Caroline de la Motte Fouqué
Magie der Natur
Eine Revolutions-Geschichte

Erstes Buch

1. Kapitel
Erstes Kapitel

Um die Zeit der großen Französischen Revolution sah man, noch mehrere Jahre hindurch, an den Ufern der Rhone, im südlichen Burgund, ein höchst prachtvolles, alterthümliches, Schloß sein unerschüttertes Dasein behaupten, während unscheinbare Besitzungen längst der freigegebenen Willkühr weichen mußten. Sein Bewohner, der Marquis von Villeroi, blieb untheilnehmend, und deshalb unangefochten in Mitten der dammlosen Fluth; und Mauern und Zinnen spiegelten sich ruhig in der königlichen Rhone, die, ihren jähen Sturz gleichsam bereuend, sich plötzlich hier in scharfer Beugung westlich wendet. Sie netzte in silbernem Wellenschlag die Wurzeln uralter Bäume, die, eine zweite Wehr, den hohen Wall in doppelten Reihen einfaßten. Ueber ihren Wipfeln spielten die Fahnen vieler kleinen Thürme ihr bewegliches Spiel mit den wechselnden Winden fort, während die [3] alte Thurmuhr in gemessenem Takt den Pulsschlag des verhängnißvollen Lebens angab.

Der Marquis hatte Jahrelang ihren Stundenwechsel in tiefer Einsamkeit gezählt, ohne in die große Reibung des Aussenlebens hineingezogen zu werden. Sein Gemüth war früher auf andere Weise getroffen. Ein Schüler Mesmers, rang er mit durstiger Seele nach dem geheimnißvollen Zusammenhang der Dinge. Von dämmernder Ahndung getrieben, dem Wunderbaren ganz rücksichtslos offen, ohne Sinn für das größte Wunder der Welt, Gott in den Dingen, ja ohne Ehrfurcht vor dem Gesetzlichen in der Wissenschaft, und deshalb ohne ruhiges Entfaltungsvermögen, griff er rasch in das aufgerollte Netz, dessen Schlingen sich eben so plötzlich über ihm zusammenhakten und ihn gefangen hielten. Durch jede Bemühung, sich Luft zu machen, rankte er sich nur fester hinein. Er wollte das große Räthsel mit einem Schlage lösen, aber es ging ihm wie solchen, denen das Wort entflieht, wie sie es auszusprechen im Begriff sind. In dieser Verwirrung strebte er sich und seinen Meister zu überfliegen. Und als im Jahre 1779 seine Gattin, die er aus glühender Liebe in seinen leidenschaftlichen Wirbeln verstrickt hielt, im Wochenbette starb, nachdem sie ihm ein schönes Mädchenpaar geboren hatte, und der geheimnißvolle Magnet [4] die schwindende Lebenskraft nicht fesseln konnte, ja sie vielleicht gewaltsam zerbrach, riß sich der Marquis aus den zauberischen Banden heraus, floh die Schule der Harmonie, Paris und die Welt, und begrub sich in diesem Schlosse, dessen Stifter ihn, Mütterlicher Seits, mit dem Königsgeschlecht der Burgundionen verband.

Zu Anfang glaubte er sein Lebensgeschäft abgethan, dessen Ziel verfehlt. Was er gewollt und nicht gewollt, jegliches Streben, das ganze Dasein, ward ihm ein Hirngespinnst, jede Thätigkeit ein lästiges, zweckloses Spiel der Kräfte, dessen er sich entschlagen zu müssen glaubte, um die thörigen Triebe nicht abermals an den äffenden Gaukeleien abzuarbeiten. So brach er jeden Verkehr mit befreundeten Menschen ab, und schob selbst die Sorge für seine Kinder in fremde Hände; indem er sie mit einer Ruhe, die weder Glaube, noch absolute Verzweiflung, war, in einem nahen Kloster erziehen ließ.

Die Einsamkeit lockte indeß langsam seine eigenste Natur aus dieser Scheinvernichtung hervor, und führte sie, durch manchen wunderbaren Ruf angeregt, wieder in die alte Kreise zurück.

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2. Kapitel
Zweites Kapitel

Der Marquis pflegte mehrere Stunden des Tages in einer langen Gallerie, welche den östlichen Flügel des Schlosses mit dem westlichen verband, auf und abzugehen, und sein lebensmüdes Auge an dem bunten Schmelz der farbigen Bogenfenster zu laben, deren purpurrothe, goldgelbe, grüne und dunkelblaue Scheiben zwar einen unkenntlich machenden, aber deshalb magischen, Schein auf die dahinter liegende Landschaft warfen, und die Gegenstände, in dem veränderten Lichte der Traum- und Geisterwelt des Marquis, näher rückten. Vorzüglich nahmen sich der Strom und die darüber hinziehenden Wolkenbilder seltsam aus, jenachdem das Auge ihnen zufällig in einem bestimmten Farbenton, oder durch die gebrochene Lichter dicht aneinandergränzender Glasflächen, begegnete.

Wie oft wohl Klänge an den verschlossenen Kammern der Seele vorüberrauschen, Riegel und Pforten[6] vor ihnen zusammen stürzen, und alle liebe Bilder der Vergangenheit sich plötzlich, wie freigelaßen, in wehmüthiger Eil zum Herzen drängen, so rührte hier der bewegliche Strahl des Lebens an die dunkle Innenwelt, und der Farben Gluth schmolz langsam die nächtige Decke hinweg. Der Marquis fand sich angenehm in der ungehofften Verjüngung überrascht; denn unversehns war alles wieder wie sonst in ihm, Fragen, Wünsche, Erwartungen, alles gewann dieselbe Richtung, dieselbe Gewalt der Leidenschaft, das gleiche Steigern des Zieles. Nur, daß ihn eine geheime Scheu vor äußrem Mißlingen und jeder geselligen Gemeinschaft zu immer verborgenerm Umgang mit dem Geheimnißvollen trieb, und seinem Thun und Erscheinen ein fremdes, ja unheimliches, Ansehn gab; wozu ein gänzlich vernachläßigter Anzug, oder, bei einzelnen, feierlichen, Momenten, ein wunderlicher Aufputz, theils veralteter Pracht und steifer Festlichkeit, theils eigenthümlicher Zusammenstellung der Kleidung, vieles beitrug. So war er gewöhnlich mit einem langen Schlafrock von chinesischem Stoffe angethan, den ein breiter Gurt über den Hüften zusammenhielt, ein großer ziemlich verrosteter Schlüssel sah aus diesem hervor; um den ganz unbedecktem Hals trug er, an einer langen Haarschnur, etwas, das in einem seidnen Beutelchen nach [7] Art geweiheter Amulete, verdeckt war. Die weiten Aermel streifte er, indem sie ihm, bei freier, oft heftiger Bewegung hinderlich waren, meist in die Höhe und ließ die Arme unbedeckt daraus hervorsehen. Das Haar blieb unfrisirt und ungepudert; um es indeß über der Stirn zusammen zu halten, trug er um diese ein farbiges Tuch geknüpft. Den Bart ließ er sich nicht so oft abnehmen, daß dessen dunkle Bläue nicht Kinn und Hals beschattet hätte. Doch vor allem auffallend an ihm war die Gewohnheit, sehr laut und überaus schnell und anhaltend vor sich selbst zu reden, so bald er allein war. Die innere Nothwendigkeit, dieses zu sein, und das Bedürfniß, durch Wort und Geberde aus sich herauszugehn, vielleicht auch andere, nicht gekannte, Ursachen, ließen ihn so ungetheiltes Gespräch oft Stundenlang führen. Seine Leute, anfänglich in dem Glauben, ihm sei etwas zugestoßen, dann aber, um ihn aufmerksamer auf sich selbst zu machen, eilten zu ihm in das Zimmer, nach seinen Befehlen fragend? Aber sie mußten jedesmal solchen Vorwitz durch einen fürchterlichen Blick büßen, den er aus dem glühendem Augenpaar auf sie niederschoß, indem er mit einer Art zitternden Donner in der Stimme rief: was wollt Ihr? Niemand verlangt Euch! Ihr seid Gottlob weit von meinen Gedanken. Auch konnte er solche [8] Störung sobald nicht überwinden, und man sah ihn Tagelang mit innerer Beklemmung kämpfen, die es sogleich nicht wieder zu einem ähnlichen Strom der Rede kommen ließ. Er konnte sich niemals von diesem fremdartigen Weesen losmachen, selbst bei unabzuweisenden Besuchen seiner Nachbarn, oder von Geschäftsmännern, ja späterhin, in einem ausgebreiteten geselligen Verkehr, flüsterte er oftmals lange Zeit vor sich hin, und jeder ließ ihn gewähren, seine Art schon kennend.

Das erste deutliche Bewußtseyn jener obenerwähnten Wiederbelebung gab dem Marquis indeß ein Augenblick, der, wie immer im Leben, der Gipfelpunkt vieler andern war, die ihm vorbereitend vorausgingen.

Er fand sich nemlich einst bei hereinbrechender Abenddämmerung in jener Gallerie, wo es ihm bald ausschließend einheimisch und wohl war. Die Jahreszeit fiel in die Herbst-Aequinoktien. Die Natur arbeitete schwer, unter starken, anhaltenden Stürmen. Ungeheure Wolkenmassen rissen sich voneinander und thürmten sich wieder zusammen, immer wechselnd und steigend, bis ihre tiefblauen Gipfel sich über das Flußbett neigten und das geängstete Wasser unter sich wie mit metallener Geißel peitschten. Dieses aber brauste und zischte und der gährende Brodem kämpfte gegen die heulenden [9] Luftzüge, die immer gewichtiger darüher hinfuhren, die Bäume in ihren Gipfeln fassend, wie ein ungestümer, trotziger Gast an Gemäuer und Fenster mit gewaltigen Stößen anschlagend. Der Marquis gerieth gemeinhin durch die gebrochenen Töne, das plötzliche Abprallen, und fernhin rollende Gewimmer des Sturmes, in den quälendsten Zustand. Sein ganzes Wesen schwankte wie auf Windeswogen. Schon als Knabe fand er in solchen Augenblicken keine Ruhe, und auch späterhin hatte er sehr peinliche Kämpfe mit den wechselnden Naturzuständen auszuhalten. Jetzt stand er wie eingewurzelt, und starrte gedankenvoll, doch bewußtlos wie im Traume, in die aufgerührte Elementenwirbel. Plötzlich legte es sich wie ein weißer Schein über dem dunklen Wolkenberge auseinander, kleine Silberflocken kreisten anfangs am Saume umher, bis sie immer dünner und durchsichtiger ineinanderflossen, und das weiße Gewölk endlich wie ein weiter Schleier aufwallete, hinter welchem der Vollmond in seiner ganzen, wunderlichen Herrlichkeit heraufstieg, und gleichsam auf dem schwarzen Throne Platz nahm. Dem Marquis war es, als sähe die strenge Naturgöttin strafend auf ihn nieder. Er schauerte unwillkührlich zusammen, und schloß die geblendeten Augen.

Der gesellige Mensch, voll heim athlicher Bilder[10] des befreundeten Lebens, voll vertraulich gewordenen, aus der aufgedeckten Welt geschöpften Wünschen, weiß kaum, wie die Nacht an die Seele des Einsamen, Hoffnungsarmen, rührt, wie er dastehen, auf einen Ton horchen könne, den er vergebens dem reichen Tagesschein abbettelte.

Der Marquis hoffte mit gespannten Sinnen auf irgend eine große Offenbarung. Ihm werde, dachte er, jetzt gegeben, was er früher der Natur abzutrotzen meinte. Doch leider sollte er nur immer tiefer in die alte Verwirrung hineingerathen!

Das volle Mondenlicht warf einem hellen Kreis in das Zimmer, der Marquis stand in Mitten desselben, fast regungslos, in einem Strudel ungestüm arbeiten der Vorstellungen befangen. Zwei Welten schmolzen jetzt in ihm zusammen, äußere Wahrnehmung und inneres Schauen und Fühlen wurden Eins. Der wachsende Sturm riß in seiner Seele, ohne daß er sich bewußt war, ihn zu hören, der herabströmende Regen, ja ein, zu dieser Jahreszeit ungewöhnlich starkes, Gewitter, rollte nur dumpf an ihm vorüber, doch fühlte er es wie Feuergüsse durch sich hinziehn. Auch vor den geschlossenen Augen sprühete es ihm wie Feuer, und zwar wie lauter brennende Schriftzüge, von denen er gleichwohl nichts lesen konnte. Er sprach in [11] der Zukunft gern und oft von diesem Zustand, der ihm wie ein Traum erinnerlich blieb, und den er, als einen Licht- und Wendepunkt seines Lebens, sehr in Ehren hielt. Plötzlich fiel ein heftiger Donnerschlag, der, mehrere Scheiben zerschlagend, in das Gemach hinein, eine metallene Leiste entlängs, an einem sehr kunstreichen, in die Wand eingelassenen, Uhrwerke herab, in die Erde fuhr. Dies Uhrwerk, von einem deutschen Meister vor mehrerern hundert Jahren verfertigt, ließ zu bestimmter Zeit einen Vogel aus goldgeflochtenem Bauer hervorgehen, der, seine Schwingen ausspreitzend, mit gellender Kehle die Stundenzahl angab. Die ganze Sache war seit langer Zeit ins Stocken gerathen. Niemand erinnerte sich, das nunmehr ziemlich verachtete Kunststückchen selbst gesehen und gehört zu haben, man erwähnte dessen nur als einer Merkwürdigkeit des Schlosses. Jetzt aber, wie durch einen elektrischen Schlag entzaubert, trat der Vogel hervor, und gleichsam, als wolle er sich für das lange Schweigen schadlos halten, blieb er in einem schnarrenden Geschmetter, bis das rostige Räderwerk, abgelaufen, wieder in seine Fugen zurücksprang, indem noch zuletzt ein Ton nachklang und langsam verhallte. Da nun der Marquis mit diesem einen letzten Tone zugleich aus seiner halben Ohnmacht aufschreckte, und es sich fand, daß [12] es nach Mitternacht, ja nach den übrigen Uhren des Schlosses, auf den Glockenschlag Eins sei, so behauptete er, die Stunde seiner Wiedergeburt habe zugleich auch in der Geisterwelt geschlagen, und alles, was er in dieser erlebt und nicht erlebt, was er geahndet und innerlich gesehn, sei Mahnung zu einem höchst wundervollen Berufe, dem er sich nun ganz ohnfehlbar weihen solle.

Hierin ward er folgenden Tages um so mehr bestärkt, indem er jene herausgefallene und zerbrochene Scheiben aufsammelte, und wirkliche Schildereien, ja recht sinnvolle Gestalten, darauf wahrnahm, was er früher niemals bemerkt, indem sie die obern Felder ausfüllten und sich weiter herunter keine gemalte, sondern, vielleicht als spätere Ergänzungen, nur farbige Gläser vorfanden. Besonders auffallend war ihm die Bildung eines Mannes mit großem Buch und goldenem Schlüssel in der Hand. Die Figur war sorgsam ausgezeichnet, nur in Rücksicht der Kleidung schien sie keinem Zeitalter noch Volk eigends anzugehören, sondern allein das Wunderbare der Zauberei anzudeuten. Da sich nun dasselbe Buch mit darüber liegendem Schlüssel auf den übrigen Glasscherben, auch ohne die erwähnte Gestalt, zeigte, so glaubte der Marquis, hierin, in Verbindung mit jenen im Innern gesehenen, feurigen Schriftzügen, eine Weisung [13] zu finden, daß solches Buch noch irgendwo im Schlosse verborgen sei, welches ihm vielleicht allein die ersehnten Aufschlüsse geben könne.

Er stellte deshalb sogleich die allergenauesten Untersuchungen an, und gelangte endlich, am äußersten Ende des Gebäudes, in ein Zimmer, welches den untern Raum eines der vielen kleinen Thürme ausmachte. Hier hatte man nun wohl seit Jahren den lästigen Ausschuß abgetragener Kleider, veralteten Hausgeräths, zerrissener und verblichener Schildereien, kurz alles dasjenige hingeworfen, was die neuere Zeit von sich wegschiebt, ohne grade zu auf zerstörende Weise Hand daran legen zu wollen. Unter vermodertem Plunder und einer Decke von Staub und Spinnengewebe lagen auch wirklich Bücher, welche der Marquis sogleich hervorzog, und einen Folianten mit Pergamentdeckel als das rechte und ersehnte erkannte. Zu seinem Kummer aber war es in unbekannter Sprache geschrieben, und die über jedem Paragraphen eingestochenen Cirkel, Linien und seltsamen Figuren, reitzten seine Begier bis zur quälendsten Leidenschaft.

Er konnte indeß den gefundenen Schatz dennoch nicht wieder fahren lassen. Er beschloß, alles anzuwenden, das Geheimniß zu entziffern, indem er ausfündig zu machen hoffte, in welcher Sprache [14] das Buch abgefaßt sei, und diese sodann ohne weiteres erlernen zu können meinte.

Voll von diesem Gedanken wollte er das Zimmer verlaßen, als er auf dem hervorspringenden Sims der Thür einen Schlüssel liegen sah. Er durfte, seiner Meinung nach, nichts unbeachtet laßen, und ob er gleichwohl keinen Nutzen von dieser Entdeckung einsah, so steckte er doch den Schlüssel zu sich, und träumte sich im Besitz vom Steine der Weisen, ohne diesen jemals zu finden, denn wenn er auch Tage und Nächte und Monate und Jahre über das Buch sann, und forschte, es blieb ihm verschlossen, und keine Spur konnte ihm die eigentliche Sprache entdecken.

Er begnügte sich demnach, mit den darin befindlichen Zeichen Versuche anzustellen, und, indem er sie so oder so legte und stellte, brachte er Resultate heraus, die ihm zwar nicht gnügten, dennoch aber eine eigene Magie zusammenbaueten, in welcher er sich selbst als Herrn und Meister feierte.

[15]
3. Kapitel
Drittes Kapitel

Auf diese Weise war dem Marquis, unter stetem Forschen und angestrengter Arbeit, eine Reihe von Jahren in einer Gattung von Thätigkeit verflossen, welche zwar keinen sichtbaren Einfluß auf das Gestalten und den Fortgang der Dinge gewann, ihm jedoch große Ereignisse vorzubereiten schien. Was überall geschehen könne? was er besonders erringen werde? darüber war er wohl nicht völlig auf dem Reinen. Nur so viel schien ihm gewiß: Die Natur habe in jeder ihrer Offenbarungen eine Stimme, und ob nun gleich diese der sinnlichen Warnehmung meist unverständlich bliebe, so müsse die entbundene Seele doch nothwendig in einen Rapport mit der geheimnißvollen Innenwelt zu setzen und in Einverständniß mit ihr zu bringen sein. Das große Phänomen des Somnambülismus und der Clairvoyance schwebte ihm hierbei vor Augen. Was dort dem Uebergewicht einer animalischen [16] Kraft über die andere möglich sei, das, glaubte er, dürfe der Einwirkung höherer Kräfte um so weniger entstehn. Wie diese nun zu beschwören, wie sie von den Banden der Leiblichkeit frei zu machen seien, das war die große Angelegenheit seines Lebens, an die er Gesundheit, frische und freudige Sinnenlust, den Schmuck und die heitere Klarheit des Lebens, ja alles in allem, des Daseins ewig bewegliches Element, der Liebe und Freundschaft belebenden Verkehr, setzte.

Während er sich indeß in die finstern Schachten langsam selbst vergrub, und der Qualm und Dampf. nebelnder Ahndungen sein Herz vertrocknete und den Geist wie ein flackerndes Licht unstät hin und her trieb, rückte ihm das wirkliche Leben immer näher und näher, und schien die gefristete Stundenzahl mit Wucher von ihm einzufodern.

Sein abstruses, oft verzücktes, Wesen hatte ihm längst den Ruf stillen Wahnsinnes gegeben. Man war ihm mit einer Scheu begegnet, welche, bei aller Verachtung vor übersinnlicher Träumerei, in unsern Tagen, nicht selten, im Gemisch von Geringschätzung und augenblicklich aufflammender Ahndung eines Etwas, das die bunte Decke des Lebens verbirgt, den Schein demüthiger Furcht gewinnt. Ein Mensch wie der Marquis zieht [17] unwillkührlich einen Kreis um sich her, den das freudige, wie das freche, Leben flieht.

Deshalb konnte die Revolution losbrechen, und sich von den Stufen des Thrones durch Gerichtshöfe und Institutionen bis zu dem stillen Verkehr des Landmanns hinunterwälzen. Das große Triebund Räderwerk ineinander greifender Verhältnisse aus seinen Fugen reißen, alle Bande des Gesetzes, der Ehre, sichtbarer und unsichtbarer Liebe zerbrechen, weder Partheigeist, noch Freundschaft, noch tapferer Muth machten sich Bahn zu dem abentheuerlich gesinnten Mann, dem sich, in trüber Verpuppung, die glänzenden Fittige niemals lösen wollten.

Wie der Marquis indeß in jener Nacht das Gewitter schmerzlich fühlte, ohne es deutlich zu hören, so zitterte auch jetzt sein Herz bei dem Untergange alles dessen, was zahllose Geschlechter aus sich erwachsen sahen, wie der Leib ihres Denkens und Schaffens Fuß faßte auf Erden. Der Mensch wächst mit der Form zusammen, die er bilden half, und man zerbricht diese niemals, ohne das innere Leben nicht auch zu berühren. Die Nachricht der Gefangennehmung des Königs, und später dessen Tod, jagte dem Marquis das Blut flammend durch die Adern. Ein unleidlicher Druck legte sich ihm auf Brust und Herz. Seine ganze Vergangenheit [18] war zusammengestürtzt, zu welcher ihn der Gedanke, in stillen, erschöpften Stunden, unwillkührlich zurücktrug, und den ganzen wehmüthigen Traum des Lebens nochmals vor ihm aufrollte. Deshalb ward ihm nunmehr alles peinigend, was aus jener Zeit zu ihm redete, und er befliß sich sorgfältig, jeglichen Gegenstand zu entfernen, welcher diese Sprache führte. Aus eben dem Grunde ließ er die Bildnisse seiner Eltern aus dem Zimmer tragen und sein Familienwappen über dem Kamin verhangen. Dieser Umstand legte den Grund nachheriger Verwirrungen, und gab den ersten Anstoß, welcher in die Ereignisse der Zeit hineindrängte. Denn es war nicht sobald laut geworden, daß der Marquis, in lichten Momenten, wie sie es nannten, der guten Sache anhänge, ja Vater und Mutter verleugne und der großen Angelegenheit der Menschheit huldige, als einzelne rohe Bursche versuchten, seine Reichthümer und geheimen Künste zu ihrem Vortheil zu benutzen.

Es war schon hoch an der Zeit, als eines Abends der ehemalige Essenkehrer des Schlosses und zwei andere Handwerksgesellen aus dem nahen Städtchens in täppischer Eil zu dem Marquis eintraten. Mit gespreitzten Beinen, auf Eisen beschlagenem Knotenstock gestützt, standen sie da, streckten die breiten, bärtigen Gesichter auf kurtzem Halse aus [19] Flügelartig gebogenen Schultern hervor, und schickten lüstern freche Blicke im reichen Zimmer umher. Verwogen hing die Jakobinermütze über einem Ohr in den Nacken herab, das struppig wilde Haar bauschte sich unter dieser über flacher, eingedrückter Stirn. Der Marquis fuhr erstaunt bei ihrem Eintritt in die Höhe, aber sie legten die groben Fäuste vertraulich auf seine Schultern und Arme; und riefen »Hör' Bürger, Du bist von den Unsern, wir wissens, laß jetzt einmal Deine Hexenstreiche, und thu' was rechts. Die Lyoner Königsknechte schicken Streifparthieen im Lande umher, zieh' mit uns! wer weiß, wie lange der alte Steinhaufen so noch steht! Zieh' mit uns!« riefen alle drei und stießen die derben Knittel ermunternd auf gegen den Boden. »Oder willst Du das nicht, fuhr der Essenkehrer fort, so gieb Deine Baarschaft her, wir brauchen Geld, Waffen, Kleider und Schuh, es ist ja für Dich wie für uns, wie das Sündengeld von Dir, was Deine höllischen Väter erpreßten.« –

Bleich wie der Tod, die nackten Arme drohend aufgehoben, starren Blickes, mit verhaltenem Athem, stand der Marquis ihnen gegenüber! So dreist sah die neue Welt zum erstenmal in seine Einsamkeit hinein! Die Wuth schwellte sein Herz zum Zerspringen. Fürchterlich schrie er auf, [20] und fiel, wie die überreitzte Natur sich jetzt oft so in ihm zerriß, in Haaransträubenden Zuckungen zur Erde.

Die Bursche blickten einander, wie gelähmt an Händen und Füßen, ganz verdutzt an, dann aber, wie auf einen Wink, stürtzten sie, ohne hinter sich zu sehen, zur Thür und zum Schlosse hinaus, und meinten nicht anders, als der Teufel gehe drin um, und es sei nicht gerathen, sich mit diesem weiter einzulassen. Mehrere Domestiken des Marquis, welche schon längst ähnliche Vermuthungen hegten, schlossen sich an die Flüchtenden an. Wenige blieben zurück, unter ihnen Bertrand, der bejahrte Schloßverwalter. Dieser eilte zu seinem Herrn, leistete ihm alle erdenkliche Hülfe, und verließ ihn während der ganzen Nacht, in welcher der Marquis viel innere und äußere Schmerzen litt, nicht einen Augenblick. Der unerwartete Vorgang schwebte diesem unabläßig vor der Seele. Er hatte so lange nichts von der Welt gesehen, nun brach sie so frech, so verwirrend, auf ihn ein! Daß diesem ersten Anfalle ähnliche folgen würden, fühlte er wohl. Er sah sich der rohesten Willkühr bloßgestellt. Deshalb fiel es ihm auch wohl ein, Eigenthum und Vaterland zu verlassen, allein sein Blick war nirgend in der Außenwelt zu Hause, sein Denken, nach dieser Richtung hin, so unbehülflich, [21] er selbst so losgerissen von jeder befreundeten Beziehung des Lebens, so eingefugt in die liebe, lange Gewohnheit täglichen Seins und Thuns, daß er sich tröstete, so gut es ging, die Gefahr in weite Ferne hinausschob, und bange Vorgefühle einschläferte.

Der Mensch mag sich indeß vor sich selbst und gegen die Welt hinstellen und wenden wie er will, das Alte kehrt ihm nie in seiner vorigen Gestalt zurück. So kam dem Marquis grade dasjenige, was er bewahren wollte, die gewohnte Weise, nicht in dem vorigen Takt und Maaße wieder. Mit dem müßigen Zusehn des Aussenlebens war es vorbei! Jene großen, allgemeinen Fragen über Natur und Menschenleben wanden sich in immer engern Kreisen zu einem ganz kurz gesteckten Zielpunkte zurück. Seine Orakelbeschwörungen klangen bald anders. Unwillkührlich schloß Frankreichs Boden die Welt in sich, das eigene, enge Dasein umfaßte die große Angelegenheit der Menschheit, und ewig fortschreitende Zeitentwickelungen wurden zu Heut und Morgen. Was einmal geschehen war, konnte wiederkehren; und bei weitem gewaltsamer, frecher, Freiheit und Leben bedrohender. Deshalb mischte sich Unsicherheit und Zagen in alle Vorstellungen des Marquis. Er konnte nicht mehr allein sein. Bertrand durfte ihn nicht verlaßen, [22] ja er verschmähete es nicht, mit diesem zu reden, und Fragen über die Tagesneuigkeiten an ihn zu richten, welche die innere Unrnhe seines Gemüthes deutlich genug offenbarten.

In dieser Stimmung erhielt er eines Tages eine Botschaft von der Aebtissin jenes Klosters, in welchem seine Töchter ohnweit Lyon erzogen wurden. Sie meldete ihm durch einen Köhler, welcher das Klosters Heitzung früher gepachtet hatte, daß die Gewalt auch in ihrer Provinz von neuem siege, daß sie seinen Kindern länger keinen Schutz zusichern könne, und selbst, einzig unter Gottes Schutz flüchtend, ihr Vaterland zu verlaßen gesonnen sei. Der Köhler setzte hinzu, die bedrängte Unschuld habe wohl Schande und Uebermuth zu fürchten, da unzählige Opfer täglich unter dem blutigen Beile des Henkers fielen, Andere, durch die Kriegesgeißel vertrieben, unstät umherwanderten, oder in Hunger und Noth verkämen, er selbst sei mit Frau und Kind auf dem Wege nach den Savoyer Gebirgen.

In Chambery habe die Frau einen Bruder wohnen, dort wollten sie noch ein Stückchen Erbschaft holen, und dann vielleicht nordwärts nach Deutschland wandern, wo die Menschen doch einen Gott und einen Glauben hätten.

Des Mannes verkümmerte Gestalt, die Schatten,[23] die bei den trüben Worten, wie Schreckenserinnerungen, über sein bleiches Gesicht hinfuhren, und mehr als alles, die Hindeutung auf schamloses Entweihen zarter, geheiligter Unschuld, sprach mit unwiderstehlicher Gewalt zu dem Herzen des Marquis. Das Entsetzen, die Angst, gaben ihm augenblicklich Kraft und Entschluß. Es galt die Ehre seines Hauses, er konnte nicht zögern. So wollte er sich denn aufraffen und seine Töchter retten, die er nicht kannte, an die er seit siebzehn Jahren zum erstenmal in einem einzigen, alles beherrschenden, Gefühle dachte. Er zitterte vor Ungeduld, war ganz Feuer, Muth und That, plötzlich allen bänglichen Rücksichten vorübergeflogen. Er selbst verstand sich nicht, und glaubte, eine unsichtbare Gewalt handle durch ihn, um so mehr, da er sein Vorhaben durch des Köhlers Bereitwilligkeit, dessen Zuhausesein in der jetzigen Welt, seinen wackeren Sinn und thätigen Eifer, unerwartet erleichtert sah.

Das Kloster war nicht über funfzehn Stunden vom Schlosse entfernt. Der Köhler ließ sich sogleich willig finden, den Marquis dorthin zu begleiten, der niemand die Sorge für seine Kinder anvertrauen wollte, je furchtbarer der wildeste Aufruhr grade in diesem Zeitpunkte durch ganz Frankreich raste. Vorzüglich erzitterten die südlichen [24] Departements unter den Doppelschlägen inländischer und auswärtiger Feinde. Die Königsgesinnten hoben, durch Schmerz und Verzweiflung getroffen, einen Augenblick die gebeugten Häupter, Toulon war in den Händen der Engländer, Portugiesen und Spanier hatten Fuß gefaßt bis jenseits Perpignan, Lyon trotzte Gefahr und Tod, aber Carnot schoß Feuerflammen in die Herzen der Republikaner. Aus Savoyen strömten die Truppen, welche es unter Montesquiou besetzten, zurück – Tod und Blutgier waren losgelaßen, der Würgeengel ging vor beiden Partheien einher, nichts sollte bestehen, die Erde arbeitete ein neues Leben aus den Blutwellen herauf. Durch alle diese Schrecken sah der wachgeschüttelte Vater mit steigender Ungeduld der Rettung seiner Kinder entgegen! Deshalb hatte er auch keinen Augenblick länger Ruhe. Die Luft im Schlosse schien ihm das Herz zusammenzudrücken, überall wo er sich hinwandte, was er anfaßte, traf es ihn wie mit elektrischen Schlägen! Er trieb und drängte demnach mit solcher Heftigkeit, daß in wenigen Stunden alles berathschlagt, eingerichtet, und zur Abreise bereit war.

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4. Kapitel
Viertes Kapitel

Der Morgen dämmerte kaum, als sich der Marquis in der allerwunderlichsten Stimmung, von Schmerz und Erwartung zerrissen, mit den Waffen des stolzesten Muthes im Innern, und den gehörigen Vertheidigungsmitteln von Außen versehen, in den Wagen warf, und nachdem er des Köhlers Frau, nebst ihrem Kinde, Bertrands Pflege empfohlen hatte, mit seinem rüstigen Begleiter in Gottes Nahmen die Reise antrat.

Aber es war nicht das ehemalige Frankreich, noch dessen vorige Bewohner, welche die alte, ewig gekannte, Sonne beschien! Weder Dörfer noch Felder und Wälder sahen sich ähnlich. Ganze Ortschaften lagen eingeäschert, oder standen leer; aus zerschlagenen Thüren und Fenstern klafften blutgefleckte Wände schreiend hervor. Nirgend hatte die Pflugschaar ihre segensreiche Furchen gezogen. Die Kammern der Reichen waren aufgerissen, geiler [26] Ueberfluß verscheuchte Fleiß und Betriebsamkeit und den stillen Genuß sittigen Erwerbs. Die Aecker lagen aufgewühlt, zerstampft, tief gleisete Wege führten achtlos darüber hin. Auf den Weinbergen rankte sich ein wild wucherndes Gewächs zwischen überhangendem Unkraut hin, Planken und Pfähle waren ausgerissen, Winzerwohnungen umgestürtzt, die schwellende Traube schüttete ihren Segen in den Schooß der Erde, keine Hand wollte sie pflücken, in keinen Becher perlte der bescheidene Most, so lange reiche Keller ihre Schätze hergaben und schäumende Feuerströme das trockene Gehirn der Menge entzündeten. Und aus all den verwandelten Umgebungen starrte ein neues Geschlecht mit verwilderten Blicken hervor. Sehr mannigfach und in seltsamer Verzerrung war dessen Erscheinen! Auf das Empörendste trieben viehische Rohheit und bettelhafter Trotz ihr wüstes Spiel unter Männern und Frauen. Bewaffnete und verstümmelte Weiber schleppten sich in wilden Haufen umher, hielten Wegelagerung und waren die grausamsten Verfolgerinnen ihrer Beute. Spindel und Nadel ruheten, das Schwerdt half ertrozzen, was diese mühsam erwarben. Aber mehr noch als Geldgier und Rache war Mißtrauen das Schreckensgespenst, das vor jeglichem herging, und mit seinem Pesthauch die Lebensluft vergiftete. [27] Es zerschnitt plötzlich Vertrauen und Zuversicht und verwirrete die reinsten Verhältnisse.

Unversehns hatte es auch den Marquis erfaßt, die düstere Verwilderung um ihn her hatte in diesem den unheimlichen Gedanken erwerkt, daß der Köhler abgeschickt sei, ihn vor irgend ein Blut-Gericht zu locken, daß man ihn dort der Zauberei angeklagt habe, sein verborgenes Wesen indeß scheue, deshalb keine Gewalt gebrauchen wolle, und sich der List bediene.

Was zu Anfang nur in dunkler Beklemmung sein Herz zusammenzog, arbeitete sich immer deutlicher und kenntlicher herauf, wie er den Gedanken nur einmal ins Auge faßte. Jede Bewegung des Köhlers ward ihm verdächtig. Er bewachte ihn mit gespannten Blicken und steigerte seine Angst, vorzüglich gegen die Nacht, auf eine Weise, daß die wildesten Mordbilder seine Seele durchzuckten. Der stille Schlaf des müden Mannes schien ihm die abgefeimteste Heuchelei, und ein verruchtes Mittel, ihn selbst zu ähnlicher Hingebung anzulocken. Dahin ließ es nun die geängstete Natur auf keine Weise in ihm kommen, das fühlte er wohl, indem er sein Ahnungsvermögen pries, welches ihn zu rechter Zeit vor Gefahr warnte. Diese ward ihm aber so gewiß, daß er entschlossen war, umzuwenden, und nach dem Schlosse zurückzufahren. [28] Indeß schwankte er noch, und verweilte einen Augenblick bei der Möglichkeit, das allgemeine Elend könne ihn sehr zur Unzeit scheu und voreilig machen, als ein neuer unerwarteter Auftritt seine ganze Aufmerksamkeit gefangen nahm und ihn zwang, auf das Nächste und Gewisseste hinzusehn.

Ihr Weg führte sie an dem Schlosse des BaronClairval vorbei, welcher mit einer Schwester der verstorbenen Marquise vermählt war. Unzähligemal kamen die jungen Frauen in der schönen Sommerzeit des kurzen Eheglückes der Marquise hier zusammen. Der Baron, voll gemüthlicher Fröhlichkeit, reich, großmüthig, gastlich, sinnreich im Genuß der Zeit, zog Freunde und Bekannte in seinen heitern Kreise. Die jugendlichste Lebenslust trieb hier ihr freudiges Spiel. Theater, Bälle, glänzende Aufzüge, muthwillige Verkleidungen, gesellige Intriguen, Freundschaft und Liebe, alles durcheinander, füllte hier Herz und Sinne vieler sorgenfreien, lustigen Menschen, denen sich die Welt, wie eine Knospe, plötzlich im Frühroth des Lebens öffnete. Der Marquis insbesondere sprühete seine Feuernatur in tausend glühenden Funken umher, wohin diese fielen, zündeten sie, und strömten bewegliches Leben durch die gesellige Lust. Ihn selbst erfüllte nur ein Gefühl, [29] Vergötterung der jungen, bildschönen Frau, und heftiges Verlangen, diese unauflöslich an sich zu ketten, zu bannen, durch alle Künste geheimnißvoller Liebeszauberei. Damals spielte dies Verlangen nur noch auf der frischen, farbigen Blumendecke des Lebens. Die Aufmerksamkeit des geliebten Weibes immer neu und gespannt auf sich zu heften, zeigte er sich dieser in mannigfacher Gestalt. Sein reiches Talent, die Gewalt und brennende Kraft seines Willens, gaben ihm tausend Mittel dazu. Er war furchtbar herrlich in der Tragödie, blendend und fast verwirrend im magischen Zauber ausgewählter Aufzüge, zierlich, gewandt bei Tanz und Spiel, und unwiderstehlich fortreißend in der leidenschaftlichen Gluth seiner Liebe. So überfüllte und zersprengte er denn auch das zarteste Herz, das sich in jenen Tagen unbefangen an das seine legte. Seitdem sah er das Schloß nicht wieder. Mit allem, was ihm sonst gelacht, zerfallen, blieb ihm das gastliche Gebäude verschlossen. Jetzt war es bis auf seine Grundsteine geschleift, Lust- und Fruchtgärten lagen verschüttet, wo sich einst die heitern Zimmer dem vertrautesten Menschenverkehr eröffneten; wo Musik, befreundete Gespräche und der Liebe leises, berauschendes Geflüster erklangen, da brannten jetzt Wachtfeuer, ein republikanisches Chasseur-Regiment[30] nebst Infantexte-Bataillon stand dort auf dem Bivouac, Gesindel aller Art hatte sich hinzugesellt, viel abentheuerliche Gestalten lagen neben dem Auswurf des Pöbels um dampfende Kessel frisch geschlachteten Fleisches, freche Lieder schallten durch die Luft, zwischen den Feuern sah man die Carmagnole unter wüthenden Verdrehungen tanzen, dazwischen schrieen ganze Schaaren Raubvögel, die gierig auf die ekelhaft umhergeworfenen Eingeweide des getödteten Viehes niederfielen, an den Seiten hielten Vedetten zu Pferde und zu Fuß. Eine derselben, ein Infanterist, vertrockneter, dürftiger Statur, in weiten Lumpen hängend, mit seltsam aufgeputztem Helm, dessen Flügelartige Schutzleder von Tigerfell sich um das gelbe, abgeflachte Gesicht legten und es bewahrend einschlossen, brüllte den Reisenden sein qui vit? entgegen. Dem Marquis, dem Vergangenheit und Gegenwart, wie zwei gegeneinander fassende Dolche ohnehin in die Seele schnitten, gerieth durch den widerlich-trotzigen Anruf ganz außer sich, er sprang auf, griff nach seinen Waffen, und war im Begriff, ein Pistol abzudrücken, als der Köhler sich über ihn warf, seine Arme fest um ihn schlang und dem Vorposten zurief, er bringe den wahnsinnigen Bürger Villeroi in Verwahrung in das Hospital nach St. Fons. Der Marquis schrie [31] bei diesen Worten laut auf, und der Köhler hatte alle Mühe, sich seiner versichert zu halten, als der Republikaner ungestüm den Paß zu sehn verlangte. Da kam ein junger schöner Mann, in reicher Uniform, auf stattlichem Pferde, an den Wagen gesprengt, und gebot mit überaus milder Stimme, den Unglücklichen fahren zu laßen, der sichtlich Hülfe bedürfe. Der Ton dieser Stimme fiel wie Balsam auf des Marquis innere Wunden, er wußte nicht, wie ihm geschah, der Zorn hatte keine Kraft mehr in ihm, Thränen stürtzten aus seinen Augen, er wollte dem jungen Mann um alles nur einmal ins Gesicht sehn, aber der hatte sein Pferd gewandt, und der Wagen flog schnell davon.

