Otto Heinrich von Gemmingen-Hornberg
Der deutsche Hausvater
Ein Schauspiel

[Widmung]

[13] Gewidmet dem biederen teutsch gesinnten Manne Theodor Grafen Topor Morawitzky.

Bayrischen Ober-Landes-Regierungs-Präsidenten.

[13]

Anmerkung

Anmerkung.

Es hat mir mannigmal sehr wehe gethan, wenn oft im rührendsten Augenblick eine laute Pfeife eine Theater-Veränderung ankündigte; und dann Thüren mit Menschenfüßen ankamen, Tische aus dem Theater wie lebendig heraussprangen, und Bäume im Boden wieder zurück krochen. Darum habe ich, wo ich solchen Mißstand befürchtete, einige sonst nicht gewöhnliche Anordnungen der Scenen gewagt.

[14]

Personen

Personen.

    • Der Hausvater. Ein biederer, thätiger, deutscher Mann, bekannt mit der Welt; antiker Grundsätze über seine Familie, aber doch mehr ehrlicher Mann als Edelmann. – Einfache Kleidung.

    • Karl. Ehrbegierde, Thätigkeitstrieb, – die Haupteigenschaften seines Geistes. Liebe seine Leidenschaft. Viel Geradheit in seinem Umgang, in dem überhaupt nicht viel Weltpolitur liegt, mehr Gepräge von Genie. – Im Frack.

    • Ferdinand. Mit gutem Herzen ganz ein Opfer der Weltfreuden. – Uniform.

    • Monheim. Hofmann; greifend nach Schatten; im Getümmel der Welt; leeren, aber nicht unfühlbaren Herzens. – Bei jeder Gelegenheit einen andern Rock, Stern und Band.

    • Dromer. Einer Art Menschen, wie es tausend für einen giebt. Komplimente statt That – Wohldienerei und Schmeichelei statt innerlichen Wertes. Freundschaft sein drittes Wort; übrigens in seinem äußern Wesen immer nachäffend die Hauptperson, mit der er zu thun hat. – Ja nicht Karikatur; auch sein Anzug nicht lächerlich.

    • Maler. Ein herrlicher deutscher Mann, ohne Falsch; warmen und vollen Herzens, das ihm zuweilen überläuft; edlen Selbstgefühls; ganz Künstler, aber ohne Marktschreierei. Viel wahrer Anstand in seinem äußerlichen Wesen; sauber, aber einfach gekleidet.

    • Amtmann. In einem Rocke mit goldenen Borten, die er auf der Wage der Gerechtigkeit hat abwiegen lassen. Wohl steif; aber wiederum ja keine Karikatur.

    • Bauer. Geraden, schlichten Sinnes; wie man Gott sei Dank! noch mehrere unter den Bauren, die nicht zu nahe an der Hauptstadt wohnen, findet.

    • Fritz. Ein sechsjähriger Knabe: englisch gekleidet, französisch gelehrt und erzogen.

    • Bediente.
      [15] Weiber.
    • Amaldi. Hohen Sinnes, – viele Kenntnisse; daher mehr Kopf als Herz. – Prachtvoll gekleidet.

    • Sophie. Mehr Herz als Kopf. – An Empfindelei ein wenig krank, welches man auch an ihrer Kleidung bemerkt.

    • Lottchen. Ein ganzes Naturkind, ganz Liebe, ganz unglückliches Opfer derselben. Äußerst reinlich, einfach und geschmackvoll gekleidet.

    • Anne. Eine alte Wärterin der Art, die den Kindern ihren Willen thun, damit sie nicht weinen, und den Mädchen, wenn sie erwachsen sind, in der Liebe helfen, um sie nicht zu betrüben.

    • Amaldis Kammerjungfer, vermutlich zugleich Geheimerrat.

    • [16]

1. Handlung

1. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Herr von Dromer tritt auf, ein Bedienter geht ihm vor und in das Nebenzimmer. Er nimmt eben das Buch in die Hand, als Graf Karl hereinkömmt.

KARL.
Guten Morgen, Dromer.
DROMER.
Unterthäniger Diener, Graf Karl.
KARL.
Ist meine Schwester noch nicht herausgekommen?
DROMER.
Daß ich nicht wüßte. Ich komme zwar erst – –
BEDIENTER.
Die Gräfin endigt ihren Anzug, wird gleich da sein. Geht ab.
KARL
hat sich auf den Sofa geworfen.
DROMER.
Sie sind übler Laune, Graf.
KARL.
Das trübe Wetter – –
DROMER.
Oder wieder – – –
KARL.

Was Sie wollen, wie Sie wollen – – Auch denke ich, es ist besser, ich erwarte meine Schwester nicht: sein Sie so gut, ihr zu sagen, daß ich da war, um ihr einen guten Morgen zu wünschen.

DROMER.
Ich habe Sie doch nicht beleidigt? Ihr bester Freund – – –
KARL.
Mein Gott! im geringsten nicht. Aber ich mag mit meiner üblen Laune niemand beschwerlich fallen.
DROMER.

O bleiben Sie doch, erwarten Sie Ihre liebenswürdige Schwester; es kommen noch mehrere Damen zum Besuch, wenigstens weiß ich gewiß, die Gräfin Amaldi, das wird Sie aufheitern.

[17]
KARL.

Dromer, lassen Sie mich mit den Weibern ungeplagt. Ich hasse sie alle; sie machen aus den herrlichsten Gottesgeschöpfen, aus uns Männern, ein Ding, das sie mit der Puppe verwechseln. Hemmen einen jeden von uns in seinem ersten besten Lauf.Er will gehen, kommt aber von der Thüre zurück. Haben Sie mein Bürgermädchen nicht gesehen?

DROMER.
Ja, sie geht alle Tage bei mir vorbei in die Kirche.
KARL.
Sieht das Mädchen traurig aus?
DROMER.
Wie Sie wissen, immer in stiller Bescheidenheit; kann auch wohl ein Mädchen, das ein Graf Karl –
KARL.

Lieber Mann, Sie sind wieder mit einem Kompliment unterwegs: mir zur Liebe, ersticken Sie es in der Geburt. – Niedergeschlagen sieht sie also aus? Armes Mädchen!

DROMER.
Sehn Sie sie denn nicht täglich?
KARL.
Nein, schon seit einer ganzen Woche –
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Sophie ist unterdessen mit ihrem sechsjährigen Sohn Fritz hereingekommen; sie hält einen Brief. Dromer küßt ihr emsig die Hand.

KARL.
Guten Morgen, Schwester.
SOPHIE.

Willkommen. Lieber Herr von Dromer, wollen Sie mir wohl die Gefälligkeit erweisen und den Brief meinem Mann hinaufbringen; er ist erst gekommen.

DROMER.
Es wird mir eine große Gnade geschehen.Eilends ab.
SOPHIE.
Es ist doch ein guter Narr.
KARL.
Bis auf das langweilige Komplimentenmachen.
SOPHIE.
Willst du mit mir frühstücken?
KARL.
Meinetwegen.
SOPHIE
zum Fritz.
Geh mein Kind, sag, man soll das Frühstück hieher bringen, und bleib dann oben beim Hofmeister.
FRITZ.
Gut, Mama. Harmlos will das Kind wegbringen, als
SOPHIE
ruft.
Fritz, wohin, kein Kompliment?

Fritz macht eine tiefe Verbeugung, dann geht er.
SOPHIE.
So recht.
KARL.

Ich habe gehen wollen; aber du weißt, Schwester, daß ich dich zu lieb habe, um von dir weg zu können, wenn ich bei dir bin. Man bringt das Frühstück. Er setzt sich.

[18]
SOPHIE.
Karl!
KARL.
Was willst du?
SOPHIE.
Sprachst du nicht eben wieder von deinem Bürgermädchen mit Dromern und versprachst mir doch – – –
KARL.

Sie nicht mehr zu sehen, und das that ich auch; denn seit acht Tagen sah ich das Mädchen mit keinem Blick.

SOPHIE.
Versprachst auch, sie zu vergessen.
KARL.

Da habe ich eine Narrheit begangen – versprochen, was ich nicht halten konnte; nicht halten möchte. Wie du mir mit den lebhaftesten Farben vorhieltest das Verderben, in das ich durch solch eine ungleiche Verbindung rennen würde, die Erniedrigung, den Spott der ganzen Welt maltest; mich fühlen ließest, wie aller weiterer Weg der Ehre, des Ruhms für mich verschlossen sein würde. Mich erinnertest an den Unwillen, die Betrübnis unsers liebsten Vaters, wenn er von seiner Reise zurückkäme – – – was hätte ich da nicht versprochen? – – Nun habe ich gehalten, was ich konnte ...

SOPHIE.
Folgtest du auch meinem Vorschlag? Hast du dich zu zerstreuen gesucht?
KARL.

Habe es versucht; zusammengesucht, alles, was je Reize für mich hatte – – – und es war alles nichts. Habe mich an meine Arbeiten gesetzt, aber ich konnte nicht. Wollte dichten, meine Gefühle niederschreiben, ihnen dadurch Lust machen, – aber wer könnte Licht in das Chaos bringen?

SOPHIE.
Hättest auf das Land gehen sollen, zum Genuß wohlthätiger Natur.
KARL.

Auch das habe ich; der Abend war heiter, da setzt' ich mich am Ufer des Flusses; aber der Strom fließt so schnell, das giebt Unruhe, und war Bild, wie meiner Lotten Thränen vielleicht flossen. Nun setzt' ich mich abwärts unter einem Baum, zog meinen trauten Freund Homer aus der Tasche – – aber das nämliche Herz, das für Homer fühlbar ist, ist es auch für mein Mädchen.

SOPHIE.
Gänzliche Abspannung unsrer Sinne hilft oft am besten.
KARL.

Dacht's auch. Ging tiefer in den Busch hinein, legte mich an eine kleine Quelle im Walde; durch eine kleine Öffnung sah ich die Sonne untergehen; sie verbarg sich hinter den Kirchentürmen; die Natur ward stiller; ein Vogel nach dem andern sang [19] seinen letzten Abendgesang – und nun alles still – Die Abendglocke schallte herüber; mein Herz war so voll, mir so weh und so wohl – und nun alles still, bis auf den kleinen rieslenden Bach – – aber ach! da hörte ich die Nachtigall – sonst himmlische Melodie für mich, heute waren es Klagetöne – wimmern um den Gatten – – und nun konnt' ich es nicht mehr ertragen – rannte nach Hause, warf mich auf mein Bette und quälte mich die lange, lange Nacht ab; sagte mir tausendmal bei jedem Perpendikelschlag meiner Uhr, morgen willst du wieder in ihre Arme, was ist ein Leben dieser Art? Und siehst du, es ward Tag – ist itzt bald Mittag, und ich war noch nicht dort.

SOPHIE.

Ich wußte wohl, daß ich auf dein Wort zählen durfte; aber was soll mir alles dieses, solang ich dich in dieser Unruhe weiß? Geh in Gesellschaften.

KARL.
Was soll ich da?
SOPHIE.
Zerstreuung suchen; sehn, ob du nicht unter allen den weiblichen Geschöpfen eine findest – – –
KARL.

Ich zweifle nicht, daß in all denen durch eure Moden verstellten Körpern hie und da noch eine gute Seele seie. Aber weg mit den Weibern; kann man einem von Bienen gestochnen Knaben zumuten, daß er wieder zum Korb gehe? – – – Und dann der ewige Taumel, in dem man sein muß, um mit euch zu leben. Um bei euch artig zu heißen, muß man seiner beinahe fast ganz entsagen, denn der Unangesehnste will man doch dort nicht sein, wo man ist. Tagelang von Hause zu Hause mit euch. herumfahren; mit jedermann sprechen müssen und niemand nichts zu sagen haben. – Wer das kann, der thue es, ich nicht.

SOPHIE.
Auch riet ich es dir nur als Zerstreuung, um deine übrigen Gedanken zu vertreiben.
KARL.

Schwester, offenbar ist jene Lebensart nichts; und du willst mit einem Nichts so etwas Wesentliches, als Liebe, wahre, innige Liebe ist, vertreiben? Aber was hat mir Dromer gesagt? Es kommen Leute zum Besuch? – in dem Fall laß mich gehn.

SOPHIE.
Niemand als die Gräfin Amaldi. Sie hat sich selbst eingeladen: ich weiß nicht, warum.
KARL.
Warum? um dich zu sehn, was ist natürlicher
SOPHIE.
Oder meinen Mann.
KARL.
Eifersüchtig? Ja, ja, ihr Weiber könnt Eifersucht und Gleichgültigkeit trefflich verbinden.
[20]
SOPHIE.
Wer sagt dir, daß mein Mann gleichgültig ist? und wenn er's ist, wo fing die Gleichgültigkeit an?
KARL.
Denkst du, ich wolle die Apologie deines Mannes machen: wir stimmen viel zu wenig zusammen.
SOPHIE.
Doch war's nicht immer so. Es war eine Zeit – –
KARL.
Reiz der Neuheit: erste Flittermonate –
SOPHIE.
Glaube mir, wir liebten uns.
KARL.

Wenn es auch war, so konnte es nicht dauren. Ein geschäftloser Mann kann nie ein guter Ehemann sein. Langeweile wird das Grab der Liebe und der Freundschaft. Und ist es gar ein Hofmann im eigentlichen Verstande, der sich Geschäfte macht, wo keine sind, seine Nullenexistenz für wesentlich hält und doch immer findet, daß er nur eine Nulle ist – – weh dann seiner Frau!

SOPHIE.
Nur seit der Bekanntschaft mit der Gräfin Amaldi – –
KARL.

Schwester, ich bin dir Bürge dafür, daß, wenn der Graf auch in sie verliebt ist, sie ihn bald entfernen wird. Es ist eine große Seele; ihr Umgang fordert mehr – Kokett freilich, wie ihr alle seid.

SOPHIE.

Ich fühle mich so ganz geschaffen, das Glück eines stillen Hausvergnügens zu genießen. Jede meiner Handlungen sollte dahin zielen, meinen Mann glücklich zu machen; meine Gedanken nur dahin gerichtet sein. Mich selbst könnt' ich vergessen, nur ganz in ihm leben und selige Tage – Aber, wo bist du mit deinen Gedanken?

KARL
der die ganze Zeit über zerstreut war.
Da, wo du mich nicht haben willst, ich selbst nicht sein möchte und doch so immer bin.
SOPHIE.

Aber, wo bleibt bei allen dem der Mann, die Festigkeit, die Geisteskraft, welche du immer so beredt im Munde führest: was soll das Weib thun, wenn das euch Männern geziemt, die ihr doch so gerne eine Art von Halbgötter scheinen möchtet.

KARL.

Schwester, du berührst eine Saite, eine Saite – – – – Ich fühle Verstimmung; aber auch in meinem Entschluß etwas, das nicht sein sollte, das ich anders wünschte. Sei es drum, daß ich das Mädchen lassen soll, nicht knüpfen soll die Bande, welche ich ihr träumen ließ: muß ich deswegen wie ein Meineidiger sie stillschweigend verlassen? Ist es auch die Handlung eines Mannes, daß er wie ein Knabe fliehe für das, was er meiden soll?

[21]
SOPHIE.
Und so sei dann wieder die Vernunft der Deckmantel der Leidenschaft.
KARL.

Nicht so, Schwester; ich überlasse dir selbst die Entscheidung. Ist's nicht Unmenschlichkeit, das Mädchen, das mich so ganz liebt, so ganz an mir hängt; voll Zuversicht auf meine Worte sich schon die Gattin ihres Liebhabers träumte; eingewiegt in diesem Traum, so weit ging, daß sie bald Mutter werden wird – –

SOPHIE
fährt zusammen.
Armes Mädchen! – – – Männer, was seid ihr vor Geschöpfe!
KARL.

Sag es aus, sage daß sie Bösewichte sind; nenne mich auch so – aber dann laß mich murren über den Streit zwischen unsren Leidenschaften und Konventionen – – Sag nun selbst, ob es nicht Unmenschlichkeit wäre, das Mädchen so stille schweigend zu verlassen.

SOPHIE.
Alles wahr – – – aber wo soll das alles hinaus? wenn du sie wiedersiehst –
KARL.
Werde ich sie bis auf die Wiederkunft meines Vaters vertrösten.
SOPHIE.
Der wird aber wiederkommen, und – –
KARL.

Dann – weiß ich's selbst? – – Da ist alles Nacht. – Was wünsche ich sehnlicher, als meinen Vater wieder zu sehen? Und doch, Schwester, zittre ich für seine Ankunft.

SOPHIE.
Kann man sich auch vor dem besten Ratgeber fürchten? Mir soll er das sein.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Graf Monheim, Sophiens Mann, kömmt mit Hrn. von Dromern herein, hat einen Brief in der Hand.

GRAF MONHEIM
zu Sophie.
Ihr Vater wird in weniger als einer Stunde da sein.
KARL.
Mein Vater: o! ihm entgegen, dem besten Vater. Eilends ab.
SOPHIE.
Freude; unser Vater wird nach so langer Zeit – –
MONHEIM.

Er hat Sie zwar überfallen wollen; da es aber billig ist, daß man ihn in seinem Hause gut empfange, habe ich es Ihnen voraus zu sagen gut gefunden.

SOPHIE.
Gleich werde ich die Bestellungen machen.Ab.
[22]
MONHEIM.
Ja – dazu ist sie zu gebrauchen; als Haushälterin höchstens; zu sonst nichts.
DROMER.
Verzeihen Euer Excellenz, es ist die liebenswürdigste Dame.
MONHEIM.

Es ist mir lieb für Sie, wenn Sie sie so finden; mir ist es das langweiligste, abgeschmackteste Geschöpf.

DROMER.
Doch eine sehr empfindsame Seele.
MONHEIM.
Ja, so äußerst empfindsam, daß ich für sie gar nichts mehr empfinde.
DROMER.

Freilich etwas übertrieben; aber wer kann auch gegen den durchdringenden, weit umfassenden Verstand von Euer Excellenz bestehen.

MONHEIM.

Gehorsamer Diener, gehorsamer Diener! Ich bin gern tolerant, gern tolerant, – wenn man nur gesunden Menschenverstand hat.

DROMER.

Als alter Freund vom Hause und devotester Diener von Euer Excellenz wollte ich doch unterthänig sagen, wie ich gewiß weiß, daß die Frau Gräfin einige Eifersucht über die Gräfin Amaldi haben, deswegen wollte ich raten, daß Sie gegen die Gräfin einige Rücksichten hätten.

MONHEIM.

Rücksichten? – was für Rücksichten? Amaldi ist eine große, treffliche Dame, und sie ist ein albernes Ding, das höchstens etwas deutsche Romanenlektüre hat, sich in der Welt nicht zu präsentieren weiß und mir Langeweile macht. Das ist genug. – Sie hat nicht einmal den Verstand, ein Liebhaber zu haben.

DROMER.
Das ist denn doch sonst ein ziemlich gewöhnlicher Verstand.
MONHEIM.

Und wenn ich vollends von einer Gräfin Amaldi zurückkomme, der Königin unter den Weibern, und dann von ungefähr meiner langweiligen Frau begegne, die mit dem Mond in Konversation ist, oder so etwas Ähnliches treibt; da möcht' ich gleich. –

DROMER.
Zur großen Welt ist die Gräfin freilich nicht sehr geneigt.
MONHEIM.

Auch kann ich eigentlich kein Haus halten, wie es einem Manne meines Standes geziemte. Kurz, das beste Mittel, ich räume ihr ein Landhaus ein und sondere mich so ganz nach und nach von ihr ab.

[23]
DROMER.
Ei, ei, wenn nun aber der Vater kömmt.
MONHEIM.

Eben der muß mir zum Vorhaben helfen. – Ich möchte rasend werden, wenn ich denke, daß ich vielleicht itzt der Gemahl der Gräfin Amaldi werden könnte, eine der reichsten und vornehmsten Witwen. – – Denn, unter uns, ihre Neigung zu mir ist mir gar nicht zweifelhaft.

