Hermann Essig
Der Wetterfrosch

[5] Einen Fuchssprung vom Dorfe stand eine Erlengruppe um einen kleinen Teich. Dort wohnte ein sehr alter Frosch. Man nannte ihn den »alten Schick«. Der Ursprung dieses Namens war niemand bekannt, beliebt war »Schick« bei den übrigen Dorfbewohnern nicht.

In seinem Hause oder in seinem kleinen Königreich, das dicht bevölkert war, ließ er sich von keinem Menschen etwas drein reden. Im Gegenteil, »Er« dehnte mit Willkür seine Macht bis auf eine Meile und noch weiter im Umkreis aus. Er machte Wetter.

Schick sprach zu aller Welt von seinem Froschteich und lobte ihn über alle Maßen. Weil die Erlenbäume mit den glänzenden Blättern ihm wohl als Hüter dienten und ihre Blätter gar rege Unterhaltung mit den Insassen des Teiches pflogen, begriff man das aufdringliche Eigenlob des Herrn Schick, und allgemein lag hinter dem Dorfe noch vor dem Tannenwald das »grüne Königreich«. Boshaftigkeit nur sagte »Krötenloch«.

Schick mißtraute dem einen Ausdruck, er hielt ihn für Schmeichelei, glaubte den andern nicht, weil er deutlich vom Neide ausging. Nur die, welche mit Bewußtsein zum »Froschteich« gingen, gingen zu Herrn Schick, und nur die beachtete er. Er haßte aber die, welche seiner Eitelkeit ein Leid.

[5] [8]Was das hieß! Es war nicht bloß wie in den großen Städten, wo man über Nacht Rolläden über die glänzenden Schaufenster herabläßt. Das war ein Schluß auf lange. Das wußte jedermann. Das hieß, es wurde ein grimmer Winter.

Die Raben flogen vom Walde aufs Feld heraus, sie sammelten sich und dohlten und krächzten laut durcheinander. Die meisten schönen Singvögelein flogen fort in warme Gegenden, um ihren Kehlkopf vor der rauhen Luft zu schützen. Der Bauern Kinder wischten das gelbe Zäpfchen von der Nase und schlüpften in die Strümpfe und mit den Strümpfen in die Schuhe. Die Wäsche trocknete jetzt in der Stube am warmen Ofen. Wer dickes Zeug hatte, holte das aus den Truhen. Die Bettler von der Landstraße bewarben sich um Arbeit und ums Arrestlokal. – Das alles kam, wenn Schick schloß.

Der alte Schick machte diesmal ein besonders graues Gesicht. Er berief die geschicktesten, stotterndsten Klempner, die spitznäsigsten Glaser mit den meisten Splittern um die Augen, die sanftesten Maler und eitelsten Künstler im Jugendstil bis zu den Algen und Tangen zu sich. Es ärgerte ihn, daß sie sich erst um ihn sammeln wollten, er schrie sie an: »ein dickes festes Dach will ich über den Teich gelegt haben«. Ein Murmeln ging durch die Versammlung, der Spiegel vom Teich geriet in Spannung. [8] Ohne lautes Widerwort ging alles fleissig an die Arbeit, es zog und schob, knackte und klopfte, klebte und malte. Viele erfroren vor Kälte die Finger, die Ohren und Nasen und mußten aufgeben und zu Boden sinken. Aber Schick knurrte nur und drückte die Daumen an die Waden: »bis Morgen früh zum Sonnenaufgang muß das Dach fertig sein! flink!« »Ich will nichts mehr wissen von der Welt draußen«. So kam es auch. Als die Sonne am kalten Himmel heraufkam und donnernd aufbrach, lag die Erde weiß wie Zink da, und der Teich war still, ganz totenstill, aber schön. Oh! dieses Wunder. Eine smaragdgrüne Mosaik mit Perlmutter und Perlen, Edelsteinen und Demanten durchsetzt, aus Glas und aus Blättern.

Dieser kostbare Aufwand! kein König von den Hebriden vermochte ihn zu machen. Aber sie war da, die herrliche Decke vom Froschteich, mit Milliarden verfertigt. So reich war der Frosch. Darum auch »das grüne Königreich«. Und wenn man durch das Dach hindurchsah, sah man unten auf dem Grunde unbeweglich und steinvornehm den alten Schick sitzen, den reichen Herrn. An Algen, an grünen Algen, die so wunderbar leuchteten, war er so beneidenswert reich, – – jede einzelne wiegt Millionen von Gold auf in ihrer kleinen Pracht –.

[9] Als sich die Erlen die Augen ausrieben und blinzelten, sahen sie zunächst nur weiß, weiß bis zum Horizonte, das Dorf, alles war weiß. Die Erlen zwinkerten geblendet in die Sonne und gähnten. Auf einmal bemerkte eine Erle unter sich, direkt an ihren Zehen das farbige – tausend Wunder! – Pflaster, sie stieß die andern an, die guckten auch an sich hinab und sahen dasselbe. Sie schwankten und krauzten; das war viel, daß sie sich bewegten mit ihren starren Gliedern.

Und ganz leise sagte eine Erle: »hört ihr auch, wie die Quelle, die in den Froschteich fließt, auf einmal klingert, hört ihr?« »kling kling klingeri kling«. Dazu bewegte sich der Frosch. Man sah's nicht genau, weil er wieder ganz stille saß.

Der Frosch regte sich, regte sich nicht? Er träumte? Ja. Etwas mußte er tun. Er hörte darauf, was ihm das dünne Fadenbächlein telephonierte. Darum machte das auch fortwährend kling klingeri kling. Es gab doch noch so viel schönes draußen, was der alte Schick gern wissen wollte. Dem horchte er zu und rührte sich dazu nicht. Er tat, als sähe er den Erlen ins Gesicht und beobachtete die, aber soweit gingen seine Augen nicht. Die gingen nur bis zu der herrlichen Decke und lagen auf ihr still.

Wie ein großes helles Auge sah der Froschteich in den kalten blauen Himmel, die Erlen waren die [10] Wimpern. Aber das Auge bewegte sich nicht, es sah starr hinauf und doch lebte es. Kling klingeri kling.

Schicks Herz klopfte Zauberkunst. Als solchen kannten ihn die Bauern, als alten Zauberer.

Kein Mensch ging darum hin zum Froschteich, wenn er wie ein Auge starrte. Jeder scheute sich, den alten Zauberer auf dem Grunde des Teiches sitzen zu sehen.


* * *


Nur ein Knabe schlich gewohnheitsmäßig hinüber an den Froschteich. Er hatte sich dadurch vom »Heere«, seinen Altersgenossen, die man so nannte, so gefürchtet waren sie, den Beinamen »Froschstupfer« verdient. Er war immer still, stumm und guckte mit großen Augen, man wußte nicht recht, war er ganz gescheit oder nur halb oder lernte er Zauberei. Daß er nicht mit dem Heere auszog und hinter Hecken und Zäunen lag, plünderte und prügelte, war eine Ungehörigkeit, und die Alten lachten, wenn sie »den Froschstupfer« vom Heere gehetzt, gejagt, mit Stecken und Stangen getrieben, beschimpft und verhöhnt durchs Dorf rennen sahen.

Zuweilen hielt ihn ein Lediger, einer der schon aus der Schule war, auf und faßte ihn solange, bis ein Schüler ganz nahe an ihm war und ihn [11] wenigstens mit einem Stein treffen konnte. Er war befreit, wenn es ihm gelang, zwischen den beiden großen Scheunen, durch den engen Winkel voll Kot und Morast durchzukommen, dann machte er einen Sprung über den Graben und hörte nur noch die Verwünschung hinter sich: »daß dich der Schick hole«.

Der Knabe stand aber mit Schick gut, er hatte von ihm nichts zu befürchten. Schick war sein lieber alter Freund und gar kein Zauberer.

Das Heer überschritt den Graben nie; die Wiese, in welcher der Froschteich lag, war kein Schlachtfeld, Schick konnte möglicherweise eingreifen.

Kein einziger Fußtritt führte jetzt über die große weiße Fläche hinüber ins grüne Königreich. Das Heer sah schweigend und abwartend dem Froschstupfer nach, der Künste kennen mußte. »Wer wußte, wie's jetzt drüben aussah! vielleicht saß der alte Schick im Teich und holte jeden der hinkam«! so redete eine scheue Gier im Heere. »Jetzt wird er ihn holen«! der Froschstupfer brauchte noch ein paar Schritte. Das Heer stand fluchtbereit. Ein Schreck fuhr hinein. Der Heerführer schrie laut von hinten und stieß den Haufen übereinander: »Der Schick kommt«! So schnell ging aber das Fliehen in den engen Winkel nicht, das Heer wälzte sich im Kot übereinander, trat [12] sich mit den Stiefeln auf die Köpfe, zerstreute sich und sammelte sich erst wieder in der Dorf-Gasse.

Niemand sah von weitem den Knaben seine Künste treiben. Der Knabe jubelte vor Entzücken, bog die Erlenzweige zurück und trat ganz an den Rand von Schicks Reich. Erst mußte er überlegen. Das war ja glatter als der geschliffenste Spiegel, klarer als der durchsichtigste Kristall. Es gelüstete ihn auf die schönen Farben zu treten, nach ihnen zu greifen. »Dort die grünen Eier – er meinte die Algen – hat Schick für mich außen liegen lassen, die hol ich«. Er trat auf die Decke.

Schick wackelten augenblicks angstvoll die Backentaschen, was da auch sei; sah an die Decke und sah des Knaben Füße, da faßte er sich und lachte leise über den Besuch. Sie kannten sich vom Sommer. Aber schon knackte das Dach von dem bischen Lachen. Beschwichtigend hob er die Hand und saß ganz still, »nur keinen Riß in mein schönes Dach!«

Der Knabe war erschrocken durch das Knacken, aber er beruhigte sich wieder. Er wollte jetzt die grünen Eier einstreichen. Aber wie er darnach griff, stieß er mit den Fingerknöcheln an. Das schmerzte und fror. Erstaunt starrte er die Eier an, daß sie nicht zu greifen sein sollten. Er versuchte es nochmals, strich aber ganz sacht mit [13] der Hand darüber hin, da merkte er, daß die Decke durchsichtiger war als Luft. Er staunte und sah auf den Grund des Teiches. Und wie er lange hinabsah, versuchte er noch nach den Erlenblättern auf dem Grunde zu greifen. Je länger er hinsah, je mehr sah er auf ein Rätsel.

Schick schüttelte es vor Lachen, er konnte sich nicht länger halten. Es freute ihn zu sehr, daß ihm die Täuschung so gut gelungen war, daß man sie nicht einmal einsehen konnte.

Hätte es ihn aber lieber nicht so geschüttelt! Jetzt entdeckte ihn der Knabe, wie er auf dem Boden saß. Schnell saß er wieder ganz ruhig.

Der Knabe legte sein Gesicht aufs Eis und prüfte und prüfte, »ist das nicht der Schick?«, er drehte sich im Kreise und prüfte in allen Lagen und Stellungen, es mußte so sein, »es ist Schick«. »Schick« rief der Knabe. Weil er sich nicht rührte wieder »Schick«, Da lachte Schick, verzog aber wieder schnell das Gesicht und verbiß das Lachen.

Weils ihm nicht recht gewiß war, stand der Knabe auf, schüttelte den Kopf und fing an zu stampfen. Dadurch klingerte die Quelle bloß viel heller, aber Schick rührte sich doch nicht. Das der Frosch eine ganz bedenkliche Miene aufgesetzt hatte, sah der Knabe nicht. Er stampfte weiter. Jetzt fing es an, sich da unten zu bewegen. Er sah, wie Perlen aus dem Grunde hervorschossen [14] und sich an der Decke zu Riesenperlen verschmolzen. Aha! wenn er hüpfte, fielen sogar die grünen Eier hinab, und Perlen kamen dafür herauf. Das machte Schick gewiß ihm zu lieb. – Schick wollte aber bezwecken, daß der Knabe mit Stampfen aufhören sollte, denn er hielt den Knaben für so bescheiden, nicht alle seine Perlen herauszufordern. – Es hörte nicht auf mit Perlen, Perlen hatte Schick viele Billionen mal mehr als Sandkörner in einer Streudose. Die Perlen stiegen auf in langen Schnüren, die alle der Frosch in der Hand hielt. Und sie nahmen kein Ende. Jetzt gings trapp trapp sss, der Knabe glitt mit den schweren Stiefeln über das Eis hin. Und immer wieder trapp trapp sss.

»Was hat der Knabe auf einmal? .. der ruhige Knabe macht einen solchen Höllenspektakel.« Der Frosch rückte hin und her und war daran, einzugreifen, wenn er nicht aufhörte. Er hatte Angst um sein schönes Dach, es könnte kaput gehen. Er stand auf.. das war doch Mühe, .. er blieb noch einmal sitzen und sah mit vertrauensseligen Augen, die einen schlimmen Ausdruck annahmen, an die Decke. Da er nicht mehr mit den guten Eigenschaften des Knaben rechnen wollte, dachte er, »schweige ich und sitze still, so wird das Gepolter oben eher aufhören, als wenn ich schelte oder gar Perlen herausgebe«. Das war klug.

[15] Der Knabe bekams über und setzte sich still hin. Und als er still saß und dem kling klingeri kling zuhorchte, wurde das Geklinge der Ouelle immer deutlicher und vernehmlicher. Er verstand auf einmal, daß Schick mit ihm redete.

Schick hatte sich inzwischen gar manches überlegt. Er mußte seine Einfälle fesseln, sie trieben ihn fast bis zum Knaben vor Selbstbewunderung hinauf.

Mit niedergekämpfter Erregung sprach Schick: »Du Knabe, du würdest mein ganz besonders lieber Freund, wenn du mir einmal eine rechte Ehre erweisen wolltest. Es ist zwar nicht Sitte, daß man um Ehrerbietung bittet, aber es wäre ganz nett und es würde mich freuen. Ich könnte damit dem Dorfe beweisen daß ich bisher Grund hatte zum Zorn, weil mir eine Ehrung grundsätzlich verweigert wurde, die dem Mädchen drüben vom großen See – du wirst sie zwar nicht kennen – .. Der Knabe lauschte .. schon längst seit ihrer Geburt erwiesen wird. Es wäre ein ganz geschicktes Uebereinkommen zwischen uns beiden, wenn du vor den Leuten so tun würdest, als erwiesest du mir diese Ehre als ganz selbstverständlich dem Herrn Schick gebührend. Du sprächst, wenn sie dich darüber ausfragten, ganz einfach, ›Ehre, dem Ehre gebühret‹. Da müßten sie sich an die Brust greifen, und ich könnte mir [16] die Hände reiben. Du würdest nur dabei profitieren, für mich bedeutete es mehr eine Formalität. Nur du hättest den Gewinn.«

Der Knabe lauschte, er hoffte die schönsten Dinge.

»An mich denke ich dabei überhaupt nicht«, redete Schick weiter, »ich begreife nicht, wie ich von einer Ehrung für mich sprechen konnte. Ich will dir ein Geschenk machen, so ists.«

Warum er dann solange drumrumredete, wollte der Knabe fragen. Aber er wußte nicht, obs Schick nicht übel nehmen würde. Er schwieg.

»Ja, ein Geschenk mache ich dir, der Frosch.«

Es mußte doch etwas ganz Besonderes sein, wenn man ihm das Geschenk nicht einfach hinwarf wie eine ungeschälte Kartoffel.

»Hast du je einmal schon an Schlittschuhe gedacht?« frugs jetzt.

»Gib Antwort!« schrie Schick.

Dem Knaben wogte der Puls beim Gedanken an Schlittschuhe. Einmal hatte er davon geträumt, es war damals so ein schöner Traum. – »Schlittschuhe von Schick«! er erschrak, ob ihn auch niemand hörte, er bekam sonst noch seinen Zaubererprozeß.

