Tristan und Isolde

Gottfried

[1] Gottfried.

Gedächte man Dessen nicht nach Werth,
Der Gutes hat der Welt beschert,
So wär es alles ohne Werth,
Was Gutes wird der Welt beschert.
Das, was der gute Mann für gut
Und nur der Welt zu Gute thut,
Wer das nicht nehmen will für gut,
Dem sag ich, daß er übel thut.
Ich höre schmälern oft und viel,
Was man doch gerne haben will:
Da ist das Wenige zu viel!
Da will man, was man selbst nicht will!
Ein Ding, das man vonnöthen hat,
Soll finden eine gute Statt,
Und loben soll es, wer es hat,
So lang es einnimmt seine Statt.
Theuer und werth ist mir der Mann,
Der Gut und Uebel wägen kann,
Der mich und jeden andern Mann
Nach seinem Werth erkennen kann.
Ehr, Gunst und Lob, die schaffen Kunst,
Da Kunst geschaffen ist zu Gunst.
Wo Ehre grünt mit Lob und Gunst,
Da blühet jede Art von Kunst.
Recht wie ein Ding zu Schanden geht,
Das ohne Lob und Ehre steht,
So wächst eins, das in Ehren steht
Und um sein Lob nicht irre geht.
Ich weiß so Manchen, der das treibt,
Daß er das Gute zu Uebel schreibt,
Das Uebele wieder zu Gute schreibt.
Der treibt's nicht wohl: er hintertreibt!
Clar leuchten, wie auf goldnem Grund,
Das Urtheil und die Kunst im Bund.
Doch tritt der Neid in ihren Bund,
Da geht Urtheil und Kunst zu Grund.
Ha, Tugend, wie so schmal dein Steg!
Wie doch so kümmerlich dein Weg!
Heil, wer ihn wandelt und weicht nicht weg
Von deinem Weg, von deinem Steg!
Trieb' ich mein Leben müßig hin,
So reif im Leben, wie ich bin,
Dann führ' ich in der Welt dahin
Nicht also weltlich, wie ich bin.
Ich wende an eine Unmüßigkeit
Der Welt zu Liebe meine Zeit
Und edlen Herzen zu einer Labe:
Den Herzen, die ich im Herzen habe,
Der Welt, zu der mein Herze hält.
Nicht mein' ich ihrer Aller Welt,
Nicht die, von der ich höre sagen,
Sie könne nicht Noth noch Schwere tragen
Und wolle nur in Freuden schweben;
Die laß auch Gott mit Freuden leben!
Doch dieser Welt und ihrer Art
Bleibt meine Rede gern erspart.
Ihr Leben und meines scheiden sich.
Eine andre Welt, die meine ich,
[1]
Die trägt im Herzen unentzweit
Die süße Herbe, das liebe Leid,
Die Herzliebe, die sehnende Noth,
Das liebe Leben, den leiden Tod,
Den lieben Tod, das leide Leben.
Dem Leben sei mein Leben ergeben,
Der Welt will ich mich weltlich zeihn,
Mit ihr verderben, mit ihr gedeihn.
Ich bin bei ihr bis heute blieben
Und hab mit ihr die Tage vertrieben,
Die mir in wehevollem Leben
Lehr und Geleite sollten geben.
Der halt' ich meine Unmüßigeit
Zur Kurzweil und zur Lust bereit,
Daß sie mit meiner Märe
Ihr Weh und ihre Schwere
Lindre zu halbem Theile
Und ihre Schmerzen heile.
Denn wer etwas zu treiben sinnt,
Davon sein Sinn Unmuße gewinnt,
Der entladet sorgehaften Muth,
Das ist für Herzenssorgen gut.
Es sagen Alle von der Ruh,
Wenn einer müßig und dazu
Mit sehnendem Schaden sei beladen,
So mehre das den sehnenden Schaden.
Bei sehnendem Leide Müßigkeit,
Da wächst je mehr das sehnende Leid.
Darum ist's gut, wer Herzensklage
Und sehnende Noth im Herzen trage,
Daß er mit allem Fleiße
Den Leib zur Unruh weise,
Darüber denn sein Herze ruht;
Das ist dem Herzen mächtig gut.
Doch geb ich nimmermehr den Rath,
Daß, wer da Lieb im Herzen hat,
Unmuße solcher Art erküre,
Die reiner Liebe nicht gebühre:
Ein Lied von Lieb und Leide
Sei seines Herzens Weide,
Er heg's mit Herzen und Munde
Und sänfte so die Stunde.
Nun aber ist ein Wort, das spricht,
Und ich verwerf es wahrlich nicht,
Das Herz des Sehnenden, je mehr
Mit sehnenden Mären es verkehr,
Je mehr daß es beschweret sei.
Demselben Worte stünd ich bei,
Nur daß Ein Ding die Rede schlägt:
Wer innigliche Liebe trägt,
So weh es ihm von Herzen thu,
Sein Herz steht ihm doch je dazu.
Der innigliche Liebesmuth,
So er in seine Schmerzesgluth
Je mehr und mehr sich giebet,
Je mehr und mehr er liebet.
Dies Leid ist also wonnevoll,
Dies Uebel, das thut so herzewohl,
Daß, wo es seine Bürde trägt,
Kein edles Herz sich sein entschlägt.
Ich weiß, nicht wahrer ist der Tod,
Und erkenn es an derselben Noth:
Wer minnt mit edlem Sinne,
Liebt Mären von der Minne;
Darum, wer sehnende Mären will,
Der fahr nicht weiter und steh hier still!
Ich sing ihm Sehneschmerzen
Von zweien edlen Herzen,
Die reiner Liebe zugesagt:
Der Minne Knecht, der Minne Magd,
Ein Mann ein Weib, ein Weib ein Mann,
Tristan Isold, Isold Tristan.
Ich weiß wohl, Viele sind gewesen,
Die haben von Tristan gelesen:
Sind ihrer doch nicht viel gewesen,
Die haben recht von ihm gelesen.
Thu aber ich dergleichen nun
Und will noch etwas drüber thun,
Als ob mir ihrer Aller Sagen
Von dieser Märe thät mißbehagen,
So red ich anders, als ich soll.
Das thu ich nicht! Sie sprachen wohl,
Und nur aus edlem Muthe,
Mir und der Welt zu Gute.
Bei meiner Treue! sie meinten's gut,
Und was ein Mann in Güte thut,
Das ist auch gut und wohlgethan.
Aber, wie ich gesprochen han,
Daß sie nicht haben recht gelesen,
Das ist, wie ich euch sage, gewesen.
[2]
Sie sprachen in der Richte nicht,
Wie Thomas von Britannien spricht,
Der Meister in Aventüren was
Und in britannischen Büchern las
Aller der Landesherren Leben
Und es uns hat zur Kunde geben.
Nun der von Tristan anders nicht
Denn die Richte und Wahrheit spricht,
Begunte ich mit Fleiße
In Büchern beider Weise,
Welsch und latein, zu trachten,
Zu suchen und zu achten,
Wie ich in seiner Richte
Diese Märe dichte.
So mußt ich's lange treiben,
Da fand ich all sein Schreiben
In einem Buche zu lesen,
Wie dieses Abenteur gewesen.
Was aber ich gelesen han,
Und welch Gewand ich umgethan
Der Märe, das leg ich mit Gebühr
Allen sehnenden Herzen für,
Daß sie durch Unmuße genesen:
Es ist sehr gut für sie zu lesen.
Gut? ja, es ist innig gut,
Macht Liebe lieb, edelt den Muth,
Stetigt Treue, reinigt das Leben;
Es kann dem Leben wohl Tugend geben;
Denn so man höret oder liest,
Was von so reiner Treue sprießt,
Da liebt ein treuer Mann die Treue
Und andre Tugenden aufs Neue.
Liebe, Treue und steter Muth,
Ehre und auch manch ander Gut
Ist nirgends ein so theurer Hort
Und nirgends so daheim, wie dort,
Wo man von Herzeliebe saget
Und Herzeleid von Liebe klaget.
Lieb ist selig vor allen Dingen,
Ein also seligliches Ringen,
Daß Niemand ohn ihr Lehre
Noch Tugend hat noch Ehre:
So vieles Glück als die Liebe bringt,
So viel auch Tugend von ihr entspringt.
O weh, daß alles, das da lebet,
Nicht nach der werthen Liebe strebet,
Daß ich so wenig finde Deren,
Die ein herzlauteres Begehren
Zu Freundesherzen wollen leiden,
Nur um den armen Schmerz zu meiden,
Der bei der Liebe zu mancher Frist
Verborgen in dem Herzen ist.
Wie litte nicht gern ein edler Muth
Ein Uebel für tausendfaches Gut?
Den Schmerz zahlt viele Freude ja.
Wem nie von Liebe Leid geschah,
Dem geschah auch Liebes von Liebe nie.
Lieb und Leid, wann ließen die
Im Minnen je sich scheiden?
Man muß mit diesen beiden
Ehre und Lob erwerben,
Oder ohne sie verderben.
Von denen diese Märe spricht,
Hätten sie Leid von Liebe nicht,
Von Herzenswonne sehnendes Klagen
In Einem Herzen nicht getragen,
So wär ihr Name und ihre Mär
Manch edlem Herzen nimmermehr
Zu Statten und zu Liebe kommen.
Uns ist noch heute gern vernommen
Und immer süß aufs Neue
Ihr innigliche Treue,
Ihr Lieb und Leid, ihr Wonn und Noth;
Und sind sie auch schon lange todt,
Ihr süßer Name, der lebet doch;
Es soll der Welt zu gute noch
Lange ihr Tod und immer leben,
Den Treubegehrenden Treue geben,
Den Ehrbegehrenden Ehre tragen,
Ihr Tod muß sich zu allen Tagen
Uns Lebenden lebend und neu erweisen;
Denn wo man je noch höret preisen
Ihre Treue, ihrer Treue Lauterkeit,
Ihr Herzelieb und Herzeleid,
Ist's aller edlen Herzen Brod:
Hiemit so lebt ihr Beider Tod.
Wer nun begehrt, daß man ihm sage
Ihr Leben und Tod, ihr Glück und Klage,
Der neige Herz und Ohren her:
Er findet alle sein Begehr.

Riwalin und Blancheflur

[3] Riwalin und Blancheflur.

Ein Herr war in Parmenienland,
Von Jahren jung, ein Kind genannt,
Derselbe war, wie der Bericht
Von seinen Abenteuern spricht,
Wohl von Geburt der Könige würdig,
An Lande Fürsten ebenbürtig,
Von Leibe hold, den Schönsten gleich,
Getreu und kühn und mild und reich;
Und wem er Freude sollte tragen,
Dem war der Herr in seinen Tagen
Eine Freudespendende Sonne,
Der Welt eine Wonne,
Dem Adel eine Lehre,
Den Magen eine Ehre,
Und seines Landes Zuversicht;
An Tugenden gebrach's ihm nicht,
Die ein Herre haben sollte,
Nur daß er zu ferne wollte
In seines Herzens Lüsten schweben
Und nur nach seinem Willen leben,
Davon ihm auch groß Leid gedieh.
Denn leider, so ist und war es hie:
Aufblühende Jugend und volles Gut,
Die zwei, die führen Uebermuth.
Vertragen, was doch gar mancher Mann
In hochgewaltigem Wesen kann,
Daran gedacht er selten:
Uebles mit Ueblem vergelten,
Kraft erzeigen wider Kraft,
Das war seine Eigenschaft.
Nun geht es auf die Länge nicht,
Wenn Einer mit Kaiser Karls Gewicht,
Was ihm geschieht, vergelten will.
Weiß Gott, der Mann muß mehr als viel
An diesem Handel übersehen,
Oder ihm muß großer Schade geschehen.
Wer keinen Schaden ertragen kann,
Dem wächst noch größrer Schaden an,
Und ist ein unheilvoller Brauch;
So fähet man den Bären auch:
Der rächet jeden einzeln Schaden,
Bis er mit Schaden wird beladen.
Bei Jenem war's ein solches Spiel:
Er rächte sich so oft und viel,
Bis er davon den Schaden nahm.
Daß aber er zu Schaden kam,
Das kam von keiner Bosheit nicht,
Davon doch Manchem Schade geschicht:
Es kam von der Blindheit
Der unmündigen Kindheit,
Daß er in seiner blühenden Jugend
Mit jugendlicher Herrentugend
Wider sein eignes Glücke stritt;
Die spielende Kindheit spielt ihm mit,
Die in seinem Gemüthe
Uebermüthig blühte.
Er that so recht wie alle Kind,
Die meistens ohne Fürsicht sind;
Ihm kamen Sorgen nicht in Sinn,
Er lebt und lebt und lebt so hin,
Seit seines Lebens Licht anfing,
Das wie der Tagesstern aufging
Und in die Welt helllachend sah;
Da wähnte er, was doch nie geschah,
Daß er immer also sollte leben
Und in der lebenden Süße schweben.
Nein, seines Daseins Anbeginn,
Der ging mit kurzem Dasein hin;
Die morgenliche Sonne,
Seines Lebens Wonne,
Kaum ließ sie spielen ihren Schein,
So fiel sein jäher Abend ein,
Der ihm zuvor verborgen,
Und löschte seinen Morgen.
Wie aber er geheißen war,
Das thut uns diese Märe dar:
Die Aventüre nennet ihn
Beim rechten Namen Riwalin
Auch sonst Kanelengres vom Land.
Von Vielen zwar wird er genannt
König im Land zu Lohnoys,
Dagegen Thomas uns bewies,
Der's in den Aventüren las,
Daß er vom Land Parmenien was
[4]
Und hatte ein besondres Land
Von eines brittischen Herren Hand,
Und sollte dem sein unterthan;
Derselbe hieß li Duc Morgan.
Nun war der Herre Riwalin
Mit großen Ehren wohl gediehn:
Er trug die Sporn ins dritte Jahr
Und hatte sich erworben klar
Die ganze Kunst der Ritterschaft,
Zu Streit und Orlog volle Kraft;
Er hatte Land und Leut und Gut;
Ob es nun Noth, ob's Uebermuth
Erschaffen haben, weiß ich nicht:
Wie seine Aventüre spricht,
So griff er als einen schuldigen Mann
Morganen, seinen Lehnsherrn, an.
Er kam geritten in sein Land
Mit so gewaltiglicher Hand,
Daß er ihm die Macht verkürzte
Und viele Burgen stürzte.
Die Städte mußten sich ergeben,
Mußten lösen ihr Gut und Leben,
So lieb, so leid es ihnen was,
Bis daß er auf die Letzt besaß
An Gut und Gülten große Kraft,
Damit er seine Ritterschaft
So sehr verstärkt und mehrte,
Daß, wo er hin sich kehrte,
Es wären Burgen oder Städte
Er viel nach seinem Willen thäte.
Auch nahm er oftmals Schaden dran
Und zahlte mit manchem guten Mann;
Denn Morgan war auf seiner Wehr,
Bestund ihn oft mit seinem Heer
Und brach ihm ab von seiner Kraft.
Denn zu Orlog und zu Ritterschaft
Gehört Verlust so wie Gewinn;
Darüber geht der Orlog hin:
Verlieren und gewinnen,
Das muß den Krieg verspinnen.
Dasselbe that ihm Morgan wieder:
Er warf ihm Städt und Burgen nieder
Und brach ihm, weil sich das begab,
An Land und Leuten vieles ab
Und wollt ihn ganz verderben,
Doch konnt er nichts erwerben;
Denn immer aus dem Feld schlug ihn
Mit großem Schaden Riwalin,
Und trieb das also lang und viel,
Bis er ihn brachte ans letzte Ziel,
Daß er auf keinen Sieg mehr baute,
Sich nicht mehr zu erhalten traute,
Als nur in seinen Vesten,
Den stärksten und den besten.
Die belagerte Riwalin
Und gab ihm aus voller Hand darin
Zu bataljen und zu streiten,
Und trieb ihn zu allen Zeiten
Stracks zurück bis in das Thor,
Auch hatte er oftermals darvor
Turnier und glänzende Ritterschaft.
So lag er ihm ob mit seiner Kraft
Und hauste in seinem Lande
Mit Raub und Mord und Brande,
Bis daß der Herzog Frieden bot
Und es erwarb mit aller Noth,
Daß ihm gestattet ward, zu tagen,
Ein Jahr die Fehde zu vertragen:
Der Friede ward von Beiden
Mit Burgen und mit Eiden
Gefestet, wie es billig schien.
Und also kehrte Riwalin
Heim mit den Seinen, reich und froh;
Aus milder Hand lohnt' er sie so,
Daß er sie alle machte reich;
Dann ließ er sie aus seinem Reich
In Freuden und mit Ehren
Wieder zur Heimath kehren.
Nun es Kanelen so gelang,
So dauert es darnach nicht lang,
Bis daß er aber zu einer Fahrt
Ergötzens halber schlüssig ward
Und aber aus dem Lande ritt
Und nahm gar großen Reichthum mit,
So wie der Ehrbegierige thut.
All das Geräthe und all das Gut,
Das er gebrauchen wollte
Und ein Jahr lang haben sollte,
Das ward ihm in ein Schiff getragen.
Er hatte vieles hören sagen,
Wie voller Sitte und Ehre
Der junge König wäre
[5]
Von Kornewall Herr Marke,
Der an Ehren starke,
Der Kornewall und Engelland
Beide hatte in seiner Hand.
Durch Erbschaft war er Kornwalls froh,
Um England aber stand es so:
Das erhielt er jenesmales,
Da die Sachsen von Gales
Die Britten all vertrieben
Und Herren vom Lande blieben.
Von denen auch sein Name ist;
Britannien hieß es vor jener Frist,
Erobert aber, ward es genannt
Nach denen von Gales Engelland.
Nun die das Land besaßen
Und unter sich vermaßen,
Da wollten sie alle Königlein
Und Herren für sich selber sein,
Was ihnen allen schlimm gedieh;
Denn alsobald begannen sie
Zu kämpfen und sich zu morden stark
Und befahlen endlich dem König Mark
Sich und das Land zur Pflege.
Seit war es ihm allewege
So hold und unterthänig,
Daß niemals einem König
Ein Königreich gehorchte baß.
Auch sagt uns die Historie, daß
In allen Nebenlanden,
Die unter Marke standen,
Kein König werther war als er.
Dahin war Riwalins Begehr:
Ihm wollt er sich ergeben,
Ein Jahr mit ihm verleben,
In Züchten üben seine Jugend
Und lernen neue Rittertugend,
Daß seine Sitte würde fein.
Sein edles Herz gab ihm das ein,
Daß, wenn er fremder Sitten achte,
Er seine eignen besser machte
Und würde selbst erkannt daran.
In solcher Weise hub er an:
Er befahl so Leut als Land und Gut
In seines Mareschallen Hut,
Der hieß Rual li Foitenant;
Er hatte seine Treu erkannt.
Alsbald fuhr Riwalin zu Meer
Mit zwölf Gesellen und nicht mehr;
Ihm war genug an dem Geleit.
Nun sich also verlief die Zeit,
Daß er zum Lande Kornwall kam
Und auf dem Meere allda vernahm,
Daß Marke der werthe
Zu Tintayol verkehrte,
Beschloß er bald dahinzuziehn.
Er stieg ans Land; da fand er ihn
Und freute sich deß von Herzen sehr.
Sich und die Seinen kleidet er
Reich und wie ihm geziemte wohl.
Nun, daß er kam gen Tintayol,
Empfing ihn Mark, an Tugend reich,
Gar tugendlich und fürstengleich,
Und Alle wollten ihm dienen;
Man bot da Riwalinen
Ehr und Empfang im Saale,
Daß er zu keinem Male
Zuvor und auch an keinem Ort
So hold empfangen ward, wie dort.
Da spielten seine Gedanken froh,
Und Hofessitte gefiel ihm so,
Daß er im Stillen sprach zu sich:
»Bei meiner Treu, Gott selbst hat mich
Zu diesem Landgesinde bracht!
Mein Glücke hat mich wohl bedacht:
Was ich von Tugend und von Zier
An Mark vernommen, ist alles hier.
Sein Leben ist höfisch und wohlgethan.«
Nun sagt er ihm sein Begehren an,
Warum er kommen wäre.
Als Marke seine Märe
Und seinen ganzen Sinn vernommen,
Da sprach er: »Gott und mir willkommen!
Leib, Gut und was ich nenne mein,
Das soll zu Eurem Gebote sein.«
So ging es Riwalinen wohl
Am Hof; der Hof war seiner voll:
Er war bei Allen hochgeehrt,
Bei Arm und Reichen lieb und werth,
Wie nie zuvor ein Gast bei ihnen.
Auch mocht er dessen wohl verdienen,
Der tugendhafte junge Held:
Er war und konnte aller Welt
[6]
Mit seinem Leib und Gute,
Mit seinem geselligen Muthe
Getreu sein und zum Dienst bereit.
So lebt' er in der Würdigkeit
Und in der rechten Güte,
Die er in sein Gemüthe
Mit täglich neuer Tugend nahm,
Bis König Marke's Hochzeit kam,
Wozu er alles laden
Vom Land und den Gestaden
So mit Gebot als Bitte hieß.
Wenn er den Seinen bieten ließ,
So kam die Ritterschaft zu Hand
Vom Königreich zu Engelland
Und fuhr je einmal in dem Jahr
Gen Kornwall, eine große Schaar.
Dieselben brachten auf ihrem Ritt
Gar viel der süßen Frauen mit
Und manche andre Herrlichkeit.
Nun war das schöne Fest bereit,
Angesetzt und besprochen,
Die blühenden vier Wochen,
Wo der viel süße Mai einzieht,
Bis daß er wieder von hinnen flieht,
Bei Tintayol auf grünem Plan,
Daß sich die Festgenossen sahn
Auf einer wonnevollen Au,
Wie sie kein Aug im Lenzesblau
Zuvor gesehen oder seit.
Die süße sanfte Maienzeit
Hatte an sie mit süßer Hand
Ihre süße Unmüßigkeit gewandt.
Da waren kleine Waldvögelein,
Die der Ohren Freude sollen sein,
Blumen und Blüthen, Gras und Kraut,
Und was das Auge gerne schaut,
Was edle Herzen erfreuen soll,
Deß war die Sommeraue voll.
Man fand da, was man wollte,
Was der Maie bringen sollte,
Den Schatten zu der Sonnen,
Die Linden bei dem Bronnen,
Die sanften linden Winde,
Die Marke's Hofgesinde
Höfisches Kosen brachten.
Die lichten Blumen lachten
Aus dem bethauten Grase.
Des Maien Freund, der grüne Rase,
Hatte aus Blumen sich gemacht
So wonnigliche Sommertracht,
Daß sie die lieben Gäste
Empfing mit eignem Feste.
Der Bäume Blust sah Jedermann,
Der süße, so süßlachend an,
Daß Herz und Muth, befangen ganz,
Sich an den lachenden Blüthenglanz
Mit spielenden Augen machte
Und ihm entgegen lachte.
Das holde Vogelgetöne,
Das selige, das schöne,
Dem Herzen und dem Sinne
Zu seligem Gewinne,
Erfüllte mit Freuden Berg und Thal.
Die wonnevolle Nachtigall,
Das liebe süße Vögelein,
Das immer soll gesegnet sein,
Da sang aus blühenden Zweigen
Mit solchem Lufterzeigen,
Daß manches Herz, manch edles Blut
Freude gewann und hohen Muth.
Da hatte die Gesellschaft sich
In hohen Freuden wonniglich
Gelagert auf das grüne Gras,
Wie eines Jeden Wille was,
Wie eines Jeglichen Begehr
Auf Freuden stund, darnach lag er:
Die Reichen waren gelagert reich,
Die Höfischen höfisch, Diese weich
Auf Polstern, unterm Seidenzelt,
Die unter Blumen im grünen Feld.
Die Linde gab ein gnüglich Dach,
Und Viele barg ihr Zeltgemach
Mit blättergrünen Aesten.
Von Hofgesind und Gästen
Hat keiner noch geherbergt nie
So wonniglich als bei Marke hie.
Auch war da Vorrath aller Art,
Was ziemt bei Festen, nicht gespart
Von den Speisen und edlen Gewanden
War alles da vorhanden,
Und Jeglicher nach Wunsch versehn;
Auch durfte Keiner leer ausgehn,
[7]
Denn König Mark nahm ihrer wahr
So reichlich, daß sie immerdar
Lebten reich und waren froh.
Nun erhob das schöne Fest sich so,
Und was der gerne sehende Mann
Zu sehen guten Muth gewann,
Das ließ die Hochzeit wohl geschehn;
Man sah hier, was man wollte sehn:
Diese kamen, zu sehn die Frauen,
Andre, um den Tanz zu schauen;
Der sah den Buhurt in voller Schaar,
Der sah tjostiren ein Ritterpaar.
Wozu nur Einen sein Wille trug,
Das fand er alles da genug;
Denn Alle, die da waren
In freudehaften Jahren,
Beflissen sich in die Wette,
Wer Freude brächt und hätte;
Und Marke dem guten,
Dem höfisch hochgemuthen,
Ohn andrer Frauen Lieblichkeit,
Die er an seinen Kranz gereiht,
War vor den Schönsten allen
Ein Wunder zugefallen,
Das war seine Schwester Blancheflur,
Ein Fräulein, daß auf keiner Flur
So schöne Rose war geboren.
Von ihrer Schönheit ward geschworen,
Sie sehe kein lebendiger Mann
Mit inniglichen Augen an,
Der nicht davon noch größre Minne
Zu Weib und Tugenden gewinne.
Die selige Augenweide,
Die machte auf der Haide
Munter und keck manch junges Blut,
Manch edles Herze hochgemuth.
Dazu war auf der Aue
Manch andre schöne Fraue,
Die waren alle werth zu minnen,
Der Schönheit reiche Königinnen,
Und ließen alles auf dem Plan
Freude und hohen Muth empfahn
Und machten fröhlich Herz und Sinn.
Darüber ging's zum Buhurt hin:
Die Werthesten und Besten
Von Hofgesind und Gästen,
Die ritten hier und dort zur Schaar;
Auch kam der werthe Marke dar
Und sein Geselle Riwalin
Nebst andrem Hofgesind um ihn,
Die wollten sich auch befleißen,
Sich also zu erweisen,
Daß es würdig der Märe
Und wohl zu loben wäre.
Auch waren Rosse zur Stelle,
Bedeckt mit Zendel und Pfelle,
Die Decken gemacht mit großem Fleiß,
Manche Schabrake schneeig weiß,
Viele von rothen, andre von blauen,
Gelb, braun, grünen Farben zu schauen,
Diese von edler Seide gemacht,
Jene geschlitzt mit mancherlei Pracht,
Bunt gewirkt und parriret,
So und so gefeitiret.
Die Ritterschaft kam auf den Plan,
Mit reichen Kleidern angethan,
Die waren geschlitzt mit großer Zier.
Auch ließ der Sommer schauen hier,
Daß er auf Marke's Seite sei:
Der wonnigen Kränzlein mancherlei
Von Blumen sah man bei der Schaar:
Die brachte er ihm zur Steuer dar.
In diesem herrlichen Lenzesdampf
Erhob sich herrlicher Ritterkampf:
Die waren an einander sehr
Und drängten sich allstets hin und her
Und trieben das so lange fort,
Bis sich der Buhurt zog zum Ort,
Wo Blancheflur im Freien,
Die Wunder-Ros' im Maien,
Dazu manch andre schöne Frau
Im Kreise saßen auf der Schau;
Denn diese ritten so ehrenreich,
So ritterlich, so kaisergleich,
Daß es mit Lust manch Auge sah.
Das Beste, was jedoch geschah,
Das that der höfische Riwalin,
Der auch fürwahr erlesen schien,
Daß er an dem Ort und Tage
Den Kranz vor Allen trage.
Auch nahmen sein die Frauen wahr
Und sagten, daß in der ganzen Schaar
[8]
Niemand nach Rittersitte
So leicht und trefflich ritte,
Und lobten alle seine Zier.
»Seht,« sprachen sie, »der Jüngling hier,
Der ist ein wonnevoller Mann:
Wie wonnig steht ihm alles an,
Wie er sich trägt, wie er sich hält!
Wie ist sein Leib nach Wunsch bestellt!
Wie reimen so vollkommen sich
Die edlen Beine königlich!
Wie fest sein Schild zu aller Zeit
An seiner Stelle liegt im Streit!
Der Schaft, wie edel in seiner Hand!
Wie wohl steht ihm all sein Gewand!
Sein Haupt, sein Haar, wie wonnereich!
All seine Gebärden, wie engelgleich!
Wie minniglich sein ganzer Leib!
O immer wohl dem seligen Weib,
Das Freude an ihm erleben soll!« –
Nun merkte ihr Aller Sinn gar wohl
Blancheflur die gute,
Der er in ihrem Muthe
So gut als ihnen Allen,
Der werthe Mann, gefallen.
Sie hatte ihn in ihr Aug genommen,
Er war ihr in ihr Herze kommen;
Das blieb als Königreich fortan
Dem Gewaltigen unterthan;
Er saß mit Scepter und Krone
Auf ihres Herzens Throne,
Nur daß sie es so stille trieb,
Daß es geheim vor Allen blieb.
Als nun vorbei der Buhurt war,
Auseinander ging die Ritterschaar
Und Jeglicher sich wandte,
Wohin sein Herz ihn sandte,
Da kam es, daß von ungefähr
Das Roß trug Riwalinen her,
Wo Blancheflur die schöne saß.
Gleich sprengt er näher durch das Gras,
Und als er ihr in die Augen sah,
Den Gottesgruß entbot er da:
»A, Deus vus sal la bele.« –
»Merzi,« dit la Puzele.
»Dank!« sprach sie und fuhr schamhaft fort:
»Der reiche Gott im Himmel dort,
Der alle Herzen macht froh und reich,
Der reiche Euch Herz und Muth zugleich!
Gar tiefen Dank für den Willkommen,
Und aber des Rechtes unbenommen,
Das ich an Euch zu fordern han.« –
»Ach, Süße, was han ich gethan?«
Sprach Riwalin dagegen fein. –
Sie sprach: »An einem Freunde mein,
Dem besten, den ich je gewann,
Habt Ihr mir Leides angethan.« –
Ja, Herre, dachte er bei sich,
Was Märe ist dies? und was han ich
Gethan wider ihre Hulden?
Was gibt sie mir zu Schulden?
Er wähnte, ob er irgendwen
Der Ihren, Diesen oder Den,
Unwissend an der Ritterschaft
Geschädigt durch des Armes Kraft,
Davon ihr Herz voll Schwere
Und ihm entrüstet wäre.
O nein, der Freund, nach dem sie frug,
Das war ihr Herz, in dem sie trug
Von seinen Schulden Ungemach;
Das war der Freund, von dem sie sprach;
Doch nicht verstand der Ritter sie,
Und mit gewohnter Courtoisie
Sprach er gar minniglich zu ihr:
»Schöne, ich will nicht, daß Ihr mir
Haß oder argen Willen traget;
Drum, ist es wahr, was Ihr mir saget,
So richtet selber über mich:
Was Ihr gebietet, das thu ich.« –
Die Süße sprach: »Ob dieser Mär
Hasse ich Euch nicht allzu sehr;
Auch will ich Euch drum nicht Minne geloben.
Ich will Euch aber baß erproben,
Was ich für Buße soll empfahn
Für das, was Ihr mir habt gethan.«
Da neigt er sich und wollte gehn;
Die Schöne, wie sie das gesehn,
Seufzt ihn gar heimlich an und sprach
Aus inniglichem Herzen: »Ach,
Herzlieber Freund, Gott segne dich.« –
Da erst begann es wissentlich
Zu werden in der Beiden Sinn.
Der junge Ritter ging dahin,
[9]
Der sich Gedanken machte
Und viel im Herzen dachte,
Was Blancheflurens Schwere
Und diese Märe wäre.
Den Gruß und alles, was sie sprach,
Den Segen und das viel süße Ach,
All ihre Gebärden sah er an,
Bis er so nach und nach begann
Den Seufzer und den holden Segen
Wohl auf der Minne Weg zu legen.
Fürwahr, ihm kam die Zuversicht,
Die zwei, die seien anders nicht
Erzeugt, als nur durch Minne.
Das entzündt auch seine Sinne,
Daß sie hinwieder fuhren
Und nahmen Blanchefluren
Und führten die alsbald mit zu Hand
In Riwalinens Herzensland
Und kröneten sie ihm darin
Mit Kron und Scepter zur Königin.
Ja, Blancheflur und Riwalin,
Der König, die süße Königin,
Die theilten unter sich wohl gleich
Der Herzen zwiefach Königreich:
Das ihre ließ sie Riwalinen,
Dagegen mußt ihr das seine dienen,
Und wußte doch ihrer Keines nicht
Von des Andern Dienst und Lehenspflicht.
So hatte sich das sehnende Paar
Einmüthiglich und recht fürwahr
Mit Herz und Sinn in Eins verbunden:
Da hat wohl Recht sein Recht gefunden.
Sie lag ihm auch im Herzen
Und mit denselben Schmerzen,
Die sie um seinetwillen trug.
Nun aber er noch nicht genug
Von ihrem Sinne war belehrt,
Nicht wußte, wovon sie war beschwert,
Von Haß oder aber Minne,
Das machte seine Sinne
Noch stets in Zweifel schwanken:
Er schwankte mit Gedanken
Bald auf, bald ab, bald hin, bald her.
Jetzt wollt er von dannen, in Sorgen schwer,
Und auf einmal wollte er wieder dar,
Bis daß er gar verfangen war
In seiner Gedanken Schlingen
Und konnte nimmer entspringen.
Der herzenskranke Riwalin
Erwies wohl an sich selbst hierin,
Daß der sehnende Liebesmuth
Recht wie der freie Vogel thut,
Der in der Freiheit sich ergötzt,
Auf den geleimten Zweig sich setzt:
Wird er des Leimes innen,
So will er wieder von hinnen,
Da klebt er mit den Füßen schon,
Nun regt er die Federn und will davon;
Doch wo er nur berührt das Reis,
Wenn noch so fern, wenn noch so leis,
Da ist er gebunden, ist in Haft;
So schlägt er denn mit aller Kraft
Her und hin, und hin und her,
Bis er mit seiner Gegenwehr
Sich gar am Ende selbst besiegt
Und festgeleimt am Zweige liegt.
Recht in derselben Weise thut
Der unbezwungene Jugendmuth
In sehnender Gedanken Haft,
Wenn Liebe an ihm ihr Wunder schafft
Mit minniglichem Schmerze
Da will das gefangene Herze
Zu seiner Freiheit wieder,
Doch zieht's die Süße nieder
Der verstrickenden Minne.
Da verwirrt es sich darinne
So mächtig, daß es sich aus dem Bann
Sich so, noch so befreien kann.
Und also ließ sich Riwalin
Von seinen Gedanken hinüberziehn
Und verwirren in der Minne
Zu seiner Königinne.
Ihn hatte die Verworrenheit
In wunderlichem Trug entzweit:
Er wußte nicht, ob ihm ihr Muth
Gesinnt war übel oder gut,
Noch immer war es ihm nicht klar,
Ob Haß ihr Sinn, ob Liebe war.
Er konnte nicht Trost noch Zweifel sehen,
Das ließ ihn nicht bleiben, ließ ihn nicht gehen.
Trost und Zweifel führten ihn
Ohne Ende her und hin:
[10]
Trost sagt ihm Minne, Zweifel Haß,
Und dieser Streit macht ihn so laß,
Daß er mit gänzlichem Vertrauen
Auf ihrer keines wollte bauen,
Auf Haß, noch auch auf Minne.
So gingen seine Sinne
In dunkler Schwebe hin und wieder:
Trost zog ihn auf, und Zweifel nieder.
Er fand nichts Stetes an den zwei Dingen,
Sie wollten nicht zusammen klingen:
So Zweifel kam und that ihm kund,
Ihn hasse Blancheflur, zur Stund
Wankt er zurück und wollte fliehn.
Alsbald kam Trost und trug für ihn
Ihr Herz und einen lieben Wahn:
Da war es um die Flucht gethan.
Er wußte nicht, nach welchen Enden,
Nicht hier, nicht dahin sich zu wenden.
Je mehr er rang, davonzueilen,
Je mehr ihn Minne zwang, zu weilen;
Je stärker er von hinnen flog,
Je fester ihn Minne rückwärts zog.
So spielte sie mit ihm viel und lang,
Bis doch der Trost den Sieg errang:
Bis er den Zweifel gar vertrieb
Und Riwalin versichert blieb
Von Blancheflurens Minne:
Da waren Herz und Sinne
Einmüthiglich auf sie gewandt,
Und galt hinfort kein Widerstand.
Nun, daß die Minne mit süßem Schmerz
Seine Sinne, sein junges Herz
Zu ihrem Willen ganz gewandt,
Das war ihm doch noch unbekannt,
Welch wehevolle Märe
Herzliche Liebe wäre.
Da er nun ganz von Anbeginn,
Wie es mit seiner Königin
Ergangen war, betrachtete
Und wohl auf alles achtete,
Mund, Wange, Kinn und Stirn und Haar
Und Schläfe sich wieder stellte dar,
Den freudereichen Ostertag,
Der lachend in ihren Augen lag,
Da nahm ihn wahre Minne hin,
Die echte Feuerzünderin,
Die stieß ihr Sehnefeuer an,
Das Feuer, davon sein Herz entbrann,
Das seinem Leben zur selben Stund
Offenbarlich machte kund,
Was herzdrückende Schwere
Und sehnende Sorge wäre:
Denn er trat in ein ander Leben,
Ein neues Leben ward ihm gegeben.
Er wandelte, da ihm's geoffenbart,
Seine Sinnen und seine Art
Und war von Grund ein andrer Mann;
Denn alles, was er jetzt begann,
Da war ein wunderliches Wesen
Und Blindheit viel darin zu lesen.
Die angebornen Sinne,
Die waren von der Minne
So wild und unstet, so verkehrt,
Wie es sein Uebermuth begehrt.
An seinem Leben fraß das Leid:
Von rechter Herzensfröhlichkeit,
Der er sich sonst doch gern ergeben,
Zog er sich ab mit Widerstreben.
Schweigen, traurig und einsam sein,
War seines Lebens Brod und Wein,
Seit sein ganzes Gemüthe
In sehnenden Nöthen glühte.
So auch entging der sehnlichen Pflicht
Die sehnende weiße Rose nicht;
Die war auch mit demselben Schaden
Durch ihn, wie er durch sie, beladen.
Die Gewalthaberin Minne
War auch in ihre Spinne
Gar unversehn mit Sturm gekommen
Und hatte ihr mit Gewalt genommen
Den besten Theil von ihrer Ruh.
Sie war wie umgetauscht im Nu,
War weder sich selber noch der Welt
Nach ihrer alten Art gesellt:
Was ihr von Freuden wohl eh gefiel,
Was sie erkor zu Schimpf und Spiel,
Das war ihr alles ungenehm.
Ihr Leben fügte sich nur nach dem,
Wie ihr die Noth zuwog den Tag,
Die schwer auf ihrem Herzen lag;
Und alles, was sie leiden mußte,
Das litt sie, ohne daß sie wußte,
[11]
Woher dieß sehnliche Wehe kam,
Von dem sie nie zuvor vernahm,
Was sogethane Schwere
Und Herzenssorge wäre;
Und sprach gar oft und viel bei sich:
»O weh, Gott Herre, wie lebe ich!
Wie und was ist mir denn geschehen?
Ich habe doch manchen Mann gesehen,
Von dem mir nie kein Leid geschah;
Und seit ich diesen Mann ersah,
Seit ward mein Herz doch nimmermehr
So frei noch fröhlich wie vorher.
Dies Sehen, das mir hier geschehn,
Wär's lieber blieben ungesehn!
Es hat mir schweres Leid gesandt.
Mein Herz, das keine Noth gekannt,
Das ist davon versehret;
Es hat mich ganz verkehret
Dies Sehen an Muth und Leibe.
Sollte jeglichem Weibe,
Wenn sie ihn höret oder sieht,
Geschehen, so wie mir geschieht,
Und ist ihm solches angeboren,
So geht durch ihn viel Huld verloren
Und lebt er nutzlos als ein Mann.
Wofern er aber zaubern kann
Und hat durch seine Wissenschaft
Dies fremde Wunder mir geschafft
Und diese wunderliche Noth,
So wär er ja viel besser todt,
Und sollt ein Weib ihn nimmer sehn.
Um Gott, wie ist mir von ihm geschehn
So bitter Leid und Wehe!
Ich sah doch wahrlich ehe
Noch ihn, noch irgend einen Mann
Niemals mit feindlichen Augen an
Und hab auch Niemand je gehaßt:
Womit verschuld ich nun die Last,
Daß mir von Jemand Leid geschehe,
Auf den ich mit Freundes Augen sehe?
Was schelte ich aber den guten Mann?
Er ist wohl gar unschuldig dran:
Was ich von ihm und seinetwegen
Mag Herzenssorgen nehmen und hegen,
Das ist, Gott weiß, zu allermeist
Was mich mein eignes Herze heißt.
Ich sah bei ihm noch manchen Mann:
Was kann er dafür, daß er's gewann,
Daß vor den Andern allen
Mein Sinn auf ihn gefallen?
Da ich so manches edle Weib
Von seinem kaiserlichen Leib
Und seinem ritterlichen Preis
Lobreden hörte, laut und leis,
Als wie ein Ball wird umgeschlagen,
Und alles von seinem Ruhme sagen,
Auch jede Tugend, die man pries,
Mein eignes Auge mich sehen ließ,
Und als ich so ins Herze faßte,
Was an ihm war von Glanz und Glaste,
Damit verlor ich Sinn und Ruh,
Und hiemit fiel mein Herz ihm zu.
Fürwahr, das hat mich blind gemacht,
Das war der Zauber, durch dessen Macht
Ich mein so gar vergaß im Wahn.
Er hat mir Leides nichts gethan,
Der liebe Mann, von dem ich klage,
Den ich mit Klagen im Munde trage.
Mein kindisch meisterloser Muth,
Der ist es, der mir Leides thut,
Der ist's, der meinen Schaden will:
Er will, und will doch allzu viel,
Was er nicht wollen sollte,
Wenn er bedenken wollte,
Was Fug und Ehre schreiben vor.
Nun aber sieht der blinde Thor
Nur seinen eignen Willen an
In diesem wonnevollen Mann,
Auf den er in so kurzer Frist
So ganz und gar gefallen ist.
Und so mir Gott, ich wähne wohl,
Wenn ich's mit Ehren wähnen soll,
Und soll mich nicht der Rede grämen
Und meines magdlichen Namens schämen,
So dünkt mich, daß die Herzensklage,
Die ich durch ihn im Herzen trage,
Nichts andres sei als Minne.
Dieß werd ich daran inne,
Daß ich so gerne bei ihm wär;
Und wie es auch steh um diese Mär,
Es erwächst mir etwas Neues hier,
Das spricht von Minne und Mann zu mir.
[12]
Denn was ich all mein Lebenlang
Von Frauen, welche Minne zwang,
Und von der Liebe je vernommen,
Das ist mir an mein Herze kommen:
Der süße Herzensschmerze,
Der manches edle Herze
Peinigt mit süßen Schmerzen,
Der liegt in meinem Herzen.«
Nun, daß die Höfische, Gute
Mit ganzem Sinn und Muthe
In ihrem Herzen versichert war,
So wie die Minnenden alle zwar,
Daß ihr Geselle Riwalin
Zur Herzenslust ihr sei verliehn,
Daß er ihr Trost sei und ihr Leben,
Begann sie die Augen auf ihn zu heben,
Sah auf ihn, wo sie ihn konnte sehn,
Und wo es die Sitte ließ geschehn,
Ersah sie, wie sie ihn grüße
Mit Blicken gar still und süße.
Mit sehnlichen Augenstrahlen
Sah sie ihn oftermalen
Gar minniglich und gar lange an.
Da aber das der minnende Mann,
Ihr Freund, begunte zu merken,
Da begunte ihn erst zu stärken
Minne und Trost, der ihm sprach von ihr;
Da erst entbrann seine Herzensgier,
Nun sah er sie, die ihm's angethan,
Kühnlicher stets und süßer an,
Wie er sie niemals angesehn;
Und ließ es Zeit und Ort geschehn,
So grüßte auch er mit Augen dar.
Als aber die Schöne ward gewahr,
Daß er sie meinte, wie sie ihn,
Da war ihr ganzer Kummer hin:
Sie hatte immer gewähnt, daß er
Gegen sie habe kein Begehr;
Nun aber erkannte sie, daß sein Muth
So innig stand zu ihr, so gut,
Wie Lieb zum Liebe stehen soll.
An ihr erkannt er das Gleiche wohl,
Und das entzündet ihr Beider Begehr,
Davon begunten sie hin und her
Zu meinen sich und zu minnen
Mit herzinnigen Sinnen.
Da ging es ihnen recht, wie man spricht:
Wenn Lieb in Liebes Auge sicht,
Das ist dem Minnefeuer
Eine wachsende Steuer.
Nun Markes Fest zu Ende kam,
Der Adel seinen Abschied nahm,
Da hörte Mark die Märe,
Wie daß ein König wäre,
Sein Feind, geritten in sein Land
Mit so gewaltiglicher Hand,
Daß, wo er ihn nicht dämpfe zur Stund,
So richte der ihm das Reich zu Grund,
So weit er's überreite.
Da ging's aufs Schierste zum Streite,
Und Mark besandte ein großes Heer
Und trat ihn an mit starker Wehr
Und kämpfte, bis er den Sieg gewann,
Und schlug und fing so manchen Mann,
Daß, wer entkam ungeschlagen,
Der konnte von Wunder sagen.
Da fiel der edle Riwalin
Von einem Speer getroffen hin;
Er war durchstochen und so wund,
Daß ihn die Seinen zur selben Stund
Mit großem Jammer, bittrer Noth
Wegführten aus dem Kampf halbtodt,
Gen Tintayol ihn brachten wieder
Und legten ihn da todtwund nieder.
Alsbald erscholl die Märe,
Kanelengres, der wäre
Verwundet und im Streit erschlagen:
Das gab ein jammervolles Klagen
Am Hof und in dem ganzen Land.
Wem seine Tugend war bekannt,
Dem war sein Tod von Herzen leid.
Sie klagten, daß solche Trefflichkeit,
So schöner Leib, so süße Jugend,
So vielgelobte Herrentugend
So schnelle sollt an ihm vergehn
Und ein so frühes Ende sehn.
Sein Freund, der werthe König Mark,
Beklagte seinen Tod so stark,
Daß er noch nie um keinen Mann
So schmerzensvolle Klage begann.
Ihn beweinte manches edle Weib,
Viel Frauen klagten um seinen Leib;
[13]
Und wer ihn je zuvor gesehn,
Den erbarmete, was ihm geschehn.
Doch wem dies Leid am nächsten ging,
Als man die Schreckenskunde empfing,
Das war vor allen Eine,
War Blancheflur, die Reine,
Die Höfische, die Gute,
Die in getreuem Muthe
Mit Augen und mit Herzen
Ihres Herzliebsten Schmerzen
Beklagte dar und immerdar;
Und wo sie nur alleine war
Und ihrem Jammer Zeit gewann,
Da griff sie sich mit Händen an,
Da führte sie wohl manchen Schlag
Dahin, dahin, wo ihr Wehe lag,
Da, wo das Herz entgegenschlug,
Da schlug die Schöne sich wohl genug.
So quälte das viel süße Weib
Den jungen schönen süßen Leib
Mit also klagevoller Noth,
Daß sie jedweden andern Tod,
Der nicht von Minne wäre kommen,
Für ihr Leben hätte genommen.
Sie wäre gar verdorben
Und in dem Leid erstorben,
Nur daß ein Trost sie leben hieß,
Eine Hoffnung sie nicht sinken ließ:
Sie wollte durchaus den Wunden sehn,
Auf welche Art es möchte geschehn,
Und wenn sie ihn nur sähe,
Was ihr hernach geschähe,
Das wollte sie leiden williglich.
Mit diesem Trost erhielt sie sich,
Bis daß sie wieder zu Sinnen kam
Und in Gedanken unternahm,
Ihrem Leide zum Frommen,
Wie sie möchte zum Liebsten kommen.
Da kam ihr etwas in den Sinn:
Sie hatte eine Meisterin,
Die sie alle Zeit und alle Wege
Behielt in ihrer Lehr und Pflege
Und ließ sie kaum aus den Augen fort;
Die nahm sie heimlich an einen Ort,
Wo Niemand war als nur sie Beide,
Da hub sie an von ihrem Leide,
Wie sie immer thaten und noch thun,
Aus welchen solche Schmerzen ruhn.
Ihre Augen überwallten,
Sie konnte die Thränen nicht halten,
Die fielen heiß und bange
Ueber die lichte Wange;
Sie hatte die Hände verschlungen
Und hielt sie flehend gerungen.
»Mein Herz und mein Leben!« rief sie und sprach:
»Ach,« sprach sie, »mein Herz und mein Leben, ach!
Ach, du herzliebe Meisterin,
Nun zeige mir deinen treuen Sinn,
Der groß und herrlich in dir ist:
Und nun du so auserlesen bist,
Daß all mein Rath, mein einzig Gut
Einzig auf deinem Rathe ruht,
So klage ich dir mein Herzeleid
Auf alle deine Seligkeit:
Hilfst du mir nicht, so bin ich todt.« –
»Nun, Fraue, was ist Eure Noth
Und Euer jämmerliches Klagen?« –
»Ei, Traute, und darf ich dir's denn sagen?« –
»Ja, liebe Fraue, sprechet an.« –
»Mich tödtet dieser todte Mann,
Der von Parmenien, Riwalin;
Gern, wenn ich könnte, säh ich ihn,
Wüßt ich, wie ich's erwürbe,
Eh denn er vollends erstürbe:
Denn leider kann er nicht gedeihn.
Magst du mir dazu hilfreich sein,
So will ich dir nichts versagen
In allen meinen Tagen.«
Die Meisterin gedachte still:
Wenn ich gestatte, was sie will,
Was mag da Schaden erwachsen dran?
Denn dieser todeswunde Mann
Ist morgen oder noch heute todt:
So hab ich doch in dieser Noth
Meiner Frauen Leib bewahrt und Ehr
Und bin ihr mehr und immer mehr
Vor andern Weibern auserlesen.
»Traut Fraue,« sprach sie, »liebes Wesen,
Euer Weh ist mir von Herzen leid,
Und wo ich Eure Traurigkeit
Mit meinem Leben wenden kann,
Da zweifelt, Fraue, nicht daran.
[14]
Ich selbst will gehen zu ihm nieder,
Ihn sehn und alsbald kehren wieder,
Will die Gelegenheit erkunden,
Wie man mag kommen zu dem Wunden,
Und auch der Leute nehmen wahr.« –
Nun trat sie mit Gebärden dar,
Als ob sie seine Noth beklagte,
Wobei sie heimlich zu ihm sagte,
Ihre Herrin möchte ihn gerne sehn,
Dafern er solches ließe geschehn
Mit Fug und auch mit Ehren.
Da stieg sie mit diesen Mären
Wieder zu Blancheflur hinan.
Sie nahm die Maid und legt ihr an
Eines armen Bettelweibes Kleid.
Ihr Angesicht voll Lieb und Leid
Mit dichten Schleiern sie umwand,
Nahm ihre Herrin bei der Hand
Und trat den kranken Helden an.
Nun hatte dieser, Mann für Mann,
Die Seinen ausgetrieben
Und war alleine blieben.
Er sagte ihnen sein Gebot,
Ihm thue Ruh und Stille noth.
Auch sprach die Meistrin, wie sie schritt,
Sie bringe eine Aerztin mit,
Und erwarb, daß man sie zu ihm ließ.
Das Schloß sie vor die Thüre stieß:
»Nun Fraue,« sprach sie, »seht ihn an.« –
Und sie, die Schöne, trat heran;
Sie sah ihm in die Augen und sprach:
»Ach,« sprach sie, »heute und immer ach!
O weh, daß ich je ward geboren!
Wie ist mein Trost so ganz verloren!«
Ihr neigte Riwalin sich schwach,
Weil es an Kräften ihm gebrach,
Als einem todeswunden Mann.
Auch sahe sie das wenig an
Und nahm es unbekümmert hin:
Sie setzte sich zu Riwalin
Und legte still und bange
Die Wange an seine Wange,
Bis daß ihr aber, beide,
Von Lieb und auch von Leide,
Des Leibes Kraft von dannen wich;
Ihr rosenfarbner Mund erblich,
Auf ihrer Haut erstarben
Die lichten Lebensfarben,
Womit ihr Leib gezieret war.
Da ward in ihren Augen klar
So trübe wie die Nacht der Tag,
So daß sie in der Ohnmacht lag
Und ohne Sinne lange;
Ihre Wange an seiner Wange
Sah aus, als ob sie wäre todt.
Und als sie nun aus dieser Noth
Ein wenig wieder zu Kräften kam,
Ihr Lieb sie in die Arme nahm
Und legte den Mund an seinen Mund
Und küßte ihn hunderttausend Stund
In einer kleinen Stunden,
Bis ihm ihr Mund entzunden
Sinne und Kraft zur Minne,
Denn Minne war darinne.
Ihr Mund, der machte ihn freudenhaft:
Ihr Mund, der brachte ihm eine Kraft,
Daß er das kaiserliche Weib
An seinen halb erstorbnen Leib
Gar inniglich und nahe zwang.
Darnach so währte es gar nicht lang,
Bis daß ihr Beider Wille erging
Und das viel süße Weib empfing
Ein Kind von seinem Leibe.
Da war er auch von dem Weibe
Und von der Minne beinahe todt:
Half ihm nicht Gott aus seiner Noth,
So war es aus mit ihm gewesen,
Doch Gottes Huld ließ ihn genesen.
Also genas da Riwalin,
Und Blancheflur, die ward durch ihn
Entladen von einem Herzensschaden
Und aber mit einem Schaden beladen:
Groß Leid verlor sie an den Mann,
Von dem sie größers noch gewann.
Sie ließ die sehnende Herzensnoth
Und trug mit sich davon den Tod:
Die Noth sie mit der Minne vertrieb,
Der Tod ihr mit dem Kinde blieb.
Und dennoch, wie es ihr auch ging,
In welcher Weise sie auch empfing
Hie Frommen und dort Schaden,
Entladen ward und beladen,
[15]
So sah sie doch nichts anders an,
Als die liebe Liebe, den lieben Mann.
Ihr war nicht Kind noch Todesloos
Bewußt in ihres Leibes Schooß:
Minne und Mann war ihr bewußt;
So that sie in rechter Lebenslust,
Was der Lebende soll, der Minnende thut;
Ihr Herze lag, ihr Sinn, ihr Muth
An Riwalin alleine.
Hinwieder lag auch der seine
An ihr und ihrer Minne.
Es trugen ihr Beider Sinne
Nur Eine Liebe, nur Ein Begehr:
So war er sie, und sie war er,
Er war für sie, und sie für ihn:
Da Blancheflur, da Riwalin,
Da Riwalin, da Blancheflur,
Da Eine treue Liebe nur.
Ihr Leben war Ein Leben so,
Sie waren mit einander froh,
Erhöhten ihr Gemüthe,
Das stand in Einer Blüthe;
Und konnten sie zusammensein,
Das war ihr Lebenssonnenschein,
Da war ihr Herzensglücke voll,
Da war es ihnen sanft und wohl,
Da hätten sie ihr junges Leben
Um tausend Kronen nicht hergegeben.
Jedoch nicht lange, so ging's zu Leid:
Denn in der ersten Freudenzeit,
Da sie am besten lebten
Und in der Wonne schwebten,
Da kamen Boten zu Riwalin,
Sein Feind Morgan sei wider ihn
Mit großem Heer gebrochen ins Land.
Auf diese Märe ward am Strand
Ein Schiff für ihn bereit gemacht
Und alsobald darauf gebracht,
Was er bedurfte für die Reise,
All sein Geräth, so Roß als Speise.
Die minnigliche Blancheflur,
Als sie die Jammermär erfuhr
Von ihrem herzgeliebten Mann,
Da fing ihr ganzer Kummer an:
Vor Herzeleid es ihr geschah,
Daß sie nicht hörte und nicht sah.
Die Farbe an ihrem Leibe
Glich einem todten Weibe.
Aus ihrem Munde sprach das Weh
Nur das viel arme Wort: »O weh!«
Das sprach sie und kein andres Wort.
»O weh!« so sprach sie fort und fort:
»O weh nun, Minne, o wehe, Mann!
Wie habt ihr mich gefallen an
Mit Mühsal und mit großem Leid!
Minne, der Welt Unseligkeit!
Da an dir so kurze Freude ist,
Da du so wankend und unstet bist,
Was minnet all die Welt an dir?
Ich sehe doch wohl, du lohnest ihr
So, wie der Falschgesinnte thut:
Dein Ende, das ist nicht so gut,
Als du der Welt verheißest,
Wenn du sie lockst und reißest
Durch kurze Lust zu langem Leid
Deine verlockende Trüglichkeit,
Die in so falscher Süße schwebt,
Die trüget alles, was da lebt.
Das zeigt sich nun an meiner Pein
Was meine Freude sollte sein,
Das läßt mich nichts erwerben
Als Herzleid und Verderben.
Mein Trost fährt hin und läßt mich hie.«
Nun ihr Herz also Wehe schrie,
Trat ihr Geselle Riwalin
Mit weinendem Herzen zu ihr hin
Und wollte nehmen Urlaub von ihr.
»Fraue,« sprach er, »gebietet mir:
Ich soll und muß zur Heimath fahren.
Euch Schöne möge Gott bewahren!
Bleibt immer glücklich und gesund!« –
Und abermals verblich ihr Mund,
Und aber von der Herzensnoth
Fiel sie in Ohnmacht und für todt
Vor ihm in Schooß der Meisterin.
Ihr Sehnegenosse Riwalin,
Da er das große Leid ersah,
Das seiner Blancheflur geschah,
War er als treuer Gesell bereit:
Er nahm auf sich ihr sehnend Leid
Und theilte es mit ihr inniglich.
Die Farbe auf seinem Gesicht erblich,
[16]
Mit klagenden Gebärden
Setzt er sich traurig zur Erden;
Seine Kraft war ihm zerspalten,
Kaum konnt er sich erhalten,
Bis sie so weit zu Sinnen kam,
Daß er sie süß hin zu sich nahm
Und hielt das freudelose Weib
Herzinniglich an seinen Leib
Und küßte ihr viel und lange
So Mund als Aug und Wange
Und herzte sie beständig,
Bis daß sie ward lebendig
Und kam zu Sinnen und genas
Und aufrecht von sich selber saß.
Nun daß sie wieder zu sich kam
Und ihren Freund bei sich vernahm,
Da sah sie ihn mit Jammer an:
»Ach,« sprach sie, »herzgeliebter Mann,
Wie ist mir leid von Euch geschehen!
Herre, wie hab ich Euch müssen sehen
Zu so viel Leid und Herzensklage,
Als ich in meinem Herzen trage
Von Euch, von Euren Schulden.
Dürft ich mit Gunst und Hulden
Euch alles sagen, so möchtet Ihr
Besser und freundlicher thun mit mir.
Herre und Freund, gar mancherlei
Ist dieses Leids, und vor allen drei,
Die tödtlich und nicht zu wenden sind.
Das eine ist, daß ich trage ein Kind,
Deß weiß ich nicht zu genesen,
Will Gott nicht mein verwesen.
Das andere, das ist noch mehr:
Mein Bruder und mein Herr, wenn er
An mir ersieht dies Ungemach,
Dazu auch seine eigne Schmach,
So wird er mich verderben
Und schmählich lassen sterben.
Das dritte ist aber die größte Noth
Und ist viel ärger als der Tod:
Ich weiß wohl, wird sich's auch begeben,
Daß mich mein Bruder lässet leben
Und will mich nicht verderben,
So wird er mich aber enterben
Und wird mir nehmen Gut und Ehr,
Da muß ich immer hinterher
Unwerth und schlechtes Namens sein.
Dazu muß ich mein Kindelein,
Das einen lebenden Vater hat,
Erziehen ohne Vaterrath.
Und dennoch wollt ich nimmer klagen,
Dürft ich die Schmach alleine tragen,
Und ginge mein alt erlauchtes Haus
Und der König frei, mein Bruder, aus,
Und möchte er so des Hohns und mein
Mit Ehren ledig und ohne sein.
Wenn aber Alle, die da sind,
Die Märe sagen, ich habe ein Kind
Erworben kebslich, und geht der Schall
Durch Engelland und durch Kornewall,
So ist es für beide Lande
Eine offenbare Schande.
Und wehe, wenn ich das gewann,
Daß man mich sieht mit den Augen an,
Daß zwei Lande von Schulden mein
Erniedrigt und bescholten sein,
So wär ich Eine besser todt.
Seht, Herre,« sprach sie, »das ist die Noth,
Die immerwährende Herzensklage,
In der ich alle meine Tage
Ersterben muß mit lebendem Leib.
Herr, helft Ihr nicht mir armem Weib,
Und fügt's der milde Gott nicht so,
So werd ich nimmer hienieden froh.« –
»Traut Fraue,« sprach er da zu ihr,
»Habt Ihr erworben Noth von mir,
Die will ich büßen, so gut ich mag,
Und Euch bewahren von diesem Tag,
Daß Euch nicht Schmach noch Wehe
Durch mich hinfort entstehe.
Ich habe, mag was will geschehn,
So gar viel Liebs an Euch gesehn,
Daß es unbillig wäre,
Wenn Ihr die ringste Schwere
Mit meinem Willen solltet tragen.
Fraue, ich will Euch alles sagen,
Mein Herz und allen meinen Muth:
Leid und Lieb, Uebel und Gut,
Was Ihr genießen mögt und leiden,
Davon will ich mich nimmer scheiden,
Da will ich immer stehen bei,
Wie groß auch unsre Mühsal sei.
[17]
Ich biet Euch zweier Dinge Kür,
Die leget Eurem Herzen für:
Entweder bleib ich, oder ich fahr;
Nun legt Euch selbst die Sache dar:
Wollt Ihr, daß ich zu Tintayol
Euer Geschick erwarten soll,
Das sei. Geruhet aber Ihr
Hinzufahren und heim mit mir,
Ich selbst und alles, was ich han,
Das ist Euch immer unterthan.
Ihr habt mir Lieb erzeigt so viel,
Daß ich's Euch wohl gedenken will
Mit meinem Leib und Gute.
Wie nun Euch sei zu Muthe,
Fraue, dessen berichtet mich:
Denn was Ihr wollt, das will auch ich.« –
»Dank, Herre,« sprach die Schöne froh:
»Ihr redet und bietet mir es so,
Daß Euch Gott lohnen müße,
Und daß ich Eure Füße
Immer gerne umfahen soll.
Freund und Herre, Ihr wisset wohl,
Des Bleibens kann hier nimmer sein:
Die Noth mit meinem Kindelein,
Die kann ich leider nicht verhehlen,
Als wenn ich trachte mich wegzustehlen:
Das wäre mir der beste Rath
Nach dem, wie sich die Sache hat.
Freund, Herre, dazu rathet Ihr.« –
»Nun, Fraue,« sprach er, »folget mir:
Zu Nacht, wenn ich zu Schiffe geh,
So richtet Ihr's, daß Ihr noch eh
In aller Stille dar seid kommen,
Daß ich, wenn ich Urlaub genommen,
Euch dann im Schlosse finde
Bei meinem Ingesinde.
So richtet's: also muß es sein.«
Darauf ging Riwalin hinein
Zu Marke und sagte ihm Märe,
Was ihm entboten wäre
Von seinem Volk und seinem Land.
Urlaub er nahm von seiner Hand,
Darnach von all den Seinen;
Die klagten um den Feinen,
Daß er nie größere Klage sah,
Als die allda um ihn geschah:
Viel Segens ward ihm mitgegeben,
Daß Gott ihm möge Ehr und Leben
Nehmen in seinen Schirm fortan.
Nun endlich kam die Nacht heran,
Und als er zu seinem Schiffe stieß
Und sein Geräthe laden ließ,
Da fand er seine Frauen dort,
Die schöne Blancheflur, an Bord:
Alsbald hieß er die Segel spannen,
Und also fuhren sie von dannen.
Nun Riwalin zu Lande kam
Und die viel große Noth vernahm,
In welche Morgan ihn gebracht
Mit seines Heeres Uebermacht,
Seinen Marschall er besandte,
An dem er Treue erkannte,
An dem sein meister Trost noch lag,
Der aller seiner Ehren pflag
Ueber sein Volk und über sein Land:
Das war Rual li Foitenant,
Der Treuen und der Ehren Stab,
Der nie gewankt von Treuen ab;
Und dieser, dem es aus dem Grund
Bekannt war, that ihm alles kund,
Welch bittre Noth und Schwere
Dem Land erwachsen wäre.
»Doch,« sprach er, »daß Ihr in guter Zeit
Zu Trost uns allen kommen seid
Und Gott Euch wieder gesendet hat,
So soll deß alles werden Rath,
Und mögen wir noch wohl gedeihn;
Wir müssen nur starkes Muthes sein,
Die Angst und Noth geht bald dahin.«
Dazwischen sagte ihm Riwalin,
Was ihm mit seiner Blancheflur
Wunder und Liebes widerfuhr.
Deß ward er inniglich erfreut:
»Herre,« sprach er, »wohl seh ich heut,
Eur Ehre wächst auf jede Weis,
Eur Würdigkeit und Euer Preis
Und Eure Freude und Wonne,
Die steiget wie die Sonne.
Ihr könntet nie auf Erden
Von einem Weibe werden
So hohes Namens als von ihr.
Derhalben, Herre, folget mir:
[18]
Hat sie Euch Heil erwiesen,
So laßt es sie genießen.
Führen wir unser Ding hinaus
Und wenden diesen harten Strauß,
Der uns nun so zu schaffen macht,
So richtet, Herre, mit reicher Pracht
Eine herrliche Hochzeit an:
Da nehmet öffentlich alsdann
Vor Magen und Mannen sie zur Eh;
Und rath ich, daß Ihr sie noch eh,
Da es Pfaffen und Laien schauen,
In der Kirche machen sollt zur Frauen,
So wie der Christenbrauch begehrt:
Womit Ihr denn Euch selber ehrt,
Und Euch's in allen Euren Dingen
Nur um so besser wird gelingen,
Und wird Euch Ehr und Glück umfahn.«
Nun, das geschah, das ward gethan,
Der Rath ins Werk gesetzt vollkommen;
Und als er sie zur Eh genommen,
Befahl er sie von Hand zu Hand
Dem getreuen Marschall Foitenant.
Der führte sie gen Kanoel,
Das war dasselbige Castel,
Nach dem sein Herr, wie ich es las,
Kanelengres geheißen was,
Kanel nach Kanoel genannt;
Und hatte der Marschall auch gesandt
Auf dieses Schloß sein eignes Weib,
Ein Weib, das dran gab Seele und Leib,
Die Welt in weiblichen Treuen
Mit Güte zu erfreuen.
Der befahl er seine Herrin an
Und machte ihr alles unterthan
Und hieß sie pflegen fürstensam.
Nun wieder Rual zum Herren kam,
Beriethen sich die Beiden
Und mußten sich entscheiden,
Wie es um ihre Sachen stand.
Sie schickten durch das ganze Land
Und sammelten ihre Ritterschaft
Und wandten ihre ganze Kraft
Auf nichts als auf die Gegenwehr.
So ritten sie mit ihrem Heer
Morganen und den Seinen zu.
Die blieben auch nicht in ihrer Ruh
Müßig liegen vor Riwalin:
Sie erwarteten und empfingen ihn
Mit einem harten Gefechte.
Hei, wie viel guter Knechte
Fielen und starben durch Speer und Pfeil!
Wie wenig blieben ihrer heil!
Wie mancher Mann kam da in Noth,
Und wie gar mancher lag da todt
Und wund von ihrer Beider Macht!
In dieser jammervollen Schlacht
Ward der klagwerthe Held erschlagen,
Den alle Welt wohl sollte klagen,
Wenn Klagen und wenn Grämen
Den Todten zu Nutze kämen:
Kanelengres der gute,
Der in fürstlichem Muthe
Und Herrentugenden keinen Schritt,
Nicht einen halben, rückwärts glitt,
Der lag da jammerwürdig todt;
Jedoch in aller dieser Noth
Kamen die Seinen über ihn,
Konnten ihn kaum dem Feind entziehn,
Führten ihn klagend aus dem Feld
Und begruben ihn als einen Held,
Der nicht weniger und nicht mehr
Als ihrer aller Glück und Ehr
Mit sich zu seinem Grabe nahm.
Daß ich nun viel von Leid und Gram
Und ihrer Trauer sagte,
Was ihrer Jeder klagte,
Was sollte das? es ist nicht noth.
Sie waren alle mit ihm todt
An Ehren und an Gute
Und an allem dem Muthe,
Der guten Leuten sollte geben
So Glück als freudevolles Leben.
Es ist geschehen, so sei's forthin:
Er ist todt, der gute Riwalin;
Da gehört nun weiter nichts dazu,
Als das Eine, daß man mit ihm thu,
Was sich schickt mit einem todten Mann.
Da schlägt nun doch nichts andres an:
Man soll und muß sich sein begeben,
Gott pflege sein im ewigen Leben,
[19]
Der edler Herzen nie vergaß;
Und geht die Märe nun fürbaß,
Wie es mit Blanchefluren kam.
Da die viel schöne Frau vernahm,
Was ihr für Weh und Leid geschah,
Wie stand es um ihr Herze da?
Gott, Herre, da sollt du uns bewahren,
Daß wir das je einmal erfahren!
Ich habe keinen Zweifel dran:
Gewann durch einen lieben Mann
Ein Weib je tödtliche Herzensschmerzen,
So waren sie all in diesem Herzen.
Das war tödtlichen Leides voll.
Vor aller Welt bewies sie wohl,
Daß ihr sein Tod zu Herzen ging.
In ihren Augen aber hing
Nicht Eine Thräne bei all dem Gram:
Ja Gott, Herre, wie das aber kam,
Daß da nicht ward geweinet?
Ihr war das Herz versteinet.
Da war kein Leben drinne,
Als nur die lebende Minne
Und nur die viel lebendige Noth,
Die lebend Kampf ihrem Leben bot.
Klagte sie aber, nach ihrer Pflicht,
Um ihren Herren? Nein, sie nicht:
Sie verstummete zur Stunde,
Die Klage starb ihr im Munde;
Ihre Zunge, ihr Mund, ihr Herz, ihr Sinn,
Alles zusammen war dahin.
Die Schöne klagte kein Ungemach,
Ihr Lippe sprach nicht Weh, nicht Ach:
Stille sank sie dahin und lag
In Qualen bis an den vierten Tag,
Erbärmlicher als je ein Weib:
Sie kreisete und wand den Leib
So und so, her und dar,
Und trieb das fort, bis sie gebar
Ein Söhnlein mit viel großer Noth.
Seht, das genas, und sie lag todt.
O weh der Augenweide,
Da man nach leidem Leide
Mit leidigerem Leide
Sieht leidere Augenweide!
Sie, deren Ehre am Herren lag,
Der er mit großen Ehren pflag,
Dieweil und es Gott wollte,
Daß er ihrer pflegen sollte,
Die traf nun leider schweres Leid,
Das übertraf das schwerste weit,
Nun all ihr Trost, all ihre Kraft,
Ihr Wesen, ihre Ritterschaft,
Ihre Würdigkeit und ihre Ehr
Dahin war ohne Wiederkehr.
Er aber, er ist schön gestorben,
Sie gar zu jämmerlich verdorben.
Wie leidig auch der Schade war,
Die Noth, die Land und Leuten zwar
Von ihres Herren Tode kam,
Es war doch nicht so klagesam,
Als wie man diese quälende Noth
Und diesen jammervollen Tod
An dem viel süßen Weibe sah.
Das schwere Leid, das ihr geschah,
Beklage jeder edle Mann;
Und wer vom Weib je Muth gewann
Oder irgend will gewinnen,
Der achte in seinen Sinnen,
Wie leichtliches Mißlingen
In sogethanen Dingen
Den besten Menschen jäh entsteht,
Wie leicht es ihnen zu Leide geht
Am Herzen und am Leibe;
Und soll er dem reinen Weibe
Gnade vom reichen Gott erflehn,
Daß sein Wille sei, ihr beizustehn,
Ihre Hilfe, ihr Trost zu sein.
Wir aber reden vom Kindelein,
Dem Waisen, vater- und mutterlos,
Was Gott mit ihm zu thun beschloß.

Rual li Foitenant

[20] Rual li Foitenant.

Trauer und stäte Treu,
Nach Freundes Tode neu,
Da bleibt der Freund stets neu,
Das ist die größte Treu.
Wenn Einer einen Freund betrauert,
Wenn Treue nach dem Tode dauert,
Das geht vor allem Lohne,
Das ist der Treue Krone.
Und diese Krone tragen,
Wie uns die Mären sagen,
Der Marschall und sein hohes Weib,
Die Eine Treue und nur Ein Leib
Beides gewesen vor Gott und Welt,
Und deß ein Vorbild aufgestellt
Vor Welt und Gott, zur Zeit der Noth,
Da sie Beide nach Gottes Gebot
Gänzliche Treu bewiesen
Und sie nicht wanken ließen,
Und hielten sie ohne Wende
Bis an ihr Beider Ende.
Sollte Jemand auf Erden
Um der Treue willen werden
Zum König oder zur Königin,
Fürwahr, da taugten wohl diese hin,
Als ich euch von den Beiden
Wahrhaftiglich mag bescheiden,
Was er und sie für Treu bewies.
Als Riwalin sein Leben ließ
Und Blancheflur begraben war,
Da ging's dem Kind, das sie gebar,
Dem Unglückskinde dennoch wohl
Als einem, der vorwärts kommen soll.
Der Marschall und die Marschallin
Nahmen das kleine Waislein hin
Und bargen's im Geheimen da,
Wo keines Menschen Aug es sah.
Sie sagten aus und hießen sagen,
Die Herrin habe ein Kind getragen,
Das sei in ihr und mit ihr todt.
Da ward von der dreifachen Noth
Des Landes Klage größer denn eh,
Dreifache Klage, dreifaches Weh,
Klage, daß Riwalin erstarb,
Klage, daß Blancheflur verdarb,
Klage auch um das Kindelein,
Das ihr Trost und Freude sollte sein,
Daß das verdorben wäre.
Zu aller dieser Schwere
Ging ihnen noch der Schrecken
Vor Morgans Hand, des Recken,
So nah als ihres Herren Tod;
Denn dieses ist die größte Noth,
Die man auf Erden haben mag,
Wenn einem Manne Nacht und Tag
Der Todfeind vor den Augen steht;
Das ist die Noth, die nahe geht,
Und ist wohl ein lebendiger Tod.
In aller dieser lebenden Noth
Ward Blancheflur zu Grab getragen.
Viel Jammer und viel Weheklagen
Erhob sich über ihrem Grab.
Nun mögt ihr wissen kurz, es gab
Des Jammers viel und nur allzu viel.
Ich aber soll und kann und will
Eure Ohren nicht beschweren
Mit gar zu kläglichen Mären,
Weil es den Ohren mißbehagt,
Wo man zu viel von Klagen sagt;
Das Beste nicht im Werthe bleibt,
Sobald es Einer übertreibt.
Darum so lassen wir langes Klagen
Und fleißen uns, euch anzusagen
Von dem verwaisten Herrenkind,
Um das die Mären erhoben sind.
In dieser Welt das Glücke
Geht oft und viel zurücke,
Und aber kommt's zurücke
Wieder zu gutem Glücke.
Der biedre Mann am bösen Tag,
Wohin es ihn auch führen mag,
Gedenke, wie ihm werde Rath:
Dieweil und er das Leben hat,
So soll er mit den Lebenden leben,
Ihm selber Trost zum Leben geben.
[21]
So that der Marschall Foitenant.
Da es um ihn besorglich stand,
So bedachte er mitten in der Noth
Des Landes Schaden, den eignen Tod:
Da ihm's gebrach an Waffenmacht,
Er nicht vermochte mit einer Schlacht
Sich wider den Feind zu fristen,
So that er es mit Listen.
Er brachte die Herren all zu Hand
Aus seines Herren ganzem Land
Und sprach und hieß die Waffen ruhn;
Auch gab es ihnen nichts zu thun,
Als flehn und sich ergeben:
Sie ergaben Gut und Leben
Zu Herzog Morgans Hulden;
Haß, Mord und andre Schulden,
Und was feindlich gehandelt sei,
Das legten sie alles weislich bei,
Und also erhielten sie Leut und Land.
Der getreue Marschall Foitenant
Fuhr heim und sprach sein hohes Weib
Und befahl ihr an auf Seel und Leib,
Sich in das Bett zu legen,
So wie die Weiber pflegen,
Wenn sie in Kindesnöthen sind;
Und daß sie dann dasselbe Kind,
Wenn's an der Stunde wäre,
Mit allem Schein gebäre,
Das Waisenkind von Riwalin.
Die gesegnete Marschallin,
Die gute, die stete,
Die reine Florete,
Weiblicher Ehren ein Spiegel rein,
Rechter Güte ein Edelstein,
Die war gar leicht zu dem gebracht,
Was edel ist und Ehre macht:
Sie stellte sich mit Sinn und Leib
Zu Wehen an recht wie ein Weib,
Die eines Kindes soll genesen.
Ihre Kammer und all ihr Wesen
Hieß sie zu heimlichen Sachen
Richten und fertig machen;
Und da sie alles kannte wohl,
Wie man sich da gebaren soll,
So ahmte sie Wöchnerinnen nach
Und heuchelte groß Ungemach,
Wehleiden an Seel und Leibe
Und that gleich einem Weibe,
Die solcher Zeit entgegengeht
Und deren Wesen gänzlich steht
Auf Nöthen, wie dergleichen sind.
Da ward zu ihr gelegt das Kind
Gar heimlich und verstohlen,
Vor Jedermann verhohlen,
Der Ammen einer nur bekannt.
Bald ging die Märe durch das Land,
Es liege der Weiber Krone
Darnieder mit einem Sohne.
Es war auch wahr, und that sie so:
Sie lag allda des Sohnes froh,
Der ihrer mit Sohnestreue pflag
Bis an ihr Beider Endetag.
Das süße Kind trug gegen ihr
So süße kindliche Begier,
Wie nur ein Kind zur Mutter soll,
Und das war rechtgethan und wohl.
Auch stellte sie auf ihn ihr Herz
Mit Mutterlieb und Mutterschmerz
Und hielt daran mit allen Treun,
Als hätte sie ihn der Monde neun
Unter dem Herzen getragen.
Wir hören die Märe sagen,
Es habe kein Paar nicht vor, noch seit
Mit solcher Lieb und Lauterkeit
Erzogen ihres Herren Sohn;
Auch zeugt hernach die Märe davon
Und läßt uns unverborgen,
Wie väterliche Sorgen
Und Mühsal, Angst und Leids genug
Um ihn der treue Marschall trug.

Tristan das Kind

[22] Tristan das Kind.

Nun daß die Fraue gut und rein
Der Noth genesen sollte sein
Und sollte nach sechs Wochen,
Wie den Frauen ist gesprochen,
Mit ihrem Sohn zur Kirche gehn,
Von dem die Worte sind geschehn,
Nahm sie ihn auf die Arme hin
Und trug ihn selbst mit holdem Sinn
Zum Gotteshaus, wie ziemlich war;
Und als sie christlich zum Altar
Den Kirchgang angetreten
Mit Opfer und Gebeten,
Auch schönem Ingesinde,
Da war dem kleinen Kinde
Die heilige Taufhandlung bereit,
Daß es das Zeichen der Christenheit
In Gottes Namen empfinge,
Wie ihm's auch dann erginge,
Daß es doch immer wär ein Christ.
Als nun, was Brauch und Sitte ist
Beim Taufen, alles bereitet war,
Da trat der Pfaff, der Täufer, dar
Und fragte nach dem Kindelein,
Wie denn sein Name sollte sein.
Die höfische Marschallin sodann
Ging und sprach heimlich mit ihrem Mann
Und fragte, wie er wollte,
Daß man es nennen sollte.
Der Marschall, der schwieg lange,
Der Name machte ihm bange;
Er sann, was zum Geschicke
Des Kindes wohl sich schicke.
Unterdessen betrachtete er
Des Kindes Märe von Anfang her:
Recht, wie er sie vernommen,
Wie alles war gekommen:
»Seht,« sprach er, »Fraue, was ich vernahm
Von seinem Vater, wie es kam
Mit dem und seiner Blancheflur,
Was Trauriges ihnen widerfuhr,
Bis ihr liebender Wille an ihm erging,
Wie sie in Trauer dies Kind empfing,
Wie sie in Trauer genesen sein,
So soll Tristan sein Name sein.« –
Nun heißet Triste Traurigkeit,
Und so von seiner Eltern Leid
Ward Tristan dieses Kind genannt,
Tristan getauft von Priestershand.
Tristan von Triste sein Name hieß,
Der ihm wohl eigen und schicklich ließ, –
Doch ob er sich bewähre,
Gebt Acht, das lehrt uns die Märe.
Seht an, wie traurig war nicht das,
Als seine Mutter sein genas!
Seht, wie von Mühsal und von Noth
Er schon so frühe ward bedroht,
Seht, welch ein traurigliches Leben
Ihm zu durchleben ward gegeben,
Seht an den trauervollen Tod,
Der alle seine Herzensnoth
Mit einem Ende gar beschloß,
Vor jedem Tode übergroß
Und bitter über alle Gallen.
Wer diese Märe hört erschallen,
Erkennet, daß des Namens Klang
Sich mit dem Leben wohl verschlang:
Er war recht, was er hieß, ein Mann
Und hieß recht, was er war, Tristan.
Und wer nun hätte gern erkannt,
Aus welchen Listen Foitenant
Verbreiten ließ das falsche Wort,
Es sei ihr junger Trost und Hort
Von der Geburt und ihrer Noth
In seiner todten Mutter todt,
Dem sagen wir's ohne Scheue:
Es ward gethan aus Treue.
Er that's aus diesem treuen Muth:
Er hatte Furcht vor Morgans Wuth:
Erführe der vom Kinde,
So verderbte er's geschwinde
Mit schlauer oder blutiger Hand,
Und wäre so verwaist das Land.
Darum nahm der getreue Mann
An Kindesstatt den Waisen an
[23]
Und zog ihn auf als seinen Sohn,
So schön, daß ihm die Welt zum Lohn
Die Gottesgnade wünschen soll:
Das verdiente er an dem Waisen wohl.
Nun daß das Knäblein ward getauft,
Christo nach Christenbrauch erkauft,
Da nahm ihr liebes Kindlein hin
Die tugendreiche Marschallin
In ihre innige Pflege
Und wollte alle Wege
Sehen und selber achten,
Ob sie es recht mit ihm machten.
Die süße Mutter wachte gut
Und nahm ihn in so süße Hut,
Daß sie es nicht geschehen ließ,
Daß er auch nur den Fuß anstieß.
Und als sie das mit ihm getrieben,
Bis daß er zählte der Jahre sieben,
Und als er, wie ein Knabe soll,
So Reden als Gebärden wohl
Verstehen konnte und auch verstand,
Nahm ihn sein Vater Rual zur Hand
Und befahl ihn einem weisen Mann;
Mit diesem sandte er ihn sodann
Zu Landen fremden und fernen,
Fremde Sprachen zu lernen,
Vor allem der Bücher Wissenschaft,
Die sollte er treiben mit aller Kraft
Vor jeder andern Lehre.
Das war die erste Schwere,
Aus seiner Freiheit der erste Fall:
Da trat er in den Bann und Schwall
Der befangenen Sorgen,
Die ihm zuvor verborgen
Und vorbehalten waren.
In den aufblühenden Jahren,
Da seine Wonne sollte erstehn,
Da er in Freuden sollte gehn,
In seines Lebens Anbeginn
War schon sein bestes Leben hin;
Da er mit Freuden zu blühn begann,
Da fiel der Sorge Reif ihn an,
Der mancher Jugend Schaden thut,
Und verdorrte ihm seinen blühenden Muth.
In seiner ersten Freiheit schon
Floh seine Freiheit all davon.
Der Bücher Wissenschaft und Zwang
War seiner Sorgen Uranfang;
Und doch, wie er damit begann,
Wandte er seinen Sinn daran
Und seinen jungen Fleiß so sehr,
Daß er der Bücher viel und mehr
Erlernete in so kurzer Zeit,
Denn je ein Kind vor oder seit.
Zu beiden Wanderungen,
Durch Bücher und durch Zungen,
Verbrachte er seiner Stunden viel
Mit jeder Art von Saitenspiel,
Darauf er wandte so spät als früh
Alle Emsigkeit und alle Müh,
Bis daß er's konnte aus dem Grund.
Er lernete zu jeder Stund,
Heute dies und morgen das,
Heuer wohl, übers Jahr noch baß.
Ueber dies alles lernete er
Mit dem Schilde und mit dem Speer
Fest und behende reiten,
Das Roß zu beiden Seiten
Geschickt mit Sporen rühren
Und frech zum Sprunge führen,
Turnieren und leisiren,
Mit Schenkeln sambeliren,
Nach Ritterbrauch im Ritterspiel.
Hiemit kurzweilt er sich oft und viel.
Wohl schirmen, wacker ringen,
Wohl laufen, tüchtig springen,
Dazu auch schießen den Speeresschaft,
Das that er alles nach seiner Kraft.
Auch hören wir die Märe sagen,
Birschen habe gelernt und jagen
Noch nie ein Mann so wohl als er,
Es wäre dieser oder der.
Aller Arten höfisches Spiel
Uebte er wohl und konnte er viel,
Auch war er beschaffen am Leibe,
Daß ein Jüngling vom Weibe,
Nie herrlicher ward geboren;
Sein Wesen war auserkoren
An Sinn und Sitte zu jeder Zeit.
Nun aber war die Herrlichkeit
Durchwirkt mit Leide wundersam,
Da er leider zu Mühsal ins Leben kam.
[24]
Nun daß er vierzehnjährig war,
So nahm ihn der Marschall wieder dar
Und hieß ihn ziehen und reiten
Zu allen Stunden und Zeiten
Und wohl betrachten so Leut als Land,
Auf daß ihm würde recht bekannt,
Wie es stünde um des Landes Art.
Das that der Knabe auf seiner Fahrt
So löblich und behende,
Daß an keinem Ende
Zu keiner Zeit im ganzen Reich
Ein Jüngling ward so tugendreich
Erfunden als das Kind Tristan.
Die ganze Welt, die sah ihn an
Mit Freundesaugen und holdem Muth,
So wie man billig Einem thut,
Der seinen Sinn auf Tugend stellt,
Untugend fremd und ferne hält.

Das Schachzabelspiel

Das Schachzabelspiel.

Um diese Zeit von ungefähr
Begab es sich, daß übers Meer
Von Norweg dar ein Kaufschiff kam,
Den Weg zum Land Parmenien nahm
Und landete vor Kanoel,
Vor jenem selbigen Castel,
Wo der Marschall seit lang und fern
Mit Tristan, seinem jungen Herrn,
Und seinem ganzen Hause war.
Nun daß die Fremden kamen dar
Und hielten ihren Markt am Strand,
Da ward es gleich bei Hof bekannt,
Was da von Kaufrath wäre.
Inzwischen kam die Märe
An Tristan, nicht zu seinem Heil:
Es seien allda Falken feil
Und ander schönes Federspiel;
Und ward des Redens also viel,
Bis von des Marschalls Kindern zwei
(Denn Kinder sind immer gleich dabei)
Unter sich kamen überein,
Daß sie Tristanden zu ihnen zwein,
Ihren vermeintlichen Bruder, nahmen,
Mit ihm zu ihrem Vater kamen
Und baten diesen hoch und sehr,
Daß er für sie, Tristanden zu Ehr,
Der Falken etliche kaufen hieß;
Was auch der edle Rual zuließ,
Und wär es ihm gefallen schwer,
Daß nicht alles ergangen wär,
Was sein Freund Tristan erbat,
Da er ihm mehr zu liebe that
Und hielt ihn werther, den Einen,
Als irgend einen der Seinen,
Vom Lande oder Gesinde.
Keinem eigenen Kinde
War er gesinnt wie gegen ihn;
Wodurch es klar vor der Welt erschien,
Wie er vollkommener Treue pflag,
Wie viel Tugend in ihm und Ehre lag.
Gleich stund er auf und nahm Tristanden,
Seinen lieben Sohn, zu Handen
Und führte ihn hin mit sanftem Schritt;
Die andern Söhne, die gingen mit.
Auch fehlte das Hofgesinde nicht:
Die gingen aus Lust und Die aus Pflicht
Und folgten ihnen bis an den Kiel;
Und was Jemanden da gefiel,
Zu was ihn nur sein Wille trug,
Das fand er da zum Kauf genug:
Kleinode, Seiden, edel Gewand,
Das war in Fülle da zur Hand,
Auch gab es schönes Federspiel,
Der edlen Pilgerfalken viel,
Schmerle und Sperber warden,
Habichte und Bussarden
Gefunden da in großer Zahl;
Auch Rothgefieder stand zur Wahl;
Nichts, was man auf dem Markt nicht sah.
Tristanden kaufte man allda
[25]
Falken und Schmerlein;
Und, ihm zu liebe, den Herrlein,
Die seine Brüder sollten sein,
Kaufte man auch, und so allen Drein,
Was jeglicher begehrte.
Nun daß man ihnen gewährte
Das alles, was sie wollten,
Und sie heimkehren sollten,
Von ungefähr es da geschah,
Daß Tristan in dem Schiffe sah
Ein Schachzabel hangen,
Am Brett und an den Spangen
Gar schön und wol gezieret
Und ganz nach Wunsch feitieret;
Dabei Figuren, feine,
Von edlem Helfenbeine
Gedrechselt, wie man's selten findt.
Tristan, das tugendreiche Kind,
Schaute das Schachbrett fleißig an.
»Edle Kaufleute,« sprach Tristan,
»So Gott euch helfe, verstehet ihr
Schachzabelspiel? das saget mir.«
Und sprach's in ihrer Zungen.
Da sahen sie den Jungen
Aber noch fleißiglicher an,
Der ihre Sprache zu reden begann,
Die Wenige verstanden da.
Nun begannen sie den Jungen nah
Und näher zu betrachten,
So daß sie alle bedachten,
Daß sie noch keinen Jüngling sahn
So schön gesittet, so wohlgethan.
»Ja, Freund,« sprach einer von ihnen klug,
»Ihrer sind unter uns genug,
Die solche Kunst von Grund verstehn:
Wollt Ihr, so mag es gar wohl geschehn.
Wohl her, so will ich mit Euch dran.« –
Tristan, der sprach: »Das sei gethan.« –
Da setzten die Zwei zum Spiele sich.
Rual sprach: »Tristan, nun will ich
Wieder hinauf nach Hause gehn;
Willst du hier bleiben, so mag's geschehn.
Meine andre Söhne, die gehn mit mir:
Drum bleibe dein Meister da bei dir,
Und hüte dich an diesem Ort.«
So ging der Marschall wieder fort
Mit allem seinem Gesinde,
Und blieb da bei dem Kinde
Sein Meister nur, der seiner pflag,
Von dem ich euch wohl sagen mag
Für wahr, als uns die Märe spricht,
Daß ein so höfischer Knappe nicht
Und von so edler Herzensart
In keinen Landen erfunden ward,
Und war genannt der Kurvenal.
Seiner Tugenden war eine große Zahl,
So daß er Dem wohl zu Statten kam,
Der auch von seinem Lehrer nahm
Gar manche und schöne Tugend an.
Das tugendreiche Kind Tristan,
Der wohlgezogne Jüngling, saß
Und trieb sein Spiel allda fürbaß
Und spielte so höfisch und so fein,
Daß all die Fremden insgemein
Die Augen auf ihn wandten,
In ihren Herzen bekannten,
Sie hätten nie gesehn die Jugend
Gezieret mit so mancher Tugend.
Wie ihnen aber auch gefiel
Seine Gebärde und sein Spiel,
War's ihnen doch nur wie ein Wind:
Das nahm sie Wunder, daß ein Kind
So viele Sprachen bezwungen:
Die floßen ihm von der Zungen,
Wie sie es nie vernommen,
So weit sie auch gekommen.
Der höfische, hofgewohnte Knab
Höfische Reden von sich gab,
Und seine fremde Schachwörtlein
Flogen behende zwischendrein;
Die sprach er wohl, konnt ihrer viel:
Damit so zierte er sein Spiel.
Auch sang er, wohl zu preisen,
Schanzune und künstliche Weisen,
Sang so Refloit als Stampenie,
Und alle solche Curtoisie
Trieb er so viel und lange fort,
Bis daß die Handelsleute dort
Zu Rathe wurden unter sich:
Könnten sie ihn durch einen Schlich
Behalten und mit ihm entfliehn,
[26]
So gewännen sie vielleicht durch ihn
Großen Nutzen und viele Ehr;
Da verweilten sie auch nicht mehr,
Befahlen ihren Rudrern an,
Sich zu bereiten Mann für Mann,
Und zogen selber den Anker ein,
Als sollte nichts geschehen sein.
Da eilten sie und stießen ab
So leise, daß weder der junge Knab
Noch Kurvenal die List befand,
Bis daß sie die Beiden von dem Strand
Stark eine Meile fortgebracht;
Denn Beide waren ganz bedacht
Auf ihr Schachzabelspiel so sehr,
Daß sie da an nichts andres mehr
Als an ihr Spiel gedachten.
Nun daß sie das vollbrachten,
So daß Tristan das Spiel gewann
Und er sich umzusehn begann,
Da sah er wohl, woher der Wind.
Nun würdet ihr auch kein Mutterkind
Erschaun mit solchen Jammermienen.
Auf sprang er und stand unter ihnen:
»Edle Kaufleute!« sprach Tristan:
»Um Gott, was fangt ihr mit mir an?
Redet, wo wollt ihr hin mit mir?« –
»Seht, Freund,« sprach einer, »Ihr seid nun hier;
Niemand kann Euch davor bewahren:
Ihr müßt mit uns von hinnen fahren.
Seid ruhig und habet guten Muth.« –
Da hob Tristan, das arme Blut,
So jämmerliches Klagen an,
Daß Kurvenal sein Freund begann
Zu weinen mit dem Knaben,
Sich also zu gehaben,
Daß all das Kielgesinde
Von ihm und von dem Kinde
Unmuthig ward und sehr unfroh.
Da schieden sie die leiden Zwo
Und setzten Kurvenalen aufs Meer
Im Kahn und gaben ihm nicht mehr
Als ein Ruder und ein kleines Brod
Für die Fahrt und die Hungersnoth,
Und hießen ihn, daß er kehre,
Wohin sein Gemüth ihn lehre;
Tristen, der müsse mit ihnen fort. –
Sie fuhren hin mit diesem Wort
Und ließen ihn da lebend,
In manchen Sorgen schwebend.
Kurvenal schwebete auf der See;
In mancher Weise war ihm weh:
Weh über Unglück und Gefahr,
Worin der junge Tristan war;
Weh über seine eigne Noth,
Die ihn bedrohte mit dem Tod,
Weil er nicht konnte schiffen
Und hatte es nie begriffen.
Da sprach er jammernd so zu sich:
»O weh, Gott Herre, was thue ich!
So war ich noch in Sorgen nie.
Nun bin ich ohne Leute hie
Und kann doch selbst nicht fahren.
Gott Herre, du sollt mich bewahren
Auf diesem bösen Pfade,
Ich will auf deine Gnade,
Was ich nie begann, beginnen:
Sei du mein Gefährte von hinnen!« –
Damit griff er sein Ruder an,
Zu fahren er mit Gott begann
Und kam in kurzer Stunde,
Mit Gottes Huld im Bunde,
Nach Hause mit der Märe,
Wie es ergangen wäre.
Der Marschall und sein edles Weib,
Die Beiden quälten ihren Leib
Mit solchem Leid und solcher Noth,
Läg er vor ihren Augen todt,
Daß ihnen diese Schwere
Nicht näher gegangen wäre.
Und also gingen sie Beide
In ihrem gemeinen Leide
Mit alle dem Gesinde
Nach dem verlornen Kinde
Zu weinen überm Meeresgrund.
Mit Treuen bat da mancher Mund,
Daß Gott sein Helfer wäre.
Da gab es manche Zähre:
Sie klagten weh und klagten ach,
Und als herein der Abend brach,
So klagten sie vereinet,
Die einzeln erst geweinet;
Und als es an ein Scheiden ging,
[27]
Da trieben sie nur dies Eine Ding:
Sie riefen her, sie riefen dort
Nichts andres als das Eine Wort:
»Beas Tristan; curtois Tristant,
Tun cors, ta vie a De cumant!
Dein schöner Leib, dein süßes Leben
Sei heute Gott dahingegeben!«
Die nordischen Männer führten ihn
Inzwischen allewege hin
Und glaubten alles abgemacht,
Als hätten sie an ihm vollbracht
All ihren Willen und Begehr.
Da widerschuf es alles Der,
Der alle Dinge schlichtet,
Schlichtend zurechte richtet,
Dem Wind und Meer und jede Kraft
Mit Beben dienen, wie er's schafft.
Wie Der es wollte und Der's gebot,
Erhob sich eine große Noth
Von Sturmgewitter auf der See
Da ward es ihnen Allen weh,
Wußten sich nicht zu helfen mehr,
Ließen das Schifflein gehn im Meer,
Wohin es die wilden Winde trieben,
War ihnen wenig Trost geblieben,
Zu retten Leib und Leben:
Sie hatten sich ganz ergeben
An das viel arme Steuer,
Das da heißet Abenteuer;
Ja, Zufall führte das Gebot
Ueber ihr Leben und ihren Tod.
Ihr Wesen war nichts andres mehr,
Als daß sie mit dem wilden Meer
Aufstiegen in die Lüfte
Und in Schlünde und Grüfte
Wieder hinunterflogen.
So trieben die tobenden Wogen
Das Schifflein hin und wieder,
Bald auf und bald darnieder,
So daß auch von der ganzen Schaar
Keiner zuletzt im Stande war,
Sich auf den Füßen zu halten;
Und ging es solcher Gestalten
Acht Tage und acht Nächte lang.
Da war es ihnen in diesem Drang
Beinahe um Sinn und Kraft gethan.
Nun sprach da Einer die Andern an:
»Ihr Herren, so Gott mir stehe bei,
Mir däucht, daß es Gottes Strafe sei,
Wie wir in Aengsten leben
Und kümmerlich lebend schweben
Ueber den tobenden Gründen:
Das ist uns von den Sünden
Und Untreuen entstanden,
Daß wir mit Raub Tristanden
Haben geführt von den Seinen fort.« –
»Ja,« sprachen sie Alle auf dieses Wort:
»Sieh, so ist es, du redest wahr.« –
Alsbald beschloß die ganze Schaar,
Möchten sie Ruhe finden
Vor Wasser und vor Winden,
Daß, wo sie ans Ufer stießen,
Sie ihn gar gerne ließen
In Freiheit, wohin er wollte gehn;
Und siehe, kaum war dies geschehn
Und aller Wille geoffenbart,
Da ward die kümmerliche Fahrt
Gelindert noch in der Stunde;
Still ward es auf dem Grunde,
Der Wind war hingezogen,
Da legten sich die Wogen,
Die Sonne schien wie immer licht.
Da weilten sie auch länger nicht;
Sie waren vom Winde verschlagen
In den acht Nächten und Tagen
Nach Kornewall dem Lande,
Und waren sie dem Strande
Mit Einem Mal so nahe,
Daß man das Ufer sahe.
Da eilten sie, zu landen,
Und nahmen sie Tristanden
Und setzten den Knaben aus am Land,
Gaben ihm ein Brod in die Hand
Und andrer ihrer Speise ein Theil.
»Freund,« sprachen sie, »Gott gebe dir Heil
Und möge deiner pflegen.« –
Sie boten ihm ihren Segen
Und stießen ab, gesagt, gethan.
Nun, wie gehabte sich Tristan?
Tristan, der heimathlose? Ja,
Da saß er und weinete allda;
[28]
Denn Kinder können anders nicht
Als weinen, wenn ihnen Leid geschicht.
Der trostlose Verbannte
Die Hände gen Himmel wandte
Zu Gott mit inniglichem Flehn:
»Ei Gott der reiche,« bat er den,
»So reich als du an Gnaden bist,
So viel als Güte an dir ist,
Viel süßer Gott, so bin ich dich,
Daß du erzeigest gegen mich
Deiner Gnade Schein und Glast,
Nachdem du es verhänget hast,
Daß ich also verführet bin;
Und weise mich doch wo irgend hin,
Daß ich bei Menschen möge sein!
Ich schaue rings in die Welt hinein
Und sehe nichts Lebendes um mich.
Die große Wildniß fürchte ich:
Wohin ich die Augen wende,
Da hat die Welt ein Ende:
Wohin ich die Blicke kehre,
Da sehe ich in das Leere,
Sehe ein öd Gefilde,
Alles wüste und wilde,
Wilde Felsen und wilde See;
In dieser Angst ist mir so weh.
Ueber das alles fürchte ich,
Wölfe und Thiere, die fressen mich,
Nach welchem Ende ich gehen mag;
Zudem so neiget sich der Tag
Gegen die Abendzeit gar sehr.
Ich darf nicht länger weilen mehr,
Denn geh ich nicht von hinnen,
So muß ich Schaden gewinnen;
Verlasse ich diesen Ort nicht bald,
So muß ich nächtigen in dem Wald,
Und ist es dann um mich geschehn.
Nun seh ich, daß hie bei mir stehn
Hoher Felsen und Berge viel;
Ich wähne, ich will ein hohes Ziel
Erklimmen, so ich das vermag,
Und sehen, dieweil noch scheint der Tag,
Ob keine Wohnung vorhanden sei,
Entweder fern oder nahe bei,
Allwo ich Leute finde,
Zu denen ich mich gesinde,
Bei denen mir's möge wohl ergehn,
Es möge so oder so geschehn.«
So stund er auf und ging hinan.
Rock und Mantel hatte er an
Von einem Pfelle, der war reich
Und an Gewirke wundergleich;
Es war von Sarazenenhand
Mit kleinen Börtlein dies Gewand
Nach ausländischem Fleiße,
Heidnischer Art und Weise,
Durchwirket rings und mitten,
Und also wohl geschnitten
Nach seinem schönen Leibe,
Daß man von Mann noch Weibe
Adlige Kleider konnte nie
Besser geschnitten sehn, als die;
Dazu sagt uns die Märe,
Derselbe Pfelle wäre
Saftgrün, mehr als ein Maienplan,
Gewesen, und das Futter dran
Von Hermelin, so weiß und fein,
Daß es nicht weißer konnte sein.
Hiemit so machte er sich bereit,
Weinend und voller Traurigkeit,
Zu seiner mühevollen Fahrt.
Er sah, sie war ihm nicht erspart,
Zog seinen Rock, zu beßrem Lauf,
Unter dem Gürtel ein wenig auf,
Machte den Mantel zum Bündelein,
Legte ihn auf sein Achselbein
Und strich bergan, der wilden Fluh
Durch Wald und durch Gefilde zu.
Er hatte weder Weg noch Pfad,
Als welchen er sich selber trat:
Die Füße suchten ihm den Weg,
Die Hände bahnten ihm den Steg;
Statt Rosses nahm er Arm und Bein
Zusammen, und über Stock und Stein
Klomm er immer den Berg hinan,
Bis daß er eine Höhe gewann.
Da kam ihm ganz von ungefähr
Ein wilder Waldsteig in die Queer,
Dicht verwachsen mit Gras und schmal,
Auf dem er jenseits schritt zu Thal.
Der führte ihn gerade hin,
In kurzer Weile bracht er ihn
[29]
Auf eine schöne Straße
Von gutem Ebenmaße,
Breit und befahren hin und her.
An diesem Wege setzte er
Weinend zur Ruh sich nieder.
Sein Herze trug ihn wieder
Zu seinen Freunden und zu dem Land,
Wo jeder Mensch ihm war bekannt.
Da fiel ihn großer Jammer an;
Jammernd er abermals begann.
Gott zu klagen sein Ungemach;
Er sah herzinnig auf und sprach:
»Gott, Herre guter, erbarme dich!
Wie haben Vater und Mutter mich
Verloren! wie ist des Jammers viel!
Weh, hätt ich mein Schachzabelspiel,
Mein leidiges, gelassen!
Ich will es immer hassen.
Schmerle, Falken und Sperber,
Gott sei ihr Verderber!
Die raubten mich meinem Vater und Herrn,
Um ihretwillen bin ich fern
Von Freunden und Verwandten;
Und Alle, die mich kannten
Und gönnten mir mein Glück und Gut,
Die haben alle schweren Muth
Und sind nun sehr betrübt um mich.
Ach süße Mutter, wie du dich
Mit Klage nun quälst, das weiß ich wohl;
Vater, dein Herz ist Leides voll;
Ich weiß wohl, ihr seid Beide
Sehr beladen mit Leide.
Und o Gott Herre, wüßte ich doch,
Daß ihr es wisset, daß ich noch
Gesunden Leib und Leben habe,
Das wär eine große Gottesgabe
Euch Beiden und darnach auch mir.
Zwar weiß ich freilich wohl, daß ihr
Kaum oder nimmer werdet froh,
Es füge denn Gott die Sachen so,
Daß ihr Kunde von mir empfaht.
Du aller Sorgenden Trost und Rath,
Gott Herre, nun so füge das!«
Unterdessen er also saß,
In Nöthen tief und Klagen schwer,
Da sah er aus der Ferne her
Zween alte Waller gehen,
Gottselig anzusehen,
Betaget und bejahret,
Bebartet und behaaret,
Als wie die wahren Gotteskind
Und frommen Waller meistens sind.
Sie trugen, was ein Waller trägt,
Und hatten an den Leib gelegt
Linnenröcke und solch Gewand,
Wie man es je bei Wallern fand,
Und außen auf dem Gewande
Muscheln vom Meeresstrande
Und fremder Zeichen sonst genug.
Ein Jeglicher von ihnen trug
Einen Pilgerstab in seiner Hand.
Ihre Hüte und Beingewand
War alles nach ihrem Rechte.
Auch trugen die Gottesknechte
An den Schenkeln linnene Hosen,
Die über den Knöcheln schloßen,
Wohl handbreit ab vom Knöchel stunden
Und waren fest ans Bein gebunden.
Füße und Knöchel waren bloß
So für den Tritt als für den Stoß.
Ueber den Schultern trugen sie,
Ihr Büßerleben zu zeigen hie,
Geistlich gethane Palmen.
Ihre Gebete und Psalmen,
Und was sie konnten Gutes,
Lasen sie frommen Muthes.
Tristan, als er die Beiden sah,
Zu sich selber sprach er ängstlich da:
»Gnädiger Gott und Herre mein,
Was wird aber mein Schicksal sein?
Jene Männer, die dorther gehn,
Haben sie etwa mich ersehn,
So mögen sie mich wohl fahen.« –
Nun sie begannen zu nahen,
Da hatte er sie bald erkannt
An den Stäben und am Gewand;
Alsbald erkannte er auch ihr Wesen
Und begann vom Schrecken zu genesen.
Sein Gemüthe ward ein wenig froh;
Aus vollem Herzen sprach er so:
»Lob dir, gnädiger Herre mein!
Dies mögen wohl gute Leute sein;
[30]
Ich darf nicht Angst vor ihnen haben.«
Gar bald geschah es, daß den Knaben
Die Zwei vor ihnen sitzen sahn.
Nun sie begannen ihm zu nahn,
Mit Curtoisie er sprang empor
Und hielt die Hände gefaltet vor.
Alsbald begannen ihn die Zween
Mit vielem Fleiße anzusehn
Und nahmen seine Sitte wahr.
Freundlich traten sie auf ihn dar
Und begannen mit dem süßen
Gruße ihn zu begrüßen:
»De vus sal, beas amis!
Viel lieber Freund, bedeutet dies,
Gott möge dich erhalten.« –
Er neigte sich vor den Alten:
»Ei,« sprach er, »De benie
Si sainte cumpanie!
Solch heilige Genossenschaft
Gesegne Gott mit seiner Kraft!« –
Gleich sprachen ihm die Waller zu:
»Viel liebes Kind, woher bist du,
Oder wer hat dich daher gebracht?«
Tristan, der war gar wohl bedacht
Und besonnen für seine Jahre;
Er diente ihnen mit andrer Waare:
»Ihr Herren,« sprach er mit schlauem Sinn,
»Von diesem Land ich gebürtig bin
Und sollte reiten heute,
Ich und andere Leute,
Zur Jagd in diesem Walde hie.
Da entritt ich, weiß selbst nicht wie,
Den Hunden und dem Jagdgesind.
Die der Waldstiege kundig sind,
Die fuhren Alle baß denn ich,
Denn ohne Steig verritt ich mich,
Bis daß ich ganz verirret war.
Nun nahm ich einer Fährte wahr,
Die brachte mich zu einem Graben;
Da begann mein Roß sich wild zu gehaben
Und wollte immer hinab für sich.
Am Ende lagen Pferd und ich
Auf Einem Haufen darnieder;
Und eh ich konnte wieder
Aufkommen in den Bügel,
Hatte es mir den Zügel
Entrissen und lief zum Wald hinein.
So kam ich an dies Fußweglein;
Das hat mich daher getragen,
Nun weiß ich nicht zu sagen,
Wo ich bin und wohin ich soll.
Nun, gute Leute, thut so wohl
Und saget mir, wo wollt ihr hin?« –
»Freund,« sprachen sie mit holdem Sinn,
»Ist es der Wille unsres Herrn,
So möchten wir heut Nacht noch gern
Gen Tintayol in die Stadt gelangen.« –
Er bat mit freundlichem Verlangen,
Daß sie ihn ließen mit ihnen gehn.
»Viel liebes Kind, das mag geschehn,«
Sprachen die Waller auf seine Bitt:
»Willt du dahin, so komm nur mit.«
Er trat den Weg mit ihnen an,
Und auf dem Gange da entspann
Sich unter ihnen manches Wort.
Das höfische Kind sprach fort und fort
Und war mit Reden doch so klug,
Daß er auf jedes Wort mit Fug,
Sie fragten ihn dieses oder das,
Das Rechte sprach im rechten Maß.
Er wog auf seiner Wagen
Sein Reden und Betragen,
Daß mehr und mehr die Weisen,
Die hochbetagten Greisen
Auf ihn die Augen wandten,
Mit großer Lust bekannten,
Wie schön seine Art und Sitte sei,
Wie wohlgethan sein Leib dabei.
Auch seine Kleider, die er trug,
Besahen die Beiden oft genug,
Die däuchten ihnen schön und reich
Und an Gewirke wundergleich;
Sie sprachen in ihrem Muthe:
»Ach, Herre Gott der gute,
Wer und von wannen ist dies Kind,
Deß Sitten so recht schöne sind?« –
So gingen sie hin betrachtend,
Auf all sein Wesen achtend,
Und trieben die Kurzeweile
Wohl eine welsche Meile.

Die Jagd

[31] Die Jagd.