Der Köhler ließ jetzt den Marquis aus seinen Armen. Verzeiht, lieber Herr! sagte er leise, wenn Euch meine Worte verdrossen haben, aber ich wußte kein ander Mittel, und es ist doch nun auch alles gelungen. Der Marquis erwiederte nichts, drückte sich in eine Ecke des Wagens und bemerkte es kaum, daß unwillkührlich ein Gebet über seine Lippen flog. Der Köhler zog einen Rosenkranz aus dem Futter seines Rockes und betete still mit, bis der Marquis eingeschlafen war.

Dieser sah im Traum den jungen Mann in allerlei bekannter Gestalt hin und herschwanken. Paris, das verwüstete Schloß, er selbst, seine früherer [32] Soldatenstand, alles rankte sich in ein buntes Geflecht zusammen, zuletzt trat die verstorbene Marquise zu ihm, sie hielt den Finger auf das geheimnißvolle Buch, die magischen Zeichen flossen alle in einander, dann traten wieder Buchstaben einzeln herauf, aber er konnte sie nicht festhalten, und vergaß einen über den andern, da wollte er fragend zu der Marquise hinsehn, die war nicht mehr da, das Buch aber, was er in der Hand hielt, war die Bibel.

Die Bibel! – sagte er träumend, als jetzt der Wagen hielt und der volle Tag das Kloster beschien, welches am Abhang eines ausnehmend frischen und blühenden Hügels vor ihm lag. Der Köhler öffnete den Schlag, der Marquis sah gerührt auf ihn hin, reichte ihm in schweigender Beschämung die Hand, und ging nun, von der treuen Seele geleitet, den Steg hinan.

Sie fanden die großen Flügelthüren achtlos angelehnt, das Gebäude wie ausgestorben, alle Zellen offen und leer! Dem Marquis klopfte das Herz in unaussprechlicher Angst, auch der Köhler ward unruhig, indeß fanden sie keine Spur irgend einer Gewaltthätigkeit. Freiwillige Auswanderung nur war denkbar, doch so plötzlich erschien auch diese unbegreiflich. Sie setzten daher ihre Nachforschungen mit möglichster Sorgfalt fort. Alle [33] Schlupfwinkel waren bereits durchsucht, als sie hinter einem Pfeiler in der Kapelle eine Thür wahrnahmen, sie öffneten und eine Treppe hinuntergingen, welche zu mehrern labyrinthisch in einander fortlaufenden Gewölben führte. Der schräge Strahl eines fernen Lichtscheines gab ihrer Wanderung hier bestimmte Richtung. Sie traten auch bald in eine weite Halle, deren schöne Verhältnisse und schlanke Säulenpracht, den Eintretenden das Gefühl heimathlicher Ruhe und tiefen Ernstes in die Seele legte. An den Seiten standen viel kostbare Särge in Nischen, welche zugleich die steinernen Bildnisse verstorbener Klosterfrauen einschlossen. Aus dem Hintergrunde strahlten mehrere Kerzen herauf und verbreiteten ein heiteres Licht über die einfach große Erscheinung. Das bewegliche Gemüth des Marquis war auf das Höchste gespannt, als die Aebtissin, durch den Anblick des Köhlers jeder Erklärung überhoben, von mehrern Jungfrauen begleitet, vortrat, und dem Marquis ein überaus zartes, fast kindisches Wesen, mit blondem Lockenköpfchen und schmeichelndem Augenpaar, zuführte. Mehr hinter ihr, als zu ihrer Seite, schritt eine hohe Gestalt von überaus großer Schönheit, blendendem Auge und strenger Regelmäßigkeit in Wuchs und Gang, langsam, fast zögernd, einher. Der Marquis hatte die Worte: [34] Ihre Kinder! schon gehört, fühlte die Kleine unter heißen Thränen an seiner Brust, als jene, nicht scheu, nicht schroff, aber sinnig beachtend, dastand, gleichsam, als erwarte ihr Herz, was der ungekannte Vater zu diesem sprechen, was der ganze wunderbare Moment ihr sagen werde. Auch der Marquis sah fragend in ihr Auge und beider Blick brannte in stummen schauervollem Erkennen ineinander. Meine Tochter, sagte er langsam, sich des Unbegreiflichen versichernd, sie neigte sprachlos ihre Stirn auf seine Hand und es schien, als gehe mit dieser Berührung sein ganzes Wesen, zu ihrer Verständigung, in sie über. Unter Gräbern, sagte sie, welche Betrachtung eben in ihm aufstieg, führt uns das rohe Leben zusammen. Es deutet uns wohl auf den trüben Ernst unserer aller Zukunft! Die Aebtissin sah sie verwundert an, sie hatte sie niemals so bestimmt und dreist sprechen hören. Antonie aber sank zu ihren Füßen, umfaßte ihre Knie und flehete mit nie geäußerter Heftigkeit um ihren Segen. Die bewegte Frau legte ihre Hände segnend auf beide Schwestern, die kleine lächelnde Marie indeß mit besonders wehmüthiger Inbrunst an ihre Brust drückend. Drauf führte sie beide nochmals den Vater zu und ließ der Natur still geheimnißvolle Sprache sich ungehindert offenbaren!

[35]
5. Kapitel
Fünftes Kapitel

Nach diesen ersten, gefeierten Momenten kam es sodann bald zwischen dem Marquis und der Aebtissin zu den nöthigen Erörterungen. Sie sagte ihm: daß die gehäuften Truppenmärsche dieser Tage, Lyons nahender Fall, die immer wachsende Zügellosigkeit und Gewalt der Republikaner, ihr Kloster jedem Angriff blosgestellt und sie zu dieser letzten Zuflucht hinabgedrängt habe, welche ihr jedoch nur sehr Augenblicklichen Schutz gewähren dürfe; sie sei deshalb erfreut, ihre Pfleglinge seinem Händen zurückgeben zu können, indem sie nur für diese gesorgt, ungewiß, welcher Parthei er, der Marquis, beigetreten sei, oder welche Pläne er für seine Familie entworfen habe, die sie vielleicht, nothgedrungen, durch still vorbereitete Flucht und gänzliche Auswanderung zu durchkreutzen, noch vor wenigen Minuten im Begriff gestanden. Er seiner Seits versicherte sie seiner Dankbarkeit mit all der [36] Leidenschaft, in welche ihn das zur Hälfte gelungene Vorhaben, der Anblick seiner Kinder, alles vorher Erfahrene, der Ort ihres Wiedersehns, und eine unruhig in seiner Seele heraufdämmernde Zukunft, versetzte. Er redete, wie immer, außerordentlich schnell, leise, und mit geringer Bewegung der kaum geöffneten Lippen; so daß der Ton seiner Stimme einem fernen Säuseln glich, und um so gräßlicher eingriff, wenn ihn einzelne Erschütterungen, unversehns wie Sturmgeheul, hoben. Seine Worte fügten sich leicht und kunstlos: aber mit der seltsamen Behendigkeit laut denkender, sich alles aussprechender Gemüther, zu einem ganz eigenthümlich wogenden Strom der Rede zusammen. Ohne seinen Entschluß für die Zukunft bestimmt hinzustellen, verbreitete er sich mit der sinnlichsten Erfaßlichkeit über die schaudervolle Zerrüttung seines Vaterlandes und das Verhältniß jedes Gutgesinnten zu diesem; der rasche Lauf seiner Rede entführte ihn zuletzt sich selbst, er sagte Worte voll prophetischen Inhaltes, vor denen sich die Aebtissin scheu abwandte. Marie hielt diese freundlich umfangen, und folgte mit geschäftigem Blick den ungekannten schnellen Verschlingungen des Gesprächs. Antonie ging Gedankenvoll auf und nieder; zuweilen betrachtete sie die schönen, jetzt durch Alter und fortwährendes Arbeiten der Seele, scharfausgesprochenen [37] Züge ihres Vaters. Auf das Gespräch achtete sie wenig: mehr aber auf die Blitzartigen Bewegungen des Marquis, vor welchen sie oft, wie davon getroffen, die Augen schloß und mit verschränkten Armen dastand, als wolle sie das fremde Bild vor die inneren Spiegel tragen, unfähig es sogleich zu erkennen.

Noch, sagte die Aebtissin, den Marquis abwärts führend, läge mir ob, Ihnen in allgemeinen Unrissen das Bild Ihrer Kinder zu entwerfen und so das schnellere Verstehn aller Theile zu erleichtern, doch glaube ich, überheben Sie mich dieser, ohnehin gewagten, Arbeit. Beider Erscheinung sagt vieles, und, ich leugne es nicht, die Hand würde dem Herzen folgen, das aber ist nicht frei von Partheilichkeit. Antonie steht allen, auch mir und der Schwester, fern. Ich habe sie nie verstanden, und wage es nicht, sie zu ahnden. Schon als Kind war ihre Nähe ängstend. Am Tage träumend, ohne Lust und Theilnahme zu Spiel und Arbeit, war Nachts im Schlafe ihre Seele wie geflügelt, sie erzählte gehörte und nicht gehörte Dinge; und ging zum Entsetzen der Klosterfrauen durch die langen Gänge, zur Kapelle, wo sie vor einem Schrein, in welchem das Muttergottesbild steht, knieend, dasSalve regina und Stabat Mater mit heller tönender Stimme sang. Oft fanden [38] wir sie noch in den Frühmetten umherschleichend, oder sie gesellte sich im Schlafe zu uns, und fand jedesmal ihren Platz an meiner Seite. Erweckten wir sie, so war ihr von allem dem keine Erinnerung geblieben, und sie schien unsern Worten sogar keinen Glauben beizumessen. Da ihre Gesundheit indeß durch diese Naturunordnung litt, so war ich genöthigt, dem Rath erfahrner Aerzte gemäß, zu strengen Züchtigungen meine Zuflucht zu nehmen, und ich heilte sie auch wirklich von diesem krankhaften Schlaf, der ihr oftmals die heftigsten Uebel zuzog. Doch scheint die, einmal in ihren Grundfesten anders gebildete Organisation, stets einen eigenthümlichen Gang zu gehn! Antonie fällt zu Zeiten, am Tage, in jenen dem Nachtwandel ähnlichen Zustand; welchen noch kein Arzt recht verstand, ihn entweder zu hoch, außer der Sphäre medicinischer Erkenntniß, oder zu tief, in die Classe gemeiner Verstellungskunst, hinabsetzend. Wie wenig letzteres nun hier der Fall ist, bewies schon sehr frühe ein Vorfall, der mir stets unvergeßlich bleiben wird. Eine junge Novize sollte ihr Gelübde ablegen. Der Tag war festgesetzt. Die Heiligkeit, wie der äußere Schein der Feier, zog Fromme und Neugierige herbei, ganz ungewohntes Leben regte sich um die Kinder, deren Gemüth durch Hin- und Wieder-Reden, Vorkehrungen und [39] Erwarten aufs höchste gespannt war. Endlich schlug die Stunde. Der Zug brach auf nach der Kapelle, die, voll gepfropft von Menschen, der scheidenden Himmelsbraut noch ein letztesmal das Bild der bunten Welt vor die Sinne führte. Diese schwankte in sichtlicher Bewegung zu den Stufen des Altars. Ein drückender Dunst zitterte durch das Gebäude und schien mit den reinen Klängen der Orgel und den hallenden Menschenstimmen zu ringen. Ich weiß selbst nicht, wie mir so bange und beklommen ward, noch weniger, wie es kam, daß Antonie, von der Hand ihrer Aufseherin losgemacht, zu mir hintrat. Sie sah mit scharfem Blick auf die Novize, und als diese niederkniete und sich anschickte, ihr Gelübbde abzulegen, die Musik schwieg, und kein Athemzug aus der dichten Volksmenge gehört ward, schlang Antonie beide Arme über die Brust, und sank wie todt zu meinen Füßen. Ich hob sie erschrocken auf, richtete ihr den Kopf in die Höhe, sie hatte beide Augen geschlossen und vollkommen das Ansehn einer Schlafenden. Wie ist Dir Kind? fragte ich leise, den Andern kaum hörbar, aber sie sagte, langsam und sehr deutlich, mit einer Stimme, die aus keiner Menschenbrust, nicht über Menschenlippen zu kommen schien, tief wie aus dem hohlen Innern einer Maschine: heißt ihr, das Bildniß wegwerfen, das [40] sie an goldner Kette im Busen trägt, es drückt mir das Herz entzwei! Ich neigte meinen Mund, so verwirrende Worte abwehrend, auf den ihrigen, aber sie rief fast schreiend: heißt ihr das Bild wegwerfen, es ist eines Mannes Bild, ich ertrage den Schmerz nicht länger! Dumpfes Murmeln rollte durch die Versammlung, plötzlich wiederholten viele Stimmen Antoniens Gebot. Der unruhige Strom wogte immer näher und näher heran, ich wollte die Angeklagte retten, und drängte mich zu ihr hin, sie flüchtete scheu an meine Brust, aber, als habe sie Gottes Blick getroffen, so riß der Himmel die Wahrheit an das Licht, bei der raschen Bewegung glitt das Bild aus den Schleiern hervor und sah ernst und finster von ihrem Herzen auf die erstaunte Menge hin. Die Unglückliche hatte alle Besinnung verloren, sie welkte von da in einem wahnsinnigem Traume hin, der ihr niemals gestattete, das Gelübde wahrhaft abzulegen.

Antonie aber ward wie eine Heilige auf ihr Zimmer getragen. Ich hatte Mühe, dem Ueberlaufenden Zudringen zu wehren. Sie schlief indeß viele Stunden einen festen nätürlichen Schlaf, und hatte, wie immer, keine Erinnerung von dem ganzen Vorgange, ja ihre ersten Worte vielmehr waren: nun sie sagt ja nichts! als horche sie auf das abzulegende Gelübbde, von welchem sie sich [41] längst etwas Großes versprochen und mich oft danach gefragt hatte.

Späterhin erfuhr ich, daß Antonie stets ein Uebelbefinden in der Nähe der armen Schwester spürte, und als sie einst das goldene Kettchen auf ihrem Busen schimmern sah, fuhr es ihr stechend durch den ganzen Körper, so daß sie laut ausschrie. Doch als man sie nach der Ursach dieser Bewegung fragte, verschwieg sie sie aus geheimer Scheu. Von dem Bilde indeß wußte sie wachend nicht, wie es in ihre Seele kam? – Hier trat der Köhler herzu und benachrichtigte sie, daß viel Kriegsvolk im Anmarsch sei, und so viel er von fern gesehen, glaube er, dieselben Truppen zu erkennen, welchen sie in der Nacht begegneten. Er empfahl Allen Stille und Zurückgezogenheit, da es nicht wahrscheinlich sei, daß sie dem Kloster vorbeiziehen werden, ohne es zuvor zu durchsuchen, er seiner Seits habe sogleich Wagen und Pferde in Sicherheit gebracht, indem er sie in die unter den Speichern befindlichen Gewölbe gezogen und verborgen.

Die Aebtissin war sehr erschrocken und voll bittren Unwillens, sich noch in den letzten Stunden ihrer harten Prüfung gefährdet zu sehn. Doch vor allen bezeigte sich Antonie unruhig. Sie ging heftig hin und wieder, und äußerte den lebhaften [42] Wunsch, selbst auf den obern Thurm zu steigen, um den Zug der Krieger zu beobachten; ja als das wüste Lärmen dieser schon näher auf sie zudrang, war sie kaum von ihrem Vorhaben abzubringen.

Indeß hörte man bald in den obern Gängen Fußtritte schallen, Thüren wurden aufgesprengt, drauf tobte es wild in der Kapelle, heftige Kolbenstöße, von lautem Viktoriaruf begleitet, verkündeten den Umsturz und die Verstummelung geweiheter Gefäße und Heiligenbilder; das Gewühl wand sich bald über, bald neben den Gefangenen, plötzlich drang das Stampfen vieler Pferde zu diesen hinunter, ein dumpfer Trompetenstoß schmetterte durch die Hallen, alles lief wild durcheinander, viele drängten sich die Treppen zu den Gewölben hinunter, als eine einzelne Menschenstimme dicht neben ihnen ein lautes Commandowort rief. Antonie fuhr auf, stürtzte bis zu dem Eingang der Halle, und blieb mit ausgebreiteten Armen dort knieend, als das Getöse mehr und mehr fernabbrauste, und sich dann gänzlich verlor

Niemand als der Vater hatte Antonien in dem Augenblicke beobachtet, er selbst war, wie von der gebietenden Stimme angezogen, vorgetreten, und als nun alles ruhig war, standen sich Vater und Tochter nahe und reichten einander die Hände, wie [43] solche, die sich auf einem Wege begegnen, ohne zu wissen, wohin dieser führt? –

Ob nun gleich die nahe Gefahr vorüber war, so blieb es doch für jeden ungerathen, sich sogleich hervorzuwagen, und das Kloster jetzt zu verlaßen. Die Unruhe auf den Heerstraßen zwang sie, die Nacht abzuwarten. Es ward ihnen auch nicht schwer, die Zeit bis dahin mit vorbereitenden, der Gegenwart zuvoreilenden, Gesprächen auszufüllen. Jedes war durch den letzten Ueberfall auf eigene Weise in Nachdenken oder Sorgen versenkt. Marie sah ganz still und schüchtern in sich hinein; auch der Marquis richtete seine Gedanken auf die unsichere Zukunft. Antonie nur schien mit dem eben Erfahrenen beschäftigt. Es ist fürchterlich, sagte sie, von Wesen bedroht zu werden, denen unser Auge vielleicht nie begegnen wird! und wie man sonst wohl unterirdische Geister scheut, so hatten wir das zu fürchten, was unsichtbar über uns sein Wesen trieb! Ueber oder unter uns, sagte die Aebtissin, noch immer sehr erschüttert und ungewiß über das Nächste, es ist ewig der Ring des Schicksals, aus dem wir nicht heraus können! Ring des Schicksals! wiederholte Marie, ihr fiel dabei ein wirklicher wahrhafter Ring ein, ihre kindisch-spielende Phantasie führte ihr goldene Ringe und goldene Tage vor die Sinne, Gedanken rankten [44] sich an Gedanken, eine liebe, heitere Welt that sich vor ihr auf, und sie dachte vergnügt, daß dennoch eine Zeit kommen könne, welche ihr den Schmuck des Lebens zuführen werde. Die Aebtissin hingegen fuhr in großer Bewegung fort; es ist gewiß, man verliert den Muth zu handeln, ja zu denken, wenn man es steht, auf wie morschem Grunde des Menschen Werke stehn! Bedurfte es mehr, als der Frechheit niederer Rebellen, um das zu zerstören, was Jahrhunderte erzeugten! Was hat dieser Zeitmoment nicht alles untergraben, was spurlos vernichtet! Und wie es einem gesegneten, arg- und sorglosen Volke im Allgemeinen erging, so ergeht es täglich jedem Einzelnen, ob auf Frankreichs oder Chinas Boden! und keinen, keinen giebt es, der nicht das Spiel seiner Hoffnungen, ja seiner Vorsätze, ein ganzes Leben hindurch wäre! Mit Schaudern betrat ich vor vielen Jahren diese Schwellen, und nun mir die Thore geöffnet sind, was bietet mir die Welt anders, als die bejammernswürdige Freiheit, meinen Wanderstab über die Gränzen meines Vaterlandes hinaussetzen zu dürfen, ohne irgendwo eine Heimath, ohne ein Herz zu finden, das zu mir gehört! Auch Du, rief sie, Marien heftig an sich ziehend, wirst die stillen Tage hier zu beweinen haben! Was kann das Leben anders mit Dir thun, als Dich verlocken und hintergehn? Die [45] Kleine sah betrübt mit fragendem Blick auf Vater und Schwester, und als diese, überrascht von der losbrechenden Heftigkeit der sonst so gehaltenen Frau, schwiegen, und, gleich ihr, vor dem Augenblick zurückbebten, der sie plötzlich, in der breiten Schrankenlosigkeit aufgelöster Verhältnisse, zu Schöpfern ihrer Zukunft machte, so stürtzten dem armen Kinde ihre bunten Bilder alle zusammen, und sie betete still um einen frühen Tod, der sie der düstern Lebensnacht überheben möge.

In dieser wachsenden Verfinsterung der Gemüther brach der Abend allmählich herein. Die Aebtissin legte mit zitternden Händen bäurische Kleider über die ihrigen, umwickelte sich Stirn und Kinn mit dicken Tüchern, und erwartete sehr unruhig ein verabredetes Zeichen, welches ihr die Anwesenheit ihres Führers und Beschützers ankündigen sollte; sie entdeckte dem Marquis, ihre große Familienähnlichkeit mit den Bourbons, von welchen sie, in geringer Abstufung, stamme, gäbe ihr die entsetzlichsten Besorgnisse, sie verliere fast den Muth, aus diesen Mauern hervorzutreten, sie scheue jedes Menschenauge, ja die Luft, das Licht, das ihr Gesicht berühren werde; sie wolle deshalb so geheim als möglich nach den Küsten eilen, und nach Toulon auf ein englisches Schiff zu gelangen suchen, wohin sie Adressen habe.

[46] Die Stille von Außen hatte ihnen Muth genug gegeben, nach den obern Gemächern heraufzusteigen. Antonie blieb mehreremale auf den Treppen und in den Gängen stehn, sie schien sich die Gestalten zu dem zu schaffen, was sie im Taumel ihrer Sinne gehört hatte. Antonie, sagte die Aebtissin, rufe Dir nicht Dinge in das Gemüth zurück, die uns noch blutig genug auf unserm Wege begegnen können! Auch dem Marquis waren jene Erinnerungen widrig, da es ihm unschicklich, ja entehrend, erschien, daß er sich wie ein Gelähmter oder Feigling vor der wilden Rotte verborgen halten, und jeden Gedanken an tapfern Widerstand unterdrücken mußte. Er zog daher Antonien schnell mit sich fort, und wünschte in allem sehnlich, das Gebäude je eher je lieber verlaßen zu können. Es ward auch nach grade so dunkel, daß jeder unerkannt seines Weges zu ziehn hoffen durfte. Alle saßen nun unruhig neben, nicht mehr bei einander, denn eines jeden Gedanke war über die Gegenwart hinausgerückt. Man erwartete nur den Aufbruch der Aebtissin, welche der Marquis niemals allein zurückgelaßen haben würde. Endlich klang es von außen, als wenn zwei Eisen zusammenfielen. Das ist der Herzog! rief die Aebtissin ganz außer sich. Der Herzog! wiederholten Alle, aber die erschütterte Frau, welche die endliche Befreiung[47] in ein ganz fremdartiges Element des Lebens warf, vor welchem sie innerlich zurückbebte, hatte nur noch Kraft, sich den alten und neuen Freunden sprachlos in die Arme zu werfen. Antonie ward leichenblaß, als sie auf diese zutrat, sie faßte ihre beiden Hände und riß sie in wilder Heftigkeit an ihre Brust. Dann wankten alle zur großen Pforte, durch welche nun auch ein jeder einem ganz unbekannten Leben entgegentreten sollte.

Draußen stand ein langer, dicht vermummter Mann, neben einem einspännigen, Karrenartigen Fuhrwerk. Er hielt mit einer Hand eine kleine Blendlaterne, doch so, daß der Schein nicht auf sein Gesicht fiel, die andere bot er der Aebtissin, welche unter dumpfem Wimmern auf dem dürftigen Brettchen Platz nahm. Der Mann schwang sich dann auf das Pferd, und führte das kleine Fuhrwerk kaum hörbar von dannen, als die Aebtissin sich noch einmal in die Höhe richtete, die Freunde zu grüßen, Antonie schrie laut auf, und verhüllte, als sehe sie etwas Unheimliches, das Gesicht.

Jetzt trieb auch der Köhler Pferde und Wagen des Marquis aus den untern Speichern herauf. Er hatte zuvor ein Bündel Kiehn in den Klosterhof angezündet. Die Thiere stiegen wild und scheu aus dem dunkeln Schlupfwinkel hervor [48] und schüttelten sich und stampften den Boden, den das grelle Licht blendend überflog, die beiden Mädchen sahen scheu auf ihre Führer, welche sie indeß schnell in den Wagen hoben, und ohne weiteres mit ihnen in die dunkle Nacht hineinfuhren.

[49]
6. Kapitel
Sechstes Kapitel

Schärfere Luftzüge und ein dämmernder Himmel verkündeten den Anbruch des Tages, als die Reisenden, im unbehaglichen Gefühl des Ueberwachens und dem krankhaften Frösteln abgespannter Kräfte, vor einem ehemaligen Zoll- und Gasthause an der Landstraße hielten, um die Pferde etwas verschnaufen zu lassen und selbst einige Stunden dort zu ruhen.

Der Köhler klopfte an der Thür, vor welcher er, erwartend daß sie sich öffne, stehn blieb; es regte sich auch drinnen, ward aber bald wieder still, er klopfte deshalb noch einmal und stärker, und voll Ungeduld, den erschöpften Frauen einige Erholung zu verschaffen, stieß er ein drittesmal heftig mit dem Fuße dagegen. Endlich ward das Seitenfenster aufgeschoben, ein bärtiges Gesicht sah heraus, ein paar derbe Flüche durch die Luft schmetternd. Der Köhler verlangte mit einigem Ungestüm Obdach [50] für sich und seine Begleiter. Zum Teufel rief jener, hier ist kein Wirthshaus! packt Euch weiter! und schlug das Fenster zu. Die Pferde waren indeß unruhig geworden, traten bald vor, bald zurück, wodurch der Wagen, auf unangenehme Weise gerückt, hin und wieder schwankend, das Uebelbefinden der Reisenden vermehrte; besonders litt Marie, welche das bleiche Gesichtchen ganz erschöpft an der Schwester Schulter lehnte, und nur bat: man möge weiter fahren, da sich ihr unter dem Anhalten alles schwindelnd drehe und sie es kaum noch ertragen könne. Dem Marquis kochte schon längst das Blut: gewohnt, sich durch eine lange Reihe von Jahren gehorcht zu sehn, ohne seinen Willen irgend einer obern Gewalt zu unterwerfen, befahl er, man solle die Thür einschlagen, wenn die Hunde keine Vernunft annehmen wollten! Er machte dabei Miene, aus dem Wagen zu springen und selbst Hand an das Werk zu legen, als der Köhler seine Stimme noch einmal erhob, und dringend und mit mehr Höflichkeit bat, einer jungen, kranken Dame nur einen Augenblick Ruhe und etwas Brod und Wein zu gestatten. Drauf fielen drinnen einige Worte, und ob gleich der Köhler diese nicht verstand, so hörte er doch Schritte auf sich zukommen und sah endlich die Thür aufgehn.

[51] Es war indeß ziemlich hell geworden, man konnte die Gegenstände umher genau ins Auge fassen. Der Anblick des Mannes, der jetzt aus dem Hause, und auf den Wagen zutrat, benahm den Frauen daher fast den Muth, auszusteigen und seinem Anerbieten zu folgen. Er war wilden, Soldatischen Ansehns, von roher Gesichtsbildung und plumper Galanterie. Sehr ungeschickt entschuldigte er seine frühere Grobheit, und setzte lachend hinzu: daß wenn er gewußt, welche Schönheiten zu ihm hineingewollt, er ihnen wahrhaftig die Thür nicht würde verschlossen haben. Marie und Antonie wandten sich betroffdn ab. Der Marquis aber, immer noch ungeduldig, seinen Vorsatz durchgesetzt zu sehn, riß den Schlag auf, und trat mit seinen Töchtern unter die offene Thür. Der fremde Mann sagte ihnen, indem sie sich auf dem Hausflur befanden, dies Gebäude gehöre zwar nicht ihm, es sei auch überall keine eigentliche Wirthschaft und kein fortgesetzter Verkehr darin, allein für etwas Glühwein und geröstetes Brod wolle er dennoch sorgen, die zarten Püppchen möchten indeß nur ihre Bequemlichkeit brauchen, und somit öffnete er ihnen eine lange, dunkle Stube, deren räucherige, angeschmutzte Wände auf den ersten Blick widrig in die Sinne fielen. Doch wie mit Eiseshand zog es den Eintretenden das Herz zusammen, [52] als sie auf dem Boden umher wohl an zwanzig schlafende Männer auf Strohlagern hingestreckt sahen. Ihre Reisebündel, Gewehre und Mützen, lagen zerstreut, zwischen Gläsern, leeren und halbangefüllten Flaschen, auf einem langen Tische; ekelhafte Spuren verschütteten Getränks näßten noch den schmalen Gang zwischen den Lagerstätten der Schlafenden, so daß man nicht wohl trockenen Fußes einen Schritt gehen konnte. Der Köhler zupfte den Marquis leise beim Ermel, dieser machte eine unschlüssige Bewegung, ungewiß, ob er vor, oder zurückgehn solle? Doch als einige der Kerle sich regten, und halb aufgerichtet mit blinzelnden, kaum geöffneten, Augen schlaftrunken auf ihn hinsahen, stand er fest, jeden Gedanken an Entfernen jetzt für feig und niederträchtig verwerfend. Er hieß seinen Kindern, sich neben ihn auf eine an der Wand fortlaufende Bank niederzusetzen, und erwartete sehr gespannt, was ihm der nächste Augenblick bringen werde.

Auch blieben sie nicht lange unangefochten. Es wälzte sich auf dem knisternden Stroh bald eine bekannte Gestalt aus dem Winkel hervor! aufgerichtet, das breite Gesicht zwischen beiden Händen aufwärtsgeschoben, starrte der Essenkehrer dem Marquis in die Augen. Bist Du es, rief er lachend, oder bist Du es nicht? denn Dich Teufelskerl [53] kennt nur der Teufel! Hat Dich der endlich einmal losgelaßen? Aber eine verflucht feine Nase hast Du doch, unser Fuchsloch gleich auszuwittern! Sieh! nun bist Du mitten unter uns! Hier ist unser Feldlager, unser Proviant- und Rathhaus, unser Kriegs- und Bluttribunal, von hier geht es nach allen Richtungen, wo es was zu thun giebt! Sag' hast Du das ausgespürt? Nein, entgegnete der Marquis. Nein, wiederholte jener; wie hast Du uns denn aufgefunden? Ich weiß nicht, war die Antwort. Ueber Deine dummen Räthsel? rief der Essenlehrer aufgebracht? Sag' wie kommst Du hieher? Durch Nacht und Dunkel und die Gewalt der Sterne, sagte der Marquis mehr vor sich hin, als in Antwort jener Frage. Hast Du uns die da mitgebracht, rief ein junger Bursche, dicht vor Antonien hintretend, so komm' meinethalben aus der Hölle! Ihr sprecht das Wort so leicht aus, sagte diese, wißt Ihr denn, ob Ihr nicht da hinab müßt? Sieh mal! die Hexe! schrieen lachend mehrere Stimmen! hast Du auch Teufeleien im Kopf? Antonie sah mit ihren brennend durchbohrenden Blicken starr auf sie hin, anfangs lachten sie, dann aber drückten sie die Augen zu, und wandten sich, über das vermaledeiete Hexenvolk etwas in den Bart murmelnd, von ihr ab! Laßt nur, rief der Essenkehrer, wir werden sie schon [54] zahm machen, los kommt sie einmal nicht, sie mag ihre Künste an uns probiren. Dem Köhler schwoll das Herz, er sah hier mehr als ein Unglück auf sie zukommen, und wußte keinen Ausweg zu finden, da das früher benutzte, halb wahre Mährchen vom Wahnsinn des Marquis, nichts fruchten, ja diesen aufs Aeußerste treibend, alles zum Ausbruch bringen konnte, was vielleicht noch zu umgehen war.

Volk ist Volk, dachte dagegen der Marquis, ob frei, ob in Banden, wer es versteht, beherrscht es. Er maaß das Häuflein mit schnellem Blick. Dummer Trotz und feige Schwelgerei lagen lang und breit auf den nüchternen Gesichtern ausgespannt. Die possenhafte Tapferkeit, die ihr Müthchen am Abknallen eines Gewehrs und dem Tragen der Freiheitsmütze kühlt, verwirrte ihn nicht. Abwärts von ehrlichem Streit, sagte er sich, treiben sie ihr loses Wesen, sie sind der schmutzige Schaum, den der gährende Gedanke auswirft. Man muß sie mit dem Teufel kirren, der in sie gefahren ist. Und somit that er einige rasche Schritte, und stand in Mitten des eklen Knäuels mit Lumpen ausstaffirter Neuerer. – Bürger, rief er, den finstern Blick in sich zurückgezogen, ich bin in dieser Nacht unter Euch getreten, wie? das laßt Euch gleich sein. Ihr seid freie Bürger auf Erden, aber über und unter dieser waltet das Gestirn. [55] Forscht nicht, laßt Euch an dem gnügen, was Ihr seht. Ich bringe Euch Gold, ich weiß, die Freiheit will durch Gold und Eisen gewonnen sein, das Letztere wußtet Ihr mit furchtbarer Hand zu fassen. Das Erstere müssen Euch des Schicksals Mächte zuführen. Ich bin ihr geweiheter Diener! Nehmt, was ich Euch bringe! Er streuete bei diesen Worten einige Hände voll Gold, welches er für den Nothfall zu sich gesteckt hatte, unter sie. Aber, fuhr er fort, laßt Euch nicht einfallen, thörige Gedanken auf mich und die Meinen zu richten, ich gehöre Euch nicht, nicht der Welt, nicht mir an. Die unerforschlich Tiefen, setzte er mit steigender, sich und alles was ihn umgab, vergessender Stimme, hinzu, sie allein wissen von mir, sie gebieten über mich, sie reißen mich fort in die Wirbel des neugebährenden Lebens, und so schöpf' ich, und schöpfe mit wuchernder Hand, das Gold aus den heiligen Behältern der Unvergänglichen! Seine Stimme zitterte zuletzt wie ein Donner durch das Zimmer! und, das Maaß seines Wollens überspringend, hatte er sich selbst in die Täuschung hineingesponnen, die er Andern bereitete. Als ihn der rohe Zuruf der Menge zu sich selbst brachte, schlug er sich mit beiden Händen vor die Stirn und sank dem Köhler halb ohnmächtig in die Arme. Dieser ward ganz irre an ihm, ungewiß, was dem [56] Selbstbetruge oder ersonnener List angehöre? Die Kerle aber rafften ihr Geld zusammen, und, es sich einander zuzählend, ließen sie sich das Uebrige nicht sonderlich anfechtend.

Jetzt trat auch der vermeintliche Hauswirth mit einem Napf dampfenden Weines herein. Das Gold in den Händen seiner Kameraden und mehrere durcheinander hingestoßene Worte sagten ihm genug. Er sann nicht lange nach, riß schnell den Stöpsel aus einer leeren Flasche, klemmte ihn zwischen den Henkel eines Glases, zog drauf eine Gabel aus seiner Mütze, steckte diese in den Kork, und schöpfte so den Wein in die Gläser. Eines dann in die Höhe hebend, rief er! Heil und Brüdergruß den geheimen Münzern! Nimm mich zu Deinem Gesellen Alter, und trink' mir gute Kameradschaft zu. Der Marquis stieß das Glas zurück. Du thätest gut daran, sagte jener, denn ich gehe Dir nicht von der Falte, Du ließest uns denn die Weiber hier! Ja, laß uns die Weiber hier, brüllten Alle, und halb liegend, den Kopf auf die aufgestemmten Arme gestützt, gossen sie sich das glühende Getränk in die aufgerissenen Mäuler. Laß uns die Weiber hier! scholl es noch einmal, fast gebietend. Da kannte sich der Marquis nicht länger. Auch nicht die Spitze eines Haares soll Euch bleiben, schrie er! Und während Antonie die Hand [57] des Uebermüthigen wegschleuderte, der ihr zur Besiegelung seines Höllenbundes Wein einzwingen wollte, rief der Marquis, auf diesen ein Pistol abdrückend: ihren Durst löscht nur Blut! faßte sie dann mit Blitzesschnelle in die Arme, schlang den Andern um Marien, und ehe sich das Gesindel aufraffen und nach den Gewehren greifen konnte, stürtzte er mit beiden und dem Köhler zur Thür und dem Hause hinaus, dem Wagen zu, faßte selbst die Zügel der Pferde, und trieb diese, mehr fliegend als gehend, den Weg entlängs, der fürchterlichen Rotte aus den Augen.

Die Sonne stand hell und ruhig über ihnen, als sie, zu sich selbst kommend, in einem frischen blühenden Wiesenthal gleichsam zuerst Athem schöpften, und die erschütterten Gedanken in ein klares Gefühl zusammenfaßten. Hier war alles friedlich. Einige schön gefleckte Rinder weideten ruhig zwischen den Gräsern, neben ihnen schlenderte ein Knabe, sein Liedchen auf Binsenröhren pfeifend. Als dieser die Reisenden sahe, pflückte er eine Hand voll Blumen, und warf sie ihnen zum Morgengruß in den Wagen, eine zierliche Art, die Blicke des Vorübereilenden auf sich zu ziehen, ihn erinnernd, das Unscheinbare nicht zu übersehn, woran sich der Marquis oft schon in ähnlichen Fällen erfreuete, weshalb er auch jetzt mit [58] rechter Lust ein Geldstück in das hingehaltene Strohhütchen des Kindes warf. Marie hatte Gefahr und Todesangst vergessen. Sie lehnte sich weit zum Schlage hinaus, und freuete sich an der sonnigen Beleuchtung des Thales, dem frischen Klee, und den vielen rothen und gelben Blumen, die in großen Büschen umherstanden. Auch dem Marquis war leicht und wohl. Er hatte sich in der Gefahr zusammengefaßt, und hielt sich nun eine Zeitlang so gesammelt, den nächsten Kämpfen tüchtig zu begegnen. Es ist nöthig geworden, sagte er, daß wir an die Zukunft deutlich und mit bestimmtem Entschluß denken. So ins Blaue hinein dem Zufall länger vertrauen, ist tollkühnes Spiel. Auch werden die Bluthunde wohl bald genug Ernst mit uns machen. Was sie jetzt versäumten, werden sie nächstens nachholen. Deshalb ist mein Plan nach Deutschland zu flüchten; spätestens Morgen oder Uebermorgen müssen wir die Wanderung antreten. Ich brauche nur soviel Zeit, das Nothwendigste einzurichten, dann bin ich bereit. Euch meinen Töchtern wird das Opfer leicht. Eure Welt ist noch überall die selbe! Mir auch! mir auch! – was ich suche, ist nirgend oder überall!

