[192] Der Koffer.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Ich: Gehen Sie nur weg; sie sind alle schwach!

Er: Keine Regel –

Ich: Alle, alle ohne Ausnahme! Ich gebe Ihnen mein Wort.

Er (ernsthaft): Meine gewiß nicht!

Ich: Ich habe nicht die Ehre, sie zu kennen. Indessen s'ist eine Frau.

Er: Aber was für eine Frau! – So ein Weib soll noch geboren werden!

Ich: Ich gratulire Ihnen! – Gleichwohl ist es nicht unmöglich –

Er: Was? Und wenn Kaiser und Könige kämen!

Ich: Soviel braucht es gar nicht. Ich zum Beispiel, Ich mache mich anheischig – Sehen Sie, ich wette tausend Thaler!

[193] Er (hitzig): Und ich setze meinen Kopf, Sie ziehen mit Scham und Schande ab.

Ich: Was hilft mir Ihr Kopf! Wenn es Ihr Ernst ist, so wetten Sie gegen mich.

Er: Sie wollen Ihr Geld verlieren, Gut, ich wette tausend Thaler!

Ich: Bon! Aber wir müssen uns auch verständigen. Wie viel Zeit wollen Sie mir dazu lassen?

Er: Wie viel Sie wollen.

Ich: Es sind zehen Meilen nach L. Zwei Tage hin, den dritten Rasttag. – Wissen Sie was, in längstens vierzehn Tagen.

Er: Desto besser! Bringen Sie mir gleich das Geld mit.

Ich: Schon gut! Aber hören Sie, noch eins!

Er: Nun?

Ich: Sie müssen Ihrer Frau schlechterdings nichts davon schreiben.

Er: Kein Wort! Hier haben Sie meine Hand darauf!

Ich: Gut, ich werde Ihnen ihren Trauring bringen.

Er: Den könnten Sie auch durch eine dritte Person bekommen.

Ich: Das ist wahr! Hat Ihr Weibchen nicht sonst eine Eigenschaft?

[194] Er: Ich vermuthe!

Ich: Nun, wenn ich Ihnen die beschreiben kann –

Er: Dann ist das Unmögliche möglich geworden, und ich habe verloren.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Allons Courage! sagte ich, als ich nach einem starken Ritte endlich in L. ankam: nur das rechte Fleckchen getroffen, sie sind alle zu haben! – Ich logirte mich in den Gasthof ein, und fieng den andern Tag meine Beobachtungen an.

Die Nachrichten waren nicht günstig, ich gestehe es. Jedermann beschrieb mir Madame als eine Einsiedlerin, und als ein Muster von Gottesfürchtigkeit. Dennoch verlor ich den Muth nicht. Wagen gewinnt! Laßt uns das ärgste probiren!

So waren beinahe acht Tage vergangen, als ich ein altes Mütterchen kennen lernte, die täglich zu Madame gieng. Ich machte sie treuherzig, ich schenkte ihr Wein und Branntwein, alles ließ sich vortrefflich an. – Wenn es möglich wäre! sagte sie endlich, und fünfzig Dukaten hoben alle Zweifel.

[195] Alles war abgeredet, ich triumphirte, und sie verschloß den Coffer. Sie wollte ihn in die Schlafkammer setzen, sagte sie lächelnd. In dem Augenblick kamen die Träger, und trugen ihn zu Madame.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Nur hierher in den Winkel! hörte ich Madame sagen. Sie setzten mich nieder, und so war ich glücklich im Hause. Freilich mußte ich einige Stunden warten, aber endlich schlug es Zehn, und das schöne Weibchen gieng schlafen.

Alle meine Augen waren am Schlüsselloche, aber ich sah nichts als ihren schönen Rücken. Jetzt löschte sie das Licht aus; jetzt hörte ich sie in das Bette steigen; sie schien zu seufzen und den Namen ihres Mannes zu nennen. Vortrefflich! dachte ich, und mein Plan war gemacht.

