.«

Selim hörte seiner Geliebten aufmerksam zu, beobachtete ihr Gesicht und erforschte in ihren Bewegungen jenen Ausdruck von Wahrheit, der nicht betrügt und dem es unmöglich ist, zu heucheln. Unmöglich nämlich für uns Männer. Denn Fulvia heuchelte so vortrefflich, daß Selim [431] anfing, sich Vorwürfe darüber zu machen, wie er sie verkannt habe. Da trat Mangogul herein. Fulvia schwieg sogleich, Selim seufzte, und das Kleinod sprach: »Meine gnädige Frau mag zu allen Pagoden von Congo wallfahrten, sie wird nie Kinder bekommen, und ich, die ich ihr Kleinod bin, weiß auch sehr wohl warum.«

Bei diesem Eingange ward Selim totenblaß. Er wollte aufstehen, aber seine zitternden Knie versagten ihm den Dienst, und er fiel auf seinen Lehnstuhl zurück. Der Sultan näherte sich ihm unsichtbar und sagte ihm ins Ohr: »Haben Sie genug?« »Ach, gnädiger Herr,« rief Selim betrübt, »warum bin ich dem Rat der Sultanin und der Ahnung meines Herzens nicht gefolgt? Mein Glück verschwindet. Ich hab' alles verloren. Bleibt ihr Kleinod jetzt stumm, so sterb ich, spricht es, so bin ich tot. Doch es spreche nur. Ich mache mich auf eine schreckliche Enthüllung gefaßt, aber ich fürchte sie weniger, als ich den Zustand hasse, worin ich mich gegenwärtig befinde.«

Unterdessen war Fulvias erste Bewegung [432] gewesen, die Hand auf ihr Kleinod zu legen und ihm den Mund zuzuhalten. Was es bis dahin gesprochen, vertrug eine vorteilhafte Deutung, aber sie scheute, was noch kommen würde. Schon war sie seines Stillschweigens wegen etwas beruhigt, als der Sultan, durch Selim aufgefordert, seinen Ring drehte. Fulvia war daher genötigt, ihre Finger wegzunehmen und das Kleinod fuhr fort:

»Ich kann nicht empfangen, man ermüdet mich zu sehr. Der Besuch so vieler heiligen Leute vereitelt alle meine Absichten, und die gnädige Frau bekommt keine Kinder. Würde ich nur von Selim gefeiert, so möcht' ich vielleicht fruchtbar werden, aber ich bin ja wie eine Galeerensklavin. Heute ist es der, morgen jener, und immer wird gerudert. Welchen Mann Fulvia zuletzt sieht, von dem glaubt sie immer, der Himmel habe ihn ausersehen, ihr Geschlecht zu verewigen. Vor dieser Laune ist niemand sicher. Wie beschwerlich ist es doch, Kleinod bei einer adligen Dame zu sein, die keine Erben hat? Seit zehn Jahren bin ich Leuten [433] preisgegeben, die nicht wert waren, die Augen zu mir emporzuheben.«

Jetzt glaubte Mangogul, Selim habe genug gehört, um von seiner Fassungslosigkeit geheilt zu werden, er schenkte ihm das übrige, drehte seinen Ring zurück, ging fort und überließ Fulvia den Vorwürfen ihres Liebhabers.

Anfangs blieb der unglückliche Selim wie versteinert; bald aber gab ihm die Wut Kraft und Sprache wieder. Er warf einen verächtlichen Blick auf die Ungetreue und sagte: »Undankbare! Treulose! liebte ich Sie noch, so würde ich mich rächen, aber Sie sind meines Zornes ebenso unwürdig, als Sie es meinen Zärtlichkeiten waren. Pfui über Sie, daß Sie einen Mann wie mich, einen Selim, in einen Topf werfen mit solchen Knechten!« »Wahrhaftig,« unterbrach ihn trotzig Fulvia im Tone einer entlarvten Dirne, »es steht Ihnen fein, von einer Kleinigkeit so viel Aufhebens zu machen! Sie sollten mir lieber Dank wissen, daß ich Ihnen Dinge verhehlt habe, deren Kunde Sie in Verzweiflung stürzen [434] konnte. Sie ereifern sich und werden wütend, als ob ich Sie beleidigt hätte. Mit welchem Rechte, mein Herr, verdienen Sie denn, Seton, Rikel, Molli, Tachmas, den liebenswürdigsten Kavalieren des Hofes, vorgezogen zu werden, denen man sich nicht einmal die Mühe gibt, zu verbergen, daß man Seitensprünge macht? Ein Mann wie Sie, Selim, ist ein erschöpfter, hinfälliger Mann und seit Ewigkeit außerstande, eine hübsche Frau zu fesseln, wenn sie nicht sehr einfältig ist. Gestehen Sie also, daß Ihr Hochmut übel angebracht und Ihr Zorn anmaßend ist. Sind Sie übrigens mißvergnügt, so überlassen Sie Ihre Stelle andern, die sie besser ausfüllen werden.« »Das tu ich von ganzem Herzen,« versetzte Selim voller Empörung und verließ dieses Weib, fest entschlossen, es niemals wiederzusehen.

Er kehrte in seine Wohnung zurück und schloß sich einige Tage dort ein, weniger verdrießlich im Grunde über seinen Verlust, als über seinen langen Irrtum. Nicht sein Herz litt, sondern seine Eitelkeit. Er scheute [435] die Vorwürfe der Favorite und die Spötteleien des Sultans, darum vermied er beide.

Fast war er entschlossen, dem Hofe zu entsagen, sich in einer Einsamkeit zu vergraben und als Philosoph das Leben zu beschließen, dessen größten Teil er im Gewande des Hofmanns verloren hatte. Aber Mirzoza erriet seine Gedanken, unternahm es, ihn zu trösten, ließ ihn in den Harem rufen und sprach zu ihm: »Sie verlassen mich also, Freund Selim? Sie bestrafen nicht Fulvia für ihre Untreue, Sie bestrafen mich. Uns allen tut Ihr Abenteuer leid, wir geben zu, es ist ärgerlich, aber liegt Ihnen irgend etwas an der Gnade des Sultans und an meiner Freundschaft, so fahren Sie fort, unsere Gesellschaft zu beleben, und vergessen diese Fulvia, die eines Mannes wie Sie niemals würdig war.«

»Gnädige Frau,« antwortete Selim, »mein Alter erinnert mich, daß es Zeit ist, mich zurückzuziehen. Ich habe genug von der Welt gesehen. Vor vier Tagen hätt' ich mich noch rühmen können, sie zu kennen,[436] aber der Streich Fulvias verwirrt mich. Alle Frauenzimmer sind unerklärlich, alle würd' ich hassen, gehörten Sie nicht auch zu einem Geschlecht, von dem Sie jeglichen Reiz besitzen. Gebe Brahma, daß Sie nie seine Fehler annehmen! Leben Sie wohl, gnädige Frau, ich will mich in der Einsamkeit mit nützlichen Betrachtungen beschäftigen. Das Andenken der Gnade, mit welcher Sie und mein Herr mich beehrten, folgt mir dahin, und wenn mein Herz noch einen Wunsch hegt, so wird er Ihrem Glück und seiner Ehre gelten.«

»Selim,« antwortete die Favorite, »Sie machen Ihren Unwillen zum Ratgeber. Sie fürchten, sich lächerlich zu machen. Dem sind Sie weit mehr ausgesetzt, wenn Sie den Hof verlassen, als wenn Sie dableiben. Haben Sie so viel Philosophie, wie Sie wollen, aber es ist jetzt nicht die Zeit, Gebrauch davon zu machen: man wird in Ihrer Entfernung von der Welt nur Ärger und Verdruß sehen. Sie sind nicht gemacht, sich in eine Wüste zu verbannen, und der Sultan ...«

[437] Mangoguls Ankunft unterbrach die Favorite, sie legte ihm Selims Absicht vor. »Er ist nicht gescheit,« sagte der Fürst. »Hat ihm denn das Betragen der elenden Fulvia ganz den Kopf verrückt?« Dann wandte er sich gegen Selim: »Daraus wird nichts, guter Freund! Sie bleiben, ich bedarf Ihres Rats und unsere Freundin Ihrer Gesellschaft. Das Wohl meines Reichs und Mirzozas Zufriedenheit verlangen dieses Opfer von Ihnen. Sie werden es nicht abschlagen.«

Die Gesinnungen Mangoguls und der Favorite rührten Selim, er verbeugte sich ehrfurchtsvoll, blieb am Hofe und ward geliebt, wertgehalten, gesucht und ausgezeichnet durch die Gunst, die der Sultan und Mirzoza ihm erzeigten.

