Caroline Auguste Fischer
Paridamia oder die Krebsscheeren

[100] Der König Raimund, hatte für seine weitläuftigen Staaten, keine anderen Erben, als eine einzige wunderschöne Tochter: und konnte sich, ohngeachtet der wiederhohlten Bitten seiner Unterthanen, zu keiner zweiten Heyrath entschließen.

»Kinder! – rief er eines Morgens; als ihn das Geschrey der Bittenden genöthigt hatte, im Schlafrock und in Pantoffeln, auf dem Balkon zu erscheinen – Sagt mir nur! was ihr davon habt, mich so vom Morgen bis in den Abend zu quälen?« –

[100] »Ach Herr Majestät! – antwortete ein Bauer aus einer entfernten Provinz, der noch auf dem Schloßhofe zurückblieb, da die Anderen schon mit gesenkten Ohren wieder davon gingen – »ich könnte es Ihm wohl sagen; wenn ich nur dürfte.« –

»Nun laß doch hören!« –

»Ja! sieht Er! Seine Unterthanen haben sich bis jetzt bey der Weiberherrschaft so wohl befunden.« –

»Ich glaube Du faselst! – Seit Jahrhunderten ist ja keine Frau auf dem Throne gewesen!« –

»Ey das ist es ja eben! Wenn die Weiber regieren sollen; muß ein Mann darauf sitzen! –

»Dummkopf! – antwortete der König, und schlug die Balkonthür so heftig zu, daß die Gläser darin sprangen. Unter uns gesagt – er war ein ganz guter Mann, [101] der noch immer was man so gemeiniglich einen Landesvater nennt, vorstellen konnte; aber doch ein wenig jachzornig, und an dergleichen Soliditäten auch nicht gewöhnt. Wer konnte es ihm verdenken: wenn er nun mehr als jemals wider das Heurathen eingenommen, und fest entschlossen war: die Krone niemand anderm, als seiner einzigen Tochter zu überlassen.

Aber wenn sie nun starb – diese geliebte Tochter! Dann folgte ihr der Sohn seines Todtfeindes – Sie wenigstens mußte also heyrathen, und zwar so bald als möglich. –

Freilich eine ganz eigne Sache! – Lag es im Blute; oder war es Vorliebe für die Meinungen ihres Vaters – genug die Prinzessin bezeigte eine noch größere Abneigung als er selbst gegen alles, was dem Heurathen ähnlich sah.

Um das Unglück vollkommen zu machen, [102] mußte grade jetzt ein Schriftsteller berühmt werden, der bei seinen Lesern alles Heurathsgefühl zerstöhrte, und leider der Prinzessin vollkommensten Beifall erhielt.

Er ließ sich ganz eigentlich dafür bezahlen, den Leuten auf die possierlichste Weise etwas vorzujammern. Dem Lächerlichsten wußte er ein weinerliches, und dem Erhabensten ein winziges Bild abzugewinnen. So verglich er – um nur eine Probe des Lezten zu geben – die Milchstraße mit einer Wünschelruthe, und der Montblanc, wenn er mit Wolken umhüllt war, hatte bey ihm die Nachtmütze aufgesetzt. Bey dem allen war seine komischgigantische Sprache so hinreissend: daß besonders die Frauenzimmer, nach einigen durchlesenen Bänden es gar nicht mehr auf der prosaïschen Erde aushalten konnten.

Die Prinzessin nun gar ward durch die [103] Schriften des sonderbaren Mannes so eingenommen: daß sie von Stund an, nur in seiner Sprache sich vernehmen ließ.

Dies hatte der funfzigjährige Hofmarschall, ein heimlicher, und freylich auch hoffnungsloser Anbeter der Prinzessin, zuerst bemerkt, und war sogleich darauf bedacht, die Redensarten des berühmten Zebra zu memoriren.

Dies gelang ihm auch in kurzen so sehr: daß er die Prinzessin dadurch in das angenehmste Erstaunen versetzte. So sehr ihr seine eckige Figur, sein Faunengesicht und seine Glasaugen mißfielen, so war eine zebraische Antihyperbel hinreichend, das alles vergessend zu machen, und sie zu dem Geständnisse zu zwingen: er sey das einzige Geschöpf, mit welchem sie sich erträglich unterhalten könne.

