Caroline de la Motte Fouqué
Resignation
Ein Roman

Erster Theil

Elise an Sophie

Der redselige Walter hat nicht zuviel gesagt. Der erwartete Gast ist wirklich auf dem Schlosse des alten Comthur angekommen. Gestern, bei unserer Rückkehr von Ihnen, sahen wir, während das Schiffchen den Strom hinabglitt, die Fenster im obern Stockwerk der Burg erleuchtet. Dort brannte seit ewigen Zeiten kein Licht.

Mein kleiner Georg, der unter dem Vorwande der Müdigkeit, sich von mir auf dem Schoos hätscheln ließ, machte mich zuerst aufmerksam darauf, denn, indem er die allerliebsten Augen bald zusammen kniff, als wollte er schlafen, bald von hunderterlei, das um ihn vorging, angeregt, sie wieder öffnete, streckte plötzlich das Händchen aus, und rief: »ein großer Stern, Mama!« Ich mußte lachen, als ich, der Richtung seiner kleinen Finger [1] folgend, den zusammengezogenen Lichtstrahl hinter den Bäumen entdeckte, und mich dabei Walters Wichtigthun, bei Erwähnung des unbekannten Fremden, erinnerte, der Gevatterinnen und Gastwirthen ein erwünschtes Räthsel sein wird, über das ich schon viele die Köpfe zusammen stecken sehe. Nun ich merke, ich, ich mache es nicht besser, als jene! Die Neugier gehört gewiß zu den Erbsünden; denn es theilen sie meist alle Men schen mit einander. Und was man gleich für Mährchen zusammen spinnt. Unten im Amthofe hat man in vorletzter Nacht eine sechsspännige Kutsche, von mehreren Leuten zu Pferde begleitet, vorbei fahren sehen. Sie nahmen die Richtung nach den Bergen zu. Höchstwahrscheinlich waren es die Schloßgäste. Denke ich nun an Georgs großen Stern und die geheimen Anstalten auf der Burg, so haben wir das intrikanteste Abentheuer von der Welt ganz in der Nähe.

Ich schreibe Ihnen das in aller Eile! theils um Recht von Ihnen zu behalten, in Bezug unsers gestrigen Streites über des Comthur bizarre Hypochondrie, theils um die Anwesenheit unsers Merkurs, des flinken Walters, zu benutzen, der stehenden Fußes zu Ihnen hinüber will, um seinen neu auf der Frankfurter Messe erhandelten Kram, vor [2] Ihnen auszulegen. Beiläufig gesagt, solche umherstreifende Hausirer sind doch bequeme Werkzeuge für den Verkehr auf dem Lande! Mit den Waaren tragen sie auch gelegentlich Bestellungen, Briefchen und diese und jene Botschaft zu ihrer Behörde. So schaffen sie Theilnehmer für Freude und Leid.

Nach dieser Lobrede auf Walters Beruf, die eigentlich ihm selbst, und dem Zufalle galt, der mir ihn gerade heute in den Weg wirft, will ich denn nun auch mit dem Bekenntnisse schließen, daß mir die Unvorsichtigkeit, so spät durch die Nacht mit dem Kinde über den Fluß gefahren zu sein, einen kleinen Verweis von Eduard zugezogen hat, der mich weniger verletzt, als ihn verstimmt, was denn immer wie Wolken an meinem Himmel vorübergeht.

Liebe Sophie, es wäre noch Manches über das rasche Umschlagen der Laune, und das Aetzende der Uebel zu sagen, die alles, am liebsten aber die Süßigkeit des Friedens wegzehrt, führte das Eine nicht zu vielem Andern, was keine Erörterung erlaubt. Leugnen kann ich mir es aber nicht, daß ein Instrument, welches den Ton nicht mehr [3] halten kann, an dem die Wirbel zu lose wurden, um die schlaffen Saiten wieder straff anzuziehen, vergeblich vor jeder Berührung bewahrt wird, die äußere Lebensluft dringt hinein und reißt disharmonische Töne heraus.

Ganz mag das mein langes Außenbleiben gestern wohl nicht entschuldigen, aber glauben Sie nur, zu manchen Zeiten kann der Wind so oder so herkommen, es giebt immer Gewitter! Nun, auf baldiges gutes Wetter! was wir auch in gewöhnlichem Sinne gebrauchen können, denn ich möchte Ihnen wohl auf morgen eine Partie auf den Burgwall, bei der Tannenhäuserin, vorschlagen. Die Frau hat eine saubere Wirthschaft, und ihre wohleingerichtete Wohnung am See ist vielfach von Gästen besucht. Bedenken Sie, den Sonnabend bin ich frei. Eduard hat Vortrag, und muß zur Stadt, wo er bis zum folgenden Tage bleibt. Also – –

Und bringen Sie mit, wen Sie werben können. Ich, meiner Seits, werde alles anordnen. Sie denken wohl, daß ich mich für die kleine Mühe reichlich durch die Unterhaltung mit der ehemaligen Schaffnerin des Comthur wieder bezahlt machen will! Merken Sie jetzt die Absicht? – Lachen Sie mich immer aus. Man lebte nur halb, [4] bekümmerte sich nicht Einer um den Andern, und gäbe es nicht Geschwätz und Geschichten.

E.


N. S.

Zur Steuer der Wahrheit kann ich das Blatt nicht ohne Commentar abschicken. Die sechsspännige Kutsche hat sich in eine offne leere Chaise, mit vier Pferden bespannt, verwandelt, welcher ein Reuter, in einiger Entfernung, folgte. Ob der nun zu der Equipage gehörte oder nicht? das steht dahin. So schrumpft meist alles zur Unbedeutenheit zusammen, was einem, Wunder wie wichtig, zur Behauptung einer abentheuerlichen Grille dünkte! Adieu, liebe Sophie!

Antwort

Für diesmal muß ich ihre Nachsicht in Anspruch nehmen, liebste Elise. Briefe einer ältern Bekannten geben mir heute und morgen zu thun, wodurch ich verhindert werde, Ihren Vorschlag anzunehmen.

Mir ist das Letztere doppelt leid, da Sie Freude davon erwarteten, und ich in Ihrer Gesellschaft immer die frohesten Stunden verlebe. Denn, [5] erlaube ich mir auch manchmal den leichten Muth, zu tadeln, der Sie, liebe, angenehme Elise, so schnell über das Hemmende im Leben wegsehen läßt, so ist es doch gerade der helle Blick, das Bequeme und Behende in Ihrem Umgange, was diesen so anziehend macht. Man kann bei Ihnen niemals an Störung oder Gefahr denken, weil Sie nicht daran glauben. Deshalb fiel mir es auch nicht eher ein, Ihre letzte Nachhausefahrt für ein Wagniß zu halten, bis Sie mich selbst daran erinnern, und ich gezwungen werde, dem verständigen Eduard Recht zu geben, und mich zu schelten, ihm diese Unruhe nicht erspart zu haben. Wie leicht wäre unser gegenseitiges Interesse vermittelt worden, hätte ich Sie, wie es Ihr Plan war, um einige Stunden früher zurückbegleitet, und die Nacht in Ihrem schönen Landhause zugebracht!

Meine beschränkte Stiftswohnung bot Ihnen nicht dieselbe Bequemlichkeit, auch durfte ich Sie nicht bei mir zurückhalten wollen.

Nun, künftig werden wir beide verständiger, und Eduard nachsichtsvoller sein.

Wissen Sie, daß ich eitel genug bin, mir einzubilden, Sie werden nun, da ich nicht daran Theil nehmen kann, die ganze Partie nach dem [6] Tannenhause für heute aufgegeben haben? Diese Voraussetzung klingt indeß schlimmer, als sie ist. Ich hänge mich nur deshalb an das Gewicht, das den Ausschlag geben soll, weil ich mit allen denen zusammen hänge, welche Sie allenfalls zu Ihrer Gesellschaft gewählt hätten, obgleich es mir unmöglich war, sie in Zeiten von den Projecten in Kenntniß zu setzen.

Da nun der Hauptzweck, die gesellige Belebung des hübschen Lustortes, wegfällt, so entschließen Sie sich vielleicht, Eduard nach der Stadt zu begleiten.

Die wenigen Stunden auf der Chaussee, leicht hingerollt, geben Ihnen weniger Beschwerde als dem armen Freunde Erleichterung, indem Sie ihm die kranke Laune tragen helfen. Denn glauben Sie zuverläßig, ist der Mißmuth schon für die Umgebungen ein Druck, so ist er eine noch weit schwerere Last für den, welcher daran trägt, sich dessen bewußt ist, und doch dem Beengenden nirgend Raum zu schaffen weiß. In einem Gespräche zu Zweien läßt man sich leichter einen Theil der herben Ergüsse gefallen. Die Freude, einem guten Menschen wohlzuthun, geht mildernd darüber hin. Man stimmt ihn unwillkührlich nach dem Tone, den man in sich bewahrt, das anfänglich Einanderwidersprechende [7] eint sich befriedigend für beide Theile. Vielleicht hatten Sie denselben Gedanken! In dem Falle erzählen Sie mir nächstens, was Sie während des kurzen städtischen Aufenthalts, den Sie immer vortrefflich zu benutzen pflegen, Interessantes sahen und hörten.

Leben Sie recht wohl, beste Elise, und vergeben Sie Ihrer Freundin, wenn Sie Ihnen diesmal weniger gefällig, als sie es wünscht, erscheint.

Elise an Sophie [1]
Elise an Sophie

Was in aller Welt haben Sie vor? Mich wollen Sie von hier entfernen, Sie selbst verstecken sich hinter Geschäfte, die Sie nicht näher bezeichnen, und von dem Schloßgaste, so wie von allem, was darauf Bezug hat, kein Wort! – Wie sonderbar! Ja, wie unnatürlich, möchte ich sagen, da Sie mich kennen, und es wissen sollten, daß ich erstaunt leicht Contrebande spüre.

Ihr Brief ist himmlisch gut, voll Geist und Wohlwollen. Aber es klingt mir alles, wie hinter einem Vorhange. Ich sehe Sie nicht, ich höre Sie blos, und deshalb üben Sie auch keine Gewalt über mich. Lassen Sie sichs nun nicht wundern, [8] daß ich von dem, was Sie von mir fordern, ohne es mir offen zu sagen, auch nicht das Geringste gethan habe. Erstlich ist Eduard in Gottes Namen allein nach der Stadt gefahren, und zweitens habe ich Milch und Früchte bei der Tannenhäuserin, ohne Sie, Eigensinnige, gegessen, und mir viel von der gesprächigen Wirthin erzählen lassen. Doch in der Hauptsache bin ich so klug wie vorher. Die Frau scheint mir durch mancherlei Erfahrungen gewitzigt, sie ist auf ihrer Huth. Ueber eine gewisse Grenze kommt man mit ihr nicht hinaus. Es unterhielt mich ungemein, wie sie meine Fragen so geschickt unterlief, und den Gegenstand von einer ganz andern Seite erfaßte. Meistens führte sie alles auf sich selbst zurück, wer sie ist, was sie leistete und noch jetzt schafft und erhält, das erfuhr ich genau. Hier standen wir denn fest, und blieben stehen. »Der Gewinn, werden Sie sagen, war nicht groß.« Freilich nicht, allein ich hatte die Familie des Amtmanns mit mir; die Frau, welche sich nur selten eine Erholung gönnt, und die Kinder eben auch nicht verwöhnen kann, sah sich in die Tage sorgenfreier Jugend versetzt, wo sie mit ihren Eltern solche Lustorte besuchen, sich putzen, frei von Geschäften bequem lustwandeln, die Natur, ohne Nebenbeziehung [9] auf Ertrag und Nutzen, bewundern durfte. Sie war so recht aus Grund der Seele froh, und sagte, was ihr in den Mund kam. Ich habe unglaublich über sie gelacht.

Zuletzt kam noch eine Schüssel mit Backwerk, bei der sich meine Raben gütlich thaten. Ich stopfte sie tüchtig, und spielte dann zu allgemeinem Entzücken blinde Kuh, Katze und Maus und den Dritten abschlagen mit ihnen.

Ich weiß nicht, ob Sie den hübschen, blumigen Wiesenplan zwischen dem See und dem Waldsaum kennen? Die herrlichen Buchen, welche diesen in drei doppelten Reihen einfassen, wölben ihr breites Blätterdach über den Rasen. Man hat hier Schatten, Schutz vor dem Winde und dem feuchten Lufthauch des Wassers. Keinen bessern Spielplatz giebt es unter der Sonne. Die Amtmännin durfte nicht zurückstehen. Auch ging sie gutwillig daran; bald gaben wir den Jungen nichts an Ausgelassenheit nach. Das nahm denn aber für mich ein beschämendes Ende. Während dem Hin- und Herlaufen hatte sich mir, unten am Kleide, der Saum abgetrennt. Ich bemerkte es nicht. Jetzt verwickelte ich mich bei einer Wendung darin. Ich wäre gefallen, hätte ich nicht kurzen Prozeß gemacht, das Stück abgerissen und dieses, mit sammt[10] dem Schuhe, um welchen der Streifen geschlungen war, von mir geworfen; ein Ausweg, der mich auf der Stelle wieder auf die Beine, jedoch um meinen Schuh brachte. Dieser war tief in das Gebüsch hineingeflogen. Ich theile dasselbe unter lautem Lachen, da steht ein fremder Mann, halb von den Zweigen verdeckt, vor mir. Er mochte hier schon eine Weile gestanden, und unser ausgelassenes Treiben mit angesehen haben. Das verdroß mich, ich that, als sehe ich ihn nicht; auch trat er sogleich zurück. Ehe ich noch zu den Uebrigen gelangte, war er verschwunden. Ich weiß von dem ganzen Menschen nichts, als daß er blau oder grün angezogen war und eine Flinte auf dem Rücken trug. Erst nachher fiel mir ein, was Ihnen, Sophie, eben auch einfällt. Sehen Sie, ich kann von hier aus in Ihren Zügen lesen, daß Sie mich ohne Worte verstehen. Sie denken wie ich, an den Schloßgast, und der war es auch ohne alle Frage, obgleich die Wirthin diesen nicht kennen will, die Sache bei Seite wirft, den vermeinten, vornehmen Fremden für einen neuen Sekretär des Comthur ausgiebt, so weiß sie doch mehr von allen dem, und glaublich ist es, daß jener bei ihr im Hause war, indeß wir uns mit ihr unterhielten. Dies mag nun sein wie es will. Solche Dazwischenkunft [11] eines Dritten unterbricht immer, und giebt andere Gedanken. Zudem waren wir müde. Die Sonne ging unter. Gerade über dem See stand die glühende Scheibe. Wir setzten uns am Ufer nieder. Es war der köstlichste Abend. Die Kinder pflückten Vergißmeinnicht und gelbe Wasserlilien. Zu unsern Füßen perlte der weiße Wellenschaum. Die kleinen Bläschen zerrannen geräuschlos zwischen Rohr und Calmus. Ich folgte mit den Augen ihrem raschen Verschwinden. Die Amtmännin war still, ja andächtig geworden. Sie saß mit gefaltenen Händen neben mir, sah in die steigende Dämmerung, und gedachte ihrer verstorbenen Eltern. Sie mochten ihr in der Dunkelheit mehr gegenwärtig sein. Sie sprach viel von ihnen. Ich hörte ihr mit Innigkeit zu. Der Vater besonders schien ihr theuer gewesen. In der Jugend begleitete er als Feldprediger sein Regiment auf manchen Zügen, und wohnte mehr als einer Schlacht bei, verlor aber sein Amt wegen einer unvorsichtigen Trauung, zu welcher er sich aus Liebe für einen jungen leidenschaftlichen Offizier verleiten ließ. Nach dem Tode des Fürsten bekam er zwar den Posten seines Schwiegervaters, an der Hofkirche, allein die übereilte Handlung, die zum Unglück des Ehepaars ausschlug, blieb ihm ein störender Vorwurf für sein Leben. Die Tochter rühmte [12] überall die große Zartheit seines Gewissens, und wußte noch mehrere rührende Züge davon anzuführen.

Anfänglich flossen ihr die Worte nicht ganz natürlich, wie das wohl bei Leuten der Fall ist, die von dem gewohnten äußern Treiben in die innere Welt zurücktreten. Ihre Sprache klang wie aus einer Putzstube heraus. Aber das währte nicht lange, Gefühle, die ihr stets vertraut blieben, rissen sie, wie alte Bekannte, mit sich fort. Ich empfand aufs neue, was nur einzig wahre Bildung giebt. Rührt der Genius die Flügel der Seele, so hebt er alle Fähigkeit des Innern mit aufwärts.

Sehen Sie, liebe Sophie, die Frau, die ich mir doch immer nur als Nothbehelf mit auf die Fahrt nahm, mußte mir so zur Erbauung dienen! Ich glaube, wir säßen noch da beisammen und plauderten, wären die Kinder nicht müde, der Abend dunkel, und die Amtmännin wegen ihres Mannes unruhig geworden.

Ich war bei meiner Nachhausekunft sehr froh, keine eheherrliche Kritik fürchten zu dürfen. Georg aß seine Suppe so vergnügt um neun als um sieben, und ich schrieb dies Alles ungestört an Sie.

[13] Hierauf werden Sie nun wohl denken, daß ich es nicht bereue, von der Fahrt nach der Stadt zurückgeblieben zu sein.

Aufrichtig gesagt, gute Sophie, versteh' ich nicht, was Sie mit dem Vorschlage wollen? Entweder Sie beabsichtigen etwas Verborgenes damit, oder Sie beweisen mir, was ich immer schon dachte, daß jedes Urtheil über Verhältnisse, zu denen man ausserhalb steht, eben so schwankend ist, wie es unmöglich wird, aus der Ferne einen Maaßstab für dasjenige zu finden, was in solchen Verhältnissen gethan oder unterlassen werden muß. Theorien abstrahiren sich wohl im Allgemeinen, aber das Leben steht nicht einen Augenblick still. Den Widerstand oder die Nachhülfe, die es auf einer Stelle fordert, verwirft es auf der andern.

Mein Gott! was hätte es dem guten Eduard in seiner momentanen Verdrossenheit geholfen, wenn ich an seiner Seite vor Staub und Hitze erstickt wäre, und ihn dadurch gezwungen hätte, auf mich zu merken? Meinen Sie, daß es ihn würde erheitert haben, mich um nichts und wieder nichts gequält zu sehen? Ganz im Gegentheil, er wäre ausser sich gerathen, hätte sich tausend Vorwürfe gemacht, sich den unglücklichsten Menschen der Erde geglaubt, und sinnreich in eigener Qual herausgefunden, [14] daß er es anfangen möge, wie er wolle, er beglücke niemand. Leute seiner Art, die an völlige Isolation und in ihren Geschäften an etwas Mechanisches gewöhnt sind, werden gleich ungeduldig, wenn sie irgend etwas Fremdes durchkreuzt.

Seit vier Jahren, daß wir verheirathet sind, habe ich den Sommer immer still hier verlebt. Eduard würde sehr frappirt über den Gedanken gewesen sein, ihn auf seiner Sonnabendsfahrt begleiten zu wollen. Das geschah nie. Warum jetzt? Fühlen Sie nicht, wie der Einsame das zum Gegenstande mißtrauender Grübeleien gemacht hätte?

Nein, Sophie, Sie heben auch nur Menschen nach vorausgesetzten Annahmen heraus. Das hindert Sie, zu sehen, was Sie sonst sehen würden.

Ich hoffe, Ihre Geschäfte sind beendet, und Sie kommen morgen, mich zu versöhnen.

Eduard an Elise

Arbeiten dringender Art zwingen mich, meinen hiesigen Aufenthalt um mehrere Tage zu verlängern. Ich ergreife eine schickliche Gelegenheit, welche sich mir in der Amtsreise unsers Justizraths [15] darbietet, Dich, liebe Elise, in Zeiten davon zu benachrichtigen. Sein Weg nach dem Schlosse des Comthur geht bei unserm Landsitze vorbei, und so paßt sich alles genau zu meinem Zwecke. Du wirst noch diesen Abend von meiner verspäteten Rückkehr unterrichtet, bevor Du im mindesten in Ungewißheit über deren Veranlassung sein kannst. Ich nehme diese Vorsichtsmaaßregeln mehr in meiner als in Deiner Seele, weil mir der Gedanke jeder Unbestimmtheit zuwider und der thätigen Wirksamkeit so überaus hemmend ist.

Auch benutze ich diese Veranlassung, Dich in ähnlichen Fällen zu derselben Aufmerksamkeit zu verpflichten. Vergebliches Warten hat immer den peinlichsten Zeitverlust zur Folge; und einmal aus dem Gleise, in dem man sich bequem fühlt, herausgerissen, werden wir zuletzt auch für das stumpf, was wir herbei wünschten, und das uns nun in einer gewissen Unordnung der Empfindungen überrascht, ohne doch zu befriedigen. Wenn es Dir schwer werden sollte, hierin meinem Beispiele zu folgen, so wird Dich viel leicht die Betrachtung williger dazu machen, daß die meisten Verdrüßlichkeiten und Mißverständnisse im Umgange, aus Mangel rücksichtlicher Beachtung der Lebensordnung herrühren, wodurch, mit der einen Störung, [16] welche Diesen oder Jenen empfindlicher als Andere trifft, zugleich eine allgemeine Erschütterung und eine ganze Kette häuslicher Unbilden hervorgeht. Mit dem Wunsche, Dich und Georg bei meiner Rückkehr wohl zu finden, umarme ich Euch beide zärtlichst.

Elise an Sophie [2]
Elise an Sophie

Können Sie sich denn keinen Augenblick abmüßigen? – Ich sitze hier in tausend Aengsten, von Gewissensbissen und Sorgen gemartert. Fort kann ich nicht, allein wird mirs zu viel, und Sie schweigen und kommen nicht.

Denken Sie nur ums Himmels Villen, die gute kleine Amtmannsfrau ist tödlich erkrankt. Erhitzung, Erkältung, Gott weiß, ob on später her oder jetzt erst veranlaßt? hat sie mit einem Fieber niedergeworfen, das selbst den Arzt für ihr Leben zittern läßt.

Gestern Abend ward ich hinüber gerufen. Die Leute wußten nichts mehr mit dem Manne anzufangen. Ich war im Augenblicke dort. Schon von aussen hörte ich die Kranke laut und hell [17] sprechen. Mir schlug das Herz, die Kniee zitterten mir, ich öffnete zögernd die Thüre.

Vorn, in der Wohnstube, saßen die ältesten Knaben und weinten still in ihrem Winkelchen. Ein allerliebstes kleines Mädchen aß in seliger Unbewußtheit unter Lachen und Kreischen die Abendsuppe. Der rüstige starke Amtmann schwankte mit gefaltenen Händen, ganz zusammengebrochen, von einer Thüre zur andern, wollte Dies und Jenes bestellen, holen, wußte nicht, was er sagte, was er that; die Augen waren ihm, von der ungewohnten Thränenfluth, wie erloschen, die Stimme bebte, unaussprechlicher Jammer sprach aus den schlaffen Zügen.

Als er mich gewahr wurde, brach er von neuem in Thränen aus. Ach! stöhnte er, meine Hand in der seinen pressend, und sie krampfhaft festhaltend! »Wer hätte das gedacht.« Es war alles, was er hervorbringen konnte. Während dem rief ihn die Kranke wiederholt. Er stürzte an ihr Bett. Sie schien unruhig. Es waren aber nur wirthschaftliche Erinnerungen, die sie zu machen hatte. In diesem Augenblick war sie gewiß besonnen. Es hatte alles Zusammenhang, und Hand und Fuß, was sie sagte. Ich näherte mich ihr. Sie bemerkte es. Ganz verständig sagte sie [18] mir guten Abend. Ich drückte blos ihre Hand, die sie mir reichte, ohne etwas zu sagen, aus Furcht, sie durch fremde Vorstellungen zu verwirren. Allein die Vorsicht war unnütz. Mein bloßer Anblick zog sie in ein Zwielicht schwankender Erinnerungen zurück. Sie lächelte, sprach von ihrem Vater, und sagte dann noch etwas, das mir recht auffiel. Es war, als rede sie vom Comthur, indem sie des Fremden auf dem Schlosse erwähnte und hinzu fügte: Jetzt bereuet er alles! was wird's helfen! der Bruder ist todt! Der junge Mensch! – – Sie warf den Kopf in die Höhe, so, als gehe sie der nicht sonderlich viel an. Hernach fragte sie etwas, das ich nicht verstand. Das ging alles durch einander. Allein jedesmal, wenn ihr die Besonnenheit zurückkehrte, war sie mit den Gedanken in ihrer Wirthschaft und den häuslichen Angelegenheiten. Sie hatte recht freundliche Worte für ihren Mann. Der Kinder gedachte sie nur, in Hinsicht ihrer Pflege und Wartung, auch Einiges zu erinnern. Verfiel sie dann wieder in Phantasien, so hatte sie eine ganz andere Sprache, erhöhte Gefühle, confuse, aber doch besondere Bilder. Es war Vater und Mutter, und eine schöne Zeit der Jugend, von der sie mit Liebe träumte.

[19] Sophie! in welcher von beiden Welten leben wir denn eigentlich? in der sichtbaren oder unsichtbaren? Wenn es gerade umgekehrt wäre, und wir hier träumten und dort wachten!

Die meisten Menschen, und wir selbst vielleicht, würden es übel nehmen, wenn man zu behaupten wagte, wir gingen wie Nachtwandler umher. Der Ernst, den wir an unsre kluge Geschäftigkeit setzen, bedeute am Ende nicht mehr, als der im Traume, worüber wir beim Erwachen so vielen Spaß haben.

Doch, was sollen die bizarren Reflexionen hier, wo die einfache Wahrnehmung so traurig ist! Wir blieben in großer Spannung über die Kranke. Es konnte nichts für sie geschehen, bis der Arzt kam. Endlich ward er herbeigeschafft. Er trat in das Haus, ohne daß der Amtmann das Herz hatte, ihm entgegen zu gehen. Ich that es an seiner Stelle. Sie wissen, ich glaube nicht leicht das Schlimmste. Ich zitterte daher nicht vor dem Ausspruche des Einzigen, der hier, mit der richtigen Einsicht, auch Hülfe bringen konnte. Ich beeilte mich nur, dem Manne, der mir übrigens fremd, und hier in der Familie nur wenig bekannt war, eine allgemeine Uebersicht von dem vorliegenden Falle zu verschaffen. Er hörte [20] mehr höflich als beachtend zu, zeigte sich eilig, nahm von allem Aeusserlichen obenhin Notiz, und flößte mir eher Mißtrauen als Glauben an seine Fähigkeit ein. Ich wandte mich daher ab, als er sich dem Bette der Kranken nahte. Des Amtmanns ganze Seele hing indeß an seinen Blicken. Auch die armen Kinder standen lauschend in der Thüre. Es war indeß auf dem, plötzlich ganz Auge und Ohr gewordenen Gesichte des Arztes, nichts als fortgesetztes Forschen, aber keine Spur eines Urtheils zu lesen.

Mit demselben Ausdrucke in der Miene stand er jetzt von seinem Platze, an dem Krankenbette, auf, indem er sehr bestimmt sagte: »Nun, ich werde etwas verordnen;« worauf er Feder, Dinte und Papier forderte, rasch zwei Worte aufschrieb, und einen reitenden Boten nach der Stadt sandte, dem er Eile empfahl.

Niemand befragte ihn. Er verstand das. »Ich kann nichts entscheiden,« äusserte er nach einer stummen Pause. Für die kurze Zeit der Krankheit hat sich das Uebel so sehr ausgebildet, daß man nicht wissen kann, ob es schon ganz da, oder nur der Vorläufer von etwas ist, das noch dahinter steckt. Er ging von nun an sogleich zu Fragen und Erkundigungen über, und sah es jetzt [21] recht gern, daß ich im Stande war, ihm gehörige Auskunft zu geben.

Seine Art fing an, mir zu gefallen. Erst wollte er sehen und dann hören, was ihm nöthig dünkte, um weiter vorzudringen. Mein rasches Entgegenfahren war ihm unbequem. Er hatte recht. Es half ihm zu nichts.

Ich gewinne leicht Achtung für Leute, die ihre eigene Art haben und behaupten. Deshalb ward ich auch hier ruhiger, und tröstete die Familie, die des Doctors Zurückhaltung peinigend drückte.

Die Nacht ging auf diese Art hin. Die Kinder schliefen endlich ein. Am Morgen fanden sich unwillkührlich alle Gemüther mehr im Gleichgewicht. Man hoffte nichts Bestimmtes, aber das Gefürchtete stand doch ferner.

Es ist ohngefähr noch so. Indeß fühle ich dem Arzt an, er greift behutsam, aber unbefriedigt nach dem unsichtbaren Faden durch dies Labyrinth. Wenn die Frau stürbe! Mein Gott! die Kinder, der Mann! – Sophie, es ist doch etwas sehr Tiefsinniges um Familienbande. Welch geheimnißvoller Verein! Und was heilt den Riß, den hier der Tod machen kann! Das Leben? – Ja, es gleicht äußerlich alles aus, aber die[22] Kinder ohne die Mutter! Die Welt ist nicht reich genug, die Lücke zu füllen.

Ein ganzer Tag und eine Nacht ist wieder vorüber. Wir stehen auf dem alten Fleck.

Mir ist so beklommen, als läge ein Fels auf meiner Brust.

Was daraus werden wird!

Der Arzt ist jetzt in der Stadt. Er kommt erst spät Abends.

Ich bin unaufhörlich auf den Beinen, entweder hinunter nach dem Amthofe oder hierher zurückzugehen. Deshalb flüchte ich mich auch nur auf Momente mit der Feder zu Ihnen. Ich thäte es gern mit Leib und Seele. Allein, fort kann ich nicht von hier, so sehr mich auch alles preßt und klemmt. Ich hielte es nicht in der Ungewißheit anderwärts aus. Die Familie ist zu unglücklich.

Walter war eben hier. Er kam von Ihnen. Ist es wahr, was er behauptet? Sie verreisen? Ihre Leute haben es ihm anvertraut, und Sie selbst es angedeutet, indem Sie grauen Taffet zu einem Staubmantel, und einen grünen Schleier von ihm kauften.

[23] Was gehen Sie denn für Umwege mit mir, Sophie? Ein Fremder war bei Ihnen. Ein junger, feiner Herr, wie Walter versichert. Im Hause wußte man seinen Namen nicht. Wenn es der wäre, den ich meine.

Es ist mehr als wahrscheinlich. Ihr plötzliches Verstummen und Abwehren führt auf seltsame Schlüsse.

Leben Sie wohl! Ich bin betrübt und verdrüßlich, seit Sie die Geheimnißvolle gegen mich spielen.

Antwort [1]
Antwort

Ziehen Sie keine voreilige Schlüsse, liebste Elise. Denken Sie auch nicht, ich wähle verborgene Wege, um Ihnen zu entgehen.

Bei Ihrer Billigkeit, Ihrer freien, natürlichen Weise, braucht es nichts, als das offene Geständniß, daß ich etwas zu verschweigen habe, was mir von Freunden anvertraut ward, die meine Theilnahme wie meinen Beistand in Anspruch nehmen.

Sie sind gewiß weit entfernt, nach fremdem Eigenthum Verlangen zu tragen; aus demselben [24] Grunde würden Sie auch die Erste sein, eine Mittheilung zu wünschen, die ich Ihnen nur auf Kosten Anderer machen könnte.

Lassen Sie sich nicht darnach verlangen, meine Liebe! Es ist eine verjährte, abgestorbene Geschichte, in die, wie ich fürchte, niemals sonderlich viel gesundes Leben hineinzubringen sein wird.

Das Schlimmste ist, ich sehe mich genöthigt, eine beschwerliche Reise zu machen, zu der ich in keiner Art vorbereitet bin, und die mir jetzt doppelt unwillkommen ist, weil ich Sie, liebste Elise, in trüber Bedrängniß zurück lasse.

Leider hege ich keine Hoffnung zur Wiederherstellung der guten Kranken. Der Arzt hat sich andern Orts weniger zurückhaltend gezeigt. Sein Ausspruch ist eben nicht tröstlich. Es herrschen bösartige Fieber in der Gegend, und er fürchtet, hier ein Opfer daran fallen zu sehen.

Sein Sie um alles in der Welt auf Ihrer Huth, liebe Elise! Solche Krankheiten theilen sich den Umstehenden mit. Sie sind so erregbar, so selbstvergessend, und bereit, fremde Lasten auf sich zu nehmen. Sie werden als Pflegerin weit mehr thun, wie Sie sollten, und die Gefahr wird sich gegen Sie kehren. Bedenken Sie Eduard und den Engel Georg. Tausendmal umarme ich [25] das liebe Kind. O vergessen Sie es nicht, daß Sie seine Mutter sind, und sein kleines Leben genau mit dem Ihrigen zusammenhängt.

Ich bitte Gott, Sie beide in seinen Schutz zu nehmen. Mein Herz ist schwer, Elise! Ich reise recht ungern von hier fort. Sein Sie vorsichtig, liebe, liebe, schöne Seele! Weiß der Himmel, ich fürchte immer so viel für Sie.

Ist es, weil ich Ihnen zu sehr ergeben bin? oder stehen Sie wirklich zu sorglos, zu unbewaffnet in der Welt.

Aber Sie können nicht anders! Das ist eben meine Angst.

Nun, Ihr guter Engel verlasse Sie nicht.

Elise an Sophie [3]
Elise an Sophie

Warum Sie nicht dennoch auf einen Augenblick herüber kommen, um Abschied von mir zu nehmen, das liegt am Tage. Sie fürchteten, trotz aller schönen Worte, mich unbescheiden zu finden, und wollten Ihr Geheimniß keiner Gefahr aussetzen. Ach! Sie hätten immer kommen können. Ich bin nicht begierig, das Verborgene zu enthüllen. Wie vieles ist doch über den Menschen [26] verhängt, wovon er keine Ahndung hat. Diese Familie! – vor acht Tagen noch so glücklich, und nun – Ja, es ist vorbei! Sie ist todt! Ich habe sie in den letzten Tagen nicht mehr gesehen. Seit Eduard wieder hier ist, durfte ich nicht das Haus verlassen. Er mag recht haben, nach seiner Art. Ich hatte es nach der meinigen auch. Es ist wahr, die Krankheit theilt sich mit. Die Magd und der älteste Knabe klagen sich seitdem auch.

Wir sollten erst alle nach der Stadt zurück. Allein, dort ist es noch viel schlimmer, die große Hitze hat da mehr als eine Gattung von Uebeln erzeugt. Kinder und Erwachsene sind dort gleich bedroht.

Zu meinem Trost hat der Arzt entschieden, daß nur das Leben in freier Luft ein Gegenmittel gegen Ansteckung sei.

Seitdem treibt mich Eduard schon früh am Morgen zu Fuß oder zu Wagen mit Georg hinaus. Ich lasse mich auch nicht lange dazu nöthigen. Mir ist wohler im Freien. Sonst fühle ich mich matt, und so betrübt, daß ich noch zur Zeit an nichts in der Welt Theil nehmen kann.

Die schönen Buchen am See zogen mich [27] zuerst in ihre Schatten. Hier suchte ich die letzten Spuren der Verstorbenen. Wie ich die dunklen Reihen der Bäume entlang ging, glaubte ich die leise, etwas schüchterne Frau, mit ihren kurzen, eiligen Schritten neben mir gehen zu hören. Ich stand still und sah betrübt umher. »Weißt du wohl?« sagte Georg, indem er wichtig mit dem Köpfchen nickte. Er machte eine so gerührte Miene dazu, daß ich mich der Thränen nicht enthalten konnte. Nun fing er auch an zu weinen. Ich suchte gar nicht ihn zu beruhigen. Warum soll er nicht frühe das Traurige traurig nehmen. Man findet sich nur zu leicht darin.

Nach einer Weile tröstete er sich ganz von selbst. Er sprang umher, machte die erste beste Gerte zum Reitpferd, und sagte nur noch einmal, während er sein hölzernes Pferdchen anhielt, und flüchtige Erinnerungen in sich zusammen suchte: »Hier haben wir so hübsch gespielt!«

Diese Betrachtung hinderte ihn aber nicht, gleich wieder recht hübsch zu spielen; das Vergangene war nun vergangen!

Wir machen es Alle nicht anders, liebe Sophie. Kinder sind kleine Menschen. Der ganze Unterschied zwischen ihnen und den größern [28] liegt im Bewußtsein der Wandelbarkeit des Innern und der Schaam darüber.

Warum schämen wir uns aber? Da das Festhalten der Gefühle uns doch nur elend macht. Denken Sie selbst, was käme dabei heraus, wollte man bei dem verweilen, was Einem völlig mit der Gegenwart entzweien müßte? In den meisten Fällen ist es besser,mit dem Leben zu gehen, als stehen zu bleiben, und seinen Lauf anzuhalten.

Und denn, wie jeder kann!

Es ist wahr, wir ärgern uns, wenn gewisse, mit der Seele eins geglaubte Stimmungen uns plötzlich verklungen scheinen, und oft kein Ton mehr davon zu finden ist. Ich glaube, wir verwechseln den Beruf zur Ewigkeit, mit der Fähigkeit des Herzens, ihr schon diesseits angehören zu können.

Aus der einen Täuschung, welche fortgeerbter Wahn heilig spricht, geht das ganze Heer gezierter Selbstbetrügereien hervor, die das wahre Gefühl mehr entweihen als in Ehren halten.

Ich war erst böse, als ich gestern den Amtmann zu Pferde bei seinen Arbeitern sah. Ich hatte unrecht. Das Leben tritt nach jeder Unterbrechung wieder in seine alte Ordnung. Man muß da mit hinein.

[29]

So lange ein Gefürchtetes noch dunkel herannaht, stehen wir in lähmender Spannung auf der Folter der Angst, unfähig etwas Anderes zu empfinden. Ist der Schlag geschehen, so fallen wir entweder mit, oder wir werfen einen wehmüthigen Blick in den Abgrund, der das Liebste verschlang, verschütten ihn, und säen in der aufgelockerten Erde neue Saaten.

Georgs Wünschelruthe hilft einem Jeden über die Trauer hinaus. Irgend wo schlägt sie immer ein, wo man Gold, oder doch diesem ähnliches Metall findet.

Mir ist, Sophie, als schüttelten Sie hier zweifelhaft den Kopf. Sie freilich wollen es nicht Wort haben, daß man verschmerzen könne, was das Herz brach. Nun, und dennoch gehen Sie ihren Weg wie alle Menschen, und haben noch überdies etwas, das Sie stets auf das Angenehmste begleitet. Sehen Sie, so verwandelt sich alles, auch der Kummer in sich selbst, und nimmt von der Farbe und dem Lichte der Welt, in der wir leben, unwillkührlich mehr und mehr an. Wir schaffen uns das Verlorne noch einmal, und söhnen uns auf diese Weise mit dem Geschiedenen aus.

[30] Ich lasse diese Blätter unabgeschickt liegen. Sie enthalten zur Zeit wenig, das der Mühe verlohnte, sie einen weiten Weg machen zu lassen. Ich bin gewöhnt, jeden flüchtigen Gedanken zu Ihnen hinüber zu schicken; ich bin jetzt so allein, – Sie fehlen mir an jeder Stelle, ich schreibe also, wie ich schreiben würde, wären Sie in Ihrem Stift, oder wie ich Ihnen gegenüber sprechen würde.

Mit dem Letztern ist es indeß doch etwas anders. Es schreibt niemand wie er redet; schon deshalb nicht, weil das Alleinsprechen eine weit besonnenere Verbindung der Sätze, ja, eine consequentere Gedanken-und Wortfolge heischt, als die mündliche Mittheilung, welche unwillkührlicher und schöpferischer ihre lose Fäden auf gut Glück auswirft, und ein Ganzes, mehr durch die Harmonie des Zusammenklingens, als durch Entwickelung und Abrundung des Einzelnen hervorbringt.

Mein Gott! Sophie, wie gelehrt klingt das! – Ich glaube, das Alleinsein taugt mir nicht. Ich werde eine ganz andere Person. So grübelnd und motivirend. Versicherte mich der Arzt nicht, ich sei gesund, so würde ich mich krank glauben. Es ist mir viel schwerer als sonst. [31] Man sagt von gewissen Gegenden und Orten, sie hätten Einfluß auf die Gemüthsstimmung. Fast möchte ich denken, das Plätzchen unten am See, in dem melancholischen Schatten der Buchen, so voll dunkeln, geheimen Lebens, rege allzu ernste Gedanken in mir auf. Ich horche Stunden lang auf das sonderbare Rauschen über mir in dem hohen Blätterdach, und sehe die grau gestreiften Wellen in immer tieferm Farbenton zwischen den Bäumen hinfließen, ohne daß ich Lust hätte, andere Gesellschaft, als die der einsamen Natur, aufzusuchen. So etwas ist mir fremd. Ich bin nicht für sentimentale Spiele der Einbildungskraft. Sie entzweien mit der Wirklichkeit. Auch scheue ich das wehmüthige Dämmerlicht, was sie den Gegenständen zurücklassen. Und dennoch übt der Platz unwiderstehliche Gewalt über mich aus. Ich werde ihn meiden müssen. Mir taugt das allzu tiefe Hineinsehen in die Verknüpfungen des Daseins nicht. Man sieht doch nur bis auf einen gewissen Punkt, und wird unsicher.

Ueberdies bin ich dort nicht mehr völlig allein. Ich habe, glaube ich, vergessen, Ihnen zu sagen, daß der Fremde zuweilen hier umher streift. Entweder er fährt in einem kleinen Kahne pfeilschnell vorüber, oder seine Gestalt erschreckt mich plötzlich [32] zwischen der Umbüschung am Ufer. Die Eile, mit welcher er sich entfernt, scheint seine unberufene Dazwischenkunft entschuldigen zu sollen, indeß fällt mir die Störung immer unbequem; um so mehr, da Georg jedesmal ganz verschüchtert zu mir gelaufen kommt, und mich mit Fragen quält, wer der unartige Mann sei, der so nahe an das Wasser gehe?

Ob ich denselben auch nie anders als aus einer gewissen Ferne sah, so scheint er mir doch für einen gewöhnlichen Sekretär oder Geschäftsführer eine allzu edle Haltung zu haben, ja, eine zu vornehme Art, die Dinge anzufassen und zu nehmen. So steht er oft so auf gewisse Weise hoch und gebieterisch, die Arme über einander geschlagen, den Kopf gehoben, in dem Kahn, wenn er diesen, durch ein Paar gewaltsame Ruderschläge, in das Getriebe der Fluth gebracht hat, und ihn nun läßig auf dieser fortschwimmen läßt. Die Arme liegen auf dem ruhenden Holze, das er wie einen Stab gegen den Boden des Schiffchens gestemmt, aufwärts hält, als gebiete er den Wellen.

Neulich hatte er im Vorüberfahren, auf solche Weise stehend, das Ruder weggeworfen, und die Jagdflinte auf einen Zug Wasservögel angelegt. [33] Er drückte indeß nicht ab. Auch sah ich ihn das Gewehr bei Seite legen. Vielleicht hatte er das Kind bemerkt, und wollte es nicht erschrecken. Ich nahm bei dieser Gelegenheit indeß wahr, daß er das Weidwerk weder wie ein Laie noch wie ein Mann von Metier trieb, vielmehr den Anstand vornehmer Spielerei dabei entwickelte. Und trotz alledem, wird es doch wohl mit dem subordinirten Sekretärposten seine Richtigkeit haben. Er kennt seine Stellung, und sucht mit Leuten gleichen Standes Bekanntschaft zu machen. Den Tag nach der Beerdigung der Amtmännin kam er spät Abends, der Familie einen Besuch zu machen. Er trat unerwartet ins Haus, klopfte an die erste beste Thüre, und eilte, als der betrübte Hausherr sein gastliches »Herein« gesprochen hatte, mit so bekümmerter Miene auf diesen zu, als habe er eine nahe Anverwandtin in der Todten zu beweinen. Ich bin hier fremd, sagte er, indem er des Amtmanns Hand ergriff, und sie schüttelte, aber ich habe von Ihrem Unglück gehört und kann Ihnen meine Theilnahme nicht länger verbergen.

Er schwieg darauf, ohne weiter etwas über sich, seinen Namen, Stand und Aufenthalt hinzuzusetzen. Der Amtmann bat ihn, niederzusitzen. [34] Er lehnte es höflich ab. Seine Augen suchten die Kinder. Der älteste Knabe war nur gegenwärtig. Er legte ihm die Hand, mit dem Ausdruck zärtlichen Mitleids auf den krausen Lockenkopf, und sah ihm eine Weile schweigend, aber tief in die Augen. Gleicht er der Mutter? fragte er darauf. Der Vater schüttelte den Kopf. Hervorstürzende Thränen hinderten ihn, sogleich Worte zu finden.

»Sie war die Tochter des Hofpredigers S–? hub der Fremde nach einer Weile an. Ich bin dem Manne viel schuldig,« setzte er hinzu. Um seine Lippen zuckte es schmerzlich. Er zog die Hand von des Kindes Stirne zurück, und ging einigemal in sichtbarer Bewegung auf und ab. Sein ganzes Wesen, wie auffallend auch immer sein Erscheinen sein mochte, drückte tiefsinnigen Ernst und weiches Mitempfinden aus.

Wie er gekommen war, so ging er. Unvorbereitet, schnell. Er war fort, ehe man es dachte. »Nun, wir sehen uns bald wieder,« sagte er, leichthin grüßend. Und damit war er zur Stube hinaus.

Ich weiß dies Alles von unserm Arzt, der unter die Zahl meiner Freunde gehört, und mich oft besucht. Er war bei dem seltsamen Auftritte zugegen, [35] und konnte mir den Unbekannten nicht interessant genug beschreiben.

Sophie, das Prädicat als Sekretär thut ihm doch einigen Schaden bei mir. Dies klingt schlimmer als es ist. Denn, wahr bleibt es einmal, was hat man von der Nachbarschaft eines Menschen, der nie zu unserer Gesellschaft gehören wird. So lieb mir der Arzt ist, so fatal wird mir ein gewisser lauter und roher Justizrath, der mit Eduard Geschäfte hat, und mich sehr langweilt. Der Mensch giebt so viel zu verstehen, und plaudert so gern aus der Schule, daß ich ihm, fast wider meinen Willen, aus dem Wege gehen muß, um nur keinen Antheil an einer Indiscretion zu haben, die Eduard weder ihm noch mir verzeihen würde. Gewiß aber ist es, er hat die Hände mit im Spiele, was auf des Comthurs Heerde geschmiedet wird.

Nun werde ich bald mehr erfahren. Die Gräfin kommt mit ihrer Familie aus dem Bade zurück, und bezieht noch für die Sommermonate ihren Landsitz. Die gewandte Frau weiß sicher in vier und zwanzig Stunden mehr von dem, was hier vorgeht, als wir in einem halben Jahre.

[36]
Hugo an Heinrich

Ich bin hier im Schlosse des Oheims. Das erschöpft eigentlich alles, was ich Dir Interessantes von meinen gegenwärtigen Verhältnissen sagen kann, lieber Heinrich, denn es liegt zugleich die Feststellung eines dieser Verhältnisse überhaupt darin. Da es nun einmal dahin gekommen ist, so mag es darum sein. Mir lag niemals sonderlich viel daran. Ich hätte mir auch so durchgeholfen, und wäre freier geblieben.

Der alte Herr ist ein wunderlicher Heiliger. Er steckt so voll Vorurtheilen und verbrauchter Ansichten, daß es schwer hält, bis zu dem eigentlichen Kern in ihn zu dringen. Dieser ist gut, so viel ich davon entdecken konnte; aber die kleinen Poliermesser moralischer Spitzfindigkeiten haben auch schon erschrecklich daran genagt.

Glaubst Du, daß ihm sein früheres Verfahren leid ist? Ganz im Gegentheil! Er thut sich etwas darauf zu gut.

Sieh, solch ein Sclave ist das Gewissen! Es trägt die Livree jeder modernen Grille, die den augenblicklichen Herrn über unsere gesunden Gefühle spielt!

Uebrigens, einmal so ausstaffirt von der Zeit, in der ihm seine Rolle überkam, nimmt [37] sich der Comthur in dem steifen Prunk vornehmer Grundsätze weder lächerlich noch dürftig aus. Er imponirt und zieht, wegen der unverkennbaren Wahrheit einer zweiten, angebildeten und angewöhnten Natur, wie ein Räthsel, aus dem man klug werden möchte, jedweden an. Was würde deine psychologische Spurkraft hier nicht alles von Originalität und bizarren Elementar-Mischungen träumen.

Ich, für meinen Theil, hege einen andern Glauben. Originell ist in solchem Wirrwarr nichts. Das sind unverdaute Brocken schlecht gehandhabter Weisheit, die das Leben so lange beschweren, bis dieses sie wieder auswirft.

Grundsätze sind nur dann originell, wenn sie durch starke, eigenthümlich herrschende Gefühle erzeugt, eine Rechtfertigung derselben werden. Was die ganze übrige Welt verwirft, findet in der anders gestellten Ueberzeugung Schutz, und deshalb wird diese so trotzig und unbeugsam.

Wenn die sturmgepeitschten Wogen das Schiff krachend gegen ein Eiland werfen, so betrachtet sich die gerettete Mannschaft als Herr des gleichsam eroberten Bodens, und gründet nach eigenen Gesetzen ein neues Reich, eine neue [38] Heimath, welcher Noth und Willkühr den Zauber der ursprünglichen leihen müssen.

Ohne Umsprung des Geschicks, ohne Gewitter der Leidenschaft, zerfällt Niemand mit der Ordnung der Natur.

Aus diesem Quell entspringen aber nur sehr selten Abweichungen. Es giebt so selten starke Gefühle, wie starke Menschen. Das Geschick der Meisten gleicht sich auf ein Haar. Dadurch kommt nichts Neues in das Leben. Es ist immer das Alte, das nur dann überrascht, wenn es um ein Jahrzehend zurück, den vergessenen Rock zwischen einem modernen Costüm blicken läßt. Da ist es alt!

Der arme Comthur ist übrigens in den verwachsenen Kleidern auch nicht auf Rosen gegangen. Es ist nicht leicht, das Unnatürliche mit sich selbst in Uebereinstimmung zu bringen. Der Mann weiß heute zur Stunde noch nicht, was er auch sagen mag, ob er recht oder unrecht daran gethan hat, den Bruder aus der väterlichen Erbfolge auszuschließen. Deshalb mein Besuch hier.

Mir ist die ganze Geschichte fatal. Ohne dies Verhältniß zu Emma und die unruhige Geschäftigkeit ihrer Mutter, die sehr geschickt die [39] Muße und den Verstand einer Stiftsdame zu ihren Zwecken benutzte, wäre es niemals dahin gekommen.

Noch einmal, ich bin hier! und werde der Erbe eines reichen Mannes auf Kosten entfernter Vettern, die gewiß eine andere Rechnung gemacht hatten.

Meine Ankunft, wie mein Aufenthalt, ruht eben dieser Vettern wegen unter einer Art geheimnißvollem Schleier. Ich zog in der Nacht hier ein. Den Wagen, der mir entgegen geschickt wurde, benutzte ich nicht. Ich blieb zu Pferde und ritt bescheiden hinter des Oheims Equipage. So ist auch ungefähr mein Benehmen geblieben. Das heißt, ich stelle nichts vor und lasse mich vorstellen.

Unsere erste Zusammenkunft war von beiden Theilen steif. Das konnte nicht anders sein. Der Comthur ist von Natur ein wenig allzu hoch, für einen Sinn, wie der meinige. Ich bin immer ich selbst. Wir fanden uns gegenseitig nicht besonders befriedigt. Indeß hege ich niemals Groll gegen einen Menschen. Meine Brust hat keinen Raum für ein rein gehässiges Gefühl. Und Gründe, es zu erzeugen, fallen stets durch ruhige Betrachtung des Zusammenhangs feindlicher Verhältnisse, [40] in Nichts zusammen. Ich sehe die Dinge wie sie sind. Damit hat in der Regel die Critik ein Ende. Ich bin fertig in mir, und lasse es gut sein.

Diese ruhige Stimmung macht mich unbefangen. Ich streite nicht mit dem alten Manne. Wir nähern uns durch Gewohnheit.

An Emma habe ich geschrieben. Das vermittelnde Stiftsfräulein ist zu ihrer Mutter gereis't. An dem ganzen Gewebe fehlt nichts mehr, als daß es aufgerollt wird. Der Comthur hat schon Hand daran gelegt, und ich bin nun mit meinem Geschick am Ziele.

Das wäre ja wohl ungefähr das Wesentliche, was ich von mir zu melden hätte! Historisch betrachtet, ganz erstaunt viel! Für mich selbst, unglaublich wenig. Ich kann Dir nicht sagen, wie lächerlich mir zuweilen all die Anstalten für das Leben erscheinen. Dies selbst geht darüber hin. Das Lästige bleibt auf den Schultern liegen. Der unbefangene Genuß verflog, ehe man ihn kennen durfte.

Ich wünsche Dir Glück zu Deiner Freiheit. Halte sie in Ehren. Verschleudre sie um kein Schaugericht. Man wird nicht satt davon.

[41]
Elise an Sophie [4]
Elise an Sophie

Ihr Geheimniß ist am Tage. Es verlohnte nicht der Mühe, die Maske anzulegen. Eine Heirath bringt man auch wohl sonst zu Stande. War der Roman seinem Ende so nahe, wozu die Aufmerksamkeit, durch den Schein des Besondern, auf höchst gewöhnliche Verhältnisse lenken? Es hat mich verdrossen, daß ich mich anführen ließ. Zuletzt lachte mich die Gräfin, mit ihrer gewöhnlichen guten Laune, darüber aus. Ich lache mit; eigentlich ist es mir aber nicht so ums Herz.

Sie hat richtig, wie ich's dachte, den ganzen Zusammenhang ausgespürt.

Vorigen Sonnabend ging ich Nachmittags mit Georg den Weg nach der Stadt, Eduard entgegen, der früher als sonst von dort zurückzukommen gedachte.

Es währte auch nicht lange, so entdeckten wir in der Ferne einen Wagen, der auf uns zukam. Ich setzte mich mit dem Kinde auf die Steinbank, seitwärts unter den Kastanien, nieder. In einer Wolke von Staub gehüllt, rasselte die offene Chaise heran. Allein, statt Eduards grauem Reisemantel und lederner Schirmmütze, leuchteten mir so viel bunte Bänder, flatternde Swahls [42] und modische Sommerhüte entgegen, daß ich nicht länger an meinen ehrbaren Präsidenten in seiner preoccupirten Vortragslaune denken konnte, sondern neugierig den Vorüberfliegenden nachsah, die sich weit aus dem Schlage herauslegten, und mich in ihren lebhaften Begrüßungen, meine Nachbarinnen erkennen ließen.

Ich mußte lachen, wie diese Leute die Residenz mit allem modischen Zwange auf jedem Fleck der Erde, auf Reisen, wie in das freie Landleben hinter sich her schleppen. Indeß flimmerten die bunten Schmetterlingsflügel doch ganz lustig an dem melancholischen Abendhimmel vorüber, und mit einer Art von Freude, fühlte ich, durch ihre Nähe, meine Einsamkeit unterbrochen.

Am folgenden Morgen erhielt ich denn auch schon von der Hand der Gräfin in zwei eben so flüchtigen als verbindlichen Zeilen, die Anzeige ihrer Rückkehr, und das Versprechen ihres nahen Besuchs. Ich kam diesem zuvor, und war gestern in dem grünen Ulmenstein, wo alles lacht, der Garten mit seinen hellen Teichen, das Schloß, die moderne Einrichtung, die eleganten Besitzer, die flinke Dienerschaft, bis auf den Papagey im Messingbauer auf der Terrasse.

[43] Die Gräfin war entzückt über die allerliebste Leichtigkeit, wie sie sich ausdrückte, mit der ich Rücksichten bei Seite zu schieben und Verhältnisse nach Gefallen zu handhaben wisse. »Sie beschämen und ehren mich zugleich, sagte sie, denn indem sie mich aufsuchen, lassen sie mich mit meinem Unrecht ihre Nachsicht empfinden, die nur den schmeichelhaften Grund freundschaftlicher Vorliebe haben kann, und sie zum Engel und mich zu ihrer Sclavin macht.«

Ich kenne ihre extravagante Art, sich auszudrücken. Sie gehört zu ihr. Gehe ich auch nicht in den Ton ein, so verstehen wir einander vielleicht darum um so besser. Sie weiß, wie ich's nehme, und ich, wie sie es giebt.

Als sie mein einfaches, percale Kleid und den Strohhut mit gelbem Bande, wie ich beides Tag für Tag auf dem Lande trage, reizend genannt, den Fall der Locken, den Schnitt der Halskrause durch alle Prädicate gelobt hatte, gab ich ihr für so viel unverdienten Beifall, durch das ungeheuchelte Erstaunen über die vortheilhafte Veränderung ihrer beiden Töchter, meinen Dank zu erkennen.

In der That hätte ich es für unmöglich gehalten, daß einzig der Wechsel äußerer Beziehungen, in einem Zeitraume von zwei Monaten [44] diese Umwandlung hervorbringen könnte. Ich mußte mir jetzt die bleichen, nüchternen Gesichtchen zurückrufen, die so lang und so unbedeutend zwischen dem gescheitelten hellen Haar hervor sahen, die so characterlos schienen, daß ich immer Eins mit dem Andern verwechselte. Zwei ganz andere Personen standen in der frischen Toilette, den reich und modisch geordneten Locken, in dem besondern Hauch, warm zurückstrahlender Lebensverhältnisse, frei und gefällig vor mir. Die schüchtern gesenkten Augen hoben sich lachend aufwärts. Es spiegelte sich Bewußtsein und Erwartung darin. Sie faßten ihren Gegenstand und hatten Farbe und Glanz.

Auch die Lippen blieben nicht länger verschlossen. Die Mutter horchte lächelnd auf das, was sie sagten. Die Anerkennung der Gesellschaft hatte augenscheinlich das Maaß der ihrigen bestimmt. Es war nicht mehr sie allein, sondern sie in den Töchtern, welche Aufmerksamkeit und Bewunderung erwartet.

Solch Untergehen einer Persönlichkeit in die andere, läßt die Eitelkeit nichts in den Tagen entbehren, wo sie sonst nur empfindliche Kränkungen erfährt.

Die Gräfin schien mir mehr als je mit der [45] Welt zufrieden. Ueberall faßte sie nur die Lichtseiten derselben auf, und wußte so viel Leben und Interesse hinein zu legen, daß sie Nahes und Fernes, in einer gewissen gemüthlichen Beweglichkeit, durch ihre Unterhaltung fließen ließ.

Hierbei kommen denn auch die Neuigkeiten der Nachbarschaft zur Sprache. »Mein Gott!« rief sie plötzlich, wie von der Wichtigkeit des Gegenstandes auf Vorwurfs ähnliche Weise an ein unverzeihliches Vergessen erinnert. »Mein Gott, und nicht ein Wort von dem Neffen des Comthur, und den geschickten Machinationen ihrer Freundin Sophie?«

»Von welcher Art sind diese?« fragte ich, in höchster Unwissenheit alles dessen, was hierauf Bezug hatte.

»O gehen Sie! gehen Sie! lachte die Gräfin. Spielen Sie doch nicht die Zurückhaltende gegen mich. Die Geschichte ist ja die Neuigkeit des Tages.« »Bis zu mir kam sie nicht,« versicherte ich sie. »Und doch ist Ihr Mann um nichts Geringes dabei im Spiele, versetzte sie spöttisch. Wie pflichttreu der ehrliche Präsident auch sein mag, fügte sie hinzu, so wird er doch seiner allerliebsten kleinen Frau nicht die Mittheilung eines sehr besondern Romans vorenthalten haben?«

[46] Als ich sie vom Gegentheil auf eine Weise überzeugte, die ihr keinen Zweifel ließ, rief sie lachend: »Von was in aller Welt, spricht denn der ernsthafte Mann mit Ihnen, wenn ihm auch seine Geschäfte nicht Stoff dazu bieten dürfen?«

Ich umging die Antwort durch ein Paar allgemeine Epigramme, gegen die Ehemänner. Sie fand das köstlich, Agathe und Rosalie wollten sich halb todt lachen, und ich kam wieder auf den Neffen und den Oheim zurück.

»Nun, fiel die Gräfin schnell ein, mit dem hat es folgende Bewandniß: Sein Vater, als der ältere Bruder unsers Nachbars, war der Erbe eines ansehnlichen Majorats, um das er sich durch eine voreilige und heimlich vollzogene Heirath, mit einem protestantischen Fräulein, brachte.«

»Heimliche Heirath!« unterbrach ich sie. Mir fiel die Erzählung der Amtmännin ein. Jetzt verstand ich den wehmüthigen Antheil des Schloßgastes, an ihrem Tode. Die Gräfin mochte die verwundernde Ausrufung anders deuten. »Nun, nun, lächelte sie, erschrickt Ihre strenge Tugend selbst vor dem gesetzlichen Auswege aus dem Labyrinth der Leidenschaft? wie werden Sie erst [47] den Stab über diejenigen brechen, welche sich auf immer in demselben verirrten.«

»Ich breche über Niemand den Stab, entgegnete ich. Ich bedauere im Gegentheil alle, welche sich aus Vorliebe für träumerische Einbildungen auf eine Art täuschen, die ihnen Nachtheil bringt, denn ich glaube nicht an ein Ueberschwängliches, das den Meister über uns spielen kann, die Wirklichkeit zeigt es uns nur in karikirten Kopien verführerischer Romane, aus denen immer bei weitem mehr Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen als lebendige Wahrheit spricht.«

»Im Grunde haben Sie vollkommen recht, stimmte die Gräfin mir bei, aber sagen Sie, was Sie wollen, Romane unterhalten außerordentlich, und die kleinen Kopien davon im Leben sind hübsch, wie viel Thorheit und Selbstbetrug dabei auch im Spiel sein mag.«

Sie lachte bei diesen Worten, wie durch angenehme Erinnerungen erheitert. Die jungen Mädchen lachten mit ihr. Ich mußte über die Unbefangenheit erstaunen, mit der die allzu jugendlich gebliebene Frau, sich in Gegenwart ihrer Töchter, rücksichtslos äußerte.

Allein, sie läßt niemand lange auf demselben Fleck stehen. Sogleich war sie wieder bei dem [48] neuen Ankömmling, bei den Verwirrungen und Aussöhnungen in seiner Familie, die sie weit mehr beschäftigten, als jene Betrachtungen.

»Es bestehen, fuhr sie dann fort, von den Voreltern des Comthur, testamentliche Verträge, nach welchen jeder Majoratserbe, bei Verlust seines Besitzthums, gezwungen ist, sich mit einer katholischen Glaubensverwandtin zu verbinden. Der junge Mann, welcher diese Bedingung unbeachtet gelassen hatte, sollte nach seines Vaters Tode in dessen Rechte treten. Er hatte nur einen einzigen Bruder, der ihm diese Rechte streitig machen konnte.

Beide Brüder liebten sich auf das Innigste. Der Aeltere hegte keinen Zweifel über die rücksichtslose Zustimmung des Andern. Indeß, sei es aus Vorsicht, oder auch aus Unsicherheit, er hielt auch vor ihm die geschlossene Verbindung bei des Vaters Leben geheim. Jetzt stirbt dieser. Der neue Gutsherr tritt mit der jungen Gemahlin, einer armen Waise, das Pflegkind reicher Anverwandten, hervor. Er führt sie zuerst dem Bruder zu, in der Hoffnung der besten Aufnahme. Allein das Herz des Letztern scheint plötzlich gewendet. Unerbittlich widersetzt er sich der Anerkennung der Heirath, und läßt dem erstaunten Grafen die[49] Wahl zwischen dem Opfer der Liebe, oder des Erbrechts. Dieser willigt in Keines von beiden. Ein Prozeß soll entscheiden. Es kam nicht dazu. Das Gesetz entschied von vorn herein für den Verlust des Majorats, sobald die Gültigkeit der geschlossenen Ehe bewiesen und behauptet werde. Sonderbar genug that der jüngere Bruder, ganz gegen sein Interesse, alles Mögliche, um Gründe für die Ungesetzlichkeit einer Trauung anzuführen, die ohne väterliche und oberherrliche Zustimmung vollzogen worden sei.

Allein der leidenschaftliche Gatte schlug alle diese Einwürfe dadurch nieder, daß er darthat, sich nicht eher vermählt zu haben, bis der verlangte Abschied aus fürstlichem Dienst ihm zugekommen, und er durch erreichte Volljährigkeit jedweder Rechenschaft der Art entbunden worden sei. Nunmehr blieb kein Zweifel, er mußte dem Majorat entsagen, und da er zu erbittert, und zu stolz war, um selbst, den ihm gebührenden Antheil des väterlichen Vermögens anzunehmen, so lebte und starb er in Armuth.«

»Und der unnatürliche Bruder, unterbrach ich sie ungeduldig, that nichts, um ihn zu versöhnen? ließ ihn in Verzweiflung darben?«

»Ja, sehen Sie, fiel die Gräfin hastig ein, [50] aus diesem Bruder kann niemand klug werden. Denken Sie, daß er eine sehr zärtliche Neigung aufgab, niemals heirathete, in einen geistlichen Orden trat, die großen Güter gewissenhaft verwalten, ihren Betrag unberührt ließ, und jetzt so lange an der Beweisführung gearbeitet hat, daß der Sohn einer protestantischen Mutter, insofern er im Glauben der wahren Kirche erzogen ward, nicht von der Erbfolge ausgeschlossen ist, bis er dem Neffen, dem einzigen Sohn des unglücklichen Grafen, zum Besitz eines Vermögens verholfen hat, dem er, zu seinen Gunsten entsagt. Kurz, meine Liebe, fuhr die Gräfin mit ungewissem Lächeln fort, der Comthur beweis't durch Alles, daß er der bizarrste Mensch von der Welt, und niemals zu verstehen ist. Bei seinen letzten wohlthätigen Absichten war ihm besonders der Präsident, Ihr Mann, sehr nützlich. Seine große Kenntniß aller Familienurkunden hat es ermittelt, daß wenigstens im Testament dieses besondern. Falles keine Erwähnung geschieht, und dem richterlichen Ausspruch die Freiheit bleibt, alle gemachte Einwendungen aus dem Felde zu schlagen. Erst, da alles besiegt war, ist der überraschte junge Mann hierher berufen, und von seinem Glücke unterrichtet worden.«

[51] »Von seinem Glücke! entgegnete ich. Wer sagt denn, daß er es so nimmt?«

»Wer? fragte die Gräfin. Mein Gott! liebes Kind, er selbst, und recht aus Herzensgrunde, denn er benutzt sogleich die günstige Lage, seine Hand einem sehr hübschen Mädchen zu geben. Er ist schon abgereist, die Tochter der Oberhofmeisterin desselben Hofes, an welchem Fräulein Sophie Hofdame war, heimzuführen. Sehen Sie, lachte sie bedeutsam, so mischen sich die Karten geschickt in einander.«

Da ich einigermaßen verwundert schwieg, rief die Gräfin muthwillig: »O! ich könnte Ihnen noch viel mehr erzählen, was Sie überraschen würde.« »Thun Sie es,« bat ich, sie bei der Hand fassend. »Nein, nein!« entgegnete Sie bestimmt, »ich habe auch meine kleinen Geheimnisse.«

Sie stand hier von ihrem Platze neben mir auf, als fliehe sie meine Ueberredung, und eilte einigen ankommenden Gästen aus der Stadt entgegen. Im Weitergehen wandte sie sich noch einmal mit den Worten zurück: »Mein allerliebster, geschwätziger Justizrath hat mir das Alles im Vertrauen gebeichtet.«

Ich sann noch über ihre Mitwirkung in dieser Angelegenheit nach, und beschloß Sophie [52] unverzüglich zu befragen, ob sich wirklich alles so verhalte, wie es die Gräfin dem indiscreten Geschäftsführer abgelauscht hatte, als zu meiner nicht geringen Verwunderung die ganze Sache noch einmal in dem erweiterten Gesellschaftszirkel verhandelt ward.

Die Rückkehr der Gräfin, mit ihren ins Licht getretenen, schimmernden Töchtern, zog sogleich die elegante Welt der Residenz zu ihrem angenehmen Landsitz. Es ward immer bunter in dem Garten. Der Theetisch stand auf einem hübschen, frischen Rasenplatz. Agathe schlüpfte behend auf einen bereitstehenden Sessel, den mehrere Herren mit großem Eifer, ihrer Bequemlichkeit wegen, näher heran schoben. Sie zog die Handschuhe, mit einem kleinen Anstrich nicht übel kleidender Verlegenheit aus, entblößte die niedlichen, vielleicht allzureich mit Ringen und Spangen geschmückten Hände und Arme, und bewegte diese sehr reizend in der Bereitung des Thees. Rosalie machte sich mit den gerösteten Brödchen, den Melonen, die sie zertheilte, und anderm Zubehör zu thun, wobei sie kurz und abgebrochen, doch mit einer gewissen nachläßigen Extase, die vorzüglich in vielen Worten besteht, von dem Badeaufenthalt sprach.

[53] Die Mutter schien sehr aufmerksam und begierig auf den Eindruck, welchen die hübschen Mädchen auch hier machen würden, und war nur mit halbem Blick und halbem Wort für alle diejenigen da, welche ihr in dieser Beziehung unbedeutend schienen. Doch bald einigermaßen in ihren Erwartungen geschmeichelt, hub sie ungefähr eben so, wie kurz zuvor, gegen mich an: »Nun, und unser neuer Nachbar, hat ihn schon Einer aus der Gesellschaft gesehen? Er soll ein interessantes Aeußere und viel Verstand haben!«

Es mußte mich, nach allem Vorhergegangenen mit Recht befremden, daß die Meisten sogleich vollkommen zu Haus waren, und Einer, sogar den Vornamen des Unbekannten wissend, vom Grafen Hugo, wie von einem ganz vertrauten Freunde sprach.

»Hugo!« wiederholte ich, gegen meinen Vetter Curd gewendet, »man hört den Namen nicht oft, er klingt so tief.«

»Rasend tief,« lachte er auf seine leichtfertige, neckende Weise. »Aber Cousine, was wollen Sie eigentlich damit sagen?«

Ich wußte es ihm nicht auszudrücken.

»Denken Sie sich vielleicht einen melancholischen Sonderling dabei? fragte er. Nun, da [54] kann was dran sein; denn recht richtig ist es mit Keinem, der sich aus einem ungeheuren Vermögen nichts macht, wie ein Misantrop in den Wäldern herumwandert, und mit vier und zwanzig Jahren ins Ehejoch kriecht.«

»Alle diese Details wissen Sie schon, lieber Rittmeister? lachte die Gräfin. O! kommen Sie her, setzen Sie sich zu mir, erzählen Sie mir ein Bischen von dem mürrischen Menschen. Er interessirt durch seine Originalität, obgleich eine kleine coquette Absicht dabei im Spiele sein mag.«

»Gewiß! hörte ich sagen, Gewiß! er fühlt, daß er, als Emporkömmling oder adoptirter Erbe, vielleicht mancher beschämenden Kritik blosgestellt sein muß. Er will im Voraus imponiren. Der Ausweg, den er wählt, zeigt von Gewandtheit und List. Er muß nicht ganz unerfahren in den Nuancen der Weltverhältnisse sein.«

»Er ist hübsch und elegant, Mama! rief Agathe ihrer Mutter zu. Die Herren hier haben ihn im Bade zu Aachen, im vergangenen Sommer, gesehen. Er war dort ausgezeichnet durch seine Figur und große Kühnheit im Reiten, und viele andere Talente.«

»So!« entgegnete die Gräfin gespannt und ungeduldig, da sie nicht wußte, was sie alles [55] gleich hören sollte. »War denn die Braut mit ihrer Mutter auch da?« fragte sie.

Die Herren bejahten es.

»Die Emma soll charmant sein! fuhr sie fort, indem ihre Blicke unsicher und gewissermaßen vergleichend an den Töchtern hinfuhren. Charmant! wiederholte sie, zerstreut und gedehnt. Ach! die Mutter war wunderschön, fügte sie von frühern Erinnerungen plötzlich fortgerissen, hinzu. Ich habe sie gekannt, ob sie gleich erstaunt viel älter ist, als ich. Jetzt, höre ich, hat sie entsetzlich verloren. Ihre Züge waren immer scharf wie ihre Zunge,« setzte sie lächelnd hinzu.

Sehen Sie, Sophie, so schilderte man mir Ihre Freunde. Bewundern Sie es nicht, wie ich so lange bei einem Gegenstande verweilte? da das Neue selten meine Aufmerksamkeit sonderlich erregt. Ich glaube, es ist auch nur der Antheil, den Sie an diesen Men schen nehmen, der mir sie bedeutend macht.

Von Emma spricht niemand. Ist nichts von ihr zu sagen? Armer Hugo! –

Leben Sie wohl! Zeigen Sie mir bald mehr Vertrauen. Sophie! die Ihrige, wie immer.

[56]
Die Oberhofmeisterin an den Comthur

Endlich ist die Entscheidung ganz nahe. In wenigen Stunden werden sie getraut. Dann sind die lang gehegten Wünsche erfüllt. Die unruhige Sorge findet ihr Ziel. Das Geschick muß seinen Gang gehen.

Zum letztenmale habe ich heute über meine Tochter bestimmt, für sie gedacht, gehandelt, ihren Willen gelenkt, wie es ihrem Vortheile, ihrer Zufriedenheit angemessen war. Von jetzt an nimmt ein Anderer, mehr oder weniger ein Fremder, das Band, an dem ich sie, ihr selbst unbewußt, leise führte, aus meiner Hand. Ich lasse es zu. Die Ordnung der Natur will es so. Alle Mütter machen spät oder frühe dieselbe Erfahrung. Aber gestehen Sie, daß man sehr resignirt sein muß, um sich ohne innere Verzweiflung, so gleichsam entfernt zu sehen.

Emma scheint glücklich. Ich sage scheint, denn was weiß sie, ob sie es ist. Mir erregt ihre Heiterkeit die unbezwinglichste Eifersucht. Ist es denn etwas anders als Wankelmuth, daß sie ihr Heil von einem ungekannten Verhältnisse erwartet, von dem sie sich weit eher abwenden, als darauf hinsehen sollte; da es sie von allem, was ihr werth und theuer sein muß, losreist. [57] Vielleicht kann man es ein Glück nennen, daß die Unerfahrne wie mit Blindheit geschlagen, nur von goldenen Ketten träumt, und so lange damit spielt, bis der Druck der Fessel ihr zur andern Natur geworden ist.

Wenn ich indeß einer Seits diese Täuschung segne, so drängt mich auch von der andern unendlich vieles, sie aufzuheben.

Um aufrichtig zu sein, Ihr Neffe selbst fordert mich dazu auf. Ihre Gunst hat ihn nicht liebenswürdiger gemacht. Jener Anstrich von Wehmuth, der sich früher so gut zu seiner Verlassenheit, und den anscheinenden Unbilden des Geschicks paßte, ist ein stehender Zug seines Temperaments geworden, und zu einer Art schmerzlicher Resignation ausgeartet, die ans Beleidigende gränzt.

Alles läßt er geschehen. Er selbst bestimmt nichts, als daß er Emma sogleich nach der Trauung auf eine Ausflucht in die Schweiz entführt. Denn nur darin, wovon er gewiß sein kann, daß es mir wehe thut, in dem allein ist er fest, und mit so viel abweisender Kälte unerschütterlich, daß ich aus Erbitterung schweige. Er übersieht meine Unzufriedenheit, wie er denn überhaupt auch Weniges zu sehen scheint, und[58] in schwärmerische Träume versunken, vor dem wirklichen Leben zurücktritt.

Die glänzenden Brautgeschenke, so blendend in ihrer Art, als geschmackvoll in der Wahl, läßt er in Emma's Zimmer tragen, ohne auch nur durch ein Wort seinen Antheil daran zu verrathen. Als das überraschte Kind ihm danken wollte, lächelte er, auf seine schwermüthige Weise, indem er halb spöttisch, halb mitleidig mit sich selber, sagte: »Ich habe kein anderes Verdienst bei der Sache, als daß ich des Oheims Befehle erfülle, indem ich Ihnen seine Gaben bringe. Von mir, fügte er hinzu, die Hand der Braut inniger als sonst wohl drückend, besitzen Sie nichts, als diesen schmalen kleinen Ring, zu dessen Anschaffung meines Vaters Erbe mir die dürftigen Mittel bot. – Wollen Sie mir indeß, lächelte er angenehm, einen Antheil an den Gaben des Reichthums gönnen, so sei es dieser: Ihre Freude darüber mitzuempfinden.«

Emma sieht nur das Liebenswürdige an ihm, was sie verletzen sollte, ist für sie nicht da.

Soll ich nun noch zweifeln, daß sie blind sei?

Sie wissen, ich habe diese Heirath nur gelitten, nicht gewünscht, noch weniger gesucht, und ohne die Dazwischenkunft der vermittelnden [59] Sophie, wäre die damalige Stockung bei Ihres Neffen Werbung, wohl ein ewiges Hinderniß jeder denkbaren Annäherung zwischen ihm und mir geblieben.

Sie haben dies Hinderniß vielleicht mit mehr großmüthiger Eile, als prüfender Besonnenheit gehoben. Ob Sie gut daran thaten? – Es ist nicht mehr Zeit, diese Frage aufzuwerfen. Indeß regt sie sich unwillkührlich in mir, je unaufhaltsamer der Zeiger meiner Uhr die Stunde näher rückt, welche durch unwiderrufliche Gelübde zwei Menschen an einander knüpfen wird, die nicht für einander geschaffen zu sein scheinen.

Wenn Sie mich über dies Geständniß tadeln, so denken Sie zugleich, wie groß meine Unruhe sein muß, da ich sie Ihnen nicht verbergen kann.

Sie hätten an diesem Tage nicht unter uns fehlen sollen. Ich begreife, warum Sie zurückbleiben. Gleichwohl werden Sie dem Kampfe auch in der Ferne nicht entgehen, dem Sie auszuweichen gedenken. – Sie gewinnen wenig, und schaden viel. Es hat etwas Unschickliches, daß der Mann, welcher bei Hugo Vaterstelle vertritt, sich in dem wichtigsten Lebensmomente von diesem [60] wegwendet. Ueberdem hätte Ihre Gegenwart vielleicht dazu gedient, den Jüngling aus seiner Traumwelt herauszureißen. Wir verstehen einander zu wenig, als daß ich gleichen Einfluß auf ihn ausüben könnte. Sophie ist auch unsicher geworden, sie weiß nicht, wie sie diesem besondern Charakter beikommen soll.

Und die zärtliche Emma würde wo möglich, noch unscheinbarer und anspruchloser zurücktreten, um nur keines der tiefsinnigen Gedankenspiele ihres erhabenen Freundes zu stören.

Wäre ihre Liebe weniger abgöttisch, hätte sie mehr Gefühl für ihre eigene Würde, ich könnte ruhiger über die kommenden Tage sein. Aber so!

Es schlägt zwei. Wir fahren nach dem Lustschlosse der Fürstin hinaus. Dort in der Kapelle werden sie getraut; dann besteigen beide den Reisewagen! – Es ist alles so abgerissen, so ohne fortgehende innere Begleitung! Einer treibt den Andern. Die Fürstin schickte schon zweimal. Ihre Gegenwart legt vielen Zwang auf. Vielleicht ist das gut so! Ich weiß es nicht! Ich weiß nichts! –

Ich lasse Sie jetzt. Mir schwirrt es vor den Augen. Man läuft hin und her durch meine Zimmer. Leben Sie wohl. Ich schließe. [61] Nichts mehr für heute! – Mir ist das Herz so voll. – Ein Wort noch, und es fließt über! – Gott befohlen! –


N. S.

Noch einmal öffne ich den Umschlag. Sophie hatte Emma geschmückt. Sie sank zusammen unter der Last der Juwelen, welche die Fürstin ihr anzulegen befahl. Der Kopf schmerzte sie, sie sah blaß aus. Ihre Augen waren trübe. Ich betrachtete sie voll unruhiger Theilnahme. Sie zitterte im vergeblichen Bemühen, ihre Thränen zurückzuhalten. Da öffneten sich die Thüren. Hugo trat mit einigem Geräusch herein. Aus der Hast, mit der er sich nahete, sprach die Besorgniß, zu spät zu kommen. Er äußerte dies auch. Seine schönen Züge waren ungewöhnlich belebt, den Schleier, der sich so oft über die dunklen Augen senkte, durchblitzten rasche und feurige Lichter Er sah sehr ungewöhnlich und imposant aus, in der reichen Uniform des Regiments, in welchem er ehemals diente. Der große Orden, den ihm der Fürst diesen Morgen sandte, glänzte stattlich auf seiner Brust. Emma war wie geblendet. Es durchzuckte sie feurige Ueberraschung. Sie hatte nun kein Kopfweh mehr. Leuchtend [62] vor Bewunderung, reichte sie ihm die Hand. Alle Unbequemlichkeit des lästigen Putzes ist vergessen. Sie sieht nichts als ihn in der Welt. Undankbare! – mußte dich Leidenschaft so zur Sclavin machen! Warum auch Leidenschaft, wo ruhige Neigung genügt, und dir die eigene Selbstständigkeit bewahrt hätte! –

Sie sehen, ich zögere in den Wagen zu steigen, die letzten Schritte zu thun, die der kurze Raum zwischen jetzt und künftig durchmessen soll. Alle warten, selbst die Fürstin! Ich halte Alle auf! O! könnte ich die Zeit aufhalten!

Elise an Sophie [5]
Elise an Sophie

Sie antworten mir nicht. Sie schweigen wie eine plötzlich Stummgewordene. Warum das? Ich sehe keinen Grund, warum Sie über die älteren Freunde, jüngere vergessen!

Mir ist diese Ungleichheit fremd an Ihnen! Beschäftigt Sie die Hochzeit der Gräfin Emma so sehr? Lassen Sie das gute Kind ihr Loos erfüllen, sie wird früh genug Maiblumen und Veilchen gegen das Heu getrockneter Herbstblüthen vertauschen müssen.

[63] Ihr seid dort alle sehr eilig, die Sache abzumachen, und die jungen Leute aus dem Paradiese des Frühlings hinauszustoßen.

Ist es die unruhige Mutter, die so das Kind von ihrem Herzen wegschleudert? weiß sie auch, wohin es fällt?

Ich ward in diesen Tagen, auch ohne Sie, durch eine angenehme Bekanntschaft, in den Abendzirkeln der Gräfin, von der vollzogenen Heirath jenes besprochenen Paares unterrichtet.

Ich weiß nicht, ob der Mund, der es sagte, oder das Ereigniß an sich, meine Theilnahme erregte? genug, ich denke unwillkührlich öfter daran, als es die allergewöhnlichste Begebenheit im Leben verdient.

Die halbe Stadt war wieder draußen in Ulmenstein. Es ward geschwatzt, wie man immer schwatzt. Vernünftiges und Unsinn. Auch über Musik! Der ewige Streit, neue und alte Componisten betreffend, kam wieder auf's Tapet. Sie wissen, ich habe keinen Ton, und auch das Gehör öffnet sich mir nur in dem Echo der Seele. Urtheil, wie man es nennt, darf ich mir nicht anmaßen wollen. Ich hüte mich auch davor. Doch ließ man nicht ab, in mich hinein zu reden. Beide Partheien zeigten sich einseitig. Ich bekannte[64] zuletzt, daß ich von Natur, den künstlerisch könne ich es nicht motiviren, mehr zu den vollen, erhabenen Meisterwerken der frühern Schule neige, und lieber in Entzücken erbebe, als mich durch Anmuth und Tändeleien verstrickt zu sehen. Doch anerkennen müsse ich das Liebliche, wo es sich zeige.

»Vortrefflich!« rief die Gräfin, indem sie beifällig in die Hände klatschte, »das nenne ich, sich auf die charmanteste Weise von der Welt aus der Affaire ziehen. So stimmen Sie niemanden bei, beleidigen keine Meinung, wollen hier ein Bischen ab, dort ein Bischen zugethan haben, und bringen ungefähr den ganzen Streit auf Nichts heraus. Allerliebst! das sieht Ihnen ganz ähnlich!« Ich fühlte, daß man mich so mißverstehen konnte. Ich hatte es anders gemeint. Erklären mochte ich mich darüber weiter nicht. Es wäre auch überflüssig gewesen. Wer mich nicht erräth, dem kann ich einmal nicht helfen. Entwickeln mag ich nichts. Das kommt confus heraus. Ich war sehr einfältig in meiner Ueberklugheit gewesen. Das machte mich verdrüßlich und einsam in dem Gewirr.

Die Fräuleins sollten jetzt ein Duett aus einer unserer neuen Opern singen. Man zog sie zu [65] dem Fortepiano. Die Flügelthüren des Saales standen nach der Terrasse hin offen. Ich blieb mit Mehreren, welche die Zimmerhitze scheuten, im Freien.

Im Hin- und Hergehen sahen wir eine sehr glänzende Equipage die Anhöhe heraufkommen. Die Pracht der Livree, wie des Geschirrs der Pferde, erhielt noch dadurch etwas Auffallendes, daß Schnitt und Formen veraltet waren, wie frisch und neu auch der Stoff selbst war. Der Wagen, dessen helle Spiegelfenster schon von fern in der Abendsonne leuchteten, ebenfalls mit aufwärts stehenden Zierrathen in reicher Vergoldung eingefaßt, erinnerte an fürstliche Staatskutschen aus früherer Zeit.

»Wer in aller Welt,« lachte Curd, »sitzt in dem verruchten alten Kasten! Schade um die prächtigen Pferde, die solche Last ziehen müssen!«

Jetzt nahete und hielt das seltsame Prachtwerk. Ein Piqueur sprengte in den Hof.

»Cousine!« flüsterte Curd mir ins Ohr, »das ist gewiß ein Abgesandter irgend eines großen Potentaten, der von der Schönheit der beiden Töchter des Hauses gehört hat, und um Eine wenigstens werben soll! Gott!« rief er, sich vor Vergnügen [66] die Hände reibend, »wenn wir doch das der Gräfin einbilden könnten!«

Ehe ich noch Zeit behielt, ein Wort hierauf zu erwiedern, hörte ich unsere leichtbewegliche Wirthin schon innerhalb ausrufen: »Wo denn? Wo denn?« Im Augenblick darauf stand sie neben mir auf der Terrasse. Sie sah neugierig nach der Straße hinunter. Die Hand schirmend gegen die Augen haltend, welche die scharfen Strahlen der Abendsonne blendeten, sagte sie überrascht und enttäuscht zugleich: »Mein Gott! der Comthur, und in großer Galla! Er kommt wohl, mir den neuen Majoratsherrn zu präsentiren.«

Die Reihe des neugierigen Herzueilens kam nun an mehrere Andere aus der Gesellschaft. Auch an mich, ich leugne es nicht, obgleich ich wissen konnte, daß Hugo nicht in der Nähe war.

Agathe und Rosalie ließen Gesang und Musik im Stich, und sahen mit den niedlichen Köpfchen lauschend aus der Thüre.

Jetzt ward der erwartete Gast gemeldet. »O viel, viel Ehre!« rief die Gräfin dem eintretenden Bedienten entgegen. Gleich darauf hielt der Wagen an der andern Seite des Hauses vor der Hauptthüre. Unwillkührlich blickten alle [67] Augen auf den Eingang des Salons. »Sie kennen unsern Nachbar?« sagte die Gräfin zu mir gewendet. »Ich werde ihn heute zum erstenmale sehen,« erwiederte ich. »Unmöglich!« versetzte sie, »war er denn nie bei dem Präsidenten?« Ich wußte gewiß, daß das nicht der Fall gewesen.

»Ach!« versicherte sie, mit einer Art Respekt in Ton und Miene, »da werden Sie eine interessante Bekanntschaft machen.«

Der, von welchem die Rede war, stand indeß schon mitten im Zimmer. Die Gräfin flog mit allen Zeichen achtungsvoller Berücksichtigung auf ihn zu. Beide begrüßten sich unter mancherlei Hin- und Herreden.

Ich behielt Zeit, die Anmuth und Würde einer Ehrfurcht gebietenden und rührenden Erscheinung, die ich jemals sah, ungestört zu bewundern.

Die zwanglose, vornehme Art, mit welcher der Comthur eingetreten war, hatte nichts von der veralteten Förmlichkeit, die seine Umgebungen ankündigten. Er bewies mir, daß der feine Ton guter Sitte jedem Zeitmomente angehört.

Agathe hing sich mir, während ihre Mutter beschäftigt war, an den Arm, indem sie voll [68] Extase flüsterte: »Er sieht superbe aus! Mein Gott! welch elegante Tournure, und die prächtigen Augen! Wie schade, daß die Haare schon weißlich schimmern! Die Augenbraunen zeichnen sich ganz köstlich gegen die Stirne aus. Sehen Sie, ich bitte Sie, wenn er sich so gegen Mama herunter beugt, mit welcher einzigen Grazie er dann den Kopf bewegt.«

»Ein Glück,« lachte Rosalie, welche herzu getreten war, »daß der himmlische Mann nicht zwanzig Jahre jünger ist, wir stritten uns beide bis aufs Blut um ihn.«

»Dann müßte ich mich ja mit ihm schlagen,« fiel Curd schnell ein. »Ich könnte ihm doch den Sieg über die beiden schönen Schwestern nicht einräumen. Aber auf Ehre.« fügte er hinzu, »zu seiner Zeit ein gewandter und gefährlicher Gegner! Was das noch für eine Gestalt ist, selbst in dem verwünscht altmodischen schwarzen Rock! Die Taille ist um eine halbe Elle zu breit und zu lang, und doch trägt er sich so hoch, und sieht so schlank aus, daß man ihn beneiden könnte. Aber welch eine Toilette, mir wird angst und bange. Der Ordensstern sitzt unter der Brust, statt oben an der Schulter. Das Halstuch –«

[69] »O schweigen Sie! ich bitte Sie,« rief ich ärgerlich. »Der Mann ist ja nicht von heute und gestern, das dächte ich, sähen Sie.«

»Das ging wohl auf mich? Cousine,« bemerkte Curd harmlos. »Nun, bin ich gleich keine respectable Antique, so bin ich doch kein Brudermörder. –« Ich sah ihn entsetzt an. »Ja! auf Ehre,« betheuerte er, »an dem ist kein gutes Haar. Hat er nicht auf die schändlichste Weise von der Welt den rechtmäßigen Erben um Alles gebracht?«

»Auf die schändlichste Weise?« wiederholte ich, als die Gräfin mit dem Comthur an der Hand zu mir heran trat, und dadurch unwillkührlich die kleine Gruppe theilte.

»Ich stelle Sie einander nicht erst vor,« sagte die gewandte Frau. »Zwei so liebenswürdige Nachbarn,« lächelte sie verbindlich, »sind durch den beiderseitigen Ruf zu wohl unterrichtet, um nicht auf den ersten Blick über jeden Zweifel hinaus zu sein.«

»Wenn auch Ihre Voraussetzung bei mir zutrifft, gnädige Frau,« entgegnete der Comthur, indem ein höchst angenehmes Lächeln sein ernstes Gesicht erhellte, »so darf ich mir nicht schmeicheln, die Aufmerksamkeit der Jugend und Schönheit [70] zu verdienen. Nennen Sie daher der Dame gütigst meinen unbedeutenden Namen.«

»Er ist mir nicht fremd,« versicherte ich, in einem unbegreiflichen Gemisch von Theilnahme und Beklemmung. Ich erröthete, als ich das sagte. Mir kam es vor, als habe ich dadurch verrathen, auf welche nachtheilige Weise ich zu seiner Bekanntschaft gekommen war.

Der Comthur heftete nun forschende Blicke auf mich! Sein Gesicht hatte den Ausdruck schmerzlicher Unruhe. Mund und Augen verriethen den Kampf peinlicher Erinnerung. Es that mir leid; denn ob er sich gleich zu lächeln zwang, so glaubte ich doch in allen seinen Mienen etwas zu lesen, das dem Bekenntniß früherer Schuld und dem Tünch eines erkünstelten Gleichmuths ziemlich nahe kam.

Wir blieben mehrere Secunden stumm einander gegenüber, bemüht, wie ich glaube, dasjenige zu errathen, was wir gegenseitig verschwiegen.

»Ich muß mich doppelt glücklich nennen,« hub er zuerst wieder an, »heute auch Ihre Nachsicht, gnädige Frau, für eine junge Anverwandtin erbitten zu dürfen, deren Ankunft in dieser Gegend ich in Kurzem erwarte. Mein Neffe, Graf Hugo, [71] verheirathet sich, wie ich glaube, heute. Die jungen Eheleute werden bis zur Vollendung des neuen Schlosses zu mir in die Burg ziehen. Wollen Sie der Fremden, hier völlig Unbekannten, eine gütige Beschützerin sein?« fragte er mit einem Tone, der zugleich der Eitelkeit schmeichelte, und die Theilnahme unwiderstehlich in Anspruch nahm.

Während ich ziemlich verlegen, und in dem Gefühle hiervon, wie ich glaube, weniger natürlich als sonst, etwas Unbedeutendes sagte, rief die Gräfin: »Wie! heute ist die Hochzeit des Grafen, und Sie sind hier? Mein Gott! wer soll die Braut anders zum Altar geleiten, als das Haupt der Familie! Ich würde an der kleinen Emma Stelle untröstlich sein, gerade Sie unter den Hochzeitsgästen zu vermissen.«

»Es ist besser, ein Fest zu meiden, als es zu verderben,« entgegnete der Comthur, kurz und entschieden, so, als werfe er rasch eine lästige Empfindung bei Seite.

Ich erschrack unwillkührlich vor dem veränderten Tone seiner Stimme. Es lag etwas Schroffes darin, das sich zugleich in seiner völlig verfinsterten Miene zurückspiegelte.

Wie sehr er sich auch gleich darauf bezwang, er gewann die vorige, freie und leichte Stimmung [72] nicht wieder, und ob er auch mit Gefühl, ja mit Wärme von der nahen Aussicht sprach, ein ungehofftes Familienglück in der eigenen Häuslichkeit aufblühen zu sehen, so geschah es doch nicht ohne Anstrengung, davon zu sprechen.

Sonderbar genug, er wandte sich fast immer in der Unterhaltung an mich. Es befremdete und verwirrte mich anfangs. Ich glaubte, er habe mich errathen und wolle mir eine bessere Meinung von sich geben. Nachher aber sagte ich mir, es geschieht, weil er mich durch Eduard vom dem Gange der ganzen Verhandlung unterrichtet glaubt, und am leichtesten hier anknüpfen mag.

Sei es so oder so! der Mann hat mir ein undeutliches Bild gelassen, das mich anzieht und ängstigt zugleich. Ist der Neffe ihm gleich, oder nehmen die Verhältnisse der neuen Familie dieselbe schwankende Farbe an, so wird es mit den nachbarlichen Beziehungen wohl nicht zu einer besondern Intimität kommen.

Sie sehen, Sophie, Ihr Schweigen ist so unnütz als betrübend. Sie bezwecken nichts dadurch für Ihre dortigen Freunde, und verletzen die hiesigen. – Wenn Sie mich noch liebten, wie ehemals, hätte ich bereits eine weitläuftige Hochzeitsrelation. Seit Sie so bedenklich und [73] berechnend sind, hören Sie auf, verbindlich zu sein. Leben Sie wohl!

Der Comthur an die Oberhofmeisterin

Undankbare! Dies harte Wort, mit dem Sie die Tochter aus Ihren Armen lassen, möchte ich Ihnen zurückgeben.

Ja, Undankbare! können Sie es vergessen, daß Emma dem Leben gehört, dem Sie sie entgegen führen durften? Soll sie darum niemals allein stehen, weil Ihre Hand sie noch länger festhalten möchte?

Haben die Jahre Ihnen so viel von der Uneigennützigkeit früherer Liebe geraubt, daß Sie heute anders empfinden, wie in jener Stunde, da das schwankende Kind zum erstenmale dem Leitband der Wärterin entlief, und ein eignes, freies, kleines Wesen vor Ihnen stand, die gewonnene Kraft prüfend?

War sie Ihrem Herzen darum fremd, weil sie glücklicher war?

Und jetzt? – Gewiß, Sie haben Unrecht, großes Unrecht!

Wollten Sie es anders, weshalb überhaupt [74] die weltlichen Beziehungen? Warum bestimmten Sie die Tochter nicht für das Kloster, wenn Sie ihr Herz zu schön für den Wechseltausch menschlicher Empfindungen nennen?

Aber es schien Ihnen grausam, das junge Leben in der Knospe verhüllt zu lassen. Auch jetzt bin ich überzeugt, verwerfen Sie mit Abscheu den bloßen Gedanken daran. Nun, ich streite darüber nicht. Ich habe indeß die Ueberzeugung, daß der Mensch sich immer auf die eine oder die andere Art zum Opfer bringen muß. Thut er es nicht freiwillig, so zwingen ihn die Umstände, fremdes oder eignes Wohl, die Ruhe des Gewissens, oft auch der Ueberdruß des Lebens dazu.

Es ist nicht abzusehen, welchen von allen diesen Beweggründen die Ansprüche Ihrer Tochter werden erliegen müssen! Doch, es giebt überall nur einen Faden durch das Labyrinth des Lebens, und den muß ein jeder selbst finden. Fremde Brillen passen selten. Sie trüben nur den Blick.

Deshalb Geduld! liebe gnädige Frau. Geduld! Sie waren früher so eilig, das Verhältniß zwischen beiden jungen Leuten zu begründen, lassen Sie ihnen nun Zeit, in Harmonie mit der innern und äussern Welt zu treten.

[75] Ich würde mir selbst anmaßend erscheinen, wollte ich ein Urtheil über meines Neffen Charakter aussprechen. Die Elemente seiner Natur sind mir meistentheils fremd. Auf das erste Empfinden hin, scheinen alle zu verflüchtigt, um es in ihm selbst, bei der glücklichsten Mischung, zu irgend einer vollständigen Gestaltung der Ideen kommen zu lassen. Es zieht das beobachtende Auge in eine unermeßliche Weite hin aus, aber man findet keine Ruhestätte, um zu verweilen. So, sage ich, würde das Selbstgefühl, das eben kein Echo hier findet, sprechen. Doch das Selbstgefühl hat nicht mitzureden, wenn ein fremdes Bild in das Bewußtsein treten soll. Außerdem liegt eine schroffe Klippe zwischen uns. Er kann sieüberfliegen, das traue ich ihm zu, allein, ob ermich dabei findet? ist eine andere Frage. Die Sonne hat bekanntlich allein die Macht, den härtesten Stein aufzulösen. So schmilzt auch nur die innere Sonne den Stein des Anstoßes weg! Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob solche Gluth Hugo's Seele ausfüllt? oder ob diese nicht leere und kalte Stellen birgt, in denen gerade wir beide zusammentreffen? –

Ich sage Ihnen das, gnädige Frau! damit Sie bei Zeiten meinen Einfluß auf Ihres Schwiegersohnes[76] Herz und Gemüth in das rechte Licht stellen, und hier keine Wunder erwarten.

Das ist überhaupt selten von großer Wichtigkeit, was ein Mensch vom Andern augenblicklich erwirbt. Und irre ich nicht, so wird Hugo in Allem sehr leicht nachgeben, doch nie ein Anderer sein.

Sie haben ihn gekannt, gnädige Frau, als Sie die Neigung der schönen Emma billigten. Wenn er Ursache giebt, Ihre Besorgnisse zu rechtfertigen, so bin ich hierbei doch gewiß außer Schuld.

Aber, weshalb auch Besorgnisse! Ist es jetzt auch schon Zeit dazu? Wir wollen keine andern hegen, als solche, die der Wandel alles Zeitlichen dem Nachdenkenden von selbst aufdringt, dann kommt man nie vom rechten Wege.

Es scheint mir gut, daß die jungen Leute sogleich eine kurze rasche Ausflucht in die Schweiz machen. Dies heimathlose Hinziehen durch unbekannte Gegenden, das Abreißen von allen Gewohnheitsbanden, die Einsamkeit in der Fremde führt näher zusammen, und schafft in dem, was die Seele gemeinschaftlich traf, einen eigenthümlichen Quell der Erinnerung. Man schöpft immer eine Weile daraus, und belebt in der Gegenwart [77] dasjenige, was diese anfangs einfarbig und unbequem erscheinen läßt.

Um indeß meinerseits auch nicht ganz müßig zu sein, habe ich gesucht, Emma eine heitere Geselligkeit für die, immer etwas trüben Herbsttage zu gewinnen. Das Haus der muntern Gräfin von Ulmenstein versammelt eine regsame, mittheilende und empfängliche junge Welt. Hier sind die blühenden Töchter des Hauses, und mit ihnen alles, was städtischer Verkehr an ihre Schritte bindet. Tanz, Musik, Conversation, Geist und Gefühl, kurz, das gute und richtige Gemisch übereinstimmender und widerstreitender Elemente, aus denen die Gesellschaft bestehen muß, soll sie überhaupt bestehen. Ich warf mich vor einigen Abenden, ganz meiner Gewohnheit entgegen, in das bunte Gewühl, und ward nicht unangenehm durch Fremdes und Neues, das mir entgegentrat, überrascht. Vorzüglich gefiel ich mir in der Unterhaltung mit der jungen Gemahlin unsers Freundes, des Präsidenten. Sie wissen, wie vielen Dank wir ihm in der Angelegenheit meines Neffen schuldig sind. Den Zutritt in seinem Hause nachzusuchen, schien mir daher für die Neuvermählten eine Pflicht, an welche ich gern durch die anziehende Einfachheit [78] und Grazie der schönen Frau erinnert ward. Sie stand in einem Kreise lachender und schwatzender Modepüppchen, unter denen sie sehr vortheilhaft, durch Gestalt und Wesen, hervortrat. Es war nicht Nachläßigkeit, nicht Absicht in Tracht oder Benehmen zu spüren.

Das frische, weiße Kleid, ohne entstellende Verzierungen, stand sehr wohl zu dem reichen, kastanienbraunen Haare, und dem reinen, tiefen Blick der schönsten blauen Augen, die je eine lange, dunkle Wimper beschattete. Als ich mich ihr nahete, trat sie mir zwanglos entgegen, empfing meinen Gruß, wie eine Schuldigkeit, und würdigte, was davon ihrer Anmuth galt, mit verständigem Gleichmuth. Sie hatte von dem jungen Paare, das ich ihr zuzuführen, um die Erlaubniß bat, gehört, sie fragte mit Theilnahme nach beiden, und zeigte sich, ohne affectirte Uebertreibung des Ausdrucks, bereit, ihnen den Eintritt in die fremde Welt zu erleichtern. Es liegt Natur und Wärme in ihrem ganzen Wesen, das ein feiner Geist, mehr unbewußt begleitet, als bewußt beherrscht. Wie sie ist, hat sie mir gefallen, auch genießt sie allgemeine Achtung, die weniger ihrer Stellung in der Welt, als ihrer [79] Person gilt. Irre ich nicht, so wird Emma in ihr eine Freundin finden.

Und nun getrost, gnädige Frau! lassen Sie dem Geschick ohne Zagen seinen Lauf. Es kehrt sich wenig an unsere Launen. Auf eine, oder die andere Art macht sichs immer wieder Bahn. Zuletzt sind wir mit allem Rennen und Laufen nicht weiter als zu Anfang, und bringen nur müde Füße mit nach Hause. Vergeben Sie es mir, wenn ich Sie hier frage, ob Sie jemals durch die Ausführung irgend eines Planes völlig befriedigt wurden? oder, ob Sie nicht über den Moment des Erlangens hinaus, lieber alles umgeworfen, und die Sache von neuem und anders angefangen hätten? Glauben Sie mir, Sie sind es nicht allein, es ist der Mensch überhaupt, der so empfindet. Wir kennen keinen Genuß. Was wir so nennen, ist nur das rothe Läppchen an der Angel, die uns fortzieht. Das Ziel thäte es, und nicht das Streben darnach allein.

Ich küsse Ihre Hände, und lege diese auf die Häupter Ihrer Kinder, daß Sie sie in Freudigkeit segnen mögen.

Ganz der Ihrige. [80]

Hugo an Heinrich [1]
Hugo an Heinrich

Ich will Dich nicht glauben lassen, die Flitterwochen vermöchten so viel über mich, daß ich die übrige Welt darüber vergäße. Ich bin in meinem Leben nicht geneigter gewesen, da Unterhaltung zu suchen, wo sie sich mir bietet, als eben jetzt. Ehrlich gestanden, dieser Nachhall des ausgesprochenen Ja, ist ein wenig eintönig! Was sagt man sich noch, wenn alles beantwortet ist? Mißverstehe mich nicht. Emma's Nähe ist wie der Frühling. Sie überkleidet alles mit jenen Lichtfarben, die uns anlächeln und den Sinn in behagliches Empfinden einwiegen. Ich sehe mich leicht auf Minuten so angesprochen. Aber – doch genug! – Ich brauche scharfe Schatten, und verliere mich gern in die Tiefe zackiger, unförmlicher Schlüfte, aus denen der wilde Schrei der Natur meine träumende Seele wie ein Echo anruft.

Wir sind moderne Reisende, Heinrich. Wir fahren die gebahnte, geebnete Straße, verweilen, wo Alle verweilen, und bewundern, was Alle bewundern. Emma ist entzückt. Ich begleite sie willig, aber sie kann mir auf meinen einsamen Wanderungen durch das Labyrinth großartiger Verwilderung nicht folgen.

[81] Man nennt nicht unpassend auch das Leben eine Reise. Nenne es, wie Du willst. – So viel weiß ich wohl, daß man sich auf der einen wie auf der andern,allein, am freiesten bewegt.

Wie selten halten zwei Menschen gleichen Schritt. Wie jener sich beschränkt, muß dieser sich über Vermögen anstrengen. Man mag die Kräfte gegenseitig abwägen, wie man will, jede Probe zeigt, daß die Berechnung falsch war.

Doch genug! wir reisen!

Es war bei alledem gut, daß wir aus der Klemme der Hofetiquette und Familienrücksichten herauskamen. Ich war wie zwischen zwei Mühlräder zermalmt. Mir ist in der ganzen Gotteswelt nichts lächerlicher, als der Wahn, daß ein Mensch dem Andern eine Gnade zu erweisen denkt. Die Gewohnheit ist hierin, wie in so Vielem, die größte Gauklerin. Sie macht die Fabel zur Historie.

Du kennst indeß meine Art. Ich mag Niemanden Aergerniß geben. Lieber, wie Atlas, die Welt tragen, als einen Wurm in ihr wissentlich kränken. Wer an dem Spiele seine Freude hat, dem spiele ich zu Gefallen mit. Ueberdem, die Maske war einmal angelegt, ich mußte ihrem Charakter treu bleiben. So ließ ich mir ein [82] Ordensband umhängen, und meine Schwiegermutter hierauf Pläne und Hoffnungen für die Zukunft bauen. Sie hat etwas darin gethan, Pläne zu machen! Nun, ihr ist es Bedürfniß! Emma ist der Edelstein in ihrer Krone. Alles, was sie mit Blicken erreichen kann, muß dem Glanze dieses einzigen, das Werth für sie hat, als Folie dienen. Du kannst Dir vorstellen, was sie den übrigen Menschen ist, und diese ihr unter solchen Umständen sein können?

Wir passen wenig für einander. Meine Theorie von leben und leben lassen, findet hier keinen Eingang. Sie hat sich in mir verrechnet, und das verzeiht sie dem Geschick so wenig, als mir.

Ich bin ihr bei alledem gut. Mir verschlagen ihre Irrthümer nichts. Sie hat Verstand, und wenn auch mehr Leidenschaft als Gefühl, dennoch eine außerordentliche Regsamkeit des Geistes. Mit solchen Leuten kommt man immer zurecht, wenn sie uns auch zu schaffen machen.

Unter meine Geduldproben zähle ich die Hochzeitfeier. Es war ein alltägliches Hoffest daraus gemacht worden. Zum Glück, wissen fürstliche Personen dergleichen schnell abzumachen. Trauung, Gratulation, Diner, Entlassung, alles [83] ging in einer Hetze fort, so daß wir uns im Wagen, aus der Stadt, auf dem Wege hierher, befanden, ehe ich noch Zeit behielt, das Geschehene mit Gelassenheit zu überdenken. Emma hatte sich mehr betäubt als gefaßt aus den Armen ihrer Mutter gerissen, und es vielleicht kaum wahrgenommen, daß diese das Scharfe, was ihren Empfindungen etwas Aetzendes giebt, ganz auf mich übertrug. Ich war ihr in der Seele zuwider. Sie konnte und wollte das auch nicht verbergen. Mir that es wehe. Ich blieb lange auf das Innigste erschüttert; während Emma ruhig, ohne sichtbare Gemüthsbewegung neben mir saß.

Ich konnte mich nicht erwehren, sie von Zeit zu Zeit mit unverhehltem Erstaunen anzusehen. Es schien, als entgehe ihr das gänzlich. Es lag ein Ausdruck des Friedens und der innern Einigkeit auf ihrem Gesichte, welcher der abendlichen Stille der Natur zu vergleichen war, und auf mich ungefähr denselben Eindruck machte.

Nach einer Weile bemerkte ich, daß sie leise betete, und den Beistand eines höhern Wesens anrief, mit welchem sie sich in liebendem, natürlichem Einverständnisse befand.

Seitdem fand ich sie öfters so. Gleichwohl [84] kann ich die Spur dieser Richtung noch nicht völlig klar in ihr auffinden. Ich trage auch eine gewisse Scheu vor jedem erläuternden Schritt. Sehr wahrscheinlich weichen unsere Ansichten hier von einander, und die Gewißheit darüber könnte sie stören. Mich stört so leicht Niemand in dem, was in mir feststeht; aber gegen Formen rennt man an, ohne es zu wissen.

Erst gestern machte ich die Erfahrung. Wir krochen am Simplon herum. Ich ließ Emma auf einer bequemen Stelle bei ihren Trägern. Sie blickte von hier ruhig nach den Thälern hinunter, indeß ich, von innerer Unruhe getrieben, froh, mir einen Augenblick selbst anzugehören, alle Mühseligkeit verachtend, die zackigen Klippen noch um eine bedeutende Strecke hinan klomm, und jetzt auf einem Abhange fast schwebend mit stolzen Erwartungen um mich sah. Allein, die Atmosphäre hing, von Dünsten verdeckt, wie ein wallender Vorhang, zwischen der Stelle, wo ich stand, und den nächsten hundert Schritten unter mir. »Alles ist anders, als man es denkt!« rief ich, und wollte den Rückweg antreten. Es war indeß leicht an dem dumpfen Rauschen und Brausen aus der Ferne, die Vorbereitung einer Explosion der Elemente wahrzunehmen. Ich wollte [85] das abwarten, und folgte nun mit steigendem Antheil dem Kampfe der Natur. Blauschwarze, electrische Ballen wälzten sich unförmlich, und von ihrem eignen Luftzuge gedrängt, übereinander zu einem schauerlichen Chaos. Es ward dunkler und dunkler, zuletzt ganz finster, die Nacht hielt mich dicht umarmt in ihre Schleier gehüllt. Da fuhr der Stoß einer kreuzenden Luftschicht, wie ein langer weißer Strahl in den aufgethürmten Knäuel, und, als sollten Himmel und Erde untergehen, so faßte und riß ein Wirbelwind, der die Welt aus ihren Fugen zu reißen Miene machte, in das Gewölk. Ein Augenblick noch, und die gährenden Stoffe stürzten krachend und schäumend unter Donner und Blitz und Wogenströmen in die Tiefen hinab, über mir ward es hell wie in einer azurnen Kugel. Ich blickte überrascht und sprachlos um mich. Die majestätische Gewalt dieses Vorganges fesselte mich unverrückt auf demselben Fleck. Doch, ich dachte an Emma, und arbeitete mich nun durch das Unwetter, das vor mir herging, hindurch, zu der Stelle, wo ich sie gelassen hatte. Sie war nicht mehr dort. Ihre Träger kamen mir indeß, durch sie abgeschickt, bereits entgegen. Ich erfuhr, daß eine nahe Hütte ihr Obdach gebe, und eilte nun dahin. Es[86] stürmte und regnete noch in einem fort. Sie flog mir in die Arme. Der Gedanke, daß die zerstörende Macht der Elemente uns plötzlich hier am Eingange eines neuen Lebens hätte trennen können, erschütterte mich unwillkührlich. Ich war bewegt, und zeigte es ihr. Sie sah mich mit ihrem stillen, festen Blicke an. »Ich wußte es wohl,« sagte sie, »daß Dir nichts begegnen würde.« »Bist Du so zuversichtlich?« entgegnete ich, vielleicht ein wenig kühler als zuvor. »Ich bin es nur in einer Art,« versicherte sie mit abgewandtem Gesicht, indem sie, ohne weiter etwas hinzuzusetzen, an das kleine Hüttenfensterchen trat. Ich folgte ihr dahin. Das Gewitter zog immer tiefer abwärts. Die jenseitige Bergwand färbte sich schon wieder im röthlichen Licht der Abendsonne, ein feiner Sprühregen flimmerte silbern zwischen den Steinen. Eine Heerde weißer Ziegen und buntgefleckter Kühe zog einzeln und lautlos vorüber. Der junge Hirtenknabe folgte ihnen, sein Liedchen pfeifend. »Sieh,« rief Emma, mit einem Lächeln, das an Corregio und seine Bilderwelt erinnerte. »Sieh, wie schnell Gott den wilden Aufruhr gestillt hat. Die Sonnenlichter drüben gehen wie seine Friedensboten über die Berge.« Ich bemerkte, indem sie sprach, ein [87] kleines silbernes Cruzifix, das sie sonst verborgen an einer Schnur um den Hals trägt, über ihre gefaltenen Hände herabhängen. Gewiß hatte sie, in der Angst ihrer Seele, ihre Zuflucht dazu genommen.

Ein jeder hat seine Art, dachte ich, und ließ sie. Doch erwiederte ich: »Hier ist Ruhe und Ordnung, allein dort oben war es, als rolle der feurige Wagen des zornigen Gottes der Israeliten auf den Wolkenbergen hin, und schleudere seine Wetter auf die Erde. Nichts,« fuhr ich fort, »füllt meine Brust mit so heiligen Schauern göttlicher Erhabenheit, als die großen Erscheinungen der Natur. Das sind lebendige Symbole. Sie reden mit andern Zungen, als todte Bilder.«

»Die Natur ist auch ein todtes Bild,« meinte sie, »ohne das Leben in dem Glauben des Christen.«

Ich lächelte. Sie war ernst geworden. Zum erstenmale sah ich den Schatten einer Wolke auf ihrer Stirne. Sie sagte nichts. Aber es war ganz klar, ich hatte ihr wehe gethan. Es wird gewiß nie wieder geschehen. Aber da siehst Du, es sind immer nur Formen, die zwischen die Herzen treten. Das ist der Fluch der Menschheit!

[88] Lebe wohl, Heinrich! Was hilft so eine Ausflucht in die Weite! Man muß doch wieder in die gezogenen Schranken zurück.

Nun! ich komme auch zurück. Bald bin ich wieder heimisch unter den Meinigen. – Den Meinigen? Wer sind sie? Man hat eine besondere Gewohnheitssprache, ohne viel darüber nachzudenken, angenommen, und damit die Begriffe gewaltig auf den Kopf gestellt.

Aber! Lebe wohl! Lebe wohl!

Sophie an Elise

Sie sollten mir ohne Worte und Gründe verzeihen, geliebte Elise, die Freude des Wiedersehens, hoffte ich, werde meine Vertheidigerin sein. Alles war vorbereitet zur Abreise. Ich sah schon in Gedanken Ihr liebes, gerührtes Lächeln, im Kampfe mit dem kleinen Rest von Empfindlichkeit, der mehr und mehr an der Wärme aufflammender Freundschaft wegschmolz. Das alles sind nur Gedankenbilder geworden. Ich werde Sie sehr lange nicht sehen! Lassen Sie mich alle Empfindungen unterdrücken, die hierbei in mir laut werden. Schelten, urtheilen Sie [89] auch nicht, ehe Sie es wissen, daß ich ein Opfer bringe, und dabei leide.

Liebste Elise, die Abreise des jungen Paares hat die Mutter in einen Zustand versetzt, von dem nur diejenigen einen Begriff haben, welche diese merkwürdige, in allen ihren Eigenschaften so eigenthümliche Frau kennen. Vielen mag sie unzusammenhängend vorkommen, da sich im Gegentheil alles scheinbar Abweichende in einer Richtung bei ihr fortbewegt, und ein und dasselbe Ziel hat.

Es ist Emma, Emma allein, welche die Saiten ihres Innern so oder so anschlägt. Der jedesmalige Ton hängt hiervon ab. Liebe zu dem Herzen ihres Herzens bedingt die ungestüme oder verhaltene Pulsschläge desselben. Wie die Aussenwelt hierauf einwirkt, oder sie diese, in der einzigen Lebensbeziehung, die sie kennt, umschaffen oder beherrschen will, das ist die einzige Aufgabe ihrer Gedanken und Empfindungen. Die Lösung derselben ist schwierig, sie giebt sie vielen Widersprüchen preis.

Jetzt ist das geliebte Kind ihr entrissen. Ein Anderer übernimmt das Geschäft, für sie zu denken und zu handeln. Ein Dritter, nach ihrem Gefühl ein unberufener Dritter, bestimmt [90] über das Wohl und Weh der Theuren. – Es ist nicht Trauer, nicht Schmerz – Selbstvernichtung, verzehrende Eifersucht, Verzweiflung ist es, die ihre hohl gewordene Brust zerreißt. Die Wahl der Tochter war nicht die ihrige. Alles widerstrebte ihren Wünschen in dem Manne, der auf unbegreifliche Weise den ruhigen Spiegel der Gefühle in Emma erschüttert, und aus dem verborgenen Grunde der fügsamsten Seele eine so starke und ausschließende Neigung heraufgelockt hat, daß hier nichts mehr zu unterdrücken war, sondern auf einer oder der andern Seite ein Opfer gebracht werden mußte.

Die Mutter hat es gebracht. Aber, anders ist es mit dem Augenblick der Begeisterung, anders mit dem ruhig fortgehenden Leben! Den ersten überfliegt der Gesammtmensch in uns, dem andern erliegt das Menschliche in jeder momentanen Steigerung empfundener Unbequemlichkeit.

Die kluge Weltfrau hat an dem unerwünschten Geschick ihrer Tochter gedreht, geschoben und gehalten, was sie nur daran handhaben konnte, allein das Verschobene gleicht sich nicht aus. Sie erkennt das schärfer als Andere. Deshalb ist sie innerlich gebrochen, und kann nichts mit Haltung kommen sehen.

[91] Es gab einen Zeitpunkt in meinem Leben, wo sie mir als stärkere und weisere Gefährtin kräftig zur Seite stand, und, wenn auch nicht mein Herz zu heilen, doch Ruhe und äussere Verhältnisse der Hoffnungslosen zu bewahren wußte. Ich verdanke ihr die sanfte Ausgleichung unzähliger Widersprüche, die Stille und Freudigkeit meines jetzigen Berufs, einen ruhigen Abend und viele selige Träume vom neuen Tage.

Elise, würden Sie es gut heißen, wenn ich die Freundin jetzt verließe, wo ich ihr vergelten kann, was sie an mir that.

Sie würden es nicht gut heißen, das darf ich zuversichtlich behaupten. Ich sage Ihnen daher auch ohne alle Furcht vor Mißbilligung, daß ich den Winter über nicht nach meinem Stift zurückkehre, ja, daß ich nicht einmal in Deutschland bleibe, sondern die bekümmerte Frau nach Italien begleite, wohin sie, in Aufträgen ihrer Prinzessin, reist, die, wie Sie wissen, aus dem toskanischen Hause entsproß.

Ich irre wohl schwerlich, wenn ich die Absicht der großmüthigen Fürstin in dieser Sendung zu erkennen glaube. Sie will etwas Fremdes in die Seele ihrer betrübten Dienerin schieben, und sie durch andere Gegenstände auf andere Gedanken [92] bringen. Gleichwohl fürchte ich, wird sie hiermit ganz ihren Zweck verfehlen. Es giebt Stimmungen, in welchen das Ableiten nur heftiger und unwilliger auf das eigene Interesse zurückdrängt, und das Uebel ärger macht.

Das Letzte zu verhüten, hauptsächlich aber die Reise selbst nur möglich zu machen, was bei dem schlaffen, schwankenden Gemüthszustand der wahrhaft Erkrankten sehr schwer halten würde, habe ich mich zu ihrer Gesellschafterin aufgeworfen. Die Fürstin billigt, ja wünscht es.

So werden wir denn schon in wenigen Tagen auf dem Wege nach Florenz sein. Gott ist überall! und ich gehorche seinem Willen, hier oder dort.

Dies reicht hin, jede andere Frage des Innern abzuweisen. Machen Sie es auch so, liebe, zärtliche Elise. Ich weiß, Sie missen mich ungern. Sie haben auch sonst Niemand, dem Sie sich, in den vielen unbeschäftigten Augenblicken eines einsamen Tages, mittheilen können. Allein, eben deshalb ist es vielleicht gut, daß ich eine Zeitlang zurücktrete. Es bringt Sie wohl dahin, Andere aufzusuchen. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß man Sie ohnehin des Hochmuths beschuldigt, und darin [93] etwas Gesuchtes, ja Anmaßendes finden will. Zudem ist Ihnen Emma in Kurzem nahe. Liebe Elise, was soll ich Ihnen weiter sagen? – Ich fürchte für dies arme Herz. Sie war es, die Hugo ihre Hand gab, er hat sie angenommen! aber er hält sie so lose, so furchtsam, möchte ich sagen, in der seinen, als ängstige es ihn, daß er diese nun nicht besser gebrauchen kann. Der Ernst, die Gewaltihrer Gefühle, hat das leichte Spiel jugendlicherEmpfindungen in einem festen Verhältniß gefangen genommen. Mir ahndet, die Ketten, welche sie arglos um sein wie ihr Geschick legte, werden mit dem vollen Gewicht ihrer Last auf sie allein zurückfallen.

Doch, wozu die nutzlosen und trügerischen Blicke in eine ungewisse Zukunft. Liebe, liebe Elise, sein Sie der Schutzengel der Unerfahrnen. Ich lege sie Ihnen ans Herz. Es ist so schön, das Störende abwenden oder doch mildern helfen.

Indem ich Ihnen auf solche Weise einen Theil meiner eignen Verpflichtungen, die ich nur gegen andere vertausche, zurücklasse, und somit mein Andenken auf die lebendigste Weise bei Ihnen gesichert weiß, verlasse ich Sie ruhiger.

Könnten Sie in meinem Herzen lesen, Sie [94] würden deutlicher verstehen, was ich kaum anzudeuten vermag.

Sein Sie glücklich, beste Elise! und machen Sie Alle durch Ihre Nähe so glücklich, wie ich es mehrere Jahre hindurch war!

Auf ewig die Ihrige.

Die Oberhofmeisterin an den Comthur [1]
Die Oberhofmeisterin an den Comthur

Sie thun sehr wohl, daß Sie Ihren Neffen in Schutz nehmen. Ich kenne auch kaum zwei Menschen, die einander so ähnlich wären, als Sie beide.

Dies mag Sie befremden. Ich glaube es. Sie wissen vielleicht selbst nicht warum. Aber ich bitte, erlassen Sie mir die Beweisführung. Mein Kopf, mein Geist, sind so schwach in diesem Augenblick, daß es vergebliche Mühe wäre, mich auf etwas Bestimmtes einlassen zu wollen. Nur so viel: Verschiedene Umstände bilden dieselben Grundzüge des Charakters, hier so, dort anders aus. Die Familienähnlichkeit bleibt gleichwohl unverkennbar.

Daß Ihre und Hugo's Ansichten von einander abweichen, beweist nichts. Systeme macht [95] man, die Natur hat man. Sie haben beide keine glückliche. Ich empfinde es. Mich friert in der lauen Atmosphäre, die Sie umgiebt. Ich könnte lachen über alles, was Sie in die Seele einer Mutter schwatzen, hätte ich das seit Emma's Abreise nicht verlernt. Was wissen Sie von den zarten Fäden, die von dem Hauch eines unberufenen Wortes erzittern.

Einsiedler, in der Welt wie im Gefühl, predigen Sie in der Wüste, aber nicht am Hausaltar liebender Familien; dies Heiligthum bleibt Ihnen unzugänglich.

Ihr Trost wird Zurechtweisung. Ich forderte den einen nicht, und bin wenig gestimmt, die andere zu ertragen.

Mir werfen Sie es vor, die Verbindung beschleunigt zu haben, welche ich jetzt ungeschehen wünsche. Ich bin sehr unschuldig an dieser Verbindung. Das, dächte ich, wissen Sie. Doch einmal, bis auf einen gewissen Punkt gedrängt, wollte ich Licht sehen, und machte daher Tag. Sie zwangen mich zu handeln, das ist es, was Sie meine Ungeduld nennen. Sie verstehen nicht, wie eine Mutter, auch mit widerstrebendem Herzen, an die Erfüllung der Wünsche ihrer Kinder denken kann!

[96] Aber ich werde ganz krank, bei den vielen unnützen Worten, die Sie doch wieder falsch auslegen werden. Darum lassen wir es gut sein!

Ich bin auf dem Wege nach Florenz. Es ist eine von den vielen Reisen, bestimmt, eine Lücke im Leben auszufüllen, sonst zwecklos, und daher unbequem.

Ich füge mich ohne Widerrede in die Anordnung der Prinzeß, theils, weil sie es so wollte, theils, weil ich einen Augenblick glaubte, unterwegs mit Emma zusammenzutreffen. Es reizte mich die Vorstellung, sie zu überraschen. Allein Hugo hat, wie er sich ausdrückt, so große Ungeduld, die Herbstjagden im heimathlichen Gebirge mitzumachen, und Emma die grünen Wellen des vaterländischen Stroms in dem Lichte der vollen Septembersonne zu zeigen, daß beid schon auf dem Wege zu Ihnen sind. Es mag auch sein! Ich lasse mich nun um so ruhiger fortschieben. Doch bin ich, ich gestehe es, über die Eile Ihres Neffen verwundert. Was zieht ihn denn so mächtig zu Ihnen zurück? Der Gedanke, ein Eigenthum, einen Heerd zu besitzen, und dort als freier Mann zu gebieten, zu handeln? – Nimmermehr! Er dünkte sich wohl freier als jetzt, da er Niemanden verpflichtet war. Ist er des Umherstreifens [97] müde? Nun! so scheut er doch das Bleiben an einem Orte noch mehr. Oder, ist es Emma's Begleitung, die ihm die Lust am Reisen verdirbt? Unter allem ist gerade das Schlimmste das Wahrscheinlichste.

Dem Vogel sind die Flügel beschnitten, und für den, welcher gern den Adler gespielt, auf steilen Höhen gehorstet, den freien Flug eifersüchtig bewahrt hätte, für den ist die Rolle des Haushahns im abgegränzten Zwinger anstößig. Mein Gott! warum genügten die Luftregionen nicht. Möchte er immerhin in seiner erhabenen Einsamkeit, auf starrer Klippe, dem Stolz mit prächtigen Träumen schmeicheln, ich hätte nichts dawider gehabt. Aber ihm gelüstete nach den Früchten des Thales. Er ließ sich zu ihnen herab. Der Traum ist aus, das ist sein Unglück.

Doch, da ich daran denke! Von Früchten desThales oder der Welt, mir gleichviel. Es kommt mir vor, auch Sie haben noch nicht den Geschmack daran verloren. Sonderbar genug, ist das einzige Lebendige in Ihrem Briefe, die Schilderung der artigen Frau, welche Sie höchst großmüthig zu Emma's Freundin bestimmen. Bis auf das weiße Kleid und dessen nachläßige Eleganz, zeichnen Sie die neue Dame [98] Ihrer Gedanken auf das Papier. Mein guter Comthur! Sie haben nicht wohl daran gethan. Wie sie dort steht, trägt sie alle Züge der gefeierten Herrscherin eines engen und flachen Kreises, welchen die Gräfin überall um sich versammelt, und den Sie gute Gesellschaft zu nennen belieben. Ich weiß es seit lange, daß Männer kein Urtheil über Frauen haben, und die Grade des geselligen guten Tones nur nach dem Thermometer ihrer Eitelkeit anzugeben wissen. Wie der Ihrigen durch das zuverläßig einfältige Erstaunen der Kleingeister zu Ulmenstein, bei dem unerwarteten Auftreten eines bekannten Sonderlings, geschmeichelt ward, ist mir gar nicht zweifelhaft.