DROMER.
Wo so eine Übereinstimmung des Geistes und der Seele ist – – –
SOPHIE
kömmt herein.
Alles habe ich besorgt.
MONHEIM.
Auch bestellt, daß wir heute im großen Saal essen müssen, daß die Livree in Gala erscheinen muß.
SOPHIE.
Das nicht.
MONHEIM.
Warum aber nicht?
SOPHIE.
Weil ich glaubte, dem Vater würde die Freude seiner Kinder die beste Gala sein.
MONHEIM.

Nicht einmal zur Haushälterin in einem bürgerlichen Hause wäre sie nutz. Baron, gehen Sie mit mir. Ab.

DROMER.

Wenn Euer Gnaden erlauben – ich bin ohnedem um diese Stunde zur Gräfin Amaldi bestellt; sie will, glaube ich, ausfahren.

SOPHIE.
O ja, gehn Sie nur.
DROMER.
Übrigens können Sie nicht glauben, was ich für eine Freude über die Ankunft Ihres Herrn Vaters habe.
SOPHIE.
Ich danke Ihnen dafür. – Kennen Sie ihn?
DROMER.
Ob ich ihn kenne? Er ist mein bester Freund.
SOPHIE.
Das wäre! wo haben Sie ihn denn gesehn?
DROMER.

Vor sechs Jahren habe ich einmal mit ihm in Wien zu Mittag gegessen, und da haben wir gar viel von hier gesprochen.

SOPHIE.
Ja, so!
DROMER.

Noch eins, Gräfin, aus bloßer Freundschaft. Geben Sie auf Ihren Gemahl Achtung, er spricht von Entfernung, von Scheidung. Aber wirklich, ich muß fort. Unterthänigster Diener! Ich hoffe, Sie werden meine Freundschaft nicht verkennen.

SOPHIE.
Ich wüßte nicht, womit ich ihn beleidigt hätte.
DROMER.
Nun, wenn man, wie der Herr Graf, verliebt ist – Ab.
SOPHIE.
Dromer – –
4. Auftritt
[24] Vierter Auftritt.
FERDINAND
Sophiens zweiter Bruder, der Offizier, kömmt herein.
Guten Abend, Schwesterchen.
SOPHIE.
Guten Abend. Du siehst ja ganz erhitzt aus.
FERDINAND.

Ja, das verdammte Exerzieren den ganzen Tag. Komm' eben erst davon her: und dann habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen.

SOPHIE.
Wieder herumgeschwärmt.
FERDINAND.

Du weißt, es war bis zwei Uhr Vauxhall, und hernach bin ich in eine Spielgesellschaft geraten – auch schläfert's mich ganz gewaltig.

SOPHIE.
Du wirst dich noch ganz um deine Gesundheit bringen.
FERDINAND.

Mit der Gesundheit hat es keine Not; aber desto mehr mit dem Gelde. – Schwesterchen, kannst mir keins lehnen?

SOPHIE.
Gestern gab ich dir ja noch mein ganzes Monatgeld; wo ist denn das schon wieder hin?
FERDINAND.
Frau Schwester, alles verspielt; die verfluchte Karodame! ich sehe sie noch.
EIN BEDIENTER.
Die Gräfin Amaldi. Ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Gräfin Amaldi, geführt von Dromern.

GRÄFIN AMALDI
macht eine tiefe Verneigung.
Es freuet mich, Sie zu Hause anzutreffen.

Sophie geht ihr entgegen; sie umarmen sich, Ferdinand macht eine tiefe Verbeugung, dann geht er auf Dromer zu, der die Gräfin herauf geführt hatte.
SOPHIE.
Setzen Sie sich, Gräfin. Was für einem Zufall kann ich die Ehre Ihres Besuchs zuschreiben?
GRÄFIN AMALDI.

Wirklich, man muß es mir nicht übel nehmen, wenn ich nicht oft ausgehe: aber ich bin beständig nicht recht wohl und dann fange ich an bequem zu werden: habe immer viele Gesellschaften.

SOPHIE.
Niemand kennt mehr den Wert des Hauslebens als ich. – Wollen sich die Herren nicht setzen?
[25]
GRÄFIN AMALDI
zu Ferdinand.
– Graf Ferdinand, haben Sie vorige Nacht viel getanzt?
FERDINAND.
Ganz entsetzlich; wohl acht Kontertänze, glaube ich, ohne Aufhören.
DROMER.
Auch ist ohne Schmeichelei der Herr Graf einer unserer besten Tänzer.
AMALDI.
Immer weiß der Baron jedermann doch was Galantes zu sagen.
SOPHIE.
Ja, ich glaube, vom Schweizer an der Thüre bis zum Hausherrn.
DROMER.
Gar zu gnädig.
FERDINAND.

Hör, Baron, ich glaube, du hast gleich am ersten Geburtstage deiner Mutter schon ein unterthäniges Kompliment gemacht für die Mühe, die sie gehabt hat. Alle lachen.

AMALDI.
Wo ist der Graf Karl?
FERDINAND.
Mein gelehrter Bruder? Ja, Gräfin, ich weiß wahrhaftig nicht. Er nimmt Dromer beiseite.
SOPHIE
zu Amaldi.
Wie ich glaube, unsrem Vater entgegen.
AMALDI.
Wie? soll der würdige Mann heute noch kommen?
SOPHIE.
In weniger als einer Stunde.
AMALDI.

In dem Fall wäre es unbillig, Sie länger aufzuhalten: nur erlauben Sie mir, daß ich Ihnen mit meiner gewöhnlichen Offenherzigkeit etwas sage.

SOPHIE.
Ich bin bereit zu hören.
AMALDI.
Dromer hat mir gesagt, daß Sie nicht gerne sähen, daß Ihr Mann in mein Haus komme.
SOPHIE.
Der Schwätzer, was – – –
AMALDI.

Still, Madame, geben Sie sich mit ihm nicht ab. Wenn ich Ihren Mann gelitten habe, so war es, weil ich mir eine Freude daraus mache, mehrere Männer um mich herum zu haben, um mit Vergnügen zu sehen, wie wir Weiber das schwache Männervolk nach Belieben leiten können. Nun aber – – – doch ich glaube, Dromer beobachtet uns, gehen wir in Ihr Kabinett.

SOPHIE
laut, indem sie aufstehen.
Wollen Sie meine Arbeiten sehen? Gehen ab.

Dromer und Ferdinand setzen ihre Unterhaltung fort.
FERDINAND.
Die verfluchte Karodame! und so ging's, daß ich alles verspielte.
[26]
DROMER.
Ich nehme außerordentlichen Anteil daran; befiehl nur, was ich dir als Freund erweisen kann?
FERDINAND.
Ja – Geld lehnen.
DROMER
betroffen.
Geld – Geld – – ja, wo soll ich zu Geld kommen?
FERDINAND.
Ja – da hat's der Teufel, wenn man mehr als Worte von euch Leuten haben will – –
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Karl kömmt herein.

KARL.
Wo ist meine Schwester?
DROMER.
Mit der Gräfin Amaldi im Kabinette.
FERDINAND.
Eben recht, Bruder, daß du kömmst, ich brauche Geld.
KARL.
Das glaube ich.
FERDINAND.
Habe aber keines.
KARL.
Schlimm.
FERDINAND.
Hast du auch keines?
KARL.

Für dich wenigstens nicht: was ich dir geben kann, ist der gute Rat, daß du doch einmal in deinem Leben vernünftig werden möchtest.

FERDINAND.
Auf was für einer Kasse holt man die Münze?
EIN BEDIENTER.
Der Regimentsadjutant will mit dem Graf Ferdinand sprechen.
FERDINAND.
Hat den der Teufel schon wieder da. Er möcht' nur hier herein kommen.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Unterdessen daß der Adjutant mit Ferdinand spricht.

KARL.

Ich habe meinem Vater entgegen gewollt; aber besser überlegt, will ich vorher noch mit meiner Schwester reden.

DROMER.

Ich glaube, der Besuch wird nicht lang dauern. Ich finde überhaupt sonderbar, warum Gräfin Amaldi mag hergekommen sein?

KARL.
Was geht das uns an? Aber was mein liederlicher Bruder dort wieder haben mag?
[27]
DROMER.

Er hat von mir auch Geld haben wollen; habe ihm aber gewiß keines gegeben, denn – – –Er spricht ihm leiser ins Ohr.

FERDINAND
zum Adjutant.
Aber, was Teufels, warum soll ich denn in Arrest?
ADJUTANT.
Das wird Ihnen der Oberst schon sagen; sein Sie nur so gut zu kommen.
FERDINAND.
Gleich, gleich. Adieu! meine Herren, ich muß nur geschwind wohin gehen.
KARL.
Weißt du denn auch, daß unser Vater gleich hier sein wird.
FERDINAND
freudig.

Unser Vater? Zum Adjutanten, beiseite. Ja, Herr Adjutant, da kann ich nicht mitgehen; nur bis morgen, dann will ich gern in Arrest.

ADJUTANT.
Herr Hauptmann, Sie wissen, ich habe meine Order.
FERDINAND.
Sie haben recht. Ich will den Oberst selbst bitten. Sie gehen ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Auf der andern Seite kömmt Monheim.

MONHEIM
beiseite zu Dromer.
Ist es wahr, daß Gräfin Amaldi bei meiner Frau ist?
DROMER.
Ja, Herr Graf.
MONHEIM.
Was macht sie hier?
DROMER.
Ich weiß nicht, aber es kam mir vor, als wäre von Ihnen die Rede.
MONHEIM.
Von mir?

Indem kömmt Amaldi heraus, um zu gehen; alle verneigen sich. Monheim will ihr den Arm geben, aber –.
GRÄFIN AMALDI.
Verzeihen Sie. Graf Karl, wollen Sie mich wohl hinunter führen?

Karl eilt hinzu, sie gehen.
MONHEIM
nachdem er erstaunt da gestanden zu Dromer.

Sie haben ganz recht. Dann mit heftiger Gebärde zu Sophie. Das haben Sie gethan, Madame, aber nicht umsonst. Glauben Sie nicht, daß man mir so mitspielen kann. Der Sache muß ein Ende gemacht sein, und ich werde dafür sorgen. Ab indem er den Dromer mitnimmt. Sophie bleibt ganz erstaunt stehen.

[28]
KARL
kömmt wieder zurück.
Was giebt's denn hier?
SOPHIE.
Mißhandlung meines Mannes. O! ich bin die unglückseligste Kreatur!
KARL.

Und was bin denn ich? Armer Vater, wenn du zurückkommen wirst, was wirst du finden? Du, dem sonst deine glücklichen Kinder harmlos entgegen sprangen: nun? ach, es ist in unserm Hause eine Zerrüttung; nie wird er allem abhelfen können.

EIN BEDIENTER.
Der alte Herr kömmt.

Sophie stürzt zum Zimmer hinaus.
KARL
bestürzt.
Ach meine Lotte – – – doch, ist's nicht mein Vater? Seiner Schwester nach.

Der Vorhang fällt.
Ein kurzer Zwischenakt.
2. Akt
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Maler sitzt an der Staffelei. Lottchen sitzt an der andern Seite an einem Spinnrad und singt aus Goethens »Erwin und Elmire«:

Ein Veilchen auf der Wiese stand,

Gebückt in sich und unbekannt u.s.w.


MALER.
Dank dir, meine Tochter, für dein Lied, es war trefflich.
LOTTCHEN.
Ich weiß es wohl, Vater, daß es Ihr Lieblingslied ist, drum hab' ich's auch gesungen.
MALER.

Gutes Mädchen, und wenn du wüßtest, wie sich dabei so gut malen läßt, wie jedes Gefühl der Seele in Bewegung gesetzt wird, und wie in Dieser Lage die Farben auf der Leinwand hinschmelzen, und wie ich mich auch dann, trotz allem, so innig vergnügt, so selig glaube.

LOTTCHEN.
Gott sei Dank, daß Sie doch einmal vergnügt sind.
MALER.

O mein Kind, hier an der Staffelei, das große Gefühl der Kunst in meiner Seele, der Gedanke der Natur, und hier in der Hand die Farben, mit denen ich's wiedergeben kann, was ich so mächtig fühle; glaube mir, bei einem Trunk kühlen Wassers und einem Stück Brot wär' ich unter Gottes Geschöpfen [29] sein dankbarstes und sein glücklichstes; wüßt' ich dich nur auch glücklich.


Lottchen springt auf, fällt ihm um den Hals.
LOTTCHEN.
Als wenn ich's nicht wäre wenn ich so bei Ihnen bin, liebster Vater.
MALER.

Liebes, gutes Kind! aber wenn ich dich dürftig leben sehe, sehe, daß mit genauer Not du mit deiner Arbeit mich, nicht ich dich ernähre; sehe, daß andere von meinem Stande schöne Kleider und alles geben, was euch Mädchen freuen kann, ihnen Reichtum verschaffen –

LOTTCHEN.

Ist das Ihre Schuld, Vater? Arbeiten Sie nicht Tag und Nacht? Können Sie davor, wann niemand Ihre Arbeit bezahlt?

MALER.

Ja, ich kann davor Lottchen; ich hätte ein Handwerk lernen sollen, ich hätte nicht folgen sollen dem Rufe der Kunst, den ich so mächtig in meiner Seele zu fühlen glaubte.

LOTTCHEN.

Sagen Sie mir nicht oft Vater, daß es im Menschen eine Stimme der Gottheit gebe, und daß man folgen müsse dem Beruf, den man fühle.

MALER.
Weil ich es aber that, seh' ich dich dürftiger als andre.
LOTTCHEN.
Und doch vielleicht glücklicher; gewiß, Vater, Sie werden mich so glücklich – so glücklich sehen.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Anne die alte Wärterin, kömmt herein.

ANNE.

Lottchen, da bring' ich etwas Zugemüß und Brot, aber Zum Maler. sie sagen, es wäre das letzte Mal, daß sie was borgen wollten; und bei Gott, ich weiß nicht, wo ich euch morgen etwas hernehmen soll.

MALER.

Entsetzlich! hast du ihnen denn nicht gesagt, daß ich hier vor mehr als viele tausend Gulden Arbeit hätte.

ANNE.

Ja, was geht das dem Kaufmann an; und kann man denn Geld für Eure Sachen bekommen? hab' ich's nicht in der ganzen Stadt herumgeschleppt? Mein Mann, Gott hab' ihn selig, war ein Tüncher, und wenn er nichts anzustreichen hatte, malte er auch so Bilder von der gnädigsten Herrschaft und heilige Schutzpatronen; [30] das ist reißend abgegangen; wir hatten immer vollauf zu leben. Wenn nur unser Herr Gott ihn nicht so früh genommen hätte, er sollt's Euch noch lehren, wie er's gemacht hat.

MALER
lächelnd.
Gutes Weib!
LOTTCHEN.
Da hab' ich ja Arbeit, die könnt' ich verkaufen.
MALER.

Noch nicht, Herzenskind, ich will zu einem Herrn gehen, der mir letztens aus Windbeutelei Gemälde abgekauft hat, und nun kann ich von dem reichen Prasser kein Geld bekommen; ich will's nochmal versuchen. Geht ab.

ANNE.
Nun, wie ist's, Lottchen? war der Graf noch nicht da?
LOTTCHEN.

Seit acht Tagen hab' ich ihn mit keinem Auge gesehen. Mich so allein zu lassen! da er weiß, in was für einem Zustand ich bin; da er mir so heilig versprochen hat, daß wir jetzt unsre Bekanntschaft meinem Vater sagen wollten und vor dem heiligen Altar ewige Bande uns knüpfen sollten, sobald sein Vater käme.

ANNE.

Aber liebes Lottchen, wie Sie auch sind. Sie wissen ja, daß er seinem Vater entgegengegangen ist, daß er dieser Tagen ankommen sollte, und daß auf dessen Ankunft Ihre Heirat beruhet.

LOTTCHEN.

Ich weiß das alles, liebe Anne, weiß alles, und doch bin ich so unruhig; ich liebe meinen Karl so von ganzer Seele, würde ihm alles anvertrauen, glaube so fest an seine Ehrlichkeit und fürchte doch so sehr

ANNE.
Sein Sie nur ruhig, das sind Folgen von Ihrem Zustande.
LOTTCHEN.

Sag, Anne, es sind Folgen des Gewissens, das sich schuldig weiß, das sich hat einschläfern lassen; Vorwürfe, daß die Tochter etwas ohne Wissen ihres besten Vaters thun konnte; sag – ach, ich wollte, du hättest mir bei der Bekanntschaft nicht geholfen.

ANNE.

So ist's, wenn man sich in solche Sachen einläßt; zuletzt hat man des Teufels Dank davon. Meine Gevatterin, die hat recht; sie sagt immer, man soll sich in die Händel nicht mischen; und hernach bin ich denn schuld, daß der Graf bei Ihrem Vater zeichnen lernte? daß er da täglich bei euch war? und daß ihr Bekanntschaft mit einander gemacht habt? Ich war nur die Briefträgerin; Euer Vater hätte auf euch acht haben sollen.

[31]
LOTTCHEN.

Ach liebe Anne, seid nicht böse, ich meint' es nicht so; und mein Vater, er hatte zu viel Zutrauen, glaubte, – O, Ihr hättet vorhin sehen sollen, wie ich an seinem Halse hing, wie er mich so lieb hatte, ich hätte es ihm so gern sagen mögen, aber ich konnte nicht.

ANNE.
Geben Sie sich nur zur Ruhe; worüber aber denn auch all der Lärm jetzund?
LOTTCHEN.

Ich weiß nicht, ich weiß nicht, gute Alte; aber ich fühle eine Unruhe; jedermann spricht von der Bekanntschaft meines Karls mit einer Gräfin Amaldi – das ist nichts, kann nichts sein, – weiß es und bin doch unruhig. Ich bin ihr gestern in der Messe begegnet; sie sahe mich an, und wie ich ihrem Blick begegnete, verzeih' mir's, lieber Gott! aber da war's um meine Andacht gethan. – – Anne, wenn Karl, wenn er ungetreu werden könnte!

ANNE.
Wird er doch nicht. Aber, womit kann ich Sie beruhigen? was soll, was kann ich thun?
LOTTCHEN.

Willst du, liebe Alte, willst du ihm diesen Brief geben? – Such ihn auf, sag ihm, er sei mit Thränen geschrieben, sag ihm, wenn er zu seiner Geliebten nicht kommen wollte, so möchte er kommen zur Mutter seines Kindes. Willst du, Liebe?

ANNE
gerührt.
Gleich, liebes, teures Lottchen, gleich.
LOTTCHEN.
So geh, Liebe, ich will unterdessen dem Vater das Abendessen bereiten.

Beide gehn ab.

2. Handlung

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Hausvater sitzt an einem Tisch, neben ihm rechts Sophie, links Karl, neben Sophie Ferdinand; neben Karl der Hr. Graf von Monheim. Am Eck sitzt auch das Kind in etwas steifer Gebärde. Sie frühstücken.

HAUSVATER.

Trefflich habe ich heute wieder einmal geschlafen, und mir ist so innig wohl, mich nach so langer Zeit wieder im Schoße meiner Familie zu sehen. O! meine Kinder, es giebt viele Leiden in dieser Welt; aber wo ist das Elend, das aufwiegen [32] könnte das Vergnügen eines Hausvaters im Zirkel seiner Kinder?

GRAF MONHEIM.
Ich wünsche nur, Herr Schwiegervater, daß Sie alles in Ihrem Hause in Ordnung gefunden.
HAUSVATER.

Ich habe meine Kinder gefunden und muß gestehn, daß ich auf sonst nichts gedacht habe: wie oft wünschte ich mir mit meiner Frau, Gott habe sie selig! einst so im Kreise unsrer Kin der und Kindeskinder ein glückliches Alter zu genießen: es hat nicht sein sollen. Sie, Herr Schwiegersohn, haben sie, glaube ich, nicht mehr gekannt?

GRAF MONHEIM.
Nein, ich kam nach ihrem Tod erst her.
HAUSVATER.