»Du kommst dann täglich zu mir heraus auf meinen Teich. Du sollst sehen, wie sie dann zu mir gelaufen kommen. Was sage ich. Du wirst [17] staunen, wie schön das Schlittschuhlaufen auf meinem Teiche ist. Habe keine Bedenken, geh jetzt nach Hause, es wird schon dunkel. Der Küster zieht schon den Strang von der Glocke Laufe! Gute Nacht.«

Dem Knaben wars wie nach einer Ueberrumpelung, ihm glühte der Kopf vor Schlittschuhen. Aber woher nehmen?! Schon schwankte die Abendglocke, mit der er daheim sein mußte. Er hörte den Frosch noch nachschwätzen »Schlittschuhe schonen mein Dach besser als die schweren Stiefel.« Wie machte denn das der Frosch, daß er ihm echte Schlittschuhe schenkte? dachte der Knabe. »Gute Nacht, lieber Schick«, rief er beim Ueberspringen des Grabens zurück, während die Glocke langsam anging bum .... bum ... bum .. bum. Dem Heere begegnete er nicht mehr, das war ein gutes Vorzeichen. Es war schon in die Kaserne eingerückt. Was »Zapfenstreich« hieß, konnte jeder Soldat erklären.

Schlaf und Traum trabten diese Nacht miteinander wie störrischer Gaul und trunkener Reiter. Zwischen Frosch und Teich, Schlittschuhe, Knabe, Eis schob sich etwas ganz Verzwicktes hinein, es sah aus wie ein Mädchen und war ein Schwan. »Das Mädchen vom großen See«, das der Frosch erwähnt hatte, wars. Das verdrehte und verwirrte alle schönen Bilder von Perlen und grünen Kröteneiern. [18] Wollte er den Schwan streicheln, so rief Schick »laß es, es ist eine Gans«. Wars dann ein Mädchen, das er umarmen wollte, so glotzte der Frosch so fürchterlich, daß er aufschrie und .. aus dem Bette fiel. Er mußte sich drehen und wälzen die ganze Nacht, nach seinem Bette tasten, während das große Auge, draußen vor dem Dorfe, tiefschwarz mit einem gelben Schein in den Mond am dunkeln Himmel sah aus der weißen kahlen kalten Fläche.


* * *


Im Dorfe schien etwas »umzugehen«. In den meisten Scheunen wurde gedroschen, vielmehr nicht gedroschen, denn alle Dreschflegel hatten hinter den aufgetürmten Strohgarben vorzulugen, die Spatzen und Haubenlerchen mußten auf die Dachrinnen schwärmen, weil ein ganz frecher Bengel mit Schlittschuhen und »Pelzhändschen« die Gasse daherklirrte. »M«, hieß es, »wo hat er die hergenommen?« »Du«, rief es, »sieh dich um« .. »woher, wo 'naus«? ›Ehre wem Ehre gebühret‹, war die kurze klare Antwort und der Knabe klirrte vorbei, weiter, hinaus zum Dorfe. – Die Bauern waren so genagelt, daß sie nicht weiter dreschen konnten, »ist er« oder »sind wir« verrückt geworden? kamen die Dreschflegel in eine [19] Ecke und alles brach auf, hinter dem Knaben her. Was hieß das? »Ehre wem Ehre gebühret«. Sie mußten das beobachten. Diesmal konnte man den überzwerchen Knaben ertappen. Das Heer kam gar nicht in Betracht, denn es mußte das Interesse der Großen und Klugen respektieren und sich klein halten. Die Großen und Klugen hatten gerade genug zu gucken, zu staunen den seltsamen Kerl zu schlucken.

»Da ist er umgebogen, zwischen den Scheunen ist er durch«, alles beschleunigte sich, – »hinüber ans grüne Königreich«, wahrhaftig. Ein großer Haufen stand in den Winkel gedrückt und sah dem Knaben nach, die Großen hatten die Kleinen zwischen den Beinen, die bald an den Froschteich hinüberzielten, bald an den Großen hinauf zum Kopf schauten.

Dem Knaben krabbelte es im Rücken, weil die Neugierde ihm galt. Aber seine Zuschauer wußtens nicht, daß ihn der Stolz krabbelte, darum blieben sie stehen und warteten ab. Jeder äußerte seine Meinung und erwarb sich dadurch die staunende Bewunderung vom Heere. Der Bauer mit der Trottel an der Mütze und dem Keilkopf sagte jetzt auch etwas, man spannte, denn der Knabe war schon beinahe am Teich. »Er hats vom Schick« sagte er. Ein Kräuseln überlief alles, was gaffte, und gerade, als hätte jeder Furcht, die Maulseuche [20] wäre in seinem Stall ausgebrochen, lief es auseinander, jeder einzelne mit seinem Sohn, den er im Heere stehen hatte. So.

»So da bin ich lieber Schick«! sagte der Knabe und stand schüchtern, einsam, am Teich und wurde noch verlegener, als Schick schwieg. Er klirrte mit den Schlittschuhen. Er guckte sich um, ob er auch allein war, nach rechts .. links .., sah auf das Eis, aber Schick blieb ganz leise.

Schick sah die Schlittschuhe wohl, aber er sagte nichts, er wartete mit Herzklopfen, bis ihm der Knabe den Kranz der Ehre umhing, wodurch er alsdann den gesunden Blick über und durch sein Reich verlieren könnte.

Was dauerte das lange, bis der Knabe die Schlittschuhe anbrachte! dem Frosch verging fast die ganze Feststimmung, er half von unten mit den Augen die Riemen zuziehen, aber das eine Loch war zu weit und zum andern reichte es nicht. Dem Frosch hingen die Lippen und dem Knaben die Schweißtropfen herab. Die Schweißtropfen fielen auf die Stiefelspitzen.

Der Frosch wurde breiter um die Brust.

Der Knabe richtete sich hoch, aufrecht auf die Beine! »Beiseite, beiseite wer im Weg ist« dachte Schick .. da war aber niemand. »Leise, er fällt sonst um. Holla, da liegt er schon.«

[21] Schicks Augen zwinselten. »Was hast du denn heute, daß du immer hinfällst« schmunzelte der Frosch.

»Ich habe Schlittschuhe an«, antwortete der Knabe.

Da lachte Schick und pustete.

Das Fallen ging weiter, als befände sich der Knabe in einer Arena und schmisse sich ums Geld hin. Da wurde Schick nachdenklich: »Das habe ich mir doch ein bischen freundlicher vorgestellt hör Knabe, zu was hast du denn die Schlittschuhe? Du liegst ja fortwährend da wie ein geschlagener Robbe.«

Der Knabe lag oft wie ein sterbender Krieger, aber ein eisiger Ehrgeiz stellte ihn jedesmal wieder auf die Schienen. Er stand wie ein Holdermann mit viel Unruhe im Schwerpunkt.

Der Frosch hob sein Hinterteil immer höher an, als ob er nächstdem »Dem da oben« eine Anstandsvisite im Zylinder zu machen hätte. Wie sollte er ihn aber anreden? »Ich danke für Ihr Erscheinen«. Er besann sich auf eine andere Anrede, aber er kam nicht davon ab »Ich danke für Ihr Erscheinen«. Es war weder mit Hand noch mit Handschuhen von der Stirne zu streichen. Er kam in Verlegenheit wie ein Bürgermeister, dem beim Empfang des Fürsten nichts einfällt. Er mußte schweigen, denn »Beleidigen« –!

[22] Schick schwieg immer größeres Mißbehagen in sich hinein, er füllte sich mit Luft wie einen Dudelsack, ohne einen Ton hinauszulassen. Er glich dem kleinen Bonaparte nach 1812, darum hatte er wie geblasen ein Heer da.

Das Heer war im Anmarsch.

Der Heerführer stand auf einmal wie »Hannibal ante portas«. Dem Knaben wurds zu Mut wie dem armen Jungen der Kuh, hinter dem der schwarz und gelbe Fleischerhund hetzt. Er hing fest an seinen Schlittschuhen, und der Heerführer lachte ihn an wie ein Grislybär. »Du stehst ja da auch nicht alleine«, sagte dem Knaben seine Lebenserfahrung, »ich weiß schon, dort drüben steht dein Heer«. Laut sagte er das nicht; denn fing er das Gespräch an, so war der Ausgang stets schlimm. Er schwieg, so wies Schick machte. Aber um nicht feig zu erscheinen, machte er einige Schrittchen, ... so beherzt wie möglich. Eins zweiee drei und er schlug gerade mit dem Hinterkopf aufs Eis.

Mit »Hallo« brach das ganze Heer hervor und umtanzte den Knaben, der ohnmächtig auf dem Eise lag.

Weil der Knabe sich gar nicht mehr regte und so ruhig liegen blieb, wurds dem Heerführer wie »Langeweile«, er pfiff, und seine Schar zog lärmend und gröhlend ab, hinein ins Dorf. Das Heer [23] triumphierte – der Heerführer fand eine Ausrede, er beurlaubte sich und ernannte einen zum Hauptmann.

Es war ganz still, nur kling kling klingeri kling fings dem Knaben im Ohre an, er spürte Wasser an seiner Kopfhaut, er hatte ein Loch in die Eisdecke geschlagen. Dann öffnete er die Augen, stand langsam auf und ging nach Hause, stöhnte und ächzte unterwegs und dachte nichts mehr.

Schick ... Schick.

Der Himmel überzog sich dicht grau und es war einsam langweilig auf dem Krötenloch.

Es war, als ob Schick eine böse ewige Nacht aufging.

Schick arbeitete mit seinem Maule, als ob er sein Gewissen tabakkaute. – Geehrt war er, soviel stand fest – das ganze Heer war Zeuge, daß man bei ihm Schlittschuh lief – der Knabe hatte seine Aufgabe erfüllt. »Hatte er, Schick, sich ihm gegenüber gut betragen? War es recht, daß er das Heer rief, um den Knaben wegzubringen, nachdem er ihn selbst vorher ein geladen hatte? Er schlug sogar den Hinterkopf auf, lag halbtot!« Das zerrieb Schick schmerzlich, aber sein Herz preßte er zu einer harten Stahlkugel, das Zerreiben spürte die Stahlkugel nicht mehr. »Er hat mir ein Loch in meine schöne Decke geschlagen!« – »Wie mein Dach jetzt aussieht! So zerkratzt und zerschunden!«[24] – »Schöne Ehre, wenn man selber sein Teil dazu beitragen muß!« – »Er braucht nicht wieder zu kommen; – Ehre das! – Was Mädchen vom großen See!« brummte er zuletzt und schlief mit verächtlich verzogenem Mundwinkel, gelangweilt, ein.

In stockfinsterer Nacht stritten sich die Erlen noch lange, zu wem sie Partei nehmen sollten, zum Frosch oder zum Knaben. Der Streit hörte erst auf, als im Himmel ein schwerer Deckel aufgezogen wurde und durch den weiten Raum die Schneewolken langsam niedersanken. Es hörte nicht auf mit Sinken. Alle ungezählten Schneeflocken wurden in der Nacht leise, jede sachte auf einer Hand, auf die Erde getragen. Die Hand ging unter jeder Flocke erst weg, wenn sie gerade den Boden berührte. Jede Flocke blieb ein kunstvoll schön aufgebauter Kristall.

Die Erlen wachten am andern Tag sehr spät auf und erstaunten gleich mit weit offenen Augen. Wie sahen sie aus! wie Schneemänner! wo war der Froschteich? wo die Quelle? Man hörte nur ein dumpfes klung klung klung. An dem mußten die Erlen erkennen, daß sie noch am alten Fleck standen. Und die Sonne blendete, obgleich sie mit einem Schleier bedeckt war.

Der Frosch war vergrämt, er deckte sich jetzt lieber dick mit Schnee zu.

[25] Was jetzt dalag, beim Dorfe, war ein Haufen dumpfer Haß gegen alles, auch gegen ihn, Schick selbst. Die Quelle war so fest verstopft, daß sie nur ganz selten und ganz tief klungerte.

Wenn ihn trotzdem jemand schikanieren wollte, so versank der im Schnee, und so wars gut.


* * *


Während es dem Frosch im Nacken lag wie ein Stierjoch, lag über der Erde der gleißende Glanz der Sonne, und alles war in lebendiger Bewegung, schuf Wege und Bahnen, niemand tats wie der Frosch und hüllte sich lebendig in Vergessen und Abscheu. Die Aeste der Bäume zitterten in der Sonne, als sprängen ihre Knospen auf, und ihr glitzernder Flimmer fiel zu Boden.

Der Knabe hatte eben doch schon zu lange mit Schick verkehrt, auch er saß allein und verlassen, traurig auf einem Schichthaufen Schlagsteine an der Landstraße, die zur Stadt führte. Er konnte es nicht fassen vom Schick, vom guten, treuen Schick – das wars, warum er traurig war, und das wars eben, warum Schick so dummste. – Nach seinem großen Erlebnis – er hielt sich noch wochenlang den Hinterkopf – ging der Knabe in sich und suchte. Da fand er, daß er der schwer leidende Sohn seines Vaters war. Auch das Heer fands, »Du bist krank, geh zum Tischler [26] und bestell den Bretternen«, sprach das Heer. Das stimmte zu seiner Grabesmelodie, die in ihm wie die große Orgel rauschte.

Er setzte sich auf den Steinhaufen beim letzten Hause vom Dorf und sah krank aus. Obgleich er sich nie im Spiegel sah, wußte er doch, daß er bleich war und es abwärts mit ihm ging. Er wartete aufs Ende und weinte bei dem Gedanken. Er war gerührt, daß ers nicht mehr erlebte, wenn der »Buckelschalle« – so hieß der Steinklopfer – auf der Blecheinlage seiner Hosen saß, um die Steine zu schlagen und zu klopfen. Es stand gewiß so mit ihm, auf dem übernächsten Steinhaufen saßen schon die hartfederigen Raben und guckten mit weiter Speiseröhre nach ihm.

So um die schläfrig zaudernde Mittagszeit wars, glöckelte was daher.

Man sah nichts, aber es kam näher.

Ein Schlitten mit kling klang Pferden bespannt kam von der Stadt her, kling klang .. kling klang .. träträträ war es ganz nahe. Er hielt an ihm an. Nein er machte nur kehrt. Der Knabe hatte Angst, er werde jetzt angeredet, er rückte sich schnell aus seiner bleichen Stimmung zurecht, damit er dem feinen Fräulein auch richtig antwortete. Er atmete richtig auf, wie die Pferde wieder anzogen und ihn in Ruhe ließen. Aber wie das Mädchen jetzt pfeilschnell in die Ferne entschwand,[27] merkte ers deutlich, »es war das Mädchen vom großen See in dem Schlitten«.

Die wars. So sah sie aus.

Schwanenweiß. Sie hatte ihn sogar ganz feundlich angesehen. Der Entschluß »fort vom Steinhaufen, in die Stadt auf den großen See« schwang ihn rasch herab, löste seine festgeklebten Hosen. Auch erschien schon die Abordnung vom Heere, ihn zu interviewn. »Wegen deinen Glotzern ist sie umgekehrt«; einen Streich mit einer Peitsche um die kältegespannten Waden, die aus den Rohrstiefeln herausstanden, und die Abordnung hatte ihren Auftrag erfüllt und verschwand in einem Stall zum Vieh.

Der Knabe zog die Beine an und war sich doppelt bewußt, daß das Mädchen seinetwegen erschienen war. Es war ihm wie dem gepeitschten Pferd, das blind an allem vorbeischießt. Er hätte nur mögen sätzen können wie des Schulzen großer tigerhoher Bernhardinerhund, um seine Schlittschuhe rascher unterwegs nach der Stadt zu haben.

Mit den Schlittschuhen an der Hand mußte er ja leider mit gemessenem Gang einherschreiten, springen nahm sich schlecht aus.

Aus jedem Hause kam ein Soldat gelaufen, hing zehn Schritte weit an den Schlittschuhen, um Vorhaben zu erfragen, und zugleich endlich einmal [28] dem Froschstupfer seine eisernen Schuhe zu prüfen, ob sie auch echte seien zum eigentlichen Drauffahren, spuckte schnell noch auf die Klapperdinger und lief zurück. Da gabs oft abzuwischen, bis der Knabe freie Landstraße gewonnen hatte – »schnuppe, der große See war Stadtmarkung«. Der Heerführer versäumte trotzdem nicht, freundlich für Eventualitäten, den genauen Plan zu erfahren. »Der Heerführer war gar nicht so übel«, das gab dem Knaben wieder das Rätsel für unterwegs auf: »warum war der so freundlich zu ihm und führte trotzdem den Feind wider ihn?«

Es waren Kleinlichkeiten, die hinter ihm lagen. Vor ihm, oh! ... der große See.