Nun geschah's in kurzer Stunde,
Daß seines Oheims Hunde,
Des Königs Marke von Kornewall,
Hatten bei lautem Hörnerschall,
Wie uns die wahre Märe sagt,
Einen zeitigen Hirsch gejagt;
Der begann der Straße zu nahen,
Ließ sich von ihnen fahen
Und stund allda zu Bile:
Seine Kraft, die war am Ziele,
Von Sprung und Flucht dahingenommen.
Nun waren auch die Jäger kommen,
Umringten ihn mit Lärm und Schall,
Zum Abfang blasend mit lautem Hall.
Tristan, wie er den Bil ersah,
Gegen die Pilger trat er da
Und sprach mit klugem Munde:
»Ihr Herren, diese Hunde,
Den Hirsch und diese Leute,
Seht, die verlor ich heute:
Nun komm ich just zum Fällen.
Dies sind meine Gesellen;
Gebietet mir, dahin will ich.« –
»Kind,« sprachen sie, »Gott segne dich,
Und mögest du mit Frieden fahren.« –
»Viel Dank, euch möge Gott bewahren,«
Sprach er mit holden Mienen.
Er neigte sich vor ihnen
Und ging hinweg, zum Hirsche dar.
Nun dieser abgefangen war,
Der Jägermeister zu ihm stund
Und streckte ihn nieder auf den Grund,
Auf alle Viere, recht wie ein Schwein:
»Wie nun, Meister, was soll dies sein?«
Rief da der höfische Tristan:
»Laßt ab, um Gott, was fangt Ihr an?
Zerwirkt man Hirsche auf diese Art?« –
Der Jäger stand auf und strich den Bart,
Er sah ihn an und sprach dazu:
»Wie willt du, Kind, daß ich ihm thu?
Man weiß nichts andres bei unsrer Birsch,
Als, wenn enthäutet ist der Hirsch,
So spaltet man ihn behende
Vom Kopf bis an das Ende,
Und darnach in die Viere,
So daß der vier Quartiere
Keines um viel darf größer sein
Als die anderen ins gemein.
Das ist der Brauch in diesem Land:
Kind, ist es anders dir bekannt?« –
»Ja,« sprach der Sohn von Riwalin:
»Das Land, da ich erzogen bin,
Das hat den Brauch nicht so wie hie.« –
»Und wie denn?« sprach der Meister: »wie?« –
»Man entbästet den Hirsch bei mir.« –
»Traun, Freund, ich sähe es denn von dir,
So weiß ich nicht, was entbästen heißt.
Darin ist Niemand unterweist
In diesem Königreiche hie;
Auch hörte ich das Wort noch nie
Von Heimischen noch von Gästen.
Traut Kind, was ist Entbästen?
Bei deiner Güte, nun zeige mir's,
Geh her, entbäste diesen Hirs.«
Tristan sprach: »Lieber Meister mein,
Soll es mit Euren Hulden sein,
Und mag Euch Liebes dran geschehen,
So laß ich's Euch viel gerne sehen,
So weit ich selber es erkannt,
Was der Brauch ist in meinem Land,
Das Ihr da fraget um den Bast.« –
Der Meister sah den jungen Gast
Freundlich und gütlich lächelnd an,
Denn er war selbst ein höfscher Mann
Und kannte alle Sitten wohl,
Die ein guter Mann verstehen soll.
»Ja,« sprach er, »lieber Freund, das thu.
Wohl her, und bist du zu schwach dazu,
Traut Geselle, liebes Kind,
Ich selbst, und die hier bei mir sind,
Wir wollen dir mit Händen
Ihn legen helfen und wenden;
Du darfst mir und den Leuten
Nur mit dem Finger deuten.«
[32]
Tristan, das heimathlose Kind,
Den Mantel nahm er ab geschwind
Und legte den auf einen Block;
Er zog höher hinauf den Rock;
Die Ermel schlug er vorne wider,
Die schönen Haare strich er nieder,
Hinter die Ohren strich er sie.
Und mehr und mehr besahen Die,
So bei dem Jagdstück waren,
Sein Wesen und Gebaren.
Sie faßten alles in ihren Muth,
Und däuchte sie es also gut
Und lieblich zu betrachten,
Daß sie im Herzen dachten,
Sein Wesen wäre rittergleich,
Seine Gewande fremd und reich,
Sein Leib nach allem Wunsch gethan.
Da traten sie zu ihm heran
Und nahmen seiner Dinge wahr.
Nun ging der Heimathlose dar,
Der junge Meister, Herr Tristan;
Er griff den Hirsch mit Händen an
Und wollte ihn auf den Rücken legen;
Doch konnte er ihn nicht bewegen,
Er war dem jungen Blut zu schwer.
Da bat er höfisch rings umher,
Sie sollten ihn niederbreiten
Und zu dem Bast bereiten.
Nun war das alsobald geschehn.
Da ging er oben am Hirsch zu stehn,
Begann den Strich zu schneiden,
Den Hirschen zu entkleiden
Unten von dem Geäs hernieder;
Zu den Bugbeinen kehrte er wieder;
Die schälte er nach dem Brauch, der Flinke,
Erst das rechte und dann das linke.
Beide Hüftbeine nahm er drauf,
Die entschälte er, Lauf um Lauf.
Dann ging er, von den beiden
Seiten die Haut zu scheiden.
Er machte sie los, der kluge Knab,
Alles von oben nach unten hinab,
Und legte die Haut dem Hirschen nieder.
Zu seinem Bügen kehrte er wieder,
Entbästete die Blätter frei
Und ließ die Brust doch ganz dabei.
Die Büge legte er nebenan.
Seine Brust er darauf begann
Von dem Rücken zu scheiden
Und ließ von den Seiten beiden
Drei Rippen, da und dort, an ihr.
Das ist die rechte Bastmanier:
Die läßt man jederzeit daran,
Wenn Einer die Brust ablösen kann.
Und alsbald kehrte er wieder her,
Mit rascher Hand entbästete er
Die beiden Hinterbeine,
Zusammen, nicht alleine.
Ihr Recht er auch den beiden ließ,
Den Braten, da der Rücken stieß
Von der Lende gegen das Ende
Wohl anderthalben Hände;
Ziemer wird er allda genannt,
Wo diese Bastkunst ist bekannt.
Dann ging er zu den Rippenstücken,
Die hieb er beide von dem Rücken;
Doch Magen und Gescheide,
Sie waren keine Weide
Für seine schönen Hände mehr;
Er rief: »Wohl bald zween Knechte her!
Da, nehmet diese Stücke
Und legt sie weiter zurücke!« –
So war der Hirsch entbastet,
Der Haut nach Fug entlastet;
Die Brust, die Blätter, Seiten, Bein
Hatte er alle überein
Dahingelegt mit Schick und Acht:
Hiemit so war der Bast vollbracht.
Tristan, der heimathlose Gast,
»Seht, Meister,« sprach er, »das ist der Bast,
Und also ist diese Kunst bestellt.
Nun tretet näher, wenn's Euch gefällt,
Mit Eurer Massenie,
Und machet die Furkie.« –
»Furkie? traut Kind, was ist das?
Du sagst mir vor, ich weiß nicht, was.
Du hast uns diesen Jägerbrauch,
Der fremde ist und löblich auch,
Nach Meisterweise lassen sehn:
Nun laß ihn vollends für sich gehn,
Deine Meisterschaft vollführe fein,
Wir wollen dir hold und gewärtig sein.« –
[33]
Alsbald von hinnen sprang der Knab
Und hieb sich eine Gabel ab,
So Die da Furke nennen,
Die die Furkie kennen;
Doch ist der Unterschied gering,
Denn Furke und Gabel, das ist Ein Ding.
Nun kam er wieder mit seinem Stab,
Die Leber schnitt er besonders ab,
Netz und Lümmel schied er dann
Und auch den Ziemer abgewann
Von dem Gliede, an dem er saß.
Er ließ sich nieder in das Gras,
Nahm die drei Stücke da zur Hand,
An seine Furken er sie band,
So gut das Netz sie faßte;
Mit einem grünen Baste
Verstrickte er sie hier und dort.
»Nun seht, ihr Herren,« fuhr er fort:
»Dies heißen sie Furkie
In unsrer Jägerie,
Und weil ich's an die Furken band,
Darum so wird der Brauch genannt
Furkie und stimmt auch überein,
Weil es muß an der Furken sein.
Dies nehme ein Knecht von dem Geleit.
Nun aber haltet euch bereit
Und schreitet zur Curie.« –
»Curie! De benie!«
Riefen sie Alle: »was ist das?
Wir verstünden Sarazenisch baß.
Was ist Curie, lieber Mann?
Schweig und sage uns gar nichts an:
Laß es gleich lieber vor sich gehen,
Daß wir's mit eignen Augen sehen;
Das thue, höfischer Knabe du!« –
Tristan war gleich bereit dazu;
Er nahm den Herzrick, das Geschling,
Woran des Hirschen Herze hing,
Und streifte alles dran zurück;
Vom Herzen schnitt er das halbe Stück
Gegen dem spitzen Ende;
Er nahm's in seine Hände,
Auf daß er es halbire,
Dann kreuzweis schneide in Viere,
Warf auf die Haut die Theile nieder,
Kehrte zu seinem Ricke wieder
Und löste Milz und Lungen gar,
So daß der Rick entledigt war.
Das lag auf der Haut, nach rechtem Brauch.
Dann schnitt er Rick und Gurgel auch
Oben heraus am End der Brust.
Den Kopf er löste mit Jägerlust
Sammt dem Geweihe von dem Kragen
Und hieß das zu der Brust hintragen.
»Wohl her,« sprach Tristan und hielt inn,
»Nehmet mir diesen Rick dahin,
Und kommen arme Leute her,
So theilet ihnen nach Begehr
Von diesem Ricke mit, oder thut
Mit ihm nach eurem Brauch und Muth.
Nun wende ich zur Curie mich.« –
Zu ihm traten sie männiglich
Und nahmen seiner Künste wahr.
Der Knabe hieß ihm bringen dar,
Was er zuvor bereiten ließ.
Auch lag zu Handen alles dies,
Wohl zugerüstet und bereitet,
Wie er zuvor sie angeleitet.
Es lagen der Quartiere
Von dem Herzen viere,
Wie sie die Jäger legen,
Die solcher Sitte pflegen,
Zerschnitten auf der Haut zu vier;
Nun schnitt er Lungen und Milz vom Thier,
Dann Magen und Gescheide,
Und was der Hunde Weide,
In Stücke, eben also klein,
Wie es ihm mochte füglich sein,
Und spreitet's alles auf die Haut.
Hiemit begann er überlaut
Den Hunden zu rufen: »Sa, sa, sa!«
Aufs Schierste waren sie alle da
Und standen und genoßen.
Er, dem die Worte floßen,
Sprach: »Seht, dies wird Curie genannt
Daheime in Parmenienland;
Auch will ich euch sagen wárum:
Curie heißet es dárum,
Weil man es auf die Cuire legt,
Was man den Hunden zu geben pflegt;
So hat das Waidwerk, siehe,
Denselben Namen Curie
[34]
Von Cuire erfunden und genommen,
Von Cuire ist Curie kommen;
Und ist zwar dieser Brauch den Hunden
Zum Frommen und zur Lust erfunden
Und ist ein Ding, das Nutzen trägt;
Denn ihnen wird, was man so legt,
Süß durch den Schweiß, ich meine das Blut,
Und machet auch die Hunde gut.
Nun sehet diese Bastkunst an,
Es ist kein andrer Witz daran:
Seht, wie sie euch gefalle.« –
»Ach Herre,« riefen sie alle
Und sprachen: »Was sagst du, seliges Kind?
Wir sehen wohl, diese Künste sind
Den Bracken und den Hunden
Zu großem Nutz erfunden.«
Und weiter sprach Tristan das Wort:
»Nun nehmet eure Cuire fort,
Denn meine Kunst ist nun am Ziel;
Und wisset, hätt ich bei dem Spiel
Euch können baß zu Diensten stehn,
Es wär von Herzen gern geschehn.
Nun schneide Jeder seine Wied,
An Sattel knüpfet Glied für Glied,
Das Haupt, das führet an der Hand
Und bringet euren Jagdprisant
Zu Hof nach zierlichem Hofesbrauch;
Da zieret ihr euch selber auch.
So wisset ihr auch selber wohl,
Wie man den Hirsch prisanten soll:
Prisantet ihn nach Rechte.«
Den Meister und die Knechte,
Die nahm es Wunder mehr und mehr,
Wie dieses Kind in aller Lehr
Und aller Jagdkunst heimisch war,
Das so besonders und so klar
In allen Jägerpflichten
Sie wußte zu unterrichten.
»Siehe,« sprachen sie, »seliges Kind,
Die Künste, die hier ergangen sind,
Die gefallen uns dergestalt
Und dünken uns so mannigfalt,
Daß wir sie möchten zu Ende sehn;
Was bis daher von dir geschehn,
Das achten wir gar für einen Wind.«
Sie brachten dem heimathlosen Kind
In Eile ein Pferd: da baten sie,
Daß er mit ihnen aus Curtoisie
Nach seiner Kunst zu Hofe ritte
Und seine Jagd- und Landessitte
Bis an das Ende ließe sehen.
Tristan sprach: »Das mag wohl geschehen,
Nehmet den Hirsch aus und wohl hin,« –
Saß auf und that nach ihrem Sinn.
Nun er dahin mit ihnen ritt
Und ging also zu Hofe mit,
Da konnten sie Stund und Gelegenheit
Kaum erwarten, war Jeder bereit,
Zu entwerfen und zu vermuthen frei,
Von welchem Lande er bürtig sei
Und wie hieher gekommen;
Sie hätten gern vernommen
Von allem, wie es um ihn stand.
Das hatte auch gar bald erkannt
Der wohl besonnene Tristan,
Der gleich mit großen Witzen sann,
Wie er seine Mär erfinde.
Sein Reden war einem Kinde
Fürwahr in keiner Weise gleich.
Er sprach an Sinn und Witze reich:
»Jenseits Britannien liegt ein Land,
Das ist Parmenien genannt,
Da ist mein Vater ein Handelsmann,
Der wohl nach seinem Wesen kann
Mit der Welt leben gar schön und wohl,
Ich meine, wie ein Kaufmann soll.
Nun aber wißt, ihr Herrn, zugleich:
Mein Vater ist doch nicht so reich
An Habe und an Gute,
Als tugendlichem Muthe.
Der hieß mich lehren, was ich kann.
Nun kam manch fremder Handelsmann
Aus andern Königreichen dar,
Und dieser Fremden nahm ich wahr,
Sah ihre Sprache und Sitten an,
Bis mich zu spornen mein Muth begann
Und anzutreiben fort und fort
In fremde Reiche und ferne Ort,
Damit ich würde baß bekannt
Mit andern Leuten und andrem Land.
Von Stund an war ich früh und spat
Gänzlich bedacht auf meinen Rath,
[35]
Bis daß ich meinem Vater entkam,
Die Flucht auf einem Kaufschiff nahm;
So bin ich hier ans Land gekommen.
Nun habt ihr all mein Ding vernommen;
Weiß nicht, wie's euch gefalle.« –
»Ah, traut Kind,« sprachen sie Alle,
»Das war bei dir ein edler Muth:
Die Fremde ist manchem Herzen gut
Und lehret mancher Arten Tugend.
Trauter Geselle, süße Jugend,
Gebenedeiet sei das Land
Von Gott, wo eines Kaufmanns Hand
Erzog so tugendreiches Kind!
Alle Könige, die nun sind,
Hätten es besser nicht gethan.
Nun, liebes Kind, sag uns auch an:
Dein höfischer Vater, wie nannte er dich?« –
»Tristan,« sprach er, »Tristan heiß ich.« –
»De us adjut!« sprach Einer hier:
»Um Gott, was soll der Name dir?
Du wärest besser fürwahr genannt
Juvente bele et la riant,
Die schöne Jugend, die lachende.« –
So ritten sie, Kurzweil machende,
Der Eine hie, der Andere da;
Doch was von Reden dort geschah,
Das galt nur diesem Kinde.
So fragete das Gesinde,
Wie Jeder sich's zu Herzen nahm.
In kurzer Stunde es aber kam,
Daß der Knabe die Burg ersah.
Von einer Linden brach er da
Zwei Kränzlein, waren wohl belaubt;
Eines setzte er auf sein Haupt,
Das andre er etwas weiter maß,
Dem Jägermeister bot er das:
»Ei,« sprach er, »lieber Meister mein,
Sagt, was wohl diese Burg mag sein?
Wie königlich! Die gefällt mir wohl!« –
Der Meister: »Das ist Tintayol.« –
»Tintayol? Ah!« sprach er: »Wohl!
De te benie, Tintayol,
Und alle dein Gesinde!« –
»Ah wohl dir süßem Kinde!«
Sprachen die Andern aus Einem Mund:
»Sei glücklich und sei froh allstund,
Und müsse dir's also wohl ergehen,
Daß wir es gerne mögen sehen!«
So kamen sie zu Burg und Thor.
Da machte Tristan Halt davor.
»Ihr Herren,« sprach er, »haltet inn!
Ich weiß nicht, da ich fremde bin,
Wie euer jedes Name sei:
Nun fahret eben Zwei und Zwei
Und reitet wohl geschlossen ein.
So soll der Hirsch beschaffen sein:
Zuvörderst kommen die Stangen,
Die Brust kommt nachgegangen,
Die Rippen nach den Bügen;
Darnach so sollt ihr's fügen,
Daß alsobald den Rippen bei
Das hinterste Glied gesellet sei;
Darnach so achtet auf den Fug,
Daß ihr im allerletzten Zug
Die Cuire und Furkie paart:
Das ist die rechte Jägerart.
Auch treibet es nicht allzu jach,
Reitet gemach einander nach:
Mein Meister hie und ich, sein Knecht,
Reiten zusammen, dünkt's euch recht,
Und daß es euch gefalle.« –
»Ja, traut Kind,« sprachen sie alle:
»So wie du willt, so wollen wir.« –
»So sei's,« sprach er: »nun leihet mir
Ein Horn, das mir gerechte sei,
Und seid auch deß gemahnt dabei:
Wenn ich anhebe, so horchet mir,
Und wie ich horne, so hornet ihr.« –
Der Meister sprach zu ihm: »Nun thu,
Viel lieber Freund, und horne du,
Wie es dir nur gefalle;
Wir folgen und dienen dir Alle,
Ich und die hier mit mir sind.« –
»A boneure,« sprach das Kind,
»Mit Güte, so soll es also sein.« –
Ein kleines helles Hörnelein,
Das gaben sie ihm an seine Hand.
»Nun hin!« sprach er: »allez avant!«
So ritten sie rottiret ein
Zu Zweien, wie es sollte sein;
Und als durchs Thor die Rotte kam,
Tristan sein helles Hörnlein nahm
[36]
Und begunte fein zu blasen
Und wonniglich aus der Maßen;
Und Alle, die auf ihn harrten,
Die konnten's kaum erwarten,
Bis sie ihm zu Hilfe kamen,
Vielmehr die Hörner nahmen
Und machten ein Getöne
In seinem Ton gar schöne:
Er vor, das klang zu Preise;
Sie nach in seiner Weise
Und machten das geschickt und wohl:
Die Burg ward des Getönes voll.
Der König und die Hofleut all,
Da sie den fremden Jägerschall
Erhörten und vernahmen drin,
Da waren sie in ihrem Sinn
Erschrocken und erstaunt gar sehr,
Weil dessengleichen nie vorher
Bei Hofe war vernommen.
Nun war die Rotte kommen
Für den Palast und an die Thür;
Da war viel Hofgesinde für
Gelaufen ob dem Hörnerschall,
Und nahm es sie groß Wunder all,
Was das Getön begehrte.
Auch war der lobenswerthe
Marke selber gekommen dar,
Zu nehmen diese Märe wahr,
Und mit ihm mancher höfische Mann,
Nun daß den König sah Tristan,
Begann er ihm zu gefallen.
Von den Andern allen
Erlas er ihn mit Herz und Muth,
Denn er war ja von seinem Blut:
Die Natur, die zog ihn dar.
Er nahm sein mit den Augen wahr
Und begann ihn schön zu grüßen.
Mit Tönen, fremden, süßen,
Eine andere Weise hob er an,
So laut zu hornen er begann,
Daß ihm Keiner von Allen
Vermochte beizufallen.
Nun war das aber bald gethan:
Der wohlgezogene Tristan,
Der schwieg und ließ sein Horn in Ruh.
Er neigte sich dem König zu
Gar hold und sprach mit süßem Mund,
So süße, als er das verstund:
»Deus sal roi et sa mehnie:
König und seine Massenie
Erhalte Gott der gute!« –
Marke der wohlgemuthe
Und all sein Hofgesinde,
Die danketen dem Kinde
Viel tugendlich und also wohl,
Als man dem Tugendhaften soll.
Sie freueten sich allgemein:
»Ach,« sprachen sie alle, Groß und Klein,
»De duin duze aventure
Si duze creature:
Süße Stunden und frohes Leben
Möge Gott so süßem Geschöpfe geben!«
Der König nahm des Kindes wahr;
Er besandte den Jägermeister dar:
»Sag an,« sprach er, »wer ist dies Kind,
Deß Worte so wohlgesetzet sind?« –
»Ach, Herre, es ist ein Parmenois
Und ist so wundervoll curtois,
So aus der Maßen tugendsam,
Wie ich's an Kindern nie vernahm.
Er sagt, sein Name sei Tristan,
Und sei sein Vater ein Handelsmann,
Ich glaub es aber nimmer:
Wie hätte ein Kaufmann immer
In seiner großen Unmüßigkeit
Auf ihn gewandt so viele Zeit?
Sollte er Muße für ihn gewinnen,
Der immer soll Unmuße beginnen?
Ach, Herre, er ist so tugendhaft:
Seht, diese neue Meisterschaft,
Wie wir zu Hofe sind gekommen,
Die haben wir ganz von ihm genommen.
Und hört die Wunderkünste: Wißt,
Recht wie der Hirsch beschaffen ist,
So ist er hier zu Hof gebracht:
Wo ward eine Kunst so wohl bedacht?
Seht, erstens Kopf und Stangen,
Dann kommt die Brust gegangen,
Büge darnach und Beine:
Herr, schöner wurden noch keine
Und besser zu Hof prisantet eh.
Seht dort, Herre, und habt Ihr je
[37]
Eine solche Furkie gesehn?
Mir ist dergleichen nie geschehn,
Seit ich die Jägerkunst verstehe.
Dazu ließ er uns sehen ehe,
Wie man den Hirsch entbästen soll:
Die Kunst gefällt mir also wohl,
Daß ich noch Hirsch, noch andre Thiere
Zerhauen will in vier Quartiere,
Und sollt ich bis an mein Ende jagen.« –
So begann er seinem Herrn zu sagen
Von Anfang alle Märe,
Wie er vollkommen wäre
In aller höfischen Jägerschaft,
Und wie er die Curie beschafft
Für die Bracken und die Hunde.
Des Jägermeisters Kunde,
Die nahm der König in seinen Sinn,
Hieß den Knaben rufen zu sich hin
Und hieß die Jäger nach Hause fahren,
Ihr Amt und ihre Pflicht bewahren;
Die kehrten um und ritten fort.
Tristan, der Jägermeister dort,
Gab hin sein Hörnlein wieder
Und sprang zur Erde nieder.
Das junge Hofgesinde,
Das lief entgegen dem Kinde
Und conduirt's mit holdem Sinn
An den Armen für die Krone hin.
Auch konnte er selber zierlich gehn,
Und war der Leib ihm anzusehn,
Wie es die Minne nur gebot:
Sein Mund, der war recht rosenroth,
Sein Antlitz licht, seine Augen klar,
Gar schön war sein lichtbraunes Haar
Geringelt an dem Ende;
Seine Arme und Hände,
Die waren wohlgebaut und blank,
Sein Leib im rechten Maße schlank;
An seiner Füße und Beine Stand
Ward seine Schöne zumeist erkannt;
Sie standen so zu Preise wohl,
Als man's am Manne preisen soll.
Sein Gewand, das wisset ihr,
War mit großer höfischer Zier
Nach seinem Leib geschnitten.
Seine Gebärden und Sitten,
Die standen ihm so lieblich an,
Daß man den Knaben lieb gewann.
Der König schaute immer zu:
»Freund,« sprach er, »Tristan heißest du?« –
»Ja, Herre, Tristan. De vus sal.« –
»De vus sal, beas Vassal.« –
»Merzi,« sprach er, »gentil Rois,
Edler König Kornewalois:
Ihr und Euer Gesinde,
Ihr seiet von Gottes Kinde
Immerdar gesegnet!« –
Da ward ihm hold entgegnet
Mit Merzi und Merzi fort und fort.
Sie sprachen nur das Eine Wort:
»Tristan, Tristan li Parmenois,
Cum est beas et cum curtois!« –
Marke sprach aber Tristanden an:
»Ich sage dir, was du thust, Tristan,
Du sollt mir eine Bitte gewähren,
Das will ich nicht von dir entbehren.« –
»Was Ihr gebietet, Herre mein.« –
»Du sollt mein Jägermeister sein.« –
Nicht wenig lachten Die um ihn.
Da sprach der Sohn von Riwalin:
»Herre, gebietet über mich,
Was Ihr gebietet, das bin ich,
Euer Jäger und Euer Mann,
Und will Euch dienen, so gut ich kann.« –
»Mit Güte, Freund!« sprach Marke froh:
»Das ist gelobt, nun sei es so.«

Tristans Weltglück

[38] Tristans Weltglück.

Nun, Tristan, der ist heimgekommen,
Unwissend, wie ihr habt vernommen,
Und meinte heimathlos zu sein.
Der unvermeinte Vater sein,
Marke, der tugendreiche Mann,
Der that gar tugendlich daran,
Und dessen war auch große Noth;
Er bat besonders und gebot
Dem ganzen Hofgesinde,
Daß es dem fremden Kinde
Gütig und gnädig wäre
Und böte ihm alle Ehre
Mit Rede und mit Geselligkeit.
Deß waren sie allesammt bereit
Mit williglichem Muthe;
Und ward Tristan der gute
Des Königs Hofgenosse so.
Der sah ihn gern und war sein froh;
Denn ihn zog auch sein Herze dar,
Und nahm sein oft und gerne wahr;
Denn er, zu allen Zeiten,
Blieb höfisch an seiner Seiten
Und trug ihm seine Dienste an,
Wie er Gelegenheit gewann.
Wo Marke ging und wo er war,
Blieb er der Zweite immerdar,
Und nahm das Marke auf für gut;
Er trug ihm immer holden Muth
Und that ihm wohl, wo er ihn sah.
In diesen Dingen es geschah,
Daß in den nächsten acht Tagen
Er selbst mit ihm aufs Jagen
Und viel des Hofgesindes mit,
Zu schauen seinen Jagdbrauch, ritt,
Und seine Künste zu nehmen wahr.
Der König hieß ihm bringen dar
Ein Jagdroß, das er ihm verlieh.
Besser beritten war er nie,
Denn es war stark und schön und schnell.
Ein kleines Jagdhorn, süß und hell,
Hieß er ihm geben an seine Hand.
»Tristan,« sprach er, »dir ist bekannt,
Daß du mein Jägermeister bist:
Nun zeig uns, wie dein Jagdbrauch ist
Nimm deine Hunde hin und fahr
Und beschicke die Warte dar,
Wo sie dich dünket recht zu stehn.« –
»Nein, Herre, es kann nicht also gehn,«
Sprach da Tristan, der höfische Knab:
»Schicket nur Eure Jäger ab,
Die sollen sich mit befassen
Und die Bracken vom Seile lassen:
Sie sind ja heimisch hier zu Land,
Und ihnen ist baß denn mir bekannt,
Wo sich der Hirsch hinziehet
Und vor den Hunden fliehet;
Die kennen die Gelegenheit.
Ich habe ja hie zu keiner Zeit
Gejagt und bin ein fremder Knecht.« –
»Das weiß Gott, Tristan, du hast Recht:
Du kannst die Warte nicht versehn,
Die Jäger müssen selber gehn,
Ihr Amt zu thun nach Zeit und Ort.« –
Auf dieses gingen die Jäger fort
Und kuppelten die Hunde
Und stellten zu der Stunde
Die Warte auf dem rechten Grund,
Bestätigten einen Hirsch im Rund
Und jagten ihn wacker trabend
In die Wette bis zum Abend.
Da erliefen ihn die Hunde,
Und zu derselben Stunde
Kam Marke mit seinem Kinde
Und vielem Hofgesinde
Gerannt, ihn abzufangen.
Die Jägerhörner klangen
In mancherlei Getöne;
Sie horneten so schöne,
Daß König Marken dieses Spiel
Und all den Seinen wohl gefiel.
Nun sie den Hirschen fällten,
Den Meister sie hinstellten,
Tristanden, ihren heimischen Gast,
Und baten, daß er sie den Bast
[39]
Von Anfang ließe zu Ende sehn.
Der Höfische sprach: »Das mag geschehn,« –
Und bereitete mit dem Worte sich.
Nun wähne ich wohl und dünket mich,
Daß es unnöthig wäre,
Euch zweimal eine Märe,
Die nämliche, vorzutragen.
Recht wie beim ersten Jagen,
Wie jenen Hirsch, nach gleichem Brauch
Entbästete er den zweiten auch.
Den Bast und die Furkie,
Die Kunst von der Curie,
Als sie das sahen, zu der Stund
Bekannten sie mit Einem Mund,
Daß Niemand diese Sachen
Besser wisse zu machen,
Noch besser könne erfinden.
Der König hieß da binden
Den Hirschen auf und ritt davon
Mit seinem Jäger, seinem Sohn,
Und seiner Massenie.
Mit Gehörne und Furkie
Ritten sie heim zur Abendzeit.
So war der gute Tristan seit
Ein lieber Hofmann in Tintayol.
König und Hof, die hielten ihn wohl
Und boten ihm gute Genossenschaft.
Auch war er selber so diensthaft,
So freundlich gegen Arm und Reich,
Daß, hätte er sie alle gleich
Auf den Händen können tragen,
Er hätt's nicht abgeschlagen.
Den Segen hatte ihm Gott gegeben:
Er konnte und wollte Allen leben,
Lachen, tanzen, singen,
Reiten, laufen, springen,
Mit Allen jubiliren
Und konnte Allen hofiren.
Er lebte, wie man's wollte,
Und wie die Jugend sollte;
Was ihrer Einer nur begann,
Das hub er alsbald mit ihm an.
Nun fügete sich aber das,
Daß Marke an einem Tage saß,
Ein wenig nach der Essenszeit,
Wo Kurzweil ist und Müßigkeit,
Und lauschte sehr an einem Ort
Einem Leiche, den ein Harfner dort
Spielte, ein Meister seiner Kunst,
Der beste, und in großer Gunst;
Und war derselbe ein Galois.
Nun kam Tristan, der Parmenois,
Und saß zu seinen Füßen dar
Und nahm mit solchem Fleiße wahr
Des Leiches und der süßen Noten,
Wär es ihm auf den Leib geboten,
Er konnte sich länger nicht verstellen;
Sein Muth begann ihm aufzuschwellen,
Sein Herze ward des Muthes voll:
»Meister,« sprach er, »Ihr harfet wohl,
Die Noten sind recht fürgebracht,
Sehnlich, und wie sie sind erdacht.
Das haben brittische Zungen
Von Herrn Gurun gesungen,
Von ihm und seiner Minne.« –
Dies nahm in seine Sinne
Der Harfner und lauschte immer dar,
Als nähme er nicht der Rede wahr,
Bis er den Leich vollendete.
Zu dem Kind er da sich wendete:
»Was weißt du,« sprach er, »liebes Kind,
Von wannen diese Noten sind?
Verstehst du diese Kunst etwan?« –
»Ja, schöner Meister,« sprach Tristan:
»Ich hatte einst mehr Meisterschaft,
Nun hat es aber so kleine Kraft,
Daß ich mir nicht vor Euch getrau.« –
»Nein, Freund, nimm diese Harfen, schau,
Laß hören, was und welcherhand
Kann man bei dir in deinem Land?« –
»Gebietet Ihr das, Meister mein,
Und soll's mit Euren Hulden sein,
Daß ich Euch harfe?« sprach Tristan. –
»Ja, traut Geselle, schau, fang an.« –
Wie er die Harfen also nahm,
Stand sie den Händen wundersam:
Die waren, wie ich las, so fein,
Daß sie nicht feiner konnten sein,
Weich und linde, klein und schlank,
Und wie ein Hermelin so blank.
Mit diesen rührte er und schlug
Vorspiel und Nötelein genug,
[40]
Seltsame, süße, gute.
Da kamen ihm zu Muthe
Seine brittischen Leiche;
Sein Plektrum nahm der Reiche,
Wirbel und Saiten spannte er,
Die einen minder, die andern mehr,
Recht so, wie sie ihm sollten stehn.
Nun, das war alsobald geschehn;
Der neue Spielmann, Herr Tristan,
Also sein neues Amt begann,
Als wär es ihm geboten:
Sein Vorspiel, seine Noten,
Seine seltsamen Grüße,
Die harfte er also süße
Und machte sie so schöne
Mit schönem Saitengetöne,
Daß Jeder zu dem Knaben lief.
Der Eine den Andern näher rief.
Gar eilig kam vom Hof die Schaar
Zu allermeist gelaufen dar,
Und Keinem däuchte es zu fruh.
Nun, Marke, der sah immer zu
Und saß, auf alles achtend,
Seinen Freund Tristan betrachtend,
Und wunderte ihn die Märe,
Daß er so höfische Lehre
Und gute Kunst in seiner Brust,
Da er sich ihrer doch bewußt,
Also konnte verhehlen.
Nun fing aus voller Seelen
Einen klingenden Leich Tristan
Von der viel stolzen Freundin an
Gralandes des schönen.
Den ließ er süß ertönen
Und harfete so zu Preise
In britannischer Weise,
Daß mancher Mann da stund und saß,
Der seinen eignen Namen vergaß;
Da begannen Herz und Ohren
Wie thöricht und verloren
Aus ihrem Recht zu wanken,
Und wurden da Gedanken
In mancher Weise fürgebracht.
Da wurde oft und viel gedacht:
»Wohl dem Kaufmann, dem frommen Mann,
Der solchen höfischen Sohn gewann!« –
Ja, seine Finger, lang und weiß,
Die gingen wohl mit Kunst und Fleiß
Wogend in den Saiten
Und ließen Töne gleiten,
Daß der Palast erfüllet ward.
Da ward der Augen nicht gespart,
Da lugten manche Blicke dar
Und nahmen seiner Hände wahr.
Nun, dieser Leich, der war vollbracht;
Der gute König nahm Bedacht
Und sprach, daß man ihn bäte,
Daß er noch einen thäte.
»Mu voluntiers,« sprach da Tristan,
Und aber hub er herrlich an
Einen sehnlichen Leich, wie eh,
De la curtoise Tisbe
Von der alten Babylon;
Den harfete er in so schönem Ton
Und ging so recht den Noten mit,
Mit recht vollkommenem Meisterschritt,
Daß es den Harfner Wunder nahm;
Und als es an die Worte kam,
So ließ das tugendreiche Kind
Zu großer Wonne süß und lind
Seine Schanzune gleiten,
Die Weisen zu den Saiten,
Britannische und galoise,
Lateinische und franzoise,
Die sang er so süß mit seinem Mund,
Daß Niemand wußte zu dieser Stund,
Welches süßer wäre
Oder werther der Ehre,
Sein Harfen oder sein Singen.
Da erhub sich von diesen Dingen,
Von seiner Geschicklichkeit, Art und Fug
Rede und Märe im Saal genug;
Da bekannten sie Alle gleich,
Sie wüßten in dem ganzen Reich
An einem Mann die Künste nie.
Der Eine sprach dort, der Andre hie:
»Was ist das von einem Kinde!
Wen haben wir zum Gesinde!
Alle Kinder, die nun sind,
Sind gegen dieses wie ein Wind,
Tristanden, dem kommt keines gleich.«
[41]
Und als nun Tristan seinen Leich
Vollendet hatte nach Begehr,
Der König sprach: »Tristan, geh her!
Der dich das hat gelehret,
Der sei vor Gott geehret
Und du mit ihm! Das klingt ja fein.
Gern will ich hören die Leiche dein
Unterweilen gegen Nacht,
So noch gerne dein Herze wacht;
Nicht wahr, dies thust du mir und dir?« –
»Ja, Herre, wohl.« – »Nun sage mir:
Kannst du kein ander Saitenspiel?« –
»Nein, Herre,« sprach er. – »Grad ans Ziel!
So lieb als ich dir bin, Tristan,
Sage du mir die Wahrheit an!« –
»Herre, Ihr durftet nicht so hoch
Mich mahnen,« sprach er, »ich hätt es doch
Gesagt auf Euer Fragen,
Da ich's Euch doch muß sagen
Und Ihr es wollet wissen.
Herre, ich war beflissen,
Zu lernen jegliches Saitenspiel;
Und kann doch in keinem also viel,
Daß ich nicht gerne verstünde mehr.
Auch hab ich die Kunst nur nebenher
Und nicht gar lange Zeit getrieben,
Und zwar bin ich dabei geblieben,
Wenn's hoch kommt, etwa sieben Jahr
Oder wenig darüber, das ist wahr.
In Parmenien, da lehrten sie
Die Fiedel mich und die Symphonie:
Harfen aber und Rotten,
Das lehrten mich Galeotten,
Zween Meister, waren Galoise.
Mich lehrten Britunoise,
Die waren aus der Stadt von Lut,
Spielen die Leier und Sambiut.« –
»Sambiut, was ist das, lieber Mann?« –
»Das beste Saitenspiel, das ich kann.« –
»Seht,« sprach das Hofgesinde,
»Gott hat dem holden Kinde
Zu wonniglichem Leben
Seiner Gnaden viel gegeben.«
Marke fragte ihn aber mehr:
»Tristan, ich hörte dich doch vorher
Britannisch singen und galois,
Auch gut lateinisch und franzois:
Kannst du die Sprachen?« – »Herre, ja,
So ziemlich wohl.« – Nun kam aber da
Der Haufe dargedrungen,
Und wer nur fremde Zungen
Wußte aus einem Nachbarland,
Der versuchte ihn, was er verstand,
Der Eine so, der Andre so.
Da gab er Allen frei und froh
Antwort mit Hofmanieren:
Den Norwegern, den Iren,
Alemannen, Schotten und Dänen.
Manch Herz begann sich zu sehnen
Nach Tristans Kunst und Geschicklichkeit.
Da waren ihrer genug bereit,
Die wären gewesen gern wie er,
Und rief ihm manches Herzens Begehr
Minniglich und süße zu:
»Ach, Tristan, wär' ich doch wie du!
Tristan, du magst wohl gerne leben,
Tristan, dir ist der Preis gegeben
In allen Künsten, die ein Mann
Auf Erden beisammen haben kann.« –
Auch machten sie mit Worten
Groß Wesen und Wunder dorten:
»Hört!« sprach Dieser, und »hört!« sprach Der:
»Alle Welt, die höre her!
Ein Kind, ein vierzehnjährig Kind,
Kann alle Künste, die nun sind!«
Marke sprach: »Tristan, höre her!
An dir ist alles, was ich begehr,
Du kannst alles, was ich will,
Jagd und Sprachen und Saitenspiel:
Nun wollen wir auch Gesellen sein,
Du der mein und ich der dein.
Bei Tage wollen wir jagen, reiten,
Bei Nacht daheim uns Lust bereiten
Mit höfisch gethanen Dingen:
Harfen, fiedeln und singen,
Das kannst du wohl, das thu du mir.
Auch ich kann Spiele und thue dir,
Was auch dein Herze wohl begehrt,
Gebe dir Kleider und Rosse werth
Und alles, worauf dein Herze zielt:
So habe ich dir wohl mitgespielt.
Sieh hier, mein Schwert und meine Sporn,
[42]
Meine Armbrust und mein gülden Horn,
Geselle, die befehle ich dir,
Die nimm zu Handen, die pflege mir,
Und sei du höfisch und sei froh.«
Nun ward der Heimathlose so
Der Liebste vom Hofgesinde.
Man sah bei keinem Kinde
Solch Glück und Segen, nicht vor noch nach:
Denn, was er that und was er sprach,
Das däuchte und war auch also gut,
Daß alle Welt ihm holden Muth
Und innigliches Herze trug.
Hiemit sei nun der Rede genug:
Wir legen diese Märe nieder
Und greifen zu der andern wieder,
Sein Vater, der Marschall Don Rual,
Li foitenant et li leal,
Was der für Rath erkoren,
Nachdem er ihn verloren.

Die Erkennung

Die Erkennung.

Don Rual li Foitenant,
Der schiffte von Parmenienland
Ueber Meer mit großem Gute;
Denn ihm war ganz zu Muthe,
Er wolle nicht wiederkommen,
Bevor er hätte vernommen
Eine gründliche Märe,
Wo sein Junkherre wäre.
Da fuhr er erstlich Norweg zu
Und forschete so spat als fruh
In allen nordischen Landen
Nach seinem Freund Tristanden.
Was half ihm das? er war nicht dort,
Sein Suchen war umsonst am Ort,
Und als er ihn da nicht erfand,
So wandte er sich gen Ireland.
Seht, da konnte er auch nicht mehr
Von ihm erforschen, denn vorher.
Darüber ging seine Habe
Gegen dem Bettelstabe,
So daß er sich nieder zu Fuße ließ,
Seine Rosse verkaufen hieß
Und sandte seine Mannen
Mit dem Gelde von dannen.
Er aber blieb in aller Noth
Und mußte betteln gehn um Brod
Und trieb das stete Wandern
Von einem Reich zum andern
Und fuhr von Land zu Landen,
Forschend nach Tristanden.
Das trieb er wohl drei Jahr und mehr,
Bis daß er endlich also sehr
Von seines Leibes Schöne kam
Und also ab an Farbe nahm,
Daß, wer ihn hätte vor gesehn,
Nicht hätte mögen zugestehn,
Daß er je kehre zu Würde.
Und diese schmähliche Bürde
Trug, der so hoch in Ehren stund,
Wie ein Ribald, ein Vagabund,
Und ohne daß ihm seine Noth,
Wie sie es doch schon Manchem bot,
Den guten Willen je benahm.
Nun es ins vierte Jahr so kam,
Da hielt er sich in Dänemark
Und forschete auch dorten stark
In allen Städten fern und nah;
Durch Gottes Gnade traf er da
Die zween wallenden Männer an,
Die sein verlorner Freund Tristan
Auf der Waldstraße gefunden.
Die fragete er zur Stunden,
Auch sagten sie ihm die Märe,
Wann und wie lang es wäre,
Daß sie einen Knaben hätten gesehn,
Den sie da ließen mit ihnen gehn,
Der wäre nach seinem Conterfei;
Und sagten ihm, wie er beschaffen sei
[43]
An Angesicht und Haaren,
An Reden und Gebaren,
Am Leib und am Gewande,
Wie er Sprachen vieler Lande
Und wie viel Art er habe.
Zur Stunde war der Knabe
Erkannt: er sah, dies wäre er.
Die beiden Waller bat er sehr,
Daß sie ihm doch die Stätten,
Wo sie ihn gelassen hätten,
Wenn sie die je noch kennten,
Um Gottes Willen nennten.
Da sagten sie dem Mareschall,
Es sei im Lande Kornewall,
In der Stadt zu Tintayol geschehn.
Und aber hub er an zu flehn,
Und sprach der gute Foitenant:
»Wo liegt denn Kornewall, das Land?« –
»Das Land ist,« sprachen sie hergegen,
»Jenseits Britannien gelegen.«
Ah, dachte er, Gott und Herre mein!
Dies mag wohl deine Gnade sein:
Ist Tristan, wie ich hie vernommen,
Also nach Kornewall gekommen,
So fand das Bächlein seinen Strom,
Denn König Marke, der ist sein Ohm.
Nun weise mich, Gott, auf diesen Pfad!
Ach, süßer Gott, durch deinen Rath
Laß mir noch so viel Heil geschehen,
Daß ich Tristanden möge sehen!
Die Märe, die ich hier vernommen,
Soll mir zu Statten und Freuden kommen:
Sie dünket mich und ist auch gut,
Sie hat mir meinen schweren Muth
Wieder geheilt mit Einem Mal.
»Gesegnete Leute,« sprach Rual,
»Der Sohn der Magd soll euch bewahren,
Ich will nun meine Straße fahren
Und sehen, ob ich ihn finde.« –
»Er weise Euch zu dem Kinde,
Der über die Welt gebeut und spricht.« –
»Dank,« sprach er, »hier ist des Bleibens nicht,
Gebetet mir, ich muß zur See.« –
»Freund,« sprachen Jene, »a De, a De!«
Nun schritt der Marschall immer zu,
So daß er seinem Leib zur Ruh
Keinen Tag, keinen halben nahm,
Bis daß er zu dem Meere kam.
Da ruhete er, das war ihm leid:
Denn Schiffe, die waren nicht bereit,
Und als er zuletzt ein Fahrzeug fand,
Da fuhr er nach dem Brittenland.
Durch Britannien strich er hin
Und war so eifrig in seinem Sinn,
Daß ihm kein Tag so lange ward,
Daß er je hätte sein gespart
Und wäre nicht in die Nacht gegangen.
Er hatte Muth und Kraft empfangen,
Seit ihm die Hoffnung war erwacht;
Da war ihm sanft und leicht gemacht
Jegliche Mühsal wundersam.
Nun er zum Lande Kornwall kam,
In derselben Stunde wohl
Fragete er nach Tintayol.
Viel bald er deß belehret ward;
Da zog er weiter auf seiner Fahrt
Und kam dahin mit großer Müh
Sonnabends in der ersten Früh,
Da man zur Messe sollte gehn.
Er ging vors Münster hin zu stehn.
Die Leute liefen hin und her,
Und allenthalben spähete er
Und schickte die Augen fern und nah,
Ob er nicht Einen fände da,
Der ihm zu Frage und Märe
Wohl recht und handlich wäre;
Denn immer dachte er bei sich:
»Dies Volk ist alles mehr denn ich,
Und wenn ich Einen frage,
So fürcht ich, daß er's versage
Und schicke mich ohne Antwort hin,
Weil ich so armen Standes bin.
Was ich thun soll, Herre, das rathe du.«
Nun kam der König selbst herzu
Mit einer wonniglichen Schaar.
Und aber sah der Treue dar
Und schickte umsonst die Blicke aus.
Nun daß sich aus dem Gotteshaus
Der König wieder nach Hof begab,
Da ging Rual vom Wege ab
Und trat bei Seite mit bangem Sinn
Zu einem betagten Hofmann hin:
[44]
»Ach, Herre,« sprach er, »saget mir
Durch Eure Güte, wisset Ihr,
Ob hie ein Kind bei Hofe sei?
Man sagt, es sei dem König bei
Und sei mit Namen genannt Tristan.« –
»Ein Kind?« hub da der Andre an:
»Weiß nichts von einem Kinde;
Ein Knappe ist beim Gesinde,
Der mit nächstem soll empfahn das Schwert
Und ist dem Könige lieb und werth,
Denn er kann Künste weit und breit
Und mancherlei Geschicklichkeit,
Als ein vollkommener Hofgenoß,
Und ist ein Jüngling stark und groß
Von braungelockten Haaren
Und löblichem Gebaren:
Auch ist er aus einem fremden Land:
Der wird allhie Tristan genannt.«
»Nun, Herre,« sprach der Marschall da,
»Seid Ihr vom Hofgesinde?« – »Ja.« –
»Herre, ich bitte bei Eurer Ehr,
Thut mir noch ein wenig mehr,
Denn wahrlich, Ihr thut sehr wohl daran.
Sagt ihm, hier sei ein armer Mann,
Der ihn gern sprechen möchte und sehn;
Auch dürft Ihr ihn lassen wohl verstehn,
Daß ich sein Landsmann wäre.« –
So erfuhr Tristan die Märe,
Daß ein Landsmann von ihm zur Stelle sei.
Tristan, der kam geschwind herbei,
Und alsobald daß er ihn sah,
Mit Mund und Herzen rief er da:
»Nun müsse Gott, der Herre mein,
Immer gebenedeiet sein,
Vater, daß ich dich sehen muß!« –
Das war sein allererster Gruß.
Darnach lief er ihn lachend an
Und küßte den getreuen Mann,
Wie ein Kind wohl seinen Vater soll;
Und war das billig gethan und wohl.
Er war sein Vater, und er sein Kind.
Von allen Vätern, die nun sind,
Oder die vor uns waren,
Ist keiner also gefahren
Mit seinen Kindern vatergleich.
Ja, Tristan hatte, überreich,
Vater, Mutter, Magen und Mann,
Alle Freunde, die er je gewann,
Hatte er in den Armen da.
Und inniglich begann er: »Ah,
Getreuer Vater, guter Mann,
Meine süße Mutter, sag mir an,
Und meine Brüder, leben sie noch?« –
»Ich weiß nicht, trauter Sohn, jedoch,
Sie lebten, da ich letzt sie sah,
Nur daß ihnen wie mir geschah
Von deinen Schulden großes Leid;
Doch wie sie lebten seit jener Zeit,
Das kann ich dir nicht sagen,
Da ich in vielen Tagen
Keinen, den ich kannte, fand
Und auch kein einzig Mal mein Land
Seit der unseligen Stunde sah,
Da mir an dir so mißgeschah.« –
»Ei,« sprach er, »trauter Vater mein,
Was soll mir diese Märe sein?
Dein schöner Leib, wo ist der hinkommen?« –
»Sohn, den hast du mir benommen.« –
»So will ich dir ihn wiedergeben.« –
»Sohn, das mögen wir auch erleben.« –
»Nun Vater, so komm zu Hof mit mir.« –
»Nein, Sohn, da geh ich nicht mit dir:
Du siehest wohl, ich wäre
Dem Hofe nicht zur Ehre.« –
»Nein, Vater, es soll und muß geschehn,
Der König, mein Herre, soll dich sehn.« –
Rual der höfische, gute,
Gedachte in seinem Muthe:
Meine Nacktheit, die schadet nicht;
In welchem Stand mich auch Marke ficht,
Er wird mich gerne sehen,
Und werde ich ihm gestehen,
Daß er seinen Neffen bei sich hat,
Ja, werde ich alles, was ich that,
Von Anfang bis zu Ende sagen,
Wird ihm mein Aussehn wohl behagen.
Tristan, der nahm ihn bei der Hand.
Sein Aufzug aber und Gewand
Das war, wie es da mochte sein,
Ein armseliges Leibröcklein,
Gar schäbig und verschlissen
Und hie und da zerrissen;
[45]
Das hatte er ohne Mantel an;
Die Kleider, die der gute Mann
Unter dem schlechten Rocke trug,
Die waren bettelhaft genug,
Vernutzt und schmutzig ganz und gar.
Sein Haar an Haupt und Barte war,
Des Kammes ledig seit lange her,
Verworren und verfilzt so sehr,
Als ob er ein Wilder müßte sein.
Auch ging er bloß an Fuß und Bein,
Weil alles auf der Fahrt verdarb.
Dazu war er so wetterfarb,
Wie alle Die mit Fuge sind,
Denen Frost, Hunger, Sonn und Wind
Die Farbe hat benommen.
So war er für Marken kommen,
Und als ihm der in die Augen sah,
Zu seinem Tristan sprach er da:
»Sag an, Tristan, wer ist der Mann?« –
»Mein Vater, Herre,« sprach Tristan. –
»Redest du wahr?« – »Ja, Herre mein.« –
»Der soll uns viel willkommen sein,«
Sprach Marke süß und tugendlich.
Rual, der neigte höfisch sich.
Hiemit so kam in Haufen
Die Ritterschaft gelaufen,
Das Hofgesinde drang heran,
Die riefen Alle, Mann für Mann:
»Sire, Sire, De vus sal!« –
Nun sollt ihr wissen, daß Rual,
Wie wenig seine Gewande
Zeugten von seinem Stande,
An Leib und an Gebärden
So gut als Einer auf Erden
Vollkommen einem Herren glich.
Er war von Leibe ritterlich,
Von Gliedern groß und kühne
Gewachsen wie ein Hüne;
Seine Arme und Beine waren lang,
Edel und herrlich war sein Gang,
Sein Leib von Grund aus wohlgestalt;
Er war nicht zu jung und nicht zu alt,
Er stand in der besten Lebenszeit,
Wo Alter und Jugend, ungezweit,
Dem Leben geben die beste Kraft.
Er war so stattlich und herrenhaft,
Als säß er auf einem Kaiserthron.
Seine Stimme klang wie Hörnerton,
Seine Rede, die war herrengleich.
So stand er höfisch und tugendreich
Vor all den Herren im Königssaal.
Es war heut nicht das erste Mal.
Barone und Ritter mit Staunen
Begannen sich zuzuraunen
Und redten hin und redten her:
»Ja,« sprachen sie alle, »und ist das Der?
Der Kaufmann ist es, der höfsche Mann,
Von dem uns hat sein Sohn Tristan
So viel gesagt zu Ruhm und Zier?
Von seiner Tugend haben wir
Märe um Märe viel vernommen;
Wie ist er so zu Hofe kommen?« –
Und sprachen dies und jenes Wort.
Der König hieß ihn alsofort
Zu den Gemächern gehen
Und ließ ihn da versehen
Mit herrlichen Gewanden.
Tristan war ihm zu Handen
Und sorgte wohl für Bad und Kleid.
Ein Hütlein war für ihn bereit,
Das setzte er auf sein Haupt jetzund,
Daß es auf keinem besser stund;
Denn er war schön von Angesicht
Und wich an Gestalt dem Schönsten nicht.
Tristan, der nahm ihn bei der Hand,
Lieblich, wie ihm's ums Herze stand,
Und führte ihn wieder zu Marke hin.
Nun begann er ihnen in ihrem Sinn
Stark und wohl zu gefallen.
Da ging die Rede bei Allen:
»Seht, wie ein adlig Gewand so bald
Den Mann gemacht hat wohlgestalt!
Die Kleider stehn dem Handelsmann
Gar wohl und lobenswürdig an.
Auch sieht er selber herrengleich.
Wer weiß, er ist wohl tugendreich;
Auch zeigt er sich deßgleichen wohl,
Wenn man die Wahrheit sagen soll:
Seht an, wie adelig er geht,
Wie schön sind seine Gebärden, seht,
In höfischen Gewanden,
Und seht nur auf Tristanden!
[46]
Da schauet seine Tugend an:
Wie konnte je ein Handelsmann
Ein Kind erziehen so wundersam,
Wenn's nicht aus edlem Herzen kam?«
Das Wasser war genommen
Und Marke zu Tische kommen.
Da setzte er seinen Gast Rual
An seine Tafel und befahl,
Daß man ihm höfisch diene und wohl,
Wie man dem Höfischen dienen soll.
»Tristan,« sprach er, »geh bald herzu
Und bediene deinen Vater du.« –
Auch war er gleich dazu bereit:
Alle Ehre und Gemächlichkeit,
Die je ein Sohn bewiesen,
Die ließ er ihn genießen.
Auch aß Rual der gute
Mit williglichem Muthe;
Denn Tristan machte ihn froh und frank,
Tristan, der war ihm Speis und Trank,
Daß er Tristanden vor Augen sah,
War seine Tafelfreude da.
Und als man nun von Tische ging,
Der König mit Rede den Gast empfing
Und thät ihn fragen allerhand
Beides von seinem Vaterland
Und auch von seinem Wanderzug;
Und da ihn also der König frug,
Da lauschten die Herren alle dar
Und nahmen des Marschalls Märe wahr.
»Herre,« sprach er, »es geht fürwahr
Nahezu in das vierte Jahr,
Seit daß ich von meinem Lande schied,
Und wo ich seither hingerieth,
Da ließ ich mir nichts wichtig sein,
Als was mir lag im Sinn allein
Und mich herführte, wie Ihr seht.« –
»Was war das?« – »Tristan, der hie steht.
Und hab ich zwar noch andre Kind,
Die mein von Gottes wegen sind,
Und will auch denen also wohl,
Als Einer seinen Kindern soll;
Herre, es sind der Söhne drei,
Und wär ich ihnen gewesen bei,
So möchte zur Stunde von den Drein
Wol ein und der andre Ritter sein:
Doch hätten mir die Drei zumal
Nur halb gemacht die Noth und Qual,
Die ich um ihn, den fremden, trug,
Herre, es wäre des Leids genug.« –
»Den fremden?« fiel der König ein:
»Sagt an, was soll die Märe sein?
Er ist Euer Sohn doch, wie er spricht?« –
»Nein, Herre, verwandt ist er mir nicht,
Als sofern ich bin sein Lehensmann.« –
Tristan erschrack und sah ihn an.
Aber sprach Marke: »Nun sagt uns das:
Von welchen Schulden und um was
Habt Ihr die Noth auf Euch genommen
Und seid von Weib und Kindern kommen,
Wie Ihr da sprecht, so lange Frist,
Da er doch Euer Sohn nicht ist?« –
»Herre, das weiß Gott und ich.« –
»Wohlan, Freund, so belehrt auch mich,«
Sprach aber der gute König:
»Es wundert mich nicht wenig.« –
»Wüßt ich,« sprach der Getreue,
»Ob es mich nicht gereue,
Und ob sich's wolle gebühren,
Vergangenes aufzurühren,
Herre, so könnt ich Euch Wunder sagen,
Wie sich all dies hat zugetragen
Und sich gefügt von Anfang an
Mit Eurem Manne hier, Tristan.« –
Der König und die Barone
Und alle Herren am Throne,
Die baten ihn zur Stunde
Alle aus Einem Munde:
»Saget an, gesegneter Mann, sagt an,
Getreuer Mann, wer ist Tristan?«
Da sprach Rual li Foitenant:
»Herre, es ist Euch wohlbekannt,
Und denk ich, es wissen's auch noch Die,
So zu den Zeiten waren hie,
Von Riwalin, dem Herren mein,
Deß Mann ich war und sollte sein,
So es Gott also wollte,
Daß er noch leben sollte:
Der hörte zu Eurem Preise
Reden auf solche Weise,
Daß er seine Leute und sein Land
Alles befahl in meine Hand;
[47]
Und also fuhr er übers Meer
Um Euretwillen nach Kornwall her,
Weil er Euch hätte gern gekannt,
Und lebte hier, dem Hof verwandt.
Auch wißt Ihr, was ihm widerfuhr
Mit der viel schönen Blancheflur,
Wie er zur Freundin die gewann
Und sie von hinnen mit ihm entrann;
Worauf sie zu uns kamen,
Einander zur Ehe nahmen;
In meinem Hause das geschah,
Daß ich und mancher Mann es sah;
Da befahl er sie in meine Pflege,
Und pflegt ich ihrer allerwege
Aus meines Herzens Grunde.
Alsbald und zu der Stunde
Warb und besandte er zu Hand
Eine Heerfahrt in seinem Land
Mit Magen und mit Mannen
Und fuhr auch gleich von dannen
Und ward in einem Streit erschlagen,
Wie Ihr wohl habt gehöret sagen.
Nun als die Märe zu uns kam
Und die viel schöne Frau vernahm,
Wie es ergangen wäre,
Alsbald die tödtliche Schwere
So tief ihr in das Herze schlug, –
Seht hier Tristanden, den sie trug,
Den gewann sie in der großen Noth,
Und lag sie selber, die Mutter, todt.«
Damit fiel den getreuen Mann
So inniglicher Jammer an,
Daß er es wohl bescheinte,
Denn da saß er und weinte,
Als ob er ein Kindlein wäre.
Auch begannen von der Märe
Den andern Herren allen
Die Augen zu überwallen.
König Marke der gute
Nahm mit so schwerem Muthe
Den Jammer in sein Herze,
Daß ihm der Herzensschmerze
In Thränen aus den Augen floß,
Ihm Wangen und Gewand begoß.
Tristanden war die Kunde
Schmerzlich im Herzensgrunde,
Doch sah er andres nicht daran,
Als daß ihm an dem treuen Mann
Vater mit Eins und Vaterwahn
Verloren war und abgethan.
So saß Rual der gute
Mit trauriglichem Muthe
Und sagte dem Gesinde
Von dem viel armen Kinde,
Wie gut er sein hieß nehmen wahr,
Da seine Mutter es gebar;
Wie er's an sichrer Stätte
Heimlich verborgen hätte;
Wie er die Märe verbreiten hieß,
Den Landgenossen sagen ließ,
Es wäre in seiner Mutter todt;
Wie er dann seinem Weibe gebot,
Sich in das Bett zu legen,
So wie die Weiber pflegen,
Wenn sie in Kindesnöthen sind,
Und daß sie so das Waisenkind,
Wenn's an der Stunde wäre,
Der Welt zum Schein gebäre;
Wie sie mit ihm zur Kirchen ging,
Wie er die Taufe da empfing:
Warum er Tristan ward genannt;
Wie er auf Reisen ihn gesandt
Zu Landen, fremden und fernen,
Mit Händen und Mund zu lernen
Künste, die er ihn lehren hieß;
Wie er ihn in dem Schiffe ließ:
Wie er ihm ward entführet,
Und wie er ihm nachgespüret,
Und wie ihn Mühsal quälte.
So saß er und erzählte
Die Märe ganz von Anfang her.
Da weinte Marke, da weint auch er,
Da weinten die Herren allgemein:
Der Jüngling nur, Tristan allein,
Vermochte nicht zu beklagen,
Was er da hörte sagen:
Ihn fiel die Kunde zu jählings an.
Was aber Rual, der gute Mann,
Von der Liebenden Ungemach
Und Noth und Tod dem Gesinde sprach,
Von Riwalin und von Blancheflur,
Das ließ bei ihnen keine Spur,
[48]
Die Märe war wie Spreue
Gegen die große Treue,
Die ihrem Waisen angedieh,
Ihr habt ja wohl gehöret wie,
Nach ihrem Tod, dem Kinde:
Das war dem Hofgesinde
Die größte Treue, die ein Mann
Zu seiner Herrschaft je gewann.
Nun diese Rede so geschah,
Sprach Marke zu dem Gaste da:
»Nun, Herre, ist diese Rede wahr?« –
Rual, der gute, bot ihm dar
Ein Fingerlein an seine Hand:
»Nun, Herre,« sprach er, »dieses Pfand
Soll Zeugniß leisten für meinen Mund.« –
Der gute Marke, der Wahrheit kund,
Der nahm das Ringlein und sah es an:
Den Jammer, den er eh gewann,
Umfing sein Herze fester.
»Ach,« sprach er, »süße Schwester,
Dies Fingerlein, das gab ich dir,
Und mein Vater, der gab es mir,
Da er im Todesbette lag.
Diese Märe ich wohl glauben mag.
Tristan, komm her und küsse mich:
Bleiben wir leben, du und ich,
Will ich dein Erbevater sein.
Schön Blancheflur, der Mutter dein,
Und deinem Vater Kanelen
Sei Gott ein Hort der Seelen
Und möge ihnen geben
Das ewigliche Leben.
Nun es also gekommen ist,
Daß du mir doch geworden bist
Von der viel lieben Schhwester mein,
Gewährt es Gott, so will ich dein
Pflegen und immer bleiben froh.«
Zum Gaste aber sprach er so:
»Nun, lieber Freund, nun saget mir,
Wer seid Ihr oder wie heißet Ihr?« –
»Rual, Herre.« – »Rual?« – »Rual.« –
Da entsann er sich mit Einem Mal,
Da er auch in seinen Tagen
Von ihm gehöret sagen,
Wie weise und wie voll Ehre
Und wie getreu er wäre,
Und sprach: »Rual li Foitenant?« –
»Ja, Herre, also bin ich genannt.« –
Da trat ihn der gute König an,
Umfing und küßte den treuen Mann
Und ehrte ihn herrlich nach Gebühr.
Auch trat die Ritterschaft herfür,
Und einer nach dem andern kam
Und küßte ihn gar wonnesam
Und begannen ihn mit süßen
Worten höfisch zu grüßen:
»Willkommen, Rual, der werthe Held,
Ein Spiegel für die ganze Welt!«
Rual war da willkommen.
Ihn hatte Marke genommen
An seine Hand und führte ihn hin;
Hold und freundlich er setzte ihn
An seine Seite nieder;
Da begannen sie wieder
Mit ihren Aventüren
Und sprachen nach Gebühren
Von Tristan und von Blancheflur,
Auch was Kanelen widerfuhr,
Was der Lobwerthe und Morgan
Einander hätten zu Leid gethan,
Und was das für ein Ende nahm.
Alsbald es an die Märe kam,
Daß Marke begann zu sagen,
Wie klug und wie verschlagen
Tristan zu ihnen wäre
Gekommen mit der Märe,
Sein Vater sei ein Handelsmann.
Rual, der sah Tristanden an:
»Freund,« sprach er, »ich habe lange
Gar fleißig und gar bange
Handel und Handelsreise
In armuthseliger Weise
Um deinetwillen fortgesetzt,
Bin doch gekommen auf die letzt
Zu einem guten Ende,
Darum ich meine Hände
Immer zu Gott erheben soll.« –
Tristan, der sprach: »Ich höre wohl,
Es wenden sich diese Mären so,
Daß ich spät ihrer werde froh.
Ich bin nach dem, was ich vernommen,
Zu wunderlichen Mären kommen:
[49]
Ich höre meinen Vater sagen,
Mein Vater, der sei lang erschlagen;
Hiemit begiebet er sich mein,
Und muß ich ohne Vater sein,
Ja ist's um zwei zumal gethan.
Ach Vater, und ach Vaterwahn,
Wie seid ihr also mir benommen!
Von dem ich wähnte, daß mir gekommen
Ein Vater sei, derselbe Mann
Nimmt mir zween Väter, die ich gewann,
Ihn selbst und den ich niemals sah.«
Der gute Marschall, der sprach da:
»Wie nun, Geselle, mein Tristan,
Laß diese Rede, da ist nichts dran.
Dir hat vielmehr mein Kommen
Gegeben, statt genommen:
Du bist werther und höher, denn je,
Und hast zween Väter doch, wie eh,
Hast meinen Herren hier und mich:
Er ist dein Vater, das bin auch ich.
Folge du meiner Lehre
Und sei an Adel und Ehre
Stets allen Königen gesellt.
Laß alle Rede dahingestellt.
Deinen Oheim bitte, meinen Herrn,
Daß er dir heim verhelfe gern
Und hier dich zum Ritter mache,
Denn du magst deine Sache
Woll selbst verrichten in solchem Stand.
Ihr Herren, sprechet und seid zur Hand,
Daß es mein Herre gerne thu.«
Da sprachen die Herren alle zu:
»Herre, die Sache hat guten Fug,
Denn Tristan, der hat Kraft genug,
Und ist ein wohl erwachsner Mann.« –
Marke sprach: »Neffe mein, Tristan,
Sag an, wie steht dein Muth dazu?
Ist es dir lieb, wenn ich es thu?« –
»Traut Herre, ich sag Euch meinen Muth:
Wär mir beschert so reiches Gut,
Daß ich wohl nach dem Willen mein
Und also Ritter könnte sein,
Daß ich des Ritternamens mich
Nicht schämte, noch er meiner sich,
Noch ritterliche Würde
An mir zunichte würde,
So wollte ich gerne Ritter sein
Und wollte die müßige Jugend mein
Wohl gerne üben und kehren
Zu ritterlichen Ehren.
Denn, wie man sagt, die Ritterschaft
Muß mit der ersten Jugendkraft
Versuchen ihre Schwingen,
Sonst wird sie's nicht weit bringen.
Daß ich auf Würdigkeit und Tugend
Diese meine unversuchte Jugend
So wenig habe, so schlecht geübt,
Ist mißgethan und sehr betrübt,
Und muß ich's an mir selber hassen.
Auch hab ich mir lange sagen lassen,
Wohlleben und ritterlicher Preis,
Die stimmen weder laut noch leis
Und führen zusammen ein übles Wesen.
Auch hab ich selber wohl gelesen,
Daß Ehre will des Leibes Noth.
Gemächlichkeit ist der Ehre Tod,
Wenn man zu lange und allzuviel
In der Kindheit ihrer pflegen will.
Und wisset, Herre, wohl fürwahr:
Hätte ich nur vor einem Jahr,
Oder auch eh, gewußt so gut,
Was ich nun weiß, ich hätte den Muth
Nicht gespart bis zu dieser Frist.
Nun es aber versäumet ist,
So ziemt's, es noch hereinzubringen:
Steht mir doch alles aufs Gelingen
Am Leib und an dem Muthe.
Gott helfe mir nur zum Gute,
Daß ich nach meinem Muthe thu.«
Marke sprach: »Neffe, sieh selber zu,
Frag nur, wornach du frügest,
Wenn du die Krone trügest
Und wärest Herr in diesem Land.
Nun ist dein Vater Rual zur Hand;
Der pflegt mit ganzer Treue dein:
Er soll dein Rath und Helfer sein,
Daß dein Ding also für sich geh,
Daß es nach deinem Willen steh.
Tristan, traut lieber Neffe,
Nicht Armuth dich betreffe:
Denn sieh Parmenien, das ist dein
Und soll dein eigen immer sein,
[50]
So lang ich und der Marschall leben.
Dazu will ich dir Steuer geben:
Was ich nur habe, Leut und Land,
Traut Neffe, das ist in deiner Hand.
Willst du zu fürstlichen Ehren
Herz und Gemüthe kehren,
Und ist dein Wille so gethan,
Wie du da redest, dann, Tristan,
Dann spare nicht das Meine drum:
Kornwall sei dein Grundeigenthum,
Meine Krone deine Zinserin.
Strebst du nach Ehre und Weltgewinn,
So sorge du nur für reichen Muth,
Ich gebe dir schon reiches Gut.
Sieh, du hast kaiserliche Habe:
Drum brich dir selbst nichts ab, mein Knabe.
Bist du dir selber also hold,
Und hast du Muth, als wie du sollt
Und mir zu hören hast gegeben,
So werd ich's bald an dir erleben.
Sieh, finde ich Herrenmuth an dir,
So findest du immerdar bei mir
Für deinen Willen vollen Schrein:
Tintayol soll immer sein
Deine Schatzkammer und dein Trisor.
Sprengst du mir immer gebührlich vor
Mit reichem Herrenmuthe,
So folg ich dir mit dem Gute,
Oder soll alles verloren sein,
Was ich zu Kornwall nenne mein!«
Hier gab's ein stattlich Neigen:
Sie neigten sich im Reigen,
Die bei dem König standen;
Sie boten ihm zu Handen
Ehre und Lob mit Schalle:
»König Marke,« sprachen sie Alle,
»Du sprichst, als wie der Höfische soll;
Die Rede steht der Krone wohl.
Deine Zunge, dein Herz und deine Hand
Mögen immer gebieten in diesem Land!
Sei immer König in Kornewall!« –
Rual, der getreue Mareschall,
Und sein Junkherr und Sohn Tristan,
Die griffen ihr Geschäfte an
Und verwandten das Gut und Geld,
Das ihnen Marke zugestellt,
Wie ihnen war das Maß gegeben.
Nun streite ich um ihr Beider Leben,
Wie sich der Vater und Sohn vertrug:
Ich höre schon, wie Jemand frug
(Weil selten Alter und Jugend
Gleich stimmen in einer Tugend,
Weil Jugend das Gut verachtet,
Das Alter nach ihm trachtet):
Wie sich aber die Beiden
Je konnten so bescheiden,
Daß Jeglicher mit Ehren
Bestand auf seinem Begehren
Und nicht sein Recht verspielte,
So daß das Maß erzielte
Der Marschall an dem Gute,
Und Tristan that dem Muthe
Mit vollem Gut Genüge?
Das prüfe ich sonder Lüge:
Sehet, der Marschall und Tristan,
Die waren einander zugethan
Mit also ebenwilligem Muth,
Daß Keiner übel rieth, noch gut,
Noch anders konnte und wollte,
Als dem Andern recht sein sollte.
Rual, der Ehren Krone,
Vertrauete dem Sohne
Und sah an ihm die Jugend an:
Gleich also fügte sich Tristan
Der Ehr und Tugend in Rual.
Dies trug sie Beide zu Einem Mal
Und Einem Ziele der Begehr,
Daß Der begehrte so wie Der,
So daß das viel tugendreiche Paar
Ein Mann an Muth und Willen war.
Hievon ward Alter und Jugend
Einhellig in Einer Tugend,
Fiel hoher Muth zu weisem Sinn;
Damit behielten die Beiden inn,
Tristan sein Recht am Muthe,
Rual das Maß am Gute,
Daß ihrer Keiner, Mann noch Knab,
Von seinem Rechte nichts vergab.

Tristans Schwertleite

[51] Tristans Schwertleite.

So griffen der Marschall und Tristan
Ihr Wesen wohlbedächtig an
Nach dem, wie ihre Sache stand.
Sie erwarben Harnisch und Gewand
Innerhalb dreißig Tagen,
Dreißig Rittern zu tragen,
Die sich der höfische Tristan
Zu Gesellen wollte nehmen an.
Wer mich nun fragt nach deren Kleid
Und seiner Kunst und Zierlichkeit,
Wie das zuwege ward gebracht,
Da bin ich dessen kurz bedacht
Und sag ihm's nach der Märe;
So es aber anders wäre,
Mag er meine Rede schlagen
Und mag er's besser sagen.
Es war bereitet ihr Gewand
Aus reichen Stoffen viererhand,
Und waren die Viere insgesamt
Jegliches reich in seinem Amt.
Das Eine, das war hoher Muth,
Das Andre, das war volles Gut,
Klugheit das Dritte, wie ich las,
Die schnitt die Beiden zu mit Maß;
Höfischer Sinn das Vierte war,
Der bot den Faden für alle dar.
So thaten die Vier zu Preise.
Ihr Werk in ihrer Weise:
Der hohe Muth begehrte,
Das volle Gut gewährte,
Klugheit gab an, schnitt zu, verband,
Der Sinn vollbrachte das Gewand,
Den Zeug und Schmuck der Recken,
Speerfähnlein, Pferdedecken
Und anderes Turniergeräth,
Worin die Ritterschaft besteht,
Und was das Roß und was den Mann
Als ritterlich erproben kann:
Alles war reich und königlich,
Also daß auch kein König sich
Des Zeuges durfte schämen,
Das Schwert darin zu nehmen.
Nun die Gesellen sind bereit
Mit wohlgemeßner Kostbarkeit,
Wie fahe ich meine Rede an,
Daß ich den werthen Held Tristan,
Meinen Hauptmann, zur Schwertleite
So rüste und bereite,
Daß es der Märe bekäme
Und man es gern vernähme?
Ich weiß nicht, wie ich's sage,
Ob es euch wohl behage,
Und ob es schön zur Märe steh:
In meinen Tagen und auch eh
Hat man die Worte so wohl gestellt
Von aller Herrlichkeit der Welt,
Von reichem Geräthe, großer Zier,
Hätt ich der Sinne zwölfe hier,
Davon ich habe nur einen,
Und könnte sie vereinen,
Und trüge ich zur Stunde
Zwölf Zungen in diesem Munde
Und könnte mit einer jeden
Also sprechen und reden,
Als ich's mit meiner Einen kann,
Ich wüßte es nicht zu fangen an,
Wie ich so Gutes sänge
Von Pracht und von Gepränge,
Das nicht wär baß gethan vorher.
Ja, ritterlich Gewand und Wehr
Ist also viel beschrieben,
Mit Reden so zertrieben,
Daß ich davon nichts reden kann,
Da sich ein Herz erfreue dran.
Herr Hartmann von der Auen,
Ah, der kann Mären bauen
Und kann sie außen und innen
Mit Worten und mit Sinnen
Durchfärben und durchschmücken!
Wie seine Reden zücken
[52]
Recht auf der Aventüre Sinn!
Wie fließen rein und lauter hin
Seine krystallene Wörtelein!
Sie sind's und mögen es immer sein!
Sie treten sittig zu dem Mann
Und schmiegen sich dem Herzen an
Und heimeln Einem reinen Muth.
Wer gute Rede kann für gut
Verstehn und recht erfassen,
Muß Dem von Aue lassen
Sein Reis und seinen Lorbeerkranz.
Auf der Worthaide wer den Tanz
Will machen mit dem Hasen,
Hoch springen und weit grasen,
Mit Worten würfeln, wie's Gott beschert,
Und, unsrer Stimmen unbegehrt,
Wahnhoffnung zu dem Kranze fassen,
Der möge uns nur den Wahn belassen,
Wir wollen auch bei der Wahl nicht fehlen.
Wir, die die Blumen helfen wählen,
Mit denen dieses Ehrenreis
Durchflochten ist in Blumenweis,
Wir wollen wissen, was er begehr!
Wer es auch sei, er trete her
Und stecke seine Blumen dar:
So nehmen wir an den Blumen wahr,
Ob sie so schön am Kränzlein sehn,
Daß wir's ihm müssen zugestehn
Und Dem von Aue herunterziehn.
Nun aber Keiner noch erschien,
Dem's besser stünde, zu dieser Frist,
Helf Gott, so lassen wir's, wo es ist.
Das Reis, das darf uns Keiner haschen,
Seine Rede sei denn wohl gewaschen
Und eben jedes Wort und schlicht,
Daß Keiner den Hals darüber bricht,
Der schön und aufrecht auf dem Plan
Mit ebenen Sinnen kommt heran.
Die aber in Mären wildern
Und wilde Mären bildern,
Mit Riegel und Ketten klirren,
Kurze Sinne verwirren
Und Gold von schlechten Sachen
Den Kindern können machen,
Die Büchsen schwingen und rütteln,
Statt Perlen Staub draus schütteln,
Die sind's! Vom Strunke kommt ihr Schatte,
Und nicht vom grünen Lindenblatte;
Die schirmen uns nicht mit Laub und Aesten.
Ihr dürrer Schatte thut den Gästen
Viel selten in den Augen wohl.
Wenn man die Wahrheit sagen soll,
Daran erwarmet keine Brust,
Darin liegt keine Herzeluft,
Ihre Rede hat die Farbe nicht,
Die edlen Herzen dünket licht.
Dieselben wilden Jäger,
Sie müssen Wortausleger
Mit ihren Mären lassen gehn:
Wir können sie nicht so verstehn
Mit Augen und mit Ohren;
Auch ist die Zeit verloren,
Daß man im schwarzen Buche
Nach Noten und Glossen suche.
Noch sind der Farbenmeister mehr:
Bliker von Steinach tritt einher
Mit Worten, lust- und wundersamen.
Die stickten Frauen an dem Rahmen
Von Gold und auch von Seiden;
Man konnte sie überkleiden
Mit griechischen Borten.
Er hat den Preis von Worten:
Sein Sinn, der ist so rein und klar,
Ich wähne, daß ihn wunderbar
Feien haben gesponnen
Und ihn in ihrem Bronnen
Geläutert und geweihet:
Er ist fürwahr gefeiet.
Seine Zunge mit den Harfensaiten,
Die hat zwo ganze Vollkommenheiten:
Das sind die Worte und der Sinn;
Die Zwei, die harfen zusammen hin
Und folgen ihrer Märe Gang
Zu seltnem Preise mit Einem Klang.
Der Rede Meister, sehet dort,
Mit sinnreich ausgedachtem Wort,
Wie er am Umhang Wunder bringt,
Wie ihm der Messerwurf gelingt
Mit wohlgefügten Reimen!
Wie kann er Reime leimen,
Als wären's einander gewachsen an!
[53]
Fürwahr, es ist und bleibt mein Wahn,
Er müsse Buch und Schriftbuchstaben
Für Federn angebunden haben,
Denn, wollt ihr seiner nehmen wahr,
Seine Worte, die schweben gleich dem Aar.
Wer nun? Es sind doch viel gewesen,
An Rede reich, von Sinn erlesen.
Wen soll ich auferwecken?
Heinrich von Veldecken,
Der sprach aus ganzem Sinne!
Wie sang er wohl von Minne!
Wie schön er meiselte seinen Sinn!
Ich wähne, daß er die Weisheit hin
Vom Born des gefiederten Rosses nahm,
Von dem die Weisheit alle kam.
Ich hab ihn selber nicht geschaut:
Es geben aber die Besten laut,
Die noch zu seinen Jahren
Und seither Meister waren,
Ein Zeugniß ihm und einen Preis:
Er impfete das erste Reis
In unsrer deutschen Zungen;
Davon sind Aeste entsprungen,
Von denen die Blumen kamen,
Daraus die Meister nahmen
Den Sinn zu schönem Funde;
Und ist dieselbe Kunde
So mannigfach verbreitet,
Von Gau zu Gau geleitet,
Daß Alle, die nun sprechen,
Die höchsten Kränze brechen
Von Blumen und von Reisen
An Worten und an Weisen.
Der Nachtigallen, der sind viel,
Von denen ich nun nicht reden will:
Sie gehören nicht zu dieser Schaar.
Damit geb ich nichts andres dar,
Als was ich immer sagen muß:
Sie können alle ihren Gruß
Und singen wohl zu Preise
Ihre süße Sommerweise.
Ihr Ton ist lauter und ist gut,
Sie geben der Welt einen hohen Muth
Und thun so recht dem Herzen wohl.
Die Welt, die würde stumpf und hohl
Und käme außer allen Schwang
Ohne den lieben Vogelsang;
Der mahnet und mahnet einen Mann,
Der je zu Freuden Muth gewann,
An alles Gute und Liebe
Und spielt mit manchem Triebe,
Der edlen Herzen sanfte thut.
Das wecket freundlich holden Muth;
Hievon kommt inniglicher Drang,
Wenn spricht der süße Vogelsang,
Der Welt von ihren Freuden allen.
Nun saget von den Nachtigallen:
Die sind zu ihrem Amt bereit
Und können alle ihr sehnend Leid
So wohl besingen und besagen:
Welche soll denn das Banner tragen,
Seit die von Hagenaue,
Der ganzen Schaar Leitfraue,
Die aller Töne höchsten Fug
Versiegelt auf der Zungen trug,
Der Welt also verstummet ist?
An die gedenk ich zu jeder Frist.
Ich wähne von ihren Tönen,
Den süßen und den schönen,
Daß wohl des Orpheus süßer Mund,
Dem alle Töne waren kund
(Davon er ihr bescherte
Und sie das Wunder lehrte
So mancher Wandelungen),
Aus ihrem Mund erklungen.
Seit man nun diese nicht mehr hat,
So gebt uns aber einen Rath,
Ein frommer Mann, der leg ihn dar:
Wer leitet nun die liebe Schaar?
Wer weiset dies Gesinde?
Ich wähne, daß ich sie finde,
Die nun das Banner führen soll:
Ihre Meisterin, die kann es wohl,
Die von der Vogelweide.
Hei, was die über die Haide
Mit hoher Stimme klinget!
Was Wunder sie uns bringet!
Wie fein sie organiret,
Ihr Singen moduliret!
Ich meine aber in dem Ton,
[54]
Der klinget von jenem Berg und Thron,
Da, wo die Göttin Minne
Gebietet drauf und drinne.
Die ist bei Hofe Kämmererin:
Die soll sie leiten fürohin;
Die weiset sie nach Wunsche wohl,
Die weiß wohl, wo sie suchen soll
Der Minnen Melodieen.
Sie und die mit ihr ziehen,
Die mögen also singen,
Daß sie zu Freuden bringen
Ihr Trauern und ihr sehnendes Klagen:
Und das gescheh noch in meinen Tagen!
Nun hab ich aber Worte gnug
Von guter Leute Schick und Fug
Gefügen Leuten hergereiht;
Und noch ist Tristan unbereit,
Und weiß ich zur Schwertleite
Nicht wie ich ihn bereite:
Der Sinn will nimmermehr dazu,
Und die Zunge weiß nicht, was sie thu
Allein und ohne des Sinnes Rath,
Von dem sie ihr Amt zu Lehen hat.
Was aber wirre den Beiden,
Deß will ich euch bescheiden
Die Zwei hat das geirret,
Was tausend Andern wirret:
Dem Mann, der nicht wohl reden kann,
Kommt dem ein redereicher Mann,
So erlischet ihm zur Stunde,
Auch was er kann, im Munde.
Ich wähne, das sei mir geschehen:
Ich seh und hab allhier gesehen
So manchen wohlberedten Mann,
Daß ich nicht also reden kann
(Es wäre dawider nur ein Wind),
Wie dieser Leute Reden sind.
Man redet jetzt so recht und wohl,
Daß ich mit großem Rechte soll
Meiner Worte pflegen und nehmen wahr,
Ob sie so lauter sind und klar,
Wie ich wollte, daß sie wären
In fremder Leute Mären,
Und wie ich an einem andern Mann
Die Rede erkennen und prüfen kann.
Ich weiß nicht, wie ich's beginne:
Meine Zunge und meine Sinne
Wollen nicht zu Hilfe kommen;
Mir hat die Furcht genommen,
Selbst was mir sonst gelungen,
Recht mitten von der Zungen.
Hier weiß ich nimmer, was zu thun,
Ich thäte denn das Eine nun,
Was mir fürwahr noch nie geschehn:
Mein Gebet und mein ganzes Flehn,
Die will ich erstmals senden
Mit Herzen und mit Händen
Hin zu dem Helikone,
Zu dem neunfaltigen Throne,
Von dem die Brunnen schießen,
Daraus die Gaben fließen
Der Worte und der Sinnen.
Der Wirth und die Wirthinnen,
Apoll und die Kamenen,
Der Ohren neun Sirenen,
Die da zu Hofe der Gaben pflegen,
Ihre Gnade ertheilen und verwägen,
Wem sie sie zugesonnen;
Die haben der Sinne Bronnen
Manchem ertheilt so reich und voll,
Sie mögen mir einen Tropfen wohl
Mit Ehren nicht versagen.
Und mag ich den erjagen,
So behaupte ich meinen Platz so wohl,
Als ihn ein Meister behaupten soll.
Derselbe Tropfen, der Eine,
Der ist auch nicht so kleine,
Daß er mir nicht berichte,
Zurechterichtend schlichte
Beide die Zunge und auch den Sinn,
Daran ich so zerrichtet bin;
Da werd ich meine Worte sehn
Durch den viel lichten Tiegel gehn
Der kamenischen Sinne,
Und muß er mir sie drinne
Schmelzen zu seltnem Preise,
Bereiten in Wunderweise,
Gleich Golde der Araben.
Dieselben Gottesgaben
Des wahren Helikones,
Kräfte des obersten Thrones,
[55]
Von dem die Worte entspringen,
Die durch die Ohren klingen
Und in das Herze lachen,
Die Rede leuchtend machen,
Gleich seltnen Edelsteinen:
Geruhen sie, die Reinen,
Mein Flehen zu erhören
In ihren Himmelschören,
Und lassen mich den Wunsch empfahn.
Nun sei dies alles auch gethan,
Und sei dies alles auch gewährt,
Was ich von Worten nur begehrt,
Und soll ich haben vollen Hort,
Daß ich jedwedem Ohr mein Wort
Versüße und jeglich Herz beschatte
Mit dem saftgrünen Lindenblatte,
Und geh allstets der Rede mit,
So daß ich ihr bei jedem Tritt
Die Straße räume und fege
Und lasse an ihrem Wege
Auch nicht das ringste Stäubelein,
Daß es nicht müßte vertrieben sein,
Und daß sie nur auf grünem Klee
Und nur auf lichten Blumen geh:
So wende ich dennoch meinen Sinn
(Seht, wie ich ungesinnet bin!)
Kaum oder nimmermehr daran,
Daran sich schon so mancher Mann
Versuchet und erprobet hat.
Fürwahr, ich bin der Märe satt,
Und nähme ich alle meine Kraft
Zur Ausrüstung der Ritterschaft,
Wie, Gott weiß, Mancher hat gethan,
Und ließe euch wissen, wie Vulkan,
Der weise, hochberühmte,
Mit jeglicher Kunst geblümte,
Tristanden unerhört und fremd
Schwert und Hosen und Panzerhemd,
Und was gehört zum Ritterstand,
Bereitete mit seiner Hand
Nach meisterlicher Sitte,
Wie er ihm entwarf und schnitte,
Der stets zur Kühnheit war gewillt,
Den Eber auf dem Heldenschild,
Wie er ihm den Helm erdachte
Und oben darauf machte,
Zu malen der Minne Qualen,
Die Bolzen von Feuerstrahlen,
Wie er ihm Stück für Stück erfand
Und auch mit seiner Meisterhand
Vollbrachte, schön, wie er's ersann,
Und wie Fraue Kassandra dann,
Die wunderweise Trojerin,
All ihre Kunst und ihren Sinn
Hätte aufs andre Werk gewandt,
Daß sie Tristanden sein Gewand
Bereite und vollende,
Ein Meisterwerk der Hände,
So gut sie es nur inne
Hatte in ihrem Sinne,
Der von den Göttern im Himmel gar,
So wie ich las, gefeiet war: –
Was hätte das viel andre Kraft,
Als was ich schon zuvor geschafft,
Da ich Tristans Geleite
Rüstete zur Schwertleite?
Ich will, mag's euch behagen,
Euch meine Meinung sagen.
Seht an, hier stehen Muth und Gut:
Wer zu den zwei Geräthen thut
Klugheit und höfschen Sinn hinzu,
So wirken die Vier in guter Ruh
So viel als Einer auf dem Plan.
Ja, auch Kassandra und Vulkan
Machten zu größrem Preis, denn Die,
Rittergewand und Rüstung nie.
Nun die vier reichen Kräfte
So tüchtig sind zum Geschäfte
Und können kleiden und zieren,
So befehlen wir den Vieren
Unsern Freund Tristanden:
Die nehmen ihn zu Handen,
Bereiten uns den werthen Mann,
Wenn's doch nicht anders gehen kann,
Mit dem Gezeug und nach dem Schnitt,
Da seine Schwertgesellen mit
So reichlich sind bereitet.
So sei Tristan geleitet
Zu Hof und in den Kampfesring.
Er ist in seinem ganzen Ding
[56]
Seinen Gesellen ebengleich,
Ebenzierlich und ebenreich,
Ich meine aber im Gewand,
Das da kommen ist von Menschenhand,
Nicht in dem angeborenen,
Vom Herzen auserkorenen,
Das sie da heißen edlen Muth,
Das den Mann herrlich macht und gut
Und edelt ihm so Leib als Leben:
Dies Kleid ward anders ihm gegeben
Und anders seiner Ritterschaar.
Ja, der tugendreiche, fürwahr,
Der ehrbegehrende Tristan
Hatte besondre Kleider an,
Die von Ansehn und Gebaren
Reich aus der Maßen waren.
Er übertraf an schönen Sitten
Und Tugenden Alle, die mit ihm ritten.
Aber an den Geräthen,
Die Mannes Hände nähten,
Da war kein weitrer Unterscheid:
Der werthe Hauptmann trug sein Kleid
So, wie jedweder Unterthan.
Der hochgemuthe Vogt Tristan,
Dem nun Parmenien eigen war,
Mit seiner ganzen Ritterschaar
War er zum Münster kommen,
Hatten die Messe vernommen
Und auch empfangen den Segen,
Wie sich's ziemte allerwegen:
Da nahm Marke Tristanden,
Seinen Neffen, zu Handen
Und schnallte ihm an so Sporn als Schwert.
»Sieh,« sprach er, »Tristan, Neffe werth,
Nun dir das Schwert gesegnet ist
Und nun du Ritter worden bist,
So erwäge den Ritterpreis zumeist
Und auch dich selber, wer du seist,
Deine Geburt und Edelkeit
Habe vor Augen allezeit.
Sei demüthig und ohne Trug,
Sei wahrhaft, halte Zucht und Fug,
Sei immer gegen Arme gut
Und gegen Reiche hochgemuth,
Ziere und werthe deinen Leib,
Ehre und minne jedes Weib,
Der Welt sei mild und sei getreu,
Deine Milde und Treue sei immer neu;
Denn meine Ehre verpfänd ich dir:
Nicht Gold, noch Zobel bringt die Zier
Dem Speere und dem Schilde,
Die Treue bringt und Milde.«
Er bot ihm den Schild und küßte ihn:
»Neffe,« sprach er, »nun fahre hin,
Und möge dir Gott nach seiner Kraft
Heil geben zu deiner Ritterschaft.
Sei immer höfisch, sei immer froh.« –
Nun waffnete Tristan gleich also
Seine Gesellen, Mann für Mann,
Wie ihm der König, sein Ohm, gethan,
Mit Schwert und Sporn und Schilde:
Demuth, Treue und Milde
Legte er eines Jeden Kür
Mit wohlgestellter Lehre für.
Nun harrten sie auch nicht länger mehr,
Buhurdirten und ritten sehr,
Deß ist mein Zweifel gar nicht groß;
Wie sie da aber brachen los,
Wie sie mit Speeren stachen,
Wie viel sie Schäfte zerbrachen,
Das mögen die Knappen sagen,
Die es halfen zusammentragen.
Ich brauche ihr Turneien
Nicht alles auszuschreien.
Doch bin ich zu einem Dienst bereit
Und wünsche ihnen jederzeit,
Daß sich ihr Aller Ehre
In allen Dingen mehre,
Und ihnen ritterliches Leben
Zur Ritterschaft Gott möge geben.

Heimfahrt und Rache

[57] Heimfahrt und Rache.

Trug je ein Lebender stetes Leid
Bei stetiger Glückseligkeit,
So trug Tristan je stetes Leid
Bei stetiger Glückseligkeit,
Wie ich es euch bescheiden will:
Ihm war ein volles Endeziel
Gegeben zweier Stücke,
Vollmaß von Leid und Glücke;
Denn alles, was er je begann,
Gelang ihm, wie noch keinem Mann,
Und war doch immer Leid dabei;
Wie ungleich eins dem andern sei,
Doch waren die Gegenstücke:
Beständigs Leid und Glücke,
Gesellet an dem Einen Mann.
So Gott euch helfe, nun saget an,
Tristan hat nun das Schwert genommen
Und ist zu reichem Glücke kommen
Und ritterlicher Würdigkeit:
Laßt hören, welchgestaltes Leid
Hat er bei solchem Glücke? –
Weiß Gott, in einem Stücke,
Das Herzen stets mit Leid umfing
Und auch dem seinen nahe ging:
Daß ihm der Vater ward erschlagen,
Wie er Rualen hörte sagen,
Das quälte ihn in seinem Muth;
Also war Uebel da bei Gut,
Schaden bei Glück, bei Freude Leid:
So ist's im Herzen allezeit.
Ich weiß, es nehmen Alle an,
Den Haß, den nehme ein junger Mann
Mit ernstlicherem Herzen an,
Denn je ein lebensreifer Mann.
Ob aller seiner Herrlichkeit
Schwebte Tristanden so das Leid
Und das verborgene Ungemach,
Wovon er keinem Menschen sprach:
Ihm brachte Riwalinens Tod
Und Morgans Leben diese Noth;
Dies Leid lag ihm mit Sorgen an.
Der sorgenvolle Vogt Tristan
Und sein getreuer Mann und Rath,
Der noch von Treue den Namen hat,
Der tugendreiche Foitenant,
Bereiteten alsbald am Strand
Mit herrlichem Geräthe,
Darnach man nicht erst spähte,
Eine herrliche Barken:
So kamen sie für Marken.
Tristan sprach: »Lieber Herre mein,
Es möge mit Euren Hulden sein,
Daß ich heim nach Parmenien fahr
Und nehme nach Eurem Rathe wahr,
Wie es da habe seinen Stand
Um unsre Leute und unser Land,
Nachdem Ihr sprechet, es sei mein.«
Marke sprach: »Neffe, dies soll sein.
Wie ungern ich dich mag entbehren,
Doch will ich deine Bitte gewähren.
Fahr heim in dein parmenisch Reich,
Du und deine Gesellen gleich;
Willst du aber der Ritter mehr,
Die nimm nach Willen und Begehr.
Nimm Rosse, nimm Silber und nimm Gold,
Was du bedarfst und haben sollt
Und dir vor Augen stellest;
Und wen du dir gesellest,
Dem biete es so mit Gute
Und gutem Gesellenmuthe,
Daß er dein Diener gerne sei
Und dir mit Treuen wohne bei.
Viel lieber Neffe, leb und thu,
Als spräche dir dein Vater zu,
Rual, der Treue, der hier steht,
Der Treue und Ehre früh und spät
Dir hat erwiesen bis daher.
Wenn Gott erfüllet dein Begehr,
Daß du das alles richtest
Und deine Sachen schlichtest
Mit Frommen und mit Ehren,
[58]
So sollt du wieder kehren:
Da kehre wieder her zu mir.
Ein Ding gelob ich und leist es dir,
Nimm meine Treue in deine Hand,
Daß ich mit dir mein Gut und Land
Zu gleichen Stücken theile;
Geschähe dir zum Heile,
Daß du mich solltest überleben,
Sei dir's zu eigen ganz gegeben;
Denn deinetwillen soll mein Leib
Verbleiben ohne ein ehlich Weib,
Dieweil ich immer leben soll.
Neffe, du hast vernommen wohl
Meine Bitte und meinen Sinn.
Bist du mir hold, wie ich dir bin,
Trägst du mir Liebe, wie ich dir trage,
Weiß Gott, so sollen wir unsre Tage
Fröhlich zusammen hier verleben.
Hiermit sei dir Urlaub gegeben:
Marien Sohn, der hüte dein
Und laß dir wohl befohlen sein
Deine Verrichtung und deine Ehr.« –
Da blieben sie auch nicht länger mehr:
Tristan und sein Freund Rual
Schifften von Kornwall ab zumal,
Sie und ihre Genossenschaft,
Gen Parmenien mit ihrer Kraft.
Und hättet ihr nun gern vernommen,
Ob man den Herren bot Willkommen,
So sag ich euch, was ich vernommen,
Wie sie gewesen sind willkommen.
Ihr Führer und Gefährte,
Der treue, der bewährte
Rual trat vor und stieg ans Land,
Sein Hütlein legt er und sein Gewand
Mit höfischer Sitte nebenan,
Mit lachendem Munde zu Tristan
Lief er, küßt ihn, sprach: »Herre mein,
Gotte sollt Ihr willkommen sein,
Und Eurem Lande darnach und mir.
Nun schauet, Herre: sehet Ihr
Dies schöne Land bei diesem Meer?
Festen, Städte, Wall und Wehr
Und manch ein herrliches Castell:
Seht, das hat Euer Vater Kanel
Auf Euch vererbet und gebracht;
Und seid Ihr biderbe und bedacht,
So entgeht Euch nichts von dem Gebiet,
So weit hier Euer Auge sieht;
Dafür steh ich Euch immer gut.«
Mit reichem Herzen und frohem Muth
Nach dieser Rede wandte er sich,
Empfing am Ufer freudiglich
Die Fahrtgenossen, Mann für Mann,
Die er, wie Keiner mehr, begann
Mit feinen Worten, süßen,
Zu saluiren und grüßen.
Dann führte er sie gen Kanoel,
Und überall Stadt und Castel,
Die von Kanelens Jahren
In seiner Pflege waren
In allen diesen Landen,
Uebergab er Tristanden
Getreulich nach der Lehenspflicht,
Und auch die seinen minder nicht,
Die von den Ahnen allen
Ihm waren zugefallen.
Was braucht er da der Rede mehr?
Er hatte Rath und hatte Ehr:
Darum bot er dem Herren Rath
Als Der, der Rath und Ehre hat,
Und all den Seinen spät und früh.
Solchen Eifer und solche Müh,
Als er mit süßem Muthe
Ihnen Allen zu Gute
Auf alle Weise wandte an sie,
Sah eines Menschen Auge nie.
Wie nun? wie ist mir denn geschehen?
Ich hab mich selber übersehen!
Wo hab ich aber meinen Sinn?
Die tugendreiche Marschallin,
Die reine, die stete,
Meine Fraue Florete,
Daß ich sie so verschweigen kann,
Fürwahr, ist höfisch nicht gethan.
Ich will es aber der Süßen
Bessern und will es büßen.
Die höfische, die gute,
Die weiblich gemuthe,
[59]
Die wertheste, die beste,
Ich weiß, daß sie die Gäste
Nicht mit dem Mund allein empfing;
Denn wie das Wort vom Munde ging,
Ging ihm der gute Wille vor.
Ihr Herze, das fuhr recht empor,
Als ob's gefiedert wäre.
Sie waren nur Eine Märe,
Beide ihr Wille und ihr Wort;
Ich weiß wohl, daß sie über Bord
Einmüthig gesellet gingen,
Da sie die Gäste empfingen.
Florete, die selige Marschallin,
Wie sie sich freute mit Herz und Sinn
Auf ihren Herren und auf ihr Kind,
Das Kind, deß diese Mären sind,
Tristanden, ihren Sohn, mein ich,
In Treuen, deß belehren mich
Ihre Tugenden ohne Ziel,
Ihre Sitten groß und viel,
Die ich von der Gesegneten las;
Daß sie die hatte in reichem Maß,
Das bewährte sie also wohl,
Als ein Weib aufs allerbeste soll,
Denn sie schuf ihrem Kinde
Und seinem Ingesinde
Alle die Ehr und Gemächlichkeit,
Die je für Ritter war bereit.
Auch wähne ich Eines also wohl,
Als ich aufs allerbeste soll:
Daß dem höfischen Kurvenal
Sein Freund nach solcher Noth und Qual
Ein willkommener Tristan war,
Deß bin ich alles Zweifels baar.
Nach diesem wurden bald besandt
Zu Parmenien im ganzen Land
Die Herren und die Ritterschaft,
Die da hatten Gewalt und Kraft,
Beides in Stadt und in Castel;
Und als nun Die in Kanoel
Alle zusammenkamen
Und sahen und vernahmen
Den wahren Hergang und Bericht,
Wie uns die Märe von Tristan spricht
Und wie ihr selber habt vernommen,
Da flog ein tausendfach Willkommen
Aus eines Jeden Munde,
Leut und Land zur Stunde
Erwachten aus dem langen Leid
Und machten sich zur Freudigkeit
Mit Wundern, wundersamen:
Sie schwuren Huld und nahmen
Ihre Lehen, Leut und Land
Aus ihres Herrn Tristandes Hand
Und wurden ihm alle unterthan.
Inzwischen immer trug Tristan
Seinen heimlichen Schmerzen
Verborgen in dem Herzen,
Der von Morganen ihm gedieh,
Und dieser Schmerz verließ ihn nie,
Der quälte ihn so früh als spat.
Und also ging er da zu Rath
Mit Magen und mit Mannen
Und sprach, zu den Britannen
Stehe sein Verlangen,
Sein Lehen zu empfangen
Aus Morgans, seines Feindes, Hand,
Auf daß er seines Vaters Land
Mit beßrem Rechte hätte.
Das that er auch an der Stätte:
Er schiffete von dannen,
Er und seine Mannen,
Bereitet und gerüstet wohl,
So wie ein Mann mit Rechte soll,
Der auf eine gefährliche That
Ernstlich den Willen gerichtet hat.
Als Tristan nach Britannien kam,
Von ungefähr er da vernahm
Und hörte für Wahrheit sagen,
Der Herzog sei aufs Jagen
Und reite von Wald zu Walde.
Nun hieß er eilen balde;
Die Ritter machten sich bereit
Und legten unter ihrem Kleid
Den Halsberg an und all ihr Ding,
Also daß Keiner einen Ring
Ließ aus dem Gewande sehn.
Das war gethan, das war geschehn.
Ueberdies legte jeder Mann
[60]
Seinen weiten Reisrock an
Und saßen auf ihre Rosse.
Sie geboten dem Trosse,
Allfort zurückzureiten,
Harrend nach keiner Seiten.
Dann theilten sie ihre Ritterschaft
Und stelleten die größre Kraft
Im Rücken an die Wiederfahrt,
Damit der Troß sei wohl bewahrt,
Wo der auf seiner Straße fuhr.
Da dies geschah, so blieben nur,
Zu reiten mit Tristanden,
Dreißig Ritter bei Handen,
Und Jene an der Wiederkehr
Waren wohl sechzig oder mehr.
Viel bald geschah es, daß Tristan
Hunde und Jäger zu sehn begann.
Dieselben fragte er Märe,
Allwo der Herzog wäre.
Die thaten es ihm alsbald kund,
Und ritte er zur selben Stund
Des Endes, fand auch da viel schier
Auf einem grünen Waldrevier
Viel brittische Barone:
Da waren Pavelone
Und Hütten auf dem Gras geschlagen,
Darum und auch darein getragen
Laubes und lichter Blumen viel.
Ihre Hunde und ihr Federspiel
Hatten sie da zu Handen.
Die grüßten auch Tristanden
Und seine Rotte, die mit ihm ritte,
Höfisch nach aller Hofessitte,
Und sagten ihm auch alsofort,
Morgan ihr Herre reite dort
Gar nahe in dem Walde.
Da eilten sie zu ihm balde
Und fanden ihn mit Genossen
Auf Castilianerrossen,
Und waren viele brittische Herrn um ihn.
Nun sie also zu ihm trabten hin,
Empfing Morgan die Gäste,
Nicht wissend, zu welchem Feste,
Also gastlich und also wohl,
Wie man Gäste empfangen soll.
Sein Landgesinde dasselbe that:
Und Einer nach dem Andern trat
Mit seinem höfischen Gruß heran.
Nun dieses Grüßen war gethan
Und die Unmuße gar vorbei,
Zu dem Herzog sprach Tristan frei:
»Herre, ich bin gekommen her,
Mein Lehen zu nehmen, und begehr,
Daß Ihr mir's gebt zu tragen,
Und wollt mir das nicht versagen,
Was ich mit Rechte haben soll.
So thut Ihr höfisch und thut wohl.« –
Morgan sprach: »Herre, saget mir,
Von wannen oder wer seid Ihr?« –
»Von Parmenien ich bürtig bin,
Und hieß mein Vater Riwalin;
Herre, deß Erbe soll ich sein,
Und ist Tristan der Name mein,« –
So zu Morganen sprach Tristan.
Morgan sprach: »Herre, Ihr kommt mich an
Mit so unnützen Mären,
Daß sie viel besser wären
Verschwiegen, als hie fürgebracht.
Ich bin der Sache kurz bedacht:
Wollt Ihr bei mir nach etwas streben,
So wär Euch leichtlich Statt gegeben,
Und sollt Euch nichts verhindern dran,
Wäret Ihr nur ein solcher Mann,
Daß Ihr zu ganzen Ehren
Die Sache konntet kehren;
Wir wissen aber Alle wohl,
Und sind die Lande der Märe voll,
In welcher Weise Blancheflur
Mit Eurem Vater von Hause fuhr,
Zu welchen Ehren es ihr kam
Und welches Ende die Liebschaft nahm.« –
»Liebschaft? Herre, wie meint Ihr das?« –
»Ich rede Euch nun nicht fürbaß,
Denn wie ich sage, so steht es drum.« –
»Herre,« sprach Tristan wiederum:
»Diese Reden bescheiden mich;
Ihr meinet es wohl so, daß ich
Nicht ehlich sei geboren
Und habe damit verloren
Mein Lehen und mein Lehenrecht.« –
[61]
»In Treuen, Herre, guter Knecht,
Dafür halt ich's und mancher Mann.« –
»Ihr redet übel,« sprach Tristan:
»Ich wähnte doch, es wäre
Gethan nach Fug und Ehre,
Wer Einem etwas zu Leide that,
Daß er doch die Zunge hielte zu Rath
Und hätte Sinn und Sitte drin.
Hättet Ihr nun Sitte oder Sinn,
Nachdem durch Euch solch Leid mir ward,
Ihr hättet die Rede wohl gespart,
Die neue Schwere wecket
Und alte Schulden strecket.
Ihr schluget mir den Vater doch;
Damit bedünket aber noch
Meines Leides Euch nicht genug:
Ihr sagt, daß die Mutter, die mich trug,
Kebslich mit mir gegangen sei.
Stehe mir Gott der reiche bei!
Ich weiß, wie mancher Edelmann,
Den ich hie nicht benennen kann,
Seine Hände hat gefalten mir:
Hätten sie diese Missezier,
Von der Ihr redet, an mir erkannt,
So hätte keiner seine Hand
Zwischen die meinen nie gebracht.
Die nahmen die Wahrheit wohl in Acht,
Daß Riwalin der Vater mein
Meine Mutter bis ans Ende sein
Gehalten hat als ein ehlich Weib:
Ist's, daß ich das auf Euren Leib
Bewähren und beweisen soll,
In Treuen, das beweise ich wohl.« –
»Fort,« rief Morgan, »in Gottes Haß!
Euer Beweisen, was soll mir das?
Euer Schlag, der fällt auf keinen Mann,
Der je zu Hofe Recht gewann.« –
»Das wird sich zeigen,« sprach Tristan,
Zuckte das Schwert und rannte ihn an;
Er schlug ihm durch von obenher
Hirnschal und Hirn mit seiner Wehr,
Daß sie bis auf die Zunge drang.
Dann stach er ihm im andern Gang
Das Schwert ins Herze tief hinein.
Da zeigte wohl der Augenschein
Des Wortes Wahrheit, das da spricht,
Daß Schulden liegen und faulen nicht.
Die mit Morganen ritten,
Die unverzagten Britten,
Die konnten ihm da nicht frommen,
Noch ihm zu Hilfe kommen,
Eh daß er kam zu Falle.
Jedoch sie waren Alle,
So gut sie konnten, an ihrer Wehr;
Ihrer war bald ein großes Heer.
Die unversehenen Mannen
Fielen die Britannen
Männlich an und mit kühnem Muth.
Vorsicht, Bedachtsamkeit und Hut,
Der Dinge nahm selten Einer wahr,
Sie drangen Alle mit Haufen dar
Und warfen die Feinde mit Gewalt
Ins Feld hinaus wohl für den Wald.
Da hub sich großer Lärmen,
Starkes Weinen und Härmen.
Da flog umher des Herzogs Tod
Mit vieler Klage, mit mancher Noth,
Als ob er flügge wäre.
Er sagte böse Märe
Auf die Burgen und in das Land.
Im Lande ging von Hand zu Hand
Nichts als das Eine Klagewort:
»A, noster Sires, il est mort!
Wie wird des Landes Rath nunmehr?
Nun, ziere Helden, kehret her
Aus Städten und aus Festen,
Gelohnet diesen Gästen,
Was sie uns haben zu Leid gethan!«
Da griffen die Britten wacker an,
Und gab's ein stetes Streiten:
Sie fanden zu allen Zeiten
Auch bei den Gästen vollen Streit:
Die kehrten je von Zeit zu Zeit
Mit einer ganzen Rotte wieder
Und warfen ihnen Manchen nieder
Und wußten aber mit Fliehen
Den Streit dahin zu ziehen,
[62]
Allwo sie wußten ihre Kraft.
Da fanden sie ihre Ritterschaft
Und nahmen daselbst Herberge
Auf einem festen Berge
Und hielten sich dort über Nacht.
Die Nacht ward aber des Landes Macht
So stark und also feste,
Daß sie die leiden Gäste,
Sobald es kam zu tagen,
Begannen stark zu jagen
Und Manchen niederstachen,
Den Haufen oft durchbrachen
Mit Schwertern und mit Spießen,
Die sie bald im Stiche ließen.
Ja waren ihnen Schwert und Speer
Fürwahr gewaltig kurze Wehr,
Deren gar viel zersprangen,
So sie in die Rotte drangen.
Auch war das kleine Tristansheer
So frech an seiner Gegenwehr,
Daß, brach man in den Haufen da,
Großer Schade dem Feind geschah.
Die Schaaren wurden beiderseit
Zur einen und zur andern Zeit
Mit Schaden groß und viel beladen:
Sie nahmen Schaden und thaten Schaden
Und schädigten gar manchen Mann
Und hielten so lange zusammen an,
Bis aber zuletzt das innre Heer
Zu wanken begann in seiner Wehr;
Denn ihm ging ab und Jenen zu:
Die mehrten sich in guter Ruh,
Nahmen an Vortheil zu und Macht,
So daß sie doch noch vor der Nacht
Belagerten die Gäste
In einer Wasserfeste,
Draus sich die Gäste wehrten
Und sich die Nacht da nährten.
So war das Haus belagert schwer
Und rings umschlossen von dem Heer,
Als ob's umzäunet wäre.
Die Fremden in der Schwere,
Tristan und seine Mannen,
Was ist's, das sie begannen?
So hört, wie sich zutrug ihr Ding,
Wie ihre Noth zu Ende ging,
Wie sie von dannen kamen,
Sieg an den Feinden nahmen.
Tristan, als der von Hause schied,
Wie ihm sein Rath und Vater rieth,
Um zu empfahen sein Lehen
Und alsbald wieder zu gehen,
Der lag auch seit zu jeder Stund
Dem edlen Rual im Herzensgrund
Mit einem Wahn, es möchte gehn,
Recht wie Tristanden auch geschehn.
Doch hatte er nicht gerathen
Zu solchen blutigen Thaten.
Hundert Ritter nahm er an
Und kehrte nach seinem Herrn Tristan,
Gerade aus in seiner Spur.
Gar kurze Zeit er also fuhr,
Bis daß er gen Britannien kam
Und dorten alsobald vernahm,
Wie es ergangen wäre,
Und nach des Landes Märe
Führte er seine Reise hinaus
Zu dem belagerten Wasserhaus.
Nun sie begannen zu nahen,
Daß sie die Feinde sahen,
Da kam von ihrer Rotte
Keiner zu seinem Spotte
Weder nach noch seitab gezogen:
Sie kamen allesammt geflogen
Mit wehenden Panieren,
Da gab's ein Schlachtcroijiren
Von ihrer Massenie:
»Schevelier, Parmenie!
Parmenie, Schevelier!«
Da sauste jegliches Panier
Mit Schaden und mit Ungemach
Durch der Zelte Wand und Dach.
Da warfen sie zur Stunden
Die Britten mit Todeswunden
Durch ihre Zelte hin und her.
Nun daß begann das innre Heer
Ihr Banner zu erkennen
Und hörten ihr Zeichen nennen,
Begannen sie Raum zu machen,
Und wie sie ins Feld vorbrachen,
[63]
Hob Tristan starkes Kämpfen an.
Da ward großer Schade gethan
Den brittischen Landgesellen:
Mit Fahen und mit Fällen,
Mit Schlagen und mit Stechen
Begannen sie durchzubrechen
Zu beiden Seiten in dem Heer;
Auch nahm den Feinden das die Wehr,
Daß die zwo Schaaren dort und hier
»Parmenie, Schevelier!«
Riefen und schrieen mit solchem Schall:
Das verdrängte sie überall,
Da war nicht Wehr noch Wiederkehr,
Da gab es nichts zu streiten mehr,
Da hieß es ducken und fliehen
Und drängen und sich ziehen
Nach den Bergen und nach dem Wald.
Das Streiten ward da mannigfalt:
Flucht war das Beste in dieser Noth,
Das einzige Mittel für den Tod.
Nun dieser Schlag ergangen war,
Da ruhete die Ritterschaar;
Herberge ward genommen,
Und die da umgekommen
Und lagen im Feld erschlagen,
Hieß man zu Grabe tragen,
Und die verwundet waren,
Die legten sie auf Bahren
Und nahmen heimwärts ihre Fahrt;
Und war Tristanden auf solche Art
Sein Lehen und sein sondres Land
Verliehn aus seiner eignen Hand,
Und war er Herr von Dem und Mann,
Von dem sein Vater nichts gewann.
So hatte er sich frei gemacht
Und all sein Ding zurecht gebracht,
Sich frei gemacht am Gute,
Zurechtgebracht am Muthe:
Sein Unrecht war zurückgegeben,
Sein schwerer Muth war leicht und eben.
Er hatte nun in seiner Hand
Sein Vatererbe und all sein Land
Unangefochten und also,
Daß Niemand irgendwann, noch wo
Ansprache hatte an sein Gut.
Hiemit so wandte er seinen Muth,
So wie es ihm gebot und rieth
Sein Oheim, da er von ihm schied
Wieder dahin gen Kornewall,
Und konnte doch auch vom Mareschall
Nicht wenden sein Gemüthe,
Der ihm so manche Güte
Erwiesen und aufs Neue
Erwies mit Vatertreue.
Von seinem Herzen ging ein Strahl
Zu seinem Ohm und zu Rual;
An diesen Beiden lag all sein Sinn:
Der Sinn, der zog ihn her und hin.
Nun spräche wohl ein frommer Mann:
»Unser gesegneter Tristan,
Wie soll er es beginnen nun,
Um ihnen Beiden recht zu thun
Und Jedem zu lohnen, wie er soll?« –
Euer Jeder, der weiß ja wohl,
Er kann das nicht ersparen,
Muß Einen lassen fahren
Und bei dem Andern bleiben.
Laßt hören, wie soll er's treiben?
Fährt er nach Kornwall wieder,
So sinkt Parmenien nieder
Und muß ohn alle Würde sein;
Und auch Rual büßt alles ein
An Freuden und an Muthe
Und an allem dem Gute,
Drauf seine Wonne sollte stehn;
Will er aber nicht von hinnen gehn,
So wird er sich auch nicht kehren
Zu höheren Ritterehren
Und schlägt auch Marke's Rath in Wind,
Dran seine Ehren gebunden sind.
Wie soll er sich hievor bewahren?
Weiß Gott, da muß er wieder fahren:
Deß soll man ihm Beifall geben.
Er soll sich hoch erheben
Und steigen an Ehr und Muthe,
Will es sich ihm zu Gute
Und auch zu Glücke kehren.
Er soll nach allen Ehren
Billig begehren und streben.
Will's ihm die Glücksfrau geben,
[64]
So hat sie Recht, daß sie es thu:
Denn all sein Muth steht ihm dazu.
Tristan, der viel sinnreiche Mann,
Griff sein Vorhaben sinnig an:
Er wollte sich gleich und eben
Vertheilen und vergeben
Zwischen den Vätern beiden,
Als sollte man ihn zerschneiden.
Sich selber theilte er in zwei,
So gleich und eben als ein Ei,
Und Jeglichem gab er den Theil,
Davon er wußte, daß er zum Heil
Ihm und all seinem Wesen kam
Wer nun von Theilung nie vernahm,
Die man mit ganzem Leibe macht,
Dem sag ich, wie sie wird vollbracht.
Da hat wohl Niemand Zweifel dran:
Zwei Dinge machen einen Mann,
Und diese zwei sind Leib und Gut.
Von diesen sprosset edler Muth
Und weltlich hoher Ehren viel.
Wer aber die Beiden scheiden will,
In Armuth wandelt der das Gut:
Der Leib, dem man sein Recht nicht thut,
Der fällt vom Wesen, das er gewann,
Und wird der Mann ein halber Mann,
Wenn gleich mit ganzem Leibe.
So ist's auch mit dem Weibe.
Fürwahr, es sei Mann oder Weib,
So müssen immer Gut und Leib
Mit gemeinsamen Sachen
Ein ganzes Wesen machen.
Wollt ihr sie aber scheiden,
So ist es aus mit Beiden.
Nun, diese Theilung hub Tristan
Herrlich und willigen Muthes an
Und führte sie aus mit Sinnen:
Er hieß ihm da gewinnen
Schöne Rosse und edel Gewand,
Speise und Vorrath mancherhand,
Deß man bedarf zu Fest und Schmaus,
Und richtete eine Hochzeit aus;
Die Besten von der Ritterschaft,
Auf denen stund des Landes Kraft,
Besandte er und lud er nun:
Die thaten, wie die Freunde thun,
Und kamen, wie befohlen, an.
Nun war bereitet auch Tristan
In allen seinen Dingen.
Da gab er zwein Jünglingen,
Söhnen Ruals, das Ritterschwert,
Die waren ihm als Erben werth
Und Lehensmannen nach Rual.
Und was er ihnen dazumal
Zu Würden und zu Ehren
Konnte wenden und kehren,
Da sparte er keine Kosten dran,
Das ward so willig und gern gethan,
Als wäre Jeglicher sein Kind.
Nun daß sie Ritter worden sind,
Mit zwölf Gesellen an der Zahl,
War einer der Zwölfe Kurvenal,
Der höfische getreue Mann.
Der tugendreiche Vogt Tristan
Nahm seine Brüder an der Hand,
Höfisch, wie ihm sein Sinn drauf stand,
Und führte sie von dannen.
Seine Magen und Mannen
Und Alle, die da waren
Von Sinnen oder Jahren,
Oder aber von beiden
Bedächtig und bescheiden,
Die wurden alle aus dem Land
Zu Hof geladen und besandt.
Nun, die sind alle erschienen.
Tristan stund auf vor ihnen:
»Ihr Herren,« sprach er zu der Schaar,
»Denen ich gern und immerdar
In Treuen und mit Lauterkeit
Zu allem Dienste bin bereit,
So weit, als ich es immer kann, –
Meine Magen und meine lieben Mann,
Von deren Gnaden ich es hab,
Was Gott mir Ehren und Würden gab,
Durch eure Hilfe hab ich mich
Erbaut mit allem, dessen ich
In meinem Sinn begehrte.
Wie mir's auch Gott gewährte,
Doch weiß ich wohl, durch eure Macht,
Durch eure Frommheit ward's vollbracht.
[65]
Was mag ich weiter sagen?
Zu diesen kurzen Tagen
Habt ihr so Ehr als Glücke
Auf mich in jedem Stücke
Gewendet, daß ich zweifle nicht,
Daß eher diese Welt zerbricht,
Eh ihr zu irgend einer Zeit
Meinem Willen zuwider seid.
Freunde, Mannen und alle Die,
Die durch meinen Willen hie
Oder aus eigener Tugend sind,
Nehmt meine Rede nicht ungelind,
Noch laßt sie euch mißfallen:
Ich künde und sage euch Allen,
Wie auch mein Vater hie, Rual,
Gesehen hat und gehört zumal,
Daß mir mein Oheim all sein Land
Gesetzet hat in meine Hand
Und will auch lassen seinen Leib
Um meinetwillen ohne Weib,
Damit daß ich sein Erbe sei,
Und will, daß ich ihm bleibe bei,
Wo er sei und wohin er fahr.
Nun hab ich mich bewogen dar,
Und steht mir all mein Muth darzu,
Daß ich nach seinem Willen thu
Und wieder zu ihm kehre.
Besitz und Herrenehre,
Die ich habe in diesem Land,
Die will ich lassen und leihn zur Hand
Meinem Vater, dem Mareschall,
Wofern ich im Lande Kornewall
Je anders als wohl bekleibe,
Ob ich sterbe oder da bleibe,
Daß es sein Erbelehen sei.
Nun stehn hier seiner Söhne zwei,
Dazu noch andre seine Kind:
Die nun seine Erben ferner sind,
Die haben alle Recht daran.
Nun höre jeder Lehensmann:
Die Lehen über das ganze Land,
Die will ich haben in meiner Hand
All meine Jahre und Tage.«
Da erhob sich Jammer und Klage
Unter der ganzen Ritterschaft,
Sie wurden alle unfreudenhaft,
Ihr Muth, ihr Trost, der war nun klein:
»Ach, Herre,« sprachen sie insgemein,
»Viel besser wäre uns geschehn,
Wenn wir Euch hätten nie gesehn;
So wäre auch dieses Leid nicht da,
Das uns nun so durch Euch geschah.
Herre, unser Trost und unser Wahn,
Der war so gegen Euch gethan,
Als wär uns ein Leben mit Euch gegeben:
Nein, leider unser Aller Leben,
Das wir zu Freuden sollten haben,
Das ist erstorben und begraben,
So wie Ihr von hinnen kehret:
Herre, Ihr habt uns gemehret
Und nicht gemindert unser Leid.
Unser Aller Glückseligkeit,
Die hatte ein wenig aufgenommen
Und ist nun wieder schon verkommen.« –
Ich weiß, nicht wahrer ist der Tod:
Wie stark ihr Aller Klagenoth,
Und wie groß ihre Schwere
Geworden ob dieser Märe,
Rual, dem es zu Statten ging,
Der großes Frommen davon empfing
Und große Ehr am Gute,
Dem that es in dem Muthe
Unsanfter denn ihnen Allen.
Ihm war da zugefallen
Ein Lehen, daß er mit solchem Gram
Noch keines je zu Handen nahm.
Nun Rual und seine Kind
Belehnet und erbgesessen sind
Durch ihres Herrn Tristandes Hand,
Ergab er Gotte Leut und Land
Und fuhr aus diesen Landen;
Auch ging da mit Tristanden
Sein treuer Meister Kurvenal.
Seine Mannen und gar Rual,
Dazu das Landvolk insgemein,
Ob ihre Noth und Klage klein
Und ihr Kummer nicht redebar
Um ihren trauten Herren war?
In Treuen, dieses weiß ich wohl:
Ganz Parmenien, das war voll
[66]
Von Jammer und von Klagen,
Die wären nicht auszusagen.
Die Marschallin Florete,
Die treue und die stete,
Die legte Marter an ihren Leib,
Wie von Rechtswegen thut ein Weib,
Der Gott ein hochgesegnet Leben
An Weibesehren hat gegeben.

Der Irenzins

Der Irenzins.

