Karoline von Günderode
Melete

[229]

[6] An Melete

Schüze, o sinnende Muse! mir gnädig die ärmlichen Blätter!
Fülle des Lorbeers bringt reichlich der lauere Süd,
Aber den Norden umziehn die Stürme und eisichte Regen;
Sparsamer sprießen empor Blüthen aus dürftiger Aue.
[7]

Zueignung

Ich habe Dir in ernsten stillen Stunden,
Betrachtungsvoll in heil'ger Einsamkeit,
Die Blumen dieser und vergangner Zeit,
Die mir erblüht, zu einem Kranz gewunden.
Von Dir, ich weiß es, wird der Sinn empfunden,
Der in des Blüthenkelchs Verschwiegenheit
Nur sichtbar wird dem Auge, das geweiht
Im Farbenspiel den stillen Geist gefunden.
Es flechten Mädchen so im Orient
Den bunten Kranz; daß vielen er gefalle,
Wetteifern unter sich die Blumen alle.
Doch Einer ihren tiefern Sinn erkennt,
Ihm sind Symbole sie nur, äußre Zeichen;
Sie reden ihm, obgleich sie alle schweigen.
[7]

Adonis Tod

1.

Die Göttin sinkt in namenlosem Leide,
Den Jäger traf des Thieres wilde Wuth;
Die Rose trinkend von des Jünglings Blut,
Glänzt ferner nicht im weißen Liljenkleide.
Das Abendroth der kurzen Liebesfreude
Blickt traurig aus der Blume dunklen Gluth;
Adonis todt im Arm der Göttin ruht;
Das Schönste wird des kargen Hades Beute.
Verhaßt ist ihr des langen Lebens Dauer,
Das Götterlos wird ihrer Seele Trauer,
Die sehnsuchtskrank den süßen Gatten sucht.
Und still erblühet heißer Thränen Frucht;
Den stummen Schmerz verkünden Anemonen,
Den ew'gen Wunsch im Schattenreich zu wohnen.

2.

Den Liljenleib des Purpurs dunkler Schleier
Dem irren Blick der Göttin halb entzieht;
Der Trauer Bild, die Anemone, blüht
So weiß als roth zur stillen Todtenfeyer.
Erloschen ist in Ihm des Lebens Feuer,
Sein todtes Aug' die Blume nimmer sieht. –
Doch plötzlich schmilzt der Göttin Leid im Lied,
Die Klage tönt, die Seele fühlt sich freier.
[8]
Ein Kranker, der des Liedes Sinn empfunden,
Durch Ihrer Töne Zauber soll gefunden. –
Der Andacht gerne Liebe sich vertraut.
Und glaubig einen Tempel er sich baut,
Auf daß er pflege in dem Heiligthume
Der Sehnsucht Kind die süße Wunderblume.

3. Adonis Todtenfeyer

Wehe! daß der Gott auf Erden
Sterblich mußt gebohren werden!
Alles Dasein, alles Leben
Ist mit ihm dem Tod gegeben.
Alles wandelt und vergehet,
Morgen sinkt was heute stehet;
Was jetzt schön und herrlich steiget,
Bald sich hin zum Staube neiget;
Dauer ist nicht zu erwerben,
Wandeln ist unsterblich Sterben.
Wehe! daß der Gott auf Erden
Sterblich mußt gebohren werden!
Alle sind dem Tod verfallen,
Sterben ist das Loos von allen.
Viele doch sind die nicht wissen,
Wie der Gott hat sterben müssen;
Blinde sind es, die nicht sehen,
[9]
Nicht den tiefen Schmerz verstehen,
Nicht der Göttin Klag und Sehnen,
Ihre ungezählten Thränen,
Daß der süße Leib des Schönen
Muß dem kargen Tode fröhnen.
Laßt die Klage uns erneuern!
Rufet zu geheimen Feyern,
Die Adonis heilig nennen,
Seine Gottheit anerkennen,
Die die Weihen sich erworben,
Denen auch der Gott gestorben.
Brecht die dunkle Anemone,
Sie, die ihre Blätterkrone
Sinnend still herunter beuget,
Leise sich zur Tiefe neiget,
Forschend ob der Gott auf Erden
Wieder soll gebohren werden!
Brechet Rosen; jede Blume
Sei verehrt im Heiligthume,
Forscht in ihren Kindermienen,
Denn es schläft der Gott in ihnen;
Uns ist er durch sie erstanden
Aus des dumpfen Grabes Banden.
Wie sie leis hervor sich drängen,
Und des Hügels Decke sprengen,
Ringet aus des Grabes Engen
Sich empor verschloßnes Leben;
[10]
Tod den Raub muß wiedergeben,
Leben wiederkehrt zum Leben.
Also ist der Gott erstanden
Aus des dumpfen Grabes Banden.

Gebet an den Schutzheiligen

Den Königen aus Morgenlanden
Ging einst ein hell Gestirn voran,
Und führte treu sie ferne Pfade
Bis sie das Haus des Heilands sahn.
So leuchte über meinem Leben,
Laß glaubensvoll nach dir mich schaun,
In Qualen, Tod und in Gefahren
Laß mich auf deine Liebe traun.
Mein Auge hab' ich abgewendet
Von allem was die Erde giebt,
Und über Alles was sie bietet
Hab' ich dich, Trost und Heil, geliebt.
Dir leb' ich, und dir werd' ich sterben,
Drum lasse meine Seele nicht,
Und sende in des Lebens Dunkel
Mir deiner Liebe tröstlich Licht.
O, leuchte über meinem Leben!
Ein Morgenstern der Heimath mir,
Und führe mich den Weg zum Frieden,
Denn Gottes Friede ist in dir.
[11]
Laß nichts die tiefe Andacht stören,
Das fromme Lieben, das dich meint,
Das, ob auch Zeit und Welt uns trennen,
Mich ewig doch mit dir vereint.
Da du erbarmend mich erkohren,
Verlasse meine Seele nicht,
O Trost und Freude! Quell des Heiles!
Laß mich nicht einsam, liebes Licht!

Die Malabarischen Witwen

Zum Flammentode gehn an Indusstranden
Mit dem Gemahl, in Jugendherrlichkeit,
Die Frauen, ohne Zagen, ohne Leid,
Geschmücket festlich, wie in Brautgewanden.
Die Sitte hat der Liebe Sinn verstanden,
Sie von der Trennung harter Schmach befreit
Zu ihrem Priester selbst den Tod geweiht,
Unsterblichkeit gegeben ihren Banden.
Nicht Trennung ferner solchem Bunde droht,
Denn die vorhin entzweiten Liebesflammen
In einer schlagen brünstig sie zusammen.
Zur süßen Liebesfeyer wird der Tod,
Vereinet die getrennten Elemente,
Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende.
[12]

Die Einzige

Wie ist ganz mein Sinn befangen,
Einer, Einer anzuhangen;
Diese Eine zu umpfangen
Treibt mich einzig nur Verlangen;
Freude kann mir nur gewähren,
Heimlich diesen Wunsch zu nähren,
Mich in Träumen zu bethören,
Mich in Sehnen zu verzehren,
Was mich tödtet zu gebähren.
Widerstand will mir nicht frommen,
Fliehen muß ich neu zu kommen,
Zürnen nur, mich zu versöhnen,
Kann mich Ihrer nicht entwöhnen,
Muß im lauten Jubel stöhnen;
In den Becher fallen Thränen,
Ich versink in träumrisch Wähnen;
Höre nicht der Töne Reigen,
Wie sie auf und nieder steigen,
Wogend schwellen Well' in Welle;
Sehe nicht der Farben Helle
Strömen aus des Lichtes Quelle.
Mich begrüßen Frühlingslüfte,
Küssen leise Blumendüfte,
Doch das all ist mir verlohren,
Ist für mich wie nicht gebohren,
Denn mein Geist ist eng umpfangen
[13]
Von dem einzigen Verlangen
Eine, Eine zu erlangen.
Hungrig in der Zahl der Gäste
Siz ich bei dem Freudenfeste,
Das Natur der Erde spendet;
Frage heimlich ob's bald endet?
Ob ich aus der Gäste Reigen
Dürf' dem eklen Mahl entweichen,
Das verschwendrisch Andre nähret:
Mir nicht einen Wunsch gewähret?
Eines nur mein Sinn begehret,
Eine Sehnsucht mich verzehret;
Eng ist meine Welt befangen,
Nur vom einzigen Verlangen
Was ich liebe zu erlangen.