Es ist in der Ordnung, ich tadle Sie deshalb nicht. Aber begreiflich wird es mir, daß die Bizarrerie ganz gewöhnlicher Pretention, die auf besonderem Wege ihrem Ziele nachläuft, Sie bestach. Der Präsident ist kein gewöhnlicher Mensch. Sein Charakter ist der eines Mannes, der seinen Weg bestimmt geht. Durch den Flitter der Mode war der nicht zu erobern, eben so wenig führt eine bequeme Straße zu seinem Herzen. Und wenn es vielleicht auch nur um die Hand zu thun war, so mußte doch dieses in [99] Beschlag genommen werden. In solchem Dylemma wählt man denn schon einen ungebahnten Pfad, auf dem sich die jugendliche Gestalt ohnehin um so überraschender und in die Augen springender ausnimmt. Dergleichen Coquetterien sind sehr wohlfeil, und bei der Leichtgläubigkeit der Männer außerordentlich belohnend.

Dem sei nun wie ihm wolle, ich hege gegen jede ausgezeichnete Art und Weise der Frauen Argwohn. Was ächt ist, fordert keine besondere Fassung!

Ueberdem bedaure ich Ihre Mühe, für Emma eine Wahl getroffen zu haben. Die wählt selbst! Das liegt ja nur zu sehr am Tage.

Leben Sie wohl. Haben Sie Mitleid mit mir. Ich bin bis in den Tod betrübt. Deshalb vergessen Sie, wenn ich heftige und ungleiche Worte sprach. Ich weiß kaum, was ich denke und empfinde.

Es ist gut, daß Sophie mit mir geht. Ihnen verschlägt das wohl weiter nicht viel, und ihr ist es nothwendig.

Leben Sie wohl!

[100]
Elise an Sophie [6]
Elise an Sophie

Nein, ich schelte, ich urtheile nicht über Sie. Es ist zu viel Wehmuth in mir, um der Galle Raum zu geben! Könnte ich es bis zum Unwillen bringen, ich wäre einer großen Last überhoben! Der Kummer schwächt mich. Ich habe ungern mit ihm zu schaffen.

Mein Gott! wie hängt Eines am Andern! Ich dachte es gleich, als Sie abreisten. Es war der erste Riß in dem sanften, beruhigenden Gewohnheitsleben. Ich dachte es gleich, dabei bleibt es nicht!

Solche Erschütterungen machen gewöhnlich einen Abschnitt in den Verhältnissen. Die unterbrochene Zeit scheidet sich in zwei Stücke. Das erste ist durchlebt, es liegt hinter uns. Von dem, was kommen wird, wissen wir nichts. Aber haben Sie schon gesehen, daß ein geschürzter Faden keine Spur des Knotens zurückließe? Geben Sie Acht, an dem Absatz oder Höcker im Gewebe geht viel, viel von der bisherigen Uebereinstimmung verloren.

Sie haben eine seltene Gabe, sich Ihren Freunden unentbehrlich zu machen! Es ist eine Leere um mich entstanden, die der ganzen Gegend die unfreundlichste Kälte giebt. Ich weiß nicht, [101] wo ich mit mir selber hin soll. Werden Sie es glauben? Die Zeit wird mir lang! Und das ist mir so neu, so unbequem, daß ich, aus Schaam und Mitleid mit mir selbst, weine.

Kennen Sie wohl die Stimmung, wo Einem Muße und Beschäftigung, beide gleich lästig sind. Ich kenne und verabscheue sie, und doch werde ich sie nicht los.

Es ist nicht allein die Trennung von Ihnen, die mich so abspannt; weit eher ist es Ihr Brief. Sie rollen in diesem ein Blatt Ihres Innern auf, und lassen mich gleichwohl nichts anders als den räthselhaften Titel eines langen Romans lesen. Ich weiß es jetzt gewiß, Sophie, eine tiefe, noch jetzt fortdauernde Leidenschaft brachte Sie in die Mauern Ihres Stiftes. Die Gräfin gab längst etwas Aehnliches zu verstehen, und ihre Schuld ist es auch wahrhaftig nicht, wenn ich den Gegenstand nicht kenne. Ich gestehe Ihnen, es war nicht sowohl Bescheidenheit, als unüberwindliche Scheu, was mich ihre Mittheilungen vermeiden ließ. Von Ihnen konnte ich nur durch Sie selbst hören. Solche verstimmte Bruchstücke aus der Geschichte eines Herzens sind mir immer ein Gräuel gewesen.

[102] Die Gräfin lachte mich aus. Sie glaubte mich von allem unterrichtet, und behauptete, ich spiele die Unwissende aus Verschwiegenheit. Ich gab das weder zu, noch bestritt ich ihre Meinung. »Gehen Sie, kleine listige Katze,« rief sie mir mit dem aufgehobenen Finger drohend, »Sie haben sich neulich bei dem Besuch des Comthur verrathen.« – Ich sah sie überrascht an. Das Blut trat mir, mit einem plötzlich aufschliessenden Gedanken, in die Wangen. Die Gräfin bemerkte es nicht sobald, als sie auf meine verwunderte Frage: »bei dem Besuche des Comthur?« vor Entzücken, mich ertappt zu haben, laut jubelte, sich abwandt, und mich stehen ließ.

Sophie! auch Ihnen möchte ich wiederholen: »bei dem Besuche des Comthur.« Weshalb erwähnen Sie in Ihrem Briefe gar nichts von allem, was der meinige enthielt? Warum schweigen Sie jetzt bei dem Namen eines Mannes, den Sie vertheidigten, wenn ich ihn angriff, ohne ihn zu kennen?

Es ist überall solch schwankendes Andeuten, jene unselige Allgemeinheit der Gefühle, die mich immer ungeduldig macht, in dem, was Sie sagen und verschweigen, daß ich schon deshalb nicht anders [103] als unbefriedigt, geängstet und mißmuthig sein kann.

Georg ist ein Engel! Er saß mir gegenüber, als ich schrieb, und schnitzte sein hölzernes Pferdchen aus einer Fliedergerte zurecht. Ich hatte die Feder in der Hand, und heftete, wie ich es öfter thue, den Blick auf irgend einen Gegenstand meiner Gedanken. »Warum schreibst Du denn nicht?« fragte er, während er Ruthe und Messer sinken ließ, und mich klug und prüfend ansah. »Vater schreibt immer, wenn er einmal dabei ist,« fuhr er nachsinnend fort. Ich lächelte. Er sprang mir schnell auf den Schooß, schlang beide Arme heftig und fest um meinen Hals, und fing an zu weinen. »Sei nicht so traurig!« schluchzte er, »Du siehst so traurig aus, warum lachst Du denn nicht? Lache doch! bitte, lache doch!« rief er immer dringender. Ich war fast erschrocken. Wie hat das kleine Seelchen so schnell und ahndungsvoll das Gegenbild der meinigen aufgefaßt! Denken Sie doch, Sophie! ich sah ihn ja freundlich an, als er zu mir sprach. Und doch! und doch! Wie anders liest der Knabe in meinen Blicken als – Doch genug! er wenigstens wird mich verstehen, und hierin ist unendlicher Trost.

[104] Ich komme von des Amtmanns Gut, und habe dort ein Paar angenehme Stunden zugebracht.

Georg war einmal aus seinem Spiel heraus. Die Thränen der Kinder sind an manchen Tagen schneller erregt, als gestillt. Der Rührung folgte Unwillen, und ich mußte nun ein Uebriges thun, um ihn aufzuheitern. Die Weintrauben drüben am Spalier, dachte ich, werden ihn wohl auf andere Gedanken bringen.

Ich gab ihm die Hand, nahm das schlanke Pferdchen in die andere, so gingen wir beide, immer noch ein wenig verstimmt, bis an das grüne Gitterthor mit den weißen Spitzen. Es war offen. Die Kinder des Amtmanns fuhren auf einem kleinen Wagen, den ein geduldiger Esel zog. Körbe mit abgeschnittenen Trauben standen darauf. Der Weg ging nach dem Winzerhause, unten am Berge. Georg riß sich sogleich von mir los, und fort ging es mit ihm und den Andern in einem Trabe. Ich blieb stehen, während ich ihm, nicht ohne Besorgniß, nachsah, und dem Aeltesten der Knaben zurief, achtsam auf die Kleinern zu sein. »Fürchten Sie nichts, gnädige Frau!« sagte eine angenehme Stimme hinter mir, »der Wilhelm ist verständig für seine Jahre, man darf ihm trauen.« Ich wandte mich um. Eine [105] kleine, feine Matrone, in einem grauen Röckchen und schwarzem Shwal, stand einige Schritte von der Geisblattlaube, aus der sie nun so eben herausgetreten sein mochte. Sie hielt die schmale Hand schirmend gegen die Stirne, und sah unter dem breiten, herausgerollten Strich ihrer Haube klug und achtsam auf das Treiben der Kinder, verbeugte sich indeß sogleich sehr artig, als sie meinem Blick begegnete. Ich eilte auf sie zu. Wir begrüßten einander. Ihr weißes, sanftes Gesichtchen flößte mir Vertrauen ein. »Wäre Ihnen nicht gefällig,« sagte sie, mir den Platz auf ihrem gepolsterten Armstuhl anbietend, während sie ein hölzernes Schemelchen für sich heranzog. Nichts in der Welt hätte mich dazu vermocht, ihr den bequemen Sessel, der ganz zu ihr gehörte, und in welchem sie sich auch nachher vortrefflich ausnahm, zu rauben. »Bewahre! Bewahre!« rief ich, und kam jeder Einrede dadurch zuvor, daß ich ohne Weiteres das Schemelchen in Besitz nahm. Sie erröthete verschämt, knixte, und wiederholte fast ängstlich: »Darf ich nicht bitten?« Doch es blieb dabei, und wir saßen einander bald an einem Tischchen gegenüber, das mit glänzender grüner Wachsleinwand überzogen, von einer weißen Leiste eingefaßt, so [106] fleckenlos und sauber, wie sie selbst, vor ihr stand. Ein Korb mit Spielzeug und einem Strickstrumpfe, neben diesem ein Deckelglas, dessen klares Wasser eine feine Rinde Brod färbte, war alles, was sich darauf befand. Wir waren einander fremd. Es entstand eine Pause. Sie wußte noch nicht sogleich, wen sie sich vorstellen sollte. Ich dachte hieran nicht. Mir fiel die Luft des Gärtchens, die vielen Herbstblumen, und die abgeblätterten, gebräunten Sterne der weißen und rothen Rosen, an den hohen Stöcken, aufs Herz. Seit dem Tode der Amtmännin war ich heute zum erstenmale hier. Als wir zuletzt in der Laube saßen, blühten die Büsche so voll und prächtig. Sie schnitt mir, zum Abschied, mit großer Emsigkeit, einen Straus der schönsten Rosen ab. Es waren ganz purpurfarbene darunter. Ich verglich diese noch mit ihren Lippen, die sich lächelnd theilten, und um so frischer gegen die weißen Zähne abstachen. Gute, gute, hübsche Frau! dachte ich, wie schnell ist dein junger Morgen durch eine lange, finstere Nacht verhüllt worden.

Mein graues Mütterchen wandte in diesem Augenblicke den Kopf über die Schulter, und sagte, heiter zurücksehend, mit herzlichem Lächeln: [107] »Komm nur immer hervor, Annchen! die gnädige Frau thut dir nichts.«

Ich bemerkte erst jetzt das allerliebste Kind, das ganz in die Zweige hinein gekrochen, dennoch den Kopf neugierig zwischen den Blättern hervor steckte.

Ich nickte ihr verstohlen zu, winkte ihr hervor, und ließ Ringe und Armbänder in der Sonne glänzen, um sie anzuziehen. Sie kicherte heimlich mit abgewandtem Gesicht, wollte lange von nichts wissen, plötzlich stand sie neben mir, und spielte mit den angebotenen Schätzen. Ich faßte sie unters Kinn, sah ihr in die scheuen Augen. »Wie gleicht sie der Mutter!« rief ich überrascht. »Finden Sie das auch?« entgegnete meine Nachbarin, in einem leisen, von Rührung gedämpften Tone, der mir ein gepreßtes Herz verrieth. Mir drängten sich die Thränen herauf. Ich nickte bejahend. Sie wischte, fast unmerklich, ihre feucht werdenden Augen, und die andere Hand auf den Kopf der Kleinen legend, sagte sie: »Ja, mein Sohn hat einen unersetzlichen Verlust erlitten, aber die armen Kinder sind doch weit übler daran.«

Ich wußte jetzt, wer sie war, und erwiederte: »freilich wohl, aber es bleibt ihnen doch die [108] Großmutter.« »Ach, was will das sagen!« wandte sie kopfschüttelnd ein. »Mangelt es ihnen auch nicht an Pflege, und liebe ich sie vielleicht nur zu sehr, es artet sich doch alles anders. Der Muth, der jugendliche Sinn fehlt, dem sich die Kinder näher verwandt fühlen. Wir Alten sind ängstlich, wir peinigen durch stete Vorsicht, und glauben die Gefahr abzuwenden, wenn wir sie scheuen. Eine Mutter hegt besseres Vertrauen, und ist meist immer beglückt durch den Erfolg; überhaupt, was soll den Waisen die Mutter ersetzen!« seufzte sie, in den Anblick der kleinen Anna verloren. Ich fühlte, daß sie wahr spreche. Mir schlug das Herz heftiger, als rege sich, um Georgs willen, die Furcht vor dem Tode in mir. Aber es war dies auch wohl nicht! Ich weiß nicht, welche Bangigkeit mich befiel. Der kleine, wilde Trupp stürmte hier wieder in den Garten herein. Mit den stillen Nachgedanken hatte es nun ein Ende. Den Knaben war es nicht anzumerken, daß sie irgend etwas in der Welt vermißten, und Georg sah auch nicht aus, als ahne ihm nahes Unglück. Gleichwohl fand ich die Ersteren roher, und nichtachtender in Worten und Gebehrden, wie ehemals.

Ich verstand, was die Großmutter vorher [109] sagte. Sie kann sie nicht begleiten in ihrem Sinn, sie steht ihnen zu fern, und darum fahren sie flüchtig und unbekümmert über sie weg. Es war ein anderes Wesen in der Familie. Ich ward lebhaft davon ergriffen. Es schien mir, wie nach einer Feuersbrunst. Man bauet sich wohl wieder auf, aber die Erinnerungen liegen unter der Asche begraben. Die verständige alte Frau fühlte vielleicht etwas Aehnliches. »Solche Veränderungen,« hob sie gleichsam entschuldigend an, »lassen immer zerstörende Spuren zurück. Mein Sohn ist auch nicht mehr derselbe. Sein Haus ist verödet. Er hält nicht lange darin aus. Es ist nicht gut,« setzte sie bekümmert hinzu. »Die Wirthschaft stockt. Die wilden Jungen bleiben sich selbst überlassen, und am Ende fällt doch die Last der schlimmen Folgen auf seine Schultern zurück.« Ich konnte hierzu nichts sagen. »Das macht,« fuhr sie fort, »er hat die Frau zu sehr geliebt. Seit der frühesten Jugend lag ihm nichts, als ihr Besitz im Sinne. Wir waren Nachbarn des Hofpredigers in der Stadt. Mein Mann stand im Dienste des Fürsten. Dieser beschützte ihn und seine Kinder. Er wollte glückliche Menschen aus ihnen machen, darum gab er dem Aeltesten späterhin das Amt hier, das seinen Mann nährt, [110] und eine Frau obendrein, um die es dem leidenschaftlichen Jünglinge hauptsächlich zu thun war. Alles fügte sich wie von selbst. Zufriedenheit und Wohlstand zogen mit dem jungen Paare ein.« Sie schwieg einige Sekunden. Ihr Blick lag am Boden. Als sie wieder aufsah, rollten Thränen über ihr Gesicht. »So schnell,« sagte sie, »folgt Nacht auf Tag. Ist die Sonne eines Hauses untergegangen, so wird es dunkel und verworren im Innern.«

»Ja,« entgegnete ich, »das Glück ist nur ein Gast auf Erden.« »Oder,« bemerkte sie lächelnd, »ein Bote,« gnädige Frau, »der die Gäste einladen soll.« Die Worte fielen mir auf. Ich sann mehrere Augen blicke darüber nach. Sie fügte nichts weiter hinzu. Vielleicht dachten wir beide etwas ganz Verschiedenes dabei. Mir ist immer das Glück eine Aufforderung zu größerer Klarheit, zu freierem und erhöhetem Aufschwung der Gedanken gewesen. Der Geist scheint dadurch Flügel zu bekommen. Ich verliere mich in Dank und Anbetung. In dem Sinne ergeht wirklich eine Botschaft an mich, die ich, doppelt froh, willkommen heiße. Allein, dem flüchtigen Gruß des himmlischen folgt Abschied und Trauer, wie aller Glanz die Dunkelheit noch dunkler macht.

[111] Ich empfand in meiner Welt, Sophie. Die gute, kleine Alte deutete offenbar nach einer andern hin, die mir ein so erhabenes Geheimniß ist, daß ich dem Spiel der Vorstellungen und Begriffe hierüber niemals Raum gebe. Doch rührte mich ihr Auge und der Ausdruck stiller Zuversicht in den gelassenen Mienen. Sie ward auch wieder heiter, spielte mit der kleinen Anna, und als sie unsern Freund Walter am Gitterthor gewahr ward, stand sie geschäftig auf, fragte nach diesem und jenem, und zögerte sichtlich nur aus Rücksicht für mich, ihn eintreten zu lassen. Ich kam ihrer Unsicherheit zu Hülfe, indem ich den Handelsmann, der, mit geforderten Waaren versehen, hierher bestellt war, aufs Beste begrüßte, worauf er denn auch unverzüglich näher kam. Er packte Kisten und Kästchen aus, wir beschauten seine Schätze. Er lobte und pries sie an. Wir ließen uns dabei die Neuigkeiten des Tages erzählen. Urtheilen Sie, ob ich nicht ganz Ohr war, als er anhub: »Diesen Morgen trug sich ein Unglück mit dem großen Marktschiffe zu. Es schlug um. Ein junges Weib mit zwei Kindern stürzte in die Fluth. Der Strudel unterhalb dem Wehr riß sie fort, ehe ihnen Hülfe werden konnte.«

[112] »Gott! mein Gott!« rief ich, entsetzt aufspringend, »so sind sie rettungslos umgekommen?« »Siewären es,« entgegnete Walter mit Nachdruck, »wenn nicht die Tollkühnheit eines Fremden, der sich am Strande zeigte, als das Schiff abfahren wollte, Eins nach dem Andern dem Verderben entriß.« »Ein Fremder?« versetzte ich, seinen Arm mit unruhiger Neugier fassend! Er sah mich groß an. »Ja wohl,« erwiederte er, »oder wissen Sie, wer der Mann war?« Ich schüttelte den Kopf, ohnerachtet mir es innerlich vorkam, als müsse ich ihn kennen. »Die Leute,« fuhr Walter lächelnd fort, »wollen wohl sagen, es sei der junge Herr von der Burg gewesen. Mehrere versichern, ihn erkannt zu haben. Aber Niemand weiß es gewiß. Denn schnell wie der Blitz, hatte er die lästigen Kleider abgeworfen, und hinein sprang er, ins Wasser bis an's Kinn, ehe sich diejenigen, welche herzuliefen und eine Strecke davon, mit den andern Verunglückten zu thun hatten, noch besinnen konnten.«

»Was ward denn nun aber aus der Frau und ihren Kindern?« unterbrach ihn des Amtmanns Mutter. Walter entgegnete gelassen, indem er seinen Kram auslegte: »O mit denen hatte es nachher keine Noth. Wie sie ihr Retter [113] ans Land gebracht hatte, so sorgte er denn auch für das Uebrige.

Ehe das kleine Häufchen noch das Vorgefallene fassen konnte, saßen alle drei schon in warmen Kleidern, bei hellem Feuer droben in einer der Lachsfängerhütten, eine gute Suppe kochte lustig vor ihren Augen, sie hatten, was sie brauchten, der, welchem sie es verdankten, war über alle Berge.«

Sophie, mir klopfte das Herz vor Freude und Ungeduld. Nichts Erhebenderes, als eine kühne und anspruchlose That! Meine kleine Alte forschte indeß umständlich nach dem Hergange der Sache. Walter wußte nur im Allgemeinen hierüber Auskunft zu geben. Der Schiffsraum, meinte er, sei schon überfüllt gewesen; zuletzt, als die Frau mit den Kindern hereintrat, wären Alle, am meisten der Schiffer, unwillig geworden. Scheltend und brummend stieß er vom Ufer ab. Sein Gesicht weissagte nichts Gutes. Wir verstanden hierbei nur nicht, weshalb man die Frau einließ, wenn Gefahr dabei war?

»Wie es wohl so in der Welt kommt!« sagte Walter, den Kopf nachläßig aufwerfend. »Es muß sich denn immer alles gerade so fügen, wie es sein soll.«

[114] Bewundern Sie nicht, liebe Sophie, daß dieselbe unabänderliche Nothwendigkeit zu allen Zeiten, bei allen Völkern, in jeder Glaubenslehre vorherrscht? Die Einen nennen es Geschick oder Verhängniß, was den Andern das gewaltige Schicksal ist. Wir wechseln die Worte, der Begriff ist derselbe!

Ich hatte nicht lange Zeit, hierüber nachzugrübeln. Der Amtmann kam von einem Ritt über Feld zurück und meldete mir, daß mehrere Herren und Damen bei mir angefahren seien.

Ich brach sogleich auf, doch hörte ich noch die Begebenheit mit dem Marktschiff und der Rettung der Verunglückten vom Amtmann bestätigen. Er fügte hinzu, das Fahrzeug sei schon losgebunden gewesen und habe bereits über seine Anzahl Passagiere geladen, als jenes junge Weib athemlos, ein Kind auf dem Arme, das andere bei der Hand, gelaufen kam, und mit dem Ton verzweiflungsvoller Angst den Schiffer anflehte, sie aufzunehmen.

Ihr Mann, schluchzte sie, sei bei einem Bau in der Stadt als Zimmergeselle angestellt, und dort von einer tödtlichen Krankheit befallen worden. Erst in diesem Augenblicke komme ihr die Kunde hiervon; sie wisse sich nicht vor Angst zu [115] fassen, und bitte und beschwöre die Männer im Kahn, wenn sie ein menschliches Herz in der Brust trügen, sie nicht zurückzuweisen. Die hastige Zuversicht, mit der sie sich während dem anschickte, das Fahrzeug zu besteigen, der Schmerz in ihren Zügen, das Schneidende einer gepreßten und doch gewissermaßen um Hülfe schreienden Stimme, überraschte die Besonnenheit der Schiffer. Sie ließen es geschehen, daß Jene im Schiffe Platz nahm. Ward nun dieses wirklich hierdurch aus dem Gleichgewicht gebracht, oder ist das Geschehene einem andern Umstande zuzuschreiben? genug der Erfolg war, wie ihn Walter zuerst berichtete. Die leidenschaftliche Heftigkeit, mit welcher die Frau ihre Kinder ergriff und sie zu retten strebte, riß sie wahrscheinlich zuerst dem Verderben entgegen! Sie soll sogleich über Bord gestürzt sein. Ihr Angstgeschrei: »Herr Jesus hilf!« ward noch gehört, als man sie schon nicht mehr sah. Doch in demselben Augenblick sprang ein Mann in Jagdkleidung hinter niederm Buschwerk am Ufer hervor, und wie er die Verunglückten errettete? und wer er war? darüber blieb keinem unter allen Augenzeugen ein Zweifel.

Voll von den Vorstellungen, die sich an das erschütternde Ereigniß reiheten, ging ich jetzt nach[116] Hause, fest überzeugt, meine Gäste könnten Niemand anders als der Comthur und seine jungen Anverwandten sein. Mir schlug das Herz unwillkührlich vor innerer Bewegung. Nennen Sie es Neugierde, Sophie, oder Theilnahme, ich weiß nicht, welcher von beiden Regungen meine Ungeduld angehörte, allein ich ging so schnell, daß mich Georg selbst aufmerksam ma chen mußte, wie schwer es ihm werde, mir zu folgen. Ich erschrack über die unzeitige Eile. Doch urtheilen Sie, wie doppelt beschämt ich war, als ich im Hofe Curds wunderliches Cabriolet mit den zwei hintereinander gespannten Pferden und neben diesem, die Equipage der Gräfin erblickte. »Sie also sind es, die mich erwarten!« sagte ich kleinlaut, und ging die Anhöhe hinauf. Agathe und Rosalie hatten mich schon von weitem kommen sehen. Sie flogen mir entgegen. Beide redeten zugleich. Sie waren voll von irgend einer Neuigkeit, und brannten vor Ungeduld, mich in aller Eile durch Gruß und Umarmung in soweit abzufertigen, daß sie erzählen konnten, und ich hören mußte. So hing sich mir dann jede an einen Arm. Wir eilten dem Vorsaal zu, während beide mir sagten: »Wir haben die junge Emma, im Vorbeifahren, am Gitter des Thiergartens stehen sehen! Sie glauben[117] nicht, wie sie uns in dem Grün, unter den hohen Bäumen, überraschte! Eine Hirschkuh mit zwei allerliebsten Kälbchen stand vor ihr. Sie hielt ihnen Blätter, die sie aus einem Korbe nahm, ohne alle Furcht entgegen; die Hand schien allerliebst! Ein Jäger mit einem Waldhorn stand neben ihr. Er war groß, und sah vornehm aus. Mama behauptete, es sei der Graf selbst gewesen. Wir grüßten, die Gräfin dankte etwas fremd, doch mit vielem Anstande. Ihrer Haltung sieht man es gleich an, daß sie bei Hofe erzogen ist.« »Sie hatte ein schwarzes Kleid an,« fiel Rosalie ein, »mit langen, weiten Aermeln, ich wette, es war ihr Reisekleid, und in Wien gearbeitet. Es hatte ganz den Schnitt, die Taille so sehr lang, die krausen Falten nach unten so breit ausfallend. Es saß allerliebst!«

Mit diesen Worten traten wir in den Salon. Die Mutter verwies es den Töchtern, mich mit ihrem Geschwätz aufgehalten zu haben, indem sie auf ihre höfliche Weise hinzusetzte, daß sie mit jeder Minute geize, die sie meiner Unterhaltung abstehlen könne. »Aber ich weiß schon,« fuhr sie fort, »Sie sind auch ein Bischen neugierig auf unsere neue Nachbarin; es macht Ihnen Spaß, von ihr zu hören, und wirklich läßt ihr erstes Erscheinen [118] einen recht bizarren Eindruck zurück. Die junge Person nahm sich ordentlich pitoresk unter den uralten Bäumen aus. Es ist etwas Dunkles und Fremdes in ihrem Gesichte. Sie hatte den Hut, im Schatten der Bäume, aus den Augen gerückt. Ihr Teint erinnert an den feinen, bräunlichen Farbenton der Italiener. Auch ist das Haar ganz schwarz. Sie trägt es gescheitelt, wodurch das allerliebste Oval des kleinen Gesichtchens sehr vortheilhaft bezeichnet wird.«

»Mein Gott!« lachte ich unwillkührlich, »Sie haben mit dem vorüberfliegenden Blick die ganze Person aufgefaßt! Sie steht, wie sie lebt und webt, vor mir.« – »Wahrhaftig!« entgegnete die Gräfin geschmeichelt; nun, ich bin auch nicht gerade vorüber geflogen. Unter uns gestanden, ich wußte, daß die jungen Leute gestern angekommen waren, und da ich mich immer, was man auch gegen den Comthur sagen mag, für ihn interessire, so fühlte ich mich gespannt auf die Bekanntschaft seiner Hausgenossen. Ich ging deshalb den Thalweg, der an die Burg hinführt, überzeugt, bei dem schönen Wetter die Gesellschaft im Park zu finden. Wie Sie sahen, ist mir meine kleine List gelungen!« lächelte sie selbstzufrieden.

Ich lächelte auch über die Naivetät, mit der [119] die gute Frau den Zweck ihres Besuches aussprach. Sie war indeß so voll von dem einen Gegenstande, daß sie ganz arglos blieb, und wirklich, wie so oft in der Welt, mit offnen Karten spielte, ohne eine Ahndung davon zu haben. Curd flüsterte mir zu, alles dies sei geschehen, um sich sogleich zu überzeugen, ob die hübsche Nachbarin wohl den Sieg über Rosalie und Agathe davon tragen werde? – Der Umstand, daß jener ein glänzender Ruf voranging, habe die Eitelkeit der Mutter und der Töchter erregt. Er sei blos mitgefahren, um alle drei zur Verzweiflung zu bringen, ich möge nun Acht geben, wie ängstlich sie jedes lobende Wort begleiteten, und durch welche Gründe sie sich zu trösten wüßten. Ich war gar nicht geneigt, ihn in so hinterlistigen Plänen zu unterstützen. Im Gegentheile warf ich den Pfeil auf ihn selbst dadurch zurück, daß ich erklärte: er habe seine Begleiterinnen nur deshalb die steinige Straße geführt, weil er hoffte, die Aufmerksamkeit der Dame des Schlosses auf ein so tolles Fuhrwerk zu lenken. – »Sie thun ganz recht,« setzte ich hinzu, »denn seit es keine Originalität des Charakters mehr giebt, reicht es vollkommen aus, die Ordnung umzukehren, damit man bizarr erscheine. Wie witzlose Leute [120] gewöhnlich Worte oder Sätze umdrehen, um die Lacher zu flüchtigem Beifall zu zwingen.«

»Cousine,« flüsterte Curd halb empfindlich, halb gutmüthig neckend, »ich räche mich, ich kenne auch schon das Werkzeug hierzu. Sein Sie gewiß, Sie büßen den Muthwillen über kurz oder lang.« Und als wolle er sogleich Wort halten, fuhr er dann lauter redend fort: »Wenn Sie mir den Wunsch zutrauen, von einer reizenden Frau beachtet zu werden, so bin ich meiner Seits gewiß, daß Sie nicht gleichgültiger gegen die ächte Originalität eines genialen Sonderlings sein können, der aus dem Schlamme unserer verächtlichen Zeit sehr glücklich auf den Schauplatz der Welt auftaucht. Graf Hugo hat seine Probe diesen Morgen gemacht. Er ist es werth, den Ritterschlag zu empfangen.«

Mit vielem Pathos erzählte Curd jetzt die Begebenheit mit dem Marktschiff, und schloß den Bericht damit, daß er versicherte, später habe der Graf die Frau und ihre Kinder selbst in einem kleinen Fischerkahn zur Stadt gerudert, und sie dort bis an das Krankenlager des Mannes begleitet.

Agathe überschrie sich vor Entzücken und Bewunderung. Sie hielt das zierlich gestickte Batisttuch [121] einigemal vor die Augen, und wirklich wurden diese auch feucht. Rosalie lachte sie deshalb eben nicht gar zu rücksichtsvoll aus, doch fand auch sie die Begebenheit einzig und den Grafen sehr interessant.

Die Mutter horchte lächelnd auf die Aeußerungen der Töchter, dann sich zu mir wendend, flüsterte sie: »die Kleine ist ganz wie ich, das Herz läuft mit dem Kopf davon, ich schwöre Ihnen, ich habe Mühe, mich der Thränen zu enthalten. Es ist wahr, Graf Hugo muß allerliebst sein! Es ist so viel Herz in allem, was er thut, und so erstaunlich viel originelle Energie! Aber ein Bischen bange bin ich doch, daß er zu weit geht in seiner angenommenen Manier. Die Welt vergiebt eher das zu Wenig als das zu Viel. Man wird das Geniale darin seiner beschränkten Beziehung und dem Mangel an Kenntniß der Formen zuschreiben. Und ehrlich gesprochen, ich glaube, daß auch etwas daran ist. Aber ums Himmelswillen, kein lautes Wort hierüber. Sie fühlen wie ich, man muß gewisse Saiten nicht zuerst anschlagen!«

Sie hatte sie indeß angeschlagen, und hörbar oder nicht, sie klangen bald hell und schneidend durch einen immer größer werdenden Kreis [122] hinzukommender Gäste hindurch, die der Gräfin auf dem Fuß folgten, und meine kleine Villa zu einem andern Ulmenstein machten.

Curd wiederholte bis zum Ertödten aller Anwesenden Hugo's Abentheuer. Sichtlich gefiel er sich, das Urtheil eines Jeden herauszufordern.

Man wünschte dem Grafen Glück, mit einer poetischen Farce aufgetreten zu sein; schmeckte diese gleich nach veralteten Romanen, so gab sie doch Veranlassung, von sich sprechen zu machen. Es ward wirklich viel gesprochen. Ich aber konnte kein einziges Wort finden. Es war nichts in mir, was sich an diese Fäden anknüpfen ließ. Das Schlimmste dabei ist, daß auch ich über den Menschen selbst Anfangs confus geworden bin. Mein früheres Bild von ihm ist mir verwischt. Unwillkührlich schlüpft so etwas von provinzieller Abentheuerlichkeit in meine Vorstellung hinein. Ich will das weg haben. Ich bin ärgerlich, und komme nicht mit mir zurecht.

Nun, ich werde ja selbst sehen und urtheilen! Sie fühlen aber auch aus allem dem, welche Aufgabe Ihre Schützlinge hier zu lösen haben. Ich wünsche, daß es Ihnen damit glücken möge.

Leben Sie wohl, Sophie! und glückliche Reise! [123] Ich bin betrübt und verstimmt, ich verlasse Sie, um nicht noch trüber zu werden.

Heinrich an Hugo

Man glaubt immer, man könne einem Andern etwas Wichtiges, für ihn selbst Bedeutendes, sagen. Es ist eine Täuschung. Entweder weiß er es schon, oder er hört es nicht. Das innere Ohr ist eine Sensitive. Es verschließt sich, so wie man ihm nahe kommt.

Ich hatte mir in der vergangenen Nacht, die ich schlaflos zubrachte, vielerlei ersonnen, was ich Dir mittheilen zu müssen glaubte. Nun es dazu kommt, lasse ich es lieber. Dir hilft es nichts, und mich verleitet es vielleicht zu einer Uebereilung.

Hugo! wir verstehen uns ohne Worte. Aber ich fürchte, es kommt für Dich, wie für mich, wenig dabei heraus. In der Hauptsache macht es uns beide nicht klüger; denn bis auf einen gewissen Punkt bleibt der Mensch dem Menschen immer ein Räthsel. Die Alten kehrten das Inwendige nach Außen. Das schöne Ungeheuer, die Sphinx, war selbst das Symbol ihrer unaufgelösten [124] Aufgabe. Der Kopf wickelt sich wohl heraus aus der Hölle der Nacht, aber bis der Leib aufsteht, und sich nach eignen Gesetzen bewegt, bis der Gedanke ein Dasein hat, da müssen die Zeiten ihren Kreislauf vollenden, und die gebundenen Gebeine des Oedipus erst frei werden!

Du bist gefesselt, Hugo, was klagst Du mehr, als ein Anderer?

Im Grunde warst Du doch auch nicht mit Deiner frühern Stellung zufrieden. Hättest Du Dir genügen lassen an dem Besitz der Idee, wäre Dir das Eigenthum höherer Freiheit über alles lieb gewesen, und könntest Du Deinen ganzen Stolz darin finden, über die Köpfe eines leeren und flachen Geschlechts hinweg, mit den Flügeln des Geistes, die Nebel um Dich her zu zertheilen, Du lebtest freier. Doch, Dir spukt das vornehme Wesen und die Gespenster aus der Nacht alter Vorurtheile auch noch im Blute, Du bist auch erst mit halbem Leibe heraus. Trage, was Du nicht los werden kannst. Du wirst es lernen! Am Ende versöhnst Du Dich doch wohl noch mit der neuen Weise.

Die Ungleichheiten des Lebens verebnen sich eher, wenn es etwas giebt, die Zwischenräume [125] auszufüllen, und Glanz, Reichthum, Ansehen und Bequemlichkeit ändern Vieles.

Wenn Du ein gewöhnlicher, nichtiger, schlaffer Alltagsmensch würdest! Unmöglich! So beschwichtigt sich der heiße Durst der Seele nicht. Die Welt gießt wohl Wasser in die Flamme, aber, wo das Oel aus dem Mark und Saft des Innern quillt, da belebt sich die Gluth durch sich selbst.

Ich erinnere mich jetzt oft einer Aeusserung von Dir. Du warst noch sehr jung. Wir standen im Begriff, die Akademie zu verlassen. Die Pläne Deines Vaters, im Betreff Deiner militärischen Laufbahn, wollten Dir nicht einleuchten. Du hattest den Gedanken, in einem andern Welttheile zu suchen, was Du hier nicht zu finden glaubtest. Wir lasen gerade Le Vaillant's Reisen in Afrika. Dich stachelte der Trieb, das geheimnißvolle Herz dieses fremdgebliebenen Stückes Erde zu durchdringen. Es entstanden Dir, wie jedem Jünglinge, über alles, was er nicht kennt, phantastische Bilder. Tritt dergleichen erst in die Anschauung, so hat es auch Leben und Wirklichkeit. Man ist davon überzeugt, und will es auch Andern beweisen. Deinen Reiseprojecten fehlte nichts als die Ausführung. Ich setzte Dir [126] alles das entgegen, was auf Verhältnisse einer abhängigen Lage Bezug hat. Du gingst schweigend im Zimmer auf und ab. Nach einer langen Pause bliebst Du vor mir stehen, in einer Hand das Buch haltend, worin wir gelesen, legtest Du die andere auf meinen Arm, indem Du noch in Nachsinnen vertieft, ausriefst: »Ich will Dir etwas sagen, entweder man hat einen Zweck oder man hat keinen.

Im letzten Falle läßt man sich beherrschen, im ersten bedeuten die angelegten Ketten wenig.

Conventionelle Verträge sind eben auch nur conventionell. Sie sind etwas, insofern sie einer Idee entsprechen; geht diese über sie hinaus, so zerfallen sie in sich selbst. Deshalb, wie unbeweglich der behende Wettläufer auch dasteht, bis das erwartete Zeichen gegeben wird, der Fuß ist schon gehoben, das Auge faßt sein Ziel, und er mißt in schneller Berechnung Raum und Kraft gegen einander ab. Jetzt erschallt der Ruf. Im Fluge ist die Ferne durchmessen, die einen Augenblick zuvor unabsehbar schien. Glaube mir, der Mensch wurzelt nur da fest, wo ihn Trägheit bindet, oder Mangel eigner Kraft zum Nachgeben an eine fremde, überwiegende zwingt. [127] Der Erdenfleck, wo er steht, verschlägt hierzu nichts.«

Diese Worte, Hugo, sind mir unvergeßlich geblieben, nicht sowohl ihrer Bedeutung wegen, denn in diesen Jahren nimmt man es damit nicht so genau, und vieles klingt nur, weil es schallt, allein Dein Gesicht, Deine Gestalt machte in dem Augenblick einen besondern Eindruck auf mich. Die Augen flammten Dir, Deine Stirn glänzte, um die Lippen spielte ein geistig Lächeln, Du schienst mir größer; ich glaubte, der Boden trüge Dich nicht mehr, und sah Dich schon in Gedanken in weiter Ferne, über die Berge, den Strom und das ganze Festland wegfliegen. Nun bist Du doch wohl eingewurzelt. Die Zeit hat Dir, wie manchen andern Freiheitskindern, die Flügel beschnitten. Dir ahndet selbst so etwas. Der Ton Deiner Briefe ist melancholisch. Du hattest immer einen gewissen Hang zu dieser Richtung der Empfindungen, die, wie alle Blüthen eines schönen Frühlings, die Köpfe neigen, wenn der hohe Sommer heraufzieht. Bei Dir stand die Sonne schon sehr frühe in ihrem Culminationspunkte. Sonderbar! der kalte Norden drängt die Uebergangsperioden alljährlicher Entwickelung fast in einen Zeitmoment zusammen. Wäre auch in Dir [128] mehr Gluth als Wärme, und der Winter Dir nahe, wenn Du noch Rosen zu brechen gedenkst?

Es waltet eine gewisse, laue Ergebung in Allem, was Du sagst, die mich ängstigt. Sie erinnert eben nicht tröstlich an das Senken der Flügel, ehe man weiß, daß diese gebrochen sind. Lieber Hugo! Dir steht eine fatale Zwischenzeit bevor, und wohin Dich diese auch führe, ohne harte Kämpfe kann das nicht abgehen. Rüste Dich immer im Stillen dazu. Ueber Eins bin ich nur unsicher geworden. Hattest Du jemals einen eigenthümlichen Lebenszweck? und warst Du völlig im Klaren darüber? Sage mir das aufrichtig in Deinem nächsten Briefe. Das Maaß der Deutlichkeit unserer Vorstellungen hierüber bestimmt wohl zumeist das Nothwendige oder Zufällige einer Richtung.

Ich bin begierig auf Deine Antwort, lieber Hugo. Lebe bis dahin recht glücklich. Ganz der Deinige.

Emma an einen Geistlichen

Wenn ich aus Gründen, die Sie, theuerster Lehrer, heller durchschauen, als ich sie angeben [129] darf, in den Briefen an meine Mutter nur allgemeine Umrisse der verflossenen Tage, der neuen Verhältnisse, der Personen, welche diese bilden, hinwerfe, so will ich Ihnen in dem Allen mich selbst mit meinen innigsten Gefühlen, mit meinen geheimsten Gedanken ungetheilt geben. Sie sollen niemals aufhören, mich in jedem Zuge der Seele, in den bangen Regungen, wie in der stillen, sichern Befriedigung des empfundenen Daseins zu begleiten. Durch Sie will ich mich und Andere verstehen lernen.

Lieber, väterlicher, verehrter Freund! es ist nicht alles mehr so einig in mir wie sonst. Jeder Schritt vorwärts in das Leben hinein öffnet neue Ansichten, theilt den Blick, vervielfältigt die Eindrücke. Ich werde nicht irren, aber vielleicht unbillig sein, und hierüber bin ich ängstlich.

Erschrecken Sie nicht. Es ist nichts vorgefallen, es hat sich nichts verändert, ich, ich allein muß anders geworden sein!

Das Leben hört auf, dasselbe zu bleiben, seit die leichten Umrisse sich plötzlich körperlich gestalten, die Dinge zwei Seiten gewannen, ein jedes Dasein für sich, wie im Zusammenhange mit Andern betrachtet sein will. Meine einfache Weise es zu nehmen, paßt nicht mehr. Es wird [130] so voll, so laut um mich. Weder die innere noch die äussere Stimme reicht aus, mich meiner Welt verständlich zu machen. Ich werde in dem Maaße sprachloser, als mir die rechten Worte fehlen. In dieser Einsamkeit der Seele quält mich ein entsetzlicher Zweifel. Ich fürchte, nicht im Einverständniß mit Gott gewünscht, gewollt, und in der Gebetserhörung nur eine Prüfung erstürmt zu haben, die um so schwerer zu bestehen sein wird, als sie mich nicht allein trifft.

Sehen Sie, das ist es, das ist es hauptsächlich, was mich beugt. Ach Gott! und ich kann mich fast nicht länger täuschen, daß ich unbewußt zwar, doch nicht unschuldig das Geschick des geliebtesten Menschen verwirrt, einen Vorwurf auf sein großes Herz geladen habe! Hugo's kühner Gang wird durch mich gehemmt.

So kann und darf ich nicht einmal versuchen, seinen Weg zu gehen. Ich erschrecke oft, wenn es mir klar wird, daß er den Kampf allein hätte ausfechten, ich aber im Verborgenen, beschränkt und entsagend, für ihn beten sollen, ohne unser beider Geschick in unklare Beziehung zu einander zu stellen.

Vielleicht war ich überhaupt nur für das [131] Kloster geboren. In der Dunkelheit entfaltet sich das Geheimniß des Innern am besten.

Hier, unter so verschiedenen Menschen, zwischen die entgegengesetztesten Richtungen geschoben, wie kann ich, ohne anzustoßen, mich frei bewegen?

Der Comthur, der mir eigentlich eine Stütze sein müßte, verletzt mich durch sichtliche Abgeschlossenheit gegen Hugo. Er mißtraut diesem, und scheint auf der Huth gegen Angriffe, welche gleichwohl nie erfolgen. Mich betrachtet er oft bedenklich. Sein ernster, hoher Blick wird dann von unverkennbarer Rührung gemildert, er findet immer ein inniges Wort für mich. Der Ton der Stimme, das Herabbeugen des stolzen Nackens, die stumme Sprache seiner Mienen, alles an ihm athmet in solchem Augenblicke fast unwiderstehliche Wärme, ich glaube, wir verstehen uns dann vollkommen, allein wir gleiten beide über das hinweg. Ich wüßte nicht, wie ich es anfinge, ihm gegenüber gewisse Saiten zu berühren, die nur den Mißton zwischen Oheim und Neffe noch schärfer herausheben würden. Ich fühle ja ohnehin deutlich genug, daß Hugo niemals darin gewilligt haben würde, sich mit dem Urheber so großer Familienstörungen auf eine Weise zu vergleichen, die ihm drückende Verpflichtungen auflegt, [132] wäre es nicht in Bezug auf die Verbindung mit mir geschehen. Auch hierin glaube ich ein Werkzeug höhern Willens zu sein. Mit heimlichem Stolze betrachtete ich mich, als unverkennbare Vermittlerin verjährter, gehässiger Mißverständnisse. Allein auch hier diente ich nur, den stumpf gewordenen Stachel tiefer in die alte Wunde zurückzudrücken. Was vergessen, oder unbeachtet, mit der Zeit seine Schärfe verliert, das wetzt sich an den täglichen, unmerklichen Reibungen so schneidend heraus, daß jede Berührung verwundet. Ich fühle Hugo etwas Aehnliches an. Er wird immer einsilbiger. Auf seinem Gesicht liegen die Schatten unauslöschlicher Schwermuth, selbst wenn er lacht, verdunkelt sich sein Auge, als schelte es die Lippen, daß sie sich so leichtsinnig öffneten.

So gehen wir in sehr verschiedener Seelenstimmung neben einander hin. Der Comthur mag wohl denken, die Einsamkeit drücke auf uns. Er sinnt daher auf Veränderung. Wir durchstreifen die Gegend um das Schloß nach allen Richtungen, ohne gleichwohl Bekanntschaft zu machen. Gestern endlich führte er uns bei einer Dame der Nachbarschaft ein. Ich hatte seit meiner Verheirathung wenig von der geselligen Welt [133] gesehen. Mir fiel jetzt Manches auf, woran ich sonst gewöhnt war. Ich kam mir hier sehr einsam vor. Der Abend war auf diese Art ziemlich langweilig hingegangen. Wir saßen noch spät im Freien. Der Mond stand hell am Himmel, sein liebes, ruhiges Licht flimmerte silbern durch die Zweige Ich saß ganz im Schatten, vor mir dehnte sich ein runder Platz, über den die breiten Lichtstreifen ausgegossen lagen. Da sehe ich einen Herrn und eine Dame auf uns zukommen. Die Frau des Hauses wird ihrer nicht sobald gewahr, als sie mit den Worten aufsprang: »Ach! da ist sie ja dennoch! Willkommen, willkommen, liebe Elise.« Meine Aufmerksamkeit wurde sehr natürlich auf diese gerichtet; sie ging mit leichtem, freiem Schritt über den erhellten Rasensitz, ihre Gestalt schwamm im Schein des Mondes, es war, als umfließe sie ein durchsichtiger Glanz. Sie kam mir außerordentlich schön vor, ich betrachtete sie mit großer Ueberraschung, und als sie anfing zu sprechen, klopfte mir das Herz, wie beim Tone unsichtbarer Musik. Wir waren einander jetzt ganz nahe. Unsere Wirthin stellte uns gegenseitig vor. Ich konnte nichts sagen, meine Zunge stockte wie gebunden. Die Fremde blieb unbefangener. In ihrem Benehmen lag die reizendste[134] Sorglosigkeit. Sie sah umher, und schien jemand zu suchen. Hugo stand ihr in demselben Augenblicke zur Seite. Er war durch ihren Anblick eben so sehr überrascht. »Aha!« rief sie aus, als er ihr genannt ward. Beide betrachteten sich aufmerksam. Mich überfiel eine unbegreifliche Angst. Es war, als müsse ich zwischen sie und Hugo treten. Ich konnte mich auch lange nicht wieder finden. Seitdem bekämpfe ich vergebens ein banges Vorgefühl, daß an jener Minute die Wendung meines Erdengeschicks hänge. Ich schelte mich darüber, ich verbanne es als sträflichen Aber glauben, aber ich kann es nicht los werden.

Später, da wir in die erleuchteten Zimmer des Hauses zurückgingen, der Einfluß geheimnißvoller Dämmerung vor einer bestimmten Klarheit verschwand, die Formen des Herkömmlichen ohnehin den Phantasiespielen ein Ende machten, gerieth ich dem allem ohnerachtet in einen häßlichen Widerspruch mit mir selbst, als jene anziehende Erscheinung mich aufsuchte, fast vertraut mit mir redete, ihre Freundschaft für das Stiftsfräulein erwähnte, sich dadurch in Beziehung zu uns allen setzte, Bekannte und meine Willfährigkeit in Anspruch nahm, solches Entgegenkommen [135] wenigstens in etwas zu beantworten. Werden Sie es glauben? ich fühlte mich zugleich hingerissen und erstaunt. Mein Auge, meine Gedanken, mein Gefühl lag fest, wie gebannt durch einen Zauber, auf dem Ausdruck des schönsten, ja rührendsten Gesichtes, das ich jemals sah. Alles spricht darin, der Blick, das Lächeln, der weiche Ton einer fast durchsichtigen Haut, die wechselnden Mienen, die Harmonie vollkommen gebildeter Züge. Ich sah mehr, als ich hörte. Sie erröthete oftmals wie beschämt über mein stummes Anstarren. Ich besann mich. Wir sprachen seitdem wie Menschen, deren Bekanntschaft durch Anderer Vermittelung vorbereitet ist. Es kam zu Einladungen und Versprechungen baldiger Besuche. Der Comthur zeigte sich galant und liebenswürdig. Hugo trat aus seiner Verschlossenheit hervor. Nie sah ich ihn bereitwilliger die Fäden des Gesprächs aufnehmen, zusammenwerfen, um Gefühle und Anschauungen daraus hervorgehen zu lassen. Elise war bei der Abendtafel seine Nachbarin. Sie weiß mit Anmuth einen leichten Streit geistreich zu führen. Sichtlich wollten beide vor einander glänzen. Sie steigerten sich im Laufe der Unterhaltung bis zu einem Punkt, der wirklich blendende Funken über den [136] ganzen Kreis ausstreute. Der Wettkampf hatte sie, wie durch eine Reihe electrischer Schläge, mit einander in Berührung gebracht. Es lag in ihrem Ton vertraulicher Scherz und Wohlwollen. Sie kannten sich schon von früher. Niemand war Sieger geblieben, aber keinem von beiden war es entgangen, wie viel ein jedes in die Waagschaale zu legen vermochte. Ich hatte mit gelacht, geredet, sie durch Widerspruch gestachelt; doch es war nicht unbewußter Trieb, es war Stolz, Unruhe, Furcht, hier unbedeutend zu erscheinen, die mir Worte gab, mich zur Theilnahme fortriß. Sehen Sie, und nun ist mir das unbehaglichste Gefühl, eine Art Verlegenheit gegen Elise, gegen Hugo, ja gegen die ganze Gesellschaft geblieben, die mich zugleich demüthigt und erkältet.

Was ist das? Ist es Demuth? Eifersucht? Nicht wahr, ich, ich bin anders geworden. Mußte so bald der ruhige Einklang bescheidner Ansprüche an dem Wechselverkehr des Lebens scheitern? Ist es auch denkbar, am Hofe erzogen, bringt eine Abendversammlung auf dem Lande mein Gemüth in Verwirrung. Ich bin entschlossen, mich selbst für so viele Thorheit zu strafen. Noch [137] heute will ich die gefährliche Elise aufsuchen! Es ist doch sonderbar, daß mich das so viel kostet.

Wie beneide ich jetzt die Menschen, die durch Orden und Gelübde in einer bezeichneten Gränze gehalten, sich selbst treu bleiben! Niemals war es mir begreiflicher, daß man der Welt gern entsagt, um das Gewissen zu retten. Ach! eher ein Glück aufgeben, als es unter Vorwurf und Zweifel halb sein nennen.

Sie, Sie, mein einziger Vertrauter, sollen mir helfen, mich wieder zu finden. Werden Sie anstehen, mir die Wahrheit zu sagen? Kann auch die zärtlichste Schonung zögern, Wunden zu schlagen, um das Gift aus der Seele zu ziehen?

Hugo an Heinrich [2]
Hugo an Heinrich

Ich habe recht sehr über Deinen Brief gelacht. Du hast immer noch die alte Gewohnheit, bei einem freundschaftlichen Besuche den Gallarock über das Hauskleid anzuziehen. Wozu der Prunk mit mir? Ich kenne die Gelegenheit, und weiß, was diese täglichen Redensarten bedeuten. [138] Gerade herausgesprochen, Du bist irre an mir geworden, und willst wissen, woran Du bist.

Ich kann Dir es nicht verdenken, wenn Du Dir überhaupt etwas Besonderes bei mir gedacht hast. Lieber Heinrich! es geht Freunden, wie Eltern und Verwandten, die immer das Außerordentliche von denen erwarten, die ihrem Gefühle am nächsten stehen. Selten ist dies aber etwas mehr als schwankende, in das Blaue hineintaumelnde Vorstellung von allgemeiner Berühmtheit. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie uns da die Eitelkeit ein X für ein U vormacht.

Deine Frage, auf die es Dir hauptsächlich ankommt, und die eigentlich nichts anders heißt, als ob ich wirklich jemals gewußt habe, was ich wollte? sagt mir, daß es Dir auch nicht sonderlich klar geworden ist, was ich soll?

Wir waren beide einmal jung, wie andere Jünglinge. Laß es dabei, Heinrich, und frage nicht weiter. Ich bitte Dich, sieh' um Dich! da lernt man schweigen, und den Narrenspossen den Abschied geben.

Hast Du nicht mehr Achtung für die Idee, als daß Du sie abhängig glaubst von dieser oder jener Stellung im Leben? – Sie stirbt nicht, da sei Gott vor! Er weiß, wenn die Sonne scheinen [139] oder Dünste sie verhüllen sollen. Man muß warten können, Doch diese Kunst ist nicht leicht. Basta! hierüber! Worte thuns nicht. Eins ist indeß eine gar zu schwache Stelle in Deinem Briefe, die muß ich doch rügen. Du thust ja, als habe ich mich von meinem Oheim für bequemen Lebensgenuß erkaufen lassen und ihm meine bessere Ueberzeugung mit in den Handel gegeben. Wärest Du ohne so viel Umstände geradezu in meine Stube gekommen, und hättest Dich darin umgesehen, so würdest Du Bescheid wissen.

Das Verhältniß zu dem Comthur ist Folgendes:

Mein Vater ging seines Erbes aus Ursachen verlustig, die Du kennst, sein Bruder trat in seine Rechte. Er wird Geistlicher, der Zweig ist todt. Nun entsteht die Frage, rankt eine Nachbarpflanze an dem Stamme heran? oder ist der junge Schößling, der aus der Wurzel heraustreibt, durch Saft und Blut mit jenem eins geblieben? und werth erkannt, das Ganze zu beleben? – Diese Frage entstand immer einmal. Ob nach dem Tode des Oheims? oder bei dessen Lebzeiten? Der ganze Unterschied ist der, daß sie jetzt schneller entschieden ward.

Kam mir das Erbe zu, sollte ich es wegstoßen?[140] Weshalb? wozu? Sage doch, glaubst Du, daß man Flügel bekommt, wenn man dem Glück ein Schnippchen schlägt und sich in seine Armuth hüllt. Wem die Flügel gewachsen, den tragen sie wohl, wohin er Lust hat. Die Metapher hat überdem seit der Geschichte des Ikarus einen Stoß weg. Brauche sie nicht mehr, es liegt etwas Lächerliches darin.

Und nun zu andern Dingen.

Es mag Dich unterhalten, wie wir hier leben.

Recht erträglich, ich versichere es Dich. Die schönen Waldungen, welche unmittelbar hinterm Schloßbezirk anheben, die Höhen bekränzen, spiegelhelle Seen umschließen, und sich bis an den Strom ausbreiten, würden hinreichen, eine mannigfaltige Unterhaltung zu geben. Ich hause hier Tage lang. Wege und Stege sind mir überall bekannt. So manches kleine Abentheuer mit Menschen und Thieren stößt mir hier auf. Jäger, Reisende, Arbeiter und Bettler, alle geben mir Stoff zu Beobachtungen, mit allen gerathe ich in Berührung, schwatze, verkehre mit ihnen. Ich kenne nach gerade ihre Art. Es wird mir leicht, ihnen in ihrem Ideengange zu folgen. Wir sind sehr eitel, Heinrich, wenn wir uns einbilden, auf solche Leute herabzusehen. Ich weiß, man hat [141] das schon oft gesagt, aber ich denke mir vielleicht etwas anders dabei. Es ist nicht sowohl, daß sie auch öfters Geist, Gemüth, Verstand haben wie Andre, mir fällt besonders auf, daß sie diesen Verstand so scharf auszubilden, so gerade zu richten, und so fest zu halten verstehen. Bei größerer Lebensfrische bleibt ihnen auch länger die gesunde Art des Gebrauches. Der Kreis, in dem sie sich bewegen, ist eng, das ist wahr, aber sie sind Herr darin, und was hinein fällt, verfällt ihrem Urtheil, das dann auf energische Weise die Dinge auf beide Füße stellt, und sie zeigt, wie sie sind. So flach hin sehen sie nichts an, bis auf den rohen Frevler, faßt jeder seinen Gegenstand ganz und tüchtig. Man kommt auf besondere Resultate im Umgange mit ihnen. Sie sind doch wenigstens etwas. Was sind wir? Wir werfen ihnen die Rohheit ihrer Laster vor, und nennen deren Quell: thierische Selbstliebe. Die Sünde, ohne Deckmantel erregt ungefähr das nämliche Entsetzen, als wenn man sich in einem entstellenden Spiegel sieht. Es ist die Phisiognomie, es sind die Grundzüge, nur durch zufällige Bedingungen verschoben. Verfeinerter Egoismus geht unterhalb der Formen weg, ohne diese sichtbar zu erschüttern, er gräbt nach [142] Innen, und verwüstet da unmerklich so viel, als sein frecher Zwillingsbruder äußerlich zu Stande bringen kann. Menschen aus den untern Klassen stehen, wie das Wild der Forsten, in einer Art Krieg mit der Welt. Darum ist so viel List und Spürkraft in ihnen. Ihre Taktik macht meine Bewunderung aus. Nenne diese immerhin beschränkt. Wer sieht denn viel rechts und links, wenn er auf etwas Bestimmtes los geht? Der Instinkt findet seine Schranken vorgezeichnet. Die Erfahrung muß sie erst ziehen lernen.

Und lieber will ich blind geboren sein, als blindwerden!

Mein loses Gesindel im Walde hat, ich versichere Dich, eher die Gabe, das Unsichtbare zu fühlen, als wir andern, an den Block vornehmer Einseitigkeit Geschmiedete. Die Begriffe der Letztern, die nicht mehr Anschauungen sind, machen sie ganz aberwitzig. Ich bin nun einmal auf die Natur jeder Gestalt angewiesen. Es ist so viel Wehmuth in ihrer Entstellung. Mir erscheint sie oft, wie ein schönes Kind, das die Blattern verzerrte. Die Augen sind doch wenigstens geblieben. Zuweilen blinkt eine Thräne darin, und dann spiegelt sich der Himmel zurück.

Meine gegenwärtige Lage paßt auch wohl [143] noch am meisten für mich. Ich bin freier, als irgendwo. Emma ist das beste Herz. Sie läßt mich thun, was ich will. Ich danke es ihr, und freue mich, daß sie eine Unterhaltung in der Gesellschaft einer artigen Frau der Nachbarschaft gefunden hat, ja einer seltenen Frau, Heinrich, wie ich glaube. Sie ist sehr geistreich, und scheint es nicht zu ahnden. Ihr Wesen hat die Farbe der arglosesten Heiterkeit. Mir gefällt sie ungemein. Ich kenne nichts Einfacheres als sie. Ihr Mann ist eine ziemlich gewöhnliche Figur, nicht ohne Verstand, doch auf den ersten Blick hat man das Zunftmäßige an ihm weg. Er gehört zu den Leuten, deren Meinungen sich den Verhältnissen so anpassen, daß sie bald nicht einen Funken Eigenthümlichkeit mehr haben. Zuletzt schrumpfen sie ganz eng zusammen. Je trockner sie dann werden, je reifer glaubt man sie. Du kennst wohl diese Art Menschen, die bis auf das stumme Lächeln immer ein Urtheil aussprechen. Ich lasse sie gern bei Seite. Dieser ließ mich aber nicht. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob ich wisse, wie sehr ich ihm verpflichtet. Er hat an der Entscheidung meiner Angelegenheit großen Theil. Wir sprachen darüber. Ich weiß selten viel zu sagen, insbesondere wenn ein Anderer [144] mich hören will. Hier lag mir noch dazu etwas ganz Fremdes im Sinne. Ich suchte mir es deutlich zu machen, wie der Mann zu einer solchen Frau kommen konnte? In einem Haare hätte ich laut aufgelacht! Man zeichnet keine ärgeren Karikaturen, als die, welche Zusammenstellungen aus dem Leben bilden!

Darin liegt der Witz der großen Welt, durch den sie sich über sich selbst lustig macht. Wer diese Seite an ihr weg hat, der kennt keine Langeweile. Ich fürchte dies Gespenst sonst mehr als die geträumten, und sah mit einer Art heimlichem Grauen auf eine sogenannte allerliebste Parthie im Grünen, zu der uns die Gräfin Ulmenstein bei sich einlud. Da nun das Grün jetzt schon ziemlich gelb ist, die modernen Gärten mit ihren vielen abgestreiften Pappeln kahl und dürr aussehen, die Gesellschaft mir fremd war, unsere Wirthin ohne Jugendreiz, den Mangel an Geist durch viele unruhige Eitelkeit ersetzt, welche ihr das Prädikat: dieSeele der Gesellschaft erwarb, so hegte ich großes Mißtrauen gegen den versprochenen Zauber der Abendversammlung.

Aber siehst Du, alles das waren falsche Schlüsse. Denn erstlich nahmen sich die geputzten, städtischen Figuren unter dem herbstlichen Blätterdache, [145] von manchem scharfen Windstoß getroffen, in ihrer Toilette derangirt, und auf diese achtend, so gezwungen, so unsicher, so sichtlich unbequem aus, daß ihre Mühe, sich und Andern hierin zu entgehen, allein schon eine komische Unterhaltung bot. Dann belustigte mich auch die Art und Weise der Gräfin ungemein. Die Sicherheit, mit der sie das Gewöhnliche für etwas Besonderes ausgiebt, und wirklich ihren Zweck erreicht, niemals um eine Antwort verlegen ist, jede Einwendung berichtigt. Ich sage Dir, es ist zum Todtlachen! Und Viele lassen sich belehren, obgleich eigentlich kein Sinn und Verstand in allen den angeführten Gründen ist. Wie geht das zu? Solche Probleme machen mir sehr viel Spaß! Ich bin diesem indeß ziemlich auf der Spur. Die Frau rückt gleich mit ganz außerordentlicher Höflichkeit ins Feld. Dadurch stumpft sie, von Hause aus, die Waffen ihrer Gegner ab, dann wickelt sie die Aufmerksamkeit eines Jeden, den sie überzeugen will, mit unglaublicher Behendigkeit auf einen Knäuel, in welchem die gemischten Fäden zusammen laufen. Niemand ist im Stande, einen einzigen festzuhalten. Mit dem Letzten schürzt sie dann geschwind das Ganze zusammen und wirft den Ball auf gut Glück in die Luft. Man sieht [146] ihn fliegen, und läßt es gut sein! Sie ist fertig. Die Wenigsten denken daran, daß sie es nicht sein können. Dadurch behauptet sie ihren Ruf. Selbst der Comthur glaubt einigermaßen an sie. Sein Benehmen drückt eine Berücksichtigung aus, die eigentlich nichts rechtfertigen kann, als eben dieser Ruf. Ueberhaupt finde ich die heutigen alten Leute immer viel leichter bestochen und über die Gegenstände der Anerkennung getäuscht, als unsers Gleichen. Dem galanten Manne aus jener Zeit fällt es nicht ein, daß eine Frau von Ton anders als bedeutend sein könne. Der Onkel beweist mir übrigens täglich mehr, daß die Abgeschlossenheit, in der er so streng verharrt, nichts als ein enger Rock ist, der ihn tausendmal kneift, und ihn gleichwohl nicht ablegt, weil er einmal der Welt darin bekannt ist. Zuweilen knöpft er ihn auf. Dann schlägt sein Herz frei, die Worte gehen von selbst über die Lippen, er wird ein anderer Mensch. Unsere Nachbarin, die schöne Elise, gilt viel bei ihm, und er huldigt ganz unverholen dem jugendlichen Reiz ihrer lebendigen, geistvollen Unterhaltung. Ich sehe aus allem dem, daß wir mit dem Hause des Präsidenten in ein freundschaftliches Verhältniß treten werden. Die wenigen Monate, die wir auf dem Lande noch [147] zuzubringen gedenken, mag, wie gesagt, ganz angenehm für Emma sein. Ich bin wenig dabei interessirt. Die hübsche Frau müßte es sonderbar anfangen, wenn sie mich meiner Waldeinsamkeit entrisse! Dort geben mir meine Landstreicher etwas auf zu rathen. Wenn sie nicht selbst eine besondere Art von Räthsel ist, so würde sie Mühe haben, mich zu fesseln. Zur Zeit ist mir nichts an ihr unbegreiflich, als ihre Heirath. Doch über dies Kapitel kann man bis zum Wahnsinn grübeln, und man kommt damit nicht aufs Reine.

Lebe wohl? Solche Gedanken verweht ein rascher, scharfer Nachtwind am besten! Ich gehe auf die Jagd. Noch einmal, Lebe wohl!

Rosalie an Agathe

Warum Du auch gerade in den Paar Tagen, die wir in der Stadt zubringen wollen, den fatalen rothen Fleck auf die Backe kriegen mußtest! Er entstellt Dich eigentlich gar nicht, und wer es nicht wüßte, hätte es kaum bemerkt. Aber Mama sagte noch unterweges: Eine junge Person könne nicht ängstlich genug sein, sich jeden Augenblick auf das Vortheilhafteste zu zeigen. Oft [148] reiche ein einziger, ungünstiger Eindruck hin, ihre ganze Zukunft zu untergraben. Und darum sei es recht gut, daß Du zurückbleiben, und Dich auf dem Lande verstecken könntest. Mama hat in so etwas sehr viel Erfahrung! Ueberhaupt ist sie unglaublich klug. Denke Dir, sie hat es richtig dahin gebracht, daß ihr gestern der neue englische Gesandte und seine Frau die erste Visite machen mußten. Es war übrigens einmal wieder so voll in unserem Salon, wie mitten im Carnaval. Ich hatte das neue Pariser Linonkleid an, und die Haare von Charles arrangirt, Du kennst seine einzige Art. Curd sagte, ich sähe gerade aus, als hätte man mich aus dem hübschen Wiener Modejournal herausgeschnitten. Ich fand, daß er Recht hatte. Meine Toilette war äusserst modern, und sehr gelungen, denn der Lord und die Lady fixirten mich mehrmals, und sagten dann zur Mama: ob ich in Paris erzogen sei? Mama lächelte geschmeichelt, mußte aber die Wahrheit bekennen, was ihr, denke ich, sehr zur Ehre gereicht, da wir doch allein durch sie sind, was wir sind.

Stelle Dir vor, der Nachbar der Tante, Baron Wildenau, ließ sich mit seinem Sohne melden, gerade als die ganze elegante Welt bei uns [149] versammelt war. Ich hatte bald den Tod vor Schreck. Erinnerst Du Dich wohl noch den langen, dünnen, ungelenken, verdrießlichen Leontin, der so oft, während unsers langweiligen Aufenthalts bei der guten Tante, auf einem abscheulich häßlichen Schimmel geritten kam, einen schiefen Diener machte, an der Thüre stehen blieb, und kein Wort sagte? Mir war die Figur unvergeßlich geblieben. Es sind vier Jahre her, wir waren beide ziemlich klein, aber ich sah uns noch verstohlen hinter der Gardine, so oft die Visite im Anzuge war. Nun mache Dir einen Begriff von Mama's Verlegenheit, wie der Name Wildenau genannt ward! Sie behielt keine Zeit, etwas zu erwiedern, die Thüren gingen auf, Vater und Sohn standen vor uns. Es ging aber Gottlob besser, als ich dachte. Der Baron sieht am Ende aus, wie viele Leute seines Alters, und Leontin hat sich ziemlich ausgebildet, seit er von seinen Reisen zurück ist. Mama sagt auch, er sei allenfalls zu produciren, ob er gleich außerordentlich zurückhaltend ist, auch viel steifes Wesen behalten hat. Ob er sprechen kann? weiß ich nicht, ich glaube aber, damit ist es noch so, wie sonst. Im Ganzen nimmt er sich aber, ich versichere Dich, ganz leidlich aus, und wenn er nur einen ordentlichen [150] Contretanz in Paris einstudirte, so werde ich es auf dem nächsten Balle nicht ausschlagen, mit ihm zu tanzen, denn, wirst Du es glauben? die Lady betheuerte, sie habe den Herrn für einen Engländer gehalten. Ich mußte beinahe laut auflachen, dachte ich an unsere frühere Bekanntschaft zurück.

Weißt Du, Agathe, ich wäre rasend gern eine Lady. Es klingt so erstaunt appart. Diese hier ist zwar gar nicht auffallend. Ich hätte es ihr nicht angemerkt, daß sie übers Meer kam. Ja, um aufrichtig zu sein, ich würde sie eher für eine Dame aus der Provinz gehalten haben. Sie zieht sich geschmacklos und doch übertrieben kostbar an, sitzt ganz grade, und bewegt sich nur selten, wenn sie spricht. Es klingt immer, als wenn sie blöde und unsicher wäre; das schadet ihr aber alles nicht, sie wird doch ausgezeichnet, da sie eine Fremde ist. Das thut gar zu viel in der Welt. Mein Gott, warum kann ich nicht für einen Winter nur, eine Fremde sein!

Der Baron hat Mama gebeten, Leontin in der Gesellschaft Zutritt zu verschaffen. Mama warf einen ihrer prüfenden Blicke auf den jungen Menschen, als wenn sie sehen wollte, ob es sich der Mühe verlohne? Er stand vor ihr, ließ den [151] Vater für sich sprechen, setzte nicht eine Sylbe hinzu, und wandte sich, mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt, wieder ab, als beide aufhörten, von der Sache zu reden. Mich betrachtete er ein paarmal, ohne indeß eine Miene zu verziehen. Curd lachte mich darüber aus, ich mußte wohl oder übel, mit lachen, unser stumme Gast ging eben vorüber. Ich hörte, wie ihn Curd ziemlich spöttisch fragte, weshalb er nicht die alte Bekanntschaft mit der Tochter des Hauses erneuere? Leontin sah ihn verwundert an, indem er kurz und trocken erwiederte: »ich fand noch keine Veranlassung dazu!« Findest Du das nicht höchst sonderbar? Mir scheint es unhöflich.

Stelle Dir vor, alle Leute sind hier voll von der Schönheit unserer neuen Nachbarin. Man übertreibt wieder einmal auf das Lächerlichste. Mama sagt, es thue ihr leid um die kleine Frau. Wenn sie erscheinen werde, dann sei es Jeder schon müde, von ihr zu sprechen, und sie werde damit enden, gar nicht zu gefallen. Hugo hat ganz den Ruf eines interessanten Sonderlings. Ich werde von aller Welt über ihn befragt. Es ist wahr, er ist der schönste Mann, den ich kenne.

Morgen sind wir auf ein Dejeuner beim russischen Gesandten. Der Hof wird auch da sein. [152] Die himmlische Meierei an der Burgwiese ist neu dazu eingerichtet. Ich freue mich unmenschlich darauf. Arme Agathe, wenn Du doch auch hier wärest!

Ich schicke Dir diesen Boten, um Dich zu bitten, daß Du mir Deinen allerliebsten Basthut mit den Veilchen leihen möchtest. Thue mir den einzigen Gefallen, liebe Schwester. Siehst Du, meiner hat auf dem Transport einen Kniff in der Krempe gekriegt, und seit ihn die Nettencourt in die Hände genommen hat, um ihn wieder zurecht zu machen, ist er total verdorben. Mama schwört, daß sie es absichtlich gethan hat, aus Aerger über die französische Waare. Nicht wahr, Du leihst mir Deinen? Ich rechne bestimmt darauf. Es wäre auch unglaublich unfreundlich, wenn Du mirs abschlügst. Jetzt kannst Du ihn ja doch nicht gebrauchen. Mit dem enormen Fleck auf der Backe, würdest Du doch nicht erscheinen können, und Mama gäbe es auch gar nicht zu, könnte es um Deinetwillen nicht zugeben. Siehst Du, und im Winter ist er aus der Mode, dann schenke ich Dir einen neuen. Ich spare schon Geld dazu. Vielleicht brauche ich das nicht einmal zu thun. Es kann sich wohl bis dahin Vieles ändern! – Weißt Du, die Tante ist sehr [153] krank, Baron Wildenau sagte es gestern. Wenn sie stirbt, sind wir die reichsten Parthien im Lande. Dann kriegen wir auch Zobelpelze zu Weihnachten! Das Dümmste wäre nur, wenn sich die Krankheit noch lange hinzöge, und der Tod uns die Trauer mitten im Carnaval auflegte. Wer will aber so weit vorausdenken? Und nicht wahr, Agathe! Du schickst mir den Hut?

Adieu, liebe Schwester! Ich umarme Dich tausend mal.

Antwort [2]
Antwort

Du bist unausstehlich mit Deinen ewigen Prätentionen. Niemals hast Du was, und doch willst Du immer und ewig mehr als andere Leute vorstellen. Den Hut hast Du Dir ja muthwillig, durch das unaufhörliche Aufprobiren verdorben. Standest Du denn nicht den ganzen Morgen vor dem Spiegel, und schobst und rücktest daran, und drehtest den Kopf hin und her, unter lauter Trillern und Singen, daß mir noch die Ohren davon wehe thun. Die Nettencourt sollte ihn heimlich wieder zurechtmachen. Du hast Dich wohl gehütet, Mama zu bekennen, [154] was eigentlich damit vorgegangen war; und nun muß die arme Person die Schuld auf sich nehmen. So machst Du es immer.

Wenn Du ein gutes Herz hättest, so würdest Du wohl daran denken, was es mich kosten muß, hier so allein zu sitzen, während Du Dich göttlich unterhältst. Du würdest Mitleid mit mir haben, und nicht noch eine Gefälligkeit obendrein von mir fordern. Es ist wahrhaftig kein geringes Opfer, was ich bringe, wenn ich Deinen Wunsch erfülle. Ich thue es aber recht ungern, das versichere ich Dich, denn daß ich den Hut niemals wieder werde aufsetzen können, davon bin ich überzeugt. Du verdirbst ja gleich alles, was Du anfaßt. Und wiederkaufen kannst Du mir auch keinen andern. Mein Gott, Rosalie! Dein Taschengeld reicht ja niemals aus.

Was Du von dem Tode der Tante sagst, ist recht sündlich. Ueber dergleichen muß man niemals leichtsinnig reden. Und wer weiß denn auch, ob sie so reich ist?

Ein rechter Querstrich wäre es doch bei allem dem, wenn mir auch noch die Wintervergnügungen verdorben würden! Wäre dies der Fall, ich würde noch mehr weinen, als ich es jetzt schon thue!

[155] Ja gewiß, ich schwimme in Thränen, während Du Dich mit meinen Sachen putzest, und zu den Festen fährst. Morgen bleibe ich gewiß bis Mittag im Bette. Ich will nicht sehen, ob es Nacht oder Tag ist.

Mama mag sehr klug sein, aber sie ist auch sehr sonderbar. Um solche Kleinigkeit so viel ängstliche Rücksicht! Glaube mir, mit meiner Figur, mit meinen Augen, hätte Niemand auf ein Bischen unruhige Haut gesehen. Aber ich weiß schon – – –

Sage mir doch, ist noch Niemand in der Stadt angekommen? Er wollte doch schon Ende vorigen Monats dort sein. Statt von dem langweiligen Leontin zu schreiben, hättest Du mir etwas Interessanteres mittheilen können.

Verbrenne um Gotteswillen dies Blatt, damit es kein Mensch sieht, am wenigsten – Du verstehst mich wohl.

Ich schließe hier, der Bote eilt. Mein Himmel, Du wirst ja doch noch zeitig genug zu Deinem brillanten Dejeuner fertig werden.

Geh nur! geh! Du bist nicht halb so gefühlvoll, als ich. Das ist auch mein einziger [156] Trost. Die Besten müssen immer am meisten leiden! Adieu!

Elise an Sophie [7]
Elise an Sophie

Ich schreibe Ihnen mit Bleistift auf einer sehr lustigen Jagdparthie zwei Worte durch Curd, der durch alle erdenkliche Mittel imponiren will, in der Geschwindigkeit eine Reise nach Italien macht, und noch diesen Abend dahin abgeht. Er trifft Sie in Florenz, und bringt Ihnen mit tausend warmen, zärtlichen Grüßen dies Blatt. Mögen Sie lesen können, was es enthält. Ich fürchte, die Schriftzüge werden ziemlich verwischt zu Ihnen gelangen.

Nun auf gut Glück!

Zuerst, was Sie interessirt. Ihre jungen Freunde sind hier, gefallen beide, sind liebenswürdig, und scheinen glücklich. Ich bin ihnen von Herzen ergeben. Emma bezwingt mich durch etwas Unwiderstehliches, das ich nicht nennen kann. Es ist viel stille, geistige Fühlbarkeit in ihr. Die dunkeln Augen werden eben so oft feucht, wie der allerliebste Mund lächelt. Alles an ihr ist leise, unkörperlich möchte ich sagen.

[157] Der dicht umschlossene, ruhig bewegte Waldsee, an dem ich hier sitze, giebt mir das beste Bild von ihr. So erscheint sie mir.

Dem sonderbaren Hugo fällt das Meiste im Leben von selbst zu. Er bemüht sich nicht darum. Er hat es. So auch die Aufmerksamkeit, die Theilnahme, die Bewunderung der hiesigen Gesellschaft. Ich hatte Unrecht gethan, Absicht bei ihm vorauszusetzen. Was er sagt und thut, ist immer unwillkührlich. Das Außerordentliche liegt ihm vielleicht näher, als Andern! Ich kann nicht eben finden, daß er mich blende. Im Gegentheile, es ist das Unscheinbare in seiner Art und Weise, wodurch er die Gedanken frei an sich heraustreten, und sie in ihrer Natürlichkeit jedem verwandt, empfinden läßt. Es liegt hierin eine Magie, das ist wahr! Aber der Genius der Natur giebt sie allein. Gewöhnliche Taschenspielerkünste würden es nicht so weit bringen.

Ich gerathe zu tief in den Text hinein. Das Blatt ist zu Ende. Leben Sie wohl, geliebte Ungetreue! Sein Sie gewiß, Sie fehlen mir gerade jetzt am meisten.

Apropos, Eduard läßt Sie grüßen. Auch Georg, der allerliebste kleine Junge! Beide trugen [158] es mir schon längst auf. Noch einmal, leben Sie wohl!

Der Geistliche an Emma

Vor allem, meine gnädige Frau, empfangen Sie den innigsten Glückwunsch zu Ihrer Rückkehr in die Heimath. Ich weiß Sie gern an dem Ort Ihrer Bestimmung. Es ist mir so gewiß, daß Sie dort, wo Beruf und Wirksamkeit Ihrer warten, auch Zufriedenheit finden werden, daß ich gern noch einen zweiten Brief kommen ließe, ehe ich den ersten beantwortete. Gleichwohl scheinen Sie dieser Antwort, als etwas entgegen zu sehen, von dem Sie besondere Aufschlüsse über sich und Ihre Verhältnisse erwarten.

Sie mißtrauen Empfindungen, bei denen Sie gleichwohl viel zu lange verweilen, wenn Sie Ihnen gefährlich dünken. Kurz, Sie sind noch von den Erschütterungen der Reise aufgeregt, und wünschen wieder in Ruhe zu kommen.

Liebe, gnädige Frau, ich war vor einiger Zeit Abends bei einer Augenkranken. Das Zimmer, in welchem sie sich befand, war so dunkel, daß man sich nur mühsam darin zurecht fand. Gleichwohl [159] warf die dichtverhangene Lampe ihren schwachen Schein auf naheliegende Gegenstände, welche bei der leisesten Verrückung scharfe Lichtstrahlen zurückspiegelten, und den Sehenerv schneidend trafen. Die Kranke schrie, so oft der Fall eintrat, unwillkührlich hell auf; besonders übermannte sie der empfindlichste Schmerz, wenn die weißlakirte Thüre eines Seitenzimmers aufging, und die Bewegung des hellen Körpers blendend die Nacht umher theilte. Ich litt um so mehr mit der Armen, als mein gesundes Auge von dem jähen, durchfahrenden Schimmer afficirt ward. Mit der innigsten Theilnahme verließ ich sie später. Ich konnte lange nicht ohne eine gewisse Beklemmung an den Abend denken. Wie groß war deshalb meine Freude, als ich, nach nicht gar langer Zeit, fast um die nämliche Stunde, vor dem Hause vorbeigehe, und die Fenster desselben erleuchtet finde. Ueberrascht bleibe ich stehen, betrachte mir die Lage des Krankenzimmers, und kann nicht zweifeln, daß ein, im Mittelpunkt desselben angebrachter Kronleuchter seine brennenden Kerzen unverhüllt flammen lasse. Ich eile nun hinauf, gewiß, das Uebel gehoben zu sehen. Allein ich fand meine Erwartung getäuscht. Meine arme Freundin saß noch mit dem [160] grünen Augenschirm, unfähig, den Blick frei zu bewegen. Ihr Zustand war leider ungefähr derselbe, doch mit dem Unterschiede, daß sie in einem gleichmäßigeren Empfinden des Schmerzes, seiner mehr Herr ward, ja, in der ruhigen Helle des Gemaches den wohlthuenden Einfluß des Lichts im Allgemeinen genoß, ohne den leidenden Theil dadurch verletzt zu fühlen. Ich äußerte ihr meine Verwunderung hierüber, hinzu setzend, daß mich eben diese Helle getäuscht habe, indem ich sie nicht mit der Natur ihres Unwohlseins zu vereinigen gewußt hätte.

»Das macht,« entgegnete sie, »das Licht kommt von oben, so ergießt es sich ohne Abschattung nach allen Seiten, ich bin mitten darin, wie am Tage unter freiem Himmel.«

Gnädige Frau, Sie empfinden, wie ich in diesem Augenblicke empfand. Die Wahrheit ist so einfach, daß sie uns auf die einfachste Weise am nächsten liegt.

Lassen Sie das Licht von oben in Ihre Welt hineinfallen. Sie werden sich darin zurechtfinden, ohne überall auf Ecken zu stoßen.

Weiter wüßte ich Ihnen für jetzt nichts zu sagen, nichts zu rathen. Alle Verhältnisse des Lebens sind kraus und bunt. Es hilft nicht viel, [161] äußerlich daran zu rücken oder darüber zu klügeln. Man muß hindurch. Deshalb bewahren Sie sich Klarheit und Muth. Sie haben, ich will es glauben, mit ungewöhnlichen Menschen zu thun. Lassen Sie sich das nicht irren. Bleiben Sie Ihrem Gott und Ihrem Herzen getreu. Auf Ausdauer kommt es zumeist im Leben an. Wie viele ungleiche Wallungen prallen an dem festen Damm unerschütterlicher Gesinnung ab. Der Fels steht, wenn die Woge zerrinnt.

Lassen Sie das Licht von oben kommen. Sie finden den Pfad durch das Labyrinth von selbst.

Und so leuchte Ihnen denn die ewige Sonne unverhüllt. Das ist das Gebet, mit dem ich Sie einem höhern Schutze empfehle.

Hugo an Elise

Hier ist das befohlene Buch. Ich hätte es Ihnen lieber gebracht als geschickt. Aber Sie wollten mich nicht hören, ehe Sie lasen. Es ist auch meine Art, fremdes Urtheil zu entfernen, ehe ich mit dem Gegenstand bekannt werde, von dem es sich handelt. Ich bin neugierig, wie [162] wir hier zusammentreffen werden? Es bleibt doch morgen bei der Parthie nach dem Vogelheerd? Heute ist es trauriges Wetter! Es regnet. Der Tag ist für mich so gut wie verloren. Er fesselt mich unbarmherzig zu Hause. Bedauern Sie mich ein Bischen.

Ganz Ihr unterthäniger Hugo.

Antwort [3]
Antwort

Der Regen dauert fort! Es ist zum verzweifeln! Natürlich wird aus dem Frühstücke im Walde nichts! Morgen vielleicht! Man sagt das so hin, und giebt auf, weil man schon an den Ersatz denkt. Was sichert uns diesen?

Ich glaube, Ihr Buch hat mich ganz umgestimmt! Mir ist etwas davon in der Seele geblieben, das schwer wiegt. Fragen Sie mich nicht, ob es mir gefällt? Das weiß ich nicht, auch ist das eigentlich gar kein Ausdruck für Gefühle und Zustände des Innern. Genug, ich habe in einem Zuge fortgelesen, bis zu Ende, und bleibe mitten darin. Wollen Sie noch ein anderes Urtheil? Ich kann mich sonst auf nichts Bestimmteres einlassen. Aber so viel ist gewiß, [163] die Bücher werden immer seltener, die Einem empfinden lassen, daß es noch eine Welt giebt, ausser der, von heute und gestern. Eine andere Frage wäre, ob die Welt, in die ich mich hineingelesen habe, meine Heimath sein darf oder nicht? Ist sie es, was fange ich denn mit dem Aussenleben an.

Ich wollte heute mit Ihnen über das Alles weitläufig sprechen. Aber es regnet. – Der Himmel sagt zu Vielem Nein, was der Wille anders will. Leben Sie wohl!

Hugo an Elise [1]
Hugo an Elise

Ich bestreite den letzten Satz Ihres Billets, gnädige Frau! Der Himmel sagt zu Wenigem Nein, was derWille recht will. Wäre es wirklich Ihre Absicht gewesen, mir mehr mitzutheilen, als die flüchtigen Zeilen enthalten, Sie hätten die Sonnenblicke am Mittage zu einer Spatzierfahrt im Walde benutzt. Mich, waren Sie gewiß, dort zu treffen. Auch hatte die Tannenhäuserin Befehl, mich sogleich von Ihrer Ankunft zu benachrichtigen. Jetzt ist es zu spät, und Sie fürchten morgen wohl auch die feuchte Luft.

[164] Wäre der Präsident nicht in Geschäften abwesend, und ich dreist genug, ohne Emma's Begleitung Ihre Einsamkeit zu unterbrechen, Sie würden mich schon frühe am Tage an Ihrem Gartenpförtchen sehen. Allein Sie äusserten einmal: Nur unter Frauen könne zwangloser, nachbarlicher Verkehr stattfinden. Nun, und die meinige ist am Krankenbette des Onkels gefesselt, dem das Podagra viel zu schaffen macht, sonst hätte ich ihre Fürsprache bei Ihnen nachgesucht, denn gewiß, mich verlangt, mehr über ein Thema zu hören, das viele Streitfragen in sich faßt.

Gnädige Frau! ich kehre gleich die von Ihnen aufgeworfene um: »Was finge ich mit dem innern Leben an, wenn die Welt der Empfindungen nicht meine Heimath wäre?« Sagen Sie selbst, hört man nicht auf, ein Fremdling zu sein, wenn man es hier ist?

Antwort [4]
Antwort

Kommen Sie immer, wenn Emma Sie auch leider nicht begleiten kann. Ich habe große Lust, mit Ihnen zu streiten.

[165]
Emma an den Geistlichen

Sie hatten ganz recht! Die Ruhe nach der Reise machte mich krank. Wie wünsche ich mir Glück, Niemanden als Ihnen, ehrwürdiger Herr, meine Schwachheit anvertraut zu haben! Jetzt sehe ich Alles in ganz anderm Lichte. Ich weiß nicht, ob dieses von oben kommt? Allein, es ist überall Tag, es ängstigt mich länger kein trüglicher Schatten, ich athme frisch und lebe heiter.

Es war vielleicht ein Glück, daß der Oheim seine gewöhnlichen Gichtanfälle dieses Jahr früher, als sonst, bekam. Wir naheten uns einander dadurch schneller. Seine Bedürftigkeit und mein Wunsch, ihn diese weniger empfinden zu lassen, setzten uns über unzählige kleine Zwischenräume hinweg, welche der geordnete Lauf der Dinge erst nach und nach beseitigt.

Mit steigender Freude fühlte ich, wie nothwendig ihm meine Pflege ward. Hiermit regten sich Kräfte und Wille wie neu beseelt in mir. Gottlob! es ist so geblieben. Ich bin auf meinem Platz. Von da aus sieht es sich klarer, bestimmter auf die Gegenstände hin, welche unsere Welt bilden. Ich glaube, des Oheims Auge hat auch erst einen Blick für mich gewonnen. Er betrachtet [166] mich nicht mehr so prüfend. Wenn er mich ansieht, lese ich Vertrauen und wohlwollende Güte in seiner Miene. Es giebt nichts Einfacheres, aber auch nichts Friedlicheres, als unser Leben. Und wissen Sie wohl, wer zumeist den stillen Geist hineingetragen hat? Jene schöne, liebe Frau, deren erster Anblick auf mich bei weitem nicht den beschwichtigenden Eindruck machte, den sie jetzt nach jeder Zusammenkunft in mir zurückläßt. Von dieser Leichtigkeit des Umganges, dieser Seele und Wärme in jedem Worte, können Sie sich keinen Begriff machen. Oft überrascht mich ihre Art und Weise so, daß ich sie staunend ansehe, ohne zu wissen, wie ich das Unwillkührliche dieses fessellosen Innern mit der steten Berücksichtigung alles dessen, was andere betrifft, vereinen soll. Sie sieht mich dann wieder an, und die Miene, mit der sie fragt: »Was ist Ihnen, Liebe?« hat solchen Zauber kindlicher Neugier, daß jeder Gedanke an Absicht oder Künstelei davor verschwindet. Seit mich des Oheims Kränklichkeit im Schlosse fesselt, ist sie täglich, wenigstens auf ein paar Stunden hier. Sie kommt und geht wie ein anmuthiges Feenkind, das durch allerlei Zaubereien die alltägliche Gegenwart umher verwandelt. Immer hat sie etwas zu erzählen.[167] Wie unbedeutend das auch sein mag, sie weiß es so eigenthümlich vorzutragen, daß es nie ohne Interesse bleibt. Der Kranke vergißt Schmerz und Unbequemlichkeit, wenn er sie nur sieht. Vorzüglich unterhält es ihn, wenn er Hugo mit ihr in Streit verwickeln kann. Das geschieht, so oft von der Gesellschaft in Ulmenstein die Rede ist, zu deren Gunsten Elise mancherlei anführt, was jener mit Witz und Laune widerspricht. Sie endet häufig damit, ihn über sein nichtiges, abweisendes Benehmen gegen Fremde, die er weder kennt noch kennen lernen will, auszuschelten, und ihm Stolz oder Trägheit vorzuwerfen. Der Comthur stimmt hierin mit ein. Er reizt und neckt den Neffen. Dieser giebt sich willig her, lacht, widerspricht ohne sich zu rechtfertigen, erzählt dann schnell ein paar Jagdabentheuer, schiebt irgend ein fremdes, anziehendes Bild hinein, wodurch er die Theilnahme seiner Gegner anders lenkt und ihnen entschlüpft. Elise bemerkt seine List zu spät. Es ärgert sie, doch weiß sie auch dieser Empfindung Grazie zu leihen. Sie ist allerliebst, wenn sie zankt. Ihr Eifer, mit dem es ihr in solchen Augenblicken ganzer Ernst ist, trägt ein eigenes Gepräge von Natur und Wahrheit. Ich glaube, sie erscheint vorzüglich deshalb [168] so unendlich liebenswürdig. Der Oheim nannte gestern ihren Unwillen gefährlich. Er warnte Hugo, ihn zu reizen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß gerade in diesem Moment Hugo's Blick dem meinigen begegnete. Es lag etwas Gezwungenes in seinem Lächeln. Ich ward unwillkührlich wie mit Blut übergossen. Es war wohl die Erinnerung meiner frühern Schwäche, die mich beschämte, allein Hugo? Hat er mich schon damals errathen? Die unbefangene Elise blieb sich gleich. Sie ist zu großartig, um dergleichen heimliche Regungen vorauszusetzen.

Bald darauf nahm sie, ohne alle weitere Rücksicht, Hugo's Arm, und hieß ihn, sie zur Strafe, daß er sie so lange durch unnütze Worte aufgehalten habe, den Berg hinab zu ihren Wagen führen. »Mein armer, kleiner Georg,« setzte sie, fast erschrocken über die Erinnerung an diesen, hinzu, »wird gewiß schon recht ungeduldig über mein Aussenbleiben geworden sein.« »Wie,« entgegnete ich überrascht, »der Kleine begleitete Sie, und Sie ließen ihn die ganze Zeit draussen in der naßkalten Herbstluft?«

»Ganz so arg,« lächelte sie sorglos, »habe ich es nicht gemacht. Das Kind ist mir mit sammt dem Wagen späterhin gefolgt. Ich bin [169] den Fußpfad durch den Wald gegangen, meine Absicht war blos, nach dem Befinden unsers Kranken zu fragen, und dann den Rückweg mit einer Spatzierfahrt zu verbinden. Ich habe mich einmal wieder hier vergessen,« fügte sie achselzuckend hinzu. »Aber nun auch keine Minute länger!«

Sie grüßte flüchtig. Ehe ich ihr Lebewohl sagen konnte, war sie mit Hugo die Treppe hinunter, zum Schlosse hinaus? Ich trat ans Fenster. Es dunkelte schon. Mir schien es gewagt, sie und das Kind noch so spät der Gefahr des Umwerfens auszusetzen. Ich sprach das gegen den Oheim aus. Er erwiederte nichts. Als ich vom Fenster zurück trat, und wieder neben ihm niedersaß, fand ich ihn, den Kopf in die Hand gelehnt, vor sich hinsehend. Sein plötzliches Schweigen fiel mir auf, ja es ängstigte mich. Litt er körperlich, oder war etwas geschehen, das ihm mißfiel? Mein fragender Blick drückte wohl aus, was ich dachte. Er richtete den Kopf in die Höhe, doch ohne sich weiter zu erklären, sagte er zerstreut und durch Anderes beschäftigt: »Ja, ja, Sie haben ganz recht, es ist zu spät!« – Nachher besann er sich, wir redeten über Mancherlei, doch unsrer Nachbarin gedachte er weiter nicht, [170] es kam mir sogar vor, als vermeide er alles, was auf sie Bezug hatte. Weshalb das? glaubt er mich unfähig, den Werth der seltenen Frau zu empfinden? und hat ihn die flüchtige Aeußerung über sie, aus meinem Munde, verdrossen? – Ich dachte seitdem oft darüber nach. Auch würde ich glauben, hierin nicht zu irren, machte er es gegen Hugo anders. Als dieser nach mehreren Stunden zurück kam, fragte der Oheim weder nach dem, was ihn außerhalb beschäftigte, noch wie und wo er seine Dame verlassen habe?

Seine Dame! Es ist doch eigentlich seltsam, wie die kleinen Lebensverhältnisse eine Frau augenblicklich in Beziehung zu einem Manne setzen. Dieser kann ihr nicht den Arm bieten, ohne sich für ihren Beschützer zu erklären, was immer gegenseitige Verpflichtung bedingt. Wie mir dies gerade hierbei auffällt? Ich schäme mich, es einzugestehen. Allein ich glaube, es sind noch dumpfe Nachklänge des ersten, unreinen Tones, den Elisens Erscheinen in mir weckte. Ich werde darauf nicht wieder hören. Ich verspreche es Ihnen.

Ueber Eins möchte ich doch Ihre Meinung wissen. In einem unserer kleinen Abendzirkel war von einem Buche die Rede, das Hugo sehr lebhaft gegen die Angriffe unserer Nachbarin in [171] Schutz nahm. Diese nannte es hinreißend schön, doch abirrend für die Phantasie, welche das Gebiet melancholischer Schattenbilder vor allem Andern zu meiden habe. »Das unbefriedigte Innere,« sagte sie lebhaft, »versinkt ohnehin allzu leicht in jene krankhafte Unbestimmtheit, die den Besitz des Daseins erschüttert, alle schöne Gaben desselben bleicht, und das Herz mit nichtzustillender Wehmuth füllt.«

Hugo lächelte, indem sich die tiefe Falte auf seiner Stirne finster zusammenzog. »Ist, wie Sie es sagen,« entgegnete er, »dies die unbezwingliche Neigung der Menschenbrust, lockt uns so Vieles, und am meisten das eigene Gefühl in den dunklen Strom unbegriffener Ahndungen hinüber, was sperren wir uns gegen den Andrang der Wogen, wenn sie uns einmal bis zum Herzen steigen? Was büßen wir Großes dabei ein, wenn nun auch wirklich Alles um uns und in uns in flüchtige Atome zerflösse? Hat das Farbenspiel des Tages die ernsten Schatten der Nacht zu fürchten, dürfen wir es bedauern, wenn das Unbeständige erbleicht? wer beklagt den Verlust eingebildeter Güter??«

»Wie,« unterbrach ihn Elise, »zum trügerischen Gaukelspiel entadeln Sie mir die frische, [172] blühende, kräftige Welt, in der ich athme, und mich wirklich fühle?« –

»Und dennoch,« versetzte Hugo mit neckender Zuversicht, indem er das besprochene Buch vom Tische nehmend, es gewichtig auf der flachen Hand ruhen ließ; »Und dennoch geben Sie Ihre Wirklichkeit fürsolche Träume hin. Ich weiß gewiß,« fuhr er lächelnd fort, »Sie vergaßen alles Andere, während Sie lasen.«

Elise erröthete in sichtlicher Verwirrung.

»Von jeher,« nahm Hugo das Wort, »flüchtete der Mensch mit seinen Gefühlen in eine andere Heimath, als die ihm angewiesene. Da war er Herr undSchöpfer einer unermeßlichen Welt. In ihrhatte und besaß er, was die vergängliche ihm versagte. Aus höherer Naturmystik nannten die Alten die Nacht, Mutter der Dinge. Erst wenn sie, die Königin, im geheimnißvollen Dunkel heraufzieht, am Saume ihres Mantels duftige Träume spielen, und Schlaf und Tod aus den schwarzen Falten hervor treten, erst dann gestaltet sich ein Dasein, das uns gehört, dessen Herrscher der träumende Gedanke ist.« Er sagte das Letzte mit seltsam erschütternder Melancholie in Ton und Miene. Im Sessel zurückgelehnt, die Arme über einander geschlagen, [173] wandte er nur das Auge zu seiner Nachbarin, die ihn überrascht, wie es schien, ungewiß betrachtete.

»Man wirft so oft den Christen vor,« unterbrach ich die augenblickliche Stille, »daß sie sich den Genuß des Lebens verkümmern, die Schöpfung, durch trübe Betrachtungen über den Wechsel der Dinge, ihres Reizes entkleiden, ja das Gemüth durch Abtödtung in unerfreuliches Entsagen zwingen; doch so unbarmherzig in das schwankende Grau der Nacht verweisen sie die geängstete Seele nicht, wie jene Heiden, deren Du erwähnst, Hugo. Sage doch, welche andere, als traurige, unbestimmte Bilder können der Phantasie in solchen Nebeldünsten entsteigen?«

»Mein liebes Kind,« entgegnete er etwas trocken, »es ist hier nicht von Glaubenssätzen verschiedener Religionsansichten die Rede, sondern von allgemein menschlichen Naturzuständen, die sich in ihren Bedingungen, wie in ihren Anforderungen, von jeher auf ein Haar glichen. Immer wollte das Herz, was es nicht hat, immer suchte es sich im Unermeßlichen zu genügen. Die Formen, in welche das mannichfach abgeschattete Streben sich wechselnd kleidete, thun zur Sache wenig.«

[174] »Ich meine doch,« entgegnete ich, »der Christ denkt nicht allein, er fühlt auch anders, wie der Heide.« Hugo schwieg. Des Oheims Blicke ruhten auf Elisen. Sie schien in sich das Gehörte zu erwägen.

»Wir sollten,« hub jener nach einer Pause an, »den wüsten Sturm einer Gigantenbrust nicht zum Maaßstabe unsrer Empfindungen machen wollen. Dort ist der Drang des Schrankenlosen in die ringende Verwirrung des Lebens gegeben. Der Fluß sucht erst sein Bett. Das Gefühl hat keine Worte. Große Natursymbole werden ihr unwillkührlicher Ausdruck. Für uns sind das verbrauchte Spielereien. Wir gefallen uns darin, weil es so tönend klingt, und über die Ungenügsamkeit verwöhnter Herzen täuscht. Wir schwärmen aus Schwäche, und träumen aus Trägheit. Schwermuth ist der trübe Schatten entflohener Lebenskraft.«

An Hugo's Lippen zuckte ein zweideutiges Lächeln. Er öffnete sie, als wolle er etwas sagen, doch unterließ er es.

»Deshalb,« fuhr der Oheim fort, »stimme ich dem Urtheil unserer Freundin bei, welches Schriften, die dem kranken Zuge der Seele Vorschub leihen, abirrend nennt.«

[175] »Und somit,« entgegnete Hugo, bedacht und leise, »somit wären alle Fäden zerschnitten, durch die unser Sein mit höherer Ahndung zusammen hängt, und diese selbst zum schwerfälligen Phantom dickblütiger Fieberphantasie herabgesunken! Lieber Onkel,« fuhr er, näher sich zu ihm wendend, die Hand freundlich auf seinen Arm gelegt, fort, »Sie fühlen es anders. Sie haben die Einsamkeit lieb. Sie kennen die Stunden wohl, wo der Blick nichts sieht, nichts sucht, wie in einem Abgrund versinkt, die Brust immer voller wird, der Wunsch stockt, die Sehnsucht das All umfaßt, unbezwingliche Traurigkeit uns fest umklammert, wir uns fühlen und nicht fühlen! dann plötzlich reißt der Geist sich aus den Banden los, wir glühen,eine, nur eine That zu thun, die das heiße Streben stille. Nein! O nein! Melancholie ist nicht die Ausgeburt schlaffer Trägheit, sie ist die trauernde Gefährtin des Menschen, der, ein stets erneuerter Prometheus, sich und seine Schöpferkraft in Ketten geschlagen fühlt.«

Des Comthurs Schmerzen kehrten hier heftiger wieder. Er hielt zuckend die Hand gegen den leidenden Fuß, indem er mit Anstrengung sagte: »Ich verstehe wohl, wie Du es meinst, allein auch Prometheus war aus seiner Bahn gewichen, [176] und wenn auch göttlicher Wahnsinn, so ist Wahnsinn immer Krankheit. Uebrigens täuschen wir uns gern mit prometheischer Schöpferkraft, wenn uns das Nächste zu schlecht dünkt, oder zu mühsam, es anzufassen.«

»Ja wohl,« rief Elise, indem sie mit komischem Eifer von ihrem Stuhle aufsprang und an des Comthurs Lager eilte. »Während wir hier um des Kaisers Bart streiten, versäumen wir, Ihnen die Kissen zurecht zu legen. Es ist da etwas, das Sie drückt. Wir hätten es gewiß längst bemerkt, wären wir nicht so unverzeihlich mit uns selbst beschäftigt gewesen.«

»Da haben Sie die Moral von der Fabel,« sagte sie, gegen Hugo gewendet. »Das gesunde Auge wird blind, wenn man durch Künstliche sieht.«

Der Oheim küßte ihr die Hand, die sich auf leichte und gefällige Weise um ihn zu thun machte. Schaffte sie ihm wirklich Erleichterung, oder war der unbequeme Anfall rasch vorüber gegangen? Genug, er fand seine frohe Stimmung sogleich wieder, er scherzte, lachte Hugo aus, während er dessen Gegnerin, in der klugen Nutzanwendung des Streites, lobte. Diesen hatte man fallen lassen. Es blieb, soviel mir klar ward, Alles [177] unentschieden. Auch bei mir. Deshalb wünschte ich Ihre Ansicht darüber zu hören. Elise war, sie mochte sich dagegen immer sträuben, nicht sowohl durch die Süßigkeit ahndungsvoller Wehmuth in sich zurückgezogen, als sie vielmehr Hugo's düstere Begeisterung überraschte! Sie fand sich in einer unheimlichen und doch fesselnden Region. Der Oheim hat immer viel Kraft und Selbstüberwindung von sich und Andern gefordert. Hierin setzt er den ganzen Werth des Mannes. In Opfern aller Art zeichnete er sich aus. Ja, man erzählt, er warf alle Lebensansprüche hin, zerriß eine Verbindung, die, im Begriff vollzogen zu werden, seinem Herzen das schönste Glück verhieß, weihete sich stillem Entsagen, suchte und fand Trost in der Thätigkeit für Andre. Dem Fehlgriffe seines Bruders hatte er die ganze Strenge gesetzlicher Vollkraft entgegen gestellt, sich selbst dafür zu strafen, das Mißverhältniß auszugleichen, ward er Geistlicher. In diesem Bewußtsein betrachtet er das Leben, wie ein Feld streitender Kräfte, auf dem Niemand müde werden darf. Am wenigsten kann er das Vonsichdrängen des Kampfes, das Flüchten in die Labyrinthe müßiger Betrachtungen, dulden. Er will immer Gewappnete um sich sehen, überzeugt, daß[178] jeder Augenblick eine That mit sich heraufträgt.Genuß kennt er nicht, in sofern dieser Rast und Ruhe bedingt. Sehen Sie, ehrwürdiger Herr, so gesinnt, dünken ihm Hugo's Aeußerungen lauter Mißtöne. Ich finde gleichwohl Harmonie darin. Geht doch alles in einen Grundton seiner Seele über! diese füllt heißer, ungestillter Durst nach dem, was die Welt nicht hat. Oft denke ich mir, Gott habe den geliebten Mann durch seine ganze Natur zum Priesterstande bestimmt. Er würde sich in den heiligen Abgrund des Geheimnisses versenkt, aus dem verborgenen Quell geschöpft haben. Und doch, finden wir nicht auch unter den Gläubigen dunkle Seher? Ist der tiefe Blick nicht oft der trübe? Bleibt die Sonne darum weniger sie selbst, weil sie hinter dunkeln Wolken weilt? Und eben so, ist Finsterniß darum wirklich Finsterniß, weil wir das Licht nicht sehen? Ich kann mir in einem Menschen alles anders denken, als er nach Außen erscheint. Hugo ist mir in manchen Augenblicken so verständlich, ich traure nur mit ihm. Ein Glück, daß die heitre Elise so viel duftige Farben über das Leben zu verbreiten weiß! ihre Nähe ist uns Allen gewiß recht wohlthätig.

Irre ich in meiner Ansicht, geehrter Freund, [179] so lassen Sie mich recht bald in Ihrer gütigen Antwort den Irrthum einsehen.

Elise an Sophie [8]
Elise an Sophie

Mit Befremden werden Sie an dem Ortszeichen dieses Briefes meinen verlängerten Aufenthalt auf dem Lande sehen. Die vorgerückte Jahrszeit fand mich niemals hier. Es wäre auch jetzt nicht der Fall, hielt eine unvorhergesehene Geschäftsreise Eduard nicht von uns entfernt, wodurch ich Freiheit gewinne, über mein Gehen und Bleiben zu bestimmen. Sie wissen, liebste Sophie, ich reiße mich immer schwer von dem Orte los, wo ich eben bin. Im Frühling möchte ich die Stadt, im Herbst den lieben, wohnlichen Gartensaal mit seinem Kamine, die Blumen und Fruchtkörbe nicht verlassen. Ich kann Ihnen sagen, mir ist recht innerlich wohl, so hier zu sitzen, als brauche ich gar nicht aufzustehen, weder von Einpacken, noch Fortschicken der Wagen, noch von Reisen sprechen zu hören, und Stunden und Tage gehen zu lassen, ohne der Zukunft zu gedenken! Dazu nehmen Sie noch, daß ich im mindesten nichts an fröhlicher Gesellschaft einbüße. Meine Nachbarn [180] folgen meinem Beispiel. Die Eine aus Nothwendigkeit, die Andere aus Grille. Auf der Burg hält das Podagra den Comthur, die Pflicht ihn zu pflegen, die jungen Leute, zurück; in Ulmenstein erinnerte sich die Gräfin, daß man in England immer erst spät nach der Stadt zurückkehrt; zudem ist es pikant, sich erwarten zu lassen. Diesen Triumph vorzubereiten, bietet sie jedes Mittel auf, dem Rufe ihres Hauses noch an Glanz und erhöheter Fröhlichkeit das Wünschenswertheste hinzuzusetzen. Man jagt in ihrem Park, spielt Comödie, stellt lebende Bilder dar, sitzt in großen Kreisen und am gastlichen Kamin, und erzählt schauerliche Geistergeschichten bis in die Nacht hinein. Von fern und nahe strömen müßige, neugierige, oft lebensfrohe Genossen herzu. Es ist, ich versichere Sie, ein sonderbares, konfuses Treiben dort, das eben, in seiner Anarchie, etwas Berauschendes hat, und dem ich mich zu Zeiten gern überlasse. Einen seltsamern Contrast giebt es nicht, als wenn nun Einzelne, des ewigen Wirrwarrs müde, nach der ernsten Burg, oder mit dessen Bewohnern, hierher zu mir flüchten, wir zu zweien oder vieren in einem kleinen, geschlossenen Kabinet sitzen, die Welt drüben ganz vergessen, nichts wollen, als stilles Genügen im Beisammensein, [181] ruhigen Gesprächs, warme, beseelende Mittheilung. Und wie sich die Brust dann plötzlich erweitert, ein rascher Blitz das Gemüth trifft, und schnell ein Funke den andern faßt, bis alles hell und durchsichtig um uns ist! – O Liebe! – Oft noch spät, nach einem durchschwärmten Tage kommen wir Abends so zusammen. Dann ist es, als haben die wechselnden Berührungen von Aussen die Saiten in uns nur angeschlagen, damit ein lang verhaltenes, geheimnißvolles Echo die Töne schwer, aber tief zurückgebe, und so das Mißgestimmte in Akkorden zusammenfließe.

Vor Kurzem wohnten wir zu Ulmenstein einer Vorstellung des schwarzen Mannes von *** bei. Eines von jenen Theaterstücken, die am häufigsten auf Privat-Bühnen gegeben werden, und viel zu schwer für die augenblickliche Belustigung sind. Der junge Leontin, Sohn des Baron Wildenau, machte die Rolle des spleenkranken Engländers. Agathe hatte man zu seiner Gattin erwählt. Sie spielte maniirt, war mehr mit ihrer kleinen Person, als mit dem Charakter derjenigen beschäftigt, die sie vorstellen sollte, kurz sie war, was die meisten Püppchen, die man so figuriren läßt, zu sein pflegen. Dies stach auffallend, und nicht zum Nachtheile Leontins, gegen [182] dessen düsteres Spiel ab. Es lag erschütternde Wahrheit darin, und wenn er auch, wie nicht zu läugnen, den Ort, den Zweck, ja vielleicht den Gedanken des kleinen Drama ein wenig aus der Acht ließ, so weckte er auch dafür Empfindungen, die weit über den flüchtigen Zeitvertreib hinausgingen. Ich sah mir den Mann zum erstenmale genauer an. Er hatte sich uns früher mit nachläßiger Hingebung angeschlossen, doch meist nur den stummen Zuhörer bei unserer Unterhaltung abgegeben. Sein Wesen deutet auf Leerheit oder Zurückgezogenheit. Ich schwankte in meinem Urtheile, doch war ich geneigt, von Beiden etwas anzunehmen. Jetzt, auf den Brettern, schien er plötzlich den Ausdruck seines verhüllten Selbsts gefunden zu haben. Ich ward aufmerksam auf ihn. Den folgenden Abend trafen wir auf der Burg zusammen. Er hatte seinen schwarzen Rock nicht mehr an. Der hellfarbige Frack, nach englischer Sitte, mit weit über die Handknöchel hervorgezogenem Hemde, die künstlich gelegte, steife Cravatte, das bauschige Jabot, erinnerten an viele unserer maniirten Anglomen, und rief mir es zurück, daß man ihn allgemein in diese Cathegorie setze. Ich hasse ein für allemal jede Copie. Er mußte indeß die fremde Manier gut aufgefaßt haben, [183] wenn in seinem Spiel nicht eigenthümlicher Charakter lag. Ich brachte das Gespräch darauf. Hugo persiflirte das Stück. Wir sind selten einer Meinung. Ich wollte doch tiefere Anklänge darin finden. Leontin sagte wie gewöhnlich nichts. Als nun aber mein ewiger Widersacher mit vieler Laune einwarf, dieser Engländer sei, wie die meisten Figuren der Art auf unserer Bühne, eine Puppe, nach todten Formen gebildet, mit abgerissenen Lappen, schlecht abstrahirten Raisonnements ausgestopft, ein Ding, das sein Pensum hersage, und zuletzt durch eine unmodivirte Catastrophe zu einem stillen, guten Manne aus der bürgerlichen Welt gemacht werde: da wandte ich mich ärgerlich gegen Leontin, und rief ihn auf, ein Geschöpf der Phantasie zu vertheidigen, in das er sich so vollkommen hinein gedacht, das er verwirklicht habe.

Er blickte ein wenig finster auf, indem er ruhig erwiederte: »Nun, mein Gott, der schwarze Mann ist ein Sceptiker, der eine Seele hat, ohne sie zu fühlen, und plötzlich eine andere findet, durch die er zu sich selber kommt.«

Es war augenscheinlich, Hugo überraschte die Antwort. Er sah mich lächelnd an. War es nun, um Recht zu behalten, oder wollte er Leontin [184] leise verspotten, er fragte, ob er dem Schreckschuß zu guterletzt die Gewalt zutraue, eine, auf Grundsätzen basirte Sinnesart so mit einemmale, wie Spreu, zu zerstäuben? Er, seiner Seits, wittre hinter dem Knall und Dampf ein Leichenfeld aller Gefühle, und den wahren Tod, den man zum Scheintod habe machen wollen.

Leontin entgegnete mit mehr jugendlicher Wärme, als ich ihm zugetraut hätte: »Das Leben eines Menschen ist am Ende kein Pappenstiel! um es bei einem geliebten Wesen aufs Spiel gesetzt zu sehen, kann wohl erschüttern, und auf Gedanken bringen, die man früher nicht hatte.«

Er erzählte hierauf, nach einer kleinen Pause, wie er im nördlichen England einem Manne begegnet sei, welcher durch völlige Entäußerung alles selbstbestimmten Handelns, den Anstrich des Wahnsinnes bekommen habe, ob er gleich, in jeder andern Beziehung, einen klaren, folgerechten Geist bewährte. »Dieser Sonderling,« fuhr der Baron fort, »kam und ging wie Jemand, der ohne Zweck des Daseins lebt. Er verlangte weder Speise, Trank noch Ruhestätte, genoß indeß, was man ihm bot, ohne Widerstand, wie ohne Verlangen. Im Mittelstande geboren, hatte er sich früher als Rechtsgelehrter sehr ausgezeichnet,[185] doch irrte er schon lange geschäftslos umher. Die welke Hingebung seines Wesens, der nachläßige Anzug, das Willenlose bis in die geringste Lebensanforderungen, bildete einen räthselhaften Contrast mit dem großen, feurigen Auge, einer blühenden Gesichtsfarbe, und raschen, oft launigen Ergüssen des Witzes. Man war verlegen, ob man den Mann für krank, oder absichtlich maniirt halten sollte? Allein, weder von dem Einen noch dem Andern ließ sich eine Spur entdecken.

Ich ward,« setzte der Baron seine Erzählung fort, »durch diese originelle Erscheinung an der Wirthstafel eines kleinen Städtchens lebhaft angezogen. Täglich sah man hier den Gegenstand so mancher unstatthaften Vermuthungen, in Gesellschaft eines, ihm auf Leib und Leben ergebenen Freundes, wiederkehren. Denn Letzterm schien daran gelegen, seinen Schützling allmählig in mannigfachen Beziehungen einzuspinnen, woraus er ein Gewebe unbestimmter Anregungen, in Gedanken entstehen und den trüben Wahn des Gemüthskranken schwinden sah. Er ließ dies mehr durch sein Benehmen, als durch unmittelbare Aeusserungen abnehmen. Er vermied im Gegentheil alles fremde Zudringen. Man hörte [186] ihn immer nur ausweichend über den Freund reden. Was er indeß auch hoffte, und wie er die Erfüllung vorbereitete, es sollte anders kommen.

Eines Tages, als die Tischgenossen länger wie gewöhnlich beisammen blieben, viel erzählt und viel getrunken ward, ohne gerade sonderlich auf ein starkes Gewitter zu achten, das über den Ort hinzog, fuhr plötzlich der Blitz nieder, und zündete in seinem unzuberechnenden Laufe an zwei Stellen des leicht, aus Fachwerk erbauten Hauses. Dampf und Geschrei, das Brausen der Flamme, so wie die Furcht vor ihrer Annäherung, jagten die Sorglosen von ihren Plätzen auf. Es stürzten alle durch einander hin. Man ergriff, faßte, was zu retten stand, mindestens sich selbst, da bald jeder Einzelne hier bedroht war. Den Advokaten hatte man im ersten Wirrwarr gleich vermißt. Sein Freund glaubte jedoch ihn an seiner Seite zum Hause hinausgehend, gesehen zu haben. Er rief ihn deshalb mit lauter Stimme; da jener aber keine Antwort gab, wandte sich der Erschrockene wiederum nach der Brandstätte. Hier prallte er vor der Gluth des zusammenstürzenden Gebäudes zurück. Das ganze Haus lag in schwarze Rauchwirbel verhüllt, zwischen denen Funken [187] und Flammen in wilder Wuth prasselten. Ein kürzlich vollendeter Anbau von massivem Mauerwerk, in welchem sich das Eßzimmer befand, war freilich durch davorstehende Bäume geschützt, und bis jetzt ziemlich außer Gefahr geblieben. Allein, den Weg von Innen dahin zu betreten, lag außer dem Bereich denkbarer Möglichkeit; denn ward auch allenfalls durch den Garten der schmale Hof erreicht, in welchen die Fenster des neuen Flügels hinausgingen, so durchdrang die innere, wachsende Hitze doch den engen Raum schon in solchem Maaße, daß der Vorrath aufgestapelten Brennholzes, welcher sich hier befand, durch ein inneres Knistern und Dampfen, das nahe Losbrechen der Flamme nur allzu furchtbar verkündete, weshalb sich denn auch Niemand mehr mit Löschgeräth hierher wagte, aus Furcht, in dem Dunste zu ersticken. Alles dieses hielt indeß den treuen Freund nicht zurück. Mit einer niedern Gartenleiter versehen, drang er glücklich bis zu der Fensterbrüstung des Gemaches, in welchem er den Vermißten zu finden hoffte. Die Mauer glühete wie eine Feueresse, alle Scheiben waren bereits gesprungen. Der heldenmüthige Mann glaubte mitten in Flammen zu stehen. Dem ungeachtet gelang es ihm, jedem Hindernisse zu [188] trotzen. Er war jetzt mitten im Saale. Seiner kaum noch bewußt, fiel gleichwohl sein erster Blick auf den ruhig dasitzenden Advokaten, der ihn verwundert anstarrte.

›Um Gottes Willen,‹ rief der Eintretende, ›was machst Du hier? Geschwind, besinne Dich nicht lange! Folge mir, sonst sind wir beide verloren!‹

Der Andere winkte abwehrend mit der Hand. ›Geh!‹ bat er, ohne sich von der Stelle zu rühren, ›geh! ehe es zu spät wird! Mich laß hier,‹ setzte er hinzu. ›Ich entfliehe dem Verderben nicht, glaube mir, am wenigsten, wenn ich dabei thätig sein wollte.‹

›Thorheiten!« versetzte jener, ›ist es jetzt Zeit, albernen Grillen Raum zu geben?‹

Mit diesen Worten umschlang er den willenlosen Träumer, riß ihn vom Stuhle auf, schleppte ihn zum Fenster, und ohne die kreisenden Funkenwirbel zu achten, die jetzt den Hof erfüllten, ohne die prasselnden Holzhaufen zu fürchten, bestieg er die Leiter, den Advokaten auf dem Rücken tragend. Doch, kaum hatte er die ersten Sprossen betreten, so fühlte er sich unter seiner Last erliegen, er schwankte, die Gluth um ihn her raubte ihm die Besinnung, er widerstand einem [189] jähen Schwindel nicht, der ihn und den unglücklichen Freund mit einem fürchterlichen Fall zu Boden stürzte. Der Advokat fiel auf seinen Retter. Einen Augenblick harrte jener, was nun geschehen würde? Da aber der Andere kein Zeichen des Lebens gab, so durchzuckte die entsetzliche Ahndung der Wahrheit den Kranken. Er sprang empor, umfaßte und trug seinen Wohlthäter durch den Garten, über die Straße, zu seinem Hause hinein, rief Aerzte herbei, ordnete mit kluger Besonnenheit jedes erdenkliche Rettungsmittel an; nichts lähmte seinen Eifer, selbst der niederschlagende Ausspruch des Arztes nicht, der alle angewandte Mühe für vergeblich erklärte. Noch einmal schlug der treueste der Freunde die Augen auf, ein kurzer Kampf vollendete das Opfer seines Lebens.

Jedweder zitterte nun für das Geschick des Zurückbleibenden. Laut weinend stand dieser am Grabe des Einzigen, der ihn so geliebt. Als die herabrollende Erde jetzt die Gruft füllte, ein kleiner Hügel die Stelle bezeichnete, seufzte der Advokat tief, sein dunkles Auge lag fest am Boden. Träumerisch sagte er nach einer Weile: »So oder so! Es ist alles Eins! Manmuß, was man soll! O!« rief er plötzlich mit dem[190] Ausdruck des bittersten Schmerzes: »Sei ruhig, lieber Freund, da unten in Deinem Bette, ich will, ja ich will arbeiten hier auf Erden, vielleicht erliege ich wie Du, Unvergeßlicher!«

Er hielt in so weit, was er versprochen, daß man ihn von jetzt seinen früheren Beruf mit Eifer erfüllen sah. Noch in den ersten Tagen heftiger Erschütterung theilte er mehreren neugewonnenen Bekannten den Grund seiner frühern Seltsamkeit mit. Schon als Kind hörte er seine Wärterin sagen: »Was der anrührt, zerbricht.« Sie hatte recht, deshalb schmerzte es ihn. Er ward ängstlich. Spielte er mit den Geschwistern, so traf er wohl Diesen unglücklich mit dem Balle ins Auge, oder stieß im Laufen einen Andern, daß er fiel, und sich verletzte. Bald verlor er die Lust am Spiel. Zurückgezogen und einsam, lernte er aus Langweile mehr, als die Gefährten. Weniger zerstreut als sie, vergaß er selten das Erlernte.

Das blieb nicht unbemerkt, allein es diente nur, seine Mitschüler zu beschämen. Eifrige und lebhafte Lehrer thaten das oft schonungslos. Der Träumer, den Niemand leiden mochte, ward vollends verhaßt. So fühlte er nur Qualen in dem, was Andere erfreut hätte.

[191] Als er die Universität von Cambridge bezog, war er mit den glänzendsten Zeugnissen ausgerüstet. Er wagte nur schüchtern davon Gebrauch zu machen. Die Art seines Benehmens dabei theilte sogleich die Meinung über ihn. Er stellte sich, und stand unbestimmt. Spott über den linkischen Neuling konnte nicht ausbleiben. Er ertrug das, so lange es zu ertragen war. Dann folgten ernste Händel. Er focht sie glänzend aus, allein auf Kosten eines bildschönen Jünglings, den er durch einen Hieb übers Gesicht für die Zeit seines Lebens entstellte. Jetzt war es vollends um seinen Ruf gethan. Man beschuldigte ihn, den Streich absichtlich so geführt zu haben. Dies verwundete seine Seele mehr, als Alles Vorhergehende. Er verließ Cambridge.

Gleichwohl konnte es bei seinen Kenntnissen nicht fehlen, daß er schnell in seiner Bahn vorrückte, und in Amt und Wirksamkeit trat. Von der übrigen Welt zurückgezogen, weihete er sich nun ganz seinem Berufe. In Kurzem hörte man seinen Namen bei Lösung verwickelter Rechtshändel mit Achtung nennen. Vorzüglich gewann ihm die Entscheidung eines vieljährigen Prozesses allgemeine Aufmerksamkeit. Allein, eben der Ausgang desselben füllte seine Brust mit Kummer, [192] denn indem er dem lang bestrittenen Rechte alle Gültigkeit verschaffte, und es siegreich aus dem Labyrinth unzähliger Irrungen hervor hob, führte er nur den Sturz einer angesehenen Familie, ja den Selbstmord ihres gesunkenen Oberhauptes herbei. Der Advokat schauderte vor dem Antheil, den sein unseliges Mitwirken in der Sache hatte, und als ein Jahr später eine jugendliche Verbrecherin, durch ihn zum Bekenntniß ihrer Schuld gebracht, der gerichtlichen Strafe überliefert ward, traten die prophetischen Worte der alten Wärterin: »Was der anfaßt, zerbricht!« wieder in seine Erinnerung.

Er beschloß, dem feindlichen Geschick ein Ziel zu setzen. So ward er ein müßiger Grübler, zuletzt ein Automat aus Grundsatz. Er glaubte abwenden zu können, was überwunden sein will.«

Leontin schwieg. Hugo war indeß leise mit gesenktem Haupte im Zimmer auf und abgegangen, ohne uns in seinen Mienen den Antheil lesen zu lassen, den ihm diese sonderbare Erzählung einflößte. Jetzt stand er still, sah auf, indem er Leontin fragte: »Und hat er es überwunden?«

»Ich denke ja!« war die Antwort. Hugo schüttelte den Kopf. »Ich fürchte Nein,« entgegnete er. »Rufen Sie sich nur zurück, was ihm [193] unbewußt am Grabe des Freundes über die Lippen flog, das war die innere Anschauung seiner Bestimmung. Wem die einmal klar ward, der ist nicht mehr zu täuschen. Der Mann wußte auf ein Haar, was er zu erwarten hatte, verlassen Sie sich darauf. So oder so! Es ist alles Eins! –«

Emma heftete einen sonderbar fragenden Blick auf ihn.

