[105] [107]Carl Hauptmann
Gaukler, Tod und Juwelier
Spiel in fünf Akten

[107]

Personen

Personen.

    • Der Konferenzier Lionel Mander

    • Der Tod

    • Der Herr Juwelier

    • Astarte

    • Ottilie Kopriva

    • Der Chor jugendlicher Tänzerinnen

    • Dr. Michel Mander

    • Lisiska Mander

    • Die Nonne Mater Scholastica

    • Der alte Komiker Tiefsee

    • Konzertmeister Windfellner

    • Baron Attendorn

    • Der erste Kammerdiener José

    • Der zweite Kammerdiener Henry

    • Der Küchenchef

    • Der halbwüchsige Junge als Pan

    • Musiker, Balletkinder, Damen und Herren der Gesellschaft, Diener
    • [108]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
EIN HALBWÜCHSIGER JUNGE
als Pan kommt von links um das Schloß herumgeschlichen, die Pansflöte in der Hand.

Hinter ihm drein huschen Kinder, alle in Gestalt von Schmetterlingen. Sie gruppieren sich geräuschlos unter der Terrassenmauer links, von wo aus sie aber die Terrasse nicht übersehen können. Leise ... ganz leise ... ihr wißt es ... der Meister haßt jeden gemeinen Lärm ... ihr seid jetzt Dämmerungspfauenaugen ... Dämmerungspfauenaugen haben keine Trampelfüße ... ihr müßt schweben ... ganz ohne Geräusch ... so leise wie der Nebel auf der Abendwiese ... so schweben wie Dämmerungsfalter ... der Meister hat es ausdrücklich so befohlen ... flüchtig wie ein Bild in einem jungfräulichen Traume ... nämlich ... es soll ja doch Lionel Manders allergeliebtester Tochter gelten, die heute aus dem Kloster wieder einmal bei ihrem Herrn Vater daheim ist ... ganz zu ihrer Seligkeit soll es geschehen ... in ihr jungfräuliches, frommes Herz sollen wir uns leise hineintanzen ... fort jetzt die Unordnung ... stellt euch um mich ... ich beginne sofort zu flöten ...


Er flötet die süßeste Hirtenweise, wozu die Däumelein einen drolligen Reigen schweben. Es fällt von links Abendsonnenlicht aufs Schloß. So geht der Tanz eine Weile.
2. Szene
Zweite Szene
TIEFSEE
in einem seltsamen, buntkarrierten, samtenen Schlafrock, samtenem Barett und phantastischen Schlafschuhen, ist unterdessen ungesehen aus der Mitteltür der Schloßfront gekommen.

Ein Mann, glattrasiert, total zerfurchten Gesichtes, mit grauen Hängehaaren und einer langen Pfeife. Er geht, Tabaksqualm vor sich her blasend, bis an die Brüstung der Terasse heran. Guckt eine Weile ungesehen dem Tanze zu. Dann. Blödsinn ... nichts ... das ewige Theater ... was Tanz ... und das Flötengequieke ... schert euch ... ich bin allein zu Hause ... ich leide [111] Qual ... ich hasse das Treiben ... für mich brauchts der ewigen Gewalttätigkeiten mit den Leibern ... und den Winselhölzern in diesem Leben durchaus nicht mehr ... das habe ich das Leben lang selber für armselige Heckepfennige praktiziert ... ja ... Deibel och ... fort schert ihr euch ...

DER JUNGE PAN
unten.

Für den gnädigen Herrn spielen wir doch ... und für seine allergeliebteste, einzige Tochter Lisiska ...

TIEFSEE.
Jawohl ... für Herrn Mander ... der Gott sei Dank gar nicht im Schloß ist ...
DER JUNGE PAN.
So ... der gnädige Herr ist noch nicht da ... das ist sehr schade ...
TIEFSEE
ein großes, seidenes Taschentuch herausziehend, damit abwinkend.
Vorwärts ... vorwärts ...

Dann sich schnaubend.
DER JUNGE PAN.

Es war ja doch aber gestern Abend ausdrücklich befohlen ... für heute Nachmittag ... genau dreiviertel Stunde vor Ave Maria ...

TIEFSEE.
Vorwärts, sag ich ... und mache nicht erst noch ein krummes Maul ... das ist heute geändert ...

Der junge Pan mit der Kinderschar verschwindet unschlüssig wieder in der Tiefe, während sich Tiefsee murrend und mürrisch auf einen der Sessel setzt, eine Zeitung herauszieht und zu lesen beginnt.
3. Szene
Dritte Szene
ASTARTE
etwa vierundzwanzigjährig, jung, stahlschlank, mit einem düsteren Zug im Blick, äußerst vornehm sommerlich gekleidet, kommt ebenfalls aus der Mitteltür des Schlosses.

Vater ... was fällt dir ein ... es ist später Nachmittag ... und du sitzt im Schlafrock ... hier ... vor dem Schlosse ... wenn Mander da ist, wagst du das nie ...

[112]
TIEFSEE
lesend.

Nebenbei. Ach ... rede nicht ... ich genieße mein Altenteil einmal eine Minute in Ruhe ... ich bin ja doch eine Art Schwiegervater ... Lionel Mander hat ja doch sonst weder Vater noch Mutter ... noch Weib ... noch irgendetwas Bürgerliches jemals in diesem Leben besessen ...

ASTARTE
kommt langsam heran.

Du kommst von den üblen Gewohnheiten deines Lebens niemals los ... du mußt immer wieder den jämmerlichen Spießbürger spielen ... den kleinen Bierwirt ... oder diesen ewigen Komiker ... oder wer weiß was für einen Narren ...

TIEFSEE
wie vorher.
Ach ... laß mich ungeschoren ...
ASTARTE.

Du weißt ... Mander hat dir das zur Bedingung gemacht ... daß du dich den vornehmen Sitten fügtest ... ja ... wie er deine Schulden bezahlte ... dich aus deiner Lebensmisere wie einen ertrinkenden Lappen auffischte ... so sagst du doch selber ... hat er dir ausdrücklich gesagt ... lieber Kollege ... du mußt dich anpassen ... es kostet dich nichts ... also wird es dir keine Mühe machen ... Mander ist ja gutmütig wie warme Wolle ... oder wie ein bunter Eisvogel, wenn er sich in den Süden verfliegt ...

TIEFSEE
wie vorher.
Rede nur weiter ... jawohl ... lieber Kollege sagte er ...
ASTARTE.

Ja ... und das ist lächerlich ... du und sein Kollege ... ihr gehört zusammen wie der weiße Schwan ... und ...

TIEFSEE.
Na ... und ...
[113]
ASTARTE.
Ich sags ruhig ... und eine lahmgeschmissene Elster ...
TIEFSEE.
Du ärgerst dich wohl wieder furchtbar an mir ...
ASTARTE.

Weißt du ... empfehlenswert ist das grade nicht ... für ein Mädchen von guter Art ... wenn es aus Sumpf aufgewachsen ist ... wenn die ihre Vergangenheit immer wie die Schnecke ihr Haus mit sich schleppt ... aber das ist eben Mander egal ...

TIEFSEE.

Aus irgendetwas muß ein Mensch aufgewachsen sein ... ein Los muß jeder ziehen ... ja ... du hast dich gar nicht zu beklagen ... schon über deinen Vater und deine Mutter hast du dich gar nicht zu beklagen ... erstens einmal bist du von einer Mutter in Parade gesetzt ... höre mal, mein Kind ... diese deine Mutter ... die hatte eine Demut ... wenn du zum Beispiel nur nimmst, was sie aß, wenn du und ich noch am Tische saßen ... Bissen ... Brot ohne Salz ... das Salz war zu schade ...

ASTARTE.

Oh ja ... Sie lümmelt sich über den Tisch und guckt in ein Zeitungsblatt. meine Muttel war auf alles bedacht ... und entsetzlich verängstigt ... ich will mich an Muttel durchaus nicht versündigen ... hahahaha ... angezogen hatte sie mich als Kind immer, daß jeder gleich sah, daß ich einer Herumzieherhorde entsprungen war ... und Liebesgeschichten mußte ich auch schon zu Zeiten haben, wo die andern Kinder noch Pappe kriegen ... nein nein ... ich erinnere mich gar nicht, daß sie mir auch nur einmal unfreundlich und grob gekommen wäre Lebhafter erregt. oder hätte mich an den Haaren zurückgerissen ... Asta hinten ... und Asta vorne ... besonders später in dem Kummerwinkel ... in der Kneipe ... wenn da einmal der reiche Mann zu euch demütigen Spaßmachern kam ... und gnädig Champagner spendierte ... in Erinnerung an deine einstige Komikerzeit ... hahahaha ... da mußte ich mich auch tüchtig besaufen ... ja ...Immer erregter. und hab mich besoffen ... [114] aber nicht bloß mit Wein und süßer Chartreuse ... mit Galle ... mit Haß ... mit Abscheu ... mit Härte ... mit Weitblick ... mit allem, was so ein erdrosseltes Sehnsuchtsleben mir zurückbringen sollte ... mit dem heißen Verlangen, heraus aus Sumpfe ... heraus aus dem klebrigen Leben augendienerischer Gemeinheit ...

TIEFSEE
lacht höhnisch und wehrt dabei mit dem Zeitungsblatte von oben herab ab.

Spiele nur ... immer spiele ... ich konnte deine Mutter nicht ausstehen, wenn sie sich so vermaß, Sitte zu predigen ... das gibt es außerdem gar nicht wirklich in dieser Welt ... jeder will eben nur seinen Vorteil haben ... wie der Hund hinter der Türe am liebsten für sich das Fleisch samt dem Knochen in Ruhe einschluckt ... ja und dich ... wenn du so in fließender Schleierseide ... und dem tropfenden Solitair aus Herrn Manders großer Schatulle vor mir stehst ... dich kann ich erst recht nicht leiden ... wenn du gar so tust, als ob du hier Herrin wärst ... und ich von dir das Gnadenbrot äße ... nee ... das würde mein Ende sein, weißt du ... du Geliebte ... hahahaha ... Herrin ... hahahaha ... nur Geliebte ... gar nichts weiter ... nur eines Mannes wie Lionel Manders Geliebte ... weißt du ... denn ich kenne Mander ... Er ändert seinen Ton plötzlich ins Stille und Sanfte. ja ... Er erhebt sich. nein ... es paßt sich nicht, mich im Schlafrock hierher zu pflanzen ... ich habe wirklich mein Wort gegeben ... er sorgt für mich ... und ich habe mich ihm verpflichtet ... und werde jetzt in mein Zimmer gehen ... mich in einen anständigen Promenadenrock hüllen ... und die Pfeife ist eine alte, gemeine Unart von mir ... das will ich auch zugeben ... so etwas paßt sich in einem Herrenschlosse durchaus nicht ... auch wenn Mander jetzt wieder wie ein Fischotter, den Wiesel hetzen, in allen Wucher- und Spielerlöchern nach Hilfe herumjagt ...

ASTARTE.
Das sagst du aus Scheelsucht ... weil du es früher in deinen Nöten derart betrieben ...
TIEFSEE.

Ja ja ... werde mir Zigaretten holen ... mich als Gentleman kostümieren ... auf die Felder spazierengehen ... und die Landleute beim Ave-Maria- Beten [115] betrachten ... vielleicht bete ich mit ... das ist mir jetzt lieber, als mich in diesem üppigen Faulenzerleben in die Sonne zu pflanzen ... und mit dir in die einstige eigne Misere hineinzustarren ... Er rafft sich plötzlich noch einmal erregt hoch. aber das sage ich dir ... danke du Gott, daß du mich zum Vater hast ... um meinetwillen hat er dich in sein Bette genommen ... ich habe es dir verschafft, diese Pfründe ... mit mir hat er die ersten Schritte auf den schlüpfrigen Brettern getan ... ich habe ihm müssen sozusagen die Hände halten beim Gaukeln ... mich braucht er noch immer ... tausend Tricks, die er heute kennt, stammen von mir... ich bin noch immer der höchste Geschmackskünstler für vornehme oder fürstliche Personen ... obwohl er über mich hinausgewachsen ist ... und schließlich der Oberarrangeur ... und Obereskamoteur ... und Oberweltmann ... und Obermeister üppiger Nachtfreudenfeste ... und Obergaukler ... und Obertänzer ... und Oberschwätzer ... und Obergauner ... und Verführer ... und Blender ... und großartiger Aufspieler geworden ist ... von dem wir uns alle nur blenden lassen ... und gebrauchen lassen ... und »erhöhen« lassen ...

ASTARTE.
Vater ... schrei nicht so ... ich bitte dich, Vater ...
TIEFSEE.

Ja ... wenn es nicht eben um des schnöden Goldes willen unmöglich wäre, das er uns als Trinkgeld so hinwirft ... und wenn ich nicht eben schon zahnlos wäre ... würde ich nicht nur bellen ... würde ich diesen verstiegenen Herrn Kollegen gehörig einmal ins Bein beißen ... Immer noch gehalten. würde ich ihn hübsch würgen...Immer gesteigerter. würde ich ihn nicht nur würgen ... würde ich ihn mir um die Hand wickeln wie einen alten Hemdlumpen ... oder alten Handschuh ... und ihn zerreißen ... in Stücke ... und ihn auf den Schindanger schmeißen ... ja ... wie einen Lumpen ... oder wie ein verfaultes Froschluder ...

ASTARTE
verbittert.

Schön ... das klingt schön ...Nach einer Pause, worin Tiefsee Haltung gesucht und dann die Zeitungen zusammen gegriffen hat. gehe nur lieber jetzt, [116] Vater ... bitte, Vater ... Pause. ziehe dir eins von den neuen, kostbaren Batisthemden an, die dir Herr Mander gestiftet hat ... weil er sich auch immer nur in Seide kleidet ... denn was ist ihm Geld ... und Ausgaben ... und Wohltaten ... das ist ihm nur ein Schwips mit der Hand ... er muß ja doch immer Großartigkeit und Lüster und Kostbarkeiten um sich haben ... wie er sich so grade zum Beispiel einbildet, einen venezianischen Leuchter auf irgendein Konsol hinaufzubugsieren ... ach Gott, Vater ... hasse ihn nur ... und höhne mich ruhig ... rümpfe nur deine verbitterten Lippen ... stich mich mit deinem Theaterblick ... lähme mich richtig ... so weh tut mir dieser Hohn ... warum denn ... das hast du eben noch nicht begriffen ... ich bin die Geliebte ... weil ich es nicht erst geworden bin ... weil ich es bin ... heute nicht mehr aus Gier nach Tand ... oder aus Gier nach kostbaren Kleidern ... oder aus Gier nach der süßen Umarmung des Leibes, die so süß und so selig sein kann ... oder aus Hoffnung auf die Zukunft ... oder aus Hoffnung auf irgendein Wunder der Gaukelei, das doch nicht kommt ... denn ich weiß sehr genau ... Herr Mander läßt nur alle Men schen und Dinge wie eine goldene Schnur durch die Finger laufen ... und der Herr Juwelier folgt beständig auf den Fersen ... ich sehe das wohl, wie Mander wieder den Ausweg nicht sieht ... ja ... ich werde es dir noch besser sagen ... mein Herz ist ihm aufgetan ... ich bin eine Mutter ... nicht etwa, ich trage ein Kind ... ein echtes und rechtes Frauenzimmer hat stets im Blute eine Mutter ... eine Mutter umarmt einen Hoffnungslosen ... einen Heimatlosen ... einen Verschwender ... einen verlorenen Sohn ... einen Spieler ... einen Täuscher ... einen Gaukler, dem das Leben vergeht ... mir eben ist etwas aufgebaut ... von dem ersten Augenblicke an, als er mich nahm ... da erkannte ich ihn ... die wilde Bestimmung, die ihn hinhetzt ... diesen Gehetzten ... diesen Gezwungenen ... dem ich meine Seele hinwerfen muß... dem ich Balsam sein muß... in seinen zerrissenen Stücken ... ja ... Plötzlich sanft. deine Gesichtsfarbe verwandelt sich, Vater ... diesen Menschen, der hinausgestoßen ist in die blutigen Flüge ... erarbeite uns doch die Herrlichkeit ... du toller Gaukler ... ersinne sie uns doch ... ergötze uns doch ... schneid es dir doch aus deinem Fleische heraus ... zerberste dich doch für uns nach der Schönheit ... [117] mache uns doch die steinige Welt zum Paradiese ... du aus Erde genommener Lehmkloß ... zeige doch deine Kunst ...

TIEFSEE
erschüttert.

Hahahaha ... großartig ... hysterisches Frauenzimmer ... verrücktes ... ja ... da könnte ich wirklich auch heulen, wie du das darstellst ... nicht wahr ... liebes Kind ... so war auch dein Vater ... jetzt ist er nur abgenutzt ... ja ... dieser Ruhmesschein fällt auch zur Entschuldigung auf deinen Vater ... nicht ... oh ... du bist ein Weib ... du bist eine richtige Vergolderin des Lebens ...

ASTARTE.

Nein ... gar nicht ... Vergolderin ... Verflucherin... nein ... auch das nicht ... gar nicht ... lächerlich, wer verfluchen wollte, was er nie begriff ... ja ... ein einfaches Weib bin ich ... eine, die eben nur liebt ... liebt ... wozu ... gar nicht wozu ... liebt ... einmal drauflos ... den Mann ... liebt ... der sie einmal hungrig und sehnsüchtig in die Arme nahm ... ach ... seufzte ... in sich stumm war ... vielleicht einmal einen Augenblick selig war ... vielleicht wie jemand, der einmal einen Augenblick die Herrlichkeit sieht ... aufsteht ... und wieder fortgepeitscht wird von Ehrsucht ... von Ruhmsucht ... von Besitz ... von Verheißung größerer Dinge ... fortgepeitscht wird in verstiegenen Pflichten ... ja ...

TIEFSEE.
Oh ... Weib ... ja ... Weib ...
ASTARTE.