Die eine Klage

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt was er verlohren,
Lassen muß was er erkohren,
Das geliebte Herz,
Der versteht in Lust die Thränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
[14]
Eins im Andern sich zu finden,
Daß der Zweiheit Gränzen schwinden
Und des Daseins Pein.
Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt' ein Wesen liebgewinnen
O! den tröstet's nicht
Daß für Freuden, die verlohren,
Neue werden neu gebohren:
Jene sind's doch nicht.
Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.

Ägypten

Blau ist meines Himmels Bogen,
Ist von Regen nie umzogen,
Ist von Wolken nicht umspielt,
Nie vom Abendthau gekühlt.
Meine Bäche fließen träge
Oft verschlungen auf dem Wege,
Von der durst'gen Steppen Sand,
Bei des langen Mittags Brand.
[15]
Meine Sonn' ein gierig Feuer,
Nie gedämpft durch Nebelschleier,
Dringt durch Mark mir und Gebein
In das tiefste Leben ein.
Schwer entschlummert sind die Kräfte,
Aufgezehrt die Lebenssäfte;
Eingelullt in Fiebertraum
Fühl' ich noch mein Dasein kaum.

Der Nil

Aber ich stürze von Bergen hernieder,
Wo mich der Regen des Himmels gekühlt,
Tränke erbarmend die lechzenden Brüder
Daß sich ihr brennendes Bette erfüllt.
Jauchzend begrüßen mich alle die Quellen;
Kühlend umfange ich, Erde, auch dich;
Leben erschwellt mir die Tropfen, die Wellen,
Leben dir spendend umarme ich dich.
Theueres Land du! Gebährerin Erde!
Nimm nun den Sohn auch den liebenden auf,
Du, die in Klüften gebahr mich und nährte,
Nimm jetzt, o Mutter! den Sehnenden auf.
[16]

Eine persische Erzählung

Rasend am Altar des Feuers
Ormuzd Priester war geworden;
Aber als der Morgen helle
Gülden aus dem Osten blickte,
Kehrte Ruh in seine Seele.
Laut rief er dem Opferknaben:
»Siehe wie der Morgen pranget.
Licht hat endlich obgesieget,
Siegend werden nie zur Erde
Wieder sich die Schatten senken.«
Trost erfüllet sprachs der Alte,
Kniete nieder am Altare,
Betend auf zum Gott de Lichtes
Preißend ihn, des frohen Sieges,
Angethan in hellen Kleidern
Zwölf der Stunden täglich feiern.
Aber als die Zwölf im Weste
Trübe sich begunt zu färben,
Leis verglomm im Abendstrahle,
Ormuzd Priester ward da stille,
Sorgend blickt er auf zum Himmel
Forschend was die Zeit gewähre. –
Dunkel kam heran geschritten,
Zagend streift es, blaß und ängstlich,
Muthig ward's dann, dehnt sich mächtig,
Wuchs und deckt mit Riesengliedern
Siegreich bald die niedren Thäler,
[17]
Reiht sich um den Stern des Tages,
Drängt ihn hastig hin zum Weste. –
Ormuzd Priester rief der Sonne,
Tapfer sich im Kampf zu zeigen,
Heftig rief er, Wahnsinn betend.
Aber das Gestirn des Lichtes
Bettet sich im Weste stille.
Rasend, zitternd, sah's der Alte
Raffte sich empor vom Boden
Eilte nach dem nahen Meere. –
Glänzend aus der Fluthen Spiegel
Luna kam heraufgeschritten;
Feucht ihr Haar, vom Meer noch träuflend,
Thaubeglänzet ihre Wange,
Blickte sie zur Erde nieder.
Da ergrimmte Ormuzd Priester,
Nahm den Bogen, nahm die Pfeile,
Eilte zu des Felsen Gipfel,
Achtet nicht der schroffen Höhe,
Drunten nicht des Meeres Brausen,
Nimmt der Pfeile schärfsten, zielet
Hoch zum Mond, dem Herz der Nächte;
Schwirrend reißt ihn da die Senne
Seines Bogens hin zur Tiefe,
Sterbend büßt er sein Erkühnen. –
Mitleidsvoll ihm Mitra lächlet;
Aber gütig nimmt das Dunkel
Auf in seinem heil'gen Schooße
Freundlich den verirrten Kranken,
[18]
Daß im Arm der Mitternächte
Schweren Wahnsinns er genese.

Der Caucasus

Mir zu Häupten Wolken wandeln,
Mir zur Seite Luft verwehet,
Wellen mir den Fuß umspielen,
Thürmen sich und brausen, sinken. –
Meine Schläfe, Jahr' umgauklen,
Sommer, Frühling, Winter kamen,
Frühling mich nicht grün bekleidet,
Sommer hat mich nicht entzündet,
Winter nicht mein Haupt gewandelt.
Hoch mein Gipfel über Wolken
Eingetaucht im ew'gen Äther
Freuet sich des steten Lebens.

Orphisches Lied

Höre mich Phoibos Apoll! Du, der auf bläuligem Bogen
Siegreich schreitet herauf an wölbichter Feste des Himmels,
Spendend die heilige Helle der Wolkenerzeugenden Erde,
Leuchtend Okeanos hin zur Tiefe des felsichten Bettes,
Höre mich Liebling des Zeus! Sieh gnädig auf deinen Geweihten!
[19]
Sei im Gesang mir gewärtig, und lasse der goldenen Leyer
Saiten mir klingen, wie dir, wenn mit siegender Lippe du singest
Pythons des schrecklichen Fall dem Chore melodischer Musen,
Oder im Liede besingst ferntreffende Pfeile des Bogens,
Also, o Phoibos Apoll! laß von begeistertem Munde
Strömen mir wogende Rythmen des sinnebeherrschenden Wohllauts,
Daß sich der Wald mit beseele, die Dryas des Baumes mir lausche,
Schlängelnde Ströme mir folgen, und reißende Thiere unschädlich
Schmeichelnd zu mir sich gesellen. Vor allem Erzeugter Kronions!
Gieb des Gesanges herrschende Kraft, die drunten gewaltig
Äis den König bewege des Landes am stygischem Strome.
Lehre vergessene Schmerzen mich wecken im Busen der Göttin
Die ein zu strenges Gebot dem düsteren Herrscher vermählet,
Daß sie erbarmend sich zeige dem Schwestergeschick der Geliebten,
Wieder ihr gönne zu schaun des Tages sonnige Klarheit,
Deines unsterblichen Haupts fern leuchtende Strahlen, o Phoibos!
[20]

Überall Liebe

Kann ich im Herzen heiße Wünsche tragen?
Dabei des Lebens Blüthenkränze sehn,
Und unbekränzt daran vorüber gehn
Und muß ich traurend nicht in mir verzagen?
Soll frevelnd ich dem liebsten Wunsch entsagen?
Soll muthig ich zum Schattenreiche gehn?
Um andre Freuden andre Götter flehn,
Nach neuen Wonnen bei den Todten fragen?
Ich stieg hinab, doch auch in Plutons Reichen,
Im Schooß der Nächte, brennt der Liebe Glut
Daß sehnend Schatten sich zu Schatten neigen.
Verlohren ist wen Liebe nicht beglücket,
Und stieg er auch hinab zur styg'schen Flut,
Im Glanz der Himmel blieb er unentzücket.