Da lag er vor ihm als eine schwere Prüfung und schöne Lockung zugleich. Wagen oder nicht wagen?! Das waren ja alle so vornehme große gewandte Menschen und Künstler, die an ihm vorbei auf den See gingen.

Er stand und betrachtete lange und wurde immer kleinherziger; es sprach ganz weise in ihm, »kehre lieber um und geh auf den Froschteich, da kannst du auch was Tüchtiges lernen, dann wenn dus kannst, hats noch Zeit für den großen See«. Auch eine Treumahnung vernahm er: »Was bist du Schick schuldig, Schick, der dir die Schlittschuhe geschenkt hat?« Wenn man nicht ganz das Herz hat, hört man überall Rat und Mahnung.

[29] Er erfand einen Ausweg: »er suchte mit den Augen das schwarze Gewimmel ab, ob das Mädchen darunter war. Wenn sie nicht da war, hatte das Schlittschuhlaufen sowieso keinen Zweck«. Er stierte auf das Gewimmel und konnte einzelne Menschen gar nicht unterscheiden, es ging vor seinen Augen wie im Schatten eines Lattenzauns. Manchmal sah er einen Herrn ein weißes Fräulein führen, aber die wars nicht. Er stand steif und unschlüssig am Eingang.

Plötzlich erdröhnte die Luft, es war als zerplatzte eine Bombe, so rappelte alles durcheinander. Das Rauschen und Schwirren wurde lauter und alles kam allmählich in eine schöne Ordnung, eine Richtung nach hinten, fern um die Biegung, wieder vor auf ihn zu. Die Mitte vom See wurde ganz leer und der Ring der Schwebenden außen immer dichter. Stöße wie Wellen und Wogen erschütterten sein Ohr, wirbelnde Trommeln; als bereitete sich eine freudige Begrüßung vor, hob sich die Menge. Seine Augen faßten den ganzen See und sahen doch nichts. Ein dumpfer Schlag, zuckte darein, er bebte, gelb war der Schlag, er hatte ihn in der Sonne blitzen gesehen. Noch einmal, noch einmal solch einen Schlag. Jetzt jetzt, darum wars. Das Mädchen vom großen See kam heraus und stand in der Mitte, und Musik und Menge [30] drehten sich um sie wie ein weitschwingendes Karussell.

So wollte es das Mädchen haben, Musik und viele Menschen. Es stand ganz still mit gesenktem Blick, oft .. sah es auch zu ihm herüber.

Auf einmal war sie wieder verschwunden. Nirgends in dem schwarzen Schwarm konnte er sie entdecken.

Er hatte zu ferne nach ihr gesucht, sie war nahe bei ihm und rief ihn an: »komm doch herein«. Er schnappte in die Kniee und wollte klatsch wie ein Hase fliehen, aber sie hielt ihn fest und zog ihn – das Mädchen vom See – zu sich herein. Er wagte nicht, zu widerstreben und nicht sie anzuschauen, höchstens von der Seite, wenn sie gerade wegsah. Als sie ihn aber fragte, »ist dirs nicht recht?« mußte er ihr beim Antworten in die Augen sehen, da schoß ihm das Blut gegen den Kopf.

Das Mädchen lächelte und zog ihm die Schlittschuhe an.

Haarsträubend! die Schande für ihn, er der rauhlederne Knabe ließ sich von dem zarten Mädchen die Schlittschuhe anziehen. – Etwas sprechen wagte er nicht. – Nur einmal, als das Mädchen in die Hände fror, griff er an seine Stiefel, aber er erschrak, er hatte sie bisher immer verkehrt angeschraubt.

[31] »Laß es nur«, sagte sie, »wenn man sie selber fest macht, halten sie lange nicht so.« Aha, das war der erste Lehrsatz, dachte der Knabe und sah das Mädchen verwundert an. Gewiß, dachte er weiter, darf auf dem See niemand fahren, der nichts kann, darum will sie michs lehren.

Das Mädchen ließ seine Füße los und sie schlugen aneinander. Sie war fertig und seufzte nicht einmal. Sie sah ihn so merkwürdig lieb an, daß in ihm eine Wolke aufstieg. »Willst du mit mir fahren?« fragte sie. Er hatte eine Wolke und zögerte – das Mädchen konnte ihm auch nur schön tun und ihn vielleicht in den See nehmen, konnte man nicht wissen, .. Schick stimmte ihm sicher bei – er schaute sie prüfend an.

Das Mädchen verstand ihn zu nehmen. »Hast du Furcht?«

Der Knabe schämte sich seiner Gedanken und kreuzte die Arme, wie das Mädchen haben wollte.

In ihren zarten Händen fühlte er sich schnell wieder als der Plebejer, zu dem sich eine Prinzessin herabließ.

Unzählig viele Herren und Damen schwebten vorbei in vornehmen Bogen und alle nach dem Takte der Musik. Und immer im Vorbeifliegen hörte der Knabe sagen: »Das ist der Eiskönig«. Er konnte das Mädchen nichts fragen, aber als sie selbst sagte »du bist der Eiskönig« war kein [32] Zweifel mehr, daß er gemeint war. »Natürlich ist Eiskönig, wer dich führt«, sagte er.

Das war sein einziges Wort, sein erstes.

Das Mädchen drückte ihm fest die Hände. – Er fühlte sich bald so sicher wie auf den Füßen und vergaß, was um ihn vorging. Er schwebte dahin und neben ihm die Eiskönigin. Und alle die vielen Menschen umkreisten und umflogen die Eiskönigin, allen wars als flögen sie mit Flügeln, als hätten sie Schwingen. Und einer unter allen war der Knabe, in ihm klang nur die Musik und das Rauschen und Summen. Ihm wars wie im Traum.

Der »Froschstupfer« war Eiskönig. Der »Froschstupfer« konnte Schlittschuhlaufen, die Beine regen, den Takt halten, schweben und fliegen. »See und Krötenloch!« .... haha!

Er drängte sich mit allen, wenn die Musik verwehte, an die großen Oefen, wos Glühwein, Punsch und Pfannkuchen gab. Er aß selbst einen Pfannkuchen mit Himbeerfüllung wie die andern großen Eiskünstler, fuhr wieder los, wenn die Pauke anfing zu murmeln und war gleich wieder im Schwung hinein auf den See. Und wies dunkel wurde, wurden blaue große Monde an Stangen aufgehängt und rings am See entlang schaukelten in langen Ketten unter den grauen Erlen Lampions in allen Formen und Farben, und wieder brausten [33] die Töne, und die Erlen bewegten leise ihre dunkeln Köpfe, und der Knabe folgte dem Zuge der Windwelle, die an den Erlen hinauslief weit in den See.

Er fuhr weit weit und neben ihm schwieg die Eiskönigin.

Als es auf dem See ganz dunkel wurde, weit weg von den Lichtern und nur ein weißer Streifen Pfad war und See, fragte die Eiskönigin: »wie heißt du?« Der Knabe schwieg lange, dann sagte er: »Ach würde ich dir sagen, wie ich heiße, dann wärest du mir nicht mehr gut«. Das Mädchen faßte ihn fest an. »Du hast gewiß einen schönen Namen?« Aber der Knabe schwieg und sagte seinen Namen nicht. Da schmiegte sich das Mädchen enger an ihn und küßte ihn. »Ich bin deine Braut«, sagte sie; da fühlte der Knabe nicht mehr das Eis unter den Füßen und der weiße Streifen war ein huschendes Nichts.


* * *


Der Knabe war draußen auf dem See, wo die Bäume aufhörten am Ufer zu stehen, er fühlte wie das Mädchen leicht war neben ihm und wies warm über den See blies. Er schätzte den Streifen ab, wie lang er noch sein könnte, er fragte das Mädchen, »wo liegt denn die Stadt?«

[34] Keine Antwort.

Er wollte des Mädchens Hände fester packen.

Die Hände waren nicht zu greifen.

Er sah sich um, sah niemand hinter sich, neben sich, vor sich. Wohin er sich drehte, nur laue Finsternis. Da rief er zaghaft »Eiskönigin«; sie war nicht da.

Das war eine Stille, die seine Füße auf ein riesiges Brett stellten, ein Brett so groß wie für einen Holzsoldaten von der Länge eines Münsterturms. Er vermochte kaum auszuziehen. Er merkte, er war nicht der Eiskönig, sondern ein klein winzig Menschlein mit einem riesenschweren Brett an den Füßen. Mit diesem Brett an den Füßen sollte er sich ans Land, zurück zur Musik, von der auch kein leiser Ton mehr zu hören war, schleppen. Er lief rückwärts, in schweißtriefender Hast, aber die Züge seiner schweren Schlittschuhe waren kurz und schwächlich.

War überhaupt noch etwas da außer ihm auf der Erde?

Ja, er sah ihn vor sich sitzen, Schick, einen Frosch von der Größe einer Kuh oder eines Ochsen, der furchtbar blickte, starr gerade ihm entgegen, wie wenn er ihm eine lange Eisenstange gegen die Brust drückte, damit seine Flucht um so schmächtiger wurde auf dem See ohne Ende. Schick war ein Ochsenfrosch mit einer häßlichen [35] Haut und wulstigen Ausschlägen und fing an, zu lachen, dröhnend, daß das Eis aufsprang vom Widerhall.

Schicks Aussehen wurde immer aussätziger, er verschwand unter dem Eis, der Streifen wurde weißer und größer. Der Knabe blieb stehen und lauschte. Es war ganz still, nur schob sich unter ihm etwas an der Eisdecke entlang, es rutschte immer lauter, dann ein donnernder Knall und Schick schob seinen dicken großen Kopf, hart an die Eisdecke gelegt, wie einen Eisbrecher durch den See. Der Knabe sprang mit wackelnden Beinen, aber er kam nicht hinaus.

Jetzt schob sich Schick unter seinen Füßen hin wie ein Schornsteinfeger, es krachte andauernd, er blieb regungslos stehen und wartete, bis Schick vorbei war. Aber Schick blieb jetzt auch stehen. – »Schick sah ihn, Schick wußte von ihm, an Schick hatte er sich versündigt.«

Der Knabe rief laut, wußte aber nicht, ob ein Ton aus seiner Kehle kam. Dafür bemerkte er deutlich vor sich die Erlen, einen dunklen Streifen, der den weißen säumte, er hörte sie rauschen und fuhr auf sie los, mit gesteigerter, aufgeweckter Kraft. Den schwarzen Streifen mußte er erreichen, aber er veränderte sich gar nicht, wurde nicht höher und dunkler.

[36] Er sah es ein, wies mit ihm stand. Warum hatte er auch das Mädchen nicht von sich weggehen sehen?! Er ging langsam weiter und fing an zu weinen. Die Fußknöchel brannten ihm. Ob er seinen Vater und seine Mutter wiedersehen würde! .. wenn sie ihn hier sehen würden! .. er schluchzte laut, hielt den Arm vor die Augen und wischte sich die Tränen.

Ganz sachte schob sich etwas in seine linke freie Hand. Er wollte es abschütteln und schrie auf »bist du der Frosch?«

»Mir gehört der See« und ein Krachen wie dumpfer Donner war die Antwort.

Es packte ihn der Frosch, er führte ihn hinein in sein kaltes Wasserhaus .... er flehte »ich will wieder auf deinen Teich gehen und auf ihm fahren, ich will nicht mehr auf den großen See in die Stadt gehen.«

»Geh du nur auf den Stadtsee, wer wird auf einem Krötenloch Schlittschuh laufen?«

Es war also nicht der Frosch, laut krachte es hinter seinen Gedanken her. »Nicht Krötenloch sagen«, schrie er, »Schick bricht ja das Eis entzwei, weil ich« ....

»Auf einmal nicht mehr Krötenloch, so, so?«

»Gewiß nicht mehr, Schick hat ein schönes Königreich«, es konnte doch Schick sein, der mit [37] ihm sprach .... das schmeichelte und versöhnte Schick.

Aber es versöhnte nicht, nein .. es schoß wie mit Kanonen auf ihn.

»Wir müssen eilen, daß wir hinauskommen, der Frosch bricht bald durch«, sagte die Hand, die ihn führte.

»Hast du auch Angst vor dem Frosch?« fragte der Knabe und schaute die schwarze Gestalt, die neben ihm ging, endlich an.

»Mich kann er nicht leiden, er gönnt mir kein einziges Eisfest.«

»Bist du meine Braut?« fragte der Knabe zutraulich.

»Komm, komm, siehst du nicht, wie mein See hinter uns herkommt? Das ganze Eis geht schon unter ... wir laufen im Wasser ... laufe, da kommen jetzt die Erlenbäume, hörst du, wie sie tosen im Südsturm?« Der Knabe wurde nach vorwärts gerissen.

»Der Frosch ist durch« und hinter ihnen versank der See in die Tiefe.

»Dein schöner See« jammerte der Knabe.

Des Mädchens Tränen fielen auf des Knaben Hand. Mein See ist noch da, bei Tag würdest du ihn sehen, aber mein Eis hat der Frosch zerschlagen.

[38] Es brummte dem letzten schweren Krach eine neidische Stimme nach.

»Dem Frosch seinen Neid merkte ich schon beim Dunkelwerden.«

»Hättest du mirs gesagt, dann wäre ich nach Hause gegangen und du hättest dein Eis noch. 's ist doch meinetwegen.«

»Ich habe ja darum gleich meine Schlittschuhe ausgezogen und habe sie heimgetragen, damit er mein Eis stehen lassen soll, wenigstens noch einen Tag. Sonst rechnet er mirs immer an.«

»Weils meinetwegen ist, sein Neid.«

»Was wirds deinetwegen sein! .. aber eins weiß ich, das letztemal wars, daß ich mich um den wüsten alten Dickkopf kümmerte.«

»Du kennst die Geschichte nicht, ich hätte auf dem Froschteich bleiben müssen, er hat mir meine Schlittschuhe extra deswegen geschenkt, daß ich ihn damit ehre.«

»So? .. das ist wohl neu, daß einem Frösche Schlittschuhe schenken. Sagte es der alte Schwindler, daß sie von ihm seien?« kicherte das Mädchen laut vor Vergnügen.

Dem Knaben kam das Kichern sonderbar vor. War denn mit der Schenkung etwas nicht echt? Schick war ja als Zauberer bekannt.

»Das wäre auch ein Geschenk von einem Frosch! .. die Qual! auf einem Teiche fahren zu [39] müssen, der nicht größer ist als ein Seerosenblatt!«

»Ich habs aber getan« ... »eine Qual wars ja für mich«, das Geschenk kam ihm jetzt auch zweifelhaft vor ... »aber auf den See bin ich nun mitgegangen«.

»Für den See, ha ha, dafür ists ein ganz nettes Geschenk« ... »für einen schmierigen Froschteich sind die feinen Schienen gewiß nicht« .. der Knabe schüttelte sie von den Füßen.

Es war an Land, so konnte er schon ein bischen den alten Schick auslachen helfen. Schick hätte sichs eben besser überlegen sollen, eh er ihm etwas schenkte, er war doch nicht so sehr auf den Hinterkopf gefallen! .. es freute ihn, daß ers Schick heimgezahlt hatte ... »Wie schön ist dagegen dein See!« rief er noch dazu aus.

Hierfür umschlang ihn das Mädchen.

Wars ein Blitz und Donner mitten im Winter? .. Schick brummte ferne, vom Dorfe her, aus dem Froschteich .. man ging zu weit in der Verhöhnung seiner!

»Ist der Blitz nicht im See untergetaucht?« fragte leise der Knabe.

»Wenn dus gesehen hast ..« das Mädchen lag an des Knaben Brust und – weinte, vorhin hatte es noch gelacht.

[40] »Warum weinst du?« fragte der Knabe, der sich auf einmal wie ein derber Mann vorkam.

»Wirst du auch ohne Eis – zu mir kommen?«

»Wenn du so große Seerosenblätter hast, wie Schicks ganzer Teich! .. denke doch .. weine nicht. Ich käme aber auch ohne die zu dir, ich liebe dich sehr.«

Die Erklärung war bestimmt und trocken. Dem Mädchen kams vor, als ob der Knabe wahrer und liebreicher wäre, wenn er schwieg .. »Aber du kommst nicht wieder, dir bin ich bloß zum Schlittschuhlaufen gut genug.«

»Du! gut genug? du schönes Mädchen.«

»Du hast mich bei Tag noch nicht ohne meinen Schleier gesehen.«

»Du bist schön, ich habe manchmal durch den Schleier hindurchgesehen, du hattest schöne Augen. Und dein Mund war so warm ... Höre auf zu weinen! ich komme wieder.«

»Versprich mir nur, gehe nicht mehr zu Schick .. dann wirst du vielleicht Wort halten«, sie ging schnell weg und ließ den Knaben stehen, sie mußte zu sehr weinen, sie hatte jetzt schon Heimweh nach ihm.