Liebste Sophie, vergeben Sie mir meine Offenheit; allein diese Frau sieht zuweilen so verwundert und fremd in Dinge hinein, als wäre gar kein Schlüssel in ihr, zu den Räthseln eines großartigen Charakters. Ich weiß nicht, ob Hugo dieselbe Empfindung hatte, allein er mied jetzt ihr Auge, das ihn nicht verließ. Anders war es mit Leontin. Dieser saß mit untergeschlagenen Armen der schönen Frau gegenüber, ohne Theilnahme für das, was fernerhin gesprochen wurde, ganz versunken in Gedanken, welche eine innere Verwandtschaft mit dem haben mußte, was Emma's Seele beschäftigte, denn, ob er gleich nur flüchtig, und wie unter melancholischen Wolken, aufsah, so verrieth doch sein Gesicht, was in ihm vorging. Es ist nicht zum erstenmale, daß ich diese fliegende Schatten vonihm zu ihr hinübergleiten [194] sehe. Ich weiß nicht, weshalb mich das so erschüttert? Auch jetzt. Allerlei Gedanken schwirrten mir zugleich durch den Sinn. In einer Art Verlegenheit, in die ich wohl gerathe, wenn das Gespräch plötzlich stockt, trat ich zum Clavier. Erst schlug ich auf gut Glück einzelne Töne an, dann spielte ich die Melodie von Göthe's Fischerliede. Hugo setzte sich zu mir. Er hat eine volle, schöne Stimme, ich höre ihn gern, und ließ mir seine Begleitung gefallen. In den Worten:


»Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,
Da war's um ihn gescheh'n;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr geseh'n«

lag seine ganze Seele. Ich sah eben bei der letzten Strophe zu ihm auf. Er war ungewöhnlich bewegt. Mir ward auf einmal klar, wie er dürste, sich mit einer unbekannten Gewalt zu messen, wie geisterhaft ihn diese locken, und was er thun und leiden könne, um sich nur selbst in dem erhöheten Gefühl zu entgehen.

Sophie! mich dauert jeder, dem man Fesseln anlegt. Dieser, vor vielen Andern, war es werth, frei zu bleiben.

Ich schüttelte unwillkührlich den Kopf, als das Lied geendet war. Er bog sich näher zu mir, [195] indem er leise fragte: Ob ich ihn auch mißverstehe, wie die Meisten, auf deren Gesichter er nichts als tadelnde Verwunderung lese?

»Was kümmert Sie die Meinung Anderer?« entgegnete ich rasch. »Sie achten Niemand genug, um viel auf ein Urtheil zu hören.«

»Sie thun mir wehe,« entgegnete er verletzt. »Ich bin nicht starr und dünkelhaft, glauben Sie mir. Wieich mich zu den Menschen stelle, so stehen gemeinhin alle, ohne es zu wissen. Ihr eigentliches Selbst bleibt ein unenthüllbares Geheimniß. Der Schleier zerreißt nur durch den zündenden Blitz zusammenfallender Gefühle. Der Blitz« – – – er hielt inne. Ich mochte nicht weiter in ihn dringen. Sein Herz lag ihm schon auf der Zunge. Solch ein Vertrauen, das geahndete Mißverhältnisse zwischen zwei gleich lieben Menschen ausspricht, ist um so peinlicher, wenn, wie hier, der Druck gerade von der Seite am stärksten empfunden wird, wo mit der größten Kraft auch die Fähigkeit liegt, ihn abzuschütteln. In solchen Fällen ist das Wort schon halbe That, und wenn diese auch nicht ausbleiben wird, so mag ich auf keine Weise Theil daran haben.

Ich war aufgestanden, ich wollte fort, mir war es entgangen, daß Sturm und Regenwetter [196] die Nacht undurchdringlich machten. Ich mußte endlich darein willigen, den morgenden Tag auf der Burg abzuwarten. Leontin ließ sich indeß nicht zurückhalten. Er bestieg, trotz des wilden Aufruhrs der Elemente, sein Pferd. Wir Alle traten ans Fenster, und baten ihn, umzukehren. Er entgegnete wenig, grüßte, und ritt seines Weges. Wie er sich so unter dem heftigen Regen, der zwischen den Bäumen herabfiel, allmählig in den schwarzen Hintergrund der Bergwände verlor, ließ er mir ein undeutliches, unbequemes Gefühl zurück. Mir ward beklommen, wie bei einem angekündigten Geheimniß, dessen Bedeutung man noch nicht kennt. Ich weiß nicht, wie dieser eintönige Mensch so schwere und tiefe Klänge in der Seele anschlagen kann! Alles dies irrt und quält mich in seiner Nähe, und doch möchte ich ihn in unserm Kreise nicht missen.

Den andern Morgen schien die Sonne hell in mein Zimmer. Alle träumerischen Grillen waren wie verflogen. Ich lachte mich aus, eilte in das Frühstückzimmer, und wollte nun alles Ernstes machen, daß ich nach Hause käme. Es war indeß hier leer. Ich suchte Emma. Man wies mich nach dem Thiergarten. Ich sah sie schon [197] von ferne, zwischen den entlaubten Bäumen, in einen grauen Mantel gehüllt, einsam stehen. Gemächlich kamen jetzt zahme Hirsche und Rehe aus dem Dickicht auf sie zu. Sie naheten ihr, und standen nun scheu und erwartend da, bis sie die Hand nach einem Gefäß ausstreckte, was eben ein Jägerknabe brachte. Jetzt drängte das Wild sich in dichten Rudeln um sie her. Sie streute ihnen Futter in kleine, zu dem Ende angebrachte Krippen. Der Knabe ging, da sein Geschäft abgethan war. Emma blieb, an den dunklen Stamm einer Eiche gelehnt, allein zurück. Sie hatte noch ihre Lust an den Thieren. Doch lag etwas in ihrer Stellung, in dem winterlich verödeten Hain, ja, in dem Gedanken, daß sie hierher ihre Liebe tragen müsse, was mich unbeschreiblich rührte. Mir fiel allerlei Trauriges, alte Mährchen, das Gedicht der Genovefa ein, ich flog auf sie zu, ich schloß sie in die Arme, mir traten Thränen in die Augen, sie verstand meine Rührung nicht, ihr Wesen ist ruhig, doch gefühlvoll, so drückte sie mir die Hand, und ohne mich um das zu befragen, was ihr auffallen mußte, begleitete sie mich nach dem Schlosse. Mit uns zugleich nahete sich Hugo diesem. Er kam von der Jagd. Mehrere Jäger [198] folgten ihm. Sie gingen den jenseitigen Rand des Burggrabens entlang. Als uns der Graf gewahr ward, gab er Flinte und Jagdtasche weg, und sprang mit großer Leichtigkeit über den Graben. Emma erschrack, die Jäger murmelten beifällig, Hugo lachte, als ich ihm vorwarf, uns um eine coquette Bizarrerie willen beunruhigt zu haben. Er mochte sich getroffen fühlen, denn er ließ es hierbei bewenden, ihm lag etwas Anderes im Sinn. Durch Jagdlust und Morgenfrische angenehm erregt, hatten sich ihm allerlei belustigende Bilder erzeugt. »Wir sollten,« sagte er, »das Leben in Ulmenstein einmal durch phantastische Zwischenspiele auffrischen. Mir ist eingefallen, die Neigung der Gräfin fürs Theater auf andere Weise zu benutzen. Wie wäre es, wenn sich eine muntere Gesellschaft vereinte, unerkannt, unter der Firma einer reisenden Schauspielertruppe auf dem Schlosse Zutritt zu suchen, und irgend eine wirkliche Posse auf das dortige Theater brächte?« Mich ergötzte der Einfall, ich stimmte ihm fröhlich bei. »Was sagen Sie zu einzelnen Scenen aus dem Sommernachtstraum von Shakespeare?« fragte er, ganz mit seinem Plane beschäftigt. »Es ist gerade so viel Spaß dabei, um zu belustigen, und mehr Tiefsinn, [199] als die Seele tragen kann, wenn sie nicht Spott damit treibt.«

Wir waren bald einig. Der Morgen verfloß unter Entwürfen, Vorkehrungen und all dem Unterhaltenden, was der Verwirklichung eines Projectes vorangeht. Wir hatten beschlossen, zuerst die plumpen Gesellen in der Probe des Pyranus und Tisbe auftreten zu lassen, und dann die Elfenscenen zwischen Oberon und Titania, sammt der Bezauberung Zettels folgen zu lassen. Die Aufgabe war nicht klein. Doch, einmal mit dem Gedanken vertraut, übernahm ich es, die zierlichen Geister zu suchen, und für unsern Zweck zu gewinnen. Emma lächelte über meinen Eifer. Darauf fragte sie, ob mir nicht etwas unheimlich bei einem Spiele sei, das fast zu schauerlich die Täuschbarkeit des Herzens verhöhne? »Weshalb?« fiel Hugo rasch ein, »es giebt keinen köstlichern Spiegel, als die Ironie. Wo alles auf dem Kopfe steht, nimmt man es mit sich selber nicht allzu genau.«

Emma entfärbte sich. »Es ist nur ein Glück,« hob sie nach einer Weile an, »daß zuletzt ein zärtlicheres Empfinden ausgleicht, was muthwillige Neckerei verwirrte.« »Wer weiß,« lachte Hugo, »hat der schlaue Oberon nicht dennoch [200] einen trügerischen Frieden geschlossen; in dem Falle wäre der letzte Betrug der ärgste!« »Wie meinst Du das?« fragte Emma. »Nun,« entgegnete er, »daß im Gelingen oft dasMißlingen liegt.« Sie sah eine Weile nachdenkend vor sich nieder. »So gäbe es keinen Faden aus dem Labyrinth der Träume,« seufzte sie. »Der eine straft nur den andern Lügen, und Wahrheit –« »Ist der Stein der Weisen,« ergänzte Hugo, ihre Hand ergreifend, »wir suchen alle darnach, mein Kind! –« Sie schüttelte den Kopf. Nach einigen Augenblicken verließ sie das Zimmer. Mich dünkte, ihre Augen waren feucht. Es that mir wehe. »Sonderbar,« rief der Graf, »Hausfrauen haben jedem luftigen Spinngewebe, auch dem der Phantasie, den Tod geschworen. Sie stoßen gleich mit einer handwerksmäßigen Waffe dagegen. Ihr Nützlichkeitsgefühl leidet gar zu sehr, daß sich aus den Fäden nichts Haltbares drehen und weben läßt!«

»Das ist freilich ein entsetzliches Unrecht in den Augen derer,« rief ich aus, »die sich nicht gern halten lassen, und so auf den Wechsel gestellt sind, daß ihnen der geordnete Sinn und das beständige Herz untergeordnete Gaben dünken, über die sie lustig hinfahren können!« [201] Hugo sah mich überrascht an. »Elise!« sagte er leise. Es lag etwas Geheimnißvolles in dem gedämpften Laute seiner Stimme. Ich wollte lachen, um meine Bewegung zu verbergen, aber ein Blick auf ihn nahm mir den Muth. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, was aus seinen Zügen so ängstigend und rührend zugleich sprach. Ich mochte nicht dabei verweilen, ich flog zu Emma. Die liebe Frau! – Gewiß, Sophie! sie ist bei alledem ein Engel. Wäre ich an ihrer Stelle! – Mein Gott! welch ein toller Gedanke! –

Leben Sie wohl! Ich will nun den ewig langen Brief schließen. Noch einmal, leben Sie wohl, liebe Sophie! Ich habe oft die lebhafteste Sehnsucht, Sie zu sprechen. Wären Sie doch hier! Zuweilen komme ich mir ganz verlassen vor. Ich werde verstimmt, schwermüthig, es liegt mir wie eine Schuld auf der Brust, und doch weiß ich nichts, was ich mir vorwerfen sollte.

Kommen Sie bald, recht bald zurück! Sie haben unrecht, um einer Einzigen willen, Alle, die Sie lieben, zu vergessen. Erwägen Sie das wohl, Sophie!

[202]
Sophie an Elise [1]
Sophie an Elise

Die flüchtigen Zeilen, welche Sie mir von den Ufern des kleinen Waldsees schrieben, sind richtig in meine Hände gekommen. Wollte ich den Inhalt nach der Zahl der Worte messen, liebe Elise, so würde ich Ihre Eile anklagen, und etwas eifersüchtig auf das neue Verhältniß zu Ihren jungen Nachbarn drein sehen müssen. Allein Sie dachten an mich, Ihr liebes, offnes Herz suchte die Entfernte mitten in dem frohen Aufrufe angenehm bewegter Gefühle! Auch daß Sie mit dem Blättchen zu dem still umgränzten Wasser flüchteten, daß Sie hier, mit der Freundin allein sein wollten; gerade das, Liebste, giebt dem Briefchen unschätzbaren Werth. Nur wünschte ich, Sie hätten einen andern Boten gewählt. Dieser unstäte Neuigkeitsjäger, den die Langweile durch das Leben hetzt, der arglos heißt, weil er unbedeutend ist, und eineehrliche Seele genannt wird, weil er zu flach und zu bequem ist, sich anders zu zeigen, als er ist; kurz, Ihr Vetter Curd ist zu keiner guten Stunde hier aufgetreten. Erst freuten wir uns, den Landsmann, den Bekannten wieder zu sehen. Er ward mit Fragen bestürmt. Aufmerksam horchten wir auf jedes seiner Worte, wir ließen es uns gefallen, [203] daß er deren mehr machte, als nöthig war; doch der Zügel ward ihm zur Unzeit gelassen. Er schwatzte das Hundertste ins Tausendste. Bald wußte er nicht mehr, wo und zuwem er sprach. Zweideutige Anspielungen, triviale Anekdoten, aus müßiger Beobachtung und geistloser Spottsucht zusammengetragen, tauchten erst versteckt auf, wagten sich dann dreister hervor, und reichten eben hin, die reizbare Verletzlichkeit meiner lebhaften Freundin auf das Unangenehmste in Bewegung zu setzen. Denn, wurden auch nicht Namen genannt, so waren doch Verhältnisse bezeichnet, und ohne den Schlüssel zu dieser eigenthümlichen Chiffresprache der Klätscherei zu besitzen, ließ sich leicht combiniren, was und wie es gemeint war.

Von jetzt an sieht die Oberhofmeisterin mit gespanntem, feurigem Blick in das innerste Familienleben ihrer Tochter hinein. Was sie immer unter wachsendem Unwillen geahndet, wird ihr Gewißheit.

Sie glaubt, Emma's Unglück als ausgemacht annehmen zu müssen. Für sie ist länger keine Ruhe hier. Zwischen Furcht, jenen Argwohn bestätigt zu finden, und dem brennenden Verlangen, die Urheber ihrer gescheiterten Hoffnungen [204] zu strafen, treibt sie zur Abreise, und zögert mit dieser. Indeß beschwichtigen Emma's Briefe, die den vollen Frieden ruhiger Uebereinstimmung mit sich und der Welt athmen, von Zeit zu Zeit die leidenschaftliche Mutter. Allein das sind Augenblicke, die nicht vollwichtig genug sind, peinliche Zwischenräume zu füllen, in denen eine stets zu eigener Qual arbeitende Phantasie unbeschäftigt bleiben könnte.

So bewährt es sich denn aufs Neue, daß ein leeres Gefäß, welches die Gelegenheit mit ihren zufälligen Gaben füllte, gewöhnlich mehr Gift enthält, als das boshafte Genie aus sich selbst zu erzeugen vermag; gewiß, Klätscherei ist eine ärgere Feindin des Familienfriedens, als Verläumdung!

Ich gestehe es, ich bin bekümmert, auch um das, was nicht ist, und gleichwohl scheint. Der Ruf ist darum so heilig, weil er den Weg zu menschlichem Vertrauen bahnt oder verschließt.

Daß eine Gesinnung, wie die des Grafen, in Widerspruch mit den Anforderungen der Gesellschaft gerathen mußte, war von Anfang nicht zu verkennen. Vieles davon mußte, früh oder spät, störend ins Leben treten. Ich war darauf gefaßt, ich erwartete für Emma nur in sofern [205] Zufriedenheit, als ich fest auf die großartige Selbstentäußerung ihrer frommen, frühgereiften Sinnesart baute. Allein, es ist etwas, außer der allgemeinen Freigeisterei, in Hugo's Benehmen, das über jene ein zweideutiges Licht wirft, und es dahin gestellt sein läßt, ob ein kranker, unstäter Sinn, ob herzloser Egoismus, Unfähigkeit, irgend einen Gegenstand ganz zu umfassen, oder kühner, jugendlicher Trieb, das All sein zu nennen, den größern Antheil an seinem kalten Entschlüpfen innigerer Bande hat?

Sie sehen, liebste Elise, das Gift hat mich auch nicht unangefochten gelassen! Ich schäme mich fast, keine kräftigere Gegenmittel angewendet zu haben; allein, man thue, was man wolle, es bleibt immer etwas von dem Gehörten zurück. Dann weiß ich auch sehr wohl, wie viel ich von dem zu halten habe, was mir Curd, im Vertrauen auf ein williges Ohr, heimlich zuflüsterte, auch kann ich leicht abnehmen, wie Gerüchte entstanden, die den geistvollen, feingebildeten Grafen edlere Gesellschaft verschmähen, Tage und Nächte bei umhertreibendem Gesindel in Wäldern und Feldern weilen, mit ihnen auf müßige Abentheuer ausziehen lassen, so liegt doch dem Allen die Wahrheit zum Grunde, daß Hugo unbeschäftigt, [206] läßig und zwecklos umherstreift, die wilden Forsten, seiner Häuslichkeit vorzieht, Emma unbeachtet läßt, in nichts verräth, daß er ernsten Antheil an der Welt wie an seinem Berufe nimmt. Nicht der Bau des neuen Schlosses auf den angränzenden Gütern, noch diese selbst, wie unbeschränkt sie ihm auch schon jetzt als Eigenthum überlassen wurden, nehmen seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Es scheint, er habe sich in das ihm unbekannte Verhältniß, ohne Wunsch und Wille, hineinziehen lassen, und verharre nun auch so in ihm. Was aber füllt sein Inneres? womit täuscht er den strebenden Geist, dessen Fittige noch jüngst so unruhig rauschten und höhern Flug verhießen?

Ich frage Sie, liebe Elise, da Sie ihn fast täglich, wie ich glaube, sehen und sprechen. Sie sind unbefangen und offen. Ihrem Urtheile vertraue ich gern, Sie werden mir sagen, wie er Ihnen erscheint. Ich bedarf in der That einige Sicherheit, um den wechselnden Stimmungen meiner armen Freundin zu begegnen. Sie ist durchaus unfähig, ein Bild aus der Ferne festzuhalten. Ihre Empfindungen sind viel zu beweglich, um die Phantasie irgend etwas vollenden zu lassen. Sie erträgt die Anschauung des Unglücks nicht, und mißtrauet dem Geschick zu sehr, um tröstlichen [207] Verheißungen geduldigen Glauben zu schenken. Deshalb treibe ich unabläßig zur Rückkehr in die Heimath. Es hält uns auch in der That nur die vorgerückte Jahrszeit, welche der Gesundheit meiner Gefährtin nachtheilig werden könnte, vor der Hand hier fest. Wir leben gleichwohl mit unsern Gedanken und Gefühlen mehr im Vaterlande, als an den blühenden Ufern des Arno. Denn wo die Seele ihren Frieden nicht findet, wird der Anblick des Schönen nur eine trübe Mahnung an den Druck, der uns so beugt, daß wir unempfindlich gegen die vielen Gaben der Natur und Kunst bleiben. Sie begreifen mich vielleicht nicht in dieser Verstimmung, die Ihnen fremd an mir sein muß. Ich selbst, liebe Elise, würde mir unverständlich werden, schöbe ich nicht etwas von so viel Muthlosigkeit auf Rechnung der stets leidenschaftlich wogenden Unterhaltung mit einer Frau, die mir Mitleid wie peinliche Besorgniß einflößt. Und dann – es liegt etwas Tragisches in dem Gedanken, daß kein Opfer, das einmal zertrümmerte Glück eines Hauses wieder herstellen kann. Meine schöne, junge Freundin, wenn Sie mich von dieser immer wachsenden Ueberzeugung mehr ergriffen sehen, als es sich mit meinen isolirten Verhältnissen [208] im Leben verträgt, so suchen Sie den Grund davon in der Theilnahme für Andere. Diese warme Theilnahme, die auch Ihr Geschick liebend umfaßt, läßt es nicht zu, daß ich ruhig bleibe, wenn ich für die Ruhe allzu sicherer Freunde zittere.

Uebersehen Sie das nicht, Beste, und verzeihen Sie mir, wenn ich zu weit gehe!

Hugo an Heinrich [3]
Hugo an Heinrich

Wenn Du Dir, wie ich nicht zweifle, die alte Gewohnheit bewahrt hast, lieber Heinrich, mich auf gute Manier auszulachen, so biete ich Dir heute die willkommenste Veranlassung dazu. Nichts Lächerlicheres als ein abgeblitzter Spaß, und keine ärgere Zielscheibe des Witzes, als der unglückliche Urheber desselben!

Siehst Du, ich wollte den Leuten zeigen, was gesellige Unterhaltung sei, welchen Schwung eine Posse nehmen, wie der Geist sich mitten im Wechsel der Belustigung erheben könne. Ich wußte mir etwas mit diesem Plane, ich that groß damit vor mir und wichtig vor Andern. Nun, und das Ende war, die ganze Sache fiel platt [209] zu Boden. Kein Mensch wußte, was ich wollte, Niemanden hat es unterhalten, geschweige denn ergötzt, der Abend ging auf die miserabelste Weise hin, und das Schlimmste ist, Spott und Tadel folgten mir.

Das ist des Menschen Klugheit.

Um Dir den Vorgang zu erklären, müßte ich weit ausholen, Dich an eine Gräfin Ulmenstein erinnern, deren Nachbarschaft uns von Zeit zu Zeit in ihre bewegliche Lebensweise hineinzieht. Vielleicht besinnst Du Dich auf sie. In einem meiner Briefe glaube ich von ihr gesprochen zu haben; anfänglich war mir das Treiben in ihrem Hause, wie sie selbst, neu, es überraschte mich Manches, ich bildete mir ein, neue Fäden des innern Lebenszusammenhanges zu entdecken. Nachher war es damit, wie mit dem Meisten, nichts. Das flache Wesen fing mich an unglaublich zu langweilen. Indeß hatte sie mich einmal mit vieler Emphase als ein ausgezeichnetes Genie gepriesen, mich ihrem Kreise so empfohlen. Sie und ich, wir mußten Wort halten. Deshalb war nicht von ihr loszukommen. Die Töchter, so vergnügungssüchtig wie die Mutter, ziehen einen Schwarm nüchterner Gecken hinter sich her. Unter gewissen Menschen muß immer etwas vorgenommen werden, [210] um die Langweile zu bannen. Gesellschafts-Theater bilden sich überall, wo man am bequemsten durch Andere sprechen und antworten kann. Eine Weile unterhält das, was aber gemeinhin für die Darstellung ungeübter Dilettanten gewählt wird, gleicht deren alltäglichem Treiben auf ein Haar. Es ist immer heute und gestern, macht denselben Effekt, läßt denselben Eindruck zurück. Man ist damit fertig, sobald die Schminke abgewischt, das umgestaltende Costüm weggeworfen, und das Theater einem andern Schauplatze, im Ball- oder Speisesaal gewichen ist. Ich hatte das bald weg. Mehrere waren eben so klug; das Ding fing an, matt zu werden. Jetzt stachelte mich die Eitelkeit. Mein Plan war gemacht. Eine neue kleine Welt stand mir zu Gebot. Die Fee, welche mir ihren Beistand lieh, rief Kobolde und Geister von fern und nahe herbei. Ein wandernder Schauspielertrupp, vertheilten wir uns, auf abentheuerliche, ausstaffirte Karren und Wagen, versteckten uns hinter Larven und tollen Putz, und nahmen so den Weg nach Ulmenstein. Bis dahin ging alles gut. Wir lebten in der Posse, Witz, Humor, die schellenkappige Thorheit mit ihrem buntscheckigen Mantel, waren unsere Reisegefährten. Plötzlich erhebt sich, wie aus heiterm [211] Himmel, aus einer einzigen Wolke, der heftigste Sturm, den ich je hörte. Regenströme stürzten nieder, wir konnten uns kaum bergen; die bunten Decken, daß übergespannte Linnen, Mäntel, Hüte und Schleier, nichts widerstand der Wuth der Elemente. So übel zugerichtet, steuerten wir mit abgetakeltem Fahrzeuge mühsam in den Schloßhof der Gräfin. Hier hatte man vor dem Unwetter Thüre und Thore geschlossen. Keine Seele ließ sich an den Fenstern sehen. Wir lenkten unter den Schutz einiger schirmenden Bäume. Unser Häufchen drängte sich dicht zusammen. Lange konnte die Prüfung nicht dauern, der blaue Himmel schimmerte bereits zwischen dem zerrissenen Wolkenberg hindurch. Indeß wog in diesem Zustande jede Minute schwer. Die Nässe hatte einen merklichen Theil des phantastischen Feuers ausgelöscht. Ungeduldig regte sich Dieser und Jener. Einige murrten laut, Andere verwünschten im Stillen den ganzen Einfall. Ich hätte mich ausschütten mögen, vor Lachen, warf ich einen Blick auf die trübseligen Gestalten in der närrischen Verkappung. Indeß unterdrückte ich jeden Ausbruch des Muthwillens, den mir meine übelgelaunten Gefährten wohl um so weniger verziehen hätten, als sie im Geheim die Schuld ihrer [212] mißlichen Lage auf mich warfen, und nun erwarteten, ich solle derselben ein Ende machen. Ich säumte denn auch nicht. Ein neugieriger Stallbube, der sehr verwundert aus einer Lucke auf die bunten Puppenspieler, für die er den fremden Troß hielt, hinstarrte, ward sogleich herbeigerufen. Ich übergab ihm eine Botschaft an die Gräfin. Als Direktor kündigte ich dieser meine dramatischen Vorstellungen an, bat um die Erlaubniß, Scenen aus dem Shakespeare auf ihrem Theater geben zu dürfen u.s.w. Leute von Welt sind selten durch Fremdartiges oder Ungewöhnliches zu täuschen. Das tritt nicht in den Bilderkreis ihrer Vorstellungen. Wenn es ihnen naht, suchen sie etwas dahinter, gespielten oder wirklichen Betrug! Die Gräfin war sogleich entschlossen. Ihre Thüren wurden uns geöffnet, sie selbst eilte uns entgegen. Doch wie das Bedürftige in der menschlichen Natur sogleich allem Scherz ein Ende macht, so zerstörten auch hier die nassen Kleider, die Furcht vor Erkältung, und was es sonst noch alles zu bedenken gab, den letzten Rest mühsam bewahrter Illusion. Kurz, wir standen entlarvt da, und hatten Niemand als uns selbst gequält. Glücklich genug, wenn es damit sein Bewenden gehabt hätte! Allein, nachdem sich jedweder in [213] seinem gewohnten Rocke warm und bequem fühlte, sollte er diesen wieder abwerfen, und das versprochene Spiel beginnen. Ich wich dem Anliegen aus, das ich weit mehr einer gewissen vorschriftsmäßigen Höflichkeit, als dem Wunsche, uns figuriren zu sehen, zuschrieb. Wir waren aus dem Charakter gefallen, die Stimmung war eine andere geworden, es lag eine Lächerlichkeit darin, sich bei völliger Nüchternheit berauscht zu stellen. Doch die Meinung Einiger, daß man nicht so umsonst und um nichts solche Anstrengungen gemacht, sich in Unkosten gesteckt, die Gesundheit daran gewagt habe, trieb uns am Ende Alle auf die Bretter. Jetzt erst, da es zu einer wahrhaften Ausführung meines Entwurfs kam, fühlte ich die ganze Schwierigkeit davon. – Denke Dir den Sommernachtstraum – die Rüpel- und Elfenscenen – und unser heutiges Publikum aus den feinen Zirkeln! – Unglücklicherweise hatte die lebhafte schöne Elise, unsre liebenswürdige Nachbarin, nur zu schnell meine Gedanken verwirklicht; sie war es, die ein Paar schnell aufgeschossenen Knaben die Frauenrollen, zierlichen Mädchen die der Elfen zutheilte, junge Leute aus der Nachbarschaft für Zettels Schaar warb, ihm selbst, dem Heros aller witzigen Eselsköpfe, [214] sein Pensum einstudirte, kurz, die Puppen an ihren Drähtchen lenkte, und feenartig ein Feenspiel schuf. Aber was wollen die luftigen Wesen auf der ausgebildeten, fertig gestalteten Erde? – Sie sind so sehr aus der Mode, daß selbst ihre Allegorie abschreckend geworden ist. Lieber Heinrich, es giebt ein Feld, wo der beste Witz, wie taube Nüsse zu Boden fällt, und Niemand ihn aufhebt. Nun, wir standen mit unsern Bemühungen auf einem solchen Felde. Um uns herum lauter müde und matte Blicke, lange Gesichter, gezwungene Aufmerksamkeit, ängstliche Wiederholung aller Regeln der guten Erziehung, um nur nicht die tödtliche Langweile blicken zu lassen, und nachher die Ausrufungen: »Und wie gespielt! Aber wie vollendet!« Und Zettel! der ist nun meine ganze Passion! Siehst Du, Heinrich, mein innerer Mensch zuckt vor abgedroschenen Redensarten zusammen. Die Lüge des Hergebrachten preßt mir Angstschweiß auf die Stirn! sie nimmt sich so lumpicht aus, und macht sich so breit mit dem abgetragenen Plunder. Kennst Du die Empfindung, wenn fremde Dürftigkeit uns zu Boden drückt? Ich will nicht den reichen Mann auf Kosten Anderer spielen. Ich will glauben, daß der Aufwand, mit dem ich aufzutreten meinte, [215] wie veralteter Prunk, zu schwer wog; auch, daß ich unrecht hatte, mich darauf zu stützen, allein denken sollte man doch, Gold halte immer die Probe, wie lange es auch im Winkel verborgen stand. Das ist aber nicht wahr. Kein Mensch glaubt Dir, daß es welches ist; und Niemand stellt die Probe an. Genug, wie dem auch sei, ich zog geschlagen aus dem Felde. Ich hatte mich verrechnet, das lag am Tage. Es blieb auch so eine gewisse, verlegene Aengstlichkeit nach geendigtem Spiele zurück; dann sprach man gar nicht mehr davon. Es war, wie nicht geschehen, ich hatte Zeit, Betrachtungen anzustellen.

Nach dem ersten kleinen Verdruß über meine eigene Einfalt, machte ich es, wie Du jetzt thun wirst, ich lachte den Narren im Menschen aus! Mein Dünkel, der Eifer, mit dem ich ihn einige Tage gefüttert, alle die Mühe und Noth, ehe es zu dem Haupteffekt und der Beschämung kam, das Nachspiel hinter den Coulissen, war, ich versichere Dich, sehr drollig. Zuletzt sagte ich mir dann aber doch Einiges zum Trost. Unter anderm, daß es mit den neuen Anforderungen an die Poesie ein eignes Ding sei. Sie muß sententiös oder materiell auftreten, wenn sie Eingang finden soll. Man will ein Paar schlagende Phrasen [216] mit nach Hause nehmen oder sich durch illusorische Anschauungen so getäuscht finden, daß man wirklich in China oder Mexico, in einem schlechten Gasthofe mit gemeinen Gesellen, in der alten, oder unter den Menschenfressern in der neuen Welt zu sein glaubt, und dies alles, blos um zu wissen, wie es die Kerls da treiben? Die Töne einer göttlichen Sprache zerrinnen in der untern Atmosphäre zu Begriffen. Davon, daß es eine Region giebt, in deren feinen, leichten Luftschwingungen die Seele unwillkührlich gehoben wird, so daß sie die Spiegelbilder der Erde nur im Widerschein, aber dafür in jener magischen Beleuchtung eines wärmern und glänzendern Gestirns, der Sonne des Dichters sieht, davon redet man wohl, aber man kennt es nicht mehr.

Nein, Heinrich, man kennt es nicht mehr! AuchDu, und ich, die wir in einzelnen Augenblicken des tiefsten Schmerzes, der innern Verzweiflung, des gänzlichen Zerfallens mit der Welt, davon träumen, vergessen es wieder, müssen es in einer so gestalteten Welt vergessen! Das ist der Widerspruch, in dem wir leben. Wir wollen, was wir nichtkönnen! Begreifst Du, wie zerrissen, wie fragmentarisch dies Geschlecht in der Weltgeschichte dastehen wird?

[217] Doch wieder auf mein Abentheuer zu kommen. Es hat mich der liebenswürdigen Elise auf immer zum Freunde gemacht. Leichter, gutmüthiger nimmt keine Frau auf Erden ähnliche Kränkungen der Eitelkeit auf. Ihr klarer, milder Sinn fand sogleich den Gesichtspunkt, aus welchem unser Mißgeschick natürlich erschien. Sie tadelte weder sich noch Andere. »Es paßte nicht!« sagte sie, und damit behielt jeder sein Recht.

Es paßt so Vieles nicht, Heinrich. Wird darum das, was in Uebereinstimmung zu einander tritt, nicht unauflöslich Eins werden?

Ich habe einen eigenen Glauben von der Sympathie der Freundschaft. Sie scheint mir gegründeter, als die der Liebe. Von dem was man so nennt, halte ich überall wenig. Das sind Selbsttäuschungen, mit denen der Mensch groß von sich selber thut, wenn er am kleinsten ist. In der Regel bleibt nach dem poetischen Wahnsinn eine Armuth des Innern zurück, die den Rest des Lebens dürftiger, als billig gestaltet, während die Freundschaft wie ein mächtiger Strom unzählige Arme ausbreitend, die Steppen und Wüsten des Daseins umfaßt, den Hauch der Belebung ausathmet, und eine veränderte, frische, fortbildende Welt schafft.

[218] Ich empfinde das in Elisens Nähe. Diese Frau hat einen freien, ja männlichen Geist, der mit seltner Kühnheit Verhältnisse durchschaut und lenkt. Und dabei so viel Regsamkeit des Verstehens, solche Fülle und Wärme in allen Lebensbeziehungen! Eines Engels Güte, eines Helden Muth! Niemals läßt sie das zärtere Geschlecht in sich vergessen, und doch fühlst Du ihr gegenüber nur den Einfluß einer höheren Seele, die keinem Geschlechte, keinen Bedingungen der Erde angehört. Ich bringe meine liebsten Stunden bei ihr zu. Wir reden, wir lesen mit einander. Meine Lieblingsschriften sind auch die ihrigen. Es peinigt sie wie mich, alles Enge, Abgeschlossene. Ein freier Flug der Ideen trägt uns oft, wie die reinere Bergesluft ihre nachbarlichen Adlers Gespielen, in unermeßliche Fernen, aus denen wir, inniger verschwistert, in die beschränkende Gegenwart zurückkehren.

Niemand versteht mich, wie sie! Wenn es wahr ist, daß die menschliche Gesellschaft nur da sei, damit Einer den Andern ergänze; so ward Elise geboren, alle Lücken und Mängel meiner unvollkommenen Natur durch den Reichthum ihres schönen Selbsts auszugleichen.

Schade, daß sie auf den Einfall kam, sich [219] zu verheirathen! Sie mußte für sich allein ihre Bahn durchlaufen. – Der Begleitung konnte sie entrathen. Mich stört der Mann entsetzlich! Er kommt jetzt von einer langen Geschäftsreise zurück. Er wird das bisherige zwanglose Sein und Treiben nothwendig einengen. Vor der trockenen Gemessenheit mancher Leute kommt kein gesunder Gedanke auf. Elise ist gefällig, fügsam, ihr verschlägt es nichts, sich in die Art und Weise derer zu schicken, denen sie ein Recht über ihren Willen zuschreibt, sie ist immer sie selbst. Ich kann nicht so denken, nicht so empfinden, ich ertrage das Hofmeistern pedantischer Rechthaberei nicht leicht, und wenn ich auch Jedem gern seine Art lasse, so bleibe ich doch da weg, wo Vorurtheil und Dünkel die Luft verdicken. Zudem ist der Dritte immer zu viel, in einem Verhältnisse, wo sich zwei genügen.

Ich sehe daher ruhig zu, wie drüben im Hause gepackt, geräumt wird, man sich anschickt, das Land zu verlassen, und nach der Stadt aufzubrechen. Ich werde ihnen nicht folgen! Um unsere stillen Abende ist es doch gethan! Ich werde ein Paar Wintermonate in den Mauern der Burg verschlafen, und aufwachen, wenn die Frühlingssonne [220] hell über den Strom in meine Fenster sieht! Lebe bis dahin wohl, lieber Heinrich!

Die Gräfin Ulmenstein an Curd

Es ist äußerst liebenswürdig von Ihnen, daß Sie sich meiner in den interessanten Umgebungen, die Sie so richtig zu schätzen wissen, erinnern wollten!

Ihr Briefchen mit den italienischen Carricaturen, den Zeichnungen, den Nationaltrachten, des Mailändischen Doms, der Peterskirche und andere Herrlichkeiten, nach deren Anblick meine Seele seit Jahren dürstet, haben nicht allein meine Töchter und mich entzückt, sie wurden auch die Quelle unserer Abendunterhaltung am Theetisch. Der junge Leontin, Sie sahen ihn vielleicht noch vor Ihrer Abreise bei mir, der sehr unterrichtet und überall gewesen ist, erklärte die flüchtigen Skizzen meines gütigen Correspondenten. Agathe hatte sich ein geschmackvolles Costüm für das nächste Maskenfest in der Residenz ausgesucht. Sie bat Leontin, es ihr genau in den kleinsten Details zu bezeichnen. Alles dies belebte die Unterhaltung. Sie glauben nicht, welchen [221] allerliebsten Abend Sie uns gemacht haben, fast so bunt und lustig, als wären Sie mitten unter uns. Ich sage Ihnen nicht, wie Sie zurückgewünscht werden. Ohne Uebertreibung, Sie fehlen uns vorzüglich bei demjenigen, was wir hier auf dem Lande vornehmen, um die schlechte Jahreszeit, so wie die Stadt zu vergessen. Die letztere hat in diesem Augenblick gar keinen Reiz für uns, da eine ziemlich ernste Familientrauer, der Tod einer Tante, meine Töchter wie mich, vom geselligen Vergnügen ausschließt. Man überdauert solche Prüfungszeit am bequemsten da, wo das Leben unbeachtet, ungefähr eben so hingeht, wie die Convenienz es verbietet, öffentlich zu genießen.

Unter dem Anschein völliger Zurückgezogenheit, bleibt mein Saal allen Freunden und Bekannten geöffnet. Es geht, ich versichere Sie, so fröhlich darin zu, als würfe kein schwarzes Kleid einen trüben Schatten auf die lachenden Gesichter. Aufrichtig gestanden, die gute, alte Person hat mir auch gar nicht Ursache gegeben, ihr Andenken zu ehren. Sie war meine nächste Anverwandte, die Schwester meines Vaters, kinderlose Wittwe, außerordentlich reich, und starb, ohne ihren rechtmäßigen Erben einen Pfennig zu hinterlassen. Ihr [222] Vermögen zersplittert sich in Stiftungen und Legate. Das Bedeutendste von den letztern ist aber dem jungen Baron Wildenau zugefallen, der sehr in ihrer Gunst stand. Es wäre unbegreiflich, weshalb sie den fremden Menschen auf Kosten ihrer Angehörigen begünstigte, hätte sie dabei nicht die unausgesprochene Absicht gehabt, gerade hierdurch ihrer Vorliebe, wie den gesetzlichen Verpflichtungen, ein Genüge zu leisten, indem sie den jungen Mann in die Lage versetzte, einer meiner Töchter seine Hand anzubieten. Eine alte Vertraute der Tante, die Castellanin des Schlosses, welches Leontin bald als Eigenthum beziehen wird, eröffnete mir den stillen Wunsch der Verstorbenen im Geheim. Es wäre auch lächerlich, wollte ich den tiefen Eindruck nicht bemerken, welchen insbesondere Agathe auf das Herz des Neulings gemacht hat. Allein er ist von einer so lächerlichen Zurückhaltung, und ein solcher Misantrop, daß er öfters unsern heitern Zirkel flieht, und sich drüben zu dem podagraischen, mißgelaunten Comthur und seiner stummen, trübseligen Nichte flüchtet, um nur nicht zu verrathen, was ihm doch sichtlich das Herz abdrückt. Mag er sich stellen, wie er will, ewig wird er nicht schweigen! Doch wünsche ich ihm, daß er nicht zu spät das [223] Wort finde, wonach er sucht. Es giebt andere Leute, die beweglichere Zungen haben, und meine Töchter besitzen ein Theilchen von dem Stolz und dem Eigensinne ihrer Mutter. Die eintönigen Abendunterhaltungen im Cabinet der Burgfrau könnten dem bedächtigen Freier doch sehr bittere Reue bereiten. Uebrigens mißgönne ich der armen, kleinen Frau die einzige Unterbrechung ihrer langweiligen Existenz keineswegs. Denken Sie sich, ihr Mann hat neben hundert andern lächerlichen Einfällen, auch den, den ganzen Winter auf dem Lande zubringen zu wollen, das heißt, er läßt sein Haus mit Frau und Dienerschaft dort, nimmt selbst das Ansehn, als sei er einheimisch, während er unaufhörlich hin- und hergeht, niemals auf der Burg anzutreffen ist, halbe Tage in der Residenz bei seiner Freundin zubringt, diese nur verläßt, wenn sie, durch ihre Verhältnisse gezwungen, Gesellschaften beiwohnt, die nicht von seiner Höhe sind, und die er verschmäht.

Sie sehen, das Spiel ist gut berechnet. Es geht einen raschen Gang! Mir ist solche Freimüthigkeit, bei so unerlaubter Intimität in meinem Leben nicht vorgekommen. Die Leute treiben das Alles mit einer Miene, als verstehe sich ihr auffallendes Benehmen von selbst. Nach gerade [224] wurde indeß die unbegreifliche Dreistigkeit doch sehr peinlich. Man hatte ungefähr das Gefühl dabei, als wenn Jemand durch eine unbewußte Unordnung in der Toilette, das Auge Anderer verletzt, und im vollen Gefühl schicklicher Haltung, die ungeahndete Indecenz noch mehr heraushebt. Ich bin deshalb froh, daß der Präsident zu rechter Zeit kam, seine Frau nach der Stadt zu führen. Die geselligen Beziehungen der Nachbarschaft brachten mich, ich versichere Sie, in fatale Collisionen. Ganz offenbar nahm der Graf von dem leichtern, bequemern Ton, der in meinem Hause herrscht, Veranlassung, seinen Absichten hier ein freies Feld zu bahnen. In diesem Sinne mischte er sich in die Anordnung unserer Bühne, und brachte ein plumpes, licencieuses Ding zum Vorschein, das allenfalls in einer Dorf schenke, von Puppenspielern dargestellt, das dortige Publikum ergötzt haben würde, für uns aber ganz unschmackhaft blieb. Es soll von dem jetzt oft genannten, von Vielen so gefeierten alten englischen Poeten sein, dessen Name ich immer vergesse, weil er mir die Kinnbacken zerbricht, wenn ich ihn aussprechen will. Mag indeß Theil daran haben, wer nur will, dieser Mischmasch von platter Trivialität und bilderreichem[225] Unsinn, von langweiligen Tiraden und pöbelhafter Gemeinheit, gehört vor ein anderes Publikum, als vor das unserige. Auch bin ich überzeugt, der Graf war nicht einen Augenblick im Irrthum über den Werth des Stückes. Seine Wahl fiel nur vorzugsweise deshalb darauf, weil es für den übrigen Plan paßte, und geschickt war, der zwanglosen Gemeinschaft einer zusammengerafften Bande umherziehender Schauspieler zum Vorwande zu dienen. Die List war ziemlich grob eingefädelt. Ich war gleich auf der rechten Spur. In Wahrheit, die Leutchen machten ihre Sachen ungeschickt. Mit einem bischen Vertrauen ließe sich viel übersehen. Doch sie sind so stolz und anmaßend, betheure ich Ihnen, auf den Schwung ihrer Gefühle, daß sie alle Zungen mit Pfeilen bewaffnen. Aus diesem Grunde danke ich es ordentlich der guten Tante, daß sie gerade diesen Zeitpunkt wählte, um zu sterben. Ihr Tod fesselt mich hier, und setzt mich außer Verbindung mit zwei Familien, denen ich gleiche Rücksichten schuldig bin, und die mich demungeachtet beide gezwungen haben würden, öffentlich zu brechen, um auch den Schatten von Theilnahme an einem unerlaubten Handel von mir zu entfernen. Eine Mutter kann gar nicht [226] delikat genug in der Wahl ihrer Gesellschaft sein.

Mich dauert die stille, schüchterne Emma ganz außerordentlich. Man sagt, sie erwarte ihre Mutter in Kurzem von einer Rückreise aus Italien. Nun, das wird hübschen Lärm geben, wenn die Oberhofmeisterin hinter des Schwiegersohns geheime Verbindungen kommt!

Leben Sie wohl bis dahin! Wenn etwas, des Berichtens werth, unter uns vorfällt, rechnen Sie auf die Feder Ihrer bereitwilligen Freundin.

Emma an den Geistlichen [1]
Emma an den Geistlichen

Ihr letzter Brief, ehrwürdiger Freund, fordert mich mit fast beschämender Güte auf, Ihnen zu jeder Zeit mein Herz offen zu erhalten, Alles, was darin vorgeht, Ihrer Theilnahme zu vertrauen, jeden Zweifel in der freien Mittheilung aufzuhellen und überall rücksichtslos wahr zu sein.

Ach! mein gütiger Lehrer, was bliebe Ihnen auch von dem verschwiegen, was ich mir selbst eingestehe! Ich glaube, ich könnte der Worte entbehren, Sie erriethen mich dennoch.

[227] Dem Himmel sei Dank, noch scheue ich den Blick nicht, der die Tiefen meiner Seele durchdringt. Ich weiß, Sie sehen bis auf den Grund, und nichts verwirrt Sie, was die Bewegung des Augenblickes undeutlich auf der Oberfläche erscheinen läßt.

Anders ist das mit meiner Mutter. Die ruhige Begleitung eines Freundes, der nichts will, als dem Gefährten zur Seite bleiben, läßt dessen Gang frei, doch ängstliche Sorge hemmt den Schritt. Ich habe es stets so gewissenhaft vermieden, irgend einen leisen Schatten in die Seele meiner Mutter zu werfen. Nur in den stillsten, ruhigsten Stimmungen, bei allem Frieden der innern und äussern Welt um mich her, schrieb ich meine Briefe an Sie. Nie ist mir ein Wort entschlüpft, das sie doppelsinnig deuten könnte; warm und zärtlich sprach ich die Empfindungen meines befriedigten Herzens aus, wie kommt es dennoch, daß sie dem allen keinen Glauben schenkt? Unwillig bestreitet sie mir meine Ruhe, mit leidenschaftlicher Besorgniß dringt sie auf mich ein, und strebt, mir ein Geheimniß zu entreißen, das mir fremd ist, dessen undeutliche Erwähnung mich unaussprechlich ängstigt. Sie wirft mir Zurückhaltung, ja Heuchelei vor, und [228] schwört, Licht in der Sache haben zu wollen, um einer Verblendung ein Ziel zu setzen, die sie für die Würde ihres Kindes beeinträchtigend hält. Von diesem brennenden Wunsche getrieben, nimmt sie ihren Rückweg aus Italien gerade hierher. Sie kommt! sie kommt in den nächsten Wochen! und wenn mein Herz vor Freude zittert, sie wieder zu sehen, so stockt es auch vor Bangigkeit und Furcht, als sei das Ende aller Glückseligkeit, ja das Ende meines Lebens nahe!

Die Unnatur solcher Widersprüche macht mich völlig irre an mir selbst, an meinen Verhältnissen, ach! an den liebsten Menschen. Ich frage mich unzähligemal: was ich fürchte? für wen ich fürchte? Und wenn mir dann eine ängstigende Antwort nahe tritt, und ich sie nicht hören will, dann ist es, als sähe ich in ein unabsehbares Gewirre von Mißverständnissen hinein, von denen ich den Blick erschrocken abwende.

Mein Gott! ich war so ruhig, ich genoß die unaussprechliche Freude, Hugo völlig zufrieden und heiter zu sehen. Ich empfand, daß er den einzigen Wunsch meines Herzens, ihm in keiner Art hemmend in den Weg zu treten, erkannte, er genoß seine Freiheit, und kehrte lebensfrischer, klarer, oft wärmer, als er ging, zurück. Wie [229] hätte ich fürchten sollen, daß gerade dasjenige, was mir das Gleichgewicht entgegengesetzter Naturrichtungen zu erhalten schien, Hingebung und Liebe, den Samen unseliger Mißverhältnisse ausstreuen würde!

Wie ist man nur so eilig, Gegenstände zu beurtheilen, die man nicht kennt. Niemand weiß ja, was in der Brust des Andern vorgeht. Ich war glücklich, ich versichere Sie, seit es stiller um uns ward, die Nachbarn die Gegend verließen, oder die mißlichen Gebirgsschlüfte mieden. Die Einsamkeit auf der Burg ist mir erwünscht, ich liebe das ernste, großartige Gebäude überaus. Das Gewöhnlichste im Leben gestaltet sich hier anders. Es geht ein Geist durch Häuser und Gemächer, den oft die wechselnden Bewohner nicht bannen. Im Gegentheil, sieht man diese wohl unwillkührlich dem verborgenen Einflusse nachgeben, Geschmack und Neigung dem gebietenden Zuge unterwerfen; ja, sich selbst, wie die gewohnte Weise, in eine andere Form fügen.

Hier, unter den festgewölbten Bogengängen, den kräftigen Sinnbildern gegenüber, findet weder Langweile Raum, noch kleinliches Gelüst Eingang. Hier ist alles bleibend, ruhig, das Gemüth erhebend; und wenn ich in Hugo's Abwesenheit [230] in seinem lieben Zimmer sitze, mir es so unaussprechlich wohl in den schönen, hohen Räumen ist, ich mich in die Kissen seines Sopha's schmiege, seine Nähe täuschend empfinde, mein Blick dann, durch die Glasthüren, über den Altan weg, in die reizende Landschaft sieht, der breite Strom so still und majestätisch vorüberfließt, die dunklen Thalwände hinter ihm riesenhaft aufsteigen, Dörfer und Städte aus ihrem bläulichen Dunst hervortreten, dann fühle ich, wie die Seele des kräftigen, kühnen Mannes sich da hinaussehnt, und theile seinen Unmuth wie sein Streben. Ich selbst möchte ihm das Thor öffnen, den Weg bahnen! Gedanken, die ihn beschäftigen, umringen mich! ich werde ganz er selbst, fühle, wünsche wie er, und athme frei, wenn ich mich besinne, daß er fern von hier, wenigstens auf Stunden und Tage, jetzt sich selbst angehört, seinem ungestillten Drange nach Freiheit augenblicklich Genüge thut. Lange, lange sitze ich dann so, begleite ihn auf Wegen und Stegen, bilde mir ein, seinen Schritten zu folgen, und während ein zärtlicher Wahn die Zwischenräume durchmißt, bin ich weder allein, noch entbehre ich das Glück der Gegenwart.

Nein, lassen Sie michs bekennen, ich kann, [231] mir selbst überlassen, weit ungestörter Hugo's Bild be trachten, als ihm gegenüber. Ja, mir steht er fest, rein, unberührt von dem, was zuweilen die Wirklichkeit umdunkelt. Es ist der wahre Hugo, den ich ungetheilt mein nenne, den ich liebe, den ich liebkose, zu dem ich frei aus dem tiefsten Herzen rede.

O! wer mag zweifeln, daß ich eben in den Stunden, die mir falsches Mitleid rauben will, glücklich bin!

Lieber Freund, wenn nur meine Mutter das so wüßte, wenn es sie beruhigen könnte, daß mir diese unscheinbare Stellung im Leben lieb ist, daß ich sie um Vieles nicht wechseln möchte, daß ich vor jeder Veränderung zittre. Manchmal habe ich ihr ganz rücksichtslos schreiben, sie bitten wollen, ja an nichts zu rühren, was sich allzuleicht durch fremdes Eingreifen verschiebt. Allein, wozu würde es nützen? Sie mißt mein Glück nach ihrem Empfinden. So freilich muß sie hier unzufrieden sein! Und wenn ich mir nun denke, wie mit heißer Sehnsucht sie sich her zu mir wünscht, wie ihre unbegränzte Liebe mich nie verließ, ich ihr Alles auf Erden bin, sie keinen, auch nicht den kleinsten Wunsch hegt, der nicht ihrer Emma Wohl beträfe, dann sinkt mir der Muth, [232] dann weiß ich nicht, wie ich ihr das Unabänderliche anders darstellen, das Mangelnde, was allein der Fortgang des Lebens ergänzt, im Augenblicke verhüllen soll.

Auch der Oheim ist nicht ohne Sorge. Er sagte mir noch diesen Morgen: »Liebes Kind, Ihre Mutter wird nicht mit uns zufrieden sein, sie wird sich hier mißfallen. Wäre es nicht besser, Sie folgten Hugo nach der Residenz, und empfingen sie dort?«

Ich war verlegen, was ich ihm erwiedern sollte. Hugo hat mich nie aufgefordert, ihn nach der Stadt zu begleiten; er vermeidet es wohl, weil es nicht das Ansehen haben soll, dort einen längern Aufenthalt zu wählen. Seine Stellung bleibt auf solche Weise freier. Er sichert sich das Gehen wie das Kommen, wenn er über Beides nur mit dem Augenblicke zu berathen hat. Es wäre mir nicht möglich, ihn gerade hierin hemmen zu wollen. Auch bin ich nicht des Oheims Meinung. Aus vielen Gründen ist es mir lieb, die Mutter hier auf dem prächtigen Familiensitze bei mir zu sehen. Das Schloß, seine Umgebungen, der Zuschnitt der Verhältnisse, die ganze Lebensweise, werden ihr in gewisser Hinsicht genügen. Der Glanz, wenn er nicht blendet, ergötzt immer das [233] Auge, und macht es williger, Unebenheiten zu übersehen. Und dann – gleichförmige Ruhe hält Störungen entfernt.

Dies alles bei mir überdenkend, schwieg ich einige Augenblicke, ohne meinen wohlwollenden Beschützer zu beruhigen.

Er ergriff meine Hand, drückte sie fest in der seinen, indem er zärtlich sagte: »Machen Sie es, wieSie wollen. Ihr klarer Geist giebt Ihnen von selbst den Faden durch dies Labyrinth in die Hand.«

Er ging. O! hätte er gewußt, in welcher Unsicherheit er mich zurückließ, wie orakelhaft seine Worte klangen, was er in mir verworren, was er geweckt hat!

Ich sehe es nun wohl, die Welt tadelt Hugo, beklagt mich, erfindet und spinnt das Erfundene emsig zusammen. Wie ich diese müßige Geschäftigkeit hasse! wie mich eine Theilnahme drückt, die ohne Herz und Gemüth, nur das Fremde an sich reißen, es durchschauen möchte.

Die Menschen wissen nicht, wie wehe sie mir thun! Ist es denn nicht möglich, anders zu sein, als Andere, und doch für sich recht zu behalten? Ich bin so ängstlich, seitdem der Oheim ging. Ich weiß nicht, was ich thun oder lassen [234] soll? Der Brief meiner Mutter ist in großer Leidenschaft geschrieben. Er klingt fast drohend. Die wenigen Zeilen, welche das Stiftsfräulein ins Couvert hineinschrieb, sollen mich wohl beruhigen, allein sie enthalten die niederschlagende Nachricht, daß beide Freundinnen sich auf einem gewissen Punkt der Reise trennen, und während die Eine dieser Gegend zueilt, die Andere sich zurück, zu der Fürstin wendet, um dieser erwartete Briefe und Berichte zu überbringen. So fehlt mir denn auch die vermittelnde Sophie. Von ihr hätte ich erfahren, wer all die Leidenschaft, die ängstliche Hast erregt? Sie würde mir geholfen haben, mich gegen schmerzliche Angriffe zu waffnen, und zugleich die Zärtlichkeit der liebevollsten Mutter zu schonen. Jetzt bin ich ganz allein, Hugo ahndet nicht, was mich quält, auch ist er nicht anwesend. Und wäre ers, was dürfte ich ihm sagen?

Ich lese in Ihrem klaren, frommen Auge, was ich vergessen zu haben scheine. Sie sehen fast strafend auf die Unruhe meines Herzens. Ja, ich verstehe, ich verstehe, wozu Sie mich anmahnen. Ich werde ja auch den Weg nicht verloren haben, auf dem Muth und Besonnenheit zu finden ist. Ich bin nur so erschrocken! ich weiß selbst [235] nicht, wovor? Ich sehe nicht, was ich fürchte, und doch fühle ich es. Lesen Sie mit Nachsicht diese verworrenen Zeilen, denken Sie, ich finde mich so am ersten zurecht, wenn ich nach des Lehrers, des Freundes Hand greife, wenn ich schwach, doch willig, mich aufzurichten, Ihren Beistand suche. – – –


Abends spät.


O es ist Alles anders, Alles gut! Hugo ist hier! Er kam in Nacht und Dunkelheit. Er fand mich in seinem Zimmer. Es überraschte ihn. Er war bewegt, als ich ihm gestand, daß mir hier allein wohl sei. Sein Auge hatte den schönen, tiefen Blick, vor dem meine Seele immer so innerlich bebt. Er sah mich mit dem Blicke an. Eine Welt lag darin! und ich war mitten in dieser, in seiner Welt! Jetzt, – was habe ich zu fürchten. Meine Mutter wird uns so finden. Hugo weiß, daß sie kommt. Er freut sich von ganzem Herzen, sie hier zu sehen. Wir wollen ihr beide eine Tagreise entgegen fahren. Wie anders nun dies Wiedersehen! – Wie der Mensch schwach ist! Wie zaghaft, wie kleingläubig!

Geehrter Freund, soll ich es Ihnen bekennen? Sahen Sie nicht etwas Trübes, Unreines im Hintergrunde meiner Angst sich verbergen? [236] O guter Gott, wie gern will ich mich eines Gefühls schämen, das mich doppelt zerreißt, weil es dem geliebtesten Menschen zu nahe tritt!

Heiterer, als ich zu Ihnen kam, verlasse ich Sie jetzt. Möge mich ihr Segen aufrecht gegen so schlimme Anfechtungen halten!

Elise an Sophie [9]
Elise an Sophie

Was lag Ihnen im Sinn, Liebe! daß Sie so aus dem Charakter fallen, so unverzeihlich von dem nüchternen Gerede meines albernen Vetters eingenommen werden konnten?

Gewiß, Sophie, ich erkenne Sie nicht in der Heftigkeit, mit der sich Gedanken und Empfindungen auf jenem Blatte jagen. Ist die Luft in dem schönen Italien so entzündbar, daß auch der Thau im Kelche einer Lilie aufbraust?

Ihr Blut schien mir bis dahin von anderer Natur, als das der übrigen Menschen. Sein milder Lauf verirrte sich nie zu ungleicher Wallung. Man empfand immer, daß es nur den einen Weg, den zum Herzen kannte; dessen sanfter Schlag, wie der Athem der Liebe, Sie selbst, das was Sie umgab, die Welt mit ihren Verirrungen, [237] in Uebereinstimmung zu bringen wußte. Und jetzt! –

Sophie, Entfernung und Trennung sind doch etwas! Man sage, was man wolle, der Raum trennt die Körper nicht allein. Sie hätten mir von Ihrem Stift aus nicht diesen dürren, heftigen Brief geschrieben, der Ihren Unwillen ins Blaue hinein rief und durch nichts verrieth, daß Sie zu mir sprachen.

Ihre ganze Reise war mir vom Anfange zuwider. Jetzt setzen Sie diesem Gefühl die Krone auf.

Welche Gewalt übt denn diese furchtbare Frau über Sie aus, daß sie Sie nicht allein dem gewohnten Kreise entführt, daß sie auch Ihr Inneres umwandelt! Und nun schicken Sie sie uns noch gar hierher. Sie droht jeden Tag mit ihrem Besuch. Zum erstenmale bin ich froh, in der Stadt zu sein! Hier kann ich ihr aus dem Wege gehen! Ich werde es thun, denn ich sehe immer ihr Bild auf Emma's Schreibtisch mit Widerstreben an. Es ist etwas in den schönen, regelmäßigen Zügen, in den durchdringenden Augen, was mich schon darum erbittert, weil in dem Gesicht Ihr ganzer letzter Brief, Sophie! geschrieben steht. So beurtheilt, so faßt ein herrschsüchtiges, [238] einseitig beziehendes Gemüth Menschen und Handlungen auf. Ich kann mir denken, was Sie täglich aus einem Munde hören müssen, dessen schmerzlich verzogene Winkel mehr Unzufriedenheit als Schwermuth ausdrücken. Wo sich so viel strenge Absonderung offenbart, da kann nichts in natürlichem Zusammenhange, in nothwendiger Folge gedacht werden.

Sagen Sie doch, wenn Ihre Freundin weniger abhängig von gewissen Erdenvortheilen war, würde sie es übersehen haben, daß sich Niemand weniger als Hugo zu ihrem Schwiegersohn paßte? Wem wirft sie nun den Mißgriff vor? dem Grafen? Emma? Mein Gott! wann war die Jugend frei von Verblendung? Und nun, da die Schiefgestellten schief stehen, was zeigt sie mit Fingern darauf, und macht die Welt zum Zeugen ihrer Verkehrtheit?

Es ist nicht zu läugnen, es ist wahr, es ist nicht wie es sein sollte mit dem ungleich zusammengewürfelten Paare. Aber, wenn dies Beide fühlen, und sich die peinliche Gemeinschaft, Jeder wie er kann, erleichtern, soll man sie nicht gewähren lassen? Geht die Oberhofmeisterin von dem Grundsatz aus, sie könne auch Gemüther nach ihrem Willen umschaffen, so wird sie hier viel [239] Unheil stiften. Der Graf verehrt sie, aber er ist unbiegsam gegen ihre Eingriffe.

Sie sehen hieraus, liebe Sophie! so wie aus frühern Mittheilungen, daß ich mit den Verhältnissen, wie mit der Sinnesart Ihrer jungen Freunde sehr vertraut bin. Ich hielt nie mit meinem Urtheile zurück. Ich verschwieg Ihnen nicht, daß mir Hugo den Eindruck umfassender, großartiger Geisteskraft, ungewöhnlicher Tiefe und Klarheit gemacht hat, daß ich ihn bewundern, verehren, und auch da an ihn glauben muß, wo ich ihn nicht immer verstehe. Dies sagte ich Ihnen längst. Meine Briefe sind voll von ihm und Emma. Noch kürzlich müssen Sie die ausführlichsten Berichte über jeden Umstand in dem Leben auf der Burg erhalten haben, was sollen nach dem Allen, Ihre dringend an mich gerichteten Fragen? Was rufen Sie mich auf, unbefangen und offen zu sein? Weshalb gedenken Sie meinem letzten Ausspruche mehr Glauben zu schenken, als dem frühern?

Ist denn irgend etwas Verstecktes, Zweideutiges in meinen Worten? Warum sucht man bei mir nach etwas Anderm, als ich gebe?

Ich werde mir selbst ganz unverständlich. Auch Eduard wägt, mißt und ergründet, was ich [240] thue und sage. Er ist von übler Laune, seit der letzten Reise. Mein verlängerter Aufenthalt auf dem Lande war ihm nicht recht. Und dann die mißlungene Darstellung auf dem Theater zu Ulmenstein! Der Schatten einer Lächerlichkeit reicht hin, ihm den Himmel zu trüben. Die Gräfin hat ihm den Spaß ungeschickt vorgetragen, ob absichtlich? oder durch Zufall? ich weiß es nicht, aber gewiß ist es, ihre Gunst für mich hat einen Stoß erlitten, und in dem Falle kratzen Leute ihres Schlages, wenn sie liebkosen. So finden sich denn viele Unannehmlichkeiten auf meinem Wege, denen ich nicht mit der gewohnten Heiterkeit begegnen kann, da es nicht schwer ist, abzusehen, wo sie hinaus laufen werden. Eduard sucht Ursache an mir, um Georg fremder Leitung übergeben zu können. Er hat das längst gewünscht, doch traut er nicht, damit hervor zu treten. Jetzt ist er unzufrieden mit dem Kinde, er findet es vernachläßigt, er sucht den Grund davon in meinem getheilten Leben auf dem Lande.

Ein Geistlicher ist schon gefunden, der bei uns einziehen, und mir den Knaben abnehmen soll, wie Eduard sich ausdrückt. Abnehmen! Das Wort konnte nur ein Geschäftsmann finden, dessen lastende Wirksamkeit die Liebe ausschließt.

[241] Ich habe nichts darauf erwiedert, ich lasse es geschehen. Aber ich weiß, daß mit dem Riß das Leben vollends auseinander fallen wird!

Und in diesem Augenblick Ihr Brief! Sophie! Sie dachten nicht, da Sie ihn schrieben, daß er in schlimmer Stunde bei mir eintreffen würde!

Ich habe seitdem gegen einen fatalen Unwillen in mir gekämpft. Es ist nicht so leicht, als es die Philosophie vorschreibt, sich verkannt zu wissen, und es großmüthig zu übersehen!

Doch jetzt, da ich wieder einmal Abschied nehmen soll, mein Herz mir wehe thut, ich mich unbeschreiblich nach Ihnen sehne, jetzt wird es mir leicht; Sophie, ich weiß nichts mehr von Allem, wodurch Sie mich kränkten.

Hugo an Heinrich [4]
Hugo an Heinrich

Du hast mich öfters abergläubisch gehalten, weil ich auf gewisse prophetische Winke in der Natur achte, sie in der Erinnerung festhalte, mit spätern Ereignissen zusammenfüge, und neue Belege für meine Theorie der innern Verwandtschaften darin suche. Unsere Discussionen bekehrten weder Dich noch mich. Du hast keine Vorstellung [242] in Dir von der Herrschaft verborgener Wirkungen. Das Organ dazu fehlt manchem Menschen. Ich kann es Dir nicht geben, eben so wenig, wie Du mir die Ueberzeugung von einem Dualismus des Weltregiments wegraisonniren kannst. Mein Gefühl sagt mir es nur zu deutlich, daß ich abwechselnd Sclav und Herrscher bin, daß außer meinem Willen noch ein anderer Wille über mich bestimmt. Ob der Streit immer Streit bleiben soll? Ob er eine Vermittlung finden kann? und welche das sein wird? Mein Theurer! das ist die Region des Unerforschlichen. Wir streifen daran, aber wir können nicht hinein. In manchen Augenblicken zwar, wenn Du ein Wesen so recht, so überschwenglich liebst, dann ist, dann muß Dir sein, als wäre die Vermittlung längst geschehen. Doch laß das! laß das!

Ich will Dich auch nicht für meine Ansicht gewinnen, ich will Dir nur etwas erzählen, was mir auffiel, was mich beschäftigt. Vor ein Paar Tagen kehrte ich Abends allein zu Pferde von einer Ausflucht nach der Stadt zur Burg zurück. Es war noch nicht eben allzu spät, doch der Jahreszeit gemäß, dunkel. Als ich mich dem Walde, durch den mein Weg führt, nahte, ging,[243] wie bestellt, der Mond auf. Er stand im bläulichen Nachtdunst voll und feurig auf dem Scheitel hoher Wolkenberge. Ich ritt langsam. Die Luft war mild. Eine dünne Schneedecke lag am Boden. Unter den Bäumen, tiefer ins Dickicht hinein, entdeckte ich Spuren von Wild. Ich lenkte einer schmalen Hügelreihe am See, der Wall benannt, zu. Dort hat sich aus einem einsiedlerischen Plätzchen des Comthurs, zwischen dichten Schwarztannen versteckt, erst ein Haus, dann eine Meierei, zuletzt das Besitzthum einer ehemaligen Vertrauten gebildet.

Landleute, Reisende, auch das benachbarte Jägervolk besuchen von Zeit zu Zeit die Tannenhäuserin. Ich ziehe öfters ohne Umstände mein Pferd dort in den Stall, wenn ich Lust habe, mich auf Rehe und Hirsche einige Stunden auf den Anstand zu stellen. So geschah es auch heute.

Als ich über den Hof zurück ging, begegnete ich dem Burschen, der mit zwei andern Pferden an mir vorüber tappte. Ich rief ihm zu, das Meinige gut zu warten, ohne mich um sonst etwas zu bekümmern. Nachher fiel mir's wohl ein, wer noch so spät hier an gekommen sein möchte? aber es beschäftigte mich weiter nicht. Eine Strecke weiter hin ist der Wall, wo er das eigentliche [244] Ufer des See's bildet, mit uralten Buchen besetzt. Die dichtgereihten Bäume verschlingen ihre hochgewölbten Kronen zu einem weiten, hallenartigen Dome zusammen. Gewisse Ideenverbindungen legen den Gegenständen oft eine Art Heiligkeit bei. Ich bin hier jedesmal auf unwiderstehliche Weise wie festgebannt. Es giebt da eine Stelle – kurz nach meiner Ankunft in dieser Gegend sah ich hier – genug! die Stelle ist mir lieb. Ich suchte sie unvorzüglich auf, blieb an einen der Baumstämme gelehnt, und dachte, meine Beute kommen zu lassen.

Indeß vergaß ich bald Jagd und Wild und was damit zusammen hängt.

Der See lag zwischen den schneeigen Ufern blau und klar vor mir. In seinen leise bewegten Spiegel tauchte der Mond, wie eine herabgefallene Feuerkugel. Unwillkührlich suchte der Blick oberhalb nach dem ruhigeren Lichte. Die aufgethürmten Wolkenschichten hatten sich auseinander gethan. Ein schwarzer Streif umsäumte die Gränze des Horizonts, während leichte Dünste, in allerlei Gestalten zerfließend, den Himmel mit unzähligen Bildern besäeten. Es ist nicht zu glauben, was das Auge Alles sieht, wenn es, [245] sich völlig selbst überlassen, bei einem Gegenstande verweilt!

Heinrich, ich ließ so Unsägliches an mir vorübergehen. Die duftigen Umrisse schrieben eine ganze Geschichte auf das blaue Feld über mir nieder.

Wer verlor sich nicht einmal in das Treiben der Wolken! Ich hätte stundenlang so stehen und die Riesenköpfe mit unförmlichem Bart und Nase, die fliegenden Engel mit weit ausgebreiteten, mächtigen Fittigen, die monstruösen Thierlarven betrachten, belachen, bewundern können! Gott weiß, weshalb mir ein Ding, das wie ein vierrädriger Wagen aussah, so besonders auffiel! Er rollte, wie aus tiefem Abgrunde, hinter den schwarzen Streifen hervor, und fuhr, von schneidendem Windzuge getrieben, sausend über das leuchtende Firmament an dem Monde vorüber, der zerschnitten und zermalmt unter den Rädern verschwand.

Es war ganz deutlich ein Wagen. Ob Pferde oder andere fabelhafte Creaturen ihn zogen, kann ich Dir nicht sagen, allein, eine Gestalt mit gehobenem Arme, drohend, oder auch nur das Fahrzeug lenkend, stand mehr über als in demselben. Es war ein Weib mit lang flatterndem Schleier. Je höher das Wolkenbild heraufzog, je mehr dehnten sich die Massen ins Ungeheuere. [246] Wagen, Schleier und menschliche Gestalt thürmten sich bald zu einem Gebirge zusammen, durch dessen duftige Kuppe der Mond plötzlich wie ein großes, gewaltiges Auge hindurch sah.

Mein Blick heftete sich immer fester auf die majestätische Erscheinung. Trieben nun Zufall oder Phantasie ihr Spiel mit mir? genug, ich glaubte mitten in dem Dunstknäuel die alten Umrisse des Wagens wieder zu erkennen. Aber dieser war jetzt dunkel und scharf, und sah eher wie ein Kasten, ja fast wie ein Sarg aus. Ich schauderte unwillkührlich bei dem Gedanken; da sagte eine Stimme unter mir: »Um Gottes Willen, mache er, daß wir anlegen.« Zugleich hörte ich den verdoppelten Schlag nahender Ruderer. Nicht lange, so rauschte es im Rohr. Ein Kahn ward am Ufer befestigt Ich trat weiter vor. Ein Mann mit schwerer Bürde auf dem Rücken stieg zuerst ans Land. Ein keifendes, zorniges Weib folgte ihm mit einiger Schüchternheit. »Komme Sie nur getrost, alte Marthe!« sagte der Mann. »Sie sieht, wir sind auf dem Trocknen. Was will Sie mehr? Hier herum ist auch ein gutes Wirthshaus, worin es immer Narren genug giebt, denen Sie Ihre Hexenkünste vormachen kann.« »St! St!« [247] flüsterte das Weib, den Kopf in die Schultern gezogen, den Finger drohend gehoben. »Bei Leibe nichts von Hexen,« sagte sie heimlich. »Den Leuten würde sonst bange vor mir.« »Der Name thut es Ihr nicht, Marthe,« lachte ihr Begleiter, indem er den schweren Kasten, den er trug, gegen einen Baum stemmte, und einen Augenblick ausruhte. »Laufen doch so schon die Kinder, wo Sie sich nur sehen läßt, drum fliegt Sie auch mit den Eulen erst Nachts aus.« Er kicherte bei den Worten selbstzufrieden. »So treffen wir doch einmal zusammen,« entgegnete sie spitz. »Es war gut, daß Er noch spät bei den Comtessen in Ulmenstein zu thun hatte. Nun machen wir den Weg mit einander.«

»Hat Sie denn der Mutter und den Töchtern aus dem Kaffeegrunde prophezeiht?« fragte der Mann, in welchem ich jetzt einen, in der Gegend umherstreifenden Hausirer, mit Namen Walter, erkannte. »Oder,« fuhr dieser fort, mußte Sie ihnen die Karten legen und die Freier anrücken lassen?« »Nichts von allem dem,« brummte jene kopfschüttelnd. »Und wär's auch, was geht es Ihn an! Die Paar alten Kleider, die ich von den hübschen Kindern in den Kauf [248] kriege und spottwohlfeil wieder verkaufe, die thun seinem Verkehr keinen Abbruch.«

»Spottwohlfeil,« höhnte sie Walter. »Geh' Sie doch, Alte! wir kennen uns! Ihre Schliche sind weltbekannt. Aber erzähle Sie einmal, hat Sie es nicht auspunktirt, wird aus der Heirath mit dem jungen Baron etwas?«

»Hm!« entgegnete Marthe, in einem Tone, als wolle sie sagen, daß ich eine Närrin wäre, und es ihm wissen ließe. Sie wandte sich zugleich ab, und ging ein Paar Schritte tiefer in den Wald hinein.

»Bleibe Sie doch!« rief Walter. »Sie weiß ja hier herum keinen Bescheid, und die schmucke, feine Tannenhäuserin läßt Sie in dem Aufzuge schwerlich ein, wenn ich Sie nicht begleite.«

Dieser letzte Zusatz machte, daß ich die Frau genauer ins Auge faßte. Ein großer Hut und die zunehmende Dunkelheit versteckten ihr Gesicht. Doch war dem Hute selbst, mit seinem verbrauchten Putz von bunten Blumen und schlaffen, eingeknickten Federn, das widrig Fratzenhafte ihrer ganzen Erscheinung auf den ersten Blick anzusehen. Wahrscheinlich mochte sie die, in Ulmenstein erhandelten Herrlichkeiten nicht bequemer haben [249] fortbringen können, als auf dem eigenen Körper. So hatte sie dann den fremden Staat übergeworfen, und streckte nun die nackten, gemeinen Hände, die auf einem knotigen Bettelstabe ruhten, aus Flor, Stoff und anderm farbigen Modetand hervor. Eben so ragten ihre schlecht und grob beschuheten Beine weit unter den kurzen, auf zierliche Figürchen angepaßten Röcken heraus. Es war ein rasender Anblick! Sie blieb auf Walters Ruf stehen. Er schickte sich an, ihr zu folgen. Ich schlich hinten drein.

Im Stalle drüben, wo ich mein Pferd abholen wollte, fand ich jetzt noch die beiden Vorerwähnten. »Wer ist von Fremden drinnen im Hause?« fragte ich den Burschen. »Der junge Baron von Wildenau,« war die Antwort. »Der Baron?« rief ich, »was will der hier?« »O er besucht uns öfter,« entgegnete jener. »Er macht es, wie der Herr Graf, er läßt sein Pferd hier, und streift in der Gegend umher.« Sonderbar! dachte ich, daß wir uns nie begegneten. Ich ging mechanisch nach dem Hause. Die Wirthin kam mir entgegen. Sie hat immer ein eigenes Zimmerchen für mich frei. Heute waren zwei Gäste darin, jener Leontin von Wildenau und ein Geistlicher. Ich begrüßte beide, und sagte, um etwas zu sagen: [250] »Hier neben im Zimmer befindet sich eine Carricatur, wie sie nicht toller ersonnen wird!«

Das Ungewöhnliche reizt in Jedem die Neugier. Der Baron öffnete in demselben Augenblick die Thüre nach der anstoßenden Gaststube. Hier saß nun die alte Marthe so buntscheckig ausstaffirt, daß ich sie mit lautem Gelächter begrüßte. Auf das Geräusch wandte sie den Kopf nach mir hin. Sie sah nur aus einem Auge, mit halb wahnwitzigem, halb pfiffigem Blick, der Mund war nach einer Seite verzogen, so, als lächelte sie schalkhaft, während das graue, verschrumpfte Gesicht etwas Weinerliches hatte. Ich stand mit unterschlagenen Armen dem widrigen Geschöpfe gegenüber. Sie kam mir wie ein Spuk vor, der dem Sarge entschlüpft, mit den Lappen der Narrheit geschmückt, von der Welt nicht loskommen kann.

Leontin hatte sich sogleich mit den trocknen Worten: »Ich kenne das!« zu dem Geistlichen zurück gewandt.

Der Hausirer näherte sich mir. Mein festgewurzelter Blick auf die fremde Erscheinung mochte ihn zu einer Erklärung über diese auffordern. »Es ist zu Zeiten nicht richtig mit ihr,« flüsterte er mir ins Ohr. »Eine Liebschaft, aus [251] der nichts ward, späterhin Einsperrung und Krankheit haben sie gestört.«

»Wer ist sie?« fragte ich, eben so leise, ohne gleichwohl die Augen von ihr abzuwenden. »Was treibt sie sich Nachts so unstät umher? hat sie kein bleibendes Obdach?«

Walter belehrte mich: sie sei eines Gärtners Tochter aus der Residenz, habe Blumen ausgetragen, und durch diese und ein hübsches Gesicht, Zutritt in vornehmen Häusern gefunden. Was sie dort sah und hörte, reizte sie über die Maaßen. Reichthum und Glanz dünkten ihr beneidenswerthe Güter. Sie fing an, sich herauszuputzen. Ein Theil ihres Verdienstes ging damit hin. Die Eltern verdroß das; sie zankten mit ihr. Aus Aerger, und da sie längst auf ein besseres Glück hoffte, hing sie sich vollends an einen Mann, der ihr Kleider, Ringe, Bänder und andere Narrenspossen, aber nie seine Hand gab. Plötzlich war er fort. Sie hörte nichts weiter von ihm. Die Eltern hatten aus Schaam über die Tochter Stadt und Gegend verlassen. Marthe blieb, wie ausgesetzt in die Welt, allein zurück. Anfangs suchte sie einen Dienst in guten Familien zu bekommen. Ihr verrätherischer Putz, von dem sie nicht lassen konnte, erweckte Mißtrauen, [252] die Thüren blieben ihr verschlossen. Gram und Noth hatten sie angegriffen. Sie wollte sich zu den Eltern hinbetteln. Aber sie vermochte es nicht, die Kräfte versagten ihr, auch hielten sie die Stadt mit ihrem immer noch lockenden Geräusch, den Kutschen und Pferden, prächtigen Häusern und geputzten Leuten, fest. Sie wankte wie ein Schatten zwischen dem Allen hin, und nährte sich von Almosen. An einem heißen Sommermorgen sank sie erschöpft auf die Stufen eines kleinen Ladens nieder. Eine Jüdin, welche Trödelkram führte, von Versatz und Borg lebte, verschmitzt war, Jegliches zu benutzen wußte, und eben eine Magd brauchte, die mit geringem Lohn und kargem Unterhalt zufrieden sein mußte, hatte nicht sobald den Fuß auf die Treppe gesetzt, und die ohnmächtige Person erblickt, als sie diese aufrüttelte, sie angebrannte Federn und Knoblauch riechen ließ, und mit Hülfe eines Handlangers von der Straße in ihre Wohnung trug.

»Hier,« so schloß Walter, »ist Marthe so lange geblieben, bis sie, nach dem Tode der Israelitin, deren Gewerbe allein fortführte, und, obgleich nach jener Ohnmacht mit verzerrten Gesichtszügen und wirren Gedanken einhergehend, [253] hat sie doch den Ruf einer klugen Frau, oder gar Prophetin in solchem Maaße behauptet, daß sie von Vornehmen besucht, in angesehene Häuser beschieden, und oft ihre List zu geheimen Zwecken benutzt wird.«

»Was macht sie denn so berühmt?« fragte ich, mit dem Scheine der Unwissenheit über die verbotenen Künste des Weibes. Der Hausirer zuckte die Achseln. Er wiederholte, was er dieser schon im Walde vorgeworfen hatte. In einem Anfall guter Laune sagte ich: »Nun, so kann sie ja gleich ihr Talent zeigen.« Walter sah mich überrascht an. »Um Ihren Spaß damit zu haben,« lächelte er. »Natürlich!« entgegnete ich, ob mir gleich der Gedanke an etwas Spaßhaftes ganz unverträglich mit dem Anblick des gespenstigen Wesens dort drüben am Tische schien.

»Hier geht es aber nicht,« raunte mir mein Nachbar zu. »So öffentlich darf sie es nicht treiben. Befehlen Sie, so will ich sie nach einer Weile in das kleine Zimmerchen hier neben führen, Sie schließen dann die Thüre ab, und« – –

Es ist ein Kobold in uns, Heinrich, der lustig aufspringt, wenn man ihn von Außen anruft! Der grillenhafte Schelm war gleich in mir bereit, Walters Vorschlag einzugehen. Er hatte [254] »Ja« gesagt, ehe ich noch die nächsten Schwierigkeiten überlegte. Der Baron und sein Begleiter waren lästige Zeugen bei dem Possenspiel. Entfernen konnte ich sie einmal nicht, und sie in mein Interesse zu ziehen, schien mir zu langweilig für die geringe Ausbeute des Spaßes. Gleichwohl mußte das letzte versucht werden. Ich trat daher mit den Worten zu Leontin: »Sie haben ohne Zweifel von den Künsten gehört, die der Närrin drinnen den Ruf einer Prophetin erwarben. Ihr verrücktes Wesen ist mir verdächtig. Ich wittre dahinter mehr Absicht als Krankheit. Ich wäre neugierig zu sehen, wie sie es anfängt, gescheute Leute hinters Licht zu führen. Deshalb habe ich sie hierher zu uns ins Zimmer beschieden. Geben Sie Acht, wie verblüfft sie sein wird, wenn ihre List nicht glückt.«

Ich hatte kaum geendet, so trat Walter mit seiner Begleiterin herein. Der Geistliche schien verlegen. Dem Baron war die Sache lästig, das sah man ihm an; doch wußte er nicht sogleich loszukommen. Indeß fragte Marthe ziemlich mürrisch: was sie hier solle? Ich sagte es ihr. Sie lachte. Ich bemerkte, daß sie unruhig nach dem Geistlichen hinschielte. Dieser [255] sah ernsthaft, doch nicht unwillig aus. Jetzt stellte ich mich an einen Tisch neben die zaudernde Pythia. Sie zog darauf ein schmutziges Spiel Karten aus der Tasche, das sie Mühe hatte, mit ihren dürren, krummen Fingern auseinander zu bringen. Ich empfand großen Eckel daran, und bat sie, das Schicksal auf andere Weise zu befragen. Es schien ihr nicht recht. Indeß sagte sie auf kurze und abstoßende Weise: »Gleichviel!« worauf sie ein Ei und ein Glas Wasser forderte. Als ihr beides gebracht ward, gab sie mir das Ei, hieß mich, es gegen das Glas zerschlagen, und den Dotter hineinzuschütten. Ich that, wie ich geheißen ward. Im Augenblick bildeten sich allerlei Gestalten im Wasser, die mir meine heutigen Himmelsbeobachtungen lebhaft hervorriefen; neugieriger als zuvor, was die Sibylle daraus machen würde, sah ich mich forschend nach ihr um. Sie war sehr roth im Gesicht, eine finstere, häßliche Falte auf der Stirne zog sich immer tiefer zusammen, ungeduldig wischte sie das blitzende, wilde Auge, sah mich dann zornig an, und sagte halb verwundert, halb böse: »das sind lauter Teufeleien! Was soll das vorstellen, he? war das Wasser unrein? Oder« – sie stellte die Lichter anders. [256] »Sind das geweihte Kerzen? Wollt ihr mich zum Narren haben?«

Walter beruhigte Marthe über alle geäusserte Zweifel. Sie schüttelte den Kopf. Der Baron war sehr aufmerksam geworden. Er trat näher zum Tisch. Ich winkte ihm lachend zu, daß sie mit ihrem Latein zu Ende sei. Marthe bemerkte es. Sie schob mit verbissenem Ingrimm das Glas von sich, und machte Miene, das Zimmer zu verlassen.

»So wird es also heute nichts?« sagte ich. Sie antwortete nicht. Ich hielt ihr einen Thaler hin, hieß sie einpacken, und ihrer Wege gehen.

Sie drückte aber meine Hand und das Geld ärgerlich zurück. »Geduld!« rief sie. »Ich werde es schon sagen, wenns Zeit ist.«

Leontin kämpfte mit Neugier und Unwillen zugleich. Der Geistliche blieb ohne alle Theilnahme. Er hatte ein Fenster geöffnet, und sah, als ob er Jemand erwarte, nach der Straße hinaus. Marthe räusperte sich jetzt. »Nun,« lachte sie triumphirend, »da haben wir es ja, wollen Sie es hören?«

Sie sah erst Leontin, dann mich an. Es schien, als ob sie uns beide verwechselte, denn ohne, daß ich etwas erwiederte, fuhr sie ausschließend [257] gegen mich gewendet, fort: »Es ist nichts als Unruhe und Wechsel in Ihrem Schicksalszeichen. Nehmen Sie sich in Acht. Es steht Ihnen eine große Veränderung bevor. Sie werden das Ihrige über kurz oder lang mit dem Rücken ansehen, und wie Sie mit Kutsch' und Pferden früher in ein großes Schloß einzogen, so flüchten Sie dann unstäten Fußes daraus. Der Wittwerflor hängt an Ihrem Hute, und doch haben Sie zwei Frauen zugleich. Wenn das Gestirn des Wagens über Ihrem Hause steht, dann ist die Entscheidung nahe. Die, welche Ihnen die Nächsten sind –«

»Genug!« rief ich unangenehm erschüttert, »ich will nichts mehr hören.« Sie blickte mürrisch nach mir um, runzelte die Stirne, sah dann wieder in das Glas, und brummte: »Es ist ohnedies vorbei. Alles fließt wieder zusammen. Ich kann nichts mehr unterscheiden. Aber, was gewiß ist, bleibt doch gewiß, die Zwietracht sitzt an Ihrem Heerde, und wenn Sie die Glocke wieder neun schlagen hören, wie jetzt, hat sie Ihnen schon manches Lied gesungen.«

Der Baron hatte seit einer ganzen Weile über die Schultern der Alten weg, in das flockige Gebräue hinein gesehen. Sie bemerkte es erst jetzt. »Was machenSie hier?« rief sie scheltend. [258] »Sie haben auch wohl Ihre Hände mit im Spiele?«

Ich lachte unwillkührlich über seine Verlegenheit. »Lachen Sie nicht!« schrie sie widrig, mit einem verwünscht pfiffigen Gesicht.

In dem Augenblick ward eine fremde Stimme im Nebenzimmer laut. Der Geistliche schloß das Fenster, und sagte, indem er mit freundlicher Verbeugung an uns vorüber ging: »Verzeihen Sie, es erwartet mich hier Jemand.«

Marthe hatte im Nu ihre Habseligkeiten zusammengepackt, meinen Thaler genommen, und sich aus dem Staube gemacht.

So blieben Leontin und ich allein. Wir waren beide unbequem mit einander. Er ist niemals von vielen Worten, und jetzt, sichtlich durch meine Gegenwart gedrückt, fehlte es ihm auch an dem Unbedeutendsten. Mich hatte sein Antheil an dem ganzen Vorgange frappirt. Ich war begierig, den Grund davon herauszubringen, und deshalb auf dem Punkt, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als ich den Präsidenten, Elisens Gatten, dicht nebenan sagen hörte: »Hier also? Nun, lassen Sie mich ihm meinen Dank abstatten.« Somit öffnete er die Thüre, und stand, in Begleitung des Geistlichen, vor mir. Meine [259] Anwesenheit mochte ihn überraschen, er grüßte flüchtig, fast obenhin, wandte sich dann zum Baron, gegen den er mit Wärme eines Dienstes erwähnte, welchen ihm dieser so eben geleistet haben mußte. Aus dem Verfolg des Gesprächs erfuhr ich sodann, daß der Geistliche ein längst erwarteter Aufseher und Führer von Elisens schönem Knaben, Georg, war; daß Leontin diesen empfohlen, hierher begleitet, und dem Präsidenten zugeführt hatte.

Des Barons Mitwirken in einer Angelegenheit, die Elisen Kummer machte, fiel mir gerade in diesem Augenblick um so mehr auf, als bis jetzt hiervon nichts verlautete, folglich geheim getrieben ward, und ziemlich nach einer Vertraulichkeit mit dem Manne, auf Kosten der Frau schmeckte. Mich kümmert dergleichen sonst sehr wenig. Häusliche Angelegenheiten, so oder so gestellt, gehören immer zu den Plackereien, die getragen sein wollen, es verschlägt daher eben nichts, ob die Last um ein Gran schwerer oder leichter wiegt. Es war auch nicht das, es waren, ich wette, die letzten Worte des Weibes, die etwas Fremdes in meine Seele geworfen hatte. Ich fühlte dies wie einen Stachel darin stecken. Es brannte mir heiß im Herzen, als ich den [260] Vater, mit aller Umständlichkeit eines weitschweifigen Pedanten, von dem Knaben sprechen, und sein Dasein von dem der Mutter ablösen hörte.

Ich sage Dir, Heinrich, es wurden hier Grundsätze der Erziehung entwickelt, die einen Menschen rasend machen können. Meine arme Freundin wird darüber untergehen! Ihr zartes Innere, durch die materiellen Handhaben abstrakter Pädagogik verletzt, kann dem Gedanken nicht Raum lassen, daß, je ärger das Joch preßt, je schneller rüstige Schultern es abwerfen. Sie selbst bewegt sich so leicht und frei in der hellen Sphäre schuldloser Gefühle, ihre Gedanken schwingen sich zu seltener Höhe, nirgends beengt eine der tausend künstlichen Gränzen den Flug ihres schönen, reichen Gemüthes; und wie sie unbewußt die angewiesene Bahn verfolgt, so läßt sie auch, auf die natürlichste Weise von der Welt, das kleine Seelchen ihres Lieblings die heitern Räume mit durchfliegen. Der Knabe ist ein Seraph, und so zu ihr gehörig, wie das Morgenlüftchen, das die goldene Aurora umspielt. Denke Dir nun diese beiden Menschen von den eisernen Klammern harter Regeln umspannt. Denke Dir das abgeschlossene Muß und Soll, gegen den freien Flügelschlag harmloser Willkühr. Athme nur [261] einen Augenblick in der Region der Güte und Liebe, und siehe dann das Chaos auf einander gethürmter Gebote unter Dir, betrachte den finstern Führer, der am harten Strick das müde Lämmchen durch all die Windungen sich nachzieht, höre die tonlosen, leiernden Worte von brechen des Eigenwillens, von Demuth, blindem Gehorsam; laß den Geistlichen noch über das Thema zerknirschter Herzen und Abtödtungen des Fleisches sein Pensum hersagen, und dann begreife, wie mich das Alles zur Thüre hinaus, unter Gottes freien Himmel jagen, die Brust mit Wehmuth, den Kopf mit unruhigen Bildern füllen mußte. In dieser Stimmung stoße ich auf die Tannenhäuserin, die mir vor dem Hause begegnete. Sie grüßte, fragte nach dem Befinden des Comthurs, und setzte hinzu, wie ihr der Baron über dasselbe gute Nachricht gegeben.

»Der Baron war also heute drüben auf der Burg?« unterbrach ich sie. »Allerdings!« war die Antwort. »Und, wie ich höre, sind der geistliche Herr von dort in des gnädigen Herrn Begleitung hierher gekommen. Die Frau Gräfin haben denselben empfohlen, verschrieben, wie ich nicht anders weiß.«

Heinrich, mir stieg das Blut nach dem [262] Kopfe. Emma, dachte ich. Hat sie ihre reinen Hände in dem heimlichen Spiele? Wie kommt sie dazu, mit Leontin gemeinschaftlich gegen den Wunsch der armen Elise zu wirken. Es sah alles so abgekartet, so versteckt aus. Dazu kam das verabredete Zusammentreffen gerade in dem entlegenen Winkel hier, man wollte das Ansehen der Theilnahme vermeiden. Der Präsident mußte bei Nacht und Nebel den Aufseher über Frau und Kind auf geheimnißvolle Weise in Empfang nehmen. Ich war dabei ein sehr unberufener, ja unbequemer Zeuge. Ging Leontins überraschter Blick etwa hierauf, als Marthe ihm vorwarf, die Hand in dem verderblichen Spiele zu haben? »Hexe!« rief ich in mir, indem ich mich verdrüßlich aufs Pferd schwang, und nach der Burg ritt.

Ich weiß nicht, was mir Alles während meines Rittes durch den Wald im Kopf spukte? Genug, ich sah zum erstenmale um mich, als ich etwa tausend Schritte vom Schlosse, am Fuße des Berges, anhielt. Der breite Weg, welcher in Schlangenwindungen auswärts führt, ward scharf vom Mondlichte bezeichnet, bis ihn zuletzt eine dunkle Tannengruppe verdeckt, und man seiner erst dicht an der Terrasse des Gebäudes [263] wieder ansichtig wird. Sehr natürlich fiel mein Blick, als auf den hellsten Punkt der Landschaft, dahin, doch mit seltsamem Schreck fuhr ich zusammen, da gerade in demselben Moment ein Wagen hinter der schwarzen Decke der Bäume hervorrollte, und vor der Burg hielt. Ich wußte sogleich, wer darin saß, eben deshalb schallten mir Marthens Worte: »Die Zwietracht sitzt an ihrem eigenen Heerde,« wie ein Echo aus dem Walde zurück. Ich raffte mich zusammen, eilte nach Hause, fand meine Schwiegermutter, und mit ihr ein Heer ängstlicher Rücksichten, kalten Formen und lauernden Anspielungen. Ich bin wie gelähmt, das Dach des Schlosses drückt mit Centnerlast auf mich.

Es ist eine Schwüle in den Mauern, als müsse die Flamme jeden Augenblick aufschlagen.

So war es heute und gestern! Wer weiß, wie es morgen sein wird?

Heinrich! Heinrich! die Fäden, die unser Geschick lenken, laufen wahrhaftig nicht so einzeln durch das Leben.

Lebe wohl! ich sehe einem Unwetter entgegen.

[264]
Elise an Hugo

Sagen Sie, was Sie wollen. Sie waren gestern nicht natürlich! Wenn ich vor so manchem Gesicht eine Maske dulden mag, so ist sie mir bei Ihnen unerträglich.

Was wollten Sie mit der erzwungenen Redseligkeit, mit der ironischen, frostigen Laune sagen, die Niemand, am wenigsten die Klugen der Welt täuscht? Für wen spielten Sie Comödie? Hugo!

Es hat mich verdrossen. Ich wollte mit Ihnen reden. Deshalb trat ich zu Ihnen ins Fenster. Sie wichen mir aus. Ihr Gehirn war in jener hüpfenden Bewegung, die den Witz überall Seitensprünge machen läßt, und das Gespräch in Brocken zerstückelt. Eine Stimmung, die zu der meinigen durchaus nicht paßte. Fühlten Sie nicht, oder wollten Sie es nicht fühlen, daß mir etwas auf dem Herzen lag, was herunter mußte?

Was ist ein Freund, wenn er den Klang der beengten Seele in einem stummen Luftzuge, ohne Echohall, zu uns zurückschickt?

Ich habe Kummer. Sie sollten es wissen. Der dünne, blasse, stumme Caplan, der mir wie ein Gespenst nachschleicht, und auf den Fersen sitzt, [265] sobald sich Georg zu mir flüchtet. Eduards blindes Vertrauen zu ihm, die peinlichen Tischgespräche, der Zwang, mit dem Menschen meinen Tag zuzubringen, seine Begleitung auf Spatziergängen und Fahrten dulden zu müssen, wenn ich das geängstete Kind nicht martern lassen will; dies und noch unendlich Vieles, was damit zusammenhängt, was auf die Zukunft hindeutet, was mir nur zu gegründete Sorge giebt, sollten Sie von mir hören. Ich kann nicht mit Ihnen lachen. Sie, hoffte ich, würden mit mir denken, wie dem frostigen, pressenden Einflusse auf das frohsinnige Kind, so wie auf mich, entgegen zu wirken sei? Aber mit nichts konnte ich Sie fassen, Hugo! nicht meine Bitten, nicht mein Unwille. Wo waren Sie mit Ihrem Selbst, daß ich Sie nicht zu finden wußte? Es giebt einmal nichts Unbequemeres für mich, als Besorgnisse hegen zu müssen. Mit dem Schmerz nehme ich es eine Weile auf. Entweder ich besiege ihn, oder ich ergebe mich darin, und will nichts mehr, als die Dinge so gehen lassen, wie sie wollen.

Ehe es aber so weit kommt, giebt es viele Mittelzustände, in denen dem Menschen allerlei zugemuthet wird, was er sich nicht gefallen lassen darf; Widersprüche aus Unsinn und Vorurtheil [266] erzeugt, an denen sich unser Scharfsinn, wie die Kraft des Stärkern prüfen soll. Aus diesem Grunde biete ich auch deshalb alles auf, dem Steine auszuweichen, den mir das Geschick entgegen rollt, und stoße ich doch darauf, so überspringe ich ihn. Stehen bleiben und müßig klagen, kann ich nicht. Die Ueberzeugung, daß gegen jedwedes Uebel ein Mittel zu finden sein müsse, hat es mir noch niemals an einer passenden Auskunft fehlen lassen. Warum bin ich aber jetzt so ganz ohne Zuversicht und Klarheit? Den Caplan entfernen, hieß gegen den Strom im Moment der Brandung schwimmen wollen. Ihn dulden und unschädlich machen, dazu gehört ein anderer Charakter, als der meinige. Wen ich nicht von selbst gewinne, der bleibt für mich verloren. Berechnen kann ich weder mich noch Andere. Das Leben gehen lassen, ist in vielen Stücken gut, allein hier kann zu Vieles untergehen, ehe die Natur ihr stilles Recht behauptet.

Was ist also zu thun?

Schaffen Sie Rath, Hugo! Auf Sie zähle ich in meiner Angst. Wissen Sie auch, von woher mir der Schlag kam? Aus Ihrem Hause! Dem Oheim und der Nichte verdanke ich diese Zugabe meines Hauskreuzes. Tadeln Sie indeß [267] Niemand. Beide handelten nach bester Ueberzeugung. Ihnen fiel es nicht ein, meiner Ueberzeugung zu nahe treten zu wollen.

Emma schrieb mir zugleich das hübscheste Briefchen von der Welt über die Schritte, welche in der Sache geschehen waren. Ich lege es Ihnen hier bei, hinzusetzend, daß es mir übrigens so spät überkam, daß für mich nichts mehr zu thun blieb.

Sehen Sie! so sündigt Emma gegen mich, ohne eine Ahndung davon zu haben.

Wie Vieles wäre noch darüber, wie Vieles über das Nichtverstehen der Menschen zu sagen. Allein, ich muß Ihnen ja dies schon schreiben. Sie sind nicht zu erreichen, seit Sie den Weltmann in der Stadt und den vornehmen Schloßherrn auf der Burg spielen. Wie Ihnen das schlecht steht, und wie fremd Sie mir erscheinen!

Könnten Sie einen Augenblick finden, der Sie, in Ihren grauen Mantel gehüllt, unscheinbar und bescheiden zu meiner Thüre brächte, ich würde glauben, Sie seien wieder Sie selbst, um mit Ihnen reden, denken, überlegen und ruhig sein zu können, wie sonst.

Gute Nacht! Ich bin müde, ich habe geweint, [268] und doch weiß ich, ich werde nicht schlafen. Mir liegt Vieles im Sinn.

Emma an Elise

(Im vorigen Briefe eingeschlossen.)


Ich ward verhindert, diesen Morgen zu Ihnen zu kommen und Ihnen mitzutheilen, was Sie vor allem Andern wissen sollen.

Liebe Elise, es war gestern in den Zimmern des Comthur die Rede von Eduard's Wunsche, einen Erzieher für ihren lieben Knaben zu finden. Er hatte dem Baron Wildenau den Auftrag gegeben, ihm einen solchen suchen zu helfen. Die Wahl dünkte diesem schwer. Der Oheim wandte sich an mich, und rief mir einen Mann ins Gedächtniß, der mir von dem Lehrer und Freunde meiner Jugend empfohlen worden. Einen bessern Fürsprecher konnte sich so leicht Niemand rühmen. Ich erwog einen Augenblick, in wie fern ihre Anforderungen mit den Leistungen jenes jungen Geistlichen zusammen treffen möchten? fand gleichwohl, daß eine edle Geburt, feine Erziehung, frühere günstige Stellung zur Welt, Bekanntschaft mit dieser, wie mit den Wissenschaften, der junge [269] Mann zu Georgs Begleiter sich eigene, und schwerlich ein passenderer in diesem Augenblicke zu finden sei. Deshalb nur, und weil der Baron selbst der Ueberbringer meines Schreibens sein wollte, entschloß ich mich, ohne erst Ihre Einwilligung abzuwarten, der des Präsidenten war ich gewiß, den Schüler meines alten Lehrers hierher zu bescheiden, und es dann Ihrer Bestimmung zu überlassen, auf welche Weise er bei Ihnen eingeführt werden soll?

Bin ich voreilig gewesen, so verzeihen Sie es dem Eifer, Ihnen und dem lieben Georg, von den wenigen wahrhaften Diensten, die in der Gewalt wohlmeinender Freunde stehen, den Wesentlichsten leisten zu wollen.


N. S.

Eduard war bei mir. Er wußte schon Alles durch Leontin, und übernimmt es, Ihnen dies Briefchen zuzustellen.

Hugo an Elise [2]
Hugo an Elise

Sie schelten mich. Sie sind unzufrieden mit mir. Hier lobt man mich. Emma's Auge strahlt [270] vor Freude, sie sieht mit einer Art Triumph von mir zu ihrer Mutter hin.

Wer von Beiden kennt mich nun am besten?

O lassen Sie diese Frage unbeantwortet! Es hängen an der einen, unzählige andere, die, einmal ausgesprochen, Herz und Seele mit herausreißen, dem Leben ein Ende machen, oder es anders gestalten müßten!

Ich komme nicht zu Ihnen, Elise. Auch nicht auf Ihr dringendes Gebot. Urtheilen Sie darnach, wie unmöglich es mir sein muß. Unmöglich! ja ja! Belachen Sie den Ausdruck nicht. Ich spreche nicht in Räthseln. Noch ein einziger, kurzer Schritt, und die Fluth treibt mich, wohin ich nicht will, wohin kein Auge reicht, was kein Maaß, keine Gränze kennt. Elise, hörten Sie nie – Gott nein! – Der bodenlose Abgrund verworrener Begriffe liegt tief, tief unter der Region, in der Sie athmen. Genug, ich komme nicht. Ich schreibe Ihnen. Endlich ist Ruhe um mich. Sie schlafen, die mich müde hetzten, und mir nicht einmal den Schlaf lassen können. Sie haben ihn mir schon lange, lange geraubt!

Es ist tiefe Nacht. Sind wir endlich allein, Ganz allein, Elise? dunkle Schatten liegen, wie [271] Wächter, um die Freistatt der Gedanken. Sind wir auch hier der Welt und ihren Gesetzen verfallen? Giebt es keine Ewigkeit in der Zeit, und kann die Sehnsucht niemals, niemals den Kerker sprengen, der Geister von Geistern trennt? Wie ertragen wir denn den Tod unserer Lieben? was schleichen wir zu ihren Gräbern und rufen Bilder der Vergangenheit in die Gegenwart zurück? Ist das stille Hinübergleiten von einer Welt in die andere nichts, als ein suptileres Phantom der Einbildungskraft? Stoßen wir überall, auch in uns nur auf Täuschungen, die den Drang des Innern mit Phantasmen hinhalten, wie Kinder in einer gespielten, die erwartete Welt vorausleben?

Sei es, ich träume denn also, und sehe Sie, und rede mit Ihnen im Traum.

Was aber darf ich Ihnen sagen?

Die Nacht verwirrt mich. Ich will den Morgen abwarten, der Brief soll unvollendet bleiben.

Er wird kein Ende finden! Wo soll ich aufhören? Vielleicht hätte ich besser gethan, niemals anzufangen. Jetzt! – Ja so, Sie wollten wissen, was ich von dem Caplan halte? Mein Gott! lassen Sie den guten Mann nur immer machen. Weder dieser noch ein anderer, ich versichere Sie, [272] erzieht den Menschen. Das sind alles handwerksmäßige Uebungen. Lehrjahre hat ein Jeder. Das muß sein. Der Künstler wird geboren. Das Genie giebt und nimmt sich nicht. Und was das Wecken und Ersticken desselben betrifft, so halte ich von dem nicht viel, das nicht stärker wäre, als ein mechanisches Band. – Der Widerspruch lehrt zuerst sprechen, und zugleich denken. Gleichviel, was augenblicklich für Resultate daraus entstehen! Man muß dabei nicht allzupeinlich verweilen. Ein wenig Trotz hebt Kopf und Nacken in die Höhe. Der Blick lernt dieselbe Richtung finden. Zuletzt fällt dann das eigene Maaß kurz genug aus, wenn man es vergleichend an Ideale legt. Man lernt Andere dulden, weil man sich Vieles verzeihen muß. Sie kennen ja meine Theorie über die einzigen Ausgleichungsmittel im Leben. Güte und wohlwollende Achtung für die Freiheit Anderer. Ich büße lieber von der meinigen ein, als jene zu beschränken. Machen Sie es auch so. In der Regel kann man, bis zu einem gewissen Punkt, über Vieles lachen und es gut sein lassen.

Ich lache jetzt oft, und deshalb auch letzthin bei unsrer lauernden Nachbarin. Danken Sie mir das, Elise. Hätte ich dem Ernst sein Recht eingeräumt,[273] jener gewisse Punkt wäre vielleicht nicht unberührt geblieben, und dann wäre mehr, als die losen Schlingen des Scherzes zerrissen worden.

Hüten Sie sich, schöne, arglose Seele, aus der Region heiterer Unbewußtheit herauszutreten. Noch bewache ich die Gränzen. Drängen Sie mich nicht von meiner Stelle. Ich bitte Sie, fragen Sie nicht zuviel. Ich habe schon mehr erfahren, als gut ist; die Binde ist mir von den Augen genommen, und kein Gott kann den Traum seliger Blindheit wieder herstellen.

So weit hatte ich geschrieben. Ich wollte Ihnen das Blatt mit dem Frühesten schicken. Die Gelegenheit mit dem Marktschiffe dünkte mir zu langsam. Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, selbst nach der Stadt zu reiten und den Brief in Ihrem Hause abzugeben. Ich ließ auch wirklich mein Pferd vorführen, warf mich darauf und sprengte davon. Doch war ich noch nicht weit gekommen, als ein mir nacheilender Reitknecht ein Billet von Emma überbrachte, in welchem sie mir anzeigt, daß, gleich nachdem ich die Burg verlassen, ein fürstlicher Jäger mit der Meldung dort eingetroffen sei, der Fürst hege den Wunsch, in den umliegenden Forsten zu jagen, und sage [274] sich zu dem Ende, zu einem Frühstücke auf dem Schlosse an.

Mir blieb natürlich nichts anders übrig, als umzukehren und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.

Sehen Sie, Elise! Fesseln, die den Menschen zum Sclaven gemacht haben, ehe er es noch einmal recht weiß, werden immer durch unabwendbare Verhältnisse geschmiedet. Was diese entstehen läßt? was sie durch einander bedingt? das liegt außerhalb menschlicher Berechnung. Es hat sich eins auf ungefähre Weise gebildet, und der Ring ist sogleich geschlossen, der unsere Freiheit umspannt!

Die Jagd ist nichts als ein Vorwand. Der Fürst sucht die Oberhofmeisterin hier auf, weil es nicht das Ansehen persönlicher Beziehung zu ihm haben soll. Und doch existirt diese Beziehung. Sie hat etwas vor. Sie nimmt den Einfluß des längst gekannten Freundes in Anspruch. Mit mir will sie etwas. Ich sehe sie von Weitem kommen! Schon lange dreht sie das Seil. Jetzt hofft sie, die Schlinge zu schürzen!

Von hier fort, in Thätigkeit will sie mich wissen? deshalb die vertrauliche Annäherung des Fürsten, das zwanglose ländliche Beisammensein! [275] Der Weg soll gefunden werden, der geradezu auf meine Eitelkeit losgeht. In das eigene Netz will man mich verwickeln. Sie hat sich verrechnet. Der Springer im Schachspiel durchkreuzt wohl auch einmal den Gang der Königin. Ich weiß das! ich fühle mich! und dennoch, wenn es zu einer offnen Erklärung käme – wenn ich redenmüßte – was würde da Alles laut werden? wohin kann ein Wort das andere führen!

Und Sie werfen mir vor, den Weltmann in der Stadt, den Schloßherrn auf der Burg zu spielen. Ahnden Sie denn gar nicht, was mein Spiel verdeckt und abwehrt? – – – –

Ein Tag voll unruhigen Umhertreibens, voll lästiger Geschäftigkeit ist nun vorüber! Es ist wieder Nacht, die Stunden laufen ab, die Zeit wechselt, das Leben rückt nicht vor, ich stehe auf dem alten Fleck. Entsetzliches Bewußtsein! Es jagt mir das Blut mit Höllenangst durch die Adern! Wie das noch werden soll! Der Fürst maß mich heute ein Paarmal mit seinem seitwärts fallenden Blick, der, bei aller Flüchtigkeit doch auf Kundschaft ausging. Welche Spur hat man ihm nur gegeben, daß er so zuversichtlich darauf fortgeht? Im Uebrigen that er ganz unbefangen, [276] war gesprächig, und ganz auf der Jagd. Er ist ein gewandter Schütze. Ich äußerte das mit bescheidenem Lobe. Er lächelte. »Ja,« sagte er darauf, »es war immer mein Lieblingsvergnügen, deshalb erlaube ich mir es nur selten. Es kann leicht zur Leidenschaft werden; und vor nichts hege ich mehr Furcht, als vor einer solchen Haustyrannin, die man am eignen Heerde groß zieht!«

Er schwieg, allein hier eben war es, wo sein Blick mich suchte. Ich that, als bemerke ich es nicht, indem ich den Gegenstand fallen ließ, und nur neue Veranlassung suchte, der eingestandenen Neigung Vorschub zu leihen. Er ging einen Augenblick in meinen erweiterten Jagdplan ein, doch bald nachher bemerkte er, das führe zu weit. Man dürfe nicht so allein an sich denken. Oben auf der Burg erwarteten uns die Damen und der würdige Comthur, wir seien ihnen Rücksichten schuldig, er wolle nicht das Ansehen haben, solche gering zu achten. Elise, ich biß mir in die Lippen, so lächerlich war mir der fürstliche Sittenprediger, den man bis unter Gottes freien Himmel an mich abgeschickt hatte.

Es mochte indeß hingehen. Wir fuhren nach Hause. Unterwegs lobte er den Wald, die Gegend, fragte nach dem neuen Bau drüben auf [277] Wehrheim, drang deshalb in mich, wollte Alles wissen, und schloß dann unter lautem Lachen mit der Bemerkung, daß ich schlecht bei mir selbst zu Hause sei. Ich fühlte den Stich, verschmerzte ihn aber, da er nichts Wesentliches in mir verletzte. So lachte ich mit ihm, vielleicht mehr von Herzen, als er. Nach und nach rückte er denn heran, sprach von umfassender Thätigkeit, öffentlichem Leben, dem Interesse an Staatsverhältnissen, nannte das große Lügennetz: die Politik, das eigentliche Gewebe des Scharfsinns, und meinte, der schlaue Jäger finde hier erst ein geräumiges Feld, sein Wild aufs Korn zu nehmen.

Jetzt wußte ich, wo man hinaus wollte. Zum Glück hielten wir bereits an der Schloßtreppe. Meine Antwort blieb ich ihm schuldig. Er wird sie mir schon noch abfordern. Doch sei es wann und wo es wolle, die Wahrheit soll er gewiß hören.

Gott behüte mich vor neuen Ketten! Als wenn ich nicht schon an den jetzigen schwer genug zu tragen hätte. Meine Schwiegermutter ist seitdem von der besten Laune. Sie geht in Jedes ein, was ich sage, giebt mir Recht, theilt ganz meine Ansichten. Was hat das anders zu bedeuten, als daß mein Urtheil gesprochen ist, und sie dem [278] harten Ausspruch einen milden, bestechlichen Klang einhauchen möchte. Elise! geben Sie Acht, das ist der Stein, an dem Vieles zerschellen wird!

Ich breche kurz ab. Es hat sich ein Bote gezeigt, der das Schreiben noch vor Ihrem Erwachen zur Stadt trägt. Ich lag im Fenster. Es dämmerte kaum. Da hörte ich schon von ferne die weit ausgreifenden, taktmäßigen Tritte eines geübten Fußgängers. Nicht lange, so ging Jemand dicht an dem Hause entlang. Ich beugte mich vor. »Walter!« rief ich halblaut. Die große, gebückte Gestalt für diesen haltend. »Ja!« antwortete der Wandrer, »was giebts?« »Seid Ihr's, Walter?« fragte ich noch einmal. Dieser nickte mit dem Kopfe, ohne etwas zu erwiedern.

»Was habt Ihr denn Eiliges hier zu thun?« lachte ich, ohne mir etwas dabei zu denken. »Hier schläft noch Alles, Handel und Wandel wird um diese Stunde nicht getrieben.« »Ist auch nicht meine Absicht,« entgegnete der Hausirer. »Ich gebe nur gelegentlich einen Brief an die Frau Gräfin ab. Ich komme drüben von der Tannenhäuserin, und gehe hinunter nach Wehrheim, um von dort mit dem Marktschiffe nach der Stadt zu gelangen. Das Schreiben ist von dem Herrn Caplan, er hat es, ich weiß nicht wie, [279] unsrer Wirthin zur weitern Beförderung zustellen lassen.«

Walter hatte sich während dem auf einen Stein gesetzt. Ich hieß ihn da warten, bis ich hinunter kommen würde. Ich habe nun diese Zeilen niedergeschrieben, ich füge nichts hinzu; aber – wie ein Zug dunkler Nachtvögel, schwirren widerwärtige, verworrene Vermuthungen an mir vorüber. Emma! – der Caplan! – Der geheimnißvolle Weg ihrer Mittheilung! – O die Geistlichen sind so verschlagen, und die Tauben so zahm! so zum Abrichten gemacht!

Ich verlasse Sie in einer sonderbaren Stimmung. Nein, Elise! nein, ich verlasse Sie nicht, niemals, ich bin Ihr Freund, mehr als jemals! Ich begleite Sie wie Ihr Schatten. Sein Sie ruhig, ich bitte Sie! Es ist nichts! Ich bin bei Ihnen, verlassen Sie sich darauf.

Ich eile zu Walter hinunter. Ich werde ihm den Brief vom Caplan abnehmen, ich will ihn Emmaselbst geben! Sie ist wahr, sie kann – doch leben Sie wohl! Leben Sie wohl, Elise!

[280]
Die Oberhofmeisterin an Sophie!

Wundern Sie sich nicht, daß ich mir so viel Zeit ließ, ehe ich an Sie schrieb? Nur wenn Sie hier wären, würden Sie es verstehen, wie ich zu dieser Enthaltsamkeit kommen konnte.

Es ist nicht leicht, Worte zu finden, wenn man nicht weiß, was man denkt oder fühlt? Sehen Sie, jede andere wie ich, würde hier ruhig, und leidlich zufrieden sein. Ich bin es nicht, ich kann es nicht sein, ob ich gleich gestehen muß, daß ich Niemand einen Vorwurf zu machen habe, noch etwas Bestimmtes tadeln kann. In den ersten Augenblicken nach meiner Ankunft war ich völlig geblendet. Hätte ich Ihnen da geschrieben, Sie würden triumphiren. Es war Nacht, als ich den Fels hinan, zu dem erleuchteten Burghofe einfuhr. Die große Ampel über dem Steinbrunnen, die hohen Tannen, zwischen denen sie schwebt, das Licht selbst so magisch über die besondere Architektur ausgegossen, und Emma endlich, schöner als je, unter den gothischen Bogen, auf der gewundenen Treppe stehend, hinter ihr der Comthur, imposant wie immer, durch Gestalt und Haltung, ich sage Ihnen, ich war überrascht, durch das Neue und Sonderbare des Anblicks. Mich selbst, und was mich hierher trieb [281] vergessend, rief ich schon, ehe man mich hören konnte: »Willkommen, willkommen, liebe Kinder!« Bei dem ersten Laut meiner Stimme füllt sich der Hof mit Menschen und Lichtern; Emma stürzte an den Schlag des Wagens, sprang auf den Tritt desselben, und lag in meinen Armen, in einer Bewegung, die ihr Sprache und Besinnung raubte. Ich fühlte, ich hörte die Schläge ihres lieben Herzens, das meinige brach fast vor Entzücken. Indeß war Hugo auch herabgekommen, er hob mich aus dem Wagen, und führte mich und Emma zum Schlosse hinein.

Mit stummer Rührung drückte er unsere Hände in den seinen. Es erschütterte ihn sichtbar, uns so einander wiedergegeben zu sehen. Er hat an Behutsamkeit, an Feinheit des Betragens gewonnen, man fühlt, er kennt seine Stellung, und dabei hat er nichts von jenem Besondern verloren, das unsre Fürstin, die Schwingung eines tiefen, melancholischen Accordes nennt. Sie wissen! ich bin nicht für Schwärmereien der Art, indeß mußte ich mir, wenn auch widerstrebend, eingestehen, daß man Hugo nicht nahet, ohne in eine ungewöhnliche, denkende und nachempfindende Stimmung zu versinken. So flohen die ersten Stunden hin, indeß mich, was ich [282] sah und hörte, immer mehr erregte, immer williger machte, die neuen Eindrücke mit Feuer und Bewunderung aufzunehmen. Ich fordere auch Besonnenere als ich bin, auf, ungeblendet von dem Reiz des rührendsten, lieblichsten Wesens, der einzigen, über alles geliebten, nach langer Trennung wiedergefundenen Tochter zu bleiben. Sie selbst, von Freude strahlend, mitten im Glanz der sonderbarsten, erhabensten Umgebung glücklich, die Fürstin ihres Kreises, darin gebietend und herrschend mit dem Zauber einer Fee; sie so zu sehen, und auf die Plackereien, das Gezänk und Gewäsch miserabler Flachheit zurück zu blicken, den Maßstab der Beurtheilung von da herzuholen, kurz, zu wissen, was man früher wollte! Ach ich athme nun, wie in andrer Luft! Ich hätte schwören können, mir wäre nie ein Zweifel über die vollkommene Zufriedenheit Emma's in den Sinn gekommen.

Der feierliche Ernst des Comthur, zu welchem er schon in der Jugend eine leichte Anlage hatte, und der ihm nun zur andern Natur geworden sein mag, stemmte sich zuerst gegen die raschen Ausbrüche meiner sorgenfreien Laune. Ich stieß mich so zu sagen an ihm, und in der unangenehmen Empfindung, die auf so etwas folgt, sah [283] ich mir den Mann, den Ort, die Menschen bestimmter an. Ich spürte leicht die Spannung heraus, die sich an gewissen Tagen über häusliche Verhältnisse, über Personen und deren Art und Weise verbreitet. Emma kam mir ängstlich, Hugo nicht natürlich, der Oheim unsicher zwischen beiden vor. Es ist unglaublich, wie das leiseste Verrücken des Gesichtspunktes, sogleich Blick, Gedanken, Gefühl, Stimmung in uns anders macht! Ich wurde nachdenkend wie der Comthur. Es half diesem wenig, daß er gleichgültige Gespräche mit Feinheit und Anmuth zu beleben suchte, als sei zwanglose Heiterkeit hier einheimisch, ich hatte es bald weg, man war bemüht, mich zu unterhalten, und jedweder hatte dazu seinen Festtagsrock angezogen.

Das ist im Ganzen auch so geblieben, nur werden wir nach gerade der Spielereien überdrüßig. Hugo sieht manchmal aus wie die stumme Verzweiflung. Emma überbietet sich dann in Gesprächigkeit und launigen Anekdoten, sie lacht und erzählt, aber ihr Lachen jagt mir das Blut ins Gesicht, ich schäme mich in ihre Seele, daß sie gezwungen ist, eine Rolle vor mir zu spielen, die ihres Mannes hölzerne Leblosigkeit sehr schlecht unterstützt. Und ich, Sophie, soll unschuldig genug [284] sein, dahinter nichts anders zu suchen, als Eigensinn und Laune? Nein, ich spiele mit! und gehe, wie alle Andere, frei hinter den Coulissen hin und her. Es steht da noch Mancher, der frühe oder spät in die Scene treten wird. Bis zur Entwickelung sind wir noch nicht gelangt, denn die Fäden der Intrigue laufen kraus durch einander.

Der Intrigue? Ja, ja! ich bin gewiß, daß sie existirt, daß sie sich unter Emma's Augen angesponnen und gebildet hat, daß sie es sieht, es weiß und duldet, um nur den Undankbaren nicht zu stören, der unser Aller Elend machen wird. Darin liegt der Schlüssel ihres Betragens, deshalb die Anstrengungen unheimlicher Fröhlichkeit, denen weder ihre innere noch äußere Kraft gewachsen ist.

Das ist es, Sophie, was ich herausfühlte. Zu bemerken, zu entdecken ist hier nichts. Dazu sind Alle in stillschweigender Uebereinkunft zu einig, denn sie wissen, daß man demjenigen, den man ans Licht ziehen will, unter der künstlichsten Verkappung nachspürt. Doch finden sich auch willige Hände, die unversehens den Finger ausstrecken, und hinzeigen, wo man sehen soll.

Unsere Gräfin in Ulmenstein ist in solchen [285] Fällen von unzuberechnender Dienstfertigkeit. Ich war kaum auf der Burg angekommen, so kam sie auch. Meine Laune stimmte schlecht zu solchem Besuch. Mußte ich hier gleich auf eines der lästigen Geschöpfe stoßen, die in ihrer faden Wichtigkeit schon so breite Plätze am Hofe und in der Stadt einnehmen! Mit der stummen Höflichkeit, die Sie mir unzählige Male vorwarfen, parirte ich den Andrang unbequemer Geschwätzigkeit, mit der die bewegliche Frau auf mich zurannte. Sie ward nicht einen Augenblick irre. Ohne im Mindesten von ihrem Eifer abzulassen, hatte sie mich in Kurzem, zu meiner Strafe und ihrem Triumph, in das Netz ihrer Worte verstrickt. Ich büßte jetzt meine frühere Gleichgültigkeit durch die stechendste Neugier. Urtheilen Sie nur, wie ich aufhorchte, als sie unter endlosen Faseleien und ewigem Kichern auf die spaßhafteste Weise von der Welt bemerkte: Es sei ein wahres Werk der Barmherzigkeit, daß ich gerade in diesem Augenblicke hierher gekommen sei; ihre Trauer um die arme, liebe Tante, wie sie mit plötzlich veränderter Miene und einem kleinen Anflug süßlicher Wehmuth hinzusetzte, ihre Trauer feßle sie jetzt, als verständige und alles überlegende Frau, in Ulmenstein, die ganze Nachbarschaft sei verödet [286] ohne sie, die Burg ebenfalls ausgestorben, da die häusliche Emma die Einsamkeit zu sehr liebe, um selbst nur ihren Mann nach der Residenz begleiten zu wollen, wohin ihn doch sehr natürlich unzählig kleine und größere Verpflichtungen alle Augenblicke riefen.

Ihre lächelnde Stimme lief hier in die unangenehmste Feinheit aus. Ich arbeitete an meinem Tapisserie, wühlte unter den bunten Knäueln, hielt die Farben zusammen, zählte und berechnete Stiche und Fäden, während das Blut schon unruhiger in mir wogte, doch hielt ich es zurück, ich lächelte ebenfalls, und erwiederte in demselben Tone: »Es ist auch sehr schön hier im Schlosse, ich begreife, daß man sich sehr ungern daraus entfernt.«

»Ja, bei Gott! sehr schön,« rief sie emphatisch aus. »Wer weiß das nicht? Aber man muß doch auch ein klein Bischen uneigennützig denken, und die übrige Welt nicht ganz über seine Lieblingsgenüsse vergessen. Werden Sie es glauben,« lachte sie hier wieder auf eine schneidende Art, »daß die böse kleine Frau über einen Monat nicht ein einzigesmal bei mir zu Mittag gegessen hat? Immer war entweder der Graf im Begriff, abzureisen, oder er sollte eben an diesem Tage [287] wieder kommen, und so geizt die zärtliche Gattin mit jeder Minute, die sie der Muße ihres beschäftigten Freundes abstehlen kann, daß sie uns andern armen Leuten auch keine einzige davon aufopfern will.«

»Sie sind sehr gütig,« erwiederte ich, über meine Arbeit gebeugt, und die Augen auf dieser hin- und hergehen lassend, um nur die Schwätzerin nicht anzusehen. »Sie sind sehr gütig, meine liebe Gräfin, sich soviel um die Undankbare zu bekümmern, die nur einer alten, bösen Gewohnheit der Bequemlichkeit nachgiebt, wenn sie die rücksichtsvolle Ehefrau spielt. Wie oft mag sie dem guten Hugo einen Ritt oder eine Fahrt nach der Stadt andichten, um nur ihre Trägheit zu entschuldigen.«

»Das nicht! das nicht!« fiel die Gräfin lebhaft ein. »O! ums Himmels Willen, demüthigen Sie mich doch nicht so sehr, hier eine bloße Ausflucht zu suchen, wo ich ein besseres Motiv voraussetze, das meiner Eitelkeit weniger empfindlich ist. Nein, ich weiß, die liebenswürdige Emma weicht meinen Einladungen nicht ohne Grund aus.«

Es blitzte bei diesen Worten so ein gewisses, rasches, gelbes Licht aus ihren kleinen, beweglichen[288] Augen, daß ich, unwillkührlich zu ihr aufsehend, davon auf das Unangenehmste überrascht wurde. Es war keine Frage, sie deutete auf etwas hin, das sie nicht gesonnen war, mir verbergen zu wollen. Mir lag aber daran, es nicht durch sie zu erfahren, deshalb drückte ich meine Hand leise auf ihren Arm, indem ich so wenig trocken als möglich sagte: »Ich sehe wohl, Ihre Freundschaft für Emma macht Sie eifersüchtig! Sie rechten selbst mit Hugo, dem Sie die Minuten nachzählen, welche er in der Gesellschaft seiner Frau verlebt.«

Die Gräfin ward hier sehr roth, und half sich mit ihrem gewohnten Lachen. Nach einer Weile trat der Comthur ins Zimmer. Die Gräfin war honigsüß mit ihm. Er ließ sich das nicht ungern gefallen. Es ist keine Angelruthe so abgenutzt, daß nicht die Eitelkeit der gescheutesten Männer zu gewissen Zeiten anbisse. Jetzt wurden wir neu bestürmt, in den nächsten Tagen nach Ulmenstein zu kommen. Ich verwahrte mich dagegen wie ich wußte und konnte, doch zuletzt mußte ich es geschehen lassen, daß die Einladung auf den folgenden Mittag angenommen ward.