Der Gefangene und der Sänger

Ich wallte mit leichtem und lustigem Sinn
Und singend am Kerker vorüber;
Da schallt aus der Tiefe, da schallt aus dem Thurm
Mir Stimme des Freundes herüber. –
»Ach Sänger! verweile, mich tröstet dein Lied,«
»Es steigt zum Gefangnen herunter,«
»Ihm macht es gesellig die einsame Zeit,«
»Das krankende Herz ihm gesunder.«
[21]
Ich horchte der Stimme, gehorchte ihr bald,
Zum Kerker hin wandt' ich die Schritte,
Gern sprach ich die freundlichsten Worte hinab,
Begegnete jeglicher Bitte.
Da war dem Gefangenen freier der Sinn,
Gesellig die einsamen Stunden. –
»Gern gäb ich dir Lieber! so rief er: die Hand,«
»Doch ist sie von Banden umwunden.«
»Gern käm' ich Geliebter! gern käm' ich herauf«
»Am Herzen dich treulich zu herzen;«
»Doch trennen mich Mauern und Riegel von dir,«
»O fühl' des Gefangenen Schmerzen.«
»Es ziehet mich mancherlei Sehnsucht zu dir;«
»Doch Ketten umfangen mein Leben,«
»Drum gehe mein Lieber und laß mich allein,«
»Ich Armer ich kann dir nichts geben.« –
Da ward mir so weich und so wehe ums Herz,
Ich konnte den Lieben nicht lassen.
Am Kerker nun lausch' ich von Frührothes Schein
Bis Abends die Farben erblassen.
Und harren dort werd' ich die Jahre hindurch,
Und sollt' ich drob selber erblassen.
Es ist mir so weich und so sehnend ums Herz
Ich kann den Geliebten nicht lassen.
[22]

Scandinavische Weissagungen

[23] Erläuterungen


Odin ist der König der Scandinavischen Götter
Frigga, Odins Weib
Baldur, Odins und Frigga's Sohn, der schönste, beste und freundlichste der Götter
Notta, die Göttin der Nacht
Loke, der böse Gott der Scandinavier
Hela ist seine Tochter, und Herrscherin der Unterwelt
Ymer, der Vater der Riesen, das Erdelement
Nilfheim, die Unterwelt, das Nebelland
Der Gialstrom, der Styx der Scandinavier
Asgard, die Götterstadt

[24]
Warnende Träume
Ängsteten Baldur,
Baldur den Schönen,
Odins Erzeugten,
Liebling der Frigga.
Und zu des Vaters
Weisheit sich wendend
Forschete Baldur
Was ihn bedräue!
Aber der Große
Herrliche König
Wußte des Sohnes
Frage nicht Antwort,
Rief seiner Gattin;
Daß sie zum Eingang
Gehe der Erde,
Hieß sie der König.
Daß sie befrage
Dorten die Wole
Um die Geschicke
Baldur des guten
Freundlichen Gottes.
Frigga, wie Odin
Hatte geboten,
Eilte zur alten
[25]
Furchtbaren Seh'rin,
Nahm mit sich Fulla
Ihre Gespielin.
Und es verliesen
Frühe die Straßen
Asgards die Frauen;
Stiegen zur Tiefe
Drunten wo Notta
Zögernd noch weilte,
Wo aus der Mähne
Thauige Perlen
Schüttelt das Nachtroß;
Kamen zum Saume
Hin dann des Norden,
Wo mit dem Winter
Frühling nicht wechselt,
Sommer nicht wärmet,
Herbstliche Früchte
Reisend nicht schwellen.
Wo sich die feuchten
Nebel erzeugen,
Eisichte Regen,
Nächtliches Dunkel.
Dort war die Höle
Wo die Prophetin
Wohnt in der Tiefe.

Fulla.

Sag' mir, o Frigga
Wes ist die Höle,
[26]
Die so gewaltig
Odem hier holet,
Daß mich ihr Lufthauch
Zieht fast hinunter?
Frigga.

Wisse, der Eingang
Hier ist zum finstern
Reiche der Hela.
Schlangengleich windet
Krümmt sich die Höle
Neunmal den Tag lang
Hin bis zum Strome,
Neunmal die Nacht lang
Hin zum Gialstrom.
Über dem Strome
Wölbt sich die Brücke,
Welche die Todten
Führet nach Nilfheim.
Fulla.

Frigga! Du führst mich
Lebend zur Stelle
Wo seine Schleier
Hebet der Abgrund!
Nicht will ich schauen,
Augen voll Lichtes,
Dunkel von Nilfheim.
Nicht mag ich sehen
Kriege der Todten,
Schlachten der Schatten,
[27]
Luftigen Erzes
Blutlose Wunden.
Wahrlich verwirren
Mögt es die Sinne
Körperlos träumen,
Schauspiel der Schatten
Lebend zu sehen.
Frigga.

Odin mich sendet
Fragend zur Wole
Wegen des düstern
Traumes von Baldur.
Sie die Prophetin
Schauet die Zukunft,
Kennet was da ist,
Weis was gewesen.
Fulla.

Sag wer bedräuet
Selige Götter!
Wohnt nicht in Hallen
Schimmernder Säulen
Baldur gesichert?
Mächtig ist Baldur,
Trägt in der Linken
Glänzenden Goldes
Dreifache Speere.
Trägt in der Rechten
Drohend sein Schlachtschwert,
Welcher der Götter
Mag ihn verderben?
[28] Frigga.

Nahet die Stunde,
Fallen auch Starke.
Viele der Lager
Stehen bereitet
Drunten in Nilfheim;
Gierig ist Hela,
Zählet die Gäste,
Hält sie in düstren
Burgen gefangen.
Fulla.

Müssen auch Götter
Wandeln nach Nilfheim?
Herrschet nicht Odin
Droben im Lichte,
Drunten im Dunkel?
Kann auch geschehen
Was er nicht wolle?
Frigga.

Mächtig sind Riesen
Nennen die Erde
Trotzig ihr Erbtheil.
Fulla.

Wer sind die Riesen
Welche der Götter
Erbe bestreiten?
Frigga.

Hör', was ich sage,
Rückwärts die Seele
Schauend gewendet.
Einst war der Mond nicht,
War nicht die Erde;
[29]
Feuer im Raume
Ewiglich brannte,
Drunten war Dunkel
Kälte und Nachtfrost.
Einstens das Feuer
Mischte dem Dunkel
Lebende Kräfte.
Mächtig erwuchs da
Ymer, ein Riese,
Welcher erzeugte
Viele der Riesen.
Uneins sie wurden,
Tödteten Ymer,
Daß er gewaltig
Rollt in die Tiefe,
Und aus dem Haupte
Wuchsen die Berge,
Und aus dem Odem
Wölbt sich der Luftkreis,
Und aus dem Leibe
Wurden die Ebnen.
Aber es kamen
Droben vom Lichte
Viele der Götter;
Odin sie führte;
Und es entzweiten
Schreckliche Kriege
Selige Götter,
Irdische Riesen.
[30]
Friede noch fern ist,
Denn zu den Feinden
Hat sich der böse
Loke gesellet,
Hat sich mit Riesen-
Töchtern vermählet,
Fenris den argen
Wolf so erzeuget,
Und die Verruchte
Schlange von Midgard,
Dann auch der Todten
Herrscherin, Hela.
Diese sind mächtig,
Trotzen mit gleichen
Kräften den Göttern,
Diese befürchtet
Odin für Baldur,
Darum zur Alles-
Seherin sendet
Odin mich nieder.
Fulla.

