Carl Hauptmann
Die goldnen Straßen
Eine Trilogie

[5] Carl Hauptmann
Tobias Buntschuh
Eine burleske Tragödie in fünf Akten

[5]

Personen

Personen.

    • Tobias Buntschuh

    • Philipp Wendelborn

    • Fräulein Luisa, Kunstreiterin und Drahtseiltänzerin

    • Radiana, Schlangenmädchen

    • Vater Buntschuh

    • Mutter Buntschuh

    • Clown Odebrecht

    • Clown Ambrois

    • Der Sekretär

    • Diener Franz

    • Diener Jakob

    • Ein dritter Diener

    • Ein Arzt

    • Ein Herr

    • Eine Dame

    • Ein Jüngling

    • Stallmeister

    • Ein Kellner

    • Clowns

    • Allerlei Zirkusherren, Zirkusdamen, Diener, eine Musikkapelle
    • [6]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
EIN CLOWN
schlendert achtlos herein.

Den grauen Zylinder in den Nacken geschoben. In höchst elegantem, fleischfarbenen, langschößigen Frack. Eine große Rose im Knopfloch. Pluderhose Weste und Schuhe sind von derselben silbergrauen Farbe wie der Hut. Er spielt mit einem kurzen Stöckchen in der linken Hand, während er sofort in Unruhe auf- und niedergeht. Nach einer Weile. Was hockst du hier, Bestie ... was willst du hier ...

RADIANA.
Fräulein Luisa bedienen ...
DER CLOWN.

Fräulein Luisa bedienen ... dieses Fräulein Luisa bedienen ... so ... dieses Fräulein Luisa muß wohl alle Welt bedienen ... Er pfeift ungeduldig vor sich hin, während hinter der Szene starker Applaus ausbricht. eine solche Raserei wieder ... da muß ja dieses Fräulein Luisa vollends verrückt werden ... ist denn dieser Nabob ... dieser große Arbeiterkönig ... dieses Erfindergenie heute auch wieder unter der heulenden Menge ...

RADIANA.

Das weiß ich nicht ... ich kenne den Menschen nicht ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

DER CLOWN.
Natürlich ... du Katze ... du hast den Menschen noch niemals gesehen ...
RADIANA.
Ich lüge niemals ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

Wieder großer Applaus hinter der Szene.
Radiana ist sofort aufgesprungen und kramt aus einem großen Schranke einen kostbaren Mantel aus, den sie ausbreitet, um gleich damit wie ein wartender Lakei dazustehen.
2. Szene
[9] Zweite Szene
EIN STALLMEISTER
reißt die Tür auf und schreit herein.

Hinaus ... hinaus aus dem Weiberwinkel ... Odebrecht ... es ist hier kein Aufenthalt für die Herren ... es ist ausdrücklich untersagt, daß die Herren in der Garderobe der Damen getroffen werden ... ich sage Ihnen das heute nur noch einmal ...


Er wirft die Tür wieder zu.
DER CLOWN
schreit in Wut.
Quatschen Sie nicht, Krause ...
DER STALLMEISTER
reißt die Tür neu auf.

Mögen Ihre Beziehungen zu der Dame noch so intime sein ... oder meinetwegen auch schon gewesen sein ... mein lieber Odebrecht ... also bitte ...


Der Clown entfernt sich pfeifend sogleich hinter dem Stallmeister her. Die Musik schweigt eine Weile. Unterdessen stürmischer Applaus. Dann Tusch.
3. Szene
Dritte Szene
Luisa kommt völlig erhitzt und erschöpft, fast nur mechanisch noch mit einer Art eleganten Sprunges und dem stereotypen Lächeln. Sie ist in einem äußerst schlanken Trikot als Drahtseiltänzerin. Radiana wirft ihr dienstbeflissen den Mantel um.

LUISA
hat sich sofort in einen großen, unbezogenen Lehnstuhl geworfen, der neben dem kleinen Holztische steht, atmet nur hastig, den Kopf zurückgelehnt, und schließt die Augen.

Runter, runter ... das Fußzeug erst runter ... und aufschnüren, aufschnüren ... Liebchen ... aufschnüren ... wo ist denn nur Anne ...

RADIANA.