Eine Ahnung davon wäre für die Hofleute [104] hinreichend gewesen; was mußte nun nicht die Erklärung selbst thun? – Im kurzen war der ganze Hof zebraïsirt und die kleine Opposition, welche aus dem Könige, der Oberhofmeisterin und dem Leibarzte bestand, wollte dagegen nicht viel bedeuten.

Der Erste, war in der Lessingischen Periode gebildet, und daher zu dem zebraischen Tone schlechterdings verdorben, die Zweite, eine gebohrne Französinn, fühlte sich noch weniger dazu organisirt, und der Leibarzt zu sehr gewohnt, die meisten Dinge, wie Krankheiten zu betrachten, konnte es mit dem Zebraïsmus auch nicht anders halten.

Aber wie gesagt, das Alles wollte nicht viel bedeuten. Die Prinzessin fand alle Tage mehr Geschmack an den Zebraïaden, der Hofmarschall nahm den Morgen eine ziemliche Dosis Opium, um recht auffallend[105] rasen zu können, und der König wußte sich nicht mehr zu helfen.

Jetzt versicherte nun der Leibarzt: es sey die höchste Zeit eine ernsthafte Kur anzufangen.

»Aber welche Kur! – rief der König.

»Meiner Meinung nach – antwortete der Arzt – fürs Erste, lauter Reinigungsmittel. Sind die Kruditäten dann abgeführt; so kann man die Stärkungsmittel anwenden.«

»Hm! – sagte der König; indem er sich zu der Oberhofmeisterinn wandte – sollte es so arg seyn? – Was meinen Sie dazu Madame?«

Die Oberhofmeisterinn. Ohne im geringsten dem Herrn Leibmedicus wiedersprechen zu wollen; scheint mir doch die Krankheit der Prinzessin eine eigentliche Seelenkrankheit zu seyn. –

[106] Der Leibarzt. Richtig! richtig Ihro Gnaden! Aber eine Seelenkrankheit, die ihren Grund im Körper hat, und bey der man also zunächst auf den Körper wirken muß.

Der König. Ach wollte sie nur heurathen! In vier Wochen wäre sie kurirt.

Der Leibarzt. Eine sehr gewagte Sache! – Man hat Beispiele: daß, ohne vorhergegangene Reinigungskur, die Krankheit nach der Ehe gefährlich geworden ist. –

Der König. Nun ja! ich habe auch nichts gegen das Reinigen; wenn sie sich nur dann zum Heyrathen versteht! –

»Wie wäre es? – fiel die Oberhofmeisterinn ein – wenn Ihro Majestät sich entschlössen, einmal das benachbarte Orakel zu befragen? – Es ist nur sechs Meilen von hier, und der Oberpriester, als ein Mann von Geist, und Erfahrung bekannt.«

[107] »Ey Madame! – fuhr der König, ein abgesagter Feind aller Orakel und besonders aller Oberpriester, etwas hastig heraus – wenn wir einmal das Orakel befragen; was geht uns der Oberpriester an?« –

Die Oberhofmeisterinn. Verzeihen Ihro Majestät! ein jedes Orakel bedarf einer Auslegung, und da ist der Oberpriester eine sehr witzige Person. –

Der König. Kann seyn! kann seyn! für Leute die Freunde von Oberpriestern sind. – Wenn mir aber ein Orakel zugedacht ist; so muß es ein verständliches seyn, und ich mit allen Oberpriestern und dem Ähnlichen verschont werden!

»Was das nun gleich für ein Lärmen ist – sagte die Oberhofmeisterinn; als der König mit hochrothem Gesicht davon gegangen war.

»Ja Ihro Gnaden! – antwortete der [108] Leibarzt, indem er sich mit einem Seitenbücklinge empfahl – Wir wissen es nun einmal! mit Oberpriestern darf man ihm nicht kommen! –

»Ja! ja! – wiederholte die Oberhofmeisterinn, nachdem sie ihn mit einem altfranzösischen Reverenz entlassen hatte – wir wissen es einmal: daß ihr die Oberpriester gern überflüssig machen möchtet, damit ihr auch noch die Seelenkuren bestreiten könntet! – Aber so Gott will! soll der würdige Mann dem ganzen Unwesen ein Ende machen, und ihr werdet mit Euren Reinigungen zu Hause bleiben müssen! –

Bey diesen Worten klingelte sie ihre Kammerfrau, es wurde augenblicklich angespannt, und da grade keine Kour war; so konnte man noch, mit Hülfe der Nacht, den Oberpriester von allem unterrichten.