Siehe die fragende
Flamme entglühet,
Siehe, der Runnen
Zeichen sind fertig
Vielfach gemischet,
Wartend der Deutung.
Frigga.

Höre mich alte
Seherin! Wole!
[31]
Mitternachts Tochter!
Mutter der Zeiten!
Du, die mit Armen
Reichet zum Himmel!
Du, deren Fußtritt
Nilfheim erbebet!
Sage was dräuet
Baldur dem Schönen?
Sage was wollen
Ängstliche Träume
Warnend verkünden?
Fulla.

Lausche! sie schweiget,
Mächtiger rede,
Stärkre Beschwörung
Ruf ihr entgegen.
Blicke nach Norden,
Lege die Zeichen,
Schüre die Flamme.
Frigga.

Du! die du zählest
Treffende Pfeile
Wodans, im Köcher,
Eh' sein Geschoß noch
Scheidet vom Bogen,
Höre! Prophetin
Höre, mich höre!
Die Wole.

Bereit ist die Tafel,
Die Becher sind trübe
[32]
Der Wein ist wie Blut roth,
Die Gäste sind düster,
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Thüre,
Denn einer der Stühle
Ist leer noch für Einen;
Des harren die Vielen,
Des zögernden Gastes;
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Thüre.
Frigga.

Wem ist der leere
Plaz dort bereitet?
Wo ist die Tafel?
Wer sind die Gäste?
Die Wole.

Die Tafel ist drunten,
Vergangenheit nippet
Mit bleichem Gesichte
An kärglichen Bechern.
Frigga.

Seherin! wehe!
Wird aus dem Kranze
Asgards die Rose
Sinken zum Staube?
Knospe des Tages
Herrlicher Morgen!
Wirst du den Reigen
Fliehen der Stunden? –
Eins mir noch sage,
[33]
Welcher der Götter,
Welcher der Riesen
Dräuet dem Sohne?
Die Wole.

Der listige Loke
Der finsteren Tochter
Gesellet den Schönen.
Frigga.

Wehe mir! wehe!
Röthe, die erste,
Färben wird Helas
Düstere Mienen,
Wenn sie den schönen
Fremdling begrüßet. –
Wehe mir! wehe!
Werden ohnmächtig
Nimmer die Götter
Rächen der Frevel
An dem Geschlechte
Trotziger Riesen?
Nimmer erwürgen
Lokes Erzeugte?
Werden die Götter
Nie sich der Herrschaft
Dauernd erfreuen?
Dieses noch sage
Schweige dann immer.
Die Wole.

Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
[34]
Der Schweigen Gewöhnten.
Die Stirn ist Traum erfüllet
Die Wimper Schlaf bedürfend
Die Lippe Rede müde
Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
Der Schweigen Gewöhnten.
Frigga.

Wahrlich, den Schlummer
Würdest dem schweren
Auge entreiben,
Käm' er nur selber
Odin der starke
Herrliche König,
Kundige Rede
Dürftest nicht weigern.
Die Wole.

Es können nicht Götter
Bezwingen im Busen
Das feste uralte
Beständige Herz mir.
Frigga.

Sprüche wohl giebt es
Zahlen und Kreiße
Todten zu öffnen
Selber die Lippen;
Aber nicht herrisch
Will ich gebieten,
Flehend ich komme,
Odin der Starke
Bittet dich, rede!
[35] Die Wole.

Vernimm denn o Frigga!
Nicht können sie dauern
Die Reiche des Zwistes.
Der mächtige Odin
Besiegen nicht konnte
In Fülle der Jugend
Die Stärke der Riesen,
Wird schwerere Kriege
Er ihnen bereiten,
Wann spätere Jahre
Ihn selber besieget?
Zwar Ymer ist todt längst,
Doch lebt ihm im tiefen
Versteinerten Herzen
Der Groll gegen Götter,
Er lebt in den Kindern
Den irdischen Riesen.
Der listige Loke
Hat göttliche Kräfte
Den ihren vermählet,
Des freuet sich Ymer,
Ergözt sich der Siege
Der Enkelin Hela,
Sie spottet im Abgrund
Vergänglicher Herrschaft
Gewaltiger Götter.
Frigga.

Jammervoll Schicksal!
Rauben wird Hela
[36]
Sieghaft den schönen
Göttlichen Sohn mir?
Die Wole.

Die Klage verspare
Dem größeren Weh noch.
Es nahet die Stunde,
Ich sehe sie kommen,
An nächtlichem Schauer
Erkranket der Morgen,
Erbleicht vor Entsetzen;
Das siegende Dunkel
Verdränget den Mittag.
Da rufet der Wächter
Des Himmels zum Kampfe,
Die Götter von Asgard,
Denn Söhne des Feuers
In kriegrischen Reihen
Verderbend bedrohen
Die Sitze der Götter;
Und Loke gesellet
Sich Feinden der Götter;
Es sprenget die Ketten
Der schreckliche Wolf auch;
Es kommen die Riesen
Der Berge gezogen.
Da Odin erkennet
Die Stunde des Falles
In ahndender Seele.
Dem Wolfe erlieget
[37]
Der herrliche König.
Der Himmel erbebet
Es berstet die Erde;
Der hungrige Abgrund
Eröffnet die Lippen,
Verschlinget die irren
Vermischeten Räume,
Verschlinget das Feuer
Und Dunkel und Kälte,
Gedanken und Zeiten
Und Himmel und Götter
In daurender Dämm'rung.

[38] Briefe zweier Freunde

[39] An Eusebio

Vergib, o Freund! daß ich mit kind'scher Sprache,
Aus deines Herzens tiefem Heiligthume,
Akkorde leise nachzulallen wage,
Beim Höchsten aber schülerhaft verstumme.
Und reden möcht' ich doch zu deinem Ruhme,
Vergib der Kühnheit, daß ich nicht verzage.
Den Sommer mein' ich mit der Einen Blume,
Und Einen Strahl entwand ich nur dem Tage.
Doch die Natur in ihrer heil'gen Fülle
Sie offenbart sich ganz in jedem Handeln,
Das höchste Leben in der tiefsten Stille.
Erhascht' ich einen Zug aus deinem Bilde,
Wie reichlich auch Gedanken in dir wandeln,
So bist du's ganz in deiner frommen Milde.

[40] An Eusebio

Mit Freude denk ich oft zurück an den Tag, an welchem wir uns zuerst fanden, als ich dir mit einer ehrfurchtsvollen Verlegenheit entgegentrat wie ein lehrbegieriger Laye dem Hohenpriester. Ich hatte es mir vorgesetzt, dir wo möglich zu gefallen, und das Bewustseyn meines eig'nen Werthes wäre mir in seinen Grundfesten erschüttert worden, hättest du dich gleichgültig von mir abgewendet; wie es mir aber gelang, dich mit solchem Maaße für mich zu gewinnen, begreife ich noch nicht; mein eigner Geist muß bei jener Unterredung zwiefach über mir gewesen seyn. Mit ihr ist mir ein neues Leben aufgegangen, denn erst in dir habe ich jene wahrhafte Erhebung zu den höchsten Anschauungen, in welchen alles Weltliche als ein wesenloser Traum verschwindet, als einen herrschenden Zustand gefunden; in dir haben mir die höchsten Ideen auch eine irrdische Realität erlangt. Wir andern Sterblichen müssen erst fasten und uns leiblich und geistig zubereiten, wenn wir zum Mahle des Herrn gehen wollen, du empfängst den Gott täglich ohne diese Anstalten.

