Caroline de la Motte Fouqué
Rodrich
Ein Roman in zwei Theilen

Erster Theil

Erstes Buch

[1] [3]Es war Abend, als Rodrich in die Thore der Hauptstadt einfuhr. Die erleuchteten Straßen zeigten ihm das Getümmel vieler Tausende, die des Lebens Spiel kreisend hin und her trieb. Glänzende Wagen, ferne Citherklänge, verworrenes Rufen und Flistern, alles rauschte durch seine Sinne, und trieb ihn unruhig über die neue Welt hinweg, bis er endlich bei den hohen Pallästen verweilte, in deren Inneres er wie in einen magischen Spiegel flüchtig hinein schauete. Der Zierrath der Gemächer wie die reichen Diener entzückten ihn. Oft hörte er lustige Musik, [3] sah schwebende Gestalten längs den hellen Fenstern hingleiten, und hätte die Welt darum gegeben, mitten unter ihnen zu seyn. Da gedachte er plötzlich seines unscheinbaren Daseyns, und das widrige Gefühl in dem Strom gemeinen Wirkens ungekannt, unbeachtet mit fortzuschwimmen, stellte sich recht feindselig zwischen die aufgedeckte Herrlichkeit der Welt und ihn. Wie erhaben er sich auch den Mittelpunkt eines Staates, den Hof und seine Umgebungen gedacht, so stand er selbst, ohne es zu wissen, unter den Hauptfiguren der bunten Gemälde. Was dort im Glanz einer lebendigen Phantasie in einander verschmolz, stand jetzt einzeln und abgerissen vor ihm da. Die übersprungenen Stufen geselliger Verhältnisse erschienen ihm plötzlich wie die [4] unersteigliche Himmelsleiter, und er blickte zum erstenmal geringschätzig auf sich und die ärmlichen Mittel, die seine Ansprüche geltend machen sollten. Voll Unmuth schloß er die Augen, und flüchtete zu den Erinnerungen der Vorwelt, in die er sich so oft versenkte, um die eigne Beschränkung in den weiten Kreisen menschlicher Thätigkeit zu vergessen. Die Heroen der Profan- und Heiligengeschichte stiegen vor ihm auf. Er hatte die Letzteren immer geliebt, um der Kraft willen, mit der sie das einmal Unternommene vollführten. Ja, rief er, nach kurzem Sinnen, die Welt bleibt ewig dieselbe, und wem die rechte Feuerkraft im Busen glüht, der muß vom Schicksal erzwingen, was es ihm kärglich versagte.

In dieser Stimmung betrat er den [5] ziemlich ansehnlichen Gasthof, vor welchem sein Wagen hielt. Der Trotz der noch in seinen Mienen lag, und die etwas gebieterische Stimme, mit welcher er eingelassen zu werden forderte, ließen auf einen vornehmen Gast schließen. Er bekam ein gutes Zimmer und anständige Bedienung. Indeß war er viel zu bewegt, um hier lange in müßiger Beschauung zu verweilen. Was ihm allein zu thun übrig blieb, das sollte gleich geschehen. Überdem brannte er vor Begier, irgend einen Menschen zu finden, dem er einigermaßen angehöre, mit dem er reden und ihm seine Wünsche und Hoffnungen mittheilen könne. Er beschloß also noch diesen Abend zu dem Künstler zu gehen, an welchen sein Meister ihn gewiesen hatte, und eilte, bei dem Wirth die [6] nöthigen Erkundigungen deshalb einzuziehen. Ein Maler also? fragte dieser, und blickte nachlässig zu ihm auf. Nie hatte ihm dies Wort so seltsam und fremd geklungen, als in diesem Augenblick. Er erschrack selbst darüber, und wandte sich mit dem verdrießlichen Ja von dem Neugierigen, der ihm statt einer Antwort eine Frage zurückgab. O, sagte dieser einlenkend, wollten Sie nicht einige Augenblicke verweilen; Sie werden hier an der Abendtafel mehrere Kunstfreunde finden, die Ihnen vielleicht nähere Auskunft geben können. Sie nannten gewiß einen unserer berühmtesten Meister, allein ich kann Ihnen seine Wohnung nicht sogleich bezeichnen.

Rodrich ging still im Zimmer auf und nieder. Einer der Berühmtesten, [7] dachte er, und sie kennen seine Wohnung nicht einmal! Ach, wer kommt denn auch zu der einsamen Werkstatt des Künstlers, der in abgeschloßner Welt sich selbst und der innern Gottheit lebt! Er fühlte jetzt, wie mühselig der Weg sey, den er eingeschlagen hatte, und wie wenig er zu der unstäten Beweglichkeit seines Gemüthes passe. Er gedachte der Worte seines Lehrers, der ihm oftmals sagte: daß er die Kunst nicht um ihrer selbst willen liebe, und sie alles Fleißes ohnerachtet nur als Mittel betrachte. Er hatte das immer bestritten und gemeint: der Wunsch, durch die Kunst berühmt zu seyn, ließe sich von der Liebe zu ihr nicht trennen. Auch jetzt wollte er es sich nicht ganz gestehen, und suchte den schwankenden Willen mit aller Kraft zu [8] befestigen. So gelang es ihm denn, während er die innere Stimme durch tausend große Worte übertäubte, und die gesunkne Achtung für sein Gewerbe auf alle Weise anregte, die alte Begeisterung aufs neue zu entflammen. Und um sich selbst zu entfliehen, zögerte er nicht länger, den Maler, aller Gegenrede des Wirthes ohnerachtet, aufzusuchen.

Er war lange Zeit gegangen, ohne irgend jemand angeredet und um Auskunft gebeten zu haben, weil er überall nicht gern bat, am wenigsten den gaffenden Pöbel. So kam er zu einer langen prachtvollen Brücke, von deren jenseitigem Ende sich ein breiter Kastaniengang längs dem Ufer hinwand. Unzählige bunte Schiffchen glitten noch über das stille Wasser hin, während [9] viele andere unfern der Brücke landeten und dem dunklen Gange manch' fröhliches Paar zuführten. Rodrich gesellte sich zu diesen, indem er sich hier, wo ihn nichts so drückend auf die eigne Nichtigkeit zurückführte zum erstenmal wieder wohl und leicht fühlte. Das dumpfe Geräusch der Wagen, wie das ganze Gewirr der Menge, ward in der einsameren Gegend von den lustigen Liedern der Schiffer übertäubt, die längs dem Ufer das dürftige Mahl an kleinen Feuern verzehrten. Das seltsame Spiel des Lichtes zwischen den dunklen Bäumen ergötzte ihn unendlich. Er glaubte den Zauber der Beleuchtung noch nie so gekannt zu haben, und entwarf tausend Plane, die vor ihm schwebenden Gruppen darzustellen, als er bei einer [10] Beugung des Ganges plötzlich vor einem geöffneten Gitterthor stand, das die Vorübergehenden recht gastlich zum Eintreten einlud. Die blühenden Ufer waren hier zum kunstreichen Garten umgewandelt. Zwischen duftigen Blumengewinden glänzten helle Springbrunnen, deren silberne Stralen sich in Marmorbecken ergossen. Dunkle Pinien und Cypressen beschatteten Kunstwerke der besten Meister. Rodrich stand wie in einem Zauberkreise vor den steinernen Gebilden, die in der stillen Nacht seltsam auf ihn herabblickten. Mit innerm Grausen betrachtete er einen Lakoon, der auf einem hervorspringenden Hügel einsam am Ufer stand. Ihm war, als neige sich jetzt erst das schmerzenvolle Haupt gegen den sterbenden Knaben. Er glaubte [11] das Angstgeschrei zu hören, und unwillkührlich schloß er den starren Marmor an die bewegte Brust. Da hörte er von fern leise Musik. Die Töne zogen ihn fort zu einem kleinen Pavillon, der, wie von Wellen getragen, dicht am Wasser stand. Aus dem Innern erschollen die Worte:


Blumen, süßes Angedenken,
Blumen, meiner Liebsten Gabe,
Seyd ein Bild der kurzen Freuden,
Die mit euch verblühend schwanden.
Seh euch todt nun vor mir liegen,
Muß mit Wehmuth die betrachten,
Deren reiches frisches Leben
Freudig meinen Sinn erlabte.
Zaid nimmt die welken Blumen,
Drückt sie gegen Mund und Wange,
Will mit Thränen sie benetzen,
Will mit Küssen sie erwarmen.
[12]
Und der Thränen helle Perlen
Glänzen in des Mondes Stralen,
Bebend so in Lichtes Wonne
Spielen sie viel tausend Farben.
Blumen, wollt auch ihr mich täuschen,
Neu erblüh'nd im nächt'gen Glanze?
Wollt euch dem Gestirn verbünden.
Das im Dunklen trüg'risch waltet?
Leben habt ihr mir gelogen,
Will euch länger nicht bewahren;
Denn für solch' ein falsches Leben
Wähl' ich's einsam zu verschmachten.
Und er wirft die Liebespfänder
Von dem steilen Meeresstrande
Tief hinunter in die Fluthen,
Sie auf ewig zu begraben.
Wie die Blumen dort verschwimmen,
Gar vergessend aller Farben,
Hat die Thrän' auf ihren Blättern
Bald zur Perle sich gestaltet.
[13] Hier fiel Rodrich, ohne zu wissen, was er thue, ein und sang:
Perlen sind ja Liebesthränen;
Denn von Wehmuth süß umfangen
Ruht des Feuers ew'ger Funke
Mild verklärt im stillen Wasser.

Plötzlich rauschten die seidnen Vorhänge auf, und ein weiblicher Kopf beugte sich aus dem geöffneten Fenster. Rodrich war vergebens bemühet, die zarten Umrisse aufzufassen. In der Dunkelheit schwankte alles verwirrt in einander. Tausend Erinnerungen flogen wie Schatten vorüber; je fester er die Blicke heften wollte, desto beweglicher wogten die wechselnden Bilder auf dem dunklen Grunde. Zuletzt glaubte er die Züge des Lakoon wieder zu erkennen; da sank der Vorhang leise nieder, [14] und er wandte sich gedankenvoll zur Stadt.

Als er sich dem Gasthofe nahete, hörte er in den untern Zimmern sehr lebhaft sprechen, und im Hineintreten fand er eine zahlreiche Tischgesellschaft in allgemeinem Streite begriffen, der indeß bald durch seine Ankunft unterbrochen ward. Das Fremde und Stolze in seinen edlen Zügen, die dunkel glühenden Augen, der hohe Wuchs, alles erregte die Aufmerksamkeit der Anwesenden, die ihn mit neugierigen Blicken maßen, während er ganz unbefangen einen leer gebliebenen Platz einnahm, und sich des günstigen Eindruckes freuete, der sichtlich bei seiner Erscheinung aus jedem Auge sprach. Diese stille Bewunderung, in welcher er sich zum erstenmal klarer als in einem [15] Spiegel erkannte, gab seinem Wesen Haltung und Sicherheit, und söhnte ihn mit der ungekannten Welt aus, die ihm Anfangs so fremd und abstoßend erschien. Indeß ward, nach einigen lebhaften Erkundigungen bei dem Wirthe, der eben mit Rodrich gesprochen hatte, das vorige Gespräch nach und nach wieder angeknüpft. Je mehr ich nachdenke, sagte ein Mann, der mit verschränkten Armen und niederhangendem Kopfe da saß, je wahrer finde ich, was Sie vorher sagten: es giebt in der That Worte, deren Bedeutung wir auf Treu und Glauben annehmen, die uns eben deswegen niemals klar wird, und dennoch mit uns aufwächst, sich uns anschmiegt und glauben läßt, sie gehöre zu unserm Wesen, während es nur eines kräftigen [16] Stoßes bedarf, um sie als etwas ganz Fremdes uns Aufgedrungenes zu erkennen. Zu diesen gehört die äußere Ehre in dem Sinne, wie sie allgemeingültig angenommen wird. – Welchen Unterschied, ich bitte Sie, rief ein lebendiger Jüngling ihm zur Seite aus, machen Sie denn zwischen äußerer und innerer Ehre? und was ist Ehre überhaupt, nach ihren Begriffen? – Ehre, erwiederte ein Offizier, der bis jetzt von seinem Nachbar verdeckt, Rodrich unbemerkt geblieben war, Ehre ist freie Selbstständigkeit, innere Consequenz des Willens, die sich durch ein folgerechtes Leben behauptet. Der Zweck, wie der Ausgangspunkt, sind als freie Erzeugungen ganz individuel, und es ist nichts seltsamer, als allgemeine Prinzipien über etwas aufstellen zu wollen, [17] was seiner Natur nach auf der Eigenthümlichkeit der Ansicht beruhet. – Daß die Ihrige Ihnen allein angehört, sehe ich, fiel der junge Mann rasch ein; denn sie ist mir in der That fremd. Nur thun Sie doch nicht gut, die Individualitäten so scharf von einander abzuschneiden, wir könnten bei consequenter Folgerung auf den Punkt kommen, wo alle Ihre Worte verschwendet wären, wo wir wirklich nichts, gar nichts von einander wüßten, und Menschen so kalt gegenüber ständen, wie abgeschloßne Welten. Indeß könnte ich Sie fragen, um mich auf einen Erfahrungssatz zu berufen, wie es kam, daß Jahrhunderte hindurch eine Religion und eine Ehre alle Gemüther beseelte, und das Größte erzeugte, was die Welt sah, wenn sich nicht das ewige [18] Licht über Alle ergoß und die Gluth einer Liebe jede Brust entflammte? – Zeitalter, antwortete der Offizier, haben wie Menschen ihren eigenthümlichen Charakter. Ich tadle diese nicht, daß sie den ihrigen durchführten, nur finde ich es etwas lächerlich, daß wir unaufhörlich auf morschem, verfallenem Grunde fortbauen, ohne zu fragen, was wir wollen und können? Hat Graf Alvarez, dessen früher Tod unserm Gespräche neues Leben gab, so durchaus in der Glückseligkeit seiner Schwester gelebt, daß sie ihm das Höchste war, und er die Treulosigkeit ihres Geliebten für eine Beschränkung seines höchsten heiligsten Willens ansah, so that er recht, mit einem verfehlten Leben auch den frechen Störer desselben zu vernichten. Hat ihn aber [19] das blos Formelle der Ehre, der verblichne Schein jener alten Ehrfurcht für die Reinheit und Unverletzbarkeit des Familien-Namens hingerissen, so opferte er einem kränklichen Wahne ein sehr lebendiges Streben auf. – Kränklicher Wahn! rief der kecke junge Streiter, was Sie so nennen, ist im Grunde ganz Eins mit dem, was Sie selbst zuvor als Idee der Ehre aufstellten. Die freie Selbstständigkeit des Mannes ist von der Unbeflecktheit seines Namens unzertrennlich. – Andre Zeiten andre Sitten, erwiederte der Offizier. – Die unsrigen, fiel jener ein, müssen doch von der für Sie verrufenen Zeit nicht so absolut losgerissen seyn, weil sich in eines jeden Brust der heiligste Zorn regt, so bald sein Vaterland, sein Staat angegriffen wird, um wie viel mehr [20] denn der Name, den er trägt. – Eine Ausnahme, sagte der Offizier lachend, wirft Ihre ganze Regel über den Haufen. Ich gebe Ihnen meinen Namen für eine Hand voll tauber Nüsse hin, mich selbst aber verkaufe ich theuer, das versichre ich Ihnen. – Es beruhet nur darauf, hub der langsame Denker nach einem kurzen Schweigen wieder an, den Wendepunkt zu finden, in welchem die individuelle wie die allgemeine Ehre Eins wären. Hier fiel Ursprung und Zweck der That zusammen, und es könnte nicht mehr von einer augenblicklichen Erzeugung des Willens, sondern einzig von einem innern bleibenden Moralgesetz die Rede seyn, das, wie für alle Zeiten, auch für alle Individuen gelten müßte. – Was für Alle gilt, Herr Doktor, sagte der [21] Offizier, schließt alles Charakteristische, alles, was einem Dinge Gestalt und Physiognomie giebt, aus, und so hätten wir unrecht, über einen einzelnen Fall zu streiten. – Das Einzelne, erwiederte der Doktor, ist auch überall nur wirklich etwas, in so fern es sich zur allgemeinen Idee erhebt. Von diesem Standpunkt müssen wir das Ganze betrachten, dann lernen wir die Geschichte des Menschen als unendliche Entwickelung eines Gedankens erkennen. – Dies zugegeben, sagte der Offizier, so müssen Sie mir eingestehen, daß keine Rückschritte zum Ziele führen, und daß jener Maßstab einer längst entwachsenen Zeit seltsame Carikaturen erzeugt. Warum Autoritäten aufrufen, die alles produktive Vermögen ersticken! Trägheit ist es, die den [22] Menschen auf dem früher geebneten Wege fortzieht, und ihm weis macht, es passe kein andrer für ihn.

Rodrich hatte bis dahin schwankend zwischen den verschiednen Meinungen da gesessen. Jetzt erregte der Offizier seine ungetheilte Aufmerksamkeit. Die letzten Worte trafen sein Inneres. So hatte er immer gefühlt, etwas Großes und Neues sollte geschehen, was gigantisch über den Trümmern der Vorzeit hinschreitend, eine nie gesehene Herrlichkeit offenbarte. Er betrachtete noch das seltsame Gesicht, auf welchem die hellsten Blitze des Verstandes mit der hingebendsten, trägsten Ruhe wechselten, und über dessen scharfe Züge sich wiederum eine Milde ergoß, die es unendlich anziehend machte, als der junge Mann, der von den Anwesenden [23] Ritter genannt wurde, aufs neue mit verhaltnem Unmuth begann: Wenn ich nur nicht hören müßte, wie man die alten ehrenwerthen Formen antastet, ohne zu erwägen, daß unsre ganze äußere Existenz ein stillschweigendes Anerkennen derselben ist, indem wir durch Sprache, Religion, Gesetze, und gesellige Verhältnisse hinlänglich darthun, daß sie uns wirklich ungetheilt angehören. – Wenn Sie mich darauf zurückführen, erwiederte der Offizier, daß der jetzige Zeitmoment in allen vorhergehenden bedingt ist, so vergessen Sie auch nicht, das Charakteristische der Gegenwart zu betrachten. – Das ist ohnmächtiges Wollen, fiel jener ein, kränkliches Zucken entschwindender Kraft. Seit der Blick verloren ging, mit dem wir einst das Alte betrachteten, [24] und der Muth, es würdig zu behaupten, überreden wir uns, etwas Neues, Unerhörtes erzeugen zu müssen. Kein Mensch weiß aber eigentlich was? Es ist erstaunlich bequem, so ins Blaue hinein zu produciren, und das unbekannte Ziel immer nur ahnen zu lassen, während man bei aller produktiven Kraft einschläft – bis uns das Alte über dem Kopf zusammenstürzt, unterbrach ihn der Offizier, da haben Sie ganz recht. Aber das liegt nicht daran, daß wir es nicht wieder herstellen; denn das wäre am Ende doch nur Flickwerk, und zerbröckelte wohl leicht in einer kräftigen Hand, die es derb anfaßte, eher indeß, weil es an Kraft und Genialität fehlte, aus dem Alten etwas Frisches und Lebendiges hervorgehen zu lassen. [25] Doch seyn Sie ganz ruhig, es geschieht dennoch vieles, was wir übersehen. Was in der Vergangenheit wie aus einem Guß geformt da steht, ist in der Gegenwart ein langsames Werden. Der Wein gährt still im verschloßnen Dunkel, ehe der Geist sich frei macht und die Gemüther entzündet. Er hob bei diesen Worten ein schäumendes Champagnerglas in die Höhe und rief mit freudigen Blicken: gute Zeiten und lebendiger Muth! Alle stießen an, und der Ritter sagte bewegt: wir verstehen einander dennoch. Solche, die das Schwerdt und die höhere Vaterlandsliebe verbindet, sollten eigentlich nie über Ehre streiten. Sie sind in der Hauptsache gewiß einig. – Dies fiel wie ein Blitz in Rodrichs Seele, das war der ungekannte Magnet, der ihn [26] in die Welt zog. Darum hatte er im Kloster nur Augen und Sinn für den Erzengel Michael; darum saß er Stunden lang vor dem Bilde und zeichnete mit unsichrer Hand die kräftigen Züge, bis es ihm gelang und Alle über die Geschicklichkeit des Knaben staunten. Jetzt war es, als träte er vor ihn hin, gewapnet, mit fliegendem Haar und eingelegter Lanze, das breite Schwerdt an der Hüfte, wie die alten Götter über die Erde hinschreitend. Seiner nicht mehr mächtig, rief er: Alle gute Geister verbinde das Schwerdt! – Bravo! sagte der Offizier, und flog auf ihn zu. In Ihren Augen glüht etwas, das mit früher verkündete, wie Sie Pinsel und Palette wohl am längsten würden geführt haben. Kommen Sie nur, der Wein erschließt die Herzen, [27] und der Mann darf dem Manne ein freies Wort sagen.

Sie waren bei diesen Worten in ein abgelegnes Zimmer getreten. Der Ritter hatte sich zu ihnen gesellt, und alle drei setzten sich in eine kleine Nische. Den perlenden Wein zwischen hellen Kerzen vor sich auf einem Tischchen, hub der Ritter an: Solche Momente sind die heiligsten, wo der innere Lebensblitz, plötzlich angefacht, einen flüchtigen Schein auf die dunkle Zukunft wirft, und ein prophetischer Laut uns die ganze Welt offenbart! – Sie wissen, erwiederte der Offizier, ich halte in der Regel wenig von jenen mystischen Anklängen und Offenbarungen. Daß uns das Regen einer lichthellen Vernunft so oft nur dunkle Ahnung bleibt, liegt darin, daß der Mensch [28] überall wenig auf sein Inneres achtet, die verworrenen Strebungen selten scharf und bestimmt auffaßt und mit Besonnenheit vor sich hinstellt. – Ach, sagte Rodrich, der beleuchtende Verstand tritt das Lebendigste im Menschen nieder. Ich habe das wohl in der Kunst erfahren, und weiß, wie das Gelungenste aus dem augenblicklichen Zusammenfallen von Gedanken und That entsteht. Auch im Leben will sich mir das so bewähren. Jene, fast bewußtlos herausgestoßenen, Worte, haben mir zwei Freunde gewonnen, zu denen ich endlich einmal aus voller Seele reden darf. – Wenn Ihr Gefühl Sie nie auf schlimmere Wege führt, sagte der Offizier, so folgen Sie ihm nur getrost. – Ja wohl, setzte der Ritter hinzu. Es ist nicht das Schlechteste im [29] Menschen, daß er sich so ohne weitere Beglaubigung rücksichtslos hingeben und das überfließende Herz eröffnen kann. – So nehmen Sie mich denn hin, sagte Rodrich in höchster Bewegung, ich gehöre ja ohnehin Niemand an! Er hielt einen Augenblick ein, und kämpfte, ob er seine dunkle Abkunft hier berühren und sich selbst als ein Kind des Zufalls hinstellen sollte. Doch bald fuhr er fort: Es wehet etwas Geheimnißvolles durch mein ganzes Leben, das mich oft selbst mit Bangigkeit erfüllte, und schon da mit der Welt entzweite, als sie mir noch fremd war. Meine frühesten Erinnerungen führen mich in ein Kloster an die Seite eines Greises zurück, der mit der zärtlichsten Sorge über mich wachte. Ich kann nicht sagen, ob ich je andre Umgebungen [30] gekannt; allein oft vor dem Einschlafen, und wenn Eusebio die Laute spielte, überfiel mich eine Sehnsucht, daß ich weinend nach einem hellen, bunten Hause verlangte, wo ich mit schönen Kindern spielen könne. Einst war ich mehrere Tage hindurch nicht zu beruhigen, weil mir im Traum eine Frau, in weiße Tücher gehüllt, auf einem Ruhebette liegend, erschienen war, nach der ich vergebens die Arme ausgebreitet und sie zu erfassen gestrebt hatte. Eusebio weinte mit mir, und schien mich mehr durch Liebkosungen als durch Bestreitung meiner Wünsche zu beruhigen. Nach und mach ward ich indeß stiller. In der steten Einförmigkeit schwieg indeß jedes unruhige Verlangen. Meine bescheidnen Wünsche drängten sich nicht über die [31] kleine Zelle hinaus, in deren Innerem alle dürftigen Freuden meines Lebens blüheten. Denn selbst der fruchtreiche Klostergarten ward mir durch die Aengstlichkeit, mit welcher ich in die Steigen gebannt war, zuwider. So verlebte ich meine Tage unter Gesang und Gebet, lernte Heiligenbilder zeichnen und fromme Thiere in Holz schnizzen. Die erlöschende Kraft, die nur in der Liebe zu Eusebio und beim Anblick des Erzengels Michael, der recht groß und hehr über dem Altar in unserer Kirche hing, aufblitzte, gab dem Prior die besten Hoffnungen für die Zukunft. Auch hatte Eusebio strenge Befehle, jede weltliche Anregung gewissenhaft zu vermeiden. Ich erfuhr das in einem Augenblick, der mir jetzt noch wehmüthige Erinnerungen giebt. Er [32] hatte mir einst ein Pferd in Holz geschnitten, und, ich weiß nicht, war es Instinkt, oder hatte ich sonst schon etwas ähnliches gesehen, genug, ich besaß einen zierlichen heiligen Georg, den ich auf das Pferd befestigte und mit lautem Freudengeschrei auf und nieder hüpfen ließ. Eusebio blickte lächelnd auf mich hin, während ein finsterer Mönch hereintrat, mir mein liebes kleines Spiel entriß und es unter Flüchen und Verwünschungen gegen die gottlose Entweihung eines Heiligen in die Flammen warf. Eusebio bekam einen harten Verweis und wir trauerten beide über die gestörte Lust.

So mochten wohl zehn Jahre verflossen seyn, als ich einst in der Nacht von einem leisen Geräusch erwachte. Ich blickte um mich, und sah beim [33] schwachen Schein einer Lampe, wie Eusebio sorgsam ein Kästchen unter seinem Lager hervorzog, es eröffnete, und einen reichgestickten Mantel mit goldenem Ordenskreutz daraus hervorzog. Er breitete ihn vor sich hin, blieb gedankenvoll stehen, und küßte dann ehrerbietig den Saum des Gewandes. Ich hatte mich während dem genahet, und rief voll Entzücken: Vater, was hast du da für herrliche Sachen! Der Alte ließ erschrocken die Arme sinken und sagte mit wehmüthigem Tone: Kind, das sollte Dir ewig ein Geheimniß bleiben! Mußt Du so voreilig in das bunte Gewebe deines Schicksals eingreifen! Begierig nahm ich indeß den Mantel von der Erde, hüllte mich hinein, und trat so in höchster Lust vor Eusebio hin, der von dem Anblick überwältigt, [34] mich in seine Arme schloß, und weinend ausrief: Ist mir doch, als sehe ich deinen unglücklichen Vater, als er das letzte mal vor der Welt und seinem König erschien. Ihn deckt die kalte Erde, während Du mit den Trümmern seiner Herrlichkeit spielst. War es doch immer mein Wunsch, Dich so geschmückt zu sehen! und, fuhr er fort, indem er mir die Hand auf die Stirn legte, ich ahnde es, diese Flammen werden ihrer weltklugen Weisheit spotten, was vermag der allmächtige Geist des Menschen nicht! Er sank bei diesen Worten erschöpft auf sein Lager. Ich kniete neben ihn, und um ihn zu erheitern, wie ich es sonst wohl that, nahm ich die Laute, die vor ihm auf einem Tischchen lag, und griff leise in die Saiten. Von dem Klange wie [35] begeistert richtete er sich in die Höhe, nahm mir das Instrument aus der Hand, spielte und sang folgendes Lied, das mir wie mit Flammenzügen eingegraben blieb.


Vergebens hab ich hier gerungen,
Vergebens war der eitle Wahn,
Es könne Leib und Geist durchdrungen
Auf Erden gleiche Lust empfah'n.
Ich fühlte Herz von Herz sich reißen,
Und Angst und Schmerz in wunder Brust
Wollt' ich dem Tod zu leben heißen,
Und kämpft' und rang in trüber Lust.
Ich seh' dich, farb'ge Pracht, erblassen,
Es naht sich bleich und kalt der Tod.
Ach süßes Kind, dich muß ich lassen,
Mich ruft ein göttlich ernst Gebot.
So rauscht denn einmal noch ihr Saiten,
Ihr dringt aus einer frischen Welt;
Der leise Hauch soll euch begleiten,
Der mich noch hier gefangen hält.

[36] Die letzten Worte zerrannen fast auf seinen Lippen, und flossen so mit dem Klange zusammen, der immer leiser verhallte, bis die Laute den starren Händen entsank.

Auf mein Angstgeschrei eilten die erschrockenen Mönche herzu. Es währte lange, ehe sie mir begreiflich machen konnten, daß Eusebio todt und für mich verloren sey. Von dem Augenblick ward ich so kalt und verschlossen, wie die geliebte Leiche, die man mit Gewalt aus meinen Armen riß. Jener furchtbare Wechsel von Lust und Schmerz schien alle Lebenskraft in mir aufgezehrt zu haben. Der natürliche Trotz in meinem Gemüth lehnte sich gegen die ganze mir bekannte Welt auf, ich haßte alles, was sich mir nahete, da ich unter den erloschenen abgezehrten Gesichtern [37] nicht eins fand, das meinem Eusebio glich, und Niemand als er mich je geliebt hatte. Jede andre Erinnerung ward in das Grab meiner höchsten Freude versenkt, und erst sehr lange nachher unter freudigern Umgebungen gedachte ich des Mantels und jener bedeutenden Worte, die mich zuerst über die Klostermauern hinaushoben.

Als ich von Eusebio's Begräbniß zurückkam, ward ich in eine fremde Zelle unter die Aufsicht eines jungen Mönches gebracht, der in eigenen Schmerz versenkt, wenig auf mich achtete. Ich fühle noch heute die entsetzliche Angst, die mich in dem Augenblick überfiel, da man mich vor meinem alten, geliebten Zimmer vorbei in dies neue führte. Mit innerer Wuth schloß ich die Augen, um nichts zu sehen, [38] was mich so kalt und fremd abstieß. Auch lernte ich nie meinen neuen Aufseher lieben, vor dessen achtlosen Blicken ich dennoch thun konnte was ich wollte. Überall bekümmerte sich Niemand sonderlich um mich, man schien hinreichende Sicherheit in meinem dumpfen trägen Sinn gefunden zu haben. So kam es denn, daß man mich, als einst Feuer im Kloster ausbrach, mit anderem Geräth in den Garten schleppte, und dort allein ließ. Ich war weder erschrocken noch erfreut. Nur fuhr es einmal wie ein Blitz in mir auf: wenn die Flammen das häßliche Gebäude verzehrten, so müsse man mich wohl frei lassen, und ich könne dann hingehen, wohin ich wolle. Doch war das auch kein bleibender Wunsch, ich kannte ja nichts, wonach ich mich hätte [39] sehnen können. So ging ich gleichgültig auf und ab, bis ich eine kleine Pforte, die nach einem See hinaus führte, und durch welche man wohl in der allgemeinen Noth Wasser herbeigeschafft hatte, offen fand. Ich trat hinaus, ohne etwas Bestimmtes zu wollen, und ging Anfangs den schmalen Fußsteig, der den See hinauf führte, ganz langsam fort. Doch je weiter ich ging, desto freier hob sich meine Brust. Das Wasser rauschte und quoll so lebendig neben mir hin, ich athmete zum erstenmal frisches Leben, und der Gedanke zu entfliehen ward mir nun erst deutlich. Die erwachte Kraft beflügelte meine Schritte. Ich hatte bald die hohe Mauer im Rücken, und kam auf eine Wiese, die sich wie ein bunter Teppich neben dem klaren [40] Wasserspiegel ausbreitete. Jenseit sahe ich hohe Bäume, alles keimte und blühete nach einem kurzen Winterschlaf. Es ist unbeschreiblich, wie mich das erste Wehen des Frühlings in der reinen freien Natur ergriff. Wie berauscht brach ich Wasserlilien und lange zitternde Grashalme, und sie in der Luft schwenkend, lief ich unter Jauchzen und Schreien den bunten Vögeln nach, die sich auf den Blumenkelchen wiegten, und mich durch Feld und Wald nach sich zogen. Alle Lieder, die ich kannte, alle Gebete, die ich je von Eusebio hörte, alles rief ich den Lüften, den Bäumen, den Blumen entgegen. Ich wünschte, ich wollte nichts, als ewig so leben.

Mehrere Stunden mochte mich mein Entzücken so fortgetrieben haben, und [41] ich weiß nicht, welchen Raum ich durchlief, als ich endlich bemerkte, daß mein Weg mich an einem steilen Gebirge hinaufführte. Ich ging dennoch lustig weiter, und ergötzte mich an den farbigen Steinchen und hellen Krystallen, die auf den hervorragenden Spitzen glänzten. So erreichte ich den Gipfel des Berges, der mir alle Pracht einer lange verschloßnen Welt aufdeckte. In einem weiten unermeßlichen Thal sah ich Wälder, Triften, hohe Thürme, Häuser. Alles leuchtete und wogte im hellen Abendglanz. Die untergehende Sonne vergoldete die rothen Dächer, am Himmel glüheten Purpurwolken, um und über mir war ein Flimmern und Glänzen. Da gedachte ich Eusebio's, und sank betend nieder. Ich hatte keine Worte, aber in einen Laut [42] hätte ich alle Seligkeit der klopfenden Brust aushauchen mögen. Nie ist mir wieder so zu Sinne gewesen!

Nach einer Weile, als die trunknen Blicke sich wieder auf einzelne Gegenstände richteten, bemerkte ich am jenseitigen Abhange des Berges kleine zerstreut liegende Hütten. Ich lenkte meine Schritte dorthin, und stand bald vor einer derselben, aus deren Innerm die anmuthigsten Flötentöne erschollen. Ich trat in die geöffnete Thür und begrüßte eine schöne junge Frau, die mich erstaunt ansah, und nicht zu wissen schien, was sie aus mir machen solle. Die gute Sara hat mir nachdem oft gesagt: wie mein Anblick sie erschreckt, und sie mich für ein gespenstisch unnatürliches Wesen gehalten habe. Ich hatte nehmlich gleich Anfangs, [43] um schneller laufen zu können, meine Kleider abgeworfen, und trat nun so halb nackt, mit langen Blüthenzweigen um Haupt und Arme, vor die verwunderte Frau, die in meinen seltsam glühenden Augen ein überirdisches Feuer zu sehen meinte. Ganz scheu fragte sie mich, woher ich käm? Die Frage erschreckte mich, ich hatte das Kloster bis dahin ganz vergessen, jetzt fürchtete ich mehr als jemals dahin zurückgebracht zu werden. In der Angst sagte ich halb Wahrheit, halb Lüge: wie mich die Flammen weit jenseit des Berges vertrieben, und ich schon längst als ein hülfloses Kind, unter Fremden lebend, hier einen Zufluchtsort suchen wolle. Die Frau sah mich noch immer mißtrauisch an, und hieß mich in der Laube vor der Hütte ruhen, während sie [44] gutmüthig einige Erfrischungen herbei holte. Indem kam ein lieblicher Knabe, mit der Flöte in der Hand, zu mir heraus. Wie ich ihn erblickte, fiel ich ihm, außer mir vor Entzücken, in die Arme, und rief unter lautem Schluchzen: ein Kind, ein süßes Kind, so lieb und schön, wie der heilige Johannes zu der Mutter Gottes Füßen. Sara, die sich während dem genahet hatte, sagte mit erheitertem Gesicht: siehst Du, Florio, sagte ich Dir's nicht immer, daß Du dem Heiligen auf ein Haar gleichest, jetzt bekräftigt's der Knabe dort auch. Sie strich ihm die blonden Locken von der Stirn und küßte ihn mit innerm Wohlbehagen. Mir ward bei dem Anblick unbeschreiblich wehmüthig, ich ergriff ihre Hand und blickte flehend zu ihr auf. Armer[45] Junge, sagte sie gerührt, willst gern bei uns bleiben? Nun, es trifft just daß wir einen Treiber bei der Heerde brauchen; warte nur bis der Vater zurück kommt, er wird dich wohl behalten, wenn du fein ordentlich bist.

Der Vater kam und gestattete mein Dortbleiben. Ich lernte mich bald in alles fügen, und trieb die Schäfchen sorgsam im Thale. Florio begleitete mich überall. Wir saugen und spielten. Ich schien mir selbst oft wie neu geboren, so verdrängte die lustige Gegenwart jede Erinnerung des Vergangenen, und wenn ich zuweilen des Klosters gedachte, so schloß dennoch die innere Angst meine Lippen, daß ich nie mein voriges Leben verrieth.

Des Abends, wenn wir zurückkehrten und die Mutter am hellen Kamin [46] trafen, erzählte sie uns wohl manche seltsame Geschichte. Am liebsten sprach sie von einer wunderschönen Dame, die im Thale in einem großen glänzenden Hause gewohnt habe, und von den Hirten wie eine Heilige verehrt worden sey. Wie ein Engelsbild wäre sie oft plötzlich dem Hülfsbedürftigen erschienen, und hätte jedem Trost und reiche Gaben gespendet. Zu ihr durfte indeß Niemand, und man glaubte, der Garten, dessen Gitter stets verschlossen blieb, sey bezaubert. Doch sey sie wie allgegenwärtig im Thale gewesen, und Niemand habe je vergebens ihren Beistand gewünscht. Nach und nach wäre sie indeß selbst wie ein Schatten vergangen, und endlich mit ihrem Gemahle, von dem man wunderliche Dinge erzählte, verschwunden. [47] Zwar wollten die Hirten diesen noch lange nachher, des Nachts, die Harfe im Arme, wie einen Geist zwischen den Bergen herumstreifend gesehen haben, und, setzte sie leiser hinzu, oft ist mir auch im Schlafe, als höre ich die Harfentöne von fern herüber schallen. Das große Haus, sagte sie dann klagend, steht nun verödet und leer. Einst hat man viel Fahrens und Reitens dort in der Nacht vernommen, nachdem ward aber alles still, und Niemand geht hinein.

Ich hatte ein großes Verlangen nach dem Hause und lag der Mutter beständig an, mir den Weg dahin zu zeigen; allein sie kannte ihn selbst nicht, und der alte Martin, der bei diesen Erzählungen immer nachdenkend vor sich hin sah, verwies mir meine Neugier[48] sehr ernst. Wir blieben dann Alle einige Augenblicke still und betrübt, bis Florio ein Lied von einer lustigen Schifffahrt anstimmte, das die Herzen mit einem eignen Zauber belebte.

Ich trug indeß das Bild der schönen Dame immer mit mir herum, und hoffte um so eher, sie solle mir einmal erscheinen, da Florio behauptete: sie komme oft im Traume zu ihm, und bringe ihm dann eine goldne Harfe und so wundervolle Blumen, wie er nie wachend gesehen habe.

Voll von diesen Vorstellungen hatte ich mich einst im Gebirge verspätet und trieb meine Heerde ängstlich die Klippen hinunter, als ich ein Klingen aus dem Innern des Berges vernahm. Der Laut drang recht sehnsüchtig zu mir herauf; allein was ich zuvor ungeduldig [49] wünschte, erfüllte mich jetzt mit Bangigkeit. Mir grauete vor dem eignen Schatten, und die abgestorbnen hohlen Bäume schienen mir, wie gewaltige Riesen, lange dürre Arme entgegen zu breiten. So stürzte ich athemlos in die Hütte, und erzählte: daß der Berggeist mich gerufen, und wie ein Nebel über mich hingegangen sey, als ich einen stattlichen Fremden am Kamin erblickte, der mir neugierig zuhörte, und Martin nach der Bewandniß jener Erscheinungen fragte. Weiber- und Kindergeschwätz, sagte dieser gleichgültig, was wird's sonst seyn! Er zog Florio an sich, und fragte halb lachend, halb besorgt: hast du nicht auch was gesehen? Doch ohne seine Antwort abzuwarten, wandte er sich von ihm, und ging geschäftig in der [50] Hütte umher. Der Fremde blickte gedankenvoll in die Flamme, während ich mit Kohle allerlei Gestalten an die Wand zeichnete und eben einen stattlichen Ritter vollendet hatte, als das Feuer einen so seltsamen Schein auf das Bild warf, daß des Ritters fliegender Mantel von lauter Gold zu seyn schien. Ich gedachte jener Nacht, und rief plötzlich: da steht er leibhaftig vor mir! Sara dachte an den Berggeist und verhüllte schreiend das Gesicht; allein Martin rief mit fester Stimme: wer? Mein Vater, sagte ich ganz betäubt. Er trat hinzu, betrachtete mich einige Augenblicke, und sagte dann, sich still abwendend: heiliger Gott, was ist es mit dem Kinde!

Der Fremde, der dies wohl alles überhört oder anders ausgelegt hatte, [51] war ganz im Anschauen der Zeichnungen verloren, und wollte durchaus nicht glauben, daß Niemand dies Talent in mir geweckt und ausgebildet habe. Er ließ sich bald in ein Gespräch mit mir ein, und ich erfuhr, daß er ein Mahler und auf einer weiten Reise nach seiner Heimat begriffen sey, hier im Gebirge sein Fahrzeug zerbrochen habe und für diese Nacht ein Obdach in unserer Hütte suche.

Ich war damals, nach Sara's Schätzung, ohngefähr funfzehn Jahre alt, voll der lebendigsten Sehnsucht nach der weiten, regsamen Welt; und wenn ich die Erscheinung jener wundervollen Frau mit jedem Tage inniger wünschte, so geschah es nur durch ihre Macht dahin zu gelangen. Ich ergriff daher des Mahlers Anerbieten, [52] ihn nach seiner Vaterstadt zu begleiten, und dort unter seiner Leitung ein angesehener Künstler zu werden, mit der lebhaftesten Freude. Meine Pflegeeltern gaben ihre Einwilligung, und Sara, in der sich wohl die alten Zweifel wieder regen mochten, sah mich gern von ihrem Herde weichen. Nur Florio hing weinend an meinem Halse, und bat und flehete, ich möchte nur noch einige Jahre warten, bis er groß genug sey, mir überall folgen zu können. Ich habe lange das süße Stimmchen und das liebe bittende Auge nicht vergessen können! Ach, und niemals wird die Seligkeit jener Frühlingstage wiederkehren, die wir mit einander verlebten! Sein frommer Sinn strömte so mild über mich hin, wie der stille Abendglanz über die wilden Gluthen [53] des Tages! Wohl hattest du recht, mein Florio, wir durften nicht getrennt leben; du bist der feste Stern, der meine unruhige Fahrt lenken sollte! –

Rodrich schwieg hier einige Augenblicke. Der Ritter faßte gerührt seine Hand, indem er sagte: wie liebe ich Sie dieser wehmüthigen zärtlichen Aufwallung wegen! Vielleicht haben Sie in der ganzen Zeit Florio's Andenken nicht so lebendig gefühlt, als eben jetzt, da Ihnen sein Verlust unersetzlich erscheint. Das ist das Eigenthümliche jener früheren kindlichen Verbindungen, daß sie mit tausend andern Erinnerungen verschwinden, und dann plötzlich, ungeahnet, in dem frischen Glanz der Jugend vor uns hintreten, und das erschöpfte Herz mit trüber Sehnsucht erfüllen. Doch dahin sind Sie noch [54] nicht. Der Himmelsfunke in ihrer Brust wird Florio's Bild noch lange beleben, und Sie werden ihn unter wechselnden Erscheinungen aufsuchen und finden. – Finden? wiederholte der Offizier, man findet in der Regel nie, was man sucht. Darum rathe ich Ihnen, nicht zu ängstlich an einem Wunsche zu hangen. Der Mensch büßt nicht selten seine Freiheit darüber ein, indem der klare Blick verloren geht, mit dem man die Welt um sich her betrachten soll. – Wen nicht irgend ein lebendiger Wunsch durch's Leben begleitet, fiel der Ritter schnell ein, ihn drängt, fortreißt, bis er das hohe Ziel errungen hat, dessen Kraft wird sich in tausend zwecklosen Anstrengungen zersplittern, und er wird nichts vollbringen, weil er alles umfassen wollte. – Eine Idee soll den Menschen [55] erleuchten, erwiederte der Offizier, ein Wunsch darf ihn nicht fortreißen. Oft glauben wir durch die Erfüllung des Ersteren die Letztere realisirt zu sehen; aber wer hintergeht sich nicht in Augenblicken, wo das Gefühl allein herrscht, und wer darf sagen, der menschlichen Thätigkeit sey ein Ziel gesteckt? Was sich absolut widersetzt, das lasse man fahren, und ergreife das Nächste mit neuer Kraft. Darin besteht eben die Consequenz der Allseitigkeit, daß man das Eine in Vielem reflektirt. Doch wir gerathen in unsern alten Streit, und gleichwohl, sagte er, sich zu Rodrich wendend, erwartet uns das Ende einer interessanten Geschichte. Was mir noch zu sagen übrig bleibt, erwiederte jener, läßt sich in wenig Worten zusammen fassen. Ich reiste viele Tage [56] und Nächte mit meinem freundlichen Meister durch das fortgehende Gebirge, bis wir am Fuße desselben in einem kleinen Städtchen anlangten, das mir damals von großem Umfang, doch weniger glänzend, als ich mir überall eine Stadt dachte, erschien. Hier lebten wir in dem Hause einer sehr bejahrten Frau, der Mutter des Mahlers, die den letzten Sonnenblick des Lebens von der Liebe und dem Ruhme eines angebeteten Sohnes empfing. Fünf Jahre verflossen mir unter dem eifrigsten Bemühn – und einer Anstrengung, die durch die Liebe meines Lehrers und die Aussicht auf ein ruhmvolles Leben immer wach erhalten ward. Ich lernte alte Sprachen, und durch sie die Geschichte der Vorzeit kennen. Welch eine Welt sich mir nun eröffnete, [57] wie mein Gemüth bewegt, wie die innere Gluth in mir angefacht wurde, das ist unmöglich zu beschreiben. Der Wunsch etwas Großes, ja Unerhörtes zu vollbringen, ließ mir nun keine Ruhe mehr, er trieb mich hieher, wo alle Plane, alle Erwartungen, alles vor einer ganz fremden Wirklichkeit verschwindet, und ich im Strudel widerstrebender Gefühle nur durch Sie Haltung und Sicherheit gewinne. – Vor allem müssen Sie die Welt in ihrer mannichfachen Gestaltung kennen lernen, sagte der Offizier. Was Sie bis jetzt davon sahen, war gerade hinreichend, Ihre Erwartungen auf eine Weise zu spannen, daß Ihnen Vieles schaal und nüchtern erscheinen wird, was dennoch eine innere Bedeutung hat, die Niemand übersehen darf. Die Kunst, die [58] eigentlich nichts anders ist, als was das Leben überall seyn sollte, Wiederschein einer innern erleuchteten Welt, Schöpfung eines freien, kräftigen Geistes, würde für Sie immer nur die eine Seite des Lebens ausmachen, und zwar die ideale. Sie müßten daher sehr bald in Widerstreit mit der wirklichen Welt gerathen, und in der quälenden Verwirrung sich selbst und ihr hohes Ziel verlieren. Wir finden nur zu oft den Künstler vom Menschen getrennt, ein Widerspruch, der sich, wenn die erste Frische des Gemüthes verloren ging, sicher auch in der Kunst selbst offenbart. Statt daß ein wahrhaft künstlerisches Gemüth sich entweder freiwillig beschränkend in der eignen abgeschloßnen Welt still fortwirkt, oder mit einem Götterblick die ganze [59] Natur durchdringt, überall denselben Geist ein- und aushaucht, das Einzelne und Getrennte in dem Brennpunkt einer gotterfüllten Seele auffaßt, und wie die Kunst zum Leben, so das Leben zur Kunst erhebt. – Es ist sonst nicht Ihre Art, unterbrach ihn der Ritter, zu hohe Anfoderung an die Menschen zu machen, und das Vollendete als Norm Ihres Urtheils anzunehmen. Indeß, wenn ich auch im Ganzen Ihrer Meinung bin, so sind Sie doch sicher im Einzelnen hier unbillig, eine völlig durchgeführte Einheit als einzige Beglaubigung eines ächten Künstlergenies aufzustellen. Sie müssen mir zugeben, daßein Blitz oft das vortreffliche erzeugte, und wenn sich mehrere solche Momente an einander reihen, sie einen schönen Kreis bilden, [60] aus welchem jede Lücke verschwindet. –

Wenn von dem Streben eines ganzen Lebens die Rede ist, erwiederte der Offizier, so kann das Ziel wohl nicht hoch genug stehen. Und wenn ich Ihnen auch eingestehe, daß oft das Vortreffliche aus einem gestörten Leben hervorging, so ist dieser Weg dennoch sicher nicht der wünschenswerthe, am wenigsten wird ihn jemand mit Besonnenheit wählen. Es ist dafür gesorgt, daß keiner dem andern etwas absolut nehmen oder geben könne, und wenn Sie wirklich einen regen Kunsttrieb in sich fühlen, so werden meine Worte ihn nicht erlöschen, allein Sie ahneten es bei weitem früher, wie Sie auf eine Sphäre der Thätigkeit angewiesen sind, die unmittelbar in die äußern Verhältnisse [61] des Lebens eingreift, darum fassen Sie nur getrost das Schwerdt, und ziehen Sie nach allen Himmelsstrichen Radien, die ihr kühner Geist durchfliegen möge! Was Sie vergebens in der Künstler-und Gelehrtenwelt suchen, Gemeingeist, Verbrüderung, das finden Sie hier allein. Der Flachste unter uns ahnet ein inneres Band, das Alle zusammenhält, und Niemand wagt es zu zerreißen, ohne selbst unterzugehen. Er war bei diesen Worten aufgesprungen, und die Hand an den Degen gelegt, stand er mit flammenden Blicken wie ein Heros vor Rodrich, der im Begriff war, vor ihm niederzusinken, und sich ihm wie einem Gottgesandten hinzugeben, als er ruhig sei nen Platz wieder einnahm, und gelassen sagte: doch müssen Sie selbst sehen und urtheilen. Es ist [62] nur gut, setzte er lächelnd hinzu, daß hier der Egoismus einen ganzen Stand umfaßt, sonst könnten Ihnen meine Worte leicht verdächtig erscheinen. Was braucht es da viel langsamen Erwägens, fiel Rodrich ungeduldig ein, ich bin entschlossen, sagen Sie nur, wie es anzufangen sey, da mir jedes Mittel, wie überall jede äußere Bedingung fremd ist. Das wird sich alles ganz leicht fügen, erwiederte der Ritter, wenn Sie mir erlauben, meinen Oheim, bei dessen Regiment hier unser Freund Stephano dient, einigermaßen mit ihrer Geschichte bekannt zu machen, und Sie bei ihm einzuführen. Sie trauen mir zu, daß das Erstere auf eine Weise geschehen wird, die Sie vor jedem unbescheidenen Eindringen sichert, und daß ich überall den Mann als geprüft [63] und erkannt ehre, dem ich Ihr Geheimniß übergebe. Ob ich gleich den Degen scheinbar zu einem anderen Zwecke trage, so gehöre ich dennoch zu dem edlen Stande, dem ich Sie mit recht brüderlichen Gesinnungen zuführe. Rodrich umarmte den liebenswürdigen Jüngling, und nahm dankbar einen Vorschlag an, der ihm so unerwartet die Kreise eines freien beweglichen Lebens eröffnete.

Nach kurzen Verabredungen und dem Versprechen, den folgenden Mittag hier wieder zusammenzutreffen, trennten sich die neuen Freunde. Rodrich verweilte noch einige Augenblicke, während er die seltsamen Bilder seines Lebens überflog, als ihn der Wirth höflich erinnerte, einige Stunden dem Schlafe zu geben. Er blickte um sich, [64] und sah wie die niedergebrannte Kerze dem hereinbrechenden Tage wich. Die geleerten Flaschen, der Wein in den halbgefüllten Gläsern, alle Gegenstände im Zimmer erschienen in dem Doppellichte so bleich und verstört, ihn selbst überfiel ein leichter Frost, der ihn unangenehm aus seinem Traume weckte. Mein Gott, sagte er verdrießlich, muß mich denn der junge Morgen so kalt, so widrig anfassen, da ihm doch so warme Herzen entgegenschlagen! Er ging verstimmt auf sein Zimmer, und eröffnete sein Gepäck, um Florio's Bild, daß ihm in einer Stunde wehmüthiger Erinnerungen wohl gelungen war, unter andern Zeichnungen hervorzusuchen, als ihm die wenigen Goldstücke entgegenleuchteten, die er als Früchte seines Fleißes mit hieher brachte. Er übersah[65] den kleinen Reichthum, und fühlte schmerzlich, daß er nicht zureichen werde, die ersten nothwendigsten Bedürfnisse seiner neuen Lage zu befriedigen. Daran hatte er bis jetzt nicht einen Augenblick gedacht, und nun zog es ihn plötzlich wie mit tausend Armen in die Dunkelheit zurück. Sollte er wie ein Bettler vor seinen Freunden erscheinen, oder alle freudige Erwartungen hingebend aus dem eröffneten Paradiese fliehen? – Er saß, die starren Blicke auf das Geld gerichtet, da, und ließ es nachläßig durch die Finger gleiten, als müsse es sich unter seinen Händen vermehren. Plötzlich rief er aus: die Schlacken gehören der niedern Erde an, dein Feuer leuchtendes Metall erhebt mich zum Himmel! ich will nicht betteln, ich will fordern, was ich einst mit Wucher zurück zugeben[66] denke. Er beschloß, sich Stephano ohne Rückhalt zu entdecken und warf sich getröstet und von neuen Hoffnungen belebt auf sein Lager. Die innere Bewegung ließ ihn indeß hier keine Ruhe finden. Zukunft und Vergangenheit verwirrte sich in seltsamen Erscheinungen, die ihn halb wachend halb schlafend peinlich fortrissen. Zuweilen glaubte er wieder als Hirtenknabe unter einem großen schattigen Baume zu ruhen, und mit einem langen Stabe die kleine Heerde zu überzählen, dann waren es wieder die Goldstücke, die er zählte, und in kleine Säulen vor sich hinstellte, während der Berggeist zwischen den Klippen vorüberging; Florio wollte ihn zu ihm führen, und wie sie gingen, öffnete sich der Berg zu einem langen, dunkeln [67] Gange. Rodrich hatte das Gold noch immer in Händen, und zählte sehr ängstlich, doch unversehens fiel ein Stück auf den Boden, und in demselben Augenblick ergoß sich ein heller Glanz an den Wänden. Er warf nun alles Gold von sich, und die Hallen wurden immer weiter und strahlender, bis er in einen reich verzierten Saal trat, in dessen Mitte ihm Eusebio den glänzenden Mantel umhing, während der Ritter und Stephano ein goldenes Schwerdt zu seinen Füßen legten. Er wollte sie umarmen, da fühlte er sich ängstlich gehalten, und als er um sich sah, lag er mit Florio in einem engen Sarge; der Mantel bedeckte beide, das Schwerdt war ein friedlicher Hirtenstab geworden, von welchem eine schöne bleiche Frau mit heißen[68] Thränen einen Blutstropfen abzuwaschen bemühet war. Rodrich strebte vergebens sich frei zu machen. Florio's kalte Wange lag an seinem Herzen, und er konnte sich mit aller Gewalt nicht von ihm losreißen. In der entsetzlichsten Anstrengung fuhr er aus dem krankhaften Schlafe empor, und erkannte Stephano, der sich theilnehmend über ihn hinbeugte, und seine Hand auf die fliegende Brust legte, um ihn zu erwecken. Ums Himmels willen ermuntern Sie sich, rief er besorgt, solch ein Schlaf ist verzehrend, streifen Sie nur schnell die schweren Wolken ab, es ist schon hoch am Tage, Ihrer erwartet heut noch mancherlei, wozu Sie Besonnenheit und Klarheit bedürfen, ihre Angelegenheiten sind eingeleitet, und alles wird gut gehen. Ins Grab, [69] sagte Rodrich ganz verstört, dahin also – – Mein Gott, was haben Sie denn, rief Stephano ungeduldig! Kann ein Traum Sie so erschüttern? wie werden des Lebens Wogen Sie dann hin und herwerfen. Des Lebens Wogen? wiederholte Rodrich, ach ich lebte ja auch, wer kann hier eine Gränzlinie zwischen Traum und Wahrheit ziehen! Nun, nun, sagte Stephano lächelnd, kommen Sie nur, ein Sonnenblick, denk ich, soll die freudige Wirklichkeit aufdecken, und die matten Sinne aufs neue erfrischen. Junger Freund, fuhr er ernsthaft fort, als Rodrich noch immer im stummen Nachdenken verharrte, hüten Sie sich vor jener schlaffen Beweglichkeit, die dem Manne alle Kraft zu ernstern Kämpfen raubt. Es giebt weiche, kindliche Gemüther, die [70] in Freud und Schmerz gleich hingebend sich selbst verlieren. Die Natur formt nicht Alle auf gleiche Weise. Aber der Mensch kann viel gegen die Schwäche eigener Natur; und wer sich nach der ersten Erschütterung nicht wiederzufinden, nicht in der eigenen Freiheit wieder herzustellen vermag, für den werde ich nie sonderliche Achtung hegen. Er reichte ihm hierbei die Hand, um die Strenge seiner Worte zu mildern, Rodrich ging beschämt neben ihm her, bis sie ins Freie kamen, und die Schönheit und Regelmäßigkeit der Gebäude, die am vorigen Abend in dem gemeinsamen Eindruck des Ganzen für ihn verloren ging, jetzt seine Aufmerksamkeit erregte. Sie sprachen viel über alte Architektur. Rodrich stimmte für die Klarheit und in sich bedingte Größe [71] griechischer Formen. Hier ist überall Harmonie, fuhr er fort, weil der Zweck nicht außerhalb zu suchen ist. Dem Griechen erschließt sich der Himmel unmittelbar in der Anschauung, für ihn ist alles an sich ganz und ungetheilt da. Bei den Römern war das schon anders. Die Kunst ward ihm Mittel, er wollte das Ungeheure und stellte sich selbst auf die Spitze. – Wie gut Sie die Römernaturen verstehen! sagte Stephano lächelnd, fast glaube ich, Sie haben ihr eignes Bild in dem Römischen Künstler aufgestellt. Gewiß ist es, daß Corinthus Blüthen sehr bald in den Riesenmassen versteinten, doch auch so sind sie schön in ihrer Eigenthümlichkeit. – Nur daß sie sich in dieser Hinsicht mehr der Gothischen als der Griechischen Kunst nähern, [72] erwiederte Rodrich. Legen Sie doch nicht den Maaßstab des Einen an, um das Andere zu würdigen, entgegnete jener. Durch solche Vergleiche verrückt man nur zu oft den Standpunkt, von dem jedes Einzelne betrachtet seyn will. In ihrer Erscheinung sind alle drei höchst ehrenwerth, weil sie einen bestimmten Charakter aussprechen, wodurch sie sich allein schon von den heutigen Kunstwerken unterscheiden, die uns nicht selten zeigen, wie man drei in einem vereinigt. Glücklich genug, wenn wir ein gothisches Häuschen neben einem griechischen Tempel eng und zierlich nach dem Gesichtskreis des Beschauers zugeschnitten erblicken, oft ist es noch schlimmer, modische Pracht und antike Verzierung schmücken eine neu erbaute Rinne, und so umgekehrt. Doch auch [73] dies ist nicht charakterlos, es spricht die allgemeine Verwirrung des Zeitmoments aus, und wer will behaupten, daß nicht das Herrlichste daraus hervorgehen könne. Sie standen bei diesen Worten vor demselben Gitter, das Rodrich gestern offen fand. Er fragte begierig nach dem Besitzer des Gartens, und erfuhr, daß er zu dem Schlosse der Prinzessin Therese, Schwester des Herzogs gehöre, die seit dem Tode ihres Gemahls den kalten Norden verlassend, mit ihren beiden Töchtern zu dem kinderlosen Bruder zurückgekehret sey, und neues Leben über das verwaisete Land verbreite. Stephano sprach noch viel von der hohen Natur dieser Frau, die aus einem freudeleeren Bund eine seltene Heiterkeit gerettet habe, und sie auch den verschlossensten [74] Gemüthern mittheile. Rodrich fühlte bald den Einfluß jenes stillen Geistes, der überall in den freudigen Umgebungen athmete. Die beruhigten Sinne verweilten gern auf den hellen Wasserspiegeln, dem frischen Rasen, der reichen Fülle der schattigen Bäume. Alles stand so anspruchslos da, daß der dumpfe Mensch leicht daran vorübergehen konnte, ohne die ordnende Hand zu ahnden, die so unscheinbar alle einzelne Blüthen zu einem vollen Kranze sammelte. Nirgend war etwas Hervorstechendes, allein nirgend sah man auch der widerstrebenden Natur fremde Stoffe aufgedrungen. Umgebungen – Erde und Himmel, alles berührte sich in ungestörtem Einklang. Was ihm gestern im nächtlichen Schein so feierlich begegnete, trat jetzt leicht[75] und erfreulich hervor. Den Laokoon sah er nicht, wohl aber den Pavillon mit seinen hohen Fenstern, deren lichtblaue Vorhänge glauben ließen, der Himmel spiegle sich in dem chrystallenen Pallast der Nereiden. Hier, sagte Stephano, verlebt Prinzessin Miranda die schönsten Stunden in der Erinnerung früherer Kindheit, die ihr die Lage des Platzes, das ferne Gebirge, die Beugung des Stromes, alles wie sie sagt, auf eine eigene Weise zurückruft. Miranda? wiederholte Rodrich – der Name dringt seltsam aus der Ferne herauf, mir ist, als habe ich ihn einst wo gehört. Wie sollten Sie nicht, fiel Stephano schnell ein. Seit dieser Himmel unsre Erde erleuchtet, ist jedes Herz davon erfüllt. Schon als Künstler, setzte er hinzu, kann Ihnen [76] der Name nicht fremd seyn. Die herrliche Gestalt ist von tausend alten Mahlern und Bildhauern vergebens nach geformt; indeß Niemand das eigentliche Wesen, das, was ihrem Gesicht den unwiderstehlichen Zauber giebt, darzustellen weiß. Die Heftigkeit, mit welcher Stephano dies alles sagte, war Rodrich nicht entgangen. Er gedachte seiner gestrigen Erscheinung, des Liedes, das ihn so unwillkührlich fortriß, und beide gingen eine Zeitlang schweigend neben einander hin, als der Ritter schnell auf sie zukam und Rodrich bat, ihn sogleich zu seinem Oheim zu begleiten, der von allem unterrichtet, ihn ungeduldig erwarte. Er selbst, fuhr er fort, war früher durch Familienverhältnisse gezwungen, fast auf ähnliche Weise in fremde Dienste zu gehen. [77] Alle Widerwärtigkeiten seines reichen Lebens haben die jugendliche Wärme nicht in ihm erlöschen können, und ob ich ihm gleich nur im Allgemeinen von Ihrer Flucht aus dem Kloster sprach, so hat ihn dies allein schon für Sie eingenommen. Dieser Mann, sagte Stephano, als sie auf dem Rückwege begriffen waren, ist eine ganz eigne fast in sich widersprechende Erscheinung. Entschiedner Feind alles geregelten Formellen, ist er dennoch bis zur Uebertreibung streng im Dienste. Hier allein gilt ihm die feststehende Ordnung über alles. Es ist als trenne er den Soldaten durchaus vom Menschen, und in dieser Abgeschlossenheit erscheint er selbst völlig ein Andrer. Es entspringt dies nicht etwa aus einer bestimmten Ansicht des Lebens und seiner Verhältnisse, [78] in deren innere Tiefe einzudringen er als höchst trübselig und jedem ächten Genusse zuwider, verwirft. Es ist ihm wie sein übriges rücksichtsloses Wesen ganz natürlich, und er trägt es so wenig zur Schau, als daß er es verbirgt. Bei aller dieser scheinbaren Unbestimmtheit, sagte der Ritter, ist er der festeste, zuverläßigste Mann, der wohl eher fähig wär, äußere Wohlfahrt, Freiheit und Vaterland für den geliebten Freund hinzugeben, weshalb er auch dem düstern Herzog ewig fremd bleiben wird, der ihn nur auf das dringende Gesuch der Prinzessin Therese in seine Dienste nahm. – Sehr seltsam ist es, daß dieser leichtgesinnte Mann so ernsten tragischen Gemüthern das Daseyn gab. Jener Fernando Alvarez, dessen Namen Sie gestern hörten, [79] war sein Sohn, und die schöne Rosalie, das einzige ihm gebliebene Kind, vertrauert ein blühendes Leben auf einem nahe gelegenen Landgute, wo sie seit dem Tode des Bruders fast Niemand als die Miranda sieht, deren Gespielin sie ehedem im Auslande war.