Es war ein treffliches Weib, so, Zu Karln. wie ich dir einst einmal eine wünsche. Statt Flitterwesen des Geistes und Weibergelehrsamkeit ein guter, echter, gesunder Menschenverstand. Feine Gefühle, aber ungekünstelte, so, wie sie die Natur dem Weibe gemeiniglich zu geben pflegt. Immer sauber und zierlich gekleidet, selbst in dem Innersten ihres Hauswesens, doch ohne Pracht und Verschwendung. Allezeit ausgeräumt, lustig; ich hatte keinen Verdruß, der nicht in ihrer Gegenwart verschwand. Keine Modedame, die so ihren ganzen Tag am Spieltisch und im Gesellschaftssaale verlor, sondern, was eigentlich des Weibes Bestimmung ist, eine gute, fleißige Haushälterin: und, war sie in Gesellschaft, diejenige, die alle aufmunterte.

SOPHIE.
O! daß sie noch lebte, daß sie mich lehren könnte – –
HAUSVATER.

Wünschte es auch; doch laß uns durch den Wunsch eines größern Glücks das gegenwärtige nicht vergessen. Zu Ferdinand. Du, als künftiger teutscher Herr, darfst von den Hausfreuden nichts wissen.

FERDINAND.

Ja, lieber Vater, wenigstens bin ich bei meiner künftigen Frau, dem schwarzen Kreuz, sicher, daß sie nicht den Humor ändert, und daß sie mich nicht betrügt.

HAUSVATER.

Ob deine Frau, wie du es nennst, auch sicher sein wird, daß du sie nicht betrügst, das weiß ich nicht.

FERDINAND.
Wir wollen schon einig mit einander werden.
HAUSVATER.
Aber Karl, warum so ernsthaft? machen diese Reden den Stammherrn tiefsinnig.
KARL.

Ich dachte eben, daß, bis man zu solchen Hausfreuden gelangt, der Weg so beschwerlich sei, und von den meisten verfehlt werde.

[33]
HAUSVATER.

Weil ihn die meisten verfehlen wollen; weil die meisten blinde Liebe, oder thörichten Eigennutz, nicht Vernunft als Wegweiser mitnehmen. Wenn man, wie du wirst können, frei wählen darf; einen Freund hat, der uns seine Erfahrungen mitteilt, den du an deinem Vater finden sollst, und mit ihm zu Rate gehst, dann darf man hoffen – – –

EIN BEDIENTER.

Der Baron von Dromer läßt den gnädigen Herrn fragen, ob er unterthänig aufwarten dürfe, und um wieviel Uhr.

HAUSVATER.
Wer ist der Baron von Dromer?
MONHEIM.
Ein gemeinschaftlicher Freund vom Hause und fast in allen Häusern wohl gelitten.
SOPHIE.
Kennen Sie ihn nicht? er sagt, Sie in Wien gesehen zu haben.
HAUSVATER.

Kann wohl sein, ich erinnere mich aber nicht: doch als Freund vom Hause wird er mir angenehm sein. Zum Bedienten. Es wird mir eine Ehre sein, den Baron zu sehen, und Leuten meinesgleichen sei ich nicht gewohnt, eine Stunde zu bestimmen.

FERDINAND.
Einen Komplimentenmacher der ersten Klasse werden Sie an ihm finden.
HAUSVATER.

Das ist eine beschwerliche Gewohnheit, die viele Leute angenommen haben, und ich habe nicht selten bemerkt, daß solcher Leute Wesen mehr in Worten als Handlungen besteht.

MONHEIM.

Doch dünkt mich, man versäume die Höflichkeit zu viel, und wir verlieren zuletzt gar den Ton der großen Welt.

KARL.
Ja, es ist ein Unterschied zwischen Höflichkeit und ewiges Komplimentenmachen.
HAUSVATER.

Gewiß: denn man kann ein biederer, gerader Mann sein; als solcher natürlich nur mit wenigen vertraut umgehen, aber es gegen niemand an Höflichkeit fehlen lassen.

SOPHIE.
Das ginge noch an, wäre er nur nicht jedermanns Freund – –
HAUSVATER.

Wirklich eine gefährliche Menschenart; denn natürlich unbestimmt, oder vielmehr ohne Charakter, richten sie oft mehr Böses an als die ärgste Bösewichte.

MONHEIM.
Sie verzeihen, Herr Schwiegervater,Indem er aufsteht. ich muß ausgehen.
HAUSVATER.
Auf baldiges Wiedersehen, Herr Sohn.

Monheim ab.
[34]
FERDINAND.
Wahrhaftig, ich glaube, es ist Zeit, ich muß zum Oberst; bald hätte ich's vergessen.
HAUSVATER.
Hoffentlich wirst du keines Vergnügens wegen deinen Dienst vergessen können.
KARL.
Du bekommst, glaube ich, heute die Wache?
FERDINAND.
Ja, es ist heute an mir; aber ich thue sie nicht.
KARL.
Warum.
FERDINAND.
Ich will dir's schon ein andermal sagen. Ich empfehle mich. Geht ab.
HAUSVATER.

Ein wenig mehr gesetztes Wesen, und diese Lebhaftigkeit wird sich zu seinem Stande gut schicken. Zu Sophie. Aber warum sitzt denn dein Kind so still? darf sich denn das nicht rühren? spring herum, mein Kind; ich kann es nicht leiden, wenn ein Knabe von sechs Jahren schon den Philosophen spielen soll.

SOPHIE.

Steh auf, der Großpapa erlaubt es. Das Kind steht auf. Geh hin, küß die Hand. Das Kind geht hin, um die Hand zu küssen: der Hausvater küßt es von Herzen. Jetzt zeig einmal dem Großpapa, wie geschickt du bist.

DAS KIND.
Soll ich aus der Mythologie, oder aus der Historie hersagen.
HAUSVATER.
Bist du so gelehrt?
SOPHIE.
Aus beiden: Wer war der Kriegsgott?
DAS KIND.
Mars.
SOPHIE.
Wer war der Gott der Liebe?.
DAS KIND.
Venus und ihr Sohn Kupido.
KARL.
Ei! weißt du denn das auch?
DAS KIND.
O ja, und da schießt der Kupido mit Pfeilen; aber sie thun nicht weh.
HAUSVATER.
Wirklich?
KARL.
Oft doch.
SOPHIE.
Wer war denn Alexander?
DAS KIND.

Ein großer König von Macedonien, er hat den Darius überwunden und auf seinen Doktor viel Zutrauen gehabt.

SOPHIE
küßt das Kind.
Brav, Fritz.
HAUSVATER.

Was bist du für ein Landsmann? Das Kind schweigt. Ich meine, ob du ein Franzose, ein Deutscher, oder ein Römer bist. Die Mutter will einhelfen, ein Deu – – Deu –.

DAS KIND.
Davon hab' ich nichts gehört.
[35]
HAUVATER.
Weißt du das nicht? und wußtest, wo Alexander – – –
DAS KIND.
Aus Macedonien – –
HAUSVATER.
Gut; aber du bist ein Deutscher.
DAS KIND.
Ein Deutscher?
HAUSVATER.
Ja, Kind, und sei stolz darauf. Nun sage mir aber einmal; giebt es mehrere Götter?
DAS KIND.
Drei.
SOPHIE.
Nicht doch, Fritz, ei –
HAUSVATER.

Seht ihr mit eurer Erziehung; ihr füllt den Kopf mit fremden Sachen an und laßt sie Worte ohne Sinn lernen. So ist's mit eurer Modeerziehung. Nimm mir's nicht übel, aber Sophie, das gefällt mir nicht, darüber müssen wir noch näher sprechen.

SOPHIE.

Wie gern, liebster Vater! Ihr Rat wird mir ein Gesetz sein. Ich will jetzt das Kind hinaufführen zum Lernen.

HAUSVATER.
Gut, ich komme bald nach.

Sophie ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Hausvater. Karl.

KARL.

Das, was Sie da sagten, dacht' ich oft: wenn man aus Kindern Papageien gemacht hat, glaubt man, genug gethan zu haben.

HAUSVATER.

Wie kann man das einer Frau übel nehmen, die mit dem besten Willen von der Welt folgt? Es wäre freilich die Pflicht des Mannes – –

KARL.

Ja, wofür sorgt der, als seinen gestickten Stern in alle Häuser der Stadt herum zu tragen; allen Vergnügungen nachzulaufen und nirgends keine zu finden: vor Stolz auf seinen Grafentitel beinahe zu bersten und dann doch zuweilen sich entsetzlich wegzuwerfen.

HAUSVATER.

Meine Schuld ist es nicht, daß Sophie ihn heiratete: auch gefällt die Art, wie sie mit einander leben, mir gar nicht. Doch davon ein andermal. Es ist der erste Augenblick, Karl, wo ich dich allein sehe. Karl will ihm die Hand küssen, der Hausvater umarmt ihn. Wie hast du gelebt, seitdem wir von einander waren?

[36]
KARL.

In einer geschäftigen Unthätigkeit, mein Vater, wie die meisten von uns, die noch keine Bestimmung haben.

HAUSVATER.

Wohl dir, daß du nach Bestimmung und Thätigkeit verlangst; aber, mein Sohn, der Baum muß Kräfte haben, ehe er Früchte tragen kann. Ich hätte dich vielleicht auch, wie viele deinesgleichen, schon vor einiger Zeit in irgend ein Dikasterium bringen können. Aber ich hasse es, daß man dem Fürsten durch vieles Bitten unbärtige Knaben aufdringt, die kaum Sinns genug haben, um ihre eigne Handlungen im Gleichgewicht zu halten, und die dann über Leben und Tod, über Ehre und Vermögen, über das Wehe und Wohl eines ganzen Landes entscheiden sollen; denn der Fall trifft sich oft, daß es auf die Stimme eines einzigen ankommt, ob man dem Fürsten einen guten oder landesverderblichen Anschlag giebt.

KARL.

Nicht um von einem besonderen Fall zu reden; aber richten sich unsre Fähigkeiten nach dem Alter? giebt es nicht Jünglinge von zwanzig Jahren –

HAUSVATER.

Die oft mehr Fähigkeiten, mehr Kenntnisse haben als alte? das leugne ich nicht: aber selten hat der Mensch in diesem Alter die Festigkeit, das bestimmte Wesen, was eigentlich den wirksamen Menschen ausmacht. Gewöhnlich sucht man seinen Kindern einen Stand im Staate, nicht um dem Staat dadurch zu nutzen, sondern um sie vom Staat füttern zu lassen, ihnen ein bequemes Einkommen zu schaffen, oder ihrer Eitelkeit zu schmeicheln. Ich möchte wenigstens keines meiner Kinder dem Staat eher hingeben, bis daß ich nicht hoffen dürfte, ich gebe ihm in ihnen ein nützliches Geschenk.

KARL.

Aber es giebt eine Zeit, wo der Jüngling einen unwiderstehlichen Hang zur Geschäftigkeit fühlt, wo ein Feuer in uns brennt, das uns verzehrt, wenn man nicht Luft macht. Wo man in sich Kräfte fühlt, um Berge zu versetzen.

HAUSVATER.

Und dann in eine Welt kommt, wo von allem dem nicht die Rede ist; sich bei einem jeden Schritt aufgehalten findet; in so mancherlei Verwicklungen mit andren Ständen gerät, so viele Hindernisse in dem Eigensinn und den Leidenschaften der Mitarbeiter findet, Dummheit, Vorurteile überall: Glaube mir, man kann mit dem besten Kopf, mit dem besten Herzen und der thätigsten Tugend nichts ausrichten, wenn man nicht eine beinahe himmlische Weisheit, eine bis fast zur Schelmerei feine Klugheit, [37] eine unbezwingliche Geduld und eine unermüdliche Arbeitsamkeit hat: und wie kann man diese Eigenschaften, die auch bei dem erfahrensten Manne so selten sind, bei der Wärme und dem Mute, dem wilden Feuer eines Jünglings nur mutmaßen.

KARL.
Ist aber Handeln, Thätigsein, nicht unser erster, frühster Beruf?
HAUSVATER.

Freilich, Bestimmung des Menschen, aber es muß beim Handeln auch etwas herauskommen; der Mensch muß mit Zuversicht sagen können: »Es war gut, was ich gemacht habe.« Überhaupt ist es mit euerm Kraftgefühl so ein wesenloses Ding;. eine Fackel, die ihr ohne Unterschied, jung und alt, Mann und Weib, ohnberufen unter der Nase herumtragt, und die doch beim ersten Windstoß verlischt. Ich habe gerne, daß Männerkraft sei wie der Funken im Feuerstein, nur sichtbar, wenn Eisen daran schlägt, aber dann gewiß. Doch, das alles ist nicht gesagt, daß ich dich noch länger ohne wirkliche Beschäftigung lassen möchte; heute noch, wenn ich nach Hofe komme, will ich um eine Stelle für meinen Karl bitten.

KARL.
Bester Vater, durch Ihren Rat, Ihre Unterstützung geleitet – – –
EIN BEDIENTER.
Es ist ein Bauer vom Gut da, der läßt unterthänigst anfragen, ob nichts zu bestellen sei.
HAUSVATER.

Er soll gleich selbst herkommen, ich will ihn sprechen: Der Bediente ab. solcher Leute Zeit ist kostbar, man muß sie nicht warten lassen. Sei so gut, Karl, und bestelle mir den Amtmann her, er ist schon seit heute früh da.

KARL.
Gleich. Ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Bauer kömmt herein, der auf seine Art ein Kompliment macht.

DER BAUER.
Ich habe eben gehört, daß unser alter gnädiger Herr hier sei, da habe ich anfragen wollen – –
HAUSVATER.
Und habt mich nicht selbst sehen wollen?
DER BAUER.
Ich hab eben nicht das Herz gehabt.
HAUSVATER.

Nicht das Herz gehabt, Euren Vater zu sehen? denn das möcht' ich Euch gerne sein. Was thut Ihr in der Stadt?

DER BAUER.
Ich habe heute Frucht auf den Markt geführt.
[38]
HAUSVATER.
Habt Ihr gut verkauft?
DER BAUER.

Leider Gottes so wohlfeil, daß es nicht die Baukosten verlohnt; aber was will man machen, es muß doch gelebt sein.

HAUSVATER.
Es wird schon hoffentlich noch besser gehen.
BAUER.
Schlechter statt besser!
HAUSVATER.
Glaubt Ihr das nicht?
DER BAUER.
Gnädiger Herr – – Nu, Gott kann alles wohl fügen; – – aber –
HAUSVATER.
Redet nur geradezu – – sagt, was Ihr denkt.
BAUER.

Ich sag's eben so, wie mir's ums Herz ist, – – aber – – ich weiß nicht recht, wir kennen eben den gnädigen Herrn nicht genug –

HAUSVATER
nimmt den Bauer bei der Hand.

Dank für den Vorwurf; – – künftig sollt Ihr mich mehr kennen lernen. Aber, offenherzig; seid Ihr mit Eurer Herrschaft nicht zufrieden?

BAUER.
Ach, unsre Herrschaft wäre schon gut, wenn – – –
HAUSVATER.
Was? wenn? – – nur getrost heraus.
BAUER.

Unser gnädigen Herrschaft wollen wir gern alles geben, was wir können. Unsereins braucht nicht viel: wenn wir nur uns und unser Gesind kümmerlich ernähren können, genug zur Saat übrig behalten; mein Gott, sonst brauchen wir nichts. Alles gern der gnädigen Herrschaft, aber –

HAUSVATER.
Nun? aber – – –
BAUER.

's is eben hart, daß wir sehen müssen, daß wir arbeiten müssen vor andre, die's mit der gnädigen Herrschaft teilen.

HAUSVATER.
Wie meint Ihr das?
DER BAUER.

Bin nur 'n dummer Bauer, aber das sieht sich doch, des Amtmanns Staat, wo soll denn das herkommen? Der gestrenge Herr, seine Frau und Kinder – – mein Gott; sie blitzen wie 'n Pfau vor schöne Kleider – – haben immer Gäste und spielen – – – mein Gott, unsereins weiß auch was's kostet; wenn wir nur einmal Kindstauf haben – – wie lange muß man nicht wieder sparen; und da geht's alle Tag – – –

HAUSVATER.
So? und da nimmt man Euch wohl sehr viel ab?
BAUER.
Gnädiger Herr, ich mag niemand nichts Übels nachsagen – das thu' ich nicht.
HAUSVATER.
Wohl, aber Wahrheit muß doch an den Tag. Ich befehl' Euch zu sprechen.
BAUER.

Nu – gnädiger Herr, will man was haben, so [39] muß man eben mit vollen Händen kommen; giebt man dem Bedienten nichts, so kommt man nicht vor den gestrengen Herrn. Der gestrenge Herr Amtmann, nu lieber Gott, der sagt eben ja, – ja: aber er thut eben nichts, wenn man nicht – –

HAUSVATER.
Sagt mir das deutlicher.
BAUER.

Will man eben sein Gült Korn entrichten, oder so was, – ja, da hat er keine Zeit, da bleibt's liegen bis man's selbst aufgezehrt hat, und da wird man exequiert – – will man dann wohl oder nicht, man muß eben zahlen, damit man einen Ausstand kriegt.

HAUSVATER.
Abscheulich – –
BAUER.

Oder will man gern was von der Herrschaft – ja, bringt man nichts, so kann's eben der Amtmann ohne die gnädige Herrschaft nicht thun, bringt man aber was mit – – da ist's gleich geschehen.

HAUSVATER.
Die Folgen, wenn man für seine Unterthanen nicht sorgt.
BAUER.
Die härteste Zeit vor uns ist so um die Fasten herum.
HAUSVATER.
Wie das?
DER BAUER.

Da ist eben der gestrenge Herr Amtmann mit Frau und Kinder so sechs Wochen lang in der Stadt gewesen; weiß nicht, was sie eigentlich treiben, aber fast bis Ostern hin müssen wir als den Doktor holen, so krank kommen sie zurück: und da kann man nichts recht thun, über alles soll man gestraft werden, da muß man sein letzten Pfennig hinbringen.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Der Amtmann kömmt herein.

BAUER
fährt zusammen.
Ach, der gestrenge Herr!
HAUSVATER.
Nun, so geht nur Eures Weges; ich will es mir merken.
BAUER.
Aber, gnädiger Herr! – ich und die Meinige wären unglücklich.
HAUSVATER.
Nicht doch, zählt auf mich.

Bauer ab.
HAUSVATER.
Guten Morgen, Herr Amtmann.
AMTMANN.
Demütigster Diener, Ew. Hochgräflichen Excellenz. Will ihm die Hand küssen.
[40]
HAUSVATER.

Lassen Sie's gut sein: lassen Sie's gut sein! Sie wissen, ich bin kein Liebhaber von Titulaturen und Komplimenten: und ein ehrlicher Mann braucht vor niemand zu kriechen, auch nicht vor seinem Herrn. Wie ist's, wie sieht's auf dem Gute aus?

AMTMANN.

Sonst sieht's recht gut aus; freilich hat man viel zu thun, besonders mit den widerspenstigen Bauern.

HAUSVATER.

Wenn der Bauer widerspenstig ist, so ist es größtenteils die Schuld der Herrschaft. Sobald ich übrigens kann, werde ich hinaus kommen und mir alles, was meine Unterthanen betrifft, angelegen sein lassen.

AMTMANN.
Allzugroße Gnade!
HAUSVATER.

Sagen Sie Pflicht. Ist es nicht genug, daß durch des armen Bauers Schweiß der Edelmann genährt wird? Wir müssen viel Mühe anwenden, um nur einigermaßen in einem Staate wieder gut zu machen, was der Adel dem nährenden Stande, mithin dem allgemeinen Wesen schadet. Doch mit Ihnen sollte ich wohl über solche Dinge nicht sprechen.

AMTMANN.
Euer Hochgräflichen Excellenz werden doch an meinem Diensteifer – –
HAUSVATER.
Das wird sich zeigen; die Thaten eines Mannes sprechen für ihn.
AMTMANN.