Was halte ich euch hier länger an?
Der landesflüchtige Tristan,
Da der gen Kornwall wieder kam,
Zur Stund er eine Märe vernahm,
Die ungern ward von ihm vernommen:
Es sei vom Irenlande kommen
Morold, der gar sehr starke,
Und fordere von Marke
Mit kampfbereiten Handen
Den Zins von beiden Landen,
Von Kornwall und von Engelland.
Mit dem Zinse war es so bewandt:
Der da in Irland König was,
Wie ich in der Historie las
Und kund die rechte Märe thut,
Derselbe hieß Gurmun Wohlgemuth,
War geboren von Afrika,
Und war sein Vater König da.
Nun der verschied, so fiel das Land
An ihn und seines Bruders Hand,
Der so wohl Erbe war als er.
Gurmun war aber von Begehr
So herrisch und so hochgemuth,
Daß er verschmähte, gemeines Gut
Zu haben mit einem andern Mann.
Sein Herze trieb ihn immer an,
Er müsse selbst ein Herre sein.
Da wählte er sich insgemein
Die Starken, die Muthfesten
Und in der Noth die Besten,
Die man kannte als die Rechten,
Von Rittern und Fußknechten,
Die er mit seinem Gute
Oder mit höfischem Muthe
Für sich mochte gewinnen,
Und fuhr auch gleich von hinnen
Und ließ dem Bruder all sein Land.
Nun daß sein Sinn auf Orlog stand,
So nahm er von den Siegern,
Den mächtigen Romakriegern,
So Urlaub als Bestallung hin:
Er sollte seines Schwerts Gewinn
Für sich haben zu eigen
Und ihnen davon erzeigen
Etliche Rechte und Ehren.
Da ließ er's nicht lange währen:
Er fuhr mit einem starken Heer
Ueber Land und über Meer,
Bis daß er zu den Iren kam
Und Sieg an ihrem Lande nahm,
Daß ihre Kraft darnieder sank
Und sie ihn mußten ohne Dank
Zum Herrn und König nehmen
Und sich dazu bequemen,
Daß sie ihm zu allen Zeiten
Halfen mit Stürmen und Streiten
Die Nachbarlande zwingen.
In diesen selben Dingen
Bezwang er auch an seine Hand
Ganz Kornewall und Engelland.
Da war aber Marke noch ein Kind,
Unwehrhaft, wie die Kinder sind,
Kam so von seiner Herrlichkeit
Und ward Gurmunen zinsbar seit.
Auch half Gurmunen dieses sehr
Und gab ihm große Kraft und Ehr,
Daß er Moroldens Schwester nahm,
Davon er in Furcht und Ansehn kam.
Der war ein Herzog dort zu Land,
[67]
Und hätte in seiner eignen Hand
Gerne ein Land besessen;
Denn er war sehr vermessen,
Hatte Land und großes Gut
Und war mannlich an Leib und Muth.
Der war Vorfechter für Gurmun.
Was aber der Zins gewesen nun,
Den man sandte den Iren
Aus jeglichen Revieren,
Dessen bescheide ich euch fürwahr:
Sie sandten ihnen das erste Jahr
Dreihundert Mark von Messing schwer,
Und aber dazu nichts andres mehr,
Das andere Silber, das dritte Gold;
Im vierten Jahre, da kam Morold
Der Starke vom Irenland, bereit
Zu jedem Kampf und zu jedem Streit.
Vor diesen wurden da besandt
Aus Kornwall und aus Engelland
Die Barone und Großen:
Die mußten allda loosen
Vor seinen eignen Augen
Um Kinder, welche taugen
Zu Hof und Hofdienst sollten
Und wären unbescholten
Von Leibe und dem Hof genehm,
Wer sein Kind müsse geben Dem:
Nicht Mägdlein, Knaben nur allein,
Und sollten ihrer dreißig sein
Aus jeglichem der Lande;
Auch durfte dieser Schande
Niemand anders zuwider stehn,
Es müßte im Zweikampf denn geschehn
Oder aber im Landgefecht.
Nun mochten sie aber zu ihrem Recht
Mit offner Gegenwehr nicht kommen:
Die Lande hatten abgenommen;
Auch war Morold sehr stark und groß,
Arg, zornig und erbarmungslos,
Daß wider ihn nicht leicht ein Mann,
Sah er ihn Aug in Auge an,
Zu setzen wagte seinen Leib,
So wenig fast, als nur ein Weib.
Und wenn der Zins in diesem Jahr
Hin gen Irland gesendet war,
Und kam das fünfte Jahr heran,
So mußten die zwei Lande dann
Zur Zeit der Sonnenwenden
Gen Rom die Boten senden,
Die den Römern behagten,
Auf daß die ihnen sagten,
Welch Gebot und welchen Rath
Der hochgewaltige Senat
Erbieten ließe und sende
Einem jeden Gelände,
Das unterthan den Römern war:
Denn man las ihnen jedes Jahr
Und that ihnen kund genug und satt,
Wie daß sie sollten der Römerstadt
Lois und Landrecht hegen
Und ihres Gerichtes pflegen,
Und mußten auch recht also leben,
Wie ihnen Lehre ward gegeben.
Dies Zinsrecht sammt dem Pfande
Ließen die beiden Lande
Alle fünf Jahre schauen
Rom, ihre werthe Frauen.
Doch boten sie ihr diese Ehr
Und dieses Zinsrecht nicht so sehr
Von Rechtes, noch von Gottes wegen,
Als weil sie Gurmunen unterlegen.
Wir sollen wieder zur Märe kommen.
Tristan, der hatte wohl vernommen
Von Englands Schmach und Kornwalls Leid,
Und war ihm auch vor dieser Zeit
Schon lange kund, mit welcher Pflicht
Derselbe Zins war aufgericht.
Nun aber alle Tage
Hört er des Landvolks Klage;
Wohin er seine Richte nahm,
Vor Städte oder Castele kam,
War all das Land des Leides voll;
Und als er aber gen Tintayol
Und zu dem Hofgesinde kam,
Seht, da hörte er und vernahm
In Gassen und in Straßen
Ein Jammern aus der Maßen,
Daß es ihm stark zu Herzen drang.
Alsbald sich zu dem König schwang
Und an den Hof die Märe,
Daß Tristan kommen wäre;
[68]
Deß waren sie Alle zusammen froh:
Froh, das meine ich aber so,
Wie es sein konnte in ihrem Stand;
Denn die Besten, die man erfand
Im ganzen Lande Kornewall,
Waren in diesen Tagen all
Daher gen Hof gekommen
Zur Schmach, als ihr vernommen.
Die Edeln und die Großen,
Die gingen da zu loosen
Ihren Kindern zu Falle.
So fand sie Tristan Alle
Kniend im Gebete,
Und Jeder rief und flehte,
Den Jammer nicht verschließend,
Die Augen von Thränen fließend,
Mit inniglichen Schmerzen
Am Leib und auch im Herzen,
Daß ihm Gott der milde
Beschirme und beschilde
Seinen Adel und auch sein Kind.
Nun sie Alle im Beten sind,
Kommt Tristan hergegangen.
Wie ward er aber empfangen?
Das ist euch bald geoffenbart:
In Treu und Wahrheit, Tristan ward
Unter all dem Gesinde
Von keinem Mutterkinde,
Auch nicht von Marke, mit Grüßen
Empfangen also süßen,
Wie ihm doch wäre geschehen
Ohne die Noth und Wehen.
Doch nahm das Tristan wenig wahr,
Er ging zur Stunde kecklich dar,
Wo man das Loos für sie erlas
Und Marke mit Morolden saß.
»Ihr Herren,« sprach er, »allzuhand,
Alle mit Einem Namen genannt,
Die hie zum Loose laufen,
Ihre edlen Kinder verkaufen,
Schämet ihr euch der Schande nicht,
Die diesem Lande durch euch geschicht?
So mannhaft, als ihr allezeit
Alle und allerdinge seid,
So wäre es billig angewandt,
Daß ihr so euch als euer Land
An Achtbarkeit und Ehren
Solltet erhöhen und mehren.
Aber die Freiheit habet ihr
Hingelegt euren Feinden hier
Zu Füßen und zu Handen
Mit zinsbaren Schanden;
Und eure edlen Kindelein,
Die eure Wonne sollten sein,
Eure Lust und euer Leben,
Die gebt ihr und habt sie geben
Zu Schälken und zu eigen:
Und könnet doch nicht zeigen,
Welche Macht euch zwinge dazu,
Oder welch andere Noth es thu,
Denn ein Zweikampf und ein einzler Mann.
Ficht doch kein andre Noth euch an,
Und könnet unter euch allen
Auch nicht auf Einen fallen,
Der wollte wider Einen Degen
Sein Leben auf die Wage legen,
Ob er nun bleibe oder siege.
Nun sei es auch, daß er erliege,
So kann doch wahrlich der kurze Tod
Und diese lange lebende Noth
Im Himmel und auf Erden
Nicht gleich gewogen werden.
Geschieht es aber, daß er siegt
Und daß das Unrecht so erliegt,
So hat er fort und immer fort
Hie Ehre und Gottes Lohn alldort.
Ja, ein Vater soll für sein Kind,
Da sie Ein Leben zusammen sind,
Sein Leben geben: das will Gott.
Es ist gar wider Gott ein Spott,
Wer seiner Kinder Freiheit rafft
Und stürzt sie in Leibeigenschaft,
Daß er sie hin zu Schälken gebe
Und er dafür in Freiheit lebe.
Soll ich euch Rath zu eurem Leben
Gott und der Ehre gebührlich geben,
So rathe ich euch wahrlich an,
Daß ihr euch küret einen Mann,
So man solch einen finde
Bei diesem Landgesinde,
Der zu Kampfe geschaffen sei
[69]
Und wolle das Glück versuchen frei,
Ob er siege oder falle;
Und Diesen bittet Alle
Um Gotteswillen allermeist,
Wobei ihm möge der heilige Geist
So Glück als Ehre geben,
Daß der nicht solle beben
Vor Morolds Größe und Uebermacht,
Sondern vertraun auf Gottes Wacht,
Denn er verließ noch keinen Mann,
Der auf gerechte Dinge sann.
Gehet zu Rath und schnelle
Berathet euch zur Stelle,
Wie ihr diese Schande von euch kehrt
Und gegen Einen Mann euch wehrt,
Und verunehret nimmermehr
Eure Geburt und eure Ehr.«
»Ach, Herre,« sprachen sie insgemein,
»Mit diesem Manne kann's nicht sein;
Nein, Keiner kann vor Dem bestehn.« –
Tristan sprach: »Laßt die Rede gehn!
Um Gott, besinnet euch doch noch!
Nun seid ihr von Geburt ja doch
Aller Könige würdig
Und Kaisern ebenbürtig,
Und wollet eure edlen Kind,
Die euch gleich edel geboren sind,
Verhandeln und versachen,
Zu Eigenschälken machen!
Wofern ihr aber keinen Mann
Erherzigen könnt und treiben an,
Daß er betrachte euer Leid
Und dieses Landes Traurigkeit
Und kühnlich nach dem Rechte
In Gottes Namen fechte
Gegen diesen Einen,
Und wollt ihr's also meinen,
Daß ihr es stellet auf Gott und mich,
Wahrlich, ihr Herren, alsdann will ich
Meine Jugend und mein Leben
Ans Abenteuer geben
Und euretwegen den Kampf bestehn.
Gott lasse ihn euch zu gut ergehn
Und bringe euch wieder zu Rechte!
Und wenn mir's im Gefechte
Am Glücke irgendwie gebricht,
Das schadet eurem Rechte nicht.
Bleibe ich in dem Kampfe todt,
So ist ja eurer Keines Noth
Nicht ab, noch an gekehret,
Gemindert, noch gemehret,
So steht es immer noch ganz wie eh.
Sei's aber, daß es zu Heil ergeh,
So kommt es fürwahr von Gottes Kür,
Da danket Keinem denn Gott dafür:
Denn, den ich soll bestehn allein,
Der ist, so hör ich insgemein,
Von Muth und auch von Leibeskraft
Zu Kampf und ernstlicher Ritterschaft
Ein lange her bewährter Mann;
Ich aber fange allerstmals an
Und bin von Muth und Kräften
Zu ritterlichen Geschäften
Nicht also kürbar und also gut,
Wie es uns Noth zur Stunde thut.
Doch da mir im Gefechte
An Gott und auch am Rechte
Zween sieghafte Gehülfen stehn,
So sollen sie mit zum Kampfe gehn.
Dazu hab ich noch willigen Muth,
Und der ist auch zum Kampfe gut:
Helfen mir nun dieselben Drei,
Wie unversucht ich sonsten sei,
Doch habe ich guten Trost daran,
Ich genese wohl von dem Einen Mann.«
»Herre,« sprach all die Ritterschaft,
»Im Himmel die heilige Gotteskraft,
Die alle Welt geschaffen hat,
Vergelte Euch den Trost und Rath
Und den glückseligen Hoffnungswahn,
Den Ihr uns Allen habt aufgethan.
Herre, nun laßt Euch alles sagen:
Unser Rath hat nie viel angeschlagen.
Wär uns das Glück gewesen hold,
So viel wir's haben versucht und gewollt,
So oft als es begonnen ward,
Wir hätten's nicht bis daher gespart.
Wir haben nicht Einmal und weiter nie,
Wir in dem Lande Kornwall hie,
Um unsre Noth uns Raths befragt,
[70]
Wir haben gesprochen und getagt,
Und konnten dennoch bei allem Weh
Keinen erfinden, der nicht eh
Sein Kind in Knechtschaft wollte geben,
Als verlieren sein eigen Leben
Im Kampfe mit diesem Teufelsmann.« –
»Wie redet ihr also?« sprach Tristan;
»Es sind der Dinge doch viel geschehn
Und hat man Wunder schon gesehn,
Wie ungerechte Hoffahrt kam
Durch kleine Kraft zu Schmach und Scham:
Das möchte auch jetzt noch wohl ergehn,
Wenn Einer es wagte zu bestehn.«
Nun, Morold, der hörte alles an,
Und verdroß ihn gewaltig, daß Tristan
So hitzig sprach zum Kampfe da,
Nachdem er doch so jung aussah,
Und trug ihm in dem Herzen Haß.
Tristan sprach aber da fürbaß:
»Ihr Herren alle, redet nun,
Was ist euch lieb, daß ich soll thun?« –
»Herre,« sprachen sie allgemein,
»Könnte es irgend also sein,
Daß der Wahn, den Ihr uns gemacht,
Möchte werden zuweggebracht,
Das wäre unser Aller Begehr.« –
»Ist euch das lieb?« sprach aber er:
»Nun daß es bis auf diese Frist
Und daß es mir vorbehalten ist,
Und will's Gott fügen an diesem Tag,
So will ich sehen, was ich vermag,
Ob Gott euch habe Glück und Heil
Etwa vergönnt an meinem Theil,
Und ob ich selber habe Glück.«
Da wollte ihn Marke ziehn zurück
Mit allen Kräften und Sinnen,
Und meint's ihm abzugewinnen,
Daß er's seintwillen ließe,
Wenn er's ihn lassen hieße.
Nein, er, weiß Gott, blieb auf dem Rath:
Wie er gebot und wie er bat,
Konnt er ihn nicht so viel bewegen,
Daß er abließe seinetwegen.
Er ging dahin, da Morold saß,
Und redete aber da fürbaß:
»Herre,« sprach er, »saget mir,
So Gott Euch helfe, was werbet Ihr?« –
»Freund,« sprach der Ire zur selben Stund,
»Was fraget Ihr? Euch ist doch kund,
Was ich hie werbe und begehr.« –
»Ihr Herren alle, höret her,
Der König, mein Herr, und seine Mann!«
Sprach aber der weisliche Tristan:
»Mein Herr Morold, Ihr redet wahr,
Ich weiß und kenne es ganz und gar:
Wie schmählich es uns entehre,
Es ist doch eine Märe,
Die Niemand unterdrücken mag:
Wir haben den Zins nun manchen Tag
Von hinnen und von Engelland
Gen Irland ohne Recht gesandt;
Und solches brachte man lange
Mit großem Zwang und Drange,
Mit viel Gewalt zuhanden,
Nachdem man fällte den Landen
Beides Burgen und Städte,
Und auch den Leuten thäte
So großen und manchen Schaden,
Bis sie wurden überladen
Mit Gewalt und bösem Rechte,
So daß die guten Knechte,
Die noch entgangen waren dem Streit,
Mußten unterthänig bleiben seit
In allem, was man ihnen gebot,
Weil sie sich fürchteten vor dem Tod,
Und mochten so, wie es war bewandt,
Zeither nicht bessern ihren Stand.
Und ward das Unrecht solcher Art,
Wie dieser Tag noch offenbart,
An ihnen immer begangen seit:
Und wäre es zwar schon lange Zeit,
Daß sie der großen Schmach und Pein
Mit Kriege konnten zuwider sein;
Denn sie sind sehr vorangekommen,
Die Lande haben zugenommen
An Heimischen und an Gästen,
An Städten und an Festen,
Am Gut und an den Ehren.
Man muß es widerkehren,
[71]
Was uns verkehrt war bis daher;
Denn nur von Gewalt und Gegenwehr
Geneset unser Wesen:
Sollen wir je genesen,
So müssen wir's mit der Klingen
Erstreiten und erzwingen.
Wir stehen uns an Leuten wohl:
Die Lande sind beide von Leuten voll.
Man muß es uns alles wieder geben,
Was man uns unser ganzes Leben
Mit Gewalt hat hinweggenommen.
Wir müssen selber zu ihnen kommen,
So schier uns Gott vergönnt den Tag:
So man mir hierin folgen mag
Und meines Rathes pflegen,
Müssen sie uns darwägen
Wieder alles, was man ihnen gab,
Bis auf den letzten Ring herab,
Ob es nun viel oder wenig sei
Da möcht unser Messing noch dabei
Zu rothem Golde werden.
Es sind viel auf der Erden
Seltsamer Dinge schon geschehn,
Der man sich nimmer hat versehn.
Und dieser Herren edle Kind,
Die da zu Schälken worden sind,
Die möchten noch wohl werden frei,
Wie ungedacht es ihnen sei.
Gott walte, daß er mir's gewähr,
In dessen Namen ich's begehr,
Daß ich mit dieser meiner Hand
Die Heerfahne im Irenland
Mit diesen Landgenossen
Möge also aufstoßen,
Daß das Land und die Erde
Durch mich erniedrigt werde!«
Morold sprach aber: »Herr Tristan,
Nähmet Ihr Euch minder an
Dieses Dings und dieser Märe,
Ich wähne, es Euch gut wäre;
Denn was Ihr hie redet und was Ihr sprecht,
Wir lassen doch nicht von unsrem Recht
Und behalten, was unser ist und war.« –
Damit trat er vor Marken dar:
»König Marke,« sprach er, »sprechet hie,
Laßt hören Ihr und alle Die,
Die jetzt gegenwärtig sind,
Mit mir zu reden um ihre Kind,
Bescheidet mich der Märe baß:
Ist euer Aller Wille das,
Und steht auch euer Muth daran,
Weß euer Vogt da, Herr Tristan,
Mit Worten mich beschieden hat?« –
»Ja, Herre, es ist unser Aller Rath,
Unser Wille und unser Muth,
Was er redet und was er thut.« –
Sprach aber Morold: »So brechet ihr
Gurmunen, meinem Herrn, und mir
Eure Treue und euren Eid
Und den Vertrag und die Sicherheit,
Die zwischen uns ist aufgethan.«
Sprach aber der höfische Tristan:
»Nein, Herre, Ihr misseredet hier;
Es lautet übel, wenn man, wie Ihr,
Dem Mann gegen seine Treue spricht.
Von diesen allen Keiner bricht
Seine Treue noch seinen Eid.
Ein Gelübde und eine Sicherheit
War weiland unter euch gemacht
Und soll auch bleiben in ganzer Macht:
Daß man gen Irland alle Jahr
Sende mit gutem Willen dar
Von Kornewall und von Engelland
Den Zins, der ihnen ward benannt,
Oder aber setze man sich zur Wehr
Mit Zweikampf oder mit vollem Heer.
Sind sie zu solchem noch bereit
Und lösen den Vertrag und Eid
Mit Zins oder mit Gefechte,
So thun sie nach allem Rechte.
Herre, hierauf nun denket Ihr:
Berathet Euch und saget mir,
Welches Euch lieber sei gethan,
Welches von beiden Ihr nehmet an,
Den Zweikampf oder den Heeresstreit.
Deß seid Ihr nun und allezeit
Von uns gewiß und auch gewährt.
Es müssen doch nun Speer und Schwert
Unter uns und Euch entscheiden:
Nun kieset unter den beiden
[72]
Eines und gebt uns bald Bericht.
Mit dem Zinse geht's nun anders nicht.«
Morold sprach aber: »Herr Tristan,
Mit dieser Wahl ist's bald gethan,
Ich weiß wohl, was ich von beiden will.
Mein ist hie nun nicht also viel,
Daß ich zu Heeresstreite
Irgend gerüstet reite.
Ich fuhr vom Lande über Meer
Mit einer Dienerschaar daher
Und kam in allem Frieden
In diese Reiche hienieden,
Wie auch ehmals von mir geschehn,
Nicht wähnend, es sollte also gehn.
Ich versah mich solcher Geschicht
Zu diesen Landesherren nicht:
Ich hoffte zu gehn von hinnen
Mit Rechte und auch mit Minnen.
Nun aber bringt Ihr mir Krieg und Streit:
Dazu bin ich noch unbereit.«
Tristan sprach: »Herre, wenn Euer Sinn
Sich neigt zu einem Landstreit hin,
So kehret zurücke vorderhand,
Fahrt wieder heim in Euer Land,
Besendet Eure Ritterschaft,
Versammelt alle Eure Kraft
Und kommt dann wieder und laßt uns sehn,
Wie und was uns solle geschehn;
Und wenn ich Euch nicht gewahre
In diesem halben Jahre,
Da mögt Ihr Euch zu uns versehn,
Da werden wir sicher in Irland stehn.
Es ist doch ein Wort, das von jeher galt:
Gewalt gehöre wider Gewalt,
Kraft müsse sich regen wider Kraft.
Wenn man mit Streit und Ritterschaft
Kann Land und Recht mißhandeln,
Herren zu Schälken wandeln,
Und wenn's noch Billigkeit geben soll,
So getrauen wir uns zu Gotte wohl,
Daß unsre Schmach und Beschwerde
Euch wieder vergolten werde.«
»Gott weiß,« sprach Morold, »Herr Tristan,
Ich höre da Dinge, daß ein Mann,
Der nie zu solchem Lärmen kam
Und solches Drohen noch nie vernahm,
Ob dieser neuen Märe
In Sorgen und Aengsten wäre:
Doch trau ich ihrer zu genesen.
Ich bin auch mehr dabei gewesen,
Wo Lärm und Hoffahrt mancher Art
Mit solcher Rede getrieben ward.
Es ist noch wohl der Glaube mein,
Gurmun mög ohne Sorge sein
Um seine Leute und sein Land
Vor Eurer Fahne und Eurer Hand.
Auch wird diese Uebermüthigkeit,
Man breche uns denn Treu und Eid,
In Irland nimmer übersehn.
Wir wollen es allhie, wir Zween,
Mit Handen unter uns Beiden
In einem Ring entscheiden,
Ob Ihr Recht habet oder ich.«
Tristan sprach aber: »Dies muß ich
Mit Gottes Hülfe verrichten,
Und möge ich Den vernichten,
Der Unrecht unter uns Beiden thut.« –
Da zog er aus mit gutem Muth
Den Handschuh, bot ihn Morolden dar:
»Ihr Herren,« sprach er, »nehmet wahr,
Der König mein Herr, und alle Die,
So hier sind, sollen hören, wie
Ich diesen Kampf bespreche,
Daß ich das Recht nicht breche:
Daß weder mein Herr Morold zur Statt,
Noch, der ihn hergesendet hat,
Noch irgend je ein andrer Mann
Den Zins mit Gewalt zu Recht gewann
In Kornwall, noch in Engelland,
Das will ich hie mit meiner Hand
Vor Gott und Welt erklären,
Wahr machen und bewähren
An diesem Herren, der hier ist,
Von dem uns bis zu dieser Frist
Alle Beschwerde, Schmach und Scham
Für diese beiden Lande kam.«
Da rief zur selben Stunde
Mit Herzen und mit Munde
Manch edle Zunge zu Gotte hin,
[73]
Daß Gott nach seinem gerechten Sinn
Bedächte ihr Aller Schmach und Leid
Und löste sie aus Leibeigenheit.
Doch wie auch ihre Schwere
Groß war ob dieser Märe,
So ging's Morolden wenig ein
Zum Herzen oder zum Gebein;
Er wußte von keinem Schrecke.
Der vielversuchte Recke,
Der legte den Span nicht nieder:
Er bot auch ihm hinwieder
Den Handschuh dar, des Kampfes Pfand,
Mit harter Gebärde in seine Hand,
Mit fierer Contenanze.
Ihm däuchte diese Schanze
Gar wohl nach seinem Sinn zu sein,
Und hoffte dabei wohl zu gedeihn.
Nun abgemacht dies alles war,
Da ward der Kampf dem Herrenpaar
Bis auf den dritten Tag gespart.
Nun daß der dritte Tag da ward,
Da kamen die Landesherren all,
Dazu des Volks ein großer Schwall,
Daß das Gestade bei dem Meer
Umfangen war mit starkem Heer.
Da waffnete sich Morold zur Stund,
Mit deß Gewaffen ich jetzund,
Noch auch mit seiner Stärke und Macht
Meines Herzens Merke und Acht,
Meines Sinnes scharfes Sehen
Mit nahe merkendem Spähen
Nicht stumpfen will, noch beschweren,
Nachdem man zu höchsten Ehren
Von seiner gänzlichen Mannheit sprach;
Die Rede von ihm ist mannigfach,
So daß er an Muth, an Größe, an Kraft
Zu ganz vollkommener Ritterschaft
Das Lob in allen Landen trug.
Nun sei des Lobes von ihm genug.
Ich weiß wohl, daß er konnte dort
Und sonst an jedem andern Ort
In Kampf und in Gefechte
Nach ritterlichem Rechte
Seinen Leib wohl zieren auf dem Plan.
Er hatte es eh so viel gethan.
Dem guten König Marke,
Dem war die Noth eine starke,
Dem ging der Kampf an seinen Leib
Mit Herzeleid, daß auch kein Weib
So zagete um einen Mann.
Ihn kam da gar kein Trost mehr an,
Er sah nichts als Tristandes Tod
Und hätte gerne jene Noth
Mit Zins und Zinsrecht mögen leiden,
Wofern der Kampf nur wär zu meiden.
Nun aber ist's doch noch nach Verlangen
Mit diesem und mit dem gegangen,
So mit dem Zins als mit dem Mann.
Der unerfahrene Tristan
In solch nothhaften Dingen
Begann auch sich mit Ringen
Wider alle Gefahren
Aufs beste zu verwahren.
Seinen Leib und seine Bein
Hüllte er wohl zusammen ein;
Darüber legte er, schön und fremd,
Zwo Hosen und ein Panzerhemd,
Die waren licht und waren weiß,
Nachdem der Meister seinen Fleiß,
Seine Weisheit und Verstand
Gänzlich hatte an sie gewandt.
Zween edle Sporen, starke,
Die legte ihm sein Freund Marke,
Zu seinem Dienst der getreue Mann,
Traurig mit weinendem Herzen an.
Die Waffenriemen er ihm band
Alle mit seiner eignen Hand.
Ein Waffenrock ward dargetragen,
Der war, so wie ich hörte sagen,
Mit Drihen in den Spelten,
An Gewirke reich und selten
An allen seinen Enden,
Von künstlichen Frauenhänden
Zu Preis und Wunder ausgedacht
Und noch viel preislicher vollbracht.
Hei, da er diesen an sich nahm,
Wie lustig und wie lobesam
Er ihn verstand zu tragen,
Davon wär viel zu sagen,
Nur daß ich's nicht lang machen will.
[74]
Der Rede würde allzuviel,
Wenn ich's berichten wollte
Von Grund aus, wie ich sollte;
Doch dessen geb ich euch Bescheid:
Der Mann stand besser seinem Kleid,
Das viel mehr Lob von ihm gewann
Und Ehre, denn vom Kleid der Mann:
Wie gut, wie auserlesen
Der Waffenrock gewesen,
Er war doch seiner Würdigkeit,
Der ihn da machte zu seinem Kleid,
Viel kaum geziemend und ebenwerth.
Darüber so gürtet ihm Marke ein Schwert,
Das sein Herz und sein Leben war,
Durch das er zu allermeist der Gefahr
Damals und seither oft entging,
Das also recht darniederhing
Und lag in seiner Straße
In so gefügem Maße,
Daß es nicht auf noch nieder ging,
Vielmehr in rechter Richte hing.
Ein Helm ward auch besendet dar,
Der wie ein Krystall zu schauen war
So lauter und so feste,
Der schönste und der beste,
Den je ein Ritter auf sich nahm;
Ich wähne, daß kein beßrer kam
Gen Kornwall je seit oder vor.
Darüber stand der Pfeil empor,
Der da weissaget Minne
Und auch seither darinne
Gar wohl an ihm bewähret ward,
So lange es blieb auch aufgespart.
Den setzt ihm aufs Haupt der König da:
»Ach Neffe, daß ich dich jemals sah,«
Sprach er, »Gott will ich es klagen
Und allem widersagen,
Was sich ein Mann zu Freuden kehrt,
Wenn mir an dir Leid widerfährt.« –
Ein Schild ward gleichfalls darbesandt,
An welchen eine gefüge Hand
Gewendet hatte all ihren Fleiß;
Derselbe war ganz silberweiß,
Um überein zu klingen
Mit Helm und Panzerringen.
Er war aber poliret,
Mit Licht und Glanz gezieret,
Recht wie ein neues Spiegelglas;
Und auf dem Schild ein Eber saß,
Gemacht gar meisterlich und wohl
Von Zobel, schwarz wie eine Kohl.
Den legte ihm sein Oheim an.
Der stund dem kaiserlichen Mann
Und lag ihm an der Seiten
Da und zu allen Zeiten,
Als ob er angeleimet wär.
Der da geschaffen zu Lob und Ehr,
Der genehme, jugendliche Mann,
Da der den Schild an sich gewann,
Da leuchteten die vier Dinge:
Der Helm und die Panzerringe,
Der Schild und die Hosen, einander an
So schön, als hätte der Waffenmann,
Der Meister, sie also geordnet ganz,
Daß jegliches mit seinem Glanz
Dem andern schön bekäme
Und Schönheit von ihm nähme;
So konnte ihr vierfacher Schein
Einhelliger nicht noch lichter sein.
Und aber das neue Wunderbild,
Das unter Panzer, Helm und Schild
Zu Schaden und zu Sorgen
Den Feinden war verborgen,
Hatte das aber keine Kraft
Gegen der seltenen Meisterschaft,
Die außen daran gebildet lag?
Ich weiß, nicht wahrer ist der Tag,
Wie groß der äußere Bildner schien,
Der innere, der war gegen ihn
Mit größerer Meisterschaft bedacht
Und ward durch ihn noch mehr vollbracht
An Ritters Schöne und Stärke,
Denn durch die äußern Werke.
Das Werk, das war darinnen
Nach Schaffen und Ersinnen
Gethan mit lobenswerther Hand.
Des Meisters Weisheit und Verstand,
Hei, wie die gaben vollen Schein!
Seine Brust und so Arm als Bein,
Die waren herrlich und waren reich,
Wohlgestaltet und rittergleich.
[75]
Ihm stund das Eisen drauf und drob
Wohl und zu wunderbarem Lob.
Sein Roß, das hielt ein Knappe da:
In Spanienland, noch fern, noch nah,
Ward nie kein schöneres gezogen,
War nirgends knapp, noch eingebogen,
War offen und frei im Nacken,
An Brust und Hinterbacken,
Stark an beiden Lenden,
Erwünscht an allen Enden.
Seine Füße und seine Bein,
Die kamen auch ganz überein
In ihrer Gestalt und ihrem Recht:
Die Beine waren grad und schlecht,
Die Füße rund, und alle vier
Aufrecht, als wär's ein wildes Thier.
Auch war es anzusehn mit Lust
Vom Sattel hin und vor der Brust:
Da hielt es sich also recht und wohl,
Wie ein Roß aufs allerbeste soll.
Drauf eine weiße Decke lag,
So licht und lauter wie der Tag,
Den andern Werken in Farbe gleich,
Und war die lang und also reich,
Daß sie von oben niederhing,
Dem Roß bis über die Kniee ging.
Nun Tristan zum Gefechte
Nach ritterlichem Rechte,
Nach allem Brauch in Kampf und Streit
Wohl und zu Preise war bereit,
Wer beide, Mann und Eisen,
Wohl konnte prüfen und preisen,
Der sah, und Alle sahen's an,
Daß beide, das Eisen und der Mann,
Ein schöner Bild ergaben nie.
Wie wohl dies aber erschien allhie,
Dennoch erschien es gar viel baß,
So wie er auf dem Rosse saß
Und seinen Speer zu Handen nahm:
Da war das Bild erst wonnesam,
Da war der Ritter an Zierde reich
Ueber und unter dem Sattel gleich.
Die Arme hatten Weite,
Die Schultern gute Breite;
In den Sattel konnte er wohl,
Wie man im Sattel schweben soll,
Sich setzen und sich fügen.
Neben des Rosses Bügen
Schwebten die schönen Beine her,
So strack und schlecht als wie ein Speer.
Da stund das Roß, da stund der Mann
So recht wohl eins dem andern an,
Als ob sie, nicht zu scheiden,
Mit einander wären, die Beiden,
Gewachsen und geboren.
Die Gestalt war auserkoren
Und fremd zu allen Zeiten,
Die Tristan hatte im Reiten.
Und doch, wie auserlesen
Er von Gestalt gewesen,
So war doch innerhalb der Muth
So rein geartet und so gut,
Daß edlerer Muth und reinere Art
Vom Helme nie bedecket ward.
Nun war den Kämpfern beiden
Ein Ort zum Kampf bescheiden,
Eine kleine Insel in dem Meer,
So nah dem Ufer und dem Heer,
Daß man wohl in der Nähe sah,
Was auf der Insel dort geschah.
Und war auch der Befehl geschehn,
Daß Niemand ohne diese Zween
Dar auf die Insel käme,
Bis der Kampf ein Ende nähme;
Das nahmen auch Alle wohl in Acht.
Und also wurden dargebracht
Zwei Schifflein, waren eng und klein,
Daß jegliches mochte genügend sein,
Daß es ein Roß und einen Mann
Gewaffnet trüge meerhinan.
Nun, diese Schiffe, die hielten dort.
Morold fuhr in dem einen fort:
Das Ruder nahm er an die Hand,
Schiffete jenseits an das Land,
Und als er auf den Werder kam,
Sein Schifflein er zur Stunde nahm,
An das Gestade band er das,
Auf sein Roß er balde saß,
An seine Hand nahm er den Speer,
All über den Werder hin und her
[76]
Begann er zu puniren,
Prächtig zu laisiren,
Und waren seine Puneiße
In dem ernstlichen Kreise
So spielend und so ringe,
Als ob es zu Schimpf erginge.
Nun Tristan auch zu Schiffe kam,
Sein Ding darein er zu ihm nahm,
Beide sein Roß und seinen Speer;
Vorn in dem Schiffe da stund er:
»König«, begann er, »Herre Mark,
Nun sorget mir nicht allzu stark
Um meinen Leib und mein Leben:
Wir müssen es Gott ergeben.
Unsere Angst, die nützt hier klein.
Noch mag es uns besser beschieden sein,
Als man es uns hat zugedacht.
Unser Sieg und Glück und unsre Macht,
Die steht auf keiner Ritterschaft
Denn auf der Einen Gotteskraft.
Laßt alle Furcht und Aengste sein:
Ich mag ja noch gar wohl gedeihn.
Mir ist zu diesem Dinge
Mein Muth gar leicht und ringe.
So thut auch Ihr und gehabt Euch wohl:
Es geht doch nicht anders, als es soll;
Und aber, wie mein Ding stehe
Und wie es zu Ende gehe,
So befehlet Ihr doch heute
Euer Land und Eure Leute
Dem, auf dem meine Sachen stehn:
Gott selbst, der mit mir möge gehn
Zu Ring und zu Gefechte,
Der bringe Recht zu Rechte.
Ja, Gott muß mit mir siegen
Oder sieglos mit erliegen.
Der möge walten und wägen.«
Er bot ihm seinen Segen,
Sein Schifflein stieß er ab von Ort
Und fuhr in Gottes Namen fort.
Da ward sein Leib und auch sein Leben
Von manchem Munde Gott ergeben,
Ihm ward von mancher edlen Hand
Manch süßer Segen nachgesandt.
Und als er ans Gestade stieß,
Sein Schifflein er hinschweben ließ
Und setzte sich auf sein Roß zur Stund.
Gleich war auch Morold auf dem Grund:
»Sag an«, sprach er, »was soll mir das?
Aus welchem Anschlag und um was
Hast du das Schiff so lassen gehn?« –
»Das ist darum von mir geschehn:
Hie ist ein Schiff und sind zween Mann,
Und ist auch da kein Zweifel dran,
Wofern nicht Beide bleiben hie,
Daß traun doch ihrer Einer nie
Von diesem Werder wiederkehrt:
So hat doch, der von dannen fährt,
An diesem Einen Schiffe gnug,
Das dich daher zum Werder trug.« –
Morold sprach aber: »Ich höre wohl,
Daß dies unwendig verbleiben soll,
Und muß der Streit denn für sich gehn.
Gedächtest du davon abzustehn,
Und schieden wir mit Minnen
Auf solchen Vertrag von hinnen,
Daß mir von beiden Landen
Mein Zinsrecht bliebe zuhanden,
Das däuchte mir dein Glück zu sein;
Denn wahrlich, mir thut's im Herzen mein
Gar leid, daß ich dich schlagen soll;
Mir gefiel kein Ritter noch so wohl,
Den ich mit Augen jemals sah.«
Sprach der gemuthe Tristan da:
»Der Zins muß ab sein und vorbei,
Willt du, daß Sühne besprochen sei.« –
»In Treuen«, sprach der Kühne,
»So wird nichts aus der Sühne,
So kommen wir nicht zu Minnen:
Der Zins muß mit mir von hinnen.« –
»So fangen wir aber«, sprach Tristan,
»Gar sehr unnütze Teiding an.
Morold, seit daß du mein Gebein
Zu schlagen so gewiß willt sein,
So wehr dich, willt du genesen:
Hier gilt kein andres Wesen.« –
Das Roß warf er im Bogen
Und kam dahergeflogen
Aus einer Wendung grade
Auf pfeilgeradem Pfade
[77]
Nach seines Herzens Begehre
Und mit gesenktem Speere;
Mit fliegenden Schenkeln kam er her,
Zu beiden Seiten das Roß nahm er
Mit Knöcheln und mit Sporen.
Hat Morold Zeit verloren?
Dem ging es um das Leben nun:
Der that recht, wie sie Alle thun,
Die zu rechter Mannhaftigkeit
Mit allen Sinnen sind bereit.
Er nahm auch eine Kehre
Nach seines Herzens Begehre
Wohl bald hin und bald wieder.
Sein Speer flog auf und nieder.
So kam er im Flug dahergerührt
Wie Einer, den der Teufel führt.
Beide das Roß und auch der Mann
Kamen Tristanden fliegend an
Wohl schneller, als ein Falke thut:
So begehrte seiner auch Tristans Muth.
Sie kamen mit gleichem Muth und Begehr
Und kamen im gleichen Fluge her,
Daß sie die Speere zerstachen,
Daß die an den Schilden brachen
Wohl zu tausend Stücken.
Da ging es an ein Zücken
Der Schwerter von den Seiten.
Zu Rosse war dies Streiten:
Gott selber mochte es gerne sehn.
Nun höre ich's allwärts so verstehn,
Und heißt's auch in der Märe,
Als ob's ein Zweikampf wäre,
Und Alle hören oder lesen,
Hier seien nur zween Mann gewesen.
Ich weise euch aber zu dieser Zeit,
Daß es vielmehr ein offener Streit
Von zweien ganzen Rotten was;
Obgleich ich solches niemals las
In der Märe von Tristanden,
Bewähre ich's doch zuhanden.
Morold, wie uns die Wahrheit doch
Gesagt hat stets und heute noch,
Der hatte für vier Männer Kraft:
Dies war vierfache Ritterschaft.
Das war die Streitkraft einerseit.
Auf der andern Seite stand so der Streit:
Das Eine war Gott, das Zweite Recht,
Das Dritte war ihr Beider Knecht
Und ihr bewährter Lehensmann,
Der wohlgemuthe Held Tristan:
Das Vierte, das war williger Muth,
Der Wunder in den Nöthen thut.
Auf dieser Seite, auf jener vier:
Aus diesen bilde ich dort und hier
Zwo ganze Rotten, das sind acht Mann,
So übel, als ich doch bilden kann.
Sonst hättet ihr wohl die Märe
Gehalten für eine schwere,
Daß auf zwein Rossen zwo Schaaren
Zum Schlagen möchten fahren:
Nun habt ihr für wahr vernommen,
Daß hie zu Hauf gekommen
Unter Einem Helme jedwederseit
Vier Ritter oder Vierritterstreit.
Die ritten von jeder Seite
Stark auf einander zum Streite.
Also kam eine Ritterschaft,
Morold mit seiner Viermannskraft
Tristanden wie ein Donner an.
Derselbe leidige Teufelsmann,
Der schlug so kräftiglich auf ihn zu,
Daß er ihm Sinn und Kraft im Nu
Mit seinen Schlägen hätte benommen,
Wär ihm der Schild nicht zu gut gekommen,
Worunter er sich mit Listen
Konnte schirmen und fristen.
Nicht Helm, noch Halsberg war sein Glück,
Und auch kein anderes Waffenstück
Hätte ihm irgend Schutz getragen:
Er hätte ihn durch die Ringe erschlagen;
Er wollte ihm nicht so viel Athem gönnen,
Daß er vor Schlägen aufsehn können.
So ging er ihn mit Schlägen an,
Bis er's mit Schlägen von ihm gewann,
Daß Tristan ob der Schläge Noth
Den Schild zu ferne von sich bot
Und allzuhoch die Schirmung trug,
Bis er ihm durch die Hüfte schlug
Und einen häßlichen Schlag da schwang,
Der ihm hart an das Leben drang,
[78]
Daß ihm das Fleisch und Gebeine da
Durch Panzerhosen und Halsberg sah,
Und daß das Blut aufblitzte
Und über den Werder spritzte.
»Wie nun?« sprach Morold, »willt du gestehn?
Hieran magst du wohl selber sehn,
Daß Niemand Unrecht führen soll;
Nun erweist sich dein Unrecht wohl.
Nun denk noch drauf, willt du gedeihn,
In welcher Weise es möge sein;
Denn wahrlich, Tristan, diese Noth,
Die führt dich letztlich in den Tod,
Wofern ich es nicht wende;
Durch Weibs noch Mannes Hände
Wird dein Leib nimmermehr gesund;
Du bist von einem Schwerte wund,
Das tödtlich und gelüppet ist.
Nicht Arzt, noch Arztes Kunst und List
Errettet dich aus dieser Noth,
Nur meine Schwester kann's, Isot,
Die Königin von Irenland:
Die kennet viel und mancherhand
Wurzeln und aller Kräuter Kraft,
Dazu auch ärztliche Meisterschaft;
Die kennt das Gift, die weiß die Kunst,
Der Andern Rath ist Wind und Dunst.
Ohne die hast du kein Gedeihn.
Willt du mir nun gehorsam sein
Und zugestehn den Zins forthin,
Meine Schwester, die Königin,
Sie selber muß dich heilen,
Und ich will mit dir theilen
Geselliglich, was ich habe,
Und weigern keine Gabe,
Die du begehrst mit Herz und Mund.«
Da sprach Tristan: »Zu keiner Stund
Geb ich mein Recht und meine Ehr
Um dich, noch deine Schwester her.
In meiner freien Hand hab ich
Zwei freie Lande gebracht vor dich:
Die fahren mit mir von hinnen,
Oder ich muß gewinnen
Noch größern Schaden, ja gar den Tod.
Auch bin ich noch nicht zu solcher Noth
Getrieben mit diesem Einen Schlag,
Daß ich nichts andres erwählen mag.
Der Kampf ist für uns Beide
Noch lange nicht am Entscheide.
Der Zins ist dein Tod oder der mein:
Da kann kein anderer Ausweg sein.«
Hiermit schoß er ihn wieder an.
Nun redet aber vielleicht ein Mann
(Ich selber muß die Rede thun):
Gott und Recht, wo sind sie nun,
Tristandes Streitgesellen?
Daß sie ihm nicht Hilfe stellen,
Das will mich Wunder nehmen.
Gut wär es, wenn sie kämen:
Ihre Rotte und Genossenschaft,
Die ist worden sehr schadehaft;
Und kommen sie nicht alsogleich,
So kommen sie zu spät zum Streich;
Darum so mögen sie kommen schier!
Hie reiten Zweene gegen Vier
Und streiten ums bloße Leben.
Das ist gar hingegeben
An Zweifel und Gefährden.
Sollen sie erlöset werden,
So muß es in kurzer Stunde sein.
Gott und Recht, nun reiten sie ein
Mit richtigem Urtheile,
Ihrer Rotte zum Heile,
Ihren Feinden zum Falle.
Nun begannen sich alle
Gleichmäßig zu rottiren,
Die Viere gegen den Vieren,
Und rückten aus, Schaar wider Schaar.
Und Tristan, da er ward gewahr
Der guten Kampfgesellen,
Begann sein Muth zu schwellen:
Ihm brachte seine Genossenschaft
So frisches Herze wie neue Kraft.
Das Roß er mit den Sporen nahm
Und also hergesauset kam,
Daß er nach ganzer Herzenslust
Stoßend mit seines Rosses Brust
So hart an den Gegner prellte,
Daß er ihn zur Erden fällte
Zusammt dem Roß mit Schalle;
Und als er von dem Falle
[79]
Ein wenig zu sich gekommen war
Und wieder wollte zum Rosse dar,
Da war auch Tristan munter
Und schlug ihm den Helm herunter,
Daß er hinflog all über den Plan.
Hiemit so lief ihn Morold an:
Durch die Covertüre er schlug
Tristandes Rosse ab den Bug,
Daß es unter ihm darnieder saß;
Er that nicht übler und that nicht baß,
Sondern sprang jenseits weiter.
Morold, der gewitzte Streiter,
Den Schild zum Rücken kehrte,
Wie ihn sein Witz es lehrte;
Er griff mit der Hand darnieder,
Den Helm, den nahm er wieder;
Er dachte in seiner Weislichkeit
Und machte sich dazu bereit,
So er wieder zu Rosse käme,
Daß er den Helm aufnähme
Und ritte aber Tristanden an.
Nun er den Helm zu sich gewann
Und eilte zu dem Rosse dar
Und diesem schon so nahe war,
Daß er griff nach dem Zügel
Und auch bereits im Bügel
Mit seinem linken Fuße stand
Und faßte den Sattel mit der Hand,
Da hatte ihn Tristan auch erflogen
Und traf ihm auf dem Sattelbogen
Das Schwert zusammt der rechten Hand,
Daß beide flogen in den Sand
Mit Ring zumal und Schnalle:
Und unter diesem Falle
Gab er ihm aber einen Schlag
Da, wo des Helmes Kuppe lag;
Der fuhr so mächtig nieder,
Daß er die Waffe wieder
Mit einer Scharte zog zurück
Und von dem Schwert ein Splitterstück
In seines Feindes Schädel blieb,
Das auch seither Tristanden trieb
In Sorgen und in große Noth:
Es brachte ihm nahezu den Tod.
Da Morold, das trostlose Heer,
So ohne Kraft, so ohne Wehr
Taumelnd hin und wieder ging
Und schon sein Leib zum Falle hing:
»Wie nun, wie nun?« sprach da Tristan,
»So Gott dir helfe, Morold, sag an,
Ist dir nun diese Märe kund?
Mich dünket, du seiest schmerzlich wund;
Ich wähne, daß dein Ding übel steh.
Wie's auch mit meiner Wunde geh,
Dir thäten gute Wurzeln Noth:
Was deine Schwester, Frau Isot,
Von Arzeneien hat gelesen,
Deß wird dir Noth, willt du genesen.
Gott, der wahre, gerechte,
Und sein Gebot, das echte,
Die haben dein Unrecht wohl bedacht
Und Recht an mir zu Recht gebracht.
Der möge mein auch fürbaß pflegen!
Diese Hoffahrt, die ist erlegen.«
Da trat er gegen ihn fürbaß,
Das Schwert nahm er und faßte das
In seine beiden Hände
Und schlug dem Feind zum Ende
Das Haupt zusammt der Kuppen ab.
Darauf er sich zur Bucht begab,
Wo er Moroldens Schifflein fund;
Da saß er ein und fuhr zur Stund
Nach dem Gestade und zu dem Heer;
Allda vernahm er an dem Meer
Große Freude und Klage,
Beide, wie ich euch sage:
Deß Glück an seinem Siege lag,
Dem Heer war ein glückseliger Tag
Und große Freude erstanden dort;
Sie klatschten mit Händen fort und fort,
Lobten Gott mit dem Munde
Und sangen zu der Stunde
Gen Himmel Siegeslieder.
Dem fremden Volk hinwieder,
Den leiden Gästen vom Irenland,
Die da waren auf den Zins gesandt,
Hatte es sehr zu Leide getagt:
Von diesen ward so viel geklagt,
Als die von Kornwall sangen.
Sie wanden und sie rangen
Den Jammer zwischen den Händen gar.
[80]
Die jammernde heimathlose Schaar,
Die klagenden Irlandsmannen,
Dieweil sie wollten von dannen
Zu Schiffe gehn mit Leid und Schmach,
Da eilete Tristan ihnen nach
Und trat sie am Gestade an:
»Kehrt hin, ihr Herren,« sprach Tristan,
»Empfahet jenes Zinsrecht dort
Auf dem Werder und bringt es fort
Und richtet eurem Herrn zu Haus
Von meinem Ohm dem König aus
Und von Kornwall und Engelland,
Daß sie ihm senden den Prisant
Und entbieten ihm auch dabei:
Wofern es je sein Wille sei
Und er gedenke und begehr
Seine Boten wieder her
Nach solchem Zins zu senden,
Wahrlich, mit leeren Händen
Sollen sie uns nicht kehren,
Vielmehr mit gleichen Ehren
Senden wir sie von hinnen,
Wie schwer wir's auch gewinnen«. –
Während er aber sprach und stand,
Deckte er mit dem Schildesrand
Weislich so Blut als Wunde,
Daß Keiner empfing die Kunde.
Das gerieth ihm auch hernach zum Glück,
Denn Jene kehrten so zurück,
Daß ihrer Keiner es inne ward:
Sie machten sich alsbald auf die Fahrt
Und fuhren nach dem Werder fort
Und fanden statt ihres Herren dort
Einen zerstückten Mannen;
Den führten sie auch von dannen.
Nun sie zu Lande kamen,
Alsbald sie zu Handen nahmen
Den Zins und kläglichen Prisant,
Der da durch sie ward dargesandt.
Die Stücke meine ich alle drei:
Daß ihrer keins verloren sei,
Legten sie die auf Einen Hauf,
Trugen sie ihrem Herrn hinauf
Und thäten ihm kund und offenbar
Alles, was ihm entboten war.
Ich wähne und versehe mich wohl,
Deß ich mich wohl versehen soll:
Dem König Gurmun Wohlgemuth
Dem war es gar nicht wohl zu Muth,
Und stand ihm auch das Leid wohl an;
Er hatte an diesem Einen Mann
Verloren Herz, Sinn, Trost und Kraft
Und manches Mannes Ritterschaft.
Die Scheibe, die seine Ehre trug
Und die Morold so freisam schlug
In den Nachbarlanden allen,
Die war in Staub gefallen.
Seiner Schwester, der Königin,
Ging aber sein Tod noch mehr zu Sinn
Mit Jammer und mit Klagenoth:
Sie und ihre Tochter Isot,
Die quälten so und so den Leib,
Wie ihr wohl wisset, daß ein Weib
Sich quält mit herben Schmerzen,
Geht ihr ein Leid zu Herzen.
Sie sahen diesen todten Mann
Nur um des Jammers willen an,
Daß ihre Herzensschwere
All desto größer wäre.
Das Haupt sie küßten und die Hand,
Die ihnen vordem Leut und Land
In ihre Macht und Herrschaft gab,
Wie ich euch schon berichtet hab;
Darauf sie des Hauptes Wunden
Besahen und befunden
Mit Jammer ringsum und genau.
Da ersah die nahesehende Frau,
Der Iren weise Königin,
Den Splitter in dem Schädel drin.
Ein Zänglein ließ sie holen, klein,
Womit sie alsbald griff hinein
Und jenes Stück vom Schwert gewann.
Sie und die Tochter sahen's an
Mit Jammer und mit Leide
Und nahmen es da Beide
Und legten es in einen Schrein,
Und brachte dasselbe Splitterlein
Tristanden seit in große Noth.

Tristan Tantris

[81] Tristan Tantris.

Wohlan, Herr Morold, der ist todt.
Sagt ich nun lange Märe
Von ihrer Aller Schwere
Und Klage, was wäre damit gethan?
Wir wären um nichts besser dran.
Wer möchte all das Leid beklagen?
Morold, der ward zu Grab getragen,
Begraben wie ein andrer Mann.
Da hub Gurmun zu trauern an
Und hieß gebieten allzuhand
Ueber das ganze Irenland,
Daß man drauf achte und nehme wahr,
Was Lebendes auf Erden dar
Von Kornwall käme gefahren,
Das solle man nicht sparen,
Es wäre nun Weib oder Mann.
Und dies Gebot und dieser Bann,
Die wurden gehalten also sehr,
Daß Niemand zu keiner Stunde mehr
Auf keine Weise und keine Art
Gen Irland wagte eine Fahrt
Von Kornwall, Niemand in der Welt,
Der da mit einem Lösegeld,
Mit Bieten oder mit Geben
Sich fristete das Leben,
So daß auch mancher Mutter Sohn
Unschuldig Schaden gewann davon;
Und war das ohne Recht und Noth,
Denn Morold, der lag billig todt:
Der baute nur auf seine Kraft
Und nicht auf Gottes Ritterschaft,
Und hatte zu allen Zeiten
In allen seinen Streiten
Gewalt und Hochmuth offenbart,
Darin er auch gefället ward.
Nun kehre ich wieder, da ich's ließ.
Da Tristan aus Gestade stieß
So ohne Roß, so ohne Speer,
Da kamen tausend Schaaren her
Gedrungen mit ihrem Gruße
Zu Rosse und zu Fuße,
Die grüßten ihn einem Engel gleich.
Der König und sein Königreich
Erlebten nie so lieben Tag,
Was man ihnen wohl glauben mag,
Weil ihnen an diesem Tag erstand
Große Ehre aus seiner Hand:
Er hatte ihr Aller Schmach und Leid
Dahingelegt für alle Zeit.
Und aber die Wunde, die er trug,
Die beklageten sie genug,
Und ging sie ihnen nahe;
Da man sich aber versahe,
Daß er von dieser Bürde
Viel schier genesen würde,
So nahmen sie es nicht in Sinn
Und führten ihn geradehin,
Die ganze Schaar, zu dem Palast,
Entwaffneten ihn mit großer Hast
Und schufen ihm alles das Gemach,
Das er oder Jemand sonst ansprach.
Da wurden Aerzte darbesandt
Von Burgen und vom ganzen Land,
Die allerbesten fern und nah.
Und als die waren beisammen da,
Legten sie alle ihren Sinn
An ihn mit ärztlichen Künsten hin.
Was half's? was war damit gethan?
Er war doch um nichts besser dran.
Was sie auch alle zu Handen
Von ärztlicher Kunst verstanden,
Das konnte ihn nicht entraffen:
Das Gelüppe war so beschaffen,
Daß sie es von der leiden
Wunde nicht konnten scheiden,
Bis es den ganzen Leib einnahm,
Der eine Farbe davon bekam
So jämmerlich und verwunderbar,
Daß er kaum noch zu kennen war;
Und dann gesellte sich im Nu
Ein gräulicher Geruch dazu,
Daß ihm das Leben schwer und hart,
[82]
Sein eigner Leib zum Ekel ward.
Auch war sein größtes Ungemach,
Daß er beschwerte nach und nach
(Das mußte er oft erfahren),
Die seine Freunde waren.
Und so erkannte er baß und baß
Moroldens Rede. Auch hatte er das
Ehmals wohl oft vernommen,
Wie schön und wie vollkommen
Moroldens Schwester wäre:
Von ihr flog eine Märe
Durch alle Lande und Gauen;
Da hieß es von der Frauen:
Die weise Isot, die schöne Isot,
Die leuchtet wie das Morgenroth.
Tristan, der sorgenhafte Mann,
Der dachte zu allen Zeiten dran
Und wußte wohl, sollt er genesen,
So könne er andres nicht erlesen,
Als ihre Kunst und Arzteshand,
Die diese Kunst allein verstand,
Der hochbegabten Königin.
Doch wußte er nicht in seinem Sinn,
Wie er sollte darnach trachten.
Nun begann er aber zu achten,
Da es sein Tod doch wäre,
So wäre es Eine Märe:
Des Leibes Gefahr oder auch sein Tod
Und diese lebendige Todesnoth.
Und also setzte er drauf den Sinn,
Er wollte fürwahr nach Irland hin,
Es ginge ihm, wie Gott wollte,
Ob er durchkommen sollte.
Seinen Oheim, den besandte er
Und sagte ihm ganz von Anfang her
Sein Geheimniß und seinen Muth,
Wie ein Freund seinem Freunde thut,
Was nach Moroldens Märe
Sein Sinn und Wille wäre.
Dies gefiel ihm übel und auch wohl;
Nur daß man freilich in Nöthen soll
Schaden dulden, so gut man kann.
Unter zwein Uebeln wähle man
Was noch am mindesten übel thut:
Dieselbe Kunst ist zu vielem gut.
Da kamen sie ob Tristans Pein
Unter einander überein
(Wie es auch alles vollendet ward),
Wie er vollbrächte seine Fahrt,
Wie man's verschweigen sollte,
Daß er nach Irland wollte
Und sollte sagen Märe,
Daß er in Salerne wäre,
Damit er würde des Uebels baar.
Nun dieses alles beredet war,
Da ward auch Kurvenal besandt;
Demselben machten sie gleich bekannt
Ihren Willen und ihren Muth.
Dies däuchte Kurvenalen gut;
Er sprach, er wolle mit ihm sein,
Mit ihm ersterben oder gedeihn.
Und als es gegen Abend ward,
Bereitete man zu ihrer Fahrt
Ein Schifflein und eine Barke,
Darein schuf ihnen Marke
An Speise, und was sonsten Fug
Auf Schiffen ist, des Vorraths gnug.
Da ward mit manchen Klagen
Tristan dahingetragen,
Der Arme, still und so ganz geheim,
Daß von der Einschiffung daheim
Kaum Jemand ward etwas gewahr,
Als wen man eben besandte dar.
Seinem Oheim er da befahl
Zu einem und zu manchem Mal
Sein Gesinde und all sein Ding,
Daß seines Dinges auch nicht ein Ring
Je von einander käme,
Bis man von ihm vernähme
Eine gewißliche Märe,
Wie ihm's ergangen wäre.
Seine Harfe ließ er kommen:
Die wurde mitgenommen,
Und sonst von seinem Geräth nichts mehr.
Hiemit so stießen sie in das Meer
Und fuhren auch von dannen
Mit mehr nicht als acht Mannen;
Dieselben hatten ihr Leben
Zu Pfand und Bürgschaft geben
[83]
Und auch geschworen mit Eiden,
Aus dem Gebot der Beiden
Mit keinem Fuß zu treten.
Nun daß die Segel wehten
Und Marke sah Tristanden nach,
Sein Ergötzen und sein Gemach,
Das weiß ich wohl, die waren klein;
Zu Herzen und durch Mark und Bein
Ging ihm dasselbe Scheiden,
Das aber doch den Beiden
Zu Freuden und zu Heile kam.
Nun daß das Landesvolk vernahm,
Wie Tristan wäre ferne
Gefahren gen Salerne,
Um seiner Schwere zu genesen, –
Ja, wär er ihr Aller Kind gewesen,
Sein Leid wär ihnen Allen
Nicht schwerer aufs Herz gefallen;
Und da ihm dieses Uebel gar
In ihrem Dienst geschehen war,
Beschwerte es ihnen so mehr den Sinn.
Nun, Tristan, der fuhr immer hin
Ueber Vermögen und über Macht
Ohne Ruhe so Tag als Nacht
Die Straße wider Irenland,
So gut ihn seines Schiffers Hand
Brachte von Ort und Stelle.
Nun daß das Schifflein schnelle
Irland begann zu nahen,
Daß sie das Land wohl sahen,
Tristan dem Steuermeister hieß,
Daß er mit seinem Kiele stieß
Gegen der Hauptstadt Develin,
Allwo die weise Königin,
Wie er wohl glaubte und wußte,
Ihr Wesen haben mußte.
Des Weges fuhr der Steuermann,
Und wie er kam so nah heran,
Daß er sie erblickte und völlig sah,
»Seht, Herre!« rief er Tristanden da,
»Ich sehe die Stadt: was rathet Ihr?« –
Tristan, der sprach: »Da wollen wir
Hie ankern und verbleiben,
Den Abend hie vertreiben,
Dazu auch einen Theil der Nacht.«
Da warfen sie Anker mit Bedacht
Und hielten Rast den Abend dort;
Und in der Nacht hieß er sie fort
Und gegen das Ufer fahren:
Nun daß sie gefahren waren
Und auch so nahe kamen,
Daß sie ihren Standort nahmen
Von der Stadt eine halbe Meile,
Da nahm Tristan in Eile
Das allerärmeste Gewand,
Das man da in der Barken fand;
Das gebot er ihm anzuthun,
Und hieß sich aus der Barke nun
Ins Schifflein legen ganz allein
Und ließ sich auch die Harfe drein
Und so viel Speise geben,
Daß er davon zu leben
Drei Tage vermöchte oder vier.
Nun war das alles verrichtet schier,
Wie er begehrte und befahl.
Da rief er seinen Kurvenal
Und auch die Schiffer mit ihm her:
»Nun nimm, Freund Kurvenal,« sprach er,
»Diese Barke und diese Leute hie,
Um meinetwillen pflege sie
Freundlich allstund und allezeit;
Und wenn ihr nach Hause kommen seid,
Gib ihnen Lohn so reicher Art,
Daß sie das Geheimniß unsrer Fahrt
Getreulich mit uns tragen
Und hier herum nicht sagen.
Und kehre bald der Heimath zu:
Meinen Oheim grüße du
Und sag ihm, daß ich noch lebe
Und möge, wenn Gott es gebe,
Wohl fürbaß leben und gedeihn;
Er soll nicht leidig um mich sein.
Auch thu ihm kund und offenbar,
Ich komme noch in diesem Jahr
Im Fall, daß ich genesen soll:
Geht es mit meinen Dingen wohl,
So wird ihm das viel bald bekannt.
Sag an den Hof und in das Land,
Ich sei unterwegs in dieser Noth
Geblieben auf dem Meere todt.
[84]
Mein Gesinde, das ich noch habe dort,
Das laß mir ja nicht kommen fort;
Sieh, daß sie meiner warten still,
Bis daß die Stunde kommen will,
Die ich dir habe gekündigt an.
Und ist es aber so gethan,
Daß mir in dieser Jahresfrist
Kein Glücke widerfahren ist,
So mögt ihr mich zu den Todten legen
Und lasset Gott der Seele pflegen
Und nehmet ihr euer selber wahr:
Nimm du meine Leute dann und fahr
Heim nach Parmenien wieder
Und laß bei Rual dich nieder;
Meinem lieben Vater sage von mir,
Er möge mir meine Treu in dir
Durch seine Treue lohnen
Und lasse dich bei ihm wohnen
Und biete dir's schön, wie er wohl kann;
Und sag ihm auch noch dieses an:
Die mir haben gedient bisher,
Eine Bitte soll er, und keine mehr,
Mir erfüllen an ihnen:
Jedem, nach seinem Dienen,
Lohne und danke er schön und reich.
Nun, lieben Leute,« sprach er gleich,
»Hiemit will ich euch Gott ergeben,
Fahrt eure Straße und laßt mich schweben;
Ich muß der Gottesgnade
Heut harren auf diesem Pfade;
So habt auch ihr Zeit, daß ihr fahrt,
Euern Leib und euer Leben wahrt:
Es nahet fast dem Tage.« –
Sie mußten mit mancher Klage,
Mit manchem Jammer von hinnen ziehn,
Mit mancher Thräne ließen sie ihn
Schweben auf der wilden See.
Kein Scheiden that ihnen je so weh.
Ein jeglicher getreuer Mann,
Der einen getreuen Freund gewann
Und weiß, wie man den minnen soll,
In Treuen, der versteht sich wohl
Auf Kurvenalens Schwere;
Wie schwer ihm aber die Märe
Im Herzen lag und im ganzen Sinn,
So schiffete er doch immer hin.
Tristan verblieb alleine dort.
Der schwebete allda fort und fort
Mit Jammer und mit Sorgen
Bis an den lichten Morgen:
Und als nun Die von Develin
Das Schifflein in dem Meere drin,
Das steuerlose, gesehen,
Da hießen sie Leute gehen
Und solches Schiffleins nehmen wahr.
Die Boten eilten alsbald dar.
Nun sie begannen zu nahen
Und doch noch Niemand sahen,
Nun hörten sie immer von dorten her
Süß und nach ihres Herzens Begehr
Eine süße Harfen klingen
Und zu der Harfen singen
Einen Mann mit solcher Süße,
Daß sie es nahmen für Grüße
Und für ein Abenteuer
Und regten auch nicht das Steuer,
Dieweil er harfte und weil er sang.
Die Freude war aber nicht gar lang,
Die er ihnen zur Stelle da verhieß,
Denn welches Spiel er sie hören ließ
Mit Händen oder Munde,
Das ging nicht aus dem Grunde:
Das Herze, das war dabei gespart.
So ist es auch nicht Spielens Art,
Daß man es je und irgend thu,
Es stehe denn das Herz dazu;
Geschähe es auch noch so viel,
Es heißet doch kein rechtes Spiel,
Wenn Einer außen und obenhin
Klimpert so ohne Herz und Sinn.
Die Jugend that's alleine hier,
Die ihn mit Mund und Händen ihr
Eine Kurzweil zu bereiten zwang,
Daß er ihr harfete und ihr sang;
Doch war's dem Märterer dazumal
Eine Marter und eine Qual.
Wie er nun ab vom Spiele ließ,
Das andre Schiff gleich näher stieß:
Sie legten an seinem Schifflein bei
Und sahn in die Wette, was drinnen sei.
Wie sie nun seiner nahmen wahr
[85]
Und sahen ihn so jammerbar
Von Farbe und so mißgethan,
Da sahen sie es geringe an,
Daß er mit Hand und Munde
Verstand so preisliche Kunde;
Doch grüßten sie ihn als einen Mann,
Der guten Gruß verdienen kann
Mit Mund und auch mit Händen,
Und baten den Elenden,
Ihnen zu sagen Märe,
Wie ihm's ergangen wäre.
Sprach Tristan: »Ich will's euch sagen;
Ich war in meinen Tagen
Ein höfischer Spielmann, der genug
Künste konnte und höfischen Fug,
Sprechen und wieder schweigen,
Leiern und auch geigen,
Harfen spielen und Rotten,
Heut schimpfen, morgen spotten,
Das konnte ich alles also wohl,
Als solches Volk mit Rechte soll.
Damit gewann ich so genug,
Daß mich das Gut zu ferne trug
Und ich mehr haben wollte,
Als ich mit Rechte sollte.
Da wollt ich an Kaufrath werden satt,
Was mir den Leib verrathen hat,
Und hatte mir auch beigesellt
Einen Kaufmann, reich an Gut und Geld;
Und luden wir Zween einen Kiel
Mit allem dem, so uns gefiel,
Daheime zu Hispanien
Und wollten gen Britanien.
Da aber bestund uns auf dem Meer
In einem Schiff ein Räuberheer,
Die nahmen uns alles, groß und klein,
Und schlugen den Kaufgenossen mein
Und alle lebende Kreatur.
Daß aber ich alleine nur
Mit dieser Wunden entkommen bin,
Da war die Harfe mein Gewinn,
Daran sie Alle sahen klar,
Wie ich auch selber geständig war,
Daß ich eine Art von Spielmann sei.
Da erhielt ich auch kaum und mit viel Geschrei,
Daß sie mir dies Schifflein schlecht und klein
Und so viel Speise gaben drein,
Daß ich bis heute konnte leben.
So mußt ich seit alleine schweben
Mit Marter und mit mancher Klage
Wohl vierzig Nächte und vierzig Tage,
Wohin mich die Winde verschlugen,
Die wilden Wellen trugen;
Die trugen mich bald her, bald hin,
Und kann nicht wissen, wo ich bin,
Und weiß noch minder, wohin ich soll.
Nun thut, ihr Herren, also wohl,
Daß Gott der Herr euch möge lohnen,
Und weiset mich hin, wo Leute wohnen.«
»Geselle,« sprachen aber die Boten,
»Deiner süßen Stimme und deiner Noten
Sollst du allhie genießen.
Du sollt in den Wellen fließen
Nicht länger ohne Trost und Rath.
Was dich auch hergeführet hat,
Gott oder Wasser oder Wind,
Wir weisen dich hin, wo Leute sind.« –
Das thaten sie auch: sie führten ihn
Mit seinem Schisse zusammen hin
Gegen der Stadt, wie er sie bat.
Das Schiff sie banden ans Gestad
Und sprachen aber: »Spielmann, sieh,
Nimm wahr und sieh die Burg allhie
Und diese schöne Stadt dabei.
Weißt du wohl, welche Stadt es sei?« –
»Nein, Herre, ich weiß nicht, was es ist.« –
»So sagen wir dir, daß du bist
Zu Develin in Irenland.« –
»Den Heiland lob ich mit Mund und Hand,
Daß ich doch unter Leuten bin.
Es ist doch gewiß Jemand hier drin,
Der seine Güte an mir beweist
Und mich mit ärztlichem Rathe speist.«
Da kehrten die Boten gen Develin
Und begannen auf dem Wege hin
Zu reden von seinen Sachen
Und großes Wunder zu machen.
Sie sagten wieder die Märe,
Daß ihnen begegnet wäre
Ein Abenteuer mit einem Mann,
[86]
Dem man es sehe schwerlich an
Und könnte sich's nicht zu ihm versehn.
Sie sagten, was ihnen war geschehn,
Wie sie dorther vernommen,
Eh daß sie näher gekommen,
Einen also süßen Harfenklang
Und zu der Harfen einen Sang,
Den Gott selbst möchte hören
In seinen Himmelschören;
Und sagten, daß in dem Schiffe drein
Ein armer Märterer saß allein,
Ein todeswunder Harfenmann:
»Wohl hin, ihr seht es ihm wohl an,
Er stirbt wohl morgen, ja heute noch:
Und in der Marter hat er doch
Einen Muth so frisch und lebensreich,
Daß auch in keinem Königreich
Ein Herz zu finden wäre,
Das also leidiger Märe
Möchte nehmen so wenig wahr.«
Von Burg und Stadt sie kamen dar
Und trieben allzuhanden
Viel Märe mit Tristanden
Und frageten dies und jenes Wort;
Und aber, wie die Boten dort,
Und mit denselben Reden
Beschied er ihrer Jeden.
Zu harfen baten sie ihn alsdann;
Da wandte er allen Sinn daran,
Zu thun, was man ihn hieß und bat,
Weil er's von ganzem Herzen that:
Mit Mund und Händen allen
Zu dienen und zu gefallen,
Das war all sein Begehr und Ziel,
Das that er, so gut ihm's möglich fiel.
Und als der arme Harfenmann
So wider Kraft als Lust begann,
Sein Harfenspiel und Singen
So gar süß vorzubringen,
Da hatten Alle Erbarmen,
Da hießen sie den Armen
Aus seinem Schifflein tragen
Und einem Arzte sagen,
Daß er ihn zu sich nähme,
Und was ihm zu Statten käme,
Deß sollte er sich befleißen
Und sollte ihm Hilfe erweisen
Und Pflege um ihr Gut und Geld.
Nun, dies geschah, dies ward bestellt.
Doch als er ihn heim brachte,
Auf seine Pflege dachte
Und alles an ihn kehrte,
Was seine Kunst ihn lehrte,
Da war all seine Hilfe klein.
Die Märe, die ward allgemein
Ueber die Stadt zu Develin:
Ein Haufe ging her, der andre hin
Und hatten um ihn großes Leid.
Da begab sich's zu derselben Zeit,
Daß auch zu ihm ein Pfaffe kam
Und allda seine Kunst vernahm,
Die er übte mit Hand und Mund,
Dergleichen er selber viel verstund
Und hatte Kunst und guten Fug,
Konnte mit Händen auch genug
In jeglicher Art von Saitenspiel
Und sprach auch fremder Zungen viel.
An höfische Künste, Fug und Art
Hatte er gewendet und nicht gespart
Seine Tage und seinen Sinn.
Derselbe war der Königin
Meister und Ingesinde
Und hatte sie von Kinde
Gewitzigt nach Begehre
In mancher guten Lehre:
In mancher fremden Kunde,
Die er ihr wies von Grunde.
Auch lehrte er sehr die holde,
Ihre Tochter Isolde,
Die nach Wunsch gethane Magd,
Von der die Welt, die ganze, sagt,
Von der auch diese Mären sind;
Dieselbe war ihr einigs Kind,
Und hatte sie von Anbeginn
Auf sie gewendet Fleiß und Sinn,
Auf daß sie lernte eine Kunde
Mit Händen oder mit dem Munde.
Die hatte er auch in seiner Pflege
Und lehrte sie da und allewege
Beides, Bücher und Saitenspiel.
[87]
Nun der an Tristan also viel
Höfischer Art und Künste sah,
Erbarmte ihn seines Leidens da
Gar inniglich und von Herzen sehr
Und verzog auch nicht länger mehr:
Er trat alsbald die Königin an
Und sagte ihr, daß ein Harfenmann
Da in der Hauptstadt wäre,
Ein Märtrer in großer Schwere
Und todt mit lebendem Leibe,
Und wäre kein Mann vom Weibe
An Kunst so auserkoren
Und baßgemuth geboren.
»Ach, edle Königin,« sprach er,
»Wenn es nur irgend möglich wär,
Daß wir darauf gedächten,
Daß wir ihn wohin brächten,
Dahin Ihr füglich kämet
Und das Wunder vernähmet,
Daß ein kranker, sterbender Mann
So herzinniglich süße kann
Die Harfen spielen und singen,
Und will doch nichts gelingen,
Was man ihm Raths erlesen:
Denn er kann nie genesen.
Sein Meister und sein Arzt, der sein
Gepflegt hat, ob er möchte gedeihn,
Der hat ihn aus der Pflege gethan:
Er kann nicht helfen, und schlägt nichts an,
Worauf er hat gewandt den Sinn.« –
»Sieh,« sprach die weise Königin,
»Ich will's den Kämmerern sagen
(Wenn er's je kann vertragen,
Daß Hände ihn berühren
Und von der Stelle führen),
Sie sollen ihn zu uns bringen,
Ob ihm bei seinen Dingen
Etwas zu Statten käme
Oder sein Weh benähme.«
Dies ward gethan, und dies geschah.
Nun daß die Königin ersah,
Wie diese Wunde beschaffen war,
Dazu die Farbe grauenbar,
Erkannte sie das Gift daran.
»Ach, armer Spielmann,« hob sie an,
»Du bist ja von Gelüppe wund.« –
»Ich weiß nicht,« sprach des Kranken Mund:
»Ich kann nicht wissen, was es sei,
Mir mag kein Arzt, noch Arzenei
Genesung bringen oder Ruh:
Nun weiß ich nicht mehr, was ich thu,
Als daß ich mich Gott ergebe
Und meine Frist verlebe.
Wer aber Gnade an mir begeht,
Da es so kümmerlich um mich steht,
Dem lohne Gott. Mir ist Hilfe noth,
Ich bin mit lebendem Leibe todt.« –
Die Weise rief ihm aber zu:
»Spielmann, sag an, wie heißest du?« –
»Fraue, Tantris bin ich genannt.« –
»Wohlan, Tantris, dir sei bekannt,
Daß meine Hand dir helfen soll;
Sei getrost und gehabe dich wohl,
Dein Rath und Arzt ich selber bin.« –
»Dank dir, viel süße Königin!
Deine Zunge, die grüne immer,
Dein Herz ersterbe nimmer,
Deine Weisheit möge immer leben,
Den Hilfelosen Hilfe geben,
Dein Name, der möge werden
Hoch an Würden auf Erden!« –
»Tantris,« fiel die Königin ein,
»Wofern es dir möglich sollte sein,
Nur daß du freilich von Kräften bist,
Was auch kein Wunder an dir ist,
So hörte ich gerne Harfenspiel:
Deß kannst du, höre ich sagen, viel.« –
»Nein, Fraue, laßt die Rede sein:
Mein Uebel irrt und hindert klein,
Daß ich nicht thäte und gern dazu,
Womit ich Euch einen Gefallen thu.«
So ward seine Harfe darbesandt.
Auch besandte man allzuhand
Die junge Königinne,
Das wahre Insiegel der Minne,
Mit dem auch seit versiegelt
Sein Herz ward und verriegelt
Vor aller Welt und ihrem Schein
Und gehörte nur ihr allein.
Die schöne Isolde kam auch dar
[88]
Und nahm mit allem Fleiße wahr,
Wie Tristan über der Harfen saß.
Nun harfete er auch noch viel baß,
Als er es vormals je vollbracht,
Weil ihm nun Hoffnung war gemacht,
Sein Unglück sei zu Ende.
Er harfte und sang behende,
Nicht wie ein lebensmüder Mann;
Er fing es frische lebendig an
Und wie der Wohlgemuthe thut.
Er machte es ihnen also gut
Mit Händen und mit Munde,
Daß er in der kurzen Stunde
All ihre Huld also empfing,
Daß ihm's nach ganzem Willen ging.
Doch über seinem süßen Schall,
So hier zur Stelle wie überall,
Erwies die Wunde ihren Fluch
Und machte einen solchen Ruch,
Daß Niemand konnte die Plagen
Eine Stunde ertragen.
Aber begann die Königin:
»Tantris, wenn es sich fügt dahin,
Und daß es also um dich steht,
Daß dieser Geruch an dir vergeht
Und Jemand kann bei dir gedeihn,
So laß dir wohl befohlen sein
Isolden hier, die junge Magd.
Die hat gelernet unverzagt
Beides, Bücher und Saitenspiel,
Und kann auch dessen billig viel,
Nach den Tagen und nach der Frist,
Als sie dabei gewesen ist.
Hast du nun irgend größere Kraft
In einer Kunst oder Wissenschaft,
Denn ich und auch ihr Meister hie,
Um meinetwillen das lehre sie.
Dafür will ich dir Leib und Leben
Zum Lohn und Ehrensolde geben
Gesund und wieder wohlgethan,
Nachdem ich sie geben und nehmen kann,
Denn beide sind in meiner Hand.«
»Ja, ist es denn also bewandt,«
Sprach aber der sieche Harfenmann,
»Daß ich dadurch aufkommen kann
Und so mit Spiele genesen soll,
Ob Gott will, so genese ich wohl.
Fraue, selige Königin,
Und ist es denn, daß Euer Sinn
Euch also, wie Ihr mir da sagt,
Um Eure Tochter steht, die Magd,
So hoffe ich sehr wohl zu genesen:
Denn der Bücher hab ich gelesen
In solchem Maß und also viel,
Daß ich mir wohl getrauen will,
Ich diene Euch zu Dank an ihr.
Dazu so weiß ich wohl an mir,
Daß meines Alters kein einiger Mann
So viel der edlen Spiele kann.
Was Ihr nun drüber geruhet
Und mir zu wissen thuet,
Das nehmet alles für gethan,
So weit ich es vermag und kann.«
So beschied man ihm ein Kämmerlein
Und gab ihm alle Tage drein
All die Pflege und Gemächlichkeit,
Die er sich wünschte zu jeder Zeit.
Nun erst war ihm gekommen
Zu Statten und zu Frommen
Die Weisheit, die er im Schiff beging,
Da er den Schild zur Seiten hing
Und deckte seine Wunde
Und brachte sie nicht zur Kunde,
Daß das Irenvolk sie nicht errieth,
Da es vom Lande Kornwall schied.
Daher war ihnen gar nichts kund,
Und wußten sie nicht, daß er war wund.
Denn hätten sie dort befunden
Etwas von seiner Wunden,
So wohl, als ihnen war bekannt,
Wie's mit den Wunden war bewandt,
Die Morold mit dem Schwerte schlug,
Das er in allen Nöthen trug,
Es wäre fürwahr Tristanden nie
Ergangen, wie es ihm ging allhie.
Nun aber half's ihm aus der Gefahr,
Daß er so vorbedächtig war.
Hie mag ein Mann erkennen dran
Und lernen wohl, wie oft ein Mann
Das, was er vorbedächte,
[89]
Zu gutem Ende brächte,
Wenn er auf seiner Stätte
Scharfsinn und Fürsicht hätte.
Die weise Irenkönigin,
Die wandte allen ihren Sinn
Und allen ihren Witz daran,
Wie sie errette einen Mann,
Um dessen Leib und Leben
Sie hätte so gern gegeben
Ihr Leben und ihre ganze Ehr.
Ja, ihn zu hassen war sie noch mehr
Bedacht, als sich zu minnen;
Und was sie doch konnte ersinnen,
Das ihm zu Lindrung, Frommen
Und mochte zum Heile kommen,
Auf solches wandte sie spät und früh
Alle Bedachtsamkeit und Müh.
Da war nun eben kein Wunder dran:
Ihr Feind war ihr ein fremder Mann.
Ja, wär ihr gethan zu wissen,
Für wen sie war beflissen,
Und wem sie half aus Todesnoth,
Es wäre ihr ärger denn der Tod,
Den sie ihm hätte gegeben
Viel lieber, denn das Leben;
Nun wußte sie aber nichts als Guts
Und war ihm guten und holden Muths.
Wollte ich euch nun sagen viel
Und Reden machen ohne Ziel
Von meiner Frauen Meisterschaft,
Wie wunderbare gute Kraft
In ihren Arzeneien war
Und ihren Siechen neu gebar,
Was hülfe es und was sollte das?
In edlen Ohren lautet baß
Ein Wort, das ziemt und lieblich stimmt,
Denn was man aus der Büchsen nimmt.
So weit ich's kann bedenken und fassen,
Will ich das immer unterlassen,
Daß ich euch Worte sollte sagen,
Die euren Ohren mißbehagen
Und eurem Herzen widerstehn.
Eh rede ich, will's nicht anders gehn,
Desto minder von einer Sache,
Eh daß ich euch die Märe mache
Unleidlich zu irgend einer Frist
Mit Rede, die nicht des Hofes ist.
Von meiner Frauen Kunde,
Und wie da genas der Wunde,
Will ich euch kürzlich sagen:
Sie half ihm in zwanzig Tagen,
Daß man sein allerwärts war froh
Und Niemand ihn ob der Wunde floh,
Der irgend wollte zu ihm hin.
Seit ging die junge Königin
Allzeit bei ihm in seine Lehr;
An diese wandte er gar sehr
Seinen Fleiß und seine Stunden;
Das Beste von seinen Kunden,
So Bücherlehre als Saitenspiel,
Was ich nicht alles erzählen will,
Das legte er ihr besonders für,
Daß sie nach ihrer eignen Kür
Zur Lehre daraus nähme,
Was ihr zu Fuge käme.
Auch war die schöne Isold zur Hand:
Das Beste, das sie allda fand
Unter seinen Künsten mannigfalt,
Dem unterzog sie sich alsbald
Und wandte auch Fleiß bei allem an,
Was sie je in der Welt begann.
Auch half ihr nach Begehre
Ihre frühere Lehre:
Sie hatte Kunst und Art und Fug
Und höfische Sitten eh genug,
Und was man kann mit Mund und Hand;
Die schöne Jungfrau, sie verstand
Ihre Develiner Sprache fein,
Konnte franzois und auch latein,
Konnte fiedeln zu Preise
In welscher Art und Weise.
Ihre Finger, die konnten,
So wie sie es begonnten,
Viel wohl die Leier rühren
Und auf der Harfen führen
Die Saitentöne mit Gewalt;
Bald stieg sie auf und nieder bald
Mit den Noten kunstreich und geschwind.
Auch sang das selige Mutterkind
Süß und wohl mit dem Munde:
[90]
Und doch bei aller Kunde
Sollte ihr stets zum Frommen
Ihr Meister, der Spielmann, kommen;
Der besserte sie gewaltig da.
Zu diesen Lehren es geschah,
Daß er ihr eine neue las,
Die nennen wir Moralitas:
Die Kunst, die lehret schöne Sitten;
Da sollte man jede Fraue bitten,
Daß sie dran ihre Jugend kehre.
Moralität, die süße Lehre,
Die ist glückselig und ist rein.
Ihre Gebote sind gemein
So mit Gott als auch mit der Welt;
Denn sie sind also dargestellt,
Daß wir Gott und der Welt gefallen;
Sie ist den edlen Herzen allen
Zu einer Amme mitgegeben,
Daß sie ihre Nahrung und ihr Leben
Suchen in ihrer Lehre:
Sie haben nicht Gut noch Ehre,
Wenn nicht Moralität sie weist.
Das war ihre Unmuße meist,
Ich meine die junge Königin:
Damit ergötzte sie ihren Sinn
Und ihre Gedanken oft und viel.
Ihre Sitte ward in diesem Spiel
Löblich, und schön und rein ihr Muth,
Ihre Gebärden süß und gut.
So kam die süße junge Maid
Zu Besserung und Vollkommenheit
An Lernen und Sitte wunderbar
In jenem einzigen halben Jahr,
Daß von ihrer herrlichen Art
Das ganze Land erfüllet ward;
Auch gewann ihr Vater auf seinem Thron,
Der König, große Lust davon,
Und ihre Mutter ward sehr froh.
Nun fügte es sich oftmals so,
Wenn ihr Vater war freudehaft,
Oder wenn fremde Ritterschaft
Bei dem Könige war zu Gast,
Daß Isolde in den Palast
Für ihren Vater ward besandt,
Und was der Holden war bekannt
Von schönen Sitten und höfischen Kunden,
Damit verkürzte sie ihm die Stunden
Und mit ihm Manchem, den er lud.
Und ward der Vater frohgemuth
Von ihr, das freute alle gleich:
Denn Hoch und Nieder, Arm und Reich,
Sie hatten an ihr beide
Eine selige Augenweide,
Der Ohren und des Herzens Lust;
Außer und innerhalb der Brust
War ihre Lust die Holde.
Die süße reine Isolde,
Sie sang, sie spielte, sie las, sie schrieb,
Und was Allen war werth und lieb,
Das war ihre Lust, das freute sie.
Sie fiedelte ihre Stampenie,
Leiche und fremde Nötelein,
Die nimmer fremder konnten sein,
Darin sie Monjoye Saint Denis
In der Weise von Frankreich pries;
Da konnte sie aus der Maßen viel.
Ihre Leier und ihr Harfenspiel
Schlug sie zu beiden Seiten hin
Mit Händen, weiß wie Hermelin,
Zu seltnem Lob und Preise gut.
Nicht in Thamise, noch in Lut
Schlugen der Frauen Hände nie
Die Saiten süßer an, denn hie.
La duze Isot, la bele,
Sang ihre Pasturele,
Rotruwange, Rundate,
Schanzune, Refloit, Folate,
Wohl, wohl, ja wohl und allzu wohl;
Denn von ihr ward manch Herze voll
Mit sehniglichem Trachten,
Mit Denken und mit Achten:
Gedanken wurden fürgebracht
Und viel und wundersam gedacht,
Wie ihr wohl wisset, daß geschieht,
Da man ein solches Wunder sieht
Von Schönheit und von höfischer Art,
Wie an Isolden geoffenbart.
Wen soll ich ihr vergleichen,
Der schönen, freudenreichen,
Als der Sirenen eine,
[91]
Die mit dem Magnetensteine
Die Kiele ziehen her zu sich.
So zog Isolde, dünket mich,
Viel Herzen und Gedanken ein,
Die doch wähnten bewahrt zu sein
Vor dem sehnenden Leide.
Es sind auch diese beide,
Kiel ohne Anker und sehnender Muth,
Eins in des andern Maße gut.
Sie sind so selten beide
Auf richtiger Wegescheide,
So oft auf ungewissem Meer;
Da wanken sie beide hin und her
Und treiben vor der Fluthen Stoß.
So schwebet der Wille steuerlos,
Der ungewisse Minnenmuth,
Recht wie das Schiff ohn Anker thut,
In ebengleicher Weise.
Die gefüge Isold, die weise,
Die junge süße Königin,
So zog sie die Gedanken hin
Aus manches Herzens Schiffe,
Wie der Magnet zum Riffe
Die Barken mit Sirenensang.
Ihr Sang in manches Herze drang
So laut und offen durch das Ohr,
Als heimlich durch der Augen Thor.
Der offene Sang, der laute,
Der alle Welt erbaute,
Das war ihr süßes Singen,
Ihr liebliches Saitenklingen,
Das laut zu offnen Thoren
Durchs Königreich der Ohren
Hernieder in die Herzen klang.
Dagegen war der geheime Sang
Ihre wundersame Schöne,
Die da mit Lustgetöne
Gar leise und gar sänftiglich
Durch die Fenster der Augen schlich
In manches edlen Herzens Schrein
Und brachte den Zauber mit hinein,
Der den Gedanken Netze spann
Und fing und fesselte sie an
Mit Sehnsucht und mit sehnender Noth.
So hatte sich die schöne Isot
Durch Tristans Fleiß in Kunst und Lehr
Gebessert und gewitzigt sehr.
Sie war geworden süßgemuth,
Von Sitte und Gebärde gut,
Konnte manch schönes Saitenspiel,
Schöner Geschicklichkeiten viel,
Briefe und Schanzune dichten,
Ihre Dichtung sichten und schlichten,
Sie konnte schreiben und lesen.
Auch war Tristan genesen
Und war geheilet ganz und gar,
So daß ihm Haut und Farbe klar
Und wieder rein zu werden begann.
Nun lag ihm die Furcht allstündlich an,
Daß einer den Feind erfinde
Vom Landvolk oder Gesinde,
Und war er in stetem Sinnen,
Mit welcherlei Beginnen
Er seinen Urlaub nähme
Und aus den Sorgen käme,
Da er wohl wußte in seinem Sinn,
Die alte noch junge Königin
Würden ihm nicht leicht Urlaub geben.
Nun bedachte er aber, daß sein Leben
Zu jeder Zeit und allestund
In großer Ungewißheit stund.
Er ging zur Königin Isold
Und begann allda gar schön und hold
Seine Rede zu stellen, Wort für Wort,
Wie er auch thät an jedem Ort;
Er kniete für sie hin und sprach:
»Fraue, die Gnade und das Gemach
Und die Hilfe, so Ihr mir habt gethan,
Die lasse Euch wiederum Gott empfahn
Zu Lohn in seinem ewigen Reich!
Fraue, Ihr habt so wundergleich
An mir gehandelt und also wohl,
Daß Euch's Gott immer lohnen soll,
Und daß ich's immer verdienen will
Bis hin an meines Lebens Ziel,
Wie ich und wo ich armer Mann
Eur Lob und Ehre fördern kann.
Selige Königin, wollt verzeihn,
Es möge mit Euren Hulden sein,
Daß ich heimfahre in mein Land,
Denn meine Sachen sind so bewandt,
Daß ich nicht länger bleiben kann.«
[92]
Die Königin, die lachte ihn an:
»Dein Schmeicheln,« sprach sie, »hat kein Gewicht,
Ich gebe dir den Urlaub nicht,
Und kommst du von hinnen nicht fürwahr,
Ehe daß um ist dies ganze Jahr.« –
»Nicht also, edle Königin!
Fraue, nehmet in Euren Sinn,
Wie's um die Gottesehe
Und Herzensliebe stehe.
Ich habe daheim ein ehlich Weib,
Die minn ich wie meinen eignen Leib
Und weiß, die glaubt mit Zuversicht
Und hat auch keinen Zweifel nicht,
Ihr Mann, der sei gewißlich todt;
Das ist meine stete Angst und Noth:
Wird sie einem andern Mann gegeben,
So ist mein Trost und ist mein Leben
Und alle meine Freude hin,
Darauf ich harrend und hoffend bin,
Und werde ich nimmer wieder froh.« –
»In Treuen,« sprach sie, »und steht es so,
Tantris, die Noth ist ehehaft.
Also gethane Genossenschaft,
Die darf kein Guter scheiden.
Gott, der gnade euch Beiden,
Deinem Weib und so auch dir.
Wie ungern ich dich lasse von mir,
Doch will ich dein um Gott entbehren.
Den Urlaub muß ich dir gewähren
Und bin dir willig und bin dir hold.
Ich und mein Töchterlein Isold,
Wir geben dir auf die Reise
Zu deines Leibes Speise
Zwo Mark von rothem Golde:
Die nimm dir von Isolde.« –
Da hielt er ohne Ende
Gefalten seine Hände
(Des Leibes und der Sinnen)
Den beiden Königinnen,
Der Mutter und der jungen Magd:
»Euch Beiden,« sprach er, »sei gesagt
Viel Gottesdank und Huld und Ehr.« –
Und blieb auch da nicht länger mehr:
Er fuhr von dannen nach Engelland,
Von wannen er alsbald gewandt
Gen Kornwall seine Barke.
Nun daß sein Oheim Marke
Und all das Landvolk da vernahm,
Daß er genesen wiederkam,
Da waren sie männiglich also
Recht und von ganzem Herzen froh,
Daß Freude war im ganzen Reich.
Der König, sein Freund, der fragte ihn gleich,
Wie ihm's ergangen wäre;
Da sagte er ihm die Märe,
So gut er konnte, zur selben Stund
Von oben hin bis auf den Grund.
Das nahm sie auch Alle Wunder
Und begannen jetzunder
Zu scherzen und zu lachen,
Groß Gelächter zu machen
Von seiner Fahrt gen Irenland,
Und wie ihn seiner Feindin Hand
So lustig hieß genesen,
Und von allem dem Wesen,
Wie er sich gehabte und gedieh.
Sie sagten, sie hätten vernommen nie
Ein Ding so fremd und wunderbar.
Nun dies alles geschehen war,
Daß seine Genesung und Reise
Belacht war laut und leise,
Da begannen Mann und Magen
Nach der Magd Isold zu fragen.
»Isolde,« sprach er, »ist eine Magd:
Was alle Welt von Schönheit sagt,
Das ist dawider wie ein Wind.
Die lichte Isolde, die ist ein Kind
Von Gebärden und von Leibe,
Daß Kind, noch Magd vom Weibe
So herrlich und auserkoren
Nie ward, noch wird geboren.
Die lautere, die lichte Isold
Ist lauter wie arabisch Gold.
Was ich zu wähnen mich je vermaß,
Wie ich es in den Büchern las,
Die ihr zu Lobe geschrieben sind, –
Aurorens Tochter und ihr Kind,
Tyndarides die werthe,
Die ich bis dahin ehrte,
Daß sie die Schönheit aller Frauen
In Einer Blume gab zu schauen,
[93]
Von solchem Wahne bin ich kommen:
Isold hat mir den Wahn benommen.
Ich muß ab von dem Glauben stehn,
Die Sonne komme von Myzen;
Gänzliche Schöne ertagete nie
Zu Griechenland: sie taget hie.
Jeder Gedanke und jeder Mann,
Die schauen alle nur Irland an;
Da schöpfen die Augen Wonne,
Sehn, wie die neue Sonne
Nach ihrem Morgenrothe,
Isolde nach Isote,
Aufging daher von Develin
Und morgenlich in die Herzen schien.
Die Wonnige, Sonnengleiche
Erleuchtet alle Reiche.
Was sie da Lob von Weibern sagen,
Was sie mit Lobe zu Mären tragen,
Das gilt dawider alles nicht.
Wer Isolden schaut ins Angesicht,
Dem läutert das Schauen Herz und Muth,
Recht wie die Gluth dem Golde thut,
Und macht ihm heimisch Seel und Leib.
Doch ist durch sie kein ander Weib
Gedämpfet, noch vernichtet,
Wie Mancher Mären dichtet:
Ihre Schöne verschönet,
Sie zieret und sie krönet
Frauen und Frauenwürde:
Drum sei sie keiner zur Bürde!« –
Nun Tristan hatte angesagt
Von seiner Frauen, der schönen Magd,
Der wonniglichen von Irenland,
Nach dem, wie es ihm war bekannt,
Versüßte Jedem, der da saß
Und sie recht in sein Herze las,
Die Märe das Gemüthe,
Wie Maienthau die Blüthe:
Sie gewannen Alle sanften Muth.

Die Brautfahrt

Die Brautfahrt.

Tristan, das frische junge Blut,
Der hub da wieder an sein Leben;
Ihm war ein ander Leben gegeben,
Er war ein neugeborner Mann.
Da fing's erst wieder bei ihm an,
Und wurde er froh von Herzensgrund.
König und Hof, die waren allstund
Zu seinem Willen und Dienst bereit,
Bis sich die schnöde Unmüßigkeit,
Der verworfene Neid begann,
Der nimmer ruhen, noch rasten kann,
An vielen der Herrn zu üben,
Ihnen zu wirren und trüben
Den Muth und auch die Sitten,
Daß sie nicht gerne litten
Die Ehre und die Würdigkeit,
Die ihm der Hof erwies zur Zeit
Und all das Landgesinde.
Sie begannen gar geschwinde
Zu reden von seinen Dingen,
Ihn ins Geschrei zu bringen,
Daß er ein Zaubrer wäre;
Und jene ganze Märe,
Wie er ihren Feind Morolden schlug,
In Irland sich sein Ding zutrug,
Das gaben sie also zu verstehn,
Daß alles aus Zauber wäre geschehn.
»Seht,« sprachen sie Alle, »merket hie
Und sprechet, wie er doch gedieh
Vor dem Starken, vor Morolden,
Und wie er betrog Isolden,
Die wunderweise Königin
(Die ihm doch trug so tödtlichen Sinn),
Daß sie ihm so zur Seiten stand,
Bis daß er genas von ihrer Hand?
Merket Wunder und höret her:
Dieser Gaukler, wie kann doch er
Sehende Augen blenden
[94]
Und alles das vollenden,
Was er zu thun und zu enden hat!«
Da fielen sie auf einen Rath,
Die Marken Rathes pflagen,
Daß sie dem Herrn anlagen
Beides so fruh als spate
Mit fleißiglichem Rathe,
Daß er ein Weib doch nähme,
Von der er zu Erben käme,
Sei es nun Tochter oder Sohn.
Marke sprach: »Gott, der hat uns schon
Einen guten Erben gegeben:
Er friste dem das Leben!
Tristan, dieweil der leben soll,
Das wisset ihr seit lange wohl,
Kommt weder Frau noch Königin
An diesen Hof. Das ist mein Sinn.« –
Hiemit ward aber des Hasses mehr
Und mehr des Neides denn vorher,
Den sie Tristanden trugen,
Daß auch die Flammen schlugen
Heraus bei Vielen also sehr,
Daß sie es da nicht länger mehr
Verhehlen konnten im Herzensgrund,
Und boten ihm zu mancher Stund
Solche Gebärde und solches Wort,
Daß er erbangte vor dem Mord,
Und lag ihm die Sorge beständig an,
Daß sie irgendwie und irgendwann
Sich möchten gar vertragen,
Ihn mordlich zu erschlagen.
Seinen Oheim Marke, den bat er sehr,
Daß er der Landesherrn Begehr
Zu einem Ziele brächte
Und doch um Gott bedächte
Seine Sorgen und seine Noth.
Er wisse nicht, wann es sein Tod
Und wann es sein Ende wäre.
Da sprach auf diese Märe
Sein Oheim: »Neffe mein, Tristan,
Schweig still, da gehe ich nimmer dran:
Ich begehre zum Erben dich allein.
Auch sollt du ohne Sorgen sein
Um deinen Leib und um dein Leben:
Ich will dir guten Frieden geben.
All ihr Beneiden und all ihr Haß,
Nun, so dir Gott, was schadt dir das?
Das Hassen und das Neiden,
Das muß der Biderbe leiden:
Des Mannes Werth steigt all die Frist,
Dieweil und er beneidet ist.
Würde und Neid, die zwei, die sind
Recht wie eine Mutter und ihr Kind.
Die Würde gebieret alle Zeit
Und führet mit sich Haß und Neid.
Wen kommt auch der Haß und wen fällt er an
So oft, als einen gesegneten Mann?
Das Glück ist arm und schwacher Hand,
Das nimmer Haß um sich erfand.
Leb immer so, wirb immer um das,
Daß du einen Tag seist ohne Haß:
So erwirbst du doch nimmer das,
Daß du jemals lebest ohne Haß.
Hättest du aber gerne Fried
Vor bösen Leuten, so sing ihr Lied
Und sei mit ihnen ein schlechter Wicht,
So hassen sie dich fürder nicht.
Mein Tristan, was auch Jemand thu,
So richte du dich je darzu,
Daß du stets hohes Muthes seist:
Sei allweg vorbedacht im Geist
Auf deinen Frommen und deine Ehr
Und rathe du mir das nicht mehr,
Wovon dir Schade muß geschehn.
Was Reden hierüber auch ergehn,
Ich folge nicht ihnen und auch nicht dir.«
»Herre, nun so gebietet mir!
So will ich von dem Hofe fahren:
Ich kann mich vor ihnen nicht bewahren.
Soll ich bei diesem Hasse sein,
So kann ich nimmermehr gedeihn.
Eh ich mit solchen Gefährden
Alle Königreiche auf Erden
Wollte haben in meiner Hand,
Eh blieb ich ewiglich ohne Land.« –
Da Marke seinen Ernst sah an,
Hieß er ihn schweigen und begann:
»Neffe, wie gern ich allezeit
Dir hielte Treu und Beständigkeit,
[95]
So lässest du es ja nicht geschehn.
Was nun auch mag hieraus entstehn,
Da bin ich gar unschuldig dran.
Wie ich dir nun willfahren kann,
Da bin ich aber bereit dazu.
Sag an, wie willt du, daß ich thu?« –
»Da besendet Euren Herrenrath,
Der Euch dies angerichtet hat,
Und erfahret eines Jeden Muth:
Fraget, wie es sie dünke gut,
Daß Ihr verfahren sollt hierin,
Und erforschet also ihren Sinn,
Daß es mit Ehren mög ergehn.«
Nun, dies war alsobald geschehn
Und waren sie alle darbesandt;
Die riethen auch Marken allzuhand,
Und dies allein zu Tristans Noth,
Wenn's möglich wär, die schöne Isot,
Die ziemte ihm wohl zum Weibe
Nach Tugend, Geburt und Leibe,
Und stellten auch darauf den Rath.
Sie kamen Alle, und Einer trat,
Der da zu reden wohl verstund,
Hervor und sprach aus Einem Mund
Ihr Aller Willen, Sinn und Muth:
»Herre,« sprach er, »uns dünket gut,
Die schöne Isot von Irenland,
Wie all den Landen ist bekannt,
Die hier und dort gelegen sind,
Die ist eine Magd und ist ein Kind
Von weiblicher Vollkommenheit,
Mit jedem weiblichen Ehrenkleid
Gezieret aus dem Grunde,
Wie Ihr zu mancher Stunde
Selbst von ihr habt vernommen:
Die ist fürwahr vollkommen
Von Leben und von Leibe:
Mag Euch nun die zum Weibe
Und uns zur Frauen werden,
So kann uns auf der Erden
An keinem Weibe baß geschehn.« –
Der König sprach: »Laßt, Herre, sehn,
Wenn ich Die haben wollte,
Wie es dann gehen sollte?
So nehmet nun doch zu Sinne,
Wie es mit unsrer Minne
Seit lange gegen Jene stand:
Bedenkt, uns hassen Leut und Land.
Herr Gurmun mir von Herzen grollt:
Mit Recht! ich bin ihm auch nicht hold.
Wer brächte jemals unter uns Zwein
So große Freundschaft überein?« –
»Herre,« sprachen sie allzumal,
»Es füget sich gar manches Mal,
Daß Lande einander schädigen:
Da sollen sie beide tedigen,
Daß sie Rath suchen und finden,
Und sollen's mit ihren Kinden
Wieder zur Sühne bringen:
Denn aus feindseligen Dingen
Ward große Freundschaft schon gemacht.
Seid Ihr auf solches nun bedacht,
So erlebet Ihr noch wohl den Tag,
Daß Irland Euer werden mag.
Irland hängt an den Dreien allein,
Da Beide außer dem Mägdelein
Ohne andere Erben sind.
Isolde ist ihr einiges Kind.«
Auf diese Reden erwiderte er:
»Tristan, der hat mich schon gar sehr
In Gedanken an sie gebracht;
Ich habe viel von ihr gedacht,
Als er sie lobete wider mich.
Durch die Gedanken bin auch ich
Vor den Anderen allen
So sehr auf sie gefallen,
Daß, soll sie nicht mein werden,
So wird auf dieser Erden
Eine Andre nimmermehr mein Weib,
So mir Gott und mein eigner Leib.« –
Den Eid, den that er nicht um das,
Daß ihm sein Gemüthe irgend baß
Gestanden wäre hin, denn her:
Aus Schlauheit und aus List schwur er,
Darin ihm war ganz ungedacht,
Daß solches würde je vollbracht.
Der Rath sprach aber schadenfroh:
»Herre, verfüget Ihr es so,
Daß mein Herr Tristan hier zu Statt,
Der da des Hofes Kunde hat,
[96]
Eure Botschaft übernehmen will,
So ist es alles an ein Ziel
Und an ein stetes End gebracht.
Der ist weise und wohlbedacht
Und glücklich in allen Dingen:
Der kann es zu Ende bringen.
Er kann auch ihre Sprache wohl;
Er endet, was er enden soll.« –
»Ihr rathet übel,« sprach aber er:
»Ihr fleißet Euch ja viel zu sehr
Zu Tristans Schaden und seiner Noth.
Er ist ja doch nun einmal todt
Für euch und eure Erben.
Nun soll er zweimal sterben,
Wenn's euren Willen gelten soll.
Nein, ihr von Kornwall, merket wohl,
Ihr müsset selbst nach Irland hin.
Rathet mir nimmermehr auf ihn.«
»Herre,« sprach aber da Tristan,
»Sie missereden nicht hieran.
Es wäre wohl gefüge;
Wenn es auch Euch zuschlüge,
So griffe ich es kühner an
Und bereiter denn ein andrer Mann:
Und ist auch recht, daß ich es thu.
Herre, ich bin ganz gut dazu:
Niemand kann Euch baß dienen.
Nun so gebietet ihnen,
Daß sie selbst mit mir fahren,
So hin als her bewahren
All Euer Ding und Eure Ehr.« –
»Nein, Neffe, du kommst mir nimmermehr
In ihre Gewalt und in ihre Hand,
Seit dich Gott wieder hat gesandt.« –
»Herre, fürwahr, und dies muß sein:
Mögen sie da sterben oder gedeihn,
So muß es mit ihnen auch mir geschehn.
Ich will sie selber lassen sehn,
Wenn dies Land bleibet erbenfrei,
Ob das von meinen Schulden sei.
Heißet sie sich bereiten:
Den Kiel, den will ich leiten
Und führen mit meiner eignen Hand
In das glückselige Irenland,
Wieder gen Develin hinein
Gegen dem schönen Sonnenschein,
Der manchen Herzen Freude bringt.
Gewiß, daß uns die Fahrt gelingt!
Herre, würd Euch die schöne Isot,
Und lägen wir dann auch Alle todt,
Es würde wenig Schaden thun.«
Als aber Marke's Räthe nun
Vernahmen, wohin die Rede kam,
Da wurden sie voll Reu und Scham,
Daß sie in all ihren Jahren
Niemals so traurig waren.
Nun mußte es aber und sollte sein.
Tristan las aus des Hofes Reihn
Des Königes vertraute Herrn,
Zwanzig Ritter von echtem Kern
Und in der Noth die besten.
Vom Lande und von Gästen
Gewann er sechzig um den Sold.
Des Rathes hatte er ohne Gold
Zwanzig der Landbarone.
So waren's der Companione
Gerade hundert und Keiner mehr.
Mit denen fuhr Tristan über Meer,
Die waren seine Genossenschaft;
Auch war viel Vorraths beigeschafft
Von Kleidung und von Speise
Und Schiffgeräth zur Reise,
Daß so viel Leuten zu ihrer Fahrt
Ein Kiel nie baß berathen ward.
Hie sagt nun eine Märe,
Eine Schwalbe von Kornwall wäre
Gen Irland hinüberkommen
Und hätte da genommen
Zu ihrem Bau ein Frauenhaar
(Weiß nicht, wo sie deß kundig war)
Und es getragen über die See.
Nistete auch eine Schwalbe je
Mit solchem Ungemache,
Die doch so viel Bausache
Bei ihr in ihrem Lande fand,
Daß sie meerüber in fremdes Land
Nach ihrem Baugeräthe strich?
Weiß Gott, hie spaltet die Märe sich,
[97]
Hie stammelt ja fürwahr der Leich.
Auch klingt es albern und thorengleich,
Wer sagt, daß Tristan ging aufs Meer
Blindlings nach Wahne mit einem Heer
Und hätte nicht genommen wahr,
Wie lange und wohin er fahr,
Gesucht, und nicht gewußt, nach wem?
Was thaten die Bücher zu Leide Dem,
Der dies hieß schreiben und lesen?
Ja, wären sie Narren gewesen,
Ein König, der seine Räthe
Ins Blaue zu fahren bäte
Und auch die Boten zu solchem Amt,
Gauche und Narren allesammt.
Nun, auf der Meerfahrt war Tristan
Und schiffete immer so fortan,
Er und seine Genossenschaft;
Da war ein Theil viel sorgenhaft,
Ich meine die Barone,
Die zwanzig Companione,
Den Rath vom Lande Kornewall:
Die hatten alle in diesem Fall
Viel schwere Angst und große Noth:
Sie wähnten schon, sie seien todt.
Nun fluchten sie der Stunde
Mit Herzen und mit Munde,
Da jener Reise und jener Fahrt
Gen Irland gedacht und erwähnet ward.
Sie wußten für ihr eigen Leben
Sich selber keinen Rath zu geben;
Sie riethen her, sie riethen hin
Und fielen doch auf keinen Sinn,
Der irgendwie zu preisen
Und ein Rath war zu heißen;
Und war das auch kein Wunder zwar:
Nicht drauf, noch dran, noch drunter war
Ein Rath, als zweier Dinge allein,
Und mußte eines von den zwein
Ihnen verheißen Rath und Frist:
Ein Abenteuer oder List.
List war da aber theuer,
Und um ein Abenteuer
Gab Keiner eine Bohne:
Sie waren beider ohne.
Doch sprachen ihrer da genug:
»Weisheit und feiner Sinn und Fug
Ist wahrlich viel an diesem Mann.
So uns Gott Glück vergönnt, wohlan,
Wir mögen viel wohl mit ihm genesen,
Wollt er nur sein blind freches Wesen
In etwas bringen zu Maß und Ziel;
Denn dessen hat er nur allzu viel.
Er ist zu frech und hochgemuth,
Er weiß noch heut nicht, was er thut;
Er gäbe nicht ein halbes Brod
Um unsern und um seinen Tod;
Und doch auf seinem Wohlergehn
Bleibt unsre beste Hoffnung stehn,
Und muß sein Witz und Lehre geben,
Wie daß wir fristen unser Leben.«
Nun sie gen Irland kamen,
Ihr Angelände nahmen,
Da wo sie hörten Märe,
Daß jetzt der König wäre
Gegen der Stadt zu Weisefort,
Warf Tristan den Anker über Bord
So ferne von dem Hafen,
Daß Die von dort nicht trafen
Mit keinem Bogen zu ihnen hin.
Die Landbarone baten ihn,
Daß er um Gott sie weise,
Mit welcher Art und Weise
Er wollte werben um das Weib;
Es ginge sehr um ihren Leib,
Und däuchte sie und wär auch gut,
Daß er ihnen sagte seinen Muth.
Tristan sprach: »Still, ihr Herrn! nur stet!
Hütet euch, daß euer Keiner geht
Den Leuten unter das Angesicht;
Bleibt drinnen Alle und zeigt euch nicht,
Bis auf die Schiffer und Knechte allein.
Die sollen fragen aus und ein
Auf der Brücke vor der Hafenthür:
Doch euer komme Keiner dafür.
Schweiget und macht euch bald hinein:
Ich will selber am Thore sein,
Weil ich die Landessprache kann.
Man wird uns alsbald kommen an
Und von der Stadt beschweren
Mit übelklingenden Mären:
[98]
Da muß ich lügen diesen Tag,
So viel ich ihnen lügen mag.
Verberget euch hierinnen,
Denn wird man eurer innen,
So haben wir Lärm und Streit zur Hand
Und besteht uns das ganze Land.
Dieweil ich morgen außen sei
(Denn ich will reiten nahebei
Auf Abenteuer im Morgenlicht,
Ob mir's gelinge oder nicht),
So halte Kurvenal davor
Und Andre mit ihm an dem Thor,
Denen die Sprache kundig ist;
Und Eins vernehmt zur letzten Frist:
Sei's, daß ich unterwegen sei
Vier Tage oder auch nur drei,
Zur Stunde harret mein nicht mehr,
Entrinnet wieder über Meer,
Auf daß ihr errettet Leben und Leib;
So hab ich ganz allein das Weib
Verzinset mit dem Leibe;
Und rathet zu einem Weibe
Eurem Herren, wie euch dünke gut.
Dies ist mein Rath und auch mein Muth.«
Des Königs Marschall von Irenland,
In dessen Gewalt und in dessen Hand
So Stadt als Hafen gegeben war,
Der kam gerannt zum Meere dar,
Gewaffnet, in vollem Trotte
Mit einer starken Rotte
Der Bürger und ihrer Boten,
Wie ihnen war geboten
Vom Hofe, und wie die Märe sagt
(Wer darnach weiter oben fragt),
Daß man frei Keinen ließe,
Der ans Gestade stieße,
Bis daß man hätte recht erkannt,
Ob er von König Marke's Land
Und seinem Landgesinde wär.
Dieselben Gewaltigen nunmehr,
Die leidigen Mörderhände,
Die englisch Blut ohn Ende
Unschuldig vergossen hatten,
Ihrem Herren zu Statten,
Die kamen angezogen
Mit Armbrust und mit Bogen,
Dazu mit andrer ihrer Wehr,
Gerade wie ein Räuberheer.
Des Kieles Meister, Herr Tristan,
Der legte einen Reisrock an,
Aus keinem Grund auf Erden,
Als, nicht erkannt zu werden.
Auch hieß er einen Pokal hertragen,
Der war aus rothem Gold geschlagen
Und war zu fremdem Preise
Gemacht nach Englands Weise.
Nach diesem allem trat Tristan
Mit Kurvenal in einen Kahn
Und fuhr so gegen die Hafenthür
Und grüßte aus seinem Schiff herfür
Mit Gebärden und mit dem Mund,
So süß und schön er's nur verstund.
So viel aber da des Grüßens war,
So viel auch von den Bürgern dar
Zu ihren Booten liefen
Und vom Gestade riefen:
»Stoße ans Land, stoße ans Land!«
Tristan alsbald im Hafen stand:
»Ihr Herren,« sprach er, »saget mir,
Wie kommt ihr so? was wollet ihr
Mit solchem Ungehaben und Braus?
Eure Gebärden, die sehen mißlich aus.
Ich weiß nicht, weß mich versehen soll.
Um Gottes Willen, thut so wohl,
Wenn Jemand bei euch ist zur Statt,
Der Gewalt von dem Lande hat,
Der höre und vernehme mich.« –
»Ja,« sprach der Marschall, »hie bin ich:
Mein Gehaben und meine Gebärden,
Die sollen euch mißlich werden!
Euer Gehaben will ich zur Stund
Vernehmen, und das aus dem Grund.« –
»In Treuen, Herre,« sprach Tristan,
»Da findet Ihr einen bereiten Mann:
Wer Die da schweigen hieße
Und mich zur Sprache ließe,
Dem wäre ich gern gewärtig,
Auf daß man hie friedfertig
Und so mein Wort vernähme,
Wie es dem Land zukäme.«
[99]
Ein Stillstand ward ihm da gegeben.
»Herre,« sprach Tristan, »unser Leben,
Unsre Geburt und unser Land,
Mit diesem allem ist's so bewandt,
Wie ich euch hie bedeute:
Wir sind handelnde Leute
Und mögen uns deß nicht schämen,
Kaufleute, mit Wohlnehmen,
Ich und meine Companie,
Und sind wir aus der Normandie.
Unsre Weiber und Kinder, die sind dort.
Wir selber ziehen von Ort zu Ort,
Kaufen in allen Landen ein
Und gewinnen dann hintendrein,
Daß wir uns so durchschlagen.
Etwa vor dreißig Tagen
Da fuhren wir aus unsrem Land,
Ich und zween Andre von meinem Stand.
Wir Drei, wir wollten im Verein
Zusammen in Hibernien sein;
Und sind es wohl acht Tage seit,
Daß uns zu früher Morgenzeit
Ein Wind bestund von hinnen fern,
Wie uns die Winde thun so gern;
Derselbe thät uns scheiden,
Mich Einen von den Beiden;
Weiß nicht, wie sie gefahren,
Gott möge sie bewahren,
Sie seien lebend oder todt.
Ich selber ward mit vieler Noth
Manch übeln Weg verschlagen
In diesen schweren acht Tagen,
Und so bis gestern um Mittag,
Da Sturm und Wind darnieder lag;
Da gewahrte ich Berg und Land vor mir,
Warf, um zu ruhen, den Anker hier
Und ruhete auch bis heute da.
Heut Morgen aber, da ich sah,
Daß es tagte und helle ward,
Da strich ich wieder auf meine Fahrt
Und fuhr hieher gen Weisefort.
Nun geht es schlimmer hie, denn dort.
Ich wähne, ich sei noch ungeborgen;
Und kam doch hieher ohne Sorgen,
Da mir die Stadt nicht unkund ist,
Und bin auch schon zu andrer Frist
Mit Handelsleuten hie gewesen.
Desto eher wähnt ich zu genesen
Und Gnade hie zu finden;
Nun bin ich aber Winden
Und Stürmen erst in die Hand gefahren;
Doch mag mich Gott noch wohl bewahren:
Wenn ich bei diesem Gesinde
Nicht Ruh noch Frieden finde,
So kehre ich wieder auf das Meer;
Da hab ich genügliche Gegenwehr
Und alle Streitkraft in der Flucht.
Wofern Ihr aber Eure Zucht
Und Ehre an mir erzeigen wollt,
So viel ich habe Gut und Gold,
Das theile ich Euch viel gerne mit
Um eine einzige kurze Bitt,
Daß Ihr so meiner Habe als mir
Frieden schafft in dem Hafen hier,
Bis ich erforsche und sehe,
Ob mir das Glück geschehe,
Daß ich mein Landgesinde
Entdecke und erfinde.
Und laßt Ihr mich das erleben,
So heißt mir auch Frieden geben;
Sie eilen fast von dorten her,
Ich weiß nicht, welche oder wer,
In ihren kleinen Schifflein dort;
Sonst fahr ich zu den Meinen fort
Und fürcht euch Alle nicht ein Stroh.«
Der Marschall rief die Seinen so
Und hieß sie kehren an das Land.
Zum Gaste sprach er: »Welches Pfand
Wollt Ihr dem König geben,
Daß ich Euch Gut und Leben
Bewahre in diesem Königreich?« –
Und aber sprach der Fremde gleich:
»Herre, ich gebe ihm alle Tage,
Wo ich's gewinne oder erjage,
Eine Mark von rothem Golde;
Und biete ich Euch zum Solde
Und Danke diesen Becher an,
So ich auf Euch vertrauen kann.« –
»Ja,« sprachen die Leute allzuhand,
»Er ist hie Marschall über das Land.« –
Der Marschall seine Gabe nahm,
Die däuchte ihm reich und lobesam,
[100]
Und hieß ihn ankern um die Gabe.
Seinem Leib und seiner Habe
Fried und Gnade er da entbot.
Da waren sie reich und waren roth,
Ich meine den Zins und meine den Sold:
Reich und roth des Königs Gold,
Des Boten Gabe roth und reich:
Sie waren preislich beide gleich.
Das half auch ihm, daß ihm allda
Gnad und Gemächlichkeit geschah.