Der heilige Mann war innigst erfreut, [109] dem Staate, mit seinem geringen Beistande – wie er es aus Bescheidenheit nannte – einmal wieder dienen zu können, und versprach das Äußerste zu versuchen: um einen ordentlichen Orakelspruch zu Stande zu bringen.

Er wußte schon aus Erfahrung: daß der Gott einige Rücksichten auf seine Bitten zu nehmen pflegte, und daß er, aus Freude Ihro Majestät in den Schooß der Kirche wiederkehren zu sehen, dieses Mal, auch ohne Opfer, ein Übriges thun werde.

Freilich, verstand sonst der Gott, über diesen letzten Punkt, keinen Spas. Man hatte Beispiele: daß er ganze Monden lang heimtückisch – wie man es beinahe in unheiliger Sprache nennen mögte – geschwiegen, und wohl gar, besonders wenn der zum Opfer bestimmte Wein nicht von der besten Sorte gewesen war, [110] mit Blitz und Donner um sich geworfen hatte.

Diese Mittel waren nun freilich etwas stark; aber die Geschichte des Menschengeschlechts lehrt es ja: daß rohe Völker schlechterdings so geleitet werden müssen.

Der Gott kannte sein Publikum sehr genau, und wußte: daß die auf Blitz und Donner verwandten Kosten, ihm reichlich ersetzt werden würden.

Gleichwohl versicherte – wie gesagt – sein heiliger Diener: »daß er es dieses mal mit den Opfern nicht so genau nehmen werde, und daß es hauptsächlich nur auf den Glauben Ihro Majestät ankomme.«

Die Oberhofmeisterinn dagegen erwiederte mit vielem Eifer: »daß sie auf das gewissenhafteste für die Opfer gesorgt habe, und dies um so mehr, da der Glaube des Königs leider noch auf sehr schwachen[111] Füßen stehe. Sie wolle sogar rathen, der Herr Oberpriester möge sich anfangs etwas zurückziehen, bis Ihro Majestät hinlänglich vorbereitet seyn würden.

Dem heiligen Manne dieses einzureden hielt nun freylich etwas schwer. Gleichwohl schien es am besten zu seyn, seinen Eifer für das Wohl der Kirche jetzt zu mäßigen, um ihr nachher desto kräftiger dienen zu können. Es ward demnach alles zur Zufriedenheit der Oberhofmeisterinn abgeredet, und sie kam noch früh genug in die Residenz, um dem Lever der Prinzessin beiwohnen zu können.

Aber diese hatte noch bis Mitternacht in ihrem Lieblingsschriftsteller gelesen, und war heute, für uneingeweihte Ohren schlechterdings nicht verständlich. Sie sprach von der betäubenden Vorstecklilie der Erde, – so nannte der berühmte Zebra [112] den Mond – von dem zusammengelegten Weiszeuge des Himmels, und versicherte, die Mühle der Schöpfung habe an diesem herrlichen Morgen mit allen Rädern und Ströhmen gerauscht.

Die Oberhofmeisterinn sah die Kammerfrauen bedenklich an, und diese zuckten eben so bedenklich die Achseln. Der König kam dazu, und wurde nun freylich überzeugt: daß es Fälle giebt; wo man sogar die Orakel nicht verschmähen muß. Alle Anstalten wurden getroffen, und er machte sich den folgenden Tag in der Staatsequipage auf den Weg.

Schon um sechs Uhr des Morgens wurde er von dem Oberpriester auf der Zinne des Tempels erwartet. Der heilige Mann hatte so eben ein halb dutzend frische Eier verschluckt, um dem Orakel die gehörige[113] Klarheit zu geben, und probierte es jetzt aus allen Kräften.

Da er aber den König noch immer nicht gewahr wurde und so eben ein paar Bauerknaben in den Tempel laufen sah, beschloß er wieder hinunter zu steigen. Die lustigen Vögel hatten sich die Nachlässigkeit des Tempeldieners, der heute voller geschäftigen Angst alle Thüren offen lies, zu Nutze gemacht, und wollten nun zum Spas auch einmal das Orakel befragen.

Aber der Gott, oder vielmehr – welches ja einerley ist – sein Gesalbter, donnerte sie mit Hülfe der frischen Eier dermaßen nieder: daß sie sinnlos zu Boden stürzten, und sich, zu seiner innigsten Freude, erst nach einer halben Stunde wieder erhohlten.