Euer Hochgräflichen Excellenz wissen, daß ich mich auf mein jus verstehe, und daß ich, wenn es darauf ankömmt, die Rechte der Herrschaft über die Unterthanen auszudehnen, ich es so einzurichten weiß, daß kein Mandatsprozeß gegen uns herauskommen kann –

HAUSVATER
aufgebracht.

Den Teufel weiß ich – – wer hat Ihnen? – Er faßt sich. doch es wird sich finden. Was haben Sie da für ein Papier?

AMTMANN.

Es ist ein Finanzvorschlag. Er betrifft die Strafgelder; ich glaube unmaßgeblich, daß, wenn man die Strafen geringer ansetzte, sie häufiger fallen würden und dadurch mehr ad cassam käme.

HAUSVATER
unwillig im Herausgehn.
Herr, ich wollte, Sie wären bloß ein Narr und nicht auch ein Schurke. Der Amtmann erschrocken nach.

Der Vorhang fällt.
Kurzer Zwischenakt.
5. Auftritt
[41] Fünfter Auftritt.
Das Zimmer der Gräfin Amaldi. Ein aufgestellter Nachttisch in demselben, die Kammerjungfer räumt daran auf.
Gräfin Amaldi kommt heraus, im Pudermantel, ihr folgt Graf Monheim.

AMALDI.
So ist es, Graf: ich hoffe, Sie werden mich so verstehen, wie ich es meine.
MONHEIM.

Ich verstehe Sie nur zu gut. Der Inhalt von allem ist, daß Sie meiner überdrüssig sind, daß Sie mich nicht mögen, meiner los sein möchten.

AMALDI.
Das hätte ich wirklich gesagt? Lassen Sie doch hören – –
MONHEIM.

Ja, was sollte denn sonst Ihre Rede bedeuten: »künftig müßten Sie sich meine öfteren Besuche verbitten« und dergleichen.

AMALDI.

Sind Sie so kurzsichtig, nicht unterscheiden zu wissen zwischen dem, was man gern thut, und dem, was man thun muß?

MONHEIM.
Muß eine Amaldi auch etwas?
AMALDI.
Nun, Graf, man muß auch das, was man für gut, für ratsam hält, was – –
MONHEIM.

Aber, wie trifft das alles hier zu: denn, wie ich schon einmal gesagt habe, ich will zum Besten meiner Frau hoffen, daß sie Ihnen nicht wird Sachen in den Kopf gesetzt haben, die – –

AMALDI.
Lass' ich mir wohl Sachen in den Kopf setzen? Graf, Sie kennen mich schlecht.
MONHEIM.
So meint' ich es nicht, aber, was kann man – – –
AMALDI.

Kurz, denn sonst seh' ich wohl, daß unser Gespräch nie zum Ende kömmt: ich glaubte, Ihre Frau sei vernünftig genug, sich um das Betragen ihres Mannes nichts zu bekümmern; und so lange habe ich Sie, Herr Graf, in meinem Hause geduldet. Nun ich aber das Gegenteil weiß, sehen Sie, so muß ich mir schlechterdings Ihren fernern Umgang verbitten; denn eine Amaldi leidet keine Nebenbuhlerin, kann den Mann nicht zum Liebhaber dulden, der sich zwischen ihr und einer andren teilt, wär' es auch seine Frau.

MONHEIM.

Teilen? Gnädige Frau, teilen? Wo ist ein Teil meiner, der Ihnen nicht ganz gehört. Und quält Sie auch der Gedanke, daß ich meine Frau im Hause habe, morgen früh [42] soll sie fort, sie soll auf einem entfernten Landgute leben; und Er wirft sich zu ihren Füßen. dann werde ich doch auch Ihre Liebe?

AMALDI
fängt ein lautes Gelächter an.

Meine Liebe? – die Gedanken Ihrer Frau mich quälen, Sie lacht. Glauben Sie denn, daß ich Sie je lieben könnte, glauben Sie denn je, daß ich eine gemachte Eroberung mir durch jemand anders abnehmen lasse, wenn sie mir nicht von selbst überdrüssig wird? Ha, ha! ich wollte versuchen, wieweit auch ein Mann von Erfahrung seine Thorheiten treiben könne, um dadurch mehr Nachsicht gegen die Jüngeren zu bekommen. Nun weiß ich es, und nun Sie verneigt sich. leben Sie wohl.

MONHEIM.
Gräfin, Sie werden mich zu einem Schritt verleiten.
AMALDI.
Sich doch nicht umbringen. Ha, ha!
MONHEIM.
So lachend sagen Sie das?
AMALDI.

Ja, ich denke eben, was für Briefe Goethe den neuen Werther schreiben ließ. Adieu, feuriger Liebhaber. Sie geht.

MONHEIM.
Ha, Weib! das ist dein Werk, aber ich will es dir entgelten. Er will fort.
KAMMERJUNGFER.
Herr Graf, was bekomme ich für eine Belohnung.
MONHEIM.
Geht, Weiber. Ab.
GRÄFIN AMALDI
kömmt heraus.
Ist der Narr fort?
KAMMERJUNGFER.
Ja, gnädige Frau. Die Gräfin setzt sich, um die Haare in Ordnung zu bringen.
GRÄFIN AMALDI.

Eine Art von Vergnügen bleibt es denn doch immer, zu sehen, wie wir Weiber mit einigen wenigen guten Worten uns das ganze Männervolk zinsbar machen können.

KAMMERJUNGFER.
Oft sind wir aber auch – –
AMALDI.

Werden auch wir ertappt, kann sein, zum Beispiel, nicht wahr, wenn ein Graf Karl, willst du sagen – –

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Karl tritt herein.

KARL.
Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich unangemeldet hereintrete.
AMALDI.
Sie wissen ja, Graf, daß Sie das Recht haben.
KARL.
Sie sind noch mit Ihrer Toilette beschäftigt?
[43]
AMALDI.

Ich habe erst spät anfangen können; und Sie wissen wohl, daß das bei uns Weibern ein wesentliches Geschäft ist, ohnerachtet eigentlich ihr Männer es seid, die es uns zur Notwendigkeit gemacht habt.

KARL.
Das ist ein schaler Mensch, der bloß auf den Putz seiner Schönen sieht.
AMALDI.

Eingestanden, wenn er bloß darauf sieht; aber glauben Sie mir, es ist keiner, dem es nicht eine angenehme Nebensache wäre; und da es nun einmal unsre Bestimmung heißt, euch Männern zu gefallen, was Wunders, daß wir auf so eine wichtige Nebensache unsere Aufmerksamkeit wenden?

KARL.

Was ich dabei bemerke, wäre, daß keine Sache in der Welt ist, die nicht durch die Beredsamkeit einer Frau eine andre Wendung bekömmt.

AMALDI.

Und so wär' also wohl nichts so schlimm, das nicht durch uns gut scheinen könnte; aber auch nichts so gut, das wir nicht böse darzustellen vermögen? Sehen Sie, Graf, da wären wir ja vortrefflich, um den Satz zu bestätigen, daß alles seine guten und schlimmen Seiten habe: und wenn ich es recht bedenke, die größten Verteidigerinnen des Systems der besten Welt.

KARL.
Sie werden ja eine ganze Philosophin.
AMALDI.
Und, nicht wahr, das ist Mißton im Munde des Weibes?
KARL.

Sie wollen sagen, fremder Ton, gefährlich, wenn er allgemein würde; aber bei Ihnen, die sich so sehr von Ihrem Geschlechte auszeichnen, trifft das nicht ein.

AMALDI.

Auszeichnen, das möchte ich gerade nicht, ich kenne die Grenzlinie wohl zwischen Mann und Weib; aber sehen Sie, da so viele Männer weibisch werden, lassen Sie immer hie und da auch ein Weib etwas vom Mann annehmen.

KARL.
Was ist nicht gut, trefflich bei Ihnen?
AMALDI.

Sie werden galant, mein lieber Graf: und das ist bei Männern Ihrer Art entweder Ironie, oder Nichtsdenken.

KARL.
Sie vergessen das dritte: Wahrheit.
AMALDI.
Genug davon, das könnte uns zu weit führen. – Ob Sie wohl schon recht verliebt waren?
KARL.
Ich war es nie halb.
AMALDI.

Das ist viel gesagt. Seitdem ich Witwe bin, habe ich, wie Sie wissen, manchen gesehen, der mir wollte glauben [44] machen, er sei in mich verliebt; er bildete es sich auch wohl selbst ein: aber unter allen kein einziger, von dem ich das mit Wahrheit hätte sagen können. Der Gedanke, daß ich eine reiche Witwe sei, daß durch meine Bekanntschaften ich meinem Manne eine ansehnliche Stelle bei Hofe schaffen könnte, war wohl immer der gemeinschaftliche Punkt, aus dem alle meine Liebhaber ausgingen. Wirklich, um das Vergnügen der Liebe zu genießen, muß man keinen Rang, keine Reichtümer haben, wahrhaftig – ha, ha, man sollte eine arme Malerstochter sein.

KARL
bestürzt.
Warum das gerade?
AMALDI.

Und warum Sie so bestürzt? Ha, ha, meinen Sie, ich wüßte nichts von Ihnen; ist nicht eine gewisse Malerstochter?

KARL.
Nun ja. Aber woher wissen Sie denn das?
AMALDI.

Von Dromern, von Ihrem und meinem Freunde; dem ich bloß zuweilen ein schönes Wort sage, damit ich hie und da Neuigkeiten erfahre, jemand habe, der mich Treppe auf und ab führe, und sicher sein kann, in allen Gesellschaften eine Person zu meiner Trissettpartie zu finden.

KARL.
Also von dem schwatzhaftesten unter der Sonne – –
AMALDI.

Und warum soll man denn das auch nicht wissen, was ist es nun weiters? denn daß Sie sie wirklich heiraten wollten, das kann nicht sein: so schwach glaube ich Sie nicht, daß Sie Kreaturen dieser Art für was anders ansehen sollten, als was sie sind, 1 Zeitvertreib. Ich mußte recht darüber lachen, daß der einfältige Dromer nur fürchten konnte, als würde ein Graf Karl entsagen dem Berufe, den er sich zum großen Mann fühlen muß; versperren alle Zugänge zu jeder ihm itzt offnen Ehrenstelle, aufgeben alle vorteilhaften Verbindungen, wo ich wohl dafür stehen möchte, daß es nur von seiner Wahl abhänge.

KARL.
Auch, Gräfin, sollen Sie mich hoffentlich auf keiner Schwachheit begegnen.
AMALDI.

Das sicherste Mittel, lieber Graf; als Freundin rate ich es Ihnen, – Sie werfen sich in die Arme einer andren.

KARL.
Verstehen Sie sich so wenig auf Leidenschaften?
AMALDI.

Wer sagt denn, daß Sie die andre gleich lieben [45] sollen? Suchen Sie sich eine Person, die Ihnen, ohne verliebt zu sein, nicht unangenehm zu sein scheint. Heiraten Sie sie, und dann sind Sie gegen jene Schwachheit gesichert.

KARL
halb vor sich seufzend.
Und bin dann –
AMALDI.

Ein Betrüger, wollen Sie vielleicht sagen. Lieber Graf, das ist unter unsern beiden Geschlechtern so was Gemeines geworden, daß die Schuld an denen ist, die sich betrügen lassen: und warum wollen Sie allein der Thor sein? Ihr Mädchen, sie sei noch so vollkommen, bleibt immer Weib und, ich bin selbst ein Weib, als solche Ihnen nur so lang getreu, bis sie nichts neu findet, das ihr besser dünkt. Glauben Sie mir, verheiraten Sie sich.

KARL.
Aber warum heiraten? warum gerade das?
AMALDI.

Weil es für Sie das einzige, beste Rettungsmittel ist. Aber, folgen Sie mir; nicht wiederum eine Romanengeschichte –: suchen Sie sich eine Person, die Ihnen Reichtümer und Protektion verschafft; dann, sei sie nur ein wenig erträglich – und es wird schon gut gehen.

KARL.

Wenn Sie so beredt für das Heiraten sprechen, warum heiraten Sie selbst nicht wieder? Nicht wahr, Sie wollen sich nicht wiederum Ketten anlegen?

AMALDI.

Das nicht – – aber – vielleicht – – – Leben Sie wohl. Im Abgehen. Amaldi läßt sich nicht gern auf ihrer schwachen Seite sehen.

KARL
steht ganz erstaunt da und sagt halb artikuliert.
Sonderbar. Ab.

Der Vorhang fällt.

3. Handlung

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Sophie sitzt an einem Arbeitstisch; die Arbeit liegt auf dem Tische, sie liest in einem Buche. Karl kommt herein.

SOPHIE.
Warum so verstört, lieber Bruder?
KARL.

Schwester, weil ich der unglücklichste Mensch bin, der schwankendste, unbestimmteste Knabe, mir selbst ein Abscheu.

SOPHIE.
Warst du bei dem Mädchen?
KARL.

Ach, ich wollte, ich wäre da gewesen, da wäre ich [46] doch ganz, was ich wäre; entweder ihr auf immer ergeben, oder ewig von ihr getrennt. Wahrhaftig, dem Menschen ist keine größere Erniedrigung als der Zustand, in dem ich bin.

SOPHIE.

Wenn du nicht dort warst, was ist denn sonst vorgegangen? sag es deiner Schwester, die dein Vertrauen zu haben hofft: sag es ihr, und was ich helfen, was ich thun kann – – –

KARL.

Ich war bei Amaldi; wie ich dir schon gesagt habe, ein großes, herrliches Weib; eine männliche Seele. Dir sei's gesagt, denn du weißt, wieweit ich von Prahlerei dieser Art entfernt bin, ich glaube, es hängt von mir ab, und sie wird meine Gattin.

SOPHIE.
Sie, um deren Reichtümer, um deren Ansehen das ganze Land buhlt?
KARL.

Auch ging ich von ihr weg, dachte mir die Vorzüge, die ich dadurch erhalten könnte, – dachte mir auf der andern Seite das Elend, in das ich rennen, meine Lotte mitstürzen wollte, und war fest entschlossen, das Ganze meinem Vater zu entdecken und dann um Amaldi anzuhalten. Lieben kann ich zwar außer Lotten niemand, aber ich werde sie schätzen können, und – – –

SOPHIE.
Nun?
KARL.
Mit diesem Vorsatz komm' ich her und empfange an der Thüre diesen Brief von ihr.
SOPHIE.
Von wem?
KARL.

Von ihr, meiner Lotte. Höre nur, ich bitte dich.

»Acht Tage sind es, du mein Einziger, Liebster, daß du nicht bei mir warst. Wo ist mein Gemahl? denn das bist du vor Gott. Verlassen! vergessen! Wenn Karl mich je verlassen kann, dann, es ist schrecklich, aber dann morde ich mit eignen Händen das Kind, das ich von ihm bekomme, das wird mütterliche Wohlthat sein; und lass' mich dann öffentlich hinrichten. Was soll denn ein elternloses Kind, ein entehrtes Mädchen auf dieser Erde thun? Doch ich rase, Karl kann das nicht. Aber Gleichgültigkeit, Kälte war schon Tod für mich. Komm ja bald, oder meine Thränen brennen meine Augen aus; komm zu

Deiner getreuen

Lotte.«
SOPHIE
die äußerst gerührt ist, nach einiger Pause.
Und nun, was willst du thun?
KARL.

Weiß ich es selbst? O, mich öffentlich zur Schau ausstellen, [47] daß jeder Jüngling mich sehe, vor mir zurückschaudre! und erfahre, was unbesonnene Liebe aus den Menschen machen kann. – – – – Rate mir, Schwester! Rate mir.

SOPHIE.

Es kömmt auf dich an: du hast zu wählen: ob du lieber deinen Vater, der dich so innig liebt, sein ganzes Vertrauen auf dich setzt, aller künftigen Freude berauben willst, die er in dem Gedanken finden könnte, durch dich sein Haus würdig fortgesetzt zu sehen; ob du allen weitern Ansprüchen auf Ehre und Ruhm auf immer entsagen, und nach dem ersten Jahre der Liebe ein Leben voll Widerwillen und Vorwürfe fortschleppen magst; oder ob du dein Mädchen dem ersten, augenblicklichen Schmerz überlassen, sie anständig versorgen willst, und sich mit so vielen trösten läßt, die gleiches Schicksal gehabt haben. Zeit gewöhnt uns an alles, und kann man die ganze Sache nicht geheim halten, und so die Ehre des Mädchens retten?

KARL.

Gut gesagt – aber – – – o, ich sehe deinen Mann kommen, in dem Zustand möcht' ich nicht gesehen sein; ich will auf mein Zimmer, laß mich rufen, wenn unser Vater kömmt. Ab.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
MONHEIM
im Hereintreten.
Ging da nicht Karl?
SOPHIE.
Ja.
MONHEIM.
Warum vermeidet er mich?
SOPHIE.
Daß ich nicht wüßte; er wollte eben auf sein Zimmer gehen.
MONHEIM.

O, ich merk' es allzuwohl, daß ich ihm, wie Ihnen, Madame, und Ihrer ganzen Familie unerträglich bin.

SOPHIE.

Welche Einbildungen! Karl kömmt eben von der Gräfin Amaldi, und im Vertrauen, ich glaube, er ist in sie verliebt – – –

MONHEIM.

Was wollen Sie damit sagen? Ah – das soll Spott sein? – so ist das Komplott also gewiß? – hat also Dromer recht? – so soll ich also der Narr von euch Weibern sein, euch zum Gelächter dienen?

SOPHIE.
Ich erstaune; was ist Ihnen?
MONHEIM.

Als wenn Sie es nicht wüßten: als wenn das nicht überklug eingerichtet gewesen wäre, daß Amaldi mich auf [48] das Äußerste treiben, und dann mit Hohngelächter verlassen müssen. Sie haben mich demütigen wollen?

SOPHIE.
Bei Gott! ich weiß von allen dem nichts.
MONHEIM.

O! Schwüre der Weiber, denen glaubt man auch sobald? Ja – aber Sie haben sich geirrt, ich will nicht länger das Gespött einer Familie sein, die ich hasse. Ich will noch morgen fort, ich will Ihnen einen anständigen Unterhalt geben, und will auf immer von Ihnen geschieden sein. Daß Sie sich dem nur nicht widersetzen, ich sage es Ihnen.

SOPHIE
im Aufstehen.
O! sorgen Sie nicht, ein Mann Ihrer Art –
MONHEIM.
Ich habe Jahre genug mit einem einfältigen, hirnlosen Weibe verträumt – –
SOPHIE.
Sie sind ein wilder, unbändiger Mann. Im Abgehen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
DER HAUSVATER
kömmt herein.
Was ist? was ist hier vorgegangen?
MONHEIM.
Gut, daß Sie kommen. Ich kann nicht länger mit Ihrer Tochter leben.
HAUSVATER.
Und warum das nicht? was für Ursachen?
MONHEIM.
Tausend in einer. Sie ist mir unerträglich.
HAUSVATER.

Und warum war sie es Ihnen denn sonst nicht? warum gaben Sie sich denn so viele Mühe, sie zu bekommen?

MONHEIM.

Weil ich verblendet war, weil ich nichts Bessers kannte. Und nicht genug, daß ich sie dulden muß; sie geht mit heimlichen Ränken um, sucht mich jedes andern Vergnügens zu berauben: macht mich zum Gespötte der Welt. O! ich wollte – – –

HAUSVATER.

Ruhig, Herr Graf, ruhig; betragen Sie sich, wie es einem Manne geziemt: haben Sie Beschwerden, so stellen Sie sie als Hausvater ab, und wollen Sie mich zu Rate ziehen, so stehe ich dann zu Dienst.

MONHEIM.

Von nichts will ich mehr hören, als von Trennung, von Scheidung: und ich sage es Ihnen zum voraus, willigen Sie nicht ein, nehmen Sie Ihre Tochter nicht zurück, so werde ich sie so mißhandeln –

HAUSVATER
halb aufgebracht.

Herr, dafür werde ich sie schon sicher [49] zu stellen wissen. Gehn Sie, Sie sind außer sich; setzen Sie sich in eine Verfassung, daß ein Mann mit Ihnen reden kann.

MONHEIM.

