Vom Harze

Wahre Geschichte.

1843.
O stille, graue Frühe!
Die Blätter flüstern sacht;
Der Hirsch hat seine Kühe
Zum Waldrand schon gebracht.
Zum Waldrand in die Saaten!
Da steht und stampft er schon!
Im Busch ruhn die Kossaten,
Der Vater und sein Sohn.
Der Alte wiegt in Händen
Den rost'gen Flintenlauf.
»Ein Hirsch von vierzehn Enden!
Kerl, Schwerenot, halt drauf!«
Der Junge drückt – ein Knallen!
Das heiß' ich gute Pirsch!
Sie sehn zur Erde fallen
Den vierzehnd'gen Hirsch!
Fortstieben rings die Kühe –
Der Alte ruft: »O Glück!«
Stürzt vor und stemmt die Knie
Auf das erlegte Stück.
»Ei, Bursch, du zieltest wacker!
Sieh selber – grad' aufs Blatt!
Gott segn' es unserm Acker –
Der frißt sich nicht mehr satt!
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Dem ist kein Korn mehr nütze,
Der biegt kein Hälmlein mehr,
Der – nun, was gaffst du, Fritze?
Rasch! gib die Stricke her!
So – Fuß an Fuß gebunden!
Fühl' doch, er wird schon kalt!« –
Da tritt mit Volk und Hunden
Der Förster aus dem Wald.
Hilf Gott, der kennt die Schliche!
Nun gilt's! Aufspringt das Paar,
Reißt aus und läßt im Stiche
Die Doppelläufe gar!
Der Förster bleibt nicht hinten,
Nachruft er: »Steh, Gezücht!
Was helfen mir die Flinten,
Hab' ich die Schützen nicht?«
Umsonst! – Da rasch zur Wange
Hebr er der Büchse Wucht!
Zielt – kalt und fest und lange!
Was – Menschen? – Auf der Flucht?
Gleichviel! Er drückt – ein Knallen!
Hallo, das heiß' ich Glück!
Den Alten sieht er fallen –
Er traf ihn ins Genick!
In seiner eignen Gerste
Daliegt der knochige Mann;
Als ob das Herz ihm berste,
Auffstöhnt er dann und wann!
Sein Blut, dem Wams entquollen,
Rinnt ab in Furch' und Spur;
Warm sickert's durch die Schollen –
Was denkt die Lerche nur?
Sie sitzt im stillen Neste –
Da schießt das Blut herein!
Aufschwirrt sie gleich zur Feste,
Blut an den Flügelein!
Sie läßt vor Gott es blitzen
Im ersten Sonnenblick,
Sprengt auf die Halmenspitzen
Es schmetternd dann zurück!
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Das ist ein kräftiger Regen,
Das ist ein kostbar Sprühn!
Das ist einLerchensegen,
Der macht die Saaten grün!
Der tropft auch auf den Jungen,
Der hinrast übers Feld
Und heulend dann umschlungen
Den toten Vater hält!
Fort, Bursch! Was noch umklammern
Die starre Mannsgestalt!
Fort nun, und laß dein Jammern –
»Fühl' doch, er wird schon kalt!«
Zurück vom blauen Munde
Mit deinem roten! – Sieh,
Ankeuchen schon die Hunde –
Herr Gott, zum »Halali!«
Stracks ruhn auf einem Karren
Der Hirsch und auch der Mann!
Zum Not- und Schwarzwildscharren
Fortgeht es durch den Tann!
Fortgeht's in einer Hetze –
Der Förster pfeift und lacht!
Warum nicht? – Die Gesetze
Vollstreckt er nur der Jagd!
Drum macht ihm keine Trauer
Des Jungen wild Geknirsch' –
Vergessen wird der Bauer,
Gegessen wird der Hirsch!
Ihm selbst wird die Medaille –
Ja so, das fehlte noch! –
Den Fritzen, die Kanaille,
Wirft man ins Hundeloch!
Da starrt er trüb durchs Gitter;
Ein Leirer steht am Tor,
Der singt zu seiner Zither
Ein Lied den Leuten vor:
»Es lebe, was auf Erden
Stolziert in grüner Tracht,
Die Wälder und die Felder,
Der Jäger und die Jagd!«

St. Goar, Februar 1844.
[59]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Ein Glaubensbekenntnis. 2.. Vom Harze. Vom Harze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B322-C