Der Drachenkampf

Der Drachenkampf.

Nun, Tristan ist zu Frieden kommen.
Doch hat Niemand bis jetzt vernommen,
Was er wolle beginnen nun.
Das soll man euch zu wissen thun,
Eh daß euch's an der Geduld gebricht.
Dieselbe Märe sagt und spricht
Von einem gräulichen Serpant,
Der zu den Zeiten war im Land.
Die leide Teufelsschlange,
Die hatte schon seit lange
Land und Leute mit Schaden
So schädlich überladen,
Daß der König schwur einen Eid
Bei königlicher Wahrhaftigkeit,
Wer diesem Drachen nähme das Leben,
Dem wollte er seine Tochter geben,
So er edel und Ritter wäre.
Und diese gemeine Märe
Und das viel wonnigliche Weib
Verdarben Tausenden den Leib,
Die zu dem Kampfe kamen
Und da ihr Ende nahmen.
Der Märe war die Insel voll.
Die Märe kannte auch Tristan wohl:
Dies Eine stärkte und trieb ihn an,
Daß er die Reise je begann;
Dies war seine meiste Zuversicht,
Denn andern Trost, den hatte er nicht.
Nun ist es Zeit, nun kehre zu!
Des andern Tages in der Fruh,
Da waffnet' er sich also wohl,
Als sich ein Mann zu Nöthen soll.
Dann auf ein starkes Roß saß er
Und hieß ihm reichen einen Speer,
Der war groß und war feste,
Der stärkste und der beste,
Den man da in dem Kiele fand.
Nun ritt er seinen Weg durchs Land
Ueber Feld und über Gefilde
Und machte in der Wilde
Manche Kehre und manche Fahrt.
Und als es aber Mittag ward,
Da ritt er wacker drauf und dran
Wider das Thal von Anfergynan:
Dort war des Drachen Hof und Haus,
Das weiset die Historie aus.
Nun sah er fern von dannen
Vier gewaffnete Mannen
All über Stock und Stein fürbaß
Ein wenig schneller denn im Paß
Fliehen und galoppiren;
Und Einer von den Vieren,
Der war Truchsäße der Königin;
Derselbe war auch in seinem Sinn
Der jungen Königin Amis
Zu ihrem Aerger und Verdrieß;
Und wenn Jemand zu Felde zog,
Das Glück versuchte, der Mannheit pflog,
So war auch der Truchseß bei der Hand
Zu jeder Zeit und auf jedem Sand,
Nur daß man von ihm sage,
Daß er sich auch hinwage,
Wo Ritter auf Abenteuer gehn;
[101]
Und war's auch nicht anders zu verstehn,
Denn er erblickte nie den Drachen,
Ohne sich tapfer davon zu machen.
Nun ward Tristan gar wohl gewahr
An dieser flüchtigen Ritterschaar,
Der Drache wäre nicht weit vom Ort;
Da ritt er in gutem Passe fort
Und ritt nicht lange, bis er da
Seiner Augen Ungemach ersah,
Den scheusäligen Drachen;
Der warf aus seinem Rachen
Rauch und Flammen und Brausewind,
Recht wie des schlimmen Teufels Kind,
Und kehrte gegen ihn alldorther.
Tristan, der senkte seinen Speer,
Das Roß er mit den Sporen nahm,
So schnell er dar gerühret kam
Und nach dem Maul mit dem Speere stach,
Daß der ihm durch den Rachen brach
Und innen bis aufs Herze schoß,
So daß er selber mit dem Roß
So heftig auf den Drachen stieß,
Daß er das Roß todt liegen ließ
Und er davon mit Noth entrann.
Der Drache ging es aber an
Mit Schnauben und mit Feuer,
So daß es vom Ungeheuer
Bis an den Sattel verzehret ward.
Nun fiel dem Drachen aber hart
Der Speer, der ihn versehrte,
So daß er vom Rosse kehrte
Und wider ein Steingeklüft entwich.
Tristan, sein Kampfgeselle, strich
Ihm sachte nach in seiner Spur,
Indeß voraus das Unthier fuhr
Und so im Unmuth brüllte,
Daß es den Wald erfüllte
Mit grausenvoller Stimme,
Und Büsche viel im Grimme
Verbrannte und aus dem Boden schlug.
Das trieb der Drache so viel und gnug,
Bis daß der Schmerz ihn überwand,
Und unter eine Felsenwand
Gar nahe dort sich drückte.
Tristan das Schwert da zückte
Und meint', er fände ihn ohne Streit.
Nein, es ward ängstlicher zur Zeit,
Als es je vor gewesen.
Doch sollte er noch genesen.
Tristan fiel aber den Drachen an,
Der Drache wiederum den Mann
Und brachte den in solche Noth,
Daß er schon wähnte, er wäre todt.
Er ließ ihn zur Wehr nicht kommen
Und hätte ihm schier benommen
Des Schwertes Schlag und des Schildes Wehr.
Auch hatte er ein starkes Heer:
Er führte mit ihm in den Kampf
Häßlichen Rauch und heißen Dampf
Und andere Kriegessteuer
An Schlägen und an Feuer,
An Zähnen und an Griffen,
Die waren wohl geschliffen,
Ja wohl schärfer und besser
Denn irgend ein scharfes Messer.
Damit trieb er ihn um und um
Manch ängstliche Wendung grad und krumm,
Und mußt er von Baum zu Busche
Sehn, wie er sich vertusche
Und friste seine Tage
Baß denn mit Schirm und Schlage;
Und hatte es doch versucht so sehr
Mit Widerstreben und Wiederkehr,
Daß ihm der Schild vor seiner Hand
Beinahe zu Kohlen war verbrannt;
Denn er ging ihn mit Feuer an:
Daß er mit Noth vor ihm entrann.
Doch währte es nicht viel lange:
Die mörderische Schlange,
Die kam der Tod so mächtig an,
Daß sie zu taumeln da begann
Und so versehret war vom Spieß,
Daß sie sich aber niederließ
Und wand sich schwer und bange.
Nicht harrte Tristan lange,
Er kam gesauset schnell daher,
Das Schwert, das stach er zu dem Speer
Tief in das Herz, als wie im Sturm.
Da erhub der leidige Teufelswurm
Einen Schall und eine Stimme
[102]
So gräulich und so grimme
Aus seinem schnöden Rachen,
Als sollte die Welt erkrachen,
Daß der Mordschrei den Wald durchdrang
Und weit hinein ins Land erklang
Und Tristan sehr erschrocken war.
Und wie er nahm des Drachen wahr,
Daß der todt vor ihm lag zu Hauf,
Da brach er ihm den Rachen auf
Mit großer Arbeit, Noth und Graus
Und schnitt ihm von der Zungen aus
Ein Stück mit seinem Schwerte,
So viel er davon begehrte;
In seinen Busen er sie stieß,
Den Rachen wieder zusammen ließ.
So kehrte er gegen die Wildniß hin.
Da hatte er aber dies im Sinn,
Er wollte sich verbergen dort,
Den Tag ausruhen an einem Ort
Und wieder kommen zu Kraft und Macht
Und wollte alsdann auf die Nacht
Zu seinen Landgesellen wieder.
Nun zog ihn aber die Hitze nieder,
Die er vom Jäst, mit dem er stritt,
Dazu auch von dem Drachen litt;
Und die ermüdete ihn so sehr,
Daß er sich kaum hielt aufrecht mehr
Und kaum noch konnte leben.
Nun sah er ein Seelein schweben,
Dasselbe war schmal und mäßig groß,
Darein von einem Felsen floß
Ein kühles klares Brünnelein.
Da fiel er in voller Wehr hinein
Und senkte sich bis auf den Grund;
Er ließ nichts außen als den Mund.
Da lag er den Tag und auch die Nacht;
Denn ihm benahm all seine Macht
Die leide Zunge, die er trug:
Der Rauch, der von ihr an ihn schlug,
Der machte ihn so ganz und gar
Der Kräfte und der Farbe baar,
Daß er auch nicht von dannen kam,
Bis ihn die Königin entnahm.
Der Truchseß, der, wie ich gesagt,
Der auserwählten Königsmagd
Ein Freund und Ritter wollte sein,
Dem begannen die Gedanken sein
Aufzuschwellen in Fülle
Von des Drachen Gebrülle,
Das also stark und grauenvoll
Ueber Wald und über Feld erscholl.
Er nahm in seinem Herzen wahr
Recht, wie auch alles ergangen war,
Und dachte: Er ist wahrlich todt,
Oder aber in so großer Noth,
Daß ich ihn mag gewinnen
Mit etlichem Beginnen.
Von jenen Dreien er sich entstahl
Ritt eine Halden im Paß zu Thal
Und sprengte nach der Seite dar,
Von wo der Schrei geschehen war;
Und als er zu dem Rosse kam,
Er ihm dort eine Ruhe nahm.
Bei dem hielt er sich lange
Kleinmüthig auf und bange:
Er sah auf die kurze Reise
Mit Angst und bittrem Schweiße.
Doch endlich stärkte er seinen Sinn
Und ritt halb wider Willen hin
Erschrocken und in großer Noth,
Wo es sich seinen Augen bot,
Daß Laub und Gras viel grauenbar
Vor ihm her abgesenget war.
Nun traf er aber in kurzer Stund,
Eh daß er seiner wurde kund,
Recht auf den Drachen, da er lag:
Das war dem Truchseß wie ein Schlag,
Der war erschrocken im Ueberfluß
Und hätte beinahe einen Schuß
Zu Boden hin genommen,
Daß er so dran gekommen
Und ihm so nahe geritten war.
Nun aber besann er sich nicht so gar:
So schnell warf er herum das Roß,
Daß er mit ihm zur Erde schoß
Auf Einen Haufen nicht gar sacht.
Nun er sich wieder aufgemacht
(Ich meine von dem Boden),
Gewann er nicht den Oden,
Vor Schrecken, der ihn plagte,
Daß er nur so viel wagte,
[103]
Daß er zu Pferde säße:
Der häßliche Truchsäße,
Der ließ es stehen und entsprang.
Doch da ihm nichts auf die Fersen drang,
So stund er still und schlich herwieder,
Nach seinem Speere griff er nieder,
Das Roß er bei dem Zügel nahm,
Zu einem Strunk gezogen kam,
Viel kecklich auf sein Rößlein saß,
Der Niederlage bald vergaß:
Er sprengte ferne dort hinan
Und sah herwieder den Drachen an,
Was der machte für ein Gesicht,
Und ob er lebte oder nicht.
Nun daß er ihn verendet sah,
»Heil, so Gott will!« begann er da:
»Hie ist ein Glück gefunden:
Ich bin zu guten Stunden
Und mir zum Heile kommen her.« –
Hiemit so senkte er den Speer,
Den Zügel er verhängte,
Er hieb aufs Roß und sprengte,
Begann scharf zu puniren,
Punirend zu croijiren:
»Scheveliers, Damoisele,
Ma blunde Isot, ma bele!« –
Er stach auf ihn mit solcher Kraft,
Daß auch der starke eschene Schaft
Ihm durch die Hand herwieder glitt.
Daß er aber nicht weiter stritt,
Das that er bloß aus dieser List:
Er dachte: »Wenn Der am Leben ist,
Der diesen Drachen hat erschlagen,
So kann's mir keinen Nutzen tragen,
Was ich hie unternehmen will.« –
Da kehrte er von dannen still
Und ritt und suchte her und hin
Mit dieser Hoffnung, wenn er ihn
Erfinden sollte irgendwo,
So müde oder verwundet so,
Daß ihm's seine Schwäche gönnte,
Daß er ihn bestehen könnte,
So wollte er ihn erschlagen
Und dann zu Grabe tragen.
Doch als er ihn nicht fand umher,
»Laß fahren dahin!« so dachte er:
»Er lebe oder sei abgethan,
So bin ich der Erste auf diesem Plan;
Mich weist Niemand von dannen:
Ich habe Freunde und Mannen,
Bin also werth und gern gesehn,
Daß, wer sich's sollte unterstehn,
Der hätte es doch verloren.« –
Er gab dem Roß die Sporen,
Ritt zu dem Drachen wieder
Und sprang zur Erde nieder.
Er fing den Streit da wieder an
Recht, wie er es zuvor gethan:
Er griff zum Schwerte, das er trug,
Mit solchem spickte er und schlug
Den Feind, jetzt dort und da jetzund,
Bis er ihn da und dort verschund.
Genug versuchte er's am Kragen:
Den hätt er ihm gerne durchgeschlagen;
Da war er aber so hart und groß,
Daß ihn die Mühe bald verdroß.
An einem Strunk brach er den Speer;
Das vordre Stück, das steckte er
Dem Drachen zu dem Schlund hinein,
Als hätt's getjostet sollen sein.
Da saß er auf sein spanisch Roß;
Fröhlich kam er in Stadt und Schloß
Eingeritten zu Weisefort
Und schickte zur Stunde nach dem Ort
Vier Pferde mit einem Wagen,
Der das Haupt sollte tragen,
Und lief und sagte Allen,
Welch Glück ihm zugefallen,
Und was er Todesangst damit
Und kümmerliche Noth erlitt.
»Ja, Herre, alle Welt,« sprach er,
»Die biete nur die Ohren her,
Betrachte und sehe das Wunder an!
Da sieht man, was der beherzte Mann
Und was der feste Mannesmuth
Um liebes Weibes willen thut!
Daß ich den Nöthen ohne Maß
Entrann und in dem Streit genas,
Das wundert und das wundert mich;
Und weiß auch wohl fürwahr, wär ich
[104]
Sanft, wie ein andrer Mann, gewesen,
Ich wäre nimmermehr genesen.
Ich weiß nicht, wer es mochte sein,
Ein Abenteurer, ganz allein,
Der auch auf Abenteuer ritt,
Der war, noch eh ich mit ihm stritt,
Zu seinem Unglück hingekommen
Und hatte sein Ende da genommen.
Gott hatte sein vergessen,
Sie sind Beide gefressen,
Roß und Mann, ist alles mort.
Das Roß, das liegt noch halb am Ort,
Versenget und zerrissen.
Was braucht ihr mehr zu wissen?
Genug, daß ich mehr Noth gewann,
Denn jemals um ein Weib ein Mann.« –
Seine Freunde er alle zu ihm nahm,
Zu dem Serpant er wieder kam
Und zeigte seine Wunderthat,
Darauf er Jeden besonders bat,
Zu zeugen und zu sagen,
Wie sich's hier zugetragen.
Er führte das Haupt von dannen;
Seine Magen und seine Mannen
Die lud er und die besandte er;
Zu dem Könige rannte er
Und mahnte ihn an den Vertrag.
Um diese Rede ward ein Tag
Zu Weisefort gesetzt dem Land.
Hiemit so ward das Land besandt,
Die Landbarone meine ich.
Nun, die bereiteten alle sich,
Wie ihnen vom Hofe war getagt.
Nun ward den Frauen auch gesagt
Am Hof die neue Märe.
Die Marter und die Schwere,
Die sie da hatten auszustehn,
Die ward an Frauen nie gesehn.
Die süße Magd, die schöne Isot
War recht in ihrem Herzen todt;
So leiden Tag sie nimmer sah.
Zu ihr sprach ihre Mutter da:
»Nein, schöne Tochter, nein, laß stehn,
Laß dir dies nicht so nahe gehn;
Denn mag es nun mit Wahrheit rein
Oder mit Lügen bestellet sein,
So wollen wir doch dazwischenfahren;
Auch soll uns Gott davor bewahren.
Nicht weine, Tochter meine:
Die klaren Augen deine,
Die sollen nimmer werden roth
Um eine also nichtige Noth.« –
»Ach Mutter,« sprach die Schöne,
»Fraue, nimmer verhöhne,
Noch schände deine Geburt und dich.
Eh ich gehorche, so steche ich
Recht in mein Herz ein Messer eh.
Eh daß sein Wille an mir ergeh,
Nehm ich mir selber eh den Leib.
Er gewinnet nimmermehr ein Weib,
Noch eine Frauen an Isot,
Er wollte mich denn haben todt.« –
»Nein, schöne Tochter, fürchte nicht:
Was er oder irgend Jemand spricht,
Da ist jedwedes Wort verloren;
Und hätte es alle Welt geschworen,
Der Truchseß, der wird nie dein Mann.«
Wie es zu nachten nun begann,
Da fragte die Weise und besprach
Um ihrer Tochter Ungemach
In solcher stillen Stunde
Ihre geheime Kunde
Und sah im Traume wunderbar,
Daß es nicht also geschehen war,
Wie die Landmäre sagte.
Und alsbald, wie es tagte,
Rief sie Isolden und sprach ihr zu:
»Ach, süße Tochter, wachest du?« –
»Ja,« sprach sie, »Fraue Mutter mein.« –
»Nun laß all deine Aengste sein!
Ich will dir liebe Märe sagen:
Er hat den Drachen nicht erschlagen.
Was diesen Mann auch zu uns trug,
Es ist ein Fremder, der ihn schlug.
Wohlauf, wir wollen balde dar,
Der Märe selber nehmen wahr:
Brangäne, steh auf leise
Und sage zu Paraneise,
Daß er uns sattle schiere;
Wir müssen aus, wir Viere,
[105]
Ich und Isolde, du und er;
Er bringe uns die Pferde her
Aufs schierste und warte dorten
An der geheimen Pforten,
Wo der Baumgarten endet
Und nach dem Feld sich wendet.«
Nun, dies geschah nach ihrem Sinn.
Sie saßen auf und ritten hin,
Allwo sie hörten sagen,
Daß der Wurm sei erschlagen.
Nun man das Roß erspähte,
Da ward das Reitgeräthe
Besehen und betrachtet,
Dabei sie gleich geachtet,
Sie hätten Geräthe solcher Art
Daheim zu Lande nie gewahrt;
Und kamen alle überein,
Wer es auch möge gewesen sein,
Den das Roß dargetragen,
Der habe den Wurm erschlagen.
Sie ritten fürder durch den Wald
Und stießen auf den Drachen bald.
Nun war des bösen Feinds Genoß
So ungeheuer und also groß,
Daß die viel lichte Frauenschaar
Recht todtenfarb zu schauen war
Vor Aengsten, da sie ihn ersah.
Die Mutter sprach aber zur Tochter da:
»Wie bin ich gewiß! Wer glaubt es hier,
Daß der Truchsäße das Ungethier
Je zu bestehen sich unterfing?
Unsre Sorge ist nun gering;
Und wahrlich, Tochter mein, Isot,
Der Mann sei lebend oder todt,
Mir ahnet sehr, daß er hiebei
In der Nähe verborgen sei;
Davon weissaget mir mein Muth.
Wohlauf, und dünket es dich gut,
So wollen wir ans Suchen gehn,
Ob uns Gott möge zur Seiten stehn,
Daß wir den Mann wo finden
Und mit ihm überwinden
Die grundlos tiefe Herzensnoth,
Die uns beschweret wie der Tod.« –
Das ward viel schier beschlossen,
Und die vier Reisgenossen
Die ritten von einander fort.
Die suchte da, die Andre dort.
Nun ging es, wie es sollte
Und das Verhängniß wollte;
Die junge Königin Isot,
Daß sie ihr Leben und ihren Tod,
Ihre Wonne und ihre Gallen
Zuerst ersah vor Allen.
Von seinem Helme ging ein Glast,
Der meldete ihr den fremden Gast.
Nun sie des Helmes ward gewahr,
Da kehrte sie, rief die Mutter dar:
»Fraue, eile, reit her näher baß!
Ich seh dort glasten, ich weiß nicht, was:
Es ist recht wie ein Helm von Art;
Ich wähne, ich habe ihn recht gewahrt.« –
»In Treuen,« sprach die Mutter froh,
»Mich selber dünket auch also.
Gott, der will auf uns achten:
Ich wähne, nach dem wir trachten,
Daß wir ihn haben funden.« –
So riefen sie zur Stunden
Die Andern zwei zu ihnen dort
Und ritten alle nach dem Ort.
Nun sie begannen zu nahen
Und ihn so liegen sahen,
Da wähnten sie Alle, er wäre todt.
»Er ist todt,« sprach jegliche Isot:
»Um unsre Hoffnung ist's gethan.
Der Truchsäße, der hat den Mann
Mordlich ermordet und erschlagen
Und hat ihn in den Sumpf getragen.« –
Sie stiegen ab, die Viere,
Und hatten ihn viel schiere
Herausgezogen an das Land,
Darauf man ihm den Helm entband
Und auch die Kuppen abgewann.
Die weise Isot, die sah ihn an
Und sah wohl, daß er lebete,
Und aber sein Leben schwebete
Kaum wie an einem dünnen Haar.
»Er lebt,« sprach sie, »er lebt fürwahr!
Nun bald her und entwaffnet ihn!
Ist's, daß ich also gesegnet bin,
[106]
Daß er nicht Todeswunden hat,
So mag deß alles werden Rath.«
Die Schönen alle drei zumal,
Die lichte Schaar im grünen Thal,
Da sie mit Händen, wie Schnee so weiß,
Den fremden Mann mit allem Fleiß
Entwaffneten und entbanden,
Die Zunge sie da fanden.
»Sieh,« sprach die Königin, »Herre mein,
Was ist dies oder was mag das sein?
Brangäne, Herzensniftel, sprich.« –
»Es ist eine Zunge, dünket mich.« –
»Du redest wahr, Brangäne;
Mich dünkt auch, und ich wähne,
Dieselbe sei des Drachen:
Das Glück will bei uns wachen,
Herzenstochter, schöne Isot,
Ich weiß, nicht wahrer ist der Tod,
Wir sind zur rechten Fährte kommen!
Und diese Zunge hat ihm benommen
Beide die Kraft und auch den Sinn.« –
Sie nahmen schnelle die Waffen hin,
Und da sie an ihm nicht funden
Weder Schläge noch Wunden,
Da waren sie aus aller Noth.
Theriak nahm die weise Isot,
Der alle Künste waren kund,
Und flößte ihm dessen in den Mund
So viel, bis er zu schwitzen begann.
»Er will genesen,« sprach sie, »der Mann,
Der Dampf beginnt schon auszuziehn,
Der von der Zungen ging an ihn;
So vermag er zu sprechen und aufzusehn.« –
Das war auch alsobald geschehn.
Er lag unlange, bis es geschah,
Daß er beides auf und um sich sah.
Nun er der wonnevollen Schaar
Bei ihm und um ihn ward gewahr,
Gedacht er in seinem Muthe:
»Ah Herre Gott, der gute,
Du hast in Treuen mein gedacht:
Drei Lichter hab ich hier zur Wacht,
Die besten, so die Erde hat,
Manch Herzens Freude, Trost und Rath
Und manches Auges Wonne,
Isot, die lichte Sonne,
Und ihre Mutter auch, Isot,
Das freudigliche Morgenroth,
Dazu die stolze Brangäne,
Den Vollmond gegen jene.« –
Hiemit so faßte er Muth und sprach
Kaum und mit schwacher Stimme: »Ach,
Wer seid ihr denn, und wo bin ich?« –
»Ah, Ritter, kannst du sprechen? sprich!
Wir helfen dir in deiner Noth,«
Sprach aber die weise Frau Isot. –
»Ja, selige Fraue, süßes Weib:
Ich weiß nicht, wie mir so der Leib
Und alle Kraft in kurzer Frist
Geschwachet und geschwunden ist.« –
Die junge Isot, die sah ihn an:
»Dies ist Tantris, der Harfenmann,«
Sprach sie, »wenn ich ihn jemals sah.« –
Der andern Jede, die sprach da:
»Mich dünket auch so, meiner Treu.« –
Da sprach die Königin aufs Neu:
»Bist du es, Tantris?« – »Fraue, ja.« –
»Sag an,« sprach aber die Weise da,
»Wo bist du herkommen oder wie,
Oder was wirbest du allhie?« –
»Aller Weiber seligstes Weib,
Ich habe es noch an meinem Leib
Und leider an der Kraft noch nicht,
Daß ich Euch meine ganze Geschicht
Recht und in Ordnung möge sagen.
Heißet mich führen oder tragen
Um Gottes Willen an einen Ort,
Daß meiner Jemand pflege dort
Nur diesen Tag und diese Nacht.
Und komme ich wieder zu Kraft und Macht,
Ist's Pflicht, daß ich thu und sage,
Was Euch belieb und behage.«
So nahmen sie Tristanden,
Sie Viere, da zu Handen;
Auf ein Pferd sie huben ihn
Und führten ihn allzusammen hin
Und brachten ihn also still hinein
Wieder durch ihr Geheimthürlein,
Daß von der Reise und von der Fahrt
[107]
Niemand niemals nichts inne ward.
Sie schufen ihm Hilfe und Gemach.
Die Zunge, von der ich oben sprach,
Sein Eisen und all sein ander Ding,
Davon blieb Faden nicht, noch Ring;
Sie führten alles zur Burg hinan,
Beide die Rüstung und den Mann.
Nun daß der andre Tag da kam,
Die Weise ihn aber zu Handen nahm:
»Nun, Tantris,« sprach sie, »sage mir
Bei all den Gnaden, so ich dir
Nun und zum vordern Mal erwies,
Daß ich dich zwier genesen ließ,
Und bin dir willig und bin dir hold,
Und wie du deinem Weibe sollt, –
Wann kamest du gen Irenland,
Und wie erschlugst du den Serpant?« –
»Fraue, das will ich Euch sagen:
Ich brachte vor kurzen Tagen,
Es sind drei Tage von heute,
Ich und mehr Handelsleute,
Ein Schiff in diesen Hafen;
Ein Raubheer wir da trafen,
Weiß nicht, durch welches Ungefähr;
Die hätten uns, wenn ich nicht wär
Mit meinem Gut zuvorgekommen,
Den Leib zu unsrem Gut genommen.
Nun ist es so mit uns bewandt:
Wir müssen manches fremde Land
Heimisch hegen und bauen
Und wissen nicht, wem vertrauen,
Weil man uns viel Gewalt anthut.
So wußte ich wohl, mir wäre gut,
Wenn ich's mit rechten Dingen
Vermöchte dahin zu bringen,
Daß ich den Landen würde bekannt.
Kund sein in manchem fremden Land,
Das fördert einen Handelsmann.
Seht, Fraue, das ist's, worauf ich sann;
Denn es ist mir von dem Serpant
Die Landmäre schon lang bekannt;
Und ich erschlug ihn nur um das:
Ich wähne, daß ich desto baß
Friede und Gnade finde
Bei diesem Landgesinde.«
»Friede und Gnade,« sprach Isot,
»Die müssen dich bis an deinen Tod
Geleiten mit währenden Ehren.
Du bist zu guten Mären
Dir selber und uns gekommen her.
Nun trachte, weß dein Herz begehr:
Das ist gethan, das schaff ich dir
Von meinem Herren und von mir.« –
»Dank, Fraue, so ergebe ich
Meinen Kiel, mein Kielgesind und mich
Gänzlich an Eure Treue.
Seht, daß mich nicht gereue,
Daß ich habe so Gut als Leben
An Eure Treue gegeben.« –
»Nein, Tantris, da habe du guten Muth:
Um dein Leben und um dein Gut
Sorge du mir nicht weiter mehr.
Meine Treue und meine Ehr
Sieh hier, die nimm in deine Hand,
Daß dir nimmer in Irenland
Bei meinem Leben ein Leid geschicht.
Versage mir eine Bitte nicht
Und beut mir Rath und Lehre
In etwas, dran meine Ehre
Und all mein Glücke gebunden ist.«
Nun sagte sie alles, was ihr wißt,
Weß sich da der Truchsäße
Um diese That vermäße,
Wie er Anspruch machte auf Isot
Und dränge sehr auf des Herrn Gebot,
Und wie er mit seiner Lüge
Auf offnen Kampf antrüge,
Ob Jemand über ihn käme,
Der sich des Streits annähme.
»Selige Fraue,« sprach Tristan,
»Euch komme keine Sorge an:
Ihr habt mir zweimal Leib und Leben
Mit Gottes Hilfe wieder geben;
Die sollen für Eure Rechte
Zu diesem Kampf und Gefechte,
Auch sonst in Nöthen willig sein,
Dieweil sie blühen und gedeihn.« –
»Gott lohne dir, lieber Freund Tantris,
Deß bin ich gerne an dir gewiß
Und will dir auch so viel gestehn:
[108]
Wenn dieser Gräuel sollte geschehn,
So sind wir Beide, ich und Isot,
Immer mit lebendem Leibe todt.« –
»Nein, Fraue, thut die Rede hin!
Seit ich in Eurem Frieden bin
Und meinen Leib und Gut und Hab
An Eure Ehre verlassen hab
Und daran sicher verbleiben soll,
Traut Fraue, so gehabt Euch wohl.
Helfet mir nur zum Leibe wieder,
Ich lege es alles alleine nieder.
Und sagt mir, Fraue, ist Euch's bekannt?
Die Zunge, die man bei mir fand,
Ließ man die, oder wohin kam die?« –
»In Treuen, nein, die hab ich hie
Mit allem, was du haben sollt:
Meine schöne Tochter selbst, Isold,
Und ich, wir brachten's alles her.« –
»Das kommt uns recht,« sprach aber er:
»Wohlan, glückselige Königin,
Thut alle Sorgen und Aengsten hin
Und helfet mir wieder zu Kraft und Macht,
So ist es alles bald vollbracht.«
Nun pflegten ihn die Beiden
Ohn alles Unterscheiden,
Die beiden Königinnen,
Und was sie konnten ersinnen,
Das ihm zu Heil und Frommen
Am Leibe mochte kommen,
Das war ihre meiste Unmüßigkeit.
Inzwischen hatte großes Leid
Sein Kiel und Kielgenossenschaft:
Da waren viele so sorgenhaft,
Daß sie wähnten ungediehn zu sein
Und hoffte auch keiner zu gedeihn,
Da sie in zweien Tagen
Nichts von ihm hörten sagen.
Auch hatten sie den Schall vernommen,
Der von dem Drachen war ausgekommen;
Und ward des Geredes viel getrieben,
Ein Ritter wäre todt geblieben,
Deß Roß noch läge zur Hälfte dort.
Nun dachten die Seinen alsofort:
Wer möchte das sein, als nur Tristan?
Da ist fürwahr kein Zweifel dran:
Denn hätt ihm's nicht der Tod benommen,
Er wäre seither wiederkommen.
Da fielen sie auf Einen Sinn
Und sandten Kurvenalen hin,
Daß er des Rosses nähme wahr.
Das that er: Kurvenal ritt dar.
Er fand und erkannte das Roß alsbald.
Nun ritt er fürbaß durch den Wald:
Den Drachen fand er auch zuhand;
Und als er da nicht weiter fand
Und nichts von seinen Dingen,
An Gewande noch Panzerringen,
Da kam ihn große Sorge an:
»Ach«, rief er, »Herre mein, Tristan,
Lebst du nun, oder bist du todt?
O weh, o weh,« sprach er, »Isot,
O weh, daß dein Lob und dein Nam
Je hin zum Lande Kornwall kam!
Daß deine Schöne und Edelkeit
Zu solchem Schaden, zu solchem Leid
Einem der edelsten Ritter ward,
Der Speer gewann und Ritterart,
Dem du gefielest allzu gut!«
So kehrte er wieder nach der Fluth,
Kam weinend aufs Schiff und klagend,
Die Märe wieder sagend,
Wie er sie hatte funden.
Die Märe begann zur Stunden
Gar Vielen zu mißfallen,
Und aber doch nicht Allen:
Es war die schwere Märe
Nicht ihrer Aller Schwere,
Kam Mancher nicht ins Weinen.
Doch sah man auch mehr als Einen,
Der da voll Reu und Trauer war,
Und war auch deren die meiste Schaar.
So war ihr Wille und ihr Muth,
Der Einen übel, der Andern gut,
Daß also der zwiespältige Kiel
Gerieth in Reden und Raunen viel;
Das ward getrieben früh und spat.
Die zwanzig Barone von Marke's Rath,
Die trauerten nicht von Herzensgrund,
[109]
Daß es so sorglich um Tristan stund:
Sie wähnten, das bringe sie wieder fort;
Drum, daß man nicht harre sein im Port,
Das baten sie alle insgemein,
Die Zwanzig meine ich allein:
Die riethen und wollten's gewinnen,
Daß man Nachts fahre von hinnen.
Doch Andre riethen anders dort,
Man solle bleiben am selben Ort
Und baß erforschen die Märe,
Wie ihm's ergangen wäre.
Also gab's da verschiednen Sinn:
Die Einen, die wollten gerne hin,
Die Andern, die blieben lieber da,
Bis endlich ein Vergleich geschah,
Da noch sein Tod zu dieser Stund
Gewiß nicht sei noch offen kund,
So wollten sie länger bleiben,
Ihr Forschen und Fragen treiben
Zum mindesten noch zween Tage.
Das war der Barone Klage.
Nun war der Tag auch angebrochen,
Den man gen Weisefort gesprochen,
Den Gurmun seinem Lande bot,
Um seine Tochter, die Magd Isot,
Und den Truchsäßen zu handeln da.
Gurmuns Beisaßen fern und nah,
Seine Mannen und Magen,
Wie er, um Rath zu schlagen,
Sie hatte zu seinem Tag befandt,
Die waren alle da zur Hand.
Die zog er zu Rathe Mann für Mann
Und ging da jeden besonders an
So stark und dringlich, wie Einer thut,
Bei dem es um kein kleiner Gut
Sich handelt als um seine Ehr.
Zu dem Rath auch besandte er
Sein liebes Weib, die Königin.
Der mochte er tragen wohl lieben Sinn:
Er sah an ihr, der Einen,
Zwo herrliche Gaben scheinen,
Die allerbesten, die der Mann
An liebem Weibe finden kann:
Schöne und Weisheit, die besaß
Die edle Fraue in solchem Maß,
Daß er ihr freundlich war und hold.
Die gesegnete Königin Isold,
Die schöne, weise, war auch am Ort.
Ihr Freund, der König, nahm sie dort
Vom Rathe mit sich und begann
Beiseit: »Wie rathest du? sag an;
Mir ist es wie der Tod so schwer.« –
Sprach sie: »Gehabt Euch wohl vielmehr!
Wir sind des Unheils ledig blieben,
Ich hab es alles hintertrieben.« –
»Wie? Herzensfraue, sag's auch mir,
So freu ich mich des Glücks mit dir.« –
»Unser Truchsäße, wie er da spricht,
Seht, der erschlug den Drachen nicht,
Und wer ihn schlug, den weiß ich wohl:
Das bewähre ich, sobald ich soll.
All Eure Angst, die leget nieder,
Geht bald zu Eurem Rathe wieder,
Sagt ihnen Allen und verkündet,
So wie Ihr seht, hört und ergründet
Des Truchsäßen Glaubhaftigkeit,
So löset Ihr gerne Euren Eid,
Der gegen dem Lande sei geschehn.
Heißet sie Alle mit Euch gehn
Und sitzet zu Gerichte.
Nicht fürchtet Euch vor dem Wichte:
Laßt den Truchsäßen klagen
Und sagen, was er mag sagen;
Und wird es dann um die Stunde sein,
So trete ich und Isold herein:
So gebietet mir's, so rede ich
Für Euch, für Isolden und für mich.
Bei diesem laßt es nun bestehn:
Ich will nach meiner Tochter gehn
Und bin bald wieder mit ihr hier.« –
Nach ihrer Tochter ging sie schier.
Der König kam zum Palaste wieder,
Zu dem Gerichte saß er nieder
Und mit ihm viel Barone,
Des Landes Companione.
Da war wohl schöne Ritterschaft,
Von Rittern große Heereskraft:
Die waren aber nicht so sehr
Gekommen zu des Königs Ehr,
[110]
Als daß sie wollten sehen,
Was allda sollte geschehen
In so landkundigem Falle:
Das wunderte sie Alle.
Die seligen Isolden zwo,
Nun daß sie mit einander so
Zu dem Palast eingingen,
Die Herren, die empfingen
Und grüßten sie alle hier und da.
Dieweil daß solcher Empfang geschah,
Ward viel gesprochen und gedacht,
Gedanken und Reden fürgebracht
Von ihrer Beider Vollkommenheit:
Doch ward noch mehr, und das mit Leid,
Von des Truchsäßen Glück gesagt,
Denn von der Mutter und von der Magd.
Da sprach und dachte die ganze Schaar:
»Nun schauet Alle, nehmet wahr!
Und wird nun dem heillosen Mann,
Der nimmer Glück, noch Heil gewann,
Die heilbegabte Magd zu Theil,
So ist ihm ertaget all das Heil,
Das ihm oder irgend einem Mann
An einer Magd ertagen kann.«
Nun waren sie am Thron erschienen.
Der König, der stund auf vor ihnen:
Lieblich setzte er sie zu sich.
»Nun,« sprach der König, »Truchseß, sprich,
Was ist deine Bitte und dein Begehr?« –
»Viel gerne, Herr König,« sagte Der.
»Herr, ich begehre und ich bitte,
Daß Ihr dem Lande Königssitte
Nicht übertreten wollt an mir.
Wollt Ihr's bekennen, so sprachet Ihr
Und gelobtet es auch, beide,
Mit Rede und mit dem Eide,
Daß, wenn ein Ritter den Serpant
Erschlüge allein mit seiner Hand,
Ihr gäbet ihm zum Solde
Eure Tochter Isolde.
Der Eid verdarb gar manchen Mann:
Das sah aber ich gar wenig an,
Dieweil ich minnete das Weib
Und wagte also meinen Leib
Viel fährlicher, denn je ein Mann,
Bis ich zuletzt den Sieg gewann
Und kecklich diesen Drachen schlug.
Wofern es hiemit ist genug,
Da liegt das Haupt, seht selber an,
Das ich als Urkund weisen kann.
Nun löset, wozu Ihr verpflichtet seid:
Ein Königswort, ein Königseid,
Die sollen wahr und bewähret sein.«
»Truchsäße,« fiel die Königin ein,
»Wenn Einer also reichen Sold,
Wie meine Tochter ist, Isold,
Ohne Verdienst begehren will,
In Treuen, das ist allzu viel.« –
»Ei,« sprach der Truchseß, nicht gar froh:
»Fraue, Ihr thut übel, wie redet Ihr so?
Mein Herre, der es enden soll,
Der kann doch selber sprechen wohl:
Der spreche und antworte mir.« –
Der König sprach: »Fraue, sprechet Ihr
Für Euch, für Isolden und für mich.« –
»In Gnaden, Herre, das thu ich.« –
Da sprach sie mit scharfem Sinne:
»Truchsäße, deine Minne,
Die ist lauter und die ist gut,
Und hast auch also mannlichen Muth:
Du bist wohl gutes Weibes werth.
Wer aber so hohen Lohn begehrt,
Den er doch nicht verdienet hat,
Traun, der thut eine Missethat.
Das bist du, der dir selber leiht
Eine That und eine Mannhaftigkeit,
Daran du gar unschuldig bist,
Wie es mir zugeraunet ist.« –
»Fraue, Ihr redet, ich weiß nicht wie:
So hab ich doch mein Wahrzeichen hie.« –
»Du hast ein Haupt davongebracht:
Das hätte ein Andrer auch erdacht,
Wär ihm das gut erschienen,
Isolden zu verdienen.
Doch sie ist nicht zu erringen
Mit also kleinen Dingen.« –
»Nein, wahrlich,« sprach die junge Isot,
»Um eine also geringe Noth
Ich nimmer feil, noch zu haben bin.«
[111]
»Ahi, Frau junge Königin,«
Sprach der Truchseß, noch minder froh,
»Daß Ihr in diesen Sachen so
Hohn sprechen mögt mit argem Mund
Der Noth, die ich zu mancher Stund
Durch Eure Minne hab genommen,
Das soll mir noch zu Statten kommen!« –
»Ihr mögt mich minnen,« sprach Isold:
»Ich war Euch nie getreu, noch hold,
Und will's auch wahrlich nimmer sein.« –
»Ja,« sprach der Andre, »das seh ich ein:
Ihr thut da gänzlich wie ein Weib;
Ihr seid ja Alle so von Leib,
Seid so von Art und so von Muth:
Euch dünket stets das Arge gut,
Das Gute dünkt euch dawider arg:
Die Art ist an euch Allen stark.
Ihr seid verkehrt auf alle Weis:
Euch sind die Dummen alle weis,
Euch sind die Weisen alle dumm.
Ihr machet aus dem Graden Krumm
Und aus dem Krummen wieder Grad:
Ihr habet allen verkehrten Rath
An euer Seil gefasset:
Ihr minnet, was euch hasset,
Und hasset, was euch minnet.
Wie seid ihr so gesinnet,
Wie minnet ihr so sehr und viel
Der Dinge stetes Widerspiel,
Daß euch's an solchem nie gebricht!
Wer euch da will, den wollt ihr nicht,
Wer euch nicht will, den wollt ihr gar.
Ihr seid das tollste Spiel fürwahr,
Das Jemand auf dem Brette kann.
Der ist ein sinnenloser Mann,
Der ohne Bürgen für ein Weib
Jemals zu Markte trägt den Leib.
Doch sei das nicht ob dem geklagt,
Was Ihr oder meine Fraue sagt;
Da hoff ich anderen Bescheid,
Außer man breche mir den Eid.«
Und aber sprach die Königin:
»Truchsäße, du hast wohl feinen Sinn,
Der ist so scharf und spitzig;
Wer dich da sieht so witzig,
Dem dünket gleich von deinem Sinn,
Er sei wohl in der Kammer drin
In der Frauen Heimlichkeit erdacht.
Dazu hast du ihn fürgebracht,
Recht wie ein Frauenritter soll.
Du weißt der Frauen Art zu wohl,
Du bist darin zu weit gekommen:
Das hat dir Mannes Art benommen.
Du minnest auch zu sehr und viel
Das Gegentheil und Widerspiel,
Und dünkt mich, dir sei auch wohl dabei.
Du hast der Frauen Narrethei
Sehr an dein Seil gefasset:
Du minnest, was dich hasset,
Und willst, was dich nicht haben will.
Dies ist doch unser Frauenspiel:
Was maßest du dir solches an?
So dir Gott, du bist doch ein Mann:
So laß uns unsre Frauenart,
Du bist nicht wohl damit bewahrt.
Bleib du als Mann gesinnet
Und minne, was dich minnet,
Begehr, was dein begehret:
Dies Spiel ist unverkehret.
Du sagst uns da und grollest,
Daß du Isolden wollest,
Sie aber wolle dich nicht. Du Thor,
Das ist ihre Art: wer kann davor?
Sie läßt der Dinge viel hingehn,
Die ihr leicht würden zu Willen stehn.
Ihr ist gar Mancher unbegehrt,
Dem sie doch wäre lieb und werth,
Darunter du der Erste bist.
Dasselbe ihr angeartet ist:
Denn sieh, ich war dir auch niemals hold.
Ich weiß wohl, also thut auch Isold:
Es ist ihr angeerbt von mir.
Du vergeudest der Minne viel bei ihr.
Die schöne Magd, das edle Blut,
Wäre ein zu gemeines Gut,
Wenn sie Jedweden sollte
Gleich wollen, der sie wollte.
Doch was du sprichst von dem Bescheid,
Da wird mein Herre seinen Eid
Viel gerne an dir bewähren.
Sieh, daß du deiner Mären
[112]
Und deiner Rede so mögest pflegen,
Daß du nichts lassest unterwegen.
Verfolge deine Sachen.
Ich höre von dem Drachen,
Ihn habe ein andrer Mann erschlagen:
Sieh, was du dazu wollest sagen.« –
»Wer wäre der?« – »Ich weiß ihn wohl
Und will ihn bringen, sobald ich soll.« –
»Fraue, und wer der Mann auch ist,
Der solcher Märe sich vermißt
Und mich von meinen Ehren
Mit Falschheit wähnt zu kehren, –
Wird mir das Recht gegeben,
So sei mein Leib und Leben
Gewaget an das Kampfgericht,
Wie mir der Hof das Urtheil spricht,
Stirn wider Stirn, Hand wider Hand,
Eh daß ich weiche von meinem Stand.«
»Dies gelob ich,« sprach die Königin,
»Und auch desselben Bürge bin,
Daß ich dir leiste die Gewähr
Und bring ihn dir zum Kampfe her
Von heute bis auf den dritten Tag,
Da ich's zur Stunde nicht kann, noch mag,
Denselben, der den Drachen schlug.« –
Der König sprach: »Es ist genug.« –
Auch sprachen die Herren insgemein:
»Truchsäße, deß sollt du zufrieden sein,
Dies ist ein Verzug von kurzer Zeit;
Geh dar, bestätige den Streit,
Und meine Fraue mög auch so thun.« –
Der König nahm von den Beiden nun
Treue und sichere Geiselschaft,
Daß dieser Kampf entscheidungshaft
Am dritten Tage wäre.
Damit zerging die Märe.

Der Splitter

Der Splitter.

Die Frauen gingen beide hin
Und nahmen ihren Spielmann drin
In Beider Fleiß und Pflege.
Ihr Fleiß war allewege
Mit viel süßer Bedächtigkeit
Zu keinem andern Ding bereit,
Als was ihm Hilfe zu tragen schien.
Auch war er jetzo wohl gediehn,
Von Farbe schön, am Leibe licht.
Nun nahm ihn Isot oft zu Gesicht
Und nahm sein über die Maßen gar
Am Aussehn und am Leibe wahr:
Sie ließ die Augen oft ungesehn
Ihm über Hände und Antlitz gehn,
Sah auf die Arme und Beine,
Die zeigten mit offnem Scheine,
Was er verbarg mit heimlichem Sinn.
Sie spähte von oben bis unten hin,
Was die Magd am Manne spähen soll,
Und gefiel ihr alles an ihm wohl
Und lobt' es in ihrem Muthe.
Nun daß die Schöne, Gute
Sein Wesen und Gestalt so reich
Und seine Sitten so herrengleich
Besonders erspähte und ersah,
Gar heimlich sprach ihr Herze da:
»Gott Herre mit deiner Wunderkraft,
Ist irgend etwas mangelhaft,
Das du je thust und thatest,
Wie du uns schaffst und berathest,
So ist ein Mangel fürwahr hieran,
Daß dieser fürstengleiche Mann,
Den du mit solcher Herrlichkeit
Am Leibe hast gebenedeit,
Daß der mit Irren und Wandern
Von einem Reich zum andern
Sich seine Nothdurft suchen soll.
Ja, sollte billig Dem und wohl
Eine Herrschaft dienen oder ein Land,
Um den es also ist bewandt.
Wunderlich steht es in der Welt,
Wo so manch Reich ist schlecht bestellt
[113]
Und ist besetzt mit schwacher Art,
Daß ihm nicht deren eines ward.
Eine sogestalte Jugend,
Geziert mit solcher Tugend,
Die sollte haben Gut und Ehr.
An ihm ist mißgethan gar sehr.
Gott Herre, du hast ihm das Leben
Dem Leib ungleich gegeben.« –
So redete sie oft, die Magd.
Nun hatte ihre Mutter auch gesagt
Dem König von des Kaufmanns Ding,
Wie es von Anfang her erging,
Wie ihr selbst habt vernommen,
Daß alles war gekommen,
Und wie er nichts begehre,
Als daß man ihm gewähre
So mehr Frieden nach dieser That,
Wenn er mit Kauf und Handelsrath
Nach diesem Lande reise.
Das hatte sie ihm leise
Von Anfang bis zu End gesagt.
Inzwischen hieß ihm auch die Magd
Ihren Knappen Paraneisen
Sein Geräthe und sein Eisen
Weiß und glänzend machen,
Nach allen seinen Sachen
Wohl und mit Fleiße sehen.
Nun, dies war alles geschehen,
War schön und wohl bereitet
Und über einander gespreitet.
Nun ging die Schöne heimlich dar
Und nahm es alles besonders wahr.
Nun aber widerfuhr's Isot,
Wie ihr Unstern wollte und gebot,
Daß sie aber ihre Herzensqual
Zum andern wie zum ersten Mal
Vor den Andern allen fand.
Ihr Herze, das war dargewandt,
Ihr Auge trug sich immer dar,
Wo seine Rüstung gespreitet war;
Und weiß nicht, wie sie dazu kam,
Daß sie das Schwert zu Handen nahm,
Wie eben die Mägdlein und die Kind
Gelüstig und verlangend sind
Und, weiß Gott, auch so mancher Mann.
Sie zog es aus und sah es an
Und beschaute es hie und da,
Bis sie den Gebresten dran ersah.
Auf die unselige Scharte
Sie lange und sehr hinstarrte
Und gedachte in ihrem Muthe:
»So mir Gott der gute,
Der Gebresten, wähne ich, ist bei mir,
Der stehen sollte im Schwerte hier,
Und zwar will ich es nehmen wahr.« –
Sie brachte ihn und setzte ihn dar:
Nun fügte sich die Lücke
Und das verwünschte Stücke
Zusammen ohne Schwere,
Als ob es Ein Ding wäre,
Wie sie auch gewesen waren
Innerhalb zweien Jahren.
Da begann ihr Herz zu erkalten
Um ihren Schaden, den alten.
Ihre Farbe, die ward beide,
Von Zorn und auch von Leide
Todtbleich und wieder feuerroth:
»Ach,« sprach sie, »jammervolle Isot!
O weh mir und o Waffen!
Wer hat dies leide Gewaffen
Von Kornwall hergetragen?
Das hat meinen Ohm erschlagen.
Und der ihn schlug, der hieß Tristan.
Wer gab es diesem Harfenmann?
Der heißt ja Tantris. Tantris? Ja!«
Die beiden Namen begann sie da
Im Herzen zu betrachten,
Auf beider Laut zu achten.
»Ah, Herre,« sprach sie da zu sich,
»Diese Namen, die beschweren mich;
Ich weiß nicht, was soll es mit ihnen sein,
Sie lauten nahe überein.
Tantris,« sprach sie, »dazu Tristan:
Da ist fürwahr ein Geheimniß dran.«
Nun sie bei den Namen stehen blieb,
Im Munde sie hin und wider trieb,
Da fiel sie auf die Buchstaben,
Die beide gebildet haben:
Und fand in diesem allzuhand
Dieselben, die sie in jenem fand.
[114]
Nun begann sie in beiden
Die Silben abzuscheiden,
Die wechselte sie mit Acht und Fleiß
Und kam recht auf des Namens Gleis.
Was sie suchte, das fand sie dran:
Für sich so sagte sie »Tristan,«
Herwieder so sagte sie »Tantris.«
Hiemit war sie des Namens gewiß.
»Ja, ja,« sprach aber die Schöne, »ja!
So steht es um diese Mären da?
Diese Falschheit und diesen Trug
Verrieth mein Herze mir laut genug.
Wie ward mir alles geoffenbart,
Seit ich sein näher achtend ward,
Seit ich an ihm Leib und Gestalt,
Sein Thun und Lassen mannigfalt
So fleißig ersah und befand dabei,
Daß er von Geburt ein Herre sei!
Wer hätte auch dies gethan, als er,
Daß er von Kornewall daher
Sich seinen tödtlichsten Feinden bot
Und zwier errettet ward vom Tod.
Vom Tod? Er ist nun viel ungenesen:
Dies Schwert, das muß sein Ende wesen.
Nun eile, räch dein Leid, Isot!
Liegt er von diesem Schwerte todt,
Damit er deinen Oheim schlug,
So ist der Rache voll genug.«
Sie nahm das Schwert zu Handen.
Nun ging sie über Tristanden,
Da er in einem Bade saß.
»Ja,« sprach sie, »Tristan, bist du das?« –
»Nein, Fraue, ich bin es, Tantris.« –
»So bist du, deß bin ich gewiß,
Beides, so Tantris als Tristan:
Die Zween, die sind ein verlorner Mann:
Was von Tristanden mir geschehn,
Das muß jetzt auf Tantrisen gehn:
Mein Ohm soll dir vergolten sein.« –
»Nein, süßeste Jungfraue, nein!
Um Gotteswillen, was thut Ihr?
Eures Namens gedenkt an mir!
Ihr seid eine Fraue und eine Magd:
Wo man die Mordthat von Euch sagt,
Da ist die wonnereiche Isot
Ewiglich an den Ehren todt.
Die Sonne, die von Irland scheint,
Die manches Herze minnt und meint,
Ah, die hat dann ein Ende.
O weh der lichten Hände!
Wie ziemet sich das Schwert darin!«
Inzwischen trat die Königin,
Ihre Mutter, zu den Thüren ein:
»Wie nun?« sprach sie, »was soll dies sein?
Tochter, was zeigst du damit an?
Wie, hast du deinen Sinn verthan?
Sind's schöne Frauensitten, das?
Und ist es Ernst, oder ist es Spaß?
Dies Schwert in deiner Hand, was soll's?« –
»Ach, Fraue Mutter, unsres Grolls,
Des alten Jammers mahn ich dich!
Dies ist der Mörder, der uns beschlich,
Tristan, der deinen Bruder schlug.
Nun haben wir Macht und Statt genug,
Daß wir uns an ihm rächen,
Dies Schwert in sein Herze stechen:
Es kommt uns Beiden so gut nicht mehr.« –
»Tristan? wie weißt du das? woher?« –
»Ich weiß es wohl, es ist Tristan.
Dies Schwert ist sein, nun sieh es an:
Die Scharte sieh, den Splitter dabei,
Und merke alsdann, ob er's sei.
Ich setzte, weh, dies Splitterlein
Dieser unseligen Scharten ein:
Da fügte es mit der Lücke
Sich recht wie zu Einem Stücke.«
»Ach,« sprach die Mutter, »welche Noth!
Weß hast du mich gemahnt, Isot!
Weh, daß ich mein Leben je gewann!
Und ist er Tristan, dieser Mann,
Wie bin ich da betrogen!« –
Nun schwang auch Isold im Bogen
Das Schwert und trat hin über ihn.
Ihre Mutter kehrte zu ihr hin:
»Laß ab, Isot,« sprach sie, »laß ab!
Weißt nicht, was ich geschworen hab?« –
»Was kümmert's mich! es ist sein Tod.« –
Tristan sprach: »Merzi, bele Isot!« –
»Ih, übler Mann,« sprach Isolde, »ih!
Frecher, und forderst du Merzi?
[115]
Merzi gehöret nicht zu dir,
Dein Leben, das mußt du lassen mir.« –
»Nein, Tochter,« sprach die Königin,
»Leider steht's nicht nach unsrem Sinn,
Daß wir uns mögen rächen,
Außer wir wollten brechen
So unsre Treu als unsre Ehr.
Uebereile dich nicht zu sehr:
Der Mann hier ist in meiner Hut,
Mit Leib und Leben, mit Hab und Gut.
Ich hab ihn, wie es auch sei gekommen,
Gänzlich in meinen Schutz genommen.« –
»Gnade, Fraue,« sprach Tristan:
»Fraue, gedenket wohl daran,
Daß ich Euch Gut und Leib und Leben
An Eure Ehre hab ergeben
Und Ihr mich empfingt auf solches hin.« –
»Du leugst,« sprach die junge Königin:
»Ich weiß wohl, wie es gesprochen ist:
Sie gelobte Tristanden zu keiner Frist
Ihren Frieden und ihre Hut
Weder am Leben, noch auch am Gut.«
Hiemit so lief sie ihn aber an,
Und aber und aber rief Tristan:
»Ah, bele Isot, Merzi, Merzi!« –
Auch trat die Mutter zwischen sie,
Die Königin so treu und rein:
Er mochte sonder Sorgen sein.
Und wäre er zu der Stunden
Auch in das Bad gebunden
Und bloß Isolde da gewesen,
Er wäre doch vor ihr genesen.
Die süße Magd, die gute,
Die nie zu Weibes Muthe
Herbe, noch Herzensgalle gewann,
Wie konnte die schlagen einen Mann?
Nur daß sie aber beide,
Von Zorn und auch von Leide,
Hatte solche Gebärden,
Als wollte sie ihn gefährden;
Und hätt es auch gethan im Nu,
Hätte sie das Herz gehabt dazu;
Das war ihr aber theuer
Zu so herbem Abenteuer.
Doch war ihr Herze nicht so gut,
Daß sie nicht hatte schlimmen Muth,
Als sie den hörte und ward gewahr,
Von dem ihr Leid geschehen war.
Sie hörte den Feind, sie mußt ihn sehn
Und konnt ihm doch nicht zu Leibe gehn;
Die süße Weiblichkeit zu ihr trat
Und zog sie weg von solcher That.
In ihr bekämpften härtiglich
Die beiden Widerspiele sich,
Zwei Dinge, die da sind im Streit:
Der Zorn und die milde Weiblichkeit,
Die übel zusammen leben,
Wo sie die Hand sich geben.
War nun der Schönen Zorn erwacht
Und hätte den Feind gern umgebracht,
So trat die Weiblichkeit herein:
»Nein,« sprach sie süße, »laß es sein!«
So war ihr Herze zwiegemuth,
Das Eine Herz war bös und gut.
Die Schöne warf das Schwert darnieder
Und nahm es aber alsbald wieder:
Sie wußte nicht in ihrem Muth,
Zwischen Uebel und zwischen Gut
Was sie erwählen sollte:
Sie wollte und widerwollte,
Sie wollte thun und lassen
Und ließ sich vom Zweifel fassen,
Bis doch die süße Weiblichkeit
Dem Zorne abgewann den Streit,
So daß der Feind entging dem Schlag
Und Morold ungerochen lag.
Hiemit warf sie das Schwert von ihr,
Weinend sprach sie: »O wehe mir,
Daß ich den Tag jemals ersah!« –
Sprach ihre Mutter, die Weise, da:
»Liebe Herzenstochter mein,
Die großen Herzensschmerzen dein
Sind wahrlich und leider doch für mich
Größer und schwerer, denn für dich.
Durch Gottes Gnade gehn sie dir
So nahe nimmermehr, wie mir.
Mein Bruder, leider, der ist todt:
Das war bisher meine größte Noth.
Noch fürchte ich eine Noth von dir:
In Treuen, Tochter, und die geht mir
[116]
Viel näher und nimmt mir alle Ruh:
Mir ward so Liebes nichts, wie du:
Eh mir an dir geschehe,
Was ich ungerne sähe,
Eh will ich lassen diesen Haß:
Ich mag doch sanfter und mag baß
Erleiden Eine Noth, denn zwo.
Mein Ding, das steht mir nunmehr so
Mit diesem unheilvollen Wicht,
Der uns da fordert zum Kampfgericht:
Wenn wir nicht eifrig sehn dazu,
Dein Vater der König, ich und du,
So sind wir jetzt und immerdar
Alle Drei unsrer Ehre bar
Und werden nimmer fröhlich sein.
Jener im Bade, der sprach darein:
Selige Frauen beide,
Ich hab euch wohl viel zu Leide,
Und aber mit großer Noth, gethan.
Seht ihr es, wie ihr doch müsset, an,
So wisset ihr wohl, daß diese Noth
Nichts andres war als der bittre Tod.
Den leidet ungern Jedermann,
So lang er sich erwehren kann.
Doch, wie das auch ergangen ist,
Darauf, wie es zu dieser Frist
Mit dem Truchsäßen sich verhält,
Sei euer ganzer Sinn gestellt.
Dem will ich ein gut Ende geben,
Das heißt, wenn ihr mich lasset leben
Und mich nicht hindert dran der Tod.
Fraue Isot und aber Isot,
Ich weiß wohl, daß ihr allezeit
Verständig, getreu und vollkommen seid
Und könnt wohl unterscheiden:
Könnt ich es mit euch Beiden
Auf eine Sühne wagen,
Und wolltet ihr euch entschlagen
Uebler Gebärde gegen mir
Und auch des Hasses, welchen ihr
Tristanden lange habt getragen,
Ich wollt euch gute Mären sagen.«
Isoldens Mutter, Frau Isot,
Sah ihn lang an und wurde roth;
Ihre lichten Augen wurden voll;
»O weh,« sprach sie, »nun höre ich wohl
Und weiß für wahr, daß Ihr es seid.
Ich zweifelte bis auf diese Zeit.
Nun habt Ihr aber ungefragt
Mir die Wahrheit herausgesagt.
O weh, o weh, mein Herr Tristan,
Daß ich Euer je Gewalt gewann,
So gute, als zu dieser Stund,
Und stehe doch nicht auf so festem Grund,
Daß ich sie üben könnte so,
Damit ich ihrer würde froh!
Gewalt ist aber so mannigfalt:
Ich wähne, ich mag wohl diese Gewalt
An meinem Todfeind üben
Und in so ferne trüben
Das Recht an einem üblen Mann.
Ja Herre, will ich also dran?
Ja, meiner Treu, ich wähne.«
Inmittelst kam Brangäne,
Die stattliche, die weise,
Lächelnd dort und leise,
Schön und wohl aufgestrichen,
Zur Thür herein geschlichen,
Sah das Schwert ohne Scheide,
Verstört die Frauen beide:
»Wie nun?« sprach die Gefüge drein,
»Was sollen das für Gebärden sein?
Was treibt ihr Drei für Märe hie?
Diese Fauenaugen, warum sind die
Also trübe und also naß?
Dies Schwert am Boden, was deutet das?« –
Die gute Königin, die sprach:
»Brangäne, Herzensniftel, ach!
Sieh, wie wir Alle sind betrogen
Und für die Nachtigall erzogen
Blindlings die Schlange haben
Und vorgemalen dem Raben
Kernen, der sollte der Taube sein!
Wie haben wir, o Herre mein,
Den Todfeind für den Freund ernährt,
Zwier vor dem übeln Tod erwehrt
Mit unsern eignen Handen,
Ach, unsern Feind Tristanden!
Da sitzt er, sieh, das ist Tristan.
Nun hab ich einen Zweifel dran:
[117]
Soll ich mich rächen? Sage du,
Niftel, was rathest du dazu?«
»Nein, Fraue, thut die Rede hin!
Euer gesegneter Muth und Sinn,
Der ist zu solchem viel zu gut,
Daß Ihr je solltet einen Muth
Zu solcher That gewinnen
Und handeln so ohne Sinnen,
Daß Ihr auf Morden und Schlachten
Je stellet Euer Trachten,
Und noch dazu an einem Mann,
Deß Ihr Euch habt genommen an
Mit Eurem Frieden und Eurer Hut.
Es war Euch ernstlich nie zu Muth,
Wie ich zu Gott wohl hoffen mag.
Und denket auch an den Vertrag,
Dran Eure Hoffnung, sehr bedrängt,
Und Eure ganze Ehre hängt.
Wollet Ihr Eure Ehre geben,
Zu nehmen eines Feindes Leben?« –
»Was willst du aber, daß ich thu?« –
»Fraue, da sehet selber zu:
Geht hin und laßt ihn gleichfalls gehn;
Derweil mögt Ihr zu Rathe stehn,
Was Euch wohl das Genehmste sei.«
Hiemit so gingen sie alle Drei
Zum Rathschlag in ihr Fraungemach.
Isold, die sinnenreiche, sprach:
»Seht,« sprach sie, »ihr Beide, saget an,
Was mag er meinen, dieser Mann?
Er sagte zu uns Beiden das:
Würden wir lassen diesen Haß,
Den wir ihm haben so lang getragen,
Wollt er uns gute Mären sagen.
Was mag dies sein? das wundert mich.« –
Brangäne sprach: »Da rathe ich,
Daß ihm ja Niemand komme für
Mit irgend einer Ungebühr,
Bis wir befinden seinen Muth.
Sein Muth und Sinn ist leichtlich gut
Und dient zu euren Ehren.
Man muß den Mantel kehren,
Wie je die Winde sind gewandt.
Vielleicht daß er gen Irenland
Euch Beiden zu Ehren kommen ist.
So hütet sein zu dieser Frist
Und lobet auch von Herzen Gott,
Daß dieser ungefüge Spott
Und des Truchsäßen falsches Spiel
Durch ihn soll kommen zu seinem Ziel.
Gott hat recht über uns gewacht
Und unser Suchen wohl bedacht;
Denn hätten wir ihn zur Stunden
Nicht alsobald gefunden,
Weiß Gott, so wäre er jetzo todt.
Wisse Christ, Jungfraue Isot,
Dann könnte es ja nicht ärger stehn!
Laßt keine Ungebärde sehn;
Denn wird er etwas innen
Und mag er dann entrinnen,
So hat er recht, daß er das thu.
Darum so sehet Beide zu
Und bietet es ihm also wohl,
Wie man mit allem Rechte soll.
Das rathe ich euch, da folget mir:
Tristan ist edel, gleich wie ihr,
Ist höfisch und ist weise,
Vollkommen auf alle Weise.
Wie es euch auch zu Muthe sei,
Gesellt euch ihm doch höfisch bei.
Fürwahr, weß er auch sei bedacht,
Ihn hat ein Ernst hieher gebracht.
Sein Werben und sein Ringen,
Das steht nach ernstlichen Dingen.«
Da stunden sie auf und gingen fort
Und kamen hin, da Tristan dort
Heimlich an seinem Bette saß.
Tristan sein selber nicht vergaß:
Er fuhr empor mit schnellem Sinn
Und fiel vor ihnen Allen hin
Und lag den Höf'schen, Süßen
Flehentlich zu den Füßen
Und sprach bei seinem Falle:
»Gnade, ihr Süßen alle!
Habet Gnade gegen mich,
Laßt mich genießen den Dienst, daß ich
Zu eurer Ehre und eurem Frommen
Her bin in euer Reich gekommen.« –
Die lichte Frauenreihe,
Die lichten alle Dreie
[118]
Kehrten die Augen von dem Mann
Und sahen alle einander an.
Sie stunden, und er lag alldort.
»Fraue!« – Brangäne sprach das Wort –
»Der Ritter liegt zu lange.« –
Die Königin, die sprach bange:
»Was willt du nun, daß ich ihm thu?
Mein Herze steht mir nicht dazu,
Daß ich mit ihm zur Freundschaft komme:
Ich weiß nicht, was ich thu, das fromme.« –
Brangäne sprach aber da zu ihr:
»Nun, liebe Fraue, folget mir,
Ihr und meine Jungfraue Isot:
Ich weiß, es ist wahr wie der Tod,
Daß ihr in euren Sinnen
Ihn mögt ungerne minnen
Vor eurem alten Leide.
So gelobet ihm das doch Beide,
Daß er des Leibes sicher sei.
Es mag leicht sein, daß er dabei
Zu seinem Frommen etwas sagt.« –
Die Frauen sprachen: »Das sei gewagt.« –
Hiemit gebot sie ihm aufzustehn.
Nun dies Gelübde war geschehn,
So saßen sie Alle nieder.
Tristan begann da wieder:
»Seht,« sprach er, »Fraue Königin,
Und tragt Ihr mir nun holden Sinn,
So sollt Ihr das genießen,
Noch eh zween Tage verfließen,
Und zwar ohn argen Trug und List:
Eure Tochter, die Euer Liebstes ist,
Soll einen König haben zum Mann,
Der ihr wohl steht zum Herren an;
Denn er ist schön und milde,
Zum Speere und zum Schilde
Ein Ritter edel und auserkorn,
Von altem Königsstamm geborn,
Und ist zu diesem allem, wißt,
Viel reicher, denn ihr Vater ist.«
»In Treuen,« fiel die Königin ein,
»Möcht ich der Rede sicher sein,
Ich folgete und ich thäte,
Was mich da Jemand bäte.« –
»Fraue,« sprach Tristan da zu ihr,
»Ich will Euch vergewissern schier.
Bewähr ich's Euch nicht an der Stund,
Da diese Sühne hat festen Grund,
So laßt mich aus dem Frieden sein
Und laßt mich nimmermehr gedeihn.« –
Die Weise sprach: »Brangäne, sprich,
Wie rathest du, was dünket dich?« –
»Mich dünket seine Rede gut
Und rathe auch, daß Ihr es thut.
Leget allen Zweifel hin
Und steht auf Beide und küsset ihn.
Ist auch keine Königskrone mein,
Doch will ich mit in der Sühne sein:
Er war mein Mage, wie arm ich sei.« –
So küßten sie ihn da, alle Drei;
Doch geschah es von der Jungen
Mit langen Weigerungen.
Nun diese Sühne geschah alldort,
Sprach Tristan zu den Frauen fort:
»Nun, das weiß Gott der gute,
Ich ward in meinem Muthe
So froh nie, als ich jetzo bin:
Ich habe stets nach den Sorgen hin
Gespähet und gesehen,
Die mir möchten entstehen,
Daß ich darauf gefaßt sein soll.
Jetzt braucht es nicht, jetzt weiß ich wohl,
Daß ich in euren Hulden bin.
Nun leget alle Sorgen hin:
Ich bin euch zu Ehren und zu Frommen
Von Kornewall gen Irland kommen.
Seit jener meiner ersten Fahrt,
Da ich allhie geheilet ward,
Seit sprach ich allestund mit Fleiß
Zu eurer Ehre und eurem Preis
Meinem Herren, dem König Mark,
Bis ich mit Zuspruch also stark
Euch seinen Sinn zuwandte,
Daß er zuletzt entbrannte.
Doch ging es schwer, und wißt, um was:
Beides, er fürchtete den Haß
Und wollte auch von wegen mein
Ehlichen Weibes ohne sein,
Daß ich nach seinem Sterben
[119]
Seine Lande sollte erben.
Doch brachte ich ihn hievon ab,
Bis er mir endlich Folge gab.
So kamen wir Zween unter uns Zwein
Ob dieser Reise überein:
Darum kam ich gen Irenland,
Darum erschlug ich den Serpant;
Und habt auch eure Mühe ihr
Glückselig angewandt an mir;
Und meine Jungfraue soll alsohin
Fraue werden und Königin
Zu Kornwall und zu Engelland.
Nun ist euch mein Geschäft bekannt:
Gesegnete schöne Masseney,
Gesegnete Schönen alle drei,
Nun laßt es auch verholen sein.« –
»Nun sagt mir,« fiel die Königin ein,
»Wenn ich's meinem Herren sage
Und eine Sühne vertrage,
Mißthu ich etwa nicht daran?« –
»Nein, selige Fraue,« sprach Tristan:
»Er soll's mit Rechte wissen.
So seid nun Ihr beflissen,
Daß mir kein Schade davon geschicht.« –
»Nein, Herre, fürchtet Euch ferner nicht,
Denn mit den Sorgen ist's vorbei.«
Die Frauen gingen alle drei
In ihr Gemach jetzunder,
Betrachteten mit Wunder
Sein Glück und sein Gelingen
In allen seinen Dingen.
Von seiner Weisheit jede
Erhub da ihre Rede,
Die Mutter erst, Brangäne dann:
»Sieh, Mutter,« hub die Tochter an,
»Wie ich so wunderlich befand,
Daß Tristan ist dieser Gast genannt:
Da ich dem Schwert auf die Fährte kam,
Alsbald ich da zu Handen nahm
Die Namen Tantris und Tristan,
Zu treiben und wenden sie begann,
Und bedünkte mich an den zwein,
Sie hätten irgendwas gemein.
Da begann ich zu trachten
Und fleißiglich zu achten
Und fand an den Buchstaben,
Die man muß zu den Namen haben,
Daß einer wie der andre war;
Denn las ich her oder las ich dar,
So fand ich nie was andres dran,
Als Tantris nun, und nun Tristan,
Und waren Ein Wort beide.
Nun, Mutter, sieh, nun scheide
Den Namen, den du kennst, Tantris,
In ein Tan und in ein Tris,
Das Tris, das setze vor das Tan,
Siehe, so spricht dein Mund Tristan,
Das Tan sprich wieder vor dem Tris,
So spricht aber dein Mund Tantris.« –
Da segnete die Mutter sich:
»Gott, sprach sie, der gesegne mich!
Von wannen kam dir je der Sinn?«
Nun sandte aber die Königin,
Nachdem die Dreie von Tristan
Unter sich manche Rede gethan,
Nach dem Könige: der kam dar.
»Seht, Herre,« sprach sie, »nehmet wahr:
Ihr sollt uns eine Bitte gewähren,
Die wir Drei ernstlich an Euch begehren;
Thut Ihr's, so kommt's uns Allen wohl.« –
»Ich folge, worin ich Euch folgen soll:
Was Ihr begehrt, das sei vollbracht.« –
»So stellt Ihr's denn in meine Macht?«
Sprach aber die gute Königin. –
»Ja, es geschehe nach Eurem Sinn.« –
»Dank, Herre, damit ist es genug;
Herre, der meinen Bruder schlug,
Tristanden hab ich drinne:
Den sollt Ihr Eure Minne
Und lassen Eure Huld empfahn;
Sein Gewerbe, das ist so gethan,
Daß guten Fug die Sühne hat.« –
»Traun,« sprach der König, »diesen Rath,
Den lege ich getrost auf dich:
Er geht dich näher an denn mich.
Morold, dein Bruder, der war dir
Im Blute näher gesippt, als mir.
Willt du, daß das vergessen sei,
Wohlan, so bin auch ich dabei.« –
Nun sagte sie ihm alsofort
[120]
Tristandens Märe Wort für Wort,
Wie er ihr selber sagte.
Die Märe, die behagte
Dem Könige wohl, und sprach ihr zu:
»Nun sieh, daß er's mit Treuen thu.«
Da sandte die weise Königin
Brangänen nach Tristanden hin;
Und als er eintrat, ließ er sich
Vor dem König nieder züchtiglich:
»Gnade, Herr König,« sagte er. –
»Steht auf, Herr Tristan, und geht her,«
Sagte Gurmun, »und küsset mich.
Mit schwerem Herzen verzichte ich,
Jedoch verzicht ich auf diesen Span,
Seit ihn die Frauen haben verthan.« –
»Herre,« fiel aber Tristan ein,
»In dieser Sühne soll auch mit sein
Mein Herr sammt Kornwall und Engelland?« –
»Ja, Herre,« sprach Gurmun allzuhand. –
Nun diese Sühne zu Ende kam,
Die Königin Tristanden nahm
Und satzt ihn zu ihrer Tochter nieder
Und bat ihn auch die Märe wieder
Ihrem Herrn von Anbeginn zu sagen,
Wie es sich hätte zugetragen
Mit allen diesen Sachen,
Vom Kampfe mit dem Drachen
Und Marke's, seines Herrn, Begehr:
Das sagte er ihm von Anfang her.
Der König sprach aber: »Herr Tristan,
Nun wie bewahr ich mich hieran,
Daß ich der Rede versichert sei?« –
»Wohl, Herre! Ich habe nahebei
Meines Herren Fürsten alle:
Verlangt, was Euch gefalle,
Zur Sicherheit: Euch geht nichts ab,
Dieweil ich ihrer einen hab.«
So schied Gurmun von hinnen,
Und beide Königinnen
Verblieben mit ihrem Gaste drin.
Tristan nahm Paraneisen hin:
»Geselle,« sprach er, »geh zum Port;
Es steht ein Kiel im Hafen dort,
Dahin geh heimlich und geschwind
Und frage, wer von dem Gesind
Der Kurvenal genennet sei.
Demselben bringe heimlich bei,
Er solle zu seinem Herren gehn;
Laß Keinen die Märe sonst verstehn,
So höfisch du bist! und bring ihn leis.« –
Nun, Herre, das that Paraneis.
Er brachte ihn so leise dar,
Daß Niemand seiner ward gewahr.
Nun sie zur Kemenaten
Ein für die Frauen traten,
Da neigte sich ihm die Königin,
Doch weiter Niemand sonst darin.
Sie nahmen darum sein nicht wahr:
Er kam nicht als ein Ritter dar.
Nun Kurvenal Tristanden
Den Frauen unter Handen
Also gesund und fröhlich sah,
In der Zunge von Frankreich sprach er da:
»A, bea duz Sir,
Um Gottes willen, was thut Ihr,
Daß Ihr in Freud und Herrlichkeit
In diesem Himmelreich die Zeit
Also hinbringt verborgen
Und laßt uns in den Sorgen?
Wir wähnten uns verloren:
Bis jetzo hätt ich geschworen,
Daß Ihr nicht lebend wäret.
Wie habt Ihr uns beschweret!
Euer Kiel und Eure Leute,
Die schwuren wohl noch heute
Und halten dafür, Ihr seiet todt;
Und sind auch nur mit großer Noth
Geblieben bis zu dieser Nacht
Und hatten aber schon ausgemacht,
Sie wollten heute Nacht dahin.« –
»Nein,« sprach die gute Königin,
»Er lebet fröhlich und gesund.« –
Und Tristan, der begann zur Stund
Brittisch zu reden wider ihn:
»Kurvenal,« sprach er, »geh balde hin
Und sage drunten, mein Ding steh wohl,
Und daß ich es alles enden soll,
Darnach man uns hat ausgesandt.« –
Hiemit so gab er ihm allzuhand
[121]
Fleißig und aus dem Grunde
Von seinem Glück die Kunde.
Nun daß ihm kund und offenbar
Seine Noth und sein Gelingen war,
»Nun,« sprach Tristan, »geh bald darnieder,
Sag meinen Landesherren wieder
Und auch der Ritterschaft dazu,
Daß ihrer Jeder morgen fruh
Mit seinen Dingen sei bereit,
Schön aufgestrichen und wohl gekleidt
Mit dem allerbesten Gewand,
Das Jeder hat zu seinem Stand,
Und daß sie nehmen des Boten wahr,
Den ich euch werde senden dar,
Daß ihr herreitet gen Hof zu mir.
Auch schicke ich morgen hinab zu dir:
Dann sende mir den kleinen Schrein,
Da meine Kleinode sind darein,
Und meine Kleider auch damit,
Die von dem allerbesten Schnitt.
Dich selbst auch kleide also wohl,
Als ein höfischer Ritter soll.« –
Er neigte sich und ging alsdann.
Brangäne sprach: »Wer ist der Mann?
Ihn dünket wahrlich, und das ist sein,
Hierinnen ein Himmelreich zu sein:
Ist er ein Ritter oder Knecht?« –
»Fraue, wofür Ihr ihn ansprecht,
Er ist ein Ritter und ein Mann,
Da habet keinen Zweifel dran,
Daß diese Sonne in keinem Land
Ein tugendhafter Herze fand.« –
»Gesegnet müsse er immer sein,«
Fielen die Königinnen ein,
Und meine Frau Brangäne sprach,
Die sittige, höfische, solches nach.
Nun Kurvenal zum Schiffe kam,
Seine Rede er zu Handen nahm,
Wie ihm war aufgetragen,
Daß er ihnen sollte sagen,
Und sagte auch, wie er Tristanden fand.
Nun gebarten sie sich allzuhand
Wie Einer, der ist todt gewesen
Und wieder von dem Tod genesen:
So freuten sie sich im Kiele.
Das waren aber Viele
Nicht zu Herrn Tristans Ehren so
Als über den Landfrieden froh.
Die Herrn mit neidischen Launen
Begannen wieder zu raunen
Und hin und her zu reden, wie eh.
Sie ziehen Tristanden mehr denn je
Ob diesem reichen Glücke
Böslicher Zauberstücke,
Und Einer um den Andern sprach:
»Hie merket Wunder, denket nach,
Was dieser Mann nicht Wunder kann.
Ja, Herre, was kann dieser Mann,
Daß er alles vollendet,
Darauf er sein Trachten wendet.«

Der Rechte

Der Rechte.

Hiemit war auch der Tag gekommen,
Der zu dem Kampfe war genommen,
Und war gar große Ritterschaft,
Des Landvolks eine große Kraft
Vor dem Könige in dem Saal.
Auch war da keine kleine Zahl
Unter den guten Knechten,
Die fragten, wer denn zu fechten
Für die junge Magd Isot
Mit dem Truchsäßen sich erbot?
Die Frage, die ging her und dar.
Nun wußte Niemand in der Schaar,
Wie diese Märe war gethan.
Inzwischen hatte auch Tristan
Die Kleider und den Schrein bekommen
[122]
Und hatte gleich daraus genommen
Drei Gürtel den drei Frauen:
Kein beßrer war zu schauen
Für Kaisrin nicht, noch Königin.
Schapel und Fürspan lagen drin,
Senkel und Ringe gaben Schein,
Davon war eben voll der Schrein;
Und war dies alles also gut,
Daß nimmer eines Herzens Muth
Nach etwas konnte trachten,
Das besser war zu achten.
Und kam auch nichts von allem fort,
Als so viel Tristan selber dort
Zu seinem eignen Schmucke nahm:
Ein Gürtel, der ihm wohl bekam,
Ein Schapel und ein Spänglein fein,
Die ihm gebührlich mochten sein.
»Ihr Schönen,« sprach er, »alle drei,
Diesen Schrein und was darinne sei,
Nehmt, schaffet damit alle,
Und thut, was euch gefalle.«
Mit diesen Reden ging Tristan;
Seine Kleider legte er an
Und wandte darauf allen Sinn
Und war beflissen, daß er drin
Sich figurirte also wohl,
Als ein vollmüthiger Ritter soll.
Die standen ihm auch wundersam.
Nun er wieder zu den Frauen kam
Und ließ sich vor ihnen schauen,
Da ließen ihn die drei Frauen
Durch Herzen und Gedanken gehn;
Er däuchte sie herrlich anzusehn
Nach allen seinen Zeichen,
Und die drei Tugendreichen
Gedachten alle zu Einer Frist:
»In Treuen, dieser Mann, der ist
Zum Vorbild eines Manns gemacht:
Seine Gestalt und seine Tracht,
Die schaffen wohl an ihm den Mann;
Sie stehen so wohl einander an.
Sein Ding ist alles wohl bewandt.«
Nun hatte auch Tristan besandt
Sein Gesinde, das war gekommen
Und hatte seinen Sitz genommen
Nach einander in dem Saal.
Da ging die ganze Welt zumal
Und beschaueten an der Schaar,
Was sie da Wunders nahmen wahr
An dieser Herrn Gewanden,
Und Manche da gestanden,
Sie hätten an so Vielen nie
So gute Kleider gesehn, wie hie.
Doch daß sie standen so stille dort
Und gönnten dem Landvolk nicht ein Wort,
Das war nicht Mangel an höf'scher Pflicht:
Sie konnten ihre Sprache nicht.
Da sandte auch der König hin
Einen Boten nach der Königin,
Daß sie ihre Tochter nähme
Und mit ihr zu Hofe käme.
»Isot,« sprach sie, »wohlauf, gehn wir.
Herr Tristan, indessen bleibet Ihr:
Es wird alsbald nach Euch gesandt;
Dann nehm Euch Brangäne an ihre Hand,
Und geht ihr Zwei nach uns dahin.« –
»Gerne, Fraue Königin.«
So kam die Königin Isot,
Das wonnigliche Morgenroth,
Mit ihrer Sonne an der Hand,
Dem Wunderbilde von Irenland,
Der lichten Magd Isolde,
Die ihrem Morgengolde
Schwebte leise und stetig mit,
In Einer Spur, in Einem Tritt,
Süß gebildet und wohl gemacht,
Schlank, hochgewachsen und in der Tracht,
Der fest umschließenden, schmal und stet,
Als hätte die Minne sie gedreht
Ihr selber zu einem Federspiel,
Dem Wunsche zu einem Endeziel,
Das er nicht überholen kann.
Sie hatte von braunem Sammet an
Rock und Mantel, in dem Schnitt
Von Frankreich, und war der Rock damit
Da, wo die beiden Seiten
Gegen die Hüfte gleiten,
Gefranzet und geenget,
Nah an den Leib gedränget
[123]
Mit einer Borte, die lag wohl,
Wo Borte und Gürtel liegen soll.
Der Rock, der war so heimisch hier,
Er that sich nahe hin zu ihr,
Er stand nicht ab, an keiner Statt,
Er schmiegte sich an die Glieder glatt
Von oben bis unten überall;
Er nahm den Faltenwurf und Fall
Unter den Füßen also viel,
Als euer Jeder gerne will.
Der Mantel, der war ganz durchhin
Fleißig mit weißem Hermelin
Innen und außen gezieret,
In Streifen gefloitiret,
War nicht zu kurz und nicht zu lang
Und schwebte in seinem Niederhang
Weder zur Erden, noch empor.
Da stund ein höfischer Zobel vor
Dermaßen, als das Maß befahl,
Weder zu breit noch auch zu schmal,
Und war gesprenkelt schwarz und grau;
Schwarz und grau, die kamen genau
In solcher Mischung überein,
Daß jedes gab seinen eignen Schein.
Der schmiegte auch im rechten Bug
Sich an den Hermelin mit Fug,
Recht wie der Zobel liegen soll,
Da eins dem andern steht so wohl.
Die Heftel, wo die sollten sein,
Da war ein Schnürlein, schmal und klein,
Von weißen Perlen durchgetragen;
Da hatte die Schöne eingeschlagen
Den Daumen von der linken Hand;
Die rechte hatte sie gewandt
Hernieder baß, ihr wisset wohl,
Da man den Mantel schließen soll,
Und schloß ihn so nach höfischer Art
Mit zweien Fingern, süß und zart;
Fürbaß da fiel er selbst herwider
Und warf die Falten bis unten nieder,
Daß man da wahrnahm beide:
Das Rauchwerk und die Seide;
Man sah es innen und außen,
Und innerhalben hausen
Das Bildniß, das die Minne
Am Leibe und an dem Sinne
Hatte so schön und wohl gedreht:
Ja, was man drechselt und was man näht,
Die beiden Künste schufen nie
Ein lebend Bildniß baß, denn hie.
Gefiederte Schachblicke,
Die kamen da schneedicke
Schachbietend geflogen fern und nah:
Ich wähne, daß die Schöne da
Manchen sein selbst beraubte.
Sie trug auf ihrem Haupte,
Die Königsmagd Isolde,
Einen schmalen Reif von Golde,
Gemacht mit feinem Sinne.
Da lagen Gemmen drinne,
Erwünschte Edelsteine,
Viel licht und dabei kleine,
Die besten von dem Lande,
Smaragde und Jachande,
Sapphire und Chalcedone;
Die waren in der Krone,
Der kleinen, so schön eingefügt,
Daß alle Kunst, die euch vergnügt,
Ja, die auch dem Meister genügte,
Nie Steine schöner fügte.
Da leuchtete das Gold und Gold,
Der goldne Zirkel und Isold,
Im Widerstreit einander an.
Da war kein noch so weiser Mann,
Der ohne der Steine bunten Glast
Ins Auge hätte je gefaßt,
Daß da ein Zirkel möchte sein:
So gleich kam und so überein
Ihr blondes Haar dem Golde.
Isolden ging so Isolde,
Die Tochter gesellt der Mutter bei,
Fröhlich und aller Sorgen frei.
Ihre Tritte, die waren in Gang und Schwang
Gemessen, weder kurz noch lang,
Und doch in beider Maße.
So kam sie ihre Straße
Aufrecht, mit offnen Sitten,
Dem Sperber gleich, geschritten,
Und wie ein Sittich glatt zu sehn.
Sie ließ die Augen rings um gehn,
So wie der Falke auf seinem Ast,
[124]
Nicht zu linde und nicht zu fast
Hatten sie ihre Weide.
Ihre Augen weideten beide
So eben und so leise
Und in so süßer Weise,
Daß kaum ein Auge war allda,
Das nicht in die zween Spiegel sah
Mit Wunder und mit Wonne.
Die wonnebringende Sonne
Verbreitete ihren Schein im Saal,
Sie erfreute die Herren allzumal,
Schwebend neben der Mutter hin.
So trieben's die Zwo im Saale drin
Mit zweier Art Unmuße,
Zweierlei süßem Gruße,
Grüßend hie, dort neigend,
Sprechend hie, dort schweigend.
Ihr Recht ist ihnen Beiden
Gesetzt und zubescheiden:
Die Eine grüßt, die Andre sich neigt,
Die Mutter spricht, die Tochter schweigt.
Dies trieben die wohlgezognen zwo,
Die Mutter so, und die Tochter so.
Nun daß Isolde und Isot,
Die Sonne und ihr Morgenroth,
Sich hatten niedergelassen jetzt
Und zu dem Könige sich gesetzt,
Nun nahm der Truchseß alles wahr,
Fragte und forschte her und dar,
Wo denn mit Schwert und Speere
Der Frauen Kämpfer wäre.
Das konnte ihm Niemand sagen.
Da nahm er seine Magen,
Das war eine große Schaar um ihn;
Vor den König so ging er hin,
Dem Gerichte stellte er sich:
»Nun, Herre,« sprach er, »hie bin ich
Und fordere mein Kampfesrecht.
Herre, wo ist nun der gute Knecht,
Der mich von meinen Ehren
Hie wähnet abzukehren?
Ich hab noch Freunde und Mannen, seht!
Auch ist mein Recht so gut und stet:
Thut mir das Landrecht, wie es soll,
So führe ich meine Sache wohl.
Gewalt erschreckt mich keine,
Ihr thätet es denn alleine.«
»Truchsäße,« fiel die Königin ein,
»Soll dieser Kampf unwendbar sein,
So weiß ich nicht recht, was zu thun:
Ich bin noch unbereitet nun;
Und doch, in Treuen, gäbest du
Mit dem Beding den Frieden zu,
Daß Isot dieser Märe
Ledig und ohne wäre,
Truchseß, in Treuen, es käme dir
Zu Statten gleich so gut als ihr.« –
»Ledig?« sprach der Andre nun:
»Ja, Fraue, Ihr würdet auch also thun,
Ihr ließet auch gewonnen Spiel.
Was Ihr da redet, das hat kein Ziel:
Ich will mit Frommen und Ehren
Von diesem Spiele kehren.
Ich hätte ja ganz im Unverstand
So große Mühsal aufgewandt,
Wenn ich es also ließe sein:
Fraue, Eure Tochter, die ist mein,
Das ist das Ende, sehet an.
Ihr kennt ihn ja so wohl, den Mann,
Der diesen Drachen da erschlug.
Den bringet, so ist der Rede gnug.«
»Truchsäße,« sprach sie, »du redest fein:
Ich höre wohl, es muß ja sein;
Ich muß mein selber nehmen wahr.« –
Sie winkte Paraneisen dar:
»Geh hin,« sprach sie, »und bring den Mann.«
Nun schauten sie Alle einander an,
Barone und Ritter, staunend,
Und fragten einander raunend
Und trieben viele Märe,
Wer dieser Kämpfer wäre.
Nun war es ihrer Keinem kund.
Inmittelst schwebte auch zur Stund
Die stolze Brangäne, mit lichtem Strahl
Der schöne Vollmond, in den Saal,
An ihrer Hand den werthen
Tristan, ihren Gefährten.
Die Stolze, Wohlgesittete schritt
Neben ihm her mit sittigem Tritt,
[125]
In ihrem ganzen Wesen
Holdselig und auserlesen,
In ihrem Gemüthe stolz und frei.
Auch ging ihr ihr Gefährte bei
In stolzer Ritterweise;
Und war auch er zu Preise
Und seltnem Wunder überkleidt
Mit jeglicher Vollkommenheit,
Die da den Ritter machen soll;
Es stund ihm alles schön und wohl,
Was einem Ritter löblich steht.
Seine Gestalt und sein Geräth,
Die stimmten wonniglich überein
Und machten ihn so im Verein
Zu einem ritterlichen Mann.
Er hatte Ciclatgewande an,
Die waren aus der Maßen reich,
Fremd, auserlesen und fürstengleich.
Er hatte sie nicht vom Hof erhoben:
Das Gold, das war darein gewoben
Nicht in des Hofes Maße;
Da wurde man die Straße
Der seidnen Fäden kaum gewahr:
Sie waren alle so ganz und gar
Mit dem Golde ertränket
Und in das Gold versenket,
Daß man die Arbeit kaum ersah.
Von kleinen Perlen ein Netz war da
Außen darauf getragen,
Die Maschen so weit geschlagen,
Als eine Hand an Breite hat.
Dadurch so brannte der Ciclat,
Recht wie man Kohlen glühen sieht.
Das Unterfutter war Timit,
Brauner denn Veilchen anzuschaun,
Recht wie ein Agleiblatt so braun.
Derselbe Pfelle, der legte sich
In seine Falten und in seinen Strich
Also schmiegsam und also wohl,
Als wie ein Pfelle sich legen soll.
Er stund dem lobenswerthen Mann
Gar wohl und lobenswürdig an
Und alleweise nach Begehr.
Auf seinem Haupte, da trug er
Von feinem Werke feinen Schein:
Ein Schapel, wonniglich und klein,
Das recht wie eine Kerze brann;
Da leuchteten wie Sterne dran
Topase, Sardine,
Chrysolithe, Rubine.
Dies Schapel, das war licht und klar,
Es hatte ihm sein Haupt und Haar
Mit klarem Schein umfangen.
So kam er eingegangen,
Reichlich gethan und hochgemuth.
Sein Wesen war herrlich und war gut,
Sein ganzer Aufzug, der war reich,
Er selber reichlich und herrengleich
In allen seinen Sachen.
Sie begannen ihm Raum zu machen,
Da er in den Palast ging ein.
Da wurden unterdessen sein
Auch Die von Kornewall gewahr:
Sie sprangen alle fröhlich dar,
Sie grüßten und empfingen,
Da sie her näher gingen,
Brangänen und Tristanden;
Sie nahmen sie zu Handen,
Die Gefährten beide, sie und ihn,
Und conduirten sie also hin
Gar höfisch, zweien Fürsten gleich,
Zusammen vor das Königreich.
Der König und die beiden Fraun
Ließen ihn ihre Tugend schaun:
Sie stunden auf und grüßten fein;
Tristan, der neigte sich allen Drein.
Darnach begrüßten die Dreie
Die fremde Ritterreihe
Also herrlich und also wohl,
Als man wohl Herren begrüßen soll.
Die Ritterschaft indeß vom Land
Kam schaarenweise zugerannt,
Boten den Fremden Gruß und Ehr,
Nicht wissend, was ihr Gewerbe wär.
Doch die als Zins seit Jahren
Von Kornwall kommen waren,
Alsbald erkannten die im Saal
Ihre Väter und Magen allzumal.
Da lief vor Freuden mancher Mann
Vater und Magen weinend an;
Freude und Klage gab's da viel,
[126]
Die ich nicht sonderlich rechnen will.
Der König da Tristanden nahm
Selbander, wie er gegangen kam,
Ihn und Brangänen meine ich,
Und setzte sie Beide da zu sich
Und fügte aber mit ihnen das,
Daß Tristan in der Mitte saß;
Zu seiner Seite saßen so
Die seligen Königinnen zwo.
Die Ritter und Barone,
Seine Companione,
Auf den Estrich setzten sich die,
Und aber so, daß Jeder hie
Dem Gerichte in die Augen sah
Und sahen alles, was da geschah.
Das Landgesinde, das erhob
Inmittelst zu Tristandens Lob
Manch Raunen und Reden allzumal.
Ich weiß es wohl, daß in dem Saal
Auf manches Mannes Zungen
Erquollen und entsprungen
Viel Lobesbrunnen waren
Von seinem Ding und Gebaren:
Sie sagten ihm alle Lob und Preis
Auf manche Art und manche Weis.
Da waren genug, die hoben an:
»Wo schuf Gott besser einen Mann
Zu ritterlicher Würdigkeit?
Hei, wie ist er zu jedem Streit
Und jeder Kampfesweise
Gestaltet so zu Preise!
Die Kleider, die er trägt, gebt Acht!
Wie reichlich sind sie nicht gemacht!
Niemand sah noch im Irenland
Ein so recht kaiserlich Gewand.
Und seine Gesellen, die sind gekleidt
Mit königlicher Herrlichkeit.
Ja wahrlich, wer der Mann auch sei,
Sein Muth und Gut sind hoch und frei.« –
Solcher Reden gab's da genug.
Der Truchseß aber, fürwahr, der trug
Den Essig in den Augen dort:
Das ist ein ungelognes Wort.
Nun hieß man rufen und befahl
Eine Stille im ganzen Saal.
Nun daß auch Niemand sprach hinfort
Ein ganzes, noch ein halbes Wort,
Da sprach der König: »Truchseß, sprich,
Was ist's, deß du vermissest dich?« –
»Nun, Herre, ich schlug den Serpant.« –
Der Gast stund auf und sprach zuhand:
»Herre, Ihr nicht.« – »Ja, Herre, ich!
Ich bewähr's zur Stelle festiglich.« –
»Mit welchem Pfande?« sprach Tristan. –
»Seht, mit dem Haupt, das ich gewann.« –
»Herr König,« sprach Tristan, »gebt Acht:
Wenn er das Haupt, das er gebracht,
Als Pfand und Zeugniß will verstehn,
So heißet ihn das Haupt besehn,
Und findet man die Zunge drin,
So lege ich all mein Recht dahin
Und will abstehn vom Streit fortan.«
Das Haupt ward hiemit aufgethan
Und nichts darin gefunden.
Tristan hieß zu der Stunden
Die Zunge bringen: die kam dar.
»Ihr Herren,« sprach er, »nehmet wahr
Und seht, ob sie des Drachen sei.« –
Nun fielen sie ihm Alle bei
Und bekannten es allgemein;
Nur der Truchsäße schwieg allein:
Der hätte gern widerredet hie,
Und wußte aber nicht recht, wie?
Der Schnöde, der begann zur Stund
Mit der Zunge und mit dem Mund,
Mit Rede und mit Gedanken,
Zu taumeln und zu wanken,
Konnte nicht reden, noch schweigen,
Wußte nicht, wie sich bezeigen.
»Ihr Herren alle,« sprach Tristan,
»Hie merket Wunder, sehet an,
Wie sich dies zugetragen:
Da ich den Drachen erschlagen
Und ihm mit leichtem Kampf und Strauß
Aus seinem todten Rachen aus
Die Zunge schnitt und von dannen trug,
Da kam, der ihn zu Tode schlug.« –
Die Herren sprachen alle:
»An diesem Geschrei und Schalle
Ist wenig Ehre fürwahr erjagt;
[127]
Und was auch Jemand spricht und sagt,
Unser Jeder, der weiß das wohl,
Wenn man nach Rechte reden soll,
Der da zuerst zur Stelle kam,
Die Drachenzunge mit sich nahm,
Derselbe schlug auch den Serpant.«
So stimmten Alle allzuhand.
Nun der Falsche zu kurz gekommen
Und dem Truglosen, Frommen
Der Hof beistimmte, Mann für Mann,
»Herr König,« hob Tristan wieder an,
»Gedenket nun an Eid und Pfand:
Eure Tochter steht in meiner Hand.« –
Der König sprach: »Das bekenn ich hier,
Als hättet Ihr es geschworen mir.« –
»Nein, Herre,« sprach der falsche Wicht,
»Um Gotteswillen, sprecht also nicht!
Wie's auch damit ergangen sei,
Da ist Untreue fürwahr dabei,
Und ist er fälschlich dazu gekommen.
Doch eh mir also wird benommen
Die Ehre mit Unrechte,
Soll sie mir mit Gefechte
Und Kampfe lieber zu Schanden gehn:
Herre, ich will den Kampf bestehn.« –
»Truchsäße,« sprach die weise Isot,
»Du sprichst und teidigest ohne Noth:
Mit wem willst du kampfrechten?
Dieser Herre will nicht fechten:
Er hat ja an der jungen Magd
Seines Herzens Begehr erjagt.
Er wäre alberner denn ein Kind,
Mit dir zu fechten um den Wind.« –
»Warum, Frau Königin?« sprach Tristan:
»Eh daß er von Ränken sagen kann,
Gewaltigen, ungerechten,
Eh will ich mit ihm fechten.
Herre und Fraue, sprechet dar,
Gebietet ihm, daß er hinfahr,
Wohl bald die Waffen anzuthun:
Desgleichen bereite auch ich mich nun.«
Nun der Truchseß erkannte,
Daß sich's zum Kampfe wandte,
Nahm er Magen und Mannen
Alle und ging von dannen,
Mit ihnen da zu tagen
Und heimlich Rath zu schlagen:
Nun däuchte sie die Märe
So gänzlich ohne Ehre,
Daß er da wenig Rathes fand.
Sie sprachen Alle dazuhand:
»Truchsäße, deine Teidig,
Die war von Ursprung leidig,
Ist auch bös ausgegangen.
Weß hast du dich unterfangen?
Willt du dich mit Unrechte
Erbieten zum Gefechte,
So steht es übel um dein Leben:
Was Rathes mögen wir dir geben?
Hie bist du Raths und Ehren bar:
Verlierst du nun das Leben gar
Noch über die verlorne Ehr,
So ist aber noch des Schadens mehr.
Wir wähnen alle und sehen wohl,
Der wider dich da fechten soll,
Der ist ein beherzter Mann zur Noth:
Bestehst du ihn, so ist's dein Tod.
Nun dich einmal des Teufels Rath
Verrathen an den Ehren hat,
So behalte dein Leben doch.
Versuche und besieh doch noch,
Ob diese Lüge und diesen Schimpf
Nicht könne wandeln Jemand in Glimpf
Mit irgend einem guten Wort.« –
Der Lügner sprach zu ihnen dort:
»Wie wollt ihr, daß ich solches thu?« –
»Da rathen wir dir kürzlich zu:
Geh wieder in den Saal und sprich,
Deine Freunde, die heißen dich
Diese Forderung lassen gehn;
Nun wollest du zurückestehn.«
Der Truchseß folgte ihnen nach:
Er ging wieder in den Saal und sprach,
Seine Magen und seine Mannen
Hätten beschlossen, ihn abzuspannen,
Und hätte er nun auch andern Sinn. –
»Truchsäße,« sprach die Königin,
»Das wähnte ich nimmer zu erleben,
Daß du gedächtest je aufzugeben
[128]
Ein also gar gewonnen Spiel.« –
Da wurde solches Spottes viel
Im Schlosse getrieben fort und fort.
Der arme Truchseß, der war dort
Ihre Geige und Rotte;
Sie trieben ihn mit Spotte
All um und um wie einen Ball:
Des Spottes ward ein großer Schall.
So nahm der Trug behende
Mit offner Schande ein Ende.
Nun dies war alles abgethan,
Da sagte im Schloß der König an
Seines Landes Companionen,
Den Rittern und Baronen,
Daß Dieser Tristan wäre,
Und sagte auch die Märe,
Wie er sie hatte vernommen,
Warum er wäre kommen,
Und wie er gelobte in seine Hand,
Er wollt ihm ein stetes und festes Band
Mit Marke's Fürsten machen
Ueber alle die Sachen,
Von denen zuvor die Rede war.
Das Gesinde von Irland, all die Schaar,
Zu dieser Märe gar fröhlich sah.
Die Landesherren sprachen da:
Diese Sühne, die wäre
Eine genehme Märe,
Denn langer Haß und Rachesinn
Treibe die Zeit mit Schaden hin.
Der König gebot und begehrte,
Daß Tristan ihm bewährte
Das Wort an dieser Stätte,
Wie er's gelobet hätte.
Er that auch also zu der Stund:
Tristan, der schwur mit Hand und Mund,
Und seines Herren Mannen all,
Sie schwuren das Land zu Kornewall
Zur Morgengabe Isolden dort,
Und daß sie sollte sein hinfort
Fraue über ganz Engelland.
Hiemit befahl Gurmun zuhand
Isolden von Hand zu Handen
Ihrem Feinde Tristanden.
Ihrem Feinde sage ich um das:
Sie trug ihm immer noch einen Haß.
Tristan, der nahm sie an seine Hand:
»Herr König,« sprach er, »von Irenland,
Wir bitten Euch, meine Fraue und ich,
Daß Ihr sie beschenket und auch mich:
Es seien Ritter oder Kind,
Die her zu Zinse gegeben sind,
Von Kornwall und von Engelland,
Die gehören in meiner Frauen Hand
Billig und ganz mit Rechte hin,
Denn sie ist der Lande Königin:
Wir bitten, daß Ihr sie lasset frei.« –
»Viel gerne,« sprach Gurmun: »das sei.
Es geschieht mit meinen Minnen,
Daß sie fahren mit Euch von hinnen.«
Der Märe ward manch Herze froh.
Tristan, der hieß gewinnen so
Einen Kiel zu seinem Kiele hin,
Der ihm und seiner Königin
Zur Meerfahrt dienen sollte,
Und wem er sonst noch wollte.
Und als auch derselbe fertig ward,
Bereitete Tristan sich zur Fahrt.
Die Verzinsten, die Elenden,
Wo man sie an allen Enden,
Am Hofe und im Lande fand,
Die wurden alle darbesandt.

Der Minnetrank

[129] Der Minnetrank.

Indeß Tristan die Reise
Betrieb mit allem Fleiße,
Die Zubereitung leitete,
Indessen so bereitete
Isot, die weise Königin,
In einem Glasgefäße drin
Einen Trank der Minnen:
Mit also feinen Sinnen
War der erdichtet und vollbracht,
Mit solcher Wunderkraft bedacht,
Daß, wer davon mit Jemand trank,
Der mußte Den ohne seinen Dank
Vor Allen minnen und meinen,
Der wieder Den, den Einen:
Ihnen war Ein Tod und Ein Leben,
Eine Trauer und Eine Freude gegeben.
Den Trank, den nahm die Weise
Und sprach zu Brangänen leise:
»Brangäne,« sprach sie, »Niftel mein,
Laß dir nicht schwer die Rede sein:
Du sollt mit meiner Tochter hin,
Darnach, so stelle deinen Sinn;
Was ich dir sage, das vernimm:
Das Glas mit diesem Tranke nimm,
Das habe du in deiner Hut
Und hüte es über alles Gut.
Sieh, daß es auf der Erde
Kein Auge innen werde.
Bewahre fleißig zu jeder Stund,
Daß Niemand es bringe an seinen Mund.
Wende Fleiß an und achte stark:
Wenn Isolde und König Mark
Mit Minne sind kommen überein,
So schenke ihnen den Trank für Wein
Und laß sie Beide trinken da.
Bewahre, das versteht sich ja,
Daß Keinen sonst der Fürwitz sticht.
Du selbst auch trinke mit ihnen nicht.
Es ist ein Trank der Minnen,
Das habe in deinen Sinnen.
Isolden ich dir befehle
Viel theuer auf deine Seele.
Sie ist mein bestes Leben:
Wir seien dir Beide ergeben
Auf alle deine Seligkeit:
Hiemit genug für allezeit.« –
»Traut Fraue,« sprach Brangäne froh,
»Steht euer Beider Wille so,
So will ich gerne mit ihr fahren,
Ihre Ehre und all ihr Ding bewahren,
So ich aufs Allerbeste kann.«
Urlaub und Abschied nahm Tristan
Und seine Leute hie und dort.
Sie schieden ab von Weisefort
Mit großer Freude und Herrlichkeit.
Da gaben ihnen das Geleit
Um Isoldens willen zum Hafen hin
Der König und die Königin
Und all ihre Massenie.
Seine unverhoffte Amie,
Seine unerkannte Herzensnoth,
Die lichte wonnigliche Isot,
War weinend zu allen Zeiten
Tristanden an der Seiten;
Ihr Vater und Mutter beide
Die brachten mit manchem Leide
Dieselben kurzen Stunden hin.
Manch Auge begann aus treuem Sinn
Zu strömen und zu werden roth.
Isold war manches Herzens Noth:
Sie brachte viel manchem Herzen
Heimliche Wehen und Schmerzen.
Die weinten um die Holde,
Ihrer Augen Wonne, Isolde.
Da ward vereint geweinet,
Sie beweinten vereinet
Viel Augen und viel Herzen
Mit offnen und stillen Schmerzen.
Und aber Isot und aber Isot,
Die Sonne und ihr Morgenroth,
Und auch die stolze Brangäne,
Der Vollmond gegen jene,
Da sie sich mußten scheiden,
Die eine von den Beiden,
[130]
Da wurden Jammer und Leid erkannt:
Das getreuliche feste Band
Schied sich mit manchem Leide.
Isolde küßte sie Beide
Und hielt sie lang umschlossen.
Nun daß Tristans Genossen
Und auch von irischer Seite
Der jungen Frau Geleite
Waren zu Schiff gekommen,
Hatten Urlaub genommen,
Da fuhr zuletzt auch Tristan hin;
Die lichte junge Königin,
Die schöne Blume von Irenland,
Isolde, die ging an seiner Hand,
Gar unfroh und mit traurigem Sinn.
Sie neigten sich nach dem Lande hin
Und baten Gott, mit Segen
So Leut als Land zu pflegen;
Worauf der Kiel das Meer gewann.
Mit hoher Stimme sie huben an
Und sungen einmal oder zwier:
»In Gottes Namen fahren wir!«
Und strichen hin ihre Gleise.
Nun war zu ihrer Reise
Den Frauen nach Tristans Rathe
Eine Schiffskemenate
Zu Wohnung und Gemächlichkeit
In ihrem Kiele da bereit.
Da hielt sich die Königinne
Mit ihren Jungfrauen inne
Und selten mit ihnen sonst ein Mann,
Als unterweilen Herr Tristan.
Derselbe ging je und je dahin
Und tröstete die Königin,
Da sie in ihren Thränen saß.
Sie weinte und klagte ohn Unterlaß,
Daß sie also von ihrem Land,
Da ihr die Leute wären bekannt,
Und all ihren Freunden fliehe,
Mit fremdem Volk hinziehe
Und wisse nicht, wohin, noch wie.
Da tröstete je Tristan sie
Aus ganzem Herzensgrunde
Zu jeder Zeit und Stunde,
So er zu ihrer Trauer kam.
Zwischen die Arme er sie nahm
Gar süße und gar leise,
Und aber nur in der Weise,
Wie ein Mann seine Herrin soll.
Der Getreue, der versah sich wohl,
Daß er der Schönen wäre
Ein Trost zu ihrer Schwere.
Und aber so oft, als es erging,
Daß er mit Armen sie umfing,
So gedachte je die schöne Isot
An ihres Ohms Moroldens Tod
Und sprach je alsdann wider ihn:
»Laßt gehen, Meister, hebt Euch hin!
Thut Eure Arme weg von mir!
Ihr seid mir sehr beschwerlich, Ihr!
Warum denn rühret Ihr mich an?« –
»Ei, Schöne, hab ich da mißgethan?« –
»Ja, Ihr, denn ich bin Euch gehaß.« –
»Selige,« sprach er, »und um was?« –
»Ihr habt meinen Ohm erschlagen.« –
»Das ist ja doch vertragen.« –
»Das ist all Eins: ich haß Euch doch:
Denn ich wäre ohne Schwere noch
Und ohne Sorgen, wärt nicht Ihr:
Ihr mutterseelenallein habt mir
All diesen Kummer zugefügt
Mit Eurer List, die da trügt und lügt.
Was hat Euch mir zu Schaden gesandt
Von Kornewall in Irenland?
Die mich von Kind an haben erzogen,
Denen habt Ihr mich abbetrogen
Und führet mich, weiß nicht, wohin.
Ich weiß nicht, wie ich verkaufet bin,
Noch weiß ich, was aus mir werden soll.« –
»Nein, schöne Isold, gehabt Euch wohl.
Ja mögt Ihr doch lieber in fremdem Land
Eine reiche Königin sein genannt,
Denn in der Heimath arm und schwach.
In fremdem Land Ehr und Gemach
Und Niedrigkeit im Vaterreich,
Die zwei, die schmecken ja nicht gleich.«
»Ja, Meister Tristan,« sprach die Magd,
»Ich nähme eh, was Ihr auch sagt,
Eine mäßige Sache
Mit Liebe und mit Gemache,
[131]
Denn Mühsal, Ungemach und Leid
Bei großem Reichthum und Herrlichkeit.« –
»Ihr redet wahr,« Herr Tristan sprach:
»Wo man aber zu dem Gemach
Die Herrlichkeit kann haben,
Die seligen zwo Gaben,
Die laufen zusammen baß gemein,
Denn ihrer jegliche so allein.
Nun sprechet: wär es dazu gekommen,
Daß Ihr hättet mit Zwang genommen
Den Truchsäßen zu Eurem Mann,
Fraue, wie führe es aber dann?
Ich weiß, da wäret Ihr meiner froh.
Und danket Ihr mir jetzund so,
Daß ich Euch trat zur Seite
Und Euch von ihm befreite?« –
»Deß wird Euch spate,« sprach die Magd,
»Von mir je Dank und Lohn gesagt:
Denn habt Ihr mich von ihm befreit,
So habt Ihr mich überschüttet seit
So sehr mit Leid und Schwere,
Daß mir's noch lieber wäre,
Ich hätte ihn genommen,
Als mit Euch fortzukommen:
Denn wie auch tugendlos er sei,
Wohnte er mir eine Weile bei,
So ließe er jeden bösen Brauch.
Weiß Gott, daran erkennt ich auch,
Wie lieb, daß ich ihm wäre.« –
Tristan sprach: »Solche Märe
Geht abenteuerliche Spur.
Daß jemals wider die Natur
Ein Herze Tugendwerke thu,
Da gehört viel Müh und Noth dazu:
Die Welt glaubt nimmermehr daran,
Daß Unart jemals arten kann.
Schöne, seid ohne Sorg und Leid:
Ich will Euch fürwahr in kurzer Zeit
Einen König zum Herren geben,
An dem Ihr Freude und schönes Leben
Gut, Tugend zu allen Stunden
Und Ehre sollt haben funden.«
Inmittelst strichen die Kiele hin.
Sie hatten auch gleich von Anbeginn
Guten Wind und gute Fahrt.
Nun war die Frauerschaar so zart,
Isolde und ihr Gesinde,
Im Wasser und im Winde
Gar ungewohnt der Mühesal.
Nicht lange, so kamen sie allzumal
In eine ungewohnte Noth.
Tristan, ihr Meister, da gebot,
Daß man zu Lande schalte
Und eine Ruhe halte.
In eine Bucht nun fuhren sie ein;
Da ging die Mannschaft insgemein,
Sich zu ergötzen, an das Land;
Nun ging auch Tristan allzuhand,
Seine lichten Frauen
Zu grüßen und zu schauen;
Und als er zu ihr nieder saß
Und sie da redeten dies und das
Von ihrer Beider Dingen,
Bat er einen Trunk zu bringen.
Nun aber war Niemand darin,
Ohne seine Königin,
Als etliche kleine Jungfräulein.
Und eine sprach: »Seht, hier steht Wein
In diesem Gefäß, ich meine.«
Nein, da war nichts von Weine,
Obgleich man wähnte, es wäre;
Es war die währende Schwere,
Die endelose Herzenoth,
Von der sie endlich lagen todt.
Nun war ihr aber das nicht kund:
Sie stund auf und ging hin zur Stund,
Wo Glas und Trank, nicht wohl fürwahr,
Verborgen und aufgehoben war.
Ihrem Meister Tristan bot sie es hin,
Er aber bot es der Königin.
Sie trank mit Zaudern, ihr war so schwer,
Und gab es ihm, da trank auch er,
Und wähnten Beide, es wäre Wein.
Inmittelst trat auch Brangäne ein,
Das Glas erkannte sie zur Stund,
Da ward ihr die ganze Märe kund,
Darüber sie sich so sehr vernahm,
Daß sie von allen Kräften kam
Und recht wie todt zu schauen war.
Mit todtem Herzen ging sie dar:
Sie nahm das leide unselige Glas
[132]
Und ging von dannen und warf das
Hinab in die tobende wilde See:
»O weh mir Armen!« sprach sie, »o weh,
Daß ich zur Welt je ward geboren!
Ich Arme, wie hab ich nun verloren
Meine Ehre und meine Treu.
Trage Gott ewiglich Leid und Reu,
Daß ich zu dieser Reise kam,
Daß mich der Tod nicht von hinnen nahm,
Da ich zu dieser argen Fahrt
Mit Isolden beschieden ward!
O weh, Tristan, und o weh, Isot,
Der Trank ist euer Beider Tod!«
Nun daß die Jungfrau und der Mann,
Die Beiden, Isolde und Tristan,
Den Trank getrunken, was geschah?
Da war auch der Welt Unmuße da,
Minne, die Herzensjägerin,
Und schlich in ihre Herzen hin,
Eh sie es wurden je gewahr.
Sie stieß die Siegesfahne dar
Und zog die Beiden ohne Streit
In ihre Gewalt und Herrlichkeit.
Sie wurden Eins und Einerlei,
Die vor gewesen waren Zwei:
Sie trugen nicht mehr gespaltnen Sinn:
Isoldens Haß, der war dahin.
Die starke Sühnerin Minne,
Die hatte ihre Sinne
Von Haß also gereinet,
Mit Liebe also vereinet:
Daß Jegliches dem Andern war
Vollkommen wie ein Spiegel klar.
Sie hatten beide Ein Herze,
Sein Schmerze war ihr Schmerze,
Ihr Schmerze war der seine,
Sie waren Eine Gemeine
An Liebe und an Leide
Und bargen sich's doch Beide;
Das that der Zweifel und die Scham:
Sie schämte sich, er war sich gram,
Sie zweifelt' an ihm, und er an ihr.
Wie blind auch ihre Herzensgier
Zusammenfloß in Einer Gluth,
So hatten sie doch keinen Muth
Zum ersten Wort und zum Beginn
Das heimlichte ihnen ihren Sinn.
Tristan, da er die Minne empfand,
Da gedachte er allzuhand
Der Treuen und der Ehren
Und wollte von dannen kehren.
»Nein,« dachte er fort und fort bei sich,
»Laß sein, Tristan, besinne dich
Und vor der Sünde dich bewahr.« –
Da wollte doch immer das Herze dar.
Wider seinen Willen kriegte er,
Begehrte wider sein Begehr:
Es zog ihn ab, es zog ihn an.
Der verirrte, verfangne Mann
Versuchte es in den Schlingen
Mit währendem vielem Ringen
Und hielt auch lange aus im Streit.
Der Getreue hatte ein doppelt Leid,
Davon ihm großes Weh geschah:
Wenn er ihr in die Augen sah
Und ihm die süße Minne
Sein Herz und seine Sinne
Begunnte zu versehren,
Gedachte er je der Ehren;
Die zog ihn ab von solchem Bann.
Nun trat ihn aber alsbald an
Minne, seine Erbkönigin,
Die zwang und nahm ihn wieder hin.
Ihn müheten stets aufs Neue
Seine Ehre und seine Treue:
Noch näher ihm aber die Minne trat,
Die ihm weher als wehe that;
Sie fügte ihm mehr zu Leide,
Denn Treue und Ehre beide.
Sie sah sein Herze lachend an
Und nahm sein Auge in ihren Bann
Wenn er sie aber nicht ersah,
So war das Leid noch größer da.
Gar oft bestellte er seinen Muth
Nach Art, wie der Gefangne thut,
Wie er möchte ledig sein der Qual,
Und dachte oft und manches Mal:
»Lenke dein Herz hin oder her,
Verwandle und wechsle dein Begehr,
Minne und meine anderswo,« –
[133]
Da hielt die Schlinge, vor der er floh.
Er nahm sein Herze und seinen Sinn
Und suchte Aenderung darin:
Da war je nichts darinne,
Denn Isolde und die Minne.
Isolde auf gleiche Weise
Versuchte es auch mit Fleiße,
In zornigem Weh entbrannte,
Da sie den Leim erkannte
Der verlockenden Minne
Und sah, daß ihre Sinne
Darein versenket waren.
Sie wollte sich bewahren,
Sie strebte fort aus ihrem Bann:
Da klebte aber der Leim ihr an,
Der zog sie immer nieder.
Die Schöne strebte wider
Und sträubte sich bei jedem Tritt;
Sie folgte gar nicht gerne mit,
Versucht' es an manchen Enden;
Mit Füßen und mit Händen
Kehrte und wehrte sie sich sehr
Und versenkte je mehr und mehr
Ihre Hände und Füße
In die viel blinde Süße
Des Mannes und der Minne.
Ihre verstrickten Sinne
Konnten sich nicht entwinden,
Nicht Weg noch Brücke finden
Auf halben Fuß, auf halben Tritt,
Da nicht die Minne folgte mit.
Wohin sie auch gedachte
Und sich Gedanken machte,
So war nicht dies, noch das daran,
Als Minne stets und stets Tristan.
Und blieb all das verschwiegen:
Das war ein stetes Kriegen
Zwischen den Augen und dem Sinn:
Die Scham, die jagte die Augen hin,
Die Minne zog Sinn und Herze dar.
Und diese widerstreitende Schaar,
Magd und Mann, Minne und Scham,
Die war an ihr sehr irresam:
Die Magd den Mann begehrte
Und ab die Augen kehrte,
Die Scham, die wollte minnen
Und that es Niemand innen.
Was mochte das helfen? Scham und Magd,
Wie alle Welt zusammen sagt,
Die sind ein so hinfällig Ding,
Haben eine Dauer so gering,
Daß sie nicht lange widerstehn.
Isolde ließ sich den Krieg vergehn
Und that so, wie es um sie stand:
Die Sieglose ergab zuhand
Ihren Leib und ihre Sinne
Dem Manne und der Minne.
Sie blickte unterweilen dar
Und nahm verstohlen seiner wahr:
Ihre klaren Augen und ihr Sinn
Sie lebten nun in Frieden hin.
Ihr Herz und Augen, die stahlen
Gar heimlich zu vielen Malen
Und minnevoll sich zu dem Mann.
Der Mann, der sah sie wieder an
Mit innigen Gebärden.
Er begann auch laß zu werden,
Da Minne sich seiner nicht verzieh.
Mann und Magd, so gaben die
Zu jeder Zeit und jeder Stund,
Wenn ihnen nichts im Wege stund,
Einander Augenweide.
Die Minnenden däuchten beide
Einander schöner denn je zuvor:
Das bringt der Minne Recht hervor.
Es herrschet heuer und herrschte fernd
Und wird Jahraus, Jahrein erlernt
Von den Minnenden allen,
Daß sie sich baß gefallen,
So Minne an ihnen sich bekleibt,
Die Blumen und den Wucher treibt
Lieblicher Süßigkeiten,
Denn in den Erstlingszeiten.
Die wucherhafte Minne,
Die wächst nach dem Beginne.
Das ist der Same, den sie sät,
Von dem sie nimmermehr vergeht.
Sie dünket schöner seit denn vor:
So kommt der Minne Recht in Flor,
Däuchte Minne je seit wie vor,
Verginge bald der Minne Flor.