Kaum hatte man sie an die Seite geschaft; als der König erschien und sich mit [114] einigen seiner Vertrauten dem Altar näherte. Er trug dem Gotte in wenigen Worten sein Anliegen vor, und bekam unter sechs Blitzen und sieben Donnerschlägen – der zu dem siebenten Donnerschlage gehörige Blitz wurde in der Eile vergessen – folgende Antwort:

»Die Prinzessin wird sich nur dann in den Stand der heiligen Ehe begeben; wenn sie einen Mann wider ihren Willen lieben wird

»Hm! hm! – sagte der König, indem er in den Wagen stieg – Ein wahrer Orakelspruch! – Nun, das soll mich verlangen! – Aber was wollte der Gott mit seinem Donner? – Hat man die Opfer nicht ordentlich besorgt?

»Allerdings! Ihro Majestät – erwiederte der Hofmarschall – Aber nach den Urkunden des königlichen Hauses, haben [115] Dero Vorfahren die Aussprüche des Gottes immer unter Blitz und Donner erhalten. Nur für den Pöbel ist dies ein Zeichen des göttlichen Unwillens; hier war es offenbar der größeren Feierlichkeit wegen.

»Ja! Ja! – fiel der Leibarzt ein – Ihro Majestät können nicht glauben; wie viel auf eine vernünftige Exegese ankömmt! – –

»So! So!« – antwortete der König und ging mit bedenklicher Miene in sein Kabinet. Eben so bedenklich schritt der Hofmarschall in das seinige, und wiederhohlte vor dem Spiegel die Worte: »wider ihren Willen soll sie lieben!«–

»O Gott wenn ich hoffen dürfte! – fuhr er fort, indem er mit Hülfe eines kleineren Spiegels, sein Profil etwas näher in Augenschein nahm – Aber das verdammte Opium hat mich ganz fürchterlich [116] entstellt! – Mit welcher Seelenangst habe ich mich in die Manier des Phantasten hinein gearbeitet! – Welche Nachtwachen haben mich seine Antihyperbeln gekostet! – und nun sollte das alles vergeblich seyn! – Wider ihren Willen soll sie lieben? – Wahrscheinlich einen jungen Leichtfittig, der die ganz entgegengesetzte Manier affichirt! – Ach es wird mich umbringen! den Tod werde ich davon haben!« –

Bey diesen Worten wurde die Oberhofmeisterinn gemeldet. Der alte Herr wollte mit einem Fluche antworten, der aber, da er sie schon in die Thür treten sah, sich plötzlich in lebhafte Freude über ihre Gegenwart verwandelte.

Die gute Dame war zu sehr mit der Freude des Hofes bekannt, um diese nicht gehörig würdigen zu können und eilte daher das Gespräch auf die Hauptsache zu [117] lenken. Natürlich keine Andere als der Orakelspruch. Die Oberhofmeisterinn hatte, ohngeachtet ihres nahen Antheils, nicht von der Parthie seyn können, und wünschte doch nun die näheren Umstände zu erfahren.

Alles was ihr der Hofmarschall davon mittheilte, vermehrte zusehends ihre gute Laune, und bewog sie noch denselben Abend zwey Kouriere abzuschicken.

Der Eine nahm seinen Weg grade zu dem Orakel, um einen ächt französischen spirituellen Zettel zu überbringen, worinn der Oberpriester versichert ward: er könne sich in allen göttlichen und weltlichen Dingen auf seine ergebenste Dienerinn verlassen. Der Andere wandte sich nach Frankreich, um einen der liebenswürdigsten Prinzen damaliger Zeit einzuladen.

Freilich, muß man hier das Wort liebenswürdig nicht im deutschen Sinne [118] nehmen. Es sieht bekanntlich dem aimable der Franzosen so wenig ähnlich wie unsre Unendlichkeit der Ihrigen. Da die letztere eigentlich nur im Deutschen Endlichkeit bedeutet; so möchte das französische aimable auch am richtigsten durch das Gegentheil zu übersetzen seyn. – Warum sich aber, wie man leicht denken kann, unser französische Prinz nicht viel bekümmerte.

Er hatte vor einiger Zeit das Gemälde der Prinzessin gesehen und dabey die Versicherung erhalten: das Original übertreffe bey weitem die Kopie. Neben dieser Ausserordentlichkeit erfuhr er auch noch andere; welche ihm freylich an das Unglaubliche zu gränzen schienen.