Wunder der Vorzeit

Die Favorite war sehr jung. Gegen das Ende der Regierung Erguebzeds geboren, hatte sie fast gar keine Vorstellung von dem Hofe Kanoglus. Ein beiläufig hingeworfenes [438] Wort erweckte ihre Neugierde für die Wunder, welche der Genius Cucufa dem guten Fürsten zuliebe gewirkt hatte, und niemand konnte sie besser darüber unterrichten als Selim: er war Zeuge jener Begebenheiten gewesen, er hatte teil daran genommen und kannte die Geschichte der Vorzeit aus dem Grunde. Als sie eines Tages allein mit ihm war, brachte Mirzoza das Gespräch auf dieses Kapitel und fragte ihn, ob denn die Regierung Kanoglus, von der man so viel Aufhebens mache, erstaunenswürdigere Zeichen gesehen habe, als die, welche jetzt die Aufmerksamkeit ganz Congos erregten.

»Ich habe gar kein Interesse daran, gnädige Frau,« antwortete Selim, »die alte Zeit der des jetzt regierenden Fürsten vorzuziehen. Es geschehen große Dinge, sie sind aber vielleicht nur Vorläufer derjenigen, wodurch Mangogul künftig berühmt werden wird; ich bin schon zu bejahrt, als daß ich mir schmeicheln dürfte, das zu erleben.« »Sie irren sich,« erwiderte Mirzoza, »Sie haben den Beinamen [439] ›Der Ewige‹ erworben und werden ihn auch verdienen. Aber erzählen Sie mir, was Sie sahen.«

»Gnädige Frau,« fuhr Selim fort, »Kanoglu's Regierung dauerte lange, unsere Dichter nennen sie das goldene Zeitalter. Dieser Name gebührt ihr in mancher Rücksicht. Sie zeichnete sich durch Glück und Siege aus, aber ihre Vorzüge waren auch mit Nachteilen vermischt, welche beweisen, daß dieses Gold zuweilen von schlechtem Gehalt war. Der Hof, der dem übrigen Lande den Ton angibt, war sehr verbuhlt. Der Sultan hatte Mätressen, die Großen suchten eine Ehre darin, ihm nachzuahmen, und unmerklich tat es auch das ganze Volk. Die Pracht der Kleider, der Wohnungsausstattungen, der Bedienten war maßlos. Man gestaltete den Aufwand bei den Mahlzeiten zu einer Kunst. Man spielte hoch, machte Schulden, bezahlte nicht und verschwendete, solange man Geld und Kredit besaß. Man erließ gegen die Schwelgerei schöne Verordnungen, die aber nicht in Kraft traten. Man nahm Städte ein, eroberte [440] Provinzen, begann Palastbauten und erschöpfte das Reich an Blut und Gut. Die Völker sangen Siegeslieder und starben vor Hunger. Die Großen besaßen prächtige Schlösser, herrliche Gärten, und ihre Ländereien blieben brach liegen. Hundert Kriegsschiffe machten uns zu Herren des Meeres und zum Schrecken unserer Nachbarn, aber ein guter Kopf berechnete aufs Haar, was dem Staate der Unterhalt dieser Schiffsgerippe kostete und trotz der Gegenvorstellungen der andern Minister ward befohlen, sie zum Freudenfeuer zu verbrennen. Der königliche Schatz war ein ungeheurer leerer Kasten, den diese elende Wirtschaft nicht anfüllte; und Gold und Silber wurden so rar, daß die Münzhäuser eines schönen Morgens in Papiermühlen verwandelt wurden. Um unser Glück zu vervollkommnen, ließ sich Kanoglu von Fanatikern bereden, es sei von höchster Wichtigkeit, daß alle seine Untertanen ihm ähnlich sähen, blaue Augen, Entennasen und einen roten Schnurrbart hätten wie er. Er verjagte mehr als zwei Millionen aus [441] Congo, weil sie nicht diese Uniform trugen, oder weil sie sich weigerten, sich ihm ähnlich zu machen. Das, Madam, ist jene gute alte Zeit, das ist jenes goldene Zeitalter, das Sie täglich zurückwünschen hören. Aber lassen Sie die Faselhänse schwatzen und glauben Sie, auch wir haben unsere Turennes und unsere Colberts; und die gegenwärtige Zeit ist im großen und ganzen besser als die vergangene. Sind Mangoguls Untertanen glücklicher als Kanoglus, so ist Seiner Hoheit Regierung glorreicher als die seines Großvaters; denn das Glück der Untertanen ist der eigentliche Maßstab der Fürstengröße. Doch jetzt wollen wir wieder auf Seltsamkeiten unter der Regierung Kanoglus zurückkommen. Zuerst ein Wort über den Ursprung der Hampelmänner.«

»Selim, das erlaß ich Ihnen,« sagte die Favorite, »die Geschichte kenne ich auswendig. Gehen Sie darüber weg.« »Darf ich fragen, gnädige Frau,« sprach Selim, »woher Sie sie haben?« »Aus gedruckten Büchern,« antwortete Mirzoza. »Jawohl, [442] gnädige Frau,« erwiderte Selim, »von Leuten, die selber nichts davon wußten. Ich kann mich ärgern, wenn ich sehe, daß armselige Schmierer, die dem Fürsten niemals nahe kamen, als etwa bei seinem Einzuge in die Residenz oder bei einer anderen Feierlichkeit, sich einfallen lassen, Geschichte zu machen ...« »Gnädige Frau,« fuhr Selim fort, »wir hatten die Nacht auf einem Maskenballe im großen Saal des Serails verbracht, als uns der Genius Cucufa, der erklärte Schutzheilige des regierenden Hauses, erschien und uns befahl, zu Bette zu gehen und vierundzwanzig Stunden hintereinander weg zu schlafen. Man gehorchte, und als die Zeit um war, fand sich der Serail in eine große prächtige Galerie voller Hampelmänner verwandelt. Am äußersten Ende saß Kanoglu auf seinem Thron. Ein langer abgenutzter Faden hing ihm zwischen den Beinen herunter. Eine alte verlebte Hexe zog unaufhörlich daran und bewegte mit einer Handbewegung eine unzählbare Menge untergeordneten Hampelmänner, welche an feinen, kaum sichtbaren [443] Fäden hingen, die aus Kanoglus Fingern und Fußzehen herauskamen. Sie zog, und sogleich fertigte und siegelte der Seneschall verderbliche Edikte, oder hielt zu Ehren der Hexe eine Lobrede, die sein Schreiber ihm ins Ohr raunte. Der Kriegsminister versandte an das Heer Streichhölzer, der Oberaufseher der Finanzen erbaute Häuser und ließ die Soldaten Hungers sterben. Ebenso die andern Hampelmänner.

Bewegten sich einige Hampelmänner nicht nach Wunsch, hoben sie ihre Arme nicht hoch genug, beugten sie ihre Knie nicht tief genug, so zerriß die Zauberin ihre Verbindungsfäden mit einem Handgriff, und sie erstarrten. Ich entsinne mich noch immer zweier tapferen Emirs, die sich ihren Unwillen zuzogen und zeitlebens einen gelähmten Arm behielten.

Die Fäden, die nach allen Seiten hin von Kanoglus Körper ausgingen, reichten in unermeßliche Weiten und setzten aus dem innersten Congo bis an die Grenze von Monoemugi Heere von Hampelmännern [444] in Bewegung oder in Stillstand. Ein Ziehen an dem Faden und eine Stadt wurde belagert, man legte Laufgräben an, schoß eine Bresche, und der Feind mußte kapitulieren. Aber siehe da: ein zweites Zupfen an dem Faden, und das Artilleriefeuer wurde schwächer, der Angriff weniger kräftig, man kam dem belagerten Platze zu Hilfe, die Generale wurden uneinig untereinander, man griff uns an, überrumpelte uns und schlug uns völlig in die Flucht.

Diese üblen Nachrichten betrübten Kanoglu niemals; er erfuhr sie erst dann, wenn seine Untertanen sie bereits vergessen hatten, und die Hexe ließ sie ihm nur durch Hampelmänner melden, die alle einen Faden an ihrer Zungenspitze hatten und bei der Strafe des Stummwerdens nichts sagen durften, als was ihr gefiel. Ein andermal machte uns jungen Tollköpfen ein Abenteuer viel Vergnügen, das frommen Seelen zu großem Ärgernis gereichte. Die Frauenzimmer begannen Purzelbäume zu schießen und auf dem Kopfe zu gehen, die Beine [445] in die Luft, die Hände in ihre Pantoffeln steckend.