Der Minne Recht

[134] Der Minne Recht.

Die Kiele stießen vom Gestad
Und fuhren fröhlich ihren Pfad,
Nur daß die blinde Minne
Hatte zwei Herzen drinne
Von ihrer Straßen abgelenkt,
Die in Gedanken tief versenkt
Waren bekümmert beide
Von jenem lieben Leide,
Das solche Wunder stellet,
Den Honigschmack vergället,
Die Süßigkeiten säuert,
Was da will thauen, feuert,
Das Sänftende durchschmerzet,
Alle Herzen entherzet
Und alle die Welt verkehret, –
Das hatte sie versehret,
Tristanden und Isolden,
Mit Einer Noth, die Holden,
Und in seltsamer Weise:
Sie hatten auf der Reise
Nicht Ruhe, weder hie noch da,
Bis Eines je das Andre sah.
Wenn aber das geschahe,
Ging's ihnen aber nahe:
Sie konnten unter sich, die Zwei,
Den Willen nicht vereinen frei;
Das schuf die Fremde und die Scham,
Die ihnen ihre Lust benahm,
So sie mit stillen Blicken,
Mit Blicken in Minnestricken,
Einander sollten nehmen wahr:
Da ward ihre Farbe wunderbar
Dem Herzen gleich und gleich dem Sinn.
Minne, die werthe Färberin,
Die däuchte es nicht damit genug,
Daß man's in edlen Herzen trug
Verborgen und verstohlen:
Sie wollte unverhohlen
Vor Augen zeigen ihre Gewalt:
Die war an den Zweien mannigfalt.
Ihre Farbe sich nicht lange glich,
Nicht lange glich ihre Farbe sich:
Sie wechselten oft und allzugleich
Bleich wider Roth, Roth wider Bleich,
Sie wurden bleich, sie wurden roth,
Wie ihnen Minne die Farben bot.
Daran erkannte Jedwedes wohl,
Wie man an solchem muß und soll,
Daß etwas wohl von Minne
In seinem Herz und Sinne
Auf das Andre gewendet war,
Und begannen auch wonnebar
Einander zu betrachten,
Nach Zeit und Fug zu trachten,
Daß sie sich raunend gesellten.
Der Minne Jäger stellten
Einander mit manchem Blicke
Ihre Netze und Stricke,
Ihre Warte und Lage
Mit Antwort und mit Frage,
Sie trieben viel Redens zusammen hin.
Isoldens Rede und ihr Beginn
War recht nach magdlicher Weise:
Sie kam ihren Trauten leise
All rings herum von Weitem an:
Von Anfang mahnte sie ihn dran,
Wie er zuerst gen Develin
In einem kleinen Schifflein hin
Geflossen wund und alleine kam,
Wie ihre Mutter ihn zu sich nahm,
Und wie er auch genas durch sie;
An alles, was sich zutrug hie,
Und wie sie selbst in seiner Hut
Alle Wege lernte schreiben gut
Latein und lernte Saitenspiel.
Des Umschweifs war und der Rede viel,
Die sie ihm sagte weit und breit
Von seiner Kraft und Mannhaftigkeit,
Auch vom Serpant in jenem Thal,
Und wie sie ihn erkannte beide Mal,
So in dem Bad als in dem Teich.
Die Rede war unter ihnen gleich:
Sie sprach zu ihm, und er sprach zu ihr.
[135]
»Ah,« sprach Isolde, »da sich's mir
Doch darbot mit so gutem Fug,
Daß ich Euch da nicht im Bade schlug,
Gott Herre, wie konnt ich also thun!
Hätt ich gewußt, was mir kund ist nun,
Das wäre gewesen Euer Tod.« –
»Warum denn?« sprach er, »schöne Isot?
Was wirret Euch, was wisset Ihr?« –
»Was ich weiß, ja, das wirret mir,
Was ich sehe, das thut mir weh:
Mich mühet der Himmel und die See,
Leib und Leben beschweren mich.« –
Da stützte sie und lehnte sich
Mit dem Ellbogen an ihn hin:
Das war der Kühnheit ein Beginn.
Die Augen licht und spiegelklar,
Die füllten sich verhohlen gar,
Ihr Herz begann zu quellen,
Ihr süßer Mund zu schwellen,
Ihr Haupt, das sank darnieder.
Ihr Freund begann herwieder
Mit Armen sie zu umfahen,
Doch ihr nicht dreist zu nahen,
Nicht mehr als in Gastes Weise.
Er sprach gar süß und leise:
»Ei, Schöne, Süße, saget mir,
Was wirret Euch, was klaget Ihr?«
Der Minne Federspiel, Isot,
»Lameir,« sprach sie, »das ist meine Noth,
Lameir beschweret mir den Muth,
Lameir ist, was mir wehe thut.« –
Nun sie so ofte sprach das Wort,
Da bedachte er fort und fort,
Besah nach allen Seiten hin
Desselben Wortes Laut und Sinn.
Er begann sich zu entsinnen,
Ameir das hieße minnen,
Ameir bitter, la meir das Meer:
Der Sinn, der däucht ihn ein ganzes Heer.
Er ließ eins von den dreien
Und fragte nach den zweien:
Die Minne, die verschwieg er gar,
Die doch ihr Beider Herrin war,
Ihr Beider Trost, Ziel und Begehr,
Und sprach von Nebelluft und Meer.
»Ich wähne,« sprach er, »schöne Isot,
Meer und Nebel sind Eure Noth:
Euch widern Meer und Nebelwind,
Ich wähne, die zwei Euch bitter sind.« –
»Nein, Herre, nein! was saget Ihr?
Keines von Beiden wirret mir,
Mir dunstet weder Luft, noch See:
Lameir alleine thut mir weh.« –
Nun er auf den Grund dem Worte kam
Lameir, und Minne drin vernahm,
Gar heimlich sprach er da zu ihr:
»In Treuen, Schöne, so ist auch mir:
Lameir und Ihr, Ihr seid meine Noth.
Herzefraue, liebe Isot,
Ihr Eine und Eure Minne,
Ihr habt mir meine Sinne
Verkehret und benommen,
Ich bin vom Weg gekommen
So ganz und gar, so irr und blind,
Daß ich mich nimmer zurechte find.
Mich mühet und mich irret,
Mir ekelt und mir wirret
Alles, worauf mein Auge fällt:
Ja, ist in dieser ganzen Welt
Nichts meinem Herzen lieb denn Ihr.« –
Isold sprach: »Herre, so seid Ihr mir.«
Nun Tristan und die Königin
In ihnen erkannten Einen Sinn,
Ein Herze und Einen Willen,
Begann das ihnen zu stillen
Und auch zu eröffnen ihr Ungemach.
Jedwedes sah, Jedwedes sprach
Das Andere freier und kühner an,
Der Mann die Magd, die Magd den Mann.
Die Fremde war unter ihnen hin:
Er küßte sie, und sie küßte ihn
Mit süßem Herzensgruße.
Das war der Minnenbuße
Ein Anfang und ein seliger Schank.
Jedwedes schenkte, Jedwedes trank
Die Herzenssüße mit geizigem Zug.
So sie gewannen Statt und Fug,
So ging der Tausch und der Handel an,
Schleichwaaren wurden aufgethan,
[136]
So heimlich und so wohlbestellt,
Daß Niemand in der ganzen Welt
Ihren Willen und Muth erfand,
Als sie, der er doch war bekannt.
Das war Brangäne, die weise,
Die warf ihre Blicke leise
Und warf sie ofte heimlich dar
Und nahm ihre Heimlichkeiten wahr
Und dachte oftmals bei sich still:
»O weh, nun seh ich, was werden will!
Die Minne hebt bei Diesen an.« –
Viel balde ward, daß sie begann
Den Ernst an Beiden zu verstehn
Und außen an ihrem Leib zu sehn
Ihrer Seelen und Herzen
Innere herbe Schmerzen.
Solch Ungemach, das that ihr leid,
Da sie sie sah zu jeder Zeit
Amuren und ameiren,
Seufzen, trauren und feiren,
In Gedanken sich mühen,
Erblassen und erglühen.
In so verlorner Weise
Gedachten sie keiner Speise,
Bis sie der Mangel und der Gram
An dem Leibe ganz übernahm,
Daß es Angst ward Brangänen,
Und sie begann zu wähnen,
Es wäre ihr Beider Ende.
»Nun nimm das Herz in die Hände,«
Sprach sie, »erforsche, was es sei!«
Sie saß eines Tages ihnen bei
Gar heimlich und gar leise,
Die Stattliche, die Weise:
»Hie ist Niemand,« sprach sie, »denn wir Drei.
Sagt mir, was wirret euch, ihr Zwei?
Ich seh euch zu allen Stunden
Mit Gedanken gebunden
Seufzen, trauern und klagen.« –
»Höfische, dürft ich's Euch sagen,
Ich sagt's Euch gerne,« sprach Tristan. –
»Ja, Herre, viel wohl: hebet an:
Sei's, was es wolle, das saget mir.« –
»Gesegnete, Gute,« sprach er zu ihr,
»Ich wage nicht zu sagen mehr,
Ihr versichert uns denn vorher
Mit Treuen und mit Eiden,
Daß Ihr uns Armen beiden
Gütig wollet und gnädig sein:
Anders so ist unsre Hoffnung klein.«
Brangäne bot ihre Treue hin:
Sie gelobte ihren getreuen Sinn
Und schwur nach Gottes Willen
Ihr Begehren zu stillen.
»Getreue, Gute,« sprach Tristan,
»Nun sehet Gott zuvörderst an
Und darnach Eure Glückseligkeit:
Bedenket unser Beider Leid,
Unsre Gefahr und unsre Noth.
Ich Armer und die arme Isot,
Ich weiß nicht, wie es gegangen ist,
Wir Zwei, wir sind in kurzer Frist
Unsinnig geworden Beide
In wunderlichem Leide:
Wir müssen vor Minne sterben
Und können nicht erwerben
Noch Stunde, noch Gelegenheit:
Ihr irret und störet uns allezeit,
Und seid versichert, sterben wir,
So ist Niemand schuldig dran, als Ihr.
Nun ist unser Tod und Leben
In Eure Hand gegeben.
Hiemit sei Euch genug gesagt.
Wohlan, Brangäne, selige Magd,
Nun helfet und nun gnadet Ihr
Eurer Frauen Isold und mir.«
Brangäne zu Isolden sprach:
»Fraue, ist Euer Ungemach,
Wie er da spricht, von solcher Noth?« –
»Ja, Herzeniftel,« sprach Isot. –
Brangäne sprach: »Das reue Gott,
Daß so der Teufel seinen Spott
Mit uns Dreien gemachet hat!
Nun seh ich wohl, da ist kein Rath,
Und muß ich durch euch Beide
Mir selber so zu Leide
Und euch zur Schande werben;
Eh ich euch lasse sterben,
Will ich euch lieber den Willen thun.
[137]
Was ihr wollet beginnen nun,
Das laßt um meinetwillen nicht,
Wenn ihr's um eure Ehr und Pflicht
Nicht gerne wollet lassen.
Wo ihr euch aber fassen
Und wahren könntet vor dieser That,
So wahret euch, das ist mein Rath.
Laßt diese Schande unter uns Drein
Verschwiegen und verblieben sein.
Verbreitet ihr die Märe,
So geht's an eure Ehre;
Erfährt sie Jemand, ohne uns Drei,
Seid ihr verloren und ich dabei.
Herzefraue, schöne Isot,
Euer Leben und Euer Tod
Die sind an Euch ergeben:
Nun lenket Tod und Leben
Nach Eurem Willen und Begehr.
Von dieser Stunde habt nimmermehr
Zweifel, noch Furcht vor meiner Hut:
Was Euch gefalle, wohlan, das thut.«
Nachts, da die Schöne alleine lag,
Ihr Trauern und ihr Trachten pflag
Nach ihrem trauten Freund so heiß,
Da kam geschlichen leise leis
Ihr Freund zur Kemenaten,
Begleitet und berathen
Von ihrer Aerztin Minne:
Minne, die Aerztin, drinne
Führte sie ihr zu Handen
Ihren Kranken, Tristanden.
Auch fand sie ihre kranke Isot.
Den beiden Kranken die Hand sie bot
Und gab ihm sie und gab ihr ihn
Einander zur Arzenei dahin.
Wer konnte auch diese Beide
Mit ihrem gleichen Leide
Vereinen und bescheiden,
Als Einung ihrer Beiden,
Verstrickung ihrer Sinne?
Die Verstrickerin Minne,
Die strickte mit süßen Flammen
Zwei Herzen da zusammen
Mit also großer Meisterschaft,
Mit also wunderbarer Kraft,
Daß sie ungelöset waren
In allen ihren Jahren.
Eine lange Rede von Minne
Beschweret höfische Sinne:
Eine kurze Rede von Minne
Ist gut für gute Sinne.
Wie wenig ich in meinen Tagen
Habe das liebe Leid getragen,
Den sänftlichen Herzensschmerzen,
Der immer in dem Herzen
So recht sänftlich unsanfte thut,
So weissaget mir doch mein Muth,
Was ich wohl halten muß für wahr,
Daß es den Minnenden sanfte war
Und waren wohl auf Beide,
Da sie die Hut, die leide,
Die Qual minnender Sinne,
Die Feindin aller Minne,
Hatten von ihrem Pfad gebracht.
Viel hab ich über die Zwei gedacht
Und denke noch heut und alle Tage:
Wenn ich Liebe und sehnende Klage
Beginne ins Auge zu fassen
Und all ihr Thun und Lassen
Im Herzen zu betrachten,
So wächst mein ganzes Trachten
Und Muth, mein Heergeselle,
Als ob er zum Himmel schwelle.
Wenn ich mich drein versenke,
Das Wunder und Wunder bedenke,
Daß man an Liebe fände,
Wer sich recht drauf verstände,
Was Freude läge in Liebe,
Wer sie getreulich triebe,
So wird mein Herze hochgeschwellt
Und größer denn die weite Welt,
Und erbarmet mich der Minne
In meinem ganzen Sinne,
Daß Alle, die da leben,
An Minne hangen und kleben,
Und ihr doch Niemand ihr Recht anthut.
Wir wollen Alle haben Muth
Und wandeln auf der Minne Bahn.
Nein, Minne ist nicht also gethan,
Wie wir's einander machen
[138]
Mit trügerischen Sachen.
Wir nehmen der Dinge fälschlich wahr,
Wir säen Bilsensamen dar
Und wollen mit Einem Schlage,
Daß er Liljen und Rosen trage.
In Treuen, das mag ja nicht sein!
Wir müssen das wieder nehmen ein,
Das da zuvor war ausgelegt,
Und ernten, was uns der Same trägt.
Dasselbe, das wir säen,
Müssen wir schneiden und mähen.
Wir bauen aber die Minne
Mit verbittertem Sinne,
Mit Trug und Falschheit in der Brust
Und suchen dann in ihr die Lust
Des Leibes und der Herzen:
So bringt sie uns nur Schmerzen,
Ungute Frucht und böse Art,
Wie es an ihr gebauet ward.
Wenn es uns dann mit Gifte nährt
Und innen in dem Herzen schwärt
Und tödtet uns darinne,
So zeihen wir's die Minne
Und klagen, sie sei schuldig dran,
Die nimmer Schuld daran gewann.
Wir säen lauter Lug und Trug
Und ernten Leid und Schande gnug.
Thut uns das Leid nun schmerzlich weh,
So sollen wir's bedenken eh
Und sollen säen besser:
Das frommt auch dem Erntemesser.
Wir, denen zur Welt hin steht der Muth,
Mag er nun bös sein oder gut,
Wie thun wir unsern Tagen,
Die wir hintreiben und jagen
In dem Namen der Minne
Und finden nichts darinne,
Als wieder dieselben Saaten,
Womit wir sie berathen,
Mißlingen, Unheil, Wankelmuth:
Wir finden da nichts von dem Gut,
Das unser Jeglicher begehrt,
Das unser Keinem wird gewährt.
Das ist der stete Freundesmuth,
Der allstund wohl und sänftlich thut,
Der die Rosen bei dem Dorne trägt,
Zu der Mühsal den Frieden legt,
Bei dem je liegt verborgen
Die Minne in den Sorgen,
Der je am Ende Freude bringt,
So oft er mit der Trübsal ringt;
Den findet man so wenig nun:
Das ist die Frucht von unsrem Thun.
Es ist viel wahr, was man da sagt:
Minne ist getrieben und gejagt
Bis ans endloseste Ende fort.
Wir haben von ihr nur noch das Wort,
Uns ist nur noch der Name blieben
Und haben auch den zu Tod getrieben,
Ihn abgenutzt und abgelähmt,
Daß sich die Müde seiner schämt
Und ist ihr zur Beschwerde;
Sie ist auf dieser Erde
Ihr selbst zuwider und zur Last,
Ein ehrenloser, unwerther Gast;
Sie gehet heischen und bitten
Und trägt von schnöden Sitten
Buntscheckig einen Sack herum
Mit gestohlnem Gut und mit Bettelthum,
Das sie dem eignen Mund entschlägt
Und in den Straßen zu Markte trägt.
O weh, den Markt, den schaffen wir,
Das Wunder, das treiben wir mit ihr
Und haben gar rechtfertigen Sinn.
Minne, aller Herzen Königin;
Die Eine, die da immer rein
Und frei war, ist um Kauf gemein.
Wie haben wir unser königlich Theil
An ihr zinsbar gemacht und feil!
Im Ring der Treue tragen wir
Ein schnödes Conterfei von ihr
Und machen uns selber Wind und Rauch.
Es ist ein armer Lügenbrauch,
Wer Freunden also leuget,
Daß er sich selber treuget.
Wir Minner mit falschem Sinne,
Falschmünzer wir der Minne,
Wie tödten wir unsre Tage,
Daß wir unsrer Klage
So selten liebes Ende geben!
Wie vergeuden wir unser Leben
[139]
So ohne Lieb, so ohne Gut!
Nun gibt uns doch das guten Muth,
Was ferne liegt von unsrem Gleis:
Was Jemand schöner Mären weiß
Von minnehaften Dingen,
Was wir zur Rede bringen
Von Menschen, die weiland waren
Vor manchen hundert Jahren,
Das thut uns in dem Herzen wohl,
Und sind derselben Lust so voll,
Daß, wo nur Jemand wäre
Voll Treue und voll Ehre
Und wider den Freund ohn Lug und Trug,
Er könnte sich solcher Lust genug
Aus seinen eignen Sachen
In seinem Herzen machen:
Denn uns dasselbe zu aller Frist
Mit Jammer unter den Füßen ist,
Davon es emporwill, seufzt und fleht:
Das ist Treue, die von Herzen geht;
Die trägt sich uns an, will unser sein,
Wir aber achten ihrer klein
Und treten so die Süße
Gleichgiltig unter die Füße;
Wir haben mit Mißgebärde
Sie getreten in die Erde;
Und wollten wir sie auch suchen dort,
Wir wüßten nicht gleich, an welchem Ort.
So gut, so lohnend allermeist
Sich unter Freunden Treu erweist,
Warum denn lieben wir sie nicht?
Ein Blick, ein inniglich Gesicht,
Vom Herzelieb entboten,
Das löset alle Knoten,
Das löschet alle Schmerzen
Am Leibe und im Herzen.
Ein Kuß in Liebes Munde,
Der von des Herzens Grunde
Emporgeschwebet käme,
Ah, was euch der benähme
Viel sehnender Sorge und Herzensnoth!
Ich weiß wohl, Tristan und Isot,
Die Raschgesinnten beide,
Benahmen auch vom Leide
Und von der Klage einander viel,
Da sie an Eines Willens Ziel
Gekommen waren mit Einem Sinn.
Jenes Verlangen war dahin,
Das da hanget und banget.
Weß Minnende verlanget,
Deß hatten sie unter sich genug:
Wenn sie gewannen Zeit und Fug,
Daß sie zusammen kamen,
So gaben sie und nahmen
Mit getreulichem Sinne
Ihnen selbst und der Minne
Willigen Zins und guten Zoll.
Nun war es ihnen gar innig wohl
Auf der Reise und auf der Fahrt,
Seit die Fremde zunichte ward,
Da fanden sie eine Heimath gleich,
An schönen Heimlichkeiten reich.
Und war das weis und wohl gethan;
Denn die sich hehlen noch fortan,
Nachdem sie sich offenbaren,
Und wollen die Scham bewahren
Und fremden sich in Liebe,
Die sind sich selber Diebe.
Je mehr sie sich verhehlen,
Je mehr sie sich selber stehlen
Und mischen Lieb mit Leide.
Diese Minnenden beide
Verhehlten sich einander nicht:
Mit Rede und mit Angesicht
Waren sie heimisch Du und Du.
So brachten sie die Reise zu
Mit wonniglichem Leben;
Doch war's nicht umsonst gegeben:
Furcht trübte ihnen manchen Tag,
Sie fürchteten voraus den Schlag,
Zu dem es auch am Ende kam,
Der ihnen seit viel Lust benahm
Und brachte sie in manche Noth:
Das Unheil, daß die schöne Isot
Dem Manne werden sollte,
Dem sie nicht werden wollte.
Auch drängte sie Beide noch ein Leid:
Das war Isoldens Magdlichkeit;
Um diese mußten die Beiden
Viel Kummer und Sorge leiden.
[140]
Doch waren diese Klagen
Ihnen nicht schwer zu tragen,
Dieweil sie ihren Willen
Durften so freisam stillen
Gar oft und ohne Widerstand.
Nun daß sie Kornewall dem Land
Segelten also nahe,
Daß man das Land wohl sahe,
Da freuten sie sich mit Schalle;
Sie waren fröhlich Alle,
Nur Tristan nicht und nicht Isot,
Die waren da in Angst und Noth;
Ihr Wille, wäre der geschehn,
Sie hätten nimmer Land gesehn.
Furcht um ihr Beider Ehren
Wollte ihr Herz verzehren;
Sie kamen zu keinem Schlusse nie,
Was sie thun sollten oder wie,
Auf daß das Werk der Liebe
Dem König verborgen bliebe.
Und doch, wie auch ohn Rath und Sinn
Kindische Liebende von Beginn
In ihrer blinden Kindheit sind,
Der Rath, der fiel doch an das Kind.
So Minne an blinden Kinden
Ihr Spiel vermag zu finden,
So mögen wir an den Kinden
Witze und Liste finden.

Der Minne Schuld

Der Minne Schuld.

Langer Umschweif sei verbannt:
Isolde in ihrer Kindheit fand
Einen Witz und eine List,
Die allerbesten zu der Frist:
Daß sie nichts weiter thäten,
Als daß sie Brangänen bäten,
Daß sie in der ersten Nacht
Ohne Rede still und sacht
Bei König Marke läge,
Gesellschaft mit ihm pfläge.
Das konnte er leiden ungeklagt,
Denn sie war schön und war auch Magd.
So machet nun die Minne
Lautere treue Sinne
Auf Arg und Falsch beflissen,
Die doch nicht sollten wissen
Von Falschheit, noch von Lügen,
Noch böslichem Betrügen.
Die Liebenden also thaten:
Brangänen sie da baten
Also lange und also viel,
Bis sie es brachten an das Ziel,
Daß sie sich zu der That verstand
Und gelobte es auch mit Mund und Hand,
Doch aber auch mit mancher Noth:
Sie ward da mehr als einmal roth
Und wieder bleich bei diesem Sang;
Auch that's ihr Noth: das Liedlein klang
Auch seltsam, wie ich wähne.
»Traut Fraue,« sprach Brangäne,
»Eure Mutter, der ich dienstbar bin,
Die gesegnete Königin,
Befahl Euch in meine Pflege,
Und sollt ich auf diesem Wege
Und dieser leiden verfluchten Fahrt
Euch haben vor solchem Leid bewahrt;
Und nun mit der Wahrlosigkeit
Hab ich Euch gebracht in Schmach und Leid.
Darum so darf ich wenig klagen,
Muß ich mit Euch die Schande tragen:
Es wär auch wohl gefüge,
Daß ich sie alleine trüge,
Wenn nur Ihr ledig möchtet sein.
Gnädiger Gott und Herre mein,
Wie konntest du mein vergessen, ach!« –
Isolde zu Brangänen sprach:
»Stolze Niftel, sage mir,
[141]
Was meinest du, was wirret dir?
Mich wundert, was du klagst. So sag's.« –
»Fraue, da warf ich eines Tags
Aus dem Schiffe ins Meer ein Glas.« –
»So thatest du: was wirret das?« –
»O weh, dasselbe Glas fürwahr
Und der Trank, der darinne war,«
Sprach sie, »der ist euer Beider Tod.« –
»Warum doch, Niftel?« sprach Isot:
»Was soll das heißen?« – Das heißt so viel:
Nun berichtete sie das leide Spiel
Den Beiden ganz von Anfang an. –
»Nun walte Gott!« sprach da Tristan:
»Es sei nun Tod oder Leben,
Es hat mir sanft vergeben.
Ich weiß nicht, wie jener werden soll:
Dieser Tod, der thut mir wohl.
Sollte die wonnigliche Isot
Immer also sein mein Tod,
So wollte ich gerne werben
Um ein ewigliches Sterben.«
Laßt alle Rede bleiben:
Wollen wir Liebe treiben,
So kann's ja nicht immer bleiben,
Wir müssen Leid auch treiben.
Wie sanft uns in der Liebe sei,
So müssen wir doch je dabei
Gedenken auch der Ehren.
Wer sich an nichts will kehren
Denn an des Leibes Freud und Lust,
Der kommt an Ehre zu Verlust.
Wie wohl Tristanden mochte thun
Das Leben, das er hatte nun,
Doch zog ihn seine Ehre ab.
Seine Treue ihm Warnung gab,
Daß er ihrer gedächte
Und Marken sein Weib heimbrächte.
Die beiden, Ehr und Treue,
Bezwangen ihm aufs Neue
Sein Herz und seine Sinne,
Die da gegen die Minne
Hatten zuvor den Sieg verloren,
Da er die Minne für sie erkoren:
Die zwo Sieglosen im ersten Streit,
Die siegten über die Minne seit.
Tristan hieß Boten gehen ans Land
yIn zwei Fahrzeugen wohlbemannt
Und entbot dem Herrn die Märe,
Wie es ergangen wäre
Mit der Schönen vom Irenland.
Marke besandte allzuhand
Die Seinen in der Runde:
Da rannten zu der Stunde
Tausend Boten nach Ritterschaft:
Man empfing mit großer Heereskraft
Die Heimischen und die Gäste.
Das Aergste und das Beste,
Das Marke an diesen Zwein empfing,
Mit denen sein Leben auch unterging,
Dasselbe empfing er also wohl,
Als ein Mann das empfahen soll,
Was ihm werth vor allen Dingen ist.
Marke, der hieß zur selben Frist
Den Landbaronen sagen,
Daß sie in achtzehn Tagen
Bei Hofe sich einfänden,
So daß sie ihm wohl anständen
Zum Fest und zur Brautleite.
Die waren ihm bald zur Seite:
Sie kamen reich und herrlich dar.
Da kam manch wonnigliche Schaar
Von Rittern und von Frauen,
Ihre Wonne zu schauen,
Die lichte Fraue Isolde.
Da ward beschaut die Holde,
Da ward ein Wundern fort und fort,
Da hörte man nur das Eine Wort:
»Isot, Isot la blunde,
Marveil de tu le munde!
Isold, Isold die blonde,
Das Wunder unter dem Monde!
Es ist alles wahr, was man da sagt
Von der süßen, seligen Magd:
Sie gibt den Landen Wonne
Gleichwie die lichte Sonne.
Es wird nach so wonniglicher Magd
In allen Reichen umsonst gefragt.«
Nun daß die Ehe vollzogen ward
Und sie in ihrem Rechte bewahrt
Und Kornewall und Engelland
[142]
Also gesetzt in ihre Hand,
Daß, wenn sie keinen gebäre,
Der Erbe Tristan wäre,
Und auch die Huldigung vollbracht,
Und nun sie sollte auf die Nacht
Mit ihrem Herren schlafen gehn,
Da hatten sie sich vorgesehn,
Sie und Brangäne mit Tristan
Und hatten alles zuvor gethan,
Auf daß Ort und Gelegenheit
Zu ihren Statten wär bereit
Und alles wohl berathen.
In Marke's Kemenaten
Waren die Vier in guter Ruh,
Der König und die Drei dazu.
Nun war auch Marke herabgekommen.
Brangäne hatte an sich genommen
Isoldens Brautgewande hier:
Die Kleider waren zwischen ihr
Verwechselt und der Königin.
Tristan führte Brangänen hin,
Die Marter zu leiden und die Noth.
Die Lichter löschte Frau Isot.
Marke Brangänen zu ihm zwang:
Ich weiß nicht, wie ihr der erste Klang
Gefiel der neuen Weise:
Sie duldete so leise,
Daß es gar ohne Geräusche blieb:
Was ihr Gespiele mit ihr trieb,
Sie leistete und gewährte,
Was er an sie begehrte,
Mit Messing oder auch mit Gold,
So wohl, als er es je gewollt.
Ich will mich deß auch wohl versehn,
Daß es eh selten sei geschehn,
Daß je Messing, so schön und reich,
Für einen güldenen Vergleich
Als Bettgeld ward gegeben.
Ich setze gern mein Leben,
Daß nimmer ward seit Adams Tagen
So edles Trugmetall geschlagen,
Noch falsche Münze von echtrem Schlag
Zu eines Mannes Seite lag.
Dieweil die beiden Guten
So ohne Ruhe ruhten,
Die ganze Weile hatte Isot
Gar große Angst und starke Noth;
Sie dachte immerfort bei sich:
»Gott Herre, nun bewahre mich
Und hilf mir, daß mein Niftelein
Mir möge treu und redlich sein.
Ich fürchte, treibt sie dieses Spiel
Allzu lange und allzu viel,
Daß es ihr so behage,
Daß es gar drüber tage;
So werden dann wir alle
Zu Spotte und zu Schalle.« –
Nein, ihre Gedanken und ihr Muth,
Die waren lauter und waren gut.
Nachdem sie für Isolden
Das Messing machte golden
Und leistete ihre Teiding dort,
Da ging sie von dem Bette fort.
Bald auch zur Hand Isolde war:
Vor das Bette saß sie dar,
Als sollte sie Dieselbe sein.
Da heischte der König auch den Wein,
Wie es die Sitte ihm befahl:
Denn es war Sitte dazumal,
Daß man in allweg dessen pflag,
Wenn Einer bei einer Jungfrau lag
Und ihr die Blume abgewann,
Daß Jemand kam mit Wein alsdann
Und bot den Trank da Beiden
Zusammen ohn Unterscheiden.
Dieselbe Sitte auch da geschah:
Tristan sein Neffe brachte da
Beide so Licht als Wein dahin.
Der König trank und die Königin.
Auch kann man in Mären lesen,
Es sei des Tranks gewesen,
Von welchem Tristan und Isot
Verfielen in ihre Herzensnoth.
Nein, der that Keinem fürder weh:
Brangäne warf ihn in die See.
Nun sie die Sitte gehalten auch,
Beide getrunken nach dem Brauch,
Die junge Königin Isot,
Da legte sie sich mit mancher Noth,
Mit verborgenen Schmerzen
[143]
In ihrem Muth und Herzen
Zu ihrem Herrn dem König nieder.
Der begann seine Freude wieder:
Er zwang sie nahe an seinen Leib.
Ich wähne, ihm däuchte Weib wie Weib:
Ihm war auch Diese füglich,
Und fand's mit ihr vergnüglich.
Ihm war Diese wie Jene,
Isolde wie Brangäne:
An jeder war Messing und war Gold.
Auch leisteten sie ihren Sold
Also her und also hin,
Daß er nichts merkte in seinem Sinn.
Fraue Isolde war da stark
Von ihrem Herrn und König Mark
Geminnet und gehehret,
Gepreiset und geehret
Beides von Land und Leuten,
Die sich der Gaben freuten,
So man an ihr so reichlich sah.
Wer loben konnte, der sprach da
Zu ihrem Lob und Heile.
Unter all dieser Weile
Die Fraue mit ihrem trauten Lieb
Gar manche Stunde süß vertrieb
Und hatten allzeit ihre Lust;
Denn Keinem war davon bewußt;
Da ahnte weder Weib, noch Mann,
Es wäre was Unrechtes dran.
Sie war in seiner Pflege
Allstund und allewege
Und lebte, wie ihr däuchte gut.
Hiemit so nahm sie in ihren Muth
Und bedachte, wie es um sie stand:
Da nur Brangänen war bekannt
Von ihren geheimen Ränken,
Mußte sie immer denken,
Wenn die Eine nicht wäre,
Alsdann um ihre Ehre
Dürfte sie wenig in Sorgen sein.
Ihre Sorge, die war nicht klein;
Sie fürchtete sehr zu aller Zeit,
Brangäne möchte zu Marken seit
Etliche Liebe tragen
Und ihm am Ende sagen
Die Schmach und die ganze Märe klar,
Alles, wie es ergangen war.
Die sorgenhafte Königin,
Die wies damit auf die Wahrheit hin,
Daß man auf Erden Schmach und Spott
Mehr fürchtet als den gerechten Gott.
Zween Knechte sie besandte,
Von England Unbekannte;
Dieselben hieß sie Beide
Eide schwören auf Eide,
Treu über Treue geben
Und gebot auf Leib und Leben,
Was sie sie hieße untergehn,
Das sollte, beides, rasch geschehn
Und auch verhohlen bleiben.
Sie begann sie anzutreiben:
Also sprach die Mordstifterin:
»Nun merket Beide meinen Sinn:
Ich geb euch eine Jungfrau mit,
Die nehmt mit euch auf einen Ritt
Wohl heimlich und wohl balde
Zu irgend einem Walde,
Er sei fern oder nahe bei,
Der euch dazu gefällig sei,
Da Niemand hause, nicht Mann, noch Weib,
Und schlaget ihr das Haupt vom Leib,
Und all ihr Reden, das merket ihr,
Und was sie sage, das saget mir.
Ihre Zunge bringt mir dann herein;
Und sollt auch deß versichert sein,
Wie ich's nur füglich machen mag,
Daß ich euch morgen an dem Tag
Mit ritterlicher Sache
Beide zu Rittern mache,
Und will euch beleihen und begaben,
Dieweil ich mag das Leben haben.«
Die Rede ward da fest bestallt.
Isolde nahm Brangänen bald:
»Brangäne,« sprach sie, »schau doch her:
Wie seh ich aus? mißfarbig sehr!
Ich weiß nicht, wie es um mich steh:
Mein Haupt, das thut mir schmerzlich weh.
Du mußt uns Wurzeln bringen:
Wir müssen diesen Dingen
Versuchen Rath zu geben,
[144]
Sonst geht's mir an das Leben.« –
Die getreue Brangäne sprach:
»Traut Fraue, Euer Ungemach,
Das macht mir Angst und schmerzt mich sehr.
Nun redet auch nichts weiter mehr:
Heißet mich weisen an einen Ort,
Auf daß ich möge erforschen dort,
Was Euren Dingen behilflich sei.« –
»Nun sieh, zween Knappen sind hie bei:
Mit denen reite, die weisen dich.« –
»Gerne, Fraue, und das thu ich.« –
So ritt sie in Gottes Namen.
Nun sie zum Walde kamen,
Da Wurz und Kraut und Gras zuhand
In Fülle nach ihrem Willen stand,
Da wollte Brangäne vom Rosse sein.
Nun führten sie sie baß hinein
In die Wüste und Wilde.
Nun sie von dem Gefilde
Ferne ins Dickicht kamen,
Die Getreue sie nahmen,
Die Höfische, vom Pferde
Und setzten sie auf die Erde
Mit Trauer und mit Leide
Und zuckten die Schwerter beide.
Das war Brangänen solch ein Schlag,
Daß sie still an der Erde lag
Und lag so lang darnieder;
Ihr bebten Herz und Glieder.
Erschrocken sah sie auf und sprach:
»Gnade, Herre,« sprach sie, »ach!
Um Gott, was stellt ihr mit mir an?« –
»Um Euer Leben ist's gethan.« –
»O weh! warum? das saget mir!« –
Und Einer sprach: »Was habet Ihr
Begangen wider die Königin?
Die hieß Euch schlagen: nun kommt's dahin:
Eure und unsre Fraue Isot,
Die hat geschaffet Euren Tod.«
Sie schlug die Hände zusammen: »Nein,«
Sprach sie mit Weinen, »Herre mein,
Bei Gott und Eurer Güte, nicht!
Fristet mir Beide dies Gericht
Und laßt mich also lange leben,
Daß ich euch Antwort möge geben.
Darnach habt ihr mich bald erschlagen.
Ihr möget wissen und sollt ihr sagen,
Daß ich nicht habe die kleinste Schuld
Begangen wider ihre Huld,
Daran ich mich hätte je versehn,
Daß ihr sollte ein Leid geschehn,
Es wäre denn nur also viel,
Was ich doch nicht verhoffen will:
Da wir Zwo fuhren von Irenland,
Da hatten wir Zwo zwei Gewand,
Die hatten wir uns Beiden
Erwählt und ausgescheiden
Von anderem Gewande;
Die führten wir von Lande,
Zwei Hemden, weiß wie lauter Schnee.
Da wir nun kamen auf die See
Und waren auf der Ueberfahrt,
Isolden heiß von der Sonne ward,
So daß sie in den Tagen
Kaum etwas mochte tragen
Als nur ihr Hemd alleine,
Das weiße und das reine.
Also ward ihr das Hemde lieb,
Daß sie's trug und das so lange trieb,
Bis daß es übertragen gar
Und seine Weiße getrübet war.
Nun hatte ich aber das meine
Heimlich in meinem Schreine
In reinen weißen Falten
Verborgen und behalten,
Und als meine Fraue gen Kornwall kam,
Den König ihren Herren nahm
Und mit ihm schlafen sollte gehn,
Da war das Hemde nicht anzusehn
So reinlich, als es sollte
Und als sie gerne wollte:
Daß ich ihr lieh das meine nun,
Und wollt's vielleicht nicht willig thun
Und mich so gegen sie vergaß,
Das müßte ihr wirren, und ist's nicht das,
So weiß Gott, daß ich nimmermehr
Noch ihr Gebot, noch ihr Begehr
Gering geachtet habe.
Nun gönnt mir die Gottesgabe
Und sagt ihr, ich grüße sie also wohl,
Als eine Magd ihre Frauen soll.
[145]
Und Gott nach seiner Güte,
Der bewahr und behüte
Ihr Ehre, Leib und Leben!
Auch sei ihr mein Tod vergeben.
Die Seele befehl ich in Gottes Wacht,
Den Leib in eure Hand und Macht.«
Nun aber begannen diese Zween
Erbärmlich einander anzusehn:
Sie erbarmte an der Reinen
Ihr innigliches Weinen;
Es reuete sie Beide
Und nahmen sich's zu Leide,
Daß sie um güldne Sporen
Hatten den Mord geschworen,
Da sie an ihr nichts funden,
Und konnten auch nichts erkunden,
Das solchen Mord zuließe
Und todeswürdig hieße.
Nun riethen sie und sannen,
Bis sie den Rath gewannen,
Was sich auch möge begeben,
Sie wollten sie lassen leben.
Die Getreue banden sie alsobald
Auf einen hohen Baum im Wald,
Daß sie die Wölfe nicht nähmen,
Bis daß sie wieder kämen,
Und schnitten an der Stunde
Einem der Vogelhunde
Die Zungen aus und ritten hin.
Da sagten sie der Königin,
Der grimmen mörderischen Isot,
Sie hätten sie geführt zum Tod
Mit Jammer und mit Leide,
Und sagten ihr da Beide,
Dieselbe Zunge, die sei von ihr.
Isolde sprach: »Nun saget mir,
Was Märe sagte euch die Magd?« –
Sie meldeten, was sie gesagt,
Von Anfang bis zu Ende fort
Und verschwiegen auch nicht Ein Wort.
»Mehr nicht?« sprach sie und ward wie Schnee.
»Nein, Fraue.« – Isolde rief: »O weh
Und Waffen über dieses Leid!
Unselige Mörder, die ihr seid,
Was habt ihr angefangen!
Ihr müsset Beide hangen.« –
»Herre,« sprachen aber sie,
»Wie lauten diese Mären hie?
Viel wunderliche Frau Isot,
Ihr habt uns doch mit mancher Noth
Erflehet und genöthet,
Daß wir sie haben ertödtet.« –
»Ich weiß nicht, was ihr von Flehen sagt:
Ich hab euch befohlen meine Magd
In eure Hut und Pflege,
Sie zu hüten auf dem Wege,
Daß sie mir sollte bringen
Etwas zu meinen Dingen.
Die müßt ihr mir wieder geben,
Oder es geht euch ans Leben.
Unselige Mordschlangen,
Ihr werdet Beide erhangen
Oder auf einer Hurt verbrannt.« –
»In Treuen!« sprachen sie zuhand,
»Fraue, Euer Herz und Euer Muth,
Die sind nicht lauter und sind nicht gut;
Eure Zunge, die ist sehr mannigfalt.
Nun, Fraue, fristet diese Gewalt:
Eh man uns soll begraben,
Eh sollt Ihr sie wieder haben,
Um die Ihr klagt, schön und gesund.« –
Die Königin, die sprach zur Stund
Und weinte hart und weinte sehr:
»Nun lüget mir nicht fürder mehr:
Lebt Brangäne, oder ist sie todt?« –
»Sie lebt noch, wunderliche Isot.« –
»O weh, so bringet mir sie her,
Und was ich habe gelobt vorher,
Das sollt ihr auch fürwahr empfahn.« –
»Fraue Isot, das sei gethan.« –
Isolde behielt den Einen dort;
Der Andre, der ritt zur Stunde fort
Und kehrte hin, wo Brangäne war,
Und brachte sie ihrer Frauen dar.
Und da sie für Isolden kam,
Isolde sie in die Arme nahm
Und küßte sie auf Wang und Mund
Zu einer und zu mancher Stund.
Den Zweien gab sie zu Solde
Wohl zwanzig Mark von Golde
[146]
Mit Beding, daß die Märe
Von ihnen verhohlen wäre.
Nun daß die Königin Isot
Brangänen in der Todesnoth
Hatte getreu und stet und gut
Und auch an ihrem Sinn und Muth
Untadlig in alleweg erkannt
Und in dem Tiegel rein gebrannt
Und geläutert wie klares Gold,
Seit waren Brangäne und Isold
Im Herzen und im Sinne
So voll Treue und Minne,
Daß sie nicht mehr auf Erden
Konnten geschieden werden.
Sie waren da, die seligen Zwo,
Ihres Muthes und Herzens froh.
Brangäne stand am Hofe wohl,
Der Hof war ihres Lobes voll,
Sie war da werth bei Allen
Und trug Niemanden Gallen,
Im Herzen nicht, noch mit der That.
Sie war da wohlbetrauter Rath
Des Königs und der Königin.
Auch geschah nichts in der Kammer drin,
Das sie nicht mußte wissen;
Auch war sie stets beflissen,
Isolden wohl zu dienen:
So dienete sie ihnen,
Ihr und Tristanden, mit Fleiße.
Dies trieben sie also leise,
Daß Niemand über ihrem Spiel
Auf einen Argwohn je verfiel.
Rede, Gebärde, Märe,
Und was dergleichen wäre,
Nahm ihnen selten Jemand wahr,
Und Keinem träumte, was es war.
Ihnen war sanft und also wohl,
Als zweien Liebenden werden soll,
Denen alles zu jeder Frist
Zu Statten und zu Willen ist.
Da waren allzeit, siehe,
Amis und seine Amie
In der Minne Gejage,
Begannen oft am Tage
Die Augen zu verstricken
Mit inniglichen Blicken
Am Hof und unter Leuten,
Da Blicke sollen deuten
Und Wechselmäre meinen,
Wodurch man sich vereinen
In aller lieben Liebe mag.
Das trieben die Beiden Nacht und Tag,
Und war das ohne Gefährde:
Mit Rede und Gebärde
Waren sie, mochten sie stehen,
Sitzen oder gehen,
Frei, offen und ohne Zagen.
Ihr offenes Betragen,
Und das verstanden sie wundersam,
Begannen sie oft, nachdem es kam,
Mit Klebeworten zu durchweben:
Oft sah man in ihren Mären kleben
Der Minne Werk, aus Worten
Gewirkt, wie Gold in Borten.
Doch Keinem kam's zu Sinne,
Daß da von andrer Minne
In ihnen wirke eine Kraft,
Als einzig von der Magenschaft,
Die da so groß und offenbar
An Marken und Tristanden war.
Mit der verkauften sie da viel
Und brachten hinaus ihr Minnespiel;
Ob solchem Spiel der Minne
Täuschten sie manche Sinne,
Von denen keiner je befand,
Wie es um ihre Liebe stand.
Die war an ihnen rein und gut:
Ihr Beider Sinn, ihr Beider Muth
War Eins in Allem, Ein und Ein,
War Ja und Ja, war Nein und Nein:
Von Ja und Nein, von Nein und Ja,
In Treuen, war nichts zu hören da.
An ihnen war nichts zu scheiden:
Da war nur Eins in Beiden.
Tristan und seine Königin,
So trieben sie lieblich die Stunden hin,
Zuweilen so, zuweilen so:
Sie waren unterweilen froh
Und unterweilen ungemuth,
[147]
Wie Liebe zweien Liebenden thut:
Die brauet in ihren Herzen
Das Wohlsein bei dem Schmerzen,
Bei Freude Kummer, bei Wonne Noth.
So Tristan und seine Frau Isot
Ihr Ziel in ihren Dingen
Nicht konnten stets erringen,
Das war ihre Noth: also und so
Waren sie traurig und waren froh.
Auch dieses blieb nicht aus dem Spiel,
Daß Zorn zu ihrer Liebe fiel,
Ich meine Zorn ohn Hassen.
Kann das Jemand nicht fassen,
Daß Zorn je sollte stammen
Aus solchen Herzensflammen,
Fürwahr, da bin ich sicher dran,
Daß Der nie rechte Lieb gewann.
Denn solches ist die Art der Minne:
Damit entflammt sie minnende Sinne,
Damit befeuert sie den Muth:
Denn wie der Zorn viel wehe thut,
So sühnt die Herzen je die Treu,
Da ist die Liebe wieder neu
Und Treue größer denn zuvor.
Doch wie sie wallen im Zorn empor,
Wie sie von selbst zur Sühne kommen,
Das habt ihr wohl schon oft vernommen.
Minnenden dünket gerne,
Die sich nicht wohnen ferne
Und sind sich immer nahe bei,
Daß Jemand anders lieber sei
Und näher liege dem Herzen an,
Und machen aus einem kleinen Wahn
Ein mächtiges Zornfeuer,
Eine Sühne, reich und theuer,
Aus einem kleinen Leide;
Und ist auch gut für Beide
Und soll man's nicht verwehren:
Hievon soll Liebe sich nähren,
Verjüngen und erneuen,
Entzünden an den Treuen.
Die Liebe armet und altet,
Verkühlet und erkaltet,
Wo sie gar nicht im Feuer steht;
Denn so der Zorn an ihr zergeht,
Zuhand so grünet sie auch nicht.
Wenn unter Freunden je ausbricht
Ein Zörnlein irgend, sehet hin,
So ist Treue je die Sühnerin
Aufs Frische und aufs Neue.
Dies erneuet die Treue,
Dies läutert die Liebe gleichwie Gold.
So trieben Tristan und Isold
Mit Lieb und Leid die Stunden hin:
Lieb und Leid hielt ihren Sinn
Frisch und in steter Unmüßigkeit:
Lieb mein ich ohne Herzeleid.
Noch wußten sie nichts Beide
Von solchem Herzeleide
Und nichts von solcher Jammernoth,
Die da mit Tod dem Herzen droht.
Auch bargen sie so Lieb als Leid
Und verhahlen ihre Heimlichkeit
Mit Augen und mit Munde
Und trieben das manche Stunde.
Sie waren Beide hochgemuth,
Ihr Muth war frei und immer gut.
Die Königin Isolde,
Die war so werth und holde
Bei den Leuten und in den Landen;
Auch sagten von Tristanden
Alle zusammen, Leut und Land:
Er war bekannt und viel genannt,
Gefürchtet ohne Gleichen
In beiden Königreichen.

Rotte und Harfe

[148] Rotte und Harfe.

Tristan erfreute sich seiner Kraft:
Mit ernstlichem Kampf und Ritterschaft
Verthat er seiner Stunden viel.
Er dienete mit Federspiel
Seinen müßigen Tagen;
Er ritt birschen und jagen,
Wenn's eben auf die Stunde fiel.
In diesen Zeiten kam ein Kiel
Zu Kornwall in Markes Hafen an,
Draus ritt ein Ritter wohlgethan,
Ein edler Baron von Irenland:
Derselbe war Gandin genannt,
War höfisch, schön und reich und hehr,
Von Leibe männlich also sehr,
Daß seine Mannheit weit erscholl
Und war davon ganz Irland voll.
Der kam allein, gar schön gekleidt,
Mit ritterlicher Herrlichkeit
Und adeligen Sitten
Auf Marke's Hof geritten.
Er hatte weder Schild, noch Speer:
Ueber dem Rücken führte er
Eine Rotten, die war kleine,
Mit Gold und mit Gesteine
Geschönet und gezieret,
Zu Wunsche gecordiret.
Und als er vom Roß gestiegen war,
Da ging er zum Palaste dar
Und grüßte dort mit höf'schem Sinn
Den König und die Königin,
Deren Ritter und Amis
Er in vorigen Tagen hieß
Und hatte ihr gedient mit Schall
Und kam auch heut gen Kornewall
Um ihretwillen von Irenland.
Nun erkannte sie ihn auch zuhand:
»De us sal, Messire Gandin!«
Sprach die gefüge Königin. –
»Merzi,« sprach Gandin, »bele Isold,
Schöner und schöner denn jedes Gold
In Gandins Augen, Holde!« –
Nun sagte heimlich Isolde
Dem Könige, wer er wäre.
Dem däuchte es alberne Märe
Und wunderte ihn auch genug,
Daß er die Rotten auf ihm trug.
Das nahm sie alle Wunder da,
Ein Jeder kam, ein Jeder sah,
Und war der Hof des Wunders voll.
Jedoch befliß sich Marke wohl,
Sein ehrenvoll zu pflegen,
Der eignen Ehre wegen
Und durch Isoldens Bitte,
Die bat ihn, daß er ihm Sitte
Möchte erzeigen und Ehre,
Weil er ihr Landsmann wäre.
Das that der König williglich:
Er hieß ihn sitzen neben sich
Und fragte ihn allerhanden
Von Leuten und von Landen,
Von Frauen und höf'scher Kunde.
Nun um die Essensstunde,
Da das Gesinde Wasser nahm
Und auch zu ihm das Wasser kam,
Da ward er viel und aber viel
Gebeten, daß er sein Rottenspiel
Nun möchte von sich legen;
Da war er nicht zu bewegen.
Der König und die Königin,
Die sahen stille drüber hin.
Da däuchte es aber ihrer gnug
Unhöfische Art und schlechter Fug;
Auch blieb er nicht ungeschlagen:
Es gab ein Reden und Sagen,
Ein Lachen und ein Spotten.
Der Ritter mit der Rotten,
Der Herre mit der Harenschar,
Der nahm das alles wenig wahr:
Er war niedergesessen
Neben Marke zum Essen,
Er aß und trank, was an ihn kam.
Nun man die Tische von hinnen nahm,
Stund er auf und ging von dannen
[149]
Sitzen zu Marke's Mannen;
Die leisteten ihm Genossenschaft,
Die waren sehr mit ihm behaft
Mit höfischen Reden her und hin.
Der König von tugendreichem Sinn,
Marke mit höf'schen Sitten,
Begann ihn offen zu bitten,
So er wohl rotten könnte,
Daß er es Allen gönnte,
Daß sie vernähmen sein Saitenspiel.
Der Gast sprach: »Herre, eh ich will,
Eh muß ich wissen von Euch, um was?« –
Der König sprach: »Herre, wie meint Ihr das?
Begehret Ihr eine Gabe?
Ich geb Euch, was ich habe:
Laßt uns vernehmen, was Ihr könnt:
Was Euch lieb ist, sei Euch vergönnt.« –
»Das sei!« sprach der von Irenland
Und spielte einen Leich zuhand,
Der ihnen Allen sanfte that.
Der König ihn da zur Stelle bat,
Daß er aber einen machete.
Der trügliche Spielmann lachete
Viel inniglich hinein in sich:
»Die Gabe,« sprach er, »lehret mich,
Daß ich Euch rotte, was ich soll,« –
Und spielte den zweimal so wohl.
Nun daß der andre war gethan,
Da trat Gandin den König an,
Die Rotten an der Hand er trug:
»Nun, Herre, seid gemahnt mit Fug,
Was ihr gelobtet wider mich.« –
Der König sprach: »Gerne, das thu ich.
Saget mir an: was wollet Ihr?« –
»Isolden, Herre, gebet mir.« –
»Freund,« sprach er, »was Ihr, ohne Die,
Gebietet, das ist alles hie.
Davon thut aber die Rede hin!« –
»In Treuen, Herre,« sprach Gandin,
»Ich will nicht Groß, noch Kleine,
Denn nur Isold alleine.«
Der König sprach: »Das geschiehet nicht.« –
»Herre, so wollt Ihr Euch Eurer Pflicht
Und Eures Eids entschlagen?
Kann man das von Euch sagen,
Daß Ihr eid- und wortbrüchig seid,
So sollt Ihr nach derselben Zeit
In keinem Lande mehr König sein.
Das Königsrecht heißt lesen fein:
Findet Ihr's nicht geschrieben dort,
So geh ich von meinem Rechte fort.
Und sprecht Ihr, oder wer es spricht,
Ihr hättet mir's gelobet nicht,
So folge ich meinem Rechte hin
Wider Euch und wider Ihn,
Wie mir der Hof das Urtheil fällt:
Mein Leben, das ist feil gestellt
Mit Kampf und mit Gefechte,
Bis ich komme zu meinem Rechte.
Wer da will, Ihr oder Ihr,
Der reite in einen Ring mit mir:
Ich will behaupten zu dieser Frist,
Daß mein die schöne Isolde ist.«
Der König, der sah her und dar
Und nahm auf allen Seiten wahr,
Ob er nicht Jemand möchte sehn,
Der diesen wagte zu bestehn.
Nun war da Niemand, der sein Leben
An solches Wagniß wollte geben:
Auch Marke selber wagte nicht
Um seine Frauen ein Kampfgericht:
Denn dieser Ire war so herzhaft,
So mannlich und von solcher Kraft,
Daß ihrer Keiner wollte dran.
Nun war inzwischen mein Herr Tristan
Birschen geritten zu Walde
Und war auch nicht so balde
Vom Walde wieder zu Hofe kommen,
Daß er nicht unterwegs vernommen
Die leide neue Märe,
Daß sie des Iren wäre.
Es war auch so, sie war's: Gandin,
Der hatte die schöne Königin,
Die manche Thräne fallen ließ
Und manche Klage erschallen ließ,
Vom Hofe an den Strand gebracht,
Und dorten war ihm aufgemacht
Ein Pavelon, und der war reich,
War wohlgethan und herrengleich;
Da ging er mit der Königin
[150]
Alldieweile zu sitzen drin,
Bis das Meer wieder käme,
Auf daß der Kiel dann nähme
Den Fluß und Schuß vom Strande;
Denn er lag auf dem Sande.
Nun Tristan wieder zu Hofe kam
Und von der Rotten da vernahm
Die Märe baß und aber baß,
Zuhand er auf seinen Renner saß,
Die Harfen nahm er an die Hand,
Er kam wohl balde hingerannt
Zum Hafen, und davon nicht weit
Ritt er zu einem Busch beiseit
Mit List und band da feste
Sein Roß an ein Geäste;
Das Schwert, das hängte er daran;
Fort lief er mit der Harfe dann
Und kam zum Pavelone
Und fand auch dem Barone
Sitzend dort in dem Arme
Die freudelose Arme,
Die weinende Königin Isot:
Die tröstete er mit vieler Noth.
Nun half es aber kleine,
Bis daß sie den alleine,
Den Harfner sah, den rechten Mann.
Den grüßte der Ritter und begann:
»De te saut, beas Harpiers.« –
»Merzi, gentil Schevaliers.
Herre, ich bin,« sprach aber er,
»Daher geeilet mächtig sehr:
Man sagte mir an dieser Zeit,
Daß Ihr vom irischen Lande seid;
Herre, von dannen bin auch ich:
Durch Eure Ehre führet mich
Hin wieder heim gen Irenland.«
Der irische Ritter sprach zuhand:
»Geselle, das gelob ich dir.
Nun sitze nieder, harfe mir:
Getröstest du die Frauen mein,
Daß sie ihr Weinen lässet sein,
So geb ich dir Gewand zum Lohn,
Das beste in diesem Pavelon.« –
»Das gelob ich, Herre,« sprach Tristan,
»Auch hab ich guten Trost daran,
Wenn Spielen wirkt nur also viel,
Daß sie durch eines Mannes Spiel
Ihr Weinen wolle mindern,
Gebt Acht, es wird sich lindern.« –
Da begann er seine Kunde
Und harfete an der Stunde
Einen Leich, so süß und inniglich,
Der Isolden in ihr Herze schlich
Und nahm ihr alle Gedanken ein,
So daß sie ließ ihr Weinen sein
Und war auf ihren Freund bedacht.
Nun daß der Leich da war vollbracht,
Da war dem Kiele Wasser kommen
Und hatte er seinen Fluß genommen.
Hiemit so rief die Schiffsmannschaft
Vom Kiel herab mit aller Kraft:
»Herre, Herre, geht heran,
Wohl balde! Und kommt mein Herr Tristan,
Dieweil Ihr an dem Lande seid,
So haben wir eine üble Zeit.
Es steht gar alles in seiner Hand,
Beides, die Leute und das Land.
Auch ist er selber, wie man sagt,
So kühnlich und so unverzagt,
So wohlbeherzt und hochgemuth,
Daß er Euch leichtlich Schaden thut.« –
Die Rede gab ihm Ungemach;
Gandin aus großem Unwerth sprach:
»Nun müsse ich haben Gottes Haß,
So ich von hinnen sollte um das
Ein Stündlein eher zu Schiffe hin.
Geselle, noch einen Leich beginn!
Der von Didone soll es sein:
Du harfest also schön und fein,
Daß ich es an dich minnen soll.
Nun harfe meiner Frauen wohl.
Ich führe dich in Minnen
Mit mir und ihr von hinnen
Und gebe dir auch allhie zuhand
Deinen Verheiß und dein Gewand,
Das beste, das ich geben kann.« –
Tristan sprach: »Herre, das sei gethan.«
Anhub der Spielmann alsogleich
Und rührte die Harfe zum zweiten Leich
Mit Tönen, also schönen,
[151]
Daß seinen schönen Tönen
Gandin das Ohr viel fleißig bot.
Auch konnte er sehen, daß Isot
Die Harfe nahm gar sehr in Acht.
Nun, dieser Leich, der war vollbracht.
Gandin, der nahm die Königin
Und wollte nach dem Schiffe hin.
Nun war da Fluth und Wellentos
Vor der Schiffbrücken also groß,
Daß zu derselben Zeit vom Land
Ohn ein viel hohes Roß Niemand
Der Brücke konnte kommen nah.
Gandin, der sprach: »Was thun wir da,
Daß meine Fraue hinkommen kann?« –
»Seht, Herre,« sprach der Harfenmann,
»Seit daß ich dessen versichert bin,
Daß Ihr mich mit Euch führet hin,
Soll auch von meinen Dingen all
Wenig verbleiben in Kornewall.
Ich hab ein hohes Roß hie bei
Und wähne, daß es so hoch wohl sei,
Daß ich durch dieses Grauen
Eure Freundin, meine Frauen,
So schön zur Brücken führe,
Daß sie das Meer nicht rühre.« –
Gandin sprach: »Lieber Spielmann, gut!
Bald eile, bring dein Roß zur Fluth
Und bring auch alsbald dein Gewand!«
Tristan, der brachte das Roß zuhand;
Und alsbald, da er wieder kam,
Die Harfen er auf den Rücken nahm:
»Nun, Herre von Irland,« sagte er,
»Bietet mir meine Frauen her:
Ich führe sie vor mir dahin.« –
»Nein, Spielmann,« sagte Herr Gandin,
»Du sollt sie nicht anrühren,
Ich will sie selber führen.« –
»Weh, Herre,« sprach die schöne Isot,
»Dies Wesen ist alles ohne Noth,
Daß er mich nicht berühren soll:
Nun wisset nur und glaubet wohl,
Ihr seht mich nimmer im Schiffe drin,
Es führe mich denn der Spielmann hin.«
Gandin bot ihm Isolden dar:
»Geselle,« sprach er, »nimm ihrer wahr,
Und führ so wohl sie durch den Fluß,
Daß ich dir's immer lohnen muß.«
Nun ihm Gandin Isolden gab,
Da sprengte er ein wenig ab.
Dies ward Gandin gewahr und sprach
Dem Harfner mit großem Unwerth nach:
»Heda, du Gauch, was soll das sein?« –
»Nein, Gauch Gandin!« sprach Tristan: »nein!
Freund, Ihr steht an des Gauches Ziel:
Was Ihr ertrogt mit dem Rottenspiel,
Denselben trüglichen Gewinn,
Seht, führe ich mit der Harfen hin.
Ihr trogt: nun seid auch Ihr geprellt:
Tristan, der hat Euch nachgestellt,
Bis daß Ihr überlistet wart.
Freund, Ihr gebt Lohn von reicher Art:
Ich habe das allerbeste Gewand,
Das ich in Eurem Zelte fand.«
Tristan ritt seine Straßen.
Gandin sah über die Maßen
Betrübt und traurig hinten nach.
Ihm that der Schade und die Schmach
Gar inniglich und schmerzlich weh.
Er kehrte wieder über die See
Mit Scham und auch mit Leide.
Jene Gefährten beide,
Die kehrten hin von Herzen froh.
Ob sie unterwegen irgendwo
Vielleicht zu Freuden kamen,
In den Blumen Ruhe nahmen,
Sei ohne Wähnen dahingestellt:
Wahn und Wähnen, so euch's gefällt,
So leg ich's meinethalben nieder.
Tristan, der brachte Isolden wieder
Seinem Oheim König Marke dort
Und strafte ihn mit strengem Wort:
»Herre,« sprach er, »das wisse Christ,
So lieb, als Euch die Königin ist,
So ist es Thorheit und ist Unsinn,
Daß Ihr sie gebet so leichte hin
Um Harfen oder um Rotten.
Es mag die Welt wohl spotten:
Wer hat eine Königin je gesehn
Um Rottenspiel zu Kaufe stehn?
[152]
Von Stund an so bewahret das
Und hütet meiner Frauen baß.«
Tristandens Lob, Tristandens Ehr,
Die blühten aber mehr und mehr
Am Hof und in den Landen.
Sie lobten an Tristanden
Den guten Fug, den schnellen Sinn.
Herr Tristan und die Königin,
Sie waren frei, sie waren froh,
Erhöhten den Muth einander so,
Eins zu des andern Seiten.

Verrathenes Spiel

Verrathenes Spiel.

In diesen selben Zeiten
Hatte Tristan einen Gesellen gut,
Der war ein Baron von edlem Blut,
Des Königes Landsäße,
Sein oberster Truchsäße
Und war geheißen Mariodo.
Derselbe war Tristandens froh,
Trug ihm Freundschaft und Minne
Um die süße Königinne:
Der trug er heimlichen Liebesmuth,
Wie mancher Mann mancher Frauen thut,
Da sie sich wenig kehrt daran.
Derselbe Truchseß und Tristan,
Die Zween hatten unter ihnen zwein
Herberge und Schlafgemach gemein
Und waren gerne so gepaart;
Und war es des Truchsäßen Art,
Weil Tristan schöner Mären pflag,
Daß er ihm Nachts so nahe lag,
Daß er bequem hin zu ihm sprach.
Nun geschah es einst im Schlafgemach,
Da hatte er mit Tristanden
Viel und mancher Handen
Rede und Märe getrieben
Und war dann schlafen blieben.
Tristan, der Knecht der Minnen,
Stahl heimlich sich von hinnen
Auf seine Fahrt und Weide,
Zu manchem Herzeleide
Ihm selber und der Königin.
Da er hinging mit sichrem Sinn
Und fürchtete keine Tücke,
Da hatte das falsche Glücke
Seine Schlingen, Mühsal und Verrath
Geleget an denselben Pfad,
Den er zu Isolden freudiglich
So manche liebe Stunde schlich:
Der war in jener Nacht beschneit.
Auch schien der Mond zu jener Zeit
Viel licht und leider viel zu klar.
Tristan sah keinerlei Gefahr,
Ging achtlos und in blinder Ruh
Seinem heimlichen Ziele zu,
Das ihm von seiner Königin
Gesetzt war und beschieden drin.
Nun er zur Kemenaten kam,
Brangäne ein Schachzabel nahm
Und lehnte solches vor das Licht.
Da vergaß sie, wie, das weiß ich nicht,
Daß sie die Thür am Gemache schloß,
Und kehrte zu Bette sorgenlos.
Dieweil und aber das geschah,
So lag der Truchseß und ersah
In seinem Traume, da er schlief,
Einen Eber, der aus dem Walde lief
Gar gräulich und gar grauensam;
Auf des Königes Hof er kam,
Schäumend, die Hauer wetzend
Und sich zu Streite setzend
Wider alles, das er allda fand.
Nun kam gelaufen allzuhand
Von Hofgesind eine große Kraft;
Da lief gewaltige Ritterschaft
Um diesen Eber hin und her,
[153]
Und war doch Niemand in dem Heer,
Der ihn zu bestehen wagte.
So schoß er fort und jagte
Durch den Palast mit Grunzen dar,
Da Markes Kemenate war:
Da brach er zu der Thüren ein,
Und das sein Bette sollte sein,
Dasselbe zerwarf er hin und her,
Mit seinem Schaum besudelte er
Bett, Tücher und all das Geräth,
Das man an Königsbetten späht.
Dies sahen alle die Mannen,
Und trieb ihn keiner von dannen.
Nun Mariodoc erwachet war,
Nahm er im Herzen des Traumes wahr
Und war ihm wunderlich zu Sinn.
Da rief er nach Tristanden hin
Und wollte ihm sagen Märe,
Was ihm begegnet wäre.
Doch ihm antwortete Niemand dort.
Nun rief er fort und immerfort
Und reichte auch mit Händen dar;
Und als er da nichts ward gewahr
Und auch Niemand im Bette fand,
Argwöhnte Mariodoc zuhand,
Er hätte heimliche Nachtarbeit;
Aber von seiner Heimlichkeit
Mit Isolden, der Königin,
Davon kam ihm nichts in den Sinn;
Der Wahn, der blieb ihm noch gespart;
Doch faßte er ob der verstohlnen Art
Ein Zörnlein, wie man's bei Freunden findt:
»Ich wähnte, er wäre mir baß gesinnt,
Als daß er mich ließe zur Seiten
Bei seinen Heimlichkeiten.«
Mariodoc stund auf zuhand
Und legte an sich sein Gewand.
Er schlich viel leise hin zur Thür
Und lugete mit Fleiß herfür
Und sah davor Tristandens Tritt.
Da folgte er den Spuren mit
Hin durch ein kleines Baumgärtlein.
Auch leitete ihn der Mondenschein
All über Schnee und Wiese dar,
Da Tristan hingegangen war,
Bis an der Kemenaten Thür.
Da stund er mit bangem Sinn dafür
Und mißfiel ihm auch allzuhand,
Daß er die Thür so offen fand.
So trachtete er da lange
Nach seines Freundes Gange,
Bedachte Bös und Gutes:
Jetzo war er des Muthes,
Tristan, der wäre geschlichen ein
Aus Liebe zu einem Jungfräulein;
War aber sein Wahn also gethan,
So kam ihm allzuhand der Wahn,
Tristan, der wäre drinne
Aus Liebe zur Königinne.
Der Wahn, der ging ihm her und hin.
Zuletzt ermannte er seinen Sinn
Und schlich gar leis und still hinein,
Fand weder Licht, noch Mondenschein,
Als von der Kerze, die da brann,
Kam ihn ein kleiner Schimmer an:
Da lehnte ein Schachzabel vor.
So ging er immerfort empor,
Tastend mit den Händen
An Mauern und an Wänden,
Bis er zu ihrem Bette kam,
Sie beidesammt darin vernahm
Und hörte all ihre Gelegenheit.
Dasselbe war ihm innig leid
Und that ihm in dem Herzen weh:
Er hatte stets zu Isolden eh
Liebe und holden Muth gehegt:
Nun war das alles unterlegt
Mit Hasse und mit Leide.
Er hatte um sie da Beide,
Haß und Leid, Leid und Haß:
Ihn mühte dies, ihn mühte das:
Er konnte sich nicht berichten,
Wie er bei diesen Geschichten
Sich hielte und benähme,
Daß er zurechte käme.
Ihn reizte Haß, ihn reizte Leid
Ob der großen Ungebührlichkeit,
Daß er ihr Ding lautbarte,
Der Beiden nimmer sparte.
So zog ihn aber Tristan ab,
[154]
Dazu die Furcht, die ihm Warnung gab,
Würd er sich gegen ihn wenden,
Es möchte bitter enden.
So machte er, daß er die Thür gewann,
Und legte sich als ein verstörter Mann
Wieder zu Bette nieder.
Bald kam auch Tristan wieder:
Viel leise er in sein Bette stieg.
Der Eine schwieg, und der Andere schwieg,
Sprach ihrer Keiner kein Wörtlein da,
Was ihnen doch selten eh geschah
Und wahrlich kaum zu einer Zeit.
An dieser Fremde und Schweigsamkeit
Ward Tristan gar wohl inne,
Daß er etwas von Minne
Argwöhnen müsse in seinem Muth,
Und war nun mehr auf seiner Hut
Und wachte über jede
Gebärde und jede Rede
Mehr, denn er je vor diesem that.
Nun war es aber schon zu spat:
Nun redten die stillen Thaten:
Das Spiel, das war verrathen.
Der neidische Mariodoc, der kam,
Den König leise bei Seite nahm
Und sagte ihm, daß eine Märe
Am Hof entsprungen wäre
Von Isolden und Tristanden,
Die da Leuten und Landen
Schlecht zu Gesichte stehe
Und seiner Ehre und Ehe
Schmerzlich zu nahe trete,
Und daß er wohl dran thäte,
Auf einen Rath zu denken,
Um solches abzulenken.
Doch daß ihm die wahre Geschichte kund
Von Anfang war bis auf den Grund,
Von solchem sagte er ihm nichts an.
Der treue Marke, der beste Mann,
Der faltenlose König,
Der wunderte sich nicht wenig
Und folgte dem Rathe gar nicht gern,
Daß er seiner Freuden Leitestern,
Der ihm an Isolden funkelte,
Je trübte und verdunkelte
Mit Argwohn einer bösen That.
Doch trug er's im Muthe früh und spat
Mit Sorge und mit Trauer
Und war stets auf der Lauer
Allzeit und alle Stunden,
Ob etwas zu erkunden
Und zu beweisen wäre.
Ihre Gebärde und Märe
Bemerkte er mit Fleiße
Und konnte auf keine Weise
Sie schuldig sehen noch umgarnt;
Denn Tristan hatte sie gewarnt
Und kund gethan Isolden
Den Argwohn des Unholden.
Jedoch versuchte es Marke sehr,
Legte die Schlingen hin und her
Und lauerte so Nacht als Tag.
In einer Nacht, da er bei ihr lag
Und unter sich die Gatten
Ihre Wechselrede hatten,
Da richtete er einen Strick
Schlang ihn mit List und mit Geschick
Und legt ihn der Königinne
Und fing sie auch darinne.
»Nun, Fraue,« sprach er, »saget mir,
Wie dünket Euch, wie rathet Ihr?
Ich will in kurzen Zeiten
Auf eine Wallfahrt reiten
Und bin vielleicht lang unterwege:
In wessen Hut und wessen Pflege
Geb ich Euch all die Weile hin?« –
»Gott segne,« sprach die Königin,
»Aus was für Sorge fragt Ihr das?
In wessen Pflege wär ich baß
Mit Euren Leuten und Eurem Land
Als wie in Eures Neffen Hand,
Der unser so wohl pflegen kann?
Das ist Euer Schwestersohn Tristan:
Der ist ja mannhaft und ist weis
Und wohlbedächtig alleweis.«
Die Rede ließ in Marken
Den Argwohn wachsen und starken;
Es klang ihm übel und that ihm weh.
Er hütete ihrer mehr denn je
[155]
Und mehrte von Tag zu Tage
Seine Warte und Lage
Und that auch seinen leiden Fund
Dem leidigen Truchsäßen kund.
Zur Stund antwortete Mariodo:
»Nun wahrlich, Herre, ihm ist also:
Ihr mögt hie merken selbst daran,
Daß sie sich nicht verhehlen kann
Mit ihrer großen Minne:
Ihr seid ja ohne Sinne,
Wenn Ihr ihn leidet noch eine Frist.
So lieb Euch Weib und Ehre ist,
So leidet ihn nicht länger mehr.«
Dies quälte und mühte Marken sehr:
Der Argwohn, der den Neffen
Sollte so feindlich treffen,
Schlug ihm stets neue Wunden,
Da er ihm unerfunden
Und unbetroffen zu jeder Zeit
Auf Untreu war und Betrüglichkeit.

Trug wider Trug

Trug wider Trug.

Die überlistete Königin,
Die ging in großen Freuden hin
Und sagte Brangänen lachend,
Freudengebärden machend,
Von ihres Herren Pilgerfahrt
Und auch, wie sie gefraget ward,
In wessen Pflege sie wollte sein.
Brangäne sprach da: »Fraue mein,
Lüget mir nicht und saget mir,
So helfe Euch Gott, wen begehrtet Ihr?«
Isolde sagte ihr jedes Wort,
Recht wie es war gesprochen dort. –
»Ach,« sprach Brangäne, gar nicht froh,
»Thörige, warum spracht Ihr so?
Alles, was da geredet ist,
Das höre ich wohl, das ist eine List,
Und weiß für wahr, daß diesen Rath
Der Truchsäß angezettelt hat.
So will man Euren Sinn erfahren.
Ihr müßt Euch fürder baß bewahren.
Wird er's nochmals erwähnen,
So folget nur Brangänen:
Thut, wie ich lehre, und also sprecht.«
Da lehrte sie ihre Frauen recht,
Was Antwort und was Märe
Gut wider die Liste wäre.
Da war nun Marke indessen
Beschweret und besessen
Von zweier Arten Leide:
Ihn leideten da beide,
Der Argwohn, den er wußte
Und den er haben mußte:
Er wußte von der Frauen,
Er dürfe ihr nicht vertrauen;
Er zweifelte an dem Neffen,
Den er nicht konnte betreffen
Auf irgend einer Lüge,
Die seine Treue schlüge.
Sein Freund Tristan, seine Frau Isot,
Die Zwei, die waren seine größte Noth,
Sie nahmen ihm Herz und Sinn dahin.
Er sah auf sie, er sah auf ihn
Und bezweifelte Beide.
Dem zwiefältigen Leide
Ging er nun so in vollem Schritt
Recht nach der Art der Zweifler mit:
Denn so er an der Schönen
Wollte der Liebe fröhnen,
Gebot ihm der Argwohn abzustehn;
Dann wollte er nach der Wahrheit gehn
Und folgen dem Zweifel auf seiner Jagd:
Da war ihm die Wahrheit auch versagt;
So that ihm aber der Zweifel weh:
Nun stand es wieder recht wie eh.
Was mag auch der Liebe näher gehn,
Denn Zweifel und Argwohn, diese zween?
[156]
Was ängstigt liebegehrenden Muth
So schmerzlich, wie der Zweifel thut?
Damit weiß er nicht, wohin er soll:
Denn jetzo möchte er schwören wohl,
Von einem Fehl bethöret,
Den er sieht oder höret,
Er wäre auf dem Grunde;
Da vergeht keine Stunde,
So wird all das zunichte,
Und kommt ihm zu Gesichte
Etwas, das neuen Zweifel bringt,
Darin er sich aber verwirrt und ringt.
Es ist ein gar unweiser Muth
(Nur daß die ganze Welt es thut)
Und eine Sitte sehr verkehrt,
Daß man bei Liebe Zweifel nährt;
Denn Keinem ist wohl mit einem Lieb,
Dessen er niemals sicher blieb.
Noch mehr ist aber mißgethan,
Wenn Einer den Zweifel und den Wahn
Bis zur Gewißheit bringet;
Denn wenn er das erringet,
Daß er bewährt den Zweifel weiß,
So ist ihm all sein vordrer Fleiß,
Zu birschen auf die Grundwahrheit,
Der ist ihm dann ein Herzeleid
Vor allem Herzeleide.
Die vördern Uebel beide,
Die ihm beschwerten eh den Muth,
Die däuchten ihm dann wieder gut:
Möcht er sie haben, er nähm sie an,
Nähm wieder den Zweifel und den Wahn,
Daß er der wahren Märe
Für immer entledigt wäre.
So kommt's, daß Uebel Uebel bringt,
Bis daß das Aergere draus entspringt:
So dieses dann noch weher thut,
So däuchte übel wieder gut.
Wie schwer an Liebe Zweifel sei,
Er wohnt ihr doch so schwer nicht bei,
Daß man ihn nicht um vieles baß
Erlitte, denn den bewährten Haß.
Auch mag's Niemand vermeiden:
Liebe muß Zweifel leiden.
Zweifel muß bei der Liebe sein:
Er ist's, von dem sie muß gedeihn.
Dieweil und sie den Zweifel hat,
Dieweil mag ihrer werden Rath.
So aber die Wahrheit ihr wird kund,
Zuhand so geht ihr Kiel zu Grund.
Auch hat die Liebe einen Brauch,
Damit sie sich oft und meistens auch
Verirret und verwirret. Seht,
Wenn alles nach ihrem Willen steht,
So will sie nicht Ruh noch Stete wahren,
So läßt sie gar zu gerne fahren;
Und wo sie den Zweifel wird gewahr,
Da ist ihr Noth, da eilt sie dar
Und will nicht aus dem Spiele sein;
Dem irrt sie lauernd hintendrein;
Und strebt ihm viel mehr darum nach,
Daß sie erfahre Leid und Schmach,
Denn um die Lust, die sie daran
Erfinden und genießen kann.
Und diesem sinnenlosen Brauch,
Dem diente Marke gänzlich auch:
Er wandte früh, er wandte spat
All seinen Sinn an solchen Rath,
Damit er den Zweifel und den Wahn
So gerne hätte hingethan,
Und hätte mit der Grundwahrheit
Auf seine Schmach und sein Herzeleid
So gerne hingegraben:
Das wollte er gänzlich haben.
Aber in einer Nacht kam's so,
Wie er es und Mariodo
Zusammen hatten ausgedacht,
Daß er Isolden mit schlauer Acht
Begann wieder nachzutrachten
Und sie mit ausgedachten
Listen wollte erforschen baß.
Da verkehrte sich aber das:
Den Strick, den er ihr machte,
Zu ihrem Schaden erdachte,
Denselben nahm die Königin
Und fing ihren Herrn den König drin
Mit ihrer Brangänen Lehren.
Da half Brangäne wehren,
Da frommte den Beiden zumal, daß List
[157]
Je wider List gesetzet ist.
Der König, der nahm die Königin
Gar nahe an sein Herze hin
Und küßte sie zu mancher Stund
Auf die Augen und auf den Mund:
»Schöne,« begann er, »nun ist mir
Nichts herzlich auf Erden lieb, denn Ihr:
Daß ich von Euch nun scheiden soll,
Das wisse Gott im Himmel wohl,
Das nimmt mir allen meinen Sinn.«
Da ließ die gewitzte Königin
Witz gegen Witz zu Felde ziehn;
Mit Seufzen sprach sie wider ihn:
»O weh mir, inniglich o weh!
O weh! nun wähnte ich doch eh,
Daß diese verwünschte Märe
Scherzlich gesprochen wäre:
Nun höre ich und weiß es wohl,
Daß es zum Ernste kommen soll.« –
Da hub sie an zur Stunde
Und ließ mit Augen und Munde
Schmerzliche Klage erscheinen,
Begann so kläglich zu weinen,
Daß sie dem herzensguten Mann
All seinen Zweifel abgewann,
So daß er an der Stätte
Ihren Ernst beschworen hätte.
Denn an den Frauen allen
Ist weiter nichts von Gallen
(Wenn man nach ihrem Munde spricht),
Und haben keine Falschheit nicht,
Noch Trug, noch Uebelmeinen,
Als daß sie können weinen
Ohne Gedanken und Sinn und Muth
So oft, als ihnen dünket gut.
Sie weinte da stark vor Marke.
Marke, der glaubensstarke,
»Schöne,« sprach er, »saget mir,
Was wirret Euch, was weinet Ihr?« –
»Ich mag wohl weinen,« sprach Isot:
»Klag ich, so thut es mir wohl Noth.
Ich bin ein arm verlassen Weib
Und habe nichts als diesen Leib
Und Sinne, so viel mir gegeben sind,
Und hab all das gesetzt so blind
An Euch und Eure Minne,
Daß ich in meinem Sinne
Nichts kann auf Erden meinen,
Noch minnen, denn Euch Einen.
Mir ist nichts herzlich lieb, denn Ihr,
Und muß nun sehen, daß Ihr mir
So holdes Herz nicht traget,
Als Ihr gebaret und saget.
Daß Ihr den Muth gewannet je,
Dahin zu fahren und mich in Weh
In dieser Fremde zu lassen,
Daraus kann ich wohl fassen,
Daß ich meinem Herrn viel unwerth bin:
Deß soll mein Herze und mein Sinn
Viel selten fröhlich werden mehr.«
»Warum doch, Schöne, warum?« sprach er:
»Nun habet Ihr doch zu Eurer Hand
Beide, die Leute und das Land:
Das alles ist Euer und ist mein,
Darüber sollt Ihr Gebietrin sein,
Das soll zu Eurem Gebote stehn:
Was Ihr gebietet, das ist geschehn.
Und bin ich unterwegen,
Dieweil muß Euer pflegen,
Der Euer so wohl pflegen kann,
Mein Neffe, der höfische Tristan;
Der ist bedächtig, weise
Und fleißet sich alle Weise,
Wie er Euch Freude und Ehre
Mache und immer mehre.
Demselben vertraue ich also wohl,
Als ich von ganzem Rechte soll.
Dem seid Ihr lieb: so bin auch ich:
Der thut es um Euch und auch um mich.«
»Herr Tristan?« sprach die schöne Isot:
»Fürwahr, da wollte ich gerner todt
Und wollte lieber begraben sein,
Eh daß ich mit dem Willen mein
In dieses Mannes Pflege wär!
Der Schleicher und der Schmeichler der!
Der ist mir zu allen Zeiten
Gleißnerisch an den Seiten
Und geht mir immer schmeichelnd bei
[158]
Und schwört, wie lieb daß ich ihm sei.
Jedoch weiß Gott wohl seinen Muth,
In welchen Treuen er es thut;
Auch weiß ich's selber wohl genug:
Weil er mir meinen Oheim schlug
Und fürchtet nun den Haß an mir.
Aus dieser Furcht, das glaubet mir,
Folgt er mir immer streichelnd
Und heuchelnd nach und schmeichelnd
Mit trügerischen Sinnen
Und wähnt, daß solch Beginnen
Ihm bei mir gutes Wetter schafft.
Nun hat es aber arme Kraft:
Sein Schmeicheln hilft ihm klein, dem Dieb,
Und weiß Gott, wär's nicht Euch zu Lieb,
Daß ich um Euretwillen mehr
Als wegen meiner eignen Ehr
Ihm zeige ein freundliches Gesicht,
Herre, ich sähe ihn wahrlich nicht
Und nimmer mit Freundesaugen an;
Und seit ich nicht vermeiden kann,
Daß ich ihn hören muß und sehn,
So soll es aber so geschehn,
Daß meiner Lauterkeit dabei
Und meines Herzens wenig sei.
Ich hab ihn, das ist ungelogen,
Mit herzelosem Aug betrogen
Und habe mit falschem Lügenmund
Gar oft und zu viel mancher Stund
An ihn gewendet meinen Fleiß
Zum Hohn und nur in Spottesweis.
Man sagt wohl von den Frauen das,
Sie tragen des Mannes Freunden Haß:
Darum hab ich ihn manches Mal
Mit manchem trüglichen Augenstrahl,
Mit herzelosem Munde
Gebracht um manche Stunde,
Daß er wohl an der Stätte
Meinen Ernst beschworen hätte.
Herre, begebt Euch nicht daran.
Euer Neffe, mein Herr Tristan,
Der pfleget mein nicht einen Tag:
So ich's von Euch erbitten mag,
So müsset Ihr meiner unterwegen,
Mit Euren Hulden, selber pflegen.
Wohin Ihr wollet, dahin will ich,
Ihr wäret denn selber wider mich,
Oder mich hinderte der Tod.«
So spielte nun die lose Isot
Mit ihrem Herren und ihrem Mann,
Bis sie ihm spielend abgewann
Zweifel und Zorn, die beiden,
Daß er mit tausend Eiden
Geschworen hätte, sie rede treu.
Marke, der Zweifler, der war aufs Neu
Auf sichern Grund und Weg gekommen,
Die Schöne hatte ihm benommen
Beide, den Zweifel und den Wahn.
Nun war es alles wohlgethan,
Was sie dort that und sagte.
Der König, so wie es tagte,
Gab Jenem aus dem Grunde
Von ihrer Antwort Kunde
Und aller ihrer Märe,
Und daß an ihr nicht wäre
Kein Falsch, noch keine Trüglichkeit.
Und war dies dem Truchsäßen leid
Und quälte ihn im Herzen sehr;
Doch unterwies er ihn aber mehr
Und fand eine neue Schlinge,
Darin er Isolden finge.
Zu Nacht, da Marke aber lag,
Der Bettgesellschaft mit ihr pflag,
Legt er mit neuer Frage
Seine Stricke und seine Lage
Und fing sie abermals darin.
»Seht,« sprach er, »Fraue Königin,
Ich wähne, wir müssen zu Rathe gehn:
Nun laßt mich wissen und laßt mich sehn,
Wie Frauen können Lande wahren:
Fraue, ich muß vom Lande fahren,
Ihr aber müßt verbleiben hier
Bei meinen Freunden, die kennet Ihr.
Es sei ein Mann, es sei ein Mag,
Der irgend mir Gutes gönnen mag,
Er muß Euch frommen und muß Euch ehren,
Wie Ihr es wollt an ihn begehren.
Und wer Euch nicht dazu mag taugen
Und ist nicht lieb in Euren Augen
Unter Frauen und Mannen,
[159]
Die scheidet alle von dannen.
Ihr sollt mir wider Euren Muth
So an den Leuten als am Gut
Nichts hören oder jemals sehn,
Daran Euch möge Leid geschehn.
Ich will auch Den nicht minnen
Von Herzen noch von Sinnen,
Dem Ihr unholdes Herze tragt:
Das sei Euch hie für wahr gesagt.
Bleibet froh und wohlgemuth
Und lebet, wie Euch dünke gut.
Nun wißt Ihr meinen Willen schon.
Und seit Tristan mein Schwestersohn
Eurem Herzen beschwerlich ist,
So scheide ich in kurzer Frist
Vom Hof und vom Gesinde:
So wie ich's füglich finde,
So soll er gen Parmenien fahren
Und dort sein Eigenthum bewahren.
Das thut ihm und dem Lande Noth.«
»Dank, Herre,« sprach die blinde Isot,
»Ihr redet getreulich und redet gut:
Seit ich nun weiß an Eurem Muth,
Daß Ihr das gern entbehret,
Was mir das Herz beschweret,
So dünket auch mich recht dabei,
Was Euren Augen tröstlich sei
Und Euren Muth vergnüge,
Daß ich mich solchem füge,
Wie ich vermag aufs beste,
Und was Eure Ehr befeste,
Daß ich zu solchem früh und spat
Meine Hilfe biete und meinen Rath.
Und seht nun, Herre, was Ihr thut:
Nach meinem Rath und meinem Muth
Wird's weder heute, noch je gethan,
Daß Ihr Euren Neffen, Herrn Tristan,
Von Eurem Hofe sendet:
Denn damit wär ich geschändet.
Damit so sagte man allzuhand
So an dem Hofe, so über Land,
Ich hätte Euch gerathen das
Von wegen der Schuld und durch den Haß,
Daß er mir meinen Oheim schlug.
Da gäbe es Rede und Märe gnug,
Die mir zur Schande wäre
Und Euch zu keiner Ehre.
Ich heiß es nun und nimmer gut,
Daß Ihr's um meinetwillen thut
Und Euren Freund entehret
Oder Jemand beschweret
Und hasset durch den Willen mein,
Dem Ihr doch gnädig solltet sein.
Auch sollt Ihr Euch besinnen:
So Ihr nun kehrt von hinnen,
Wer schirmet Kornwall und Engelland?
Die stehen in eines Weibes Hand
Gar bloß vor jedem Streiche.
Wer zweier Königreiche
Wohl und nach Ehren pflegen soll,
Bedarf des Sinnes und Herzens wohl;
Nun ist in beiden Landen
Ohn meinen Herrn Tristanden
Keiner, der, laßt Ihr ihn dabei,
Euren Landen zum Frommen sei.
Ohn ihn bringt's Keiner mehr dazu,
Daß man was lasse oder thu.
Ist's, daß ein Krieg uns überzieht,
Deß man sich jeden Tag versieht
Und stündlich muß versehen,
So mag es leicht geschehen,
Daß uns mißlinget auf dem Plan:
So wird mir dann mein Herr Tristan
Unter die Augen schadenfroh
Gelegt und gerieben so und so;
Dann wird der Märe viel getrieben:
Ja, wäre Tristan hie geblieben,
Uns wäre nicht zu dieser Frist
So gar mißlungen, als es ist.
Und werden mir dann Alle
Mit Geschrei und mit Schalle
Beilegen insgemein die Schuld,
Ich hab ihn gestoßen aus Eurer Huld
Zu Eurem Schaden und meiner Pein.
Herre, besser, wir lassen's sein.
Besinnet Euch der Dinge baß,
Bedenket dies, bedenket das:
Entweder laßt mich mit Euch fahren
Oder heißt ihn die Lande wahren.
Wie ich ihm auch gesinnet sei,
Er bleibt mir doch noch lieber bei,
[160]
Denn daß uns hernach ein andrer Mann
Versäume und schädige daran.«
Der König versah sich allzuhand,
Daß all ihr Herze war gewandt
Zu seines Neffen Ehren,
Und begann auch gleich zu kehren
Zum Wahn und Zweifel, wie vorher.
Nun war er aber auch noch mehr
Versunken und verfallen
In seines Zornes Gallen.
Isolde that auch Brangänen kund
Ihrer Beider Rede bis auf den Grund
Und sagte ihr wieder dies und das,
So daß sie auch kein Wort vergaß.
Brangäne war in Weh und Ach,
Daß sie so wider sich selber sprach
Und daß die Rede so verlief.
Sie las ihr einen neuen Brief,
Wie ihre Rede sollte sein. –
Nachts, da sie wiederum hinein
Zu ihrem Herrn dem König kam,
Sie ihn in ihre Arme nahm:
Sie halste und küßte ihn mit Lust,
An ihre sanfte linde Brust
Zog sie ihn lieblich nieder
Und legte ihm aber wieder
Ihr Wortnetz, Strick und Lage
Mit Antwort und mit Frage:
»Herre,« sprach sie, »saget mir
Um meinetwillen, habet Ihr
Mit rechtem Ernst das ausgedacht,
Was Ihr mir sagtet gestern Nacht
Von meinem Herrn Tristanden,
Daß Ihr ihn allzuhanden
Heimschicken wollt von wegen mein?
Möcht ich der Rede versichert sein,
Ich wollt Euch Dank und Gnade sagen
Heut und in allen meinen Tagen.
Mein Herre, ich vertrau Euch wohl,
Als ich wohl mag und als ich soll:
Doch ist es meine Furcht dabei,
Daß es nur eine Versuchung sei;
Doch wenn Ihr mich glauben ließet,
Wie Ihr es mir verhießet,
Daß Ihr mir wolltet fremden das
Und bannen, dem ich wär gehaß,
So erkennt ich an der Märe,
Daß ich Euch herzlieb wäre.
Ich hätte meine Bitte lang,
Nur daß ich's ungern that und bang,
In dieser Sache an Euch gewandt:
Denn mir ist gar zu wohl bekannt,
Was mir von ihm mag auferstehn,
Sollt er mir lange zur Seiten gehn.
Nun, Herre, nun bedenket das,
Und aber nicht durch meinen Haß:
Soll er nun dieser Lande pflegen,
Dieweil und Ihr seid unterwegen,
Und kommt nun Euch ein Unfall an,
Was leicht auf Fahrten geschehen kann,
So bringt er mich um Ehr und Land.
Nun habt Ihr es gar wohl erkannt,
Ob er mich könne kränken.
Nun sollt Ihr auch dran denken
Im Guten, wie der Freund es soll,
Und löset mich, so thut Ihr wohl,
Von meinem Herrn Tristanden:
Schicket ihn aus den Landen
Oder schaffet, daß er mit Euch fahr
Und unter der Weile mich bewahr
Der Truchsäße Mariodo.
Stünde aber Euer Muth also,
Daß Ihr mich mit Euch ließet fahren,
Ich ließe die Lande hie bewahren,
Wer da die Herrschaft nähme,
Nur daß ich mit Euch käme.
Ueber das alles so machet Ihr
Mit Euren Landen und mit mir
Recht, was Euch selber dünke gut;
Das ist mein Wille und mein Muth.
Ich steure auf nichts andres zu,
Als daß ich Euren Willen thu:
Was kümmern mich Land und Leute?
Ich lasse sie noch heute.«
So trog sie ihren Herrn und Mann,
Bis sie ihm's aber abgewann,
Daß er den Zweifel aber ließ
Und aber den Argwohn von sich stieß,
[161]
Als hätte sie ungetreuen Sinn,
Und aber seine Königin
Alles Frevels und aller Schmach
Von ganzem Herzen ledig sprach.
Der Truchsäße Mariodoc,
Der war nun aber der Sündenbock,
Der mußte der Lügner heißen
Und hatte die rechten Weisen
Doch und die wahren Noten
Gesungen von Isoten.

Melot der Zwerg

Melot der Zwerg.

Nun daß Mariodoc ersah,
Daß ihm sein Wille nicht geschah,
Versuchte er es anderswie:
Ein Zwerg war an dem Hofe hie,
Desselben Name war gethan
Melot petit von Aquitan,
Und konnte derselbe kleine Wicht
Verborgne Dinge, wie man spricht,
Nachts im Gestirne sehen.
Das laß ich bei Seite stehen
Und folge meinem Buche hier.
Nun gibt die wahre Märe mir
Sonst nichts von ihm zu lesen,
Als daß er sei gewesen
Klug, listig, kunst- und redereich.
Der war vertraut dem König gleich
Als wie der Kemenate.
Mit dem ging er zu Rathe,
Wenn er zu den Frauen käme,
Daß er allda wahr nähme
Tristandens und der Königin:
Brächt er's mit guter Art dahin,
Daß man die wahren Gründe
Der Minne an ihnen fünde,
So sollt er in allen seinen Tagen
Vom Könige Lohn und Ehre tragen.
Darauf sich auch der Zwerg Melot
In Ränken und Schwänken überbot:
Er lauerte mit Stricken
Den Reden auf und Blicken;
Das that er zu allen Stunden
Und hatte auch bald erfunden
Die Liebe bei den Beiden:
Sie pflegten sich zu weiden
Mit Gebärden so süße,
Daß er die Zeichen und Grüße
Der Minne allzuhand da fand,
Und sagte auch Marken allzuhand,
Daß wahrlich da Minne wäre.
So trieben die Drei die Märe,
Marke, Melot und Mariodo,
Und beriethen sich zusammen so,
Bis daß sie den Rath erfanden,
Wofern man Herrn Tristanden
Würde vom Hofe scheiden,
So möchte man an den Beiden
Die Wahrheit offenbarlich sehn.
Nun, dies war alsobald geschehn,
Recht wie ergangen war der Rath:
Der König seinen Neffen bat,
Daß er hinfort seine eigne Ehr
Bedächte und seinen Gang nicht mehr
Zur Kemenaten nähme,
Noch irgendwohin käme,
Da der Frauen eine wäre;
Am Hofe sei eine Märe,
Man hüte sie, lausche, schleiche nach,
Und davon könnte Leid und Schmach
Der Königin und ihm entstehn.
Nun, dies war allzuhand geschehn
Und alles gethan nach seinem Wort.
Tristan, der mied jedweden Ort,
Dahin die Frauen traten.
Palast und Kemenaten,
[162]
Da kam er nimmermehr hinein.
Das Ingesinde, das nahm sein
Und seiner Fremde mächtig wahr:
Sie redeten ihm zu Leide dar
Viel übel und anders viel denn wohl.
Seine Ohren wurden täglich voll
Mit immer neuem Leide.
Er und Isold, sie Beide,
Sie brachten die Zeit mit Sorgen zu.
Unter ihnen war keine Ruh,
War Trauern und Klagen allezeit.
Sie hatten Leid und hatten Leid,
Leid über Markes Argwohn hie,
Dort Leid, daß es hinfort für sie
Um jeden Zugang war geschehn,
Sich zu besprechen und zu sehn.
Von Tage so zu Tage
Hieß ihnen sehnende Klage
So Herz als Kraft entweichen;
Zu schwinden und zu bleichen
Begann ihre Farbe und ihr Leib:
Der Mann erbleichte durch das Weib,
Das Weib erbleichte durch den Mann,
So durch Isolden erblich Tristan,
So durch Tristanden erblich Isot.
Dazu zwang Beide die große Noth.
Und wundert auch mich wenig zwar,
Wenn ihre Noth gemeinsam war
Und ihr Leid nicht zu scheiden:
Es war auch an den Beiden
Ein Herze nur und nur Ein Muth:
Ihr Beider Uebel, ihr Beider Gut,
Ihr Beider Tod, ihr Beider Leben
War nur Ein Werk aus zwei Geweben.
Was ihrer Einem zuwider war,
Das nahm zuhand das Andre wahr,
Und was dem Einen sänftlich kam,
Das Andre in sein Herze nahm.
Sie waren Beide in ihrem Muth
Ein Wesen mit Uebel und mit Gut:
So offenbar erschienen
In ihrer Beider Mienen
Die schweren Herzenssorgen,
Daß man gar unverborgen
Die Minne in ihrer Farbe fand.
Und Marke versah sich allzuhand
Und fand wohl an den Beiden,
Daß ihnen ihr Scheiden und Meiden
Ans Herze ging mit großen Wehn,
Daß sie sich hätten gern gesehn,
Wüßten sie nur, wo oder wie.
Zu versuchen beschloß er sie
Und hieß zur selben Stunden
Die Jäger mit den Hunden
Zu Walde sich bereiten
Und sagte bei dem Reiten
Und hieß auch nach dem Hofe sagen,
Er wollte zwanzig Tage jagen:
Wer Jagens hätte Kunde,
Oder wer Zeit und Stunde
Damit vertreiben wollte,
Daß der sich rüsten sollte.
Von Isolden nahm er Urlaub so
Und hieß sie nach ihrem Willen froh
Und fröhlich sein daheime;
Und aber insgeheime
Befahl er dem Zwerg Meloten,
Tristanden und Isoten
Auf ihren heimlichen Wegen
Schlingen und Stricke zu legen;
Das brächte ihm währenden Gewinn.
Er selber fuhr zu Walde hin
Mit Hornschall und Gebelle.
Tristan, sein Waidgeselle,
Der blieb daheim vom Jagen
Und ließ dem Oheim sagen,
Er läge krank zu Bette.
Der kranke Waidmann hätte
Gern sein Revier bestrichen.
Die beiden Armen schlichen
Mit ihrer Waidewunde,
Suchten nach Statt und Stunde
Mit ängstiglichem Fleiße,
Auf welche Art und Weise
Es möchte doch geschehen,
Daß sie sich möchten sehen,
Und konnten's nicht erringen.
Unter diesen Dingen
Brangäne zu Tristanden kam,
Da sie erkannte und wohl vernahm,
[163]
Daß seine Herzensschwäre
Gar hilfbedürftig wäre.
Sie klagte ihm, und er klagte ihr:
»Ach Süße,« sprach er, »saget mir,
Sagt, welcher Rath wird dieser Noth?
Was thu ich und die arme Isot,
Daß wir so nicht verderben?
Ich weiß nicht, wie wir werben,
Daß wir behalten das Leben.«
»Was Raths mag ich Euch geben?«
Sprach aber die Getreue:
»Daß es Gott ewig reue,
Daß wir je wurden geboren!
Wir Drei, wir haben verloren
All unsre Freud und unsre Ehr:
Wir kommen nimmer nimmermehr
Zu freiem frohem Muth, wie eh.
Isold, o weh, Tristan, o weh,
Daß ich euch je mit Augen sah,
Daß alles, was euch Leids geschah,
Von mir euch auferstanden ist!
Und weiß nun weder Rath noch List,
Damit ich euch zu Hilfe komme,
Ich kann nichts finden, das euch fromme.
Ich weiß es so wahr als meinen Tod,
Ihr kommet darüber in große Noth,
Bleibet ihr je noch lange
In Hut und solchem Zwange.
Seit es nun nicht kann besser sein,
So folget doch dem Rathe mein:
Nun meine ich über diese Zeit,
Dieweil Ihr uns so fremde seid,
So Ihr gewahret in Eurem Muth,
Daß es sich fügt und es sich thut,
So nehmet ein Olivenreis
Und schneidet Späne in langer Weis,
Solch einen Span, den zeichnet je
Und machet einerseits ein T
Und machet anderseits ein I,
Daß nur der erste Buchstab hie
Von euer Beider Namen sei,
Thut weder zu, noch ab dabei
Und geht zu dem Baumgarten ein,
Ihr wisset wohl das Wässerlein,
Das von dem Brunnen niedergeht,
Dahin, da die Kemenate steht,
Darein so werfet einen Span
Und laßt ihn fließen seine Bahn
Hin für der Kemenaten Thür:
Da gehn wir allezeit herfür,
Ich und die freudelose Isot,
Beweinend unsre Herzenoth.
Gewahren wir allda den Span,
So sehen wir zuhand daran,
Daß Ihr dort an dem Brunnen seid,
Da, wo der Oelbaum schattet weit.
Da schauet denn und nehmet wahr:
Die Sehnende geht je zu Euch dar,
Meine Fraue, Eure Freundin traut,
Und ich auch, wenn es Euch erbaut
Und so es anders füglich ist.
Herre, dieselbe kurze Frist,
Die ich nun noch am Leben bin,
Soll mit euch Zweien fließen hin,
Daß ich euch Beiden lebe
Und Rath zum Leben gebe.
Müßt ich um eine Stunde gleich,
Darin ich euch Zwei machte reich
Und könnte zu euren Freuden leben,
Meiner Stunden wohl tausend geben,
Ich verkaufte alle meine Tage,
Könnt ich nur sänften eure Klage.«
»Dank, Schöne, Treue!« sprach Tristan:
»Ich habe keinen Zweifel dran,
Daß Treue in Euch und Ehre sei:
Nie reicher waren diese zwei
In einem Herzen begraben.
Sollt ich noch Segen haben,
Den wollt ich Euch wohl kehren
Zu Freuden und zu Ehren.
Wie kümmerlich es nun aber steht,
Wie schwach als meine Scheibe geht,
Doch, wüßt ich, wie ich die Plage
Meiner Stunden und meiner Tage
Zu Euren Freuden könnte geben,
Ich wollte auch desto kürzer leben:
Das getrauet und glaubet mir.« –
Weinend sprach er aber zu ihr:
»Getreue Brangäne, seliges Weib!« –
Da hielt er sie an seinem Leib
[164]
Mit Armen eng umfangen,
Ihre Augen und ihre Wangen
Küßt' er mit manchen Qualen
Oft und zu vielen Malen.
»Schöne,« sprach er, »nun thut so wohl,
Als der Freund, der getreue, soll,
Und heget in Eurem lautern Sinn
Mich und die sehnende Sorgerin,
Die wonnevolle Isolde:
Bedenket fleißig, Holde,
Uns Beide zusammen, sie und mich.« –
»Gerne, mein Herre, das thu ich.
Gebietet mir, nun will ich ab.
Thut, wie ich Euch gerathen hab,
Und sorget Euch nicht allzu sehr.« –
»Gott sei mit Euch, der Eure Ehre
Und Euren schönen Leib bewahr.« –
Brangäne neigte sich weinend dar
Und ging mit Trauern von ihm fort.
Tristan der trauervolle dort,
Der schnitt und warf die Späne,
Wie ihm sein Rath, Brangäne,
Lehre und Unterweisung bot.
So kam er und seine Fraue Isot
Zum Brunnen in des Oelbaums Hut
Gar heimlich und mit sichrem Muth
Wohl achtmal in acht Tagen hin,
So daß es Niemand wurde inn,
Noch es kein Auge jemals sah;
Bis daß es in einer Nacht geschah,
Da Tristan kam und suchte sie,
Daß seiner Melot, ich weiß nicht wie,
Der verwünschte Zwerg, der Höllenbrand,
Das Werkzeug in des Teufels Hand,
Zur bösen Stunde ward gewahr
Und schlich ihm nach und huschte dar
Und sah ihn zu dem Baume gehn
Und nicht viel lange dorten stehn,
Bis eine Fraue zu ihm ging
Und er dieselbe fest umfing.
Wer aber diese Fraue war,
Das ward dem Zwerge nicht offenbar.
Da nun der andre Tag anbrach,
Ging er aber seinen Schlichen nach,
Ein wenig vor Mittage,
Und hatte mit falscher Klage
Und mit viel arger Trüglichkeit
Seine Brust verpolstert weit und breit
Und kam so zu Tristanden hin:
»In Treuen,« sprach er, »Herre, ich bin
Mit Sorgen hergegangen,
Denn Ihr seid so umfangen
Mit tausend Augen und Ohren,
Daß ich, Gott sei's geschworen,
Mich zu Euch stahl mit mancher Noth,
Und weil mich die getreue Isot,
Die tugendhafte Königin,
So gar erbarmet in meinem Sinn,
Die leider nun zu dieser Frist
Um Euch in großen Sorgen ist:
Die schickt mich zu Euch und bat mich sehr,
Weil sie sonst Niemand hätte mehr,
Der ihr zu solcher Märe
Also gefällig wäre.
Sie bat mich und gebot auch mir,
Daß ich Euch grüßete von ihr
Und das von Herzen thäte
Und Euch gar dringlich bäte,
Daß Ihr sie sprächet heute noch,
Ich weiß nicht, wo, Ihr wisset's doch,
Da Ihr jüngst bei ihr waret,
Und auch viel recht gewahret
Derselben Stunde und der Zeit,
Da Ihr gewohnt zu kommen seid.
Weiß nicht, was sie Euch will vertraun.
Auch dürft Ihr gänzlich darauf baun:
Ihr Ungemach und Euer Leid,
Das thut mir weher, auf meinen Eid,
Als mir je etwas hat gethan.
Und nun, mein Herre, Herr Tristan,
Ich will von hinnen, gebietet mir.
Was Ihr befehlt, das sag ich ihr.
Ich darf nicht länger bei Euch sein.
Das Hofgesinde, würd es mein
Auf dieser Fährte innen,
Ich möchte Schaden gewinnen.
Sie sagen doch alle, und ist ihr Wahn,
Was unter euch Zweien ist gethan,
Sei alles mit meinem Rath geschehn.
Deß will ich mich doch zu Gott versehn
[165]
Und zu euch Beiden, daß es nie
Mit meinem Rathe dahin gedieh.«
»Freund, träumet Euch etwa?« sprach Tristan:
»Mit was für Mären kommt Ihr mich an?
Was ist des Hofgesindes Wahn?
Was hat meine Fraue und ich gethan?
Aus! streichet bald, in Gottes Haß!
Und wisset zuversichtlich, daß,
Was man nun wähnet oder spricht,
Ließ ich's durch meine Ehre nicht,
Ihr nimmer und mit nichten
Dem Hofe solltet berichten,
Was Euch allhie zur Stätte
Bei mir geträumet hätte.«
Melot ging hin und ritt zuhand
Zum Walde, da er Marken fand.
Er sagte ihm die Märe,
Daß er der Wahrheit wäre
Endlich gekommen auf den Grund,
Und sagte, wie und zu welcher Stund
Es an dem Brunnen sei geschehn:
»Ihr mögt die Wahrheit selber sehn,«
Sprach Melot, »Herre, wollet Ihr,
Zu Nacht so reitet dar mit mir;
Ich kann mich gar nicht trügen:
So wie sie es können fügen,
Daß sie heut Abend kommen dar,
So mögt Ihr selber nehmen wahr,
Was sie zusammen beginnen dort.«

Die Lauscher am Brunnen

Die Lauscher am Brunnen.

