[192] [194]Siebente Station

[194] 1.

Vom Wiener Wald der letzte Rest,
Wer will ihn sehn verdorren?
Ist sonst ein rechter Baum gewest,
Ist jetzt ein schlechter Knorren.
Es heißt: ein kluger Schlossersmann,
Um seine Kunst zu weisen,
Der schweißte in die Wand ihn an
Und hing ein Zauberschlößlein dran,
Das ist der Stock im Eisen!
Du Wiener Wald, du grüner Wald,
Wie bist du schlimm behandelt,
Aus freiem Waidmanns-Aufenthalt
Zum Tandlermarkt verwandelt!
[195]
In deinem Laub spazieren ging
Die Hirschkuh mit den Geißen,
Jetzt steht von dir in Schloß und Ring
Nur noch ein zwerghaft Krüppel-Ding,
Das ist der Stock im Eisen!
Und wer vom Handwerk lobesam
Als wackrer Schmied-Geselle
Zur Kaiserstadt gezogen kam,
Besieht sich diese Stelle;
Er dreht am Schloß wohl hin und her,
Versucht's auf alle Weisen,
Doch öffnen kann er's nimmermehr,
Ja, murrt er, das ist halt zu schwer,
Das ist der Stock im Eisen!
Darauf in den gefeiten Baum
Schlägt er als Gilde-Zeichen
Ein Näglein ein, wo just noch Raum
Vor Näglein seines Gleichen.
Ei, seht, der ist mir zugedeckt,
Kaum noch ein Baum zu heißen!
Und oben, links am Stamme, steckt
Das Schlößlein, das sie alle neckt,
Das ist der Stock im Eisen!
Und doch, Herr Meister, hüte dich!
Wenn nun die Burschen kämen
Und flugs statt Zang' und Dieterich
Die – Schmiedehämmer nähmen!?
Was nicht mit Kunst zu öffnen ist
Läßt sich vielleicht – zerreißen, –
Und herrlich, wenn zu bessrer Frist
Neu-grünend in die Höhe schießt
Der alte Stock im Eisen!

[196] 2. Für Anastasius Grün

– Auf dem Kalenberge, Juli 1841. –


Wo Du einst, im Arm die Harfe, gingest Deine Dichterpfade,
Durch die Kaiserstadt und längs der Donau lustigem Gestade,
Bin ich jüngst Dir nachgeschritten, treulich und mit frommem Fuß,
Dich im Munde, Dich im Herzen, edler Anastasius!
War mir doch, als ob die Welle grüßend Deinen Namen rauschte,
Ob Dein Auge, groß und feurig, aus dem Grün der Reben lauschte,
Um den Kalenberg ergoß sich und den Felsen Leopold
Deiner Dichtung lichter Nimbus und der Abendsonne Gold.
Ja, es waren diese Bäume, die um Deine Stirn gesäuselt,
Hier am Söller hat der Nachtwind Deine Locken kühl durchkräuselt,
Dort hast Du geruht im Grase, ewiger Gedanken voll,
Als das hohe Lied vom Frühling glühend Deiner Brust entquoll.
Aber, Wunder! wo Du gingest, über Dornen und Gebeine,
Keimten unter Deinen Schritten Blumen aus dem dürren Steine,
[197]
Und Dein Blut, die Spur des Weges, das auf leere Blätter floß,
Sieh, wie es in rote Rosen überall befruchtend sproß!
Das ist wahrer Dichtersegen: auch den Schutt in Brot verwandeln,
Brunnen zaubern aus dem Felsen, und, wo andre reimen, handeln;
Ein Poet in Werk und Worten tatest Du wie keiner tat,
Dafür reift auch rings im Lande tausendfältig Deine Saat!
Und daß unter Korn und Blumen auch die Schlange Dir nicht fehle,
Zischt nun heimlich die Verleumdung um die offne Dichterseele,
Der Verdacht mit Lauerblicken schleicht er um Dein sichres Haus,
Und weil Du in Liebe schlummerst, schreit er Dich für – scheintot aus.
Tritt ihn nieder, letzter Ritter, diesen schadenfrohen Drachen,
Komm, daß wir die elke Lüge durch ein Lied zu Schande machen,
Sag es, daß Du nimmer treulos uns und Dir gewesen bist,
Daß Dein Dichterschild so rein noch, wie Dein Grafenwappen ist!
O sie will es nie begreifen, ihre Prosa und Gemeinheit,
Daß ein Geist wie Du, ein Name bürgt für der Gesinnung Reinheit,
Nur das Schlechte glaubt sie willig, und wo wer zu wanken droht,
Zerrt sie ihn mit frechem Jubel zu sich nieder in den Kot.
Du erliege nicht und weiche ihren Stein- und Hagel-Würfen,
Wisse, daß Dir alle trauen, die sich selbst noch trauen dürfen.
Aber weh, wenn erst der Dichter an dem Dichter zweifeln muß ––
Ach, nur das nicht auf uns alle, das nicht, Anastasius!
[198]
Schön auf Deiner Väter Schlosse mag sich's rasten, träumen, lieben,
Doch wann sind die Adler jemals lang' auf ihrem Horst geblieben?
Nicht der Muße kann gehören, wer der Muse angehört,
Und schon Schweigen ist Verbrechen, wenn zum Reden sie beschwört.
Steig herab von Deinen Alpen, laß die Almen und die Tale,
Statt auf Deiner Hirten Flöte horch auf unsre Hornsignale,
Reiß Dich aus dem Schoß Armidas, säumender Rinaldo, los –
Glücklich kannst Du nicht mehr werden, warum warst Du einmal groß?