Gut, ich gehe; aber noch einmal sage ich es Ihnen, wenn Ihnen Ihre Tochter lieb ist, so trennen Sie sie von mir. Ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Der Hausvater öffnet die Thüre des Kabinetts und ruft.

HAUSVATER.
Sophie!
SOPHIE
kömmt heraus in Thränen.
Sind Sie da, mein Vater?
HAUSVATER.
Ja, mein Kind; aber was hast du mit deinem Manne? ich bin recht unzufrieden.
SOPHIE.
Weiß ich es? und kann ich dafür –
HAUSVATER.
Doch, es ist fast immer mit die Schuld des Weibes, wenn uneinige Ehen sind.
SOPHIE.

Bester Vater, ich weiß mich in nichts schuldig. Seitdem ich ihm gleichgültig geworden bin, er allerwärts sein Vergnügen, nur bei mir nicht suchte, erkaltete freilich auch ich gegen ihn; aber nie ließ ich es gegen ihn an schicklichem Betragen fehlen. Wir blieben auf einem zwar kalten, aber anständigen Fuß, bis auf heute, da er mit wütender Gebärde hereinkömmt und mir von Scheidung spricht.

HAUSVATER.
Wie begegnetest du ihm?
SOPHIE.
Freilich ward ich auch ungeduldig.
HAUSVATER.
Was denkst du nun zu thun?
SOPHIE.
Mich in Ihre Arme zu werfen und Sie zu bitten, mich aus den Händen des Tyrannen zu befreien.
HAUSVATER.
Auch du wolltest dich also von ihm scheiden?
SOPHIE.
Gerne, gerne.
HAUSVATER.

Und mir den traurigen Gedanken lassen, daß ich eine unglückliche Ehe gestiftet, oder vielmehr zugelassen habe; dich als einen beständigen Vorwurf unter meinen Augen sehen müsse.

SOPHIE.
Was soll ich aber anfangen?
HAUSVATER.
Sehn, was Nachgiebigkeit vermag!
SOPHIE.
So sollte ich mich erniedrigen?
HAUSVATER.
Die Frau, die ihren Mann wieder in die gehörige Ordnung bringt, erniedrigt sich niemals.
SOPHIE.
Was wird es aber helfen?
[50]
HAUSVATER.

Wenn der erste Sturm vorüber ist, und du bezeugst Reue über deine vorige Ungeduld, und du giebst gute Worte – – – o! Sophie, die Schmeicheleien des Weibes könnten einen Tiger besänftigen. Willst du das thun, mein Kind?

SOPHIE.
Was thun die Kinder eines solchen Vaters nicht, um ihm zu gehorchen.
HAUSVATER
umarmt sie.

Versuch es, meine Liebe! bringe deinen Mann wieder zur Vernunft, und ich will dir dann helfen, ihn darin zu erhalten. Sei getrost: Pfade mit Rosen besäet sind des Menschen Weg ohnedem nicht.

SOPHIE.

Alles, liebster Vater, alles. Karl war auch hier, er hat mir gesagt, ich sollte ihn rufen lassen, wenn Sie da wären.

HAUSVATER.
Thue das.
SOPHIE
läutet, es kommt ein Bedienter.
Graf Karl möchte herunter kommen. Bedienter ab.
HAUSVATER.
Ich habe dir wollen gute Nachrichten bringen, und da bin ich so unangenehm unterbrochen worden.
SOPHIE.
Verzeihen Sie – – –
HAUSVATER.

Laß nur gut sein; kannst auch nicht davor; es wird schon besser gehen. Nun, die gute Nachrichten sind, daß ich bei Hofe war, von unserm Herrn äußerst gnädig empfangen wurde, und für meinen jüngsten Sohn eine Majorsstelle, und für Karln eine Ratsstelle erhalten habe; und der Fürst gab es mir mit einer Art, die ich nie vergessen werde; denn siehst du, ein Geschenk gewinnt doch nur seinen Wert durch das Betragen des Gebenden.

SOPHIE.
Wie Karl sich freuen wird, seinem thätigen Geist einmal eine bestimmte Beschäftigung zu wissen.
HAUSVATER.
Und Ferdinand, daß er itzt zweiEpaulets bekömmt.
SOPHIE.
Wo er sein mag? ich habe ihn lang' nicht gesehn.
HAUSVATER.

Er wird vermutlich beim Exerzieren sein. Noch eins; sag mir einmal, was ist denn das mit Karl und einem hiesigen Bürgermädchen?

SOPHIE.
Eine Sache, die Karln vielen Kummer macht; er ist wirklich verliebt.
HAUSVATER.

Da bedaure ich ihn, denn ich sehe es für ein wahres Unglück an, wenn man in ein Mädchen verliebt wird, die von einem Stand ist, daß man sich nicht mit ihr verbinden kann. Aber was ist das für ein Mädchen?

[51]
SOPHIE.

Ohnerachtet ich seine Vertraute war, habe ich doch erst seit einigen Tagen erfahren, daß es eines gewissen Malers Wermann Tochter seie.

HAUSVATER.

Ich habe nichts von dem Wermann gehört: was Wunders aber auch, daß teutsche Künstler unbekannt bleiben; wer frägt darnach, wenn sie anders nicht Marktschreier sind?

SOPHIE.
Karl hat mir schon versprochen, daß er von dem Mädchen ablassen wolle.
HAUSVATER.
Daß er das Mädchen nicht heiratet, dafür stehe ich.
SOPHIE.
Freilich ist er in der Liebe schwärmerisch.
HAUSVATER.

Thut nichts; sein Stolz ist mir der sicherste Bürge dafür. Überhaupt ist's nicht der Mühe wert, daß man von einer so gewöhnlichen Ausschweifung eines Jünglings viel rede.

SOPHIE.

Nebendem hat Amaldi Absichten auf ihn, die er bemerkt hat, und denen er nicht entgegen ist; aber, da kömmt er.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Karl kömmt.

KARL.
Sie waren lange aus, mein Vater.
HAUSVATER.
Einige Wohlstandsbesuche.
SOPHIE.
Vielleicht brauchen Sie mich zu Ihrer Unterredung nicht. Gehet ab.
HAUSVATER.
Ich komme dir bald nach.
KARL.
Waren Sie bei Hofe?
HAUSVATER.
Ja, mein Sohn, und habe dich in die fürstliche Dienste gebracht.
KARL.
Haben Sie? o! tausend, tausend Dank.
HAUSVATER.
Sei überzeugt, daß eines Vaters größte Freude ist, seinem Kinde Vergnügen zu schaffen.
KARL.

Ich versichre Sie, daß, wenn Eifer und guter Willen etwas vermögen, Sie keine Schande an mir erleben sollen.

HAUSVATER.

Das hoffe ich, bin es überzeugt, traue genug auf deinen Eifer, daß du kein Geschäft für klein ansehen wirst; denn die geringste Vernachlässigung kann wichtige Folgen haben.

KARL.

Glauben Sie mir, ich fühle es, daß es nichts Geringes seie, zur Ehre seines Fürsten, zum Wohl einer ganzen Nation mit beizuraten.

[52]
HAUSVATER.

Gewiß ist es eine wichtige Sache; auch damit dein Rat den Umständen angemessen sei, so studiere mit vieler Aufmerksamkeit den Geist deiner Nation; such ihre Fehler, wie ihre Vorzüge auf und schließe dich an diejenige an, die mehr Erfahrungen haben als du; so wirst du nicht Gefahr laufen, deine Theorien unrecht anzuwenden, das Anfängern mit dem besten Willen gemeiniglich geschieht.

KARL.
Ich habe mir Grundsätze gebildet – –
HAUSVATER.

Bleib ihnen vor allem getreu, nicht mit Eigensinn, aber mit Standhaftigkeit, solange du von ihnen überzeugt bist. Dränge sie niemand auf; findest du aber jemand, der mit dir auf einem Wege geht, auf ihm eben auch das Gute sucht; o! so kette dich mit Bruderliebe an ihn an; suche ja nicht, irgend einen Ruhm ungeteilt genießen zu wollen. Vaterlandsliebe ist, des Vaterlands Beste wollen, befördern helfen, es geschehe auch, durch wen es seie. Es ist nur zu allgemein in unsren Zeiten, daß Eigennutz und Ehrsucht den prächtigen Titel des Patrioten annehmen.

Warum ich dich bitte, dränge dich nicht unberufen in ein fremdes Geschäft, aber das deinige thue von ganzer Seele: hüte dich dabei für Neuerungssucht, aber lasse kein Unrecht, kein Vorurteil in deinem Fache ungerügt; suche es nicht umzustürmen, sondern zu entwurzeln, denn jenes wirst du vergebens unternehmen. Überhaupt mache kein großes Geräusch von deinen Geschäften, baue nicht deinen Ruhm auf andrer Fehler, sei nicht immer bereit zu tadlen, sondern handle und schweige.

KARL.

Oft habe ich das schon bemerkt, daß Nachahmungssucht auf der einen Seite und Tadelsucht auf der andern ein sehr gemeiner Fehler ist, und doch mit dem größten Lärm und den prächtigsten Worten unthätig zu bleiben.

HAUSVATER.
Das geschehe dir nie: auch wollte ich; aber ich werde schwatzhaft, das überfließende Vaterherz – –
KARL.

O, liebster Vater – fahren Sie fort, können Sie wohl Ihrem Sohne auf seinen Weg Geleitsmänner genug mitgeben, denn das sollen mir Ihre Vorschriften sein.

HAUSVATER.

Nun, dann, mein Sohn, sei vor allen Dingen in allen Sachen wahr. Es ist der Inhalt aller Vorschriften; suche nichts durch einen Winkelzug zustande zu bringen, selbst nicht der Weg zum Guten sei bei dir krumm. Und sollte hie und da [53] ein Bube auf deinen Weg kommen, der dir glauben mache, das sei nötig, so laß ihn zwar laufen, aber siehe ihn als einen Verleumder deines Herrn an.

KARL.

Gewiß. O! Vater, wie ich mich freue, wie ich meine gemachte Beobachtung anwenden will, wie ich gegen jeden Mißbrauch eifern will.

HAUSVATER.

Wohl; aber noch einmal, suche nicht umzustürzen, sondern zu entwurzeln; bedenke, daß nach Vollkommenheit Menschen vergebens streben, und die größte Kunst darin bestehe, unter mehrern Übeln das kleinste zu wählen. Besonders, solltest du es auch dahin bringen können, sei nie Urheber, daß eine Anordnung geradezu aufgehoben werde, wäre sie auch noch so schädlich. Man muß den Gedanken der Unfehlbarkeit beim Volk erhalten, sonst verliert man das Zutrauen und hat hiemit alles verloren. Es giebt ja hundert Wege, eine Sache zu ersetzen, die freilich oft nicht so glänzend, aber nützlicher sind. Wie ich es schon einmal gesagt habe, dein Wesen sei stille Thätigkeit: es sei dann, du sehest drohenden Schaden voraus, dann, hört man dich nirgends, dringe mit deinem Anliegen bis zum Fürsten, er wird dir nicht übel dafür wollen.

KARL.

Zuversichtlich mit Ihren Lehren, mein Vater, mit Ihrer Unterstützung, werde ich mich bald emporschwingen.

HAUSVATER.

Ich wollte, deine Absicht wäre, lieber ein nützlicher Mann zu werden. Das ewige Wegrückenwollen aus dem Stande, wo man oft gut ist, um in einem anderen schlechter zu werden, ist Verrat am Vaterland und Erniedrigung, Herabsetzung seines eignen Wertes. Groß sein, ist nur das ganz sein, was man sein soll. Übrigens laß dir nicht träumen, als würdest du nicht auf diese Art viele Hindernisse auf deinem Weg antreffen; auch wirst du vielleicht unterdrückt, deinem Fürsten unbekannt bleiben, wohl gar bei ihm verleumdet werden. Aber wandle des wegen, wandle deinen Weg getrost fort, die Zeit wird doch kommen, wo man dich finden wird; und ist das auch nicht, so wird immer Zufriedenheit deine Belohnung sein. Aber wirklich, wir verirren uns zu weit, laß uns abbrechen. Du weißt, daß ich dich von jeher zum Stammherrn bestimmte.

KARL.
Ja, mein Vater, ich weiß es.
HAUSVATER.

Nun, da du eine Bedienung bekömmst, wünschte ich, daß du dir eine Gattin aussuchtest. Wenn sie von Stande [54] ist, so habe ich bei keiner nichts zu sagen, denn so eine wichtige Wahl soll gewiß allein von dir abhängen. Wüßtest du niemand?

KARL
betroffen, unruhig und wie nur halb entschlossen.

Doch, mein Vater; ich denke die Gräfin Amaldi – eine Partie, wider die doch einmal kein Mensch in der Welt wird etwas einzuwenden wissen. Adel, Reichtum, Protektion, alles, was je Konventionen zur Bedürfnis gemacht haben.

HAUSVATER.

Natürlich kann ich da als gewöhnlicher Vater nichts dawider haben; aber als Freund die einzige Bemerkung: ob den stolzen Karl die stolze Amaldi glücklich machen könne? Liebst du die Gräfin Amaldi?

KARL.
Ich schätze sie.
HAUSVATER.
Und liebst sie nicht?
KARL.
Man liebt nur einmal!
HAUSVATER.

Und dieses einmal? doch der Freund muß so wenig als der Vater überlästig sein. Eine kleine Pause. Karl, welchen Menschen hat in seiner Jugend die Liebe nicht zu Thorheiten verführt? Also, hast du vielleicht auch welche gut zu machen? Vertraue es mir an. Ich merke, du wirst bei dieser Unterhaltung immer unruhiger: vergiß den Vater und denke in mir nur ganz den Freund. Sitzt vielleicht noch hie und da ein Mädchen, das deines Unterhalts bedarf. – – – Du wendest dich weg? – – willst mir nichts sagen? – – – ist dein Vater nicht wert, dein Freund zu sein? –

KARL.

Doch, mein Vater. Nun ja, ich habe ein Mädchen geliebt, eines Malers Tochter, damit ich alles in einem sage, ein Engel unter ihrem Geschlecht. Ich liebe sie noch – – –

HAUSVATER.
Das hätte ich ohne diesen Zusatz aus der Beschreibung vermutet.
KARL.

Aber, liebster Vater, ich will sie ja lassen, will sie meiden, mich standesmäßig verheiraten, alles dem Herzen zum Trotz, thun, was sogenannte kalte Vernunft haben will.

HAUSVATER.

Nenn es immer gute, gesunde Vernunft: denn, was sollte eigentlich aus all der Liebe herauskommen, als eines ehrlichen, rechtschaffenen Bürgers Tochter verführen, um sie einst über kurz oder lang sitzen zu lassen. Denn Heiraten dieser Art, so wenig ich mich auch an Konventionen feßle, sind doch immer schädlich.

KARL.

Ich will ja alles, liebster Vater, will sie ja verlassen, [55] will mich durch eine Heirat gegen alles sicher stellen, will sie, um meiner gewiß zu sein, nimmer sehen.

HAUSVATER.
Nicht doch, mein Sohn. Du liebst das Mädchen, nicht wahr?
KARL.
Wie ich sonst keine liebte, keine mehr lieben werde.
HAUSVATER.

Nun wohl, zeig, was wahre Liebe vermag; Aufopferung seiner selbst. Willst du dich dabei mir überlassen?

KARL.
Gern, sehr gern.
HAUSVATER.

So folge meinem Rat; gehe hin in das Haus des Mädchens; weich nicht von ihr wie ein Meineidiger, sondern zeig dich ihr als Mann; zeig ihr die Wohlthat, die du ihr erweisest, indem du sie nicht deiner Leidenschaft aufopferst, und wenn der Vater ein vernünftiger Mann ist, so zieh ihn selbst zu Hilfe.

KARL.
Der Vater, der beste, biederste Mann.
HAUSVATER.

Desto besser, du wirst ihn als ein rechtschaffner Mann behandeln; er muß dich dafür erkennen, dir Dank wissen und dir helfen, die Thränen des schwächeren Weibes zu trocknen; ich will ihren künftigen Unterhalt, ihre Aussteuerung selbst besorgen. Geh, mein Sohn, folge meinem Rat unverzüglich: Entschlüsse dieser Art müssen ohne Aufschub unternommen werden, wenn sie zur Wirklichkeit gelangen sollen.

KARL.

Gut, mein Vater, ich will's; will's versuchen, ob ein warmes Herz die Vorschläge des kältern Verstandes auszuführen vermag. Geht ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Indem kömmt Herr von Dromer herein.

DROMER.
Ich hoffe doch nicht, daß ich ungelegen komme.
HAUSVATER.
Ich habe freilich Beschäftigungen; aber was steht zu Ihren Diensten.
DROMER.
Es ist nur im Namen meines Freundes und aus Hochachtung und Ergebenheit für – –
HAUSVATER.
Zur Sache, mein lieber Baron; kurz und gut, was wollen Sie?
DROMER.
Der Graf Ferdinand.
HAUSVATER.
Mein Sohn? Wo ist er? daß ich ihm seinem Beförderung zur Majorsstelle ansagen könne.
[56]
DROMER.

Ist er Major geworden? Nun, da mache ich von Herzen mein unterthäniges Kompliment. Es ist billig, daß die Söhne eines so würdigen, vortrefflichen Mannes – – –

HAUSVATER.
Dank Ihnen, Dank Ihnen, Baron.
DROMER.
O, möchten Sie doch bis in die späteste Jahre – – –
HAUSVATER.
Sehr verbunden – – Aber was wollten Sie mir denn sagen?
DROMER.
Ja, um wieder auf das zu kommen. Ihr Herr Sohn bedarf wohl Ihres Beistandes, besonders itzt.
HAUSVATER.
Habe ich den je einem meiner Kinder versagt und worin? geschwinde sagen Sie.
DROMER.
Ihr Herr Sohn hat Schulden.
HAUSVATER.
Hat er sie mit Unehren gemacht?
DROMER.
Behüte der Himmel.
HAUSVATER.

Nun, so sein Sie versichert, daß, solange ich einen Tropfen Bluts habe, mit dem ich meinen Kindern helfen kann, ich es gewiß thun werde.

DROMER.
Auch hat er mir aufgetragen – –
HAUSVATER.

Nichts weiter, Herr Baron: sagen Sie meinem Sohne, daß er seine Anliegen mir selbst sagen solle, und daß er, ohne Ihnen, Herr Baron, zu nahe zu treten, keinen größern und nachsehendern und keinen sichrern Freund als seinen Vater habe. Und itzt nehmen Sie mir nicht übel, ich muß zu meiner Tochter.

DROMER.
Also Sie wollen seine Schulden zahlen?
HAUSVATER.
Er soll nur kommen, und es wird sich zeigen. Haben Sie vielleicht auch etwas zu fordern?
DROMER.
Ja, eine Kleinigkeit.
HAUSVATER.
Ja so; nun, sein Sie außer Sorgen.
DROMER.
O! davon ist nicht die Rede.
HAUSVATER.
Ich empfehle mich.
DROMER.
Untertänigster Diener. Sie gehen von beiden Seiten ab.

Der Vorhang fällt.

4. Handlung

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Lottchen sitzt auf einem Stuhl in trauriger Betäubung, als Anne herein kömmt. Lottchen springt ihr entgegen.

LOTTCHEN.
Hast du ihm den Brief gebracht? hast du ihn gesehen? was hat er dir mitgegeben? wird er kommen?
ANNE.
Gesehen? ja, das hab ich. Aber mitgegeben hat er mir nichts.
LOTTCHEN.
Nichts? Also ist es denn wahr, als hat er mich verlassen?
ANNE.

Nur stille, Lottchen, nur stille, Sie lassen einen gar nicht zum Wort kommen. Er wird gleich selbst da sein.

LOTTCHEN.

Er wird selbst da sein? O, warum hast du das mir nicht gleich anfangs gesagt? Ich soll ihn wieder sehen? soll ihn wieder haben?

