Unüberwindlich

[89] [91]Ein scharfer Oktoberwind fegte über die Stoppeln und riß an dem bunten Laubdach der Bäume, daß die Blätter gleich braunen, gelben und roten Vögeln aufgescheucht durcheinanderflogen und erst nach langem taumelnden Niederfall sich auf die Erde senkten. Auf den Landstraßen wirbelten die Staubwolken säulenartig in die Höhe, um dann in breiten, grauweißen Streifen wieder auseinander zu flattern und alles zu überstauben, was in ihrem Umkreis stand oder sich bewegte.

Auch den D-Zug oben auf dem Bahndamm verschonten die Staubwolken nicht; sie legten sich in dicken, grauen Schichten gegen die Fensterscheiben und drangen mit einem kalten Luftstrom fühlbar durch die Ritzen in das Innere der Wagen ein.

An einem der Fenster eines Wagenabteils dritter Klasse stand ein kleines Mädchen und rieb weinerlich die von der scharfen, staubgeschwängerten Luft schmerzhaft belästigten Augen.

»Sie sollten das Kind nicht so lange im Zugwind stehen lassen,« bemerkte eine ältere, behäbige Person, das kleine Mädchen freundlich bei der Hand nehmend.

Die Angeredete, die mit halbgeschlossenen Augen in der Fensterecke lehnte, überhörte die mit nachdrücklicher Mahnung an sie gerichteten Worte. Erst als das Kind sie am Rock zupfte und weinerlich fragte: »Sind wir denn [91] noch nicht da, Mama?« erwachte die Frau aus ihrer Versunkenheit und richtete den schlanken, sehr jugendlichen Oberkörper in die Höhe. Einen Augenblick schweiften ihre Augen, große, leidenschaftliche, schwarze Augen, unruhig, wie suchend umher, als ob sie aus der Ferne kämen und sich hier erst zurechtfinden müßten. Dann sagte sie mit müder Stimme: »Ach du, Gusta! Ja was willst du denn schon wieder? Kannst du nicht fünf Minuten ruhig sein!« Die ältere Frau blickte die junge mit strengem Vorwurf an.

»Das Kind hat mindestens eine halbe Stunde, seit der letzten Station, am zugigen Fenster gestanden, ohne sich zu rühren; habe so wie so nicht begriffen, wie Sie das so ruhig mit ansehen konnten, ein so kleines, zartes Kind!«

Die andere, von dem berechtigten Vorwurf getroffen, entgegnete gereizt, daß das Kind nicht zart sei, ganz und gar nicht, es habe ihm noch nie etwas gefehlt, und es sei doch schon bald drei Jahre alt.

Die Behäbige zuckte mit den Achseln und setzte sich in der gegenüberliegenden Ecke zurecht. Am Ende, was gingen sie anderer Leute Kinder an.

Die junge Frau nahm das Kleine auf den Schoß und gab ihm einen Apfel aus der Reisetasche.

»Geh, gib endlich Ruh, Gusta. Da iß!«

Aber die Kleine weigerte sich und weinte leise fort, ein monotones, knarrendes Weinen.

»Mich friert so, Mama.«

Die Frau schlug ihren langen grauen Reisemantel um die Kleine.

»Noch immer, Gusta?«

»Ja, sehr –,« Ein heftiger, bellender Husten unterbrach die Worte des Kindes.

»Da haben Sie's. Das Kind hat sich gehörig was[92] geholt. In dem leichten Mäntelchen, an dem zugigen Fenster!«

Die Junge murmelte etwas von plötzlicher, ihr selbst ganz unerwartet gekommener Abreise, die keine Vorbereitungen zugelassen. Dann nahm sie ohne viel Besinnen ihren Reisemantel ab, wickelte das Kind hinein und legte es längelang auf die Holzbank, auf der kein weiterer Platz besetzt war.

»So, nun wirst du warm werden. Nun schlaf auch, Gusta. Wenn du aufwachst, ist es dunkel und dann sind wir in Wien.«

Das Kind legte sich auf die Seite und versuchte wirklich zu schlafen. Die schlanke Schwarze sank in ihre Ecke zurück und träumte vor sich hin. Nachdem sie eine Weile so gesessen, die dunkeln, leidenschaftlichen Augen halb geschlossen, fuhr sie plötzlich auf. Es war ihr, als ob jemand ihren Namen gerufen hätte, langsam, sehnsüchtig, eine lange nicht gehörte liebe, heißgeliebte Stimme. Sie schauerte leicht zusammen. Dann sah sie auf die kleine stählerne Uhr, die sie in der lichten Flanellbluse eingeknöpft trug.

Sie seufzte ungeduldig auf. Noch beinahe sieben Stunden! Und dann, werde ich sie dann hören seine Stimme, wie ich sie eben gehört? Wird alles andere ein böser Traum gewesen sein? Werde ich ihn wieder haben, wie ich ihn zuvor besessen, oder wird jene andere wirklich an seiner Seite stehen, im Begriff, sein Weib zu werden? Ihre Augen flammten auf. Ihr Gesicht ward weiß wie das Tuch, das sie an die Lippen hielt, um den Schrei zu ersticken, der ihr aus der Kehle drängte.

Sie sprang auf. Sie warf einen nachlässigen, gedankenlosen Blick auf das Kind, das scheinbar schlafend dalag, und stellte sich mit dem Rücken zum Wagenabteil an das zugige [93] Fenster, durch das noch immer der staubige Windzug drang, trotzdem sie inzwischen meilenweit vorwärts nach Böhmen hineingefahren waren.

Endlos dehnte sich die flache Ebene, nur ab und zu durch Gehöfte und ein Stückchen magern Waldbestand unterbrochen. In langen Zwischenräumen tauchten in blaugrauen Umrissen ferne Bergketten am Horizont auf.

Martha Freiland sah die wechselnden Bilder an sich vorüberziehen, aber sie sah sie nicht mit begreifenden, wissenden Augen. Nur ihn sah sie, der diese selbe Straße gefahren war vor nun, wie ihr scheinen wollte, endlos langen Jahren. Heute erst folgte sie ihm. Warum erst heute? Und als was? Als was?

Sie lehnte die brennende Stirn gegen die kalten, klirrenden Fensterscheiben. Als was? Als was? Als seine Geliebte, sein Weib, wie er sie tausendmal kosend genannt, oder als die Rächerin ihrer Ehre für das da – mit dem er sie allein lassen wollte auf der Welt.

Sie biß die Zähne aufeinander. Drohend bohrte sich ihr Blick in das graue, eintönige Landschaftsbild.Dabei ihn halten wollen? Sie schüttelte so heftig den Kopf, daß die schweren Flechten im Nacken ins Wanken kamen. Er wußte ja nicht einmal etwas von dem da, wußte bis heute nichts. Törichte, verliebte Närrin, die sie gewesen, hatte sie sich des Rechts begeben, ihn dabei festzuhalten, selbst wenn sie es heute gewollt hätte.

Weshalb hatte sie ihm nichts davon gesagt, daß das Kind da war? Ja, wenn sie das heute begriffe! Und doch, als sie darüber dachte, überkam sie allgemach wieder das Gefühl der weichen, süß hingebenden Opferwilligkeit des ersten Liebesjahres! Wie ein kurzer, heißer Traum war es dahingegangen.

[94] In einem der großen Sommergärten bei Berlin hatten sie sich kennen gelernt. Er, ein blutjunger Arzt ohne Familie, ohne einen Pfennig Vermögen, ohne Praxis, mit einem großen, glühenden Ehrgeiz. Sie, jung wie er, allein wie er, arm wie er, nur daß sie keinerlei Ehrgeiz besaß und zufrieden war, daß ihre Nadel und ihre Geschicklichkeit sie nährte.

Die Liebe war für beide auf den ersten Blick gekommen. Sie hatten seit diesem ersten Abend nicht mehr voneinander gelassen. Das Glück des ersten Winters stieg in leuchtenden Farben wieder vor Martha Freiland auf, als sie durch die immer eintöniger werdende Landschaft fuhr, über die sich die frühe Dämmerung zu senken begann. Deutlich sah sie die beiden armseligen Stübchen im vierten Stock der Invalidenstraße, in denen sie gehaust hatten. Oft waren sie hungrig zu Bett und hungrig wieder an die Arbeit gegangen. Er hatte durchaus nichts von ihrem Verdienst nehmen wollen, und sie hatte sich nichts gönnen wollen, wenn er es nicht tat, aber immer waren sie glücklich und zumeist auch lustig gewesen. Da, im Frühjahr, gegen den Sommer zu, war eine große Unruhe über ihn gekommen. Er hatte sie ihr zu verbergen getrachtet, aber sie, die ihn kannte, wie ein mit innigem Verständnis und stillem Sichversenken immer wieder gelesenes Buch, hatte ihn durch und durch gesehen.

Sein Ehrgeiz war wieder erwacht. Die Liebe allein, so heiß und stark sie auch war, füllte ihn nicht mehr aus. Kollegen, die mit ihm im Examen gewesen, waren zu Stellungen gelangt, manche waren sogar schon zu Ansehen gekommen. Der und jener hatte etwas geschrieben, von dem man in Fachkreisen zu sprechen begann. Max Enke hielt es nicht länger. Auch er wollte, mußte hinaus in die Reihe der Kämpfenden.

Er hatte eine Idee, die ihn nicht mehr losließ, über die [95] er Tage und Nächte mit Martha sprach, die ihm nicht helfen, nur bewundernd auf ihn hören konnte. Er wollte ein Werk schreiben, ein großes populäres Werk über das Verhältnis des Arztes zum Kranken, und umgekehrt über das Verhältnis des Kranken zum Arzt.