Mir, o Freund! sind die himmlischen Mächte nicht so günstig, und oft bin ich mißmuthig, und weis nicht über wen ich es am meisten seyn soll, [41] ob über mich selbst, oder über diese Zeit, denn auch sie ist arm an begeisternden Anschauungen für den Künstler jeder Art; alles Große und Gewaltige hat sich an eine unendliche Masse, unter der es beinah verschwindet, ausgetheilt. Unselige Gerechtigkeit des Schicksals! damit Keiner prasse und Keiner hungere, müssen wir uns alle in nüchterner Dürftigkeit behelfen. Ist es da auch noch ein Wunder, wenn die Ökonomie in jedem Sinn und in allen Dingen zu einer so beträchtlichen Tugend herangewachsen ist. Diese Erbärmlichkeit des Lebens, laß es uns gestehen, ist mit dem Protestantismus aufgekommen. Sie werden alle zum Kelch hinzugelassen, die Layen wie die Geweihten, darum kann Niemand genugsam trinken um des Gottes voll zu werden, der Tropfen aber ist Keinem genug; da wissen sie denn nicht was ihnen fehlt, und gerathen in ein Disputiren und Protestiren darüber. – Doch was sage ich dir das! angeschaut im Fremden hast du diese Zeitübel wohl schon oft, aber sie können dich nicht so berühren, da du sie nur als Gegensaz mit deiner eigensten Natur sehen kannst, und kein Gegensaz durch sie in dich selbst gekommen ist. Genug also von dem aufgeblasenen Jahrhundert, an dessen Thorheiten noch ferne Zeiten erkranken werden. Rückwärts in schönre Tage laß uns blicken, die gewesen. Vielleicht sind wir eben jetzt auf einer Bildungsstufe angelangt, wo unser höchstes und würdigstes Bestreben sich dahin richten sollte, die [42] großen Kunstmeister der Vorwelt zu verstehen, und mit dem Reichthum und der Fülle ihrer pöesiereichen Darstellungen unser dürftiges Leben zu befruchten. Denn, abgeschlossen sind wir durch enge Verhältnisse von der Natur, durch engere Begriffe vom wahren Lebensgenuß, durch unsere Staatsformen von aller Thätigkeit im Großen. So fest umschlossen ringsum, bleibt uns nur übrig den Blick hinauf zu richten zum Himmel, oder brütend in uns selbst zu wenden. Sind nicht beinahe alle Arten der neuern Pöesie durch diese unsere Stellung bestimmt? Liniengestalten entweder, die körperlos hinaufstreben im unendlichen Raum zu zerfließen, oder bleiche, lichtscheue Erdgeister, die wir grübelnd aus der Tiefe unsers Wesens herauf beschwören; aber nirgends kräftige, markige Gestalten. Der Höhe dürfen wir uns rühmen und der Tiefe, aber behagliche Ausdehnung fehlt uns durchaus. Wie Shakespeare's Julius Cäsar möcht' ich rufen: »Bringt fette Leute zu mir, und die ruhig schlafen, ich fürchte diesen hagern Cassius.« – Da ich nun selbst nicht über die Schranken meiner Zeit hinaus reiche, dünkt es dir nicht besser für mich, den Weg eigner pöetischer Produktion zu verlassen, und ein ernsthaftes Studium der Pöeten der Vorzeit und besonders des Mittelalters zu beginnen? Ich weis zwar, daß es mir Mühe kosten wird, ich werde gleichsam einen Zweig aus meiner Natur herausschneiden müssen, denn ich schaue mich am fröhlichsten in einem Produkt meines [43] Geistes an, und habe nur wahrhaftes Bewustseyn durch dieses Hervorgebrachte; aber um Etwas desto gewisser zu gewinnen, muß man stets ein Anderes aufgeben, das ist ein allgemeines Schicksal, und es soll mich nicht erschrecken. Eins aber hat mir stets das innerste Gemüth schmerzlich angegriffen, es ist dies: daß hinter jedem Gipfel sich der Abhang verbirgt; dieser Gedanke macht mir die Freude bleich in ihrer frischesten Jugend, und mischt in all mein Leben eine unnennbare Wehmuth; darum erfreut mich jeder Anfang mehr als das Vollendete, und nichts berührt mich so tief als das Abendroth; mit ihm möcht' ich jeden Abend versinken in der gleichen Nacht, um nicht sein Verlöschen zu überleben. Glückliche! denen vergönnt ist zu sterben in der Blüthe der Freude, die aufstehen dürfen vom Mahle des Lebens, ehe die Kerzen bleich werden und der Wein sparsamer perlt. Eusebio! wenn mir auch dereinst das freundliche Licht deines Lebens erlöschen sollte, o! dann nimm mich gütig mit, wie der göttliche Pollux den sterblichen Bruder, und laß mich gemeinsam mit dir in den Orkus gehen und mit dir zu den unsterblichen Göttern, denn nicht möcht' ich leben ohne dich, der du meiner Gedanken und Empfindungen liebster Inhalt bist, um den sich alle Formen und Blüthen meines Seyns herumwinden, wie das labyrintische Geäder um das Herz, das sie all' erfüllt und durchglüht.

[44] Fragmente aus Eusebio's Antwort

– Gestalt hat nur für uns, was wir überschauen können; von dieser Zeit aber sind wir umpfangen, wie Embryonen von dem Leibe der Mutter, was können wir also von ihr Bedeutendes sagen? Wir sehen einzelne Symptome, hören Einen Pulsschlag des Jahrhunderts, und wollen daraus schließen, es sey erkrankt. Eben diese uns bedenklich scheinenden Anzeigen gehören vielleicht zu der individuellen Gesundheit dieser Zeit. Jede Individualität aber ist ein Abgrund von Abweichungen, eine Nacht, die nur sparsam von dem Licht allgemeiner Begriffe erleuchtet wird. Darum Freund! weil wir nur wenige Züge von dem unermeßlichen Teppich sehen, an welchem der Erdgeist die Zeiten hindurch webt, darum laß uns bescheiden seyn. Es gibt eine Ergebung, in der allein Seligkeit und Vollkommenheit und Friede ist, eine Art der Betrachtung, welche ich Auflösung im Göttlichen nennen möchte; dahin zu kommen laß uns trachten, und nicht klagen um die Schicksale des Universums. Damit du aber deutlicher siehst, was ich damit meine, so sende ich dir hiermit einige Bücher über die Religion der Hindu. Die Wunder uralter Weisheit, in geheimnißvollen Symbolen [45] niedergelegt, werden dein Gemüth berühren, es wird Augenblicke geben, in welchen du dich entkleidet fühlst von dieser persönlichen Einzelheit und Armuth, und wieder hingegeben dem großen Ganzen; wo du es mehr als nur denkst, daß alles was jetzt Sonne und Mond ist, und Blume und Edelstein, und Äther und Meer, ein Einziges ist, ein Heiliges, das in seinen Tiefen ruht ohne Aufhören, selig in sich selbst, sich selbst ewig umpfangend, ohne Wunsch nach dem Thun und Leiden der Zweiheit, die seine Oberfläche bewegt. In solchen Augenblicken, wo wir uns nicht mehr besinnen können, weil das, was das einzle und irrdische Bewustseyn weckt, dem äußern Sinn verschwunden ist unter der Herrschaft der Betrachtung de Innern; in solchen Augenblicken versteh' ich den Tod, der Religion Geheimniß, das Opfer des Sohnes und der Liebe unendliches Sehnen. Ist es nicht ein Winken der Natur, aus der Einzelheit in die gemeinschaftliche Allheit zurück zu kehren, zu lassen das getheilte Leben, in welchem die Wesen Etwas für sich seyn wollen und doch nicht können? Ich erblicke die rechte Verdammniß in dem selbstsüchtigen Stolz, der nicht ruhen konnte in dem Schooß des Ewigen, sondern ihn verlassend seine Armuth und Blöße decken wollte mit der Mannigfaltigkeit der Gestalten, und Baum wurde und Stein und Metall und Thier und der begehrliche Mensch.