Hat auch der Tod des Sohnes keinen tiefern Eindruck bei dem Grafen zurückgelassen? fragte Rodrich. Nichts beschäftigt ihn dauernd, was seine äußere Thätigkeit hemmt, erwiederte der Ritter. Der erste Augenblick bewegte ihn gewaltsam, nur war der Schmerz, der sonst die Sinne lähmt, ihm ein neuer Sporn zu den kräftigsten Maßregeln, die erschütterte Familienruhe wiederherzustellen, und sich selbst Genugthuung zu verschaffen. Er bestand mit Nachdruck auf der Verbannung des [80] Unglücklichen, der mit Rosaliens Liebe auch ihres Lebens Freude tödtete, und obgleich Ludovico des Herzogs Günstling war, so mußte sich dieser dennoch dem Willen eines Mannes fügen, der ihm in der mißlichen Lage seiner äußern Angelegenheiten unentbehrlich ist. Jetzt hat er seine ehemalige Heiterkeit unverändert wieder erlangt, und das Glück einer früher geschlossenen zweiten Verbindung mit einer überaus reizenden, ihm ganz gleich gesinnten Gattin, läßt ihn die Thränen der einsamen Tochter weniger empfinden, deren Schmerz er wie den Wahn einer frommen Träumerin schweigend ehrt. Doch hat er mehrmals versucht sie der Welt wiederzugeben, und er sagte mir heute, daß er Hoffnung habe, sie in kurzem hier in der Stadt zu sehen. Dies verdankt [81] er wohl Miranda's zärtlichem Bemühen, sagte Stephano, die mit ihrer eignen Klarheit dies zerstörte Gemüth aufzuhellen strebt.

Sie waren während dem zu des Grafen Wohnung gekommen. Stephano verließ sie hier, um den Mittag Rodrich mehrere Freunde zuzuführen, mit denen er in der Folge durch ein gleiches Verhältniß in nähere Verbindung treten sollte. Ein breiter Vorhof, den eine Reihe schattiger Platanen und hohe Vasen mit blühenden Sträuchern zu einem lustigen Garten bildeten, führte sie in einen offenen häuslich verzierten Saal. Die Arbeit der Gräfin, mehrere aufgeschlagene Bücher, eine Laute, alles lag hier zerstreut auf einem Ruhebette von indischem Zitz. Ein kleiner Tisch mit mehrern angefangnen [82] Zeichnungen stand zunächst der Thür. Rodrich entdeckte sogleich einen schönen weiblichen Kopf, in welchem der Ritter Rosaliens Bild mit sichtlicher Bewegung erkannte. Die Gräfin, sagte er, seine Verlegenheit verbergend, hat viel Talent, sie zeichnet vortrefflich, spielt und singt auf die anmuthigste Weise, überall ist sie nie unbeschäftigt, nur schweift sie, wie eine Biene, von einer Blüthe zur andern. Sie ist sogleich übersättigt und der geliebte Gegenstand muß nicht selten das augenblickliche Entzücken, das er erregte, durch einen dauernden Widerwillen büßen. Diese Beweglichkeit, die sie im Ganzen äußerst anziehend macht, bezieht sich indeß nicht auf ihren Gemahl, dem sie mit unverletzter Treue zugethan bleibt. Auch Rosalien liebt sie [83] zärtlich. Nur sind sie freilich durch die ganz entgegengesetzte Sinnesart von einander getrennt, und finden wenig Berührungspunkte im Leben. Während dem trat ein phantastisch gekleideter Knabe herein, und fragte mit vieler Zierlichkeit, ob sie bei der Gräfin vorgelassen zu werden wünschten. Rodrich blickte ihn befremdet an, allein der Ritter, nachdem er das Kind zurückgesandt, sagte lachend, es ist einer von Seraphinens launigen Einfällen, nur Kinder in ihrem Dienste zu dulden, die sie dann nach ihrem wechselnden Geschmack bald in dieser, bald in jener fremden Tracht auftreten läßt. Der Graf weidet sich an dieser schuldlosen Spielerei, und es ist in der That ein reizender Anblick, sie von den bunten Figürchen, wie fliegende Blumen,[84] umschwirrt zu sehen, die sie mit wahrhafter Feengewalt belebt und ihnen eine ganz eigne Lieblichkeit mittheilt. Aber was wird aus den Unglücklichen, fragte Rodrich, wenn Ueberdruß und Langeweile sie aus ihrer Nähe verbannen? Bis dahin läßt sie es nicht kommen, erwiederte der Ritter. Sie ist zu gut, um irgend jemand zu kränken, und da sie die Kleinen unaufhörlich unter der Anführung eines alten erfahrnen Aufsehers beschäftigt, so erwerben sie tausend Geschicklichkeiten, die sie zu ernstern Beschäftigungen fähig machen, wofür sie denn auch mütterlich sorgt, wenn sie heranwachsen und sie, wie sie sagt, mit ihren nüchternen Augen und schläfrigem Wesen zum Unwillen reizen.

Rodrich blickte verlangend nach Seraphinens Zimmern. Er wäre lieber [85] dem Knaben als dem Ritter gefolgt, der ihn ernstlich antrieb, zu dem wartenden Grafen zu eilen. Sie fanden ihn vor einer langen mit aufgerollten Karten bedeckten Tafel. Er durchflog die weiten Räume der Erde und entwarf manchen Plan, seinen Namen mit gewichtigem Arme auf die Nachwelt zu bringen, als Rodrich bescheiden vor ihn hintrat. Aller Stolz, alle Anmaßung verschwand beim Anblick des heitern benarbten Angesichts. Sobald ihn der Graf bemerkte, eilte er schnell auf ihn zu. Einen Augenblick betrachtete er ihn mit festem durchdringenden Blick, dann reichte er ihm vertraulich die Hand, indem er sagte: Seyn Sie willkommen, wenn der rechte Ernst und die rechte Lust Sie zu mir führen, und Sie das Soldatenleben von ganzer [86] Seele lieben. Ich kenne wenig vom Leben, sagte Rodrich, allein mein Herz bewegt sich freudig beim Gedanken eines muthigen Streites, und ich kenne nichts herrlicheres, als dem Tode mit lebendigem, frischem Sinne zu trotzen. Ich gäbe allen ruhigen Genuß kommender Tage für einen herzhaften Kampf, der den ganzen Menschen durchglüht, so daß auch der Nüchterne seine göttliche Natur nicht verleugnet. Auf Rodrichs Stirn flammte die heilige Wahrheit dieser Worte. Der Ritter drückte ihn freudig an die Brust, und der Graf reichte ihm statt aller Antwort einen Degen, den Rodrich mit Stolz und Wehmuth empfing, und, die hervorbrechenden Thränen nicht verbergend, im Uebermaaß des Gefühls ausrief: heller Stahl, laß die Welt in deinem[87] Glanze leuchten, oder trinke nie ruflos verspritztes Blut. Das ist der rechte Kriegersinn, sagte der Graf. Ich liebe Gemüther wie das, darum verehre ich Ihnen das erste Zeichen meiner Achtung. Solch ein Führer läßt Niemand sinken, und müßte er sich auch zuletzt gegen die eigne Brust wenden; und glauben Sie mir, wer nur recht kräftig durch die Welt hingeht, mit Gefahr und Tod spielt, dem kann das Schicksal nicht viel anhaben, es ermüdet endlich vor der unerschütterlichen Heiterkeit, und läßt den Menschen sein stilles Glück genießen!

Rodrich war über den unschuldigen Sinn gerührt, der sicher nur das Rechte gewollt, und so von aller Bitterkeit und feindlichen Gesinnungen rein geblieben war.

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Sie sprachen bald weitläuftiger über das Nähere seiner künftigen Bestimmung, und der Graf sagte ihm: daß der Herzog, wenig Theil an der innern Oekonomie der Armee nehmend, ihm ziemlich freie Hand lasse, und er daher im Stande sey das Möglichste für ihn zu thun. Indessen müsse er ihn schon noch vorstellen, weil seine Vertraulichkeit mit Stephano und dem Ritter Aufsehen erregt und die leeren Köpfe hin und her bewegt habe, die in seiner Erscheinung etwas Geheimnißvolles und Wichtiges aufzufinden meinten. Vorläufig, fuhr er fort, werde ich Sie als Volontair bei meinem Regimente vorschlagen, wogegen der Herzog wohl nichts einwenden wird, wenn ich mich für Sie verbürge. Bis dies geschehen, und alles eingerichtet ist, müssen Sie [89] sich möglichst zurückziehen. Sie dürfen nicht eher in die Welt treten, bis es mit allem Anstande und dem ihrer neuen Lage gebührenden Glanze geschehen kann. Noch Eins, fuhr er fort, als er in Rodrichs Miene eine ängstigende Verlegenheit wahrnahm: Sie sind wohl fremd mit den Bedürfnissen des Lebens? wollen Sie sich mir anvertrauen, mich vor der Hand als Ihren Sachwalter annehmen, so tritt wohl einmal ein bequemer Zeitpunkt ein, wo wir mit einander Rechnung halten und Sie sehen werden, daß ich auch meinen Vortheil nicht dabei vergaß. Rodrich war unbeschreiblich gerührt. So väterlich hatte Niemand seit Eusebio's Tode mit ihm geredet. Er glaubte die geliebte Stimme wieder zu hören, und beugte sich voll heiliger Ehrfurcht [90] über des Grafen Hand, der ihn umarmte und mit innerem Wohlbehagen in sein nasses Auge blickte. Wenn ich Sie nur erst in der Uniform auf einem raschen gewandten Pferde sehe! hub er nach einer Weile an; ja zu Pferde, da geht dem Krieger erst das rechte Leben auf, wenn er so über der Erde hinfliegt und Berge, Häuser und Bäume, alles ihm zu weichen scheint, und das wilde Thier sich unter ihm bäumt, und er es dennoch mit einem Fingerdruck regiert; dann sieht er in Noth und Tod mit Stolz auf die Menschen nieder, die dem kühnen Reiter scheu ausweichen. Ich hatte einen Sohn, fuhr er mit bebender Stimme fort, nicht wahr Alexis, der verstand zu reiten? Der Ritter bejahete es, wehmüthig lächelnd. Ja, ja, sagte der Graf, [91] es löst sich manches schöne Band, darum muß man recht fest zusammen halten und die wenigen Tage heiter mit allem, was man liebt, verleben. Indem öffnete sich die Thüre schnell; Seraphine trat mit einem aufgeschlagenen Brief herein. Nach einem flüchtigen Gruß, rief sie ihrem Manne freudig entgegen: Rosalie kömmt, Morgen ist sie hier und verspricht einige Zeit bei uns zu bleiben. Ich bin so voll von dieser Nachricht, daß ich schon das ganze Haus in Bewegung gesetzt habe; die Zimmer nach der Wasserseite werden für sie eingerichtet, alles soll ein recht festliches, heiteres Ansehen bekommen; ich denke, sie wird sich bald mit dem Leben versöhnen. Rodrich betrachtete, während sie sprach, die zierliche Gestalt, das feine blonde Haar, das [92] sich um einen blendend weißen Nacken ringelte und zu der lieblichen Unordnung ihres ganzen Wesens im Einklange stand. Auch sie hatte mehrere male auf ihn hingeblickt, und die schönen Augen wendeten sich immer wieder, den Fremdling zu betrachten, der ihr wie alles Neue eine willkommne Erscheinung war. Der Graf, der Rosaliens Brief noch nicht gelesen hatte, gab ihn dem Ritter, indem er sagte: lies mir doch diese Zeilen, es wird dir ja auch wohl lieb seyn, zu wissen, was sie eigentlich zu uns führt; und Sie, fuhr er fort, sich zu Rodrich wendend, nehmen auch unbekannt Theil an meinem Kinde. Rodrich neigte sich, und der Ritter las mit großer Bewegung folgendes:

»Ich habe lange geglaubt, die Einsamkeit solle die wunde Brust heilen, [93] aber ich fühl' es wohl, seit mich die Liebe verließ und die Erde das treueste Herz verbirgt, mußte ich hier in Sehnsucht vergehen, wo sich alles so kalt und todt von mir abwendet. Wie manches habe ich versucht, die ewige Leere eines erschöpften Lebens auszufüllen. Ich wollte Blumen ziehen, Vögel abrichten, ach! ich vergaß, daß keine Blume unter kranken Händen gedeihet, und keine Macht das Widerstrebende fesselt. Dann glaubte ich wieder, die zerstreueten Sinne sammeln und auf ernste Gegenstände lenken zu können. Ich flüchtete zu den Wissenschaften, aber die strengen Göttinnen verschließen sich dem Unheiligen, der sich ihnen nicht ungetheilt hingiebt. Und welche Kleinigkeiten zogen mich ab! ein Wort, [94] eine Aehnlichkeit des Lautes, ein groß gezeichneter Bubstab. Liebe, gütige Freundin, ich darf Ihnen diese Schwäche gestehen, Sie fanden wohl eher in Ihrem wohlwollenden Herzen Nachsicht für eine Unglückliche, die zu Ihnen zurückkehrt, um in dem rosigen Schein Ihres Himmels das eigne quälende Daseyn zu vergessen. – Ja, Liebe, ich verlasse aufs neue den selbstgewählten Zufluchtsort. Plötzlich treibt mich alles von hier weg. Mir ist nun, als könne ich auch nicht eine Stunde länger hier verweilen. Schon Morgen bin ich bei dem besten Vater, der das einzige Kind gern mit der alten Liebe aufnehmen und in seiner Nähe dulden wird.«

Der Graf wandte sich gerührt ab, und Seraphine sagte mit ihrer gewohnten [95] Heiterkeit: Ihr seht, wie sie selbst des lästigen Schmerzes müde, sich nach freudigem Genusse sehnt, und wie wenig es der langweiligen Verstellungen bedarf, um eines Menschen gesunde Natur hervorzurufen. Rosalie ist durch sich selbst geheilt, und es ist jetzt die Aufgabe, sie durch etwas Neues, Ungewohntes an die Gegenwart zu fesseln, um nach und nach alle trübe Erinnerungen in ihr zu verwischen. Es kommt darauf an, erwiederte der Ritter, wie nah' oder fern ihr diese Gegenwart steht. Was sie jetzt zu uns führt, ist das unendliche Bedürfniß einer liebenden beweglichen Seele, die in Allem das entschwundene Glück aufsucht, und sich dann mit Schauder von dem abwendet, was sie am glühendsten umfaßte, weil sie nirgend das Alte wiederfindet. [96] Wie sehr die scheinbare Veränderlichkeit auf der Oberfläche ihres Wesens spielt, sehen wir aus dem steten Zurückkehren zu dem einen herrschenden Gefühle. Was kann denn auch die Leere einer verödeten Brust erfüllen! Ihr Leben wird unter einseitigen Versuchen und traurigen Behelfen verschwinden! Nun wahrhaftig, sagte die Gräfin lachend, Ihre eigene Muthlosigkeit schreibt der armen Rosalie das Todesurtheil. Ich hege ganz andre Hoffnungen für sie. Freilich, wenn alle ihre Freunde so lässig und trocken da stehen, und Niemand recht herzhaft angreift, so kann ich sie nicht allein retten. Ihren Beistand, Alexis, darf ich nun schon gar nicht in Anspruch nehmen. Sie würden das Lustigste mit so feierlichen Sonntagsmienen und so[97] trübseligem Ernst begleiten, daß ich wohl selbst davon angesteckt werden könnte. Ihr Spott, sagte der Ritter beleidigt, trifft mich mehr, als Sie es vielleicht wollen. Allein trauen Sie mir zu, daß ich ein verletztes Gemüth nicht zur Schau tragen, am wenigsten Ihre heitre Feste, schöne Gräfin, damit trüben werde. Der Graf faßte hier gutmüthig seine Hand, indem er sagte: Nimm nicht alles so ernst, was dort über die schönen Lippen fliegt, und mische keine Bitterkeit in die allgemeine Freude. Laß ihn nur, sagte Seraphine, er muß alle Tage einigemal so in sich selbst zurückgeschreckt werden, um dann wieder aus voller Seele lachen zu können. Der Zorn ist ihm eine heilsame Erschütterung, er ist nie witziger, als wenn der Ärger und die wiederkehrende [98] Fröhlichkeit noch in ihm streiten. Und am Ende, fuhr sie fort, indem sie die kleinen Hände auf seine Schultern legte, müssen Sie mir es noch danken, daß ich Ihnen zeige, wie Sie sich selbst alles verderben, oft plötzlich den geebneten Weg durch einen muthwillig hingeworfenen Stein versperren, und alle kluge Maßregeln zu Schanden machen. Maßregeln kenne ich so wenig, als ängstliche Rücksichten, wenn es die Wahrheit meines Gefühls gilt, erwiederte der Ritter. Es ist die Frage, sagte die Gräfin, ob diese Wahrheit die rechte ist, und ob Sie durch sie zum Ziele gelangen. Das Erstre wohl ganz gewiß, entgegnete der Ritter, denn ich empfinde wirklich so, und nicht anders; es möchte Ihnen bei allem Zauber weiblicher Beredsamkeit [99] dennoch schwer fallen, mich vom Gegentheil zu überzeugen, und wenn das Zweite nicht die Folge des Vorhergehenden ist, so könnte es nur beweisen, daß ich überall ein falsches Ziel habe. Ich weiß, erwiederte Seraphine, Sie folgen den unmittelbaren Eingebungen. Für Sie ist das Licht des Verstandes eine überflüssige Zugabe, denn ein Gott hat Ihnen gegeben in die verborgene Tiefe zu schauen. Lassen Sie mich ausreden, fuhr sie schnell fort, als der Ritter im Begriff war zu antworten; die Überlegung ist uns beiden gleich fremd, nur daß ich einzulenken verstehe, wenn ich den Blüthen des Augenblicks vorüberging, die Sie, nach der Frucht greifend, trotzig verschmähen. Die Frucht, erwiederte der Ritter, muß sich mir in der Blüthe offenbaren, sonst[100] werfe ich den tauben Glanz hin. Und doch, entgegnete die Gräfin, wird Niemand gerade von diesem so sehr angezogen als Sie, der im einzelnen Moment höchst vornehm auf den Wahn befangener Gemüther blickt. Wie lange zählt Sie die kleine Prinzessin Elwira schon unter Ihre Verehrer, und Sie haben recht, wer wird auch den Blüthenstaub weghauchen, um zu sehen, was darunter liegt, nur seyn Sie überall derselbe, und fordern Sie heute nicht mehr von dem flüchtigen Lebensgenuß, als gestern. Ihr Muthwille, sagte der Ritter halb lachend halb erbittert, wird mich noch zur Verzweifelung bringen! Wären Sie nicht so schön, oder ich keine Dame, fiel Seraphine ein, der blutigste Kampf könnte nur zwischen uns entscheiden. Gewiß [101] lieber Alexis, fuhr sie fort, so herzlich gut ich Ihnen bin, so kann ich doch nie das Lachen lassen, wenn ich Sie so ernst und bedeutend über das Leben hinblicken, und gleichwohl in der nächsten Stunde durch höchst gewöhnliche Regungen gefesselt sehe. Nicht eine vorherrschende Stimmung ist bleibend bei Ihnen, so willig geben Sie sich dem bunten Spiele hin. Daß Sie recht haben, schöne Seraphine, unterbrach sie der Ritter, beweise ich jetzt. Allein wer beugt sich nicht vor solcher Gewalt. Und gewiß, ich muß es Ihnen danken, daß Sie mich eines so heitern Spieles würdigten.

Der Graf, der Seraphinens kleinen Neckereien immer wohlgefällig zuhörte, erinnerte sich jetzt, daß es Zeit sey, mit Ernst für Rodrichs Zukunft zu denken, [102] weshalb er auch sogleich zum Fürsten gehen, und ihn von dem Erfolg der Unterredung benachrichtigen wolle. Rodrich schied voll dankbarer Rührung und hingerissen von Seraphinens Lieblichkeit, deren Bild in Gestalt der flüchtigen Horen vor ihm hinschwebte.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als Stephano mit mehrern Offizieren zu ihnen stieß. Der Ritter schlug vor, den Tag bei ihm zuzubringen, was von Allen gern angenommen ward, da seine lebhafte Unterhaltung die kleine Gesellschaft schon jetzt beschäftigte, und eine freudige Bewirthung verhieß.

Des Ritters Wohnung war mit mehrern Kunstwerken verziert, die er auf seinen Reisen sammelte. Rodrich bemerkte unter diesen ein Bild von der Hand seines Meisters, das er mehrere [103] male nachgezeichnet hatte. Es war ein Einsiedler von überaus schönem Ansehen, der in einer dunkeln Höle vor einem Cruzifix kniete, von dessen Mitte ein Lichtstrahl ausging, und des Einsiedlers Gesicht wundervoll beleuchtete. Er hatte das Bild immer sehr lieb gehabt, und begriff nun, warum ihn der Anblick des Laokoon so bewegte; es waren dieselben Züge, die hier nur weicher und verklärter erschienen. Während er nachdenkend da stand, trat Stephano zu ihm, und ergoß sich im Lobe des Künstlers, der die individuellste Wahrheit höchst poetisch aufgefaßt und lebendig dargestellt habe. Das Ganze, fuhr er fort, hat etwas sehr rührendes, um so mehr, da eine geschichtliche Wahrheit zum Grunde liegt, die uns sehr nahe angeht. [104] Man sagt, es sey des Herzogs Vater, der ein früher gebrochenes Gelübde eines Lieblingssohnes nur durch die Entsagung der Welt zu lösen glaubte, und vor kurzem als Einsiedler starb. Dann freilich, sagte der Ritter lachend, geht er Ihnen nahe genug an. Rodrich fragte nach der Bedeutung dieser Worte, und erfuhr, daß Stephano ein natürlicher Sohn des Herzogs sey, der außer ihm keine Kinder habe. Mehrere der Anwesenden neckten ihn mit der vornehmen Geburt, und verhießen ihm hohe Würden, sogar die mögliche Nachfolge der Regierung. Er blickte indeß finster auf das Bild und beantwortete die Spöttereien mit einem erzwungenen Lächeln, das Rodrich unangenehm auffiel, den überall die ganze Unterhaltung ängstete, ohne daß er sich[105] einen Grund anzugeben wußte. Der Ritter suchte indeß auf alle Weise wieder einzulenken, indem er die Unterhaltung auf die verschiedenartigsten Gegenstände führte, und sich selbst mit unerschöpflicher Fülle in Anekdoten und Geschichtchen ergoß. Stephano blieb dennoch verschlossen, und wenn Rodrich des Ritters Beweglichkeit anstaunte, so suchte er sie vergebens in dem Gleichmuth und der ruhigen Klarheit wieder, die er gestern bewunderte. Auch in seinen Freunden erkannte er ihn nicht, die allesammt willige Hörer aber schlechte Redner zu seyn schienen, und deren Verdienst wohl allein darauf beruhete, daß sie sich an ihn anzuschließen verstanden. Ein rüstiger Jüngling schien zwar mehr absichtlich als aus Beschränktheit zu schweigen, denn zuweilen [106] drang ein ganz lustiger Einfall über den Ritter hervor, dessen lächerliche Seite er, wie die eines jeden Menschen, immer bereit war aufzufassen, ohne sich weiter um den Zusammenhang des Ganzen oder die innere Bedeutung zu bekümmern. Für ihn war die Sache, wie sie erschien, und so fand er überall Stoff zu unendlicher Belustigung. Er selbst war, wie Stephano sagte, ganz ohne Bildung, allein voll natürlicher Anlagen, die er sehr geschickt anwandte, die Schwächen Andrer herauszuheben, ohne daß sie es merkten. So wußte er dem Ritter eine Lieblingsgeschichte nach der andern abzulocken, während er die listigen Augen voll Begier auf seine Lippen heftete, und jedes Wort mit steigender Ungeduld zu erwarten schien, was diesen nur noch [107] mehr anfeuerte und fast immer unaufhaltsam fortriß. Selbst Stephano, der ihn ganz genau kannte, ging nicht selten in die Falle, indem er durch ihn, der nicht ein Wort davon verstand, verleitet, alle seine spekulative Betrachtungen und scharfsinnige Definitionen zu Tage fördern mußte, wobei er mit großer Ruhe ganz fremde Dinge trieb und wenig auf ihn achtete. Die schuldlose, ja kindische Freude, mit welcher er dies versteckte Spiel immer auf's neue begann, reizten jeden zur Theilnahme, und ließ selbst den Angeführten ohne Bitterkeit. Rodrich gewann ihn bald lieb, und als der Wein die Gemüther freudiger stimmte, trat auch Stephano aus seiner trüben Laune hervor, und riß alles durch die Kraft und den Reichthum seiner ausströmenden [108] Fröhlichkeit hin. Ja es war, als hätte er den Schmerz mit Gewalt niedergetreten und wollte jetzt allen Mächten des Schicksals zum Trotz den Himmel erstürmen. In dem allgemeinen Taumel zeigte er kühn die Gewandheit und Sicherheit seines Körpers. Mit einer Art von Wuth trug er ungeheure Lasten, maß im Sprunge einen Raum, vor dem jeder sich entsetzte, balanzirte Leichtes und Schweres gleich geschickt, kurz, er zwang seinen bewundernden Freunden neues Erstaunen und neue Achtung ab. Bald führte man auch muthige, schön verzierte Pferde auf den geräumigen Hof, und mancher, der nun erst an seinem Platze war, zeigte, wie selbst die flache Unbedeutenheit in der edlen Uebung freier Kräfte liebenswerth erscheine. Rodrichs Brust schwoll beim [109] Anblick der herrlichen Thiere. Er konnte der Lust nicht widerstehen, und schwang sich auf einen nahstehenden Rappen, der hoch mit ihm in die Lust stieg und in weiten Sätzen fortsprengte. Rodrichs Muth wuchs mit jedem Augenblick, er faßte kühn die Zügel und flog im Kreise an seinen Freunden vorüber, deren lautes Bravo ihm wie Sphärenmusik erscholl. Schäumend stand das wilde Thier endlich auf seinen Wink, und Rodrich sah erstaunt den Grafen, dessen Ankunft er nicht bemerkt hatte, mit den freudigsten Mienen vor ihn hintreten und ihm ein versiegeltes Papier überreichen, indem er sagte: so gebe ich Ihnen mit doppelter Lust meines Fürsten Befehl und die Erfüllung meines herzlichsten Wunsches. Rodrich erbrach schnell das Siegel und das Offizierpatent [110] sah ihm recht feierlich mit des Fürsten Unterschrift entgegen. Ganz außer sich vor Freude fiel er dem Grafen in die Arme, eilte dann zu Stephano, dem Ritter, den übrigen Offizieren; alle umfaßte er in dem Augenblick mit gleicher Liebe, alle sollten gleich sehr empfinden, wie glücklich er war. Der Graf nahm ihn darauf sehr ernst bei der Hand und stellte ihn den Uebrigen in seiner neuen Würde vor; allein er war viel zu bewegt, um ruhig unter Menschen auszuhalten. Er fühlte das, und erbat sich die Freiheit, diesen Abend allein zubringen zu dürfen. Der Graf gestattete ihm dies gern, nur, setzte er hinzu, müssen Sie mich morgen früh um 10 Uhr zum Herzoge begleiten, der Sie durchaus sehen will.

Die wechselnden Bilder seines wunderbaren [111] Lebens, Ahnungen einer hohen Geburt, einer glänzenden Zukunft, der er wie mit Zaubergewalt entgegen eilte, wachsender Stolz und sehnsüchtige Regungen, alles drängte Rodrich auf sein stilles Zimmer. Kaum war er indeß hier angelangt, so fand er es ganz seltsam, daß ihn die Freude von den Urhebern seines Glückes entfernt, hieher in die Einsamkeit trieb.

Er begriff sich selbst nicht, da er bei allem dem den innigsten Drang nach Mittheilung und Liebe fühlte. Da gedachte er des zärtlichen Florio, und zog sein Bild aus den zusammengerollten Papieren hervor Ach, und wie ihn die weichen kindlichen Züge so unschuldig anblickten, hätte er in Thränen zerfließen mögen; so, das fühlte er, hatte nie eines Menschen Auge [112] sein Herz berührt. Was war des verständigen Stephano und des phantastischen Ritters augenblickliche Theilnahme gegen einen solchen Blick voll Liebe und unaussprechlicher Hingebung! Er drückte das Bild an seine Brust und entschlief bald in der stillen Erinnerung seliger Kindheit.

Als er am folgenden Morgen erwachte, glaubte er zu träumen oder in die Feenwelt versetzt zu seyn, als ein stattlicher Diener mit einem Kästchen voll reicher Kleider an seinem Lager stand, und ihn ehrerbietig fragte: ob er sich anzukleiden, und dann in die neue Wohnung einzuziehen befehle? Rodrich fühlte nach einigem Besinnen die zarte Schonung des Grafen, und faßte sehr bald den Ton, der solchen Verhältnissen geziemt.

[113] Nach einigen Augenblicken stand er geschmückt, sich selbst unkenntlich, unaussprechlich schön da. Er wollte nun zum Wirthe gehen, um alles zu berichtigen, als dieser hereintrat, und ihm ein Packet mit Geld überreichte, das schon am vorigen Tage für ihn eingelaufen sey. Rodrich war nie so reich gewesen. Die Welt war in dem Augenblicke sein, und er verließ den Gasthof mit ganz andern Erwartungen, als er ihn vor einigen Tagen betrat. Zwar fiel es ihm wohl ein: ob das Glück nicht ermüden werde, ihn so ausgezeichnet zu begünstigen? und ob er diese ungeahnete Lust nicht einst werde theuer büßen müssen? Der Traum flog wieder an ihm vorüber und die bedeutsamen Bilder ängsteten ihn mehrere Augenblicke hindurch, doch siegte die [114] frisch erblühete Hoffnung, und et eilte leicht und froh zu dem herzoglichen Schlosse, wohin ihn der Graf beschieden hatte. Wie er die breite Treppe hinauf stieg und ihn die weiten Säle mit ihrer alten gediegnen Pracht empfingen, überfiel ihn eine Angst, die er vergebens niederzukämpfen und den Stolz edler Naturen hervorzurufen bemühet war.

Er ging unsicher durch die hohen Bogengänge, und blickte halb scheu, halb verlangend, nach der Erscheinung des gewaltigen Geistes, der hier thronte. Ein seiner Mann trat auf ihn zu, und bezeichnete ihm, durch eine offen stehende Gallerie, das Zimmer, wo ihn der Graf bereits erwarte. Er folgte der Weisung, und kam an einer Reihe ernster Gemälde vorüber, die allesammt [115] in veralteter Tracht die Stammväter des fürstlichen Hauses zu seyn schienen. Der Einsiedler war darunter, und er wollte ihn eben genauer in der weltlichen Kleidung betrachten, als sich eine Seitenthür öffnete und der Herzog mit dem Grafen erschien. Die lang bekämpfte Scheu machte plötzlich einem Widerwillen Platz, dessen erster Anflug so unwillkührlich wie das Entstehen der Liebe ist. Zwar rechtfertigte ihn des Herzogs Anblick auf keine Weise. Die zerstörten Blüthen schimmerten noch aus den Trümmern hervor, und er galt überall für einen schönen Mann. Er begrüßte Rodrich mit Würde, und hatte eben einige fürstliche Worte unverständlich hingeworfen, als er plötzlich schnell auf ihn zutrat, die unsichern Blicke über ihn hingleiten ließ und ihn [116] dann schärfer und immer schärfer anstarrend todtenbleich in des Grafen Arme sank. Rodrich schauderte bei dem furchtbaren Ereigniß, und ohnerachtet ihm der Graf und mehrere herzueilende Diener versicherten, daß er öfters diesem Zufalle ausgesetzt sey, so wollte er doch nicht länger in dem Schlosse verweilen, wo ihn alles so peinlich drückte.

Auf dem Rückwege traf er den Ritter, der bei seinem Anblicke erschrack, und als er die Veranlassung erfuhr, ihn beruhigend, manch' ähnlichen Fall erzählte, und wie dieser krankhafte Zustand den Herzog in den liebsten Umgebungen an Miranda's Seite, die er anbete, überfalle, ohne daß er von außen die geringste Anregung erhalte. Das geschwätzige Volk, fuhr er fort, [117] das ihn ohnehin nicht liebt, hat tausend Ursachen dieses Uebels ersonnen. Vor allem glaubt man ihn nicht unschuldig an dem plötzlichen Tode seiner Gemahlinn, durch deren Hand ihm, als einem fremden Prinzen, dies Land erst zugefallen ist. Indessen hält ihn mein Oheim, der ihn seit langen Jahren kennt, und auf dessen Schicksal er früher einen bedeutenden Einfluß hatte, solcher That nicht fähig. Auch ist es gewiß, daß der schwankende Mensch zum Morde nicht reif ist, wenn ihn der Augenblick nicht fortreißt. Diesen, fiel Rodrich ein, weiß nur der Starke herbeizuführen, der in der lebendigen Anschauung der That, das Verbrechen zur Tugend adelt. Er dachte hier an Brutus, und was diesen selbst vom Cassius unterschied. Allein der Ritter [118] betrachtete ihn verwundert und er selbst erschrack über die Heftigkeit, mit welcher er eben gesprochen hatte. Sie schwiegen beide einige Augenblicke. Er war verstimmt und wußte das Gespräch auf keine Weise wieder anzuknüpfen. Doch bald lud ihn sein Freund in Seraphinens Namen zu einem Conzert für diesen Abend ein, wo er Rosalien und viel schöne Frauen der Stadt sehen werde. Seraphinens Bild verscheuchte jeden ängstigenden Gedanken. Er nahm die Einladung gern an, und trennte sich mit erheitertem Gemüth vom Ritter.

Ungeduldig hatte er den Augenblick erwartet, wo es ihm vergönnet war, vor der Gräfinn zu erscheinen. Endlich betrat er ihre freudige Wohnung, und kam durch eine Reihe ungewöhnlich [119] bunt verzierter Gemächer zu einem Saale, dessen eine Hälfte ein halber Kreis glänzender Schönen, auf grünen Polstern ruhend, einnahm, die in dem wechselnden Farbenschmuck wie ein fortlaufendes Blumengewinde auf dunklem Grunde prangten. In dem andern Theile des Zimmers waren die Herren mit verschiedenartigen Unterhaltungen beschäftigt, als sich oberhalb der Kuppel plötzlich eine Gallerie, von einer beweglichen chrystallnen Sonne beleuchtet, eröffnete, und Chöre von Knaben und Mädchen, hinter bläulichem Flor geisterartig schwebend, Rosaliens Ankunft in weichen gleitenden Tönen feierten. Indem trat diese an der Gräfinn Hand in die Versammlung. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie erschien mit den bleichen Mienen des [120] Kummers, in der einfachen Kleidung, unendlich rührend. Ihr dunkles Haar lag ganz schlicht auf der Stirn, und ward nur von einer Perlenschnur zusammen gehalten. Ein schwarz sammetnes Kleid von ungewöhnlichem Schnitt bildete den schönsten Faltenwurf, und während es sich der schlanken Gestalt anschmiegte, erhob es den seltnen Glanz ihrer Haut. Sie neigte sich mit einiger Verlegenheit gegen die Gesellschaft, zu deren neugierigen Blicken sie ungern hinaufsah. Indessen wehrete Seraphine jedes unzarte Wort von ihr ab, und als sie bemerkte, wie sehr die Musik sie bewege, winkte sie mit der Hand; die Sonne verschwand; ein frisches Laubdach überzog die Kuppel und breitete sich längs den Wänden herunter. Bald erschienen die kleinen Sänger [121] in vielfacher Hirtentracht, und tanzten zu dem Klange der Flöten und Schalmeyen, wie Rodrich nur im Gebirge hatte tanzen sehen. Er ward lebhaft an seine Kindheit erinnert, und theilte vielleicht unter Allen Rosaliens Rührung am meisten.

Die Gesellschaft hatte sich indessen immer bunter in einander gemischt. Man ging und kam aus anstoßenden geschmackvoll erleuchteten Cabinetten, wo man Erfrischungen, Bücher, Musikalien, tausend klone Spiele, kurz die mannichfachste Unterhaltung fand. Seraphine war überall, und überall von ihrem kleinen Gefolge umringt, in dessen Mitte sie wie eine Feenköniginn erschien. Der Ritter hatte sich jetzt Rosalien genahet, die ihn mit höflicher Kälte entfernte. Sie schien das zu fühlen, [122] und suchte es durch einige freundliche Worte wieder gut zu machen, die den armen Alexis, auf's neue bethörend, unablässig an ihre Seite fesselten. Rodrich bemerkte mit innerer Angst wie sie sich in dem Maaße von ihm abwandte, als er sie ungetheilt fesseln wollte. Ihre Ungeduld wuchs, in den gespannten Zügen lag Widerwille und Aerger. Er nahete sich, um durch ein verändertes Gespräch seinem Freunde diese Entdeckung zu ersparen. Einige allgemeine Höflichkeiten veranlaßten bald die Frage: ob er schon mit den Umgebungen der Stadt bekannt sey? und als er es verneinte, erzählte sie ihm von schönen Wasserfällen, Thälern und überaus anziehenden Spaziergängen in den nahen Gebirgswäldern. Stephano, der herzugekommen war, [123] sagte: was indessen von allem das Interessanteste und dennoch hier ganz ungekannt seyn möchte, ist ein altes Bergschloß, in dessen Trümmern eine Köhlerfamilie lebt. Es ist unmöglich, eine prachtvollere Lage zu erdenken. Von einer steilen Anhöhe sieht man auf der einen Seite in einen dunklen dicht verwachsnen Wald, den ein reißender Bach durchschneidet, während er mit dumpfem Rauschen eine ferne Mühle treibt. Von der andern Seite eröffnet sich eine ganz entgegengesetzte Welt. Bebaute, blühende Felder, Gärten, Triften, ruhig weidende Heerden, kleine Landhäuser, alles still, friedlich, wenn Sie wollen gewöhnlich, allein durch den Contrast gehoben, und gleichsam da, um die aufgeregten Sinne zu beruhigen. Im Innern des Gebäudes finden sich noch [124] einige wohl erhaltene Zimmer, vorzüglich eine Gallerie, die zu einem hervorspringenden Altane nach der Feldseite führt, von wo sich erst die rechte Herrlichkeit offenbart. Rosalie bezeigte ein großes Verlangen, das Schloß zu sehen, und die Gräfinn, die sich ein neues Fest davon versprach, sah mit Ungeduld einer Wanderung nach dem Walde entgegen. Stephano's Beschreibung hatte mehrere herbeigezogen, und alle stimmten für den Plan, nächstens dort ein ländliches Mahl einzunehmen. Wenn Sie die verwöhnten Sinne einmal mit einfacher Kost reizen wollen, sagte Stephano, so will ich schon dafür sorgen, daß die Köhlerfrau mindestens Ihren Hunger stille. Die jungen Leute sprachen viel von dem Poetischen solcher Feste, und verhießen einander großen [125] Genuß von den lustigen Waldscenen. Ich, sagte eine junge Dame mit vielem Nachdruck, ich liebe nichts so sehr, als das unmittelbare Leben in der Natur. Da streifen die Menschen alles Conventionelle ab, und zeigen sich in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit. Ach meine Liebe, sagte die Gräfinn, das thun Sie in jedem unbewachten Augenblick. Es braucht dazu keiner Wälder und Ruinen, um die Gebrechlichkeit zu ahnen. Verdammen Sie das Formelle nicht so absolut, es bedeckt manche Blöße, und viele gehen in dem Festgewande noch ganz erträglich einher, die in den gewohnten Kleidern widerwärtig erscheinen würden. – Überdem, sagte ein Gelehrter, der zu Seraphinens täglicher Gesellschaft gehörte, ist es noch die Frage, ob sich die Menschen auch [126] so wahr in der freien Natur zeigen, als Sie mein Fräulein es glauben, oder ob nicht vielmehr die ungewohnten Umgebungen dem Gemüthe nur etwas neues aufdringen, das gerade der Neuheit wegen für das Rechte gehalten wird. Die Unschuld des Sinnes, das geheime Band zwischen Mensch und Natur, der eigentliche Schlüssel ihrer Hieroglyphen-Sprache, kann sich wohl auch in conventionellen Verhältnissen erhalten, und wo der einmal verloren ging, da wird ihn kein vorüberrauschendes Lüftchen wieder erzeugen. Sehr wahr, sagte Alexis, und ich sehe es nicht wohl ein, warum man sich unaufhörlich in Luft und Duft ertränken müsse, um die Herrlichkeit der Welt zu erkennen! Im Gegentheil, dünkt mich, zeuge es von einer Beschränktheit, alles[127] nur von außen zu erwarten. Nun, sagte die Dame empfindlich, so fliehen Sie nur gleich in eine Zelle, und trennen Sie sich von einer Welt, die Ihnen so entbehrlich dünkt. – Wer den Muth hat, erwiederte der Ritter, freiwillig, aus einer angebornen Lust, eine Scheidewand zwischen sich und der Welt zu ziehen, der muß gewiß einen großen Reichthum in sich tragen. – Die Bären, sagte Stephano, zehren auch von dem eignen Fette, daher verschlafen sie auch die halbe Lebenszeit. – Wer weiß, fiel Alexis ein, zeigt sich Ihnen im Traume nicht etwas Besseres, als wachend an ihnen vorübergeht. Rodrich hatte einst die ganze Fülle ausströmender Seeligkeit in der erwachten Natur empfunden, unwiderstehlich zog ihn alles zu ihr hin. Er war nie [128] besser, nie gotterfüllter, als wenn er in dem reinen Luftmeere schwamm, und die ewig bewegte Fluth alle Bilder des Lebens an ihm vorüberführte. Jetzt hörte er das Klosterleben preisen, das, seine Jugend verdunkelnd, eine widrige Störung zurückgelassen hatte. Er blickte unwillig auf den Ritter, indem er sagte: ich zweifle nicht, daß Sie in strenger Abgezogenheit eine Welt in sich hervorrufen könnten, die als ideale Anschauung für Sie keine Spur der Mangelhaftigkeit an sich trüge; ob indessen die lebendige Frische, die Beweglichkeit in ihr zu finden wäre, die uns die stete Reibung gemeinsamer Kräfte täglich offenbart; ob der gesunde Sinn nicht dennoch einen kränklichen Schimmer in ihr wahrnehme, bleibt unentschieden, bis Sie ihr Inneres in irgend einem [129] bleibenden Kunstwerke außer sich hinstellen. Ihr seyd seltsame Menschen, sagte die Gräfinn, Euch über den mannigfaltigen Lebensgenuß zu streiten, und so eigenmächtige Abtheilungen darin vorzunehmen, während ihr mit vollen Sinnen in der Gegenwart lebt, und Euch, wie mich dünkt, ganz wohl darin gefallt. Und Sie, Alexis, kommen trotz alle dem, von der kleinen Wallfahrt nicht los, so bitter Sie sich auch über die milden Einflüsse der Natur auslassen. Der Ritter küßte ihr lachend die Hand, indem er sagte, womit verständen Sie nicht die hartnäckigsten Gemüther auszusöhnen, liebenswürdige Seraphine! Ich werde den dunklen Wald mit allen Schlangen und Kröten für ein Elysium halten, und Mücken und Käfer als eine Würze [130] der Speisen tapfer mit hinunter schlucken. Sie sind ein feindseliges Gemüth, sagte die Gräfinn unwillig, und wenig geschickt zu kleinen Aufopferungen. Weil ich, erwiederte er ernst, in den größern zu streng geübt werde. Rosalie begann schnell ein anderes Gespräch, und bald darauf ging man unter frohen Erwartungen des lustigen Festes aus einander.

Mehrere Tage waren Rodrich unter Beschäftigungen verflossen, die seine neue Lage herbei führte, und deren edle Bedeutung ihn mit den freudigsten Aussichten erfüllte, als er eines Morgens zu der Gräfinn beschieden ward, um nach eingenommenem Frühstück die verabredete Wanderung anzutreten. Er folgte sogleich ihrem Befehle, und fand im Vorhofe schon Wagen und Pferde [131] zur Abreise bereit. Seraphine trat ihm in einem dunkelgrünen Reitkleide freudig entge gen. Der kleine Hut mit weißen Federn gab ihrem zarten Gesichtchen etwas keckes, wie überall der halb männliche Anzug der zierlichen Gestalt sehr wohl stand. Rodrich fand sie jeden Augenblick reitzender, ihre Bewegungen schienen ihm wie lustige Musik jedes ihrer Worte zu begleiten, er konnte die Augen nicht von ihr abwenden, und als er ihr nachher auf's Pferd half und sie sich vertraulich an ihn lehnte, fühlte er eine Unruhe, die ihn für den ganzen Tag weich und reitzbar stimmte. – Die übrige Gesellschaft machte sich nun auf den Weg, der sie mehrere Stunden leicht und angenehm über Wiesen und Felder führte. Doch beim Eintritt in dem Wald ward er [132] uneben, und manche Stöße und Schläge weckten die Reisenden aus ihren Träumereien. Stephano hatte dafür gesorgt, daß ein Platz vor dem Schlosse geebnet, und des Köhlers Reichthum an Stühlen, Tischen, Milch und Brodt herbeigeschafft wurde. Der Ritter und der Gelehrte sahen mit nüchternen Mienen auf die ärmliche Kost. Ueberdem war es drückend heiß. Kein Lüftchen durchstrich den dichten Wald, und der gutmüthig dargebrachte Honig der Köhlerinn, der den Durst nur noch mehr reitzte, war für die Feinde des Wassers und der Milch kein erfreuliches Labsal. Seraphine weidete sich einige Augenblicke an der innern Unzufriedenheit der meisten, die sich jedoch bei vielen hinter emphatischen Ausbrüchen erzwungenen Entzückens verbarg; dann winkte [133] sie ihren Knaben, und Saumthiere mit Wein und Speisen wurden herbeigeführt. Sie ordnete alles geschäftig an, und indem sie das Köstlichste vor Alexis und seinen Freund hinstellte, sagte sie: Euch gebühren vor Allen die stärkenden Speisen; denn sonst lauft ihr Gefahr, der Erde ohne Widerstand in den Schooß zu sinken.

Alles erheiterte sich jetzt, und viele gestanden, daß es mit den gewohnten Bequemlichkeiten doch eine schöne Sache sey, und man sich ungern davon losmache. Wie wäre es aber, Alexis, sagte die Gräfinn, wenn Sie sich hier eine Einsiedelei anlegten? Der Wald, die Trümmer der Vorzeit, die Abgeschiedenheit der Welt, hier eine Quelle, dort das Echo, das Ihre frommen Seufzer nachhallt, Wurzeln, Kräuter,[134] kurz alles, was der genügsame Mensch bedarf. Nur Ihr Anblick nicht, schöne Gräfinn, sagte Alexis; wie könnte ich mich trösten, Ihnen nicht mehr als Gegenstand des heitersten Spottes zur Seite zu stehen! Gewiß, erwiederte Seraphine herzlich, Niemand läßt sich so willig auslachen und erwiedert meinen Spott mit dieser wohlwollenden Güte. Sie reichte ihm hier die Hand, und die Gesellschaft folgte ihnen und Stephano über zerbrochne Stiegen und halb verfallne Gewölbe in die oberen Zimmer des Schlosses. Sie hatten lange Zeit vom Altane die herrliche Aussicht genossen, als ein dumpfes Rauschen im Walde sie er schreckte. Stephano trat hinaus, und sah wie die Bäume ihre Wipfel bewegten, und das fliegende Gewölk sausend über ihnen [135] hinzog. Indem kam der Ritter lachend heraus, und sagte, daß der Köhler ein entsetzliches Unwetter prophezeye, und er daher der Gesellschaft, die vielleicht nie solche Gelegenheit zur Contemplation ähnlicher Naturscenen finden werde, rathe, hier versammelt zu bleiben, da des Köhlers Stübchen ohnehin die Menschenzahl nicht fassen könne. Während er sprach, blitzte es entsetzlich; die Frauen liefen mit verhülltem Gesichte davon, und einige versicherten, lieber in das unterste Gewölbe zwischen Molche und Kröten zu flüchten, als hier die Angst zu ertragen. Seraphine trat beherzt unter sie und stellte ihnen vor, daß sie nirgend sichrer als gerade hier in der gewölbten Gallerie seyn könnten. Laßt uns daher, fuhr sie fort, ruhig dort bleiben, und das gestörte [136] Fest trotz allem drohenden Ungemach auf irgend eine erfreuliche Weise enden. Die geängsteten Schönen fügten sich widerstrebend der Nothwendigkeit. Morsche Bänke wurden zusammen geschoben und alles drängte sich in einen engen Kreis, während das Gewitter immer schwerer heraufzog. Der Wind heulte furchtbar durch die zerbrochnen Thüren. Steine rollten krachend von den Mauern herunter; wie ein Feuerregen schossen die häufigen Blitze ihre Strahlen durch die fensterreiche Gallerie. Seraphine war keinesweges gleichgültig. Sie zitterte heftig, und hielt sich in der innern Angst an Rodrich und Stephano, die ihr zur Seite saßen. Plötzlich sprang sie auf; laßt Musik kommen! rief sie. Wir wollten ohnehin im Freien tanzen, warum nicht [137] hier? Freudige Klänge verscheuchen böse Geister.

Die Knaben kamen mit ihren kleinen Instrumenten. Seraphine nahm Rodrich bei der Hand, alles folgte unwillkührlich, jeder übertäubte sich selbst in der Todesangst. Rosalie schweifte geisterbleich an des Ritters Arm durch die Reihen. In dem Augenblick fuhr ein Blitz schlängelnd durch das Gemach. Das zitternde Licht brach sich zischend an den Wänden, und verschwand durch die Fenster. Die erschrocknen Tänzer blickten sich erstaunt an. Alle glaubten Rosaliens Gestalt doppelt gesehen, und ein leises Wimmern vernommen zu haben; sie selbst lag ohnmächtig in Seraphinens Armen. Rodrich trug sie schnell in ein Nebenzimmer, während der zerrüttete [138] Alexis in einen Wald floh, und seine Ahnungen und Schmerzen in bittere Klagen ausströmte. In der allgemeinen Verwirrung schwieg die Musik, der Tanz war aufgehoben, man trat zusammen, ohne daß jemand das Herz hatte zu reden. Endlich sagte Stephano mit leiser Stimme: warum erschrecken wir vor einer ganz natürlichen Begebenheit? Der Hang zum Wunderbaren verblendet die klarsten Menschen und reißt alle gesunde Überlegung mit sich fort. Was ist es denn, das diese Bestürzung erregte? Ein Blitz, Rosaliens Ohnmacht und der jammervolle Ton, der während dem aus ihrer Brust drang? Was wir sonst sahen oder zu sehen glaubten, ist nur eine Folge des Vorhergehenden. Schon früher als der Blitz uns verwirrte, [139] hatte Rosaliens sterbendes Auge Alle erschüttert. Der Schreck über sie und diese unerwartete Erscheinung treffen zusammen, wir sahen mit kranken Sinnen. – Ihrer Erklärung, sagte der Gelehrte, geht es, wie allen Erklärungen dieser Art; sie sind unbefriedigend. Daß nichts allein, losgerissen von mitwirkenden Ursachen, deren jede wieder die Wirkung einer andern ist, und so ins Unendliche fort, scheinen Sie auch beweisen zu wollen. Diese mögen wir indessen wohl nicht in einer Folgereihe aufstellen können. Sichtbare und unsichtbare Kräfte berühren sich, wir sehen die Sternenwelt durch ihr Licht mit der unsrigen verbunden; ist der Schein anders und leichter zu erklären, als der Ton? Und lassen Sie es einen Wahn seyn, der mindestens sehr ausfallend [140] Alle zugleich bethörte, was ist denn Wahn? Ist es ein absoluter Gegensatz der Wahrheit: so sage ich, daß er gar nicht statt finden, und dem Menschen einwohnen könne; ist er nur das Zufällige der Wahrheit: so lassen Sie uns das Bleibende darin aufsuchen und dies ist Glaube an die Verwandtschaft aller Kräfte, Liebe zu jener innern Mystik, Sehnsucht nach einer Offenbarung derselben. Wenn Mißgriffe daraus hervorgehen, so steigen Sie bis zum Grunde, und Sie werden eine innre Wahrheit empfinden. Vieles hat sich dem menschlichen Geist aufgehellt, und wir werden die verborgenen Tiefen verstehen lernen. – Wenn Sie es so meinen, sagte Stephano, sind wir einig; ich bestritt auch nur die Mißgriffe.

[141] Das tobende Unwetter hatte sich indessen mit dem letzten Ausbruch erschöpft. Es ward nach und nach stiller. Der heraufkommende Abend wiegte die beruhigte Natur in den seeligen Schlaf der Frommen. Rosalie erholte sich, und trat mit ergebenem Sinn auf den Altan. Rodrich, den ihr Bild seit dem Augenblick, da er sie wie einen sterbenden Engel an seinem Herzen fühlte, nicht mehr verließ, war ihr gefolgt, und hörte sie mit leiser Stimme singen:


Ich ging im bittern Schmerze,
Tief in der Berge Grund
Verklungen Lust und Scherze
Im Innern todeswund.
Was Jugend mir gelogen,
Was Liebe mir verhieß,
Wie ich mich selbst betrogen,
Vom Schein bethören ließ,
[142]
Und fort, in schnellen Flügen
Das Rechte übersah,
Das stand in Flammenzügen
Vor meiner Seele da.
Mir war die Welt verschlossen,
Gebleicht der frische Glanz,
Aus Liebe Leid entsprossen,
Zerrissen Blüth' und Kranz.
Da zog es mich zur Tiefe
Durch öder Felsen Spur
Der grausen Hieroglyphe
Umwandelnder Natur.
Und über mir im Bogen
Sprang hell ein Wasserstrahl,
Des Perlen niederflogen,
Benetzend Fels und Thal.
Da grünten frisch die Moose,
Und aus dem kalten Stein
Wand eine weiße Rose
Sich einsam und allein.
Ich weiß nicht welch ein Sehnen
Mich plötzlich überfiel,
[143]
Es flossen meine Thränen,
Als ständ' ich hier am Ziel.
Ach Rose, süße Blume,
Du nah'st dich mir auf's neu;
Im dunkeln Heiligthume
Bewahrt dich stille Treu'.
Du wirst mich neu beglücken,
Dich färbt der Liebe Hauch!
So rief ich voll Entzücken,
Und nahte mich dem Strauch.
Und wie ich sie berühre,
So theilt sich schnell das Laub;
Ich sah des Grabes Thüre,
Und alles sank in Staub.
Ich kann den Fluch nicht lösen,
So rauscht es fern herauf;
Dich traf die Macht des Bösen
Im herben Lebenslauf.
So walle nun von dannen,
Im Leiden wirst Du groß.
Was Lieb' und Lust gewannen,
Birgt nun der Erde Schooß.

[144] Rodrich weinte heftig zu ihren Füßen. O um Gottes willen nicht diese stille Verzweifelung, rief er, ich möchte meines Herzens Blut geben, um Ihnen einen freudigen Augenblick zu gewinnen. – Sie wollen mein Elend, sagte der Ritter, der plötzlich hinter ihnen stand. Muthwillig geben Sie sich der Erkältung, dem Tode hin, oder fachen die Geister dieses Zauberschlosses neue Flammen in ihrem Busen an? – Rodrich verstand ihn anfangs nicht, doch als er den Sinn seiner Worte ahnete, sagte er bewegt: Du zerreißt das edelste Herz, das ohnehin in Kummer vergeht. Die welkende Blume, sagte Rosalie, blühet ihm noch zu frisch, er muß sie völlig in den Staub treten. Sie ging stolz und empört an Alexis vorüber, der ihr [145] schweigend nachsah, dann sank er an Rodrichs Brust und rief schluchzend: ach! hüte diesen Himmelsfunken, wenn du ihn anzufachen verstandest; ich werde ungesehen mein Leid tragen. Seraphine rief sie hier zur Rückreise ab. Alles war bereit, und die muntre Gesellschaft kehrte erschöpft und verstimmt von dem gehofften Feste zurück.

[146]
Zweites Buch

[147] [149]Rodrich hatte die Nacht kein Auge geschlossen. Des Ritters Worte erregten Wünsche in ihm, die seinem Herzen bis dahin sehr fremd waren. Jetzt fiel es ihm ein, ob er nicht wirklich Rosaliens Liebe gesucht und den großmüthigen Freund beleidigt habe? Er ward ungewiß über sich selbst, und die innere Angst wuchs in der einsamen Nacht. – Bald verscheuchte indessen Rosaliens Schmerz jedes andre Gefühl. Er sah sie wieder auf dem Altan wie eine schwankende Lilie in Liebeshauch zerrinnen, und begriff nicht, wie der Ritter sie mit rauhen Worten berühren, wie er es wagen könne, dies gequälte [149] Herz durch Vorwürfe zu verletzen. Welche Rechte, sagte er mit steigender Bitterkeit, darf er sich über sie anmaßen? und giebt es etwas widersinnigeres, als eine erzwungene Liebe? Kann der Verein zweier Seelen aus dem matten Hingeben erschöpfter Natur erblühen? und sollte nicht ein edles Gemüth diesen Sieg verschmähen? Je mehr er nachdachte, je schuldiger fand er Alexis. Zuletzt hielt er den Gedanken seines Unrechts so fest, daß er nichts als eigensüchtige ungestüme Thorheit in ihm erblickte. In dieser Stimmung fanden ihn folgende Zeilen der Gräfinn.