ANNE.
Stille! Ihr Vater kömmt.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
DER MALER
tritt auf.
Ich war lang' aus, mein Kind nicht wahr?
LOTTCHEN.
Ja; aber sind Sie doch itzt wieder da.
DER MALER.
Und bringe dir freudige Nachrichten die Menge.
LOTTCHEN.
Jawohl, Freude, Freude.
DER MALER.
Wie? weißt du es denn schon?
LOTTCHEN
betroffen aus Furcht da sie sich möchte verraten haben.
Nein, Vater, aber ich sah es Ihnen am Gesicht an.
DER MALER.

Nun dann, so höre: für mein Gemälde habe ich das Geld bekommen und Zu Anne, der er etwas Geld giebt. da, nehmt und besorgt die Haushaltung. Anne nimmt das Geld, und während daß der Maler hingeht, Hut und Stock abzulegen, sagt.

ANNE
zu Lottchen.
Geben Sie nur acht, Lottchen, mit Ihrer Freude, daß er es nicht merkt.
LOTTCHEN.
Geh nur, will schon will schon, wenn ich kann.

Anne geht.
[58]
MALER.

Und denke nur, außerdem hat mir der Fürst eine Pension gegeben, damit ich mich ruhig auf meine Kunst verwenden könne. O, dank mit mir Gott und hilf mir vor unsren besten Fürsten beten. Nun brauche ich nicht mehr um das Geld zu arbeiten, kann itzt ganz der Kunst und dir, meine Tochter, leben.

LOTTCHEN.
O gewiß, wir werden einst noch recht glücklich sein.
MALER.

Kann man anders, wenn man sein Auskommen hat, seinem Beruf nachgehen kann und sich nichts vorzuwerfen hat. Nun noch zur Vollkommenheit meiner Freude einen tüchtigen, arbeitsamen Schwiegersohn.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Indem tritt Karl herein.

KARL.
Guten Tag, guten Tag, meine Lieben!
LOTTCHEN
ohne ein Wort zu sagen, verneigt sich.
MALER.

Ei, sein Sie mir gegrüßt, Graf: nun, gut, daß Sie kommen: hören Sie doch, der Fürst hat mir eine Pension gegeben.

KARL.
Bravo! das gleicht ihm wieder, dem Beschützer der Künste.
MALER.

Wie ich itzt malen will, Graf, wie ich itzt ganz meiner Kunst leben will! – Raphaels Ideal – bei Gott! das ist mir noch zu wenig.

KARL.

Wünschte ich doch unsern Herrn hier, der Anblick solch einer Freude wäre reiche Belohnung seiner That, ein an genehmer Schauspiel, als je einer ihm bereiten kann.

MALER.

Wohl wahr. Aber warum hat mich der einzige Kunstliebhaber, mein einziger Kunstfreund und Schüler acht ganze Tage allein gelassen? das war nicht recht.

KARL.
Ich konnte nicht, mein Bester, die Ankunft meines Vaters –
MALER.

Ist er angekommen? da wünsch' ich Glück. Nun, da wird's ja auch bald mit Ihrer Heirat vor sich gehen.

KARL
betroffen.
Was für eine Heirat?
MALER.

Nun; mit der Gräfin Amaldi, die ganze Stadt ist davon voll; ihr Leute könnt ja nichts thun, ohne daß hundert Narren davon schwatzen.

[59]
KARL
noch mehr betroffen.
Sie irren sich, wirklich, Sie irren sich, ich weiß nicht, wer Ihnen das kann –
MALER.

Ja, lieber Graf, wenn Sie's nicht haben wollen, dann gewiß nicht – sein Sie glücklich, mein Bester, das ist alles, was ich wünsche.

KARL.
Dank, mein Lieber, Dank! Was macht aber die Kunst, was haben Sie gearbeitet?
MALER.

O! ich hab' Ihnen gar viel zu zeigen und zu sagen, warten Sie nur einen Augenblick, und ich bin gleich wieder da. Er geht ins Nebenzimmer. Wie der Maler weg ist, springt Lottchen auf Karln zu und umarmt ihn.

LOTTCHEN.
Karl, du bist lange ausgeblieben.
KARL.
Wie ist dir, meine Liebe?
LOTTCHEN.

Wohl und wehe, wehe und wohl! und habe ich dich doch wieder Indem sie ihm am Halse hängt. und in dir alles, was Lotten kann glücklich machen.

KARL.
Beste Lotte! O, wer kann ein Menschenherz haben und da kaltherzig handeln.
LOTTCHEN.
Was sagst du?
KARL.
Daß du ein Engel bist. Sie sehen sich zärtlich an; ein langes, ausdrucksvolles Stillschweigen.
LOTTCHEN.
Karl!
KARL.
Lotte?
LOTTCHEN.
Liebst du mich?
KARL
nimmt ihre Hand, drückt sie an sein Herz.
Fühl hier die Antwort. Wieder Stillschweigen; sie blicken sich sehnsuchtsvoll in die Augen.
LOTTCHEN.

Und hier – – Sie will ihm um den Hals fallen, als sie zurückfährt, und beide nach der Thüre sehn. ich dacht' es wäre mein Vater.

KARL.
Noch einen einzigen Kuß!
LOTTCHEN
fällt in seine Arme.
Tausend – –
KARL.
Nur einen; aber daß er mich in die Ewigkeit mit hinüber leiten möchte.
LOTTCHEN.

Ja, so wollen wir einmal sterben; nicht? – – Aber nun, mein Lieber, dein Vater ist da; sagst du mir nichts von unsrer Verbindung, nichts Freudiges?

KARL
zusammenfahrend.

Wo ist mein Vater? Ach, Lotte – sei ruhig – ruhig – es soll dir nichts fehlen – – ich kann dich nicht vergessen – – will – kann keine andre als dich lieben – lebe nur glücklich – ich nicht –

LOTTCHEN.
Wie! – Gott – was willst du?
[60]
KARL.

Ja, mein Vater ist gekommen, aber eben deswegen nichts Freudiges; man will – man will – ich soll – Unglück für mich und dich – ich muß Amaldi heiraten.

LOTTCHEN.
Gerechter Gott! und ich? – und das Kind, das ich unterm Herzen trage? – und mein Vater? –
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Der Maler tritt herein. Darauf geht Lottchen an einen Stuhl auf die Seite, weinend, der Maler, ganz beschäftigt mit seinem Gegenstand, kommt, ohne sonst etwas zu sehen, mit Zeichnungen in der Hand heraus.

MALER.
Hier, Graf, ist etwas, das Ihnen gewiß gefällt.
KARL
in Unruhe.
Ist's doch von Ihnen.
MALER.

Pfui, Graf, wollen die Künstler geschmeichelt sein? setzen Sie sich hier an den Tisch. Sie setzen sich, der Maler spricht im vollkommnen Feuer seines Gefühls, Karl aber sieht sich öfters wahrend der Zeit unruhvoll um.

MALER
zeigt Karln ein Gemälde.
Wie gefällt Ihnen dies.
KARL.
Schön – recht schön – das Gemälde giebt Schwermut.
MALER.

Auch soll es. Es ist aus unsers trefflichen Goethen's »Stella«. Wissen Sie, wie sie der Madame Sommer ihre Spaziergänge am Grabe ihres Kindes erzählt. Sehn Sie hier die Thränenweiden, die auf des Kindes Grab herunter sinken, hier des kleinen Grabes Urne; im Ganzen des Mondes Dämmerung; merken Sie in der Nacht die Sterne, wie sie auf den traurigen Platz herab blinken. Und da die arme, liebekranke, verlassene Stella, stehend am Grab ihres Kindes; es ist der Augenblick, wo nach freundlichen, hoffnungahndenden Träumen es sie auf einmal ergreift, daß sie allein ist, vergebens ihre Arme ausstreckt und im Drang und der Fülle der Liebe den Mond herunter ziehen zu wollen scheint.

KARL.
Herrlich! – schön! – herrlich!
MALER.

Ist mir selber lieb – doppelt lieb, weil es mein Mädchen so gern hat; ich will's ihr auch schenken, bekömmt sie einmal, wie ich hoffe, einen Mann, der so was fühlen kann; da soll sie es ihm zum Brautgeschenk geben.

KARL.
Treffliches – Geschenk – glücklich der –
MALER.

Nun – es freut mich recht, wenn es Ihnen gefällt; jetzt was anders – Hören Sie, Graf: Die Künstler des Altertums wußten so stark auf ihre Nation zu wirken: ich denke, [61] wir könnten das auch, stellten wir Gegenstände vor, die jedem besonders angingen. Es ist zum Beispiel ein abscheuliches Ding, ein Kindermord! ich, nach meinem Gefühl, kenne nichts Schrecklichers in der Natur.

KARL
ist währenddem in der ersten Bewegung vom Stuhl aufgesprungen.
MALER.
Was ist?
KARL
indem er sich wieder setzt, um sich zu verstellen.

Ach! gewiß, der Gedanke, daß die Mutter ihr anderes Selbst, ihr mit Schmerzengetragenes, mit größeren Schmerzen erzeugtes, einziges Kind selbst würgen –

MALER.

Und daß unsere Gesetze daran schuld sind, das ist schrecklich; denn sehen Sie, wäre nicht Schande, Bestrafung, Verachtung das Los so einer Unglücklichen, wär' all das nicht, vereinigten sich nicht alle diese Gedanken, stürmten sie nicht auf die geschwächte Nerven einer Gebärerin, verrückten sie nicht ihr Gehirn, welche Mutter würde ihr Kind töten? Ha, Graf! ich möchte kein Fürst sein, der mit diesen Gesetzen das Todesurteil einer Kindesmörderin unterschrieben, kein Diener sein, der dazu geraten hätte. Ich sehe sie in der Zukunft, wie das Blut aller der Unglücklichen, wie's gegen unsre Gesetze um Rache schreit, und wäre ich Fürst, ich würde mir denken, daß bei dem Austritt aus diesem Leben all die bekannten und unbekannten Mörderinnen und Ermordete mir verzweiflungsvoll entgegen kämen.

KARL.
Hören Sie auf mit Ihrem Bilde, sehn Sie, wie Sie Ihre Tochter beunruhigen.
MALER.

Wohl ihr, daß sie gegen solche Sachen empfindsam ist, wohl ihr, daß sie's fühlt; kein glattzüngiger Bube wird sie verführen, niemand dann wird diese Einzige von meinem Herzen reißen. Der Graf ist betäubt. Nun, um zur Sache zu kommen; ich dächte, es würde Vorteile haben, wenn unsre Kunst solche Gegenstände darstellte. Sehen Sie, Graf, ich hab' hier die Skizzen gemacht; hier ist das unglückliche Mädchen, wie sie ihr einziges Kind würgt, merken Sie da oben in dem Strich da die Verzweigung, die Raserei der Mutter, fühlen Sie das, Graf?

KARL.
Ja, unaussprechlich.
MALER.

Und nun diese zweite Zeichnung, da liegt sie nun, die Mutter, das ganze Bild des Unglücks, das tote Kind an ihre Brust gedrückt, das sie scheint nicht von sich lassen zu wollen, hier die Wache, die sie vor Gericht führen will, und dort verzweiflungsvoll [62] der arme, alte Vater, der seine liebe, seine einzige. Hier fällt Lottchen in Ohnmacht, der Maler und Karl springen schreckenvoll auf rufen beide. ach, Lottchen, Lottchen! Sie schleppen sie ins Nebenzimmer, der Graf kommt gleich wieder verzweiflungsvoll heraus und ruft.

KARL.
Anne, Anne!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Anne kömmt herein.

ANNE.
Was ist, was ist?
KARL.

Geh hinein, sieh selbst. Sie läuft ins Zimmer, der Graf steht starr und unbeweglich, endlich hebt er so eine Zeichnung auf. Er wirft sie schreckenvoll weg und stürzt zum Zimmer hinaus.


Der Vorhang bleibt aufgezogen, eine dumpfe beklemmende Musik des Orchesters; man bemerkt Unruhe in des Malers Hause, Anne kömmt einigemal herausgelaufen, um etwas zu holen. Hernach Ruhe. – Anne geht über eine Weile zur Hauptthüre hinaus. Dann kommt der Maler heraus, geht über das Theater in ein Nebenzimmer; nach einiger Zeit wankt Lottchen in einer Art von Betäubung heraus, gedrückt unter der Last des Schmerzens; sie sinkt auf einen Stuhl, ihr Gesicht mit beiden Händen auf einen Tisch gelegt. Sie hebt sich auf, man sieht, daß in ihr ein plötzlicher Gedanke entsteht, sie eilt in ihr Zimmer, kommt schnell mit einem Schleier heraus, geht in die Thüre hinein, wo der Vater hinein gegangen ist gleich; kommt sie wieder und stürzt zur Hauptthüre hinaus. Gleich folgt der Maler, wie er seine Tochter nicht
mehr sieht, setzt er sich an die Staffelei und malt; das Orchester geht fort, das denn aufhört, als.
Anne kömmt.
ANNE.
Wo ist dann Lottchen? ist ihr wieder besser?
MALER.
Freilich, das hatte nichts zu sagen, sie hat so zarte Nerven.
ANNE.
Wo ist sie aber itzt.
MALER.
In der Franziskanerkirche, ich wollte doch, du gingst ihr nach.
ANNE.
Gleich. Geht.

Man klopft an der Thür, der Maler ruft herein.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Darauf kömmt der Hausvater in das Zimmer.

HAUSVATER.
Sind Sie der Maler Wermann?
MALER.
Ja, mein Herr. Was steht zu Ihren Diensten?
HAUSVATER.
Ich bitte, bleiben Sie bei Ihrem Geschäfte.
MALER
setzt sich wieder zur Staffelei.
Wenn Sie es erlauben, sonst werden die Farben trocken.
[63]
HAUSVATER.
Ich habe von Ihrer Kunst gehört und möchte gern selbst Augenzeuge sein.
MALER.
Da werden Sie wenig sehen: ich bin noch so weit entfernt vom Punkte, wo ich sein möchte.
HAUSVATER.
Das spricht für Ihre Geschicklichkeit.
MALER.

In der That, mein Herr wie ich anfing zu malen, war ich entzückt über meine Arbeiten, glaubte, daß niemand sie mir teuer genug bezahlen könne. Aber itzt sehe ich täglich mehr ein, daß ich nichts kann, daß derjenige, der Natur kennt und sie zu genießen weiß, meine Arbeit auch für einen Heller zu teuer bezahlt.

HAUSVATER.
Heil dem Künstler, der Bescheidenheit – – –
MALER.

Nicht, daß ich nicht überzeugt wäre, daß ich auch einst das werden könne, was Raphael und Rubens waren. – – – Aber wirklich, mein Herr, Ihr Wesen hat mich wider meine Gewohnheit gesprächig gemacht; mit wem habe ich die Ehre? – – –

HAUSVATER.

Mein Herr, ich wollte daß Sie in mir den Mann und nicht den Namen kennen lernten: übrigens bin ich Graf Wodmar.

MALER.
Der Vater eines gewissen jungen Herrn, der bei mir zeichnen lernte, mein bester, guter Freund ist?
HAUSVATER.
Der nämliche: ist der Junge würdig, Ihr Freund zu sein?
MALER.

O, es ist der biederste, deutschgesinnteste Jüngling, Herr Graf, mein einziger Kunstfreund, vom wärmsten Gefühl.

HAUSVATER.
Ich danke Ihnen für dies Zeugnis, das zu warm ist, als daß es Schmeichelei sein sollte.
MALER.

Schmeichelei? Wozu die? wehe dem Mann, und besonders dem Künstler, der eines andern Empfehlungsmittel bedarf als seine Werke.

HAUSVATER.

Wohl gesagt, ehrlicher Mann. Überhaupt ist es ein herrliches Wesen um euch Künstler: Wieviel müssen wir uns nicht bücken, wie vieler Leute Laune und Eigensinn sind wir nicht ausgesetzt, bis man uns andere nur dazu kommen läßt, daß wir etwas thun dürfen. Ihr andre braucht einige Ellen Leinwand, und niemand kann euch hindern die Unsterblichkeit eines Raphaels zu erwerben.

MALER.

Auch wenn ich so dasitze, als ich als ein an derer kleiner [64] Schöpfer, denke, daß ich einst mit meiner Kunst meinem Vaterland Ruhm erwerben kann. Herr, nichts könnte mich dann bewegen, diesen Pinsel da für die erste Krone der Welt hinzugeben.

HAUSVATER.
Auch sind Sie mit diesem Gefühl dann gewiß schätzbarer als ein mittelmäßiger König.
MALER.
Hoffe es auch.
HAUSVATER.
Eine Gefälligkeit, die ich mir von Ihnen ausbitte, kommen Sie an einem dieser Tage zu mir zum Essen.
MALER.
Meine Aufwartung werde ich Ihnen machen, aber vom Essen entschuldigen Sie mich.
HAUSVATER.
Warum das?
MALER.
Soll ich es Ihnen sagen?
HAUSVATER.
Gewiß.
MALER.

Sehn Sie, wenn Herrn Ihres Standes einen Künstler einladen, so geschieht gemeiniglich, um Parade damit zu machen; und dann könnt ihr euch nie zu uns herunterlassen, macht es uns immer fühlen, wieviel Gnade ihr uns angethan habt. Das ist nicht aus Stolz, daß ich das sage, wahrlich nicht, sondern aus Selbstgefühl. Will übrigens nicht sagen, Herr Graf, daß Sie auch so sind, glaube auch fast das Gegenteil: aber die übrige in Ihrem Hause bis auf den Bedienten, der den Teller reicht!

HAUSVATER.
Sie sollen hoffentlich mich und mein Haus besser kennen lernen.
MALER.

Mit dem besten Willen, dem heilsamsten Vorsatz können Leute Ihres Standes sich oft nicht durch den Schwarm von Konventionen durchschlagen. Kurz, einem Mann, wie Sie sind, wünsche ich das Glück, das ich wirklich genieße.

HAUSVATER.
Also sind Sie wirklich glücklich.
MALER.

Daß ich es als Künstler bin, wissen Sie schon; nun, Gott sei Dank, in meinem Hause bin ich es noch mehr.

HAUSVATER.
Sie haben eine Tochter?
MALER.
Ja, Herr, mein größter Reichtum.
HAUSVATER.
Das einzige Kind?
MALER.

Das einzige; ihre Geburt war meines Weibes Tod. Außer diesem Kinde habe ich keinen Verwandten mehr; ich wüßte auch nicht, wo ich mehr Liebe für andere hernehmen sollte; sie enthält mein ganzes Wesen.

HAUSVATER.
Wäre nur bei dem größten Glücke, Vater zu sein, nicht so viel Bittres mitunter.
[65]
MALER.
Lassen Sie es immer sein; Menschenleiden werden meistens trefflich belohnt.
HAUSVATER.
Bis man so ein Mädchen für alle Gefahren der Verführung gesichert, bis man – –
MALER.
Herr Graf, dafür muß sie die Liebe zu mir, gute Grundsätze, ihr Herz – –
HAUSVATER.
Die besten Herzen sind meistens die empfindsamsten; und Empfindsamkeit und jugendliches Blut – – –
MALER.

Da mag sie Gott schützen, der ihr das alles gegeben hat. Nebendem, wir kennen keine elterliche Furcht, wir sind Freunde mit einander, ich wollte darauf wetten, sie würde mir ihre erste Liebe selbst vertrauen.

HAUSVATER.

Mann, Sie kennen sich besser auf des Menschen äußre als innre Seite; über den Punkt ist kein Mädchen – – – oder vielleicht –

MALER.
Sonderbar, Herr Graf, wie wir von der Malerei auf dieses Gespräch gekommen sind.
HAUSVATER.

Weil wir aber dabei sind, lassen Sie uns fortfahren. Wenn nun zum Beispiel ein Mann von vornehmem Stande käme und verlangte Ihre Tochter zur Ehe?

MALER.