Anfangs störte das alle Bekanntschaften, und man mußte erst die neuen Gesichter studieren. Viele wurden vernachlässigt, die man nicht mehr liebenswürdig fand, als sie sich zeigten, und andere, um die sich kein Mensch gekümmert hatte, gewannen unendlich bei näherer Bekanntschaft. Unter- und Oberröcke fielen über die Augen, man lief Gefahr, sich zu verirren oder fehlzutreten, daher verkürzte man die einen und schnitt die anderen aus. So entstand die Mode der kurzen Unterröcke und ausgeschnittenen Kleider. Als sich die Frauenzimmer wieder auf die Füße stellten, behielten sie die Tracht bei, wie sie war, und wenn man sich die Unterröcke unserer Damen genauer ansieht, so wird man leicht gewahr, daß sie nicht gemacht sind, um getragen zu werden, wie man sie heutzutage trägt. Jede Mode, die nur einen Zweck hat, wird schnell vergehen. Um zu dauern, muß sie mindestens zweierlei Absichten entsprechen. Man erfand zur selbigen Zeit [446] das Geheimnis, den Busen herabzuschnüren; und man benutzt es jetzt, um ihn heraufzuschnüren.

Die Betschwestern, erstaunt darüber, daß sie den Kopf unten und die Beine oben hatten, bedeckten sich anfangs mit den Händen. Aber über diese Vorsicht verloren sie das Gleichgewicht und stolperten gröblich. Auf einen Wink der Brahminen banden sie sich in der Folge die Röcke an den Beinen mit kleinen schwarzen Bändchen fest. Die Damen von Welt fanden diesen Ausweg lächerlich und verbreiteten, das verhindere das Atemholen und verursache Nervenschwäche. Dieses Wunder hatte glückliche Folgen: es verursachte viele Hochzeiten oder dergleichen und eine Menge Bekehrungen. Alle Weiber, deren Backen häßlich waren, stürzten sich kopfüber in die Andacht und trugen schwarze Bändchen. Vier Missionsgesellschaften der Brahminen hätten nicht soviel ausgerichtet.

Kaum hatten wir diese Prüfung überstanden, als wir eine andere, zwar nicht so allgemeine, aber nicht minder lehrreiche zu [447] beobachten hatten. Alle jungen Mädchen vom dreizehnten bis zum achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahre und darüber standen eines schönen Morgens auf, und ihr Mittelfinger stak – raten Sie wo, gnädige Frau?« sagte Selim zur Favorite. »Weder im Munde, noch im Ohr, noch, nach türkischer Art, sonstwo. Man erriet ihre Krankheit und griff eiligst zu Gegenmitteln, Seit der Zeit sind wir gewöhnt, unsern Mädchen Männer zu geben, wenn wir ihnen Puppen geben sollten.

Ein anderer Segen der guten alten Zeit: Kanoglus Hof wimmelte von Stutzern; ich hatte die Ehre, zu ihnen zu gehören. Als ich sie eines Tages von den jungen Herren in Frankreich unterhielt, ward ich gewahr, daß uns unsere Schultern über den Kopf wuchsen. Dabei aber blieb es nicht, wir drehten uns alle auf dem Absatz herum.« »Und was war daran Merkwürdiges?« fragte die Favorite. »Nichts, gnädige Frau,« antwortete Selim, »als daß die erste Verwandlung die Entstehung der hohen Schultern veranlaßte, die in Ihrer [448] Kindheit so Mode waren, und die zweite die der Lästerer, deren Reich wohl noch besteht. Man begann damals wie heute ein Gespräch mit jemand, das man, sich umdrehend, zu einem Zweiten gewendet, fortsetzte und mit einem Dritten beendete, für den das halb unverständlich, halb beleidigend war.

Ein andermal wurden wir alle zu gleicher Zeit kurzsichtig. Man mußte zu Bion seine Zuflucht nehmen. Der Spitzbube verkaufte uns Augengläser, das Stück zu zehn Zechinen, und wir fuhren fort, sie zu gebrauchen, selbst als wir unser Gesicht wiedererhielten. Das, gnädige Frau, ist der Ursprung der Operngläser.

Ich weiß nicht, was die galanten Damen damals dem Genius Cucufa taten, aber er rächte sich auf eine grausame Weise. Nachdem sie ein Jahr lang ihre Nächte beim Tanz, Spiel und Schmaus und ihre Tage auf Spazierfahrten oder im Arme ihrer Liebhaber verbracht hatten, waren sie zu ihrem Erstaunen auf einmal alle häßlich. Eine war schwarz wie ein Maulwurf, eine [449] andere kupferrot, die blaß und mager, jene gelb und runzlig. Nun galt es, diesen verderblichen Zauber verhehlen, und unsere Chemiker entdeckten die weiße und rote Schminke, Salben, Wasser, Venustücher, Jungfernmilch, Schönpflästerchen und tausend andere Mittel, deren sie sich bedienten, um nicht mehr häßlich zu sein, sondern scheußlich zu werden. Cucufas Fluch dauerte fort, aber Erguebzed, der gern schöne Weiber sah, ward ihr Fürsprecher. Nun tat der Genius, was er vermochte, aber die Kraft seines Zaubers war so mächtig, daß er ihn nicht ganz wieder aufheben konnte; und so blieben die Frauenzimmer am Hofe, wie Ihro Gnaden sie noch erblicken.«

»War es ebenso mit dem anderen Zauber?« fragte Mirzoza. »Nein, Madam,« antwortete Selim. »Der nahm früher oder später ein Ende. Die hohen Schultern senkten sich nach und nach, man ward wieder gerade, und aus Furcht, bucklig zu erscheinen, trug man die Nase hoch und nahm eine gezierte Stellung an. Nun fuhr man fort, sich herumzudrehen, und tut es noch [450] jetzt. Fangen Sie ein ernsthaftes oder vernünftiges Gespräch in Gegenwart eines jungen hübschen Herrn an, und husch – werden Sie sehen, daß er Sie verläßt, sich wirbelnd umdreht und jemand eine Parodie vorsummt, der ihn fragt, was er Neues von der Armee wisse oder wie er sich befinde? Auch tuschelt er ihm wohl ins Ohr, daß er gestern abend mit der Rabon, einem entzückenden Mädchen, soupiert habe; es sei wieder ein neuer Roman erschienen, er habe einige Seiten davon gelesen: ein schöner Roman, wirklich ein ausgezeichneter Roman und – husch! dreht er sich zu einer Dame, fragt sie, ob sie die neue Oper schon gehört habe, und sagt, daß die Daugeville hinreißend war.«

Mirzoza fand diese Torheit ganz belustigend und fragte Selim, ob er sie auch mitgemacht hätte. »Aber wie denn, Madam,« versetzte der alte Höfling, »wie hätte ich mir erlauben dürfen, sie nicht mitzumachen, ohne für den Bewohner einer andern Welt zu gelten? Ich machte einen hohen Rücken, richtete mich wieder auf, [451] spreizte mich, äugelte durchs Glas, ich drehte mich auf dem Absatz herum, schwatzte wie jeder andere, und all mein Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, alle diese Verkehrtheiten zuerst mitzumachen und ja nicht zuletzt aufzugeben.« So sprach Selim, als Mangogul erschien. Der gelehrte Afrikaner berichtet nicht, wo der während dieses Kapitels sich befand, noch womit er sich beschäftigte. Wahrscheinlich ist es dem Fürsten von Congo verstattet, gleichgültige Handlungen zu begehen, zuweilen unbedeutende Sachen zu sprechen und den übrigen Menschen zu gleichen, deren größte Lebenszeit mit Nichtigkeiten hingebracht wird oder mit Dingen, die man nicht zu erfahren braucht.