Sie verschwand im See ... dort wohnte sie .. das arme Mädchen wohnte in dem nassen großen See?! Es war so mild und bescheiden und war [41] doch Eiskönigin, sie hatte ihre Pracht und ihren Glanz ganz still abgelegt und war mit Trauer im Herzen in den See hinabgestiegen. Der Knabe wollte es sehen, wollte es hören, nur ein leises Wasserplatschen war da und hielt an. Es war ihm, als hätte sie den Reichtum seiner Seele an sich genommen und würde ihn aufbewahren, daß nichts davon verloren ging. Das Mädchen, wenns nur schon am Morgen wäre! besuchte er täglich, dann sah er auch den See und erfuhr das Geheimnis, wo sie wohnte und woher sie ihr liebliches Wesen hatte. Sie webte sich ihre Lieblichkeit gewiß aus den gebleichten Lichtfaden des Mondes und war am Tage mit diesem Schleier verhüllt. Das wissen! und niemals mehr ging er zu Schick, weil sies nicht haben wollte. Ihr alles zu lieb!

Schick, der eigennützige Schenker, hatte aus Wut ihm und dem Mädchen das Eis zerschlagen. Benutzte denn jener seine grelle Stimme in schönen Sommernächten wirklich bloß für den Froschteich .. raubte er nicht mit ihr dem ganzen Dorfe den Schlaf, weils ihm gefiel?

Damit hatte er den passenden Vergleich angezogen und konnte befriedigt den Regen auf sich niederklatschen lassen. In Zornwallung nahm er sichs vor, Schick, wenn er nächsten Sommer sein markerschütterndes Gerätter losließ, in einer hellen Sommernacht aufzulauern und ihm eins mit der [42] Peitsche mit langer Schmitze überzuzünden, weil er – in den Froschteich gehörte. Dann wars vergolten. Fürs Eisbrechen! Er empfands, Schick war ein rachsüchtiger Mensch .. rachsüchtig für das unschuldigste Vergnügen. Er stapfte in Stockfinsternis dem Dorfe zu.

»Holla!« er war auf die Straße gekommen und ausgeglitten.

»Haha!« lachte es hinten nach.

»Elender Schick! auf der Straße brauche ich kein Eis, da ärgerts mich.«

So, der Knabe sah ihn genau sprechen mit breitem Grinsen, ich dachte, du wärest verliebt in die Eiskönigin, habest dadurch eine freundliche Erinnerung an sie, durch gutes Glatteis auf der Straße. Aber da täppelst du wie eine vollgefressene Ente auf Parquet. Ueberhaupt woher hast du auf einmal so viel Temperament gegen mich hergenommen? von dem Mädchen? Platsch, klatsch, wir wollen dich ein bißchen hinschlagen, daß du wieder mein ordentlich demütig Büblein wirst. Das Mädchen verderbt deinen Kopf, Knäblein. Klatsch, patsch, noch einmal hin.

Au, au, dem Knaben schmerzten die Kniee so schon. »Schick«, rief er freundlicher, »kannst du denn gar nicht genug bekommen? höre doch auf.« Schick brach mit seinem Kopfe die Decke vom Froschteiche auf, er hörte nicht auf, er hätte am [43] liebsten dem Knaben die Eisschollen über den Kopf geschleudert .. dafür war er aber zu weit entfernt. Noch lieber im See ertränkt! Und Schick hatte das Heer hinter sich in seinen Gedanken, er legte es in einen Hinterhalt, Blut mußte fließen! Weh dem, der treulos war, und auf den Stadtsee ging!

Die ersten Lichtscheiben tauchten vom Dorfe auf, dem Knaben klopfte das Herz, weil er heimkam und seinen Ruhm verkündigen konnte, er zählte die Steinhaufen, es waren noch dreie, ein schwacher Schimmer pinselte sie, dann kam das erste Haus, dann kamen die beiden großen Scheunen, er wußte, schräg hinüber lag der Froschteich, er wendete den Kopf aber nicht dorthin, sondern starr geradeaus auf die Mitte der Straße, auf den schwarzen Haufen in der Mitte, hielt er den Kopf.

Er trat kurz.

Er trat kurz, das war das Heer.

Ihm graute. Sein Herz hämmerte, daß es das Heer hörte und unter sich »Pscht« machte. Umbiegen? ausweichen nach dem Froschteich? Umkehren?

Ein schutzflehender Gedanke nach dem Mädchen band ein Eisenband auf seine Stirne, es wallte sein Blut vor Stolz und Heldenerlebnis auf dem großen See, er setzte Hörner an die Ecken vom [44] Kopf, worunter die Schläfen zucken und schuf sich einen Hammer, wie Karl Martell, mit seinen Schlittschuhen. Sie mußten in Schwung, sie sausten wie eine klingende Kreissäge durch die Luft.

Vorwärts! er fühlte sich nur als mitsausende Achse, so duckte er sich in den Kern der losspringenden Säge, seine Faust.

Der Heerführer sank zu Boden und den Hagel von Hieben durchschnitt die Säge wie vorgeworfene Prügel.

Leichenstille .... ein stummes Heer.

Der Knabe trug seine warmen rieselnden Kopfwunden zu seinem Vater und erwartete von seiner gnädigen Hand den Lorbeerkranz.


* * *


Die Nacht war lang und das Sickern der Wasserrinne am Hause war wie ein endloser Faden, der ihn wirr mit dem Mädchen, für das er in den Heldentod gegangen war, verband. Er hörte das Plätschern .. von einem Brunnen, der in der Nacht von Schick vors Haus gestellt wurde ... und seltsame Dinge geschahen um den Brunnen, sein Becken war grün wie der Froschteich, und er stand am Rand und weinte darüber, daß ihm die Eier auswichen und untersanken und das Becken [45] sich mit trübem Wasser füllte. Und Schick saß bescheiden in die Ecke der aus der Mitte ragenden Brunnensäule gedrückt, und sah wehmütig aus und machte ganz zaghafte Nickerchen zu ihm, als traute er sich nicht, ihn einzuladen, weil er nun der große Herr Eiskönig sei. Er hatte Mitleid mit dem alten verlassenen Freund, wenn der Wind die Strahlen der Rohre schüttelte und Schick die Haut zusammenzog.

Der Nacht folgte ein trüber Tag. Der Knabe saß herum, mürrisch und wehleidig. Es war ihm, als hätte ihm jemand das Mädchen gestohlen und ihn jemand mit Schick entzweit. Die Freundschaft zu dem Mädchen am großen See war wie nie oder schon vor langer Zeit gewesen, so daß man sie nicht mehr erneuern konnte, ohne den Eindruck jenes Tages zu zerstören und die Erinnerung an ein bestimmtes liebliches Aus sehen der Geliebten zu verwischen oder ganz zu verlieren. Und mit Schick konnte es nicht mehr das Alte werden, man hatte sich gegenseitig beschimpft und verleumdet. Er preßte die Nase an die Fensterscheiben und sah stundenlang die Schmiedknechte an Bindfaden vom Himmel auf die Erde sausen und ihre Hämmer durcheinander auf der Straße schwingen, bis die Schlacke abfloß und die harte Rinde erschien ... dann hörten sie auf. Schick war Geschäftsmann und sah die Sache weniger [46] sentimental an. Er brauchte notwendig jemand, der seine Anschauung im Dorf vertrat. Hatte das der Knabe früher getan, so wirds auch wieder werden, dachte er. Das Heer konnte ein böser Bundesgenosse werden, wenns einmal ans Angeln und Fischen ging, den Erlen die Zweige schnitt, Pfeifen klopfte, und Peitschen handelte, das sah Schick voraus. Er hatte darum wahrhaft tückisches Bemühen, den Knaben anzulocken. Schick ließ dem Knaben durch die Quelle, die er als reißenden Bach ins Dorf hineinschickte, mitteilen, er möchte zu Schick kommen zu umfangreicher inniger Versöhnung, er wolle ein Wasserfest ihm zu Ehren geben, eine Ehre sei der andern wert!

Der Bach richtete es wortgetreu aus und rannte dem Knaben über die Hausschwelle, redete sogar an dem Knaben herum im Stall, im Keller, auf dem Miste, in der Scheune, recht aufdringlich, aber der Knabe zog bloß die Füße hoch und lachte: »will er mich wieder haben? .. er kann warten .... er soll sein Fest allein feiern .... meint Schick, er dürfe mich nur einladen, dann ...?«

Was zog dem Knaben für ein warm Gefühl durchs Herz, nach der Absage. Seine Freundschaft und Liebschaft war doch erst von gestern. Es hellte sich auf und war am Himmel noch gleich schwarz und düster.

[47] Der Quelle wars angenehm, daß der Knabe die Einladung nicht annahm. Sie hatte dem Frosch den Botendienst nur ungern getan. Und weil sie unverrichteter Dinge ins Dorf gelaufen war, scheute sie sich, zum Frosch zurückzukehren, trieb sich herum und verlief. Sie überschwemmte die Wiesen. Daran merkte Schick, daß er auf den Knaben umsonst wartete. Der Lausejunge hockte gewiß in der Stube und schrieb Liebesbriefe an das Mädchen mit seinem ABC-Griffel, womöglich unter Aufsicht eines unvernünftigen Vaters. »Wenn dus willst, so kann auch Krieg bleiben zwischen uns« .... »aber dann, hüte dich«, er stieß den Bach weiter und setzte das ganze Dorf unter Wasser.

»Kommt ihr vom Heere! wenn er nicht will.«

Das Heer wurde zusammengeblasen, der Heerführer war Alarm.

Der Knabe lächelte. »Dem Heer macht dein Lärm Ehre .. aber das Heer steht bei mir in Unehre ... sieh dir den Heerführer an!«

Das Heer zog aus. Voran der Heerführer mit der Schärpe von seiner neuesten Auszeichnung, die er sich nur aus Scherz hatte verleihen lassen, um den Kopf. Hinter ihm vollzählig die nackte Schar der Soldaten. Nackt waren alle bis nah an die Hüften von oben sowohl als von unten. Freudiger Jubel begleitete das Heer ins Feld, man [48] hörte so recht die Pauken, wies elastisch daher wogte das Heer durch den reißenden Strom. Es schrie und abenteuerte hinaus zum grünen Königreich.

»Gut .. nicht übel«, sagte Schick, als er dem Anmarsch unter dem Tor des Stechschrittes durchsah. »So seid ihr ja noch gar nie bei mir gewesen! ihr lieben Kerle« ... er blies wie ein Panther durch die Nase.

Das Wasserfest begann. Man schuf neue Flüsse, baute Dämme. Es patschte und klatschte im Wasser. Schick schmeichelte sich recht in den Haufen ein; hätte er Haare besessen, wären sie den Soldaten von der Katzenschmalgerei am Leibe hängen geblieben. Immer erfand er neue Späße mit seinem Wasser, er vergeudete es eimerweise. Er füllte die Dämme, durchbrach die Schleusen, er ließ sich auch Steinwürfe auf die schmutzig gelbe Decke gefallen, ja, er spülte ihnen gar zum Werfen die Steine aus dem Boden. Schließlich vesuvte er eine große Ladung schwarzer Lava aus dem Grunde in breitem Strom über die mistgesüßten Wiesen. Wie die glühende Lava des Vesuvs Feuerwein erzeugt, so erzeugte der schwarze Schlammstrom dem Heerführer eine Idee.

Der Heerführer ging lautlos mit gutem Beispiel voran und strich den ganzen nackten Körper mit dieser herrlichen ebenholzmatten Masse an, und da [49] er wußte, daß, wenn der Körper schwarz war, man Anstand nicht mehr nötig hatte, verschwand auch das bischen Manschette um die Lenden vollends. Unter Hurrageschrei ging das Heer auf die Idee tätlich ein. Es pfiff und klatschte, wie wenn Seife noch nie etwas gekostet hätte. Bald stand das Heer in eintöniger Kameruntoilette, es juchzte über die Länder und Meere den Stammesbrüdern und Landsleuten von Ost- und Südwest-Großafrika in geistvoller Hingebung zu.

Das war nett. Der Frosch schaute sich sein Werk an. Für ihn war es der Glücksgriff des Tages. Er spreizte die Hände wie eine verzückte, schlecht geratene Madonna.

Sofort hielt der Heerführer Kriegsrat. Es wurde beschlossen, den grünen Neid und den gelben Aerger des Knaben zu erwecken. Der Zug wurde geordnet. Wer aus Versehen noch etwas Scham fühlte, erhielt einen Klitsch. Bataillon marsch! und eine Herde Schwarzwild rannte sauähnlich unter Teufelsgrimassen durchs Dorf.

Der Knabe saß geschickt auf seiner Bank vor dem Hause, er wurde liebkost, umtanzt und verhöhnt, daß er Kleider trug. Modern sei nur dies! – Merkwürdig .. das Heer wurde leiser .. der Knabe schien sich gar nicht vor ihnen seiner Zivilisation zu schämen, denn er spuckte sechsmal vor ihnen aus.

[50] Daß das auch aus Neid sein könnte, verfehlte der Heerführer nicht zu bemerken, schwenkte aber mit seiner Schar, es war ihm wie doppelte Scham, »gestern durch den Knaben verwundet und heute verachtet«.

Der Knabe schien den Respekt auch so nicht wieder gewinnen zu wollen.

Der Frosch zog seine Nasenlöcher zusammen wie ein Seehund, »neuestens ist er zu nichts mehr zu gebrauchen ... glaubet ihm seine Renommierereien vom großen See nicht!« sprach er zum Heere und entließ das gewaschene Heer mit Sold und Schande. Er hätte gern den Knaben recht dick mit Schlamm besudelt. Schick wäre gern zehnmal schlauer, hundertmal erfinderischer gewesen den Knaben herzukriegen. Dessen runde Absage setzte aller seiner Dreistigkeit die Krone auf. Was wollte aber Schick ausrichten! Auf etwas Besseres als wochenlangen Regen verfiel er nicht, er hatte vielen was zu verderben, nicht bloß noch dem Knaben. So kams, daß ihm der Knabe – durch die Zeit – eine Null wurde, entstanden von der negativen Seite.

Durch die Zeit – Eis gabs nicht – sehnte sich der Knabe nach Unterhaltung. Er erinnerte sich der Vergangenheit unparteiischer. Neutral.

Keinen Tag konnte er den Entschluß fassen, an den großen See zu gehen. Wird er so, ohne Eis auch [51] schön sein? War die Eiskönigin als werktäglich Mädchen, ganz ohne Schleier, auch hübsch? Nur Schwanenweiß, in ihren Schleier gehüllt, hatte er sie kennen gelernt, so wollte er sie seinem Gedächtnis erhalten, so liebte er sie.

Das Mädchen wußte ja damals schon, daß er nicht wiederkommen werde. Wie sollte sie einsam unter den Erlen stehen und in das dunkle Wasser sehen, ober nicht zu ihr komme. Wie konnte eine Sehnsucht nach ihm existieren? Das Mädchen würde ihn vielleicht erstaunt ansehen, wenn er auf einmal daher käme ... daß das Mädchen verlassen war, fiel ihm nicht ein.

Das Mädchen so zu besitzen, genügte ihm; daß er mehr an ihr haben könnte, glaubte er nicht.

Von dem Kräuseln einer unübersehbaren Seefläche, von Schwanen und Wildenten, von dem Perlmutterglanz bei untergehender Sonne, von nebeldunstigen Ufern, von schwebenden Nebeln und Morgenglanz, von Bleiglätte, und blitzend weißen Segeln, von Schilf und sich spiegelnden Erlen wußte er nichts und davon, daß ihm das Mädchen so gerne schweigend und deutend gezeigt hätte, wußte er auch nichts.