[199] 3. An Nikolaus Lenau

– Geschrieben zu Ischl, Juli 1841. –


Du bist es, Schwan der Magyaren,
Du mit der liederreichen Kehle?
Mann, schwarz von Augen, schwarz von Haaren,
Schwarz in der schmerzenreichen Seele?
Ja, das sind die Mephisto-Falten,
Die auf der Stirn zusamenlaufen,
Aus diesen Blicken flammt verhalten
Savonarolas Scheiterhaufen!
[200]
Und darum bist Du fortgeschwommen
Durch der Atlantis blaue Wogen,
Darum verwundet heimgekommen,
Wohin Dein Herz Dich heiß gezogen,
Daß hier im stillen Alpentale
Dein volles Leben sich verblute
Und – kaum geküßt vom Sonnenstrahle,
Hinab ins Meer des Todes flute?
Was willst Du in den engen Bergen,
Auf diesen Seen voll Grabesfrieden,
Genüber jenen Menschen-Zwergen,
Von Deines Gleichen abgeschieden?
Du selbst ein Gletscher, ragest mächtig
Doch kalt und einsam in die Höh'
Und spiegelst Dich mild und bedächtig
In Deiner Lieder grünem See.
Komm, flieh ein Land, wo sich die Dichter
Verleugnen müssen und verstecken,
Wo Mönchsgezücht und Hofgelichter
Den Staub an Kreuz und Szepter lecken,
Wo nur die sinnliche Begierde
Nach neuen Opfern täglich schmachtet,
Und was sonst gilt als Volkes Zierde
Zertreten wird und roh verachtet.
Die Seele gib, die zweifel-kranke,
Nur preis den Strömungen des Lebens!
Erhellen wird sich Dein Gedanke
Im Spiegel des verwandten Strebens,
Du wirst nicht säen bloß, auch ernten,
Dein Ruhm tritt für die Heimat ein,
Und die Dir jetzo die Entfernten,
Sie werden Deine Nächsten sein!
Schüttle den Staub von Deinen Schwingen
Und eil dem Bann Dich zu entraffen,
Du sollst uns noch was anders singen
Als immer Faust und Papst und Pfaffen!
[201]
Steig mit den Lerchen, mit den Aaren,
Was schert der Kauz Dich und die Eule?
Stirb nicht, Du Schwan der Magyaren,
Als Heiliger auf einer Säule!