Aber um dieses umfassende ethische Werk zu schreiben, sich in die notwendigen Studien versenken zu können, mußte er sich zuvor eine sorgenfreie Existenz schaffen. Er mußte Praxis und die notwendige Fühlung mit den Patienten bekommen, um nicht nur vom grünen Tisch her predigen zu müssen. Erfahrung war alles. Er schwur auf die Erfahrung. Was hatte er von der Liebe gewußt, bevor er Martha besessen!

Sie zerbrachen sich die Köpfe. Max machte immer neue vergebliche Versuche. Schließlich legte er die Hände in den Schoß und fing an, auf einen Zufall zu hoffen: auf eine verzweifelte Mutter, eine wohlhabende natürlich, die ihn zu ihrem plötzlich erkrankten Liebling rief; auf einen Kapitalisten, dem im Gedränge der Chausseestraße das Pferd scheu geworden und der in unmittelbarer Nähe von ihm aus dem Wagen geschleudert wurde, den reichen Mann, den er mit eigener Lebensgefahr zwischen den Rädern hervorzog.

Nichts von alledem stellte sich ein. Wohl aber kam eines Junimittags ein Brief aus Wien von einem dort seit kurzem ansässigen Kollegen mit guten Verbindungen, der Max lebhaft zuredete, sein Glück in der alten Donaustadt zu versuchen. Er machte sich anheischig, ihn sofort bei einem der großen Krankenhäuser anzubringen. Das weitere würde sich dann finden. Er sollte lieber heute als morgen seine Koffer packen.

Martha lehnte sich zurück und schloß die Augen. Der Kopf schmerzte sie von allem Denken und Erinnern; noch [96] mehr aber schmerzte sie das Herz, wenn sie an das dachte, was dann gekommen war.

Jetzt hob sie den Blick wieder. Die unbequeme Mahnerin drüben aus der Ecke war verschwunden. Wahrscheinlich war sie in den Speisewagen gegangen, um eine Tasse Kaffee zu trinken, die sie ihr für Gusta schon seit Stunden angeraten hatte, mit der Begründung, daß der Mensch was Warmes im Leibe haben müsse, um zu existieren.

Gusta schlief, wie es schien, noch immer. Leise fuhr Martha dem Kind mit der Hand über das Gesicht. Müde schlug die Kleine die trüben Augen auf und wimmerte leise.

»Was ist denn? Schlaf ein, schlaf, Kind.« Sie klopfte ihm die glühheißen Backen. »Sieh nur, wie schön warm Gusta jetzt ist.«

»Gusta friert,« jammerte das Kind. Martha lächelte schwach.

»O, du kleines Schaf du, du glühst ja wie ein Bratäpfelchen.«

Sie legte dem Kinde den Kopf ein wenig höher, dann setzte sie sich in ihre Ecke und schloß die Augen aufs neue. Ungerufen kamen die Gedanken wieder und knüpften da an, wo sie kurz zuvor abgerissen waren.

Max' Stimmung besserte sich nicht. Auch in Wien war es nicht anders wie in Berlin, schlimmer nur, da sie einander nicht hatten, und das Leben eher teurer als billiger war. Mit der Stelle am Krankenhaus war es auch nichts geworden.

Er bat und machte Vorschläge, daß sie zu ihm käme. Das Reisegeld würde sich ja aufbringen lassen, und mit der Nadel könnte sie dort verdienen wie hier, das Leben zusammen würde auch wohlfeiler sein. Aber Martha war unerbittlich geblieben, sie würde es auch dann geblieben sein, wenn sie sich um diese Zeit nicht Mutter gefühlt hätte. Nein, sie durfte [97] ihm nicht zur Last fallen, bevor er nicht für sich selbst auskömmlich gesorgt hatte, bevor er nicht seinem großen Ziele mindestens näher gekommen war. Nicht einmal ohne ein Kind, geschweige denn mit einem solchen durfte sie zu ihm kommen. So sagte sie denn nein, und wieder nein, und schwieg im übrigen und verbarg ihre Sorgen und Freuden und Hoffnungen vor ihm. Vielleicht, wenn es da war und Max schon weiter gekommen sein würde, dann, ja dann!

Aber er kam nicht weiter, während sie sich tapfer durchschlug auch mit dem Kinde. Sie war geschickt und eine flinke Arbeiterin, sie hätte, wenn es darauf angekommen wäre, auch mehr Hungrige noch satt machen können. Am liebsten hätte sie für ihn gearbeitet, für ihn, nur für ihn. Es war eine starke Tatkraft in ihr. Aber wie, wie, ohne ihn zu kränken? Almosen konnte sie ihm nicht bieten. Tausendmal hatte sie's in der Feder, ihm zu schreiben: »Plag du dich nicht so, es nützt ja zu nichts. Zu viel Ärzte sind auf der Welt, und wenn man kein Geld und keine Protektion hat –. Komm zurück zu mir; du findest was Liebes hier, und wir hausen beisammen glückselig wie einst.« Aber es wollte ihr niemals heraus. Sie liebte ihn zu heiß und selbstlos, er stand ihr zu hoch, als daß sie ihm ein solches Los hätte zumuten mögen. Nein, er mußte vorwärts, vorwärts!

Und immer wieder trieb sie ihn an und gab ihm recht, daß er aushielt. Er war ein Mann. Einmal würde es ja wohl kommen, und dann käme auch sie, und alles, alles würde gut sein.

Und wirklich es kam. Ganz plötzlich hatte er heiterer, zuversichtlicher geschrieben. Nicht mehr so oft als sonst, auch dann und wann wohl einmal eine Postkarte statt des geschlossenen Briefes, und auch die Briefe waren eiliger, flüchtiger geworden und selten nur noch waren sie von jener [98] leidenschaftlichen Glut durchtränkt, die sie durch alle Ferne berauschte, ihr selige Schauer durch die Glieder jagte, als läge sie körperlich an seinem Herzen, fühlte den Strom seiner Leidenschaft sie durchglühen.

Martha litt unter Max' Veränderung, es tat ihr wehe, aber es grämte sie nicht eigentlich, es kränkte und beunruhigte sie nicht. Er kam vorwärts, er hatte Beziehungen angeknüpft, Praxis stellte sich ein, bald würde er mit seinem Werk beginnen können. War es nicht nur natürlich, daß er nicht mehr ganz soviel Zeit, ganz soviel Gedanken für sie hatte als früher? Zuweilen, wenn es gegolten, eine Arbeit rasch fertig zu bringen, hatte sie dann nicht auch nur flüchtig geschrieben, und sie liebte ihn doch mit der ganzen zärtlichen Glut ihrer leidenschaftlichen Natur.

Dann plötzlich waren die Briefe mit wenigen Ausnahmen kühler und immer seltener geworden. Sie fühlte, etwas Fremdes war zwischen sie getreten, etwas Feindliches: ein Weib. Sie sprach nichts dar über zu ihm, aber eisig packte sie's an, wenn sie nur daran dachte. Und wann hätte sie nicht daran gedacht! Tage und Nächte grübelte sie darüber. Es fraß sie förmlich auf. War es nur eine leichte Liebelei, so mußte sie darüber fortzukommen suchen, so wehe es tat. Verheiratete Frauen mußten das, und die es zuwege brachten, waren immer am besten daran. War's aber doch etwas anderes, eine ernste Neigung, eine Heirat!?

Fürchterlich war Martha Freiland anzusehen, wenn sie dahin kam. Jeder, der ihr in solchen Stunden ins Antlitz geschaut, hätte gewußt: das geht auf Tod und Leben. Und seltsam, jedesmal, wenn sie soweit gekommen war, wenn sie zum Äußersten entschlossen gewesen, entschlossen, ihn, wenn ihre Ahnungen nicht logen, vor die letzte Wahl zu stellen, kamen liebe, zärtliche Worte von ihm, Worte, die [99] wie Reue und neue Liebe klangen, und sie war wieder sein, mit jeder Faser ihres Wesens ihm ergeben, unfähig, ihm auch nur ein Härchen zu krümmen, ihm oder etwas, um ihn das war, wehe zu tun.

Es konnte ja auch gar nicht sein. Er konnte sich ja nicht ernstlich von ihr lossagen wollen, um einer andern willen. Hätte sie es denn gekonnt? Hätte sie ihre Lippen einem andern zum Kusse bieten können als ihm? Hätten ihre Hände etwas anderes kosen können als sein geliebtes Selbst? Hätten ihre Augen so tief, so unergründlich tief in andere sehen können wie in die seinen? Schon der Gedanke war Wahnsinn – Wahnsinn –, und sie küßte das Kind, von dem er noch immer nichts wußte. Dann nahm sie die großen Rechnungsbücher vor und die kleine Sparkasse aus der Lade und fing zu rechnen an. Es war zu Anfang Oktober. Sie hatte noch einen Auftrag zu erledigen, das Hochzeitskleid für die Jungfer der Geheimrätin im ersten Stock, dann, in einer Woche etwa, durfte sie sich's gönnen, ein paar Tage auszuspannen, nach Wien zu fahren, ihn zu überraschen. Gusta nahm sie mit. Wo hätte sie das Kind auch lassen sollen, – und dann, wenn sie ihn fand, wie er sie verlassen, dann gab sie ihm das Kind ans Herz und sagte ihm: es ist unser, unsere Freude, meine Sorge.