Er verstand aber – wie ein Studierter – den kritischen Vergleich zwischen Froschteich und See nach Vorzügen und Nachteilen zu ordnen. Daß er das Große besser kennen lernen mußte, um das [52] Kleine gänzlich zu meiden, sah er nicht ein. Etwas vom Parteigeist vom Heere und Dorfe besaß er doch, der Neutrale, und wollte den Froschteich als größten See vom Weiler nicht ganz zu Schanden gemacht wissen.

So kam der Tag, wo der Knabe zur Aussöhnung mit dem Frosche geneigt war. Ob der Termin dem Frosche nicht zu spät war, oder ob ihn Schick noch haben wollte, ob der nicht erstaunt war, erkundigte er sich nicht zuvor. Er ging zum Frosch.


* * *


Mit unbehaglichem Gefühl machte er sich auf. Niemand begegnete er, nicht dem gemeinsten Spießknecht. Das steigerte sein Unbehagen. Er war immer in wilder Hetzjagd über den Graben gesprungen, langweilig war der enge Durchgang zwischen den fettfeuchten Steinmauern der Scheunen. Es war, als wäre dem Frosch sein Besuch ganz gleichgültig. Das stachelte seinen Ehrgeiz, begehrt zu sein. Er mußte wieder der werden, den Schick als Liebling aus dem Dorfe erkor. Freundschaftssucht, ein kriecherischer Eigendünkel, geleiteten ihn über die grüngelben Wie sen mit den schwarzen Maulwurfshaufen.

[53] Bis der Froschteich kam! es war nicht zu erleben! Schick schenkte ihm sogar die Zeit, es noch einmal zu überlegen.

Auch war da gar nichts los. Dem Knaben lag ein großes Schuhpechpflaster auf der Haut. Wenn ers gewußt hätte, wie schmutzig das Krötenloch war, er wäre noch geflohen. Er stand vor einem Armenhaus, nicht mehr vor einem Königspalast. Wäre er noch geflohen! Aber es war zu spät.

Ein wüster abscheulicher Kopf kam heraus und redete ihn an. Er schauderte, aber fliehen konnte er nicht mehr. Furcht und das Auge von Schick nagelten ihn fest. In seinem Herzen schnitt ihn die Mahnung des Mädchens, der schönen Eiskönigin, »geh nicht wieder zum Froschteich«, wies ein Griffel in eine Schiefertafel eingrub.

»Gutenmorgen mein Jüngelchen«. Pfui! wie das klang. Aber er blieb stehen. Der Frosch durfte ihm seinen Ekel nicht anmerken. Der Eiskönigin wäre es gewiß nicht darauf angekommen, ihren Ekel vor dem »Ekel« auszusprechen, aber er konnte das nicht.

Auch war er ja ein Mann und Männer tun Dinge, die Frauen niemals begreifen. Die Eiskönigin verstand das ja gar nicht, daß er mit Schick nicht ganz brechen konnte. Er mußte hingehen, und war's die düsterste Zaubererhöhle, die vor ihm lag.

[54] Daß er ein »Schöner« war, daran dachte er nicht, zum Frosche ging er eher hin als zu seinem Herzlieb. Trotzdem. Als er jetzt dastand und den trüben Sumpf vor sich sah, fühlte er sich als ein ganz gewöhnliches Menschenexemplar, ausgestoßen von Glück, Glanz und Ruhm.

Der Unsinn war vollendet.

»Guten Morgen mein Jüngelchen.« – Der Knabe nickte nur.

»Warst du krank?«

»Nein.«

»Nicht krank?« »Warst du auf Arbeit?«

»Nein.«

»Warst du verreist?«

Aha, jetzt war er daran. Besser, ich lasse ihn noch einmal ein bischen anders fragen, dachte der Knabe.

»Also du warst verreist? wo warst du denn? .. bei deiner Tante?« Tante. Der Frosch wußte genau wo er war, der Knabe spürte es dem Frosche an. Warum also lügen?! »Eigentlich verreist war ich nicht, aber ich war einmal auf dem Eise auf dem Stadtsee.«

»Allein oder mit wem?«

Der Knabe erschrak .. Was antworten? Er war allein hingegangen. – Der Frosch legte sich platt ins Wasser wie ein Haspelkreuz, und wartete auf Antwort.

[55] »Allein.« Der Frosch zuckte wie elektrisiert mit allen vier Beinen, stand aber wieder still .. er merkte die Auffassung des Knaben und sagte ruhig »So? .. war's hübsch? das rauhe Eis schleifen? es ist doch ein bischen rauh auf einem See? nicht?«

Ganz erleichtert, daß der Frosch nicht zankte – er hätte mindestens erwartet, daß er ihm die große Zehe wegschnappte, – fing der Knabe voll Begeisterung an »gar nicht rauh ist's, ich habe auch nicht geschliffen, ich bin auf meinen Schlittschuhen gefahren, es war Musik, einen Pfannkuchen habe ich gegessen, mm .. mm.« weiter wußte er nicht, das letzte fügte er schon bei, um sein Schlittschuhlaufen etwas zu verdecken, es schien ihm doch, als knurrte Schick.

»Nein, ganz so glatt war es nicht, aber doch auch spiegelglatt.«

»Erinnerst du dich noch, wie du die Eier greifen wolltest? was?«

»Allerdings so spiegelhell und kristallklar war es nicht ..«

»Drum eben« bemerkte der Frosch in hohem Stolz und Selbstbewußtsein, er schwankte wie ein Holz im Kielwasser eines aufgeblasenen Seglers.

Der Knabe liebte diese Gesprächswendung nicht, er merkte, daß er das Mädchen dadurch vor dem Frosche schlecht machte. In gewisser Hinsicht [56] war's glätter als beim Frosch. Aber dies wagte er nicht zu sagen, denn so konnte es sein, daß der Frosch böser Laune wurde. Der Knabe schwankte wie ein Kavalier beim Wucherer.

»Aber Schlittschuhlaufen, konntest du denn das?« hielt der Frosch im Schaukeln inne.

Jetzt kam's. Er mußte bekennen, daß Schicks Todfeindin seine Freundin war. Daß er sie Braut nannte, wollte er wenigstens hinter dem Berge halten. »Jawohl, konnt ich's. Ein Mädchen hat mir's ein paar mal vorgemacht.«

»Ist sie nicht einmal mit dir gefahren?« flutschte Schick verächtlich.

»Oh, immer, wir kreuzten die Arme, es war wie im Himmel.«

»Daß dich« ... wollte Schick anfangen, aber er besänftigte sich und sagte: »Die, welche immer zusammen laufen, gelten als Braut und Bräutigam ... weißt du das?«

Der Knabe bekam einen Kopf so rot wie die Gichtrose, weil er merkte, daß Schick alles bekannt war, wie's auf dem Eisfeste gewesen war.

Schick rückte näher auf. »Wenn du das nicht wußtest und dir das nachträglich unangenehm sein sollte, so sage mir, wer das Mädchen war, vielleicht kann ich dich wieder von ihr los machen. Ich beschäftige mich mit Heiratsvermittlung, ich [57] könnte für das Mädchen wohl schnell einen anderen Bräutigam finden.«

Nun wußte der Knabe, – sagte er jetzt, wer das Mädchen war, .. so beging er einen schändlichen Verrat. – Er schwieg.

Der Frosch hatte Takt, wenn er klug sein mußte. Er knüpfte das Gespräch anders, neu, an: »Gefällt dir das Schlittschuhlaufen?«

»Nichts tu ich lieber. Wenn man so dahinsaust! Schick, ich sage dir.« Er wurde ganz keck vor mutigen Gedanken.

»Ja ja, es soll sehr schön sein ..« .. »hast du auch gute Schlittschuhe?«

Der Knabe grinste.

»Sind sie gut? ich meine, du seiest auf meinem Teich – er erwähnte es mit Mischung von Bitterkeit und Bedauern – hart damit gefallen?«

»Bessere Schlittschuhe hättest du mir gar nicht schenken können, im Anfang war ich nur zu zaghaft.«

»Was höre ich? Ich habe sie dir geschenkt? .. du träumst wohl, du .. ich schenke dir Schlittschuhe, damit du auf's Eis auf den großen See gehst, ... glaubst wohl, wenn ich so was getan hätte, ich hätte dich nicht auf meinem Teiche festzuhalten verstanden, auf meinem schönen Teiche? .. Sprich.«

[58] Der Knabe schlotterte in den Knieen, so hatte ihn Schick angefahren. »Du hattest's ja gesagt, sie seien von dir .. von wem sollen sie denn sein?«

»Das hatte ich nicht gesagt .. Fertig ab!« .. er drehte sich einmal um sich selber, »ich will von der Schenkung nichts wissen und weiß auch nichts. Ich schenke dir Objekte der Beleidigung?! .. so eine .. das Mädchen vom großen See macht das nur .. die hat sie dir in einer Nacht gebracht. Weißt du's besser? ... nein, du weißt es nicht besser, denn so ist's«, er drehte sich ein paar mal um sich selber wie eine vom Aerger getriebene Turbine.

»Das Mädchen!! .....« der Knabe trat auf wie ein Pfarrer im Beichtstuhl, würdevoll, »warum hast du dann so getan, als wären sie von dir?« als vergäße er sich und wähnte sich hinter dem Wirtshaustisch fuhrs hinterher, »He«?

He? Der Frosch ging auf wie Hefenteig. »Du scheinst mich damals in der Tat mißverstanden zu haben.«

Der Knabe ballte sich wie der arme Konrad, jetzt, er schrie: »Da hätte ich gar nicht so ängstlich tun müssen, als wäre ich an dein Dreckloch gebunden.« Als stopfte ihm das Mädchen eine Ladung Salz in den Mund, so bissig wurde er.

[59] Der Frosch schlug kopfüber – Dreckloch! – und lag wie tot im – Dreckloch!! – den rasierten Bauch an der Luft, wie einen blanken Sterntaler.

»Was liegt in der Luft?« der Knabe wurde voll Unruhe, als er den fetten Leichnam schwimmen sah. Schicks Bauch. Es mußte etwas unheimlich Tückisches und Schlimmes passieren ... er hatte sich zu sehr hinreißen lassen.

»Noch einmal«, drehte sich der Frosch langsam und sprach: »noch einmal will ich dir's vergeben«. Den Knaben überschlich ein ganz wachsweiches Gefühl. Nach einer Pause, in der er sich den Leib in die Lage schob, fuhr Schick fort »Ich weiß, wer dich gegen mich aufgehetzt hat« ... Der Knabe wollte was sagen, aber es ging nicht.

»Erstens«: Schick leierte es wie der Ausrufer »Pflicht eines jeden guten Dörflers ist es, den Stadtsee zu meiden und sich ausschließlich mit dem Froschteich als See zu befassen« ... er hielt inne und saugte Luft an.

Der Knabe kannte dies Ortsstatut, er war im Unrecht, so aufzumucken, und schwieg stille, froh, daß der Frosch seinen Unglücksspiegel wieder eingesteckt hatte.

»Zweitens«, der Frosch war mit dem Eindruck zufrieden, er bog ein, »sagtest du soeben, daß du vor mir Angst hattest ... stimmt's?«

»Ja«, sagte der Knabe zaghaft.

[60] »Das war töricht von dir, du hättest schon lange zu mir kommen können. Reue schätze ich wohl.« Dem Knaben wurd's wie Zwiebelschneiden.

»Nun aber noch eins«, der Frosch durchschwamm einmal sein Becken. Der Knabe wartete aufmerksam, bis Schick herum war.

»Hat dir das Mädchen vom großen See gesagt, daßsie dir die Schlittschuhe geschenkt hat?« Er saß ganz still.

»Nein, sie hat mir nichts gesagt ... Schick«.

Schick durchschwamm wieder das Becken.

»Aber geredet hat sie mit dir?«

Der Knabe wurde rot, dann blaß. Der Frosch hatte ihn gefangen, er sah ihn an. – Er schwieg.

»Du, Knabe, war das schön von dir, daß du mir verheimlichen wolltest, daß das Mädchen sie! war? ... mich anlügen wolltest? ... wie nett und offen sprachen wir früher immer miteinander?« Dem Knaben rannen die Tränen über die Wangen in langen Strömen. Er wendete sich ab wie Petrus. Seine Unterärmel wurden durchnaß.

Schick erinnerte den Knaben an den Sommer, an die Perlen und Eier, daß der Knabe schließlich mit erstickter Stimme um Verzeihung bat ...

»Wichtiger und wertvoller als die Verzeihung ist mir, daß du wieder wie ehedem mein guter, lieber Freund wirst. Willst du?«

[61] »Jaa.«

»Dann höre auf, zu weinen.« Der Knabe wischte sich auch schon mit dem Aermel die Tränen ab. »Vergiß es.« Schick war klug, er sagte nicht – wir wollen vergessen –. »Morgen mache ich dir eine neue Eisdecke zurecht, ich verspreche dir's. Ich tus, obgleich schon der Frühling den Storch zu mir geschickt hat – weißt, damit ich nicht so überrumpelt werde. – Also obgleich« Schick war doch ein ... zum ins Glasfassen. »Bist du damit zufrieden?«

»Jaa.« Der Frosch sprach so liebevoll. Der Knabe erkannte seinen alten treuen Schick wieder .. er war fertig mit Abwischen.

Also morgen war wieder Eisbahn auf dem Froschteich. So weit kam's.

»Also machen wirs«, sagte Schick und pfupferte vor Freude. Dem Knaben ging ein freundliches Lächeln über's Gesicht wie ein Sonnenfleck über eine Regenlandschaft.

»Nun ... waren wir aber mit unserer Unterredung noch nicht zu Ende.«

Was konnte noch kommen? Es war ja heraus; also wars dem Knaben gleichgültig.

»Das Mädchen gestand dir die Schenkung also nicht ein?!«

»Nein.« Schick fing ja wieder vorne an.

[62] »Weißt du auch, warum?« – Der Knabe lauschte. – »Weil sie dich aufs Eis gelockt hat.« Der Frosch setzte ein Bein auf des Knaben Stiefelspitze.

Der Knabe sperrte den Frosch an.

»Weißt du auch warum?« – – »Das Mädchen vom großen See sucht nämlich schon längst einen Mann, aber sie will keiner.«

»Vorhin sagtest du, sie hätte gleich wieder einen.«

»Ganz recht, einen, wenn ich ihn ihr gebe«, redete sich der Frosch heraus. – »Und darum schenkt sie dem und jenem ein paar Schlittschuhe, manche kriegen sogar silberne, dir hat sie nicht einmal vernickelte geschenkt, fährt mit ihnen in den dunklen See hinaus unter allen möglichen Zuflüsterungen von Liebe und weiß Gott was und dort draußen will sie sie ertränken, mit sich in den See hinabnehmen. Dich wollte sie auch mit sich hinabnehmen, bloß weil ich dazwischen kam und ihr Eis zertrümmerte und ihr drohte, wenn du wegen ihr ertrinken müßtest, ich ihren ganzen See ablassen würde, bloß darum hat sie dich wieder selbst ans Land geführt.« Schick tauchte schnell unter.

Der Knabe fiel fast tot um, so entsetzt war er.

Schick kam wieder herauf, er hatte das Lachen über seine vorzügliche Lüge unten niedergekämpft. [63] Er sah den Knaben lange und gutherzig an.

Dem Knaben brummte der Kopf noch wie der Ton in einer zersprungenen Glocke. Das Mädchen war eine kalte Eiskönigin, sie stellte sich nur so mild und warm. Sie sagte, es war so! sie sei seine Braut. Schick hatte ihm also gar nichts getan. Er gab dem Frosch die Hand und hielt die kalten Froschfinger lange in Dankbarkeit fest.

Schick kannte das edle Stumme einer Freundschaft nicht, er mußte noch einmal anfangen. »War es klug, daß du dich von mir verfolgt fühltest? wars nicht unklug, daß du dich mit ihr einließest? – nimm dich nur in acht, daß nichts nachfolgt! – Warst du treu gegen deinen alten Schick?« Der Frosch mußte noch einmal Reuetränen haben, der Spiegel seines Teiches hob sich dadurch um ein kleines Millimeter. Und die Tränen taten ihm so wohl, sie waren seine einzige Rache.

Nachdem Frosch und Knabe noch ein Weilchen einander stumm abgesucht hatten, ging der Knabe nach Hause und versprach beim Abschied, morgen auf das frische Eis mit den Schlittschuhen zu kommen. »Bestimmt«, Schick warf ihm Augen hin wie erlassene Zinsen aber verschuldetes Kapital.