Es schlug eilf Uhr. Ich hatte das Schloß an meinem Koffer geöffnet, sie lag im tiefsten Schlafe. Leise stieg ich heraus, und schlich an ihr Bette. Es war heiß, sie hatte die Decke abgeworfen. Zitternd vor Wollust schlüpfte ich hinein, und legte mich neben sie.

O Joseph! rief sie auf einmal, und ihre [196] weiche Hand sank sanft in meinen Schooß herab. Sie schien zu träumen, ich beugte mich zu ihr, und küßte sie.

Jesus Maria! rief sie erschrocken, und lichtete sich im Bette auf. Wer ist da?

Ich (mit verstellter Stimme): Dein Joseph! Dein trauter Mann!

Sie (entzückt): Ach so war es kein Traum! So haben die heiligen Engel –

Ich: Auch ich träumte bei dir zu sein, und fand dich auf einmal an meiner Seite.

Sie: O heilige Mutter Gottes! Du hast mein Gebet erhört; du hast ein Wunder für deine Tochter gethan.

Ich: Ja gewiß ein Wunder, meine traute Agnes! Laß uns genießen, der Himmel selbst hat diese Nacht geheiligt!

Ich faßte sie in meine Arme, sie war Feuer und Flamme. Ein Genuß, eine Wollust! – Ihre Liebkosungen, ihre zärtlichen Namen, ihre süßen Bitten, ihre üppigen Umarmungen, alles konnte ich wieder erzählen. Alles war mir enthüllt, alles war mir erlaubt; ich umspannte die reizenden Formen ihres Körpers, und entdeckte ein kleines sammtenes Mal.

Drei entzückende Stunden waren vergangen, sie schlief vor Ermüdung ein. Leise, wie ich gekommen[197] war, schlüpfte ich wieder in meinen Koffer, und der Brautring war in meinen Händen.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Der Tag brach an, sie schien ihren Joseph zu suchen. Süßer entzückender Traum! rief sie wehmüthig. Und doch wahrer, als die Wirklichkeit selbst! Sie kleidete sich an, meine Augen schweiften noch einmal auf ihrer schönen Gestalt umher, doch bald kam die Alte zurück, den Koffer wieder abholen zu lassen.

Tausend Dank! sagte sie: tausend Dank, liebe beste Madame! Das Soldatenvolk ist wieder ausmarschirt, ohne Ihre Güte hätten sie mir Alles genommen.

Ich bezahlte sie und gieng in meinen Gasthof zurück, denn ich hatte Ruhe nöthig. Schon freute ich mich auf die lustige Scene der Erklärung, als die Thüre aufgieng, und der gute Herr selbst hineintrat.

Ich komme selbst, sagte er: meine Geschäfte sind abgethan, und so wollte ich Ihnen die Reise ersparen. Nun, habe ich nicht Recht gehabt?

Ich: Allerdings, es ist ein bildschönes Weib![198] Busen, Hüften et caetera, bis auf das kleine sammtene Mal unter der linken Brust.

Er: Was? Was? – Ich bin des Todes!

Ich: Und die süßen Diminutive, und das schöne Anschmiegen et caetera, indem ich ihm die genauesten individuellesten Details gab.

Er: O heiliger Antonio! Ich bin verrathen, ich bin ruinirt!

Ich: Sie sehen also, daß ich gewonnen habe.

Er: Ja, ja! Alles, alles! Und die Hölle auch dazu! O Weiber! O Weiber!

Ich: Es thut mir leid, aber warum nahmen Sie die Wette an. Sie mußten auf besten wissen. –

Er lief wie unsinnig im Zimmer herum, und die ganze Sache fieng an, mich zu gereuen. Da es mir indessen schien, als ob ihn die tausend Thaler am meisten schmerzten, so wollte ich ihm wenigstens einen Kummer abnehmen.

Ich bin bezahlt! sagte ich: eine solche Nacht ist wohl zehntausend Thaler werth. Aber wetten Sie in Ihrem Leben nicht wieder.

Und ich auch nicht! dachte ich, denn im Trunke beschließt man nichts als Albernheiten.

[199]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Der Koffer. Der Koffer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A804-1