[110] Zwölftes Buch

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Von Ungeduld gespornt, durchstrichen wir die Felder,
Und hinter uns entflohn in Schatten Höhn, und Wälder,
Ach! meinem Wunsch zu langsam! mit Sehnsucht maß mein Blick
Die Fernen vor sich über, und schaute oft zurück.
Ihr Götter! hätte mich Medeens schneller Wagen,
Der Vogel Jupiters, der Sturmwind fortgetragen;
Ja wär ich selbst den Flügeln des Blitzes gleich geflohn:
So kam mein Herz doch früher, und meldete mich schon!
Jetzt zeigte sich die Stadt: im Kranze blauer Hügel
Stand manche Zinn empor; der Anblick gab dem Flügel
Die ersten Kräfte wieder: da liegt der schönste Ort
Der Erden! rief ich feurig: und riß mich schneller fort.
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So zieht ein mächtger Strom, der zum Gestade schießet,
Des Meeres Fläche theilt, und sich ins Land ergießet,
Von fern her einen Nachen, der, wenn er ihn ergreift,
Geflügelter zum Hafen auf seinen Wogen läuft.
Die Wälder wuchsen nun, so wie wir näher gingen;
Die Schatten schwärzten sich, die von den Hügeln hingen;
Schon hob sich aus dem Chaos der Göttinn heiligs Haus,
Und breitete dem Auge die stolzen Flügel aus.
Die Gegend, die entfernt, nicht gänzlich ausgewischet,
Ihr Mannigfaltiges in Blau zusammenmischet,
Fiel nun in mehr Gestalten und Farben ins Gesicht;
Hier kam ein tiefrer Schatten, und dort ein hellers Licht.
Nun war der Schauplatz hell. Wie sah ich mit Vergnügen
Cytherens schönstes Thal verbreitet vor mir liegen!
Ihr Götter! wie verändert! es war nicht mehr das Thal,
Das ich verlassen hatte, das öde, finstre Thal!
Hier stieg der Buchwald auf, dort schlung um grüne Hügel
Zephissus seine Fluth, und zeigte sie im Spiegel.
Die Wonne, die Entzückung, die ich vordem nicht sah,
Der Himmel, der verschwunden, war jetzo wieder da!
Die Rosen glüheten an schattigen Gestaden,
Und schienen selbst die Hand der Schönen einzuladen.
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Jetzt überstreute Flora, aus einer mildern Hand,
Mit mehr, als tausend Farben, das aufgeblühte Land:
Hier gab sie, trotz der Kunst, die stolzen Königinnen
Mit Gold und Perlen schmückt, den Putz für Schäferinnen,
Für deren Stirn die Myrthen, und junge Veilchen blühn,
Der May sein Blümchen schaffet, und volle Rosen glühn.
Der Westwind gaukelte, und wälzete die Düfte,
Der blühenden Natur, wie Wolken durch die Lüfte
Nichts fehlte, als Themire: an ihrer schönen Hand
Hätt ich die frohe Gegend Elisien genannt,
Ein seliges Gefild, ein Reich der Tugendhaften,
Das zur Glückseligkeit die Götter selbst erschafften.
Der heilge Wald Dodonens, wo edlen Sterblichen
Ehrwürdge, greise Eichen ihr Glück verkündigen,
Rauscht denen nicht so sanft, die dort ihr Schicksal suchen,
Entzückungen herab, als mir der Wald von Buchen!
Hier irrte durch die Blumen, und Büsche, Paar bey Paar;
Die Freude auf den Wangen; gleich der beglückten Schaar,
Die ruhig, voll Gefühl, wie edel sie gehandelt,
Nun in Elisien durch Myrthenhaine wandelt.
Hier sah ich einen Schäfer, der seine Braut umfing,
Bedeckt von einer Buche, die tiefer niederhing;
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Jetzt flocht er einen Kranz von Rosen, und von Myrthen
Um ihre schöne Stirn, die Locken aufzugürten;
Jetzt riß, bey einem Kusse, den sie ihm wilder gab,
Die Locke aus dem Gürtel, und fiel mit Stolz herab.
Hier floh ein loses Kind zum Schatten einer Buchen,
Und schaute lächelnd um, und stand, und ließ sich suchen.
Wie ängstlich sucht ihr Schäfer! wie gern sieht sie die Pein!
Nun rauscht sie in den Büschen, und will gefunden seyn:
Nun fliegt er auf sie zu, und rächet sein Verlangen,
Und schlingt die Arm um sie, und küßt die frischen Wangen.
Voll Feuer, und Empfindung, sah ich ihr süßes Spiel,
Und keine Misgunst mischte Verdruß in mein Gefühl;
Ach! sagt ich, siehe, Freund! so schön, so ganz empfunden,
Verfließen Zärtlichen der Jugend heitre Stunden!
Beglückte, frohe Schäfer! für euch schafft die Natur
Die Rosen auf den Wangen, die Rosen auf der Flur!
Die Götter, denen wir den Himmel oft beneiden,
Verlassen den Olymp, und suchen eure Freuden:
Doch bald, ja bald, ihr Schäfer! umarmt Themire mich:
Und dann, o! dann wird keiner so glücklich seyn, als ich!
Wie will ich sie noch oft, an meine Brust gerissen,
Hier drücken, wo ihr scherzt, und satt, recht satt mich küssen!
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Satt sagt ich? – welche Menge ersättigt die Begier?
