[70] Achtes Buch

[71][73]
Ich kehrte nun zurücke; Thessalien, Epir,
Arkadiens Gefilde verschwanden unter mir.
So sehr beflügelt kaum, den Lorber zu erjagen,
Die Hoffnung, und der Stolz die Rosse vor dem Wagen,
Wenn der erhitzte Führer durch Staubgewölbe jägt,
Die schlaffen Zügel schüttelt, und ihren Rücken schlägt.
Die Liebe, die mich trieb, erlaubte an der Quelle
Des Peneus meinem Fuß die erste Ruhestelle.
Wohlthätge, milde Quelle, sprach ich, sey mir gegrüßt!
Schützt ewig, kühle Schatten, den Strand, wodurch sie fließt.
Nehmt hier den Wandrer auf, der müde niedersinket,
Erfrischt ihn, wenn sein Durst aus euren Strömen trinket;
[73]
Gießt Schlummer auf ihn nieder, wenn er in eurem Schooß
Die matten Glieder strecket, und legt sein Haupt aufs Moos!
Dann segnet er den Ort, an dem er Ruh gefunden,
Kein Blitz wird eur Gebüsch, kein sträflich Beil verwunden!
O Vater dieser Ströme, der oft an seinem Strand
Den unglückselgen Orpheus in stummer Wehmuth fand,
Als seine Laute schwieg, und ihren Klang versagte,
Und um Euridice die todte Gegend klagte;
Empfang noch einen Flüchtling, der ohne Hoffnung liebt,
Und deine heitern Wellen mit einer Zähre trübt:
Vergönne, daß dein Strom sein schmachtend Herz erfrische,
Und gieb ihm eine Ruh im Schooße deiner Büsche.
So grüßt ich diese Quelle, und segnete den Strand.
Hier wars, wo Aristheus Euridicen erst fand,
Hier wuchsen erst in ihm die strafenswerthen Triebe.
Wie manche Thräne floß nach der verhaßten Liebe!
Doch oftmals hat die Göttinn der Freud an Thränen Lust!
Die Schönheit dieser Nymphe goß Feur in seine Brust.
– Er fliegt ihr seufzend nach, und Thal, und Flur vermissen,
Indem sie von ihm flieht, die Spur von ihren Füssen;
Doch ihre zarte Ferse verletzt ein Schlangenstich;
Sie flieht, und statt der Tritte befärbt sie hinter sich
Die Bahn der Flucht mit Blut; der Gift dringt durch die Glieder;
Sie taumelt, und erblaßt, und seufzt, und sinket nieder.
[74]
Tod fand sie ihr Geliebter, er weint, er seufzete,
Und des Gebüsches Echo mit ihm, Euridice!
Die Nymphen jammerten, und klagten tausendmale
Euridice im Hain, Euridice im Thale!
Ich gieng von seinem Ufer, und flohe nach Athen,
Gieng wieder unter Segel, und kam nach Lycien.
Mich trieb die Ungeduld, die Hoffnung, das Verlangen,
An diesen Strand zurück, Themiren zu empfangen.
Vergebliches Verlangen! Ein thörichtes Gesicht.
Ein eitler Traum der Göttin! ich kam, und fand sie nicht!
Wie oftmals hab ich schon die Gegenden durchsuchet,
Bald zärtlich sie gewünscht, bald Hoffnungslos verfluchet!
In Thälern, in den Hainen war alles todt, und leer:
Die Ufer, wo wir saßen, schmückt fast kein Blühmchen mehr.
Die Büsche, die uns oft vertraut umfangen hatten,
Stehn ohne Leben da, und werfen schwärzre Schatten,
Erstorben, leer, zerstöret traurt nun der schönste Ort,
Die Bäche murmeln tiefer, der West braust wie der Nord.
So ist jetzt mein Geschick, gequält, unruhig, flüchtig,
Fast ganz von Hoffnung leer, und dennoch eifersüchtig,
Noch stets ein Raub der Liebe ernähr ich meinen Schmerz,
Und Denken, und Empfinden, sind Dornen für mein Herz.