* * *


[64] Der Knabe philosophierte sich zu den Seinigen nach Hause, entschlossen das Ergebnis seiner Philosophie erst nach Jahren aufzutischen. Er fühlte, wie es anzog, die Maulwurfshaufen bekamen schon eine harte Kruste; es war sicher, daß der Frosch Wort hielt auf Morgen.

Ueberhaupt der Frosch! Wie konnte er sich von der Schönheit des Mädchens blenden lassen – Sprichwort »laß dich nicht vom Satan blenden? –!« Wüst war der Frosch, aber treuherzig und ein wahrer Freund – Sprichwort »meidet allen Heuchelschein« – nämlich der Frosch meidet. Er besann sich darauf, wie das Mädchen in der Tat an ihm stichelte, ihn hetzte gegen den Frosch, den Frosch verleumdete »Schwindler« – Sprichwort »wenn dich die bösen Buben locken« – das Mädchen hatte ihn gelockt. – Wie froh war er, daß er durch Zufall erfuhr, was für einen Leumund das Mädchen hatte, womöglich schminkte sie sich und war eine häßliche Kröte – Sprichwort »traue den Feinden«, der Frosch hatte über seine Todfeindin geredet.

Er schrieb zu Hause sofort einen Absagebrief an das Mädchen und teilte ihr mit, was für eine Falsche sie war, indem er ihr zugleich die vier für sie passenden Sprichwörter erläuterte. Er nahm sichs fest vor. Er konnte jetzt im See sitzen und von Schlangen gefressen werden.

[65] Noch nie war ihm das »Leben« so klar geworden wie jetzt. Die Weisheiten der Alten waren wirkliche Wahrheiten. Man brauchte nur nach ihnen zu leben, so war alles glatt und eben. »Dieser Satan blendete ihn zwiefach!«

Schick hätte er's nicht einmal sagen dürfen, wie er seinen Brief fassen wollte, er hätte dem Knaben abgeraten. Dem Frosch war's da schon lieber, wenn ein Bräutigam seine Braut im Ungewissen sitzen ließ, er konnte sie dann bei Gelegenheit noch schimpflicher abtrumpfen.

Schick sah seinem Philosophen nach und fühlte seinem Gange große Schwächen an. Die Stimmung wird bei dem Knaben nicht lange anhalten, dachte er. Auf seiner Seele Grund habe ich gesehen – Dreckloch! das war unverhüllte Sprache – Dreckloch! – Rache! Rache! schrie Schick, als der Knabe im Winkel verschwand.

Warte nur: Morgen! Morgen! .. auf Verzeihung bin ich gar nicht eingegangen ... Rache! er tummelte sich aufgeregt in seinem – Dreckloch!

Er mußte sich setzen und umschauen. Wie auch seine Blicke im Dreckloch herumkletterten, es war nicht ein Körnchen Wahrheit in dem perfiden Schimpfwort. Seit der Ueberschwemmung konnte er's mit der feinsten römischen Badewanne aufnehmen – im reichsten Tempel. Er wartete für den Sommer nur noch auf die geeignete [66] Susanna, dabei hatte er ein scharfes Auge auf eine Dorfschöne, die schon längst das Waschen nötig hatte, um freien zu können. Er war ihr schon zweimal im Traume erschienen und hatte gesagt: »Rehböckchen – so hieß die Schöne – Rehböckchen, verharre nicht auf deinem Standpunkt, sondern überlasse dich mir, ich habe eine marmorne Wanne und schwarze Lilienmilchseife, die schlotweiß macht .. Rehböckchen, Rehböckchen«. Daß Rehböckchen nicht kam, konnte er dafür? Mit Selbstzufriedenheit und wonnigen Sommerwünschen schaukelte er sich in seinem Badezwinger. Sein Wert war für ihn noch gestiegen, seit er wahrnahm, daß die Quelle nicht mehr zu ihm hineinfloß.

Seitdem die Quelle gestreikt hatte, kam er besser mit ihr aus. Sie ging ihn einfach nichts mehr an.

Jedesmal wenn die Quelle in die Nähe vom Froschteich kam, bog sie schnell um und floß weit über die Felder hinüber zur Stadt in den großen See. Dort wo sie umbog, hatte ihr einer vom Heere einen großen Stein vorgesetzt, daß sie keine Furcht zu haben brauchte, aus Versehen wieder in den Froschteich zu springen.

Das Mädchen vom großen See nahm die Quelle gut auf. »Willst du auch zu mir kommen?« fragte sie und trank einen tiefen Schluck von dem [67] Wasser, das ihr die Quelle als Geschenk mitbrachte. »Wenn du auch gar winzig bist, du hast frisches Wasser und wirst meinen Fischlein gut tun ... fließ nur hinein in meinen See.«

Die Quelle sagte: »Zum Dank für die freundliche Aufnahme will ich dir immer erzählen und verraten, was am Froschteich vorgeht ... wenn dus wissen möchtest.«

Das Mädchen dachte: »Verrat mag ich nicht leiden ... aber wenn du einmal meinen Bräutigam mit dem Frosche reden siehst, kannst du mir ja sagen ... verraten« und kicherte.

Darum die Quelle, wenn sie jetzt umbog, streckte jedesmal den Kopf ein klein wenig heraus und guckte nach dem Froschteich und rannte weiter. Sie tats fleißig, tagaus, tagein, damit sie ja nichts zu verraten versäumte.

Den Frosch ärgerte wohl das »Ueberdenzaungucken«, aber sie gehörte nicht mehr her. Und gut. Was ihre Naseweisheit zu bedeuten hatte, wußte er ja nicht. Er vermißte sie nicht, sein Wasser blieb jetzt immer ruhig stehen und wankte nicht, einen Abfluß, einen ungeschickten brauchte er auch nicht mehr, also wars vorzüglich. Sein Vermögen blieb mehr beieinander, es wucherte Zinseszinsen und verdrängte das unnötig viele Waschwasser – für Rehböckchen blieb noch genug –. Man roch die Effekten schon auf hundert [68] Schritte im Umkreis. Das war die beste Reklame für seinen erstickenden Wohlstand.

Und bei diesem Wohlstand von Dreckloch reden! – Rache!

Ihm blieb das »Morgen«. Morgen, seine Temperatur fiel zum Gefrierpunkt. Aber es mußte sein. Denn solange das Mädchen noch von seinem Gesellen träumte und im Kahne wehmütig singend – bei gutem Wetter hörte er ihre Stimme bis herüber – hinausfuhr auf den See, konnte ihm der Knabe wieder abtrünnig werden. Da half nur eins. Ein blutiger Gedanke an das Morgen erhitzte ihn, er entstieg langsam seinem beengenden Umihn und setzte sich das erste Mal dieses Jahr den Erlen auf die Füße.

Die Erlen wandten sich aus Abscheu vor ihm, sie empfanden seine wüste Seele. Sie wanden sich immer weidiger.

Dem Frosche ließ es auch außen, wo ihn die Luft, der unendlich weite Himmel umgab, keine Ruhe. Ein Sturm von leidenschaftlichen Greueltaten warf ihn in seine Wanne zurück, in der er herumwirbelte wie eine haltlose Qualle.

Endlich drückte er sich fest und hielt den Sturm auf, er verscheuchte die Wolken und machte sein Herz zur Eiskugel.


* * *


[69] Es nahte der Morgen. Der Froschteich glänzte hell vom grellen Morgenrot und schielte wie das Auge eines gefräßigen Drachens nach dem Dorfe, aus dem ein kleiner Knabe mit seinen Schlittschuhen herauskam.

In den Ställen rasselten Ketten und standen die Kühe auf, sonst war alles ganz still. In der Dorfgasse niemand. Das Heer war brav und schlief mit Engelsköpfen. Unter den Füßen des Knaben knackten ein paar milchweiße Pfützen auf und schmutziges Wasser drang hervor, das war die erste Spur der Veränderung der Natur durch die Menschen. Kälte und Morgenwind streichelten die weißen Giebel und dunklen Dächer und rutschten durch den Winkel zwischen den hohen Scheunen, manchmal ein dünner Rauch stieg aus den Kaminen, die den Himmel anguckten wie Sterndeuter und ihn über sich blanker werden ließen.

Der Knabe nahm sich aus in der Stille wie ein zu früh aufgescheuchter Vogel. Draußen auf den Wiesen war's wilder, da war's wie frische Vorzeit, da kämpfte das Tier mit dem Sauerstoff dem Ernährenden und dem Stickstoff dem Erstickenden. Das hatte noch immer keine Federbetten und kannte das Lachen nicht besser als vor tausenden von Jahren, das griff der Aether gleich an wie damals, an Federn und Fell. An den Erlen drüben am Froschteich hatten die Raben [70] einen Lärm wie eine Volksschule ohne Aufsicht, sie flogen gestört auf, als der Knabe näher kam und lärmten wo anders.

Schick nahms wahr, er begab sich in eine Körperlage, in der er lange ruhig ausharren konnte .. die Freude der reuigen Umkehr des Knaben hatte er gestern gehabt, heute .. es kam ihm nicht darauf an, seinen Bauch als Lumpensack bereit zu stellen.

Ringsum war Halbdunkel und langsames Aufwachen, in dem Knaben war muntere Regung. Er hatte die Schlittschuhe hervorgeholt und wollte sich zeigen, vor sich selber und vor Schick, der ihn nur als elenden Stümper kannte. Er hob seine Schlittschuhe, sein Paar erprobte Eissegler, gegen den Himmel »Silber oder nicht Silber, sie haben mich weit getragen«.

– Aber das kränkende Gefühl, daß das Mädchen ihn als Minderwertigen taxiert hatte, für den Eisen genügt, senkte lähmend seinen Arm; was für traurige Andere werden's gewesen sein, die silberne bekommen hatten! So redete es in ihm fort. Aus Kraftbewußtsein oder gar aus Eifersucht? War's denn nicht einerlei, ob man mit Silber oder Tombak in den Tod mit der Eiskönigin fuhr? Hatte er denn schon eine Ahnung von Ritterminne? Einfach. Er war in dem Stück »Genosse« und forderte »Gleichheit«. Daß er ja einen[71] Vorzug vor den »Versilberten« besaß, bedachte er nicht. Er war »Genosse«.

Mit einem verachtenden Zucken um die Lippen ließ er die Eisen aneinander klirren und sah ... auf sie hinab ... sie waren Silber. Es grieselte Kälte von seinem Kopf hinab bis zur Zehe. Er stand still und das Mädchen sah ihn an mit ihren großen schönen Augen und sagte: »gehe nicht wieder zum Froschteich«.

Er hatte Hände so kalt wie Schick ... er fühlte Ekel vor sich .. Er fühlte, Schick hatte ihn belogen, aber die Wahrheit gesagt. So irr war seine Ueberlegung. Er mußte hin zu Schick, weg von dem Mädchen, sie war eine Falsche!

»Deine Schlittschuhe blitzen im hellen Morgen schein Silber! .... sie sind Silber« hielt es ihn an ... er taumelte zu Schick. Der schwache Fingerzeig war vergeblich, er war gedeutet wie in die unendliche Ferne, die die Welten zusammenrückt zu Schimären und Sternbildern. Er konnte nicht unterscheiden.

Es sprühte Silber, es sahen's die Erlen, es sah's alles, es sah's die Quelle und nahm das Gleißen mit fort und rannte geängstigt um den Knaben zum Mädchen an den großen See. Der Knabe stand vor dem Teiche.

Wieder in dem quälenden Gefühl ›er paßte nicht mehr dahin‹. Er war etwas Erhabeneres gewöhnt. [72] Der Froschteich war eine große zugefrorene Waschwanne, und der See war eine freie helle Ebene. Trotzig und einmal da, sprach er in sich, setzte sich wuchtig und warf die Schlittschuhe neben sich: »Ich will's tun, was du haben willst, aber wenn ich einmal hinfliege, schlage ich deinen Glaspalast in tausend Fetzen«, preßte die Kiefer aufeinander und zog mürrisch die glanzlosen Dinger an. Er saß und machte fest.

Nachdem sie angeschraubt waren und festgeschnallt, machte sich der Geist der Arbeit breit, der Trotz vergaß weiter zu murren, und die wichtige Absicht, das Möglichste zu leisten, machte keine Erwägung mehr zwischen den Mitteln. Der Geist der Arbeit faßt überall gleich zu, ob er in die Tiefen der Erde oder auf die Spitze eines Kirchturms gerufen ist. – Der Knabe prüfte das Eis.

Daß ihn der Frosch, wie er jetzt den Fuß ansetzte, nicht begrüßte, war nichts zum Verwundern, klarerweise war's seine Sache, stillschweigend das alte Verhältnis wiederherzustellen. – Ein Bischen dünn! so kurz vor dem Frühjahr war nicht mehr zu verlangen ... ich weiß nicht, – doch fast zu dünn! ... es biegt sich durch –.

Er hing an den Erlenzweigen. Die Erlen halfen miteinander zusammen und hielten den Knaben fest, damit er ruhig prüfte.

[73] »Jetzt kommt's auf ... daß du nichts kannst«, ertönte eine Stimme aus einem verbundenen Kopfe. – Weil's wärmer war und dekorierte, behielt der Heerführer die Binde bis in den Hochsommer hinein um.

»Warum gehst du denn aufs Eis, solang noch das Käuzchen schreit? ... damit's niemand sehen soll, wie du bloß davor hinstehst, solang bis du deinen Zauberspruch gemurmelt hast, der dann ›Schlittschuhgelaufen‹ heißt? ... nachher wärst du durch's Dorf gelaufen, ›ich war heute morgen schon auf dem Eise‹ ... s'ist nur gut, daß Ich bin ... Du mit deinen Matrosenkleidern ... Davor hinstehen kann ich auch. Da steh ich. O du Künstler!«, der ungewaschene Heerführer fuhr dem Knaben durch die gekämmten Haare. »Verlogen ist die Geschichte mit dem großen See, mit dir wird wohl auch eine Eiskönigin fahren, halt uns nicht für so dumm!«

»Jawohl ist sie gefahren.«

»Man sollte dich beim Lehrer anzeigen, daß du lügst.«

»Ich lüge doch nicht.«

»Dann beweis es uns, Ich bin da ... vor mir kannst es ja beweisen.«

»Ich trau nicht, ob's auch halten wird«, zagte er den Heerführer an. Warum mußte der auch [74] kommen! er konnte nicht einmal mehr ruhig prüfen.

»Halten. Da.« Der Heerführer trat vorsichtig an den Rand und wippte bedächtig mit seinem Fuße. »Trägt mich's nicht? und ich bin schwerer als du.«

»Aber mit den Schlittschuhen trau ich nicht.«

»Ueberleg einmal, mit den Füssen stehst du mit der ganzen großen Fläche auf dem Eise, auf den Schlittschuhen nur mit einer dünnen schmalen Schiene, berührst das Eis im Vergleiche überhaupt nicht. Wann ist's wohl schwerer, mit den Stiefeln oder mit den schmalen Schlittschuhen?«

»ha ... mit den Stiefeln« .... »Das Gefühl habe ich zwar anders.«

»Dein Verstand ist gut, aber dein Gefühl ist ein Esel«

»Ja, du hast gut reden, du hast sie nicht an.«

»Ich ziehe sie gleich an, wenn du sie mir borgst .... gib.«

Der Knabe traute nicht, auf diese Art trachtete ihm der Heerführer die Schlittschuhe zu entwenden. Jedoch. Gab er sie nach der Aufforderung nicht her, zog auch nicht los, so setzte es Prügel, das sagte ihm sein eselhaft gescheites Gefühl.

Der Heerführer und – noch einer, Schick – lauerten auf den Augenblick, mäuschenstille.

[75] Der Knabe hing an den straffen Erlenzweigen, die Erlen hielten ihn fest bis zum Abreißen. Mit einer Hand ließ er kurz los, dann faßte er wieder an.

»Du mußt nur nicht stehen bleiben, sondern .. immer dich bewegen, dann wird's nicht so sehr krachen.«

– Der Knabe sah noch einmal unschlüssig nach allen Seiten. Er wußte, er hatte furchtbare Angst. Er blickte auf's Eis, ob nicht der Frosch zu sehen wäre, aber Schick hatte sich versteckt, er war sich heute selbst zu wüst.