Wie im Halbschlaf waren alle diese Bilder an Martha Freiland vorübergezogen. Jetzt plötzlich schreckte sie auf. Hatte sie selbst so laut gestöhnt, oder war es Gusta gewesen? Nein, die schlief noch immer. Bei dem Gaslicht, das inzwischen angezündet war und grell auf das Kind fiel, bemerkte Martha, daß das kleine Gesicht seltsam gerötet und die Lippen trocken und wie gesprungen waren. Aber sie achtete weiter nicht darauf. Gusta schlief. Was konnte ihr fehlen?

Zu ihm wollte sie, sobald das Hochzeitskleid fertig war! [100] Das war gestern gewesen, ja, gestern erst – und an demselben Tage hatte sie einen Brief bekommen, einen Brief aus Wien, der nicht von seiner Hand überschrieben war. Etwas war geschehen, etwas Entsetzliches! Sie wußte es, ehe sie den Brief aufmachte. Eine fremde Schrift fiel ihr entgegen, ganz fremd nicht, nein, es war die Schrift seiner ersten Wirtin, die ihr zweimal geschrieben hatte, gleich in den ersten Monaten, als Max krank gewesen war. Er wohnte längst nicht mehr bei der einfachen Frau in der Alser Vorstadt, er wohnte jetzt vornehm in der Kärntner Straße, dicht am Ring.

Dreimal hatte sie den Brief gelesen gestern – war es wirklich erst gestern gewesen? – ohne ihn zu verstehen. Dann, ja, dann hatte sie ihn begriffen. Das Unmögliche, das Unfaßliche war wahr geworden. Das fürchterliche Gespenst hatte Fleisch und Blut angenommen, es war wirklich eine da, eine Reiche, Vornehme, die er heiraten wollte, heute, morgen, übermorgen. Großer Gott! vielleicht hatte er es schon getan!

Martha waren die Sinne geschwunden. Nur eines wußte sie noch: es durfte nicht geschehen. Vielleicht kam sie schon zu spät. Sie holte den zerknitterten Brief der Frau aus der Tasche. Er war am Dienstag geschrieben. Heute war Donnerstag. Sie suchte mit fliegenden Fingern und verschleierten Augen nach einer Stelle. Freitag, Freitag sollte es sein, ein großes Fest im Hotel Bristol. Sie merkte den Namen des Hotels genau. Dort würde sie wohnen, gleichviel, was es kostete. Sie wollte in der Nähe sein, dicht dabei. Sie wollte auch mitfeiern, ja.

Der Zug hielt. Sie sah auf die Uhr. Halb acht. In zwei Stunden würden sie in Wien sein. Die dicke Frau war längst aus dem Speisewagen zurück und bemühte sich um [101] das Kind, das aufgewacht war und jämmerlich wimmerte, ohne daß Martha es auch nur bemerkte.

»Das Kind hat hohes Fieber,« sagte die Frau jetzt zum drittenmal in beinahe drohendem Ton.

»O,« meinte Martha, »es wird so schlimm nicht sein. Kinder sind leicht mal heiß. Mein schweres Cape, und der Wagen ist überheizt.«

Die Frau murmelte etwas, was Martha nicht verstand, und nahm das immer heftiger wimmernde Kind auf den Schoß.

»Armes Würmchen, armer Wurm. Komm. Die Tante wird dir zu trinken geben.«

»Ja, trinken, trinken,« stöhnte das Kind.

Und weiter rasselte der Zug durch die graue, sternenlose Nacht. – –

Die Wagentüren wurden aufgerissen.

Wien, Nordwestbahnhof!

Die Kleine kauerte noch immer, in das große Cape gewickelt, auf dem Schoß der Fremden. Der kleine Körper klapperte vor Frost, trotzdem das Köpfchen glutrot brannte.

Martha Freiland nahm Gusta mit einem kurzen Dankeswort gegen die behäbige Frau auf den linken Arm, mit dem rechten hob sie den Handkoffer aus dem Netz, den Gepäckträger wies sie an: »Schnell einen Wagen, oder wenn der Omnibus da ist, nach dem Hotel Bristol.«

Ein Komfortabel fuhr vor. Sie spornte ihn zu rasender Eile an und zahlte ihm in deutschem Geld weit über die Taxe. Nur nicht zu spät kommen. Die Wirtsfrau konnte sich geirrt haben. Die Hochzeit konnte schon heute sein. Die leere Formel auf dem Standesamt, am Altar, was bedeutete ihr die! Bevor er sie in Wahrheit zu seinem Weibe machte, mußte sie zur Stelle sein.

[102] Endlich hielten sie, durch eine schmale Gasse einbiegend, auf dem Kärntnerring vor einem palastartigen Gebäude. Martha erschrak. Blendendes Licht, strahlender Luxus blinkten ihr entgegen. Hier konnte sie am Ende doch nicht wohnen, sie hatte sich übereilt. Aber es war zu spät. Der Schlag des Wagens war schon aufgerissen, zwei kleine Burschen standen mit abgerissenen Kappen daneben, der Portier fragte nach ihrem Befehl. Sie konnte nicht mehr zurück. Sie nahm den letzten Rest ihrer Fassung zusammen und ersuchte um ein einfaches Zimmer im obersten Stock.

Der gut geschulte Portier verzog keine Miene. Er läutete, ein Kellner erschien.

»Die Dame bekommt 458 vierter Stock, Seitengang.« Damit wies er nach links auf die Richtung, wo sich der Aufzug befand.

»Bitte, Gnädige.«

Geblendet schritt Martha durch den taghell erleuchteten Vorraum. Wie durch einen Schleier sah sie das Hin- und Hereilen von Bediensteten zwischen Damen mit lang nachwallenden Seidenschleppen und Herren im Frack und weißer Binde.

Hinter einer großen Glastür erblickte sie eine Tafel, auf der Silber und Kristalle glänzten. Große Speiseschüsseln schienen sich dazwischen aufzubauen. Es war ihr, als ob sie Geigenspiel höre; aber sie traute ihren Sinnen nicht mehr. Das Kind an die Brust gepreßt, eilte sie wie eine arme Verfolgte durch die Menschen hindurch auf den Fahrstuhl zu.

Sie atmete erst auf, als sie im vierten Stock angelangt war. Auf den langen Gängen, auf denen unzählige weiße Türen mit goldenen Ziffern mündeten, war es still.

Der Kellner schritt voran. Zwei, drei Gänge entlang. Endlich öffnete er eine Tür und drehte die elektrische Flamme [103] auf. Ein hübsches, behagliches Zimmer mit zwei Betten lag vor ihr, das jedenfalls den Preis dessen, was sie zu zahlen imstande war, noch immer weit überstieg. Aber daran dachte sie nur flüchtig. Sie bestellte heißes Wasser und schloß die Tür. Plötzlich klangen ihr wieder die Geigentöne im Ohr, sah sie die Damen mit den Seidenschleppen, blitzte die geschmückte Tafel vor ihr auf. Schwer fiel sie in einen Stuhl, das mühsam schluckende, fiebernde Kind noch immer im Arm.

Wenn das seine Hochzeit bedeutete – wenn – es war bald halb elf, wenn er am Ende schon aufgebrochen war mit ihr, seiner Frau. Wenn sie zu spät gekommen wäre!

Es würgte sie etwas im Halse. Sie glaubte ersticken zu müssen. Sie legte das Kind auf eines der breiten Betten und riß das Fenster auf, das auf einen großen Lichthof ging.

Sie atmete ein paar Mal tief und schwer. An der Tür klopfte es. Das Stubenmädchen kam mit dem Wasser. Sie würde es wissen, wenn eine Hochzeit im Hause gefeiert wurde.

»Fräulein.«

»Gnädigste wünschen?«

»Da unten, die Musik, die Tafel, ist da etwas Besonderes los?«

»Wo, meine Gnädigste?«

»Gleich beim Eingang, hinter der großen Glastür.« Martha hielt sich an der Stuhllehne fest. Sie schwankte. Sie fühlte, daß alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war. Das Mädchen lächelte mit einem Ausdruck überlegener Genugtuung.

»Bei uns ist das jeden Abend so. Souperstunde. Die Herrschaften kommen aus dem Theater in großer Toilette! Auch viele Einheimische speisen abends hier. Alle Abend ist Musik. Wünschen Gnädigste sonst noch etwas?«

[104] »Danke, nein.«

»Wünsch gute Nacht, Gnädigste.«

Martha trocknete den Schweiß von der Stirn. Es war noch nicht zu spät, nein. Sie trat zu dem Kinde. Nachdem ihre Seele diese furchtbare Last abgewälzt hatte, kam zum erstenmal wieder ein Gefühl von mütterlicher Zärtlichkeit über sie.

Sie wickelte das Kind aus seinen Umhüllungen heraus und fing an, es auszukleiden. Wirklich, das arme Kleine war krank. Zum mindesten ein fieberhafter Katarrh. Sie wollte ihm etwas zum Schwitzen eingeben, dann würde es morgen wieder munter sein. Heißes Wasser war da, Zucker und etwas Rotwein hatte sie im Handkoffer. Die Kleine trank gierig, aber das Schlucken wurde ihr offenbar schwer. Dann plötzlich stieß sie das Glas von sich und fing aufs neue zu jammern an.

Martha beruhigte das Kind eine lange Weile vergebens. Endlich sank es in eine Art stumpfen, fieberhaften Halbschlaf. Von irgend einer Uhr hörte Martha es halb zwölf schlagen.

Sie selbst dachte nicht daran, zu Bett zu gehen.