Voll Schaam, so schwach zu seyn, betrogen, und verlassen,
Liebt doch mein schwaches Herz, und wünscht nicht einst, zu hassen.
[75]
Grausamer Gott der Liebe! du hast an Thränen Lust:
Den schrecklichsten der Pfeile warfst du in meine Brust!
Nichts löschet seinen Brand, und doch soll ich nichts hoffen!
Kein Wunsch, kein Traum, kein Wink, nichts ist mir eingetroffen.
Doch liebt ich noch so heftig, und brächte das Geschick
Themiren ohne Unschuld, in dieses Land zurück;
Was sag ich? hätte sie ihm einen Kuß erlaubet,
Hätt er ihn nur erfleht, ja, hätt er ihn geraubet:
Bey Zevs furchtbarer Rechten, der diesen Eidschwur hört,
Und den Verwegnen zeichnet, der falsch, und treulos schwört!
Nie nähm ich ihre Hand, und fiel sie auf die Knie,
Des Todes will ich seyn, wofern ich ihr verziehe,
Ich schwieg. Zephisens Auge blieb starr auf mich gewanndt,
Ihr schöner Busen hob sich, sie drückte mir die Hand:
Ein leiser Seufzer floß von ihrem Rosenmunde,
Die Wange färbte sich: Ich schone deiner Wunde,
(Sprach sie, mit falscher Wehmuth:) im allertiefsten Schmerz
Ist auch der leichtste Zweifel noch Trost für unser Herz.
Ach Venus, die dich haßt, muß mich weit stärker hassen,
Auch den elenden Trost hat sie mir nicht gelassen!
Nein, nein, ich darf nicht hoffen – verlange nicht von mir
Ein schreckliches Geheimniß, dein Zweifel nützet dir.
O! rief ich, gnug ist schon mein Busen wund gerissen;
Der Zweifel ist der Tod, laß mich mein Schicksal wissen!
[76]
Du folterst mich aus Mitleid; das Mitleid sey verflucht,
Das dem die Qual verlängert, der schnell zu sterben sucht!
Wenn alles mich verläßt, wenn alles neues Feuer
In meinen Busen gießt, so sey doch du getreuer!
Cythere spottet meiner, schweigt, und verbirget sich;
Stumm waren dir Orakel, stumm, wie der Tod, für mich!
O sey mitleidiger! weg mit den Finsternissen,
Worein sich Cypris hüllt, ich will mein Schicksal wissen!
Die Göttinn, sprach Zephise, kam ja dein Traum von ihr,
Hat niemals uns getäuschet, mit jenem oder hier.
Ich wagt es am Altar, um mein Geschick zu fragen,
Ich ward dafür gestraft – was soll ich dir noch sagen!
Dieß, Freund, war meine Antwort: das mächtige Geschick
Zerreisset eure Fessel; nehmt nur eur Herz zurück;
Die falschen Flüchtigen hält eine neue Kette; –
Sie sprachs; wie wünscht ich nicht, daß sie geschwiegen hätte!
Ihr Wort war mir ein Donner, der mich zu Boden schlug.
Wie hab ich es beweinet, daß ich die Göttinn frug!
Kalt stand ich am Altar, sank auf die Knie nieder,
Und bath: o gieb mir nur den süßen Irrthum wieder!
Laß mich nur zweifeln können, du, die sein Herz mir gab,
Sonst tilg auch meine Liebe, nimm mir die Fesseln ab!
Dieß Herz, das sich betrog, wünscht niemals mehr zu brennen;
Nein, laß es nur verzeihn, und nur vergessen können!
[77]
So täuschte mich Zephise, und brachte mit der Zeit
Mein Herz, durch Gram gelähmet, zur Unempfindlichkeit.
Die Tage strichen fort; ich lernte mit den Tagen
Themirens Wankelmuth geduldiger ertragen.
Zephise zog mich künstlich aus der Melancholie;
Ich dachte nur zuweilen, und ohn Gefühl an sie.