Ja, auch das o Freund! was sie alle nicht ohne Murren und Zweifeln betrachten mögen; das trübere [46] Alter, ich verstehe seinen höheren Sinn jetzt. Entwicklen soll sich im Lauf der Jahre das persönliche Leben, sich ergötzen im für sich seyn, seinen Triumpf feiern in der Blüthe der Jugend; aber absterben sollen wir im Alter dieser Einzelheit, darum schwinden die Sinne, bleicher wird das Gedächtniß, schwächer die Begierde, und des Daseyns fröhlicher Muth trübt sich in Ahndungen der nahen Auflösung. – Es sind die äußeren Sinne, die uns mannigfaltige Grade unsers Gegensatzes mit der fremden Welt deutlich machen, wenn aber die Scheidewand der Persönlichkeit zerfällt, mögen sie immerhin erlöschen; denn es bedarf des Auges nicht, unser Inneres und was mit ihm Eins ist zu schauen; auch ohne Ohr können wir die Melodie des ewigen Geistes vernehmen; und das Gedächtniß ist für die Vergangenheit, es ist das Organ des Wissens von uns selbst im Wechsel der Zeiten. Wo aber nicht Zeit ist, nicht Vergangnes noch Künftiges, sondern ewige Gegenwart, da bedarfs der Erinnerung nicht. Was uns also abstirbt im Alter ist die Vollkommenheit unsers Verhältnisses zur Aussenwelt; abgelebt mögen also die wohl im Alter zu nennen seyn, die von nichts wusten als diesem Verhältniß. – So fürchte ich höhere Jahre nicht, und der Tod ist mir willkommen; und zu dieser Ruhe der Betrachtung in allen Dingen zu gelangen, sey das Ziel unseres Strebens. – Deutlich liegt deine Bahn vor mir, Geliebtester! denn erkannt habe ich dich vom ersten [47] Augenblick unserer Annäherung, die, das Bewußtseyn wird mir immer bleiben, von Gott gefügt war; nie habe ich so das Angesicht eines Menschen zum erstenmal angesehen, nie solch Gefühl bei einer menschlichen Stimme gehabt; und dies Göttliche und Nothwendige ist mir immer geblieben im Gedanken an dich; und so weis ich auch was nothwendig ist in dir und für dich, und wie du ganz solltest leben in der Natur, der Pöesie und einer göttlichen Weisheit. Ich weiß, daß es dir nicht geziemt dir so ängstliche Studien vorzuschreiben. Die großen Kunstmeister der Vorwelt sind freilich da, um gelesen und verstanden zu werden, aber, wenn von Kunst-Schulen die Frage ist, so sage ich, sie sind da gewesen jene Meister, eben deswegen sollen sie nicht noch einmal wiedergeboren werden; die unendliche Natur will sich stets neu offenbaren in der unendlichen Zeit. In der Fülle der Jahrhunderte ist Brahma oftmals erschienen, aber in immer neuen Verwandlungen; dieselbe Gestalt hat er nie wieder gewählt. So thue und dichte doch Jeder das wozu er berufen ist, wozu der Geist ihn treibt, und versage sich keinen Gesang als den mißklingenden. Doch zag' ich im Ernste nicht für dich, die sterbende Kraft wird den, welchen sie bewohnt, nicht ruhen lassen; es wird ihm oft wehe und bange werden ums Herz, bis die neugeborne Idee gestillet hat des Gebährens Schmerz und Sehnsucht.

Gestern lebte ich ein paar selige Stunden recht [48] über der Erde, ich hatte einen Berg erstiegen, an dessen Umgebungen jede Spur menschlichen Anbaus zu Zweck und Nutzen verschwand; es ward mir wohl und heiter. Zwei herrliche Reiher schwebend über mir badeten ihre sorgenfreie Brust in blauer Himmelsluft. Ach! wer doch auch schon so dem Himmel angehörte, dachte ich da; und klein schien mir alles Irrdische. In solchen Augenblicken behält nur das Ewige Werth, der schaffende Genius und das heilige Gemüth; da dacht' ich dein, wie immer, wenn die Natur mich berührt; oft gab ich dem Flusse, wenn der Sonne letzte Strahlen ihn erhellen, Gedanken an dich mit, als würden seine Wellen sie zu dir tragen und dein Haupt umspielen. Leb wohl, in meinen besten Stunden bin ich stets bei dir. –