Es war nähmlich bewiesen; die Prinzessin habe bis jetzt keinen Leibkutscher, Leibpagen oderLeibkammerdiener gehabt. [119] Sie halte keinen Fa vorit hund und keine Favorit kammerfrau. Lege kein Roth auf, und habe bis auf diese Stunde noch keine Stahlkur gebraucht.

»Mit einem Worte Monseigneur! – sagte der Mahler der dem Prinzen das Gemälde präsentirte – Ich würde das Bild im nächsten Kloster für eine Madonna verkauft haben; wenn ich einen heiligen Geist hätte darüber setzen wollen.«

»Keinen heiligen Geist! – rief der Prinz – das bitte ich mir aus! – Hier ist Ihr Geld! das Gemälde bleibt hier. Wie viel Meilen, bis zum Originale?«

»Nur hundert und funfzig Monseigneur!

»Gewiß nach Norden? –

»Allerdings! das können Monseigneur schon am Kolorite sehen.« –

»Ja Ja! auch ohne dies! – erwiederte der Prinz, – zahlte dem Mahler das Geld, [120] und war jetzt, wie man leicht denken kann, auf den Kourier der Oberhofmeisterinn bestmöglichst vorbereitet.

Dieser brachte nun die Sache völlig in Richtigkeit. Es wurden sogleich ein halb dutzend Kammerdiener mehr angenommen, eine Toilette ambülante auf das schleunigste besorgt, und schon in einem Monathe war die Garderobe des Prinzen mit allem versehen, was der neueste und allerneueste Geschmack nur aufbringen konnte.

Unter diesen auserlesenen Kleidungen befand sich auch, der Vollständigkeit wegen, ein ganz modernantiker Ritteranzug. Grade als ihn der Kammerdiener mit Baumwolle und seidnem Papiere einpacken wollte, ging der Prinz durch die Garderobe, und befahl nun: man solle alles dazugehörige in einem besonderen Koffer verwahren.

»Wenn ich nicht irre – fuhr er fort – [121] so treffen wir auf unserem Wege eine feindliche Festung. Jasmin kann einmal den Helm hereinbringen! Wenn er mir gut steht; so bin ich entschlossen sie einzunehmen.«

Der Helm wurde gebracht, und stand so vortreflich; daß der erste Kammerdiener seinen erstaunten Freunden versicherte: es werde in der Festung kein Stein auf dem andern bleiben.«

Aber glücklicher, oder unglücklicher Weise hatte der Prinz eine Menge ganz anderer Abentheuer zu bestehen, und die Festung wurde vergessen. Erst vierzig Meilen weiter erinnerte man sich daran, und faßte, natürlich, nun den sehr passenden Entschluß, die Einnahme auf der Rückkehr zu besorgen.

Dessenohngeachtet kam die Ritterkleidung vortreflich zu statten. Der Prinz konnte [122] für den ersten Kourtag nichts pikanteres wählen, und beschloß nun – wie es sich von selbst versteht – den kleinen Verstoß gegen die nordische Etiquette nicht zu achten.

Wer, überdem, konnte etwas dagegen einwenden; wenn er versicherte: ein Ritteranzug sey, nach dem lezten französischen Geschmacke, zur Kour unentbehrlich? – Gesagt! gethan! in zwey Stunden war der Ritter fertig, und trat nun, zum Erstaunen des ganzen Hofes völlig gewapnet in das Prunkgemach.

Der Hofmarschall erblaßte, die Prinzessin erröthete, und der König drückte etwas verlegen die Krone ein wenig tiefer ins Gesicht. Allerdings war der Prinz, obgleich nicht überflüssig blühend, doch noch immer ein Mann der ein Mädchen zum Erröthen, und einen funfzigjährigen Hofmarschall zum Erblassen bringen konnte.

[123] Dieses war also völlig in der Ordnung; aber die Verlegenheit des Königs gründete sich wirklich auf etwas ausserordentliches. Er hatte nähmlich die ganz unkönigliche Eigenschaft, sich nicht allein für sich selbst, sondern auch für andere Leute zu schämen, und fühlte jetzt das Unschickliche der prinzlichen Kleidung sehr lebhaft.

Aber die Unterhaltung des jungen Ritters zerstreute bald alle Verlegenheit. Der König lächelte, die Prinzessin vergaß alle zebraische Floskeln, und eine Hofmaschiene nach der andern fing an gleichsam menschenähnlich sich zu bewegen.