»Rosalie ist krank. Die unerwarteten Erschütterungen drohen sie umzuwerfen. Ich selbst bin matt, unfähig zu erheiternder Unterhaltung. Ueberdieß verschwimmt jede freudige Aufwallung [150] in diesem unversiegbaren Quell innerer Trauer, und was ich ihr reiche, wird mir unter den Händen zu Gift. Alle Freunde schweigen, auch Alexis. Rosalie scheint deshalb beunruhigt. Ist etwas zwischen ihnen vorgefallen? Eilen Sie doch, dies liebe bewegliche Herz zu beruhigen, und führen Sie uns so bald als möglich den Ritter wieder zu, mit dem ich gern zanken und so die gute Laune wiedergewinnen möchte.«

Rosaliens Krankheit weckte neue Schmerzen in Rodrichs Brust, und versöhnte ihn mit dem bekümmerten Freunde, zu dem er ungesäumt hingehen wollte, als Stephano in sein Zimmer trat und ihm zurief: was ist es denn mit dem Ritter? Ich komme aus seinem Hause, wo ich bis auf einen alten [151] Diener alles leer fand, der mir zwar versichern wollte, sein Herr kehre in wenigen Tagen zurück, allein ich glaube daran nicht; zu einer Lustreise sind die Anstalten zu ernsthaft, überdieß kann ihn nichts Geringes zu diesem Entschluß gebracht haben. Ist denn irgend etwas Wichtiges geschehen? Sie waren zuletzt mit ihm und Rosalien, können Sie mir keine nähere Auskunft geben? Denn von dort her kann es nur kommen, was ihn so plötzlich forttreibt. – Rodrich war so erschrocken, daß er lange keine Worte finden konnte; endlich erzählte er Stephano den Vorgang auf dem Altan, und wie Alexis hart und feindselig erschienen sey. Seltsam, sagte dieser, wie er Rosalien nur so wenig verstehen und die Tiefen ihres Gefühls [152] hier ganz übersehen konnte! Ueberall kenne ich Niemand, dessen Urtheil sich augenblicklich so verwirrt, wenn er selbst in die Handlung eingreift, und eine individuelle Beziehung statt findet! Wie, sagte Rodrich, ist es aber bei dem Reichthum seiner Phantasie, bei der innern Schwungkraft möglich, sich der Gegenwart so hinzugeben? Weil, erwiederte Stephano, es ihm an Elastizität, an Freiheit fehlt, die Wechselwirkung zwischen Innerem und Aeußerem lebendig zu erhalten. Er gehört entweder dem Einen oder dem Andern an. Daher die Ungleichheit in seinem Betragen, die ungebundene Fröhlichkeit in einem und der feierliche Ernst im andern Momente. Die Sinnenwelt blendet ihn, entrücken sie ihm diese, so ist er klar, besonnen, in sich fest. Es ist [153] gewiß, fuhr er nach einigem Nachdenken fort, er kehrt entweder bald, oder bei Rosaliens Leben nie wieder. Nie? wiederholte Rodrich, und wir sollten also Einen von Beiden aufgeben und für immer von ihnen scheiden müssen! Alle Liebe und Theilnahme des wohlwollenden Alexis stellte sich plötzlich vor ihn hin. Er fühlte es schmerzlich, daß er die Brust verwundet, die sich ihm so vertrauend geöffnet hatte! Lassen Sie uns eilen, rief er, vielleicht ist er noch zu retten; ich will mein Leben daran setzen, ihm seinen Argwohn zu benehmen? Werden Sie ihn überzeugen? fragte Stephano, – und gesetzt, es gelänge ihnen, fuhr er fort, was gewinnen wir? Kann in dieser Stimmung die nächste Stunde nicht dasselbe erzeugen? Wo das Uebel nicht aus [154] der Wurzel zu heilen ist, da kann man die Wirkungen niemals berechnen. Lassen Sie uns nicht so eigenmächtig in den Willen eines Menschen eingreifen, man bewirkt wohl etwas andres, selten aber das Bessere. Ach, sagte Rodrich, mich dünkt, wir schläfern unsre Theilnahme mit allgemeinen Klugheitsregeln ein, während der Freund vor unsern Augen versinkt! Stephano suchte ihn von ähnlichen Vorstellungen abzulenken, indem er ihn auf die Nothwendigkeit aufmerksam machte, Rosalien diese Nachricht mitzutheilen, ehe das allgemeine Gerücht sie erreiche. Woran erinnern Sie mich, sagte Rodrich, dies fehlte noch, um sie ganz elend zu machen! Wie wird sie sich trösten können, die dargereichte Hand so kalt und fremd zurückgestoßen zu [155] haben? Mußte Reue noch den innern Unfrieden mehren! Vielleicht, erwiederte Stephano, nimmt sie es auch weniger trübe auf, vielleicht glaubt sie, daß im Laufe fortschreitender Ereignisse die Unabänderlichkeit des Erfolgs auf dem Ursprung früherer That beruhet, der selten dem Einzelnen allein angehört. Man sagt sich das so gern zum Trost, wenn Neigungen uns fortreißen, und Zorn und Liebe mit unsrer Freiheit spielen. Sie waren unter diesem Gespräch zu des Grafen Wohnung gegangen, und betraten Rosaliens Vorzimmer, als ihnen die Gräfinn entgegen eilte, und im bittersten Unmuth zurief: sie weiß alles! Meine Ungeduld hat die Entdeckung beschleunigt! Ich bin außer mir über die kränkliche Weichlichkeit der Männer. Eine Thräne zieht [156] Euch aus Eurem Gleichgewicht und wiegt das Bischen Besonnenheit auf, das Euch zu Theil ward. Geht nur, fuhr sie fort, und helft bereuen, was ihr verdarbt, denn weiter versteht Ihr doch nichts. Ich bin recht unglücklich, von lauter Männern umgeben zu seyn! Miranda ist leider seit wenigen Tagen mit ihrer Mutter im Bade, und ich traue mir selbst nicht mehr, seit alles solche Wendung nimmt! Der Graf war indessen von Rosalien gekommen, und versicherte: sie sey um vieles ruhiger, seit sie Alexis Brief gelesen, den er ihr ohne Rückhalt mitgetheilt habe. Sie gingen insgesammt zu ihr hinein, und fanden sie auf einem Ruhebette, den Brief in der Hand, den sie Rodrich sogleich mit den Worten gab: Sehen Sie, das ist der Fluch, der mich traf, [157] daß mich alles wie eine giftige Blume flieht und ich das Liebste ins Grab stürze! Rodrich beugte sich in stummen Schmerze über ihre Hand, während sie ihn drängte, folgende Zeilen zu lesen.

»Tadlen Sie es nicht, mein gütiger Beschützer, wenn ich so plötzlich aus Ihrem Kreise verschwinde, und mich aufs neue dem ungewissen Spiele des Lebens überlasse. Sie fühlten es wohl eher, wie schwer es dem Menschen wird, von allem was er liebt zu scheiden, und in fremden Herzen die Theilnahme zu suchen, die er in der geliebten Heimath zurückläßt. Aber gewiß, es muß so seyn! Ich habe lange mit wachen Sinnen die Träume der Kindheit fortgespielt, und meine Arme sehnend nach einem Schattenbilde [158] ausgebreitet. Ein heftiger Sturm zerriß die Nebel. In der Erschütterung findet der Mann sich am ersten wieder. Ich thue endlich, was ich längst gesollt. Nicht jeder darf erwarten, hier seine Wünsche gekrönt zu sehen, und im fruchtlosen Kampfe gegen einen höhern Willen ermatten die besten Kräfte. Vielleicht war ich überall zu schweren Opfern bestimmt, vielleicht sollte ich das irdische Daseyn hinwerfen, um mich selbst zu behaupten! Ich folge der innern Stimme, und eile, meines Heilandes Ruhm auf fernen Küsten zu verbreiten oder unterzugehen. Tragen meine Wünsche mich einst zu Rosaliens Füßen, so wird sie den Helden im Märtyrer ehren, und ihm die Achtung wiederschenken, die sie dem schwankenden [159] Jünglinge versagte. Ach, mein geliebter Vater, könnte ich an ihrem Herzen alle Liebe und alle Sehnsucht ausweinen, und Ihren Seegen mit in die dunkle Zukunft nehmen! Aber ich soll Sie nicht mehr sehen! Ich muß, ich muß fort! Ewig der Ihrige.

Alexis.«


Ich hätte es wissen sollen, sagte Rosalie, wie das zurückgeschreckte Gefühl immer das Äußerste ergreift und sich selbst in der verlornen Hoffnung vernichtet. Aber ich kannte nur den eignen Schmerz und sah überall nichts als den Spott eines höhnenden Schicksals! – Warum mußte ich auch gerade da mit dieser ängstigenden Beständigkeit geliebt werden, wo mein Herz unverändert schwieg! Die Gräfinn die nur froh war, daß Rosalie wieder [160] sprach, und im eignen Unglück Trost und Entschuldigung für Alexis Schmerzen suchte, fragte begierig, wie es zugegangen sey, daß der Ritter bei so viel Liebenswürdigkeit und einem fast demüthigen Hingeben auch in frühern Kinderjahren nie einen günstigen Eindruck auf sie habe machen können? Ich weiß nicht, erwiederte Rosalie, warum mir die Wünsche meiner Mutter, die Alexis sehr liebte, und die kleinen Neckereien meiner Gespielinnen, ehe ich sie noch ganz verstand, Widerwillen erregten, und ich ein Glück verschmähete, das mir von allen Seiten gezeigt ward. Das frei ausströmende Gefühl hätte sich vielleicht dahin gerichtet, wohin man es absichtlich zu lenken suchte; allein jeder Schein von Zwang empört ein jugendliches Herz, und ich betrübte [161] oft die gütige Mutter durch einen Widerstand, in welchem sie mehr Eigensinn als Abneigung erblickte. Ach, und sähe sie mich jetzt! Verstoßen, zernichtet den Unglücklichen, den sie beschützte, elend durch mich, die ihn beglücken sollte! War es doch von jeher mein Loos, die Erwartungen derer zu täuschen, die mit voller Seele an mir hingen! Welche Mutter, sagte Stephano, darf auch hoffen ihre frommen Wünsche gekrönt zu sehen? Darum blicken wir so wehmüthig auf unsre Kindheit zurück, weil der einsame Mensch die goldnen Träume wieder erkennt, die seine Wiege umflatterten, und das Paradies, das ihm in der mütterlichen Liebe erblühete, so unschuldig aus den Trümmern eines zerbrochnen Lebens hervorsieht! Rosalie, die aufgestanden [162] war, trat zum Clavier und sang folgendes Lied:


Hier im Walde, süßes Leben,
Hier im Walde ruhe sanft;
Sieh, es neigen sich die Zweige,
Flechten dir ein Blüthendach.
Und es rauschen durch die Blätter,
Von den Lüften angefacht,
Linde Töne, dich zu wiegen
In den lang ersehnten Schlaf.
Will dich auf den Rasen betten,
An der frischen Quelle Rand;
Wächter sind dir meine Sorgen
Schutz und Wehr, der Mutter Arm.
Blumen sprießen aus der Erde,
Hüllen dich in farb'ge Pracht,
Und die zarten Düfte weben
Luft'ge Schleier um dein Haar.
Wie sich schon die Augen schließen,
Und der Wimpern dunkles Schwarz,
[163]
Auf dem ros'gen Hauch der Wangen,
Athmend auf und nieder wallt.
Reitzend schmiegen sich die Glieder
Wie Crystalle licht und klar
Auf dem frischen Blüthenteppich,
Schimmernd in der Sterne Glanz.
Lößt sich doch mein ganzes Innre,
Seh ich dich so reich begabt;
Und die Freudenthränen fließen
Auf dich Engelsbild herab.
Jesus, schreit das Kind im Traume,
Jesus, sieh das Schlangenpaar,
Wie es sich durch Blumen windend,
Drohend aus dem Dickicht nah't.
Mutter, nun hat's mich ergriffen,
Sieh die Ringel um den Hals;
Blut'ge Thränen muß ich weinen,
Wie es mich am Herzen faßt.
Schlangen, Kind, sind goldne Reisen,
Sagt sie lächelnd, küßt es wach,
Und die Thränen deuten Perlen,
Dich zu schmücken am Altar.
[164]
Sinnend ging das Kind von dannen,
Bis es Traum und Wald vergaß.
Ach ihm zeigte bald das Leben,
Was die flücht'ge Ahnung war.

Alle fühlten sich auf eine eigene Weise durch das Lied bewegt. Selbst die Gräfinn gedachte mit Rührung einzelner vorüberrauschender Anklänge ihrer Kindheit, und fühlte zum erstenmal schmerzlich, niemand zu haben, in dessen aufblühendem Daseyn sie jene entschwundene Hoffnungen und Freuden wiederfände. – Ganz anders blickte Rodrich auf sein verlassenes Leben! Hatte je eine Mutter Freudenthränen auf sein kümmerliches Lager vergossen? oder waren die matten Wünsche eines sterbenden Greises die einzigen Segnungen, die für ihn zum Himmel stiegen? Warum mußte er unter Tausenden [165] so loßgerissen und verlassen da stehn! Was war alle Theilnahme fremder Menschen gegen das innige Zusammenhalten, das Ineinanderströmen aller Gefühle einer Familie! Ach, und wie durfte der Glückliche klagen, der in der bedrängten Gegenwart noch die Erinnerungen seeliger Vergangenheit rettete. War er nicht überall, auch an Florio's Seite, ein Fremdling gewesen? und sah ihn die sorgsame Mutter aus ihrem Kreise treten? Drängt mich, fragte er sich bitter, das Schicksal etwa darum so gewaltsam in mich selbst zurück, daß die riesenhaften Wünsche übermäßig emporschießen und ich die Welt wie ein Atlas auf meinen Schultern tragen soll? Die innern Schatten gingen über sein düsteres Gesicht, und Seraphine, die ihn eine Zeit lang angeblickt, [166] sagte lächelnd: mir wird fast bange in dieser trüben Gesellschaft. Kinder, ich bitte Euch, laßt uns nur einmal wieder aus voller Seele lachen und aller störenden Erinnerungen vergessen! Was hülfe das, sagte Rosalie, der Schmerz lebt immer wieder auf, man wird ihn trotz allem Widerstande niemals los. Sagen Sie das nicht, erwiederte Stephano, es ist entweder überall, oder nirgend Glückseligkeit zu finden. Wie verstehen Sie das? fragte Rosalie. – Ich meine, erwiederte er, wer es dahin gebracht hat, die Bedeutung jeder Störung zu ahnen, müsse die innere Harmonie sogleich wiederherstellen und über jeder momentanen Unterbrechung schweben können. Das kann nur die Unschuld, oder die göttliche Weisheit, erwiederte Rosalie, was [167] dazwischen liegt, wird gleich einem Ball hin und her getrieben, und erliegt endlich der steten Anstrengung. Ach, und sagte nicht der Heiland am Kreutze: Herr, wenn es seyn kann, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Warum sollten wir uns mit einer störrigen Tugend brüsten, die jeder irgend einmal verleugnet. Es ist doch eigen, sagte der Graf, der während dem nachdenkend auf und ab gegangen war, wie Familienähnlichkeiten so wiederkehren. Ich hatte einen ältern Bruder, den mir Alexis lebhaft zurückruft. Er verschwand einem Freunde zu Liebe aus der Welt, und sein verschollnes Andenken lebt nur noch in meiner Brust. Wir beide, setzte er hinzu, erregten den Zorn der Geistlichkeit, weil wir der Kirche einen Diener entzogen, weshalb [168] ich auch mein Vaterland niemals wiedersah! Auch Alexis Mutter traf das Schicksal ihrer Brüder. Eine schnell vollzogene Heirath rettete sie nur vor kränkenden Verfolgungen. So gewiß ist es, sagte er halb vor sich, daß der Einzelne, wie er sich selbst ungetreu wird, alle Andre mit ins Verderben zieht. – Die Zeit, fuhr er nach einer Weile fort, hatte nach und nach einen Theil unsrer zerstreuten Familie hier wieder versammelt, und wer weiß, wo wir noch einst den theuren Jüngling antreffen! In der geliebten Heimath, mein Vater, sagte Rosalie, wo die beruhigten Herzen still an einander schlagen und alle Wünsche sich in einer seligen Umarmung auflösen. Der Graf blickte wehmüthig auf ihr bleiches Gesicht und drückte sie schweigend an die[169] Brust. Vergebens hatte Seraphine wiederholt gesucht das Gespräch auf freudigere Gegenstände zu lenken; sie stand endlich ermüdet auf, und begann hunderterlei kleine Geschäfte, wobei sie unruhig nach der Uhr sah und jedem vorüberrollenden Wagen verlangende Blicke nachsandte. Rosalie, die es bemerkte, sagte endlich: Geliebte Seraphine, Ihre Wünsche tragen Sie nach dem Schauspiel. Lassen Sie doch, um alles, durch mich die gewohnte Lebensweise nicht unterbrechen; ich wäre sehr unglücklich, wenn meine Gegenwart auch Ihre schuldlosen Freuden trübte. Und glauben Sie nur, setzte sie hinzu, als die Gräfinn im Begriff war, den Vorschlag abzulehnen, ich bedarf der einsamen Stunden, um mich zu sammeln, und Ihnen Allen ein heitres Gesicht zu [170] zeigen. Der Graf war Rosaliens Meinung, und fand es um so nothwendiger, gerade heute öffentlich zu erscheinen, um des Ritters schneller Abreise den Anschein des Gewöhnlichen und Vorhergesehenen zu geben. Du weißt, sagte er, wie sehr die allgemeine Aufmerksamkeit auf unser Haus, als Fremdlinge und Anhänger der neuen herzoglichen Familie, gerichtet ist, und wie oft man sich schon der innern Störungen gefreut hat. Seraphine sah ihre Wünsche gern durch so triftige Gründe gerechtfertigt und lud Rodrich und Stephano ein, sie zu ihrer Loge zu begleiten. Rosalie reichte ihnen beim Abschiede die Hand, und sagte gerührt: geht nur, Ihr Glücklichen, die noch alles freut und jede neue Lust eine frohe Zukunft voraussagt; was Euch bewegt, [171] glühete auch einmal in diesem verödeten Herzen!

Als ihr Wagen an den Fenstern vorüberrollte, wo die einsame Rosalie wie ein Marmorbild an einer Säule lehnte, hub der Graf an: Wenn ich nur begreifen könnte, wie das tiefe Gefühl der Frauen so oft der kalten herzlosen Eitelkeit der Männer erliegt, und ihre leidenschaftliche Ausdauer allein das matte Spiel erhält. Dieser Ludovico war ein feiner, anmuthiger Jüngling, voll kleiner Talente für die Gesellschaft, geschmeidig, hingebend, ohne Liebe und ohne Haß, leidenschaftlich, so viel es braucht um ein Weiberherz zu berücken, doch ohne Zärtlichkeit und Mitgefühl. Er wählte Rosalien, wie er jede Andre gewählt haben würde, und verließ sie eben so. Er folgte auch hier [172] nur den willenlosen Regungen verzärtelter Herzen, und wollte ihr eigentlich nicht wehe thun. Er meinte, es solle sich alles so fügen, und es ist wohl nicht unbedeutend, wie das Schicksal so kurzsichtiger Plane spottet. Der lächelnde, schwankende Ludovico, der nichts als gefallen und der herrschenden Meinung jedes Opfer bringen wollte, mußte die unsichre Hand in das edelste Blut tauchen und scheu das Vaterland fliehen. Es ist unbegreiflich, sagte Rodrich, wie Rosaliens hohe Natur sich bis zu ihm neigen konnte! Die gänzliche Charakterlosigkeit, erwiederte Stephano, hat dies mit der reichsten Fülle gemein, daß sich in beiden die ganze Welt spiegelt. Frauen wollen in der Regel im Einzelnen das Ganze umfassen. In der gränzenlosesten Hingebung [173] vergessen sie, daß sich der leere Grund flacher Seelen wie eine Schraube nach allen Seiten dreht, und nur den Schein des Bildes aufnimmt. Erwägen Sie noch, sagte die Gräfinn, daß der erste Blick, der ein unbewachtes Herz berührt, für das ganze Leben entscheidet, und die spätere Überlegung jenes Zusammenfallen keimender Gefühle nicht wieder aufhebt. Tiefen Gemüthern bleibt dann der Schmerz, indessen Leichtgesinntere mit der Liebe spielen, oder sie, wie ein verzehrendes Gift scheuen. Eine flüchtige Röthe überzog bei diesen Worten ihr Gesicht. O, sagte sie schnell, als der Graf ihr lächelnd die Hand reichte: gedankenlose Tändeleien gehören nicht hieher. Ich bin leicht über das Leben hingegangen, ohne je meine Eigenthümlichkeit [174] einzubüßen, und was mir Eitelkeit als wahr aufdringen wollte, habe ich bald gegen etwas edleres vertauscht, setzte sie schmeichelnd hinzu, und hüpfte, als der Wagen eben hielt, zu dem breiten schönen Portal hinein, an dessen Eingang der Gelehrte stand, und ihnen sagte, daß der Herzog oben und das Spiel bereits angefangen sei. Was wird denn gegeben, fragte Seraphine gleichgültig? Alle lachten, daß Niemand bisher daran gedacht hatte, und als der Gelehrte Macbeth nannte, sagte die Gräfinn, ich hätte so etwas erwarten können, da der Herzog zugegen ist. Liebt er das Tragische so ausschließend, fragte Rodrich? Ich weiß nicht, erwiederte Seraphine, allein es ist, als wolle er sich an den Riesengestalten aufrichten, und als bedürfe [175] er es, alle Schauer der Hölle außer sich zu sehen, um innerlich ruhiger zu werden. Wieder das alte Mißtrauen, rief der Graf unwillig; ich dächte, vorherrschende Neigungen sollten in Dir eine billige Richterinn finden. Nun mindestens, erwiederte sie, wollen die schlaffen Sinne durch eine derbe Erschütterung gehoben seyn, denn so außer allem Zusammenhange mit dem übrigen Menschen stehen seine Neigungen doch wohl nicht. Ich weiß nicht, sagte der Gelehrte, ob die Sehnsucht nach dem Gediegenen, in sich Feststehenden, gerade von einer kraftlosen Seele zeugt, oder ob nicht vielmehr dies Bedürfniß selbst schon erweckte Kraft ist, die sich nach einem Wiederschein von außen sehnt. Auch für Sie, sagte die Gräfinn lachend, ist es genug, daß man [176] den nordischen Dichter liebt, um etwas Edles in dieser Vorliebe zu finden! Gewiß, erwiederte er, sind es nur befangene Menschen, die sich in ihm so wenig als in der reichen Gestaltung der Natur finden können. Das Nationale der Farbenmischung, so wie alles dasjenige, was dem Zeitmoment angehört, sollte billig für Niemand eine Störung seyn, der die mannichfache Bedeutung der Natur aufsucht. Und wie Shakespear auch in der blos äußern Darstellung frühere Zeitalter verstand, wie südliche Gluth in ihrer höchsten Fülle, in der zartesten Lieblichkeit ihn durchdrangen, das sehen wir in den historischen Stücken und in Romeo und Julie.

Sie traten jetzt in die Loge, und Rodrich ward durch den Anblick der [177] wogenden schimmernden Menge, die das weite Haus umfaßte, wie durch den Glanz der herzoglichen Umgebungen angenehm überrascht. Er kannte bis jetzt nur einzelne herumziehende Truppen, und der hohe Maaßstab römischer Amphitheater war zu dem beschränkten Raum elender Breterbuden zusammen geschrumpft. Jetzt eröffnete sich ihm ein neuer ungeahneter Genuß. Vergangenheit und Gegenwart traten lebendig vor ihn hin und rissen ihn unaufhaltsam fort. Die Schauspielerinn, welche Lady Macbeth darstellte, spielte mit einer erschütternden Wahrheit. Rodrich fühlte die Gewalt, mit welcher sie den in seiner Grausamkeit schwankenden Gemahl zum Ziele riß. Und als nun die That geschehen war, und die freche Sünde noch einmal mit [178] der Reue stritt, bis diese sie gespenstisch anfaßte und der bleiche Tod auf den starren Zügen lag, da überfiel ihn eine Angst, daß er kaum aufzublicken wagte. Um sie los zu werden, theilte er Macbeths Trotz, und focht in Gedanken für ihn um den Thron, bis sein blutiges Haupt die furchtbare Prophezeyung löste und das Verderben der Rache die Hand bot.

Rodrich saß mit klopfendem Herzen da, auf allen Gesichtern lag Entsetzen. Zufällig blickte er nach der herzoglichen Loge. Die tief gebrannten Lichter warfen unsichere Schatten, ihm war als schwankte der Herzog und wolle niederfallen, unwillkührlich sprang er auf, als ihn Seraphine bei der Hand faßte, und unruhig sagte: Lassen Sie uns fortgehen, die blutigen Gestalten [179] ängsten mich. Fühlen Sie wohl, sagte der Gelehrte, wie ächte Poesie durch alle Zeiten fortschreitet und nach Jahrhunderten die innere Wahrheit sich in aller Herzen behauptet. Ich wünschte, sagte die Gräfinn, sie nahete sich in freundlichern Gebilden; diese Verzerrungen bemächtigen sich wohl des Gefühls, lassen aber eine widrige Störung zurück. Es kommt darauf an, erwiederte er, ob man bei dieser stehen bleibt, oder bis zur Idee des Gedichts hindurchdringt. Das Laster in dem verblichnen Schein mattherziger Tugend auftreten zu lassen, so wie das Verbrechen auf den halben Weg zu führen, um ein verpfuschtes Leben durch ohnmächtiges Wollen und thörichtes Vollbringen zu verwirren, das war jenen frühern Dichtern fremd, die alles scharf [180] und bestimmt außer sich hinstellten, und wie die Urkräfte der Natur das Chaos gewaltsam durchbrachen. – Das mag seyn, sagte die Gräfinn, aber wir sind längst über den Zeitpunkt hinaus, wo das rohe Walten jener Kräfte dem Menschen so nahe lag, daß er sein eignes Daseyn darin wiederfand, und wie Sie es auch stellen mögen, die Erscheinungen heutiger Zeit sind dennoch milder, beruhigender, kurz unserm Herzen verwandter. Je beschränkter der Kreis, erwiederte der Gelehrte, je näher berühren sich die Gegenstände, und dem ohngeachtet, könnten Sie plötzlich das allgemeine Band einengender Rücksichten von den Herzen der Menschen lösen, und mit ihm den Schein des Gleichartigen weghauchen, Sie würden jetzt, wie damals, das Hohe vom Niedern [181] getrennt im schärfsten Gegensatze erblicken. Daß so oft das einzelne Große in der allgemeinen Nichtigkeit verschwimmt, daß liegt nicht sowohl daran, daß die Menschen nicht können, was sie wollen, sondern daß sie nicht wollen, was sie können. Nun, erwiederte Seraphine, ich kann und will Ihnen gute Nacht sagen und dem langweiligen Streite ein Ende machen, wo jeder Recht behält; denn ich will nun einmal nicht die lustige Gegenwart für jene halb verwischte, unkenntlich gewordene Bilder der Vergangenheit hingeben. Wer so frisch und lebendig in ihr erscheint und alles um sich her verschönt, sagte der Gelehrte, der hätte auch Unrecht, eine so reitzende Einheit zu unterbrechen. Gottlob! sagte sie lachend, Sie ersetzen mir den Ritter; [182] nun, wir wollen bald mehr streiten, jetzt schlafen Sie wohl. Sie eilte an des Grafen Arm zum Wagen, und ließ Rodrich mit den beiden Andern zurück, die das Gespräch noch weiter fortsetzten. Sie verkennen in der That das Streben heutiger Welt, sagte Stephano, das sich gerade in der allgemeinen Verwirrung darthut. Sehen Sie denn nicht den Wunsch alles zu umfassen, sowohl aus dunklen als erkannten Regungen hervorleuchten. Und ist es nicht natürlich, daß, seit die Richtungen mannichfacher wurden, der Einzelne den aufgeschloßnen Weg nicht mehr so streng verfolgt, sondern sich nach allen Seiten neigt und die Kräfte auf tausend Weisen übt. Mich dünkt aber, sagte Rodrich, der erweiterte Kreis werde den innern Reichthum nicht schmälern, [183] so bald ein fester Punkt da ist, wohin man zurückkehrt, und es ist ja nach früher geäußerten Grundsätzen auch wohl Ihre Meinung, daß darin die Consequenz der Allseitigkeit bestehe, in Vielem das Eine aufzusuchen und zu reflektiren. Ganz richtig, erwiederte Stephano, aber dies Eine ist jetzt nicht sowohl der Mensch, als die Menschheit überhaupt. Dasselbe, sagte der Gelehrte, war weit früher und auf eine weit würdigere Weise die Tendenz des Christenthums, und ist die Aufopferung des Individuums im Staale bei den Römern etwas anderes? Ganz gewiß, erwiederte Stephano, denn Christenthum und Römischer Staat sind zwei abstrakte Begriffe, die sich in der Idee der Menschheit erst auffinden. Daher die Einseitigkeit, zu der beide ausarteten. [184] Und was ist denn die jetzige Universalität? fragte der Gelehrte. Ich sage nicht, daß sie überall schon etwas ist, erwiederte Stephano, allein man darf ahnen, wohin alles führt. Manches Licht glüht im Verborgnen, und – ein zerlumpter Knabe nahete sich hier mit einer Laterne, und fragte, ob er ihnen zu Hause leuchten sollte. Sie sahen mit Erstaunen, wie das alles leer und dunkel um sie war. Der wieder aufgezogene Vorhang zeigte ihnen die erloschnen Lampen, und schmutziges Gesindel, das den Weihkessel der Prophetinnen, Birnams Wald und Maebeths blutiges Schwerdt hin und her zerrte. Das nackte Gerüst blickte sie frostig nach dem lebendigen Spiele an, der Zugwind strich durch die geöffneten Thüren und bewegte die halb sichtbare [185] Thalia auf dem Vorhange schauerlich hin und her, das letzte Licht erlosch und sie mußten des Knaben Anerbieten benutzen, um die langen Gänge hindurch zu finden. Schweigend begrüßten sie einander im Vorhofe, und jeder ging den eignen Weg.

In Rodrichs Seele stiegen dunkle Ahnungen auf, und kämpften mit dem unbezwinglichen Drange nach Größe und Herrlichkeit. Was ist es denn mit den Wünschen der Menschen, sagte er muthlos, wenn ihn am Ziele die vergeudete Kraft und die hingeworfene Blüthen unter Trümmern eines gescheiterten Glückes begraben, und alles was ihn hier bewegte, in einen erstarrten Blutstropfen zusammendringt! Und wird nicht einem jeden, wenn die Jugend zerronnen und der frische Glanz verblichen [186] ist, die Wirklichkeit wie ein Gerippe erscheinen? Thäte man denn nicht besser, sich langsam vom Strom dahin treiben zu lassen, wohin man doch einmal gelangt, als mit ängstlicher Hast die wohlthätige Trägheit der Zeit zu beflügeln? Hier ging ein Mädchen mit einer Cyther vorbei, von deren vorüberrauschendem Gesange er nur folgende Worte erhaschte:


Laß die Schatten zieh'n und wandeln,
Flüchtig Spiel fand nimmer Stillstand,
Wünsche wechseln wie Gedanken,
Bleibend Licht erfreut hier Niemand.
Leben ist ein streitend Lieben,
Lieb' im Streit des Lebens Anfang,
Wie sich Muth und Kraft entbinden,
Strömt erst siegend kühler Balsam.

Die schlanke Gestalt hüpfte so leicht über die Straße hinweg, während sie [187] mit den zierlichsten Bewegungen den Takt der Musik angab, daß ihr Rodrich noch lange nachsah, als die Töne schon in der Ferne verhallten, und er nur noch ganz schwach »Leben ist ein streitend Lieben« zu hören glaubte, Worte die sein Herz mit der wehmüthigsten Sehnsucht erfüllten. Er konnte sich viele Tage hindurch nicht wiederfinden, und die Geschäfte seines neuen Berufs ermüdeten ihn zum erstenmale, statt ihn aufzurichten, selbst der Ernst des Grafen schien ihm erkünstelt, wie das ganze Treiben zwecklos. Die weite Aussicht einer thatenreichen Zukunft beschränkte sich immer mehr auf einzelne wiederholte Uebungen, die mit dem Reitz der Neuheit auch jede anregende Kraft verloren. Rücksichten, die er früher nicht geachtet, dünkten ihn [188] jetzt lästig. Ja ihm war, als schlänge sich die Kette des Alltäglichen immer fester um ihn herum, und werde ihm zuletzt jede freie Bewegung rauben. Die behagliche Wohlhabenheit seiner Lage achtete er nicht mehr, seit er sie besaß. Der üppige Erguß des Glückes hatte ihn überfüllt, und er betrachtete die Welt wie jemand, der in der aufblühenden Jungfrau die erstorbenen Züge der Matrone erblickt. Die innere Unzufriedenheit wuchs, da er immer auf demselben Punkt blieb, und nirgends einen Fortgang sah. So lange er der Kunst gelebt, erkannte er einen großen Zweck, dem er kräftig entgegenarbeitete. Was er damals suchte, war ihm plötzlich nahe getreten, er hatte es erfaßt, und glaubte mit einem raschen Anlauf das höchste Ziel zu er schwingen. [189] Jetzt ging alles den gewöhnlichen Gang, und was er wünschte und haßte, was er früher geträumt, schwebte in verworrenen Bildern vor Ihm her, und verfinsterte seinen Weg. Oft wollte er sich Stephand entdecken, allein ihn schreckte sein kalter Blick und die Verstandesruhe, mit welcher er über menschliche Verhältnisse hinaussah. Rosalie war krank, und ließ Niemand vor sich. Seraphine hatte einigemal sein langweiliges Gesicht belacht, er verlor die Lust an ihrer Gesellschaft, seit er aufgehört hatte, ihr neu und interessant zu seyn. So verflossen ihm mehrere Wochen. Die wechselnden Gegenstände erregten seine Aufmerksamkeit nur schwach, und er selbst ging unbeachtet als eine gewohnte Erscheinung an den Menschen hin.

[190] Einst als ihn ein langer Spatziergang vor dem alten Schlosse vorüberführte, gedachte er jenes Abends mit neuer Rührung. Rosaliens Bild schwebte auf dem Altane, er begriff nicht, wie er es je verkannt hatte, daß sie in seinem Herzen lebe und ihn von der Welt entfernt habe, wo er sie längst nicht mehr fand. Alexis plötzliches Verschwinden hatte auch jene frühere Eindrücke betäubt, und die Worte der kleinen Sängerinn verwirrten seine Gefühle, statt sie zu entfalten. Jetzt war ihm alles so klar, er fühlte es bestimmt, daß sie es war, die ihm fehlte. Voll heitrer Erwartungen wandte er sich zur Stadt. Er wollte sogleich zu ihr gehen, sie sollte in dem milden Schein der zartesten Liebe genesen; nie, das gelobte er sich, dürfe ein kühnes Wort ihr [191] Gefühl verletzen. Im Verborgnen solle die Blüthe reifen und einst die innigste Treue lohnen. Alles schien ihm leicht und sicher. Sein Inneres wogte wie die reichen Kornfelder, die er froh durchstrich. Er blickte heiter um sich her. Ueberall ruhete ein seliges Schweigen, man hörte nur das Flistern der vollen Aehren, die sich leise zu einander neigten; die ganze Flur schwamm im klaren Sonnenlichte und die hochrothen Dächer der Stadt glüheten wie eine Purpurwolke. Ihm war fast wie an jenem Morgen, da er das Kloster verließ, nur fühlte er sich stiller, die Welt hatte andre Erwartungen in ihm erregt, und er lauschte sehnend auf jeden Athemzug der Freude. In dieser weichen, zärtlichen Stimmung, trat er unter die Platanen, wo er Seraphinen [192] bei ihren Blumen antraf. Kommen Sie Rosalien Glück zu wünschen? fragte sie heiter, ihr die den ersten Tag außer dem Bette zubrachte, und wieder Zerstreuung sucht und findet. Gehen Sie nur hinein, sie wird Sie gern empfangen. Es war ihm nicht eingefallen, daß Rosalie für ihn nicht sichtbar und fortwährend krank seyn könnte, und dennoch ward er durch die Nachricht ihres Wohlseyns überrascht, und sah sie als eine günstige Vorbedeutung seiner Wünsche an. Er fand Rosalien schöner als jemals. Das zarteste Weiß umfloß wie ein Hauch die edle Gestalt. Sie saß an einem offnen Fenster und freuete sich der milden Luft, die mit ihrem Haar spielte. Die untergehende Sonne spiegelte sich in dem Strom und färbte mit den letzten Strahlen die [193] bleiche Wange der Kranken. Vor ihr stand ein offnes Kästchen, in welchem sie beschäftigt war Briefe zu ordnen. Helfen Sie mir, sagte sie lächelnd, meine Liebe zu Grabe tragen. Diesen Schatz will ich in die Erde versenken, damit kommende Geschlechter sehen, wie geschickt man einst heimlich zu morden wußte. Nein, fuhr sie nach einer Weile fort, Niemand ward je so unerhört betrogen! Lesen Sie, ich bitte Sie, lesen Sie diese beiden Briefe, sie sind um wenige Tage aus einander. Ach Gott, ich müßte Ihnen wohl mehr sagen! nun ja – Sie wissen, ich liebte – ein Strom von Thränen benetzte ihr Gesicht; ach, ich habe ihn unbeschreiblich geliebt, sagte sie wehmüthig; unbeschreiblich! Wenn ich der ersten süßen Regungen gedenke, wie alles so [194] friedlich war und die bescheidnen Wünsche mich in selige Träume wiegten, und wie dann plötzlich alles die Gränzen überschritt und die gewichtige Leidenschaft die heiligsten Bande zerriß! Rodrich war in der peinlichsten Lage. Diesen Beweis ihres Vertrauens hätte er gerade heute gern entbehrt, und sein Herz ward durch die Ausbrüche ihres Schmerzes tausendfach zerrissen. Mein Bruder, fuhr sie fort, mißbilligte meine Wahl, Alexis verspottete sie, während der Herzog, der da mals um Seraphinens Liebe warb, die Flamme auf alle Weise anschürte. Mein Vater blieb allein ruhig, und meinte, ich würde wohl selbst von dieser Thorheit, wie er es nannte, genesen. Nach und nach erhielt indessen unser Verhältniß eine Art von Gültigkeit vor der Welt, nur [195] ward Ludoviko fortgesetzt kalt, ja feindselig von meiner Familie behandelt, was mich den bittersten Kämpfen hingab, und oft dahin trieb, meine Wünsche und Hoffnungen hinzugeben, um ihm ähnliche Kränkungen zu ersparen. In einem solchen Augenblick schrieb ich ihm, als er den Herzog auf einer Reise begleitete, diese Worte, die ich der merkwürdigen Auslegung wegen späterhin wieder aufzeichnete und hier bewahre.

»Wie lieb' ich Dich, mein Ludoviko, der schonenden Ruhe wegen, mit der Du jede Unannehmlichkeit erträgst, die Dich meinetwegen trifft. Aber glaube nur, gerade was mich unauflöslich an Dich kettet, das flößt mir oft den Gedanken ein, mich selbst aufzuopfern, um Dich unter würdigern Umgebungen ein schöneres Glück genießen [196] zu lassen, als Dir meine Liebe giebt. Ach! fühle es nur, wie ich ganz in Dir lebe, um so etwas denken zu können, und bist Du stark genug, Dich meinetwegen zu verleugnen, so tödte die Schwäche nicht, mit der ich dennoch meinen Wünschen schmeichle.«

Bald darauf erhielt ich folgende Antwort.

»Dahin hat es also die kurze Trennung gebracht! Rosalie, so schnell konntest Du den Gedanken fassen, mich aufzugeben? so geläufig ist er Dir geworden, daß Du mir ihn ohne Rückhalt mittheilst? Will sich denn alles von mir wenden, und soll ich jede freudige Erscheinung meines Lebens schwinden sehen! Aber Du hast Recht. Der Kampf, der Dich zwischen [197] Deinem Bruder und mir hin und her treibt, fällt Deiner sanften Seele zu schwer. Einen von beiden mußtest Du fahren lassen. Ich weiche, Rosalie. Du hast mich die Nothwendigkeit einsehen gelehrt, und ich muß die zarte Hand segnen, die mir so schonend diese Wunde schlug.«

Ich war weit entfernt das Gift zu ahnen, das hier verborgen lag, und sah in allem nur ein Uebermaaß leicht zu verletzender Zärtlichkeit. In diesem Sinne und in einem Gemisch von Unruhe und dankbarer Rührung schrieb ich ihm eines Morgens, als mein Bruder mit so verstörtem Gesicht zu mir hereintrat, daß ich erschrocken aufsprang, ohne den Muth zu haben, nach der Ursach seines Kummers zu fragen. Er ging schweigend auf und ab, dann [198] nahete er sich mir mit einem Blick, in welchem Tod und Verderben lag. Rosalie, sagte er mit zitternder Stimme, wir sind beschimpft, Ludoviko hat dich verlassen, und mich und uns Alle dem Gelächter preisgegeben. Ich weiß nicht deutlich, was ich damals empfand, allein ich erinnere mich, daß ich freier athmete, seit ich wußte, was ihn so gewaltsam bewegte. Ich hatte etwas Aergeres gefürchtet, und sagte nur: also ist er doch nicht todt? – Wollte Gott, er wär' es, erwiederte Fernando; aber zweifle nicht an seinem Untergang, so lange ein Athemzug in mir ist, soll er die Schmach büßen. Oder trauest du meinen Worten nicht? Glaubst du, man kennet mich nicht genug, um mir ein leicht ersonnenes Mährchen aufzuheften. Sieh, ich schwöre dir, er ist[199] für dich verloren. Gestern war seine Verlobung mit einem schönen, unschuldigen Mädchen, das sich ihm so vertrauend hingab, wie du. Aber ich will diese Taube retten. Der Weg zum Altar geht nur über meine Leiche. Ich hatte alles in dumpfer Verwirrung angehört, und wußte nicht, was ich glauben und fürchten sollte. Mein Bruder schloß mich ungestüm in die Arme, und nachdem er mich auf die Stirn geküßt, sagte er: so stähle ich dich gegen alle glattzüngige Verführung, und könntest du diesen Kuß vergessen, so möge er dich brennend an meine Worte mahnen. Er stürzte außer sich zum Zimmer hinaus, ach! und niemals fühlte ich das treue Herz wieder an dem meinigen schlagen! Sie hielt einen Augenblick ein, dann sagte sie: wenn ich einen Augenblick nachdenke, [200] wie alles plötzlich so da stand, wie es mir oft in Fieberträumen vorschwebte, so ist mir's unbegreiflich, wie der Mensch die warnende Stimme überhört, die oft so furchtbar aus seinem Innern heraufdringt, und wie die anschwellenden Wogen ungezügelten Verlangens ihn von Klippe zu Klippe reißen, bis das lang Gefürchtete, Ungekannte ihn aus tausend Augen ansieht und er in dumpfer Verwirrung dem Verderben in die Arme sinkt! Ich faßte auch damals mein Unglück nur halb. Fernando hatte mich erschüttert, ohne mich zu überzeugen. Welch schuldloses Herz ahnet auch diese Verrätherei! Ludoviko's Brief löste endlich jeden Zweifel, und meines Bruders blutige Gestalt drängte mich aus einer Welt, wo mir nie eine Freude blühet!

[201] Sie nahm hier ein Blatt aus dem Kästchen, und gab es Rodrich, der in der heftigsten Bewegung folgendes las:

»Du hast es gewollt, meine Rosalie! Ich folgte Deinem Wink, und faßte die Hand eines frommen Kindes, das auf der Welt Niemand hat, als mich, und dessen freies Gefühl dem Manne unbedingt angehört, der es zu beschützen und durchs Leben zu führen verhieß. Warum sollte ich es Dir verhehlen, daß ich mich in meiner jetzigen Lage ruhiger fühle, wo ich auch dich frei von ängstlichen Kämpfen und unsre Gefühle zu einer schönen Freundschaft veredelt sehe, die, sich nach den Umständen modifizirend, einen ganz eigenthümlichen, Dir angemessenen Charakter behaupten wird. Wie könntest Du auch ein Band lösen [202] wollen, das Du selbst so fest knüpftest! Wie könnte ich je die hohe edle Natur weniger in Dir lieben! Wir sagten es uns wohl früher mit Wahrheit, daß solch ein Bund unzerstörbar sey, und so bleibst Du mir die treue Freundinn und der schützende Engel meiner Serena. Sage Deinem Bruder, daß ich ihm jetzt, wie immer, die Hand zum Frieden reiche, und wie ich hoffe, daß er sie nicht verschmähen werde, da uns nichts Aeußeres mehr trennt.«

Wie ist es möglich, sagte Rodrich, daß Sie dieser feigen Halbheit nur eine Thräne schenken konnten! Tadeln Sie nicht so streng, erwiederte Rosalie verletzt, was Sie unter ähnlichen Umständen vielleicht nicht anders gemacht hätten. Es ist unglaublich, wie sich der [203] Mensch hintergeht, und oft das ganz Gemeine für eine große That erklärt. Nein, beim ewigen Gott, rief Rodrich aus, ich würde den Muth haben zu sagen, wie ich fühle, ohne dem rücksichtslosen Vertrauen eine Falle zu stellen, und dem edelsten Gemüth die Schmach aufzulegen, einen Nichtswürdigen geliebt zu haben! Sie sind wie Alexis! sagte Rosalie schmerzlich. Ach, daß doch Niemand ein krankes Herz zu schonen weiß! Rodrich gedachte seiner Vorsätze, und fühlte sich fremd und befangen in der Nothwendigkeit, so leise auftreten zu müssen. So schwiegen beide einige Augenblicke hindurch, als Rosalie sich aufrichtete und erschöpft in Rodrichs Arme sank. Unwillkührlich drückte er sie an die Brust; ach, süßer Engel, sagte er im Uebermaaß des Gefühls, [204] laß mich dich so durch's Leben tragen; lehne nur dein schönes Haupt an dieß Herz, das so stolz und so selig ist, seit es dein Bild im Innern verschließt! Rosalie blickte überrascht zu ihm auf, dann sagte sie wehmüthig: lassen Sie sich nicht durch flüchtige Regungen täuschen, bewahren Sie die frischen Blüthen vor nächtigem Reif. Rodrich, meine Hand ist kalt und starr wie der Tod, sie hat den Druck der Liebe verlernt, und was mich noch zuweilen in die Welt zurückzieht, das sind Aufwallungen einer sterbenden Jugend. Glauben Sie nur, es giebt Menschen, die so innig von ihrem Unglück überzeugt sind, daß sie auch in den Sonnenblicken ihres Lebens nur dies Geschenk einer liebenden Mutter erkennen, dem todtkranken Kinde die entsetzlichen [205] Schmerzen zu lindern. Er hatte sie sanft auf das Ruhebette gelehnt, und saß, das Gesicht in die Küssen verbergend, weinend neben ihr, als die Thür ausflog und eine unendlich schöne Gestalt, von Seraphinen und den phantastischen Knaben mit brennenden Kerzen begleitet, vor Rosalien hintrat. Miranda, rief diese, so sehe ich Sie noch einmal wieder! Die Prinzessinn neigte sich mit unbeschreiblicher Lieblichkeit zu der kranken Freundinn, und die klaren Blicke schwammen in Wohlwollen und Liebe, als sie nach den ersten gegenseitigen Begrüßungen und den allgemeinen Höflichkeiten, zu denen Rodrichs Vorstellung sie zwang, beruhigend sagte: ich finde Sie bei weitem besser, als ich es nach den üblen Nachrichten erwarten durfte. Jetzt sehe ich, [206] daß alles gut gehen wird, wenn sie nur den Freunden vertrauen wollen. Daher komme ich auch, Sie zu meinem Pavillon zu entführen, wo es mir so oft gelang, eine freudige Vergangenheit zurückzurufen und bessere Erinnerungen mit Ihnen zu feiern. Sie glauben gar nicht, fuhr sie fort, wie oft ich jetzt an der Küste unsrer nordischen Winterabende gedachte, wenn die scharfe Meeresluft uns zwang das Zimmer zu hüten, und wir Alle nach Sonnenuntergang in Shawls und Tücher gehüllt um den Kamin saßen! Es ist seltsam, wie man die bessere Gegenwart zuweilen gern für entschwundene Freuden hingäbe! Sie wissen, wie oft wir mit trüben Blicken auf der erstarrten Natur ruheten, und uns nach der südlichen Herrlichkeit sehnten, die [207] uns Persische und Arabische Mährchen und der Mutter lachende Schilderungen kennen gelehrt; wie wir dann bei den ersten Frühlingslüftchen auflebend, uns so gern überredeten, wenn sich mein Papagey auf den künstlich gezognen Orangen wiegte, wir wandeln in Asiens blühenden Haynen, und gleichwohl streift jetzt ein kalter Ostwind wie ein sehnender Ruf aus der Ferne an mir vorüber, und mitten in der Blüthenpracht freue ich mich der leichten Schauer und der wogenden Nebel, die mich im Fluge zu der alten Heimath tragen. Rodrich dachte hier an Florio, wie er der Einzige sey, mit dem er in die einsame Kindheit zurückgehen könne, und daß ihm dieser Eine nun so fremd geworden, und er nicht einmal wisse, wo er ihn aufsuchen solle. [208] Er war noch so bewegt von dem vorigen Gespräch, er fühlte es jetzt so lebendig, daß ihm Rosalie nie etwas werden könne, und daß er vergeblich suche dieser herbstlichen Rose den Frühlings-Glanz seiner Liebe zu leihen, so daß er gerührt ausrief: Wie glücklich sind Sie Rosalie, sich so schöner Stunden mit einer geliebten Gespielinn zu freuen! Und wie ganz anders muß der Mensch die Welt ansehen, dem theilnehmende Freundschaft zur Seite steht. Miranda betrachtete ihn aufmerksam, während er sprach. In seinem Auge glänzte noch eine Thräne, und Schmerz und Sehnsucht umwölkten das blühende Gesicht. Es ist nur gut, sagte sie lächelnd, daß es Niemand giebt, zu dem nicht irgend ein verwandter Laut dränge, und die öde Brust mit Freude erfüllte![209] – Was sind vorüberrauschende Klänge, erwiederte Rodrich, gegen die innere begleitende Musik des Lebens! Die vollen Accorde dünken uns nur schöner, sagte Miranda, je leiser sie verhallen, und dem unbefriedigten Herzen neue Genüsse verheißen. Lassen Sie uns nicht so ängstlich mit dem Schicksal über jede einzelne Unterbrechung rechten, da es nur von uns abhängt, den Ton da wieder aufzunehmen, wo wir ihn sinken ließen. Das hinge von uns ab? fragte Rosalie. Ach man sieht wohl, wie der Himmel seinen Liebling jedes dauernden Schmerzes überhob, und aus der augenblicklichen Störung neue Blüthen erwachsen ließ. Das ist wohl überall dasselbe, sagte die Prinzessinn, nur glaubt man oft ein trockenes Reis in den Händen zu halten, [210] wenn uns die sprossenden Keime schon mit verhüllten Augen anlächeln. Doch lassen Sie uns nicht über Lust und Schmerz streiten, Niemand glaubt dem Andern, bis er selbst sieht. Darum möchte ich Sie so gern der Einsamkeit entreißen, und in mein kleines Paradies hinüberziehn, wo die Blumen so lustig im Sonnenglanze spielen und alle Sorgen vor der heitern Stille weichen. Ihre Freunde suchen Sie dort auf und Sie genesen in unsrer Aller Liebe. Miranda umarmte sie hier und versprach den folgenden Morgen wiederzukommen, da sie jetzt zurückkehren müsse, weil der Herzog sie bei ihrer Mutter erwarte. Im Weggehen sagte sie zu Rodrich und der Gräfinn, die sie begleiteten: es ist wohl eigentlich wenig für Rosalien zu hoffen, sie betrachtet [211] alles in einem ganz eignen trüben Licht, und so bald man ihr ein andres aufdringen wollte, würde sie in dem Streite untergehen. Einzelne Blicke dürfen nur an ihr vorüberfliegen, die sie noch mehr reitzen und dem Schmerze Nahrung geben. Denn für Gemüther, wie das ihrige, wäre es ganz eigentlich der Tod, wenn sie je aufhören könnten zu trauren. Daher muß man nur auf seiner Hut seyn, sich in ihrer Nähe selbst zu behaupten, und weder etwas erzwingen zu wollen, noch sie durch zu große Nachgiebigkeit zu erschöpfen. Haben diese Wunden einmal ausgeblutet, so wird sich das innere Gift zerstörend gegen sie selbst wenden. Es ist sehr leicht, setzte sie hinzu, einen Unglücklichen zu verletzen, und nicht selten weckt das eifrigste Bemühen [212] gehässige bittere Gefühle. Sie sagte das so anspruchslos, so frei aus der innersten Seele heraus, die zärtlichste Rührung leuchtete dabei in ihren Augen, so daß man deutlich sah, wie angeborne Klarheit sie über jede Verwirrung hinaus hob. Rodrich fühlte sich stiller seit er sie gesehen, und tadelte selbst die Ungenügsamkeit, die ihn zu thörichten Wünschen verleite. Beschämt gestand er, daß er, sich selbst ungetreu, die lang genährte Störung öffentlich zur Schau getragen, und das freundlichste Wohlwollen dadurch von sich entfernt habe. Seine anmaßende Foderungen gemahnten ihn selbst lächerlich, und er konnte nicht begreifen, wie ihm jener klare Blick über die verschiedne Gestaltung des Glückes so lange fremd geblieben war. So erschien [213] ihm nun alles weit anders, und wie den trüben Sinn die eigne Dunkelheit gefangen hält, so erblühet dem heitern ein Licht nach dem andern, bis er auf glänzenden Schwingen die Welt überfliegt und überall nur Lust und Freude sieht. Er gefiel sich so wohl in dieser erhebenden Stimmung, daß er sich recht angestrengt bemühete, jeden ängstigenden Ruf aus dem Innern zu überschreien, und vor den eignen Gespenstern zu fliehen. Stephano fand ihn in diesem Lichtmeere schwimmend, und als er die Veranlassung erfuhr, beredete er ihn, sich bei der Prinzessinn Therese vorstellen zu lassen, wodurch es ihm allein möglich sey, Rosalien öfter zu sehen, und jene interessante Bekanntschaft fortzusetzen. Er willigte ein, und betrat schon am folgenden Tage [214] das leichte, fast feenartige Sommerhaus. Eine Reihe weißer Marmorsäulen, die es umgab, trug ein reich vergoldetes Dach. Alle Zimmer stießen auf diese äußere Halle und zeigten durch die geöffneten mit bunten Vorhängen gezierten Thüren die Pracht der innern Einrichtung. Durch sie gelangte man zu einem Saale, der den Mittelpunkt des Gebäudes ausmachte, und durch eine vielfarbige Glaskuppel die Beleuchtung erhielt. Nischen mit hohen Spiegeln versehen, fingen die bunten Lichtstrahlen auf und verbreiteten sie auf rosige Marmorwände und silberstoffne Polster. Alles wogte hier im blendendsten Glanz. Er glaubte von verklärten Gestalten umgeben zu seyn, als ihm die Prinzessinn mit ihren Töchtern entgegen trat. Doch bald zeigte ihm Elwire, die sich [215] mit einer ihrer Damen verstohlne Zeichen bei seinem Eintritte gab, daß er wirkliche Gebilde vor sich habe. Therese hatte von ihm gehört, und es war auf ihr Geheiß, daß ihn Stephano hier einführte. Sie redete ihn sehr verbindlich an, in ihrem Ton und Wesen lag eine unendliche Milde, und oft ruheten ihre Blicke wehmüthig auf den seinen. Indessen suchte sie beunruhigende Gedanken durch allgemein herbeigeführte Gespräche zu entfernen. Miranda sagte ihm, daß sie Rosalien vergebens erwartet habe, deren wechselndes Befinden sie unendlich beunruhige, je weniger sie selbst davon ergriffen scheine. Elwire, die während dessen unter vielem Lachen Stephano's Anzug gemustert, und oft ziemlich laut nach Alexis und dem Vorgange auf dem [216] Waldschlosse gefragt hatte, sagte jetzt unverholen, wie sie es nicht begreife, daß gerade Rosalie die treue Liebe des zierlichen Ritters so hartnäckig von sich weise, da sie in ihrer Lage wohl schwerlich auf einen ergebenern Anbeter rechnen dürfe. Man sieht aber, setzte sie hinzu, daß Kränklichkeit sie verstimmt, und das hat der gute Ritter auch wohl eingesehen und sich geschickt zurückgezogen. Stephano ließ sie gern reden, und freuete sich jedesmal über die Sicherheit, mit der sie ein falsches Urtheil hinstellte, ohne zu ahnen, daß sie gleich von irrigen Meinungen ausginge, und daß sie selbst diesen Meinungen keine sonderliche Aufmerksamkeit leihe. Allein Rodrich, den die gemeine Ansicht verletzte, wagte es, ohnerachtet der geringen Bekanntschaft, die Freunde [217] in Schutz zu nehmen, und sprach mit Wärme über die Heiligkeit einer unerschütterlichen Liebe, die man wohl nie wahrer, als in einer weiblichen Brust antreffe. Ach, sagte er, und was ist dem Menschen natürlicher, als das wegzudrängen, was ihm das einzige Glück des Lebens eine seelige Erinnerung trübt! Ja, erwiederte Elwire den Kopf schüttelnd, da hat nun ein Jeder seine Art zu sehen. Ich für mein Theil, fuhr sie ohne weitern Zusammenhang mit dem Vorhergehenden fort, ich habe den Ritter freilich oft sehr ermüdend gefunden, wenn er so in der grauen Vorwelt schwebte, und die farblosen Gestalten an mir vorüberziehen ließ, während alles im frischesten Glanze um und neben mir lebte und athmete. Einmal wollte er mir auf einem [218] Ball ein Mährchen erzählen, aber ich versicherte ihm, daß Mährchen seit meiner Kindheit eine narkotische Kraft für mich hätten, und ich Gefahr liefe, den Ball und alle ihm versprochene Tänze zu verschlafen. Alexis, sagte Miranda, setzt wie alle sehr lebendige Gemüther voraus, daß man nichts verschmähe, was den eigentlichen Gesichtskreis erweitern könne. In dieser Voraussetzung spricht er ganz unbesorgt, ob sich auch jedem die Bedeutung seiner Worte aufschließen werde. Und er hat im Allgemeinen nicht ganz Unrecht, wenn er auch im Einzelnen oft fehl greift. Es kommt doch wohl einmal eine Stunde, wo sich die harte Schaale löst, und der eigentliche Kern sichtbar wird. Wie schön dir der Schleier steht, sagte Elwire, und ordnete die länglichen Perlen, [219] die zwischen braune Locken auf Miranda's Stirn fielen. Therese blickte lächelnd auf sie hin, und schien sich der zierlichen Ungezogenheit zu freuen. Rodrich verstand nicht, wie sie nur die leeren Worte ertragen könne! Überall fühlte er bald, daß die Prinzessinn aus Furcht, die gesellige Freiheit einzuengen, oder irgend eine Störung zu veranlassen, dem Gespräch keine eigentliche Haltung wie dem herrschenden Tone keine Einheit gab, und man sich in dieser Schrankenlosigkeit sehr beschränkt gefühlt haben würde, wenn Miranda nicht alles an sich gezogen, und den schwankenden Strebungen eine gemeinsame Richtung gegeben hätte. Sie schwebte wirklich wie ein Genius über dem Ganzen, und wußte auch den leersten Köpfen irgend ein gutes Wort abzulocken, [220] wie sie überall einen seltenen Blick für das Bessere im Menschen hatte, und dem Lichte gleich, das verborgene Gold heraufbeschwor, weshalb ihr alle Herzen entgegenflogen, und der Gedrückte, Tiefgebeugte, in ihrer Nähe freier athmete. Stephano hing mit Entzücken an der edlen Gestalt, und Rodrich sah recht, wie diese Liebe ihn über sich selbst erheben, mit Verleugnung seiner widerstrebenden Natur dahin zog, wo Miranda frei, in sich fest, unbefangen da stand. Sie begegnete ihm wie einem lieben lang geehrten Freunde, der überall als ein Glied der Familie angesehen, durch eine ehrende Vertraulichkeit ausgezeichnet ward, und als späterhin der Herzog kam, und der Kreis immer größer ward, sah Rodrich mit steigender Bangigkeit, mit [221] welchen verheißenden Blicken sein Freund von den meisten betrachtet ward, ja wie selbst Miranda ein flüchtiges Erröthen nicht bergend, den vielsagenden Gruß des Herzogs empfing, und unruhig auf Stephano blickte.