[49] An Eusebio

Eine der größten Epochen meines kleinen Lebens ist vorübergegangen Eusebio! ich habe auf dem Scheidepunkt gestanden zwischen Leben und Tod. Was sträubt sich doch der Mensch: sagte ich in jenen Augenblicken zu mir selbst, vor dem Sterben? ich freue mich auf jede Nacht indem ich das Unbewustseyn und dunkele Träumen dem hellern Leben vorziehe, warum grauet mir doch vor der langen Nacht und dem tiefen Schlummer? Welche Thaten warten noch meiner, oder welche bessere Erkenntniß auf Erden daß ich länger leben müßte? – Eine Nothwendigkeit gebiert und alle in die Persönlichkeit, eine gemeinsame Nacht verschlinget uns alle. Jahre werden mir keine bessere Weisheit geben, und wann Lernen, Thun und Leiden drunten noch Noth thut, wird ein Gott mir geben was ich bedarf. So sprach ich mir selbst zu, aber die Gedanken, die ich liebe, traten zu mir, und die Heröen die ich angebetet hatte von Jugend auf: »Was willst du am hohen Mittage die Nacht ersehnen? riefen sie mir zu! Warum untertauchen in dem alten Meer, und darinn zerrinnen mit Allem was dir lieb ist? So wechselten die Vorstellungen in mir, und deiner gedacht ich, und immer deiner, und fast alles Andre [50] nur in Bezug auf dich, und wenn anders den Sterblichen vergönnt ist noch eines ihrer Güter aus dem Schiffbruch des irrdischen Lebens zu retten, so hätte ich gewis dein Andenken mit hinab genommen zu den Schatten. Daß du mir aber könntest verlohren seyn war der Gedanken schmerzlichster. Ich sagte daß dein Ich und das Meine sollten aufgelößt werden in die alten Urstoffe der Welt, dann tröstete ich mich wieder, daß unsere befreundete Elemente, dem Gesetze der Anziehung gehorchend, sich selbst im unendlichen Raum aufsuchen und zu einander gesellen würden. So wogten Hoffnung und Zweifel auf und nieder in meiner Seele, und Muth und Zagheit. Doch das Schicksal wollte – ich lebe noch. – Aber was ist es doch, das Leben? dieses schon aufgegebene, wiedererlangte Gut! so frag' ich mich oft: was bedeutet es, daß aus der Allheit der Natur ein Wesen sich mit solchem Bewustseyn losscheidet, und sich abgerissen von ihr fühlt? Warum hängt der Mensch mit solcher Stärke an Gedanken und Meinungen, als seyen sie das Ewige? warum kann er sterben für sie, da doch für ihn eben dieser Gedanke mit seinem Tode verlohren ist? und warum, wenn gleichwohl diese Gedanken und Begriffe dahin sterben mit den Individuen, warum werden sie von denselben immer wieder aufs neue hervorgebracht und drängen sich so durch die Reihen des aufeinander folgenden Geschlechtes zu einer Unsterblichkeit in der Zeit? Lange [51] wust' ich diesen Fragen nicht Antwort, und sie verwirrten mich; da war mir plötzlich in einer Offenbarung Alles deutlich, und wird es mir ewig bleiben. Zwar weiß ich, das Leben ist nur das Produkt der innigsten Berührung und Anziehung der Elemente; weiß, daß alle seine Blüthen und Blätter, die wir Gedanken und Empfindungen nennen, verwelken müssen, wenn jene Berührung aufgelößt wird; und daß das einzele Leben dem Gesetz der Sterblichkeit dahin gegeben ist; aber so gewiß mir Dieses ist, eben so über allem Zweifel ist mir auch das Andre, die Unsterblichkeit des Lebens im Ganzen; denn dieses Ganze ist eben das Leben, und es wogt auf und nieder in seinen Gliedern den Elementen, und was es auch sey, das durch Auflösung (die wir zuweilen Tod nennen) zu denselben zurück gegangen ist, das vermischt sich mit ihnen nach Gesetzen der Verwandschaft, d.h. das Ähnliche zu dem Ähnlichen. Aber anders sind diese Elemente geworden, nachdem sie einmal im Organismus zum Leben hinauf getrieben gewesen, sie sind lebendiger geworden, wie Zwei, die sich in langem Kampf übten, stärker sind wenn er geendet hat als ehe sie kämpften; so die Elemente, denn sie sind lebendig, und jede lebendige Kraft stärkt sich durch Übung. Wenn sie also zurückkehren zur Erde, vermehren sie das Erdleben. Die Erde aber gebiert den ihr zurückgegebenen Lebensstoff in andern Erscheinungen wieder, bis durch immer neue Verwandlungen, alles Lebensfähige in [52] ihr ist lebendig geworden. Dies wäre, wenn alle Massen organisch würden. –

So gibt jeder Sterbende der Erde ein erhöhteres, entwickelteres Elementarleben zurück, welches sie in aufsteigenden Formen fortbildet; und der Organismus, indem er immer entwickeltere Elemente in sich aufnimmt, muß dadurch immer vollkommener und allgemeiner werden. So wird die Allheit lebendig durch den Untergang der Einzelheit, und die Einzelheit lebt unsterblich fort in der Allheit, deren Leben sie lebend entwickelte, und nach dem Tode selbst erhöht und mehrt, und so durch Leben und Sterben die Idee der Erde realisiren hilft. Wie also auch meine Elemente zerstreut werden mögen, wenn sie sich zu schon Lebendem gesellen, werden sie es erhöhen, wenn zu dem, dessen Leben noch dem Tode gleicht, so werden sie es beseelen. Und wie mir däucht, Eusebio! so entspricht die Idee der Indier von der Seelenwanderung dieser Meinung; nur dann erst dürfen die Elemente nicht mehr wandern und suchen, wann die Erde die ihr angemessene Existenz, die organische, durchgehends erlangt hat. Alle bis jetzt hervorgebrachten Formen müssen aber wohl dem Erdgeist nicht genügen, weil er sie immer wieder zerbricht und neue sucht; die ihm ganz gleichen würde er nicht zerstören können, eben weil sie ihm gleich und von ihm untrennbar wären. Diese vollkommenne Gleichheit des innern Wesens mit der Form kann, wie mir scheint, überhaupt [53] nicht in der Mannigfaltigkeit der Formen erreicht werden; das Erdwesen ist nur Eines, so dürfte also seine Form auch nur Eine, nicht verschiedenartig seyn; und ihr eigentliches wahres Daseyn würde die Erde erst dann erlangen, wann sich alle ihre Erscheinungen in einem gemeinschaftlichen Organismus auflößen würden; wann Geist und Körper sich so durchdrängen daß alle Körper, alle Form auch zugleich Gedanken und Seele wäre und aller Gedanke zugleich Form und Leib und ein wahrhaft verklärter Leib, ohne Fehl und Krankheit und unsterblich; also ganz verschieden von dem was wir Leib oder Materie nennen, indem wir ihm Vergänglichkeit, Krankheit, Trägheit und Mangelhaftigkeit beilegen, denn diese Art von Leib ist gleichsam nur ein mißglückter Versuch jenen unsterblichen göttlichen Leib hervorzubringen. – Ob es der Erde gelingen wird sich so unsterblich zu organisieren, weis ich nicht. Es kann in ihren Urelementen ein Misverhältniß von Wesen und Form seyn das sie immer daran hindert; und vielleicht gehört die Totalität unsers Sonnensystems dazu um dieses Gleichgewicht zu stand zu bringen; vielleicht reicht dieses wiederum nicht zu, und es ist eine Aufgabe für das gesammte Universum.

In dieser Betrachtungsweise Eusebio! ist mir nun auch deutlich geworden was die großen Gedanken von Wahrheit, Gerechtigkeit, Tugend, Liebe und Schönheit wollen, die auf dem Boden der [54] Persönlichkeit keimen und ihn bald überwachsend sich hinaufziehen nach dem freien Himmel, ein unsterbliches Gewächs das nicht untergehet mit dem Boden auf dem es sich entwickelte, sondern immer neu sich erzeugt im neuen Individuum, denn es ist das Bleibende, Ewige, das Individuum aber das zerbrechliche Gefäß für den Trank der Unsterblichkeit. – Denn, laß es uns genauer betrachten Eusebio, alle Tugenden und Trefflichkeiten sind sie nicht Annäherungen zu jenem höchst vollkommnen Zustand so viel die Einzelheit sich ihm nähern kann? Die Wahrheit ist doch nur der Ausdruck des sich selbst gleichseyns überhaupt, vollkommen wahr ist also nur das Ewige, das keinem Wechsel der Zeiten und Zustände unterworfen ist. Die Gerechtigkeit ist das Streben in der Vereinzelung unter einander gleich zu seyn. Die Schönheit ist der äußere Ausdruck des erreichten Gleichgewichtes mit sich selbst. Die Liebe ist die Versöhnung der Persönlichkeit mit der Allheit, und die Tugend aller Art ist nur Eine, d.h. ein Vergessen der Persönlichkeit und Einzelheit für die Allheit. Durch Liebe und Tugend also wird schon hier auf eine geistige Weise der Zustand der Auflösung der Vielheit in der Einheit vorbereitet, denn wo Liebe ist, da ist nur Ein Sinn, und wo Tugend, ist einerlei Streben nach Thaten der Gerechtigkeit, Güte und Eintracht. Was aber sich selbst gleich ist, und äußerlich und innerlich den Ausdruck dieses harmonischen Seyns an sich trägt, und selbst [55] dieser Ausdruck ist, was Eins ist und nicht zerrissen in Vielheit, das ist gerade jenes Vollkommene, Unsterbliche und Unwandelbare, jener Organismus, den ich als das Ziel der Natur, der Geschichte und der Zeiten, kurz des Universums betrachte. Durch jede That der Unwahrheit, Ungerechtigkeit und Selbstsucht wird jener selige Zustand entfernt, und der Gott der Erde in neue Fesseln geschlagen, der seine Sehnsucht nach besserem Leben in jedem Gemüth durch Empfänglichkeit für das Trefliche ausspricht, im verlezten Gewissen aber klagt, daß sein seliges, göttliches Leben noch fern sei.