Ach ... Vater ... du kannst das nicht begreifen ... niemals ... du hast nie im Leben durch dringen wollen ... aber ich bin nicht träge gewesen ... ich bin auch nicht feige gewesen ... ich bin auch nicht zweckgierig gewesen ... und einmal kommt vielleicht jeder zu seiner Wahrheit ... mir jedenfalls ist meine Wahrheit wie ein Tropfen siedend über die Stirn geronnen ... das bleibt klar ... und wenn ich vergehe ... wer das einmal lebte ... der lebt das immer ... und lebt das froh ... der lebt sehend ... und lebt das zu Ende ...

[118]
TIEFSEE
streichelt Astarte.

Dann geht er auf die Mitteltür zu. Bleibt stehen und blickt zurück. Asta ... mein Kind ... Er kommt noch einmal ein paar Schritt auf sie zu. meine liebe Asta ... ja ... ich bin stolz auf dich.

ASTARTE
heiter.
Ja ja ... ich weiß schon ... ich weiß schon ... Vater ... ich kenne dich schon ...
TIEFSEE
würdig, sich wieder gegen die Mitteltür wendend.
Im Abgehen. Ganz gewiß ... ganz gewiß ... ich bin stolz auf dich ...

Ab ins Schloß.
4. Szene
Vierte Szene
Unterdessen haben sich im Parke rechts hinter Buschwerk eine nach der andern junge Tänzerinnen in Probenkostüm und Mantel, mit großen Schäferhüten gesammelt. Noch verborgen.

LUNICA.
Dort steht sie ... die Stolze ...
SCHWÄNCHEN.
Gehen wir los ... Sie laufen auf Astarte zu und rufen schon von der Ferne.
LUNICA.
Fräulein Astarte ...
SCHWÄNCHEN.
Gnädiges Fräulein ...
LUNICA
indem beide an der Treppe zögern.
Wir zwölf kommen heute nicht etwa nur, um unsere achtzehn alten Zephyrtanten zu besuchen ...
HELIE
hinterdrein.
Es ist jetzt so ledern auf dem Schlosse ...

Astarte steht und lächelt.
[119]
KITZ
genau in demselben Kostüm hinterdrein.
Wir wollen bei Ihnen seufzen und stöhnen ...
LACERTA
ebenso.
Ich mag das Tanzen gar nicht mehr leiden ... der Teufel ist ja rein ausgetrieben ...
LUCINDE
ebenso.
Dieser Attendorn ist doch ein trauriger Stümper ...
MUSE
ebenso.
Soll uns denn dieser Baron jetzt ad infinitum dressieren ...
MÜCKE
ebenso.
Wir haben wenigstens am Nachmittag auf dem Lilienplatze im Freien geübt ...
ELFI.
Mir sind bei dem Tanze Arme und Beine eingeschlafen ...
SCHWALBE
ebenso.
Und solche lederne, harte, langweilige Musik dazu ...
ANJELKA.
Wenn des Meisters Feueratem nicht hineinbläst ...
MUSE.
Wir tanzen beständig Totentänze ...
ASTARTE.
Macht mich nicht wirr ... ihr lieben Kinder ...
ANJELKA.
Wenn der Meister nicht kommt, lasse ich mich morgen begraben ...
[120]
MÜCKE.
War denn der Meister wirklich hier ...
MUSE.
Alle behaupten, sie wüßten etwas ...
LUCINDE.

Jawohl ... ich weiß es ganz gewiß ... der Meister ist am vorigen Abend im Schlosse eingefahren ... und nachts um zwei habe ich Herrn Mander mit eigenen Augen wieder in zwei Automobilen hinaussausen sehen ...

ASTARTE.
Sehr richtig, Lucinde ... der Meister war gestern auf einige Stunden im Schlosse ...
ELFI.

Ist Herr Lionel Mander zum Fürsten von Monaco eingeladen, um ein großes Jubiläumsfest in der Spielhölle aufzubauen ...

ASTARTE.
Hahahaha ... ihr werdet euch zu Herrn Manders Ehren noch gleich die schönsten Legen den erfinden ...
LIDDI.

Henry sagt, es hätte nachts schon einmal geheißen: Fort übers Meer ... und um zwölf Uhr mittags hätte Herr Mander mit großem Gefolge im Luxuszug Hamburg-Kuxhaven gesessen ... das wäre dann das einträglichste Geschäft, wenn Herr Mander seine Gaukelkünste vor so einem Milliardär oder Krösus betriebe ...

ASTARTE.

Nun haltet gefälligst eure geehrten Schnäbel ... ihr Mädels ... ich werde euch etwas sehr Wichtiges sagen ... hier muß es ganz still sein, obgleich der Meister nicht im Schlosse ist ... aber Fräulein Lisiska Mander ist heute im Schlosse ... und ihr wißt es ja doch, daß Herrn Manders Tochter gottesfürchtig und fromm ist ... also bitte ... geht und kleidet euch um ... Die Mädchen sehen plötzlich nach dem Schloß, wo hinter den Scheiben Baron Attendorn erscheint, von zwei Dienern umgeben, Telegramme lesend. dann könnt ihr meinetwegen im Parke und hier herumspazieren ... aber durchaus nicht [121] in diesen Lotterkleidchen ... denn das könnte einen frommen Sinn doch verletzen ...


Im Augenblick, wo Attendorn die Tür öffnet und heraustreten will, fliehen die Tänzerinnen lachend die Freitreppe herab und eilen denselben Weg, den sie gekommen waren, zurück. Ab.
5. Szene
Fünfte Szene
BARON ATTENDORN
ein junger Dandy, schwingt drei Telegramme und ruft Fräulein Astarte zu.

Ich danke meinem Schöpfer ... die Ängste sind vorbei ... es muß alles wieder im Gleichgewicht sein ... innen und außen ...

ASTARTE.
Kommt Herr Mander ...

Tiefsee als Stutzer zum Ausgehen gekleidet, ist auch aus dem Schlosse eben erschienen. Nur spitzig beobachtend.
ATTENDORN.
Ja ja ... der Meister kommt ... offenbar kommt der gnädige Herr heut sehr befriedigt ...
ASTARTE.
So ... ach Gott ... Sie geht sofort ins Schloß ab.
ATTENDORN.

Wo ist denn Henry ... Henry steht schon lachend dabei. bitte Henry ... die Frauengemächer im Flügel B in den blumigsten Prunk setzen, Henry ... Herr Mander telegraphiert ausdrücklich königlich ...

TIEFSEE
spaziert äußerst gespreizt die Freitreppe in den Park hinunter.
Dabei deklamiert er laut vor sich hin.
Wir sind die Schattenbilder, die im Tanz
sich drehn um der Laterne Sonnenglanz ...
der Meister Gaukler dreht das große Licht
zu diesem mitternächtigen Mummenschanz ...

Pfeifend durch den Park ab.
[122]
ATTENDORN
während andere Diener neugierig herausgetreten sind.

Er bringt nämlich die berühmte Ottilie Kopriva mit ... wir müssen sofort in der Kanzlei die Tagesordnung für morgen fein säuberlich auf die große, weiße Karte mit dem goldnen Wappen schreiben, Henry ... hängen Sie sie bald im Tanzsaale unter Glas und Rahmen ... gleich für die ganze Sommerschule hier auf dem Schlosse ... denn alles wartet ja doch ungeduldig ... ich als Vergnügungsdirektor inbegriffen ...


Ein anderer Diener erscheint eilig aus dem Schlosse mit weiteren Telegrammen.
ATTENDORN.

Hahahaha ... wenn der Meister wieder in Laune ist, kommen jetzt noch zehn Telegramme ... Aufreißend und lesend. der Viererzug holt also den Herrn Mander und die Dame in der Nacht vom Bahnhofe ab ... weiter ... soll im kleinen Speisesaal ein Souper tête-à-tête für zwei königliche Menschen angerichtet werden ... Unterdessen ist der Küchenchef auch neugierig herausgetreten. ja ja ... kommen Sie um Gottes willen von selber ... wir müssen eiligst den Speisezettel für ein Souper tête-à-tête kurz nach Mitternacht jetzt besprechen ...

DER KÜCHENCHEF.

Wir haben gemästete Weinbergswachteln im Keller, Herr Baron ... ein Lieblingsgericht des gnädigen Herrn ... ich gebe also Schildkrötenbouillon ... Forellen mit Rheinwein dressiert ... die Weinbergswachteln zart geröstet mit gedünstetem Trüffelgemüse ... zum Schluß Wildpastete mit gepfefferter Kirschsauce ...

ATTENDORN.

Danke, Herr Chef ... großartig ...Indem er wieder liest. morgen abend soll es bereits ein glänzendes Nachtfest nach Lionel Manders Art hier geben ... Die Telegramme in der Hand haltend, wendet er sich zum Schlosse, von den Dienern gefolgt, die seiner Befehle harren. Und vom Küchenchef. jetzt ... wo Herr Mander auch seine einzigste, allergeliebteste Tochter im Schlosse beherbergt ... ja, meine Herrschaften ... ich möchte über das Allerheiligste des Herrn und Meisters keine Anzüglichkeiten reden ... aber ich finde diese kleine Mander charmant ... daß die noch im Kloster ist ... diese kleine [123] Lisiska ... ist ja gottvoll ... es ist ja nichts köstlicher als die Unschuld ... das ist doch wenigstens ein vornehmes Mädchen hier im Schlosse, die Lionel Mander anders auffaßt, als die übliche Damenwelt ...


Unter diesen Worten verschwindet er ins Schloß, vom Küchenchef und den Dienern gefolgt.

Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
DIENER JOSÉ
steht an einem der Wandschränke und ist damit beschäftigt, Herrengarderobe daraus zu entnehmen und sie auf Lehnstuhl und Chaiselongue auszubreiten.

Er zählt auf einem Regal Hosen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Paare ... ach was ... schwarze Hosen ... Herr Mander wird heut doch nicht schwarze Hosen nehmen ... man saust noch immer wie im Automobile ...

2. Szene
Zweite Szene
DIE STIMME MANDERS
aus der linken Tür.

Pavian ... Seidenaffe ... geliebte Seele ... geliebter Helfershelfer ... Ehe José die Kleider beiseite legen kann, hört man Rumoren. Goldseele ... Kammerdiener ... Ew. Exzellenz, Herr erster Kammerdiener José ... Dann erscheint Mander in einem weißseidenen, pelzverbrämten Morgenmantel. In weißen Atlaspantoffeln schlürfend in der Tür. wie denn ... wo denn ... wo steckst du denn wieder ... ich brülle mir wieder fast den göttlichen Odem aus ... lieblicher Knecht ... warum springst du denn nicht ...

JOSÉ
grauhaariger, zärtlicher Mann, sofort am Toilettentisch sich bereit stellend.

Oh ... ja nicht ... der gnädige Herr dürfen sich heute ja nicht aufregen ... es würde sich gar nicht lohnen, daß sich der gnädige Herr heute erst wieder in Aufregung brächten ... Er hantiert sofort am Toilettentisch. ich habe seit der Einfahrt in der Nacht wirklich noch keine Minute stille sitzen können ...

[127]
MANDER
während er vor den fünffach auseinandergelegten Toilettenspiegel schlürft.

Greulich ... abscheulich ... so unangeraucht ... so bettsackdämlich ... José reicht ihm sofort Zigaretten und Feuer. so ausgeweidet bis zur untersten Hefe ...

JOSÉ.

Na ... ich bin wenigstens glückselig, daß der gnädige Herr wieder gestern so in Stimmung gerieten ... und die Stimmung ins Schloß mit heimgebracht ...

MANDER.

Schlummert sie noch ... jetzt schlummert sie wirklich in meiner Hütte ... sind die Wohngemächer der hohen Frau in ein Eden verwandelt ... oder gehört ihr zu dem blöden Pöbel, der es erst immer nachträglich merkt, wenn er einen Engel beherbergt hat ... o José ... jetzt werden die großblütigen Orchideen dieses Weib bestaunen ... jaaa ... schillernde Schlange ... sich ringelnde Schararaka ... herrliches Wesen ... dieser süßeste Büll-Büll- vogel ... diese Allererste ... diese Stimme ... diese Stimme ... wie ein Heilquell, der aus den innersten Erdgründen aufdrängt ... ach ... diese Stimme ... José ... die von Mondschlössern aus Jaspisstein erzählt ... sinnbetörend erzählt, bis man verrückt ist ... bis man alles vergißt ... Plötzlich geschäftsmäßig. José ... Fräulein Kopriva kommt aus freier Entscheidung zu Lionel Mander ...

JOSÉ.

Das ist wirklich eine Anerkennung für Herrn Lionel Manders Kunst ... und für seine Methode ... wenn solche berühmte Künstler ihn aufsuchen ... wie ich höre, wird die berühmte Künstlerin sogar eine große Partie mit dem gnädigen Herrn durchstudieren ...

MANDER
rückt das Monokel.
Ja ... Ottilie Kopriva ruht jetzt in den Wappenkissen von Lionel Mander ...
JOSÉ.

Befehlen der gnädige Herr, im Morgenmantel zu bleiben für das Frühstück ... oder wollen der gnädige Herr nicht lieber gleich ein helles Morgenkostüm [128] für den Parkspaziergang anziehen ... tja ... mir ist ein Band von der Seele gesprungen ... auf der Heimfahrt die Nacht ... Herr Mander leben doch heute wieder frisch und befreit ... und mit neuer Fröhlichkeit aufgerichtet ...


Mander geht schweigsam auf und ab. Rauchend.
JOSÉ
zärtlich und behutsam.

Es wundert mich nur, daß der gnädige Herr das andere vergessen ... daß der gnädige Herr ganz vergessen, welche Gäste wir noch im Schlosse haben ...


Mander geht schweigsam auf und ab.
JOSÉ.

Der gnädige Herr sollten wirklich den Morgengruß hier in dieser Vase betrachten ... das junge gnädige Fräulein hat ihn nämlich am zeitigen Morgen eigenhändig vom Strauche gepflückt, als sie mit ihrer Nonne zur Frühmesse in die Dorfkirche ging ... der gnädige Herr hatten ja doch vorgestern Abend ein dreimal dringendes Telegramm an das Fräulein Tochter geschickt ...

MANDER
auffahrend.

José ... hole das Telegramm an meine Tochter zurück ... es war eine Sentimentalität ... es war eine Schwäche ... ich will niemand sehen ...

JOSÉ.
Es sind aber doch schon anderthalb Tage darüber hingegangen ...
MANDER.

Tage ... kein Tag ... keine Stunde ... keine Minute ... ich frage nach Zeit nicht ... blöde Unvernunft fragt nach Zeit ... Zeit ist Leere ... ich bin überfüllt ... ich brauche Trost nicht ... ich habe alles ... frisiere mich endlich ...


Er bleibt trotzdem vor sich hinstarrend stehen.
JOSÉ.
Wollen der gnädige Herr nicht wenigstens Platz nehmen, daß ich beginne ...
[129]
MANDER
sich setzend.
Beginne ... vorwärts ...

Er pafft in Unruhe hastig den Rauch aus.
JOSÉ.
Tja ... eben ... vorgestern abend waren der gnädige Herr noch ziemlich ratlos ...
MANDER.

Ja ... das kommt vor ... der alte Geier zerwühlt einen manchmal ... oder sonst ein ekles, verfluchtes Gespenst ... schweige gefälligst ... plärre nicht ewig ... hast du dir Ottilie Kopriva schon angesehen ... ihre eigenwillige, antike Gebärde ... ihre steile Stirn ... verhärmt ... ja ... auch ... schweigt, wenn sie lacht ... brüllt nicht gleich los, wie das manche tun ... o José ... das Lachen ... Engelgelächter ... hast du sie mit ihrer Sprechstimme reden hören ... könnte die heilige Jungfrau holder flüstern ... das ist für mich gemacht ... dieser tönende Stern nähert sich wahrhaftig meiner armen Erde ...


Pause.
JOSÉ
behutsam.

Der gnädige Herr müssen mir vergeben, wenn ich heute beständig an die lieben Kinder denken muß ... ich hatte ja doch auch einmal Kinder ...

MANDER
erregt.

Blödsinn ... Kinder ... stutze mich nicht als Lebemann auf ... oder gar als so einen blöden Artisten, der die Gesichtszüge einzeln wie Steine auf dem Schachbrett bequem verschiebt ...


Der zweite Kammerdiener Henry erscheint mit einem Silbertablett, worauf ein Kognak steht, stellt es, auf Zehen gehend, neben Mander.
Pause.
MANDER
trinkt den Kognak.

Wer hat denn von Kindern ein Wort geredet ... Er starrt in den Spiegel und legt sein Gesicht in ernste Falten. besieh mich, Henry ...

[130]
HENRY.
Zu Befehl, gnädiger Herr ...
MANDER.
Dieser Gimpel verschandelt mich wieder ...
JOSÉ.
Der gnädige Herr brauchen durchaus nicht zu schelten ...
MANDER
mit dem Blick in den Spiegel.
Henry ... wer bin ich ...
HENRY
auch in den Spiegel blickend.
Der vornehme Schloßherr ...
MANDER.
Mehr will ich dünken ...
HENRY.
Exzellenz, der Minister ...
MANDER.
Mehr will ich dünken ...
HENRY.
Der Oberstaatsanwalt in der letzten Entscheidung ...
MANDER.

Fort mit der menschlichen Rechthaberei ... ich bin ein Lehmkloß ... ich verachte das Richten ... weiter ...

HENRY.
Der heilige Kardinal, der in Audienz zum heiligen Vater hineintritt ...
MANDER.

Nein ... ein Büßer will ich sein ... ich will jetzt mein ganzes Leben ändern ... ich stehe jetzt demütig an der Pforte ...


Es klopft. Mander fährt zusammen. Erstarrt in Erwartung.
Henry eilt sofort durch die rechte Tür.
[131]
MANDER
erregt, leise.
Wer denn ... wer ist es ...

Henry kommt lächelnd wieder.
MANDER.
Was lächelst du ... wer ...
DIE STIMME DES JUNGEN MANDER
von draußen.

Vater ... Herr Jesus ... da schließ doch nur auf ... du tust ja wie eine keusche Ballettratte in der Garderobe ...

MANDER
für sich leise und gereizt.

Ja ... das klingt wie ein Echo ... das klingt, als wenn ich es selber wäre ... zu bleibt die Tür ... Er ruft laut. ach ... guten Morgen, Michel ... Er beeilt sich, von José gefolgt, den Mantel abzerrend, in die Schlafzimmertür hinein. Hinter ihm José.