Man hat ein Vorgefühl von dem, was einem treffen wird. Ich hatte es, als ich in [289] den Wagen stieg, um die Fahrt zu machen. Mir war diese an sich höchst fatal. Ein Diner auf dem Lande gehört zu dem Widersinnigsten, was ich kenne. Da, wo alle Ostentation entfernt sein sollte, erscheint sie doppelt lächerlich. Man ist nicht geneigt, sie sich gefallen zu lassen. Man will und verlangt etwas anders, und wird verdrüßlich, immer das Alte zu finden.

Es ließ sich, nach der Persönlichkeit der Gräfin, auf die Prätentionen ihrer häuslichen Einrichtung schließen. So etwas stößt mich ab. Ich legte in keiner Epoche meines Lebens Werth auf das Vorübergehende, und wenn ich übertriebene Modesucht schon bei der Jugend unnatürlich finde, so dünkt sie mir im Alter die Schminke der Dummheit und Leerheit zu sein.

Ich suchte den Grund meiner Scheu vor dem Besuch in Ulmenstein in dieser natürlichen Abneigung gegen unpassende Künsteleien. Wir saßen auch schon eine Weile bei Tisch, ehe ich mich besinnen konnte, und bewußt ward, was mich eigentlich auf unbegreifliche Weise beklemme. Zufällig begegnete ich Emma's Blicken, welche mit einem sonderbaren Ausdruck von Befremden, bald auf Hugo, bald auf Ihrer Freundin, der soviel besprochenen, schönen Präsidentin ruhten. [290] Schneller wie der Blitz stand das Gespenst vor mir, dessen dunkle Nähe mich geängstigt hatte.Sie war es, diese pomphaft angekündigte, gepriesene Dame der Gedanken des Oheims, und nur zu wahrscheinlich auch der des Neffen. Dieser hatte seinen Platz weit von ihr, auf derselben Seite der Tafel genommen, wo ich mich befand, sie saß mir gegenüber. Beide hatten noch nicht ein Wort mit einander gewechselt. Emma hingegen überhäufte sie mit Herzlichkeit. Was bedeutete das Alles? Was sollten die langen, fragenden Blicke jetzt entdecken?

Ich faßte, von da, den verdächtigen Gegenstand schärfer ins Auge. Die Frau ist schön, und fast bis zum Unscheinbaren einfach. Sie hatte den Comthur an ihrer Seite. Er unterhielt sie mit großer Lebhaftigkeit, ohne gleichwohl ihre Aufmerksamkeit fesseln zu können. Sie schien zerstreut, und wie mir es vorkam, in einer nachdenkenden, bekümmerten Stimmung. Hugo, der alle Schleusen seines witzigen Humors öffnete, hatte sich in Kurzem der Unterhaltung bemächtigt. Er beherrschte, wie es ihm wohl zuweilen glückt, die ganze Gesellschaft, und ließ sie nach Gefallen lachen und sich verwundern. Elise sah ein paarmal mit großem Ernst nach ihm hin. Der Ausdruck [291] ihres Gesichts trug die Spuren schmerzlicher Ungewißheit.

Ich ward immer gespannter. Das Herz klopfte mir laut in der Brust. Mein Gesicht verräth augenblicklich, was in mir vorgeht. Emma hatte schon alles darauf gelesen, ich sah es ihr an, auch bemühte sie sich, mich anderweitig zu beschäftigen. Ein junger Baron Wildenau dünkte ihr werth, von mir beachtet zu wer den. Sie verflocht uns in ein Gespräch, wozu meine Rückkehr aus Italien und seine früheren Reisen dahin, natürlich Veranlassung gaben. Ohne unhöflich zu sein, konnte ich mich dem nicht entziehen. Der junge Mensch hat überdem so was Ungewöhnliches, das interessirt. Sein dunkles Gesicht zeichnet sich durch Regelmäßigkeit der Züge, und lange, schwarze Augenwimpern aus, die wie ein Schleier das ernste Gesicht beschatten, und zu der stummen Zurückgezogenheit seines Wesens passen. Er spricht leise, bis zur Undeutlichkeit, so daß ich mich ganz zu ihm wenden und anstrengend hinhören mußte, wollte ich nichts von dem verlieren, was er Gutes und Gescheutes sagte. Hierzu kam, daß die Gräfin auf jedes seiner Worte lauschte, sie mit Exklamationen der Bewunderung begleitete, und öfters ihre anderswo [292] beschäftigten Töchter zu gleicher Theilnahme aufrief, weshalb denn der bescheidene junge Mann meist den Blick senkte, und mehr allgemeinhin, als zu mir redete, was der Conversation etwas Drückendes gab. Hierüber hatte ich das, was mir eigentlich viel näher lag, aus den Augen verloren.

Die Tafel ward aufgehoben. Man zerstreute sich in den Nebenzimmern. Die Gräfin hielt mich bald beim Fortepiano fest. Ich sollte ihre Töchter singen hören. Der Baron Wildenau, im ganzen Hause auf vertraute Weise, Leontin genannt, mußte diese begleiten. Er hat Kraft und Weichheit der Stimme, einen italienischen Vortrag, Sinn und Gefühl, so daß ich bei meiner unbegränzten Liebe für Musik unwillkührlich gefesselt ward. Die Gräfin schwelgte in meinem Beifall. Leontin soll ein Stückchen Erbschaft, das ihr entgangen, auf ihr Haus übertragen, deshalb projectirt sie eine Heirath zwischen ihm und einer ihrer Töchter. So lange er nicht Nein sagt, nimmt sie das Ja als entschieden an, und fühlt sich in ihm geschmeichelt. Wie immer, überbot sie sich auch heute im Eifer. Das Singen nahm kein Ende. Zuletzt dachte sie auch an das Talent Anderer. Emma und Elise wurden aufgerufen. Die Letztere fehlte in dem Kreise, der sich nach und nach um das Instrument [293] gebildet hatte. Emma sprang mit einer Eile auf, sie zu suchen, die ich an ihr sonst nicht kenne. Verwundert folgte ich ihr mit den Augen. Sie schlüpfte in eine Fenstervertiefung des nächsten Zimmers. Hugo trat eben aus dieser heraus. Einige Minuten darauf folgten die beiden Frauen. Die Gräfin warf einen Blick des Einverständnisses auf ihre Töchter, alle drei lächelten verstohlen, sie umringten darauf Elise, zogen sie zum Clavier, und hießen sie Emma und Hugo accompagniren. Mechanisch that jene, was man wollte. Sie war weder verlegen, noch bemüht, sich zu verbergen. Ganz mit sich und was in ihr vorging beschäftigt, ließ sie die Finger Töne anschlagen, das Auge Noten lesen, und andere daraus machen, was sie wollten. Emma stand indeß mit Fieberröthe auf den Wangen, hinter ihrem Stuhl; Hugo etwas weiter vor, mehr mit den umzuschlagenden Blättern als dem Gesange beschäftigt, hatte eines der komischen italienischen Duos aufgesucht, das er zu allgemeinem Ergötzen auf das Lustigste vortrug, worin ihn Emma mit einer Selbstverleugnung und Gewandtheit begleitete, die mich einen Augenblick zweifelhaft ließ, was ich hier am meisten bewundern sollte. Von allen Seiten ergossen sich Lobsprüche und[294] schmeichelhafte Ausrufungen. Der Graf verzog den Mund zu einem satyrischen Lächeln, trat dann, wie Jemand, der sein Kunststück gemacht hat und abgefertigt ist, von dem Instrument zurück. Leontin hatte nicht aufgesehen. Es lag etwas in seiner Miene, zu dem ich wohl den Schlüssel haben möchte.

Von jetzt an war es um meine Ruhe gethan. Alle Kunst der Gräfin reichte nicht hin, die Verstimmung, welche immer ansteckender um sich griff, wieder zu entfernen. In den Veilchenaugen der Präsidentin standen Thränen. Sie blieb befangen, ich fand sie weder so anziehend noch so ungewöhnlich, als sie mir geschildert ist. Ich sagte das der Gräfin, als diese mich um mein Urtheil über sie befragte.

»Sie haben recht,« entgegnete sie, »es ist aber auch eine Veränderung mit der Frau vorgegangen, von der man keine Vorstellung hat. Ich glaube,« setzte sie vertraulich hinzu, »es sind häusliche Unannehmlichkeiten, die jetzt manchen Sturm veranlassen. Der Präsident hat ein Bischen den Herrn gespielt, und der Fahrlosigkeit mit dem einzigen Kinde, einem bildschönen, aber unleidlich verzogenen Knaben, ein Ziel gesetzt. Ein strenger Aufseher für Mama und Sohn [295] ist angekommen, und irre ich nicht, so lockt dieser die Thränen aus den schönen Augen.«

»Ach!« entgegnete ich gelangweilt, »es sind nicht die Domesticalien einer fremden Familie, die meine Wißbegier reizen, ich verweile einzig bei dem, was ich sah, darüber darf ich reden, das Uebrige interessirt mich wenig.« »Nun,« versetzte die Gräfin, den Stich verschmerzend, »ich möchte wohl wetten, sie betrachten die Person nicht so angelegentlich um der bloßen Persönlichkeit willen, man denkt immer noch was hinzu, und bei dieser fällt einem Mancherlei ein.«

Sie begleitete das Letzte wieder mit ihrem gewöhnlichen Lächeln. Ich war nur zu gewiß, sie verstanden zu haben.

Elise hatte sich indeß entfernt. Sie eilte nach der Stadt zurück. Auch wir brachen nun auf. Hugo war zu Pferde. Ich sah ihn den Abend nicht mehr. Er blieb auf seinem Zimmer, doch erfuhr ich, daß er mit uns zugleich im Schlosse angekommen war. Es ist Bewußtsein und Ueberlegung in dem Allen, und das ist ein gefährliches Zeichen.

Die Nacht ließ mich schlaflos in meinem Armsessel. Sie wissen, ich scheue bei der leisesten Bewegung der Seele das Bett, wie eine Marterbank. [296] In den Falten der Vorhänge, in den Decken lauern all die hüpfenden, beweglichen Gedanken, die immer dichter, immer näher gegen mich anrücken, und mich zuletzt ganz toll und verwirrt machen, bis ich aufspringe, und ein Lager fliehe, das eingebildete und wirkliche Sorgen mit brennenden Nesseln bestreuen.

Unzähligemale rief ich mir zurück, was ich heute gesehen und gehört hatte. Ich bemühte mich, es ruhig zu betrachten. Es konnte sein, daß ich auf ohngefähre Andeutungen zuviel gegeben, daß ich Zufälliges in falschen Zusammenhang gebracht hatte, es konnte aber auch anders sein. Und was denn? Sagen Sie doch, Sophie! was denn? Ich gestehe Ihnen, es öffnet sich dabei ein Abgrund vor meinen Füßen. Vielleichtdeshalb, vielleicht auch, weil mein Gefühl, mein Stolz, meine ganze Natur widerstrebt, das Demüthigendste, was es giebt, zu denken, denke ich es noch nicht deutlich. Aber, aber! wenn –!

Es ward mir aus Manchem klar, daß ich meinen Verdacht hier sorgfältig verbergen, und eben so unbefangen scheinen müsse, als man es um mich her zu sein bemüht ist. Denn ein Wort, ein einziges Wort reicht hin, das ganze Gebäude künstlicher Harmonie zusammen zu stürzen. Und [297] wenn mein Argwohn grundlos wäre, Sophie! – Im Stillen arbeiten will ich indeß, einen möglichen Ausweg zu bahnen. Ich habe an den Fürsten geschrieben. Selbst mochte ich ihn nicht in seiner Residenz aufsuchen. Ich werde keinen Schritt thun, der in die Augen fallen könnte. Man giebt mir ja in diesem Hause das beste Beispiel rücksichtsvoller Besonnenheit, denn das wenigstens ist gewiß, daß Hugo seine ganze Lebensweise, seit ich hier bin, verändert hat. Denken Sie doch nur, nicht ein einzigesmal hat er das Schloß in dieser ganzen Zeit verlassen. Wie kommt er zu dieser Stätigkeit, wenn er mich nicht irre zu machen gedächte?

Wüßte ich nur, was er die Nächte über treibt. Seine Zimmer sind unter den meinigen. Ich höre ihn stundenlang gehen, die Fenster öffnen und schließen, zuweilen sprechen. Mit wem spricht er? Irre ich nicht, so sah ich ihn neulich über die Brücke dem Walde zuschreiten. O die geheimen Wege haben nur ein dunkles Ziel.


Mehrere Tage darauf.


Der Fürst war hier. Er ging sehr geschickt in das ein, was ich ihm nur andeuten konnte. Eine Jagd in den hiesigen Forsten mußte ihm zum Vorwande seines Besuches dienen. So kam [298] er denn Allen unerwartet, außer mir. Haben Sie eine Vorstellung meines Schreckens? Er weiß, er weiß mehr, als ich zu ahnden wagte. Ja, ja, Sophie! Ihre Freundin steht entlarvt vor der Welt. Jedes Kind kennt ihr Verhältniß zu Hugo. Man lacht darüber, wie man immer den pfiffigen Betrug als einen Gegenstand der Kurzweil betrachtet. Alles in mir glüht! ich habe die witzigen Ausfälle des Fürsten bestritten, weil ich das Ridicul wohl fühle, das auf mich und Emma dadurch fällt. Aber fort muß Hugo von hier! Und wäre es auch nur des Anstandes wegen. Der Fürst sieht das ein. Der Schlag wird nächstens geschehen. Unvorbereitet soll er Alle treffen. Den Comthur denke ich indeß zu schonen. Ich bin begierig auf die Unterredung mit ihm.

Daß ich krank bin, daß ich Zimmer und Bett hüte, denken Sie wohl von selbst. Doch sterben, sterben werde ich jetzt nicht, das darf nicht sein. Tavanelli, der junge Caplan, von dem ich Ihnen einmal schrieb, ist hier, ist im Hause der berühmten Circe. Emma ist seine Beschützerin. Wünschen Sie mir Glück zu dem Funde. Ich will ihn nicht ungenutzt lassen.

Leben Sie wohl. Mein Gott! wie wird das enden!

[299]
Elise an Hugo [1]
Elise an Hugo

Der Einfall, mir durch den Hausirer zu schreiben, war recht glücklich. Ich empfing Ihren Brief zu einer Stunde, wo ich allein war, und Vieles mit mir abmachen konnte. Sie haben recht, da wo ich Sie verstehe. Allein ich glaube, Sie reden klarer, als Sie schreiben. Ich kann mir wohl vorstellen, daß Sie geschriebene Auseinandersetzungen scheuen. Es wird einem damit unter der Hand anders, als man will! für Leute, wie Sie und ich, die nicht anders als wahr sein können, ist eine solche Künstelei unerträglich. Allein halbe Andeutungen können auch eine Sünde gegen die Wahrheit werden.

Ich bin nicht gewohnt, meine Freunde auf Socken um mich herum schleichen zu sehen. Das hilft auch zu nichts. Ich höre sie kommen, und bin nicht eher ruhig, bis ich weiß, was mir naht. Sie, Hugo, treten an manchen Stellen Ihres Briefes dreist genug hervor. Es kann nicht Ihre Absicht sein, mir zu entschlüpfen. Sie wollen sich eine Mühe ersparen, und ich soll Ihre Aphorismen ergänzen.

Ich verstehe das nicht. Mir sind dergleichen Räthsel eine Qual. Kurz und gut, sagen Sie, in einfacher Prosa, ohne Ausrufungen und Phrasen, [300] wie die Gefahr heißt, die Sie heranrücken sehen. Ist sie mehr als ein Luftbild, das in Ihren Burgnebeln schwimmt, so haben Sie unrecht, sich nicht bestimmter darüber auszulassen.

Es ist so viel Fremdes in Ihrer pathetischen Beschwörung, nicht weiter forschen zu wollen, daß ich mich erst auf Sie besinnen mußte, ehe ich Sie wieder erkannte.

Sie waren zu gespannt, als Sie schrieben, um zu bedenken, was Sie forderten. Genügen soll ich mir lassen, daß Sie wissen, was Sie mir verbergen, ohne es abwehren zu können?

Nun, beruhigen Sie sich. Ich weiß es, und verliere weder Fassung noch Muth.

Konnten Sie glauben, man werde mich schonen, wenn man überhaupt den Sinn für Zartheit verläugnet? Wo die Fähigkeit des Verstehens fehlt, können verletzende Mißgriffe nicht ausbleiben. Es ist viel schwerer, als man denkt, mit gutem Gewissen durch die Welt zu kommen. Die Menschen nehmen an Allem Aergerniß, und ein Herz, wie das meine, möchte das gern Jedem ersparen. Aber das ist vergebene Mühe!

Ich bin unbefangen, und gebe mich so. Die Wenigsten wollen das glauben. Es mag auch wohl für alle diejenigen schwer sein, welche Zwecke [301] und Absichten haben. Ich hatte niemals andre, als mir in jedem Augenblicke treu zu bleiben, das heißt, dem innern Gefühle nicht entgegen zu handeln, das mich zu Offenheit und Wahrheit zwingt. Ich sagte das gestern, bei irgend einer Gelegenheit in des Caplans Gegenwart. Er sah mich überrascht an, ohne etwas zu erwiedern. »Nun?« fragte ich, aus guten Gründen bemüht, mich mit ihm zu verständigen. »Ich zweifle,« äußerte er bescheiden, »daß es uns gerade durch das Gefühl klar werden könne, was das eigentliche Wahre in uns sei.«

»Gerade im Gefühl!« entgegnete ich lebhaft, »wo dies unverdorben ist, hat es eine Stimme, die uns leise und hörbar zuruft: du belügst dich selbst! hüte dich!« »Wo das Gefühl unverdorben ist?« wiederholte der bleiche Tavanelli. »Wo ist das? werden unsere Leidenschaften uns nicht auch glauben lassen, wir folgen den Geboten eigenthümlicher Wahrheit, da es doch nur die Lüge geblendeter Sinne ist, die uns eine andere Natur aufzwingt?«

»Ich halte nicht viel,« erwiederte ich kalt, »von den zwei Naturen, zwischen denen man uns herumhetzt, ohne daß das gequälte Gemüth jemals zur Ruhe kommen kann. Das sind Bilder, [302] um die Undeutlichkeit der Begriffe klar zu machen. Es geht damit, wie mit allem Bildlichen, man hält dieses fest, und läßt den Gedanken fahren.« –

»Wie?« unterbrach mich mein Gegner erstaunt. »Sie glauben nicht an ein Doppelwesen in uns, dessen wechselndem Regimente wir erliegen würden, hätten wir nicht eine höhere Vermittlung?« »Sprechen Sie Ihr Anathema nicht all zu eilig über mich aus,« lächelte ich vertraulich. »Ich bin keine so große Ketzerin, um den Einfluß des Bösen und Guten aus der Welt des Menschen wegphilosophiren zu wollen. Allein ich halte dafür, beides entspringe aus einer Natur, die, ihrem Wesen nach, göttlicher Art ist, und nur durch falsche Beziehungen des Lebens verzerrt und entstellt wird.« Er schüttelte den Kopf. »Wäre es auch so,« sagte er ernst, »was sichert uns, daß wir, unter den unzähligen Trugbildern der Sinne, diese ursprüngliche Natur in uns finden?« –

»Wir drehen uns im Kreise herum,« rief ich aus. »Ihre Frage ist schon durch meine erste Annahme beantwortet. Jenes instinktartige Gefühl, das wir den himmlischen Theil unsers Selbsts nennen sollten, das warnende Wort einer [303] unsichtbaren Stimme, das sichert uns vor aller trügerischen Verwechselung.«

Der Caplan wollte mich hier unterbrechen, allein wir verstummten beide vor Eduards Dazwischenkunft. Ihnen aber, Hugo, habe ich das mitgetheilt, um Ihnen zu zeigen, was mich gegen Angriffe stählt, denen Sie nicht sonderlich zu begegnen wissen. Ein Paar schlechte Epigramme aus der Ulmensteiner Klike, eine Wolke auf der Stirne Ihrer Schwiegermutter reichen hin, Sie außer Fassung zu setzen. Sind das Ursachen, um einer Melancholie Raum zu geben, die Sie in der Freundschaft schwankend, in allen andern Verhältnissen schwach und ängstlich erscheinen läßt? Während Sie sich einbilden, die Gränzen einer Region bewacht zu haben, welche Sie meinem schwachen Vermögen anweisen, vergessen Sie, daß Ihr Eifer ziemlich ins Schrankenlose ausartet, und ich viel Muth haben muß, um einen Brief zu beantworten, der so auf Schrauben steht und nichts oder zu viel sagt.

Ich wiederhole es Ihnen, ich bin unbefangen, und gebe mich so. Auf dieser Unbefangenheit beruht mein Vertrauen zu Ihnen, mein Verhältniß zu Ihrem Hause. Zeigen Sie sich ängstlich, so haben Sie mich nie gekannt.

[304] Deutlicher mag ich hier nicht reden. Genug, ich wünsche nicht, daß auch Sie dem ganz Natürlichen künstliche Farben anlegen. Die häusliche Unzufriedenheit, die Sie jetzt wohl zu Zeiten drückt, macht Sie zum Sclaven Ihrer Stimmung. Der Unwille darüber steigert die Empfindlichkeit in Ihnen bis zur Leidenschaft. Ich kann das begreifen und verzeihen. Allein so weit dürfen Sie sich nicht vergessen, daß Sie Emma's Weg durchkreuzen. Sind Sie unbillig genug, ihrer Freiheit zu nahe zu treten, während Sie eifersüchtig über die eigene wachen?

Lassen Sie sie gehen, wie sie kann. Ich verstehe Ihre Unruhe über einen Briefwechsel nicht, der ganz natürlich auf dem Verhältniß gegenseitiger Uebereinstimmung beruht. Wollen Sie den Austausch aller Ansichten hemmen, die nicht die Ihrigen sind, wen nennen Sie denn noch Tyrann in Ihrem Geschlechte, wenn Sie es nicht sind? Ich habe mich geschämt in Ihre Seele, daß Sie eine Zufälligkeit blos darum so hoch anschlagen, weil sie zu ungewöhnlicher Stunde Ihre kranke Phantasie erschütterte. Wie, wenn der hausirende Walter Ihnen heute Abendmeinen Brief eben so unerwartet überbrächte, wäre er auf verbotenem Wege zu Ihnen gelangt?

[305] Emma mag glauben und denken wie sie will, sie hat einen hohen Sinn, und kleinliche Machinationen sind Niemand fremder als ihr.

Fürchten Sie übrigens nichts von Tavanelli. Leute seiner Art, sind entweder bei näherer Beleuchtung anders, als wir sie uns denken, oder dieser ist zu weich und erregbar, um sich in strenger Abgeschlossenheit bewahren zu können. Er wird nie meinen Rechten auf Georg zu nahe treten, und nicht um die Welt, könnte er mich in dem Knaben verletzen. Ich denke, wir werden uns wohl verständigen. Ueber den ersten Schreck hinaus, konnte es auch nicht fehlen, daß mich ein ordentlicher Entschluß zu gewünschten Resultaten führen mußte. Taugte der Mann nur etwas, so ließ sich leicht abnehmen, daß wir auf gemeinschaftlichem Wege einander nicht fremd bleiben würden. Und nun ich Sie gescholten und beruhigt habe, mein armer Freund! will ich Sie auch bedauern, und Ihnen die Last unvermeidlicher Widersprüche tragen helfen, die zu gewissen Zeiten, und in manchen Stimmungen geringern Widerstand als sonst in uns finden. Man kann da mit Niemanden rechten, warum er die Dinge so und nicht anders sieht? Es giebt nur einen Gesichtspunkt für ihn.

[306] Hugo, Sie haben sich selbst bei dem Kauf um Ruhe und Frieden gebracht. Jetzt reuet Sie der Handel; zumal, da man nicht müde werden wird, zu fordern, und Sie doch einmal »Halt!« rufen müssen.

Das kommt von dem gleichgültigen Geschehen lassen. Man wußte es hier gleich, daß der Fürst bei Ihnen war, und fabelt davon allerlei. Können Sie denn nicht einen Augenblick stehlen, um zu mir zu kommen? Ich habe Ihnen tausenderlei zu sagen, was sich nicht schreiben läßt, was ich wenigstens nicht weitläuftig abhandeln mag. Oft sind ein Paar mündliche Worte von unermeßlichem Werthe! Bedenken Sie dieses!

Antwort [5]
Antwort

Oft sind ein Paar mündliche Worte von unermeßlichem Werthe. Ja, Elise, ja, ich habe es bedacht. Sie haben recht. Es ist allerdings nothwendig, daß wir uns sprechen. Ich komme. Aber nicht zu Ihnen, nicht nach der Stadt. Ich kann, ich darf nicht. Ich werde Ihnen das Alles erklären, wenn wir uns sehen. Wann? wo das sein wird? Morgen, Elise, morgen bei [307] der Tannenhäuserin, eine Spatzierfahrt giebt Ihnen leicht den Vorwand. Ich bitte Sie, schlagen Sie Ihrem Freunde den Wunsch, an welchem seine Ruhe hängt, nicht ab. Nur ein Paar flüchtige Minuten sollen Sie mir schenken. Ich muß, hören Sie wohl! ich muß mit Ihnen reden. Sie wissen nicht, wie es hier steht. O, wenn Sie meine Freundin sind, werden Sie anstehen, es mir zu beweisen? Ich zähle auf Sie, und zweifle nicht, Sie bei dem milden Frühlingswetter im Walde zu treffen.

Der Caplan Tavanelli an Leontin

Ihr Schutz, mein lieber Herr Baron, geleitete mich in dies Haus. Ihre wohlwollende Theilnahme half meine Schüchternheit überwinden. Sie sind so gut, ich habe Sie so lieb, daß mich mein Herz treibt, Ihnen eine Schwäche, und meine Angst darüber, zu entdecken. Bester Herr Baron, was ist es doch mit dem Menschen, daß er nicht eine Stunde seiner selbst gewiß sein darf!

Es war so still in mir. Jedes schien auf seinem Platze, in einfacher, natürlicher Verbindung nach erkannten Gesetzen zu wirken. Ich fühlte [308] mich leicht, mit meinem Gewissen in Ruhe. Alle erlittenen Drangsale, die Stürme früher Jugend, die unaussprechlichen Kämpfe des schwachen, ringenden Innern, es trat mir der ganzen Vergangenheit, wie gesunkener Nebel, zurück. Der frei gewordene Himmel, die milde Klarheit um mich her, mein besänftigtes, gestilltes Herz – ich glaubte fest zu sein, weil mich nichts erschütterte, ich hielt mich für einen Andern, weil mein Auge nur die Bilder der Welt sah, in der ich ganz ausschließend lebte. Was ich so vollkommen empfand, was so innig Eins mit mir schien, wie sollte ich ihm nicht gleichen! Welch ein Wahn täuscht so das Bewußtsein!

Seit ich diese Schwelle hier betrat, bin ich in einer Unruhe, die mich von Widerspruch zu Widerspruch treibt.

Ist es der Dunstkreis, dieser einander ganz unähnlichen Menschen, der mich beengt? sind es die Reflexe ihrer Seelen, die in undeutlichen Umrissen meine Phantasie quälen? Was ist's, das in der schöpferischen Fortbewegung, die wir Leben nennen, plötzlich eine Bilderreihe neuer Ansichten an mir vorüberjagt? oder giebt es ansteckende Einflüsse in der moralischen, wie in der physischen Atmosphäre, von denen uns nichts [309] träumt? Genug, ich fühle es mit Schaam, ich bin nicht mehr derselbe. Es steigen Fragen in mir auf, Fragen, lieber Herr Baron, die mehr an die Hölle als an den Himmel gerichtet sind, da sie eine verneinende Antwort erwarten lassen.

Damals, als wir uns in dem Zimmer des Waldhauses befanden, der Herr Graf herein trat, und mit der Landstreicherin seinen Spaß hatte, ward ich auf eine Weise beklommen, als waffneten sich feindliche Gewalten gegen meine Grundsätze und Ueberzeugungen. Es regten sich, mitten durch den Widerwillen gegen verbotene Künste, heimliche Zweifel über den Grund solches Verbotes in mir. Das elende Geschöpf weckte meinen Zorn wie meine Neugier. Ich hörte ihre Worte, ohne sie hören zu wollen. Sie dünkten mir Unsinn, und doch beschäftigten sie mich. Als nun endlich zu meiner Freude der Herr Präsident erschienen, glaubte ich mich gerettet. In seiner Nähe fühlte ich mich ruhiger. Ich dankte meinem Gott aufrichtig, als ich neben ihm im Wagen saß. Er nahm sogleich das Wort, um mir seine Ansichten zu entwickeln. Ich hörte aufmerksam zu, und konnte nicht anders, als sie vernünftig finden. Allein nach einer Weile bemächtigte sich meiner eine mir sonst fremde Ungeduld über die Langsamkeit [310] des Fahrens. Ich sah erwartend in der Gegend umher. Sie dünkte mir traurig. Ich ward es auch. Nicht, daß ich etwas vermißt hätte, ich wollte es nur anders. Bald empfand ich, daß es mein neuer Hausherr war, der mich ermüdete. Ich ward ganz beschämt vor mir selber. Wir redeten von jetzt an nur noch wenig zusammen. Er hatte seine Meinung gesagt, ich hatte sie gehört, damit war er zufrieden. Der Hochmuth flüsterte mir Manches zu, was mir vollends zur Last viel. Als wir nun in der Stadt angekommen waren, und ich vor die Mutter meines kleinen Zöglings trat, empfing mich diese nicht sowohl kalt als mißtrauisch. Das Kind sah mich groß an, ich wußte nicht, wie ich dieser gespannten Verwunderung begegnen sollte. Mir ward unsäglich bange ums Herz, die Worte versagten mir. Wir blieben so. Ich hätte den Abend auf meinem Lager in Thränen zerfließen mögen. Des andern Tages sah ich den schönen Knaben nur flüchtig. Die Eltern gar nicht. Es schien, man wolle sich erst an den Gedanken gewöhnen, mich im Hause zu haben. Ich war damit nicht unzufrieden. Mir lag selbst daran, das verlorne Gleichgewicht wieder zu finden. Ich merkte indeß bald, daß dies nicht leicht sein werde. Denn, gestaltete sich auch [311] späterhin das gegenseitige Verhältniß nach und nach gefälliger, so wuchs gerade daraus der Samen aller meiner jetzigen Qual.

Die gütige und geistreiche Dame, welche von der Natur mit den bewundrungswürdigsten Gaben beschenkt ward, zählt unter diesen, als eine der ersten, die liebenswürdigste Aufrichtigkeit. Von dieser geleitet, eröffnete sie mir, wie sie in Bezug auf mich und meinen Einfluß auf die Erziehung ihres Sohnes denke. Sie hält mit nichts zurück und enthüllt eine Sinnesweise, die ich einerseits verehren, und von der andern Seite verdammen muß. Das Letztere ängstigte mich unbeschreiblich, da ich ihr Vertrauen nicht verscherzen will. Werden Sie es glauben, der Wunsch, ihr gefällig zu sein, ließ mich meine Gesinnungen, wenn auch nicht verläugnen, doch so umhüllen, daß sie nichts geradezu Verletzendes für sie enthielten. Seitdem stehen wir nun auf dem Fuße des gegenseitigen Austausches der Ansichten. Aber, mein Gott! wie fühle ich oft die meinigen angegriffen, erschüttert! Mit welcher Todesangst muß ich dann zu ihrer Wurzel zurück flüchten und mich ganz eng und klein an sie zusammen krümmen, um nur nicht von dem Flug freierer Ideen fortgerissen zu werden. Bin ich in den Zimmern des Herrn [312] Präsidenten, so erhole ich mich wohl wieder, und fühle mich mehr als ein bloßes Werkzeug trockener Systematik. Doch ihr, der beschwingten Psyche gegenüber, im Gespräch mit dem großartigen Ketzer, dem Grafen, regen sich die alten Zweifel, und meine Brust wird der Kampfplatz verderblicher Einflüsse.

Es würde mir wenig helfen, wollte ich mich meinem würdigen Beschützer, dem geistlichen Herrn in *** entdecken. Er pflegt zu dergleichen wenig zu sagen. Seine Art, die Menschen zu führen, besteht vornehmlich darin, daß solche selbst die Wegweiser sind, die Richtung giebt er. Im Uebrigen, meint er, müsse jeder sich selbst versuchen. Er macht auch nicht viel aus Fehltritten, noch sucht er die Unruhe darüber zu beschwichtigen. Meine Bangnisse würden ihm kindisch dünken. Ich sehe ihn gutmüthig darüber lächeln. Wenn mir das einerseits Zuversicht geben könnte, so macht es mich auch wieder schüchtern. Was mir am Herzen liegt, es ganz erfüllt und einnimmt, will ich bestritten oder anerkannt wissen.

Bedächte ich nicht mehr, ich gäbe meine gegenwärtige Stellung auf, und entfernte mich unter einem schicklichen Vorwande. Es ist zudem so [313] Manches hier, was mich wegtreibt. Ich habe auch deshalb schon einmal ganz im Geheim an die Frau Gräfin auf der Burg geschrieben, und sie um ihren Rath gebeten, allein sie macht es, entweder wie unser gemeinschaftlicher Lehrer, dem sie wohl näher stehen mag als ich, oder sie ist verlegen um der Frau Präsidentin willen, und schweigt. Laß ich mir erst lange Zeit, so werde ich unwillkührlich in solche Verbindlichkeiten verstrickt, die mir das Gehen unmöglich machen.

Noch heute kam der kleine Georg weinend zu mir, und bat mich, mit ihm zu seiner Mutter zu kommen, die jetzt immer so betrübt sei und gar nicht spreche; sie werde gewiß wieder vergnügt werden, wenn ich ihr eine von den hübschen Geschichten vorlesen wolle, die da vor mir in dem großen Buche ständen. Er wies dabei auf eine Sammlung heiliger Sagen, die mit schönen Holzschnitten geziert, eine Quelle angenehmer Unterhaltung für ihn waren. Ich wagte nicht, des Kleinen Aufforderung zu folgen. Doch als wir nach der Mittagstafel noch eine Weile versammelt blieben, fragte mich die gnädige Frau nach dem Buche, von dem ihr Georg gesprochen hatte. Ich holte es auf ihren Befehl herbei. Sie blätterte mit Achtsamkeit darin. Darauf schloß [314] sie es wieder, und sagte, indem sie mir es zurück gab: »es geht ein stiller, einfacher Sinn durch diese Gattung von Dichtungen, allein es ist nicht mehr der unsrige. Wir werden davon gerührt, aber nicht befriedigt.«

»Dichtungen!« rief ich ganz bestürzt, »Sie zweifeln an der Aechtheit der Ueberlieferung?«

»Nun, so oder so!« entgegnete sie leicht. »Ob innerlich oder äußerlich erlebt, es sind Erscheinungen einer Zeit, die hinter uns liegt. Wir wenden uns wohl dahin zurück, allein das Leben läßt sich nichts aufbinden. Es hat seine eigene Bedingungen, man schraubt es nicht zusammen. Zum Verweilen findet Niemand mehr Raum da.«

Ich war so erschrocken und verlegen, daß ich sie sprachlos anstarrte.

Sie mochte nicht wissen, was sie aus meinem Schweigen machen sollte.

»Glauben Sie mir,« fuhr sie, vielleicht deshalb lebhafter, fort, »nur das Naturgemäße bewegt sich zu freier und erhöheter Entwickelung fort. Künstliche Zustände der Seele lassen uns, wie bei gezwungenen Stellungen des Körpers, jeden äußern Anstoß fürchten, der dem Spiel ein Ende machen könnte.«

[315] »O!« rief ich, mit vor Schmerz zusammengefalteten Händen, »die Verehrung des Höchsten und Heiligen, das brünstige Hingeben heißer Anbetung ist wahrlich unabhängig von der Farbe der Zeit, und wie die Gemeinschaft der Geister nicht wechselt, und die Liebe nicht altert, so hat auch ihre Sprache eine ewige Jugend; sie darf mich heute wie ehemals in den schlichten Worten rufen, und wird mein Ohr offen finden.«

Die Augen meiner schönen Gegnerin ruhten prüfend auf mir. Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Wir reden nächstens mehr hierüber. Ich bin heute durch Vieles befangen. Ich fühle wohl, was auf Ihre Einwürfe zu antworten wäre, allein ich kann mich nicht zusammenfassen. Es fliegt mir so kraus durch den Sinn. Nächstens! hören Sie wohl, nächstens noch recht viel über diesen Gegenstand!«

Sie sagte dies mit großem Ernst, indem sie sich abwandt, und mich stehen ließ. Ich war erschrocken über meine Heftigkeit. Ich sah ihr verlegen nach. Seitdem kann ich es nicht hindern, daß mir mein leidenschaftlicher Eifer verdächtig scheint. Sie war so ruhig, so fest. Welche von beiden Ueberzeugungen, ihre oder die meine, hat den festesten Grund?

[316] Herr Gott! wenn ich ein Gefangener, kein Geretteter wäre, wenn ich knechtisch unter das Gesetz flüchtete, und nur wähnte, in der Wahrheit zu leben! Ich darf sie nicht fragen, ich werde ganz irre.

Von jeher haben mir die eignen Gedanken zu schaffen gemacht. Ich entschlage mich ihrer gern. Aber hier werden sie so oft und so laut angesprochen, daß es keine Rettung giebt.

Und doch sind es diese Gespräche gerade, die mich nöthigen, zu bleiben. Soll ich verschmähen, mir selbst klar zu werden? Sagen Sie doch, kann ein Feldflüchtiger Anspruch auf die Siegespalme machen?

Lieber Herr Baron, wenn wir einmal wieder zusammen einen Spatziergang durch den Wald machen könnten! Ich bin in diesen Tagen zu der Frau Oberhofmeisterin auf die Burg beschieden. Ich zähle diese vortreffliche Dame unter meine Beschützerinnen. Ihr meine Aufwartung machen zu dürfen, gereicht mir zu großer Ehre. Vielleicht bin ich so glücklich, Sie, mein bester Herr Baron, auf dem Schlosse anzutreffen. Von welchem Trost würde mir Ihr gütiger, beruhigender Zuspruch sein!

[317]
Emma an den Geistlichen [2]
Emma an den Geistlichen

Ich fürchte, ehrwürdiger Herr, ich bin einer warmen Aufwallung des Herzens allzurasch gefolgt. Mich quält der leise Vorwurf, Hugo beunruhigt, ihn unsicher gemacht, ein freundliches, natürliches Verhältniß gestört zu haben. Ich sehe das Hugo an. Er sagt nichts, aber seine Traurigkeit lastet schwer auf mir.

Sehen Sie, es kam so unwillkührlich. An einem von den Abenden, an welchen wir die Ankunft meiner Mutter erwarteten, ich gespannt auf jedes Geräusch horchte, mit Anstrengung sprach und zerstreut zuhörte, lächelte Hugo über meine Unruhe. »Wer Dich so sieht, Emma, der muß glauben, daß mehr Bangigkeit als Freude Deine große Unruhe veranlaßt.« Das Blut stieg mir ins Gesicht. Er hatte den rechten Fleck getroffen. Es fuhr ein Stich durch meine Seele. Leutselig, und vielleicht die flüchtige Aeusserung bereuend, faßte mich der gute Mann bei der Hand, indem er, in mein Auge sehend, auf seine leise und eindringliche Weise fragte: »Was fürchtest Du denn, liebe Emma?« Ich fiel ihm schweigend um den Hals. Mir ward mit einemmale so beklommen. Alles, Alles, was ich mir selbst verschwiegen hatte, sprach mit schnellen Zungen zugleich [318] in mir. Ich war wie betäubt, und weiß auch wahrhaftig nicht, wie es kam, daß ich zuletzt sagte: »Für Dich, Liebster, fürchte ich allein.«

Er ließ mich langsam aus seinen Armen gleiten, ohne etwas zu erwiedern. Die Falte auf seiner Stirn war dunkler. Ich erschrack. »Nimm es nicht so hoch,« bat ich. Er versetzte aber mit großem Ernst: »Wodurch gebe ich Dir denn Veranlassung zur Besorgniß?« Ich empfand so sehr in seiner Seele, daß ich mich sogleich selbst anklagte, und ihn um Verzeihung bat, wenn eine innere Aehnlichkeit mit meiner Mutter, mich zum Voraus errathen lasse, was diese tadeln könne. »Tadeln?« fragte er scharf. »Nun! und das wäre?« »Großer Gott!« rief ich, seine Hände ergreifend, »ich erwähne es nicht, um Dich zu kränken; allein, da einmal die Rede davon ist, und mir ein stiller Augenblick das Herz aufschließt, so soll es wohl so sein, daß Dir nichts darin verborgen bleibe.«

Er ward im höchsten Grade aufmerksam. Näher zu mir heranrückend, sah er mich an, als wolle er mir die Worte von den Lippen lesen. Das verwirrte mich. Ich stockte. Er lehnte sich nun ganz in den Sessel zurück, schlug die Arme [319] über einander, und richtete den kummervollen Blick nach dem Fenster. Jetzt, da ich nicht mehr seinem Auge auszuweichen hatte, fuhr ich mit mehr Muth fort: »Ich berge Dir es nicht, es giebt Stunden, in denen ich die glückliche Elise beneide, der es Gott gegeben hat, Dich auf leichte und gefällige Weise zu beschäftigen.« Es zuckte hier etwas um sei nen Mund, das ich nicht Spott nennen möchte; es war wohl überall nur ein Zucken, vielleicht aus Verlegenheit. »Wenn sich,« fuhr ich fort, »solch selbstsüchtiges Gefühl in mir regt, lieber Hugo! so glaube gewiß, daß es mich beschämt, und ich um keinen Preis Deine Freiheit kränken möchte. Allein –« ich hielt hier inne. Es lag so viel schmerzlicher Ernst in seiner Miene. Tausendmal bereuete ich das Gesagte. Allein, die Saite war angeschlagen. Sie hatte den Ton verstimmt zurückgegeben. So verletzend durfte sie nicht verklingen. »Allein,« hub ich wieder an, »wenn ich Dich auch weit mehr liebe, als mich selbst, und nur froh bin, wenn Du es bist, so kann ich mir vorstellen, daß meine Mutter« – »Aha!« unterbrach mich Hugo, indem er vom Stuhle aufstand, und die Hände auf dem Rücken, mit gesenktem Kopf im Zimmer auf- und abging.

[320] »Mißverstehen wir uns denn heute ganz?« fragte ich betrübt.

Er trat an meinen Stuhl, legte seine Hand auf die meinige, und sagte: »Sei ruhig, Emma! Deine Mutter soll nicht über mich klagen dürfen. Ich verspreche Dir das. Kann es Deinen Frieden sichern, und ihr eine unwillige Minute ersparen, so meide ich alle andere Gemeinschaft, und bleibe, wo Ihr mich haben wollt.«

»Du guter Mann!« rief ich bewegt, »wie kannst Du glauben, daß ich ein solches Opfer von Dir fordere? Nein! gehe, und komme nur. –«

»Nur?« lächelte er ironisch. »Was denn, Emma, heißt Dein nur? bleibe nicht länger, als es uns passend scheint? Spare Dir und mir den Nachsatz. Meinst Du, ein Vogel habe was davon, wenn Du ihm die Thüre des Käfigs aufmachst, ihn flattern läßt, und doch den Fuß in einer Schlinge hältst, und so den Flug regierest? Besser, er sitzt still auf seiner Stange, und vergißt, daß es über ihm ein Luftmeer giebt und muntre Segler, die es behend durchschneiden.«

Ich war wie zermalmt durch die letzten Worte. Was hatte ich gethan? Mußte ich ihn so reizen? so das Verborgene aus seiner Brust reißen? Ich fühle, er müsse, er werde es verwünschen, [321] daß ich es war, die ihn dazu verleitete! sagen ließ sich in diesem Augenblicke nicht wohl etwas. Wir empfanden das Beide. Eine lange, ernste Pause zerriß vollends alle Fäden der Mittheilung unter uns. Die schwüle Stille drückte unaussprechlich auf mich. Hugo verließ das Zimmer nicht. Er ging darin auf und ab. Ich war ebenfalls aufgestanden. Es peinigte mich, ihn so zu sehen und nun doch nicht mehr einlenken zu können.

Er brach zuerst das Stillschweigen. »Eins sage mir,« bat er, »kam, was Du eben äußertest, ganz aus Dir selbst, Emma? oder halfen Dir Andere darauf?«

»Ueber Dich, Hugo, und was Dich betrifft,« entgegnete ich schnell, »sei gewiß, traue ich nur meinem Herzen. Wenn es eitel ist, Dich allein besitzen zu wollen, so vergieb ihm diese zärtliche Schwäche.«

»Besitzen! besitzen!« wiederholte er ein paarmal kopfschüttelnd. »Ihr betrachtet alles wie Eigenthum und Waare. Ich schlage den Menschen höher an, er ist mir eben soviel, als die ganze Welt; ich kenne keinen Kaufpreis für ihn. Doch sei ruhig,« fügte er hinzu, »ich [322] besitze mich zum Glück noch selbst. Du hast Niemand zu beneiden.«

Er wollte hier das Zimmer verlassen. »Sage mir ein gütigeres Wort!« rief ich ihm flehend nach. »Du solltest mich nicht so verkennen. Wenn ich Dir meine Schwäche bekannte, so geschah es nur, weil ich sie auch bei Dir voraussetzte, und Dir ersparen wollte, dadurch verhetzt zu werden.«

»Ich danke Dir,« sagte er, einen kurzen Augenblick zu mir zurücksehend. »Ich kann mir denken, wie alles steht, und werde auf meiner Huth sein. Verlaß Dich darauf.« Er ging. Ich sehe nun wohl, daß er sich gerade da gekränkt fühlt, wo er unangefochten zu bleiben verlangt; eifersüchtig bewacht er die innere Freiheit. Er hält mich für anmaßender, als ich bin; das gerade verzeiht er mir am Wenigsten. Ich habe dies voreilige Vertrauen schon mit heißen Thränen beweint. – – – –


Mehrere Wochen darauf.


Seit meine Mutter hier ist, lebe ich in einer Spannung, die mich innerlich aufreibt. Wo sollte ich anfangen, wollte ich Ihnen, mein lieber, lieber Freund! alle die tausend Uebergänge quälender [323] Besorgniß, trügerischer Freude und herber Enttäuschungen aufzählen!

Sie wissen, wie ich das Alles voraussehe. Aber, lieber Gott! man sieht doch nur im Allgemeinen! Das Einzelne wird erst durchs Leben geboren.

Je regsamer dies von allen Seiten um mich wird, je drängender nahen sich Gefahren, denen nicht mehr auszuweichen ist.

Nein, nein, es giebt hier keinen Ausweg! Ein jeder führt zu dem Opfer meines Herzens. Ich hatte längst diese Ueberzeugung.

Hugo liebt! liebt zum erstenmale. Urtheilen Sie, von welcher Stärke eine Leidenschaft sein muß, die seiner Herr war, ehe er sie noch ahndete.

O! ich habe es immer gedacht! Wenn sich diese Brust einmal einem Einzigen öffnen könnte, es würde eine Sonne darin aufgehen, vor der die kleinen Monde der Erdennacht in sich verdämmern müßten.

Ich kann Ihnen nicht in Ordnung erzählen, ehrwürdiger Herr, was sich Alles hier zugetragen hat. Es kam nach und nach, und war dann mit einemmale da. Anfangs schien meine Mutter ruhig. Hugo wich nicht aus der Burg. Sie [324] hatte das Ansehen, als genüge ihr das. Ich nahm es so. Wir glitten beide über unsere wahre Empfindungen weg. Mir war dabei innerlich so unheimlich, daß ich es nicht aussprechen kann. Hugo's stetes Verweilen drückte mich wie die schwerste Last. Die ausgelassene Laune, mit welcher er sich zu Zeiten überbot, preßte mir im Geheim Thränen aus. Indeß entging meiner Mutter nichts. Ein Paar unselige Stunden im Hause der Gräfin Ulmenstein gaben den Ausschlag. Bald darauf machte uns der Fürst einen Besuch auf der Burg. Hugo lächelte. Er empfand schnell, was dies bedeutete. Ich sah ebenfalls meine Mutter von Weitem kommen. Uns nahte ein entscheidender Schlag. Indeß standen wir Alle, wie unter einer Gewitterwolke, stumm, gespannt, unser Geschick erwartend.

Da trat eines Morgens Hugo mit einem Brief in der Hand zu mir herein. Sein Gesicht kündigte mir etwas Ungewöhnliches an. Die Unruhe, in welcher ich seither lebte, gab dem Geringfügigsten eine Bedeutung. »Was hast Du da?« fragte ich hastig, indem ich meine Hand nach dem Brief ausstreckte. Ich hatte wohl unwillkührlich die Farbe gewechselt und mochte ängstlich [325] aussehen. Hugo's scharfer Blick setzte mich in Verlegenheit.

»Was ich da habe?« sagte er kalt. »Ein Bote hat Nachts das Schreiben für Dich abgegeben.«

Ich hatte keine Ahndung von seinem Inhalte. Die Handschrift war mir nicht sogleich erinnerlich.

»Vom Caplan Tavanelli!« berichtigte Hugo meinen Zweifel, da er sah, daß ich die Addresse mehrmals las.

»Von Tavanelli?« wiederholte ich, indem ich das Siegel erbrach. »Was kann der wollen?«

»Das mußt Du wissen!« war die etwas spöttische Antwort.

Nicht ohne große Bangigkeit überflog ich die eng geschriebenen Zeilen. Leider ergoß sich der junge Mann in bittre Klagen über das Peinliche seiner neuen Verhältnisse. Er zeichnete mit scharfen Strichen, und verweilte hauptsächlich bei dem verderblichen Einflusse der ansteckenden Freigeisterei von Seiten der Präsidentin. Wie dieser Brief war, konnte ich ihn Hugo nicht mittheilen. Ich legte ihn daher mit den Worten bei Seite: »Sie verstehen dort einander noch nicht recht. Der Caplan ist unerfahren und deshalb ängstlich.«

[326] »Sie werden sich niemals verstehen,« versetzte Hugo obenhin. »Das war zu denken.«

»Ich meinte es gut!« erwiederte ich, vielleicht ein wenig empfindlich.

»Du meintest etwas anders!« bemerkte Hugo, »und dachtest nicht richtig.«

Ich war betroffen durch seinen spitzen Ton. »Ueberhaupt,« fuhr er fort, »sind Einmischungen der Art, Eingriffe in die Rechte Anderer. Es ist Eitelkeit und Vorwitz, das Steuerruder lenken zu wollen, wenn das Fahrzeug seine Richtung schon genommen hat.«

Ich erschrack, daß mir die Thränen aus den Augen strömten. In demselben Augenblick wurde Hugo ein großgesiegelter Brief, den ich sogleich für einen fürstlichen erkannte, eingehändigt. Er riß ihn auf. Dann brach er in lautes Lachen aus, und verließ, ohne weiter etwas zu sagen, mein Zimmer.

Seitdem sind mehrere Tage verflossen. Er beobachtet das tiefste Stillschweigen. Meine Mutter verläßt das Zimmer nicht. Mich sieht und spricht sie nur flüchtig. Der Comthur hat allein freien Zutritt bei ihr.

Ich stehe wie auf Kohlen. Fragen kann ich [327] Niemand. Ich fürchte die Antwort; und von selbst spricht Niemand frei zu mir.

Gott! Gott! wodurch habe ich Hugo's Zutrauen verscherzt! Er glaubt mich gegen ihn verbündet; er hält absichtlich mit etwas, das ihn ärgert, gegen mich zurück.

Um das Maaß meiner Unruhe voll zu machen, muß die arme Elise am Hofe eine Kränkung erfahren haben. Die Stadt ist voll davon. Hugo und mein Name werden dabei genannt. Der junge Wildenau war hier. Ich hörte ihn mit dem Oheim auf einem Spatziergange im Garten angelegentlich davon reden, ohne daß ich das Nähere deutlich verstehen konnte noch wollte.

Werfen Sie aus Ihrem hellen Himmel einen Blick in meine verworrene Welt, und sagen Sie mir bald, wie ich es anfange, klar und beruhigend für Andere zu denken und zu handeln. Was hilft es, fände ich auch mich selbst ganz und vollständig wieder, kann ich den geliebten Mann nicht zufrieden stellen!

[328]
Elise an Hugo [2]
Elise an Hugo

Nein, ich wanke nicht, verlassen Sie sich darauf. Ich kann Vieles aufgeben, nur mich selbst nicht. Was einmal Wurzel in meiner Seele schlug, das verwächst mit ihr, und ist ewig wie sie! Ich habe keinen Begriff von einer Freundschaft, die den Umständen weicht.

Was ist, das ist! Die Welt kann davon nichts ab, nichts hinzu thun. Diese freilich wird jetzt eine andere für uns.

Wie dem Erdbeben die Bewegung lebloser Körper vorangeht, so höre ich um mich jenes dumpfe Dröhnen, das innere Zittern und Anklingen, was mit heimlicher Geschäftigkeit auf Zusammenbrechen der Form hinarbeitet.

Es ist sehr unheimlich in meiner Welt geworden, Hugo! Sehr unheimlich!

Ich fasse es oft nicht, wie der heitre, frische Lebensbach mit seinen hüpfenden, leicht bewegten Wellchen plötzlich solch dunkler Strom werden konnte.

Und dabei ist nichts geschehen. – Kein Umsturz der Verhältnisse, keine Erschütterung des Daseins hat an dem Bestehenden gerüttelt.

Alles blieb, wie es war. Nur das Leben! [329] das Leben, ist auf unbegreifliche Weise anders geworden.

Sagen Sie mir, haben Sie den Schlüssel zum Geheimniß? Bin ich denn ganz verblendet gewesen? Bin ich es noch, daß ich nicht sehen kann, was Andern so großes Aergerniß giebt? Mein Gott! liegt denn die Idee innerer Harmonie so tief, daß sie die Leute nicht finden können? Müssen sie ihre kleinen, geselligen Bedingungen dem unterlegen, was in sich bedingungslos ist?

Wäre ich eine phantastisch Ueberbildete, ich könnte glauben, von künstlichen Netzen umsponnen zu sein. Aber, meine ganze Natur ist dem fremd. Ich athme nur frei, wo ich Wahrheit finde. Und gäbe es eine andere Wahrheit für mich, wie für diejenigen, welche mich richten?

Man beschuldigt mich, einen Raub an Emma begangen, Sie dieser entrissen zu haben. Es fehlt nicht viel, so wirft man mich mit allen müßigen Thörinnen in eine Klasse, und macht Gefallsucht und Eitelkeit zum Hebel eines Einverständnisses, das wahrhaftig ohne Wissen und Willen da war, ehe an seine Existenz gedacht ward.

Giebt es denn auch Klausen und Zellchen für die Geister, daß sie einander nicht nahen [330] dürfen? und ist um jedes Hauses Heerd eine geheiligte Schranke gezogen, die selbst des Himmels Macht nicht sprengen soll? Es verschlüge mir wenig, Thoren darüber schwatzen zu lassen, aber auch gute Menschen, solche, die mir zugethan sind, fällen ein hartes Urtheil. Sie wissen, welche Veranlassung die Zungen löste! Es hat mir wehe gethan. Und wie Eduard darunter leidet! Gott! der Mann, dem die Stimme der Welt viel mehr, als die des eignen Herzens gilt, wie schwer erträgt er die Ueberzeugung, diese gegen mich zu wissen.

Auch hat er in vielen Stücken recht. Es ist nicht gleichgültig, wie wir zu den Menschen stehen. Ich fühle das sehr gut. Es ist schon eine Weile her, da schrieb mir Sophie, diese bedeutungsvollen Worte, welche ich damals weit entfernt war, auf mich zu beziehen.

»Der Ruf ist darum so heilig,« sagte sie, »weil er den Weg zum menschlichen Vertrauen bahnt oder verschließt.« Sehen Sie, man mag sich dem Angewöhnenden gegenüber so oder so stellen, man steht nicht mehr unbefangen und frei.

Ich sagte das Eduard. Er ist billig genug, es einzusehen. Zum Glück bot der erwachende Frühling einen schicklichen Vorwand, die Stadt zu [331] verlassen. Wir sind nun hier auf dem Lande. Es war eine traurige Rückkehr, Hugo! Das Haus sieht so nüchtern aus den unbelaubten, kaum erst knospenden Bäumen hervor. Die Zimmer sind unfreundlich, der Gartensaal ist noch nicht zu bewohnen, Blumen und Staudengewächse bleiben vor der Hand in den Treibhäusern ein geschlossen. Als wäre aller Schmuck von dem Leben abgestreift, gehe ich an den leeren Gestellen, zwischen kahlen Brettern einher, und suche den Herbst mit seinen langen, glühenden Abendlichtern, dem goldenen Blätterdach und purpurnen Wolkenbergen. Wie reich war die Natur! welche Fülle des Daseins strömte die warme, lieblich scheinende Sonne zuletzt noch in unsere frohen Herzen! Als ich jetzt hier eintrat – ich sank in den nächsten Stuhl und weinte, weinte ohne aufhören zu können. Ich habe auch meiner Seits versprochen, Sie nicht hier zu sehen, Hugo!

Welch' wahnsinnige Gewalt übt der Mißverstand über die Freiheit Anderer aus! Und zu was? Ich könnte über die Täuschung lachen, daß es nur die Hohlspiegel der Augen sind, die einen Gegenstand sehen! Aber ich lache nicht mehr. Es bedeutet mir nichts Gutes. Ich lachte [332] im vorigen Herbst so viel, und nun hat die junge Frühlingssonne solchen blassen, fahlen Wasserring!

Mein allerliebster Georg kränkelt seit einiger Zeit. Er kann den Caplan nicht gewohnt werden. Der fremde, schüchterne Mann ängstigt das arme Kind unbeschreiblich. Wenn er zu ihm gehen, bei ihm bleiben soll, schlägt das liebe kleine Herz so bange und heftig, daß ich weinen möchte. Und doch ist Tavanelli gut mit dem Knaben. Er verzärtelt ihn fast zu sehr. Was ist es denn, das die Liebe hier erschreckt und nicht rührt? Weshalb zieht sich die unbestochene Natur davor zurück? Ach, es bleibt zu wahr, auch die himmlischen Mächte reden nur durch irdische Organe zu uns, und was diese bedingt, und wie sie uns fremd oder verwandt berühren, davon hängt Verstehen oder Mißverstehen ab.


Einige Tage später.


Hören Sie, Hugo, hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe! Meine Seele ist voll davon. Es war eine erschütternde Stunde! fast zu gewaltig für das beschränkte Erdenleben! Aber, Ruhe! Ruhe! Sie sollen Alles wissen. Sie vor Allen, müssen es erfahren.

So lassen Sie sich denn erzählen: Georg [333] schien mir kränker. Er sah erhitzt aus, und war ungewöhnlich aufgeregt. Ich erschrack. Eine Krankheit geliebter Menschen, steht gleich wie ein Unglück bringendes Gespenst vor mir. Ich nahm das unruhige Kind in meine Arme, trug es auf mein Bette, suchte es durch Lieblingsgeschichtchen zum Schweigen, vielleicht auch zum Schlafen zu bringen.

Bei zugezogenen Vorhängen, bei einer kleinen Lampe setzte ich mich auf den Rand des Bettes. Ich erzählte langsam und flüsternd, alte, tausendmal wiederholte Histörchen. Es war fast ganz dunkel um uns. Der Kleine nahm die Bilder mit in seine Träume, und schlummerte, mit halbgeschlossenen Augen, eine Weile fort. Allein sein Schlaf war unruhig. Er warf sich hin und her, sprach, nannte fremde Namen, schrie hell: »Tavanelli! fort! fort!« lachte dann wohl dazwischen, kurz, erfüllte mich mit Todesangst. Ich weckte ihn. Er blieb in dem nämlichen Taumel. Ich schickte jetzt eilig nach der Stadt zu Eduard, zum Arzt. Indeß vergingen ein paar Stunden auf dieselbe Weise. Den Caplan hatte ich gleich anfangs entfernen müssen. Seine Nähe reizte den Unwillen des Kindes. Neun Uhr Abends war unter wachsender Besorgniß herbeigekommen. Ich [334] lauschte am Fenster auf den rückkehrenden Boten. Da fuhr ein Wagen in den Hof. Der Vater! dachte ich, mit dem Doktor! In der Erwartung öffnete ich leise die Thür, und trat in den Vorsaal. Ich hielt die Lampe in der Hand. Ihr schwacher Schein erhellte nur einen kleinen Theil des Gemachs, doch gerade den, in welchem ich den Eintretenden entgegen sah. Urtheilen Sie von meiner Ueberraschung, als Emma mit schnellen Schritten auf mich zueilte.

Ich weiß nicht, war es Verlegenheit oder Ueberspannung des Geistes? daß ich in demselben Augenblicke ausrief: »Wie gut, daß Sie kommen, Sie finden mich in großer Bestürzung.« Ich habe nachher über die Worte, und was ich damit meinte, nachgedacht. Als ich sie sagte, wußte ich nichts davon. Sie gingen mir wie ein Seufzer über die Lippen.

Emma schloß meine Hände in die ihrigen. Weich und seelenvoll, wie ein Engel, entgegnete sie: »Ich habe es schon draußen gehört, Georg ist krank. Arme Elise! Und gerade, nun sie hier auf dem Lande sind!« Ich sagte ihr, daß ich nach Hülfe geschickt hätte. Wir waren indeß zurück an das Bett des Kleinen getreten. Sie beugte sich über ihn. Ich hielt die Lampe so, daß[335] sie dem Kinde ins Gesicht sehen konnte. Sie blieb eine Weile in der Stellung; darauf erhob sie sich, ohne etwas zu sagen, aber ihr Auge fiel mit einem Blick auf mich, in welchem ich deutlich las: »So reich bist Du, Glückliche! und dennoch!« Es durchlief mich heiß vom Scheitel bis zur Zehe.

Wir setzten uns auf einen kleinen Sopha, ganz im Winkel, nahe bei Georg.

»Ich komme zu einer unbequemen Stunde?« brach Emma endlich das Schweigen. »Aber,« fuhr sie fort, »man muß die Zeit nehmen, wie sie sich uns giebt.«

Sie hielt inne. Vielleicht erwartete sie meine Antwort. Allein mir zog sich die Brust beklommen zusammen. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Jetzt saßen wir mit verschlungenen Händen einander so nahe, rings um uns die unsichere Dämmerung. In meinem Herzen, Sorgen um mein Kind, überall ängstliche Erwartung, ich fand keinen deutlichen Gedanken in mir. Ich drückte ihr leise die Hand. »Liebe Elise,« sagte sie, »vielleicht sollte man gewisse Dunkelheiten im Leben nicht aufklären wollen. Man zerreißt mit dem Nebel wohl noch mehr, als diesen.«

»O nicht weiter!« flüsterte ich ängstlich. »Jetzt nicht! in diesem Augenblicke, wo ein einziges [336] Gefühl mich mit so großer Bangigkeit erfüllt!«

»Fürchten Sie denn,« lächelte Emma sanft, »ich wolle etwas anders, als uns Allen Ruhe schaffen? Mein Gott! ich würde gewiß schweigen, aber wir sind in eine allzugroße Verwickelung hinein gerathen, und es hilft wenig, daß Jeder heimlich und allein seinen Weg geht. Dadurch werden uns Vertrauen und Zuneigung vollends getödtet.«

»Liebe!« unterbrach ich sie. »Wäre von Anfang mehr Vertrauen unter uns gewesen, dies könnte jetzt nicht so unbegreiflich erschüttert sein.«

»Ich glaube es selbst,« entgegnete sie nachdenkend. »Aber was hilft es, darauf zurückzukommen. Jetzt müssen wir rasch vorwärts eilen, um über die hemmende Stelle hinwegzuschreiten. Ich, ich will die Erste sein,« sagte sie leise und schneller als zuvor, »die Erste, die das entscheidende Wort spricht. Ich weiß es, ich weiß es besser, daß Sie Hugo liebt, daß diese Liebe seine Brust durchströmt, daß er keine Stelle in sich findet, wo er verweilen, ja nur stille stehen kann. So soll es mit ihm nicht bleiben, wir beide dürfen ihn nicht in Ungewißheit über sich, über uns lassen. Was ihn reizt und ängstigt, das falle [337] weg! meine Ansprüche an ihn, Elise! die Vorstellung davon, wir müssen sie durch gegenseitiges Einverständniß wegräumen. Ich will, mein Gott! ich will Euern Bund nicht stören, ich nicht dazwischen treten. Oeffnet mir Eure Herzen, seid frei und wahr mit mir. Ich habe eine Seele, Euch zu begleiten, stoßt mich nicht zurück, zerreißt Euch selbst nicht!«

Sie hatte sich aus der halbliegenden Stellung aufgerichtet. Unangelehnt saß sie fast knieend vor mir, die gefaltenen Hände hoben sich, während sie sprach, öfters leise in die Höhe, die Worte folgten einander mit beschwörender Hast. Es war nicht Leidenschaft, es war Seelenangst, die aus ihr redete. Ich war so erschüttert, daß ich unter einem Strom von Thränen an ihre Brust sank. Werden Sie es glauben, Hugo! es fehlte mir an aller Fähigkeit, ihr zu antworten. Sie mißdeutete das, sie sah in meinen Thränen das schweigende Bekenntniß dessen, was sie voraussetzte. In dem Sinne fuhr sie fort, in mich zu dringen. Die innere Qual gab mir endlich Worte. »Liebe, Gute,« rief ich lebhaft, »lassen Sie doch einen Wahn, der ja alles Unglück anrichtete, nicht so ausschließend über sich herrschen. Es ist nicht, wie Sie denken, es ist ganz anders. [338] Sie sahen es auch früher so. Verwandtes Begegnen, Gewohnheit, sich gerade auf gewisse Weise verstanden zu fühlen, Ineinanderschlingen des Gedachten und Empfundenen, Sie wissen, wie hieraus Vertraulichkeit, Theilnahme entsteht. Hugo braucht es, sich vielfältig mitzutheilen. O könnte die Welt das so sehen, hätte sie nichts anders sehenwollen

Emma achtete gespannt auf jedes meiner Worte. »Wenn Sie sich nicht täuschen, liebe Elise,« lächelte sie fast heiter, »so bin ich doch gewiß, daß Sie mich nicht täuschen wollen. Es wäre möglich,« fuhr sie nach kurzem Besinnen fort, »daß sich Alles verhält, wie sie sagen. Wir verwickeln uns so oft in Irrthümer. Ich habe es wohl auch schon gedacht. Aber« – seufzte sie – »Hugo! was drückt ihn so zu Boden?« »Der Despotism des Mißtrauens,« fiel ich schnell ein. »Die engen Rücksichten, in welche ihn dieser hineintreibt, er findet hierin eine unerträgliche Anmaßung.«

»Sagte er Ihnen das?« fragte sie schwermüthig. »Ja!« entgegnete ich, im Begriff noch mehr hinzuzusetzen, als sie ausrief: »Weshalb Ihnen? wenn er mich nicht aufgab! Erwartet er nur durch Sie den Trost, den er bei mir [339] nicht sucht?« »Sie sind ungerecht, Emma,« fiel ich ein. »Vergessen Sie, daß er sich durch Sie mißverstanden glaubt?« »Hat er auch von mir verstanden sein wollen?« fragte sie. »Nein, nein, so durchaus bloßer Wahn ist es nicht, was unsern Frieden stört!« setzte sie eilig hinzu. »Deshalb eine Bitte. Versprechen Sie nur das Eine, kein Geheimniß in Bezug auf Hugo für mich zu haben. Ich fordere auch nicht, daß Sie ihm Eins aus meinem Anliegen machen, denn ich bin Willens, dasselbe Gesuch an ihn zu richten. Können Sie, wollen Sie das? so bin ich ruhig, und Sie dürfen es ebenfalls sein, wie auch der äußere Gang der Dinge gehen möge.«

Hugo, ich habe es versprochen, und werde dies Wort nur mit meinem Leben brechen.

Wir brachten nachdem nur noch wenige stumme Minuten mit einander zu. Die Ankunft des Arztes erinnerte mich erst, daß Georg die ganze Zeit sanft geschlafen hatte, daß meine Sorge übertrieben, und der Zustand des Kindes nicht so beunruhigend war, als ich fürchtete.

Emma's Anwesenheit versetzte Eduard späterhin, der nun auch gekommen war, in die beste Laune; und so hat dieser Engel ein Licht zurückgelassen, das noch meine Einsamkeit erhellet. [340] Georg ist wieder wohl. Ich danke dem Himmel, und sehe still zu, wie sich die Erde allmählig vergrünt und der volle Strom des Daseins durch alle Adern des Lebens quillt!

Hugo, die Menschen mögen es anfangen, wie sie wollen, das Lebendige lebt fort! Was kümmert uns das Uebrige!

Die Oberhofmeisterin an Sophie! [1]
Die Oberhofmeisterin an Sophie!

Was ich wollte, ist geschehen. Schlag auf Schlag ist gefallen, und Alles steht wie es stand! Ich bin erschöpft. Eine höhere Hand muß hier Ordnung machen. Mein Einfluß ist zu Ende!

Und wie sie sich betrügen, wie Einer den Andern, wie jeder sich selbst täuscht!

Wenn die Leute erst von der Welt in ihrer Brust, dem Schwunge und dem Umfange ihrer Empfindungen faseln, dann bin ich gleich fertig. Das ist freilich eine fremde Region! Da untersteht sich kein vernünftiger Mensch mit spatzieren zu gehen.

Emma ist so gut in die Höhe geschraubt, wie Alles, was den bahnlosen Schwärmern anhängt. Ich höre ihr oft mit Staunen zu, mit [341] welcher ehrlichen Miene sie uns die unsinnigsten Lügen auftischt.

Freundschaft! Freundschaft! das ist hier das dritte Wort, und Keiner, wette ich, weiß, was das Wort in sich faßt.

Die heitre, klare, unbegehrliche, immer empfängliche, immer thätige Gemeinschaft der Seele, gleicht diesem hypochondrischen Versinken, der eifersüchtigen Scheu, dem schwärmerischen Selbstbespiegeln, wie Sonnenschein und Gewitterluft.

Sie haben sich verständigt, heißt es, sie sindruhig! Aber das ist eine Ruhe, die an künstliche Einschläfrungsmittel erinnert, und nicht eine Spur von lebendiger Wahrheit in sich trägt.

Die Spannung war auf das Höchste gestiegen. Der Knoten zog sich immer enger zusammen. Lange konnte die Absichtlichkeit, durch die man mich, durch die man sich selbst zu täuschen bemüht war, nicht mehr dauern. Da machte ein Antrag des Fürsten, indem er Hugo zum Gesandten an unsern Hof ernannte, dem Spiel ein Ende. Unverstellt brach jetzt die Leidenschaft hervor.

Stolz und wegwerfend bezeigte Hugo seine Verwunderung über die lächerliche Wahl, forderte Emma, forderte mich durch unerträgliche Sarcasmen heraus, riß mich zu offner Erklärung hin, [342] schlug ziemlich trocken das Anerbieten aus, und bewaffnete dadurch Hof und Stadt gegen sich und Ihre Freundin. Die Letztere mußte dies am Geburtstage der Fürstin Mutter erfahren. Die strenge Frau empfing sie bei der Morgencour mit beleidigender Verwunderung, indem sie sagte: Sie habe erwartet, es werde sich ihr an diesem Tage kein trübes Gesicht nahen wollen, und ein heiteres dürften ihr die nicht zeigen, über welche soviel schmerzliche Thränen flößen. Sie wandte sich bei diesen Worten ab, indem sie sich gegen eine nahe stehende Dame laut äußerte: »Man hört nichts als beunruhigende Neuigkeiten von dem Schlosse des Baron, dem alten Comthur. Das hat der Mann davon, einen Undankbaren zu sich heraufzuziehen!«

Der Auftritt machte unglaubliches Aufsehen. Der Fürst litt in der Seele des Präsidenten. Es that ihm auch um des äußern Anstandes willen leid. Er wollte es wieder gut machen. Er näherte sich Elise. Seine Mutter rief ihn in diesem Augenblicke zu sich. Sie sprach lebhaft mit ihm. Kurz darauf entließ sie die Versammlung. Die Schwergekränkte hielt standhaft aus. Ihre stille und gesammelte Haltung imponirte für den Augenblick Allen. Sie blieb, und war die Letzte in den [343] fürstlichen Sälen. Dann entfernte sie sich langsam, am Arme ihres Mannes, mit dem man sie gelassen, scheinbar gleichgültig sprechen sah. Doch diese glückliche Gegenwart des Geistes hinderte nicht, daß der Stab über sie gebrochen, und sie gezwungen ward, unter einem schicklichen Vorwand die Stadt zu verlassen.

Sie kennen mich zu gut, um nur einen Augenblick glauben zu wollen, daß ich mich an der Kränkung der Unglücklichen weidete. Einmal, bin ich nichts weniger als boshaft! und wäre ichs auch, so müßte ich doch dies Verletzen aller äußern Sitte schon darum tadeln, weil es unpolitisch ist, die Meinung theilt, das Mitleid in Anspruch nimmt, und denen, welche im Recht sind, das Ansehen des Unrechts giebt. Emma fühlt dies wie ich. Sie verdoppelt ihren Eifer, Elise mit jedem Tage zu verbinden. Die Intimität beider Häuser ist völlig hergestellt. Der Präsident sieht darin eine Art Ehrenerklärung für seine Frau, wie es überhaupt das Ansehen hat, den ganzen Vorfall bei Hofe den Faseleien einer kindisch gewordenen alten Dame zuzuschreiben, wodurch wir, als glückliche Ausbeute bei dem ganzen Handel, die Genugthuung genießen, die [344] gefährliche Feindin unserer Ruhe recht oft hier zu sehen.

So weit sind wir nun! – Das sind die Resultate meines Hierseins! O Sie haben recht, ganz bestimmt recht! zum Laufen hilft nicht schnell sein. Am allerwenigsten bringt man eine Sache ins Klare, wenn man darin rührt. Ich habe auch meine Hände zurückgezogen. Ich sehe zu. Aber Sophie, ich sehe, ich sehe! Sein Sie gewiß, mir entgeht nichts. Es wird schon der Tag kommen, wo ich werde hervortreten und sagen können: »Das war es! wißt Ihrs nun?«


Einige Tage später.


Das fehlte noch! Emma ist krank! nicht bedeutend, nicht gefährlich, aber immer genug, um mich unsäglich zu beunruhigen.

Dahin mußte es kommen? wenn ihr Zustand schlimmer würde? wenn – wenn – Gott! mein Gott! laß mich deine Hand nicht schwerer fühlen, als ich tragen kann! Sie werden wieder denken, ich übertreibe, ich sehe mit leidenschaftlichem Blick, Emma habe vielleicht nur flüchtig geklagt. – Nein, nein! Sie hat gar nicht geklagt! Das ist es ja eben. Wüßte sie zu sagen, was ihr fehlte, man könnte helfen. Aber so![345] Der Arzt meint, ein wenig Ruhe stelle das Gleichgewicht wohl wieder her. Ruhe! – Ein armes, kleines, leicht über die Lippen gleitendes Wörtchen, und welche Tiefe und Höhe himmlischer und irdischer Bedingungen faßt es zugleich in sich!

Wer ist ruhig in dieser Welt des Unbestandes? Wer darf sagen, er sei es, wenn er nur irgend etwas auf Erden liebt? Emma, und ruhig sein! Wenn sie da liegt, nicht fort kann, nicht fragen, an nichts außer sich Theil nehmen darf, und er sich im Kahne schaukelt, Wasserhühner schießt, die Wolken ziehen, und den Abendstern über dem Hause des Präsidenten aufgehen sieht, hinüber rudert, zwischen Schilf und Calmus im Versteck liegt, und die schlaue Circe belauscht, die niemals ohne den Knaben und Tavanelli erscheint, aus dem sie auch einen Esel, oder noch ein ärgeres Thier gemacht hat. Nun, Gott sei dem Verstande der Menschen hier gnädig! Ich fürchte, auch den meinigen zu verlieren. Wüßten Sie, Sophie, was ich jetzt weiß! Wie es hätte anders kommen können! wie glücklich Emma, wie zufrieden ich jetzt wäre, wenn der unselige Badeaufenthalt uns Hugo nicht zu geführt hätte! –

Dieser Leontin, von dem ich Ihnen schon [346] einmal schrieb, der ernste, bescheidene, entschlossene junge Mann, er liebt, ich zweifle nicht einen Augenblick länger, er liebt meine Tochter. Eine Mutter ist hierüber selten im Irrthum, und er ist zu arglos, zu rein, um außer sich selbst noch irgend Jemand zu täuschen. Wie anders bewacht er indeß sein Gefühl, als Hugo! Nur selten erlaubt er sich den Zutritt in diesem Hause, und reitet er auch fast täglich hier vorüber, so lenkt er doch stets nach Ulmenstein hin, als folge er nur einem verwandtlichen Zuge. Die Meisten nehmen es auch so, doch ich errieth ihn, und er fühlte es!

Gestern war es, da kam er in großer Unruhe herauf zu mir. Er hatte von Emma's Unwohlsein gehört. Blaß, erschüttert vom raschen Ritt, die feinen Lippen kaum zu einer bangen Frage geöffnet, stammelte er, mit abwärtsgewandtem Blicke, erzwungen gleichgültig: »Hoffentlich doch Alles unbedeutend? – nichts als ein vorübergehendes Uebel – so hörte ich wenigstens,« setzte er leiser, fast unverständlich hinzu. Ich beruhigte ihn, doch ergriff mich der bloße Gedanke an die Möglichkeit einer Gefahr so unwiderstehlich, daß ich mit den Worten: »Es wäre ja auch zu schrecklich!« in meinen Sessel zurücksank, [347] das Tuch vor die Augen drückte und in Thränen zerfloß.

Er blieb mir gegenüber lautlos stehen. Ein gewisses Wiegen seiner schlanken Gestalt, der zurückgezogene, furchtsame, auf mich geheftete Blick sagte mir, als ich wieder zu ihm aufsehen konnte, daß er meine kummervolle Bewegung in schmerzlicher Angst begleitete. Er äußerte kein Wort weiter, allein er blieb so leise, so weich, so innerlich; sein ganzes Betragen gegen mich trug das Gepräge eines wehmüthigen Geheimnisses. Ich ergriff seine Hand mit Herzlichkeit, als könne ich ihm sein Mitgefühl nicht genug danken. Er schien überrascht. Es flog wie ein Strahl über seine Stirne, die Lippen zuckten, allein, dabei blieb es. Er ließ meine Hand an der seinen abgleiten, er sagte nichts, er schien sehr betroffen, eine Thräne, eine einzige, rollte langsam über sein marmorbleiches Gesicht. – O Gott! er hätte Emma anders zu würdigen gewußt!

Ich darf das nicht denken. Ich mag es auch nicht denken! Und doch! Der Mensch hat mir einen sonderbaren Eindruck zurückgelassen. Wie er nun, nach einer fast stummen halben Stunde, zögernd ging, und noch im Hofe eine Weile an [348] dem Steinbrunnen in sich gekehrt stand, dann sein Pferd am Zügel führend, in seinen weißen Mantel gehüllt, so groß und schlank, und wie fast alle Hochgewachsene, etwas gebeugt, den Bergpfad entlang ging, erinnerte er mich an Bilder pilgernder Kreuzritter. Die Mühen des Lebens lasteten auf dieser Gestalt, aber der Blick kannte das Ziel, und der Fuß ging den Weg mit festem Tritt.

Schlafen Sie wohl, Sophie! Ich bin von ganzer Seele betrübt, was soll ich Ihnen sonst noch sagen? –

Rosalie an ihre Mutter

Erlaube, liebe Mama, daß ich Dir diese flüchtigen Zeilen noch vor Deiner Ankunft in der Stadt entgegenschicke.

Ich war kaum mit unserer guten, alten Schweitzerin in das Haus getreten, und hatte, wie Du es befohlen, einen Blick auf die neue Einrichtung der Zimmer geworfen, deren Beurtheilung Du meinem Geschmack anvertrautest, als schon eine Menge Menschen, die Licht in den Fenstern sahen, herbeirannten und wissen wollten, [349] ob wir angekommen wären? Du kannst Dir wohl denken, daß ich Niemand annahm, außer Deinen nächsten Bekannten, zu denen der gute Hofmarschall ja von jeher gehört. Ich schreibe Dir hauptsächlich seinetwegen, denn es drückt mir das Herz ab, was er mir alles in den wenigen Minuten sagte. Denke Dir, daß die Fürstin Mutter es so unglaublich vernünftig von uns findet, die Trauer so lange gehalten und nicht eher den ländlichen Aufenthalt verlassen zu haben. Sie hat öffentlich darüber gesprochen, Dich als gescheute und pflichtvolle Frau gerühmt, und versichert, sie sei im Voraus überzeugt, uns vollkommen gut erzogen zu finden. Als der Hofmarschall das bestätigte, sagte sie: »Es ist nur Schade, die hübschen Kinder werden uns nicht lange bleiben. Das Vorzügliche wird immer gesucht. Solche Mädchen verheirathen sich bald. Ich möchte sie hier fixiren.«

Und nun stelle Dir vor, darauf hat sie den jungen Baron Wildenau genannt, der ihr kürzlich vorgestellt ward, indem sie hinzusetzte: »Ich hoffe, er wird so viel Verstand haben, und mit meinen Augen sehen.«

Du kannst wohl glauben, liebe Mama, daß ich an so etwas weiter nicht denke; aber lachen [350] würde ich doch, wenn der steife, unentschlossene Leontin auf diese Art zu einer Erklärung gezwungen würde.

Apropos! von Leontin, und was damit zusammenhängt. Es ist doch außerordentlich, wie lächerlich die Leute werden, wenn sie etwas Besonderes sein wollen. Du kannst Dir nicht vorstellen, was man sich hier Alles über die fortgesetzte Freundschaft der beiden Nachbarhäuser sagt. Ich kann es Dich nur errathen lassen, denn es zu wiederholen, erlaubt die Schicklichkeit nicht. Hätte sich die gute Präsidentin doch mehr mit ihrer Toilette beschäftigt, als mit den albernen, romanhaften Grillen! Was helfen der sentimentalen Närrin nun Verstand und überspannte Gefühle? Sie bekommt nie wieder Gewicht in der Gesellschaft. Ich für meinen Theil bin gewiß, daß ich nicht in ähnliche Thorheiten verfallen könnte. Wer bescheiden von sich denkt, der ist leicht befriedigt.

Adieu, liebe Mama! Ich küsse Dir die Hand. Es ist doch fatal, daß die Tante uns nichts vermacht hat. Die kleine Französin war heute früh hier. Sie hat mir wunderschöne Ballroben und himmlische Blumen gezeigt. Ich verwies [351] sie auf Deine gränzenlose Güte. Wenn Du erst hier bist – nicht wahr, sie darf wiederkommen?

Deine Rosalie.

Der Comthur an Sophie

Sie wollen es von mir hören, geliebte Sophie, was eigentlich für Ihre und meine Freunde zu fürchten sei? Ach! leider Alles! denn sie stehen auf einem Krater, und kein warnendes Anzeichen macht sie aufmerksam. Möchte das entscheidende Wort Ihr weiches Herz, theure, unvergeßliche Freundin! nicht härter treffen, als es meine Liebe ertragen kann. Sie wollten es hören. Aus meinem Munde, sagten Sie, werde es Ihnen weniger verletzend klingen. Glauben Sie das? Wie wehe muß es uns beide thun, auf den Trümmern unsers Glückes, wieder nur Trümmer aufgeschichtet zu sehen.

Es ist Niemand dadurch reicher geworden, daß ich arm blieb. Doch, weg mit den eigennützigen Rückblicken! Es reicht hin, das Gewissen gerettet, die Absicht einer ehrwürdigen Institution unverletzt erhalten zu haben. Erfolge sind nicht zu berechnen! Glauben Sie mir, oft muß [352] sich alles vereinigen, um einer Handlung, welche die Welt nicht verstand oder verstehen wollte, noch in ihren Folgen den Krieg machen zu können. Gehört das zu der speciellen Prüfung des Handelnden? oder liegt es in der Natur des auffallenden Schrittes überhaupt, daß jede Handbreit Weges erkämpft sein will? Vielleicht beides zugleich; denn eine reine That muß sich vielfach bewähren, um mit dem eigenen Bewußtsein zurecht zu kommen.

Ihnen, Sophie! mag ich es nicht bergen, daß ich große, innere Anfechtungen zu erdulden habe.

Wenn ich die sonderbare Richtung bei Hugo, im Widerspruch mit dem Bestehenden des Lebens, so bis zur Unnatur leidenschaftlich losbrechen, ihn rechts und links nur zerstören, und nichts an die Stelle setzen sah, als Scherben und Splitter, wenn ich es ihm anfühle, daß es ihm auch nur um diese Siegestropheen der Willkühr zu thun ist; dann sage ich mir: das ist der ätzende Bodensatz bitterer Gährung. Der gekränkte Vater, die betrübte Mutter, das bewegte Jugendleben, das hat den Stolz entflammt, den weichen Sinn gehärtet, den ganzen Menschen zu einer Waffe der Selbstvertheidigung geformt! Hätte [353] ich das einmal Geschehene seinen Gang gehen, es sich mit der Zeit fortbewegen lassen, es ist kein Zweifel, diese hätte mit neuen Ansichten auch neue Gründe gefunden, das Verletzte zeitgemäß und natürlich zu ergänzen. Mein Bruder wäre im Besitz des väterlichen Erbes geblieben, so lange ich nicht protestirte. Er lebte vielleicht noch, und hätte es erlangt, sich mit spätern Agnaten über die Stiftungsacte des Majorats zu vereinen, denn es wiegen sich momentane Vortheile sehr schnell gegen spätere Ansprüche auf. Der Mensch der Gegenwart hält es gewöhnlich mit dem Sprüchwort vom Sperlinge in der Hand und den zehn andern auf dem Dache. An historische Existenz denkt und kann der nicht denken, dessen augenblickliche bedroht ist.

So würde sich dann auf andere Weise gestaltet haben, was jetzt auf Umsturz hinarbeitet, und über kurz oder lang zerfallen muß. Denn es ist keine Frage, was ich that, einer frivolen, selbstsüchtigen, gewissenlosen Richtung entgegen zu wirken, hat diese nur gefördert. Hugo ist das Kind empörter Elemente. Er steht gewaffnet gegen mich auf, und wird das Recht, welches die Jugend gegen das Alter mit so leichter Scheinbarkeit behauptet, aufbewahren. Meine [354] Tage sind ihrem Ende nahe, der neue Tag, der mit ihm beginnt, führt keine wohlthätige Sonne herauf. Ich ahnde das Ungewitter und die Ausbrüche vulkanischer Gährung, die das lang Bewahrte, langsam Geschaffene, in raschen Stößen zerstören werden.

Bei dem Allen ist es mein Trost, nach innigster Ueberzeugung festgestanden, und dem gemäß, der Gefahr entgegengetreten zu sein.

Es bleibt mein Trost, sage ich, es ist der wiederkehrende, beruhigende Gedanke, wenn tausend Erschütterungen mich von allen Seiten fassen und mein Herz zerdrücken, meine Seele zerreißen.

Sehe ich auf meine nächsten Umgebungen, was erblicke ich? den Neffen, den Erben meines Namens, meiner Güter, den Sohn meiner Wahl, trocken, kalt, von einer Leidenschaft verzehrt, welche allen Erwartungen seiner Freunde zu spotten scheint. So geht er an dem Leben hin, als habe es keinen Theil an ihm. Und Emma? die schöne, starke Seele, sinkt ermattend in sich zusammen. Ruht sie nur aus von den Kämpfen, oder lastet die Erde zu schwer auf ihr, und kann sie sich nicht mehr frei machen von der harten Decke? Ist es wirklich vorbei für diese Welt? Sie scheint es zu glauben, mit fast an Stumpfheit [355] gränzender Abspannung, läßt sie geschehen, was sie allein noch hindern könnte. Seit sie schwach und matt das Zimmer hütet, kümmert sie sich wenig um Dinge, die außerhalb vorgehen. Sie hat das Ansehn, Niemand zu vermissen, und bemerkt es kaum, daß Hugo ganze Tage außer dem Hause zubringt. Uns Alle ängstigt diese Gleichgültigkeit. Die Mutter setzt sie in Verzweiflung. Der Arzt sagt wenig dazu. Hugo scheint nicht zu wissen oder nicht zu glauben, daß man anders als vor Alter sterben könne. Und kennt er auch gefährliche Krankheiten, so ist ihm doch das Kranksein zu fremd, um seine Bedeutung recht einzusehen.

Kurz, es ist unmöglich, Ihnen, liebste Sophie! einen Begriff von den peinlichen Widersprüchen zu geben, die hier einander durchkreuzen. Die Spannung wächst täglich. Die einzige Vermittlerin schweigt. Umstände und Leidenschaft werden den entscheidenden Schlag herbeiführen. Halten Sie sich bereit, geliebte Freundin! uns auf den ersten Ruf zu Hülfe zu eilen. Ich bin gewiß, daß der Augenblick nicht mehr fern ist.

Gestern, in aller Frühe, hat Tavanelli dem Prior drüben bei den Remonstratensern gebeichtet.

Es war noch dunkel, als er sich an dem [356] Klosterthor zeigte. Der Pförtner glaubte einen Wahnsinnigen vor sich zu sehen. Mit sonderbarer Hast, mit unstätem, verwildertem Blick forderte er Einlaß. Er gab vor, ein Kranker verlange geistlichen Beistand. Hierauf wurde ihm geöffnet. Nach einer Weile sah man ihn, in Begleitung des Sacristan, nach der Kirche gehen. Nicht lange, so folgte der Prior. Dieser blieb geraume Zeit mit dem Jünglinge im Beichtstuhl verschlossen; als Tavanelli den Rückweg späterhin antrat, lagen Bangigkeit und Zerknirschung auf seinem todtbleichen Gesicht. Seitdem ist er schon zweimal an Emma's wie auch an meiner Thüre gewesen, ohne gleichwohl Zutritt zu finden. Ich hege eine Scheu vor ihm, wie vor allen überspannten Menschen, die sich in Momenten der Exaltation nicht angehören, und Worte über ihre Lippen fliegen lassen, die sie vielleicht späterhin mit ihrem Leben zurückkaufen möchten.

Zum Glück hat die Oberhofmeisterin nichts von jenen wiederholten Besuchen erfahren. Sie schlief noch, oder war spatzieren gefahren, als der Geistliche hier war. Ich habe ein Vorgefühl von dem, was er uns bringen will! Aber wenn es das ist – wenn das Unglück einmal auf dem [357] Wege zu uns ist, werden wir hindern können, daß es irgendwo bei uns eindringt?

Ich schreibe Ihnen mit mehr Unruhe, als weise, mit mehr Unwillen, als recht ist. Ich weiß nicht, wen ich bei der allgemeinen Verwirrung eigentlich tadeln soll? und deshalb bin ich mit Niemand zufrieden. Auch nicht mit mir. Ich verehre, ich bewundere Emma, ich beweine ihr Geschick; doch kann ich nicht aufhören, mit zärtlicher Hinneigung an Elisen zu denken. Ich würde die Hand zu lähmen wünschen, die es versuchte, einen Stein gegen sie aufzuheben. Und doch, wenn ich die Thränen der Mutter sehe, wenn ich an Emma's Bett sitze! –

Gott allein ist hier Richter. Wir wollen schweigen und zum Handeln bereit sein. Deshalb, meine Sophie! lassen Sie Ihren Freund nicht vergebens bitten. Eilen Sie, so bald Sie können, größerem Uebel vorzubeugen. Elise bedarf Ihrer, so viel ist ausgemacht. Sie kennen ja ihren arglosen Trotz gegen die Meinung der Welt. Was sie in dieser Stimmung zu thun im Stande ist? welche Veranlassung sie müßigen Lauschern geben könnte, mit ihr, uns Alle zu verderben? Beste! Liebe! eilen Sie, eilen Sie zu uns!

[358]
Leontin an Tavanelli

Ich suchte Sie gestern Abend in Ihrem Zimmer auf. Sie waren nicht darin. Doch stand es offen. Mehrere Papiere flogen mir vom Boden entgegen. Ueber den Stuhl vor dem Schreibtisch hing ein abgeworfener Rock. Hut und Handschuh fand ich hier und dorthin geschleudert, der Spatzierstock lag quer über dem Sopha, alles trug die Spuren einer Unachtsamkeit, die ich sonst nie an Ihnen bemerkte. Es fiel mir auf, daß die Leute im Hause von Ihrer Abwesenheit nicht unterrichtet waren, da sie mich hierher zu Ihnen gewiesen hatten. Die Vermuthung, Sie vielleicht unten im Garten zu treffen, entstand nun ganz natürlich in mir. Ich ging, und kam bis an die Bucht am See, ohne einem Menschen begegnet zu sein. Hier spielte, zu meiner großen Verwunderung, Georg mit einer Ziege, die er von seinem kleinen Wagen losspannte, und sie Gras fressen ließ. »Wo ist Dein Freund Tavanelli? Kind!« fragte ich, ahndend, daß Sie in der Nähe sein müßten. Der Kleine antwortete erst gar nicht; später, als ich meine Frage wiederholte, sagte er gleichgültig, ohne von seinem Spiele aufzusehen: »Tavanelli? Ja, das weiß ich nicht. Der läuft immer umher.« »Und Dich, [359] armes Kind!« sagte ich, »läßt er so allein? Es ist ja fast schon dunkel, bekümmert sich denn Niemand um Dich?« »Um mich braucht sich auch Keiner zu bekümmern,« entgegnete er zuversichtlich. »Ich ziehe die Liese hier in den Stall, und dann gehe ich auch zu Bett. Das ist immer so!« »Immer so?« wiederholte ich, »und Deine Mutter weiß –« »Ach!« lachte Georg, »die weiß von gar nichts, die glaubt, der Caplan ist bei mir, aber der denkt nicht an mich!«

»Komm,« sagte ich, »wir wollen zu Deiner Mutter gehen.« »Da könnten wir schön laufen, ehe wir die fänden,« versicherte Georg, indem er sich halb unwillig von mir losmachte. »Mutter,« fuhr er fort, »geht alle Abend am See. spatzieren, und manchmal fährt sie auch im Kahn auf dem Wasser.« »Wer sagt Dir das?« unterbrach ich ihn schnell. »Tavanelli!« erwiederte er, als wenn sich das von selbst verstände. »O! der ist manchmal so böse, so böse, wenn sie gar nicht wieder nach Hause kommt. Er rennt durch alle Zimmer und schilt, und ächzt! Ich höre dies bisweilen wohl, wenn es auch so aussieht, als schliefe ich.«

Ich ließ das Kind nicht weiter die Geheimnisse des Hauses ausschwatzen. Ich mischte mich [360] in sein Spiel, ging mit ihm nach dem Stall, und blieb so lange bei ihm, bis er schläfrig ward, worauf ich ihn dann der Sorgfalt eines Bedienten überließ, der wohl beauftragt war, sich seiner anzunehmen

Aber Sie Unglücklicher, wohin führte Sie der eigennützige Wunsch, sich selbst genügen zu wollen? Kommt es auf Ihre Ruhe an, wenn Sie die Pflicht, für die Ruhe Anderer zu sorgen, übernehmen? Was gehen Sie fremde Irrthümer an? Genügt es nicht, das zarte Gefühl, dem Sie Ihr Streben widmeten, davor zu bewahren? Und weshalb erschrecken Sie vor Anfechtungen, die Ihnen nicht fremd sind? deren Schlingen Sie sehr wohl kennen? Glauben Sie ein Heiliger zu sein? Hofften Sie wirklich, der bloße Entschluß reiche zur gänzlichen Umwandlung hin? Mit sonderbarem Stolz finden Sie sich durch den Andrang menschlicher Widersprüche empört. Es dünkt Ihnen unbegreiflich, daß sich dergleichen bis zu Ihnen wagen. In der verlegenen Entrüstung darüber, durchkreuzen Sie den Kampfplatz mit feiger Scheu, ohne einem einzigen Feind ins Gesicht zu sehen.

Ja, ich schelte Sie feige, denn nur in dieser[361] schlimmsten Krankheit des Geistes entdecke ich den Grund Ihrer lahmen Willenskraft.

Wo suchen Sie ein Schild, fest genug, den zaghaft Zitternden zu schützen?

Sie haben es weggeworfen, Tavanelli! Es lag Ihnen ganz nahe. In der Liebe und Thätigkeit für das Kind, das man Ihren Händen anvertraute, fanden Sie Ihren Beruf; da, da hätten Sie eine Brustwehr gegen jede Gefahr gehabt. Jetzt –? Sehen Sie auf das, was Sie thaten. Sie haben Gift in die kleine Seele geworfen. Es wird nachwirken, verlassen Sie sich darauf.

In das Kloster zu dem Prior flüchten Sie, und beichten. Was beichten Sie denn? Auch die Sünde, die Sie in dem Augenblick begehen, da Sie sich selbst untreu werden? das Kind verlassen? die Zunge des Gesindes beflügeln, den Ruf der Mutter preis geben? O! zurück, zurück in Ihre Kammer, auf den Knien vor dem, der überall ist, der Ihren Muth beflügeln, Ihren Willen stählen kann. Halten Sie aus, Tavanelli! der Friede ist bei Gott. Auf Erden ringen seine Streiter. Hier giebt es keine andere Ruhe, als in der Zuversicht heiligen Ausganges. Ich wiederhole es Ihnen, weichen Sie nicht [362] von Ihrem Platz. Es ist die höchste Pflicht, damit nicht noch größeres Unglück geschehe.

Ich weiß nicht, welche Unruhe ich dieserhalb hege. Ihr Zimmer – das Kind – der Garten – es hat mir den allerpeinlichsten Eindruck gelassen.

Könnten Sie doch fühlen, daß Sie nicht der einzige Unglückliche auf der Welt sind! Es giebt Schmerzen! Schmerzen! – Aber ich klage nicht! Die nächste Stunde kann die entscheidende sein, und diese fordert denganzen Menschen in all seiner Kraft! Erwägen Sie das, und halten Sie aus.

Elise an Hugo [3]
Elise an Hugo

Wir haben uns, wir haben Emma betrogen. Ich dulde den Vorwurf nicht in meiner Seele! Ein rasches, offnes Geständniß soll die großmüthige Frau zu unserer Richterin machen. Durfte ich es mir bekennen, daß ich Sie liebe, Hugo! konnte ich es Ihnen gestehen, so habe ich keine zweite Demüthigung zu scheuen. Mein Gott! war es möglich? trägt das Leben solches Gift in sich, daß die allereinfachsten, natürlichsten [363] Beziehungen, die harmloseste Mittheilung, die ruhige Freude angenehmen Umganges, ein Netz um uns spinnen konnten, in dem Alles, bis auf den Willen, frei zu sein, gefangen ist?

Ich verstehe weder Sie noch mich, noch was wir beide empfinden! In diesem dumpfen Schwindel hege ich keinen andern Wunsch, als daß Emma wisse, wie mir ums Herz ist. Morgen, heute kann ich nicht mehr zu ihr dringen, morgen liege ich auf meinen Knien vor ihrem Bette, und beschwöre sie, mir zu glauben, daß ich unwissend fehlte!

O Hugo! Hugo! wo ist mein heiterer Muth, mein klarer, fester Blick! Ich bin gefangen, und keine Macht der Erde spricht mich frei!

Antwort [6]
Antwort

Uebereilen Sie nichts. Der Augenblick ist unpassend. Emma leidet. Die Seele ist so abhängig vom Körper! Warum sie durch unvorgesehene Stürme aufs neue erschüttern? Und wozu? Was ist es denn, das Sie ihr sagen wollen? Fürchten Sie nicht, durch laute, bestimmte Worte dem Geheimniß in sich zu nahe zu treten? [364] Zittern Sie nicht, die Wahrheit zu verletzen, indem Sie durch ihren Schein das Gewissen hintergehen? Können Sie sagen: »so ist! so war es!« ohne zu empfinden, daß es ganz, ganz anders war? Läßt sich der Hauch des Lebens, der Athem der Seele, wie ein Ding fassen, das man halten und geben kann, wie das Bedürfniß der Verständigung es fordert? – Es ist vergebens! Sie werden Emma nichts entdeckt haben, wenn Sie gleich Ihr Herz vor ihr entblößen, und sie zwingen, das strafende Auge verletzend darauf zu richten.

O Elise! wollen Sie denn gleich den Frost strenger, kalter Erörterung auf die Blüthe eines neuen Daseins werfen? Ich verstehe Sie, ich verstehe Sie vollkommen. Aber Sie täuschen sich! Es geht nicht! Die Sprache giebt den Begriff wohl wieder, doch das Unbegreifliche durchdringt uns, wie der Strahl des Lichts! Er ist überall, und weder das Bewußtsein, noch irgend eine Kraft des Geistes vermag das Unaussprechliche unentweiht in die Gränzen der Anschauung zu zwingen.

Warten Sie wenigstens noch einen Tag, ehe Sie Ihr Vorhaben ausführen. Ueberlegen Sie, was Sie thun wollen. Zähmen Sie den unruhigen [365] Durst, sich in einer ungewöhnlichen Aufopferung zu genügen.

Ich komme, Elise. Ich bin diesen Abend mit dem Kahn an Ihrem Garten. Eilen Sie, eilen Sie, dem Geschick die fliehenden lieben Stunden abzustehlen! Gegen acht Uhr Abends bin ich bei Ihnen. Gute, liebe Elise! Verwickeln Sie Ihren freien Sinn nicht in jene nachschleppenden, hinkenden Gedanken, die das Gefühl lähmen und den Wunsch doch nicht tödten können. Sein Sie auch diesmal die starke, kräftige Frau, die sich selbst ihre Bahn zeichnet!

Tavanelli an Leontin

Zu spät! Zu spät! Ihre Warnung verfliegt in den Wind! Ich kann nichts ungeschehen machen. Ich darf es auch nicht. Sie wissen nicht, was Sie fordern. Sie kennen die Qualen nicht, die mich foltern. Sie werden es auch nicht fassen, wenn ich Ihnen sage, daß, um Elise zu retten, ich sie verderben mußte. Ja, sie muß zeitlich untergehen, um ewig zu leben. Niemand liebt sie, wie ich sie liebe. Niemand! Ich habe mein Herz mit tausend Pfeilen durchstochen. Auch das ihrige wird bluten. Aber Gott weiß, es geht nicht [366] anders! Meine Füße tragen mich nicht mehr, und doch muß ich unstät umherlaufen, bis! – Er kömmt gewiß! Walter bringt ihm diese Zeilen. Heute Abend – o ich zittre an allen Gliedern! Gottes Gericht ist fürchterlich.

Leontin an den Arzt

Säumen Sie nicht eine Sekunde. Fliegen Sie, wenn Ihnen der Wunsch, ein Leben zu retten, Flügel geben kann!

Kaum athmet noch der schöne, liebe Knabe. Sein guter Engel führte mich ans Ufer, ehe es auf immer um ihn geschehen war.

Aber es ist vielleicht nur das letzte Zucken des Daseins! Ewiger Richter im Himmel! laß dies das einzige Opfer sein! Ich fürchte, auf der Burg wird diese Nachricht den Ausschlag geben! Ja, ja! finsterer Tavanelli, Gottes Gericht ist fürchterlich!

Der Comthur an Sophie [1]
Der Comthur an Sophie

Bleiben Sie, arme Sophie, bleiben Sie, wo Sie sind. Hier können Sie Niemanden mehr nützen.

[367] Emma hat mit ihrer Mutter die Burg in einem Zustande verlassen, der ihr die Fähigkeit nahm, über sich selbst zu bestimmen.

Dahin ist es gekommen! Ich tadle Niemand! Der Fall war von der Art, daß er ein Gemüth, wie das der Oberhofmeisterin, zum Aeußersten treiben mußte.

Was soll ich Ihnen weiter sagen? Alles ist entdeckt, der Riß geschehen! Eine geschickte Hand könnte wohl zusammenhalten – aber Leben giebt nur Leben, und das ist an der Wurzel erschüttert.

Erlassen Sie mir den peinlichen Bericht des Geschehenen. Mir widersteht die gewaltsame Verwüstung ruhig geordneter Verhältnisse. Ich wende mich betrübt davon ab, um soviel als möglich nicht wieder darauf hinzusehen. Unser Freund, der Arzt, übernimmt es, Ihnen alle Umstände eines Vorfalles mitzutheilen, bei welchem sein Beistand von mehr als einer Seite in Anspruch genommen ward. Er rede, wenn ich schweigend in mich selbst zurücktrete und hier die Welt aufsuche, in der wir, Liebste, unzertrennlich bleiben! –

Der Arzt zur Fortsetzung. – Am Mittwoch Abend saß ich am Ruhebett der Frau Gräfin. Ich fand ihren Zustand besser. Wir redeten [368] von gleichgültigen Dingen, als mir ein Billet mit dem Zusatze eingehändigt wurde: der Reitknecht sei beauftragt, mir sein Pferd zu überlassen, um mich schneller nach dem Landhause des Herrn Präsidenten zu bringen, woselbst dringende Gefahr meine Gegenwart nothwendig mache.

Ich erschrack um so mehr, da mich ein flüchtiger Blick auf die ersten Worte des Schreibens ein Unglück ahnden ließ. Dies, und die große Reizbarkeit meiner theuren Kranken bedenkend, bemühte ich mich, mit so viel Gleichmuth, als mir nur zu Gebot stand, meinem schnellen Aufbruch durch die Aeußerung, daß man drüben sehr ängstlich sei, das Beunruhigende zu nehmen. So stand ich noch ein paar Minuten neben der Frau Gräfin, die Finger an ihren Puls gelegt, als ich diesen stocken fühlte, und sie die eiskalte Hand losmachend, krampfhaft die meinige mit den Worten umschloß: »Ich beschwöre Sie, halten Sie sich nicht mit mir auf. Ich bin ja ganz wohl! aber dort, – Sie werden sehen – es ist gewiß etwas Entsetzliches vorgefallen.«

Ich wollte ihr das ausreden, aber sie ließ mir keine Zeit dazu. »Um Gotteswillen!« rief sie, indem sie aufstand und mich bis zur Thüre begleitete, »verlieren Sie keine Zeit.«

[369]

Ich folgte ihrem Befehl. Wie ich indeß die Thüre öffne, tritt mir die Frau Oberhofmeisterin mit ganz verstörtem Gesicht entgegen; und, lebhaft wie sie ist, auch wohl in dem Gedanken, daß ihre Tochter im Hintergrunde des Zimmers nichts von dem hören könne, was hier gesprochen werde, flüsterte sie eilig: »Bleiben Sie, drüben kommen Sie ohnehin zu spät, das Kind ist todt; und hier sind Sie nöthig, Hugo ist verwundet. Gehen Sie zu ihm!«

Ein heller Schrei, und ein Fall dicht hinter mir, ließen es außer Zweifel, daß die unseligen Worte von der Gräfin gehört wurden. Ich befand mich in der schrecklichsten Verlegenheit. Wohin nun zuerst meine Schritte lenken! Ich wandte mich nach dem Zimmer zurück, als die gebieterische Dame mit einer Fassung, die mich in Verwunderung setzte, schnell entschied: »Diese überlassen Sie mir. Zu ihm müssen Sie hinunter, und mich sogleich wissen lassen, ob Gefahr zu fürchten ist?«

Ich flog nach des Grafen Cabinett. Im Hause herrschte die größte Bestürzung. Aus einzelnen, flüchtigen Aeußerungen der Leute, die sie mir so im Vorbeigehen zuwarfen, faßte ich schnell den traurigen Zusammenhang des ganzen [370] Ereignisses. Ich trat deshalb mit einiger Befangenheit zu dem Verwundeten hinein. Er lag in einem Winkel des Sopha's, den einen Arm auf mehrere, über einander gethürmte Kissen ge legt. Er hatte den Rock abgeworfen. Das Hemd und ein starkes um den Arm gebundenes Tuch trieften von Blut. Es war Niemand sonst im Zimmer. Der Blutverlust schien mir sehr groß zu sein, ich rief daher unwillkührlich erschrocken: »Herr Gott! in welchem Zustande finde ich Sie!« der Graf fuhr aus seinem Kissen in die Höhe. Er sah entsetzlich bleich aus. »Was wollen Sie bei mir?« fragte er unwillig. »Mir fehlt nichts! Mit dem Ritz da,« fuhr er, verächtlich auf den Arm deutend, fort, »werde ich bald fertig werden.« Als ich gleichwohl Miene machte, die Wunde näher zu besichtigen, widersetzte er sich sehr bestimmt, versicherte, der Dorfbarbier könne das auch heilen! ich solle nicht länger ein Leben auf das Spiel setzen, an welchem so unendlich viel liege. Er riß bei diesen Worten, in fieberhaftem Zorn, den Verband vom Arme, und mir in der That nur eine bloße Fleischverletzung zeigend, klingelte er, um den berufenen Chirurgus eintreten zu lassen. Da ich nun sah, daß hier für mich nichts zu thun war, begnügte ich mich, die Frau Oberhofmeisterin [371] über den Zustand des Grafen zu beruhigen, und eilte unter tausend bangen Ahndungen zu dem nachbarlichen Landsitze.

Die Sonne war schon hinter die Berge. Das rothe Abendlicht durchschnitt den Himmel in langen Streifen. Es war schwül und still in der Luft. Man hörte nichts, als das schrillende Säuseln der Aehren in den Kornfeldern und das Gezirp der Heimchen.

Mir schlug das Herz immer ängstlicher in der beklommenen Brust. Einzelne Arbeiter, die auf das Gerücht eines Unfalles, ihr Tagewerk verlassen hatten, um zu sehen, was es gäbe, kamen jetzt zurück, Geräth und Kleidungsstücke aus dem Felde abzuholen. Sie sahen betrübt aus und wiederholten Alle dasselbe. Das Kind der Herrschaft drüben sei verunglückt und für todt aus dem Wasser gezogen worden. Es müsse wohl einer daran Schuld sein, den man sich nicht zu nennen getraue. Es wäre großer Zank und Streit darüber entstanden, und viele wollten sagen, es seien zwei Schüsse gefallen. Wer geschossen? wisse jedoch Keiner. So kam ich, von den unheimlichen Gerüchten gejagt, endlich bis zu dem Gehege des Gartens. Es war hier und da eingerissen, um den Zudringlichen Bahn zu [372] machen. Diese standen und saßen, vom Gaffen und Schwatzen müde, auf dem Boden umher. Weiber mit ihren Kindern auf dem Arm, jammerten über den kläglichen Anblick des bläulich angeschwollenen kleinen Leichnams, indeß Andere mit giftiger Zunge der Sünde Schuld auf das Gewissen der Mutter warfen, und diese mit Schmähreden überschütteten. Ich sprang vom Pferde, und mir durch das Gewühl Platz machend, stieß ich auf einen Mann, der versicherte, in dem Knaben sei noch Leben. Er selbst habe das Herz schlagen fühlen. Auch wäre die Rettung zu schnell gekommen, als daß der Tod schon volle Gewalt geübt habe. Der brave Herr da unten, von Wildenau, sei ja gleich bei der Hand gewesen, setzte er hinzu. Ich athmete auf. Die Andern mochten es nicht Wort haben, daß man irgend Hoffnung hegen dürfe. Sie ließen sich nichts von dem vollen Maaße des Entsetzlichen streitig machen. Ihr Widerspruch gab mir Muth. Dieser sank gleichwohl, als ich in den Gartensaal trat, der erschütternde Eindruck des Jammers, der hier so plötzlich Alles umgewandelt hatte, nahm mir alle Fassung.

Gleich der Thüre gegenüber lag der bleiche Georg, ganz in Betten und Decken gehüllt, so, [373] daß nur das seitwärts, auf die Brust hängende blonde Lockenköpfchen sichtbar war. Neben ihm saß des Amtmanns Mutter, die sanften, feuchten Augen auf die geschlossenen des Kindes gerichtet; zu ihren Füßen kniete eine unkenntliche Gestalt, dem Tode ähnlicher als den Lebendigen, bewußtlos, regungslos, verriethen nur die starken und raschen Athemzüge, daß der Schmerz wenigstens diese arbeitende Brust bewege. Es war die schöne, unglückliche Präsidentin.

Der bunte Zierrath des Zimmers, die hohen Blumenkübel, das frische Roth unzähliger, in Körben und Schaalen umher stehender Rosen, all der Schmuck jugendlicher Sinnenlust, stach auf das Schneidendste gegen die farblose Gruppe der tiefsten Trauer ab.

Ich näherte mich leise. Der Baron Wildenau kam aus einem Seitenzimmer auf mich zu. Wir drückten einander schweigend die Hände. »Ich fürchte,« flüsterte er, »ein Schlagfluß hat hier schneller geendet, als meine rasche Hülfe es sonst begreiflich macht. Das Kind lag nicht über einige Minuten im Wasser.«

Ich erwiederte nichts. Mein Blick lag fest auf dem kleinen Bettchen, an dessen oberstem Rande, da, wo es die Wange des Schlummernden [374] berührte, eine Feder leise hin und her zu wehen schien. Der Baron folgte meinem Blicke. Ich bog mich über das Bett. Ich hörte schwache Athemzüge. Ohne mich weiter zu bedenken, öffnete ich dem Kind eine Ader. Das Blut tropfte erst langsam, dann sprang es in einem Bogen über die weiße Decke auf die gefaltenen Hände der Mutter, die mit einem Schrei aus ihrer Betäubung auffuhr. Sie sah irre und verstört umher. »Er hat mich geküßt!« flüsterte sie, kaum hörbar. »Wahrhaftig, er hat mich geküßt! Er lebt!«

»Ja,« versetzte ich zuversichtlich. »Er lebt. Aber jetzt erschrecken Sie die rückkehrende Besinnung nicht. Schweigen Sie, um Ihres eignen Friedens Willen, nur noch wenige Augenblicke.«

Sie sah mich schüchtern an. Auf ihren Zügen lag dumpfe Ungewißheit. Doch that sie, was man ihr sagte. Und ob sie gleich nicht von den Knieen aufstand, so schob sie sich doch auf diesen seitwärts in einen Winkel des Zimmers, von wo sie, angstvoll zusammengesunken, auf Georg sah.

Der Umschwung in dem kleinen Körper war schnell geschehen. Von der Betäubung zum Erwachen brauchte es, sobald die Springfedern innerer Thätigkeit in Bewegung gesetzt waren, [375] nur wenige Minuten. Ein paar Tropfen Aether, der flüchtige Geist scharfer Essenzen, und das Anwehen frischer Luftzüge durch die geöffneten Fenster, vollendeten das Werk völliger Wiederbelebung in Kurzem. Das erste vollständige Zeichen derselben war der anfangs undeutliche, dann wiederholte Ruf nach der Mutter.

Diese schauerte vor dem Tone, als komme er aus einer andern Welt. Sie hatte kaum die Kraft, sich zu erheben. Ich eilte auf sie zu. Alle Glieder flogen ihr, wie im stärksten Fieberfrost. Sie schwankte, die fragenden Augen bittend umher gesandt, nach dem Bette des Kleinen. Wie dieser aber jetzt aufsah, die Aermchen matt hob, und mit dem rührendsten Tone: »Liebe Mutter!« sagte, da sank sie laut schluchzend über ihn hin, und vielleicht waren es ihre Thränen, die seine Brust vollends erwärmten, die Schläge seines Herzens schneller hoben. Hier war jetzt die gestörte Ordnung unter die Gesetze des Daseins zurückgetreten. Die Natur stellte sich durch sich selbst her. Des Kindes Rettung beflügelte die Seele der Mutter. Gehoben und gesammelt, stand diese nach einer Weile wieder unter uns. Sie schien nichts gelitten, nichts empfunden zu haben. Mit einer Wärme und Innigkeit, wie sie [376] nur dieser reichbegabten, unwiderstehlichen Frau inwohnt, ließ sie uns ihr Entzücken theilen. Sie sagte wenig, that nichts, aber aus jeder Miene, aus den rührenden Blicken, aus dem stillen, tiefsinnigen Versinken über ihr unbegreifliches Glück, athmete das schmerzensstille Herz seliges Vergessen.

Leider! sollte sie bald an das Vergangene erinnert werden.

Der Präsident stürzte, nach einer kurzen Abwesenheit, ungestüm ins Zimmer. Die Nachricht von Georgs Rettung war ihm schon von allen Seiten entgegen gedrungen. Die große Erschütterung plötzlicher Freude erhöhte den leidenschaftlichen Zustand seines Gemüths, der heute zum erstenmal, in reifern Jahren, aus den Grundsätzen beherrschender Mäßigung, in die dammlose Fluth empörter Gefühle hineingerathen war. Seine unzusammenhängenden Worte, das Heftige, ja Stürmische in ihm, erschreckte den Knaben. Er ward blöde, schwieg oder weinte, und stachelte dadurch die Todtesangst des Vaters, ihn zwar lebend, doch krank und leidend wiedergefunden zu haben. In seiner unbemeisterten Besorgniß äußerte dieser das unverhohlen, wie er überhaupt, ganz im Gegensatz sonstiger Rücksicht, [377] jetzt nur laut dachte und empfand, was die Umstehenden in große Verlegenheit setzte. Die Verwirrung stieg auf das Höchste, als der Präsident, nachdem ich ihm die vollkommene Wiederherstellung Georgs verheißen, sich, ohne die Anwesenheit seiner Gemahlin zu beachten, zu der Mutter des Amtmanns mit den Worten wandte: »Nun dann, Madame Lindhof, so übertrage ich Ihnen die Sorge für des armen Knaben Gesundheit, bis ich von einer unerläßlich gewordenen Reise zurückkehre.« Er nahm hierauf die verlegen dastehende, ängstlich überraschte Frau bei der Hand, führte sie in ein anderes Zimmer, um das Nähere seiner Anordnungen zu bestimmen. Ich hatte nicht den Muth, vom Boden aufzusehen. Der Baron gab mir einen Wink, das Zimmer zu verlassen. Wir eilten in den Garten.

»Gott!« rief ich hier, unter die Last unerträglicher Gefühle gepreßt, aufseufzend, »muß denn dies Haus zusammen brechen! Und ist keine Klarheit nach dem Gewitter zu hoffen?«

»Keine!« entgegnete der Baron, der noch bleicher und melancholischer aussah, als sonst.

»O,« sagte ich lebhaft, »warum wurdest du denn ins Leben zurückgerufen, armes Kind! Besser wäre es gewesen, du hättest den unnatürlichen [378] Riß häuslicher Eintracht still verschlafen! dein kleines Herz wäre gebrochen, ehe Unwille und Bitterkeit darin keimten.«

Der Baron sah mich schmerzlich an, ohne etwas zu erwiedern. Wir gingen mit raschen Schritten tiefer in das Gebüsch. Meine Seele war voll Kummer. Ich sah nicht, wohin uns der Weg führte, als mich das zertretene Gras und der Anblick des Sees plötzlich aufschreckte.

»Hier also?« fragte ich stillstehend. Mein Begleiter nickte bejahend, während sein betrübtes Auge langsam über die Wellen glitt.

»Wie kam es nur,« fragte ich zögernd, »und was trug sich sonst noch Unseliges zu, das solche Folgen haben konnte?«

Der Baron schien mit der Antwort zu kämpfen. Ich hatte bis jetzt eine Scheu gehegt, deutlicher in die Verwirrung hineinzusehen. Die schonungslose Härte des Präsidenten erschütterte und empörte mich. Ich wollte ihn allein schuldig wissen. Die Frage sprang mir über die Lippen.

Was ich von ihm erfuhr, war Folgendes: Der Präsident kam gegen Abend auf seinem Landhause unerwartet an, fand Niemand dort, fragte hierauf seine Dienstboten scharf und heftig nach seiner Gemahlin und nach Georg aus; doch ihre [379] Antwort nicht erwartend, stürzte er eilig dem Garten zu. Hier sah man ihn ungestüm hin- und herlaufen, hörte ihn laut rufen, und bemerkte nicht ohne Besorgniß, daß er in einen Kahn sprang, diesen losmachte und nach dem jenseitigen Ufer des Sees hinüberfuhr. Die unmäßige Heftigkeit, welche affectlose Menschen zu Zeiten, wie mit triumphirender Gewalt, befällt, mußte die bestürzten Domestiken hier um so mehr mit banger Ahndung erfüllen, als das sorglose Betragen ihrer jungen Gebieterin schon längst an ihr zum Verräther ward. Niemanden unter allen Leuten des Hauses, blieb der Zweck jener langen, nach der Wohnung der Tannenhäuserin führenden Spatziergänge, ein Geheimniß. Hierher flüchtete die schöne Frau, und beruhigte ihr Gewissen, wenn der Graf in seinem schmalen Boot stehend, mit ihr redete, während sie am Ufer saß, und es das Ansehen hatte, dem Freunde zufällig begegnet zu sein. Jäger und Fischer, welche Abends des Weges kamen, hatten sie oft so gesehen. Es ward hier und da darüber gesprochen. Mehrere weissagten längst nichts Gutes davon. Jetzt war es klar, dem Präsidenten mußte Jemand die Augen geöffnet haben. Auf Tavanelli fielen Alle. Er ließ sich seitdem, ganze Tage nicht sehen.[380] Den Knaben, hieß es, habe er mitgenommen. Andere wollten versichern, dieser spiele im Garten. Er sei mit der Mutter die Allee links hinuntergegangen.

Indem die zusammengetretene Dienerschaft so mit einander verhandelte, hörten sie ein kurzes, wiederholtes, helles Angstgeschrei von der Seite her, wo sie Georg zuletzt gesehen hatten. Es war ein herzzerschneidender Ton, den das Echo über den See gellend zurückschallte. »Das Kind! das Kind!« sagten Alle voller Entsetzen, indem sie dem verzweifelnden Rufe folgten. Ehe sie gleichwohl die Stelle erreichen konnten, wo das Unglück geschehen war, hatte der Baron Wildenau, von bangem Vorgefühl getrieben, und in der Absicht, den verstörten, unstäten Tavanelli aufzusuchen, sich in den Garten begeben. Seine Entschlossenheit rettete den schönen Knaben. Er entriß ihn den Wellen, doch trug er ihn leblos ans Land.

Indeß war der fürchterliche Schrei zu dem Vater gedrungen. »Georg!« sagten alle Stimmen der Seele zugleich in ihm. Er arbeitete sich wie ein Verzweifelnder nach dem Garten zurück. Ungeübt, mit dem Kahne zu fahren, erreicht er erst das Ufer, als dort schon ein Haufen Klagender [381] und Schreiender durch einander rennt. Sprachlos vor Angst theilt er die Menge. Sein erster Blick begegnet der athemlos herbeistürzenden Mutter, die das bleiche Kind an sich reißt, es umschlingt, küßt, mit Entsetzen in die Höhe gegen das Licht hält, und da sie die Augen geschlossen sieht, kein Leben spürt, zu den Füßen ihres Mannes sinkt, mit der Hand krampfhaft nach Graf Hugo zeigt, und laut ruft: »Er und ich! –«

Sie vermochte nichts weiter hervor zu bringen. Die Zunge versagte ihr. Aber in Blick und Miene lag eine schwerere, eine zermalmende Anschuldigung.

Der Präsident blieb einen Augenblick wie eingewurzelt in dumpfer Erstarrung. Er mochte sein Geschick nicht fassen. Diese Stille, dies Verstummen tiefster Natur in dem Manne, der als Richter hier vor ihr stand, löste ihr ganzes Wesen in leidenschaftliche Verzweiflung auf. Sie klagte sich jetzt laut und fürchterlich an, bekannte ihre heiße Liebe für den Grafen, gesteht, daß, um ihn zu sehen, sie das Kind beredet, hier im Garten zu spielen, während sie die weite Strecke bis zur Tannenhäuserin in kurzer Zeit zurückzulegen gedachte; nannte sich im Aufruhr aller Sinne, des Knaben Mörderin, und flehte den strafenden [382] Himmel nur um die erbarmende Gnade an, ihrem sündlichen Leben ein Ende zu machen.

Diese und noch wildere Klagen flogen in verwirrender Hast über ihre Lippen, ohne daß die Umstehenden es hindern konnten. Der Präsident starrte sie lange ungewiß an. Endlich, als falle das ganze Gewicht seines Elendes auf ihn nieder, zuckte er zusammen, und wandte sich rasch nach dem Grafen hin. Der Moment war entscheidend. Jener empfand sogleich, worauf es ankam. Er trat dem schwer Beleidigten mit wehmüthiger Ruhe entgegen, indem er leise sagte: »Sie haben keine Minute zu verlieren, um das Leben Ihres Kindes zu retten. Das ist jetzt das Nächste. Später wie und wann Sie wollen.«

Die Mahnung an Georgs Gefahr, die Furcht, ihn vielleicht schon verloren zu haben, drückte für einen Moment den aufflammenden Zorn in dem unglücklichen Vater nieder. Er flog auf den Kleinen zu, entriß ihn der Mutter, setzte alles in Bewegung, um Hülfe herbei zu holen. Er selbst ging und kam, klagte, schalt, trieb und drängte die geängstigte Dienerschaft hin und her, so daß diese es kaum wußte, als er, vielleicht in der Absicht, selbst ärztlichen Beistand zu suchen, unter den Umstehenden verschwand. Jedermann war so [383] betäubt von dem Schreck, so vertieft in dem eifrigen Bemühen, den Tod von des Knaben Schläfen zu verscheuchen, daß selbst der nahe Knall zweier Schüsse bei Niemanden Sorge erweckte, und man sich erst besann, den Präsidenten vermißt zu haben, als dieser zurückkehrte.

»Es sind,« hub Baron Wildenau, nachdem er mir soviel mitgetheilt hatte, nach einer Pause wieder an. »Es sind hier dunkle Schattenstellen, die uns einen Theil des Zusammenhanges verhüllen. Lassen wir sie, ohne daran zu rühren. Die Zeit wird Alles aufklären.«

Wir standen beide noch eine Weile in Gedanken verloren, als wir, durch das Geräusch eines vorüberrollenden Wagens aufmerksam gemacht, uns umsahen. Auf das Höchste überrascht, erkannten wir die Equipage der Oberhofmeisterin. Die große Reisekutsche, die beiden, in dunkelroth und schwarz gekleideten Bedienten auf dem Bock. Es ließ sich nicht verkennen. »Mein Gott, Emma!« rief der Baron, beide Hände, wie von einem großen Schreck überwältigt, zusammenschlagend! »Was ist mit ihr?« fragte ich unruhig. »Die Mutter entführt sie gewaltsam,« entgegnete er. »Sehen Sie doch nur, ihr Wagen schlägt den Weg ein, welcher auf die [384] große Straße führt. Sie kehrt nach der Heimath zurück. Wie würde sie das thun, begleitete sie die Tochter nicht. Nimmermehr würde sie solche jetzt zurücklassen.«

»Bei dem Gesundheitszustand der Gräfin?« warf ich ihm ein. »Eben deshalb!« versetzte der Baron. »Eben diese Schwäche giebt der entschlossenen Mutter volle Gewalt über sie.«

Aus der Ungewißheit zu kommen, eilte ich nach der Burg zurück, da mich länger keine Pflicht an das Lager des Kindes fesselte, und mich ohnehin hier nichts band. Ich fand den Comthur einsam in seinem Zimmer. Es war geschehen, wie es Baron Wildenau voraussagte. Die Betäubung der Gräfin, die Verwirrung im Hause, alles bot der Frau Oberhofmeisterin die Mittel zur schnellen, heimlichen Abreise. Wie sie die Tochter überrascht, wie sie sie überredet hat, ist noch ein Geheimniß. Zwei Zeilen an den Grafen sagen weiter nichts, als: »Wir verlassen die Burg! daß ein Dach uns nicht länger beschirmen kann, ist klar. Genießen Sie nun Ihre Freiheit, wie Sie können.«

Das Blatt fiel in des Oheims Hände. Er zögerte noch, es dem Neffen zuzustellen. Dieser [385] läßt Niemand vor sich. Ich versuchte vergebens, zu ihm zu dringen.

Weiter wüßte ich dem treuen Bericht, in Bezug der unglücklichen Familienverwirrung beider verehrten Häuser, nichts hinzuzufügen.