Sei nicht böse, Luisa ... ich war so traurig ... ich mußte etwas zu tun haben ... ich habe deine Zofe heimgeschickt, ich will dich bedienen ...

[10]
LUISA.

Strählchen ... Sonnenblume ... kleine Schlange ... hahahaha – – du möchtest mich bedienen ... du witterst wohl auch jetzt den Goldregen in meinem Schoße ...

RADIANA.
Pfui ... daß du alles immer vergiften magst ...
LUISA.
Weißer Hase ... Lilie ... Unschuld ... sorge, daß endlich der Kellner kommt ...
4. Szene
Vierte Szene
In diesem Moment hat der Kellner auch schon die Tür geöffnet und schwenkt auf einem Tablett einen Teller dampfender Suppe und ein großes Glas Bier herein.

LUISA.

Machen Sie rasch – – – unschuldig war auch ich einmal ... machen Sie rasch, daß Sie wieder hinauskommen aus dem Weiberwinkel ... darüber sind sich doch aber die Menschen jetzt einig geworden, daß das ewige Unschuldiggetue furchtbar langweilig ist ... hahahaha ... ach, du wirst auch bald deine Nebenbuhlerin am liebsten erdrosseln, wenn der sogenannte Jugendflaum von den Flügeln noch vollends herunter ist ... ich sage dir ... bist du erst einmal oben, da wirst du auf deine kleinen Sünden auch nur gnädig herablächeln ...


Der Kellner ist wieder verschwunden.
5. Szene
Fünfte Szene
Der Clown kommt wieder herein. Er stellt sich sofort mit den Händen rückwärts an einen kleinen Kachelofen, während er dann und wann Luisa prüfend ansieht.

LUISA
hat gierig zu essen angefangen.
RADIANA
hat sich wieder auf den Schub gehockt.
[11]
DER CLOWN.
Du ... scherst dich jetzt ... einfach ...
RADIANA
erhebt sich zögernd.
Er droht mir mit dem Stocke ... soll ich gehen, Luisa ... befiehlst du es ...
LUISA.
Ha ... gehe nur ... meinetwegen ...
RADIANA
geht gedehnt und zögernd zur Tür.
DER CLOWN
spielt mit seinem Stöckchen an der Fußspitze und seufzt.
LUISA
ruft Radiana nach.
Du kommst wieder, sobald ich klingle ...

Radiana ab.
6. Szene
Sechste Szene
DER CLOWN
mit verzehrtem, starrem Blick jetzt.
Luisa ...
LUISA
essend und trinkend.

Geh ab, Kanaille ... ich sage dir ... stier mich nur an ... millionenmal rennt das alles so verführerisch in der Welt rum ... und liegt wie rote Apfelsinenschalen ausgesogen in allen Gemüllhaufen ... was willst du eigentlich von mir ... falle mich nur wieder an wie gestern ... als ich heimging ... denn du maskierter Laffe warst es doch ... man sollte es wahrhaftig nicht denken ... ein Clown ... ein Allerwelts-zum-Lachenbringer ... ein Bojazz ... ein Schwelger ... ein Männchen »Überall« – – – und ein Frömmler dazu, der aus Aberglauben jeden Sonntag in die Kirche rennt und die Papageireden anhört ... das ewige Nachgeplärre aus der Bibel ... damit ja der liebe Gott die Sprünge über zehn Pferde segne ... und den [12] blöden Volksapplaus reichlich spende ... und das gute Wachstum der Gage gelingen lassen möge ... damit die tollen Freuden in den Wochennächten üppig aufsprießen wie die giftigen Pilze ... Immer erregter. Teufel ... mit den überfüllten Tränendrüsen ... schmachte ... meinetwegen ... du ... ich gerate in Wut ... ich werfe dir das leere Glas an den SchädelSie hat das Glas, das zerklirrt, nach ihm geworfen. ... ich sag es dir ... ich bin nicht für meinesgleichen ... ich bin eine Kunstreiterin ... eine Athletin ... eine Tochter der Anmut und der Kraft ... ja ...

DER CLOWN
ohne sich irgendwie zu bewegen, ganz trocken.
Du bist wie alle ...
LUISA.