Olympia

»Freuen Sie sich, Madam,« sprach Mangogul bei seinem Eintritte zur Favorite. »Ich bringe Ihnen eine angenehme Nachricht. Die Kleinode sind närrische Dinge, die nicht wissen, was sie sagen. Cucufas Ring kann sie zum Reden bringen, aber [452] nicht zur Wahrheit.« »Und wie hat Eure Hoheit sie auf Lügen ertappt?« fragte die Favorite. »Das sollen Sie gleich hören,« antwortete der Sultan. »Selim hat Ihnen seine ganzen Abenteuer versprochen und hielt Wort, daran ist kein Zweifel. Nun hab' ich aber eben ein Kleinod ausgefragt, das ihn einer Bosheit zeiht, die er Ihnen nicht gebeichtet und sicherlich auch nicht begangen hat, und die ihm auch gar nicht ähnlich sieht. Eine hübsche Frau zu tyrannisieren und sie unter Androhung standrechtlicher Erschießung zu brandschatzen – glauben Sie, daß Selim so etwas fertig bringt?«

»Warum nicht, gnädigster Herr?« erwiderte die Favorite. »Selim ist jeder Tücke fähig gewesen, und verschwieg er das Abenteuer, das Sie eben entdeckten, so geschah es vielleicht, weil er sich mit dem Kleinod wieder ausgesöhnt hat, weil sie mitsammen jetzt wieder gut stehen, und weil er glaubte, mir so eine kleine Sünde vorenthalten zu dürfen, ohne deshalb gleich wortbrüchig zu werden.«

[453] »Die beständige Verkehrtheit Ihrer Konjekturen,« antwortete Mangogul, »hätte Sie bereits von der Krankheit heilen sollen, immer wieder welche aufzustellen. Es ist nichts mit alledem, was Sie sich einbilden. Es ist eben eine von Selims ersten Jugendtorheiten. Es handelt sich um eine jener Frauen, deren man sich auf einen Augenblick bedient, und die man nachher nicht behält.«

»Gnädige Frau,« sprach Selim zur Favorite, »ich mag mit mir zu Rate gehen, wie ich will, ich erinnere mich an nichts mehr und habe jetzt ein ganz reines Gewissen.«

»Olympia,« sprach Mangogul. – »Ach! jetzt fällt es mir ein, gnädigster Herr,« antwortete Selim. »Dies Geschichtchen ist so alt, daß es mir leicht entfallen konnte.«

»Olympia,« fing Mangogul wieder an, »Gemahlin des Obereinnehmers von Hasna,« hatte sich in einen jungen Offizier vergafft, einen Hauptmann in Selims Regiment. Ein es Morgens kommt ihr Liebhaber trostlos mit der Nachricht zu ihr, daß alle [454] Militärs Befehl erhalten hätten, abzumarschieren und zu ihren Korps zu gehen. Mein Großvater Kanoglu wollte dieses Jahr den Feldzug früh eröffnen, und einer seiner vortrefflichsten Pläne mißlang nur, weil man seine Befehle nicht geheimhielt. Die Politiker eiferten gegen diesen Plan, die Weiber verfluchten ihn. Beide hatten ihre Ursachen. Die Olympias hab' ich Ihnen gesagt. Diese Frau faßte den Entschluß, Selim zu besuchen, um womöglich die Abreise ihres geliebten Gabalis zu hintertreiben. Selim galt schon für einen gefährlichen Menschen. Olympia glaubte, es sei schicklich, sich begleiten zu lassen, und zwei ihrer Freundinnen, hübsche Frauen wie sie, erboten sich, sie zu begleiten. Selim war in seinem Hause, als sie ankamen. Er empfing Olympia, denn sie erschien allein, mit der ungezwungenen Höflichkeit, die Ihnen an ihm bekannt ist, und erkundigte sich, was ihm die Ehre eines so schönen Besuches verschaffe. »Mein Herr,« sagte Olympia, »ich interessiere mich für Gabalis. Wichtige Angelegenheiten machen seine [455] Anwesenheit in Banza notwendig. Ich komme, Sie um halbjährlichen Urlaub für ihn zu bitten.«

»Halbjährlichen Urlaub, gnädige Frau?« antwortete Selim. »Bedenken Sie nur, was Sie fordern. Die Befehle des Sultans leiden keine Ausnahme. Ich möchte verzweifeln, daß ich mir bei Ihnen kein Verdienst aus einer Gnade machen kann, die mich zugrunde richten würde.« Olympia drang von neuem in ihn. Selim weigerte sich von neuem. »Der Wesir hat mir versprochen, mich bei der nächsten Beförderung zu berücksichtigen. Können Sie verlangen, gnädige Frau, daß ich mich ertränke, um Ihnen gefällig zu sein?« – »Nein, nein, Sie werden nicht ertrinken und können mir doch gefällig sein.« – »Gnädige Frau, ich vermag hier nichts, gehen Sie zum Wesir.« – »An wen weisen Sie mich? Der Mann hat nie etwas für die Damen getan.« – »So gern ich Ihnen auch dienen möchte und so glücklich ich darüber wäre: ich sehe nur einen einzigen Ausweg.« – »Welchen?« fragte [456] Olympia lebhaft. »Ihre Absicht ist,« antwortete Selim, »Gabalis auf sechs Monate lang glücklich zu machen. Ihro Gnaden gewähren mir also vorläufig eine Viertelstunde von dem Vergnügen, das sie ihm bestimmen.« Olympia verstand ihn sehr gut, errötete, stammelte und fing endlich an, sich über die Härte des Vorschlags zu beschweren. »Reden wir nicht weiter davon, gnädige Frau,« antwortete der Oberst mit Kälte, »Gabalis reist, es ist notwendig, daß der Dienst des Fürsten geschehe. Etwas hätte ich auf mich nehmen können, aber Sie lassen gar nicht mit sich reden. Wenn Gabalis also reist, Madam, so ist das Ihr eigener Wille.« »Meiner, o nein!« rief Olympia heftig, »er bleibe! fertigen Sie schnell seinen Urlaub aus!« Die wesentlichen Präliminar-Artikel des Traktats wurden auf einem Sofa ratifiziert, und die Dame glaubte schon, ihren Gabalis festzuhalten, als es dem Verräter, den Sie vor sich sehen, einfiel, sich zu erinnern, daß er zwei Damen in ihrer Begleitung gesehen habe, die im Vorzimmer geblieben wären. [457] Und er fragte, welche Bewandtnis es mit denen habe. »Sie sind meine besten Freundinnen,« antwortete Olympia. »So zweifle ich nicht,« sagte Selim, »daß es auch Gabalis' Freundinnen sind. In dieser Voraussetzung werden Sie sich auch wohl gefallen lassen, ein Dritteil der Rechte abzutragen, die mir unserer Abrede nach zukommen. Ja, das ist nicht mehr als billig. Ich überlasse Ihrer Gnaden die Sorge, sie dazu zu vermögen.« »Sie sind wirklich wunderlich, Herr Oberst,« antwortete Olympia. »Ich beteure Ihnen, diese Damen machen keinen Anspruch auf Gabalis. Aber um sie und mich aus der Verlegenheit zu reißen, will ich, wenn Sie meine Zahlung gutheißen, den Wechsel einzulösen suchen, den Sie auf beide ziehen.« Selim nahm das Anerbieten an. Olympia machte ihren Worten Ehre. »Dies, Madam, ist die Geschichte, die Selim Ihnen zu erzählen vergaß.«

»Das verzeih ich ihm,« sagte die Favorite. »Olympias Bekanntschaft ist so angenehm nicht, daß ich mit ihm zürnen sollte, weil er sie überging. Ich weiß nicht, wo Sie [458] immer solche Frauenzimmer ausgraben? Wahrlich, Fürst, es sieht mir ganz so aus, als ob Sie keine Luft hätten, Ihr Schloß zu verlieren.«

»Und mir,« sagte der Sultan, »sieht es so aus, als ob Sie Ihre Meinung seit diesen letzten Tagen sehr geändert hätten. Erinnern Sie sich gefälligst, welchen Versuch meines Ringes ich Ihnen zuerst vorschlug, und Sie werden erkennen, daß es nicht von mir abhing, lieber zu verlieren.« »Ja,« erwiderte die Sultanin, »ich weiß, Sie haben mir geschworen, mein Kleinod nicht zur Sprache zu bringen; und von dem Augenblick an haben Sie sich nur an berüchtigte Frauenzimmer gewandt, an eine Aminte, eine Zobeide, eine Zuleika, deren Ruf fast schon entschieden war.«

»Ich gestehe,« sagte Mangogul, »es wäre lächerlich gewesen, auf diese Kleinode zu rechnen: aber wer keine Jungfern hat, muß wohl mit Witwen tanzen. Ich habe Ihnen oft gesagt und wiederhole es: gute Gesellschaft findet sich unter Kleinoden seltener, als Sie glauben; und [459] wollen Sie nicht durch sich selbst gewinnen ...«

»Nein,« unterbrach ihn Mirzoza mit Heftigkeit, »lieber will ich in meinem Leben kein Schloß besitzen, als es dahin kommen lassen. Mein Kleinod sollte reden? Pfui! das wäre höchst unschicklich. Kurz, Fürst, Sie wissen, was ich gesagt habe, ich wiederhole meine Drohung im vollen Ernst!«

»So beschweren Sie sich denn nicht mehr über meine Versuche, oder weisen Sie uns wenigstens die Person nach, an die wir uns wenden sollen; denn ich möchte am liebsten verzweifeln, daß das nicht aufhört. Liederliche Kleinode und nichts als liederliche Kleinode und immer wieder liederliche Kleinode!«

»Ich habe das größte Vertrauen zu Aglaens Kleinod,« antwortete Mirzoza. »Ich erwarte mit Ungeduld das Ende der vierzehn Tage, die Sie verlangten.«