STIMME VON DR.

MICHEL MANDER sehr energisch. Das ist doch ein Wort ... Sie berühmter, verbarrikadierter Herr Vater ... nun schreiten Sie aber auch bald in Ihrer theatralischen Würde aus der dreimal verriegelten Kemenate heraus ... sonst schlage ich doch die Türe noch ein ...


Verhallend im Abgehen.
MANDERS STIMME
von links.

Dieser Mensch ist sehr männlich ... und kolossal dreist ... Mander erscheint jetzt, im Ankleiden von José bedient. Auch von Henry, der unterdessen seinen Gehrock genommen hat und ihn hinhält. Mander steht mitten im Zimmer. jaaa ... daß es gleich gellend durchs ganze Treppenhaus hallt ... Himmel ... die Kinder ... Er nimmt eine starre Verzweiflungsmiene an. José ... sind wirklich die Kinder da ... es ist die ernsteste Stunde in meinem Leben ... Henry ... was willst du noch ... rasch ... unter Dreien ist kein Vertrauen möglich ...

[132]
HENRY.
Zu Befehl, gnädiger Herr ...

Drückt sich durch die Tapetentür rechts ab.
MANDER
erschüttert.

Ich ersticke jetzt an der Vaterwürde ... auch mein Vatertum war eine komische Maske ... ich war ja doch weder Mensch noch Eidechs ... wechselte täglich zehnmal die Häute ... Er setzt sich desparat wieder auf den Sessel. nun sitze ich und heule in mich hinein ... zerrissen in Stücke ... das ist Lionel Mander ... José ... weinst wohl auch ... törichter Schöps ... wenn man Tränen weint, sieht man die Gaukelspiele des Lebens noch trüber ... Er ermannt sich und springt auf. Geht hin und her. Raucht sich eine neue Zigarette an. Bestimmt redend. ich kann diese Kinder nicht sehen jetzt ... ihre Mütter sind meinem Gesichtskreis entschwunden ... sie bedeuteten für mein Leben nichts ... kaum ein paar Herzschläge prickelnder Reize ... jetzt hat mich die letzte Verrücktheit nach einem dauernden, häuslichen Glücke jäh überfallen ... eine unerhörte, nie je begriffene Gemeinschaft schwebt mir jetzt vor ... ein unzertrennliches Leben mit einem zweiten Leben schwebt mir jetzt vor ... nur nach diesem Weibe Ottilie Kopriva habe ich beständig die arme Erde durchirrt und durchrast ... es ist der Augenblick, wo sich das wahre Gesicht in mir endlich auftut ... all meine Masken fallen jetzt ab ... verwandeln sich in die eine wahre Empfindung ... iiih ... was gilt mir dieser Bengel ... der Sohn ... jeder Mann sucht bis zum Wahnsinn das Weib ... nicht seinen Vater ... mache kein so dummes Gesicht ... die große Rose dort in mein Knopfloch ... hörst du, José ... schmücke mich wie einen Liebhaber auf ... und fort der Sohn ... der mich gar nichts angeht ... und fort Lisiska ... sie gehört ins Kloster ... sie soll die Reinheit für den einzigen, echten Geliebten bewahren ... das reine Feuer soll sie hüten wie die Vesta ... und ihres Vaters Seelenheile soll sie heiße Gebete weihen ... ich frühstücke hier ... ich bin nicht munter ... ich wäre Ideen auf der Spur ... ich müßte arbeiten wie ein Pferd ... ich wäre von Pflichten überbürdet ... mißlaunig wie ein alter Gorilla ... lügt, was ihr könnt ... In diesem Augenblick pocht es an die Scheibe hinter dem Vorhang. ich will allein sein ...

3. Szene
[133] Dritte Szene
JOSÉ.

Ich glaube, der gnädige Herr Sohn sind schon auf der Terrasse ... Er guckt einen Blick hinter den Vorhang. gar kein Zweifel ... gar kein Zweifel ... der Herr Doktor werden wohl noch die Scheiben eindrücken ... wenn der gnädige Herr sich nicht bald entschließen, hinauszutreten ...


Mander rückt sich zusammen, nachdem er noch einmal sich von allen Seiten im Spiegel betrachtet hat.
4. Szene
Vierte Szene
DR.

MICHEL MANDERS STIMME hinter den Scheiben und Vorhang. Nee, Papa ... das ist ja nicht auszuhalten ... diese Geheimtuerei ... diese Höllenhunde an allen Ecken und Enden sind ja ganz unüberwindliche Hindernisse auf der Bahn zwischen Sohn und Vater ... laß doch aufschließen ... du bist ja noch schlimmer verbarrikadiert wie ein Fürst oder wie der König ...


Mander hat sein Monokel ins Auge geklemmt, starrt vor sich hin, hat gehorcht und gibt dann José einen Wink. José schließt hinter dem Vorhang auf.
Dr. Michel Mander erscheint durch den Vorhang.
MANDER
starrt ihn mit Monokel an.

Junge ... ich war total übermüdet ... ich hatte tausenderlei harte Pflichten auf den Buckel geladen ... wie es einem Manne wie mir nun einmal Schicksal ist ... entschuldige vielmals ... ja ... wenn du auch noch so sehr den ungläubigen Thomas spielst, lieber Junge ... und die Augen spöttisch verdrehst ... es ist schon so ... und ist stets so gewesen ...


Sie gehen drollig aufeinander zu. Mander umarmt seinen Sohn sehr spröde.
DR.

MICHEL MANDER. Hahahaha ... und hast dir heute noch eine berühmte Frau mit ins Schloß gebracht ... nee, Papa ... pfui Teufel ... dieser Esel, der José, hat dich [134] aber heute einparfümiert, daß es an deiner Brust höchstens Damen aushalten können ... da rieche ich doch noch lieber Jodoform oder irgendein penetrantes, stechendes Gift ... als diese süßseligen, dummduseligen Reseden ...

MANDER.

José ... einen andern Gehrock ... ich kann doch nicht zum Gespött meines Sohnes rumlaufen ... José springt schon herzu, so daß Mander seinen Rock sogleich wechselt. na ja ... lieber Mensch ... wie geht es dir denn ...

DR.

MICHEL MANDER. Wie es einem geplagten Assistenzarzt so geht, der beständig den Leuten den Puls fühlt ... die Rachenhöhle beleuchtet ... die Mandeln abknipst ... Brechpulver eingibt ... Teeklystiere verabreicht ... weißt du, Vater ... ich freue mich schrecklich, daß du gerade auch Lisiska mit mir zusammen aus dem Kloster eingeladen hast ... damit man einmal wirklich eine reine, jedenfalls noch unkarbolisierte Seele um sich hat ... Lisiska ist ein reizendes Ding ... einstweilen natürlich eingeschüchtert wie ein junges Rebhuhn ... als wenn jeder Mann ein Jäger wäre, der jedes einzige Huhn unbedingt gleich abschießen müßte ...

MANDER
spröde.
Tja ... ich freue mich auch ...
DR.

MICHEL MANDER. Du kannst dich auch freuen ... außerdem kannst du gar nicht ahnen, was Lisiska so gerade in diesen Jahren des Übergangs in das höhere Weibtum für eine Goldwage von Gemüt besitzt ... ich sage dir, Vater ... es hat sie schon ganz aus der Balance gebracht, daß wir mitten unter diese vielen Leute vom Varieté und Theater im Schlosse haben allein hineinplumpsen müssen ... keinen Vater daheim fanden ... denn schließlich kannten wir ja doch auch dieses Fräulein mit dem gespreizten Namen ... dieses Fräulein Astarte gar nicht ... man redet übrigens wieder tolles Zeug über dich, Papa ... Gott ja ... das ist nun einmal die berühmte Sauce zu so einem berühmten Theaterbraten ...

[135]
MANDER.
So so so so ... man redet ... was redet man wieder ...
DR.

MICHEL MANDER. Daß du ernstlich beabsichtigst, dich endlich zu verheiraten ... um gewissermaßen deinen Kindern einen übrigens sehr wenig mütterlichen Hintergrund zu verleihen ...

MANDER.

Spielst du auf dieses Fräulein Astarte an ... tja ... ich habe nämlich auch den Vater von Astarte, diesen alten Hungerleider, wieder anständig eingekleidet ... und aus alter Anhänglichkeit hier ins Schloß genommen ... da kombiniert man so Dinge ... aber ein Vater muß ja doch notgedrungen an das Renommee seiner Kinder denken ...

DR.

MICHEL MANDER. Na höre mal, Vater ... für Mädchen mag dieser sittliche Gedanke im kritischen Alter vielleicht vonnöten sein ... aber bitte ... was mein Renommee anlangt, das laß du gefälligst aus dem Spiele ... meine Vergangenheit ist mir furchtbar egal ... hahahaha ... und deine Vergangenheit noch viel egaler ...

MANDER.

Neieiein ... neieiein ... wirklich, lieber Michel ... die Frage einer Ehe beschäftigt mich schon seit sehr langer Zeit ... einmal verlangt ein so ruheloses, geplagtes Blut wie das meine endlich doch nach einem dauernden Herzensasyl ... natürlich wird dieses Verlangen in deinem Vater wesentlich gesteigert wegen Lisiska, die jetzt heranwächst ...

DR.

MICHEL MANDER. Hahahaha ... alle Achtung für deinen väterlichen Geschmack ... dieses Fräulein Astarte hat ein verteufelt großartiges Wesen ... die hat Stahl verschluckt ... der merkt man den alten, verwahrlosten Lebensschmarotzer und Lebensverächter nicht mehr an ... aber aufrichtig gesagt, Papa ... würde ich mir den Spaß der Heirat heute doch lieber verkneifen ... das gibt eher eine Entfremdung zu deinen Kindern, als Kindesliebe ... ich als Arzt [136] weiß ja, daß sich manchmal Väter in höheren Semestern nicht bezähmen können ... durchaus noch einmal den jungen Gott spielen müssen ... so weit kenne ich dich leider noch nicht, um zu wissen, ob du zu den ehrlichen Vätern gehörst, die mit den Jahren weise werden ... oder ob auch du immer wieder mit erneuter Jugendkraft auf das vermeintliche letzte, erlösende Abenteuer zusteuerst ...

MANDER
sieht den Sohn erstaunt an.

Na ja ... nein ... an Fräulein Astarte habe ich wirklich niemals im Leben gedacht ... ich glaube auch gar nicht, daß sie sich je solche große Rosinen eingebildet ... um Astarte handelt es sich also ganz gewiß nicht ... übrigens, Michel ... heiliger Rauch ... man kann mit dir reden ... ich hatte dich gar nicht mehr richtig in meiner Erinnerung ... ich habe dich ja wer weiß wie lange nicht wiedergesehen ... Mensch ... du bist trocken wie ich ... hahahaha ... nämlich in der Trockenheit meines Gemütes besteht meine ganze geniale Begabung ... hahahaha ... mit meiner Trockenheit gastiere ich doch überall in der Welt herum ...


Grell lachend.
DR.

MICHEL MANDER lacht ebenfalls sehr. Na, Papa ... aber ein solches freches Gelächter dürfen wir vor Lisiska nicht anstimmen ... die ist unsäglich peinlich ... wie wir kaum ins Schloß herein waren, rannte sie sogleich in das stille Zimmer der verstorbenen Mutter ... was du ja gewissermaßen so als eine Art Kollektivausstellung für Muttererinnerungen hast aufrichten lassen ... hahahaha ... obwohl weder meine, noch Lisiskas Mutter jemals hier im Schlosse anwesend war ...

MANDER
sieht seinen Sohn wieder drollig an.

Donnerwetter ... Mensch ... du bist trockner wie ich ... du konstatierst einfach die Gaukelkünste deines Vaters als Tatsachen ... das imponiert mir kolossal ... einfach mitten durch den lebendigen Leib die spitze Nadel ... [137] und dann klebe gefälligst fest, Luderchen Tatsache ... hahahaha ... weißt du ... das stärkt mich, lieber Michel ... José ... hole jetzt – – ...

JOSÉ.
Fräulein Astarte ...
DR.

MICHEL MANDER. Nö ... Astarte noch nicht ... da muß man zuviel Haltung bewahren ... und außerdem kommt der verrückte Alte womöglich mit ... hahahaha ... dem müßtest du einen zerfetzten blauen Mantel anziehen ... und eine Kürbisflasche umhängen ... da könnte er der achte Heilige der Chinesen sein ... hahahaha ...

MANDER
feierlich.

Hole das sanfte, fromme Mädchen ... daran noch kein Körnchen Erdenstaub haftet ... meine einzige Tochter ...

DR.

MICHEL MANDER. Nö ... Papa ... durchaus noch jemand ... laß nur ruhig ein bissel Gesellschaft kommen ... hahahaha ... sonst kommen Vater und Sohn aus den Ernsthaftigkeiten des Lebens doch nicht heraus ... was mich anlangt, ich habe in der letzten Zeit so viele bleiche Gesichter in meinem Krankenhause gesehen ... und was Lisiska anlangt, wenn die allein hier vor uns säße, die spricht vor dir doch kein Wort ... die blickt höchstens in Anbetung zu dir auf ... und schweigt wie vorm lieben Gott im Dome ... du hast ja doch neuen Besuch mitgebracht ... du hast ihn ja sozusagen nach Mitternacht im Triumphe ins Schloß gefahren ... bitte also ... heraus die Bescherung ...

MANDER
sieht seinen Sohn wieder erstaunt mit dem Monokel an.

Hahahaha ... nee, Michel ich staune gar nicht mehr ... ich schlage gleich einen dreifachen Salto mortale ... hahahaha ... weißt du ... das richtet mich geradezu auf ... jetzt stecke ich mir doch wahrhaftig die allergrößte, glühendste Rose ins Knopfloch ... riecht denn auch der Rock so abscheulich nach Demimonde ... piii ...

DR.
MICHEL MANDER. Nö ... der riecht gar nicht so schlimm ...
[138]
MANDER
sich aufrichtend.

Jaaa ... jaaa ... wahrhaftig ... ich brenne heute ... lichterloh ... und in mystischem Glanze ... nämlich ... hahahaha ... ich verzehre mich nach dem dauernden, häuslichen Glücke ... hahahaha ... du ... Fräulein Kopriva sitzt in einer diamantenen Assiette ... ist furchtbar verwöhnt ... weil sie sich mit ihren Himmelsklängen das Gefieder schon richtig mit Juwelen verziert hat ... wie der allerköstlichste Kolibri ... hahahaha ...

DR.
MICHEL MANDER auch eine Rose ansteckend. Die Rosen riechen zum Heulen ...
MANDER
während er sich spiegelt.

Tja ... auch du weißt, was so eine Rose bedeutet ... Gleichgültig zu José. José ... du hast es gehört ... auch Fräulein Kopriva ist Lionel Mander zum Frühstück willkommen ... Während der Diener nach rechts verschwindet. das ist die Rosa mystica ... die Rose, die das innerst-ersehnte Geheimnis in die köstlichsten Glutfarben einhüllt ... nicht? ... verhüllt ... einen lockt und narrt ... und alles verhüllt ... bis sie es doch einmal im Leben wirklich hergibt ... innerst hergibt ... ganz und gar einen Menschen ... diesen Narren Mensch des geheimsten Glückes dauernd teilhaftig macht ... nach dem der Mensch ewig nur suchen geht ... ja ... jetzt den Vorhang auf ... Vater und Sohn treten in einer theatralischen Umarmung auf die Terrasse. ach, Michel ... geliebter Sohn ... wie ist das Leben unglaublich schön ... wenn man als der kühngeschaffene Mann ... als der ewig junge Abenteurer so mit endlich klaren Entschlüssen in den neuen Tag hinaustritt ...

DR.

MICHEL MANDER. Hahahaha ... wirklich, Papa ... an dir ist der Jüngling noch nicht verdorben ... wenn du z.B. nicht dieses dumme Gebiß eingesetzter Zähne schon hättest, das man bei deinem Sprechen immer golden erglänzen sieht ... übrigens muß ich dich wirklich erinnern, Papa, daß du solche Redensarten niemals vor Lisiska gebrauchst ... denn die würde heimlich einen ganzen [139] Morgen lang heulen ... weil sie behauptet, ältere Männer müßten um jeden Preis Würde haben, wenn man sie achten soll ...

MANDER.

Laß man gut sein, Michel ... Würde ... das ist meine Glanznummer ... Gott ... Er ist erschrocken, starrt in den Park und sieht Lisiska mit der Nonne kommen. Er wird von einer Beseligung wider Willen ergriffen. mein Piepvogel ... Er rückt sich plötzlich ganz ergriffen hoch. meine fromme, gläubige Amsel ... nee ... da soll doch mein Mund lieber ganz verstummen ... Er stöhnt. ach Lisiska ... Er umarmt sie erschüttert. bist du's leibhaftig ... wie du nur aus deinen Augen strahlst ... wie mich die keuschesten Augen beglänzen ... wie die fromme Tochter den alten, verkappten Vater besieht ... sieh mich nur an, geliebte Lisiska ... ich bin in Wahrheit ein alter Mann ... und trage immer verfluchte Masken ... erkennst du mich denn ... Er greift hastig nach dem Taschentuche in der Schoßtasche. ein Taschentuch ... José ... vorwärts ... nachlässiger Tölpel ...


Er eilt ins Zimmer zurück, sich mit der Hand heimlich die Tränen wischend, die ihm aus den Augen stürzen. José hinter ihm. So daß beide im Schlafzimmer verschwinden.
DR.
MICHEL MANDER. Papa ist gerührt ...

Lisiska blickt Mander scheu, stutzig und zärtlich lächelnd nach, während sie nach dem Taschentuch greift und auch eine Träne plötzlich wegwischt.
DR.
MICHEL MANDER. Du weinst wohl gar ... da weine ich auch ...
LISISKA.
Du sollst nicht höhnen ...
DR.

MICHEL MANDER. Nö, liebes Nönnel ... in Papa spielen wirklich tausend Gefühle ... da mußt du ja nicht jedes einzelne zu ernst nehmen, Schwester ... Papa ... jetzt komme ... wir sind rein verhungert ...