Mein Herz schwoll nicht mehr auf, mein Blut schlug nicht so flüchtig,
Auch treulos dacht ich sie, und ward nicht eifersüchtig:
Kaum zeigte mein Gedächtniß Empfindungslos, und kalt,
Mir noch erstorbne Züge der reizendsten Gestalt.
Mein Herz war ohne Wunsch, gleichgültig war mein Wille;
Es hatte ausgestürmt; nun folgte seine Stille.
Zum Kummer abgehärtet, und ohne Wunsch nach Lust,
Lag jetzo die Empfindung im Schlummer in der Brust.
So scheint ein Feur gelöscht, da durch Gewalt bekämpfet,
Zuletzt der Luft beraubt, die Last des Schuttes dämpfet;
Und frißt im Stillen um sich, mit Asche überhäuft;
Bis es, vom Wind erwecket, den nächsten Baum ergreift;
Dann strömt die Gluth umher, verzehret mit Getümmel
Den Blätterreichen Hain, und braust, und flammt gen Himmel.
Schon hatt ich angefangen, mit größerer Begier
Zephisen zu erwarten, und sehnte mich nach ihr.
Mehr als Gewogenheit, und Zärtlichkeit beynahe,
Erheiterte mein Herz, wenn ich sie kommen sahe;
[78]
Ich fühlt in mir das Leere; Gram, und Melancholie
Zog mir die Stunden länger, und ich vermißte sie;
Ich suchte sie so gar, wenn mich des Haines Schatten
In todter Einsamkeit zu lang umfangen hatten.
Zephise wünschte dieses; sie ließ mich oft allein,
Verlangen zu erwecken, und erst vermißt zu seyn.
Mein Herz, wenn sie erschien, fing an, froh aufzuwallen,
Ihr Auge, schön zu seyn, ihr Reden, zu gefallen.
Oft sagt ich ihr vertraulich: auch du verlässest mich;
Wie öde sind die Stunden, wie öde, ohne dich!
Ich fühle, ohne dich, in mir das finstre Leere;
O! wenn mein stürmisch Herz doch einmal ruhig wäre!
Verlaß mich nicht, Zephise! besiege meinen Schmerz,
Den Rest der alten Liebe, und wenn du willst – mein Herz!
O! wenn uns Cypris doch mit einer festern Kette,
So, wie der Zufall jetzt, vorher verbunden hätte!
Sie schlug die Augen nieder, die Röthe im Gesicht;
Sie schwieg, wenn Blicke schweigen: mein Wunsch misfiel ihr nicht.
Ich sahe Tag vor Tag dieselbe Gegend wieder,
Bald einsam, bald bey ihr, und sah mich täglich müder.
Zephise sahs, und sagte: was sehen wir den Hain,
Das Thal, und diese Fluren, Denkmäler unsrer Pein?
Ist keine Gegend sonst, kein anderes Gefilde,
Worinn sich unser Herz nichts vom Vergangnen bilde?
[79]
Der Ort, den unser Auge vor dem mit Wollust sah,
Ist jetzo unsre Hölle, die Schrecken wohnen da!
Ein jeder andrer Grund, der kleinste Fleck der Erden,
Den dieses Bild nicht schwärzt, muß uns ein Himmel werden.
Hinweg aus dieser Wüste! hinweg! dort wollen wir
Den Gram vergessen lernen. Was hält uns auch wohl hier?
Die Göttinn hasset uns! sie hat noch mehr Altäre,
In Knidus, Amathunt, und Paphos mehr Altäre.
Vielleicht ists ein Verbrechen, ihr dort kein Opfer weihn!
Sie wird vielleicht hier härter, in Paphos milder seyn!
Was dort die Lieb erfleht, ein feurig Herz voll Triebe,
Gewährt sie, saget man, dem Herzen, und der Liebe.
Ich ließ mich gern bereden. Wir wechselten den Ort;
Ich gieng mit ihr nach Paphos, und suchte Cypris dort.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Der Tempel der Liebe. Achtes Buch. Achtes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8883-7