Sie blieben von da nachdenkend. Die Vorstellung eines fremden Volkes, fremder Sprache, vielleicht auch Sitten, verwickelte ihre Phantasie in [59] unerfreulich unbequemes Denken. Sie fanden keinen Maasstab für das Künftige, und waren nirgend mehr zu Hause.

Ziemlich spät langten sie auf dem Schloße an. Der Marquis verschloß sich sogleich in seinem Cabinet. Doch Bertrand trug fast die jungen Fräulein auf ihre Zimmer, wo das Schönste und Beste für sie bereitet war. Allein sie genossen von allem nur flüchtig, hatten nirgend Ruhe, und baten den Alten, ihnen alle Gemächer zu öffnen, damit sie noch Heut alles in Augenschein nähmen. Die Augenblicke sind in dieser Zeit gemessen, sagte Antonie, wir werden die Herrlichkeiten kaum einmal überschauen dürfen.

So durchflogen sie denn Kammern und Säle. Auch zu dem Bildersale kamen sie. Marie hatte sich an Antoniens Arm gehängt. Diese trug die Kerze, welche sie in die Höhe hob, als sie zwischen zwei hervorspringenden Säulen in das Zimmer traten. Die veralteten, durch die Zeit angebräunten, Gesichter der Ritter, Marschälle und Geistlichen, neben den wunderlich aufgeputzten Damen an ihrer Seite, welche alle so grade und starr durcheinander hinsahen, gaben den beiden Mädchen das beklemmende Gefühl zweier Fremdlinge, die in große unbekannte Versammlung treten. [60] Schüchtern schlossen sie sich aneinander, sie, die beiden einzigen, lebenden Wesen unter so vielen verehrten Todten! Mit unaussprechlichem Entzücken entdeckte Antonie zuerst das Bild ihrer Mutter. Sie war mit aller Pracht höfischer Sitte, sehr reich, etwas steif, aber doch höchst edel, abgebildet. Beiden war, als sähen sie sich selbst, und auch jede die Andere, im Spiegel. Antonie hielt das Licht in größter Ueberraschung gegen die wunderbar verschmolzenen Züge, beide betrachteten es lange, dann sahen sie einander an, wie sich der Blick wohl vom Conterfei vergleichend auf das Original zurück wendet, und in überwältigender Rührung sanken sie sich in die Arme, und weinten das erstemal Herz an Herzen. Antonie besonders war ganz Liebe und Milde, sie streichelte Mariens Wangen, und drückte das zarte dankbar an sie angeschmiegte Wesen liebkosend an die Brust. Wie rührst Du mich, da Du weinst, sagte sie, nun siehst Du erst der Mutter ganz ähnlich, die den reizend jungen Leib so vorahndend mit aller Pracht der Welt verziert, als werde sie nun bald vom Schmuck des Lebens scheiden! Das sagt der feuchte Blick, der sich recht wie eine Decke über das glühende Herz hinzieht! Denn da glüht es, das fühl' ich, in den lieben bewegten Mienen, in der ernsten, strengen Haltung,[61] die verbirgt, was die Welt nicht sehen soll. Die Haltung, sagte Marie, ist die Deine, darin eben, liebe Antonie, und in den hohen Brauen und den etwas gehobenen Schwanenhals bist Du ihr so sprechend ähnlich, mir hat sie wohl nur das blonde Haar gelassen, und die armen Augen, die so leicht über Geringes weinen müssen! Sei nicht böse darüber, unterbrach sie Antonie, es liegt ein ganzer Himmel in diesen Augen! Und, die Schwester wieder an sich ziehend, gingen beide in ungewohnter Vertraulichkeit den Saal auf und nieder. Während dem öffneten sie eine Glasthüre, welche nach dem Balkon hinausführte, sie traten in dieselbe, den Blick an der nächtigen Stille der Landschaft zu stärken. Das Gebäude selbst verbarg ihnen zwar den Mond, allein dessen lichter, schneeiger Glanz spielte dennoch um Büsche und Wiesen, und leuchtete zurück aus dem versilberten Flußbett. Unaussprechlich gewaltig, und doch mild wie die gehaltene Kraft, rauschte der Strom in gleichmäßigem Wellenschlag durch die tiefe Ruhe der Natur. Riesenhaft, in großen Massen, traten die Gegenstände hervor, undeutlich in ihren Umrissen und doch so ahndungsreich! die Schwestern blieben lange Zeit stumm, sie fürchteten, den leisen Schlaf des rasch bewegten Lebens zu unterbrechen. Ganz still [62] setzten sie sich auf die schmale Steinbank, welche dem Eisengitter des Balkon entlängs lief, und flüsterten kaum hörbare Worte.

Antoniens Herz war wunderbar erweicht. Offen ließ sie sich über manches aus, was in ihr vorging. Es ist traurig, sagte sie, daß oft etwas Unwillkührliches mein ganzes Wesen zusammenzieht, und Schrecken ungekannter Art mein Blut versteinen. So, ich darf es Dir wohl sagen, überlief's mich todeskalt, als die Aebtissin scheidend ihren Arm um meinen Nacken legte; ein leiblich Weh stieß einen Schrei aus meiner Brust. Ihr Gesicht schien mir verzerrt, und ekler Leichenduft umgab sie. Mein Herz war mir zum Zerspringen voll, ich hätte sie um alles in die Arme schließen mögen, und doch vermocht ich's nichts. So geht mirs oft mit dem was ich liebe, es flößt mir plötzlich Schauder und Entsetzen ein, so ging mirs ganz frühe mit jener schönen Nonne, und fast muß ich glauben, die Natur habe ein unglücklich weissagend Gefühl in meine Brust gelegt, und diese solle sich strenge dem verschließen, was die Welt schön und freundlich nennt. Denn wie leicht, daß ich nur zerstörend lieben könnte! Ich spüre so etwas in mir! Drum liebes Kind bewach' ich mich, und zügele stets den Drang nach Mittheilung [63] und jenes innige Erwiedern des Empfundenen, die jedes Herz bewegen. Denn mir und Andern, das glaube nur, würde ich großen Schmerz bereiten, wollte ich dem brennenden Verlangen meiner Seele Gnüge leisten. Nur mir, sagte Marie, ganz hingerissen von der leutseligen Hingebung der Schwester, nur mir gönne den Reichthum Deines schönen Herzens. Ueberschütte, erdrücke mich damit, aber nimm mir nicht wieder, was Du mich ahnden ließest. Sieh' meine Antonie, wir werden vielleicht nun bald ganz allein, von allem losgerissen, in fernen, fernen Landen leben; wenn wir nun nicht aneinander hangen, uns nicht treu in Liebe bewahren, was soll aus mir, ja auch aus Dir Antonie werden? Liebe Schwester, laß uns an die Mutter, an die arme liebe Mutter denken! Das wollen wir! erwiederte Antonie bewegt, und ihre Hand in die der Schwester legend, saßen beide Gedankenvoll und schweigend, als ein Getöse sie aufschreckte, das erst dumpf, dann immer anschwellender und lauter, zu ihnen herandrängte. Herr Jesus! schrie Antonie, da sind sie schon! Indem stürzte Bertrand die Stiegen herauf, und bleich und verstört rief er ihnen zu: daß ein Schwarm Republikaner das Schloß umzingele, und obgleich die Zugbrücken aufgezogen, [64] sei es doch zu befürchten, daß sie durch die flachen Gräben dringen, den Wall erklettern, und Pforten und Riegel sprengen werden. Der Marquis sei außer Fassung, denn, da er sich nicht vertheidigen könne, woran er zuerst gedacht, wisse er auch kein Rettungsmittel zu finden. So wird er und wir Alle doch zu sterben wissen, sagte Antonie, welche voraneilend dem Vater zurief: Ist noch etwas zu thun, so lassen Sie uns nicht säumen, wo nicht, den Tod suchen. Noch ist es möglich, von der Wasserseite zu entfliehn, sagte Bertrand, es kommt allein darauf an, daß der Kahn auf dieser Seite des Ufers ist, und wir unbemerkt aus dem Schlosse entkommen können. Ich gehe, setzte er nach einigem Besinnen hinzu, das Nöthige zu erkunden. Marie drückte ihm sprachlos weinend die Hand, Antonie aber beschwor ihn, zu eilen, ungeduldig die Entscheidung ihres Schicksals zu erfahren.

Alle blieben in gleichem Maaße unruhig zurück. Der Marquis lief heftig auf und nieder, fuhr sich oft mit beiden Händen in die Haare, und machte so gräßliche Geberden, als sähe er schon all die Greuel, die ihn bedroheten. Plötzlich fiel ein Büchsenschuß dicht vor dem Fenster, dann noch einer, und des Essenkehrers Stimme rief laut: nur mir nach, ich kenne hier Wege und Stege! [65] Herr des Lebens! schrie die Köhlerfrau, Alexis, ihr fünfjähriges Söhnchen, in den Arm nehmend, nun sind sie herüber, nun ists vorbei mit uns! Antonie aber zog alle mit sich fort in die hinteren Gemächer, sie hatte selbst keinen klaren Gedanken, sie wollte nur entfernt sein von den nahen Eingängen. Dasselbe Gefühl drängte alle immer weiter zurück, und so flüchteten sie von Zimmer zu Zimmer, und kamen endlich in jene Polterkammer, welche dem Marquis vor vielen Jahren das räthselhafte Buch und den Schlüssel zuführte. Antonie schob einen alten Schrank vor die einzige Thür, die zu diesem äußersten Schlupfwinkel führte. Und so blieben sie einander gegenüber, entsetzt, nichts mehr zu ihrer Rettung thun zu können.

Indeß knisterten neben und über ihnen Flammen, welche durch hereingeworfene Feuerbrände im Schlosse angeschürt waren. Die fürchterlichste Angst, auf solche Weise dem Tode nicht mehr entgehen zu können, riß Alle aus sich heraus, und überwältigte jeden stilleren Ruf mahnender Gottesfurcht und Ergebung. Der Marquis schäumte vor Wuth, Antonie ging wie betäubt umher; die Andern lagen kniend am Boden. Der Qualm und Rauch drang schon durch die verrammelte Thür, als Antonie jenen Schlüssel, welchen der [66] Vater immer bei sich trug, aus dessen Tasche zog, ihn in eine schmale Thür, welche hinter einem Wust alten Bilder und zerbrochener Stühle verborgen war, hineinsteckte, mit großer Anstrengung in dem verrosteten Schlosse umdrehete, die Thür eröffnete, einzelne in der breiten Mauer eingehauene Stufen hinabstieg, und den Andern, ihr zu folgen, winkte. Worauf sie alle einen schmalen, dunklen Steg fortgingen, ohne zu wissen, was sie thaten, noch wohin sie gelangen würden. Doch ehe sie sich recht besannen, waren sie auf der andern Seite des Walles, dicht an der leuchtenden Rhone, die ihnen den silbernen Rücken großmüthig bot, sie aus den Flammen zu tragen. Dicht am Ufer stand Bertrand mit dem Nachen, und sah verzweifelnd auf das brennende Schloß. Doch kaum ward er ihrer ansichtig, als er auf sie zusteuerte, und die plötzlich Erretteten, zitternd vor Wonne und Angst, in das kleine Fahrzeug stiegen, sich einander in die Arme fielen, beteten und weinten, und halb ohnmächtig an den Mauern hingleiteten, aus welchen die Flammen wild hervorleckten, und die Fenster gräßlich erhellten, die klirrend über ihnen zersprangen, und die innere Verwüstung kund gaben. Bald nachher sahen sie einige ihrer Verfolger sich auf die Bäume der Wallbekränzung [67] schwingen, und ihre Gewehre nach dem Wasser zu abfeuern. Ruhig glitt der Kahn indeß, von dem mächtigen Strome geschützt, weiter hinab, die Nacht verdeckte sie, wie die heimathliche Gegend, nur die Feuer warfen noch, hell aufleuchtend, scheidende Blicke vom Schlosse auf sie herüber.

[68]

Zweites Buch

7. Kapitel
Siebentes Kapitel

Der feuchte, lösende Hauch des Wassers, wie das linde Wiegen des Kahnes, hatte nach grade alle Gemüther beruhigt. Die Gefahr trat mit Frankreichs Küsten zurück. Ein fremder Boden sollte ihnen eine neue Welt, neue Verhältnisse, neue Glückseligkeit, zuführen. Die Erinnerung jener verstörenden Schreckbilder ward von den vorüberrauschenden Wellen verdrängt. Wo diese herkamen, war es anders; dahin ging ihr Weg. Zudem boten ihnen Savoyens nahe Ufer Augenblickliche Rettung. Und als der Köhler dem Marquis vorschlug, mit ihm nach Chambery zu gehn, und so lange dort zu bleiben, bis er einen festen Plan für die Zukunft gefaßt habe, willigte dieser ein, worauf sie sofort ans Land stiegen, und ihre Wanderung durch das anmuthige Thal bis zur Hauptstadt voll belebender Hoffnung fortsetzten.

Als sie dort ankamen, und durch die schmale [71] Gassen, zwischen hohen, schönen Häusern hingingen, ihre Blicke bald hier bald dorthin auf den belebten Gang ungefährdeten Verkehrs richtend, der lang entbehrten bürgerlichen Sicherheit froh, ward in mehreren Kirchen die Messe eingeläutet. Der Glocken metallene Schwingungen bebten durch die eng aneinander gereiheten Gebäude, und brachen sich, wie Himmelsruf, in den Herzen der glücklich Erretteten. Unwillkührlich lenkten diese ihre Schritte zu den Stufen einer Kathedrale, und dort niedersinkend, beteten alle aus tiefstem Innern, ja in beschämender Freude, so vieler Huld gewürdigt zu sein.

Unter der Menge hier aus und ein strömender Menschen, streifte auch eine ärmlich in Trauer gekleidete Frau an ihnen vorbei. Sie blieb einen Augenblick stehn, und sah leutselig froh auf die verschiedenartige Gruppe schöner, bedeutender Köpfe, als sie, plötzlich den Marquis in die Augen fassend, näher hinzu trat; doch eben so plötzlich durch das Gedränge neu Herzukommender fortgerissen, sich in die große Masse verlor.

Der Marquis hatte weder sie, noch überall einen der Vorübergehenden bemerkt. Durch das eigene Innere überrascht und bezwungen, hatte er gebetet, und folgte nun fast träumend dem Köhler, der ihn freundlich einlud, bei seinem Schwager [72] einzukehren, welcher Goldarbeiter, wohlhabend und gastlich sei, die ausgewanderten Nachbarn daher gern aufnehmen werde. Die Frau, setzte er hinzu, treibe daneben einen Spitzenhandel, der wie bekannt überall stark in der Stadt getrieben werde, habe deshalb viel Verkehr, selbst im Auslande, bis nördlich über die Berge hin, und, gewandt und freundlich wie sie sei, könne sie ihnen wohl über manches Auskunft geben.

Dem Marquis war das ganz willkommen. Er trug außer mehrern wichtigen Papieren noch das Schmuckkästchen der Marquise bei sich, und hoffte, mit Hülfe des Goldarbeiters, einige Kleinigkeiten desselben vortheilhaft benutzen zu können, indem es ihm wichtig war, die Papiere, alle auf bedeutende Summen ausgestellt, nicht eher umzusetzen, als bis sein äußeres Verhältniß sich fest gestaltet habe.

Sie kamen jetzt an ein sauberes Häuschen oberhalb der Leisse gelegen, als der Köhler sagte, nun sind wir an Ort und Stelle! Der Goldarbeiter hatte seine Werkstatt in der Vorhalle aufgeschlagen, und arbeitete dort emsig. Die Thür nach Innen zu war offen. Man sah um einen grünbehangenen Tisch Kinder und Jungfrauen im Vorsale sitzen, alle die schweren Kissen vor sich, und die feinen Knöppel, wie zum Spiel, zwischen [73] den Fingern hin und her werfend. Als der Köhler zuerst mit Frau und Kind herantrat, stand der Mann höflich grüßend von seinem Sitze auf, doch plötzlich ward sein Gesicht hell wie die Freude, und ein Zug weichen Mitleids um den Mund, sagte was in seinem Herzen vorging. Er nahm den Knaben auf den Arm, hertzte und küßte ihn, streichelte der Köhlerin blasse Wange, und eilte, nach einer flüchtigen Unterredung, dem Marquis, voll Bereitwilligkeit, ihn und die Seinen aufzunehmen, entgegen. Es bedurfte wenig Worte, um daß alle befreundet in das Haus traten. Auch Felicitas, die Hausfrau, zeigte sich wohlmeinend; und gewohnt, die geschäftigen Hände flink zu rühren, hatte sie alles bald angeordnet, Zimmer geräumt, jeden seinen Platz angewiesen, Erfrischungen herbeigeschafft; und wohl fühlend, daß Ruhe das Nothwendigste sei, was die armen Erschöpften bedürften, diese im Hause geboten, und sich mit den Ihren zurückgezogen.

Es gab auch wirklich Niemand unter ihnen, welcher den Schlaf nicht gesucht und gefunden hätte. Er legte sich besonders den beiden Schwestern so bleiern auf Auge und Bewußtsein, daß andern Tages beider Erwachen recht beklemmend war. Das ungewohnte Zimmer, das fremde Bett, die eigens dem Bedarf angepaßten bürgerlichen [74] Umgebungen, ja ehe sie alles das noch deutlich wahrnehmen konnten, das lose Schwanken des innern und äußern Blickes, bis er die wirkliche, nun aufgegangene Gegenwart gefaßt, alles drückte sie schüchtern in ihre Decken zurück. Was gestern noch wünschenswerth erschienen, was der Noth des Augenblicks plötzlich abhalf, war heute doch beengend. Wie aus dem Schlaf, so erwachten sie jetzt erst aus der Verwirrung ihrer Sinne. Frankreich, dem schönen Vaterlande, hatten sie in ängstlicher Eile den Rücken gewandt, und sich blindlings fremdem Boden anvertrauet! Anders, sagte Antonie, ist es hier, ganz anders, das ist gewiß! ob besser oder schlechter? wir wissens nicht! Niemand von uns weiß es! Mir fällt, vielleicht zur Unzeit, die Geschichte eines Offiziers bei, welcher während eines Krieges in den Transcheen kommandirend, endlich abgelöst, zu seinem Regimente geht, und aller Gefahr entgangen, auf dem Wege dahin vom Gewitter erschlagen wird. Liebe Marie! wer weiß was sich da hinter den blauen Gebirgen für Gewitter gegen uns aufthürmen!

Marie sah ängstlich in dem engen Zimmerchen umher, und zu der trüben Schwester hin, deren Worte immer so schwer in ihre Seele fielen. Ihr stiegen die Thränen in die Augen, sie ging zum Fenster, öffnete das, und erheiterte schnell ihren [75] Blick, an den schönen, vollen Früchten, den Blumen, den Cither- und Mandolinen- Klängen, den freudigen Menschenstimmen, an all dem bunten Wesen der Menge. Sieh, o sieh! liebe Antonie, rief sie dieser zu, hier ist es wirklich gar nicht so traurig! Die Menschen sehn recht lustig aus! bemerkst Du wohl das kleine Mädchen, mit dem glänzenden Strohhut! wie allerliebst! sieh, wie zierlich ihr die Mandoline über der Schulter hängt, wie sie mit einer Hand zwei Orangen spielend in die Höhe wirft, und immer eine wiederfängt, indeß sie mit der andern Hand leicht über die Saiten hinfährt, als greife sie die Töne und den Takt aus der Luft, mit welchen sie die tanzende Bewegung ihres Körpers begleitet! komm, ich bitte Doch, laß uns das näher sehn, geh mit mir hinunter!

Antonie folgte ihr Gedankenvoll in den Vorsal. Er war noch leer. Sie traten in die Halle. Hier saß Alexis auf dem Sessel des Oheims, vor dessen Arbeitstisch, und einen Stift in der Hand grub er, diesen nachahmend, in eine kleine Silberplatte lauter Pünktchen, einen neben den andern. Antonie verwies es ihm, aus Furcht, daß er etwas verderben möchte. Das Kind hatte immer eine große Scheu vor ihr gehabt. Ihr strenger Blick und die starre Schönheit ihrer Züge machten ihn heben. Jetzt sah sie besonders strafend auf ihn [76] nieder. Er fuhr bei dem Ton ihrer Stimme zusammen, und wollte erschrocken fliehen, als er unversehens den Stuhl, auf dem er saß, mit dem Tisch und allem darauf liegenden, zur Erde warf.

Antonie ward sehr bestürtzt über diesen Vorfall. Denn Gold und Silber, Feile, Schmelztiegel und Goldwage, Cirkel und Maaßstab, alles lag neben edlen und unedlen Steinen bunt durcheinander. Marie war ihr sogleich behülflich, alles wieder an Ort und Stelle zu legen. Auch Antonie wollte das Ihre thun, als sie, ein aufgesprungenes Futteral schließend, einen schön gearbeiteten Dolch erblickte, der sie erst mit einer Art Entsetzen erfüllte, dann aber ihr Blut glühend durch die Adern trieb. Dunkel sagte sie sich: ich will dem Goldarbeiter davon sagen, und steckte ihn in den Busen. Da klopfte eine leise Hand auf ihre Schulter, sie wandte sich, und die Frau in Trauer stand vor ihr, ein Kästchen mit Arbeitsgeräth und ein Kissen, worauf angefangene Spitzen befestigt waren, unter dem Arm tragend. Verzeihen Sie, sagte diese im feinsten Pariser Accent, wenn ich eine Unbescheidenheit begehe, indem ich Sie frage, ob Sie sich gestern mit einem ältlichen Herrn am Eingang der großen Kathedrale befanden? ob dieser Herr Ihr Vater war? ob Sie – O mein Gott vergeben Sie, setzte sie hinzu, als Antonie etwas [77] zerstreuet, und mit dem Vorhergehendem beschäftigt, ungeduldig auf sie hinsah, aber ich muß Sie bitten, mir das zu beantworten. Nun ja, sagte Antonie, er ist mein Vater. Der aber rief jene unbeschreiblich bewegt, ist kein anderer, kann kein anderer sein, als der Marquis von Villeroi! und ein Fräulein Villeroi steht hier vor mir! Mein liebstes Kind, umarme mich immer! ich habe Rechte auf Dein Herz, glaube mir das! Sie zog Antonien an ihre Brust; dann aber, sich besinnend, fragte sie hastig, wo ist Deine Schwester? lebt sie nicht mehr? Marie näherte sich, und ihre Hand mit Schüchternheit fassend, sagte sie leise, ich bin es! Arme hübsche Kinder! rief die Dame! wandte sich dann ab, und weinte einige Augenblicke heftig in ihr Taschentuch.

Wo soll ich denn anfangen, sagte sie drauf gefaßter, Euch kenntlich zu werden! Ihr wißt nichts von Eurer Familie! Ihr seid so jung, die Vergangenheit ist so alt! es ist so lange her, daß Frankreich schön war, daß Freunde und Verwandte von einander wußten. Ihr kennt wohl Niemand! habt niemals von mir sprechen hören! und geträumt hat Euch auch nicht von der armen ausgestoßenen, bejammernswerthen Tante Clairval!

Marie lag schon lange schluchzend an ihrer Brust, als Antonie nachsinnend sagte: ich habe [78] Sie früher gesehn, meine Tante, ich erinnere mich dunkel! Niemals, niemals, mein Kind, entgegnete die Baronin. Nach dem Tode Deiner armen Mutter hat der Marquis sich und seine Kinder von der Welt fern gehalten. Die Aebtissin Eures Klosters war nicht meine Freundin. Seit dem ersten Jahre Eures Lebens trafen wir nicht wieder zusammen. Doch! doch! sagte Antonie in sich zurücksehend, als der Marquis eben in den Vorsaal trat. Die Baronin blieb einen Augenblick überrascht stehn! Das ist er also geworden! rief sie, so hat die Zeit gearbeitet! Der Marquis ward bei dem Ton ihrer Stimme von verworrner Erinnerung getroffen. Er sah fragend auf seine Töchter. Armer Schwager! sagte die Baronin, so ist alles todt! die schöne Jugend, und die Liebe, und das Andenken an den Wahnsinn der Leidenschaft, und den beruhigenden Balsam treuer Freundschaft! Mein Gott, Pauline, rief der Marquis, wie vom Blitze getroffen, meine liebe, meine unglückliche Pauline! Was machen Sie hier? was wollen Sie hier? in diesem Aufzuge, in Trauer sehe ich Sie wieder! Was ich hier will? erwiederte sie, lieber Himmel! weinen und arbeiten, da drüben haben sie mir das Herz aus dem Busen gerissen, und nachdem sie es mit Füßen getreten, stießen sie mich zum Lande hinaus! Schloß Clairval ist geschleift, [79] der Baron – sie stockte einen Augenblick – die Henker schleppten ihn aufs Blutgerüst, – mich wollten sie nicht, ich weiß nicht, warum ich leben muß, aber ich muß! ich thue selbst dazu, ich friste mir das Leben, ich arbeite für Geld; dieselbe Frau die mir sonst häufig große Pakete Spitzen auf heimlichem Wege zuschicken mußte, hat mich nun selbst auf heimlichem Wege hiehergebracht, und lehrt mich, für den Schmuck, und das elegante Bedürfniß Anderer sorgen. Es liegt darin nichts besonderes, es ist der Lauf der Dinge! und doch ist hier etwas, sie drückte beide Hände gegen die Brust, was sich empört, was mir bittere Thränen auspreßt. Es ist so schwer, allem zu entsagen, was, wie das Tageslicht, Leblosem und Lebendem erst Glanz und Farbe giebt. Doch ich rede von mir. Sagen Sie mir, wie es Ihnen erging? Was mein Bruder macht und sein Sohn? ob sie noch in Frankreich, ob der Letztere noch bei seinem Regimente ist?

Beschämt, nichts von den Freunden zu wissen, sah der Marquis zur Erde, und sagte kleinlaut, ich denke, wir begrüßen einander alle recht bald in unserm Vaterlande wieder. Glauben Sie das? fragte die Baronin, damit haben sich die Leichtgläubigen seit Jahren einander selbst belogen. Und wenn auch! Das Alte kommt nicht wieder. Wie [80] wir beide nicht noch einmal zwanzig Jahr werden können, so macht auch das Gesammtleben keinen Rückschritt. Politische Crisen sind Stufenjahre, geistige und leibliche Natur, alles geht einen Weg. Verwachsen Kinder ihren Schuh, so verwächst der Zeitmoment Formen. Lieber Marquis, wir betteln uns wohl einmal wieder in unser Vaterland zurück, aber die abgefallene Frucht ist doch tod. – Sie wissen also nichts von den Meinen? fuhr sie nachsinnend fort. Es ist schlimm! ich hatte auf meinen Bruder gehofft!

Sie haben den Bruder wieder, liebe Pauline, sagte der Marquis sehr bewegt, wir verlassen einander nicht! Sie müssen meinen Töchtern die Mutter ersetzen. Ich verstehe nichts mehr von der Welt, die Welt nichts von mir, die armen Kinder sind wohl übel daran mit mir, gewiß liebe Freundin, Sie können nicht so ungroßmüthig sein, sie jetzt zu verlassen.

Mußte denn so vieles geschehn, sagte die Baronin, ehe wir uns wiederfanden! Und sind wir nun zwei Andere geworden, daß Sie Vertrauen zu mir fassen? Mein alter Freund, ich sehe in dem umdämmertem Auge da dieselbe dunkle Gluth, die Hochzeit- und Todtenfackeln anzündete, die Schloß Clairval mit tausend Blitzen durchschoß, vor der sich Herzen zusammenzogen und die dennoch Schmerz [81] und Entzücken hineinbrannte! Ich höre aus dem Ton Ihrer Stimme jene Worte des Mahomet herausklingen, mit der Sie von der Bühne aus die Seele der Geliebten, wie die der Freunde, heftig anfaßten:


»Ha, wiß um meine Wuth, um alle meine Schwächen!«

Und dann wieder:
»Mein Leben ist ein Kampf, durch meine Mäßigkeit
Hab ich Natur dem Joch des strengen Sinns geweiht!«

Ja, ich fühl es dem unbezwinglichen Herzen an, daß es Heut wie in jenem Sinnverwirrenden Winter zu Paris die Abgründe der Zeit wie der Erde sprengen, der Natur ihr hohes Geheimniß und die Zügel der Weltherrschaft entreißen, sich aber zum Gott und Tyrannen der Welt hinaufmeistern möchte!

Sie sagte die letzten Worte unter heftigem Weinen, denn sie dachte an die blühende Schwester, die ein Opfer jener vermessenen Versuche ward! Der Marquis hatte sich in einen Stuhl geworfen, und mehr durch die Frühlingslichter jener Zeit, als durch ihre Vorwürfe, getroffen, ließ er ungehindert einzelne Thränen über sein Gesicht hinrollen. Die Baronin trat zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter, und sagte gutmüthig, ich will nicht rechten mit Ihnen, auch nicht tadeln, was [82] die Natur und das Leben einmal so gemacht, einmal so gewollt haben! aber fragen muß ich Sie doch, ob Sie es Heut besser wie damals in mir dulden werden, wenn ich über manches anders denke, anders empfinde, wie Sie? Ich bin in der Hauptsache dieselbe geblieben. Sie haben das so eben noch gesehn. Ich muß sagen, wie ich es empfinde, berechnen kann ich nicht, solchen Kopf hatte ich nie. Und wenn mich nun meine Welterfahrung, mein rasches Hineinempfinden in das Leben, andere Dinge sehen läßt, als Ihnen Ihr mystischer Feuerblick zeigt, werden sich die Kinder da in dem Streite behaupten können? Was von allem wird ihnen wahr, nothwendig, und bestehend erscheinen?

Der Marquis schwieg einen Augenblick. Meine Freundin, hub er nach einer Weile an, ich bin unruhig in mir selbst geworden. Ich glaubte mit dem Außenleben fertig zu sein. Ich durfte das lange Zeit glauben, jetzt scheint die allgemein menschliche Wirksamkeit die gefristete Stundenzahl einzufodern, ich weiß nicht, wie ich mich darin finden werde, ich weiß nicht, wie ich mich überhaupt finden soll! Der Blick für das Maaß und die Verhältnisse des ganzen Außenwerkes ist mir verloren gegangen. Man hat den Boden unter mir verschoben, deshalb stehe ich zu dem neuen Leben in schiefer Richtung, und alles darin stört und verletzt [83] mich. Urtheilen Sie nun, wie überraschend, wie erwünscht es mir ist, Sie zu finden, der ich getrost den verwickelten Faden in die Hand geben kann, die Töchter daran fortzuleiten, ohne selbst meine eigenste Welt zu verlassen, die ich niemals verlassen kann, in der weder Sie, noch irgend einer mich findet, und die deshalb jedem verschlossen bleiben muß, den nicht tiefe Nacht die flammenden Hieroglyphen entziffern lehrte. Pauline, es ist etwas fruchtbar Heiliges um die Nacht; glauben Sie mir das! sie spinnt ihre Fäden durch Schlaf und Traum, wirkt und webt Bilder in die Seele, die aus Gräbern hinaufsteigen, die Decke von dem tiefen Grunde wegziehen und hinweisen auf das große Räderwerk des ewigen Weltmechanismus! Der Schlüssel, der ihre Thore öffnet – Er hielt betroffen inne, – der Schlüssel – mein Gott! wohin hat mich der geführt! –

In die Welt! unterbrach ihn die Baronin etwas ungeduldig. Täuschen Sie sich nicht, Sie kommen so leichten Kaufs nicht los! Das Leben hat Sie einmal gerufen, es giebt Sie nicht wieder frei. Doch lassen wir das! es findet sich von selbst am besten. Vor der Hand nur das Nächste. Der Augenblick hat uns, wie viele Andere, unversehens zusammengeführt. Sie reichen mir die Hand, aus Großmuth? aus bequemer Eil die eigene Ruhe [84] zu erretten? ich will nicht grübeln! Nehmt mich hin, Ihr Kinder, rief sie, beide Mädchen umschlingend! Ich berge es nicht, mir bangte recht nach Herzen, die meines Stammes Blut bewegt, sich höre wieder Frankreichs Sprache! Paris, die Welt, die Jugend, das volle Leben ist wieder da! Ich liebe auch das Fremde, es sieht oft so groß, oft recht zierlich aus, aber wenn ich denke, daß es mich festhalten will, dann ist mirs ein Gräuel! Seht! so habe ich unzählige Thränen auf die Kantenarbeit fallen lassen, die Nadeln da auf dem grünen Kissen drückten sich mir jedesmal ins Herz zurück, die Hände zitterten vor Ungeduld, dacht' ich, daß all die Schlingen und Oesen mein armes Dasein so eng einspannen. Und doch werde ich noch recht oft Kanten knöppeln! Es ist ein liebes Spiel! Man wirft die Fäden so hin und wieder, wie oft die Menschen und die Ereignisse im Leben, und wenn es fertig ist, ist's doch etwas! Werdet Ihr mich auch lieb haben Kinder? fragte sie jetzt, ohne Eure Liebe könnte ich nicht eine Stunde unter Euch sein. Du da, mit den Junoaugen und der wunderbaren Stirn, sie strich Antonien leise über die Augenbrauen, was liegt da für eine dunkle Welt? Eine Welt voll tiefer Liebe, sagte Antonie, schnell auf ihre Hand gebeugt. Die Baronin küßte ihr die Stirn. Du hast was Eigenes, [85] Kind, sagte sie, was Fremdes! ich muß Dich wider Willen ansehn! Nun wir werden uns alle in ein ander finden lernen!

Marie flog jubelnd durch das Häuschen, erzählte Bertrand, Felicitas, allen die es hören wollten, daß sie eine liebe Verwandte, die Tante Clairval gefunden hätten, und nun immer mit ihr sein, mit ihr reisen, und vielleicht auch nach Frankreich zurückkehren würden. Alle nahmen Theil, besonders freuete sich Felicitas des Glückswechsels ihrer ehemaligen Beschützerin, sie setzte hinzu: sie habe sie zwar gern ihr kleines Handwerk gelehrt; doch habe es sie jedesmal geschmerzt, es sie so ängstlich, des Gewinnftes willen, treiben zu sehn.

Der Marquis hatte indeß der Baronin das Schmuckkästchen seiner Frau gegeben, und sie gebeten, dasjenige herauszunehmen, was ihr jetzt am nutzbarsten zu sein schiene. Sie empfing es nicht ohne Erröthen, und hielt das sauber ausgelegte Maroquinfutteral einen Augenblick, unschlüssig, was sie thun solle? Doch öffnete sie es. Steine und Perlen sahen schön von dem weißen Sammet herauf, mit welchem die innern Fächer ausgelegt waren. Die Baronin ließ überrascht den Deckel wieder zufallen. Helle Thränen schossen ihr in die Augen. Die furchtbarste Sprache in der Natur,[86] sagte sie, hat das Leblose, es fällt wie eine Leiche auf unsere Brust! Ein ausgeräumtes Haus, ein Kleid, ja ein bloßer Handschuh, können einem die Seele zerreissen! und nun diese Steine! Aus jedem sieht mir das liebe Gesichtchen entgegen! Sie setzte sich, das Futteral vor sich auf den Tisch legend! Lange spielte sie gedankenvoll an dem silbernen Schloß, dann öffnete sie es langsam, als wolle sie sich mit dem Anblick bekannt machen. Die Schwestern sahen ihr neugierig über die Schulter, aber Antonie hatte kaum einen halben Blick hinein gethan, als sie schnell nach eines Mannes Bild, reich mit Steinen eingefaßt, griff, und unruhig fragte, wer der Herr sei? Mein Bruder, der Herzog, entgegnete die Baronin. Ohne weiter Antonien zu beachten, nahm sie das Bild, und zu dem Marquis gewandt, sagte sie; wenn ich die glänzende Einfassung hier abnehme, will ich denken, ein Theil von dem verlorenen Glanze des armen Herzogs, wie des Vermögens meiner Väter, sei auf mich gekommen, und ich empfange nur, was mir früher zukam. So schalte ich wie mit dem Meinen, und mir ist wohler Ihnen gegenüber. Kommt eine Zeit der Ausgleichung, so wird das Spiel ein ernster Tausch, wo nicht – so löscht eine höhere Hand meinen Schuldbrief.

[87] Antonie faßte jetzt mit großer Heftigkeit der Baronin Hände, sah ihr fast bittend in die Augen, ließ dann langsam die Hände sinken, und wandte sich schweigend ab. Die Baronin verstand sie nicht, sie schüttelte den Kopf, sagte indeß nichts weiter, sondern schritt gleich zur Ausführung dessen, was sie so eben dem Marquis mitgetheilt hatte. Deshalb hieß sie dem herzukommendem Juwelier, ihr das Bild sauber aus der Fassung heben, diese dann abschätzen, und den Handel selbst übernehmen, oder ihn gefälligst anderweitig zu besorgen.

Der Mann ging sogleich an die Arbeit. Felicitas stellte sich neben ihn, den Werth der Steine mit ihm zu besprechen, sie wollte der Freundin gern zum Vortheil, und sich auch nicht zum Schaden die Sache eingeleitet wissen, und legte Maaß und Gewicht in ihre Blicke, die auf und ab über das Bild hingleiteten. Die Schönheit der Züge fiel ihr daneben auch in die Sinne, sie faßte sie daher scharf auf, und sagte, da ihr die Sache klar ward: ich habe den Herrn kürtzlich gesehn, als die französischen Regimenter die Stadt besetzten. Ihn gewiß nicht, erwiederte die Baronin, vielleicht seinen Sohn, denn die Aehnlichkeit ist sprechend, vergleiche ich diesen mit dem, was der Herzog in seinem Alter war. Nun, auch mit Ihnen, gnädige[88] Frau, sagte Felicitas, ist die Familienähnlichkeit sehr auffallend. Antonie fuhr schmerzlich mit der Hand auf die Brust; sie fühlte dort den Dolch, welchen sie vergessen hatte, sah verwirrend zur Erde, und ging mit gesenktem Auge zum Zimmer hinaus.

[89]
8. Kapitel
Achtes Kapitel

Alles war nach und nach in ruhigen Gang gekommen. Die Baronin war wieder geschmackvoll und bequem gekleidet, hatte ein Zimmer neben ihren Nichten bezogen, jedes fügte sich, und wurden heimathlich und vertraut mit Lage und Umgebung.