Mit Schrecken bemerkte dies der Hofmarschall und suchte nun so schnell als möglich durch eine ächt zebraische Redensart dem Unwesen zu steuern. Aber vergeblich! – Er mußte sich, durch die Einfälle des Prinzen, seinen langen, verworrenen [124] Perioden, in so viele kleine Theile zerschneiden lassen: daß er die letzte Antihyperbel gar nicht zusammenbringen konnte. Mit wahrer Seelenangst blickte er nun nach der Prinzessin, und sah zu seiner Vernichtung ein Lächeln auf ihren Rosenlippen schweben; das offenbahr nichts anderem: als der lezten äußerst witzigen Replique des Peinzen, gelten konnte.

In der That es war unmöglich ihm die Gabe einer leichten, und im hohen Grade erheiternden Unterhaltung abzusprechen. Mit der Flüchtigkeit eines Schmetterlings eilte er von einem Gegenstande zum andern.

Nichts approfondirt! war sein Wahlspruch – und man mußte gestehen: daß er und seine Gesellschafter sich wohl dabey befanden.

Sogar von der Prinzessin schien dieses zu gelten; aber freilich schien es auch nur [125] so. – Zebra mit allen seinen Abgeschmacktheiten, gab ihr zu denken und beleidigte niemals ihr sittliches Gefühl. – Der Prinz mit aller reizenden Leichtigkeit, mit allem verführerischen Witze, lies doch eine äusserst unangenehme Leere in ihr zurück, und konnte troz allen Warnungen der Oberhofmeisterinn, seinen Lieblingszweideutigkeiten nicht entsagen. Der Triumpf dieser guten alten Dame, war also ein wenig zu voreilig gewesen. Die Prinzessin bekam einen Rückfall ärger denn alle vorhergehenden, und schien nun wirklich eines Arztes zu bedürfen.

Gleichwohl weigerte sie sich, fortwährend, irgend etwas medicinähnliches zu nehmen, und zwang dadurch den Leibarzt, ihre Kur auf eine Art zu versuchen, wogegen er sich Anfangs sehr lebhaft erklärt hatte. Ohne der Oberhofmeisterinn überflüssig [126] geneigt zu seyn, mußte er sich dennoch gestehen; ihr Einfall mit dem französischen Prinzen sey nicht so übel gewesen.

»Aber – fuhr er fort – sie haben es trotz aller Feinheit zu plump gemacht! –

Der Kontrast war zu groß! – die Franzosen haben es nie zu etwas Höherem als zum liebenswürdigthierischen bringen können. Wollen sie sich darüber erheben; so fallen sie in das eckelhaft theatralische. Auch dieser französische Held, ist doch nichts als ein liebenswürdiges Vieh. (Er war allein, und pflegte sich immer etwas stark auszudrücken) »Was Wunder daß er unserer über und über ätherischen Prinzessin nicht gefallen konnte.« –

»Halt! mit einem deutschen Prinzen müssen wir es versuchen! – Aber wo finden wir Einen? der nicht entweder von diesem französirenden oder von dem vermaledeyten [127] zebraïschen Tone angesteckt wäre.

»Immerhin mag er mit den Franzosen bekannt seyn! das wird ihn vor allem Übermenschlichen bewahren. – Aber die Engländer, und ganz besonders die Griechen und Römer muß er mir gelesen haben; damit er nicht früh oder spät in das verdammte Weinerliche verfällt.«

»Ja! ja! muß er! muß er! Ich habe gut beschrieben; wenn er nur erst gefunden wäre! – Aber nicht verzagt! wir wollen das Äußerste versuchen!

Mit diesen Worten eilte er zum Könige. Dieser, schon seit geraumer Zeit, nicht sonderlich von dem französischen Prinzen erbaut, wünschte recht sehnlich ihn gänzliche entbehren zu können, und mußte daher den Vorschlag mit vieler Freude annehmen.

»Ja! – sagte der Arzt – werden mir [128] aber Ihro Majestät Vollmacht geben; den Prinzen zu kapern, wo ich ihn finde? – Es möchte vielleicht nur an einem sehr kleinen Hofe gelingen.« –

»Immerhin! wir bedürfen eines gesunden, vernünftigen Mannes. Gleichviel ob er der Sohn eines Kaisers oder eines Königs ist.«

»Ach wir müssen vielleicht noch tiefer hinunter steigen!« –

»Auch das; wenn es nicht anders seyn kann! – Kommen Sie nur bald wieder, damit wir sehen: was wir zu hoffen haben.«

Aber der arme Äskulap konnte, nachdem er schon drey Monathe herumgeirrt war, noch immer das Gesuchte nicht finden. Oft wollte er sich schmeicheln; aber schon nach einem kurzen Aufenthalte rief er wieder »französirt! – zebraïsirt! – und mußte dann trostlos seinen Wanderstab weiter setzen.