Ich würde sie ihm abschlagen. Nicht, daß ich meine Tochter nicht eines Königs würdig hielte: sondern weil Ungleichheit der Stände fast immer unglückliche Folgen hat: und Lottchen unglücklich zu wissen! »Herr«, würde ich dem Vornehmen sagen, wäre er von gemeinem Schlage, »Euer Gold und Eure Titeln machen mein Mädchen nicht glücklich«: und wär' der Vornehme ein guter Junge, ich würde darüber trauren, daß er so vornehm ist, aber ihm mein Mädchen nicht geben. Bei Gott, selbst Ihrem Sohne gäbe ich sie nicht, – – – nicht, daß ich mein Mädchen oder auch meinen Stand schlechter glaube –

HAUSVATER.
Wermann?
MALER.

Verstehn Sie mich recht, ich erkenne den Unterschied der Stände, aber innerlichen Wert kenne ich keinen in ihnen. Denn sehen Sie, wenn der Rücken sich für den Grafen beugt, so hat der Graf vor so manchen Schurken nichts voraus, dem ich das nämliche that; aber wenn ich als Mann dem, welchen ich wieder für einen Mann halte, diese Hand reiche.

HAUSVATER.

Mir gieb, mir diese Hand, ich verdiene sie. Sie [66] geben sich die Hände. Und nun bei diesem Druck – – – Eine kleine Pause. Wir sind also zween teutsche Männer?

MALER.
Ich denke so.
HAUSVATER.

Wohl dann, wie Mann zu Mann. Mein Sohn liebt Ihre Tochter; zwei junge Leute; vorgebeugt der Gefahr, oder ich und Sie –

MALER.
Ha, Herr, wer meine Tochter entehren könnte, er sei Fürst oder Graf – –
HAUSVATER.
Noch wird es Zeit sein – –
MALER.
Gott, welch ein schreckliches Licht vorher bei – –

Indem stürzt Anne in das Zimmer.
ANNE.
Gott, mein Lottchen, mein Lottchen, sie ist nicht in der Kirche, nirgends zu finden.
MALER.
Himmel und alle Heilige, sollte sie? Er stürzt mit Anne zum Zimmer hinaus.
DER HAUSVATER.
Was ist? was ist? Auch nach.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Das Zimmer der Gräfin Amaldi.
Amaldi heftet den Schattenriß des Karls an die Tapete, indem drängt sich Lottchen zwischen einigen Bedienten herein.

DIE BEDIENTE.
Sie will sich nicht abweisen lassen.
AMALDI.
Schon gut, laßt sie nur. Die Bediente ab.
LOTTCHEN
fällt zu den Füßen der Amaldi.
Nein, ich will mich nicht abweisen lassen, will hier liegen bleiben, bis Sie mich erhören.
AMALDI
bestürzt.
Was will Sie?
LOTTCHEN.
O, geben Sie ihn wieder; geben Sie ihn wieder.
AMALDI.
Wer denn? was denn?
LOTTCHEN.
Ihn, ihn, der über alles ist, mein vor Himmel und Erde, mein.
AMALDI.
Wer ist Sie denn?
LOTTCHEN.

Nur ein Bürgermädchen, aber die glücklichste unter allen meines Geschlechts, wie ich ihn noch hatte; wie er noch mein war – –

AMALDI.
Wer sind denn Ihre Eltern?
LOTTCHEN.

Mein Vater, ach Gott! mein Vater, er wird nach mir fragen? – es ist Wermann, ein Maler, herrlicher Vater, – der arme Vater.

[67]
AMALDI.
Des Malers Wermanns Tochter?
LOTTCHEN.

Ja, ich; der einst Karl gehörte, durch den heiligsten Schwur gehörte; Sie haben mir ihn geraubt, geben Sie mir ihn wieder, geben Sie mir ihn wieder.

AMALDI.
Bist du rasend?
LOTTCHEN.

O, daß ich es wäre, daß alles das, was ist, nur mir so schien; o, was möchte ich nicht alles sein, um Karln nur nicht zu verlieren.

AMALDI.
Warum forderst du ihn von mir?
LOTTCHEN.

Weil Sie mir ihn entrissen haben. Das ist eine garstige That, einem das Leben rauben, ist wenig; aber rauben, was mehr als Leben, was alles ist – – – O, gnädige Frau, man sagt, Sie wären sonst so eine erhabene Frau: ist das auch groß, einem armen, schwachen Mädchen – – –

AMALDI.
Beruhige dich – – –
LOTTCHEN.

Ich mich beruhigen? ehe ich noch weiß. – – O, wenn Sie je geliebt haben, – wenn Sie es wissen – – – aber in Ihrem Stande liebt man wohl nicht?

AMALDI.
Laß mich, Mädchen – steh auf – oder.
LOTTCHEN.

Lassen Sie doch sehen, was Sie für Ansprüche auf Karln haben können: ob Sie was vermögen gegen seine Schwüre, die der Himmel aufnahm, gegen das Klagen einer Verlassenen, gegen das Wimmern eines Geschöpfs, das ich hier unterm Herzen trage. Lottchen dringt noch näher auf Amaldi los, die ganz verwirrt und außer sich ist: sie reißt sich aber los, läßt Lottchen da liegen und eilt zum Zimmer hinaus Lottchen bleibt eine Weile betäubt liegen, dann steht sie auf bemerkt an der Wand Karls. Schattenriß sie fährt wild auf, reißt es los. Was machst du da? Drückt ihn ans Herz. Zu uns, da gehörst du her. Sie besieht es eine Weile. Ha, treulos, – – verlassen – entehrt – – Küßt es, drückt es wieder an das Herz. Kann das Karl?

8. Auftritt
Achter Auftritt.
Der Hausvater tritt herein, ein Bedienter voran und sagt: Ich will Sie gleich melden. Er sieht Lottchen, die sich betäubt auf einen Stuhl wirft. Der Hausvater eilt auf sie zu.

HAUSVATER.
Was fehlt Ihr?
LOTTCHEN.
Alles, mein Herr.
HAUSVATER
sieht seines Sohns Schattenriß, ruft erstaunt.
Karl!
LOTTCHEN
springt wild auf.

Wo ist er, kennt Ihr ihn? – o, [68] wehe Euch, daß Ihr ihn kennt, – – Ach, mein Herr, er wird Sie verlassen.

HAUSVATER.
Des Malers Wermanns Tochter?
LOTTCHEN.

Bin's, und bin Karls Verlobte, und hergekommen, um ihn hier wieder zu fordern, hier hat man ihn mir geraubt.

HAUSVATER.
Setz dich, armes Mädchen. Er bringt sie auf einen Stuhl. Deine Kräften erschöpfen sich.
LOTTCHEN.
Ach, Herr, wenn Sie ihn kennen; um Gottes Barmherzigkeit willen, schaffen Sie mir ihn wieder!
HAUSVATER.
Sei nur wieder ruhig, ich verspreche dir, du sollst ihn sehn.
LOTTCHEN.
Soll ihn sehen? – gewiß bist du ein Engel, vom Himmel gesandt?
HAUSVATER.

Beruhige dich, ich bin gleich wieder bei dir. Der Bediente kömmt heraus, der Hausvater geht in Amaldis Zimmer.

LOTTCHEN
nimmt wieder Karls Schattenriß sieht es an.

Soll dich wiedersehen? Drückt es wieder an die Brust. Karl! Karl! Sie legt es hin und stützt sich mit dem Kopf auf den Tisch, in einiger Betäubung: der Hausvater kommt wieder heraus, er stellt sich vor sie betrachtungsvoll hin. Lottchen öffnet gleich wieder die Augen und erblickt den Hausvater. Haben Sie ihn mitgebracht?

HAUSVATER.
Nein, aber er soll kommen, bis dahin nur ruhig – –
LOTTCHEN.
Warum das nicht? wenn ich Karln wiedersehen soll.
HAUSVATER.
Glaubt Sie, mit Karln recht glücklich zu sein?
LOTTCHEN.

O, mein Herr, mit Karln biete ich der ganzen Welt Trotz, will diejenige sehen, die glücklicher sein soll.

HAUSVATER.
Hat Ihr Karl versprochen, Sie zu heiraten?
LOTTCHEN.

Freilich hat er's, und Gott und seine heilige Engel hörten's und freuten sich über das liebende Paar; nur Menschen können so ein Glück hindern wollen.

HAUSVATER.
Aber, wenn Sie Karln liebt, weiß Sie denn auch, daß Sie sein Unglück macht.
LOTTCHEN.
Nimmermehr, nimmermehr. In meinen Armen hat er sich oft so selig geglaubt.
HAUSVATER.
Um mit der Zeit nur desto unglücklicher zu sein.
LOTTCHEN.
O, wenn ich das wüßte, – – ich wollte – – was wollte ich? – – ein Kloster – –
HAUSVATER.
Hättest du? –
LOTTCHEN.

Aber ich kann nicht – – darf nicht – – bin [69] ich's allein? O, es ist auch nicht so – – wenn nur sein Vater nicht wäre – –

HAUSVATER.
Sollte der nicht mehr sein?
LOTTCHEN.

Könnte ich nur den Vater sehn – Karl sagt, es sei so ein guter, so ein lieber Vater – – kann er doch nicht. – O, nur einmal möchte ich ihn sehn, möcht' – –

HAUSVATER
gerührt.
Hier ist er.
LOTTCHEN
fällt vor ihm zusammen.

O, Barmherzigkeit – o, auch mein Vater – Gnade – hör mich, hör unter meinem Herzen die Stimme seines Kindes, auch deines – –

HAUSVATER.
Gott, du wärst also – –
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Indem stürzt Sophie herein.

SOPHIE.
Mein Vater, retten Sie mich.
HAUSVATER
reißt sich von Lottchen los.
Was ist?
SOPHIE.
Retten Sie mich vom Tyrannen.
HAUSVATER.
Was willst du hier?
SOPHIE.

O, mein Vater, ich habe ihn besänftigen wollen – Habe – aber, das bracht' ihn mehr auf, er hat mich von sich gestoßen – – und aus Furcht bin ich von ihm entflohen, bin Ihnen nach.

HAUSVATER
mit gebrochner Stimme.

Sind der Leiden bald genug! – Aber was kann ich hier, was soll ich – in einem fremde Hause? – Hast du noch deinen Wagen bei dir? –

SOPHIE.
Ja, mein Vater. –
HAUSVATER.
Nun gut, so nimm diese da mit dir.
SOPHIE.
Wer ist's?
HAUSVATER.
Wirst es schon erfahren. Zu Lottchen. Geh mit dieser – –
LOTTCHEN.
Vater – was Sie wollen – was Sie wollen – ganz Ihnen.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
MALER
der hereinstürmt.
Wo ist mein Lottchen? wo ist mein Mädchen?
LOTTCHEN.
Ach Vater. Fällt zusammen.
[70]
MALER
stürzt auf sie zu.

Habe ich dich wieder liebes Lottchen, – dein Vater, – dein unglücklicher Vater – – Sie bleibt noch betäubt, er aber fängt an, sie fortzuschleppen. Von euch soll sie weg und wäre sie auch des Todes – – euer Geschlecht hat die Unschuld verführt.

HAUSVATER
tritt zum Maler.
Wo bleibt der Mann?
MALER
auf Lottchen zeigend.
Hieher gesehen, und hier die Antwort.
HAUSVATER.
Ruhig – ruhig – Wermann.
MALER.
O, wer vermag das?
HAUSVATER.
Meine Tochter da soll Lottchen fortführen.
SOPHIE.
Ist das meines Bruders Lottchen.
MALER.
Ihres Bruders? ha, Fluch dem Bruder.
LOTTCHEN
die zu sich gekommen war.
Um Gottes willen, nein!
MALER
drückt sie an seine Brust.
Mein Lottchen!Nun läßt er sie los. aber wohin mit ihr? Sophie geht unterdessen zu ihr hin.
HAUSVATER.
In mein Haus.
MALER.
Was dort thun? um sie vielleicht von da aus ins Kloster zu schleppen.
HAUSVATER.

Kennen Sie mich denn gar nicht mehr? – Nein, weil es hie nächstan ist; fort mit ihr, Sophie – Sophie nimmt sie mit sich fort.

MALER
ihr nach.
Aus meinen Augen soll sie nicht mehr, und ich will den sehen – Ab.

Der Hausvater geht an die Kabinettsthür, aber die Kammerjungfer kömmt heraus.
KAMMERJUNGFER.

Meine Gräfin läßt um Verzeihung bitten, aber sie sei zu bestürzt; sobald sie sich erholt hat, will sie selbst zu Ihnen kommen. Ab.

HAUSVATER.
Gut dann.
11. Auftritt
Elfter Auftritt.
HERR VON DROMER
eiligst herein.
Ich suchte Sie.
HAUSVATER.
So eilig? schon wieder was Neues?
HERR VON DROMER.

Ich wollte, ich könnte der Überbringer angenehmer Nachrichten sein: wer würde glücklicher sein als ich? – –

HAUSVATER.
O, mein Herr, zur Sache, es ist nichts, wozu ich nicht gefaßt wäre.
[71]
DROMER.
Nun dann, ich habe Graf Ferdinand nicht angetroffen.
HAUSVATER.
Wo soll er dann sein?
DROMER.
Er ist in Arrest.
HAUSVATER
mit Heftigkeit.
Eines schlechten Streichs wegen?
DROMER.
Nicht doch, behüte – wie sollte –
HAUSVATER.
Zu meiner Ruhe, geschwind, sagen Sie mir, warum ist er in Arrest?
DROMER.

Man sagt, er habe vorige Nacht gespielt, alles verloren und sei beträchtliche Summen schuldig geblieben.

HAUSVATER.
Bloß Leichtsinn, also – – Gott – Dank dir!
DROMER.
Er soll dabei seinen Dienst versäumt haben.
HAUSVATER.
Pfui – pfui, gut, daß sie ihn darum strafen, aber nur recht – nur recht.
DROMER.
Auch sagt man, er habe beim Spiel Händel bekommen.
HAUSVATER.
Immer die Folgen; – – nun, er mag sie als Ehrenmann ausmachen.
DROMER.
Und soll wirklich gefordert worden, aber nicht gekommen und offentlich beschimpft sein.
HAUSVATER
heftig.

Offentlich beschimpft sein? Herr! der das sagt, sprach eine Lüge, die schwärzeste Lüge – – – Herr, in Wodmar sein, mein Sohn sein – Wodmar, und ein Feiger – – das kann nicht sein.

DROMER.
Behaupt' es auch; aber ein gewisser Nechrostfeld, der ihn forderte, sagte es selbst, sagt es laut.
HAUSVATER.

Was soll ich erleben! Herr, darauf, auf diese Nachricht war ich nicht gefaßt. Wo ist der, der es zu sagen vermag? Fort mit dem Sohn, wenn es ist – – aber den, der es zu sagen vermag, wehe ihm, solange diese Faust einen Degen halten kann. Wo ist er? Zum Zimmer hinaus. Dromer ihm nach.


Der Vorhang fällt.

5. Handlung

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Hausvater sitzt an einem Tisch und macht einen Brief zu, wie Dromer herein kömmt.

HAUSVATER.
Gut, Baron, daß Sie da sind.
DROMER.
Was steht zu Ihrem Befehl?
HAUSVATER.
Beinahe hätten Sie mich vorher aus meiner Fassung gebracht.
DROMER.
Sind Sie itzt ruhig?
HAUSVATER.
Ruhig nicht; aber gesetzter. Ruhig sein? Gott weiß, ob ich das je noch werde sein können.
DROMER.
Wir wollen das Beste hoffen.
HAUSVATER.

Es ist viel für einen Mann zu ertragen: eine Tochter veruneinigt mit ihrem Gatten, der Trennung nahe; einen Sohn im äußersten Labyrinth, in den je ein Jüngling durch Liebe geführt ward; einen andern Sohn soviel als tot, schlimmer als tot, verunehrt, ein schlechter Kerl.

DROMER.
Vielleicht ist alles das nicht so arg.
HAUSVATER.

Will's wünschen, Gott inbrünstig dafür danken, wenn es nicht so ist: aber durch eitle Hoffnung räumt man das gegenwärtige Übel so wenig aus dem Weg, als durch leere Klagen. Dem Unglück standhaft entgegen gesehen und, soviel der arme Sterbliche anders kann, sich einen Plan gemacht, nach welchem man ihm abhelfen will: das ist's allein, was dem Manne geziemt und frommet.

DROMER.
Aber was wollen Sie itzt thun?
HAUSVATER.

Handeln, nicht die Hände im Schoß legen und wimmern. Wie, sagen Sie, heißt der, welcher meinen Sohn soll gefordert haben?

DROMER.
Nechrostfeld.
HAUSVATER.
Sind Sie zuverlässig benachrichtiget, daß er das vom Ferdinand sagt.
DROMER.
Ich hört' es aus seinem eignen Munde.
HAUSVATER.
Ist er Soldat?
DROMER.
Er trägt Uniform.
[73]
HAUSVATER.
Nun dann, so sein Sie so gut und als Edelmann bringen Sie ihm diesen Brief.
DROMER.
Was wollen Sie thun?
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Ferdinand kömmt mit dem Adjutant in das Zimmer, der Adjutant hält Ferdinands Degen.

FERDINAND
fällt zu des Hausvaters Füßen.
O mein Vater!
HAUSVATER
stößt ihn zurück.
Nicht so genennt; ich bin keines feigen Kerls Vater.
FERDINAND
springt schnell auf.
Wer darf das sagen?
HAUSVATER.
Ich, einem Burschen, der unbesonnen genug ist, Händel anzufangen und entehrt – –
DER ADJUTANT.

Herr Graf, erst wie der Herr Hauptmann weg war, ließ ihn der Fremde fordern, auch der Hauptmann wollte sogar sich mit ihm schlagen, aber der Oberst verbot es ausdrücklich; man weiß, daß Nechrostfeld ein falscher Spieler ist und die Uniform usurpiert. Neben dem wissen Sie, was in dergleichen Fällen das für die Unterthanen sorgende Landesgesetz befiehlt.

HAUSVATER.
Weiß es, auch –
FERDINAND.

Meinen Degen her; Herr Adjutant, ich bitte um meinen Degen und lass' ihn dann nicht mehr aus dieser Hand, bis ich den Verleumder – – –

HAUSVATER.
Ha, das sind Worte eines Wodmars, und Indem er ihm um den Hals fällt. hier auch wieder sein Vater.
DROMER.
Gottlob, ich freue mich. – –
FERDINAND.
Liebster Vater – – Ihr Sohn ist Ihrer so unwürdig nicht. Aber was ist aus dem Kerl geworden?
DER ADJUTANT.
Man hat ihn vorladen lassen, und er soll das consilium abeundi bekommen.
HAUSVATER.

Laß ihn laufen, mit Leuten dieser Art hat man nichts zu thun. Zu Dromer. Geben Sie mir meinen Brief wieder.

DROMER.
Wie ich froh bin, daß die Sache so geht!
HAUSVATER.
Doch, was hat der Kerl von dir zu fordern?
FERDINAND
betroffen.
Dreitausend Gulden.
HAUSVATER.

Schadet nichts, schadet nichts, der Preis ist nicht zu teuer, für welchen, wie ich hoffe, du sollst vernünftiger geworden sein.

[74]
FERDINAND.
O, gewiß will ich – –
ADJUTANT.
Er wird sich auch mit weniger abspeisen lassen.
HAUSVATER.

Nein. Er soll bis auf den letzten Heller bezahlt werden; ich will nicht die Nachrede eines solchen Kerls haben. Du hast auch noch mehr Schulden; ich hätte gewünscht, du hättest dich deinem Freund anvertrauet: doch, wie es auch immer ist, mache mir ein Verzeichnis, ich will sie über nehmen.

DROMER.
Sehn Sie, was Sie für einen Vater haben.
FERDINAND
um den Hals seines Vaters.
Liebster, bester Vater.
HAUSVATER
ihn in seinen Armen haltend.

Ich will ja gern für euch Kinder alles, alles thun, mein letzter Blutstropfen sei für euch: solange ich es nur imstand bin; aber – – – doch wozu soll ich dir Vorwürfe machen; dieser Vorfall und, wenn du mich liebst, der Gedanke des Kummers, den du mir verursachtest, sollen und werden dich hoffentlich künftig warnen.