Sie setzte sich an den kleinen Schreibtisch, nahm einen der dort liegenden Bogen und fing an, an Max zu schreiben. Nachdem sie ein Blatt beschrieben hatte, zerriß sie es wieder. Sie lief im Zimmer auf und nieder. Ein Spiegel warf ihr Bild zurück. Erschreckt vor sich selbst, blieb sie stehen. Wie sah sie aus? Was war aus ihr geworden in diesen letzten sechsunddreißig Stunden? Blaß bis in die Lippen, die Augen schwer und schattenhaft umrandet, das Haar wirr und wild. Sie fürchtete sich beinahe vor sich selbst.

Sie fing aufs neue zu grübeln an. Vielleicht hat die Wirtsfrau gelogen oder ist selbst belogen worden? Vielleicht ist alles Wahnsinn, was sie denkt und will. Vielleicht liegt [105] sie morgen in seinen Armen, begraben unter der leidenschaftlichen Glut seiner Küsse. Sie wird zu ihm gehen, morgen in der Frühe, es kann nur wenige Schritte von hier sein, wo er wohnt, ein Arzt muß in der Frühe ja zu treffen sein, und noch, noch gehört er ihr!

Warum geht sie nicht gleich, nicht in der Nacht noch? Ist es nicht ihr Recht? Sie weiß von nichts. Er hat sie nicht von sich gewiesen. Was geht sie's an, was in dem Brief gestanden hat? Sie hat den Brief nicht gesehen. Er ist nie geschrieben worden. Er existiert nicht. Sie aber ist da, um Minuten nur von ihm entfernt, nachdem durch endlose Zeiten, die sie jetzt gar nicht mehr berechnen kann, eines ganzen Tages Spanne zwischen ihnen gelegen – und sie sitzt hier und zermartert sich Herz und Hirn und geht nicht zu ihm und ruft: Hier bin ich! Du, ach du! und legt sich ihm, ihn heiß umschlingend, an die Brust.

Sie streicht mit fliegenden Fingern über das Haar. Sie nimmt den Hut vom Bett und steckt ihn vor dem Spiegel fest. Ein bißchen Farbe ist wieder in ihr Gesicht gekommen, und ihre Augen blicken nicht mehr ganz so verzweifelt wild. Ein Strahl heißer Liebe ist wieder darin aufgegangen.

Es muß bald zwölf sein. Es wird auffallen, wenn sie so spät noch aus dem Hotel geht, aber wen hat das zu kümmern? Wie weit es wohl bis zu ihm ist? O, sie wird ihn schon finden. Vor seinem Hause will sie warten, wenn er nicht daheim ist, mag es auch noch so lange dauern. Es ist ja garnicht anders möglich. Sie und er! Eine ganze Nacht lang in einem Ort beieinander und doch nicht beisammen!

Sie will eben den Mantel umnehmen, da dringt von Gustas Bett ein gurgelnder Laut zu ihr. Sie stürzt hinzu. Blaurot im Gesicht, mit geballten Fäusten, liegt die Kleine sich krümmend da.

[106] »Um Gottes willen, Gusta, Gusta!«

Sie reißt das Kind auf und schüttelt es. Es kommt wieder zu sich. Der Erstickungsanfall geht vorüber. Martha Freiland steckt den Hut vom Kopf. Sie kann nicht fort, nein. Die unbequeme Frau im Zuge hat recht gehabt. Ihre kleine Gusta ist wirklich sehr krank. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das Frühstückszimmer im Hotel Bristol, jenseits der großen Haupttreppe, ist als Festraum zu einer Familienfeier hergerichtet worden. Die Tochter des Sektionschefs von Effinger, Fräulein Käthi von Effinger, verheiratet sich in den nächsten Tagen mit einem jungen, vielversprechenden Arzt, mit demselben Doktor Max Enke, der an einem Aufsehen erregenden Buch: »Zur Ethik des ärztlichen Berufes«, arbeiten soll und schon über eine nicht unbedeutende Praxis verfügt.

Ob diese Praxis erst mit der Verlobung gekommen, oder schon vorher vorhanden gewesen ist, weiß niemand recht zu sagen, jedenfalls macht er an Fräulein Käthi eine in jeder Beziehung glänzende Partie. Sie ist ein liebes, hübsches Mädel, das einzige Kind des Effinger und schwer reich von der verstorbenen Mutter her. Die Hochzeit selbst soll nur im kleinsten Kreise gefeiert werden. Das Fest, das der Sektionschef heute im Hotel Bristol gibt, gilt den zahlreichen Anverwandten, Freunden und Bekannten des Hauses, denen man noch eine Aufmerksamkeit erweisen will für alle Liebenswürdigkeiten während des kurzen, kaum sechswöchigen Brautstandes der beiden.

Im Sommer erst haben sie sich kennen gelernt, oben auf dem Semmering, wo der Sektionschef mit seiner Tochter ein paar Wochen Nachkur nach Karlsbad gehalten hat. Da ist Enke an Sonntagen öfter hinaufgekommen und am Ende [107] ein paar Tage oben geblieben. Die Bekannten haben es von vornherein kommen sehen. Käthi, das stille, sanfte Geschöpf ist ja wie ausgewechselt gewesen. Nur ihn selbst hat sie's nicht merken lassen, wie lieb sie ihn hat, bis er eines Abends auf der Terrasse des Südbahnhotels, den schneeüberglänzten Firnen der Rax und des Hohenschneebergs gegenüber, zu ihr gesprochen. Da ist ihr das Herz aufgegangen, weiter als sie gewollt, da hat sie sich ihm verlobt. Und dann ist sie wieder in ihre kindlich verschlossene Scheu zurückgefallen, und ruhig wie gute Freunde sind sie nebeneinander hergegangen.

Was wußte dies Kind davon, was ein Mann wie Max Enke zu geben hat, und er, was wußte er von der Tiefe und Zärtlichkeit ihrer Liebe, die sich scheu vor ihm verbarg!

Wenn Käthi allein war, und sie war es oft, lächelte sie still vor sich hin über den unermeßlichen Schatz von Liebe, den sie für ihn in Bereitschaft hielt. Sie würde ja Zeit haben, will's Gott, ein langes Leben lang, diesen Schatz vor ihm auszubreiten, vor ihm, dem ihre ganze Seele gehört.

Nach Liebe suchend ist sie bisher durchs Leben gegangen, die arme, kleine, reiche Käthi, da die Mutter ihr früh gestorben ist und der Vater nur Sinn für sein Amt hat. Nun will sie's nachholen, lieben und geliebt werden, so wie sie es versteht, mit zärtlicher Hingabe, eines nur für das andere da, die Seele des einen offen vor der des anderen, nichts Verborgenes, kein Lug, kein Falsch, nichts, was der eine nicht vom andern wüßte.

Bisher, nein, da ist es noch nicht so gewesen, wie sie es sich denkt und träumt. Max hat sie lieb, o gewiß, was sonst sollte ihn veranlaßt haben, sie da oben im feierlichen Antlitz der Berge zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle? [108] Er ist freundlich und aufmerksam und, trotz ihrer ängstlichen Abwehr, auch öfters zärtlich gegen sie, aber es ist etwas Verschlossenes, Geheimes in ihm, etwas, das sie mit dem Instinkt ihrer starken, jungen, unerfahrenen Liebe nur ahnt, ohne es zu verstehen. Aber sie lächelt zuversichtlich. Wenn sie seine Frau ist, wird sie es wissen, dann wird alles so sein, wie sie es denkt und träumt.

Nur wenige Tage noch, dann ist der große Tag gekommen, dem sie mit glücklicher Zuversicht entgegensieht. Ganz wider ihre Gewohnheit zärtlich, schmiegt sie sich an ihn, nachdem die Festtafel aufgehoben ist. Am Hochzeitstage selbst wird kein rauschender Trubel um sie sein wie heute. Sie fragt Max leise, ob auch ihm das so lieb sein wird wie ihr. Er streicht ihr über das feine, lichtbraune Haar, und mit seinen Gedanken weit fort, sagt er förmlich: »O, gewiß Kind, ja.« Und Käthi lächelt und ist zufrieden.

In diesem Augenblick tritt der Hotelportier, die goldbetreßte Mütze in der Hand, an Max Enke heran.

»Herr Doktor, einen Augenblick.«

»Hat jemand nach mir geschickt?«

»Niemand von den Klienten, Herr Doktor, aber hier im Hause ein Kind – wenn es den Herrn Doktor nicht stören würde – die Dame, eine ganz junge Person, bat so flehentlich, ihr einen Arzt zu senden – sie ist erst heute abend angekommen. Ich habe nichts davon gesagt, daß der Herr Doktor im Hause ist, um den Herrn Doktor nicht etwa zu verpflichten.«

»Aber das versteht sich doch ganz von selbst. Erst der Beruf, dann alles andere. Wissen Sie, was dem Kinde fehlt?«

Der Portier zuckte die Achseln. Auch der Direktor, der jetzt hinzutrat, wußte nicht, was mit dem Kinde sei. [109] Nur daß die Frau den Eindruck einer völlig Verzweifelten gemacht habe, wußte er zu berichten.

Max Enke hatte sich inzwischen aus der Garderobe seinen Überrock holen lassen, in dem er stets das notwendige Handwerkszeug bei sich führte. Er hing den Rock über die Schultern und schritt schnell auf den Aufzug zu.

»No. 458, Herr Doktor. Zeige dem Herrn Doktor das Zimmer.«

Leiser, gegen Max Enke gewendet, fügte er hinzu: »Es scheinen sehr einfache Verhältnisse, Herr Doktor, ich wollte das nur gesagt haben.«

Enke winkte mit der Hand ab, andeutend, daß dieser Umstand in nichts mitspreche, und fuhr hinauf.

Oben in den Gängen rührte sich nichts. Alles schien schon in tiefem Schlaf zu liegen.

