Zweyter Gesang

Stiller wird das Meer
Der Entzückung um mich her.
Weh mir! auf welcher Stätte ruht
Mein blutbetriefter Fuß?
Welch feierliches Graun
Steigt langsam über diese Hügel
Wie im Nachtgewölk
Neugeschiedner Seelen auf? –
Ach hier! – hier? – Ach, Halvard!
Wie manch geflügeltes Aeon
Ist von der Nornen Stunden-Thron,
Seit ich dieß Grab gebaut, entflohn! –
Ruht hier die Urne, mein Halvard,
Hier, bester Freund, dein edler Staub? –
Mir schwindelt! durch Jahrhunderte
Blick ich, durch trübe ferne Nebel
Hoch übern Horizont, ins Grab,
Auf unsrer Freundschaft Maal herab!
Lernts, Gotlands Söhne! Wenn der Stein
Der Hügel schweigt, wenn seine Runen
Verloschen sind, kein Trümmer mehr,
Kein Brand-Altar der Freundschaft zeugt: –
O! lernts durch ewigen Gesang,
Und flammet neuen Opferdank
Vom rauhen hüglichten Altar,
Der euren Vätern heilig war.
[360]
Im Schatten dieses Eichenhayns,
Hier wars, von hoher Flamme warm,
Wo ich, Halvard, in deinem Arm
Den großen Todesbund beschwur.
Still war die Luft, in Majestät
Lag die Natur zu Vidris Füßen;
Die stolzesten der Wipfel rauschten,
Und leise Bäche murmelten.
Unsichtbar wandelten um uns
Zween Alfen, von Odin gesandt.
Wo über buntbeblühmte Rasen
Der See vom Hauch der Luft bewegt,
Crystallne Wellen von sich jägt,
Sahn wir, mit süßem Duft beladen,
Die Göttinn Blakullur sich baden.
Vom Hügel braust im Bogenschuß
Ein breiter Quell, schwillt auf zum breitern Fluß,
Springt donnernd über jähe Spitzen,
Und diamantne Tropfen blitzen,
Im Lichtstrahl und im Silberschein
Erzitternd, durch das Laub im Hayn:
Indeß die Wellen schmeichlerisch sich regen,
Ihr Bild in die glanzvolle Luft zu prägen.
Die Göttinn sah ihr himmlisch Bild,
Wie es die Wasser-Scene füllt;
Bescheiden schlüpfte sie zur Tiefe nieder:
Allein das Ebenmaaß der weißen Glieder
Strahlt durch die heitre Fläche wieder.
Es scherzt um ihren Hals ihr blondes Haar,
Verbirgt ihn halb, stellt halb entblößt ihn dar.
Die seidnen Locken spielen mit den Lüften,
Und thauen dann herab auf Marmor-Hüften.
Die Wangen blühn in seelenvollrer Glut;
Die runden Arme rudern durch die Fluth;
Die kleinen Füße rudern, sanft gebogen,
Der volle Busen wallt auf zarten Wogen.
Die sternenvolle Nacht umschwebet sie,
Die Flur ist Duft, der Wald ist Melodie.
Sieh den gelindern West ihr Haar umfließen!
O sieh den hellern Mond zu ihren Füßen! –
Wir sahn das Wunder, staunen, beten an! –
Schnell hören wir aus einem Zauberkahn
Fremde Spiele der Saiten
Mystische Lieder begleiten.
Stillschweigend horchen wir; die Saite klingt;
[361]
Die himmlische verborgne Stimme singt:
»Beglückt! beglückt! Dreymal beglückt!
Den Hiorthrimul angeblickt!
Beglückt! beglückt! beglückt!
Wer in die Freuden der Götter entrückt
Am Busen seines Freundes stirbt,
Ihm reichen Hrist,
Und Skogula und Mist,
Und Hilda und Hertruda,
Und Hloka und Herfiudra,
Gaull, Geira, Radgrida,
Hod, Reginleif, Rangrida,
Und alle Valkyriur in Valholl
Einherium Ol.
Laßt uns spinnen, laßt uns spinnen
Den Faden Thorlaug und Halvard!
Laßt ihn in Nebel zerrinnen,
Den Leib, der Einherium ward!«
Der Schauer der Begeisterung
Ergriff mein schwellendes Herz! Ich schlung
Den Arm um meinen Freund, und schwur
Meines Freundes Tod zu sterben!
Da jauchzten die Valkyriur!
Da hub mein Freund den Arm, und schwur
Den blanken Schild zu färben,
Und meinen Tod zu sterben!
Da jauchzten die Valkyriur!

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TextGrid Repository (2012). Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von. Gedichte. Gedicht eines Skalden. Prosopopoema Thorlaugur Himintung des Skalden. Zweyter Gesang. Zweyter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D4FC-5