Der König ritt mit dem Zwerge fort
Nach seinem Herzeleide.
Nun geschah es, da sie Beide
Bei nächtlicher Stunde nahten,
In den Baumgarten traten
Und wollten da sich bergen,
Da zeigte sich dem Zwergen,
Noch Marken eine Stätte,
Die getaugt zur Lauer hätte.
Nun stund da, wo der Brunnen floß,
Ein Oelbaum, der war ziemlich groß,
Niedrig, und doch breit genung.
Nun thaten sie manchen Ruck und Schwung.
Bis sie den Baum bestiegen:
Da saßen sie und schwiegen.
Tristan, da es dunkel ward,
So schlich er aber auf seine Fahrt.
Nun daß er in den Garten kam,
Seine Boten er zu Handen nahm
Und legte sie in die Rinnen
Und ließ sie fließen von hinnen.
Die brachten Botschaft holde
Der sehnenden Isolde,
Daß ihr Geselle wäre am Ort.
Tristan ging über den Brunnen dort,
Da, wo des Baumes Schatten
Lag auf den grünen Matten.
Nun stund er in Sehneschmerzen,
Betrachtend in seinem Herzen
Sein heimliches Ungemach allda.
So kam es, daß er den Schatten sah
Vom König und dem Zwergen:
Denn der Mond ob den Bergen
Sah durch die Blätter mit vollem Schein.
Nun er den Schatten von den Zwein
Deutlich vor seinen Augen sah,
Stand er in großen Aengsten da
Und erkannte mit Schreck und Schauer
Die Warte und die Lauer.
»Gott Herre,« dachte er bei sich,
»Beschirme die Königin und mich:
Wofern sie diese Schlinge nicht
Am Schatten noch bei Zeit ersicht,
So kommt sie gerade her zu mir.
Geschiehet das, so werden wir
Zu Jammer und zu Leide.
Gott Herre, habe uns Beide
[166]
Gnädig in deiner Pflege!
Bewahr sie auf diesem Wege!
Leite all ihre Schritte!
Warne die Reine, ich bitte,
Vor dieser Schlinge und Schändlichkeit,
Die man uns Beiden hält bereit,
Eh sie etwas redet oder thut,
So man deuten könnte mit argem Muth!
Ja, Herre Gott, erbarme dich
Ueber Isolden und über mich!
Unsre Ehr und unser Leben
Sei dir heut Nacht ergeben.«
Seine Fraue Isolde
Und ihrer Beider holde
Freundin, die treue, reine
Brangäne, gingen alleine,
Seiner Boten zu warten,
In ihrem Jammergarten,
In dem sie zu allen Stunden,
So sie nichts Fährlichs funden,
Ihren Jammer klagten mit gleichem Sinn.
Da gingen sie nun her und hin,
Trauernd Beide und klagend,
Ihre Sehnemäre sagend.
Viel schiere ward Brangäne
Der Boten und der Späne
In jenem Wässerlein gewahr
Und winkte ihre Fraue dar.
Isolde fing sie und sah sie an:
Sie las Isolde, sie las Tristan:
Sie nahm ihren Mantel allzuhand,
Um ihr Haupt sie solchen wand
Und schlich durch Gras und Blumen dar,
Wo der Oelbaum und der Brunnen war.
Nun daß sie kam so nahe,
Daß Jedes das Andre sahe,
Ganz stet und stille stund Tristan,
Das er doch nie zuvor gethan:
Sie kam sonst nie zu ihm gegangen,
Daß sie nicht eilends ward empfangen.
Nun wunderte sich die Königin
Gar hoch und sehr in ihrem Sinn,
Was diese Märe sollte sein:
Ihr Herz ward schwer, ihre Freude klein,
Ihr Haupt auf die Brust gesunken war,
Und furchtsam schritt sie zu ihm dar.
Nun sie den Gang so ängstlich nahm
Und also leise gegangen kam
Dem Baum ein wenig näher bei,
Da sah sie Mannesschatten drei,
Und wußte doch nur Einen da.
Zur Stunde sie daran ersah
Die Lauer und Gefährde,
Und auch an der Gebärde,
Die Tristan hatte gegen ihr.
»Was will das werden? Verrath allhier?«
Dachte die Königin alsobald:
»Woher kommt dieser Hinterhalt?
Gewiß, mein Herre, der ist hie bei,
Wo er auch hie verborgen sei.
Ich wähne, wir müssen verrathen sein:
Beschirm uns, Gott und Herre mein!
Hilf uns, daß wir mit Ehren
Mögen von hinnen kehren.
Herre, bewahre ihn und mich.«
Nun aber dachte sie bei sich:
»Weiß Tristan, was allhie geschicht,
Oder weiß er es aber nicht?« –
Doch ward ihr Glaube bald bestärkt,
Er habe den Hinterhalt gemerkt:
Sie sah es seinen Gebärden an.
Sie stund von ferne und begann:
»Herr Tristan, ich bin gar nicht froh,
Daß Ihr meines Unverstandes so
Gewiß und also sicher seid,
Und daß Ihr von mir zu dieser Zeit
Gespräche mögt begehren.
Nähmet Ihr Eurer Ehren
Wider Euren Oheim wahr und mich,
Wahrlich, Herre, das fügte sich
Und stünde Euren Treuen baß
Und meinen Ehren auch, denn das,
Daß Ihr in so späten Zeiten
Teiding und Heimlichkeiten
Bestellen und suchen wollt bei mir.
Nun saget an, was wollet Ihr?
Ich stehe mit Furcht und Aengsten hie,
Nur daß mich's Brangäne nicht verzieh,
Die mich es bat und mir es rieth,
Da sie heut am Tage von Euch schied,
[167]
Daß ich her zu Euch käme
Und Eure Klage vernähme.
Daß aber ich's über mich gewann,
Das ist fürwahr sehr mißgethan.
Sie sitzet aber hie nahe bei:
Und doch, wie sicher ich auch hie sei,
Ich gebe doch wahrlich eher,
Von wegen der bösen Späher,
Ein ganzes Glied von meiner Hand,
Eh einem Auge würde bekannt,
Daß ich hie bei Euch wäre.
Man hat so manche Märe
Von Euch getrieben und von mir:
Sie schwüren Alle wohl, daß wir
Verschuldet wären schwer und scharf
Mit Freundschaft, wie sie nicht sein darf:
Der Hof ist solches Wahnes voll.
Nun weiß es aber Gott selber wohl,
Wie ich im Herzen Euch getragen;
Und will noch ein wenig weiter sagen,
Dessen soll Gott mein Zeuge sein:
Ich will nicht anders werden rein
Und mich thun meiner Sünde ab,
Als so, wie ich Euch gemeinet hab,
Mit welchem Herzen, ja, und wie;
Und vor Gott sag ich, daß ich nie
Zu einem Manne ein Herz gewann
Und immer jedem andern Mann
Mein Herz versperrt ist und verwahrt,
Als nur dem Einen, dem da ward
Die erste Rosenblume
Von meinem Jungfrauthume.
Daß mich mein Herre, der König Mark,
In seinem Argwohn hat so stark
Um Euretwillen, Herr Tristan,
Weiß Gott, da missethut er dran,
Nachdem er erfand in meinem Sinn,
Wie daß ich Euch gesinnet bin.
Und die mich ins Geschrei gebracht,
Weiß Gott, die sind viel unbedacht,
Mein Herze ist ihnen viel unkund.
Ich hab Euch hunderttausend Stund
Mit Freundesgebärden wohl und traut
Um der Liebe willen angeschaut
Zu Dem, den ich da lieben soll,
Und ohne Arg, das weiß Gott wohl.
Er sei ein Ritter oder Knecht,
So däuchte mich gut, und wär auch recht
Und brächte mir große Ehre,
Wenn ich Dem freundlich wäre
Und ehrte Den, der meinem Herrn
Gesippt wär oder gesehen gern.
Nun aber verkehret man mir das.
Und will ich Euch doch nimmer Haß
Um all der Lügner willen tragen.
Herre, was Ihr mir wollet sagen,
Das saget mir, denn ich will gehn:
Ich kann nicht länger bei Euch stehn.«
»Selige Fraue,« sprach Tristan,
»Ich habe da keinen Zweifel dran,
Daß, so Ihr sicher trätet,
Ihr redetet und thätet,
Was Tugend und Ehr Euch hieße:
Nun hindern Euch aber diese
Verleumder und haben uns gebracht
Durch ihren fälschlichen Verdacht
Ohne Noth und ohne Schulden
Aus meines Herren Hulden,
Das Gott viel wohl erkennen soll.
Selige, nun bedenket wohl,
Viel reine Königinne,
Und nehmet in Eure Sinne,
Daß ich so recht unschuldig bin
So wider Euch als wider ihn,
Und rathet meinem Herren das,
Daß er seinen Zorn und seinen Haß,
Den er mir trägt ohn alle Schuld,
Aus höfischer Sitte mir mit Huld
Verhehle und höfisch trage
Nicht länger denn acht Tage.
So lang mög er und mögt auch Ihr
Die Gebärde haben gegen mir,
Als ob Ihr mir hold und gnädig sei't;
So bereite auch ich mich in der Zeit,
Daß ich von hinnen kehre.
Wir verlieren unsre Ehre,
Der König mein Herre und Ihr und ich,
Wofern ihr also wider mich
Gebaret und ich von hinnen fahr,
So sprechen unsre Feinde dar:
In Treuen, hie war doch etwas dran:
[168]
Betrachtet, wie mein Herr Tristan
Mit unsres Herrn Unminnen
Geschieden ist von hinnen.«
»Mein Herr Tristan,« sprach aber Isot,
»Ich litte sanfter den bittern Tod,
Eh ich meinen Herren bäte,
Daß er mir zu Liebe thäte
Ein Ding, das wär auf Euch gewandt.
Nun ist Euch doch das wohl bekannt,
Daß er mir schon eine lange Frist
Um Euretwillen gar unhold ist;
Und wüßte er gar und wär ihm kund,
Daß ich bei Euch zu dieser Stund
Nachts und alleine wäre,
Ich käm in eine Märe,
Daß er mir nimmer nimmermehr
Erböte weder Lieb, noch Ehr.
Ob das auch so noch je geschicht,
In Treuen, Herre, das weiß ich nicht,
Und wundert mich auch nicht wenig,
Wovon mein Herr und König
Auf diesen Wahn gekommen,
Von wem er den Rath genommen,
Da ich doch habe nie gesehn,
Was doch die Weiber gleich verstehn,
Daß Ihr mich zu Fälschlichkeiten
Mit Gebärden wolltet verleiten,
Noch daß Ihr mich selber saht bereit
Zu Falschheit und Leichtfertigkeit.
Ich weiß nicht, was unser Verderben ist:
Denn um uns Beide zu dieser Frist
Steht's übel und erbärmlich sehr,
Daß Gott der reiche vom Himmel her
Es möge wohl bedenken
Und zu bessern Dingen lenken.
Nun, Herre, nun gebietet mir:
Ich will von hinnen, so thut auch Ihr.
Eure Noth und Eure Traurigkeit,
Das wisse Gott, die sind mir leid.
Ich hätte an Euch der Schulden viel,
Die ich nun doch nicht finden will,
Daß ich Euch sollte gehässig sein:
Mich aber erbarmt's im Herzen mein,
Daß Ihr durch mich zu dieser Zeit
Ohne Schuld so beschweret seid.
Darum will ich es übersehn.
Und wenn der Tag denn soll aufgehn,
Daß Ihr von hinnen müsset fahren,
Herre, so müsse Euch Gott bewahren.
Der Himmelskönigin, Herre mein,
Der müsset Ihr befohlen sein
Mit Eurer Bitte und Werbung hie.
Und wüßte ich, daß ich Heil für die
Mit meinem Wort erbäte,
Ich riethe und ich thäte,
Weß ich mich auch versähe,
So, daß Euch wohl geschähe.
Nun ist mir aber bange,
Daß er mich übel empfange.
Doch wie es auch mag werden,
Wie hart es mich mag gefährden,
Ihr sollt genießen, Herr Tristan,
Daß Ihr nichts Falsches habt gethan
Wider mich, noch wider meinen Herrn:
Eure Bitte will ich werben gern,
Wie es auch mag ergehn hernach.«
»Dank, selige Fraue,« Tristan sprach:
»Und was Ihr höret aus seinem Mund,
Dasselbe entbietet mir zur Stund.
Sollte mich's aber drängen gar,
Daß ich vielleicht von hinnen fahr,
Ohne Euch noch zu sehen,
Was mir auch mag geschehen,
Viel tugendhafte Königin,
So seid gesegnet immerhin
Und bewahrt vom ganzen himmlischen Heer!
Denn Gott, der weiß wohl, Erd und Meer,
Die trugen nie so reines Weib.
Fraue, Eure Seele und Euer Leib,
Eure Ehre und Euer Leben,
Sie seien immer Gott ergeben.«
So schieden sie in großer Noth.
Da ging die Königin Isot
Seufzend und mit traurigem Sinn,
Ameirend und amurend hin,
Mit verborgenen Schmerzen
Am Leibe und im Herzen.
Tristan, der so mit Rechte hieß,
In Trauer auch den Ort verließ
Und weinte fort und immerfort.
[169]
Marke, der traurige Mann alldort,
Der auf dem Baume droben saß,
Der betrauerte aber das,
Und ging ihm recht an seinen Leib,
Daß er den Neffen und das Weib
Hatte mit leerem Wahn verdacht;
Und die ihn hatten dazu gebracht,
Verflucht er mit Herz und Munde
Wohl tausendmal zur Stunde.
Auch verwies er es dichte
Melot, dem kleinen Wichte,
Daß er ihn hätte betrogen,
Sein reines Weib belogen.
Sie stiegen vom Baume nieder
Und ritten zu Walde wieder
Mit Jammer und mit Leide,
Der Zwerg und der König beide.
Sie hatten zwiegeschaffen Leid:
Melot von wegen der Trüglichkeit,
Die ihm da Schuld gegeben ward,
Marke von wegen der schnöden Art,
Wie er den Neffen und das Weib
Und allermeist seinen eignen Leib
Mit Argwohn hatte beschweret,
Beschreit und übel vermäret
Am Hof und über das ganze Land.
Des andern Morgens allzuhand
Ließ er den Jägern allen sagen,
Daß sie da blieben und führen jagen:
Er selbst fuhr wieder nach Hofe hin.
»Sagt an,« sprach er, »Frau Königin,
Wie habet Ihr vertrieben seit
Eure Stunden und Eure Zeit?« –
»Herre, meine Unmüßigkeit,
Die war zumeist unnöthiges Leid:
Meine Muße und meine Feier
War die Harfe und die Leier.« –
»Unnöthiges Leid?« hub Marke an:
»Was war das, und wie war's gethan?« –
Mit Lächeln sprach Isolde da:
»Weiß nicht, wie's zugeht, es geschah
Und geschieht noch heut und alle Tage:
Nichtiges Trauern und eitle Klage
Ist mir und allen Frauen eigen:
Wir läutern die Augen mit solchem Seigen
Und reinigen die Herzen
Wir machen uns große Schmerzen
Aus Nichts, das geht gar heimlich zu,
Und haben auch gleich wieder Ruh.« –
So trieb sie es mit Scherzen.
Doch Marke nahm's zu Herzen
Und hörte all zusammen hin
Auf ihre Worte und ihren Sinn.
»Nun, Fraue,« sprach er, »saget mir,
Weiß Jemand hier oder wisset Ihr,
Wie es um Tristan stehe?
Ich hörte, ihm wäre wehe,
Da ich jüngst ausritt auf die Jagd.« –
»Herre, da ward Euch wahr gesagt,«
Sprach aber die Königinne.
Das meinte sie von der Minne:
Sie wußte wohl seine Schwere,
Daß die von Minne wäre.
Der König sprach aber da fürbaß:
»Was wisset Ihr, wer sagte Euch das?« –
»Ich weiß nur, was ich wähne,
Und weiß, wie auch Brangäne
Mir gab vor kurzer Stunde
Von seiner Krankheit Kunde;
Die sah ihn gestern an dem Tage
Und entbot mir, daß ich seine Klage
Und sein Wort Euch zu wissen thäte
Und Euch um Gotteswillen bäte,
Daß Ihr ihn nicht so hart und schwer
Verdächtigtet an seiner Ehr
Und möchtet ein wenig sparen
Euer übles Gebaren
Nur noch acht Tage wider ihn,
Bis er sich bereitet hinzuziehn,
Und lasset ihn mit Ehren
Von Eurem Hofe kehren
Und aus dem Lande scheiden:
Das begehrt er von uns Beiden.« –
So sagte sie seine Bitte grad,
Wie er sie an dem Brunnen that,
Wo er, der König, selbst vernahm,
Wie es mit ihren Reden kam.
Der König sprach aber: »Fraue mein,
Unselig möge er immer sein,
[170]
Der mich je dazu brachte,
Daß ich so von ihm dachte;
Es ist mir innig im Herzen leid:
Ich habe seine Schuldlosigkeit
Vor kurzer Frist gar wohl vernommen:
Ich bin dem Ding auf den Grund gekommen.
Und nun, gesegnete Fraue mein,
Wofern ich Euch irgend lieb soll sein,
So sei Euch heimgestellt der Span:
Was Ihr nun thuet, das sei gethan.
Nehmet uns Beide, mich und ihn,
Und leget es unter Beiden hin.« –
»Ich will,« sprach Isolde, »Herre mein,
Hiemit nicht sehr unmüßig sein:
Denn legte ich es heute nieder,
Ihr kämet aber morgen wieder
Auf Euren Argwohn wie vorher.« –
»Nein, wahrlich, Fraue, nimmermehr.
Ich will ihn an den Ehren
Und Treuen nimmer versehren,
Noch Euch, Frau Königinne,
Ob ungetreuer Minne
Je wieder quälen mit bösem Wahn.«
Nun, dies Gelübde ward gethan.
Hiemit so ward Tristan besandt
Und ward der Argwohn allzuhand
Gar hingelegt zu Gute
Mit lauterlichem Muthe.
Isolde ward Tristanden
Aber von Hand zu Handen
Befohlen wieder in seine Pflege.
Der pflag ihrer aber allewege
Mit Hut und auch mit Rathe.
Sie und die Kemenate,
Die waren ganz, wie er gebot.
Tristan und seine Fraue Isot,
Die lebten wieder lieb und wohl:
Ihr Beider Wonne, die war voll.
Ihnen war ein erwünschtes Leben
Wieder nach Wetter und Sturm gegeben;
Doch war der Tag ohne Schauer
Leider von kurzer Dauer.

Das Gottesgericht

Das Gottesgericht.

Ich sage das wohl überlaut,
Daß keine Art von Nesselkraut
So herb und bitter zu keiner Frist
Als wie der herbe Nachbar ist,
Und kein Gefährde also groß,
Als wie der falsche Hausgenoß:
Ich meine solchen falschen Muth,
Wenn Einer dem Freunde freundlich thut
Und innen feindlich ist gesinnt:
Das ist ein gräulich Hausgesind:
Ein Solcher trägt allstunde
Den Honig in dem Munde
Und an der Angel im Herzen Gift;
Da haucht der giftige Neid und trifft
Den Freund je mit Mißlingen
In allen und jeden Dingen,
Die er da höret und gewahrt,
Und ist Niemand vor ihm bewahrt.
Wer aber offen am Tage
Dem Feind seine Warte und Lage
Zu Schaden breitet und zu Leid,
Den zeihe ich keiner Fälschlichkeit.
So lang er offen befehden will,
So lange schadet er nicht zu viel:
Doch will er sich heimlich gesellen dar,
So nehme der Mann sein selber wahr.
So thaten Melot und Mariodo:
Sie waren Tristanden gesellt also
Und waren zu manchen Zeiten
Fälschlich an seiner Seiten
Und trugen ihm Beide zu jeder Zeit
Mit Trug und mit Treulosigkeit
Ihren Dienst und ihre Gesellschaft an.
Nun aber hatte davor Tristan
Seine Hut und Warnung immerhin
[171]
Und warnete auch die Königin.
»Seht,« sprach er, »Herzensfraue mein,
Nun hütet mein und Euer fein
In Reden und Gebärden:
Wir sind gar mit Gefährden
Besetzet und umfangen:
Uns gehn zwo giftige Schlangen
In Taubengestalt, gar süß von Mund,
Schmeichelnd zur Seiten allestund:
Vor denen wahret Euren Sinn,
Gesegnete reine Königin:
Denn wo die Hausgenossen sind
Von Antlitz wie der Tauben Kind
Und wie der Schlange Kind am Zagel,
Da soll man sich kreuzen vor dem Hagel
Und segnen vor dem gähen Tod.
Selige Fraue, schöne Isot,
Nun hütet Euch lebenslange
Vor Meloten, der Schlange,
Und vor dem Hunde Mariodo.«
Die Beiden waren also auch also,
Der eine Schlange und Der ein Hund:
Denn sie legten zu jeder Stund
Den Gelieben ihre Schlingen
In allen ihren Dingen,
Bei jedem Blick und Gange,
Recht als wie Hund und Schlange.
Sie spannen alle Tage
Mit Rathschlag und mit Klage
Ihr arges Werk bei Marken an,
Bis daß er abermals begann
Argwöhnischer Gedanken
In seiner Liebe zu wanken,
Der Minnenden Heimlichkeiten
Fangnetze zu bereiten.
Eines Tages er zur Ader ließ,
So wie sein falscher Rath ihm's hieß,
Mit ihm Tristan und die Königin.
Die wähnten nimmer, daß hierin
Irgend eine Gefährde
Ihnen bereitet werde.
Und waren deß nicht sorgenhaft.
So lag die vertraute Genossenschaft,
Daß sie sich's gemächlich mache,
Den Tag in ihrem Gemache
Ohne Geräusche, still und sacht.
Des andern Tages in der Nacht,
Da sich zerstreute die höfische Schaar
Und Marke schlafen gangen war,
Da lag in der Kemenaten,
Wie man zuvor gerathen,
Niemand als Marke und Isot
Und Tristan und der Zwerg Melot,
Brangäne und ein Jungfräulein.
Auch waren die Lichter und ihr Schein
Mit Teppichen verhangen
Und so ihr Glast befangen.
Nun daß die Glocke läutete,
Die Mettenstunde bedeutete,
Da legte Marke, der zweifelnde Mann,
Ganz stille seine Kleider an,
Gebot Meloten, aufzustehn
Und zur Metten mit ihm zu gehn.
Nun Marke von dem Bette kam,
Melot sein Mehl zu Handen nahm,
Den Estrich er besäte,
Auf daß, so Jemand träte
Hin oder her dem Bette nah,
Man seine Spuren fände da.
Hiemit so gingen die Zween dahin;
Gar klein aufs Beten war ihr Sinn
Und ihre Andacht hingewandt.
Nun ward auch Brangäne allzuhand
Des Fallstricks an dem Mehl gewahr.
Da schlich sie zu Tristanden dar,
Warnte ihn, kehrte wieder
Und legte sich wieder nieder.
Tristanden war die Falle
Schlimmer als Gift und Galle.
Sein Herz in seinem Leibe,
Das war da nach dem Weibe
Vollmüthig und entglommen
Und trachtete, darzukommen:
Da folgte er dem Spruche wohl,
Daß Minne kein Auge haben soll
Und Liebe nicht Furcht, noch Bangen kennt,
So sie mit rechtem Ernst entbrennt.
»O weh,« gedachte er bei sich,
»Gott Herre, wie überwinde ich
Diese Falle und Tücke?
[172]
Nun steht mir dies Wagestücke
Auf einer hohen Wette.« –
Er stund auf von dem Bette
Und nahm auf allen Seiten wahr,
Mit welcher List er käme dar.
Nun war auch so viel Helle da,
Daß er das Mehl alsbald ersah.
Nun däuchte ihn die Gelegenheit
Zu einem Sprunge gar zu breit;
So wagte er auch nicht hinzugehn.
Nun mußte er sich zu dem verstehn,
Was unter den zweien das Beste war:
Er setzte die Füße zusammen dar
Und mächtig hart auf den Boden trat:
Tristan, der Minnenblinde, that
Den Anlauf und die Ritterschaft
Zu hart und über seine Kraft:
Er sprang hin an das Bette
Und verspielte seine Wette,
Denn seine Ader ihm aufbrach,
Was ihm seit großes Ungemach
Und Leid begann zu machen.
Das Bett und die Leilachen,
Die wurden mißgefärbt vom Blut,
Wie Blut nach seiner Weise thut:
Es färbte hie und färbte da.
Er lag nicht lange, bis es geschah,
Daß Bett und Bettzeug allzuhand,
Der Purpur da, dort der Bliant
Mißfarbe von dem Blut gewann.
Und aber setzte er wieder an,
Sprang an sein Bette hin und lag
In Gedanken bis an den lichten Tag.
Nun Marke, der kam alsbald wieder
Und spähte auf den Estrich nieder
Und nahm da seines Anschlags wahr:
Da ward er aber nichts gewahr.
Und aber da er weiter kam,
Das Bette zu Gesichte nahm,
Da sah er allenthalben Blut.
Dasselbe beschwerte ihm den Muth.
»Wie nun,« sprach er, »Frau Königin,
Was hat die Märe für einen Sinn?
Von wannen kam dies Blut daher?« –
»Meine Ader barst, da floß es sehr
Und ist jetzt kaum gestanden.« –
Nun kam er auch zu Tristanden
Und ließ ihn durch seine Hände gehn,
Als sollte es zum Scherz geschehn:
»Wohlauf, Herr Tristan! munter!« –
Zog ihm die Decke herunter
Und fand da Blut, gleich als wie dort.
Nun schwieg er still und sprach kein Wort.
Er ließ ihn liegen und kehrte hin.
Seine Gedanken und sein Sinn,
Die wurden schwer davon: er sann
Und dachte wie ein solcher Mann,
Dem es zu kleiner Freude taget.
Er hatte auch da viel nachgejaget,
Bis daß er fand sein Herzeleid.
Jedoch ihr Beider Heimlichkeit,
Und wie es um die Märe stand,
Das war ihm anders nicht bekannt,
Denn wie er's an dem Blute sah.
Das war ein schwaches Merkmal da.
Seinen Zweifel und seinen Wahn,
Die er erst hatte hingethan,
Trug er nun aber an der Kette:
Daß er den Estrich vor dem Bette
Erfunden hatte mit dem Mehl,
Das ließ den Neffen ohne Fehl
Und nahm ihm diesen Zweifel hin;
Und aber daß er die Königin
Und Tristans Bette blutig fand,
Davon bestund ihn allzuhand
Sein Unmuth und sein übler Wahn,
Gleichwie das kommt die Zweifler an.
Mit diesem Zweifel wankte er,
Er wähnte hin, er wähnte her,
Er wußte nicht, was er wollte,
Noch, was er wähnen sollte.
Er hatte zu den Stunden
In seinem Bette funden
Der schuldigen Minne Spur und Mal,
Und doch nichts vor dem Bett im Saal,
So daß ihm die Wahrheit auf solche Art
Geboten und auch entzogen ward.
So war er hier wie da betrogen:
Diese beiden, Wahr und Gelogen,
Die hatte er beide Eines Scheins,
Und hatte auch wieder von beiden keins:
[173]
Er wollte sie nicht schuldig kennen
Und auch der Schuld nicht ledig nennen:
So war dem Zweifler die Märe
Eine nahe gehende Schwere.
Nun kam es den verirrten Mann
Zu guter Letzt gewaltig an
Und trachtete mit Fleiße,
Mit welcher Art und Weise
Er sich zurechte richte
Und diesen Argwohn schlichte,
Wie er der Zweifelbürde
Ledig und ohne würde,
Den Hof und seine Knechte
Von diesem Wahne brächte,
Den sie da ließen schauen
Ob Isolden seiner Frauen
Und seinem Neffen Tristanden.
Die Fürsten aus seinen Landen,
Deren Treue er sicher war,
Dieselben besandte er alle dar
Und sagte, wie diese Märe
Am Hof entsprungen wäre,
Und wie er in Sorgen stehe
Um seine Ehre und Ehe;
Und sagte, ihn dünke wahrlich nicht,
Seit dieser Argwohn und Bezicht
So wäre in aller Munde
Und so in des Landes Kunde,
Daß er der Königin Isold
Wieder heimlich wollte sein und hold,
Eh daß sie thäte offenbar
Ihre ehliche Treu und Unschuld dar.
Drum suchte er ihrer Aller Rath,
Wie er ob dieser Missethat
Den Zweifel so bedächte,
Daß es ihm Ehre brächte,
Er stünde ab, er griffe es an.
Seine Freunde und seine Mann,
Die sprachen und riethen allzuhand:
Daß er zu Lunders in Engelland
Bestellte ein Concilium
Von seinem ganzen Pfaffenthum
Und thäte von diesen Zwisten
Den witzigen Antisten,
Die Gottes Recht wohl wüßten, kund.
Das Concilium ward zur Stund
Gen Lunders festgesprochen
Nach Pfingsten in der Wochen,
Die da beschließt den Maien.
Die Pfaffen und die Laien
Kamen in großen Schaaren
Auf diesen Tag gefahren,
Wie der König bat und auch gebot.
Nun kam auch Marke und kam Isot,
Gar schwer beladen Beide
Mit Aengsten und mit Leide:
Isolde war in Aengsten sehr,
Daß sie verlöre Leib und Ehr;
So hatte Marke schweres Leid,
Daß er seine Freude und Würdigkeit
Sollte schwächen und legen hin
An Isolden, seiner Königin.
Nun Marke an das Concilium saß,
Klagt' er den Landesfürsten das,
Wie er beschweret wäre
Mit dieser schändlichen Märe,
Und bat sie hoch und bat sie sehr
Und gemahnte sie Gottes und ihrer Ehr,
So sie etwas verständen,
Daß sie ihm doch erfänden
Einen Anschlag oder einen Rath,
Damit er diese Missethat
Zu Gericht und Rache nähme
Und ihr auf den Grund auch käme,
Entweder ab, oder aber an.
Hierüber bekannte mancher Mann
In mancher Weise seinen Muth,
Der eine übel, der andre gut,
Mit diesem und mit jenem Wort.
Aufstund der Fürsten einer dort,
Die bei dem Rathe waren,
Rathsinnig von Witz und Jahren,
Des Leibes edel und greise,
Des Muthes alt und weise,
Der Bischof von Thamise,
Und seine Stimme war diese.
Ueber seine Krücken lehnt' er sich:
»König Herre,« sprach er, »höret mich.
Ihr habt uns her für Euch besandt,
Uns Fürsten hie von Engelland,
[174]
Und begehret Treu und Rath zur Frist,
Wie Euch deß Noth geworden ist:
Der Fürsten ich auch einer bin,
Herre, ich sitze auch hier drin;
Auch bin ich in den Tagen wohl,
Daß ich für mich selbst wohl kann und soll
Beides, so thun als stehen ab
Und reden, was ich zu reden hab.
Ihrer Jeder, der rede für sich:
Herre, ich will Euch sagen für mich
Von Grund aus meinen Sinn und Muth:
Mein Sinn, und dünkt er Euch dann gut
Und gefällt er Euch, so folget Ihr
Und thut nach meinem Rath und mir.
Meine Fraue und meinen Herrn Tristan,
Die klaget man auf Argwohn an
Und hat sie keiner Ungebühren
Noch gänzlich können überführen,
Wie ich die Rede vernahm allhier.
Wie mögt nun diesen Argwohn Ihr
Mit Argheit aber schlichten?
Wie mögt Ihr aber richten
Ueber Euren Neffen und Euer Weib,
Ueber ihre Ehre und ihren Leib,
Da man sie nicht erfunden hat
An keiner Art von Missethat,
Noch je vielleicht erfinden kann?
So klagt leicht Einer Tristanden an
Auf diesen Argwohn und Bezicht,
Und behauptet's gegen ihn doch nicht,
Wie er mit Rechte sollte.
So brächte auch, wer nur wollte,
Isolden leicht zu Mären,
Und könnt's doch nicht bewähren.
Seit aber ihre Missethat
Der Hof so hart im Argwohn hat,
So sollt Ihr auch der Königin
Zu Bett, noch Tische fürohin
Gesellig sein bis an den Tag,
Da sie ihre Unschuld zeigen mag
Wider Euch und wider die Lande,
Die da wissen von dieser Schande
Und treiben den Leumund alle Tage:
Denn leider sind sothaner Sage
Die Ohren offen und viel bereit,
Der Lüge wie der Wahrhaftigkeit:
Es sei nun wahr oder sei gelogen,
Was in den Leumund wird gezogen,
Wo sich's um solche Inzicht handelt,
Das reizt und treibt, das wächst und wandelt
Vom Funken sich zum ärgsten Brand.
Wie es nun hiemit sei bewandt,
Ob es nun wahr sei oder nicht,
Dieselbe Märe und Bezicht,
Die sind so ins Geschrei gekommen,
Daß Ihr's zu Leide habt genommen
Und es der Hof für übel hat.
Nun rathe ich, Herre, und ist mein Rath,
Soll meine Fraue, die Königin,
Bezichtigt werden geradehin
Einer Missethat so groß und schwer,
So soll man sie besenden her
Vor unser Aller Angesicht,
Daß man noch Hofes Recht und Pflicht
Von Euch vernehme, was sie verbrach,
Und ihre Verantwortung darnach.«
Der König sprach: »Herre, das heiß ich gut,
Mich dünkt Euer Rath und Euer Muth
Gefällig zu sein und fördersam.« –
Man besandte Isolden, und sie kam
Zum Palast in das Concilium.
Da saß sie, und alles saß herum:
Der Bischof aber, der greise,
Von Thamise der weise,
That nach des Königes Gebot.
Auf stund er und redete: »Fraue Isot,
Viel tugendhafte Königin,
Meine Rede beschwere nicht Euren Sinn:
Der König, mein Herre, heißet mich
Sein Wort hie sprechen: nun muß ich
An Euch erfüllen sein Geheiß.
Gott aber im Himmel droben weiß,
Was übel ansteht Eurer Würde
Und Eurer Reinheit wird zur Bürde,
Daß ich das viel ungerne trage
Beides zu Licht und auch zu Tage,
Könnt ich es irgend weisen hin.
Selige gute Königin,
Euer Herre und Euer Mann,
Der heißet mich Euch sprechen an
Mit einer offenen Bezicht.
[175]
Ich weiß nicht, und auch er weiß nicht,
Wovon es kam zur Klage,
Als daß Ihr seid in der Sage
Bei Hof und in den Landen
Mit dem Neffen sein, Tristanden.
So Gott will, Fraue Königin,
Sollt Ihr der Unthat immerhin
Unschuldig sein und ohne.
Doch hat er's im Argwohne
Davon, daß man's bei Hofe spricht.
Mein Herre selber, der hat Euch nicht
Erfunden anders denn rein und gut.
Von Mären, die man bei Hofe thut,
Von nichts Erwiesnem, das Ihr gethan,
Hat er auf Euch gelegt den Wahn.
Darum so spricht er Euch hier an,
Daß es seine Freunde und seine Mann
Vernehmen und alle hören,
Ob er hiedurch zerstören
Diesen Leumund könne und diese Lüge
Mit unser Aller Rath und Rüge.
Nun dünket mich das gut gethan,
Daß Ihr ihm über solchen Wahn
Vor unser Aller Angesicht
Zu Rede stehet und zu Gericht.«
Isolde mit dem klugen Sinn,
Die kluggesinnte Königin,
Da ihr zu reden Statt geschah,
Aufstund sie selbst zu reden da:
»Herre,« sprach sie, »mein Herr Bischof,
Diese Landbarone und all der Hof,
Ihr sollt das Alle wissen wohl,
Wofern ich zu Rechte reden soll
Ueber meines Herren Schmach und mich,
In Treuen, solches verrede ich,
Beides, nun und zu jeder Stund.
Ihr Herren alle, mir ist wohl kund,
Daß ich um diese Schnödigkeit
Seit einem Jahre bin verschreit
So an dem Hof als über Land.
Euch ist aber Allen wohlbekannt,
Daß Niemand so glückselig ist,
Der dieser Welt zu jeder Frist
So wohl zu Willen möge leben,
Daß ihm nicht werde Schmach gegeben:
Darum so wundert es mich nicht,
Wenn mir das Gleiche nun geschicht.
Mich könnten die Leute ohnehin,
Weil ich aus fremden Landen bin,
Nicht rasten lassen und nicht ruhn,
Ohne mir Schande anzuthun:
Ich darf ja hie nirgends fragen
Nach Freunden, noch nach Magen;
Mir wohnt ja leider Niemand bei,
Der meines Leides leidig sei.
Ihr Alle und Jeder insgemein,
Ihr möget hoch oder niedrig sein,
Ihr laßt's euch ungern rauben,
An meine Schmach zu glauben.
Wüßt ich nun, was beginnen
Und welchen Rath gewinnen,
Daß ich mein Unverschulden
Zu euer Aller Hulden
Mit meines Herren Ehren
Wohl möchte bringen und kehren,
Da hätt ich guten Willen zu.
Was rathet ihr nun, daß ich thu?
Was man mir auflegt für Gericht,
Deß bin ich bereit und weigr' es nicht,
Daß euer Aller Verdacht und Wahn
Genommen werde und hingethan;
Und aber thu ich es noch viel mehr,
Zu behaupten meines Herren Ehr
Und die meine, daran ich geschädigt bin.«
Der König sprach: »Frau Königin,
Dabei laß ich es gern bestehn;
Und mag mir das von Euch geschehn,
Daß Ihr Euch stellet zu Gericht,
So gebt uns darauf Pfand und Pflicht:
Vor meinem Angesichte
Gelobet das Gerichte
Mit dem glühenden Eisen,
Wie wir's allhie Euch weisen.« –
Die Königin that nach seinem Wort:
Sie gelobte ihr Gerichte dort,
Wie ihr da ward gesprochen
Nach den nächsten sechs Wochen
Und gesetzt in die Stadt zu Karliun.
König und Fürsten schieden nun
Von dem Concilium insgemein.
[176]
Isolde blieb zurück allein
Mit Sorgen und mit Leide:
Sorge und Leid, alle beide,
Waren ihr Eine Schwere:
Sie sorgte um ihre Ehre;
So beschwerte sie das verhohlne Leid,
Daß sie nun ihre Unwahrheit
Offen sollte bewähren.
Mit diesen zweien Schweren
Wußte sie nicht, wo aus, noch ein:
Da legte sie beide, Furcht und Pein,
Zu Handen des viel gnädigen Christ,
Der da hilfreich in den Nöthen ist;
Dem vertraute sie ihre Lasten
Mit Beten und mit Fasten
Und befahl ihm ihre Angst und Noth.
In diesen Dingen hatte Isot
Ihrem Herzen eine List gesucht,
Im Vertrauen auf Gottes höf'sche Zucht:
Sie schrieb einen Brief zuhanden
Und entbot darin Tristanden,
Wie ihm's nur wäre füglich,
Daß er käme unverzüglich
Des Tages früh gen Karliun
Und, wenn sie sollte landen nun,
Am Gestade ihrer nähme wahr. –
Nun, dies geschah. Tristan kam dar
Und harrte am Strand in Pilgertracht,
Sein Antlitz unkennbar gemacht,
Gefärbt und aufgeschwellet,
Leib und Gewand verstellet.
Nun Isolde und Marke kamen,
Ihr Angelände nahmen,
Da ersah ihn Isolde auf dem Strand
Und hatte ihn auch sobald erkannt;
Und als das Schiff ans Gestade stieß,
Gebot die Königin und hieß,
So der Waller zur Stätte
Genügliche Kräfte hätte
Und es mit Willen thäte,
Daß man um Gott ihn bäte,
Daß er sie trüge auf seiner Hand
Von der Schiffbrücken hinab ans Land;
Sie wollte sich nicht in diesen Tagen
Von einem Ritter lassen tragen.
So riefen sie ihn Alle an:
»He, geht her näher, guter Mann!
Tragt meine Frauen ans Gestad!« –
Er leistete, was man ihn da bat:
Seine Frauen, die Königin,
Die nahm er an seinen Arm dahin
Und trug sie hinüber an das Land.
Isolde raunt ihm ins Ohr zuhand:
Wenn er ans Ufer käme,
Daß er einen Fall da nähme
Und fiele mit ihr zur Erden.
Was auch draus sollte werden,
Er that so: wie er ans Gestad
Und auf das Land vom Brette trat,
Der Waller nieder zur Erden sank
Und fiel, als wär's ohn seinen Dank,
Und war also dahingerollt,
Daß er der Königin Isold
In den Armen und zur Seiten lag.
Da hieß es: laufe, wer laufen mag!
Des Gesindes kam eine große Schaar
Mit Stecken und mit Stäben dar,
Daß nahe zu übler Märe
Der Waller gekommen wäre.
»Nein, nein, laßt stehn!« sprach aber Isot:
»Der Waller that es nur aus Noth:
Er ist unmächtig, schwach und krank
Und strauchelte ohne seinen Dank.«
Nun sagten sie ihr Alle
Huld und Ehre mit Schalle
Und lobten's im Gemüthe,
Daß sie sich mit Ungüte
Nicht rächte an dem Armen da.
Isolde lächelnd sprach: »Nun ja,
Welch Wunder wäre auch daran,
Wenn dieser arme Wallersmann
Mit mir Scherz wollte treiben?« –
Dies begannen sie ihr zu schreiben
Zur Tugend und zu höfischem Sinn.
Da ward geehrt die Königin
Und ward gelobt von manchem Mann;
Und Marke, der sah alles an
Und hörte dies und hörte das.
Isold sprach aber da fürbaß:
»Nun weiß ich nicht, wie es werden soll:
[177]
Euer Jeder, der sieht nun wohl,
Daß ich das nicht verreden kann,
Daß ohne Marken nie kein Mann
Mir sei in den Arm gekommen,
Noch einer habe genommen
Sein Lager an meiner Seiten.« –
So trieben sie's im Reiten,
Und war der arme Waller
Der Spott und die Märe Aller
Bis Karliun: da gab's ein Ziel.
Da waren der Barone viel,
Waren Pfaffen und Ritterschaft,
Gemeines Volks eine große Kraft,
Bischöfe und Prälaten,
Die da die Handlung thaten
Und segneten das Gerichte,
Die waren versammelt dichte
Und harrten da der Festlichkeit.
Das Eisen, das war auch bereit.
Die gute Königin Isold,
Die hatte ihr Silber und ihr Gold,
Und was ihr war zuhanden
An Pferden, Schmuck, Gewanden,
Dahin gegeben um Gottes Huld,
Daß Gott an ihr der wahren Schuld
Zur Stunde nicht gedächte
Und sie zu Ehren brächte.
So war sie zu dem Münster kommen
Und hatte ihr Amt allda vernommen
Mit inniglichem Muthe,
Die Weise, Schöne, Gute.
In tiefer Andacht lag das Weib.
Sie trug zunächst auf bloßem Leib
Ein hären Hemde, rauh und schwer,
Ein wollen Röcklein drüber her,
Das nahezu zwo Hände
Ob den Knöcheln ging zu Ende;
Die Ermel aufgezogen
Bis an den Ellenbogen;
Arme und Füße waren baar.
Manch Aug und Herz nahm ihrer wahr
Und erbarmte sich des Weibes.
Des Gewandes und bloßen Leibes
Ward da viel wahrgenommen.
Nun war auch das Heilthum kommen,
Auf das sie den Eidschwur sollte thun.
Also hieß man die Schöne nun
Ihre Schuld an diesen Sünden
Gott und der Welt verkünden.
Nun hatte Isolde Ehr und Leben
An Gottes Güte ganz ergeben:
Sie bot ihr Herze und ihre Hand
Furchtsam, so wie es um sie stand,
Dem Heilthum und dem Eide.
Hand und Herze, beide
Ergab sie Gottes Segen
Zu bewahren und zu pflegen.
Nun waren vom Gesinde
Viele so ungelinde,
Daß sie der Königin ihren Eid
Gern hätten auferlegt zu Leid,
Ja zu Schaden und zu Falle.
Die bittere Neidgalle,
Der Truchsäße Mariodo,
Derselbe versuchte es so und so,
Wie er's lege zu ihrem Schaden an.
Dawider war aber mancher Mann,
Der sich selbst an ihr ehrte
Und ihr's zu Gute kehrte.
So ging um den Eid der Königin
Der Streit und das Kriegen her und hin:
Der war ihr bös und Jener gut,
Wie man bei solchen Dingen thut.
»König Herre,« fiel die Königin ein,
»Mein Eid muß doch gestellet sein,
Was man auch redet und was man sagt,
Wie Euch gefället und behagt:
Darum so seht nun selber zu,
Was ich hie spreche oder thu,
Ob ich Euch mit dem Eide
Zu Eurem Dank bescheide:
Ihr Aller Reden, das ist zu viel.
Vernehmet, wie ich Euch schwören will:
Daß meines Leibes nie kein Mann
Keine Gemeinschaft nie gewann,
Noch daß mir zu keinen Zeiten
Im Arme, noch zur Seiten,
Ohn Euch, kein Mann, kein lebendiger, lag
Als der, um den ich weder mag
Den Eid thun, noch verleugnen
[178]
(Ihr saht es sich ereignen),
Der mir da lag im Arme,
Der Pilgersmann, der arme:
So helfe mir der Jungfrau Kind
Und all die Heiligen, die da sind
Zu unsrem Glück und Heile,
Bei diesem Gottesurtheile.
Ist's nicht genug, gebietet nur,
Herre, ich beßre Euch den Schwur,
So oder so, wie Ihr es wollt.«
»Nein,« sprach der König, »Frau Isold,
Es dünket mich genug hieran,
So weit ich mich besinnen kann.
Nun nehmet das Eisen auf die Hand,
Und wie Ihr uns habt vorbenannt,
So helfe Euch Gott in dieser Noth.« –
»Amen,« sprach die schöne Isot. –
In Gottes Namen sie griff es an
Und trug es, daß sie's nicht verbrann.
Da war wohl offen erkläret
Und all der Welt bewähret,
Daß der viel tugendhafte Christ
Wendschaffen wie ein Ermel ist:
Er fügt sich bei und schmiegt sich an,
So man es mit ihm fügen kann,
Also gefüge und also wohl,
Als er mit allem Rechte soll.
Er ist allen Herzen gleich bereit
Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit.
Ist es Ernst, oder ist es Spiel,
Er ist je so, wie man ihn will.
Das war hie wohl zu schauen
An der gefügen Frauen:
Die ernährte ihre Trüglichkeit
Und ihr gelüppeter falscher Eid,
Den sie zu Gott gethan, daß sie
An ihren Ehren wohl gedieh
Und ward von Stund an abermal
Von ihrem Herren und Gemahl
Geminnet und geehret,
Gepreiset und gehehret
Von Land und Leuten beiden.
Weß er sich konnte bescheiden,
Daran ihr Herze war gewandt,
Das war sein Wille allzuhand.
Er bot ihr Ehre und bot ihr Gut:
All sein Herze und all sein Muth,
Die waren auf sie gewandt allein
Ohn alle Falschheit treu und rein.
Sein Zweifel und sein böser Wahn,
Die waren aber hingethan.

Das Hündlein Peticriu

Das Hündlein Peticriu.

Tristan, ihr Herzgespiele,
Da er sie von dem Kiele
Hatte getragen ans Gestad
Und geleistet da, was sie ihn bat,
Da fuhr er desselben Males
Von Engelland gen Swales
Zu einem Herzoge Gilan,
Der da gar jung und wohlgethan,
Reich, frei und fröhlich immerdar
Und ehlichen Weibes ohne war.
Dem war er groß willkommen;
Der hatte auch schon vernommen
Von ihm viel mannliche Stücke
Und sein seltsames Glücke
Und war ganz nach Begehre
Bedacht auf seine Ehre,
Auf seine Freude und sein Gemach
Und trachtete jedem Dinge nach,
Davon er sah oder dachte,
Daß er ihm Freude machte,
Und wandte seinen Fleiß daran;
Denn Tristan, der trauervolle Mann,
Der war zu allen Stunden
Mit Gedanken gebunden,
Mit Trauern und mit Sinnen
Ueber das Leid der Minnen.
[179]
Eines Tages fügte sich das,
Daß Tristan bei dem Herzog saß
Mit Trauer und Trachten in seiner Brust,
Da erseufzte er unbewußt.
Nun dessen ward Gilan gewahr,
Gebot er, daß man ihm brächte dar
Sein zartes Hündlein Peticriu,
Seines Herzens Spiel von Avelu
Und seiner Augen Gemach. Wohlan,
Was er gebot, das ward gethan:
Ein Purpur, edel, schön und reich,
Von fremder Pracht und wundergleich,
All nach des Tisches Maß gebreitet,
Ward vor ihn auf den Tisch gespreitet,
Ein Hündelein darauf getragen,
Das war gefeiet, hört ich sagen,
Und ward dem Herzoge gesandt
Aus Avelun, der Feien Land,
Von einer Göttin drinne
Aus Liebe und aus Minne,
Und also weise und wunderbar
An den zwei Dingen geschaffen war,
An der Farbe und an der Kraft,
Daß keine Zunge so redehaft,
Noch je ein Herz so weise ward,
Das seine Schöne und seine Art
Konnte beschreiben oder sagen.
Seine Farbe war überein getragen
Mit fremder Kunst so wundersam,
Daß Niemand recht ins Klare kam,
Wie seine rechte Farbe war:
Es schillerte so bunt sein Haar,
Wenn man es gegen der Brust ansah,
Daß Jeder hätte geschworen da,
Es wäre weiß und mehr denn Schnee,
An den Weichen grün und mehr denn Klee,
Eine Seite röther denn Scharlachgran,
Die andre gelber denn Safran,
Unten lasurblau ganz und gar,
Oben eine Mischung wunderbar,
Da war die Farbe nur Eine,
So daß von allen keine
Sich stärker vor der andern bot:
Da sah man weder grün noch roth
Noch gelb noch blau noch schwarz noch weiß,
Und doch von allen einen Gleiß,
Das war ein brauner Purpurschein.
Das fremde Wunderwerk der Fei'n,
Sah man es wider die Haare an,
So war kein noch so weiser Mann,
Der seine Farbe hätte erkannt,
Die da so bunt und mancherhand,
So irrebar und schillernd sah,
Als wäre gar keine Farbe da.
Ums Hälslein ging dem Holden
Eine Kette, die war golden;
Daran hing eine Schelle,
Die war so süß und helle,
Daß, wie sie hob zu klingen an,
Tristan, der trauervolle Mann,
Der Trauer und der Schwere
Ueber all seine Märe
Gar ledig und ohne dorten saß
Und seines Leides gar vergaß,
Das ihn um Isoldens willen drang.
So süß war dieser Schellen Klang,
Daß Niemand sie klingen hörte,
Dem sie nicht sein Leid zerstörte
Und nahm all seine Sorgen fort.
Tristan, der sah und hörte dort
Das wunderliche Wunder an:
So Hund als Schellen er begann
Zu merken und zu achten,
Jedwedes zu betrachten,
Den Hund und seine fremde Haut,
Die Schellen und ihren süßen Laut:
Ihn wunderte der beiden hoch
Und däuchte ihn unter beiden doch
Das Wunder mit dem Hündelein
Viel wunderlicher noch zu sein,
Denn mit dem süßen Schellenklang,
Der ihm in seine Ohren sang
Und nahm ihm seine Trauer all.
Dies däuchte ihn ein fremder Fall,
Daß er mit sehenden Augen hie,
Was seine Augen der Lügen zieh,
An allen diesen Farben fand,
Davon ihm keine war bekannt,
Wie viel er auch mochte nehmen wahr.
Er griff sacht und gefüge dar
Und streichelte es mit Handen.
[180]
Da däuchte es Tristanden,
Wie er's zu streicheln da begann,
Er griffe Palmatseiden an,
So linde war es überall.
Es greinte nicht, gab keinen Schall,
Noch ließ es Ungebärde sehn,
Was ihm auch mochte für Scherz geschehn;
Und aß es und auch trank es nicht,
Wie uns die Märe von ihm spricht.
Nun es von dannen ward getragen,
War Tristans Trauern und sein Klagen
Zur Stunde so frisch wie je vorher,
Und aber so viel der Trauer mehr,
Daß er sein ganzes Denken
Begann darauf zu lenken
Und zu trachten mit Fleiße,
Mit welcher Art und Weise
Oder mit welchen Sinnen
Er möchte doch gewinnen
Und senden seiner Frauen zu
Das zarte Hündlein Peticriu,
Um daß ihre sehnende Schwere
All desto minder wäre.
Nun konnte er aber nicht ersehn,
Wie solches möchte je geschehn
Durch Bitten oder auch durch List,
Da er wohl wußte zu dieser Frist,
Daß es Gilan nicht würde geben,
Es wäre denn um sein eignes Leben,
Um kein Gut unter der Sonne hie.
Dies Trachten und Sehnen wollte nie
Aus seinem Herzen weichen;
Doch that er nicht desgleichen.
Wie uns die wahre Historie sagt
Von Tristans Mannheit unverzagt,
So war desselben Males
Demselben Lande Swales
Ein Riese nah gesessen,
Hoffährtig und vermessen,
Der hauste auf dem Meeresstrand,
War Urgan li Filus genannt.
Demselben Riesen war Gilan
Und sein Land Swales unterthan
Und sollten ihm Zins geben,
Auf daß er ließe leben
Das Landvolk ruhig und ungeplagt.
Hiemit wird an den Hof gesagt,
Urgan der Riese wäre kommen
Und hätte für sich weggenommen,
Was ihm zu Zinse sollte sein,
Rinder und Kälber, Schaf und Schwein,
Und hieße das vor ihm hin jagen.
Da hub der Herzog an zu sagen
Seinem Freund Tristan die Märe,
Wie diese Schatzung wäre
Mit Arg und mit Gewalt gesetzt
Vom ersten Anfang an bis jetzt.
»Nun sagt mir, Herre,« sprach Tristan,
»Wenn ich Euch das benehmen kann
Und ich Euch helfe in kurzer Zeit,
Daß Ihr des Zinses ledig seid,
Dieweil Ihr ferner möget leben,
Was wollt Ihr mir zu Lohne geben?« –
»In Treuen, Herre,« siel Jener ein,
»Was ich habe, soll Euer sein.« –
Tristan sprach aber da fürbaß:
»Herre, gelobet Ihr mir das,
So helfe ich Euch auch dazu,
Mit welcher Noth ich's immer thu,
Daß Ihr fürwahr in kurzer Zeit
Urgans auf immer ledig seid,
Oder ich büße es mit dem Leben.« –
»In Treuen, Herre, ich will Euch geben,
Was Ihr begehret,« sprach Gilan:
»Was Ihr gebietet, das ist gethan.« –
Er bot ihm seine Treu und Hand.
Tristanden ward zuhand besandt
Sein Roß und auch sein Eisen.
Hiemit ließ er sich weisen
Zur Stelle, da des Teufels Sohn
Mit seinem Raube fuhr davon.
Tristan zuhand gewiesen ward
Den graden Weg auf Urgans Fahrt
In einen wilden öden Wald,
Der stieß an des Riesen Bann und Gewalt,
Wo über eine Brücke
Der Raub je ging zurücke.
Raub und Riese, die kamen an.
Nun war vor ihnen dort Tristan
Und hielt den Raub mit Schwert und Spieße.
[181]
Nun daß Urgan, der schnöde Riese,
Wehr an der Brücke ward gewahr,
Da kehrte er ohne Säumen dar
Mit einer mächtig langen
Stählernen schweren Stangen,
Die trug und hielt er hoch empor.
Nun er den Rittersmann davor
So wohlgewaffnet halten sah,
Unwerthlich sprach er zu ihm da:
»Freund auf dem Rosse, wer seid Ihr?
Was wollt Ihr, warum laßt Ihr mir
Meine Habe nicht hinübergehn?
Daß mir das ist von Euch geschehn,
Weiß Gott, das geht Euch rein ans Leben,
Oder aber müßt Ihr Euch ergeben.«
Der auf dem Rosse sprach zuhand:
»Freund Riese, ich bin Tristan genannt,
Weißt du viel wohl, nun fürchte ich
Deinen Stecken da und dich
Nicht eine halbe Bohne.
Drum fahr du Schwatzens ohne
Und wisse aber wahrlich das:
Dein Raub, der kommt dir nicht fürbaß,
Wofern ich dies verwehren kann.« –
»Ja,« sprach der Riese, »Herr Tristan,
Ihr wähnt, Ihr habt bestanden
Morolden von Irlanden,
Mit dem Ihr Euren Span und Streit
Mit großer Ungerechtigkeit
Um nichts zu Kampfe truget
Und ihn aus Hoffahrt schluget.
Auch ist es nicht um mich bewandt
Als wie um Jenen vom Irenland,
Den Ihr mit Lärm ankamet
Und ihm die Schöne nahmet,
Die blühende Isolde,
Die ihm gebührte zum Solde.
Nein, nein, die Rivage gehört mir zu,
Und heiß ich Urgan li Filu:
Wohl balde von der Straßen!«
Da begann er aus der Maßen
Mit beiden seinen Handen
Zu zielen wider Tristanden
Auf einen Wurf und einen Schwung,
Der war wohl groß und lang genung,
Dem hatte er seine Richte
Im Fall und im Gewichte
Recht mit dem Merk gegeben,
Daß er sollte ans Leben
Dem Feind sein gegangen.
Wie er nun so die Stangen
Auf ihn begann zu lenken,
Begann Tristan zu schwenken;
Doch schwenkte er nicht schnell genug:
Sie traf ihm vor dem Hinterbug
Das Roß und warf es gar entzwei.
Der Ungeheure that einen Schrei
Und rief Tristanden lachend an:
»So helfe Euch Gott, mein Herr Tristan!
Eilet nicht mit dem Reiten,
Bleibet mir fein zur Seiten,
Ob ich Euch mag erflehen,
Daß Ihr mich mein Landlehen
Mit Ehren und mit Minnen
Lasset bringen von hinnen.«
Tristan sprang auf den Rasen dar,
Da ihm sein Roß erschlagen war;
Mit dem Speere so kehrt er her
Und stach Urganen mit dem Speer
Zum Auge eine Wunden:
Da war der Unhold funden.
Der ungeheure Riese,
Er lief wohl über die Wiese,
Nach seiner Stange lief er schier.
Nun daß er niedergriff nach ihr,
Da hatte auch Tristan seinen Speer
Von ihm geworfen und kam her
Gerühret mit dem Schwerte:
Er traf ihn, wie er begehrte,
Denn er schlug ihm dieselbe Hand,
Die nach der Stange war gewandt,
So daß sie an der Erde lag,
Und gab ihm aber einen Schlag
An seinen Schenkel und entrann.
Urgan, der schadenhafte Mann,
Griff mit der linken Hand darnieder,
Die Stange zuckte er aber wieder
Und lief dem Feind zuhanden:
Er jagete Tristanden
[182]
Manch ängstliche Wendung grad und krumm
Unter den Bäumen um und um.
Nun war der Blutstrom also groß,
Der aus des Riesen Wunden floß,
Daß auch derselbe Teufelsmann
Viel sehr zu fürchten da begann,
Ihm sollte von dem Blute
An Kräften und am Muthe
In kurzen Zeiten viel entgehn.
Da ließ er Raub und Ritter stehn
Und nahm die Hand, da er sie fand,
Und kehrte wieder heim zuhand
In seine Feste balde.
Tristan stund in dem Walde
Bei seinem Raub alleine.
Seine Angst war keine kleine,
Daß Urgan lebend entronnen war.
Da saß er auf den Rasen dar,
Bedenkend und betrachtend,
In seinen Sinnen achtend,
Da er kein Pfand zur Stätte,
Seine That zu bewähren, hätte,
Als einzig nur den Zins und Raub,
So helfe es ihm auch nicht ein Laub,
Was er für Angst und Mühseligkeit
Hätte gewendet an diesen Streit;
Und sorgte, Gilan gedächte nun
Seines Gelübdes sich abzuthun,
Das unter ihnen Zwein bestand.
Er kehrte auf seinen Weg zuhand
Und lief der Spur nach immerdar,
Die Urgan vorgelaufen war,
Und da er das Gras und den grünen Grund
Mit Blute hin gefärbet fund.
Nun er zu dem Castele kam,
Er alles zu Gesichte nahm
Und fleißig nach Urganen sah.
Nun fand er weder den Riesen da,
Noch Jemand, der je Leben gewann;
Denn der versehrte Teufelsmann
Der hatte, so sagt uns die Märe an,
Seine verlorne Hand gethan
Auf einen Tisch in seinem Saal,
Und war er von der Burg zu Thal
Gelaufen Wurzeln graben,
Die er da sollte haben,
Mit denen er auch wohl wußte
Wie er sich heilen mußte.
Und hätt er die Hand so wohlbedacht
Mit Künsten an den Arm gebracht,
Davon er hatte Kunde,
Zur Zeit und vor der Stunde,
Da sie ihm gänzlich wurde todt,
Er wär auch genesen von dieser Noth,
Nicht mit dem Auge, doch mit der Hand.
Nun aber ward das abgewandt:
Tristan, der kam gegangen da
Und auf dem Tische die Hand ersah,
Und wie er sie unverwehrt erfand,
So nahm er sie und ging zuhand,
Recht wie er auch gekommen war.
Urgan kam wieder und ward gewahr,
Daß er verloren seine Hand;
Er war in Leid und Zorn entbrannt,
Warf seine Arzenei darnieder
Und kehrte nach Tristanden wieder.
Der war hin über die Brücke kommen
Und hatte viel wohl wahrgenommen,
Daß er ihm nachgerühret kam.
Des Riesen Hand er balde nahm,
Unter einem Strunke barg er sie.
Nun stand er in großen Aengsten hie
Vor diesem ungeheuren Mann,
Denn da war kein Zweifel dran,
Es müsse Einer von den Zwein,
Er oder der Riese, verloren sein.
Er kehrte gegen der Brücke her
Und lief ihm entgegen mit dem Speer,
Den stach er auf ihn, daß er zerbrach,
Und unterwährend daß er stach,
So kam auch der verwünschte Mann
Urgan mit seiner Stangen an;
In solcher Hast er auf ihn schlug,
Daß der Schlag weit hinter ihm über trug;
Sonst, wär er auch von Erz gewesen,
Er wäre nicht vor ihm genesen.
Nun half ihm das aus der Gefahr,
Daß Urgan sein so gierig war;
Denn er war ihm zu nah gekommen
[183]
Und hatte seinen Schwung genommen
Zu ferne hinten über ihn;
Eh daß er konnte widerziehn
Die Stange, der ungeheure Mann,
Da hatte ihm unversehns Tristan
Einen Stich ins Auge beigebracht;
Er stach dem Riesen wohlbedacht
Ins andre Auge einen Stich.
Hiemit so schlug Urgan um sich
Toll und recht wie ein blinder Mann.
Er fing also zu hauen an,
Daß Tristan eilte, fernab zu stehn,
Und ließ ihn rings im Kreise gehn
Schlagend mit seiner linken Hand.
So kam es, daß er an den Rand
Zu nahe seine Tritte nahm,
Daß Tristan dargerühret kam
Und legte an diese Ritterschaft
All seine Macht und seine Kraft:
Er kam gerühret schnell daher,
Mit beiden Händen kehrte er
Und stieß ihn von der Brücken,
So daß zu tausend Stücken
Am Fels der Ungeschlachte
Mit seiner Last zerkrachte.
Hiemit nahm aber mein Herr Tristan,
Der reiche siegbegabte Mann,
Die Riesenhand und kehrte hin
Und kam viel schier, da gegen ihn
Gilan der Herzog geritten kam.
Dem war es innig leid und gram,
Daß sich Tristan je unterfing
Und je zu diesem Kampfe ging,
Da er sich nimmermehr versah,
Daß er genäse, wie doch geschah.
Und als er ihn sah, wie er dort her lief,
Gar fröhlich er ihm entgegen rief:
»A, bien venianz, gentil Tristan!
Seliger Mann, nun saget an,
Wie stets um Euch, seid Ihr gesund?« –
Nun ließ ihn Tristan an der Stund
Die todte Hand des Riesen sehn
Und sagt' ihm, wie da war geschehn,
Sein Glück und sein Gelingen
In allen diesen Dingen.
Deß ward Gilan von Herzen froh.
Sie ritten wieder zur Brücke so
Und fanden, wie sie wußten, dort
Nach Tristans ungelognem Wort
Einen todten, zerschellten Mann
Und sahen den mit Wunder an.
Hiemit so kehrten sie freudiglich;
Den Raub, den trieben sie her vor sich
Mit Freuden wieder in das Land.
Hievon erhob sich allzuhand
Zu Swales im Lande großer Schall,
Und sagte man allüberall
Tristanden Lob und Preis und Ehr;
Zu keiner Zeit ward deren mehr
Gesagt im Lande weit und breit
Von eines Mannes Mannlichkeit.
Nun daß der Herzog und Tristan,
Der reiche siegbegabte Mann,
Hin wieder zu Hause kamen,
Ihr Glück zu Handen nahmen
Mit manchem Wort jetzunder,
Da sprach der Mann der Wunder,
Tristan, zum Herzog allzuhand:
»Herre, ich mahn Euch an Euer Pfand,
An Eure Treu und Eure Pflicht,
Wie unter uns ward aufgericht,
Und wie Ihr gelobtet wider mich.« –
»Gerne, Herr Tristan, das thu ich,«
Sprach Herzog Gilan: »Saget mir,
Was ist Euer Muth? was begehret Ihr?« –
»Herre Gilan, Euch muth ich zu,
Daß Ihr mir gebet Peticriu.« –
Gilan sprach aber: »So rath ich baß.« –
Tristan sprach: »Herre, laßt hören, was. –
Da lasset Ihr mir das Hündelein
Und nehmet die schöne Schwester mein
Und zu ihr die Hälfte von meinem Gut.« –
»Nein, Herr Gilan, das ist nicht mein Muth.
Nun seid gemahnt an Treu und Pfand:
Denn alle Reiche und alle Land,
Die nähme ich wahrlich nicht dafür,
So man es ließe in meiner Kür:
Ich schlug Urganen li Filu
Um andres nicht, als um Peticriu.« –
»In Treuen denn, mein Herr Tristan,
[184]
Liegt Euer Wille baß hieran,
Denn an dem, was ich Euch genannt,
So will ich lösen Treu und Pfand
Und leisten, was Euer Begehren ist:
Ich will auch nimmer Falsch, noch List
Gebrauchen, wie Mancher sonst, hiezu.
Wie recht ungerne, daß ich's thu,
Was Ihr gebietet, das soll sein.«
Hiemit ließ er das Hündelein
Vor sich und vor Tristanden tragen:
»Seht,« sprach er, »Herre, ich will Euch sagen
Und will Euch schwören einen Eid
Auf alle meine Seligkeit,
Daß ich gar nichts erfinden kann,
Auch nichts so Liebes je gewann
(Ohne meine Ehre und mein Leben),
Das ich nicht lieber Euch wollte geben,
Denn dies mein Hündlein Peticriu.
Nun nehmet's hin und habt's in Ruh,
Gott lasse es Euch zu Freuden kommen.
Ihr habt mir zwar an ihm benommen
Das beste meiner Augen Spiel
Und meines Herzens Wonne viel.«
Tristan, da er das Hündelein
Gewonnen in die Hände sein,
Er hätte dawider der Römer Reich
Und alle Reiche der Welt zugleich
Und alle Lande und Meere
Geachtet nicht eine Beere.
Nie war er so froh mit Herz und Sinn,
Außer bei seiner Königin.
Zu seinem Geheimniß er gewann
Von Gales einen Saitenmann,
Einen gefügen, weisen;
Den er begann zu unterweisen
In allen klugen Dingen,
Wie er es sollte bringen,
Das Wundergeschöpf, das holde,
Der Königin Isolde.
Er barg es dem Galeotten
Weislich in seiner Rotten.
Auch schrieb er Briefe und sandte ihr die
Und ließ sie wissen, wo und wie
Er's hätte ihrethalb erjagt.
Der Spielmann, wie ihm ward gesagt
Und wie er unterweiset ward,
Also ging er auf seine Fahrt
Und kam also gen Tintayol
In König Marke's Schloß, so wohl,
Daß ihm auf seiner Straßen nie
In seinen Dingen mißgedieh.
Brangänen zuvörderst, die sprach er,
Hündlein und Briefe gab er der,
Die gab sie ihrer Königin.
Die Königin mit fleißigem Sinn
Sah erst gesammt und besonders dann
Das wunderliche Wunder an,
Das sie an diesem Hündlein fand.
Dem Galeotten allzuhand
Gab sie zehn Mark von Golde
Zu Lohne und zu Solde.
Briefe sie schrieb zuhanden
Und entbot darin Tristanden
Mit fleißigem Begehren,
Er sollte wiederkehren,
Er fände Huld und starke
Gnade bei Herren Marke,
Der gegen ihn jener Märe
Nimmer gedenkend wäre;
Sie hätte es alles hingethan.
Nach diesen Worten that Tristan:
Er kehrte wieder heim zuhand.
König und Hof und Leut und Land
Die boten ihm Ehre, wie vorher.
Der Ehren ward ihm nimmer mehr
Am Hof erboten, denn zur Stund;
Nur daß ihm Mariodoc, der Hund,
Ehr außerhalb des Herzens bot
Und sein Gespann, die Schlange Melot,
Die ihn schon vor bedrohten,
Was die ihm Ehren boten,
Da war viel wenig Ehre bei.
Hie sprechen Alle, wie dem sei,
Da solch ein äußrer Schein geschicht:
Weder ist es Ehre oder nicht?
Ich spreche Nein und spreche Ja;
Nein und Ja, die sind beide da:
Nein an Dem, dem sie ist feil,
Ja an Dem, dem sie wird zu Theil.
[185]
Die Zwei sind beide an diesen Zwein:
Man findet da Ja und findet Nein.
Was ist nun an der Märe?
Es ist Ehr ohne Ehre.
Nun sagte Isolde, die Königin,
Zu ihrem Herren mit schnellem Sinn:
Das Hündlein wäre ihr gesandt
Von ihrer Mutter in Irenland.
Auch ließ sie alsbald machen
Von köstlichen reichen Sachen,
Von Gold und von Geschmeide,
Die da waren der Augen Weide,
Ein Häuslein wonniglich und fein,
Und war ihm da gespreitet drein
Ein reicher Pfelle, auf dem es lag.
So war es Isolden Nacht und Tag
Geheim und in offnem Lichte
Vor ihrem Angesichte.
Sie hatte die Sitte immerdar:
Wo sie nur ritt, wo sie nur war,
Da kam es ihr aus den Augen nicht;
Man führt's oder trug es vor ihr dicht,
Daß sie es konnte mit Augen sehn,
Und wie uns die Märe läßt verstehn,
Nicht wegen seiner Tröstlichkeit,
Sie that's zu erneuen ihr sehnend Leid
Und auch zu Liebe Tristanden,
Der ihr's aus Lieb erstanden.
Ihr Gemach lag nicht an Peticriu,
Sie hatte von ihm nicht Trost, noch Ruh.
Denn die getreue Isolde,
Da ihr das Zarte, Holde,
Zu allererst vor Augen kam
Und sie der Schellen Klang vernahm
Und der ihr Trauern nahm dahin,
Da gedachte sie gleich in ihrem Sinn,
Daß ihr Freund Tristan wäre
Um sie bedrängt mit Schwere,
Und gedachte auch alsbald bei sich:
»O weh, o weh, und freu ich mich,
Wie thu ich Ungetreue so?
Wie mag ich irgend werden froh
Zu einer Stunde, zu einer Frist,
Dieweil er um mich traurig ist,
Der seine Freude und sein Leben
Um mich der Trauer hat ergeben?
Weß mag ich mich freuen ohne ihn,
Deß Leid und dessen Freud ich bin?
Wie kann ich lachen ein einzig Mal,
Seit daß sein Herze fühlt die Qual
Und weiß nicht mehr, was Ruhe sei,
Mein Herze wäre denn dabei?
Er hat kein Leben als in mir:
Sollt ich ohn ihn nun leben hier
In Freuden und froher Märe,
Und daß er traurig wäre?
Nicht wolle Gott, der gute,
Daß ich in meinem Muthe
Jemals ohn ihn eine Freude hab!« –
Hiemit brach sie die Schelle ab
Und ließ die Kette hängen dran.
Nun war der Schelle auch abgethan
Ihre Kraft und ihre Tugend all.
Seit gab sie nimmer einen Schall,
Der also wirkte wie vorher.
Man sagte, daß sie nimmermehr
Verlöschte, noch zerstörte,
Wie viel man sie auch hörte,
Betrübter Herzen Traurigkeit.
Das war Isolden wenig leid:
Sie wollte doch nicht fröhlich sein.
Die treue Sehnerin, stet und rein,
Hatte ihre Freude und ihr Leben
Dem Sehnen und ihrem Freund ergeben.

Die Minnengrotte

[186] Die Minnengrotte.

Aber war Tristan und Isot
Sieghaft der Sorgen und der Noth
Und waren aber des Hofes wohl;
Der war aber ihrer Ehren voll,
Und nie war ihres Lobes mehr.
Sie waren aber, wie vorher,
Vertraulich und gesehen gern
Bei Marke, ihrer Beider Herrn.
Auch bargen sie sich wohl genug:
Denn so sie nicht fanden Statt noch Fug,
So däuchte sie der Wille gut,
Der Gelieben oftmals sanfte thut;
Der Trost und das Vertrauen,
Daß man noch werde schauen,
Woran dem Herzen gelegen ist,
Die geben dem Herzen zu jeder Frist
Lebende Lust und blühende Kraft.
Dies ist die rechte Herzfreundschaft,
Dies sind die besten Sinne
In der Liebe und in der Minne:
Wo man die That nicht haben kann,
Wie es der Minne wohl stünde an,
Soll man der That gern haben Rath
Und nehmen den Willen für die That.
Wo der gewisse Wille ist,
Da ist Erfüllung auch zur Frist.
Man soll das Verlangen stillen
Mit dem gewissen Willen.
Gesellen und Gespielen,
Die sollen nach nichts zielen
Zuwider der Gelegenheit,
Oder sie zielen nach ihrem Leid.
So man nicht mag und dennoch will,
Das ist ein gar undienlich Spiel.
So du wohl magst, dann wolle du:
Bei diesem Spiel geht's reichlich zu;
Da ist kein Herzeleid daran.
Die Gespielen Isolde und Tristan,
So es nicht wollte nach Wunsch gedeihn,
So gaben sie das Zusammensein
Für ihren einigen Willen hin.
Der wirkte in ihrer Beider Sinn
Gar süß und lieblich allezeit
Und aber in großer Unmüßigkeit:
Einige Liebe, einiger Muth,
Die däuchten sie gar süß und gut.
Die Gelieben, die verhahlen
Ihre Liebe zu allen Malen
Vor Marke und dem Gesinde,
So gut es ihnen die blinde
Liebe wollte gestatten,
Die sie stets um sich hatten.
Nun aber ist eifersüchtiger Wahn
Und dessen Same so gethan:
Wo er wird hingetragen,
Daß er mag Wurzeln schlagen,
Da ist er also wucherisch
Und treibt und saftet immer frisch,
Dieweil er in der Feuchte steht,
Daß er da nicht so leicht vergeht
Und nie vergehen wird fortan.
Derselbe unmüßige leide Wahn
Begann aber allzuhanden
An Isolden und Tristanden
Seine Frucht zu treiben und sein Spiel.
Da war der Feuchte gar zu viel,
Der Grüße süß und leise,
Daran man die Beweise
Der Minne sah zu jeder Stund.
Das Wort, das kam aus wahrem Mund:
Wie man auch ihrer hütend sei,
Sie sind doch gerne einander bei,
Das Auge bei dem Herzen,
Der Finger bei dem Schmerzen.
Des Herzens Leitesterne,
Die stehlen sich viel gerne
Hin, da das Herz ist hingewandt.
Auch geht der Finger und die Hand
Gar oft und zu gar mancher Frist
Dahin, wo der Schmerz verborgen ist.
So thaten die Beiden immer:
[187]
Sie mochten's und konnten's nimmer
Um keine Noth sich wehren,
Den Argwohn fort zu nähren
Mit süßen Augenstrahlen
Zu allzu vielen Malen:
Denn leider, wie ich las zur Stund,
Des Herzens Freund, das Auge, stund
Aufs Herz gewendet fort und fort,
Die Hand lag stets am Schmerzensort.
Oft begannen sie unter sich
Augen und Herzen so festiglich
Mit Blicken zu verstricken,
Daß sie aus ihren Blicken
Oft und zu manchen Stunden
Nicht also den Ausweg funden,
Daß Marke nicht darinne
Den Balsam fand der Minne.
Drum nahm er ihrer immer wahr,
Sein Auge, das stund immer dar:
Oft las er heimlich ihnen
Die Wahrheit in den Mienen;
Sonst aber sah er sie an nichts
Als an den Gebärden des Angesichts;
Die entboten so sehnlich süße,
So innigliche Grüße,
Daß es ihm an sein Herze ging
Und ihn mit solchem Zorn befing,
Mit solchem Neid und solchem Haß,
Daß er mit einmal dies und das,
Ob's Zweifel oder Argwohn hieß,
Alles zusammen fahren ließ:
Ihn hatte Leid und Zorn entfacht
Und ganz um Sinn und Maß gebracht.
Es war all seiner Sinne Tod,
Daß seines Herzens Weib Isot
Einen Andern als ihn, den Einen,
In Treuen sollte meinen;
Denn es ging ihm nichts über sie
Von allen Schätzen auf Erden hie,
Und hatte darin steten Muth:
Wie auch entbrannte seine Wuth,
So war ihm je sein liebes Weib
Doch lieb und lieber denn sein Leib.
Wie lieb sie ihm aber mochte sein,
Doch brachte ihn diese stete Pein
Und dieses tobende schwere Leid
In also große Tobenheit,
Daß er die Liebe von sich trieb
Und nur auf seinem Zorn verblieb.
Er hätte nicht gegeben ein Haar,
Wär es gelogen oder wahr.
In diesem blinden Leide
Besandte er sie Beide
Vor seinen Hof zum Palaste dar,
Wo all das Hofgesinde war.
Zu Isolden sprach er offen da,
Daß all der Hof es hört' und sah:
»Meine Frau Isolde von Irenland,
Land und Leuten ist wohlbekannt,
Wie sehr Ihr im Verdachte seid
Nun lange und seit mancher Zeit
Mit meinem Neffen Tristanden.
Nun hab ich mancher Handen
Warte und Hut an Euch gewandt,
Ob Ihr möchtet diesen blinden Brand
Um meinetwillen lassen:
Nun wollt Ihr Euch nicht fassen;
Ich bin doch kein so blinder Mann,
Ich weiß und schau es Euch wohl an,
Offen und in der Stille:
Eure Augen und Euer Wille,
Die sind zu allen Stunden
An meinen Neffen gebunden.
Dem bietet und erzeiget Ihr
Gebärden, süßere denn mir.
An den Gebärden verseh ich mich,
Daß er Euch lieber ist denn ich.
Was ich erdenken mag für Hut
So wider Euren als seinen Muth,
Das schlägt zu keinem Frommen an,
Das alles ist für nichts gethan,
Wie viel ich es auch treibe.
Ich schied Euch doch am Leibe
Wohl hundertmal und hundert,
So daß mich's immer wundert,
Daß Ihr so lange und allezeit
Im Herzen also einig seid.
Eure Blicke, zu meinem Frieden
Hab ich sie oft geschieden,
Und kann doch an euch Beiden
[188]
Die Liebe nimmer scheiden,
Und hab euch das zu viel ertragen.
Nun will ich euch das Ende sagen:
Ich will die Schande und das Leid,
Das ihr mir nun so lange Zeit
Zu meiner Noth habt angethan,
Nicht länger treiben mit euch fortan.
Ich will die Schmach von euch Beiden
Von Stund an nicht mehr leiden.
Auch will ich dies Verbrechen
An euch so sehr nicht rächen,
Als ich mit Rechte sollte,
So ich mich rächen wollte.
Neffe Tristan, meine Frau Isot,
Daß ich euch Beiden dafür den Tod
Oder ein Herzeleid anthu,
Da seid ihr mir zu lieb dazu,
Was ich doch viel ungern gestehe:
Seit ich nun an euch Beiden sehe,
Daß ihr einander allezeit
Wider all meinen Willen seid
Lieber, denn ich euch Beiden bin,
So lebet auch mit einander hin
Nach eurem Willen und Begehr
Und kümmert euch um mich nichts mehr.
Seit eure Liebe so mächtig ist,
So will ich euch von dieser Frist
In keinem von euren Dingen
Beschweren oder zwingen.
Nehmet einander an die Hand
Und räumet mir so Hof als Land.
Denn soll mir Leid von euch geschehn,
So will ich's nicht hören und auch nicht sehn.
Die Gemeinschaft unter uns Dreien,
Die kann nicht fort gedeihen;
Ich lasse sie euch Beiden
Und will mich davon scheiden.
Wie ich mich auch draus löse,
Die Gemeinschaft, die ist böse:
Ich will sie gerne missen.
Ein König, und zu wissen
Um Gemeinschaft in der Minne,
Das zeugt von niedrem Sinne.
Fahrt Beide Gott ergeben,
Heget so Lieb als Leben,
Wie euch fortan zu Muthe sei:
Mit der Gemeinschaft ist's vorbei.«
Nun, dies erging, und dies geschah,
Recht wie es Marke sagte da:
Tristan und seine Fraue Isot,
Sie neigten sich mit mäßiger Noth,
Mit kühlem Herzeleide
Ihrem Herrn dem König Beide,
Darnach dem Hofgesinde dar.
Das innige getreue Paar
Sich an den Händen faßte
Und ging aus dem Palaste.
Ihre treue Brangäne mit Herz und Mund
Hießen sie wohl sein und gesund
Und baten, daß sie bliebe,
Am Hofe die Zeit vertriebe,
Bis daß sie Kunde empfinge,
Wie es ihnen Beiden ginge:
Das befahlen sie ihr hoch und stark.
Tristan, der nahm da zwanzig Mark
Von seiner Isolde Golde,
Für ihn und seine Isolde
Zur Nothdurft und zur Speise.
Auch ließ man ihn auf die Reise
Und auf die Fahrt, wie er begehrt,
Seine Harfe nehmen und sein Schwert,
Seine Birscharmbrust und dazu sein Horn.
Dazu so hatte er ihm erkorn
Aus seinen Bracken einen,
Einen schönen und kleinen,
Derselbe war Heudan genannt;
Den nahm er selber an seine Hand.
Sein Gesinde bat er Gott bewahren
Und hieß sie wieder zu Lande fahren
Zu Herrn Rualen, dem Vater sein,
Ohne den Kurvenal allein;
Denselben behielt er in seiner Schaar.
Dem bot er auch die Harfen dar;
Die Armbrust nahm er selbst zur Stund,
Dazu das Horn und auch den Hund,
Heudanen, nicht den Peticriu.
So schieden die Drei und ritten zu.
Brangäne, die treue, reine,
Die blieb nun seelenalleine
In Trauer und in Schwere.
[189]
Die schwere Trauermäre
Und das viel leide Scheiden
Von ihren Gefreundten beiden,
Das ging ihr so mit Schmerzen
Und also gar zu Herzen,
Daß es ein großes Wunder war,
Daß sie nicht starb vor Leide gar.
Auch schieden jene Beide
Von ihr mit manchem Leide,
Nur daß sie aus gutem Grunde
Sie eine kurze Stunde
Harren und bleiben hießen
Und sie bei Marke ließen,
Daß sie die Sühne nachderhand
Bei Marke brächte für sie zu Stand.
So kehrten die Drei in guter Ruh
Immer und immer der Wildniß zu,
Durch Wald und Haide, und ritten so
Beinahe der Tagereisen zwo.
Da war Tristanden ein hohler Schlund
In einem wilden Berge kund,
Den er zu einer Stunden
Von Aventüre funden;
Da hatte ihn einst beim Jagen
Sein Weg dahin getragen.
Dieselbe Höhle, die war weiland,
Unter der heidnischen Zeit im Land,
Vor Korineïs Jahren,
Da Riesen noch Herren da waren,
Gehauen in den wilden Berg;
Da hatten sie Obdach und Geberg,
So sie sich mit Heimlichkeiten
Der Göttin Minne weihten.
Wo so eine Höhle funden ward,
Dieselbe war mit Erz verwahrt
Und wurde der Minne nach benannt
La fossure a la gent amant,
Der Minnenden Grotte, sagen wir.
Der Name war auch gebührlich ihr.
Auch nennt uns der Aventüre Mund
Die Grotte ein gewölbtes Rund,
Weit, hoch, mit aufrecht graden Streben,
Schneeweiß und ringsum gleich und eben.
Das Gewölbe, das schloß sich oben,
So daß es war zu loben,
Und auf dem Schluß eine Krone war,
Die war gezieret wunderbar
Mit Geschmeide und edlen Steinen,
Das gab ein Leuchten und Scheinen.
Der Estrich unten war glatt und gleich,
Blank wie ein Spiegel, schön und reich,
Von Marmor, grün wie Auen
Im Frühling anzuschauen.
Ein Bette stand inmitten,
Rein aus Krystall geschnitten,
Hoch, weit, wohl auferhaben,
Mit Schriften rings ergraben;
Und sagt uns auch die Märe,
Daß es gewesen wäre
Geweiht der Göttin Minne.
An der Grotten oben inne
Da waren kleine Fensterlein
Des Lichtes wegen gehauen ein,
Die gaben Helle im Felsenhaus.
Und da man einging oder aus,
Da war eine eherne Thür dafür,
Und außen stunden ob der Thür
Vielästiger großer Linden drei,
Und oben keine mehr dabei,
Aber überall hin zuthal
Da stunden Bäume ohne Zahl,
Mit Laub und Aesten strebend,
Dem Berge Schatten gebend.
Und einthalb war eine Pläne,
Da floß eine Fontäne,
Ein frischer kühler Bronne,
Durchlauter wie die Sonne.
Da stunden auch drei Linden drob,
Die waren schön und ganz zu Lob
Und schirmeten den Bronnen
Vor dem Regen und vor der Sonnen.
Auch waren auf der Auen
Lichte Blumen zu schauen
Und grünes Gras bei ihnen,
Die kriegten gar süß und schienen
Eins gegen das andre widerstreit.
Auch fand man da zu seiner Zeit
Das schöne Vogelgetöne.
Das Getöne, das war so schöne
Und schöner denn an jedem Ort.
Augen und Ohren hatten dort
[190]
Weide und Wonne beide,
Die Augen ihre Weide,
Die Ohren ihre Wonne.
Da war Schatte und Sonne,
Da waren Luft und Winde
So sanft und so gelinde.
Von diesem Berg im Kreise
Wohl eine Tagereise
War alles wüste und wilde,
Felsen ohne Gefilde.
Da war keine Gelegenheit
Von Wegen, noch Stegen weit und breit.
Doch wie auch unwegsam und rauh,
So kehrte Tristan und die Frau,
Seine traute Begleiterin,
Dennoch in diese Oede hin
Und nahmen sich Herberge
In dem Felsen und in dem Berge.
Nun sie sich niederließen dort,
Sandten sie Kurvenalen fort,
Am Hofe zu sagen Märe,
Und wo es noch nöthig wäre,
Daß Tristan und die schöne Isot
Mit Jammer und mit mancher Noth
Gen Irland seien gefahren,
Allda zu offenbaren
Ihre Unschuld wider Leut und Land;
Und befahlen, daß er sich allzuhand
Bei Hofe niederließe,
Wie ihn's Brangäne hieße,
Und entböte mit treuem Sinne
Ihre Freundschaft und ihre Minne
An die Reine, die Getreue,
Ihre Freundin ohne Scheue
Und erforschete auch im Stillen,
Wie es stünde mit Marke's Willen;
Ob er nicht einen argen Rath
Zu irgend einer argen That
Wider ihr Leben richtete;
Daß er das gleich berichtete,
Und daß er auch allzuhanden
Isolden und Tristanden
In seine Gedanken nähme
Und je zurücke käme
Mit so gethanen Mären,
Die da entscheidend wären,
Je einmal inner zwanzig Tagen. –
Was brauche ich euch nun mehr zu sagen?
Er leistete, was man ihm gebot.
Hiemit war Tristan und Isot
Eingezogen zu Hause
In dieser wilden Klause.
Viel Manchen treibt jetzunder
Der Fürwitz und das Wunder
Und hat mit Fragen große Noth,
Wie sich Tristan und seine Isot,
Die armen zween Gefährten,
In dieser Wüste ernährten.
Deß will ich ihn berichten
Und seinen Fürwitz schlichten:
Sie sahen Beide einander an,
Und Jedes Speise davon gewann:
Der Wucher, den das Auge trug,
Bot ihnen Leibesnahrung gnug:
Sie aßen nichts darinne
Als hohen Muth und Minne.
Ums Essen und ums Trinken war
Das minnende wohlgemuthe Paar
In gar geringen Sorgen.
Sie hatten ja verborgen
Innen in den Gewanden
Die beste Speise zuhanden,
Die man auf Erden haben kann.
Die trug sich ihnen von selber an,
Je frisch und je aufs Neue:
Das war die reine Treue,
Die gebalsamte Minne,
Die dem Leib und dem Sinne
So inniglich wohl, so sanfte thut,
Die da befeuert Herz und Muth;
Die war ihre beste Nahrung hie.
Fürwahr, und selten nahmen sie
Sonst einer Speise wahr, als der,
Von der das Herze sein Begehr,
Das Auge seine Wonne nahm
Und die auch recht dem Leibe kam;
Hiemit so hatten sie genug:
Liebe zog ihnen ihren Pflug,
Ging ihnen so auf jedem Schritt
Und zu jeglicher Stunde mit
[191]
Und spendete, was man haben muß,
Zu leben in Fülle und Ueberfluß.
Auch machte es ihnen wenig Pein,
Daß sie in der Wüste so allein
Und ohne Leute lebten hin.
Nun, weß bedurften sie auch darin?
Was sollte Jemand zu ihnen dar?
Sie hatten eine gerade Schaar:
Sie waren Eins und Eines
Und bedurften weiter Keines.
Hätten sie Einen dazu erlesen,
So wären sie ungerad gewesen
Und mit dem Ungeraden
Ueberlastet und beladen.
Ihrer Beider Genossenschaft,
Die war den Beiden so schaarenhaft,
Daß der gesegnete Artus nie
Daheime bei seiner Massenie
Ein Fest gewann um seinen Thron,
Daß ihnen größere Lust davon
Und Wonne wär entstanden.
Man hätte in allen Landen
Nicht Eine Freude funden,
Die sie Zwei zu den Stunden
Zum Haushalt unter ihnen Zwein
Hätten gekauft um ein Glasringlein.
Was Jemand konnte ertrachten,
Fürs höchste Leben achten,
In jeglichem Land und Himmelsstrich,
Das hatten sie alles da bei sich.
Sie hätten um ein besser Leben
Nicht eine Bohne hergegeben,
Wenn's nicht um die Ehre gewesen wär.
Und weß bedurften sie auch da mehr?
Sie hielten Hof, sie hatten Gut,
Darauf die Freude all beruht.
Ihr stetes Ingesinde,
Das war die grüne Linde,
Der Schatte und die Sonne,
Die Aue und der Bronne,
Blumen und Gras, Laub und Blüth,
Was tröstet Augen und Gemüth.
Ihr Dienst, das war der Vogelschall:
Die kleine reine Nachtigall,
Drossel und Amsel obendrein
Und andere Waldvögelein,
Der Zeisig und Galander,
Die dienten wider einander
In die Wette und in Widerstreit.
Dies Gesinde diente zu aller Zeit
Ihrem Ohr und ihrem Sinne.
Ihre Hochzeit war die Minne,
Die übergoldete ihre Lust
Und brachte ihnen in Aug und Brust
Des Tags wohl manche Stunde
Artusens Tafelrunde
Mit aller ihrer Massenie.
Was bedurften sie bessere Nahrung hie
Dem Muthe und dem Leibe?
Da war doch Mann bei Weibe,
So war auch Weib bei Manne:
Da fehlte keine Spanne.
Sie hatten, was sie sollten,
Und waren, da sie wollten.
Nun treiben aber ihrer gnug
Ihr Wesen mit Lärm und wenig Fug,
Dazu ich doch nicht stimmen will:
Sie sagen, zu sothanem Spiel
Da gehöre noch andre Speisung bei.
Da weiß ich nicht recht, ob's so sei.
Mich dünket es genug hieran.
Ist aber hie ein andrer Mann,
Der Nahrung, die da baß macht satt,
An diesem Leben erforschet hat,
Der rede, wie es ihm bewußt:
Ich ging auch je und je mit Lust
Also gethane Lebensbahn:
Da däuchte es mich genug daran.
Nun soll euch nicht verdrießen,
Wenn ich euch will erschließen,
Mit welchem Sinn ich meine,
Daß die Grotte im Gesteine
Bereitet war in ihrem Maß.
Sie war, wie ich zur Stunde las,
Gewölbt, weit, hoch, mit graden Streben,
Schneeweiß und ringsum gleich und eben.
Die runde Wölbung drinne,
Das ist Einfalt in Minne:
Einfalt, die ziemt der Minne wohl,
Die keinen Winkel haben soll;
[192]
Der Winkel, der an der Minnen ist,
Das ist Argheit, falsche Kunst und List.
Die Weite, das ist der Minnen Kraft,
Denn ihre Kraft ist unendehaft.
Die Höhe, das ist der hohe Muth,
Der sich auf in die Wolken thut:
Demselben ist auch nichts zu viel,
Dieweil er hinauf sich heben will,
Wo sich der Tugenden Fug und Guß
Zusammen wölbt in einen Schluß.
Und der zerfällt auch nimmer:
Die Tugenden, die sind immer
Mit Lobe so vereinet,
Gekrönet und gesteinet,
Daß wir, die nieder sind gemuth,
Wir, deren Muth sich niederthut
Und an dem Estrich schwebet,
Ja, weder schwebt noch klebet, –
Wir schauen immer auf gen Berg
Und schauen oben an das Werk,
Das da aus ihrem Lob besteht,
Von ihren Tugenden niedergeht,
Die ob uns in den Wolken schweben
Und ihren Schein hernieder geben:
Da schaun wir nach den Wunderdingen,
Und hievon wachsen uns die Schwingen,
Mit denen der Muth in die Höhe fleugt,
Fliegend aus Tugenden Lob erzeugt.
Die Wand war weiß und eben ganz:
Das ist der Wahrheit Art und Glanz,
Deren Weiße und gleicher Schein
Soll nimmermehr gesprenkelt sein;
Auch soll ihr kein Argwohn böser Sachen
Weder Bühel, noch Grube machen.
Der Estrich, der von Marmor war,
Der gleicht der Stete ganz und gar
An Grüne und an Feste:
Der Sinn ist ihm der beste
An Glätte und Farbenscheine:
Die Stete sei, die reine,
Mit Rechte saftgrün als wie Gras,
Glatt und durchlauter als wie Glas.
Das Bett inmitten drinne
War der krystallenen Minne
Nach ihrem Namen recht benannt:
Er hatte ihr Recht viel recht erkannt,
Der ihr machte aus Krystall bereit
Ihr Lager und ihre Gelegenheit:
Die Minne soll auch krystallen, rein,
Durchsichtig und durchlauter sein.
Innen an der ehernen Thür,
Da gingen auch zween Riegel für.
Eine Klinke war auch innen
Mit kundiglichen Sinnen
Hinausgeleitet durch die Wand,
Allda sie auch Tristan erfand;
Die meisterte ein Heftelein,
Das da von außen ging hinein
Und sie handhabte hin und dar.
Nicht Schloß daran, noch Schlüssel war,
Und will euch sagen, warum:
Das Schloß, das fehlte darum:
Was man Gerüstes für die Thür,
Ich meine außerhalb dafür,
Zum Hemmen oder Verschließen thut,
Das deutet alles auf falschen Muth;
Eingehn zur Thür der Minnen,
Wen man nicht einläßt drinnen,
Das ist nicht Minnen Art, noch Fug,
Das ist Gewalt oder ist Betrug.
Darum so steht dem Minnenthor
Dieselbe eherne Thüre vor,
Die Niemand kann gewinnen,
Er gewinne sie denn mit Minnen.
Auch ist sie ehern, merket hie,
Daß kein Gerüste gegen sie,
Weder von Gewalt, noch Kraft,
Weder von List, noch Meisterschaft,
Von Falschheit, noch von Lüge
Zum Sprengen oder Brechen gnüge.
Und innen die zween Riegel,
Der Minne zwei Insiegel,
War jeder dem andern zugewandt
An einem Ende je der Wand,
Von Cedernholz der eine,
Der andre von Helfenbeine.
Vernehmet die Deutung beeder:
Der eine von der Ceder,
Der meinet an der Minne
Die Weisheit und die Sinne;
[193]
Der Riegel von Helfenbeine
Die Keuschheit und die Reine.
Mit diesen zwein Insiegeln,
Mit diesen reinen Riegeln
Ist zugethan der Minnen Haus,
Falsch und Gewalt geschlossen aus.
Die heimliche Handhabe,
Von der ich gesprochen habe,
Die von außen ging zur Klinken hin,
Das war eine Spille, nur von Zinn,
Dagegen mit Recht die Klinke war
Von lautrem Golde ganz und gar.
Heft und Klinke, diese und das,
Die konnten beide nimmer baß
In ihrer Weise sein vollbracht.
Das Zinn, das ist die Willensmacht
Zu heimlich stillen Dingen;
Das Gold ist das Gelingen.
Zinn und Gold stehn wohl hier an:
Seinen Sinn, den mag ein jeder Mann
Nach seinem Willen leiten,
Schmälern oder breiten,
Kürzen oder längen,
Weiten oder engen,
So oder so, her oder hin,
Mit leichter Mühe, gleichwie Zinn;
Und ist da wenig Schaden dran:
Wer aber mit rechter Güte kann
Auf Minne wenden seinen Sinn,
Fürwahr, den trägt dies Heft von Zinn,
Das arme schlechte Stücke
Trägt ihn zu goldnem Glücke
Und lieber Aventüre.
Oben in die Fossüre,
Da waren nur drei Fensterlein,
Dadurch die Sonne mit ihrem Schein
Gar heimlich konnte schauen,
Durch den ganzen Stein gehauen.
Dieselben hießen Güte,
Demüthiges Gemüthe
Und Zucht. Zu diesen Dreien ein,
Da geht und lacht der süße Schein,
Der selige Gast, der hehre,
Der Lichter bestes, Ehre,
Und erleuchtet die Fossüre
Köstlicher Aventüre.
Auch hat es Sinn und klinget fein,
Daß die Fossüre so allein
In dieser wüsten Wildniß lag,
Was man dem wohl vergleichen mag,
Daß Minne und ihre Gelegenheit
Nicht liegen an der Straße breit,
Noch nahe beim Gefilde:
Sie lauschet in der Wilde.
Zu ihrer Klause ist die Fahrt
Mit Noth und Mühsal wohl verwahrt.
Die Berge liegen um sie her
In manchem Bogen kreuz und quer
Verschoben hin und wieder;
Die Steige sind auf und nieder
Uns armen Märtyrern allen
Mit Felsen so zerfallen,
Daß, gehn wir nicht recht dem Pfade mit,
Versehen wir's an einem Tritt,
Wir aus den Irrgewinden
Uns nimmer zurechte finden.
Wer aber mag so selig sein,
Daß er zur Wildniß kommt hinein,
Was er auch Müh und Arbeit fand,
Die ist glückselig aufgewandt:
Er findet da des Herzens Spiel,
Und was das Ohr vernehmen will,
Und was dem Auge lachen soll,
Deß alles ist die Wildniß voll:
So wäre er ungern von dem Ort.
Dies weiß ich wohl, denn ich war dort:
Ich hab auch in der Wilde
Dem Vogel und dem Wilde,
Dem Hirsche und dem Thiere
Durch manche Waldreviere
Mit Pfeilen nachgejagt und Hunden
Und aber so getäuscht die Stunden,
Daß ich noch niemals kam zum Bast.
Meine Mühsal und all meine Last
Blieb ohne Aventüre.
Ich fand an der Fossüre
Das Heft und sah die Klinken,
Sah auch zu Stunden blinken
Jenen Kristall inmitten.
Den Reihen bin ich geschritten
[194]
Gar ofte her und ofte hin,
Hab aber nie geruht darin.
Und aber den blanken Estrich gar,
Wie marmorhart er immer war,
Den hab ich mit Tritten so beschwert,
Hätt ihn die Grüne nicht ernährt,
An der seine meiste Tugend ist,
Von der er wächst zu jeder Frist,
Man spürte wohl der Minne
Leibhaftige Spuren drinne.
Auch hab ich an die lichte Wand
Meine Augen zu ihrer Lust gewandt
Und oben am Zusammenfug,
An dem Gewölb und Schluß genug
Mit Blicken mich geflissen,
Meine Augen viel verschlissen
An der Gezierde und Krone drob,
Die so gestirnet ist mit Lob.
Die sonnespendenden Fensterlein,
Die haben mir oft ins Herze mein
Ihr Licht und ihren Glast gesandt.
Mir ist die Grotte wohl bekannt
Und schon seit meinem eilften Jahr,
Der ich doch nie in Kornwall war.
Das Paar, das treue, holde,
Tristan und seine Isolde,
Sie hatten in der Wilde
Zu Wald und zu Gefilde
Ihre Muße und Unmüßigkeit
Gar süß bestellet und bereit:
Sie waren zu allen Zeiten
Einander an der Seiten.
Des Morgens in dem Thaue
So schwebten sie zur Aue,
Da Blumen und Gras zuhanden
Vom Thau erkühlet standen.
Die kühle Prärie im Morgenschein,
Die mußte dann ihr Vergnügen sein.
Da wandelten sie her und hin,
Sprachen zusammen mit holdem Sinn
Und lauschten unterm Gange
Dem süßen Vogelsange.
Und alsdann nahmen sie einen Schwang
Hin, da der kühle Bronne klang,
Und lauschten seinem Klange,
Seinem Gleiten und seinem Gange
Zur Pläne mit stillen Fluthen;
Da saßen sie und ruhten
Und lauscheten dem Gießen
Und schauten auf das Fließen,
Und war das ihre Wonne.
Als aber die lichte Sonne
Begann sich zu erheben,
Die Hitze herab zu schweben,
So gingen sie zur Linden
Nach den linden Winden;
Die spendete ihnen aber Lust
Außen und innerhalb der Brust.
Sie erfreuten Sinn und Augen hie.
Die Linde süßete für sie
Luft und Schatten mit ihrem Blatte.
Die Winde machte ihr süßer Schatte
Gar süß, kühl und gelinde.
Die Ruhebank der Linde,
Das war von Blumen und Grase
Der bestgemalte Rase,
Der je um eine Linde war.
Da saßen sie zu einander dar,
Die sehnenden Getreuen,
Ihre Mären zu erneuen
Von Sehnenden, die vor Jahren
Durch Liebe verdorben waren.
Sie beredeten und besagten,
Sie betrauerten und beklagten
Die thracische Phyllis und ihr Weh,
Und was die arme Kanace
Durch Minne ward Schmerzen inne,
Und Byblis, der aus Minne
Zu ihrem Bruder das Herze brach.
Sie sprachen von dem Ungemach
Der Königin von Sidone,
Der sehnenden Didone,
Der ihre Liebe zu Leid gedieh.
Mit solchen Mären waren sie
Unmüßig unter Stunden.
So sie aber solcher Kunden
Vergessen wollten und fröhlich sein,
So schlichen sie zur Klausen ein
Und nahmen aber zu Handen,
Dran sie ihre Freude fanden,
[195]
Und ließen dann erklingen
Ihr Harfen und ihr Singen
Mit sehnlichem süßem Gruße.
Da wechselten sie Unmuße
Mit Händen und mit Zungen:
Sie harfeten und sie sungen
Leiche und Noten der Minne.
Sie wandelten darinne
Ihr Wonnespiel, wie's ihnen kam.
Welches von ihnen die Harfe nahm,
So war es je des Andern Art,
Daß es ihm je gar süß und zart
Und sehnlich dazu die Noten sang.
Auch lautete jedweder Klang
Der Harfen mit der Zungen,
So sie in einander klungen,
So süß und lieblich überein,
Daß ihre Klause wohl und fein
Zur süßen Minne ward benannt
La fossure a la gent amant.
Was aber von der Fossüre
Von alter Aventüre
Vorhin je war bemäret,
Das ward erst hie bewähret.
Die wahre Wirthin, Minne,
Die hatte sich darinne
Nun erst recht an ihr Spiel gemacht:
Was eh darinne ward vollbracht
Von Kurzweil oder Minnenspiel,
Das lief nicht hin zu diesem Ziel:
Es war nicht in des Herzens Schrein
So lauter, noch so herzensrein,
Wie das Spiel dieser Beiden hie.
Mit Minne die Zeit verbrachten sie,
Daß Minnende lebten nimmer baß:
Sie thaten nichts denn alles das,
Wozu sie ihr Herz und Wille trug.
Der Kurzweil gab's am Tag genug,
Die sie da suchten und funden:
Sie ritten unter Stunden,
Wenn das war ihr Behagen,
Mit der Armbrust auf das Jagen
Und birschten in der Wilde
Nach Vögeln und nach Wilde.
Auch gingen sie zu Zeiten
Dem Rothwild nachzureiten
Mit Heudan ihrem Hunde,
Der sonst mit stummem Munde
Nicht war gewohnt zu jagen,
Nun aber in kurzen Tagen
Von Tristan hatte gelernt die Birsch
So auf das Thier als auf den Hirsch,
Nach jeder Art von Wilde,
Durch Wald und durch Gefilde,
So daß er auf der Fährte lief
Und doch nicht anschlug oder rief.
Mit dem vertrieben sie manchen Tag,
Nicht etwa, wie man glauben mag,
Aus Nothdurft und zum Unterhalt:
Der Kurzweil ihr Gebirsche galt,
Die ihnen aus dem Jagen floß.
Sie übten Bracken und Geschoß,
Das weiß ich und ist mir wohl bewußt,
Viel mehr zu ihres Herzens Lust
Und ihren Muth zu stillen,
Als um der Nahrung willen.
Ihr Geschäft und ihre Unmüßigkeit
War allewege und allezeit
Nichts, als was ihnen Lust gebar
Und ihrem Muth geziemlich war.
Unter währender dieser Zeit
Hatte groß Ungemach und Leid
Der trauervolle Marke;
Deß Trauer war eine starke.
Er trauerte um Ehr und Weib,
Und ward ihm täglich Seel und Leib
Je mehr und mehr beschwerlich,
Ehre und Gut entbehrlich.
So ritt er in selben Tagen
Zum selben Walde jagen,
Mehr um sein Leid zu stillen,
Denn Abenteuers willen.
Nun sie zum Walde kamen,
Die Jäger die Hunde nahmen
Und fanden da ein Rudel stehn;
Da ließen sie die Hunde gehn,
Und an derselben Stunde
Schieden des Königs Hunde
Einen seltnen Hirsch ab von dem Troß,
Der hatte die Mähne wie ein Roß,
[196]
War weiß, groß, wuchtig ungemein,
Die Stangen unansehnlich, klein,
Kaum wieder aufgesprossen,
Als ob er sie abgestossen
Erst hätte vor gar kurzer Zeit;
Den jagten sie in Widerstreit
Und mit Gewalt nachtrabend
Bis tief hin in den Abend.
Zuletzt verfehlten sie die Spur,
Also daß ihnen der Hirsch entfuhr
Und seine Flucht hin wieder nahm,
Von dannen er auch zur Grotte kam
Hinsetzend über Gestein und Gras:
Alldahin floh er und genas.
Nunmehr verdroß es Marken sehr,
Dazu die Jäger noch viel mehr,
Daß ihnen so am Hirsch geschah,
Da man ihn doch so fremde sah
An der Farbe und am Mähnenhaar,
Und war unmuthig die ganze Schaar.
Sie koppelten die Hunde wieder
Und ließen sich die Nacht da nieder,
Denn ihnen war Allen Ruhe Noth.
Nun hatte auch Tristan und Isot
Den ganzen Tag lang wohl vernommen,
Den Schall, der in den Wald war kommen
Von Hörnern und von Hunden,
Und dachten an den Stunden,
Es könne Niemand als Marke sein.
Da hatten sie große Noth und Pein:
Mit schwerem Herzen sorgten sie,
Sie wären ihm verrathen hie.
Des andern Tages in der Fruh,
Da fuhr der Jägermeister zu,
Eh daß er sähe das Morgenroth;
Seinen Unterthanen er gebot,
Daß man warte, bis es tage,
Und ihm alsdann nachjage.
An seine Leine nahm er dar
Einen Bracken, der ihm gefällig war,
Und brachte ihn auf die Fährte.
Der leitete ihn und kehrte
Manch unwegsame Pfade
Ueber Felsen krumm und grade,
Ueber Gras und über Gestein empor
Und hinunter, da ihm der Hirsch zuvor
Gestrichen und geflohen war;
Dem folgte er auf der Fährte dar,
Bis daß die Schlucht ein Ende nahm,
Die Sonne in die Höhe kam:
Da war er auf Tristans Pläne
Und stand bei der Fontäne.
Desselben Morgens war Tristan dort
Und sein Gespiel geschlichen fort,
Bei Händen traut befangen,
Und kamen hingegangen
Gar früh und in dem Thaue
Auf die geblümte Aue
Und in das wonnigliche Thal:
Galander und Nachtigall zumal
Begannen zu organiren,
Ihr Gesinde zu saluiren;
Sie grüßten fleißig die Holden,
Tristanden und Isolden.
Die wilden Waldesvögelein,
Die hießen sie willkommen sein
Gar süß in ihrem Lateine.
Manch süßem Vöglein kleine,
Dem waren sie da hoch willkommen.
Sie hatten sich alle angenommen
Gar wonniger Unmuße:
Den Gelieben zwein zum Gruße
Sangen sie von dem Reise
Ihre wonnebringende Weise
In manchen Wandelungen,
Mit mancher süßen Zungen,
Die da schantoit und discantoit
Ihre Schanzune und Refloit
Den Liebenden zur Wonne.
Sie empfing der kühle Bronne,
Der gegen ihre Augen schön entsprang
Und schöner in ihre Ohren klang,
Raunend ihnen entgegen ging,
Mit seinem Raunen sie empfing:
Er raunete gar süße
Gegen sie seine Grüße.
So grüßten sie auch die Linden
Mit den viel süßen Winden,
Erfreuten außen und innen
Ihre Ohren und ihre Sinnen.
[197]
Die Bäume mit ihrer Blüthe,
Die Aue, die licht erglühte,
Die Blumen, das ingrüne Gras,
Und alles, das da blühte, das
Sah ihnen lachend ins Angesicht.
Auch grüßte sie, funkelnd im Morgenlicht,
Der Thau mit seiner Süße:
Er kühlte ihre Füße
Und sänftete ihre Herzen gar.
Als dessen genug geschehen war,
So schwebten sie wieder ins Gestein
Und kamen unter sich überein,
Was sie thäten zu dieser Stunde,
Da sie sorgten von Herzensgrunde
Und fürchteten, wie es auch geschah,
Daß irgend Jemand ihnen nah
Durch diese Hunde käme,
Ihre Heimlichkeit vernähme.
Da fand nun Tristan einen Sinn,
Und wurden sie Beide einig drin:
Sie gingen zu ihrem Bette wieder
Und legten sich da wieder nieder,
Von einander wohl manche Spanne,
Recht so wie Mann bei Manne,
Nicht wie man siehet Mann und Weib.
Da lag einander Leib und Leib
Zuwider, wie man selten pflegt.
Auch hatte Tristan noch gelegt
Sein bloßes Schwert hin zwischen sie.
Hinwärts lag er, herwärts lag sie.
Sie lagen sonder, Eins und Ein:
So schliefen sie zusammen ein.
Der Jäger, von dem ich sprach zur Stund,
Der zum Brunnen kam mit seinem Hund,
Der spürte in dem Thaue,
Da Tristan und seine Fraue
Vor ihm gegangen waren hin.
Hiemit so fiel er auf den Sinn,
Es wäre des Hirschen Wechsel nur:
Er stieg vom Roß und nahm die Spur
Und ging demselben Pfade mit
Recht in der Zweie Schritt und Tritt
Bis hin vor der Fossüre Thür.
Da gingen zween Riegel aber für:
Er konnte da nicht fürbaß kommen.
Nun ihm der Weg da war benommen,
Versuchte er's im Bogen krumm
Und ging um die Grotte rings herum
Und fand von Aventüre
Oben an der Fossüre
Ein verborgenes Fensterlein;
Da lugte er mit Furcht hinein
Und sah zuhand darinne
Das Gesinde der Minne,
Nichts als ein Weib und einen Mann.
Die sah er auch mit Wunder an:
Ihn däuchte von dem Weibe,
Daß nie von Weibes Leibe
Ein Geschöpf so auserkoren
Wurde zur Welt geboren.
Jedoch sah er unlange dar,
Denn alsbald da er ward gewahr
Das Schwert, das da lag also bloß,
Da war sein Schrecken aber groß,
Und machte sich von hinnen;
Ihm däuchte, es sei da drinnen
Etwas von wilden Dingen:
Das begann ihm Furcht zu bringen.
Er kehrte den Felsen wieder nieder
Und ritt hin zu den Hunden wieder.
Nun war auch der König balde
Seinen Jägern im Walde
Auf seiner Fährte zuvor geritten
Und traf ihn auf dem Wege mitten.
»Seht!« sprach der Jäger athemlos:
»Herr König, ich sag Euch Märe groß:
Ich habe zu diesen Stunden
Schön Abenteuer funden.« –
»Sag an, was Aventüre?« –
»Eine Minnenfossüre.« –
»Wo fandest du die oder wie?« –
»Herre, in dieser Wildniß hie.« –
»In dieser wüsten Wilde?« – »Ja.« –
»Ist aber Jemand Lebendes da?« –
»Ja, Herre König, es ist allhier
Eine Göttin und ein Mann bei ihr;
Die liegen auf einem Bette
Und schlafen in die Wette.
Der Mann ist wie ein andrer Mann:
Nur hab ich meinen Zweifel dran,
[198]
Ob sein Geschlafe nebenbei,
Ob das ein menschlich Wesen sei.
Die ist schöner denn eine Feine:
Vom Fleische, noch Gebeine
Konnte auf dieser Erden
Nichts also Schönes werden.
Und aber ein Schwert, schön, blank und bar,
Das liegt da zwischen ihnen dar,
Ich weiß nicht, Herre, mit welchem Sinn.«
Der König sprach: »Weise mich hin.«
Der Jägermeister führte ihn fort
Hin durch die Wilde bis an den Ort,
Da er vom Rosse gesprungen war.
Der König sprang auf den Rasen dar
Und schritt empor zur Pforte;
Der Jäger hielt am Orte.
Nun Marke, der kam hin zum Thor,
Das ließ er, wandte sich davor
Nach außen am Steingewende:
Und an des Gesteines Ende,
Da nahm er manche Kehre
All nach des Jägers Lehre.
Da fand er auch ein Fensterlein
Und sandte die Augen auch hinein
Zu Liebe und zu Leide.
Die sah er auch da Beide
Liegend auf dem Krystall empor
Und immer noch schlafend wie zuvor.
Er fand sie, wie sie auch Jener fand,
Wohl von einander abgewandt,
Das dahin, Das dorthin gekehrt,
Und zwischen ihnen das bloße Schwert.
Er erkannte den Neffen und sein Weib:
Sein Herz in ihm und all sein Leib
Die erkalteten, beide,
Vor Liebe und auch vor Leide.
Diese fremde Gelegenheit,
Die war ihm lieb und war ihm leid;
Lieb meine ich ob dem guten Schein,
Als wären sie von Schulden rein,
Leid, daß er sie doch beisammen sah.
In seinem Herzen sprach er da:
»Gnädiger Gott und Herre mein,
Was mag an diesen Dingen sein?
Wenn unter ihnen geschehen ist,
Was ich argwöhnte so lange Frist,
Wie können sie also liegen dann?
Ein Weib soll doch dem lieben Mann
In den Armen zu allen Zeiten
Kleben an seiner Seiten:
Wie liegen diese Gelieben so?«
Und aber sprach er, halb schon froh:
»Ist denn etwas an der Geschicht,
Ist hie Schuld, oder ist sie nicht?« –
Hiemit war aber der Zweifel da:
»Schuld?« sprach er, »meiner Treuen, ja.«
»Schuld?« sprach er, »meiner Treuen, nein.«
Dies trieb er so mit diesen zwein,
Bis aber der pfadlose Mann
Marke zu zweifeln neu begann
An ihrer Beider Minne.
Minne, die Sühnerinne,
Die kam dazu geschlichen,
Schön und wohl aufgestrichen
Mit wundersamem Fleiße;
Da trug sie auf das Weiße
Gemalt in ihren Zügen
Das goldne Wort der Lügen;
Mit ihrer besten Farbe, Nein!
Das leuchtete mit goldnem Schein
Dem König in sein Herze.
Von seinem andern Schmerze,
Dem ungenehmen Worte Ja,
Sah Marke keine Spur mehr da;
Das war mit einmal hingethan,
Da war kein Zweifel mehr, noch Wahn:
Der Minne Uebergolderin,
Die goldne Unschuld, zog ihn hin,
Sie zog ihm Augen und Sinne
Mit lockendem Gewinne
Hin, da der österliche Tag
All seiner Herzensfreuden lag.
Er schauete auf die holde
Seines Herzens Wonne Isolde;
Auch sah er an ihr in voriger Zeit
Nie solche Schöne und Lieblichkeit.
Die Märe spricht von Glühen,
Weiß nicht von welchen Mühen,
Daß sie erhitzet sollte sein:
Ihre Farbe leuchtete und ihr Schein
[199]
So süße und so lose
Wie eine gemischte Rose
All in die Höhe zu dem Mann;
Ihr Mund, der glühete und brann,
Wie feurige Kohlen brennen.
Ja, nun kann ich erkennen,
Was diese Mühe gewesen:
Sie war, wie ich gelesen,
Des Morgens in dem Thaue
Geschwebet zu der Aue
Und war davon entbronnen.
So kam auch von der Sonnen
Ein kleiner Strahl gegangen,
Der schien ihr auf die Wangen
Und leuchtete ihr auf Kinn und Mund.
Zwei Wunder hatten sich an der Stund
Zu einem Spiel verbündet,
Sich Licht an Licht entzündet.
Die Sonne und die Sonne,
Die hatten eine Wonne
Und eine Hochzeit angericht
Isolden zu einem Wunderlicht.
Ihr Kinn, ihr Mund, ihre weiße Haut
War so recht wonniglich, so traut,
So lieblich und so anmuthvoll,
Daß Marken Muth und Herze schwoll:
Ihm kam ein Verlangen und ein Gelüst,
Er hätte sie gar zu gern geküßt.
Minne, die warf ihre Flammen an,
Minne entflammete den Mann
Mit der Schöne ihres Leibes:
Die Schöne dieses Weibes,
Die lockte ihm seine Sinne
Zu ihrer Lieb und Minne.
Sein Auge, das stund immer dar,
Er nahm mit ganzem Herzen wahr,
Wie schön aus den Gewanden
Ihr Hals und Busen standen,
Ihre Arme und ihre Hände.
Sie hatten ohne Gebände
Ein Schapel auf, das war von Klee.
Sie däuchte ihren Herren mehr denn je
Lustsam gethan und wonnebar.
Nun er der Sonnen ward gewahr,
Die ihr von oben durch den Stein
Aufs Antlitz fiel mit lichtem Schein,
Da sorgte er von Herzen,
Es möcht ihre Farbe schwärzen,
Nahm Gras, Laub, Blumen, was er fand,
Verstopfte das Fenster mit eigner Hand
Und bot ihr seinen Segen,
Bat ihrer Gott zu pflegen,
Und weinend schied er, dies gethan.
Er kehrte als ein betrübter Mann
Zu seinen Hunden wieder,
Legte sein Jagen nieder
Und hieß zur selben Stunden
Die Jäger mit den Hunden
Wieder zu Hause kehren hin.
Das that er aber mit diesem Sinn,
Daß Niemand anders käme dar,
Der ihrer würde allda gewahr.
Kaum war der König gegangen hin,
Erwachten Die in der Grotte drin.
Nun sie sich begannen umzusehn
Und nach dem Sonnenschein zu spähn,
Da schien die Sonne nicht herein
Durch drei, nur durch zwei Fensterlein.
Nun nahmen sie des dritten wahr,
Und als sie es fanden des Lichtes bar,
Da waren sie verwundert sehr.
Nun warteten sie auch nicht mehr:
Sie hoben sich vom Bett empor
Und gingen vor der Grotte Thor.
Blumen und Kräuter, Laub und Moos,
Und was das Fensterlein verschloß,
Dasselbe fanden sie zuhand.
Auch spürten sie zwei durch den Sand
Ob der Fossüre und davor
Beides hinab und auch empor
Mannes Tritte und Spuren,
So daß sie zusammenfuhren
Und fürchteten sich nicht wenig:
Sie dachten da, der König
Wär irgendwie gekommen dar
Und hätte ihrer genommen wahr.
Das war ihr Wahn zur Stunde;
Aber gewisse Kunde,
Die hatten sie der Sache nicht.
Doch war ihre beste Zuversicht,
[200]
Wer sie auch funden hätte,
Daß er sie an der Stätte
So von einander abgewandt
Und in der Weise liegend fand.
Der König berief zuhanden
Am Hof und in den Landen
Seinen Rath und seine Magen,
Zu rathen und Rath zu fragen.
Er sagte und that ihnen kund,
Wie ich euch sagte zu dieser Stund,
Wie er sie hätte gesehen,
Und daß er kein Vergehen
Wollte glauben von den Holden,
Tristanden und Isolden.
Sein Rath, der merkte allzuhand,
Wie es um seinen Willen stand
Und wie seine Rede war gethan:
Daß er gern sie nähme wieder an.
Sie riethen, wie die Weisen thun,
Darnach ihm stand das Herze nun
Und wie er selber wollte,
Daß er besenden sollte
Sein Weib und seinen Neffen,
Seit sie nicht zu betreffen
Auf argen Dingen wären,
Auch er sich böser Mären
Zu ihnen nicht versähe mehr.
Man besandte Kurvenalen her,
Und ward der zu ihnen Beiden
Als Bote hin bescheiden,
Der sie da wußte zu treffen.
Der König entbot dem Neffen
Und auch der Königinne
Seine Huld und seine Minne,
Und daß sie kommen sollten
Und auch hinfort nicht wollten
Sich eines Args zu ihm versehn.
Dies ward gethan, dies war geschehn.
Er sagte ihnen Marke's Muth:
Dies däuchte den Gelieben gut,
Und wurden in ihren Herzen froh.
Die Freude hatten sie aber so
Viel mehr um Gottes Segen
Und ihrer Ehre wegen,
Als was sonst irgend auf Erden ward.
Sie kehrten wieder auf ihre Fahrt
Zu ihren Ehren wie vorher.
Sie wurden aber nimmermehr
In allen ihren Jahren
So heimlich, wie sie waren,
Noch fanden sie ihrem Willen seit
So guten Fug wie vor der Zeit.
Jedoch war Marke Schritt für Schritt
Und Hof und Hofgesinde mit
Auf ihre Ehre stark bedacht.
Sie waren aber auf ihrer Acht
Und wurden nicht frei und offen mehr.
Marke, der Zweifler, hatte sehr
Gebeten und geboten
Tristanden und Isoten,
Daß sie um Gott und seinetwegen
Sollten hinfort des Maßes pflegen
Und die viel süßen Stricke
Der inniglichen Blicke
Vermeiden und entbehren,
Und nicht so heimlich wären,
Noch so vertraulich wie sonst je.
Dies Gebot that den Gelieben weh.