Der Fahrstuhl-Bursche schritt dem Doktor durch ein förmliches Labyrinth von Gängen voran. Endlich blieben sie vor 458 stehen. Der Bursche klopfte. Niemand gab Antwort.

»Der Herr Doktor, gnädige Frau.«

Etwas wie ein schluchzender Laut gab Antwort.

Max trat ein. Das Zimmer war nur schwach erhellt. Die elektrischen Flammen an der Decke waren ausgedreht, nur die kleine rotüberdachte Lampe auf dem Nachttisch brannte. Er sah ein Kind mit geschlossenen Augen, halb aufgerichtet im Bett, von dem Arm der neben dem Bettrand knienden Mutter gehalten. Der Kopf der Frau lag in die Kissen eingegraben. Nichts als ein sehr schlanker Körper und eine Fülle halb gelösten schwarzen Haares waren sichtbar. Max trat dicht an die Regungslose heran.

»Gnädige Frau, ich bin der Arzt.«

Als ob ein Blitzstrahl sie getroffen, schnellte die Kniende [110] in die Höhe. Die Instrumententasche, die er in der Hand gehalten, entfiel Max klirrend. Sprachlos standen sie einander gegenüber, Blick in Blick getaucht. Langsam und schwerfällig rang sich der Name des einen von des andern Lippen.

Da stöhnte und gurgelte das Kind. Mit fiebernden Händen faßte Martha nach der Hand des Mannes, die sie noch nicht berührt hatte.

»Rette das Kind, Max, alles andere nachher.«

Seine Hand zitterte, vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte, wälzten sich schlangenförmige Gewinde. Er packte Martha am Arm.

»Unser Kind?«

»Ja,« gab sie hart zurück. »Rette es, wenn du kannst.«

Er riß sich in die Höhe. Mit eisernem Griff faßte er sich zusammen. Er hatte nichts zu denken, als an dies kleine, todkranke Geschöpf. Er warf den Rock ab, die zu Boden gefallene Tasche hatte Martha schon auf den Nachttisch gelegt, und nahm das Kind aus den Kissen.

»Mach mehr Licht an.«

Er trug das Kind auf den Tisch, unter den strahlenden Deckenleuchter und untersuchte es. Nach zwei Minuten wußte er, wie es stand. Aber keine Miene, keine Bewegung verriet, was er dachte, was in ihm vorging.

»Leg die Kleine wieder zu Bett. Nicht zu fest zudecken, den Kopf ganz hoch. Und, bitte, klingle nach dem Hausdiener. Er soll sofort in die Apotheke.«

Er setzte sich und schrieb zwei Rezepte. Dann legte er die Feder hin. Ein bittres Lächeln glitt um seinen Mund: »Wie heißt unsere Kleine?«

»Gusta, nach deiner Mutter.«

[111] Für Gusta Freiland. Er zerbiß, während er es schrieb, einen schweren Seufzer zwischen den Zähnen.

Wie lange würde es noch eine Gusta Freiland geben!

Der Hausdiener kam.

»Tragen Sie das sofort in die Apotheke und warten Sie darauf. Sie wissen doch die nächste? Kärntnerstraße. Vorher aber bestellen sie unten, daß sofort eine Platte kleingeschlagenes Eis heraufgebracht wird. Und richtig, ja, bringen Sie aus der Apotheke einen Eissack mit. Hier sind zwanzig Kronen.«

Als der Hausdiener gegangen war, trat Enke an das Bett zurück. Er legte die Hand auf den Kopf des Kindes. Die Kühle, die ihr entströmte, schien dem armen Geschöpf sichtlich wohl zu tun.

»Leg ein paar Tücher in kaltes Wasser, Martha.«

Als Martha ihm die Leinwand reichte, beugte er sich auf ihre Hand herab und küßte sie. Sie sagte nichts und rührte sich nicht. Er warf einen langen, schwermütigen Blick auf ihr bleiches schönes, von Leiden gezeichnetes Gesicht. Dann wickelte er Hals und Kopf des Kindes in die nassen leinenen Tücher.

Eine kurze Weile lang sprach keines von ihnen ein Wort. Dann, nachdem das Eis gebracht worden war und Max dem Kinde ein Stück zwischen die spröden trockenen Lippen geschoben hatte, fragte Martha, an seiner Seite stehend, leise, kaum hörbar: »Ist es sehr schlimm mit Gusta?«

»Der Fall ist ernst, aber nicht unbedingt verzweifelt.«

Dann griff er nach ihren Händen, die sie ihm nur widerstrebend überließ.

»Nur einen Augenblick, Martha!«

Er beugte sich ein wenig zu ihr hinüber und sah ihr tief in die Augen.

[112] »Warum kamst du, ohne mir ein Wort davon zu schreiben? Warum verheimlichtest du mir das?«

Er warf einen schmerzlich bewegten Blick auf das Kind.

Sie sah von ihm fort zur Seite.

»Du solltest mich nicht um seinetwillen lieb behalten, Rücksichten üben. Du solltest frei deinen Weg gehen. Danach – wäre ich mit dem Kinde zu dir gekommen.«

Ihre Stimme klang hart und kalt. Aber in ihren Augen funkelte es vor leidenschaftlicher Glut.

»Und jetzt, Martha, warum kamst du jetzt?«

Sie richtete sich hoch auf und sah ihn drohend an. Dann riß sie den zerknitterten Brief seiner Wirtsfrau aus der Tasche.

»Um das da kam ich!«

Max wurde um einen Schatten bleicher noch, während er die Zeilen flüchtig überflog. Mit verhaltenem Atem stand sie neben ihm.

»Ist das wahr?«

»Ja, es ist wahr.«

Er senkte die Augen nicht vor ihr. Mit unendlicher Traurigkeit blickte er sie an. Sie aber sah an ihm vorüber ins Leere mit einem entsetzensvoll starren, medusenhaften Blick.

»Martha, um Gott, Martha!«

Sie machte sich los von seinen sie umklammernden Händen und lachte jäh und schrecklich auf.

»Und du glaubst, ich würde dabei stehen und es ruhig mit ansehen, dich etwa gar noch segnen, dich und sie, sie, die dich mir gestohlen hat, deine Liebkosungen, deine Küsse mir gestohlen hat, die statt meiner dein Weib sein wird – und du glaubst, ich ließe das zu, ich, der du gehörst mit allem, mit allem, sage ich dir, Seele und Leib. Töten tue ich sie, [113] ehe sie dich besitzt. Oder ist es schon geschehen, sage, ist sie schon dein Weib?«

Sie sprach ganz leise, heiser, unterdrückt, ihre Augen fest in den seinen, seine Schultern mit beiden Händen gepackt.

»Nein, sie ist es noch nicht.«

Ein tiefer Atemzug hob die Brust des Mädchens.

»Und sie wird es niemals werden.«

Sie sprach es leise zwischen den Zähnen hindurch. Er sah es mehr, als daß er es hörte, an dem triumphierenden Blick ihrer Augen.

Dann, als ob sie in dieser Versicherung ihre letzte Kraft ausgegeben, sank sie wie zerbrochen in einen Stuhl und starrte, die Hände um die Knie gefaltet, wortlos in die rosa Dämmerung des Gemaches.

Er blickte zu ihr hin, jeden Zug ihres schönen Gesichts, jede Linie ihres schlanken Körpers förmlich in sich aufsaugend. Jetzt, da er sie wiedersah, da alles, was sie einander gegeben, alles, was sie einander gewesen und noch waren, greifbar deutlich vor ihm aufstieg, fragte er sich, wie das andere auch nur möglich gewesen, wie es überhaupt hatte geschehen können! Ihm, dem Kampfmüden, hatte ein goldener Käfig gewinkt. Aber das Vögelchen mit dem feinen, weichen Gefieder und dem sanften, zwitschernden Stimmchen, das in dem goldenen Käfig seiner harrte, konnte es ihn je vergessen lassen, daß er einst einen freien, starken, wilden Vogel am Herzen gehalten, der sein köstliches Besitztum gewesen war?

Stöhnend barg er den Kopf in beide Hände. Was sollte werden, was geschehen? Er konnte das kleine, zarte, vertrauende Geschöpf, das ihn liebte auf seine Art, nicht Martha Freilands Rache preisgeben; aber er konnte auch sie nicht lassen, die Mutter seines Kindes, das Weib, zu dem [114] ihn noch heute wie vor vier Jahren sein ganzes Wesen übermächtig riß.

Von einem Schatten aufgeschreckt, blickte Max auf. Martha stand vor ihm.

Hart und trocken sagte sie: »Du glaubst nicht etwa, daß ich dich hätte rufen lassen?«

»O nein, nein, ich weiß. Ich war hier im Hause zufällig – ein Fest.«

Er sprach stockend und unsicher. Sie blickte ihn durchdringend an.

»Sie ist auch hier?«

Er nickte stumm und gequält.

Ein verzweifelter Schmerz kroch über ihr Gesicht, über ihre ganze, sich förmlich krümmende Gestalt.

»Du wirst sorgen, daß wir einander nicht begegnen, Max. Ich kann sie nicht sehen. Du hast sie ja doch geküßt und in deinen Armen gehalten.«

Mit einem dumpfen Laut der Verzweiflung schlug ihre Gestalt nach rückwärts gegen den Bettpfosten. Er hielt sie mit den Armen auf.

»Laß, laß, es geht schon vorüber.«

Draußen klopfte es leise an der Tür. Niemand hörte darauf.

Erst beim dritten Male sagte Martha: »Der Hausdiener bringt die Medizin.«

Max stand auf, um die Tür zu öffnen. Entsetzt taumelte er zurück.