»Sie sind gestern abgelaufen, Madam,« erwiderte Mangogul, »und während Selim Ihnen Geschichten von dem alten Hofe erzählte, belehrte mich Aglaens Kleinod, [460] daß Celebis böse Laune und Alemansors. Standhaftigkeit seine Gebieterin für Ihre Zwecke unbrauchbar machten.«

»Was sagen Sie, Fürst?« rief die Favorite. »Die Wahrheit,« erwiderte der Sultan. »Ich werde Ihnen die Geschichte ein andermal zum Besten geben. Inzwischen aber lassen Sie wohl Ihre üble Laune an jemand anders aus.«

»Aglae, die tugendhafte Aglae, ist also endlich doch überführt!« sprach die Sultanin erstaunt. »Wahrlich, das begreif' ich nicht.«

»Da sind Sie nun ganz und gar kopflos,« versetzte Mangogul, »und wissen nicht mehr ein noch aus.«

»Nicht das,« antwortete die Favorite, »aber ich gestehe Ihnen, ich hielt sehr viel von Aglae.« »Denken Sie nicht weiter daran,« fuhr Mangogul fort; »sagen Sie uns nur, ob das die einzige anständige Frau war, die Sie kannten.«

»Nein, Fürst, es gibt noch hundert andere,« erwiderte Mirzoza, »und zwar sehr liebenswürdige Frauen, die ich Ihnen nennen will, für die ich bürge wie für [461] mich selbst. Zum Beispiel ... zum Beispiel ...«

Mirzoza verstummte jäh, ohne einen einzigen Namen genannt zu haben. Selim konnte sich nicht enthalten, zu lächeln, und der Sultan mußte sogar laut auflachen über die Verlegenheit der Favorite, die so viel tugendhafte Damen kannte und sich auf keine einzige besinnen konnte.

Ärgerlich wandte sich Mirzoza gegen Selim und sprach: »Helfen Sie mir doch, Selim, Sie haben eine ausgebreitete Bekanntschaft. Fürst,« setzte sie gegen den Sultan hinzu, »wenden Sie sich doch an ... an ... an, zum Beispiel ... So helfen Sie mir doch, Selim.« »An Mirzoza,« sagte Selim. »Das ist sehr wenig ritterlich von Ihnen,« versetzte die Favorite. »Ich fürchte zwar die Prüfung nicht, aber ich habe eine Abneigung dagegen. Geschwind nennen Sie mir eine andere, wenn ich Ihnen verzeihen soll.«

»Man könnte zusehen,« sagte Selim, »ob Zaide ihr Ideal, weswegen sie sonst alle [462] Liebhaber verwarf, in Wirklichkeit gefunden hat.«

»Zaide,« versetzte Mangogul, »ich gestehe Ihnen, gegen die Frau könnt' ich wohl verlieren.« »Es ist vielleicht die einzige,« setzte die Favorite hinzu, »deren guten Namen die spröde Arsinoe und der Geck Jonlki verschont haben.«

»Das ist stark,« sagte Mangogul, »aber ein Versuch mit meinem Ring ist doch ein noch besserer Beweis. Gehen wir direkt zu ihrem Kleinod. Dieser Orakelspruch ist zuverlässiger als der des Kalchas.«

»Ei, gnädigster Herr,« sprach die Favorite lächelnd, »Sie haben ja Ihren Nathan im Kopf trotz einem Schauspieler.«

Suleiman und Zaide

Mangogul ging auf den Scherz der Favorite nicht weiter ein, eilte sogleich hinaus und begab sich zu Zaide. Er fand sie zurückgezogen in ein Zimmerchen vor einem kleinen Tische, auf welchem er Briefe, ein Bildnis und andere Kleinigkeiten zerstreut [463] umherliegen sah, die von ihrem Geliebten kamen, wie man leicht an dem Aufheben erkennen konnte, das sie von den Sachen machte. Sie schrieb. Tränen rannen ihr aus den Augen und benetzten das Papier. Sie drückte das Bildnis mit Inbrunst an die Lippen, öffnete die Briefe, schrieb ein paar Worte, nahm dann wieder das Bild zur Hand, stürzte sich auf die Kleinigkeiten, deren ich erwähnte, und drückte sie an ihre Brust.

Der Sultan war unglaublich verwundert, er hatte außer der Favorite und Zaide nie ein zärtliches Frauenzimmer gesehen. Er glaubte sich von Mirzoza geliebt; aber liebte Zaide den Suleiman nicht noch mehr? Waren diese beiden Liebespaare nicht die einzigen wahrhaft Liebenden in Congo?

Die Tränen, die Zaide schreibend vergoß, waren keine Tränen des Grams. Liebe ließ sie fließen. Und in diesem Augenblick empfand sie nichts, als das köstliche Gefühl, Suleimans Herz mit Gewißheit zu besitzen: »Teurer Suleiman,« rief sie, »wie lieb' ich[464] dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt! In Augenblicken, wo Zaide nicht so glücklich ist, dich zu sehen, schreibt sie dir wenigstens, wie sie so ganz dir gehöre. Ist sie entfernt von Suleiman, so beschäftigt sie sich einzig und allein mit ihrer Liebe.«

So weit gerade war Zaide in ihren zärtlichen Betrachtungen gekommen, als Mangogul seinen Ring gegen sie drehte. Sogleich vernahm er ein Seufzen ihres Kleinods und die Wiederholung der ersten Worte des Selbstgesprächs seiner Gebieterin: »Teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt!« Zaidens Herz und Kleinod waren zu einstimmig, um eine verschiedene Sprache zu führen. Zaide staunte anfangs; aber sie war so sicher, daß ihr Kleinod nichts sagen würde, was Suleiman nicht mit Vergnügen anhören konnte, daß sie wünschte, er möchte zugegen sein.

Mangogul wiederholte seinen Versuch, und Zaidens Kleinod wiederholte mit sanfter [465] schmachtender Stimme: »Suleiman, teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir!«

»Suleiman,« rief der Sultan, »ist der glücklichste Sterbliche meines Reiches! Ich muß fort von hier, wo der Anblick eines Glückes, größer als das meinige, mir vor Augen tritt und mich betrübt.« Sogleich ging er hinaus und erschien bei der Favorite mit unruhigem, traurigem Gesichte. »Was fehlt Ihnen, Fürst?« fragte sie. »Sie sagen kein Wort von Zaide.« »Zaide,« antwortete Mangogul, »ist ein anbetungswürdiges Weib; sie liebt, wie niemand noch geliebt hat.« »Desto schlimmer für sie,« erwiderte Mirzoza. »Was reden Sie da?« versetzte der Sultan. »Ich sage,« antwortete die Favorite, »daß Kermades einer der albernsten Männer in Congo ist, daß Selbstsucht und Befehl der Eltern diese Heirat zustande gebracht haben, und daß es nie ein ungleicheres Ehepaar als Kermades und Zaide gegeben hat.« »Sie liebt ja auch ihren Mann gar nicht,« sagte Mangogul. »Wen denn?« fragte Mirzoza. [466] »Suleiman,« antwortete Mangogul. »Dann ade Porzellan und Wickelschwanzaffe!« sagte die Favorite. »Ach!« sprach Mangogul leise zu sich selbst, »diese Zaide hat mich gerührt, sie verfolgt mich, sie schwebt mir vor, ich muß sie durchaus wiedersehen!« Mirzoza unterbrach ihn durch einige Fragen, die er sehr einsilbig beantwortete. Er versagt ihr eine Partie Piquet, die sie ihm vorschlug, klagte über Kopfschmerzen, die er nicht hatte, begab sich in sein Gemach, legte sich ohne Nachtessen zu Bette, was ihm im Leben noch nicht widerfahren war, und schlief nicht. Zaidens Reize und Zärtlichkeit, Suleimans Glück quälten ihn die liebe lange Nacht.