Frauenhut

Frauenhut.

Marke war aber in Freuden sehr:
Zu seinen Freuden hatte er
An seinem Weibe, der Königin,
Was nur begehrte sein Herz und Sinn;
Aber allein am Leibe:
Er hatte von seinem Weibe
Minne und Liebe keine,
Noch all der Ehren eine,
[201]
Die Gott der Herr je werden ließ,
Nur daß sie in seinem Namen hieß
Eine Fraue und Königin hochgeboren,
Dazu er als König sie erkoren.
Dies nahm er alles hin für gut
Und trug ihr allen holden Muth,
Als ob er ihr viel lieb wäre.
Dies war die dumpfe schwere
Blindheit, die herzelose Nacht,
Auf die ein Sprichwort ist erdacht,
Das heißt: Blindheit der Minnen,
Die blendet außen und innen;
Sie blendet die Augen und den Sinn,
Daß die nicht wollen sehen hin,
Wenn sie auch noch so deutlich sehn.
So war dem König auch geschehen:
Er wußte es wahr wie seinen Tod
Und sah wohl, daß sein Weib Isot
Mit ihrem Herzen und Sinne
Auf seines Neffen Minne
So gänzlich war beflissen,
Und wollte es doch nicht wissen.
Wem mag man die Schuld nun geben
Um das ehrlose Leben,
Das er so mit ihr führte?
Denn wahrlich, nicht gebührte
Sich's, falscher Trügereien
Die Königin zu zeihen:
Weder sie betrog ihn noch Tristan;
Er sah es doch mit Augen an
Und wußte es ungesehn genug,
Daß sie ihm keine Liebe trug,
Und war sie ihm doch lieb ohne das. –
Warum doch, Herre, und um was
Trug er ihr inniglichen Muth?
Warum es heut noch Mancher thut:
Gelüsten und Verlangen
Muß langen und muß bangen
Und leiden, wie es ihm geschieht.
Ahi, wie viel man heut noch sieht
Und kennt sie an klaren Zeichen,
Die diesen Beiden gleichen,
Die blinder oder gleich so blind
Von Herzen und von Augen sind!
Da ist nicht nur nicht Keiner,
Da ist fürwahr manch Einer
Der Blindheit so beflissen,
Daß er das nicht will wissen,
Was ihm liegt vor den Augen feil;
Und nimmt das für das Gegentheil,
Was er wohl weiß und sehen mag.
Wer hilft ihm da und macht ihm Tag?
Wenn wir aufs Rechte schauen,
So dürfen wir die Frauen
Mit keiner Schuld hie klagen an:
Sie sind unschuldig vor dem Mann,
So sie ihn lassen mit Augen sehn,
Was sie beginnen und begehn.
Hat man die Schuld vorm Angesicht,
So ist man von dem Weibe nicht
Belistet, noch betrogen:
Da hat die Lust gezogen
Den Nacken vor die Augen gar:
Gelüst und Verlangen, das ist der Staar,
Den wir Alle zu allen Tagen
In sehenden Augen tragen.
Was man von Blindheit sagt und spricht,
So gibt's doch keine Blindheit nicht,
Die je so tief gegangen
Als Gelüsten und Verlangen.
Wie wir's auch möchten verschweigen gern,
Es ist doch ein wahres Wort, ihr Herrn:
»Schöne, das ist gehöhne.«
Die wundersame Schöne
Der blühenden Isolde,
Die blendete so holde
Den König außen und innen
An Augen und an Sinnen,
Daß er an ihr nichts konnte sehn,
Daß er sich wollte zum Hohn verstehn,
Und was er an ihr wußte,
Das Beste heißen mußte.
Daß aber die Rede beschlossen sei,
Er war ihr also gerne bei,
Daß er ihr alles übersah,
Was ihm zu Leid und Hohn geschah.
Was in dem Herzen zu jeder Frist
Versiegelt und beschlossen ist,
Wird schwer verborgen bleiben:
Man will das gerne treiben,
[202]
Was in den Gedanken webet.
Das Auge, das hangt und klebet
Viel gerne an seiner Weide.
Herze und Auge beide,
Sie weiden gerne auf der Spur,
Da vormals ihre Freude fuhr,
Und wer es ihnen verleiden will,
Macht ihnen lieber noch das Spiel.
Je mehr man sie von dannen zeucht,
Je schöner sie das Spiel bedeucht
Und kleben ihm je fester an.
So thaten Isolde und Tristan:
Zuhand als ihnen das geschah,
Daß ihre Wonne und Freude da
Ihnen so mit der Hut verwahrt,
So mit Verbote benommen ward,
Da kam's zu Leid und Bangen:
Das lockende Verlangen
That ihnen erst recht wehe
Und weher noch denn ehe.
Sie sehnten sich zusammen
In bangeren Minneflammen,
Denn je geschah vor diesem Tag.
Die bergesschwere Bürde lag
Der Hut, die sie verfluchten,
Auf ihrem Muth mit Wuchten
Wie ein Bleiberg so schwer und hart.
Hut, die vom Teufel ersonnen ward,
Die Feindin aller Minne,
Nahm ihnen alle Sinne.
Isolden in ihrem Drange
War es viel weh und bange,
Tristandens Fremde war ihr Tod.
Je mehr ihr Herre ihr verbot,
Heimlich zu blicken nach ihm hin,
Je mehr ihr Gedanke und ihr Sinn
An ihn vergraben waren.
Das läßt die Hut erfahren:
Die Hut, die führt und träget,
So man sie führt und heget,
Die Hagebutte und den Dorn:
Das ist der wachsende stille Zorn,
Der Lob und Ehre versehret
Und manches Weib entehret,
Die keine Ehr verspielte,
So man sie ehrlich hielte.
So man ihr aber Unrecht thut,
So wird sie krank an Ehr und Muth:
So wird sie die Hut verkehren
Am Muth und an den Ehren.
Und doch, wie man's auch treibe,
Hut ist verloren am Weibe:
Denn hier auf Erden lebt kein Mann,
Der eine Schlimme hüten kann;
Die Gute braucht's zu hüten nicht:
Sie hütet sich selber, wie man spricht;
Und wer sie hütet noch überdem,
In Treuen, der ist ihr nicht angenehm:
Der wird das Weib verkehren
Am Leib und an den Ehren,
Und dieses leichtlich also sehr,
Daß sie ihre Sitte nimmermehr
So gänzlich wieder bringt zurecht,
Daß ihr nichts anklebt vom Geschlecht,
Das da der Hagdorn hat getragen:
Denn wenn der Wurzel hat geschlagen,
Der herbe, zu einer Stunde
In also süßem Grunde,
Da rodet man ihn mit größrem Strauß
Denn aus dem dürrsten Boden aus.
Ich weiß wohl, daß dem guten Muth,
Wenn man dem so lang Unrecht thut,
Bis er in üble Saaten schießt,
Daß dem noch ärgere Frucht entsprießt
Als dem, der immer schlimm gewesen:
So ist's, denn das hab ich gelesen.
Darum so soll ein weiser Mann,
Der ihre Ehre bedenken kann,
Nie wider Weibes guten Muth
In Heimlichkeiten andre Hut
Versuchen oder kehren,
Als Unterweisen und Lehren:
Die Sanftheit sei und Güte
Der Weg, wie er sie hüte;
Und mag er wissen mit Zuversicht:
Er hütet sie anders besser nicht;
Denn sie sei übel oder gut,
Wenn man ihr zu oft Unrecht thut,
So faßt sie leicht ein Müthelein,
Deß man gern möchte ledig sein.
Ja soll ein jeglich biderber Mann
[203]
Und der je Mannes Muth gewann,
Vertrauen seinem Weibe
Und auch seinem eignen Leibe,
Daß sie jegliche Ungebärde
Ihm zu lieb lassen werde.
Wie viel man's auch beginne,
Dem Weib kann ihre Minne
Kein Mensch mit harten Dingen
Aus ihrem Herzen zwingen:
Er löscht die begehrte leichtlich auch.
Hut ist ein übler Minnenbrauch:
Sie wecket schädlichen Zorn zur Stund.
Das Weib geht gar daran zu Grund.
Auch wer Verbieten ließe sein,
Ich wähne, es würde ihm wohlgedeihn.
Das bringt bei Weibern manche Noth:
Sie thun gar manches durchs Verbot,
Dazu sie gar nichts triebe,
Wenn's unverboten bliebe.
Dieselbe Distel und der Dorn,
Weiß Gott, ist ihnen angeborn;
Die Frauen, die so geartet sind,
Sind ihrer Mutter Even Kind:
Die machte das erste Gebot zum Spott:
Ihr erlaubete unser Herre Gott
Obst, Blumen, Gras und alles gar,
Was in dem Paradiese war,
Daß sie damit begänne,
Was nur ihr Herz ersänne;
Nur Eins nicht, das er ihr verbot
Auf ihr Leben und ihren Tod
(Die Pfaffen wollen lesen,
Die Feige sei's gewesen):
Das übertrat sie mit Einem Schritt
Und verlor sich selber und Gott damit.
Es ist auch noch mein fester Wahn,
Eve hätte es nie gethan,
So sie nicht das Verbot empfing.
Das erste Werk, das sie beging,
Damit so baute sie ihre Art
Und that, was ihr verboten ward.
Und wenn man's recht betrachtet,
So hätte sie leicht verachtet
Das Eine Obst von allen:
Sie konnte doch nach Gefallen
Mit den anderen vielen
Frei und genüglich spielen.
Sie aber wollte keins als das,
Daran sie auch all ihre Ehre aß.
So sind sie, alle Even Kind,
Die alle nach Even geevet sind.
Ja, wem ein Verbot zustände,
Wie viel man noch heute fände
Der Even, die dem Verbot zum Spott
Von sich selber ließen und von Gott!
Nun ihre Art das mit sich bringt
Und ihnen aus der Natur entspringt,
So liegt, wenn's eine sich abthun kann,
Da liegt viel Lob und Ehre dran.
Denn welch Weib artet wider Art
Und gern wider ihre Art bewahrt
Ihr Lob, ihre Ehre und ihren Leib,
Die ist von Namen nur ein Weib
Und ist ein Mann von Muthe:
Der soll man auch zu Gute,
Zu Lobe und zu Ehren
All ihre Sachen kehren.
Denn wo das Weib den Weibermuth
Und das Weiberherze von sich thut
Und artet sich dem Manne,
Da honiget die Tanne,
Balsamt das Kraut, das Schierling bringt,
Die Wurzel, draus die Nessel springt,
Trägt Rosen ob der Erden.
Was mag auch immer werden
So Reines an dem Weibe,
Als daß sie gegen dem Leibe
Mit ihrer Ehre fechte
Und jedem thu nach Rechte,
Dem Leibe so wie der Ehren?
Sie soll den Kampf so kehren,
Daß sie den beiden ihr Recht anthu
Und sehe jedem also zu,
Daß nie das andere dabei
Versäumet oder verkümmert sei.
Es ist wahrlich kein biderbes Weib,
Die ihre Ehre um ihren Leib,
Ihren Leib um ihre Ehr versäumt,
So es ihr doch ist eingeräumt,
Beides davonzutragen:
[204]
Sie soll sich's keins entschlagen,
Soll sie behaupten beide
Mit Liebe und mit Leide,
Wie je das Loos ihr falle.
Weiß Gott, sie müssen alle
In ihrer Würde steigen hie:
Mit schwerer Arbeit sollen sie
Ans goldne Maß ihr Leben
Befehlen und ergeben,
Die Sinne damit regieren
Und Leib und Sitte zieren;
Denn Maß, das goldne, hehre,
Das hehret Leib und Ehre.
Von allen Dingen auf dieser Welt,
Die je der Sonne Licht erhellt,
Ist keins so selig wie das Weib,
Die stets ihr Leben und ihren Leib
Und ihre Sitten dem Maß ergibt,
Sich selber ehret und sich liebt;
Und all die Weile und all die Frist,
Daß sie ihr selber willkommen ist,
So ist es billig auch dabei,
Daß sie der Welt willkommen sei.
Die ihrem Leib zuwider thut,
Die so bestellet ihren Muth,
Daß sie ihr selbst muß grollen,
Wer wird die minnen wollen?
Die da sich selbst entehret
Und das der Welt bewähret,
Was Liebe oder was Ehren
Soll Jemand an die kehren?
Man löschet das Verlangen,
Das schon ist aufgegangen,
Und will das wesenlose Leben
An ein gehehrtes Wesen geben.
Nein, nein, das ist nicht Minne, nein,
Das muß der Minne Feindin sein,
Die aller Ehren bloße,
Die böse, zügellose:
Die fördert Weibes Würde nicht,
Nach dem Sprichwort, das da Wahrheit spricht:
»Die Manchem Minne sinnet,
Die ist Manchem ungeminnet.«
Die darauf stellt die Sinne,
Daß alle Welt sie minne,
Die minne zuerst sich selber nur
Und zeige der Welt der Minne Spur:
Ist es der echte Minnentritt,
Alle die Welt, die minnet mit.
Ein Weib, die ihre Weiblichkeit,
Sich selbst besiegend, dazu weiht,
Daß sie der Welt gefalle,
Die soll die Welt auch alle
Zieren, würden und schönen,
Täglich blümen und krönen
Mit Lob und hohen Ehren,
Ihre Ehre mit ihr mehren:
Zu wem sie mag sich neigen,
Wem sie gar wird zu eigen
Mit Leib und Herz und Sinne,
Mit Liebe und mit Minne,
Der ward zum Heil geboren,
Ja, der ist auserkoren
Zu lebendem Heil je mehr und mehr.
Das lebende Paradies hat Der
In seinem Herzen begraben;
Der darf keine Sorge haben,
Daß ihn der Hagbusch fange,
So er nach den Blumen lange,
Daß ihn der Dorn je steche,
So er die Rosen breche.
Da ist kein Hagbusch und kein Dorn,
Da ist dem Kind der Distel, Zorn,
Kein Lehen zubeschieden;
Da hat der rosige Frieden
Alle, was Herbe und Zorn bedeutet,
Dorn, Distel, Hagbusch, ausgereutet.
In diesem Paradiese
Ist nichts, was giftig sprieße,
Da grünt, noch wächst kein ander Kraut,
Als was das Auge gerne schaut.
Es steht gar in der Blüthe
Weiblicher Huld und Güte.
Da ist kein Obst darinne,
Als Treue nur und Minne,
Ist Ehre nur und Würde da.
In solchem Paradiese, ja,
Das so voll Freud ohn Ende
Und so gemaiet stände,
[205]
Da könnte wohl ein seliger Mann
Seines Herzens Freude schauen an
Und seiner Augen Wonne sehn.
Was wäre auch anders Dem geschehn
Als Isolden und Tristanden?
Und wer mir folgte zuhanden,
Der dürfte sein Leben geben
Um keines Tristans Leben:
Denn wahrlich, ein rechtschaffen Weib,
Wem die sich ergibt mit Ehr und Leib
Und beides in seine Hände legt,
Ah, wie sie ihn dann von Herzen pflegt!
Wie hat sie ihn in so süßer Pflege!
Wie hält sie alle seine Wege
Von Distel frei und Dorne,
Von allem sehnenden Zorne!
Wie wahrt sie ihn vor Herzenoth,
So gut als ihren Freund Isot!
Und halt' ich wahrlich auch dafür:
So Einer suchte mit Gebühr,
Wie man wohl soll nach Golde,
Es lebte noch manche Isolde,
An der man gar alles fände,
Was man zu suchen verstände.

Scheiden und Meiden

Scheiden und Meiden.

Wir müssen zur Hut zurückekommen.
Den Gelieben, wie ihr habt vernommen,
Isolden und Tristanden,
Die das Verbot empfanden,
That diese Hut so innig weh,
Daß sie noch fleißiger denn je
Auf ihren Willen dachten,
Bis sie ihn auch vollbrachten
Zu ihrem ganzen Leide:
Davon gewannen Beide
Groß Leid und tödtliche Klage.
Es war einst am Mittage,
Die Sonne schien, und leider sehr,
Daß auch verbrannte ihre Ehr.
Da schien zwiefältiger Sonnenschein
Der Königin in ihr Herz hinein
Und verbrannte ihre Sinne,
Die Sonne und die Minne:
Der sehnende Muth, die heiße Zeit,
Die quälten sie im Widerstreit.
Nun wollte sie dem Kampfe,
Dem Muth und dem Sommerdampfe,
Mit einer Kunst entspringen
Und fiel recht in die Schlingen.
Sie ging zu dem Baumgarten hin,
Nach ihrer Wonne zu trachten drin,
Und suchte allda Schatten,
Der ihr käme zu Statten
Und hielte ihre Hilfe und Schirm bereit,
Da Kühle wäre und Einsamkeit.
Und allzuhand daß sie den fand,
Hieß sie ein Bette dar zuhand
Gar schön und reichlich machen
Mit Decke und mit Leilachen:
Da wurde Purpur und Bliant
Und königliches Bettgewand
Ueber das Bett gespreitet.
Nun daß dies war bereitet
Meisterlich aus dem Grunde,
Da legte sich la blunde
In ihrem Hemd, die Schöne, drein.
Die Jungfraun hieß sie insgemein
Entweichen aus dem Garten
Und nur Brangänen warten.
Tristanden ward entboten,
Daß er käme zu Isoten
Und wiche um nichts von seinem Pfad.
Nun that er recht, wie Adam that:
Das Obst, das ihm seine Eve bot,
Das aß er und mit ihm den Tod.
Er kam. Da ging Brangäne fort
Und setzte sich zu den Frauen dort,
[206]
So bang und schwer im Herzensgrund.
Den Kämmerern sie gebot zur Stund,
Die Thüren all zu schließen,
Und daß sie Niemand ließen,
Den sie nicht hieße lassen ein.
Man schloß die Thüren insgemein;
Und als Brangäne niedersaß
Da bedachte sie aber das
Und beklagt' es in ihrem Muth,
Daß keine Furcht und keine Hut
An ihrer Frauen was verfing.
Unter diesen Gedanken ging
Der Kämmerer einer für die Thür
Und stand auch nicht so bald dafür,
Da ging der König gegen ihm her
Und fragte nach der Königin sehr
Mit ungeduldiger Rede.
Nun sprach der Fräulein jede:
»Sie schläfet, Herr, ich wähne.« –
Die versunkene Brangäne
Fuhr auf und schwieg, im Herzen krank,
Das Haupt ihr auf die Schulter sank,
Hände und Herz entfielen ihr.
Der König sprach aber: »Nun saget mir,
Wo schläfet sie, die Königin?« –
Sie wiesen ihn zum Garten hin,
Und Marke kehrte hin zuhand,
Da er sein Herzeleid erfand:
Weib und Neffen, die fand er
Mit Armen in einander
Gestrickt, wie Schlang und Schlange,
Ihre Wange an seiner Wange,
Ihr Mund an seinem Munde.
Was ihm da kam zur Kunde,
Was ihn die Decke sehen ließ,
Was sich außerhalb der Tücher wies
Dort an dem obern Ende,
Da sah er Arme und Hände,
Sah Brust und Schulter beide
So nahe zu seinem Leide
Gedränget und geschlossen,
Und wäre ein Werk gegossen
Von festem Erz, von Golde schwer,
Man fände nie und nimmermehr
Einen bessern Fug und Schluß darin.
Herr Tristan und die Königin
Schliefen in süßem Glühen,
Weiß nicht, nach welchen Mühen.
Der König, da er sein Ungemach
So offen sah und seine Schmach,
Da kam ihm erst von Grunde
Sein Herzeleid zur Kunde.
Nun war das Aug ihm aufgethan,
Hin war der Zweifel und der Wahn,
Die er eh bekriegen mußte;
Er wähnte nicht, er wußte:
Ja, weß er je zuvor begehrt,
Das war ihm alles nun gewährt.
In Treuen aber, es ist mein Wahn,
Ihm hätte da viel baß gethan
Ein Wähnen, denn ein Wissen.
Weß er je war beflissen,
Zu kommen von der Zweifelnoth,
Das war ihm nun sein lebender Tod.
So ging er still von dannen:
Seinen Rath und seine Mannen,
Die nahm er zu sich an der Stund,
Hub an und machte ihnen kund,
Daß ihm verkündigt wäre
Für eine wahre Märe,
Herr Tristan und die Königin
Die wären bei einander drin:
Sie sollten Alle mit ihm dar
Und sollten nehmen der Beiden wahr,
Daß, so man's also fände dort,
Man ihm die Beiden alsofort
Zu Recht und Gerichte stellte,
Wie's nach dem Landrecht gelte.
Nun war das nicht so schier geschehn,
Daß er sich wandte vom Bett zu gehn
Und war davon noch gar nicht fern,
Da erwachte Tristan, sah den Herrn
Vom Bette gehn. Da sprach Tristan:
»Ach, Gute, was habt Ihr gethan,
Getreuliche Brangäne?
Weiß Gott, Brangäne, ich wähne,
Dies Schlafen geht uns an den Leib.
Isolde, erwachet, armes Weib,
Erwachet, Herzenskönigin mein!
Ich wähne, wir müssen verrathen sein.« –
[207]
»Verrathen,« sprach sie, »Herre, wie?« –
»Mein Herre, der stund ob uns hie:
Er sah uns Beide, und ich sah ihn.
Er geht von uns jetzo dahin,
Und zwar verseh ich mich so viel,
Daß er mir an das Leben will:
Er will zu diesen Dingen
Helfer und Zeugen bringen:
Sein Werben geht auf unsern Tod.
Herzensfraue, schöne Isot,
Nun müssen wir uns scheiden
So jähe, daß uns Beiden
So gut auf dieser Erden
Nimmer wird, nimmer werden.
Nun nehmet in Eure Sinne,
Wie lauterliche Minne
Wir haben gehalten bis zur Stund:
Seht, daß die bleibe auf festem Grund;
Laßt mich aus Eurem Herzen nicht,
Denn, was dem meinen je geschicht,
Daraus so kommt Ihr nimmer:
Isolde, die muß immer
In ihres Tristans Herzen sein.
Nun sehet, Herzensfreundin mein,
Wie mich verzehrt die Ferne,
Die Fremde von meinem Sterne.
Vergesset mein in keiner Noth!
Süße Freundin, schöne Isot,
Gebietet mir und küsset mich.«
Sie trat ein wenig hinter sich.
Mit Seufzen sprach sie zu ihm hin:
»Ach, Herre, unser Herz und Sinn,
Die waren ja viel zu lange
Von Einem Erz und Klange,
Als daß sie sollten lernen,
Was Fremden und Entfernen,
Und lernen, was Vergessen sei.
Ihr sei't mir fern oder nahe bei,
So soll doch in dem Herzen mein
Kein Leben und nichts Lebendes sein,
Denn Tristan, mein Leib und mein Leben.
Herre, ich hab Euch nun lang ergeben
Beide mein Leben und meinen Leib:
Nun sehet, daß kein ander Weib
Mich jemals von Euch scheide:
Wir sollen uns immer Beide
In der Liebe und in der Treuen
Stetigen und erneuen,
Die lange und also lange Frist
So rein an uns gewesen ist.
Und nehmet hin dies Ringelein:
Das lasset Euch ein Denkmal sein
Der Treuen und der Minne,
So Ihr je Eure Sinne
In der Ferne dazu gewinnet,
Daß Ihr eine Andre minnet,
Daß Ihr gedenket mein dabei,
Wie meinem Herzen jetzo sei.
Gedenket an dies Scheiden,
Wie nah es geht uns Beiden
An Leib und Herz mit bittrem Streit.
Gedenket mancher schweren Zeit,
Die ich um Euretwillen sah,
Und laßt Euch Niemand mehr so nah
Wie Eure Freundin Isolde sein.
Um keine Seele vergesset mein:
Wir Zwei, wir haben Lieb und Leid
So herzlicher Geselligkeit
Getragen bis auf diesen Tag,
Daß es uns billig dünken mag,
Wir tragen sie fort bis an den Tod.
Herre, es wäre ohne Noth,
So ich Euch weiter mahnen wollt:
Wenn je mit ihrem Freund Isold
Ein Herze war und Eine Treu,
So ist es immer frisch und neu,
Muß immer auf Einem Grunde ruhn.
Doch will ich eine Bitte thun,
Nach welchem End und Land Ihr fahrt,
Daß Ihr Euch, meinen Leib, bewahrt:
Denn wenn ich deß verlustig bin,
So bin ich, Euer Leib, dahin.
Mich aber, Euren Leib, will ich,
Um Euretwillen, nicht um mich,
In Fleiß und schöne Hut ergeben;
Denn Euer Leib und Euer Leben,
Das weiß ich wohl, das liegt an mir:
Ein Leib und Leben sind ja wir.
Nun gedenket treulich zu jeder Frist
Isoldens, die Euer Leben ist.
Laßt mich an Euch mein Leben sehn,
[208]
So es aufs schierste kann geschehn,
Und seht das Eure auch an mir:
Unser Beider Leben, das führet Ihr.
Nun gehet her und küsset mich:
Tristan und Isolde, Ihr und ich,
Wir Zwei sind immer Beide
Ein Wesen in Lieb und Leide.
Der Kuß soll ein Insiegel sein,
Daß ich Euer sein soll und Ihr mein
In Stete und Treue bis an den Tod,
Nur Ein Tristan und Eine Isot.«
Nun daß versiegelt war dies Wort,
Da ging Tristan des Weges fort
Mit Jammer und mit mancher Noth.
Sein Leib, sein ander Leben, Isot,
Verblieb mit manchem Leide:
Die Spielgesellen beide
Die waren noch geschieden nie
Mit solcher Marter als wie hie.
Hiemit war auch der König kommen,
Der hatte ein Heer mit sich genommen
Und eine Schaar Hofräthe.
Sie kamen aber zu späte:
Sie fanden nur die Königin,
Die lag mit gedankenvollem Sinn
Im Bette wieder wie vorher.
Nun daß der König da Niemand mehr
Als seine Isolde alleine fand,
Da nahm sein Rath ihn allzuhand
Und führte ihn auf die Seite hin:
»Herre König,« sprachen sie, »hierin
Mißthut Ihr aber gewaltig sehr,
Daß Ihr Euer Weib und Eure Ehr
Zu also manchen Stunden
Wollet haben erfunden
In Dingen schimpflichen Bezichts
Gar ohne Noth und gar um nichts.
Ihr hasset Ehre zumal und Weib
Und allermeist Euren eignen Leib.
Wie möget Ihr immer werden froh,
Dieweil Ihr Eure Freude so
An Eurem Weib verkehret,
Sie verredet und vermäret
Am Hof und über das ganze Land,
Und habt an ihr doch nichts erkannt,
Das wider ihre Ehren sei.
Was messet Ihr der Königin bei?
Was fälschet und machet Ihr Die gering,
Die nie kein Falsch an Euch beging?
Herre, bedenket Eure Ehr
Und thut dergleichen nimmermehr:
Vermeidet sogethanen Spott
Um Euretwillen und um Gott.«
So nahmen sie ihn mit Reden hin,
Bis daß er folgte ihrem Sinn
Und aber seinen Zorn verstieß
Und alles ungerochen ließ.
Tristan zur Herberg eilends kam,
Sein Ingesind er alles nahm
Und zog mit ihnen in vollem Trab
Wohl gegen den Hafen bald hinab.
Das erste Schiff, das er da fand,
Das nahm er und stieß ab vom Land
Und fuhr hinüber zur Normandie
Mit seiner ganzen Massenie.
Nun blieb er aber nicht lange dort,
Denn sein Gemüthe trieb ihn fort,
Auf daß er suchte nach einem Leben,
Das Trost ihm könnte in Trauer geben
Und frischen Lebenszunder.
Hie merket aber Wunder:
Tristan floh Widrigkeit und Leid
Und suchte Leid und Widrigkeit:
Er floh vor Marken und dem Tod
Und suchte doch die Todesnoth,
Die Herzenstod ihm drohte,
Die Ferne von Isote.
Was half's, daß er vorm Tode floh,
Und zog dem Tod entgegen so?
Was half's, daß er von Kornwall schied
Und seine Herzensqual vermied,
Da sie ihm dennoch Nacht und Tag
Allstündlich auf dem Rücken lag?
Das Weib erhielt er an dem Leben,
Und seinem Leben war vergeben:
Das war verwettet an das Weib.
Ihm an dem Leben und an dem Leib
Brachte nichts Lebendes den Tod,
Als nur sein bestes Leben, Isot:
So war er umrungen von Noth und Tod.
[209]
Nun dachte er, sollt ihm diese Noth
Jemals auf dieser Erden
So weit erträglich werden,
Daß er je möchte davon genesen,
So müsse er Ritterschaft erlesen.
Nun war eine Landesmäre,
Daß großer Orlog wäre
Hie in den deutschen Landen.
Dies sagte man Tristanden.
Alsbald zur Champagne kehrte er
Und fuhr von dannen gen Deutschland her.
Da diente er so zu Lohne
Dem Scepter und der Krone,
Daß nie das römische Reich gewann
Zu seinem Banner einen Mann,
Der je ward also sagenhaft
Von seiner mannlichen Ritterschaft.
Groß Glück und groß Gelingen
In allen mannlichen Dingen
Und Abenteuer erwarb er viel,
Der ich nicht aller erwähnen will:
Denn wollte ich seine Thaten all,
Die man besungen hat mit Schall,
Herzählen an den Händen,
Die Märe würde nicht enden.
Die Fabeln, die hierunter sind,
Die muß ich werfen in den Wind.
Es wird mit der Wahrheit schon allein
Genug der Mühe und Arbeit sein.
Tristandens Leben und sein Tod,
Sein lebender Tod, die schöne Isot,
Die war in Gram verblieben.
Des Tags, da sie ihrem Lieben
Und seinem Kiele schaute nach,
Daß ihr das Herze da nicht brach,
Das schuf sein Leben, das ihr lieb:
Das half, daß sie am Leben blieb;
Sie konnte Leben, noch Sterben
Ohne ihn nicht erwerben.
Beides war ihr mit Gift vergeben:
Sie konnte nicht sterben und auch nicht leben.
Ihrer viel lichten Augen Licht,
Das machte sich selber gar zunicht
Oft und zu mancher Stunde.
Die Zunge in ihrem Munde,
Die schwieg ihr oft zu ihrer Noth.
Da war kein Leben und kein Tod,
Und waren doch da beide.
Sie waren aber von Leide
So rechtlos, so des Wesens bar,
Daß ihr eins wie das andre war.
Da sie das Segel fliegen sah,
Sprach bei sich selber ihr Herze da:
»O weh, oh weh, mein Herr Tristan,
Nun klebt Euch all mein Herze an,
Nun ziehen Euch meine Augen nach,
Und ist Euch doch von mir so jach.
Was eilet Ihr so jach von mir?
Nun weiß ich doch viel wohl, daß Ihr
Von Eurem Leben ziehet,
Wenn Ihr Isolden fliehet;
Denn Euer Leben, das bin ich.
Ihr vermögt nicht leichter ohne mich
Zu leben einen einzigen Tag,
Denn ich zu leben ohn Euch vermag.
Unser Leib und Leben sind fürwahr
Verschlungen also wunderbar,
Sind so verstrickt mit Herz und Sinn,
Daß Ihr mein Leben führet hin
Und lasset mir das Eure hie.
Zwei Leben waren auf Erden nie
Gemischt, wie diese sich verweben.
Wir Zwei, wir haben Tod und Leben,
So ich an Euch, als Ihr an mir:
Denn unser Keines, ich noch Ihr,
Kann anders Leben oder Sterben
Als von dem Andern je erwerben.
Hiemit schwebt eure arme Isot
Zwischen Leben und zwischen Tod.
Ich kann nicht aus und kann nicht ein.
Nun, Tristan, lieber Herre mein,
Seit daß Ihr mit mir allezeit
Ein Leib und auch Ein Leben seid,
So sollt Ihr mir auch Lehre geben,
Daß ich behalte Leib und Leben
Zum Ersten Euch und darnach mir.
Nun lehret an. Was schweiget Ihr?
Uns wäre guter Lehre Noth.
[210]
Was rede ich sinnenlose Isot?
Tristandens Zunge und mein Sinn,
Die fahren dort mit einander hin.
Isoldens Leib, Isoldens Leben,
Die sind befohlen und ergeben
Den Segeln und den Winden.
Wo mag ich mich nun finden?
Wie mag ich mich nun suchen, wie?
Nun bin ich dort und bin auch hie,
Und bin doch weder hie noch dort.
Wer war so ohne Ziel und Ort,
Wer war auch so zertheilet je?
Ich sehe mich dort auf jener See
Und bin am Land zuhanden.
Ich fahre dort mit Tristanden
Und sitze hie bei Marke;
Da kriegen an mir zween starke,
Zween giftige Feinde, Tod und Leben:
Mit diesen zwein ist mir vergeben.
Ich stürbe gerne, könnte ich;
Nun aber hält und bannt er mich,
An dem mein Leben behalten ist.
Nun kann ich auch zu dieser Frist
Wohlleben weder ihm noch mir,
Seit ich ohn ihn muß leben hier.
Er läßt mich hie und fährt er hin,
Und weiß wohl, daß ich ohn ihn bin
Recht innerhalb des Herzens todt.
Weiß Gott, dies rede ich ohne Noth:
Mein Leid ist doch gemeinsam:
Ich trage es ja nicht einsam;
Es ist sein also viel, wie mein,
Und wähne, es ist noch viel mehr sein.
Sein Jammer und Schmerz, ich meine,
Ist größer denn der meine.
Das Scheiden, das er von mir thut,
Beschweret mir das meinen Muth,
Beschwert's ihm noch den seinen mehr.
Thut mir das weh im Herzen sehr,
Daß ich ihn bei mir misse hier,
So thut's ihm weher noch denn mir;
Klage ich ihn, so klagt er mich.
Und klagt er doch nicht mit Recht wie ich:
Ich will mir wohl zu Rechte sagen,
Daß ich dem Trauern und dem Klagen
Mich um Tristanden soll ergeben:
Viel billig, denn er ist mein Leben;
Dagegen ich, ich bin sein Tod:
Darum so klagt er ohne Noth.
Er mag wohl gerne von mir fahren,
Seine Ehr und seinen Leib bewahren:
Denn sollte er lange bei mir sein,
So könnte er nimmermehr gedeihn.
Drum soll ich sein entbehren:
Mag es mich auch beschweren,
Er soll mir zu Gefallen
Nicht in Gefahren fallen.
Mit welcher Noth ich sein entbehr,
Mir ist doch lieber viel, daß er
Gesunden Leibes von mir sei;
Denn daß er mir also wäre bei,
Daß ich mich deß versähe,
Daß ihm Schade bei mir geschähe:
Denn, weiß Gott, wer zu seinem Frommen
Will mit des Freundes Schaden kommen,
Der trägt ihm kleine Minne.
Was Schaden ich drum gewinne,
Ich will ja gern, ohn seine Pein
Und Schaden, Tristans Freundin sein;
Daß es ihm wohl und lieb ergeh,
Will ich ruhig tragen all mein Weh;
Ich will mich gerne zwingen
In allen meinen Dingen,
Daß ich mich mein und sein begebe,
Damit er mir und ihm selber lebe.«

Isolde Weißhand

[211] Isolde Weißhand.

Da Tristan, wie uns ist bekannt,
Gewesen war im deutschen Land
Ein halb Jahr oder drüber,
Da trieb es ihn hinüber
Zur Heimath heiß und bange,
Auf daß er Kunde erlange,
Was da für Landesmäre
Von seiner Frauen wäre.
In seinem Muth er sich berieth,
Daß er alsbald von Deutschland schied
Und aber seine Reise nahm,
Von wannen er herüber kam,
Hin zu der Normandie, von dort
Aufs schierste gen Parmenien fort
Zu Ruals, des Marschalls, Kinden.
Ihn wähnte er selbst zu finden
Und wollte ihm künden seine Noth:
Leider nun war er aber todt,
Er und die treue, stete,
Seine Marschallin Florete.
Doch wisset, seine Söhne,
Die freuten sich viel schöne
Ueber Tristandens Kommen,
Und ward er aufgenommen
Mit Grüßen rein und süße:
Seine Hände und seine Füße,
Seine Augen und seinen Mund,
Die küßten sie zu mancher Stund.
»Herre,« sprachen sie allzuhand,
»Gott hat uns wieder in Euch gesandt
Vater und Mutter, alle Zwei!
Getreuer Herre, guter, ei,
Nun lasset Euch hie wieder nieder,
Nehmet und habet alles wieder,
Was Euer und unser sollte sein,
Und laßt uns hie mit Euch gedeihn,
Wie unser Vater mit Euch gedieh,
Der Euer Gesinde war allhie,
Wie wir's auch gerne sind forthin.
Unsre Mutter, Eure Pflegerin,
Und unser Vater, sind beide todt:
Nun hat Gott unser Aller Noth
Durch Euch viel gnädiglich bedacht,
Der Euch uns wieder hat hergebracht.«
Der trauernde Tristan zur Stund,
Da er die Neuigkeit befund,
An Leid und Trauer sich ergab.
Er ließ sich weisen zu ihrem Grab:
Da ging er trauernd zu dem Ort
Und stund eine gute Weile dort
Weinend ob ihnen, klagend,
Seine Klagemäre sagend.
Er sprach aus inniglichem Mund:
»Nun sei es Gott, dem reichen, kund:
Soll's je hienieden dazu kommen,
Wie ich von Kind auf hab vernommen,
Daß Treue und Ehre werde
Begraben in der Erde,
So liegen sie beide hie begraben:
Und soll auch Treue und Ehre haben
Mit Gott Gemeinschaft, wie man spricht,
So hab ich keinen Zweifel nicht,
Und ist fürwahr kein Trug noch Wind,
Daß sie vor Gottes Augen sind:
Rual und seine Florete,
Die Gott der Welt mit Stete
Geziert hat und geschönet,
Die sind auch dort gekrönet,
Wo die Gotteskind gekrönet sind.«
Tristans getreuliches Ingesind,
Des Marschalls Söhne, im Widerstreit
Und mit viel lauterer Willigkeit
Boten ihm Häuser, Leben, Gut,
Lehnstreue und diensthaften Muth
Aus ganzem Herzensgrunde.
Sie waren zu jeder Stunde
All seinem Willen unterthan:
Was er gebot, das war gethan
Getreulich in allen Dingen,
Die sie mochten vollbringen.
Sie fuhren mit ihm schauen
Spiele, Ritter und Frauen;
Er konnte zu allen Tagen
[212]
Turnieren, birschen, jagen,
Und was er wollte Kurzweil pflegen.
Nun war ein Herzogthum gelegen
Zwischen Britannien und Engelland
Und war das Arundel genannt
Und lag am Meeresstrande.
Da war ein Herzog im Lande,
Getrost und höfisch und wohl betagt,
Dem hatten, wie die Historie sagt,
Seine Nachbarn mit Streiten,
Seine Gerichtsbarkeiten
Verorlogt und genommen;
Sie hatten ihn überkommen
So auf dem Land als auf dem Meer.
Gern hätt er sich gesetzt zur Wehr;
Nun vermocht er nichts für seinen Thron.
Eine Tochter und einen Sohn
Hatt er von seinem Weibe;
An Tugenden und an Leibe
Waren sie Beide ganz vollkommen.
Der Sohn, der hatte das Schwert genommen
Und war darauf beflissen gar
Und hatte schon ins dritte Jahr
Viel Lobes und Ehren damit erjagt.
Seine Schwester war schön und war noch Magd
Und hieß Isot as blansche mains,
Ihr Bruder Kaedin li frains,
Ihr Vater der Herzog Jovelin,
Ihre Mutter, die Herzogin,
Die war genannt Karsie.
Nun man zu Parmenie
Verkündete Tristanden,
Daß Orlog da zuhanden
Zu Arundele wäre,
Gedachte er seiner Schwere
Aber ein Theil zu vergessen dort.
Von Parmenien fuhr er fort
Hin wieder Arundele
Gegen einem Castele,
Da er des Landes Herren fand,
Dasselbe war Karke zubenannt;
Da kehrte er fürs erste hin.
Herr und Gesinde empfingen ihn,
Wie man in Noth den Biderben soll.
Sie kannten ihn von Sagen wohl:
Tristan, wie uns die Märe sagt,
Der war als Held so unverzagt
In all den Inseln rings bekannt,
Die wider Occene sind gewandt.
Drum nahmen sie sein mit Freuden wahr.
Der Herzog gab sich ganz und gar
In Tristans Rath und Lehre.
Sein Land und seine Ehre
Bot er ihm in die Hände hin.
Sein Sohn, der höf'sche Kaedin,
Der war ihm sehr ergeben:
Nach was er konnte streben,
Dran seine Würde und Ehre lag,
Desselben befliß er sich Nacht und Tag,
Da stunden all seine Gedanken hin.
Sie Zween, sie waren von Anbeginn
Alle Stunden und alle Zeit
In die Wette und in Widerstreit
Gegen einander gar diensthaft:
Treue und Genossenschaft
Gelobten sie sich aufs beste
Und hielten auch immer feste
Bis an ihr Beider Ende dran.
Tristan, der heimathlose Mann,
Kaedinen er zu sich nahm
Und zu dem Herzog gegangen kam:
Er forschete und hieß ihm sagen,
Wie sein Krieg sich hätte dargetragen
Von seinen Feinden von Anfang an,
Von wannen man ihm hätte gethan
Den allergrößten Schaden,
Mit dem man ihn überladen.
Nun ihm das alles ward genannt,
Wie's mit dem Orlog war bewandt,
Und ihm berichtet lang und breit
Der Feinde Stand und Gelegenheit,
Und wohin sie ritten mit ihrem Zug,
Da hatte der Herzog, den er frug,
Ein gut Castel in seiner Pflege,
Das lag den Feinden auf dem Wege;
Da lagerte sich Tristan drin,
Er und sein Geselle Kaedin
Mit einer mäßigen Ritterschaft.
Sie hatten keine so große Kraft,
Daß sie zu irgend einer Zeit
[213]
Ins Feld sich wagten mit offnem Streit:
Sie mußten bleiben in ihrem Bann
Und konnten höchstens dann und wann
Mit Raube und mit Brande
Schaden der Feinde Lande
Ganz heimlich und verstohlen.
Tristan, der sandte verhohlen
Wieder heim gen Parmenie,
Seiner lieben Massenie,
Des Marschalls Kinden, er entbot:
Ihm thäte Rüstung und Heerskraft Noth
Wie nimmer, mit Begehre,
Daß sie ihre Tugend und Ehre
Gänzlich an ihm bedächten
Und ihm ihre Hilfe brächten.
Die brachten ihm in einer Schaar
Alsbald fünfhundert Sättel dar,
Gerüstet wohl zu Preise,
Auch Vorrath gnug von Speise.
Zuhand als Tristan das vernahm,
Daß ihm aus der Heimath Hilfe kam,
So fuhr er ihnen selbst entgegen
Und führte sie Nachts auf geheimen Wegen
Und brachte sie so still ins Land,
Daß es nicht leicht Jemand befand
Als seine eigene Freunde da,
Mit deren Hilfe es geschah.
Die Hälfte er zu Karke ließ,
Allwo er ihnen gebot und hieß,
Daß sie sich hielten still und sacht
Und nähmen andres nichts in Acht,
Wer auch zu streiten käme,
Bis man für wahr vernähme,
Daß Kaedin und er da stritten
Und hätten die Feinde angeritten;
Da sollten sie versuchen ihr Heil.
Hiemit nahm er das andre Theil,
Damit kehrt' er des Weges dar
Zur Burg, die ihm befohlen war.
In diese brachte er sie bei Nacht,
Worauf er auch Die drin ihre Macht
So gut verhehlen und bergen hieß,
Wie Jene, die er in Karke ließ.
Des Morgens unterm Tagen,
Da hatte er zum Schlagen
Sich Ritter ausgesundert
Nicht weniger denn hundert;
In dem Platz er die andern ließ.
Kaedinen er bat und hieß,
Er sollte den Seinen sagen,
So man ihn würde jagen,
Sollten sie sein Acht haben
Und ihm zu Hilfe traben
Von Karke und aus dem festen Haus.
So ritt er auf die Mark hinaus:
Mit offnem Raub und Brande
Verheerte er die Lande,
Wo ihm der Feinde Boden und Grund,
Festen und Städte waren kund,
Da flog noch vor der Nacht der Schall
Durch Land und Burgen überall,
Daß Kaedin, der stolze Held,
Mit Rossen und Reitern sei ins Feld
Gezogen offner Weise.
Herrn Rugier von Doleise
Und Nautenis von Hante
Und Rigolin von Nante,
Der Feinde Feldhauptleute,
Die Märe nicht erfreute:
All die Rüstung und all die Macht,
Die sie noch konnten bei der Nacht
Besenden, die ward gar besandt.
Des andern Tages allzuhand
Bei guter Zeit, wohl um Mittag,
Da ihre Macht beisammen lag,
Rückten sie wider Karke dar.
Ritter waren in ihrer Schaar
Vierhundert oder auch noch mehr.
Sie meinten und versahn sich sehr,
Sie sollten sich niederlassen da,
Wie auch von ihnen sonst geschah
Und hatten's vormals oft gethan.
Nun kehrte auf ihrer Spur Tristan
Und sein Geselle Kaedin,
Da sie nicht träumten in ihrem Sinn,
Daß Jemand zu den Zeiten
Mit ihnen wage zu streiten;
Da kamen die in vollem Flug,
Und glaubte Keiner früh genug
Der Feindeskraft zu nahen.
Nun daß die Feinde sahen,
Daß es zu Streite war gewandt,
[214]
So kehrten sie an den Streit zuhand.
Sie kamen mit einander her.
Nun flog im Getümmel Speer und Speer,
Flog Roß und Roß und Mann und Mann
So feindlich gegen einander an,
Daß es zu großem Schaden gedieh.
Sie thaten Schaden dort und hie,
Allhie Tristan und Kaedin,
Alldort Rugier und Rigolin.
Was Jemand mit dem Schwerte
Oder dem Speer begehrte,
Das hatte er da, das fand er.
Sie riefen wider einander
Hie: »Schevalier Hante,
Doleise und Nante!«
Dort: »Karke und Arundele!«
Nun Jene in dem Castele
Den Ernst ersahen an dem Strauß,
Da brachen sie zu den Pforten aus
Und fielen diesseits in die Schaar.
Die warfen sie balde her und dar,
Ritten herum mit grimmem Streit
Und durchbrachen sie auch in kurzer Zeit.
Sie hieben und sie trafen
Wie Eber unter Schafen.
Nach Bannern und nach Wappen,
Die unterm Troß der Knappen
Die Fürsten kenntlich machten,
Begann Tristan zu trachten
Und sein Geselle Kaedin.
Da ward Rugier und Rigolin
Und Nautenis gefangen
Und großer Schade empfangen
Von ihrer Massenie.
Tristan von Parmenie
Und seine Landgesellen,
Die ritten, den Feind zu fällen,
Zu schlagen und zu fahen.
Nun daß die Feinde sahen,
Der Kampf, der sei verschwendet,
Da war das Blatt gewendet:
Mit Flucht oder auch mit Listen
Sich zu nähren und zu fristen,
Das war da ihrer Jedem Noth:
Fliehen, Flehen und auch der Tod,
Die schieden einerseit den Streit.
Nun daß der Streit so einerseit
Mit Einem Schlage war vollbracht
Und die Gefangenen verwacht
Und geführt an ihre Orte hin,
Brach Tristan auf und Kaedin
Und nahmen all ihre Ritterschaft,
All ihre Macht und ihre Kraft
Und ritten nun erst recht in das Land:
Wo man der Feinde einen fand
Oder ihr Gut erspähte,
So Land, so Burgen, so Städte,
War alles verloren, wie es lag.
Ihren Gewinn und ihren Erjag,
Den sandten sie gen Karke dar.
Nun sie der Feinde Marken gar
Bezwungen und gebrochen,
Wohl ihren Zorn gerochen
Und hatten zu Handen alles Land,
Da schickte Tristan allzuhand
Seine Landmassenie
Wieder gen Parmenie
Und dankte höchlich ihnen
Für ihr getreues Dienen,
Das seinen Ruhm erhöht im Feld.
Tristan, der wohlberathne Held,
Da sein Gesinde von dannen schied,
Von wegen der Gefangnen rieth,
Daß sie zu Hulden kämen
Und von dem Herzog nähmen,
Womit er sie wiederum belieh,
Dafern er ihnen ganz verzieh;
Und mußten auch vergeiseln das,
Daß diese Schuld und dieser Haß
Dem Lande ohne Schwere
Ihrthalben auf immer wäre;
Und traten Alle der Sühne bei:
Die Herren und ihre Massenei.
Hiemit ward aber Herrn Tristan
Viel Lobes und Ehren angethan
Am Hof und im Lande weit und breit.
Seine Sinne und seine Mannlichkeit,
Die preisete so Hof als Land.
Die waren beide auch gewandt,
Nicht anders, denn wie er gebot.
Die Schwester Kaedins, Isot,
[215]
Die mit den weißen Handen,
Die Blume von den Landen,
Die war stattlich und weise
Und hatte sich mit Preise
Und Lobe so herfürgethan,
Daß ihr das Land war unterthan
Und sprach nichts anders weit und breit
Denn nur von ihrer Vollkommenheit.
Da die Tristan so schön ersah,
Ward ihm sein Leid erneuet da,
Seine alte Herzenstrauer
Gewann da frische Dauer.
Sie mahnte ihn gar zu holde
Der anderen Isolde,
Der lautern, die er in Kornwall ließ;
Und weil sie auch Isolde hieß,
So ward er von dem Namen hie,
So oft sein Auge fiel auf sie,
So traurig und so freudenlos,
Daß auch sein Antlitz bald erschloß
Den Schmerz in seinem Herzen.
Doch liebte er den Schmerzen
Und trug ihm inniglichen Muth:
Er däucht' ihn süß, er däucht' ihn gut.
Er minnete dieses Wehe ja:
Darum, wenn er sie gerne sah,
So sah er sie gerne, weil sein Herz
Viel größere Freude fand am Schmerz,
Den es trug um die Blonde,
Denn am Schönsten unterm Monde.
Isolde war sein Lieb und Leid,
Ja, Isolde, seine Beworrenheit,
Die that ihm wohl und weh zumal:
Je mehr Isolde sein Herz in Qual
Ihm mit dem Namen Isolde brach,
Je lieber ging er Isolden nach.
Viel ofte sprach er da zu sich:
»A, De benie, wie bin doch ich
Von diesem Namen verirret!
Er irret und verwirret
Mit seinem Klange das Ja und Nein
In den Augen und in den Sinnen mein.
Er bringt mir wunderliche Noth:
Mir lachet und mir spielt Isot
In meinen Ohren zu jeder Frist,
Und weiß doch nicht, wo Isolde ist.
Mein Auge, das Isolden sicht,
Dasselbe sieht Isolden nicht.
Sie ist mir ferne und wohnt mir bei:
Ich fürchte, daß ich verzaubert sei
Mit Isolden aufs Neue.
Aus Kornwall, meiner Treue,
Ist Arundel, so wähn ich wohl,
Karke geworden aus Tintayol
Und aus Isolden Isolde.
Wie irret mich die Holde!
Wenn Jemand was von dieser Magd
Unter Isoldens Namen sagt,
So wähn ich, Isolde sei bei mir,
Und bin doch wieder verirrt von ihr.
Wie wunderlich ist mir geschehn!
Daß ich Isolden möge sehn,
Begehr ich nun viel lange Frist:
Nun bin ich, wo Isolde ist,
Und bin Isolden doch nicht bei,
Wie nah ich auch Isolden sei.
Isolden sehe ich alle Zeit
Und sehe sie nicht: das ist mein Leid.
Isolden hab ich gefunden zwar,
Doch nicht die mit dem blonden Haar,
Die mir so sanft unsanfte thut:
Es ist Isolde, die mir den Muth
In diese Gedanken hat gebracht,
Auf die mein Herz ist so bedacht.
Es ist die von Arundele,
Und nicht Isot la bele:
Die sieht mein Auge leider nicht.
Was aber immer mein Auge sicht,
Das mit dem Namen besiegelt ist,
Dem allem soll ich alle Frist
Liebe und holdes Herze tragen,
Dem lieben Namen Gnade sagen,
Der mir so manchmal hat gegeben
Wonne und wonnigliches Leben.«
Dergleichen Mären hub Tristan
Viel ofte bei sich selber an,
Wenn er sein tröstliches Uebel da,
Isote as blansche mains, ersah.
Dieselbe entzündete ihm den Muth
Frisch mit der immer glimmenden Gluth,
[216]
Die ihm ja doch so Nacht als Tag
Unter der Asche im Herzen lag.
Er wollte nicht mehr streben
Nach ritterlichem Leben:
Sein Herze und seine Sinne
Die waren nur der Minne
Und Frohgemüthlichkeit geweiht.
Er suchte Frohgemüthlichkeit
In wundersamer Weise:
Er trachtete mit Fleiße,
Er wollte mit Liebe und liebem Wahn
Der holden Magd Isolde nahn,
Sein Herz und seine Triebe
Wenden zu ihrer Liebe,
Ob ihm seine sehnende Bürde
Durch sie wohl ringer würde.
Er übte an ihr mit süßem Spiel
Seiner inniglichen Blicke viel
Und sandte deren so manchen dar,
Daß sie gar balde ward gewahr,
Daß er ihr holdes Herze trug.
Auch hatte sie zuvor genug
Um ihn Gedanken sich gemacht:
Sie hatte viel an ihn gedacht,
Seit daß sie hörte und auch sah,
Wie man ihn lobte fern und nah
Am Hof und über das ganze Land:
Seit war ihr Herze zu ihm gewandt;
Und wenn Tristan zu Zeiten
Seine Augen herübergleiten
Und etwa ruhen ließ auf ihr,
So widerließ sie die ihren schier
Und schaute so innig auf den Mann,
Daß der Mann hob zu gedenken an,
Mit welchen guten Dingen
Er es möchte vollbringen,
Daß all seine Herzensschwere
Gelöscht und geendet wäre,
Und ward von Tag zu Tag mehr stät.
Er sah sie früh, er sah sie spät
Und kam, so viel er konnte, hin.
Viel schier geschah, daß Kaedin
Ihr Beider Blicke ward gewahr,
Und führte ihn nun auch öfter dar,
Denn er je vormals pflegte,
Weil er die Hoffnung hegte,
So sie ihm Wurzeln im Herzen triebe,
Daß er sie nähme und allda bliebe;
So hätte er auch mit seiner Hand
Die Kriege zu End gebracht im Land.
Da bat er seine Schwester sehr,
Daß sie sich Tristanden mehr und mehr
Mit Reden hold erwiese,
Doch nur, wie er's ihr hieße,
Und käme auch an keine That
Ohn ihn und ihres Vaters Rath.
Isolde that, was er sie bat,
Weil sie es selber gerne that,
Und bot's Tristanden baß und baß:
Rede, Gebärden und alles das,
Was die Gedanken bestricken kann,
Was Minne facht im Herzen an,
Begann sie an ihn mit Fleiße
Zu wenden auf alle Weise,
Bis daß er auch entzündet war
Und ihm der Name wunderbar
Isolde sanfte klang im Ohr,
Der ihm unsanfte klang zuvor:
Er hörte und sah die Werthe
Viel lieber, als er begehrte.
Recht also that auch ihm Isold:
Sie sah ihn gerne und war ihm hold.
Er minnete sie, sie minnete ihn,
Bis ihnen war ein Band gediehn
Von Liebe und Genossenschaft,
Und übten das auch mit aller Kraft
Und zu jeglichen Stunden,
So sie es füglich funden.
Eines Tages, da saß Tristan,
Und kamen ihn Gedanken an
Von seinem Erbeschmerzen:
Er bedachte in seinem Herzen
So manche Pein, so manche Noth,
Die sein ander Leben Isot,
Die blonde Königinne,
Der Schlüssel seiner Minne,
Erlitt um seinetwillen
Und doch so steten Willen
Bewies in allen Schmerzen.
Er nahm es ihm zu Herzen,
[217]
Und ging's ihm recht an seinen Leib,
Daß er außer Isolden je ein Weib
In seinen Muth mit Minne nahm
Und je auf den Gedanken kam.
Mit Leide sprach er da zu sich:
»Ich Ungetreuer, was thu ich!
Ich weiß doch wahr wie meinen Tod,
Mein Leben und mein Herz Isot,
Der ich so falsch gesinnet,
Die meinet und die minnet
Kein Wesen hie auf Erden,
Und kann ihr auch nichts werden
Lieb denn nur ich alleine:
Und minne ich und meine
Ein Leben, das ihr nicht gehört.
Ich weiß nicht, was mich hat bethört.
Was thu ich denn, was kommt mich an,
Mich treuvergessenen Tristan?
Ich minne zwo Isolden, ich,
Bin Beiden hold und minniglich,
Und aber mein ander Leben Isold
Ist doch nur Einem Tristan hold.
Die Eine, die will keinen
Tristan denn nur mich Einen,
Und werb ich nach Minnesolde
Einer andern Isolde.
Weh dir, du sinnenloser Mann,
Du blind verirreter Tristan!
Laß diese Blindheit ohne Sinn,
Thu diesen Ungedanken hin!«
So fand er sein altes Herze wieder:
Muth und Minne, die legt' er nieder,
Die er der Magd Isolde trug.
Jedoch so ließ er zu ihr genug
Süßer Gebärden schleichen,
Daß sie seiner Minne Zeichen
Zu haben wähnte voll und klar.
Da war es aber anders gar:
Es ging, wie es sollte, mit dem Muth:
Isolde, die hatte Isoldens Gut,
Tristanden, an dem Muth genommen;
Sein Muth war aber zurückekommen
Auf seine Erbeminne:
Sein Herz und seine Sinne,
Die trieben da nur ihr altes Leid.
Doch war er höfisch und dienstbereit:
Da er mußte an der Jungfrauen
Ihr sehnend Leid erschauen,
Wie sie zu üben das begann,
Da kehrte er seinen Fleiß daran,
Ihr Freude zu bescheren:
Er sagte ihr schöne Mären,
Er schrieb, er las ihr und er sang,
Und was ihr irgend ergötzlich klang,
Darauf war all sein Sinn gestellt;
Er war ihr traulich zugesellt,
Er kürzte ihr manche Stunde,
Zuweilen mit dem Munde
Und unterweilen mit der Hand.
Tristan, der machte und erfand
Zu jeglicher Art von Saitenspiel
Leiche und guter Noten viel,
Die seit geliebt sind weit und breit.
Auch fand er zu derselben Zeit
Den edlen Leich Tristanden,
Den man in allen Landen
So lieb und werth hat, der besteht,
Bis diese Welt dereinst vergeht.
Gar oft und viel erging auch das,
Daß das Gesinde zusammensaß,
Er und Isolde und Kaedin,
Der Herzog und die Herzogin,
Die Frauen und Barone,
Da dichtete er Schanzone,
Rondate und höfische Liedelein
Und flocht je dies Refloit darein:
»Isot ma drue, Isot ma mie,
En vus ma mort, en vus ma vie!«
Und weil er das so gerne sang,
So trog sie Alle dieser Klang,
Und kamen alsbald auf den Wahn,
Er gehe ihre Isolde an,
Und freuten sich darüber sehr;
Und aber Keiner von Allen mehr,
Denn sein Geselle Kaedin:
Der machte ihn heimisch und setzte ihn
Zu allen Stunden und Zeiten
Der Schwester an die Seiten.
Die war sein auch von Herzen froh,
Nahm ihn zu Handen so und so
Und gesellte sich fleißig zu ihm hin.
[218]
Ihre klaren Augen und ihr Sinn
Begannen auf ihm zu weilen;
So warf auch unterweilen
Das arme schwache Frauenbild
Seiner Scham und seiner Keuschheit Schild
Zum Nacken von den Augen hin:
Sie legte mit unverhohlnem Sinn
Ihre Hand oft in die seine,
Als geschähe das alleine
Ihrem Bruder Kaedin zu lieb.
Wohin es aber der auch schrieb,
Ihre eigne Freude lag daran.
Die Magd sich wider den Mann begann
So recht lieblich zu machen,
Zu schwatzen und zu lachen,
Zu kosen und zu streicheln,
Zu necken und zu schmeicheln,
Bis sie ihn entzündte zum andern Mal,
Daß er aber begann in neuer Qual
Mit Muth und mit Gedanken
In seiner Liebe zu wanken.
Er war an Isolden unbericht,
Ob er sie wollte oder nicht.
Auch that's ihm meiner Treuen Noth,
Daß sie ihm's also süße bot.
Oft sprach er zu sich selber hin:
»Willst du, oder willst du nicht, mein Sinn?
Ich wähne nein, ich wähne ja.« –
So war aber die Stete da:
»Nein,« sprach sie zu ihm, »Herr Tristan,
Sieh deine Treu an Isolden an!
Gedenke an die holde:
An die getreue Isolde,
Die keinen Fußbreit von dir wich.«
So war er aber mächtiglich
Von den Gedanken hingenommen
Und aber in solchen Jammer kommen
Durch Isoldens Minne,
Seines Herzens Königinne,
Daß er Gebärden und Art so sehr
Damit verwandelte, daß er
An jeder Stätte, zu jeder Zeit
Nichts übte als Trauer nur und Leid,
Selbst wenn er zu Isolden kam,
Seine Rede mit ihr zu Handen nahm,
Sein selber ganz und gar vergaß
Und immer seufzend bei ihr saß:
Seine heimliche Wunde
Kam offen so zur Kunde,
Daß all das Ingesinde sprach,
Sein Trauern und sein Ungemach
Das käme von Isolden gar.
Sie sprachen auch meiner Treuen wahr:
Tristandens Trauer und seine Noth
Das war nichts anders denn Isot.
Sie war sein tödtlich Uebel, sie,
Und aber ganz und gar nicht Die,
Von der sie es verstanden,
Die mit den blanken Handen:
Es war Isot la bele,
Nicht die von Arundele.
Sie wähnten es aber insgemein;
Auch Isolde wähnte, es müsse sein,
Und ward dadurch verirret gar:
Denn Tristan sehnte sich fürwahr
Zu keiner Zeit und nimmermehr
Nach seiner Isolde also sehr,
Wie sie nach ihm. So ohne Ruh
Brachten sie Zwei die Stunden zu
Mit zwiegespaltnem Leide.
Sie sehneten sich Beide
Und hatten zusammen ihren Gram,
Der aber nicht ins Gleiche kam.
Ihr Minnen und ihr Meinen,
Das war nicht zu vereinen:
Sie gingen da nicht in dem Tritt
Vereinter Liebe einander mit,
Weder Tristan, noch die Magd Isot.
Tristan, der wollte in Leben und Tod
Eine andre Isolde:
So wollte aber die Holde,
Die mit den weißen Handen,
Keinen andern Tristanden.
Sie minnete und sie meinte ihn,
Ihr Herz und Sinn stand zu ihm hin,
Sein Trauern war ihr meistes Leid;
Und so sie ihn sah zu einer Zeit
Im Antlitz sich verfärben,
Und er, als ging's zum Sterben,
[219]
So innig zu seufzen drauf begann,
So sah sie ihn innigen Blickes an
Und seufzte mit ihm leise.
In viel geselliger Weise
Trug sie die Trauer mit dem Mann,
Und ging sie doch, weiß Gott, wenig an.
Sein Leid bedrängte sie so sehr,
Daß es an ihr Tristanden mehr
Denn an ihm selber mühte.
Der Liebe und der Güte,
Die sie so stetiglich ihm trug,
Deren erbarmte es ihn genug,
Und daß sie ihre Sinne
So ganz an seine Minne
Um nichts gegeben hatte hin
Und hatte ihr Herz gewandt an ihn
Auf also gar verlornen Wahn.
Doch blieb er ihr höfisch beigethan
Und fliß sich allestunde
Aus ganzem Herzensgrunde
Mit Märe und Gebärde,
Und hätt ihr die Beschwerde
Viel gerne abgenommen.
Sie aber war drein gekommen
Zu tief und gründlich, und je mehr
Mit Mären und Gebärden er
Bemüht war und beflissen,
Je mehr sie hingerissen
Von seinem Fleiß ohn seinen Dank
In die viel blinden Gluthen sank,
Bis sie so weit aufs Ende kam,
Daß Minne sie mit Sieg hinnahm,
So daß sie ihm ihre Stricke,
Gebärden, Reden, Blicke,
So oft, so innig süß entbot,
Daß er in seine Zweifelnoth
Aber zum dritten Male fiel
Und aber seines Herzens Kiel
Begann in Ungedanken
Zu fluthen und zu schwanken,
Und war da wenig Wunder dran:
Denn, weiß Gott, die Lust, die dem Mann
Alle Stunden und alle Frist
Lachend unter den Augen ist,
Die blendet die Augen und den Sinn,
Die ziehet je das Herze hin.
All, die in Minne brennen,
Die mögen hie erkennen,
Daß man viel baß erträgt allzeit
Von ferner Minne ein fernes Leid,
Denn daß man der Minne nahe bei
Und naher Minne ohne sei.
Fürwahr, so weit ich's verstehen kann,
Viel lieber Minne mag ein Mann
Baß fern entbehren und fern begehren,
Denn nah begehren und nah entbehren:
Vor der fernen er leichter flieht,
Dann er der nahen sich entzieht.
Hierin verwirrte sich Tristan schwer:
Ferner Minne begehrte er
Und litt groß Ungemach um die,
Die er nicht sah, noch hörte hie,
Und entzog sich der immer nahen,
Die seine Augen sahen.
Er begehrte zu jeder Stunde
Nach la bele, la blunde,
Nach Isolden vom Irenlande,
Und floh die weißgehande,
Die stolze Magd von Arundel.
Um Jene quälte er Leib und Seel
Und wollte Diese meiden:
So ging er irr an Beiden:
Er wollte Isolden, sein Lebenslicht,
Und aber wollt er Isolden nicht.
Die floh er, und Jene suchte er.
Die Magd Isold hatt ihr Begehr,
Ihre Treue und ihren lautern Sinn
Einfältig auf ihn gewendet hin:
Sie begehrte einen Entziehenden,
Sie jagte nach einem Fliehenden.
Warum? sie war von ihm betrogen.
Er hatte ihr so viel gelogen
Mit zwein Bethätigungen:
Der Augen und der Zungen,
Daß sie seines Herzens wähnte und sein
Sicher und ganz gewiß zu sein;
Und aber von allem Lug und Trug,
Womit er sie in die Fesseln schlug,
Der größte Zauber dieser war,
Der auch vor allen andern gar
Ihr Herze zu Tristans Liebe zwang,
Daß er das Lied so gerne sang:
[220]
»Isot ma drue, Isot ma mie,
En vus ma mort, en vus ma vie!« –
Das war's, was ihr Herze ganz hinnahm,
Das war's, wovon ihr die Liebe kam.
Auch nahm sie sich gänzlich zu eigen an
Dies Wort und ging dem fliehenden Mann
So inniglich süß verfolgend mit,
Bis daß sie ihn auf dem vierten Tritt
Der Minne fing, da er sie floh,
Und zog ihn wieder zurücke so,
Daß er aber in ihren Ketten lag
Und aber lag so Nacht als Tag
Im Wanken und im Schwanken
Angstmüthiger Gedanken
Ueber sein Leben und über sich.
»Ei,« dachte er, »Herre, wie bin ich
Mit Liebe also verirret!
Dies Lieb, das mir so wirret,
Das mir benimmt so Leib als Sinn,
Davon ich so beschweret bin,
Soll mir von ihm auf Erden
Jemals Genesung werden,
Muß ich durch fremdes Lieb genesen.
Ich habe doch schon oft gelesen
Und weiß, daß eine Leidenschaft
Benimmt der andern ihre Kraft.
Des Rheines Fluß und Wasserschooß
Der ist doch nirgends also groß,
An keiner Statt, noch Stelle,
Daß er nicht Well um Welle,
Einzeln und Guß um Gieße
Sich gar entschöpfen ließe:
So wird der mächtig große Rhein
Viel kaum ein kleines Rheinelein.
Kein Feuer hat auch so große Kraft,
So Jemand wäre drauf bedacht,
An Bränden ihm abzubrechen,
Daß er's nicht mochte schwächen,
Bis daß es gar zerstiebet.
So ist Dem, der da liebet,
Der hat dem auch ein gleiches Spiel:
Er mag sein Gemüthe so oft und viel,
Bis daß versiegt die Quelle,
Entschöpfen Well um Welle
Und so mit einzeln Bränden
Zertheilen und verschwenden,
Bis er es also dämpft und zwingt,
Daß es ihm wenig Schaden bringt.
So mag auch ich's vollenden:
Will ich zertheilen und spenden
Mein Minnen und mein Meinen
Mehr denn nur einer Einen
Und wende ich meine Sinne
An mehr denn Eine Minne,
So werd ich noch vielleicht auf Erden
Ein trauerloser Tristan werden.
Nun muß ich die Probe machen:
Will mir das Glücke lachen,
So ist Zeit, daß ich's beginne;
Denn die Treue und die Minne,
Die ich zu meiner Frauen habe,
Die bringt mir Frommen nicht, noch Labe.
Ich vergeude an sie Leib und Leben
Und weiß mir keinen Trost zu geben
Des Leibes, noch des Lebens.
Ich leide allzu vergebens
Diesen Kummer und diese Noth.
Ach, süße Freundin, liebe Isot,
Dies Leben ist uns Beiden
Zu sehr entzweit durchs Scheiden.
Es steht nun anders gar als eh,
Da wir Ein Wohl, da wir Ein Weh,
Mit Liebe und mit Leide
Ein Leben hatten Beide.
Nun steht es leider nicht mehr so:
Nun bin ich traurig, Ihr seid froh.
Sich sehnen meine Sinne
Nach Eurer süßen Minne,
Und Eure sehnen sich nunmehr,
Ich wähne, nach meiner nicht gar sehr.
Die ich um Euch versage mir,
O weh, o weh, die Lust habt Ihr
So oft, als Euch gefället.
Ihr seid dazu gesellet:
Marke, Euer Herre, und Ihr, ihr seid
Daheim und gesellet allezeit;
So bin ich fremd und alleine.
Ich werde wohl, ich meine,
Nie mehr von Euch getröstet sehr,
Und kann doch nimmer nimmermehr
[221]
Mit meinem Herzen von Euch kommen.
Warum habt Ihr mich mir benommen,
Nun Ihr mein also klein begehrt
Und mein auch immer wohl entbehrt?
Ach, süße Königin Isot,
Mit wie viel mancher Herzensnoth
Geht mir mein Leben um Euch hin,
Der ich Euch nicht so wichtig bin,
Daß Ihr seit hättet nach mir gesandt
Und Euer Forschen an mich gewandt.
Nach mir gesandt? was rede ich?
Wo sollte sie denn besenden mich
Und forschen nach meinem Leben?
Bin ich doch längst ergeben
Den ungewissen Winden:
Wie konnte man mich finden?
Ich kann es nicht erdenken, wie:
Man suche dort, so bin ich hie,
Man suche hie, so bin ich dort:
Wie findt man mich und an welchem Ort?
Wo man mich finde? Wo ich bin:
Die Lande entlaufen nirgends hin;
Ich bin doch in den Landen,
Da suche man Tristanden:
Ja, wem das Herz drauf stände,
Der suchte, bis er mich fände;
Denn wer den Fahrenden suchen will,
Dem ist ja kein gewisses Ziel
Des Suchens fürgegeben;
Er muß sein ganzes Streben,
Gern oder nicht, dran wenden,
Will er es wohl vollenden.
Meine Fraue, an der mein Leben ist,
Weiß Gott, die sollte seit all der Frist
Viel heimlich haben nach mir durchsandt
Ganz Kornewall und Engelland,
Die Normandie und das Frankenreich,
Mein Land Parmenien, alles gleich,
Und wo sonst ging eine Märe,
Daß ihr Freund Tristan wäre.
Das sollte alles durchforschet sein,
Wär sie bedacht gewesen mein.
Nun kam's ihr nicht zu Sinne,
Die ich meine und minne
Mehr denn meine Seele und meinen Leib.
Um sie meid ich jedwedes Weib
Und muß sie selber auch entbehren.
Ich kann von ihr ja nicht begehren,
Was Freude und wonnigliches Leben
Auf dieser Welt mir sollte geben.«

* * *


Bis hieher wob des Meisters Hand
Des Leides und der Liebe Band.
Es liegt verwaist: eine dunkle Hand
Zerschnitt zu früh sein Lebensband.

Die Tristanssänger

[222] Die Tristanssänger.

»Wo nun reicher Künste Hort,
Wo schöne Rede, wo blühende Wort,
Wo Fünde, die wie Veilchen blühn,
Wo Sprüche, die wie Rosen glühn,
Wo sinniger Satz, wo fündiger Sinn?
Der aller ich ein Waise bin:
Gedichtes des gar reichen,
Kunstvollen, ohnegleichen,
Bin ich ein erbeloser Mann,
Und hab mich doch genommen an,
Zu vollbringen diese Mär,
Die so blühend bis daher
Mit schöner Rede bedichtend
Und meisterlich berichtend
Meister Gottfried von Straßburg schritt,
Ihr Herre, der so manchen Schnitt,
Künstlichen und reichen,
Schönen und meistergleichen,
Nach vollkommenen Meisters Sitten
Aus blühendem Sinne hat geschnitten
Und hat den Sinn zur selben Zeit
Gehüllt in so reicher Rede Kleid,
Diese Materien hat seine Hand
Gesprenzet in so licht Gewand,
Daß ich gar zweifeln muß daran,
Ob ich irgend erfinden kann
In meines Sinnes Gründen
Reden, die zierlich stünden
Zu diesem goldenen Gedicht.
Nun mögen wir ihn behalten nicht:
Gott, unser Schöpfer, das gebot,
Daß ihn genommen hat der Tod
Hin von dieser schnöden Werlt.
Wohlgeblümet und wohlgeperlt
Ist seiner blühenden Fünde Kranz,
Viel reine, lauter viel und glanz
Ist seiner reichen Künste Hort.
Die Todten mit den Todten dort,
Die Lebenden mit den Lebenden hie!«
Von dem ich diese Worte lieh,
Heinrich von Friberg heißt der Mann:
Er nahm sich des Gedichtes an
Und führte es auch ans Ziel hinaus
Mit Spiel und Fest, mit Ernst und Strauß,
Mit mancher höfischen Kunde
Von Artus' Tafelrunde,
Von Kosen in Waldes Grüne,
Von aber neuer Sühne
Und neuer Minnenheimlichkeit,
Von neuem Trug und neuem Streit,
Mit reichen Bildern, allzu reichen.
Von Türheim Ulrich that desgleichen,
Mit trocknem Muth und kurz genug,
Den doch die schöne Sprache trug
(Die, innerlichen Lebens voll,
Im schwächsten Mund von Leben schwoll)
Aufrecht auch über Stock und Stein;
Er will mir fast noch lieber sein.
Sie thaten Jeder nach seiner Macht;
Auch schelt ich nicht, was sie vollbracht:
Es brächte mich selber leicht in Schmach.
Ich spreche nur dem Meister nach:
»Sie thaten's aus edlem Muthe,
Thaten's der Welt zu Gute.«
Und aber, sagt auch Heinrich da,
Was Thomas von Britannia
Sprach in lampardischer Zungen,
[223]
Das habe er nachgesungen, –
Was er auch sagt und was er spricht,
Der echte Thomas war es nicht.
Suche den echten, wer da mag!
Er kommt doch nimmermehr zu Tag.
Der steckt in keiner alten Schrift,
Die man in Staub und Moder trifft
Und mag sie zurechte richten:
Der ist nicht nachzudichten.
Die echte Urschrift, mir ist's kund,
Die lag im liedersüßen Mund,
Im reichen Hort von Freud und Schmerzen,
Die lag in Meister Gottfrieds Herzen.
»Hier liegt ein Dichter.« Diesen Fund
Sprach oftmals eines Hirten Mund
Vor einem Hügel, in Sinnen tief,
Darunter ein alter Sänger schlief,
Allwo er weidete jeden Tag
Und auch bei Nacht am liebsten lag
Auf seinem wundergrünen Rand.
Ein Zauber, den er kaum verstand,
Hielt ihn gebannt an diesen Ort.
Nun suchte er stammelnd Wort zu Wort,
Er wußte selbst nicht, was ihn trieb,
Er hätte gerne zu Lob und Lieb
Ein Lied gesungen dem todten Mann.
Und doch, so oft er den Fund begann:
»Hier liegt ein Dichter« – so ward er stumm;
Im Herzen trug er den Sinn herum,
Auf den Lippen ging das Wort ihm aus.
Da drang ins stille Schlummerhaus
Ein Hauch von seinem treuen Sinn,
Und geistig regte sich's darin:
Denn Dichtung will nicht ruhen,
Wie Schätze in Geizes Truhen.
Und als er entschlief in einer Nacht,
Nachdem er sich lange müd gedacht,
Da kam aus dem Hügel hervorgewallt
Von hohem Wuchs eine edle Gestalt;
Ihre Augen schienen wie Sterne hell.
Sie sprach: »Da liegst du nun, Gesell,
Und möchtest wirken mein Loblied gern.
Merk auf, wie die Schale sich fügt zum Kern:
Entweder bist du zum Heil geboren,
Oder ist all deine Müh verloren.« –
Die Zunge rührt' er ihm und begann:
»Hier liegt ein Dichter:« da ging's erst an,
Und vor des Schläfers Sinn und Ohr
Auf sprang der Rede goldnes Thor.
Der Sänger, wie er sein Lied vollbracht,
Versinkt in den Hügel. Der Hirt erwacht:
Noch sieht er, schwindend im Dämmerlicht,
Die Schulter, das glänzende Angesicht;
Und wie sich der Hügel schließt, zur Stund
Thut auf sich des Sehnenden stummer Mund,
Und mit gelöster Zungen
Nachsingt er, was Der gesungen:
Da grüßt der Morgen mit junger Lust
Eine erschlossene Dichterbrust.
So vor des Meisters Denkmal still
Steh ich: o könnt ich, wie ich will!
Sein Denkmal ist des Liedes Fluth,
Darin sein Geist, sein Herze ruht:
Ich sprach das Lied ihm stammelnd nach,
Harrend, ob nicht die Fessel brach,
Die dreifach um mein Herz geschlagen
In dunklen Nächten, trüben Tagen
Die bleierne Zeit! doch still davon!
Noch klingt mein Lied mit dumpfem Ton,
Nicht, wie des Meisters Preis gebührt:
Er hat mir die Zunge nicht berührt.
Ich hab, ein Loblied ihm zu weihn,
Nur meinen treuen Sinn allein;
Doch mit der Treue sprengt ein Herz,
Still wachsend, siegend, Stahl und Erz,
Und Treue thut, in so öder Zeit,
Mehr Noth als der Rede goldnes Kleid.
Das hohe Lied der Leidenschaft,
Starr, urgebirgisch, riesenhaft
In dunkler Höhle von Basalt,
Wo Trauer durch die Säulen hallt,
Im alten Keltenland entsprungen,
An Englands, Frankreichs Hof gesungen,
– Das hehre Trauerspiel verwischt
Als lüsterne Fabel aufgetischt,
Urstein zu Modetand zerbrochen –
Von Eilhart schläfrig nachgesprochen,
Hier warm gehegt, dort halb gelitten,
Ein leichter Spiegel leichter Sitten,
[224]
So kam es in des Meisters Hand.
Er mußt es nehmen, wie er's fand:
Freiheit nach innen, nach außen Pflichten,
Das war die Zeit, das war ihr Dichten.
Gehorsam ging er Schritt für Schritt
Der Märe und seiner Urschrift mit,
Leichtsüßig, wie ein Vogel geht,
Und dennoch, wo er geht und steht,
Bei jedem Schritt versenkt' er sich
Tiefinnerlich, herzinniglich
In aller Dinge Kern und Wesen.
Die Fabel, wie er sie gelesen,
Die enge, von Welt- und Hofeslust,
Die er nach außen lassen mußt,
Nach innen wie hat er sie erweitet,
Tief in des Herzens Grund geleitet
Und dort aus einer losen Mär
Erbaut einen Tempel hoch und hehr,
Einen Tempel echter Minne!
Seht, wie er hat darinne
Alles zum Heiligthum geweiht,
Die holde Lust, das liebe Leid,
Das Zärtste, was ein Herze hegt
Und unerkannt durchs Leben trägt,
Des Weibes allerhöchstes Gut,
Die Treue mit dem Löwenmuth,
Die nicht sie selber nur verschönt,
Die auch ihr ganz Geschlechte krönt,
Die um ureigne Rechte ficht
Mit Welten, weh, mit Recht und Pflicht!
Die, in der Erde Qualm und Staub,
Der Erdenoth, der Lüge Raub,
Mit heiliger Gluth die Schuld vernichtend,
Hilflos die blöde Lüge richtend,
Gereinigt in des Staubes Schmerz,
Dem Vater der Liebe fliegt ans Herz!
Zu solchem Bild der Leidenschaft
Was braucht's noch Zaubertrankes Kraft?
Den Trank, den Tristan und Isold
Getrunken, solch ein flüssig Gold,
Ich wähne, trank auch Gottfrieds Mund;
Vom süßen Gift im Herzen wund,
Die brennende Wunde lächelnd
Mit kühlen Scherzen fächelnd,
Drängt er des Minnezaubers Hort,
Den ganzen, in sein Zauberwort
Und wird, verzaubert von Minne,
Ein Zaubrer aller Sinne.
Seit sich die Erde dreht im Ring,
Und da sie noch im Mittel hing,
Ist mir kein Meister offenbar,
Dem so das Wort gehorsam war.
Die größten aller Zeiten,
Wenn sie zu Heimlichkeiten,
Zu innersten Geweben
Von Herz und Menschenleben,
Zu Wundern, die im dunkeln
Schooße der Erde funkeln,
Mit Sange fahren nieder,
So lassen sie ihre Lieder
Aus dumpfer Ferne läuten,
So wissen sie zu deuten
Mit einem mächtigen Worte
Auf die verschloßne Pforte,
Dahinter das Geheimniß ruht,
Daß wir's im ahnungsvollen Muth,
Doch nicht mit Augen leiblich sehn.
Er aber bleibt davor nicht stehn:
Wo Andre enden, da hebt er an
Und handhabt, wie kein andrer Mann,
Mit seinen süßen, frischen,
Gefügen, zauberischen
Verslein, die schalkhaft blinken,
Des Thores goldne Klinken,
Daß es sich öffnet weit und groß.
Da läßt er uns im Felsenschooß
Auf nie gekannten Auen
Krystallne Wunder schauen.
Kein Schwanken hier, kein Stillestand!
Er führt uns an der treuen Hand
Weit weit hin durch den stillen Raum,
Und nicht in sinnenhalbem Traum:
Ja, nicht umsonst durchs Felsgestein
Hieb er die heimlichen Fensterlein,
Dadurch in die dunklen Hallen bricht
Das holde, sichre Tageslicht,
Das befangne Herz im Zaubersaal
Anheimelnd mit lebenswarmem Strahl.
Und hat er so im Wunderschacht
Den fernsten Winkel hell gemacht,
Da kommt er aus dem Felsenspalt,
Ein klarer Fluß, hervorgewallt
[225]
Und eilt mit perlendem Schaume munter
Ueber Fels und Stein ins Thal hinunter,
Gleitet mit sanftem Rieseln
Hin über weißen Kieseln,
Durch Waldesdämmerungen,
Wo Stamm mit Stamm verschlungen,
Vorbei an grünen Auen,
Wo Ritter und zarte Frauen
Sich schaaren zu Tjost und Tänzen
Und bunte Zelte glänzen.
Und jeglichem Gestade
Auf seinem Schlängelpfade
Schwemmt er von seinem Goldsand an,
Den er im tiefen Fels gewann.
Und hört ihr aus den leisen,
Den froh gefügen Weisen,
Aus den geschwätzig süßen,
Frisch murmelnden Wellengrüßen,
Hört ihr die Klage schallen,
Den Seufzer, der die Hallen
Der Felsen füllt mit Schauer,
Die uralt alte Trauer,
Daß Liebe je mit Leide lohnt,
Daß Schmerz je bei der Freude wohnt?
Wie klingt's in seinen Weisen nach,
Wie schmerzlich süß, das leise Ach!
Wohin nun rollt er seine Wogen?
Er wendet sich in scharfem Bogen:
Noch ahnt mir manche Wunderschau,
Felswände schroff, Geklüfte grau,
Zuletzt ein stiller blauer See,
Da endet jede Trauer – Weh,
Er schwindet hin! In voller Pracht
Tückisch entrissen in die Nacht!
Verschlungen ohne Wiederkehr!
Da fuhr wohl böser Geister Heer,
Die schönen Menschenloosen grollen,
Der Dichtung Rosen vergiften wollen,
Zur Stunde, da er dem Tag entschwand,
Mit fesselloser Sklavenhand
Frohlockend über die öde Stelle.
Und ich, von seiner dunklen Schwelle,
Soll seines Liedes goldne Fluth
Zum Ziele führen? Was sagst du, Muth?
Darf ich das Wagestück bestehn,
Erbloser Erbe, wie jene Zween,
Mit meinen nüchternen Loosen
Zu rühren an die großen,
Die Isolden und Tristanden
Zu Lieb und Leid verbanden?
Vorwärts! hier gilt kein Widerstand:
Das Schicksal legt's in meine Hand.
Was Tristan seinem Kurvenal
An seiner Statt zu thun befahl,
War's auch das Werk des Meisters nicht,
Es war geadelt durch Treu und Pflicht.
So hab auch ich zu manchen Tagen
Dem Meister die Lanze nachgetragen
Und mich in seinem Dienst erbaut:
Da hat er mir seinen Sinn vertraut,
Und was ich ihm in den Augen las,
Das sprech ich aus nach meinem Maß.
So lang ich lebe, soll nimmer, nein!
Verwaist die schöne Märe sein,
Und was Rual, der treue Mann,
Am Kinde seines Herrn gethan,
Will ich an des Meisters Waise thun:
Ich will fürwahr nicht eher ruhn,
Bis sie in vollem Gewand und Schnitt
Hervor an der Welt Auge tritt,
So reichlich und so wohl bedacht,
Als nur vermag meine arme Macht.
Dazu gib du mir Rath und Frist,
Der du Trost verwaister Liebe bist,
Auf den in des Lebens wirren Wehn
Das einsame Herz allein mag sehn;
Und laß mich verrichten meine Pflicht
Mit bescheidnem Glück: mehr will ich nicht.
Doch willst du mir ein volles geben,
Gern nehm ich's hin, und gält's mein Leben!
Denn über dieses Lied gebeut
Ein seltsam düstrer Stern noch heut:
Der Held, den in der Todesnoth
Sein Vater zeugte, den im Tod
Gebar der bange Mutterschooß,
Verbreitet um sich ein Todesloos:
Mit tödtlich süßem Weh entfacht
Er auch des Sängers Herz und macht
Das Dichten selbst zum Trauerspiel:
Die kleinen brachten es ans Ziel,
Die großen Sänger starben dran.
[226] So er, der immer war ein Mann,
Ein Meister und ein Ritter auch,
Erfüllt von deutschen Geistes Hauch,
Ein Bannerträger in dem Streit,
Dem heimlich sausenden, der Zeit.
Wie schäumt sein Sang, ureigen klingend,
Rasch über rauhe Blöcke springend!
Das Lied war wieder halb entschlafen:
Er weckt's mit Blitzen, welche trafen.
Er sitzt »in stiller Mitternacht,
Vom alten Schloßthor überdacht,
Wo über Hügeln weht das Korn;«
Und aus der Zeiten Gram und Zorn,
Wo ihre Kronen Häupter tragen,
»Die vor dem Blitz der Geister zagen,«
In deren Machtspruch, deren List
»Der Feigling auszuwittern ist,«
Hoch überm Qualm zur lichten Wolke
Erhebt und rettet er dem Volke,
Dieweil es träumet bang und stumm,
Der Dichtung goldnes Heiligthum.
Wer griff so tief, wer sang so gut
Von Hirschenjagd und Roggendrut,
Vom Mittagszauber, wie er nur
Brütet auf weithin ebner Flur
In Korn und Wiesenniederungen
Der Rothen Erde, die er besungen!
(Uraltes Land von deutschem Kern,
Nimm meinen Heimathgruß von fern,
Land, das die Väterwiege war
Der holden Frau, die mich gebar!)
Wie hat er sein Herz an dich getauscht,
Deine Heimlichkeiten abgelauscht,
Du trutzige treue Sachsenart,
Die altes Recht und Volksthum wahrt;
Wie hat er die Sprossen, die echten, jungen
Der Doppeläste schön verschlungen
Von unsrer Eiche, groß und hehr,
Auf dem Gehöfte dort, wo er
Des deutschen Hochlands Sohn verband
Der Tochter vom deutschen Niederland!
Dort Mittags auf dem schwülen Plan,
Beim Zauberschlaf des alten Pan,
Aus all der webenden Schöpfungskraft
Hat er den Feuerwein geschafft,
Den Tristan und Isolde tranken.
Da führt er sie auf dünnen Planken
Ins Reich der Wellen und läßt die feuchten
Im Widerschein der Liebe leuchten;
Er öffnet ihren dunklen Schooß,
Und Wunder läßt er, reich und groß,
Am Blick der Liebe sich entzünden.
Ja, er ist heimisch in den Gründen,
Im Grund des Herzens wie der See,
In der höchsten Lust, im tiefsten Weh,
Im kochenden Gischt des Höllengrauses,
Im Abgrund eines Hochzeithauses,
Das er im Schaffnersrock am Morgen
Durchwandelt in kummerschweren Sorgen,
Daß Liebe liegt in Lügennetzen,
Gesetze kämpfen mit Gesetzen!
Ja freier, kühnlicher beschwingt,
Gestählter im Schmerzensernst, erklingt
Sein Lied, als Gottfrieds weiche Saiten,
Die leicht hin über die Klippen gleiten.
Doch kein Vergleich! Verschieden haben
Die Geister ausgetheilt die Gaben;
Und auch der Dichtung Lebenswellen,
Jahrhunderte durchziehend, schwellen
Und wachsen unterm Himmelsdom
Zu einem immer stärkern Strom.
Denn wie die Welt, doch umgekehrt,
Die von den Schalen sich vermehrt
Der unsichtbaren Schöpfungszwerge,
Aus deren Tod sich thürmen Berge,
Schädelstätten der Creatur,
So wächst die Welt der Dichtung: nur
Daß die ein Grab des Lebens bleibt,
Und die aus Tode Leben treibt.
Sie nährt sich von den Sängerherzen,
Die in den Wonnen, in den Schmerzen
Des schwindelnden Laufes dieser Erden
Einst schlugen und noch schlagen werden;
Und jedes gibt der heiligen Fluth
Sein eigenstes gottgetränktes Blut,
Den zärtesten innern Lebenskeim,
Der aus den Schlacken strebte heim.
So wächst der Strom der Dichtung, merkt,
Daß sich der Götter Sache stärkt
Mit Waffen, die, aus Geist und Leben
Geschmiedet, tödten und Leben geben,
Auf jenen großen Kampfesschlag,
[227]
Den uns abspiegelt jeder Tag,
Auf jene Weltendämmerung,
Darin die Welt wird wieder jung
Und wieder wird auf lichten Auen
Goldtafeln, die verlornen, schauen.
Du treues Herz, so deutsch, so groß,
So fandest denn auch du dein Loos
Und bist in heißer Sehnsucht Pochen,
Im Kampf mit Welt und Zeit gebrochen!
Wie rangst du redlich nach dem Kranz,
Wie warst du hingegeben ganz
Dem Glauben, Schauen und Gestalten,
Wie hast du Stein und Fels gespalten,
Wie nach dem Schwersten stets gegriffen,
Wie scheitertest du oft an Riffen,
Und gingst aus jedem Schiffbruch doch
Leuchtend hervor und größer noch!
Dich weihten in der Wiege Geister
Zu unsres Sanges höchstem Meister,
Der seines Volks tiefinnre Seele
Aussprechen sollte ohne Fehle.
Ihr Lied klang wie ein Traum dir nach:
Da schrittst du durch der Zeiten Schmach,
Vom Zweifel an deiner Kraft verdüstert,
Von leisem Glaubenswort umflüstert,
In Jugendblindheit viel bethört,
Vom blöden Frost der Welt verstört,
Hart strauchelnd auf dem steilsten Pfad,
Gewaltig doch und immer grad
Dem späten Ziel der Reife zu.
Mit manchen Mühen ohne Ruh,
Manch ungefügen Siegfriedshieben
Hast du dein Erz zum Bild getrieben;
Wie hemmten neidisch oft den Guß
Dämonen! Doch der Feuerfluß
Trieb Well auf Welle, nimmer schwach,
Des edelsten Metalles nach.
Und sieh, schon winkt der Siegeslohn!
Das Bild erhebt sich aus dem Thon,
Die Stirne glänzt, die Locken fliegen,
Die Lippe lächelt tausend Siegen,
Aus mächtigen Schultern drängen sich
Die Heldenarme königlich,
Es zuckt! der goldne Bogen rauscht, –
Das Volk steht athemlos und lauscht
Und sieht empor, von Lust geschwellt,
Wie auch die letzte Verkleidung fällt, –
Da, weh, aus blauem Himmel drauf
Ein Strahl! ach, wider Sternenlauf
Und Schicksal! Der so hoch und klar
Ein Leuchtthurm deutscher Bildung war,
Ein Glaubenspfand, ein Halt der Guten,
Er stürzt, und über ihn die Fluthen!
Stumpfsinnig in dem Wassergrausen
Mag nun der Hai, der Roche hausen:
Der Boden, der ein Herze trug,
Das für der Menschheit Höchstes schlug,
Steht nicht bloß öde mit seinem Staub,
Er wird der Niedrigkeit zum Raub,
Und auf dem Damm, der sie gebrochen,
Spreizt sie sich mit zwiefachem Pochen.

Hand und Herz

Hand und Herz.

Kehre zur Märe nun, mein Kiel!
Du bringst doch nimmer sein Lob zum Ziel.
Und wie du ihm so vieles danktest,
Als du gelähmt in Zweifeln schwanktest
Und dir zurief sein mächtig Werben:
Es lebt das Lied und wird nicht sterben,
Und Singen und Forschen geht Hand in Hand
Mit Ringen und Kämpfen fürs Vaterland, –
So laß dir von im die Brücke schlagen,
Die dich soll zu der Märe tragen.
Noch sind uns Blätter, rasch geschrieben,
Von seiner edlen Hand geblieben,
Nur wenige, ach, und unvollendet:
Sie seien in dein Lied verwendet;
Das halbe Wort laß im Gedicht
Lebendig werden. Wohlan, er spricht:
[228]
»Glückloses Frauenleben gleicht
Des Jordans Lauf, der leise schleicht
An Ufern hin, die öde stehn,
Und ist doch Heiliges drauf geschehn.
Da glimmt ein leises Lebenswort
Im Herzen unter der Asche fort:
Ich habe geliebt! Das arme leise
Wort ist des Herzens Trank und Speise.
Das Männerherz, des Glücks beraubt,
Hat ausgelebt und ausgeglaubt:
Es ist ein stummes Leichenfeld,
Vom späten Monde trüb erhellt,
Wo Schemen sich mitternächtlich treffen,
Das Leben mit Schein des Lebens äffen.«
So Tristan. Seit er Isolden ließ,
War er, gestürzt vom Paradies,
Auf nackter Erde bloßgestellt,
Sich selbst verloren und der Welt;
In seines Busens todter Wildniß
Isoldens und Isoldens Bildniß,
Ein Urbild, göttlich, reich in Harm,
Ein Abbild, sterblich, reizend arm.
Und Tristan log sich selber vor:
»Ich bin gestürzt vom goldnen Thor,
Hab einen Himmelstraum geträumt:
Nun, da der Becher ausgeschäumt,
Muß ich ein irdisch Loos erlesen;
Und will nun dieses gute Wesen
Ihr Glück mit innigem Vertraun
Auf ein zerstücktes Herze baun,
Wohlan, so soll sie glücklich sein.
Die Fetzen, die ich nenne mein,
Die will ich gern zur Steuer geben,
Um aufzurichten ihr sehnend Leben.
Also wird ein unheilig Gut
Zum Gottespfennig, und die Gluth,
Die meine Königin bedroht
Mit ewiger Noth, mit bittrem Tod,
Die meinen Ohm in Schande stürzt,
Mich an den Treuen und Ehren kürzt,
Die soll nun einen stillen Herd
Als Feuer wärmen, das nicht verzehrt.«
Das war der größte Lug und Trug,
Den Tristan je zu Markte trug!
Mit Lieb und Treu, mit dem höchsten Gott,
Treibt so der Teufel seinen Spott.
Und ob's meinen Brüdern nicht behagt,
So bleibt es dennoch wahr gesagt:
Mannesherz ist ein ärmlich Ding!
Ihm ist keine Labung zu gering,
Den Durst zu stillen, der ewig flammt,
Die Sehnsucht, die vom Himmel stammt.
Der Mann, der alles verloren hat,
Ißt sich mit Lust am Staube satt:
Wenn ihm Gott, Lieb und Freiheit fehlen,
Kann er noch Steckenpferde quälen.
Die enge Brust voll Eigensucht,
Hascht er nach jeder kleinen Frucht,
Die winkend ihm ins Auge sticht,
Ein armes Stündchen Lust verspricht;
Und hat er dran gekühlt den Sinn,
Wirft er das Spielzeug wieder hin.
Seine Unruh mag er in dem nicht'gen,
Dem lauten Treiben leicht beschwicht'gen,
Und nimmer thut er doch sein Ich,
Auch in der Liebe nicht, von sich,
Das freilich, so hat es Gott bestellt,
Die Wurzel ist, die da sprengt die Welt.
Kaum, wie sich auch die Loose schwärzen,
Stirbt Einer am gebrochnen Herzen.
Ein Weib, das liebet, ist nicht mehr
Ein Ding von Staube, grob und schwer:
Sie starb der Erde blöden Banden
Und ist in Himmelsluft erstanden.
Wie ist ihr Herz so still und rein:
Ihr Du nimmt all ihr Wesen ein,
Für das sie starb, ihr andres Ich,
Und in ihm wohnt Gott sichtbarlich.
Ihr Lieben, das nichts Eignes kennt,
Ist Sterben, Opfer, Sacrament,
Ein Gottesdienst, das ist ihr Lieben!
Drum kann ihr Glück nie ganz zerstieben:
Wenn ihre Sterne all erblassen,
So ist sie nicht getäuscht, verlassen,
Mit dürft'gem Ich arm, bloßgestellt:
Im Herzen ihre wahre Welt
Bleibt, wie sich auch das Auge feuchte,
Ein Tempel mit der ewigen Leuchte,
Drin für und für mit sanftem Wehn
Die Gottheit waltet ungesehn,
Wo ihr im Schein verloren Gut
[229]
Im Wesen unverloren ruht,
Unsterbliche Gluth vom Himmelsfunken,
Den sie aus Staub und Nichts getrunken!
Ja oder, bricht zu tief die Pein,
Zu nächtlich über sie herein,
Da quillt statt Thränen Blut, da schwellen
Zurück zum Herzen seine Wellen,
Der Liebe zart Gefäß zerspringt,
Eh es unheilige Fluth durchdringt,
Der Tempel stürzt und liegt begraben,
Eh ihn Nachtgeister verwüstet haben.
Die Frau, die spielt mit Herz und Treu,
Die reinigt Beichte nicht, noch Reu.
Sie nicht! Die ärmste Sünderin,
Die ihren Leib der Lust gab hin,
Die büßt und betet die Nächte lang,
Vernimmt, wie Leben den Tod bezwang,
Und liest im siegenden Morgenlicht
Der Gnade Wort. Sie nicht! Sie nicht.
In ihrem Busen nagt ein Wurm,
Ein Flüsterwort, doch laut wie Sturm,
Todkalt, und heiß wie Höllenpein,
Ruft ihr ins Ohr und schläft nicht ein:
»Du hast dein Kleinod fleckenlos,
Das Welt und Himmel in sich schloß,
Den höchsten, einzigen Hort verschwendet,
Hast Herz und Treu und Gott geschändet!« –
Der Mann geht manche Lebensspur,
Das Weib lebt in der Liebe nur.
Ihn laden Pilgerfahrten viel:
Ob Schuld, ob Weh, ihm winkt ein Ziel,
Zu bergen sich vor Rachepfeilen,
Die schwerverletzte Brust zu heilen.
Ob er stillsegnend wirkt und schafft,
Ob er mit lauter Heldenkraft
Des Geistes Nerv, des Herzens Blut
Zum Opfer gibt mit treuem Muth
Für seines Volkes Schmerz und Klagen,
Für Sonnen, die der Menschheit tagen,
Er kann in Thaten Ruhe finden,
Kann büßen, kämpfen, überwinden.
Und doch, so lang er hienieden lebt,
Wie er auch wirkt und wie er strebt,
Aufragend über Leut und Land
Um einen Kopf, um eine Hand,
In Reden und Thaten wundergroß, –
Das Herz, das Herz bleibt heimathlos!
Wie Mancher, der, ein Mann, ein Held,
Nach außen leuchtet vor der Welt,
Im Herzen gleicht er dem Waisenkind,
Einsam, verwildert, irr und blind.
Tristan, verbannt von seinem Stern,
Lief in der Wildniß weit und fern,
Wie damals, wo er am nackten Strand
Vom Schiffe ward gesetzt ans Land
Und sah um sich ein öd Gefild,
Nichts Lebendes, alles wüst und wild,
Wilde Felsen und wilde See:
In dieser Angst, in diesem Weh
Trat erstmals tröstend zu ihm hin
Karsie, die gute Herzogin,
Die ihm so mild, so mütterlich
Das weinende, wunde Herz bestrich
Mit Balsam, wie aus zarten Händen
Ihn nur die Frauen können spenden.
Das war der Fessel erster Ring,
Der ihn, den Vogelfreien, fing,
Das war der erste Reiz vom Leim:
Er fand sich wieder einmal daheim
Und hatte, was zum Lebensmuth
Dem Stärksten Noth, dem Rohsten thut.
Des Landes Retter, dort gelähmt
Zu hoher That, verfolgt, verfehmt,
Hier stand er hoch in Ehr und Macht,
Was er begehrte, das war vollbracht,
Die Lande dienten seiner Hand,
Der Herzog war ihm zugewandt,
Sein Sohn, bedacht auf des Landes Heil,
Spann, ihn zu halten, manches Seil;
Und – nun, ihr kennt sie ganz und gar –
Die mit den weißen Händen war
Bedacht und beflissen von ganzer Seelen,
Ihn seiner Herzensfrau zu stehlen.
Das ist der Mädchen größte Lust.
Meint ihr, sie hab es nicht gewußt?
Nein, nein! und was auch Gottfried spricht,
Ich widersprech ihm ins Angesicht:
Sie wußt' es! Solche Neuigkeit
Tragen die Lüfte, die Vögel weit,
Sie hätt' ihm, wär alles auch still gewesen,
[230]
Aus dem Aug la blunde herausgelesen!
Doch barg sie das Geheimniß fein
Und dachte nur: »Er wird doch mein,« –
Indeß sie ihn leis und los umging,
Wie streicht ums Licht ein Schmetterling,
Der an der Flamme sich ergetzt,
Bis daß er sich verbrennt zuletzt.
Dies Schmeicheln, wie es kost und dahlt,
Das hat der Meister so wohl gemalt,
Daß manche Maid ins Herz erschrickt,
Wenn sie auf jene Worte blickt!
Ich will Gewürz nicht würzen,
Ich will die Märe kürzen,
Will Tristans Leidenszeiten
Weder längen, noch breiten;
Ich kann sie doch nicht versüßen:
Er hat noch genug zu büßen.
Wohlan. Es war ein Wink, ein Nu,
Da zogen sich die Schlingen zu,
Und eines Tages stand Tristan,
Mit Feierkleidern angethan,
Neben Isolden in einem Ring,
Wo sie Hand und Gelübde von ihm empfing.
Der Herzog, Frau Karsie gut,
Herr Kaedin, das junge Blut,
Die Barone des Landes all,
Dazu der Hof mit großem Schall
Wünschten dem Paare Heil und Segen
Und streuten Rosen allerwegen.
Was ihm dabei aus dem Angesicht,
Aus den Augen sprach? Ich weiß es nicht.
Nun kam das Mahl, reich, prächtig, laut:
Die Knappen, mit dem Amt betraut,
Riefen, nicht eben leise:
»Hola, hola, Küchenspeise!
Hola, Trank! Hola, Futter!«
Karsie, die frohe Mutter,
Als die Tische weggenommen,
Hieß Pfeifer und Fiedler kommen
Fürs junge Volk. Da ward getanzt,
Umgesprungen und umgeschwanzt,
Und mitten in den Reigen trat
Der Bischof stattlich im Ornat,
Die Ehe zu segnen, die fürwahr
Im Himmel nicht geschlossen war; –
Dann gleich, um niet- und nagelfest
Den Bund zu machen, fort ins Nest!
Doch wie es ging in der Brautnacht zu,
Heinrich von Friberg, sag es du,
Mit Maß! denn wirst du mir zu frei,
So bin ich mit der Scheere dabei.
Karsie und die klaren
Frauen, die dorten waren,
Führten die glühende, holde,
Wonnige Magd Isolde
Zu ihrem Herrn Tristanden,
Den sie zu Bette fanden,
Hinein in die Kemenaten,
Allwo sie den Segen thaten
Und gingen und wünschten gute Ruh.
Karsie machte die Thüre zu;
Da stund Herr Tristan auf und schloß
Dafür noch einen Riegel groß.
Dieweile nun daß Herr Tristan
Abzuschließen die Thür begann,
So lag seines Herzens Fraue dort
Und seiner neuen Freuden Hort,
Die weißgehande schöne Isot,
Und besorgte sich mancher Noth
Für ihren jungfräulichen Ruhm
Und für ihr blühendes Jungfrauthum.
Das wollte sie ernähren,
Sich eine Weile wehren.
Sie dachte: »Ein erobert Gut,
Das däucht ihm noch einmal so gut.«
Zwo Kerzen brannen zu Häupten ihr
Und gaben ihr wonnigliche Zier.
Sie lag zusammen gedrücket
Und minniglich geschmücket
In jungfräulichem Ruhme:
Sie hatte dem Jungfrauthume
Erbauet eine Festen
Aus Gezeuge dem besten,
Das ihre Mutter gezogen,
Aus Armen und Ellenbogen,
Aus Händen und aus Beinen;
Der Feste Dach, der reinen,
Das war ein seiden Hemde:
Mich jammert's und däucht mir fremde,
Wie sie darein so minniglich
[231]
Geschmieget und verschanzet sich,
Daß es von ihm, wie sich gebührt,
Nicht ward zerrissen noch zerführt.
Herr Tristan ging zu Bette wieder:
Er legte sich zu der Jungfrau nieder
Und deckte lieblich sich zu ihr.
Sein Herze und all seines Herzens Gier,
Sein Wille, Sinn und all sein Muth
Waren ihm gegen der Jungfrau gut.
An sie gar nahe schmiegte er sich
Und begann gar hold und minniglich
Gegen ihr zu gebaren:
Unter dem Hals, dem klaren,
Ließ er den Arm durchschliefen,
Seine Finger, die liefen
Ueber Kinn und Wange aus und ein.
»Ja,« gedachte Isold, »es muß nun sein.«
Ihr Wille, ihr jungfräulicher Muth,
Der war auch gegen dem Manne gut.
Minne und Lust, die ging gleich sehr
Unter den Beiden hin und her:
Die Magd in seiner Minne brann,
In ihrer Minne brann der Mann,
Er begehrte sie, sie begehrte ihn.
O weh, in diesen Freuden schien
Ein Blitz von einem Golde,
Vom Ringe seiner Isolde,
Und schoß wie eine Schlange
Ihm in das Aug, das bange.
Sein Leib erbebte von einem Schlag,
Sein Herz erseufzete, und er lag.
Lag er? Ja. Wer? Nun, Herr Tristan
Lag recht als wie ein todter Mann.
Warum denn lag er lebend todt?
Da kam ihm jene andre Isot,
Von Kornwall seine Königin,
Die ihm da gab das Ringlein hin
Im Garten dort, der Treue Ring,
Da er in Treuen von ihr ging,
Da sie sich schieden mit bittrer Noth, –
Die kam recht wie ein Morgenroth
Und wie ein brennender Sonnenschein
Tristanden in das Herze sein.
Ihr Beider Fraue, die Minne,
Die freche Stürmerinne,
Die kam dort her, sturmbrausend,
Mit ihren Flammen sausend,
Und führte die Rechte aus Irenland
Durch der Kemenaten ganze Wand
Und legte sie gar schnelle
Recht in die innere Zelle,
Die in Tristandens Herzen stand;
Da nahm sie Tristan allzuhand
Und legte sie minniglich hinein
In seines Herzens innern Schrein,
Allda sein Geist seines Lebens pflag:
Da lag seines Herzens Ostertag,
Isot la blunde, la bele;
Und die von Arundele,
Die lag ihm an dem Arme hie, –
Ihr könnt wohl selber denken, wie.
Genug! Es ist zum Lachen toll
Und ist des tiefsten Elends voll:
Zwei junge Herzen, die zur Stund
Besiegeln sollen ihren Bund,
Und zwischen ihnen welche Kluft!
Ein Brautbett eine Leichengruft!
Wie höbe Meister Gottfried an?
Da war nun freilich mein Herr Tristan
Isolden fern, Isolden nah,
Isolde hie, Isolde da –
Du stammelst nur, so schweige gar!
So plötzlich nun, so schmählich war
Die Hülle, die im Menschenleben
Täuschungen hold gesellig weben,
Vorm goldnen Blitz der Treu zerronnen,
Und nackt lag auf dem Pfühl der Wonnen
Die Lüge, sein, zu ihm gebettet,
Ihm unauflöslich angekettet;
Und mit Entsetzen sah der Mann
Die Gesellin seines Elends an:
Sie däuchte ihm nicht mehr wie zuvor,
Sie kam ihm kahl und widrig vor;
Und war doch sein, sein ehlich Weib,
Ihr eigen er mit Seel und Leib!
Noch einmal sah er sie an mit Weh:
Da war sie wieder schön wie je,
Nur fremd, wildfremd, so daß ihm graute,
Mehr noch, als da er entstellt sie schaute.
»O Tod!« – mehr dachte Tristan nicht:
Er barg im Kissen sein Gesicht,
Und seiner Seele, wirr und wild,
[232]
Vorüber sauste Bild um Bild,
Nicht, was zu seinem Schmerz gehörte,
Nur, was der Seele Spiegel störte,
Bedeutungsloses, was erst da
Ihn mahnte, daß er's einstens sah,
Und deutlich, widerwärtig klar,
So daß er dem Wahnsinn nahe war.
Die Schöne indeß lag ihm am Arm
Und sah ihm zu mit stillem Harm:
Ihr Sehnen, Gegenwehr und Zagen
War alles in den Wind geschlagen.
Sie kehrte sich ab, ihr Herze schwoll,
Sie sah nach der Decke gedankenvoll,
Seufzte leise und endlich laut,
Wandte sich schüchtern, schmiegte sich traut
Ihrem liebsten Herren nahe bei
Und fragt' ihn, ob er böse sei.
Er wünschte sich in den härtsten Strauß,
Stammelte dies und das heraus,
Hob endlich von einem Gelübde an,
Das er in Meeresnoth gethan,
Und dachte: »Käme nur Jemand her,
Daß ich nicht so alleine wär!«
Und fühlte, getroffen wie vom Blitz,
Des Wunsches ganzen Aberwitz,
Daß zwischen ihn und zwischen sie,
Die Eigensten, Nächsten auf Erden hie,
Sich eine fremde Seele dränge.
Er suchte Luft, ihm ward so enge,
Und knirschend wieder ins Kissen tief
Drückt er sein Auge, das rollt' und lief.
Sie sprach, ihr sei alles recht und lieb,
Wenn ihr nur seine Liebe blieb,
Und weinte heimlich ein paar Thränen
Gesparter Blüthe, getäuschtem Sehnen.
Die Nacht schlich tödlich, bis der Tag
Schauernd über der Kammer lag,
Karsie mit der Frauenschaar
In Freuden kam gegangen dar,
Mit Imbiß und mit Morgensegen
Des segenlosen Paars zu pflegen.
Und nun, indeß in Hochzeitfreuden
So Hof als Land die Zeit vergeuden,
Wochen auf Wochen fliegen hin,
So viel als Herzog Jovelin,
Stolz auf des Eidams Trefflichkeit,
Dem schönen Feste hat geweiht,
Indeß die Tanzmusik erklingt,
Im Buhurt Speer an Speer zerspringt,
Willst du, o Lied, die Tücher heben,
Die bunt gereiht an Lanzen schweben
Des großen Festsaals Wand entlang?
Wagst du zu lüften den Behang
Der Pracht, die jubelnde Wogen schlägt,
Zu zeigen, was sie im Grunde trägt?
O laß, laß ab! dahinter lauert
Ein Leid, das ist vom Tod durchschauert,
Ein Elend ohne Ziel und Grund;
Kein Mund auf Erden thut es kund:
Stumm in den Herzen ruht solch Loos,
Die stillen Sterne wissen's bloß,
Die ein zerrüttet Haus bescheinen,
Die Engel, die am Herde weinen,
Auf dem kein häuslich Feuer brennt.
Die Lust war aus, das Fest zertrennt,
Die Teppiche ruhten in dem Schrein,
Das Alltagsleben zog nun ein,
Das Mann und Weib erst fest verknüpft,
Den Schleier mancher Täuschung lüpft
Und auch vermindert manchen Fehl:
Doch ward's nicht anders in Arundel.
Isolde schwieg von ihrem Leid,
Sie war eine wohlerzogene Maid,
Auch schied sie von der Hoffnung nicht
Und zeigt' ihrem Herrn ein hold Gesicht,
So lieb sie konnte. Tristan sah's,
So daß es ihm am Herzen fraß.
Was eine liebe Hand nur thut,
Ist alles recht, ist alles gut:
Die ungeliebte, was die hebt an,
Das ist und bleibt verkehrt gethan.
Mitleidig sprach er: »Armes Herz,
Dein Mühen mehrt nur meinen Schmerz.
Du hast, was auch dein Auge spricht,
Den Schlüssel zu meinem Herzen nicht.
Dein Lieben, ach, daß Gott erbarm,
Deine Seele ist so arm, so arm.
Es liegt mehr Herzenshuld darin,
Wenn meine blonde Königin
Freundlich mein Hündlein streichelt,
[233]
Als wenn deine Hand mir schmeichelt.
Mich trog dein Aug: ich trog dafür
Dein Herz: nun büßen wir nach Gebühr.« –
Den goldnen Ring von Tintayol
Sah er zu hundert Malen wohl
In einer Stunde seufzend an.
»Weh,« rief er, »was hab ich gethan!
Wie schnöd vergaß ich Ehr und Treu!
Ich wähnte, ich könnte ohne Scheu,
Straflos vertauschen mit leichtem Muth
Den Himmel gegen ein irdisch Gut.
Nun seh ich, daß ich besser bin,
Als ich mich schätzte im blinden Sinn.
Nun steht die Treue, die Minne
Auf meines Herzens Zinne
Und läßt nach schweren Kriegen
Die Fahne wieder fliegen,
Ach, aber nicht mehr roth, wie vor,
Es ist ein dunkler Trauerflor,
Ihr Siegerauge bewölkt, bethränt,
Und unter ihren Füßen gähnt
Ein Grab, vor dem auch sie erbleicht,
Ein Abgrund, der zur Hölle reicht.«
Solch Leben trug Tristan nicht lang:
Er fühlte sein Unrecht still und bang.
Des Herzogs froh Vertrauen,
Karsiens fragend Schauen,
Isoldens heimliche Thränen,
Ihr ungekühltes Sehnen,
Kaedins Lust und Uebermuth,
Das fiel ihm alles schwer ins Blut.
Sein Schwertgenoß, sein Siegsgesell,
Mit seinen Augen jung und hell,
Sein Herzenstrost, sein Kaedin,
War jetzt nur eine Last für ihn.
Wie Vorwurf klang, laut oder leis,
Ihm jedes Wort aus ihrem Kreis.
Er ward nicht heimisch mehr, wie eh:
Nach außen Trotz, nach innen Weh,
Macht' er sich ihnen theuer
Und fuhr auf Abenteuer.
Wer wird nach so drangvollen
Geschicken sie hören wollen?
Sie waren wirr, sie waren wild
Von seinem Innern ein treues Bild.
Den Andern schuf es Zorn und Gram,
Daß er so achtlos ging und kam.
Da sprach sein Weib für ihn: Ihm sei
Zu eng, er dürste nach Thaten frei;
Sie sagte: »Laßt ihm seinen Willen,«
Und ging und seufzt' und weint' im Stillen.

Die Bilderhalle

Die Bilderhalle.