Unter den vielfachen Gestalten; die Theresens Rückkehr aus dem Bade für diesen Abend herbeiführte, zeichnete sich eine der hervorleuchtendsten Physiognomien aus, die Rodrich jemals sah. Viormona, Nichte der verstorbenen Herzoginn, hatte sich nach dem Tode ihrer Verwandten in den dunklen Privatstand verloren, und nur mit Mühe die Hand eines edlen Fremden angenommen, um durch den Glanz äußerer Umgebungen die Hoheit der Geburt zu behaupten. Aller Stolz und alle Bitterkeit zurückgedrängter Herrschsucht lag in den hohen [222] Mienen und den glühenden Augen, die wie Feuerkreise über die Erde schweiften und alles zu entzünden droheten. Das seltsam geringelte Haar, der reiche Faltenwurf langer weißer Gewänder, der blendende Glanz ihrer Haut, alles gab ihr ein ganz eignes plastisches Ansehen, so daß sich Rodrich wie vor einer Juno neigte, und die Flammenblicke kaum zu ertragen vermochte. Miranda war ihr mit der feinen Höflichkeit entgegen getreten, wodurch eine edle Natur sich der andern gleichstellt, ohne Herablassung oder ängstliches Zuvorkommen zu verrathen. Und sie schien in diesen heitren Sonnenblicken sich selbst und ihr beschränktes Daseyn zu vergessen, als Elwire mit gutmüthiger Redseligkeit von den Badefreuden erzählte, und ein Hirtenfest beschrieb, [223] bei welchem Miranda auf einen Rosenthron erhoben von einer jubelnden Menge als Herrscherinn begrüßt worden sey. Viormona's Herz bebte bei dieser Hindeutung auf die Zukunft. Die gewaltsamen Regungen preßten ihr eine Thräne aus, die brennend in Rodrichs Seele fiel, der nach einigen flüchtigen Erkundigungen, von ihren frühern Verhältnissen unterrichtet, die Schmerzen so bittrer Demüthigung theilte. Ein Thron schien ihm das höchste Ziel menschlicher Strebungen. Hier allein könne sich die innere Unabhängigkeit darthun, und im Glanze eigner Klarheit die enge Sorge des Lebens lösen und die bedrängte Menschenbrust zu höhern Genüssen erschließen. Wie konnte nur ein edler Sinn die Schmach dulden, scheu in den Vorhallen zu weilen, [224] indessen eine fremde Hand im innern Heiligthume wühlte. Sein Widerwille gegen den Herzog wuchs in jedem Augenblick, er vermied es ängstlich seinen forschenden Blicken zu begegnen, die sich unwillkührlich auf ihn zu richten schienen. Alles bis auf den Ton seiner Stimme, jedes unbedeutende Wort war ihm an dem verhaßten Gegenstand zuwider. Selbst als er sich der Schwester nahete, und ihr die Ankunft des Cardinals ankündigte, zu dessen Empfang er recht glänzende Feste ersinne, um dem entfernten Verwandten die weite Reise vergessen zu machen, fühlte sich Rodrich unangenehm von dem ergriffen, was alle Andre mit frohen Hoffnungen erfüllte. Sein Auge traf Viormona, und es war, als sey ihr Inneres in dem flüchtigen Blick zusammengefallen. [225] Auch sie erfreueten die versprochnen Feste nicht, weil ihr die Veranlassung zuwider war, und der Unmuth in Rodrichs Mienen schien ein stilles Einverständniß ihrer Gedanken zu seyn. Als sich daher die Gesellschaft in die verschiedenen Gemächer und den Garten vertheilte, nahete sie sich dem ungekannten Freunde, und wußte geschickt die Vergangenheit herbeizuführen, wo man Feste andrer Art hier gekannt, und ein freier harmonischer Geist alle Herzen zu gleicher Freude gestimmt habe. Die Schönheit, sagte Rodrich, führte das goldene Zeitalter herauf, aber das eiserne behauptet seine Rechte in der verwirrten Menschenwelt, und nur der Donner des Geschützes theilt die Nebel des verfinsterten Horizontes. Er hatte diese Worte, ohne sonderlich auf sie [226] zu achten, herausgestoßen, allein Viormona faßte sie begierig auf, und drückte nur noch mehr vergiftete Pfeile in sein offenes Herz. Wüßten Sie, könnten Sie wissen, sagte sie lebhaft, wie alles zusammenfiel, seit die Sonne diesem Lande unterging, wie sich die lockern Verhältnisse lösten, und ein Band nach dem Andern zerriß, wie täglich tausend Dolche in den tödtenden Blicken seiner Unterthanen auf den Herzog gerichtet sind, wie man die rücksichtslose Heiterkeit des Grafen, Miranda's versteckten Stolz und des Bastards Anmaßungen verachtet, Sie hätten Ihre Dienste dem Volke, und nicht dem Fürsten angetragen. Rodrich war im Begriff ihre Hand zu fassen und einen verrätherischen Bund zu schließen, als Stephano nahete und ihn eilends fortzog. [227] Um alles in der Welt, sagte er, als sie sich in einen Seitengang verloren, was haben Sie mit dieser Frau? Sie ist die unversöhnlichste Feindin der herzoglichen Familie und ihre Nähe jedem Anhänger derselben gefährlich. So – ? erwiederte Rodrich gespannt, dem Einen dünkt oft gefährlich, was für tausend Andre heilbringend wäre! Sie waren bei diesen Worten zu einem freien Platz gelangt, wo Miranda neben einem Springbrunnen stand, und dem Spiel der zerrinnenden Tropfen gedankenvoll zusah. Als sie beide wahrnahm, heftete sie einen wehmüthigen Blick auf Rodrich und verschwand in's Gebüsch. Als wenn plötzlich alle Fesseln der gepreßten Brust zersprängen, so löste sich hier Rodrichs Schmerz in Thränenströme auf. Er fiel dem betroffnen [228] Stephano in die Arme, und sagte weich und ermattet: ach! leite mich auf dem unsicheren Wege, ich fürchte, ich werde der Gewalt des Schicksals erliegen, oder die wunderbar verschlungnen Knoten eigenmächtig zerreißen. Komm nur, sagte dieser gerührt, wir wollen mit einander reden. Freie Mittheilung soll die Verwirrung lösen. Das wild ausströmende Gefühl erhält im Gespräch wie im Leben Maaß und Ordnung. Es ist wohl thöricht, daß man die vertrauenden Ergießungen so lange zurückdrängt, bis sie der Augenblick herbeiführt. Aber komm nur, es ist noch nicht zu spät. Sie gingen schweigend zur Stadt, und als sie an die Brücke kamen, wo jetzt, wie an jenem ersten Abend, viel lustige Wandrer mit Rodrich den gleichen Weg gingen,[229] während die Lebenswege wohl scharf von einander geschieden waren, fiel es diesem auf, wie die vorgezeichnete Richtung unzählige gedankenlos zu dem gleichen Ziele triebe, ohne daß Einer den Muth habe, die Gränze zu überspringen und die wogende Fluth zu durchziehen. Man thut den Menschen Unrecht, sagte er, wenn man ihnen freche Willkühr und Liebe zu dem Ungebundnen, Schrankenlosen vorwirft. Sie sind in der Regel nur zu fügsam, und die hergebrachte Weise oder eine gefürchtete Rücksicht umstricken nicht selten die lebendigsten Regungen. Wie kommst du darauf? fragte Stephano. Ich weiß nicht – die Brücke – erwiederte jener zerstreut. Wolltest du sie hinter dir abbrechen? fiel Stephano ein. Glaube nur, dir entstände bei [230] jedem Schritt eine neue. Und es ist wohl gut, daß man so gar nicht von der Welt los kommt, und der holde Leib uns mit Liebesarmen umfängt, bis wir uns in den weichen Schlingen gefallen und leicht und lustig darin bewegen. Dann sinkt die Hülle und die befreieten Schwingen tragen uns zu unendlichen Fernen. Aber bis dahin? fragte Rodrich. – Bis dahin, sagte der muthige Krieger, ringen und kämpfen wir getrost, und die zusammengestürzten Wünsche und Hoffnungen werden uns ein Fels, auf dem wir mitten im Sturme feststehen und die unverletzte Brust neuen Kämpfen hingeben. Ach, ich sehe wohl, fuhr er fort, die Worte dieser Eris sind tiefer in dein Herz gedrungen, als ich glaubte. Und was konnte sie dir gleichwohl entdecken, was [231] dir nicht früher bekannt war? Die innern Spaltungen konnten dir nicht fremd seyn. Was ist es denn, das dich plötzlich so erschüttert und zwischen früher gefaßten Neigungen und abgedrungenem Mitleid hin und her wirft? Rodrich fühlte, daß er, um dem Freunde verständlich zu seyn, dunklen, halbverkannten Ahnungen Worte leihen, die eigne Schwäche offenbaren, und selbst dann noch eine Saite berühren müsse, deren Mißklang ihn vielleicht auf immer von Stephano entfernen konnte. Noch hatte er nie des Herzogs in seiner Gegenwart gedacht, und es schien ihm unzart, den unbezwinglichen Widerwillen gegen ihn laut werden zu lassen, der ihn vom ersten Augenblick ängstete. Alle diese Rücksichten traten kalt und fremd zwischen die hervorbrechenden [232] Flammen herzlichen Vertrauens, und verschlossen ihn für alles, wodurch ihn Stephano zu gewinnen meinte. Du schweigst? sagte dieser; vielleicht hat dich die hohe Schönheit deiner neuen Gönnerinn bestochen, und ein unbewahrtes Herz widersteht solchem Zauber wohl nicht leicht. Zwar begreife ich kaum, wie sie neben Miranda gefährlich seyn könne. Rodrich glaubte hier eine Schlinge zu sehen, um sein verborgnes Gefühl aufzudecken, und sagte gleichgültig: warum wollen wir Vergleiche anstellen? Ich hörte ja eher von dir, daß jedes in sich schön sey, und man das Urtheil nicht durch Verrückung des Standpunktes verwirren müsse. Du hast Recht, erwiederte Stephano, eine Vergleichung ist hier so unmöglich, wie ein Verein [233] dieser Gemüther. Ich glaubte dich nur für das ganz Entgegengesetzte nicht so empfänglich. Das ändert freilich viel. Unser Interesse ist getheilt, und du wirst mich so wenig verstehen wollen, als ich dir verständlich seyn kann. Nimm es nicht so ernstlich, sagte Rodrich einlenkend, aber gestehe mir, daß ihr Schicksal hart ist, und nichts den menschlichen Stolz so empört, als die Verletzung angeborner Rechte. – Wer kann, erwiederte Rodrich, im steten Wechsel des Lebens das Fliehende aufhalten wollen. – Und wie darf der Einzelne mit dem Schicksal rechten, da seit Jahrtausenden das ewige Spiel wiederkehrt und der verschollne Name ganzer Geschlechter, deren ehemalige Größe mit dem Staub ihrer Gräber verwehete, in die spurlose Vergangenheit sinkt. Flüchte nicht [234] so zu dem Allgemeinen, sagte Rodrich, wenn das Leiden beschränkter Gegenwart uns nahe tritt. Dieser Blick darf den Menschen wohl über sich selbst erheben, aber die lebendige Theilnahme soll er nicht ersticken. Was nennst du so? fragte Stephano. Wo das scheinbare Uebel Segen bereitet, da kann ich die augenblicklichen Schmerzen lindern, die fortlaufende Kette der Begebenheiten aber niemals eines einzelnen Vortheils wegen zerreißen wollen. Jedes Uebel, entgegnete Rodrich, ist von deinem Standpunkt aus scheinbar, und darf das kurzsichtige Menschenauge bestimmen, wie nahe oder fern das erwartete Ziel sey? Ist es nicht frech, so zermalmend hinzutreten und der weinenden Menge neue Blüthen aus den zusammengestürzten Trümmern zu verheißen?[235] Wie warm du die Rechte der Menschheit vertrittst, sagte Stephano, seit ein schönes Auge beredt in das deine sahe. Aber vergiß nicht, daß du kurz zuvor über dumpfes Hingeben, Beschränktheit des Willens und Armuth kräftiger Gedanken klagtest, daß dir die hergebrachte Weise erdrückend schien, und daß dein Urtheil, durch individuelle Beziehungen bestochen, einseitig ausfällt. Und kannst du die alte Ordnung herstellen, ohne die neue zu zertreten? Und welches blutige Zeichen müßtest du über ein Land aushängen, das dich gastlich aufnahm, das Miranda's milder Sinn beherrschen wird? Ist Miranda gewisse Erbin des Reichs? fragte Rodrich schnell. Nicht ohne Widerstand, sagte Stephano, aber ich habe auf dich, wie auf die Bessern, gerechnet, [236] und ich gelobe es fest, diesem hohen Ziele mein lebendigstes Streben, ohne irgend eine anderweitige Rücksicht, zu weihen. Rodrich bewunderte, wie Stephano, sich selbst täuschend, die Herzensschwäche hinter Vaterlandsliebe verberge. Indessen konnte er nicht leugnen, daß er sich ihm wahr zeigen wolle, und er schwankte, ob er diese Offenheit nicht durch die freieste Hingebung vergelten, und jedes Mißverständniß lösen müsse, als eine Botschaft des Grafen ihn eilends dahin abrief.

Er hatte dem edlen Beschützer lange nur die gewohnte Achtung gezeigt, zu welcher sein äußeres Verhältniß ihn zwang, ohne ihm die dankbare Liebe zu beweisen, die in den ersten Augenblicken sein Herz erfüllte. Er schämte sich jetzt, vor ihm zu erscheinen, und [237] trat mit einiger Verlegenheit in dasselbe Zimmer, wo er das Schwerd und die heilige Weihe seines Standes empfing. Der Graf trat ihm, wie damals, heiter entgegen, und sagte nach den ersten Begrüßungen: junger Freund, Sie wissen, ich lasse jeden seinen Weg gehen, ohne daß es mir, selbst bei denen die mir näher sind, einfiele, das Schicksal spielen, und ihnen eine eigenmächtige Richtung geben zu wollen, indessen glaube ich ohne Anmaßung sagen zu können, daß mir der Ihrige nicht gefällt. Der innere Mißmuth leitet sie abwärts, mit halbem Herzen thut man auch nur das Halbe, und der Soldat braucht mehr als ein Anderer frischen Lebensmuth, um sich selbst anzugehören. Das Gewöhnliche darf ihn nicht ermüden, weil es zu dem Außerordentlichen [238] führt; und wo die rechte Lust und Heiterkeit nicht obenauf schwimmen, da wird der Bodensatz des Gemeinen die schwerfällige Kraft bald erdrücken. Auch im Kriege ist es nicht viel anders. Das Seltene und Große läuft einem auch hier nicht bei jedem Schritt entgegen, und muß man sich oft durch langweiliges, mühseliges Harren hinschleppen, ehe der erste Augenblick eintritt. Freilich, setzte er beruhigend hinzu, als Rodrich beschämt zur Erde sah, freilich bedarf der Eine einen größern Wirkungskreis als der Andere, und so wird Sie die nahe Aussicht des Krieges freuen! Des Krieges? fragte Rodrich, aus allen drückenden Gefühlen plötzlich emporgerissen. O mein edler Wohlthäter, Sie sollen mich noch freudig in Ihre Arme [239] schließen, und es nicht bereuen, den Jüngling großmüthig beschützt zu haben, der alle Gluth eines lebendigen Lebens der Ehre und der Dankbarkeit weihete. Wann und wohin ziehen wir? fragte er mit verlangenden Blicken. So weit sind wir noch nicht, erwiederte der Graf lächelnd. Es ist nur von der Aussicht, nicht von der Gewißheit des Krieges die Rede; eine größere Macht bedroht die Selbstständigkeit des Staats, der Herzog kennt die Würde seines Namens und ehrt sein Volk. Er ist zu jedem Widerstande bereit. Wir erwarten nur das Ende einer Unterhandlung, deren Zweck abzusehen ist, um dem Feinde entgegen zu gehen. Die Grenzregimenter haben bereits geheime Ordre sich marschfertig zu halten, und ich werde Sie mit Aufträgen zu einem [240] unsrer Generale schicken, der bei der jetzigen Lage der Dinge einen bedeutenden Posten hat. Er ist mein Freund, und seine Bekanntschaft mag Ihnen einmal ersprießlich seyn, wenn im Laufe der Dinge sich manches ändert, und meine Hand Sie nicht mehr schützen kann. Rodrich ergriff die theure Hand und drückte sie gerührt an die Brust. Mein Sohn, sagte der Graf, ich hoffe, du bist meines Vertrauens werth, und meine zärtliche Vorliebe soll mich nicht getäuscht haben. Zügle dein strebend Gemüth und bewache dich in dunklen Augenblicken. Das Größeste bist du fähig zu leisten, aber das Kleine geht unbeachtet an dir vorüber, und darum hüte dich vor der steilen Höhe, der du so kühn, ja ich möchte sagen, so frech entgegen fliegst. Die mitgetheilte Nachricht [241] sollte dich aus deiner dumpfen Gleichgültigkeit aufschrecken, du bist aber so gespannt, daß ich vor meinem Geheimnisse fürchte. Darum sammle dich, und reise morgen in aller Frühe. Heute Abend erhältst du die nöthigen Instruktionen. Die Reise soll dir, denke ich, in jeder Art gut seyn. Ach, mein Vater, sagte Rodrich, wie demüthigt mich diese Güte, und wie zerrinnen meine hochfliegenden Plane vor dieser ruhigen Klarheit, und der Sicherheit eines so schuldlosen Gemüthes! Ich bin wohl recht unglücklich, daß mein Gefühl so oft in mich zurückgedrängt ward, und der starre Trotz die mildesten Regungen gefangen nahm. Mir ist davon in manchen Stunden eine Kälte geblieben, die mich oft selbst geschreckt, und die nur solcher Liebe weicht. Der Graf [242] umarmte ihn, und bat ihn zu Rosalien zu gehen, die gern von Miranda und der Gesellschaft diesen Abend hören wollte.

Er fand sie äußerst matt, durch Erschöpfung entstellt, neben der Gräfinn sitzen, die bemühet war, aus verschiednen vor ihr liegenden Büchern, eine leichte fast spielende Unterhaltung aufzufinden. Mit großer Geduld nahm sie ein Heft nach dem andern zur Hand, wenn Rosaliens unruhige Blicke die innere Langeweile verkündigten, und lächelnd, wie der Genius des Lebens, verhieß sie ihr von jedem Neuen Genuß. – Das ist noch mein größtes Elend, sagte die Kranke bei Rodrichs Eintritt, daß ich zu dem Geist- und Herzertödtendsten meine Zuflucht nehmen muß, um die innere Angst los zu [243] werden. So lange ich den Schmerz liebte, war ich eine seelige Martyrerinn. Jetzt ist das weit anders. Eine rechte Sehnsucht nach dem freudigen Leben der Jugend drängt und quält mich. Ich möchte die Fesseln eignen Unvermögens zersprengen, und mich der Lust der Welt hingeben. Die Briefe, ach die unglückseeligen Briefe, haben mich so verwirrt. Seitdem führen mich alle Träume in jenen Zauberkreis zurück, und mir ist, als müsse ich das Fliehende erjagen. Seraphine glaubte wirklich in diesem unstäten Verlangen die ersten Regungen rückkehrender Lebenslust zu entdecken, und freuete sich Rodrichs Ankunft, dessen frühere Neigung ihr wie dem Grafen frohe Hoffnung einflößte. Aber in Rodrichs Innerem wogten die aufgefaßten Bilder [244] unruhig durcheinander, und die verworrenen Anklänge hemmten jedes stille Ineinanderfließen der Gefühle. Jetzt insbesondere, da sich die helleste Ferne vor ihm aufthat, und alle ängstigenden Rücksichten vor einem freien, beweglichen Leben schwanden, jetzt fühlte er sich in der Nähe dieser gestörten Natur gedrückt, und die Zuckungen ohnmächtigen Schmerzes legten sich erkältend an sein Herz. So kam es denn, daß er, ohne sonderlich auf Rosaliens Worte zu achten, einzig um quälende Gedanken zu verscheuchen, von Theresens Bekanntschaft, ihren Umgebungen und dem Eindruck des Ganzen sprach. Seraphine stimmte seinem Lobe bei, und setzte hinzu, daß ihr nichts so auffallend gewesen sey, als wie die Prinzessinn bei der fast verschwindenden Weichheit [245] ihres Charakters, ihrer kleinen Zauberwelt diese Haltung und Einheit gegeben habe. Freilich, sagte sie, spricht alles die zarteste Milde aus, aber auch diese hat ihren bestimmten Charakter, und man vermißt in ihrem ruhigen Schein den Mangel an großen Gegenständen nicht, da das Ganze weder farblos noch peinlich ist, und in sich einen großen Reichthum hat. Es ist kaum zu begreifen, wie sie hier so sicher geht, da sie oft im Leben durch zu zärtliches Nachgeben ein Ansehen von Willenlosigkeit erhält, das Mancher mißbraucht. Vor allen, sagte Rodrich, ist mir diese Nachsicht bei Elwiren auffallend gewesen, deren flache Unterhaltung sie nicht einmal zu ermüden schien. Nun Elwiren nehme ich in Schutz, sagte die Gräfinn, das ist [246] ein zierliches Wiesenblümchen, das an seinem Platz unendlich reitzend seyn würde. Sie hat nur das Schicksal anzuklagen, welches sie in diese Kreise versetzte. Ein Anflug halber Bildung, wie der Wunsch neben Miranda nicht ganz zu verschwinden, heben sie zuweilen über sich selbst hinaus. Sonst ist sie die Güte, die Sanftmuth selbst, und die ganz eigne Liebenswürdigkeit ihres wohlwollenden Gemüthes bricht frei hervor, sobald der Wunsch zu glänzen nicht mit der innern Unzulänglichkeit kämpft. Es ist überall schwer, den Punkt anzugeben, wo man eigentlich steht, vorzüglich denen, die nicht zu den höhern Stufen gehören. Und was ist denn am Ende hoch und niedrig? wir sind mit dieser Rangordnung sehr schnell bei der Hand, indem wir[247] uns selbst unbedingt auf die Spitze stellen. Rodrich war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um irgend einen Gedanken fest ins Auge zu fassen, am wenigsten, um ihn ruhig zu bestreiten, nur schien ihm Seraphine mehr wohlwollend als zärtlich, und ihr Urtheil eher durch friedliche Gesinnungen, als durch klare Einsicht bestimmt zu seyn. Schon in frühern Streiten mit Alexis, erkannte er diese behagliche Ruhe, die sich so gern mit allen befreunden, und die scharfe Ecke aus dem Leben verbannen mögte. Es fehlte ihr keineswegs an Besonnenheit, aber sie drängte das Störende hinweg, und haßte nichts so sehr, als die schwerfälligen Gemüther, welche bei jeder Mangelhaftigkeit stehen bleiben, und für welche die Sonne nur scheint, wenn sich kein Wölkchen [248] am Himmel blicken läßt. Es fiel ihr sehr selten oder nie ein, sich in den innern Zusammenhang der Dinge zu versenken, und die Bedeutung eines Übels aufzusuchen; sondern sie eilte leicht darüber hinweg, und Wenige standen vielleicht so fest in der Gefahr. Er hatte dies wohl eher im nähern Umgange erkannt, und sich willig dem reitzenden Leichtsinn hingegeben. So ließ er es denn auch jetzt geschehen, daß sie seine Meinung bestritt, während er selbst ungewiß war, ob er nicht vielleicht wirklich zu hohe Anforderungen im Leben mache, und zu wenig auf die verschiedene Natur und das seltsame Gemisch menschlicher Gefühle achte. Erwägen Sie noch, fuhr die Gräfinn fort, daß die Augenblicke so ungleich sind, und daß es Zeiten giebt, in welchen der [249] Erhabenste recht jämmerlich dasteht, so wird im Ganzen Ihre Bewunderung weniger gespannt, und Ihr Tadel milder seyn. Rodrich ergriff diesen Gedanken begierig. Er hatte sich dem Grafen gegenüber beschämt gefühlt, und es vermieden, tiefer in sich selbst zurückzugehen. Die wechselnden Eindrücke dieser Tage hatten ihn zu den leidenschaftlichsten Ausbrüchen hingerissen. Er erkannte sich selbst nicht mehr in der unstäten Sehnsucht, dem Abstoßen und Hinneigen seines Herzens, und flüchtete gern zu der allgemeinen Gebrechlichkeit, um die eigne Schwäche zu entschuldigen. So blickte er beruhigt in Seraphinens Augen, die ganz unbefangen alle Vorgefühle höhern Strebens, das kindliche Anstaunen wie die erhebende Bewunderung einzelner [250] großer Erscheinungen in Anspruch nahm, um das Gleichgewicht Leben im herzustellen.

Rosalie, die während dessen ermattet eingeschlafen war, lächelte jetzt im Traume, und sagte halblaut, sieh Ludoviko, wie uns Fernando winkt; ach er ist wieder ein Kind geworden, und spielt wie ehemals mit bunten Steinchen, die in seinen Händen Blumen werden, um die Braut zu kränzen. Siehst du den Stern in seiner Brust, wie er sich hin und her bewegt, und die Strahlen sein schönes Gesicht verklären? Sie hatte die Augen geöffnet, als sie die letzten Worte sprach, und beide überfiel ein Schauer, und sie gedachten der Erscheinung im Waldschlosse, wie sie sich langsam aufrichtend, eine Bewegung machte, als flechte sie Blumen [251] durch das Haar. Seraphine reichte ihr eilend stärkende Essenzen, und führte sie an ein geöffnetes Fenster, wo sie kaum die frische Luft anwehete, als sie tief athmete und sich von einem ängstigenden Traume loszumachen schien. Bald verlangte sie aus dem Zimmer, und zu Miranda gebracht zu werden. Die Gräfinn machte sogleich die nöthigen Anstalten, und Rodrich verließ sie in einem Zustand, der ihn aufs neue aus seiner kaum gewonnenen Ruhe aufschreckte.

Am folgenden Morgen trat er, mit den Aufträgen des Grafen versehen, seine Reise in aller Frühe an. Als er durch die einsamen Straßen ritt, wo schon längst kein Wagen mehr rollte, und die laute Freude zu stilleren Genüssen flüchtete, blickte er wehmüthig[252] auf die armen Menschen, die das drängende Bedürfniß schon wieder zu dem mühseligen Tagewerk jagte und deren ärmliches Ansehen wunderlich gegen die Pracht der Gebäude abstach. Er fühlte sich leichter, als ihn sein Weg endlich an den Gärten vorüberführte, und die wohlhabenden Besitzer den Reichthum überschauend, seinen Morgengruß im behaglichen Wohlseyn erwiederten. Je weiter er kam und die blühende Ebene sich vor ihm aufthat, je freier ward ihm um's Herz, und wie sein Pferd lustig forttrabte, und die Morgenluft ihn so erfrischend anwehete, fühlte er sich zu jedem Geschäfte freudig gestimmt. Er sah recht, wie er thätig in's Leben eingreifen und die träge Ruhe von sich verscheuchen müsse.

Alles, was ihn in dieser Zeit gedrückt, [253] alle Fieberschauer, die seine kränkliche Heftigkeit entzündet hatten, alles schwand vor dem hellen heitern Leben der Natur. Im freiesten Spiel seiner Kräfte sagte er froh: unter steter Anstrengung, muß der Mensch den Genuß des Augenblicks erringen! Was sich ihm so ungesucht aufdringt, und während es den Sinnen schmeichelt, die lebendigste Kraft gefangen nimmt, das widersteht dem Uebersättigten, und die innere Lust erkrankt in trüben Bildern. Sich so recht in die wogende Fluth zu tauchen, zu wagen und zu wirken, die verschlossenen Quellen des Lebens zu eröffnen und im Fluge das Glück zu erhaschen, das zog ihn unwiderstehlich in die Welt, das reitzte ihn zum freudigen Kriegerleben. Und jetzt erweiterte sich so ungehofft der beschränkte[254] Kreis seines Wirkens. Die ersten Schritte waren gethan, und er sah in Gedanken die reiche, gehaltvolle Zukunft. Was konnte nicht alles geschehen, wenn der rechte Ernst die Herzen entflammte, die oft bei einer flüchtigen Anregung kräftig schlugen. Jede bessere Aufwallung seiner Cameraden kam ihm jetzt ins Gedächtniß. Er liebte sie alle, seit er hoffen konnte, an ihrer Seite zu fechten und die gleiche Lust und Gefahr mit ihnen zu theilen. Selbst an Stephano konnte er ohne Bangigkeit denken, und es reuete ihn fast, ihn diesen Morgen nicht aufgesucht und durch einen freundlichen Abschied den störenden Eindruck des gestrigen Gesprächs ausgelöscht zu haben. So wohlwollend hatte er noch nie auf die Menschen geblickt, die ihm alle in dem erheiterten [255] Sinn gut und liebreich erschienen.

So ritt er, durch freudige Bilder fortgezogen, immer schneller und schneller, als ihm sein Diener eine schön gebauete Capelle zeigte, die sich hinter dunklem Gebüsch auf einem Hügel erhob. Die Sonne stand in voller Pracht über der glänzenden Kuppel und die nahe stehenden Silberpappeln zitterten wie tausend lichte Flämmchen in ihrem Schein. Er betrachtete sie noch aufmerksam, als die Messe eingeläutet ward, und der helle Klang durch Berge und Klüfte wiederhallte. In dem Augenblick vernahm er auch einen volltönigen Gesang und ein Trupp geschmückter Landleute ging aus einem nahen Dörfchen den Weg zur Kirche hinan. Vier Knaben mit langen Blüthenzweigen [256] und blendend weißen Tüchern, die sie hoch in der Lust flattern ließen, eröffneten den Zug, in ihrer Mitte ging eine Jungfrau mit einem neugebohrnen Kinde, dessen bunte Deckchen mit Blumen und Bändern geziert, den lustigsten Anblick gewährten. Hinter ihnen kamen Männer und Frauen im schönsten Festtagsputz, Crucifixe und Heiligenbilder tragend, die sie in frommer Andacht zum Himmel erhoben und bei jedem Schlusse des Chors ein freudiges Halleluja aus voller Brust anstimmten. – Rodrich hatte seit der Flucht aus dem Kloster nie eine Kirche besucht. Jene düstre Erinnerungen verschlossen sein Herz für die Seligkeit heiliger, hingebender Andacht. Nur einmal hatte er die Entzückungen des Gebets erkannt. Wie ein himmlisch Licht [257] hatte es seine Seele durchdrungen, hingerissen, aufgelöst in Wonne hauchte er sein ganzes Wesen in einem unaussprechlichen Ton der Liebe aus. Was konnte ihm jenen Augenblick zurückführen, der das Ende seines Lebens hätte seyn sollen! Wie konnten schaale Gebräuche ihn erheben, deren tägliche Wiederholung seine Kindheit so unbarmherzig trübten! Mit wahrer Bitterkeit hatte er sich davon abgewandt, und es sorgfältig vermieden, sein Inneres durch so gehässige Gefühle zu zerreißen. Hier in der Einsamkeit rührte ihn der einfache Gesang zum erstenmal, und als die frommen Knaben sich naheten, wiederholte er unwillkührlich die Worte des Liedes, bis ihn der Ton immer mehr fortriß, und er sich plötzlich am Eingange der Capelle befand. Er stieg [258] vom Pferde und trat in das weite herrliche Gebäude. Ein schöner Greis mit glänzenden Silberlocken stand vor dem Hochaltar, vor welchem drei weiße Grabsteine eingesenkt waren. Auf einem derselben kniete die Mutter mit dem Kinde, das von ihren Lilienarmen umringt, hell und verheißend über die Gräber hinaus sah! Rodrich hatte sich dem Altar gegenüber an ein Monument gelehnt, hinter welchem herbeigelaufene Kinder leise Versteck spielten. Er betrachtete jetzt das steinerne Bild näher, das ihn halb verdeckte und erkannte bald den Tod in der Gestalt eines schönen Jünglings, dessen umgewandter Fackel, Blumen wie einem Füllhorne entströmten, während sich auf den Mohnstengeln Genien in einem Schlangenreise wiegten. Rodrich [259] glaubte, dies Denkmal müsse Beziehung auf die Grabsteine haben, und als er dorthin sah, war es gerade, daß der Geistliche das Kind aus des Mädchens Arm nahm und es schwebend über den Weihkessel hielt. Die vielfachen Bilder verwirrten sein Inneres. Er glaubte, die Gräber hätten sich aufgethan, und die Jungfrau träte mit dem Jesuskinde hervor, und reiche der harrenden Zeit noch einmal die ewigen Blüthen des Lebens. Und als die Einsetzungsworte gesprochen, und Alles andächtig zur Erde sank, da kniete er weinend nieder, denn er sah die unaussprechlichen Martern, und den Erlöser am Kreutz; ihm war, als stehe das Elend und der Hohn und die Schmach schon bereit, ihn zu empfangen; ach, und die verkannte Liebe brach nun so [260] plötzlich hervor, daß er sich lange nicht fassen konnte, als die Knaben schon ihr Lied angestimmt und die muntre Schaar an ihm vorüberzog. Sein Diener, den indessen weniger heilige Dinge beschäftigten, ging unruhig mit den Pferden unter den Bäumen auf und ab, und da er die Kirche leer sah und merkte und sein Herr nicht kam, so wagte er es, sich zu nahen und den Kopf durch eine Seitenthür zu stecken, als die Pferde plötzlich ungewöhnlich stampften und wieherten, worauf Rodrich erschrocken aus seinen Träumen aufsprang, und durch ein Versehen den losgehakten Degen mit großem Geräusch die Stufen des Monuments herunter fallen ließ. Der Capellan, der eben sein stilles Gebet geendet, sahe verwundert umher, und als sich Rodrich entschuldigend nahete, [261] sagte er heiter: es geht den Kriegern nicht anders, die einmal fromm seyn wollen, die Welt ruft sie auf tausend Weisen zurück, und rächt ihr augenblickliches Vergessen durch irgend einen Hohn der Kirche.

Rodrich ließ sich bald in ein weitläuftigeres Gespräch mit ihm ein, und eilte, ihn nach der Bedeutung des Denkmals und der Gräber zu fragen. Hier, sagte der Geistliche ernst, ruhen drei Herzen neben einander, die sich im Leben durch Haß und Liebe verfolgten. Es waltet oft ein furchtbares Verhängniß über den Sterblichen, der es erkennt und geängstet in die Arme der Tugend flüchtet, aber die losgelassenen Wünsche ziehen ihn fort und fort ins Verderben. Die Erbauerinn dieser Capelle, fuhr er fort, war aus fürstlichem[262] Stamme. Ihr leidenschaftlicher Sinn umfaßte alles mit einer Heftigkeit, die sich bald in der Neigung zu einem schönen Knaben offenbarte, den ihr Vater im Pallast erziehen ließ. Sie war nicht fest genug, diese Liebe auf Kosten des väterlichen Zornes geltend zu machen; daher beugte sie sich in die Nothwendigkeit, und das lockende Dunkel des Geheimnisses barg und nährte ihre Flammen. Wie denn aber Sicherheit und Gefahr oft Hand in Hand gehen, so nahete sich ihr die letzte, ehe sie es ahnete. Die Entdeckung ihrer Liebe ließ ihr die Wahl zwischen dem Kloster oder der Hand eines vornehmen Verwandten. Der heitre Strom ihres Lebens war getrübt, ihr Glück zertrümmert, und dennoch schauderte ihr vor der Einsamkeit. Sie willigte also, nach [263] den ersten Ausbrüchen des Schmerzes, in die vorgeschlagne Verbindung. Ihr Geliebter wandte sich still von dem Schauplatz der seligsten Erinnerungen und opferte ohne Klage ihrer Ruhe alle gehofften Freuden. So verstrichen mehrere Jahre, während denen ihr verwöhntes Herz zwischen Pflicht und unbefriedigter Sehnsucht schwankte. Ein einziges Kind, das in der verzehrenden Gluth ihrer Liebe aufwuchs, erregte unaufhörlich ihre Sorgen, und wenn sie sich einen Augenblick den seligen Genuß seines Anschauens gewährte, so erschrack sie über die sorglose Ruhe und ahnete irgend ein Unglück, das sie zu beschleichen drohe. Ihren Gemahl betrachtete sie wie das gewaltige Schicksal, das mit eisernen Schritten auf ihrem Wege hin und her gehe. Daher [264] erschreckte sie sein Anblick jedesmal, und sie erkrankte endlich bei der wachsenden Reitzbarkeit ihrer Sinne. – Ihre Familie, die das Uebel von körperlicher Schwäche herleitete, bot jedes Mittel zu ihrer Herstellung vergeblich auf. Aerzte und Heilige scheiterten an der innern Unzugänglichkeit dieser zerrütteten Natur.

Sie ward nach und nach immer stiller und man sah sie nur zuweilen mit ihrem Kinde im Arme zu einem nahen Kloster wallen, wo sie unter eifrigem Gebet oft mehrere Stunden zubrachte. Einst als sie dort in der heftigsten Anstrengung vor einem Heiligenbilde kniete, sank sie ohnmächtig nieder, und wie sie die Augen aufschlug, stand ihr Geliebter an ihrer Seite. Sie breitete sehnend die Arme aus, allein [265] ihre Frauen, durch dies plötzliche Uebel erschreckt, trugen sie ins Freie, wo sie in der süßesten Verwirrung alles um sich her anstaunte, und selbst nicht zu unterscheiden wußte, ob ihr jenes Gesicht im Traume, oder wirklich erschienen sey. Von diesem Augenblick an genaß sie. Die wiederkehrenden Blüthen ihrer Schönheit, die Milde und die Weichheit in ihrem Betragen, alles täuschte ihre Freunde über den wahren Zustand ihres Herzens, das durch neue Hoffnungen belebt, eine verderbliche Liebe hegte. Das Kloster betrat sie nie mehr, wohl aber umfingen sie die dunklen Schatten dieser Bäume jeden Abend, in deren Geflister sie die Vergangenheit hervorrief. Einst saß sie hier bis spät in der Nacht, da trat der schöne Jüngling reich geschmückt vor sie hin. [266] Schweigend sanken sie einander in die Arme, und keins wagte die entzückende Stille zu unterbrechen. Da stürzte ihr Gemahl aus dem Dickicht, und nach einem kurzen lautlosen Kampfe sanken beide zu Boden. Starr und todt lagen sie auf derselben Stelle, die nun ihr Grab geworden. Ich fand die Unglückliche ohne Zeichen des Lebens wie eingewurzelt an einen Baum gelehnt, während die kleine Viormona ruhig zu ihren Füßen schlief. Viormona! rief Rodrich aus, und seine Augen trafen die Inschrift des Leichensteins, die ihm bald sagte, daß jene wundervolle Gestalt, die ihn so unwiderstehlich fortriß, aus dem bittern Streit der quälendsten Gefühle hervorging.

Diese lebt in Glanz und Herrlichkeit, sagte der Greis, und weiß wohl [267] wenig von den Leiden ihrer Mutter, die nur noch ein Jahr lebte, in welchem sie die prächtige Villa niederreißen und diese Capelle erbauen ließ, die nun alle drei in ihrem Schooße birgt. Rodrich konnte sich von dem Anblick der Gräber und der seltsamen Gedanken nicht losreißen, ob ihn gleich der Geistliche, durch Berufsgeschäfte abgehalten, bald verließ, und die Winke und das halblaute Flistern sei nes Dieners ihn zur Fortsetzung der Reise mahnten. Alle Schmerzen, alle Kämpfe eines ganzen Lebens, sagte er betrübt, sinken so schnell in die Vergessenheit, daß sie nur noch bei äußeren Anregungen in dem Gedächtniß eines verlebten Greises wieder erwachen. Was die Unglückliche liebte und litt, das ruhet mit dem armen herzen in der Erde. Ach, [268] und Niemand, selbst die verwaiste Tochter ahnet ihre Qualen! Es konnte ihn nicht trösten, das nun alles vorüber, und das Leben wohl nur ein langer Traum sey. Dies spurlose Vorüberziehen einer großen Gegenwart war ihm schmerzlich, und er konnte lange seine vorige Stimmung nicht wiederfinden.

Als er endlich wieder zu Pferde und auf dem Wege war, fragte ihn Felix, ob er nicht lieber bei der großen Hitze in das Dorf einkehren wolle, um etwas zu genießen, was ihnen dort nicht fehlen könne, weil der Gastwirth, wie er von den Vorüberziehenden erfahren, heute das Kindtaufsfest feiere, und die allgemeine Lust sicher groß seyn werde.

Rodrich sehnte sich wirklich nach [269] Erholung, und nahm den Vorschlag an. Da sie nun den schmalen Fußsteig zwischen den Weinbergen hinritten, die vollen Trauben lockend aus dem Laube winkten und die Wirklichkeit sich in tausend üppigen Gestalten wieder vor seinen Augen verdichtete, dachte er daran, daß er fast hier wieder, wie so oft im Leben, den Genuß des Augenblicks für eine ungewisse Zukunft hingegeben hätte, ohne zu erwägen, daß sich die verschmähete Freude dann gern in der getäuschten Erwartung räche.

Er war jetzt in das Dorf eingeritten, wo ihm fast aus jedem Hause Gesang und Musik entgegen schallte. Vor einem derselben war das Mädchen aus der Kirche beschäftigt, in einer weit vorgebaueten geräumigen Epheulaube Tische und Stühle zu ordnen, während [270] ein kleiner Mann ihr zur Seite alles verbessernd musterte, und sie zur Eile antrieb. Felix sagte mit großer Zuversicht, dies sey ohnfehlbar der Gasthof, und er möchte nur getrost hier absteigen. Rodrich trat unter das grüne Dach, und bat das Mädchen, welches ihm in der Erinnerung noch so heilig vorschwebte, bescheiden um Milch und Früchte. Allein der eilfertige Wirth ließ ihr nicht Zeit zu antworten, er flog den vornehmen Gast zu bedienen. Rodrich setzte sich indessen zwischen den blühenden Ranken und freuete sich der lustigen Geschäftigkeit, die Groß und Klein in Bewegung setzte. Ueberall sahe man Vorkehrungen zu dem morgenden Tage, während die heutige Feier Geladne und Ungeladne herbeizog und Alle auf irgend eine Weise daran Theil [271] nahmen. Vor einem gegenüber stehenden Hause wiegten sich zwei zierliche Mädchen mit geschmückten glänzenden Strohhütchen, auf einem schmalen Bret, das über einem abgehauenen Baumstamm lag, während sie mit großer Geschicklichkeit Körbe flochten, die sie öfters in die Höhe warfen, und indem Eine die Andre hob, auf einem Stäbchen wieder auffingen. Ein jedesmal trat dann eine keiffende Alte zur Thüre heraus und verhieß ihnen nicht die freundlichste Hülfe; sie aber wiesen die fast vollendete Arbeit, und trieben das Spiel immer aufs neue, bis plötzlich ein feiner Knabe mitten auf das Bret sprang und ihnen die Körbe wegfing. Auf ihr Geschrei kam die Alte gelaufen, und Rodrich klopfte wirklich das Herz bei ihrem Anblick, denn er sah [272] alles Unheil, was nun entstehen mußte. Der betretne Knabe ließ die Körbe sogleich fahren, und die Mädchen folgten willig in das Haus, wo sie Rodrichs Blicke lange vergebens suchte, bis sie endlich aus einem Dachfensterchen hervorguckten, und den bunten Gasthof verlangend und neugierig betrachteten. Alle ihre Bewegungen drückten die höchste Lebhaftigkeit aus, die keine Unfälle beugen könnte, im Gegentheil schien ihre Zuversicht nur zu wachsen, denn sie zeigten einander ihre Arbeit, und klopften in die kleinen Hände voll froher Erwartungen. Bald kam auch der Knabe geschlichen und flisterte ihnen etwas zu, was Rodrich indessen nicht verstehen konnte. Sie bogen sich aber heraus, und lachten heimlich, indem sie ihm die Körbe hinhielten und [273] ihn unaufhörlich neckten, als höchst unerwartet das Gesicht der Alten zwischen den Cherubsköpfchen hervorsahe; doch die Körbe waren fertig, und sie küßten die dürren Wangen, bis sie ein Strahl ihrer Freude belebte und Alle bald wieder vor der Thüre erschienen. Rodrich war durch den kleinen Vorgang so gefesselt worden, daß er es nicht bemerkte, wie es nach und nach immer lebendiger um ihn her ward, und Gäste und Reisende um die besetzten Tische Platz nahmen. Die Emsigkeit des Wirthes, sein unaufhörliches Rufen: »Marie, hierher! Marie, Gläser! o eilig, eilig, ich wäre schon zehnmal wieder da!« machte ihn endlich auf die Anwesenden aufmerksam, und schon zog die Mutter des neugebohrnen Kindes seine Blicke auf sich. Ein langer röthlicher Mantel, [274] in welchen sie das Kind eingeschlagen hatte, und der die eine Schulter deckte, während er sich in den reichsten Falten um die Hüften schlang, gab ihrer übrigens ländlichen Kleidung etwas vornehmes und phantastisches, wie der leichte Anflug von Kränklichkeit und Erschöpfung über ihre funkelnden Augen eine zauberische Milde ausgoß. So oft sie das geliebte Kind an die Brust drückte, oder sich über dasselbe hin bog, flog die schönste Röthe über ihr klares durchsichtiges Antlitz, und sie blickte dann freudig auf Marien, die ihr Entzücken theilte, während der unruhige Vater mit einem flüchtigen Kuß und einer ungeschickten Liebkosung an dem zarten Kinde vorüberflog. Rodrich hatte sie lange Zeit mit Bewundrung angestaunt. Alle Madonnen, die er je gezeichnet [275] kamen ihm wieder ins Gedächtniß, und er sah recht, wie diese Weichheit, diese Demuth und Zuversicht mütterlicher Liebe, dies reiche Spiel wechselnder Gefühle in den strahlenden Zügen unerreichbar sey, als er zufällig einen Mann erblickte, dessen Augen von den aufgestützten Händen beschattet, unverwandt auf die Frau gerichtet waren, als wolle er das schöne Bild, rein von allen störenden Umgebungen, auffassen. Wie einen das Bekannteste, bei unerwarteter Erscheinung, oft fremd dünkt, so konnte er sich im ersten Augenblick nicht besinnen, wen er vor sich habe; doch plötzlich stürzte er voll Freude in die Arme des betroffnen Mahlers, der ihn zweifelhaft ansahe, und halb froh halb betrübt sagte: so schnell bist du der Kunst untreu geworden? [276] Rodrich war wirklich verlegen, was er antworten sollte, denn er fühlte wohl, daß seine Gründe wenig Eingang bei dem eifrigen Künstler finden würden, als dieser heftig fortfuhr: sieh' hieher, was kannst du herrlicheres vollbringen, als diesen ewigen Gedanken der Schöpfung, diese Mensch gewordne Liebe, in dem verklärten Bilde, was hier vor meinen trunknen Sinnen schwebt, immer und immer wieder außer dir hinzustellen und die Kunst in ihm zu verewigen? – Was kannst du noch anders wollen? und darfst du hoffen, bei dem unruhigen Gewerbe, das du ergreifst, je das Bleibende zu er fassen? Was ist bleibend, sagte Rodrich, als der Gedanke des Lebens? und spiegelt sich der nicht in dem steten Wechsel, wie in der ruhigen Wirksamkeit des[277] Menschen? Mich reißt der Augenblick fort, und ich muß mich dem beweglichen Spiele hingeben oder in der innern Unzufriedenheit vergehen. Und zu was, fragte der Mahler, soll dies zwecklose Spiel führen? Zwecklos? wiederholte Rodrich. Nennen Sie so das freieste Ringen und Entfalten der Kräfte, das wie Himmelsklang das Innere durchrauscht und jede trübe Sorge von dem reinen Spiegel einer muthigen Seele weghaucht? Und was, als dieses Entzücken, wird fortleben, wenn die Zeit auch Ihre blühenden Träume verwischt und die Früchte einer mühevollen Laufbahn verschwinden? –

Sie hatten sich gleich beim ersten Erkennen aus der Laube entfernt. Rodrich sprach mit vieler Heftigkeit, denn es erbitterte ihn, daß seine Freude so [278] ungetheilt blieb, und der Freund nur auf die Verschiedenheit ihrer Wege achtete. Und wiederum konnte sich dieser gar nicht zufrieden geben, so die besten Erwartungen getäuscht und alle Sorge und Fleiß verschwendet zu sehen. Er betrachtete Rodrich mit unwilligen Blicken, ohnerachtet dessen freier Anstand und die edle Haltung dem künstlerischen Auge nicht zuwider seyn konnte. Tausend Versuche ihn der Kunst wieder zu gewinnen, glitten an der verschloßnen Seele des gereitzten Jünglings ab, der endlich unwillig ausrief: Ich kann nun einmal weder die Ruhe, noch die Freiheit erringen, in den abgeschloßnen Bahnen eine Welt aus mir hervorzurufen, die reich und gehaltvoll genug wäre, um mein Verlangen zu stillen, und ich will der Natur den [279] Schimpf nicht anthun, zu glauben, als führe nur ein Weg zur Seligkeit. Ich habe es immer gefühlt, sagte der Mahler, daß dir die rechte Liebe fehle, aber ich glaubte dich nun schon zu vertraut mit der Kunst, um je wieder von ihr lassen zu können. Jetzt sehe ich wohl, es war der Ritter und das Schwerdt, was dich an jenem Abend in der Hütte bewegte, und nicht die Freude am Bilde selbst, wie ich thöricht glaubte. Und doch, sagte Rodrich, durch jene Erinnerungen erweicht, ich kann da nichts trennen, und ich wollte, ich hätte diese Einheit, dies Zusammenfallen oder Zusammenhalten der Gefühle in allen Verzweigungen des Lebens bewahren können, aber da spaltet und fächert sich alles so seltsam von einander, daß die rechte Lust in tausend Stückchen zerbröckelt, [280] und nichts übrig bleibt, als die dürre Ueberlegung, die in besonnenen Augenblicken das Gerippe zusammenhält.

Der Mahler wandte sich verdrießlich von ihm ab, und er blieb in dem Andenken des hervorgerufnen Bildes und der Stunde versenkt, die ihn zuerst der Welt zuführte. Alles was er dem gütigen Beschützer verdankte, die edlere Bildung, äußeres Wohlseyn, die jetzigen Verhältnisse, alles dies reihete sich unmittelbar an jene Erinnerungen, und es that ihm leid, sich so schroff und stolz gezeigt zu haben, da auch sein jetziger Tadel eine Theilnahme verrathe, welche die Liebe für ihn und die Kunst so umfasse, daß er sie vielleicht selbst nicht zu trennen wußte. Indessen war es ihm tröstlich, daß ihm [281] dieser Streit wieder neue Anregungen gegeben, und ihn klar einsehen lehrte, wie nur das bewegliche, flüssige Licht des Geistes durch alle Zeiten fortströme, und sich von Geschlecht zu Geschlecht in den Herzen verjünge, während die kleinen Werke der Menschen zerfallen und ihr unscheinbares Daseyn von der Erde verschwindet. Und so, rief er, ist auch die stille Liebe und Seligkeit der Unglücklichen, deren Grab ich heut betrat, nicht gestorben, denn alles, was nur recht tief im Innern empfunden wird, das ist so gewiß ewig, wie das Leben selbst. Er sehnte sich mehr als jemals nach dem Kriege, wo die Gegensätze recht scharf hervorspringen, und der Mensch so groß über die Erde hinsieht und sich freudig vergißt in der Ehre und dem Ruhm, der ihn weit [282] überleben soll. Unter diesen Gedanken ging er mit raschen Schritten auf und ab, als ganz unerwartet, die beiden Mädchen vor ihm standen, die ihn vor wenigen Augenblicken so ergötzten. Es waren zwei zarte Röschen, deren nahes Erschließen sich in den halb jungfräulichen halb kindischen Blicken und Geberden offenbarte. Die Älteste sah schon recht listig aus dem Strohhütchen hervor, und als sie Rodrich umschlang, wehrte sie den Kuß nur leicht ab, der den frischen Mund flüchtig berührte. Die kleine Laura erzählte nun alles, was sie auf dem Herzen hatte, und wünschte sehnlich, die Aufmerksamkeit des schönen Herrn auf sich zu ziehn. Rodrich hörte auch willig zu, und ließ sich gern von dem Syrenenstimmchen in den süßesten Taumel hineinschwatzen. Cyane [283] trieb indeß zur Eile, da die Musi klängst angefangen hätte, und in der Laube schon getanzt würde. Als sie unter das Laubdach traten, kam ihnen Marie mit einem Korbe der schönsten Kränze entgegen, die sie überall an den Ranken befestigte, und das bunte Gewinde in der Luft spielen ließ, was den lustigsten Anblick gewährte, indeß die bewegten Blumen erfrischenden Duft verbreiteten und die zarten Wangen der Mädchen mit ihrem Glanze färbten. Alles war wie berauscht, und der Wirth, der es wirklich war, lief mit lächerlichen Geberden umher, und indem er den vollsten Kranz herunterriß, und ihn auf die rothe Stirn drückte, glich er einem Faun, der mit seinen Bocksprüngen die Gesellschaft zum unversiegbaren Gelächter reizte. Rodrich [284] hätte Cyanen, die beim Tanzen den Strohhut ablegte, des Gegenstücks wegen die schönsten Blumen zwischen die braunen Locken geflochten, und fühlte, als er die Reihen mit ihr hinunterflog, nicht ohne Bewegung die kleine Brust an der seinigen schlagen. Die andern Mädchen hatten sich indessen vertraulich genähert, und sahen mit Wohlgefallen in die hellen Blicke des vornehmen Fremden. Der leichte Ton, den er sich hier erlauben durfte, die ungezwungene Art des Tanzes, die leichtfertigen freien Blicke seiner Tänzerinnen, alles riß ihn fort, und er wiegte sich an der Hand einer schlanken Blondine in lüsterne Träume, als seine Augen denen der einsamen Mutter begegneten, die in dem Anschauen ihres Kindes versenkt, in einer eignen [285] Welt lebte, und nur zuweilen und flüchtig auf die wogende Fluth blickte. Er wußte selbst nicht, wie es geschah, daß er an Miranda dachte, und sich jeder unheiligen Regung in tiefster Seele schämte. Marie, die dem Kinde auch ein Blumenkettchen gewunden hatte, kniete vor diesem nieder, und schlang den Kranz um die weißen Küssen. Die schöne Frau küßte sie auf die Stirn, und Rodrich, der sich genahet hatte, hörte daß sie ihr leise zuflisterte, bringe doch den Bruder zur Ruhe, die Thorheiten ängstigen mich. Großer Gott! dachte er, muß dieser Himmel gerade von der gemeinsten Rohheit getrübt werden, und ist denn nichts rein in der Welt, daß man sich an keinem Gebilde ohne wehmüthige Störungen erfreuen darf. Ach es ist wahr, das [286] Glück und die Freude spielen nur auf der Oberfläche des Lebens, und wenn man sie fassen will, so winken sie uns weit aus der unerreichbaren Tiefe, wo der Mensch schaudert, hinabzusteigen. Der Mahler trat jetzt auf ihn zu, und fragte spöttisch, bist du so schnell mit der Wirklichkeit zerfallen, daß Du mit diesen trübseligen Mienen in die allgemeine Freude hineinschauest? – Und dankt Dirs der fliehende Augenblick nicht besser, dem Du dich so gern hingiebst? Wer hat ihn, fesseln wollen, fragte Rodrich, durch die Frage schnell zu sich selbst gebracht. Dies Ziehen und Wandeln, dieser ewige Wechsel von Lust und Schmerz ist ja das rechte Leben, dessen höchstes Ziel wohl jedem gleich abwärts steht. Dem Künstler nicht, erwiederte jener, der[287] weiß den Streit zu lösen, und den Augenblick zu verewigen. In den reinen Himmel seiner Phantasie tritt nur das Urbildliche der Welt, und die niedre Mangelhaftigkeit schwindet vor dem ewigen Schönen, das seinen Blick verklärt. Wenn ihn dieser Blick nicht durch das ganze Leben begleitet, sagte Rodrich, so sind dies auch nur Erhebungen, die er überall mit den höhern Menschen gemein hat, und was ist denn der Künstler anders als ein rüstiger Streiter, dem die Siegespalme aus der Ferne winkt. Oder ist es nicht ein Streit zu nennen, wenn Gedanke und That mit einander ringen, und die Schöpfung langsam ans Licht tritt und oft ganz anders, dem schaffenden Geiste fremd da steht, und er das eigne Kind widerstrebend anerkennt? – Ist es etwa [288] keine Mangelhaftigkeit, wenn der zurückgezogne Blick aus der innern Welt hervortritt und die kleinen Sorgen des Lebens ihm begegnen, den frischen Muth anfallen, an ihm nagen und zerren, bis er geängstet in seinen Himmel flüchtet, und ihm das nur ein Zufluchtsort bleibt, was eigentlich gar nicht von dem Leben losgerissen, sondern Eins mit ihm in der innern und äußern Verklärung gedacht werden soll? Wohl dem, erwiederte der Künstler, der sich diesen Zufluchtsort nicht versperrte, er ist ihm ein sichrer Anker auf der tosenden Fluth, wo die meisten ohne Halt herumirren und rettungslos untergehen. Wer sich so frech dem Kampfe blosstellt, und mit Riesenarmen die ganze Fülle der Natur im bunten Wiederschein ihres wandelnden [289] Lebens umfassen will, dem widersteht alles, bis die Hand, in der jede Lust zerbrach, dem thörichten Herzen Fesseln schmiedet, und ihm in der gänzlichen Hoffnungslosigkeit erst die rechte Hoffnung erblühet. So ging es manchem frommen Einsiedler, den ein mühevoller Weg doch nur zum verfehlten Ziele drängte. Haben Sie, sagte Rodrich ihn schnell unterbrechend, den Heiligen gekannt, dessen Bild Sie mit der hinreißenden Wahrheit auffaßten, so daß ihn Niemand ohne Rührung sieht. Ja, sagte der Mahler ernst. Mein keimendes Talent entfaltete sich unter seinem Schutz. Er stand zu hoch, als daß ich in sein Inneres hätte dringen sollen, allein ich weiß, wie das Opfer eines geliebten Kindes die schuldbeladne Seele befreien sollte, und darum [290] ward er zum Märtyrer an des Sohnes That. – Rodrich, den diese Worte außerordentlich bewegten, wollte weiter in ihn dringen, und sagte ihm, was er selbst Näheres von dem Zusammenhange des Ganzen wußte; allein der Mahler bat ihn, diese Erinnerungen nicht wieder aufzuwecken. Hat doch, setzte er hinzu, die Hand des Himmels jede Spur getilgt, und es soll ja vergessen seyn.

Ein allgemeiner Lärm zog sie hier zu der Menge hin. Der Wirth hatte in der Trunkenheit das Kind von dem Schooße der Mutter gerissen, und sprang in den gefährlichsten Stellungen mit ihm umher. Niemand wagte sich zu nahen, aus Furcht, ihn zu wildern Ausbrüchen zu reitzen. Vergebens flehete Marie, vergebens streckte die weinende [291] Mutter die Arme aus, er schrie und jauchzte vor innerer Lust und trieb sein tolles Spiel ungestört. Rodrich kannte sich nicht vor Wuth, er theilte schnell die gaffende Einfalt und rief mit fürchterlicher Stimme: steh' Kobold, und gieb mir das Kind! Wie gebannt ließ der Erschrockne die Arme sinken, und Rodrich faßte leicht und behend den zarten Liebling, den er in der heiligsten Rührung an das geängstete Mutterherz legte, indem er sagte: die Engel der Unschuld mögen dich hier bewachen und jede Gefahr von dir abwenden; und als umfinge ihn diese Unschuldswelt, neigte er sich vor der segnenden Hand der bewegten Frau, die ihm nur weinend dankte. Der Mahler drückte ihn an das Herz und konnte lange nicht sprechen, dann sagte er: [292] lebe wohl, mein liebes Kind, ich muß dich jetzt verlassen, aber ich scheide ruhiger von dir, als ich dich begrüßte, und wer weiß wie alles kommt, du kehrst wohl noch einmal zu deiner frühern Beschützerin zurück. Rodrich dachte jetzt nicht an die Kunst, und freuete sich nur der wiederkehrenden Liebe seines Wohlthäters, der sich seinen Umarmungen entriß und forteilte. Er wollte nun auch seinen Weg verfolgen, da ihm ohnehin die vorige Störung das kleine Fest verleidet hatte, und als er hierzu Anstalten machte, sah er mit großer Beschämung den reich gekleideten Felix von der schönen Blondine mehr als sich begünstigt. Er ließ schnell die Pferde kommen und ritt eiligst davon.

Wie er nun endlich das Ziel seiner kleinen Reise erreichte und die alte stark [293] befestigte Stadt betrat, fühlte er eine innere Scheu, die sich beim Anblick des etwas feierlichen Generals nur noch mehrte. Er konnte Anfangs nicht begreifen, wie dieser für den heitern offnen Grafen passe, und was sie eigentlich verbinde. Allein es offenbarte sich ihm bald eine ganz neue Seite seines Standes, die er bis jetzt noch nicht so beachtete, und die der erfahrne Graf wohl zu ehren verstand. Es war nicht sowohl das freie muthige Soldatenleben, was er hier traf, sondern der tiefere Kriegersinn, das Wissenschaftliche der edlen Kunst, was sich im Laufe der ernsten Gespräche verkündete, und als Rodrich seine Unwissenheit hierin nicht bergen konnte, mahnte ihn der gebildete Feldherr zum Fleiß und strengen Studium an, und gab ihm mit vieler [294] Güte selbst einige Anleitungen, indem er ihm die reichen Hülfsquellen seiner Büchersammlung eröffnete. Ich sehe wohl, sagte er, es fehlt Ihnen nicht an dem schnellen Blick, der Gewandtheit und Kraft, die das eigentliche Geniale des Kriegers verkünden, und was keine Kunst der verschloßnen Natur aufdringt; allein verschmähen Sie nichts, was Sie tiefer in das Wesen der Sache einführt, und Ihren Gesichtskreis in jedem Augenblick erweitert. Es ist nicht selten, daß die jugendliche Fülle sich ohne innern Halt früh erschöpft, und das schnell verströmte Feuer eine leere, schlaffe Unthätigkeit zurückläßt. Ich habe Jünglinge gekannt, die wohl früher die Welt erstürmt hätten, und sich dann in den engen Kreis mechanischer Fertigkeiten zurückzogen, um ein [295] träges Leben hinter einer gemeinen Wirksamkeit zu verbergen. Und wer weiß, ist die früh geendigte Laufbahn vieler Helden nicht oft die Rettung ihres Ruhms gewesen. Manchem wollte das Schicksal nicht so wohl, der dann eine glorreiche Jugend durch kleine Rücksichten befleckte. Es ist nothwendig, eine große innere Thätigkeit in sich zu erhalten, um den gewaltsamen Drang nach außen zu beschränken, der nicht immer das Rechte erzielt. Nur da, wo die Einsicht Vorsicht wird, und den eigentlichen prophetischen Blick erzeugt, ohne welchen der Feldherr nicht einen Schritt thun kann, da soll sich die innere Kraft ungemessen ergießen, bei der wachsenden Gefahr immer stärker anschwellen und wie ein gewaltiger Strom alles zu dem hohen, erkannten Ziele fortreißen.