[140]
MANDER
ist wieder in der Schlafstubentür erschienen, immer noch mit der Rührung kämpfend, und das vom Diener neu mit Eau de Cologne begossene Taschentuch auf die Augen tupfend.
Hastig und leise. Gehe ... zu ihnen ... vorwärts ... fort nur ... Nun laut. frühstückt nur ruhig ...
DR.

MICHEL MANDER. Nein ... das tun wir nicht ... überwinde dich, Vater ... Gerührtsein ist Schwachheit ... hörst du, Vater ... Man sieht Fräulein Kopriva auf dem Gartenwege herankommen. Vater ... komm doch ... die Dame kommt schon ...


Während sich Fräulein Kopriva nähert, und Lisiska und Dr. Mander ihr entgegenharren.

Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
ASTARTE
in einem ganz einfachen Hausanzug mit Schürze, sehr geschmackvoll, kommt von rechts.

Hinter ihr Tiefsee. Ach ... verfolge mich nicht wieder, Vater ... laß mich die Hausgeschäfte besorgen ... und bitte ... mache dich heut nur gar nicht mausig, wenn dieser hohe Besuch da ist ...

TIEFSEE.

Du hast es gar nicht nötig, diesem Menschen auch noch die Hausgeschäfte zu besorgen ... du hast es gar nicht nötig ... ja ... du hast ihm durchaus nicht den geringsten, niederen Dienst hier zu tun ...

ASTARTE.

Plärre nicht erst ... Mander will das auch nicht ... Mander will es durchaus nicht, daß ich ihm auch nur die geringsten Dienste tue ... daß ich hier sorge ... daß ich mich um irgend etwas in diesem Schlosse sonst kümmere ... aber wer tut es denn sonst ... dann blieb es doch heimlich eine Lotterwirtschaft ...

TIEFSEE.
Hat er dich denn heute zum Frühstück gebeten ...
ASTARTE.
Nein ... das hat er nicht ...
TIEFSEE.

Ja eben ... da hat er eine berühmte Größe da ... ein berühmteres Frauenzimmer wie dich ... hahahaha ... da verleugnet er dich ...

ASTARTE.

Laß ihn mich verleugnen ... das tun alle Männer in der Welt ... ich habe außerdem nicht den geringsten Anspruch an ihn ... z.B ... wenn [145] er mich nur so in Kattun sähe, wäre er empört ... da möchte es nur immer Seide sein ... grade habe ich mich heute so schlicht in Kattun gekleidet ... ich werde ihn heute gewiß nicht stören ... hast du denn Mander schon gesehen ...

TIEFSEE.

Jaaa ... gesehen ... von der Ferne ... wie er unter lachenden Menschen frühstückt ... unter weltlichen und unter geistlichen ... aber mich hat er rund abgewiesen ... er wollte heute nicht behelligt sein ... hier liegen schon Rosen ...

ASTARTE.

Laß die Rosen liegen ... die törichten Mädel sehnen sich auch immer nach etwas ... hier muß vor allem der gewohnte Strauß Rosen her ... folge mir nur nicht immer auf den Fersen ...Indem sie die Klinke in der Hand hält. und gehe auch endlich ...


Astarte voraus, Tiefsee hinterdrein, ab nach rechts.
2. Szene
Zweite Szene
LUNICA
in einen losen, bunten Mantel gehüllt, schlüpft zu einer Tapetentür links herein und springt bis an den Tisch, eine große Rose an der Brust.

O du ... o du ... der du die das ... o du, der du die das bayrische Volk beglückende Konstitution gabst ... trallalala ... trallalala ... Sie hat dabei eine Weile lustig den Taktierstock geschwungen. Dann reißt sie die Rose vom Busen. nein ... an dieser Stelle liegt dieses Geheimnis dieser frechen Eselin nicht ... hier liegt ... diese scharlachne Gauklerblume ... dieses glühende Purpurleben ... diese mystische Schale des Wahnes ... an meinen blühweißen Brüsten entfaltet von der Sehnsucht nur nach dem Einen ...

3. Szene
Dritte Szene
ELFI
ebenfalls in einen reizenden, losen Mantel gehüllt, tritt herein durch die Tapetentür, eine Rose an der Brust.
Was treibst du denn schon hier für Bußübungen in der Einsamkeit ...
[146]
LUNICA.

Ich treibe gar nichts ... ich werde getrieben ... nein nein ... ich will es dir nur ganz offen sagen ... o ... diese verliebten Frauenzimmer sind womöglich schon im grauen Morgen aus ihren Betten geschlichen ... und haben ihre Willkommengrüße für den Meister wer weiß wo überall angebracht ... und sogar auf diesem Tische herumgesudelt ...

ELFI.

Gott sei Dank ... hahahaha ... daß wir den Baron wieder los sind ... ich kann das grüne Holz für den Tod nicht leiden ... so ein junger Schnösel ist mir richtig zuwider ... ich kann nur ältere Männer leiden ...


Sie greift auch nach der Rose an ihrer Brust und nestelt sie ab.
LUNICA.
Nö ... bitte ... Elfi ... mein blutendes Herz liegt hier in der Mitte ...

Sie macht mit den Fingern Zeichen drüber.

Hokus pokus Kolibri ...
meiner Nächte Melodie ...
Rose ... ich beschwöre dich ...
blute du ... offenbare mich ...
heute bin ich dran ...
ELFI.
Ich bin unglücklich, liebe Lunica ...
LUNICA
versucht zu tanzen.

Darüber hast auch du nur froh zu sein ... Sängerinnen und Tänzerinnen müssen um jeden Preis ein-, zweimal tief unglücklich sein ... sonst wird nichts aus ihnen ... sonst taugen sie nie was ... ich habe das erstemal scheußlichen Jammer schon hinter mir ... o Gott ... wenn ich dir nur mein zerfleischtes Herz zeigen könnte ... trallalala ... trallalala ... ich nehme mir sicher noch einmal das Leben ...

4. Szene
[147] Vierte Szene
LIDDI
erscheint huschend, ebenfalls im losen Mantel, aus der Tapetentür.

Eine Rose an der Brust. Kinder ... es wird immer bunter im Schlosse ... es ist auch eine Berühmtheit eingezogen ...

ELFI.
Woher weißt du denn das ...
LIDDI.

Hahahaha ... ich weiß schon alles ... macht euch gefaßt ... heut ist Lionel spröde ... heut seid starr wie die Tulpen ... es sitzt sogar noch eine Nonne am Frühstückstisch ...

ELFI.

Natürlich ... das ist doch die Nonne von dieser Tochter ... diese Tochter hat er doch von irgendeiner vornehmen Frau, die bis zum Wahnsinn in ihn verliebt war ...

LIDDI.
Von der hat er ja doch auch einen Sohn ...
LUNICA.
Seid ihr blöde ... den Sohn hat er doch von einer Andern ...
ELFI.

Gar nicht ... der Meister hat ausdrücklich nur einer einzigen Frau hier im Schlosse dieses herrliche Mutterheiligtum eingerichtet ...

LUNICA.

Jawohl ... der Einzigen ... von der er den Leuten weismachen will, daß er wirklich einmal ein Weib gehabt ... »ein Weib« ... »ein Kleinod« ... »im innersten Herzen geborgen« ... »und nur dieses Eine« ... wie er so flunkert ...

ELFI.

Schwatzt doch nicht Frechheit ... und zieht nicht alles gleich ins Gemeine ... dazu seid ihr zu jung ...

5. Szene
[148] Fünfte Szene
Schwänchen kommt huschend aus der Tapetentür, ebenfalls im losen Mantel.

LUNICA.
Gutes Schwänchen ... kommst du endlich ...
SCHWÄNCHEN.
O Gott Gott Gott ...
LUNICA.
Du machst ja ein jämmerliches Gesicht ...
SCHWÄNCHEN.
Kinder ... habt ihr je eine Heilige gesehen ...
LIDDI.
Ein Nonnengewand ist ja so raffiniert ...
ELFI.
Mater Scholastica heißt die Fromme ...
LIDDI.
Das rollt ja wie eine Dampfwalze hin ...
LUNICA.

Was liegt denn einer solchen Nonne an ihrem Namen ... oder an ihrem Nonnengewande ... die sucht etwas Besseres in der Welt ... die sucht nach den Stürmen die Ruhe der Seele ...

SCHWÄNCHEN
plötzlich ausgelassen.

Hahahaha ... diese asketische Nonne ... ist mir gleichgültiger wie eine geschlachtete Pute ... wahrhaftig ... aber ich sage euch ... die junge Tochter von Lionel Mander ...

ELFI.
Ih ... die tut sich so was ...
SCHWÄNCHEN.

O Gott Gott Gott ... ich bin furchtbar traurig ... Lunica ... ich sage dir ... du machst dir keinen Begriff ... es ist eine Himmelserscheinung ... [149] sie wandelt gar nicht auf Erden ... sie wandelt frei in der Luft ... man sieht geradezu die unschuldigen Himmelsfratzen um sie schweben, die ihr mit Lilien an langen Stengeln Duft zufächeln ...

ELFI.

Hahahaha ... so einen theatralischen Aufzug denkt sich natürlich nur Schwänchen aus ... die ist ja die Tochter einer Ratskanzleidirektorswitwe ... hahahaha ... dir hat ja der liebe Gott eine Extrawurst gebraten ... hahahaha ...

LIDDI.

Prahl dich doch aus mit deiner Geschichte ... die du dir nur von einem Altarbilde so reinweg gestohlen hast ...

ELFI.
Wirklich, Schwänchen ... das klingt so gemacht ...
LIDDI.

Einfach ... ein dummes, eingebildetes Ding ist diese Tochter von Lionel Mander ... ja freilich ... die würde mit ihren sechzehn siebzehn Jahren schon froh sein, wenn sie die Liebesgöttchen umschwebten ... das glaube ich auch ...

ELFI.

Das würde auch dem Herrn Maestro sehr passen ... denn der hat doch eine entsetzliche Sucht, jedes wahre Gefühl gleich in theatralisches Talmi einzulöten ...

SCHWÄNCHEN.

Geifert euch nur aus wie die Dromedare ... man kennt ja das schon ... jedes andere junge Frauenzimmer ist euch einfach zuwider ... weil ihr selber in Lionel Mander verrannt seid ... da möchte er womöglich nicht einmal eine Tochter haben ...

6. Szene
Sechste Szene
LACERTA
kommt huschend aus der Tapetentür, ebenfalls im Mantel.

Die Rose in der Hand. Psst psst psst ... ihr habt wohl schon wieder einen Krach ... ich weiß schon ... doch um die heilige Lisiska ... hahahaha ... um das süße [150] Mäuschen ... schön wie ein Vogel aus schlohweißem Flaum ... dumm wie ein Stock mit echt goldenem Knopfe ... hahahaha ... wie die bloß die Augen verstohlen zu Boden senkt ... wenn sie so wandelt ... selber heilig ... und rechts noch die Nonne mit großem Blick ... tief in sich gekehrt ... und jede von nackten Englein träumend ... ja ... wie ich gerade am ganz zeitigen Morgen im Hemde total verschlafen durch die Vorhangsspalte in den Park hinaussehe, ob es Tag ist ... da laufen die Beiden schon feierlich hin zum Pfaffen ... hahahaha ... nee, Kinder ... habt ihr nicht eine Prise Pfeffer ... oder ein schlechtes Bonbon ... ich muß mich stärken ... weg mit der Dummduseligkeit von Liliengerüchen ... Liddi ... da rieche ich doch weiß Gott lieber deinen betulichen Arm an ... Liddi wehrt sich. ich tu dir ja nichts ... ich will ja nur dein Fleischliches riechen ... bist du albern ... nein ... so eine Lebenserstarrung sieht göttlich aus ... ich wäre vor Anbetung beinah zum Fenster hinausgeflogen ... um niederzuknieen ... und der strenge Meister Lionel Mander hätte sollen sein Wunder sehen, wie die ungezähmte Lacerta im Hemdlein vor den ungesalzenen, gottselig versunkenen Weibern demutsvoll knixte ... nee, wahrhaftig ...

7. Szene
Siebente Szene
KONZERTMEISTER WINDFELLNER
ein alter Herr mit graumeliertem Vollbart, kommt von rechts herein.

Hinter ihm eilen noch einige Tänzerinnen in Morgenmänteln herein. Windfellner setzt seinen Geigenkasten neben den Tisch auf einen kleinen Schemel ab. Nun bitte, meine Damen ...

ALLE ZWÖLF TÄNZERINNEN
hüllen sich in ihre eintönigen, zarten Tanzkostüme aus ihren Mänteln und rufen in einem Rufe.
Guten Morgen, Herr Konzertmeister ...

Wobei im Schwunge des Aushüllens eine jede einen anmutigen, anderen Knix drollig versucht.
WINDFELLNER.

Guten Morgen ... guten Morgen ... es ist ein bissel spät geworden ... der Herr Mander hat einen hohen Besuch ... ja ... na ... ich meine nicht bloß seine beiden Kinder ... nun, bitte ... wollen wir einmal zuerst die kurzen Fußübungen beginnen ... wo bleiben denn die lieben Kollegen im[151] Herrn ... wo denn ... es scheint heut alles ein bissel aneinander zu zerren und aufeinander zu lauern ... da lauert schließlich eins immer vergeblich auf das andere ... ja ... nicht bloß einen Besuch ... nicht bloß die zwei lieben Kinder ... jedes auf seine Weise lieb und gut ... heute nach Mitternacht ist mit dem gnädigen Herrn auch noch eine Berühmtheit im Schloß eingetroffen ... nun, bitte bitte ... kommen Sie nur herein ... gucken Sie nicht erst lange noch durch die Scheiben ...


Es kommen vier Streichmusiker.
SCHWÄNCHEN.
Herr Konzertmeister ... wer ist denn diese berühmte Dame ...
WINDFELLNER.

Meine Damen ... es ist keine Konversationsstunde ... es ist eine Tanzstunde ... dreist und gottesfürchtig ... nee ... das geht nicht, liebes Schwänchen ... daß wir hier womöglich die Zeit mit Allotria zubringen ... dazu kriege ich nicht das viele Geld von Lionel Mander ... ja ... denn es ist jetzt überhaupt ein frommer, sittsamer Geist im Schloß eingezogen ... das bitte ich zu beachten ... also los ...

EINER DER MUSIKER
während die vier Musiker noch ihre Instrumente stimmen.
Einen Augenblick noch, Herr Windfellner ...
WINDFELLNER.

Na ja ... Schwänchen ... nee nee ... nicht bloß die beiden Kinder ... fürs letzte ist ein ganz hoher Besuch eingezogen ... das ist die berühmte ... Ottilie Kopriva ... von deren Diamanten allein man schon behauptet, daß man sich dafür einen Fürstensitz kaufen könnte ... die berühmte Primadonna aus der Kaiserstadt ... eine Dame ... na ... von berückendster Kunst ... die mit unserm Herrn Mander natürlich auf ganz vertrautem Fuße steht ... Lionel Mander, wissen Sie ... na ja ... solchen Leuten ... denen blüht manchmal ganz gehörig der goldene Weizen ... das kann der oder jener von Ihnen auch im Leben passieren ... dann reicht man sich bloß noch sozusagen über die Köpfe von unsereinem die Hände mit den allerhöchsten [152] Spitzen des irdischen Daseins ... wie Lionel Mander ... und ist von unten überall nur noch auf Rosen gebettet ... wie man hier sieht ... darf man denn wenigstens riechen daran ...

LUNICA
empört.

Nein ... Herr Konzertmeister ... ja nicht anrühren ... Sie verschieben sie ja ... lassen Sie doch die sprechenden Rosen liegen ...


Die Tänzerinnen lachen.
WINDFELLNER
ist erschrocken zurückgefahren.

Na na ... schon gut ... ich weiß schon ... ich weiß schon ... deren Sprache verstand ich auch einmal, wie ich jung war ... jetzt ist man ein weiser, eingetrockneter, grauer Esel ...


Die Musiker nicken Windfellner zu. Windfellner schlägt mit dem Stock auf. Die Tänzerinnen machen einige Schritte im Reigen zur Musik.
WINDFELLNER
sie unterbrechend.

Neee ... neee ... neee ... neee ... das sieht ja aus, wie wenn eine Herde Fettgänse zum Minister ginge ... noch mal ... der Einsatz ... der Einsatz ... Er klopft wieder mit dem Stock.


Die Musiker sind nicht zusammen.
WINDFELLNER
breit.

Meine Herren ... wir sind doch nicht unter konzertierende Pinguine geraten ... wie ... noch mal ... Er klopft wieder.


Die Musiker spielen. Die Tänzerinnen machen einige Schritte.
WINDFELLNER
abklopfend.

Was denn ... was denn ... Lunica ... Schwänchen ... noch mal ... gebratene Tauben fliegen nicht rum ... die Mäuler zu ... und wo sind die Blicke ...

[153]
LIDDI
frech.

Wir schlafwandeln noch ... wir haben die Heilige vor den Augen ... die noch unschuldsvolle, von Erdenstaub reine Tochter des Meisters ...

WINDFELLNER
legt den Stock verstimmt beiseite.

Na bitte ... da starren Sie dieses lilienbleiche Idol noch einmal rasch an ... und dann lassen Sie dieses höhere Licht vor Ihren Augen erlöschen ... hier haben wir nicht mit Heiligen zu tun ... hier haben wir mit den Beinen zu tun ... beten Sie hier meinetwegen den Teufel an ... wenn er Ihnen nur gehörig ins junge, sündige Fleisch hineinfährt ... ich wußte das schon, daß heute alles verkehrt sein würde ... ich dachte mir's schon, wie ich die ganze vornehme Gesellschaft Lionel Manders am Frühstückstische sitzen sah ... wer eine Kunst vollkommen erlernen will ... z.B. auch nur einen Rhythmus gut einhalten will ... der muß wie ein Pferd mit Scheuklappen gehen ... hahahaha ... worauf ich im Leben immer streng gehalten habe ... nun los ...