Man kann leicht ermessen, daß er am folgenden Morgen nichts Eiligeres zu tun hatte, als zu Zaide zurückzukehren. Er verließ seinen Palast, ohne sich nach der 'Favorite erkundigen zu lassen; das verabsäumte er zum erstenmal. Er fand Zaide in dem Kabinett vom vergangenen Tage. Suleiman war bei ihr; er hielt seiner Geliebten Hände in den seinigen und sah sie [467] unverwandt an. Zaide beugte sich über hin, aus ihren Blicken sprach feurige Leidenschaft. In dieser Lage blieben sie eine Zeitlang, aber endlich gaben beide der Heftigkeit ihrer Begierden nach, stürzten einander in die Arme und hielten sich fest umschlungen. Bis dahin hatte tiefe Stille rings um sie geherrscht jetzt ward sie durch Seufzer unterbrachen, durch das Geräusch ihrer Küsse, durch wenige unartikulierte Laute, die sich ihnen entrangen: »Du liebst mich?« »Ich bete dich an!« »Wirst du mich ewig lieben?« »Mein letzter Atemzug wird Zaide gehören!«

Mangogul, von Schmerz überwältigt, warf sich auf einen Lehnstuhl und bedeckte die Augen mit der Hand. Man kann sich leicht denken, was für Dinge er zu sehen befürchtete, die aber nicht geschahen. Nach einem kurzen Schweigen sprach Zaide: »O teurer, geliebter Freund, warum hab' ich dich nicht immer so gekannt, wie du jetzt bist. Ich hätte dich darum nicht minder geliebt und mir jeden Vorwurf erspart. Aber du weinst, guter Suleiman? Komm, [468] teurer, geliebter Freund, laß mich deine Zähren trocknen! Suleiman, du schlägst die Augen nieder? Was fehlt dir? Sieh mich doch an! Komm, teurer Freund, komm, laß dich trösten! Drücke deine Lippen auf meinen Mund, hauch' mir deine Seele ein, trink' die meinige in dich, versuch' – Ach! nein! nein!« Zaide endigte ihre Worte mit einem heftigen Seufzer und verstummte.

Der gelehrte Afrikaner berichtet, Mangogul sei durch diesen Auftritt sehr erschüttert gewesen, habe auf Suleimans Unzulänglichkeit einige Hoffnung gebaut und Zaide heimlich Anträge machen lassen, die sie zurückwies, ohne sich dessen ihrem Geliebten gegenüber zu rühmen.

Platonische Liebe

»Aber ist denn Zaide einzig in ihrer Art? Mirzoza ist wenigstens ebenso reizend als sie, von ihrer Zärtlichkeit habe ich tausend Proben: ich will geliebt sein, ich bin es, und wer sagt mir, daß Suleiman mehr [469] geliebt wird als ich? Ich war ein Narr, einen andern um sein Glück zu beneiden. Nein, niemand unter der Sonne ist glücklicher als Mangogul!« So fingen die Vorstellungen an, die Mangogul sich selbst machte. Ihre Fortsetzung hat der Geschichtschreiber unterdrückt; er begnügte sich, uns zu melden, daß der Sultan mehr darauf achtete, als auf die Vorstellungen seiner Minister, und daß Zaide ihm nicht wieder in den Sinn kam.

An einem Abend, als er sehr zufrieden mit seiner Geliebten oder mit sich selbst war, schlug er vor, Selim rufen zu lassen und sich ein wenig im Gebüsch des großherrlichen Gartens zu verlieren. Hier waren bedeckte Gänge, wo man ohne Zeugen mancherlei sagen und tun konnte. Auf dem Wege dahin lenkte Mangogul das Gespräch auf den Zweck, warum man liebt. Mirzoza, zu hohen Grundsätzen gestimmt und für Ideen eingenommen, die sicherlich weder zu ihrem Range, noch zu ihrer Schönheit, noch zu ihrer Jugend paßten, behauptete: man liebe, oft um zu lieben; es gäbe Verbindungen, [470] auf Übereinstimmung der Gemüter gegründet, durch Achtung aufrechterhalten, durch Vertrauen befestigt, die eine lange und beständige Dauer hätten, ohne daß der Liebhaber auf die höchste Gunst Anspruch mache, oder die Geliebte in Versuchung gerate, sie ihm zu gewähren.

»Da sieht man, Madam,« sagte der Sultan, »wie die Romane Sie verdorben haben. Doch gibt es freilich bis zur Dummheit ehrerbietige Helden und tugendhafte Prinzessinnen, aber Sie vergessen, daß solche Wesen nur im Gehirn der Dichter vorhanden sind. Fragen Sie Selim, der besser als jemand den Katechismus Cytherens aufsagen kann, was die Liebe ist. Ich wette, er antwortet Ihnen, die Liebe sei nichts als ...«

»Wollen Sie etwa wetten,« unterbrach ihn die Sultanin, »daß die Zartheit der Empfindungen nur ein Hirngespinst sei, und daß es ohne Hoffnung auf Genuß kein Fünkchen Liebe auf der Welt gebe? Wahrlich, dann müßten Sie eine sehr schlechte Meinung vom menschlichen Herzen haben.«

[471] »Das tu ich,« versetzte Mangogul; »unsere Tugenden sind eben so eigennützig, als unsere Laster. Der Tapfere setzt sich Gefahren aus, weil er den Ruhm liebt; der Feige liebt die Ruhe und das Leben, der Liebhaber will genießen.«

Selim ergriff die Partei des Sultans und setzte hinzu, daß, wenn zwei Dinge nicht wären, so würde die Liebe aus der menschlichen Gesellschaft verbannt werden und nie wieder zum Vorschein kommen.

»Was sind das für zwei Dinge?« fragte die Favorite. »Er will sagen,« antwortete Mangoguil, »wenn Sie und ich und die ganze übrige Welt das verlieren könnten, was Tanzai und Neadarne im Traume wiedererhielten.«

»Wie?« unterbrach ihn Mirzoza. »Sie glauben, daß es ohne diese elenden Dinge keine Achtung und kein Vertrauen unter zwei Personen von verschiedenem Geschlecht gebe? Ohne sie sollte eine Frau von Talent, Geist und Anmut keinen Eindruck machen können? Ohne sie werde man einen schönen, liebenswürdigen Mann, [472] einen Mann von Genie, von vortrefflichem Charakter nicht mehr anhören wollen?«

»Gewiß nicht, Madam,« versetzte Mangogul; »denn was sollte er sagen, wenn er Ihnen gefällt?«

»Tausend allerliebste Dinge,« antwortete Mirzoza, »die man immer gern hört.«

»Bedenken Sie, Madam,« sagte Selim, »daß derlei Dinge alle Tage ohne Liebe gesagt werden. Nein, Madam, nein, ich habe überzeugende Beweise: ohne einen wohlorganisierten Körper keine Liebe. Agenor, der schönste Junge im Congo und der geistvollste Mann am Hofe, könnte mir, wäre ich ein Frauenzimmer, noch so viel sein wohlgebautes Bein zeigen und seine großen blauen Augen auf mich werfen, die feinsten Schmeicheleien an mich verschwenden und mir jeden seiner Vorzüge zur Geltung bringen, ich würde ihm nur eine Frage vorlegen, und könnte er mir die nicht prompt beantworten, so hätte ich alle mögliche Achtung für ihn, nur keine Liebe.«

»Das ist nüchtern,« setzte der Sultan hinzu, »und Sie werden mir gestehen, diese [473] geheimnisvolle Frage ist in der Liebe nützlich und nötig. Sie sollten sich nur zu Ihrer Belehrung die Unterhaltung eines schönen Geistes von Banza mit einem Schulmeister erzählen lassen. Sie würden dann sogleich begreifen, warum der schöne Geist, der Ihren Satz ebenfalls behauptete, endlich gestehen mußte, daß er unrecht habe, und daß sein Gegner wie ein Kleinod spreche. Selim kann Ihnen das am besten sagen, von ihm weiß ich es.«

Die Favorite vermutete, ein Geschichtchen, das Mangogul nicht erzählen wolle, müsse sehr anstößig sein, und sie ging in eine Laube, ohne Selim danach zu fragen. Das war ein Glück für ihn. Denn bei all seinem Witz hätte er entweder die Neugierde übel befriedigt oder ihr Schamgefühl außerordentlich beleidigt. Um sie aber zu entschädigen und sie vollends von der Geschichte des Schulmeisters abzulenken, erzählte er ihr die folgende:

»In einem großen Lande, an den Quellen des Nils, lebte ein Jüngling, schön wie der Liebesgott. Noch war er nicht achtzehn [474] Jahre alt, als alle Mädchen bereits sich sein Herz streitig machten und alle Weiber ihn als Liebsten gern gehabt hätten. Geboren mit einem zärtlichen Herzen, liebte er, sobald er imstande war, zu lieben.«

Eines Tages befand er sich im Tempel beim Fest der großen Pagode, vor der er nach hergebrachter Weise, wie es das Gesetz befiehlt, siebzehnmal die Knie beugen wollte. Aber die Schöne, die er anbetete, ging vorbei und warf einen lächelnden Blick auf ihn, der ihn so in Verwirrung brachte, daß er das Gleichgewicht verlor, mit der Nase auf die Erde stürzte, der ganzen Gemeinde durch seinen Fall Ärgernis gab, seine Kniebeugungen zu zählen vergaß und bei der sechzehnten aufhörte.