[296] Rodrich sah wohl daß ihm noch vieles mangele, um mit Sicherheit den leicht betretnen Weg fortzugehen, und daß er, wie es wohl mehrere thun, die umfassende Wirksamkeit zu flüchtig überschaute, um sie gehörig zu würdigen. Es beruhigte ihn daher, als der General fortfuhr: Sie haben durch die Kenntniß alter Sprachen vielfache Mittel in Händen, alle Stufen der Kriegskunst zu durchlaufen. Je tiefer Sie sich in die großen Begebenheiten der Welt verlieren, je herrlichere Ideen strömen Ihnen von allen Seiten entgegen. Dies weite Feld eigener Nachforschungen und spekulativer Folgerungen, kann nur der rohe Haufe zu betreten verschmähen. Ich dächte, auch ein wenig entzündbares Gemüth müsse es bewegen, die großen Worte des[297] Cäsar zu lesen, und wer nimmt ohne Ehrfurcht die Anabasis in die Hand und bleibt kalt bei den Beschreibungen der selbst erlebten, oft mitgefochtnen Schlachten großer Geschichtschreiber! Es gehört glücklicherweise zu den nicht mehr geltenden Gemeinplätzen, daß dem Soldaten Gelehrsamkeit unnütz sey, und ich freue mich Ihretwegen, daß Sie die größten Schwierigkeiten überwunden haben.

Mehrere Tage waren ihm auf die angenehmste Weise in dieser unterrichtenden Gesellschaft verflossen, als ein Brief des Grafen seine Rückreise beschleunigte. Er schied von seinem neuen Gönner und den leicht gewonnenen Cameraden in der besten Hoffnung, Sie Alle nächstens im Felde zu begrüßen und eilte der Hauptstadt entgegen, wo [298] er Alles in Bewegung und zum Aufbruch bereit zu finden meinte, statt dessen aber Straßen und Häuser festlich geschmückt, und viel Volk vor den Fenstern des Schlosses stehen, aus welchem laute freudige Klänge erschallten. Auf sein Nachfragen erfuhr er, daß der Cardinal den Abend zuvor eingezogen und heut seine Ankunft bei Hofe gefeiert werde. Er blickte nicht ohne Widerwillen zu dem Schlosse auf, wo die ersten unangenehmen Eindrücke seine Freude trübten, und ging dem Grafen seinen Bericht abzustatten. Allein hier war alles leer. Die große Feierlichkeit hatte die schöne Seraphine und ihren Gemahl nothwendig herbeigezogen, kaum erfuhr er noch, was sie alle beschäftige, da die ansehnliche Dienerschaft sie fast insgesammt, den Glanz [299] zu vergrößern, begleitet hatte. Er ging verdrießlich durch die leeren Zimmer, und da der Auftrag des Grafen einen Aufschub von wenigen Stunden litt, und er ihn noch nicht zurück erwarten konnte, so beschloß er, zu Stephano zu gehen, wenn er nicht auch etwa zu dem verhaßten Feste geladen sey. Im Hinausgehen bemerkte er indessen durch eine Seitenthür Rosalien, die emsig schrieb, während ihre Cammerfrau mit Einpacken beschäftigt, Anstalten zu einer Reise machte. Er trat hinein, um die Veranlassung dieses unerwarteten Entschlusses zu erfahren. Doch als er sich nahete, und sie die seltsam glänzenden Augen aufschlug, ohne ihn eigentlich zu sehen, ohnerachtet ihre Blicke auf ihm ruheten, fühlte er sich so befangen, daß er sie kaum anzureden wagte. Nach [300] einigem Besinnen schob sie indessen das Geschriebene fort, und sagte: Sie sehen, ich muß wieder fort! Es geht hier auch nicht. Ich finde überall keine Ruhe, und alles widersteht mir so leicht, so gar die Musik, ich kann keinen Ton mehr finden, der mir nicht die heftigsten Schmerzen erregte. Wenn ich nur so recht aus voller Seele reden könnte, bis sich alles löste und der Druck, der furchtbare Druck verginge! Aber die Worte versagen mir, und meine Freunde verstehen mich nicht mehr, und sehen mich so befremdet an, daß mir gleich die Lust am Gespräche vergeht. Darum will ich auch in die Einsamkeit zurück, und immer fort schreiben, bis ich selbst nichts mehr weiß. Das Papier nimmt alle meine Gedanken so willig auf, und ein leerer Bogen sieht [301] mich so lange lockend an, bis ich ihm mein heiligstes Geheimniß vertraue. Ich könnte gar nicht mehr leben, wenn ich die weiße Fläche nicht vor mir sehe. Nur fühle ich zuweilen hier, auf der Stirn einen unerträglichen Schmerz, dann wird mir so seltsam, alle meine Träume verschwinden, ich kann dann gar nichts denken. Die Cammerfrau sagte jetzt, daß alles bereit sey und der Wagen sie erwarte. Rodrich bat um die Erlaubniß, sie in ihrem Schlosse aufsuchen zu dürfen, und versicherte sie seiner zärtlichsten Theilnahme, die jeden Augenblick für ihr schönes Vertrauen dankbar seyn werde; allein sie schien auf nichts anders zu achten, als nur schnell fortzukommen, und so entkräftet sie war, eilte sie mit ängstlicher Hast dem Wagen entgegen.

[302] Rodrich sah ihr wehmüthig nach. Die schöne Gestalt, über die der Schmerz so hinziehend alle Blüthen eines edlen Geistes grausam abstreifte, rührte ihn unbeschreiblich. Er sah mit Schmerzen, wie das freie Spiel ihrer Gedanken sich verwirrte, und ihre Phantasie wie ein drehend Rad herumtrieb. Die hellen Flammen des Verstandes entzündeten wohl auch ihr Licht, aber der Brennpunkt war verschoben, und es kreisete alles wild durcheinander. Er hatte sich unter wehmüthigen Erinnerungen auf ihren Platz gesetzt, als ihm jene Blätter in die Augen fielen, die sie ohnlängst beschrieb, und ohne weiter einen Werth auf sie zu legen, hier vergaß. Er konnte sich nicht erwehren, hineinzusehn, und fand gleich zu Anfang folgende Worte.

[303] »Ich sehe die alte Liebe wieder in Deinen Augen glänzen, Du verschmähst nicht länger, was Dir ewig angehört. Wie könntest Du auch den schmeichelnden Regungen widerstehen, die Dich, wie mich gefangen halten. Ende darum nur bald das ängstende Spiel, und löse die Ketten, die Dich halten.«

Gleich darunter stand:

»Niemand darf unsre Verbindung ahnen. Die Todten sollen unser Glück beschützen. Ich fliehe aus der Stadt, am Grabe meiner Mutter erwarte ich Dich. Da ist es still und heimlich.«

Rodrich wußte kaum, was er las, die Sicherheit und der Zusammenhang dieser Worte machte ihn zweifelhaft, ob sie nicht mehr als einen glücklichen [304] Traum enthielten. Doch bald riß ihn Folgendes aus allen Zweifeln.

»Fernando weiß um unsre Liebe. Er wird mich begleiten. Fürchte Dich nur nicht. Der Stern in seiner Brust dreht sich zwar kreisend umher, und berührt mich oft mit seinen Strahlen, daß es wie Flammen auf meiner Stirn brennt; aber er hat mir versprochen, ihn zu verdecken, und darum sey nur ruhig.«

Rodrich hatte noch nie die Qualen seiner unglücklichen Freundinn so lebendig als heut empfunden. Alle Kämpfe dieser geängsteten Brust, das fruchtlose Ringen und der arme Trost einer geträumten Liebe, preßten ihm heiße Thränen aus. Er lag noch weinend vor ihrem Bilde in Seraphinens Cabinet, als ein nahes Geräusch ihm [305] die Ankunft des Grafen verkündete. Er sammelte sich so gut es gehen wollte, um mit Anstand vor ihm zu erscheinen. Doch kaum gedachte er mit rechtem Ernste seines Geschäfts und dessen Beziehung auf eine freudige Zukunft, so blitzte die alte Lust wieder in ihm auf, und er ging rüstig und frei zu dem Grafen und richtete seine Aufträge aus. Nach einer kurzen Unterredung, in welcher er mit Freuden hörte, daß die Entscheidung nahe und der Krieg mehr als wahrscheinlich sey, der Herzog aber die jetzige fröhliche Stimmung durch keine voreilige Nachricht trüben wolle, trat die Gräfinn herein, und berührte Rosaliens schnelle Abreise, die ihrem Gemahl noch unbekannt war, mit aller ihr eignen Schonung, indem sie hinzusetzte, daß der Arzt mit dieser [306] Veränderung ihres Aufenthaltes zufrieden sey, und von der Stille und Ruhe ländlicher Einsamkeit wenigstens körperliche Erholung erwarte. Allein der Graf war diesmal nicht so leicht zu beruhigen, und verlor sich in vergeblichen Muthmaßungen über diesen unerwarteten Entschluß. Rodrich, der wohl die tiefsten Blicke in ihr zerrüttetes Gemüth gethan, wußte ihm nichts tröstliches zu sagen, und so schwiegen sie alle betrübt, denn selbst Seraphine hatte nicht mehr das Herz ihre ewig blühenden Hoffnungen laut werden zu lassen. und blickte selbst muthlos in die Zukunft. Doch riß sie der Graf, der sich nie dem Kummer ergab, und den Schmerz als seinen bittersten Feind haßte, gegen den er schnell und immer ankämpfte, aus der augenblicklichen Verstimmung, [307] indem er selbst andre Gespräche herbeiführte, und sich mit vieler Laune über den Hof und seine ganz eigne Demuth gegen den Cardinal ausließ. Ich weiß nicht, sagte Seraphine, welche seltsame Scheu er auch mir einflößt, es ist nicht Ehrfurcht, nicht Andacht, die ich bei seinem Anblick empfinde; aber mir ist als wenn die göttliche Verdammniß über der Erde hinschritte, und ich sinke ordentlich zerknirscht in mich zusammen, jeder lustige Gedanke erstirbt mir auf der Zunge, wenn die scharfen Blicke so gerade auf mich hinzielen, und auf der glatten Fläche des kalten Gesichts keine Spur von Theilnahme und Wohlwollen zu finden ist. Ich begreife nur nicht, wie man noch seinetwegen Feste anstellen und freudige Menschen versammeln kann. [308] Er sieht so gleichgültig darüber hinweg und steht da, wie der rächende Engel, dem das Verderben von selbst in die Arme laufen müsse. Miranda ist die Einzige, die sich in seiner Nähe gleich bleibt, und welche die Achtung für seinen Stand, mit der eignen Würde zu behaupten weiß. Alle Andern sind verändert. und ich selbst schäme mich meiner Furcht. Mich hat er nicht gestört, sagte der Graf, ich kenne ihn lange und sehe gern über ihn weg. Diese Ruhe und lauernde Kälte ist ja nichts Neues bei den Heiligen der Welt, und mich befremdet nichts, was von dieser Seite kommt. Nun, sagte die Gräfinn, morgen werden Sie ihn ja sehen. Es ist eine Abendversammlung in Theresens Lustschloß. Jedermann hat Zutritt im Garten, und es werden [309] viel lustige Masken und Aufzüge dort erscheinen, indessen Sie und wir Alle, die zum engern Ausschuß gehören, seine Heiligkeit umgeben müssen.

Rodrich war unaussprechlich erfreut Miranda wiederzusehen, und hoffte, ihre ruhige Heiterkeit werde ihn vor jedem feindseligen Einflusse bewahren. – So trennte er sich heiter vom Grafen und erwartete in stiller geheimnißvollen Rührung den folgenden Abend.

Der erleuchtete Garten glänzte ihm schon von fern entgegen. Hohe duftende Blumenranken verbanden die Gebüsche und trugen in vielfachen Bogen farbige Lampen. Statüen und Springbrunnen traten in dem spielenden Glanze recht freudig hervor. Ueberall hörte man unsichtbare Musik. Auf dem Strome wiegten sich die beleuchteten [310] Schiffe wie bunte Flammen, unzählige Masken drängten sich durch einander, Gesang, Spiel und Tanz wechselten in den verschiednen Gegenden des Gartens ab, und mitten aus der allgemeinen Verwirrung strahlte das Schloß auf den hohen Terrassen wie ein fester Stern. Von dort aus übersah man das Ganze mit einem Blick, die seltsamsten Erscheinungen drängten sich daran vorüber, während im Innern alles die Ruhe einer abgeschloßnen Welt athmete. Rodrich trat in die glänzende Versammlung, deren leises Flistern und stilles Wesen seltsam gegen den äußern Lärm abstach, Wie er dem Cardinal vorgestellt ward, fühlte er sich keinesweges durch dessen Anblick überrascht. Er war fest überzeugt ihn wo gesehen zu haben. Dies Bild hatte ihm immer [311] vorgeschwebt, und jedem Geistlichen lieh er in der Erinnerung diese Züge und diese schreckende Kälte. Er zog sich indessen sogleich zurück und fand sich bald zwischen Miranda und Elwiren an einem geöffneten Fenster, das nach der Wasserseite sah. Das lustige Spiel der Menge nahm sie hier gefangen. Sie weideten sich an dem Reichthum und der geschmackvollen Anordnung prächtiger Masken. Ein Triumph des Aurelian mit der strahlenden Zenobia und dem gedemüthigten Tetrikus zog mit allem ersinnlichen Pomp vorüber. Auf dem Strom schwamm dagegen ein künstliches Fahrzeug, das einen Neptun zwischen Tritonen und Nereiden zeigte. Ein neckender Proteus stand am Ufer und verwandelte Harlekin und Colombinen in Meerkälber [312] und Ungeheuer, die er dann unter lautem Jubel den Strand entlang trieb. Alles drängte sich ihnen nach, während ein einsamer Sänger in wunderlicher alter Tracht aus dem Gebüsch trat und folgende Worte sang:


Blumen süßes Angedenken,
Blumen, meiner Liebsten Gabe,
Seyd ein Bild der kurzen Freuden,
Die mit euch verblühend schwanden.
Seh' euch todt nun vor mir liegen,
Muß mit Wehmuth die betrachten,
Deren reiches, frisches Leben
Freudig meinen Sinn erlabte.
Zaid nimmt die welken Blumen,
Drückt sie gegen Mund und Wange,
Will mit Thränen sie benetzen,
Will mit Küssen sie erwarmen.
Und der Thränen helle Perlen
Glänzen in des Mondes Strahlen.
[313]
Bebend so in Lichtes Wonne,
Spielen sie viel tausend Farben.
Blumen, wollt auch ihr mich täuschen
Neu erblüh'nd im mächt'gen Glanze?
Wollt euch dem Gestirn verbünden,
Das im Dunkel trüg'risch waltet.
Leben habt ihr mir gelogen;
Will nicht länger euch bewahren,
Denn für solch ein falsches Leben
Wähl' ich's einsam zu verschmachten.
Und er wirft die Liebespfänder
Von dem steilen Meeresstrande
Tief hinunter in die Fluten,
Sie auf ewig zu begraben.
Wie die Blumen dort verschwimmen,
Gar vergessend aller Farben,
Hat die Thrän auf ihren Blättern
Bald zur Perle sich gestaltet.
Perlen sind ja Liebesthränen,
Denn, von Wehmuth süß umfangen,
Ruht des Feuers ew'ger Funke
Mild verklärt im stillen Wasser.
[314]
Ruhig athmeten die Wasser,
Sonne glänzt' im Liebeslichte,
Und auf sanft bewegten Wellen
Floß daher ein leichtes Schiffchen.
Schön gebaut aus seltnem Holze,
Reich geziert mit bunten Wimpeln,
Deren roth und weiße Streifen
Lieblich in der Sonne spielten.
Auf den sammtnen Polstern ruhend,
Unter seidnem Baldachine,
Lacht in Jugend, Pracht und Schönheit
Fatme, des Alhambras Zierde.
Muntre Fischer ihr zu Füßen,
Ihres Hofes edle Diener,
Die, auf Fatmes Winken lauschend,
Leicht geschürzte Netzchen hielten.
Hell ertönten zu den Flöten
Viele männlich schöne Stimmen,
Und die Zauberkraft der Töne
Drang hinunter in die Tiefe;
Und es folgten gern dem Rufe
Grün und goldgesprengte Fische,
[315]
Aus der Tiefe sich erhebend
Zu des Meeres obern Spiegel.
Doch der Ton war ihr Verderben,
Denn auf Schiffesrand sich schwingend,
Warf das Netz ein feiner Knabe,
Leicht erspäh'nd der Herrin Willen;
Nahm sie allzumahl gefangen,
Die im frohen Liebesspiele
Sich erlabend an den Klängen,
In den seidnen Kerker liefen.
Er, ihr Schrecken nicht beachtend,
Öffnete behend die Schlinge,
Und was sich zuerst ihm zeigte,
War der schönsten Perle Schimmer.
Lächelnd wandt' er sich zur Herrin,
Sprach mit höfisch feiner Sitte:
Dir allein gebührt dies Kleinod,
Sieh' in ihm dein göttlich Bildniß.
Fatme nahm entzückt die Perle,
Drückte sie an glüh'nde Lippen:
Perle, mir vor allem theuer,
Die so unverseh'ns ich finde.
[316]
Will in feines Gold dich fassen,
Sollst das Haar mir glänzend zieren,
Und du, holder Knabe, lese
Meinen Dank in meinen Blicken.
Schöne Perle, schöne Perle,
Sieh mich weinend stehn am Ufer,
Laß dich meine Klagen rühren,
Folge meinem bangen Rufe.
Du, des reichen Schmuckes Zierde,
Bist nun meinem Blick entschwunden,
Und ich Arme muß vergebens
Dich am öden Strande suchen.
Süßes Kleinod, kehre wieder,
Zier' aufs neu' mir Haupt und Busen,
Laß in deinem Glanz mich leuchten,
Leben nur in deinem Ruhme!
Nein, du bist in Nacht geboren,
Bist ein Kind der schlimmsten Mutter;
Trüg'risch war dein sanftes Leuchten,
Zu verlocken meine Jugend.
Grausend steh' ich hier alleine –
Schäumend naht ihr, wilde Fluthen,
[317]
Wollt auch mich hinunterreißen,
Wie die Perl' ihr habt verschlungen!
Ihr entgegen klingen Stimmen,
Wie aus tiefem Meeresgrunde:
»Holder Perle süßes Leben
Blüht im stillen Heiligthume.
Was der Tiefe ward entrissen,
Kühn aus Tageslicht gerufen,
Sinkt zurück in Liebesarme
Scheu vor euren wilden Gluten.
Steig hinunter in die Wasser,
Kühle deines Herzens Wunden,
Und im feuchten Schooße finde
Neu erblüht die Wunderblume.«

Alle drei blickten ihm schweigend nach, als Elwire wie aus einem Traum aufschreckte. Mein Gott! meine Lieblingsromanze, wie kommt die hieher? Sie sprang vom Fenster und Miranda sagte nach einigem Besinnen: Es ist sonderbar, vor kurzem ging es mir [318] fast eben so. Diese Lieder haben einen innern Zusammenhang, ich kannte sie sehr frühe schon und habe sie sonst niemals gehört! Rodrich wußte nicht, was er denken sollte. Er war Miranda gefolgt, die in die Halle trat, und ging neben ihr, ohne daß beide redeten, so heilig und still war es in ihrer Seele, und keiner bemerkte, daß der Weg immer einsamer ward, und sie plötzlich vor dem matt erleuchteten Pavllion der Prinzessinn standen. Sie traten hinein, und eine unbeschreibliche Wehmuth ergriff sie, als die vorigen Töne aufs neue vorüber rauschten. Sie mußten beide weinen, und in der seeligsten Rührung sanken sie einander in die Arme. Als sie aufblickten, stand der Sänger hinter ihnen, er hatte die Larve abgenommen und Rodrich rief [319] voll Entzücken: Florio, mein Florio; so mußte ich Dich wiederfinden! Miranda hatte ihm die Hand gereicht, und sagte mit bewegter Stimme: Bist Du der Engel, der uns zusammenführte, so bewahre das Geheimniß, daß es ewig in unsrer Brust verschlossen bleibe! – Sie eilte hinaus, und Rodrich zog den Wiedergefundenen eilig an sein Herz, das alle Seeligkeit der Welt auf einmal erfüllte. Komm nur, sagte er, jetzt kann ich noch alles nicht fassen, aber ich werde mich wiederfinden, und mein unaussprechliches Glück begreifen lernen. – Sie stießen hier auf Stephano, der einsam an einem Baum lehnte und weit über den Strom hinaus sah. Rodrich eilte auf ihn zu, schloß ihn stumm an die Brust, und ging unter Freudenthränen an Florio's Hand zurück in die Stadt.

[3]

Zweiter Theil

Erstes Buch

[3] [5]Die Nacht fand beide Freunde in den seligsten Betrachtungen versenkt. Florio konnte sein Auge nicht von dem königlichen Jünglinge abwenden, der nun so anders, und doch nicht fremd, in seinen Armen lag. Ihm war, als träume er aufs neue, wie in so mancher wehmüthigen Stunde, den lang' ersehnten, durch Klang und Worte heraufbeschwornen Augenblick des Wiederseh'ns. Wie tausendmal hatte ihm die herrliche Gestalt so, grade so in alten Ritterliedern vorgeschwebt! Ach und wie tausendmal kehrte er dann mit trüben [5] Blicken in sich selbst zurück, und floh die trügerischen Bilder, die ihn von Land zu Land fortrissen, und das unbefriedigte Herz erschöpften! Mit innrer Bangigkeit bog er sich jetzt über ihn hin, und drückte einen leisen Kuß auf seine Wange. Da war ihm, als flössen die reinen, kräftigen Züge milder in einander, und als blicke ihn aus den weichen Umrissen das kindische Gesichtchen seines Rodrichs wieder an. Wie mit Liebesarmen umfing ihn die Vergangenheit, und führte ihn zu der kleinen Hütte zurück, die so lange seine stillen Freuden umfaßte. Er mußte jener Nacht gedenken, wo er zuerst den Wunsch in sich aufkommen ließ, den geliebten Gespielen jenseit der Berge aufzusuchen, und wie dann das Verlangen so riesenmäßig aufschoß, daß es ihn, alle [6] andere Gefühle erdrückend, vom Lager fort, zu den steinigen Klippen zog, die ihm den Weg in die weite unbekannte Welt eröffneten. Hier, den unersteiglichen Bergen gegenüber, erschrak er über sein Vorhaben. Er blickte fragend zu ihnen auf. Der Mond glänzte wie Gottes Auge über ihren verhüllten Gipfeln, hinter denen sich eine dunkle Wolke in Gestalt eines gewapneten Mannes mit doppeltem Antlitz erhob. Florio's Herz schlug ängstlich, er betrachtete die Wolke, die sich, immer mehr dehnend, zwei lange Arme über der Erde ausbreitete, und, wie mit langsam ernstem Tritt, aus der Tiefe heraufstieg. Das gewaltige Haupt bog sich über den Mond hin, so daß das Gesicht gen Osten bleich und zitternd über dem erschrockenen Jüngling schwebte. Er wollte [7] zur Hütte zurück, allein in der Dunkelheit hatte er den Weg dahin verloren, und er irrte bang und traurig zwischen ödem Gestein umher. Endlich erfreuete ihn ein Licht ganz weit aus der Ferne. Er beflügelte seine Schritte, und kam bald auf ebnere Weg. Er fühlte wieder weichen Rasen unter seinen Füßen, und zuweilen wehete ihm der herrlichste Blumenduft entgegen. Indeß mußte er sich noch lange zwischen dichten Gebüschen hindurchwinden, ehe er dem Lichte näher kam. Da erblickte er plötzlich ein schönes Haus, von dessen untern Fenstern sich der Schimmer ergoß. Ein offnes halb verfallnes Gitterthor führte ihn zwischen hohen Blumenwänden zu einem Altan, über welchem die rankenden Stauden, wild durch einander gebogen, einen farbigen Schleier vor den [8] Lichtschein zogen. Florio blieb betroffen stehn. Die Sage des verzauberten Gartens kam mit allen Schauern jener frühern Eindrücke wieder in sein Gedächtniß. Er blickte in einem seltsamen Gemisch von Furcht und kühnem Verlangen um sich her. Alles, was er in der Dämmerung unterscheiden konnte, sah wüst und traurig aus einer bessern Vergangenheit herauf. Sarois Klagen legten sich aufs neue wehmüthig an sein Herz, da setzte er sich auf einen umgestürzten Baum, und sah bekümmert zu den zerbrochenen Fenstern hinauf, hinter welchen herabgerollte Vorhänge ungehindert hin und her flatterten. Keines Menschen Hand hatte hier seit Jahren gewaltet, und dennoch brannte das Licht, und zeugte von nächtigen, unheimlichen Bewohnern. In der [9] Todtenstille hörte Florio nichts, als das Flüstern der Blumen, die ihre Blätter in seinen Schooß schütteten. Eine unbeschreibliche Sehnsucht drängte ihn, den niedern Altan zu betreten; aber, als wollten ihm die Zweige den Eingang verwehren, so bogen sie sich in einander, und er schwankte schon, ob er dem Winke folgen und umkehren solle, als ein langer Schatten hinter dem grünen Gewebe vorüber zog, und ein leises Rauschen, als striche der Wind über volle Saiten, hindurch drang. Ohne länger zu weilen, theilte er nun schnell die Ranken, und stand vor einer hohen Glasthüre, deren verblindete trübe Scheiben das schwach erhellte Zimmer wie in einen Nebel hüllten. Die wachsende Begier, irgend etwas zu entdecken, trieb seine Blicke unstät umher. [10] Alles wogte und flimmerte ihm vor den Augen. Das Herz klopfte hörbar in seiner Brust, sonst war es still wie im Grabe. Plötzlich hörte er eine Uhr zwölf schlagen, und leise Flöten ein Sterbelied spielen. Unwillkührlich sank er auf die Knie nieder, und betete für die Erlösung der Seele. Als er sich wieder ausrichtete, bemerkte er unterhalb der Thür eine ausgehobene Scheibe; er sah hindurch, in ein hellgraues Gemach, den Berggeist auf die Harfe gelehnt, unbeweglich vor einem verhangenen Ruhebette stehen, dessen Decke sich zu bewegen schien, als athmete jemand schwer und langsam unter ihr. Auf einem schwarzen Altar brannte die Lampe, und erhellte ein Cruzifix von weißem Marmor, über welchem das Bild der schönen Dame aus dem Traume [11] hing, nur trug sie weder goldene Harfe noch Blumen, sondern einen feurigen Reif, in dessen Mitte eine röthliche Perle, wie eine blutige Thräne schwamm. Sie hatte ihn mit bittern Leidensmienen vom Finger gezogen, und schien bereit, ihn in das offne vor ihr liegende Meer zu werfen. Florio betrachtete das Bild mit steigender Wehmuth. Es waren die holden Züge, die ihn träumend so oft entzückten. Der schöne Mund lächelte ihn so vertraut und lebendig an, die ganze Gestalt schien immer dichter und gerundeter aus dem Bilde hervor zu treten, da hörte er tief aus gepreßter Brust seufzen, seine Blicke flogen zu dem Ruhebette, er breitete die Arme aus, er wollte die Scheidewand zersprengen, indem erlosch die Lampe, und er stürzte, [12] halb sinnlos vor Schreck, aus dem Garten. Noch in diesem Augenblick faßte ihn derselbe Schauer, da jene Erinnerungen wieder erwachten, und dennoch wollte er sich nicht davon losmachen, sondern versenkte sich immer tiefer, mit geheimer ahndungsvoller Lust hinein, als Rodrich halb träumend zu ihm aufblickte, und leise wie im Schlafe fragte, warum ist er nicht bei dir geblieben, da ich euch doch bei einander sahe, und er es war, der dich zu mir führte? Florio fühlte bebend, daß derselbe Gedanke sie beide erfüllte. Er wandte sich von dem schlaftrunkenen Freunde, und sang still zur Harfe:


Wenn die Nacht, heraufbeschworen
Von der Erde stillem Ruf,
Nieder ihre Schleier senkend
Zu verhüllen keusche Glut:
[13]
Sterne bald als Liebesboten,
Spielend auf der Tiefe Grund,
Sich in duft'ge Perlen tauchen
Die entquellen innrer Lust:
Alle Farben dann verschwimmen,
Tragend auf bewegter Fluth
Erd' und Himmel im Vereine,
Aufgelöst in sel'gem Kuß:
Dann zerspringen alle Bande,
Freiheit athmet die Natur,
Aus den Wolken, aus den Grüften
Dringt ein geistig leiser Gruß.
Was der Sonne kreisend Walten
Frech getödtet, was der Sturm
Trüber Zeiten längst verwehte,
Paradieses Blüthenschmuck,
Keimt aus wonnevollen Thränen
Zieht heran in Wolkenduft.
Frei gegeben sind die Spiele,
Frei, im innern Heiligthum.
Traum und Schatten zieh'n im Fluge
Durch die offne Menschenbrust,
[14]
Grüßen froh die alte Heimath,
Wecken ahndend heißen Wunsch.
Wünsche sind geheime Seufzer
Nach entfloh'ner Götterlust;
Sehnsucht ist die heil'ge Stimme
Die zum Paradiese ruft.

Der Morgen war indeß heraufgezogen, und trieb nach und nach Theresens muntre Gäste zur Stadt zurück. Auf den Straßen wimmelte es bald von bunten Masken, die schwirrend durch einander hinzogen, und ihr muthwilliges Spiel erst in den stillen Wohnsitzen dürftiger Genügsamkeit endeten. Rodrich war auf den wachsenden Lärm herbeigekommen, und lehnte an Florio's Seite im offnen Fenster. Er konnte sich weder des augenblicklichen Rausches noch der phantastischen Gestalten recht erfreuen. Der Tag war zu nahe, er [15] wehete kühl herüber, die ganze Lust schien ihm ein mattes Spiel, die armen Sinne zu betrügen, die beim hellen Licht den engen Kreis bald wieder erkennen, und befangener als je darin athmen würden. Gedankenvoll lauschte er vorüberziehenden Klängen, die endlich vor dem eintönigen Treiben der nahen Werkstätte schwiegen, und mit ihrem Verschwinden fast jeden Zauber der Phantasie lösten. Rodrich blickte auf sich und seinen Freund, der ihm in gewohnter herkömmlicher Tracht nichts als den wohlgebildeten Jüngling dieser Welt zeigte. Der lange Sängermantel hing mit dem weißen Barte und der bleichen Larve neben ihm auf einem Sessel; er spielte nachlässig mit dem reichen Faltenwurf des altväterischen Gewandes, als es unversehens herunterfiel, und wie [16] ein Vorhang zusammenrollte. In dem Augenblick war es Rodrich, als wären alle Träume dieser Nacht versunken. Vergebens suchte er die erwachten Bilder der Kindheit, vergebens die Geliebte in seiner Brust. Miranda war wieder die große herrliche Fürstin, zu der er kaum aufzublicken wagte. Jener einzige unbegreifliche Moment des Entzückens lag weit, weit hinter ihm. Wie ein Blitz hatte ihn diese Seligkeit berührt. Jetzt war alles anders. Die gewohnte Ordnung behauptete ihr Recht. Der gemeßne Gang des Lebens schritt langsam fort, und er stand wie gestern und alle vorhergehende Tage, in den beschränkten, durch fremde Güte erschaffnen Umgebungen, Mirandas Pallast gegenüber. Kaum wagte er es, die schöne Erinnerung festzuhalten, die so [17] unschuldig zu ihm herübersah. Er hatte sich dem Zauber hingeben, er hatte die Welt einen Augenblick vergessen können, ach, und er würde gern gestorben seyn, um noch einmal so selig zu leben, aber der Wahn zerrann, wie leise er ihn auch anfaßte. Was war er, und was konnte er wollen? Das süße Geheimniß seines Glückes war ihm ein kränkender Vorwurf. Frei und festgestaltet sollte es in vollem Glanze des Tages leuchten, in jedem Auge wollte er den Wiederschein desselben lesen. Miranda's Name sollte nicht blos wie ein geistiger Hauch durch sein Innres ziehen, er wollte ihn laut aussprechen, allen Lüften zurufen können! O, er fühlte sich gedrückter als je, seit ihn die heiligste Liebe einen Augenblick über sich selbst erhob.

[18] Wie er sich nun immer fester und fester an jede Widerwärtigkeit seines Lebens hing, und sie so lange betrachtete, bis er, aufs höchste gereizt, die Augen vor den Erscheinungen des wiederkehrenden Tages schloß, rauschte noch der letzte Trupp herumschwärmender Masken die Gasse herauf. Unter tollen Gaukeleien schwirrten sie an den Häusern vorüber, und ehe es Rodrich bemerken konnte, hatte ihm eine derselben ein zusammengerolltes Blättchen in die Hand gesteckt. Er öffnete es schnell, und Florio, der wie ein gutes Kind in des Freundes Hoffnungen und Wünschen lebte, und schon längst die getrübten Augen mit Wehmuth betrachtete, sah zutraulich über seine Schulter, und beide lasen folgende Worte:

»Ich wünsche Ihnen Glück. Der [19] Krieg ist entschieden. In wenigen Tagen ist alles aufgebrochen. Ein neues Licht geht über Ihnen auf, denn eine reiche Natur fodert gewaltsam große und mannigfache Gegenstände, um die immer brennende Frage zu beantworten, sonst erschöpft sich der gereizte Wille in zwecklosen Ausbrüchen, die oft den werdenden Helden in ihren engen Schranken begraben. Lösen Sie die Fesseln. Das Schicksal gab Ihnen viel, machen Sie sich alles zu eigen. Es ist Weisheit, das Höchste aufs Spiel zu setzen, um das Höchste zu gewinnen. Das Schwerdt werde eine Flamme in Ihrer Hand, vor der sich Freund und Feind beuge. Schwanken Sie nie, denn es giebt auf Erden nichts Herrlicheres, als einen Thron frei zu [20] machen und das erkannte Recht behaupten.«

Rodrich faltete das Blatt, ohne etwas Bestimmtes zu denken. Der ernste Zuruf erschütterte ihn! Es war, als dränge ihn das Schicksal mit Gewalt zu einem unbekannten Ziele. Tausend verworrene Ahnungen trieben ihn unsicher umher. Endlich lösten sich die innern Nebel. Er glaubte Miranda's Stimme in jenen Worten, ohnerachtet ihrer strengen Heftigkeit, nicht zu verkennen. Durch sie ward ihm des Himmels Wille kund, und seine früheren stolzen Hoffnungen gerechtfertigt. Zu sich hinauf wollte sie ihn heben, durch die innere Kraft seines Willens! Was lag darin auch Unerhörtes? Sagt nicht die Geschichte aller Völker, daß von jeher ein kühner Flug die armselige [21] Stufenleiter zwerghafter Wünsche hinter sich ließ? Das Außerordentliche tritt die gemeine Ordnung nieder, und eine neue Folgereihe beginnt von dem lichten Punkt, den ein kräftiger Geist über der Erde heraufführt. Der Krieg bahnt dahin den Weg. Hier verschwinden hergebrachte Verhältnisse vor der überwiegenden Gewalt einer großen Seele, die sich in Feuerströmen ergießend, alles wie Gottes Zorn mit sich fortreißt. Darauf deuteten auch die Worte des Briefes, und doppelt war der Sinn zu nehmen, in welchem der Thron befreit werden sollte. Mußte die königliche Natur nicht fühlen, daß sie zum Herrschen geboren, daß sie bestimmt sey, das Wohl der Menschen, wenigstens über die zu verbreiten, die ihr so nahe gerückt waren? Und sagte ihm jene [22] Umarmung nicht, daß er es sey, den sie würdig hielt, ihr zur Seite zu stehen? Er schlug das Blatt noch einmal auseinander, und las immer und immer wieder, was ein leidenschaftliches Verlangen schon bei weitem früher in sein Inneres grub.

Während dieser Betrachtungen hatte er Miranda oftmals laut genannt. Wie, sagte endlich Florio, jene Heilige, zu deren Füßen ich dich gestern fand, hätte diese Worte zu dir geredet? Warum nicht, fiel Rodrich schnell ein, glaubst du, sie sey nicht reich genug, alle Herrlichkeiten der Welt zu umfassen? Ein Auge, das in die Himmel dringt, will ihren Glanz auf Erden erblicken, und soll sie den heiligen Zorn weniger als die Liebe verstehen? Kann sie den Frieden ohne den Krieg wünschen? oder [23] glaubst du, sie gehöre zu den engherzigen Gemüthern, die meinen, mit einem frommen Wunsche die ewige Seligkeit herbei zu rufen? Das nicht, unterbrach ihn Florio, sie hätte, dasselbe fühlend, doch anders gesprochen. Ich weiß es nicht, warum der Klang dieser Worte ein Mißlaut in Mi randa's Munde wäre! Aber in dieser Beziehung fällt er widrig in mein Ohr, und zieht mir das Herz ängstlich zusammen, ach und sie kann es ja nur zu den herrlichsten Gefühlen eröffnen. Hat sie dich so schnell entzündet? fragte Rodrich lächelnd. Ich begreife es wohl, fuhr er fort, daß du sie nur auf deine Weise verstehen, und jedes strenge Wort in ihrem Munde für einen Frevel halten mußt. Die kühnen, männlich gesinnten Frauen, passen in deinen Himmel nicht, [24] du frommer Sänger! O, sagte Florio, des Himmels Braut trug der Welt den Sohn mit dem Schwerdte entgegen, aber die Palme blühete in ihrer Hand, und der Friede strahlte aus ihren Augen! Sie ist mir nicht fremd geblieben, was rechter Art ist, offenbart sich dem Sänger von selbst.

Hier stürzte Stephano wie ein freigelassener Löwe herein. Es ist Krieg, rief er mit gepreßter Stimme. Die Marsch-Ordre ist da, wir beide sind des Grafen Adjutanten. Ich bitte dich, komm, den Jubel der Regimenter zu sehen! Die ganze Stadt ist schon in Bewegung, jedes Herz zittert vor Freude. In der Nacht ist der Courier gekommen. Man sagt laut, der Fürst sey empört, über die frechen Anforderungen des Feindes. Alles theilt sein Gefühl. [25] Jung und Alt strömt herbei. Niemand will zurückbleiben, von allen Seiten erschallen Kriegslieder. Herr Gott im Himmel, rief er mit zusammengeschlagenen Händen, so habe ich es doch endlich erlebt! Es wird ein großer Tag über diesem Lande aufgehen. Es ist, als blitzte Eine Flamme aus aller Augen, sogar die Weiber, fuhr er fort, fühlen was ein Vaterland sey! Sogar die Weiber, wiederholte Rodrich, den Stephano's Glut unwillkührlich erkaltete, ich verstehe dich nicht wohl, es gab eine Zeit, wo du mit Alexis über den Wahn so einseitiger Anhänglichkeit strittest, und diese Mißgeburt veralteter Zeiten, als längst abgefallen und verwittert ansahest. Ich erinnere mich genau, von dir gehört zu haben, daß jetzt weder von dem Menschen noch dem [26] Staate, als Individuen, die Rede sey. sondern daß die allgemeinen Strebungen das Ganze umfaßten, und das Leben daher weniger in hervorleuchtenden Momenten, als in einem gleichmäßigen Fortschreiten still in einander greifender Kräfte bestehe. Diese weltbürgerliche Gesinnungen halten dennoch wohl die Probe bei ähnlichen Veranlassungen nicht aus, das gleichgefühlte Recht des Eigenthums drängt jeden zu Vertheidigung und Rache. – Ich bin zu befangen, erwiederte Stephano, um mich jetzt vor dir behaupten zu können, und ich gestehe dir auch, daß mir alles, was ich sonst dachte und sprach, in diesem Augenblick sehr schaal und leer erscheint. Ich mag gar nicht untersuchen, was mich jetzt so über allen Ausdruck bewegt, was, wie tausend zuckende [27] Blitze meine Brust durchfährt, und mich in freudiger Wuth fortreißt, so daß ich nirgend Ruhe finde, und selbst Hand an mich legen möchte, um die innern Vulkane auszuströmen. Wer kann jetzt motiviren und klügeln? Es mag seyn, daß die bloße Kampflust mich und Alle treibt, daß die große Reibung gesammter Kräfte die innern Schwingen hebt, und Vaterlandsliebe und Eigenthumsrecht weit überflügelt, es mag auch anders seyn, ich weiß nichts, gar nichts, als daß ich endlich einmal messen und prüfen will, was ich vermag. Der Schneckengang nüchterner Thätigkeit trennte ja alle freie Bewegung, Niemand weiß was er soll und kann, so lange die ungeübte Kraft wie ein blödes Kind in die Welt hineinsieht, und jede kühne Regung gefangen [28] hält. Jene erschöpfenden Definitionen fallen von selbst, sobald das rechte Leben anhebt. Die alten Helden, sagte Florio mit bescheidener Stimme, die noch einen Glauben und eine Liebe kannten, wußten, meine ich, trotz aller wilden Streitlust, dennoch warum sie fochten, und ich dächte, wer das Recht und die Wahrheit nicht von Angesicht zu Angesicht schauete, der könne nie auf Sieg hoffen. Stephano, der in seiner Freude den Jüngling bis dahin nicht bemerkt hatte, ward seltsam durch die Milde seiner Stimme getroffen; er betrachtete ihn aufmerksam, dann sagte er, den Kopf in beide Hände stützend, ich mag jetzt über nichts streiten, Gott weiß es, wie verworren und wild es in meiner Brust tobt. Sie sollten mit uns gehen, fuhr er nach einer Weile,[29] Florio die Hand reichend, fort; ihr Anblick müßte jedem wohlthun, und die unruhigen Begierden sänftigen. Ich folge meinem Rodrich überall, erwiederte dieser, wohin sein Schicksal ihn führt. Rodrich, den die letzten Worte wieder in seine gewohnte bessere Stimmung hinüberzogen, drückte ihn gerührt an sein Herz, indem er sagte, jetzt, mein guter Junge, darfst du mich nicht begleiten, das verbietet die hergebrachte Ordnung. Manches rohe Wort könnte dich treffen, was mich und dich kränken würde. Aber nahe wollen wir einander dennoch bleiben, und ich will zu dir wie zu meinem guten Engel flüchten, wenn das Leben mich wieder so kalt anfaßt und die innere Lust erstarrt. Ein Himmelsbote sollst du mir in trüben Augenblicken erscheinen. Mein Florio, [30] sieh mich nicht so wehmüthig an. Gewiß, du folgst mir bald, recht bald. Wie könnte ich mich denn auch aufs neue von dir losreißen wollen, dein frommer Blick soll sich schirmend zwischen jeden wilden Gedanken legen, und ihn auf ewig von mir abhalten. Jetzt erlaube mir indeß, daß ich dich zu einer Freundin führe, der du ein lieber Trost seyn wirst, und die dich wohl selbst, wenn es sich anders fügen will, zu uns begleitet. Bis dahin sey ruhig Lieber, Seraphine wird dich gern aufnehmen, und du wirst bei diesem leichten, tändelnden Gemüth, deine Kinderwelt am ersten wiederfinden. Ach, du fühlst es nicht, sagte Florio, mit abgewandtem Gesicht, wo meine Welt blühet, du und wenige wissen, wie ein Gedanke das ganze Leben umfassen,[31] und jede andere Rücksicht vernichten kann, darum begreifst du auch nicht, was mir es kostet, ohne dich zurück zu bleiben. Du sprichst so ruhig davon, als gälte es irgend einer andern Vorkehrung deiner Reise. Es muß ja wohl so seyn. Ich bleibe, weil du es willst, und wo du willst. Mir gilt jeder Ort gleich, seit du mich aufs neue von dir verbannst. O seht doch, seht, rief Stephano, auf eine nahe gelegene Hauptwache zeigend, da wird der Ausmarsch recht anmuthig gefeiert. Das Cithermädchen saß in den Zweigen einer schattigen Linde, und sang und spielte, während die Krieger im Kreise um den Baum standen, und still auf folgende Worte lauschten:


Auf jener Wiese glühen
Die Blumen purpurroth,
[32]
Die allesammt erblühen
Aus vieler Helden Tod.
Es sind die blut'gen Wunden,
Die auf zum Himmel seh'n,
Im Sonnenlicht gesunden,
Verkünden, was gescheh'n.
O, sagt nun, heil'ge Zungen,
Wes Thaten feiert ihr?
Wer hat den Tod bezwungen?
Wer ruht verklärt allhier?
Da weht es in den Halmen,
Da rauscht es in der Luft,
Die Erde will's zermalmen,
Es sprengen aus der Gruft.
Die kühnen Reiter alle,
Auf weiß und goldnem Roß,
Die einst im herben Falle
Besiegt der Feinde Troß.
Wir, tönt es aus der Ferne,
Der Länder Wehr und Zier,
Glüh'n nun als Himmelssterne,
Erblüh'n als Blumen hier.
[33]
Der Zauber ist verschwunden,
Die alte Schuld gelöst.
Die haben Ruh' gefunden,
Die kämpfend sich erlöst.
Als sie geendigt, schallte es wie aus einem Munde:
Die kühnen Reiter alle,
Auf weiß und goldnem Roß,
Die einst im herben Falle
Besiegt der Feinde Troß.

Das Mädchen wiegte sich indeß in den Zweigen, und weigerte sich herunter zu kommen. Da schwang sich ein schlanker Cürassier zu ihr auf, und sie umfassend: sang er:


Der Krieg löst alle Bande,
Der Krieg trennt Seel' und Leib,
Er zieht in ferne Lande
Den Mann vom Eheweib.
Nun ist die Lust gestorben,
Gewelkt der Myrtenkranz,
[34]
Um sie hat Tod geworben
Im frischen Minneglanz.
Da sitzt sie in der Kammer
Und weint in Todesnoth,
Ach, und im herben Jammer
Glüht ihr das Morgenroth.
Des Hauses Thür verschlossen
Seit jener trüben Zeit,
Wo Thränen nur geflossen,
Geschwiegen Gastlichkeit.
Die hört sie jetzt erklingen,
Die thut sich plötzlich auf.
Wer mag ihr Freude bringen?
Wer hemmt der Thränen Lauf?
Ein Pilger thut sich neigen
Und spricht: Euch grüße Gott;
Wollt mir den Ring wohl zeigen,
Den ihr jetzt tragt zum Spott.
Und auch das Tuch von Seide
Gebleicht im Mondenschein,
Das ihr im tiefen Leide
Bewahrt im goldnen Schrein.
[35]
Es fodert diese Gaben
Der Eheherr zurück;
Ich muß sie wieder haben,
Spricht er mit zorn'gem Blick.
Zu lösen das Verbrechen,
Zu löschen wilde Glut,
Die stummen Zeugen rächen
Zu laut den Wankelmut.
Sie giebt den Ring ihm willig,
Sie öffnet still den Schrein,
Was er verlangt ist billig,
Ich will'ge in Demuth ein.
Und wie sie dies gesprochen,
Sinkt sie erbleichend hin;
Das Herz ist ihr gebrochen,
Entschwunden Welt und Sinn.
O Jesus, meine Wonne!
Ruft laut der Pilgersmann,
Blick auf, du reine Sonne,
Sieh, Angst und Weh zerrann.
Wirf ab, wirf ab die Sorgen,
Dein ist das treu'ste Herz;
[36]
Auf Abend folgt der Morgen,
Lust keimt aus Liebesschmerz.

Die kleine Sängerin hatte sich vertraulich an ihn gelehnt, und sah ihm zufrieden in die freundlichen Augen; aber die Alten lachten, und meinten, sie solle sich darauf nur verlassen, dann sei sie gut berathen; das Herz habe im Kriege nicht Platz für derlei Erinnerungen. Solche weiße Täubchen, wie sie, flögen hinein und heraus. Das mache den rechten Soldaten, daß er zu jeder Zeit mit frischem Herzen liebe und hasse, wie das veränderliche Leben es von ihm fodre. Nun, nun, fuhr der Eine fort, und reichte ihr gutmüthig die Hand, werde nicht böse, Kleine, es ist nicht so ernstlich gemeint, und als sie ihm dennoch die Hand verweigerte, sang er im tiefen Baß:


[37]
Hab' ich dir was zu Leide gethan,
Rufe Dich um Vergebung an,
Reiche mir deine Hände,
Weil es geht zum Ende.

Sie sprang behend auf seine Schulter, und er trug sie unter lustigem Zuruf der Andern davon.

Wenn marschiren wir, fragte Rodrich, dessen Herz immer unruhiger klopfte. Übermorgen, erwiederte Stephano. Deine Frage, setzte er hinzu, erinnert mich an alle die tausend Kleinigkeiten, die uns in dieser Zwischenzeit genugsam beschäftigen werden. Nun, es gehört ja auch dazu, darum laß uns nur immer frisch Hand anlegen. Sie sprachen hier weitläuftig über die nöthigen Einrichtungen, und trennten sich endlich, damit jeder das Seinige besorge. Vor allem mußte Rodrich zum [38] Grafen. Er eilte zu ihm, und erhielt dort Aufträge, die ihn eine Zeitlang von sich und seinen schwankenden Vorstellungen der Zukunft abzogen.

Florio sah ihn kommen und gehen, ohne gleich wohl sein geschäftiges Treiben durch irgend eine Beziehung auf sich zu unterbrechen. Nur am Abend, als Rodrich einen Augenblick neben ihm ruhete, und schweigend seine Hand drückte, brach der innre Schmerz hervor. Wie seltsam, sagte er, spielt das Schicksal mit mir! Nachdem ich leichtgesinnt alle Hindernisse überflogen, alles verlassen habe, was mich von dir zurückhielt, unbekannte Gegenden durchstreifend, die Welt wie eine liebe Heimath begrüßte, weil ich dich überall ahnete und sahe, muß ich dich endlich finden, um dich gleich darauf zu [39] verlieren! Soll denn das Leben wie ein buntes Spiel an mir vorüberziehen, und darf ich nie bei einer Freude verweilen? – Rodrich eröffnete ihm beruhigend eine bessere Zukunft, ohnerachtet er selbst den eignen Wünschen keine bestimmte Richtung zu geben wußte. Er bat ihn darauf um nähere Auskunft seines vergangenen Lebens. Darüber, erwiederte jener, weiß ich wenig Deutliches anzugeben. Das Meiste liegt wie ein Traum hinter mir, wo sich die Erscheinungen in einander verlieren, und das dunkle Gefühl der Wehmuth oder Freude uns allein übrig bleibt. Auch habe ich weniger mit Menschen als mit der Natur gelebt. Nicht daß ich jene nicht unaussprechlich liebte, oder daß ich kalt von ihnen zurückgewiesen wäre, allein Vieles in[40] ihren Verhältnissen ist mir fremd geblieben, oder erschien mir doch schwer und drückend. Späterhin zogen mich die Klöster, ihres herrlichen Gesanges und der wundervollen Gemälde wegen, zu sich hin. Die alten frommen Sagen, die Gebilde der Vorzeit, das heimliche, innerliche Leben, das sich nur dann und wann in Klängen verkündet, alles dies fesselte mich oft viele Tage hindurch, und ich verstand die Natur nie besser, als wenn ich so aus dieser abgeschlossenen Welt zu ihren wechselnden Spielen zurückkehrte. Ich erkannte hier den heiligen Ernst, wie er in bunten Kleidern an den Menschen vorübergeht, die ihn lieben, ohne ihn zu kennen, und oft dachte ich des Abends, wenn der lustige Farbenschmuck zerrann, und Hain und Wälder schwiegen, die frommen[41] Brüder träten zu mir hin, und sagten mir dasselbe, was jene zuvor in tausend Weisen verkündeten. Mir ward es in solchen Augenblicken klar, daß wir, so wie die Nacht, auch das innere Walten des Geistes, verträumen, und daß es recht schwer ist, sich selbst in den einzelnen Lauten zu verstehen, die, gerade wie der Traum, zu uns heraufdringen, und dann wieder lange Zeit hindurch schweigen. Ich habe in ähnlichen Stimmungen viel gedichtet, aber es war so lose und unzusammenhängend, daß es dem Gedächtniß entfiel, und ich darüber die schönsten Erinnerungen einbüßte. Ich verlor mich dann auch wieder in große Städte, bei festlichen Aufzügen, Versammlungen, überall, wo ich dich zu finden hoffte. Gesang und Musik verschaffte mir leicht [42] Zutritt. Dies sind Bande, die überall die Menschen vereinen. Es ist wohl sicher Gottes Stimme, die Niemand überhört. Viele reden freilich mehr davon, als sie empfinden; aber es geht ihnen damit, wie mit der Tugend. Sie ahnen ihre Göttlichkeit, und möchten sie doch zum Scheine lieben, und ohne daß sie es glauben, werden sie, wenigstens für Augenblicke, durch sie bezwungen. Wie viel kalte Herzen sah ich durch die Gewalt der Töne erweicht und belebt, die sich dann wohl wieder verschlossen, aber doch eine Sehnsucht nach jenem seligen Vergessen ihrer einengenden Rücksichten behielten. So habe ich den Cardinal, und durch ihn dich gefunden. Wie, unterbrach ihn Rodrich, diese Hand hätte dir den Weg zu mir gebahnt? Ich weiß nicht, erwiederte jener, [43] wie es kam, daß mich sein kalter Blick nicht schreckte, und ich darein willigte, ihn hieher zu begleiten. Mich bestimmte weder ein lebhafter Gedanke an dich, noch irgend eine andre Hoffnung. Ich gab mich dem Schicksale ganz rücksichtslos hin, da mir überdies alles gleich unwichtig schien, so lange du mir fehltest. Ach und sieh, die Menschen denken und sinnen, erwägen und messen, und am Ende thun sie doch auch nichts anders, als sich gläubig in Gottes Arme werfen. Es giebt immer einen Punkt, wo die menschliche Klugheit nicht zureicht. Zuweilen ahnen wir ganz dunkel, daß diese uns überall mißleiten könne, und werfen uns getrost in das offne Meer des Lebens. Wie thöricht das auch von fern aussieht, so ist es dennoch schön, daß man sich [44] überall gehalten fühlt. Mein Cardinal war wohl ein trocknes Reis, aber es hielt mich dennoch, und ich kam bis zu dir. Wer möchte auch über die Mittel rechten, die uns die Vorsehung sendet! Fürchte übrigens nicht, fuhr er fort, als Rodrich gedankenvoll vor sich hin sahe, daß mich irgend ein Band an ihn kettet. Ich habe immer die Freiheit über alles geschätzt. Beschwerden achtete ich nie, Bedürfnisse kenne ich nicht, was sollte mich daher fesseln, wenn es nicht die unendliche Liebe ist, die ich von jeher zu dir im Herzen trug. Wie kam es aber, sagte Rodrich, noch immer das Bild des Cardinals festhaltend, daß ihr euch traft? Süd und Nord dürfen die je einander berühren? Es war um Mitternacht, hub Florio erzählend an, als er eben die [45] Messe gehalten, und sein Herz vielleicht in Demuth zu Gott gewendet hatte, daß er nicht eben weit von der Kirche, vor einem kleinen Hause vorüber ging, an welchem ich singend lehnte. Es war ein heilig Lied, das in frommer Andacht aus meinem Innern drang. Er blieb einen Augenblick, mich betrachtend, stehen. Da schwieg ich ehrerbietig, und er ging still vorüber, wandte indeß mehreremale den Kopf, und sah immer wieder zu mir hin. Ich hatte ihn schon vergessen, als wir bald darauf einander in der Kirche trafen. Ich weiß nicht, was er sich bei meinem Anblick denken mochte, allein er stutzte anfangs, und doch konnte er seine Augen nicht von mir wenden. Mir kam er seltsam vor. Ich hatte kein rechtes Herz zu ihm, indeß folgte ich wenige[46] Tage darauf seiner Einladung, die mich zu ihm führte. Er empfing mich mit mehr Güte, als sein stolzes Ansehen erwarten ließ, doch sahe er vornehmer als in der Kirche auf mich hin. Nach einigen Worten über mein Talent, das, wie er versicherte, ihn überrascht habe, fragte er nach meinem Vaterlande, meiner Herkunft, den Ursachen, die mich zu dieser Stadt geführt hätten, in welcher ich augenscheinlich als Fremder ohne sonderlichen Anhang lebe? Ich hatte viel Muth, allein ich empfand eine innere Scheu in seiner Gegenwart, unsrer frühern Verbindung, meiner kindischen Wünsche und unsichern Hoffnungen zu gedenken. Es wäre mir unmöglich gewesen, deinen Namen auszusprechen, und doch hing er mit allen geheimnißvollen Regungen, mit dem [47] verwischten Glanz meiner Jugend, ach, mit jedem Gedanken, der mich von da an begleitete, zusammen. Ich sagte daher, mein einfaches Leben sey nicht werth von ihm beachtet zu werden. Ein Hirtenknabe wandre ich unstät durch die Welt, die mir von meinen Thälern aus so lockend erschienen sey. Ich freue mich Sprache und Sitten der Völker in ihren Gesängen zu erkennen, und finde meine Heimath überall in der Zauberwelt der Klänge. Er schien unbefriedigt, und ich fühlte mich unsicher und ängstlich. Nach einem augenblicklichen Schweigen trat er auf mich zu, und fragte mit gespannten zweideutigen Mienen, ob ich meine früheren Jahre nicht in einem Kloster verlebt habe? Es war sichtlich, daß ihn irgend eine falsche Vermuthung mißleite; indeß [48] war mir aller Irrthum von jeher zuwider, mich befiel eine peinliche Angst, und ich mochte wohl betroffen aussehen, als er mich gütig bei der Hand nahm und sagte, er wolle nicht in mich dringen, wenn diese Erinnerungen mich schmerzten; er wisse überdem jetzt genug, es würde sich alles aufklären. Dies gab mir die nöthige Zuversicht wieder, und ich versicherte ihm sehr unbefangen und ehrlich, daß ich wohl in Klöstern gelebt, sie aber erst in spätern Jahren aufgesucht und in ihnen gelernt habe, daß die Wahrheit überall siegen müsse. Er ließ meine Hand fahren, und ging schweigend im Zimmer aus und nieder. In mir war alles wieder ruhig und still, und ich ergötzte mich an den reichen Verzierungen, die uns umgaben, als er mit vieler Heftigkeit [49] ein Seitenzimmer öffnete, mir einen reich gestickten Mantel mit goldnem Ordenskreuz zeigte, und mich ernsthaft fragte: ob ich dies Gewand nie als Kind gesehen und im Spiele getragen habe? Mein Gott, was erwiedertest du? sagte Rodrich in der heftigsten Bewegung. Ich mußte wirklich lachen, entgegnete Florio, seine Unruhe nicht beachtend, da unsre Hütte solchen Reichthum wohl nie umfaßte. Der Cardinal konnte auch meine Aufrichtigkeit nicht länger bezweifeln, denn er sagte gerührt: nein, so lügt man nicht in der Jugend! Als wir bald darauf von einander schieden, hörte ich im Weggehen, daß er laut ausrief: es ist unbegreiflich, daß diese Züge mich täuschen konnten! Wir sahen einander oftmals wieder. Das Geheimnißvolle in seinem Betragen hatte [50] etwas Anziehendes für mich, und da er sich immer bei meinem Anblick zu erweichen und zufriedner zu seyn schien, so willigte ich ein, ihn hieher zu begleiten. – Es ist klar, sagte Rodrich nach einem kurzen Schweigen, mich, mich will er haben! O jetzt treten die allerfrühesten Erinnerungen hervor. So könnte ich denn mein dunkles Schicksal aufdecken! Gott weiß es, welche peinliche Angst mich zurückhält! aber ich kann nur mit Schrecken daran denken, den Schleier zu heben. Wer weiß, was darunter liegt! Ich zittere wie ein Kind, etwas Ausserordentliches zu sehen, und am Ende ist es wohl nichts, als das Allergemeinste, was mich spottend ansieht, und die stolzen Hoffnungen in den trüben Strom bedürftiger Wünsche zurückwirft. Jetzt, nur jetzt, muß [51] ich den glänzenden Wahn noch festhalten! mögen dann die Zeiten alles zerstörend berühren, wer kann wissen, wie es über kurz oder lang endet! – Was redest du für seltsame Dinge? unterbrach ihn Florio. Dich suchte der Cardinal? warst du denn jemals im Kloster? und mich soll er für dich angesehen haben? Ach du weißt es nur nicht, erwiederte jener, ich schwieg ja in eurer Gegenwart von allem, was mir das Herz zusammenzog. Ja, ich war im Kloster lange Jahre hindurch, und wie auch der Cardinal mit meinem Leben zusammenhängt, ich glaube ihn dort gesehen zu haben, doch so früh, daß mir nur das Schreckende seines Anblickes geblieben ist, und er, die kindischen Züge leicht vergessend, sie überall in jedem fremden Gesicht zu finden glaubt.