[56] Valorich

[57] [59]Wohl ein sehr gros und mächtig Land hatt' sich erobert, mit kühnen und männlichen Thaten, Ermanerich, der ist gewest ein König über die Ostgothen; doch hätt' er das nicht vollbracht ohne Zuthun seines Schwertes Siegheim, das war gar ein gut Schwert, das Ermanerich immerdar höchlich ehrte. Wie aber die Hunnen gezogen kamen mit mehr denn viel tausend rüstigen Kriegern und Ermanerichs Königreich eroberten, fiel das gut Schwert Siegheim, nachdem es vielerlei Schicksal gehabt, in die Hand von Fiediger. Dieser war ein Enkel Ermanerichs, und nit wenig freut ihn der Degen, denn er wust sein Tugend wohl. Doch was wollts ihm helfen, das Volk der Gothen war zerstreut hie hin und dort hin, von Illyrien an bis zum Nordmeer und viel Stämme hatten sich erwählt eigne König' aus ihnen selber, andre dienten fremden Kriegsfürsten um schnödes Gold. Als Fiediger dies bei sich selbst bedacht, macht es ihn fast traurig. Da rief er sein jüngern Bruder Valorich und sprach zu ihm: Wißt Bruder, ich hab ein gut Abendtheuer bestanden, daß ich eins fährlichern Kampfs werth acht, denn seht! gewonnen hab ich dies alt Schwert, das unser Vater so fleisiglich suchte sein Lebenlang, aber es geziemt dem Schwert ein mächtigerer Herre, [59] denn ich bin, und so ich ein Flüchtling soll bleiben, der kein Erb hat noch Gut, noch größer Ehr denn bis itzo, so möcht ich mich fast des Fundes schämen. Das verhüt der Himmel! entgegnet Valorich, daß wir uns schämen sollten unsers Erbguts, oder uns geringer achten als unser Ahnherrn; was Einer noch gethan hat, und wär's auch fast schwer, so gedenk ich nit an kühnlichem Wesen hinter ihm zu bleiben. Weil ihr aber der älst seyd, Bruder, so sucht euch aus das unserer nit unwürdig sey, und ich will euch dienen und es euch erwerben helfen, das bin ich festiglich gesinnt.

Wie sie noch so mit einander redeten, kam des Wegs ein junger Gesell gegangen, der trug ein Harpfen in der Hand, wie die Spielleut pflegen, er grüßt sie freundlich und setzt sich zu ihnen nieder. Als er mocht geruht haben sagt Valorich: »Ich bitt euch Herr Spielmann, wenn's euch nit entgegen ist, so singt mir ein Lied, denn ich liebe der Harpfen und Cittern lustig Weisen.«

Ich will es thun, sagt der Liedersinger, und mein bestes Lied euch spielen, weil ihr mir so ehrlich zusprecht. Und nun nahm er die fein Harpfen von Elfenbein und schlug in die Saiten und sang dazu.


Zwei Augen wie Sterne
Die sähen so gerne
Das wonnige Licht,
Und dürfen es nicht;
[60]
Die hellen Karfunkeln
Die könnten verdunklen
Das sonnige Licht,
Und dürfen es nicht.
O Liebesverlangen!
In Kerker gefangen,
Sind die Augen so minniglich,
Die Lippen so wonniglich,
Die Worte die milden,
Die Locken so gülden,
Es bricht mir das Herz
Vor Leidmuth und Schmerz.
Ich sehe bis an den Tod
Die Lippen rosinroth
Und sollt ich nimmer genesen,
Dächt ich doch an ihr minniglich Wesen,
An ihr Blicken so mild,
An das schönste Frauenbild,
Und sollt ich Schmach und Tod erwerben
Das Mägdlein minnt ich und sollt ich sterben.

Das ist ein gar jämmerlich und herzig Lied, sagt Valorich, wo lebt die schöne Magd, von der ihr gesungen? oder habt ihr sie nur in Gedanken gehabt wie die Liedersinger wohl pflegen.

Mit nichten, entgegnet der Spielmann; wenns euch gefällt auf mich zu achten will ich euch nit verhalten was ich von dem Jungfräulein weis. Sigismunda ist sie benannt, und ihr Vater ist gewest Herr Sigemar, ein König der Bojaren, die [61] herum wohnen an dem Strom Danubis, Frau Irmengard ihre Mutter ist bald verblichen, und hat ihren Ehherrn allein gelassen und ihr unmündig Kind Sigismunda. Wie die aber heranwuchs, gediehe sie in so wunderlicher Schönheit, daß sie jedermänniglich höchlich ergötzte, und wer sie einmal gesehn der mocht nimmer von ihr scheiden; so gar anmuthig war sie. Derhalben kamen auch viel Fürsten und Herrn weit und Breit her, und freiten um die königliche Magd Sigismunda, aber Herr Sigemar mocht sie nit von sich lassen, denn er war ihr gar mächtig zugethan. Einsmals mußt er einen Kriegsritt thun in ferne Land. Da war sein Tochter fast mißmuthig, und konnt ihn nit lassen vor großem Leid; auch Sigemar war mehr betrübt wie oft, und er gedacht im Herzen, er hätt wohl ehr sollen ein wackren Eheherrn erkiesen für sein Kind, der ihr Obacht nähm in fährlichen Zeiten. Er rief deshalb sein Bruder Odho, und sprach zu ihm: »Odho ich laß' mein Tochter in eurer Gewahrsam, und wann ich nit sollt wieder heim ziehn, so gebt ihr einen Gemahel wie sie will und ihr geziemt.« Das versprach Odho mit sein Handschlag, und Sigemar zog beschwichtigt von dannen. Da war Sigismunda lang viel betrübt bis ihr Botschaft käm, und oftmals stand sie auf dem Söller, und sah um nach der Heerstraß, und einsmals sah sie etzliche Reuter des Wegs sprengen. Sie stieg hurtig hinab in den Hof zu erkunden von wannen die Reuter kämen,[62] da trat ihr Herman entgegen Herr Sigemars Edelknecht, und bracht ihr Botschaft mit vielen Thränen, wie der König verschieden sey in der Schlacht. Da ward die Jungfrau unmächtig, und da sie erwacht konnt sie von Thränen und Seufzen kein End finden. Aber Odho war froh in seim Sinn, er vermeint die Jungfrau zu gewinnen, denn ihre übermäßige Schönheit thät ihm das Herz gänzlich bestricken, und er wußt sich kein Rath, als sie zu ehlichen. Derhalben ging er viel zu ihr und wollt sie beschwichtigen mit ehrlichen und herzigen Reden; aber sie mogt ihn nit gern hören, und antwort spärlich auf sein Kosen. Das verdroß ihn, denn er war hohen Sinns und stolzirend, und als er eins-


(Weiter ward nichts gedruckt.)


Notes
Der Band sollte 1806 unter dem Pseudonym Ion bei J.C.B. Mohr in Tübingen erscheinen. Der Satz wurde jedoch unmittelbar nach dem Tod der Günderode abgebrochen, so daß von diesem Druck nur ein fragmentarischer Abzug überliefert ist. Acht Texte aus dem Band wurden 1896 durch Erwin Rohde, die übrigen 1899 durch Ludwig Geiger veröffentlicht. Den ersten vollständigen Druck des Bändchens besorgte Leopold Hirschberg (Berlin 1906).
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Melete. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-207D-F