Ich habe dich im Leben weiß Gott genug genossen ... ich habe nun einmal Zigeunerblut ... ich bin von einer Zigeunerin, die schwarzhaarig war, aber von einem englischen Vater aus Liebe erzeugt ... und vereinige die Kälte mit der Glut ... ich hasse alle Männer, die nichts sind als Clowns und Seiltänzer und Lustigmacher ... es ist ein Schandgewerbe ... lächerlich ... dein Glotzen ... nackt hast du mich hundertmal gesehen ... du kannst doch nicht verlangen, daß ich mit dir in einer Dauerehe lebe und womöglich solche Clowns zeuge, wie du bist ... und solches teuflisches Weibsgezücht wie ich selber ... bitte ... wenn ich schon Kinder haben soll, sollen sie in einer Bauernhütte aufwachsen ... wie Blumen auf dem Felde ... oder besser noch in einem Palaste des Reichtums ... und das sage ich dir ... jeder meiner zehn Diener soll mit einem Prügel jeden wahnsinnigen Artisten von der Schwelle treiben ... denn wenn ihr Pack hört, daß einer eurer Kollegen in einem Palaste wohnt, da lauft ihr doch Sturm gegen seinen Reichtum ... bis ihr ihm mit Süßlichkeiten oder Gewalt seinen letzten Pfennig wieder abgeknöpft habt ...

DER CLOWN.
Ambrois' dressierte Beuteltiere machen eben ihre letzten Hupfer ... also ...
LUISA.

Ach ... laß mich in Ruh mit Ambrois' dressierten Beuteltieren ... alle Menschen sind dressierte Beuteltiere ...

[13]
DER CLOWN
ganz phlegmatisch.

Hahahaha ... ja ... du bist wie alle ... und ich könnte dich hassen ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich liebe ...

LUISA.

Und du bist auch wie alle ... und ich könnte dich lieben ... hahahaha ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich hasse ... und heute nur noch Männer ertragen kann, die nicht nur wie ein gekaufter Papagei auf der Stange sitzen ... sondern die gewissermaßen eine Sicherheit haben ... die mit mir hinter versilberten Eichentüren in einem seidenen Himmelbett schlafen ... wo eine goldene Klingel am Bette steht ... mit der meine Hand dann hell bimmelt, wenn ich am Morgen den Kakao auf Silbertablett serviert ans Bett wünsche ...

DER CLOWN
in Luisa vertieft.

Und wenn ich dich hundertmal nackt sehe ... nämlich ... was geht mich alles Nackte an ... ich sehe dich eben gar nicht nackt ... ich sehe auch nicht mehr, daß du eine Kanaille bist wie alle ... ich sehe auch nicht mehr, daß du aus Gier zusammengesetzt bist und nur einen Goldregen in deinen Schoß ersehnst ... wie heißt denn die berühmte – – ... Danae ... ich sehe dich wie eine Göttin ... wie eine unsägliche Erfüllung meiner Sehnsucht ... du kannst mich totschlagen ... Luisa ... nur wenn du mir einmal mit deiner kleinen, sanften Hand so ganz leise über mein Gesicht und mein Haar streicheln wolltest ... so etwas raubtierhaft Sicheres und Süßes hast du in deinen Händen ... wie es überhaupt dein ganzer geschmeidiger Leib ausströmt ...

LUISA.

Hahahaha ... so streicheln ... wie ich dem Meister Wendelborn zehnmal über Gesicht und Hände streicheln könnte, wenn nur dieser lächerlich zopfige Kerl es vertrüge ...

DER CLOWN.
Wendelborn ... auch den möchtest du liebkosen ...
[14]
LUISA.

Ja ... – wenn er mir nur einmal unter die Finger käme ... hahahaha ... natürlich muß man da Unterschiede machen ... du ... soll ich dir jetzt einmal einen seligen Blick zuwerfen wie einem Geliebten ... soll ich ... oder wie einem, der mich mit Perlen und Gold behängt ... Schmachtend. soll ich dir Liebe zeigen, als wollte ich mit dir ins Reich der Träume fahren ... so entrückt, weißt du ... in eine süße Rosenlaube ... oder soll ich dich unbarmherzig an mich reißen, daß du wähnst, meine Liebe sei eine Tigerkatze ... und wenn du dich ihr nicht gutwillig ergibst, zerfleische ich dich ...

DER CLOWN
ganz sanft.