[52] Rodrich schüttete nun sein ganzes Herz vor ihm aus, und wie er der Vergangenheit gedachte, konnte er nicht umhin, prophetische Blicke in die Zukunft zu werfen. Florio bat ihn, Gott zu vertrauen, der sich niemals widerspreche, und der Natur eines Jeden gewähre, was sie durch ihr lebendiges Wollen verlange. Ich werde es niemals glauben, setzte er hinzu, daß Mensch und Welt in so argem Widerstreite gegen einander stehen, und die Nothwendigkeit sich gegen den innern Ruf so aufthürmen könne, daß dieser unbeantwortet bliebe, oder der Geist, in eigner Erniedrigung verschmachtend, dahin getrieben würde, sich durch freche That zu befreien. Das hat noch Niemand groß gemacht, daß er mehr gewollt als er gedurft. Wenn[53] man recht zusieht, bietet sich doch alles einander die Hände, und wer zu Gott will, mit dem ist Gott auch sicherlich. Rodrich hörte nicht recht auf das, was er sprach. Sein Denken war überall unstät, oder in Einem Gegenstande befangen. Beides traf hier zu. Mirandas Besitz beschäftigte ihn ausschließend, und doch war es als wenn auf diesem höchsten Gipfel seines Glückes noch tausend andre Wünsche, wie Cristallspitzen, anschössen, die, alle Farben spielend, seine Sinne unruhig umhertrieben. Laß uns noch einmal nach Theresens Garten gehen, rief er aus! ach, es war so unbeschreiblich schön dort! Florio folgte ihm willig. Allein da sie hinaustraten, wehete ihnen ein feuchter frischer Wind entgegen, der Himmel war trübe, hin und wieder fielen einzelne [54] Regentropfen, die sich, je weiter sie gingen, verdoppelten, und zuletzt in Strömen ergossen. Rodrich wollte sein Vorhaben nicht aufgeben, bis er zu der Gartenthür kam, die gerade jetzt wohl durch einen Zufall verschlossen war. Er blieb ganz erschrocken stehen. Soll ich sie denn nicht wieder sehen, sagte er so leise, als wäre selbst der Klang dieser Worte von übler Vorbedeutung. Denn das ist kein Sehen zu nennen, fuhr er unwillig fort, wenn ich morgen mit hundert Andern dahin gelange, einen kalten förmlichen Abschied in des Fürsten Gegenwart von ihr zu nehmen; dieses Menschen, der mir doppelt widrig ist, seit er sich hinter alten Gebräuchen verschanzt, um sein Heer nicht auf dem einzigen Wege zu begleiten, der ihn wenigstens zu einem würdigen [55] Tode führen könnte. Müssen die verhaßten Umgebungen so schneidend zwischen uns treten, und soll ich mit Haß und Widerwillen zu kämpfen haben, wenn ich sie sehe? Der Himmel sollte mir doch wenigstens dies Eine Gefühl rein erhalten! – Schilt den Himmel nicht, sagte Florio sanft. Könnteein Gefühl deine Brust erfüllen, glaube mir, die Umgebungen hinderten es nicht. Manchem erscheint das Leben wohl nur so störend, weil alles leicht zerstörbar in ihm ist. Komm nur, fuhr er fort, wir wollen die Stadt noch ein wenig durchstreifen, vielleicht zerstreuen dich die lustigen Kameraden, die alle Sorgen hinter sich lassen, und im fröhlichen Rausch nur vorwärts Glück und Wohlleben sehen. –

Sie waren noch nicht weit gegangen, [56] als sie Stephano trafen, der in unglaublicher Bewegung überall war, und sich mit Entzücken in das neue Leben verlor. Es giebt, sagte er, als er sie erblickte, in der Welt keinen kühnern Idealisten, als den Soldaten. Auch der Erfahrenste tritt die oft empfundenen Widerwärtigkeiten lachend nieder, und sieht unverwandt in die Sonne des Ruhmes. Es ist, als wären Mühe und Noth, Gefahr und Wunden gar nicht da, so freudig sieht er darüber hinaus. Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich an allem ergötze, was mich umgiebt. Jeder Krieger ist sicher ein Märtyrer seines unerkannten Gefühls, und eben diese Bewußtlosigkeit giebt ihm das unbefangne Kindliche, die frische Heiterkeit, die ein unversiegbarer Quell wohl ersonnener Späßchen bleibt. Ja wohl,[57] sagte ein Mann in Grau gekleidet, den Stephano ganz dreist für einen Schulmann erklärte, ja wohl gleicht der Soldat dem Kinde, das hundertmal über einen Stein gefallen ist, und ihn doch nicht sieht, wenn die lockende Frucht aus der Ferne winkt. Das ist ja eben das herrliche in ihm, fiel Stephano schnell ein, daß ihn keine niederträchtige Überlegung von einem dreisten Schritt zurückhält. Der Engel mit dem Schwerte leihet dem Krieger seine Schwingen, um ihn über die Erbärmlichkeiten des Lebens hinaus zu tragen. Könnte der Tollkühne, fuhr der graue Mann fort, das glänzende Elend durchschauen, er würde gedankenvoll und mit Weisheit die Bahn betreten, oder mindestens dürften seine Führer den Stein zu umgehen suchen. Nun ich sehe zum [58] Glücke, sagte Stephano, daß ein letztes Fünkchen dieser Tollkühnheit jedem und auch ihnen beiwohnet, da sie so rücksichtslos mit und von den Soldaten reden. Hüten sie sich aber doch vordiesem Stein, ihr kühner Geist mögte sie nicht bei allen auf gleiche Weise empfehlen. Sie wandten sich von dem friedliebenden Lehrer, den ein paar kecke Bursche spottend nöthigten, mit ins Feld zu ziehen. Er werde, meinten sie, in der Schlacht gut thun, da er mit den kurzen Beinen nicht weit laufen könne.

Rodrich's Ahnungen hatten ihn indeß nicht betrogen. Er sahe Miranda erst am folgenden Abend in der großen Hofversammlung. Die Stunden rollten dort quaalvoll in kalter Förmlichkeit hin, ohne daß sich der Augenblick fand, in welchem ein herzliches Wort zu ihm [59] gedrungen wäre. Miranda sprach wenig, sie schien sehr bewegt, ihre Blicke senkten sich oft zur Erde, und einmal glaubte Rodrich eine Thräne in den dunkeln Wimpern zu sehen. Er wußte selbst nicht was ihn zurückhielt, sich ihr wie viele Andre zu nähern. Er zögerte und kämpfte, als plötzlich alles aufbrach, und er in einer kalten Verbeugung sein Blut erstarren fühlte. Die zurückgedrängte Leidenschaft drohete ihn zu ersticken. Er hatte nicht die Kraft den Fuß zu heben, und verweilte in ängstlicher Betäubung einen Augenblick, als die Prinzessin schnell auf ihn zutrat. Ihre Brust hob sich unruhig, als kämpfe sie mit zurückgehaltnen Thränen; stockend sagte sie endlich: Ich habe vergessen, sie von Rosalie zu grüßen, bei der ich diesen Nachmittag war. Die [60] Arme hoffte sie jeden Augenblick zu sehen, um ihnen Lebewohl zu sagen. Ich habe recht mit ihr getrauert, sie hätten sie nicht um diese letzte Freude betrüben sollen. Es war eine von den wenigen klaren Stunden, in denen sie ihr Leben mit Ruhe umfaßt, und still in sich selbst zurückgehet. Vergessen sie es nicht, daß eine bekümmerte Freundin für sie betet, die ihnen dies Andenken, als eine liebe Erinnerung schöner Augenblicke, giebt. Er empfing mit Entzücken einen kleinen Ring aus ihrer Hand, den er noch betrachtete, als sich alles um ihn her verloren und Miranda längst entfernt hatte. So liebreiche Worte durfte er kaum erwarten. Er drückte das Zeichen stiller, heiliger Zuneigung an seine Lippen. Ja, meine fromme Geliebte, sagte er leise, bete[61] nur, daß ich immer so demüthig und rein, wie in diesem Augenblick, zu dir aufsehe! Ist es doch, wenn ich den Ton ihrer Stimme höre, als geböte sie den innern Wogen Stille. Ich gebe mich dann auch so willig hin, und lasse sie walten, als hätten ihr von Ewigkeit alle meine Gedanken angehört. Es war ihm fast lieb, nicht bei Rosalien gewesen zu seyn, so gewiß er auch glauben durfte, daß Miranda ihn dort aufgesucht habe. Dieser plötzliche Wechsel, der geheimnißvoll wehende Liebeshauch, der ihn anrührte, als wolle er die Flammen aus dem Eismeere locken, die unnennbare Freude, die plötzlich durch sein ganzes Wesen zitterte, welche andre Wonnen konnten diese aufwiegen?

Er eilte zu Florio, um in dies treue [62] Herz sein Glück zu ergießen. Als er ihn sah, schloß er, ihn freudig in die Arme, und zeigte ihm den Ring, der ihm sein stummes Entzücken erklären sollte. Florio betrachtete gerührt das Kleinod. Es war eine große Perle, die in einem Blumenkranz von feinstem Golde lag. Je länger er darauf verweilte, je lebhafter ward er an den feurigen Reif auf dem Bilde der Dame erinnert. Er konnte sich kaum der Thränen erwehren, und gab ihm den Ring schweigend zurück. Verzeihe, sagte er, als ihn Rodrich verwundert ansahe, wenn ich dir kalt erscheine, ich bin von allem, was ich heute sehe, auf eine ängstliche Weise ergriffen. Die ganze Welt scheint mir in einer peinlichen Beklemmung zu liegen. Es ist als wenn alle zurückgehaltene Thränen des nahen [63] Abschiedes auf meine Seele fielen. Ich war bei der Gräfin, wie du es wolltest. Sie empfing mich gütig, und meinte: wir müssen beide die Undankbaren vergessen, die uns jetzt mit freudiger Ungeduld verließen; aber sie lächelte dabei so wehmüthig und sah so kummervoll auf den geschäftigen Grafen, daß man wohl fühlte, was ihr jeder Scherz kostet. Sie bittet dich, die letzten Stunden dieses Abends bei ihr zuzubringen. Alle Freunde sind dort. Sie versichert im voraus, daß sie eure Freude auf keine Weise stören, sondern den Augenblick so fest halten wolle, als könne der morgende Tag niemals hereinbrechen. Florio, sagte Rodrich sanft, du entkömmst mir nicht, trotz dem ungewohnten Strom deiner Worte, und den neuen Bildern, die du ängstlich [64] vorüberführst. Beschäftigt auch dich der Ring allein? Sage doch, mein guter Junge, was bewegt dich dabei so seltsam? Hast du nicht in meine offne Seele gesehen? war ich je bemühet, dir selbst die trüben Flecken darin zu verbergen? und darfst du dich gleichwohl vor mir verschließen? Florio widerstand dem sanften Eindringen nicht. Er faßte seine Hand, und vertraute ihm, was er seit jenem Augenblick sorgfältig in seiner Brust verschloß. Sie betrachteten beide den Ring; in dem röthlichen Schein der Perle strahlte Florio jene nächtliche Erscheinung zurück, er senkte den Kopf in beide Hände, und weinte still vor sich hin. Laß nur, sagte Rodrich, die Zeit wird das Räthsel lösen, und mag auch eine blutige[65] Thräne auf die flammende Glut fallen, wer weiß was daraus hervorgeht!

Bald darauf trafen sie bei Seraphinen ein, die sie bleich und mit verweinten Augen empfing. Rodrich faßte gerührt ihre Hand. O, sagte sie halb lachend halb weinend, thun sie sich keine Gewalt an, die Freude glänzt so unverschämt aus ihren Augen, daß jede Bemühung, traurig zu scheinen, vergeblich ist. Nein, nein, fuhr sie fort, als Rodrich im Begrif war zu antworten, laßt uns durch nichts erweichen, der Ton ist der rechte, den ich eben angestimmt habe, die dreiste Fröhlichkeit soll den Schmerz wenigstens für heute verscheuchen. Sie versuchte bald dem Gespräch eine leichtere Wendung zu geben; allein was sie auch that, die Anstrengung war überall sichtbar, [66] und verbreitete eine ängstliche Unruhe, jede Lücke auszufüllen, die das unterdrückte Gefühl nur noch stechender hervorrief. Ihr Kinder, sagte endlich der Graf, so geht es nicht. Das Herz widersteht in ernsten Augenblicken künstlichen Spielereien, darum laßt uns das Übel recht scharf ansehen, man gewöhnt sich ja an den häßlichsten Anblick. Seraphine lehnte sich an ihn, und weinte sanft, während er fortfuhr mit Ernst über den Krieg zu reden, und die Herrlichkeit eines ehrenvollen Todes herauszuheben. Die muthige Seele meiner Seraphine, sagte er, sollte nicht vor dem schönsten Lohne zurückbeben, der einen tapfern Krieger erwartet. Ich habe das Leben immer heiter angesehen, der letzte Augenblick wird mich ja auch nicht tauschen. Gott weiß es, ich [67] denke nicht leichtsinnig daran, ich werde ihn auch nicht vermessen herbeiführen; allein überraschen sollte er wohl Niemand unter uns! Darum laßt uns recht still und innerlich froh seyn, wie Menschen, die am Ziele einer langen Fahrt noch einmal einander die Hände reichen, und wehmüthig und getrost auf die getrennten Lebenswege blicken. Ach, setzte er hinzu, es giebt Leiden ganz andrer Art! Ich habe gestern mein armes Kind gesehen, das in dumpfem Jammer hinwelkt, und den Todeskampf wohl tausendmal besteht. Jugend und Lebenslust ringen wie Gewapnete mit den kalten Stürmen, die über ihre Blüthen hinfahren, und zuweilen dringt ein lauter Schrei aus der Tiefe ihres Elendes, daß man wohl fühlt, wie die Seele noch nicht vom Leibe scheiden [68] will. Ich habe den Anblick nicht ertragen können, am wenigsten aber, wenn in andern Stunden die erschöpfte Natur so in sich abgeschlossen, so kalt und gleichgültig in die dunkle Nacht hinstarrte, und alles, alles in ihr schwieg. Gott! sagte er bewegt, gieb uns einen klaren, besonnenen Tod. Alle Blicke richteten sich auf ihn, wie er mit gefaltnen Händen recht verklärt zum Himmel sah, und eine große Thräne über sein glänzendes Angesicht rollte.

Gewiß, sagte die Gräfin nach einer Weile, ich scheue die Schmerzen nicht, die mich jetzt fast auflösen. Man fühlt in ihnen Gottes Hand, und das Herz wendet sich liebreich und ergeben zu Allem, was einem auf Erden theuer ist; allein mich ängstet im voraus die Unlust, das Einerlei, die rechte innere Müdigkeit, [69] die bei manchen Gemüthern auf solche Erschütterung folgt, und die ich ganz von fern kommen sehe. Denkt euch, wie farbelos alles, in dem grauen Winter vor mich hintreten wird! Kein lebendiger Odem kann die ermüdenden Frauengesellschaften beleben, in denen die Langeweile sich so gern als Kummer und Trübsinn bewähren möchte, wenn die schlaffen Züge nicht unverkennbar ihre Spuren trügen. Manche stille Seele weint dann wohl im Verborgenen, und gedenkt seliger Stunden, aber das entzweiet vollends mit der Gegenwart, die Blicke auf das zu lenken, was nicht mehr ist. Oft, sagte Stephano, der während dem mit dem Gelehrten gekommen war, söhnt man sich aber auch mit ihr aus, wenn man sich lange in andre Zeiten verlor, und nun [70] plötzlich zu ihr, wie zu der alten Heimath, zurückkehrt, in der zwar wenig von der verlassenen Herrlichkeit zu finden ist, die indeß zu uns gehört, und der Leib unsrer Zeiten ist. – Nun, dieser Leib, sagte der Gelehrte, sieht freilich ziemlich zerbrechlich aus; ich wollte das dürre Gerippe zerfiele, und der jugendliche, lebendige Gott schritte wieder wie ein starker und gläubiger Held durch die neuen Zeiten. Das wird er, das wird er, riefen die jungen Krieger! Ja das wird er, sagte der Graf, glauben sie nur, das Alte wird wieder neu, freilich anders, aber was jetzt hier glüht, ist doch auch schön und Gott wohlgefällig. Es regt sich in der Asche, fuhr der Gelehrte fort, vieles kann wieder kommen, was man oft thöricht verloren giebt; ob jetzt? das weiß Gott! [71] Allein gewiß ist es, der Phönix hebt die Schwingen, durch einen kühnen Flug kann er sich frei machen! Es ist Schade, fiel Stephano ein, daß der Herzog nicht mitgeht! Warum? unterbrach ihn Rodrich schnell, das Volk liebt ihn nicht, das Heer kennt ihn kaum, was soll er nützen? Nun, erwiederte der Graf, sein Name deutet darauf, in solcher Zeit ziehen sich alle Bande fester, das Vertrauen wächst mit der Gefahr, und: Herren Auge, Gottes Auge! Sonst war es so, erwiederte der Gelehrte, und mich dünkt, der giebt sein Land verloren, der die Armee verlassen kann. Wirklich? sagte Rodrich lächelnd. Der Cardinal, habe ich gehört, hat den Bruder auch heldenmüthig zum Aufbruche ermuntert, und sich edel genug zur Verwaltung des Reiches erboten. [72] Wer weiß, erwiederte Stephano beleidigt, stände es dann nicht gut. Sein fester Blick würde die Frechen und Kindischgesinnten zügeln, die des Herzogs Gleichgültigkeit unbeachtet läßt. – Es sind große Opfer für den Glanz dieses Hauses gefallen, sagte der Graf, dem Cardinal ist nichts zu werth, was er dieser Idee nicht gern unterwürfe. Gewiß ist es, er bleibt den Winter über hier. Ohne Absicht geschieht das nicht. Nun Gott möge alles nach seinem Willen lenken! Der Herzog kann nicht mitgehen, die Stände wollen es nicht, und er darf hoffen, daß er auch unsichtbar bei jedem unter uns ist.

Seraphine hatte unterdeß mit Florio geredet, und konnte nicht genugsam ihr Gefallen über ihn ausdrücken. Nein, sagte sie zu Rodrich, es ist etwas so [73] Eigenthümliches, Fremdes, ja Veraltetes in ihm, daß ich bald ein Kind, bald einen Heiligen zu hören glaube, so unschuldig und doch so besonnen, so klar und tief sieht er die Welt an. Ich möchte zuweilen über ihn lachen, und doch muß ich ihn unwillkührlich verehren. Er sagte nur wenige Worte, aber das liegt so rücksichtslos auf gesellschaftliche Formen, so offen da, daß es überall anerkannt werden muß. Ich glaube, sie sollten alles von sich werfen, und mit ihm in ihre Berge flüchten. Aber das Paradies ist nun wohl für sie verschlossen, sie können nicht mehr von der Welt lassen, und doch sind sie weder heiter genug, um unbefangen, noch fest genug, um ruhig in ihr zu leben. Sie wissen, es ist nicht meine Art, Gemüther zu sichten und zu zerlegen, um einen [74] Beitrag meiner Seelenkunde herauszuheben, wobei die Eitelkeit gewöhnlich alle Liebe und Theilnahme niedertritt, und die natürlichsten Gefühle in Kunstworte zwängt; aber sie geben sich dem blödesten Auge preis. Ich kann sagen, es stört mich oft recht wehmüthig, wie bei einem leisen Ruf von außen, ihr wilder Sinn so flammend losbricht, und auch, wenn sie nichts sagen, so schwer und trübe in ihnen arbeitet, daß sie mir wie ein feuriger Berg erscheinen, dessen frische grüne Decke die Menschen vertrauend lockt, sich an ihn zu lehnen, bis er dann unversehens alles in Asche und Glut verschüttet. Ach, und der Augenblick wird kommen, und sie werden mit verloren gehen! Wenn ich denke, fuhr sie nach einer Weile fort, in welcher beide schwiegen,[75] wie es sie und mich treffen kann, wenn ich den geliebten Mann niemals, niemals wiedersehe! Mein Gott, was würde dann auch aus ihnen werden! Sie ständen ganz allein, ach und ich könnte nicht mehr in einer Welt leben, die ohnehin immer trüber wird, und die nur die sanfte Heiterkeit des reinsten Gemüthes erhellt. Sie bog sich zurück, und ließ ihre Thränen still fließen, während Rodrich halb erweicht, halb erbittert, über die eigne feindselige Natur schweigend vor sich hinsah.

Die Stunden waren indeß unbemerkt entflohen. Der letzte Augenblick nahete, ohne daß es Jemand unter ihnen einfiel, den vertraulichen Kreis zu eröffnen. Stephano hörte zuerst das langsame Rollen der schwer bepackten Wagen, die immer häufiger durch die [76] Straßen fuhren. Bald ward nun alles lebendiger. Niemand konnte das verworrene Rufen, das Klirren der Waffen länger überhören. Die Artillerie zog mit klingendem Spiele vorüber, das Geschütz dröhnte dumpf auf dem Steinpflaster. Alle fühlten mit Angst und Freude, daß auch ihre Zeit bald kommen mußte, indeß wagte Niemand die augenblickliche Stille zu unterbrechen, die recht ängstigend fast jede Bewegung gefangen hielt. Endlich stellten sich die Regimenter auf den Straßen. Marketenderinnen und anderes Gesindel lärmte frech vorüber, ihre derben Späße fuhren schneidend durch Seraphinens heilige Wehmuth. Sie verhüllte das Gesicht, und kämpfte sichtlich, die schickliche Haltung zu gewinnen; auch gelang es ihr bald, sich ruhig zu erheben und mit [77] erheiterten Mienen an das Fenster zu treten. Der dämmernde Morgen stritt noch mit dem Mondenlichte. Die Gestalten traten wunderbar aus dem magischen Scheine hervor. Seraphine ward von dem Anblick der rüstigen Schaaren überrascht, die mit ihren glänzenden Waffen so kampflustig da standen, und jeder Trauer zu spotten schienen. Handwerker und Bürger, Männer und Frauen hatten sich herzugedrängt, jeder brachte das Seinige sogleich herbei; manche stille Thräne, mancher laute Zuruf ward gefühlt und erwiedert. Die Offiziere flogen die Reihen herauf, während Blick und Gruß der gläubigen Geliebten Trost verhieß. Alles sah schön aus in dem Augenblick, wo Thorheiten und Fehler vor der beginnenden kräftigen That verschwinden. Solchen Reiz giebt der edle [78] Wille, und so tief lebt Freiheit und Recht in der Menschen Brust. Und als nun die Trommeln gerührt wurden, und ein langes: lebt wohl, lebt tausendmal wohl, nebst dem lauten Hurrah der jubelnden Knaben nachhallte, als die betagten Mütter betend zu dem klaren Himmel aufsahen, und behagliche Krämer und Meister schon in Gedanken den ersten Bericht von der Armee lasen, sagte der Graf fest: Laßt uns thun was seyn muß, die Reihe ist nun an uns. Seraphine wollte den letzten Moment durch keine Schwäche trüben, der Anblick so vieler Tapfern, die heiter und vertrauend dem dunklen Ausgang entgegen sahen, hatte ihr Muth gegeben. Sie wandte sich beherzt zu dem Gemahl, der sie still bewegt an sein Herz drückte; ihre Thränen stockten, sie [79] hatte keine Worte, Alle schwiegen gerührt; da schmetterten die Trompeten, die Pferde stampften wiehernd vor dem Hause, Weiber und Kinder schrien in unvernehmlichen, herzzerreissenden Tönen. Der Graf drückte noch einen Kuß auf Seraphinens bleiche Wange, und eilte, ohne sich umzusehen, aus dem Zimmer. Stephano und der Gelehrte reichten einander die Hände, indem der erstere sagte: es hat Punkte gegeben, wo wir von einander abwichen, allein was mich jetzt durchdringt und fortreißt, das fühlen sie, und das wollen wir in der Erinnerung festhalten und Freunde bleiben. Florio ging schweigend neben Rodrich; nur einmal sagte er mit gefaltnen Händen: Ach! nun fühle ich auf's neue, wie sich Herz vom Herzen reißt, und die Wunde so still [80] ausbluten muß, bis sie in sich selbst heilt. Lebe wohl! sagte Rodrich stockend, schwang sich auf's Pferd, und war bald mit Stephano den Zurückbleibenden aus den Augen.

Der lustige Gruß der Reiter, verwehete schnell die leichten Wolken auf ihrer Stirn. Ihre Herzen waren weich und offen, die klaren Luftströme zogen erfrischend durch sie hin. Alles blickte sie in dem herbstlichen Morgenglanz so reif und kräftig, und doch so scheidend an. Die Erde dampfte und thauete in unzähligen Tropfen nieder, als weine sie ihren Kindern nach. Da hoben die Reiter folgendes Lied an, das, wie ein Gespräch, von dem Einzelnen angefangen, und von der ganzen Schaar beantwortet wurde.


[81]
Was zieht dich so lustig zum Thore hinaus,
Was locket dich über die Brücke?
Was reißt dich von Weib und Kind und Haus,
Zu jagen nach schönerem Glücke?
Der Krieg, der Krieg, der lustige Krieg,
Der locket den Reiter, der ruft ihn zum Sieg.
Ach wende die Augen, sieh jenseit dem Fluß,
Sieh Wellen in Wellen sich kreisen,
Es schäumet die Brandung, es sprudelt der Guß,
Laß schweigen die lustigen Weisen,
Und schlängen die Wellen auch Habe und Gut
Der Reiter blickt vorwärts, lacht spottend der Flut.
Die Brücke sieh fallen, zerbrechen den Steg,
Kannst nimmer zur Heimath nun wandern.
[82]
Die Kindlein, sie jammern auf schlüpfrigem Weg,
Die Mutter verhöhnt dich mit Andern.
Laß brechen, laß brechen, was halten nicht kann,
Verloren hat niemals, der wieder gewann.
Halt an die Zügel, halt an, um Gott!
Sieh vor dir die Todten-Gebeine,
Es öffnen die Thüren, dem Frevler zum Spott,
Die Gräber, im stummen Vereine.
Wen kümmern die Gräber, wer achtet den Tod?
Es treibet den Krieger ein göttlich Gebot!

Der Graf trabte indeß munter vor seinem Regimente her, welches, ohne achtet er das Haupt-Corps führte, so selten und so spät als möglich, von ihm entfernt seyn durfte. Stephano und [83] Rodrich ritten an seiner Seite. Alle drei hörten dem Liede zu, als der Wind rauschend durch die trocknen Blätter fuhr, und sie kreisend des Grafen Wange streiften. Das ist wohl gar der Tod, sagte er lachend, indem er ein welkes Blatt zerdrückte; nun, setzte er hinzu, das Lied hat Recht, wer achtet den Tod! Die beiden konnten nicht lachen. Seine Worte waren ihnen schwer auf's Herz gefallen. Rodrich dachte an Seraphinens prophetische Klagen; seine Blicke richteten sich wehmüthig auf den heitern Greis. Das mögliche Unglück schien ihm gewiß, schien ihm so nahe, daß er kaum dem innern Drange widerstand, ihn an sein Herz zu drücken. Lieber Sohn, sagte der Graf, der seine Bewegung wahrnahm, laß dich das nicht irre machen, in der Jugend hält [84] man viel auf solche Zeichen, im Alter weiß man, daß sich der menschliche Verstand überall anhängt, wo er nicht hindurch kann, und in den engen Schranken alles zu sehen meint, was ihm Gottes Hand verbarg. Das Geheimniß deuten zu wollen, führt auf böse Trugschlüsse oder kindische Spielereien. Wer nicht alles weiß, darf niemals glauben die dunklen Worte zu verstehen, die wohl zuweilen in und um uns erschallen, und die nur an die unsichtbare Weisheit erinnern, und zur Demuth und Standhaftigkeit ermuntern sollen. Laß jetzt deine Gedanken sich lieber auf die thatenreiche Gegenwart lenken! Viel Sinnen in das Blaue hinein, macht den Blick unsicher und die Tritte schwankend. Kinder, ich kann euch nicht sagen, fuhr er nach einer Weile fort, mit [85] welchem Blick ich die Gegend umher betrachte! Keine frühern Erinnerungen knüpfen mich an sie, ich bin nicht alt geworden mit diesen Bäumen, ihr Schatten und ihre Früchte haben erst spät den Fremdling erquickt, und dennoch hält sie mein ganzes Herz gefangen. Ich könnte die Erde küssen, die mich so gastlich aufnahm, wo mir so viel, so viel Freuden erblüheten! Ja ich will sie schützen als mein köstlichstes Gut! Wir wollen ihr eine Vormauer seyn, an der die räuberischen Hände zerbrechen sollen! Wachend und schlafend habe ich nur den einen Gedanken. Wohl tausendmal schlage ich den Feind im Traume. Nun es wird geschehen, bei Gott, es wird! Jetzt dringen wir in Eilmärschen vor. Rechts deckt uns das Meer, links die feste Gebürgskette, so [86] sind wir über den Gränzen, in Feindes Land, ehe es die weisen Staatsräthe noch ahnen. Die Armee ist frisch, kräftig, zu Anstrengungen gewöhnt, von den Einwohnern geliebt. In solchen Zeiten wird es dem Landmanne erst anschaulich, was der Soldat im Frieden bedeutet. Sie haben einen Respekt vor ihm, der zugleich Liebe ist und Dankbarkeit. Das fühlt der Reiter besonders, der überall einen gewissen Stolz hat, der ihm wohl ansteht, und nur in einzelnen seltenen Fällen Übermuth wird. Rodrich glaubte nichts Herrlicheres gesehen zu haben, als dies wachsende Feuer, das in den schönen, beweglichen Zügen des Grafen spielte. Er selbst ward wie neugeboren, heiter, in sich gewiß. So ging es mehrere Tage. Das thätige Leben, der Wechsel [87] der Gegenstände, die Neuheit der ungewohnten Verhältnisse, alles that ihm wohl, trieb ihn aus sich selbst heraus, und gab seinen Gedanken einen äußern, festen Halt, an dem sie wuchsen und reiften, und eben deshalb beruhigter in sich selbst zurück gingen. Er stieß auf nichts, was ihn zurück drängte, oder feindlich erbitterte. Stephano war ein gefälliger Freund, ihre beiderseitige Wünsche für den Augenblick erfüllt, des Grafen Achtung und Freundschaft zwischen ihnen getheilt, die Unterhaltung durch ihn bestimmt, leicht und unterrichtend. Alles traf zu um das Verhältniß rein zu erhalten, und Rodrich eine thätige Ruhe kennen zu lehren, die seiner Natur eigentlich fremd, und nur durch die Umstände erzeugt war.

Nach mehreren Märschen mußten sie [88] indeß das Regiment verlassen, um die wechselnden Hauptquartiere schicklich und passend wählen zu können. Es ward nun immer reicher, vollwichtiger um sie her. Im buntesten Gewühl fremder und doch innig verbundener Gemüther, in der wilden Lustigkeit und dem Ernste anstrengender Berathschlagungen, in dem Zusammenklang alles dessen, was den Soldaten ausmacht, dehnte sich Rodrichs Seele, die Schranken traten immer weiter und weiter zurück, er umfaßte die Weltgeschichte, in dem lauten, ans Herz dringenden Ruf der Gegenwart. Was längst gewesen, ward ihm wieder neu. Die nie verschollnen Nahmen ewiger Helden erklangen in seiner Brust, der allmächtige Geist hob sich, und trat die nichtigen Wünsche nieder. Was seine Blicke bis jetzt wie Irrlichter [89] verlockt, die schwankenden Vorstellungen unsichrer Größe, drängten sich hier in einen gewichtigen Gedanken zusammen. Das Leben faßte ihn recht herzhaft an, und er begegnete der wohlthuenden Erschütterung mit wachsender Kraft. Überall fühlte er sich wohl, überall blitzten ihm die versprüheten Funken göttlicher Herrlichkeit entgegen, die hier in einer Flamme aufloderten. Er lernte die Welt wieder lieben, die er nie recht kannte, am wenigsten, wenn er sie aus dem Gesichte verlierend, sich selbst überflog. Es sah ihn alles so groß, so neu, wie aus langem Schlaf erwacht, mit frischen, lebendigen Augen an. Alle Klagen über gesunkene Weltherrlichkeit erkannte er als erste Regung des Erwachens. Er glaubte einzusehen, wie das tiefe, bis zum [90] Schmerz beschämender Erniedrigung empfundene Bedürfniß großer Wirksamkeit, die That nothwendig herbei führen müsse, und wie der Geist nie lange in der Hülle schmachte, ohne sie zu sprengen und gewaltsam zu fodern, was ihm werden muß, sobald er es will.

Noch war er nie so bleibend ruhig in sich selbst, so versöhnlich mit der Welt, so zuversichtlich und heiter gewesen, als in den stillen Abenden, die er mit Stephano allein bei dem Grafen zubrachte. Alles, bis auf die unbedeutenden Beschränkungen äußerer Bequemlichkeit, erinnerte sie an das erwünschte Ziel, dem sie mit jedem Tage näher rückten. Der Graf schürte die Flamme noch mehr an, indem er sich selbst wohlthätig erwärmte, und seine Pläne an dem stillen, inneren Lichte reisen ließ.

[91] So waren sie über die Grenzen, dem überraschten Feinde entgegen, in sein eignes Gebiet gerückt. Kaum hatte dieser so viel Zeit gewonnen, sich vor die Festungen zu werfen, und das Innere des Landes mit allen Kräften überwiegender Macht, und allen Vortheilen wohlgelegener, stark befestigter Plätze zu sichern. Der Graf sah mit Freuden, wie sein Gegner, immer stärker und stärker gegen seinen rechten Flügel anrückend, einen Hauptangriff von dieser Seite zu erwarten schien, indeß er sich links nur schwach gegen das Gebirge lehnte, das sich hier stark erhebend, weiteres Vordringen unwahrscheinlich machte. Auch rechtfertigten des Grafen Bewegungen diese Maaßregeln eine Zeit lang, und die Armee selbst glaubte, daß hier der Schlag fallen [92] müsse, bis er durch eine geschickte Stellung den Kern der Truppen plötzlich links wandte, während leichte Corps den Feind von der andern Seite ungewiß hinhielten. Die Regimenter zogen sich, immer vorrückend, dichter und dichter zusammen. Alles ging den festen Gang auf Leben und Tod mit Zuversicht. Endlich kam der große Tag, des Grafen Pläne waren reif, alle Befehle in der Stille gegeben, Maaßregeln und Vorkehrungen getroffen. Das tiefste Geheimniß deckte die Zukunft, Niemand wußte, aber Jeder glaubte und wollte das Beste, darum blieben die Gemüther frei und sicher, und die Herzen voll Kampfeslust. So stand es in und um den edlen Grafen, als er am Abend vor der Schlacht seinen jungen Freunden entdeckte, daß noch in dieser Nacht[93] ein Scheinangriff die feindlichen Anführer täuschen werde, indeß sie wenige Stunden darauf mit zusammengedrängter Kraft von der Gebirgsseite einbrechen, und wahrscheinlich alles aufreiben und sprengen würden, ehe noch ein Mann zu Hülfe eilen könne. Stephano ward deshalb sogleich zur Avantgarde verschickt, um jede Bewegung zu beobachten und dem Grafen nöthigen Bericht abzustatten. Er hatte mit gespannter Aufmerksamkeit jedes Wort in sich gesogen, sein Herz zitterte vor innerm Entzücken, er konnte keine Sylbe hervorbringen, so wogte und brauste es in seiner Brust; unwillkührlich faßte er Rodrich's Hand, um doch etwas in der gewaltsamen Anspannung zu ergreifen, er schüttelte und drückte sie während große Thränen über das glühende, fast [94] verschämte Antlitz des Jünglings rollten. Nun gehen sie mit Gott, sagte der Graf bewegt, und als wäre die Erde unter ihm verschwunden, so pfeilschnell war er ihnen aus dem Gesicht.

Rodrich war heut still und innerlich, wie Jemand, dem das Größte im Leben plötzlich ganz nahe tritt. Der erwünschte Augenblick war anders, als er sich ihn gedacht hatte, unendlich schön, aber ernst und heilig. Er spürte nichts von der leidenschaftlichen Erschütterung, die ihn über sich hinaus zu nie gesehenen Thaten treiben sollte. Weit Geringeres hatte ihn sonst wohl heftiger fortgerissen. Jetzt war er ruhig und sicher, seit sich die großen Bahnen vor ihm erschlossen. Er erschien sich selbst ungewohnt, und was er that und [95] sah, erfüllte ihn mit unbekannter feierlicher Ehrfurcht.

So war ihm ein Theil der Nacht verflossen, als des Grafen Regiment einrückte, das im entscheidenden Augenblick den gewohnten Führer nicht entbehren sollte. Es ward nun alles lebendiger, als der Graf sich auf sein Pferd schwingend den Leuten zurief: nun Kinder in Gottes Nahmen vorwärts! Wie ein freudiger Blitz fuhr es über alle Gesichter, die Alten sahen so vertrauend drein, tausend Grüße flogen ihm zu, sogar die an einander gewöhnten Pferde wieherten sich lustig entgegen. Doch bald ging es still und eilig vorwärts. Rodrichs Herz klopfte jetzt zum erstenmal heftiger. Man hörte stark feuern, des Grafen Blicke flogen nach dem Gebürge hin. Dampf und [96] Rauch hüllten sie in dichte Nebel. Vor und hinter ihnen wimmelte es von heranrückenden Regimentern. Rodrich verlor sich immer mehr in die großen Erscheinungen. Indem ward das Feuer schwächer, als zöge es sich weiter hin, und sie sahen Stephano heransprengen, der ihnen zurief: die Pässe sind frei, die Höhen genommen, der Feind ist geworfen, aufgerieben, doch rechts wälzt es sich wie ein Gewitter heran. Vorwärts, vorwärts, rief der Graf, und alles drang in schneller Ordnung vor. Bald zogen sie zwischen den Gebürgen an Leichen und Verwundeten vorüber. Des Grafen Pferd stutzte und bäumte sich bei dem blutigen Anblick, auf Rodrichs Lippen schwebten jene Worte:


Halt an die Zügel, halt an, um Gott,
Sieh vor dir die Todten-Gebeine.

[97] Der alte, unerschrockne Held gab indeß dem Pferde unwillig die Spornen, und sie gelangten schnell in die weite unabsehbare Ebne, die sich nun vor ihnen hindehnte. Die Sonne drang am dunkeln Saum des Horizontes herauf, über der Erde schwebte und flimmerte es, wie tausend Luftgestalten, die ein klarer Morgen verjagte, die Trommeln schallten dumpf durch die tiefe Stille, die Infanterie marschirte auf, hell glänzten die polirten Bajonette. Die weißen Federbüsche der Cavallerie wogten wie ein bewegtes Meer im frischen Morgenwinde, alles stand in fester, geschlossener Ordnung zum Kampfe bereit, während ein feindliches Corps wild und verzweifelnd heranstürmte. Da schmetterten die Trompeten, wie Ein Leib bewegte sich die dichte Schaar. Sie [98] stürzten auf einander ein; der Sieg war leicht, der Widerstand schwach, doch bald drängten sich die Haufen immer dichter und dichter heran. Rodrich sah alle Kräfte in einem furchtbaren Momente gegen einander aufsteigen. Der alte heilige Schooß der Erde bebte, und nahm die kreisenden Kugeln mit dumpfem Gestöhne auf, um und neben ihm sank ein blühendes Leben nach dem andern, schwarze Rauchsäulen drängten sich zum Himmel und hüllten die blutigen Gestalten in schattige Wolken, das lichte Gewölbe über ihm war umzogen, die Erde mit Blut und Leichen bedeckt. Unheimlich und beengend trat die grause Wirklichkeit vor Rodrich hin. Wie gebannt mußte er neben dem Grafen halten, der von einer Anhöhe das Ganze scharf und ernst [99] betrachtete. Der Sieg blieb eine Zeitlang ungewiß, Noth und Verzweiflung gaben dem Feinde ungewöhnliche Kräfte. Rodrich sah das, und kämpfte mit der stechenden innern Ungeduld und dem äußern Unvermögen, etwas Entscheidendes zu unternehmen. Jetzt, sagte der Graf, ist es Zeit. Die brennende Mittagssonne strahlt dem ermatteten Feinde entgegen, indeß wir, frisch und stark, ihr den Rücken zuwenden. Er eilte voran und sandte Rodrich, seinem fast umringten Regimente Unterstützung herbei zu führen. Wie eine Flamme riß dieser die Schaaren mit sich fort, durchdrang die Reihen, entwand einem gefallnen, sterbenden Jüngling die Standarte, und stürzte mit den jubelnden Reitern in die dichtesten Haufen. Bald darauf sah man den Feind wanken, [100] die Reihen waren durchbrochen, die Ordnung nicht wieder herzustellen, die wilde Fluth, Gesetz und Maaß überspringend, rann unaufhaltsam aus einander. Mehrere Stunden wurden sie verfolgt, viele gefangen und getödtet, die Meisten retteten sich durch ungezügelte Flucht. Endlich ward alles still, die wachsende Schlachtwuth tobte nur noch im Innern der aufgeregten Gemüther. Bald lagerten sich die siegreichen Truppen auf einem frischen Anger, den Dörfer und klare Bäche durchschnitten. Rodrich hatte indeß mit steigender Angst den Grafen vergeblich aufgesucht. Auch Stephano fehlte. Er eilte unzähligen Todten und Verwundeten vorüber, zitternd, in jedem einen dieser Geliebten zu erkennen. Seine Unruhe ward bald allgemein gefühlt,[101] tausend kreuzende Gerüchte, wo man den Grafen zu letzt gesehen und gesprochen haben wollte, verwirrten nur die Meinungen und erhöheten die laut geäußerten Sorgen. Der Abend brach unter ängstlichen Nachforschungen herein, da sah Rodrich aus der Ferne drei Gestalten langsam zu Pferde herannahen. Er eilte ihnen entgegen, und erkannte, im trüben Dämmerlichte, den schwer verwundeten Grafen, von Stephano und einem Diener unterstützt. Zusammengesunken, mit schlaffen herabhangenden Armen, ließ er sich fast bewußtlos von demselben Pferde schleichend forttragen, das sonst nur in raschen Sprüngen mit ihm über die blühende Erde hinflog. Rodrich weinte laut, als ihn der Tod aus den edlen Zügen so bleich und zerstörend anblickte. [102] Er umfaßte den geliebten Kranken und wollte ihn still und behutsam in eine nahe gelegene Hütte tragen, allein der Graf verlangte in gebrochnen Tönen nach einem Zelte bei seinen Reitern gebracht zu werden. Stephano eilte voran, die nöthigen Anstalten zu treffen, und die Andern zogen schweigend an den bestürzten Regimentern vorüber, die den geliebten Feldherrn mit stummer Ehrfurcht begrüßten. Als sie nun aber vor dem Zelte anlangten, und der Graf in einem rückkehrenden Lebensblitz seine wackeren Kampfgenossen anredete, und sich und ihnen Glück zu dem wohlerfochtenen Siege wünschte, da hielt sich keiner länger; tausend Thränen flossen, Aller Herzen ergossen sich in Klagen über das theure Opfer, das nun so blutend vor ihnen lag. Die [103] alten Krieger drängten sich um ihn her, sie wollten noch einmal in das sterbende Auge blicken, das ihnen so oft Ehre und Sieg verhieß. Er grüßte Alle mit erschöpfender Anstrengung, und wurde dann eilig von herzueilenden Ärzten auf ein bequemes Lager gebracht. Rodrich harrte am Eingange des Zeltes in dumpfer Erstarrung auf den entscheidenden Ausspruch des Arztes. Er kannte sein Unglück, er hatte die tiefe Wunde in der Brust gesehen, er durfte nicht hoffen, und dennoch zitterte er heftig, als Stephano herausstürzte, und die zurückgehaltenen Thränen an seinem Busen ausweinte. Er wagte es nicht, ihn zu fragen, die Gewißheit war ihm schrecklicher, als jene betäubende, hinhaltende Furcht. Beide schwiegen, der Arzt ging wehmüthig an ihnen vorüber. [104] Niemand sagte ihm ein Wort, so traten sie wieder an das Bett des Kranken, der nach dem schmerzlichen Verbande einen Augenblick schlief.

Die Nacht war indeß herauf gezogen. Eine laue, heitre Luft säuselte durch die halb geöffneten Zelt-Vorhänge. Auf der weiten Ebne brannten Wacht- und Lagerfeuer, still und erschöpft ruheten die müden Krieger, über ihnen glänzte der Himmel im heiligen, verklärten Lichte ewigen Friedens. Rodrich und Stephano lauschten auf die stockenden ungleichen Athemzüge des Grafen, der sich öfter regte, und im Schlafe unzusammenhängende Worte und einzelne Nahmen laut werden ließ. Rodrich ward sehr erschüttert, als er ihn mehreremale mit vieler Anstrengung, Eusebio, Eusebio, rufen hörte. Die [105] Vorstellungen verwirrten sich, er glaubte wieder ein Kind, an des sterbenden Freundes Lager zu sitzen, dunkle Ahnungen durchflogen ihn, er beugte sich über das bleiche Angesicht und ihm war, als lägen zwei Gestalten in dem engen Bette. In dem Augenblick erwachte der Graf. Er schien gestärkt, blickte klar und sicher um sich her, verlangte, daß man das Zelt noch mehr öffnen solle, und freuete sich der Ruhe und Ordnung im Lager. Sein heiteres Gespräch goß einen Strahl von Hoffnung in die Herzen beider Freunde, doch bald ward er ganz still, seufzte mehreremale tief, und schien auf's neue zu schlafen. Rodrich hatte seine Hand gefaßt, und als er sah, daß er unverwandt nach dem Lager blickte, wagte er es, ihm einige leise Fragen zu thun.[106] Mein Sohn, erwiederte er, der Tod ist viel mehr, als man glaubt, es sollten sich die Fäden langsam lösen, die uns an die Welt fesseln, oft reißen sie aber gewaltsam, und die Sehnsucht und der Schmerz halten uns hier noch lange gefangen. Vieles bleibt so unvollendet und zerstückt hinter uns liegen, und scheint uns mit tausend Stimmen zurück zu rufen, wenn gleich eine höhere Hand es anders und besser beendigen kann. Auch du liegst mir schwer auf dem Herzen. Ich kann nun wenig mehr für dich thun. Nimm die Schreibtafel, die dort in dem Kästchen liegt. Sie enthält Papiere, die du meinem Freunde, dem General überbringen sollst, er wird weiter für dich sorgen. Rodrich, sagte er nach einer Weile, als Alle um ihn her weinten, den Krieger müssen [107] heitre Blicke zum Grabe geleiten, laß dich nicht so gewaltsam beugen, dir bleibt viel zu thun übrig. Dein Schicksal wird dich noch wunderbar führen. Ich erkannte dich früher. Eusebio war mein Bruder. Zerreiße das bunte Gewebe nicht, laß die Zeiten an dir vorüber gehen, es waltet und wechselt die ewige Gottheit in wunderbarer Gestalt, neige dich vor ihrem unerforschlichen Willen, und trachte nicht vermessen, das Dunkel aufzuhellen. Ich habe in dieser Nacht viel erfahren. Es ist wenig mit diesem Leben, und doch wieder so viel, so unendlich viel! Er schwieg, Rodrich glaubte nichts Neues zu erfahren, ihm war, als habe er immer Eusebio's Bruder in dem geliebten Wohlthäter geehrt, es kam ihm auch alles ganz gewohnt und natürlich vor. Er forschte nicht[108] weiter nach, alle Neugier ward durch den heiligen, verklärten Blick des Sterbenden zurück gedrängt. Er wußte selbst nicht deutlich, was er fühlte und dachte, er sah nichts, als das Eine, was diesen bangen, ängstigenden Augenblick ausfüllte.

So hatten sie mehrere Stunden schweigend neben einander verweilt. Da drang die Trompete, die im Lager zum Satteln rief, schneidend durch die heilige tiefe Stille. Der Graf fuhr gewaltsam empor, er winkte mit der Hand, und blieb einen Augenblick aufgerichtet in einer angestrengten Stellung, als wolle er dem Rufe folgen; wie der schmetternde Ton verhallte, sank er zurück, und lag starr und todt an Rodrichs blutendem Herzen.

[109][111]
Zweites Buch

[111] [113]Viele Tage waren seit dem Tode des Grafen verflossen. Der alte Held ruhete längst in starrer, winterlicher Erde. Alle Klagen und Thränen waren in die stille Gruft versenkt. Wie ausgestorben lag die verödete Gegend. Kein lebendiger Hauch drang hindurch. Stumm ging der Tod und das Elend hinter dem verscheuchten Bewohner, der unsichern Trittes die Trümmer seiner Heimath aufsuchte. Weit hin vor trotzigen Festen lag das siegreiche Heer, und erkrankte im ermüdenden Belagerungskriege. Rodrich sah mit erschöpftem [113] Geiste auf die unerschütterliche Ausdauer seines neuen Gönners. In und um ihn war alles verwandelt. Die geträumte Lust reichte nicht über einzelne Momente der Erwartung hinaus. Der Gedanke hatte ihn erschüttert, gehoben, die That verblich in den schaalen Gebilden des Lebens! Wie er etwas anfaßte, so schwand der Zauber, und das nackte Gerüst trat schauerlich vor seine begehrlichen Sinne. Spottend blickte er auf sich und die Menschen, die immer auf's neue die abgerissenen Fäden wieder anknüpfen, um das trügerische Labyrinth zu durchirren, und dennoch war nirgend ein Stillstand, und alle Ruhe, Ohnmacht überreizter Begier. Er suchte das ewig Bleibende, und entsetzte sich vor dem abgeschlossenen Einerlei erfüllter Wünsche. Unwiderstehlich [114] zog ihn der Wechsel an sich, um ihn dann unsanft zurück zu stoßen, weil er niemals fand, was überall ist, oder nirgend. Dieselbe wiederkehrende Unzufriedenheit sagte ihm, daß dies die eigentlich bleibende Stimmung seines Geistes und eine Folge erkannter Täuschungen sey. Er glaubte tiefere Blicke als jemals über die Nichtigkeit menschlicher Strebungen gethan zu haben, da nichts die innre Sehnsucht stille, sondern den gläubigen Muth zerreiße und erdrücke. Was haben nun, fragte er sich oft im bittern Unmuth, die unzähligen Opfer, der große Aufwand von Kräften, alle die äußern und innern Erschütterungen bewirkt? In kurzem ist es vergessen, die neue Gestaltung wird eben so spurlos von einer neuern verdrängt, und während das kreisende Rad [115] sich unaufhaltsam dreht, glauben wir thöricht den Augenblick zu fesseln. Tausende haben dasselbe vor mir gewußt und empfunden, und doch arbeitet sich jeder auf seine Weise ab, und wenn er die mühselige Bahn durchlaufen ist, so wundert er sich, auf demselben Punkte zu stehen, von wo er ausging. Rodrich konnte aus den Widersprüchen nicht heraus, in denen er sich und die Welt gefangen sah. Das innere Drängen und Treiben und jene Verachtung menschlicher Thätigkeit, zerrissen ihn auf eine Weise, daß er in jedem Augenblick in Ungewißheit über sich selbst gerieth. Seraphinens Worte: er sey weder unbefangen genug, um heiter, noch fest genug, um ruhig in der Welt zu leben, fielen ihm wohl zuweilen ein, indeß glaubte er auch in der Gräfin etwas [116] Gezwungenes, Systemartiges zu erkennen. Es kam ihm vor, als wolle sie mit Gewalt die anraisonnirte Heiterkeit, auf Kosten eigner, unangenehmer Gefühle oben auf spielen lassen, während Mißmuth und Widerwille sie im Innern folterten. Die kleinen Spielereien, die ihrem Leben den frischen Glanz liehen, schienen ihm künstliche Behelfe, eine Unbefangenheit geltend zu machen, die längst dem Lichte reflektirender Betrachtungen weichen mußte. Überhaupt kam es ihm vor, als habe der Verstand alle eigentliche Originalität verwischt, und jedem nur ein Kleidchen aufgehängt, wie es sich gerade für Lage und Verhältnisse passen wolle. Die Menschen, meinte er, dächten im Grunde ziemlich einerlei, das heißt, an sich selbst. Über diese Sphäre gehe selten etwas hinaus, [117] wie sich die Eitelkeit auch hinter bescheidner Selbstverläugnung verstecke. Er mußte lachen, wenn er seines frühern Enthusiasmus, der glühenden Bewundrung einzelner, großer Erscheinungen, und all' der tausend Irrlichter gedachte, die den kindlich gläubigen Sinn blenden. Am wenigsten begriff er, wie Stephano, dessen Ansehen längst bei ihm gesunken war, diesen entscheidenden Eindruck auf ihn machen konnte. Er glaubte ihn jetzt ganz zu verstehen, um so mehr, da ihre gegenseitigen Neigungen, Ansichten und Gefühle, unaufhörlich einander begegneten, und Stephano nur da zu seyn schien, um durch stäte Reibung, alle Saiten in Rodrichs Seele zu berühren, und die verstecktesten Töne hervor zu rufen. Dies unwillkührliche Ergreisen, diese Ähnlichkeit, die keinesweges [118] Gleichheit war, und dennoch jenes schauerliche Erkennen in fremder Gestalt, drängte beide Freunde aus einander. Rodrich wandte sich ohne Schmerz von ihm ab. Er hatte etwas Außerordentliches erwartet, lange die auffallenden Widersprüche wie geheimnißvolle Räthsel, mystische Anklänge einer unbegreiflich hohen Natur angestaunt, jetzt entdeckte er kleinliche Regungen, die auch seine Brust anfüllten, und verzieh es ihm um so weniger, sich vor einer Überlegenheit gedemüthigt zu haben, die nur die Beschränktheit eines kleinen Kreises dafür erkannte. Stephano ließ es geschehen, ohne sonderliche Empfindlichkeit zu äußern. Rodrichs Freundschaft war ihm nie Zweck gewesen. Er empfand leicht ein bestechliches Wohlwollen für Menschen, [119] die sich ihm anneigten, und versuchte dann ungesäumt, sie in seine Pläne hinüber zu ziehen. Wenige verstanden ihn, und auch diese Wenigen ließ er durch inkonsequente Maaßregeln erkalten. Rodrichs Abfall kam ihm nicht unerwartet. Er beschwichtigte das verletzte Gefühl mit einer Verstandesformel, und hing dem großen Hauptgedanken seines Lebens mit gereizter Leidenschaftlichkeit nach. Es galt nichts weniger, als dem launenhaften Schicksal zum Trotz, sein abgerissenes, zweideutiges Daseyn zu begründen, und die dunkle Hälfte desselben, durch einen gewichtigen Schlag zu überstrahlen. Es war nie klar in ihm geworden, was er eigentlich wollte und vermochte. Einzelne große Begebenheiten fuhren wie Blitze durch sein Inneres, und drängten [120] ihn verworren nach allen Richtungen. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit jede äußere Anregung aufzufassen, arbeitete er sich innerlich bis zur Erschöpfung ab, ohne etwas Großes zu leisten. Muth und Wille zerbrachen leicht an den gewöhnlichen Widersprüchen des Lebens, indeß erschien er in solchen Krisen originell, kräftig, und oft sogar mit einer gewissen Verstandes-Konsequenz, die leicht imponirt, und der Welt die demüthigende Klage auspreßte: daß es eine Schmach sei, diesen gewaltigen Geist in den gemeinen Umgebungen verschmachten zu lassen. Stephano sagte dasselbe, freilich etwas bescheidner, allein die einmal gefaßte Verachtung aller hergebrachten, gesetzlichen Verhältnisse, die unwillkührlich ein Fußschemel eigner Erhöhung wird, rechtfertigte genugsam [121] das Mißlingen seiner häufig geänderten Pläne. Was in Rodrich wie ein ungestümes Meer brauste, und ihn mit zerschmetternder Gewalt an die Brandung empörter Wünsche trieb, das hatte in ihm eine dürftige Phantasie und ein überlegner Verstand zu einem systemartigen Bau aufgethürmt, über den die ältere Erfahrung einen Schein von Weisheit ausgoß. Dieser Schein indeß war es, der Rodrich mehr als alles verletzte. Er vermengte ganz natürliche Folgen mit absichtlicher Heuchelei, und während er das Unrecht zu bestrafen meinte, wandte er sich von einer Ruhe, die ihm seine eigne Heftigkeit vorwarf.

So war ihm ein Theil des Winters unter feindseligen Kämpfen verflossen, die das Langweilige und Freudenlose [122] seiner Lage nur noch mehr erhöheten. Vergebens hatte er, so wie die Armee, auf eine Entscheidung gehofft. Unbedeutende Plätze waren in ihrer Gewalt, während die Hauptfestung, der eigentliche Schlüssel des Landes, den kühnsten Widerstand leistete, und alles weitere Vordringen unmöglich machte. Rodrich konnte die ruhigen Maaßregeln des Generals nicht begreifen, und tadelte sie um so strenger, je weniger Berührungspunkte zwischen ihrer beider Ansichten statt fanden, und je sorgsamer der erfahrne Krieger sich in sich selbst zurück zog. In dieser finstern Stimmung erhielt er einen Brief von Florio, der ihn, wie ein milder Frühlingshauch anwehend, einen Augenblick mit der Welt versöhnte. Sein Herz öffnete sich [123] recht eigentlich, während er folgende Worte las.