[129] Endlich kam er an die Gränze des kleinen Fürstenthums Iy ..... und war schon zweifelhaft: ob er sich die Mühe geben solte weiter vorzudringen; als das Gespräch zweier Fremden seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Einige Fragen waren hinreichend ihn zu bestimmen, und sein Postillon erhielt Befehl zu jagen was die Pferde laufen könnten.

Der Vater – rief unser Äskulap voller Freude – über und über französirt! – Die Mutter eine Erzzebraistin und der Sohn ein wohlorganisirter junger Mann, dem beides zum Ekel ist! – Das scheint ja ganz eigentlich für uns zurecht gemacht! – Vor allen Dingen muß ich aber das Gemälde auspacken! das Übrige findet sich dann von selbst.« –

Und in der That es fand sich von selbst. [130] Der Fürst betheuerte in französischer Manier; aber freilich mit einer gräßlichen Aussprache, er finde sich unendlich beglückt, die Fürstinn gab im ächt zebraïschen dasselbe zu verstehen und der Prinz verwandte kein Auge von dem Gemälde.

»Es scheint Ihren Beifall zu haben, – sagte der Arzt, nachdem der Fürst und seine Gemahlin sich entfernt hatten.

»Das konnten Sie erwarten, – antwortete der Prinz – Aber wie ist es möglich, daß grade mir ein Glück zu Theil werde, auf welches so viele Andere Verzicht thun mußten?« –

Diese Frage hatte natürlich eine weitläuftige Erklärung des Doctors zur Folge, und der Prinz gab nun – freilich etwas tiefsinnig – Befehl die Abreise zu beschleunigen.

»Ach ich läugne es Ihnen nicht – sagte [131] er zu dem Arzte, der ihn aufheitern wollte – die Genesung der Prinzessin scheint mir an das Unmögliche zu gränzen. Schon ihr Gemälde hat mich so tief gerührt! – Wie wird ihr Anblick auf mich wirken! – Ich kenne mich! Stumm und verwirrt werde ich dastehen. »Ach wenn ich tief empfand; habe ich immer die Worte vergessen! –

»Sonderbar! – rief der Arzt – einem Mann, der dem zehnmal überlegenen Feind hoffnungsvoll entgegen ging, muß ich jetzt Muth einsprechen – da es auf die Eroberung eines weiblichen Herzens ankömmt! –

»Glauben Sie mir, antwortete der Prinz – das Eine kann sehr wohl mit dem Anderen bestehen. Ich bin leider ein Beweiß davon! – Sie sollen es sehen! ich werde mit meiner schlichten, einsilbigten Manier, dem französischen Prinzen nur zur Folie dienen.« –

[132] Aber dieses Mal hatte der bescheidne junge Mann geirrt. Der französische Prinz, nachdem er schon einen ganzen Monath lang, zu seinem eignen Erstaunen, allen Nebengalanterien entsagt, und sich allein dem Dienste der Prinzessin gewidmet hatte, fing an die ganze Angelegenheit etwas langweilig zu finden.

Zwar suchte die Oberhofmeisterinn ihn auf alle Weise zur Geduld zu ermahnen. Aber eines Morgens, als ihre Andacht kaum zur Hälfte geendigt war, stürzte der Prinz athemlos in ihr Zimmer.

»Nein Madame! – rief er, indem er sich auf das nächste Sopha warf – Das übersteigt alle meine Vorstellung! das ist um den Verstand zu verlieren!«

»Aber mein Gott Monseigneur! was ist denn vorgefallen? –

»Nein Madam! nein es ist alles vergeblich! [133] und wenn ich die Geduld eines Engels hätte! Nein ich sage Ihnen es hilft nichts! Wir müssen die Hofnung aufgeben!«

»Aber ich bitte votre Altesse wollen die Gnade haben! – Ich zittre – ich kann mich kaum aufrecht erhalten« –

»Nun Madame! – fuhr der Prinz, mit einem heftigen Sprunge vom Sopha, die eine Hand in die Seite, und die andere auf den Tisch gestemmt, fort – so frage ich Sie denn: ob Sie jemals, unter vernünftigen Menschen, etwas von Krebsscheeren der Erinnerung gehört haben?« –