Was geht mich all dein Gerede an ... hinter all deinem Gerede sitzt eben doch nur ein Mensch ... ein Mädchen ... noch ein schamhaftes, gutes, liebendes Kind ... mit einem Schmetterling auf der Schulter ... mit einer weißen Rose im Haar ... mit einer Lilie in der Hand ... mit einer Stimme, die schweigt ... mit Augen, die sich nach Mond und Sternen sehnen ... die das Morgenlicht anweinen ... verflucht wie ich ... zerrissen wie ein Clown ... Luisa ...

LUISA
will seinen Kopf nehmen, herunterbeugen und küssen.
DER CLOWN
sträubt sich.

Ganz sanft redend. Nein ... nein ... Luisa ... küsse mich jetzt nicht, wo du so freche Worte, einen ganzen Strom, aus dir herausgeschüttet hast ... wo dein Herz zu all den Gemeinheiten hart geschlagen hat ... du erweckst mich aus meiner Seligkeit ... aus meiner Blindheit ... aus meinem heiligen Wahnsinn ... der mich allein noch glücklich macht in diesem verfluchten Narrengeschäft ...

LUISA
psalmodiert melancholisch.
Auf einer Flur,
wo fetter Klee
und Gänseblümchen
stand ...
[15]

Odebrecht ... ist doch dein veritabler Name ... hör mich ... Odebrecht ... ich sage dir ja ... wenn ich einmal ganz in mich hineinverschwinde ... ohne Kleider bin ... womöglich überhaupt nicht mehr weiß, daß ich noch das sündige Fleisch auf mir habe ... nur ganz in mich verkrochen bin ... da denke ich noch immer nur an dich ... Odebrecht ...Plötzlich auftrumpfend. aber man kann doch so verkrochen nicht leben, mein Junge ... man braucht doch das Gold auch ... du willst doch auch dein Leben genießen ... du ... Odebrecht ... sage es doch ... du hast gar keinen Grund, mich zu verachten ... nein ernstlich ... bitte ... sei mir ja nicht böse ... gib mir einen Handkuß ... gib mir einen Kuß auf die Stirn ... gib mir einen Kuß auf das rechte Augenlid ... hahahaha ... der bucklige Krösus ... dieser große Erfinder fängt doch den lieben Gott aus dem Himmel ein ... zwingt ihn richtig, wie er es selbst sagt, in seine Metallplatten und Glasplatten hinein wie den Teufel in die Flasche ... um zu sehen, was der liebe Gott eigentlich für die Menschen leisten kann ... da ist er natürlich dadurch reich geworden ... ganz unsinnig ... daß er sich sogar einen Meister Wendelborn halten kann ... und gleich drei Goldsäcke auf einmal ausschüttet, wenn seine leere Brunst auf ein Weib fällt ... hahahaha ... du ... den küsse ich auf die Augenlider, damit er nichts sieht ... und lasse mein Herz pochen wie einen Hammer ... aber dich küsse ich sanft, Odebrechtlein ... mit deiner Seelenjämmerlichkeit ...


Sie küßt ihn, ohne daß der Clown sich rührt.
In diesem Augenblick wird der vor der Tür hängende Vorhang weggezogen. Ein Mannesgesicht guckt durch den Spalt, gerade als der Clown vor Luisa niederkniet und sie umfassen will.
DER CLOWN
plötzlich wütend.
Schreit. Verfluchte Neugier ... was gibts denn wieder ...
7. Szene
Siebente Szene
LUISA
unterdessen sich der Vorhang wieder geschlossen hat, ruft, die Lage sofort erkennend.

Wir küssen uns nämlich nur, weil wir uns eben kräftig den Magen gefüllt haben ... und einstweilen noch nichts Besseres vorhanden ist ...

[16]
WENDELBORN
zieht den Vorhang wieder zurück und steht, als vornehmer Weltmann gekleidet, mit dem hohen Hute in der Hand da.

Ein sanftes, bartloses Gesicht mit sehr gütigen, aber sehr bestimmten Augen. Darf ich, Fräulein Luisa ...

DER CLOWN
schroff und gereizt.

Bleiben Sie gefälligst draußen, Herr Wendelborn ... verfluchte Unsitte, in die Garderoben zu dringen ... das ist niemand gestattet ... ich werde Sie hinausschmeißen, Sie Schmarotzer ...