»Du zitterst ja, laß doch los ... du reißt ihnen einen ganzen Zopf aus.«

– Der Knabe blickte hilfesuchend zu den Erlen hinauf, ob sie's ihm verzeihten, wenn er den Zopf ausrisse. Die Erlen gaben ihn gerne her.

»Wenn er abreißt, dann stürzst du platterlängs in den Teich, folge mir. Laß los!«

Wenn das Mädchen da wäre, hätte er eher den Mut, dachte der Knabe.

»Ewig kannst du nicht da hängen, ich muß heim, mein Vater wartet«, sagte der Heerführer und tat wie Weggehen.

»Bleib doch da! ... ich laufe jetzt«, er schämte sich, daß er vor dem Heerführer so gezittert hatte, was würde der für Schande über ihn ausstreuen.

[76] »Dann wollen wir sehen ... aber ich kann nicht mehr lang warten.«

Es gab nur noch eins, er vertraute Schick als Freund, der ihm Eis versprochen hatte und das darum schon halten mußte. Schick ließ sich jetzt auch sehen, er nickte freundlich. Der Knabe wurde zuversichtlich und ... zog aus, hinein in den Teich.

»Eiskönig«, schmeichelte der Heerführer.

Aber er schmeichelte nicht lange, dem Knaben kam eine fadendünne Stelle, ein mit einem Menschenhäutchen überzogenes Loch entgegen.

»Eiskönig, Eis ...«, es klirrte, als träte er in ein Frühbeet, sank der Knabe ein, zerrte und wollte heraussteigen.

Er sank tiefer und bald führte er allein einen heißen Kampf gegen Versinken und Einbrechen, er mußte ertrinken, der Heerführer verschwand im Winkel zwischen den Scheunen und war ganz still.

Der Knabe schlug heftig um sich und machte rückende Schritte gegen das zertrümmerte Eis, aber jeder Schritt brachte ihn tiefer. Er fühlte, wie der Frosch ihn am Beine hinabzog in den Schlamm. Er versuchte mit dem Fuße nach Schick zu stoßen, aber er hing ihm daran wie schweres Blei, und auf einem Bein sank er noch tiefer ein. Er blieb ruhig stehen und sah sich nach [77] einer Rettung um, er drehte sich nach einer dickeren Eisstelle, er wollte sich darauf stützen und herausheben, aber er platschte nach vorne in's Wasser und hatte Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Er brüllte um Hilfe.

Niemand kam auf sein Schreien als die Sonne, – langsam, daß sie niemand wachkitzelte, der den Knaben hören konnte.

Es fing an um ihn zu tanzen und sich zu drehen wie ein Brummkreisel, und der Gestank des Wassers trat an seine Nase, und Schleim zog durch die feine Linie zwischen seinen Lippen. Öffnete er die Augen, so dehnte sich in flimmerndem Schimmer ein großer See vor ihm aus.

Wie er die Augen zum letztenmal schloß, war's wie des Mädchens Hand, die ihn führte, hinaus in den See, bis die Ufer verschwanden und er allein stand. Dann war er wie in einem finster abgeschlossenen Fahrstuhl, der in die Tiefe sauste und anhielt. Er wurde an den Füßen fest gebunden mit langen Tangen an versunkenen Baumwurzeln, Schick selbst band ihn mit scheuen Blicken nach den Furien fest.

Schick kannte den Fischerknoten; das Geheimnis dieses Knoten hatte er von einem betörten Fischer, dem er Goldfische dafür versprochen hatte. Er zog gerade das lange Ende durch die [78] Schlinge und sah zu, welch lieblicher Knabe, er sah ihn zum erstenmal ohne gebrochene Strahlen, in der Schlinge schaukelte, da kam von hinten ein großer schwarzer Schatten wie die Flügel eines ägyptischen Storches über ihn, er kreuzte die Augen über die Schultern und sah einer bildschönen Furie ins Gesicht, daß ihm der Tang entglitt, und er den nach oben sausenden Fahrstuhl nicht aufhalten konnte. Er konnte ihm nur das staunende Maul nachsenden, das ihm bei der Geschwindigkeit des Entschwindens seiner Beute, klicks klacks, durchschnitten war und heftig brannte.

Schick war gezeichnet. Sein ohnehin breitgesägtes Maul hatte einen Schnitt quer wie von einer Sense. Mit diesem Maule wollte er sich beschweren, er schwamm nach oben, ein Schimpfwort auf der Zunge.

Das Schimpfen verging ihm jedoch, als er die Eiskönigin am Ufer sitzen sah, die den Knaben im Schosse liegen hatte. Der Knabe umklammerte noch ihre Hand wie ein erstarrter Toter. »Meine Schlittschuhe sind hart, ihre Härte ist echt«, hörte er die Eiskönigin sagen, darum tauchte Schick lieber wieder und versteckte seinen Schmiß.

Schick drückte sich in eine dunkle Ecke und war froh, wenn ihn die Eiskönigin in Ruhe ließ. Er hatte die Härte der Schlittschuhe verspürt und [79] fürchtete sich vor Schlimmerem. Sie konnte sich jetzt an ihm rächen.

Aber die Eiskönigin rächte sich mit Milde, Schick war ihr viel zu schmutzig. Der Frosch war damit sehr einverstanden, sein Leben war ihm so teuer und kostbar. Sterben war für ihn etwas Schreckliches, andere morden, etwas Herrliches. Er zählte den Weggehenden die Schritte nach, bis er dachte, sie werden nicht mehr umkehren. Dann aber lachte er dem Mädchen höhnisch nach, daß es ihren treulosen Knaben beim Gehen stütze, und es werde wissen, warum es ihn, Schick, schone, und Schadenfreude und Hohn wollten nicht enden.

»Gehn wir in deine Hütte?« fragte der Knabe, als sie dem See näher kamen.

»Ja, da will ich dir den Kopf waschen«, erwiederte das Mädchen.

Dem Knaben wurde bang, ob er nicht klüger die Feuerzange seiner Mutter gewählt hätte, als das Kopfwaschen im großen See, sie werde ihn gewiß mit Seife und Wurzelbürste scheuern. Aber er war zu erschöpft, er trottete nun eben mit. – »Hörst du den Frosch lachen? hörst du? das bedeutet ein großes Unglück für uns, wir dürfen nicht miteinander gehen«, er wollte sich losreißen.

[80] Das Mädchen hielt ihn diesmal fest. »Laß ihn lachen, er ist mir viel zu albern. Nur die, welche sich um ihn kümmern, haben den Schaden davon.«

Weiter sagte sie nichts, aber der Knabe wußte, wie's gemeint war. Er war zu schwach, um sich zu entschuldigen. Er konnte sich's auch gar nicht zusammenreimen, wie's so schlimm gekommen war. Er sagte immer nur: »wenn das Eis dicker gewesen wäre«!

»Sei jetzt stille, warte bis wir daheim sind«, sagte sie dann.

»Wenn das Eis dicker gewesen wäre« sagte er noch einmal, als er mit hartgefrorenen Kleidern in die Hütte trat. Es lag ihm daran, den bevorstehenden Auftritt abzuschwächen.


* * *


In der Hütte lagen lauter schöne weiße Schwanen, die vor dem Mädchen aufstanden und die Hälse vor ihr neigten. – Das Mädchen war gewiß auch ein Schwan.

Das Mädchen lachte laut auf, weil sie der Knabe daraufhin prüfte. Sie scheuchte die Schwanen hinaus und breitete das Stroh auseinander. – Im Hinausgehen sagten die Schwanen, sie soll leise sein und nichts verraten; alle machten ss sst.

[81] »So, da kannst du darauf liegen«, sagte jetzt das Mädchen und schüttelte das letzte Bund besonders kräftig auf. – Das Mädchen verwandelte ihn gewiß in einen Schwan. Warum anders sollte er statt denen Platz nehmen?

Sie lachte wieder hell auf, als der Knabe zögerte. Und unter Lachen forderte sie jetzt den Knaben auf, seine Kleider auszuziehen. Sie dachte, er wird's nicht tun aus Furcht, er werde zum Schwan ... Was? das tat er! sie erstaunte. – Wenn ich keine Kleider anhabe, wo soll sie dann zur Verwandlung die Federn hernehmen, sagte sich der Knabe.

Der Knabe mußte sich die Kleider vom Leibe reißen, sie waren festgebacken. Und das Mädchen mußte kräftig mit ziehen helfen. Manchmal schrie er auf, wenn ein Stückchen Haut angefroren war, da lachte sie ihn aus. Schließlich brachten sie die Arbeit mit vereinten Kräften zu Ende, der Knabe mußte sich hinlegen, und das Mädchen deckte ihn schnell mit Stroh zu, dann nahm sie einen Rechen vom Nagel und holte die vielen warmen Federn von den Schwanen zusammen und schüttete sie unter freudigem Lachen über den Knaben, der schrie: »ich erstick .. ich erstick.«

»Ersticke nur«, foppte sie ihn, »besser hier als im Froschteich«.

[82] »Sei froh, daß ich noch am Leben bin«, stöhnte der Knabe, die Federn lagen ihm vor den Nasenlöchern,

»Was! an dir soll man auch noch froh sein?«, foppte das Mädchen weiter.

»Ich hätte ja auch sterben können«, schluchzte jetzt der Knabe.

»Weine doch nicht ... du Lieber«, beugte sich das Mädchen zu ihm nieder und küßte ihn. Der Knabe weinte darum noch stärker.

»Oh, oh, wenn du wüßtest, wie er mich angebunden hat«, schluchzte er.

»Sei doch still, du bist jetzt bei mir«. Tränen traten ihr in die Augen.

»Oh, oh, was habe ich dir getan!« fing er jetzt an und gestand, daß er sie an den Frosch verraten habe ... sein Absagebrief liege noch daheim .. »Wenn du dich an mir rächen willst, so tus«, er drehte sich zur Seite und schluchzte in die weißen Federn, »Schick hat mich betrogen«.

»Ich weiß es schon«, war alles, was das Mädchen zu sagen vermochte.

– Das Mädchen ließ ihn ruhig ausweinen; es saß still neben ihm und legte die Hand auf seine heißen Schläfen. Er hatte Fieber. Sie seufzte tief und blickte vor sich hin. Endlich schlief er ein.

[83] Das Mädchen stand sachte auf, nahm des Knaben Kleider und trocknete sie. Die Schwanen mußten darauf sitzen, so ging es am raschesten.

Das Wasser klatschte an die Holzwand, hinter der der Knabe schlief. Er machte eine meilenweite Seefahrt und blieb doch am gleichen Orte stehen.

Ein fester ruhiger Schlaf im Schwanenbett von einem Morgen bis zum andern Morgen war die Rache des Mädchens vom großen See. Nur einmal nachts hörte er die Schwanen durcheinander reden und merkte, wie sich das Mädchen neben ihm aufrichtete und eine Tür ging, worauf's wieder ganz still wurde und der See an die Hütte weiter klatschte. Er durfte nichts von Schick träumen, sondern von den schönen weißen Schwanen, die auch vor ihm aufstanden und die Hälse bogen, von dem Mädchen, das neben ihm schlief und ihn küßte.

Ein lautes Geschrei weckte ihn auf, er richtete sich bestürzt auf, vor ihm lag das Meer und ein großer leuchtender Ball schwebte und rollte gegen ihn, er rief nach dem Mädchen. Er war ganz verlassen ... er stand ganz besinnungslos auf, fuhr schnell in seine Kleider, die frisch wie vom Schneider vor ihm lagen. Mit halb betäubter Neugierde streckte er den Kopf zur Türe hinaus .. oh! oh! jetzt wurde er schnell belebt und besonnen. [84] Das Mädchen stand auf einer schmalen Brücke weit drinnen im See, und die Schwanen umkreisten sie mit einer Behendigkeit, wie er's noch nie gesehen hatte. Riesenvögel stiegen aus dem Wasser und streckten sich hoch nach dem Mädchen. Da mußte er schnell hinaus und dabei sein.

Und jetzt wurden die Kreise weit größer, wie er hinkam, und das Mädchen lachte ihn stolz an, jetzt war er ihr Liebster, da sie ihm ihre Herrlichkeit zeigen konnte.

Stille. Schwanenkreise. Meeresweite. Sonnenglanz.

Der Knabe schwieg wie ein Gebet.

– – – »Der gehört dir? der See?«

Das Mädchen liebte den Knaben, er hatte Worte so einfach, die seine tiefe Bewunderung am schönsten ausdrückten. Dafür mußte er eine reiche Mitgift erhalten, »er gehört auch dir«, sagte sie und drückte ihn an sich.

Die Schwanen hatten ihr Wohlgefallen, sie trennten sich paarweise und schwenkten in höflichen Umschweifen hinter den Schilf, aus dem eine Schar Enten emporstieg wie eine festeshalber losgelassene Wunderlichkeit, fliegende Weinflaschen.

»Was haben denn die im Schilfe getan?« fragte der Knabe.

[85] »Sie haben Frösche gefressen«, sagte das Mädchen.

»Frösche! .. Bei dir werden die Frösche einfach gefressen und bei uns nimmt sich der Frosch so viel heraus?!«

»Das ist auch ein Unterschied, mein See und euer kleiner Teich.«

»Oh ja, ist das ein Unterschied .. deins ist ein Meer ... größer ist das Meer auch nicht?«

»Von denen, die einem Mädchen gehören, ist mein See der größte und schönste.«

»Das glaube ich auch, so einen gibts nicht wieder« .... »man sieht ja kaum hinüber« ... »über den Froschteich konnte ich hinüberspucken und wenn man ...«

»Und trotzdem bist du hineingefallen«, sagte das Mädchen und hielt ihn zurück, er soll den Versuch nicht machen, sie wisse schon, daß es gleich an den Füßen niederfalle und aussehe wie eine Handspanne breit.

»Jetzt ärgert mich's ... wie anmaßend Schick ist mit seinem Dreckloch«, er betonte es und die Kopfadern schwollen an.

»Du hättest eben stolz sein müssen auf deinen See, aber so bist du, du hast ein schlechtes Gedächtnis für seine Größe.«

»Von jetzt ab bin ich stolz ... ich behalte, daß am andern Ende die Sonne heraufkam, die kommt [86] bei uns hinter dem Berg, der über eine Stunde entfernt ist.«

»Merke dir lieber, daß es für dich keinen Froschteich mehr gibt.«

»Du, noch mehr, wenn ich wieder zu Hause bin, sag ich's dem ganze Dorfe, was für ein eingebildeter Dummkopf Schick ist.«

»Laß das! dir glaubt man's doch nicht.«

»Warum nicht? ... mir?«

»Weil du auf den Sumpf gekrabbelt bist.«

»Allerdings, das stimmt«, das Mädchen küßte ihn ... »da bleibe ich lieber bei dir auf dem großen See«, unangenehme Erinnerungen an seine Heimat tauchten in ihm auf.

»Bleibe nur, bis du so gescheit bist, wie ich bin und du dem Frosch sein Königreich schneidest.«

Schneidest. Der Knabe übte, was das Wort heißen sollte mit verächtlichen Mienen.

»Wenn du dann auf dem großen See gescheit geworden bist und dann noch von dem Dummkopf Schick reden willst, wird man dir's eher glauben.«

»Dann ist er mir ganz einerlei.«

»So ... das heißt man schneiden« ..... »jetzt kannst du heimgehen.«

»Fällt mir ein! ... Schick kann allein regieren.«

[87] »Dein Vater und deine Mutter suchen dich.«

»Woher weißt du das?«

»Das ganze Dorf sucht dich.«

»Mich suchen? ... mich hat noch kein Mensch leiden mögen.«

»Jetzt wirst du gesucht, weil du schon gescheit geworden bist.«

»Ich gescheit? nein, wenn ich an dich denke ...!«

»Darum bist du's ja, weil du an mich denkst.«

»Weißt du das gewiß?«

»Jawohl« und lachte ihn herzlich an.

»Oder bin ich schon gescheit, weil du mich fort haben möchtest? ...«

»Da ...«, das Mädchen hielt ihm schnell ein Stück trockene Hopfenrebe hin und ein Streichholz zum Beschwören seines Mißtrauens.