4. Abschied von Wien

Wie bleich, wie hold, wie schmachtend hingegossen
Sie daliegt, die gefährliche Sirene,
Die dunklen Augen träumerisch geschlossen,
Das Haupt geneigt an ihrer Berge Lehne!
[202]
Es geht ein süßes, winkendes Erwarten
Wie Nachtigallen-Locken durch die Flur,
Die Brunnen murmeln heimlich in den Garten,
Die Zweige lallen: Komm, o komm doch nur!
Entschlafen sind Sankt Stephans Wächtersorgen,
Verstummt die Mahnungen des treuen Flusses;
Wie fern der nüchterne, der strenge Morgen,
Wie lang die Nacht entfesselten Genusses!
Nun hat sie abgestreift die letzte Hülle,
Den grünen Gürtel der Glacis gelöst,
Frei glänzt und nackt der Schultern Marmorfülle
Und Arm und Busen jedem Wunsch entblößt.
Sieh, durch verhangne Fenster schimmert lüstern
Der Mond, im Laube rauscht's wie Regentropfen,
Verbotne Schritte rascheln, Küsse flüstern,
Und Herz am Herzen hört sich glühend klopfen!
Ein Meer von Liebe schlägt in heißen Wogen
Hoch über dem entzückten Tale hin,
Zum Vorhang wandelt sich des Himmels Bogen,
Ganz Wien in eine Venus-Priesterin!
Buhldirne Du, die hinter der Gardine
Allnächtlich ihre Phallos-Feste feiert,
Und morgens früh mit Magdalenen-Miene
Im Beichtstuhl heuchelnd ihr »Absolve« leiert;
Kannst Du mit Wollust nur ein Leben würzen,
Dem jede geist'ge Kraft und Weihe fehlt,
Und nur in des Genusses Abgrund stürzen,
Von keinem heiligeren Drang beseelt?
Ja, Du bist schön in Deinem Rosenkranze,
Die Blüte der Verheißung auf den Wangen,
Wenn Du vorüberfliegst im wilden Tanze,
Begehrlich von der Männer Brunst umfangen!
In Deinem Schoß sich welt-vergessen wiegen,
Versinken gehn in weicher Arme Bucht,
Und Deinem Zauber taumelgleich erliegen, –
Wohl ist's ein Ziel, das Götter selbst versucht.
[203]
Ich fliehe, Weib, um nicht vor Dir zu knien,
Auch einer von den Proselyten-Scharen;
Du wirst mich nicht auf Deinen Purpur ziehen,
Weib Potiphars, – laß meinen Mantel fahren!
Vor meinen Blicken schwebt in keuschem Lichte
Ein andres Bild, das meiner Seelen-Braut,
Der hab' ich mich im Leben, im Gedichte
Mit deutschem Wort auf ewig angetraut.
Ihr Aug' ist schön, ob minder schön, als Deines,
Es strahlt nur Frieden, Deines flammt Entzücken,
Dein Kuß ist Glut, der ihre nur ein reines,
Ein hauchendes und flüchtiges Beglücken;
Du neigst Dich ganz in duldender Gewährung
Und ziehst die Deinen stark hinab zu Dir,
Sie schwingt sich stets in züchtiger Verklärung,
Lächelnd und wehrend, aus den Armen mir.
Ihr Kummer furchte nimmer Deine Stirne,
Doch schwellt ihr Stolz auch nimmer Deine Adern,
Du ahnst die Lust nicht, heitre Schmeicheldirne,
Mit Sklaven und Tyrannen kühn zu hadern;
Ein Kind der Glücklichen, hast Du mit Armen
Und mit Gefangnen nimmermehr geweint,
Hast nie des Himmels Frieden voll Erbarmen
Mit unsrer dunklen Erde Kampf vereint.
Geh und berausch, betäube Dich auf's neue,
Versuch's, die rasche Stunde festzuhalten;
An Deinem Antlitz nagt doch stille Reue,
Und Überdruß zerreißt's mit grauen Falten.
Um eine Nacht, dann welken Rosen-Kränze,
Und Deiner Reize blühend' Reich zerfällt,
Der Lorbeer aber grünt im ewgen Lenze,
Und ihr, der andren ist die junge Welt.
Du kennst sie nicht, Du wirst sie niemals kennen,
Ihr zwei könnt nirgends mit einandergehen,
Und wollt' ich Dir den teuren Namen nennen,
Dir ist er tot, Dir schwerlich zu verstehen.
[204]
Fühlst Du's, so schlag beschämt die Wimper nieder,
Denn eben weht ihr Gruß von Osten her;
Der Tag bricht an – Gottlob! Ich hab' mich wieder:
Die Lieb ist viel, doch ist die Freiheit mehr!

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TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Siebente Station. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7EEF-6