Vierter Gesang

Und doch – leichtgläubiges Gefühl! –
Ist alles dieß mehr als ein Gaukelspiel?
Kann dieß die Stätte seyn, wo wir
Ins Thal des Schweigens flohn? Kaum glaub ich dir!
Wie reizend, wie bezaubernd lacht
Die heitre Gegend! wie voll sanfter Pracht!
In schönrer Majestät, in reiferm Strahle
Glänzt diese Sonne! Milder fließt vom Thale
Mir fremder Blüthen Frühlings-Duft;
Und Balsamgeister ströhmen durch die Luft,
Unübersehlich malt die Blumen-Flur
Sich meinem Aug, und die Natur
Ist rings umher ein Garten! – Welcher Gott
Schmiegt eine Wildniß unter das Gebot
Der Schönheit, Ordnung, Fruchtbarkeit?
Wer ists, der Wüsteneyn gebeut,
Sich in entfernter Sonnen Glut zu tauchen,
Und unbekannte Spezereyn zu hauchen? –
Ha! nicht also, im festlichen Gewand,
Grüßt ich dich einst, mein mütterliches Land!
Unfreundlich, ungeschmückt, und rauh und wüste,
Im trüben Dunkel schauerte die Küste;
Kein Himmel leuchtete mild durch den Hayn;
Kein Tag der Aehren lud zu Freuden ein;
In Hölen lauschte Graun und Meuterey,
Und was am Ufer scholl, war Kriegsgeschrey.
Das Weib der Ehe trat mit Helm und Speer,
Und neben ihr, von blutger Rüstung schwer,
Die blühnde Tochter fürchterlich einher –
O wie weit anmuthsvoller schreitet,
Von acht geliebten Kindern hold begleitet,
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Dort jene Mutter durch den Schattengang,
In dessen Hecken friedlicher Gesang
Ertönt, wo goldnes Obst um sie entsprang!
Auf Rasen hingelehnt, im Auge Himmel,
Erwartet das weithallende Gewimmel
Der frohe Vater, der mit reger Hand
In die veredelte Natur entbrannt,
Die mächtge Feuerharfe schlägt,
Daß ihren Schall der Hügel und das Meer
Und näher wallender Wolken Heer
Empor zum Tanz der Sphären trägt!
Daß sie den Staub der Urn erregt,
Und Geister-Welten um sich her bewegt!
Auch mich! auch mich! – »Es horchten auf die Lieder
Die Kinder Korah, Assaph stand,
Und staunt', und warf den Psalter nieder,
Den hohen Psalter, und empfand!« –
Wer ist der Gott, den deine Saite singt?
Wer, dessen Schaur mich Bebenden durchdringt!
»Er misst die Himmel, stillt die Meere!
Gericht und Recht ist um ihn her!
Er ist der Herr! der Gott der Heere!
Er ist! – Wo ist ein Gott, wie er

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TextGrid Repository (2012). Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von. Gedichte. Gedicht eines Skalden. Prosopopoema Thorlaugur Himintung des Skalden. Vierter Gesang. Vierter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D4ED-7