Nein, tausend, tausend Küsse, Themire, raub ich dir,
Und fodre immer mehr, bis hier, auf allen Sträuchen,
Die Blätter nicht an Zahl der Zahl der Küsse gleichen!
Nun sehen wir den Tempel, und eine Welt umher:
So wallt um eine Insel, zur Zeit der Fluth, das Meer.
Ein Strom drang erst dahin, ein andrer floß zurücke,
Und Hoffnung, oder Ruh bezeichnete die Blicke.
In diesem kam Seide: Agenor, der ihn sah,
Riß plötzlich mich zurücke, und rief: Freund, siehe da!
Siehst du den Fremdling dort zwo junge Schönen führen?
Siehst du Seiden dort? Ach! siehest du Themiren?
An der geheimen Sorge auf ihrem Angesicht,
An diesem blöden Auge, das stilles Leiden spricht,
Erkenne deine Braut! Und siehest du auch jene,
Die ihr zur Seiten scherzt? die ist Seidens Schöne.
Schau ihre Stirn, wie heiter! ihr Auge, wie vergnügt!
Sieh, wie sie leicht dahergeht, und wie die Locke fliegt!
Ich kenne meine Braut! rief ich; ach! mein Entzücken
Drückt keine Sprache aus; lies es aus meinen Blicken!
Komm mit mir, eile, fliege, misgönne dem Geschick,
Das unser Herz zerrissen, den kleinsten Augenblick!
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O! Liebe, halt sie dort, daß sich ihr Fuß verweile,
Und mich beflügele, damit ich sie ereile!
Ihr Götter! welche Freude, wenn sie mich nicht erblickt,
Dann plötzlich vor sich siehet, und angenehm erschrickt,
Ach! oder sieht sie mich, wenn sie mit heißen Wangen,
Mit offnen Armen eilt, mich zärtlich zu umfangen!
Wir flohn; so flog der Daphne, am väterlichen Bach,
Von Zärtlichkeit beflügelt, der Fuß Apollens nach:
Der Boden fühlet kaum, daß ihn die Sohle drücke,
Sein Haar strömt wild empor, die Erde rollt zurücke.
Nun näher, und nun immer; und nun, nun streckt er sich,
Die Nymphe zu ergreifen – nicht so beglückt, als ich!
Der Gott ereilte sie, sie ewig zu verlieren:
Ich aber kam, umfing, und küssete Themiren.
In dem den Göttersprüchen geweihten, dunklen Hain,
Erfuhr ich mein Geschicke, holt ich Themiren ein.
Ach! itzo durfte mir nichts sein Orakel sagen!
Ihr Auge konnt ich hier, statt dich, o! Göttinn, fragen!
Welch Roth stieg ins Gesicht, indem ich näher trete!
So glüht die Rose nicht, so nicht die Morgenröthe:
Ach! seufzte sie, und flohe zu mir, so schnell, wie ich;
Ich schlung um sie die Arme, und sie die Händ um mich,
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Und Mund auf Mund gepflanzt, und Herz an Herz geschlossen,
Stumm, eingewurzelt, starr, in einem Kuß zerflossen,
In einen Leib geschlungen, den einerley Begier,
Den nur ein Geist beseelte, wie Bilder, standen wir.
Itzt faß ich ihre Hand, und trete matt zurücke,
Und schweige immer noch, und hang an ihrem Blicke.
Nun seufz ich: ach, Themire! war auch wohl eine Pein
Der meinen zu vergleichen? nein, keine Marter, nein!
Es sey denn diese Qual, die nicht die Unschuld kennet,
Die Flamme, die allein den Lasterhaften brennet.
Nun aber, ach Themire! (die Stunden sind entflohn)
Wer ist so froh, so zärtlich, so glücklich, als Aedon!
Zwar Cypris herrschet hier; doch jeder Theil der Erden
Muß, um mir schön zu seyn, durch dich verschönert werden.
Themire nahm mit Lächeln, und drückte mir die Hand;
Du hast nicht mehr empfunden, als ich um dich empfand,
Als, auf Zephisens Rath, gedungene Barbaren,
Die doch noch menschlicher, als diese Freundinn, waren,
(Denn Geld, das Sklaven zwinget und meine Räuber zwung,
Erpreßte das Bekenntniß, daß sie Zephise dung.)
Als diese, die kein Flehn, kein Schrecken im Gewissen.
So viel gewann, als Geld, mich deinem Arm entrissen!
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Doch komm mit mir zum Tempel; der erste Augenblick
Vereinige auf ewig, auf ewig unser Glück!
Ach komm! der Altar soll von unsern Opfern rauchen,
Und heilger Weihrauch erst der Göttinn Düfte hauchen.
Dann kehren wir zurücke, und dann ergießt mein Schmerz
Sich frey in deinen Busen, und deiner in mein Herz.
Dann schwatzen wir uns satt; dann sollen in Vergnügen
Und Liebe, Tage uns, Minuten gleich, verfliegen!
Ich fühlte, daß Themire getreu, und zärtlich war;
Ich fühlt in mir den Himmel: wir flohen zum Altar:
Ein Amor band uns hier mit frischen Blumenketten.
Ach! wo ist noch ein Glück, das wir zu wünschen hätten!
Ein Lächeln: o wie fahren die Sorgen schnell zurück!
Und wenn noch oft ein Zweifel hervorstürmt, nur ein Blick,
Der wie ein Blick des Zevs, den er zur Erde wendet,
Die wilden Furien zur Höll hinunter sendet.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Der Tempel der Liebe. Zwölftes Buch. Zwölftes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8898-A