Er taktiert.
Die Musiker spielen. Die Tänzerinnen tanzen.
8. Szene
Achte Szene
Baron Attendorn kommt durch die Tür von rechts. Macht eine Handbewegung, als wollte er den Tanz sofort anhalten.
Windfellner achtet zuerst nicht. Wie Attendorn zu ihm eilt, hält er die Hand links abwehrend empor, ohne sein Taktschlagen zu unterbrechen. Der Tanz wird zu Ende getanzt.

WINDFELLNER
behaglich.

Gut ... das war gut ... das war sehr gut ... meine Damen ... Die Tänzerinnen, mit hastigem Atem, drehen sich an die polierte Mahagonistange. Tuscheln und lachen untereinander. das war das Erste, was heute gelungen ist ... das wird man doch nicht gleich schon wieder unterbrechen ... na ... was gibt es ...

[154]
ATTENDORN.
Der Herr Lionel Mander erscheint sogleich in eigener Person ...
WINDFELLNER.

Ih ... das sagen Sie nur sonst jemandem im Schlosse ... erstens wäre das endlich wieder die alte Ordnung ...

ATTENDORN.
Tja ... aber er bringt eine berühmte Kunstgröße mit ...
WINDFELLNER
hört nicht mehr.

Meine Damen ... die Sache war nämlich an sich noch immer hundeschlecht ... die Lacerta ringelte sich ja wie ein Nennauge in Gelee ... neiein ... das war gar nichts ... ja, ja Herr Baron ... hier wird getanzt ... und nichts sonst getrieben ... los ...


Die Musiker spielen. Die Tänzerinnen tanzen.
ATTENDORN
ist auf die Terrasse hinausgetreten.
Blickt sofort zurück und sagt laut in den Saal. Der Meister kommt ...

Windfellner taktiert Musik und Tanz fort, ohne Acht.
9. Szene
Neunte Szene.
Ottilie Kopriva tritt am Arme Lionel Manders, beide in hocheleganter Promenadenkleidung, in den Saal. Ottilie Kopriva ganz von oben herab lächelnd nickend. Lionel Mander sieht gleich scharf in den Tanz. Dazu den Takt mit dem Fuße und lautlosen Gebärden der Hände schlagend. Dann Windfellner zulächelnd. Dann sagt er zu Fräulein Kopriva etwas leise.

MANDER
klopft Windfellner auf die Schulter, während sich Michel Mander noch von rechts leise hereindrückt.
Gut ... gut ... lieber Windfellner ...

Windfellner verbeugt sich während des Taktierens.
Fräulein Kopriva nickt herablassend dazu. Mander die rechte Hand jetzt zu Windfellner hochhaltend, während er auf die Tänzerinnen einen Schritt zutritt. Windfellner klopft sogleich ab.
[155] In diesem Momente stürmen.
ALLE TÄNZERINNEN
vor und umringen Mander.

Guten Morgen, Lionel Mander ... guten Morgen, Maestro ... geliebter Meister ... geliebter Meister ...

MANDER
spröde und herrisch.
Was ... was heißt das ... was heißt das ... was soll das bedeuten ...

Alle Tänzerinnen stocken plötzlich scheu.
MANDER.

Es ist doch hier keine Armenküche ... daß ich nicht wüßte ... ich trage doch keine Terrine mit Suppe hoch, daß Sie mich alle derart bestürmen ... ich verstehe gar nicht ... wo bleibt denn der Takt ... Sie haben wohl das Gesetz der Distanz ganz vergessen ... Er winkt sie noch weiter zurück. hier ist keine Familienszene ... Er ermannt sich. also bitte ... hören Sie her ... ich habe heute die allererlesenste Ehre, Sie hier einem ganz erlauchten Stern ... einem wahren Kometen der Kunst vorzustellen ... Sie wissen ja, was Kometen sind ... daß Kometen nur äußerst selten sind ... nur durch glücklichen Zufall und göttlichen Einfall in unsere niedrige Sphäre geraten ... ja ... und meine Gedanken über Musik kennen Sie auch ... Sie praktizieren sie ja selber in Ihrem Blute und Ihren Beinen ... und hoffentlich auch mit der Seele ... und wissen es also ... vor der Musik sind alle Künste nur Sklaven ... und diese wunderbare, vor Ihnen stehende Frau ist ein solcher göttlicher Quell der Musik ... andächtig also ... ihr entströmt die reinste Seelenmusik ... Sie kennen alle längst ihren Namen ... es kann ja doch gar keine andere sein ... es gibt nur die Eine ... es ist die Kopriva ...


Alle Tänzerinnen machen das tiefste Kompliment,
ganz nach der Schnur.
Einige haben in Gedanken ihre Rose von der Brust genommen. Andere haben bei ihrem Kompliment ihre Rose fallen lassen.
MANDER
erregt.

Windfellner ... was für eine Unart ... man trampelt da schon auf Rosen herum ... nehmen Sie doch die Rosen gefälligst wieder vom Boden auf, [156] wenn sie Ihnen durch Ungeschick wirklich entgleiten ... natürlich cachiert durch Ihre Grandezza ... aber rasch ... oder wollen Sie gleich auf Rosen tanzen, ehe es Zeit ist ... bei diesem Ihrem blöden Gestümper ...


Windfellner schlägt mit dem Stocke. Die Tänzerinnen ordnen sich alle zu einem Reigen.
MANDER.

Neieiein ... die Mäntel, bitte ... einen Tanz von Gräberfrauen möchte ich sehen ... meine Gnädigste ... nur ein flüchtiger Einfall natürlich ...Er flüstert. weil ich wahrhaftig meine ganze Vergangenheit heute vor Ihnen begraben möchte ...Wieder laut. hahahaha ... gewissermaßen nur im Konzept ... nun aber, bitte, etwas Erfindung ... aus eigenem Gefühl ... machen Sie mir einmal wirklich Ehre ...

FRÄULEIN KOPRIVA.
Oh ... gerade so etwas im Augenblicke Erfundenes und Freies freut mich besonders ...

Die Tänzerinnen haben sich in ihre Mäntel gehüllt. Windfellner klopft mit dem Stocke auf. Zu einer düsteren schwermütigen Melodie bewegen sich die Mädchen tragisch.
MANDER
dazwischen rufend.

Nein ... die Rosen nicht unter den Mantel bergen ... heraus damit ... wir müssen fühlen, daß Sie die Rosa mystica halten ... ach ... Sie haben nicht alle Rosen ... Er greift vom Tische die Rosen und wirft sie ihnen zu. hier sind noch Rosen ...


Die Tänzerinnen tanzen einen Schwermutsreigen.
MANDER.

Nee ... nee ... nee ... nee ... das ist ja nur blöder Verdruß der Leiber ... das klebt ja wie Leim ... das kriecht ja wie Schnecken ... so was soll doch nicht etwa von der tragischen Muse augehaucht sein ... neieiein ... ich kann ja das immer weniger sehen ... es wird immer schlimmer ... haaalt ... haaalt ... wir blamieren uns tödlich ...

[157]
WINDFELLNER
hat widerwillig abgeklopft, selber in einiger Verwirrung.
War etwas verfehlt, Herr Mander.

Er gibt neu das Tanzzeichen.
Die Musiker spielen. Die Tänzerinnen tanzen neu.
MANDER
immer zorniger.

Ich ertrage das nicht ... solche Leistungen reizen heute mein Blut ... das ist ja aus Erde ... das ist ja frivol ...


Die Mädchen erstarren. Zum Fliehen erschrocken.
MANDER
hin und her.
Das ist ja nicht Kunst ... das ist ja Mache ... das ist ja seelenlos und gemein ...
FRÄULEIN KOPRIVA.
Was ist, lieber Mander ...
MANDER.

Da ist nicht zum Ansehen ... das ist ja unmöglich ... nur fort fort fort fort ... ja ... ich sag das nicht zweimal ...


Die Tänzerinnen verlassen eilig den Saal durch die Tapetentür, einige lassen die Sträuße wieder fallen.
MANDER.

Die Rosen, zum Henker ... das wird ja zum täppischen Blumenspielzeug ... in diesen kindischen, unreifen Händen ...


Die betreffenden Tänzerinnen kommen hastig zurück, um die roten Rosen aufzuheben und sofort zu fliehen. Die Tapetentür ist hinter ihnen geschlossen. Mander geht erregt auf und ab.
10. Szene
Zehnte Szene.
Es ist Totenruhe.

DR.

MICHEL MANDER. Na ... weißt du ... lieber Vater ... du behandelst aber das ewig Weibliche geradezu en canaille ... hahahaha ... sei doch vergnügt ... das lohnt sich ja gar nicht ...

[158]
ATTENDORN
leise.
Kommen Sie nur, Herr Doktor ... machen Sie Ihren Herrn Vater nicht noch zorniger ...

Attendorn mit Dr. Mander gehen hinter den Mädchen drein.
DR.

MICHEL MANDER im Verschwinden hinter der Tapetentür. Wir werden jetzt lieber die jungen Gräberfrauen zum friedlichen Tennisspiele einladen ... und ihnen die Herzenswunden verbinden, die du ihnen wieder geschlagen hast ... grausamer Mensch du ... hörst du, Papa ...


Beide ab.
11. Szene
Elfte Szene
Mander geht noch immer erregt hin und her. Windfellner hat seine Geige eingepackt und steht unschlüssig die Schultern zuckend.

MANDER.

Lieber Windfellner ... tja ... ich bin furchtbar nervös ... ich bin durch tausenderlei blöde Dinge dieser Welt in den letzten Tagen furchtbar nervös gemacht ... gehen Sie ruhig ... üben ... üben ... nichts weiter als üben ...

WINDFELLNER.
Guten Morgen, Herr Mander ... guten Morgen, meine gnädigste Frau ...
FRÄULEIN KOPRIVA.
Guten Morgen, Herr Windfellner ... es tut mir so leid ...
MANDER.
Guten Morgen, lieber Windfellner ... an Ihnen hat es durchaus nicht gelegen ...

Windfellner mit Kompliment nach der Tür rechts ab. Während sich die Musikanten schon bald nach den Tänzerinnen entfernt haben.
12. Szene
[159] Zwölfte Szene
FRÄULEIN KOPRIVA.
Was ist ... lieber Meister ...

Mander sitzt jetzt mit dem hohen Hut und Monokel auf einem Sessel. Vor sich gebeugt und auf die Erde starrend.
FRÄULEIN KOPRIVA.
Sie machen mir ja fast bange, wie launisch Sie sind ... wie zerrüttet Sie sind ...
MANDER.

Ja ja ... so bin ich ... also auch Ihnen mache ich bange ... den Zweck hatte ich zwar durchaus nicht im Auge ...


Er starrt vor sich hin.
FRÄULEIN KOPRIVA.

Was gab es denn wirklich ... nach unserem heiteren Frühstück ... in dieser weinbehangenen Pergola mit der Mater Scholastica ... und Ihrem lieblichen Klosterzögling zusammen ... und dem lustigen Chirurgus obenein ...

MANDER.

Ja ... nach diesem heiteren Frühstück ... mit dieser monumentalen Nonne ... und diesem eingeschüchterten Klosterzögling zusammen ... denken Sie denn, daß ich solches Glück jemals in diesem Leben genoß ... niemals ... und bin dabei alt geworden ... und habe noch immer denselben Durst ... und habe noch immer denselben Hunger ... und zersehne mich darnach wie ein Kasteier ...

FRÄULEIN KOPRIVA.
Mander ... alt ... jeder wird alt ...
MANDER.

Ich habe ein Schloß ... ich halte zehn Diener ... ich hab einen Sohn ... einen lustigen Chirurgus ... und weiß kaum von wem ... einen trockenen Schelm ... und die Tochter trägt auch ein fremdes Gesicht ... hahahaha ... ich habe ja alles ... alles zieht so in Gaukelkünsten vorüber ... das blöde Leben geht ungestillt hin ...

[160]
FRÄULEIN KOPRIVA.

Sie unersättlicher Mensch ... mein lieber Mander ... da hören Sie mich einmal ... vielleicht haben Sie zuviel Fühlfäden gehabt ... haben alles gleich zu dreist oder auch zu fein betastet ... und haben auch wer weiß was hinter den Dingen gesucht ... und haben vielleicht auch nicht genug Ausdauer gehabt, dahinter zu kommen ...

MANDER.

So so so so ... also auch Ihnen erscheine ich wie so ein unverbesserlicher, gaukelnder Flunkerjan ... das fehlt noch am Ende ...

FRÄULEIN KOPRIVA.

Hören Sie einmal, lieber Mander ... was Ihr Alter anlangt, so sind Sie nicht alt ... Alter ist überhaupt nur ein Gedankending der oberflächlichen Geister ... der rechnenden Leute ... eine reine Gedankenchimäre ... die der blöde Zahlenfanatiker in uns zum Ballon aufgeblasen hat ... in Argentinien auf den weiten Prärien ist jeder Cowboy grade immer so alt, als er sich fühlt ... und es in Taten beweisen kann ... wenn ich nicht mehr werde frei und froh atmen können ... mich mit meinem Atem nicht mehr frei und froh im Gesange werde hinausgeben können ... gläubig an's Leben und an eine gute Bestimmung ... mich und meine Lebenslust ... und die Lebensschmerzen, die jeder trägt ... und immer wieder die höchsten Gesichte, die auch jeder trägt ... ja ... lieber Mander ... jeder natürlich in seiner Sphäre ... aber das Leben enthält durchaus keine anderen Höhepunkte ...

MANDER
aufhorchend.

Nachsprechend. Wenn ich mich nicht mehr frei und froh werde hinausgeben können ... mich und meine Lebenslust ... und die Lebensschmerzen, die jeder trägt ... und immer wieder die höchsten Gesichte, die auch jeder trägt ...

FRÄULEIN KOPRIVA.
Ja Gott ...
MANDER.
Welche Gesichte ... welche höchsten Gesichte ...
[161]
FRÄULEIN KOPRIVA.

Hahahaha ... jetzt horchen Sie auf ... und möchten womöglich, daß ich Ihnen die Lösung brächte ... Ihnen diese letzten Dinge leibhaftig wie einen Goldtaler in die Hand drückte ... die haben ja leider gar keine Leibhaftigkeit ... sind nur Musik ... man redet ja auch nur so unbedacht hin ... wie Mund oder Herz eben unbedacht redet ...

MANDER
springt auf und geht mit gesenktem Kopfe theatralisch auf und ab.

Dann erhebt er den Kopf und starrt Fräulein Kopriva dringend an. Welche höchsten Gesichte haben Sie noch ...

FRÄULEIN KOPRIVA.

Sprechen Sie nicht so fanatisch ... mein lieber Mander ... ich bin auf solche heiße Art niemals im Leben gefaßt gewesen ... das hat immer auf mich gewirkt wie ein Raubanfall auf ein armes Kind ... außerdem sind auch die Türen offen ...

MANDER.
Wenn ich hier bin, kommt niemand herein ...
FRÄULEIN KOPRIVA.
Aber ich liebe auch derlei Erregungen ganz und gar nicht ...
MANDER.
Ja ... Starrt vor sich hin mit dem Kopfe nickend. denn hier beginnen die irdischen Mächte ...
FRÄULEIN KOPRIVA.

Ach ... Mächte hin, Mächte her ... das ist was Schreckliches, diese Mächte ... ich kenne schließlich die ewigen Versicherungen und die weichen Sehnsüchte dieses irdischen Lebens auch ... die narren uns immer ... die führen uns immer nur irre ... ich mag das nicht ... Sie, lieber Mander, haben im Leben mit wer weiß was für Menschen und Dingen ewig gespielt ... ich spreche mich auch nicht frei davon ... ganz und gar nicht ... wir spielen immer ... und spielen alle ... nein nein ... werfen Sie ja den Bann ruhig wieder von sich ... ich kann bei einem Manne die Hitze noch[162] weniger leiden, als bei einer Frau ... aber immer noch lieber ein tolles Frauenzimmer ... obwohl ich es im Leben niemals gewesen bin ...


Mander hat ihre Hand ergriffen und küßt sie.
FRÄULEIN KOPRIVA.

Nein nein nein nein ... das kann nie wahr sein ... gewiß ... ich weiß wohl ... bei Ihrer neuesten Anbetung denken Sie vor allem zärtlich an Ihr liebliches, hingebendes Töchterlein ... und sehnen sich danach, diesem vornehmen, ein bissel heimatlosen Kinde eine ruhige, dauernde Heimat und gewissermaßen einen Familienhalt zu geben in diesem Leben ... das begreife ich alles ...


Er kost dabei ihre Hand, während er den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen hält.
13. Szene
Dreizehnte Szene
ASTARTE
wie vorher gekleidet, erscheint von rechts, mit einem großen Strauß roter Rosen.
Oh ... entschuldigen Sie bitte ... ich wußte gar nicht ...
MANDER
fixiert sie ohne jede Erregung.

Jaaa ... stecken Sie nur den gewohnten Strauß in die Vase ... liebe Astarte ... Vorstellend. Fräulein Astarte Tiefsee ... sorgendes Auge ... Hüterin ... Wirtschaftsdame ... das berühmte Fräulein Kopriva ...

FRÄULEIN KOPRIVA.
Guten Morgen, liebes Fräulein ... Sie bringen so schöne Rosen ...
ASTARTE
macht eine Verbeugung.
Herr Mander hat Rosen besonders gern ...
MANDER
spröde.
Übrigens möchte ich vom Ge sinde keinesfalls gestört sein ... liebe Astarte ...
ASTARTE
im Abgehen.
Sehr wohl, Herr Mander ...Ab.
14. Szene
[163] Vierzehnte Szene
FRÄULEIN KOPRIVA.
Ein schönes, stolzes Mädchen ... warum flackern Sie mit den Augen, Mander ...
MANDER
emphatisch.
Ottilie Kopriva ... Er versengt sie mit seinem Blick.
FRÄULEIN KOPRIVA.
Sie sind verrückt, Mander ...
MANDER
wie vorher.
Sie sind mein Schicksal ...
FRÄULEIN KOPRIVA.
Kommen Sie wenigstens jetzt fort von hier ...
MANDER
immer leidenschaftlicher.