Die große Pagode zürnte ob der Sünde und des Ärgernisses und strafte ihn grausam. Hilas, so hieß er, der arme Hilas, ward plötzlich von heftigen Begierden entzündet, aber glattweg des Mittels beraubt, ihnen zu genügen. Verwundert und traurig zugleich ob eines solchen Verlustes, befragte er deswegen das Orakel der großen Pagode. [475] Sie nieste und antwortete: ›Du sollst nicht eher genesen, bis dich ein Weib in ihre Arme schließt, die dein Unglück kennt und dich deswegen nicht minder liebt.‹

Selbsteingenommenheit ist gern die Begleiterin der Jugend und Schönheit. Hilas bildete sich ein, sein Geist und sein angenehmes Wesen würde ihm bald ein zartsinniges Herz gewinnen, das zufrieden mit dem, was ihm blieb, ihn um seiner selbst willen lieben und so ihm bald wieder zurückgeben werde, was er verloren hätte. Zuerst wandte er sich an die unschuldige Ursache seines Unglücks. Es war ein junges, lebhaftes, wollüstiges, Liebe heischendes Mädchen. Hilas betete sie an und erhielt von ihr ein Stelldichein bewilligt, wo sie den armen Jungen von Liebkosungen zu Liebkosungen dahin führte, wohin er niemals gelangen konnte. Er quälte sich rechtschaffen und suchte in den Armen der Geliebten die Erfüllung des Orakelspruchs; nichts geschah. Sie ward es überdrüssig, zu warten, brachte sich schnell wieder in Ordnung und verließ ihn. Das Schlimmste [476] bei dem Abenteuer war noch, daß die kleine Närrin es einer Freundin anvertraute, die es aus Verschwiegenheit nur drei oder vier andern Freundinnen weitererzählte, die ein so öffentliches Geheimnis daraus machten, daß Hilas, zwei Tage zuvor noch Hahn im Korbe bei allen Weibern, nun von ihnen verachtet ward, mit Fingern gezeigt und als eine Mißgeburt angesehen wurde.

Also in seinem Vaterlande verschrien, faßte der unglückliche Hilas den Entschluß, zu reisen und in der Ferne Heilung von seinem Übel zu suchen. Er begab sich unerkannt und ohne Gefolge an den Hof des Kaisers von Abessinien. Anfangs verliebte man sich in den jungen Fremdling, man riß sich um ihn. Aber der kluge Hilas vermied Verbindlichkeiten, bei denen er ebensosehr seine Rechnung nicht zu finden fürchtete, als er überzeugt war, daß die Weiber, die ihm nachstellten, sie bei ihm nicht finden würden. Aber bewundern Sie den Scharfsinn Ihres Geschlechts! ›Ein so junger, so kluger, so schöner Mann,‹ sagte man. ›Das wäre doch ein Wunder!‹ und es fehlte [477] wenig, so hätte man trotz aller in ihm vereinigten Vorzüge sein Gebrechen erraten und aus Furcht, ihm alles zuzugestehen, was ein vollkommener Mann haben kann, ihm gerade das Einzige vorenthalten, was ihm abging.

Nachdem Hilas eine Zeitlang die Töchter des Landes besehen hatte, fiel seine Wahl auf eine junge Frau, die, ich weiß nicht aus welcher Grille, von der feineren Liebelei zur hohen Andacht übergegangen war. Er schmeichelte sich mehr und mehr in ihr Vertrauen ein, nahm ihre Grundsätze an, ahmte ihr Betragen nach, begleitete sie Arm in Arm in die Gotteshäuser und unterhielt sich so oft mit ihr über die Eitelkeit irdischer Vergnügungen, daß er mit der Erinnerung unmerklich die Lust daran bei ihr wieder erweckte. Seit mehr als einem Monat besuchte er nun die Moscheen, hörte Predigten und pflegte Kranke, als er sein Genesungsheim unternahm; allein alles vergeblich. Seine fromme Freundin wußte zwar, wie es im Himmel zugeht, doch vergaß sie darüber nicht, wie man auf Erden [478] beschaffen sein muß, und der arme Junge verlor in einem einzigen Augenblick die ganze Frucht seiner guten Werke. Ein Trost blieb ihm freilich: man beobachtete unverbrüchliches Schweigen über diesen Vorfall. Ein Wort hätte sein Übel unheilbar gemacht, aber dieses Wort ward nicht gesprochen, und Hilas bandelte jetzt mit einigen andern frommen Seelen an, die er, eine nach der andern, für das spezifische Heilmittel hielt, das ihm das Orakel verordnet hatte, und die ihm nicht den Zauber lösten, weil sie nur das an ihm liebten, was er nicht mehr besaß. Ihre Gewohnheit, die Dinge dieser Welt zu vergeistigen, half ihm nichts. Sie schmachteten zwar nach Empfindung, aber nach der Empfindung des Genusses. »Sie lieben mich also nicht?« fragte Hilas betrübt. »Wissen Sie denn nicht, mein Herr,« war die Gegenfrage, »daß man erst erkennen muß, bevor man liebt? Und können Sie leugnen, daß Sie bei Ihrem Unglück durchaus nicht liebenswert sind, wenn man Sie kennt?«

Er ging seufzend von ihnen: »Die reine [479] Liebe, von der man soviel spricht, ist nirgends zu finden. Die Zartheit der Empfindungen, worauf alle Männer und alle Frauen so erpicht sind, ist ein bloßes Hirngespinst. Das Orakel hat mich angeführt, und ich habe Zeit meines Lebens genug davon.«

Auf seinem Wege fand er solche Frauen, die nur Herzensbeziehungen suchen und denen ein kecker Mann wie der Tod verhaßt ist. Sie empfahlen ihm so ernstlich, nichts Irdisches und Grobes in seine Absichten einzumischen, daß er davon viel für seine Genesung erhoffte. Er glaubte ihnen aufs Wort und verwunderte sich gewaltig, daß es trotz der erhabenen Gespräche, in die sie ihn verwickelten, mit ihm dennoch beim Alten blieb. »Vielleicht wird meine Genesung nicht durch bloße Gespräche bewirkt,« sagte er zu sich selbst und lauerte auf eine Gelegenheit, sich in die Lage zu setzen, die das Orakel etwa erforderte. Sie kam. Eine junge Platonikerin, die über alles gern spazieren ging, führte ihn in ein abgelegenes Hölzchen. Hier war sie fern von allen [480] Spähern, als ihr eine Ohnmacht ankam. Hilas warf sich über sie, tat, was er konnte, um ihr Erleichterung zu verschaffen, aber alle seine Anstrengung war umsonst. Die ohnmächtige Schöne merkte das so gut als er. »Ach, mein Herr,« sagte sie, indem sie sich seinen Armen entwand. »Was sind Sie für ein Mann! Ich gehe nie wieder mit Ihnen an einsame Orte, wo einem schlimm werden kann und man hundertmal sterben mag, ehe Hilfe kommt.«

»Andere erfuhren seinen Zustand, beklagten ihn, schwuren, der Zärtlichkeit, die sie für ihn empfänden, täte das keinen Abbruch, und sahen ihn niemals wieder.

Der unglückliche Hilas erregte mit dem schönsten Gesicht der Welt und den zartesten Empfindungen die Unzufriedenheit sehr vieler Frauen.«

»Weil er ein Gimpel war,« fiel der Sultan ein. »Warum wandte er sich nicht an eine Vestalin, wie es ihrer so viele in unsern Klöstern gibt? Die hätten einen Narren an ihm gefressen und er wäre unfehlbar durchs Gitter hindurch geheilt worden.«

[481] »Gnädigster Herr,« versetzte Selim, »die Chronik erzählt, er habe auch dieses Mittel versucht und erfahren, daß man nirgends umsonst lieben will.« »So verzweifl' ich an seiner Genesung,« erwiderte der Sultan. »Er verzweifelte auch daran, wie Ihre Hoheit,« fuhr Selim fort, »ward es überdrüssig, Versuche zu wiederholen, die zu nichts führten, und begab sich in eine Einöde, nachdem ihm eine unzählige Menge Frauenzimmer ihr Wort darauf gegeben hatten, daß er ein unbrauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft wäre.«

Schon manchen lieben Tag irrte er so in der Wüste umher, als aus der Ferne Seufzer an sein Ohr drangen. Er horchte auf, das Seufzen dauerte fort, er ging dem Schalle nach und fand ein junges Mädchen, schön wie die Sterne, das Haupt auf die Hand gestützt, die Augen in Tränen gebadet und den übrigen Körper in einer traurigen nachdenklichen Stellung. »Was suchen Sie hier, mein Fräulein?« sagt er zu ihr, »ist denn diese Wüste für Sie geschaffen?« »Ja,« antwortete sie betrübt, »hier kann [482] man wenigstens ganz nach seiner Bequemlichkeit traurig sein.« »Und worüber sind Sie betrübt?« – »Ach!« – »Reden Sie, Fräulein; was haben Sie?« – »Nichts.« – »Wie denn nichts?« – »Ganz und gar nichts, und das eben ist mein Kummer. Vor zwei Jahren war ich so unglücklich, eine Pagode zu beleidigen, die mir alles nahm. Es war freilich so wenig, daß das kein großer Beweis ihrer Macht ist. Seit dieser Zeit fliehen mich alle Männer und werden mich fliehen, hat die Pagode gesagt, bis sich einer findet, der mein Unglück kennt und sich doch mit mir befreundet und mich liebt, wie ich bin.«