Die Tante hatte es gern, wenn Marie erzählte; sie saß dann behaglich auf dem Ruhebett, die Arme übereinander geschlungen, den Oberleib etwas vorgebeugt, und sah mit anmuthiger Neugier und seitwärts geneigtem Kopfe, in die weichen, beweglichen Züge der Kleinen. Oft unterbrach sie dies auch, spielte mit ihren blonden Locken, und sagte wohlgefällig: wie hübsches weiches Haar! Marie küßte ihr dann die schönen Hände, und gab ihr die kleinen Schmeicheleien reichlich wieder zurück. Antonie war meist still, doch aufmerksam, ja zärtlich bis zur Demuth, gegen die Baronin. [90] Sie lernte vom Juwelier allerlei feine Arbeit machen, auch in Kupfer stechen, und in Gold und Silber graviren. Es beschäftigte sie dies dauernd, und oft bis zur Erschöpfung angestrengt. Sie bemühete sich indeß vergebens, ein höchst widriges Gefühl hierbei zu bekämpfen, was sie zu Zeiten nöthigte, mit der Arbeit inne zu halten, und mehrere Stunden zu feiern. Es gab nehmlich Tage, vorzüglich bei scharfem Sonnenschein, wo ihr das Berühren aller Metalle höchst empfindlich war. Sie versuchte sich mit allen, doch jedes wirkte eigens unangenehm. Ganz besonders gaben ihr Kupfer und Eisen die gröste Qual. Letzteres goß Todeskälte durch ihren Körper, da Ersteres durch bittere Säure ekelhaft auf Geruch- und Geschmacksnerven wirkt. Auch mit dem Golde ging es ihr nicht besser, dies stach ihr prickelnd, wie elektrische Fünkchen, durch Arme und Finger. Sie war an solchen Tagen, heftig, ungleich, Fieberkrank, konnte weder bei der Werkstatt des Goldarbeiters vorbeigehn, noch diesen überall um sich dulden. Eigen war es, daß sie, auf solche Weise gereitzt, mit einer Art von Begier den stählernen Dolch ergriff, welchen sie heimlich von ihrem Wirthe eingehandelt und in ihren Kleidern verborgen hatte, an diesem hin und her griff und einen wohlthätigen Strom durch ihre Adern rinnen fühlte. [91] Fast immer in sich verschlossen, kam von allem dem nichts zu der Kenntniß der Andern, als was die Aufmerksamkeit dieser erspähte, oder was sich durch die spröde Sonderbarkeit Antoniens ihnen unverständlich aufdrang. Auch standen beide Schwestern jetzt einander wieder entfernter. Marie war höchst behaglich und wie zu Hause bei der Tante. Beide plauderten vor ihr Leben gern, und mochten von allem hören, was um sie vorging. Zudem hatte Marie mit großer Freude jenes zierliche Kind, was sie jüngst so auf der Straße entzückte, unter Felicitas Schülerinnen wahrgenommen. Sie war eine Veroneserin, um weniges jünger als Marie, noch kleiner als diese, und auf die anmuthigste Weise lebhaft und gewandt. Beide gesellten sich leicht zu einander, und war Marie ganz Entzücken, sah sie Giannina die üppige Tarantela nach dem schallenden Takt der Kastagneten tanzen; oder hörte sie sie, im Wechselmaaß, den Streit zweier Liebenden mit geläufiger Zunge komisch parodiren; so bewunderte jene in ihr das feine Französisch und die vornehmen Sitten.

Die Baronin hatte Giannina schon früher lieb gewonnen, sie sah es gern, wenn sie nach der Arbeit zu ihr herauf kam. Sie wußte so wunderliche Geschichtchen zu erzählen, oder zärtliche Romanzen zu singen, die auch Alexis anzogen, so daß [92] er niemals dabei fehlte. Der Herbst kündigte sich überdem jetzt, von den Gebirgen her, schon ziemlich stürmisch an; Im Freien war es nicht mehr hübsch; um den Kamin saß es sich behaglicher. Die Baronin war nicht viel davon wegzubringen und nie erschien sie heiterer, als wenn sie die lieben, kleinen Menschengesichter, wie sie ihre jungen Freunde nannte, umgaben.

Der Marquis hielt sich von all dem heitren Verkehr ziemlich entfernt. Er hatte sich wieder in seinem Zimmer eingebauet, und kam selten und nur flüchtig zur Baronin herüber. Sie dankte ihm sein Schweigen, und vermied es gern, ihn nach der Ursach einer immer wachsenden Unruhe zu fragen, die sich deutlich in seinem Wesen offenbarte. Doch ward sie endlich durch ihn selbst gezwungen, näher darauf einzugehn.

Er fand sich einst mit ihr allein, und, jedes andere Gespräch abbrechend, entdeckte er ihr, daß er gesonnen sei, sie und seine Kinder zu verlassen und sich allein nach Aegypten einzuschiffen. Ohne auf ihr Erstaunen und das Bestreben, ein Wort dazwischen zu reden, Acht zu haben, rückte er seinen Stuhl näher an den ihren, und fuhr fort, ihr die Geschichte jener Gewitternacht, die Verheißung und das Auffinden des seltsamen Buches zu erzählen, zugleich aber seinem Schmerz, über den [93] unvermeidlichen Verlust desselben bei dem Brande des Schlosses, freien Lauf zu lassen. Er setzte hinzu, daß er fest glaube, es sei in Aegyptischer Sprache abgefaßt gewesen, weshalb er zu dem Quell der alten Weisheit hineile, die verborgenen Schätze aufzusuchen. Wie kommen Sie darauf? fragte die Baronin; warum grade in Aegyptischer Sprache? Ich sehe davon die Ursach nicht ein! Wie sollen Aegyptische Bücher nach den Ufern der Rhone kommen? Die alte, versteinte Zeichensprache ist ja kein Gemeingut, mit welchem, am Weitesten zurückgegangen, Marsilias Erbauer Handelsverkehr getrieben hätten! Viel natürlicher halte ich jenes Buch für eine Sammlung Altnordischer Zaubersprüche, welche sehr wahrscheinlich die alte wunderliche Königin Giselbertha, Ihre Stammmutter, aufsammeln ließ. Sie wissen, was der Abbee Cername für seltsame Nachrichten über sie aus dem Schloßarchiv herauslas; wie sie durch das Auflegen ihrer Hände allerlei körperliche Schäden geheilt, welche Gabe sich lange in unsers Königs Hause forterbte, wie sie ferner Metalladern und den Lauf des Wassers unter der Erde durch physische Wahrnehmung herausgefühlt, und der Wunderkräfte und Eigenheiten mehr besessen hat. Der Marquis sah nachsinnend in die Flamme des Kamins; – doppelt schlimm, rief er, wenn es so [94] ist! ein vererbtes heiliges Pfand! und unersetzlich verloren, unersetzlich! – Was hülfe es Ihnen, unterbrach ihn die Baronin, besäßen Sie es noch, Sie können es nicht gebrauchen, niemand kann jetzt absichtlich zaubern, niemand; das ist vorbei, das soll vorbei sein. Wer sagt Ihnen das! rief der Marquis sehr heftig. Die Ordnung Göttlicher und weltlicher Dinge, entgegnete die Baronin. O heilige Natur! schrie er mit gewaltiger Stimme: kreisen Deine ewige Sonnen nicht Heut wie damals in ihren gesetzlichen Bahnen! ist ihr Verhältniß zu einander ein neues geworden! und ist der Mensch ein ausgestoßener Fremdling in Deinen azurnen Hallen? Ja, sagte die Baronin fest und sicher, ein überwachsenes Kind ist er, das Thor ist ihm zu klein geworden, aus welchem er heraustrat, nun will er es einschlagen, das geht nicht, er soll leise anklopfen, es wächst mit seiner Demuth und wird höher und höher bis er bequem hineintritt! Heilig nennt Ihr die Natur, Ihr Neuerer, und wollt Ihr doch Gewalt anthun? – Nein Marquis, Heut zu Tage kann nur ein Kranker oder ein Teufel zaubern wollen! Pauline! – sagte der Marquis ernst – Sie reichte ihm freundlich die Hand. Ich meine es nicht schlimm, sagte sie, wir mißverstehn einander jetzt, wie so oft. Lassen wir das! Nur das Eine: sind[95] die Zauberformeln rechter Art, so kommen Sie zu ihrer Bedeutung; so viel ist einmal gewiß! Wie meinen Sie das? fragte der Marquis. Es wird sich ja zeigen, entgegnete sie. – Beide schwiegen. Das Gespräch war in sich zurückgefallen, keiner nahm es wieder auf, und es blieb alles wie es war.

In dem Marquis war indeß ein Gedanke zur Sprache gekommen, der, sich weiter entwickelnd, eine Art von Beruhigung für ihn hatte. Er hielt nemlich das geheimnißvolle Buch nicht für das einzige Erbgut seiner Stammmutter, und, die Nothwendigkeit des eigenen Daseins durch sie erkennend, war er überzeugt, einen Schatz geheimer Kräfte in sich zu tragen, welcher, trotz dem Dunkel der Zeit, sicher an das Licht treten werde. Er hielt sich an diese Ueberzeugung, ward zuverläßiger in sich selbst, heiterer und achtsam auf die äußere Umstände, wie auf den Gang des Lebens, in welchem er die Einflüsse seiner Natur zu belauschen hoffte. Wie seltsam und ungewöhnlich er auch unter dem stäten Erspähen erschien, so trat ihm doch das Außenleben näher, er ließ sich ein damit, und es wirkte langsam und still wohlthätig auf ihn zurück.

Die Baronin glaubte einen Umschwung in ihm bewirkt zu haben, und freuete sich der Gewalt [96] ihrer Worte. Doch zu klug, um durch voreiligen Triumph die Eitelkeit und den Eigensinn des Marquis zu wecken, sammelte sie im Stillen die Früchte ihres Sieges und war auch ihrer Seits leichter ums Herz.

So stand es mit allen Gliedern der kleinen Familie, als sie eines Abends bei der Baronin versammelt waren und heiter über ihre Zukunft sprachen. Der Marquis, überzeugt die Unruhen in Frankreich auf irgend eine Weise bald geschlichtet zu sehn, äußerte den Plan, den Winter über ruhig in Chambery zu bleiben, und dann erst zu bestimmen, ob sie nach Deutschland flüchten oder nach Frankreich zurückkehren wollten. Im letztern Fall, den Alle im Geheim als gewiß annahmen, erklärte er, daß er unverzüglich aus den Trümmern des eingeäscherten Schlosses ein neues, ganz im Plan des alten, erbauen werde, daß ihm die Stätte heilig, dieser Punkt auf der Erde durch Gesetz und Natur angewiesen sei, und er ihn auch, als die eigentliche Sphäre seiner Wirksamkeit, behaupten werde.

Die Baronin ward durch das Feuer seiner Worte an seine früheste Jugend erinnert, und glaubte um so fester, er wolle von Anfang herauf ein ganz frisches, sicheres Leben beginnen. Giannina bat Marien leise, sie ja nicht allein hier zurück [97] zu lassen, sie beschwor sie, in ihre Dienste treten zu dürfen, und beide schlossen ihren kleinen Kontrakt heimlich mit einander ab. Alexis saß auf der Thürschwelle, sang einige von Giannina aufgefangene Strophen, hielt ihre Mandoline zwischen den gekreuzten Beinen geklemmt, und stimmte und klimperte daran, bis endlich eine Saite unangenehm schrillend zerriß! Ha! schrie Antonie, was war das! sie war todtenbleich und zitterte heftig. Mein Gott! sagte die Baronin ungeduldig, was soll es sein! eine gesprungene Saite ist es, nichts mehr und nichts weniger! Mein armes Mädchen, setzte sie begütigend hinzu, wie magst Du denn gleich so erschrecken! Antonie faßte sich, die Baronin setzte sich zu ihr, und alle redeten nun freundlich über die Gewalt eines plötzlich hineinfallenden Tones, der selten der festeste Nervenbau ganz widerstehe. Auch ich, sagte die Baronin, erschrak, und mein kleiner Unwille galt meiner wie Deiner Schwäche. Und bei Lichte gesehn, fuhr sie fort, ist auch daran nicht so Großes zu tadeln. Wir wollen nun einmal von allem den Grund kennen; überrascht uns die Wirkung ehe wir die Ursach ahnden, so schneidet das in unsern Ordnungssinn, und wir schreien, wie bei anderm Schmerz! Darum ist uns Gott so oft ein fürchterlicher [98] Gott! Verständen wir ihn immer, er wäre in jedem Augenblick die Liebe!

Sie schwieg hier, eine neue Ideeenreihe war in ihr angeknüpft. Giannina aber schalt den Knaben, der, schon über Antoniens Ausrufung erschrocken, bitter weinte. Die Kleine versuchte, nicht ohne Unwillen, das zerstörte Instrument wieder in Ordnung zu bringen, als es an der Thür klopfte, und der Köhler mit einem langen, sehr bleichen, Mann in das Zimmer trat.

Es dunkelte bereits, und nur die Flamme im Kamin warf ein ungewisses Licht umher. Die Baronin trat einige Schritte vor, sah zweifelnd auf den Fremden, schlang dann heftig beide Arme um ihn, und rief ganz außer sich: mein Bruder! O Gott mein Bruder! Dieser zog sie ungestüm an sich, und sie im Arme haltend, warf er den Adlersblick auf die andern Gestalten umher, und maaß sie langsam erforschend. Nun Marquis! rief er, wir haben unsere Heldenbahn würdig geschlossen, wir können aufs neue Brüderschaft machen, denn beim Himmel! ein Meisterstück ist des andern werth! Wir geben der Welt ein Beispiel, was menschliche Klugheit ist! Wollen Sie sich gütigst erklären, unterbrach ihn der Marquis mit kaum noch gehaltener Heftigkeit. O ich bitte Sie, sagte der Herzog, nehmen Sie es ja nicht ernsthaft. [99] Mit dem Ernst ists vorbei, der lag in der Exposition der Tragödie, nun alles drunter und drüber geht, wirds komisch. Ich muß Sie bitten, deutlicher zu sein, wiederholte der Marquis. Ja, dann müssen Sie erlauben, daß ich mich setze, entgegnete jener, sich in einen Stuhl niederlassend, denn sehn Sie, ich habe meine gesunden Glieder dabei in den Kauf gegeben, wie Sie früher den gesunden Verstand! Herzog! rief der Marquis, das fodert Blut. Bewahre Gott, sagte dieser gelaßen, die Mühe, uns die Hälse zu brechen, können wir Andern überlassen, dazu hat man jetzt leichte Mittel, und ich weiß die Leute die Wege dahin zu führen. Ich brauche keine fremde Hülfe, schrie der Marquis, heftig auf ihn eindringend! Zum Teufel, sagte jener, ich kann mich jetzt nicht schlagen, und hielt ihm den linken Arm abwehrend entgegen. Alle sahen jetzt erst, daß er den rechten im Bande trug, und einer Ohnmacht nahe war. Die Baronin, aufs höchste erschrocken, that dennoch keine unnütze Frage, sagte nichts, die Gemüther zu beruhigen, überzeugt, daß sich alles von selbst machen müsse, und war nur bemühet, dem Bruder Hülfe zu leisten, als dieser erschöpft sagte: Beruhige Dich, Villeroi, ich will keinen Krieg mit Dir, Du hast im Tumult Deiner Sinne die Ehre rein erhalten, Du bist der Alte! braver Camerad [100] vergieb mir, mein düsterer Unmuth wollte sich Luft machen, gieb mir die Hand! wir sind nun Unglücksgefährten, wie wir sonst Kriegsgefährten waren. Du hast das Liebste, was Du auf Erden hattest, im Wahnsinn geopfert, ich habe eine unglückliche Freundin zum Schaffot geführt. Die Aebtissin – rief Antonie, – ja, sagte der Herzog, das Auge langsam auf sie hinrichtend, ich wollte geschickt und geheim ihre Freiheit sichern, ein unglücklicher Fehltritt des Pferdes stürzt dieses nieder, ich liege halbtodt am Boden, das Pferd rafft sich auf, fliegt im Gallopp mit dem leichten Karren über mich weg, lenkt in die große Straße, und führt das unglückliche Schlachtopfer den Bluthunden in die Hände. Pöbelhaftes Volk, das mit seiner Schande die Erde besudelt, fängt den Karren auf, die Aebtissin wird mißhandelt, nach dem nächsten Gerichtshofe geschleppt, und, ihrer Aehnlichkeit mit der Königsfamilie wegen, zum Tode verdammt. Ich erwache aus meiner Betäubung, unfähig mich zu rühren, Arm und Bein zerbrochen, zertreten, gequetscht, so liege ich, bis mich ein junges Weib, die des Weges geht, auf ihre Schultern ladet, und nach einer nahen Hütte schleppt. Unbeschreiblich ist's was die gute Seele an mir gethan hat, ihr Mann war ein Hirt, er heilte meine beschädigten Glieder. Kaum war ich im [101] Stande, zu gehn, so nahm ich meinen Wanderstab, ich zog Erkundigungen ein, erfuhr, wie mein unseliges Geschick die verfluchte That veranlaßte, und wollte mir nun den Sohn wenigstens aus dem Höllenpfuhl erretten, der stand vor Lyon, bei der Republikaner Armee. Ich bettle und schleiche mich bis einige Meilen davon; grade da geht der Troß der Königsgesinnten über, Toulon war auch erobert, viehischer Jubel schallt durch ganz Frankreich, ich muß mit jubeln oder mein Blut durch Henkers Hand verspritzen lassen; mein Entschluß war gefaßt, durch und durch krank, verzehrt von Wuth und Schmerz, schicke ich mich an, das Vaterland zu verlaßen, bei den Trümmern vom Schloß Clairval stoße ich auf André, Deinen Kammerdiener, er ist jetzt Kärrner und fährt Baumwollen-Waaren aus der Schweitz nach Frankreich, er kannte Deinen Aufenthalt. Ich bin nun hier; was weiter aus uns allen wird, ist Gott bekannt, hier können wir nicht bleiben, denn Savoyen wird in Kurzem aufs neue besetzt sein, und ich bin zum Tode müde!

Der Marquis, wie immer durch einen starken Anstoß aufgeregt, vom Anblick des ehemaligen Waffenbruders in die alte Zeit versetzt, fühlte seine Kraft im aufflammenden Ehrgefühl wachsen. Ist nichts, gar nichts mehr zu thun, rief er! Soll [102] Frankreich untergehn? Sollen wir Nahmen, Stand, Eigenthum, alles hinwerfen, und die Hände in den Schoos legen? Regt sichs nun? sagte der Herzog lachend, ja nun ist's zu spät! Ich habe meine Welt kennen gelernt! ich bin es müde, auf Worte zu bauen! In der Vendée da gab es Männer! und in Lyon! Was Menschen thun können, ist dort gethan! Ich habe lange unter den Vendéern gestritten. Es ist vorbei! Die Andern haben kein Mark, keinen Willen! Es ist unglaublich, wie sich Menschen über sich selbst täuschen! Auch die Guten! Bei unbezwinglicher Scheu vor dem Streit fühlen sie gleichwohl das Gebot der Ehre und peitschen sich mit Worten das Blut in den Adern hin und her, bis sie schon in Gedanken auf dem Schlachtfelde stehn, da träumen sie Thaten und schlagen uns ihr noch zu vergießendes Blut zu hohen Preisen an! Dabei bleibt es aber! Die abgenutzten Worte Freiheit und Ehre sind wie ein Feuerzeug ohne Stahl, sie geben kein Feuer und kein Mensch wärmt sich an einer Flamme, von der er nur reden hört! Der Marquis schwieg. Alle waren erschüttert, gestört. Antonie stand vor dem Herzog, jedes seiner Worte in sich hineinziehend. Die Baronin fühlte, daß niemand in diesem Augenblick gestellt sei, etwas Zweckmäßiges zu wollen, und für die Folge den Andern vorzuschlagen; sie [103] dachte daher an das Nächste, und hieß für jetzt die Andern auseinandergehn, einzig auf die Pflege und Erholung des Herzogs bedacht. Morgen, sagte sie, werden wir uns eher finden, und das Nothwendige thun, Heute hat keiner einen gesunden Willen. Es stößt sich alles wie im Fiebertraum aneinander, wir haben so viel in Kurzem erlebt, es kann noch nicht alles Platz in uns finden. Wir müssen es erst auseinanderpacken, und jedes an seine Stelle legen, dann kommt der vernünftige Entschluß von selbst. Gute Nacht also, Ihr Kinder, sagte sie, und winkte Allen, sie zu verlaßen.

Der Herzog ging mit dem Marquis, bei welchem er sich einquartirte, die Andern mußten folgen. Antonie allein blieb ganz still auf der Stelle stehn, wo der Herzog gesessen hatte, schien von dem Gebote der Tante auch nichts gehört zu haben, und nur als diese es wiederholte, ging sie schweigend in ihr Zimmer.

[104]
9. Kapitel
Neuntes Kapitel

Die Baronin bedurfte wirklich mehr als je der Ruhe und innern Sammlung. Das Leben war ihr aufs neue so aufgerüttelt, alles trübe ineinandergewirrt, und grade jetzt, wo die Verhältnisse anfingen, sich zu setzen. Sie wäre so gern an Ort und Stelle geblieben! Das Herumziehn in fremden Ländern, so spät im Jahre hinein, hatte viel Unerfreuliches. Und was war am Ende davon zu erwarten? Sie mochte die Gedanken hinwerfen, wohin sie wollte, sie mochte den Lebensplan so oder so ordnen, es blieb alles unbegründet, alles durch Umstände bedingt, die ich nicht vorher bestimmen ließen. Unter dem Vielen Hin- und Herschieben und Stellen der Lebensverhältnisse ward es ihr indeß klar, daß über diese das Leben ganz allein zu bestimmen habe, daß man sie müsse kommen lassen, ohne sie sich selbst zuschneiden zu wollen, und daß der Mensch nichts anders [105] solle und könne, als sich in jeder Lage würdig behaupten.

Am Ende, sagte sie sich, ist daran auch nichts zu meistern! es wächst alles aus tiefem, unbekanntem Grunde herauf, wir mögen die Richtungen lenken, wie wir wollen, das Leben schlägt immer seinen eigenen Weg ein. Und hier, fuhr sie fort, giebt uns die Menschliche Klugheit auch nicht einmal Augenblickliche Zwecke zu berücksichtigen. Das Nothwendige liegt vor uns, wir müssen fort von hier. Wohin wir gehen? kann uns im Grunde gleich sein. Ein jeder Ort kann der rechte, ein jeder der unrechte sein. Wir haben keine Ursach, einen vor dem andern zu wählen. Das Zweifelhafte hierbei muß uns, an uns selbst zweifeln, und höherer Führung vertrauen lehren.

Es ward ihr ganz leicht ums Herz, als sie sich das so anschaulich bestimmt ausgesprochen hatte; um so mehr, da sie nicht anders glauben konnte, als Frankreich werde dennoch das endliche Ziel aller dieser Irrfahrten sein. Und ob sich auch dort ihrer Seele kein vertraut gebliebenes Bild zeigen wollte, so war es doch der heimathliche Boden, welcher sich, wie glückliche Inseln, aus den unruhigen Wellen der Ereignisse heraufhob.

Sie ruhete hier aus, ließ die Familie des Marquis ihre eigene sein, sah mancherlei von weitem [106] kommen, bis die Gedanken immer loser, die Bilder immer unkenntlicher, wurden, und sie endlich einschlief.

Sie lag indeß noch zwischen Bewußtsein und Traum, im anmuthigen Gefühl unwiderstehlicher Hingebung, als ihre Vorhänge leise geöffnet wurden und der warme Hauch flüsternder Lippen ihre Wange berührte.

Die Baronin war von Natur schrekhaft, leicht überrascht, und verfiel, durch irgend etwas stark ergriffen, auf das Unwahrscheinlichste. Sie fuhr jetzt schnell in die Höhe, sah indeß kaum die Umrisse einer weiblichen Gestalt im Dämmerlicht der Lampe, als sie eben so schnell in ihre Kissen zurückfiel, und kaum hörbar stammelte: mein Heiland! die Marquise! Meine beste Tante, sagte Antoniens Stimme, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Sie haben in meinem Herzen gelesen. Die Mutter ist es, die mich zu Ihnen führt. Ich habe ihretwegen keine Ruhe. Ich muß es wissen, wie und auf welche Weise sie starb. Sonderbares Kind! sagte die Baronin etwas beschämt, welche Stunde wählst Du auch dazu, Du hast mich ganz verwirrt, ich träumte wohl grade. Verzeihen Sie mir, erwiederte jene, aber ich dachte, wie unzuverläßig es jetzt mit der Zeitbestimmung sei, wir müssen vielleicht schon Morgen von hier fort, was uns [107] zusammenführte, kann uns auch wieder von einander reißen, man wird anjetzt so scheu, und dazu ängstet mich das Dunkel der Vergangenheit mehr als die ungewisse Zukunft, deshalb meine Tante – Nun wohl, unterbrach sie die Baronin, ich will Dir gern die gewünschte Auskunft geben. Sie richtete sich im Bette auf, und Antoniens beide Hände fassend, gleich als wolle sie sich versichern, daß sie zu einem lebenden Wesen rede, zog sie diese sanft zu sich nieder. Hast Du, hub sie nach einigem Besinnen an, vielleicht von einer geheimnißvollen Kraft gehört, welche einem Wesen über das Andere eine furchtbare Gewalt einräumt, und die man, mit Recht oder Unrecht, magnetisch zu nennen pflegt? – Magnetisch heißt die Kraft? fiel Antonie schnell ein. Ja, erwiederte die Baronin. Ich zweifele nicht, fuhr sie fort, es giebt so unbegreifliche Einflüsse in der Natur, welche der Einzelne freilich nur am Einzelnen entdecken kann. Allein das Menschliche Gemüth ist nicht enthaltsam, es kann nichts kommen, nichts aus seiner Nothwendigkeit ruhig hervorgehn lassen, es muß alles an sich reißen, und wie der Effekt den Sinn trifft, und der Mensch durch irgend ein Vermittelndes dem Herr wird, so freuet er sich schwachherzig der Meisterschaft, und prüft und übt sich an etwas Willkührlichem, das ihm unvermerkt Zweck [108] wird. So ging es sicher mit mancher unerforschten Thätigkeit in der Natur, deren Wirkung, blendend oder verletzend, als Gaukelspiel verworfen ward, weil sie außer ihrem Zusammenhang auf Individuelles bezogen, das todte Produkt tief verborgener, ungekannter Ursach blieb. Die bereits festgestellte Wissenschaft duldet das nicht, und es konnte nicht fehlen, daß grade dasjenige, was dem Geisterreich so nahe gerückt schien, alle solche zu Feinden hatte, welche nach vorgefundenem Maaßstabe prüfen, wie im Gegentheil in denjenigen Anhänger fand, die niemals Zeit behalten zu prüfen. Dein Vater gehörte ganz unbedingt zu den Letztern; und jemehr die kalte Zergliederung und Herabwürdigung Anderer ihn verletzte, je leidenschaftlicher hielt er sich an dem, was er sah, erlebte, durch sich selbst erfuhr. Und wirklich waren die Hervorbringungen des Magnetismus so unleugbar, die Kraft des Willens erschien dabei so über alles herrschend, daß der Marquis den weisern Einwurf, wie den frechen Tadel, auf gleiche Weise verlachte.

Es wäre mir so unbequem, wie Dir unersprießlich, wollte ich alle die zauberischen Wirkungen des Magnetismus hier aufzeichnen. Eben so wenig kann ich Dir ein genaues Bild der dabei vorwaltenden, mechanischen Behandlung entwerfen. [109] Die große Hauptsache war, daß zuerst durch magnetische, mit der flachen oder geschlossenen Hand geführte, Striche, der Behandelte von dem ersten Grad müden Ziehens der Augen, nach und nach in einen Zustand versetzt ward, in welchem die äußern Sinne vollkommen ruhen und die innern allein agiren. In diesem Zustande hat der magnetisch Schlafende eine vollkommene Kenntniß seiner selbst, sieht in sich, wie in Andere, hinein, denkt, handelt mit Bewußtsein, und redet Dinge, welche er vielleicht wachend nicht zu sagen wüßte.

Es ist unglaublich, welche Sensation diese Entdeckung in Paris machte. Verbindungen wurden geschlossen, Gebäude, Zimmer eingerichtet, Versuche gemacht, an deren Resultate sich die gescheutesten Köpfe vergebens wagten.

Der Marquis hatte indeß bei alle dem nur Eines im Sinne. Er beherrschte das Gemüth seiner Frau, und hielt ihr Herz in Händen. Sie war froh, seine leidenschaftliche Zweifel stillen zu können, und öffnete ihm in Stunden der Crisen willig ihr reines Innre. Da sie indeß guter Hoffnung und äußerst reizbar war, so kam es dahin, daß ein anhaltender Blick des Marquis sie in convulsivische Zuckungen und dann in jenen unnatürlichen Schlaf versetzte, die mir, als ich einst gegenwärtig war, das ängstigende Gefühl gaben, als stehe[110] ich zwischen dem todten Leib und der geschiedenen Seele meiner Schwester.

Vergebens schrie ich dem Marquis ins Gewissen, daß er seine Frau tödte, beschwor ihn, sich von ihr zu entfernen, setzte Freunde, Aerzte, Himmel und Erde, in Bewegung, sie vor ihm zu retten, allein durch einen seltsamen Widerspruch wollte sie so wenig von ihm, als er von ihr lassen, ja sie war in dem Maaße an ihn gebannt, als seine Nähe zerstörend auf sie wirkte. So ward sie immer schwächer, fast verworren in sich selbst, und gab in einer dieser Crisen Euch, meine armen Kinder, das Dasein. Die Natur aber ward durch den doppelten Kampf zerrissen, sie starb wenige Stunden darauf.

Die Baronin schwieg sehr bewegt. Antonie sah vor sich hin. Der Tod der Mutter hatte nichts Trübes mehr für sie, im Gegentheil ward ihre Brust von der süßesten Wehmuth gehoben. Sie fühlte in allem dem eben Erfahrenen nur die Gewalt tiefer, unergründlicher Liebe. Sie konnten nicht von einander laßen, sagte sie sich leise, so fest kettet die geheimnißvolle Kraft!

Seitdem, unterbrach endlich die Baronin das Schweigen, haben nähere Ereignisse das Auge von dem Unbegreiflichen abgezogen. Mein Kind, fuhr sie fort, ich habe noch immer gefunden, daß wenn [111] die Menschen die Natur so recht derb anfassen, und sie nun in ihrer Gewalt zu haben glauben, diese plötzlich ihren Händen entschlüpft, und groß und gelassen ihren gemessenen Gang über ihnen hingeht; sie ruft sie an, aber unter ganz anderer Gestalt, und heißt ihnen, sie geschichtlich begleiten, wenn sie im freundlichen Verkehr mit ihr bleiben wollen. Wer dem Moment die Flügel beschneiden und ihn zu etwas machen will, der thut eben gar nichts! Und doch, sagte Antonie, ist das ganze Leben auch nur ein Moment, und was geschieht nicht alles in ihm! Ach die Liebe schafft ja eine ganze Welt hinein!

Grade die Liebe, erwiederte die Baronin, soll viel mehr als den Augenblick wollen. Will sie ihr Reich auf Erden so recht dicht und fest gründen, so bricht es zusammen, und das Herz obenein.

Aber wie bricht es! unterbrach sie Antonie, unter der allerseligsten, wie unter der furchtbarsten Gewalt! Kind, entgegnete die Tante, erinnere Dich, daß jedes Heraustreten aus dem Gleichgewicht der Natur Krankheit ist, und daß wir uns vor dieser überall zu hüten haben. Und nun geh', Du kleine Nachtwandlerin, fuhr sie gütig fort, geh, wir kehren sonst auch die Naturordnung um, und das thut niemals gut.

Mir hat es wohl gethan, sagte Antonie, indem [112] sie ihre brennende Lippen auf die Hand der Baronin drückte. Diese küßte ihr die Stirn, und sah sie, mit einer Art von wehmüthigen Beklemmung, an dem Nachtlicht vorüber durch das Zimmer gehn.

Am folgenden Morgen ließ der Herzog keinen aus der Gesellschaft lange ruhen. Er war heftig, ja ungestüm, und konnte es nicht dulden, daß man lange über einen Entschluß sann, oder die Entscheidung gar von sich wegschob. Die Baronin aber trauete sich selbst nicht recht in Dingen, die in einem sächlich oder persönlichen Verhältniß zu nahe auf sie zutraten, ihr Blick ward alsdann leicht befangen, es ging ihr, wie solchen Augenkranken, die nur in gewisser Entfernung eine helle Unterscheidung und Uebersicht gewinnen. Sie sagte daher dem Herzog: Niemand wird so geblendet, so leicht bestochen, als ich wenn Mehreres zusammentritt; verschone mich also mit jedem, was einer Auswahl unter Vielem ähnlich sieht. Ich bin entweder ganz Gefühl, oder ganz Ueberlegung. Die Letztere allein läßt es zu nichts kommen, das Erstere reißt mich fort. Ist einmal ein Unglück geschehn, so weiß ich mich schnell zu finden, weil ich, zurücksehend, die Ursach bald entdecke, soll ich dies aber umgehn, so verwickele ich mich in den Wegen die umherlaufen. Es ist einmal meine Art so. [113] Aendern läßt sich darin nicht viel. Schilt darüber auch weiter nicht, und da Du siehst, daß uns allen ein kräftig-bestimmender Wille Noth thut, so bestimme Du für uns.

Nun gut, sagte der Herzog, meine Parthie ist bald genommen. Der Marquis schwindelt da noch von Abwehren der Gefahr, geheimen Einflüssen, und Gott weiß was allem, aber das muß er mir nicht sagen, ich weiß auf ein Haar, wie wir stehn, ich bin auch keinesweges auf Gaukeleien der Art gestellt. Das Kurze und das Lange von der Sache ist, daß wir fort müssen, je eher je lieber, auf dem kürzesten Wege dem besten. Daher ist mein Plan, über die Gebirge nach der Schweiz und Deutschland zu gehn. Sind wir gleich bereits weit in der Jahreszeit vorgerückt, und sind Wege und Wetter rauh, so ist das ein freiwilliges Uebel, das wir uns auflegen, und keinesweges mit einem entehrenden Tode zu vergleichen, der uns hier unfehlbar bedroht. Ich für mein Theil wenigstens gehe, und seid ihr klug, so folgt ihr nach. War es sonst schon immer schwer, dem raschen Andringen seiner Worte zu widerstreben, so ließ sich jetzt gegen das Gewichtige derselben nichts einwenden. Es wurden deshalb, trotz der Unbequemlichkeit und dem Störenden einer Winterreise, alle erforderliche Anstalten dazu getroffen. Antonie, welche sich dem [114] Herzog sehr ergeben zeigte, war besonders geschäftig dabei, und übertrug gewissermaßen Marien, die ungern den angenehmen, ruhigen Auffenthalt verließ, zumal da sie wegen Giannina in Verlegenheit war, und nicht recht wußte, wie sie es einzuleiten habe, daß sie das gute Kind begleiten dürfe. Allein diese hatte in der Baronin eine Beschützerin gefunden, die selbst nicht von der Kleinen laßen konnte. Sie ward daher förmlich in das Gefolge des Marquis eingeschoben, ob man gleich ihr heiter-luftiges Wesen durch keine genauere Dienstbeschäftigung einengen wollte.

Marie ward dadurch um vieles getrösteter, nur kostete es ihr Mühe, sich von ihren freundlichen Wirthsleuten zu trennen. Sie gewöhnte sich so leicht an Menschen! Der Ton ihrer Stimme, ihr Lächeln, ein gutes Wort, herzliches Benehmen' ja die eigene, selbst auf sie nicht Bezug habende, Art und Weise, fesselte sie, und ihr weiches Herzchen brach fast, mußte sie solche verlaßen, die ihr wohlgewollt, oder sie durch Gefälligkeit verpflichtet hatten. Zudem goß das lautlose Gewerbe beider Eheleute, ihre stille, genaue Thätigkeit, das Nothwendige ihres Gehens und Kommens, der angenehm belebte und doch so friedfertige Gang ihrer Unterhaltung, ein so helles lebendiges Sein, so behagliche Ordnung, durch das kleine Häuschen, daß [115] allen darin wohl war, und Marie oftmals mit innerm Behagen dachte, wie schön es sei, sich als Mittelpunkt einer so geschaffenen kleinen Welt zu finden! Sie beneidete Felicitas darum, wie denn überhaupt der Umgang dieser stets heiteren Frau, die Anlage zu mancher häuslichen Tugend und den alles fördernden und über allem waltenden Ordnungssinn mehr und mehr in ihr heraushob, und ihr vielfache Unterhaltung in der wohleingerichteten Haushaltung gab. Jetzt ward der Faden ihrer kleinen Gedankenspiele plötzlich wieder zerrissen, der einfach ruhige Farbenton ihrer Vorstellungen gemischt, vervielfacht, ihr Blick auf Ungekanntes gelenkt, sie konnte sich der innern Trauer so wenig wie des Gedankens erwehren, daß solch unstätes Leben sie nur verwirre, und ihr Gefühl noch oft zerreißen werde.

Ihre Zärtlichkeit für die; welche sie verlaßen sollte, mehrte sich mit jeder Stunde, und bewegte sowohl Felicitas, wie ihren Mann, auf solche Weise, daß Erstere ihr einen feinen Spitzenschleier, Letzterer aber zwei mit einander verbundene Goldringe, mit dem Bedeuten verehrte, solche an ihrem Hochzeitstage von einander zu lösen und die Einigkeit und freudige Lust, die sie hier verbunden, mit dem Geliebten zu theilen; wie Gott ihrer beider Hände dann zusammenfügen werde, so werde sich [116] auch das stille Band der Einigkeit verschlingen und Liebe und Treue nur Eine sein.

Marie empfing die Gaben, sowohl durch ihre Bedeutung, als den lustigen Glanz derselben, erfreuet. Sie besah sie wohl tausendmal, und steckte die Ringe unter innerm Erzittern des Herzens an den Finger. Noch oft am Tage zog sie sie ab, und steckte sie wieder an, sie erröthete dabei, und versuchte, wie sie sich wohl ablösen würden, ohne dadurch verletzt zu werden. Der Goldarbeiter bemerkte es wohl, und freuete sich ihrer unschuldigen Lust.

Indeß war alles zur Reise angefertigt, Felleisen gepackt, Wagen und Führer gemiethet, Wege und Stationen berechnet, die Richtung östlich über Aosta, den St. Bernhard und die Walliser Gebirge, nach Thun, Bern und Basel zu genommen; und da sie den näheren Weg über Genf wegen der Kriegsunruhen vermeiden mußten, so sahen alle dem späteren Ruhepunkte mit Verlangen entgegen, und eilten nun insgesammt, aus dem natürlichen Triebe das frühere Ungemach erst hinter sich zu haben, schnell zur Abfahrt.

Auch diesmal verließ sie der Köhler nicht, um so mehr, da er sich dort drüben die Gelegenheit ansehen, und erwägen wollte, ob da seines Bleibens sein könnte. Die kränkliche Frau aber ließ er unter [117] dem Schutze ihres Bruders zurück, was er wohl thun durfte, da sie als Italienerin nichts von den feindlichen Franzosen zu fürchten hatte. Nur von Alexis wußte er sich auf keine Weise zu trennen, und da der Knabe so leidenschaftlich an Giannina gebannt war, und diese ihre besten Neckereien mit ihm trieb, so fügten sich alle, und das Kind fand sein Plätzchen.

Der Herzog hatte seinen Aerger über das viele Hin und her Reden, die kleinen Berücksichtigungen, das Abschiednehmen und seltsame Erweichen bei der Trennung von einem Ort, den man von Anfang her nur als einen Durchgangspunkt angesehen, ja ihn niemals anders betrachtet wissen wollte. Welche Umstände, sagte er, um von Abend bis Morgen zu leben! wie schwerfällig macht so unzeitiges Erweichen, und wie träge zu jeder tüchtigen Betriebsamkeit! Du könntest, unterbrach ihn die Baronin, eben so gut sagen, welche Umstände überall, zu leben, da jeder des Todes gewiß ist! Ein jeder weiß, daß er hier auf Erden keine bleibende Stätte aufschlägt, und gleichwohl! wer vergäße es nicht gern? wer möchte noch etwas anfassen, erinnerte er sich jeden Augenblick, daß er den Tod in Händen halte? Treibt man im Allgemeinen schon so tolles Narrenspiel, sich selbst zu äffen, sagte der Herzog, so sollte man es doch nicht[118] absichtlich, bis zur Kinderei, vervielfachen. Es geschieht auch im Kleinen wie im Großen nicht absichtlich, erwiederte jene, es kommt von selbst, man muß die Gegenwart eben so oft von ganzer Seele lieben, wie sie einem in andern Augenblicken von Herzen lästig fällt.