Hier drin war immer nur Flucht ... ich jagte immer nur Lockbildern nach ... rastlos ... als hörte ich beständig die Umdrehung dieser Erde sausen ... die Zeit flog mit mir ... immer nur heimlich jedes kleinsten Lebensvorteils gewärtig ... eine Jagd ... Dinge und Menschen ... ich nahm sie in meine Arme ... und ließ sie gleichgültig wie die Chausseebäume hinter mich ziehen ... selbst die Mütter der Kinder ... machen Sie die Zeit stille stehen ... geben Sie nicht nur meinem Kinde ... geben Sie auch mir eine dauernde Heimat bei sich ... zum ersten Male ... und für immer und ewig ... machen Sie mich zum trotzigen Felsen ... zum Felsen der Treue ...

FRÄULEIN KOPRIVA.

Lionel Mander ... hahahaha ... ein Fels der Treue hahahaha ... und wo liegt wohl das ganze große Menschenland, das auf dem Felsen der Treue aufgebaut wäre ...

[164]
MANDER
inbrünstig.

Hinter all meinen Hüllen habe ich nur ein einziges, wahres Leben, das danach hungert ... und danach dürstet ...

FRÄULEIN KOPRIVA
unterbricht ihn hastig.

Mander ... lieber Mander ... ich bitte Sie ... ich bin doch kaum ein paar Stunden im Schlosse ... was würden denn Ihre Kinder zu so einer hergelaufenen Mutter sagen ...

MANDER.

Ottilie ... Ihre Scheuheit ... Ihre himmlische Keuschheit ... Ihre himmlische Mütterlichkeit ... Ihre Stimme ... Ihre Stimme ...

FRÄULEIN KOPRIVA.
Kommen Sie fort ... ich will hier nicht stehen ...
MANDER.

Ottilie ... Er ermannt sich plötzlich. ja ... meine Gnädigste ... Er sieht sie wie schlafwandlerisch an. oh ... Sie befehlen ... Er reicht ihr formell den Arm. kommen Sie jetzt in die freie Luft ... es ist mehr wie die sogenannte Leidenschaft Liebe, die in uns zittert ... Ihre Stimme bebte wie tiefste Musik ... Im Verschwinden durch die Glastür in den Park. oooh, diese Stimme ... Ab.

Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
TIEFSEE
als Archimedes.

Hahahaha ... großartig ... wenn man so als bedächtiger, ewig tüftelnder Löffelgreis durch die Welt läuft ... so als beständiger Archimedes ... der seine fünfzig Rezepte alle an den Fingern herzählen kann ... rückwärts und vorwärts ... aus der Weisheit durchaus gar nicht mehr heraus kann ... wie aus ein paar nassen Wasserstiebeln ... wenn einem dabei die Beine auch schon geschwollen sind ... hahahaha ... bei Mander ist dieser Fall anders ... hahahaha ... dieses Kostüm hat nämlich Lionel Mander von sich geschleudert ... hehehehe ... sozusagen wie neu ... wie er alles so von sich schleudert ... wie neu ... hahahaha ... Kleider und Menschen ...

WINDFELLNER
im Frack hinter ihm.

Ja ... ein Nachtfest bei Lionel Mander ... Er wischt sich den Schweiß. zu guter Letzt richtig ein Dampfbad ... schwüler als die Hölle ... und soll auch gleich ein höheres Vereinigungsfest mit dem letzten, weiblichen Idole sein ... ein wahrhaftiges Seelenverlobungsfest ... nach der großen Cour am Nachmittag ... wo er Ottilie Kopriva bereits als die Retterin aus den flüchtigen Süchten des Lebens pries ... und sie als die dauernde Heimatgeberin ... sozusagen als die Eheherrin und Mutter dieses Schlosses feierlich ankündigte ...

[169]
TIEFSEE.

Jaaa ... wie ich Lionel Mander kenne ... hahahaha ... wird er sich heute nicht entblöden, die allerletzten Register zu ziehen ...


Tiefsee will sich auf die Bank setzen.
WINDFELLNER.
Nö ... nö ... da muß man durchaus in den Obstgarten weitergehen ... um sich in Ruhe abzukühlen ...
TIEFSEE
gewichtig.

Nein ... alles was wahr ist ... ich habe in meiner Laufbahn als Charakterspieler ... als Darsteller der wichtigsten Typen des furchtbar gewichtigen Menschenvolkes auch durchaus meinen Mann gestanden ... ich habe z.B. einmal den Diogenes dargestellt ... das gab eine Sensation ... so daß ich mit diesem Kunsteindrucke ein vornehmes Weib aus der Creme derart zu meinen Füßen gezwungen ... hahahaha ... daß ich sie ein volles Jahr mindestens habe ausnützen können ...


Beide sind unter diesen Worten nach links vorübergegangen.
2. Szene
Zweite Szene
Der halbwüchsige Junge als Pan huscht vorn auf den Rasenplatz, schlägt in die Hände, so daß sich die Kinderschar als Nachtpfauenaugen um ihn sammelt. Er beginnt sofort die ferne Gitarrenweise auf der Flöte mitzuspielen. Die Däumelein schweben einen lieblichen Reigen. Wie Leute kommen, huscht alles in die Tiefe.
3. Szene
Dritte Szene
DR.

MICHEL MANDER im Frack mit Lunica kommt aus der Tiefe in den Weißbuchenplatz. Nee ... macht doch um Gottes willen diesen Lampion aus ... daß man wenigstens eine Stelle in Ruhe hat ...


Er hat den Lampion ausgeblasen und umarmt und küßt Lunica.
[170]
LUNICA
empört.

Loslassen heißt es ... sonst beiße ich ... ich bin sehr bissig ... loslassen sag' ich ... Sie hat sich plötzlich mit einem Rucke losgerissen und springt zwei Schritte fort. und wenn Sie das Licht nicht sofort anzünden, bin ich fort wie ein Weberschiffchen ...

DR.
MICHEL MANDER. Hahahaha ... kleine Ziege ... bleibe doch stehen ... ich gehorche ja schon ...

Er zündet den Lampion wieder an.
LUNICA.

Nein nein ... ich habe auch meine Religion ... und nicht wie ein Doktor ... die sind ja frech ... die glauben an gar nichts ... ich werfe mich durchaus nicht so jedem zum Fraße ... ich bin fromm und streng ... und halte auf mich ...

DR.
MICHEL MANDER. Hahahaha ... sei fromm ... und sei streng ... das ist sehr löblich ...
LUNICA.
Mir ist wahrhaftig gar nicht zum Lachen ...
DR.
MICHEL MANDER. Du hütest wohl die mystische Rose ...
LUNICA.
Jawohl ... wie das der Meister so herrlich benennt ...
DR.

MICHEL MANDER Oooh ... ich denke auch immer an das allersüßeste, glühendste, unschuldigste Röselein ...

LUNICA.

Ach ... denken Sie, was Sie wollen ... da kommt doch nichts Lohnendes weiter zustande in so einem Schädel ... der ewig nur Arme und Beine und den ekligen Blinddarm womöglich den Menschen aboperiert ... nein ... nahe haben Sie nicht zu kommen ... mir ist nicht zumute zum Tollheiten treiben ... am wenigsten heute ... Sie haben mich noch nicht weinen gesehen ... ich kann auch weinen ...


Sie schluchzt plötzlich los.
[171]
DR.

MICHEL MANDER. Lunica ... Sakrament ... das Heulen ist mir im Tode zuwider ... das ist mir gelinde gesagt die ekelhafteste Funktion am menschlichen Leibe ...


Musik und Stimmenlärm kommen einen Augenblick näher. Dr. Mander legt Lunica den Arm um die Schulter. Beide verschwinden so in die Tiefe.
4. Szene
Vierte Szene
DER HALBWÜCHSIGE JUNGE
als Pan huscht wieder vorn auf den Rasenplatz.

Er schlägt in die Hände. Die Schmetterlingskinderschar sammelt sich wieder um ihn. Er flüstert feierlich. Es ist eine halbe Stunde vor Mitternacht ... tanzt ... so leicht wie der Nebel auf der Abendwiese ... so flüchtig wie ein Bild in einem jungfräulichen Traume ... die letzte halbe Stunde des Festes soll unser Blut jagen ... ehe der Meister sein ehernes Zeichen gibt, daß das Fest verstummt ...


Er spielt neu die Gitarrenweise auf der Flöte mit. Tanz. Wie neu Schritte kommen, huscht alles weiter.
5. Szene
Fünfte Szene
Der Plan ist plötzlich ganz leer geworden. Nur von ferne klingt beständig die Gitarrenweise. Mander, am Arm kühn die Astarte, ist in der Tiefe aufgetaucht. Astarte kühn lachend. Er schreitet mit ihr in den Weißbuchenplatz auf die Bank.

ASTARTE.

Ich kenne dich, Mander ... ich liebe dich, Mander ... nur du und ich ... nur du und ich ... nur immer wir beide ...

MANDER.
Hahahaha ...
ASTARTE.

Bis wieder zum Chaos ... bis wieder zum Welttraum ... bis wieder zum letzten, dunklen Umarmen ... irgendwo ... im Himmel ... in Hölle ... im Schlamme der Welten ... wie Paul und Franziska ...

MANDER.
Hahahaha ... nur du und ich ...
[172]
ASTARTE
lachend.
Der Vater nennt mich hysterisches Ding ...
MANDER.
Du frägst nach nichts ...
ASTARTE.

Ich weiß, das paßt dir ... ich bin ein potentatisches Mädchen ... ich bin ein Gefühl ... ich berge die Liebe ... nur du und ich ... o du süßester Wahn ... in Ewigkeit, Amen ...

MANDER.
Astarte ... du höhnst ...
ASTARTE
lachend.
Ewig, ewig ... wo wohnt dein ewig ...
MANDER.
Ewig, ewig ... im Blute schreit's: ewig ...
ASTARTE.
Der Tod würgt den Jüngling ... und würgt den Greis ... niemand verschont er ...
MANDER.
Ewig, ewig ... im Blute schreit's: ewig ...
ASTARTE
lachend.
Ewig, ewig ... ist ein Wort in den Wind ...
6. Szene
Sechste Szene
Der Tod, mit hohen, dunkelbunt schillernden Flügeln, die Sanduhr in der weißen Beinkralle, ein steinaltes Greisengesicht, gütig und breit, ist auf dem tieferen Gange erschienen. Still stehend und scharf blickend. Beim Äugen nur versunken die Flügel wie zum Fluge breit spreizend, gleichsam probierend.

MANDER
hat Astarte, ohne daß eins sich nach dem Tode umblickt, von sich gelassen.
Hat sich erhoben. Starrt in die Ferne. Ewig ... ewig ... im Blute schreit's: ewig ...
[173]
ASTARTE
hat sich ebenfalls erhoben, streichelt Mander über das Haar und geht einige Schritte in die Tiefe.
Zärtlich zurückblickend sagt sie. Vertreibe den Tod ...

Dann schreitet sie lachend dem Tode entgegen.
Mander blickt ihr eine Weile nach, wie sie dem Tode nach in die Tiefe verschwindet.
7. Szene
Siebente Szene
DIE JUNGEN TÄNZERINNEN
eilen von rechts auf den Rasenplan.
Durcheinander flüsternd. Meister ... Meister ... geliebter Meister ...

Mander hat sich sofort ermannt. Erjagt sich eine. Tanzt in wilden Runden zu der aus allen Enden jetzt herklingenden Gitarrenweise. Eine nach der andern die Tänzerinnen ergreifend und in wildem Schwunge wieder aus den Armen lassend. Mit der letzten Tänzerin im Arme flieht er, gefolgt von dem Schwarme, in die Tiefe und verschwindet.
8. Szene
Achte Szene
MATER SCHOLASTICA
kommt mit Lisiska, die festlich geschmückt ist.

Sie widerwillig vorwärtsdrängend. Ich bitte dich, Kind ... komme in Ruhe ... Sie drängt sie in den eingehegten Platz. ich flehe dich an, Lisiska ... wir müssen aus dem Wirbel fliehen ... schließe deine Augen ... schließe nicht nur deine Augen ... schließe alle deine Sinne ... werde mit deiner Seele noch einmal ganz einsam ... laß noch einmal alles Mauer um dich sein ... laß Stille sein wie im Klosterhofe ... die Nacht in diesem Parke ist schwül ... solche Nächte sind verbrecherisch ... solche Nächte wollen in dich einbrechen wie ein Raubwolf, um deine kindliche Seele zu zerfleischen ... und zu verschlingen ...

LISISKA.

Nein, Mater ... das ist nicht wahr ... es ist ja doch meines Vaters seliges Parkgehege ... es ist ja doch meines Vaters Schloß und Erde ... es glitzert und glänzt und jubelt alles in dieser Heimat ... auch Salomo sagte doch: »Komm, Geliebter, in meinen Garten ... und iß von den Früchten meiner Apfelbäume« ...

[174]
MATER SCHOLASTICA.

Wie die Gitarren im Nachtwind zittern ... über See und Gesträuche fliegen die Töne ... es sind nicht Choräle ... es sind Wesen um uns, die du nicht kennst ...

LISISKA.

Nein doch ... nein doch ... mein Vater wohnt hier ... Sie wollen mein Blut wider meinen Vater erregen ... nur weil er seine Freude in Glanz und Jubel einhüllt ... umtanzt und umklungen ...

MATER SCHOLASTICA.

Es sind Wesen um uns, die du nicht kennst ... geheimnisvolle ... verschlingende ... auch ich kenne sie nicht ... die Gitarren schwirren wie wilde Hummeln ... und zerschneiden die Nachtluft ... Lisiska ... es schreit Wehe ... raffe dich auf zur Kraft ... bis in meine innerste, reine Mutterseele gellt es in den Lüften ... hörst du es nicht unselig rufen ... Mater Scholastica ... Wehe Wehe ... die Gewalten wollen auch mich jetzt bezwingen ... nein, Lisiska ... die Klosterstille war unser Trank ... die Klosterstille war unsere Speise ...

LISISKA.

Nein doch, Mater ... Sie sollen mich nicht zermartern mit Ihrer Inbrunst ... Vater und Tochter sind von Gotte ein Leib und ein Leben ... mein Vater hat eine Macht wie ein reicher König ... auch Salomo lebte in Prunk und Seide ... auch Salomos Harfen fangen: »Tue auf, meine Taube ... meine Schwester ... meine Fromme ... denn mein Haupt ist voll Tau ... und meine Locken voll Nachttropfen« ... »o komme, Geliebter« ...

MATER SCHOLASTICA.

Wer kennt die Mächte ... wer kann seinen Vater kennen ... was wissen wir denn ... Raubmächte können wie Cymbeln erklingen ... werfen unsere Unschuld wie Spreu in den Wind ... raffe ich auf, Lisiska ... auch ich zerschmelze unter dem schmelzenden Zittern dieser Saiten ... auch ich bin ein Weib ... aber du bist die mir vom Himmel vertraute Seele ... birg dich nur an mich ...

[175]
LISISKA.

Nein ... nein ... Musik überschwemmt mich ... im Seewasser verlocken mich die tanzenden Sterne ... Prunk und Jauchzen klingt aus meines Vaters Garten in meine Stille ... ein Geheimnis der Sehnsucht ist laut ... meine Seele sehnt sich ... meine Seele zerfließt in Weibeshoffnung und Abenteuer ... Sie möchten mir noch einmal die Hand vor die Augen halten, daß ich nur die Samtschwärze Ihrer hohlen Hände noch sähe ... Glanz und Zauber werde ich sehen durch Ihre Samthände hindurch... o Mater ... auch Sie sind nur eine irdische Frau ... nicht die himmlische Herrin, die die Erde bewältigt ...


Mater Scholastika hat sie auf die Ecke der Bank niedergedrückt, indem sie ihr zuerst die Hände sanft auf die Augen gelegt hat. Aber bei dem letzten Wort ergreift sie das silberne Kreuz, das sie an langer Kette trägt, plötzlich und hält es ihr vor. So daß es Lisiska sogleich anstarrt. Und sich dann jäh mit der Hand selber die Augen zuhält. Den Kopf neigend
und plötzlich in sich hineinkriechend.
MATER SCHOLASTICA
inbrünstig.

Streng. Siehe ... das Kreuz ... fühle ... seine Wunden ... horche ... die Stimmen der Feinde verhallen ... Lisiska ... jetzt hörst du mich endlich ... auch ich war eines reichen, mächtigen Mannes Lieblingstochter ... jung und unschuldig war ich ... so lose hineingeworfen in diese Welt ... und sehnte mich auch ... und schwelgte auch kindlich in den Köstlichkeiten des reichen Lebens ... da geschah es ... daß ich in einer holden, sternweiten Sommernacht einen blutig zerrissenen, toten Raben im Bachwasser unseres Parkes langsam heranschwimmen sah ... und daß ich dann plötzlich in Herzensangst aufsah und mich in die Tiefen des göttlichen Himmels nach Hilfe einbohrte ... und daß ein Engel mit weiten Flügeln herniederkam, der mir zuflüsterte ... »Groß ist der Himmel ... unermeßlich herrlich ist des höchsten Gottes himmlische Herrlichkeit ... die Erde ist nur ein Jammertal ... alles Irdische ist nur Flugsand ... wirf den Anker in Gotte ... diene auf Erden« ... damals habe ich das Schloß meiner Väter sogleich verlassen ... bin in die Fremde dieser irdischen Welt hinausgewandert ... tat Magddienste fortan ... und trage jetzt schon seit zwanzig Jahren und mehr freudig das harte Kreuz der Liebe auf meinen Schultern ... und straffe [176] meine Arme im Dienste der Leiden ... von der Kraft trotzig, die den Himmel verteidigt ...

LISISKA
scheu.
Wie alt bist du, Mutter ... du siehst so jung aus ...
MATER SCHOLASTICA
gütig lächelnd.

Du nennst mich zum ersten Male: du Mutter ... du fühlst es plötzlich, daß ein Duft des Himmelsgefildes meinen Händen entströmt ... die das Kreuz fest umklammern ... daß dieser Duft deine gejagten ... Sinne plötzlich in tiefen Schlummer legt ... nur deine göttliche Seele wach läßt ... Lisiska ... sage noch einmal: du Mutter ...