»Von Krebsscheeren der Erinne rung? – –

»Ja ja! von Krebsscheeren der Erinnerung! – Ich fordre Sie auf: mir in einem einzigen französischen Schriftsteller, trotz aller Unnatürlichkeit, und Geziertheit, [134] die man ihnen hier Schuld zu geben beliebt, – ein solches eckelhaft abscheuliches Bild zu finden;« –

»Gleichwohl will die Prinzessin, aus Entzücken darüber, den Geist aufgeben. Und jetzt da ich mir die Freiheit nahm, ihrem Lieblinge, dem berühmten Zebra dafür ein wenig die Ruthe zu geben, dachte ich: sie würde mit ihren schönen Augen mich tödten.«

»Der Herr Hofmarschall schienen überdem eine doppelte Dosis Opium genommen zu haben, und wußten ihre eigentlichen Scheeren so furchtbar zu presentiren; daß ich es fürs beste hielt: mich so schnell als möglich zu beurlauben.«

»Jetzt nun erhalte ich von der Prinzessin einen Zettel, worin mir, mit äußerst beleidigenden Ausdrücken, die ganze zebraïsche Bibliothek abgefordert wird. Genug [135] Madame es ist zum rasend werden! DieseKrebsscheeren der Erinnerung geben mir den lezten Stoß! – Jetzt gleich eile ich zum Könige! War ich nicht ein Narr meine Zeit so zu verlieren!« –

Mit diesen Worten war der Prinz verschwunden, und die arme Oberhofmeisterinn blieb mit weinenden Augen zurück.

»Ach – rief sie – unser Elend ist aufs Höchste gestiegen! Wer hätte glauben sollen: daß es dahin kommen würde! – Krebsscheeren der Erinnerung!! – – Nein er hat Recht! es ist um den Verstand zu verlieren!

Voller Betrübniß fragte nun die gute Dame jedermann der ihr begegnete: ob er etwas von Krebsscheeren der Erinnerung gehört habe? – Dieser fragte dann wieder einen Anderen, und so ging es bald wie ein Lauffeuer, erst durch das Schloß, dann durch die ganze Stadt.

[136] Daher wußte nun der deutsche Prinz nicht: ob er seinen Augen und Ohren trauen sollte, als er auf jeder Straße Leute fand, die mit Händen und Füßen entweder für oder wider die Krebsscheeren der Erinnerung stritten.

Betroffen wandte er sich zu dem Arzte. Dieser aber hielt vor Lachen den kleinen Bauch mit beyden Händen und rief einmal über das Andere:

»Habe ichs nicht gesagt Ihro Durchlaucht! die ganze Stadt werde ich noch kuriren müssen? – Mit diesen Krebsscheeren der Erinnerung muß es aber doch eine ganz eigne Bewandniß haben. – Denn ich wüßte nicht: daß weder dieStimmgabel der feinsten Moralität, noch der lakirte Blumenstock der Ideen, worin die Prinzessin vor kurzem unbeschreiblich verliebt war, so viel [137] Unheil angerichtet hätten.« – Prepariren Sie sich nur auf eine gute Dosis Geduld! nach allen Umständen zu schliessen, werden Sie sie, mehr als jemals, nöthig haben. –

»Ja und was das schlimmste ist lieber Doktor! man kann diesem Zebra, bey allen auf den Kopf gestellten Hyperbeln, bey allen seinen schwülstig verworrnen Perioden, doch die Genialität, und eine äusserst zarte Gewissenhaftigkeit nicht absprechen.« –

»Ist auch nicht mein Wille Ihro Durchlaucht! Ich nehme mir die Freiheit den schiefen Hals Alexanders schief, und diejenigen Narren zu nennen, die sich das Genicke verdrehen, um wenigstens einen alexanderschen Theil vorzeigen zu können.« –

Während der Arzt diese letzten Worte sprach; tönte ihm ein durchdringendes Geschrey aus dem Schloßthore entgegen.

So weit geht unsre Handschrift. Kein [138] Wort mehr über die Ursache des Geschreys, über die Aufnahme des Prinzen, noch über die Genesung der Prinzessin.

[139]

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TextGrid Repository (2012). Fischer, Caroline Auguste. Märchen. Paridamia oder die Krebsscheeren. Paridamia oder die Krebsscheeren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7DC-B