»Hast du das immer bei dir? Rauchzeug?« fragte der Knabe und griff zu und fuhr mit dem Schwefelholze, je zehnmal mit jedem neuen, über den Hintern und zeigte seine Absicht, sich als Mann zu beweisen, indem er zog wie ein Wahnsinniger. »Das machen wir flott«, sagte er, als es endlich brannte ... und hinter einer Rauchwolke fragte er noch einmal »hast du das immer bei dir?«

Errötend gestand das Mädchen ein, daß es diese Zigarre seit dem Eisfeste bei sich trage und bisher nur vergeblich auf ihn gewartet habe.

[88] Wenn das wahr wäre, dachte der Knabe, wäre es ein Zeichen von großer Aufmerksamkeit und hoher Einschätzung .. aber er hüllte sich in eine Wolke und fragte: »rauchen nicht die Schiffer gerne?«

Er mußte die Frage sehr häßlich betont haben, denn das Mädchen antwortete ihm überhaupt nicht und bekam Tränen in die Augen.

»Beißt der Rauch?« fragte er und hustete.

»Nein«, sie schlug ihm die Zigarre heftig aus der Hand, »das gibts nicht mehr, du bist, wenn du rauchst, deinem Schick sehr ähnlich.«

»Weshalb denn«, wollte er fragen, aber er sah sein kurzes Vergnügen zu deutlich im See schwimmen und sein peinliches Empfinden lenkte seine Aufmerksamkeit schnell einer Ente zu, die gerade aufflog. »Schicke doch die Ente hinüber, sie soll den Frosch auffressen.«

»Zu was denn, auf einmal.«

»Räche mich doch, denke, wenn ich ertrunken wäre« ... »es wäre ganz nett zuzuschauen, wenn Schick der Ente im Schnabel zappelte in Todesangst.«

»Wenn du zappeltest«, diesmal war's ihr aber ernst.

Der Knabe hatte geglaubt, wenn er seiner Mißachtung gegen Schick Ausdruck gebe, habe er am schnellsten »Pardon« .... aber nun stand er [89] da mit abgeschnittenen Rückzug auf schmaler Planke ... er schwieg jetzt am klügsten ... und jetzt kamen die Schwanen geschwommen.

»Wenn ich jetzt wollte ... siehst du das ein?«

»Ja, ich sehe es ein.«

»Was willst du immer mit deiner Rache?« ... »soll ich mich rächen?«

»Nein, tu's nicht ... das Brett kippt um, laß es doch sein!«

Aber das Mädchen schöpfte ihm schon eine Hand voll Wasser über den Kopf und das Brett kippte nicht.

»Was machst du denn da?« schrie der Knabe.

»Dich taufen« ... daß deine Bosheit vergeht.

»Ich werde ja wieder ganz naß.«

»Mein Wasser schadet dir nichts .... sei froh, daß du's wert bist« ... »sieh hin, dort draußen fährt ein Schiff«, lachte sie.

»Ja schön Schiff« und ließ das Wasser an seinem Nacken an der Wirbelsäule hinabfließen ... aber es kam wirklich leise ein Schiff näher ... ein Ding, so groß wie ein Haus, er erhob den nassen Hals und schaute mit großen Augen von der Planke auf. »Was tun die Menschen alle auf dem Schiff? haben die im See gebadet oder ... sind es lauter Gerettete?«

»Gerettete?« fragte das Mädchen.

[90] »Ich meine, die du auf's Eis geführt hast. Sie kommen doch dort hinten herauf, wo das Ufer aufhört,«

Das Mädchen mußte dem nachforschen. Sie fragte eindringlich, und endlich gestand der Knabe » ... sie kriege doch keinen Mann und darum verschenke sie Schlittschuhe« ... und so weiter. Diesen Teil von Schick's verläumderischer Rede hatte er bis jetzt noch nicht preisgegeben, aber es erschien ihm an der Zeit bei der harten Bedrängnis auf der Planke.

»Eigentlich müßte ich dich jetzt hineinschmeißen« packte das Mädchen den Knaben an.

»Nein, nein, werf mich nicht hinein«, er drängte heftig ans Land ... »es ist so, wie ich dirs erzählt habe.«

»Gerade deshalb.«

»Darum sage ich ja, sollst du dich an Schick rächen ... darum.«

»Darum an dir ... Schick überlasse ich anderen«, das Mädchen ließ ihn los.

»Aber du tust's nicht?« fragte der Knabe noch einmal zu seiner Vergewisserung, ob das Nebenihrstehen auch gefahrlos wäre.

Wie er sie dabei anschaute, das Mädchen mußte ihn umarmen.

[91] Und der Knabe fühlte, daß er ein Dummer war, sich vor dem Mädchen zu fürchten. »Gelt, du kannst mir nichts Böses antun?« sagte er.

»Von wem sollte ich's gelernt haben?« schaute sie an ihm hinauf.

Die Sonne stand hoch und die blitzende Seefläche kräuselte sich warm. Der See war schön und groß, der Knabe hatte ihn ganz kennen gelernt, er gehörte ihm ja mit, nichts von seiner Pracht hatte ihm das Mädchen verborgen oder doch? weil sie wiederholte »Nun mußt du nach Hause gehn«.

Was blies für ein frischer Wind in die Segel hinein! .. es bauchte sich tief, und ein schwarzer Schatten huschte darüber.

Durfte er doch nicht alles sehen? weil sie ihn so sehr nach Hause drängte. Oder war er taktlos gewesen und zu lange geblieben? Was er zur Entschuldigung vorbringen konnte, wußte er nicht. Darum sagte er nur zaghaft »Es ist schön bei dir gewesen«. Das Mädchen zitterte nur mit den Lippen ...

Er machte sich schnell davon; den Schmerz und die Tränen zeigte er dem Mädchen nicht gerne.

Das Mädchen blieb lange stehen. Die Schwanen kamen geschwommen und hielten neben ihr still. Sie blickten in die fremden Uferfernen des Sees, [92] kam der Knabe dorther wieder? hatte sie der Knabe verstanden? Kam er diesmal zu ihr zurück? kam er als Jüngling? oder erst später, viel viel später?


* * *


Dem Knaben war es so hart, das Scheiden. Bald wieder bei ihr sein, hätte er gewollt. Er war so hart, der Abschied.

Wut wollte zuletzt in ihm über den Schmerz der Trennung, wie das Dorf immer näher kam, ausbrechen. Zurückhängend in der Kultur war's, langweilig, öde ... er konnte sich's vorstellen, wie die Pflüge auf dem Holzbock auf's Feld rutschten und eine Spur hinterließen, wie die Bauern hinter den Ohren des Störrvieh's schwankten und Peitschen knallten, jeder seine Melodie.

Aber wann trifft eine Vorstellung die Wirklichkeit? Niemals. Das Bekannteste ist immer anders als man's erwartet hat.

Das Dorf glich einem verlassenen Immenhaus und der Schwarm hing abseits. Groß und schwarz hing er am Froschteich.

Und die jüngste Brut ließ den Schwarm los und schwärmte auf ihn zu, setzte sich an ihm nieder und suchte ein Schlupfloch. Das Heer stürzte ihm entgegen.

[93] Er hatte die Pflicht, zum Froschteich nicht hinauszusehen, weil er nicht mehr für ihn da war. Mit grimmigem Trotz furchte er die Stirne und sah geradeaus. Wäre eine eingespannte Kuh gekommen, er wäre ihr zwischen die Hörner gelaufen. Der Ansturm des Heeres war wie eine schlecht gerittene Kavallerieattake.

Der Heerführer jagte viel zu weit voraus, Säbel und Lanze flogen ihm beiseite, er ging zum »Feind« über, und fiel ihm an den Hals. Der Heerführer schien die Erleichterung seines Gewissens, sehr nötig zu haben. Kein Silbchen hatte er verlauten lassen, daß der Knabe im Froschteich ertrunken war, bis die Leute von selber dort nach ihm suchten. Er war daneben gestanden, wie sie mit Baumhacken und Beilen das Eis einschlugen, die Schollen ans Land zogen, zwischen den Schollen fischten, aber den Knaben nicht fanden; und nichts hatte er verraten, er benahm sich nur ungeschickt, wie der Mörder im Leichenzug, bewies überschwängliche Teilnahme und stellte ängstliche Fragen.

Das Heer verachtete eigentlich die Taktik seines Führers, aber er mußte schon seinen Grund haben, vielleicht schlug er »ihm« dann recht unvermutet eine »Gesalzene« runter, hinter der Umarmung. Aber die Gesalzene unterblieb, das Heer munkelte was, es scharte sich um die Beiden, die [94] umschlungen gingen wie David und Jonathan, und disputierte über » .. noch gut gegangen ... froh sein .... schief gehen können ... mit dem Heere nicht passieren können ... man geht nicht alleine ... Schick holt jeden ... Zauberer Schick ... unheimlicher Ort, das grüne Königreich.«

Der Knabe ging unter der Last des Heerführers wankend wie ein Wähler vom Wahlschoppen. Bei diesem Umschwung konnte er auch nicht klarer sehn als ein Betrunkener. Oder war er wirklich ein Gescheiter geworden? Das Mädchen meinte es ja.

Plötzlich ließ ihn das Heer wieder los und rannte zum Froschteich hinüber, der Knabe verstand das sonderbare Treiben kaum besser als die Sprünge eines Polizeihundes.

– Aha! sie kamen von neuem angerannt unter lebhaftem Freudengeschrei und brachten diesmal die Alten mit, der schwarze Knäuel an den Erlen löste sich auf ihn zu auf. Schnell! Er wurde als ein vom Tode Auferstandener gefeiert. Sofort machte er ein ganz verklärtes Gesicht zum Zeichen, daß er wirklich den Blick ins Jenseits getan hatte.

Ein regelrechtes Fest hatte das Heer, das ganze Dorf, durch den Knaben. Der Froschteich wurde wie ein großer See geeist.

[95] Das war wohl die Ehrung, die Schick vom Dorfe empfangen wollte. »Siehst du, Schick, was dir durch mich widerfährt«, dachte der Knabe, – wenn Schick den Gedanken gekannt hätte, er wäre geplatzt vor Aerger! Diebstahl, Eisdiebstahl war doch keine Ehrung! denn in jeder Scholle lag ein großer Teil seines Vermögens. – Ob deshalb der Knabe lachte?! Er mußte sich zusammennehmen, ein feierliches Gesicht, ein Leichenbittergesicht zu behalten.

Alles kam und umdrängte ihn als Straßenereignis. Die Großen bogen sich weit über den Schwerpunkt nach ihm, nur durch die Kleinen, die schon alle steife Nacken hatten, wurden sie gestützt. Man fragte ihn tausend Fragen, und er war doch ganz einfach ins Krötenloch gefallen. Daß eine neue aera über ihn aufging, so viel verspürte er. Einer fragte sogar, »war das Wasser frisch?« und er hatte Gelegenheit, die teilnehmende Frage zu bejahen.

Allen Fragen lieh er ein aufmerksames Ohr und gab auch auf die dümmsten Antwort, dadurch stieg seine Beliebtheit wie eine Goldaktie.

Und diese Aktie wäre gestiegen wie eine Sternrakete, aber mitten aus dem Haufen hob ihn eine gut gebaute Hand und setzte ihn auf die Bank hinter dem Tisch zwischen seine sechs Geschwister die alle reale Werte darstellten.

[96] Schon war das Mitleid mit dem »Bübchen«, »das heimgezogen wird und doch fast umgekommen war«, unter der Bevölkerung, so sehr war die Liebe des Volkes plötzlich für ihn erwacht. Das schmeichelte und leckte wie eine Bärenzunge.

Nur einer grollte weiter gegen ihn, Schick, der einsam, neben draußen vom Dorfe, wohnte. Schick maß dem Knaben das ganze Elend seines jetzigen Zustandes bei. Schon als die erste Eisscholle weggenommen war, zog eine garstige Kälte an seine Schultern, so tief er sich duckte und verbarg. Das Eis zerschmolz auf der Wiese. Er entdeckte allmählich, daß er bettelarm wurde. Er fing an, die Quelle zu vermissen, die wie ein Satyr an ihm vorbeisprang. Und das viele Wasser vom Eise fehlte ihm auch. Er knurrte: »eine Pfütze ist mir geblieben.«

Er machte das Gesicht der selbstverschuldeten Armut, das tiefe Falten auf der Stirne hat, die dem Unschuldigsten am meisten zürnen.

Und wenn er den Kopf hervorstreckte, so sah er das Dorf, das Haus, wo dieser Unschuldigste als Berühmtheit geehrt und gesucht wohnte. Er warf den Kopf hoch gegen den Himmel und flehte um Hundstage, daß das Häuschen in Flammen aufginge vor sengender Hitze, aber der Himmelhund hörte ihn nicht. Da sah er die Erlen die Köpfe [97] drehen. Die Erlen wandten sich von ihm ab und wurden Kostgänger der Quelle.

Da warf sich Schick wütend in sein bischen Wasser.

Er verwünschte sich, daß er die Eiskönigin ausgelacht hatte, weil sie nicht Rache an ihm nahm. Hätte sich nur die schöne Eiskönigin an ihm gerächt! Jetzt hattens die Bauern getan.

Er wünschte den Knaben herbei, er müßte ihm helfen. Der Knabe sollte den Stein vor der Quelle wegnehmen. Das Heer sollte ihn wegnehmen. Aber kein Himmelhund und kein Erdenmensch hörte mehr auf ihn.

Darum mußte ihm der Trotz vom Trotz helfen. Und der hilft jedermann gerne ins Unglück. Schick sprach: »Viel besser lebe ich in der Pfütze, ich kann mich dicker mit Schlamm überziehen und mich als Erdklumpen den Augen aller verbergen.«

Aber die Augen fanden ihn doch und sahen deutlich, daß Schick der häßliche Klumpen war, der niemand was Gutes sein Lebtag erwiesen hatte, nicht einmal dem Knaben.

Und der Bauer mit der Trottel sagte mit ganz scheuschiefem Kopf: »ist das der Schick?« Und Schick mußte sich ansehen und stupfen lassen von allen. Und jedem ging ein kalter Ekel durchs Rückenmark, daß der beinahe den Gescheitesten vom Ort geholt hätte.

[98] »Man sollte ihn zuschütten«, sagte schließlich der mit der Trottel, und seine Augen kamen dabei heraus wie die Fühler der Schnecke ... »im Sommer hält mans nicht aus vor Mücken, wenn man das Wasser so stehen läßt ... die Mücken saugen uns und unserem Vieh das Blut aus.«

– – Ein »Stehwasser« war der Froschteich geworden, das Heer flüsterte untereinander laut, daß ein Stehwasser das Gemeinste auf Erden sein müsse. Und Schicks böse Blicke konnten flehen wie Erbarmen, wenn er das mit lautem Herzklopfen anhören mußte ... er wurde zugeschüttet.

Steinvornehm war er gewesen und jetzt war er ein Bettler.

Er hockte zuletzt wie ein verdurstender Krüppel in der Gluthitze des heißen Sommers an der verlassenen Straße. Das Heer, dessen Dienste ihm so geschickt gewesen waren, warf in den Hundstagen ein viergliedriges Stück Leder herum, und in dem Stück dürren Leders war ein verschrumpftes Körnchen gefühlloses Leben. Es wurde zerstampft von genagelten Stiefeln und Absätzen wie in der Sandmühle und als Pulver im Winde zerstreut ... Und bei dem allem sah der Knabe nicht einmal zu, so unwürdig war Schick.

Am Sonntag Nachmittag, den Tag nach Schicks Tode, saßen die Bauern in langen Reihen vor den Häusern. Und überall, wo einer zu einer Bank [99] trat, um sich dicht neben dem vierten als fünften auf die Ecke zu quetschen, spuckte er aus, sah an den blauen wolkenlosen Himmel und meinte: »Frosch ist verreckt«. »Ja, 's sieht so aus«, bestätigte der rauhe Chor und ein dicker Tabaksqualm zog dem Knaben unter das Fenster, hinter dem er einer neuen philosophischen Bearbeitung seiner Sprichwörter oblag. Mm, schnubberte er dabei als Dorfgötze den Duft des Brandopfers ... so hat die Zigarre der Eiskönigin gerochen.


Ende [100]

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TextGrid Repository (2012). Essig, Hermann. Erzählung. Der Wetterfrosch. Der Wetterfrosch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A30D-C