»Du hier? Was willst du, geh!«

»Du bleibst so lange, du siehst so erschöpft aus. Ich will dir helfen. Ich verstehe mich auf Kinderpflege. Ich habe einen Kursus im Spital durchgemacht.«

»Geh, sage ich, geh. – Du könntest dich infizieren.«

[115] Käthi lächelte glücklich. Wie lieb er sie hatte, wie er um sie besorgt war! Und sie drängte ihn sanft zurück und trat ein.

Verzweifelt hielt er sie am Arme fest.

»Nicht so nahe. Ich sage dir doch –«

Aber Käthi lächelte weiter. Seine verzweifelte Sorge um sie berauschte sie förmlich. Sie trat dicht an das Bett, vor dem Martha Freiland steif und starr in eherner Größe aufgerichtet stand. Martha hatte es auf den Lippen, zu sagen: Was hast du hier zu suchen zwischen Mann und Weib und Kind? Ihr Worte zuzuschleudern, die diese verhaßte Zerstörerin ihres Glückes mit einem Schlage niedergestreckt hätten! Aber ihre Lippen waren wie zugesiegelt; nur ihre Augen sprachen.

Und betroffen von der unheimlichen Gewalt, die der furchtbare Blick des fremden Weibes auf sie übte, wich Käthi langsam zurück; Schritt vor Schritt der Tür wieder zu, mit banger Frage zwischen den beiden Stummen hin und her sehend, die auf ihren herzbewegenden Blick keine Antwort hatten.

Leise schloß sich die Tür. Von draußen her drang ein banges, ahnendes Schluchzen; dann war es wieder still auf dem Gange.

Martha saß auf dem Bettrand über das Kind gebeugt. Sie rührte sich nicht. Es war eine Starrheit über sie gekommen, die alles zu vereisen schien, was während dieser einzigen Stunde in ihr aufgewühlt worden war.

Endlich kam der Hausdiener mit der Medizin. Das Kind schluckte nur noch mühsam und unter merklichen Erstickungserscheinungen. Max legte Martha die Hand auf die Schulter.

»Es steht schlecht,« sagte er leise, dicht zu ihr gebeugt. [116] »Es gibt nur noch eine Möglichkeit der Rettung, das ist eine Operation. Aber ich möchte sie nicht ohne deinen Willen vornehmen, Martha. Willst du, daß es geschieht?«

Sie bewegte zustimmend den Kopf.

»Ich danke dir für dein Vertrauen. Und nun komm. Du mußt dich aufraffen. Ich kann ohne dich nichts tun. Kleide dich und das Kind an. Ich bestelle einen Wagen. Wir müssen sogleich ins Krankenhaus. Jeder Aufschub ist verderblich.«

Zehn Minuten später fuhren sie durch die dunkle Stadt. Immer lichtloser, immer einsamer wurden die Straßen. Martha hatte das Gefühl, als ob sie in einen schwarzen, gähnenden Schlund hineinführen, der keins von ihnen dreien jemals wieder herausgeben würde. – – – –

Gegen Morgen war die Operation vollzogen. Die Kleine atmete nun wieder frei, das Fieber ließ nach, alle Anzeichen deuteten darauf, daß das Kind gerettet sei. Martha sank erschöpft auf das schmale Lager, das man ihr auf Enkes Fürsprache in ein kleines abgeschlossenes Gemach neben das Bettchen des Kindes gestellt hatte. Die wachthabende Schwester aus dem großen Krankensaal ging ab und zu, um nach der kleinen Patientin zu sehen.

Als Martha erwachte, war es Mittag. Sie hatte wie in einer Narkose gelegen. Auch Gusta schlief. Schwester Therese berichtete, daß es mit dem Befinden des Kindes verhältnismäßig vortrefflich stehe. Herr Doktor Enke sei schon morgens gleich nach seiner Sprechstunde hier gewesen und habe ihr dies für die gnädige Frau übergeben. Dabei händigte die Schwester, eine kleine, ältliche, gutmütig aussehende Person, Martha einen geschlossenen Briefumschlag ein.

Sie legte ihn auf das Deckbett. Sie konnte sich nicht [117] entschließen, ihn zu öffnen, solange die Schwester im Zimmer war.

Nachdem sich die Tür der kleinen Kammer leise geschlossen hatte, riß Martha mit bebenden Fingern den Briefumschlag voneinander. Max schrieb nur wenige nüchterne Worte:


»Liebe Martha, die kleine Gusta ist gerettet, sofern nicht eine unvorhergesehene Komplikation hinzutritt. Du magst denken, mit wie dankbaren Gefühlen mich dieser Umstand erfüllt. Wenn es dir recht ist, werde ich ab und zu nach Dir und dem Kinde sehen. Vielleicht gibst Du mir noch heute mit ein paar Worten Nachricht in meine Wohnung, Kärntnerstraße 13. Die spezielle Behandlung der kleinen Gusta hat der mir persönlich befreundete Kollege des Krankenhauses, Doktor Costa übernommen. Ich bitte Dich, Dir jetzt Ruhe und Erholung zu gönnen, nachdem jede Gefahr für das Kind vorüber scheint.

Mit Gruß und Handkuß.

Max.«


Mit einem bittern Lächeln ließ Martha den Brief auf die Bettdecke zurückfallen. Was nun? Sie konnte ihn nicht wiedersehen, so nicht. Nicht eher, als bis er ihr die heilige Versicherung gegeben haben würde, daß seine Heirat niemals stattfinden werde, daß er sich von allem losgelöst habe, daß er wieder frei sei. Und dann, würde es auch dann jemals wieder werden können, wie es früher gewesen war? Würde nicht immer wieder die Gestalt des fremden Mädchens vor ihr aufstehen, das er für eine kurze Weile an ihre Stelle gesetzt hatte? Würde diese Gestalt ihr nicht seine Umarmungen, seine Küsse, jedes seiner Worte vergiften? Würde sie denn jemals wissen, ob seine Liebkosungen, die ihr früher eine Seligkeit ohnegleichen bereitet, ihr jetzt nicht logen? [118] Ob er statt der heißen Liebe zu ihr nicht vielleicht Reue empfand, die andere von sich gewiesen zu haben und mit ihr ein Leben des bequemen, satten Erfolges!

Sie erhob sich langsam und kleidete sich an. Die sonst so elastischen Glieder waren ihr schwer wie Blei. Rings um sie her herrschte eine beängstigende Totenstille. Die kleine Gusta schlief noch immer. Auf dem Gang nur leise, schlurfende Schritte und Flüstern. Nebenan, durch die fest geschlossene Tür nur ab und zu ein leises Wimmern und der tröstende Zuspruch der Schwester.

Martha war die Kehle wie zugeschnürt. Wie ein Alb lag es ihr auf der Brust. Nur fort, heraus aus dieser Enge, dieser totenähnlichen Stille, fort von dem Kinde, fort aus dem Hause, fort von ihm, ins Leben hinaus, auf daß es sie mit fortriß in seinen lauten, sprudelnden Lärm, der alles Denken, alles Fühlen übertönt!

Sie nahm eine Kleinigkeit zu sich, die die Schwester ihr aufdrängte. »Doktor Costa habe es ausdrücklich so angeordnet,« und lief dann in dem grauen Herbstnebel ein paar Straßen auf und ab. Aber auch hier in der stillen Vorstadt, wo Spital an Spital sich reihte, schien alles Leben ausgestorben zu sein. Die Unruhe trieb sie wieder an Gustas Bett zurück.

Das Kind war eben aufgewacht. Schwester Therese saß neben ihm und gab ihm Milch zu trinken, die es ohne Beschwerde schluckte. Als Gusta die Mutter sah, lächelte sie ihr mit hellen Augen entgegen. Martha sank an dem Bettchen nieder und schluchzte laut.

Warum, ach warum war dieses andere Entsetzliche geschehen? Nun, da Gusta gerettet war, wie glücklich hätten sie sein können! Welch ein Leben zu dreien, welch eine Seligkeit ohne Ende!

[119] Die Schwester hatte das Zimmer verlassen. Gusta lehnte müde das Köpfchen zur Seite und schlief wieder ein. Wieder war sie allein mit ihren qualvollen Gedanken. Sie räumte die Medizinflaschen und das Gurgelwasser beiseite und setzte sich an das kleine viereckige Tischchen am Fenster, um Max' Brief zu beantworten, aber die Feder wollte nicht von der Stelle.

Das Leben hatte Martha Freiland zu hart gerüttelt, als daß sie die Kunst des Schreibens sonderlich hätte pflegen können; aber wenn sie sonst die Gedanken an den Geliebten gerichtet, hatte es ihr an der rechten Ausdrucksweise nie gefehlt. Sie war ihr zugeflossen aus der nie versiegenden Wärme und Fülle ihrer großen, heißen, dankbaren Liebe für ihn; ja, eine solche Ausdrucksfähigkeit hatte sie unbewußt besessen, daß ihn ihre geschriebenen Worte oft förmlich körperlich berührt hatten, wie warme Liebkosungen ihrer schönen Hände, wie heiße Küsse von ihren leidenschaftlichen Lippen.

Jetzt rang sich ihr nur mühsam und schwerfällig Wort um Wort, beinahe zusammenhanglos, von der Seele:


»Lieber Max, komme nicht, bis – Du weißt schon. Es geht uns gut. Ich danke Dir für das Kind, das gerettet ist. Es geschieht alles Nötige. Die Schwester und der Arzt sorgen sehr. Schreibe nur, wenn – Du weißt schon.