Der Präsident hat einen langen Urlaub nachgesucht und erhalten. Seine Gemahlin verließ die Gegend. Sie soll zu einer fernen Verwandtin gegangen sein. Georg spielt mit den Kindern des Amtmanns. Er erzählt jedem, der es hören will, seinen Unfall, mit dem Zusatze: daß er sich aus Furcht vor dem Vater, der so laut und lärmend nach ihm gerufen, im Rohr versteckt, nachher aber nicht wieder an derselben Stelle ans Ufer hinauf gekonnt hätte, in der Angst ausgegleitet und ins Wasser gefallen sei.

Leider hat sein Unfall den Sturz zweier Häuser nach sich gezogen.

Zweiter Theil

Sophie an Elise

Nicht ohne Bangigkeit richte ich endlich diese Zeilen an Sie, liebe, arme Freundin! Werden Sie denn aber auch noch etwas von dem hören wollen, was unter den Schauern der Vergangenheit, hinter Ihnen liegt? Vielleicht legen Sie den Brief bei Seite, dessen Siegel Ihnen verräth, von wem er kommt! Der Name meines Stifts ruft zugleich andere, schmerzliche Namen zurück. Ach, meine Gute! wie traurig, daß Ihnen diese so wehe thun müssen!

Nein, es ist kein Vorwurf, was ich hier sage.

Es ist nur eine von den unzähligen Klagen, die mir das Geschick der liebsten, besten Menschen auspreßt.

Gewiß, ich habe kein anderes Gefühl in [1] meiner Brust, als Mitleid und Theilnahme für Sie Alle!

Für Sie Alle! Ja, glauben Sie es nur. Dasselbe Gewebe, das Ihr argloses Herz umspannt, hat seine Fäden so weit gezogen, so sonderbar verschlungen, daß die schönsten Kräfte dadurch gefesselt, die reichsten Gemüther ohnmächtig geworden sind, und statt des bewegten Lebens, schwarze Melancholie durch die vereinzelten Kreise der Freunde zieht.

Wer nach kurzer Abwesenheit hierher zurückkam; wer, wie ich, das Bild warmer Vertraulichkeit und sanfter Zuneigung im tiefsten Innern festhielt, wer den freien Horizont und die leichte, elastische Luft der Heimath wieder zu finden dachte, und nun überall auf verschlossene Häuser, auf abgebrochene Verhältnisse stößt, stumme Trauer, undurchdringliche Nebel ihn umgeben, und schneidende, zusammenpressende Kälte allein ihn erinnert, daß er ein Herz hat, der könnte versucht werden, an Magie und alte Fabeln von umwandelnden bösen Geistern zu glauben.

Ich bin wieder in meine Wohnung eingezogen. Die Wände der Zimmer, das Geräth, die Bäume vor den Fenstern, alles ist unverändert, aber es macht nur den Eindruck von Kleidern [2] geliebter Verstorbener. Ich fühle mit unsäglichem Kummer, daß der Inhalt verschwunden, der lebendige Geist entflohen ist. Die Räume sind leer. Der Gedanke verliert sich in die unergänzten Lücken.

Beste Freundin! Was waren es für Stunden, die wir mit einander zubrachten; so friedliche, harmlose Stunden! O, der Mensch achtet die Stille nicht hoch genug, die ihm zu ruhiger Entfaltung der zarteren, feinern Geistesblüthen vergönnt ist! Der Frühling innerer Zeitabschnitte zieht oft noch flüchtiger, als der der äußeren, an uns vorüber, und wir besinnen uns erst nachher, wie reich wir waren, wenn die Blüthenzeit vorüber ist, und neue Entwickelungen sich unter mannigfachen Kämpfen vorbereiten.

Wohin ich jetzt den Fuß setze, tönt mir Störendes entgegen. Jeder Gegenstand erinnert an das, was nicht mehr ist, jeder Besuch ängstigt, jede Frage verletzt mich. Auch komme ich zu Niemanden. Die Burg bleibt Jedem unzugänglich. Der Comthur fürchtet, wie alle Männer, durch lebhafte Erschütterungen, aus dem äußern Gleichgewicht zu gerathen. Er hat mir ein Paar gute, treue Worte geschrieben, doch vermeidet er, tiefer in den Gegenstand einzugeben, [3] den ich nur leise berühren mochte. So verstummt dann die Gegenwart völlig. Der einzige Genuß, den ich mir zuweilen erlaube, ist der, Ihre früheren kleinen Briefchen zu lesen, die der behende Walter mir oft beim Erwachen schon überbrachte. Wie erkenne ich, wie höre und sehe ich Sie in jedem Worte wieder, liebenswürdige Elise! Ja, Sie sind unverändert dieselbe geblieben. Wie Sie in Nichts Arges suchen, so rein blieben auch Ihre eignen Gefühle. Sie glaubten nie an das Böse, Sie suchten es nicht in sich, und treu der Wahrheit, die Sie erkannten, heuchelten Sie nicht einen Augenblick vor der Welt, seit Gottes Finger die Wolke theilte. Wie viel hiervon dem Bewußtsein, wie viel der Natur in Ihnen angehört? möchte wohl schwer zu entscheiden sein. Genug, Sie konnten nicht anders! Wie sollte ich Sie nun mißkennen und tadeln, weil das Ihr Unglück gemacht, was stets die Eigenthümlichkeit Ihres Wesens begründete. Freimüthig bis zum Selbstvergessen, ein losgebundenes Kind der Natur, spielten Sie mit den Fesseln, die Sie sich abgestreift, ohne einen andern Halt zu suchen, als Ihr kühnes Wollen. So zeigten Sie sich von je, und immer begleitete ich Sie mit Sorgen. Wer aber hätte Sie warnen können? wem würden [4] Sie geglaubt haben? Göttliche Gewalt hat nur das Göttliche. Erschrecken Sie nicht zu sehr, Sie, das möchte ich beschwören, finden Ihren Weg wieder. Dulden Sie doch die Freundin zur Seite. Lassen Sie mich es wissen, wie undwo Sie Trost suchen? Was Sie ergriffen, wie Sie leben?

Hier, denken Sie wohl, erfahre ich nichts von Ihnen. Wen dürfte ich deshalb befragen? Zuweilen hatte ich den Gedanken, Madame Lindhof einen Besuch zu machen. Aber ich bin nicht im Stande, den Weg dahin anzutreten! Wie sollte ich jetzt schon den Anblick Ihres Hauses, des Gartens – Nein, Elise, nein! meine Seele ist zu wund, um sie den schneidenden Luftzügen in den ausgekälteten Räumen so frühe bloszustellen. Am Grabe unsrer Freunde finden wir sanfte Thränen, am Grabe ihres Glückes empört sich das Gefühl gegen die Ohnmacht, Geschehenes nicht ungeschehen machen zu können. Ich habe so genug mit mir zu thun, die ängstigende Frage immer wieder aufs Neue meinem Gewissen zu beantworten: Ob es auch recht war, daß ich die Oberhofmeisterin reisen ließ, da ich damals schon ahndete, wie sehr Sie der Freundin bedurfte? Es ist nicht immer leicht, von zweien Pflichten [5] die dringendere zu wählen, vollends aber wird es denen erschwert, die, in unabhängiger Beziehung zur Welt, sich selbst im entscheidenden Augenblicke bestimmen sollen. Ich glaubte damals das Unerfreuliche thun zu müssen, und dachte mir in dem Opfer eigner Wünsche zu genügen. Vieles wäre wohl unterblieben, willigte ich nicht in den Vorschlag der leidenschaftlichen Freundin! Doch wie ist das Leben zu berechnen! durfte ich hoffen, es mit einem so mächtigen Feinde, als Ihr eigenes Herz, beste Elise, aufnehmen zu dürfen?

Sehen Sie aber hieraus, wie schwach ich bin, und wie wenig es mir einfällt, bei Ihnen die Starke spielen zu wollen. Gewiß, Beste! Sie können mich dreist in die Falten Ihres Innern sehen lassen, ich bin gewiß, nur die eignen, verborgen gebliebenen Schattenstellen darin wieder zu erkennen. Kann Sie auch das nicht bewegen, mir wieder die liebe, vertrauende Elise zu werden?

Elise an Sophie

Gütige Freundin! Ja, Sie sind die Alte geblieben! Sie verläugneten sich nie. Das thut der [6] Mensch überhaupt selten. Wir täuschen uns nur über ihn. Wie ich der Welt jetzt erscheine, läßt sich denken. Jede geschäftige Hand sucht wohl die dunkelsten Tinten aufzutragen, um das Bild, wie aus Nacht und Hölle heraussehen zu lassen! Es war sehr albern von mir, daß ich denken konnte, Sie würden sich durch solche Karrikatur irre machen lassen, und mich verkennend zuerkennen glauben

Sie sehen, Sophie! ich halte nicht mit meinen Bekenntnissen hinter dem Berge. Ich gestehe Ihnen, daß ich aus diesem unbilligen Mißtrauen nicht an Sie schrieb, und vielleicht auch weniger an Sie dachte. Ich habe darunter gelitten, denn nichts thut so wehe, als eine kalte Stelle in der Brust, die uns unaufhörlich an den erloschenen Funken erinnert.

Sie haben diesen wieder angehaucht, Sophie, und ein Verhältniß neu belebt, das ich, mit so vielem Andern, zerrissen wähnte. Tausend, tausend Dank, treue, feste Freundin! die Klarheit Ihrer Empfindungen beschämt mich schon darum, weil sie mir beweist, daß Sie das Unvergängliche wahrer Zuneigung in höherem Grade besitzen, als ich zu glauben wagte. Und doch[7] beruht anderer Seits mein ganzes Dasein gerade auf diesem Glauben!

Es ist wohl immer die Folge ungewöhnlicher Zustände, daß wir ein wenig zittern, ehe wir uns zu fassen im Stande sind. Ich habe große Erschütterungen erduldet. Kein Wunder, wenn mir es dunkel vor den Augen ward, und ich die treuesten Menschen undeutlich sah!

Ueber Eins, liebe Sophie, kann ich gleichwohl in Ihrem Briefe nicht hinaus! Wie geht es zu, daß Sie mich, bei so festem, ruhigem Auffassen meiner tiefsten Eigenthümlichkeit, dennoch in der Hauptsache ganz mißverstehen? Sie halten mich nämlich in meiner gegenwärtigen Stellung zur Welt für höchst bedauernswürdig. Sie sehen mein Geschick gebrochen, mich in den Staub gebeugt. Sie verzweifeln, das Geschehene nicht ungeschehen machen zu können, und setzen voraus, ich sei nur durch einen eben so übereilten, als gewaltigen Stoß aus dem geordneten Gang der Natur herausgehoben, in den sich mein zerrüttetes Verhältniß zurücksehne. Ja, Sophie, ja, ich bin wie von einem fürchterlichen Schlage getroffen, ganz zusammengeschreckt, ganz durchbebt, in eine fremde, Grauen erregende Wildniß geworfen. Wohin ich blicke, zeigt sich mir kein [8] Ausweg. Alles ist übereinander gefallen. Selbst der Reichthum des überfüllten Daseins dient nur, die Sinne zu verwirren. Aber nicht erst jenes äusserlich umwandelnde Ereigniß war es, was mich so stellte; das plötzliche Erwachen meiner Seele, der jähe Blitz, der diese durchzuckte, die Schauer verborgener Wahrheit, die ganze Last ihres Gewichts, die hatte mich aus meinem Himmel gerissen. Können Sie mir denn zutrauen, ich würde nach der Entdeckung den Selbstbetrug genährt, oder einen weit ärgern geduldet haben? Ist es Ihnen möglich, an die Dauer solcher Verhältnisse zu glauben, die nur in Unschuld und Vertrauen ihre schwindliche Höhe erreicht hatten? O Sophie, das Göttliche im Menschen ist da, ohne daß er es weiß. Es kommt ihm im Schlaf, er trägt es mit sich in das Leben hinein, es wird ihm ein zweites Leben, er selbst erfährt es eben nur dann, wenn ihm das Andere entgegen tritt. So ist es auch mit der Liebe. Das Paradies bleibt nur Paradies, bis die Schlange das Bewußtsein weckt. Ich war bis zum Tode erschrocken, als ich empfand, was mir Hugo sei. Gleich damals stand es fest in mir, den Verrath an der Treue, die Verletzung des gegebenen Wortes durch offnes Geständniß meiner Schuld zu [9] büßen. Ich sagte es Hugo. Er hielt mich zurück. Er bat mich, den entscheidenden Schritt zu prüfen. Wir stritten hin und her. Mein schwaches Herz wankte, es gefiel sich einen Augenblick in dem kurzen Aufschub. Da schrien tausend Schmerzensstimmen zugleich auf mich ein. Ich zerriß alle Schranken, und vernichtete mich selbst mit dem unseligen Irrthum.

Ich würde es ohnehin gethan haben! doch später; vielleicht zu spät! Jetzt ist nur geschehen, was geschehen mußte. Es ist wahr, ich bin für die Welt im Allgemeinen todt; und dies Losreißen, wie leicht es gesagt ist, vollbringt sich nie ohne Kampf. Die blühende Hülle des Daseins hält den Blick in seinem kühnen Fluge zur Unendlichkeit freundlich an, und zähmt den höchsten Wunsch durch die Erfüllung unzähliger kleiner Wünsche. Ich empfand das sehr frühe. Ich liebte daher die Wirklichkeit in allen ihren streitenden Bedingungen. Mich führte mein leichter Muth ohne Anstoß durch sie hin. Es schlang sich hier und da ein Band um mein Herz, ich ließ es damit verwachsen, und sah mein Leben mannigfach verzweigt. Jetzt habe ich Abschied genommen von allem, was ich liebte, von jeder Hoffnung, die ich bis dahin genährt; niemals kann sich das völlig [10] Umgestaltete wieder herstellen. Eduard kann nicht verzeihen, was er nicht begreift. Der Bruch zwischen ihm und mir geschah mit dem ersten Laut, der meiner Gewissensangst entfuhr. Ich habe seine Verachtung mit Wehmuth, den stummen, kalten Abschied, den letzten vernichtenden Blick mit großem Schmerz erduldet; was aber schildert Ihnen mein Gefühl bei der Trennung von dem einzigen, von dem über allen Ausdruck heißgeliebten Kinde? O Sophie, weg! weg von der Erinnerung dieses Augenblicks. Tausendfachen Tod zugleich stirbt das Herz, wenn der Mensch gleichwohl noch lebt! – –

Ja, ich lebe! und ich lebe mit Muth! Ich bin ganz aufgestanden von dem gewaltigen Sturz. Ich sehe mir diese strenge Beherrscherin, die Willkühr achtsam an. Sie trägt Fesseln in den Händen, und bindet, was sich ihren Gesetzen entziehen will. Soll ich verzweifeln, weil mich das Loos mit vielen Andern traf? Kann ich tadeln, daß ist, was sein muß? Der Zusammenhang meines Geschicks liegt so klar vor mir, daß ich diesem rück- und vorwärts in allen seinen Verzweigungen folgen kann. Hätte ich nicht immer die unverfälschte Wahrheit des Bewußtseins so hoch gehalten, hätte ich nicht den Trug der Einbildungskraft [11] gefürchtet, und künstliche Spiele gemachter Poesie für ein Verbrechen gegen ihr erhabenes Urbild angesehen, ich würde, weniger mißtrauisch, die innere Stimme in mir beachtet haben, deren prophetischer Ton mich so oft mit unnennbarer Trauer durchbebte.

Aber ich verwarf jede aufsteigende Ahndung über die Natur meiner Gefühle für Hugo. Ich schalt mich selbst romanhaft, verlachte die Sucht, das Gewöhnliche ungewöhnlich finden zu wollen, mit schonungslosem Spott, und erröthete zuletzt beschämt bei dem Vorwurf, einer Grille wegen, die schöne, beseelende Freundschaft aufopfern zu wollen.

Die kleinen Häckeleien häuslicher und menschlicher Mißverständnisse thaten mir nur darum wehe, weil sie andern, weniger unabhängigen Gemüthern zu schaffen machten. Ich sah wohl Störungen voraus, doch in mir blieb noch Alles ruhig.

Der Vorfall am Hofe erschreckte mich. Es ward mir dadurch klar, welche Wichtigkeit man auf ein Verhältniß legte, das sich so von selbst, so natürlich, ja so nothwendig gemacht hatte. Ich sprach mit Eduard darüber. Er litt, aber er glaubte mir. Wir sahen beide damals die Sache [12] aus demselben Gesichtspunkte an. Die Dazwischenkunft der Oberhofmeisterin mußte eine Ehe stören, in welche sie nur widerstrebend willigte. Eduards kluge Menschenkenntniß gab mir noch manchen Aufschluß, der mich völlig über mich selbst beruhigte. Doch Hugo machte mich irre. Er zeigte sich mir ungleich heftiger. Ich zitterte, daß seine Phantasie sich verirrt, daß er sich sehr zur Unzeit leidenschaftlich erregt habe. Tavanelli's Winke, sein zudringliches Einmischen in die innern Angelegenheiten meines Glaubens störten mich. Auf unbegreifliche Weise ward ich mir fremd. Ich flüchtete in dieser Unruhe zu Hugo. Ich richtete mich an ihm auf. Aber ich lernte zugleich einsehen, daß ich ohne ihn nichts mehr war, daß ich nur noch in ihm dachte und empfand. Was von da an geschah, was mich traf, was noch geschehen kann: es ist unvermeidliche Folge dieses erschreckenden Erkennens.

Ja, ich habe aufgehört, dieselbe zu sein. Und da die Umwandlung nun doch einmal geschehen ist, so konnte ich mich auch länger nicht in erborgter Gestalt dulden. Die einzige Möglichkeit, ferner zu existiren, liegt darin, daß ich mich selbst verstehe, und mich zeige, wie ich bin. Diese Freiheit hat mir mein lebendiger Tod [13] genommen. Ich werde mich ihrer nicht ganz ungern bewußt. Sophie, ich gestehe es, wahr sein zu dürfen, ist bei dem Wahrheitsliebenden ein unschätzbares Gut.

So lebe ich denn, und liebe in meiner Welt, aufmeine Weise. Niemand ist mir um ein Haar breit ferner gerückt, als er früher zu mir stand. Der Gedanke, das Gefühl erreicht jeden Gegenstand mit unermüdeter Innigkeit. Hier, wo mich nichts daran erinnert, daß es noch ein anderes Dasein giebt, als das, was ich in mir trage, hier, wie in höherer Region, findet keine Trennung statt. Georg – – mein süßes Kind! und du, armer, guter Eduard! – ich darf euch mit dem Freunde zusammen denken, der mich aus euern Armen riß.

Sehen Sie, Sophie, so giebt es dennoch eine Art Leben für mich, um das mich wenige beneiden werden, in welchem ich gleichwohl denke, empfinde und handle.

Ich bin, wie in frühern Jahren, im Hause meiner Tante, einer guten, arglosen, überaus einfachen, vielleicht beschränkten Frau. Sie ist gerade, was ich jetzt brauche, eine theilnehmende Seele. Immer nur das Allernächste mit empfindend, von unbedeutenden, aber dafür auch wenigen [14] Worten, und thätig im Hause. Vielerlei, meist Kleinliches vornehmend, und so beschäftigt, daß mir viel Zeit, und ihr das Bedauern bleibt, mich so wenig genießen zu können. Das stille Dorf, der kleine Garten, mein Stübchen im Erker, liebe Sophie! die äußere Beschränkung hat zu gewissen Zeiten einen eignen Reiz. Man ist so eingeschlossen in sich selbst. Es fällt gar nichts Fremdes da hinein.

Ich weiß nicht, wie lange die gute Tante mich bei sich behalten kann. Sie erwartet ihren Sohn Curd, der von seiner Reise nach Italien zurückkommt. Ich möchte nicht mit ihm zusammentreffen, überall ist auch wohl von keinem langen Verweilen vor der Hand bei mir die Rede. Ich bin ja hier erst wieder zu mir selbst gekommen. Noch brauche ich Zeit, mich zu besinnen.

Sophie! ich bitte Sie nicht, meiner zu gedenken. Sie werden mich gewiß nicht vergessen. Aber schreiben! darum ersuche ich Sie, schreiben Sie mir. Durch die gute Lindhof höre ich wöchentlich zweimal von meinem Georg. Aber all die Uebrigen – Sophie – sein Sie menschlich, schreiben Sie mir vonihm. Ich selbst hatte nicht den Muth, ihm zu sagen,wo ich mich hinbegäbe. Ist denn Emma wirklich mit ihrer Mutter [15] gegangen? War es möglich, konnte sie ihn in dem Augenblick verlassen. O diese Mutter übt eine fürchterliche Gewalt über sie aus!

Leben Sie wohl, theure, großmüthige Freundin! Ich gehe, einen Augenblick Luft zu schöpfen. Hinter dem Garten führt ein Fußweg am grünen Wiesengrunde hin, unter schattige Bäume.

Mittags rasten die Schaafe hier und suchen Schutz vor der Sonne unter den Aesten einer mächtigen Eiche. Da hat sich der Schäfer seinen Sitz von Rasen gemacht. Ich sah des Abends von hier aus, die Sonne hinter das freundliche Dorf niedersinken, und wenn die Purpurstrahlen an dem gelben Metallknopf des Kirchthurms widerleuchten, die Heerden über die Wiesen ziehn, der Hirt ein frommes Lied auf seiner Schalmei bläst, die Abenddünste einen leichten Flor über die Gipfel der Bäume weben und alles so still wird, die Erde in Schlummer sinkt, dann – O dann –! Gute Nacht, Sophie! gute Nacht!

Hugo an Heinrich

Zwei Deiner Briefe liegen vor mir. Ich habe den ersten noch nicht gelesen, und würde [16] keinen beantworten, fiele mir nicht ein, mein Schweigen könne Dir wunderliche Gedanken machen, und Dir den Einfall geben, hierher zu kommen und mich aufzusuchen. Thue das nicht, Heinrich! Bilde Dir auch nichts Besonderes von mir ein. Ich scheue nun noch mehr als sonst das laute Denken. Darum rede ich lieber nichts, und mag auch nicht viel hören. Ich versichere Dich, das Wort ist sehr roh. Hauche ihm die tiefste Seele ein, und es giebt Dir von dieser nichts, als die verpuppte Larve. Das beschwingte Leben entflieht mit dem Oeffnen der Lippe. Wie dürr, wie entkleidet von allem Duft innerer Wärme steht so ein ausgesprochenes Gefühl da. Und wie starrt die Welt es an! wie unkenntlich wird es selbst Dir, dessen Innerm es sich in Entzücken oder Schmerz entwandt!

Darum, Heinrich, höre auf, das Senkblei prüfender Fragen in meine Brust fallen zu lassen.

Du hast ja längst Grund darin gefunden. Was willst Du denn sonst noch wissen? Die alte, todtgesprochene Geschichte von Emma und Eduards Unglück, von meiner Schuld, und dem tragischen Heroismus der schönen Sünderin, die mußt Du ja wohl auswendig können. Das Historische solcher Haupt- und Staatsactionen [17] singen Dir mit Nächstem die Jungen auf der Straße vor. Erlaß mir das Sprechen darüber.

Ja, ja mein Freund, das wäre auch vorbei! Die Menschen können das Natürliche und Wahre nicht natürlich und wahr nehmen. Sie zerren so lange daran, bis sie wirklich das Greuelbild daraus machen, was sie sich darunter denken. Es ist ein niedriges Gelüst in den Meisten! ein Vernichtungstrieb, der selbst den Schwächling kitzelt, seinen Fuß zu heben und in den Staub zu treten, was ihm über den Kopf wächst! Das ist der gemeine Gang der Dinge! Es scheint uns nur ungewöhnlich, wenn wir darunter leiden. Gäbe es keine Tyrannei, so hätte sich der Gedanke wohl niemals frei gemacht.

Ich habe viel mit mir zu thun gehabt, ehe ich den Zorn überwand, der sich meiner zu bemeistern drohte. Mich hatte der Auftritt empört. Alles sehe ich entweiht. Das Heiligste und Geheimste. Mir widersteht jede Verletzung zarterer Rücksicht. Ich fuhr zurück vor der Verwilderung des Schmerzes, und sah mit Unwillen das Edelste von der dammlosen Fluth der Gemeinheit fortgerissen. Die rohen Hände waren gehoben, um das Geheimniß zu enthüllen. Ich hörte die schneidenden [18] Töne des Schreckens, und Alles, selbst die Geliebte ward mir fremd.

Nachher mußte ich mich tadeln, so einseitig empfunden zu haben. Aber wahr blieb es doch, ich hatte die Blüthe zerstäuben sehen, und konnte die kahlen Staubfäden nicht wieder mit ihrer duftigen Krone umschließen.

Heinrich, ich bin aus meinem Himmel gefallen, und das ist von allem das Schlimmste.

Ich mochte deshalb immer noch nicht an Elisen schreiben. Mich dünkt, der natürliche Vermittler unserer Gefühle, der Schlüssel zu jener Zeichensprache des Herzens sei nicht mehr in ihren Händen. Ich fürchte, ihr nicht ganz verständlich zu sein. Es ist etwas in mir verletzt, das ich weder verbergen noch auch angeben kann. Siehst Du, wir wurden einen Augenblick, jeder in die eigne, besondere Welt zurückgeworfen. Der Augenblick ließ eine Lücke. Ich bin verlegen, bei dieser zu verweilen, oder sie zu überspringen. Die Zeit mag sie füllen! Die Zeit mag überhaupt hier walten. Ich lasse sie machen! – – – –


Wir sind geboren, unsere eigene Narren zu sein. Da nehme ich dies Blatt nach mehreren [19] Tagen wieder zur Hand, und muß mich gleich in den ersten Zeilen auf einer gewissen coquettirenden Misantropie ertappen, die gar nicht zu meiner jetzigen Stimmung paßt. Lieber Heinrich! wenn ich mich anders recht verstehe, suchte ich längst eine Veranlassung, Dir mit guter Manier Nachricht von mir zu geben. Ich scheute dieses, wie ich auch Deine Ankunft scheue, und doch Beides wünsche. Was aber vor Allem lächerlich herauskommt, ist meine Verachtung gegen das gesprochene Wort, indeß ich mehrere, als gescheut ist, darüber mache.

Du siehst, daß ich noch nicht zur Ruhe in mir gekommen bin, und von einem Aeußersten zum andern übergehe.

Diese Widersprüche machen mich zuweilen muthlos. Ich war auch zeither nicht wohl. Der Streifschuß am Arm machte mir doch mehr zu schaffen, als ich Anfangs dachte. Ich habe gelitten, und, des Kränkelns ungewohnt, gerieth ich in einen gereizten, ärgerlichen Zustand, aus dem ich noch nicht heraus kann.

Vorzüglich verdroß mich die ungeschickte und einfältige Art, eine ernsthafte, auf die stille, innere Ueberzeugung des Menschen, beruhende [20] Handlung, wie einen brutalen Anfall behandelt zu sehen. Das Sühnofer der Ehre, wie diese auch immer verstanden werden mag, muß ehrenvoll gefordert und gebracht werden. Es ist denn auch nicht mit einem Bischen Pulverdampf und ein Paar Blutstropfen abgethan. Die Leidenschaft genügt sich schnell. Dasgekränkte Selbstgefühl aber muß sich wieder herstellen oder erliegen.

Der außer sich gerathene Mann lief mir wie ein Rasender in den Weg, drang mir ein Pistol auf, und, ganz achtlos gegen Duellgesetze, schrie er mir zu, in beliebiger Nähe loszudrücken, wenn er es thun würde. Ohne einen andern als den höchsten Zeugen über uns, schnell mit mir einverstanden, stand ich ihm, schoß in die Luft, und erhielt die leichte Wunde. Zufällig floß mein Blut rascher und häufiger, als es die unbedeutende Verletzung sonst wohl vermuthen ließ. Ich mußte in der That lachen, wie erschrocken und stolz mein Gegner um sich sah. Es fiel augenscheinlich eine Last von seiner Seele, während er doch nicht ganz sicher vor den Folgen schien. Ich beruhigte ihn völlig über mich. In der Ueberraschung, die Angelegenheit so schnell beendigt, und sich selbst vor der Welt behauptet [21] zu haben, sagte er ziemlich unbewacht: »Nun, so gehen Sie, mein Herr, gehen Sie, sich heilen zu lassen! Ich will Ihr Leben nicht länger in Gefahr setzen. Ich habe, glaube ich, gezeigt, daß ich nicht zu den Elenden gehöre, die ungestraft mit sich spielen lassen

Er ging bei diesen Worten nach seiner Wohnung zurück, fragte aber doch noch einmal, ob er mir Jemand zu schnellerm Fortkommen schicken solle? Ich dankte ihm, indem ich stehen blieb, und ihm unter den seltsamsten Gefühlen nachsah. Es war kein Groll darunter, ich versichere Dich. Im Gegentheil rührte mich der Mann in seiner harmlosen Selbstzufriedenheit. Mein Blut hatte ihn losgekauft von Spott und Tadel. Alle Stimmen waren für ihn gewonnen. Er stand rein gewaschen vor den eigenen, wie vor den Augen der Gesellschaft da. Und damit war es gut! Elisens Verlust kann er verschmerzen. Seine bisherige glänzende Stellung hat er gegen eine andere, nicht minder ausgezeichnete, vertauscht. Der Fürst ernannte ihn zum Gesandten in P ... Er wird die beste Aufnahme dort finden. Die Geschichte läuft vor ihm her. So ein vom Schicksal Gezeichneter ist sicher, allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. Während man das Anathem über [22] die Werkzeuge seiner Adversität spricht, gebietet die Tugend, die Unbilden des trügerischen Glückes an ihm gut zu machen. Zudem ist der Fall von der Art, daß selbst unsere Kirche die Scheidung gestattet, Elisens eigene Anklage duldet keinen Zweifel. Eduard kann zu einer zweiten Wahl schreiten. Er wird, ich bin es gewiß, nicht lange zu wählen brauchen. Das Vergangene ist dann in Nacht begraben. Niemand spricht weiter davon. Das Meiste in der Welt gleicht sich auf ähnliche Weise aus. Nur, wo die innern Saiten zersprangen, und die ganze Harmonie mit einem einzigen Mißgriff zerstört ward, da flickt und knüpft und zieht man sein Lebelang dran, und nichts als falsche Töne in der Seele. – – –

Ich komme von einer langen Wanderung durch Feld und Wald zurück. Zu den alten, lieben Stellen mochte ich nicht hingehen. Es ist noch soviel Krankes in mir, das geschont sein will. Ich ging weiter hinauf, nach der großen Heerstraße zu. In einiger Entfernung von mir zieht sich die Chaussee an den Bergen hin. Ich folgte dem weißen Streif in seinen Krümmungen, und maß die Ferne, unter beengenden Gefühlen. [23] Die kleinen Staubwirbel, welche die Forteilenden zurückließen, umhüllten die Wipfel der Pappeln in aschgrauen Schleier, während unterhalb die flache, fahle Straße öde da lag. Das ist das Leben! seufzte ich. So verwischen sich seine Spuren! So zerrinnt jede Erinnerung in die große, allgemeine Auflösung der Dinge!

Ich gestehe Dir, Heinrich, mir schauderte vor dem Gedanken! Allein, und losgerissen, wie eins dieser schwirrenden Stäubchen, fühlte ich mich mehr als je überflüßig auf der Erde; das Leben schien mir unnütz, und der Schmerz so bedeutungslos, wie die Freude.

Nenne es Zufall, oder wie Du willst, daß gerade jetzt der frische Gesang eines Wanderers aus dem Thale, zu mir heraufschallte, ein dunkler Zug mir etwas Bekanntes zurückrief, und mich zwang, den Ton zu begleiten. Was ich hörte, war die Melodie eines unsrer Regimentslieder. Ich hatte sie unzähligemal gehört. Jetzt besann ich mich darauf. In demselben Augenblick trat auch ein junger Bursche in der wohlbekannten Dragoneruniform, Pallasch und Helm auf der Schulter tragend, aus dem Gebüsch. Er trällerte sein Liedchen, während er, von ungewohntem Gehen wohl ein wenig ermüdet, in [24] läßiger Weile, über den Wiesengrund schlenderte. Die Exerzierzeit war nun überstanden, das braun gebrannte Gesicht trug noch die Spuren von Hitze und Anstrengung, aber der kriegerische Schmuck, und die scharfe Waffe ruhten friedlich auf dem Nacken, der sie doch mit Stolz in die Heimath zurücktrug. Das Metall blinkte hell in der Sonne, es war, als tanzten goldne Fünkchen neben dem guten Jungen her, ihm die Mühen des Lebens zu überglänzen.

Ich kann Dir nicht sagen, was alles zugleich in mir wach ward. Freude, das Alte wieder zu sehen, Erinnerung an Gemeinschaft und Verbrüderung, an die Zeit, wo all der Sturm und Drang im Innern etwas wollte, wo kein Zweifel über die große Absicht des Daseins entstehen konnte, die Brust weit, der Wille stark, das Herz offen und frei war. Heinrich, ich sehe Dich, die Freunde, mich selbst, jünger, besser wieder. Ich wurde jung, wie damals, ich rief den Dragoner an. Er stand stille und sah herauf zu mir. Ich nannte ihm meinen Namen. Er wußte nichts von mir. Er war nach mir zum Regiment gekommen, gleichwohl traten wir cameradschaftlich zusammen. In seinen Augen blitzte angenehme Ueberraschung, hier Anhang und Schutz zu finden. [25] Er betrug sich gegen mich mit ehrfurchtsvoller Zurückhaltung. Ich kann Dich versichern, mir war seit lange einmal wieder wohl. Eine Weile gingen wir mit einander, dann theilte sich unser Weg. Er ist nicht weit von hier zu Hause. Ich beschenkte ihn, was er mit jener Beschämung stolzen Selbstgefühls, nicht ohne einiges Erröthen, und, wie er sagte, nur von einem ehemaligen Herrn Offizier seines Regiments annahm. Als er nun mit erfrischtem Muthe weiter ging, und mehrmals, unter wiederholten Begrüßungen, nach mir zurücksah, da ward mir, als trennte sich ein Bekannter von mir. Ich sah ihm gerührt nach. Ist es das? fragte ich mich. Ruft das Leben aus diesem Ton? Will es mich dahin zurück haben?

Ich fragte mich das seitdem öfter. Heinrich! wahr ist es, Etwas muß der Mensch doch wollen, oder er geht unter. Was soll ich aber? Und dann. – So kann es doch nicht wieder werden! Alles ist dagegen. Es paßt auch nicht.

Wirst Du mich verstehen, Heinrich, wenn ich Dir sage, daß es Emma ist, die mich hier festhält? Sie ist so plötzlich, so unnatürlich, möchte ich sagen, von mir losgerissen worden. So läßt es ihr Herz, so läßt es das Leben nicht. [26] Ich weiß das gewiß. Ich bleibe deshalb, und warte, bis sie mir sagt, was sie will, was ich soll. Erkläre mir, wenn Du kannst, die unbegreiflichen Widersprüche des Herzens. Ich gehe nie an ihrem Fenster vorüber, ohne daß es mich heiß durchrieselt, ohne daß mein nasses Auge sie hinter den Scheiben sucht. Heute bei meiner Heimkehr er schütterte es mich unaussprechlich, als ich die Fenster ausgehoben, die Vorhänge aufgeschlagen fand, und das tiefe Zimmer so dunkel und öde nach Außen heraustrat. Ich stand lange davor. Drüben auf dem Altane saß der Oheim. Er hatte den Kopf in die Hand gelegt, und betrachtete mich gedankenvoll. Ich fühlte, was in ihm vorging. O wäre Emma in diesem Augenblick – nun und was dann? wirst Du fragen. Ja, dies dann, ist eine lange, unbestimmte Zukunft, und der Mensch, Heinrich, ist ein Mensch.

Lebe wohl! Ich will morgen zu meinen Dragonern hinüber reiten, und mich wieder jung schwatzen.

Curd an die Gräfin Ulmenstein

Wie beschämen Sie mich, gnädige Frau! Sie lassen sich herab, mir zuerst wieder zu schreiben, [27] mich willkommen zu heißen in der Heimath! mir zu sagen, daß ich erwartet werde, daß ich nur eilen soll, mich der großmüthigsten Beschützerin zu Füßen zu legen, die ihren reichen Vorrath launiger, unterhaltender Mittheilungen für mich in Bereitschaft hält.

Wahrhaftig, kann mich etwas mit dem Gedanken versöhnen, wieder in unsere gute, alte Stadt zurückzukehren, so ist es allein Ihre Gnade, Ihre liebenswürdige Gesellschaft, das elegante Haus der einzigen Frau in Deutschland, die Hoffnung, den Zirkel dort wieder zu finden, der sich allein um solchen Mittelpunkt versammelt.

Sie, Gnädigste, könnten den Aufenthalt in Paris allein vergessen machen! Welche Ansprüche auf die Dankbarkeit des deutschen Reisenden haben sie nun vollends dadurch, daß er bei Ihnen nichts von Allem vermißt, was er im Auslande zurückließ! Wüßte ich nur, was ich thun könnte, um mich einigermaßen eines solchen Glückes würdig zu zeigen! die schwachen Beiträge, welche ich zu Ihrer Unterhaltung liefern kann, sind nicht von der Art, um mir ein Recht auf die mir so vielfach bewiesene Aufmerksamkeit zu geben. Kleine Reiseabentheuer, in denen sich mein unbedeutendes Selbst verflochten findet, war ich schon so [28] dreist, Ihnen vorzulegen. Leider ist mir aber nichts Bedeutendes begegnet. Ehrlich gesprochen, gnädige Gräfin, Leute, die nichts Besonderes sein wollen, erfahren sehr selten etwas Außerordentliches. Die gebildete Gesellschaft duldet nirgends auffallende Ereignisse. Ueberall giebt es einander ähnlich sehende Gesetze, strenge Polizei, geebnete Straßen, über die man pfeilschnell hinfliegt, große Städte, große Welt, und fast nur eine Sprache, ob diese französisch, englisch oder deutsch heißt, Menschen von Erziehung reden alle aus einem Tone. Das bestätigen uns die neuesten Reisebeschreibungen. Sie sagen immer dasselbe, wenn sich nicht so ein guter, wandernder Künstler auf die Beine macht, und uns sein Abentheuer zum Besten giebt. Ich versichere Sie, der Parmesankäse schmeckt in Parma nicht anders als in unsrer Residenz, der ächte Syllerie wird überall nur ächt geschätzt, französische Köche an jedem Orte gut bezahlt, Trüffeln aus Perigord, so wie Strasburger Pasteten machen die Reise bis nach Neapel, der Mann von Geschmack ißt im Norden und Süden gern gut, und die Frauen dürfen nur die Augen in den Spiegel werfen, um zu unterscheiden, ob eine Pariser Toilette sie kleide? Uebrigens wissen Alle, was ein hübscher[29] Fuß in der Welt gilt, wie er am zierlichsten beschuhet, wie am vortheilhaftesten gesetzt wird. Wersucht, der wird finden, heißt es. Es suchen die Klügsten dasselbe, und Einige finden es überall. Der ganze Unterschied besteht darin, daß dies mit mehr oder weniger Grazie geschieht. Indeß, gute Tanzmeister finden sich dann doch an den meisten bedeutenden Orten. Selbst in Deutschland ist, Gott sei's gedankt! die Erziehung hierin soweit vorgeschritten, daß man dreist eine Comtesse Ulmenstein neben die gewandtèste Pariserin stellen darf. Sie sehen, gnädige Frau, etwas Neuem begegnete ich eben nicht. Wie sehr muß ich auch hierin gegen Sie zurückstehen, Sie, die mir den aller reichhaltigsten Brief, voll der bizarrsten Katastrophen mitzutheilen die Gnade hatten. Welch ein Wahnsinn befiel denn Ihre Nachbarn! Die Tragi-Komödie am See beschreibt Ihre meisterhafte Feder im Styl einer Seriguee. Ich war dadurch so überrascht, daß ich Anfangs die ganze Sache für eine Fiction Ihrer scherzhaften Laune hielt. Die außerordentliche Wahrheit, mit der Sie das Gemälde hinstellen, konnte mich auch nicht so leicht irre machen, da ich wohl schon öfter Gelegenheit hatte, ein Talent zu bewundern, das eben so täuschend trifft, [30] als glücklich malt. Indeß sollte ich in Kurzem durch den Augenschein über jene Zweifel belehrt werden.

Ja, gnädigste Frau, durch den Augenschein. Die schöne Elise hält sich im Hause meiner Mutter auf. Denken Sie sich die Ueberraschung, als ich hier ankam, und die Verbannte unter einem Dache mit mir fand! Es mochte sie wohl nicht weniger überraschen; denn ich eilte dem Briefe, der meine Ankunft bestimmt meldete, fast um acht Tage voraus, und verhinderte sie so an der Ausführung des Vorsatzes, mir das Feld zu räumen. Ich gestehe, ich wußte es ihr Dank, daß sie nicht eben begierig auf meinen Anblick war. Es setzte mich in große Verlegenheit, ihr gerade an diesem Orte zu begegnen. Ueberhaupt macht man immer ein einfältiges Gesicht, wenn man Jemand nach einem Unfall oder sonstiger Veränderung seiner Lage, wiedersieht. Hier war nun vollends etwas Beleidigendes im Spiel, das mir das verwandte Blut ziemlich warm durch die Adern jagte. Ich konnte es weder mir noch meiner Mutter verbergen, daß, nach der einfältigen Geschichte, Elisens Aufenthalt hier im Hause einen Theil des Ridiculs auf uns zurückwerfe, das sie auf sich lud. Ich stritt lange mit der [31] nachsichtsvollen Frau, die zu fern von der Welt lebt, um das Gewicht ihres Urtheils zu kennen. Es verdroß mich, gleich beim Wiedersehen gerade hierdurch gestört zu werden. Leider giebt es ohnehin bei jeder Nachhausekunft Störungen, die auf der gänzlichen Verschiedenheit der Verhältnisse beruhen, und die noch erhöht werden, wenn zu den eigenen Unannehmlichkeiten, fremde hinzukommen.

In solcher totalen Verstimmung machte ich den nächsten Morgen, ganz gegen meine Gewohnheit, in aller Frühe einen weiten Spatziergang, querfeldein durch Wald und Wiesen. Ich hetzte mich gewissermaßen müde, in dem Gedanken, zahmer und williger das Ungemach über mich ergehen zu lassen. Es gelang mir auch. Die freie Luft hatte mich um Vieles abgekühlt, der Anblick einer ganz hübschen Besitzung, mit angenehmen Aussichten für die Zukunft erfüllt. Vorzüglich verhieß der Wald, mit seinen starken, lang geschonten Holzungen, die letzten Reisekosten zu decken. In Gedanken dieses schnell berechnend, nahm ich meinen Rückweg nach Hause. Ich ging rasch, wie man unter dem Entwerfen vortheilhafter Pläne geht, ohne rechts und links zu sehen. Plötzlich stehe ich vor meiner hübschen Cousine. [32] Sie ruhte ganz idillisch, wie man sonst Figuren auf Tassen malte, unter einer Eiche am Wiesenrande, vor ihr weideten die Schafe. Ein großer Strohhut beschirmte ihr Gesicht, sie lehnte sich seitwärts gegen den aufgestemmten Arm, so daß sie halb liegend den Rasensitz einnahm. Sie sah allerliebst aus. Ich blieb eine Weile stehen, um sie genauer zu betrachten. Als sie mich bemerkte, richtete sie sich schnell in die Höhe. Sie sah mich verwundert an. »Wie?« fragte sie, ohne Verlegenheit oder Affectation, ganz in ihrem gewöhnlichen Tone: »sind Sie es, Curd? So frühe? das ist wohl etwas Neues, was Sie von Reisen mitbringen?«

Sie lächelte bei diesen Worten, und zeigte zwischen den frischen Lippen die schönen, weißen Zähne, die ich so oft an ihr bewunderte.

Weiß der Himmel, ich gerathe doch sonst nicht leicht aus der Fassung, aber diese unbefangene Art, mich zu bespötteln, verwirrte mich. Sie bemerkte es. »Nun,« sagte sie, »was stocken Sie denn so? Haben Sie es verlernt, mit mir zu reden? oder scheuen Sie es etwa?«

»Ich sehe,« erwiederte ich schnell gesammelt, indem ich Platz neben ihr nahm. »Ich sehe, Sie fangen es da wieder mit mir an, wo Sie [33] es gelassen haben, Sie machen sich sogleich wieder über mich lustig.«

»Ach, mein lieber Curd,« seufzte sie mit ganz unveränderter Miene. »Es fängt sich im Leben niemals, wie in einem Buche, auf der Stelle wieder an, wo man stehen blieb; und das Lustigmachen hängt genau mit der Lust zum Lachen zusammen. Aber kommen Sie,« fuhr sie fort, »wir sind wohl hiermit fertig. Sie haben den Schreck überwunden, mich zu sehen. Ich habe Ihnen über die Verlegenheit der ersten Anrede weggeholfen, weiter möchten wir doch nicht leicht kommen, und Ihre Mutter will frühstücken.«

Sie stand hier von ihrem Sitze auf, band die Hutschleife unter dem Kinn fester, und ging, diesen vor dem anhebenden Wind mit der einen Hand haltend, so leicht und frei vor mir her, als könne weder Vorwurf noch Kummer ihr etwas anhaben.

Gerade in solchem Morgenanzuge, mit demselben feinen florentinischen Hute hatte ich sie auf der Jagdparthie am Tage meiner Abreise das Letztemal im vollen Glanze der glücklichsten Stellung bewundert, verehrt, gesucht, gesehen; neben ihr auf dem Rasen gesessen, mit ihr gelacht, und alle Ausfälle neckender Laune über mein Reiseproject [34] erduldet. Und nun! Ich konnte mich nicht einer Aufwallung von Mitleid mit der jungen, reizenden Frau erwehren. Es war mir ganz unbegreiflich, wie gerade sie zu der sentimentalen Schwärmerei kam!

Viel nachsichtiger als zuvor gegen sie gestimmt, bot ich ihr den Arm. »Ich danke Ihnen,« sagte sie mit kurzem Kopfnicken, mehr höflich als freundlich. »Sie wissen wohl von unsern ehemaligen Spatziergängen her,« fügte sie hinzu, »ich gehe lieber allein, man ist so freier.«

Ich lächelte. Sie that nicht, als wenn sie es bemerkte. Ihr lag sichtlich daran, eilig nach Hause zu kommen. Sie sprang auch eine Strecke vor mir her die Treppe hinauf. Ihre Eile mußte meine Mutter befremden, die schon im Vorsaale stand, uns zu empfangen. Sie machte ein peinliches Gesicht, und sah verlegen nach mir hin, als fürchte sie, ich könne Elise gekränkt haben. Doch diese sah sich nicht sobald von einem tête-à-tête mit mir befreit, als sie unbefangen an dem Frühstück Theil nahm, und sich von Italien erzählen ließ. Man merkte aber nicht, daß sie sich Gewalt anthue; doch nach einer Weile ward sie zerstreut. Sie rückte sich tiefer in das Sopha hinein, schlug die Arme übereinander, lehnte den [35] Kopf zurück, ohne länger das Ansehen haben zu wollen, als interessire sie, was gesprochen ward. Auf eben diese Art wandte sie sich auch, während einer Pause, wie plötzlich von einer Empfindung getrieben, zu meiner Mutter, faßte sie bei der Hand, indem sie gerührt sagte: »Liebe Tante, es war mein Vorsatz von Anfang an, Sie meinetwegen in keine Verlegenheit zu setzen. Deshalb wollte ich Ihr Haus vor Curds Ankunft verlassen. Glauben Sie nur, ich weiß genau, wie unsicher er mit mir ist, und wie Sie das ängstigt. Ich würde mich auch jetzt gleich auf den Weg machen, und nicht so schwankend zwischen Mutter und Sohn, bei dem ersten Wiedersehen nach langer Trennung, stehen bleiben. Allein, ehrlich gesagt, weiß ich nicht recht, wohin ich mich sogleich schicklicher Weise wenden könnte? und dann fürchte ich auch, Ihnen, liebe Tante, wehe zu thun.«

Wir hatten vergeblich gesucht, sie zu unterbrechen. »O!« rief sie aus, »ich fühle wohl, was Sie mir erwiedern müssen, was Sie auch in dieser Minute aus Ueberzeugung erwiedern werden, allein das ist doch alles nicht von Bestand. Es können tausend unzuberechnende Zufälligkeiten eintreten, von denen eine einzige hinreicht, [36] Verdruß zu erregen. Wer Aergerniß gegeben hat, darf sich nicht wundern, wenn man sich über ihn ärgert, und besonders ein Weltmensch, wie Ihr Sohn, liebe Tante, der verzeiht nichts so schwer, als einen Eclat, der nicht niederzuschlagen ist. Ich habe die ganze Nacht die Sache hin und her erwogen, ohne etwas anders auszumitteln, als daß wir einander aus gegenseitiger Rücksicht soviel als möglich aus dem Wege gehen müssen.«

»Um Alles in der Welt, Kind!« fiel meine Mutter ihr ins Wort, »wie verstehst Du das? Soll es von mir heißen, ich habe einen Gast in meinem Hause, und vernachläßige meine Schuldigkeit gegen ihn? oder wollen mich die Leute glauben machen, Deine Familie habe Dich auch verstoßen, weil Du zu gewissenhaft und zu lebhaft warst, da zu schweigen, wo es keinen andern Kläger gegen Dich gab, als Dich selbst? Einander aus dem Wege gehen! auf dem Lande ineinem Hause! Du bedenkst die Unmöglichkeit nicht.«

Elise umarmte sie begütigend. »Gute, beste Tante,« sagte sie, »mißverstehen Sie mich nicht, als wolle ich mich Ihrer Gesellschaft völlig entziehen. Bewahre mich der Himmel vor solcher Undankbarkeit. [37] Allein jetzt, da Sie bessere Unterhaltung haben, geben Sie nicht allzu genau darauf Acht, wenn ich einmal an Ihrem Tische fehle, mein Zimmer Ihnen verschlossen bleibt, oder ein langer Spatziergang mich weiter von hier entfernt, als es gewöhnlich geschieht. Lassen Sie mich kommen und gehen, ohne Arges dabei zu haben. Begegnen wir einander, so verdenken Sie mir's nicht, wenn ich zurückbleibe, oder nicht Ihren Weg nehme. Denken Sie dann, daß ich es scheue, Ihnen lästig zu werden, und auch unfähig sei, mich gerade jetzt zu beherrschen.«

Ich versicherte sogleich, ihre Aeusserungen möglichst leicht nehmend, daß sie von mir keine Belästigung zu fürchten habe, und da mein Aufenthalt überhaupt nur von kurzer Dauer sei, so hoffe ich, solle sie der nicht belästigen. Sie sah bei diesen Worten überrascht und ungewiß zu mir auf. Doch ließ sie es dabei. Auf ihrem klugen Gesicht lag allerlei, was ich nicht sogleich entziffern konnte. Meine Mutter war nun froh, daß sie nicht mehr an die Abreise dachte. Sie sagte ihr in meinem und ihrem Namen jede Bedingung zu, worauf sie, ein häusliches Geschäft zu besorgen, das Zimmer auf einen Augenblick verließ.

Kaum daß sie sich entfernt hatte, so wandte [38] sich Elise rasch zu mir. »Hören Sie, Curd,« sagte sie, in allem ihrem frühern überlegenen Ernst, »ich will annehmen, Sie meinen es gut mit mir. Es kann ja sein! Was hätten Sie auch davon, mich zu kränken! Des halb verderben Sie mir nicht durch wohlfeile Witzeleien und magern Spott, über sentimentale Bizarrerie, meinen Lieblingsplatz unter den Eichen. Lassen Sie mich da machen, was ich will, und kümmern Sie sich nicht darum, wenn es Ihnen auch lächerlich vorkommt, daß ich meine Freude an den Thieren habe, die dort weiden. Manch armes Lämmchen, das auch keine Mutter hat, wie mein – –«

Sie stand hier, von innerer Rührung überwältigt, vom Stuhle auf, und trat, mir den Rücken wendend, ans Fenster. Sie weinte bitterlich. Mir that es im Herzen wehe; ich hatte nicht den Muth, sie anzureden.

Kurz darauf war sie gefaßt genug, mich zu fragen, ob ich ihr versprechen wolle, auf die vorgeschlagene Weise, hier in Frieden mit ihr zu leben? ihre Ruhe zu ehren, und nicht den Späher und Critiker gegen sie zu spielen?

Es versteht sich, daß ich mir in der Stimmung, worin wir gerade waren, keinen unzeitigen [39] Scherz erlaubte, ganz ihren Befehlen zu gehorchen versprach, und zum Beweis meiner Willfährigkeit ihr nicht folgte, als sie, zufrieden mit meiner Zusage, in den Garten ging.

Sie hätte auch wirklich in dem Augenblick von mir fordern können, daß ich sogleich aufbrechen und das elterliche Haus ihretwegen räumen sollte, ich wäre nicht im Stande gewesen, »Nein« zu sagen. Sie hatte mir's angethan, ich war wie bezaubert von ihr. Wahrhaftig, ein bischen Sünde, ein bischen Unglück macht die Frauen erst reizend, begegnet man ihnen nun noch dazu, ausgestoßen von der Welt, in irgend einem entlegenen Winkel auf dem Lande, wer kommt da nicht auf den Einfall, einem gefallenen Engel wieder aufhelfen zu müssen?

Ihnen gnädige Gräfin, darf man dergleichen flüchtige Empfindungen schon anvertrauen, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, und so gehe ich denn noch weiter, und bekenne Ihnen, daß ich den ganzen Tag eine gewisse unruhige Verwirrung nicht los werden konnte, und noch spät Abends ein Paar Pferde müde reiten mußte, ehe ich hoffen durfte, es zu Hause auszuhalten. Mein heißes Blut sollte indeß durch eine ungeheure Mistification abgekühlt werden. Hören Sie[40] nur, gnädige Frau! Es war voller Abend, als ich endlich zurückkehrte. Meinem Versprechen getreu, umritt ich den Anger, die Bäume, Elisens Ruheplatz, in weitem Kreise. Gleichwohl zog es mich, zu sehen, ob sie wieder da säße. Ich hielt auf einer kleinen Anhöhe. Der schöne, grüne Teppich lag unter mir, ich wäre vor mein Leben gern darüber weggesprengt, zu der lockenden weißen Gestalt hin, die mit raschen, kurzen Schritten am Rande der Erlenbüsche auf- und abging, zuweilen still stand, umhersah, und dann, wie nach vergeblichem Warten, ihren Spatziergang aufs Neue fortsetzte.

Ich wurde, je länger ich dies unstäte Umherwandeln beobachtete, immer gespannter. Es fing an zu dunkeln. Bald sah ich nichts mehr als Elisens Kleid durch die schwarzen Nachtschatten hin und wieder gleiten. Jetzt mit einemmale kam mir's vor, als verdopple sich dieser Schatten, und gehe auf der andern Seite neben ihr. Doch blieb er nicht immer sichtbar. Zuweilen verlor er sich im Gebüsch, dann mit einemmale sank er ganz zusammen, und schien nur bis an ihre Kniee zu reichen.

Was ist das? fragte ich mich, halb und halb meiner Sache gewiß. Ein Mann! so wahr [41] Gott lebt! ein Mann! rief ich, gab meinem Pferde die Sporen, und war, wie der Blitz, bei den Erlen. Indem sprang Jemand zwischen den knisternden Zweigen hindurch. Elise eilte pfeilschnell nach dem Garten zurück. Dort ereilte ich sie, nachdem ich mich vergeblich bemüht hatte, jenen Flüchtling zu erhaschen. Er war, wie vom Erdboden verschwunden. Das Gartenthor mußte von der andern Seite ins Schloß gesprungen sein. Elise quälte sich umsonst, es zu öffnen, als ich vom Pferde stieg, und dieses am Zügel haltend, mit den Worten zu ihr trat: »Warten Sie, Cousine, ich will Ihnen helfen.« »Ich danke, ich danke Ihnen,« entgegnete sie mit abgebrochener Stimme und schnellem, kurzem Athemzuge. Ich hatte ihre Hand beim Drehen am Schlosse berührt. Sie bebte wie von Fieberfrost geschüttelt. »Mein Gott,« rief ich bestürzt, »Elise, was ist Ihnen?«

»Lassen Sie es gut sein,« flehte sie kaum hörbar, »halten Sie Wort, Curd, forschen Sie nicht, es hilft zu nichts mehr! Mein Gott!« seufzte sie, einen Augenblick auf meinen Arm gestützt. »Bin ich doch bis zum Tode erschrocken!« Doch gleich darauf nahm sie sich zusammen. »Es [42] ist jetzt ganz vorüber,« lächelte sie. »Reiten Sie nun ruhig weiter, ich bin ja zu Hause.«

Sie machte sich los, und ging hinein. Ich sah sie den Abend nicht wieder. Heute Morgen erschien sie auch nicht beim Frühstück. Ich höre, sie habe Briefe erhalten. Ihre Kammerjungfer versichert, die arme Dame bade sich in ihren Thränen.

Ich bin geheilt, Gnädigste! Ich weiß, was diese Thränen bedeuten. Ohne allen Zweifel war Hugo hier. Hätte ich ihn zu der Stunde, auf dem Gebiet meiner Mutter gefaßt, er wäre nicht lebend von der Stelle gekommen! Vergeben Sie, Frau Gräfin, daß ich soviel und so Unbedeutendes schwatze. Die neuesten Tagsbegebenheiten, selbst aus einem armen Dorfe, reißen stets die Feder wie die Gedanken mit sich fort. Ueberdem greift das hier Vorgefallene in das Gewebe der letzten Residenzgeschichten mit ein, und erhält dadurch einiges Interesse. Ich hoffe deshalb auf Ihre Verzeihung.

Gewähren Sie diese

Ihrem unterthänigsten Curd. [43]

Leontin an den Comthur

Alles vergebens! Ich kann sie nicht mehr auffinden! Es ist, als wären sie von der Erde verschwunden. Bis hierher folgte ich einer Spur, die ich für die ihrige hielt, und die mich auch wirklich nicht betrog. Es war natürlich, meine Richtung nach der Heimath der Frau Oberhofmeisterin zu nehmen. Wir waren hierüber einig, wie Sie sich erinnern werden. Ich durfte gleichwohl nicht auf der großen Straße bleiben, gewiß, den Reisenden am wenigsten zu begegnen, wenn diesen, wie es das Ansehen hatte, daran lag, Widerspruch und Gegenrede auszuweichen. Ich fand auch bald in Gebirgshütten, in versteckten Thaldörfern oder in entlegenen Klöstern Nachricht von einer schönen, vornehmen Kranken, die, in Begleitung ihrer Mutter, schnell und geheimnißvoll durch diese Orte reiste, wenige Stunden der Ruhe gönnte, selten nur irgendwo an einem Orte übernachtete. Diese Eile, die glänzende Equipage, das Incognito, alles erregte meine Aufmerksamkeit. Die Leute erzählten gern davon, und vielleicht mehr und umständlicher, als es im Verfolg gewohnter Weise auf gewöhnlichem Wege geschehen wäre. Ich erkannte indeß hierin die vorgreifende Hand der Oberhofmeisterin, die das [44] Wie so oft über dasWas in ihrem leidenschaftlichen Wollen vergißt.

So durchzog ich den Schwarzwald. Ich kam eines Abends bis zum Fuße eines der höchsten Berge. Der Weg über denselben war in der Dunkelheit nicht mehr zu finden. Ich kehrte in einem freundlichen Hof, bei wackern Leuten ein. Das geräumige Haus, die geordneten Umgebungen ließen auf gastliche Bewohner schließen. Ich konnte nicht zweifeln, daß diese, an ähnlichen Besuch gewöhnt, niemals durch denselben überrascht oder gestört werden würden. Gleichwohl nahm ich nach dem ersten treuherzigen Gruße einige Befangenheit auf den ehrlichen Gesichtern wahr, die mich verlegen machte. Es mußte irgend ein besonderer Fall sie persönlich getroffen, ihrer wohlwollenden Offenheit Zwang angelegt haben. Ich ward in ein großes, hallenartiges Gemach geführt, das eher einem Vorrathsgewölbe als einem Wohnzimmer ähnlich sah. Es standen offne und verschlossene Schränke, Kisten und Kasten, auch Handwerksgeräth und andere Gegenstände umher. Als ich mich ein wenig verwundert hier umsah, lächelte der Wirth, der allein bei mir geblieben, und ängstlich bemüht war, mir Bequemlichkeiten zu verschaffen, welche der, zur Aufnahme [45] von Fremden wenig eingerichtete Raum, entbehrte. »Wir haben drüben einen Bau vorgenommen,« sagte er, indem sein Auge verschämt zu Boden sah. »Das Kämmerchen, in welchem wir fürs Erste eingeklemmt sind, hat nicht Platz für Gäste,« fuhr er mit abgewandtem Gesicht fort. »Wir hätten uns deshalb auch gar nicht unterstanden, einem vornehmen Herrn unser schlechtes Obdach anzubieten, wäre es nicht unrecht, irgend Jemand von der Thüre zu weisen, an die er geklopft hat.«

Er sprach die letzten Worte lauter und zwangloser, als die frühern. Sie kamen ihm aus dem Herzen. Er hatte dieses nun erleichtert, und bezeigte sich während dem Herzutragen von Stühlen und Tischen, Speise und Trank, sehr herzlich und gesprächig.

Nach einer Weile blieb er indeß weg. Es währte lange, ehe die Frau seine Stelle einnahm. Ich behielt Zeit, bei mir über aufsteigende Zweifel nachzudenken, welche diese sonderbare Aufnahme bei mir erregten.

Wahr ist es, dachte ich, ich habe draußen ein Baugerüst, und auf der Flur Leiter, Karren, Maurer- und Zimmergeräth bemerkt, es mag mit dem Baue seine Richtigkeit haben, allein wenn [46] ich nicht irre, so ist die ganze vordere Seite des Hauses überhaupt neu, und dieses Gewölbe, im Zusammenhange mit mehrern andern, tiefer hineingehenden Gemächern, gehört zu dem eigentlichen Hauptgebäude, das ziemlich geräumig sein, und ein wohnlicheres Unterkommen bieten mußte. Der redliche Mann stockte auch bei seiner Entschuldigung, als schäme er sich einer Lüge. Was steckt nur dahinter verborgen?

Die eintretende Wirthin unterbrach dies Selbstgespräch. Sie that sehr emsig, kehrte und wischte im Zimmer umher, ohne meine Fragen, in Betreff der jüngst hier Vorübergereisten sonderlich zu beachten. Sie hatte darauf nur allgemeine Antworten, meinte, so manch' Einer ergehe sich, oder werde die Berge hinauf oder herab getragen, spreche bei ihnen ein, lasse auch wohl den stillen Hof bei Seite liegen, ohne daß sie es sonderlich wahrnähmen. Sie sah dabei gleichgültig die Zimmerwände an, und klagte, daß zwischen dem Schnitzwerk über der Thüre die Spinnen Jahr aus Jahr ein ihre Fäden zögen. Ich war den hausmütterlichen Blicken gefolgt, der ernste und großartige Charakter meiner Wohnung fiel mir aufs Neue auf. Ich äußerte dies, zugleich über den Ursprung und die frühere Bedeutung [47] des ältern Theils des Hauses Erkundigungen einziehend. Die Frau gab keine befriedigende Auskunft, wußte nur Allgemeines von einer ehemaligen Abtei zu sagen, die hier gestanden, und über die umliegenden Klöster geherrscht habe. Dies Zimmer solle eine Capelle gewesen sein. Alle die Aecker und Wiesen, die Mühle und das ganze fruchtbare Thal habe dazu gehört. Später, als die Klöster zerstört und wieder erbaut worden, wäre eine neue Ordnung an die Stelle der alten getreten, die Abtei sei verödet und verfallen, an den Meistbietenden verkauft worden, und der Besitz ihrer Familie durch Erbschaft verblieben.

Ich hatte ihr aufmerksam zugehört, doch entging mir eine sonderbare Unruhe im Hofe nicht, an welcher auch sie Antheil nahm, ohne es merken lassen zu wollen. Im Gegentheil, redete sie lauter, je achtsamer sie meine Blicke nach dem Fenster gerichtet sah. Ich konnte indeß hier nichts entdecken, die Nacht war sehr dunkel, oder schien mir doch so, da stark hervorspringende Mauerpfeiler und hohe, alte Bäume die nächsten Gegenstände draußen verdeckten.

Es ängstigte mich dies, und überhaupt, hier wie eingesperrt sitzen zu müssen. Deshalb fragte ich, ob mich Niemand späterhin, wenn der Mond [48] aufgegangen sei, über den Berg geleiten wolle? Die Frau schüttelte den Kopf. »Es regnet,« sagte sie, »und der unsichere Schimmer hinter dem Gewölk macht die Führer nur irre.« Sie rathe mir im Gegentheil, daß ich jetzt ein Paar Stunden zu schlafen versuchen möchte. Frühe, mit Tagesanbruch, da lasse sich denn schon eher ein Bote finden.

Sie machte sich während dem daran, mein Lager zu bereiten. Matratzen, Betttücher und Decken fanden sich in den Schränken vor. Sie ordnete alles aufs Beste, stellte die Lampe zurecht, und wünschte mir mit dem Zusatze eine gute Nacht, daß, wenn ich gegen Morgen aufbrechen wolle, ich den Schieber dort in der Mauerblende wegziehen sollte. Man sehe unmittelbar einem langen Gang hinunter, der zu ihrer Kammer führe. Ich brauche dann nur zu rufen, sie oder ihr Mann würden mich schon hören. Sie ging mit diesen Worten zu der gegenüber befindlichen Thüre hinaus, die sie hinter sich verschloß.

Ihre behende Eile machte es mir unmöglich, sie hieran zu hindern. Indeß war mir diese sonderbare Vorsichtsmaßregel in dem anscheinend wohlgeordneten, ruhigen Haushalte höchst auffallend; [49] ich gerieth in allerlei widersprechende Besorgnisse, mit denen ich mich lange quälte, ohne an Schlaf zu denken.

So, in dem alterthümlichen Gemache auf- und abgehend, fiel mir der Schieber in der Mauer, und die Möglichkeit wieder ein, Jemand errufen zu können. Unwillkührlich näherte ich mich der bezeichneten Stelle, um einen vorläufigen Versuch zu machen. Es gelang damit auch in so weit, als sich wirklich die Oeffnung in der Mauer vorfand, durch welche ich einem langen Gang hinuntersah. Allein es war dabei noch nichts sonderlich gewonnen, da es ungewiß blieb, in wiefern mich derselbe mit den Hausbewohnern in Verbindung setze? Immer war ich sehr entfernt von den Letztern, denn es zeigte sich nur am äußersten Ende des Ganges eine einzige Thüre, und da ich diese, eben deshalb, weil es die einzige war, genauer betrachtete, und der Zugwind sie auf- und zuschlug, blieb mir kein Zweifel, daß sie nach einem mit Bäumen bewachsenen Vorhof oder Garten führe.

Ich behielt keine Zeit, mir selbst in der ersten, unangenehmen Empfindung entdeckter Täuschung recht klar zu werden, denn, indem ich nachsinnend so stand, fiel ein schwacher Lichtstrahl durch jene [50] Thür. Sie ward von Außen völlig aufgestoßen; der Wirth, eine Laterne in der Hand haltend, trat herein, ihm folgten ein Paar rüstige Männer. Sie schoben etwas bei Seite, das ich nicht unterscheiden konnte. Dann stellten sie sich dicht zusammen, die Laterne ward höher gehalten, ich konnte ihnen ins Gesicht sehen, sie lachten, und schienen sich über einen Gegenstand, den sie einander zeigten, zu freuen. Bald hörte ich, daß sie Geld zählten. Mir gingen widrige Vorstellungen durch den Kopf. Ich hatte Leute und Wagen auf der nächsten Station zurückgelassen, und war, wie so oft in dieser Zeit, mit einem Miethpferde die Gegend durchstrichen. Bis hierher war mir nie das geringste Verdächtige aufgestoßen. Das Volk umher ist so offen, auch die Leute hier fand ich nicht anders, selbst in diesem zweideutigen Augenblick schüttelten sie sich treuherzig die Hände mit einer Miene, die auf nichts weniger als heimtückischen Raub schließen ließ. So trennten sie sich auch. Zwei gingen wieder dahin, woher sie gekommen waren. Der Hausherr verschwand an der Stelle, wo ich die Seitenwand zu Ende glaubte.

Unschlüssig, ob ich gleich jetzt Lärm machen, ob ich Jemand herbeirufen und aufbrechen solle? [51] besann ich mich, daß bei wirklich böser Absicht diese dadurch nicht verhindert, der Augenblick nur beschleunigt, und meine Lage mißlicher werden müßte, da sich ohnfehlbar Alles gegen mich bewaffnen würde. Auf jeden Fall, dünkte es mir, wäre meiner würdiger, den Ausgang ruhig abzuwarten, wodurch ich mir denn auch die Beschämung möglichen Irrthums ersparte.

Es blieb bei allem dem eine peinliche Nacht, die ich durchwachte.

Ich saß lange vor einem Tischchen, auf welchem die Lampe stand. Müde und doch gespannt, kämpfte ich zwischen Schlafen und Wachen, schloß und öffnete die Augen, die ich nur unter unsäglicher Anstrengung offen erhielt. Oefter mußte ich sie fest auf einen Gegenstand heften, um sie nur nicht zufallen zu lassen.

In solchem Moment sehe ich zwei verschlungene Buchstaben, die mit scharfer Nadel in die glatt polirte Tischplatte hinein gezeichnet sind. Sichtlich ein Gedankenspiel, das sich mehrmals wiederholte. Es war ein E und ein H. Es war Emma's Hand, die mechanisch den stummen Gedanken des Herzens hingezeichnet hatte. Weg war jetzt aller Schlaf. Ich starrte die wohlbekannten [52] Schriftzüge an, als könnten sie mir die lang gewünschte Auskunft geben.

Hier war sie also gewesen! Vor diesem Tischchen hatte sie gesessen! Vielleicht wie ich, den Kopf in die eine Hand gestützt, während die Andere jene Zeichen malte! Aber wann? wann war das? Wohl ganz kürzlich erst! Wohl gar heute! in dieser Nacht! –

Ein entsetzlicher Gedanke flog an mir vorüber. Wenn sie es waren, wenn man sie auf dem gefahrvollen Bergübergange beraubt, mißhandelt, erschlagen! – Meine Sinne verwirrten sich! Ich stürzte ans Fenster, ich rüttelte an der Thüre, ich rief donnernd dem langen, unheimlichen Gang hinunter. Es währte einige Minuten, ehe man mich vernehmen mochte, dann eilten aber von allen Seiten Herr und Frau und Knechte und Mägde herbei. Alle zeigten sich eben so betroffen als besorgt um mich. Einen Augenblick stand ich ihnen verlegen gegenüber. Die Todesangst um Emma riß mich indeß in den vorigen Ungestüm zurück. Ich fragte gebieterisch, was aus den Reisenden geworden sei, die hier verweilt, hier gewohnt hätten, die erst kürzlich aufgebrochen seien, deren Handschrift, deren Namenszug ich hier auf dem Tischchen wiedergefunden? [53] Ich weiß es gewiß, setzte ich leidenschaftlicher hinzu, erst in dieser Nacht verließen sie dies Haus. Ich habe alles gesehen und gehört, was sich zugetragen hat.

Der Wirth stutzte, sah seine Frau an, dann lächelte er sorglos, legte mir die Hand auf die Schulter, und meinte: »Was kann das Alles helfen, wahr bleibt wahr. Aber lassen Sie es gut sein. Die Herrschaften wollten nicht, daß man ihnen folge. Sie haben hier rasten müssen, weil die junge Dame nicht weiter fortkonnte. Nun, wir räumten ihnen unsere ganze Wohnung ein. Das währte so einen Tag nach dem andern. Besser ward es mit der Kranken nicht. Da meinte die Mutter, sie wollten in aller Stille ihren Weg fortsetzen. Den nächsten Morgen sollte es geschehen. Nun kamen Sie gestern Abend hier an, lieber Herr! Wegweisen durften wir Sie nicht. Wir brachten Sie darum hierher, in die alte Rumpelkammer. Es war uns peinlich genug, aber die alte, gnädige Frau befahl es so. Nachher forschte sie uns genau über Sie aus. Wir mußten ihr Alles sagen. Ich weiß nicht, was ihr in der Beschreibung so auffiel, daß sie ihrer Tochter ängstlich zuwinkte, dann mit ihr heimlich redete, sie leise bat und bestürmte, und nach [54] einer Weile erklärte, sie wolle gleich abreisen. Ich solle ganz im Geheim für ein Paar sichere Träger und Boten mit Laternen sorgen. Unsere Gegenvorstellungen führten zu nichts. Sie blieb unbeweglich, sparte weder Geld noch Ueberredung, und war in einer Stunde auf und davon. Es ging Alles glücklich. Ich begleitete sie. Jetzt muß sie schon eine bedeutende Strecke über das Gebirge hinaus sein.«

»Wohin ging ihr Weg?« fragte ich innerlich froh, ihnen so nahe zu sein. Ich erhielt unbestimmten Bescheid. »Es theilen sich dort unten verschiedene Wege,« hieß es, man könne nicht wissen, welchem die Reisenden gefolgt wären. Ich merkte wohl, daß die Oberhofmeisterin Sorge getragen hatte, sich der Verschwiegenheit ihrer redlichen Wirthe zu versichern. Deshalb eilte ich fortzukommen.

Während mein Pferd gesattelt ward, ging ich mit der Wirthin, Emma's Zimmer zu besehen. Es trug noch die Spuren ganz neuerlicher Bewohnung. Am Boden lagen getrocknete Blumen, Papierschnitzelchen, Haarnadeln. Ich sammelte, was ich in der Eile bekommen konnte, und die Stühle, worauf der Koffer gestanden, die übereinandergeworfenen Bettdecken, die leeren Tassen, [55] ein kleines Medizinfläschchen mit unbeschreiblicher Rührung anstarrend, zerknitterte ich krampfhaft die in den Händen haltende Papiere, als mir einfiel, ob keines derselben mir vielleicht ein hindeutendes Wort verrathen könnte. Ich trat zum Fenster, ich rollte Eins nach dem Andern auf, nur ein einziges war beschrieben, und enthielt folgende Worte:

»So lange Dein Sommer währt – da! ja da! Wenn aber der Winter kommt, die Natur todt, der Boden starr, die Luft schneidend wird, dürre Halme, von Reif überglast, in Deiner Hand zerbrechen, Einsamer! wie wirst Du frieren! wie wird Dein Herz verschmachten!«

Giebt auch die Treue jemals sich selber auf? Ich bin der Gräfin Tag und Nacht nachgeeilt, ehrwürdiger Herr! – Niemand weiß von ihr. Am Wohnorte der Oberhofmeisterin ist man so unwissend über sie, als ich es bin.

Morgen werde ich Audienz beim Fürsten und seiner Gemahlin erhalten. Vielleicht daß dort!


Abends.


Sie sind über Basel nach der Schweiz gegangen, und von da nach Italien. Ich folge ihnen sogleich. Gott leite meine Schritte! –

[56]
Madame Lindhof an den Amtmann

Du schickst den Fritz allein mit der Kalesche zurück. Du kommst also immer noch nicht nach Hause? Mich dünkt, lieber Sohn, Deine Gegenwart wäre hier sehr nöthig. Der Regen hält so lange an. Die Arbeit liegt. Ohne Dich wissen sich die Leute nicht zu helfen. Ich fürchte, Du wirst in diesem Jahre einen großen Schaden in Deiner Wirthschaft erleiden.

Wenn nur Deine Wünsche bei allem dem noch erfüllt würden, und die ungelegene Reise zu etwas führte! Ich gestehe Dir, mich ängstigt der verlängerte Aufenthalt in der Residenz aus tausend Gründen. Der Fürst kann leicht Dein Gesuch übel aufnehmen, und es müde werden, Dich zu begünstigen. Und am Ende ist es doch auch wohl mehr Unbestand, als der Verlust Deiner guten Frau, was Dich hier wegtreibt! Laß Dir die offenherzige Bemerkung nicht mißfallen, lieber Sohn. Ich sage es, wie ich denke; und denke es, weil ich Dich kenne. Glaube mir, in der Jugend sucht der Mensch gar zu gerne nach einem Vorwande in sich, um das zu wollen, was er gerne wollen möchte. Du wirst nun wohl sehen, daß es der Ort nicht thut, wenn man den rechten Sinn nicht mitbringt.

[57] Du stützest Dich auf die letzten traurigen Ereignisse, und behauptest, hier gehe alles Familienglück zu Grunde. Es sei, als walte ein finsterer Geist in unserm Umkreis, der bald auf diesen, bald auf jenen niederfalle. Ich kann solchen Aberglauben nicht billigen, lieber Sohn, Gottes Gnade läßt sich nicht bannen. Wer auf sie baut, der mag stehen, wo er will, er steht in seiner Hand.

Es ist wahr, es kann einem manchmal erschrecken, wie sich das Mißgeschick einnistet, und Leid und Trübsal unsere Tisch- und Bettgenossen werden, man immer nur traurigen Gesichtern begegnet, und selbst die Kinder sich ängstlich umsehen, ob auch kein neues Unglück im Winkel laure? Es ist so, lieber Sohn! wir erfuhren es Alle, und erfahren es wohl noch. Allein jedes hat seine Zeit, und ich denke, wäre man herzhafter, ließe man sich nicht beugen, sähe man mehr auf Gott, es würde uns nicht so dunkel vor den Augen und so gepreßt ums Herz bleiben.

Was hilft das aber Alles! Du hast nun doch einmal Deinen Sinn auf Veränderung gestellt. Du hältst hier nicht aus. Ich kann nicht sagen, ob Du recht oder unrecht daran thust? Wenn es erst so weit ist; wenn man einmal ein Gefühl [58] ausgesprochen, einen Widerwillen, eine Besorgniß mitgetheilt hat, dann freilich kommt der rechte Muth nicht wieder. Das Mißvergnügen ist ansteckend wie die Furchtsamkeit. Ich sagte vorhin, auch den Kindern werde es unheimlich hier. Gestern Abend mußte ich das wieder erfahren. Wenn die Scheu und Bangniß allein schon ein Uebel ist, so zieht sie immer noch neue herbei.

Es hatte den ganzen Tag geregnet. Die große Stube ist kühl, und scheint die Sonne nicht, so machen es die alten Linden trübe und feucht darinnen. Kinder frieren leicht, wenn sie einmal nicht draußen im Freien sein können. Ich hatte gegen Abend Feuer ins Kamin machen lassen. So lange die Flamme hell brannte, war es eine Lust für die Kleinen. Wie sich aber das Holz verkohlte, und die Gluth matter und dunkler ward, dann die Dämmerung eintrat, da drängte sich der kleine Kreis enger zusammen.

Sie erzählten einander Hexengeschichten und andern tollen Schwank. Annchen saß auf meinem Schooß im Winkel am Kamin. Sie hatte das Köpfchen an mich angelehnt, und sah zuweilen, mit den klugen Augen blinzelnd in die meinigen. Ich küßte sie, indem ich, von der Aehnlichkeit mit der Verstorbenen getroffen, leise sagte: »Ganz [59] wie die Mutter!« Der arme, kleine Georg hatte unterdessen sein Fußbänkchen dicht zu mir herangezogen, die Aermchen um meine Kniee geschlungen, das Gesicht hineingedrückt, als wolle er schlafen. Jetzt hörte ich ihn schluchzen, und da ich sanft seinen Kopf in die Höhe richte, bricht es wie ein Schrei aus dem kleinen, gepreßten Herzen: »Mutter! Mutter kommt auch gar nicht wieder!« Mir ging das durch die Seele, und vollends, als Annchen altklug versicherte: »Mutter ist todt, ja gewiß, sie ist todt!« Georg sah entsetzt auf, seine Thränen stockten. Es war, als wolle er mir das Ja oder Nein auf den Lippen lesen. Ich hatte Mühe, ihm die Bedeutung von Annchens Aeußerung begreiflich zu machen. Er seufzte tief, kam zu mir herauf, und sagte mir leise ins Ohr: »Darf ich denn nicht mehr in unser Haus gehen? Ich möchte doch so gern!« Er brachte das Letzte nur unter vielen Thränen stockend heraus. »Vater,« flüsterte ich eben so leise, »hat den Schlüssel mitgenommen. Du weißt ja, die Thüren sind verschlossen, wir können sie nicht aufmachen.«

»Wir können sie nicht aufmachen?« wiederholte er, das Köpfchen nachdenkend in die Höhe richtend. »Und Mutter auch nicht, wenn sie wiederkommt?«[60] setzte er hinzu. Ich küßte ihn, mit der Bitte, nur bis dahin Geduld zu haben. Allein er wiederholte bittend: »aber ich möchte doch so gern, so gern in unser Haus gehen! komm doch, komm!« bis ich ihn zuletzt ermahnen mußte, artig und folgsam zu sein. Annchen gab hier, wie immer, ihr Wort dazu, und drohte mit dem schwarzen Manne, wenn er noch länger weinen würde. Im nämlichen Augenblick stieß der Wind ein Fenster auf, die Kammerthür gegenüber sprang aus dem Schloß, der Wind fuhr heulend durchs Zimmer, die ältern Kinder flüchteten sich ängstlich ans Kamin. Franz stieß mit dem Fuß die Gluth zusammen, warf frisches Holz hinein, und als dieses prasselnd aufflackerte und der Schein den nächsten Umkreis erhellte, sagte er, es sei was Schwarzes durch die Stube gegangen.

Die Kleinen fingen nun laut an zu schreien. Ich schalt ihn thöricht, rief die Magd, hieß sie Licht bringen, und suchte in der Zwischenzeit die erschrockenen Kinder zu beruhigen.

Allein auch ich sollte ein wenig außer Fassung gerathen, als wirklich eine Figur auf mich zuschritt, und ich erst nach einer Weile den halb verwirrten, unglücklichen Caplan erkannte, [61] der von der Gartenseite durch die Kammer hereingekommen war. Bei dem ersten Laut seiner Stimme zitterte Georg so heftig, daß ich, alle Gastlichkeit bei Seite lassend, zuerst das Kind entfernen, und es der Obhut seines alten Dieners einstweilen überlassen mußte. Als ich zurückkam, war der unstäte Tavanelli schon wieder verschwunden. Ich war nahe daran, ihn für einen Spuck zu halten, hätte mich Franz nicht versichert, er sei wirklich hier gewesen, habe mir und Georg finster nachgesehen, und mit Unwillen ausgerufen: »So hassen, so fliehen sie mich Alle! Ich meinte es gut! Sie verstehen es nicht besser!« Worauf er nach der Thüre eilte, und im Hinausgehen, ohne sich umzusehen, hinzufügte: »Sagt der Großmutter, ich würde wiederkommen, ich müßte sie sprechen!«

Mir machte das Letztere angst und bange. Der ganze Abend war mir verdorben. Bei jedem Windstoße, bei dem Rascheln der Blätter an den Scheiben, bei dem Knarren der Thüre, fuhr ich in die Höhe, und glaubte, jetzt komme er ganz gewiß. Doch eine Stunde nach der andern verging, ohne daß er weiter etwas von sich hören ließ. Ich wachte die ganze Nacht, aus Furcht, Georg könne aufs Neue durch ungestümes Pochen [62] oder Anrufen des wüsten Menschen gestört werden. Der arme Kleine ist durch all die erschütternden Auftritte so erregt, so gespannt, daß er wie im Fieber bis zum Morgen unruhig träumt. Ich war nur froh, daß gegen Mittag das Wetter hell ward, und ich mit ihm drüben im Schloßgarten umhergehen konnte. Er sprang ganz munter vor mir her, und war so freudig, daß mir das Herz wehe that; er mochte glauben, heute werde die Mutter kommen. Er sah mich öfter so recht listig forschend an, als ahnde er irgend eine heimliche Ueberraschung. Armes, armes Kind! um was haben Dich nicht die Menschen gebracht! Er merkte dann wohl, daß es mit seinen Erwartungen nichts sei. Er ward still, und schlich endlich müde neben mir her. Zuletzt kletterte er noch an dem Fenstergesims hinan, klammerte sich mit beiden Händen an das Kreuzholz, und bemühte sich augenscheinlich, durch die Spalte der geschlossenen Läden in das Innere des Hauses hineinzusehen. Ich ließ ihn thun, was er wollte. Nach einer Weile drehte er das Köpfchen seitwärts zu mir herum, indem er, mit weinerlichem Verziehen der Lippen, sagte: »Hier hat Mutter geschlafen und ich auch! Schläft Mutter wieder hier, wenn sie kommt?«

[63] Ich nickte bejahend, ohne etwas erwiedern zu können. Thränen traten mir in die Augen.

Mein Gott! was wird aus dem Knaben werden, wenn er es endlich erfährt, daß ihm die Mutter verloren ist! Könnte er noch hier unter Bekannten bleiben, allein ich fürchte, der Präsident wird ihn abholen, sobald er in seinem neuen Aufenthaltsorte eingerichtet ist. Dann sterben wohl alle die Erinnerungen; und das liebe, weiche, sehnsüchtige Kind wird ganz ein anderer Mensch, als es geworden wäre, wenn alles natürlich und glücklich blieb.

Siehst Du, lieber Sohn! aus ähnlichen Gründen habe ich solche Scheu vor der ruhelosen Sucht, an sich und seinem Geschick zu ändern. Was man erst viel hin- und herrückt, das wird wackeligt. Es steht zuletzt nirgend recht fest. Und vollends Kinder! Sie gewöhnen sich wohl, aber einmal aus ihrem Gange herausgerissen, neigen sie sich hierhin und dorthin. Der frische, gerade, natürliche Wuchs der Seele, der bleibt es doch nicht.

Du weißt, was ich sagen will. Bedenke, was Du thust!

Ich wollte hier schließen. Aber ich habe [64] Dir noch etwas zu erzählen, was gewiß recht sonderbar ist. Es betrifft den Caplan.

Glücklicherweise hatte er nicht Wort gehalten. Meine Angst war vergeblich. Bis jetzt hörte ich nichts weiter von ihm. Nun ich mich sicher glaubte, fiel mir doch ein, daß es kindisch gewesen, ihm so auszuweichen. Vielleicht hatte er mir wirklich etwas zu sagen. Der Präsident konnte ihn geschickt, mit irgend einer Bestellung an mich beauftragt haben; meine Eile, die erschrockene Hast, mit der ich Georg entfernte, verdroß ihn wohl deshalb doppelt, und aus gerechter Empfindlichkeit blieb er lieber ganz weg, als sich einem ähnlichen Empfange auszusetzen. Mein Gewissen sprach mich nicht ganz frei von Vorwürfen. Ich fragte mich ernstlich, weshalb ich denn eigentlich seinen Anblick so scheute? Es kam denn am Ende doch nur auf unheimliches Grauen, auf geheimen Widerwillen heraus, den man sich niemals gegen einen Menschen in dem Maße erlauben sollte. Mein strenges Examen gab mir den Muth, im Hause nachzufragen, ob Herr Tavanelli nicht wieder hier gewesen, oder vielleicht noch drüben im Schlosse sei? Die Arbeiter kamen vom Feld, als ich diese Erkundigungen einzog. Sie hörten es, und [65] versetzten lachend, noch vor Sonnenaufgang hätten sie ihn mit großen Schritten neben der tollen Landstreicherin, der einäugigen Marthe, über die Kalkhöhen der Thalheide zuschreiten sehen. Die tiefe, dunkle Schlucht versteckte sie bald darauf, allein gegen Mittag sei die Magd unten aus der Mühle herauf gekommen, und die habe erzählt: Als sie frühe ihre Ziegen über den Steg am Bache, den Buchen und Erlen entlang trieb, da fand sie ganz zufällig den bunten Plunder der alten Trödlerin auf dem Rasen verstreut. Ein aufgerissenes Packet lag daneben. Sie betrachtete einen Augenblick die fremden Dinge, und wie sie so Eins und das Andere in die Hand nimmt, findet sie auch noch ein beschriebenes Papier, in welchem etwas eingewickelt war. Sie macht es auf, ein goldener Ring lag darin. Mein Gott! denkt das Mädchen, wer läßt hier so etwas liegen? Gewissenhaft eilt sie damit zur Mühle. Der Müller ist gerade beschäftigt, die Schaufeln zu stellen. Die Frau nimmt ihr den Fund ab, besieht den Ring von allen Seiten, kann aber von dem Geschriebenen auf dem Blättchen nichts lesen. Sie verschließt gleichwohl beides, und heißt das Mädchen nur wieder gehen. Als diese, ganz in [66] Gedanken, zurückkehrt, und sich nach ihren Ziegen umsieht, bemerkt sie zwischen den Bäumen auf der Höhe etwas Schwarzes, das sich eilig durch das Dickicht windet, zugleich lacht Jemand hell auf, und kreischt mit Hohn: »Sei kein Narr, Caspar! eine Mutter findest Du nicht alle Tage!« Es sei die alte Marthe gewesen, versicherte das Mädchen, sie habe sie wohl erkannt an dem hellen Ton. Da sie solche aber anrufen wollte, verlor sie sich schnell immer weiter zwischen den Bergen. Nicht lange darauf stand der Caplan vor der Mühle. Er klopfte ängstlich an die Thüre, sah todtenblaß aus und zitterte in heftigem Fieberfrost. Die Müllerin ließ ihn sogleich ein. Er konnte nicht ein Wort hervorbringen, sank matt und krank auf einen Schemel, und liegt noch krank, wie im Fieber rasend.

»Ei!« sagte ich, als ich das hörte, »da muß ich gleich hin, und sorgen, daß dem Unglücklichen geholfen wird.«

»Was wollen Sie denn noch lange helfen, Madame?« antwortete mir der alte Klaus. »Der ist reif. Lassen Sie ihn immer das Bad ausbaden. Hat er es doch nicht besser gewollt.«

Ich verwies ihm die unbilligen Worte. Aber er schüttelte den Kopf und sagte so viel, um mich [67] in dem lang gehegten Verdacht zu bestärken, daß ein Brief des Caplan, vielleicht durch Klaus bestellt, den Präsidenten an jenem Unglücksabend hierher berief. Nichts desto weniger hielt ich es doch für meine Pflicht, dem ganz Verlassenen beizustehen. Ich fuhr daher sogleich nach der Mühle. Allein, lieber Sohn, was ich dort hören und sehen mußte, überstieg weit meine Erwartung. Anfangs war es nur der Kranke, der uns Sorge machte. Was der in den Fieberphantasien sprach, durfte man eben nicht sonderlich achten. Doch nun, als gegen Abend die rohe Stimme der herantobenden Marthe sich vernehmen ließ, die Verwilderte, mit ihren aufgerafften Lumpen im Arm, ungestüm in die Stube trat, mit stotternder Zunge nach dem vermißten Ringe und nach Tavanelli forschte; ihn bald Sohn, bald verwünschte Teufelsbrut nannte – ach! lieber Franz, Du kennst Deine Mutter, Du wirst Dir einbilden, wie mich solch' widriger Auftritt ängstigte.

Ich saß erst ganz still in einem Winkel, an das Krankenbett gedrückt, ohne Muth zu haben, der Frechen den Eintritt zu verwehren. Doch, wie sie die Thüre endlich halb erstürmte, den armen Schlummernden laut anschrie, ihren Ring von ihm forderte, da faßte ich mir ein Herz, [68] nahm sie beim Arm und führte sie hinaus, indem ich ihr leise zuflüsterte, mir zu folgen, ich wollte ihr alles Verlorne wieder zustellen. Sie sah mich ungewiß an, that aber, was ich ihr sagte. Als die Müllerin das Päckchen aus dem Schranke herausnahm, griff Marthe mit häßlicher, thierischer Gier darnach, ihr schiefliegendes Auge blitzte hell. »Da!« rief sie, mir den Ring und das Blatt hinhaltend, »lesen Sie, lesen Sie! Er will es nicht glauben. Aber, es ist, so wahr Gott lebt, wahr! Sein Vater hat mir die Ehe versprochen. Hier steht es, und den Ring gab er mir, da ich seine – –«

Sie lachte hell auf. Ich schlug beschämt die Augen nieder, ohne ihr zu widersprechen. Ich glaubte, sie fasele. Aber, lieber Franz, sie sprach wahr. Sie ließ nicht ab, ich mußte die betrügerische Verschreibung lesen. Es war Tavanelli's Vater, der sie verführt und verlassen hatte. Gott weiß, durch welche Künste sie dem Caplan seinen weltlichen Namen entlockte, unter dem sein Vater vor fünf und zwanzig Jahren als Geschäftsführer in einem großen Handelshause unserer Residenz lebte. Er verschwand dann mit einemmale, kehrte nach seinem Vaterlande, dem Voralbergischen zurück, wo er heirathete, und dem Bedaurungswerthen [69] ein Dasein gab, dessen bloße Möglichkeit zudenken, Marthens wildem Sinn tausend Flüche entlockte.

Dies und noch viel mehr, was meine Feder nicht aufzeichnen kann, vertraute sie mir auf eine rohe, stürmische Weise. In ihrer Brust stritten Haß und Liebe für den Sohn des Treulosen. Sie gestand unter lautem Lachen, daß sie nicht von ihm lassen könne, daß sie ihm, seit sie die Entdeckung gemacht, zu der die große Aehnlichkeit mit dem unvergeßlichen Geliebten ihr den Weg gezeigt, auf Tritt und Schritt folge, und seine Flucht sie heute vor Tagesanbruch durch die Berge gejagt habe.

Auf meine Versicherung, daß er ernstlich, vielleicht gefährlich krank sei, ward sie stille. Ihre harten Züge milderten sich, ihr Auge hatte fast einen rührenden Ausdruck. Sie setzte sich auf die Schwelle der Thüre, welche zu dem Caplan führte. Ich bewachte sie sorgsam, bis der Arzt kam. Sie that nichts, als von Zeit zu Zeit den Ring besehen, ihn an den Finger stecken, wieder abziehen, in das Blatt wickeln, und beides im Busen verbergen, bis sie nach einer Weile dasselbe Spiel wieder von Neuem anfing. Zuletzt schlief sie ein. Ich war froh, als unser guter Doctor kam. [70] Dem habe ich nun Beide übergeben. Er wird Sorge tragen, daß der Caplan zum Prior in unser Kloster, und Marthe in eine Verpflegungsanstalt gebracht wird.

O Franz, Franz! mir schaudert vor dem, was dem übertretenen Gebote folgt.

Ich kann den Anblick der elend gewordenen Frau nicht vergessen! So tief, so ganz tief mußte sie sinken! Ach! sie war doch auch einmal ein schuldloses, frohes Mädchen, und gewiß auch ein gutes Kind, von dem die Mutter Freude und Segen erwartete. Wie oft mag das Lächeln dieses verzerrten Mundes Entzücken in dem Herzen der Mutter geweckt haben! Und jetzt –

Eins ist mir nachher erst eingefallen. Tavanilli klagte in seiner Phantasie oft und ängstlich über eine Gestorbene. Wer kann sie sein? Ich finde sie nicht in meinen Gedanken.

Siehst Du, was es ist, wenn man einem unbequemen Begegniß in der Welt aus dem Wege gehen will. Hätte ich gestern Georg gezeigt, wie man sich überwinden und bezwingen müsse, um Andern nicht wehe zu thun, ich hätte Tavanelli gehört, all das Störende wäre wohl unterblieben, und mich ängstigten weder Vorwürfe noch geheime Sorge um die Todte, von der ich nichts [71] weiß, von der ich mehr zu erfahren, peinlich zittre.

Komm bald, lieber Sohn; Du siehst, es geht hier Alles wunderlich durcheinander, ohne Deine Gegenwart.

Heinrich an Hugo

Endlich ein Brief! Ich athme auf. Du hältst Dich noch einigermaßen im Gleichgewicht, Du wirst nicht umschlagen! Die kleine Liebelei konnte Dich berühren, doch nicht erschüttern. Was sollte Dir auch der Roman? Das ist nicht Deine Welt, Hugo! Glaube nur, Dein weitstrebender Sinn überfliegt die Phantasie einer Frau. Jede wird sich in Dir verrechnen, Du eine jede überschätzen, und sie dann fallen lassen. Dies Geschlecht tändelt nur mit dem Namen Freundschaft, um der Liebe desto freiern Spielraum zu verschaffen. Die steten Bebungen kleinlicher Gefühle dulden keinen ruhigen Widerschein der Idee. Es ist vergebens, die weibliche Brust faßt das colossale Bild des Universums niemals. Deshalb, Hugo! ängstige Dich nicht, daß der Rausch verflog, und Du etwas nüchtern um Dich siehst. Die Täuschung [72] hält bei Dir nicht lange an, Du greifst zu weit aus, um nicht das lose Gespinnst sentimentaler Träume über kurz oder lang zu zerreißen. Deine schöne, freigeisterische Amazone, Hugo! ist doch nur ein leidenschaftlich bewegtes Weib, von weit mehr keckem Trotz, als starkem Muth. Am Ende bereuen Alle, was sie unvorsichtigwollten und kraftlos halb vollbrachten. Laß sie, wie sie ist. Kümmere Dich nicht darum, daß Du sie Dir anders dachtest. Es war ein Irrthum. Wer wird um ein Nichts trauern! Man belacht sich bald, wenn man nur erst über sich hinaus ist. Und auf dem Wege bist Du.

Ich gestehe Dir, daß ich Deine Versöhnung mit Emma wünsche. So gewisse, lose Bande kannst Du brauchen, um einigermaßen im Gleichgewicht zu bleiben. Im Allgemeinen ist die Ehe ein Unding für Dich. Aber die bescheidene Frau, die nichts will, als nur nicht gerade einer Andern nachstehen, die in allem Uebrigen zurücktritt, Dich verehrt und willig gewähren läßt, die kannst Du leiten. Sie wird Dir überall folgen, ohne Dich zu hindern. Und wenn dabei auch nichts anders herauskommt, als daß Dir selbst klarer bewußt wird, indem Du Deinen Willen auf einen Andern [73] übertrügst. Schüler, Hugo! machen erst Meister.

Auch ist man dem Rufe immer etwas schuldig. Du kannst nicht wohl aus einem Bündniß heraustreten, dem die verjährte Meinung Heiligkeit beilegt. Stößt man erst die Welt vor den Kopf, so entstehen tausend und tausend andere Köpfe, die Arme und Beine, und Füße und Hände kriegen, und den Weg durch sie hin unbeschreiblich unbequem machen.

Entschließe Dich daher schnell. Mache Deinen Frieden mit Emma. Im Grunde verlangst Du selbst darnach. Es wird Dir eben nicht schwer werden. Herrschest Du doch immer noch in dem allzu abhängigen Herzen. Deine Ueberredung bringt die Mutter ohne Weiteres zum Schweigen, daran ist kein Zweifel. Und was will denn diese hoch und stark gesinnte Mutter anders, als ihr einziges Kind in seinen Rechten ungekränkt, frei und würdig bewahrt wissen. Ich gestehe Dir, diese Frau scheint mir unter denen, die Du nennst, die Bedeutendere. Ist ihr Weg auch ein ziemlich alltäglicher, so ist er doch scharf und bestimmt gezeichnet. Sie kann sich nie um einen Schritt verirren, und erreicht sie ihr Ziel nicht, so kommt es ihr gleichwohl nicht aus den Augen. Sie [74] wird Deiner Wiedervereinigung mit Emma nicht hinderlich sein, sobald sie nur die Nebenbuhlerin entfernt weiß. Daß diese sich entfernen ließ, daß sie Dich aufgab, daß der Schrecken sie von dem dreisten Fluge zurück auf die Erde schleudern konnte, daß sie sich da winselndkrümmte – weg, Hugo! Weg von dem charakterlosen Wesen, das zu der kühnen Luftfahrt alles, nur keine Schwingen mitbrachte!

Eine Besorgniß anderer Art, die mich an die Wiederherstellung Deiner frühern Verhältnisse denken läßt, ist die äußere Unabhängigkeit. Du weißt, lieber Hugo! wie sehr ich Anfangs gegen die Vorschläge des Comthur war, wie es mich ärgerte, daß man Dich durch eine veränderte Stellung erhöhen zu können glaubte, wie kindisch mir all der verwickelte Rechtskram dünkte, und was ich von solchen Institutionen halte, an welchen Ruhe und Glück eines Menschen scheitern müssen. Du wirst nicht glauben, daß ich der zufälligen Form mehr einräume, als sie werth ist. Gleichwohl giebt es gewisse Bedingungen zu einem würdigen Dasein, die nicht aus der Acht zu lassen sind. Der Oheim lebt noch, Hugo! denke daran, Du wurdest sein Erbe, weil er es wollte. Er könnte es auch einmal anders [75] wollen. Die Trennung von Emma, die gänzliche Störung des kaum Begründeten, muß ihn sehr verletzen. Es ist ein zäher, hartnäckiger Sinn in ihm, wie Du ihn mir früher schildertest. Nimm Dich in Acht, erbittere ihn nicht. – Die militärischen Reminiscenzen, und was damit zusammenhängt, erschrecken mich aus diesem Grunde besonders. Was willst Du auch damit? das sind wohl Anklänge aus Deinem alten Rittersitz! Ich dachte den Wust hättest Du hinter Dir! Muß ich Dich noch auf so rohem Pfade treffen, da hellere Bahnen vor Dir offen liegen?

Gehe in Dich, Hugo! und schreibe mir bald an Emma's Seite, daß Du ruhig, weise, und Dir selbst zurückgegeben bist.

Sophie an den Comthur

Erlaubt es Ihre Gesundheit, lieber Freund! so bitte ich Sie, kommen Sie heute noch auf eine Stunde zu mir. Es ist sehr nothwendig, daß ich Sie spreche.

[76]
Antwort

Das Podagra hält mich wieder einmal gefangen, beste Sophie! Ich bediene mich, selbst für diese Paar Worte, einer fremden Hand. Scheuen Sie sich aber deshalb nicht, mir Alles zu schreiben, was Sie der Mittheilung werth halten. Das Auge Ihres alten Freundes ist so wenig stumpf, wie seine Seele. Haben Sie Nachricht aus Italien?

Von Sophie

Desselben Tages.


Ja, ich habe Nachricht; aber nicht aus Italien. Sie sind nicht bis dahin gekommen! – Lieber Freund! was brauche ich noch weiter hinzuzusetzen. Sie ahndeten es immer! Das arme Herz ist gebrochen! Alle Schmerzen, alle Klagen blieben in ihm verschlossen. Wie hätte die innere Qual es nicht zerdrückt! Ich weiß nicht, sollen wir es ein Unglück nennen, daß es so schnell mit ihr endete? Das Leben wird dem Einsamen sehr lang? und die Gewohnheit ist nichts als eine einschläfernde Begleiterin!

Der Arzt, zu dem ich in der Eile schickte, [77] bringt Ihnen diese Zeilen. Er wird Alles ergänzen, was Sie darin vermissen könnten. Ich gestehe, ich bin in einiger Verwirrung. Der Tod überrascht auch da, wo er laut genug anrückte. Der Riß vom Leben war hier freilich geschehen, aber das sinnliche Band verbirgt uns diesen gern noch eine Weile. Und dann die Mutter! die Mutter! O mein Gott, was senkt sie Alles in dies eine Grab!

Von ihr nicht ein Wort! nicht eine Silbe! Sie ist bei den Nonnen in dem Waldkloster, unweit Freiburg geblieben, Emma starb in den heiligen Mauern. Der dortige Abt hat unserm Nachbar, dem Prior der Premonstratenser, den Todtesfall berichtet, mit dem Bedeuten, mich davon in Kenntniß zu setzen. Es ist ein trockener Bericht, den ich Ihnen erspare. Schon einige Zeit vorher hatte Tavanelli hier und da dunkle Winke von dem früh beendeten Geschick der Gräfin gegeben. Man erzählte sich davon, doch glaubte Niemand dem unstäten, herumstreichenden Flüchtling, der überall war, nirgends verweilte und eben so verworren als vermessen redete. Gleichwohl scheint er in einer Art Verkehr mit den Reisenden gestanden zu haben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ihn die Oberhofmeisterin in Aufträgen versandte. [78] Vielleicht folgte er ihr auch nur in seiner Verzweiflung, da er hier nicht auszuhalten vermochte. Der Zustand, in welchem er sich darauf wieder zeigte, die Vorgänge in der Mühle, die wilden Phantasien, denen er fast erlag, deuteten auf gewaltsame Erschütterungen des Gemüths, die jede seiner Aeußerungen verdächtig machen. Die Tannenhäuserin sagte mir zuerst davon, auch daß er Hugo im Walde getroffen, als dieser mit dem Gewehr auf dem Rücken den Forst durchstrich; erschrocken sei er erst geflohen, dem Grafen jedoch später in den Weg getreten und den Hut abziehend, stotterte er hastig und furchtsam unverständliche Worte vom Tode der Gräfin.

Hugo, von unaussprechlichem Schmerz ergriffen, stierte dem wahnsinnigen Tavanelli unbeweglich nach, als dieser schnell wie der Blitz davon eilte. Todtenblaß, sagte mir die Frau, sei der Graf zu ihr eingetreten, habe ihr den Vorgang erzählt, sogleich aber hinzugesetzt: Er wisse wohl, was von Faseleien eines kranken Menschen zu halten sei, doch gestehe er, könne er des gehabten Schreckens noch nicht Herr werden.

Es ist hierdurch so viel gewonnen, daß die Wahrheit ihn nicht ganz unvorbereitet trifft. Doch wird sie ihn gewaltig fassen. Es ist unmöglich, [79] daß seine jetzige Freiheit ihm nicht die Qual solcher Träume gäbe, in denen man fliegt und fliegt, und plötzlich fällt und erwacht. Ich weiß nicht, wie er mit sich selber steht? Was er sich sagen, wie er sich beruhigen wird? Der erste Augenblick wird schrecklich sein! Doch die Nothwendigkeit, vor sich zu bestehen, leihet dem Willen sehr vieler Menschen so beruhigende Gründe, daß die Phantasie blaß und das Gefühlstumm wird. Auch heilen die Schmerzen des Gewissens am schnellsten, weil sie die unbequemsten sind. Wer weiß, regen sich selbst diese Schmerzen in ihm! Die Umstände müssen Vieles auf sich nehmen, was die verzärtelte Brust nicht tragen kann. Der Schreck macht bald genug mattem Bedauern Platz.

Nein, ich will nicht bitter sein! Gewiß nicht! Doch sonderbar genug, verletzt mich dieser Tod mehr, als er mich rührt; ihn wie eine That, nicht wie eine Schickung betrachtend, suche ich seine Urheber außerhalb, und ohne irgend eine Seele anklagen zu wollen, zürne ich mit dem Leben, daß es solche Lücken lassen kann!

Ich hatte immer noch gehofft! das sehe ich nun wohl! Aber daß Sie, lieber Freund! Sie allein, hierdurch am Tiefsten leiden werden, das ists, was mich diese Zeilen so starr und spröde [80] anfangen, und jetzt so überwältigt schließen läßt. Kalt wollte ich über das Verlorne reden, und thun, als sei es längst eingebüßt; aber man fühlt es erst, was der leise Hauch zweier warmen Lippen beleben kann; wenn aber das Eis des Todes solche auf ewig geschlossen hat? – – Dann, doch lassen Sie mich abbrechen! Wir ziehen Trauerkleider an, wie die Erde, wenn es Winter wird, und bis die neue Sonne kommt, muß Vieles, Vieles in uns sterben! – Ich bin zu unruhig, von mehr als einer Seite zu bewegt, um Ihnen jetzt viel sagen zu können. Denken Sie doch an Elise – Gemüther wie das ihrige werden im Unglück höher und stärker, aber auch zuversichtlicher und bewußter. Es taugt nicht, sich selbst soviel zu verdanken zu haben! Wenn sich die beiden Menschen jetzt auf ihrem Wege begegnen, wenn der Schlag, der sie gemeinschaftlich trifft, sie zwingt, einander zu halten, was wird aus Elise werden, wenn sie dann nicht vereinigt bleiben? Und denken Sie an die Möglichkeit, daß Hugo zum zweitenmal, jetzt –? Unmöglich! Wie ich ihn kenne, unmöglich.

Ich schreibe Ihnen nächstens wieder, lieber Freund. Lassen Sie mich durch den Arzt wissen, wie Ihr Gesundheitszustand ist? und ob ich hoffen [81] darf, Sie in den warmen Tagen schneller hergestellt, hier bei mir zu sehen? –

Werden Sie Hugo sprechen? Wollen Sie ihm die erschütternde Nachricht zuerst mittheilen? Wäre es nicht besser, der Arzt übernähme die traurige Pflicht? oder ich sagte ihm, was er wissen muß? Ja, schicken Sie ihn mir. Ich bin darauf gefaßt. Ich will ihn erwarten. Sein Sie unbesorgt, ich werde ihn in seinem Schmerz ehren. Der Unglückliche ist mir heilig. Wie könnte ich, ihm gegenüber, daran denken, daß er der Todten nicht werth war. Ich will es lieber auch so nicht denken, denn wer weiß auch, ob es so ist? Im Urtheil fühlt der Mensch erst seinen unermeßlichen Abstand von dem Allsehenden.

Gute Nacht, armer Freund! Wie wird Ihr schönes Herz trauern!

Elise an Sophie [1]
Elise an Sophie

Ist es wahr? Ist es? – O sagen Sie Nein. Ich beschwöre Sie, Sophie, sagen Sie Nein. Ich vergehe vor Angst!

Verstehen Sie mich nicht? – Gottlob! dann [82] ist es nichts! dann hat er nur gefaselt! dann habe ich Vieles, Vieles mit dem entsetzlichsten Schrecken abgebüßt.

Ach, Liebe! fragen Sie mich nicht. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es will nicht über meine Lippen, nicht in meine Feder.

Ich weiß nicht mehr, was ich thue! Erst sollte Ihnen ein fliegender Bote meinen Brief bringen. Ich konnte nicht eilig genug Antwort darauf erhalten. Jetzt zögere ich, und zögere! Was werden Sie mir denn sagen, Sophie?

Wenn es, hören Sie, Liebe! bedenken Sie wohl, daß Ihr Ja mich zerschmettern müßte. Es wäre zu schrecklich! –

Mein Gott, ich war ja in mein Geschick ergeben. Ich that auf jede Lebensfreude Verzicht. Ganz still, ganz verborgen, wollte ich ihn nur denken. Die Freistatt des Gedankens, die, glaubte ich, dürfe mir bleiben. Ich trat ja hier Niemanden zu nahe, ich war ja so klein, so gebeugt! weshalb sucht mich mein unversöhnliches Geschick auf dem engen, dürren Fleckchen Erde auf, warum schickt es solche Botschaft an mich?

Jenen Abend werde ich nie vergessen, er steht wie ein Blick in die Hölle, schwarz, kalt [83] und auch siedend heiß, voll unglaublichen Qualen, Tag und Nacht vor mir.

Denken Sie nur, ich befand mich ganz allein auf einem abendlichen Spatziergang. Die Sonne war längst untergegangen. Dünste stiegen auf. Ich sah die Sterne, einen nach dem andern zwischen feinen Wölkchen hervortreten. Es war da oben so weit, so erleuchtet. Die Lüfte schwirrten wie Fittige über mir, ich glaubte das Schreiten der Geister zu hören, ich fühlte den Geist aller Geister mit unnennbarem, mit bebendem Entzücken. Hugo war mir nahe, wie in den untergegangenen Tagen. Es gab keine Trennung mehr!So, so! dachte ich, wird es sein. So ist es schon! Was soll erst werden? rief ich. Hat je die Seele etwas verloren? Kann sie sagen, es sei ihr fern, was sie liebt? Kennt sie eine Zeit? Undankbares Geschlecht! so reich bist du ausgestattet, und du klagst, wenn die rollenden Stunden ablaufen, als behieltest du deine Gegenwart nicht ewig lebendig in Dir?

Sophie, liebe Sophie! die freiere Bewegung meiner Brust ließ mich nicht ruhig auf einer Stelle bleiben. Ich ging hin und her. Ich ging mit Ihnen, mit Hugo, Georg sprang vor mir [84] her. Zweifeln Sie, daß ich im Himmel war? Da, mit einemmale stürzt in der Dunkelheit ein Mensch auf mich zu, ohne Hut, mit weit aufgerissenem Kleide; er athmet schwer, und streckt die Hände nach mir aus, als wolle er mich im Weitergehen aufhalten. Ich erschrack, daß mir's durch alle Glieder fuhr, und bog schnell von der Seite in ein Gebüsch hinein. Doch, ehe ich es erreichte, stand Tavanelli neben mir. »Was machen Sie hier?« fragte ich entschlossen. Mein Herz schlug heftig. Mir ahndete ein Unglück. Mein erster Gedanke war Georg. »Reden Sie,« drang ich unruhig in ihn. Er stürzte mir zu Füßen, brach in Thränen aus, bekannte, daß er an mir zum Verräther ward, vermengte Schuld und Pflicht, Gefühl und Reue, verlor den Faden seiner Gedanken, und ließ, aus dem Wust wahnsinniger Leidenschaft, die schreckliche Nachricht in mein zitterndes Herz fallen.

Ich sah und hörte nichts mehr. Mit Entsetzen floh ich vor ihm. Ich dachte der Todesangst zu entrinnen. War er nur erst hinter mir, dann glaubte ich frei zu athmen. Aber ich kann mich nicht erholen, liebe Sophie! Ich komme nicht wieder zu mir selbst. Es ist der Schrecken! nicht wahr, es ist gewiß nur der Schrecken? [85] Wenn wir krank sind, sind wir auch schwach, voller Einbildungen, das Bewußtsein selbst wird bestochen.

Haben Sie Mitleid mit meinem Zustande. Sagen Sie Ihr Nein oder Ja gleich zu Anfang des Briefes.

Ja? wenn es ein Ja wäre! Hugo! unglückseliger Hugo!

Antwort [1]
Antwort

Sie wissen jetzt Alles, liebste Elise. Die gütige, sanfte Madame Lindhof hatte es schon früher übernommen, an Sie zu schreiben, ehe noch Ihr Brief zu mir gelangte. Ich danke es ihr. Sie würden mir es schwer gemacht haben, wahr zu sein!

Arme Elise! so schonungslos mußte Sie diese Nachricht treffen! Man wird zuweilen versucht, zu denken, das Schicksal könnte milder mit dem Menschen verfahren. Aber was weiß man von diesen geheimnißvollen Wegen!

Tavanelli ist wie ein Gewitterstrahl in Ihr Haus gefahren. Alles hat er übereinander geworfen, die ganze Ordnung des Lebens gestört. Daß [86] das so ein Mensch kann, ohne es zu wissen und zu wollen!

Lieber Gott! er dachte jetzt auch nicht an das, was er that. Er trägt auch keine andere Schuld, als daß er ist, wie er ist. Sie beide hätten einander nicht begegnen müssen! Sie rissen ihn aus seiner stillen Welt, er hat die Ihrige verwüstet. Seine unwillkommene Erscheinung ward stets von Widerwärtigem für Sie begleitet.

Aber, lassen wir ihn! Möge seine Nähe Sie nie wieder ängstigen.

Von Hugo wollte ich mit Ihnen sprechen. Seinetwegen müssen Sie jetzt doppelt leiden. Die Ungewißheit, was in ihm vorgeht, läßt es in Ihnen zu keiner Fassung kommen.

Er war gestern Morgen bei mir. Ich hatte ihn zu sprechen gewünscht. Er trat mit seiner wehmüthigen Gelassenheit, wie sonst, zu mir ein. Ich glaubte ihn noch unwissend über Emma's schnelles Ende. Er war es nicht. Ich las das nach den ersten Minuten in seinem Auge. Er richtete es mit einem Blick nach mir, der zu sagen schien: »Kein Wort! kein Wort jetzt! Der Todten weiches Flüstern allein will ich hören. Gönnen Sie mir das stille Gespräch.«

Ich sah von ihm weg zu Boden. Wir setzten [87] uns. Er versank in tiefe Gedanken. Eine ganze Weile ging so schweigend hin. Wahrscheinlich vergaß er völlig, wo er sich befand. Mechanisch war er gekommen, hatte seinen Platz neben mir gefunden, und ließ nun die Seele weiter in ihrem Traume schimmern. Ich ergriff endlich seine Hand. Er erschrack. »Nun?« fragte er, näher zu mir rückend. Es mochte ihm einfallen, daß Sie mir vielleicht einen Auftrag für ihn gegeben hätten, denn er setzte, ins Sopha zurücksinkend, betrübt hinzu: »Ich kann mir denken, was sie leidet! Hat sie Ihnen geschrieben?« fragte er hierauf. Ich bejahte es.

»Emma hat ihr auch geschrieben,« sagte er leise, mit bebender, von Thränen erstickter Stimme. Sein Schmerz brach gewaltsam, ihn ganz mit sich fortreißend, hervor.

Ich begriff, wie er diese Erschütterung fürchten, wie er sich durch Abwehren jedes fremden Berührens bis dahin zurückhalten mußte. Er that mir unaussprechlich leid, denn der Kampf zitterte durch sein ganzes Wesen.

Ich sagte ihm nichts. Er konnte jetzt nur mit sich selber zurecht kommen. Er faßte sich denn auch. »Ich werde es mir niemals verzeihen,« hub er nach einer Pause an, »daß ich sie [88] von ihrer stillen Bahn auf meinen Weg herüber riß. Die Ordnung der Natur verschmerzt niemals eine Verletzung.«

Ich verstand ihn nur halb, unwissend, ob er über Sie oder Emma rede. Er meinte eben die Letztere, denn er erwähnte die Mutter, indem er behauptete, diese allein habe recht gehabt. Ihre Abneigung gegen ihn sei aus dem Vorwurf entsprungen, den sie sich, der Tochter nachgegeben zu haben, gemacht. »Ich errieth dieses bald,« seufzte er tief. Und das Auge aufwärts gerichtet, als sehe er die, von der er sprach, sagte er: »Das war ein Gestirn, das seinen Lichtkreis unvermischt, in ruhiger Klarheit ausgießen mußte. Emma war bestimmt, einzeln da zu stehen. Sie leuchtete am Saume des Tages, wie Abschied und Verkündigung. Der Tag selbst, in seiner ruhelosen Arbeit verschlang sie.«

»Die Stunden,« entgegnete ich, von dem Bilde getroffen, »wogen zwischen Abend und Morgen auf und ab, und der liebe Stern ist an jedem Wendepunkt derselbe.«

Hugo sah mich an, ohne etwas zu erwiedern. »Ja, ja!« rief er, mich auf seine Weise mißverstehend. »Sie hat Erwachen und Aufhören in mir ziemlich nahe gerückt. Ich tauge zu nichts [89] mehr. Ein Schlag der Art lähmt die beste Kraft. Wozu,« lächelte er schmerzlich, »lebt man auch? Es ergänzt sich die Welt, wie man es träumt! Die Besten verkennen einander! Sie hat mich auch verkannt!«

Er stand hier von seinem Platze auf, und ging mit leisen, weit ausgreifenden Schritten das Zimmer auf und ab, ohne das gesenkte Auge aufzuschlagen.

»Emma hätte Sie mißverstanden?« fragte ich jetzt, das Gespräch wieder anknüpfend.

Er blieb vor mir stehen. »Ja, ja!« erwiederte er mit liebevollem Lächeln. »Gott weiß,« fuhr er fort, »wie dies auf meinen Tisch kam?« Er zog einen Brief aus dem Busen und gab ihn mir. Es war Emma's Hand. »Soll ich?« fragte ich, das Schreiben aus dem Couvert ziehend. Er nickte bejahend. Ich las, während er seinen Gang durchs Zimmer fortsetzte, folgende erschütternde Worte, die ich abzuschreiben späterhin von ihm die Erlaubniß erhielt:

»Unbewußt, wie ich Dich fand, geliebter Mann, werde ich Dir entrissen. Ich verließ Dich nicht, das glaube mir. Ich verlasse Dich auch jetzt nicht. Aber die Erde zieht einen Vorhang [90] zwischen uns. Gott läßt ihn niederfallen. Du bleibst diesseits, ich bin bestimmt, jenseits lange zu warten, bis der Tag des Erwachens kommt. Dann werden wir uns ja doch wiederfinden! Lieber Hugo! das Scheiden wird mir sehr schwer! Ich nehme wohl Dein Bild – Dein ganzes Selbst mit hinüber in meine Welt, aber es ist doch viel, viel anders, als wenn ich Dich noch sehen und hören könnte. Wenigstens scheint es den sterblichen Sinnen so! Die Lebendigen vergessen so oft, wie viel diese warme, bewegliche Gemeinschaft des Daseins ist! Ich schaudre doch ein wenig vor der langen, langen Trennung! – Die Hand wird vertrocknen, die in der Deinen lag, das Auge verlöschen, das nur im Glanze Deines lieben Blickes sich spiegeln mochte! Hugo! – O Gott! Es ist eine sonderbare Empfindung, sich das so sagen zu müssen! Wir sind recht schwach! Sei Du es nicht! Betrübe Dich nicht so sehr! Ich weiß, daß Du in der ersten Zeit nicht anders kannst. Es ist ja natürlich! denn war ich Dir auch wohl oft hinderlich, so ist Dein Herz zu groß, um meine Liebe zu verwerfen. Der Gedanke, Dich leidend zu wissen, durch das leidend, was Dir von mir kommt! – Lieber, guter Mann! es thut mir noch weher, als der Abschied von Dir. Du [91] wirst es dann aber auch einsehen, wie es doch im Grunde das Beste für uns Beide ist.

Es ist der einzige Weg, ewige Trennung zwischen uns zu verhüten. Deine Seele wäre hart, die meine schwankend geworden. Gott weiß, wohin das führen konnte!

In wenig Augenblicken bin ich – Ach Hugo! Hugo! – Ich starb Dir schon so lange. Darum weine nicht! Hörst Du, lieber Mann! weine nicht um mich! Wenn Du nun frei wirst, mein Freund! so erschrick weiter nicht. Was Dich im Augenblick mit Schauder erfüllt, es war der stille Gedanke Deiner Seele. Ihr seid für einander geschaffen. Wolle nicht weiser sein, wie der Schöpfer selbst. Er hatte es so bestimmt, ich drängte mich zwischen Euch. Guter Hugo, Du hast recht viel gelitten! Wie werde ich mich freuen, wenn ich Dich endlich glücklich weiß!

Ich hätte Dir wohl noch etwas zu sagen. Aber es klingt Dir fremd. Es ist Deine Sprache nicht. Von mir hättest Du sie auch wohl niemals gelernt. Das aber darf ich Dir vertrauen, und weil es wahr ist, so wird es auch Dein Herz finden. Ohne meinen Glauben könnte ich Dich nicht ruhig verlassen, könnte ich Elise nicht lieben. – Und doch liebe ich [92] Dich, schöner Engel! der Du bestimmt warst, das Gewebe süßer, quälender Täuschungen zu zerreißen. Du wußtest, was Du widerstrebend thatest. Sei überzeugt, meine Elise! ich fühle, was Dich beherrschte. Ich am wenigsten kann Dich tadeln. O sei und mache glücklich, mir raubst Du nichts mehr! Höheres wie menschliches Gesetz öffnet Euch die Wege zur ruhigen Vereinigung. – Bleibt Euch treu! die Welt wird verzeihen, was Gott beschützt. Seinem Schutz empfiehlt Euch mein Gebet. – Hugo! lieber Hugo! Der Vorhang fällt – vergieb Deiner Emma.«

Ich habe keins von den an Sie gerichteten Worten ausgelassen, liebe Elise! Hugo wollte es so. Ich las sie damals unter heißen Thränen. Ihr Freund weinte nicht. Er war sehr ernst. Es schien, sein Gemüth sammle sich zu einem bestimmten Entschluß. Ich mochte ihn nicht stören. Doch er hub selbst mit bleichen, erschütternden Zügen an: »Es ist unbegreiflich, auf welchem Wege diese Zeilen in mein Zimmer, auf meinen Tisch gelangten. Kein Mensch im Schlosse weiß eine Silbe davon.«

Sie kennen seinen Hang, an Uebernatürliches zu glauben, und sagten mir einmal, daß ihn die Möglichkeit geheimnißvoller Gemeinschaft mit der [93] Geisterwelt unwiderstehlich durchschauere, daß eine unverkennbare Sehnsucht darnach, ihn bei dem zweifelnden Verstande allerlei Scheingründe von der Phantasie erbetteln lasse.

Ich las jetzt auf seinem Gesicht irgend eine unheimliche Vermuthung, der ich dadurch zu begegnen glaubte, daß ich Tavanelli nannte, und bemerkte, wie wohl durch ihn die Botschaft an Alle zugleich ergangen sei.

Der Graf schüttelte den Kopf. »Unmöglich!« sagte er. »Ich begegnete dem Unglücklichen im Walde. Die wahnsinnige Weise seines Betragens läßt auf keine Consequenz und Besonnenheit irgend einer Art schließen. Und weshalb hätte er mir nicht damals den Brief gegeben, wenn er in dessen Besitz war?«

Ich erwiederte Alles das hierauf, was so nahe liegt, und in ruhiger Stimmung von Niemanden übersehen werden kann, ich führte gerade den gestörten Verstand des Caplan als Beweis listiger Geheimhaltung und kindischem Ausplaudern seiner Aufträge, an, indem ich mich auf andere Widersprüche seines letztern Benehmens berief. Allein Hugo lag daran, das Wunderbare nicht erklärt wissen zu wollen. Er blieb immer bei der Frage: wie Tavanelli unbemerkt in sein Zimmer [94] gekommen, wie er hätte wissen können, ihn nicht dort zu finden? Ich ließ es dahingestellt sein. Wir sprachen nicht weiter davon, aber ich dachte wohl an die Oberhofmeisterin, der es nirgends, und daher auch hier im Schlosse nicht an verborgenem Anhang fehlt. Plötzlich, schonungslos, fern von menschlicher Theilnahme, hat sie das Herz des verhaßtesten aller Menschen treffen, es zermalmen wollen, ehe noch irgend Jemand um sein Unglück wußte. Es ist Alles gelungen, wenn man das Gelingen nennen kann, was eines Andern Pein vermehrt.

Ich besah, mit diesen Gedanken beschäftigt, den Umschlag des Briefs, und fand, unterhalb der Addresse, Stunde und Tag bemerkt, an welchem die Gräfin gestorben war, so daß diese Nachricht ihrem Gatten zuerst in die Augen fallen, und den Eindruck der Abschiedsworte noch erschütternder machen mußte. In den undeutlichen Schriftzügen war die Hand des Schreibers übrigens nicht zu erkennen.

Hugo bemerkte die Aufmerksamkeit, mit welcher ich das Aeußere des Briefs betrachtete. Er fragte: »Was fällt Ihnen hier auf?« »Nichts,« lächelte ich, als daß ein geistiger Bote so materieller Bescheinigung nicht bedürfe. Und wie viel [95] sanfter und friedlicher würde das Wehen der scheidenden Seele die Ihrige berührt haben, wenn ein Durchfliegen der Räume möglich wäre!«

Er sah mich ungewiß an. »Sie haben wohl recht,« hub er tiefsinnig an, »allein es lag etwas Tröstliches darin, daß ich an Emma's Nähe, in dem Zimmer, das sie so liebte, glauben konnte. Ich war deshalb an die Burg gefesselt, die sonst auf mich drückt.«

»Warum,« fragte ich, »wollen Sie die geliebte Nähe da bezweifeln, wo Sie sie warm und lebendig empfinden? Die Erinnerung hat beselende Kraft, und es giebt geweihte Plätze, an denen sie mächtiger ist, als an andern. Wenn ich das Gespenstische bestreite, so lasse ich darum dem Geistigen sein volles Recht.«

»Gewiß! Gewiß!« erwiederte er zerstreut. Sein Blick hatte Ihr Miniaturbild, Elise! in der Fenstervertiefung entdeckt. Es ängstigte ihn augenscheinlich, daß er öfter darauf hinsehen mußte. Er griff nach seinem Hut. »Leben Sie wohl!« sagte er voll Innigkeit. Ich reichte ihm die Hand. Er schüttelte sie bewegt aber eilig, und ging mit den Worten: »Ich komme wieder! Bald! Morgen vielleicht!«

Er war fort. Ich behielt einen undeutlichen [96] Eindruck von ihm. Glauben Sie mir, er ist sich selbst nicht klar. Die Tannenhäuserin war vor einer Stunde hier. Sie erzählte, gestern Abend sei Walter zu ihr gekommen, und habe gesagt: Als er ohnlängst am neuen Bau bei Wehrheim vorüber ging, die halbaufgeführten Mauern, die Steine am Wasser, die großen Quader zur Treppe und was sonst noch an Material herbeigeschafft war, bedauernd ansah, und bei sich dachte, daß nun diese Mühe auch umsonst gewesen, die großen Anstalten zu nichts führten, und alle gemachten Pläne der Besitzer, wie die kurze Ehe und das häusliche Glück, in Stücken umherlägen, da sei Jemand durch das alte Thor, was noch stehen geblieben, hindurch, auf die Baustelle geritten. Dort stieg der Reiter vom Pferde, und dieses am Zügel haltend, stand er eine Weile vor dem angefangenen Gebäude, als durchlaufe er mit den Augen die Umrisse, wie den ganzen Entwurf desselben.