LISISKA.
Du ... Mutter ... o du geliebte, heilige Mutter ...
MATER SCHOLASTICA.
Sprich mir nach ... Noch feierlicher. du hast die Kraft ...
LISISKA.
Du hast die Kraft ...
MATER SCHOLASTIKA
vorsprechend.
Deine Stimme ist süßtönend von Gott ...
LISISKA
nachsprechend.
Deine Stimme ist süßtönend von Gott ...
MATER SCHOLASTICA
vorsprechend.
Deine Hände süßduftend vom Holze des Kreuzes ... daran der Herr schmachtete ...
LISISKA
nachsprechend.
Deine Hände süßduftend vom Holze des Kreuzes, daran der Herr schmachtete ...
[177]
MATER SCHOLASTICA.

Der ewig der Herr bleibt über alle glitzernden Gaukelspiele des nichtigen Lebens ... thronend im Himmel ...

LISISKA
verzückt.

Ja ... ja ... ich rieche Liliengerüche ... die Erde verschwindet ... eine Glorie sehe ich an dem Nachthimmel ragen ... den Ersehnten sehe ich an dem Nachthimmel ragen am Kreuze ... o komme, Geliebter, in meines Vaters Garten ... und iß von den süßen Früchten meiner Apfelbäume ... Mutter ... ich bin in der Schwebe ...

MATER SCHOLASTICA
plötzlich auffahrend, horcht nach der Seite.

Hastig. Es kommt wer ... Lisiska ... Lisiska ... die Erde weckt uns aus unsern Träumen ... Lisiska ... erwache ... erwache ... es kommt wer ...


Beide fliehen plötzlich nach links fort.
9. Szene
Neunte Szene
DER HALBWÜCHSIGE JUNGE
als Pan wieder von der Kinderschar gefolgt: sie huschen von allen Seiten auf den Rasenplatz.

Er macht ein Zeichen. Flüstert feierlich. Es ist eine Viertelstunde vor Mitternacht ... tanzt so leicht wie der Nebel auf der Abendwiese ... so flüchtig wie ein Bild in einem jungfräulichen Traume ... die letzte Viertelstunde siedet unser Blut ... ehe der Meister sein ehernes Zeichen gibt ...


Er spielt wieder die Gitarrenweise auf der Flöte mit. Tanz.
10. Szene
Zehnte Szene
OTTILIE KOPRIVA
kommt starren Blickes von rechts aus der Tiefe suchend.

Sie geht auf den Weißbuchenplatz und setzt sich, offenbar ermattet. Der Schmetterlingstanz geht noch eine Weile auf dem Plane. Dann ruft Fräulein Kopriva sehnsüchtig. Mander ... Pan und Kinder fliehen davon. Lionel Mander ...


Mander steht plötzlich, fast gespensterhaft, neben ihr.
[178]
FRÄULEIN KOPRIVA.
Huuuh ... Mander ...
MANDER.

Erhole dich erst ... die tiefe Nacht ist wunderbar schön ... so eine Nacht verzaubert die Hügel zu Bergen ... die Fischerhütte über dem See glänzt wie ein magisches Schloß ... was sind magische Schlösser ...

FRÄULEIN KOPRIVA.

Oh ... ich weiß nicht ... soll ich dich lieben ... oder überfällt mich der Graus ... und die Scham ...

MANDER
inbrünstig.

Ottilie ... ich treibe im Wirbel so hin ... reiche dem Ertrinkenden beide Hände ...Er fällt ihr zu Füßen. ich liege büßend auf den steinernen Stufen vor deinem Altare ... ich weine aus der innersten Seele ... Reuetränen ...


Er verbirgt den Kopf in ihrem Schoße.
FRÄULEIN KOPRIVA
irr lachend.

Hahahaha ... dein Kopf ist wie ein schwerer Kürbis so groß ... hahahaha ... ich habe jetzt meinen Gesang ganz vergessen ... ich habe jetzt mich selber vergessen ... o du süßer Spieler ... du spielst ja, als wärst du der gute Odysseus, der endlich seine Penelope wiederfindet ...


Mander erhebt den Kopf und starrt sie an.
FRÄULEIN KOPRIVA
erhebt sich hastig.

Wirft zerdrückte Rosen aus ihrer Hand weg. Gott Gott Gott ... ich komme nicht zu mir ... ich habe bei diesem Nachtfest schon all meine mystischen Rosen in meinen Händen zerdrückt ...

MANDER
erhebt sich hastig.
Komme, mein Weib ...

Fräulein Kopriva, während sie ineinandergefaßt in die Tiefe verschwinden.
11. Szene
[179] Elfte Szene
Baron Attendorn, mit Lisiska im Arm, gehen von links lachend vorüber, den Vorigen nach.
12. Szene
Zwölfte Szene
Windfellner von rechts. Gleich dahinter Tiefsee. Dahinter der Herr Juwelier. Der Juwelier ist ein junger, sehr vornehmer, bleich-geistiger Mann von etwa vierunddreißig Jahren. Hat schöne, verhärmte Gesichtszüge. In Gestalt untersetzt. Große Ringe am Finger. Grauer, hoher Seidenhut mit Trauerbinde, den er in der Hand hält. Dandyhaft. Handschuh. Krückstock mit goldener Krücke. Hat einen Klumpfuß.

WINDFELLNER.

Ein Nachtfest bei Lionel Mander ... Er wischt sich wieder den Schweiß. und soll gleichsam ein höheres Vereinigungsfest mit dem dauernden, weiblichen Idole sein ... ja ... sagen Sie einmal, verehrter Herr Juwelier ... Sie sind ja doch in allen Lagen des Lebens immer nur der ruhige, kalte Betrachter ... ein Kasteier gewissermaßen, weil Sie Ihren Riesenreichtum schon von Jugend auf besessen haben ... Sie staunen doch nur immer kühl bis ans Herz in einen solchen tollen Reigen hinein ...

DER HERR JUWELIER.

Jawohl ... sehr richtig ... übrigens bin ich im Grunde gar nicht Juwelier ... ich verschaffe höchstens einmal mit meinem persönlichen Geschmacke, den Herr Mander immer sehr schätzte, diesem Meister ein paar besonders kostbare Stücke von Juwelen ... das machte mir immer Spaß ... das ehrte mich ... aber den Titel Juwelier halte ich eigentlich nur noch bei ... vielleicht meinen Erblassern noch zu Ehren ... denn ich selber habe alles ja nur geerbt ... Gott ... sehn sie mich nur genauer an ... was erbt man nicht alles ... auch so einen Klumpfuß ... und wenn mein berühmter Laden wirklich noch offensteht ... ich selber komme nur noch in Betracht, wenn es sich gleich um ganz große Vermögensarrangements handelt ... das andere besorgt ja doch mein Büro ...

TIEFSEE.

Hahahaha ... großartig ... großartig muß das sein ... wissen Sie ... um diese allerkostbarsten Ringe an Ihren Fingern beneide ich Sie ...

[180]
DER HERR JUWELIER.

Ja ja ... das sind ziemlich kostspielige Dinger ... auch hier das Armband mit den Rubinen ... aber wenn Sie etwa was Besonderes davon halten ... ich habe nicht die geringste Illusion dabei ... ich kann doch für ein Perlenhalsband unmöglich zärtlich fühlen wie die jungen, fröhlichen Mädchen, die ihre Lebensfreuden im Tanze erhaschen ... und mit Steinzeug und Golde klingeln ... nein ... z.B ... wie ich am Sterbebette meines Vaters stand ... und sah seine Augen endlich brechen ... und konnte nichts tun ... da fuhr es mir sogar plötzlich wie ein Hohn ins Blut ... warum trägt man eigentlich solche Dinger ... tja ... kaltes Steinzeug und Gold ... es befriedigt offenbar das menschliche Rechenbedürfnis, bis auf solche Sicherheiten zurückzurechnen ... weil die nicht vergehen ... deshalb macht es dem Menschen wohl ein Vergnügen ... wie auch die Kinder gern mit Münzen und Steinen spielen ... je mehr durch die Finger rinnen, desto besser ... Sie bleiben alle drei stehen und staunen in die Tiefe. offenbar ziehen jetzt all diese Böte zu der berühmten Rotunde auf das andere Seeufer hinüber ...

TIEFSEE
lachend.

Hahahaha ... nun natürlich ... jetzt ist doch beinah Mitternacht ... jetzt kommt doch sicher der Schlußeffekt in der Liebesrotunde ... hahahaha ... so steigt doch der Mensch ... Stufe um Stufe ... vom Tod zur Geburt ... von der Geburt zum Schrei ... vom Schrei zum Gold ... vom Gold zum Tand ... vom Tand zur Liebe ... von der Liebe zum Tod ... Indem alle drei in die Tiefe gehen. die alte berühmte Luftschaukelfahrt ... wenn man mit seinem Kahn grade zu oberst ist, denkt man sich einen Augenblick in den Himmel zu fliegen ... hahahaha ... vom Tod zur Geburt ... Die Worte verhallen allmählich. von der Geburt zum Schrei ... vom Schrei zum Gold ... vom Gold zum Tand ...


Alle drei ab.
13. Szene
Dreizehnte Szene
Der Plan ist wieder ganz leer geworden. Die Musik und das Getümmel über dem See schwellen an.

[181]
MATER SCHOLASTICA
eilt einsam von links den See in die Tiefe und ruft über den See hinaus.
Lisiska ... Lisiska ... komme heim, Lisiska ...
14. Szene
Vierzehnte Szene
Lacerta eilt desselben Weges hastig an der Mater vorüber.

MATER SCHOLASTICA.
Liebes Mädchen ... haben Sie nicht meinen Klosterzögling gesehen ...
LACERTA.

Kommen Sie ... kommen Sie ... in die Purpurrotunde ... in diesem Tempel entfaltet der Meister den höchsten Glanz ... da wird er sich vor seiner Verlobten die Brust wie ein kranker Adler zerreißen ... und die letzten, gewagtesten Schwüre stammeln ...


Sie läuft, was sie kann, in die Tiefe.
MATER SCHOLASTICA
verliert sich rufend ihr nach.
Lisiska ... Lisiska ... komme heim, Lisiska ...

Beide ab.
15. Szene
Fünfzehnte Szene
Von links tiefer, nachdem alles tief ruhig geworden ist, nur in der Ferne das Getümmel und die Lichter, eilt ein einfacher Gärtner über den Plan, nach rechts vorn. Gleich danach eilt er nach links zurück mit einer Schar Diener mit einer Bahre.
16. Szene
Sechzehnte Szene
TIEFSEE
kommt aus der Tiefe zögernd an.

Zurücksprechend und als wenn er im Zorn etwas zerrisse. Rietz ... raatz ... rietz ... raatz ... rietz ... raatz ... fort ... fort ... 'raus ... nur 'raus ... aus der magischen Liebesrotunde ... man kriegt Erbrechen ... da müssen ja Ratten und Hamster und Wanzen Tränen vergießen ... ich habe nur noch ein gemästetes Menschenherz, das leicht zerbricht ... [182] hahahahahaha ... dieser Lionel Mander ... hahahaha ... dieser Fürst aller Füchse ... wird sich jetzt mit dem reinsten Blau vom Himmel herunter vermählen ... dieser schillernde Lebensschwindel endigt schließlich im sentimentalsten Moll ... das wird noch süßer als die süße Geschichte von Philemon und Baucis ... die der gnädige Gott am Ende als zwei Baumstämme nebeneinander auf die Erde hinpflanzte zu ewig dauernder, ehelicher Gemeinschaft ... das wird ja die reinste Notzucht unter Engeln ...

17. Szene
Siebzehnte Szene
In diesem Augenblick trägt man von links die Leiche von Astarte über den Plan.

EINER DER DIENER.
In aller Stille ... nur rasch ins Schloß ...
TIEFSEE
geht der Bahre immer lauernder entgegen.

Immer großäugiger. Stehen bleiben ... stehen bleiben ... Die Diener stellen die Bahre hin. was sehe ich jetzt ... was sehe ich jetzt ... mein einziges Kind ... meine Astarte ... sehe ich jetzt auf der Bahre liegen ... und sie spricht nicht mehr mit mir ... Astarte ... warum hast du mich verlassen ... warum hast du so grausam an mir gehandelt ... warum gingst du von dannen ... dieser niedere Sklave beleidigte dich ... und du ertrugst es ... und gingst stumm von dannen ... und läßt mich ... einen alten, verwahrlosten Vater ohne Trost zurück ... warum hast du also an mir gehandelt ... o meine süße Astarte ... ich habe an dir nur Böses getan ... ich verwahrloster Vater ... und dieser niedere Sklave der Lebenslüste spielt weiter ... und ahnt nichts ... Er erhebt sich feierlich und würdig. Ermannt sich vom Weinen. Wischt sich die Augen und sagt befehlerisch. ja ... das ist meine harte Tochter Astarte ... macht der Toten Platz ...


Man trägt die Bahre nach rechts vorn. Ab. Alles wird wieder totenstill.
18. Szene
Achtzehnte Szene
Ein reiches, musikalisches und erleuchtetes Ereignis nähert sich über den See.

MATER SCHOLASTICA
irrt aus der Tiefe am Seeufer rufend.
Lisiska ... Lisiska ... komme heim, Lisiska ...
19. Szene
[183] Neunzehnte Szene
Ein dunkler Kahn legt am Seeufer an. Fräulein Kopriva steigt hastig aus dem Kahne. Sie sieht wie verfolgt und todbleich aus.

MATER SCHOLASTICA
ruft über den See hinaus.
Komme heim, Lisiska ...
FRÄULEIN KOPRIVA
eilig und unheimlich.

Wie auf der Flucht. Gehen Sie rasch ins Kloster zurück ... machen Sie Ihre Türen aus ganz hartem Jaspisstein wie am Mondschloß ... die Mauern aus steinernen Dornen ... die Gitter aus steinernen Dornen ... ich habe dem Blendwerke dieses Lebens ins Basiliskenauge gesehen ...


Sie eilt nach links fort.
MATER SCHOLASTICA
plötzlich kläglich rufend.
Lisiska ... komme ins Kloster ...
20. Szene
Zwanzigste Szene
Eine magisch erleuchtete Gondel legt am Seeufer an.
Vermummte drängen sich aus dunklen Gondeln. Allerlei Marken und Leute in Gesellschaftskleidern. Gelächter und Girren. Purpurteufel laufen der Mater nach, als wenn sie sie lustig verjagten. Man breitet einen Teppich. Süße Musik und Geschrei.
Die Musik schweigt jäh. Alles erstarrt zu Totenruhe. Aus der Gondel erscheint mit einer roten Rose im Knopfloch, das Monokel ins Auge geklemmt.

MANDER
er blickt sich wie ein König um.

Und erhebt den Finger. Von fern eine Turmuhr beginnt zu schlagen. Er zählt die zwölf Glockenschläge, als wenn er taktierte. Dann beugt er sich in die Gondel zurück. Komme. Lisiska ... Lisiska schreitet aus der Gondel. gehe vorsichtig ... Schritt um Schritt ... versieh dich nicht an den samtenen Stufen ... Dahinter erscheint Attendorn aus der Gondel. Mander reicht Lisiska den Arm. Attendorn ... gehen Sie hinterdrein ...


Der Jubel der Instrumente will noch einmal losbrechen.
[184]
MANDER
mit strenger Gebärde.

Aus ... keinen Ton mehr ... und auch kein Licht mehr ... jetzt ist nüchterne Mitternacht ... Ottilie Kopriva ... und wer weiß wer ... haben sich schon zur Ruhe begeben ... der Tod ist uns nahe ... ich bin bewegt ... Ahnungen fangen an, mich zu plagen ... die Schatten sind kalt ... gute Nacht, ihr Jublerinnen ...

DIE MÄDCHEN
durcheinander.
Gute Nacht, Lionel Mander ...
MANDER
ganz feierlich.
Gute Nacht, ihr Berauschten ...
ALLE HERREN.
Gute Nacht, Herr Lionel Mander ...
MANDER.

Hahahaha ... meine Damen und Herren ... soll ich Ihnen noch ein Geheimnis sagen ... auch Lionel Mander wird einst ein Gerippe sein ... komme, Lisiska ... Attendorn ... bleiben Sie hinterdrein ... sie ist meine Tochter ... noch hüte ich sie ... hahahaha ... auch Lisiska wird einst ein Gerippe sein ...


Während die ganze Gesellschaft unheimlich geräuschlos nachstarrt, geht Mander mit Lisiska wie mit einer Braut aus der Tiefe über die dunkle Nachtwiese, gefolgt von Attendorn.
21. Szene
Einundzwanzigste Szene
Sogleich springen die zwölf.

TÄNZERINNEN
aus allen Büschen hervor.
Querst kichernd. Dann im geschlungenen Reigen flüsternd.
Ja ... Mander wird einst ein Gerippe sein ...
Huh ... Gerippe sein ...
Ein ekles Gerippe aus Totenbein ...
Wir werden ihn in die Grube heben ...
[185] Doch wir sind jung ...
Aus Blut, nicht aus Stein ...
Wir tanzen Gesang und gaukeln fein ...
Und leben ... und leben ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja ... Lisiska wird einst ein Gerippe sein ...
Huh ... Gerippe sein ...
Ein ekles Gerippe aus Totenbein ...
Wir werden sie in die Grube heben ...
Heute trägt sie die Rosa mystica ...
Die Jugend ist da ... die Jugend ist da ...
Wir leben ... wir leben ...
Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
HENRY
in einem Lehnsessel schlafend, fährt auf.

Sehr wohl ... sehr wohl ... ja ... was ist denn ... was ist denn ... Er macht Mund und Augen auf. aaah ... Sich noch nicht ermannend. scheußlich ... scheußlich ... springt dieses verrückte Frauenzimmer aus dem Schloßfenster ... ein Traum ... Er starrt vor sich hin. zerspringt ... puuuh ... zerspringt in drei blutende, einander haschende Fleischstücke plötzlich ... daß der Straßenpöbel gleich wie irrsinnig die Flucht ergreift ... auseinander rennt ... hahahaha ... eins ... das Feuerwerk ... der Liebestaumel ... ist erst eine halbe Stunde verklungen ... hahahaha ... und kommt da der pfiffige Kerl mit dem spitzbübischen Zuckerhut auf dem Bocke angetrollt ... spannt seinen dreibeinigen Schinder aus den Sielen ... stülpt die Droschke umgekehrt über den Schrei ... aaah ... der Schrei ... furchtbar ... dieser Schrei ... im Traume ist der Mensch vollends ausgeliefert ...