Martha.«


Als Max Enke diese Zeilen bekam, hielt er gerade ein kleines graues, weißgerandetes Papier – Käthi Effingers Lieblingspapier – in der Hand. Fünf-, sechsmal schon hatte er die wenigen, ernsten, ruhigen Zeilen in der klaren, zierlichen Mädchenschrift überlesen.


[120] »Lieber Max, verzeih, daß ich gestern bei Deiner Patientin eindrang. Ich hatte es gut gemeint. So übel es aussah und so schwer es Dich verletzt haben mag, ist es doch am Ende gut, daß es geschehen und zwischen Dir und mir nun volle Klarheit sein wird. Ich habe meinem Vater nur so viel gesagt, daß die Hochzeit aufgeschoben werden müsse. Ich bitte Dich, mich noch einmal aufzusuchen, wenn es Dir so recht ist. Wir haben uns doch vielleicht noch ein Wort zu sagen.

Käthi.«


Sie hatte verstanden, es war kein Zweifel. Mit einem einzigen Blick hatte dies Kind, das er wildfremd in der Welt geglaubt, vielleicht nur durch den Instinkt seiner Liebe, Martha und ihn durch und durch gesehen.

Das hatte er nicht gewollt. Alles in ihm lehnte sich gegen diese schroffe Art der Lösung ihrer Verlobung auf. Wenn sie sich denn vollziehen sollte, hatte er Käthi langsam darauf vorbereiten, mit dem Sektionschef sich freimütig aussprechen wollen. Wie die Dinge über ihm hereingebrochen waren, konnte Käthi nur ein abgekartetes Spiel in diesem seinem plötzlichen Zusammentreffen mit Martha Freiland sehen, das ihn als einen hinstellte, der mit brutaler Roheit Güte, selbstlose Freundschaft, unschuldige Hingabe dankte.

Ein heftiger Zorn gegen Martha wallte in ihm auf. Weshalb kam sie ungerufen und ohne ihn zu fragen? Weshalb hatte sie das Kind ihm verheimlicht? Was konnte sie vermögen, das kranke kleine Geschöpf gerade in das Hotel zu bringen, in dem ihm ein Fest gefeiert wurde?

Aber der Zorn verflog rasch vor dem gerechten Erwägen. Unzählige Male in den Jahren ihrer Trennung hatte er Martha gerufen, ohne daß sie gekommen war. Es [121] war ihr gutes Recht, diesem Ruf zu folgen, wenn es ihr jetzt einmal selbst gefiel, und überdies hatte ein mächtiger Faktor sie getrieben. Er fragte sich, ob er im umgekehrten Fall nicht ebenfalls alles über den Haufen geworfen hätte, nach Berlin gefahren wäre, um der Wahrheit eines Briefes, wie Martha ihn empfangen, auf den Grund zu gehen. Und er konnte nicht anders, als diese Frage mit einem bedingungslosen Ja zu beantworten. Und das Kind? Er wußte ja nun, daß nur eine Liebe wie die Martha Freilands imstande sei, ein so ungeheures Opfer zu bringen, dem Geliebten Sorgen und Bitternisse zu ersparen, damit er ungestört sein hochgestecktes Ziel erreichen könne.

Max Enke lächelte bitter. Das Ziel, Karriere zu machen, sich in einem Beruf auszuzeichnen, ein Fachwerk zu schreiben, erschien ihm in diesem Augenblick erbärmlich klein, ja, beinah kindisch, der Gewalt jener menschlichen Tragödie gegenüber, die seine Handlungsweise herbeigeführt hatte.

Max griff nach Marthas Brief und las ihn. Er hatte nichts anderes erwartet. Diese Frau gehörte nicht zu denen, die ohne weiteres wieder in die neu geöffneten Arme des Mannes fliegen, und sie tat recht daran. Ihn aber überkam, je ferner und fremder er sie sich innerlich in diesem Augenblick wähnte, eine wilde, brennende Sehnsucht nach der leidenschaftlichen Geliebten, nach der treuen Kameradin seiner Werdejahre. Wie so oft in Berlin, in dem kleinen engen Dachstübchen, in dem sie gehaust hatten und glücklich gewesen waren, hätte er seinen Kopf in ihren Schoß legen mögen, ihre Hand auf seinem Haupte fühlen und aus ihrem Munde gute, kluge, liebevolle Worte vernehmen.

Würde sie es über sich vermögen, ihm je wieder zu werden, was sie ihm gewesen war, oder hatte er den Faden, der sie band, so weit durchschnitten, daß er erbarmungslos [122] auseinanderfallen mußte, um sich nie wieder vereinen zu lassen?

Eine tiefe Beklemmung erfaßte ihn. Wenn er zugleich mit Käthi Martha verloren hätte, die ihm heute notwendiger denn je zu einem Leben schien, das er von vorn würde wieder aufbauen müssen!

Er faßte einen gewaltsamen Entschluß. Er wollte noch heute zu Käthi gehen und rasch ein Ende machen und dann vor Martha hintreten und ihr sagen: »Es war, es ist vorüber.«

Gegen Abend, um seine gewöhnliche Stunde trat er bei Käthi ein.

Sie empfing ihn mit ruhiger, ernster Freundlichkeit, ganz im Ton ihres Briefes. Stumm und verlegen stand er vor ihr, sie kam ihm seit gestern nacht um Jahre gereift und gealtert vor.

Sie reichte ihm gefaßt die Hand und bat ihn, niederzusitzen.

»Wir wollen es kurz machen,« sagte sie leise mit leicht verschleierter Stimme.

»Ich habe immer gefühlt, daß etwas zwischen uns ist. Ich hätte diese Furcht nicht vor dir verbergen sollen. Daß es ganze Lebensschicksale waren, wußte ich nicht. Da du sahest, daß ich dich liebte – und ich verbarg es wohl kaum da oben in der großen freien Natur –, hättest du mir Freundschaft und Vertrauen schenken sollen, anstatt, verzeih mir, daß ich es ausspreche, mir Liebe zu lügen. Uns allen, vor allem dieser armen Frau, die viel gelitten haben muß, wäre viel erspart geblieben. Dennoch zürne ich dir nicht, weil – nun das geht nur mich an. Das ist's, was ich dir sagen wollte, Max. Sonst nichts.«

Sie reichte ihm still die Hand. Max beugte sich über die schmale kindliche Hand, sie zu küssen. Er hatte Käthi [123] Effinger nie so ehrlich lieb gehabt als in dieser Scheidestunde. Sie stand auf und sah ihn einen Augenblick mit flehender Bitte an. Er verstand. Noch einmal griff er nach ihrer Hand und sagte bewegt:

»Ich danke dir, Käthi. Danke dir von Herzen.«

Sie konnte nicht mehr sprechen und bewegte nur leise den Kopf. –

Martha Freiland schlichen die Stunden dahin, als wollten sie niemals ein Ende nehmen. Die eingeschlossene Luft des Krankenhauses, die Stille, das enge Gemach, die ungewohnte Untätigkeit, zu der sie verdammt war, lasteten wie eine betäubende Narkose auf ihr. Stundenlang lag die sonst so Bewegliche, unermüdlich Tätige auf dem Bett neben Gustas Lager hingestreckt, in schwere, schwüle, angstvolle Träume versunken.

In diesen Träumen sah sie nichts als Max und das helle, zierliche, zarte Geschöpf in seinen Armen, an seinem Herzen. Sie sah ihn dieses fremde Mädchen liebkosen, wie er sie zu liebkosen pflegte, sie sah sie eng verstrickt in seiner Umarmung, sah, wie sie gab und nahm. Wer hätte ihm widerstanden! Warum sollte gerade sie es können? Was wußte sie von ihr? Trog nicht der Schein, wohin man sah! Konnte die kindhafte Hülle dieses jungen Geschöpfes nicht brennende Leidenschaften bergen? Liebte sie Max nicht vielleicht mit derselben versengenden, verzehrenden Glut, mit der sie selbst ihn liebte? Nein, nein, das nicht. O Gott, das nicht! Das konnte nicht sein.

Ungezählte Male hatte Max ihr gesagt, daß ihre Liebe einzig sei wie die seine. Daß sie einander vorbestimmt seien, Seele und Leib sich ergänzend, zueinander gehörig! Nein, nur das nicht!

Aber das andere, genügte es nicht, ihr Glück in Trümmer [124] zu schlagen! Würde das Geschehene je zu vergessen, je zu überwinden sein!

Es gab Stunden, in denen Martha Freiland sich sagte, daß ihre große, heiße, dankbare Liebe vergessen und überwinden würde. Ja, sobald Max wirklich frei war, würde es zwischen ihnen sein, wie es einst gewesen. Dann plötzlich wieder packte sie das wilde, verzweifelte Weh, das sie jedesmal nicht nur seelisch, nein auch physisch überkam und wie eine offene Wunde schmerzte, wenn sie die beiden beieinander vor sich sah, und alles in ihr schrie gegen die Möglichkeit auf, jemals über dieses furchtbare Geschehnis fortzukommen. Entweiht, besudelt war ihr der Geliebte durch die Küsse der andern.

Nie wieder würde sie sein Weib sein können.

So zerfoltert und zermartert wartete sie auf ihn. Bald zürnte sie ihm, daß er so lange brauchte, sich loszulösen, bald dankte sie ihm, daß er ihr Zeit ließ, alles zu überdenken, sich in das Neue, Kommende hineinzufinden.

Gusta war inzwischen fast gesund geworden. Sie saß mit blassen Bäckchen und hellen Augen im Bett und spielte, und das kleine zwitschernde Stimmchen klang wieder hell und rein.