Walter erkannte, trotz der Dämmerung und dem bewölkten Himmel, den Grafen. Er wollte ihn nicht stören, trat deshalb zurück hinter die Stützen des Gerüstes. Jener glaubte sich allein, er machte eine heftige Bewegung mit dem Arm, indem er sich abwandte, als wolle er das Nichtige [97] und Vergebliche menschlicher Vorsätze ausdrücken. Der Trauerhandschuh, den er abgezogen hatte und nicht fest zwischen den Fingern hielt, flog hierbei seitwärts auf die Spitze einer Stange oben am Gerüst, der Graf sah in die Höhe. Die schwarze Hand, welche gleichsam in der Luft zu schweben schien, und wie ein Wahrzeichen herabdrohte, mochte ihn erschrecken; er warf sich eilig auf's Pferd und sprengte davon.

Walter gestand, daß auch ihm die schwarzen, herüberhängenden Finger, vom Winde bewegt, ein Grauen eingejagt, und er sich rasch auf und davon gemacht hätte.

Beide, die Tannenhäuserin und er, redeten noch mancherlei über die Umwandlungen in der gräflichen Familie, als es an's Fenster pochte und eine bekannte Stimme fragte, ob der Graf hier sei? Die Wirthin öffnete das Haus. Birkner, Hugo's Kammerdiener war es. Einige Schritte weiter hielt dessen Jagdwagen. Er war bepackt und die Laternen angesteckt.

»Ihr Herr ist nicht hier,« sagte die Tannenhäuserin, »allein, mein lieber Birkner, Sie scheinen reisefertig, wollen Sie den Grafen nur abholen, um ihn von hieraus auf längerer Fahrt zu begleiten?«

[98] »Das weiß der Himmel,« versetzte jener, »ob heute endlich etwas daraus wird. Wir packen seit ein Paar Tagen Abends und Morgens, und kommen nicht von der Stelle.«

Es pfiff hier hell durch den Wald. »Aha!« rief der ungeduldig Wartende, »da ist er! nun wollen wir sehen, wohin wir unsere Schritte lenken werden?«

Hugo kam langsam von der Seite herbei geritten. »Kehre nur um!« sagte er halblaut. »Ein andermal! Ich reite voraus.«

Er grüßte nach dem Hause zu, in welchem er Jemand stehen sah.

»Da haben wir's!« flüsterte Birkner, mit den Achseln zuckend. »Das ist ein Elend! kein Wille und kein Entschluß! Wozu denn nur die unnützen Befehle und die Plackerei? Zur Ausführung kommt es doch nicht!«

Hugo wandte hier sein Pferd, und kam gerade auf das Haus zu. »Sind Sie noch auf den Beinen?« sagte er, bei seiner alten Freundin anhaltend. »Guten Abend! guten Abend!« fügte er leutselig hinzu. »Ich konnte doch nicht ohne Gruß vorüberreiten.«

Es entspann sich nun bald ein Gespräch zwischen Beiden, das freilich von seiner Seite einsilbig, [99] wie immer, blieb; doch veranlaßten ihn die Fragen der dreistgemachten Frau, ob er denn wirklich verreisen wolle? und wohin? was am Ende aus den schönen Gütern und dem angefangenen Hausbau werden solle? ob er es mit ansehen könne, daß Alles unvollendet liegen, und Mühe und Arbeit umsonst bliebe? Zu der schmerzlichen Wiederholung der Worte, daß Alles unvollendet liegen bliebe! »Ja, ja, meine gute Frau!« setzte er schwermüthig hinzu, »das geht im Leben nicht anders! Es zerstört unsere Arbeit, wie uns selbst. Gute Nacht!« sagte er dann weich, und im Wegreiten bemerkte er: »Ich bin noch nicht weg! Wer weiß! Gute Nacht! gute Nacht!« Und damit ritt er fort.

Liebe Elise, das ist Alles, was ich Ihnen über Hugo mitzutheilen weiß. Ich habe ihn vor Ihnen sprechen und handeln lassen. Sie selbst werden ihn beurtheilen. Sagen Sie mir doch nur recht bald, wie Sie in sich Ruhe und Muth wiederfanden? Ihr letzter Brief hat mich sehr erschreckt.

[100]
Elise an Hugo

Wenn es möglich wäre, daß ein Brief von mir Sie störte, wenn ich denken müßte, die Erinnerung an mich sei Ihnen jetzt peinlich, ich würde weder Sie noch mich verstehen!

Man will mir etwas Aehnliches glauben machen. Aber ich glaube es nicht.

Ihr Schweigen, das jene Muthmaßung rechtfertigen könnte, beweist mir nichts, als daß Sie meiner nicht so gewiß sind, als ich Ihrer. Das ist freilich schlimm. Mein Gott! sollten wir uns in dem Augenblick mißverstehen, wo ein entsetzliches Unglück uns aus der Welt hinaus stößt, und zu gemeinschaftlichem Schmerz verbindet?

Klügeln wir nicht, Hugo! die Zeit der Täuschung ist vorbei, es hilft nichts, unschuldiger sein zu wollen, als das Bewußtsein es erlaubt; wir, wir tödteten Emma.

Können Sie noch in ein anderes Auge sehen, als das meinige, das allein Ihr Elend und Ihre Reue zurückspiegelt?

Nein, wir sind unzertrennlich!

Was Sie auch thun, was Sie den Freunden, den Nächstgebliebenen auch sagen mögen, es kennt Niemand wie ich den Faden, von dessen ersten Verknüpfung, Schlinge in Schlinge sich [101] schürzte, bis das ganze, unzerreißbare Netz über uns alle ausgespannt lag.

Wer wird es Ihnen, wer wird es mir glauben, daß wir unwissend fehlten?

Keiner! Keiner! ich bin es gewiß.

Mit wem wollen Sie denn sprechen, wenn Sie auch den Ton meiner Stimme scheuen? In wessen Herz suchen Sie Antwort auf tausend ängstliche Fragen, die Entsetzen und Schmerz in Ihnen heraufrufen? Seit wann fürchten Sie die Liebe? Wissen Sie sonst noch etwas auf der Welt, das Sie ihr an Größe und Herrlichkeit zur Seite stellen könnten? Haben wir es denn nicht eben jetzt erst erfahren, daß man aus Liebe sterben, doch die nicht mißverstehen kann, die man liebt?

O Hugo! wie sollen wir vereinzelt auf dem schwebenden Erdball stehen, der uns auf- und abwärts schnellt? Und stehen, in sich bestehen will doch der Mensch. Sie wollen es auch. Sie sind nur mit der innern Heimath zerfallen. Können Sie den Weg zu ihr nicht wiederfinden?

Daß jener erste Riß uns auseinander hielt, das war natürlich. Sie hatten Manches gut zu machen. Sie konnten es vielleicht, so lange [102] Emma athmete, lag der Friede dieser schönen Seele auf Ihrem Gewissen. Sie durften annehmen, daß ich Sie hierin verstand. Ich hatte Ihnen auch damals nichts zu sagen, denn von dem Augenblick an, da ich mich selber erkannte, suchte ich Sie nicht mehr auf dem betrüglichen Schauplatz, wo wir uns beide verirrten. Wo ich Sie suchte, da blieben Sie mir unverloren.

Jetzt, jetzt ist alles anders! Es giebt nichts mehr zu schonen, nichts mehr zu thun! Keines Menschen Verzeihung zu gewinnen. Jedes Band ist zerrissen. Wir lösen uns auf in Nichts, wenn wir nicht aneinander halten.

Das werden Sie mir nicht sagen, das werden Sie nicht denken wollen, daß Alles, Alles, das kurze, warme, helle Leben Lüge war. Und wenn die innige Zuneigung, die zärtliche Verehrung – ach! wenn das, was ich nicht nennen kann, dies einzig Wahre bleibt in dem schaudervollen Wechsel des Daseins, wie dürfen Sie es verleugnen in dem Wahne, die Vollendete dadurch zu beleidigen?

Antworten Sie mir, Hugo! Sagen Sie mir, ob ich auch von Ihnen geträumt habe? Sophie wird mir Ihren Brief zuschicken.

[103]
Antwort [2]
Antwort

Ich weiß es nicht, Elise, ob wir beide geträumt haben? ich weiß auch nicht, ob ich nicht noch träume? Oder jetzt, und damals vielleicht nicht?

Vergeben Sie mir, wenn es dumpf und öde in mir ist. Es bleibt nicht immer so, aber ich halte diese Stimmung fest, denn eine andere! – –

Haben Sie gelesen, Elise! die stillen, bescheidenen, zärtlichen Worte? Ja wohl, die Erde zieht einen Vorhang zwischen uns. Gott läßt ihn fallen! Was sollte auch der Engel an meiner Seite? Ich hatte keinen Sinn für diese einfache Güte. Erkennen mußte ich sie wohl, doch empfinden – empfinden –! wer empfindet den Andern in seinem geheimnißvollen Selbst?

Die Liebe könnte es! Die Liebe? Ist mir doch, als wäre sie auch ein Traum! –

Ich glaube, es ist von allen Seiten ein Vorhang zwischen mir und dem Himmel gefallen! Es fehlt viel, sehr viel, daß uns die Sonne allgegenwärtig bliebe. Es giebt lange, lange Nächte in unserm Leben. Wir wissen darin nichts von Licht und Wärme, und sind so eingehüllt in [104] Finsterniß, so träge, so schläfrig, daß wir uns auch nicht einmal darnach sehnen.

Lassen Sie mich so, liebe Freundin. Besser nichts von sich zu wissen, als zu viel.

Sehen Sie wohl, ich hatte Ihnen gar nichts Neues zu sagen. Darum schwieg ich auch. Sie müssen wissen, ich bin ganz mit den Worten überhaupt zerfallen, seitdem ich einsah, daß der Mensch ihrer nicht immer Herr ist. Sie strafen mich nun dafür. Ich finde selten eins, das ich gebrauchen könnte, mich verständlich zu machen. Mich dünkt auch, Sie, Elise! sollten ihnen mißtrauen! Auch in Ihnen spricht die Seele anders, als es die Lippen auszudrücken vermögen. Warum, ach warum bleibt Vieles nicht ungesagt! – Auch jetzt! – Es ergänzt das Gefühl lieber, als daß es den scharfen Klang vernimmt!

Vergeben Sie. Mein Inneres ist wund, der Hauch des zartesten Grußes verletzt mich. Wie muß doch Alles anders sein, denn ehemals – nicht wahr, wir verstanden einander immer?

Ich will hinaus ins Freie gehen. Ich will mich besinnen. Vielleicht wird es wieder wie ehemals – – – –


O Elise, was haben Sie gethan! Sie haben [105] gerufen, und ich bin dem Tone gefolgt. Nun bin ich elender als vorher.

Ich war bei Ihnen drüben in Ihrem Hause, in Ihrem Garten, zum erstenmale seit langer, langer Zeit. Sonst, wenn ich das Dorf von fern liegen sah, dann schreckte mich die Oede drinnen. Ich wandte das Auge ab, wie man es einst beim Scheiden von der Welt wenden wird, mit sonderbar entzücktem Grauen. Was war auch hier geschehen! Was hatte ich nicht erfahren! Vom Jüngling alterte ich zum Greis. Hier sah ich mein Glück versinken.

Heute widerstand ich nicht. Es lockte mich, ich weiß nicht was? Ich ging den Pfad, der durch die Wiesen führt; der schmale Graben mit seinem grünen Rande und den tausend Vergißmeinnicht, vom Grase halb verdeckt, die rothen Federnelken, der feuchte Hauch des rinnenden Gewässers, es duftete wie an den kühlen Abenden, wo ich Sie von der Burg zurückgeleitete. Nun stand ich unter der alten, breitgewipfelten Weide, rechts schlängelte sich der Bach, jenseits winkten die Erlen. Da ist der kleine Steg! noch ein Schritt, und ich bin in Ihrem Garten.

Kommen Sie, o kommen Sie nie wieder hierher! Erst Monate sind es, und schon verwildert, [106] verwachsen, mit Gestripp überzogen, kaum die Wege noch kenntlich, wo Ihr Fuß gewandelt!

So schnell ist das Leben im Zerstören, so geschwind verwischen sich Spuren!

Ich war ganz irre geworden. Ich bog die Zweige auseinander, ich wandt mich hindurch. Da lag das Haus. Thüren und Laden geschlossen, hohes Gras auf der Terrasse, keine Ihrer Blumen mehr zu sehen, die Kübel leer. Georgs kleine Gießkanne umgestürzt in einem Winkel unter der Tonne am Giebel. Spaden und Hacke daneben, nichts lebte hier, als die alte Ziege und der Pfau, den man beiden vergönnte, die blumenlosen Beete zu berupfen.

Ausgestorben! ausgestorben! das war das einzige Wort, das mir aus allen Ecken entgegen schallte. Ich setzte mich auf die steinerne Bank vor dem Hause. Ich saß so lange. Es ward spät. Da hustete etwas und schurrte langsam mit stolperndem Schritte heran. Es war der alte Gartenknecht Karl, der so oft das Thor hinter mir schloß, wenn ich Abends spät wegritt. Er erschrack, da er mich sah, so fremd war ich ihm geworden. Das Leben macht die Zeit kurz oder lang. Hier war kein Leben mehr. Ich [107] grüßte ihn. »Wer hat die Schlüssel zum Hause, lieber Mann?« fragte ich. Er entgegnete: »Sie sind auf dem Amte, aber ich schlafe hier unten, und kann durch die Seitenthüre hinein, und so sind alle Zimmer zugängig.« Er merkte wohl, was ich wollte, und ich, daß er mich verstanden. »Wollt Ihr so gut sein, Alter?« sagte ich, »Gern,« erwiederte er. Wir traten in die untern Gewölbe. »Warten Sie,« bat er, »ich muß erst ein Licht anzünden, oben sind die Laden geschlossen, es dunkelt schon, und man sieht da nicht, wo man hintritt.« So gingen wir die Seitentreppen rechts hinauf, jener voran, ich hintendrein. Wie unsere Tritte durch das leere Haus schallten, wie jedes gesprochene Wort so hohl klang! Er öffnete Ihr kleines Gartencabinett, Elise! Das kleine Lichtstümpfchen, das wir hineintrugen, warf nur fahlen Schimmer umher. »Laß Er,« rief ich, und drängte den Mann und das Licht hinaus. »Wie Sie befehlen,« entgegnete er. Ich zog die Thüre hinter mir zu. Ich war allein. Der Duft Ihrer Blumen, Ihre englischen Bücher, die bekannten Gegenstände auf Ihrem Schreibtisch, kurz, der Athem Ihrer Welt, Ihrer lebendigen Nähe, wehte mir entgegen. Ich warf mich auf das kleine Sopha am Ofen. [108] Die Kissen lagen noch so zusammengeschoben, wie Sie solche zur größern Bequemlichkeit gewöhnlich legten.

Was soll ich viel von dem Schmerze reden, der mich ganz, ganz gefangen nahm! Einen Augenblick vergaß ich Alles. Ich wußte nicht ein Wort von der Welt, außer uns. Dann kamen andere Gedanken, andere Vorstellungen. Ich sprang auf. Ich verließ das liebe, kleine Gemach mit einer Angst, als läge die Hölle auf mir. Der gute, alte Mann draußen sah mich halb verwundert, halb befremdet an. Ich mochte geweint haben. Ich weiß es wahrhaftig nicht. Ich gab ihm Geld. Wir schieden. Er sagte mir beim Hinausgehen: »Wenn Sie sonst wollen, das Pförtchen ist niemals verschlossen, auch kommt sonst Niemand hierher.« Ich dankte ihm herzlich.

Nein! Elise, nein! dahin gehe ich nicht wieder. Den ganzen Rückweg über mußte ich mir immer wiederholen: »Alles todt! Alles todt! Und Die auch! Du hast sie beide auf deinem Gewissen!«

So ist es! gewiß, so ist es! Wie ward Ihr Geschick so unheilbar zerstört! Und war ich es nicht, hatte ich denn Ruhe, bis meine unselige [109] Hand den Wahn zerriß, der Ihr Bewußtsein verhüllte? Konnte ich noch zweifeln! Empfand ich es nicht, was Ihre schönen Lippen mir unter belebendem Entzücken endlich bekannten? O es war doch ein seliger, ein unvergeßlicher Augenblick! – Was wundern wir uns, wenn eine Welt untergeht, während eine andere sich Raum schafft. Wie Sie, liebe Freundin! mir jetzt so deutlich aus der Erinnerung heraufsteigen! »Ungroßmüthiger!« sagten Sie im ersten Augenblicke, zürnend. »Sie wußten es lange! Mußte Ihnen erst das Opfer meiner Ruhe die Gewißheit besiegeln?« Sie verließen mich voll Unmuth. Ich war beschämt, Sie hatten recht. Eine Weile stand ich verlegen vor mir selber. Ich ahndete, daß diese Minute viele andere geweiht hatte, die allmählig das Bisherige umgestalten würden. Aber ich war zu glücklich, um bereuen zu können. So roh ist der Mensch und so läppisch! Immer greift er aus dem Traume heraus, und was ihm die innere Offenbarung giebt, das soll das Leben erst wahr machen.

Ja, es macht eine Wahrheit daraus! Aber eine entsetzliche, vor der man den Verstand verlieren kann!

Nein, es taugt mir nicht, wenn ich die [110] Burg verlasse. Ich kann die Luft außerhalb nicht mehr ertragen. Darum bleibe ich. Erst wollte ich gleich fort. Wohin? wußte ich freilich nicht. Aber der Kranke sucht die Stelle, wo er besser, stiller zu liegen glaubt. Es kam anders! Eine Kleinigkeit, vielleicht ein Zufall, gewiß ein Zufall, genug ich blieb. Der gute Oheim braucht mich doch wohl noch. So lange er lebt, baut er seine alten Pläne von Begründung und Forterben des Begründeten weiter in die Zukunft hinein. Nun, ich werde ihm bauen helfen, das neue Schloß in Wehrheim darf so nicht liegen bleiben. Ich werde Sorge tragen, daß die Arbeit vorwärts geht. Was dann daraus wird? Mir einerlei! An mich denke ich nicht, das sehen Sie wohl, da ich bleibe und baue.

Was treiben Sie denn, Liebe? Wie betrügen Sie die Zeit um ihren trägen Lauf? Sind Sie noch bei der Dame, von der Sie einmal sagten: »Sie trüge wie eine Ameise immer ein Stückchen Dasein zum andern, und hätte so einen Vorrath von Brocken. Zum Genießen aber bliebe ihr keine Muße.«

Sie sehen, ich habe ein gutes Gedächtniß, und wiederhole mir gern, was ich von Ihnen hörte.

[111] Seit ich in Ihrem Cabinett saß, kommen mir soviel der frühern Gedanken und Worte. Aber hier in der Burg schallt es, und es ist zwölf Uhr Mittags; die Glocken läuten eine volle Stunde. In der Capelle liest der Prior Emma's Todtenmesse! –

Ich versichere Sie, unter solchen Klängen kann sich ein Herz tropfenweis verbluten!

Elise an Hugo [1]
Elise an Hugo

Ich danke Ihnen, lieber Hugo! Sie geben mir den alten Glauben wieder. Sie sind nicht kleiner geworden im Unglück. Sie verleugnen weder Ihr Herz, um dem Gewissen zu entlaufen, noch denken Sie daran, beide durch Vergessen auszusöhnen. Sie sind wahr, wie immer, selbst in der matten Lauheit, mit der Sie auf mich, wie auf den Frühling Ihrer Gefühle zurücksehen. Wie viel lieber ist mir der schlummernde Hugo, als der klügelnde, sich und mich verhöhnende.

Lassen Sie es immer sein, daß Ihnen jetzt die Brust so leer scheint. Wenn ein Freund uns verläßt, so sehen wir die andern nicht gleich, aber begegnen wir Ihnen, so fühlen wir, daß die Freundschaft uns immer nahe blieb.

[112] Ihr Brief würde Manchem bange machen. Aber mir ist er so werth, so theuer! Er ist wie Sie selbst. Was Sie berührt, das ergreift Sie ganz, und Sie fassen es wieder so. Ich habe Sie immer geliebt in dieser Vollständigkeit Ihres Empfindens. Läßt denn am Ende auch die Begeisterung nach, spurlos zieht nichts durch sie hin.

Sie sagen mir, daß Sie auf der Burg bleiben. Sie dürfen sie auch nicht verlassen, jetzt nicht. Könnten Sie wohl den kummervollen Greis dort einsam wissen, und umherziehn, ohne Absicht, ohne Zweck? Was zöge Sie in die Ferne? was reizte Ihre Thätigkeit? Ist es dort nicht wie hier? und entgehen Sie sich irgendwo?

Hierin sind Sie zu beneiden, Hugo. Sie wissen doch wenigstens, weshalb Sie an diesem und an keinem andern Orte sind. Ich weiß es nicht. Das drückt mich am schwersten, daß ich so zwecklos gehe und komme, dieses will und jenes lasse. Es bleibt am Ende ganz einerlei, und mir kann es das ebenfalls sein.

Ja, ich bin noch bei der guten, geschäftigen Tante; die immer weiß, weshalb sie aufsteht und niedersitzt, die Schlüssel in die Hand nimmt, klingelt, bestellt und abbestellt. Die Welt liegt auf ihren Schultern, und schwerlich erwacht der [113] Herrscher großer Staaten am Morgen mit so viel unruhiger Besorgniß, als sie, bis ihre Küche bestellt, das Erforderliche ausgegeben und die Besichtigung und Berechnung aller Vorräthe geschehen ist. Lachen Sie nicht, Hugo! Mich rührt die unermüdete Thätigkeit, und die eingebildete Größe ihres Zweckes. Glauben Sie mir, es liegt viel Beruhigendes in solcher Beschränkung.

Ich spüre das in meiner jetzigen Lage. Sie ist eng, oft pressend, aber man wird so still darin. Vielleicht matt! Wozu hilft auch den Frauen die Kraft und der freie, umherschauende Sinn? Sie werden doch nur, frühe oder spät, in ein Zellchen über oder unter die Erde zurückgeschleudert.

Ich habe hier alle meine Schmerzen verweint, und bin darüber eingeschlafen. Das Ableiern tagtäglicher Gewohnheitsworte, die Fragen nach Wind und Wetter, nach gutem oder schlechtem Schlaf, nach dem Gedeihen der Früchte, dem Befinden nützlicher Haus-und Hofthiere, die Verwunderung über die Nachläßigkeit eines Domestiken, und was sonst noch das beschränkte Leben hier bietet, ich versichere Sie, es läßt wenig Anderes in der Phantasie aufkommen. Allmählig nimmt man an dergleichem Theil; man spricht und hört so lange davon, bis man sich damit beschäftigt,[114] und es mit einer Art Beruhigung wahrnimmt, daß weibliches Thun nicht mit Unrecht dem Treiben der Bienen verglichen wird. Solch' Sumsen und Wirren betäubt für den trügerischen Ruf nach hellern, weitern Regionen!

Der Sohn des Hauses war eine Zeitlang hier, jener Vetter Curd, den Sie in Ulmenstein und bei mir müssen gesehen haben. Vielleicht wissen Sie nichts mehr von ihm. Es ist auch nicht viel von ihm zu wissen, er selbst weiß am wenigsten von sich. Nun sehen Sie,hier war er Etwas, ein Sohn und ein Hausherr. Sehr viele Menschen, die sich in der Welt verlieren, nehmen ein Wesen und eine Gestalt an, wenn sie in die Umzäunung ihrer Grenze zurücktreten. Ich mache nicht viel aus den Geschöpfen, die nur ineinem Element athmen können und nirgends anderwärts existiren; indeß urtheilen Sie, wie bescheiden mich mein jetziges Loos macht, ich sah den Vetter Curd nicht ungern hier. Sein Anblick rief mir andere Tage, andere Personen, andere Verhältnisse zurück, und vollends seine Pferde! – Mein armer Georg ritt sogar auf des Vetters Pferde. – Jetzt hat das arme Herz wohl nichts, nichts mehr, woran sich ein fröhlicher Knabe erfreut!

[115] Sein kleines Gartengeräth sahen Sie umherliegen, Hugo? O sähe ich das wenigstens! Ich würde auch das runde Händchen zu sehen glauben, das sich so dicht um den Reif der Kanne zusammenpreßte, und doch die Hälfte des Wassers verschüttete, ehe noch die Stelle erreicht war, wo es einen künstlichen Graben füllen, oder eingesteckte Reiser geschwind zu großen Bäumen wachsen lassen wollte. – Abgeschnittene Stückchen ohne Wurzeln in den steinigten Boden verpflanzt, waren Deine Wälder, armes Kind! Du träumtest Dich schon in ihren Schatten, und rittest auf der Haselgerte zwischen ihnen durch, Hirsche und Rehe zu jagen! Wird Dein ganzes Dasein so wurzellos auf undankbarem Boden vergehen?

Wie kam es, Hugo, daß Sie, an Georg erinnert, ihn nicht aufsuchten? Sehen Sie, das dumpfe Träumen in dem verwilderten Garten, auf der verlassenen Stätte im Hause paßt nicht für Sie. Wie anders könnten Sie der Freundin dienen, würden Sie der gute Engel des Kleinen. Ich habe etwas Aehnliches wohl lange im Stillen gedacht, aber da Sie mir nichts zu sagen hatten, so konnte ich Ihnen auch nichts sagen, und bat darum Curd, zuweilen hinaus nach dem Amthof zu reiten, und mir zu schreiben, wie es [116] um das Kind stehe. Es wird denn nun freilich an seinen Berichten nicht viel sein. Ich dachte aber, immer ist es ein verwandtes Gesicht, nur eine Erinnerung aus der frühern Zeit, die dem Verlassenen in dem ungewohnten Leben Freude machen muß. Und kann ich doch sonst nichts mehr für meinen Liebling thun!

O wie das Kind auf meine Seele drückt. Die weiche, liebreiche Madame Lindhof theilt mir Alles mit, was ihren Pflegling betrifft; allein, sie sieht ihn täglich mit ältern Knaben, Georg verliert sich unter diesen. Auch ist er stumm, wo er sich fremd fühlt, undfremd werden ihm diese Kreise immer bleiben! Manches mag auch als Unart erscheinen, was er nur nicht verständlich machen kann, was Niemand dort verstehen wird! Es quält mich, all den Widerspruch zu denken, der mit Tavanelli's Eintritt begann und immer verwirrender fortgehen muß!

Wenn Sie wollten – sehen Sie zu, Hugo, wie Sie es machen, was Sie thun können!

Wie mich's hebt und entzückt, Sie und das Kind auf den Bahnen zu denken, die mir verschlossen sind. Von Eduard kein Wort! Auch an die Lindhof nicht. Er weiß, fürchtet diese, um [117] deren Briefwechsel mit mir. Der Prior kommt zuweilen nach dem Amt. Wenn mir von daher neue Leiden drohten. Es ist doch ein Punkt unsers gegenseitigen Vertrags, daß der Knabe bis zum siebenten Jahre seiner jetzigen Pflegerin verbleibe. – Wenn –! Umsonst macht der geistliche Herr seine Spatziergänge nicht so oft durch die Erlen am Bache und in den Amtsgarten. Der Einfluß von daher wäre mir unaussprechlich peinlich! Haben Sie ein wachsames Auge, lieber, geliebter Hugo! Sie, der Sie alle Schläge dieses Herzens mit dem Engel theilen, der auch Ihr Liebling war. Dulden Sie es nicht, daß man dies helle Gemüth verfinstere, den aufrichtigen, klaren Sinn zur Verstecktheit und Lüge reize!

Bin ich doch ganz wieder erwacht, seit ich an Sie schreibe! Regen sich doch tausend fremdgewordene Wünsche und Gedanken in mir! O Herz, wie würde Dir sein, dürftest Du Dich nur einmal wieder – –

Aber weg, weg mit solchen Bildern! Die Tante rasselt mit den Schlüsseln, die Bodenthüre knarrt. Es regnet, und die Wäsche muß trotz der Jahreszeit im Hause getrocknet werden, die Mägde und Weiber jammern beim Hinaufschleppen [118] der Last! Was wird der außerordentliche Fall uns nicht heute alles bei Tisch reden lassen!

Der Justizrath an den Präsidenten

Indem ich die Ehre habe, Denenselben die Ausfertigung der Scheidungsakte hiermit ganz gehorsamst zu übersenden, bemerkte ich gleichzeitig, daß der Rechtsanwald Dero gewesenen Frau Gemahlin diese ebenfalls von der gerichtlichen Auflösung ihrer stattgehabten ehelichen Verbindung in Kenntniß setzte, so daß Sie beiderseits, nach Ablauf vorgezeichneter Frist, zu einer zweiten Wahl zu schreiten gesetzlich berechtigt sind.

Die schnelle Beendigung eines, jeden Falls störenden Prozesses, darf allein Ihrer großmüthigen Aufopferung zugeschrieben werden, da diese Alles überging, was Leichtsinn und Unbestand an dem Selbstgefühl des beleidigten Gatten verschuldeten.

Befriedigt in diesem Bewußtsein, werden Sie, geehrter Herr Präsident! nichts vermissen, was Ihnen eine glänzende Laufbahn, die Anerkennung der Welt und die Verehrung der Bessern [119] in dieser nicht vollwichtig ersetzen könnte. In tiefster Ergebenheit verharrend etc.

Hugo an Elise

Sorgen Sie nicht, Liebe! Ich träume nicht mehr. Ich habe die einschläfernde Trauer abgeworfen. Der Schmerz ist kein Wahn, aber die Klage ist eine Schwäche. Man beklagt Niemand als sich selbst. Das Liebkosen der Seele nimmt dem Leid seinen aufregenden Stachel. Unter die Füße mit dem Geschick, und frei gehoben das Auge in die Welt hinaus, dieunser ist und die der Mensch gestaltet, wenn er sich nicht durch sie gestalten läßt! –

Ich fange wieder an zu leben, Elise! Der Bau in Wehrheim schreitet zum Erstaunen vor. Er soll beendet sein, ehe der Winter uns überfällt. Täglich bin ich dort. Die Leute jubeln über meinen Eifer. Abends fahre ich auf kleinem Fischerboot den raschen Strom hinunter. Ich durchschneide pfeilschnell die Fluth. Komme ich dann an Ihrem Garten vorbei, dann lege ich dort an, gehe eilig nach dem Amthofe und hole[120] mir Georg, der schon die Stunden bis zu meiner Ankunft zählt. Wir sitzen dann Beide in dem kleinen Cabinett auf dem Sopha, der Tisch mit Baukasten und Soldaten steht vor uns. Ich muß ihm erzählen, während er das neue Haus drüben in Wehrheim noch baut. Gestern nahm ich ihn mit herüber im Kahn. Er sprang und klopfte vor Freude in die Hände. Die ganze Zeit sprach er von Ihnen, und meine Gedanken errathend, sagte er seitdem zuversichtlich: »Für Mutter ist das schöne Schloß drüben, da will ich zu ihr reisen.«

Sehen Sie, Elise! das ist es, was mich beseelt, was meinem Muthe Flügel giebt. Verstehen Sie mich, Liebe? Denken Sie sichs einen Augenblick. Sie dort wohnend, das Kind in Ihrer Nähe, ich auf der Burg, jeder Augenblick unser! Ich komme, ich gehe, wir gehen mit einander, wir besuchen die gute Madame Lindhof, sie besucht Sie wieder, Georg mit ihr wie natürlich, unsere Gespräche, unsere Beschäftigungen begegnen sich wie ehemals. Der Garten in Wehrheim wird ganz Ihre Schöpfung. Sie pflanzen, räumen weg, was Ihren Plänen entgegen ist. Ich helfe Ihnen; bald fassen Blumen ohne Zahl den frischen Rasen ein, Springbrunnen, leicht von dem Strom herbeigeleitet, nässen den grünen Abhang. Hier [121] findet Georg seinen Spielplatz. Sie sitzen vor dem Hause unter schattigen Arcaden, und haben ihn stets unter Augen; ich lese Ihnen vor, zeichne, was Sie Neues in Gedanken entwarfen. Wir sprechen darüber, ich werfe Ihnen Dies und Jenes ein, Sie widerlegen meine Gründe, der Streit giebt der Unterhaltung neues Leben, ich kann nicht nachgeben, und Sie thun doch, was Sie wollen, denn ich ende damit, die Ausführung in Ihre Hände zu legen.

Oder Sie sind allein. Sie erwarten mich. Ich bleibe lange aus. Ihr liebes Auge liegt unruhig auf dem silberhellen Fluß. Vom jenseitigen Ufer soll ich herüberkommen. Kein dunkler Punkt bewegt sich auf den glänzenden Wellen. Sie sehen und sehen, und werden ungeduldig. Da macht Sie naher Ruderschlag von der Seite des Dorfs aufmerksam, Sie gehen hinunter bis zum Ufer, dort rechts, wo die Birken am Vorsprunge der kleinen Insel ihre wallende Zweige niedersenken, rauscht mein kleines Fahrzeug heran. Ich sehe Sie, und bin Ihnen nun im Augenblick ganz nahe. Scheltend empfangen Sie den Freund, doch müssen Sie ihm verzeihen, denn Sie kennen ihn zu gut, Sie wollen ihn auch nicht anders, als er ist, ängstigend darf ihn keine Rücksicht befangen, [122] und könnte er die Freiheit im Handeln opfern, er wäre nicht mehr derselbe. Deshalb war auch die Ungeduld nicht Zorn, gesteigerte Erwartung nenne ich sie lieber, und wie nun der Erwartete kommt, ist das Wölkchen verschwunden.

Denken Sie sich das Alles in dem Verhältniß einziger, großer, umfassender Zuneigung, sehen Sie die tiefe Ahndung solchen Bundes, wie wir ihn immer gedacht, wie er uns in unzähligen Gesprächen vorgeschwebt, fragen Sie sich, ob irgend eine, von den gewöhnlichen Armseligkeiten, die den Menschen gefangen halten, dagegen ausreiche?

Sind Sie doch frei, Elise! Ich weiß es. Keine Nothwendigkeit bindet Sie an den Ort Ihres jetzigen Aufenthaltes. Und welch' ein Aufenthalt! Wollen Sie sich wirklich so hart strafen, den edlen, klaren Geist an der gemeinen Alltäglichkeit des Lebens abzustumpfen? Geben Sie doch den Thorheiten des Vorurtheils nicht in dem groben Irrthume nach, als könne die Ertödtung dessen, was uns Gott ähnlich macht, Gott gefallen. Was heißt denn Buße? Fragen Sie einmal die Weisen, die soviel davon reden, ob ihnen je der Begriff klar aufgegangen ist?

Glauben Sie mir, ich habe in dieser langen, [123] gedrückten Zeit viel hierüber mit mir zu thun gehabt. Alles Leere, Nichtige, Abgerissene und darum Selbstische, büßt der Mensch durch Erfüllung oderNichterfüllung seiner Wünsche. Beides kann Strafe werden. Doch, was das Eigenthum seiner heiligsten Ueberzeugung, was sein frei gewordenes Dasein, was der Ursprung, wie der Zweck seiner Erdenlaufbahn ist, das giebt er nur zum Scheine den Umständen hin. Der Trieb, der ihn zum zweitenmale im Bewußtsein erschuf, der stirbt nicht, den verhüllt die Gewalt andrängender Ereignisse wohl eine Weile; aber, was ist, das ist! Es lassen sich nur Abkömmnisse mit ihm schließen, zu besiegen finden wir im Kampf der Wahrheit nichts als die Lüge.

Es wäre himmelschreiend, wollten Sie sich glauben machen, Sie seien von dem Gott, der Ihnen diese Seele einhauchte, verdammt, sich in die Knechtschaft der Bedürftigkeit zu schmiegen, um es zu büßen, daß Sie dachten und empfanden, wie das Kindseiner Gedanken! Ich habe Ihren Brief, Elise! in demselben Zimmer gelesen, auf derselben Stelle, wo Sie mir sagten: »Ich kann alles hingeben, was man von mir fordert, doch die Fähigkeit, Sie in Ihrem innern [124] und äußern Thun zu begleiten, die lasse ich mir durch kein Schreckbild des Vorurtheils rauben.«

Glauben Sie in der willkührlichen Haft den Gebrauch jener Fähigkeit zu bewahren?

Elise! sein Sie gewiß, wie Strick und Band den Gliedern ihre geschmeidige Beweglichkeit rauben, so geht es dem Geist, der unterdrückt ist, und den Käfig über sich zufallen läßt.

Und nun noch ein Wort über Georg. Das zarte, besondere Kind fordert Ihre ganze Aufmerksamkeit. Er ist, ich leugne es Ihnen nicht, er ist anders geworden, langsam, stille, abgesondert, schließt er sich nur selten, und dann heimlich und nur für Augenblicke auf. Sein Anblick machte mir den Eindruck einer fremden, köstlichen Blume, die, in einen Gemüsgarten verpflanzt, die grobe Erde und die wuchernden Nachbarpflanzen zurückhalten. Seine gute, treue Pflegerin ist von jener weichlichen Sorgfalt für ihn, die Alles thut, aber das Rechte nicht trifft. Sie wacht mit steter Sorgfalt über jeden seiner Schritte, er wagt deshalb selten einen ungewöhnlichen, ja, ich finde ihn ängstlich, die Augen fragend auf die Großmutter, was Madame Lindhof auch für ihn ist, gerichtet. Als ich ihm das Erstemal mit dieser begegnete, ward er ganz roth, [125] that blöde, und antwortete mir gar nicht. Ich überließ ihn sich selbst. Nach einer Weile schlich er um mich herum, ging neben mir, faßte meine Hand, und als es Niemand hörte, fragte er nach Ihnen. Ich erwiederte, daß ich Sie lange nicht gesehen hätte, er wisse ja, Sie seien verreist. Ich, im Gegentheil, wolle von ihm hören, wann Sie wiederkommen würden? Ich bereute, das Letztere gesagt zu haben, denn der arme Kleine sah zu Boden und blieb eine Strecke hinter uns zurück, um unbemerkt weinen zu können. Es mußte ihm sehr wehe thun, sich wieder einmal in seinen Erwartungen getäuscht zu finden.

Er tröstete sich aber, als wir jetzt in das Haus traten, welches er so lange nicht besuchen durfte, weil die gute, ängstliche Frau den Eindruck scheute, den das Wiedersehen der geliebten Stätte auf ihn machen könnte. Sie hatte ganz falsch vorausgesehen. Das Kind lebte hier auf. Es war seine Welt, in die es zurückkehrte. Er sprang und jubelte in den Zimmern umher, und war nur durch das Versprechen, morgen wieder mit mir hierher zurückzukommen, zum Weggehen zu bewegen.

Liebste Elise! können Sie säumen, den schönen[126] Knaben aus seiner wunderlichen Abspannung herauszureißen?


Bis hierher hatte ich geschrieben. Mir war das Herz warm und bewegt geworden. Ich hielt nicht mit mir allein aus. Das Wetter war unfreundlich, die Sonne schon untergegangen, ich trat ans Fenster. Drüben im andern Flügel brannte der große Camin hell in des Oheims Zimmer. Der Schatten von Jemand, der auf-und niederging, verdeckte die Flamme augenblicklich. Das ist er! dachte ich, der einsam wie du, die Stunden an sich hinziehen läßt. Ich eilte zu ihm hinüber. Er lächelte angenehm überrascht, als ich die Thüre öffnete. »Guten Abend,« sagte er sehr weich, indem er mir die Hand entgegen streckte. Er rückte mir selbst den Armstuhl dem seinigen gegenüber am Camin zurecht. Wir setzten uns. »Ich war heute in Wehrheim,« hub er nach einer Weile an. »Die Arbeit rückt ja gewaltig vor. Ich freue mich, daß Dich das beschäftigt,« setzte er hinzu. »Nun,« entgegnete ich, »es ist eine Aufgabe, so lange man sie zu lösen bemüht ist, beschäftigt es freilich.«

»Du hast eine Absicht dabei,« sagte er, und [127] einen Augenblick innehaltend, fuhr er fort: »Ich begreife es sehr wohl, daß Du, Deiner Neigung gemäß, frei und eigenthümlich zu wohnen und zu leben gedenkst. Wir werden ja darum doch nicht geschieden sein?« lächelte er, mir aufs neue die Hand reichend. Ich beugte mich über die väterliche Hand, die mich so schonend in Schmerz und Widerwärtigkeit berührt hatte, ihn fest versichernd, daß ich gar nicht daran denke, die Burg zu verlassen, und nur beenden wolle, was er mir anzufangen erlaubte. Er sah mich überrascht an. Wieder im Sessel zurückgelehnt, meinte er: ich gliche doch oft meinem seligen Vater außerordentlich.

Er hätte mich an diesen gerade jetzt nicht erinnern sollen. Es erkältete mich unwillkührlich, daß er der Aehnlichkeit so nebenbei erwähnen konnte. Wahrscheinlich errieth er mich, denn, war es nun das Feuer, oder trieb ihm das Blut vom Herzen nach dem Kopfe? genug, er schien zu erröthen, da er jetzt die Hand vor die Augen hielt, als schirme er diese vor der Flamme.

»Sage mir doch,« bat er hierauf, »was ist denn an dem Gerede, das unter den Leuten umherläuft, von einer schwarzen Hand, die den Vorübergehenden eines Morgens von dem [128] Gerüste herabgewinkt und sie von der Stelle weggescheucht haben soll? Nach einer stürmischen Gewitternacht, setzt man hinzu, sei sie sichtbar geworden, so, als schleudre sie der Blitz herab; was denn für ein drohendes Zeichen angesehen, und dem Bau nichts Gutes geweissagt wird, insbesondere, da man Deinen erwachten Eifer, ihn zu vollenden, für Trotz hält, und ihn frech schilt.«

Ich lachte, ob mir gleich die Sache an sich, und wie sie sich zugetragen, einen ganz andern Eindruck zurückgelassen hatte. »Sie sehen wohl,« sagte ich mit leichtem Achselzucken, »daß eine bloße Zufälligkeit dem Verlangen nach Spukereien Vorschub leisten mußte. Unsere Geistergeschichten haben einen sehr materiellen Boden; es wird mit aller Mühe nichts Geistiges daraus.« Ich erzählte ihm nun, daß mir auf einem nächtlichen Ritte nach Wehrheim, bei einer heftigen Bewegung mit dem Arme, der abgezogene, lose in der Hand gehaltene schwarze Handschuh entfahren, und auf einer Stange des Gerüstes hängen geblieben sei. »Es ist wahr,« fuhr ich fort, »es hatte etwas Erschreckendes, und ich trug auch Sorge, am folgenden Tage in aller Frühe den Handschuh von der Stange herabnehmen zu lassen, was vielleicht [129] nur dazu diente, die Sache unaufgeklärt zu lassen.«

»Ich dachte es wohl!« erwiederte der Comthur. Aber er ward still, und es fiel mir auf, als er nach einer kurzen Pause, während welcher wir beide, jeder auf eine eigene Art beschäftigt, in das Feuer sahen, äußerte: »Das Zusammentreffen offenbarer oder verborgener Umstände hat seine Bedeutung, die der Mensch voraus empfinden will, und deshalb übereilt er sich im Urtheil, oder quält sich mit Ahndungen.«

Er war hier aufgestanden, und ging, den Kopf gebeugt, die Hände auf dem Rücken, wie Sie seine Art kennen, in dem großen, hohen, grauen Zimmer auf und ab. Ich folgte ihm mit den Augen, der Raum, den er durchschnitt, war mir noch nie so weit, so leer, wir beide einsame Menschen nie so vereinzelt vorgekommen. »Wollen wir eine Parthie Schach spielen?« fragte ich, ebenfalls meinen Platz verlassend.

»Gern, sehr gern!« war die Antwort. Ich suchte den kleinen Tisch mit der gefächerten Platte, an dem wir sonst so oft spielten. Er müsse im Nebenzimmer stehen, meinte der Comthur. Ich ging dahin, fand ihn aber nicht. »Ach! [130] ich besinne mich jetzt,« rief ich, und stutzte unwillkührlich.

In Emma's Zimmer hatten wir das Letztemal gespielt. Der Oheim verstand mich. »Laß es,« sagte er, »ich will – –!« »Bewahre!« versetzte ich beschämt. Ich zündete ein Licht an, und eilte durch den Seitengang, die kleine Wendeltreppe hinauf, in das vordere Thurmzimmer. Elise! hier saßen wir, wenige Tage vor Emma's Abreise; sie lag in dem anstoßenden Cabinett auf ihrem Ruhebette, die Mutter las ihr vor, der Arzt und ich führten Krieg auf den schwarzen und weißen Feldern, der Comthur, auf- und abgehend, wie heute, begleitete mit klugem Blick unsre Züge. Es war sehr heiß im Zimmer, man durfte, der feuchten Luft wegen, die Fenster nicht öffnen. Ich hörte Emma sagen: »nehmen Sie mir den Shawl ab, ich verbrenne.«

Mein Gott! die verschlossene Luft war wieder so drückend und gepreßt, sie lag zentnerschwer auf meiner Brust. Ich sah umher nach dem Tischchen. Man hatte ohnlängst hier geräumt, und die Gemächer gereinigt, das Geräth stand zusammengeschoben in den Winkeln. Ich fand endlich, was mich hierher führte; doch neben Emma's Ruhebett, den Shawl, jener amaranthfarbene, [131] den ich ihr geschenkt, und den sie so liebte, daß sie ihn immer trug, hing über die Kissen der Rücklehne. Das grelle Roth schnitt mir durch die Seele. Ich sah das bleiche Gesichtchen, an das sich die Falten des Tuches einst schmiegten, ich hörte das »Ich verbrenne!« mit dem Ausdruck des Unvermögens, es länger ertragen zu können, wieder, und fühlte die Gluthen, die das beste Herz verzehrt hatten.

Den Shawl über dem Arm, das Tischchen in der Hand, eilte ich hinunter zum Oheim. Er sah mich erst verwundert an, dann wurden seine Züge sehr weich, er umarmte mich, ich fühlte seine Thränen auf meiner Wange. Leise, als scheute er sich, ein Heiligthum zu entweihen, berührte er mit den Spitzen der Finger das traurige Andenken. »Es ist dies ein heller Gruß, Hugo!« sagte er, »ein leuchtender Lebensschmuck, und recht ein Gegenstück zu der schwarzen Hand, welche die Leute gerne dem Zorne der Abgeschiedenen zuschreiben möchten.« Ich drückte die seinige, als er hinzusetzte: »Zorn war nicht in dieser Seele, und so wollen wir denn lieber dem freundlichen, als dem drohenden Anzeichen für die Zukunft trauen.«

Wir hatten eben unser Spiel angefangen, [132] als der alte Baron Wildenau gemeldet ward. Der Mann ist von unleidlicher Beschränktheit und Breite. Ich hatte ihn in Ewigkeit nicht gesehen, konnte mir denken, daß er der Unglücksfälle des Hauses ungeschickt erwähnen würde, stellte mir vor, es sei ein Trauerbesuch, auf den er sich seit sechs Monaten bis heute am späten Abend besonnen habe, und gerieth in innere Verzweiflung.

Es war aber anders.

Der Baron trat gebeugt, mit kummervoller Miene und gesenktem Blick zu uns ein. Gegen seine Gewohnheit in Stiefeln und Ueberrock, zeigte der etwas vernachläßigte Reiseanzug, daß weder die Burg, noch ein formeller Besuch der Zweck seiner späten Abendfahrt sein konnten.

»Ich komme,« sagte er, nach der ersten Begrüßung neben uns niedersitzend, »zur ungewöhnlichen Stunde, und muß recht sehr um Verzeihung bitten, wenn ich beschwerlich falle.«

Er dehnte die letzten Worte, und sah, unter schiefem Neigen des Kopfes, fragend zu uns auf. Ich hatte große Lust zu lachen, allein, wie er jetzt fortfuhr, und uns eröffnete, er sei auf dem Wege zu seinem Sohne, der auf einer Reise, von welcher wir vielleicht mehr wüßten als er, noch nicht ein Einzigesmal geschrieben noch schreiben [133] lassen, wie er sich eigentlich befinde, und ob er krank oder gesund sei? Da verging mir das Lachen. Schneller wie der Blitz reihen sich im Menschen Gedanken an Gedanken. Ich sah Leontin, ich sah Emma, ich dachte Unzähliges zugleich. Der stumme, düstre, tiefsinnige Leontin, wo war er? wo hatte er die niederschlagende Nachricht erhalten? Er liebte Emma. Er war ihr gefolgt, er sollte sie in des Oheims Namen beschwören, zu uns zurückzukommen. Sehen Sie, Elise! wie Vieles floß da zusammen, was für entgegengesetzte Elemente mischen sich; und wir fordern, daß das Leben klar und still hinfließen soll.

Alles das stand vor meiner Seele. Ich hatte nicht auf das Gespräch der beiden Alten gehört, da erschütterte mich die klagende Stimme des Barons, ich wandte mich aufmerksam zu ihm, er sagte: »Ich habe doch nur das einzige Kind, das ich gern glücklich auf der Welt zurückließe. Es ist nicht recht, daß er mich so ganz vergißt. Wenn man alt wird, so lebt man nur noch in seinen Kindern; er sollte das bedenken, aber die Jugend ist jetzt zu verschieden von uns. Sie hat ganz andere Begriffe von Recht und Unrecht. Ich verstehe meinen Sohn nicht. Er ist so tugendhaft, [134] daß ich oft erschrecke, und ihn wie etwas Höheres verehre. Und dann fehlt er doch wieder gegen die natürlichsten Gebote, und erscheint mir sehr tadelnswerth.«

Es war Sinn in den Worten, sie überraschten mich. Ich behielt aber wenig Zeit, darüber nachzudenken, denn auf des Oheims begütigende Einwendungen und das leise Hindeuten, daß Leontin vielleicht krank geworden, schüttelte der Baron den Kopf. »Das nicht eigentlich,« erwiederte er, »ich habe wohl soviel ausgekundschaftet, daß er sich im Schwarzwalde in einem Baueroder Meierhofe aufhält, diesen kaufen und dort eine Capelle bauen will. Wenn es auch nicht Wahnsinn oder Fieberhitze ist, die solche Pläne fassen läßt,« fuhr er fort, »so ist es doch große Ueberspannung. Wem wäre wohl vordem so etwas eingefallen? Er hat die schöne Erbschaft hier gemacht, die prächtigen Güter! und will da Geld und Zeit an eine Grille opfern.«

Er hielt inne. Mir fuhrs durch die Seele. Ihr baut er die Capelle! auf der Stelle, die ihr Fuß vielleicht betreten! Er lebt nur noch in ihrem Andenken! –

»Ich gehe,« sagte der Baron, »ihn von dem Gedanken abzubringen. Ich habe hier keine [135] Ruhe, und kann mir den guten, einfachen Leontin gar nicht so übertrieben und unnatürlich vorstellen.«

Er war aufgestanden, redete noch Eins und das Andere mit dem Comthur, und ging in die Nacht hinaus, den verlornen Sohn aufzusuchen. Auch der, seufzte ich, als ich ihn mit ganz andern Empfindungen wie vorher, zum Wagen begleitete.

Auch der, Elise! Werden sich alle die zerrissenen Stückchen Leben jemals wieder zusammenfügen? Wird etwas Ganzes daraus werden? und für wen?

Ein trüber, unleidlicher Druck liegt seitdem auf meiner Seele.

Schlafen Sie wohl, liebe, geliebte Elise!

Agathe an Rosalie

Das sind schöne Geschichten! Ich schreibe Dir gleich Alles, weil ich weiß, daß Du Dich halb todt freuen wirst, Deiner Prinzeß etwas erzählen zu können. Danke Du Gott, daß Du am Hofe bist, und suche Dich da unentbehrlich zu machen, denn hier auf dem Lande bei [136] Mama, bis spät in den Winter hinein –! Ich sage Dir, es ist zum Sterben. Wir haben freilich die schöne Reise gemacht, aber ich gestehe Dir aufrichtig, solch' Herumreisen und Angaffen von fremden Gegenden hat kein sonderliches Interesse für mich. Und dann glaube ich, hat Mama auch nicht in ihren Plänen reussirt. Es ist nichts gegen das Testament der Tante zu thun. Leontin behält die Güter. Du kannst denken, in welcher Laune wir durch die Wälder und die üppigen Feldmarken hinfuhren! Zuweilen sprachen wir halbe Tage kein Wort, Mama las im Wagen oder schlief, und ich wurde von der fürchterlichsten Langweile geplagt.

Und nun sitzen wir Ende November hier in Ulmenstein! Nein, Du machst Dir keinen Begriff von dem Eindruck, den so ein Landhaus unter kahlen Bäumen, leeren Blumenbeeten und gelben Terrassen, beim ersten Wiedersehen nach langer Abwesenheit macht. Wenn wir sonst aus der Stadt hierher zurückkommen, dann ist alles schon weit vorgerückt mit der Jahreszeit. Man denkt an Sommertoiletten und kleine Spiele auf den Rasenplätzen, an Milch und Obst, Gesellschaft im Garten, an Ausreiten und Parthien zu Wagen. Jetzt? – Ich möchte wohl wissen, an [137] was man in dem ausgekälteten Salon und dem feuchten Wetter denken sollte!

Es ist unglaublich, wie ein Jahr solche Veränderungen machen kann! Ich schwöre Dir, die Gegend ist wie ausgestorben. Wir haben noch keine Seele gesehen! Und wie glänzend war es im vorigen Herbst!

Bilde Dir nicht ein, daß Deine Abwesenheit die Ursache davon ist. O nein, mein Kind! das ist die dumme Liebesgeschichte, die hat alle Leute entzweit. Mama ist sehr gespannt mit dem Comthur und mit Allen, die ihm anhängen. Das giebt denn tausend Verdrießlichkeiten, ganz unerhörte Klatschereien! und die bringen die Leute auseinander. Im Vertrauen zu Dir, Mama hat sich wohl manchmal ein Bischen zu scharf ausgelassen. Vorzüglich, wie es zur Scheidung kam. So was wird bekannt und Niemand leidet darunter mehr als wir, denn das gestehe ich Dir, die Pruderie, für alle kleine Intriguen in seinem Salon responsable sein zu wollen, und es darum mit der Gesellschaft zu verderben, das muß die Menschen verscheuchen! Wer will denn auch immer einer Kritik ausgesetzt sein, wenn man zu seinem Vergnügen fremde Häuser besucht? Jetzt bereut sie es [138] auch. Sie möchte gerne Schritte thun, aber sie weiß nur nicht, wie sie es anfangen soll.

Denke Dir, und das wollte ich Dir eigentlich erzählen, das neue Haus in Wehrheim ist über Hals und Kopf fertig gemacht worden, und man sagt, die geschiedene Präsidentin werde mit Nächstem dort einziehen. Ich bitte Dich, welch' unerhörter Scandal!Geschieden ist sie, das ist wahr, aber wieder verheirathen kann sie sich nicht ohne Dispensation, und daß sie diese nicht erhält, dafür sorgt die Oberhofmeisterin, die wieder auf der Scene erschienen ist, und ihre Hände überall im Spiel hat.

Ja, ja, mein Kind! in Wehrheim will sie wohnen, die schöne Büßende! nachdem sie in der Wüste auch eben nicht viel Buße gethan hat. Denn weißt Du nicht die große Neuigkeit! Curd ist zum Sterben in sie verliebt. Er hat zwar früher sich nachtheilig über sie geäußert. Nachher wollte er es wohl wieder gut machen, lachte sich selbst aus, sagte ein Paar Dummheiten, und machte sich dadurch lächerlich; und sein erstes Geschäft bei unserm flüchtigen Begegnen auf der Reise durch die Residenz war, alles das Ueble, was er sich zu schreiben erlaubt hatte, wieder zurückzunehmen, und Elise so hitzig, so übertrieben [139] zu vertheidigen, daß man gleich sah, wie ihn die Koquette verstrickt hat.

Mir ist es einerlei! Aber es gab doch eine Zeit, wo er ganz, gewiß ganz anders fühlte. Mama sagt, er wäre sehr bornirt, und wie ein Blatt Papier, auf das ein Jeder schreiben kann, was er will. Im Grunde hat sie recht, aber sie fand ihn sonst doch sehr interessant.

Erzähle doch das Alles gelegentlich, wenn die Herrschaften bei Laune sind. Der Fürstin Mutter wird es willkommen sein. Es ist dies Wasser auf ihre Mühle, denn man sagt, sie hasse Elise, seitdem sie sich ihretwegen einmal mit dem regierenden Fürsten, nach der bekannten Cour, entzweit hat. Noch Eins. Es sind immer noch keine Nachrichten von Leontin eingelaufen. Der alte Baron kehrte vor einigen Tagen zurück. Man weiß nicht, ob er den Sohn aufgefunden hat? Er sieht Niemand. Mama erkundigt sich sehr genau nach Allem, was hierauf Bezug hat, denn wie Du weißt, fällt die Erbschaft der Tante, im Fall Leontin ohne Nachkommen stirbt, seinen nächsten Verwandten von mütterlicher Seite zu, und das sind wir, denke ich.

Es sollte mir aber doch leid thun, um den hübschen, jungen Menschen, wenn er stürbe. Lieber [140] hätte ich ihn noch geheirathet, ob er gleich wie der steinerne Gast im Don Juan aussieht.

Der Justizrath war eben bei Mama. Er behauptet, Elise heirathe den Grafen gewiß, für den Dispens würde der Comthur schon sorgen, dem Alles daran liege, daß der Neffe sich fixire und den Namen der Familie erhalte. Mein Gott! als wenn es nicht mehr Parthien im Lande gäbe, als solch' durchaus unschickliche. Mama glaubt auch nicht, daß es wahr ist, sie behauptet, der Comthur besitze zu viel Delicatesse.

Nun genug, da hast Du Stoff, aus dem sich in der Stadt etwas machen läßt, um die Conversation zu beleben.

Lebe wohl, Du Glückliche! Ich vergehe hier vor Langweile.

Der Präsident an den Justizrath

In aller Eile bitte ich Sie, geehrter Herr! mit dem Verkauf meines Landhauses zu eilen. Ich habe Gründe, weshalb ich es, sobald als möglich, in andern Händen wissen möchte. Nur empfehle ich Ihnen Behutsamkeit und Stille. So geheim wie möglich, verstehen Sie wohl! Keinen [141] Termin, keine öffentliche Anzeige. Ein sichrer Käufer, gleichviel weß Standes und Ortes! Nur fort damit. Und Garten und Haus mit allen Mobilien ohne Vorbehalt. Bis es so weit ist, wünsche ich, daß der Gartenknecht verabschiedet, und die innere Bewachung Jemanden Ihrer Leute überlassen bliebe. Man sagt mir, der fürstliche Domainen-Amtmann im Orte suche eine andere Anstellung. Betreiben Sie doch das Gelingen seines Wunsches. Sobald er bestimmte Aussicht dazu hat, würden Sie mich durch gefällige Benachrichtigung deshalb verpflichten.

Die Einlage an den Prior des Premonstratenser Klosters übergebe ich, wie immer, Ihren Händen.

Der Caplan Tavanelli, schreibt man mir, sei geheilt. Ich hielt sein Uebel immer für nichts anders, als eine hitzige Krankheit. Der Erfolg hat es bewährt. Ein Jahr Erhohlung und Reisen ins Ausland würden ihn völlig herstellen; ich darf sodann nicht anstehen, ihn als Gesandschaftsprediger hierher kommen zu lassen, wo er der zweckmäßigsten Wirksamkeit gewiß sein kann. Was die Zahlungen betrifft, so bleiben sie, nach wie vor, dieselben. Es müßte denn der zu fürchtende Fall [142] eintreten, dann hört natürlich jede fernere Beziehung auf.

Versäumen Sie ja nichts, um den gedachten Verkauf zu beschleunigen. Ich ziehe es vor, mir eine ehemalige Wohnung verändert, als in ihrer frühern Beschaffenheit, und dennoch für mich umgewandelt zu denken.

Meiner steten Dankbarkeit können Sie, geehrter Herr! im Voraus versichert sein.

Antwort [3]
Antwort

Dem geehrten Auftrage zufolge, bin ich so frei, Denenselben zu berichten, daß es mir zur Zeit mit dem Verkauf des Landgutes zwar noch nicht gelungen, inzwischen der Geschäftsträger einer italienischen Dame mir Vorschläge in Betreff einer monatlichen Vermiethung der Villa gemacht hat, welche annehmlich zu sein scheinen, und immer dem eigentlichen Zweck der Entäußerung nahe kommen würden. Es wünscht die erwähnte Dame, Wittwe, kinderlos und kränklich, für einen Theil des Jahres einen ruhigen Aufenthalt im nördlichen Deutschland, nicht unmittelbar in einer Stadt, doch in der Nähe derselben, ärztlichen Beistandes halber.

[143] Bewilligen Dieselben den gemachten Antrag, so werde ich um bestimmte Angabe der Bedingungen unterthänigst bitten, und den Contract sofort abschließen.

Elise an Hugo [2]
Elise an Hugo

Ihre beiden kurzen Briefchen, die mir anzeigen, daß Alles zu meinem Empfange in Wehrheim bereit sei, die Zimmer im alten Flügel völlig eingerichtet, heizbar, trocken, nur mich erwarten, um auch Sie dort, wenigstens für Stunden, heimisch zu sehen, die beiden Briefchen, liebster Hugo! ließ ich bis heute unbeantwortet, weil ich verlegen bin, wie ich Ihnen den Zustand meines Gemüthes schildern soll, der mich hindert, irgend einen Entschluß zu fassen.

Sehen Sie, nun es so weit ist, und die Koffer gepackt sind, der Wagen herausgezogen, besichtigt, ausgestäubt und zur Reise in Stand gesetzt ist, nun kann ich nicht gehen, nicht bleiben.

Werden Sie nicht unwillig, verzweifeln Sie auch nicht gleich an der Ausführung irgend eines freien und schönen Gedankens, wenn sich Ihnen Hindernisse in den Weg stellen, schelten Sie mich [144] vor allen Dingen nicht undankbar. Ich bin es nicht! Folgte ich dem raschen, leidenschaftlichen Zuge des Herzens, ich wäre, trotz Schnee und schlechte Wege, vielleicht schon jetzt bei Ihnen in Wehrheim.

Fragen Sie, warum ich diesem unbestochenen, einzig wahren Zuge nicht folge? so frage ich Sie wieder, darf ich es auch? hat er mich nie über mein Ziel hin aus geführt? Ich sehe Ihre ungeduldige, mißbilligende Miene von hier, Sie legen das Blatt aus der Hand und denken, sie ist wie jede Andere! Keine wird frei von dem Leitbande ängstlicher Rücksichten. Nun gut! Denken Sie, es sei so. Was hülfe es Ihnen, wenn ich mich losrisse und haltungslos schwankte?

Besser, ich gestehe es ein. Ja, es giebt Rücksichten, die wir ehren müssen, nicht unsertwegen, doch um der Ruhe Anderer. Sagen Sie mir doch, was legen Sie mir Georgs Geschick an's Herz, wenn Sie in diesem nur den Knaben, nicht den Jüngling, nicht den Mann denken? Oder meinen Sie, die Welt würde ihm den Maßstab der Beurtheilung nie in die Hand geben? Hoffen Sie wirklich, Vertrauen könne in jedem Augenblick vor ängstigendem Zweifel schützen? Lassen Sie dem zärtlichen Kinde die Mutter, wie er [145] sie kannte. Was ist sie ihm, sieht er sie in verdächtigem Licht?

Kinder stehen der göttlichen Einfalt näher, als wir es ahnden. Sie haben ein zartes Empfinden für das Ungehörige, Widersprechende im Leben.

Glauben Sie mir, ich würde Georgs verschwiegene Fragen errathen, und mich abhärmen, sie unbeantwortet lassen zu müssen.

Sind Sie es denn noch nicht inne geworden, Lieber! daß die innere und äußere That himmelweit von einander unterschieden ist? Himmelweit, sage ich! denn die Eine ist oft dort oben, wenn die Andere hineinfällt in die Region roher Gesetze. Die Erde gestaltet nach ihrer Weise, was der Gedanke gestaltet denkt. Es ist ein Unterschied, Hugo! und hier nichts weiter zu thun, als den Schritt nach dem Gange Anderer freundlich und liebreich einzurichten.

Also Sie bleiben, wo Sie sind? höre ich Sie fragen.

Lassen Sie mich erst ganz offen sein, ehe ich entscheide. Sie wissen, wie mich Ihr Vorschlag entzückte, wie mich die Vorstellung davon ergriff, wie ich es nicht eilig genug haben konnte! Nun sehen Sie, ich hatte denn auch keine Ruhe, ich [146] machte meine Anstalten ohne alles Hehl. Ich sagte es der Tante, daß ich sie nun endlich von einem unbequemen, eigensinnigen Gaste befreien würde, der nur ihre Güte in Anspruch zu nehmen gewußt, ohne dieser durch irgend eine angenehme Leistung zu lohnen. Die Tante hörte mich ruhig an, drückte dann ihr Bedauern aufrichtig aus, vermied aber, da sie mich entschlossen sah, für jetzt alle weitere Einwendung. So verging ein Tag nach dem andern. Das böse Wetter trat ein. Erst Schnee und Frost, dann das Thauwetter. Die Posten blieben aus. Ihre Briefe, die mich endlich bestimmen sollten, kamen nicht, wie ich es erwartet hatte. Ich ward unruhig. Die Tante bemerkte es. »Was ängstigst Du Dich denn so?« fragte sie theilnehmend. »Solche Eile wird es ja doch nicht mit der Reise haben.« Ich war verlegen, denn im Grunde lag die Ursache der Eile nur in meiner Ungeduld. »Sieh' mal, Kind,« bemerkte sie eindringlich, »jetzt kannst Du doch nicht fort. Du machst Dir keinen Begriff hier im Hause, wie es draußen auf der Heerstraße aussieht. Leute und Pferde fallen ja in die ausgefahrnen Gründe hinein, daß man denkt, sie könnten im Leben nicht wieder aufstehen.« – »Sie stehen aber wieder auf, Tantchen!« unterbrach [147] ich sie lachend. »Nicht alle, und nicht immer!« versicherte sie. »Und noch dazu bist Du allein mit der Johanna. Was fangt ihr zwei Frauen denn in solcher Noth in unbekannter Gegend, allein, zu jeder Tagesstunde an? Ist es denn weit von hier, Kind,« fragte sie nach kurzer Pause, »wo Du hin willst?« Ich bejahte es, noch immer sorglos und muthig in meinem Innern. »Wie heißt denn der Ort?« Hugo! ich erröthete, ob aus Freude oder Scham? das weiß ich nicht, als ich »Wehrheim,« sagte! »Wehrheim! Wehrheim!« besann sie sich ungewiß. »Hast Du mir nicht den Ort genannt? Ist es nicht? – Liebes Kind, was willst Du da machen?« rief sie erschrocken. »Ei mein Gott, wie kommst Du dahin? Hast Du Niemand in Deiner Familie, dem Du vertrauest? Mußt Du bei den Leuten Schutz suchen, die Dich in so schlimmes Gerede brachten?«

Sie setzte sich hier, der Schreck hatte sie übermannt, sie sah ganz blaß aus. Ich wollte ihre gutmüthige Schwäche belächeln, aber es war, als habe sie mich angesteckt. Ich konnte ihr umwölktes, feuchtes Auge nicht sehen, mit dem sie mich zu fragen schien: Ist es möglich? Hast Du Alles vergessen? Sieh' Kind, wenn ich [148] es tadle, was hoffst Du denn von andern Menschen? Ich nahm mich gleichwohl zusammen, ich sagte ihr, daß ich in ein leeres, unbewohntes Haus einzöge, und eben so gut wie jeder Andere den freigegebenen Raum benutzen dürfe.

»Nicht eben so gut wie jeder Andere!« fiel sie ein. »Herr Gott! mein Engelchen! sage das doch nicht. Du weißt ja recht gut, daß es in der Welt nicht ist, wie es in Deinem Kopfe aussieht. Denke einmal selbst: auf dem Gute, in der Abhängigkeit von dem Manne –! ach, mein Herz! Du hast es auch längst eingesehen, daß es unschicklich ist, darum verschwiegst Du immer den Namen des Orts.«

Diese Worte, Hugo, diese Paar Worte trafen mich. Sie hatte recht. Weshalb nannte ich früher den Namen nicht, der jetzt nur sträubend über meine Lippen ging.

Unschicklich! Unschicklich! ich wiederholte den Vorwurf wohl zehnmal bei mir. Sie hatte den Ausdruck ihrer Empfindung nicht bemäntelt, er verletzte mich, allein hinter dem Unwillen schimmerte es wie Wahrheit. Ich mußte mir sagen: freilich, es will sich hier nicht Alles wohl in einander schicken. Ich sagte das auch der Tante, [149] mit dem Zusatze, daß ich meine Abreise noch verschieben, und wir weiter darüber sprechen wollten.

»Nein,« rief sie aus, faßte meine beiden Hände mit großer Bangigkeit, und sah mir dabei scharf in die Augen: »Nein, jetzt, hier auf der Stelle, mußt Du es mir fest geloben, daß Du diesen Gedanken aufgiebst.« Ich suchte mich ungeduldig loszumachen. »Elise,« fuhr sie bittend fort, »ich hoffe zu Gott, Du bist unschuldig in Allem, was die Welt von Dir sagt! aber wenn auch nichts, gar nichts davon wahr ist, kannst Du Dich entschließen, so kurze Zeit nach dem betrübten Tode der Gräfin in das Haus ihres Mannes zu ziehen? Vergißt Du, was Du dem Andenken der Frau, was Du Georgs Vater schuldig bist, dessen Namen Du noch immer trägst? Mein lieber Gott! Die Ehre kann doch nicht auch aus der Mode gekommen sein, und der Ruf, ob man sich darüber wegsetzt oder nicht, bezwingt doch immer zuletzt den Trotz der Frauen.«

»Liebe Tante,« erwiederte ich, im Innern zitternd und bebend, »Sie thun mir Gewalt an.«

»Das will ich auch,« sagte sie fest. »Ja, das will ich! und ehe ich Dich nach Wehrheim gehen sehe, werde ich Dir lieber zu Füßen fallen, und Dich so lange bitten, bis Du Deiner alten [150] Tante guten Rath nicht länger verwirfst, und Dir ihre Treue zu Herzen nimmst.«

Hugo! ich stand verwirrt vor der umgewandelten Frau. Ich fragte mich: wer ist denn das? wer spricht so zu mir? Ich hatte Mühe, die peinliche, unsichre, unstäte Tante in dem entschiedenen Benehmen wieder zu erkennen. Sie, die ein Regenschauer zur unrechten Zeit bestürzt und eine zerbrochene Fensterscheibe betrübt macht, die nicht weiß, darf sie einen Entschluß fassen? oder muß sie den Gedanken daran aufgeben? die hundertmal fragt und doch nur schüchtern dem empfangenen Rathe folgt, sie wußte mit einemmale, was sie wollte, was ich sollte, und behend, wie eine gewandte Fee, hatte sie die verborgenen Fäden meines Innern zum Lenkseile ihres Willens gemacht!

Ich brach in Thränen aus. Ich war innerlich empört, daß mir Jemand seine Meinung aufzwingen wollte, ich stieß diese Meinung von mir, sie sollte nicht Herr über mich werden. Sie ward es doch! – Ich brach matt in mir zusammen, ich weinte, wie ein gescholtenes Kind, ich versprach Alles, und bin noch hier!

Warum kam auch Ihr Brief nicht zu rechter Zeit, Hugo? Ich wäre längst von hier fort gewesen, [151] ehe die Aengstliche, durch das schlechte Wetter noch ängstlicher gemacht, auf alle die Einwendungen und Fragen verfallen wäre. Es wäre nun geschehen, und ich in meiner Unbesonnenheit wohl noch unwissend und glücklich! Nun, da mir die Gefahr gezeigt ward, fehlt es mir freilich an Muth, sie zu bestehen, denn ich bin nicht herzhafter, als uns Frauen der Himmel machte, nur blinder, wie die Meisten. Ich schwanke noch über die Frage, ob kurzsichtiger oder überhinsehender? Es ist ein Unglück, Hugo! wenn Gesichtskreis und Standpunkt nicht recht für einander passen.

Ich sollte eigentlich hier schweigen, und es erwarten, daß Sie mich tadeln, ohne weitern Versuch, Sie mit meinem Unbestand auszusöhnen. Doch Eins will ich Ihnen noch sagen. Hier bleibe ich einmal nicht. Das steht fest. Ich ertrage den Widerspruch in mir selbst kaum noch, deshalb will ich vor der Hand zuerst mehr Freiheit gewinnen, ehe ich über mich bestimme. Bei Sophie denke ich diese zu finden. Sobald das Wetter nur einigermaßen erträglich wird, eile ich zu ihr ins Stift. Und dann! – und dann! – O mein Gott! wie schlägt mir das Herz vor Entzücken; glauben Sie mir, das Verständigere ist auch am [152] Ende das Beste. So wie es war, wäre es doch nicht wieder geworden! Die Unbefangenheit ist hin! Der frische Hauch verduftet. Im Sommer werden die Schatten auch dichter, und die Natur ernster. Die hohen Blumen entwickeln sich langsamer, aber sie blühenlänger.

Der Frühling zaubert mit lachendem Uebermuthe seine üppige Welt zu unsern Füßen. Doch Zeit und Menschen gehen rasch darüber hin. Der Augenblick der Jugend muß rauhen Uebergängen und mühevoller Gestaltung weichen.

Oft bleibt auch diese unvollkommen, und der lange Kampf war vergeblich. Man erndtet dann die sparsamen Früchte mit um so größerer Sorgfalt, und will keine verlieren.

Sehen Sie es so an, Hugo! gleichviel, ob das Bild Ihnen passend dünkt. Mir scheint es so.

Bei Sophie also? Nicht wahr? Sagen Sie mir Ihre Meinung, sprechen Sie mit der Verständigen, und schreiben Sie mir bald.

Ich bin ruhiger, nun ich Alles vom Herzen habe, was mich so unaussprechlich quälte. Im Grunde fürchte ich doch, Ihnen dadurch zu mißfallen. Sie werden es nicht so einsehen, wie es ist. Der Widerspruch muß Sie gerade jetzt, wo Sie ihn nicht mehr erwarteten, verdrießen. Es [153] ist natürlich, ich würde auch so empfinden. Mir steht Ihre Miene, Ihre Stimmung, Ihr trübes Versinken, Aufgeben, Zagen und Verachten so deutlich vor der Seele! Ich weiß es, ja, ich weiß es gewiß, Sie verachten die Berücksichtigung, die mich leitet. Es ängstigt mich mit jedem Augenblicke mehr, da sich die Absendung dieser Zeilen naht. Und doch! – Ich kann es ja nicht ändern! O! sein Sie billig –! oder sein Sie nichts als gut und zärtlich, und fühlen Sie, daß ich leide.

Hugo an Elise [1]
Hugo an Elise

Es müssen Briefe verloren gegangen sein. Sie antworten mir nicht, und doch sagte ich Ihnen, daß ich Sie in den ersten Tagen dieses Monats bestimmt erwarten, daß ich Ihnen in dieser Erwartung entgegenkommen, und Sie in Ihre neue Wohnung einführen würde.

Nun, ich bin denn auch wirklich bis zu dem letzten Gebirgsdörfchen, zehn Stunden von hier, bei schlechtem Wetter Ihnen entgegen gereist, und habe acht und vierzig Stunden in dem schlechtesten Gasthofe, der auf Erden ist, unter Besorgniß [154] und Ungeduld zugebracht. Der Sturm, welcher auf einer Linie von mehreren hundert Meilen in Ost und West zugleich wüthete, machte den Aufenthalt mitten im Winter, in der Waldschlucht, zwischen herabrollenden Felsstücken und zusammenkrachenden Baumstämmen, zu dem abentheuerlichsten, den ich noch erlebte. Auch blieb ich nicht ohne Abentheuer. Das furchtbare Wetter steigerte nur meine Angst um Sie. Ich glaubte Sie so gewiß auf der Reise. Ich sah Ihrer Ankunft jeden Augenblick entgegen. Ich hatte nirgends Ruhe. Am Tage ging es noch leidlich, man konnte wenigstens um sich sehen, die Menschen waren wach, aufmerksam, bei der Hand. Gegen Abend, und der brach hier schon um drei Uhr Nachmittags völlig ein, fielen die ersten Schneeflocken. Sie kreisten einzeln in der Luft, ohne den Boden zu berühren, jetzt begann ein Brausen über uns, als rollte der Donner unabläßig, ohne irgend einen Zwischenraum, von scharfem Sausen und ängstlichem Wimmern begleitet. Schnee und Regen strichen, in horizontaler Lage, über das Thal weg, unterhalb, in diesem war es ganz stille; die Natur schien hier nicht zu athmen, in regungsloser Erstarrung sah sie dem wilden Aufruhr der Elemente entgegen. Allmählig schwankten [155] die äußersten Spitzen der Föhrenwipfel, bald wurde diese Bewegung stärker, die Wolken senkten sich, und schneller wie der Gedanke, brachen die Bäume krachend in ihren Wurzeln, rechts und links fielen sie nieder, große Zweige, vom Sturm gehoben, flogen in weiten Strecken umher, wie weiße Tücher wallte der Schnee zwischen den Schlüften, man sah nicht einen Schritt vor sich, der Stärkste erhielt sich länger nicht auf den Füßen. Alles flüchtete in die Häuser, das Vieh wurde unruhig in den Ställen, die Schaafe und Rinder blöckten und brüllten, wie während einer Feuersbrunst, Pferde hörte man wild stampfen, und fürchterlich, als ginge die Welt unter, heulten Haus- und Hofhunde. Niemand fand sich sicher in der leicht gebauten Wohnung, Dächer wurden abgerissen, Sparren und Schieferplatten flogen umher, das Hausgeräth bebte, es war auch hier nicht auszuhalten. Ich warf einen Mantel über, ließ die hindernde Kopfbedeckung zurück, und trat hinaus auf die Straße.

»Wo wollen Sie hin?« rief mir der Wirth nach, »Sie können leicht erschlagen werden.« »Das kann ich hier auch,« entgegnete ich, auf die wankenden Pfeiler und zerbrochenen Thüren zeigend. Ich kehrte mich nicht daran, und ging. [156] Der Regen stürzte jetzt nieder, als habe der Himmel alle seine Schleusen geöffnet, doch ward der Sturm schwächer.

»Nun auch Wasser in die Häuser!« sagte ein Mann, der, sich umschauend, ein Paar Schritte von einer Anhöhe herunter kam. »Der Bach schwillt mit jeder Minute, die Brücke ist weggerissen, und die Furth weiterhin auch nicht mehr zu passiren. Gnade Gott dem, der heute unterwegs ist! Hier kann er sein Grab finden.«

Elise! brauch' ich Ihnen zu sagen, daß mein Blut still stand, und ich einen Augenblick, wie gelähmt, den Mann anstarrte.

»Das Lämpchen,« fuhr dieser, immer nach der verhängnißvollen Stelle hindeutend, fort, »das Lämpchen brennt zwar oben am Warnungspfahl in der Laterne, aber die Postillone hier bei uns sind verwegene Kerls, bis diese an Gefahr glauben, da muß ihnen schon der Abgrund vor den Füßen liegen. Sie stützen sich auf ihre Erfahrung und trauen der Furth, die freilich festen Grund hat, aber heute sollen sie wohl die rechte Stelle suchen. Ich bin gewiß,« lachte er zuversichtlich, »da liegt Baumstamm auf Baumstamm über einander, und Felsstücke, die der Regen vollends von oben herabgerissen hat.«

[157] »Was stehen wir denn hier!« rief ich ungeduldig,Sie, Sie! geliebte Freundin, mit allen Stimmen meiner Seele zurückzuweisen, zu warnen. »Kommen Sie doch,« forderte ich Jenen auf. »Lassen Sie uns Acht haben, daß Niemand verunglücke.«

»Acht haben, daß Niemand verunglücke?« wiederholte jener ein wenig spöttisch. »Wodurch sollten wir's wohl hindern?« fragte er, zu mir gewendet. »Hinüber auf die andere Seite kann doch Niemand jetzt, das sehen Sie ein.«

»Ich sehe es nicht ein,« unterbrach ich ihn. »Im Kahne, und auch so, kommt man durch die Fluth, und ist drüben auf der Wacht, und verhütet, daß kein Anderer sich auf gut Glück wage.«

»Thun Sie's!« versetzte der Mann gelassen, »wenn es Ihnen so leicht dünkt.« Er machte eine Bewegung, sich von mir zu entfernen. »Aber das muß ich Ihnen noch sagen,« fügte er, um ein Paar Schritte näher tretend, hinzu, »mit dem Bach ist nicht zu spaßen. Das Wasser ist verteufelt schnell, und vollends heute, wo der Wind die Fluth in lauter Wirbel zusammen peitscht; wenn Sie nicht Ihrer Sache sehr gewiß sind –«

[158]

»Das bin ich! Hören Sie,« rief ich, ihn beim Arm fassend. »Begleiten können Sie mich doch wenigstens bis ohngefähr zu der gefährlichen Stelle, und ein Paar rüstige Bursche mit Laternen werden sich doch auch zusammen bringen lassen, die im Fall der Noth zur Hand sind und retten helfen?« Ich klingelte mit meiner Börse, und ließ ihn gute Bezahlung voraussehen.

»Es ist nicht darum,« sagte er, mich recht gut verstehend, »denn kann ich Jemand behülflich sein, so thue ich es auch ohne Lohn. Aber die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, ich leiste Ihnen einen schlechten Dienst, wenn ich Ihnen den Willen thue. Was geschehen ist, das ist geschehen, und ein Dummer macht zehn Andere klug.«

»Was soll das heißen?« fuhr ich ungestüm auf ihn zu. »Das soll heißen,« beantwortete er meine heftige Frage, »daß, wenn ich nicht sehr irre, vorhin ein lauter Schrei von dort herüber drang, und wer nun drinnen im Wasser liegt, doch nicht wieder heraus kann!«

»Allmächtiger Gott! Allmächtiger Gott!« schriee ich, beide Hände über dem Kopf zusammenschlagend, und fort, nach dem Bache stürzend.

[159] Aber es ward mir nicht leicht, zu finden, wo dieser sein eigentliches Bett habe. Auf funfzig Schritte umher war Alles überschwemmt. Ich konnte keine Uferhöhe unterscheiden, ich fand mich nicht in der Richtung, nicht in den nächsten Gegenständen zu recht. Luft und Wasser waren so bewegt, daß Letzteres schäumte, sich in großen Massen vorüberwälzend, wie ein breiter, ungeheurer Strom. Ich stand eine Weile sinnend. Das Unwetter tobte noch immer, doch vertoste es seinen Ingrimm mehr abwärts, und gestattete dem Blick hin und her, die graubleiche Atmosphäre zu durchdringen. Zu meiner Linken brannte das Licht am Pfahl, der mitten in den Wellen stand und nur ohngefähr andeutete, wie weit ich unter mir Grund suchen könne. Rechts, eine Strecke hinauf, mußte die Furth sein. Ich hatte das Auge fest dahin gerichtet, als mir vorkam, es bewege sich etwas Weißes über die Wasserfläche empor. Vielleicht war Jemand auf einen Baum, oder einen abgebrochenen Stamm geklettert, um so ein Zeichen seiner Verlegenheit zu geben. Ich wurde immer achtsamer. Jetzt schallte deutlich ein heller Ruf durch die Windstöße. Hinüber! Hinüber! sagte Alles in mir; den Mantel abwerfend, schwamm ich in Gottes Namen, dem [160] weißen Schimmer entgegen. Es ging leichter als ich dachte. Die innerliche, heftige Bewegung gab mir ungewöhnliche Kraft. Ich war drüben. Ein sonderbares Rasseln und Schnauben ohnweit der Stelle, wo ich auf das Trockne gelangte, zog meine ganze Aufmerksamkeit sogleich dahin. Wagen und Pferde, sagte ich mir, sind in falscher Richtung der Furth zugelenkt, in den moorigen Tiefen eingesunken, oder zwischen Steinen und Baumwurzeln umgeschlagen, zerschellt und vielleicht nur der unvorsichtige Fuhrmann am Leben geblieben. »Wer rief hier um Hülfe?« schrie ich aus Leibeskräften.

»Ach Jesus, Hülfe, Hülfe!« entgegnete mir eine Stimme in größter Angst. »Wo? wo?« rief ich zurück. »Hier!« war die Antwort. Im Augenblick standen wir bei einander. Ich erkannte an den Farben der Bekleidung in Jenem einen Postillon. »Wen hast Du gefahren?« fragte ich zitternd. »Eine Dame,« sagte er in sichtlicher Angst, »dort liegt der Wagen zerbrochen,« setzte er eilig hinzu. Das möchte drum sein! denn es hat eben Niemand Schaden genommen, aber die Pferde! die Pferde! die liegen bis an die Bäuche im Schlamm, und kein Peitschen, kein Treiben bringt sie heraus. Sie können auch nicht, so [161] lange sie angesträngt sind, und ich kriege den Blitzkasten nicht in die Höhe, der ganz von der Seite eingeklemmt, da liegt.«

»Eine Dame!« Weiter brauchte es nichts, um mich meiner Sache gewiß zu machen. Ich flog auf den verunglückten Wagen zu. Aber noch ehe ich bis dahin kam, sah ich eine weibliche Gestalt ganz zusammengesunken auf einem Stein sitzen, eine Andere, die neben ihr stand, schien um sie beschäftigt. »Elise! Elise!« rief ich, im Begriff, die Erstere zu umfassen. Eine fremde Stimme sagte Italienisch-Französisch: »Mein Herr, die Frau Aebtissin ist ohnmächtig vor Nässe und Kälte in meine Arme gesunken, können wir sie nicht bald von hier fortschaffen, so stirbt sie.« Die Andere lispelte in demselben Augenblick ein Paar Worte, die ich nicht verstehen konnte, so leise wurden sie gesprochen. Doch glaubte ich ein heftiges Zittern und krampfhaftes Klappern der Zähne an der Unbekannten wahrzunehmen. Ob ich nun gleich in meiner Erwartung getäuscht war, so durfte ich dies unter diesen Umständen doch nicht anders als ein Glück nennen. Mit einer Art Dankbarkeit im Herzen, Sie, geliebte Freundin! nicht in solcher Gefahr zu wissen, erbot ich mich, die Dame in einem Fischerkahn, welchen [162] ich, an einer umgestürzten Weide geknüpft, im Schilfe entdeckt hatte, hinüber zu fahren, wenn sie sich mir anvertrauen wolle.

Jene stand mit seltsamer Heftigkeit von ihrem Platze auf, und ohne etwas zu sagen, versuchte sie, dahin zu folgen, wohin ich sie geleitete. Es zeigte sich aber bald, daß sie unfähig war, einen Schritt zu thun; ich nahm sie daher auf meinen Arm, und setzte sie sanft in das flache Boot, das der Postillon und ein alter italienischer Diener mit Mäntel und Decken belegt hatten. Ich ergriff das Ruder, und stieß, mit der Versicherung, den Zurückbleibenden bald Hülfe zuzusenden, vom Ufer ab. Sonderbarer war nicht leicht eines Menschen Lage! Mitten auf dem unwillig gehorchenden Elemente, allein mit einem unbekannten Wesen, das lautlos, dicht in Mantel und Schleier gehüllt, geisterartig da saß, und durch Nichts ein lebendiges Dasein verrieth, als durch jenes fieberhafte Zittern, und von Zeit zu Zeit durch einen tief aus dem Herzen gehenden Seufzer. Sie kennen meine Empfänglichkeit für grauenhafte, geheimnißvolle Eindrücke. Ich fühlte meine Brust beklemmt, und war doppelt froh, als ich sah, daß mein Beispiel Mehrere im Ort anfeuerte, und man mit Kähnen und Laternen herbeiruderte; [163] die Leute der Dame erreichten uns, als wir angelegt hatten. Beide Frauen dankten flüchtiger, als es meine Bemühungen wohl verdient hätten. Ich machte nichts daraus, zufrieden, sie gerettet, und in einem abgelegenen Kämmerchen in Sicherheit zu wissen. Des andern Morgens waren sie, ehe ich noch erwachte, auf und davon. Schmid und Stellmacher mußten die ganze Nacht arbeiten, um den Wagen wieder herzustellen. Sie dachten an nichts, als nur fortzukommen.

So ist die Welt! Jedweder in ihr sieht sich und was ihm eben wichtig dünkt. Elise! ich dachte an Sie, und vergaß bald das Vorübergehende. lohnen Sie mich für die Prüfungen dieser Stunden durch Ihre baldige Ankunft an einem schönen, sonnenhellen Tage.

Sophie an die Oberhofmeisterin

Sie untersagen mir, liebe Freundin! den verhaltenen Ton Ihrer Seele auch nur entfernt anzurühren. Und doch schreiben Sie mir, und wollen, daß ich Ihnen antworte?

Sie haben im Grunde recht, so widersprechend es scheint. Kenne ich Sie doch bis in die kleinste [164] Bewegung Ihres Innern! und Sie wissen, daß ich Sie so kenne.

Der Ton bedarf keiner Berührung, um zu klingen. Jeder Laut, jeder Athemzug in Ihnen geht aus ihm hervor!

Doch wozu auch diese Worte!

Sie sind zurückgekehrt an den Hof! Sie wollen dort bleiben! Es überraschte mich, als ich es erfuhr. Siewollen sein, wie Sie sind? oder erscheinen, wie Sie sich geben? Vielleicht beides. Dem sei nun, wie ihm wolle, so viel Selbstüberwindung ist erstaunenswerth. Was mich indeß noch mehr überrascht, ist Ihr Interesse an dem, was Sie nur schmerzlich bewegen, und in die Heiligkeit der Trauer, bittere, herbe Empfindungen zu mischen droht.

Ich erschrack fast, da ich Ihre Fragen nach Hugo und Elise, nach dem Verhältniß beider, und ihren Plänen für die Zukunft, las.

Ist das ein Gegenstand, der Sie beschäftigen kann? Verzeihen Sie mir, wenn ich den Grund dieser Theilnahme nicht sanftern Gefühlen zuschreibe.

Wenn ich vielmehr fürchte, es lebe darin noch ganz die leidenschaftliche Eifersucht fort, die [165] keine schönere Sorge mehr rechtfertigt, und weniger der Liebe als dem Hasse angehört.

Ja, gestehen Sie sichs nur immer selbst, es verlangt Sie, von dem peinlichen, ungünstigen Geschick der hart Gedemüthigten, von Elisens zerstörtem Frieden, ihrer früh gewelkten Jugend, von Hugo's schwankendem Umhergreifen, seinen Kämpfen und inneren Plagen zu hören.

Was wollen Sie damit? Die Ueberzeugung gewinnen, daß hier das Leben nichts ausgeglichen, nichts anders gemacht hätte? und der Tod zu segnen sei, der das reinste Opfer auf einen Streich fallen ließ? Die Ueberzeugung hatten Sie lange. Nein, Sie wollen nicht ruhiger werden, Sie stacheln die unbequemste aller Regungen, die Mißgunst in sich wach. Vergessen Sie, daß Niemand mehr, als Sie selbst darunter leiden?

Und wenn sich nun Alles anders fände, als Sie es finden möchten? Wenn Hugo's unstäter Trieb nach äußerer Beschäftigung sich in geordneter Wirksamkeit befriedigte, er auf seinem Platze feststehend, die Pflichten übte, die Welt und Beruf von ihm fordern? Wenn er dem Wohlthäter dankbar, jeden andern Wunsch opfernd, nun bemüht wäre, sein einsames Alter zu erheitern? Wenn stille, ernste Trauer jene unfruchtbare Melancholie [166] verscheucht, und die unselige Heftigkeit ungehöriger Liebe sich in Beiden zu ruhig entsagender Freundschaft umgewandelt hätte? Würde es Ihnen genügen? würde es Ihnen den Trost geben, den es doch geben sollte, daß ein heftiger Stoß Alle wieder ins Gleichgewicht brachte? Und in Wahrheit, liebe Freundin! es kann so sein, es sieht fast darnach aus. Wenigstens verhält es sich mit Hugo's äußerm Thun, wie ich Ihnen sagte. Er baut, pflanzt, verschönt auf seinen Gütern, was diese verbessern, und den Ansprüchen an Veredlung Genüge thun kann. Er entfernt sich nur auf kurze Zeit von der Burg, spielt Abends Schach mit dem Oheim, besucht die Nachbarn, und hat sonst mit Niemanden Verkehr. Elise ist bei ihrer Tante. Man weiß nichts von ihr zu sagen. Ganz kürzlich erzählte man, für sie sei der Bau in Wehrheim, sie werde dort einziehen. Auch das hat sich nicht bestätigt; ob man gleich Tag und Stunde ihrer Ankunft bestimmte, sind Wochen vergangen, ohne daß sie kam, und das Gerücht schweigt allmählig. Selbst ich hatte lange keine Nachricht von ihr. Es scheint, sie beschränke sich ganz auf die einförmige Thätigkeit häuslichen Stilllebens, und zeige, daß sie kann, was sie will.

[167]

Wie geringe Ausbeute wird mein Bericht Ihren Nachforschungen geben, liebe Freundin! Werden Sie es nicht bereuen, sich deshalb an mich gewendet zu haben?

Eins, gleichwohl muß ich hier noch erwähnen, das in seiner lustigen Naivetät weit eher geeignet ist, Ihren Witz als Ihre Galle zu reizen.

Die bewegliche Gräfin Ulmenstein ist jetzt unsere eifrigste Anhängerin geworden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem armen, guten Comthur in seiner tödtenden Einsamkeit Gesellschaft zu leisten, ihn aufzuheitern, sein Vertrauen mit allen Waffen liebkosender Schmeichelei zu erobern, Hugo zu interessiren und mich zu überraschen. Der Eifer, mit dem sie dies Vorhaben ins Werk richtet, läßt sie vergessen, daß man sie kommen hört, und Niemand getäuscht wird. Ich mußte lachen, als sie, gleich nach ihrer verspäteten Ankunft auf dem Lande, zu mir eilte, fragte und weinte, tröstete und sich hoch und theuer vermaß, die unerhörte Bosheit der Welt durch die allerlebhafteste Darstellung der Wahrheit zu Schanden zu machen. Sie entwickelte dabei so viel zärtliches Mitgefühl, so scharfsinnige Billigkeit, sie steigerte sich in den vertrauenden Herzensergießungen von Moment zu Moment mehr, und verließ [168] die Scene mit so viel Wärme, daß sie, über sich selbst getäuscht, auch mich getäuscht zu haben glaubte.

Leichter, gesellig anziehender, hat sie es auf der Burg getrieben, wo sie als gute, alte Nachbarin, als Frau von gar keinem Gewicht, und hinaus über alle Rücksichten, ohne alle Umstände einen Ueberfall wagen durfte, sich fest sprach, Niemand los ließ, und damit endete, sich die Erlaubniß zu nehmen, Nächstens, und nach diesem Nächstens, öfter und immer wiederkommen zu dürfen.

Sie war auch in Wehrheim. Sie spricht mit Extase von dem neuen Schlosse. Ein junger Architekt, der sie umherführte, ward andern Tages ihr Gast zu Mittage. Sie ging in jede Einzelnheit mit lebhafter Aufmerksamkeit ein. Nichts schien ihr zu gering, um es nicht herauszuheben.

Auf der andern Seite wollte sie es indeß auch nicht mit dem Präsidenten, mit dem Hofe, und ganz besonders mit der Fürstin Mutter verderben, deshalb versäumte sie nicht, den kleinen Georg bei seiner Pflegerin aufzusuchen. Die Art, wie sie sich über das liebe Kind erweichte, [169] es einen Engel nannte, dabei bald weinte, bald lachte, muß etwas Theatralisches gehabt haben, denn die Kinder des Amtmanns spielen seitdem immer Gräfin Ulmenstein, putzen sich auf das Tollste heraus, und verdrehen zum Hauptspaß der Erwachsenen, Mienen und Geberden unter dem Sprechen. Was Kinder nicht alles herausfühlen! denn geradezu zur Schau hat sich die Gräfin bei dem Allen nicht gestellt. Dazu ist sie in der Welt zu gut zu Hause. Es muß daher in der Unwahrheit liegen, die immer ihre Widersacher in dem natürlichen Menschen findet. Weiter reicht mein Neuigkeitsvorrath nicht. Wenn ich vielleicht ungeschickt im Beobachten und Combiniren bin, so lassen Sie mich's nicht entgelten. Entziehen Sie mir nicht ganz Ihr Vertrauen.

Hugo an Elise [2]
Hugo an Elise

Ist es möglich? – O es ist mehr als das, es istwirklich!

Sie waren schon völlig entschlossen, meine Hoffnungen zu zerstören, als ich deren Erfüllung in der Unschuld des Herzens ganz gewiß zu sein glaubte?

[170] Nein, das ist wahr, daran hatte ich nicht gedacht, daß Sie der Meinung, diesem Vexirspiegel der Vernunft, so große Rücksichten schuldig wären. Verzeihen Sie mir dies; sehen Sie, es liegt wohl daran, daß ich keine Tante zur Seite habe, die solche Feenkünste mit mir treibt. Es ist zu bewundern, wie diese Frau ihre Gaben versteckt hält! Wahrhaftig, sie hat Sie ganz bezaubert.

Nur schade, daß außerhalb dem geweihten Kreise solche Beschwörungsformeln leicht etwas Albernes und Triviales bekommen. Ich erschrack fast, da ich sie las, doch mehr über mich, als über die Worte, denn ich konnte keinen Sinn darin finden.

Sie hätten mich vorbereiten sollen. In meiner Unbefangenheit war ich nicht zu bestechen!

O Elise! auch Sie, auch Sie! – Welch' unseliger Hang zur Sklaverei liegt denn im Menschen, daß die erste, die beste geläufige Weiberzunge Sie aus Ihrer Ueberzeugung hinausschwatzen, und Ihre klare Festigkeit, Ihre Erkenntniß, kleinlichen, krausen Irrthümern unterliegen konnte!

Zum zweitenmale opfern Sie, aus mißverstandener Mutterliebe, die heilige Wahrheit Ihres [171] Herzens, und glauben sich einen Sieg abzugewinnen, wenn Sie besiegt werden.

Weshalb ich den Knaben Georg an Ihr Herz und Gewissen legte? sonderbare Frage! weil ich ihn liebe, weil ich daran denke, daß er ein Mann werden, und es nicht begreife, wie aus verzärtelter Schonung einstarker Gedanke entspringen kann.

Was haben Sie denn für das Kind gethan, als Sie Alles, außer der beengenden Furcht vor des Himmels Strafe, vergaßen, und diese Furcht die Wortführerin Ihrer eigenen Anklage sein ließen?

Unseliger Augenblick! Sie zerrissen mein Herz, wie das Ihrige, und des Knaben Geschick! Den Himmel werfen Sie auf die Erde, und gönnen dieser, ein Ding nach ihrem Gefallen daraus zu machen. Wie hart hat sie die rohen Hände angelegt, und den reinen Hauch zweier Seelen zu einem Schreckbild der Sünde zusammengeballt!

Nach dieser entscheidenden Stunde war nichts mehr für die Meinung zu thun, die war mit dem Geschehenen zugleich da. Zu vernichten ist sie so wenig, als jenes ungeschehen zu machen.

Was erwarten Sie nun von dem Jüngling, dem Manne Georg, wenn Sie ihn in kränkliche [172] Vorurtheile einwiegen, beschränktem Eifer Zeit lassen, seinem Auge die Richtung zu geben, auf welcher es Ihnen, Elise! nicht ohne Befremden begegnen kann? Gesund und hell, würde der Kleine noch jetzt gelernt haben, die Dinge zu sehen, wie sie Wahrheit und Natur ihm zeigen, hätte er die Mutter wiedergefunden, so wiedergefunden, wie sie ist, nicht wie die armselige Klugheit des Vorurtheils sie umzuschaffen droht.

Ist es möglich! wiederhole ich noch einmal, liegt gleich die Wirklichkeit durch Brief und Siegel vor mir. Auch Sie also! Glauben Sie mir, Sie werfen das ganze Leben, Ihr Leben weg! Und was geben Ihnen die klugen Freunde dafür?

Es ist eine verbrauchte Art, sein unwilliges Erstaunen über irgend eine Enttäuschung auszudrücken, wenn man sagt: Ich bin aus allen meinen Himmeln gefallen! Aber Vieles, das verbraucht und abgenutzt ist, paßt dennoch bei Gelegenheit. Ich bin wahrhaftig aus meinem Himmel heraus!

Daher kommt es auch wohl, daß ich Ihre jetzige Sprache nicht recht verstehe, und das Bild von Frühling und Sommer, von Blüthe und Erndte, und was Sie von sparsamen Früchten, in Bezug auf die Augenblicke unseres Beisammenseins, sagen, nicht recht anzuwenden weiß. Ich [173] habe immer die Unart gehabt, unvollkommen gebliebene, in den Sand gefallene Früchte unbeachtet liegen zu lassen, vielleicht, weil mir die glänzenden, goldenen Aepfel des Paradieses vor Augen schwebten.

Arme Freundin! welchen Ersatz bieten Sie sich, wie mir! Zu dem Stiftsfräulein ins Kloster nöthigen Sie mich! Da, zwischen den doppelten Mauern alter und neuer Vorurtheile, denken Sie den göttlichen Traum freier Gemeinschaft heiliger, umfassender Freundschaft ins Leben zu rufen? Da hoffen Siemich, da hoffen Sie sich wieder zu finden? Von den schief hineinfallenden Strahlen der gesunkenen Sonne sollen wir Lebenswärme betteln? O tausendmal lieber das Vergangene träumen, als an dieser entzauberten Wirklichkeit erfrieren!

Alles ist hier entzaubert! Alles! darum, wenn ich Ihnen rathen soll, bleiben Sie, wo Sie sind. Sie würden sich nur herbe Eindrücke bereiten.

Ihr ehemaliges Eigenthum finden Sie in fremden Händen. Es ist verkauft, oder was sonst mit geschah! Genug, wie ich neulich vorüber ritt, standen die Fenster offen, ich sah überrascht hinein. Ein fremdes, scharfes Gesicht blickte zu mir auf. Es gehörte einer ältlichen, kranken Italienerin. [174] Die wohnt hier, ließ ich mir im nächsten Dorfe erzählen. Mein alter Freund, der Gartenknecht, ist verabschiedet; ein kleiner, krummer, verschmitzter Franzose ist an seiner Stelle; die Gartenwege sind so eben, so geschnörkelt, daß man gleich sieht, keines Menschen Fuß betritt sie den ganzen Tag.

Ich mußte lachen, wie ich die Fratzen sah! Giebt es eine tollere Ironie auf die vergangenen Tage, als diese neuen Bewohner Ihrer Zimmer, Elise?

Ich lache noch darüber, und in dieser spaßhaften Stimmung kann ich Ihnen nichts Besseres wünschen, als daß Sie es auch nicht schwerer nehmen. Es ist eine Welt darnach, glauben Sie mir.

Antwort [4]
Antwort

Sie sind ein Mann wie Alle! Hart, wenn ein anderes Empfinden dem Ihrigen entgegentritt, klein und verzweifelnd im Augenblick des Mißlingens gefaßter Pläne, unfähig, Widerspruch zu ertragen, noch unfähiger, ihn zu verstehen.

Was Sie mir sagen, kann wahr sein. Wie Sie mir's sagen, haben Sie mir auf unverzeihliche Weise wehe gethan.

[175] Ich werde das verzeihen, ich weiß es. Doch zu vergessen ist solch' Mißkennen nicht. Wäre das möglich, wenn Sie zu lieben wüßten? Hatten Sie auch nurgroße Worte und enge Gefühle, Hugo? Ist Freundschaft für Sie, wie für Andere, nichts als klingende Schellen und tönendes Erz? Wo ist das Vertrauen und die Hingebung von dem, wie wir Beide träumten?

O Sie haben vollkommen recht. Besser, die Erinnerung zur Gegenwart machen, als der entzauberten Wirklichkeit gegenüberstehen.

Curd an Elise

Sie haben mich fortgeschickt. Klüger, verständiger, wenigstens hofften Sie, werde mich die Entfernung machen. Cousine, Sie hofften das nicht. Sie wollten mich nur weit weg wissen, um das Uebrige kümmern Sie sich wenig.

Ich begreife gar nicht, was Ihnen die Vorstellung von mir, wie von einem leichtsinnigen Menschen giebt. Weil ich ein sorgenloses Leben, lustige Gesellschaft liebe, unnütze Grübeleien hasse, die Dinge sehe, wie sie sind, mir und Andern nichts vorlüge, deshalb werfen Sie mich bei [176] Seite, und thun, als wenn ich kein Herz und kein Gefühl in der Brust hätte. Wahrhaftig, Sie vergessen, daß ich doch auch ein Mensch bin, und so gut wie ein Anderer, meine Ansprüche auf Achtung mache.

»Gehen Sie, guter Curd!« sagten Sie mit dem fatalen Gleichmuth, der mich toll machen könnte. »Gehen Sie nur wieder zurück nach der Stadt, das wird sich Alles geben.«

Was darin für ein hochmüthiges Wegwerfen, für eine Anmaßung liegt!

Als wenn Sie sich auch jemals die Mühe gegeben hätten, zu erfahren, wie es in mir aussieht! Sehen Sie, darin sind Sie gerade so stolz und vornehm, Elise! wie die große Welt, die Sie verachten. Es nennt keiner dem andern seines Gleichen, der nicht von seiner Farbe ist. Ob das uns Weltkindern nun wörtlich gilt, und bei Ihnen figürlich, dies kommt auf eins heraus. Was haben Sie denn jetzt wohl Gutes an mir gethan, daß Sie mich in den Strudel zurückschicken, von dem Sie doch eigentlich so große Gefahr für mich fürchten? Glauben Sie wirklich, daß mich jedes Aeußerliche unwiderstehlich fortreißt, ist es denn recht, mich dem Preis zu geben? Gestehen Sie [177] es nur, es wäre ein Triumph für Sie, wenn ich darin umkäme!

O Sie sind härter und egoistischer, als die, welche Sie verdammen!

Darin haben Sie recht, man wird am Bequemsten mit den Leuten fertig, wenn man sie so niedrig stellt, daß man über sie wegsieht. Aber das können Sie bei allem dem nicht, wahrhaftig nicht, Cousine! Ich will es Ihnen beweisen. Wie? wenn solch' ephemeres Geschöpf nur einen einzigen Augenblick den Kopf erhübe, und Sie fragte: Ist dein Stolz Würde oder Dünkel? müßten Sie nicht antworten? und was würden Sie antworten?

Früher beleidigten Sie mich sehr oft, jetzt kränken Sie mich. Sie waren schön, ich verzieh' Ihnen. Sie sind vielleicht noch schöner, ich kann Ihnen nicht mehr verzeihen. Was liegt denn auch so Unerhörtes, so Vermessenes darin, daß ich mir's einfallen lasse, Sie zu lieben? daß ich mir's gestehe? und bei dem natürlich vertrauten Umgange unter nahen Verwandten, im einsamen, ländlichen Beisammensein, Ihnen davon mehr verrathe, als Sie hören wollen? Sagen Sie doch, verdient das Spott? Verachtung?

Sie würden unvorsichtig handeln, wenn ich [178] wäre, wofür Sie mich halten. Ich bin ganz anders. Sie thun mir wehe, ohne sich zu schaden.

Hier haben Sie immer einmal unrecht. Entweder Sie sind so scharfsinnig, als Sie es zu sein glauben, dann hören Sie auf, consequent zu handeln, oder Sie unterstützen mich, und dann läuft Ihre Güte Gefahr, verkannt zu werden.

»Ich mache Verstand!« werden Sie einmal wieder gelangweilt sagen. Es kann sein. Aber wie soll ich denn mit Ihnen sprechen? »Gar nicht!« höre ich Sie schnell einfallen. Sie lachen dabei, und reichen mir gutmüthig die Hand. Ach Cousine! wenn Sie lachen – Sie wissen, der Himmel liegt dann auf Ihrem Antlitz.

Es ist zum Verzweifeln, daß ich gerade immer dies Lächeln sehe.

Wäre meine Mutter nicht gewesen! Die hat mich zum vollendeten Thoren gemacht! Wüßten Sie, Elise! was die denkt, wünscht, zu hoffen wagt! – Hoffen! Mein Himmel, wer das vermöchte!

Sie hätte es nicht aussprechen sollen! Solch' lautes, vollständiges Wort, es kann einem ganz irre machen. Man wird es nicht wieder los.

Ich wollte es nicht hören. Ich drängte es zurück. »Warum denn aber nicht?« fragte die [179] gute, liebevolle Frau. Cousine, dies warum denn aber nicht, klingt mir immerfort in den Ohren, es fährt wie ein Ton aus der Luft, wenn ich gar nicht daran denke, plötzlich vorüber, und scheint immer ernsthafter meine Vernunft, mein Urtheil, mein Gefühl zu befragen.

Liebe Elise, Sie stehen allein! Die ganze Welt ist gegen Sie. Wer Sie halten könnte und sollte, der verweist Sie auf Ihre eigene Festigkeit und Stärke, aber es ist einer Frau nicht möglich, alle die Pfeile abzuwehren, die von nahe und fern auf sie gerichtet sind. Sie denken das nicht so. Wenn es indeß nun noch dahin käme, wenn Sie es nicht länger ertrügen, wenn Sie sich vergeblich nach Hülfe sehnten, wenn Sie fliehen, und verfolgt, erkannt, fremden Beistand suchen müßten? Cousine! Cousine! bedenken Sie es wohl, eskann dahin kommen! würde Ihnen meine Hand dann nicht eben so lieb sein, wie die eines Andern?

Elise an Sophie [2]
Elise an Sophie

Räumen Sie mir, Beste! ein Winkelchen in Ihrer Wohnung ein. Lassen Sie mich verborgen, [180] heimlich, vor aller Welt versteckt, da leben, bis es aus ist mit dem Leben, bis Alles vorbei, oder Alles groß und frei wieder geboren ist. Hier kann ich nicht länger bleiben! Auch allein kann ich mich nicht ertragen!

Ich schreibe Ihnen nur dies, und daß ich komme! Die Tante! – Curd! – Werden Sie es glauben? Aber hiervon mündlich, es ist gerade so viel, um das Maß voll und die Pflegerin unerträglich zu machen.

Doch Hugo! Hugo! Ich lese den tiefen, versteckten Argwohn in seiner Seele. – Er fürchtet –! Kann er glauben, daß ich ihn, wie unsere Bestimmung, so verkenne! – Nein, hiervon kein Gedanke in meiner Seele. Und wenn auch er – es bliebe doch unmöglich!

Hält er mich eines Kunstgriffs fähig, um ihm eine Erklärung abzugewinnen? – Gott! mein Gott! so niedrig denkt er von mir!

Wenn ich es einrichten kann, bin ich in spätestens vierzehn Tagen bei Ihnen. Bis dahin – bis dahin? – Was das für Worte sind! was da eine Zeit, mit allen ihren Bedingungen darin liegt! Ich fürchte jetzt Augenblicke. Ein Jeder dehnt sich, und wird an Gewicht inhaltschwerer! [181] Und dann, das dahin! wie doppelsinnig! es zeigt vor und zurück!

Ja wohl, dahin! dahin!

Sophie an den Comthur [1]
Sophie an den Comthur

Ich konnte Ihnen gestern Abend nichts mehr über meine Unterredung mit Ihrem Neffen sagen. Sie waren zu eilig, die Gräfin zu geschwätzig, ich, weder aufgelegt noch unbefangen genug, Gelegenheit zu besonderer Mittheilung zu suchen. Sie erfahren ohnehin nicht viel Erwünschtes. Es blieb ein verfehltes Unternehmen. Hugo, einsilbig und unzugängig, wie Sie ihn kennen, wenn er etwas anders im Sinn hat, hörte mich nicht kommen, und ich durfte mich durch nichts verrathen.

Daß er bei mir war in Ihrem Auftrage, mit der Einladung: Sie Abends in Ulmenstein zu treffen, gab mir Veranlassung, von Ihnen zu sprechen. Ich freute mich Ihres Wohlseins, und daß er so liebevoll die Pflege des Oheims übernommen habe. Er lächelte mit halbem Munde, ließ mich reden, und hub, während einer sehr natürlich eintretenden Pause, an: »Sagen Sie [182] mir doch, wissen Sie nichts Näheres von den Leuten drüben, die in des Präsidenten Hause wohnen?«

»Nicht ein Wort,« entgegnete ich. Er versank in stummes Nachsinnen. »Wie kommen Sie hierauf?« fragte ich, überzeugt, hier unmittelbar an seine Gedankenreihe anknüpfen, und das Gespräch auf Elise führen zu können.

»Durch eine Zufälligkeit,« versetzte er gleichgültig. Ich sah ihn ungewiß an. »Ach mein Gott!« fuhr er in seiner matten Lauheit fort: »Es ist in der Welt Gottes nichts, als der flüchtige Zufall, daß ich kürzlich auf ziemlich besondere Weise jenen Unbekannten begegnet sein könnte.«

Er vermied, sich deutlicher zu erklären, indem er eilig hinzusetzte. »Es war während dem letzten großen Sturm, wo ich Gelegenheit fand, Reisenden einen Dienst zu leisten, Ausländer, einer vornehmen, geistlichen Dame, die durch den Schreck des mißlichen Augenblicks oder durch Krankheit, in fast abwesender Gemüthsverfassung zu sein schien.

Heute hörte ich, drüben sei eine menschenscheue Italienerin eingezogen, welche Nachts, und nur bei Mondenlicht, ihr Zimmer verlasse, und auch dann nur verschleiert umher gehe. Man [183] habe sie nach nördlichen Climaten geschickt, und mit einem Aufenthalte in hiesiger Gegend angefangen, um sie nach und nach an rauhere Uebergänge zu gewöhnen. Vor wenigen Tagen sei ein alter Geistlicher dort gewesen, der hierauf zu den Remonstratensern ging, mit denen die Dame wohl auch in Verkehr stehe. Ich kombinirte Manches aus der Erinnerung des Reiseabentheuers und –« er zog die Schultern mit einigem Selbstbespötteln in die Höhe. »Und,« lächelte er, »ward neugierig auf die fremden Gäste.« Er schwieg hier, ein wenig düster vor sich hinsehend.

Diese kleine Episode hatte mich völlig von dem eingeschlagenen Wege abgebracht, ich weiß nicht, weshalb mir Hugo heute überall finsterer und befangener, als seit langer Zeit vorkam. Ist es Elise, die ihn beschäftigt? dachte ich, so wird er mich verstehen, wo nicht, so läßt er es gut sein und denkt nicht weiter daran.

»Das Schloß in Wehrheim,« hub ich deshalb ohne sonstige Einleitung an, »es ist nun vollkommen fertig?« »Bis auf einige Kleinigkeiten im Innern, ja,« entgegnete er. »Wissen Sie,« sagte ich lachend, »daß man Sie schon mit einer zweiten Gattin dort einziehen sieht?« Eine unwillige Falte flog auf seine Stirne, als[184] er mit der Antwort zögernd, durch ein kurzes, abstoßendes »Hm!« die Aeußerung bei Seite warf.

»Halten Sie das für so unmöglich?« fragte ich hierauf. »Unmöglich! ganz unmöglich!« entgegnete er bestimmt. Er sagte das mit mehr Wärme und Heftigkeit, als er sonst in das gesellige Gespräch hineinträgt. Die Ungeduld hatte ihn von seinem bisherigen Platze aufgejagt. Er ging einigemale durch das Zimmer, dann wandte er sich, blieb vor mir stehen, und meine Hand ergreifend, lächelte er ein wenig scharf, wie mich dünkte, indem er äußerte: Er wolle nicht forschen, wie ich zu der Frage komme! doch hätte ich unrecht, das möchte ich glauben.

Er ging. Ich rief ihm nach, sich deutlicher zu erklären, ich verstehe ihn nicht. Schon in der Thüre trat er ein Paar Schritte zurück. »Liebe!« bat er, »verhüten Sie, daß irgend Jemand an dies verschobene Geschick rühre. Ich bin nicht glücklich zu machen,« setzte er ernsthaft hinzu. »Wie ich es sein könnte, begreift Niemand, darum bleibt es ein Ideal! Und Ideale,« lachte er, »das ist ja schon oft gesagt, die passen nicht in die Wirklichkeit.«

Es lag Bitterkeit in seiner Miene, wie in [185] dem Ton der Stimme. Darum hielt ich ihn auch nicht länger, als er mich ziemlich eilend verließ.

Sie sehen, lieber Freund! ich bin nicht glücklich in meinem Versuch gewesen. Ich fürchte auch, wir dürfen ihn nicht wiederholen, wenn wir uns nicht um alles Vertrauen bei Ihrem Neffen bringen wollen. Und ehrlich gesprochen, was hoffen Sie im Grunde Ihrer Seele? Ich weiß nicht, die Zukunft kann mir bei Hugo niemals einfallen. Es ist, als wenn er keine hätte. Wenigstens suche ich den Faden vergebens, durch den sich Fortgang und Reife im Leben entwickeln.

Sie wollen hier die Eigenthümlichkeit nicht berücksichtigt wissen. Nothwendig nennen Sie den Schritt, den die voreilige Störung wieder mit gesetzlicher Ordnung ausgleicht. Hugo sei Elisen ein Opfer schuldig. Er müsse sich durch sie vor der Welt herstellen.

Lieber! anders denkt der Mann, anders fühlt die Frau. Glauben Sie mir, Elise paßt noch weniger, als Emma für ihn; und leicht könnte das zweite Aergerniß durch die Leidenschaftliche schlimmer werden, als das erste. Ich mag hierin irren. Doch lassen wir der Zeit ihren [186] Lauf. Zudem ist für jetzt in der Sache um so weniger etwas zu thun, als ich Ihrem Neffen eine gewisse, geheimnißvolle Unruhe anfühle, die ich nicht zu erklären weiß. Elise ist es nicht, die ihn beschäftigt. Ueber sie scheint er in sich uneins. Er vermeidet, von ihr zu reden, vielleicht deutlich über sie zu denken. Wir könnten ihn wohl gar von ihr entfernen, indem wir Beide zu vereinen streben.

Wenn ihm aber die augenscheinliche Unruhe nicht durch sie kommt, was hat er denn?

Sophie an Elise [1]
Sophie an Elise

In diesem Augenblick erhalte ich Ihre Zeilen. Liebste, Beste! wie schmerzt es mich, Sie um Aufschub Ihrer Herreise bitten zu müssen. Mein Gott! Sie werden das fühlen. Ich kann nicht fürchten, daß Sie mich mißverstehen, ja, ich sollte es fordern dürfen, daß Sie mir ohne Weiteres vertrauten, wenn ich mir's abgewönne, Ihnen zu sagen, es sei jetzt kein Zeitpunkt für Ihre Anwesenheit bei mir. Doch, Sie würden nur forschen, grübeln, und sich quälen, also – die Oberhofmeisterin droht mit ihrer Ankunft. [187] Sie will – ich weiß nicht was? Ich kann ihren Brief nicht verstehen. Er ist dunkel, unruhig, schroff, wie sie selbst. Genug aber, sie will kommen, zu mir kommen! In einem Auftrage, wie sie sagt.

Es ist unmöglich, daß Sie beide hier zusammen treffen. Niemanden wird das mehr einleuchten, als Ihnen. Es wäre deshalb auch nicht ein Wort weiter über meine zurückweisende Antwort Ihres Briefes zu sagen, wäre dieser Brief nicht, wie er ist.

Nein, in keinem Augenblick Ihres erschütterten Lebens haben Sie mir so ganz vernichtet, so fassungslos, so – lassen Sie mich's sagen, so herabgeworfen von Ihrer klaren Höhe, geschrieben. Ist es denn wahr, daß auch Ihnen der Muth sinkt, und die Schwungkraft des Geistes weniger dem Sturm als der entnervenden Schwüle erliegt.

»Es reicht hin, das Maß voll und die Pflegerin unerträglich zu machen,« sagen Sie in einem Tone unwilliger Kraftlosigkeit, die mich erschreckt.

Liebe! Gute! wo sind Sie hingerathen mit Ihrem Geschick, mit sich, mit den nächsten Freunden? Die Tante meinen Sie, und Curd und [188] Hugo. Sie deuten Alles nur leise an, aber es läßt sich errathen, was die einfache, redliche Verwandte wünscht, was der beschränkte Sohn möchte – doch Hugo? – Nur er hat Sie wohl so ganz aus dem Gleichgewicht gerissen. Mit den beiden Andern, dächte ich, würden Sie leicht fertig. Wenn er aber! – Was wollen Sie denn hier, Elise? Sind Sie nicht einig mit dem Freunde, so sind Sie es noch weniger mit sich. Leicht möchte dann der unerwünschte Aufschub ein Gewinn sein. Betrachten Sie es so. Befreien Sie die befangene Seele von den Banden des Augenblicks. Sehen Sie über diesen weg. Sammlen Sie, o sammlen Sie den lieben, hellen, schönen Geist, senken Sie ihn nur einmal in den heiligen Quell zurück, von dem er ein armes, kleines Tröpfchen ist, das so oft der Erneuerung bedarf.

Meine beste Elise! ich sage Ihnen nichts mehr, kein Wort, aber heiße Thränen kosten Sie mich! Mußte denn die heitere Jugend so frühe altern?

[189]
Antwort [5]
Antwort

Zu spät! Ihr Brief trifft mich hier in *** wo er mit mehrern andern gemachten Vorkehrungen zufolge, auf der Post meiner Abholung wartete. Umkehren? jetzt noch? hier? Ich kann es unmöglich! Würden Sie es können? würden Sie? Denken Sie doch nur, so nahe bei ihm, so nahe bei Georg! Nein, unmöglich! unmöglich!

Daß ich Ihre Gastfreundschaft unter solchen Umständen nicht in Anspruch nehmen werde, versteht sich von selbst. Aber wohin sonst? Ich sitze hier und sitze –

Nein, ich sitze nicht einen Augenblick auf einer Stelle. Das Blut kocht mir in den Adern, mein Herz schlägt ungestüm. Ich laufe im Zimmer umher. Gedanken habe ich nicht. Gefühle! unaussprechlich beglückende, unaussprechlich ängstigende.

Man fragte mich, wohin ich die Postpferde wolle? Ja, wohin? Sagen Sie doch, Sophie! wohin? Ich weiß wahrhaftig – – – – –


Abends.


Hier bin ich, gute, liebe, einzige Freundin! Walter bringt Ihnen, wie sonst, diese Zeilen. [190] Ich schreibe Ihnen aus dem Schlafkämmerchen der Tannenhäuserin. Hier! Hier! O mein Gott! was dringt hier alles auf mich ein.

Die brave Frau war so gerührt, so überrascht bei meinem Anblick. Ich hielt ein Paar hundert Schritt vom Hause. Es war finstre Nacht. Ich wollte den Wald, die Bäume, den fürchterlichen See nicht sehen. Der Postillon mußte absteigen, die Wirthin herauszurufen. Es währte eine Weile, ehe sie kam. Johanna und ich saßen währenddem stumm neben einander. Das arme Mädchen fürchtete sich. Sie hielt die Leine der Pferde lose und ängstlich in der Hand. Es war todtenstill um uns, wir hörten nichts als den schnaubenden Athem und das Schütteln der müden Gäule in dem lästigen Geschirr. Mir wurde immer beklommner, immer voller ums Herz. Weinen konnte ich nicht, kaum mich regen. Indem ritt Jemand schnell vorüber. Ein Anderer, der ihm folgte, fluchte über das Fuhrwerk, das hier mitten im Wege hielt, und gab dem einen Pferde einen Schlag mit der Faust, daß es seitwärts taumelte. Johanna schrie, jener lachte und sprengte davon. Es war die rohe Stimme und das gemeine Wesen eines Reitknechts, aber wer war [191] sein Herr? wer war der flüchtige Reiter, der so stürmisch an uns vorüber flog?

O Herz! Herz! du nanntest ihn, und gewiß, es war kein Anderer!

Als nun der Postillon mit seiner Begleiterin kam, diese die kleine Handlaterne ein wenig hob, um mir ins Gesicht zu sehen, zitterte ich und konnte nicht sprechen, nicht aussteigen, mich nicht auf den Füßen halten. Ich winkte nur der erschrocknen Frau, auch zu schweigen. Sie seufzte schwer. Mit ihrer und Johanna's Hülfe verließ ich den Wagen.

»Können Sie ein oder zwei Nächte?« brachte ich endlich heraus. »Lieber Gott! warum denn nicht,« erwiederte sie. »Aber beste, gnädige Frau! Sie sind krank, bei mir ist es unruhig, Sie werden Ihre Bequemlichkeit nicht haben,« bemerkte sie ängstlich. Ich ließ sie reden, und ging, statt aller Erwiederung, auf das Haus zu.

»Es ist Gesellschaft drinnen,« sagte sie, und mich behutsam durch die Küche und einen kleinen Vorhof führend, brachte sie mich in ein Zimmer.

»Nur so lange Geduld,« bat sie, »bis die Gäste auseinander gehen. Dann werde ich für mehr Bequemlichkeit sorgen. Es ist heute eben recht voll hier, ich habe Alles, bis auf dies Kämmerchen, [192] einräumen müssen,« lächelte sie im Hinausgehen.

Ich setzte mich in den hintersten Winkel auf ein Schemelchen nieder. Der Lärm wirrte undeutlich aus den anstoßenden Gemächern herüber. Ich konnte weder Worte noch Stimmen unterscheiden. Ich hätte sie auch in dem Augenblick nicht unterschieden. Wie viel tausend andere Stimmen schrieen jetzt laut in mir auf.

Hier war ich nun also, flüchtend, versteckt! Nacht um mich, Nacht in mir; nicht der kürzeste Blick über die nächsten Paar Schritte kenntlich, alles dumpf und dunkel wie im Kerker.

So sitze ich noch, so schreibe ich Ihnen bei einem Lämpchen. Sie sehen den Worten wohl den Aufruhr der Seele an. Neben mir an braust und tobt es immer wüster.

Walter, der alle Gelegenheiten des Hauses kennt, und die Wirthin sprechen wollte, trat vor einer Weile unerwartet hier herein. Die Thür war ungeschickt und nur halb verriegelt, so daß sie bei dem Ruck seines starken Armes aufsprang. Ich fuhr erschrocken in die Höhe. Er blieb betroffen stehen. Dann trat er schüchtern zurück, und zog die Thür leise nach sich. Ich schickte Johanna, ihn um die Besorgung eines Schreibens [193] an Sie zu bitten. Er zeigte sich sehr bereitwillig, fragte theilnehmend nach mir, bat, seines unvorsichtigen Eintritts wegen, um Verzeihung, mit dem Zusatze: daß, wenn er hätte ahnden können, mich zu erschrecken, er ja lieber dem Kämmerchen auf hundert Schritte nicht genahet wäre. Er lächelte gerührt und wischte sich verstohlen die Augen.

Er also, Sophie! und vielleicht noch mancher Andere bewahrten mir ein freundliches Andenken in dieser verödeten, umgewandelten Gegend.