»Mein Rodrich, warum kann ich nicht bei dir seyn? warum halten mich Bande, die ich gern anerkennen und selbst um den Preis deiner Umarmung nicht lösen möchte? Sage mir, wie kann der Mensch so widersprechend und doch wieder so einig und beruhigend fühlen? In manchen Augenblicken überfällt mich eine Sehnsucht nach dir, die oft zur peinlichsten Unruhe anschwillt, allein ich möchte dich eher in unserer Mitte wissen, als dort in dem verworrenen Getümmel aufsuchen. Es ist viel anders in mir geworden. Die Welt lockt und reizt mich nicht mehr wie sonst. Ich habe es nie geglaubt, daß man den Schmerz so lieben, und sich mit den schauerlichsten Erscheinungen befreunden [124] könnte. Es soll nicht gut seyn, sich der Wehmuth und allen süßern Regungen des Herzens so ohne Widerstand hinzugeben, als wolle man sich in dem wonnigen Meere auflösen. Es ist wohl möglich, und ich glaube sogar, daß man aus diesen Träumen mit matten Widerstreben zu den kreisenden Bewegungen des Lebens erwacht, aber ich kann dir nicht beschreiben, wie heilig und still alles in dieser Einsamkeit athmet, und mit welcher seltsamen Bangigkeit ich jeden Ruf naher Weltereignisse vernehme! Wie ein feiges Kind möchte ich mir die Ohren verstopfen, um nichts von allem, was draußen vorgeht, zu hören. Ja, ich kann sagen, mir schlägt das Herz vor Angst, wenn ich denke, daß man deinen Nahmen außerhalb dieses abgeschlossenen [125] Kreises nennt. Wärst du nur hier! Ich kann meine kindischen Sorgen durch nichts rechtfertigen, und doch, könnte ich dich mit mir in diese Dunkelheit vergraben, uns wäre wohl allen besser. Wüßtest du indeß, wie wir hier leben, wie Schmerz und Wahnsinn mit allen winterlichen Schauern, unsre öden Tage erfüllen, wie nur taube Blüthen kranker Phantasie unsre einförmigen Gespräche dann und wann anregen, und selten ein Sonnenblick über uns hinzieht, du würdest nicht begreifen, wie man solche Umgebungen lieben, wie man in ihnen frei athmen könne. Und doch ist es so. Seit dem Tode des Grafen sind wir zu Rosalien gegangen, die uns ungern und mit sichtbarer Scheu aufnahm. Ihr Anblick überraschte mich schmerzlich. Die hagre, erloschne Gestalt umhüllte [126] ein langer schwarzer Schleier, der ihr Stirn und Augen bedeckte, unter demselben sah ein frischer Myrtenkranz wie zum Spott auf ihr bleiches Gesicht herab. So lag sie unter einem großen Bilde ihrer Mutter, zu deren Füßen sie und Fernando als Kinder spielen. Der Knabe steht in einer nachdenklichen Stellung, über einen sprudelnden Quell gebeugt, in welchem er, wie im Anschauen verloren, einzelne Rosen fallen läßt; Rosalie hat sich halb gewandt, und indem sie das volle Lockenköpfchen zu ihm neigt, deutet sie auf die verstreuten Rosen. Die Mutter sieht mit unendlicher Liebe auf beide herab, und als könnte ihr Blick nicht ohne den ihrigen leben, so spiegelt sich das himmlische Gesicht auf den Fluthen, und dringt aus der Tiefe zu ihnen herauf. [127] Dies volle, beginnende Daseyn im Bilde, alle die frohen Hoffnungen, die dazu berechtigten, und vor mir die welken Blüthen! Mein Herz zerriß in dem schneidenden Widerspruch. Ich fühlte mich beklommen, und konnte kein Wort hervorbringen, um mein Erscheinen mit der Gräfin zu rechtfertigen. Sie sah uns lange mit unsichern Blicken an, dann winkte sie, und sagte: man solle ihre stille Freuden nicht auf's neue trüben. Seraphine, deren Wunden heftiger als je bluteten, warf sich vor ihr nieder, und beschwor sie, ihrem heiligen Schmerz hier eine Freistatt zu gönnen. Sie schien gerührt, und ließ es geschehen, daß wir blieben. Doch sprach sie weiter nicht, und wir sahen sie nachdem nur selten. Mich ängstete diese Abgeschlossenheit, allein die Gräfin schien [128] wenig empfindlich dagegen, und die Tage verflossen, ohne daß einer den andern erfreuete, oder störte. Eines Abends, als ich in einem Cabinet, das Seraphine bewohnte, mit ihr vor dem Kamine saß, der das kleine Gemach halb dämmernd erhellte, öffnete sich die Thür, und ehe wir noch Zeit hatten, uns zu besinnen, trat Rosalie mit zurück geworfnem Schleier, im bräutlichen Schmuck vor uns hin. Ihre Augen rollten wild umher; das Haar von Regen und Sturm aufgelöst, ringelte sich um Hals und Brust, sie deutete auf die Stirn, und sagte mit furchtbarer Stimme: seht ihr die Flamme, die nun hell brennt? Sie schlug die Hände heftig zusammen, und fiel unter wiederholten Zuckungen ohnmächtig in meine Arme. Seraphine rief mit ihrem gewohnten [129] Muth ohne Weiteres um Hülfe. Auf ihr wiederholtes Nachfragen erfuhren wir, daß die Kranke jeden Abend, um dieselbe Stunde, in dem nämlichen Aufzuge, nach dem Grabe ihrer Mutter gehe, und jedesmal still und betrübt wiederkehre. Der Arzt, den man davon benachrichtigte, befahl, ihr kein Hinderniß in den Weg zu legen, und man sey auch so sehr an diese nächtliche Wallfahrt gewöhnt, daß niemand weiter darauf geachtet habe. Nur heute müsse etwas Außerordentliches vorgefallen seyn, was sie so heftig bewege. Sie lag noch immer starr und bewußtlos vor uns da, der Ausdruck gewaltsamer innerer Erschütterung in den gespannten Zügen, die Todtenblässe, das feuchte anschmiegende Gewand, der reiche Schmuck, alles gab ihr ein so [130] ängstlich widersprechendes Ansehen, daß ich nur mit heimlichem Grausen meine Blicke auf sie richtete. Seraphine glaubte indeß, der rauhen Witterung diesen Unfall allein zuschreiben zu müssen, und hoffte getrost von den angewandten Mitteln die sicherste Wirkung. Ihr Muth belebte uns alle, wir waren noch um sie beschäftigt, als ein Fremder die Gräfin allein zu sprechen verlangte. – Wie eine dunkle Ahnung flog es hier über Seraphinens Gesicht, sie wandte sich verlegen zu mir, und bat mich, sie zu begleiten. Wir gingen schweigend in ein abgelegenes Zimmer. Ich setzte das Licht, das diese unerwartete Erscheinung beleuchten sollte, mit einem Gemisch von Angst und Neugier in den Hintergrund, und sah unverwandt nach der gegenüber stehenden Thür. [131] Die Gräfin warf sich unruhig in einen Sessel, und schien neuen Schrecken mit erschöpfter Kraft entgegen zu sehen. So blieben wir mehrere Augenblicke, als sich endlich die Thür öffnete, und ein schlanker, schöner Mann zu Seraphinens Füßen stürzte. Ludowiko! schrie diese, und verhüllte mit Entsetzen das Gesicht. Haben Sie mir auch geflucht? fragte er mit einer überaus einschmeichelnden biegsamen Stimme. Können Sie ein Herz verdammen, fuhr er fort, das so unwillkührlich erkaltete, als es einst entbrannte? und fühlen Sie nicht, daß dieser einzige Mißgriff mein ganzes Leben verwirrt? Was führt Sie hieher? unterbrach ihn Seraphine unwillig. Sind Sie Bösewicht genug, hier einen Triumph zu suchen? Wollten Sie noch mit den abgerissenen Blüthen [132] spielen? oder gelüstete es Sie, zu sehen, wie ein treues Herz unter Ihren weltklugen Künsteleien zerbrach? Ich bin kein Bösewicht, sagte Ludowiko sanft. Sie zerreißen mein Herz in einem Augenblick, wo ich Trost bei Ihnen suche. Trost? – wiederholte die Gräfin. – O mein Gott, fiel er schnell ein, es ist jetzt nicht Zeit zu untersuchen, ob ich ein Recht darauf habe, sagen Sie mir nur, ob sie lebt? und ob ihr Zustand immer so ist, wie ich sie heute fand? Sie haben sie also gesehn? fragte Seraphine, der nun alles klar ward. Ewiger Gott, erwiederte Ludowiko, der Tod hat mich in ihren Armen gefaßt, und alle gespenstische Schauer rissen mich aus meinem Träumen ihrem Wahnsinne nach! Seraphinens Blicke lagen noch immer forschend [133] auf den seinigen, und er fuhr fort: ich kam auf Rosaliens dringenden Ruf hieher. Ein Brief, den ich auf eine seltsam geheime Weise in meinem Zimmer fand, zog mich unwiderstehlich zu ihr hin. Ich war so weit entfernt, ihre Zerrüttung zu ahnen, daß ich in dem Unzusammenhängenden und Phantastischen ihrer Einladung, nur die Stimme lange bekämpfter Leidenschaft erkannte. Ich trotzte den Gefahren der Verbannung und kam unerkannt zu dem stillen Grabe, das sie zum Ort unseres Wiedersehens festgesetzt hatte. – Sie trat mir entgegen, ihr Anblick griff wie glühende Zangen in mein Inneres. Unwillkührlich schloß ich sie in meine Arme. Sie ließ es still geschehen, plötzlich wand sie sich los, und mit einem Schrei des Entsetzens rief sie: Fernando, dein Kuß [134] brennt wie eine dreizackige Flamme auf der Stirn der Sünderin. Ich bemühete mich vergebens, sie zu beruhigen, sie stieß mich von sich, ihr wilder Blick flog unstät umher, und als jagten sie alle Furien der Hölle, so lief sie plötzlich vor mir her. Ich hatte sie bald aus dem Gesichte verloren, und irrte in tödtlicher Angst um das Haus, ohne mich gleichwohl hinein zu wagen, als ich endlich Ihre Stimme, liebste Seraphine, vernahm, und nun beschwöre ich Sie, wenn noch eine menschliche Regung für einen Unglücklichen sprechen kann, sagen Sie mir, was ist aus ihr geworden? Die Gräfin war tief erschüttert. Lieber Himmel, sagte sie, wer darf mit dem Andern rechten! Ich beklage Sie von ganzer Seele. Wenn Sie noch irgend eine Anhänglichkeit [135] für die Unglückliche erhielten, so werden Sie viel leiden. Rosaliens Wahnsinn hat durch Ihre Erscheinung nur eine andre Richtung genommen, sie gehörte sich längst nicht mehr an. Die Drohung ihres Bruders, und die unbezwingliche Leidenschaft für Sie, wogten ringend in ihr auf und ab, und entzündeten allmählig ihr Gehirn. Sie kann nur der Tod retten. Ludowiko weinte still, seine Liebe schien gewaltsam erweckt zu seyn. Die Gräfin versprach ihm Nachricht zu bringen, und ließ uns allein. Ich hatte nicht den Muth, seinen stummen Schmerz durch eine unzeitige Anrede zu unterbrechen. Diese schwachen, beweglichen Gemüther haben bei allen dem einen eignen Reiz. Ihr willenloses Hingeben ist selten ohne Liebenswürdigkeit, und wie viel Unheil[136] sie auch anrichten, man kann ihnen nicht feind seyn. Ich empfand wirklich eine zärtliche Theilnahme für den schönen bekümmerten Mann, und schloß ihn ohne ein Wort zu sagen an mein Herz. Er verstand mein Gefühl, und schmiegte sich so vertrauend an mich, als wolle er sein ganzes Innres in meinen Busen ausschütten. – Ach Gott, sagte er nach einer Weile, ich erscheine wohl als ein großer Sünder, und doch bin ich gewiß nicht ganz schlimm. Das kommt und geht so mit unsern Gefühlen, ohne daß man es wehren kann, und die Folgen ziehen uns dann unvermeidlich mit sich fort. Ich drückte ihm schweigend die Hand. Seine Philosophie war freilich ziemlich leicht, indeß mochte sie ihm für den Augenblick wohlthun, und ich konnte ihm das gönnen. [137] Die Gräfin war indeß zurück gekommen; sie versicherte, Rosalie sey besonnen und ruhig erwacht, spreche zusammenhängend und scheine gerührt bei jeder ihr bezeigten Aufmerksamkeit, nur leide sie nicht, daß man sie zu Bett bringe, aus Furcht etwas anzuzünden, so sitze sie auch ganz frei, mitten im Zimmer, mit unbedecktem Haupt und offner Stirn. Seraphine drang jetzt auf Ludowikos Abreise, da der Zustand der Kranken mehr bleibend als gefährlich zu seyn schiene; allein er war durch nichts dahin zu bringen. Allen unsern Gründen setzte er die schmeichelndsten Bitten entgegen, und wirklich hat er es durchgesetzt, bis zu dieser Stunde verborgen im Schlosse zu bleiben. So leben wir denn alle Vier, ein ganz eignes von der übrigen Welt losgerissenes[138] Leben, indem sich jeder mehr oder weniger in die schwankenden Vorstellungen des Andern verliert, oder die Bilder eignen Wahnsinns außer sich zu sehen glaubt. Rosalie spricht mit vieler Ruhe von dem letzten Ereigniß. Sie sagt, nun ängste sie nichts mehr, da alles eingetroffen sey, wie sie es unter tausend Quaalen geahnet habe. Dies sey der letzte Schlag des Schicksals, den sie hätte herbei führen müssen. Nun sey es wahr geworden, und sie büße gern und willig. Diese Flamme reinige auch die Seele ihres Bruders von Haß und Rache, und Ludowiko sey in dem Augenblick ein Engel geworden, der immer um sie bleiben und sie trösten dürfe. Es ist unbeschreiblich, welche Gewalt ihre Worte über uns ausüben. Ludowiko, der die meiste Zeit von ihr [139] ungesehen, verborgen im Zimmer weilt, lebt und athmet nur in dem Zauber ihrer Stimme. Oft sitzen wir die dunkeln Abende so neben einander, und begleiten ihr Lieblingslied mit tiefer Rührung. Es klingt recht wehmüthig, wenn sie mit der matten, kranken Stimme singt:


Die bangen Stunden winden
Sich langsam auf und ab.
Tod, soll ich nie dich finden?
Bleibst mir verschlossen, Grab?
Ich seh' des Tages Neigen,
Ich seh' der Nächte Lauf,
Verworrne Bilder steigen
Aus mattem Streit herauf.
Der Kindheit fromme Spiele,
Der Jugend banges Fleh'n,
Ach! und der Leiden viele
Muß ich nun kommen seh'n.
[140]
Zieh still an mir vorüber,
Du süße Kinderwelt!
Mein Blick reicht nicht hinüber,
In jenes bunte Feld.
Verhüll' in dunkle Schleier
Dein Hoffen, armes Herz,
Der Jugend Liebesfeuer
Erblich in dumpfem Schmerz.
Doch ihr nahmt mich gefangen
Ihr droh'nde Schatten dort,
Nach euch trag' ich Verlangen,
Reißt mich umschlingend fort.
Nun steht das Grab mir offen,
Nun winkt der Tod herbei,
Und all mein süßes Hoffen,
Giebst du mir sterbend frei.

Neulich unterbrach sie sich selbst, und meinte, Ludowikos Stimme deutlich gehört zu haben. Es ist mir oft schauerlich, wie Wahrheit und Täuschung hier [141] so in einander spielen, daß wir selbst nicht wissen, was das Rechte sey. Übrigens ist ihr Lied prophetisch, denn sie neigt sichtlich dem Grabe entgegen, und erblickte sie Ludowiko ein zweites mal, so würde das sicher ihr letzter Augenblick seyn. Er fühlt das auch, und giebt sich mit einer Art phantastischem Wohlbehagen ihren Träumen hin, in denen er sich selbst gereinigt und verklärt erscheint.

Ich kann nicht sagen, mit welcher Sehnsucht mich diese geheimnißvolle, dunkle Liebe erfüllt! Ich beneide Ludowikos Loos, und muß oft stundenlang zu Seraphinens Füßen weinen. Zuweilen ist mir, als wären wir Alle Schatten einer andern Welt, und ich betrachte mich und die Andern mit Bangigkeit. Wollte Gott, es wäre so! allein Elwire, [142] die jetzt öfter zu uns herüber schweift, reißt unsre ideale, kleine Welt mit Gewalt in die wirkliche hinein. Es ist sichtlich, daß die Begier, etwas Näheres über die letzten Vorfälle zu erfahren, sie hieher lockt; indeß kehrt sie jedesmal unbefriedigt zurück. Sie ist wie ein Kind, und neckt und schwatzt und quält uns oft bis zur Ermüdung. Besonders drängt sie mich, sie nach der Hauptstadt zu begleiten, von der sie, nach Kinder Art, alles in einander vermengend, erzählt. Miranda schweigt ganz. Elwire lacht zweideutig, so oft man nach ihr fragt, und meint, es würden bald große Dinge geschehen. Niemand wird aus ihr klug.

Ach, mein Rodrich, könntest du hier seyn! Ich darf das vielleicht deinetwegen nicht wünschen, du bist wohl auf [143] deine Weise glücklich. O sage mir bald, wie dir's ergeht, und ob du meiner noch mit Liebe gedenkst. Ewig der Deine. Florio

Rodrich ward, wie mit einem Zauberschlage, zu jenen verworrnen Auftritten hingezogen. Die frühesten Regungen seines erwachenden Daseys, sein dunkler Eintritt in die Welt, der trotzige Unmuth, das wechselnde Glück, der Graf, Seraphine, Rosalie, all jene Lichtblicke, die in sein Inneres fielen, flossen jetzt in dem Schmerz über die früh getrübte Herrlichkeit zusammen. Er konnte es sich nicht ableugnen, er dankte jenen beiden weiblichen Wesen die süßesten Ahnungen. Was er jetzt für Miranda fühlte, war anders, in manchen Augenblicken heiliger, und doch wieder mit einer ängstigenden Unbestimmtheit [144] vermischt. Überall war sein Denken und Fühlen so schwankend und zerstückt, daß er eine Scheu hatte, in sich selbst zurück zu gehen.

Um dieselbe Zeit erhielt Stephano ebenfalls Briefe vom Hofe. Rodrich wußte das, und bemerkte nicht ohne Unruhe, wie er immer zurückhaltender und gezwungener ward. Er fragte ihn einmal nachlässig: ob er nichts Lustiges von der geistlichen Regierung zu erzählen wisse? O ja, erwiederte jener, Viormona vertheilt die Rollen, du hast ja früher ihr Talent erprobt, und kannst denken, welch reiches Leben nun beginnt. Viormona? fragte Rodrich. Nun ja, sagte Stephano, ihr gewaltiger Geist begegnete dem Cardinal, oder umgekehrt, wie du willst, genug es ist jetzt alles einig und friedlich, und Therese [145] und ihre Töchter, der Hof, die Stadt, alles giebt sich den neuen Führern hin. Rodrichs Herz zog sich unwillkührlich bei diesen Worten zusammen. Es lag dahinter etwas, das ihn ängstete, und er hatte gleichwohl weder den Muth, noch das Recht, in den vernachlässigten Freund zu dringen, der auch weiter nicht auf ihn zu achten und nur mit eignen Sorgen zu kämpfen schien.

Beide hatten indeß nicht lange Zeit, ihren Träumen nachzuhängen. Der General beschloß, die Festung durch einen Überfall einzunehmen, und bestimmte dazu die folgende Nacht. Das tiefe Geheimniß, die Erwartung, der unbestimmte Ausgang, alles lockte sie aus dem langen Winterschlafe hervor, und strömte erfrischend durch den heitern Soldatensinn. Stephano konnte kaum [146] den entscheidenden Augenblick erwarten. Er maaß mit klopfendem Herzen Mauern und Wälle. Ihm war, als schwebe er unaufhörlich auf der letzten Sprosse der Leiter. Endlich rückte die Stunde heran. Alles war vorbereitet, die Nacht dunkel wie das Grab. Der Wind fuhr heulend durch die Wolken, und trieb Schnee und Regen vor den anrückenden Truppen her. Kein andrer Laut drang durch das dumpfe Geräusch hindurch. Niemand wagte zu athmen. So erstiegen sie mühsam den Hauptwall, den der herabströmende Regen schlüpfrig und ungleich gemacht hatte. Rodrich rückte indeß mit der Cavallerie nach dem Thore zu. Noch war alles still. Die Bataillons drangen schweigend herauf, einzelne Posten wurden geräuschlos niedergemacht. Plötzlich fiel ein [147] Schuß, dann noch einer, man hörte wild durch einander rufen, der Lärm nahm zu. Rodrich trabte muthig heran, indem wurde das Thor gesprengt, die Cavallerie fuhr wie ein Blitz hinein, durch die Straßen hin, und hieb nieder, was sich widersetzte, indeß die schwache Besatzung am Thore geworfen, und der Posten von der Infanterie genommen wurde. Bald darauf folgte die zweite und dritte Division. Der Tumult in den Straßen war furchtbar, alles drängte nach der Hauptwache. Hier begann ein neuer, verzweifelter Kampf. Viele mußten bluten, ehe der Platz gewonnen war; Stephano traf ein Schuß durch die rechte Schulter, er sank ohnmächtig nieder, und sahe nicht, wie die Seinen endlich siegten und alles in ihre Gewalt kam. Eine augenblickliche, [148] zweifelhafte Stille folgte auf den schauderhaften Lärm. Die geängsteten Bewohner lauschten furchtsam in den dunkelsten Winkeln ihrer Häuser, die Ordnung schien indeß hergestellt, man wagte hin und her ein Licht anzuzünden, und sah beruhigt auf die überstandne Gefahr, da flog mit einemmal der losgelaßne Schwarm über Todte und Verwundete an die verschlossenen Thüren. Riegel und Bollwerk mußten der Gewalt weichen, und wo dies nicht glückte, da sprangen die Fenster klirrend auseinander, und öffneten den Eindringenden so den Zugang. Alle Schranken zerfielen, die freigegebene Plünderung trieb Laster und freche Begier über sich selbst hinaus. Das Geheul der Mißhandelten rang schneidend mit dem wilden Geschrei des Üebermuthes. [149] Jedes Band der Menschheit schien sich in dem Augenblicke zu lösen. Der zitternde Bürger mußte den Widerstand der Festung büßen. Frohlockend schwelgten Alt und Jung in dem mühsam errungenen, wohlgeordneten Hausrath, auch das Liebste zerbrach in den rohen Händen; Ehre, Glück, frohe Zukunft, alles, alles, befleckte, zertrümmerte die wilde Wuth. Rodrich ging mit empörtem Herzen an dem Lärme vorüber. Er war durch und durch erschüttert, zerrissen, so nahe war ihm die ruchlose Willkühr nie getreten, Sitte und Gesetz hatten bis dahin das Gemeinste von ihm abgehalten. Er erschrack vor dem Thierischen im Menschen, und als habe er sich selbst in jener unverhüllten Niedrigkeit erkannt, so ängstlich suchte er sich in einem edlern, höhern Sinne wiederzufinden. [150] Er bemühte sich vergebens, Stephano zu entdecken, den er unter den Verwundeten wußte. Man sagte ihm endlich, viele derselben seyen gleich in die nächste Kirche getragen, um sie vor den Gefahren des ausbrechenden Tumultes zu sichern. Er eilte sogleich dahin. Die hohen, dunkeln Pforten standen weit offen, auf der Schwelle lagen Gewehre, blutige Kleider, Stroh, überall Spuren allgemeiner Zerstörung. Aus dem Hintergrunde dämmerte ein mattes Licht. Rodrich schritt nachdenkend durch die gewölbten Gänge; allein das Gestöhn der Kranken riß ihn bald aus seinen Träumen. Er nahm die Laterne, die das Bild der Auferstehung Christi flackernd erhellte, vom Hochaltar, und ging suchend umher. Stephano lag in einer Ecke, den [151] Kopf auf einen reich beschlagenen Sarg gestützt. Die kalten Steine, der schneidende Zugwind, und sein starker Blutverlust hatten sein Übel schlimmer gemacht. Rodrich bedeckte ihn sogleich mit seinem Mantel, und eilte, alles Stroh herbeizuschaffen, um ihn weicher zu betten, bis anderweitige Hülfe möglich war. Beim hin und her gehen bemerkte er ein seltsames Rauschen, als spiele der Wind mit einem seidnen Gewande. Er blieb einen Augenblick stehen, das anmuthige Flüstern schien ihm ganz nahe, er bog sich hinter einen Pfeiler, und entdeckte den Eingang zu einer kleinen Kapelle. Ohne weiter viel zu erwägen, trat er hinein, und erblickte eine weibliche Gestalt, die starr und leblos auf einem Grabsteine kniete. Die kleinen Händchen lagen verschlungen auf [152] dem Marmor, und schienen den Obertheil des zarten Leibes, wie den gesenkten Kopf, zu tragen. Schauerliche Grabesluft zog über ihr hin, und wogte spielend in den reichen Locken und dem flatternden Kleide. Dies fremde Leben, was sie so bewußtlos berührte, gab der lieblichen Erscheinung etwas Rührendes, das Rodrich noch schneller zu ihr hinzog. Er glaubte ein schlafendes Kind in Todesarmen zu sehen. Kaum wagte er es, sie zu erwecken, doch umfaßte er sie leise, und fühlte mit Entzücken üppiges, jugendliches Leben in ihren Adern glühen. Bald regte sie sich in seinen Armen, er hob sie vollends empor, und konnte die Augen nicht mehr von dem holden Gesichtchen wenden, sie flüsterte, wie im Schlafe, unvernehmliche Worte, endlich sagte sie deutlich, sich fester an [153] ihn schmiegend: rette mich, mein Bruder, rette mich vor den wilden Kriegern! Rodrich zitterte vor ihrem völligen Erwachen, er theilte im voraus ihre Angst, und dennoch konnte er sie unmöglich so hülflos verlassen. Bei einer leichten Bewegung mit der Hand, ließ er das Licht hell in ihre Augen fallen; sie schlug sie plötzlich auf, Unschuld, Furcht, Sehnsucht, Vertrauen, alles spiegelte sich in den himmlischen Blicken. Sie fühlte sich sanft gehalten, und während sie noch immer von unsichtbaren Banden umschlungen zu seyn glaubte, wagte sie in einem Gemisch von Scheu und Ergebung nicht, den Kopf zu wenden. Rodrich hütete sich wohl, das Schweigen zu brechen, doch indem rief ihn Stephano, den sein plötzliches Verschwinden befremdete. Sie[154] fuhr erschrocken auf; als sie Rodrich erblickte, blieb sie wie betäubt stehen, und schien mit banger, ängstigender Ungewißheit zu ringen. Fürchten sie nichts, sagte er, ehrerbietig vor sie hintretend, während ihn Stephano noch immer wiederholt rief, ich hänge von ihren Winken ab, gebieten sie über mich, wohin soll ich sie führen? Ach, um der Täuschung willen, sagte sie weinend, die mich so lange bei ihnen fesselte, um der süßen Erinnerung eines geliebten Bruders willen, retten Sie mich vor jedem fremden Auge, das ich jetzt mehr als den Tod scheue. Erwartet sie vielleicht eine Mutter, fiel Rodrich schnell ein, oder sonst eine geliebte Verwandte? Ach Gott, meine Mutter, rief sie bewegt, meine arme Mutter, wie wird sie ihre Aline suchen! Was hast du [155] denn hier? sagte Stephano, der sich mühsam bis zum Eingang der Kapelle geschleppt hatte; aha! rief er lächelnd, und wandte sich von beiden ab. Dies Lächeln ging Rodrich durch die Seele; er sah auf Alinen, die sich zitternd an ihn hielt, und kein Wort hervorbringen konnte. Sie sagen mir wohl, hob er ernsthaft an, wohin ich sie so schnell als möglich führen darf, um sie vor Beleidigung zu sichern. Aline weinte still, ohne aufzusehen. Mein Gott, sagte sie nach einer Weile, ich bin wohl recht kindisch gewesen, aber ich konnte wirklich nicht anders, es zog mich unwiderstehlich hieher zu meinem Bruder, bei dem ich durch mein ganzes Leben gewohnt war, Trost und Rath zu suchen. Wir wohnen ganz nahe bei der Kirche, an welcher mein Oheim Geistlicher ist. [156] Meine Mutter und ich leben seit vielen Jahren bei ihm; lieber Himmel, er ist wohl ein recht braver Mann, aber wie der Bruder, ist er doch nicht, der ein Schwerdt trug, wie Sie, und uns wohl alle beschützt hätte! Die Mutter sagte das auch, als wir in der Todesangst so hin und her liefen, und niemand wußte, wohin er sich verbergen sollte. Die Heiligen, dachte ich, haben ja wohl öfter ihre Lieblinge beschirmt, und Benedikt war sicher ein Heiliger! Ich eilte hieher, und weinte und betete auf seinem Grabe, da ward es plötzlich so laut um und neben mir, ich wollte fliehen, aber es hielt mich fest, und ich sank bewußtlos nieder. Ihr Vertrauen hat sie nicht getäuscht, sagte Stephano, dem ein Blick auf Alinen jeden Schein von Verdacht nahm Wollen sie den [157] Schutz eines Todtkranken annehmen, so geleiten wir beide sie zu den Ihrigen, und sie gönnen mir wohl für diese eine unruhige Nacht ein Plätzchen in ihrem Hause? Aline betrachtete ihn mit theilnehmenden Blicken. Ihre eignen Sorgen hatte sie über dem bleichen, erschöpften Gesicht, und dem blutenden, schlecht verbundenen Arm vergessen. Was säumen wir denn, sagte sie schnell, kommen sie doch, ich werde ihnen den Weg zeigen. Sie nahm die Laterne, und sorgte, daß Rodrich den Kranken unterstützte. Eine Seitenthür führte sie in wenigen Schritten durch einen kleinen Garten, zu einem stillen, abgelegenen Häuschen. Aline sprang wie ein Reh hinein. Bald darauf kam man ihnen mit Licht entgegen, und führte sie in ein bequemes, gastliches Zimmer. Die Mutter, eine[158] feine, sittige Frau, war entzückt über Alinens Ankunft, die sie indeß, mit ruhigem Vertrauen, bei einer reichen, ihr wohlwollenden Verwandten in Sicherheit glaubte. Wenige Worte machten sie mit dem Vorgange bekannt, sie bezeigte den Eintretenden ihre herzliche Dankbarkeit, und war doppelt bemüht, Stephano's Zustand zu erleichtern. Rodrich verlor sich in Alinens anmuthigen Geschäftigkeit, die sie wie im Spiele an ihm vorüber trieb, ohne irgend eine schwerfällige Sorge ahnen zu lassen. Diese leichte Beweglichkeit in den beschränkten Kreisen, hob sie bewußtlos darüber hinaus, und gab dem ganz Gewöhnlichen einen eignen Zauber. Überall fühlte er sich unendlich wohl. Die harmloseste Ruhe wehte ihm hier in den einfachen, in Lieb' und Eintracht [159] geordneten Umgebungen entgegen. Seine aufgeregten Sinne schlossen sich behaglich an die Einförmigkeit des Ganzen. Er vermißte keine Pracht, und weidete sich an jedem Gegenstand, der vom innern, häuslichen Frieden zeugte. Bald trat auch der nunmehr beruhigte Geistliche herein. Er er schien beiden Freunden mild und angenehm, so sichtlich man auch wahrnahm, daß er kein Streiter dieser Welt sey. Sein stiller Wohnsitz war von den Plündernden übersehen, und er hatte nichts, als die Ruhe dieser Nacht bei dem allgemeinen Schrecken eingebüßt.

Während dessen hatte sich der Aufruhr in den Straßen gänzlich verloren. Stephano bedurfte der Ruhe, und Rodrich fühlte, daß er sich von seinen neuen Bekannten losreißen müsse, um [160] nicht lästig zu werden. So schied er denn, von der herzlichen Bitte, recht bald wieder zu kommen, begleitet.

Er fand sein Quartier bei einem reichen Rathsherrn, der mit ängstigender Förmlichkeit seinen Wünschen zuvorkam. Auch Stephano erwartete ein ähnliches Loos, allein Rodrich sah voraus, daß er es vorziehen werde, bei seinem liebreichen Wirthe zu bleiben, wenn er ihn anders behalten wolle.

Am folgenden Tage erhielt er von allen Seiten Glückwünsche über sein ausgezeichnetes, besonnenes Betragen bei der Einnahme der Stadt, und wie man ihm vorzüglich die Besetzung der wichtigsten Posten verdanke. Auch der General sagte ihm etwas Verbindliches. Rodrich sah sich geehrt, ohne sonderlich darüber erfreut zu seyn. Angenehmer [161] war es ihm, zu erfahren, daß der Feind um Frieden bitte, und daß die Unterhandlungen schon im Gange seien, was indeß Zeit und längern Aufenthalt in dieser Stadt erfodre. Ohne irgend eine Ursach anzugeben, oder sein Gefühl näher zu betrachten, strebte er, sich der Freude, länger in Alinens Nähe zu bleiben, ganz ungestört zu überlassen, und ergötzte sich im Voraus an dem heitern Umgang, der ihn aller anderweitigen Sorgen auf kurze Zeit entrücken sollte. Er glaubte längst darüber mit sich einig zu seyn, daß man vergebens nach Glückseligkeit verlange, und die einzelnen vorüberfliegenden Momente sorgsam auffassen und an einander reihen müsse, um ein erträgliches Ganzes heraus zu bringen. Der Genuß, meinte er, wie jeder gewünschte [162] Erfolg, fliehe der Absichtlichkeit, nur was sich so ungesucht nahe, das solle man getrost auf sich zu kommen lassen. Es werde sich bald zeigen, in wie weit es zu einem gehöre, oder nicht. Alles Streben und Widerstreben lasse die Dinge ziemlich beim Alten, man werde auch gewöhnlich sein eigner Narr bei einer geträumten Konsequenz, die ein unbewachter Augenblick zu Schanden mache. So im Kampfe mit Sinn und Verstand, aller klügelnden Reflexion entfliehend, und doch in ihr verstrickt, Höheres verachtend und kindlicher Sorglosigkeit entwachsen, ging er in schmeichelnden Träumen zu Stephano. Es war ein heller, anmuthiger Wintertag. Die Sonne schien warm in Alinens Fenster, an welchem sie unter Blumen und bunten Vögeln, auf einem niedern [163] Sessel bei ihrer Arbeit saß. Auf das Geräusch bei seinem Eintritt, legte sie schnell den Finger auf den Mund, und zeigte auf den schlafenden Stephano, der am andern Ende des Zimmers in einem Lehnstuhl lag. Rodrich trat leise zu ihr hin. Sie glühete wie ein frisches Röschen in dem blendenden Schnee des weißen Gewandes. Freudige, schuldlose Überraschung, sprach aus Blick und Mienen. Er beugte sich über ihren Sessel, und beide begannen kaum hörbar mit einander zu reden. Aline ward bald unbefangener, und als Rodrich nach den ersten Erkundigungen, Stephano's Wohlseyn betreffend, das Gespräch auf den geliebten Benedikt lenkte, erzählte sie mit süßer Vertraulichkeit ihren ganzen kleinen Lebenslauf. Rodrich hörte kaum was sie sprach, das [164] sanfte Wehen ihres Odems, das berauschende Flüstern und all die Unschuld und Lieblichkeit nahm seine ganze Seele hin. Er fühlte nur, wie wahr und anspruchslos sie ihr Inneres aufdecke, und wie nichts, nichts in dem reinen Herzen lebe, was den Blick eines Menschen scheue. Die feste, heilige Liebe für den Bruder, brach oft recht ernst aus dem spielenden Wesen hervor, und zeigte, wie die kindischen Schwingen den Himmel wohl zu erreichen wußten. Er hätte gern ewig so bei ihr gesessen, und sich in ihre Welt hinüber ziehen lassen, allein Stephano erwachte, und bei seiner ersten Bewegung flog Aline an sein Lager. Sie fand ihn bei weitem kränker als zuvor. Brennende Fieberhitze und stechende Schmerzen im Arm, machten ihn auf's höchste ungeduldig [165] und verdrüßlich. Rodrich nahete sich ihm theilnehmend. Sein Herz war offen und warm. Die alten, halb zerrissenen Bande schienen sich auf's neue fester zu schürzen, es reuete ihn jede Härte gegen den kranken Freund, der ihm so gar nicht im Wege war, dessen Schwächen ihm sehr verzeihlich, ja von tausend herrlichen Eigenschaften überstralt dünkten. Er hätte ihm in diesem Augenblicke gern seine Schuld und seine Reue bezeigt, und so die frühere Vertraulichkeit wieder hergestellt, allein Stephano begnügte sich, die hervorbrechenden, herzlichen Worte, mit einem stummen Händedruck zu beantworten, und sich lächelnd von ihm abzuwenden.

Aline kam und ging, und war sorglich um den Kranken bemüht. Bald erschien auch die Mutter, welche häusliche [166] Geschäfte bis dahin entfernt hielten. Rodrich entdeckte heute eine auffallende Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Kinde. Alter und Erfahrung hatten den rosigen Hauch jugendlicher Sorglosigkeit nicht in ihr verwischen können. Wie bei Alinen Ernst und Leichtsinn in den blühenden Zügen spielte, so leuchtete beides aus dem Wesen der alternden Matrone hervor. Dasselbe Vertrauen, derselbe einfältig fromme Blick über alle ausgedehnteren Verhältnisse des Menschen, die gleiche, gefällige Redseligkeit, und das gänzliche Verlieren in den einzigen, merkwürdigen Hauptmoment ihres Lebens, den Tod des blühenden, geliebten Jünglings, alles fand man in Beiden auf gleiche Weise. Wenn Worte und Gedanken auch nicht über die abgeschlossenen [167] Kreise ihrer einfachen, fröhlichen Wirksamkeit hinaus reichten, so lag dennoch hierin eine Welt von Gefühl. Alles Thun und Treiben erschien wie das bewußtlose Walten der Natur. Man gab sich willig hin, und ließ sich, wie beim Erwachen des Frühlings, allmählig in die harmlosen Erinnerungen der Kindheit hinüber spielen. Gleichwohl fühlte Rodrich einen gewissen Zwang, seit er nicht mehr mit Alinen ohne Zeugen war. Ihre Aufmerksamkeit wurde unwillkührlich getheilt, sie durfte nicht einzig bei ihm verweilen; sie fühlte das, und sehnte sich, wie Rodrich, nach der stillen vertraulichen Stunde zurück. Indeß blieb mehrere Tage hindurch alles, auch Stephano's Befinden, unverändert. – Rodrich hatte daheim bei seinem Rathsherrn eine ganz [168] stattliche Familie, der er täglich einige Stunden geben mußte. Der Mann führte einen guten Tisch, alten Wein, und besaß die vortreffliche Gewohnheit, beides, um eines höflichen Lobes willen, Freund und feindlichen Gästen preis zu geben. Überdem hatte er zwei Töchter, von denen die eine verheirathet, die gute Mutter, und die andere unverheirathet, die Gebildete, nicht ohne Gewandtheit, und mit tiefer innerer Überzeugung spielten. Beide verstanden es, einen Kreis von Bewunderern um sich her zu ziehen, unter denen sich Erwin, ein genialer, ganz frisch auf Universitäten erblüheter Philosoph am meisten hervorthat. Er war ganz ausgebildet, so daß wirklich kein einziges festes Bild in ihm Bestand hatte. Die große Ansicht des Universums dehnte, wogend [169] und flimmernd, die inneren Schwingen, und hob ihn auf einen Standpunkt, vor welchem Hohes und Niederes gleich verschwanden. Die bunte Gestaltung der Welt war ihm nichts, als die Unterbrechung absoluter Einheit, deren wechselndes Spiel er, wie der Arzt das Zucken der Nerven, mit Antheilnehmendem Lächeln durchdrang. Überhaupt sah man ihn immer lächeln, nichts durfte das ruhige Gleichgewicht unterbrechen, er fand sichüberall wieder, weil er sich ganz verlor, und kannte weder einen bestimmten Freund, noch eine Geliebte, indem er einzig der Unendlichkeit angehörte. Ihm zunächst stand ein Künstler, der mit hagerer Gestalt und matten Blicken, die Fülle göttlicher Sinnlichkeit in jedem Theetropfen in sich sog, und mit frechen, oft unkeuschen Worten [170] laut werden ließ, wie er sein ganzes Daseyn dem wahnsinnigen Rausche hingebe, und die Muse erst in den üppigen, glühenden Umarmungen der frischen Sinnenwelt erzeuge. Die völlige, rothwangige Laura neigte sich bei ähnlichen Worten zu ihrem jüngsten Kinde, und drückte es mit viel Empfindung an den unverhüllten Busen. Ihre Schwester Beate haßte den unsittigen Schwätzer, und verfehlte nie, ihn mit giftigen Pfeilen ihres Witzes zu verwunden. Überall war sie das anregende Prinzip dieses kleinen Zirkels, und ohnerachtet man sie mehr haßte, als sie es wohl verdienen mochte, so trieb und drängte jeder so lange, bis sie die Rolle der anerkannt Geistreichen, in tausend gesuchten Wendungen durch einen ganzen Abend behauptete. Die [171] Familie nickte dann einander beifällig zu, und jedes sonnte sich behaglich in dem trüben Schein. Ziemlich abgesondert von den Übrigen, und gewöhnlich mit einem großen Windhunde beschäftigt, saß ein ältlicher Offizier, der den biedern Hausfreund machte, und mit einigen polternden Späßen die Wahrheit ziemlich hart traf. Da er indeß gern Wein trank, die Pferde liebte, den Damen huldigte, und einige veraltete, nach Romanzenart in sich unzusammenhängende Kriegslieder sang, so gesellte sich der Neffe des Hauses zu ihm, ein Jüngling, der sich mit der Welt nicht mehr vertragen konnte, und die altväterlichen Sitten hier zu finden meinte. Beide sprachen ganz entgegengesetzte Dinge, und glaubten einander doch zu verstehen. Der junge Mensch sah dabei [172] auf ein schönes unbedeutendes Mädchen, das ihn für etwas toll hielt, und seine verschollene Galanterie mit sichtlicher Scheu ablehnte. Rodrich glaubte zuweilen mitten unter einer Sammlung Karikaturen zu stehen, in denen er, bei genauer Betrachtung, bekannte Züge entdeckte, die verworren und schwankend an ihm vorüber fuhren, und ihm irgend einen befreundeten Nahmen, oft seinen eignen, zuriefen. Er war zu stolz und vornehm, um sich hier mitzutheilen, oder das Ganze für etwas anders, als ein flaches Spiel anzusehen. Wenn er indeß über die grotesken Theaterkünste lachte, mit welchen einer den andern zu täuschen suchte, so fühlte er ganz dunkel, daß auch er dabei eine Rolle spiele, und zwar die des untheilnehmenden, kalten Zuschauers, der gleichwohl[173] alle Augenblicke einmal auf die Bühne trat, und Eitelkeit durch Eitelkeit parodirte. Überhaupt begegnete es ihm so oft, gerade das, was ihm bei Andern aus voller Seele zuwider war, in sich selbst wieder zu finden. Er stritt und kämpfte wohl dagegen, aber die nichtswürdigen Regungen waren dennoch da, kamen immer wieder, und behaupteten ihr Recht in tausend verkappten Gestalten, in denen er sie nicht selten hegte und pflegte, bis die Hülle unversehens herabfiel, und die Fratze ihn höhnisch ansah. Oft glaubte er, das müsse alles so seyn, um ihm die Schlechtigkeit menschlicher Natur recht anschaulich zu machen, und ihn mit Kraft und Verachtung dagegen auszurüsten. Er hielt sich wirklich berufen, das goldne Netz zu zerreißen, womit [174] Thorheit und Eitelkeit die Welt umspinnen. Er griff in jedem Augenblick danach, und verwirrte sich unwillkührlich in das glänzende Gewebe. Er fühlte das mit feindlichem Unwillen gegen sich und Andere, und konnte dennoch die fruchtlose Arbeit nicht aufgeben. Umsonst, meinte er, habe ihn der rächende Erzengel nicht so in seiner Kindheit angezogen. Die mahnende Stimme kehre immer wieder, und er müsse das Recht zu Tage fördern. Nur bei Alinen spührte er nichts von ähnlichen Auffoderungen. Hier war ihm von selbst alles ergeben. Warmer, süßer Liebeshauch wehete ihm überall entgegen. Das Anneigen und Erschließen einer schuldlosen Seele, strömte berauschend in die seinige über. Stolz und Ehrgeiz schwiegen zum erstenmal. [175] Alles gefiel ihm, wie es sich eben zeigte, in einfacher Herzlichkeit. Wenn er aus dem überbildeten Kreise in die stille, behagliche Wohnstube trat, wo Mutter und Tochter ihn mit unverstellter Freude empfingen, und ihn alles anlachte, bis auf die zierliche Magd, die dann gern und eilig den Tisch zu Vieren deckte, dann ging sein ganzes Herz auf, er fühlte die Nähe reiner Menschlichkeit, und nichts konnte ihn stören, selbst der einsylbige Geistliche nicht, den doch hin und wieder ein wohlwollender Blick auf Alinen verschönte. Nur Stephano blieb krank und mit sich selbst beschäftigt. Nach mehrern Tagen fand er bei seiner Ankunft das ganze Haus in großer Bewegung. Der Kranke war plötzlich schlimmer geworden, selbst die Ärzte fürchteten für sein Leben. Er lag [176] in heftigen Krämpfen, die er sich durch eine Erkältung zugezogen hatte. Aline weinte aus voller Seele. Sie kannte nichts Schrecklicheres als den Tod, der ihr einst das Liebste auf Erden entriß, jede Hindeutung auf diesen einzigen Schmerz ihres Lebens, bewegte sie auf's gewaltsamste. Rodrich ward sehr erschüttert, als Stephano's heftige Natur in die furchtbarsten Zuckungen ausbrach. Bis nach Mitternacht blieb jeder in banger Ungewißheit. Endlich strömte ihm das Blut aus den Adern, ohne daß man sie geöffnet hätte, und wenig Minuten darauf ward er ruhig und besonnen. Die Ärzte erklärten dies für eine wohlthätige Crisis, und nachdem sie noch einige Mittel verordnet hatten, empfahlen sie den Kranken der Obhut seiner Pfleger, und verließen ihn [177] mit der Versicherung baldiger Genesung. Alles um ihn her athmete jetzt freier, die Mutter konnte ihre Theilnahme nicht rührend genug ausdrücken, Niemand sollte ihn die Nacht über verlassen, sie selbst wollte ihn genau beobachten, und schickte sich an, in einem gemächlichen Sessel an seinem Lager zu wachen. Aline saß müde und erschöpft auf einer kleinen Bank zu ihren Füßen; die Arme über einander geschlagen, senkte sich das zierliche Köpfchen auf die Brust, und schwankte, ohne weiteren Gegenhalt, im Schlafe hin und her. Rodrich betrachtete sie mit unnennbarem Entzücken, und als Stephano und die Mutter endlich auch schliefen, neigte er sich über sie hin, und fragte leise, ob er sie zu einem bequemeren Sitze tragen dürfe. Sie lehnte den Kopf an [178] seine Brust, und sich nach Kinder-Art dehnend, umschlang sie ihn fest mit beiden Armen, indem sie schlaftrunken versicherte, sie sey gar nicht müde. Rodrich fühlte sie an seinem Herzen, ihr erstes unerwartetes Erscheinen trat wieder vor ihn hin. Unbewußt, wie damals, lag sie jetzt in seinen Armen, so ward sie ihm auf's neue wieder gegeben, er zog sie fester an sich, sie war sein, kein lebendes Wesen machte sie ihm streitig, die unsichtbaren Mächte führten sie ihm selbst zu, er hielt sich länger nicht, und hauchte alle Liebe und Sehnsucht auf ihre glühende Lippen. Liebe, liebe Aline, rauschte es an ihr vorüber, sie blickte wie im Traume zu ihm auf, und als er sie noch feuriger küßte, füllten sich ihre Augen mit heiligen, wonnevollen Thränen. [179] Liebst du mich? fragte er schmeichelnd. O, Gott möge es mir verzeihen, sagte sie fromm und wahr, wie du schon lange mein einziger Gedanke bist, und wie ich den guten Benedikt oft darüber vergaß. Sie waren beide an ein Fenster getreten. Die Sterne leuchteten und funkelten in der hellen Nacht, wie tausend geheimnißvolle Blicke. Aline hob betend ihre Hände zu ihnen auf, ihre ganze Seele löste sich in einem wehmüthigen Blicke, mit dem sie, wie bewußtlos über die Erde hinsah, und sich dann schweigend an Rodrichs Busen verbarg. Wie ist dir? fragte dieser, über den Ernst des lieblichen Kindes erstaunt. Ich fühle, sagte sie bewegt, wie ich jetzt von der ganzen Welt scheide, wie alles, alles mit einemmal ganz anders ist. Ich kann dir das [180] nicht so sagen, aber meine liebsten Hoffnungen und Freuden sehen mich jetzt so todt an, wie ehemals das alte zerbrochene Spielzeug am hellen Weihnachtsabend. Ich komme mir ganz seltsam vor, ich möchte immer weinen, mir ist so wohl, und doch so wehmüthig, fast wie am Tage da Benedikt seine segnende Hand auf mich legte, und unter stillem Gebet verschied. Sieh nur, fuhr sie fort, wie die Mutter und alles um uns schläft, wir sind wohl ganz allein auf der weiten Erde! Sie schmiegte sich vertrauend an ihn. Rodrich fühlte mit Entzücken ihr Herz an dem seinigen schlagen. Die schuldlose Liebe brach wie ein Maienglöckchen durch die dunkeln Schatten seiner Seele. Süßer, süßer Engel, rief er, fast eben so weich und gerührt, als Aline, laß nur [181] deine kleine Welt zusammenstürzen, meine Liebe soll dich in den Himmel tragen. Er wußte nicht was er sprach. Sein ganzes voriges Leben stand außer aller Verbindung mit diesem Augenblick. Er glaubte wenigstens sich selbst nicht wieder zu erkennen, und begrüßte diesen neuen heranbrechenden Morgen in Alinens frommen Blicke.

So innig beglückt, in die heitre Stille eines ruhigen, für den Augenblick befriedigten Herzens versenkt, eilte er heut nach seiner Wohnung zurück. Von tausend lieblichen Bildern begleitet, öffnete er eine Seitenthür derselben, die durch eine schmale Gallerie zunächst nach seinem Zimmer führte. Es war noch dunkel, er trat leise und behutsam auf, um niemand im Hause zu stören, und hielt sich von Zeit zu Zeit an die [182] Wand, dem Körper bei den unsichern Tritten das Gleichgewicht zu geben, als plötzlich eine schattenartige Gestalt unter seinen Armen hinschlüpfte. Ohne sonderlichen Schreck faßte er ganz mechanisch nach dem fremden Körper, und trug ihn sicher und geräuschlos zu der brennenden Ampel am Haupteingange. Er mußte laut auflachen, als er in dem kleinen zappelnden, sich sträubenden Wesen, Erwin erkannte, der in einen bräunlichen Mantel gewickelt, vor Angst und Frost zitternd, auf Liebesabentheuer ausging. Ein schwacher Lichtstrahl, der aus Laura's halb geöffneter Thür drang, zeigte Rodrich, in welcher verborgnen Blume der geheimnißreiche Forscher heut das Universum gefunden hatte. Doch konnte er sich eines innern Unwillens nicht enthalten, indem er bemerkte, daß [183] sie beide hier als beglückte Liebende einander gegenüber standen, und daß sein lieblichstes Entzücken, so grob und gemein in dem verzerrten Bilde ausgesprochen sey. Fast war ihm, als treffe er hier im Hause, unaufhörlich auf ein gespenstisches Höhnen seiner innersten Natur. Er ließ den frierenden Nachtwandler gleichgültig fahren, und ging verdrießlich nach sei nem Zimmer.

Die folgenden Tage waren indeß reich an Freuden, die nur Liebe erzeugt und versteht. Das geheimnißreiche Anneigen und Berühren, die flammende Ungeduld, wie das stille Beieinanderseyn, all die Wonne und das innerliche Leben zweier liebeathmender Herzen, wogte in Rodrich auf und ab. Er schmiegte sich hingebend in süße Bande, [184] und schloß die Augen vor dem Gewebe, daß sich immer dichter über ihm zusammenzog. Aline ging ruhig an seiner Hand auf dem blühenden Teppich, der vor ihr ausgebreitet lag. Sie sann und forschte nicht, was die bunte Hülle verbarg. Wie sollte sie die Zukunft bedächtig herauf führen, da die Gegenwart sie wie ein lächelndes Kind aus hellen Augen ansah! Beide begnügten sich lange mit dem flüchtigen, verstohlnen Genuß, den eine beschränkte Lage und wachsende Aufmerksamkeit für die erweiterten Umgebungen ihnen gönnte. Indeß hatte Stephano's wiederkehrende Genesung nach und nach so viele seiner Kameraden zu ihm geführt, und diese wieder so manche von Alinens Verwandten angezogen, daß endlich alles Eigenthümliche des ehemaligen häuslichen [185] Zirkels bis auf die geräuschlose, milde Heiterkeit daraus verbannt war. Fade Scherze und kleinstädtische Prätensionen, rangen hier nicht immer zum zierlichsten mit einander. Manches fiel Rodrich unangenehm auf, was gegen einen natürlichen Takt feiner Sitte stritt. Er war vergebens bemüht, in den allgemeinen Ton einzugehen. Der kleine Vorrath flacher Späße erschöpfte sich um so eher, je sichtlicher das Verlangen darnach bei den Andern hervorleuchtete. Es war ihm unmöglich, sich, wie seine Freunde, in das grob geschürzte Netz roher Koketterie hineinziehen zu lassen. Jeder Aufflug von Gemeinheit, jede Hindeutung dürftigen Herkommens, war ihm eine ärgerliche Störung, und trieb seine Ungeduld oft so weit, daß er im Begriff war, Alinen [186] in seine Arme zu schließen, und mit ihr außerhalb jeder lästigen Schranke zu fliehen. Sie gehörte wirklich keinem bestimmten Kreise an. Ihr eigenthümliches, kindliches Wesen, trieb sie leicht zwischen den hölzernen, dürr ausgesprochnen Gestalten hindurch, zu Rodrichs innerer Flammenwelt, in der sich ihr ganzes Daseyn liebend auslöste. Sie theilte seinen Unmuth, weil er unmittelbar aus den trüben Blicken in ihre offne Seele überging, und bemühete sich, durch zarte Aufmerksamkeit jede aufsteigende üble Laune zu sänftigen. Indeß gelang ihr dies nur halb, und als er einst mehrere Stunden gegen alle äußere Unannehmlichkeiten ankämpfend, vergebens einen flüchtigen Moment zu erhaschen hoffte, in welchem die leidenschaftlichen Gluthen sich [187] auf Alinens rosigen Lippen kühlen sollten, da hielt er sich nicht länger, er entfernte sich einen Augenblick, und schrieb mit klopfendem Herzen folgende Worte, welche er geschickt in Alinens Hände spielte.

»Tadle es nicht, meine Aline, wenn dein sanfter, flehender Blick die inneren Stürme nur noch mehr anregt, wenn ich vergebens ringe, mich in die stillen Fluthen deiner frommen Seele zu tauchen, wenn alles, alles, mein Verlangen glühend hinauf treibt! Ich bebe, wenn du an mir vorüber streifst, meine Arme zucken unwillkührlich, ich widerstehe dem inneren Zuge nicht länger, laß mich, ich bitte dich, laß mich nur einmal wieder, deine süße Nähe berauschend fühlen, laß mich deinen Athem trinken, der wie Himmelsduft um die [188] innern Flammen spielt. Bei Gott, Aline, ich muß dich an meine Brust drücken, oder ich zertrete alle Schranken, die dich und mich fesseln!«

Sie flog mit dem geheimnißreichen Blättchen in ihre Kammer, und kam bald darauf mit verweinten Augen und in sichtlicher Bewegung zurück, indem sie Rodrich ein ähnliches Papier folgenden Inhalts zusteckte.

»Fodre nur, Ungestümer, du wußtest ja wohl, daß ich keinen andern Willen als den deinigen kenne. Gott weiß indeß, ob es so recht ist! Ich habe gebetet, und Benedikt recht aus voller Seele gefragt, aber es blieb alles wie es war. Meine Augen fielen dabei auf die brennenden Zeilen, die mein ganzes Inneres anfachten, dein Nahme [189] tönte laut aus jedem Worte, und ich thue was du willst.

Komm denn diesen Abend gegen 12 Uhr nach der Kapelle, wo wir uns zuerst trafen. Rodrich, ich ahnete es wohl, daß sich alle andere Bande von meiner Seele lösen, und ich allein in deiner Liebe athmen würde. Es ist so gekommen! Mir ist doch recht wehmüthig dabei zu Sinne. Zum erstenmal in meinem Leben thue ich widerstrebend, was ich dennoch so gern thue! Wenn es nur erst Morgen wäre! Angst und Sehnsucht treiben mich wie ein Kind hin und her. Lieber, lieber Rodrich, fühle doch nur, wie unendlich ich dich liebe, und wie alle Unruhe und alles wankende Wollen sich sogleich in deinen Armen tröstend auflösen muß.«

Rodrich übersah den kleinen Streit, [190] der Alinens Gefühle noch höher hinauf trieb, und sie mit unauflöslichen Banden an ihn kettete. Er wußte noch nicht, wie ein weibliches Gemüth die überwundene Scheu, mit der sie gegen ein gänzliches Hingeben ringt, in der festesten, unendlichsten Liebe abzubüßen strebt, und wie viel ein Mann gewinnt, der es bei der Geliebten bis zur Uneinigkeit mit sich selbst gebracht hat. Er dachte und empfand überall nichts als sein nahes Glück. Jede überlegende Absichtlichkeit, war weit von seiner Seele. Im fröhlichsten Taumel rauschte ihm die Zeit bis zur zwölften Stunde hin. Fast zugleich stand er mit Alinen am Eingange der Kapelle. Sie schlüpften beide hinein. Zitternd, ohne ein Wort zu sagen, kniete sie neben ihm auf die Stufen eines kleinen Altars. [191] Die kalten Steine schienen zu ihrem Herzen zu dringen, und es peinlich zusammen zu ziehen. Rodrich küßte sie sanft. Sie weinte an seiner Brust, halb aus Schaam, halb aus Freude. Fürchte nichts, Aline, sagte er beruhigend, die Gräber sind stumme Zeugen, und wir im Schutze frommer Geister. Jesus, rief sie, was war das! – Aline, erwiederte er halb unwillig, mein Herz klopft dem deinigen ungestüm entgegen, sonst hörst du nichts, glaube mir. Nein, nein, sagte sie, es ist gewiß etwas anderes, höre nur. Der Wind rauschte hohl und tief zwischen einigen veralteten Bäumen, die sich vor den Fenstern hin und her neigten, die Zweige warfen bei dem hereinbrechenden Mondenlicht lange Schatten in die Kapelle. Aline sah mit halben Blicken ihr flimmerndes[192] Spiel an den dunkeln Wänden. Ihr war, als bewege sich der frische Epheukranz über dem Grabe ihres Bruders, indem hörten sie jemand husten, und ein schallendes Gelächter flog an ihnen vorüber. Rodrich sprang zur Thür. Ertappt, ertappt, riefen mehrere rohe Stimmen, du willst wohl Geister beschwören, oder giebt es sonst etwas Geheimes hier abzumachen? – Nur heraus damit, jetzt gilt kein Heucheln mehr. Laßt mich, sagte ein Anderer, ich will's ja sagen, plagt mich nur nicht mit eurem Geschrei. Ich habe in dieser Kirche ein Bündelchen Zeug, etwas Geld und eine Uhr in der Nacht versteckt, als wir Verwundete hier hinein gebracht wurden, und konnte immer nicht dazu kommen, es abzuholen, ich wollte jetzt versuchen, ohne viel Geräusch [193] zu der kleinen Thür hinein zu kommen. Das ist gestohlen Gut, riefen auf's neue alle insgesammt, das muß kameradschaftlich getheilt und zusammen verzehrt werden. Der Lärm ward immer größer, zog indeß bald die Wache herbei, die sie schnell aus einander trieb. Lieber sterben, sagte Aline bebend, als hier einen Augenblick länger verweilen. Umsonst versicherte Rodrich, daß nun alles ruhig, und sie vollkommen sicher wären, sie entwand sich seinen Umarmungen, und eilte angstvoll vor ihm her. Er folgte schweigend bis vor des Hauses Thür. Liebe Aline, sagte er jetzt bittend, fodre nicht, daß ich dich in dieser Stimmung verlasse. Du zitterst und weinst, wie könnte ich ohne dich ruhig seyn, lieber Engel, laß mich mit hinein gehen! Aline war so verwirrt, [194] so durch und durch erschüttert, daß sie es still geschehen ließ. Sie traten in die warme, duftende Wohnstube, Rodrich führte sie zu dem kleinen Sitz unter ihren Blumen; nein, rief sie, sich besinnend, hier darfst du nicht bleiben, Stephano schläft ganz nahe. Nun, erwiederte Rodrich, so laß uns hinauf zu deinem Zimmerchen gehen. Da ist wieder die Mutter nicht weit, fiel sie ein. Ach, die schläft wohl, sagte Rodrich, und zog sie sanft zur Thür. Sie blieb einen Augenblick unschlüssig stehen. Rodrich, rief sie weich und hingebend, er schloß sie fest an sich, und trug sie leicht die wenigen Stufen hinauf.

Der Morgen dämmerte schon, als sich Rodrich endlich von Alinens glühendem Herzen riß, und durch die kalten, [195] feuchten Nebel zu seinem einsamen Lager eilen wollte. Ein Blick auf jene üppige, in Liebe und Sehnsucht hinsterbende Gestalt, fesselte ihn noch mehrere Augenblicke. Die großen, blauen Augen, senkten sich keusch und verschämt unter dunkle Wimpern, indeß Mund und Wangen von seinen Küssen glüheten. Einzelne Löckchen quollen aus dem purpurnen Netz hervor, das den reichen Schmuck gefesselt hielt, und schienen mit den zarten Gliedern zu kosen, die durchsichtig und klar im rosigen Hauche der Liebe wogten. Als wage sie nicht, sich zu regen, so lag sie in sich selbst zurück gezogen, unbeweglich, und doch voll innern, unendlichen Lebens vor ihm da. Doch plötzlich sank sie unter einem Strom von Thränen zu seinen Füßen, sich fest an ihn schmiegend, [196] rief sie: nicht wahr, nun verstößt du mich nicht, nun kannst du dich nie wieder von mir losreißen! Aline, Aline, sagte Rodrich bewegt, wenn du nicht willst, daß ich sterben soll, so sieh mich so nicht an! Du fühlst ja wohl, wie ich ewig dein bin! Ihre kleinen Händchen lagen gefaltet in den seinigen; Engel, rief er, sie noch einmal küssend, und flog zur Thür hin aus.

Er konnte sich den ganzen Tag über von dem lieblichen Bilde nicht losmachen, alle seine Sinne nahm es gefangen, und trieb ihn im Zauber der Erinnerung halb träumend umher. Zufällig traf er auf einem einsamen Spazierritt Stephano, der zum erstenmal die frische Luft, mit wieder auflebenden, gesunden Sinnen begrüßte. Sie trabten eine Zeitlang schweigend neben einander [197] her, Rodrich fühlte sich verlegen, gestört, sie waren lange nicht so allein gewesen, wovon sollte er überdies jetzt reden, wenn es nicht das Eine betraf, was seine ganze Seele erfüllte, und wer konnte und durfte hier sein Entzücken theilen! – Daß wir in kurzem Frieden haben, und in Gottes Nahmen zu Hause gehen, weißt du wohl schon, hob endlich Stephano an. Rodrich erinnerte sich davon gehört zu haben. Ja, ja, sagte jener auf's neue, das ist nun auch wieder vorbei! Vorbei? fragte Rodrich, der in diesem Augenblick nicht recht wußte, wohin dies ziele. Nun ja, erwiederte Stephano, wie überhaupt mit aller geträumten Herrlichkeit der Welt! Hm! – sagte Rodrich nachlässig, und schmiegte sich in Gedanken in Alinens Lilienarme, oft ist in den [198] abgefallenen Blüthen ein Saamenkorn verborgen, aus welchem unerwartet ein neues Reis emporschießt. Man muß das kommen lassen, wie es eben will und kann. Stephano betrachtete ihn einen Augenblick, dann sagte er lächelnd, wir haben wohl heute die Rollen vertauscht, du gehst ja recht ergeben und ausgesöhnt, mit dem Schicksale Hand in Hand, ohne daß es, so viel ich weiß, sonderlich viel für dich gethan hätte, denn das Spielchen mit Alinen hält doch wohl nicht über einige Stunden vor? Rodrichs Blut kochte, er hätte den lästigen Spötter zerreißen können, und dennoch verschmähete er es, die innere Wahrheit zur Schau zu tragen. Er starrte unentschlossen in die öde Gegend und konnte kein Wort hervorbringen. Zwar, sagte Stephano, jenen [199] Unwillen wenig beachtend, hat dich das gute, unbedeutende Kind ganz artig unterhalten, und in dieser Zeit ist jede dürftige Freude willkommen, doch verstehe ich deine Ruhe, ja, dein gleichgültiges, abgeschlossenes Wesen immer noch nicht. Du wirst mich nicht überreden wollen, daß ein paar frische Lippen so große Weltansichten, so vollwichtige Plane weghauchen könnten. Vollwichtige Plane? wiederholte Rodrich, der in Stephano's Annäherung irgend eine Absichtlichkeit vermuthete, ich möchte wissen, wie mein unzusammenhängendes Dasein solche gestattete! Schlage doch, ich bitte dich, einige elektrische Blitze, die ein unerwarteter Stoß von außen hin und her erzeugt, so hoch nicht an. Wer nicht wenigstens die Richtung des Hafens kennt, der treibt Zeitlebens auf[200] offener See umher. Mir ist der große Anlauf der mehrsten Jünglinge schon tausendmal sehr lächerlich vor gekommen. Meine eignen hohen Weltansichten haben mich lästerlich gefoppt. Manches trat freilich im großen Stil, auf dem Cothurn zu mir hin, allein ich sah die Maske immer noch fallen, und das Pygmäengeschlecht blieb was es war. So, – sagte Stephano, und klopfte seinem Pferde gleichgültig den Hals. Ja, sage mir, fiel Rodrich immer heftiger ein, fandest du nicht in allem, was sich so groß ankündigte, Verworrenheit der Begriffe, geschraubtes, vornehmes Wesen, höchstens gutmüthige Selbsttäuschung, und nirgend herzliches, ehrliches Wollen, wie es ein gesunder Sinn fodert? Dies bewußtlose, tiefe Gefühl, was vor sich selber so gar [201] nichts seyn will, und überall den Ton anschlägt, den es treffen muß; wo, ich bitte dich, wo fandest du dies, wo den kindlichen Menschen, den nicht irgend ein Schulsystem, oder flache Verstandes-Konsequenz zu seinem eignen Narren machte. Warum, sagte Stephano kalt, bliebst du nicht in der Kinderstube, wenn du mit Kindern leben wolltest? O, täusche dich nicht, unterbrach ihn Rodrich schnell, als wenn du überall bei Kindern den kindlichen Sinn fändest. Das, was ich so nenne, das rein Menschliche, die Empfindung, die mit unnachahmlicher Anmuth, Wort, That und Geberde wird, kurz, dies freie, kunstlose Bewegen von Innen nach Außen, dies offenbart sich in sehr wenigen Gemüthern, und wo es ist, da behauptet es sich auch durch ein ganzes [202] Leben, es widersteht den Formen, und gehört eben darum keinem Zeitmomente an. Der stille Bach, sagte Stephano, der flach und spielend über weißen Sand rinnt, ergötzt freilich dann und wann unser Auge. Du stehst davor, und vergißt das tiefe, gewaltige Meer, mit seinen Brandungen und schäumenden Wogen. Nun, es wird auch wieder anders werden, wie so vieles im Laufe deiner Gefühle und Ansichten. Rodrich unterdrückte unwillig die beschämende Wahrheit dieser Worte, in der inneren Verlegenheit riß er heftig an einem überhangenden Ulmenzweig, unter welchem er eben hinritt. Bei der schnellen Bewegung streifte sich Miranda's Ring vom Finger, und rollte weit hin auf den trocknen Boden. Ehe ihn seine Blicke noch trafen, hatte [203] ihn Stephano mit vieler Gewandheit auf die Spitze des Degens aufgefangen, indem er lachend sagte: ist das auch so ein verschollnes Andenken, das sich fliehend noch einmal meldet? Rodrich war, als führe eine eiskalte Hand über sein Herz, er hatte nicht den Muth, irgend einen Gedanken festzuhalten. Mit sichtlicher Verwirrung nahm er den Ring, und ließ ihn gedankenlos zwischen seinen Fingern spielen. Du siehst ja heute gewaltig schwerfällig in den unbedeutendsten Scherz, sagte Stephano nach einer Weile. Ich merke wohl, wo das hinaus will. Die Welt ging an dir, wie die Bilder eines optischen Kastens vorüber, du stehst am Ende, wie zu Anfang, in der engen, dunkeln Stube, und läßest die übersättigten Blicke auf alltäglichen Umgebungen ausruhen; [204] nun Gott befohlen, über kurz oder lang, fährst du wohl einmal wieder wie die Flamme durch das niedre Dach, und kämpfst mit den Elementen. Für jetzt laß dir wohl seyn. Mit diesen Worten wandte er sein Pferd, und ritt einen andern Weg. Lächerlich, sagte Rodrich, halb trotzig halb verlegen, steckte den Ring an den Finger und eilte bei Alinen jede lästige Störung zu vergessen. Das holde Kind empfing ihn mit einer wehmüthigen Innigkeit, die sein ganzes Wesen durchdrang. Er hatte nie etwas Reizenderes gesehen, als jenen Streit zarter Schaam und wachsender Zärtlichkeit, in welchem sie sichtlich gefangen war. In heiliger, hingebender Selbstverläugnung, ruheten ihre Blicke auf den seinen, einzelne Thränen rannen ihr selbst unbewußt, über [205] die frischen Wangen, ihre Stimme zerrann fast in leisen Bebungen, die wie abgerißne Töne einer Harfe die innern Akkorde bewegter Natur offenbaren.