»Was hör' ich?« rief Hilas. »Der Unglückliche, den Sie jetzt zu Ihren Füßen sehen, hat gleichfalls nichts, und das ist ebenfalls seine Krankheit! Er war vor einiger Zeit so unglücklich, eine Pagode zu beleidigen, die ihm alles nahm, was er besaß, und ohne Ruhmredigkeit: das war etwas. Seit der Zeit fliehen ihn alle Weiber und werden ihn fliehen, sagt die Pagode, bis er eine findet, die sein Unglück [483] kennt und sich doch mit ihm befreundet und ihn liebt, wie er ist.«

»Ist das möglich?« fragte das junge Mädchen. »Was Sie mir sagten, ist es die Wahrheit?« fragte Hilas. »Sehen Sie selbst,« antwortete das Mädchen. »Sehen Sie selbst,« antwortete Hilas.

»Sie überzeugten sich gegenseitig, so daß kein Zweifel mehr sein konnte, daß sie beide Gegenstand des himmlischen Zorns waren. Ihr gemeinschaftliches Unglück vereinigte sie. Iphis, so hieß das Mädchen, war für Hilas gemacht, Hilas für Iphis. Sie liebten sich platonisch, wie Sie sich leicht denken können, denn sie konnten sich nicht anders lieben. Aber sogleich nahm auch der Zauber ein Ende; sie stießen jeder einen Freudenschrei aus, und die platonische Liebe verschwand.

Sie blieben mehrere Monate hindurch in der Wüste beisammen und nahmen sich Zeit, sich ihrer Veränderung zu vergewissern. Iphis war vollkommen genesen. Und was nun Hilas betrifft, so sagt der Gewährsmann, daß ihm ein Rückfall drohte.«

[484] Mirzoza

Während Mangogul sich in seinen Gärten mit der Favorite und Selim unterhielt, brachte man ihm die Nachricht von Sulameks Tode. Sulamek war anfangs gegen Erguebzeds Willen des Sultans Tanzmeister gewesen; aber einige Ränkeschmiedinnen, die er gefährliche Sprünge gelehrt hatte, beförderten ihn nach besten Kräften und brachten es endlich dahin, daß er Marcell und anderen vorgezogen wurde, deren Vorgesetzter er nicht zu sein verdiente. Er war ein Kleinigkeitskrämer, sprach die Hofsprache, erzählte ganz artig und wußte mit Kindern zu spielen, verstand aber nichts vom hohen Tanz. Als die Großwesirsstelle erledigt war, brachte er es durch vieles Katzbuckeln dahin, daß er endlich den Groß-Seneschall ausstach, der zwar unermüdlich im Tanz, aber etwas steifbeinig war und häßliche Verbeugungen machte. Unter seiner Ministerschaft trug sich für die Nation nichts Glorreiches zu. Seine Feinde – und welcher Mann von Verdienst hätte [485] deren nicht? – sagten ihm nach, er spiele schlecht Geige, verstehe nichts von der Choreographie, hätte sich von den Pantomimen des Presbyters Johannes zum Narren halten und durch einen Bären von Monoemugi ins Bockshorn jagen lassen, der einmal vor ihm tanzte, habe dem gichtbrüchigen Kaiser von Tombul Millionen bezahlt, damit er nicht tanzen möge, verschwende jährlich mehr als fünfmalhunderttausend Zechinen für Kolophonium und noch weit mehr zur Verfolgung aller Bierfiedler, die andere als seine Menuetten spielten, lasse sich endlich seit fünfzehn Jahren durch die Leier eines dicken Guineers einschläfern, der mit Begleitung dieses Saitenspiels einige Congoische Lieder radebreche. Dagegen habe er freilich auch die Mode der holländischen Lieder eingeführt usw.

Mangogul war ungemein gutmütig. Sulameks Verlust ging ihm nahe, er ordnete für ihn einen Katafalk und eine Leichenrede an. Mit der letzteren ward der Redner Burrububu beauftragt.

An dem Tage der Feier begaben sich die [486] Häupter der Brahminen, der gesamte Diwan und die Sultaninnen, geführt von ihren Verschnittenen, in die große Moschee. Burrububu bewies zwei Stunden lang mit einer bewunderungswürdigen Redegewandtheit, daß Sulamek sich durch vorzügliche Verdienste emporgeschwungen habe; machte Nutzanwendungen über Nutzanwendungen, vergaß Mangogul nicht, noch was er während Sulameks Staatsverwaltung ausgerichtet, und erschöpfte sich in Ausrufen über Ausrufen, als Mirzoza, deren Nerven keine Lügen vertragen konnten, darüber einen Ohnmachtsanfall bekam.

Ihre Bedienten und Frauen eilten ihr zu Hilfe, man setzte sie in ihren Palankin und trug sie sogleich in den Harem zurück. Mangogul, dem man die Gefahr berichtete, eilte zu ihr. Die ganze Apothekerkunst ward aufgeboten. Hofmannstropfen, Englisch Salz, Schauerscher Balsam wurden umsonst versucht. Der Sultan war außer sich, weinte über Mirzoza, fluchte dem Gualonorone, verlor endlich alle Hoffnung oder setzte sie vielmehr nur auf seinen Ring. [487] »Hab' ich dich verloren, Wonne meines Lebens!« rief er, »so muß auch dein Kleinod auf ewig verstummen, wie dein Mund!«

Sogleich befiehlt er allen hinauszugehen; man gehorcht, und nun ist er allein bei der Favorite. Er dreht seinen Ring gegen sie; aber Mirzozas Kleinod hatte, wie es so vielen andern täglich ergeht, in der Kirche Langeweile gehabt und war wahrscheinlich noch schläfrig, denn es murmelte anfangs nur einige unverständliche, undeutlich ausgesprochene Worte. Der Sultan wiederholte den Versuch, und das Kleinod sprach sehr deutlich. »Fern von Ihnen, Mangogul, was soll aus mir werden? Treu bis in die Nacht des Grabes würde ich mich nach Ihnen sehnen, und finden Liebe und Beständigkeit noch Lohn bei den Toten, teurer Fürst, so würde auch ich bei Ihnen ... Ach, ohne Sie wäre Brahmas köstlicher Palast, den er seinen Gläubigen verspricht, für mich ein schrecklicher Aufenthalt.«

Mangogul, vor Freuden hingerissen, bemerkte nicht, daß die Favorite nach und nach aus ihrer Schlafsucht erwachte und die [488] letzten Worte ihres Kleinods hören müsse, wenn er nicht schleunig zurückdrehte, und das geschah auch. »O gnädigster Herr,« sprach sie, »sind das Ihre Schwüre? Haben Sie endlich Ihren ungerechten Argwohn aufgeklärt? Konnte nichts Sie zurückhalten? Nicht der Zustand, in dem ich mich befand, nicht das Unrecht, das Sie mir antaten, nicht das Wort, das Sie mir gaben?«

»Ach, Mirzoza,« antwortete der Sultan, »verwechseln Sie die Ungeduld, worin mich die Verzweiflung über Ihren Verlust allein zu stürzen vermochte, nicht mit schändlicher Neugierde. Nicht darum wollte ich meinen Ring gegen Sie versuchen, sondern als ein Hilfsmittel, das Sie ohne Wortbrüchigkeit meinen Wünschen wiedergibt und Ihnen mein Herz auf ewig zusichert.«

»Ich glaube Ihnen, gnädigster Herr,« antwortete die Favorite; »aber geben Sie dem Genius den Ring zurück, damit sein unglückliches Geschenk nicht länger Hof und Ihr Reich beunruhigt.«

Sogleich erhob Mangogul sein Gebet, und Cucufa erschien. »Allmächtiger Genius,« [489] sprach Mangogul zu ihm, »nimm dein Geschenk zurück und erhalte mir deinen Schutz.« »Fürst,« antwortete der Genius, »teile dein Leben zwischen Liebe und Ruhm. Mirzoza sichert dir die erstere, ich verspreche dir die letztere.«

Bei diesen Worten kniff das kuttenbedeckte Gespenst seine Kauze in den Schwanz, drehte sich im Kreise herum und verschwand, wie es gekommen war.

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TextGrid Repository (2012). Diderot, Denis. Romane. Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7EE2-F