Die Tannenhäuserin ist nicht einen Augenblick festzuhalten! Noch nicht ein Wort von Georg. Hugo's Name wage ich nicht zu nennen.


In der Nacht.


Hören Sie doch, Sophie! Hören Sie doch! es ist nun still im Hause. Aber hier, hier in mir ist ein Tumult, eine Angst! Sie müssen morgen frühe zu mir kommen. Walter wartet auf meinen Brief. Er geht, so wie der Tag grauet, damit zu Ihnen hinüber.

Johanna's Neugier hat allein Schuld. Ich dankte Gott, nichts von der rohen Unterhaltung meiner Nachbarn zu verstehen. Nun war es vorbei! Ich hätte ja taub sein müssen. Sie hatte [194] Langeweile. Bald stand sie stille, bald ging sie in der Kammer umher, öffnete Fenster, Schubladen und Schränke. Jetzt zieht sie an einem roth- und weißgewürfelten Vorhange. Ein Fenster wird sichtbar, es ist mit einem Laden versetzt. Sie macht diesen ein klein wenig auf, ihr erster Blick fällt in das anstoßende Gastzimmer. Ich gebe nicht Acht auf sie. Nun stürzt das angelehnte, eichene Brett, das sie aus der Lage gebracht und nicht zu regieren versteht, herab auf den Boden. »Mein Himmel, Johanna! was machst Du?« rief ich unwillig. Sie zieht eilig den Vorhang wieder zu, und lautlos auf mich zurennend, flüstert sie: »St! daß sie uns nicht hören! Sie sitzen bei Würfeln und Karten, und die Wirthin steht bei einer Bowle Punsch, aus der sie ihnen fleißig einschenkt.«

Die genauere Bezeichnung dessen, was neben mir an, getrieben ward, flößte mir Widerwillen und Bangigkeit ein. Die Scheidewand, welche mir bis jetzt unmittelbare Störungen abhielt, war eingefallen; das Fensterchen mochte aufgesprungen sein, genug, ich unterschied plötzlich des Amtmanns Stimme, die durch Punsch und Spiel gehoben, etwas unbeschreiblich Verletzendes hatte. Die Karten schienen ihm unglücklich zu fallen. Er [195] stieß mehr als einen Fluch aus. Mir war nicht anders, als müsse jeden Augenblick Einer von den wilden Gesellen zu mir hereintreten. Ich wollte fort, zu Fuß, in den Wald, nur hier nicht länger bleiben! Johanna beschwor mich, ruhig zu sein. Ich stand zitternd an sie gelehnt, als ich den Amtmann zornig auffahren, und einen Knaben weinerlich sagen hörte: »Ich wollte Dich ja nur erinnern, daß es spät sei. Großmutter weint.« »Ach, geh' zum Teufel mit deiner Großmutter und deinem Erinnern!« schrie der Vater ganz außer sich. »Aber wartet nur, ich werde dem Dinge ein Ende machen! Du mußt mir auf die Schule,« fuhr er hitzig fort. »Nun der kranke Wurm nicht länger bei uns bleibt, bekommt das Ding so eine Wendung!«

Sophie! ich glaubte in die Erde zu sinken. Er redete von Georg! Krank nannte er ihn, und jämmerlich, wie ein Wurm, dünkt ihm das blühende Kind! Es war das erstemal, daß ich das hörte; Niemand hatte mir früher eine Ahndung davon gegeben.

Gespannt horchte ich, als die Fragen der Andere mir mehr Licht zu geben versprachen. Allein der Amtmann war in seiner Punschlaune ganz verwildert, er vermaß sich hoch und theuer, [196] daß er sein halbes Leben darum schuldig sein wolle, wenn er nie an den vermaledeiten Ort gekommen wäre, wo sich das Unglück einquartirt habe. Viele der Anwesenden lachten ihn aus. Er schlug aber auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, indem er schriee: »Lacht nur! ich weiß doch, was ich weiß.« »Nun?« fragten Einige, »was weißt Du denn?« »Das weiß ich,« entgegnete er heftig, »daß mit dem Grafen alles Elend über uns gekommen ist. Wie der hier einzog, da starb mein Hannchen; sie hatte ihn kaum gesehen, hernach –! nun, das läßt sich ja an den Fingern abzählen,« bekräftigte er seine Aussage, ohne weitere Beweise anführen zu wollen. »Es wird noch Alles sterben,« fuhr der wilde Mann nach kurzer Pause fort, »Alles, was er verhext hat. Die Eine ist schon todt, die Andere so gut wie gestorben, und der arme Junge, der hat auch etwas weg, das wird gewiß kein Mensch leugnen.«

Schrecklich! Schrecklich! wimmerte ich, die Hände ringend. Ich schrack zusammen, als die Gäste ungestüm nach Punsch und auch nach der Wirthin riefen.

Sie mußte einen Augenblick hinausgegangen sein.

[197] »Sie ist dort in der Kammer,« sagte Einer, »hinter der Gardine schimmert ja Licht!«

»Holla!« rief dieser zwischen dem Fensterflügel hindurch, den Vorhang aufhebend. »Ach! gehorsamer Diener!« setzte er verblüfft und blöde hinzu, indem er, mit dem Fuße scharrend, eine Verbeugung machte.

Ich verbarg mein Gesicht an Johanna's Brust, doch hatten sich im Augenblick Mehrere an das Fenster gedrängt. Ich hörte sie zischeln: »Es ist die Präsidentin, da wird er auch nicht weit sein!« »Nein!« meinte ein Anderer, »es ist wegen dem Kleinen, der nun fort soll. Weiß man doch, wie sie ihn liebt.« »Ja, ja,« flüsterte der Amtmann, »und vollends die unversöhnliche Todtfeindin!«

Sophie! ich hörte nichts mehr. Ich habe wohl eine Stunde in völliger Betäubung da gesessen. Ich bin wie verwirrt! Hier kann oder will mir Niemand Auskunft geben. Sie müssen es. Ich beschwöre Sie auf meinen Knieen darum. Morgen frühe! So bald Sie können. Hören Sie wohl. Denken Sie, daß die Nacht lang, daß jede Minute in der Angst verlebt, eine Ewigkeit ist; daß ich auf der Folter bin, und [198] Sie mich retten können, oder –! Nein, das wird nicht sein, das darf nicht sein!

Sophie an Hugo

Ich kann nicht einen Augenblick anstehen, Ihren Beistand für Elise in Anspruch zu nehmen. Ein höchst unangenehmer Vorfall hat die, nur allzuleicht mit sich einige, immer zum Aeußersten entschlossene Frau zu Schritten verleitet, die ärgerliche Folgen haben können. Lesen Sie Ihren letzten Brief an mich. Ich schicke Ihnen diesen, wie er ist. Er allein mag das Folgende erklären.

Es war wohl natürlich, daß ich gleich nach Empfang desselben die Arme in ihrem Versteck aufsuchte. Nichts, selbst die Gegenwart der Oberhofmeisterin konnte mich daran verhindern. Wer hätte ahnden sollen, daß gerade diese Eile die widrigen Ereignisse beschleunigen, die Verwirrung vollständig machen würde!

Noch vor dem Frühstück hatte ich mich in den Wagen geworfen, und ohne Ihre Schwiegermutter zu sprechen, mich begnügt, ihr sagen zu lassen, ein dringendes Geschäft zwinge mich zu kurzer Abwesenheit, gegen Mittag würde ich gleichwohl [199] unfehlbar zurückgekehrt sein. Tausend Sorgen im Herzen, komme ich nach dem Waldhäuschen. Ich steige aus, ich gehe hinein. Niemand begegnet mir. Sie ist krank, denke ich. Die Wirthin, ihre Leute sind um sie beschäftigt. Vorsichtig öffne ich die Thür nach dem hintern Zimmer. »Ach, Ihr Gnaden! da sind Sie ja doch noch gekommen!« ruft Johanna. Die Tannenhäuserin und sie standen zugleich vor mir und sahen theils verwundert, theils bestürzt aus.

Ich fragte ängstlich nach Elisen. »Ach mein Gott!« entgegnete das erschrockene Mädchen. »Ist denn die gnädige Frau nicht bei Ihnen? Sie sagte doch, sie wolle sich bei Wehrheim übersetzen lassen und nach dem Stifte gehen.«

»Wann war das?« fragte ich, »wann ging sie von hier fort?« Beide sahen sich an, und meinten, ein Paar Stunden sei es wohl her. Da müßte sie ja, dachte ich, Weg und Länge der Zeit gegen einander abmessend, schon dort gewesen sein, ehe ich noch von Hause ging. Doch fiel mir Wehrheim, und alles was sich daran knüpft, bei. Sie wird sich dort aufhalten, den neuen Bau besehen.

Ich beschloß sogleich dahin zu fahren. Eilig forschte ich nur noch bei Johanna, wie das Befinden [200] und die Stimmung ihrer Herrschaft gewesen sei? Wie sie die Nacht zugebracht habe? Und ob sie nicht geäußert, weshalb sie mich nicht hier abwartete, da sie doch gewiß sein konnte, ich würde nicht ausbleiben? Was ich erfuhr, mehrte nur meine Besorgniß. Elise hatte in ungleicher, fieberhafter Ueberspannung bis zum Morgen geschrieben, das Geschriebene zerrissen, die Papierschnitzel verbrannt, dann aufs neue, und in größerer Lebhaftigkeit, ein Blatt gebrochen, ihre Gedanken eilig in großen Schriftzügen darauf hingeworfen. Bis sie es zuletzt zu sich steckte, damit zum Fenster trat, als warte sie nur den ab, dem sie es anvertrauen dürfe. Die Wirthin erbot sich unaufgefordert zu jeder ihrer Bestellungen. Elise sah sie gerührt an. »Ich danke,« lächelte sie, so weich und schmerzlich, daß Jener die Thränen noch jetzt von tiefer Rührung in die Augen traten. Darauf legte sie beide Hände auf der Tannenhäuserin Arm, und zog diese näher zum Fenster. Die Hände hätten gebrannt, wie Kohlen, und die Stimme sei stockend gewesen, als sie sagte: »Wissen Sie wohl noch, wie wir, die selige Amtmannsfrau und all die Kinder und ich hier Blindekuh spielten?« Ich verband der lieben Seligen die Augen, da klagte sie: »Nicht so fest, [201] nicht so fest!« Ich lachte und neckte sie, als könne sie die Finger sehen, die ich ihr vorhalte. »Nicht einen Stich,« betheuerte sie, »es ist so dunkel wie im Grabe um mich.« Elise verzog das Gesicht sonderbar, als sie wiederholte: »Dunkel wie im Grabe!« und dann hinzusetzte: »Nun liegt sie schon lange darin! Nachher ward ich Blindekuh! Und –« sie drückte das Gesicht gegen die Scheiben. Sie weinte aber nicht, doch flog ihr die Brust heftig, als unterdrücke sie ihre Thränen.

Nach einer Weile soll sie gesagt haben: sie wolle nun gehen. Es komme doch Niemand. Johanna bezog das auf mich, und entgegnete: ich könne ja kaum erst den Brief haben. Elise schüttelte aber den Kopf, forderte Mantel und Handschuhe, zog den Schleier über den Hut herunter, und verließ mit den Worten das Haus: »seid unbesorgt, ich kenne hier Weg und Steg.«

Liebster Hugo! ich bin darum so weitläufig in Wiederholung aller dieser Aeußerungen, und ihrer begleitenden Nebenumstände, um mein damaliges Dafürhalten zu modiviren, daß jenes erwähnte Blatt an Sie gerichtet, Elise zu dem Gedanken gebracht haben könne, es Ihnen selbst nach Wehrheim hinzutragen, in der Hoffnung, Sie [202] vielleicht dort zu treffen, oder doch Gelegenheit zu schnellerer Besorgung finden zu können.

Wenn man einmal auf einer falschen Spur ist, so rennt man blindlings darauf fort. Meine gewonnene Ueberzeugung jagte mich um so eiliger nach Wehrheim, als ich Elisens Besonnenheit mehr als jemals mißtraute. Aufs Aeußerste betroffen, erfuhr ich indeß hier, daß weder unsere arme Freundin, noch sonst jemand Fremdes seit mehreren Tagen im Orte gewesen sei.

Sollte sie wirklich bei mir sein, dachte ich ganz entsetzt bei der Vorstellung möglichen Zusammentreffens mit der Oberhofmeisterin!

Es lag soviel Unwahrscheinliches hierin. Und doch! Ihre Ungeduld, Nachricht zu haben, die wachsende Angst, der fieberhafte Zustand! Ich ging eilig, mit meiner eigenen Meinung streitend, am Ufer auf und ab. Die Sonne schien warm. Es wehte eine angenehme Luft. Einen Augenblick stehe ich stille, ich sah umher Dörfer und Schlösser liegen jenseits des Stromes. Das neue Dach von des Amtmanns Hause leuchtet besonders hell in dem frischen Morgenlicht. Des Amtmanns Haus! – Gott! wie Schuppen fiel mir's von den Augen. Da ist sie! nirgends sonst wo. In der Nähe von dem Tannenhause, das Kind leidend.[203] – Es war unbegreiflich, daß es mir nicht gleich im Augenblick einfiel.

»Zurück! zurück!« rief ich dem Kutscher zu, jetzt doppelt ein unglückliches Mißverstehen und gehässige Eindrücke für Elise fürchtend.

Es war über das Alles später geworden, als ich es in der innern Erregung voraussetzte. Die unseligen Irrfahrten, die Erkundigungen und Berichte hatten viel Zeit weggenommen. Als ich vor dem Amthofe hielt, saß die Familie schon bei Tisch. Madame Lindhof kam mir entgegen. Sie sah ungewöhnlich erhitzt aus. Aengstlich vermied sie meinen fragenden Blick. »Ist die Frau Präsidentin hier?« flüsterte ich ihr im Aussteigen zu. »Nicht mehr,« lispelte sie leise. »Mein Gott, auch hier nicht mehr!« rief ich ungeduldig. »Verweilt sie denn nirgend so lange, daß ihre Freunde sie treffen!« »Dafür,« entgegnete die sanfte Frau mit bebender Stimme, »wissen Andere, als Freunde, sie zu treffen!« Ich fuhr erschrocken zusammen. »Wo,« fragte ich zögernd, »ist Elise jetzt?« »Mit meinem Sohne nach der Stadt gefahren,« war ihre Antwort.

Verwirrte Ahndungen blitzten mir durch die Seele. Wir traten in das Eßzimmer, Georg sprang auf mich zu. »Wissen Sie schon? Mama [204] ist wieder hier!« jubelte er, die hellen Freudenthränen in den Augen. »Ich reise nun mit Mama,« plauderte er lebhaft fort. »Nicht mit der großen, alten Dame, die Papa schickte.«

Ich nahm die gute Lindhof unter dem Arm, und sie in ein Nebenzimmer führend, bat ich sie, mir ruhig und zusammenhängend zu erzählen, was sich hier zugetragen habe.

Ich erfuhr nun leider, daß gerade das, was ich verhüten wollte, dennoch geschehen war. Elise und die Oberhofmeisterin trafen hier zusammen. Die Letztere, die Zeit meiner Abwesenheit auszufüllen, fuhr hierher, um das Nöthige wegen des Knaben Abholung mit seiner Pflegerin zu bereden. Sie fand Elise dort. Wie sich Beide begrüßten, was verletztes MuttergefühlBeide sagen ließ, wie sie schieden, wozu die Unglückliche jetzt verleitet ward? Ich dränge es in die wenigen Worte zusammen: Elise ist auf dem Wege, eine Klage gegen Eduard, wegen Bruch des Scheidungsvertrags, gerichtlich einzugeben.

Dies Aergerniß muß um jeden Preis hintertrieben werden. Ich beschwöre Sie deshalb, die Unbesonnene aus den Händen ihres schlechten Rathgebers, des Amtmanns, zu retten, sie zur Besinnung, zur Güte und Sanftmuth zurückzuführen. [205] Sie oder Niemand, vermögen es über sie, daß sie nur erst stille stehe, sich sammle, und betrachte, was sie darf, wenn sie auch nicht aufhört zu wollen. Und auch Wollen wird sie nichts Unschickliches, nichts Gewaltsames, da sich wirklich Alles anders verhält, als es sie ihr rasch und heftiges Empfinden erkennen läßt.

Sehen Sie, Eduard hat sich nie des Rechts, über Georg zu bestimmen, vergeben, nur der Mutter Wunsch, ihn bis zum siebenten Jahre der freien und sanften Leitung unserer Nachbarin zu überlassen, in soweit bewilligt, als dies nicht zum Nachtheil des Kleinen auszuschlagen drohe. Jetzt nun, da genaue Erkundigungen den Vater von der wüsten und rohen Lebensweise des Amtmanns in Kenntniß setzten, er hören muß, wie in jenem Hause schlechte Gesellschaft ein- und ausgehe, und auch Georgs Gesundheit sich nicht wieder herstelle, jetzt entschließt er sich, den Knaben zurückzufordern. Er schrieb mir deshalb, setzte alle seine Gründe auseinander, und bat mich, die Mutter darauf vorzubereiten. Ehe ich dies noch vermag, entfernt sich Elise von ihrem bisherigen Aufenthaltsort, sie ist schon auf der Reise, als die Oberhofmeisterin hier ankommt. Geschäfte, den Nachlaß ihrer Tochter [206] betreffend, führen diese zu mir. Der Präsident, genau mit ihren Angelegenheiten bekannt, weiß von ihrem Vorhaben, er benutzt die sichere und bequeme Gelegenheit, das Kind in eine vortreffliche, auf ihrem Weg gelegene Anstalt zu bringen. Sie verspricht es, und trifft ihre Vorkehrungen, ohne Elise kränken zu wollen, ohne selbst von ihrem geglaubten Rechte zu wissen.

Ich lege Ihnen natürlich und einfach vor Augen, was sich eben so natürlich und einfach zutrug, und nur auf der Oberfläche die gemischte, störende Farbe trägt.

Ich gestehe, daß wie die Sache unter dem ungünstigsten Zusammentreffen von Umständen erscheint, Elise Härte und Willkühr darin finden kann. Allein wäre dem auch so, sie muß es dulden. Sie darf durch keine öffentliche Handlung hervortreten, am wenigsten durch einen Schritt gegen Eduard, um die Welt nicht auf's Neue an sich zu erinnern.

Ich weiß nicht, ob Sie diese Meinung theilen? Das aber darf ich versichert sein, Sie werden das Laute, Ungeziemende jeder Handlungsweise mißbilligen, und gern behülflich sein, kranke Leidenschaftlichkeit in die Gränzen sanften Widerstandes zurückzuführen.

[207]
Antwort [6]
Antwort

Ein Geschäft hielt mich bis jetzt von der Burg entfernt. Ich kehre zurück, finde Ihren Brief, gütige Sophie! und eile, unbesonnene Maßregeln zu hintertreiben.

Der Arzt an Sophie

Zu manchen Zeiten sollte man wirklich glauben, es mischen sich böse Geister in unsere verständigsten Absichten, um sie zu Schanden und uns Kummer zu machen.

Es geht auch hier so. Alle Ihre Vorsicht, verehrtes Fräulein! hat es nicht hindern können, daß die übereilte Klage wenigstens abgefaßt, unangenehme Worte darüber gesprochen, feindliche Gesinnungen erregt worden sind. In dieser unseligen Stimmung aufs Höchste gereizt, durch die eigennützigen Einflüsterungen des Amtmanns gestachelt, krank, in heftiger Fieberwallung, verläßt die Frau Präsidentin die Stadt. Es dunkelte bereits. Der Abend war lau, sie litt durch innere Hitze. So befahl sie, den Wagen herunter zu schlagen. Noch dünkten ihr Hut und Schleier genügend. Frei und leicht saß sie ohne weitere [208] Verhüllung, und schien, selbst dem bösen Einfluß der Nachtluft zu trotzen. So kommen sie an die Brücke, die jetzt ausgebessert wird, und nur eine schmale Ueberfahrt gestattet. Wagen, die einander begegnen, müssen dann anhalten, und sich über das Recht des Vorfahrens vereinen. Des Amtmanns Calesche, von zwei Pferden gezogen, bleibt billig bei der Annäherung einer großen, sechsspännigen Reisekutsche zurück. Diese rollt nun über die Brücke. Neugierig biegt sich ein Kinderköpfchen zum Schlage heraus. »Mama! Mama! da ist sie ja!« ruft eine herzzerschneidende Stimme. Und gleich darauf: »O bitte, liebe Mama, komm doch mit! O bitte, bitte!« Zerrissen, verwirrt, von wilden Empfindungen um Bewußtsein und Fassung gebracht, stürzt die unglückliche Mutter zum Wagen heraus, dem rasch Vorüberfahrenden nachschreiend, händeringend sinkt sie in die Kniee, dicke Staubwirbel, und Georgs Klagen, ziehen vor ihr her, sonst ist es Nacht um sie. Sie sieht nichts mehr! –

In diesem Zustande trifft sie der Graf, welcher auf Ihr Geheiß, mein Fräulein! nach der Stadt eilte.

Sie erkannte ihn nicht. Seine Verzweiflung, wie mir der Amtmann sagte, war unbeschreiblich. [209] Er trug die Ohnmächtige in den Wagen, und während seine Leute mich zu holen eilten, begleitete er jene nach dem Amthof.

Ich kam in der Nacht hier an. Ich fand bedenkliche Anzeichen, und darf es nicht verschweigen, daß die Natur wohl einen harten Kampf vorbereitet. Der Graf sitzt stumm an dem Bette der Kranken. Er fragt nicht, er äußert nicht Angst noch Sorge. Doch wird die Falte zwischen seinen Augen immer tiefer, sein Blick immer finsterer, das Gesicht starrer, der Schmerz hat all das Fürchterliche bei ihm, was Diejenigen ihm geben, die ihn auf Kosten ihrer Existenz in sich er drücken, und Gewalt gegen Gewalt anrücken lassen.

Hier im Hause herrscht die größte Bestürzung. Der Umstand, daß die Symptome der Krankheit sich ungefähr wie bei der verstorbenen Amtmannsfrau äußern, ruft alle schmerzliche Erinnerungen in die Herzen der Umstehenden zurück. Man giebt in der Regel der einmal gemachten Erfahrung bei ähnlicher Veranlassung unumschränkte Gewalt über die Gefühle. Niemand glaubt deshalb an Rettung, Alle beweinen die Kranke schon wie eine Todte, man hat dies kein Hehl, und selbst die ruhige, gelassene Madame Lindhof, durch so viele [210] widrige Ereignisse nicht gleich so furchtsam, kann sich dennoch zu keiner Hoffnung erheben.

Diese lähmende Trostlosigkeit ist indeß für Pflege und Aufsicht nachtheilig. Ich wage daher, Sie, mein Fräulein! hieherzurufen, und hoffe um so mehr auf Sie, als ich nur kluger Umsicht und gefaßtem Gemüth fernere Verhaltungsregeln anvertrauen kann, von deren Beobachtung während meiner unaufschieblichen Rückkehr nach der Stadt, sehr viel abhängt.

Unheimlich ist es, und ich leugne nicht, auch für Stärkere möchte es peinlich sein, daß die Fremde, welche hier eingezogen ist, und die bei den Leuten unter dem Namen: das graue Nönnchen, (der Farbe ihrer Kleidung wegen) bekannt ist, gerade bei der Ankunft der Kranken ihren nächtlichen Umgang hielt, und bei dem Wagen stehen blieb, als dieser vor dem Hofe einen Augenblick hielt, bis die Thorflügel geöffnet waren. Selbst der Graf soll zusammengezuckt und ängstlich gestöhnt haben. Einige wollen deshalb gar nicht zugeben, daß es die Fremde gewesen sei; sie halten die Gestalt für den Geist der verstorbenen Amtmännin, und vermehren dadurch nur die dumpfe Bestürzung.

[211] Alles dies, mein bestes Fräulein! möge Ihre Ankunft beschleunigen. Ich erwarte Sie in wenigen Stunden.

Der Geistliche an Leontin

Das Vertrauen eines Menschen ist ein unschätzbares Gut. Er giebt sich uns in diesem überströmenden Augenblicke selbst. Das will viel sagen. Solch Geschenk kann nicht bescheiden, nicht berücksichtigend genug angenommen werden.

Aus diesem Grunde allein, mein würdiger und verehrter Herr Baron! ließ ich Ihren schönen, rührenden Brief bis heute unbeantwortet. Wäre ich unmittelbar meinem Herzen gefolgt, ich hätte Ihnen gleich gesagt, was dieses durch und durch erschütterte. Wäre ich späterhin meinem Kopfe gefolgt, ich hätte mehr und anderes gesagt, und doch wohl nicht das Rechte.

Heute will ich nun nichts, als Ihnen danken, Sie um Vergebung bitten, und mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich lieber schweigen, als zur unrechten Zeit reden mochte. Der Grund meiner größern Zaghaftigkeit lag wohl hauptsächlich darin, daß ich vor nicht allzu geraumer Zeit erst von [212] der Nutzlosigkeit warnender Worte eine traurige Erfahrung machen mußte. Wo das Gefühl vorwaltet, verletzt jeder Laut, der diesem Gefühl Einhalt thut. Es ist gewiß nichts schwerer, als hier den rechten Ton zu treffen.

Eine Aeußerung Ihres geehrten Schreibens getraue ich mir gleichwohl aufzunehmen, und was ich darüber denke, frei auszusprechen.

Es betrifft die Selbstwahl der Buße, und den Loskauf der Sünde durch Opfer. Sie bestätigen Ihre Ueberzeugung, mein Herr Baron! durch den Entschluß, der Welt, wie dem äußern Wirken in dieser, entsagen, auf jedes Vorrecht größerer Freiheit, auf häusliches Glück, auf Familienfreude verzichten zu wollen. Sie entwerfen den Plan einer heiligen Stiftung, Sie denken sich der kleinern, enger erwählten Gemeine anzuschließen, und im Verborgenen das heilige Licht der Verklärung ruhiger und reiner wirken zu lassen.

Es soll gewiß Punkte auf den vielbewegten Planeten geben, die dem aufwärtssteigenden Strahl des Gedankens Schutz, der Zusammenziehung der Lichtstoffe Stille, ihrer Rückwirkung auf die ErdeRaum sichern. Es liegt jedem [213] ob, diesen Punkt nach dem Maße seines Dafürhaltens zu suchen. Niemand möchte dem Andern füglich sagen: »Hier ist er!« Die innere Freiheit findet demnach ihre schönste Beglaubigung in dieser Wahl.

Sie, mein Herr Baron! hoffen gefunden zu haben, was Ihrem Streben nothwendig dünkt. Die Ertödtung der Wünsche, die Abgezogenheit des Blickes, die Scheidung von dem Ehemals und Jetzt.

Nun, Schmerz und Verzweiflung waren die Pförtner zu diesem Asyl! Möge sanfter Trost Ihr Begleiter darin bleiben!

Sie erwarten das wohl gewiß. Weshalb aber, wenn ich fragen darf, nennen Sie denn Buße undOpfer, was eher Lohn des 7Sieges undFrucht höheren Genusses heißen sollte?

Ich denke, wenn dies anders in meiner Macht steht, mir Ihren Zustand, wie den eines Menschen, der auf der großen Heerstraße von Räubern angefallen, geplündert ward, diesen entflieht, einen verborgenen Pfad entdeckt, ihm folgt, ein heimlich, stilles Thal erreicht, erschöpft auf seine Kniee sinkt, und zum erstenmal aus tiefer Brust ruhig aufathmet: »Hier ist Sicherheit!« [214] Mit gehobener, dankerfüllter Seele seufzt er dann: »Hier will ich leben und sterben!«

Erschrickt er vielleicht dennoch, nachdem er das rasche Wort gesprochen! Bedenkt er, daß das Leben lang, das Sterben fern sein könne! Treten die Bilder theurer Verlassenen, die Erinnerungen alles dessen, was dunkle Thalwände, starre Felsen, dichte Waldungen ihm verdecken, vor das innere Auge, und empfindet er das lastende Gewicht voreiliger Entschließung! was macht er länger hier? Was bürdet er sich im eitlen Selbstgefühl das willkührliche Opfer auf? da er wohl nur nicht stark genug ist, das über ihn Verhängte, der Armuth und Entbehrung, nach dem Verlust seiner liebsten Güter, zu ertragen? Denkt er diese Schwäche da, wo ihn nichts demüthigt, nichts mit falschem Besitz neckt, abzubüßen? Und vergißt er die schönere Buße, für Andere freudig dulden zu können? Was heißt es überhaupt, sich selbst eine Buße auflegen? Ich bekenne, dies nicht ganz zu fassen. In wessen Dienst steht man auch da? Wer den Befehlen seines Herrn gewärtig bleiben will, der macht sich nicht viel unnütz zu schaffen.

Sie fürchten, mein junger, gewissenhafter Freund! die Frau Gräfin allzusehr geliebt, die [215] beherrschende Neigung nicht genug gezügelt zu haben? Nun, sie ist nicht mehr unter uns, die Sie fliehen. Durch sie kommt Ihnen da länger keine Gefahr. Wenn es nun aber gerade das wäre, was Sie hinaustriebe? Wenn Sie die verlorne Geliebte ungestörter, eigner wiederfänden, wohin Sie in schüchterner Reue zu fliehen gedenken? Vergessen Sie denn aber Ihren alten, einsamen Vater, den Beruf des Standes, das Gebot menschlicher Verhältnisse, die Gott geordnet, die der Erlöseralle geheiligt, alle geweiht hat?

Einen Orden wollen Sie auf der Stelle stiften, die Ihre leidenschaftlichen Thränen Tag und Nacht fruchtlos benetzen? Hier, wo Ihnen das Nichtige des irdischen Daseins so schreckend entgegen trat, hier wollen Sie die Bande brechen, die Sie an dies Dasein knüpft? Aus der vernichteten Welt soll Ihnen die neue aufgehen, und warnend und beschüt zend gedenken Sie unerfahrne Jünglinge vor den Täuschungen zu bewahren, denen Sie fast erlegen wären?

Wie sind Sie denn aber eigentlich getäuscht worden? Was haben Sie verloren, wenn Sie nichts besitzen konnten?

[216] Mich dünkt, eine schöne, menschliche Liebe heilige uns die Menschheit aufs Neue, und die Welt, zu welcher das theuerste Wesen in unzerreißbaren Beziehungen stand, müsse uns theuer bleiben. Sollte man eine Ewigkeit in der Brust tragen können, und überall nur das Endliche empfinden? Ich würde für die geträumte Ewigkeit zittern, oder viel für das Endliche hoffen müssen.

Ich erinnere mich eines Ihrer Briefe an Tavanelli, Sie ermunterten ihn zur That, zur Rückkehr unter die Menschen, zur Theilnahme an ihrem geschichtlichen Fortleben, und verhießen ihm hier zuerst Heilung und Ruhe. Damals hegten Sie eine andere Ueberzeugung. Prüfen Sie doch wenigstens die jetzige. Ich möchte noch aus der eigenen Erfahrung erwähnen, das nämlich alles Bittere, was uns trifft, ungewöhnlich, und wir uns selbst leicht besonders erscheinen. So wird ein Ereigniß zum Wunder der Leidende zum Märtirer, seine Bestimmung, Beruf der Auserwählten, und was er thut und sagt, unmittelbare Eingebung. Ich habe eine schöne Seele so auf einem argen Irrwege lassen müssen. Das Schlimmste ist, daß man dabei nicht allein irrt, sondern viel, viel[217] Treffliche in sich entzweit. Mein geehrter Herr Baron! ich bin nicht über meine Gränzen hinausgegangen, wenn Ihr Herz mich nicht verkannte. Möge es uns zu fernerer Verständigung dienen, daß ich das Ihrige immer zu verstehen streben werde.

Curd an seine Mutter

Nein, sagen Sie doch ums Himmelswillen, auf unddavon! Auf Ehre fort! Es ist um zu verzweifeln!

Aber nehmen Sie mir's nicht übel, liebe Mutter! ein Bischen ist das Ihre Schuld. Wie zum Tausend wäre sie denn auf den Einfall gekommen, wenn Sie, statt ihr da viel Vorstellungen zu machen, die sie nur erbitterten, gar nichts von mir sagten, die Sache gehen ließen, und durch allerlei kleine Hemmungen und Hindernisse ihr den Gedanken an Entfernung und Reise verleideten. Eine Frau ist wie ein Pferd, voll Eigensinn und stätisch, wenn man auf brutale Weise ihrem Willen entgegen tritt, sie lenken will, und sie es merkt. Aber langweilen, langweilen, durch ewige Wiederholungen ermüden, [218] und dann, so wie von ungefähr, einen Zügel über den Kopf geworfen, dann sind sie schon im halben Traum, dann führt man sie zu dem entscheidenden Punkte heran. Ich war, ich versichere Sie, auf gutem Wege. Ich sagte ihr immer dasselbe, zuletzt hätte sie sich an die Worte gewöhnt, die ihr anfangs sehr dreist und lächerlich vorkamen. Das Zweitemal klingt so etwas schon besser, und in der Einsamkeit, wo kein Anderer spricht –! Nun, Eitelkeit bleibt Eitelkeit, und wer ihr schmeichelt, behält doch am Ende recht!

Soll ichs Ihnen aufrichtig gestehen, so ist es mir um Elise noch mehr leid, als um mich selber, daß sie sich wieder in die Welt wagt. Sie kann nicht allein darin bestehen. Ich hätte sie wahrhaftig mit Anstand wieder hineingeführt. Es giebt gewisse Beschwörungsworte, die die Menschen erstaunt respektiren, und die Urtheile und Meinungen ganz merkwürdig im Zaume halten. Nun geht die alte Geschichte wieder los, das ist klar, und wer wird sie denn öffentlich vertreten? wem giebt sie ein Recht dazu? Ganz und gar lächerlich kann man sich doch auch nicht machen, und als ihr Peladin auftreten, und eine Lanze für sie brechen. Sie würde es Einem noch dazu [219] schlecht danken, und sich einbilden, es verdürbe ihren Handel mit dem Grafen.

Ja der! – Nun, ich habe den vornehmthuenden, abweisenden, unzusammenhängenden, kalten Menschen nie leiden können, und führt uns der Zufall einmal an einander, ich würde es ihm beweisen, was ein ordentlicher, vernünftiger Haß und ein tüchtiger Kerl ist.

Letzthin begegnete ich ihm auf der Straße. Er grüßte flüchtig. Ich dankte eben so. Als ich eine Strecke an ihm vorüber war, drehte ich mich um. Ich wollte sehen, wohin er hier, wo ihn kein Mensch leiden kann, seinen Weg nehmen würde. Er war stehen geblieben. Ein beißender Zug spielte ihm um den Mund, da er meinem Blick begegnete. Ich hatte Lust, gleich auf ihn zuzufahren und ihn zur Rede zu stellen. Aber was wäre daraus geworden? Nichts! in der Welt Gottes Nichts! Er hätte halb freundlich, halb verwundert gelächelt, gethan, als wäre ich ihm nicht auf tausend Meilen in die Gedanken gekommen, er würde das höflich und gelassen erklärt, und mich, wie einen tölpischen, rohen Burschen vor mir selbst roth gemacht haben. Er vermeidet gern Aufsehen, und hat es eigentlich Elisen niemals vergeben, daß sie den Lärm [220] veranlaßte. Wenn es ihm nach ginge, so stände noch Alles wie es stand, der Roman spielte sich langsam fort. Während er seine Verpflichtungen gegen die Eine auf leichte Achseln nahm, legte er sich keine neuen für die Andere auf. Er hat sich verrechnet, und darum sieht er jetzt aus, wie ein Halbgott incognito. Die schlechte Laune und das stumme, verdrießliche Wesen, das legt er wie altes, graues Civilzeug auf. Innerlich kitzelt er sich mit dem Gedanken, daß die Welt nicht im Stande ist, den großen Mann in ihm zu erkennen. Das Stück hat schon gar zu oft gespielt, damit macht er Keinen dumm.

Ich breche hier ab, liebe Mutter! ohne den Brief zu schließen. Mir liegt eigentlich erschrecklich viel auf dem Herzen. Ich schreibe gern Alles gleich frisch weg herunter. Aber die Gräfin Ulmenstein schickt nach mir, mit der dringenden Bitte, eilig zu ihr zu kommen. Was kann die wollen? – – – –


Da haben wir's! ich dachte es gleich! Es war wegen Elisen. Die alte, boshafte Elster mußte ja auf der Stelle ausschwatzen, was ihr zu Ohren gekommen war. – Verwünscht! wie sie das einkleidet! so theilnehmend, so entschuldigend, [221] so natürlich! Und dabei lügt sie wie gedruckt. Schon lange war sie davon unterrichtet, daß Elise ihren bisherigen Aufenthalt verlassen hatte. Schon lange? Dumme Lüge! Erst vor ein Paar Stunden kam die Post hier an. Freilich, was zwischen dem Tage der Abreise und heute liegt, das mögen ihre Zuträger wohl bald genug ausgekundschaftet haben. Und das eben, was dazwischen liegt, das ist zum toll werden!

»Da sind Sie ja!« rief mir die Gräfin entgegen. Man sah es ihr an, sie hatte auf Kohlen gesessen, bis ich wirklich da war, und sie ihr Müthchen kühlen konnte.

»Ich glaubte schon,« fuhr sie sogleich fort, Sie wären bei Ihrer armen Cousine.« »Bei meiner armen Cousine?« fragte ich halb ärgerlich, halb erschrocken, da ich nicht wußte, ob ich das Beiwort auf vergangenes oder neues Unglück beziehen sollte.

»Ja, wahrhaftig!« entgegnete sie, indem alle Züge ihres Gesichts herunter hingen, und die Stimme fiel. »Sein Sie versichert, daß ich den innigsten Antheil nehme.«

»Gnädige Frau!« sagte ich jetzt, kaum meiner Ungeduld Herr, »ich verstehe nicht ein Wort [222] von dem, was Ihre Güte mir wahrscheinlich nur verbergen will.«

Mutter und Tochter sahen einander hier mit bedeutendem Blick und mitleidigem Lächeln an.

»Gott! er weiß es nicht!« bedauerte die Letztere.

»Nein! nein!« fuhr ich rasch dazwischen. »Auf Ehre! ich weiß nichts. Was ist denn Neues vorgefallen?«

»Sie wissen es nicht?« dehnte die Mutter ihre Frage, als besinne sie sich eines Bessern. »Nun, dann ist es auch nicht so arg,« setzte sie, wie ermuntert und getröstet, hinzu. »Ich habe einen tödtlichen Schreck gehabt, man sagte mir, die kleine, allerliebste Frau sei wahnsinnig geworden, in diesem Zustande zu Fuß hierher gekommen, zu dem Sachwalter des Präsidenten eingedrungen, habe von ihm die Revocation des Scheidungsprozesses gefordert, und erklärt, sie wolle nicht geschieden sein, und werde deshalb ihrem Manne folgen, wo er sich auch befinde.«

Ich unterbrach hier die Gräfin durch lautes Lachen. Diese Fabel kam mir doch zu kindisch vor.

Sie machte ein empfindliches Gesicht. »Nun!« meinte sie, »lächerlich ist bei der Sache nichts.[223] Sie müßten es denn komisch finden, daß Ihre Cousine unterwegs in der fameusen Waldschenke, den Ort ihrer früheren Zusammenkünfte, einen ärgerlichen Auftritt mit einer lustigen Punschgesellschaft hatte, und höchst derangirt dort auftrat, denn hier ist sie gewesen,« betheuerte sie feierlich, »sur cela, je vous engage ma parole d'honneur. Sie wurde am Ende halb mit Gewalt nach dem Amthause gebracht, nachdem sie auf öffentlicher Landstraße des histoires d'autre monde aufführte. Wenn Sie das so sehr amüsirt, mein lieber Rittmeister! mache ich Ihnen einen Knix, und sage kein Wörtchen mehr.«

Die französischen Floskeln verriethen mir die hämische Absicht und die zügellose Bosheit, mit der mich die Gräfin beleidigen wollte, denn sie redet nur modern, (wie sie reines Deutsch nennt) wenn sie sich bewacht und verbindlich sein will. Ich strich daher einen guten Theil von dem Inhalte ihres Berichtes. Doch auch so mußte ich mich zusammennehmen, um dem Geschwätz mit Fassung auf den Grund zu kommen.

Eine Zeitlang spielte die ungezogene Frau, die mich eigentlich in der nächsten Anverwandtin impertinent beleidigt hatte, die Empfindliche. Sie wollte mit keiner ihrer tausend Anekdoten, von [224] denen ich eigentlich mehr Licht über die Sache zu erhalten dachte, herausrücken. Zuletzt brannten sie ihr aber doch auf der Seele. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, zu schweigen. Ich erfuhr genug, um anderwärts nähere Erkundigungen einzuziehen.

Ich kann nur so viel mit Bestimmtheit sagen, daß Elise wirklich Schritte gegen Eduard gethan haben soll, daß diese aber auf Rechnung einer ausgebrochenen Krankheit geschoben werden, welche sie dem Tode nahe brachte. Sie liegt in ihrem ehemaligen Wohnort, im Hause des Amtmanns, ohne alle Hoffnung. Hugo verläßt sie keinen Augenblick, und die Stiftsdame Sophie wird sie ohnfehlbar, wenn nicht dem Grabe, doch dem Traualtare zuführen.

Das kommt von dieser unseligen Reise, die Sie hintertreiben mußten, wenn Sie Ihren Sohn nicht über die verzogene Nichte vergaßen. Unsere Hoffnungen, gute Mutter! sind nun auf die eine oder die andere Art dahin! Noch zittre ich für Elisens Leben. Aber es kann ein Augenblick kommen, wo ich sie lieber todt, als in den Armen des verhaßtesten aller Menschen wissen möchte! Im Grunde meiner Seele fürchte ich diesen Augenblick am meisten!

[225] Ich sage Ihnen heute ein trauriges Lebewohl. Arme Mutter! Sie werden sehr betrübt sein. Ich bin es auch!

Ich will hinaus zum Förster. Wir jagen zuweilen mit einander, vielleicht erfahre ich da etwas von ihr.

Nächsten Posttag schreibe ich wieder.

Sophie an den Comthur [2]
Sophie an den Comthur

Ich habe Ihnen, lieber Freund! heute viel, sehr viel zu sagen!

Sie erwarten Nachricht von unserer Kranken. Walter wartet darauf, sie Ihnen zu bringen. Ich bin hierdurch, wie durch die Ungeduld, Ihnen Alles mitzutheilen, was mir das Herz erfüllt, gedrängt, und doch kann ich meiner Gewohnheit nach, nur gesammelt und nach einander meine Berichte machen.

Zügeln Sie also Ihre Ungeduld ein wenig. Auch unser flinker Bote muß sich gedulden.

Ohne daß ichs Ihnen erst melde, sehen Sie es diesem Briefe schon an, daß Elise seit dem entscheidenden neunten Tage in der Besserung vorschreitet. Sie hatte, wenn auch eine schlaflose, doch eine ruhige Nacht.

[226] Allein, eben von der Nacht habe ich Ihnen zu erzählen. Ich durchwachte sie mit Hugo im Nebenzimmer. Er war wie ein Mensch, an dem ein großes Unglück vorüber gegangen ist, weich, dankbar, inniglich, bis auf den Laut der Stimme und den schwimmenden Glanz des Auges. Gang und Sprache, Alles war leise. Es bebte noch die heftige Erschütterung hindurch. Selige, unaussprechliche Stimmung, in der sich der niedergebeugte Geist schüchtern und ehrfurchtsvoll zur Hoffnung erhebt.

Hugo sah die Welt in anderer Gestalt. Die Freude färbte ihm das Leben heller. Auch auf mich trug er einen Theil der größern Wärme über.

Wir saßen neben einander, wir sprachen so tonlos, daß kein Wispern und Flüstern die gereizten Nerven der Kranken berührte. Das matte Lämpchen, noch durch einen Schirm geschwächt, schimmerte ganz fahl. Wir hörten jeden Athemzug unserer Freundin. Er war gleichmäßig, und würde uns über ihre Schlaflosigkeit getäuscht haben, wenn das Rascheln der seidenen Decke und die Bewegung der Gardinen es nicht verrathen hätten, daß sie wache.

»Sie erkannte Sie gleich, als ihr das Bewußtsein[227] wiederkehrte?« fragte ich Hugo. Er bejahte es mit sichtbarer Rührung. »Was sagte sie denn?« hub ich nach einer Pause wieder an. »Sie nannte meinen Namen,« entgegnete er. »Und –« er stockte einen Augenblick. »Dann,« fuhr er fort, »hob sie beide Arme zum Himmel hinauf, und begleitete diese Bewegung mit einem langen Blick, den sie lächelnd auf mich niederfallen ließ.«

»Ja,« erwiederte ich, »sie wäre auch wohl nicht erwacht, hätte sie Ihr schmerzlicher Ruf nicht geweckt.«

Er sah lange schweigend vor sich hin. »Ich also, meinen Sie,« nahm er endlich das Wort, »habe sie ins Leben zurückgerufen! Wie wird das Leben für sie aussehen?« Er lächelte auf seine schmerzliche Weise. Mich erschreckte das. Ich wollte es zu keinem innern Verlieren bei ihm kommen lassen. »Seh'n wir nicht weiter,« bat ich, »als der Augenblick es uns gestattet. Wir haben noch keine Sicherheit für die nächste Zukunft.«

Er sah mich erschrocken an. »Wie?« fragte er, »Sie fürchten noch?« Ich drückte ihm stumm die Hand, denn die Kranke schien sich im Bette zu erheben. Er sah unruhig nach ihr hin. »Sophie!« [228] rief sie schwach. Ich eilte zu ihr. Sie gab mir die Hand. Ich mußte mich auf einen Stuhl neben sie setzen. »Er schläft wohl?« fragte sie. Ich nickte ihr zu, und wendete mich so, daß sie Hugo nicht sehen konnte, der in der offnen Thüre stehend, ängstlich auf jede ihrer Bewegungen sah.

»Das ist mir lieb,« versicherte sie. »Ich will, ich muß mit Ihnen reden.« »Jetzt nicht,« bat ich sie. »Sein Sie unbesorgt, es ist nöthig, gewiß, liebe Sophie!« fuhr sie dringend fort, »ich werde gefaßter sterben, wenn ich dies vom Herzen habe.« »Sie werden jetzt nicht sterben,« unterbrach ich sie, von dem Ernst und der Feierlichkeit ihres Wesens peinlich erschreckt. »Es kann sein,« sagte sie, »es kann auch anders sein!« Sie sah in die Höhe. Ihr liebes Auge war von dem Flor der Krankheit noch nicht befreit, es dämmerte so umwölkt, und hatte dadurch etwas unbeschreiblich Zärtliches.

»Schreiben Sie,« hub sie gleich darauf an, »auf jeden Fall an Eduard, Liebste! Sagen Sie ihm, daß ich jetzt nichts, als seinen gestörten Frieden vor Augen hätte, und Alles darum geben möchte, ihn glücklich zu wissen. Bitten Sie ihn, mir zu verzeihen, daß ich seine Ruhe leichtsinnig [229] durch unsere Verbindung aufs Spiel setzte. Das ist mein größtes Unrecht!« seufzte sie. »Ich liebte ihn nicht. Guter Gott! ich wußte nicht, daß es anders sein könnte!«

Sie sank matt auf ihre Kissen zurück. Ich wollte nichts mehr hören; ich beschwor sie, alle Anstrengung zu vermeiden. Sie lächelte. »Was sind Sie so ängstlich?« fragte sie. »Der Tod ist nicht das Schlimmste, was mir droht.«

Ich that nicht, als ob ich sie verstehe. Hugo hatte sich indeß leise hereingeschlichen. Er stand mit dem Haupt seitwärts gegen den Schirm gelehnt, der das Bett der Kranken theilweise umgab. Diese, einmal den Gegenstand berührend, der sie wohl meistens beschäftigte, achtete nicht auf mein Schweigen, sondern sagte: »Denken Sie doch nur, Sophie! wie jung ich bin, drei und zwanzig Jahr, und schon mit dem Leben abgeschlossen! Nichts, nichts mehr darin, was mir gehört; keine Pflichten! kein Beruf! kaum ein Plätzchen, das mir vergönnt, den langen, unfruchtbaren Weg, ohne Unterbrechung, ohne Schatten und Licht, kahl und grau, bis an's Ende zu übersehen. Und ich war so froh wie Emma,« klagte sie, »so recht jugendfroh. Was [230] nimmt mir jetzt der Tod? Nichts! wahrhaftig nichts!«

Ich erinnerte sie an Georg, der ihr doch immer bliebe, den sie auch aus der Ferne begleiten könne.

»Aus der Ferne!« wiederholte sie schmerzlich. »Ja,fern! fern! das paßt auf Alles, was mir angehört. Es bleibt mir nichts nahe. O bitte!« rief sie, nach meiner Hand fassend, »beziehen Sie's nicht auf sich, Liebste! Denken Sie nicht, ich sei ausgeartet genug, um Ihre Freundschaft mit Undank zu lohnen. Ich fühle sie, ach, ich fühle sie! Aber –!« Sie stockte. »Und?« fragte ich. »Sie haben auch eine Andere in mir geliebt, Sophie, als ich bin,« erwiederte sie sinnend. »Das ist wohl Vielen so gegangen,« setzte sie hinzu, »auch Hugo! Er hat recht, ich kenne mich selbst nicht mehr!«

Dieser, vielleicht mehr durch Elisens klagende Stimme, als durch den Sinn ihrer Worte getroffen, mochte einer unwillkührlichen Bewegung nicht Herr sein. Ein leises Geräusch verrieth seine Nähe. Die Kranke fuhr in die Höhe. Sie fragte. Sie rief ihn. Er trat zu ihr. Thränen bedeckten sein Gesicht. Er war sichtlich in großer Erschütterung. So ergriff er ihre Hand, so gelobte [231] er mit leisen, heißen Worten, sie nie zu verlassen, sein Geschick unwiederruflich an das ihrige zu knüpfen, und ihrer Verbindung die Heiligkeit auch äußerlich zu geben, die sie für ihn ewig habe.

Lieber Freund! das war es, was ich Ihnen in seinem unwillkührlichen Kommen und Geschehen hinstellen wollte. Sie haben es in Ihrer Klarheit begleiten können. Der Eindruck ist frei, durch Nichts vorher bestimmt. Sie werden in sich fühlen, wie viel Raum wir der Freude geben dürfen!

Beide sind jetzt glücklich! Elise ist in der Genesung wie durch einen Zauberschlag vorgerückt. Nur eins hätte mich fast diesen Morgen hierüber irre gemacht. »Sagt mir doch,« hob sie nach kurzem Schlafe an, »was ist denn das für ein graues, verschleiertes Geschöpf, das während meiner Krankheit Nachts immer durch das Fenster dort herein sah?«

Ich erschrack. Ich fürchtete, sie rede aufs neue im Fieber. Ich entfernte deshalb jene Vorstellung, ohne sie zu bestreiten. Sie lachte. »Ich weiß wohl, was Sie denken, Sophie, aber es ist ganz bestimmt, wie ich es Ihnen sage,« versicherte sie. Ich war verlegen, auf welche Weise [232] ich es ihr ausreden sollte. Zum Glück erinnerte mich Madame Lindhof an die Italienerin. Ich schwieg davon, doch Johanna wußte hierüber noch manche Anekdote, was zu meinem Verdruß, Elise nachdenkend machte. Es war wohl die Erinnerung an die fremde Bewohnerin ihres Hauses, denn sie sagte bald darauf: »also auch eine ruhelose Unglückliche!« Wir ließen es dabei. Sie aber fragte noch mehrmals nach der Unheimlichen.

Nun, der Eindruck wird sie weiter nicht stören. Sie ist zu glücklich!

Elise an die Tante

Wie soll ich es denn anstellen, recht aus dem Herzen, recht frei, ganz wie ich bin und denke, zu Ihnen, meine Wohlthäterin, meine beste, liebste, mütterliche Beschützerin, zu reden, ohne Sie zu betrüben, ohne Ihnen von einer Seite wehe zu thun, wo ich Sie immer mit Besorgniß verletzlich fand. Ich weiß wohl, daß Sie himmlisch gut sind, daß Sie Ihr eigenes Interesse willig für Andere opfern. Allein, gute, arme Tante, Sie haben nur den einen Sohn, Sie dachten, Sie [233] hofften für ihn, und machten es, wie man es immer thut, wenn man hofft. Sie waren Ihrer Sache im Stillen gewiß. Es hat mich sehr gequält, Sie in dem Irrthum, dreister als Sie es sonst pflegen, der Zukunft vorauseilen zu sehen. Sie ließen mich es merken, und wenn ich Ihnen widersprach, lächelten Sie mit einer Ruhe, die so aussah, als hätten Sie Gründe und Mittel, meinen Entschluß zu bestimmen, die Sie nur noch geheim hielten. Ich wurde ganz irre an mir, an Ihnen, an meinem Geschick.

Die Angst, liebe Tante, hat mich auch aus Ihrem Hause getrieben. Nachher bin ich tödtlich krank geworden. In der Zeit ist Vieles vorgefallen. Jetzt bin ich mit Hugo verlobt! – O sein Sie nicht böse! Entziehen Sie mir Ihre Liebe nicht. Ich bin so glücklich! wie könnte ich es bleiben, wenn ich Ihren Unwillen zu fürchten hätte?

Sehen Sie, meine beste Tante! mit Curd und mir wäre es doch in meinem Leben zu keiner Verbindung gekommen. Wir passen wirklich nicht für einander. Ich bin ihm gut! O Gott, ja, recht herzlich gut! Aber – nein! – das war unmöglich! Ach, Sie sehen das auch im Grunde wohl ein. Ich bin zu alt für ihn, und dann, eine geschiedene Frau! – Sagen Sie, was Sie wollen,[234] Curd dünkt Ihnen wohl gut genug für eine bessere, die nicht den Tadel der Welt auf sich lud, Niemand erst zu vergessen hat, und froh und stolz an seiner Seite in Gesellschaften auftreten, den Blicken der Menschen gern begegnen mag. Was hätte er nicht Alles meinetwegen bekämpfen müssen! Und wie peinlich wäre Ihnen das gewesen, Sie, gute, sanfte Tante! Ich darf hoffen, daß ähnliche Vorstellungen Ihnen nach und nach kommen, und Sie über meinen Verlust trösten werden. Allein, es ist noch etwas dabei, was Sie und auch Curd nicht verschmerzen werden; das ist der Mann, dem ich meine Hand gebe. Sie haben ihn nie leiden mögen, und wenn ich späterhin seiner erwähnte, so hörten Sie mir stets mit verbissenem Aerger zu.

Das kommt aber nicht aus Ihrem guten Herzen. Sie sind weit entfernt, irgend ein Geschöpf Gottes zu hassen, geschweige denn einen Menschen, den Sie niemals mit Augen sahen. Ich will es ununtersucht lassen, weshalb Sie, zum erstenmale in Ihrem Leben, unbillig erscheinen? das ist eine kitzliche Frage, die zwischen uns unbeantwortet bleiben muß. Allein, weil Ihr Herz doch eigentlich von dem Widerwillen nichts weiß, so schmeichle ich mir, die Zeit und meine Bitten [235] werden ihn überwinden. Sie werden Ihre arme Elise, die soviel litt, soviel bei Ihnen geweint hat, die Sie nicht weinen sehen konnten, Sie werden ihr keine neuen Thränen auspressen wollen!

Nun, ich will Sie auch nicht bestürmen. Ich will geduldig warten, bis Sie mir's endlich einmal sagen: »Sei nur ruhig, Kind. Ich sehe es nun wohl ein, er ist ein braver Mann, und ich wünsche Dir aufrichtig Glück zu der Heirath mit ihm.«

Ach gute Tante! wenn Sie das sagen wollten, Aber Sie können es jetzt noch nicht. Und darum fürchte ich unbescheiden zu sein, wenn ich Ihnen alle Umstände auseinandersetzen, wenn ich Ihnen erzählen wollte, wie es eigentlich so anders, so entscheidend gekommen ist. Zuweilen ist es mir selbst wie ein Traum!

Was Sie doch einigermaßen beruhigen sollte, ist, daß der alte, würdige Comthur so aufrichtigen Antheil an unserm Geschick nimmt, daß er schon lange den Wunsch hegte, ja selbst ihn aussprach, es so versöhnt zu wissen. Er und die Freundin, deren Briefe Ihnen, gute Tante! immer so viel Achtung für die Schreiberin einflößten, die sind es, welche jetzt Hugo's und mei nen Frieden mit den unversöhnlich Gesinntesten machen. [236] Der vortreffliche Oheim hat Eduard geschrieben, ihm in die Seele geredet, und mir wenigstens eine verzeihende Aeußerung von ihm gewonnen. Auch in der Stadt, am Hofe, zeigte sich der würdige Mann unsertwegen. Ihm ward eine lange Unterredung mit der Fürstin Mutter, in welcher diese zuletzt eingestand: Es sei so viel für die Bewahrung der Sitten gewonnen, daß nun jedes andere Gerücht zum Schweigen gebracht werde. Auch hat sie mich grüßen lassen, und geäußert: Der Zutritt an Hof stehe mir frei, wenn ich ihn suchen wollte.

Alles dies schreibe ich Ihnen, weil es auch Sie vielleicht gütiger stimmt. Werden Sie mir wohl antworten? Und sollte ich diese Antwort fürchten müssen? Oder – ich weiß es nicht, aber ich denke manchmal, mein Glück muß Sie rühren! und am Ende, wenn Alle aufhören, mich zu schelten, wollen Sie, die früherAndere, ihrer Strenge wegen, tadelte, jetzt erst anfangen, es diesen gleich zu thun?

Geben Sie mir Ihre Hand, lassen Sie mich sie küssen. Sein Sie wie immer, die Gütige, die nicht zürnen kann.

[237]
Hugo an Elise [3]
Hugo an Elise

Der Einfall, den schönen Frühlingstag in Wehrheim zubringen zu wollen, ist vortrefflich. Wissen Sie, daß der gestrige, warme Regen alle Knospen der Mandelblüthen geöffnet hat? Wie ein rothes Wölkchen zieht es sich unten an den Bergen hin! Und am Boden, der frische Rasenteppich! und darüber, den Glanz der klaren, milden Merzsonne! Ich sage Ihnen, Elise! das helle Wehrheim tritt wie ein Zaubergarten aus den blauen Wellen unsers Stroms herauf.

Nun, Sie werden ja sehen! Ich kam eben von dort, als ich Ihr Billet fand. Wir hatten einen Gedanken! Es ist sonderbar, sagen Sie mir, wie die Natur oft in so frappantem Zusammenhange mit dem Geschick der Menschen zu stehen scheint! Dieses hat auch seine Abschnitte, und nicht selten correspondiren Jahreszeiten und Lebensepochen höchst wunderbar! Ich erinnerte mich auch heute der starren, verwilderten Stimmung, in der ich den lieben Ort, unter Winterstürmen und Eisnebeln, vor wenigen Monaten durchstrich, und freute mich, den schönen Frühling in ruhiger Brust aufnehmen zu können.

Lassen Sie es uns vergessen, daß die Stundenzeitlich und auch der Frühling vergänglich ist![238] Wir wollen heute thun, als könne weder ihm noch uns der Wechsel etwas anhaben!

Sophie begleitet Sie doch? Sie gehört so sehr zu uns. Der Oheim kommt auch, vielleicht später! immer indeß vor Abend. Sie haben auch die Nachtluft zu scheuen. Ob mir gleich nichts über das Hineindämmern in die geheimnißvollen Dunstbilder des Thaues und die breiter fallenden Schatten geht. Könnten wir die Rückfahrt nicht zu Wasser machen? Aber ich besinne mich! Nein! Nein! Sie scheuen das. So fahren Sie mit dem Oheim, und ich bringe Ihnen Sophie nach. Guten Morgen, Liebe!

Elise an Hugo [3]
Elise an Hugo

Welch' einen Tag haben wir verlebt! Ich kann noch nicht schlafen gehen. Es ist Alles wach in mir! Haben Sie es denn empfunden, wie mir ward, als mich der Comthur die Treppe zum Schlosse hinauf führte? Und ich nun eintrat, nun da war, da sein durfte, in der neuen Heimath. – Ich hatte früher das nie gedacht, nie geträumt, die Empfindung überwältigte mich, man ist sich fremd in den ganz neuen Lebensbeziehungen, [239] ich zitterte, ob aus Schwäche, aus Freude oder einer höhern Macht, die mich bis hierher führte? ich weiß es nicht zu sagen. Mein sanfter Begleiter schien mir über alles, so wie über die Stufen der Treppe weg, und nurvorwärts helfen zu wollen. Dann ließ er mich, und trat einige Schritte seitwärts, als wir innerhalb standen, und ich gleichsam eingeweiht war, und Besitz von meiner künftigen Wohnung genommen hatte!

Hugo! wie ist es denn möglich, daß plötzlich alles so anders werden, die Vergangenheit versinken, und eine Gegenwart da sein kann, die mit dem schon gelebten Theil des Daseins in keiner äußern Verbindung steht, und doch ganz da ist, vollständig, bindungslos, wie die Ewigkeit ihr unbegreifliches Leben um uns verbreitet?

Ich habe den ganzen Tag über diese Frage nicht hinausgekonnt. Daß ich das nur fragen mußte! Es waren überschwengliche Stunden, in denen ein Menschenherz brechen könnte, weil es das nicht faßt, was es zu reich beseligt!

Sehen Sie, wie wir nun nach und nach häuslicher in dem unbewohnten Schlosse wurden, wir bei einander saßen, das Auge mit allen Gegenständen außer uns vertraut ward, Niemand [240] gerade sprechen mochte, der Fluß so eintönig rauschte, als sage er uns seit Jahren dasselbe, unsere Hände in einander lagen, die Blicke über die Landschaft hinglitten, die Mandelbäume ihre rothen Kronen leise bewegten, und das Wasser frische Lüftchen heraufschickte, um uns den milden Blüthenduft näher zu bringen, ich hätte denken können, es sei immer so gewesen! Und dann erschrack ich doch wieder, und fragte mich, ist es denn nun erlaubt, daß ich hier bin? daß ich seine Hand in die meine schließe? daß ich es zeige und sage, wie ich ihn liebe? Diese innere Ruhe, diese Sicherheit ist kein Traum! Hugo, lieber Hugo! Der Himmel hat mir viel Muth, und durch lange Zeit Kraft im Unglück gegeben; aber für das Glück habe ich noch nicht Freiheit, nicht Raum genug in mir. Es macht mich schüchtern, ich werde so klein vor dieser Großmuth des Himmels, ja ich sinke in mir selbst, wie in einem engen Winkelchen, zusammen.

Das war es auch wohl, was der Comthur meinte, als er mir zuflüsterte: »Ich erkenne die heitere Freundin von ehemals nicht wieder. Wo hat Elise die jugendlichen Schwingen gelassen, mit denen sie das blaue Luftmeer muthwilliger Laune so oft durchschiffte?«

[241] Ich drückte seine gute, liebe Hand. »Fragen Sie nicht,« bat ich. »Sie müssen Geduld haben mit einer Genesenden. Wenn auch schon die Fähigkeit zur Bewegung da ist, man getraut sich nicht, die lang entwöhnten Kräfte zu gebrauchen.«

Er lächelte wohl, doch sah er auch ernsthaft aus, und schien mich erforschen zu wollen. Mag er das! Es liegt nichts im Grunde meiner Seele, das seinen Blick scheuen müßte. O Liebster! fassen Sie doch die Seligkeit, daß ich das sagen darf!

Wissen Sie wohl, daß es innere Uebereinstimmung allein ist, die uns billig und herzlich gegen andere macht. Wäre der brave, alte Baron Wildenau zu jeder andern Zeit so unerwartet an einem Tag, wie der heutige, hineingefallen, wir würden ihn unwillig und trocken abgewiesen oder bei Seite gelassen haben. Nun empfingen wir ihn bescheidener, und fühlten ohne Störung, daß unsere Wärme ihn auch erwärmte, und er sein Herz aufschloß. Nachher brauchten wir uns nicht weiter große Gewalt anzuthun, um ihn zu hören. Es interessirte uns wirklich, was er über Leontin sagte, dessen letzter Brief merkwürdig genug sein mag; wenn man ihn nur zu lesen bekäme! Die wenigen Fragmente, in [242] die Sprache des Vaters übertragen, geben nur confuße Vorstellungen. Der Gedanke, statt eines strengen Mönchklosters, wie es der tiefsinnige Mensch früher gewollt, eine weltliche Erziehungs-Anstalt für Knaben zu stiften, hat mich besonders gerührt. Wunderbar, daß uns gerade heute Nachricht von dem dunkeln, ganz aus dem Gesicht verlornen Freunde kommen mußte!

Gestehen Sie, daß ich wenig eitel sein muß, um es dem ungalanten Baron nicht nachzutragen, daß er mich erst nach einer ganzen Weile wieder erkannte. Ich fürchte, lieber Hugo! die Veränderung, welche der Oheim nur an meiner Laune zu finden glaubt, wird sich auch wohl auf meine ganze Person erstrecken. Armer Hugo! so ist der Herbst des Alters doch wohl vor der Thür! und der Frühling der Jahreszeiten leihet uns nur ein Stückchen von seinem Leben!

Ich will mit dem traurigen Schluß nicht auch den Brief schließen. Deshalb frage ich Sie noch, was haben Sie denn mit Sophie angefangen? Die kam ja von ihrer Wasserfahrt so ernst und wortkarg zurück, als sei etwas vorgefallen, das ihr die Lust des Tages trübte? Ihr habt wohl sehr tiefsinnige Gespräche geführt, und Euch in feierliche Betrachtungen hinein vertieft? Mir [243] geht nach gerade die Sprache aus! Gute Nacht, Hugo! Ich nehme all mein Glück mit mir in den Schlaf, und will davon träumen. Gute Nacht! gute Nacht!

Sophie an Hugo [1]
Sophie an Hugo

Ich vergaß Sie zu erinnern, Elisen unser Begegnen mit der gespenstigen Fremden nicht zu erzählen. Es wirft immer einen Schatten auf den hellen Tag zurück, und sie hat diesen so rein genossen! Ich fand sie noch in großer Bewegung am Schreibtisch. Die Augen leuchteten ihr vor Freude, als sie die schönen, langen Wimpern zurückschlug, und mich halb gerührt, halb triumphirend, mit einer Miene ansah, die wohl sagen sollte: Nun, Zweiflerin? ist nicht dennoch Alles gut geworden? Bin ich nicht das glücklichste Geschöpf auf Erden?

Wie wenig paßt zu dem warmen Roth, das in dem Augenblick ihre Wangen färbte, ja wie ein Rosenhauch über sie ausgegossen schien, die blasse Trauergestalt, die so einsam in ihrer Gondel aus der buschigen Erdzunge von Wehrheim hinaus fuhr, und zwischen dem säuselnden Schilf [244] hindurch, unsere Bahn durchschnitt. Schauerlich, sagten Sie, sei Ihnen die Nähe dieser Gemüthskranken. Mir hat ihr unerwarteter Anblick eine kältende Angst in der Seele gelassen, und wirklich muß ich es ein Glück nennen, daß Sie in dem gekrümmten, kleinen Fährmann den Bedienten der Dame erkannten, und dadurch alle Gedanken an Geistererscheinung, von vorn herein verscheuchten, denn in der That, dies plötzliche Erscheinen und an uns Hingleiten, dies Fortbewegen auf dem Wasser ohne hörbaren Ruderschlag, das wispernde Rascheln der Rohrhalme, es hatte viel Spukhaftes! Zudem – ich wette, wurden auch Sie an etwas erinnert, das mir die Brust zusammen zog. Es war eine Aehnlichkeit in der Bewegung der Arme, in der Art, den Schleier rasch zusammenzuschlagen, sich ganz hinein zu wickeln, dieselbe Neigung des Kopfes, ein wenig auf die Seite, und dann nach vorne gebückt. Das nämliche Zusammenziehen des Körpers, so in sich hinein, wie Jemand, der friert. Ich weiß, sie ist leidend! aber es trifft mit der Gestalt zusammen! und dann der Abend, das Halbdunkel! heute gerade! Ich wollte, die Unerfreuliche verließe diese Gegend bald! Ich fragte neulich den Arzt nach ihr. Elise achtete sehr aufmerksam darauf.

[245] Er wußte nicht viel von ihr. Es behandelt sie ein französischer Doktor. Er ist bei der Legation. Er kommt wöchentlich mehrmals aus der Residenz hierher, und geht sodann über das Kloster der frommen Premonstratenser Mönche zurück. Er zeigt nur gleichgültiges Nichtachten bei allen Erkundigungen über die sonderbare Fremde, die ihn wenig zu interessiren scheint, und uns so unbequem ist. Ich schelte mich deshalb. Allein, wenn ich von mir auf Elise schließen darf, so verbergen wir dieser wohl klüglich unser kleines Nachtabentheuer.

Hugo an Elise [4]
Hugo an Elise

Ich schicke Ihnen, Liebste! in aller Frühe einen kleinen, grünen Papagay, der mir diesen Morgen zum Kauf angeboten ward. Es reise ein Mann mit fremden Thieren hier vorbei, sagte mir der kleine, braune Knabe, in gebrochenem Italienisch, welcher den Vogel herauf brachte. Es war ein hübsches Bild, das gewandte, fremd gekleidete Kind mit dem bunten Papagay auf der Hand, beide wechselsweise schwatzend, sich küssend und einander liebkosende Grüße zurufend. Wir [246] wurden bald Handels eins. Ich hatte gezahlt, jener ging, der Vogel saß auf seiner Stange, sah umher, drehte sich hin und wieder und rief mit einemmale hell und deutlich Georg. Ist der Zufall nicht artig, daß, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Knabe so heißt? daß ihn das verlassene Thier so ruft, und daß ich meiner Freundin so das Echo eines geliebten Namens zu vertrauter Unterhaltung bieten darf?

Hier, Elise, sprechen Sie dem niedlichen Plaudrer immer vor, was er sagen soll, und was Niemand sonst zu wissen braucht. Schwatzt er auch, so verräth er doch nur halb das Geheimgehaltene. Guten Morgen! Guten Morgen, Liebe!

Antwort [7]
Antwort

O, weg mit dem Ohngefähr! weg, mit der Fabel vom braunen Knaben! Niemand als Sie kann so zart fühlen, kein Zufall kann mich so in meinem Innern finden! den Namen lehrte das Thier kein Wärter, nicht das Bedürfniß nach Futter. Er nennt ihn so weich, so sehnsuchtsvoll. O, den hat ihn die mitempfindende Liebe gelehrt.

[247] Mein bester Hugo, wie rührt mich dies Geschenk! O bitte, verstecken Sie sich doch nicht hinter das schlecht ersonnene Mährchen, und lassen Sie das vom Himmel gekommene Feenkind weg, das solche Zauberkünste mit dem Enträthseln geheimer Wünsche treibt! Ich kenne wohl einen Zauberer, der tief, tief in meiner Seele liest, doch, außer ihm Niemand, der kleine, welsche Elfe weiß nichts von mir.

Hugo durch den rückkehrenden Boten

Ich versichere Sie, ich sagte Ihnen die Wahrheit. Ich ersinne nichts, um nachher aus meinem Verstand hervorzutreten. Gewiß, es ist, wie ich Ihnen schrieb.

Nehmen Sie es einfach, Liebe! und freuen Sie sich, daß uns jetzt überall das Angenehme auf halbem Wege entgegenkommt.

In einer Stunde bin ich bei Ihnen, Sie werden nicht länger meine Worte bezweifeln, wenn Sie mir in die Augen sehen, die Sie nie täuschen konnten.

[248]
Die Tante an Elise

Ich antworte Dir gleich, liebes Kind! damit Du nicht glaubst, ich wolle Böses mit Bösem vergelten, denn das ist wahr, betrübter bin ich lange nicht gewesen, wie den Tag vor Deiner heimlichen Abreise, und hernach, wie Dein Brief kam. Man sorgt und quält sich das halbe Leben für seine Kinder, und Glück und Frieden schafft kein Mensch. Der arme Curd! Ich dachte es nun gewiß, und sage, was Du willst, es wäre am Ende doch wohl geschehen, denn es ist schwer, seinen Bitten zu widerstehen. Ach, ich weiß das ja am Besten! Er kann so niedliche Augen machen, gerade so, als er noch klein war, und mir was abbettelte. Wenn er Dich so ansah, Elischen! Du lächeltest auch, und warst ihm auch gut! der arme Junge! Ich kann nicht ohne Thränen an ihn denken.

Aber das könnten wir am Ende noch verschmerzen, wenn es nur der Mühe werth wäre. Nein! Ich kann mir es nicht möglich denken, daß Du den Mann heirathen wirst, um dessentwillen Du Dich mit dem achtungswerthen Präsidenten entzweitest, mit dem Mann, der nichts als Kummer und Schimpf über Dich und Deine Familie verhängte, der Dich von Haus und Hof verjagt, [249] und Deinen allerliebsten Georg um die Mutter gebracht hat, und der nachher gar nicht that, als wärest Du in der Welt, bis Du Alles, Alles vergißt, und gerade dahin gehst, wo Du gewiß sein konntest, ihn zu treffen.

Siehst Du, ich hätte das nicht thun können, um alle Schätze der Erde nicht. Niemals würde ich's mir vergeben haben, den kalten Menschen sehen zu lassen, wie viel mir an ihm liege! Lieber sterben, als mein Herz so wegwerfen!

Nun, Du wärest ja doch beinahe darüber gestorben. Da, freilich, wie es denn so weit kam, da schlug ihn wohl das Gewissen, und er bot Dir seine Hand.

Ich weiß Alles durch Curd, der immer in Deiner Nähe blieb, wie Du so elend warst, und hernach auch noch. Er kennt den Förster aus dem Orte. Bei dem hatte er sich Tag und Nacht einquartirt, ohne daß es ein Mensch wußte. Der redliche Junge! so wie der Dich liebt, Elischen! so liebt Dich doch kein Anderer. Das kannst Du gewiß glauben, und ich will wünschen, daß Du Deine unbesonnene Flucht aus meinem stillen Hause einmal bereuen mögest. Denn sage mal aufrichtig, Kind, was kann Dir nun eigentlich alles das helfen? Es ist schon gar zu viel Wind über Eure[250] Liebe hingegangen, bei den Männern hat so etwas immer Folgen. Der Tod der Frau kam auch noch dazwischen. Er hat sie doch wohl lieb gehabt, und sich hernach im Stillen Vorwürfe genug machen müssen! Dir ehrlich gestanden, mir kommt es so vor, als wäre sein Antrag nur so ein Angst- und Nothgeschrei gewesen. Er fürchtete, es würde ihm eben so mit Dir gehen, und die Welt noch scheeler dazu sehen, als das Erstemal. An Deiner Stelle hätte ich gar nicht darauf geachtet. Er war dann beruhigt, und über alle Nackenschläge weg. Du konntest Dich wieder selbst respektiren, und vor den Menschen, da kriegte Alles ein ganz anderes Ansehen. Ich begreife die Leute gar nicht, die Du um Dich hast! ob das keiner einsieht oder Dir nur nicht sagen will? Die Freude und der Jubel über solche unschickliche Verbindung ist mir ganz unverständlich. Denke Dir mal selbst die Sache so recht deutlich, wie sie sich wirklich begeben hat, und dann frage Dich, ob es Dich nicht beleidigen würde, wenn Du es bei Andern so zugehen sähest?

Ich stelle mir manchmal vor, der würdige, alte Herr und die kluge Stiftsdame könnten gar nicht im Irrthum sein, dazu besitzen sie wohl viel zu viel wahre Delicatesse. Allein der Umstand, [251] Elischen, daß Du so sehr daran hängst, und daß sie wohl sehen, Duwillst Dich sonst nicht auf andere Art vor der Welt wieder herstellen, Dir fehle es ganz an Muth und Entschluß, Deine Parthie zu nehmen, und Deine unbegreifliche Leidenschaft werde Dich noch unzählig viel unvorsichtige Schritte begehen lassen, das macht es, daß sie denken, lieber ein Uebel als so viel ärgerliches Aufsehen. Nun sieh' mal, bist Du es denn nicht, deren Schwäche sie nachgeben? Habe ich unrecht, wenn ich jetzt schelte, indeß Andere Dich loben? Was dabei zu loben ist, das kann doch wohl kein gescheuter Mensch einsehen!

Nein, mein Kind, darin irrst Du sehr, gut geheißen habe ich früher auch nicht, was die Welt tadelte, tadeln mußte. Aber, es schien mir barbarisch, eine Gefallene vollends niederzutreten. Und dann kam auch damals die Weisheit hintendrein. Doch jetzt ist es noch Zeit. Wenn Du wolltest ... wahrhaftig, ich schweige ganz von Curd, ich will nicht einmal an ihn denken, ob ich gleich gewiß bin, er wäre ganz der Mann darnach, alles Geschehene vergessen zu machen. – Doch Gott bewahre mich! Nein, ganz abgesehen davon, um Dich allein, mein Herzchen. Du sonnest Dich jetzt so recht bequem und ruhig [252] in Deinem Glück, aber, aber! Die Herbstsonne, die leihet uns nur ihre Strahlen, das hat keine Art mehr! Das Gewölk fliegt drüber hin, ehe man es denkt, und Sturm und Regen sind da.

Ueberlege dies, liebe Elise! Ich meine es gut. Du kennst mich, aber Dich selbst kennst Du nicht.

Elise an Hugo [4]
Elise an Hugo

Stellen Sie sich vor, die Gräfin Ulmenstein ließ sich vor einer Stunde bei mir ansagen, eben fährt sie wieder weg.

Was in dieser Stunde alles hier in dem kleinen Zimmerchen geschwatzt worden ist, das möchte ich nicht behalten können, und Ihnen auch nicht wiederholen. Doch der große Gegenstand dieses formellen Besuchs war eine Verlobungsanzeige. Curd und Agathe! Ich hatte Mühe, nicht zu lachen.

Lieber Freund, mir ist ein Stein vom Herzen. Nun bin ich ihn und die redliche Mutter los. Die weiß noch nicht ein Wort von der Geschichte. Sie wird Augen machen. Mag sie sehen, was sie mit ihm anfängt.

[253] Ach, er ist ein sogenannter guter Mensch! Man ist gegen diese Sorte in der letzten, überklugen Zeit oft sehr unbillig gewesen, Sophie ist es noch. Ich streite mit ihr darüber. Sie behauptet, da liege das Gegengewicht alles höhern Strebens. Die plumpe Masse hänge sich unversehens an, und ziehe Andere herunter. Ich leugne ihr überall das Wagerecht ab. Wer hält die Schaale? Man soll nicht so den Richter spielen. Aufgeblasene Leerheit hat freilich etwas Lächerliches. Nun, so lache man! Ich bin eher hierzu, als zum Unwillen gestimmt, und wahrhaftig, wenn mir Curd auch lästig war, Sophie thut ihm doch zu viel.

Aber wie breit und stolz und wichtig unsere Nachbarin hier vorfuhr! Ich mußte mir in die Lippen beißen über diesen Triumphzug.

Der Bräutigam hat sich begnügt, mir eine Karte zu schicken. Mein Gott, warum? daß die Menschen aus Verlegenheit so oft unnatürlich werden! Hätte der gute Vetter seine Blödigkeit überwunden, wir würden im Augenblick unser Verhältniß festgestellt, und uns später unvermeidliche Verdrüßlichkeiten erspart haben; denn ich kann einmal das stramme Nichtachten und Fremdthun unter Menschen, die sich besser kennen, nicht leiden. [254] Der Unwille springt mir über die Lippen und es giebt Auftritte.

Apropos! wissen Sie, daß unser Räthsel hier in Eduards Hause, eine Verwandte vom *** schen Hofe sein soll! Man weiß ganz gewiß, daß sie in Verbindung mit diesem steht. Die Oberhofmeisterin correspondirt mit der Kammerfrau oder Gesellschafterin. So viel hat Walter ausspionirt. Sie ist Aebtissin eines Florentinischen Klosters. Das Geheimniß, das sie umgiebt, soll politische Ursachen haben, so wie ihre Entfernung aus Italien; die Gräfin wußte auch davon, und gab zu verstehen, eine aufgelöste Heirath aus Familienrücksichten, Hof-Intriguen, Vergiftung, und Gott weiß, welches romanhafte Quodlibet, habe sie um den Verstand gebracht. Ihrer Aehnlichkeit mit der Fürstin von *** schreibt man es zu, daß sie stets verschleiert umhergeht.

Ich möchte sie wohl einmal sehen.

Ich meine, ich habe Ihnen genug zu Dank geschrieben, daß Sie den ganzen Tag in Geschäften mit Gerichtshalter und Amtleuten zubringen wollen, ohne einen Augenblick für Ihre ungeduldige Freundin abmüßigen zu können.

Wüßte ich es nur über mich zu gewinnen, ich hätte auch schweigen, und Sie mit Ihren [255] Acten in so trockner Unterhaltung lassen sollen, wie Sie es gestern für gut fanden, uns solche kosten zu lassen.

Nein, Hugo! einsilbiger habe ich Sie lange nicht gesehen. Ums Himmelswillen, macht diese unglückliche Rechtspflege alle Männer hölzern und eingebildet auf ihre Wichtigkeit? Sie zogen auch die Stirne kraus und sahen auf einen Fleck, rechneten und balancirten das Für und Wider mit kaltem Ernst, wie gewisse andere Leute, die ich nicht gegen Sie, am wenigsten im Schlimmen erwähnen will. Aber Lieber, sein Sie weniger respectabel und ein Bischen liebenswürdiger.

Antwort [8]
Antwort

Ich sollte Ihnen danken, Elise! bereuen und Aenderung geloben. Das kann ich Alles nicht. Im Gegentheil muß ich Sie schelten, daß Sie mich kennen und doch so beobachten, als wäre an mir etwas anders als unwillkührlich.

Haben Sie ja Nachsicht mit mir, und vor allem lassen Sie sich nicht auf vieles Erklären und Motiviren ein. Sie verderben nur Ihre [256] Zeit; denn wahrhaftig, es würde mir schwer werden, mich immer selbst zu verstehen.

Machen Sie auch den Geschäften nicht den Krieg. Geschäfte sind ein guter Ableiter in den Gewittertagen der Seele. Und in wessen Leben finden sich solche Tage nicht?

Ich denke, der Humor wird bei dem heutigen Gerichtstage nicht erst lange um Stoff betteln müssen. Will's Gott und der witzige Kauz, der Actuarius, so bringe ich Ihnen heute Abend eine freie Stirn, und einen ganzen Sack voll Anekdoten mit.

Die Oberhofmeisterin an Sophie

Wie soll ich Sie nennen? unbesonnen? Das Wort paßt niemals auf Sie. Treulos? Ich kenne Sie so lange als wahr und zuverläßig. Bethört also? Bethört auf unbegreifliche Weise.

War es möglich? Bei Ihnen fand sich das Pärchen zusammen? Unter Ihrem Schutz glich sich alles so glatt und eben aus, als habe die Thorheit nur die Hand der Weisheit bedurft, um ihr gleich zu werden!

Sophie, dazu haben Sie Ja gesagt? So [257] wenig ehrten Sie in der Freundin die tödtlich gekränkte Mutter? Haben Sie denn kein menschliches Ahndungsvermögen? fiel es Ihnen nicht auf tausend Meilen ein, wie es mir in der Seele zuwider sein mußte, diese verführerische Schlange mit Hugo verheirathet zu sehen. Sie mit dem Namen nennen zu hören, den Emma, die Unglückliche, Gemarterte, mir und der Welt Entrissene, trug? Haben Sie gar keine Vorstellung von der Eifersucht einer Mutter für die Rechte der einzigen, angebeteten Tochter? Ist es Ihnen wirklich unmöglich, die bittere Kränkung zu bezweifeln, die mir aus dieser unwürdigen Heirath erwächst?

O fragen Sie nicht mit der verwunderten Ruhe, die mich zu Zeiten, Ihnen gegenüber, um alle Fassung bringt, ob ich denn gewollt, daß der Graf nie wieder an eine zweite Ehe denken sollte? Ja, ja, ich habe das gewollt! Ich will es noch! Wem darf er seine Hand bieten, wenn ihn das sanfte Joch an Emma's Seite drückte? Wem? ich frage Sie. Und wenn auch das nicht wäre, sagen Sie einmal, kann er diese Unruhestifterin, diese Störerin seines Familienfriedens, diese doppelte –! O lassen Sie mich wegwenden von dem Gedanken, daß sie es ist, die [258] er in sein ehrbares Stammhaus führt, die ihr entweihtes Wappen an den Schild hängen darf, der sich mit dem meinigen verschlang; daß sie da gehen, stehen, sitzen wird, wo Emma saß; daß ihre Stimme frei und keck erschallen wird, wo jene demüthig und leise ihr bescheidenes Wort aussprach, daß sie – o mein Gott! da lachen wird, wo mein armes Kind so viel, so heiß weinte!

Gehen Sie, Sophie! Ihre Klugheit ist dem flachen Spiel empfindsamer Modetändelei erlegen. Während Sie sündliche Thränen trocknen helfen, pressen Sie meinen brennenden Augen gerechte und allzu bittre aus.

Ich wußte nicht, sollte ich die Leute Lügen strafen, die mir die Geschichte dieser Komödien-Versöhnung erzählten! Ein falsches Gerücht nannte ich sie, doch glauben, das war mir nicht möglich, glauben konnte ich sie nicht.

Nun bestätigen Sie es selbst, und verlangen, ich soll es gut heißen.

Verblendete! mit Ihnen ist nicht zu streiten. Aber der Himmel, das weiß ich, der Himmel wird Euch die Augen öffnen. Das duldet er nicht, wie auch Wahn und Ueberspannung seine Absicht mißverstehe. Und sollte, und dürfte ich [259] auch nicht –! Nein! verlassen Sie sich darauf, das wird niemals geschehen!

Hugo an Heinrich [1]
Hugo an Heinrich

Du bist ein guter Mensch, Heinrich! aber Du hast das Unglück, selten zu wissen, wie Andern zu Muth ist. Das kommt von Deinen abgezogenen Begriffen. Du giebst nicht genug auf das Leben Acht. Mein liebes Kind! das ist ein Proteus, das macht Dir ein X für ein U vor, ehe Du Dich versiehst.

Ich hätte Dir längst einmal wieder geschrieben, allein ich fürchte mich vor Deinen hohen Worten. Du hast so viel mit Idealen, mit Streben u.s.w. zu thun, und das Alles schrumpft, bei ordentlichem Tageslicht besehen, zu solcher Misere zusammen, daß mir's erschrecklich ist, wenn man davon viel Lärmens macht.

Soll ich Dich nun auf meine Weise unterhalten, so hörst Du nichts Gescheuteres, und glaubst noch dazu, es bestreiten zu müssen. Thue das ja nicht. Es kommt nichts dabei heraus. Es geht doch alles seinen Gang fort. Man vermag [260] zu wenig gegen das Vorurtheil!Den Feind besiegst Du mit allen Fechterkünsten der Dialektik nicht.

Es wäre ein Gegenstand zu scharfsinnigen Entdeckungsreisen, den verborgenen Gängen dieses Kobolds nachzuspüren. Was der für Sprünge macht, wie der die Dinge in den Köpfen der Menschen unter einander wirft, und wie sie geschickt sind, immer das Dümmste und Einfältigste, was oben auf liegt, zu fassen, davon ließe sich ein drolliges Lustspiel schreiben, preßte es nur dem Dichter nicht unter der Arbeit Angstschweiß aus; denn es will Einem an die Haut gegangen sein, um die rasenden Mistificationen solcher Teufeleien zu verstehen.

Die Zeitung von meiner zweiten Heirath hast Du wohl schon, lieber Heinrich! Thue Dir keine Gewalt an, lache dreist, ich lache mit. Lächerlicher hat sich nicht leicht ein Mensch gemacht, als ich. Die zweite Heirath!! – Ja, ja! das ist so ein Stückchen von dem Einfluß des Vorurtheils! Was da gesprochen, gethan, gelitten wird, um die einfachste Sache von der Welt confus zu machen. Ich sage Dir, kein Mensch denkt über den Augenblick hinaus, wenn ihn der gerade packt. Alle stehen in Gedanken darüber, aber – [261] aber –! Ach! es ist eine erbärmliche Historie, die Weltgeschichte.

Ich bin wie Alle! gefangen, da ich frei sein könnte. Ja, Heinrich! mir ist gerade, als wenn mir ein Ambos an den Füßen hinge! Und dazu klatscht man um mich herum in die Hände vor Entzücken, und lacht und freut sich taub und blind in den Tag hinein.

Ich fürchte, das Lachen wird ihnen vergehen, mein steinernes Gesicht muß sie zuletzt doch aus der Fassung bringen.

Du schreiest über Inconsequenz! Lieber Heinrich, das ist ein Wort, das, wie die meisten, ohne allen Sinn angewendet, oder überhaupt gar nicht verstanden wird. Gerade, weil das Unwillkührliche, derwahre Mensch in uns, sich nur folgerecht entwickelt, und keine andere, als falsch ausgelegte Untreuen begehen kann, weil er wohl für Augenblicke etwas mit sich machen läßt, doch selbst, das heißt mit Seele und Herz, nur das ihm Eigenthümliche thut, deshalb fällt der Schein davon nach außen ungleich, und beleidigt das Auge durch schillernde Bewegung.

Siehst Du, das ist es! Meiner Ueberzeugung nach sind es die unbestechlichsten, [262] klarsten, wahrhaftigsten Gemüther, die zumeist der Treulosigkeit beschuldigt werden.

Was hilft so ein conventionelles Machtgebot, wenn sich die ganze menschliche Natur dagegen empört? Glaube mir, die Rohheit im Leben, die ist es, die das Flüchtige, das Behende, das Geistige des Daseins, bei Einigen zerstört, bei Andern in die tiefsten Winkel der Brust zurückdrückt. So wie Dir nun etwas rechteigen, recht heilig ist, so fahren rechts und links ungeschickte Hände in Dich hinein, und reißen Dir das Geheimniß aus Licht. Da stellen, und drehen, und pressen sie's so lange, bis es in die unpassendste Form hineingezwängt ist, und wenn es ihnen entschlüpft, oder Du sagst, das ist nicht, was mir gehört; was Ihr da habt, das ist ein zerrissenes, todtes Stück meines Herzens, macht damit, was Ihr könnt, aber laßt die wunde Stelle in mir heilen und vernarben, und quält mich nicht, das Leblose wieder einpassen zu wollen, die Natur leidet es nicht; wenn Du das sagst, dann fängt das Toben und Schelten an. Du bist verfehmt, und kannst sicher sein, mit jedem Bösewicht in eine Klasse geworfen zu werden.

Es ist ein Jammer, wie die Menschen das [263] Vertrauen unter einander schwächen. Wolltest Du es aussprechen, wie Dir zu Muthe ist, das liebste Wesen würde Dich nicht hören wollen, vielleicht auch nicht hörenkönnen!

So ziehe ich meinen Strang in der Welt, so lange die Kräfte aushalten. Ich wäre gerne einmal zu Dir gekommen. Aber es ist besser, ich bleibe hier. Es ist nicht gut, die Flügel viel zu rühren, wenn man einmal im Käfig sitzt. Die Lust, weiter zu fliegen, könnte zu verzweifelten Versuchen verleiten.

Und dann –! Es ist sonderbar –! Ich kann hier nicht weg. Es ist etwas in diesen Mauern, in dieser Atmosphäre, in –! ich weiß nicht, soll ich sagen, in dem unsichtbaren Wehen der Luft? was mich an diese Gegend bannt. Genug, ich möchte nicht einmal anderswo sein, wenn es sich auch fügte.

So etwas Tolles setzt sich der Träge, der Unsichergewordene in den Kopf. Das Geschick hat uns nicht allein zum Narren, es macht uns auch dazu.

Aber das ist doch wahr, der Ort, an welchem man lange ein innerliches Leben führte, der wandelt sich nach und nach um. Er nimmt die Farbe unserer Welt an, die Gegenstände treten [264] in eine Beziehung zu uns, die sie beseelt. Es ist nicht mehr der wirkliche Wald, der wirkliche Strom, in und auf welchem sich Andere bewegen; was uns umgiebt, das gehört zu der Heimath, von welcher Niemand außer dem verborgenen, geheimen Gedankenleben in uns, etwas errathen wird.

Und weiß der Himmel! es trifft wirklich auch immer so viel zu, was den Wahn nährt. So kam vor einiger Zeit eine Fremde in meiner Nachbarschaft an. Ich erzähle Dir wohl einmal mehr von ihr. Sie ist krank, unglücklich, wahnsinnig, weiß der Himmel, was nicht alles! genug, es ist so etwas Verhülltes, das mich faßt, mich an sie zieht. Du kennst mich ja. Moralische Räthsel finden an mir ihren Mann. Je verschlungener der Knoten ist, desto erpichter bin ich darauf, den Fäden nachzuspüren. Das ist meine Aufgabe. Es ist eine unerquickliche Begleitung, nebenher zu laufen. Aber das Keimen und Werden, eine Hülle nach der andern abwerfen, und immer freier und freier hervortreten –!

Wie das spannt, Heinrich! Was die Phantasie da arbeitet, wie man vorausschließt, sich irrt, die Richtung ganz verliert, und dann plötzlich wieder auf der natürlichsten, einfachsten Spur [265] ist! Man wird nicht müde, man weiß nichts von der Zeit. Gottlob! daß einem immer wieder solche Probleme aufstoßen. Sie sind der einzige Sporn zum Leben!

Nun, die Kranke ist eine solche Aufgabe. Ich weiß nicht, ist sie jung oder alt? Ihr Gesicht sah Niemand. Darüber giebt es nun Fabeln ohne Ende. Es ist aber kein Grund für irgend eine vorhanden, darum sind sie alle bodenlos, und das ist es eben, was mich dabei stachelt. Je mehr die Sache ohne allen Zusammenhang, wie ein Dunstbild, in dem weiten Umkreis der Muthmaßungen schwebt, desto mehr treibt sie zur Forschung und spannt die Fähigkeiten des Verstehens. Es ist keine Komödie, die sie spielt, wenn sie nur bei Nacht aus ihrem Versteck hervor tritt, und ruhelos die Gegend durchstreift. Sie ist auch keine Mondsüchtige, wie man anfangs sagte, ich bin ihr in der Dunkelheit wie im Sternenlicht begegnet, und, beim Himmel! wenn sie so am See, unter den Weiden, in ihrem Garten sitzt, und in der Hoffnung, daß sie hier Niemand belauscht, laut und herzzerreißend weint, dann spüre ich nichts von Bewußtlosigkeit in ihr; diese Thränen preßt ein heißes, bitteres Gefühl aus.

Du wirfst es mir vor, ihr so unbescheiden [266] zu folgen! Ich sage Dir aber, ich suche sie nicht. Wir begegnen einander so, als wenn es sein müßte. Das war schon früher der Fall, auf ihrer Reise in einer fürchterlichen, stürmischen Nacht, in einem Augenblick, wo eine heiße, ungeduldige Erwartung mir kaum den Blick für etwas Fremdes ließ. Und doch! und doch! Ich meide sie seitdem. Zuweilen vergesse ich sie, wie mich, bin in meinen eigenen Gedanken, und gerade dann, eben als wenn es sein müßte! Gewiß ist es, irgend eine geheime Beziehung treibt mich dann den Strom hinauf nach dem See hin, der sich in diesen ergißt. Und wäre es auch nur eine unbewußte, magnetische Beziehung.


Ich sagte das gestern im Scherz zu Elisen. Sie lachte mich aus. Wir stritten darüber. Es kam nicht viel heraus. Sie war zuletzt empfindlich. So sind die Frauen! Durch tausend Umwege beziehen sie die Dinge auf sich, und vollends, wenn sie ein Recht auf uns zu haben meinen. Muß denn Alles rechtskräftig hier auf Erden sein, um Ansprüche auf freie Existenz zu gewinnen? Auch die Liebe? Wenn sie doch der nicht das häusliche Matronenkleid über die glänzenden Flügel ziehen, und sie wieder zur Puppe [267] machen wollten, was sie war, als die Seele heraustrat! – – – –


Es sind aufs neue Wochen hingegangen. Ich hatte Dir eben nichts zu sagen. Ich war verdrießlicher, als ich es rechtfertigen kann. Der Oheim erinnerte so oft, daß es Zeit werde, an meine Verbindung mit Elisen zu denken. Die Welt, sie selbst erwarte es vielleicht. Ich konnte ihm nicht unrecht geben. Aber, nenne es, wie Du willst, erkläre es, wie Du kannst, mich befiel jedesmal ein Grauen, das mich kalt durchrieselte, so oft ich an die entscheidende Minute dachte. Gestern Abend endlich versprach ich, mich in den nächsten Tagen ganz in der Stille trauen zu lassen. Ich schreibe hinüber nach dem Kloster. Ein Geistlicher von dort soll die Handlung verrichten, und zuvörderst das Aufgebot von der Kanzel lesen. Der Brief geht fort.

Unwohl, frierend, mit heißem Kopf und klopfender Brust rette ich mich, vor unnützen Nachgedanken ins Bett, unter verhüllende Decken. Nicht von einem Traume, nicht durch ein Geräusch, ich besinne mich keines Tones, keiner deutlichen Empfindung, genug aber, ich erwachte. [268] Es lag mir wie ein Band um die Brust. Kaum kannte ich früher eine ähnliche Angst.

Lange in solchem Zustande auszuhalten, ist nicht meine Sache. Ich warf mich hin und her. Endlich sprang ich aus dem Bette, nahm meinen Mantel um, und trat ans Fenster. Es war eine schöne Nacht, heller Mondschein! Ein Gang durch den Garten, sagte ich mir, wird die Nebel verjagen. In wenigen Augenblicken war ich an der Thür. Sie war verschlossen. Wieder umkehren, Jemand wecken, aufschließen lassen, war mir zu umständlich. Am andern Ende des Coridors führt ein Fenster nach dem Wildzwinger! von da kommt man durch eine Allee in den Park. Der kürzeste Weg der beste! dachte ich, und bin im Begriff, jenes Fenster zu öffnen – da sitzt – Herr des Himmels! ich denke in die Erde zu sinken – da sitzt eine verschleierte Frau auf Emma's Sitz in der Allee, Hirsche und Rehe stehen um sie, eine schneeweiße Hand reicht ihnen ihr Futter, die Thiere scheinen sie zu kennen, sie drücken sich dicht an sie. Ich stehe wie eingewurzelt, dann schlage ich das Fenster zu, und stürze zurück in mein Zimmer.

Es währte lange, ehe ich mich fassen konnte. Nachher besann ich mich wohl. Es war die [269] Nachtwandlerin, die ich gesehen hatte. Ich erinnerte mich ihrer genau. Aber was war damit gewonnen? Ist so etwas Zufall? Traf Alles nur von ungefähr zusammen? Nein, Heinrich! ich sage Dir, das war kein Ungefähr! Eine Warnung war es, dafür habe ich es auch genommen, und in aller Frühe einen Widerruf meines gestrigen Schreibens nach dem Kloster geschickt.

Was ich dem Comthur, was ich Elisen sagen soll? Ich weiß es nicht. Aber es wird mir schon beifallen, wenn ich nur erst wieder zu mir selbst komme. Ein Ritt im Freien mag das bewirken. Ich will doch sehen, ob nichts von der Kranken zu entdecken ist. – – – –


Sie ist fort! Abgereist! Diesen Morgen. Das Haus ist leer, keine lebende Seele darin. Warum das? Wie so plötzlich! Wenn es doch ein Spuk wäre! wenn sie es gar nicht war! Ich glaube, sie hat mich angesteckt, und ich verliere auch den Verstand.

Unbegreiflich! unbegreiflich! Die Gegend ist mir wie ausgestorben. Wohin sie nur gegangen sein mag?

[270]
Curd an seine Mutter [1]
Curd an seine Mutter

Nicht wahr, das blieb das Klügste, was ich thun konnte. Was hilft das unnütze Bestehen auf einer Sache, die doch nun vorbei sein mußte. Es ist mir nahe gegangen, das leugne ich nicht, aber einmal mit mir fertig, kostet es mich nun auch keine unruhige Minute mehr.

Geben Sie sich nun immer auch darein, gute Mutter! Was geschehen ist, das ist geschehen. Verheirathet bin ich einmal. Agathe ist Ihre Schwiegertochter, und kann sie uns freilich Elise nicht vergessen machen, so ist sie doch eine hübsche, elegante Person, zieht sich allerliebst an, tanzt, wie eine Puppe, und ist so wohlerzogen, daß sie es gewiß niemals an Aufmerksamkeit gegen Sie wird fehlen lassen. Bis jetzt kann ich nur meinen Entschluß loben. Wir werden überall mit der ausgezeichnetesten Zuvorkommenheit empfangen, der Platz, den die Gräfin in der Gesellschaft einnimmt, giebt ihrer Tochter, wie mir, die angenehmste Stellung. Von der Seite muß ich gestehen, habe ich Vortheil von dem Tausch bei meiner Wahl gehabt, denn, wie man sich auch bemüht, aus Achtung für den Comthur, das Urtheil über unsere Verwandtin zu mildern, so wird sie doch nie wieder eine Rolle in den ersten Zirkeln spielen. [271] Es ist zum Erstaunen, wie man gegen sie eingenommen ist. Jetzt, da man mich weniger empfindlich dagegen glaubt, äußert man seinen Tadel unverholen, und ich habe Gelegenheit, zu bemerken, daß es einem Mann von feinem Takt äußerst verletzend gewesen sein müßte, sie so vernachläßigt und isolirt unter Leuten von Ton zu sehen.


Sie werden finden, daß ich meine Hochzeit sehr beschleunigt habe. Ja, liebe Mutter! die reine Wahrheit zu sagen, so lag mir daran, eher verheirathet zu sein, als Elise. Es ging damals das Gerücht, man eile sich auf der Burg mit den Anstalten zum Empfange der neuen Gräfin. Mir stieg das Blut bei der Nachricht ins Gesicht. Ich mochte nicht aufsehen, und als Agathe mich auslachte, mich mit meiner Cousine neckte, wußte ich auf meine Ehre nicht ein Wort hervorzubringen. Halt! dachte ich, nun ist es Zeit! Ich muß mich vor ähnlichen Ueberraschungen sicher stellen. Acht Tage darauf stand ich mit meiner Braut vor dem Altar. Ein Mensch von Willenskraft nimmt bei jeder Gelegenheit seine Parthie. Elise soll doch frappirt gewesen sein, als sie es hörte. Um so mehr, da man vom Aufschube ihrer Verheirathung wieder [272] allerlei murmelt, und Hugo's Laune unerträglich sein soll.

Nun, wenn er jetzt wieder Ausflüchte suchte, wenn er zum zweitenmale die Ruhe der unglücklichen Elise aufs Spiel setzte, so wahr ich lebe! alles Andere bei Seite gesetzt, ich zöge ihn zur Rechenschaft, und wäre er am Ende der Welt. Noch will ich glauben, es haben sich wirklich Hindernisse zwischen seine Pläne geschoben. Es kann sein, es muß sein, ich darf und will es nicht anders annehmen, doch erfahre ich das Mindeste, was einer Treulosigkeit entfernt ähnlich sieht – er soll mir's sagen, er soll mir's dann selbst sagen, weshalb er die Unglückliche täuschte, warum er mir mein Glück zertrümmerte, das Herz zerbrach und – doch ich will schweigen! Ich werde schweigen bis an mein Ende. Es ist nun auch vorbei, ich weiß das recht gut, daran braucht mich Niemand zu erinnern. Ich meine nur soviel, daß ich nicht umsonst und um nichts ein Opfer gebracht haben will, daß ich mich nicht anführen lasse, und Elise doch meine Cousine bleibt. Wenn Alle sie verlassen, so gehört ihr immer noch mein Arm und mein Leben!

Verzeihen Sie, gute Mutter! ich wollte Ihnen von meiner neuen Wohnung, meiner Einrichtung, [273] unserm täglichen Leben, von der Aussicht erzählen, die mir eröffnet ist, ins Jagddepartement mit Vortheil versetzt zu werden, allein wenn ich einmal im Schreiben oder Sprechen auf dies Kapitel komme, dann gehen mir alle andere Gedanken aus. Gott im Himmel weiß auch, wie es zugeht, daß ich immer heftiger und zorniger bei der Erinnerung an Elisens verfehltes Leben werde, und meine Seele ordentlich darnach dürstet, mit dem Grafen anzubinden!

Fürchten Sie indeß keine Unbesonnenheit, gute Mutter! Ich vermeide es, selbst nur nach der Gegend hinauszureiten, wo Wehrheim und die Burg liegen. Ich meide die Einsamkeit, ich meide mich, meine eigenen Gedanken. Könnte nur die Gräfin schweigen, und wollte Agathe mich nicht durch häßliche Gesichter demüthigen. Es gelingt mir mit vieler Mühe, kaum an mich zu halten.

Nun lassen wir's, wie es ist! Der Himmel verhüte Unglück!

Antwort [9]
Antwort

Lieber Sohn! Du erschreckst mich. Du weißt gar nicht, wie sonderbar Dein Brief lautet.

[274] Mein Gott! was ereiferst Du Dich denn über fremde Angelegenheiten! Laß doch den Grafen thun, was er will. Bist Du denn dazu gesetzt, ihn zur Rechenschaft zu ziehen? Was das für Begriffe sind, die Du Dir von Dir selbst und von Deinen Pflichten machst!

Eben erst verheirathet, und für eine Andere den Ritter spielen zu wollen! Du darfst gar nicht mehr an Elise denken. Stelle Dir einmal vor, was Deine Frau sagen würde, wenn ihr solch' Gerücht zu Ohren käme!

Nein, lieber Sohn! jedes Wort, was Du mir sagst, ist mir durch Mark und Bein gegangen. Ei mein Gott! das fehlte noch. Und alles das um das Unglückskind, die Elise!

Die arme Seele! Ja, darin hast Du recht, wenn er sie jetzt täuscht, wenn er sie noch einmal ins Verderben brächte –! Der Himmel müßte ihn strafen. Ich habe es immer gesagt, die erstaunlich klugen Leute, die machen ihre Nebenmenschen nur unglücklich. Hat der Graf nun wohl ein Herz, und kann es mit ansehen, daß die Person, die ihm ihr ganzes zeitliches, und wer weiß, auch ihr ewiges Glück, aufgeopfert hat, sich abhärmt, und vor der Welt die Heitere nur darum spielt, damit man ihn nicht tadeln soll? Sie hat [275] mir vor ein Paar Tagen einen solchen sorglosen, gleichgültigen, kleinen Zettel geschrieben, lieber Sohn! wie Du wohl von sonst her noch von ihr kennst. Ich lege ihn Dir hier bei, Du wirst wohl gleich fühlen, was es damit ist. Mir ward recht beklommen seitdem. Ich glaube aber, es kommt doch hauptsächlich von Deinem Brief, Curd. Gieb ja auf Dich Acht. Ich weiß nicht, Du kommst mir darin ganz anders vor. Ich finde, Du kriegst jetzt etwas von Deinem seligen Vater. Du hast ihn nicht gekannt, und was man so von ihm erzählt, darnach kommt er Dir vielleicht ein Bischen laut und wild, gar nicht so vornehm wie die heutige Jugend, vor. Nun, das ist wahr, mehr Erziehung hast Du, und von dem modischen Wesen, wie jetzt in der Stadt und auf dem Lande getrieben wird, davon hatte seine Seele keine Ahndung. Er war immer draußen auf dem Felde und auf der Jagd, und wenn ich es so deutsch ausdrücken soll, zuweilen war er wohl roh zu nennen. Feinere Manieren hast Du, das ist keine Frage. Aber eine feinere Seele, solch' zärtlich Gemüth, und so gar nicht vergessen können, was er liebte, das hattest Du bis jetzt noch nicht gezeigt. Ich werde ewig daran denken, wie mein seliges Lottchen starb! hat der Mann das wohl [276] je verschmerzen können? Das kleine Bettchen mußte immer bei ihm in der Kammer stehen, und wenn er manchmal noch so lärmend von einer mißglückten Jagd nach Hause kam, und er hing in der Kammer seine Flinte und Jagdtasche an die Wand, dann blieb er wohl bei der leeren Bettstelle stehen, setzte beide Arme in die Seiten, bückte den Kopf, und starrte hinein, als wollte er das Kind mit Gewalt wieder darin sehen. »Hm!« sagte er dann vor sich in Gedanken, halb stöhnend, halb ungeduldig, schnippte mit den Fingern, (was er immer sehr laut und schallend zu thun pflegte) und kam ganz still und in sich gekehrt wieder heraus. Es währte eine Weile, ehe er dann zu irgend einem Menschen sprach. Ja, er hatte ein weiches Herz und ein treues, bis in den Tod. Aber das ist wahr, dem Doktor wurde er nicht wieder gut, seit er ihm das Kind hatte sterben lassen. Er sah ihn nachdem niemals in seinem Hause, und wo er wußte und konnte, ging er ihm aus dem Wege. Einmal trafen sie gerade bei einer Kindtaufe zusammen. Ich mag nicht daran denken, es war ein schlimmer Tag. – Daher weiß ich, daß er unversöhnlich und nachtragend war, wie Du es jetzt auch zu sein scheinst. Das ist aber nicht das beste Erbstück von Deinem Vater. Sei ja auf Deiner [277] Huth. Man kann sich da etwas auf das Gewissen laden, und kriegt es dann nachher nicht wieder herunter. Nicht lange nach dem Kindtaufsschmauße starb der Doktor. Es glaubten Viele, und ich auch, er sei vor Aerger gestorben. Dein Vater that nicht, als denke er weiter daran; aber er ist ihm bald gefolgt. So zieht Eins das Andere nach sich.

Lebe recht wohl, mein lieber Sohn! Bedenke Alles, was ich Dir gesagt habe, und grüße Deine Frau, die ich sehr begierig bin, kennen zu lernen.

Elise an die Tante [1]
Elise an die Tante

Sie sind wieder gut und freundlich! Ich wußte es wohl. Lange konnten Sie auf Ihr Pflegkind nicht böse sein. Nun, und der Curd, Tantchen! der hat eine ganz andere Frau bekommen, als Ihre blasse, hagere, kränkelnde Elise. Ich versichere Sie, so ein zierliches, frisches Persönchen, so grelle Augen, und einen Anzug, wie ihn die Prinzessinnen nicht allerliebster haben können. Wenn Beide in Curds niedlicher Equipage durch die Straßen fahren, die braune Muschel, das rothe Gestell, die schönen englischen Pferde, und [278] der Piqueur, der so gewandt vorausreitet, – Ihr Mutterherz würde doch vergnügt schlagen, nicht wahr?

Sie sind so sorglich in der Nachsendung meiner Sachen, beste Tante! Es ist Alles aufs Beste eingepackt, hier angekommen. Da steht es nun um mich her. Auch die Kisten und Koffer aus meiner ehemaligen Wohnung in der Stadt. So eine ganze Vergangenheit! Neulich wollte ich mich einmal putzen. Ich ließ ein Paar Paquete öffnen. Ich mußte lachen über den zerknitterten Staat von ehemals! Und wie mir die Kleider sitzen! Nein, Ehre hätten Sie mit mir nicht vor der Welt eingelegt! Da ist Agathe ein anderer Schmuck Ihrer Familie. Ich soll recht glänzend an meinem Hochzeitstage erscheinen. Der Oheim will das. Er ist feierlich in Allem, und hält viel darauf. Nun sehen Sie, ich bin eine gute Wirthin, ich meinte, unter meinen ehemaligen Hoftoiletten, da würde sich wohl genug finden, um auf der Burg die nöthige Figur zu machen. Ich bin aber sehr unglücklich im Suchen, und dann wie Alle, wenn sie nur etwas haben wollen, so treffen sie immer das Unrechte, mir ging es eben so. Ich fand in einer der Kisten Georgs abgelegte Kleidchen, sein Taufzeug und meinen Brautkranz Ich habe seitdem[279] nicht weiter gesucht! Ich denke, kommt Zeit, kommt Rath. Wir haben auch Zeit, Tantchen! Die Erwartung mag leicht das Beste vom Leben sein. Wir nehmen es so. – Ueberdem wissen Sie ja, ich lasse gern Andere für mich sorgen! Ruhe und Bequemlichkeit gehen mir über Alles.

Ich wurde hier unterbrochen. Ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich noch sagen wollte. Nehmen Sie es für gesagt, beste Tante! und denken Sie, es könne nichts anders gewesen sein, als die erneuerte Versicherung meiner dankbaren Liebe.

Hugo an Heinrich [2]
Hugo an Heinrich

Was das noch werden soll! Wie das enden wird! Ich nehme mich zusammen, ich denke nur, was ich denken will, ich arbeite angestrengt. Eine Menge arithmetischer Aufgaben liegen um mich her. Ich biete Scharfsinn und Combinationsvermögen auf, mich von jedem fremden Gegenstande abzuziehen. Aber wenn mir endlich Nachts die Augen über der Arbeit zufallen, wenn ich träume – Heinrich, ein Traum kann unser Herr werden – schämst Du Dich nicht, von der Kraft des Menschen [280] zu sprechen? Immer sitzt sie da,da auf demselben Fleck unter ihren Thieren. Sie giebt ihnen das Futter mit der kleinen, weißen Hand, die gelbe Hirschkuh legt das Köpfchen an ihre Kniee. Die Fremde meine ich. O, denke nicht, ich fasele von dummem Spuk, das abgedroschene Geschwätz aller modernen Tages- und Monatsblätter. Nein, von ihr, von der Fremden rede ich. Was übt dies Wesen für eine unbegreifliche Gewalt über mich aus! Siehst Du, dies ist viel tiefsinniger, viel grauenhafter, viel verzweigter in der geheimnißvollen Verwandtschaft der Seelen, als solch phantasmagorisches Gespenst;unbewußt verwandt mit dem melancholisch wimmernden, ruhelos umherstreifenden Weibe! Denke es Dir, Heinrich! was zieht sie mir nach? was brachte sie auf die Stelle? was wollte sie da unter den Thieren? Ist der Zug dahin Instinkt? und können so willenlos zwei Menschen zu einander gezogen werden?

Gab es je ein Räthsel, meiner Entzifferung werth, so ist es dies! Aber ich gestehe Dir auch, vor dem ich schüchtern zurücktrete.

Und doch läßt es mich nicht!

Wirst Du es glauben, daß ich mich nur mit Mühe zurückhalte, ihr nicht zu folgen? Folgen, [281] dazu gehört, daß ich wüßte, wo sie geblieben ist. Ja, wer das wüßte! Verschwunden, sage ich Dir. Spurlos! und gerade an dem Morgen! Gieb mir zu, es könnte einem Ruhigern etwas in den Kopf setzen.

Ich bin ein Paar Tage recht krank gewesen. Seitdem ist, wie durch ein stillschweigendes Uebereinkommen, noch nicht wieder die Rede von der Anberaumung meines Hochzeitstages gewesen. Elise – sage mir, Heinrich, hat sie aufgehört, mich zu verstehen? oder will sie es nicht? Leicht, heiter, unbesonnen wie ehemals, schweift sie durch alle Regionen der guten Laune umher, neckt, reizt mich, bis ein Wort, eines von den unwillkührlichen, die zuweilen aus uns herausschreien, plötzlich an die bunten Flügel ihres Leichtsinns streichen, und diese, wie verbrannt, sinken. Sie wird dann stumm, wir sitzen ängstlich bei einander, bis ich gehe. Komme ich andern Tags wieder, so scheint das nicht gewesen. Es fängt wie gestern an, und endet so.

Freiheit Freiheit! – Ich muß es bewundern, wie dem Menschen der Begriff kam, da er zum Sclaven einmal bestimmt ist. Sieh' Dir doch nur seinen innern und äußern Zustand an, und dann prahle mit hohen Vorrechten, die nicht Leben, nicht [282] Bestimmung bestätigen. Es ist wenig damit gethan, daß man sagt, man lasse jedem seine Weise. Was kommt dabei heraus? einmal, und gerade, wenn Dir am meisten daran liegt, unberührt zu bleiben, reiben sich die Freiheitsansprüche gewaltig an einander. Richtungen stoßen gegen Richtungen, der Krieg ist da, und conventionelle Aussprüche machen den Frieden. Du knirscht mit den Zähnen, und bist nichts als Dein eigner Narr.

Wieder auf arithmetische Aufgaben zu kommen; meinst Du, es sei der Mühe werth, den Verstand daran zu schärfen? wirst Du jemals den Menschen in Dir berechnen lernen? Und kannst Du das nicht, was willst Du mit dem Plunder von Wissenschaft?

In diesem Augenblick berechne ich, wann Walter wiederkommen wird. Ich habe ihn ausgeschickt, der Kerl ist pfiffig, er wird es ermitteln, wo sie hinging!

Sie! sie! Lache nicht, Heinrich! Ich kann keine Ruhe finden, so lange ich nicht weiß, was dieses Wesen an mir hat.

Warum ich nicht selbst? Ihr nach? Fragst Du! Ja, wenn es erst dahin mit mir ist – dann!

Sonderbar! Der Oheim läßt sich auf seine feierliche Manier in diesem Augenblick bei mir [283] ansagen. Er muß etwas wollen, und seinen Sinn gerade auf diese Stunde gestellt haben. Ich bin doch neugierig!

Heinrich, der Onkel hat sich verrechnet. Von der Seite faßt er mich nicht. Ich habe hier keine Zugänge.

Das Opfer eines Lebens um einer Chimäre willen! Mich läßt das kalt, weil ich den ganzen Gedanken nicht begreife.

Uebrigens sagt er mir nichts Neues. Ich bin nur neugierig, weshalb er mir es sagt. Unnütze Mühe! Ich werde ja frühe genug thun, was sie wollen.

Nun, er trat ein. Man sah ihm gleich an, daß er nicht ohne Absicht da war. Er fragte nach meinem Befinden. Ich mußte innerlich lachen. Meine Antwort beruhigte ihn vollkommen. Er stand und blätterte in einem Heft Kupferstiche. Ich ging auf und nieder. Leicht mochte ich's ihm nicht machen, darum schwieg ich. Endlich setzte er sich. Ich auch. Es begegnet uns oft, so eine Weile stumm neben einander zu sein, ohne daß uns dabei etwas auffällt. Heute schien es ihm peinlich. Er war in seiner hohen und trockenen Stimmung. »Lieber Hugo!« brach er jetzt das Schweigen, »Du zwingst mich, etwas zu [284] thun, was ich sonst nicht leicht thue, von mir selbst zu sprechen.«

Der Eingang schnitt plötzlich ein. Ich stutzte, und sah verwundert zu ihm hin.

»Schon lange,« fuhr er fort, »gehen wir an einander hin, ohne dasjenige berühren zu wollen, was zwischen uns liegt.«

So weit, dachte ich, holt er aus! Ich seufzte. Er mochte das anders deuten. »Du hast recht,« versicherte er. »Es ist allein meine Schuld. Schiebe das aber auf eine unüberwindliche Blödigkeit, die in meinem Charakter liegt, und die mir es auch jetzt schwer macht, mit Dir über diesen Gegenstand zu sprechen.«

Jetzt hatte er mich ganz. Er rührte mich. Niemals widerstehe ich dem verschämten Bekenntnisse eigener Schwäche! Und hier! das Alter der Jugend gegenüber! Wie gesagt, ich war sein. Er hätte viel mit mir machen können. Aber meine sichtliche Bewegung täuschte ihn über sein Uebergewicht. Er handelte jetzt mit mehr Selbstbewußtsein als Klugheit die alte Geschichte mit meinem Vater ab, er entwickelte Grundsätze, die nicht die meinigen sind, und that sich etwas darauf zu gut, daß er nicht geheirathet hatte. »Wirst Du es mich bereuen lassen,« setzte er dann als Moral[285] von der Fabel hinzu, »daß ich auf ein Glück verzichtete, von dem Du doch auch einmal eine lebhafte Vorstellung zu haben scheinst, das Glück erfüllter Liebe?« Ich lächelte. »Willst Du mich erröthen lassen?« sagte er lebhafter, »eine theure Gefährtin von mir gewiesen, ihr großes Herz zu stetem Entsagen verdammt zu haben, aus Rücksichten, die Niemand anerkannt, aus Vorsorge, die Eigensinn und Wankelmuth zu Schanden machen? Soll die edle Sophie täglich Zeuge von der Nutzlosigkeit einer Entsagung bleiben, die nur zerrissene Verhältnisse zur Folge hatte?«

Ich wollte etwas erwiedern. »Laß mich ausreden,« bat er, im Eifer erglühend, »laß mich ausreden. Als wir beide das Ordenskreuz auf die Brust hefteten, verdammten wir diese zu immerwährendem Verstummen. Wir haben Jahre hindurch geschwiegen, uns gemieden, und nur dem Alter ein Paar Sonnenblicke vor dem Abscheiden gegönnt. Ist es recht, daß Du auf diese kurzen Stunden noch einen Schatten wirfst? Ich habe geduldig gelitten, als auch Du littest. Es war ein schmerzliches, doch vielleicht auch unvermeidliches Geschick. Ich trug es so, und ließ Dich's nicht empfinden. Jetzt aber, ein zweitesmal, jetzt, wo mehr als Glück, mehr als [286] Ehre und gerettetes Bewußtsein auf dem Spiele steht, wo die rechtliche Handlung versöhnen, ihre Unterlassung den Namen beflecken muß, den ich der Nachwelt erhalten, ihn ihr rein überliefern wollte, jetzt, wo es unwiderruflich nothwendig wird, vor den Menschen zu bestehen, oder mit ihnen, mit sich, mit dem Himmel zu zerfallen; jetzt frage ich Dich, zu was bestimmst Du Dich? Es könnte sein,« fuhr er mit erhöhter Stimme, meiner Antwort begegnend, fort, »Du wähltest in Deinem finstern Unmuthe das Letzte, doch laß mich Dich erinnern, daß sich ein gegebenes Wort niemals einseitig löst, daß es sein Recht durch alle Ewigkeiten erheischt, und daß Elise Dir das Deine niemals zurück geben will, darüber ist sie mit sich einig.«

»Darüber ist sie mit sich einig?« erwiederte ich fragend.

»Fest!« entgegnete der Comthur.

Der letzte Hebel warf das ganze Gebäude über den Haufen. Verabredet also, rief eine Stimme in mir. Sie trauen dem Herzen nicht, das sie künstlich einsargen, und mit Gewalt begraben wollen! Was ist aus Elise geworden, wenn sie dazu ihre Hand bietet? Ist es, wie jene denken? – Ungroßmüthige, wie konntest [287] du! – Ich brauchte Zeit, mich zu fassen. Der Comthur betrachtete mich staunend. Ich ließ ihn eine kleine Weile. Dann sagte ich gelassen: »Habe ich doch Elise nicht um die Rückgabe meines Wortes gebeten, wie kommt sie dazu, mir im voraus es zu verweigern?« Er erröthete, ich aber fühlte einen häßlichen Frost durch meine Adern gehen, und setzte deshalb auch kalt hinzu: »das Unwiderrufliche denke ich ja nicht zu widerrufen, weshalb drängt man mich denn? und zu was?«

»Ich könnte eher fragen,« fiel er, sich aus seiner liegenden Stellung mehr als sonst in die Höhe richtend, etwas gebieterisch ein, »warum Du Dich drängen läßt? Worauf wartest Du denn noch? Was soll geschehen, um Deine Verpflichtung unerläßlicher, die Lage der gekränkten Frau noch demüthigender, Dich selbst endlich entschlossener zu machen?«

»Von allen diesen Fragen,« entgegnete ich leise, mit halbem Lächeln, »kann nur die letzte an mich gerichtet sein, und darauf, lieber Onkel! giebt es wohl in mir eine Antwort, doch halte ich sie für Andere nicht verständlich, darum vermag ich sie nicht laut werden zu lassen.«

»Du vermagst oder Du willst vielmehr nicht,« sagte er empfindlich.

[288] »Was hilft das Eine ohne das Andere?« warf ich ihm entgegen.

Er stand auf. »Wir sind uns nur selten,« hob er, gedankenvoll vor sich hinsehend, an, »in unsern Meinungen und Urtheilen begegnet, wir scheinen auch jetzt sehr verschiedener Ansicht zu sein. Verschiedener Ansicht!« wiederholte er, um nicht zu sagen Gefühl. »Denn ich denke nicht, daß Dir das zartere Empfinden der Ehe, in welchem wir nothwendig zusammentreffen müßten, fremd sein könnte, wenn nicht eine andere Art, diese zu betrachten, sich zwischen unsern Gesichtspunkt schöbe.«

»Meine Art,« versicherte ich gelassen, »ist ganz einfach die, mit möglichster Freiheit das zu thun, was geschehen muß. Man ist aber nicht jeden Augenblick frei in sich. Bis der rechte kommt, bitte ich Sie, mich nicht zu verkennen und sich nicht beunruhigen zu wollen.«

»Und Elise?« fragte der Comthur.

»Da wir noch lange einen Weg zu gehen haben,« erwiederte ich bestimmt, »so wird sie wohl nicht verschmähen, ihren Schritt nach dem meinen zu richten, und sich nicht treiben lassen, wenn ich sie bitte, länger, als es die Welt gut heißt, mit mir still zu stehen.«

[289] Der stolze Mann maß mich mit funkelndem Blick. Doch hielt er an sich. Er ging einigemal an mir vorüber, im Zimmer auf und ab, ohne, wie es schien, sogleich ein passendes Wort finden zu können.

»Hugo!« sagte er darauf, sanft die Hand auf meinen Arm legend, »Du bist sonst weder hart noch herrisch, was ist es, daß Dich jetzt dazu macht? Ich überlasse Dir, den Grund davon zu finden. Ich glaube aber, wer im Rechten ist, der braucht sich eben nicht gegen weichere Gefühle zu steifen, noch kalt zu thun, damit man nur nicht an den Sommer denke, und frage, wo denn plötzlich das frühere Leben hingekommen sei? Geh nur! geh!« setzte er hinzu, »Du bist in der Liebe ein Egoist! und das kann sie am wenigsten vertragen.«

Er verließ das Zimmer. Ich blieb in Gedanken zurück. Ich schrieb darauf Alles das nieder. Er hat un recht, ich versichere Dich. Es klingt wohl, als wäre es was, aber die Menschen verderben es immer, daß sie den Menschen in Worte übersetzen wollen. Es faßt sich das gemischte Leben niemals im Einzelnen heraus; und was die ganze Seele füllt, davon behält der Andere nur ein Stück in der Hand.

[290] Ich kann es einmal nicht ertragen, daß man der Meinung wegen, auch das in Fesseln schlägt, worüber man viel meinen, doch schwerlich mehr wissen kann, als sich jedem Einzelnen auf seine Weise offenbart.

Fragt man, wie Du es immer hören wirst, was denn aus der Welt werden soll, wenn man dieser geheimen Offenbarung vertrauen und fremder Bestimmung kein Recht darüber gönnen wolle? Dann bitte ich, mir zu sagen, ob man wisse, was denn jetzt daraus wird?

Nein, der Onkel hat nicht Recht. Ein Egoist! ein Egoist! Weil ich nicht wie ein Handschuh auf jede Hand passe!

Und was ist er denn? Woran lag ihm zumeist, als er jenes viel berühmte Doppelopfer brachte und bringen ließ. Rettete er nicht auf Unkosten des Mädchens, dem er sich verlobte, was ihm mehr als das Mädchen galt? Neben des Gesetzes Vollziehung den Ruf, für den er ja heute noch allein lebt. Ein Egoist! was das gleich Worte sind! Der Zehnte weiß nicht, was er dabei denkt! – – – –


Walter kommt nicht! Könnte ich nur die fatale Unruhe los werden! Glaubst Du nicht [291] auch, daß der Mensch sehr vom Blute abhängt? Ich spüre eine Beklemmung, ein Pochen in den Pulsen! alle Gegenstände, die ich denke, stehen wie hinter einem dichten Flor. Je schärfer ich den Willen darauf richte, je deutlicher ich sehen möchte, desto dunkler ballen sich Schatten auf Schatten, zuletzt ist es völlig Nacht in mir. Auch sie! Ihr Bild geht in dem dunkeln Gewoge unter. Heute wollte ich mir's zurückrufen, ich hatte eine ordentliche Unruhe darnach. Es plagte mich, daß die Erinnerung nicht weichen, und ich doch die Anschauung nicht festhalten konnte. Ich strebte, mir das Mondlicht, den Glanz, den es verbreitet, die Bäume, die bekannte Stelle, das sonderbare, kranke Wesen, jedes einzeln recht vorzustellen. Umsonst! Immer das Hin- und Herbewegen vorüberfliegender Dunstberge. Es ist das Blut! weiter nichts!