Endlich, am vierten Tage, kam Max. Es war noch früher Nachmittag, als er eintrat. Martha saß am Bett und gab Gusta zu trinken. Ihr Gesicht war fast marmorbleich und schien schmaler noch als gewöhnlich. Ihre Augen waren von tiefen bläulichen Schatten umrandet. Max erschrak, als er sie sah. Was hatten diese letzten Tage aus ihr gemacht! Er legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie bebte unter seiner leisesten Berührung.

»Komm, liebes Herz, wir wollen ein wenig ins Freie gehen. Es wird dir gut tun, es ist ein hübscher, lichter Tag.«

[125] Sie sah ihn mit tiefer, durchdringender Frage an. Er begriff und beugte sich über sie.

»Es war. Es ist vorüber,« sagte er leise und küßte sie auf die Augen.

Sie hob die Lippen zu ihm auf. Gusta sah lächelnd dem seltsamen Spiele zu. Dann kam Schwester Therese, und sie gingen ins Freie hinaus.

Max zeigte ihr einen Teil der innern Stadt mit ihren alten, malerischen, winkligen Gassen. Sie sah nicht viel und hörte noch weniger von dem, was er sagte. In immer demselben schwerfälligen Rhythmus, wie von ehernen Hammerschlägen geschlagen, tönte es ihr im Kopf: Wird es je wieder sein können wie einst? Wirst du vergessen können?

Da sie so gar nicht sprach, nur still ab und zu den Druck seiner herabhängenden Hand erwiderte, wuchs seine Sorge um sie.

»Du solltest etwas nehmen, Liebste. Du bist ja völlig erschöpft.«

Sie weigerte sich, aber er drang als Arzt in sie. Am Ende folgte sie. So gingen sie in ein Weinhaus, das um diese Zeit leer und verlassen war.

Da sie behauptete, kein Fleisch genießen zu können, bestellte er Kaviar und eine Flasche Bordeaux.

Auf sein bittendes Zureden aß und trank sie, wenn auch nur bissen- und schluckweise, und wirklich kehrte ein wenig Farbe in ihre Wangen zurück und in ihre Augen etwas von dem alten, warmen Feuer.

Gesprächiger schlugen sie den Rückweg ein. Max führte Martha über den Ring zurück. Beim Hotel Bristol blieben sie stehen. Martha fiel ein, daß sie beim Portier nach der Post fragen sollte. Es wäre doch möglich, daß Bestellungen oder dergleichen eingegangen seien.

[126] »Möchtest du einen Augenblick warten, Max?« fragte sie zögernd und beklommen. »Du wirst ja doch nicht mit hineingehen wollen.«

»Weshalb nicht? Es ist ja nun alles vorüber.«

»Der schlanke, elegante Direktor begrüßte sie im Vestibül. Er hatte davon gehört, daß Dr. Enkes Verlobung aufgelöst war und reimte sich so ungefähr zusammen, aus welchen Gründen. Aber da die Sache glatt und ruhig abgegangen war und ohne Klatsch für sein Haus, hatte er hier nichts als seine Kavalierpflicht zu erfüllen. Er fragte sofort nach dem Befinden der Kleinen und bemerkte, daß der Gnädigen, falls sie im Spital nicht mehr nötig wäre, No. 458 wieder zur Verfügung stehe.

Max stellte vor: »Frau Martha Freiland, eine Verwandte.« Dann meinte er, gegen Martha gewendet:

»Es würde dir vielleicht gut tun, Martha, ein paar Nächte nicht in der engen Kammer zu schlafen, vielleicht kann auch Gusta bald herübergeholt werden.«

Martha ging lebhaft auf Max' Vorschlag ein. Ja, es dünkte ihr geradezu eine Art Befreiung, ein oder zwei Nächte allein in einem großen, gut gelüfteten Zimmer zu schlafen. Auch das Gepäck war noch oben und die eingegangene Post. Es schien, daß man sie jeden Augenblick zurückerwartet hatte. So fuhren sie denn hinauf und betraten den Raum wieder, in dem das erste schmerzliche Wiedersehen sich vollzogen hatte, in dem die kleine Gusta mit dem Tode gerungen und das fremde Mädchen leibhaftig zwischen Martha und ihr Glück getreten war. Mechanisch nahm sie den kleinen schwarzen Hut vom Kopfe und legte die Jacke ab. Dann sank sie erschöpft in einen Stuhl. Max sah mit brennenden Augen zu ihr hin. Sie schien seine Anwesenheit kaum zu bemerken. Mit starren Augen blickte sie an ihm vorüber in [127] den rosig durchleuchteten Raum. Er aber hielt sich nicht länger.

»Martha!«

Er schrie es mehr, als er es sagte, und kauerte neben ihr nieder, seinen Kopf in ihren Schoß bergend.

»Martha! Vergib! Vergiß!«

Sie legte ihm die Hand auf den Kopf wie einst.

»Laß, laß,« bat sie. »Sprich nicht davon, es tötet mich.«

Er preßte sie an sich. Der schlanke Leib zerbrach fast in seiner wilden Umarmung. Er suchte ihre Lippen, die sie ihm willig ließ. Er küßte sie, als wolle er ihre Seele austrinken. Und seine Glut entfachte die ihre, und alles. was gewesen, ging unter in dem neuen Liebesrausch.

Erst kurz vor der Nacht verließ er sie, glückselig, dankbar. Sie entkleidete sich rasch und ging zu Bett. Sie schlief ein fast ohne Gedanken. Willenlos überließ sie sich einem todähnlichen Schlaf. Gegen Morgen erwachte sie. Eine nagende Beklemmung lag ihr auf der Brust. Im Halblicht der noch brennenden beschirmten Lampe sah sie dort, wo er vor Stunden vor ihr gesessen, die Fremde sitzen und neben ihr, halb zu ihren Füßen, ihn, und sie hielten einander umschlungen und küßten und kosten sich.

Sie richtete sich mühsam auf. Der alte, wilde Schmerz lähmte ihre Glieder. Es war vergebens, alles vergebens, sie konnte nicht dagegen an. Nie würde sie vergessen und verwinden können, was geschehen war. Wie sie es vorausgesehen, würde jeder seiner Küsse ihr vergiftet sein durch das Erinnern an die Liebkosungen, die er mit der andern getauscht hatte. Je länger der Kampf währte, um so furchtbarer würde die Niederlage für sie sein. Ein Ende machen, ehe sie ganz zugrunde gerichtet war, ein Ende machen in dieser selben Stunde.

[128] Sie sah auf die Uhr. Es war halb fünf. Wenn sie sich rasch ankleidete, ihre Rechnung zahlte, das wenige Gepäck zusammenpackte und ins Spital fuhr, konnte sie den Zug um halb neun Uhr noch benutzen, falls Gusta würde reisen dürfen. Und sie mußte dürfen.

Gusta schlief noch, als Martha in die kleine Kammer trat, aber Schwester Therese, die in Marthas Bett geschlafen hatte, war schon auf und fertig angekleidet. Martha teilte ihr in fliegender Hast mit, daß sie abreisen müsse. Gründe gab sie nicht an. Ob Doktor Costa schon zu sprechen sei?

»Um sieben Uhr ganz gewiß.« Es fehlte kaum noch eine Viertelstunde an der Zeit.

Es wurde Martha nicht schwer, für Gusta die Erlaubnis zur Reise zu erlangen. Bei gehöriger Vorsicht lag keine Gefahr vor, und – das sah des Arztes Blick – was die Frau trieb, mußte etwas Gewaltiges sein.

Im letzten Augenblicke stieg ein anderes Bedenken in Costa auf. Was würde Enke, der ihm diese Frau und dieses Kind anvertraut hatte, zu dieser plötzlichen Flucht sagen?

»Weiß Doktor Enke davon, daß Sie fortwollen – wenn nicht – so –«

Heftig verneinend und abwehrend zugleich, bewegte Martha den Kopf. Eine lähmende Angst erfaßte sie, daß sich noch im letzten Augenblicke etwas ihrem Entschluß in den Weg stellen könne.

»Nein, nein, aber bitte dies – es gehört wohl nicht hierher – wenn Sie es als Arzt gestatten können –«

Costa verneigte sich kurz. In der Tat hörten seine Befugnisse dieser Frau gegenüber zugleich mit den Befugnissen des Arztes auf.

»Ich werde ihm schreiben von Berlin aus, er wird begreifen.«

[129] Sie reichte dem Arzt die Hand, die er fieberheiß durch den Handschuh fühlte.

»Reisen Sie glücklich, gnädige Frau.«

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor, für alles. Und wenn ich etwas schuldig bin, Sie müssen mir gestatten, es von Berlin aus zu begleichen, ich war nicht vorbereitet auf einen so traurigen Fall.«

Costa lehnte dankend ab. Hier war von keinem Schuldigsein die Rede.

Schwester Therese brachte die kleine Gusta wohl verpackt und nahm zärtlichen Abschied von ihr. Dann fuhren sie fort, Mutter und Kind, zur Stadt hinaus.

Als der Zug über die Donaubrücke rasselte, durchbrach die Sonne den feinen Oktobernebel. In der leuchtenden Pracht ihrer bunt gefärbten Waldungen senkten sich der Kahlenberg und der Leopoldsberg zu dem blitzenden Strome nieder.

Gusta klatschte jauchzend in die Hände. Starr und schweigsam blickte Martha durch die Scheiben, bis das Bild verschwunden war.

Eintönig weiter klapperte der Zug.

[130]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Duncker, Dora. Erzählungen. Jugend. Unüberwindlich. Unüberwindlich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-884A-B