Ein Brautfest legt, das ist euch kund,
Zu einem andern oft den Grund.
So war's in Karke jenes Mal
Ergangen: in dem Hochzeitsaal
War ein Baron, Herr Bonifas,
Beim Reigen plötzlich ohne Maß
Von eines Fräuleins Reiz entbrannt.
Bald flog die Ladung durch das Land:
Da machten sie sich auf den Ritt,
Der Herzog, Frau Karsie mit,
Herr Kaedin, das muntre Blut,
Auch Frau Isolde, mit wehem Muth,
Die Wittwe, die ihrer Gespielin traut
Den Segen sollte thun, der Braut.
Ihr Bruder ritt nicht weit von ihr.
Sie sprengte dahin mit großer Zier,
Lichtgrün und freundlich angethan:
Wer sieht es einer Frauen an,
Wenn sie in Festgewanden prangt,
Wie ihr oft drunter das Herze bangt?
Da kam aus einem Bronnen
Ein Wässerlein geronnen,
[234]
Und standen bei der Quelle
Und schienen licht und helle
Gelbe Blumen und grünes Gras.
Nun sagt ein Buch, in dem ich las,
Es sei ein Vöglein, flink und keck,
Auf Isoldens Schulter, ihr zum Schreck,
Geflogen und habe sie geküßt.
Wann hatte ein Vogel solch Gelüst?
Das müßten gar zahme Vögelein
Dazumalen gewesen sein.
Wenn's aber abgerichtet war,
Kam's ihr nicht neu, noch wunderbar.
Die schöne Märe decke du
Mit keinem Feigenblatte zu,
Mein Lied! Es war kein Vogel, nein,
Es war ein keckes Wässerlein,
Und was es that, sag's frei heraus:
Isolde wollte sich einen Strauß,
Ein Kränzlein von den Blumen pflücken,
Ihr seidnes Gebände damit zu schmücken.
Und wie sie dem Brunnen näher ritt,
Da that ihr Zelter einen Tritt
Ins Wasser, das nahm einen Schuß
Und sprang der Schönen empor am Fuß.
Doch wollt ihr wissen, wohin es sprang,
Das mögt ihr ohne Müh und Drang
Bei Heinrich oder Ulrich lesen:
Die sind noch anders dran gewesen,
Da war die Sprache ein lieblich Kind,
Muthwillig auch, wie Kinder sind,
Im Unschuldsreiz; doch diese nun,
Mit ihren Runzeln, muß ehrbar thun.
Genug, die erschrockene Schöne schrie,
Und dann mit Lachen sagte sie:
»Wässerlein, du bist kühn fürwahr,
Kühner, denn je Herr Tristan war,« –
Und sonst noch manches, was eine Magd
Bei weitem besser denkt, als sagt.
Auf dies verrätherische Wort
War Kaedin sogleich am Ort:
»Wie, Schwester!« rief er, wild verstört:
»Was sagst du? hab ich recht gehört?
Tristan verschmäht dich? Süße, sprich!« –
Isolde begann herzinniglich
Zu weinen, wie er sprach Verschmähn:
Sie schwieg und ließ die Zügel gehn
Und deckte die Augen beide
Vor Scham und auch vor Leide.
»Ich weiß genug!« rief Kaedin:
»Reitet ihr nur zum Feste hin:
Ich will derweile fasten,
Ich kann nicht ruhn noch rasten,
Bis ich ihn gezüchtigt habe.
Wähnt er, so köstliche Gabe
Die sei ihm dazu bloß geschenkt,
Daß er sie durch Verschmähen kränkt
Und schändet Vater, Mutter, mich?
Gebiete mir, Schwester, ich räche dich.« –
Und eh sie ein Wort noch konnte sagen,
Sah sie ihn quer durchs Feld hin jagen.
Indeß nun er, die Schmach zu wenden,
Den Schwager sucht an allen Enden,
Wollen auch wir nach Tristan gehn;
Vielleicht daß wir ihn noch vor ihm sehn.
Der hat inzwischen in den Landen
Gar manche Fährlichkeit bestanden,
Zuletzt noch einen Riesen gar.
Hör auf! das kommt zu wunderbar!
Mit Riesen und Drachen ist's genug,
Seit er den Serpant und Urganen schlug. –
Die Drachen nun, die schenk ich euch,
Lebt gleich noch manche Vogelscheuch,
Die giftig von Neid und Hasse brennt,
Die man Drach oder Sadrach nennt.
Doch Riesen gab's zu jeder Frist. –
Riesen? – Nun ja, ein Riese ist
Um einen Fuß oder einen Kopf
Größer als mancher andre Tropf.
Ich selbst bin, wie ich sagen kann,
Ein großer, das heißt, ein langer Mann:
Am Pfosten, dran sich in Jahresfrist
Einmal die wachsende Sippschaft mißt,
Prangt, wie sie sich dehnen und strecken länglich,
Meine Kerbe hoch und unzugänglich;
Doch darf ich mich eines Freundes rühmen,
Der nähert sich fast den Ungethümen
Und hat (versteht das doppelt hier!)
Einen ganzen Kopf voraus vor mir.
So ward ein Gerippe, wie ich las,
Das seine neun Fuß vollkommen maß,
[235]
Erst ganz vor Kurzem ausgegraben.
Nun denkt man sich gern besondre Gaben
In solchen Menschenthurm gegossen,
Kraft, Weisheit, Zauber drein verschlossen. –
Zauber? Auch Zaubrer? – Wißt ihr's nicht?
Saht ihr noch Keinen bei glühem Licht
Kessel schmieden und Räder fügen,
Das Roß um seine Kraft betrügen?
Keinen, der Wundergläser schliff,
Womit er nach den Sternen griff?
Hat euch nicht ein geheimes Bangen
Bei solchem Anblick jäh befangen,
Daß er, der nur sich selbst gehört,
Die müßige Neugier, die ihn stört,
Ansprühe, zauberisch umspanne,
Ja gar in eine Flasche banne?
Saht ihr noch Keinen, der in Bildern
Die Sonne zwang das All zu schildern?
Noch Keinen, der aus farbigen Klexen
Gestalten konnte zusammen hexen
Und eine Wand voll Leben log?
Ein Solcher war denn Beliagog,
Der zauberkundige Riesenmann.
Die Aventüre nennt Morgan,
Morold und Urgan seine Brüder
Und meint vermuthlich Waffenbrüder,
Die in der Jugend grünen Tagen
Zum Bunde Hand in Hand geschlagen,
Wie auch auf Schulen hinterm Glas
Manch Kleeblatt schon zusammensaß,
Um unter sich mit vollen Händen
Vorläufige Kronen zu verspenden;
Da sieht denn einer den andern Mann
Für einen Drachentödter an,
Der sich nur noch zu machen habe,
Der noch die Welt mit Thaten labe
Und stelle sie gar unverhohlen
Erst auf den Kopf, dann auf die Sohlen.
Das End vom Lied ist meistentheils
Im Leben, daß solch ein Mann des Heils
Der einst als Riese sich aufgetrumpft,
Zum Mittelmaß zusammenschrumpft
Und seinen Frieden wohlbedacht
Mit dem Kaiser oder dem Pabste macht.
Das war bei diesen nicht der Fall:
Morgan stieg auf dem raschen Ball
Des Glücks, ward Herzog, nahm und gab,
Bis ihn der Stärkere warf ins Grab.
Morold war Irlands rechter Arm,
Sein Herz schlug für die Seinen warm;
Der Krone Schirmer, kühn und groß,
Bot er die Brust manch derbem Stoß
(Ob das Recht immer seinen Degen
Begleitet, ist ein Für und Gegen,
Das die Historienschreiber nährt)
Und fiel, ein Held, vom Heldenschwert.
Urgan, der war und blieb Filu
Und brachte sein Leben ruhmlos zu
Mit Rauben auf dem Meeresstrand.
Der Vierte, Beliagog genannt,
War einer von den subtilen Geistern,
Die Gott und Welt am Webstuhl meistern.
Er saß auf seinem Zauberschloß,
Sann, schnitzte, malte, braute, goß,
Machte Risse, mit Zahlen dran,
Und sah nicht auf, ein stiller Mann,
Nur wenn's in der Nähe Lärmen gab,
Da ward er böse, kam herab,
Ueber die Störung zornesroth,
Und schlug den Ruhestörer todt.
Das wußte Tristan aus dem Grund,
Gewarnt von seines Schwähers Mund,
Und eben darum kam er her,
Denn nach dem Riesen stand sein Begehr.
Er stieß mit aller Macht ins Horn:
Gleich kam der Riese, roth vor Zorn.
»Wer da?« – »Tristan.« – »Deine Stunde schlug.« –
»Vielleicht noch nicht.« – Der Riese trug
Ein Rohr, das hub er zornig auf,
Rannte daher in vollem Lauf,
Da sprang aus dem Rohr mit Blitz und Knall
Gegen den Helden ein Feuerball,
Zeichnete eine lange Furch
Und fuhr ihm unterm Arme durch.
Dem konnte kein Feuer verderblich sein,
Er war ja gehärtet in Feuerspein.
Doch schien er nicht erbaut gar sehr
Ueber die neu erfundne Wehr:
»Nah,« dachte er, »ist hie baß gethan
[236]
Denn ferne,« – lief den Riesen an
Und zückte – doch genug hievon,
Ihr kennt ja Tristans Hiebe schon –
Die Märe sagt, er habe traun
Ihm einen Fuß vom Leib gehaun,
Vielleicht den Fuß (so rett' ich ihn,)
Um den er sich größer als Andre schien:
Der hagre Lange fand sein Maß,
Als er vor Tristan fiel ins Gras,
Das heißt, er fand den Sieger heute
Und kam sich vor wie andre Leute.
Nach dieser Niederlage
Kam's alsbald zum Vertrage.
Tristan sprach: »Schaff mir dies und das!«
Der Riese that es ohne Haß:
Er war mit Eisen weich geschlagen;
Gold hätt's gethan in unsern Tagen.
In Kurzem war das Werk vollbracht
(Doch glaubt nur nicht, in Einer Nacht):
Kunstsinnige Geister haben flink,
Sagt uns die Märe, auf seinen Wink
Geschafft, gerichtet und gebaut,
Doch Keiner den Andern je geschaut,
Noch Der gewußt, was Jener thu.
Natürlich, so ging's immer zu,
Seit diese Welt gegründet ist:
Sie schaffen und wirken zu jeder Frist,
Fragt Keiner nach dem Andern viel,
Meint Jeder, er habe sein eigen Ziel,
Und ist doch alles zu Einem Bau.
Tristan ritt täglich auf die Schau,
Wobei ihm am Sattel die Armbrust hing,
Als ob es nur aufs Birschen ging.
Der Schwager, abgewiesen oft,
Wenn er mit ihm zu gehn gehofft,
Eifersüchtig nach Jugendart,
Hatte dies Treiben längst gewahrt
Und Acht gegeben lauersam,
Wohin er ging, woher er kam:
So, als dort Tristan ritt vom Wald,
Kam Kaedin herangeprallt.
»Ich liebte dich!« rief er ihm zu:
»Mein Leitstern und mein Held warst du.
Mit dir, Tristan, dir nach zu leben,
War meines Lebens höchstes Streben.
Dir zu gehören durch das Blut,
Das war mein Stolz, mein einzig Gut.
Doch glaub nicht, daß wir dir zu Ehren
Der eignen Ehre so leicht entbehren.
Glaub nicht, wir seien schwache Binsen,
Die feige deinem Hochmuth zinsen.
Nein, Kaedin kriecht nicht vor dir:
Eh wasche Blut die Schmach von mir!
Mit unsrem Huldigen, unsrem Lieben
Hast du nur kalten Hohn getrieben.
Weß uns dein guter Arm verpflichtet,
Das hat dein schlechtes Her vernichtet.
Du hast dein Weib beschimpft, entehrt,
Meineidiger! War sie dir nichts werth,
Was nahmst du sie? Zu spät! zu spät!
Sie ist betrogen, ist verschmäht!
Doch wenn auch alles verloren ist,
Zu Einem bleibt noch immer Frist:
Dir den verdienten Lohn zu geben.
Verräther, zieh! es gilt dein Leben.«
Wehmüthig sah den Fant Tristan
Und doch mit Wohlgefallen an;
Erst, als er kam auf ihn gerannt,
Erhob er bedräuend seine Hand,
Und Kaedin, zum Halt gebracht
Von dieser Augen Uebermacht,
Blieb still, gefesselt, zwischen Groll
Und alter Ehrfurcht zweifelvoll.
»Du schiltst mich,« sprach Tristan, »mit Recht
Und auch mit Unrecht: war ich schlecht,
So ist die Schuld von gestern nicht.
Mein Herz hat eine ältre Pflicht
Und heiliger als solch Eheband.
Daß ich davon mich abgewandt,
Das ist mein Trug, das mein Vergehn,
Und o – du kannst mich nicht verstehn,
Mein Kaedin. So komm mit mir.
Auf meinen Hochmuth scheltet ihr,
Auch du, mein Bruder: nun sollst du schaun,
Ob ich noch mag, wie sonst, vertraun;
Lern, eh uns Todesschatten trennen,
Mein altes Herz noch einmal kennen.
Ich hab ein Geheimniß seltner Art,
Ein Kleinod, tief im Wald verwahrt:
Es ist mein Anker, ist mein Trost,
[237]
Wenn Jammer, Wahnsinn mich umtost.
Komm mit und schau. All meinen Schmerz
Leg ich dir an dein Freundesherz,
Dein junges Herz, das immer klar
Und meinem immer nahe war:
Dann magst du mir das Urtheil sprechen,
Und willst du deine Schwester rächen,
So biet ich dir den Nacken gern
Und folge meinem finstern Stern.
Doch kämpfen werden ich nie mit dir:
Du kennst meine Klinge. Folge mir.«
Er wandte sein Roß und ritt dahin.
Verwundert folgt' ihm Kaedin
(Gewohnt des Folgens, wenn einmal
Kurz ab und rasch Tristan befahl),
Indeß in seinem Innern stritten
Neugier und Zorn. Die Beiden ritten
Tiefschweigend nach dem Walde dort
Und stundenlang im Walde fort
Auf graden und auf krummen Wegen
Dem unbekannten Ziel entgegen.
Da that sich's auf, ein grünes Thor,
Und aus dem Walde stieg empor
Ein Bau von wundersamer Art,
Wie keinen noch die Welt gewahrt:
Er war von keiner Herrlichkeit
Der alten noch der neuen Zeit,
Von nichts Gewesenem eingetauscht,
War der Natur selbst abgelauscht,
Wie sie in heimlicher Bergeshaft
Bauwerke von Krystallen schafft
Und eine Baukunst dran verschwendet,
Die, lernend, des Menschen Witz vollendet.
Wie an Kristall Krystall anschießt,
Sich ordnet und zusammenschließt,
So schloß bei dieses Baues Plan
Sich Stein an Stein krystallisch an;
Da waltete die Meßkunst nur,
Die eingeborne, der Natur.
Kein Stockwerk, das mit querem Schritt
Entzwei das schöne Wachsthum schnitt!
Gewaltig, doch mit Maß und Ruh,
Ununterbrochen nach oben zu
Strebte und wuchs der stolze Bau
Vom Wald bis in des Himmels Blau.
Der runde Bogen, der unstet kreist,
Die wandernden Blicke mit sich reißt,
War hier krystallenhaft gebrochen,
Das Aug an ihm zur Ruh gesprochen,
Doch innen der Einsatz mannigfaltig,
Kleinere Bogen vielgestaltig,
Spitzbogen, und was man je erfand
Zur Füllung eines Fensters, stand
Vom runden Bogen hier umfaßt,
Einträchtig einander angepaßt.
Und von der Steinwelt eingeschlossen,
Die todt um Todes angeschossen,
War die lebendige Pflanzenwelt,
Erst Bäume, in Säulen dargestellt
Von jeder Ordnung und Gestalt,
Die Zeiten frei, ob neu ob alt,
Nur vom Verhältniß unter sich
Bestimmt, daß keins dem andern glich
Und doch Ein Werk, Ein Wachsthum hieß;
Und dann, wo Stein zu Steine stieß
Und in Krystallform haften blieb,
Da quoll der kleinere Pflanzentrieb
Hervor als üppig Ornament.
Willkürlich nichts gefügt, getrennt,
War alles wie gewachsen nur
Nach Maß und Ordnung der Natur,
Ein neues Werk von eignem Wesen,
Das, nicht entlehnt, nicht ausgelesen,
Lebendig schließend, wie Sehnenbänder
Am Leib, die Baukunst aller Länder
Und aller Zeiten in sich trug.
Ihr denkt, der Worte sei genug;
Auch lassen's Worte nicht verstehn:
Ihr müßt's mit eignen Augen sehn.
Es ist nicht mein. Ihr, die ihr staunt,
Vernehmt, es ward mir zugeraunt.
Des Riesen Riß ist nicht verloren,
Ich sah ihn hinter geheimen Thoren.
Vielleicht, daß ihn bald dies Jahrhundert
(Es ist der schaffenden eins!) bewundert
Und Bauten in die Lüfte ragen,
Gerecht und eigen unsern Tagen.
Der Schluß der wunderbaren Halle,
Der Kulm, lief aus in zwölf Krystalle,
Die waren im Gleichmaß aufgesetzt
[238]
Und trugen – ahnt euch etwas jetzt? –
Aus Einem Karfunkel eine Schale,
Gebildet wie zum Trinkpokale,
Daraus das Licht, hold eingesogen,
Den Wald durchschlang mit farbigen Bogen.
»Weß mag dies Wundergebäude sein?«
Rief Kaedin verzaubert. – »Mein,«
Sprach Tristan: »folge mir hinan,«
Stieg ab, band seinen Renner an
Und schritt alsbald auf die Halle dar,
Obgleich kein Thor zu sehen war.
Sie barg sich an den Ecken
In dunklen Waldverstecken.
Tristan erschloß durch Gebüsch und Hag
Sich einen Pfad. Da, siehe, lag
Ein Drach und ein Eber friedsamlich
Und hielten ein Erzschild zwischen sich.
Der Held schlug mit des Schwertes Knauf
Den Drachen, da sprang der Eber auf,
Das Schild treu zu bewahren;
Der Drache ließ es fahren.
Der Eber hielt es hoch empor
Gewendet, da war's ein offen Thor,
Das führte zu einem dunklen Gang.
Der Held trat ein, und gar nicht bang
Folgt' ihm sein Kläger, wohl bewußt
Der Ehren und Treuen in Tristans Brust.
Allmählich auf gewundner Bahn,
Doch ohne Stufen, stets hinan
Trug sie der Steig. Ein Schlag, da sprang
Mit einem hellen Glockenklang
Vor ihnen auf ein zweites Thor.
Sie traten aus der Nacht hervor,
Und was bei gedämpfter Lichter Spiel
Dem Jüngling zuerst ins Auge fiel,
Das war ein selig ruhend Kind.
Er sah, und sah sich beinahe blind
An diesem Engelknaben;
Der schaute so erhaben,
So löwenhaft und doch so mild, –
Bis er entdeckte, es sei ein Bild.
Nun sah er sich um, nun ward's ihm klar:
Er stand in einem Saal, der war
Ein Zwölfeck, nach der Art des Baus,
Das füllten rings Gemälde aus
Voll herrlichen Farbenscheines,
In einem Feld je eines.
Mit Staunen wandte Kaedin
Sich wieder zu dem Kinde hin,
Deß anmuthvolle Mienen
Ihm süß bekannt erschienen.
Recht wie ein Edelstein im Schild,
So war es mitten hier im Bild.
Nackt lags auf blauen Polstern da,
Woran man Stickereien sah,
Enthüllend Schmerzgeschicke,
Vergangene, dem Blicke.
Hier lag ein Mann, zum Tode wund,
Auf blutigem Bett, und vor ihm stund,
In Thränen glühend, ein hohes Weib,
Das löste den weichen, weißen Leib
Aus grauer Tücher Hülle
In warmer Lebensfülle.
Aus Tode Leben! Ihr wißt ja wohl,
Was dies Bild bei dem Kinde soll;
Es ruhte auf dunklen Loosen,
Umflochten mit weißen Rosen.
Rings eine Halle hoch und weit,
Verloren in Waldes Einsamkeit,
Daß fast wie eine Pflanz im Traum
Das Kind lag zwischen Säul und Baum.
Es lag noch eben in holdem Schlaf,
Bis jener lichte Strahl es traf,
Der wie ein Mutterkuß es weckt,
Daß, lächelnd halb und halb erschreckt,
Es in den bewegten Glorienschein
Mit seinen Händchen greift hinein
Und staunend mit großen Augen sieht
Dem Strahle nach, der langsam zieht
Mit immer schwächerem Gefunkel
Hin nach des Waldes tiefem Dunkel
Und durch der Aeste dicht Gewimmel,
Zum Duft verschwebend, sucht den Himmel
Von dem er kam. Nun schaut ihm nach!
Was wölbt sich über dem Gemach?
Ein riesenhaftes Deckenstück
Zeigt euch des Lebens höchstes Glück.
In grünen Sammt gehüllt ein Mann,
Ein Weib, mit Lilien angethan,
Von rosigen Schleiern die Gestalt,
[239]
Als wie von Wolken, überwallt,
Schiffen, versenkt in süßes Weh,
Hin durch die tobende wilde See,
Die Barke fast in Schaum gehüllt.
Sie achten nicht, wie der Sturmwind brüllt,
Sie hören nicht, wie die Woge rauscht.
Ihr Herz, das seinem Gott nur lauscht,
Quillt aus den Augen, fromm und groß,
Die tauschen hier ein ewig Loos.
Zwo Hände, fest verschlungen, sind
Zum Knie herabgesunken lind,
Die beiden andern hoch erhoben,
Als wär's zum Schwur, und scheinen droben
In dem durchbrochnen Dach die Schale
Zu halten, die mit eignem Strahle
Als Sonne diesen Räumen scheint
Und alles zu Einer Welt vereint;
Denn vom Karfunkel schwebet mild
Ein Zauberlicht von Bild zu Bild,
Tiefinnig, um all die Gestalten
In Eines Schicksals Ring zu halten.
Die Bilder seht ihr unter sich
Verknüpft und getrennt verschiedentlich
Mit bunten Randgebilden,
Drachen und Riesen, wilden,
Mit weißen und rothen Rosen,
Mit Engeln, die sich kosen,
Mit Bäumen, Blumen, Pflanzen,
Mit Ketten, Schwertern, Lanzen,
Mit Kämpfern, die ihre Klingen
Zu Schimpf oder Ernste schwingen,
Mit allem, was nur in sich hält
Die Ritter- und die Frauenwelt,
Je nach der Bilder Sinne:
Jagd, Abenteuer, Minne.
Die Königliche, Holde
Im blonden Lockengolde
Schaut ihren Freund verloren an;
Ihr Auge spricht: »Das ist mein Mann!
Sein ist die Rose, die mir im Herzen
Aufbrach mit wundersüßen Schmerzen.
Das er mit Gottes Hauch erfüllt,
Mein Ich, ihm, ihm nur bleibt's enthüllt.
Er, dem ich mein Kleinod gebe,
Lehrt mich, daß ich nun lebe.« –
Dies und das ganze Mysterium
Der Liebe, vor dem auch der Dichter stumm
Und dürftig steht, das war hier, schaut,
Den treuen Farben anvertraut.
Das sprachen des Mannes Augen auch,
Verklärt vom gleichen Gotteshauch:
Er sah so kühn, als wollt er's wagen,
Das Glück und Leid einer Welt zu tragen,
Und doch so fromm, so ganz mit Beben
Dem hohen Verhängniß hingegeben.
Wohl kannt ihn Kaedin. Er sah
Ihn nicht zum ersten Male da,
Und sah ihn doch erst recht. Die Kunst,
Mit irdischer nicht, mit Himmelsgunst,
Hat aus des Lebens wirrem Schein
Sein Bild gerettet, wahr und rein.
Scheu blieb der Jüngling, schweigend stehn:
Er glaubte Götter hier zu sehn;
Gebeugt vor einer höhern Macht,
Versank sein Rachegroll zur Nacht.
Da gab sich in seines Herzens Grund
Ein stilles, sanftes Sausen kund,
Gleich jenem, das die Halle
Durchdrang mit dumpfem Schalle,
Ein Orgeldröhnen, süß und bang,
Das mächtig, aber ferne klang.
Längst hatte es ihm ans Ohr geschlagen,
Doch wagte er nicht, woher? zu fragen.
Nun sah er zu dem Kinde nieder:
Es war das gleiche Antlitz wieder,
Nur in der Knospe verschlossen noch.
Es waren dieselben Augen doch,
Die großen braunen Wunderaugen;
Wer hat erforscht, wo sie entsaugen
Ihr dunkles Leuchten, welchem Schacht,
Wo über Edelgestein die Nacht
Brütet stumm und geheimnißvoll?
Aus welchem Reich des Todes quoll
Das Unnennbare, Unbekannte,
Das jeden Blick, der dran entbrannte,
Erfüllt mit süßem Schauer
Und trunken macht vor Trauer?
Aus Kindesaugen spricht's zumeist,
Noch unvermischt, ein fremder Geist,
Und schaut in die Welt der Lust und Pein
[240]
Mit wilder Traurigkeit hinein.
So dieses Kind. Es sieht, halbwach,
Dem seltsam fliehenden Lichte nach.
Träumt's von des Mannes Hochgeschick
Vielleicht, von der Liebe Silberblick,
Die einst verklären wird sein Leben
Und ihm den Kelch des Todes geben? –
Doch hat's noch eine weite Bahn
Bis hin zu jenem Ocean
Durch blumenvolle Auen
Und auch durch Nacht und Grauen.
Auch liegt's nicht ohne Schirmershand,
Nicht einsam an des Lebens Strand:
Im Park, dort hinter der Säule, seht,
Umkreist von einem Falken, steht
Ein edler Mann am Gartenpfad
Und biegt ein junges Bäumchen grad.
Er schaut so treulich auf das Kind,
Und hinter ihm, wie hold und lind!
Lauscht eine Frau und lächelt traut –
Kaum daß ihr die Beiden im Schatten schaut –
Wie nur eine Mutter auf ihr Kind.
Ob das wohl seine Eltern sind?
Sie tragen froh die holde Pflicht:
Doch haben sie seine Augen nicht.
Daneben seht ihr ein andres Bild:
Gebirge rauh, Felsklippen wild;
Ein Knabe, nah der Jünglingszeit,
Kommt traurig durch die Einsamkeit
Hoch vom Gebirg herabgestiegen.
Seht, wie die braunen Locken fliegen
Im Wind, der über die Klippen streicht.
Sie sind das Einzige, was ihm weicht:
Der Wald, der neben dem Knaben starrt,
Ist ohne Blätter, hilflos harrt
Und streckt er seine dürren, langen,
Gespenstigen Arme mit Verlangen
Dem Lenz entgegen, der das Thal
Schon küßt mit lebenswarmem Strahl.
Zur andern Seite, riesengroß,
Felsklippen grau, mit dunklem Moos;
Der Boden Geröll, Schlingpflanzen drauf
Mit kümmerlichem Grün, den Lauf
Des Wandrers hemmend. Er selbst, der Knab,
Ein Lenz, erstanden vom Wintergrab,
Belebt die graue Wildniß hold,
Sein Mäntelein, leicht aufgerollt
Und über die Schulter geworfen, sein
Geschürzter Rock gibt ringsum Schein,
Grün wie die Hoffnung und der Mai;
Die Börtchen, der Hermelin dabei
Deuten auf einen hohen Stand.
Doch scheint's ein Findling, arm, verbannt;
Er weiß nicht, woher, und nicht, wohin,
Unstet sein Auge, verstört sein Sinn,
Im blühenden Gesichte, roth
Vom Wandern, herbergt Schreck und Noth.
Er ist kein Fremder für Kaedin:
An seinen Augen erkennt er ihn.
Das Kind, das auf dem ersten Bild
Sein Stern umfriedigte so mild,
Ist aus dem Paradies gestoßen
Und nähert sich des Mannes Loosen,
Ein Gast am kargen Lebenstisch;
Doch blickt sein großes Auge frisch,
Wie ein verirrter Frühling fast,
Der sich hervorgewagt in Hast
Und muß nun mit dem Winterriesen,
Dem neu erstarkten, Stillstand schließen;
Indeß sich die jungen Glieder dehnen,
Kämpft er noch zwischen Zorn und Thränen.
Doch ist dem Wandrer in seiner Noth
Die Welt nicht gänzlich leer und todt:
Dort aus dem Thale zieht ein Weg
Sanftsteigend hinter dem Walde weg,
Darauf zween Waller gehen,
Gottselig anzusehen,
Betaget und bejahret,
Bebartet und behaaret,
In grauen Linnengewanden,
Pilgerstäbe in Handen;
Man glaubt, man sehe sie schreiten,
Einander so zur Seiten,
Barfuß den Weg hergehend,
Mit geistlichen Palmen wehend.
Dort säumt das frischbegraste Thal
Ein Wald, worin mit grünem Strahl
Das Laub schon aus den Bäumen springt;
Und durch das junge Dickicht dringt
Ein Spießer, der erschrocken zagt:
Er scheint zu fliehen vor einer Jagd
[241]
Und bei den Wallern Schutz zu flehn.
Du armes Thierlein, bleibe stehn,
Dir gilt's noch nicht. Als Edelhirsch
Bist du erst reif zur heißen Birsch
Und wirst bei heller Hörner Schallen
Als Held im Trauerspiele fallen.
Zuletzt, ganz hinterm Wald versteckt,
Durch eine Lichtung sichtbar, streckt
Ein Schloß – der Knabe sieht es nicht –
Die Zinnen auf ins Abendlicht.
Wie ruht so voll der Zauberschein
Auf diesen Mauern! Was mag dort sein?
Noch ahnt er nichts. Dahin, dahin!
Dort wartet sein Geschick auf ihn.
Ein Frühlingsbild, warm, sonnig ganz:
Ein Garten in des Maien Glanz,
Mit Blüthen und mit Grün geschmückt,
Mit farbigen Lichtern fast erdrückt;
Darin ein reiches Hofgewimmel,
Wie die Erde bunt, hell wie der Himmel;
Und, abgesondert vom Ingesind,
Gelagert auf Blumenpolstern lind,
Ein Mann von königlicher Art,
In Fürstentracht, mit weißem Bart;
Ihm gegenüber der Knabe wieder,
Der sendet seelenvolle Lieder
Aus Mund und Saiten allzugleich;
Sein Instrument von Golde reich,
Ruhend in Händen, klein und schlank,
Weich, lind und wie Hermelin so blank,
Ein schön gebogener Delphin.
Der König schauet mild auf ihn
Und scheint nicht karg, ihm Huld zu spenden;
Ihr seht, er ist in guten Händen.
Die Andern lauschen, Alt und Jung,
Voll Lust und voll Bewunderung,
Mit edlen und mit gemeinen Mienen,
Dem jungen Zaubrer, der hie erschienen.
Der holde Fant singt ohne Zagen,
Die Augen gen Himmel aufgeschlagen;
Er glaubt wohl, seine Himmelsgluth
Sei heimisch in Jedem und Jeder gut.
Eins fehlt dem Bild, so reich und warm:
Es hat keine Frauen, drum bleibt es arm;
Im ganzen Schwarm hat nur der Knabe
Den Schein so holder Gottesgabe.
Was glänzt dort hoch in der Lüfte Blau?
Zwo Schwalben ziehen vorüber, schau,
Und wie sie über das Bild hinschweifen,
Schwebt hinter ihnen ein goldner Streifen,
Der leuchtet! (Und wozu noch der? –
Es ist ein Lichtchen im Bilde mehr.
Daß uns die Schwalben hergehören,
Den Meister wird's im Grab nicht stören.)
Ein bewegtes Bild. Wo fang ich an?
Im Vordergrund der hohe Mann,
Der auf dem ersten Bilde, seht,
Dort hinter dem Säulenschafte steht;
Doch anders: sein Anzug schlecht, gemein,
Ohne Mantel ein graues Leibröcklein,
Kurz, schäbig und verschlissen
Und hie und da zerrissen,
Verworren an Bart und Haupt das Haar,
Halbnackt die Beine, die Füße bar,
Das Antlitz fahl und wetterfarb,
Ein Bettler, der ganz und gar verdarb;
Und stattlich doch! nicht jung noch alt,
Eine gewaltige Gestalt,
Von Gliedern groß und kühne,
Gewachsen wie ein Hüne;
Schön, ob von Lumpen auch umgeben,
Ein Herr, gewöhnt, mit Herrn zu leben.
Halb vom Beschauer abgewandt,
Kühn schreitend, hält er die eine Hand,
Die rechte, wie zum Schwur erhaben,
Die andre deutet auf den Knaben –
Halt ein, das ist kein Knabe mehr!
Es ist ein Jüngling, hoch und hehr,
Doch hold wie sonst, im Knappenkleide
Von weißem Atlaß, blau mit Seide
Geschlitzt; die Haare von lichtem Braun,
Gar schön geringelt anzuschaun.
Zwischen den Beiden, nach hinten mehr,
Der König vom vorigen Bilde her;
Das Vließ verräth sein hohes Amt,
Der Königsmantel von braunem Sammt,
Mit schwanenweißem Pelz verbrämt.
Er schaut mitleidig und wie beschämt,
Doch zärtlich, ganz voll Vatersinn,
Mit verlangenden Armen zum Knaben hin.
[242]
Der eilt mit Blicken, liebeswarmen,
Dem Bettler zu, ihn zu umarmen,
Und lacht und weint zugleich. Ein Nu,
So schließen sich sechs Arme zu.
Noch aber schaut der fremde Mann,
Auf den Knaben deutend, den König an;
Aus den treuen Falkenaugen spricht
Stolz, Rührung, freudige Zuversicht.
Im Hintergrund erst Pagen, reich
Gekleidet, ganz dem Jüngling gleich,
Hofleute, die Farben vom lichten Duft
Zum Dunkel allmählich abgestuft.
Gewaltig schließt ein Münsterbau
Das Bild mit dunklem Braun und Grau.
Man sieht, die Versammlung kam heraus:
Noch drängt sich aus dem Gotteshaus
Das Volk, und hinten wogt's wie Wellen,
Indeß die Vordern fest sich stellen:
Die, um zu jubeln, Die, zu staunen,
Die, sich die Märe zuzuraunen.
Am Thor des Münsters sehet ihr
Zwischen der wunderleichten Zier
Durchbrochner Gewebe, Feld an Feld,
Josephs Geschichte dargestellt,
Wie ihn die ägyptischen Handelsleute
Entführen als leicht erworbne Beute,
Und so fort bis zum Wiederschauen
Des Vaters, schön in Stein gehauen.
Nun führt das nächste Bild im Reihn
Euch ins Innre des Münsters ein.
Der Jüngling empfängt vor Hof und Land
Schwert und Schild aus des Königs Hand.
Der milde Greis spricht ernste Lehren
Von Manneszucht und Ritterehren,
Wobei des Jünglings Auge sprüht,
Indeß erröthend sein Antlitz glüht:
Bei ihm die jungen Schwertgesellen,
Hinfort sein eigen in Sturm und Wellen.
Zunächst am König der Bettler, schau,
Fürstlich gehüllt in Gold und Blau.
Die Großen des Landes, stolze Gestalten,
Frauen, die Kleider in herrlichen Falten;
In blauen Mänteln die Sänger im Kreis,
Auf breiter Stirne das Lorbeerreis,
Die Harfe zur Hand, des Jünglings Ruhm
Voraus bedenkend, sein Heldenthum;
Auch die sich im Leben herb entzweit,
Eint, siegend über Haß und Zeit,
In heiligem Frieden die Kunst nunmehr.
Ein groß Gemälde, reich und schwer:
So liebt's ein Volk in seinen Hallen,
Das seine Geschichte ehrt vor allen.
Seht, nicht zum Spiele ward das Schwert
Dem flüggen Rittersmann beschert.
Der ernste Holmgang zeigt ihn hier
Vom Haupt zu Fuß in Waffenzier,
Vor ihm der schwer erlegte Feind.
Links in dem Schiffe klagt und weint
Ein Volk, eins jauchzt am Strande rechts.
Ihr seht das Ende des Gefechts:
Stolz steht vor dem halbtodten Krieger,
In Silber leuchtend, der junge Sieger,
Den Fuß fest eingewühlt im Grund,
Als wollt er wurzeln drin zur Stund;
Das große braune Aug weit offen,
Als spräch es: das ging über Hoffen!
Doch wild umdunkelt, wie vom Tod.
Die Hüfte zeigt euch seine Noth:
Der reiche Waffenrock zerfetzt,
Zerschellt der Panzer, schwer verletzt
Blinkt draus der zarte Leib hervor.
Noch trotzt der Sieger, hoch empor,
Den Schmerzen, die ihn mit Nacht umketten:
Bald wird er sich zum Feinde betten.
Nun ist er ein Held, mit Blut getauft,
Hat seine Mannheit hoch erkauft.
Er stützt sich auf des Schildes Rund,
Aus dessen spiegelhellem Grund
Ein schwarzer Eber schaut, von Hieben
Des Feindes kaum noch kenntlich blieben.
Von dem krystallnen Helme winkt
Ein Pfeil, der goldgetrieben blinkt.
Die Rechte hält das Schwert noch matt,
Das eine große Scharte hat;
Man weiß nicht, ob sie's fiebernd fassen
Zum Schlage will, ob finken lassen.
Nun seht den sterbenden Gegner an.
Euch sagt's Ein Blick: das war ein Mann!
Die wuchtigen Glieder eng umschmiegt
Von dunkler Eisenrüstung, liegt
[243]
Er wie ein nackter Riese da,
Ein Held, der seine Tage sah:
Wer den zu Boden schlug, der hält
In seiner Siegerfaust die Welt.
Er weiß es und streckt, halb Fluch halb Segen,
Sterbend die Hand dem Feind entgegen.
Die andre deckt der Schild am Grund,
Der ehrne mit dem Flammenrund.
Nacht ruht auf dem strengen Angesicht;
Sein wildes Heldenauge bricht,
Sein großes Haupt, des Helmes bar,
Zeigt zwischen dem schwarzen krausen Haar,
Weitklaffend, einen Todesspalt,
Von Blute dunkel überwallt;
Drin etwas Blinkendes, ein Schein,
Wie Silberadern im Felsgestein;
Drauf weilt ein eigen seltsam Licht.
Die Luft ist schwül, die Hitze sticht
Versengend auf das matte Grün
Der Insel, zerwühlt von den Kämpen kühn.
Das Meer liegt still; ein Kahn am Strande,
Der Einen tragen soll zum Lande.
Links aber ballen sich zu Hauf
Gewitterwolken am Himmel auf;
Ein flüchtiger Strahl, gleich einem Blitze,
Bricht röthlich, wie mit Pfeilesspitze,
Recht aus dem schwarzen Wolkenkerne
Und zuckt nach unbekannter Ferne.
Das Schwert, erbarmungslos und wild,
Herrscht hier auch, auf dem nächsten Bild;
Doch anders ist's damit bewandt:
Es schwebt in einer Jungfrau Hand,
Die schlank und voll, großartig schön,
Wie eine Walkyre aus Himmelshöhn,
Dem Sieger, der noch eben todt
Den Gegner schlug, mit dem Tode droht.
Sie hat im Bad ihn überrascht,
Wo eher der Mann die Jungfrau hascht;
Doch scheinet ihr verstörter Sinn
Den schönen nackten Leib da drin
Zu übersehn, die gewölbte Brust,
An der sich's doch ruhen muß mit Lust,
Der Arme Kraft, der Schultern Glanz:
Dem Drachenkopf und Drachenschwanz,
Worin die Badegondel endet,
Scheint mehr ihr Auge zugewendet.
Ihr Blick zerbrach am seinen wohl:
Er schaut so fest, vertrauensvoll,
So still und eigen auf zu ihr,
Als dächt er: »Süß ist der Tod von dir.«
Auch ist wohl die Gefahr nicht groß,
Die Feindin nicht so fessellos;
Denn hinter ihr, zum Halt bereit,
In dunkel violettem Kleid
Kommt eine Greisin hergeschritten,
Die Züge vom Alter scharf geschnitten,
Und doch wie schön das bleiche Gesicht!
Die Welt kennt solche Mienen nicht.
Im Aug wohnt Weisheit, Huld und Würde,
Das greise Haupt erträgt die Bürde
Des goldnen Reifes anmuthvoll:
Den Mund, aus dem das Halt erscholl,
Umspielet Ruhe friedenswarm;
Nicht eilt ihr ausgestreckter Arm:
Sie traut dem frommen Weibesmuth,
Der hemmend auf der Jungfrau ruht.
Doch kämpft der Haß mit ihm. Seht ihr
Den Reiz der Rachegöttin hier?
Der Mund, geschaffen für den Kuß,
Ist fest gepreßt; ein starrer Guß
Das Antlitz, das mit holdem Flehn
Der Anmuth Engel doch umwehn.
Sie bitten: der du gleichest, schau,
Schau auf die schöne alte Frau,
Daß es auch dir einst sei beschieden,
Zu ruhen in so reinem Frieden. –
Wie wird das enden? Wuthberückt
Hält sie auf ihn sein Schwert gezückt,
Sein eigen Schwert: die Scharte macht
Es kenntlich, und in Silberpracht
Lehnt blankgeputzt seine Rüstung dort.
Sie nahm es vom Gewaffen fort,
Die Scheide liegt am Boden noch.
Sie schwingt es über ihm, und doch
Vorüber schon ist die Gefahr:
In sich gebrochen ganz und gar
Die herrliche Gestalt, das Gold
Der blonden Locken herabgerollt,
Das Diadem, das drauf geruht,
Mitreißend in der goldnen Fluth,
Das schwarz und dunkelrothe Kleid
Bedeckend, wie Barmherzigkeit
[244]
Die Rache; das erhobne Schwert,
Mir bangt, es werde, rückgekehrt,
Verletzend auf sie selber fallen;
Doch in den Augen, seht, vor allen,
Da steht der Zwiespalt, in den feuchten,
Da weht ein irres Wetterleuchten
Aus schwüler Herzensbangigkeit,
Und zweier Lichter Widerstreit,
Daran der Racheblitz zerbrach,
Der erst aus diesen Augen sprach:
Das erste ist des Jünglings Blick,
Unabwendbar wie das Geschick;
Das zweite, das von oben strahlt,
Ihr kennt es wohl, ist nicht gemalt,
Es ist ein dunkelglühend Licht,
Das voll aus jener Schale bricht
Und (sicher nach Farb und Ort bestellt)
In die schönen zaudernden Augen fällt,
Daß sie davon geblendet scheinen;
Ein Weilchen, und sie werden weinen.
Um abzunehmen dieses Joch
Des Zweifels, fehlt nur Jemand noch,
Der, was den Gekränkten nicht gebührt,
Den Hohen, das Wort der Güte führt.
Der Maler wußte, was hier frommt:
Sieh, zwischen den beiden Frauen kommt
Ein Fräulein im Hintergrunde,
Leise mit lächelndem Munde,
Stattlich im engen Kleide
Von Sammt und brauner Seide,
Schön und wohl aufgestrichen
Zur Thür herein geschlichen.
Dies kluge liebe Antlitz schau,
Frisch wie gewaschen im Morgenthau.
Sie legt den Finger an den Mund;
Das heißt: ich kann schweigen zu rechter Stund
Und kann auch reden zur guten Frist,
Wo am Platz ein gutes Wörtchen ist.
Gleichmäßig mit der Königin
Schreitet sie gegen die Schöne hin.
Ihr seht: das Schwert, so voll Beschwer,
Sie darf's nicht lange halten mehr;
Die Stund ist keine von den bösen,
Dies wirre Wesen wird sich lösen.
Auch scheint's gelöst im nächsten Feld:
Ein Auftritt ist hier dargestellt,
Der von Gestalten überquillt,
Groß, reich, wie jenes Münsterbild.
Es sieht einem ernsten Scheiden gleich:
Die Jungfrau wird vor Hof und Reich
Dem Jüngling, ihrem einstigen Feind,
Gegeben. Sind sie nun vereint
Mit Banden, die der Tod nur trennt?
Sie sind einander werth. Doch brennt
Die Jungfrau nicht: in trüber Ruh
Und zögernd schreitet sie ihm zu,
Nicht wie eine Braut, halb abgewandt;
Den Mantel hält die eine Hand,
Die andre ruht in zweien Händen,
Die ihr den Abschiedssegen spenden.
Das sind wohl ihre Eltern: schau,
Vom vorigen Bild die gekrönte Frau,
Dabei ein Mann im Hermelin,
Die Königskrone schmücket ihn.
Dem Jüngling fehlt der goldne Reifen:
Darf er der Fürstin Hand ergreifen?
Auch beut er schüchtern nur den Arm,
Nicht wie ein Gatte kühn und warm,
Nur ehrerbietig naht er ihr.
Er steht wohl nur als Gesandter hier
Und führt das Weib so minniglich,
Die Fürstin heim, ach, nicht für sich.
Das Fräulein, hinter ihr, gewandt
Zum Mitgehn, trägt mit sachter Hand
Etwas, in Tücher eingehüllt.
Den Hintergrund zur Seite füllt
Geschäftig Volk, das Geräthe trägt
Und nieder zum Hafen sich bewegt.
Dort liegt ein Schiff: das prangt in Gluthen!
Steigt eine Sonne aus den Fluthen?
Und auch das Meer, das leuchtet ganz
In rosenrothem Wunderglanz.
Und wie? das Schiff ist dasselbe, seht,
Das oben so hoch auf den Wellen geht,
Und die Liebenden auch mit der Zauberschale,
Die alles besonnt mit dem rothen Strahle!
Die sich hier unten ferne stehn,
Dort sind sie vereint. Was ist geschehn?
Welch Wunder hat sich da begeben?
Wohl mag dies Schiff dort oben schweben
Am Himmel, der sich zum Meere neigt,
Im Meere, das auf zum Himmel steigt:
[245]
Soll sich Getrenntes fassen und halten,
Soll Jugend siegen und nimmer alten,
So müssen die Elemente rein,
So darf ihr Reich nicht auf Erden sein.
Umrahmt von einer offnen Thür,
Tritt hier ein Schlafgemach herfür,
Ein Bett mit Kron und Wappenschild,
Und drei Gestalten in dem Bild.
Der Jüngling und die Fürstin wieder:
Was zog sie zu der Erde nieder?
Und eine Dritte: ihr Gesicht
Ist abgewandt, man kennt sie nicht.
Sie ringt die Hände in tiefem Gram.
Wie sie in der Fürstin Kleider kam,
Ins weiße Gewand, zum Diadem?
Er führte sie zum Bette – Wem?
Er rückt ihr das Krönlein, das hernieder
Gestreifte, zurecht in die Locken wieder.
Auf seinem Gesichte sind im Streit
Mitleid, Scham, Kummer, Dankbarkeit;
Halb von der Seite ist's zu sehn.
Vorn, links, die Fürstin, gewandt zum Gehn;
Die Lichter stehn erloschen hie,
Das einzig brennende trägt sie
Und ist allein vom Strahl erhellt,
Der dunkler auf die Andern fällt.
Ihr Haupt ist des goldnen Schmuckes bar;
Nach hinten fliegt ihr blondes Haar;
Sie faßt, ihn fortzuziehn, den Mann
Am Arm, doch blickt sie ihn nicht an.
Wie sie herwärts schreitet, der Thüre zu,
Hastig, als hätte sie keine Ruh,
Entschlossen, trotzig, beinahe wild,
Doch schön! Ein kaum verständlich Bild.
Dort, rechts von der mit Myrtenkränzen
Reich überhängten Pforte, glänzen
Tief hinten überm Hofe, sieh,
Fackeln auf einer Galerie.
Wer kommt dort in dem Flackerlicht?
Er ist zu fern, man erkennt ihn nicht.
Er schreitet zwischen Dienern still:
Ein alter Mann, der zur Ruhe will.
Ein Nachtstück wieder. Ein Garten, seht,
In dem ein breiter Oelbaum steht.
Der Mond ging hinter den Bergen auf
Und zieht mit leisem Friedenslauf,
Gestaltet als ein goldner Kahn,
Hin durch den blauen Ocean.
Er säumt die grünen Blätter dicht
Mit unnennbarem Zauberlicht
Und läßt die schlummernden Blumen leuchten
In Farben, die fremd dem Tage deuchten.
Dort hinterm Baum, im Schatten ganz,
Erschimmert lichter Marmorglanz:
Es ist, gar zierlich ausgesonnen,
Ein Steinbild und zugleich ein Bronnen.
Da hat nun der Riese still und sacht
All seine Schalkheit angebracht:
Kaum sieht man's; wenn ihr scharf hinschaut,
So ist's Frau Minne, die hold und traut
Ihren Knaben im Arme hält,
Den Wildfang, der da beherrscht die Welt.
Sie droht ihm mit dem Finger sehr;
An ihre Kniee schmiegt sich er,
Umschlingend mit dem einen Arm,
Den andern hebt er sonder Harm,
Drückt sich mit arger Schelmenlist
Den Finger auf den Mund und – pßt!
Vom Baume herwärts fließt der Quell,
Lebendig perlend, frisch und hell;
Ihn rühmt das frischere dunkle Grün,
Die Blumen, die hier goldner blühn;
Und o, wie spielt das Licht in hellen,
In seligen Streifen auf den Wellen!
Sie fließen nach einer Halle hin,
Als wollten sie ein Geheimniß drin
Erzählen. Wilde Rosen haben
Die lichte Wand in Grün begraben,
Die seitwärts blinkt, das Bild begrenzend.
In dieser Landschaft, zaubrisch glänzend,
Was braucht's belebender Menschen noch?
Und Menschengestalten sind hier doch,
Vielleicht mehr, als das Bild euch zeigt.
In der prächtigen Nacht, wo alles schweigt,
Schleicht sich ein Paar zum Olivenbaum,
Zu feiern einen Wonnetraum,
Die Beiden wieder, das hohe Paar:
Das Mondlicht zeigt ihre Züge klar,
Doch nicht verklärt: sie blicken trübe,
Als ob was Fremdes sich erhübe
Und stünde scheidend zwischen ihnen.
[246]
Er weilt mit räthselhaften Mienen
Am Baum; von der Halle her kommt sie
Und steht im Nachtgewande hie
Zaudernd, recht in des Bildes Mitte;
Ihr Gang stockt mitten in dem Schritte,
Als bangte sie vor dem eignen Schatten,
Der leise mitschleicht auf den Matten.
Doch nein, sie blickt den Liebsten an,
Stumm fragend, was hab ich dir gethan,
Daß du mir nicht entgegen fliegst,
Nicht längst mir in den Armen liegst?
Ruft diese Stunde nicht zum Lieben?
Wo ist dein altes Herz geblieben?
Wie scheint der Liebenden Freund so licht!
Du stehst? du schweigst? was sprichst du nicht? –
Was mag er haben? sein Arm ruht schief,
Sieh, über der Brust, im Schatten tief;
Den Rücken gegen Mond und Baum
Gekehrt, streckt er – man sieht es kaum –
Mit einer seltsamen Geberde
Den Finger neben sich zur Erde.
Wo deutet er hin? Was soll das sein?
Zeigt er auf seinen Schatten? nein,
Seht besser hin: es sind ja drei,
Drei Schatten und nur Ein Mann dabei.
Der seine, der fällt neben ihn
Schief herwärts, scharf und deutlich hin,
Und neben seinen eignen fallen
Noch zween, wie aus des Baumes Hallen,
Ein großer und ein kleiner;
Mit langem Arm weist einer
Grad auf die Frau, die dorther geht.
Nun wißt ihr, warum er so stille steht,
Der Jüngling, und nicht von Lust berauscht
Entgegen fliegt. Sie sind belauscht.
Gehören sie denn einander nicht
Bei Nacht und im freien Sonnenlicht?
Und was bedeuten die Drachen und Schlangen,
Die züngelnd halten dies Bild umfangen?
Und doch! das nächste Feld zeigt sie
In freier Sonne beisammen hie.
Nun folgten sie endlich der Minne Ruf
Und liegen nackt, wie Gott sie schuf,
Zwo Rosen gleich in süßem Glühn,
Schlummernd, weiß nicht nach welchen Mühn,
Auf einem Ruhebett im Grünen.
Es beugt sich auf die Holden, Kühnen.
Ein Zweig roth glühender Granaten,
Die sich im Sonnenkuß aufthaten,
Wetteifernd mit ihres Schlummers Gluth.
Hier fehlt mir nun so Wort als Muth,
Dies sonnenwarme Bild zu malen:
Treu reden nur der Farbe Strahlen
Von der geheimnißvollen Pracht
Des Menschenleibs, den Gott gemacht.
Wer gäbe sie in Worten wieder,
Die zarte Keuschheit nackter Glieder?
Wer schildert, Leib an Leib geschlossen,
Dies Wunder, wie aus Erz gegossen,
Und doch so weich! Wem wär's beschieden,
Zu reden von der Lichter Frieden:
Wie Fleisch und Blut und das Gewühl
Der Farben auf dem schönen Pfühl,
Der Blumen bunter Glanz vereint
So innig in einander scheint?
Dem Schönsten, was die Erde hat,
Entblüht auf dieser Lagerstatt
Der Schöpfung Krone, das Menschenbild,
So schön, daß trunken niederquillt
Das Licht darauf und kann nicht scheiden.
Doch sah ein Andrer noch die Beiden:
Dort im Gebüsch, von Haaren weiß,
Seht ihr den König, den milden Greis,
Der den Jüngling zum Ritter schlug,
Von dem er Huld und Ehre trug –
Ihr kennt ihn noch vom Münster her:
Doch steht er halbgewendet, er
Will gehen – Welch ein Kummer spricht
Aus diesem gesenkten Angesicht,
Das man kaum halb erblickt? Er hat
Den Arm erhoben und läßt ihn matt
In tiefem Grame sinken wieder.
Was beugt ihn so zur Erde nieder?
Droht seinem Liebling ernstes Leid
Mitten im Traum der Seligkeit?
Rechts in dem Randgemäld am Bild,
Da weint ein Engel traurig mild;
Ein grinsender Gnom am linken Rand
Hat eine Viper in der Hand,
Als wär's ein Bogen, und schießt zu den Drein
Eine kleine Otter als Pfeil hinein.
[247]
Das zwölfte Feld, das den Kreis beschloß,
Zwischen dem Kind und dem Wonneloos
Des Mannes, war noch leer zur Stund,
Nur aufgetragen ein dunkler Grund,
Auf dem sich sollt aus des Helden Leben
Das letzte Bild, das letzte! heben.
Mit ernstem Sinnen sah Tristan
Das Werk, das unvollendet, an;
Lang stand er vor der dunkeln Wand,
Dann nahm er Kaedinens Hand,
Ihn aus der Halle zu geleiten.
Noch einmal sah nach allen Seiten
Der Jüngling, dem das Herze schlug,
Und folgte mit tiefem Athemzug.
Aus mattem Gold getrieben, war
Inmitten des Saales ein Altar,
Fast ähnlicher einem Grabmal noch,
Länger als breit, geräumig, hoch,
Wie man es über Grüften mag
In Kirchenhallen sehn. Nur lag
Kein Bild drauf. Jede Seite bot
Embleme vom Leben und vom Tod.
Die Ecken stützten der Riesen vier,
Die massigen Leiber beugend. Hier
War nun der Eingang von zuvor.
Sie gingen durch dies einz'ge Thor,
Das Einlaß in die Halle gab,
Und schritten ins Dunkel, doch nicht bergab:
Nach kurzer Frist trug sie der Gang
Ins Freie, auf einen Klippenhang,
Um dessen Fuß mit Tosen her
Schäumte und brandete das Meer.
Das war der Klang, der in der Halle
Sich brach zu tiefem Orgelschalle.
Tristan saß auf ein Felsenstück
Und wandte fragend sein Aug zurück
Auf Kaedin. Der wußte kaum,
Wie ihm geschehen. Halb im Traum
Fragt' er: »Und lebt sie denn?« – und wandte
Sein Antlitz ab, das glühend brannte.
Wehmüthig nickte Tristan Ja. –
»Nicht ganz versteh ich, was ich sah,
Doch Eines hab ich wohl begriffen,« –
Hier brach er ab, und auf den Riffen,
Die unter ihm zerrissen klafften,
Ließ er sein Auge schmerzlich haften.
»Setz dich hier zu mir,« sprach Tristan:
»Höre mir zu.« Und er begann.
Euch ist Tristans Geschichte kund:
Ihr hörtet sie von einem Mund,
Dem sich kein andrer in der Welt
An Süßigkeit zur Seite stellt.
Auch Tristan trug ein Dichterherz
Und sprach nicht kalt von seinem Schmerz,
Indeß ein wildes Lied von Weh
Zu seinen Füßen sang die See.
»Ich bin,« sprach er, als er geendet,
»Mit Leib und Leben Ihr verpfändet;
Ich habe kein Recht mehr an mein Leben:
Hab ich ihr Gut hinweggegeben,
So hat der Käufer gestohlen Gut,
Worauf ja nimmer Segen ruht.
Die Möve, die dort hinüber streicht,
Verklagt mich, daß ich wog so leicht:
Sie zieht nach Kornwall. Ach, dorthin
Zieht Wind und Wolke, Herz und Sinn.
Nein, keine Andre kann ich lieben!
Was hat mich zu der Schuld getrieben,
Was zu dem Wahnsinn ohne Gleichen?
Sie dort, in ihren öden Reichen,
Schaut einsam klagend nach mir her.
Und ich – o stürze, Fels, ins Meer!
Von meiner Wurzel abgerissen,
Muß ich Licht, Luft und Seele missen,
Und was sich schlingen will um mich,
Bleibt nahrungslos und kümmerlich.
Sie dort, ich hier in Lügenketten!
Ich aber will die Liebe retten,
Das Recht der Wahrheit soll bestehn,
Und mag die Welt zu Grunde gehn!«
So sprach Tristan noch lange fort.
Der Jüngling hörte nicht ein Wort.
Er sah, wie sich die Welle brach
Am Fels, er sah der Möve nach,
Die sich in blauem Duft verlor,
Und fuhr aus Träumerein empor.
»Arm Schwesterherz!« sprach Kaedin:
»Und dort liegt Kornwall? Wollen wir hin?« –
»Nach Kornwall?« Wie von einem Blitz
[248]
Getroffen sprang Tristan auf vom Sitz:
»Und du willst mit? Du willst mit mir?
Ja komm, und Wunder zeig ich dir!
Komm, du sollst sehn, daß Rede, Leben,
Der Augen Nehmen und süßes Geben
Mehr Wunderherrlichkeit erschließt,
Als alles, was aus Farben sprießt.
Findst du nicht mehr als in der Hallen,
Wohlan, dann sei mein Haupt verfallen.« –
»Nach Kornwall!« jauchzte Kaedin:
»Doch hör, laß uns mit Frieden ziehn;
Wir wollen über Karke fort
Und Urlaub nehmen mit gutem Wort.« –
»Urlaub?« sprach Tristan und blieb stehn:
»Das wird in Gutem schwerlich gehn,
Sonst wär ich längst alleine hin.« –
»Ich schaff ihn dir!« rief Kaedin:
»Was folgen mag, noch weiß ich's nicht.
Mir ist, ich seh ein dämmernd Licht.
Viel fügt und ordnet sich auf Erden:
Es muß und mag noch anders werden.« –
»Mein Bruder!« sagte Tristan warm
Und schloß den Jüngling in den Arm:
»Mir ist ja das schon Himmelsgabe,
Daß ich dich wieder funden habe!
O du weißt nicht, wie öd und bar,
Wie qualvoll mir dies Leben war.
Heimlich zu fliehen, schien mir schlecht,
Offen zu brechen, ungerecht:
Ich liebt euch doch! mit Leid und Schmerz
Verschloß ich euch mein armes Herz.
Ich trieb kein Spiel! Ich selber war
Ein Spiel. Dir ist es endlich klar.
Wir kennen uns! Wir sind vereint,
So lang uns Gottes Sonne scheint.
Nun wohnt doch Friede bei uns Beiden,
Und soll allein der Tod uns scheiden!« –
»Nach Karke denn!« rief Kaedin.
Sie eilten zu ihren Rossen hin
Und jagten spornstreichs Karke zu.
Dann nach Kornwall in guter Ruh
Zu neuem Truggewinne
Zwischen Verrath und Minne?
O nein, o nein, das hat ein Ziel:
Mir ist des Alten schon zu viel.
Ich glaube auch wahrlich nimmermehr,
Daß es nach des Meisters Sinne wär.
Was er die Lieb in der Scheidestunde
Aussprechen ließ mit bittrem Munde,
Das sah nicht aus nach neuer Lust,
Das klang so still, so todbewußt:
Nach Reden, die so zu Leide stehn,
Soll man sich niemals wieder sehn.
Sie waren, echt und herzgebrochen,
Auf Nimmerwiedersehn gesprochen.

Kaedin

Kaedin.

Oft sinnt der Mensch auf einen Rath,
Der nimmer doch dem Ziele naht.
Oft stürmt die Jugend in Saus und Braus
Nach einem fernen Ziel hinaus:
Da lenkt ein Stäubchen sie ab im Nu
Und führt sie dem nahen Ende zu.
Herr Tristan und der junge Knab
Ritten den nächsten Weg hinab
Am Meeresstrand und kamen bald
In einen großen wilden Wald.
Da führte sie bergauf ein Pfad;
Nun sahen sie oben von dem Grat
Eine Jägerschaar mit Einem Mal
Jenseits herreiten in dem Thal.
»Hinweg!« rief Tristans Reitgesell:
»Bergen wir uns im Gebüsche schnell!« –
»Warum? Ich flieh nicht wie ein Dieb,«
Sprach Tristan. – »O thu mir's zu Lieb,
[249]
Du sollst gleich alles hören; fort!« –
»Sie sehn uns nicht: sie ziehen dort
Hinüber. Wer ist's? So rede doch!« –
»Nampotenis von Gamaroch,«
Gab ihm zur Antwort Kaedin,
»Zieht dort mit jenen Jägern hin,
Mit seinen Gästen. Kennst du ihn nicht?« –
»Der mit dem rothen Angesicht,
Der wunderliche dicke Mann,
Der untersetzte?« sprach Tristan. –
»Er führt ein wackres Schwert: er war
Der Schlechtste nicht in der Feinde Schaar,
Die uns bedrängten in jenem Krieg,
Eh deine Hand erfocht den Sieg.
Sein Schloß, das heißt Gamarke
Und liegt nicht weit von Karke.«
»So fürchtest du ihn?« – »Nimmermehr!
Ihn fürchten? Zwar mein Feind ist er,
Doch hat das einen andern Grund.
Hier darf er mich nicht sehen.« – »Und?« –
»Es käme seiner schönen Frau
Zu Schaden. Er ist stolz wie ein Pfau
Und eifersüchtig wie ein Hahn.
Wir liebten uns von Kindheit an:
Sie aber ward, indeß ich fern
Auf Reisen weilte, gar nicht gern,
Dem ungeliebten Mann vermählt,
Der sie mit albernen Launen quält.
Er hält meines Herzens Wonne
Strenger denn eine Nonne.
Seine starke Burg umgeben
Hohe Mauern und tiefe Gräben;
Auch hat sie nur einzig Thor,
Und er behält sich den Schlüssel vor,
Den trägt er bei sich und hält ihn fest,
Wenn er eine Stunde das Schloß verläßt.
Kein Vogel kommt und keine Maus
Ohne seinen Willen in dieses Haus.
Auch hat er zum Dienste seiner Frau
Kein männlich Geschöpf, nicht grün noch grau,
Nur Frauen dienen ihr allein.
Seine Gäste führt er bei Nacht nicht ein:
Sie lachen oder schelten,
Sie müssen schlafen in Zelten.
So trieb er den Unfug immerdar,
Am ärgsten doch, seit ich bei ihm war:
Ich gab mich ihm einst gefangen,
Zu stillen mein Verlangen;
Da ward ich auf sein Schloß geführt,
Wo ich mir nahm, was mir gebührt.
Gar schlecht bekam ihm die Frauenhut:
Frau Gardeloye war mir gut,
Und in den Armen, lind und weich,
Ward meine Haft zum Himmelreich.
Sie dauerte eine Woche nur:
Da kam er uns leider auf die Spur,
Und als er merkte, wie's bestellt,
Entließ er mich ohne Lösegeld
Und hält seitdem das süße Weib
Gefangen, als wär's auf Leben und Leib.
Ich habe sie seitdem nicht gesehn.
Nun möcht ich, eh wir zu Schiffe gehn,
Mit der Armen, Freudelosen
Ein Stündchen reden und kosen.
Drum wollt ich von ihm nicht gesehen sein:
Es würde ihr nicht um Trost gedeihn,
Und um das Kosen wär's gethan.
Und nun, mein Bruder, mein Freund Tristan,
Erweise mir deinen holden Sinn
Und reit mit mir nach Gamarke hin!« –
Wie wollte Tristan anders nun?
Er mußte ihm seinen Willen thun:
Da ritten sie, statt nach Karke,
Zur Linken nach Gamarke.
Sie sahen das Schloß und ritten dar,
Und als er vor der Mauer war,
Rief Kaedin ein Jungfräulein
Und bat, ihn zu melden der Frauen sein.
Frau Gardeloye mit Prangen
Kam auf die Zinne gegangen,
Die schöne Frau von Gamaroch,
Ein stolzes Weib, vollwüchsig, hoch,
Schwarzlockig im brennend rothen Kleid,
Das liebe Gesicht voll Reiz und Leid.
Ihr höf'scher Buhle dorten
Mit wohlgestrichnen Worten,
Die Arme hebend mit O und Ach,
Begann von seinem Ungemach;
Die Schöne erwidert's mit Ach und O
Und brannte herunter lichterloh,
Wie eine wilde Blume, die
[250]
Aufschoß im grauen Gemäuer hie.
Dazwischen fiel Tristanden
Manch höfischer Gruß zuhanden
Ob seinem Ruhme weit und breit,
Seiner Treue und Biederkeit,
Und wie die bedrängte Fraue
Sich gänzlich ihm vertraue.
Doch immer kehrte das Klagelied
Dem Thore, das die Gelieben schied,
Und dem verwünschten Schlüssel zu,
Der ihnen raubte Trost und Ruh
Sie sannen tausend Mittel aus,
Wie zu eröffnen wär das Haus
Und wie der Schlüssel zu umgehn;
Und mußten doch alle nichtig sehn.
Tristan, schnellsinnig wie von je
Und ungeduldig nach der See,
Verzweifelnd über die O's und Ach's,
Rief aus: »So drückt ihn doch in Wachs!« –
Frau Gardeloye, Herr Kaedin,
Die priesen seinen feinen Sinn,
Sagten ihm Dank und aber Dank
Und wurden lachend Eins zum Schwank.
Sie wollte, wenn ihr Herr zu Nacht
Heimkehrte, wie er's stets gemacht,
Ihm mit gefügen Händen
Den Schlüssel im Schlaf entwenden;
»Und kommst du morgen früh herbei,«
Sprach sie, »so kannst du das Conterfei
Dort an dem Graben holen.
Nun, Herren, Gott befohlen.« –
Die Herren schieden williglich
Und wandten in ein Waldstädtchen sich,
Das abgelegen und unbekannt
Im tiefen Waldgebirge stand;
Dort bargen sie sich die ganze Zeit
Und fanden auch einen Schmid bereit,
Zu ihren geheimen Sachen
Den Schlüssel nachzumachen.
Indeß nun Kaedin sacht und klug
Das Wachs von der Burg herunter trug,
Der Schmid, nicht so schnellfingrig als
Die heutigen, über Kopf und Hals
Sich mühte in tausend Nöthen
Mit Feilen und mit Löthen,
Indessen hatte zur Buße
Herr Tristan gute Muße
Und saß mit Qual und Trauer
Auf seiner gezwungnen Lauer.
»Bin ich zum Adam aufgestellt,
Durch den die Sünde kam zur Welt?«
Sprach er: »Wenn mich in Leid und Lieb
Ein ungeheures Schicksal trieb,
Muß ich darum zu losen Streichen
Die Hand leichtfertigen Herzen reichen?
Und doch, wie kann ich noch zurück?
Der holde Fant ist all mein Glück:
Seine Jugend, sorglos, unbedacht,
Wer ist, dem sie nicht ins Herze lacht?
Sein Vertrauen ruht in meinen Händen,
Ich kann mich nimmer von ihm wenden.« –
Dies und noch manches gab Tristan,
Die Unbill zu beschönigen, an;
Jedoch, was scheu vor Licht und Tag
Den Reden allen zu Grunde lag,
Was er mitdachte halbbewußt,
Das wollen wir lesen in seiner Brust.
Gar manch Gesetz ist in der Welt,
Mit dem's im Grunde schwach bestellt,
Und manch Recht könnte, beim Licht besehn,
Vor besserem Rechte nicht bestehn;
Nur daß die unmündigen Menschenkind,
Die blöden, so leicht zu irren sind:
Denn greifst du nach einem Eigenthum,
Zu dem du trägst in der Brust herum
Dein Gottesrecht, so machst du dich
Zum Genossen von jedem Diebesschlich;
Und sehen die Kleinen einen Mann,
Einen Helden für Ihresgleichen an,
So zerren sie ihn mit Gejauchz und Schrein
Für immer in den Koth hinein,
Und der der armen bedürftigen Welt
Ein Pfeiler sollte sein, der fällt
Und zieht in seinen Sturz mit Schmach
Einer halben Welt Gedeihen nach.
Voran! Der Schlüssel war gemacht,
Die große Jagd noch nicht vollbracht,
Nampotenis von Hause fern:
Da ritten die beiden losen Herrn
Nach Gamarke. Nun trug das junge Blut
[251]
Ein Schapel, einen Schattenhut
Von klaren Rosen. Und als er kam
Auf die Brücke dargesprengt, so nahm
Der Wind, sein luftiger Gesell,
Das Schapel ihm vom Haupte schnell
Und warf's in den Graben. Kaedin
Ging achtlos zu dem Thore hin
Und fand gar bald bewährt den Schmid:
Die Pforte, die Lieb von Liebe schied,
Sprang auf. Sie traten in das Schloß.
Da war der Frauen Jubel groß,
Die Herren gottwillkommen.
Da ward nicht Zeit genommen
Von den Gelieben beiden:
Sie dachten voraus ans Scheiden,
Sagten nicht lange Weh und Ach,
Verfügten sich eilig in ein Gemach
Und spielten Tristan und Isold,
Weiß nicht, mit Messing oder Gold.
Herr Tristan bei den Fräulein blieb
Und höfisch ihnen die Zeit vertrieb.
Es war ihm eine Kunst bekannt,
Die Niemand zu der Zeit verstand,
Darob sie sie allwärts hießen
Herrn Tristans Reiserschießen.
Er schoß in die Wand ein gespitztes Reis,
Zielte danach mit Acht und Fleiß
Und schoß ein Reis ins andre so.
Der Kurzweil waren die Fräulein froh.
Da rief recht mitten in der Lust
Die Wächterin aus voller Brust:
»Der Herr, der Herr kommt von der Jagd!« –
Er war es auch fürwahr: geplagt
Von seinem bösen Geist kam er
Von ferne gegen das Schloß daher.
Da gab's ein Scheuchen und Rennen,
Ein Jammern, Küssen, Trennen;
Da blieben in all dem Schrecken
Herrn Tristans Reiser stecken.
Die Herren gingen eilig fort
Und ließen in dem Graben dort,
Als sie auf die Rosse stiegen,
Das leide Schapel liegen.
Sie ritten jach dem Walde zu,
Und in des Waldes dunkler Ruh
Trottirten sie ohne Sorgen,
Als wären sie geborgen.
Doch eh eine Stunde halb verstrich,
Vernahmen sie Hufschlag hinter sich
Und sahen Nampotenisen
Feindlich zu Roß herschießen.
Der fand das Schapel im Graben, fand
Auch Tristans Zeichen an der Wand;
Da sah er aus den Reisern klar,
Daß Tristan hier gewesen war:
Das machte ihn Kaedins gewiß,
Daß der nicht fehlte; Nampotenis
Ging in der Frauen Kammer, schoß
Gezückten Schwertes auf sie los
Und schrie: »Nicht hintergehst du mich!
Wer war bei dir? Stirb oder sprich!« –
Das arme Weibergemüthe war
Verzagt und gebrochen ganz und gar
Und beichtete, von Angst verstört,
Was ein Ehmann nicht gerne hört.
Nampotenis fuhr wieder aus,
Nahm ein paar Diener mit zum Strauß
Und ritt, die ihm solch Leid gethan,
Im Walde nach kurzem Jagen an.
»Ihr Ehrenräuber, haltet Stand!«
Rief er: »empfangt von meiner Hand
Den Lohn für eure Lasterthat,
Die Eure Amie verrathen hat,
Herr Kaedin! Ja, schaut nur hoch.
Das soll Euch den Tod versüßen noch:
Wer dich verschwatzte, du schnöder Dieb,
Frau Gardeloye war's, dein Lieb.
Und ihr, Herr Tristan, habt Ihr nicht
Genug gethan wider Recht und Pflicht,
Da Ihr an Eurem Ohm und Herrn
Die Treue stelltet, die Ehre fern,
Und konntet zu Ungebühren,
Pfui, seine Frau verführen?
Müßt Ihr nun in den Landen auch
Ausbreiten Euren Lasterbrauch,
Und seid Ihr überall zur Stell
Als Helfershelfer und Spießgesell,
Zu allen bösen Stücken
Die Jugend zu berücken?
Laßt braver Leute Fraun in Ruh
Und kehret Eurer Buhle zu!
[252]
Die habt ihr nun schon verdorben genug
Mit Euren Liedlein, Eurem Trug:
Verderbt nun nicht auch Andre noch.
Das sagt Euch Der von Gamaroch,
Ein Ehrenmann von altem Schlag,
Der die neuen Sitten nicht leiden mag,
Dem wälsches Klimpern, höfische List
Aerger denn Gift und Spitzgras ist.
Heran, ich will Euch bezahlen
Eure Leiche und Pastoralen.«
Marke's Neffe zog. Doch hielt Tristan
Noch still, sah ihn nur finster an;
Er hätte gern den Streit geschlichtet.
Auch waren sie nicht darauf gerichtet:
Die beiden Ritter hatten bloß
Das kurze Jagdschwert für den Stoß.
Dagegen in voller Wehr war er,
Die Reisigen auch in ihrer Wehr,
Und ungleich beiderseits der Streit.
Doch blieb zur Teiding keine Zeit:
Nampotenis, des Grimmes voll,
Kam angerannt wie blind und toll
Und mit ihm seine Knechte;
Da kam es zum Gefechte,
Da scholl der Grund von Hufen,
Das war ein Schrei'n und Rufen:
»Hie Parmenie! Hie Karke!« –
»Gamarke hie, Gamarke!«
Tristan fuhr in die Reisigen ein,
Er ließ sie wie ein Wetterschein
Von ihren Rossen schießen
Und schonte Nampotenisen.
Der fand inzwischen leider Zeit
Zu einem üblen Stück Arbeit:
Er sprengte mit eingelegtem Speer
Mordlich auf Kaedinen her,
Der ohne Schutz noch Schirmung war;
Da half kein Heldenthum fürwahr.
Erstochen fiel der junge Knab
Rücklings von seinem Pferd herab,
Die Hand nach Tristan streckend,
Den Rächer sich erweckend.
Doch sah es Der noch nicht. Er schlug
Den Letzten, den sein Roß noch trug,
Zu seinen Brüdern in den Sand;
Da kam Nampotenis gerannt.
Er ließ in Kaedin den Spieß,
Zog aus sein breites Schwert und stieß,
Wie der sich wollte wenden,
Den Helden durch die Lenden.
Das Schwert ging ihm ans Leben tief;
Er fühlte sein Verhängniß, rief:
»Nun keine Schonung weiter!«
Und traf den argen Streiter,
Der ihm nach wenig Schlägen
Wie mürbes Holz erlegen.
Der grimmige Nampotenis
Lag unter seinem Pferd und biß
Den bittern Sand. Nun sah Tristan,
Welch Herzleid er ihm angethan:
Sein Freund, das frische junge Blut,
Hatte gebüßt den Uebermuth
Und schlief in stiller Todesruh;
Seine klaren Augen, die waren zu,
Die Lippen, ein Sitz für Scherz und Fest,
Vom Todeskrampfe festgepreßt.
Mühselig vom Rosse stieg Tristan,
Der bleiche todeswunde Mann,
Kniete zu seinem Kaedin
Mit Jammer und mit Leide hin
Und bedachte, mit wie bittrer Noth
Mitten ins Leben greift der Tod.
Und als er ein wenig zu Kräften kam,
So lud er, wankend vor Schmerz und Gram,
Den Freund vor sich auf sein spanisch Roß
Und ritt, seine Eile war nicht groß,
Auf die Leiche gebeugt, nach Karke fort.
Wie er nun ward empfangen dort,
Wie seine Unschuld ward erkannt,
Nach kurzem Reden, von Hof und Land,
Und wie des Jünglings todter Leib
Von Eltern, Magen, Mann und Weib
Begrüßt mit lauten Klagen,
Das will ich nicht lange sagen.
Der Herzog und die Herzogin
Geleiteten ihren Kaedin
Bei dumpfem Glockenschalle
Im Dom zur Schlummerhalle,
Indeß Isolde Tristans pflag,
Der auf dem Sterbebette lag.
[253]
Die Trauermäre ging weit und breit;
Um die edlen Helden trug Mancher Leid;
Ihr Lied, das ward gesungen
Von gut und bösen Zungen.
Die schöne Gardeloye
Ging nun in schwarzem Boye
Und suchte bald ein Kloster auf,
Zu beschließen ihren Lebenslauf.

Tristan und Isolde

Tristan und Isolde.

Tod, hast du deinen Mann zuletzt
In des Lebens Rennbahn müd gehetzt,
Und nimmst ihn nun mit Frieden hin,
Der dein eigen war von Anbeginn,
Dem du schrittst auf seinem Pfade vor,
Durch Wonne und Graus, mit dem dunklen Flor,
Dem du den sturmgepeitschten Kiel
Ergriffst so nah beim Wonneziel?
Führst du ihn in den Hafen ein
Und läßt es um ihn stille sein?
Noch nicht! Es gibt eine Lebenskraft,
Die auch dem Starken, der alles rafft,
Dem würgenden Riesen, die letzte Schlacht,
Die unvermeidliche, sauer macht.
Ein Geheimniß, das in der Seele ruht,
Zieht sie zurück von der schwarzen Fluth;
Eine Schuld, die auf dem Menschen lag
Ein langes Leben Nacht und Tag,
Mit wildem Ringen, dumpfem Zagen
In schweigender Todesnoth getragen,
Nach der erlösenden Beichte suchend
Und dennoch der Entdeckung fluchend,
Zehrt auf, was herbergt in der Brust,
Furcht, Hoffnung, That- und Lebenslust,
Und zieht des Menschen ganzes Sein
In einen kleinen Punkt hinein,
Der im verkrampften Herzen glimmt.
Da wohnt sie, ewig murmelnd, nimmt
An sich den Keim jedweden Strebens
Und ist zuletzt der Sitz des Lebens,
Das solche Kraft von ihr gewinnt,
Daß schauernd der bleiche Würger sinnt,
Wie er aus der Hüllen Blöße
Die verfallene Seele löse.
Umsonst! Schwer scheidend von dem Tag,
Krümmt unter seinem Sensenschlag
Sich das Gebein. Was innen wacht,
Will nicht hinunter in die Nacht.
Es zuckt der Mund und will noch sprechen,
Es kämpft das Herz und kann nicht brechen.
Doch, was ist stärker als jede Noth
Der Welt, als Angst, Verzweiflung, Tod?
Das ist die selige Gotteskraft,
Die himmlisch Leben im Staube schafft,
Die diese flüchtige Erdenwelt
Im Ring der Ewigkeiten hält,
Die Herzen speist in des Lebens Oeden,
Die Augen wacker macht, die blöden,
Daß Eins am Andern froh entbrennt
Und Eins im Andern Gott erkennt,
Daß Jedes Reichthum nimmt und gibt
Und Wunder schaut und glaubt und liebt.
Sie macht aus den Steinen der Wüste Brod:
Sie zwingt das Leben und den Tod.
Und soll ein Herz nun scheiden ab,
Das einem Herzen sein Alles gab,
Das nicht mehr in sich selber webt,
Das im geliebten Herzen lebt,
Von dem es ward gerissen
In Lebensfinsternissen,
Das wird in Liebe göttlich stark,
Säß auch der Tod im tiefsten Mark,
Daß es von Kraft und Fülle strotzt
Und triumphierend dem Würger trotzt:
[254]
Dem Tage fremd, dem lichtlos armen,
Und fremd dem Dunkel ohn Erbarmen,
Hängt es am eigenen Magnet,
Wie jener Sarg, von dem da geht
Die Sage, daß er ohne Strebe
Fremd zwischen Erd und Himmel schwebe.
Und Tristan sprach in Todesqual
Zu seinem treuen Kurvenal:
»Geh hin nach Kornwall, geh zur Stund,
Sag Ihr, ich liege tödtlich wund.
Ich will, ich muß sie noch einmal sehn,
Vergebung von ihrem Munde flehn
Für all ihr Leid und Ungemach,
Für alles, was an ihr verbrach
Meine Lieb und Treu, ihres Lebens Fluch,
Und ach, noch mehr mein Treuebruch!
Mein irrer Geist hat keine Ruh,
Sie komme denn, sie selbst, herzu.
Wie meinen Vater Riwalin
Am dunklen Strande hieß verziehn
Die Liebe, so nicht dort, noch hier
Bin ich: mein Wesen ist in ihr.
Sie nur hat über mich zu schalten:
Sie soll mich lösen oder halten.
Ich kann nicht leben, kann nicht sterben,
Mag ich nicht Liebestrost erwerben.
Nimm diesen Ring von meiner Hand
Und bring ihr ihn, der Treue Pfand,
Die von dem meinen, das ihr log,
Ganz in ihr reines Herze zog.
Nicht mahne, daß sie kommen solle,
Auch sage nicht, daß ich es wolle:
Sag ihr nur, wie es um mich steht,
Sag's kurz, und wenn sie mit dir geht,
So denke dran, was Warten heißt,
Wenn Leib und Seel aus einander reißt.
Spann alle Segel zum vollen Lauf
Und setz ein weißes oben drauf,
Daß ich auf meinen Ostertag
Ein Stündchen früher mich freuen mag.
Doch kommt sie nicht herüber, ist
Sie krank oder todt zu dieser Frist,
Was ich nicht glauben will, noch kann,
Denn anders sagt's mein Herz mir an,
Ja, oder zürnt sie mir so sehr,
Daß sie mich nicht will sehen mehr,
Dann laß ein schwarzes Segel wehn,
Daß Angst und Hoffnung rasch vergehn.
Nichts mehr. Ich muß den Odem sparen.
Gott lasse dich zum Heile fahren.«
Kurvenal beugte mit stillem Gram
Sich nieder zu dem Meister, nahm
Den Ring und wandte sich, zu gehn. –
Wir haben ihn lange nicht gesehn:
War Kurvenal so lange fort?
Wie ist er nun auf einmal dort?
Ich weiß es nicht, doch wißt ihr ja,
In Nöthen ist je der Getreue da.
Er flehte zu Gott, mit Segen
Des kranken Herrn zu pflegen,
Bestieg ein Schiff geschwinde,
Fuhr hin mit gutem Winde
Und stand auch bald auf Kornwalls Sand.
Der König war ins blanke Land
Geritten, die Königin allein,
Da trat er mit dem Ring herein,
Der Untreu mahnend, nicht weise zwar,
Die durch die Lande erschollen war.
Mit starren Augen, groß und wild,
Sah sie ihn an, der Rache Bild;
In ihrem Mordblick lag der Tod,
Der auch Brangänen einst gedroht.
Doch als er sprach das Eine Wort:
»Er stirbt!« da schwand die Rache fort,
Da brach sie aus in Thränen,
Sprang auf, rief nach Brangänen;
Als die nicht gleich zuhanden,
Schied sie allein aus den Landen,
Nicht achtend, wem da wäre
Lieb oder leid die Märe,
Und noch in derselben Stunde
Fuhr sie hoch auf dem Sunde,
Die Segel alle blähend,
Und über ihnen wehend,
Wie eine weiße Taube,
Mit der ein Trost und Glaube
In Sturm und Dunkel wiederkehrt,
Die Lebensflagge! O beschert,
Ihr Geister, die ihr in Erdenoth
Die Liebe schirmt, noch eh der Tod
[255]
Dies Band zerreißt mit ehrner Hand,
Beschert dem schmerzgewobnen Band
Den einzigen kurzen Augenblick,
Ja, und besiegelt das Geschick,
Das diesen Beiden auferlegt
Das Höchste, was die Erde trägt
Von Schmerzen und von Wonnen!
Beim Lächeln der letzten Sonnen
Das letzte, letzte Wiedersehn!
Augen, die um Vergebung flehn;
Ein Blick: Nun ist genug gebüßt!
Ein Kuß, der Galle selbst versüßt,
Den Kelch zum Freudenbecher macht
Und rosig hell den Schooß der Nacht.
Und so im Kuß zu sterben – nein,
Nicht sterben, hingenommen sein
In seligen Träumen, wie sie nur
Auf reiner Paradiesesflur
Die Seelen träumen, wo sie blinken
Als Thau, eh sie heruntersinken
In diese Welt voll Schuld und Weh!
O dräue nicht, alte Feindin, See!
O eile, eile, schwacher Kiel!
Mit deiner Fracht! Du trägst so viel
Des Leids und auch der Liebe. Du,
Der ewig ohne Rast und Ruh
Die Welt mit Feuerwehn durchbraust,
Im Buche der Geschicke saust,
Wühlend und blätternd fort und fort,
Sanft fächelnd hier, wild stürmend dort,
O Hauch der Dichtung, himmlisch Kind,
Fasse die Segel, daß auch der Wind,
Dein irdischer Bruder, wie er treibt,
Weit, weit im Fluge zurückebleibt!
Dir ist's ein Kleines, Aar und Pfeil
Zu überholen, des Windes Eil;
Du küssest, und wirst nimmer müd,
In Einem Athem Nord und Süd;
Die Zeit selbst, die dich will belügen,
Sie muß sich deinem Gebote fügen.
Dein ist, womit dies Schiff beladen:
Nimm's hin und führ's zu den Gestaden,
Wo Lieb in Liebe gnadenvoll
Trost und Erlösung schöpfen soll.
Du sausest nah, du sausest ferne,
Ach, du auch stehst im Bann der Sterne!
Auch du, o Königin der Gedanken,
Auch du besiegst nicht alle Schranken.
Du Hohe, die alle Welt gewinnt,
Du bist oft nur ein weinend Kind.
Sonst könnten, die dein Banner tragen,
Auf Erden ja nimmer, nimmer klagen.
Es hofft und harrt manch banges Herz
In Täuschung und in düstrem Schmerz
Am kahlen Strand der Lebenswogen.
Viel Segel kommen angezogen,
Sie führen, was den ird'schen Sinn
Erfreut mit lockendem Gewinn,
Gold, Gemmen, saftige Früchte, Wein,
Auch manchen Zwietrachtsapfel, ein:
Das weiße mit dem Wunderhort,
Das weiße Segel flieht den Port.
Manch Herze hofft und zagt und bricht,
Das weiße kommt, das rechte, nicht.
O Harren, bis der Morgen wacht!
O dunkler Traum der Erdennacht,
Der Menschenkinder banges Loos!
So muß in deinem stillen Schooß
Tristan, des Glückes Liebling, nun
Am Abend seiner Tage ruhn.
Der sich die höchsten Rosen, ach,
Stolz in des Lebens Garten brach,
Dem ist das Loos gefallen,
Wie seinen Brüdern allen:
Warten und Harren! Kommt sie nicht?
Noch immer Nacht? Verzieht das Licht?
Und auch die Sonne zog den Flor
Des grauen Wittwenschleiers vor,
Darunter sie, die hilflos scheint,
So manches Weh der Welt beweint;
Und trübe fiel des Tages Schimmer
Ins stille dumpfe Krankenzimmer,
Wo in der Pflege der weißen Hand
Tristan, der ungeliebten, stand.
Sie murrte nicht ob des Dienstes Bürde,
Obgleich sie wußte, wer kommen würde,
Weil Tristan Tags wohl hundertmal
Ihr nach dem Meer zu sehn befahl.
Sie pflegte sein nach Treu und Pflicht,
Doch war's das rechte Herze nicht.
Was sie in ihrem Amt begann,
[256]
War ihm zu rasch, zu rauh gethan.
Das Siechenbett zum Himmel macht
Geliebter Hände Hut und Wacht:
Doch unter einer Hand zu sein,
Der man Dank sagt mit Seelenpein,
In zweier Augen Hut zu stehn,
In die man nicht mag gerne sehn,
Das ist die bitterste Arzenei,
Ein lebender Tod! Ich sag es frei:
Besser im Hospital verderben,
Ja, lieber an der Straße sterben!
Und in das Krankenzimmer trat
Eine Maid, sprach: »Frau, ein Segel naht.«
Das leise Wort traf Tristans Ohr,
Er fuhr vom Lager halb empor,
Sein Auge nahm wieder Leben an:
»Wie ist's gestaltet?« frug Tristan.
Das Mädchen wußt es nicht zu sagen;
Er scheute sich, seine Frau zu fragen,
Und bat: »Thu mir das Fenster auf,
Damit ich schaue des Schiffes Lauf.« –
Die Weißhand that es ohne Worte,
Sie schritt zur großen Fensterpforte,
Die da hinaus sah auf das Meer,
Zog weg des Vorhangs grüne Wehr,
Riß auf die Flügel und trat zur Seite.
Der Held saß auf und sah ins Weite.
Grau sank der Himmel in die See.
Tristan sah nichts: ihm war so weh,
Bei seines Herzens wildem Zittern
Begann's ihm vor dem Aug zu flittern.
Er sank zurück mit erzwungner Ruh,
Schloß seine müden Augen zu,
Und leise sprach er: »Meine Frau,
Geh du zum Fenster hin und schau,
Ob schwarz, ob weiß dies Segel ist.« –
Sie sah hinaus eine lange Frist.
Das Schiff kam, wie ein Pfeil vom Bogen,
Mit langer Spur daher geflogen;
Sie hätte es gern gebannt ins Meer,
Doch unaufhaltsam zog es her.
Schon sah sie Segeltaue fast,
Und oben von dem höchsten Mast
Weiß schien der Minne Siegspanier.
Sie stand und schaute stumm und stier:
Ihr war's wohl schwer, das Wort zusagen;
Doch Tristan ließ nicht ab mit Fragen.
Sie sprach – Wie kam sie zu dem Wort?
War's Tücke? vorbedachter Mord?
Entschluß, nach ihrem Recht zu schalten,
Die Fremde, Verhaßte fern zu halten,
Die Buhlerin, und an ihrem Theil
Zu sorgen für Tristans Seelenheil?
Sprach kindischer Fürwitz nur aus ihr,
Halb Mißgunst und halb Neubegier,
Blödsinnige Neckerei, zu sehn,
Wie dieses Spiel nun werde gehn?
Ein köstlich Gefäß gerieth als Tand
In unverständige Kindeshand
Und ward elend im Spiel zerbrochen?
Die Märe hat's nicht ausgesprochen.
Und soll nun ich's? o fragt mich nicht:
In diese Tiefen dringt kein Licht.
Eins weiß ich: es gibt Weiberherzen,
Da lauert der Teufel hinter Scherzen,
Hüllt in gedankenloses Wort
Die fressende Schärfe, den kalten Mord,
Eidexen leiht er Gift vom Molche
Und schafft die Nadel um zum Dolche.
»Schwarz!« sprach sie. Und plötzlich, wie sie's sprach,
Mit halber Stimme nur, da brach
Die Sonne aus dem Nebelflor
Mit ihrem vollsten Licht hervor,
Wie Wahrheit durch die Nächte bricht,
Und schaute ihr zornig ins Angesicht.
Im Zimmer war es grabesstumm.
Sie sah sich zögernd, ängstlich um,
Was Tristan mache: der lag still
Wie Einer, der wenig reden will.
Sie sah und sprang in Todesnoth
Zum Lager hin: Tristan war todt,
Getödtet von dem Einen Wort.
Sein Ostertag, seines Herzens Hort,
Sein blondes Lieb, sein Tod und Leben,
Hat ihm das Nein, den Tod, gegeben
Zur Stunde, da sie bringt das Ja,
Durch diese Lügenzunge da.
Das Wort, das ihm zerschnitt sein Hoffen,
Hat tiefer als das Schwert getroffen.
Der Tod ließ ihm die Muße nicht,
[257]
Wie Manchem, dem das Herze bricht,
Zur Seite sich zu wenden
Nach der Wand und so zu enden:
Recht wie er zuvor gelegen war,
So lag er todt, doch schön und klar,
Die Augen freundlich aufgeschlagen
Zur schönen Sonne, die seinen Tagen
Mit Trost erschien manch holdes Mal
Und ihn nun küßte mit goldnem Strahl.
Sie sahen so mild, so ruhig hin,
Als schauten sie was Freundlichs drin.
Das arme, das unselige Weib,
Das ihm die Seele schied vom Leib,
Nun mochte sie ahnen und ermessen,
Welch Gut sie unerkannt besessen,
Welch Kleinod schmählich sie verlor:
Sie rief ihm fort und fort ins Ohr:
»Weiß ist das Segel, weiß, Tristan!
Schau auf! Sie kommt! Dort fährt sie heran!«
Umsonst, umsonst, wie sie auch rief:
Er schlief den Schlaf des Friedens tief,
Entnommen aus des Weltsturms Tosen
Den schwarzen wie den weißen Loosen,
Kein Heiliger, nein, und auch kein Held,
Kein Solcher, der die lechzende Welt
Aus ewigen Lebensbächen tränkt
Und in ihr Heil sein Ich versenkt;
Vielleicht geboren zum Heldenthum
Und um sein Reich getäuscht. – Warum? –
Fragt das Verhängniß – und wer nie
Dem Erdgeist seine Seele lieh,
Wer nur in sich den Gotteskeim,
Des Menschen Mitgift von daheim,
Die weltbeseelende, hat erbaut,
Nicht rechts und auch nicht links geschaut,
Nach Gütern nicht, die irdisch locken,
Und auch auf Schmerzen nicht erschrocken,
Ja, der kann Wunder thun, der kann
Berge versetzen, der gewann
Herrschaft im Himmel und auf Erden,
Und was er will, das muß ihm werden –
Wer so zu Gott empor gediehn,
Der werfe den ersten Stein auf ihn!
Warum? Ihr müßt das Schicksal fragen,
Warum's nicht will auf Erden tagen.
Sie sind doch alle Gottes Kinder,
Die Starken, die Schwachen auch nicht minder:
Was verlegt der Schwache dem Mann der That
Mit armen Schlingen den Rettungspfad?
Der Starke, statt in Hilfe stark,
Was raubt er den Brüdern der Erde Mark?
Die Flamme, die sich der Flamme paart,
Den Gott im Sterblichen offenbart,
Was ist es, daß sie so oft verdumpft,
Den Tempel der Jugend trüb versumpft,
Daß sie, die alles Große schafft,
Zwei Herzen fügt in ihrer Kraft
Zum Doppelstern, auf hellen Gleisen
Mit Licht und Wärme die Welt zu speisen,
Und dann das Gestirn im Flammenkuß
Zu zwei Kometen zerschellen muß,
Die, wirbelnd aus der schönen Bahn,
Verwirrung richten und Elend an?
Warum zerbricht ein Völkerleben
Recht in der Blüthe, recht im Streben,
Daß oft auf einen lichten Tag
Ein langes Dunkel folgen mag?
Muß da ein Herz zur Welt gerathen,
An Liebe reich und reich an Thaten,
Das sich in kranker Zeit verzehrt,
Wo nicht zu bösem Thun verkehrt?
Warum? Klagt nicht die Dichtung an,
Die reine! Sie hat's nicht gethan:
Sie rollt ein Bild vom Erdenlauf,
Ein treues, mit Licht und Dunkel auf
Und läßt euch deuten seinen Sinn.
Geht, fragt die alte Hüterin,
Die an dem ewigen Thor der Nacht
Stumm über ihren Räthseln wacht,
Wo blutend, eh sein Morgen tagte,
Manch großes Her vergebens fragte.
Das weiße Segel war am Land,
Isolde betrat den fremden Strand,
Die Fremde, mit keinem andern Schwert
Als mit dem Liebesmuth bewehrt.
Sie sann nicht, wie es werden sollte,
Sie wußte, was sie schaffen wollte.
Ach, treues Weib, zu spät kommst du
Zum Kampfe, du triffst nur Fried und Ruh.
Hörst du die Glocken läuten?
Ahnst du, was sie bedeuten?
[258]
Siehst du verstörte Haufen
Des Volks zusammenlaufen?
Vernimmst du die Klagen in Schloß und Stadt?
Weißt du –? Ach wohl! und todesmatt
Hing sie an Kurvenalens Arm,
Hinschwebend durch den Menschenschwarm.
Ihr Blut begann zu stocken,
Ihre Augen waren trocken,
Doch in dem Herzen saß die Noth
Mit stummem Ruf: »Todt! Er ist todt!«
So kamen sie zum Schloß hinan
Und kamen ins Zimmer, wo Tristan
Mit falscher Lüge ward erschlagen.
Die Weißhand saß bei ihm mit Klagen.
Da riß sich die blonde Isolde los,
Gewaltig stand sie, hoch und groß
Wie eine Todesgöttin, dort.
Lautlos trieb sie den Schemen fort,
Den hohlen, der zu seiner Hülle
Ihr Namen, Liebe, Lebensfülle,
Ja alles, alles ihr gestohlen,
Was nichts dem Schemen war, dem hohlen!
Ihr gnügte ein stummer Wink der Hand,
Vor dem die Andre nicht bestand.
Die Arme überlief's mit Graus,
Sie schlich sich still und scheu hinaus.
Sie konnt's im eignen Herzen lesen,
Daß sie das Kebsweib war gewesen.
Nun trat die blonde Königin
Zu ihrem todten Freunde hin,
Zu dessen Füßen Kurvenal
Stillknieend lag mit mancher Qual.
Sie sah ihm zärtlich ins Angesicht,
Erwies ihm fromm die letzte Pflicht
Und schloß die beiden Augen zu,
Woran ihr Trost und ihre Ruh
In lieben und leiden Jahren
So lang gelegen waren.
Dann setzte sie sich dem Todten nah,
So daß sie ihm ins Antlitz sah,
Und saß im weiten Faltengewand,
Die Hand in ihres Liebsten Hand,
Drei Tage und auch drei Nächte so.
Ihre Lippe sprach nicht Ach, nicht O,
Ihr Auge ward nicht Einmal naß,
Ihr Herz schien still zu stehn. Sie saß,
Auf Tristan heftend den starren Blick,
Und überdachte sein ganz Geschick,
Dem sie verwuchs im Rosenroth
Des Lebens, verwuchs in Noth und Tod.
So, auf Glückstrümmer hingestreckt,
Mit Asche verstobnen Glücks bedeckt,
Sitzt Hiob; lest um den Mund sein Leid,
Dort steht geschrieben: »Bitterkeit!«
Sich pressend vor des Kelches Neigen,
Sagt dieser Mund: »der Rest ist Schweigen.«
Das Weib ist Herz von Gottes Herzen,
Und Gott wohnt in des Weibes Schmerzen.
Die Mutter an des Kindes Grab,
Die Freundin, die der Erde gab
Den Freund, sie tragen Einen Schmerz,
Ein Schwert durchfuhr ihr liebend Herz,
Draus strömt in ungetrübter Fluth
Das tiefste und das reinste Blut.
Es ist ein inniges Erbarmen,
Daß so das Leben kann verarmen;
Ein Leid um Liebe, die der Tod
Verkürzt hat um ihr Lebensbrod,
Ein Mitleid mit dem Bau der Welt,
Der ohne Halt in sich zerfällt,
Ein Tragen an der Erde Weh,
Auf der beim Honig die Galle je,
Der Dorn je bei der Rose ist,
Der Mehlthau an der Aehre frißt,
Die Distel unter den Waizen dringt,
Die Sonne den Hagelschauer bringt.
Hier saß nun solch ein reines Weib,
Das Treu und Ehre, Seel und Leib,
Der Welt zuwider und ihrem Sinn,
Getrost dem Freunde gab dahin,
Den, eh die Welt war und ihr Wesen,
Auf Himmelsauen sie erlesen,
Für den sie froh und frei entbrannt,
Als sie hienieden ihn erkannt,
Die spätere, weltgebotne Pflicht
Verwerfend vor Gottes Angesicht.
Was scheltet ihr sie mit blödem Sinn
Und nennt sie Ehebrecherin?
O wären alle Herzen so,
[259]
Erkennten sie sich so frei und froh,
Der Pflicht und auch des Rechts bewußt,
Des Gottes, ja, in der starken Brust,
Dann gäb es keinen Bann für sie,
Man dürfte sie auf Erden hie
Der Fesseln all entledigen
Und offen die Sünde predigen,
Dann stiege der Welt verworrner Lauf
Zu höhern, reinern Gesetzen auf,
Ja, dann geschähe Gottes Wort
Auf Erden, wie im Himmel dort.
Getrost, ihr, die ihr hemmtet gern
Die Bäume, daß sie nicht zu fern
Gen Himmel wachsen! Solch ein Paar
Wird nicht geboren mit jedem Jahr,
Und kommt's einmal zur Welt, so ruht
Der Fluch der Welt auf seiner Gluth,
So hat's, zum Lohn der alten Schulden,
Sein volles Erdenloos zu dulden.
Denn also hat es Gott bestellt,
Daß er will kämpfen mit seiner Welt:
Er führt durchs Nein der Schranken
Zum Siege seine Gedanken,
Nacht muß er haben, wenn gnadenvoll
Das Licht seiner Augen leuchten soll.
So weckt er auch des Menschen Geist
Mit Leiden und Kämpfen allermeist;
Der wird nicht los, so lang er lebt,
Grämt sich und zürnt und kämpft und strebt
Und meint, er müsse sein Ziel erringen,
Der Welt das Heil, den Frieden bringen.
Die Engel lächeln zu dem Spiel:
Er hat in Thaten nur sein Ziel,
Ist Opfer, zu Gottes Ruhm verbrannt,
Stoff in des großen Dichters Hand,
Der stets sein Schauspiel hält im Fluß,
Das weder Anfang hat noch Schluß.
Drum prüft und preßt er die Liebe, drum
Gibt er sie ins Martyrium,
Daß sie, in Schuld von ihm entfernt,
Ihn in der Buße kennen lernt.
Drum bringt er auf der Lieb Altar
Zwei Herzen sich zum Opfer dar,
Schiebt zwischen sie die Welt, daß sie
In sich seine Kraft erkennen hie;
Stellt sie so bloß, daß all ihr Leid,
Gemeinem Aug ohn Unterscheid,
Vor menschlichem Gericht und Rath
Gleich gilt mit jeder Missethat:
Daß sie sich selbst, im Drang der Leiden,
Kaum von den Schächern können scheiden,
Mittragend an dem Weh der Welt,
Das schwer auf der Erde Geburten fällt.
Je mehr sie bluten in ihrer Pein,
Je mehr sie werden von Staube rein,
Und wenn sie im Leide brechen,
Dann kann er sie selig sprechen.
Nun geht die Leidenszeit vorbei,
Die Schuld ist gebüßt, die Liebe frei.
Der stille Tristan rief sein Lieb,
Das noch ein wenig zurücke blieb,
Doch nicht mehr lange. Sie gab ihr Herz
Gehorsam hin dem hohen Schmerz,
Indeß das Blut vom Herzen trug,
Das stiller und immer stiller schlug,
Die Todeskunde, das Siegeswort
Durch alle Adern fort und fort,
Und flüsterte jeder Fiber zu:
»Die Marter ist aus, dein Dienst hat Ruh.«
So löschen in einem Gotteshaus
Die Lichter mählich, die Lampen aus,
Bis einsam auf die verlaßnen Mauern
Die Nacht sich lagert mit ihren Schauern.
So trauert ein Stern, der sieht so fern
Sein Zwillingslicht, den Bruderstern
Verglimmend in die Nacht gesunken:
Er stirbt und schwindet Funk um Funken,
Bis eine Leiche zurücke bleibt,
Die lichtlos durch die Himmel treibt.
Und als die Sonne das dritte Mal
Durchs Fenster sah mit erwachtem Strahl,
Da saß die Stille, Bleiche
Bei ihres Tristans Leiche;
Sie saß noch immer, sie war nicht
Aufs Bett, noch auf sein Angesicht
Herabgesunken: regungslos,
Fast übermenschlich hoch und groß
In ihrem faltigen Gewand,
Noch immer haltend des Freundes Hand,
In die Linke, goldumflossen,
Das edle Haupt gegossen,
[260]
Saß sie in schmerzenloser Ruh.
Die treuen Augen waren zu,
Doch blieb das Antlitz still und traut
Dem Stillen zugewandt. Nun schaut
Des Todes hohe Schönheit hie!
Sie schlummern. Mir ist so wohl für sie.
Gehören sie nun einander nicht
In Gottes freiem Sonnenlicht,
Und auch im treuen Schooß der Nacht,
Wo Liebe selig bei Liebe wacht?

Rose und Rebe

Rose und Rebe.

Inzwischen trug eine Barke
Den armen greisen Marke
Meerüber mit Brangänen,
Die ihm in Angst und Thränen,
Bedräut vom Grimme seiner Hand,
Der Minne ganzes Werk gestand:
Wie sie auf der Fahrt gen Kornwall sich
In die pflichtentzweiten Herzen schlich,
Die Königin und den edlen Knecht
Im Sturme zwang zu ihrem Recht,
Zu spät, ein falsches Band zu sprengen,
Zu stark, um sie zurückzudrängen;
Und wie mit Einem Zauberzug
Die Reihe von Wirren, Schuld und Trug,
Kampf, Haß, endlose Herzensnoth
Und gar vielleicht der bittre Tod
Hervor aus jenem Becher brach.
Des Königs Herz, indem sie sprach,
Ging auf und nieder wie die See,
Wogend von Groll und Mitleidsweh:
Er wußte nicht, was er mit ihnen wollte,
Ob er Tod, ob Leben sprechen sollte.
Doch als er in den Hafen kam,
Die Trauermäre vom Schloß vernahm,
Den Herzog und Karsien da
An Särgen weinen und beten sah,
Da war ihm gänzlich Herz und Hand
Zu seinen Lieben hingewandt,
Da hätte er wohl sein altes Leben
Gern für ihr junges hingegeben.
Da ging es, wie es oft verkehrt
Den Menschenkindern widerfährt:
Die Jungen, Holden lagen todt,
Die Alten standen in Leid und Noth.
Der König nahm den Schmerzgewinn,
Die Leichen seiner Kinder, hin
Und führte sie über die blaue See,
Ach, in dem Kiele, der sie eh
Hochzeitlich mit zu raschem Flug
Von Irlands Strand gen Kornwall trug!
Ist nun erfüllt der Brautgesang,
Den leuchtend ihnen die Woge klang?
Sind sie vermählt? Ach wohl, ach wohl!
Er brachte sie gen Tintayol;
Im Garten unterm Olivenbaum,
Wo sie träumten manchen Wonnetraum,
Wo sie die stille Cynthia
Oft lächeln und oft weinen sah,
In der vertrauten Erde hie,
Der heimischen, begrub er sie.
Die Kirche segnete ihr Gebein,
Bischöfe weihten den Hügel ein;
Auch sollte drüber in künft'gen Tagen
Nach des Königs Willen ein Münster ragen.
Noch aber in frischer Gottesluft,
In des Oelbaums Schatten, im Blumenduft
Lag unter der Sonne die Stätte frei;
Das klare Bächlein floß vorbei;
Seine Welle, die den Süßen
Einst diente mit Botengrüßen,
Sang ihnen Schlummerlieder zu,
Hingleitend an dem Ort der Ruh.
Und als die Zeit erfüllet ward,
[261]
Da kam ein Meister von rechter Art
Und baute drüber ein Monument,
Wie seine heimische Stadt eins kennt,
Ein Meister, den sein Werk beweist,
Von Erwins hohem und zartem Geist:
Es gleicht dem Münster, so däucht es mir,
In seinen Massen und seiner Zier,
Es gleicht dem steingewordnen Strahl,
Dran Thürme und Thürmchen ohne Zahl
Mit leichten Steingeweben
In die Lüfte des Himmels streben;
Ein halbes Werk von großer Hand
(Wie noch so manches im deutschen Land),
Das fromme Treue sich nun erlas
Zum Ausbau im verjüngten Maß.
Noch hört, was die Märe so schön, so hold
Erzählt von Tristan und Isold,
Wie sie da noch Minne pflagen,
Da sie in der Erde lagen!
Brangäne pflanzte auf das Grab,
Da man die Gelieben dem Grabe gab,
Eine Rebe und eine Rose hin:
Die Rebe, das Bild von Kraft und Sinn,
Auf Tristans Haupt und, niederwärts,
Die Rose auf Isoldens Herz.
Die wurzelten zur Stunde
Im hochzeitlichen Grunde
Und trieben bald und neigten sich
Zusammen, wie geschwisterlich,
Und wuchsen in einander strebend,
Mit Liebesarmen sich umwebend;
Man konnte mit keinen Dingen
Sie von einander bringen.
Brangäne auf manchem stillen Gang
Begoß sie mit Thränen, jedoch nicht lang:
Ihr Herz ward schwerer mit jedem Tag,
Bis sie auch im stillen Grunde lag.
In Sanct Mariens Kloster drüben
Konnt ihre Seele kein Leid mehr trüben.
Und ganz verwaist trat oft ein Mann
Zum Grab der Liebenden heran;
Er floh vom Schwarm des Hofes fern
Und setzte sich unter den Oelbaum gern
Und sah der Rose und Rebe zu,
Die standen so hold auf Du und Du,
Die wuchsen empor, verstrickt so dicht,
Gesegnet vom schönen Himmelslicht.
Es war ein alter gebeugter Mann,
Und also hub er oftmals an:
»Weh, daß der Mensch, selbstisch empört,
Auf Gottes Stimme so selten hört,
Auf das Wort des Herzens, aus dem so schlicht,
So vernehmlich der Geist Gottes spricht!
Rief nicht, als das herrliche Zwillingspaar
Aus dem Schiffe trat ans Gestade dar,
Rief's nicht in meinem Herzen laut:
›Das ist der Bräutigam und die Braut!‹
Die sind von Gott erkoren,
Sind für einander geboren!
Wie? warnte nicht ein dumpfer Schmerz
Mein armes, lebenssattes Herz?
Gebot mir nicht die Gottespflicht?
Ist mir, ein flehender Engel, nicht
In ihren gehaltnen Mienen
Der Minne Leid erschienen?
Ich aber gab, o Scham und Schmach,
Dem eklen Greisengelüste nach,
Nahm, was nicht mein war, und was ich nahm,
Trug mir mit Wucher Schmach und Scham.
Der Krone wollt ich pflichtig sein,
Ich, arm und falsch wie der Krone Schein!
Ich that, gestützt auf Menschenwahn,
Gewalt dem zartesten Herzen an,
Dem treusten nahm ich seinen Stern,
Ihm, meinem König, meinem Herrn!
War er das nicht? Wer schlug den Ball
Am höchsten stets? Wer hat Kornwall,
Das auf so schwachen Füßen stand,
Beschirmt mit königlicher Hand?
Von meinem Herd die junge Flamme,
Das schöne Reis von meinem Stamme!
Hat's nicht Gott selber so gelenkt,
Der ihn zum Erben mir geschenkt?
Was hört ich auf des Zweifels Stimme?
Was zagt ich vor des Neides Grimme?
Blödsinniger Greis, was logst du dir?
Ach wohl, du scheutest dich vor ihr,
Die einzig Trost und Rettung schafft,
Vor der gottumwitterten Jugendkraft.
Die ist uns ein lieber Kampfgenoß!
Doch fesseln wir listig das edle Roß,
[262]
Um schnöd es, wenn die Aengste schwinden,
Mit schmalem Futter abzufinden.
Und doch, er sah es nicht so an,
Er nicht! Demüthig war Tristan,
Er war züchtig, getreu und mild,
Adliger Sitten ein echtes Bild.
Er war nicht träg, nach Preis zu jagen,
Der Erste war er, ›Ich!‹ zu sagen,
Wenn rings die feige Meute schwieg.
Doch wie er freudig war zum Sieg,
Er war's für seinen König nur.
Wer schlug Morolden mir? Wer fuhr
Nach Irland, der Gefahr vertraut,
Dem Ohm zu holen die schöne Braut?
Wie er sie pries vor allen Leuten,
Konnt ich es nicht als Vater deuten?
Erwies er sich, da er sie gewann,
Nicht überall als den rechten Mann,
Der ihre Treuen, ihre Ehren
Frei durfte vor Gott und Welt begehren?
Was mußte denn sein Edelstein
Um der Krone willen verhandelt sein,
Ans Alter ohne Freud und Dank
Verzaubert durch den Höllentrank?
Unselige Klugheit dieser Welt,
Die Gott dem Herrn sein Werk vergällt!
Wie wärest du vor ihm erbleicht,
Wie wäre der junge Aar so leicht,
In dessen Hand wir alle waren,
Uns allen durch den Sinn gefahren!
Was hättest du, schwacher Greis, gemacht,
Hätt er sie als sein Weib gebracht?
›Herr Ohm, die schöne Braut ist mein,
Ist Eure Nichte, nun gebt Euch drein!‹ –
Was du als Vater mußtest thun,
Du hättest's still geduldet nun.
Er aber dachte der Ehr und Pflicht,
Er dachte des Ohms und that es nicht.
Ja, er war treu, er war voll Zucht,
Griff lüstern nicht nach der schönen Frucht,
Hegte sie still im Herzen drinnen,
Wollte sie ehrlich dem Ohm gewinnen.
Auch sie. Nein, zwischen ihnen war
Nichts angezettelt: das war kein Paar,
Wie man's in losen Gedichten trifft,
Das willig greift nach dem süßen Gift.
Des bessern Rechtes sich bewußt,
Der Minne Stachel in der Brust,
Ging schweigend Jedes seine Bahn,
Keusch und kühl bis ans Herz hinan,
Bis sie den Feuerbecher tranken
Und kämpfend in die Gluthen sanken,
Ach, rettungslos dahingerafft
Vom Zauberrausch der Leidenschaft!
Und weil nicht kann die Liebe fern
Entfliehen auf einen lichten Stern,
So brachte er mir, was die Pflicht gebot,
Und schwieg, befangen in Schuld und Noth.
Und ich, mit sehenden Augen blind,
Zwang, die mich hätte geliebt als Kind,
Zum Schwur, den sie nicht halten konnte.
Wenn ich in ihrem Glück mich sonnte,
Ich alter Mann, umspielt von ihnen,
Wie glücklich wär ich mir erschienen!
Wie hätte mich mein starker Sohn,
In Liebe stützend meinen Thron,
Demüthig und der Wünsche satt,
Geehrt an Vaters und Gottes Statt!
Auch so, auch sündigend haben sie
Dies wesenlose Leben hie
Mit Rosen, die sich schön erhoben
Aus all den Dornen, mir umwoben.
Was war ich mir mit meinen Jahren,
Die einsam nun zur Grube fahren,
Was war ich ohne sie? Wie hing
Mein Leben in dem Einen Ring?
Wie nährte mein Blut, das träge schlich,
Von ihrem holden Dasein sich!
Wie erfüllten sie meine Nichtigkeit
Mit ihrer Liebe, mit ihrem Leid,
Ja, selbst mit Noth und Grimm nicht minder.
O meine Kinder, meine Kinder!
Die mir die Treusten gewesen wären,
Die stieß ich aus der Bahn der Ehren,
Mit Lauer, Hinterhalt und Lug
Trieb ich sie tief in Schuld und Trug,
Tief, ja, bis in der Hölle Gründe.
Herr Gott, vergib mir meine Sünde!
Denn ihnen hast du schon vergeben:
Sie büßten ihre Schuld im Leben.
Was blöde Menschenaugen sahn,
Das war ein Schein, das war ein Wahn.
[263]
Du aber sahst den wahren Lauf,
Zu dir stieg nur das Wesen auf.
Die Opfer grausen Menschenspottes
Stehn frei vor den Gerichten Gottes.
Nun weiß ich, daß nicht, blöd erschlafft,
Verzichten darf die echte Kraft,
Daß Liebe nicht feig und jämmerlich
Aufgeben kann den Gott in sich.
Hier fühl ich's, von dem Sinn durchschauert
Der Worte, die ich hier belauert,
Die ich zur Arglist dir gewandt,
Du hohes Weib, das ich mißkannt.
Ich hielt's für Trug und loses Spiel,
Sah nicht den Jammer, das tiefe Ziel
Der Rede, die mir wollte sagen
Dein heilig Recht und deine Klagen.
O wie so selten verstehen wir
Ein Menschenwort im Leben hier!
Wie wir es oben hören tönen,
Können wir's schelten, können's höhnen,
Weil Keiner fragt nach dem stillen Grund,
Von dem es aufsteigt zu dem Mund.
Wenn klingend Wort an Wort sich fügt
Zum Spiel der Rede, das genügt.
Wenn man auf dem Hügel hier so traut
Verschlungen Reb und Rose schaut,
Das gnügt den Augen: welcher Sinn
Folgt ihren Wurzeln zum Grunde hin,
Wo ihr nun ruht mit euren Schmerzen,
Ihr schönen, ihr gebrochnen Herzen?
Friede mit euch! Wie mag euch nun
Nach Stürmen so sanft die Ruhe thun!
Wie ist nun eure Wohnung rein,
Wie mag es bei euch stille sein!
Hier oben aber in der Welt,
Die ihr verworrnes Urtheil fällt,
Seid frommen Dichtern anbefohlen,
Die eure Sache unverhohlen
Und reinigend, indem sie rühren,
Vor allem Volke mögen führen.
Dann schwebt ihr hoch und leuchtend hin,
Nicht mehr Vasall und Königin,
Nicht mehr, wie in des Hofes Schwarm,
Getrennt durch Namen, hohl und arm:
Nein, nein, wo über Grabesnacht
Des Sängers Saitenspiel erwacht,
Muß jeder Bann der Erde ruhn,
Da gelten andre Namen nun,
Da waltet anders das Gesetz;
Und die einst schied ein Lügennetz,
Sind Eins nun in der Wahrheit, sind,
Eins wie das Andre Gottes Kind,
Geläutert hier in Schmerzensgluthen,
Gebadet in der Dichtung Fluthen,
Rein, gleich der Treue Bild, dem Golde,
Auf ewig Tristan und Isolde
[264]

Notes
Entstanden zwischen 1205 und 1215 (anonym und unvollendet). Hier nach der Übers. v. Hermann Kurz, Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung, 1877.
License
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TextGrid Repository (2012). Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E2E3-4