Ich sei abergläubisch, beschuldigtest Du mich einmal. Denkst Du, ich fürchte, die Erscheinung neulich Nachts bedeute mir etwas? Ich sage Dir ja, ich erkannte die Fremde wieder. Was liegt da weiter für eine Bedeutung verborgen. Es ist mir bloß darum, zu wissen, wer sie ist?

Es wird wohl das Gescheuteste sein, daß [292] ich Walter aufsuche. So hetzt Einer den Andern. Alle suchen! Was werden wir finden?

Der Comthur an Sophie

Ich war bei Ihnen, Liebe! Sie sind in der Messe, sagte man mir. Ich wollte Ihnen sagen, was ich mich nun genöthigt sehe, Ihnen zu schreiben. Es ist mir leid. Sie hätten mich wohl beruhigt, und wären sich selbst dadurch klarer geworden, statt daß ich Ihnen nun alles Unangenehme so über den Hals schicken und es dem Himmel überlassen muß, wie Sie damit fertig werden.

Sie brauchen in Ihren Muthmaßungen nicht weit zu gehen, um sogleich auf Hugo zu stoßen. Ich weiß wohl, daß Sie längst seinetwegen Besorgnisse hegten, ohne diese eingestehen zu wollen. Es konnte Ihnen, so wenig wie Elisen, die Spannung seines verstörten, unstäten Wesens entgehen. Er selbst glaubt sich krank. Der Arzt fand sein Blut aufgeregt, doch sonst keine Spur gestörter Gesundheit. Sein Kammerdiener Birkner sagte uns darauf, sein Herr bringe alle Nächte außer dem Bette, beim Schreibtisch, zu; soviel [293] er bemerkt, bleibe er indeß müßig vor demselben sitzen, halte die Feder in der Hand, sehe angestrengt bald auf dieses, bald auf jenes beschriebene Blatt, scheine aber nichts zu lesen. Wenn ihm endlich die Augen zufielen, dann fahre er in die Höhe, stürze aus Fenster, oder laufe auch hinunter in den Garten, von wo er häufig erst beim Anbruch des Tages mit allen Zeichen innerer Erschütterung zurückkomme.

Dies nun, und Mehreres, was ich sonst noch im Hause erfuhr, bewies mir, daß etwas Fremdes, nicht in sein früheres Geschick Verflochtenes, ihn in unnatürliche Kämpfe verstrickt halte. Ich wollte dem auf die Spur kommen, deshalb ging ich zu ihm auf's Zimmer. Er mochte eine Ahndung meiner Absicht haben. Verschlossen, und mit einer Eisrinde überzogen, trat er mir entgegen. Wir hatten eine seltsame Unterredung, während welcher er in dem Maße zurückgezogener ward, als ich mich in meinem Eifer fortgerissen fühlte. So sagte ich zu viel und er zu wenig, was mich verdroß, weil ich ihn eigentlich stacheln und zu Eröffnungen zwingen wollte. Ich wäre zu weit gegangen, hätte ich mich nicht gefaßt, hätte ich nicht dem Verlaufe nachgedacht. Da konnte es denn nicht fehlen, daß mir Eins und das Andere in Hugo's [294] Worten besonders auffiel, und ich eine fremde Härte, eine Sprödigkeit darin wahrnahm, die mich auf gänzliches Verlieren an einen neuen, ihn durchaus beherrschenden Gegenstand seines Herzens, oder seiner Phantasie schließen ließ.

Ich erschrack, und warf ihm noch eine ernste Warnung ins Gewissen, ehe ich ging. Er that nichts, mich eines Bessern zu überzeugen. So stolz stand er mir niemals gegenüber. Ich war sehr geneigt, dies hochfahrende Benehmen auf Rechnung eines beunruhigten Gewissens zu schieben, und ward hierin bestärkt, als ich erfuhr, Hugo habe den schlauen Walter in geheimen Aufträgen versandt. Nehmen Sie hierzu, das Umherschweifen bei Nacht, rechnen Sie den plötzlichen Aufschub seiner Heirath, mit vielen andern Nebenumständen zusammen, und sagen Sie selbst, ob der Verdacht, daß eine neue Liebe, eine heimliche Verbindung ihn von Elisen abziehe, wie diese ihn früher von Emma abzog, etwas Undenkbares sei?

Aber wo den Gegenstand dieser finstern, unseligen Leidenschaft suchen? Ich verlor mich in Muthmaßungen.

Jetzt, Sophie! ist der Graf seit zwei Tagen fort, mit Post abgereist, ohne vorhergegangene [295] Anstalten, ohne hinterlassene Befehle, ohne irgend eine Maßregel, die auf besonnenen Entschluß deutet, und – kaum getraue ich mir's zu denken, geschweige denn auszusprechen. Doch auffallend muß es sein, daß auch die Fremde in unserer Nachbarschaft mit einemmale verschwunden ist. Ich wage keine bestimmte Beziehung hier festzustellen, allein – wenn es wäre, wenn Alles verabredet, wenn die Intrigue vollkommen zu machen, der Schein der Gemüthskrankheit eine Komödie wäre? – Liebe! ich überlasse Ihrem Scharfsinn das Uebrige.

Was meinen Sie aber, daß wir Elisen sagen? Ich wollte das an diesem Morgen mit Ihnen verabreden. Es war zu einer Stunde, in der ich Sie allein zu finden hoffen durfte, da unsere Freundin lange schläft, oder doch wenigstens das Bett erst spät verläßt. Es muß ihr auffallen, nichts von Hugo zu sehen und zu hören. Was können wir aber gescheuter Weise ersinnen, das ihr genügen würde? Das Herz ist in solchen Fällen klüger als der Kopf, wenn Verstand verstehen heißt. Ich fürchte, die Arme ist nicht lange mehr zu täuschen!

Bestimmen Sie, liebe Sophie! über mich. Ich versichere Sie, wie immer, meines Gehorsams.

[296]
Antwort [10]
Antwort

Sie haben mir die Augen geöffnet! Das war es auch! O wagen Sie es, wagen Sie es dreist, da an eine Beziehung zu glauben, wo sie ein Blinder entdecken würde.

Sie wissen, ich bin von Natur lebhafter, als ich gewöhnlich erscheine. Ich habe es gelernt, diese Lebhaftigkeit in dem Maße zu beherrschen, als ich der Gelassenheit bedurfte. Vielleicht macht mich das Erworbene zuversichtlicher, als ich es zu sein Ursache habe, vielleicht halte ich mich nur für gefaßt und überlegt, weil mich Andere dafür halten. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß daher auch nicht, ob mich Leidenschaft oder klare Einsicht in diesem Augenblicke leitet? Aber das weiß ich, daß ich den Zusammenhang des unerhörtesten Betrugs ganz deutlich, ganz in seinen Einzelnheiten bedingt, schreiend wahr zu erkennen glaube, und es kaum begreife, wie erst jetzt die Bedeutung unzählig auffallender Umstände mir entging.

Ich erinnere Sie hier nur an das Eintreffen der Unbekannten in dieser Gegend, gerade, nachdem Hugo von einer mehrtägigen Abwesenheit zurückkehrte, von welcher Niemand den Zweck, noch die Veranlassung kannte. Dann, das stete, [297] unerwartete Zusammen treffen jener mit dem Grafen, in Augenblicken, wo sie ihn mit Elisen beschäftigt wußte. Trat sie nicht den Abend an den Wagen der Ohnmächtigen, als diese in das Amthaus getragen ward? Sah man sie nicht in jener Nacht vor dem Fenster der Kranken umherschleichen und erlauschen, was im Zimmer vorging, während Rührung und überraschtes Mitgefühl Ihrem Neffen das neue, unbesonnene Gelübde entrissen? Trafen wir sie nicht Abends bei der Nachhausefahrt von Wehrheim, dicht vor dem Orte im Kahne? Und sah ich nicht, daß Hugo die Unruhe, die mich so unerklärbar befiel, in erhöhetem Maße theilte? Soll ich Ihnen nun noch sagen, daß die räthselhafte Verkappung und das Spukhafte in dem Betragen der Fremden nur dazu diente, Unberufene aus ihrer Nähe zu entfernen, ihr aber die Freiheit verschaffte, Nachts die Gegend zu durchstreifen, den Grafen auf seinen Jagdritten zu treffen, ja sich im Burgbezirk, im Schloßgarten, im Wildzwinger, auf Emma's Bank unter ihren Lieblingen sehen zu lassen!

Ich schaudre, tritt mir Alles in seiner unleugbaren Wirklichkeit vor die Seele. Und nun fort! Und auch er!

Unglückliche Elise! so dreist, so sündhaft wurdest[298] Du betrogen! Ja, was sagen wir ihr aber? was wir fürchten? Ich wage es nicht. Denn hege ich gleich keinen Zweifel über meinen Verdacht, so besitzen wir doch nicht hinreichende Beweise, um auf eine Muthmaßung hin, ein Herz unbarmherzig zu zerreißen.

Wir müssen sie noch hinhalten. Ist es, wie ich mir's vorstelle, so kann es kein Geheimniß bleiben. Wir sind dann vorbereitet, haben uns gesammelt, und können sie besser aufrecht halten, als jetzt, wo mein Blut kocht, und das Gefühl zwischen bitterer Empörung und heißem Schmerze hin- und hergetrieben wird.

Wachsam müssen wir bleiben. Keinen Augenblick darf sie ohne mich sein, denn es theilen auch Andere unsern Argwohn, und mehr als eine Stimme sagt, was wir noch zu denken zögern. Also für jetzt Behutsamkeit und Schweigen, lieber Freund!

Der Comthur an Sophie [1]
Der Comthur an Sophie

Zu rechter Zeit, Liebste! haben Sie es in Zweifel gestellt, ob die angeborne Lebhaftigkeit Sie nicht dennoch öfter übereile, als Sie glauben. [299] Ich meine, wir haben Beide rascher empfunden, als das Rechtegefunden. Muß ich auch Sie, wie mich selbst daran erinnern, daß die Oberhofmeisterin um die Fremde wußte? daß diese mit ihr und dem Kloster in Verbindung steht? daß sie ärztliche Besuche hatte, daß ihr Krankheitszustand folglich anerkannt und mit Sorgfalt beobachtet wurde? Hierin also, ist wenigstens keine List zu vermuthen, und wie diese einzelne Widerlegung alles andere widerlegt, leuchtet Ihnen gewiß so gut ein, wie mir.

Ein Glück daher, daß die Freundschaft zaghaft macht, und Sie weise handeln, weil Sie zärtlich empfinden. Freilich, liebe Freundin! freilich, »Behutsamkeit und Schweigen!« Elise darf nichts von unsern voreiligen Schlüssen ahnden.

Vielleicht hilft uns Hugo bald über alle Zweifel hinaus.

Noch wissen wir nichts von ihm. Auch Walter zeigt sich nicht, und mir liegt dazu ob, keine Unruhe zu verrathen, ich muß über die Schritte meines Neffen vollkommen unterrichtet scheinen. Meine Haltung hält ihn in der Meinung aufrecht. Möchte er bald die peinliche Anstrengung enden!

[300]
Antwort [11]
Antwort

Sie haben recht. Und doch – ich weiß nicht, wie Alles zusammenhängt, aber – er ist der Fremden gefolgt. Sein Sie dessen gewiß. Elise weiß es. Der alte Gartenknecht Carl hat es ihr verrathen. Hugo war bei ihm. Er hatte ihn über jeden kleinen Umstand im Betreff der schleunigen Abreise der Dame befragt. Er soll sehr blaß, sehr matt und angegriffen dabei ausgesehen haben, so, als laste ein schweres Unglück auf ihm. Zweimal, sagte Carl, sei der Graf in einem Wagen bei ihm gewesen. Er durchlief das leere Haus, sah sich wild und unstät darin um, und jagte dann mit einem gemietheten Bauernpferde bis zur nächsten Station, von wo er das Pferd zurückschickte. Der Bote, der es gebracht, erzählte, der gnädige Herr habe sich durch denselben Postillon weiter fahren lassen, der die Spukdame gefahren habe. Dort im Städtchen spreche man wunderliches Zeug darüber. Die alte Marthe, der man längst wieder die Freiheit gab, saß gerade auf einem Steine vor dem Posthause, als der Graf so eilig drängte, fortzukommen. Sie lachte, und schüttelte den Kopf. Nachher hat sie gemeint: sie kenne die Dame wohl, der er nachziehe, sie seien einander auf ihren Nachtwanderungen [301] begegnet, aber sie dürfe sie gegen Niemand nennen, auch wisse sie nicht, ob sie lebendig sei?

Urtheilen Sie, liebster Freund! in welchen Zustand dies wüste Geschwätz, zusammengenommen mit dem, was wirklich ist, die unglückliche Elise versetzt. Einen kurzen Augenblick schien sie mir beherrscht von dem Gewicht ihres Geschicks. Ich fürchtete aufs Neue für ihre Gesundheit. Jetzt drückt sie Zweifel und Sorge hinunter. Sie will nichts fürchten oder doch nicht das Ansehen davon haben. Mir dünkt das so unnatürlich, daß es mich, mehr als laute Verzweiflung, peinigt. Die Sache ist ruchtbar geworden, Curd schreibt in diesem Augenblick an mich. Der Brief hat einen sehr ernsten, gespannten Ton. Ich weiß nicht recht, wie ich ihn verstehen soll? Kommen Sie heute noch zu uns, Sie sollen mir Ihre Meinung darüber sagen.

Ach kommen Sie ja! Wir bedürfen Ihres Beistandes alle Beide.

Agathe an die Gräfin Ulmenstein

Ich bin die glücklichste Person von der Welt, liebste Mama! Denken Sie doch, eben schickt mir [302] Rosalie durch einen Lakaien von Marienthal, wo der Hof jetzt ist, zwei, in aller Eile mit Bleistift geschriebene Zeilen, in denen sie mir sagt: der Fürst habe ihr bei der Tafel aufgetragen, mich zu avertiren, daß die Cabinets-Ordre so eben ausgefertigt sei, durch welche Curd vom Militär ins Civil versetzt, und als Jägermeister mit angemessener Gehaltserhöhung angestellt sei. Ich dachte, ich solle närrisch vor Freude werden. Gesprungen, gejauchzt habe ich! Stellen Sie sich doch nur die enorme Auszeichnung vor! Das wird wieder lange Gesichter anderwärts geben! Schade nur, daß Curd gerade auf den Einfall kam, einen Abstecher zu seiner Mutter zu machen, und nun nicht hier ist, dem Fürsten seine Danksagung zu Füßen zu legen. Er setzt mich dadurch in ganz ungeheure Verlegenheit. Was soll ich nun Rosalie antworten, da sie mir doch auf höchsten Befehl die erwiesene Gnade mitgetheilt, und ich folglich gegen sie nicht erwähnen darf, daß Curd ohne Urlaub verreiste? Noch ein großes Glück, daß ich wenigstens den Vorschlag, Curd zu begleiten, ablehnte. Im Vertrauen, die brave Landdame soll unglaublich langweilig, und Ort und Haus sehr einfach sein, deshalb wollte ich meine Visite lieber zur gelegenern Zeit verschieben, wenn man [303] einmal eine Parthie mit recht vielen lustigen, jungen Leuten aufs Land machen, und sich um jeden Preis amusiren möchte. Diese kluge Ueberlegung bringt mir den Vortheil, die Nachricht weit früher erfahren zu haben, um Ihnen, beste Mama! die Stafette, da es noch Zeit ist, Ihren Rath zu benutzen, nach Ulmenstein schicken zu können. Sagen Sie mir nun, bitte, recht genau, wie ich nach Marienthal schreiben soll? Machen Sie mir lieber den Brief. Der Fürst verlangt sicher, ihn zu sehen. Er interessirt sich sehr für mich, und ich hätte den Tod davon, wenn ich irgend einen Fehler machte, und er bemerkte es.

Ich küsse Ihnen die Hand schon im Voraus, beste Mama! Ihre glückliche

Agathe.

Antwort [12]
Antwort

Ich erwartete die endliche Erfüllung meiner wiederholten Bitten seit mehreren Tagen, mein Kind! Es ist mir sehr lieb, daß man nicht länger damit säumte. Ich lief Gefahr, compromittirt zu werden. Curd hatte viele Mitbewerber. Es brauchte aller meiner Tenacität, um mich nicht irre machen [304] zu lassen. Ich bin nicht müde geworden, immer dasselbe zu wiederholen, und habe Andere so müde gemacht, daß sie aus Verdruß Ja sagten. So ist Dein Mann Jägermeister geworden, mein Herzchen! Aber das muß ich Dir gestehen, eine deplacirtere Aufwallung von kindlicher Zärtlichkeit habe ich auch in meinem Leben nicht gesehen, als die, in einem moment de crise eine Wallfahrt zu dem älterlichen Heerde zu machen. Der gute Curd wußte ja ganz genau, wovon es sich handelte, und daß die Entscheidung vor der Thür war. Was fiel ihm denn ein? Es embarassirt mich wirklich erstaunt, daß er abwesend ist.

Dummes Ding! Schreiben darfst Du gar nicht. Das wäre sehr ungeschickt. Setze Dich nur gleich in den Wagen und fahre hinaus nach Marienthal, schütze eine Krankheit Deines Mannes vor, und bitte um die Erlaubniß, statt seiner, Deinen Dank an den Tag legen zu dürfen.

Du hast sehr recht, ohne mich, würdet Ihr Euch nie zu helfen wissen. Guten Abend, liebe Agathe! Sei ja vorsichtig in Deiner Freude. Die Zunge geht so oft mit Dir durch, und nichts ist nöthiger, als diese zu rechter Zeit zügeln zu können.

Wann kommt denn Curd zurück?

[305] Weißt Du? Leontin war diesen Morgen bei mir. Er hat mir recht sehr gefallen. Er sieht unglaublich interessant aus. Er hatte immer eine charmante Phisiognomie, aber seitdem ihm die Liebe, ce regard voilé gab, finde ich ihn unwiderstehlich.

Lebe wohl, mein Kind! Ich denke immer noch, er und Rosalie werden frühe oder spät ein Paar. Es giebt gewisse Leute mit einem Bischen Verstand, und erstaunt viel Courage! Ich weiß nicht, ob Du die Leute kennst, und erfahren hast, daß sie nur eine Sache zu denken brauchen, um sie auszuführen. Adieu, kleine Katze!

Die Tante an Elise [1]
Die Tante an Elise

Es geht etwas vor, liebe Seele! Ich weiß nicht was? auch nicht wo? Aber es wird so unruhig um mich; und wenn ich erst die Leute viel hin und herreisen sehe, und sie nirgend bleiben, nirgend ausruhen können, dann habe ich schon genug.

Ich bin von Natur ängstlich, das ist wahr, sehr ängstlich, ich kann mich deshalb auch wohl irren, und darum will ich nicht mit Bestimmtheit sagen, was ich fürchte. Doch fürchte ich, daß es auch Dich mit betrifft.

[306] Sieh' mal, den Curd kennst Du. Er ist wild und störrisch. Wenn auch die feine Welt ihn erst glatt geschliffen und ihm dann ein modisches Wesen angewöhnt hat, so steckt doch der alte Kern in der neuen Schale, und der Kern ist fest, ja herbe, aber wenn man auf die rechte Stelle kommt, da wird er süß, ich versichere Dich, recht lieblich. Das ist unsers Landes Art so. Der Vater war auch von dem Schlage, und viele aus der Familie. Nun siehst Du, um wieder auf meine Muthmaßungen zu kommen. Ich weiß, daß Curd nicht vergessen kann, nicht im Guten, nicht im Schlimmen. Vor ein Paar Tagen kommt er hier her. Mein Gott! wie finster sah er aus! Die Falte zwischen der Stirn ward schwarz, wenn er in Gedanken vor sich hin sah. Ich kenne das an allen Männern seines Stammes, so wie sie über irgend ein Vorhaben brüten.

»Curd!« warnte ich ihn. Er wußte gleich, was ich sagen wollte. »Sein Sie unbesorgt, liebe Mutter!« lächelte er. Ich war aber nicht ohne Sorge, konnte es auch nicht sein, ob er sich gleich zusammen nahm, und that, als sei er Geschäfte halber hierher gekommen, die die Wirthschaft angingen. Das Ding sah aber anders aus. Der Gerichtshalter mußte noch spät des andern Abends [307] kommen, nachdem mein Sohn den ganzen Tag in seinem Zimmer geschrieben hatte.

Er machte sein Testament. Ich merkte es recht gut, und wußte auch weshalb? Ich ließ aber alles gehen, wie es wollte. Ich mochte mich in nichts mischen. Den folgenden Morgen war er weggefahren, ehe ich erwachte. Zu seinem gewesenen Vormunde, dem alten Deichhauptmann, ließ er mir sagen. Der Förster und der junge Amtsschreiber waren mit ihm in den Wagen gestiegen.

Es konnte ja sein, daß er zum Deichhauptmann fuhr. Ich hätte auch nicht daran gezweifelt, wäre so mancherlei nicht vorhergegangen. Nun stutzte ich doch, und schwankte in mir.

Die ersten vier und zwanzig Stunden, die brachte ich leidlich genug hin. Als aber der zweite Abend kam, es acht, neun, zehn Uhr schlug, und die Leute nach unserer stillen Weise im Hause schlafen gingen, wußte ich vor Angst meines Bleibens nicht. Ans Bett konnte ich nicht denken. Ich ging aus einer Stube in die andere. Es war kühles Wetter. Ich saß endlich in meinem kleinen Eckkämmerchen vor dem Kamin, der treue Waldmann neben mir auf dem Stuhl und die alte, knurrende Mise auf meinem Schooß. Katzen und [308] Hunde, dachte ich bei mir, lernen sich vertragen, und wärmen sich an einem Feuer, und das Herz muß mir wegen zwei vernünftigen Menschen zum Zerspringen schlagen.

Du weißt wohl, wenn Einem so recht angst und wehe in der Seele ist, dann hört man in allen Ecken etwas gehen und sprechen. Mir kam es so vor, als wäre der ganze Hof voll Leute. Ich lief wohl zehnmal ans Fenster. Es rührte und regte sich nichts draußen.

Wieder nicht! seufzte ich. Denn heute hatte ich meinen Sohn bestimmt zurück erwartet.

Ich wurde nun auch müde. Nun so will ich nur immer auch schlafen gehen, nahm ich mir vor. Die silberne Wachsstockscheere hielt ich schon in der Hand, da winselte Waldmann, wie er wohl Nachts zu thun pflegt, ehe er bellt. Mir ward mit einemmale wieder bange. Ich setzte den Wachsstock auf den Tisch, ohne ihn anzustecken. Vor dem Hause regte sich etwas. Waldmann sprang jetzt vom Stuhl und schnupperte umher. Ich rief ihm zu, da schlug er laut und heulend an. Es fuhr mir durch alle Glieder. Im Hof sprachen Mehrere leise. »Es ist ja noch Licht drinnen,« hörte ich Curd ganz deutlich sagen. Gottlob! da ist er! rief ich, und im selben Augenblick kratzte der ungeduldige [309] Hund auch, wie außer sich, an die Thür, und kam dann zu mir gelaufen, blaffte und sprang wieder zurück; kurz, zeigte, daß er den Herrn wittre.

Mein Sohn öffnete während dem die Thür, Er kam mir so todtenblaß vor, daß ich ihn nicht gleich erkannte. »Liebe Mutter,« sagte er, und sah aus, als wenn er spaßhaft sein wollte, aber seine Stimme war heiser und zitterte auch. »Liebe Mutter, ich habe mich ganz verrechnet! Ich dachte nicht daran, daß hier die Leute wieder aufstehen, wenn unsereins in der Stadt zu Bette geht. In meiner neuen Wirthschaft bin ich's so gewohnt, und da Sie sich wohl vorstellen können, daß ein junger Ehemann immer mit seinen Gedanken da ist, wo er sein möchte, so werden Sie's schon verzeihen müssen, daß ich mir einbildete, zu Hause anzukommen, indeß ich nun hier doch erst ausschlafen muß.«

»Hm!« entgegnete ich, und that, als wenn ich ihm glaubte; aber ich konnte es doch nicht lassen, ihm fest ins Auge zu sehen. Er wurde roth! »Komm nur, komm!« fuhr ich fort, »Du wirst doch noch zu Nacht essen wollen, es ist ja erst halb Eins, das ist die rechte Stunde für Euch Weltkinder?«

[310] »Bewahre der Himmel!« rief er so recht widerwillig. »Ich wäre nicht im Stande, einen Bissen hinunter zu bringen.«

Mich überlief es ganz eisig. Mein Gott! woher kommt ihm denn der Ekel vor Speise und Trank? dachte ich im Stillen. Ihm fehlte, soviel ich sah, körperlich nichts. Was widerstand ihm denn so bei dem Anerbieten?

Ich hatte oft gehört, daß, wenn ein Mensch von der Hand eines Andern gefallen wäre, dieser nach der unglücklichen That lange nichts genießen könne, was ihn an Fleisch und Blut erinnere.

Das fiel mir jetzt wie Blei auf die Brust. Ich blieb in meinem Stuhle sitzen. Ich konnte die Füße nicht heben. Ich zitterte an allen Gliedern.

Mein Sohn merkte nicht sehr darauf. Er war ganz verstört. Nach einer Weile sagte er dann aber doch: »Sie sehen recht angegriffen aus, liebe Mutter! Gehen Sie doch ja noch ein Paar Stunden schlafen. Ich will mich auch niederlegen.« »Wenn Du nur wirst schlafen können!« entgegnete ich, und sah ihn scharf an. Er küßte mir die Hand. »Ich denke doch,« meinte er. Er war schon an der Thür, als er noch einmal umkehrte, und, mit den Fingern leicht gegen die Stirn fahrend, als strafe er sich wegen einer [311] Vergessenheit, ausrief: »Habe ich doch gar nicht daran gedacht, Sie um ein Nachtlager für meinen Reisegefährten zu bitten, der so todtmüde, wie er von der heutigen Jagd zurück kommt, nicht daran denken konnte, sich Ihnen vorzustellen. Darf ich?« fuhr er fort, die Thür in der Hand, rasch und ohne mir Zeit zu lassen, nach Namen und Stand zu fragen, »darf ich draußen das Nöthige besorgen?« Und fort war er.

Ein Verwundeter, sagte ich leise zu mir. Deshalb kamen sie in Nacht und Dunkelheit, deshalb mußte der Wagen im Dorfe halten. Gewiß wurde der arme Mensch ganz still ins Haus und hinten nach Curds Zimmer getragen! Nun, der Himmel beschütze ihn! seufzte ich aus aufrichtigem Herzen. Ach Elischen! ich war so froh, daß es nur den Curd nicht getroffen hatte!

Wie aber die Freude darüber sich etwas mäßigte, dachte ich doch auch an die Folgen. Wenn nun der Unglückliche hier stürbe? Mein lieber Gott! das wäre doch auch schrecklich, mußte ich mir gestehen. Und dann, siehst Du Kind, ich hatte nur einen einzigen Menschen in den Gedanken, mit dem mein Sohn Händel gehabt haben konnte. Und wenn der – ich weiß nicht, wie mir's möglich gewesen ist, nicht gleich auf der [312] Stelle im Hause Erkundigungen nach dem Fremden einzuziehen? aber ich glaube, ich war zu schüchtern dazu. Ich fürchtete wohl, die Wahrheit zu erfahren. Und dann wollte ich auch nicht Lärm machen, und die gemeinen Leute früher auf die rechte Spur bringen.

Ich blieb also ganz still in meinem Armstuhle sitzen, gab keine Befehle, und machte keine Anordnungen, sondern überließ es Curd, was er bestellen werde. Du kannst daraus sehen, liebe Elise, in welchem unnatürlichen Zustande ich in dieser Nacht war, so mein ganzes Hauswesen aus der Acht zu lassen, und die Ehre einer guten, sorgsamen Wirthin. Kurz, ich schlich still zu Bette, um nur nichts mehr zu hören und zu erfahren. Kaum liege ich aber ein halbes Stündchen darin, so bläst ein Postillon im Dorfe. Ich richte mich in die Höhe. Es schmettert immer fort, aber kein Wagen folgt. Der Ton kommt näher und näher. Ein Pferd trabt in den Hof. Gott! eine Stafette, schrie ich auf. Sie schicken schon nach Curd. Das Duell ist ruchtbar geworden, er wird festgesetzt werden, man wird ihm ans Leben gehen!

Ich zog mit Gewalt an der Klingel, aber ehe noch Jemand kommen konnte, war ich am [313] Fenster, riß es auf, und rief hinunter in den Hof: »Wer bläst denn da?« »Eine Stafette,« war die Antwort. »Woher?« brachte ich zitternd heraus. Wie ward mir nun, als ich hörte: »Auf Allerhöchsten Befehl aus der Residenz,« das kann ich keinem Menschen sagen. Ich war in einen Stuhl gesunken, als Caspar, der Jäger, mit einem Brief in der Hand, hereintrat.

»Gebe Er her! gebe Er her!« befahl ich ihm. »Um Verzeihung,« sagte er, mir die Addresse hinhaltend. »Das Schreiben ist an Jemand, den ich nicht kenne, und der sich, so viel ich weiß, auch hier nicht aufhält.«

Ich wagte, einen Blick darauf zu werfen. Es war eine kleine, kritzliche Frauenhand, und die Aufschrift ... dem fürstlichen Jägermeister, Herrn Curd von ... Ich athmete auf. »Wecke Er meinen Sohn, Caspar!« sagte ich, »der Brief ist von seiner Frau, ich erkenne es jetzt an dem doppelten Wappen.«

Es war auch so. Mein Sohn erwartete schon früher eine Versetzung aus dem Militair ins Forstdepartement. Der Fall war nun eingetreten. Die Gräfin und ihre Tochter fanden es nöthig, ihn eilig davon zu benachrichtigen; um das schneller zu bewerkstelligen, hatten sie auf den [314] Brief geschrieben: auf Allerhöchsten Befehl. Das klärte sich nun wohl über Erwarten gut auf. Allein das Andere lag mir immer schwer genug auf der Seele. Ich konnte mich deshalb auch nicht über die Vortheile in Curds neuer Lage freuen. Er nahm es nicht viel anders. Seine Miene blieb ernst, sein Wesen zerstreut. Wir redeten wenig darüber. Es schien ihm sogar verdrießlich, daß er seine Abreise so übereilen müsse. Da er nun auch gleich darauf das Anspannen befahl, fragte ich ihn, ob sein Reisegefährte ihn begleiten würde?

»Der, liebe Mutter!« entgegnete Curd, »hat sich eben nur so lange hier aufgehalten, um den Amtmann zu vermögen, daß er ihm rasche Pferde und Wagen gab, und wieder zurückfahren lasse, woher wir kamen. Er war schon fort, als ich von Ihnen in mein Zimmer ging.«

»Also nicht tödtlich verwundet?« seufzte ich. »Vielleicht gar nicht einmal ein Duell?«

»Ein Duell?« fragte mein Sohn, sich schnell nach mir umwendend, »wie kommen Sie darauf?« Ich theilte ihm alle meine Besorgnisse mit. Er hörte mir sehr aufmerksam zu. »Nein!« sagte er, »auf meine Ehre, ich komme von keinem Zweikampf. Darüber können Sie in dieser [315] Angelegenheit überhaupt ganz außer Sorge sein.«

»Gewiß?« fragte ich, denn mir schien, als halte er mit irgend etwas zurück. Sein ganzes Wesen war anders, wie sonst; bestürzt und traurig zugleich hätte ich es nennen mögen.

»Gewiß!« versicherte er, auf eben die verschlossene Weise.

»Nun!« sagte ich, »dann kann mir schon alles Andere recht sein. Allein wissen möchte ich doch, wer der Fremde war, der in meinem Hause Obdach suchte, ohne mir auch nur dem Namen nach bekannt zu sein.«

Curd ward verlegen. Er nahm mich bei der Hand, und suchte mich auf andere Gedanken zu bringen. Da ich aber empfindlich ward, entdeckte er mir, daß es Hugo gewesen sei. Ich ward blaß vor Schrecken, glaube ich, that indeß, als sei es vor Aerger, und äußerte meine Verwunderung, daß der Graf es vermeide, der nächsten Verwandtin seiner Braut bekannt zu werden.

»Ach!« rief Curd ein wenig ärgerlich, »denken Sie doch an dergleichen Rücksichten jetzt nicht, liebe Mutter! Sie können sich wohl vorstellen, daß etwas Außerordentliches vorgefallen sein müsse, was uns Beide in so gutem Vernehmen [316] zusammen hierher führte. Ich habe kein Recht, Ihnen mehr zu sagen. Es ist in keiner Art mein Geheimniß, und nur, um Sie wegen ferneren Besorgnissen, in Betreff meiner und des Grafen, zu beruhigen, entdeckte ich Ihnen, daß dieser hier war, was denn übrigens alle Welt wissen mag.«

Damit, liebes Kind! mußte ich nun zufrieden sein. Curd reiste kurz darauf ab, und mir blieb der Stachel wegen des undurchdringlichen Geheimnisses in der Brust stecken.

Etwas Außerordentliches, sagte er, müsse vorgefallen sein, was sie Beide in gutem Vernehmen zusammen führte. Das könne ich einsehen. Freilich läßt sich das einsehen. Aber was ist dies Außerordentliche? Erst glaubte ich, Du wärest gestorben, Herzenskind! und Curd wolle mir dies nur nicht so plötzlich, ohne alle Vorbereitung sagen. Aber er betheuerte, das sei es nicht. Nun, sei es, was es wolle, etwas Gutes ist es nicht, darnach sah Curd nicht aus.

Es quält mich über alle Beschreibung. Ich will mir den jungen Amtsschreiber kommen lassen. Er soll mir wenigstens erzählen, was er gesehen und gehört hat. Das wird dem doch hoffentlich kein Geheimniß sein.

Begreife es, wer es kann! Du sollst Alles [317] wissen, liebe Elise! vielleicht bringst Du was Zusammenhängendes heraus. Erschrick und ärgere Dich auch nicht, Kind! wenn Du gewisse Dinge liest, die Dir wohl anstößig sein müssen, die aber auch anders sein können, als sie auf den ersten Blick scheinen.

Du kennst den Philipp Arendt von klein auf. Der Hellste ist er eben nicht, und wenn er nicht mit Curd, so zu sagen, auferzogen wäre, so würde er wohl nicht den Posten begleiten, den ihm dieser verschafft hat Dafür kann sich aber auch mein Sohn auf seine Treue und Ergebenheit verlassen, weshalb er ihn denn wahrscheinlich mit sich nahm.

»Diese Fahrt,« sagte Philipp, »ging sechs und dreißig Stunden Tag und Nacht fort. Gleich hier, in unserm Städtchen, ließen wir Pferde und Wagen stehen, nahmen Extrapost, und gönnten uns nicht Schlaf, nicht Mittags noch Abends eine Mahlzeit zu halten. Den zweiten Abend unserer Reise kamen wir an ein Gränzdorf. Das Zoll- und Mauthwesen bringt dem Orte großen Verkehr; auch liegt beständig ein Jägerdetachement hier, um die Pässe und Schleichwege durchs Gebirge abzupatrouilliren. Deshalb ist hier ein stattlicher Gasthof seit vielen Jahren [318] etablirt, vor welchem die Reisenden lieber anhalten und die Gränzwächter ihre Untersuchungen und Abschätzungen in aller Ruhe machen lassen, als vor dem Zollhause, hinter der vorgezogenen Kette, stundenlang unangenehme Dinge zu hören.«

Als Curd seine Kalesche dort stehen ließ, erzählte Philipp weiter, und dem Wirthshause zuging, sah dieser einen schönen, großen Mann in demselben Augenblick langsam auf sie zukommen. Er grüßte, ohne daß mein Sohn, der in Gedanken vor sich niedersah, darauf achtete. Philipp machte es ihm bemerklich. Curd blickte auf. »Ach! da ist er schon,« rief er. Das Blut stieg ihm dabei ins Gesicht und die Augen blitzten. »Höre,« flüsterte er seinem Begleiter zu, indem er die Schritte beeilte, »ich habe mit dem Herrn ein Wort zu sprechen. Du verstehst mich. Ich habe ihn hierher bestellt. Kommt es zu etwas, endet es auf eine oder die andere Art schlimm, so nimm hier meine Brieftasche, und reise so geschwind du kannst zu meiner Mutter zurück, damit kein voreiliges Gerücht sie erschrecke.«

Der gute Junge, Elischen! wie er doch immer zuerst an mich denkt. Mich schauderte bei der Erzählung, und doch mußte ich vor Freuden weinen.

[319] Aber, höre nur weiter! Philipp sah nun, wie Beide in das Haus, die Treppe hinauf und oben in ein Zim mer gingen, das sie hinter sich abschlossen. Der arme Mensch hatte keine Ruhe. Er schlich langsam hinterdrein. In dem Coridor, rechts, waren beide verschwunden. Er ließ die Nummer der Thür nicht aus den Augen. Horchen wollte er nicht, doch ohngefähr beobachten, was drinnen vorging. Er hielt also Wache, und lehnte mit dem Rücken gegen die Wand, so daß er das Schloß der Thür im Auge behielt, während er mehr dem nächstanstoßenden Zimmer zugewendet schien. Erst sprachen die Beiden wenig und ganz leise. Philipp hörte sogar ein Paar Mal lachen, aber es war nur Einer, der lachte. Nach und nach hoben sich denn die Stimmen. Es ging Jemand in gemessenen Schritten quer durch das Zimmer, und zählte dabei laut. Dann ward einen Augenblick alles ganz stille. Nun rief eine Stimme im Nebenzimmer so weich, so zärtlich und so verzweiflungsvoll: »Mein Gott! Mein Gott!« daß Philipp einen Schritt zurücktrat. Doch kaum waren die Worte halb weinend, halb schreiend ausgestoßen, so fiel etwas, als wenn Jemand mit einem Stuhl umschlägt, und eine andere Stimme stieß in fremder Sprache laute [320] und ängstliche Töne aus. Schneller, wie der überraschte Amtsschreiber es fassen konnte, flog die Thür neben ihm auf, der fremde Herr und mein Sohn stürzten heraus, rissen das Nebenzimmer mit Gewalt auf, ob es gleich verschlossen war, und wie ein Blitz auf ein ohnmächtig daliegendes Frauenzimmer zufahrend, das blasser wie der Tod am Boden ausgestreckt lag, sank der Unbekannte mit einem fürchterlichen Schrei zur Erde, und Curd, beide Hände über den Kopf zusammen schlagend, rief ebenfalls ganz außer sich: »Herr Gott! das ist entsetzlich.«

Was weiter vorging, wer das Frauenzimmer war, von dem allen weiß der Amtsschreiber nichts, denn mein Sohn gewann hinreichend Besinnung, um die Thür aufs neue fest von Innen zu verriegeln.

Niemand kam heraus. Ueber zwei Stunden währte das so. Philipp, der nun nichts mehr für seinen Herrn fürchtete, ging ab und zu. Oft war es ihm, als würde drinnen viel geweint. Eine sehr sanfte Stimme sprach ein paarmal lange, doch immer so leise, daß kein Wort zu verstehen war. Den Ton, sagte mir Philipp, würde er in seinem Leben nicht vergessen. Er [321] wäre ihm so ans Herz gegangen, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzten.

Schon ganz tief in der Nacht kam endlich mein Sohn herunter, bestellte, daß Alles zur Abreise fertig sein sollte, ging dann wieder hinauf, kehrte alsdann an des Fremden Arm zurück, bestieg mit diesem die Postchaise; sie fuhren und fuhren bis hierher, ohne daß ihr Reisegefährte ein Wort sprach, außer ein einzigesmal sagte er halblaut: »eine Nonne!« Er schüttelte den Kopf, und sank dann mit geschlossenen Augen ganz zusammen, als wolle er Alles verschlafen.

Nun sage mir um Gottes Willen, Kind! was ist das? Ich kann nicht klug daraus werden, und wenn ich mir den Kopf zerbreche. Hast Du denn eine Ahndung, wer die Person sein kann, aus der sie solch' Geheimniß machen, als gälte es des Reiches Wohlfahrt?

Gieb nur Acht, es wird nichts sein, als ein dummer Roman, der ihnen die Köpfe verrückt. Das ist jetzt Mode. Ich beklage Dich, armes Kind! Du mußt es entgelten. Hättest Du den Curd geheirathet, wie anders stände es mit Dir!

[322]
Hugo an Heinrich [3]
Hugo an Heinrich

Emma lebt! Ich habe sie gesehen, gesprochen! Faßt Du es, Heinrich? Ich nicht! »Mein Gott! mein Gott!« rief sie, mit einem Tone –! Was das für ein Ton war! Engel mögen so flötend klagen über das Elend der Menschen! Elend – ja wohl! Nun bin ich es ganz.

Heinrich! wie sie so am Boden lag, den Schleier weit zurückgeschlagen, das himmlische Gesicht weißer wie Schnee, die Augen geschlossen, der Mund voll Güte und Liebe, schmerzlich zum Weinen verzogen, beide Hände im tiefsten Jammer zusammen geschlagen! –

Sieh weg! Sieh weg! ich bitte Dich. Ich verliere den Verstand, sehe ich sie in Gedanken so vor mir liegen.

Wer spricht mir noch von Liebe? Wer weiß denn, was Lieben ist? Niemand! das sage ich Dir. Auch sie nicht! das ist das Tollste. Auch sie nicht! bei dem ganzen Umfange ihres Opfers, wußte sie nicht, wasLiebe ist.

Wie hätte sie sonst die Lüge zwischen uns geschoben, und Früchte von solcher Saat gehofft?

Nun sind die Teufel alle losgebunden, und [323] ein zerbrochenes Gelübde erzeugt den Wunsch, die andern auch zu brechen.

Frage sie doch, was sie aus mir machen wird? und wie sie die rebellischen Wünsche in der eignen, stürmenden Brust zu bändigen gedenkt? »Zurück! zurück ins Kloster,« klagte sie leise, und weinte dabei.

Entsagen wollte sie! O hätte sie Geduld mit mir gehabt, und nicht größer sein wollen, als die Natur vom Menschen es verlangt.

Siehst Du, Heinrich! ich sagte es Dir schon einmal, die eigentlichen Gespenster, die springen aus dem verhetzten Gehirn der Menschen hervor. Den Wahn gebirt er selbst, wie jeden, um den er leiden muß.

Sie ist sehr unglücklich, das glaube mir! Hier! hier an diesem Herzen hat sie alle ihre Seelenangst bekannt! Hier an diesem Altar konnte sie beichten! So treibt sie noch der alte Götzendienst zur Abgötterei, und sie darf glauben, ihn abgeschworen zu haben?

O hilf mir aus dem Labyrinth heraus, in dem ich auch sie verlieren könnte. Glaubst Du, ich spreche im Fieber? Weißt Du so von gar nichts, daß Du nicht merkest, sie sei die Nonne, die mich seit Monaten, wachend und träumend, [324] begleitet! Die Nonne! Ja wohl! sie ward es, und galt für todt. Wollte dafür gelten, um mich glücklich zu wissen.

Verstehst Du wohl, um mich glücklich zu wissen. Du ewiger Himmel! wie schlecht berechnet sich das Glück, und wie irrt sich der Mensch, wenn er es zu schaffen gedenkt!

Irren und immer irren, das ist das Motto, das am Ein- und Ausgange unserer Lebensbahn steht. Wir kennen nur die verschlungenen Schriftzüge nicht, und machen Jeder ein beliebiges Wort daraus.

Wie sie sich mir bei allem dem immer nahte, wie ich sie zuletzt finden, und den –! Nennst Du es Betrug? Sage die Täuschung, es klingt besser – entdecken mußte?

Ja, mein Freund! das ist es eben. Die Wahrheit ist eine mächtige Gottheit, sie rächt jede Verletzung ihrer Gesetze. Es muß dann alles so kommen, wie es kommen soll! Wie das Haupt der Medusa schreckt sie das Menschenauge!

O! es ist eine weitläuftige Geschichte. Ich erzähle sie Dir einmal. Einmal? es ist gut, seine Vorsätze so ins Ungewisse zu stellen. Wer sagt gut für die Erfüllung?

Wüßte ich nur darüber hinaus, daß sie irre [325] an mir werden, daß sie mich aufgeben konnte! Ist denn die Liebe nicht die Wahrheit, und lehrt sie nicht wahr sein?

Ach! so still wie ein Lamm schlich sie sich abwärts, und wollte verloren heißen, damit ich ihr nur nicht begegne, und ihr Anblick mich nicht störe. Sage, ich bitte Dich, ist das nicht dennoch Liebe? O! hättest Du sie gesehen, das liebe, sanfte, blasse Leidensgesicht, und immer, immer schön wie der Friede.

Ich will Dir etwas sagen – doch Nein! Du verstehst mich nicht. Es versteht Keiner den Andern! Ich werde sie noch um eine Unterredung in ihrem Kloster bitten. Hier, in dem nahegelegenen Waldkloster, wo man sie begraben sagte, da begrub sie sich auch. Da nahm sie den Schleier. Unselige Bethörung! Sie soll mir sagen, was kein Anderer weiß, was sie nur, oder Niemand beantworten kann, warum –! O weg! weg! tolle, rasende Gedanken. Wäre sie auch eitel, und hätte sie sich selbst einen Triumph bereitet? Abscheulich! Die Welt ekelt mich an. Ueberall nur das Echo-Wort –Ich! Ich! und sonst hohler Schall!

Ich komme von ihr! Unaussprechlich! ich sage Dir, Heinrich! unaussprechlich ist der Zauber [326] ihrer sanften Nähe. Wie der Hauch von einem Blumenbeet, im Thau der Abendwolken, so süße Thränen perlten auf den lilienblassen Wangen.

Und doch hat sie sich von mir losgesagt! und doch hat sie das eiserne Gitter zwischen sich und mir aufgezogen! Dahinter steht sie, und unerreichbar! unerreichbar! Was das für ein entsetzliches Wort ist.

Ich fürchte, ich fürchte –! Was denn? Was soll noch kommen? Siehst Du, das ist es! Es ist alles aus!

Die Oberhofmeisterin an den Comthur

Das Geheimniß ist also entdeckt! Es kam, wie ich immer fürchtete. Sie hat sich zuletzt selbst verrathen.Sein Leben durfte nicht auf dem Spiel stehen. Daran scheiterte ihre geträumte Festigkeit. Jetzt ist das ganze Phantom in Nichts aufgelöst, und die nüchterne Wahrheit bringt Alle außer Fassung.

Auch Sie, Ihr Gefühl, sagen Sie mir, empört sich gegen das gewagte Spiel mißverstandener Selbstverleugnung. Sie fragen mich, wie ich jemals darein willigen konnte? Sie tadeln [327] mich, weniger durch das, was Sie laut werden lassen, als durch das, was Sie verschweigen; die Spannung Ihres Briefs verräth, wie sehr Sie sich zu beherrschen streben.

Sein Sie ganz offen. Ich kann es ertragen. Mein guter Comthur! seit ich in die unselige Verbindung zwischen Emma und Ihrem Neffen willigte, handelte es sich nicht mehr um das, was ich zugeben oder hindern wollte; die beiden unglücklich Gepaarten mußten ihr Loos erfüllen.

Sie irren sehr, wenn Sie sich einbilden, ich habe durch Emma's plötzliche Entfernung von der Burg dies Alles verschuldet. Schon lange war Emma mit sich einig, Hugo frei zu geben. Ihr glühendes Herz flammte in lauter feurigen Bildern auf, die von innern Stürmen schnell gejagt, eine Wolkendecke über das wirkliche Leben breiteten. Sich für ihn zu opfern, das war der Stolz ihrer verschmachtenden Seele, das war das Geschäft ihrer kranken Phantasie. Wie wenig kennen Sie den Menschen, wenn Sie wähnen, bis dahin dringe fremder Wille.

Es ist wahr! nachdem, was im Hause des Präsidenten vorging, konnte ich an die Dauer solch schmählich entweihten Ehebundes nicht mehr denken.

[328] Was weiter folgte, darüber fordern Sie wohl von mir keine Rechenschaft. Das Kloster im Schwarzwalde war unsere erste Zuflucht. Einsamkeit und abgezogenes Denken gestalten das Gemüth nach anderer Form. Es scheint uns in diesem Augenblicke alles beschlossen und vollendet, was heute nur ruhen muß, um morgen weiter leben zu können.

Emma ward schnell in ihrer Begeisterung mit dem fertig, was sie allein noch für Hugo thun konnte. Nach kurzer Zeit nahm sie den Schleier, und ließ das Gerücht ihres Todes sie von dem Manne scheiden, dem sie ihr Dasein bei weitem mehr, als den Heiligen des Klosters weihte.

Was ich hierbei litt, doppelt litt, weil ich die Nutzlosigkeit dieses Opfers längst einsah, wie heiß ich das zertrümmerte Geschick, die Selbsttäuschung, die unnatürliche Verirrung der einzigen Tochter beweinte, wie sie mir anfangs in ihrer Umwandlung gestorben schien, und ich schwankte, ob ich sie nicht eben so gern unter der dichten Hülle des Sarges als hinter diesen Mauern wissen möchte? das Alles sagt sich nicht, das faßt mit dem besten Willen Keiner, am wenigsten ein Mann!

[329] Als darauf aber der Wurm in dem Herzen der Unglücklichen stärker nagte, sie, vollends hinwelkend, wahr zu machen drohte, was sie zum Scheine gespielt, da dachte ich darauf, durch Versetzung in eine andere geistliche Gemeine, ein wärmeres Clima, in ganz veränderte Umgebungen, sie mir noch lebend zu erhalten. Durch eine Verwendung meiner Prinzeß, ward Emma Aebtissin in einem florentinischen Kloster. Sie erschrack heftig bei der Nachricht. Ihre Gesundheit schien den Schmerzen der Trennung aus der Heimath nicht gewachsen. Nur einmal noch, auf kurze Zeit, wollte sie in der Nähe ihres alten Wohnsitzes athmen, leben dürfen; sie forderte dies, als das einzige Mittel, den letzten Riß der Vergangenheit zu überwinden. Ihr Arzt rieth selbst dazu. Sie erhielt unbestimmten Urlaub, sie benutzte diesen – und das Aufziehen eines Pistolen-Schlosses reichte hin, die ganze künstliche Leiter unter ihren Füßen wegzuziehen!

Ich bin bei weitem hierüber nicht so erschüttert, wie Sie. Was die Welt denken und urtheilen wird? gilt mir in dieser Hinsicht gleich. Die hat ihr Urtheil längst ausgesprochen. Nun sagt sie es noch einmalanders vielleicht, doch nicht klüger. Emma ist außerhalb ihrem Bereich, ich [330] gehe ihr aus dem Wege, und Hugo – Nun das verlangen Sie nicht, daß mir dessen Geschick, wie dessen Ruf am Herzen liegen solle! Was hofften Sie wohl von einer neuen Verbindung für ihn? Was blendet Sie denn jetzt mit einemmale über den glaubensleeren, unklaren, unsichern Klügler, daß Sie Ihre Thränen in die seinen mischen? –

Meinen Sie, weil ihn das Außerordentliche erschütterte, weil ihn der Anblick der Todtgeglaubten übermannend niederwarf, er sei nun für immer in dem Kern des Daseins gebrochen? Er könne das gespaltene Leben nicht wieder ergänzen? nur in bejammernswerthem Ringen müssen ihm Tage und Jahre hingehen.

Mein Gott, bester Freund! tragen Sie doch Ihre Empfindungen nicht auf einen Menschen über, der keines bleibenden Eindrucks fähig ist.

Wie schnell tauschte er ein Gut für das andere ein, wie noch schneller warf er dieses wieder von sich, und was wäre es denn jetzt mit ihm gewesen, hätte er auch die Vergessene nicht wiedergefunden? Nein, glücklich war der niemals zu machen! denn sehen Sie, mit allen schimmernden Gaben des Scharfsinns, des Witzes, der angenehmen Laune, bei dem milden Ausgleichen fremder Schwäche, der duldsamen Gelassenheit und[331] den Aufwallungen liebender Gefühle, fehlt Ihrem Neffen ein innerer Mittelpunkt. Er ist wie ein schönes, reich ausgestattetes Haus, in dem Sie alles finden, nur keinen Heerd! drum frieren Sie, und hungern und dursten, und werden niemals erquickt, wie viele Vorräthe auch überall befindlich sind. Der Heerd, der ihm im Innern fehlt, den verschmähet er auch im Aeußern.Naschen will er überall, doch gesammelt genießen, das kann er nicht. Fürchten Sie doch ja nicht für sein Herz, nennen Sie auch nicht die bebenden, confus ineinander gewirrten Fäserchen, ein Herz. Auf der Stelle mag es sonderbar bei ihm aussehen!

Vor allem aber schelten Sie Niemand, als ihn selbst, wenn Sie's beklagen müssen, daß von allen Ihren Hoffnungen keine erfüllt ward.

Von der betrogenen Dame seiner Gedanken durfte ich erwarten, daß Sie mit mir nicht reden würden. Für sie weiß ich wahrhaftig nichts Besseres, als daß sie die schwierige Aufgabe übernimmt, dem Irrstern auf seiner regellosen Bahn zu folgen. Trösten Sie sich, lieber Comthur! wie Sie können. Am Ende haben Sie doch die größere Hälfte des Lebens zurückgelegt. Was [332] wollen wir um die letzten Paar Stunden noch so viel Aufhebens machen!

Ich bin im Begriff, zu Emma zu gehen. Die Reise nach Italien wird ihr jetzt wohl selbst nothwendig dünken.

Noch einmal, nehmen Sie es nicht zu schwer. Hugo ist nicht der Mensch darnach, die Seele eines besonnenen Mannes mit Sorgen zu füllen.

Antwort [13]
Antwort

Nein, niemals hätten Sie sich erlauben sollen, über Hugo dies unbillige Urtheil auszusprechen. Sie nicht. Keine Parthei darf die andere richten. Ihr Unglück macht Sie hart. – Tadeln Sie Handlungen, verwerfen Sie die That, wenden Sie sich mit Unwillen von dem ungeliebten Menschen ab, doch zerlegen Sie ihn nicht wie ein Wild, das man kunstgerecht durchschneidet, und sich etwas damit weiß, jeden einzelnen Theil geschickt von dem andern lösen zu können. O, hielten wir im Menschen Gott höher, wir würden begreifen, daß keiner zu berechnen ist.

Die Mischungen, aus denen ein Inneres sich bildet, sind gar zu fein für unser kritisches Auge. [333] Ein zärtliches Empfinden unterscheidet sie wohl, doch hinkt der Verstand dem flüchtigen Hauche vergeblich nach, bettelt er nicht von der Seele die Flügel?

Sie haben Hugo nie geliebt. Wie können Sie glauben, ihn zu verstehen? – Ich war ihm oft sehr bös, und schwerlich giebt es noch zwei Menschen, einander unähnlicher in Grundsatz und Richtung. Doch er ist meines Bruders Sohn, mein Blut, mein nächster, mein einziger Verwandter, ich kann ihn schelten, doch ungerührt dies Auge weinen sehen, in dem sich einst des Vaters ganzes Herz sonnte, es weinen sehen, und kalt bedenken, die Zeit werde es ja auch trocknen, wie schon manches andere getrocknet worden, nein! das kann ich nicht, und schäme mich auch nicht, es zu bekennen; ich mische meine Thränen mit den seinen. Wie wenig dürfen Sie hoffen, mit so feindlicher Gesinnung die arme Emma aufrecht zu erhalten. Waren Sie nicht von jeher die Widersacherin des geliebten Mannes, Sie hätten Ihren übereilten Eifer anders geleitet. Nur zu bereitwillig nahmen Sie den Plan der Flucht aus der Burg auf, und, lassen Sie michs sagen, gern schieden Sie das blühende Kind von der Welt, um es nur von dem Feinde Ihrer Ruhe scheiden [334] zu können. Niemals hätten Sie Emma den Gedanken ans Kloster verziehen, doch lieber begruben Sie sie, als sie in seinen Armen zu wissen. Und noch heute triumphirt Ihr blutendes Herz über die Schmerzen, die Sie so über Hugo verhängten.

Unversöhnliche! Was ist denn zumeist in Ihnen beleidigt, das zärtliche oder das allein herrschende, stolze Mutterherz? Ich verzeihe Ihnen, aber ich beuge mich nicht Ihrem Urtheil.

Sophie an den Comthur [3]
Sophie an den Comthur

Sie erwarten in jedem Augenblick Hugo? schreiben Sie mir! Sie denken, er werde endlich von Wehrheim zu Ihnen herüber kommen, und wollen ihn nicht verfehlen. Sie besuchen uns deshalb heute nicht, und möchten doch wissen, ob Elise ihre feste, klare Stimmung bewahrt? ob sie noch so einverstanden mit ihrem Geschick, es ruhig trägt? ob sie auch nicht körperlich leidet?

Nun, ich kann Ihnen sagen, daß wir bis jetzt nichts für sie zu fürchten haben. Ja, ich finde sie freier, mehr sie selbst, als in der ganzen letzten Zeit. Ich äußerte ihr dies vorlängst beim [335] Frühstück. Sie sann einen Augenblick nach. »Ich glaube, Sie haben recht,« sagte sie darauf. »Wenn der Schlag gefallen ist, so weiß man, ob man lebt, oder man weiß nichts mehr. – Aber die Angst vorher macht uns kindisch, oft verächtlich. Ich fürchte,« setzte sie nach einer langen, stummen Pause hinzu, »Hugo's größte Plage hebt von meiner Krankheit an. Er hat mich so schwach gesehen, und Gott weiß es, diese Schwäche wollte nicht weichen. Ich hatte das Gefühl davon, ich schämte mich vor mir selbst, vor Hugo, aber es blieb vergeblich, ich kann nicht drüber weg. Und es ist doch keine Frage, daß nur in meiner Hand sein Glück lag.«

Ich konnte das nur zur Hälfte zugeben. Ich führte sie auf die Unfähigkeit bei Hugo zurück, sich irgend eines ruhigen Besitzes freuen zu können, auf den raschen Wechsel seiner Stimmung, auf das schnelle Ermatten jedes Gefühls in ihm.

»So ist er nun aber einmal!« unterbrach sie mich. »Ich wußte es. Er war mir über Alles lieb, gerade in seiner Eigenthümlichkeit. Weshalb hörte ich auf, diese zu ehren, da es nichts mehr galt, als äußere Rücksichten geltend zu machen?«

»Wie,« fragte ich unangenehm überrascht, »Sie bereuen den ganz natürlichen Wunsch, auf [336] die einfachste Weise von der Welt einer ungehörigen Verbindung, sittliche Gültigkeit und göttliche Weihe geben zu dürfen?«

»Ja,« erwiederte sie, »das bereue ich.«

Mir stieg das Blut ins Gesicht.

»Mißverstehen Sie mich nicht,« fuhr sie schnell fort. »Das bereue ich, überhaupt an die Dauer dieser Verbindung gedacht zu haben, seit ich sie zerriß, indem ich ihr Dasein aussprach. Hugo's tiefste Seele war in dem Augenblick verletzt, unheilbar verletzt! und die wunde Stelle blutete, so oft er mich wieder sah. Ich war ihm eine Andere geworden, die Welt, die Zeit, die Liebe, von der er nichts, als den Vorwurf empfand, sie so platt in die breite Gewohnheit des Lebens hineingeworfen zu sehen.«

»Sie raisonniren über Hugo,« lächelte ich. »Sie sind kälter, und begreifen jetzt, was Ihnen früher die Leidenschaft verbarg.«

»Leidenschaft!« seufzte sie gedankenvoll. »Ich möchte sie niemals gekannt haben. Es ist ein taumelnder, unbewußter Rausch, in dem man weder sich, noch den Gegenstand des heißen Wahnsinns besitzt. Doch das Feuer muß auch erst ungleich flackern und flammen, ehe die stille Gluth sich bildet.«

[337] Wir waren während dem im Garten auf- und abgegangen, dann hatten wir unter den Kastanien gesessen und uns später im Gespräch nach dem Rasenplatz gewendet, um den unser Spatziergang führte. Die Sonne schien hell. Elise sah hinauf zu ihr. »Das ist auch Gluth!« sagte sie. »Ewige. Sie dringt bis in den Kern der Dinge. Meinen Sie, die Hitze thäte es allein? Das Licht! das Licht!« wiederholte sie mehreremale. »Wir vergessen immer das Beste bei Allem, auch bei der Liebe.«

Mit großer Lebhaftigkeit faßte hier die bewegte Frau meine Hand. »Glauben Sie mir,« sagte sie, »es ist ein falscher Schluß, wenn man die Gewalt eines Gefühls von dessen enger Zusammenziehung herleitet. Das Leben macht nicht eng. Je weiter der Umfang, je kräftiger das Wesen. Die Liebe, die ihren Gegenstand denken kann, ist göttlicher Art, sie erleuchtet, was sie berührt.«

Ich empfand wohl, sie vertheidigte sich gegen den Vorwurf des Kälterwerdens. Ich ließ das auf sich beruhen. Mich freute es, sie so aufgerichtet, so ganz die Alte zu sehen. Ihr Auge hatte einen besondern Glanz, es verweilte mit stillem Blick auf der entfalteten, blühenden Natur. [338] Sie wissen, wie sie Blumen liebt. Die Rosen sind jetzt in ihrer vollen Pracht. Unser Stiftsgarten hat deren viel und von seltener Schönheit. Elise brach einen vollen Strauß davon. »Diese Jahreszeit,« lächelte sie anmuthig, wie im Wetteifer mit den Blumen, »diese Jahreszeit erinnert mich immer zumeist an das entflohene Glück. Sehen Sie, Sophie! so streut der Himmel seinen farbigen Putz auf unsere Gräber!«

Ich sah gerührt in ihr weiches, liebes Gesicht. »Wissen Sie noch,« fuhr sie fort, »wie es auch überall so schimmerte und duftete, als ich mit der seligen Amtmannsfrau zu der Tannenhäuserin ging, Sie uns nicht begleiten wollten und Er – das erstemal! Ich sehe ihn noch zwischen den Büschen stehen, auf seine Flinte gelehnt, halb lächelnd, halb ernsthaft, und in sich gekehrt. Damals! Mein Gott! wie hell, wie leicht war das Leben!«

»O bitte,« rief sie rasch zu mir gewendet, »haben Sie noch meine Briefe von damals?«

Ich bejahte es. »Sophie,« sagte sie mit ihrer flehenden Stimme, »geben Sie mir nur auf eine Stunde diese Briefe.«

Ich zögerte. »Was ist Ihnen dabei bedenklich?« fragte sie. »Halten Sie die Wehmuth, [339] die uns der Frühling giebt, für so störend? Gute Sophie! schelten Sie mir die Wehmuth nicht!« – Lieber Freund! sie sagte das so sonderbar, so bedeutungsvoll. Ich ging, und brachte ihr die Briefe.

Sie setzte sich damit unter die Bäume an den Tisch, vor welchem wir gefrühstückt hatten. Ich mußte ihr eine Schaale mit Wasser schicken, in welche sie die vielen gepflückten Rosen stellte. War es das dunkle Kastanienlaub, was sie so blaß machte? oder das frische Roth der Blumen? genug, sie fiel mir in ihrem weißen Morgenanzuge, zwischen dichten Laubschatten hineingedrückt, außerordentlich auf. Ich wandte mich mehrmals nach ihr um, als ich ins Haus zurückging. Doch sie sah mich nicht. Sie war in die Briefe vertieft. Einmal, da sie unter dem Lesen in Gedanken eine der vor ihr stehenden Rosen zerpflückte, und die Blüthen auf das Papier fielen, kamen mir ihre eigene Worte wieder in den Sinn. »Sehen Sie, Sophie!« hatte sie vor wenigen Minuten gesagt, »so streut der Himmel seinen farbigen Putz auf unsre Gräber.« Sie selbst sah aus, wie die bleiche Vergangenheit.

Als ich nach einer Weile wiederkam, fand ich sie, die Briefe weit von sich geschoben, beide [340] Arme auf den Tisch gestemmt, und das Gesicht in die gefaltenen Hände gedrückt. An der Bewegung ihrer Brust sah ich, daß sie heftig weinte. Ich wollte mich entfernen. Sie hatte mich aber bemerkt. »Sophie,« rief sie, »o Beste, nehmen Sie, nehmen Sie alles das wieder zurück. Nein, man glaubt wahnsinnig zu werden, wenn man sich lachen hört, während die geängstigte Seele um ein Paar lindernde Thränen fleht!« Sie wandte das Gesicht ab und trocknete die nassen Augen. Ich packte die zerstreut umher liegenden Heftchen zusammen. Sie ergriff meine Hände. »Gott,« sagte sie, »was haben die Menschen aus der harmlosesten, unbefangensten Zuneigung gemacht! Wenn ich so das fröhliche, heitere Leben wieder überblicke, wenn ich mich so ohne alles Vorgefühl von Gefahr, mit leichtem, sorglosem Schritt vorwärts gehen sehe, und Hugo's Wohlgefallen an meinem Umgang, das freie Zusammenkommen, die nachbarliche Theilnahme, Emma's später gewonnene Freundschaft, wenn ich das wiederfinde, fühle, und keinen Schatten der Unwahrheit, keine Selbsttäuschung darin entdecke, dann empört sich doch mit einigem Recht meine Seele gegen die harte und rohe Hand der Welt, die das Mißverstandene so mißgestaltete! Wie hat diese Hand [341] nicht auf uns gedrückt, was hat sie nicht Alles zerrissen!«

Ich machte sie aufmerksam auf die Arglosigkeit jeder entstehenden Neigung, und erinnerte sie, daß stets die Liebenden zu spät bemerkten, was Andere längst vor ihnen gewußt.

Sie nahm das ohne Widerspruch auf, und blieb eine Weile still. »Hören Sie,« hub sie darauf an, »ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich glaube, Hugo hätte niemals den Einfall gehabt, eine Leidenschaft für mich zu hegen, wenn es ihm Eifersucht und häusliche Häkeleien nicht überredeten.«

Ich sah sie überrascht an. Sie stand in großer Erschütterung von ihrem Platze auf. »Sie hatten recht,« erinnerte sie sich später, »ich wünschte, ich hätte die Briefe nicht gelesen! Sie thun mir wehe. Es sieht mir darin ganz nach einer ungeheuren Mistification des Geschicks aus. Und ich bin die Angeführte. Denn,« rief sie, die Hände heftig zusammenschlagend, »ich liebe ihn, das weiß Gott! mit unsäglichem Schmerz!«

Sie war ein Paar Schritte vorwärts gegangen. Ich folgte ihr. Das Wetter war den ganzen Tag so leicht, so schön gewesen. Ich schlug ihr vor, ein wenig außerhalb des Gartens, im [342] angränzenden Waldbruch, spatzieren zu gehen. »Nein,« erwiederte sie, »lassen Sie uns nicht jenseits dieses Bezirks den Fuß setzen. Ich bin nur hier ruhig. Ich sehe es wohl, ich darf, selbst in Gedanken, nicht das Ferne heranziehen.«

Es that mir leid, sie so erschüttert zu finden. Wir gingen lange umher. Wir sprachen Allerlei. Sie war aus dem Gleichgewicht heraus. Es faßte nichts. Wir setzten uns zuletzt, müde und matt, ganz im Freien, auf die kleine Erhöhung, von wo man den Strom sieht. Ich bemerkte, daß sie das Auge unsicher umherschickte, und es mit Bangigkeit senkte. »Ist Ihnen nicht wohl?« fragte ich besorgt. »Ich gestehe Ihnen,« sagte sie beklommen, »die sonnenhelle Gegend, der blinkende Wasserspiegel bildet heute einen sonderbaren Contrast mit meiner Stimmung. Ich kann mich nicht damit vertragen. Mir wird nicht wohl hier. Kommen Sie, wir wollen nach Hause gehen!«

Ich war ihr gern gefällig. Unterwegs äußerte sie plötzlich, und ohne nachher weiter daran zu denken: Wenn ihr nur nicht ein neues Unglück drohe! Ich ließ das gänzlich fallen. Sie gewann auch späterhin ihre frühere Fassung wieder, so daß ich mich überzeugt hatte, ohne meine Unvorsichtigkeit, sie jene Briefe lesen zu lassen, wäre [343] ihr der Morgen in stillen Betrachtungen ruhig vergangen. Wenn Ihr Neffe wirklich noch heute zu Ihnen kommt, so sagen Sie mir doch, wie Sie ihn fanden.

Ich gestehe Ihnen aber, ich zweifle, daß er die Burg wieder betritt. Man sagte mir, er verlasse die kleine Insel, rechts, unterhalb des neuen Schlosses in Wehrheim, nur selten. Er hatte früher einmal den Gedanken, Emma hier ein Denkmal setzen zu lassen.

Hugo an Elise [5]
Hugo an Elise

Wissen Sie noch, Liebe! wenn ich sonst zu Ihnen kam, wir neben einander saßen, keines sprach, jedes das Seine dachte, und dann ein Wort, ein launiger Einfall, ein Blitz des Geistes hervorbrach, und im Augenblick, Eins in dem Andern zu Hause war. Wie die Antwort mir fehlte, oft nur eine halbe, und doch so ganz, durch und durch verstanden. Keine Wolke an dem Himmel! Alles helle, durchsichtige Bläue! Wir dachten nicht, daß das anders werden könnte, wir hatten nichts Arges dabei. Und nun! – Gott! daß man den Tag so deutlich denken kann, wenn [344] es Nacht ist. Man ist ein großer Narr, wenn man über den Wechsel der äußern Gestalten im Leben klagt. Das beruht auf Naturgesetzen, deren Zweck man nach Belieben vermitteln mag; ich an meinem Theil, denke mir das Meinige dabei, und lasse es gehen.

Aber daß auch das Innere so willenlos den Tribut der Endlichkeit zollt, daß die Seele in ihrer prahlerischen Gottähnlichkeit nichts wie ein winziges Flämmchen auf dem irrdischen Heerde ist, und noch eher erlischt, als dieser zerbricht! Das vollendet das Gaukelspiel, und rechtfertigt den Ekel am Leben!

Dies Leben! – Wie ein ausgeleerter Becher, hohl, kalt, überflüssig liegt es zu meinen Füßen! Ich stoße es weg, da ich aufgehört, durstig zu sein. Wornach sollte ich dürsten? Ich habe den Athem der Liebe getrunken. Er hat mich nicht gelabt. Was giebt es denn auch noch Kräftigeres? So matt, so matt sinkt zuletzt der Mensch in sich zusammen!

Ihr beiden lieben, armen Frauen! Wie habt auch Ihr Euch getäuscht! Du wolltest mich retten, Emma? Ach! hätte sich Niemand mit meinem Geschick befaßt. Das Glücklichmachen ist ein arger Mißverstand. Das Glück macht [345] sich nicht, darum –! Aber bereuet nichts, Keine von Euch bereue das Geschehene. Wir haben gelitten und gelebt. Es lebt sich im Leide und in der Freude, wenn das Herz dabei fühlt und der Geist denkt. Doch, wenn auch das aufhört, wenn die Gluth kalt und der Brand Kohle ist –! Sagt doch, Ihr beiden schönen, rührenden Wesen, was finge ich auch an, wenn ich noch lieben könnte?Euch lieben müßte! Es ist Barmherzigkeit, daß Alles vergeht! Selbst der Verstand. Wie eine Scheibe dreht er sich. Das Weiß und Schwarz kreist in immer schnelleren, immer engeren Ringen um sich herum, zuletzt ist es Eins. Alles läuft auf Eins hinaus.

Liebe Elise! lassen Sie Georg Mönch werden. Er glaubt dann wenigstens zu wissen, wofür er lebt. Und das ist sehr viel, so lange es währt.

Ich habe mancherlei geträumt. Sehen Sie, mir thut es das frühe Aufwachen. Es ist Einem so nüchtern, so kalt, wenn man vor der Zeit von den Träumen lassen muß. Der Faden bleibt abgerissen. Die Phantasie eines Wachen ist eine arme Stümperin, glauben Sie mir das.

Mein letzter glücklicher Augenblick war, als ich bewußtlos zu Emma's Füßen stürzte. Gott! welch eine Welt war da in meiner Brust. Ich [346] hätte sie so gern, so gern noch einmal wieder gesehen. Allein, sie will es nicht. Was in der Seele für Kräfte liegen! Wie viel wird sie leiden müssen, ehe das Alles stumpf wird!Sie sind schon matter, Elise!

Sie bricht wohl ein tüchtiger Sturm über kurz oder lang.

Ade! Ade! sagen unsre alte Romanzen, wenn der Dichter nichts mehr zu sagen weiß, und das Ende nicht finden kann.

Wenn er das Ende nicht finden kann! –

Ade! Ade! Warum wird mir dabei so traurig, so weich, so zum Weinen voll ums Herz? Was hat der tändelnde Singsang für Gewalt über mich.

Bin ich vielleicht blödsinnig geworden? geht der Geist leise aus? und lallt das sterbende Gefühl kindische Töne?

O dann! Ade! Ade! –

Sophie an den Comthur [4]
Sophie an den Comthur

Kaum war mein Brief von heute Morgen an Sie, lieber Freund! abgeschickt, so fuhr Birkner, [347] mit der leeren Jagdkalesche des Grafen, in den Hof.

Er glaubte, seinen Herrn hier zu finden, der ihn schon seit sieben Uhr Morgens nach dem Walde bestellt hatte, worin er Willens gewesen war, zu jagen.

»Vielleicht,« sagte ich, »hat er sich anders besonnen, und darüber vergessen, daß Sie ihn erwarten.«

Jener, an dergleichen gewöhnt, lachte, die Achseln leicht zuckend. Meine Gründe mochten ihm einleuchten. Er empfahl sich, und war schon im Begriff, zurück nach Wehrheim zu fahren, als es ihm einfiel, es könne sich doch wohl anders verhalten. Der Graf habe doch wohl wirklich die Absicht gehabt, auf die Jagd zu gehen. Er sei in aller Frühe bei der Tannenhäuserin gewesen, welcher er einen Brief zu baldiger Besorgung hierher, an die Frau Präsidentin, eingehändigt habe. Da sich nun keine frühere Gelegenheit hierzu dargeboten, so schicke jene das Schreiben durch ihn.

Ich ließ mir es geben, ersuchte Birkner, ein wenig zu verziehen, und eilte damit zu Elisen. Sie erschrack bei meinem Eintritt. »Ist etwas vorgefallen?« rief sie mir hastig entgegen. Ich [348] bat sie, ruhig zu sein, und sich des Freundes Gruß zu freuen. Sie nahm den Brief furchtsam aus meiner Hand. Ihn von allen Seiten gedankenlos betrachtend, seufzte sie, das Auge zu mir gewandt, ohne ihn zu erbrechen.

»Ich gehe,« sagte ich, »lesen Sie, wenn Sie sich gesammelt haben.«

Als ich das Zimmer verließ, eilte sie hinter mir drein, und verriegelte die Thür.

Ich wollte Birkner Anfangs nicht eher fortlassen, bis ich erfahren, ob Elise keine Bestellung für ihn habe. Es währte ihm indeß zu lange. Er war ungewiß über seines Herrn Rückkehr. Mir schien er sogar ängstlich. Ich mußte endlich nachgeben und ihn ohne Antwort fahren lassen.

Es blieb alles still bei Elise. Ich wollte sie nicht stören, und doch trieben mich Theilnahme und Besorgniß immer wieder zu ihrer Thür. Ich klopfte verschiedentlich ganz leise an. Sie mochte es nicht beachten. Sie öffnete nicht.

Endlich rufe ich sie bei Namen. »Ja!« erwiederte sie, wie aus dem Schlafe erwachend. »Was giebt es?«

Ich bat sie, mir aufzumachen. »Ja so!« hörte ich sie sagen. Sie kommt, sie zieht den Riegel weg, ich trete ein, aber ich glaubte vor [349] Schrecken in die Kniee zu sinken, als ich die todtenbleichen, verzerrten Züge der armen Elise erblickte.

Sprachlos starrte ich sie an. »Er hat Abschied genommen,« lächelte sie. »Er ist fort! Gott weiß, wohin?« setzte sie langsam hinzu, und mir den Brief hinhaltend, sagte sie, »da lesen Sie einmal.«

Ich durchflog die Zeilen, ich blickte in ein Gewebe verworrener Verzweiflung, in den wüsten Kampf widersprechender Gefühle, mir schwindelte, mir bebte es in der Seele, doch konnte ich nichts von einem entscheidenden Entschluß, keine Hinweisung auf Abreise und Entfernung herauslesen. Ich sagte das Elisen. Sie bestritt es nicht, sie äußerte keine Meinung. Allein in sich schien sie nicht im mindesten zu zweifeln. Wie ich sie auch zu beruhigen strebte, sie sah mit gebeugtem Haupte und halb geschlossenen Augen vor sich hin, und ein still verzweifelndes »Hm!« war alles, was sie hervorbrachte.

Wir saßen lange so, als Johanna eintrat, sich ein Geschäft im Zimmer machte, und, indem sie sich vor dem Tischchen, auf dem jetzt die am heutigen Morgen gepflückten Rosen standen, bückte, um die herabgefallenen Blätter aufzuheben, [350] flüsterte sie mir zu: »Birkner ist wieder da. Kommen Sie doch einen Augenblick heraus.«

Ich winkte ihr, zu schweigen. Und genau beobachtend, ob Elise auch nichts gehört habe, sagte ich dieser, ich gehe, nach Wehrheim zu schicken, um ihr später sagen zu können, ob Hugo wirklich abwesend sei. Sie nickte mir zu, und folgte mir ängstlich mit den Augen.

Ich fand den treuen Menschen, das schäumende Pferd, auf welchem er hierher zurückgesprengt war, am Zügel vor dem Hause hin- und herführend. Er war sehr erhitzt. Seine Miene, als er mich erblickte, weissagte nichts Gutes.

»Nun!« fragte ich kleinlaut. Er zuckte die Achseln, und machte mit der Hand eine abwehrende, verzweifelnde Bewegung. »Nirgend zu finden!« flüsterte er mir zu. »Niemand hat ihn gesehen. Im Gebüsch auf der Insel liegen Hut und Rock, und die Brieftasche mit Banknoten.«

»Das bedeutet nichts,« entgegnete ich schnell. »Gar nichts! Sie wissen, der Graf badet oft um diese Zeit, und bringt dann Stundenlang im Wasser zu. Reiten Sie nur,« bat ich, »gleich wieder zurück, setzen Sie sich in einen [351] Kahn, und fahren Sie zu den Fischern hinüber, die werden ihn gewiß irgendwo getroffen haben.«

Birkner schüttelte ungläubig den Kopf. Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, ich trieb ihn fort, ich empfahl ihm möglichste Behutsamkeit, und vornehmlich Stille und scheinbaren Gleichmuth. Ich wollte nicht wissen, was er denke, denn ich weiß, daß ich nichts Schlimmes glauben kann. Deshalb theile ich Ihnen auch die Vorgänge dieses Tages so umständlich mit. Sie sollen nicht unnütz erschreckt, zu keinen voreiligen Maßregeln verleitet werden.

Ich vertraue Ihrer Fassung, Ihrer Klugheit völlig. Ich glaube, wir können nicht vorsichtig genug zu Werke gehen. Aus dem Grunde enthalten Sie sich wohl am besten aller unmittelbaren Nachforschungen. Es darf von hier der Schein nicht ausgehen, als sei das Entsetzlichste denkbar.

Vielleicht sind Sie auch jetzt, da ich Ihnen schreibe, vollkommen ruhig über Hugo; er ist bei Ihnen, wie er es gewollt. Die umherliegenden Kleidungsstücke sagen im Grunde gar nichts. Er ist ja so zerstreut! Wie leicht, daß er vom Baden zurückgekehrt, jene vergessend, im Schlosse andere anlegte, und später zu Ihnen ging. Sind doch außer Birkner nur noch ein[352] Paar Stallleute bei ihm in Wehrheim, und was werden die sonderlich auf ihn Acht gegeben haben.

Elise fragte mich schon, ob ich noch keine Nachricht vom Grafen habe? Ich theilte ihr meine Vermuthung mit, daß er bei Ihnen sei, oder Sie ihn wenigstens gewiß erwartet hätten.

»Erwartet?« seufzte sie.

Ich mochte mich weiter nicht auf ein langes Gespräch einlassen. Sie mied es auch. Wenn nur Johanna nicht schon etwas hörte! Oder doch aus des Kammerdieners schnellem Wiederkommen Verdacht schöpfte. Ich muß Elise genau bewachen, denn, ein vorschnelles Wort –!

Herr Gott! was es für Augenblicke im Leben giebt.

Schlafen werden Sie diese Nacht nicht; der Wunsch einer guten Nacht ist daher leer und bedeutungslos.

Lassen Sie uns nur den Muth nicht verlieren. Ich wette noch, es ist Alles besser, wie wir glauben.

Antwort [14]
Antwort

Wie könnte ich ruhig sein, was soll verborgen bleiben? Hugo wird vermißt. Die Anzeichen sind [353] beunruhigend. Eine einzige geäußerte Besorgniß reicht hin, Jedem das Schreckliche gewiß zu machen. Birkner war eben bei mir. Seine Nachfragen blieben vergeblich. Die Fischer wußten keine Auskunft zu geben. Ich fuhr noch spät in der Nacht hinüber nach Wehrheim. In der Mittagsstunde ist Hugo dort gewesen. Er trug den hellgrauen Oberrock, der am Ufer gefunden ward, und hatte, wider seine Gewohnheit, diesen und die Weste weit aufgerissen, als leide er an Hitze. Den Hut hielt er in der Hand. Seine Laune war heiter. Er scherzte mit des armen Zimmermanns Frau und Kinder, die er, gleich nach seiner Ankunft auf der Burg, aus dem Wasser zog, und die Familie dann hinüber nach der Stadt zu dem todtkranken Vater fuhr. Die Leute fanden nachher bei dem Schloßbau ihr Brod, sie sind dem Grafen mit Leib und Seele ergeben, vorzüglich die Kleinen, die immer dreist mit ihm thaten, und sich gern von ihm necken ließen. Heute nahm er das Kleinste auf den Arm, und sah ihm lange und tief in die großen, klaren Augen. »So kristallhell wie das Wasser dort,« sagte er, nach dem Fluß zeigend, indem er der Mutter das Kind zurückgab. Dieses konnte nicht sogleich von ihm los. Es hatte die Fingerchen [354] in ein blaues Band verwickelt, das um Hugo's Hals geschlungen war, und, in der Unordnung seines Anzugs, hervorsah. Er riß das Band entzwei, da das Kind weinte, und steckte die Enden unter das Hemd, indem er vor sich niedersah und erröthete. Die Frau hat das bemerkt, es fiel ihr auf. Er nahm darauf den Hut, den er aus der Hand gelegt hatte, vom Boden, setzte ihn auf, und soll so eine Weile unschlüssig vor den Leuten gestanden haben, als besinne er sich auf etwas. Dann wandte er sich aber kurz von ihnen ab, und ging eine Strecke rechts hinunter, nach dem Walde zurück, aus dem er gekommen war. Doch kehrte er bald darauf um, rief der Frau zu, sie möge so gut sein, und drinnen im Schlosse sagen, er komme zum Essen nicht wieder, er speise drüben auf der Burg.

Diesen Vorsatz muß er auch gehabt haben, denn er bestellte einen Geschäftsmann, der ihn am Morgen vergeblich erwartete, herüber zu mir.

Nachher sah man ihn noch eine ganze Zeit auf der Insel hin- und hergehen. Später achtete Niemand auf ihn.

Das ist Alles, was ich erfuhr. In seinem Zimmer standen und lagen die Sachen frei da, wie das stets seine Art ist. Briefe verbrennt [355] er, oder verbirgt sie in einem geheimen Fache seines Schreibtisches. Ich mochte an Nichts rühren, was nicht offen für Jedermann geblieben. Hieraus war nichts zu ersehen. Ich habe lange mit mir gerungen, was ich glauben dürfe. Soll ich wahr sein, so steigt die Vermuthung in mir auf, Hugo wolle uns durch den Schein irre führen. Erwill für uns todt sein, indeß er für immer aus dieser Gegend, vielleicht aus diesem Theile der Welt verschwindet.

O! lassen Sie mich hieran festhalten. Ich bin nicht im Stande, das Andere, das Grauenerregende, das Unselige zu denken!

Sophie an den Comthur [5]
Sophie an den Comthur

Sie haben Recht, das ist ein Gedanke, den Ihr Neffe hätte haben können. Nur weiß ich nicht, weshalb er sein Vorhaben hinter eine so schauerliche List verstecken sollte, da er ohne alle Umstände weggehen konnte, und nur nicht wiederzukommen brauchte. Was würde ihn daran gehindert haben? Er war schon einmal fort! Wir wußten nicht, wohin. Niemand rief ihn zurück, Niemand erinnerte ihn an verletzte Pflichten, Keiner [356] wollte ihm Fesseln anlegen. Er allein brachte sein unstätes Selbst zu uns zurück. Fürchtete er nicht vielleicht sich mehr als Andere? Das sind Vermuthungen, Schlüsse ins Blaue hinein. Ich bin unfähig, irgend etwas Bestimmtes ins Auge zu fassen. Ich sehe nichts deutlich. Die Angst vor Elisens Erwachen, vor ihren Fragen, ihren Blicken, benimmt mir alle Fassung Möchte uns doch dieser Tag irgend eine Beruhigung geben!

Antwort [15]
Antwort

Was Sie auch sagen mögen. Alles bestärkt mich in meinen Vermuthungen. Trotz dem mühseligsten Suchen, keine Spur von ihm! Verschwunden! völlig verschwunden! sage ich Ihnen. Keine Bucht, keine Stelle von beiden Ufern blieb undurchforscht. Mehr als zwanzig Kähne fuhren den Strom hinauf, die ruhige Fluth ließ oft bis in den Grund hinunter sehen. Nichts, gar nichts war zu entdecken!

Er wollte sich uns entziehen. Niemand auf Erden sollte ferner Ansprüche an ihn haben, das war es, glauben Sie mir!

[357]
Madame Lindhof an Sophie

Im Begriff, diese Gegend auf immer zu verlassen, da mein Sohn eine Anstellung in der Residenz erhielt, bleibt mir noch eine traurige Pflicht zu erfüllen; recht, als solle ich hier enden, wie ich anfing, nämlich Glück und Hoffnung zu Grabe tragen zu helfen.

Den Tag, da meine Schwiegertochter beerdigt ward, traf ich in diesem Hause ein, und ist es auch keine Leichenfeier, zu der ich gegenwärtig verpflichtet bin, so ist es doch wohl nicht viel besser.

Ach! gnädiges Fräulein, die wahrscheinliche Bestätigung von dem, was wir fürchten, senkt die Seele in tiefe Trauer. Wie schwer wird es mir, solche über Sie zu verhängen. Doch darf ich kaum mit dem zurückhalten, was ich ohnlängst erfuhr.

Sehen Ihr Gnaden, um Alles im Zusammenhange zu berichten, der Umzug einer Familie, der Transport des vielfachen Geräthes, macht große Sorge und Unruhe. Es mir zu erleichtern, miethete ich einen Raum im Marktschiffe, und ließ diesen mit mancherlei unserer Sachen beladen.

Das Fahrzeug legt gewöhnlich bei Wehrheim an. Die gewandte Frau des Zimmermanns dort, [358] die arbeitsam ist, und sich gern etwas verdient, war mir in den Tagen des Packens zur Hand gegangen, und besorgte auch jetzt das Laden und die Zusammenstellung der Ballen auf dem Schiffe. Passagiere und Fährmann waren ins Dorf gegangen. Die Frau blieb mit ihren Kindern im Schiffe. Diese unterhielten sich nach Kinderart, und während die Mutter das Wehr, von dem sie keine zwanzig Schritte entfernt sind, gedankenvoll betrachtet, es sich zurückruft, wie sie mit demselben Schiffe hier umschlug, und der kühne Graf sie rettete, sagte das älteste Töchterchen: »Ach! wie viel, wie viel schöne Vergißmeinnicht!« Und tritt auf den Steg, der an das Ufer führt, die Blumen zu pflücken. Die andern Kinder folgen. »Es ist ganz blau da,« sagen sie. Die Mutter geht ihnen nach. Sie sieht mit Vergnügen ihrer Arbeit zu. »Ein Band! ein blauseidenes Band hängt da an den Vergißmeinnicht,« ruft das Mädchen. Sie hat es schon, sie zeigt es der Mutter. Eine hellbraune Haarlocke, leicht mit einem Fädchen umwunden, hängt daran. »Gott im Himmel!« seufzt die erschrockene Frau, »das ist des Grafen Band, er trug es noch den letzten Tag um den Hals.«

Gnädiges Fräulein! was soll ich weiter hinzusetzen! [359] Sie denken wohl wie Jene, die mir den Vorgang erzählte, und wie ich leider auch fürchten muß.

Hier also! Bei der schnellen Strömung. Er kannte die Stelle wohl. Was diese faßt, reißt sie pfeilschnell mit sich fort. Leider sagt das Band, daß der Graf hier war, und daß er von hier nicht wieder zurück ging.

Fürchtete ich nicht beschwerlich zu fallen, so würde ich es mir nicht nehmen lassen, Ihnen das schmerzliche Andenken selbst zu überbringen; so habe ich es dem Kammerdiener Birkner zugestellt, um es Ihnen, wenn Sie es zu besitzen befehlen, einzuhändigen.

Ich scheide in Thränen, wie ich kam; wie Vieles habe ich hier untergehen sehen!

Des Herrn Präsidenten Besitzung ist nun auch verkauft. Alles ist anders geworden! Nur meine Gesinnungen für Sie, verehrtes Fräulein! und die theuren Personen, die Sie, wie ich, lieben, verändern sich nie.

Sophie an Madame Lindhof

Gute, treffliche Frau! wie sanft haben Sie uns bisher auf rauher Bahn begleitet, die wir [360] zu gehen hatten. Ich drücke Ihre Hand, und sage Ihnen mit Wehmuth Lebewohl!

Alles scheidet von hier! Wie öde wird das Alter! Doch, es ist nicht an mir, zu klagen. Das verblichne Band, Liebe! ist schon in meinem Besitz; Birkner brachte es mir, ganz so wie es gefunden ward, in die Blumen verwickelt, um die es die Wellen geschlungen hatten.

Wie es dahin kam –? Lassen wir es auf sich beruhen. Es liegt ein Dunkel darauf, was wir auch sagen mögen!

Von Elisen wußte ich Ihnen bis jetzt nichts zu schreiben. Sie blieb während zwei Tagen in ihrem Zimmer eingeschlossen, ohne Nahrung zu nehmen, noch Kleider zu wechseln. Ich hatte ihr von dem, was nur aus Vermuthungen zu entnehmen war, nichts mitgetheilt. Doch muß ich fürchten, Johanna ist nicht so behutsam gewesen. Ich befragte sie deshalb, brachte aber nur Unzusammenhängendes heraus. Mein Bemühen, zu Elisen zu dringen, blieb ebenfalls vergeblich. Ich gerieth in immer größere Besorgniß. Stunden reihten sich an Stunden; so durfte es nicht länger fortgehen, das Leben der Unglücklichen schien mir gefährdet, und doch scheute ich, sie durch einen Gewaltschritt zu verletzen.

[361] In dieser Nacht nun, zog hier, und wohl auch bei Ihnen, ein starkes Gewitter herauf. Der Sturm, welcher es begleitete, heulte zwischen dem Donner hindurch, und schien dessen prasselndes Knattern mit wildem Geheul zu unterbrechen.

Die freie Seite nach dem Wasser zu, war seinem ängstigenden Andringen besonders ausgesetzt. Die Läden vor dem Fenster zitterten, als rüttle sie eine starke Hand. Ich ließ deshalb die meines Schlafzimmers öffnen, wodurch die volle Gluth der Blitze blendend herein fiel.

Ich besitze gerade soviel von weiblicher Zaghaftigkeit, um Naturerschütterungen der Art nicht ohne inneres Bangen sehen zu können. Vielleicht strenge ich mich aber deshalb jedesmal um so mehr an, den Zug der Wolken zu beobachten, den Grad der Gefahr darnach abmessend. Vom Fenster kann ich nicht lange wegbleiben. Ich trete immer wieder hinzu, wenn mich auch das starke Wetterleuchten zurückschreckt. So stand ich denn auch, mit dem Rücken gegen die Thür, das Auge auf einen weißlichen Streif gerichtet, von dem ich im Augenblick nicht wußte, ob es der Saum des heller werdenden Horizonts, oder der unruhig gepeitschte Fluß war, der höher als sonst [362] zwischen den Gartenhecken durchschimmerte? »Hier kann ich es nicht länger aushalten!« sagte Jemand hinter mir. Ich wandte mich schnell um. Elise, ein Licht in der Hand, mehr einem Schatten, als sich selbst ähnlich, schwankte nach meinem Bette. Sie setzte sich auf dessen Rand, und das Licht noch immer vor sich haltend, als könne sie es nicht hell genug um sich haben, sagte sie, mit sehr matter Stimme: »Wie die Wellen brausen! Wie das Wasser rauscht!«

»Es ist der Regen,« erwiederte ich, indem ich das Fenster ein wenig öffnete, um sie diesen deutlicher hören zu lassen.

»O Gott bewahre!« rief sie empfindlich. »Ich kann das wohl unterscheiden.« Sie horchte jetzt gespannt. In ihrer Stimme lag etwas Verwildertes und Scheues, was mir tödtlichen Schreck einjagte. Unglücklicherweise trieb der Sturm die herabfallenden Güsse immer dichter zusammen, so daß die starke Wassermasse in ihrer heftigen Bewegung wirklich den schäumenden Wogen der Fluth ähnlich ward.

Elise war wieder aufgestanden. Sie hatte das Licht auf den Boden gestellt, und ging, die Hände ringend, stumm, mit allen Zeichen unaussprechlicher Angst, im Zimmer auf und ab.

[363] Ich wußte nicht, was ich sagen sollte? wie ihr beizukommen sei? die Pein dieses Augenblicks war schrecklich.

»O, wie die Wellen brausen! wie die Wellen brausen!« wimmerte sie jetzt, »liege still, liege still, armes Herz!« flüsterte sie darauf ganz leise.

Ich zitterte an allen Gliedern. »Beste,« sagte ich, zu ihr herantretend, »denken Sie an Gott! beten Sie, für ihn! für ihn! Hören Sie wohl?«

Sie sah mich erst starr an. Ich nahm ihre kalten Hände in die meinigen. Das Ungewisse ihrer Gedanken zuckte hin und wieder auf dem schönen, entstellten Gesicht. »O Sophie!« brach sie jetzt schluchzend aus, und stürzte mir an die Brust. »Ist es denn wahr? Ist es nun ganz gewiß? Liegt er da unten?« –

»Nichts ist gewiß,« entgegnete ich schnell, »Vermuthungen! voreilige Vermuthungen! sonst in der Welt keine nähere Bestätigung. Beste Elise, warum fragten Sie denn nicht mich!« setzte ich in der Hoffnung hinzu, sie beruhigen zu können. Aber sie sah und hörte nicht. Es war als habe ihre erstarrte Seele nur die Stimme liebender Theilnahme erwartet, um sich in Thränen aufzulösen.

[364] Das Gewitter tobte fort. Die Nacht ging so in entsetzlicher Bangigkeit hin. »Ich habe es wohl, wie im Vorübergehen, zuweilen gedacht,« sagte sie, nachdem sie stiller geworden, und in dumpfem Ermatten eine Weile vor sich hinstarrte. »Ich habe es gedacht und auch nicht, denn zu fassen ist so etwas nicht.«

»Nein,« unterbrach ich sie. Und darum haben wir auch kein Recht, es zu glauben.« Sie schien achtsam auf meine Worte.

»Weshalb,« fuhr ich fort, »sollen äußere Zufälligkeiten hier allein eine Stimme haben? Dürfen wir ihnen die innere Ueberzeugung nicht entgegen stellen?«

Elise seufzte. »Also ist nichts erwiesen?« fragte sie. Ich versicherte es ihr. »Was wissen Sie denn?« hub sie nach einer Pause leise und schüchtern an. Ich theilte ihr jetzt Alles mit, überzeugt, daß ihr die volle Wahrheit nöthig sei, um mit sich und dem, was sie glauben dürfe oder müsse, einig zu werden.

Sie verlangte das Band zu sehen. Ich brachte es ihr. Sie starrte es lange an. »Er hat es zerrissen!« lächelte sie, dann steckte sie es in den Busen. Ich fand sie in diesen Augenblicken mehr dumpf als gefaßt. Sehr ermattet schlief sie auf [365] meinem Bett ein Paar Stunden, trotz des anhaltenden Gewitters. Als sie am Morgen erwachte, es wieder still in der Natur und diese beruhigt war, setzte ich mich zu ihr. Wir sprachen lange mit einander. Ihre Kenntniß von Hugo's Charakter läßt sie weniger ungewiß über den letzten, zweifelhaften Schritt, als uns; die erste große Erschütterung abgerechnet, glaube ich, weiß sie ihn lieber in dem kühlen Bett, als unstät auf der Erde.

Bei allem dem erklärte sie, hier nicht bleiben zu können. Ich begriff das ohne Weiteres. Wir wollten gleichwohl beide jetzt noch nicht an eine neue Trennung denken. Wir fühlten die Nothwendigkeit, uns gegenseitig schonen zu müssen, und schwiegen. Es entstand eine lange Pause. »Arme Emma!« – seufzte jetzt Elise. »Nun hat ihn Keine, oder es haben ihn Beide!«

»Ist sie noch in ihrem Waldkloster?« fragte sie darauf. Ich bejahte dies.

Sie versank wieder in tiefes Sinnen. Ich ließ sie so, und ging, Ihnen, beste Madame Lindhof! alles das zu schreiben, einen Theil von Elisens Dankbarkeit gegen Sie mit übernehmend, indem ich diese gleichsam zu Ihnen sprechen und Sie in das Innere des beklagenswerthesten Herzens blicken lasse.

[366] Sie werden uns nicht vergessen, wenn auch für lange alle Beziehungen zwischen uns zerrissen sein sollten.

Tavanelli an Leontin

Ich habe sie gesehen, gesprochen. Ich war bei ihr. Ueber eine Stunde durfte ich ihr zur Seite sitzen. Sie sah, wenn ich das Auge senkte und nichts wahrzunehmen schien, fragend zu mir auf. Ich empfand das Streifen ihres forschenden Blicks. Es war weder Mißtrauen, Unwillen noch Kälte darin. Gütig verweilten ihre Gedanken bei mir. Nicht mich, die Zeit, da ich auch neben ihr saß, die hingewelkte, versunkene Zeit betrachtete sie in mir. Selbst die peinvolle Vergangenheit rührt uns unbeschreiblich. Ist doch die Pein vorüber, und der dunkle Hintergrund zeigt zurück auf Gefühle, die jetzt etwas Geheimnißvolles haben.

»Sind Sie nunmehr mit sich einig?« fragte sie mich. Ich versicherte es ihr. »Und Ihr Glaube war es, der sie rettete?« fuhr sie, ernster werdend, fort.

»Was ist auch der Mensch ohne Glauben?« [367] entgegnete ich. Sie erröthete. »Wie kam es denn,« fiel sie schnell ein, »daß sich der Ihrige nicht besser bewährte?«

»Mich irrten Zweifel,« bekannte ich mit gesenktem Blick.

»Und darum,« sagte sie, klug und scharf in sich hineinsehend, »erzwangen Sie die rauhe, spröde Stimmung, den wilden Sinn, die harte Abgeschlossenheit, und zerrissen Ihre gute Seele, die den Himmel so nicht finden konnte!«

Ich wollte etwas erwiedern. »Lassen wir das jetzt,« bat sie. Sie legte die Hand an die Stirn. »Ich begreife das Zuviel und das Zuwenig, und wie Eins das Andere erzeugt. Aber ich kann es nicht ausdrücken,« klagte sie. »Ein andermal! Ein andermal!« Ich stand auf. »Kommen Sie bald wieder,« bat sie, »und bringen Sie Leontin mit. Ich habe eine große Sehnsucht nach ihm.«

Ich ging, und schrieb Ihnen das.

Fragen Sie nun, wie es geschah, daß ich vorgelassen ward? wie ich es wagte, ihr zu nahen? Mein bester Herr Baron! Sie wissen, daß ich immer noch zögerte, das Kloster zu verlassen, daß ich mich nicht entschließen konnte, den vielfachen Aufforderungen des Herrn Präsidenten, in Betreff des Amts, welches er mir zudachte, Folge zu [368] leisten. Sie wissen auch warum? Ich gestehe es Ihnen, ich habe die verehrte Frau nie aus den Augen verloren. In ihrer Krankheit gelang es mir, einmal Zutritt in dem Amthause zu erhalten. Ich glaubte sie sterbend, ich war entschlossen, sie in den letzten Augenblicken nicht zu verlassen. Die Angst um ihre Seele ließ mich jede anderweitige Rücksicht hintansetzen. Ich entdeckte mich der gütigen Madame Lindhof, ich erklärte ihr meinen festen Willen. Sie hörte mich gelassen an, beruhigte mich für den Augenblick, und versprach, bei wachsender Gefahr mir in Zeiten Nachricht zu geben.

Ich kehrte jeden Tag nach dem Amte zurück. Mein Gebet trug stündlich die theure Seele der Bewußtlosen zu dem Throne des Höchsten, ich flehte um ihre Rettung. Sie genaß. Vermuthlich erfuhr sie späterhin, was während dem vorging. Diesen Morgen ließ sie mir sagen, zu ihr zu kommen. Ich glaubte, es nicht recht zu verstehen. Ich folgte indeß augenblicklich ihrem Befehl. Sie will etwas. Dies ist mir nicht zweifelhaft. Ihr Gemüth ist in Unruhe. Sie möchte, was sie nicht kann, sie greift umher, sie denkt an mich. Als ich indeß nun kam, und sie mich sah, ward sie ungewiß. Sie vermochte es nicht, Vertrauen zu mir [369] zu gewinnen. Ein paarmal hub sie verlegen an: »Sie meinen es gewiß gut. Sie meinten es immer gut.« – Sie hielt dann inne. Weiter kam sie nicht. Ich meinerseits wagte kaum anders, als leidend hierbei zu bleiben. Es ist so schwer, weise zu sein, wenn es einem treibt, sich hülfreich und thäthig zu zeigen. Ich empfand auch, daß sie nur in der Angst des Augenblicks auf mich verfiel. Und dann – es ist etwas in der Art, in dem Blick, dem Ton der Dame, was mich lähmt. Fürchten Sie nicht, es könne mich dies aufs Neue unsicher machen. Im Gegentheil, es zwingt mich, zu denken. Aber ich brauche Zeit, dem Moment habe ich nicht sogleich Besonnenheit entgegenzusetzen. Deshalb säumen Sie, verehrter Herr Baron! doch nicht, sie aufzusuchen.

Ach, wenn wir diesem schönen Herzen Frieden erflehen könnten!

Antwort [16]
Antwort

Unternehmen Sie nichts! Thun Sie so wenig als möglich von dem Ihrigen hinzu. Eifer ist selten ohne Hitze, und es giebt Menschen, welche sich kühl halten müssen. Unter hundertmal, gilt es neun [370] und neunzigmal zu schweigen, um einmal zu rechter Zeit zu reden. Den Augenblick haben wir zu erwarten. Unsere Weisheit ist: hören zu können. Um die Antwort, wenn es Noth thut, brauchen wir dann nicht verlegen zu sein. Streiten wir nicht allzuviel über die Wege? Wir wissen von keinem mit Sicherheit, ob er der kürzte sei?

Ich selbst kann jetzt nicht kommen. Aber ich werde einen andern für mich an Elise schicken, der ihr meine Aufträge bringt. Er wird auch Sie besuchen.

Mein Vater begleitet mich auf einer Reise. Wir haben ein Geschäft zu beenden. Treten Sie ja zurück, wenn Sie fühlen, zu rasch zu handeln.

Curd an seine Mutter [2]
Curd an seine Mutter

Ich könnte mich in Stücke zerreißen und meine Uebereilung durch alle ersinnliche Plagen abbüßen, dächte ich nicht, daß es so hätte sein sollen. Dieser Rest von Glauben, den ich Ihnen, gute Mutter, verdanke, rettet mich jetzt vor Verzweiflung. Denn sonst, – sagen Sie selbst, wäre ohne mich, ohne meinen Haß gegen Hugo, jemals die Entdeckung des unglücklichen Geheimnisses ans [371] Licht gekommen? Preßte die Angst für sein Leben der armen Frau nicht den Schrei aus? Und folgt das Uebrige nicht, wie ein Uebel dem andern?

Ich mag gar nicht an Elise denken, nicht nach ihr fragen!

Sie erkundigen sich noch, ob es denn auch ganz gewiß sei? Nun, beim Himmel! wenn es das nicht wäre, gäbe es denn noch einen erbärmlichern Menschen auf der weiten Gotteswelt, als einen, der nicht sterben kann, und für Niemand, als sich selbst leben mag?

Nein, wie fremd mir auch immer der kalte Philosoph blieb, so bin ich ihm doch nie so gram gewesen, um solch' arges Mißtrauen in ihn zu setzen.

Todt ist er! darauf schwöre ich.

Man ersinnt jetzt allerlei, dem Dinge einen Mantel umzuhängen. Er soll beim Schwimmen durch einen Krampf unfähig geworden sein, dem raschen Strudel beim Wehr zu widerstehen. Wissen kann das Niemand, und ist es der Familie ein Trost, es zu glauben, so lasse man sie dabei. Ich denke aber, wie er einmal war, hatte er hier nichts mehr zu thun. Das wußte kein Mensch besser als er selbst. Solch' verdorbenes Genie, Gott verzeihe mir's, daß ich das von einem Todten [372] sage, aber wahr ist es, solch' verdorbenes Genie ist nicht im Himmel, nicht auf der Erde zu Hause, und doch, hätte ihn nur das Wiedersehen der Frau, der erste Schreck bei ihrem Anblick, und dann, daß sie Nonne geworden ist, nicht so außer aller Fassung gebracht, er wäre am Ende von meiner oder einer andern Kugel im Zweikampf oder auf dem Schlachtfelde, wie ein Mann gefallen, der sich vor nichts, auch vor dem Leben nicht fürchtet.

Das aber machte ihn confus. Der Fall lag außer seiner Berechnung, das Geschick hatte ihn überlistet. Er wußte nicht mehr aus noch ein. Ich wette meinen Kopf gegen die schlechteste Kupfermünze, wäre Emma frei gewesen, hätte er sie ohne Schwierigkeit mit sich zurück nach der Burg führen können, er würde das Spiel höchst abgeschmackt und die ganze Geschichte eine tragische Farce genannt haben, die ihm noch dazu die Freiheit ließ, von da seinen Weg allein zu gehen. So aber! daß er mußte, was er eigentlich nicht wollte, das machte ihm das Dasein verhaßt. Er suchte einen andern, einen ungewissen Ausweg.

Wohin er nur gekommen sein mag? Ich frage mich das hundertmal, und dann regt sich mir's im Gewissen. Du hast ihn dahin gebracht! [373] Elise wird das auch glauben. Es thut einem doch wehe, verkannt zu sein. Ich weiß das wohl von sonst her. Es ärgerte mich immer. Jetzt – nun, es wird sich auch geben. Es ist das größte Glück auf Erden, daß sich Alles vergißt, Alles verschmerzt. Was würde auch sonst aus der Welt?

Schreiben Sie mir ja gleich, liebe Mutter! wenn Elise etwas von sich hören läßt. Ich habe keinen Begriff davon, wohin sie sich wenden, was sie nun mit sich selbst anfangen wird. Die verwünschten Romanenstreiche!

Antwort [17]
Antwort

Wie kann es Dir nur einfallen, lieber Sohn! daß Du an all' dem verruchten Wirrwarr schuld bist?

Du gerechter Gott! Mir schwindelt es im Kopfe, wenn ich denke, daß Menschen auf dergleichen Abwege gerathen!

Ich habe in meinem Leben immer eine große Furcht vor Narren gehabt, und bin gerannt, was ich nur konnte, wenn ich Einem auf tausend Schritt nahe kam. Aber jetzt, ich sollte es wohl nicht sagen, denn es klingt vermessen, doch mir [374] kommt es so vor, als wäre die ganze Welt wie ein Irrenhaus zu betrachten. Was hört man nicht für Dinge! was erlebt man nicht! Und wie die Leute unsern Herr Gott immer im Munde führen, von Opfer und Entsagung, und weiß der Himmel Alles raisonniren, und nun läuft eine christlich getraute Ehefrau mir nichts, dir nichts, von ihrem Manne fort, stellt sich todt, läßt ihn in dem sündlichen Glauben, er dürfe nun dem Gelüsten seines Herzens nachgehen, und kann doch selbst nicht von ihm lassen, windet sich um ihn herum, bis es so weit kommt, daß er sie wiederfindet, und erfährt, wie sie ihn zu einer doppelten Ehe verleiten wollte.

Ei, da kann einem wohl die Haut schaudern, und der gesunde Menschenverstand ausgehen! Ich bin sonst nicht die Lobrednerin des Grafen, aber hier muß ich doch der Wahrheit die Ehre geben, ihm ist schlimm mitgespielt worden.

Ueber die Art, wie er ein Ende genommen hat, sollen wir auch nicht richten. Wir tappen hier im Finstern. Viel Kluges habe ich von ihm nie erwartet, denn warum? Er glaubte an Nichts. Das habe ich Elisen wohl angemerkt. Eine Frau singt immer in dem Ton, den ihr [375] Liebster anstimmt. Es hat mich Thränen genug gekostet. Von daher also sah ich Gottes Gericht wohl anrücken. Aber drüben – von dem grünen Holze – da war ich mir besserer Früchte gewärtig. – Wie das Alles klug thut und über seine Kräfte hinaus will! Ich weiß es am besten, man hat in den engen vier Pfählen, auf gerader Diele schlechtweg, einen Tag wie den andern denselben Weg gegangen, und hat sich vorzusehen, daß man nicht einmal über die eigenen Füße fällt. Und die da wollen die feste Erde gar wegstoßen, und in der Schwebe bei Sinn und Verstand bleiben. Ja, siehst Du, wenn das nicht verrückt sein heißt, so weiß ich es nicht.

Kurz und gut, soll ich die Menschen nicht mit Krankheit geschlagen, nicht für verwirrt und aberwitzig halten, dann kann ich mir gar keinen Begriff von unserer Zeit machen.

Du, Curd, darfst auch nicht soviel nach Elisen fragen. Das schickt sich nicht für Dich. Ja, hättest Du sie nicht heirathen wollen, und Dir allerlei darüber in den Kopf gesetzt. In Gottes Namen! Du bist ihr Vetter. Verwandte sollen zu einander halten. Aber so! – Schilt nicht so strenge auf Romanenstreiche, Du möchtest auch Deinen Theil mit dran haben.

[376] Nun will ich Dir dann aber doch sagen, ich reise selbst zu Elisen. Ich muß wissen, wie es dem armen Kinde geht? sie mag daraus abnehmen, wie lieb ich sie habe, daß ich mich mit meiner Aengstlichkeit auf einen so weiten Weg mache, alles hinter mir lasse, Haus und Hof und Wirthschaft, blos um sie zu sehen, sie da wegzuholen, wo ihr so schwer ums Herz sein muß! Ja, wenn sie auch ganz, ganz anders wie ich, und auch nicht so denkt, wie sie sollte, kann ich dann aufhören, ihr gut zu sein? Ich wüßte nicht, wie ich es anfinge. Lebe wohl, lieber Sohn! Von dem Stifte aus, schreibe ich Dir wieder.

Sophie an den Comthur [6]
Sophie an den Comthur

Der Anblick meiner Schriftzüge wird Sie nach gerade unruhig machen. Seit lange hörten Sie nur traurige Berichte durch mich bestätigen, oder Sie darauf vorbereiten. Ich eile deshalb um so mehr, Sie im Voraus zu beruhigen, ja, Ihnen Erfreuliches zu verheißen.

Elise, hoffe ich, ist ihrer ängstlichen Unsicherheit, dem kranken Hin- und Hergreifen, der ganzen schmerzlichen Trostlosigkeit, in die wir sie mit [377] Betrübniß kraftlos versinken sahen, entrissen; oder vielmehr, alles dies führte ihre Rettung herbei. Ich sagte Ihnen, daß sie Tavanelli kommen ließ, auch an Leontin schrieb, daß sie überall hinhörte, etwas wollte, sich gleichwohl nirgend verständigen konnte, und bald nach dem Austausch innerer Ueberzeugung verlangte, bald mit dem Seufzer: »Er allein hatte meine ganze Seele!« davon abstand. Eben so war sie immer im Begriff, von hier abzureisen, ohne gleichwohl jemals zur Ausführung ihres Entschlusses gekommen zu sein. Kurz, sie konnte nicht schweigen, nicht reden, nicht bleiben, nicht gehen, nicht leben, nicht sterben. Die Bemühungen ihrer Tante wurden ihr, wie Sie, lieber, berücksichtigender Freund! es selbst mit Pein empfunden, unangenehm. Die einfache Frau ging gerade zu. Sie glaubte durchaus die Vernunft und das gute Herz ihrer Nichte in Anspruch nehmen zu müssen. Sie begriff gar nicht, wie ihre Gründe nicht entscheidend, und andere Vorstellungen dagegen haftend sein könnten. Ich hatte viele Mühe mit ihr, und war nur froh, daß Curd sie endlich von hier abholte.

Die arme Frau jammerte mich. Sie hatte wirklich ein Opfer mit dieser Reise gebracht. Sie war sich dessen bewußt. Es that ihr wehe, so [378] vielen guten Willen nicht erkannt zu sehen; denn, trug sie Elise auch auf den Händen, so ging sie doch nicht in ihre Vorstellungen ein, noch weniger war es ihr möglich, der trefflichen, aber ermüdenden Verwandtin in ihre Einsamkeit zu folgen.

Jene gab sie endlich mit heißen Thränen auf, und es blieb, wie es war.

Diesen Morgen werde ich nun mit der Nachricht geweckt, ein Fremder wünsche mir aufzuwarten. Ich frage nach Stand, Namen, Persönlichkeit. Ueber die beiden ersten Punkte hatte sich der Angekommene nicht erklärt. Ueber die letztere erfuhr ich indeß, daß sie einnehmend sei, und dem stattlichen, wohlgebildeten Manne von ungefähr fünfzig Jahren zur Empfehlung diene.

Ich war begierig, ihn zu sehen.

Schnell zu dem Empfange eines Gastes bereit, trete ich in den Vorsaal. Mit unterdrücktem Freudengeschrei fliegt mir Georg, das liebe Kind, in die Arme. Im ersten Augenblick sah ich nichts als ihn. Ich umarme ihn mit unaussprechlicher Rührung. Ich bitte ihn, seine Freude zu mäßigen, ich verspreche, ihn gleich, doch nicht ohne vorhergegangene Einleitung, zur Mutter zu führen. Doch jetzt endlich, denke ich an seinen Begleiter. Ich sah mich mit Herzklopfen nach ihm um. [379] Ich fürchtete fast, Eduard zu begegnen. Da tritt mir aus dem Hintergrunde des Zimmers ein völlig unbekannter Mann, von schlichtem, offnen Ansehen entgegen. Er begrüßt mich, sagt: Baron Leontin von Wildenau habe das Vertrauen zu ihm gehabt, daß er den Knaben der Mutter sicher zuführen, und dieser auch wohl noch dies und jenes zur Beruhigung mittheilen werde.

Ich nahm anfänglich keine sonderliche Notiz von ihm, und war froh, den Präsidenten nicht hier zu sehen, ich meinte, in dem Fremden einen gewöhnlichen, guten, sichern Menschen, einen Beauftragten, suchen zu müssen.

Ich wollte ihn eben wieder verlassen, um Elise auf das unverhoffte Wiedersehen ihres Kindes vorzubereiten, als jener noch hinzusetzte: Auch von Gräfin Emma habe er Aufträge an mich. Ich stutzte, sah ihn an, plötzlich fiel mir ein: Der Geistliche! Emma's, Leontins Vertrauter! Ich nannte seinen Namen, der Fremde verleugnete ihn nicht; bat auch, hinter seinem Incognito nichts Gesuchtes voraussetzen zu wollen. Ihm sei in jeder Beziehung große Vorsicht empfohlen, er habe nicht wissen können, ob nicht dennoch ein Mißverständniß möglich gewesen, er wolle nicht gern durch vorschnelles Zufahren überraschen, überall[380] möchten wir Leontin sein Eindringen beimessen. Ich schnitt ihm die Worte ab. Ich ergriff seine Hand mit Innigkeit, ich sah ihm in die sanften Augen. »Kommen Sie,« bat ich. Er folgte mir.

Wir haben einen seligen Morgen verlebt! – Elise ist ganz, wie man sie mir an jenem Tage beschrieben, da sie Georg todt geglaubt, und das Kind die Augen zuerst wieder öffnete. Schüchtern, demüthig, stumm, sieht sie den Liebling an. Sie traut ihrem Glück nicht, und fährt oft, wie vom Schlafe auf, wenn die harmlose Ausgelassenheit des gesunden, tüchtigen Jungen alles so natürlich, so wahr erscheinen läßt, was ihr unbegreiflich dünkt. Und dabei der Geistliche, der Mann, der ihr wie ein finstrer Richter, seit Tavanelli's erstem Auftreten, eigentlich ein Gegenstand des tiefsten Unwillens war, er führt die Unterhaltung an dem Geringfügigsten hin, sagt nichts Auffallendes, nimmt an Allem Theil, ist durch und durch hell wie Kristall, und läßt bis in den Grund des warmen, freundlichen Herzens heitre, bewegliche Lichter sehen, die nach allen Seiten ihre Strahlen werfen. Gott, welch' ein Mensch! So einfach und so weise! Etwas Aehnliches schwebte Hugo vor der Seele. Er hätte so sein mögen. Aber es fehlte eben der Kern!

[381] Von Elisen jetzt noch nichts. Sie ist benommen, überfüllt, ihrer nicht mächtig. Was gleichwohl ihre ganze Aufmerksamkeit fesselt, was sie angelegentlich beschäftigt, ist das Bild von Leontins neuer Stiftung, das uns der Geistliche sehr anschaulich in einzelnen, bestimmten Zügen entwarf.

»Sie wissen,« sagte er, »aus des Barons Briefen, daß dieser den Meierhof am Fuße des Schwarzwaldes kaufte, und durch die frühere Bestimmung des Gemachs, in welchem er übernachtete, auf den Gedanken kam, hier ein Mönchskloster zu stiften, und selbst in den Orden zu treten. Er unterließ das Eine, wie das Andere, bei klarer Prüfung. Gleichwohl wünschte er, durch einen besondern Zweck sein Leben zu erhöhen. Er fing damit an, sich aufmerksam zu beobachten, und bemerkte, daß seine frühere Schwermuth, die ihm so viel zu leiden gemacht, mehr aus einer gewissen Gebundenheit des Innern, als aus wirklichem Mißgeschick entstand. In den Kinderjahren kränklich, vernachläßigt, dann blöde, steif, unbeholfen, trat er, wie verriegelt, überall zurück. Am Ende fand er durch sich selbst, nach mühseligem Suchen, die Richtung,[382] auf welcher er fortging. Sein Schritt wurde fest, sein Blick bestimmt, er aber, wie herausgeschnitten aus der übrigen Welt, ein Mensch nach Systemen, edel, doch bizarr. Ihm hatte Gemeinschaft mit Andern das Leben nicht verständlicher gemacht. Er war auf eine Anhöhe getreten, sah nach den verschiedenen Straßen hinunter, lernte sie nennen, kannte keine. Alle sahen gleich aus, alle schienen ihm klein, eng, in der Irre umher zu führen; er überschaute wohl das Ganze, doch durchschaute er es nicht. So,« fuhr der Geistliche fort, »dachte er darauf, nachdem er sich erkannte, Andere vor diesem Umwege zu bewahren. Es ward ihm klar, daß vielleicht in keinem Augenblick so sehr als jetzt, das Gefühl der Billigkeit durch festere Bande des Vertrauens, durch Gewohnheit und innere Verzweigung des Daseins gestärkt werden müsse. Ein Erziehungsinstitut auf dieses Prinzip gegründet, dünkte ihm etwas Schönes. Er beabsichtigt den höhern Freisinn der Eigenthümlichkeit bei gleich erhabenem Zweck in dem Wechselverein junger Herzen lebendig zu erhalten, Alle in einem Glauben, durchein Gesetz zu binden, und doch Jeden den eignen Gang mit Andern gehen zu lehren. Ob er es erreicht? – so endigte unser [383] Freund. Wir müssen das Gelingen einer höhern Hand überlassen.«

»Und im Schwarzwalde,« fragte Elise, »soll die Stiftung gegründet werden?«

»Dort ist sie gegründet,« erwiederte jener. »Das Unternehmen ist mit merkwürdiger Schnelligkeit ins Werk gerichtet, so daß wir schon einige Zöglinge dort vereinigten, zu welchen wir mit Freuden Georg zählen.«

Elise umarmte den Knaben mit unverkennbarer Beschämung. Was in dem Augenblick in ihr vorging, war eher zu errathen, als auszusprechen.

Georgs Hand in der ihren, hub sie nach kurzem Schweigen leise an: »Sie sagten mir, mein Herr! Sie nähmen auch Theil an dem Erziehungsgeschäft des Barons?«

»Nun,« lächelte der Geistliche, »wir Menschen erziehen uns Alle durch einander, und so finde ich wohl meine Aufgabe wie Jeder, der sich nicht für zu weise hält, um zu lernen, und zu lieblos ist, um von seinem Vorrath mitzutheilen. Doch sind meine Pflichten nicht auf das Institut allein beschränkt. Ich möchte das eben nicht. Ich bewahre mir gern die freie Beweglichkeit. Allein angeschlossen habe ich mich den Männern, die hier zu wirken hoffen.«

[384] In Elisen entwickelten sich unmittelbar eine Menge neuer Ideen. Ihr lebendiges Gesicht drückte dies sprechend aus. Sie ging darauf mit Georg im Garten umher. Ich blieb bei dem Geistlichen zurück. Wir vermieden beide, von den letzten Vorfällen zu reden. Doch Emma lag uns zu nahe, um die Wendung ihres Geschicks mit Stillschweigen übergehen zu können.

»Glauben Sie mir,« sagte der vortreffliche Mann, »dies schöne Herz hat mir von jeher die größte Sorge gemacht. Es verstand sich immer nur zur Hälfte, und irrte durch Aberglauben an seinen Eingebungen. Die Gräfin,« fuhr er fort, »stand von Kindheit an, im Widerspruch mit sich und ihren Verhältnissen. Mutter und Tochter hätten sich, wie das so oft zwischen Eltern und Kindern der Fall ist, ergänzen können, wenn nicht Eine die Andere gerade so hätte haben wollen, als sie selbst war. Emma empfand zuerst, daß sie die Mutter nicht umschmelzen werde, deshalb zog sie sich um so strenger, und, wenn ich in dem Sinne so sagen darf, härter im Innern zusammen. Sie lernte auf ihre Ansichten bestehen, und hielt fest an dem Satz, sie müsse, was sie soll. Ueber dies Soll wurde sie indeß nie klar, weil sie tief, aber einseitig empfand. Lesen Sie,« [385] setzte der Geistliche hinzu, »aus diesen raschen Zügen die Geschichte ihrer Gefühle, wie ihrer Handlungen heraus. Auf sie wirkte man nie unmittelbar, und unglücklicher Weise war sie schneller im Thun, als umfassend im Denken. Man könnte in gewisser Beziehung von ihr behaupten, sie sei sich selbst nicht gewachsen gewesen, denn wirklich zerfällt sie nicht sowohl in die beiden gewöhnlichen Hälften irrdischer und himmlischer Natur, als in Ueberzeugung und Gefühl. Eins bleibt hinter dem Andern zurück.«

»Sie enträthseln,« entgegnete ich, über das Gehörte nachsinnend, »vieles im Benehmen der Gräfin, was mich durch seine Inconsequenz verletzte.«

»Ach!« rief er aus, »wo wollen Sie Zusammenhang finden, wenn sich die Natur zerstört! Das Leben zerfasert sich, so wie die Fäden ruhigen Fortgehens künstlich gelegt, oder über Vermögen gezerrt werden. Emma ist nicht ruhig, wenn sie auch still ist. Sie muß, wie wir Alle, erst Frieden in sich machen lernen. Welch ein Maaß des Streites hierzu gehört, das ermißt Keiner!«

Lieber Freund! Ich habe mir die letzten Worte seitdem oft wiederholt. Man wird gelassener, [386] wenn man bedenkt, wie viel geschehen muß, ehe etwas Bleibendes erwächst.


N. S.

Ich hielt dies Blatt bis diesen Morgen zurück. Elise ist entschlossen. Sie begleitet Georg nach dem Schwarzwalde. Der Geistliche hat ihr von einer kleinen Villa in einem der Thäler erzählt. Vielleicht läßt sie sich dort nieder. Sie ist dem geliebten Knaben nahe, auch Emma geht nicht nach Italien. So wären denn beide überall zu einer Nachbarschaft bestimmt, die Ihnen am Ende unentbehrlich werden kann.

Wir, liebster Freund! bleiben in der ausgestorbenen Gegend allein zurück, doch wollen wir nur nicht allein fühlen.

Antwort [18]
Antwort

Tavanelli geht mit diesen Zeilen zu Ihnen. Er wird Ihnen sagen, daß auch er nach dem Tode der alten Martha, welcher er seine Pflege widmete, Georg und dem Geistlichen folgt.

Sophie! man wird gelassener, wenn man bedenkt, wie viel geschehen muß, ehe etwas Bleibendes [387] erwächst. Sie sagen es, und ich muß es wiederholen.

Auch wir werden lernen, Frieden in uns zu machen.

Die Gräfin an Agathe

Laß Deine romanhafte Nachbarsgeschichten, Deine kleine, coquettirende Eifersucht, laß Elisen, laß dem redlichen Curd, der alles in der Welt, nur nicht sentimental ist, Ruhe, und denke an etwas Ernsthaftes.Leontin hat uns die Erbschaft der Tante cedirt. Dies giebt Dir ein Gewicht, was Dein Mann respektiren muß, mir ein Recht mitzusprechen, und Deiner Schwester die Wahl unter ihren Bewerbern. Was geht uns alles Uebrige an!


Hier endet nun ein Briefwechsel, dem noch Manches zu ergänzen übrig bleibt. Gleichwohl findet sich nichts, als die Nachricht, daß Heinrich, Hugo's Freund, nach mehreren Jahren eine Reise in die Gegend von Wehrheim unternahm. Er [388] besuchte das öde Schloß und die Ufer des verhängnißvollen Stroms. Bei dem Wehr fand er einen Stein aufgerichtet, mit Hugo's Namen und dem Tag seines Verschwindens. Die Frau des Zimmermanns begleitete Heinrich dahin. Sie erwähnte der schwarzen Hand, die sich warnend auf dem Gerüste gezeigt hatte. Die Leute im Dorfe dachten seitdem oft daran. Alle liebten den armen Herrn, wie sie Hugo nannten.

Fast um dieselbe Zeit schrieb Elise zwei kurze Zeilen an Sophie, die letzten, die sich von ihrer Hand vorfinden:

»Kann ich auch nicht denken, wie Andere es wollen, so lerne ich doch mit Andern leben, Manches errathen, schweigen und warten, bis es heller und heller wird.«

[389]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fouqué, Caroline de la Motte. Romane. Resignation. Resignation. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B1E3-8