Der Geistliche war indeß bei seinem Eintritt zum erstenmale mürrisch an ihm vorüber gegangen, und hatte die Mutter in einer ähnlichen Stimmung zurück gelassen. Es ist Friede, sagte diese endlich, ihr augenblickliches Schweigen mit losbrechender Redseligkeit ersetzend; nun, lieber Gott! ich freue mich gewiß von ganzer Seele darüber, aber sagen werde ich doch wohl dürfen, daß es nun recht todt und weitläuftig in unserem Häuschen seyn wird, und daß wir uns alle ungern von so lieben Gästen trennen. Was liegt denn darin Gottloses und Sündliches? Meine Klagen werden überdies nichts ändern, [206] und was man einmal recht aus Herzensgrunde fühlt, das kann man auch ohne Schaam vor aller Welt bekennen. Und, lieber Gott, jeder hat seine Weise, muß man denn gleich in so anzüglichen Worten die Meinung Andrer bestreiten. Ich will wahrhaftig nicht Hader und Zwietracht unter die Menschen säen, und wie der Bruder meint, thörichte Wünsche durch das allgemeine Verderben befriedigen. Ich bin nicht hoffärtig und stolz, ich wirthschafte in De- und Wehmuth, und halte das bischen Armuth zusammen, aber ich will andre Gesichter sehen, und andre Begebenheiten erleben, als die ich nun seit drei Jahren, Tag ein, Tag aus in den trübseligen Legenden und Märtyrergeschichten zu Gesicht bekomme. So manchmal ist die Selbstverläugnung und Ergebung[207] der heiligen Männer wohl recht tröstlich, und man sieht und fühlt, wie alles Irdische weicht, aber die Welt ist doch kein offnes Grab, und das blühende Kind da, soll mir doch nicht immer wie in ein Leichentuch gehüllt erscheinen. Er hat gut reden, er steht allein, von ihm geht kein neues Leben aus, wie er altert und welkt, so erbleicht auch alles um ihn her, ihn zieht nichts in die frische Jugend zurück. Im Grunde ist er zu bedauern, solch ein Mann, der niemals liebte, wird am Ende so schroff, allen Weltfreuden abgestorben, daß man sich nicht mehr eines gesunden Appetits und Schlafs von ihm erfreuen darf. Hier trat der Bruder unvermuthet herein, und der breite Strom der Rede stockte plötzlich. Aline, hob er nach einer Weile an, stelle nur [208] die nächtlichen Wanderungen zur Kapelle ein, Menschen oder Geister duldeten es so wohl nicht, du mußtest wahrscheinlich entfliehen, denn ich fand am Eingange dies Kettchen mit Benedikts Locke, und die Perlenschnur aus deinem Haar, so etwas giebt ärgerliche Gerüchte. Aline nahm zitternd die zerbrochene Kristal-Kapsel aus seiner Hand, während die Mutter mit unsichrer Stimme sagte: nun, Beten ist doch keine Sünde? Wenn es aus reinem Herzen zu Gott und seinen Heiligen dringt, erwiederte der Geistliche, sicher nicht, wenn aber irdische Wünsche die Gott geweihete Stätte beflecken, dann ist es dem Herrn ein Gräuel. Ich bitte dich, Aline, flüsterte Rodrich dem weinenden Mädchen zu, fasse dich doch jetzt nur, und suche den keimenden Argwohn [209] durch ein ruhiges Betragen zu ersticken. Warum? sagte sie matt und ergeben, Gott und Benedikt kennen mein Unrecht, mögen es die Menschen denn auch wissen. Ach, Mutter, Mutter! rief sie aus gepreßter Brust, ich bin sehr unglücklich! Der Geistliche trat gerührt zu ihr hin, legte die Hand auf ihre Stirn, und sagte, Gott giebt uns allen Frieden. In dem reinen Herzen der Mutter stieg eine trübe Ahnung aus, sie blickte fragend umher, aller Augen senkten sich, Rodrich strebte vergebens untheilnehmend und ruhig zu erscheinen, er fiel auf's neue aus allen seinen Himmeln, in die fest gestaltete, nothwendige Ordnung der Dinge, die ihn mit allen Quaalen peinigender Gegenwart gefangen hielt. Zagend stand er neben Alinen, deren trübes Auge schmerzlich aus [210] den alten geliebten Umgebungen ruhete, als sagten sie ihr, nun werden unzählige Thränen hier fließen, und wir alle werden unbeachtet vergehen. Er fühlte, daß ein Wort die inneren Zweifel lösen, und Glück und Ruhe verbreiten könne, aber dies eine Wort drang nicht über die widerstrebenden Lippen. Indem trat Stephano herein, mehrere Briefe in der Hand haltend, von welchen er Rodrich zwei gab, und sich dann, die übrigen zu lesen, in eine Ecke des Zimmers niederließ. Rodrich erkannte sogleich Florio's Hand, er öffnete schnell das Siegel, und las, um sich selbst allen zweifelhaften Regungen zu entziehen, begierig folgende Worte:

»Der Tod, lieber Rodrich, ist nun wirklich an uns vorüber gegangen, und hat Rosalien entführt. Seitdem ist mir [211] unaufhörlich, als schritte er auf mich zu, und spottete meiner Wünsche und Hoffnungen. Alles um mich her erscheint mir so schattenartig und vergänglich, und was ich sage und thue, es gemahnt mich wie ein Spiel. Der rechte Ernst lauert doch nur im Hinterhalte, und macht zuletzt allen Träumen ein Ende. Dies ist gewiß nicht die rechte Ansicht des Lebens. Der gesunde Sinn greift frisch in die Kette ein, und fühlt, daß sie sich ewig ununterbrochen fortschlingt. Ich muß auch wohl krank seyn, denn niemand außer mir ist so ergriffen, selbst Ludowiko kehrte vor einigen Tagen ruhig, ja erleichtert zu den Seinigen zurück. Es war, als habe er dem Schmerz, wie allen innigern Gefühlen einen gewissen Tribut zollen müssen, dessen letzter Rest mit Rosaliens [212] Leib in die kalte Erde verschüttet ward. Ach, Rodrich! Rodrich! ich würde glauben, die meisten Menschen seien leblose Instrumente, über welche die Hand des Schicksals hinfährt, und ihnen von Zeit zu Zeit einen Ton entlockt, der eine Weile fortrauscht, und dann in das innere Nichts verhallt, aber sind wir denn anders? und wühlt die Welt nicht mit tausend Händen in den Saiten unsers Herzens, und schlägt eine nach der andern an, ohne daß wir es selbst ahnen? Sonderbar war es, daß Rosalie ganz verständig unter höchst einfachen, ja ich möchte sagen, kalten Betrachtungen verschied. Ludowiko's Bild schien immer mehr von ihr zu weichen, sie nannte ihn wenig, und gab sich mit sichtlichem Behagen der wiederkehrenden Stille ihres Gemüthes hin. Der Gelehrte, [213] der vor einigen Tagen bei Seraphinen war, meinte: Rosalie sey ihm unendlich heftig, aber nicht gefühlvoll erschienen. Dieser Mangel an Tiefe, und eine große Phantasielosigkeit habe so lange mit dem Streben, sich einen höhern, ungewöhnlichen Schwung zu geben, gerungen, bis sie dies über sich selbst hinaus, zwischen frostigen Verzerrungen, zum Wahnsinne hingetrieben habe. Nichts, setzte er hinzu, ist so gefährlich, als wenn der blos reizbare, wenig schöpferische Sinn, äußere Bilder für die seinigen aufnimmt, und sich aus die Art in eine ganz fremde Welt verirrt. Ludowiko, sagte er, sey vollends ein kalter Geck, der sich in jeder Kappe gefalle. Dies letzte that mir wehe. Ich hatte ihn doch so wahr und innig gesehen, seine Thränen waren in mein [214] Herz gefallen, so bemächtigt sich der bloße Schein nicht der Seele eines Andern. Es mag wohl seyn, daß man Erscheinungen und Motife richtig aufstellen, und Eines durch das Andere entwickeln könne, allein im Menschen ist noch vieles, was sich so nicht auffassen läßt, und was gleichwohl alles verändert. Man sage immer, die Liebe sey blind, ich glaube es nicht. Sie bindet nur das Einzelne zum Ganzen, und füllt die Lücken, die der Verstand mühsam gräbt. Daher spreche ich auch lieber mit Seraphinen über die letzten Vorfälle. Die Frauen sind milder, bei ihnen herrscht das Gefühl, und wenn sie auch oft ohne Grund lieben und hassen, so wird ihnen doch der Mensch nie zu einem bloßen Rechenexempel, das sich nach gewissen Regeln auflösen [215] läßt. Ich dachte jetzt recht ungestört in dieser Einsamkeit deine Rückkehr zu erwarten, allein es hat sich auf's neue alles geändert. Vor einigen Tagen trat der Ritter ganz unerwartet mit einer hübschen jungen Frau bei uns ein. Rosaliens Tod war ihm noch fremd, er glaubte, sie durch die glückliche Wendung seines Schicksals freudig zu überraschen, und eine milde Freundin in ihr zu gewinnen. Es war uns unendlich peinlich, ihn in diesem Irrthum zu wissen. Der Gräfin gebrach es fast an Muth, ihm die Wahrheit zu gestehen. Das Lächeln eines Menschen, dem der ungekannte Schmerz so nahe steht, hat etwas überaus Rührendes. Indeß entging ihm unsere Verlegenheit nicht, und er drang uns bald das Geständniß seines Unglücks [216] ab. Du kannst denken, wie sehr es ihn erschütterte. Doch gelang es der schönen, blühenden Gattin, ihn nach und nach zu beruhigen. Jetzt weint er wohl noch an Rosaliens Grabe, und bringt manche Stunde dort zu, allein er willigt dennoch ein, in wenigen Tagen nach der Stadt zu gehen, wohin Seraphine ihm folgt. Diese findet Geschmack an ihrer jungen Nichte, und freut sich, durch irgend ein Familienband auf's neue an die Welt geknüpft zu seyn. Ich sollte sie begleiten, Alexis drang deshalb in mich, er ist liebenswerth und offen, und erwiederte meine Theilnahme mit der kindlichsten Innigkeit, allein ich fühle mich doch losgerissen in diesem geschloßnen Kreise. Halte mich nicht für eitel und anmaßend, wenn ich dir gestehe, daß mir [217] dies freundliche Dulden, die ehrenwerthe Anhänglichkeit gutmüthiger Menschen, nicht genügt, daß ich es schmerzlich fühle, für niemand eigentlicher Zweck des Lebens zu seyn, daß alles ohne mich gerade eben so ist und fortgeht, ich nur neben, nicht mit meinen Freunden lebe, ach, und daß keiner ahnet, oder ahnen will, welche eine Welt voll Liebe ich in meinem Herzen trage. Ich bleibe allen fremd, auch dir, Rodrich, glaube nicht, ich wolle dir einen Vorwurf machen, du kannst nicht anders, daher kehre ich auch in meine Berge zurück, da leben die frommen Eltern und alle freudigen Erinnerungen der Kindheit. Vielleicht suchst du mich dort auf, wenn dir alles einmal mißlingt, und die Welt dir keinen Ersatz bietet.«

Rodrich mochte nicht lange bei den [218] wehmüthigen Klagen seines Freundes verweilen. Er scheuete in diesem Augenblick jede tiefere Rührung, und eilte daher zu dem andern Briefe, dessen Ausschrift ihn lebhaft an das geheimnißvolle Billet nach dem Maskenballe erinnerte. Allein, wie erstaunte er, als er Viormona's Unterschrift entdeckte, und Blick und Mienen ihm sogleich aus den ersten Worten entgegen blitzten. Der Karnaval, schrieb sie, ist vorüber, eine Larve nach der andern fällt, so mögen Sie mich denn in diesen Zügen immerhin erkennen. Es war ein Augenblick, in welchem wir uns verstanden. Sie fühlten meine Schmach, und der Flug unserer Gedanken berührte sich. Damals erkannte ich in dem großherzigen Jüngling nur das Mittel, meine Pläne durchzusetzen, ich [219] mußte Ihnen noch unbekannt bleiben. Jetzt ist es bei weitem anders. Ihr beschimpftes, bis auf den Schein vernichtetes Daseyn wird Zweck meines Lebens. Könnte ich doch in ein Wort alles zusammendrängen, was mich seit zwölf Stunden unaufhörlich mit Abscheu, Lust, Rache, ja, mit allen gewaltigen Leidenschaften erfüllt, aber ich darf nicht. Fliegen Sie zu mir, die Brieftasche des Kardinals ist in meinen Händen, ohne daß er sie vermißt. Rodrich, ich kann so nicht schließen, was sind alle abgemessene Regeln der Klugheit, gegen die tosende Flut eines überwallenden Herzens. Nun denn, mein Unglücksgefährte, ich grüße in Ihnen den Neffen des Herzogs. Um Gotteswillen, bezähmen Sie die losbrechenden Flammen, Sie brauchen Besonnenheit, [220] die Gewalt ist in den Händen Ihrer Feinde, List und Gewandheit können es allein rächen, daß man Sie über zwanzig Jahr um den stolzen Genuß hoher Geburt betrog, und den Zweig königlichen Stammes in die Gemeinheit niederer Naturen verstieß.

Rodrich schlug hier zähneknirschend den Brief zusammen. Aline fuhr in die Höhe, er bemerkte erst jetzt, daß sie weinend zu seinen Füßen lag, und niemand als sie im Zimmer war. Armes, armes Kind, rief er bewegt. Ja wohl, sagte sie, die Mutter wird nun alles erfahren, sie ist bei dem Onkel, der uns zuverlässig in der Nacht gesehen hat. Laß nur, erwiederte Rodrich gedankenlos, es kann ja noch alles gut werden! Ja? fragte sie halb getröstet, und drückte seine Hand an ihr Herz, [221] ach, mein lieber, lieber Rodrich, könntest du die Angst fühlen, die mich – ich fühle sie, Aline, unterbrach er sie heftig, ich fühle sie, daher laß mich fort, ich könnte mich sonst in Gegenwart deiner Familie verrathen. Er reichte ihr flüchtig die Hand, und eilte, ohne ihre Antwort abzuwarten, zur Thür. So willst du gehen? fragte Aline betroffen. – Lebe wohl, Engel, rief er schnell, ich höre draußen Jemand. – Ach Gott! sagte sie, und wandte sich langsam von ihm ab. Er stürzte fort, ohne noch zu wissen, was er eigentlich wollte und durfte. Es kochte und wüthete in seiner Brust. Alles was er je erlebte, träumte und fühlte, ging verwirrend an ihm vorüber. Nur vorwärts, vorwärts, sagte er halb laut, es muß jetzt alles klar werden. Er[222] beschloß, noch in dieser Nacht zu reisen, und da der Friede unterzeichnet war, so hielt es weiter nicht schwer, Urlaub nach der Hauptstadt zu bekommen. Als er deshalb von dem General zurückkehrte, fand er Stephano auf einem freien Platz der Stadt gedankenvoll auf und niedergehen. Er wollte ihn Anfangs nicht bemerken, indeß sein Blick, in welchem eine Thräne glänzte, traf ihn, und er rief unwillkührlich, ist dir etwas begegnet? Nein, es ist alles schön und gut, sagte Stephano, halb bitter halb ergeben, uns erwarten Friedensfeste und Hochzeitfeiern. – Hochzeitfeiern? wiederholte Rodrich. Ja, ja, was denkst du denn, erwiederte jener, soll der Herzog etwa den Staat noch länger ohne Erben lassen? Miranda's schöne Hand wird ihn beglücken. Der [223] Kardinal betreibt es recht angelegentlich, und es kann ja auch nicht fehlen, wer wird ein Herzogthum ausschlagen? Du träumst, sagte Rodrich halb sinnlos, drückte den Hut in die Stirn, und eilte in seine Wohnung. Mehrere Stunden saß er hier ohne einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Die innere Angst stieg fast in jedem Augenblick. Die Zeit ist gekommen, rief er endlich voll Grimm, bei Gott und allen Heiligen, er soll mir Rechenschaft geben. –

Er rief seine Leute, sie mußten schnell das Gepäck ordnen, und er ging, seinem Wirthe einen flüchtigen Besuch zu machen, um bei den Alltagsgesichtern Gleichmuth für die letzten Augenblicke zu gewinnen. Mitternacht kam indeß heran. In einer Stunde wollte er reisen. [224] Sein Herz klopfte bang, er öffnete das Fenster, überall war es still. Ob Aline wohl schläft! dachte er mit wehmüthiger Rührung. Die Kirche neben ihrer Wohnung ragte so fest und ernst über die übrigen Gebäude hervor, ihm war, als bewegten sich die langen Fenster der Kapelle, und Aline breite ihm flehend die weißen Arme entgegen. Unglückseliger, rief er, ist denn nun alles, alles vorbei! soll die unschuldige, hingebende Liebe nie wieder dies Herz berühren, und ist nicht vielleicht hier und dort alles verloren? Rodrich, sagte eine weiche Stimme, du entgehst mir nicht, glaube mir, ich weiß, du willst dich von mir losreißen, er blickte erschrocken auf, Aline stand bleich wie ein Geist hinter ihm. Du hier? sagte er sich fassend. Ich bitte dich, fuhr sie fort, [225] laß uns jetzt nicht untersuchen, ob ich zu viel wage, jede ruhige Überlegung gehörte einer frühern Zeit an, ich komme blos, dich zu fragen, wie du es über dich gewinnen konntest, mich heimlich zu verlassen? Rodrich, wolltest du mich schonen oder übersahest du mich ganz? Liebe Aline! – sagte er ausweichend. O, um alles, unterbrach sie ihn, nur jetzt keine Ausflüchte, schäme dich nicht zu sagen was du fühltest, ich bin dir nichts, Rodrich, gar nichts, ich empfand das diesen Nachmittag, du sahst meine Todesangst, ein einziges Wort hätte mich in den Himmel gehoben, du hast es nicht ausgesprochen. – Ich glaube es gern, daß ich nur eine unbedeutende Erscheinung deines Lebens seyn konnte, aber warum stehst du an, mich ganz zu vernichten? Glaubst du, [226] es sey besser, mir ein dumpfes, ödes Daseyn zu lassen, das Niemand beglücken kann? Friede und Vertrauen sind aus unserm Häuschen geflohen, die Mutter hat zum erstenmal in die Welt gesehen, ihr frommer Blick kehrt scheu und getrübt in sich zurück, ich bin alt geworden, lieber Rodrich, die Jugend, ja, die Welt stürzte mir in einem Augenblicke zusammen, habe Erbarmen, rief sie mit einem zerreißenden Ton, indem sie vor ihm niedersank, nimm mir dies quaalvolle Leben. Hier klopfte es leise an die Thür. Verzeihen Sie, sagte Beate im Hereintreten, fuhr aber, als sie Alinen bemerkte, laut schreiend zurück. Bleiben Sie, sagte Rodrich, mit Blick und Stimme, die ihr fast jede weitere Bewegung unmöglich machte; was führt Sie hierher? fuhr er fort. [227] Diese Bücher, sagte sie gefaßter, ihm mehrere überreichend, die ich unter den meinigen fand, und die ich über ihre plötzliche Abreise beinahe vergessen hätte. Nun, erwiederte Rodrich, dasselbe Geschäft führte die gütige Aline hierher. Ich zweifle doch, fiel Beate vornehm und beleidigt ein, daß wir einander auf gleichen Wegen treffen können. Sie neigte sich spöttisch und ging. Ich danke dir, Lieber, sagte Aline, du wolltest mich vor den Menschen retten, aber das ist nun doch alles vorbei. Meine liebe, liebe Aline! rief er auf's höchste gerührt, sieh nicht so verzweifelnd in die Zukunft, glaube nur, ich kann nicht anders, mein verworrenes Schicksal umstrickt mich mit tausend Schlingen, und ich darf sie nicht so zerreißen, wie ich wohl möchte, ohne alles mit mir [228] in den Abgrund zu ziehen. Ich tadle dich auch nicht, sagte sie ruhiger, es war wohl unrecht, so klagend und wimmernd vor dir zu erscheinen, gewiß, ich will dich nicht quälen, aber könntest du – sie stand einen Augenblick schweigend vor ihm da. Was foderst du, meine Aline? fragte Rodrich; nichts, rief sie unter heißen Thränen, ach, du kannst mir nichts, selbst den Tod nicht geben! – Lebe wohl, sieh, ich kam – ach mein unaussprechlich geliebter Rodrich, stammelte sie und sank ohnmächtig in seine Arme. Er trug sie leise in Laura's Zimmer. Sorgen sie für die Unglückliche, rief er der erschrockenen Frau entgegen. Sie sind Mutter, in Ihrer Brust lebt ein menschliches Gefühl, dulden Sie nicht, daß man den Engel beleidige, ich warne sie, sie [229] und Erwin sind in meinen Händen. Er drückte einen Kuß auf Alinens Stirn, und flog zum Hause hinaus.

Ohne Aufenthalt und Ruhe eilte er nun der Hauptstadt entgegen. Alle Herrlichkeiten des erwachenden Frühlings, die lachendsten Gegenden, nichts konnte ihn aus sich selbst herausziehen. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um einen Punkt, ohne ihn gleichwohl zu erfassen. So in sich versenkt, dumpf und befangen kam er an das Thor. Hier spannten sich alle seine Gefühle zur höchsten Erwartung. Er glaubte, sein Anblick müsse die Menschen ungewöhnlich erschüttern, und jedes Auge an dem seinen entzünden. Statt dessen ging alles den gewohnten Gang. Niemand, außer der Schildwache am Thore bemerkte ihn. In thatenloser Geschäftigkeit [230] eilte Jung und Alt an ihm vorüber. Ein Jeder hatte sein kurzes Ziel vor Augen, und kümmerte sich wenig um die ausgedehntern Plane Anderer.

Ich werde euch nicht lange fremd bleiben, dachte er, und eilte zu Viormona. Schon hier? rief diese, nun, ich konnte es denken. Ihr guter Engel führte sie im rechten Augenblicke hieher. Das Schicksal hat vorgearbeitet. Der Herzog ist weich und erschüttert wie ein Kind. Sie wissen vielleicht, daß er Miranda mit seiner Hand beglücken wollte. Vor einigen Tagen ist diese mit ihrer Mutter und Elwire in ein fernes Kloster geflohen, und droht den Schleier zu nehmen. Den Schleier? – unterbrach sie Rodrich. Nun, lassen wir sie, fiel sie ungeduldig ein, sie paßte ohnehin nicht hieher. Wichtiger ist, daß [231] der Herzog in seinen gescheiterten Hoffnungen eine Strafe des Himmels sieht, und sie um so leichter Eingang finden werden. Wollen sie sich mit langsamen Gifte nähren, fuhr sie fort, einige Papiere aus einem Kästchen langend, oder soll ich – doch besser, sie lesen selbst. Nehmen sie zuerst diesen angefangenen Brief des Kardinals, dem er wohl noch mehreres hinzufügen wollte.

Rodrich las mit flammenden Blicken.

»Ihre früheren Vermuthungen sind eingetroffen. Der Knabe lebt, und tritt jetzt sehr unberufen als Mann in meinen Weg. Der dumpfe Trotz, mit dem er sich einst Ihren Händen entwand, hat sich zur frechen Verachtung aller gesetzlichen Ordnung und hergebrachten Weise entwickelt. Er ist zu klug, um [232] genügsam zu seyn, und wird eben deshalb furchtbar. Zum Glück besitzt er noch etwas von jener schwankenden Reizbarkeit, die man Herz und Gemüth nennt, und die uns kältern Naturen die Welt unterwirft. Sonst ist er stolz, es regt sich so etwas von Herrschersinn in ihm, er könnte vielleicht an der Hand eines Gewaltigen höhern Stufen entgegen reifen, allein er muß in die Dunkelheit zurück. Sie wissen, wie ich bemüht war, jede Spur eines beschämenden Ereignisses zu verwischen, und den Hohn der Kirche im eignen Blute zu rächen. Das Daseyn des Knaben wandte sich indeß wie ein Dolch gegen die eigne Brust. Ich war nicht ruhig, seit er ihnen entwich. Sie erinnern sich des Fehlgriffes mit dem Sänger, ich forschte vergebens. Ganz unerwartet[233] fand ich endlich hier, was ich suchte. Die abentheuerliche Erscheinung eines jungen Mannes, der unter dem Schutze des alten Alwarez, plötzlich Offizier wird, bei dessen Anblick der Herzog ohnmächtig niedersinkt, der durch ein gebieterisches, vornehmes Wesen jede Nachfrage zurück drängt, und so alles, bis auf die Neugier der Menschen unterjocht, mußte nothwendig tausend Muthmaßungen erregen, mit denen man mich sogleich bei meiner Ankunft bekannt machte. Ich ward begierig, mehr zu erfahren. In einer Abendversammlung trat er vor mich hin. Ich glaubte, fünf und zwanzig Jahr jünger zu seyn, und den Bruder des Herzogs zu sehen. Nur in Vater und Sohn kann sich die Natur so wiederholen. Derselbe Blick, Mienen und Gebehrden. Ich konnte [234] nicht länger zweifeln. Dazu kam die enge Verbindung mit dem Grafen, der augenscheinlich mehr von seinem Schicksale weiß. Ich setzte alles in Bewegung, um der Sache auf den Grund zu kommen, und erfuhr, daß er in einem Gasthofe, mehreren jungen Leuten seine Geschichte nach Jugend-Art laut genug mitgetheilt hatte, um den Wirth mit einigen Zügen derselben bekannt zu machen, die mir weiter keinen Zweifel übrig lassen. Die Erinnerung des Mantels lebt noch frisch in seiner Seele, und er würde sicher nicht anstehen, ihn von den Schultern seines herzoglichen Oheims zu reißen, wenn er eine Ahnung der Wahrheit hätte. Dies ist hinreichend, um ihn bald wieder in Ihre Hände zu liefern. Vorerst habe ich ihn ruhig in den Krieg ziehen lassen, [235] vielleicht gebietet das Schicksal ohne meine Hülfe über ihn. Seine Entfernung thut dem Herzoge wohl. Dieser schwache Mensch sitzt ohnehin unsicher auf dem fremden Thron. Ich kam, um ihm eine schickliche Haltung zu geben. Es wird mir gelingen. Seine Feinde sind nicht gefährlich, Trägheit und Furcht augenblicklicher Störung halten die meisten Menschen in der mißlichsten Lage gefangen. Ein rachsüchtiges, eitles Weib steht an ihrer Spitze. Sie ist in meinen Schlingen, indem ich ihr glauben ließ, sie könne mich als Mittel ihrer Plane gebrauchen. Der Herzog soll sich vermählen. Der Bastard darf ihm nicht in der Regierung folgen, aus diesem könnte etwas werden, wenn er nicht alles seyn wollte. Leben sie wohl. Vielleicht sende ich [236] ihnen bald ihren Flüchtling zurück. Entgehen wird er uns schwerlich. Sind sie gewiß, daß der andere Knabe in Martins Hütte starb?«

Rodrich wollte hier losbrechen. Halten sie sich noch einige Augenblicke, sagte Viormona, ihm das Blatt entwindend, lesen sie erst diesen zweiten Brief des Herzogs an den Kardinal, der hebt die Decke, und läßt in ein weites Feld menschlicher Verirrungen sehen.

Er gehorchte, ohne sich irgend einer deutlichen Vorstellung bewußt zu seyn, und las Folgendes:

»Sie haben von jeher meinen Willen gelenkt, und in unsichern Augenblicken meinem Gefühl die Richtung gegeben, die Sie nothwendig hielten. Ich kenne ihre Gewalt, und flüchte zu [237] ihr, jetzt, da alle Wunden auf's neue aufspringen, und die alten Quaalen mich foltern. Reue, sagt man, sey ohnmächtiges Wollen. Es kann wahr seyn, allein die Menschen haben das so auf Treu und Glauben angenommen, weil jeder Rückblick Anstrengung kostet, und der Wille lieber erzeugt als herstellt. Ich möchte gern nicht bereuen, aber wenn nun die Wahrheit so vor mich hintritt, und mich mit ihrer zermalmenden Gewalt anfaßt, daß ich schreien möchte, wie kann ich ihr, wie kann ich mir selber entfliehen? – In solchen Augenblicken verliere ich auch den Glauben an Ihre Unfehlbarkeit, und das ist von allem das Schrecklichste. Warum ließen sie mich, meiner frühern Bestimmung gemäß, nicht in einem Kloster still und unbeachtet [238] verblühen? Ich brauchte es, so ein scharf ausgesprochenes, dürres Ziel vor mir zu sehen. Die Mauer wäre meinen schwankenden Vorstellungen eine selige Gränze geblieben. Hätten sie sich wirklich in mir geirrt? Ich glaube es nicht. Rache war es gegen meinen Vater, der einst im tollen Übermuthe einige Klosterfrauen entführte, die Sakramente verspottete, und das Hochamt entweihen half. Darum überredeten sie ihn, ein zweiter Abraham, seinen Liebling zu opfern, darum schürten sie die dürftige Flamme in mir an, damit ich den ernsten Bruder überstrahlen und die Welt glauben machen sollte, ich gehöre ihr an. Mußte das ganze Erdenglück eines Menschen in meinen Händen zerbrechen, damit ich ungenießend darbe? Mich knüpfte kein Band [239] an die Menschen, nüchtern und leer blickte ich auf ihr buntes Treiben. Ja meiner Brust lag die Welt unberührt und todt, und dennoch, dennoch konnte ich den Bruder opfern. Nehmen sie mir die Erinnerung jenes Augenblickes, in welchem er mir zuerst sein großes Herz eröffnete. Mit glühenden Blicken bekannte er mir seine Liebe zu Mathilden, beschwor mich, alles zu nehmen, und ihm nur so viel zu lassen, daß er still an ihrer Seite leben könne, seine Brust schlug zum erstenmal an der meinigen, ja, er sank zu meinen Füßen, und ich verrieth ihn, zwang beide, schimpflich zu fliehen, und ihr Glück und ihre Schande in der Dunkelheit zu verbergen. Und als nun ihr spähender Blick sie auch hier entdeckte, die schöne Mathilde starb, mein Bruder[240] auf's neue verschwand, und seine unglücklichen Kinder in niedrer Vergessenheit verschmachteten, da schwieg ich, da bewahrte ich das tiefe Geheimniß, da vermochten feige Rücksichten mehr als die heiligste Liebe. Sagen sie mir, ich beschwöre sie, daß ich ein kindischer Thor sey, schleudern sie alle Blitze ihres Zornes auf mich nieder, zertreten, zermalmen sie mich, damit ich wieder in der alten Demuth an sie glauben lerne, und ruhig werde. So kann ich es nicht seyn, meine kurzsichtigen Blicke verwirren sich in dem Erfolge jener Thaten. Es ist nirgend ein Punkt, wo sie freudig ruhen könnten, nichts, was die erwachenden Zweifel beschwichtigte. Mein Vater starb in herbem Leide, sein finstrer Sohn herrscht in seinen blühenden Staaten, indeß ich [241] allein, ungeliebt und verlassen, unter fremden Gesichtern, vergebens ein Auge suche, das dem meinigen begegne. Verstoßen sie mich nicht, lehren sie mich, tiefere Blicke in die verworrnen Ereignisse des Lebens werfen, und die Bedeutung der Dinge erkennen. Ich stehe auf halbem Wege der Erkenntniß, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll!«

Rodrich ließ das Blatt fallen, und eilte, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer, indeß ihm Viormona in höchster Unruhe nachsahe, und sich vergebens bemühete, ihn zurück zu rufen. In wenigen Augenblicken war er im Schlosse. Er flog die Treppen hinauf, niemand redete ihn an, der Anblick eines Offiziers ließ in dieser Zeit auf irgend eine wichtige Sendung schließen. So kam er durch die Vorzimmer zum[242] Eingang der Gallerie. Der Tag neigte sich schon, alle Gegenstände verschwammen in ein schauerliches Halbdunkel. Gedankenvoll blieb er stehen, seine Blicke hefteten sich gerührt auf die alten Bilder, in denen er zuerst seine Ahnherrn begrüßte, er suchte den Einsiedler, und bemerkte den Kardinal, der ihm gegenüber nachdenklich an einem Pfeiler lehnte. In dem Augenblicke öffnete sich dieselbe Tapetenthür, aus welcher ihm der Herzog zuerst entgegen trat. Er erschien auf's neue, indem er dem Kardinal sehr heiter zurief: sie wird mein, Therese schreibt, sie sey bei weitem ruhiger, und füge sich immer mehr ihren Bitten, sie hatten Recht, ich kann dennoch glücklich werden! Nein, das sollst du nicht, feiger Bösewicht, schrie Rodrich, und stieß ihn [243] wüthend nieder. Ewiger Gott, stammelte der Kardinal, ist das deine Rache? Rodrich wandte sich langsam, und ging wie im Traume, durch die weiten Hallen zu Viormona's Wohnung. Haben sie sich anders besonnen? fragte diese, über seine schnelle Rückkehr erfreut. Besonnen? wiederholte er vor sich hin. Ich glaubte wirklich, fuhr sie fort, sie wären in dieser Stimmung zum Herzoge gegangen. Der ist ja todt, sagte Rodrich. Todt? schrie sie, todt? – um Gotteswillen, wer hat jetzt – ich, erwiederte er dumpf und gedankenlos. – Viormona betrachtete ihn einen Augenblick zweifelhaft. Wahnsinniges Kind, rief sie endlich, mußte ich meine Rache ihren Händen anvertrauen? so plump und zwecklos konnte sie nur durch einen Mann vollführt [244] werden! Nun ist alles verloren, der gemeine Mörder bleibt verachtet, wie sehr die That auch den meisten willkommen seyn möge. Mußten sie sich so freventlich bloß stellen, glaubten sie wirklich, mit blutigen Händen das Zepter zu ergreifen? War denn ihre Phantasie so arm, daß sie diesen letzten Triumph nicht fest halten, daß sie ihn wegen einer schwächlichen Aufwallung hingeben konnten? Jetzt gehen sie nur, ich will nicht das Ansehen haben, als theile ich ihre Schuld. Recht gern, erwiederte Rodrich, und schwankte zur Thür. Ach, Rodrich! Rodrich! sagte sie, ahnet ihnen nicht, was sie verloren? war denn keine andere Regung in ihrer Brust, als die Rache? Glauben sie nur, so zum bloßen Werkzeuge wollte ich sie nicht herabwürdigen, [245] das konnte ich entbehren. Er stand noch immer untheilnehmend und kalt vor ihr da. Fühlst du nicht, rief sie, sich an seine Brust stürzend, daß ich hier mein höchstes Glück suchte? daß ich hier allen Schmerz und alle Wuth der Liebe kühlen, und meinen Stolz in deiner Glorie erhöhen wollte? Du solltest siegen, durch die Gewalt hoher Natur, den Mord mußtest du Andern überlassen. – Sie haben sich geirrt, sagte Rodrich kalt, meine Hand war zu grob zu dem feinen Gewebe, ich habe sie nicht verstanden, oder besser, sie gar nicht gehört – ich fühlte nichts, als mich, mich selbst, sie waren mir gar nichts. Es ist nun auch mit mir vorbei, darum lassen sie mich. Er ging, in seinen Mantel gehüllt, weit hin zur Stadt hinaus. Sein Herz[246] schlug matt und krank, er wußte nicht, wohin ihn die unsichern Schritte führten, und dennoch lief er, daß ihm der kalte Schweiß über die Stirn rann. Die Nacht brach endlich herein, er sank erschöpft auf einer Anhöhe nieder. Seine Augen richteten sich unwillkührlich gen Himmel, kein Stern leuchtete, die Wolken zogen schwer und langsam über ihn hin, alles um ihn war stumm und unbeweglich, die Natur schwieg, als habe sie ihm nichts mehr zu sagen. In der düstern Stille erwachte sein Inneres, wie aus einem bangen Traume. Es stand alles einzeln und zerrissen vor ihm da, er konnte kein Ganzes zusammen finden. Warum gerade ihn –? fragte er sich laut, warum nicht den Kardinal? – Dahin also, dahin sollte es kommen! ach, du armes, thörichtes Herz, [247] wie hast du dich betrogen! rief er wehmüthig, das Gesicht unter heißen Thränen am Boden verbergend. Er weinte so heftig, als wolle sich die wunde Seele in Thränen auflösen. Endlich schlossen sich seine Augen, er schlief ein, und begrüßte im Traume fast alle freudigen Momente seines Lebens. Seraphinens lustige Umgebungen nahmen ihn wie in den ersten Tagen gefangen. Er ging hier an den lieblichsten Gestalten vorüber. Aline war unter ihnen. Der Graf führte sie durch die Reihen, sie reichte ihm zutraulich die Hand, und er steckte ihr Miranda's Ring an den Finger. Als er erwachte, stand der Mond hell am Himmel, und beleuchtete die Thürme der Stadt, daß sie glänzend vor ihm da lagen. Er konnte sich lange nicht besinnen, ihm war, als [248] wenn er dahin zurück müsse, er ängstete sich, daß man ihn vermissen könne, und stand eilig auf, um sich auf den Weg zu machen. Plötzlich fiel ihm die Wahrheit wie ein Stein auf's Herz. Ach Gott, sagte er, es ist ja alles vorbei. Sie hatte Recht, der gemeine Mörder bleibt ewig verachtet. Wer wird mir es jetzt glauben, daß ich der Neffe des Herzogs sey? Viormona verläugnet mich, und ich muß wie ein Wahnsinniger erscheinen. Er wußte lange nicht, wohin er sich wenden sollte. Endlich dachte er an Florio. Ja, ja, du frommes Kind, ich suche dich wieder, rief er, es ist alles mißlungen, mit einem Schlage alles zertrümmert, die Welt bietet mir keinen Ersatz – ich flüchte zu dir. – Er wandte sich noch einmal mit nassem Blicke zur Stadt. Alle Wünsche [249] und Hoffnungen, sagte er, liegen in dir zertrümmert, so trage ich mich denn selbst mit diesem erschöpften Herzen zu Grabe. Er ging langsam die Anhöhe hinunter, die nun mit einemmale, wie eine Scheidewand, zwischen ihm und seiner Welt da stand. Schweigend breitete er ihr zum letztenmale die Arme entgegen, und wanderte so verlassen weiter.

Nach vielen Tagen und Nächten kam er in das Gebürge. Er hatte gehofft, die Erinnerung jener schuldlosen, frommen Zeit sollte sein Herz wohlthuend berühren, allein, was er sah, schien ihm so klein und ärmlich, die dürftigen Umgebungen so drückend, daß er vor dem Gedanken zurück schreckte, hier seine Tage zu beschließen. Er nahete sich indeß Martins Hütte, die er [250] an einem Ziehbrunnen erkannte, an dessen Rande er wohl mit Florio zu spielen pflegte. Eine hagere, zusammengefallene Gestalt, trat ihm entgegen. Es war Sara. Sie blickte ihn starr und fremd an, und hieß ihn leise hineintreten, da eine Kranke in ihrem Kämmerchen schlummere. Ihr Anblick drängte ihn vollends in sich zurück. Er folgte ihr schweigend in das enge Stübchen. Alles war hier wie ehemals, aber es konnte ihn nichts erfreuen, er fühlte schmerzlich, daß ihn nur der Fluch seines Schicksals dahin zurück triebe, von wo er einst mit so stolzen Hoffnungen schied. Ist euer Sohn nicht bei euch? fragte er nach einer Weile. Nein, erwiederte Sara mürrisch, er ist verreist, und es ist auch uns gut, denn ich habe so Wunder genug im Hause. [251] Die Kranke dort mußte auch gerade hierher kommen! Wer ist sie denn? fragte Rodrich, weiß ich es? erwiederte sie. Ein geistlicher Herr kam in voriger Nacht mit ihr an, um sie in ein nahes Kloster zu einer Verwandten zu führen. Plötzlich erkrankte sie, und er mußte nur eilen, einen Arzt herbei zu schaffen. Aber es ist mehrere Stunden Weges bis zur Stadt, sie werden nicht vor Nacht ankommen, und derweil habe ich nun die Sorge allein! Es ist sonst ein liebes, feines Kind, und es geht einem durch's Herz, sie so leiden zu sehen. Mich dünkt indeß, da wird wohl kein Arzt helfen, denn sie weint gar zu viel und wünscht sich den Tod in den herzbrechendsten Worten. Hört ihr, wie sie betet, die fromme Seele! Rodrich beugte sich zur halb geöffneten Kammerthür. [252] Jesus, schrie er, meine Aline! und stürzte an ihr Bett. Rodrich, ach, mein Rodrich, rief sie, ihn erkennend, Gott hat mein Gebet erhört, er thut ein Wunder, und läßt mich in deinen Armen sterben. Rodrich drückte sie freudig an sein Herz; nein, süßer Engel, sagte er, du sollst leben, sieh, es ist nun alles gut, alle andere Bande sind gelöst, ich gehöre einzig dir an. Gewiß? fragte sie unter wonnigen Thränen. Gewiß, meine Aline, sagte er, und eröffnete ihr die tröstlichsten Aussichten für die Zukunft. Er glaubte einen Augenblick selbst daran, und meinte einen Wink des Himmels in dem unerwarteten Zusammentreffen mit dem geliebten Kinde zu sehen, vielleicht sollte sie ihn mit dem Leben aussöhnen, und ihm in glücklicher Verborgenheit alle geträumte Lust schenken. [253] In dem freudigen Taumel umschlang er auch die herzu eilende Sara. Kennt ihr mich denn nicht? fragte er sie, ich bin ja euer Pflegekind Rodrich! – Hätte ich es doch an dem Ungestüm merken sollen, mit dem ihr alles anfaßt, erwiederte sie, nun, ihr seht ja recht stattlich aus, ihr seyd wohl ein vornehmer Mann geworden, wie ihr es sonst schon in euren Spielen waret. Diese Worte schleuderten ihn auf's neue in seine ganze Nichtigkeit zurück, er unterdrückte mühsam den aufsteigenden Unwillen, und sagte, sich ängstlich zu Alinen wendend: laßt das, gute Mutter, seht nur hier auf die schönste Gabe, die mir der Himmel verlieh. Ja wohl, ja wohl, erwiederte die Alte, wenn es nur alles ist, wie es seyn soll! Aline schmiegte sich zärtlich an seine Brust, [254] und zog ihn für Augenblicke in ein glückliches Vergessen seines schmerzlichen Daseyns hinüber. Sie genas recht eigentlich an seinem Blicke, und konnte schon am Abend, gestärkt und erheitert, neben ihm am Kamine sitzen, dessen spielende Flammen Rodrichs Blicke, wie ehemals fesselten. Sara spann an ihrer Seite, und erzählte mancherlei, was beide überhörten; als sie indeß Martin erwähnte, bezeigte Rodrich seine Verwunderung, ihn nicht hier zu finden. Gott weiß, was der treibt, sagte sie nachdenklich, er hatte schon immer solch heimliches Wesen, aus dem niemand klug ward. Seit Florio's Rückkehr ist es ärger, als je. Sie gehen ihre Wege, und niemand thut, als ob ich in der Welt wäre! Ei nun, mögen sie doch, der Florio ist mir auch fremd geworden. [255] Es ist wahr, daß ich nicht seine Mutter bin, aber ich habe ihn doch auferzogen, und gepflegt, und es oft darüber vergessen, daß es nicht so ist. Freilich, freilich, sagte Rodrich, dem das ganz bekannt vorkam, ohnerachtet er es zum erstenmale hörte. Wie seyd ihr denn zu ihm gekommen? Darüber ließe sich manches sagen, erwiederte sie. Martin brachte ihn mir eines Abends, als er wohl noch wenige Stunden das Licht der Welt erblickt hatte. Frau, sagte er, nimm dich des Kindes an, es hat keine Mutter mehr, glaube und laß die paar Menschen um uns her glauben, was sie wollen. Thue du nur deine Pflicht, und bekümmere dich sonst um nichts. Schwatze nicht viel, die Leute fragen nicht, wenn sie nicht merken, daß man gern reden möchte. Ich [256] that, wie er sagte, und hatte nur im Stillen meine Gedanken. Das Kind ward mir lieb, und dann hoffte ich immer, es solle einmal ein reicher Mann in unsere Hütte treten, und es zurückfodern, wie man es sonst wohl gehört hat. Ich sah mich und Martin zu Ehren kommen, und meinte, uns so das Glück zuzuführen. Von dem allen ist nun freilich nichts geschehen. Zum Lohne lassen sie mich hier in der Unwissenheit sitzen und abquälen, daß ich Blut weinen möchte. Aber sie mögen sich stellen wie sie wollen, ich weiß doch was ich weiß. Nun, was wißt ihr denn? fragte Rodrich begierig. – Das öde Haus im Thale, sagte sie leise, denkt an mich, der Florio gehört hinein. – Aline war indeß an Rodrichs Brust eingeschlafen. Er lehnte sie sanft [257] zurück. Es ist wohl Zeit, sagte er, daß wir alle ruhen. Sara schob gedankenvoll ihr Rad bei Seite, und wies ihm seine alte Schlafstelle in einem Seitenkämmerchen an. Kaum sah er sich hier allein, so stiegen Wünsche und Gedanken in ihrer gewohnten Gestalt in ihm auf. Er warf sich ängstlich auf dem Lager hin und her. Alle Ruhe war von ihm gewichen. Sara's letzte Worte rauschten unaufhörlich in seinem Ohre. Wie oft, dachte er, haben mich meine stolzen Träume von hier fort, in die Welt geführt, was glaubte ich nicht alles zu erleben, und so nahe, so nahe lag die Entwickelung meines Schicksals. Seine Augen fielen auf das offne Fensterchen, durch welches man die nahen Berge sah. Ich will hinüber zu dir, mein Florio, rief er, und lehnte sich [258] weit hinaus, die laue Nacht begrüßend. Da hörte er, wie ehemals, Sara den Abendsegen beten. Unwillkührlich wiederholte er ihre Worte, und trat mit ergebenem Sinn aus der Hütte. Ohne lange zu erwägen, welchen Weg er wählen solle, drang er die steinigen Klippen hinan. Längs unermeßlichen Abgründen wand sich ein schmaler Pfad, den herabgerollte Steine fast durchgehends verschüttet. Rodrich schritt behutsam darüber hin, und kam endlich über einen schmalen Abhang zu einer Wiese, aus deren Hintergrunde ihm ein Licht entgegen leuchtete. Er beflügelte seine Schritte, und stand endlich mit klopfendem Herzen vor dem ersehnten Hause. Hier also, ach hier, rief er, und sank weinend auf die Schwelle nieder. Bald darauf drangen [259] leise Harfentöne aus dem Innern, die folgende Worte begleiteten:


Schöne Perle, schöne Perle,
Sieh mich weinend steh'n am Ufer,
Laß dich meine Klagen rühren,
Folge meinem bangen Rufe.
Du, des reichen Schmuckes Zierde,
Bist nun meinem Blick entschwunden,
Und ich Arme muß vergebens
Dich am öden Strande suchen.
Süßes Kleinod, kehre wieder,
Zier' auf's neu mir Haupt und Busen,
Laß in deinem Glanz mich leuchten,
Leben nur in deinem Ruhme.
Nein, du bist in Nacht geboren,
Bist ein Kind der schlimmsten Mutter,
Trüg'risch war dein sanftes Leuchten,
Zu verlocken meine Jugend.
Grausend steh' ich hier alleine,
Schäumend naht ihr wilde Fluthen,
Wollt auch mich hinunter reißen,
Wie die Perl' ihr habt verschlungen!
[260]
Ihr entgegen klingen Stimmen,
Wie aus tiefem Meeresgrunde.
Holder Perle süßes Leben
Blüht im stillen Heiligthume.
Was der Tiefe ward entrissen,
Kühn an's Tageslicht gerufen,
Sinkt zurück in Liebesarme,
Scheu vor euren wilden Gluthen.
Steig' hinunter in die Wasser,
Kühle deines Herzens Wunden,
Und im feuchten Schooße finde
Neu erblüht die Wunderblume.

Rodrich war indeß immer weiter gegangen, und lehnte an einer verfallnen Thüre, aus welcher ihm der Ton entgegen drang. Die Erinnerung der Perle nahm ihm alle Sinne gefangen; er stand noch in sich versunken da, als Martin mit einer kleinen Laterne an ihm vorüber zur Thüre hineinging, indem er sagte: Miranda ist wohl, sie [261] wird kommen, wie ihr es wünscht. Miranda? wiederholte Rodrich laut, und folgte ihm schnell in das anstoßende Gemach. O, ewiger Gott! da ist er! schrie Florio, in seine Arme stürzend. Mein Bruder, mein geliebter Bruder! Rodrich war so erschüttert, daß er stumm an sein Herz sank, und heftig weinte. Als er aufblickte, kniete ein schöner Mann, in Einsiedler-Tracht vor dem Bilde der wundervollen Dame, in der Rodrich seine sterbende Mutter erkannte. Das lang Vergeßne ward wieder neu, die dunkelsten Vorstellungen klärten sich plötzlich auf. Hier hatte er einst gestanden, das wußte er gewiß, und der geliebten Leiche vergebens die Arme entgegen gebreitet. Das war das helle Haus, nach dem er sich so bang im Kloster sehnte. Du weißt [262] nicht, sagte Florio, ach, du weißt nicht, daß wir Geschwister sind, und daß jene Sehnsucht nach dem Berggeist, die tiefe, unerkannte Liebe zu unserm Vater war. Ich weiß alles, erwiederte Rodrich, hätte ich es doch hier zuerst erfahren! Der Einsiedler hob sich langsam zu ihnen auf. Meine Kinder, sagte er gerührt. Rodrich bebte bei dem Ton seiner Stimme, er glaubte den Herzog zu hören, und dennoch lag eine so süße Gewalt in ihr, daß sich alle Bande seiner Seele lösten, und er, wie neu geboren, vor dem Heiligen kniete. Ich wollte, sagte dieser, alles zerreißen, was mich an die Welt fesselt; aber was die Liebe knüpft, löst sich niemals. So legt euch nur Alle an mein Herz, ich kann es nicht länger wehren! Warum sind die Schwestern nicht hier? rief [263] Florio aus! Die Schwestern? fragte Rodrich. Ja du Armer, Lieber, erwiederte jener, Miranda, Elwire! ahnete dir es nicht? Die ferne Therese durfte ihre Mutter seyn, sie waren nicht gefährlich, ihnen gönnte man es, frei in der Welt zu leben. Ich verstehe, sagte Rodrich, aber wo sind sie? Im nächsten Kloster, erwiederte Florio, morgen sollst du sie sehen. Rodrich war, als sey er gestorben, so plötzlich zerfielen alle trügerische Verhältnisse der Welt vor seinen erwachten Sinnen, sein Herz erweiterte sich, und er fühlte, daß ihn nichts als die reinste Liebe erfülle. Er dachte an Aline, und daß er noch glücklich seyn könne. Da trat Martin herzu, und mahnte sie zur Rückkehr an. Nun dann, zu Morgen, sagte der Einsiedler, laßt uns gehen. Sie traten alle schweigend [264] den Rückweg an. Am Abhange des Berges trennten sie sich. Der fromme Vater ging in seine Klause, indeß die Übrigen den Berg hinanstiegen. Auf dem Gipfel desselben, setzte sich Rodrich ermüdet nieder. Der Tag zog herauf, und wie er die Gegenstände erhellte, sah Rodrich, daß er auf derselben Stelle saß, wo er als Knabe, aus dem Kloster entfliehend, zuerst sein Gefühl zu Gott erhob. Es rührte ihn unbeschreiblich, daß er so nahe an dem Vaterherzen das reinste Glück empfunden habe. Jetzt war es doch weit anders. In der höchsten Freude mischte sich das Gefühl seiner Schuld, und trübte jede Erinnerung. Martin nahm ihn bei der Hand: so lebtet ihr denn in meiner Hütte, sagte er, ohne daß ich euch kannte. Jetzt besinne ich mich auf alles. [265] Ihr habt euch wenig geändert. Zuweilen kamt ihr mir damals freilich wunderbar genug vor, allein wer konnte das denken? Ja wohl, guter Martin, sagte Rodrich, und ich spielte hier in bunten Träumen, während mir die Wirklichkeit so nahe lag. Sie sollte euch nicht nahe liegen, sagte Martin, darum mußtet ihr sie suchen. Euer Vater hatte euch alle aus seinem Herzen gerissen. Er wollte einzig in Gott leben, und glaubte, jedes andere Band auflösen zu müssen. Gott wollte das nicht. Ich dachte es immer! Nun führt er ihm die Kinder unversehens wieder zu, und lohnt die strenge Buße reichlich. Florio erzählte darauf, wie ihn die Sehnsucht nach dem geheimnißvollen Garten, dorthin zurück gezogen, und wie sich alles so ganz von selbst aufgeklärt [266] habe. Die stillen Nächte verlebe der Vater immer dort im Anschauen trüber Vergänglichkeit, und dieser Blick sey es, der ihn immer mehr in der gänzlichen Abgeschiedenheit von der Welt bestärkt habe. Dies Gefühl sey ihm schon sehr früh gegenwärtig geblieben; mit einer Art von Schmerz habe er sich von allem abgewandt, was Andere reize, und selbst die zärtlichsten Regungen seien mit einem Gemisch von Wehmuth und Unzulänglichkeit menschlicher Empfindungen verbunden gewesen. Daher, fiel Martin ein, erschien er kalt. Eusebio und ich wußten es besser. Ich wartete ihn seit seiner zartesten Kindheit, und hatte ihn oft im Gebet belauscht, wie sich da Herz und Seele hingab, und er durch und durch glühete. In der Liebe zu [267] Mathilde brach es denn auch endlich hervor. Er hatte diese Leidenschaft oft eine Verirrung genannt. Der Himmel mag es wissen. Glücklich war er nie. Mathilde hing an der Welt und der hergebrachten Weise. Wie sie sich auch bekämpfte, Reue und Mißmuth quälten sie unaufhörlich. Sie starb so allmälig hin, bis der rechte Friede bei Florio's Geburt über sie kam, und ihre Augen schloß. Euer Vater ward auch ganz still und innerlich klar. Er küßte euch Alle, und ging mit der Harfe im Arme davon. Niemand wußte, wo er geblieben sey. Des Cardinals Spione waren schon früher bis hieher gedrungen. Jetzt trat er hervor, und bemächtigte sich eurer, ohne daß es jemand wehren konnte; Eusebio hatte euern Vater nie verlassen, er begleitete auch [268] seinen Rodrich ins Kloster. Florio blieb in meinen Händen. Seine Schwächlichkeit ließ seinen Tod erwarten, überdies versprach ich, ihn für meinen Sohn auszugeben, und als solchen zu erziehen. – Späterhin verbreitete sich der Ruf eines heiligen Mannes hier in der Gegend. Ich ahnete die Wahrheit, ging zu ihm, und erkannte meinen geliebten Herrn. Miranda, sagte Florio, ist ihrerseits vom Kloster aus, ebenfalls zur stillen Klause gewallt, um dort, in der innern Bedrängniß, Rath und Hülfe zu suchen. Der Anblick erschütterte den Vater über alles. Sie enthüllte ihm ihr reines Leben in seinen seltsamsten Verhältnissen, und er erkannte sein Kind. Rodrich saß während dessen nachdenklich zwischen den Erzählenden, als ein Wagen vorüber rollte, aus welchem [269] sich Aline weit herausbog, und ihm mit schmerzlicher Gebehrde die Arme entgegen breitete. Er gerieth ganz außer sich, und wollte ihr sogleich folgen, allein Florio stellte ihm vor, daß es besser sey, erst zu Sara zurück zu kehren, um dort das Nähere zu erfragen. Er gab endlich nach, und sie machten sich eilends auf den Weg. Sara erzählte bei ihrer Ankunft, daß der Geistliche durch nichts zu bereden gewesen sey, Alinen in der Hütte zu lassen, und daß ihre wiederkehrende Gesundheit ihn bestimmt habe, sogleich mit ihr zum Kloster zu eilen. War das auch ein Traum? sagte Rodrich betrübt, und alles was ich sah und fühlte, das ganze Leben, ach, und mein trügerisches Daseyn auch? Florio schloß ihn theilnehmend an sein herz, allein Rodrich [270] blieb den ganzen Tag über still und in sich gekehrt. Die Nacht führte alle wieder zu dem verwaisten Hause zurück. Sie fanden Miranda und Elwire an des Einsiedlers Seite. Es war ein stiller, heiliger Moment, in welchem sie einander in die Arme sanken. Miranda zog leise den Ring von Rodrichs Finger: das ist die wiedergefundne Perle, mein Vater, sagte sie sanft lächelnd. Der Einsiedler betrachtete sie aufmerksam, als sich die Thür ungestüm öffnete, und Stephano und der Kardinal hereintraten. Mörder, schrie der erstere, auf Rodrich eindringend, vertheidige dich. Stoß nur zu, erwiederte jener, ich habe keine Waffen. Was zaudern sie, sagte der Kardinal, es ist göttliche Rache! Wie ein Blitz durchbohrte Stephano's Schwerdt beide Brüder, die sich fest umschlingend zu des Vaters Füßen stürzten. Mein Traum, der Laokoon, stammelte Rodrich. Miranda [271] sah mit einem zerreißenden Blick auf Stephano, der das Schwerdt fallen ließ, und wild hinausstürmte. Das ist die wiedergefundne Perle, sagte der Einsiedler, sich über beide Kinder neigend. – Der Kardinal wandte sich langsam zur Thür, und trat schweigend hinaus. Ach, mein edler Herr, rief Martin, seinen zerrissenen Mantel über die Todten breitend, so ärmlich sollten eure Kinder zur Erde bestattet werden. Laßt nur, sagte Miranda, wir gehen nun alle zu Grabe. Der Schleier soll mich auf ewig vor der Welt verbergen. Der Einsiedler hatte sich matt auf das Ruhebett gelehnt, und sang wie in innrer Verzückung:


Was der Tiefe ward entrissen,
Kühn ans Tageslicht gerufen,
Sinkt zurück in Liebesarme,
Scheu vor euren wilden Gluthen.
Steig' hinunter in die Wasser,
Kühle deines Herzens Wunden,
Und im feuchten Schooße finde
Neu erblüht die Wunderblume.

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TextGrid Repository (2012). Fouqué, Caroline de la Motte. Romane. Rodrich. Rodrich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B1ED-3