2. Szene
Zweite Szene
JOSÉ
kommt von links verschlafen herangeschlichen.
Was ist denn ... was hast du ... du siehst entsetzt aus ...
[189]
HENRY.
Die Ohren gellen mir förmlich noch von dem Schrei ...
JOSÉ.
Ja ... der Schrei des Herrn ist wieder geschrieen ...
HENRY
verschlafen.
Betrifft das Herrn Lionel Mander ...
JOSÉ.
Ja ... das betrifft Herrn Lionel Mander ... Fräulein Astarte ist tot ...
HENRY.
Natürlich ... ja ... und die berühmte Verlobte ... dieses Fräulein Kopriva ...
JOSÉ.
Habe ich mit eigenen Augen sehen wie gehetzt aus dem Schlosse fliehen ...
HENRY.
So ... ist das sicher ...
JOSÉ.

Herr Lionel Mander irrte zuerst in den Gemächern und auf den Korridoren des Schlosses herum ... nachtwandelte richtig ... wie jemand, der die Toten sucht ... und jetzt steht er mitten in seinem Schlafzimmer wie sein eigenes Monument in Stein hingepflanzt ... rührt kein Glied mehr ... wie jemand, der die Toten nicht mehr findet ...

HENRY
dumpf.
Huuh ...
JOSÉ
hat sich in einen Lehnstuhl gesetzt.
Ich werde mich auch hier eine Weile setzen ... und versuchen, die Augen zuzutun.

Er hat sofort die Augen geschlossen.
Henry ist ebenfalls wieder eingeschlafen. Es herrscht tiefe Stille.
3. Szene
[190] Dritte Szene
DER HERR JUWELIER
genau wie man ihn vorher beim Fest gesehen hat, steht plötzlich in der offenen Tür aus dem Parke und späht bedächtig herein.

Es sind nur die Diener ... die harren seiner ... ich dachte, Herr Mander wäre es selber ... weil ich vom Parke aus dieses Licht sah ... denn er weiß ja doch, daß ich warte ... und Sonderling wie er ist, hat er ja doch diese Diener zur Wache vorangeschickt ... er selber kommt sicher ... nach alle dem, was heute passiert ist, wird ihm die stillste Stunde gerade recht sein ...

JOSÉ
im Schlafe redend.

Ganz weinerlich. Jaaa ... Herr Mander ... steht jetzt ... wie sein eigenes Monument ... in Stein hingepflanzt ... wie jemand, der die Toten nicht mehr findet ...

DER HERR JUWELIER
horcht und lächelt.

Nach einem solchen Nachtfest schläft jeder wie tot ... nur vielleicht Herr Mander mag jetzt noch wie sein eigenes Monument in Stein hingepflanzt stehen ... wie jemand, der die Toten nicht mehr findet ... aber er kommt heute noch, meinen Zahlen ins Auge zu leuchten ... Er kommt zögernd und nach allen Seiten betrachtsam Schritt um Schritt herein bis an den Schreibtisch, wo er ein Schriftstück niederlegt. man staunt beständig über all diese Kostbarkeiten ... der Briefbeschwerer muß natürlich aus Diamanten sein ... sein Petschaft muß mit Rubinen besetzt sein ... die Jagd geht beständig nach den letzten Luftgespinsten ... daran glaubt er nun einmal ... ja ... gewiß ... ich habe immer ein rückgewandtes Gesicht ... ich glaube an die Gerechtigkeit ...


Er stapft wieder am Stocke zur Tiefentür in den Park hinaus.
4. Szene
Vierte Szene
HENRY
fährt aus dem Schlafe auf.
Es war jemand hier ...
[191]
JOSÉ
nimmt das Taschentuch und wischt sich Tränen.
Ich habe im Schlafe richtig geheult ...

Er schnäubt sich die Nase.
HENRY
erhebt sich und geht spähend an die offene Tür.

Ja ja ... der Herr Juwelier stapft noch draußen im Parke herum ... und besieht sich alles ... besieht auch den Mond ... und besieht die Sterne ...


Das Glockenspiel schlägt von Tönen umwoben zuerst zwei lange helle Schläge, dann zwei ganz tiefe, summende Töne.
5. Szene
Fünfte Szene
Eins nach dem andern erscheinen die Gesichter der Tänzerinnen in der Tür. Hastig flüsternd. Noch im Festkostüm und Mantel.

SCHWÄNCHEN.
Ist der Meister noch wach ...
LUNICA.
Wir beben heimlich ...
LACERTA.
Wir ängstigen uns ...
ELFI.
Eiskalt ist alles ...
MÜCKE.
Draußen im Parke gehen beständig Schritte ...
HELIE.
Der Herr Juwelier stapft noch draußen im Parke herum ... und besieht sich alles ...
LUCINDE.
Er hat sich sogar jetzt in der Nacht Stall und Garage besehen ...
LIDDI.
Und hat sich in der Orangerie eine frische Frucht vom Baume gebrochen ...
[192]
MUSE.
Und hat im Halblicht auch geliebäugelt mit seinen köstlichen Ringen ...

In diesem Augenblick gibt.
JOSÉ
der noch im Stuhl sitzt, ein Zeichen.
Ruhe ... ich höre Schritte ... der Meister ...

Die Mädchen huschen fort. Beide Diener nehmen an der linken Tür sogleich wie zwei Pagoden Stellung.
6. Szene
Sechste Szene
Mander tritt noch im Festkostüm, in sich gesunken, das Monokel ins Auge geklemmt, Schritt um Schritt von links herein. José springt zum Lichtdrücker.

MANDER
sehr dumpf und gedehnt alles.

Nein ... nicht mehr Licht ... die sieben Lichter am heiligen Leuchter genügen ... ich will mit Herrn Juwelier Rechnung halten ...

JOSÉ
ruft hinaus.
Bitte gehorsamst, Herr Juwelier ...
7. Szene
Siebente Szene
Beide Diener stehen jetzt rechts und links der Tiefentür. Der Herr Juwelier tritt sofort ein. Mander noch an der Tür stehend, starrt ihn scharf mit Monokel an.

DER HERR JUWELIER
gütig und verbindlich lächelnd.
Sie haben gerufen ... ich bin allezeit da ... Herr Lionel Mander ...
MANDER
kalt.
Das fühlte ich wohl, als trüge ich heimlich einen Klumpfuß ...
DER HERR JUWELIER
freundlich lachend.

Höhnen Sie immer ... wenn wir nur endlich einmal zur Klarheit und Wahrheit kommen, Herr Lionel Mander ...

[193]
MANDER
geht an seinen Schreibtisch heran.

Setzt sich auf den Arbeitsstuhl. Starrt den Herrn Juwelier immer wieder an. Dann erblickt er das Papier, das auf seinem Schreibtisch ausgebreitet liegt. Aha ... hier ist es ... Er vertieft sich hinein. gedulden Sie sich ...

DER HERR JUWELIER.
Prüfen Sie nur die Abrechnung durch ... Sie verschwenden Vermögen ...

Die Instrumente scheinen einen Augenblick aufzuwachen wie ein Rückerinnern an die
Gitarrenweise des verklungenen Nachtfestes.
MANDER
beim Lesen.

Mir fliegen noch immer die unerhörten Festmelodien in meiner Seele herum ... aber das Fest ist jetzt aus ...

DER HERR JUWELIER.

Gott ja ... verehrter Herr Mander ... Sie hören unerhörte Melodien immer ... ich höre meiner Natur nach das harte Geklapper hinter all diesen schönen Dingen ... die ehernen Hämmer und Walzen, die diese schönen Gaukelspiele sozusagen erzwingen ... solange es eben nicht den ewigen Stillstand gibt ...

MANDER
emphatisch.
Aufblickend. Stillstand ... Herr ... Sie sprechen ein Zauberwort ...
DER HERR JUWELIER.

Ein Zauberwort ... ja ... Park ... und Schloß ... und Meierhof ... und das lebende und tote Inventar ... kenne ich ja doch Heller für Pfennig ... habe auch diese Nacht wieder nur staunen können, wie geradezu fürstlich alles ist ...

MANDER.
Sie haben also soeben noch einmal alles genau besichtigt ... sehr gut ...
DER HERR JUWELIER.
Wir sind ja doch in dieser Minute endlich einmal so weit, zur rechnenden Ordnung durchzudringen ...
[194]
MANDER.
Bitte, lieber Herr Juwelier ... setzen Sie sich ...
DER HERR JUWELIER.
Jetzt, wo ich Sie endlich einmal von allen Hirngespinsten enttäuscht vor mir sehe ...
MANDER.

Stillstand ... Herr ... Sie sprechen ein Zauberwort ... entfesselt aus allen Ketten ... jaaa ...Mit wehmütiger Stimme plötzlich. ich habe Sie wieder vertrösten müssen ... die Seele ist ein ewig getriebener Frohner ... wissen Sie ... ein Artist wie ich ... ich habe immer lockende Wahnbilder vor mir ... ich vertröste immer ... ich will Ihnen dieses Geheimnis ganz offen sagen ... heute, wo ich den Toten nachlaufe ... der treibende Sturm rast im Menschenblut ... man kann ihn nicht abstellen wie einen Pendel ... hahahaha ... ja ... was fordern Sie jetzt ... Klarheit und Wahrheit fordern Sie jetzt ...

DER HERR JUWELIER.

Klarheit und Wahrheit ... lieber Herr Mander ... ich sehe, Sie sind jetzt wirklich entschlossen, als ehrlicher Mann abzugehen ... das Leben als Fürst endlich aufzustecken ... da Sie sich, wie ich die Sache betrachte, von Anbeginn an über die Fürstlichkeit der Verhältnisse immer blutig getäuscht haben ... denn Ihr Leben ist ja doch eigentlich nur ein beständiger Tanz auf dem goldenen Seile ...

MANDER.

Jaaa ... aber Chancen gibt es viele ... das müssen Sie mir zugute halten ... und außerdem wußten Sie ja doch ganz genau, daß Sie allein die Schlußrechnung machen würden ...

DER HERR JUWELIER.
Diese Frage an sich berührt mich gar nicht ... das macht mir weder heiß noch kalt ...
MANDER
sehr bedächtig.
Ganz natürlich ... das nehmen Sie ruhig so hin als den Lauf der Dinge ...
[195]
DER HERR JUWELIER.

Das Papier besagt alles ... die nackte Notwendigkeit ist jetzt da ... Ihr Schloß ist mein Schloß ... Ihr Besitz ist jetzt mein...

MANDER
zögernd.
Und Sie meinen weiter ...
DER HERR JUWELIER.

Das ist nicht meinen... das ist wirklich ... obwohl das furchtbarste Wort in meinem Blute noch immer herumirrt ... und den Ausgang nicht findet ... denn ich weiß ja durchaus noch nicht, wieweit Sie selber entschlossen sind, die Sache ohne Skandal zu Ende zu bringen ...

MANDER.

Ohne Skandal ... jaaa ... ohne Skandal ... obwohl ich doch weiß, daß sich schließlich die rechnenden Mächte auch auf jeden Skandal oder seelenzerreißendes Lamento und dergleichen hitzige Lebenserscheinungen pfeifen würden ... wie ich »diese ewigen, ehernen, großen Gesetze« kenne ...

DER HERR JUWELIER.
Ja ... vielleicht ist es so in dieser göttlichen Welt ...
MANDER.
Sagen Sie das entscheidende Wort ...
DER HERR JUWELIER.
Der Rock am Leibe gehört nicht mehr Ihnen ...
MANDER.

Es gehört nichts mehr mir ... ich weiß es ... ich weiß es ... ich selber gehöre nicht mehr mir ... verlangen Sie noch mehr Klarheit und Wahrheit ...

DER HERR JUWELIER.

Das sage nicht ich ... das ist die Gerechtigkeit, die hat gesprochen ... barmherziger kann auch ich nicht sein ... Sie sind ein Bettler...

[196]
MANDER
ist aufgestanden und geht sinnend hin und her.
Ich bin ein Bettler ...
DER HERR JUWELIER.

Ich habe das Leben nicht gemacht ... ich kann mir wohl denken, daß ein Herr wie Sie eine solche Lebenslage durchaus nicht verträgt ... daß Sie vielleicht an letzte Auswege denken ... daß Sie jetzt womöglich daran denken, was nach solchem Gaukelspiele von Leben einem Manne von Größe noch zu tun bleibt ... Sie sind ein Bettler...

MANDER
spricht plötzlich wie zu sich selber.

Halblaut. Würde, Lionel Mander ... in diesem einen Augenblick ... Würde ... Er ermannt sich plötzlich. also ... Er setzt sich wieder an den Schreibtisch und unterschreibt. hier ... meine Unterschrift ... die Eintragung Ihres Namens auf meine lebenden und toten Dinge habe ich soeben bezeugt und unterschrieben ... da ist das bindende Dokument ... Er erhebt sich, geht wieder meditierend hin und her. Plötzlich sieht er eine rote Rose am Boden liegen. da ... eine Rose ... oh ... die Rose ... wie sie mich so unsäglich anzieht ... jaaa ... die mystische Rose ... haben Sie je über dieses Mysterium nachgedacht ...

DER HERR JUWELIER
starrt Mander lächelnd an.

Nickt dann beständig mit dem Kopfe. Greift behutsam aus seiner Tasche ein Etui hervor. Lacht. Oh ja ... ich trage auch die geheimnisvolle Rose immer bei mir ... von Rosenrubinen eingefaßt ...


Er hält ihm das Etui hin.
MANDER
steckt sich die gefundene Rose an.

Hahahaha ... das ist wirklich zum Lachen ... also auch Sie ... auf Wiedersehen ... Er versinkt wieder in theatralische Meditation. ein Leben, was mir nur Gaukelspiele brachte, bin ich schon längst aus tiefstem Grunde überdrüssig ... Er schreitet mit gesenktem Kopfe zur linken Tür. An der Tür dreht er sich um. darum flüchte ich mich ...


Er starrt den Juwelier jäh an, nimmt Hoheit an, geht links ab. Von beiden Dienern gefolgt.
8. Szene
[197] Achte Szene
DER HERR JUWELIER
kindlich lachend.

Im Nachblick. Tut mir leid ... ich konnte nicht barmherziger sein, als ich war ... hier spricht das Gericht ... durchaus gar nicht ich mit meiner Ordnung ... und meiner Rechnung ... Mander höhnt natürlich ein rechnendes Hirn wie das meine ... er lacht, wenn ich mir rein nur aus Pietät für mein Erbe mein rechnendes Hirn um Heller und Pfennig zermartere hier auf Erden ... ja ... mein Vater hat mich auf seinem Sterbebette beschworen: du brauchst nichts erarbeiten ... nur erhalte das Erbe ... das ist meine Pflicht ... wollte ich diese Pflicht versäumen, würde man mich mit Recht verachten ...

9. Szene
Neunte Szene
Die Tänzerinnen eilen sofort erschreckt herein, als wenn sie gehorcht hätten.

LUNICA.
Oh ... oh ... oh ...
SCHWÄNCHEN.
Herr Juwelier ... was haben Sie getan ...
LACERTA.
Herr Juwelier ...
HELIE.
Wir frieren zu Eis ...
ELFI.
Sie haben Lionel Mander zum Bettler gemacht ...
MÜCKE.
Sie haben ihn in den Tod getrieben ...
ANJELKA.
Sie grausames Blut ...
MUSE.
Sie haben Lionel Mander jetzt in den Tod getrieben ...
10. Szene
[198] Zehnte Szene
JOSÉ
öffnet behutsam die linke Tür und guckt leise herein.

Ganz benommen und demutig und zärtlich. Ja ja ja ja ja ja ... nee nee nee nee nee nee ... was denn ... was war denn ... was soll denn dieses Jammergeheul ... ich muß bitten ... tiefste Stille ... tiefste Stille ...

DER HERR JUWELIER.
Ist er tot ...
DIE TÄNZERINNEN
durcheinander.
Verweint. Ist es denn Wahrheit ... ist es denn Wahrheit ...
ANDERE.
Was ist denn um Gottes willen jetzt mit dem Meister ...
JOSÉ
zärtlich flüsternd.

Tiefste Stille ... nur tiefste Stille ... tot ... wie ... der Meister wäre jetzt tot ... Gott bewahre ...

DER HERR JUWELIER.
Er ist nicht tot ...
JOSÉ.

Ih ... nein ... woher nur ... dachten Sie, weil Lionel Mander jetzt Bettler ist ... Sie dachten wohl gar ... ja ja ja ja ... er hätte sich etwa selber den Ausgang aus diesem Leben erzwungen ... nein ... Gott ... mir springt auch ein Eisenband von der Brust ... tot ... wo wird er tot sein ... Sie wissen offenbar nicht, wie viele Male Herr Mander in diesem Leben schon Bettler war ... Zärtlich gutmütig. wenn jemand wie er alle Sehnsüchte ... alle Schmerzen und Leiden und Lasten ... und immer wieder den Griff des Todes in allem Glanze und Glücke heimlich verspürt hat ... und kann obenein die kleinlichen, beißenden Sorgen um den ganzen Prunkballast drum herum alle von seinen Schultern werfen ... nämlich ... das ist ein Geheimnis ... Herr Mander schläft heute als Bettler endlich wieder [199] einmal mit langen, tiefen, seligen Atemzügen ... wie ein Kind in der Wiegen ... Sanft und leise lachend. ich sage Ihnen ... geradezu schön sieht Herr Mander aus, wie er heut schläft ... heute gaukelt er sich wirklich die reinste Erlösung vor ...

DIE TÄNZERINNEN
durcheinander flüsternd.

Hahahaha ... geradezu schön sieht er aus, wie der Meister heut schläft ... hahahaha ... heute gaukelt er sich wirklich die reinste Erlösung vor ...


Mit diesen Worten jubeln sie flüsternd hinaus in den Park.

Der Vorhang fällt.
[200]

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TextGrid Repository (2012). Hauptmann, Carl. Dramen. Die goldnen Straßen. Gaukler, Tod und Juwelier. Gaukler, Tod und Juwelier. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-38BF-9