Sie wandte sich bei diesen Worten nicht ohne Unwillen von dem edlen aber schroffen Bruder, und Marien, auf welche dieser Ausfall besonders, ihrer vielen Thränen wegen, gerichtet war, bei der Hand nehmend, stieg sie in den Wagen, und gab so das Zeichen zum Aufbruch.

Es schien aber, als seien alle aus ihrem Gleise gewichen. Die heftigen, über die Lippen hinfliegenden Worte, hatten die Baronin verstimmt, sie fühlte dadurch in ihrem Innern das Verhältniß zu dem Bruder für den Augenblick gestört, sie konnte sich niemals einen Unwillen, oder gar eine Heftigkeit, gegen die, welche sie liebte, verzeihen, und wie sichtlich deren Unrecht war, es fiel, hatte sie es gerügt, immer doppelt auf sie zurück; deshalb tadelte sie sich auch jetzt bitter, ja sie ging weiter, sie fand Mariens Thränen selbst kindisch, und verwies es ihr mit einiger Strenge, wodurch die arme Kleine nur noch bewegter, und unfähig ward, sich sogleich zu fassen. Da nun aber Alexis, wie alle Kinder, wenn sie weinen sehen, auch weinte, [119] und, um dem Vorschub zu thun, laut nach der Mutter bangte, so griff die üble Laune alle an, und Verweise und Drohungen fielen durch einander hin, und wurden in dem engen Raum um so störender, da sie jede heitere Betrachtung unterbrachen.

Zudem wurden die Wege jetzt sehr beschwerlich. Die Baronin, im Fahren ängstlich, nur gewohnt, von Paris nach Versailles, oder andere bekannte Straßen zu reisen, litt sichtlich von der quälendsten Besorgniß, wie sehr sie sich auch bekämpfte. Niemand sprach zuletzt, bis Alexis, der sich in dem Maaße erheiterte, als die andern schwiegen, Giannina anlag, ihm etwas zu erzählen. Diese wußte ein uraltes Mährchen von einer Bergfrau, welche Abends auf weißem Flügelpferde durch die blaue Alpen ziehe, Krankheit und Tod über die Menschen bringe, Jünglinge aus den Hochzeitkammern entführe, und wenn die Bräute ihnen nachfolgten, diese in kleine Blumen verwandele, welche man Alpenrosen zu nennen pflege. Der Knabe wurde nun auch still, und sah ganz scheu zum Wagen hinaus, denn er fürchtete, die große, schreckliche Dame zu sehen, wie er sich ausdrückte.

Jenseit Aosta bestiegen die Männer Maulthiere, die Frauen mußten sich größtentheils in Sesseln tragen laßen. Antonie indeß bestand mit [120] einiger Hast darauf, ebenfalls den Weg auf einem Maulthiere zurückzulegen. Sie hatte einen sichern Führer, und ritt nun zwischen dem Herzog und ihrem Vater die steilen, gewundenen Pfade entlängs, ohne eine Spur von Unruhe zu zeigen, weshalb sie der Herzog oftmals freundlich anlächelte, und selbst einigen Stolz über sie, die Richte, zu empfinden schien.

Es war am Ende des Dezembers. Ungleiche Windstöße hüllten sie oftmals in Wolken von Schnee und Hagel. Ein jeder fühlte die Kälte sehr empfindlich, Antonie hatte einen Mantel übergehangen, und den Kopf vielmals mit langen Schleiern umwunden, allein der Wind wickelte diesen, wie das aufgeflochtene Haar, immer wieder los, bis sie, doch etwas unsicher auf dem fremden Thier, und sich keinesweges mit Freiheit darauf bewegend, Haar und Schleier in Gottes Namen im Winde flattern ließ, einzig darauf bedacht, wie sie sich sonst vor der Kälte verwahre, die immer schneidender ward.

Die Reitenden gewannen leicht einen kleinen Vorsprung, so daß sie die Andern zuweilen ganz aus den Augen verloren, und dann plötzlich bei einer Beugung des Pfades ihrer erst wieder ansichtig wurden. Als es daher bereits dunkelte, und Antonie, unter der schwarzen Wolke ihrer Haare, [121] den Steg etwas fern ab ritt, schrie Alexis laut auf, und versteckte sich an Gianninas Brust, indem er rief, da ist die Dame! da ist sie! Wirklich hatte sie ein seltsames Ansehn, was durch die Schneewirbel noch undeutlicher, und ganz Mährchenhaft, durchschimmerte.

Doch Antonie ward ihrer Seits auch bald genug auf weit ernstere Weise erschreckt. Sie stiegen bereits die nördliche Abdachung des Bernhard hinunter, und freueten sich, eine Hütte zu finden, wo sie ausruhen und übernachten könnten, als die Thiere plötzlich stutzten, und ihre Führer gleichfalls einige Schritt, vor einem, über den Weg liegenden Mann, still standen. Ein Todter! rief der Eine, welcher näher herzugetreten war. Der Herzog sprang zur Erde, der Marquis folgte ihm, doch ehe sie noch zu der Stelle kamen, war ihnen Antonie schon vorangeflogen, hatte die Hand des Mannes gefaßt, und rief sehr freudig: er lebt, er lebt!

Ob indeß gleich einige matte Pulsschläge das krankhafte Leben andeuteten, so lag der Mann doch wie entseelt, regungslos, mit gebrochenem Auge. Das Blut war ihm aus mehrern Wunden hervorgestürtzt, jetzt rieselte es nur schwach an der geronnenen, zusammengeballten Kruste hin, die sich um die kranken Stellen gelegt hatte. Sein [122] Gesicht war todtenbleich, die Hände starr und kalt, Rock und Gilet waren, wie in Todesangst, weit über die Brnst aufgerissen, der Wind strich schneidend über diese und die offenen Wunden hin. Antonie warf ihren Mantel über ihn, riß heftig an den Schleiern, und, während sie die Wunden mit diesen umwickelte, rieb sie sanft hin und wieder an den bleichen, verfallenen Schläfen. Ein grünes Netz deckte verschoben das reiche Haar, die schönsten Brauen lagen, wie hingezeichnet, auf der freien Stirn, Antonie berührte diese leise, als es wie eine Erinnerung durch sie hinfuhr, sie blickte auf nach dem Herzog, der stand, auf seinen Stock gestützt, mit tief über die Augen gezogenem Hut, finster und stumm da. Antonie fühlte das Herz des Kranken jetzt stärker schlagen, das Blut schien gestillt. Nun Ihr Männer! rief sie, was besinnt ihr Euch, soll der Unglückliche hier vergehn? Er lebt, ich sage es Euch ja, die Besinnung kehrt zurück, ich sehe es in den starren Zügen leise arbeiten! Wollt Ihr nicht, so trage ich ihn auf meinem Rücken zur nächsten Hütte!

Der Herzog machte eine unwillkührliche Bewegung zu dem Kranken hin, trat aber wieder zurück, und stand wie eingewurzelt mit gesenkten Augen.

Der ganze Zug war indeß herangekommen. [123] Alles stockte und drängte sich herzu. Bertrand und der Köhler waren gleich bereit, den Unglücklichen herunter zu schaffen. Antonie half, ihn leise in die Höhe heben, deckte ihn dann behutsam mit ihrem Mantel zu, und hieß beide sachte, und soviel als möglich gleichen Schrittes, gehn, weil ungleiche Bewegung die Wunden wieder aufreißen könne. Als sich nun beide aufmachten und langsam vorangingen, sah Antonie ihnen noch eine Weile sorglich nach, dann faßte sie den Herzog bei der Hand und sagte leise: Mein Onkel! hassen Sie den Sohn? denn daß er das ist, das sieht und fühlt sich wohl, warum denn diese Härte? Hm! sagte der Herzog, sich unwillig abwendend, erst muß ich wissen, ob er mit Ehren hier ist, ehe ihn meine Liebe zu nennen weiß. – Sie sah ihn betroffen an, doch schwieg sie, und Alle setzten nun still, und innerlich beunruhigt, ihren Weg zur Hütte fort.

[124]
10. Kapitel
Zehntes Kapitel

Sie waren noch nicht lange auf diese Weise in Gedanken fortgeritten, als sie an der sanftern Abflachung des Weges ein Häuschen erblickten, das, zu gastlicher Bewirthung bestimmt, gehörig erhellt, dem nächtigen Wanderer schon von fern dies ersehnte Ziel langer, unbequemer Anstrengung zeigte.

So nahe, dachte Antonie, war der arme müde Mann Menschlicher Hülfe, und mußte dennoch unfehlbar sterben, kamen wir nicht des Weges. Und wer weiß, war es nun nicht zu spät! –

Sie hielten jetzt vor der Herberge. Antonie strich eilig an dem Wirthe vorüber, welcher, der vielen Gäste froh, diesen entgegen trat. Ihr Haar hing noch aufgelöst, wie ein Mantel, um ihre Schultern, die Unrahe der arbeitenden Seele glühete unstät aus Blick und Mienen, der Mann trat einen Schritt zurück, und sah sie befremdet die Thüre [125] der Gaststube mit wilder Hast aufreißen; doch hier blieb sie eben so schnell überrascht stehn. Der Kranke saß bereits aufgerichtet in einem Lehnstuhl, sein bleiches Gesicht ruhete in der aufgestemmten Hand. Bertrand, ehemaliger Feldchirurgus, schien eben seine Wunden untersucht und verbunden zu haben, der Köhler legte ihm jetzt sanft den Mantel auf Brust und Schultern, während Bertrand die feinen Instrumente sauber abwischte und wieder in die rothe Tasche einlegte, Antoniens blutiger abgerissener Schleier lag noch zu des Kranken Füßen. Sie bückte sich danach, und steckte ihn eben unter das Busentuch, als der junge Mann aufblickte, und, fast erschrocken, mit fliegender Röthe im Gesicht, beide Arme auf die Lehnen des Stuhls gestemmt, den Oberleib gehoben, eine rasche Bewegung ihr entgegen machte, aber mit einem tiefen Athemzug aus der kranken Brust, erschöpft, halb in die alte Ohnmacht zurücksank.

Antonie that einen lauten Schrei, denn sie glaubte nicht anders, als er sterbe, da in diesem Augenblick die entsetzlichste Blässe sein Gesicht überzog. Auf diesen Schmerzeston stürtzte auch der Herzog hinein, welcher bis dahin wie im Kampfe mit sich selbst zögernd vor dem Hause stehn geblieben war, und das Ansehn hatte, als erwarte er die Uebrigen der Gesellschaft, welche [126] eben auch eintraten. Doch faßte er sich sogleich, als er den Sohn lebend, ja unter Bertrands Händen besser fand, als er es früher dachte. Er blieb im Hintergrunde des Zimmers, und schien abzuwarten, bis es Zeit sein werde, zu reden. Allein die Baronin hatte kaum einen Blick auf den Kranken geworfen, als sie alle fortdrängte, an seinen Sessel niederkniete, seine Hände küßte, und unter einem Strom von Thränen wiederholt rief: Adalbert, Adalbert, mein Adalbert, bist Du es wirklich?

Dieser vernahm kaum den Ton ihrer Stimme, als sich die sanfteste Freundlichkeit über das liebe, weiche Angesicht ausbreitete, und er mit aller Anstrengung seiner erschöpften Kräfte, ja mit ritterlicher Zierlichkeit, bemühet war, die Tante vom Boden aufzuheben! Allein sie verharrte in ihrer Stellung, und sagte, noch immer heftig weinend, laß mich so, o laß mich so! ich bin Dir näher und danke zugleich Gott in Demuth für Deine Rettung. Mein liebstes Kind! es ist mir wie ein Traum, daß ich Dich hier sehe! Ach Adalbert! rief sie, jetzt Frankreich, ihr eignes und des Neffen Leid beweinend, was ist aus Schloß Clairval, aus Dir und uns Allen geworden! Wir leben, meine Tante! erwiederte jener mit besänftigender Stimme, und haben die Ehre gerettet. Hast Du nun auch Deinem Vaterlande den Rücken gekehrt? fragte [127] die Baronin, und die armen bethörten Mitbürger verlaßen? Ist es denn unvermeidlich geworden, daß Ihr Euch Alle auf eine oder die andere Weise Eurer Pflicht entziehet? Davor bewahre mich Gott! sagte Adalbert rasch einfallend, nur der Schuld entziehen wir uns! Der Degen, den mir mein König im Nahmen meines Vaterlandes gab, soll kein Blutbeil werden! Der Soldat, meine Tante treibt nicht des Nachrichters Handwerk! Das fühlten alle meine Cameraden mit mir, unser Regiment ist aufgelöst, das ganze Officierscorps, in Treue und Ehre verbunden, harret ein jeder, in würdiger Zurückgezogenheit, der Stimme seines Volkes das jetzt Teufel bethören!

Gottlob! rief der Herzog. Er mußte sich einen Augenblick auf den Marquis stützen, denn seine Standhaftigkeit war durch den allermühseligsten Kampf erschüttert! Doch kaum hatte Adalbert den Ton dieser Stimme gehört, als ihn niemand zurück hielt, er glitt vom Sessel auf die Knie nieder, und schleppte sich, beide Arme ausgebreitet, zu den Füßen des todt geglaubten, lang entbehrten Vaters! Mein Sohn, stammelte der Herzog, noch immer bemühet, die innere Bewegung zu verbergen! Mein Sohn! rief er endlich, diesen mit aller Gewalt des überwältigenden Entzückens an die starke, liebevolle Brust drückend.

[128] Alle hatten sich herzugedrängt, es war, als sei der schöne tapfere Vetter erst in diesem Augenblick der Welt und ihnen insgesammt gegeben. Marie hatte im Gefühl unaussprechlicher Verehrung auch ein Knie vor dem Herzog gebeugt, und küßte ganz still, dem eignen Herzen Gnüge zu thun, die Falten seines Mantels! Als daher Adalbert zuerst von der Brust des Vaters aufblickte, sah er das weinende Mädchen an seiner Seite. Er reichte ihr sehr gerührt die Hand, und als die Tante rief: Deine kleine Cousine Villeroi, so umarmten beide niegesehene Verwandte einander in dieser Stellung, welche ohnehin die Form gewohnter Sitte weit hinter sich ließ.

Antonie sah zwischen dem Vater und der Tante hin, sehr ernst, fast gebietend, auf beide nieder, so daß Adalbert, als er auch auf sie durch die Tante aufmerksam gemacht ward, den Blick senkte, und sie mit ehrfurchtsvoller Scheu, den Kopf tief neigend, begrüßte.

Die Freude ist ein Balsam, der oft schneller und wirksamer heilt, als die erprobteste Arzenei. Adalbert fühlte sich gehoben, frei und stark in der Brust. Sein Blut floß so leicht durch die Adern, sein Herz klopfte so frei und ruhig. Alle gewannen dadurch Muth, auch an sich zu denken. Man freuete sich der endlich errungenen Bequemlichkeit, [129] erfrischte und stärkte sich, und setzte dem Wunsch, sich mitzutheilen, und voneinander zu hören, länger keine ängstigende Gränzen. Der Herzog sorgte indeß für Adalberts Gesundheit und behagliches Sein, mit einer Zärtlichkeit, welche doppelt rührend war, jemehr sie unwillkührlich aus dem gehaltensten und festesten Innern hervorbrach. Er bestand darauf, daß der Kranke seinen vorigen Platz einnehme, holte selbst Mäntel und Decken herbei, um ihn vor der eindringenden Zugluft zu bewahren, er beugte sich zur Erde nieder, und umlegte und umwand den Sessel damit, ja die früher bezähmte Liebe wußte sich auf keine Weise selbst zu gnügen, und Vater und Sohn schienen in die zarten Verhältnisse zurückgekehrt, wo die unbeholfene Kindheit noch des Väterlichen Beistandes bedarf, und die gegenseitige Beziehung zu einander durch leibliche Nothwendigkeit fester zusammengezogen erscheint. Auch war Adalbert schmeichelnd und gerührt wie ein Kind. Er ließ des Vaters Hand nicht aus der seinen, und richtete alle seine Worte ausschließend an ihn, als habe er nur ihm von einem ganzen Leben Rechenschaft zu geben.

Die Ereignisse der letzten Tage wurden bald das ausschließende Gespräch. Adalbert hatte wenig mehr zu sagen, als der Vater bereits wußte. Seit der Einnahme von Lyon und Robespierres [130] Blutherrschaft hatte sich sein Regiment aufgelöst. Er hatte denselben Weg wie sie gemacht, und war wenige Stunden vor ihnen auf der Stelle liegen geblieben, wo sie ihn gefunden, Erschöpfung und Anstrengung hatten seine, bey Lyon empfangene, Wunden aufgerissen, er mußte sterben, wenn sie ihn nicht retteten. Marie umarmte bei diesen Worten Antonien, sie schmeichelte der Tante, Giannina nahm den kleinen Alexis auf den Schoos, herzte ihn, und erlaubte ihm willig, mit einem kleinen Riechfläschchen zu spielen, das sie an einer feinen Kette um den Hals trug. Antonie sah sie befremdet an, sie konnte ihre Liebkosungen nicht erwiedern, es ängstete sie selbst das fröhliche Wesen, ihre Brust war durch alles Vorhergehende beklemmt, sie drückte, wie sie es in solchen Augenblicken oft that, die Hand gegen die Brust, um tief aus dem Innern heraus zu athmen, da durchschauerte sie etwas Unbegreifliches, es zog wie der zitternde Hauch eines warmen Luftstromes durch sie hin, Thränen traten ihr in die Augen, sie küßte die Schwester leise und zärtlich.

Die Nacht foderte indeß jeden zu Schlaf und Ruhe auf. Auch gebot der Herzog bald Stille, und da nur das eine Zimmer und weiter keine Lagerstätten vorhanden waren, so mußten sich alle bequemen, in ihren Sesseln beieinander zu übernachten. [131] Für den Kranken ward ausschließend gesorgt, die andern richteten sich ein, wie es eben ging.

Alle schliefen bald. Nur Antonie fand keine Ruhe; ihr brannte es wie Feuer in den Adern. Sie stand auf, schlich leise im Zimmer auf und ab, und ließ ihre Blicke leicht über die Schlafenden hingleiten. So oft sie Adalbert nahe trat, oder ihr Auge fest auf ihn richten wollte, ward dessen Schlaf unruhig, er warf sich hin und her, und sie mußte sich abwenden, aus Furcht, ihn zu erwecken. Unwillkührlich sah sie von ihm weg auf Marien hin; und mußte sich gestehn, daß sie nie ein zarteres Engelsköpfchen gesehen habe. Höchst unbefangen saß die Kleine, beide Hände über der Brust gefaltet, neben der Tante, ihr Kopf war dieser auf die Schultern gesunken, die blonden Löckchen kräuselten sich weich über den Schläfen, ihr Schatten lag fast wie ein Nebelstreifen auf dem klaren, ruhigen Gesicht. Zu ihren Füßen saß Alexis, den kleinen Krauskopf halb in ihrem Schooß verhüllt.

[132]
11. Kapitel
Eilftes Kapitel

Der anbrechende Tag fand Antonien noch ruhelos, am Kamine sitzend, und beschäftiget, die Flamme hell und lebendig darin zu erhalten. Ob sie gleich selbst von ungewohnter Hitze brannte, so konnte sie doch nicht fort von dem beweglichen Elemente, das den dunklen Fragen ihrer Seele geheime Antwort zu geben schien. Sie fühlte eine Unendlichkeit in sich, und hatte kein Wort, kein Bild, keinen Gedanken dafür, hier sah sie Unendliches außer sich, senkte tiefsinnig den Blick hinein, und empfand mit geheimer Wollust ihr eigenes Wesen wieder. So träumte sie bewußtlos fort, bis ihr Auge und Wangen unerträglich brannten. Sie hielt die Hand schützend vor der Flamme, und lüftete mit der andern das sittig anschließende Busentuch, als zu ihrem Schrecken der vergessene, blutgefleckte Schleier in ihren Schoos niederfiel. Mein Gott! rief sie, dies Blut! – [133] sein Blut – so nahe trug ich's auf dem Herzen! – sie schauerte zusammen, barg das Gesicht in beide Hände, und stammelte leise: O Gott! O Gott! es ist mein eigenes Herzensblut geworden!

Jetzt fühlte sie, wie alles war, sie wußte es, sie sagte es sich ganz bestimmt. – Der also, dachte sie, der ward mir so unleugbar auf diesen Wege zugeführt! Darum mußten wir hierher und grade hierher – wie leicht konnte es anders sein! Mein armer Freund! und Dein Blut mußte fließen! sie sah mit tiefer, wehmüthiger Zärtlichkeit zu ihm hin. Er war erwacht, und schien etwas betroffen ihrem Blicke zu begegnen. Es war gewiß, man konnte nichts Schöneres, nichts Ergreifenderes sehen, als sie in diesem Augenblick. Der strenge Ernst ihrer Mienen war erweicht, ihre Wangen glüheten wie zwei Purpurrosen, das Haar war fest geordnet, die Stirn frei und der königliche Blick von sanfter Trauer über des verhängnißvolle, schöne, schmerzliche, Leben gemildert. Die länglich feinen Hände waren herabgesunken, Hals und Kopf weniger gehoben als sonst, es war, als sei ihr Stolz, ihr Muth, ihr Herz, gebrochen!

Doch jetzt war auch Marie erwacht. Sie rieb mit beiden Händchen die Augen klar, dann faltete sie sie wieder, und betete leise, ohne aufzusehen. [134] Ihre Lippen bewegten sich anmuthig wie zwei Rosenknospen, die im säuselnden Morgenhauch einander leicht berühren, Adalbert glaubte, das linde Wehen zu fühlen, als sie hell aufsah, wie die Freude lächelte, ihn schweigend grüßte, und nur mit Zeichen fragte, ob seine Wunden noch schmerzten? aus Furcht, den Schlaf der Andern zu stören. Ihre Bewegungen hatten dabei so viel Liebliches, und wenn sie die Hand mit der allerschuldlosesten Unbefangenheit bald hier bald dort auf die Brust legte, um die Stelle seiner Wunden anzudeuten, so hatte es fast das Ansehn, als betheure sie irgend eine liebevolle Zusicherung, so daß Adalbert, auf das Anmuthigste gerührt, lebhaft wünschte, es möchte so sein, und, einen Augenblick dem süßen Wahne nachgebend, so viel Zärtlichkeit und Ergebung in seine Geberden- und Zeichensprache legte, daß Antonie, davon erschreckt, unwillkührlich in die Höhe fuhr, und durch das etwas heftige Fortschieben ihres Stuhles die Andern erweckte.

Jetzt ward alles laut und lebendig. Man hatte sich begrüßt, befragt, Mittel und Wege zur weitern Reise bestimmt, Alles war bereit. Adalbert sollte Antoniens Platz in der Baronin Wagen einnehmen. Antonie hatte sich einmal zu den Männern gesellt, sie mußte jetzt schon den unbequemern Sitz, und das luftigere Fuhrwerk, welches [135] beide, wenn sie nicht ritten, vorzugsweise gewählt hatten, dem kranken Vetter zu Liebe, ertragen. Der Herzog wollte nun einmal keine von den andern Frauen neben sich haben, er fürchtete ihr verzärteltes Wesen, er kannte Antonien nur gesund, fest, und in jedem Augenblick Muthvoll. So blieb es dann dabei, daß Adalbert Marien gegenüber, im fest verschlossenen Reisewagen saß, und sie ihn für mehrern Stunden aus den Augen verlor. Zwar hatte er sich nur mühsam in die Anordnung gefügt, und der gütigen Freundin so verbindlich und rührend für das große Opfer gedankt, welches sie so willig bringe, daß sie gern tausendmal für ihn gestorben wäre, aber er reiste mit Marien, und ihr Herz litt von doppelten Qualen. –

In ähnlicher Stimmung verlebte sie alle folgende Reisetage. Es half ihr wenig, daß sie sich rasch fortbewegte, und die Gegenstände um sie her wechselten, denn, obgleich die fortrollenden Räder zu irgend einem Ziele führten, so war dieses doch ungekannt, ja ungewiß, da es stets von Umständen abhing, ob sie da oder dort verweilen würden. Zudem war jedes weitere Vordringen ein neues Abreißen, ein neuer Kampf, denn hatten die früh einbrechenden Abende alle an irgend einem Orte versammelt, wo sie übernachteten, machten sie dort [136] nur eine Familie aus, drängte die Unbekanntschaft mit auswärtigen Umgebungen, die Fremdlinge auf einander zurück, so riß sie der folgende Morgen wieder auseinander, ja warf sie oftmals auf andere Wege, wo sie sich nicht begegneten, denn der Herzog liebte, mit dem beweglichern, leicht gebaueten Wagen, Seitenpfade einzuschlagen, wohin die andern nicht folgen konnten. Seiner Ungeduld, seinem Hinstürmen auf ein Ziel, mußte sich alles fügen. Der Marquis war froh, an Ort und Stelle zu kommen, und ließ ihn gewähren. Antonie schwieg; aber von da hatte sie nur ein Augenmerk, ein Einziges, was sie beschäftigte, und zwar, wie weit jener Wagen zurückbleibe, und ob er sie beim Wechseln der Pferde, beim nothwendigen Aufenthalt einer halben oder ganzen Stunde, ihrerseits, nicht einholen könne? und ließ dies Zusammentreffen auch nichts als einen flüchtigen Gruß, eine Erkundigung, den gemeinschaftlichen Genuß irgend einer Erfrischung zu, man trat doch in eine Art von Verhältniß zu einander, denn es entging ihr nicht, wie die vielen kleinen Zufälligkeiten, die gemeinsamen Begegnisse, die Vertraulichkeit jener mehrten, wie das äußere Berühren auch ein inneres ward, wie die Gemüther mit den Verhältnissen zusammenfielen; deshalb wünschte sie, bald die Zeit beflügeln, bald ihren Lauf anhalten zu [137] können. So berechnete sie stets, und nahm ängstlich dies und jenes zum Maaßstabe an. Doch ward ihre Brust oft grade da zerschnitten, wo sie Trost erwartete.

Einst fügte es sich, daß beide Wagen am Ausgang eines Waldes zusammentrafen. Antonie hatte längst Stimmen hinter sich gehört, welche immer in der Waldumgränzung vernehmlicher herüberklingen. Sie war höchst erfreuet, und sah mit Vergnügen, wie sie eine Zeitlang, auf ganz gleichlaufenden Wegen, neben einander hinfuhren, als, höchst unerwünscht, der Postillon des größern Wagens einen Vorsprung zu gewinnen suchte, und der Herzog, sein früheres Recht behauptend, selbst in die Zügel griff, die Pferde ungestüm antrieb, über Stock und Stein hinflog, und einen Wettstreit veranlaßte, der wenig Erfreuliches erwarten ließ. Auch trafen sie bei der Einbiegung in einen Hohlweg so heftig zusammen, daß des Herzogs Wagen halb umgeworfen, gegen die Seitenwand gedrückt ward, und sämmtliche Pferde in einer Verwirrung drunter und drüber hinstürzten, daß alles wie ein Knäuel todt und beschädigt ineinander zu liegen schien. Der Herzog gerieth außer sich. Die Erinnerung jenes unglücklichen Sturzes, der seiner Freundin das Leben kostete, setzte ihn in ungemessene Wuth, auch der Marquis fluchte und schimpfte, [138] und gebot mit vorauseilender Heftigkeit, alles schnell wieder herzustellen. Dies wilde Durcheinanderrufen, das Gekrach des Falles, die Unbehülflichkeit ihrer Lage, alles gab den Unerfahrenen die größte Angst, Marie glaubte die Schwester, alle Freunde in Gefahr, und, sich dicht an Adalbert anklammernd, flehete sie ihn um Rettung. Er fühlte das kleine Herzchen so ängstlich schlagen, er sah Thränen in ihren Augen, ihre Hände lagen bittend zusammengefaltet in den seinen, er rief bewegt, Marie wer dürfte Dich je ungerührt weinen sehen! schlang dann seinen Arm dichter um sie, trug sie geschickt aus dem Wagen den Abhang hinauf, und ließ die zierlich feine Gestalt leise auf einen Stein niedersinken. Marie sah ihm freundlich in die Augen, sie wollte ihn zu der andern Beistand fortdrängen, doch schien es ihr so undankbar, sie hatte nicht das Herz dazu, und blieb halb verlegen, halb unbewußt, was sie thue, dem lieben Freunde gegenüber, der sich zärtlich über sie neigte, und einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Als er denn endlich wieder zu der Tante und Antonien eilte, hatte diese den Verdruß, daß alles ohne ihn gethan war, und der Herzog bereits, mit dem Verbote, ihm nicht den Willen zu durchkreuzen, weiter fuhr.

Auch in den ruhigern Abendstunden ging es [139] ihr nicht besser. Marie hatte Romanzen und kleine Lieder von dem Vetter gelernt, Giannina begleitete sie auf der Mandoline, alle drei sangen und musizirten die halben Abende mit einander, und, seit jenem letzten Vorfalle, flossen Stimmen wie Blicke des Lehrers und der Schülerin so innig zusammen, daß Antonie ihr Elend langsam auf sich zukommen sah! –

Es ist eine Täuschung, sagte sie, es kann nicht sein, es soll nicht sein, das Schicksal hat anders gesprochen! Er darf sich nicht verblenden wollen! Sie saß des Nachts oft Stundenlang in ihrem Bette auf, und sann, wie es enden werde? Denn es schien ihr so unerträglich, wie unmöglich, daß er lange in dieser ängstigenden Täuschung verharre.

Deshalb drängte sie sich zu Adalbert, sie horchte auf die Gespräche, in welche er sich öfter mit dem Marquis und seinem Vater über die gegenwärtige Verfassungen, über die Lage Frankreichs, und ihrer aller Beziehung zu dem Vaterlande, sehr angelegentlich verwickelte. Sie durchdrang schnell seine Ansicht, und da diese das Allgemeine wie das Einzelne umfaßte, so war sie bald, mit unbegreiflicher Gewandheit, ganz heimathlich in dem fremden Gebiete. Beide älteren Männer vertheidigten die alte, seit Jahrhunderten geheiligte [140] Form, mit Feuer und dem nichts aufkommen lassenden Gewicht der Erfahrung. Adalbert fühlte die Nothwendigkeit einer Umwälzung, er sprach lebhaft, schön und eindringlich, so lange er hoffen konnte, verstanden zu werden, schwieg aber, wenn der Herzog, vom Gegenstande abspringend, den Schwindelgeist der Jugend angriff. Dann ließ Antonie oftmals einzelne Worte fallen, wie aus Adalberts tiefstem Innern herausgehoben, welche alle zwangen, auf sie zu merken, und dem Gespräch nicht selten eine ernstere, auf das Wesentliche zurückgehende, Wendung gaben.

Auf ähnliche Weise griff sie fast überall ein. Oft traf es sich, daß bei vorfallenden Streitigkeiten über militairische Operationen, Stellungen und Märsche der Corps, Adalbert seine Meinung durch einige flüchtig auf das Papier hingeworfene Striche unterstützte, und der Herzog sie dann, mit seinem Eigensinn, als undeutlich verwarf. Antonie an Sauberkeit und Schärfe der Umrisse, durch das Kupferstechen und Radiren gewöhnt, wußte nicht selten im Fortgange des Sprechens, seine rasche Andeutungen genauer im Kleinen anzugeben, wodurch der Herzog, schon aus Bewunderung und Liebe für sie, bezwungen ward. Adalbert konnte sie nicht übersehen. Sie riß seine Aufmerksamkeit, seine Verehrung an sich. Doch ließ der erste Eindruck [141] eine peinigende Scheu zurück, und er flüchtete nicht selten vor der Gewalt ihrer Herrschaft, zu Mariens kindlicher, hellen Engelswelt. Ihm hatte das Leben so selten gelacht, die Verhältnisse der Gesellschaft hatten ihm so große Schmerzen gegeben! auch jetzt war er zerrissen in seiner Wirksamkeit, das Ziel blieb ihm verrückt, wie Vaterland, Stellung zur Welt und Gebrauch der Kräfte umdunkelt waren. Er scheuete Antoniens Ernst, wie den trüben Rückblick in die Vergangenheit. Marie war heiter, ihre kleine Thätigkeit hatte immer etwas Freundliches, das Leben Anfrischendes, zum Ziel. Man sah so viel Schönes in ihr werden, sie entwickelte mit jedem Worte, mit jeder That, eine Zukunft aus sich hervor, welche in eine Welt voll Liebe und Wohlwollen zurückwies. Man ward an nichts Einzelnes bei ihr erinnert, aber man fühlte sich so ganz, so vollständig, so bereit, den jungen, frischen Lebensweg mit ihr einzuschlagen. Adalbert vergaß, daß er je etwas Widerwärtiges erfahren habe, wenn er bei dem guten Kinde war. Und er war viel um sie, denn es blieb auf der ganzen Reise bei der frühern Einrichtung, obgleich seine Gesundheit zum Theil wiederhergestellt war, und er sehr wohl freie Luft, und anhaltende Bewegung ertragen konnte. Die Tante war einmal an die Art und Weise gewöhnt, der leichte Gang des Gesprächs, [142] die kleinen Neckereien, der Gesang, ja das liebliche Wechselspiel aufkeimender Neigung, alles erfreute sie. Ueberdem fand sie es langweilig, daß Frauen und Männer, auf einer ohnehin beschwerlichen Reise, so ängstlich geschieden, die Tage von einander verträumen sollten! Und an einen Umtausch mit Antonien gegen eine der andern Frauen, war bei des Herzogs Gesinnung nicht zu denken.

So kamen sie denn, auf eigene Weise gestimmt und verstimmt, endlich in Basel an. Man hatte, von Bern aus, die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Der Marquis, wie der Herzog, fanden wohl eingerichtete Wohnungen. Und ob beide Familien gleich durch ein paar Straßen von einander getrennt waren, so fühlte Adalbert diesen Zwischenraum sehr störend. Antonie hingegen athmete freier. Alles verhielt sich nun anders! Beziehungen und Verhältnisse waren gleichmäßig vertheilt, ihre Einwirkung auf sein Gemüth blieb gehindert, hier riß der Morgen nicht ein, was der Abend aufgebauet, hier mußte das Schicksal erfüllen, was es verheißen hatte!

In der volkreichen, bequem gelegenen Stadt, fanden sich viele Ausgewanderte zusammen. Mehrere Bekannte aus der Pariser Welt stießen leicht zu einander. Dem Herzog war der Anblick eines Mitbürgers im Auslande, unter diesen Umständen, [143] ein Stich ins Herz. Er vermied jeglichen, so gut sichs thun ließ. Die Baronin häkelte sich an alles an, was ihr die Vergangenheit zurückrief, und bauete sich aus jedem morschen Bruchstück auch ein Stückchen alte Welt zusammen, sie wußte recht gut, was es damit zu bedeuten habe, aber es sah doch so aus, wie sonst, und war hübsch und bestechlich. Das Neue, pflegte sie wohl zu sagen, muß erst aus mir herauswachsen, und ich hinein altern. Jetzt ist es noch so unbequem!

Unter denen, welche ihr aus den ehemaligen Kreisen am meisten zusagten, war der Chevalier Cerane. Er hatte viel gereist, viel gesehen, viel erfahren, war von schneller Umsicht, großer Gewandheit, leicht, und überall, zu Hause, trug einen Abriß jeglicher Wissenschaft und Kunst in sich, und behauptete in jedem Augenblick ein freundlich, harmlos Gemüth. Man sah ihn fast immer in Gesellschaft zweier Damen, von denen die Präsidentin als die ältere, Wittwe; Viktorine, ihre Nichte, aber noch verheirathet war. Ohne einer von beiden mit besonderer Neigung zugethan zu sein, war er durch Gewohnheit an sie gefesselt. Vertrauet mit ihrem Ideengange, ihrer Vorliebe für diese oder jene Lebensansicht, eingepaßt in Takt und Maaß ihrer Gesprächsformeln, wußte er stets, wo er einzugreifen, wie weit er zu gehn habe.[144] Zudem war die Präsidentin Schriftstellerin, hatte einen scharfen, genauen Blick für das Einzelne, wußte dies leicht aufzufassen, und nicht ohne Witz zusammenzustellen, ihre Miniaturbildchen waren daher, der Aehnlichkeit wegen, immer interessant, um so mehr, da sie alle den Farbeton bekannter, und nur zu sehr vermißter Umgebungen trugen. Viktorine, jung, elegant, im Gemisch origineller Eitelkeit, mit Entsagung und Hingebung drappirt, warf sich der Welt als ein interessantes Räthsel in den Weg, an welchem sich der Chevalier den Kopf zu zerbrechen schien, ob er sie gleich vollkommen auswendig wußte. So waren die drei Personen einander unentbehrlich geworden. Der Baronin gereichte es zu besonderer Lust, sie um sich zu versammeln, sie ihre Kunststückchen machen zu laßen; und hatte Viktorine gleich manches gegen die unbefangene Wahrheit dieser Frau, gegen das rasche Aussprechen ihres Gefühls, einzuwenden, ärgerte sie ihr festhaltender Blick, der sich dieser, unwillkührlich, bis auf den Grund fremder Gemüther senkte, so fand sie sich dennoch durch ihre Auszeichnung geschmeichelt, und, der Eigenliebe nichts zu vergeben, überredete sie sich, die Baronin suche ihren Umgang, die still erzogenen Nichten zu bilden.

Antonie sah indeß streng und kalt, wie ein [145] altes Steinbild, das man zufällig in einen modernen Gesellschaftssaal geschoben hätte, in jene Kreise hinein. Sie trug nichts in sich, was sie mit dem Fremden verbinden konnte. Die Welt lag ihr fern, was sie von Menschen kannte, war ihr nur durch Beziehungen lieb, und das einzige Wesen, in welchem Leben und Schmerz und Seeligkeit zusammenflossen, das trat ihr, wie die eigene Seele, weit aus dem hellen, dreisten Lichtscheine zurück.