FERDINAND.
Sein Sie versichert, gewiß überzeugt – – –
ADJUTANT.

Der Oberst hat vernommen, daß unser gnädigster Herr Ihrem Sohn eine Majorsstelle zugedacht hat, und ohnerachtet er ihn wegen der in nämlicher Nacht versäumten Runde in Arrest nehmen lassen; so will er ihn aus Rücksicht gegen Sie, Herr Graf, davon befreien, mithin. Er will ihm den Degen wieder geben.

HAUSVATER
hält ihn zurück.

Nicht so, Herr Adjutant, ich danke dem Herrn Oberst für seine Gesinnung; ich habe seine Schulden übernommen, aber die gegen den Dienst mag er selbst abtragen. Sein Fehler ist bekannt, also muß es auch seine Bestrafung sein. Mit der Majorsstelle hat es ohnedem einiges Bewenden in diesen Umständen: ich möchte der mir gegebenen Gnade meines Fürsten nicht gern mißbrauchen. Und Mißbrauch wäre es, wenn in dem Augenblick – –

ADJUTANT.
Herr Graf, wenn so etwas ausschlösse. – – –
HAUSVATER.

Wie es auch ist, meine Kinder sollen keine andere Stufen als ihr eigenes Verdienst kennen, auf denen sie sich erheben. Also geh nur wieder mit dem Herrn Adjutant; die Majorsstelle sei der Preis deines guten Betragens und deines Diensteifers.

FERDINAND.
Vater! – Aber ich will sie schon bald verdienen.
HAUSVATER.
Geh, ich werde dich desto mehr lieben.
ADJUTANT.
Gehorsamer Diener.
HAUSVATER.

Ich empfehle mich, danke für die Mühe. Ferdinand, [75] komm wieder her. Er umarmt ihn herzlich. Nun geh, freut mich daß du kein schlechter Kerl bist. Ferdinand und Adjutant ab.

DROMER.
Ich wünsche Glück.
HAUSVATER.

Wär' alles so überstanden! Traurig, daß die Vorsicht neben dem Guten so unmittelbar das Böse grenzen läßt. Bei Ferdinand Lebhaftigkeit und Unbesonnenheit: bei Karln Empfindsamkeit und Verirrung. Ich wollte, Karl wäre hier.

DROMER.
Ich will ihn holen.
HAUSVATER.
Baron, Sie sind zu gütig.
DROMER.
Was wollen Sie mit ihm.
HAUSVATER.
Ihn an seine Pflichten erinnern, mehr steht nicht in meiner Macht; aber, da kömmt er.
DROMER.
Sehn Sie, wie betäubt.
HAUSVATER.
So wünsch' ich mir ihn, aber lassen Sie uns allein.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Karl ist tiefsinnig herein gekommen.

HAUSVATER.
Du da, mein Sohn? und so ruhig?
KARL.
Warum nicht? Wenn der Entschluß einmal gefaßt ist – – –
HAUSVATER.
Und dieser Entschluß wäre? Er setzt sich.
KARL.

Ihnen, mein Vater, und der Ehre alles aufopfern; das Mädchen verlassen und mit Amaldi ein Verbündnis, wider das die strengste –

HAUSVATER.
Mir, mein Sohn, sollst du nichts aufopfern.
KARL.
Und doch Ihnen am liebsten.
HAUSVATER.
Weißt du schon, daß wir Fremde im Hause haben?
KARL.
Nein, ich komme aus dem Garten und bin auch zur menschlichen Gesellschaft nicht aufgelegt – –
HAUSVATER.
Wozu die Leidenschaften dich nicht gemacht haben?
KARL.

Wüst und öde, erschöpft vom unseligen Kampf zwischen Neigung und Pflicht. Entschlossen zwar, aber in diesem Entschluß so schwankend, – ach, mein Vater, ich wollte, das wäre alles geschehen, ich wollte, ich hätte Amaldi schon geheiratet. Waren Sie bei ihr, haben Sie sie gesehn?

HAUSVATER.
Ja, und auch den Maler Wermann und seine Tochter.
[76]
KARL
springt auf.

Was? Sie haben mein Lottchen gesehen? – wie? – – nicht wahr, unter Menschen ein Engel? – – – und ihr Vater, welch ein ehrlicher, braver Mann?

HAUSVATER.
Hast du dem Mädchen deinen Entschluß schon entdeckt?
KARL.
Lieber Gott, ja.
HAUSVATER.
Wie nahm sie es auf?
KARL.

Wie höchster Grad der Liebe es nehmen kann? – – – Ach, mein Vater, können Sie mir es noch übel nehmen? – – – ist es nicht ein Engel? – – Was macht sie? – – was macht ihr Vater?

HAUSVATER.
Was zwei der unglücklichsten Menschen machen können.
KARL.
Unglücklichsten! – unglücklichsten! –
HAUSVATER.

Und durch dich dazu geworden. In eine Haushaltung, wo häusliches Glück selbst seinen Sitz genommen zu haben schien, schmeichelt sich ein Jüngling beim Vater ein, hinter geht mit der offnen Miene der Ehrlichkeit des Vaters Achtsamkeit; macht das zarte, unschuldige Herz der Tochter durch seine glatte Worte empfindsam, lallt Töne von Unschuld und Redlichkeit vor, erschüttert sie durch seine Schwüre, genießt das unschuldige Schlachtopfer, kühlt seine Lüste, läßt dann das Mädchen sitzen und macht zugleich ein Wesen unglücklich, ehe es noch das Tageslicht gesehen.

KARL.
Liebster Vater, hören Sie auf – –
HAUSVATER.

Nicht wahr ein garstiges Bild, und doch nichts weiters, als dir den Spiegel vorgehalten Noch nicht genug: das Beste angenommen, daß das arme weibliche Geschöpf im Schmerzen der Gebärerin, abgeschreckt von der Furcht für die Schande, das Kind nicht mordet; so kommt es itzt in die Welt mit allen Gaben allen Fähigkeiten, die meistens Kindern der Liebe eigen sind; ihm fehlt vielleicht nichts als ein Name, und bei jedem Schritt da durch aufgehalten, flucht es vielleicht dann bei jeder aufgehenden Sonne seinem Vater.

KARL.
Hören Sie auf, ich ertrag's nicht.
HAUSVATER.

Während daß nun das Mädchen ihrer Ehre, ihres Glücks, ihrer Freuden beraubt herumwankt, überall ein Fremdling, überall verspottet, verstoßen von Eltern und Verwandten, zum Grabe hinwelkt: oder mit dem Laster bekannt, vom reinesten Geschöpf durch diesen ersten Schritt zur niedrigsten Kreatur [77] hinunter sinkt und dann elend, ohne Hilfe, ohne Trost unter Martern stirbt.

KARL.
Gott, meine Lotte! Aber, was wollen Sie, daß ich thun soll?
HAUSVATER.
Deine Pflicht.
KARL.
Versteh' ich Sie recht? oder was nennen Sie Pflicht?
HAUSVATER.

Einer unschuldig Verführten ihre Ehre, einem Kinde seinen Vater geben, und mit allem diesem als ehrlicher Mann sein Wort halten.

KARL.
Ist es möglich, kömmt der Rat von Ihnen? so willkommen meinem Herzen.
HAUSVATER.

Er kömmt von mir, so wehe es mir auch thun muß. Ehe ich noch alles wußte, ehe ich deine Verbindungen, deine Schwüre wußte, sah ich die Sache für eine zu ersetzende Unbesonnenheit an; da sagte ich dir, gehe hin, entsage ihr. Aber itzt, da ich alles weiß, sage ich, obschon mit beklemmtem Herzen, gehe hin, nimm sie zum Weibe: dein Stand hebt die Verbindlichkeiten des ehrlichen Mannes nicht auf.

KARL.
Was sagt ihr Vater dazu?
HAUSVATER.

Der ehrliche Mann, er sträubte sich dagegen sehr und mehr als ich; wohl kennend das gewöhnliche Ende solcher Verbindungen. Aber, was vermochte er sonst zu thun, als einzuwilligen.

KARL.
Also auch er? o! wo solch eine Liebe zum Grunde liegt, da kann nichts ihr Grenzen setzen.
HAUSVATER.
Wollen's wünschen. Geh nur, in deiner Schwester Zimmer wirst du Vater und Tochter finden.
KARL.
Hier im Hause, o meine Lotte. Ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Auf der andern Seite kömmt herein.

GRAF MONHEIM.
Waren Sie so gut zu überlegen, was ich Ihnen vorgeschlagen habe?
HAUSVATER.

Überlegt habe ich es nicht, denn dabei ist nichts zu überlegen; wenn zwei Geschöpfe, die sich beständige Treue schwuren, die durch ein Kind dazu verpflichtet wären, das alles brechen wollen, was kann man da überlegen und thun?

[78]
GRAF MONHEIM.
Auch ist mein Entschluß so fest, daß es bloß auf die Formalitäten ankömmt.
HAUSVATER
klingelt.

Nun denn, Es kommt ein Bedienter. meine Tochter soll herunter kommen. Wie der Bediente gehen will, ruft er ihm nach und sagt ihm noch etwas leise.

MONHEIM.
Die Bedingungen wegen des Unterhalts bleiben, wie ich vorgeschlagen habe?
HAUSVATER.

Wie Sie wollen: ich nehme meine Tochter wieder zu mir, und da soll es ihr hoffentlich nicht am Unterhalt fehlen.

MONHEIM.
Unterdessen ist es billig, daß das berichtigt werde.
HAUSVATER.
Ganz recht, schreiben Sie selbsten hin, was Ihnen beliebt.
MONHEIM.
Es ist mit einigen Zeilen geschehen. Er setzt sich an einen Tisch und schreibt.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Sophie kömmt.

HAUSVATER.
Du kannst dir einbilden, meine Tochter, warum ich dich habe rufen lassen.
SOPHIE.
Ja, und in der Lage sehe ich dem Augenblick mit Vergnügen entgegen.
HAUSVATER.
Dieses Herzeleid kann mir also nicht erspart werden?
SOPHIE.
Lieber alles, als mit ihm noch leben wollen.
MONHEIM
steht auf und giebt das Papier dem Hausvater.
Hier ist es fertig.
HAUSVATER.

Also beide müßten jetzt einander entsagen – –, und Monheim bestimmt zweitausend Gulden Unterhalt. Seid ihr das zufrieden.

SOPHIE.
Ja, von Herzen.
MONHEIM.
Gewiß.
HAUSVATER.
Hilft also kein Zureden, keine Vernunft mehr.
SOPHIE.
Liebster Vater.
MONHEIM.
Mein Entschluß ist fest
HAUSVATER.

Nun, obschon ungern, ich willige darein. Geht hin, um es zu unterschreiben. Sie unterschreiben. So weit wären wir, [79] aber ein Punkt muß noch ausgemacht werden; bei wem bleibt euer einziges Kind?

SOPHIE.
Ich bin Mutter.
MONHEIM.
Ich bin Vater.
HAUSVATER.
Gut – beide gleiche Rechte – aber eben deswegen.
SOPHIE.
Eher lass' ich mir das Leben als mein Kind nehmen.
MONHEIM.
Der Sohn ist mein – und ich lass' ihn nicht.
HAUSVATER.

Seht ihr, meine Kinder, dieser Umstand sollte euch lehren – – kurz sollte euch von eurem Vorhaben zurückgehen machen. Herzen, die sich so in einem Kinde begegnen, sind sich eigentlich nicht feind; es ist nur Mißverstand – – Er nimmt das Papier. Soll ich es wieder verreißen?

MONHEIM.
Um alles in der Welt nicht.
SOPHIE.
Nein, nein, mein Vater.
HAUSVATER.

Ja, aber jenes muß doch bestimmt werden. Nun, soll das Kind selbst entscheiden, bei wem es bleiben will?

SOPHIE.
Recht gern.
MONHEIM.
Ich bin's zufrieden.

Der Hausvater geht in ein Nebenzimmer.
MONHEIM.
Ich wünsche übrigens, daß Sie recht gut leben möchten, ich scheide ohne Groll –
SOPHIE.

Möchten Sie anderwärts ein Glück finden, das Sie sonst bei mir fanden, hernach nicht mehr finden konnten. Der Hausvater bringt den Knaben heraus. Sophie lauft gleich auf das Kind los, umarmt es. Nicht wahr, du bleibst bei mir?

DAS KIND.
Ja, Mutter, liebe Mutter –
MONHEIM
hebt das Kind zärtlich in die Höhe.
Willst mich also verlassen, Fritz?
KIND.
Nein, Papa, will bei dir bleiben.
HAUSVATER.
Aber, Fritz, die beiden gehen auf immer von einander, du mußt sagen, bei wem du bleiben willst.
SOPHIE.
Nicht wahr, bei mir?
MONHEIM.
Bei mir, mein Kind?
KIND.
Bei dem Vater und der Mutter.

Die Eltern sehen weg. Der Hausvater beobachtet sie; eine Pause; dann wieder.
DAS KIND.

Aber warum sehen Sie so böse aus? – Papa und Mama waren ja sonst so gut – – Bittend und sie an ihre [80] Kleider ziehend. Nicht weg dürfen – – beide bei mir bleiben. Beide wollen das Kind umarmen, sie begegnen sich, sehen sich gerührt an; dann fallen sie sich um den Hals.

HAUSVATER.
Dank dir, Natur, daß du mich nicht verließest!
MONHEIM.
Willst du verzeihen?
SOPHIE.
Alles vergessen. Umarmen sich wieder.
HAUSVATER
hebt das Kind an sie hinauf, es hält sich an beide.
Wollt ihr euch noch trennen?
SOPHIE.
Nein, mein Vater.
MONHEIM.
Auf ewig vereinigt durch dieses Band, hier ist doch nur wahres Vergnügen.
HAUSVATER
wischt sich mit seinen Händen die Augen.
Kinder! das sind süße Vaterthränen.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Der Maler kömmt herein, in einem Arm Karl, im andren seine Tochter. Der Hausvater geht auf sie zu, nimmt Lottchen und führt sie zu den übrigen.

DER HAUSVATER.
Seht hier Karls Gattin, meine Tochter, eure Schwester.
LOTTCHEN.
Werden Sie mich nicht verstoßen?
SOPHIE.
Verstoßen? die meinen Bruder so unendlich glücklich macht. Umarmet sie.
DER HAUSVATER
zu Monheim.

Sehen Sie hier, Herr Sohn, wir verbinden uns mit einer Familie, die statt der Ahnen Rechtschaffenheit aufzuweisen hat.

MONHEIM
geht auf Karln zu, umarmt ihn.
Ich wünsche Glück, wünsche es mir auch; ich fange an zu mutmaßen, daß es auch Hausfreuden giebt.
KARL.
Wie? – – Er redet mit Monheim fort.
DER MALER
zum Hausvater.

Also ich hoffe, uns verbunden zu sehen. Ich sollte Ihnen hier von der Ehre sprechen, die ich – doch, ich muß dem Ausdruck des Vergnügens Platz geben.

DER HAUSVATER.
Und dann glaube ich, daß die Rechtschaffenen alle mit einander verwandt sind.
DROMER.

Ich bin über das Ganze so erstaunt, so gerührt, daß ich noch gar nicht habe dazu kommen können, mein Kompliment – –

KARL.
Ihr Erstaunen, Ihre Rührung war das schönste Kompliment, verderben Sie es nicht – –
[81]
MONHEIM.

Und das beste Mittel, wieder gut zu machen, was Sie durch Ihre Universalfreundschaft und Schwatzhaftigkeit beinahe– – –

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Amaldi kömmt herein.

LOTTCHEN
thut einen Schrei.
Ach!
AMALDI.

Dieser Schrecken ist der bitterste Vorwurf; aber weg mit ihm, ich komme selbst, um Zum Hausvater. Sie zu bitten, daß Sie möchten das Vorurteil der Natur weichen lassen.

HAUSVATER.

Ich habe es schon gethan, sie sind vereint auf immer. Ich dachte, ein ehrlicher Mann zu sein, sei meines Sohns erste Pflicht.

AMALDI.

Wohl gesagt, würdiger Mann. Zu Lottchen. Wenn ich Sie vorhin verließ, so war es Bestürzung, Unentschlossenheit; verzeihen Sie mir.

LOTTCHEN.
Gnädige Frau!
AMALDI.

Und um den Kummer wieder gut zu machen, den ich Ihnen verursachte, ich thue nichts gern halb, erlaube man mir, die Aussteuer der Braut besorgen zu dürfen.

DROMER
eilends ab.
O, ich muß der erste sein, der diese herrliche That dem ganzen Hof erzählet!
MALER.
Gnädige Gräfin, ich gestehe – –

Alle wollen sich bedanken.
AMALDI.

Keinen Dank, wo ich eigennützig bin und Vergnügen suche, auch gehe ich. – – Wahrlich, in keinem Gesellschaftssaale habe ich so viel vergnügte Gesichter gesehen – – mich so glücklich gefunden. Ab.

KARL.
Es bleibt dabei ein treffliches Weib.
HAUSVATER.

Und nun hätte ich einen harten Tag überstanden, Dank dem Gott, der mir Kräfte dazu gab; ich habe dem drohenden Übel in meinem Hauswesen vorgebauet; Gott gebe, daß ich es so erhalte.

MALER.
Nun mahnt mich die Liebe zu meiner Tochter, Sie noch an eins zu erinnern – –
HAUSVATER.

Ja, unser Wermann fürchtet sich, wie er wo recht hat, für die Folgen einer solchen ungleichen Ehe, wo nach den ersten Zeiten der Liebe die Hindernisse, die Verschiedenheit –

[82]
LOTTCHEN.
Da bin ich sicher.
KARL
zeigt auf sein Herz.
Hier ist mein Bürge.
HAUSVATER.

Doch ist allzugroße Zuversicht die Quelle all unsers Unglücks; ich denke euch dagegen sicher zu stellen; glaubt mir, flieht die Welt, in deren Konventionen ihr doch nicht mehr paßt. Geht auf meine Güter, Karl, du sollst sie besorgen, sie verwalten. Du wirst einige hundert Unterthanen haben; mache nur zwei Familien davon glücklich und du verdienst ein Monument.

KARL.
Ihr Wille – – und dann an meiner Lotte Seite – – was thu' ich da nicht.
HAUSVATER.

Du sollst meine Güter in Besitz nehmen; es ist mir ohnedem lieb, daß ein Beispiel wie dieses aus den Augen der Welt komme: es ist doch immer Zerrüttung bürgerlicher Ordnung, und, solange das Vorurteil dauert, gefährlich, wenn es zur Nachahmung reizt.

MONHEIM.
Thor! wo suchte ich sonst die Glückseligkeit – – wie irre –
SOPHIE.
Sie sollen sie hoffentlich bei mir finden.
MALER.

Und dann komme ich zuweilen zu meinen Kindern auf das Land, sehe sie glücklich in herrlichem Genuß reiner Natur.

HAUSVATER.

Auch ich will kommen, wenn es meine Geschäfte erlauben, sonst aber, solange ich Kräfte habe, hier bleiben, dem Staat und meinem Fürsten dienen. Auch zum Dank für diesen Tag, höre es, Himmel! weih' ich mein übriges Leben meiner Familie und dem Vaterlande. Meine Belohnung? – – daß ihr mich liebt? – – und dann, wenn ich einst tot bin, daß ein deutscher Biedermann an meinem Grabe vorbeigehe und sage: er war wert, ein Deutscher zu sein!


Die ganze Familie sammelt sich um den Hausvater, und, ja ohne Kompliment zu machen, fällt der Vorhang.
[83]
Fußnoten

1 Hier gebe der Schauspieler, der die Rolle des Karls spielt, durch sein Gebärdenspiel zu verstehen, wie sehr er verschieden denkt, und lasse den Streit zwischen seinem Herzen und der ehrsüchtigen Vernunft bemerken.

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TextGrid Repository (2012). Gemmingen-Hornberg, Otto Heinrich von. Drama. Der deutsche Hausvater oder die Familie. Der deutsche Hausvater oder die Familie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C4A2-0