Mit Marien war es schon anders. Ganz Glück, ganz Freude, im Gefühl still empfundener, still getheilter Liebe, hätte man sie eher mit den lieben Frauen Bildchen vergleichen können, die so selig bescheiden aus dem goldenen Rahmen, wie aus der freundlichen Schranke weiblichen Genügens, hervorblicken. Ihr Verhältniß zu Adalbert, das schweigend von ihr, wie von allen, außer Antonien und dem Herzoge, anerkannt ward, schied sie zwar von den Uebrigen, allein da ältere und reifere Personen sich stets an der zarten Entwickelung kindlicher Menschen erfreuen, und glückliche Liebe immer einen himmlischen Zauber über solche verbreitet, die sie in sittiger Verborgenheit hegen, so behauptete Marie doch unwillkührlich einen erfreulichen Platz in der Gesellschaft; vorzüglich räumten ihr diesen grade diejenigen Frauen ein, welche [146] den schmalen Paß, der sie in die Matronenkreise hinüberführt, schon zur Hälfte hinter sich hatten, und das mühsam bezwungene Herz noch an jenen Nachklängen bestechlich erweichten. Die Männer hingegen, denen eine Verlobte oder bestimmt Liebende meist uninteressant wird, gaben Antonien, des Abentheuerlichen ihrer Erscheinung wegen, größere Aufmerksamkeit. Wie still, wie untheilnehmend sie auch dasaß, ihr lautloses Erscheinen, einzelne tief hervorgeholte Worte, ihr dunkelglühendes Auge, das langsame Schreiten durch die Zimmer hin, und wieder die jähe Hast in Mienen und Geberden, die bei einzelnen Vorfällen heiter wie elektrische Funken durchbrachen, alles an ihr übte die Magie des Unbegreiflichen, der selten irgend ein Gemüth widersteht. Der Chevalier besonders sah mit einer Art leidenschaftlicher Neugier auf sie hin. Sie gehörte zu dem Wenigen, was er nicht bequem in seiner eigenen Stellung zur Welt erfassen konnte, und doch so gern verstanden, mit vielem andern, was er besaß, in Uebereinstimmung gebracht hätte! Er näherte sich ihr deshalb, und fühlte leise in sie hinein, welche Satte er anzuschlagen habe? Antoniens kürzlich zurückgelegte Reise gab sehr natürliche Veranlassung, das Gespräch zu eröffnen. Sie äußerte sich gern darüber, sie trug jene Bilder immer in ihrer [147] Seele, von dem Uebergange über den Bernhard, den steilen einsamen Pfaden, den gewaltigen Riesenmassen, an denen sich diese hinwinden, von der Großheit und tiefsinnigen Ruhe der Natur in den unterhalb liegenden Thälern, redete sie mit Liebe und Rührung. Der Chevalier hatte nicht sobald ihr Hinneigen zu großen Naturgegenständen entdeckt, als er sie geschickt auf das, was er in der Art gesehen und erfahren, auf seine Reisen, auf seinen Aufenthalt in den Amerikanischen Inseln, zu lenken wußte. Er besaß die Gewandheit aller der Menschen, die sich mehr bei dem Gesehenen als dem dabei Empfundenen aufzuhalten pflegen, und jenes in anschaulicher Deutlichkeit und eigenthümlichem Farbentone außer sich hinzustellen wissen. Antonie hörte ihm aufmerksam zu Nichts von allem, was er schilderte, war ihr fremd, es war, als rede er von ihrer Heimath, er riß sie aus der träumerischen Gegenwart heraus, in welcher ihr alles dämmernd und unklar erschien, sie folgte ihm willig zum fremden tief hallenden Strande, die Natur war dort eine andere, auch ihr Geschick ward dort ein anderes, Adalbert war um sie, bis dahin waren sie geflüchtet, das trügerische Europa weit hinter sich lassend, nun Durchzogen sie die gewaltigen Wälder, über ihnen ein fremder Himmel, in seinen Gezelten schweift der mächtige Riesengeier [148] in weit gezogenen Kreisen, fremde Stimmen schlagen an ihr Ohr, ungeheure Thiere sehen bedrohlich auf sie hin, ein ungekannt Geschlecht scheint sich ihrer zu verwundern, allein mit dem Geliebten in der fremd belebten Wüste brennen ihre Herzen in der Tropen ewigen Gluth zusammen. Antonie war ganz Ohr, ganz inneres, unaussprechlich heißes, flammendes Leben!

So fanden sich denn beide aus ganz verschiedener Ursach, in ganz entgegengesetzter Richtung des Innern, äußerlich stets zusammen. Es blieb nicht unbemerkt, man lächelte und spottete freundlich darüber. Und wirklich hatte sich der Chevalier, indem er ein Gemüth auf großen Umwegen ergründen wollte, in diesem verloren, und die Herrschaft über sich selbst auf eine Weise eingebüßt, wie es denen immer geht, welche sich an etwas wagen, was über ihre Kräfte hinaus reicht. Schon konnte er nicht von Antonien getrennt sein, ohne eine lebhafte Unruhe zu empfinden, die so merklich aus der gezwungenen Haltung seines Gesprächs, aus dem mühsamen Abwenden seiner Blicke von der Thür wo sie einzutreten pflegte, aus allen den kleinen Bewegungen hervorleuchtete, welche ein erfahrenes Auge niemals übersieht, daß die Baronin ihre herzliche Freude daran hatte. Denn ihr konnte es nicht ganz entgehn, was Antonie, obgleich dunkel, [149] doch ihr vernehmlich, ahnden ließ. Sie sah jetzt einen Ausweg aus dieser entstehenden Verwirrung, und lobte sich im Stillen den Zauber geselligen Verkehrs, der leicht und freudig das Störende ausgleiche, wenn die Einsamkeit jede Anregung mit ängstigender Gewalt anpacke, und alles so einzeln und deshalb so ungeheuer hinstelle.

Fröhlich wie sie war, dachte sie nur an Frohes. Kleine gesellige Feste waren ihr von je eine liebe Unterhaltung, und jetzt riefen sie ihr die Zeit zurück, wo die Menschen in Ruhe und Sicherheit, sich selbst, ihrer Regierung, und ihrem Gott vertrauend, mit dem Leben ein heiteres Spiel trieben. Die Ruhe war wenigstens in ihrer Nähe scheinbar begründet. Der Herzog weniger stürmisch, von Zeit zu Zeit sogar häuslich in ihrer Mitte, der Marquis, in der Gesellschaft eines niedersächsischen Arztes, dessen Bekanntschaft er gemacht, wohl unterhalten, alles hatte ein zufriedenes Ansehn. Sie erinnerte sich jetzt, daß sie in diesem Jahre das Fest der heiligen drei Könige zu feiern vergessen, daß sie dies nicht vorbei gehn lassen, daß sie es nachfeiern müßten. Alle stimmten ihr bei, es ward zum Tage Maria festgesetzt. Die lustige Königswahl, welche an diesem Feste, in ganz Frankreich, durch das ohngefähre Zufallen einer, in einen Kuchen hineingebackenen, Bohne, scherzhaft getroffen, [150] und für einen Abend behauptet wird, gab schon vorher Stoff zu mancher Lust und mancher Neckerei. Der Tag kam. Das Loos entschied für den Chevalier. Ihm blieb die Wahl einer Königin. Er besann sich einen Augenblick, dann reichte er Antonien nicht ohne Rührung die Hand. Antonie hatte anders gewünscht, anders gehofft, Einer konnte ihrer Meinung nach, hier nur König sein! Das Loos hatte sich vergriffen. Sie sah zögernd umher, sie erwartete, alle sollten fühlen wie sie! eine Gegenwahl schien ihr natürlich. Aber statt dessen drängte man sie, dem Herrscher zu folgen, ihr Herz stäubte sich selbst gegen das augenblickliche Spiel, und sie schritt neben dem fremden, ihr aufgedrungenen Mann, mit unbeschreiblichem Stolz und wahrhaft königlicher Miene einher. Alle huldigten ihr, und Adalbert neigte, als ihr vom König erwählter Hofmarschall, halb scherzhaft, halb in überraschender Aufwallung, ein Knie vor der schönen Gebieterin.

Während dem Abendessen ward die Freude, wie immer, ungebundener. Der Wein entfesselte manche Zunge. Die kurze Lust steigerte sich mit jedem Augenblick, es schien, sie wolle ihr Maaß auf lange Zeit erschöpfen. Adalbert sang mit sehr schöner Stimme Kriegslieder, er saß neben Marien, Antonien gegenüber, er trank rasch und viel, unter [151] stetem Sprechen und Singen. Mienen und Geberden waren unendlich beredet. Er schien Antonien etwas sagen zu müssen, sagen zu wollen, er machte oft eine Bewegung zu ihr hin, doch der Herzog, ebenfalls vom Weine angeregt, verließ fast Antoniens Sessel nicht. Endlich hoben sie die Tafel auf. Adalbert nahete sich Antonien, er zog sie leise in ein Fenster, und, die glühenden Finger auf ihre Hand gelegt, sagte er heimlich flüsternd, meine Freundin, meine Königin, ein Wort von Ihren Lippen kann zwei Menschen beglücken, wollen Sie es sprechen? Antonie, unfähig zu reden, die Gluth seiner Finger wie heiße Zangen an ihrem Herzen fühlend, athmete kaum. Adalbert riß unruhig ihre Hand an seine Brust, und sagte nun heftig und schnell: Antonie, Sie haben Gewalt über meinen Vater, ich liebe Marien mehr wie mein Leben, sagen Sie ihm, daß er mir sie gebe, ich kann sonst nicht in Europa bleiben, sie allein kann mich mit dem Schicksale versöhnen, ich fliehe sonst in einen andern Welttheil, der Sohn geht ihm für immer, sagen Sie ihm das Antonie, für immer verloren! O! meine schöne Schwester, reden Sie, reden Sie für mich! Wollen Sie? Antonie hatte längst nichts mehr gehört, sie sah nur die Bewegung seiner Lippen, sein Athem berührte sie, sie war wie eine Träumende [152] und erwiederte Gedankenlos auf sein wiederholtes Fragen, ein dumpfes Ja.

Der Herzog hatte sie, wie den Sohn, genau beobachtet, er trat zu ihr, als jener sie verließ. In seiner Seele war nur ein Gedanke. Er fragte zärtlich: Ist alles richtig? seid Ihr einig? Antonie sah ihn krankhaft lächelnd an, und wiederholte ihr freudloses Ja.

Voll Entzücken eilte er nun zu Adalbert, drückte ihn ungestüm an die Brust, und als dieser fast erstaunt fragt, habe ich Ihre Einwilligung? – fällt er ihm heftig in die Rede, und bekräftigt seine Zusage mit einem heilig gegebenen Worte. Doch, gelähmt vor Schreck, bleibt er stumm, als auch Marie seine Hand faßte und beide Glückliche sich umarmen.

Das Wort war gegeben. Pflicht und Ehre waren Bürge geworden. Er hatte nichts mehr zu sagen. Wie ein großer Mißgriff sah ihn der ganze Abend an. Das Unvermeidliche war nicht zu vermeiden. Er fühlte das tief, und stand noch in sich versunken, als sich der Marquis, die Baronin, alle um ihn versammelten, und Adalbert, der sich nicht kannte, der alles schon beendigt, sein Glück vollkommen gesichert wissen wollte, ihm anlag, Heute, noch diesen Abend, die Trauung vollziehn zu laßen. Der Herzog nickte bejahend mit dem [153] Kopfe. Ein Geistlicher war zur Stelle, die Tante flocht Marien das kleine Orangenbouquet durch das Haar, Adalbert brachte Antonien, welche sich auf dergleichen verstand, die beiden verbundene Ringe Mariens, mit der Bitte, sie geschickt von einander zu lösen. Ohne Verwunderung blicken zu laßen, ja ohne Theilnahme irgend einer Art, empfing sie die Ringe. Sie trat damit zum Licht, und, eine kleine Zange aus einem Portefeuille nehmend, brach sie hin und her an der Verbindung. Sie schien selbst nicht zu wissen, was sie thue, denn plötzlich brachen beide Ringe entzwei, und das Stiftchen was sie zusammenhielt, flog weit davon. Im selben Augenblick drang es wie ein helles Lachen aus Antoniens Brust, sie sank nieder zur Erde und blieb bewußtlos liegen.

Der Deutsche Arzt, welcher zugegen war, und die Unglückliche schon längst theilnehmend betrachtete, sprang auf sie zu, und trug sie zum Zimmer hinaus.

Doch Adelbert war Heut durch nichts zu erschrecken, durch nichts zu stören, er sorgte schnell für zwei andere Ringe und die Ceremonie ward ohne Antonien, doch nicht ohne bange, ängstigende Vorgefühle, vollzogen.

[154]

Drittes Buch

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel

Der Arzt saß indeß bei Antoniens Bett, und that behutsam einige leise Fragen an sie, welche sie langsam und mit großer Anstrengung beantwortete. Ueberhaupt schien ihr Zustand ganz dem ähnlich, welchen die Aebtissin früherhin mit so großer Bewegung erwähnte.

Der vorsichtige Mann trug Sorge, sie vor jedem Ueberfalle, vor jeder unwillkommenen Störung, zu bewahren. Er verweigerte selbst den Freunden allen Zutritt, und senkte, was er unwillkührlich erfahren, gewissenhaft in die verschlossene Tiefen seiner Seele. Doch konnte er es so wenig wissen, als verhindern, daß sich Alexis in der Nacht unbemerkt auf sein Brettchen warf, das nur durch eine dünne Bretterwand von Antoniens Lager getrennt war. Und erst viel später traten die Vorstellungen hervor, welche das Kind wie im Traume berührten.

[157] Als es darauf am folgenden Morgen in Adalbert Tag ward, besannen sich auch die Andern, und erschraken fast über den gestrigen Taumel, der, so unvorbereitet, eine wirkliche, bleibende That veranlaßte. Die ruhig-gesetzliche Klarheit um sie her schob die Erinnerung ihrer raschen Freude in den Hintergrund, und, wie ein Vorwurf, wie eine Warnung, reiheten sich Antonie, ihr Zusammenstürtzen, der helle Schrei, der ihrer Brust entfuhr, der Vorfall mit den Ringen, an den bleichen Saum der Nacht, und schienen in den hellen Tag herüber zu sehen. Adalbert allein blieb heiter. Ihm war, wie Jemand, der von einem ersehnten Gute träumt, mit Bangigkeit erwacht, und sich plötzlich im Besitz desselben sieht. Das Ziel seiner Wünsche schien erreicht Er wollte sein Dasein nur dauernd begründen. Tausend Plane flogen ihm durch den Sinn. Frankreichs Schicksal konnte nicht lange unentschieden bleiben. Seiner Rückkehr dahin lag, bei gemäßigterer Verfassung, nichts im Wege. Er hatte für die Freiheit mit strengem Eifer, mit Auszeichnung, gefochten, sich allein ruchloser Willkühr entzogen. Alle natürliche Bande zwischen dem Vaterlande und ihm waren unzerschnitten, und konnten sich in jedem Augenblicke enger zusammenziehn. Er hatte das nie so angesehen, nie so empfunden. Früher erwartete er,[158] alles annoch Bestehende werde zusammenbrechen, und aus dem allgemeinen Umsturz solle das Neue und Bessere hervorgehn; jetzt glaubte er an ein mögliches Zurücktreten der überströmenden Willenskraft, er hoffte auf eine weise, begütigende Hand, welche die Gränzen aufs neue scharf und bestimmt ziehe. Alle konnten noch glücklich, noch zufrieden werden; er rechnete darauf mit einer Zuversicht, wie sie nur der Glückliche kennt. Marie theilte seine Hoffnungen, ihr häuslichansiedelnd Gemüth schuf sich in Gedanken schon all die freudige Wirksamkeit, die ein heimathliches Eigenthum der thätigen Frauenliebe bereitet.

So innig froh durch Besitz und Hoffnung, empfingen beide junge Gatten ihre glückwünschenden Freunde. Mariens Gesichtchen glänzte wie der Schmelz des Frührothes. Sie war nur durch Eines beunruhigt. Die Schwester gab ihr Sorgen, und Niemand wußte recht, wie es mit ihr stehe? Endlich trat der Arzt in das Zimmer. Ein jeder bestürmte ihn mit Fragen. Der Chevalier war kaum noch Herr seiner Ungeduld. Er trug die Gewißheit dessen, was Antoniens Uebelbefinden zum Grunde lag, dunkel in sich, die innere Angst sagte ihm etwas, das er nicht sogleich verstehn mochte. Jetzt erschien ihm der ernste deutsche Mann wie ein rettender Engel. Er hoffte, dieser [159] solle etwas anders, etwas ganz Gewöhnliches, über jenes Ereigniß sagen, er flüchtete sich mit seinen Sorgen schon dahinter, als dieser, die Ungeduldigen höflich abwehrend, seinen Platz neben der Baronin nahm, und mit seiner gewohnten Besonnenheit sagte: Der Arzt besonders soll bescheiden in der Beurtheilung solcher Fälle sein, welche nicht in der aufgedeckten Folgereihe wirkender Motive und Ursachen liegen, da seine Wissenschaft, vielleicht mehr als jede andere, mit der geheimnißvollen, unerforschten, Natur verkehrt. Er darf so wenig einzelne Anklänge zu ausgesprochenen Worten umbilden, als sie überhören wollen. Er soll stets mit stillem, tief in das Innere zurückgehenden Sinn beobachten, aber weder die Sucht, etwas Außerordentliches aufgefunden zu haben, noch der kleinliche Kitzel, Entdeckungen Anderer verspotten zu wollen, darf ihn auf Nebenwege verlocken. Die heilige Ehrfurcht gegen das Wesen der Dinge erlaubt kein allzudreistes Hervortreten, und deshalb ist dem Arzt besonnenes Schweigen unerläßliche Pflicht.

Hiermit schwieg er wirklich, und niemand gewann sogleich den Muth zu erneueter Frage. Die Baronin allein, ob er gleich ihre eigenste Meinung ganz unleugbar aussprach, wollte es dennoch hierbei nicht bewenden laßen. Es schien ihr zuviel [160] laut geworden zu sein, um es so unberührt bei Seite zu legen. Sie selbst hatte gestern in der Ueberraschung manches über Antoniens wunderbares Wesen, die inneren Offenbarungen, welche sie früherhin schmerzhaft durchzuckten, und alle in ihr erspäheten Eigenthümlichkeiten, fallen lassen, sie wollte jenen Aeußerungen das Abentheuerliche benehmen, indem sie dem Arzt zwang, umständlicher auf das Vorliegende einzugehn. Deshalb sagte sie: wie sehr Sie im Allgemeinen recht haben, empfindet niemand deutlicher als ich. Doch thut es im Einzelnen öfters Noth, daß des Erfahrenen Urtheil schwankende Vorstellungen berichtige, da Irrthümer und Abwege ja allein daraus entstehn, daß wir auf keinem sichern Grunde Fuß gefaßt, und nur auf flüchtigen Erdschollen unsere systematische Gebäude aufgethürmt haben. Sie fuhr jetzt fort, manches kluge Wort über Antonien zu reden, und alles zur Sprache zu bringen, was sie selbst über diese wußte.

Es ist unleugbar, erwiederte der Arzt, nach einigem Besinnen, und wir dürfen es wohl mit Zuversicht behaupten, daß, wie in allem organischen Leben Wechselbeziehungen statt finden, diese sich auch unter den Menschen, sowohl gegenseitig, als der bewußtlosen Natur gegenüber, offenbaren. Was hier nun jedesmal das Vermittelnde ist, ob [161] ein Aeußeres, oder ein Inneres, ob beides zugleich? der sinnvolle, denkende Beobachter wird es prüfen, ohne gleichwohl seinen Muthmaßungen den Stempel der Unfehlbarkeit aufzudrücken. Vieles, das sehen wir wohl, soll dem Einzelnen dunkel bleiben, was über seinen Zeitmoment hinaus liegt. Die ganze Menschheit reift immer erst langsam in eine große Idee hinein, und diese entwickelt sich während dem durch das Leben selbst aus ihrer Wurzel rein heraus. Die Natur macht uns den Umgang mit ihr nicht allezeit leicht. Sie verkündet sich dem Einen heut, und scheint sich dem Andern Morgen zu widersprechen. Sie wirft uns große Phänomene wie Räthsel in den Weg. Der Mensch soll sich daran wagen, aber ich wiederhole es, mit Ehrfurcht und Bescheidenheit, was zu dreist, zu plötzlich, an das Licht gerissen wird, dem ergeht es wie solchen alterthümlichen Schätzen, welche lange Zeit der Erde Schooß verbarg, sie zerbröckeln an der jähen Luftberührung. Und sicher, wir graben auch nur versunkene Schätze aus.

Durch ähnliche Wechselbeziehung, sagte die Baronin, welche lange in tiefen Gedanken da saß, würden die oft bestrittenen Wirkungen der Sympathie und Antipathie plötzlich berichtigt sein, und wie diesem, das Knarren einer Thür, das Schneiden in Kork, das Reiben zweier Metalle aneinander, [162] jenem aber, der Duft einer Blume, die Ausdünstung eines Thieres, Uebelkeiten und physische Schmerzen geben, so dürften Blick, Ton, Mienen und Geberdensprache, ja die bloße Atmosphäre eines Menschen, anziehende oder abstoßende Gewalt über einen Dritten ausüben können, und Neigung oder Abneigung würde ein Gemüth beherrschen, ehe es sich selbst davon Rechenschaft zu geben wüßte. Sehr traurig, – fuhr sie fort, bleibt es, wenn solche Zufälligkeiten über ein Leben entscheiden sollen.

Zufälligkeiten, erwiederte der Arzt, dürfen wir wohl nichts nennen, was durch innere Nothwendigkeit begründet ist. Alles, was die Individualität eines Menschen so, oder so bestimmt, geht aus dem Zusammenhang des Ganzen hervor, und selbst dasjenige, was von außen hereinwirkend, als zufällig betrachtet wird, bekommt erst durch die innere Gegenkraft seine bleibende Richtung. Man kann nicht immer sagen, wie das Störende entstanden sei, allein wir empfinden dessen trüben Grund in dem Eindruck, welchen es auf uns macht.

Das Fürchterliche hierbei ist, fiel der Chevalier ein, daß man den Außendingen eine unumschränkte Gewalt über sich einräumt, und es den Umständen überlassen bleibt, ob zwei Wesen in Conflikt gerathen sollen, welche ohne äußere Vermittelung wohl [163] nie von einander gewußt hätten. Er seufzte bei diesen Worten unwillkührlich, und schien sich seinem bedrohlichen Geschick hinzugeben.

Vergessen wir nicht, erwiederte der Arzt, daß die Natur ein Wechselgespräch mit uns führt, und daß die Vernunft auch eine Stimme hat!

Die Vernunft! rief der Chevalier, ist sie in oder außerhalb dem Zusammenhange des Ganzen begriffen? Im ersten Fall, wird sie nicht von der ganzen Folge nothwendiger Fortentwickelungen mit bestimmt werden? Oder, wo wollen sie ihr sonst ihren Platz anweisen?

Gewiß, nahm die Baronin hier rasch das Wort, ist die Vernunft in jedem Lebenskreise eingeschlossen, aber wie ein Auge, das alle Verhältnisse zusammenfaßt, und zu dem innern Spiegel zurückführt, ruht es mitten darinne; jeder Mensch ist wie ein kleiner Weltherrscher anzusehen, und da keiner dieser Lebenskreise für sich allein ist, sondern alle, wie ein Nürnberger Ei, in einander gefügt sind, so lernt das Auge erst einen, als den Familienkreis, überschauen, dann geht es weiter und weiter, und umfaßt die Welt. Wie leicht wird uns bei einem erweiterten Horizont, und wie sehnen sich alle danach!

Sie werden mir aber doch nicht streiten, unterbrach sie der Chevalier, daß diese Erweiterung [164] sowohl durch Raum- als Zeitverhältnisse hedingt ist, und daß individuelle, wie allgemein geschichtliche, Entwickelungen hier das ihre thun. Wie oft, rief er, durch das Gewicht eigener Erfahrung unterstützt, wird dies innere Auge, um Ihr Gleichniß beizubehalten, von undurchdringlichen Nebeln umschleiert, die so nothwendig, wie unwillkührlich, aus dem Kampf des Lebens erwuchsen. Wo, ich bitte sie, bleibt da die Freiheit der Vernunft?

In sich selbst, entgegnete der Arzt, in dem Vermögen, sich nach Innen zu dem höchsten Wesen zu flüchten, an ihm zu stärken, von ihm zu erfahren, was wir wollen und müßen!

Der Chevalier schüttelte ungläubig den Kopf, als Antonie bleich und schwach, auf Marien gestützt, in das Zimmer trat. Man begegnete ihr sehr liebreich, ohne sie gleichwohl durch zudringliche Fragen oder ein unruhig beeiferndes Entgegenkommen zu quälen. Es gewann sogar das Ansehen, als lasse man der Unterhaltung den einmal begonnenen Lauf. Antonie schien wenig auf die Uebrigen zu merken, sie setzte sich neben Marien ins Fenster, und arbeitete ruhig an einem Haargeflecht, das sie mit großer Sauberkeit zu ordnen verstand. Zuweilen blickte sie auf, und hauchte einen flüchtigen Kuß auf Mariens Stirn; Viktorine ging mit der Präsidentin das Zimmer auf und ab, der Herzog stand [165] düster auf Antonien sehend, dieser gegenüber, die Andren redeten eifrig, vorzüglich faßte der Chevalier den Faden immer wieder auf, sobald die Unterhaltung einen Augenblick stockte, und da diese von dem Besondern auf das Allgemeine hinauslief, so schien man den Gegenstand ein für allemal erschöpfen zu wollen. Adalbert war auch hinzugetreten. Man kam, wie gewöhnlich, von Einem in das Andere; und das gemeinsame Gebiet der Ahndungen, Träume und Vorgefühle, ward nach allen Richtungen durchzogen. Einige, welche das Allgemeine bestritten, stellten gleichwohl, unwillkührlich fortgezogen, einzelne Thatsachen in einem Gemisch von Unglauben und innerer Scheu als sonderbare Zufälligkeiten auf. Man sprach hin und her, über die Möglichkeit wechselseitiger Einwirkung aus der Ferne. Mehrere bezweifelten sie, andere, unter ihnen der Arzt, meinten, der Punkt lasse sich schwerlich angeben, wo noch Mittheilung möglich sei, insbesondere, da man die Agenten keinesweges kenne, welche vermittelnd wirken, und die verschiedenen Naturen solche auf eigenthümliche Weise fordern und finden müssen. Der Marquis entschied für die Nothwendigkeit unsichtbarer Verbindung durch alle Welten. Er verlor sich in die weiten Sternenräume, bezog ihren Lauf auf des Menschen Dasein und Bestimmung, und verwirrte [166] sowohl Gegenstand als Ausgangspunkt des Streites, durch das Viele und Seltsame, was er durcheinander warf. Ohne so weit auszuholen, sagte Adalbert einlenkend, würden mehrere Erfahrungssätze schon hinlänglich für das Ferngefühl beweisen, und da dieses, einmal angenommen, auf Schritte, oder Meilen ausgedehnt, seiner Idee nach immer dasselbe bleibt, so kann ich aus meinem eigenen Leben einen furchtbaren Beitrag zu vielen andern hierüber gesammelten Beobachtungen liefern. Er schwieg einen Augenblick, und schien die raschen Worte zu bereuen, alles war indeß gespannt, und man drang lebhaft in ihn, fortzufahren.

Ich hatte, begonn er endlich, in den schönen Jünglingstagen, wo das Herz so neu und die Hoffnung so frisch und muthig ist eine holde Freundin gefunden, die ihr junges, liebliches Leben, in der zärtlichen Anhänglichkeit zu mir, jeden Tag reizender entwickelte. Familienbande hatten sie mir, wie Dich meine Marie, nahe gebracht. Des Jünglings Seele will durch eine freundlichere Hand geweckt sein, als die gewohnten Tagesverhältnisse ihm zuführen. Sie berührt zugleich sein ganzes Dasein, und öffnet alle verschlossenen Behälter des überschäumenden Jugendlebens. Ich liebte in dem zarten Kinde die Welt, meine Bestimmung, die Ehre, Gott, eine tiefe unergründliche Unendlichkeit. [167] Unsere Verbindung entwickelte sich mit unsern Ansichten und Vorstellungen von dem Leben. Die Politik der Eltern meiner Geliebten führte indeß eine andere Sprache als unsere Herzen, das arme Kind ward für das Kloster bestimmt. Ich wüthete, drohete, versuchte das Unerhörteste, die Jugend erschöpft sich nie in Hoffnungen, aber sie weicht mit gesunder Kraft schnell dem Unabwendbaren. Ist das Entscheidende einmal geschehn, so kehrt der Muth in sich selbst zurück, und erträgt ein Uebel, das er vorher mit Riesengewalt von sich zu stoßen bemüht war. Meine junge Freundin hatte ein ergeben, fügsam Gemüth, sie konnte sich dem Willen der Eltern nicht widersetzen. Aber ihr zartes Herz brach unter den Ketten, die auf ihr lasteten. Man hatte sie unbarmherzig von der Welt und ihrer freundlichen Bestimmung geschieden. Ein Jahr lebte sie das trübe, enge Klosterleben, in zweckloser Vorbereitung, denn sie starb, noch ehe sie den Schleier nahm. Die Veranlassung ihres Todes blieb mir lange verborgen. Nach mehreren Jahren erfuhr ich das Nähere hierüber aus einem Briefe der Aebtissin jenes Klosters. Es ist vergebens, schrieb mir diese, man versucht es nie ungestraft, Gott zu täuschen, hier hat ein unmündig Kind des Herrn Sache geführt. Am Tage der Einkleidung – Adalbert ward durch Antoniens [168] Annäherung unterbrochen, sie war aufgestanden und stellte sich hinter seinen Stuhl, er wandte sich seitwärts gegen sie, und richtete seine Worte zu ihr hin. Am Tage der Einkleidung, fuhr er fort, war die Novize bereits im Begriff, den Eid abzulegen, als ein wunderbares Kind betäubt zur Erde sinkt, und in einem Zustande, den ich Schlaf nennen muß, laut in die Versammlung ruft, und der Freundin heißt, das Bild wegwerfen, das sie an goldner Kette im Busen trägt, es drücke ihr das Herz entzwei! –

Der Marquis faßte Antoniens Hand, die kalt und zitternd in der seinen lag. – Adalbert hielt einen Augenblick inne, ihre Bewegung auf rückkehrendes Uebelsein deutend, denn sagte er weiter: Es war mein Bild, mein unglückselig Bild, was auf dem armen, gequälten Herzen verborgen lag, niemand wußte darum, auch das Kind hatte es nie gesehen. Die Unglückliche bebte bei den fürchterlichen Worten, und, sich zur Aebtissin neigend, reißt sie selbst in unvorsichtiger Bewegung das stumme Zeugniß ihrer verrätherischen Liebe an das Licht. Aller Augen richten sich darauf, dumpfes Murren rollt zu ihr heran, und, als habe sie Gottes Gericht getroffen, so stürzt sie leblos nieder und kehrt niemals zur Vernunft zurück.

Antonie schlug hier beide Hände zusammen [169] und mit aufwärtsgerichteten Blicken ging sie schweigend zur Thür hinaus. Der Marquis und der Arzt folgten ihr nach, allein sie hatte sich in dem entferntesten Zimmer eingeschlossen, und antwortete keinem von beiden auf ihr wiederholtes Andringen, eingelassen zu werden, denn sie lag betend am Boden und gelobte es sich, Gottes Fingerzeig von nun an streng zu folgen. In ihr war kein Zweifel mehr. Es lag klar und unwidersprechlich vor ihr; sie war Adalberts Schutzgeist. Schon damals hatte sie ihn vor der ewigen Verdammniß gerettet, einen Meineid veranlaßt zu haben, das Herz mußte brechen, das er dem Himmel entrissen hatte, ehe es sich neuem Frevel hingab. Später hauchte sie den Tod von seiner Stirn, und gestern zerbrachen die unglückseligen Vermählungsringe in ihrer Hand, als warnend untrügliches Zeichen. Niemand hatte das beachtet, sie wußte es jetzt, ihr war es Pflicht, ein Band zu trennen, gegen welches Gott gesprochen hatte. Der Marquis belehrte, rückkehrend, die Anwesenden von dem Antheil, welchen Antonie an jenem Ereigniß hatte. Adalbert erschrak heftig. So nahe stand ihm das Werkzeug ewiger Rache! Sein Verhältniß zu dem seltsamen Wesen schien ein anderes geworden, und wie eine Geweihete mußte er sie betrachten, als sie ruhig, ja heiter, zur Gesellschaft wiederkehrte.

[170] Auf Marien hatte Adalberts Erzählung ebenfalls einen peinlichen Eindruck gemacht. Die frühe Jugendliebe erschien ihr so reizend! Adalbert noch so innig, so leidenschaftlich, in ihr fortlebend! Sie erinnerte sich des schönen, früh gefallenen Opfers gar wohl. Der Tag war ihr immer unvergeßlich geblieben. Es war, als sähe sie die bleiche, schmachtende Gestalt in diesem Augenblicke niedersinken, und durch eine wunderbare Täuschung der Sinne, lieh sie dieser die eigenen Züge, wie sie ihr unendlich Leid in sich selbst übertrug. Sie konnte sich der Thränen nicht enthalten, ihr Herz schlug so ängstlich, sie sank an Adalberts Brust, der sie liebreich, aber verstört und eigen zerstreut, an sich drückte, ohne gleichwohl nach der Ursach ihres Kummers zu fragen.

Die Präsidentin nutzte die allgemein verbreitete Stimmung zu ihrem Vortheil, und sehr überzeugt, daß ein jeder willig etwas außer ihm liegendes ergreifen werde, schlug sie vor, eine von ihr kürzlich verfaßte Dichtung vorzulesen. Sie hatte richtig geurtheilt. Ihr Anerbieten ward von allen Seiten, sowohl aus Artigkeit, als Mißbehagen mit der innern Gegenwart, angenommen. Man schloß sogleich einen engen Kreis um die Vorleserin, die, mit voller, angenehmer Stimme, recht wohltönende Worte las. So viel Behendigkeit sie indeß im [171] Auffassen und Darstellen gesellschaftlicher Verhältnisse, eigenthümlicher Sonderbarkeiten der Menschen, und daraus entstehender Verwirrungen des Lebens und der Schicksalsbestimmungen besaß, so fehlte es ihr doch gänzlich an Umsicht und Tiefe, wenn sie über diese leicht angedeuteten Kreise hinausschweifte. Da sie nun jetzt durch eigenes und fremdes Mißgeschick widerwärtig getroffen, politische Ansichten und Zwecke schärfer ins Auge gefaßt und häufig in sich umhergeworfen hatte, so wagte sie sich unbedacht in dies weite Feld; das sie noch unsicherer betrat, indem sie den Schauplatz nach dem Oriente verlegte, wohin die Phantasie nur unbequem hinübergetragen und in die entwachsene Märchenform gezwängt wurde. Den Zuhörern war dabei, als seien sie auf einem Maskenball. Bei jedem Schritte stießen sie auf ein Bekanntes, dessen Verkleidung gleichwohl, wie eine abhaltende Scheidewand, die alte Vertraulichkeit hinderte. Man war zu Hause und auch wieder nicht, der Standpunkt für Wahrnehmung und Mitgefühl blieb verrückt, niemand konnte mit der behaglichen Theilnahme recht zu Stande kommen, da die Ereignisse, statt frisch und beweglich aus gesunder Wurzel zu erwachsen, wie eine Reihe aus dem Zusammenhang gerissener Erfahrungssätze, aufeinander gepackt dalagen, und das Schmerzliche, [172] was ein jeder in der Zeit mit durchlebt, mit durcharbeitet hatte, das im rüstigen Gegenstreit überwunden war, jetzt schroff und schneidend in die Seele zurückfiel. Zudem griffen die häufig vorkommenden politischen Diskussionen alte Streitpunkte ungeschickt an, und da sie sämmtlich, auf Zufälligkeiten begründet, aller soliden Basis ermangelten, so verletzten sie nicht selten Wahrheit und Sitte, und ließen alle Partheien unbefriedigt.

Es stand daher nach beendigter Vorlesung mit der geselligen Heiterkeit um nichts besser, als zuvor, und die Verlegenheit, mit welcher ein jeder das dürftige Lob über kaum geöffnete Lippen drückte, gehörte in die Reihe aller peinlichen Zustände, die an diesem Tage auf einander folgten.

Der Herzog nahm indeß ziemlich mürrisch den Faden der Unterhaltung bei der eben verhandelten Politik auf, und brachte das Gespräch nach und nach leidlich in Gang. Er griff die Präsidentin nicht ohne Gründe an, behauptete indeß mit seiner gewohnten Strenge, Frauen haben gar keine Stimme über öffentliche Angelegenheiten, weil ihnen der innere, wie der äußere Maaßstab, zu deren Beurtheilung, fehle. Was, fragte er, wollen Sie als Grundsatz, was als Zweck annehmen? Sie haben nur Familienruhe, Lebensglanz, oder höchst abentheuerliche Weltbürgerliche Ideen im Sinne. [173] Gewöhnlich ist etwas Einseitiges der trübe Quell ihrer Ehr- und Freiheitsliebe; ja sie haben kein anderes Vaterland, als den engen Raum, welchen die vier Pfäle ihrer häuslichen Wirksamkeit einschließen. Die Welt mögen sie hier ahnden und fühlen, Liebes-und Lebensverhältnisse mögen sie hier begründen, aber Staatsverhältnisse werden sie nie begreifen, weil diese auf Bedingungen beruhen, deren Wesen ihnen nur undeutlich vorschwebt. Abgeschlossenes Recht, Gewalt, erfassender Wille, stehn ihnen so fern, wie der hohe Gedanke königlicher Weltherrschaft. Sie träumen davon, wie von allem, aber empfunden hat es keine.

Viktorine, auf welche diese Worte hauptsächlich gerichtet waren, nahm sie auch ganz ausschließend übel auf. Ihr Mann focht mit den Engländern gegen das Vaterland, und so wenig man es tadeln mochte, daß sie sein Verfahren, wie die hierbei zum Grunde liegende Ansichten, billigte, so konnten es ihr die Männer niemals verzeihen, daß sie mit sarkastischen Ausfällen solche angriff, welche anderen Grundsätzen folgten. Sie stand daher in einer Art kriegerischem Verhältniß mit Vielen unter ihnen, wenn Andere im Gegentheil die Oriflamme in ihrer Hand gewünscht hätten. Jetzt insbesondere hatte sie sich in ihrer einmal genommenen Stellung zu behaupten. Sie vertheidigte [174] sich daher nachdrücklich, doch, wie immer, ohne Wortreichthum, mit gedämpfter, etwas gedehnter, Stimme, welche den bescheidenen Rückzug anzukündigen schien, im Grunde aber den Feind zu heftigerem Angriff verlocken sollte. Den Sinn für Ehre, sagte sie sanft, werden Sie uns wenigstens lassen müssen, da sie es allein ist, um derentwillen wir die Männer lieben.

Drehen Sie den Satz um, unterbrach sie der Herzog lachend, Sie lieben die Ehre, der Männer willen. Denn diese Gattung der Ehre liegt außerhalb ihrer Welt. Aber es ist Frauenart, sich in alles Fremde hineinzuwerfen und das Einzelne ins Allgemeine, Gränzenlose auszudehnen. Die Theilnahme an dem Ruf, der günstigen Stellung eines Mannes, macht ihnen glauben, ihr Wesen wie das der Männer überhaupt, glühe und flamme in Thatendurst und ritterlichem Stolz. Ihr Wesen ist Liebe, wenn sie lieben, verstehn sie alles, sind sie alles, aber sie sollen sich auch nur liebend zeigen. Bei ihrem Antheil an dem Heil und Segen eines Staates, eines Volkes, soll immer die zärtliche Sorge für befreundete Wesen und durch diese für alle Menschen hervorsehen, denn das Wort Volk an und für sich, ist ihnen nichts, so wenig wie Staat und Regierung.

Sie schweigen zu dem Allem, flüsterte der [175] Chevalier Antonien zu, haben Sie nichts zur Rechtfertigung Ihres Geschlechtes zu erwiedern?

Wir sollen lieben, sagte sie zerstreuet, war es nicht so? Erschreckt Sie das Gebot, fragte er leiser, wollen Sie ihm folgen? können Sie es Antonie?

Sie sah ihn befremdet an, eine wunderliche Röthe flammte über ihre Stirn, sie rückte einigemal ängstlich hin und her, dann, als könne sie seine Nähe nicht ertragen, stand sie hastig auf, und setzte sich an das andere Ende des Zimmers.

Der Herzog fuhr indeß fort, seinem Unwillen Luft zu machen. Wüßten die Frauen nur, sagte er weiter, wie sehr sie sich aus dem Vortheil geben, wenn sie sich an etwas wagen, dem sie nicht gewachsen sind. Die fremden Mienen zu den fremden Gedanken und Worten, die erhöhete Stimme, die unnatürliche Gluth in ihren Augen, und all die gemachte Exaltation, lassen es die Männer vergessen, wer gegen sie streitet, Worte reihen sich an Worte, und wenn der Mann sein Leben an eine Meinung setzt, wodurch behauptet sich die Frau vor sich und der Welt, hat sie die Würde ihres Geschlechtes verletzt?

Viktorine stand aufs höchste beleidigt von ihrem Sitze auf; Thränen des allerbittersten Unmuthes traten ihr in die Augen. Der Herzog faßte [176] sie begütigend bei der Hand, warum, sagte er sanfter, wollen sie dem Schicksal etwas abtrotzen und sich dürftig aneignen, was Ihnen nicht werden sollte? warum wollen sie sich des schönen Vorrechtes begeben, durch ihr bloßes Erscheinen zu herrschen, Gesinnungen wie Thaten zu zügeln. Was sollen Ihnen die ungeschickten Waffen, die sie nicht zu lenken wissen, die unsicher umher schwanken, und meist nur sie selbst verletzen.

Niemals, versetzte Viktorine, werde ich mich überzeugen, daß wir aus irgend einer Sphäre menschlicher Wirksamkeit ausgeschlossen seien. Wie häufig sind es grade Frauen, welche die Zügel des Staates geheim und sicher lenken, und nicht selten verdanken es die Männer nur ihnen, wenn sie auf ihrem rechtem Platze stehn.

Meine schöne Freundin, entgegnete der Herzog, in Staatsintriguen sind die Frauen immer die Ueberlisteten, sie werden zufällige Mittel, man giebt ihnen ein buntes Seilchen in die Hand, und macht ihnen weiß, sie lenken das gewaltige Fahrzeug, indeß sie selbst weit sichrer durch Eitelkeit, Ruhmsucht und andere unreine Motive gelenkt werden.

Weiser Einfluß, sagte die Präsidentin, ist sehr wohl von gewinnsüchtiger Intrigue zu unterscheiden. Wie viel erhabene Fürstinnen haben durch [177] ihr ruhiges Erkennen, geschicktes Sondern, und schnelles Durchdringen, Gatten und Söhne zum Vortrefflichen geführt, wie viele waren selbst vom Throne aus das Heil ihrer Völker.

Es ist wohl unleugbar, hub hierauf der Doktor an, daß den Frauen ein Organ für jedes Verständniß inwohnt; und sie augenblicklich in verwandtliche Berührung mit allem setzt, was ihnen nahe tritt. Sie erlangen dadurch eine geheimnißvolle Gewalt über Dinge und Menschen, welche selbst der gesellschaftliche Sprachgebrauch zauberisch nennt. Solch ein Zauber war von jeher anerkannt, die königlichen Frauen der Vorzeit übten ihn, mittelbar in das äußere Leben und dessen Gestaltung einwirkend; aber es gehört dazu das treueste Verharren in der eigenen Natur, denn, wie es Ihre Worte erschöpfend sagten, in der Liebe, welche der Frauen Wesen ist, verstehn und sind diese allein jedes und alles.

Als nun hierauf Viktorine unversöhnt und die Präsidentin unbefriedigt die Gesellschaft verließen und der kleine Kreis sich immer enger zusammenzog, fragte der Chevalier die Baronin, wie ihr die Vorlesung behagt habe? Ich kann das noch nicht wissen, erwiederte sie. Noch nicht! wiederholte er, mein Gott, wann wollen Sie es denn erfahren? Ich weiß nicht, war ihre Antwort, vielleicht [178] zufällig einmal, wenn mir die Dichtung ganz von ohngefähr in die Hände fällt und ich sie wieder vergessen habe. Mir ist es allezeit ängstlich, Werke meiner Bekannten von ihnen selbst vortragen zu hören. Ich behalte kein freies Urtheil dabei. Mir ist bange, sie entweder zu überschätzen, oder nicht hoch genug zu stellen. Darüber geht mir der Totaleindruck verloren. Es ist so schwer, Menschen, die man essen und trinken, Gewöhnliches im Tageslauf denken und thun sieht, plötzlich auf einer höhern Stufe zu erblicken, sie dreist zu der ganzen Welt reden zu hören, man kann sich nicht einbilden, daß dies nicht zuviel gewagt sei, man vermischt die einzelnen Stunden der Erhebung mit ihrem übrigen Leben, und glaubt sie früherhin oder jetzt mißkannt zu haben; so wird das Urtheil trübe, und es kommt zu keinem gesunden Gedanken.

Antonie, welche während dem unruhig auf und ab gegangen war, fragte jetzt den Arzt, ob man nicht in alten Büchern das Leben jener wunderthätigen Frauen, deren er zuvor Erwähnung gethan, aufgezeichnet fände? und ob sie solche Schriften wohl zu lesen bekommen könne? sie erinnere sich aus ihrer Kindheit, ein Lied von einer Zauberkönigin gehört zu haben, es schwebe ihr aber nur ganz dunkel vor, sei ihr auch nichts Besonderes [179] daraus erinnerlich, allein sie fühle oft eine wehmüthig Sehnsucht nach dem alten Liede, und möge gern etwas ähnliches hören.

Der erfahrene Mann sah mit Bedauern, daß seine unschuldigen Worte die kranke Phantasie des armen Kindes in ein dunkles Meer verwirrender Bilder hineingezogen hatten. Er lenkte daher ihren Wunsch, mehr über das geheime Wirken einzelner Geweiheten der Vorzeit zu erfahren, auf die genauere Kenntniß der Naturkräfte überhaupt; rieth ihr, beweglichern Verkehr mit dem Lebendigen; freien, vertrauten Umgang mit der Gegenwart zu pflegen, verhieß ihr freundlich, sie in das geschäftige Innenleben der Natur einzuführen, und suchte ihren Blick auf alle Weise von dem trüben Wiederschein verblichener Gestaltungen abzulenken.

In Antonien war aber das Wort Zauberei wie ein zündender Funke hineingefallen. Sie dachte, es ist alles unbegreifliches Wunder, was uns umgiebt, warum sollen wir selbst nichts Wunderbares vollbringen dürfen! Und gäbe es einen Zauber, ihn an mich zu bannen, wie ich an ihn gebannt bin, weshalb sollte ich nicht? – Es giebt so viel Verborgenes im Menschen, wovon er selbst nichts weiß – Gott hat es ihm eingepflanzt – Gott will – Sie konnte es nicht vergessen, wozu sie [180] Gott ausersehen habe. Ihre Eltern fielen ihr ein. Sie konnten nicht von einander laßen, sagte sie! – ihr Herz bebte in freudigem Entzücken; sie beschloß, sich dem Marquis zu nähern, von ihm über vieles Auskunft zu erhalten. Auch das Anerbieten des Arztes nahm sie an, sie hoffte, mehr unter seiner Anleitung zu ergründen, als er ihr offenbaren konnte; denn gewinnen mußte sie sich den Geliebten, das war im Himmel wie in ihrem Herzen beschlossen!

[181]
13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel

Während ein unnatürlich Beginnen der nothwendigen Ordnung des Lebens vorgreifen wollte, entfaltete sich der Frühling nach alten, ewigen Gesetzen, und schien es den Menschen an das Herz zu legen, sich der stillen Führung der Natur ruhig zu überlaßen. Unwetter und Stürme hatten ausgekämpft, die Erde lachte ein neues Dasein in jedes Herz hinein, ihre feste Rinde gewann ein lockeres duftiges Ansehn, man sah sie arbeiten, und wenn sie Abends wogender Dampf umzog, und wieder in ein großes Meer umzuwandeln schien, schwirrende Insekten durcheinander brausten, und tief unten alles hämmerte und pochte, dann fühlte jeder die Welt aufs neue in sich entstehn! Marie, wie Giannina und Alexis, waren die allerseligsten Kinder! Tagelang schweiften sie umher, sie waren nicht im Hause zu erhalten, und Marie, welche im Kloster ein eigenes Gärtchen hatte, ließ nicht [182] ab mit Bitten, bis ihr Adalbert auch jetzt ein Sommerhaus, mit recht freundlicher Umgebung, vor dem Thore miethete. Hier war sie ganz in ihrem Element, sie verstand und trieb die Blumenzucht mit vielem Eifer. Alexis ging ihr dabei ganz besonders zur Hand. Der Knabe hatte Geschick und Trieb zu allem, was er Andere machen sah, deshalb war er auch überall, wo es etwas zu thun gab, und überall aufmerkend, behend und tauglich. Giannina lief viel hin und her, allein mit der Arbeit wollte es nicht recht von statten gehn, indeß erhielt sie das Geschäft stets heiter, und Adalbert mußte sich eingestehn, daß er nichts reizenderes kenne, als die drei zarten Wesen, welche, wie Elfen auf grünem Boden, ihr freundlich Beginnen so leicht und anmuthig förderten. Sie hatten recht nach Feeenart einen Blumenthron unter zwei dicht ineinander verwachsenen Ulmen erbauet. Eine Wand schlanker Kelchblumen, hoher Feuerlilien und glührothen Mohnes, faßte den lieblichen Sitz ein, am Boden blüheten Doppelveilchen und Anemonen, den Rasen aber bezog ein Gewinde der schönsten Vinka. Adalbert saß hier oft Stundenlang, und tändelte mit Marten, die, immer geschäftig, sich nur einzelne Augenblicke abstahl, um dem geliebten Mann in die Arme zu fliegen, und allen freundlichen Spott und die tausend [183] kleinen Neckereien von seinem Lippen wegzuküssen. Nicht selten feierte Giannina solche Augenblicke mit ihrer Herrin, und, sich in die Zweige der starken Ulme schwingend, saß sie über dem jungen Ehepaare, wiegte sich nachläßig in dem Grün, und stimmte ein scherzendes Liedchen auf ihrer Mandoline an.

Einst waren alle hier versammelt, als die Baronin herzukam und Marien bat, sie nebst mehrern Andern auf einem Spatziergang den Rhein hinunter zu begleiten, wo sie in einer Meierei zu Abend essen und Nachts zu Wasser rückkehren wollten. Marie ließ sich sogleich willig finden. Giannina sollte ihr Instrument mitnehmen, Alexis, der zeither ganz artig das Flageolet blies, durfte auch nicht fehlen, man versprach sich unendliches Vergnügen. Auch Adalbert ward bestürmt, mit zu gehn, er hatte noch Geschäfte, wollte indeß gewiß nachkommen. Antonie war mit dem Marquis; man wußte nicht, ob sie zu dem lustigen Feste gestimmt seien, doch ward Bertrand aufgetragen, sie einzuladen, wenn sie aus ihren Zimmern kämen.

Die Andern waren zum Aufbruch bereit. Marie hatte ihren Strohhut mit Mohn geschmückt, und sah sehr reizend aus, als sie, von ihren jungen Gefährten begleitet, den Zug eröffnete. Giannina wußte sich nicht zu laßen vor innerer Lust, [184] sie bewegte den kleinen Körper in tausend zierlichen Verdrehungen, spielte, sang und tanzte, und zwang Alexis, in ihre komische Liedchen und Geberdensprache mit einzustimmen.

Adalbert blieb noch auf seinem Platze sitzen, sah innerlich entzückt der anmuthigen Frau nach, und sich selbst in unzählige liebliche Bilder hinein, bis der Blumenduft, das Säuseln der Blätter, die schwüle Stille um ihn her, seine Augen schloß und er fest einschlief. Nicht lange, so theilte sich die Blumenwand hinter ihm, Antonie beugte sich leise hervor, legte ihre rechte Hand unter sein Herz, und flüsterte, mit den Lippen fast seine Schläfe berührend: »Laß mein Bild in Dich eingehn, halte es fest, wie es der Traum Dir zeigt, werde mein für alle Ewigkeit.«

Sie wiederholte die Worte mehreremale, wie lebhaft sich auch Adalbert regte, und gegen den Traum anzukämpfen schien, endlich seufzte er tief, öffnete seine Arme, und breitete sie ihr entgegen. Antonie hauchte einen flüchtigen Kuß über seine Lippen, und zog sich hinter die Blumen zurück.

Es war bereits dunkelnder Abend geworden, als die Fehlenden, einer nach dem andern, zur übrigen Gesellschaft stießen. Marie flog Adalbert entgegen, er begrüßte sie zerstreut, seine Blicke flogen überall unruhig umher, endlich fanden sie [185] Antonien, diese saß im Hintergrunde unter dem Vorgebäu der Hausthür, um welche die Uebrigen einen Kreis geschlossen hatten. Ihr schneeweißes Kleid, das in einen hohen, weit abstehenden Kragen, dicht unter dem Kinn, zusammenlief, das Blendende ihrer fast blutlosen Haut, und die großen, dunkelglühenden Augen, gaben ihr in der abendlichen Dämmerung etwas überaus Wunderbares und Schauerliches. Adalbert bebte, als er sie sah, doch konnte er seine Augen nicht von ihr wenden. Sie schien gelassen, nur einmal fiel ihr Blick mit unbeschreiblicher Gewalt auf ihn nieder. Er senkte, wie davon getroffen, den Kopf auf Mariens Schulter, hinter deren Stuhl er stand, diese bog das Gesichtchen nach ihm zurück, so daß ihr Mund seine Wange streifte. Zum erstenmal befiel ihn tödtliche Angst bei ihren Liebkosungen, er machte sich schnell los, und eilte in das Gärtchen der Meierwohnung.

Hier traf er den Herzog, welcher mit großer Aufmerksamkeit den Fleiß und die Anordnungen des thätigen Besitzers beachtete. Alles war hier wohl übersehen, benutzt und bekommen. Innerer Wohlstand, Stille und behagliches Gnügen, schienen durch die einfache Anlage hindurch zu sehen. Der Herzog redete gebrochenes deutsch mit den Arbeitern, er schien über manches Auskunft zu [186] wünschen. Als er Adalbert ansichtig ward, ging er ihm heiter entgegen; und indem er ihn auf die friedliche Betriebsamkeit der Leute aufmerksam machte, sagte er: mein Sohn, man ist nicht unglücklich, wenn man so ein stürmisches Leben beschließt. Adalbert sah ihn betroffen an, als er fortfuhr: für uns ist wenig anders zu erwarten. Die thörigen Träume, welche wir lange nährten, schrumpfen zu nichts zusammen. Unser Vaterland ist ein anderes geworden, seit die Republik sich konstituirte. Die Ruhe kehrt allmählich darin zurück, aber weder mein Einfluß, noch die alte Stellung zur Welt, kehren wieder; damit ist es vorbei, wie mit dem Glanz unsers Hauses, ich lerne das begreifen, deshalb freue ich mich jetzt Deiner einfachen Aussohnung mit dem Schicksal, Deiner frühen Resignation! Du hast ein häuslich, bescheiden Weib zur Gefährtin gewählt, ich hatte Anfangs andere Pläne, ich dachte Antonie – Antonie, rief Adalbert entsetzt, Antonie mein Vater! Laß Dich das nicht befremden, entgegnete der Herzog, sie ist ein wunderbares Wesen von königlichem Stolz und hoher Entschlossenheit, sie hat mir oft seltsame Gedanken gegeben, ich konnte nie in ihre Augen sehen, ohne so etwas von Weltherrschaft zu träumen. Laß das jetzt! es ist so besser, ich sehe das ein. Zwar glaube ich, hat sie Dich geliebt, [187] heftig, gewaltsam, wie ihre ganze Natur es fodert, aber auch das ist wohl vorbei! Und Du hast glücklicher für Dich, für uns Alle, gewählt. Die stille heitere Marie paßt sich wohl für ein beschränktes Dasein, das unser aller Loos geworden ist. Mich drückt dies auch nicht mehr. Das Leben reibt nach grade alle Stacheln der Ehrsucht stumpf. Wie ich hier so mitten in der kleinen Schöpfung stand, und die Familie ihre Geräthschaften nach gethaner Arbeit bei Seite legte, die Hände freudig schwenkend zusammenschlug und nun Feierabend machte, mir ward mit ihnen wohl, unzähligemal habe ich Deine Marie so spielend arbeiten sehen, ich mußte mit Liebe an sie denken, und ich kann sagen, ich freuete mich Deiner Wahl zum erstenmal recht von Herzen.

Er umarmte hier Adalbert und führte ihn zu der Gesellschaft zurück. Die war besonders laut und aufgewekt. Das Abendessen war bereit. Man saß um einen runden Tisch. Antonie hatte noch ihren vorigen Platz, der Kreis war dadurch nicht geschlossen, daß man neben ihr einen Raum ließ für die Ab- und zu- Gehenden aus dem Hause. Adalbert stand, ohne es zu wollen, neben ihr, doch redeten sie einander nicht an, beide aßen nichts, sondern tranken nur ein wenig Milch. Sein Blut kochte, die Hand zitterte ihm, mit der er an Antonien [188] vorbei, nach dem Glase faßte, unversehens vergriff er sich, er nahm Antoniens Glas, das er mit wilder Hast herunterstürzte.

Indeß hatte die fröhliche Laune allgemein um sich gegriffen, auch der Herzog war munterer als je, und stimmte schöne Kriegslieder an. Adalbert mußte auch singen, er stockte erst, dann aber ward er ganz zu Flammen und Gluth, die eigene Stimme schien ihm den Taumel seines Hochzeitsabends zurückzurufen, er kannte sich kaum noch! Auch Giannina und Alexis waren durch die anregende Abendluft, den Gesang, den würzigen Duft der Wiesenkräuter, wie betäubt. Das ausgelassene Mädchen tanzte mit ungewöhnlicher Heftigkeit, und fast gänzlichem Zerfließen der üppigsten Geberden, die Tänze ihres Landes; die Saiten schrillten wunderbar dazwischen, und wenn sie auf dem Anger, in dem heraufgezogenen Mondlicht so leicht hinschwebte, glaubte man wirklich, eine feenartige Erscheinung zu sehen.

Der Kahn war jetzt angekommen, der sie zurückführen sollte. Es war an keinen Aufschub mehr zu denken. Man stieg ein. Adalbert nahm das Ruder, um nur außer sich Beschäftigung zu finden. Eine Zeitlang glitt man schweigend über den Wellen hin, es war, als sänftige das Wasser die unruhige Fröhlichkeit. Alexis, der alles nach [189] alles mit machen mußte, hatte sich indeß auch eines Ruders bemächtigt, man achtete Anfangs nicht viel darauf, weil er sich auch hierbei gewandt zeigte. Doch das wilde Spiel des ganzen Tages hatte sein Blut unnatürlich angeregt, der Kopf war ihm schwer, die Arme schwächer als sonst, er lehnte sich zu weit hinaus, und schoß vorn herüber ins Wasser. Ein lauter Schrei aller Anwesenden durchdrang noch die Luft, als Adalbert schon seinen Rock abgeworfen hatte, und frisch in die Wellen untertauchte. Mit Gewalt mußte man Marien zurückhalten. sich ihm nicht nachzustürzen, Antonie aber lag kniend im Boden, beide Arme über den Bord des Kahnes ausgebreitet kein Laut drang aus ihrer Brust, sie schien nichts von sich zu wissen. Jetzt arbeitete sich Adelbert wieder herauf, den Knaben lebendig über sich haltend. Ein Augenblick, und er war im Kahn, der Knabe in den Händen der Frauen, die den kleinen Unbedacht mit ihren Shawls und Tüchern rieben und ihn hineinwickelten, um alle böse Folgen zu vermeiden. Antonie begriff indeß von allem nichts, als Adalberts jähen Sprung. Sie lag noch unbeweglich da, als der Kahn ans Land stieß. Da sie sich am vordern Rande des Schiffes befand, so reichte ihr Adalbert zuerst die Hand, um sie hinaus zu führen; sie sah ihn mit dem süßesten Lächeln an, bist Du [190] wirklich gerettet? fragte sie. Seine Hand zitterte schon in der ihren, als er bewußtlos stammelte, nein Antonie, nein, ich bin von nun an rettungslos! Der Mond hatte sich hinter einer dichten Wolke versteckt, es war ganz dunkel um sie, als sie das kleine Brettchen betraten, das nach dem Ufer führte, Antonie glitt aus, Adalbert faßte sie stärker in seine Arme. O Gott, Adalbert! flüsterte Antonie, überwältigt von seiner Nähe. Du liebst mich noch, rief er wild, es ist nicht vorbei, ich fühle es an dem süßen Beben Deines himmlischen Leibes, sage mir es Antonie, sage es dem Himmel, daß Du mich liebst. Sie standen jetzt auf der Rhede; ja, erwiederte sie gefaßt, ja ich sage Dir es und dem Himmel, daß ich Dich liebe! Der Mond warf in diesem Augenblick einen leichten Strahl auf ihre Stirn. Göttlich Wesen! rief Adalbert wie verzückt, ich gehöre Dir von jetzt bis in alle Ewigkeit!

[191]
14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel

Alexis war trotz aller Vorkehrungen am folgenden Tage dennoch bedeutend krank. Schon in der Nacht hatte er starkes Fieber, sprach und wimmerte ängstlich, und schreckte zusammen, als thue er aufs neue den ersetzlichen Fall. Der Köhler war abwesend, er hatte weiter nördlich hin eine Geschäftsreise unternommen, und den Knaben Mariens Pflege überlassen. Diese war nun aufs äußerste beunruhigt. Sie wich nicht von seiner Seite, und da er in der Fieberhitze nicht im Bette aushalten mochte, so lag er entweder auf ihrem Schoos, oder doch, den Kopf an ihre Brust gelehnt, auf einem Bänkchen, das sie mit Decken belegte und bald hier hin und dort hin trug, wie es die Unruhe des armen Kindes foderte. Alles Spielzeug hieß sie herbeischleppen, jede Zerstreuung mußte ihm augenblicklich werden. Er hatte nach Kinder Weise in Kisten und Kasten mancherlei [192] hineingekramt, wonach man oft lange vergebens suchen mußte. Jetzt verlangte er nach einem Beutelchen, worin, wie er sagte, schöne Dinge seien. Man fand es endlich im Garten auf dem schattigen Blumensitz. Alexis öffnete die Schnur, und schüttete unter mehrern bunten Steinchen, einigen Silberpfennigen und glänzenden Muscheln, die beiden zerbrochenen Ringe in Martens Schoos. Sie fuhr unwillkührlich zusammen, diese hier zu finden, da sie sie lange vergebens gesucht hatte. Das Kind, durch ihre Bewegung erschreckt, glaubte, sie wolle ihm die Kleinodien nehmen, und rief weinerlich, ich habe sie ja von der Erde aufgenommen, und wollte sie wieder mit Wachs zusammenkleben, wie der Onkel in Chambery, aber es ging ja nicht. Nein, nein guter Junge, erwiederte Marie, ihn auf die brennende Stirn küssend, es ging auch nicht, sei nur ruhig, und spiele fort. Höre mal, hub er nach einer Weile an, die Ringe hat die Antonie entzwei gemacht, es war recht unartig von ihr! Sie hat es nicht gern gethan, entgegnete Marie. Ja, rief er heftig, ja, sie hat es mit Willen gethan, ich weiß es. Alexis! drohete Marie sanft, so etwas mußt Du nicht sagen! Es ist aber doch wahrhaftig wahr, schluchzte er, durch Krankheit und Widerspruch gereitzt, sie hat mir es ja selbst gesagt. Dir? fragte Marie, Kind, wann denn? [193] I! damals, entgegnete er, wie sie so häßlich war! damals, – Nachts, – sein Auge flammte hell auf, er sprach entsetzlich schnell, sie setzte sich bei mir aufs Bett, und da schnarrte es so in ihrer Brust wie die große Hausuhr, und da träumte mir, – und, da sagte sie – ich weiß nicht recht, – ich glaube, – Adalbert gehört mir! Er gehört mir! ich laß ihn nun und nimmermehr, ich habe die Ringe zerbrochen, ich will alles zerbrechen, und dann kam was von Blut, von verschreiben, ich weiß nicht mehr, aber gesagt hat sie mirs gewiß.

Das Schicksal hat mich ihr verschrieben, schrie Adalbert, der in einem Seitencabinet arbeitete, rette mich Marie, rette mich Engel! rief er vor sie hinstürzend. Marien schwindelte es, sie dachte in die Erde zu sinken. Das Kind hatte sich ängstlich an ihren Hals geklammert, Adalbert umfaßte ihre beiden Knie und drückte sie unter heftigem Weinen an seine Brust. In dem Augenblicke trat Antonie in das Zimmer. Alexis lag mit halb offnen Augen, die Fieberhitze flimmerte zitternd über die zufallenden Wimpern und riß sie krampfhaft in die Höhe; als er Antonien sah, sagte er furchtsam; sieh mal, sieh mal, da ist die böse Hexe wieder! Nicht doch, flüsterte Marie sanft, und wandte sein Köpfchen abwärts nach der Wand. Doch als Adalbert Antoniens Blicke begegnete, fuhr er mit [194] beiden Händen vor die Augen und rief in unmäßigem Schmerz, ich bin unwiederbringlich verloren! Marie winkte ihm, sich zu entfernen, er schwankte nach seinem Zimmer. Antonie, sagte sie darauf, Du hast grausame Gewalt geübt! Mußtest Du ihn verderben, wenn Du ihn liebst? und willst Du alles tödten, was seinem Herzen nahe war?

Antonie stand regungslos da. Marie weinte still. Das Kind war auf ihrem Schooße eingeschlafen. Jetzt trat Antonie zu ihr, reichte ihr die Hand, und sagte: Schwester, gieb ihn freiwillig auf, Dein darf er einmal nicht bleiben. Du bist fürchterlich, seufzte Marie. Aber täusche Dich nicht, Gott hat unsern Schwur angenommen, er allein kann den Eid lösen. Er hat auch meinen Schwur angenommen, entgegnete Antonie, auch den seinen, durch welchen er mein ist! Meineid dringt nicht auf zu Gott, sagte Marie, den halten die Engel mit ihren Schwingen zurück, er fällt auf die Erde nieder! da aber, da säet er unabsehbares Elend! Sie verbarg ihr Gesicht in des Knaben Locken, den Blicken der Schwester zu entgehn!

Diese sank vor ihr auf die Knie, und mit aufgehobenen Händen sagte sie: ich beschwöre Dich bei allem Heiligen, gieb ihn freiwillig auf!

[195] Geh! erwiederte Marie gefaßt, Gott wird zwischen uns richten! Er hat gesprochen, stammelte jene, in der höchsten Seelenangst, – zerbrachen nicht die Ringe in meiner Hand? –

Ach! stöhnte Marie, – die Ringe lagen jetzt, ein bei Seite geworfenes Spielzeug, neben dem kranken Kinde. Nun, rief sie, so möge uns des Ewigen Hand aus diesem Labyrinthe führen!

Sie hörten jetzt ein Geräusch im Vorzimmer. Antonie stand auf, die Baronin trat eilig herein. Was geht hier vor? fragte sie mit ihrer gewohnten Heftigkeit; Alexis todtkrank, ihr beide in Thränen, Adalbert und der Chevalier wie zwei Rasenden an mir vorbei, die Treppe hinunter, zum Hause hinaus, was habt Ihr? was ist geschehn? Adalbert und der Chevalier? rief Antonie, die es wie ein Ahndungsblitz durchzuckte, das hat etwas zu bedeuten! Freilich, Ihr Kinder, sagte die Baronin, aber was denn, was denn? Ich weiß nicht, entgegnete Antonie, schon halb zur Thür hinaus, als ihr der Herzog in den Weg trat, und sie schweigend in das Zimmer hineinführte. Niemand hatte jetzt den Muth zu einer Frage, oder auch nur zu einer verrathenden Bewegung. Der Knabe ist krank, sagte er, freundlich zu Marien gewandt. Sie bejahete es leise. Er betrachtete sie lange; sieh Pauline, [196] rief er nach einer Weile, gleicht sie nicht der Mutter zum sprechen, grade jetzt, jetzt in diesem Augenblick! Marie streckte ihm die Arme entgegen, ihr Herz ertrug den Kampf nicht länger, sie weinte an seiner Brust auf doppelte Weise zerrissen Sagt mir um Gottes Willen, rief die Baronin, was ist es denn, was Euch so außer Euch setzt? Daß sie ein Opfer wird, wie die Mutter, entgegnete er heftig losbrechend, das ist es, daß die Teufelskünste, die Aberwitz und freche Klügelei zum Spielwerk machten, ihr das Herz brechen, daß die tollen Fratzen uns noch lange nicht Elend genug bereitet haben, daß – o ich möchte rasend werden! – Wo ist Adalbert, was ist es mit ihm und dem Chevalier? fragte Marie. Bleibe ruhig, mein Kind erwiederte der Herzog, ihn führt, ihn schützt die Ehre, sie rettet ihn und uns vielleicht.

Antonie machte eine rasche Bewegung nach der Thür. Nicht von der Stelle, rief der Herzog, sie zurückhaltend. Verwirrungen anzetteln mögen die Weiber, lösen können sie nur Männer. Marie faltete ihre Hände zum beten. Recht mein Kind, sagte er, da suche Du Hülfe, der Weg ist Dir offen geblieben. Antonie sank wie zerschmettert auf den Boden, und beide Arme gen Himmel gebreitet, rief sie, führe Du meine Sache! O! verdammet [197] mich nicht, wimmerte sie, des Herzogs Knie umfassend, Ihr wißt es alle nicht, was mich treibt!

Die Baronin hatte die Ungewißheit nicht länger ertragen können, sie war hinausgeeilt, und kam nach einigen Augenblicken mit dem Arzt zurück, der ihr, von allem unterrichtet, das Nöthige mitgetheilt hatte. Der Doktor reichte dem Herzog ein zusammengefaltetes Blatt. Gottlob! rief dieser, so ist er fort! Fort? wiederholten beide Schwestern. Mein Gott, Du bist gewaltig! seufzte Marie, beide Hände auf das kranke Herz legend.

Der Marquis kam jetzt auch herzu. Sie haben sich herrlich geschlagen, sagte er dem Herzog halb laut, der Chevalier ist durch die Schulter geschossen, Adalbert hat einen Streifschuß am rechten Arm unbedeutend, und keinesweges geeignet, ihn an seiner Reise zu hindern. Der Chevalier, ohne zum Tode zu sein, wird das Bett hüten, und Adalberts Flucht hat einen Grund vor der Welt, der Anstand ist behauptet. Und die Ehre, fiel der Herzog ein, hat uns alle gerettet, indem sie heilig geachtet ward. – Marie, fuhr er zu dieser gewendet fort, Dein Mann ward vom Chevalier beleidigt, welcher Rechte auf Antonien zu haben glaubt, und gestern etwas Zweideutiges beim Heraustreten aus dem Kahne will gehört haben. Worte, mein Kind, sind innere Waffen, welche die [198] äußeren herausfordern. Adalbert faßte die Gelegenheit begierig auf, den tollen Gaukeleien ein Ende zu machen. Er mußte mir versprechen, überlebe er den Ausgang, nach Rußland zu flüchten. Es ist geschehn. Jetzt fordere ich Haltung und Ruhe von allen. Das Uebrige wird sich finden.

[199]
15. Kapitel
Funfzehntes Kapitel

Marie und der Arzt blieben die ganze Nacht über bei dem kranken Alexis; und obgleich das Kind nach Mitternacht ruhiger schien, so wollte ihn die sorgsame Pflegerin doch nicht verlassen. Ihre Haltung war die edelste, ihr Wesen klar und bestimmt. Der kleine Unmuth, die ungezügelte Trauer, der sie sich wohl bei geringfügigern Ereignissen hinzugeben pflegte, schien in die schwankende Kindeszeit zurückgesunken, der sie plötzlich entwachsen war.

Sie redete gefaßt mit dem Arzt über mancherlei, nur erwähnte sie Adalberts nicht mit einer Silbe. Antoniens wunderbare Natur schien sie sich klar machen zu wollen. Sie kam immer auf diese zurück. Es ist eigen, sagte sie einmal, daß wir einander so verschieden und doch so ähnlich sind. Auch im Aeußern ist das auffallend. Man sagt, Zwillinge gleichen sich oft zum Verwechseln. [200] Bei uns ist das nur zum Theil der Fall! So im Tone der Stimme, im Gange, in der Handschrist, die gleichwohl schon mehr durch das Innere bedingt wird, und in diesem ist das verwandtliche Begegnen außerordentlich! Sie schwieg einige Augenblicke betrübt. Ich erinnere mich, fuhr sie fort, daß wir in den frühesten Kinderjahren oft plötzlich zugleich über ein Spielzeug herfielen, daß wir so lange darüber weinten und zankten, bis es beiden genommen ward! – Wie oft spielen Kinder so ihr ganzes kommendes Schicksal im voraus! Der Arzt faßte sie gerührt bei der Hand: rechnen Sie darauf, sagte er, daß Gott einem Jeden giebt oder vielmehr läßt, was von je her sein eigen zu sein bestimmt war. Das thue ich auch, Herr Doktor, entgegnete Marie, wie könnte ich sonst wohl noch leben!

Sie redeten hierauf ruhig weiter, und er, um sie zu zerstreuen, erzählte ihr manch merkwürdiges Beispiel der eben erwähnten Familienähnlichkeiten, welche sich in einer langen Reihe von Jahren durch ein ganzes Geschlecht dergestalt wiederholen, daß man alle des gleichen Namens durch einen hervorklingenden Grundton wiedererkenne. Oftmals, fuhr er fort, ist die Aehnlichkeit nicht so durchgehend, sie springt über, wie von Großeltern auf Enkelkinder, anderer Seits wird sie auch [201] wohl durch Vermischungen gänzlich unterbrochen, und tritt erst nach mehrern Stufenfolgen gewissermaaßen fremd als etwas Neues auf, ob wir gleich nur das Alte darin erkennen sollten. So ist auch die Individualität der Volksstämme allein zu begreifen.

Mir fällt bei dem, was sie zuvor über Geschlechtsvermischungen sagten, ein, entgegnete Marie, daß die Reinerhaltung des Adels, die Ahnenproben, und alles was dahin gehört, wohl auf der Vorliebe für jene Eigenthümlichkeit beruhen. Und war der alte, einfache Grund wahrhaft gut, so mögen wir uns auch wohl hüten, etwas Fremdes darauf zu verpflanzen.

Man muß hierbei, nahm jener das Wort, viel auf die Kraft der Naturen rechnen. Es sichtet sich alles nach und nach, was im Kampf der Zeiten übereinander geworfen wurde. Und fast immer finden wir in jeder Familie irgend eine versöhnende Erscheinung, welche, das Alte und Neue zusammenfassend, den übergetretenen Lebensstrom, auf eine oder die andere Weise, in seine Schranken zurückführt. Wie oft, daß ein Kind in Verwirrung und Schmerz geboren, bewußtlos Friede und Freude über sein Haus mit auf die Welt bringt.

Er dachte hierbei an Marien, welche ihm immer wie ein versöhnender Engel erschienen war. Sie [202] aber deutete es anders, und blickte ernst und nachdenklich vor sich hin, dann reichte sie dem Arzt unter flüchtigem Erröthen die Hand, und ging, da der Tag bereits angebrochen und Alexis fest eingeschlafen war, in ihr Zimmer zurück.

Nichts glich der wehmüthigen Theilnahme, der innigen Zärtlichkeit, mit welcher die Baronin ihrem unglücklichen Kinde, wie sie Marien nannte, entgegen kam. Alles was sie selbst jemals erfahren und gelitten hatte, alle trübe Tage und Stunden, wanden sich wieder aus dem alten Abgrund der Zeit herauf. So vieles hatte sie eingebüßt, so vieles heldenmüthig entbehrt, nichts Großes mehr vom Schicksal verlangt, in das Unabwendbare hatte sie sich schnell gefunden, aber Familienfrieden, behagliches Theilen der letzten Lebensfreuden mit den theuern Verwandten, darauf hatte sie gerechnet, das, dachte sie, sei nicht zu viel gefodert, und nun war alles zerrissen, was sich so natürlich, so von selbst, zusammengefügt. Sie war von dem letztem Schlage wie zerschmettert.

Doch konnte sie nicht lange in einem Zustande verharren der sie zu allem tauglichen unfähig, zu jeder wohlthätigen Erheiterung Anderer ungeschickt machte. Sie gewann Kraft, sich aus einer Kette abspannender Erinnerungen und trüber Weltansichten herauszureißen. Das alte Gleichgewicht [203] war bald wieder in ihr hergestellt. Sie faßte die Gegenwart klar auf, und arbeitete einer bessern Zukunft dadurch entgegen, daß sie sich mit dem Arzte vereinte, Antoniens widerstrebendes Gemüth dem Gesetz und der Nothwendigkeit zu unterwerfen.

Erneuen, das wußte sie wohl, lassen sich Menschen nicht. Wegzuwischen, anders zu machen, war hier nichts, das Alte mußte bleiben. Die Leidenschaft stumpft sich indeß an dem Unmöglichen ab, oder sie wendet sich gegen die Brust, die sie hegt. Die Natur mußte zeigen, zu was sie hier Muth habe, zum Besiegen oder Zerstören!

Antonien ward daher die Unmöglichkeit, jemals zu Adalberts Besitz zu gelangen, hell und anschaulich auseinander gelegt. Du kannst ihn, sagte die Tante, bis ans Ende der Welt, aus der Welt treiben, aber was gewinnst Du dabei? Antonie schwieg. Gehört er dir darum mehr, wenn er Euch beide flieht? fuhr die Baronin fort, was hilft es Dir denn, ein Band locker und lose auseinander zu halten, das Du niemals zerreißen kannst? An Dir ist es also, den fremden Mann aufzugeben, und Deine eingebildeten Rechte bescheiden fahren zu lassen!

Fremder Mann! rief Antonie, Gott! Gott! Hier brennt sein Bild, sagte sie, die Hand der [204] Baronin auf ihre Brust drückend, meine Tante, Sie wissens ja, Sie sagten es selbst, Sie konnten nicht von einander lassen, die unglücklichen Eltern! Wie soll ich denn von ihm lassen! Schieben, rühren Sie nicht an seinem Bilde, Sie drücken es sonst so tief hinein, daß ich schreien muß! Es schnitt mir ja von Kindheit an blutige Wunden ins Herz, wie soll ich es denn jetzt wegwerfen können! Wie fodern nur überall Menschen grade das Unmenschlichste! Lassen Sie dem Schicksal ungehindert seinen Lauf, ich bitte Sie!

Die Baronin ging nach jedem neuen Versuche trostloser von dem krankhaft verwirrten Mädchen zurück. Es stärkte sich ihr wohl das Herz an Mariens ruhigem Walten, an ihrem milden Thun mit Alexis, der unter ihrer Pflege wieder aufblühete, und sie Stundenlang auf ihren Spatziergängen begleitete, aber sie sah in dem allen keinen Ausweg, und zitterte vor irgend einem entscheidenden Schlage! Ueberall begriff sie die Fassung ihres zarten, so leicht zu verletzenden Kindes, nicht, die keine Anstrengung, keine Gattung nützlicher Thätigkeit verschmähete, niemals klagte, niemals Adalberts Namen nannte, und jeden Fremden in schicklicher Entfernung zu halten wußte. Zwar hatte sich die Präsidentin bald genug eingestellt, erst leise angechlagen, dann dreister nach dem eigentlichen Grund [205] des seltsamen Duells nachgegraben, auf die unbesonnene Heftigkeit der Männer gescholten, es lächerlich gefunden, daß solche, welchen das Verhältniß verbiete, die Waffen für das Vaterland zu führen, und die es gewissermaßen entwaffnet habe, nun ihre Blutgier gegen einander richten, und dies aus Ursachen – wobei sie lauernd inne hielt, – denen wohl dieselben lähmenden Verhältnisse, die ewige, nie zu erschöpfende, Politik zum Grunde liege. Marie entgegnete ihr indeß gelassen, daß sie das ernste Ereigniß nicht lächerlich finden könne, andern möge es so erscheinen, es sei hiermit, wie überall mit jedem enthusiastischen Aufwallen, das den Gleichgültigen immer zum Spotte reize. Dann aber ließ sie sich auf nichts weiter ein, und die Präsidentin verzweifelte an der strengen Entschlossenheit des sonst so geschmeidigen, fast unterwürfigen Wesens. Sie tadelte deshalb Marien, und meinte, sie habe doch im Grunde viel von Antoniens starrem Trotz. Viktorine hingegen hob die gekränkte Frau auf alle Weise heraus, und suchte an dieser ihre ganze Liebesfähigkeit, und den Schatz weiblicher Tugenden an den Tag legen zu wollen. Mit der Miene einer barmherzigen Schwester stattete sie der Leidenden unabläßig Leidensbesuche ab, kam und ging zu jeder Stunde, verschmähete jede andere gesellige Mittheilung, hatte [206] tausend leise Aufmerksamkeiten, und war von einer Aufopferung welche die Welt nicht unbeachtet, nicht unerkannt, lassen konnte. Gleichwohl war sie nicht zu bereden, Antonien ein einzigesmal in ihrer Abgeschlossenheit aufzusuchen. Die Unglückliche litt zeither an einem unerträglichen Herzkrampf, der sie oft halbe Tage lang unfähig machte, ein Wort herauszubringen. Die Baronin lag deshalb Viktorinen oftmals an, ihre Güte zwischen beiden Schwestern zu theilen, doch sie entschuldigte sich anfangs unter frostiger Zurückhaltung, endlich aber sagte sie, nicht ohne entstellende Bitterkeit: ich war immer von strengen Sitten, geprüfter Auswahl meiner Freunde, und gestehn Sie mir, würde eine junge Frau, in den Tagen der guten Gesellschaft, Fräulein Antonien ungestraft in Paris haben sehen können? Sie können es sich nicht verbergen, daß der Schein, trotz aller klugen Maaßregeln ihrer Familie, gegen sie ist, und ich gestehe Ihnen, ich liebe meinen Ruf zu sehr, um ihm durch übel angebrachte Nachgiebigkeit schaden zu wollen. Die Baronin stutzte, doch machte sie eine so stolze als abwehrende Bewegung mit dem Kopfe, und sagte mit gezwungener Haltung: dagegen läßt sich nichts einwenden, das hat die Sitte sanktionirt. Doch kaum hatte sich Viktorine entfernt, als sie mit losbrechender Heftigkeit ausrief, wie [207] grausam und wie ungeschickt sind diese unsichern Geschöpfe, die niemals wissen, wie sie mit sich und der Welt stehn, die ohne jene edle Haltung starker, reiner Naturen das elende Spiel fremder Fingerzeige sind, die kalten Blutes warme Herzen todt drücken, weil sie ihrer Meinung nach zu rasch schlagen, und die sich besinnen werden, ob sie eine Mücke in einer regnigen Mainacht aus dem Fenster setzen sollen, wenn grade ein Bewunderer dabei steht! O ich kenne sie auswendig, diese Frauen von sogenannten Grundsätzen, sie waren mir immer ein Greuel! weil sie leise, leise einen Tropfen Gift nach dem andern in den Ruf eines vielleicht bethörten Geschöpfes schütten, und dessen Fall dadurch beschleunigen, weil sie selbst die Liebe, die sie nicht kennen, durch geistige Buhlerei verkrüppeln, zu der ihnen das komponirte Wesen einen Freibrief auswirken half. Denn ich habe sie ja gesehen, diese selbe Frauen, wie sie ihr studirtes Mienenspiel und die kleinen Mittel ihrer armen Natur in Bewegung setzen, wenn es gilt, einen Mann zu bestricken, den sie nicht lieben, nicht achten, der grade da und Mode ist. Maske ist ihr ganzes Wesen, an der ich mich stets getrieben fühle, zu rücken, und sie wegzuschieben. Die Welt sieht das auch ein, denn es ist ja zum Sprachgebrauch geworden, von solchen, die eben nichts anders [208] thun als figuriren, gemeinhin zu sagen, sie behaupten ihre Rolle gut in der Welt, sie fallen nie aus ihrer Rolle! Wie anders ist es mit jenen hellen, durchsichtigen Engelsseelen, die an dem Unrecht hingehn, ohne Scheu vor Befleckung, oder die Starken, die überwunden haben, und mild und gütig auf die hinblicken, die noch im Kampf begriffen sind. Unter allen weiblichen Tugenden ist sanfte Duldung die schönste. Sie küßte hier Marien auf die Stirn, welche sich zärtlich an sie schmiegte, wie immer, Liebe und freundliches Anerkennen bei der mütterlichen Freundin findend.

So standen alle Theile zu einander, so hatte ein jeder Monate lang das Leben hingehalten, Sorgen und Bekümmerniß in sich verschlossen, gehofft und gefürchtet, als endlich Briefe von Adalbert einliefen. Es waren fliegende Blätter an den Herzog addressirt, ohne Datum, ohne Ort des Auffenthalts. Ihr Inhalt war folgender.

»Zu wem unter Euch Allen soll ich reden? ich bin Euch Allen verschuldet! Ich kann an keinen ohne Schmerz, ohne Vorwurf, denken! Marie! Antonie! Wo ist hier ein Ausweg! War das ganze vorige Leben nicht da? Sagt, ich bitte Euch, ist Wahrheit in den Augenblick, den ich nicht weggeben, den ich nicht erlebt haben möchte? Es ist mir wie im Traum! – ich hatte einen [209] Traum – O Gott! Träume greifen vor und zurück, welches ist nun das rechte?

Warum treibe ich mich in so heftiger Eil von Ort zu Ort? Wohin will ich denn? was soll ich in einer ganz fremden Welt! Ich ängstige die Postmeister, verleite die Postillone ihre Pferde todtzujagen, stürze mich bis in die Nacht unter unbekannte Gegenstände hin, reiße dann die Menschen unbarmherzig aus ihrem Schlaf, gönne Niemand Ruhe, weil ich sie selbst nirgend finde, setze nach kurzer Frist alles wieder in Bewegung, und schleppe mich heute wie gestern trostlos in der Irre umher. Wozu nur das? Ich sehe dem allem kein Ende?

Es muß anders werden! Gestern fand ich in einer Stadt französische Kriegsgefangene. Es waren Leute von meinem Regiment dabei. Sie erkannten mich gleich! ich glaubte Musik zu hören, als das Wort, Camerad, über ihre Lippen flog. Ist denn der Mann noch etwas anderes als Soldat! Sie fragten mich wo ich hinwolle? Ich stand beschämt unter ihnen. Weiß ich es selbst! weiß es irgend eine Seele?

Ich möchte nach Frankreich zurück! Der – sche Gesandte bot mir es an, mir die nöthige Erlaubniß auszuwirken, es gehn viel Emigrirte [210] von hier dahin ab. Ich will wieder Kriegsdienste nehmen! Es muß anders werden!

Marie! meine Marie, weinst Du? Gott im Himmel! warum hast Du mich so elend gemacht! Vergieb mir Engel! aber ich kann, ich darf nicht zu Dir zurück!«

Marie faltete die Blätter zitternd zusammen, nachdem sie sie gelesen und händigte sie dem Herzoge wieder ein.

Es ist im Grunde gut, sagte dieser, unruhig in ihr Auge blickend, daß sich die alte Kriegslust wieder in ihm regt; so schlägt doch etwas Bestimmtes den widerwärtigen Streit nieder, er nimmt sich zusammen, er richtet sich an großen Beispielen auf, und die gesunde Natur heilt sich nach und nach aus. Meinst Du nicht mein Kind? Marie drückte ihm die Hand, und weinte still in ihr Taschentuch. Sieh, fuhr er fort, wir können ja nun auch nach Frankreich zurück. Wir sind ihm dann näher. Ich muß es Dir nur sagen, Dein Vater und ich haben seit Kurzem daran gearbeitet. Was sollen wir Kräfte und Mittel im Auslande verschleudern? Wir haben ohnehin genug eingebüßt; mit der Wiedererstattung daheim sieht es freilich mißlich aus, indeß hat der Marquis Hoffnung, sein Stammhaus an der Rhone wieder zu erlangen, und haben wir erst festen Fuß [211] gefaßt, so findet sich auch manches andere zu thun und zu erlangen.

Sein Stammhaus, sagte Marie, die Flammen haben es ja verschüttet. Er denkt es wieder aufzubauen, entgegnete der Herzog, laß ihn sich daran wagen, es beschäftigt ihn und lenkt ihn von thörigen Grübeleien ab. Sein Stammhaus – wiederholte Marie noch einmal. Sie hielt einen Augenblick inne, dann sagte sie mit fester Stimme, mein Vater, ich kann nicht zweifeln, Gott habe zwischen mir und Antonien entschieden, die Natur läßt sich nicht irren, sie hat ihr einfaches Wort gesprochen, Adalbert ist durch sie an mich gebunden, er ist Vater. – Der Herzog sah sie überrascht und zugleich mit Ehrfurcht an, küßte ihre Stirn, und sagte, meine Tochter, bewahre das als ein heiliges Geheimniß, das in dieser Verwirrung noch nicht an das Licht treten soll. Vertraue Dich Niemand als dem Arzte, greife der Entscheidung durch nichts vor, laß die Natur ungehindert ihren zuverläßigen Sieg bereiten. Sie will uns in ihre stille Ordnung zurück haben. Mein Gott! sagte er nach augenblicklichen Nachsinnen, wie ungestüm ist der Mensch! wie arbeitet er sich an dem Unmöglichen ab, und dann kommt ihm das Gute unversehens von selbst, aber anders, ganz anders [212] wie er es dachte! Mein Kind! es ist viel Wunderbares in dem Leben!

Von jetzt betrieb er nun die Versöhnung mit dem Vaterlande auf alle Weise, was ihm um so leichter ward, da die gemäßigte Gewalt der Direktoren nach der dritten Constitution, den Ausgewanderten die Thore der Heimath öffnete. Frankreich hatte um diese Zeit mit einem Theil seiner auswärtigen Feinde Frieden geschlossen. Es begründete sich nun in sich selbst und zog die vertriebenen Mitbürger theils durch die wieder aufgehende Ruhe, theils durch die allernatürlichsten, unzerreißbarsten Bande, nach und nach an sich. Auch der Köhler ward des Suchens und vergeblichen Ansiedelns in der Fremde müde, und schon im Herbst begleitete er den Marquis, der, den Wiederaufbau des Rhoneschlosses betreibend, vorauseilte, nach Frankreich zurück, wie er ihn früher aus diesem führte.

Die Andern sollten unter dem Schutz des Herzogs in kleinen Tagereisen folgen, und in Besançon Nachricht über ihren fernern Aufenthalt erwarten, da vielleicht ein Theil des Schlosses stehn geblieben sei, und sie dort bis zur Wiederherstellung des Ganzen einziehen könnten. Marie fügte sich in alles, ohne grade besondern Hoffnungen Raum geben zu wollen. Doch wie es auch werden [213] mochte, ängstlicher konnte ihre Lage nirgend sein, als hier, wo ihr alles so liebe, glückliche Tage zurückrief, und wo sie jetzt die dunkle Gegenwart doppelt drückte. Auch konnte sie es nicht wehren, daß manch verheißender Traum unmerklich aus der unbekannten Zukunft heraufstieg; sie drückte ihn wohl scheu und bescheiden zurück, aber er war doch einmal da gewesen, und jeder Blick in die Ferne zeigte ein mögliches Glück, da die nahen Umgebungen im Gegentheil nur Störung und Sorgen enthielten. Denn Antoniens Zustand ward mit jedem Tage leidenschaftlicher, ihr Sinn immer finsterer. Sie kam wenig mehr unter Menschen. Meist allein in ihrem Zimmer, war sie beschäftigt, Scenen aus ihrem Leben, welche Bezug auf Adalbert hatten, mit großer Kraft und erschütternder Wahrheit, in reichen und schön zusammengestellten Gruppen, mit Kreide auf das Papier zu werfen. Vorzüglich verweilte sie bei dem Uebergang über den Gotthard. Alle andern Gestalten waren nur eben angegeben, Adalbert allein mit der höchsten Liebe in rührender Aehnlichkeit ausgezeichnet. Niemand konnte den Zug tiefen Leidens in seinem Gesicht ohne Wehmuth sehen. So mochte sie sich ihn am liebsten denken. Oft wenn sie stundenlang an seinem Bilde gearbeitet hatte und seine Lippen sich wie zum Sprechen zu öffnen schienen, dann[214] drückte sie die ihren darauf, und verwischte mit ihren Thränen die trügerisch verlockende Erinnerung!

Die herannahende Veränderung ihres Aufenthaltes war ihr willkommen. Sie verlangte sogar mit Heftigkeit darnach. In den letzten Tagen vor ihrer Abreise zeigte sie sich geselliger, oftmals heiter und liebreich, ihr war, als sei die Entscheidung nun ganz nahe. Sie sprach mit Liebe von der Rhone und dem blühenden, heimathlichen Boden! zuweilen hoffte sie, die Flammen sollen nur das Innere des schönen Schlosses angegriffen und die Möglichkeit gelassen haben, es wieder bewohnen zu können. Sie pries dem Arzt die Herrlichkeit der schönen Besitzung, und lag ihm an, sie dahin zu begleiten. Sie hatte sich einmal an seine milde Behandlung gewöhnt, selbst auf gewisse Weise Vertrauen zu ihm gefaßt. Es schien ihr tröstlich, sich ihn als eine Art von Mittelsperson zwischen ihr und der übrigen Familie zu denken, er war vielleicht der Einzige, der sie verstand, seit sich auch der Herzog von ihr wandte. Sie hatte eine so beherrschende Gewalt in ihren Worten und Mienen, sie bestimmte nicht eigentlich durch Gründe, allein sie überwältigte die Gründe Anderer so, daß der leutselige Mann, durch Theilnahme für eine der wunderbarsten Erscheinungen der Zeit, wie für [215] eine ganze liebenswürdige Familie, bewogen, in ihren Vorschlag willigte.

Am Vorabend der Reise trat der Chevalier zum erstenmal nach jenem unglückseligen Vorfall wieder in ihren Kreis. Ein jeder ward durch seinen Anblick erschüttert. Er nahete sich Antonien, und in ehrerbietiger Entfernung sagte er: ich habe Sie beleidigt, mein Fräulein, mein Blut konnte den Frevel nicht wegwischen, ich will ihn abbüßen, auf welche Weise Sie es wollen, unter allen Strafen die Sie mir auflegen können, ist wohl die härteste, Sie zu fliehen, doch ich bin Ihnen so sehr verschuldet, daß ich mich auch dieser unterwerfen muß. Wissen Sie aber eine freundlichere Art, die trüben Mißverständnisse auszugleichen, wollen sie mir die schöne Pflicht – Antonie winkte mit der Hand – der Krampf stellte sich wieder ein, er zog ihr das Herz zusammen, sie konnte nicht reden, und als der Chevalier übermannt zu ihren Füßen sank, bezeigte sie die unerträglichste Unruhe. Ich bin ein Thor! rief er, stolz aufspringend, ein Unrecht gegen Sie durch ein größeres gegen mich selbst aufheben zu wollen. Man gewinnt nie sogleich durch die erste veränderte Stellung das verlorene Gleichgewicht wieder, aber ein französischer Ritter hat es noch immer gefunden, wenn es die Ehre gebietet. Ich denke, es [216] zweifelt niemand an mir, sagte er, zuversichtlich umhersehend, die kleinen Wolken auf der Stirn wird der ruhige Tagesschein bald wieder wegwischen. Er grüßte anständig, und verließ einigermaßen zufrieden mit sich selbst, den Schauplatz einer kurzen, ziemlich hart bestraften, Thorheit.

[217]
16. Kapitel
Sechzehntes Kapitel

Der Marquis ward gleich bei seinem Eintritt in Frankreich auf eigene Weise überrascht. Was er auch bis dahin von der neuen Verfassung gehört, was er selbst darüber gelesen hatte, er fand kein eigentliches Bild dafür in seiner Phantasie. An die Vorstellung des Gesetzlichen, der wiederbegründeten Ordnung, reihete sich unwillkührlich die Erinnerung des ehemals Bestandenen. Es blieb ihm stets das Alte, er mochte es zurecht legen und stellen wie er wollte.

In dieser dunklen, wenn auch nicht ausgesprochenen, Erwartung, betrat er jetzt französischen Boden. Sitte und Nothwendigkeit hatten nach grade genauere Schranken gezogen. Eine jede Thätigkeit fand ihre eigene Sphäre. Betriebsamkeit und tüchtiges Wesen suchten überall wieder zu schaffen, zu erneuern. War indeß das Leben in seinen Grundbestimmungen, auf die Weise, hier [218] wie überall, dasselbe geblieben, so war die Form desselben dennoch so ganz anders geworden, daß er sich nicht darin zu finden wußte, und grade durch die gesetzliche Feststellung des Neuen am meisten erschreckt ward. So lange noch alles in der allgemeinen Crisis begriffen, und ein jeder mir in die Gährung hineingezogen war, konnte das zerrissene Gefühl nicht zum eigentlichen Bewußtsein gelangen, doch jetzt, wo sich der Tumult arbeitender Kräfte gelegt, und wirklich etwas gestaltet hatte, prallte das Auge scheu vor dem Fremden, Ungewohnten, zurück. Der Marquis empfand den Stoß in der Fortentwickelung der Zeit, allein er konnte sich nicht besinnen, auf welchem Punkte er selbst stehe!

Um nichts besser ging es ihm beim Wiederfinden seines alten Besitzthumes, in welchem man kaum noch die Spur menschlichen Wohnsitzes erkannte. Das mächtige Schloß war völlig in sich zusammengestürzt, und die gewaltigen Massen übereinanderliegender Steine schienen Frieden mit der Gegenwart geschlossen zu haben, die wohl nicht mehr an ihnen rühren mochte. Eine grüne Moosdecke hatte sich schon über das dunkle Gemäuer ausgelegt, von der Terrasse herauf wanden sich Wein- und Epheuranken an einzelne Pfeilerstümpfe hinan, die Bäume, welche es von der [219] Wallseite schützten, waren abgehauen, nichts von allem war sich gleich geblieben, als die prachtvolle Rhone, die, wie die Natur, an der verwüstenden Zeit, in stiller Nothwendigkeit vorüberging.

Nirgend mochte menschlicher Sinn hier an an heimathliches Ansiedeln, an friedlichen Lebensverkehr denken. Das Einzige, was sich noch in bewohnlichen Stand setzen ließ, war ein ehmals moderner Garten-Pavillon, dessen Außenwände ziemlich unverfehrt geblieben, und von dem nur die Bedachung und das Innere der Gemächer zerstört waren. Alle umfassende Pläne des Marquis, alle seine Hoffnungen und Wünsche schrumpften demnach, bei genauerer Besichtigung des Vorgefundenen, auf die Wiederherstellung dieses einen, armen Restes ehemaliger Herrlichkeit, zusammen!

Zwar konnte er nicht sogleich einen Plan aufgeben, in welchem er seit langer Zeit lebte. Er hatte immer gehofft, das Alte wieder zu erneuern, und sich in mitten des königlichen Gebäudes gleichsam als Zauberer betrachtet, welcher die Bande zwischen Vor- und Mitwelt versöhnend zusammenhalte. Jetzt lag der tiefe Grund freilich verschüttet, aber er hoffte, die Zeit, die so Großes verschuldet, werde auch nach und nach seinen Wünschen begütigend entgegen kommen.

Kaum hatte er sich indeß an die neue Arbeit [220] gewagt, Pläne entworfen, Arbeiter angestellt, und selbst sein aufmerksames Auge darauf gerichtet, als er an dem Fortgange des Ganzen das lebhafteste Interesse nahm. Er hatte nie etwas Aeußeres erschaffen, ihm ward die Ringmauer des neuen Gehöftes eine Art magischer Kreis, in welchem er mit unglaublicher Schnelligkeit wirkte! Es war noch so vieles zu thun, so vieles aus der widrigen Verwilderung herauszureißen! Und zu dem behaglichen Gefühl, auf dem Boden seiner Väter zu schalten und walten, gesellte sich bald die zuversichtliche Hoffnung, welche Mariens Briefe ihm nunmehr mittheilten, da deren Zustand nicht länger zu verbergen war, und sie, ihrer Entbindung nahe, eine große Sehnsucht nach dem Ort ihrer Bestimmung hegte.

Die Familie hatte einen Theil des kurzen Winters in Besançon verlebt, und traf nun zu Anfang des Märzes bei dem Marquis ein, den sie in ganz fremder Umgebung fanden. Vom alten Schloß sah man hier nichts. Das erneuete Gebäude lag zwischen heitern Pflanzungen, welche, noch ziemlich jung, der Raubsucht zu geringer Ausbeute dienend, unangetastet geblieben waren, und jetzt einen leicht gewundenen Pfad beschatteten, der sich an dem flacher werdenden Ufern des Stromes hinwand. Der Süden schickt seine Frühlingsblüthen [221] früh. Das Gras duftete hier schon von tausend würzigen Kräutern, die Bäume sahen nach und nach aus ihren Blüthenaugen hervor, alles schien sich zu Empfang und Freude zu schmücken. Der Köhler, welcher überall rüstig Hand anlegte, und sich, als alter Waldbewohner, auf Bäume und Pflanzungen verstand, hatte manches zu Verschönung der neuen Anlagen beigetragen. Man mußte sich in der kleinen Schöpfung behaglich, recht häuslich wohl fühlen.

Die Baronin war wie im Himmel. Sie hörte, sah und empfand in allem ihr Frankreich wieder. Sie störte weder das Neue, noch vermißte sie das Alte! Alles war, wie es sein mußte, sein konnte, sie hatte nichts daran auszusetzen. Sie mochte alle Menschen glücklich denken! Marie trug sie auf den Händen. Um alles hätte sie Adalbert herzaubern, ihr ihn wiedergeben, Antonien beruhigen, schadlos halten mögen! Sie hoffte deshalb manches in dem zärtlichen Ungestüm ihres Herzens, was sie sich selbst nicht anzugeben wußte, da auch wirklich kein eigentlicher Ausweg zu finden, kein Trost bei dem gänzlichen Mangel an Nachricht über Adalbert zu ertheilen war. Marie behielt indeß Muth, und die stille Ergebung, welche es ihr allein möglich machte, Antoniens zerreißenden Schmerz zu ertragen, der diese [222] befiel, so oft sie Marien ansichtig ward. Die arme Marie zog sich dann bescheiden und sanft zurück, und weinte oft im Stillen über den unbegreiflichen Widerspruch der Natur, welcher der Einen das zur Pein werden lasse, was das einzige und höchste Glück der Andern sei. Sie fragte auch wohl ihre Freunde, wie sich die immer wachsende Verwirrung lösen, wie alles enden solle, und diese wußten sie dann freilich einzig auf Gott zurückzuführen, der einmal alles so zugelassen habe, und es nach seinem Willen fügen werde.

Der Marquis aber war weder so gelassen, noch in dem Unvermeidlichen gefaßt. Ihn verließ zu Anfang der alte Glaube, als sei er zur Wiederauffindung der magischen Kräfte seines Stammes ausersehen, auch keinesweges. Nur hatte er, wie immer, durch seine Zeit getrieben, einen neuen Weg einschlagen, und indem er sich in die Außenwelt wagte, rührte diese auf eigene Weise an sein Inneres. Er ward unruhig über das Vergangene, es irrte und störte ihn, besonders der Anblick des alten Schlosses, das er auch mit einer Art von Scheu vermied. Er wandte sich nun mit großer Heftigkeit in die Zukunft, und strebte ängstlich, das langsame Wenden des Zeitmomentes zu überfliegen. Alles sollte schon da, alles zum Empfang des Kindes, das aus seinem Blute ausgegangen war,[223] bereit, und er im Stande sein, dieses in seinen Geheimnissen auferziehend, zur Blüthe einer neuen Weltherrlichkeit zu bilden. Doch erschreckte ihn unter solchen Vorstellungen oft plötzlich Antoniens gespenstisches Erscheinen. Sie schlich wie ein Spuk an dem Schloßgemäuer hin, und sah verwirrend aus dem alten Leben herauf. Dem Marquis war zuweilen, als sei mit ihrer Geburt der Natur Gewalt angethan, und das längst Verschollene freventlich ans Licht gerissen worden. Er gedachte dabei der Stunde ihrer Geburt, des damaligen Aufruhrs seiner Sinne, der Marquise, ihrer Leiden; Mariens herannahende Niederkunft mischte sich beengend unter diese Bilder, er fühlte sich plötzlich in Erinnerung und Erwarten zerrissen, in keinem Zeitpunkt seines Lebens behaglich froh. Die verarbeiteten Kräfte erschöpften sich endlich in dem steten Kampfe; er verfiel in eine Abspannung, welche, von einem abzehrenden Fieber begleitet, Alle, und besonders den Arzt, für sein Leben bange machte.

Um diese Zeit ward Marie sehr leicht und glücklich von einem Knaben entbunden. Am nemlichen Tage erhielt der Herzog die bestimmte Nachricht, daß Adalbert bei der Armee in Savoyen fechte, und ihnen folglich nahe sei. Doch wollte er, im Augenblick des eben eröffneten Feldzuges, [224] sein Gemüth nicht durch eine Nachricht erschüttern, von der es nicht wohl voraus zu sehen war, wie sie ihn treffen werde. Er begnügte sich daher, ihm zu schreiben, daß sie alle nach Frankreich zurückgekehrt seien, und er selbst vor der Hand noch auf den Gütern des Marquis bei diesem lebe. Zugleich bat er ihn dringend, sobald als möglich etwas Näheres von sich hören zu lassen, und sowohl ihm, als seiner Familie, über seine gegenwärtige Lage Auskunft zu geben.

Antonie gerieth durch die Nähe des Geliebten, wie durch des Kindes Geburt, in den allerentsetzlichsten Zustand. Ihr Abscheu gegen die neue Wohnung trieb sie jetzt noch rastloser im Freien umher. Stundenlang lag sie wimmernd auf dem alten Gestein, und breitete ihre Arme über die Rhone hinaus, dem armen Vertriebenen entgegen. Wie ausgestoßen von aller Welt brachen sich ihre Klagen an den zusammengestürzten Mauern. Der Strom rauschte ernst dazwischen, und schien ihr aus der Tiefe Antwort zu bringen. Oft lockte sie sein wogendes Bett, doch fühlte sie sich starr und wie eisern in den Gliedern, sobald sie sich dem Wasser zu sehr nahete. Sie hatte ähnliche Wirkungen schon früher, Zeitenweise, verspürt, es ging ihr fast auf ähnliche Weise damit, wie mit dem Berühren der Metalle, vorzüglich [225] bei hellem Sonnenschein. Doch wie auch der Fluß selbst aus der Ferne auf sie wirkte, sie konnte von ihrem Lieblingssitz auf der hohen Terasse nicht lassen, ob sie es gleich zum öftern durch verstärkten Herzkrämpfe und die peinlichste Angst büßen mußte. Hier war sie allein, hier trat ihr Adalbert nahe, hier war er ihr eigen, daheim war alles ungestaltet, das Leben, ihr Herz, zerrissen! Vielleicht stockte das arme Herz einmal auf immer in dieser seligen Abgeschiedenheit!

[226]
17. Kapitel
Siebenzehntes Kapitel

Es war Ende Mai, drei Wochen nach der Schlacht bei Lodi, daß Marie ihren Knaben taufen, und ihn nach ihrem Vater nennen ließ. Der Marquis war so schwach, daß er das Bett nicht mehr verließ, und die heilige Handlung vor diesem verrichtet werden mußte.

Antonie hatte sich nur mit Mühe während derselben im Zimmer erhalten, sie stürzte verstört hinaus, und warf sich athemlos auf die Schloßterrasse nieder. Gott hatte das Kind in seine Liebesarme aufgenommen! Die Versöhnungsworte waren über dasselbe ausgesprochen, es war geheiliget, ihr Recht auf Adalbert vernichtet, der Natur geheimnißvolles Walten blieb ein unentworrenes Räthsel. Sie starrte finster in sich hinein, sie konnte nicht beten, nicht weinen!

Die Sonne neigte sich bereits, und warf ihre Strahlen scheidend über den Strom, als mehrere [227] flache Fahrzeuge, von jungen Weibern geführt, mit Wäsche beladen, an das Ufer stießen. Die Schifferinnen befestigten ihre Kähne, traten mit den weißen, nackten Füßen, auf einzelne freiliegende Steine des Walles, und flink und munter spülten sie das Linnen in dem klaren Wasser. Das Klatschen der Wäsche schien den Takt zu ihren Liedchen zu schlagen, die sie frohen Muthes, mit schönen, hellen Stimmen sangen. Diese Töne, welche aus dem Wasser heraufzusteigen schienen, lockten zuerst Thränen aus Antoniens Augen. Ihr gränzenloses Elend, wie das ganze, verfehlte Streben ihres krankhaften Daseins, fiel mit solcher Gewalt auf sie nieder, daß sich ihre Sinne verwirrten, und sie kaum noch wußte, wo sie sei, und was in ihr vorgehe. Fast war die Sonne hinunter, weiße Nebelkreise stiegen über die Wiesen, jenseit des Stromes herauf; bald dampfte das Wasser in dichten Wolkenwirbeln, der Abendvogel zog schwirrend vorüber, die Stimmen dort unten klangen noch. Jetzt sangen sie das Lied von einer Zauberkönigin, die einem armen, schönen Kinde den Buhlen entführt, ihn in Liebesnetze verstrickt, durch böse Kunst an sich gekettet hält, bis diese sich verzweifelnd in die Wellen stürzt, und jeden Abend den Treulosen aus flüsterndem Rohrgesäusel an sich ruft. Die Stimmen schweigen [228] plötzlich, denn eben jetzt rauscht es zitternd durch die schwankenden Rohrhalme. Antonie fährt schreiend in die Höhe, die Weiber, vom Lande stoßend, sahen sie, wie sie mit drohender Geberde aus dem wüsten Gemäuer heraufblickte, und verhüllten Gesichtes gleiten sie pfeilschnell die Rhone hinunter. Antonie bleibt regungslos, wie verzückt, stehn, das Herz stockt ihr in der Brust, sie kann kaum noch athmen, das Blut scheint in den Adern zu kochen, sie greift krampfhaft umher, in der Angst faßt sie den Dolch, und stößt ihn langsam, langsam, sich an dem Stahle kühlend, in die kranke Brust hinein.

Ihre Augen waren noch nicht geschlossen, als, nicht weit von ihr, zwei Männer in der abendlichen Dämmerung auf dem Gestein niedersaßen. Antonie richtete sich in die Höhe: Adalbert! rief sie schwach, er schwankte, von dem Andern geführt, zu ihren Füßen. Das Wasser rauschte, wie an jenem Abend, neben ihnen, der Mond warf, wie damals, seinen verklärenden Schein auf Antonien, sie sagte stark, mit aufwärts gewandtem Auge: ich gebe Dich frei, Adalbert! dann sank sie, auf immer verstummend, an die Trümmer ihres Stammhauses nieder.

[229]
18. Kapitel
Achtzehntes Kapitel

Der Marquis hatte sich indeß ungewöhnlich gegen Abend erholt, er saß aufgerichtet im Bett, Marie auf einem Fußbänkchen neben ihm, das Kind lag in blendend weißen Tüchern auf ihrem Schooß, seine großen Augen schon hell nach dem Lichte wendend, durch das offne Fenster strichen angenehme Luftzüge, die nahen Pappeln und Linden schütteten ihren Blüthenduft in das Zimmer, Marie tändelte leise mit dem Knaben, der Marquis sah lächelnd auf beide, und redete viel und heiter mit der Baronin und dem Herzoge, welche ihren Platz zu den Füßen des Bettes genommen hatten, der Arzt reichte ihm von Zeit zu Zeit einige Tropfen mit Wein vermischt, und bezeigte sich überall sehr aufmerksam. Nicht lange, so schlief der Kranke erschöpft ein. Da klopfte es an der Thür, sie ging auf, und es traten zwei Männer in Uniform herein. Auf das Geräusch schreckte der Marquis [230] in die Höhe. Das Erste was ihm in die Augen fiel, war jene Gestalt, welche ihm bei Schloß Clairval in den Weg trat, er fuhr heftig auf, laß mich! schrie er, rühr mich nicht an! der kranke Bürger Villeroi geht zu den Barmherzigen im Himmel! Ich transportire Verwundete, erwiederte jener ruhig, wie zum Rapport, der brave Camerad hat bei Lodi was weggekriegt, er kann den Säbel leider Gottes nicht mehr führen, die rechte Hand ist ihm entzwei geschossen, er soll sich bei den Seinigen ausheilen. Ich will mich ausheilen, sagte Adalbert leise mit abgewandtem Gesicht. Seine Stimme rief dem Marquis den jungen, schlanken Chasseur-Offizier in diesem Augenblick zuerst wieder zurück. Mein guter Engel! rief er betroffen, Du, Adalbert! Marie lag schon längst auf ihren Knieen, das Kind mit aufgehobenen Händen Adalbert entgegen haltend, dieser schwankte zu ihr hin, er kniete ebenfalls vor dem Kinde, beide Eltern spiegelten sich in dessen hellen Augen, ihre Thränen mischten sich auf den zarten Händchen, die damit zu spielen schienen. Dieser Thau wusch alle fremde Bilder aus Adalberts Seele, rein und heilig, drückte er Frau und Kind an sein Herz, das er Marien auf immer wiedergegeben fühlte. Alle waren wie neu geboren, der Herzog segnete erst jetzt mit freier Brust die Verbindung [231] seines Sohnes ein, Marie schwamm in Freudenthränen, sie war wieder ein seliges Kind geworden, sie schmiegte sich zärtlich und liebkosend an Vater und Freunde, als der finstere Kriegsmann einige Schritte vortrat, und mit seiner barschen Stimme sagte, ich wollte nur melden, daß draußen bei dem alten Mauerwerk ein Frauenzimmer in ihrem Blute liegt, die hineingeschafft werden muß. Todesbote! rief der Marquis entsetzt, der Herzog und der Arzt stürtzten zum Zimmer hinaus, Adalbert sah bleich zur Erde. Ist sonst noch etwas hier zu thun? fragte dessen wilder Camerad, Adalbert winkte verneinend mit der Hand, und jener verließ sie ungesäumt. Todesbote! wiederholte der Marquis, sich in seine Decken verhüllend.

Adalbert, sagte die Baronin, trinke jetzt beherzt die letzten Tropfen aus Deinem Leidensbecher. Es ist Thorheit, wenn man denkt, das Gewaltsame könne mild enden! Ein Ausrenken oder Verzerren der schönen Naturverhältnisse kann nur durch einen Stoß oder Schlag in seine Ordnung zurückspringen. Der Schlag ist erfolgt. Sieh nun auf die heitere Ordnung des Lebens! Adalbert drückte bejahend ihre Hand.

Jetzt kam der Arzt zurück. Wie ist sie gestorben? fragte der Marquis. Nach dem starken Anschwellen[232] der Blutadern zu urtheilen, entgegnete jener, hat sie in der Angst des gewaltsamen Krampfes, wie schon öfter, Kühlung vom Stahle erwartet, und sich den Dolch bewußtlos in die Brust gestoßen. Der Marquis faltete schweigend die Hände. Alle blieben lange stumm. Darauf foderte er, fast bittend, man solle ihm sein unglücklich Kind noch einmal zeigen.

Antonie lag sauber, in jenem weißem Gewande mit hohem abwärtsstehendem Kragen, auf einem Ruhebett im Nebenzimmer, der Arzt öffnete die Thür dahin in dem Augenblick, als Giannina und Alexis ihr eine Krone von dunklen Malven auf das Haupt setzten. Ihr Gesicht, weiß wie Marmor, schien ruhig, der Körper lag grade, die Hände gefaltet auf der Brust. Der Marquis ließ sich in die Höhe richten und sah freundlich zu ihr hin. Er verbot, die Thür wieder zu schließen, bat Alle, die Nacht bei ihm zu bleiben, und verlangte selbst den Korb des kleinen Renaud dicht an sein Bett gerückt zu sehen.

So blieben alle versammelt; zwischen dem Tode, dem aufblühenden und hinscheidenden Leben, her und hin gehend. Gegen Mitternacht sagte der Marquis: es ist alles Gegenwart in der Liebe! ich lebe jetzt alle schöne Augenblicke aufs neue mit der Marquise! es ist alles wieder da, ganz da! [233] Es ist schön mit dem zugleich! aber der Mensch erträgt es nicht, er ist zu schwach! deshalb kann er auch die Vergangenheit niemals durch die That zur Gegenwart machen! es geht niemals, niemals! Er seufzte tief; ward unruhig, und schien etwas zu verlangen. Marie legte ihm schweigend ein Cruzifix auf die Brust. Er griff mit beiden Händen danach, befühlte es lange, und rief dann freudig, das ist die Figur der Welt! Der Erlöser – der Schlüssel des großen Buches – mein Gott! stammelte er gebrochen, Du bist die Liebe, – in Dir – ist ewige – Gegenwart. Sein Kopf sank auf die Brust, die Lippen berührten das Kreuz, der Athem flog leicht zum letztenmale darüber hin. Der Arzt drückte ihm schweigend die schönen, starren Augen zu. Dann sagte er bewegt: so hat er denn ein Wunder erlebt, das einzige und ewige, die Fortentwickelung der Zeit! –

Nach wenigen Tagen wurden Vater und Tochter neben dem alten Schlosse an den Ufern der Rhone beigesetzt. Marie schuf hier einen neuen Blumensitz, und Antonie lebte ohne Zauberei still und friedlich in Adalberts Seele, dem ein freundlich-heiteres Dasein an Mariens Liebe und seines Kindes Leben aufging. Die alten Wunder waren von der Erde verschwunden, aber die Liebe schuf täglich neue. Die Magie ihres Familienstammes [234] blühete in Marien auf so eigene reizende Weise wieder auf, daß sie ihres Gatten Herz in stets unauflöslichern Banden an sich zog.

Die Baronin und Giannina verließen sie niemals, doch den Herzog trieb die erwachte Liebe zum Vaterlande noch in mach neues Kriegsunternehmen. Auch Alexis ward in der Folge Soldat, während sein Vater das Grab seines alten Freundes hütete.

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TextGrid Repository (2012). Fouqué, Caroline de la Motte. Romane. Magie der Natur. Magie der Natur. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B1E9-B