LUISA
lachend.
Ich haue dir doch mit deiner eigenen Reitpeitsche eins ... du Mißgeburt ...
WENDELBORN
arglos entschieden und nur ganz freundlich.
Tritt näher.
LUISA.

Kommen Sie nur getrost in unseren Käfig herein ... eifersüchtige Tiere werden hier mit der Knute sicher gebändigt ... willst du wohl sanft sein zu Herrn Wendelborn, Herr Clown ... wenn ich dir nicht meine Gnade auf der Stelle kündigen soll ...

WENDELBORN.

Von dieser Gnade sagen Sie nur ja nicht auch nur den geringsten Muckser Herrn Tobias Buntschuh ... von Eifersucht und Mißtrauen hat sein Blut leider im Leben schon genug auszustehen ...

LUISA.
Nun ... willst du nicht Abbitte tun, mein Freund ...
WENDELBORN.

Ist er denn wirklich auch Ihr Freund, der lustige Max ... Zum Clown. Sie wollten mich eigentlich kränken ... es reizt Sie, daß auch ich gerade [17] von Buntschuhs Reichtum lebe ... Gott ja ... das ist wahr ... ein Künstler wie ich ... der sich auf das Ausrechnen des Goldwertes seiner Phantasiegespinste gar nicht recht eingelassen hat ... sich nie recht gekümmert hat um das sogenannte Geschäft ... ums Einheimsen ... der nur glücklicherweise immer des Schaffens voll war ... durch diesen göttlichen Zufall immer frei und reich aus seinen Phantasiequellen hinausgeben konnte ... nun erlauben Sie einmal ... Sie kennen Buntschuh und mein Verhältnis nicht ... ich werde Ihnen beschreiben, wie mein Freund Tobias Buntschuh eigentlich ist ... Er kramt ein Schmuckstück aus seiner Tasche hervor und hüllt es aus. Tobias Buntschuh ist der scharfsinnigste Mathematiker ... und Physiker ... und auch ein glänzender Chemiker ... hat den Kopf sozusagen voll der feinsten Ideengespinste, die wie die Sonnenstrahlen innig fein alle Welt durchsetzen ... verstehen Sie ... ich verstehe es nämlich selbst gar nicht ... berechnet aufs spürsinnigste ... und hat auf diesem Wege wirklich vermocht, schon manchen von unseres Herrgotts einäugigen Riesen aus ihren Weltenhöhlen hervorzustöbern, um sie in unsere menschlichen Geschirre zu spannen ... das ist natürlich nur ein Bild, wissen Sie ... und daß er für solchen Zauber ein unsinniges Geld einheimst, das begreifen Sie völlig ... aber die Sache hat eine Kehrseite ... es bleibt ihm gar keine Zeit für Schönheit und Anmut ... oder vielleicht ist auch gleich sein Scharfsinn so kolossal geraten, daß für die anderen Organe seines Leibes und seiner Seele gar kein Stoff mehr übrigblieb ... Sie verstehen schon ... über seine drollige Leiblichkeit brauche ich ja doch nicht erst zu reden ... Gott schafft auch Höckertiere ... nicht das Sichtbare seiner Körpergestalt kommt bei ihm als Hauptsache in Betracht ... nur das Unsichtbare ... die unerhört raffinierte Gehirnsubstanz ... hahahaha ... er sieht vom ewigen Denken gelb aus wie eine Zitrone ... aus der nur die hungrigen Augen herausbrennen ... ja ... nun sehen Sie einmal her, Fräulein Luisa ... das ist ein neuer Schmuck für Sie ... den ich Ihnen nur heute in Buntschuhs Auftrag abgeben sollte ... Tobias Buntschuh arbeitet nämlich schon seit Tagen wieder wie besessen an seiner höchsten und letzten Idee ... da ... Er hat ein zweites Etui aus seiner Tasche geholt und reicht es dem Clown. Herr lustiger Max ... das ist für Sie ...

[18]
DER CLOWN
nimmt das Etui und öffnet es, genau mit demselben Erstaunen wie auch Luisa ihrem Kästchen ganz behutsam einen kostbaren Schmuck entnommen hat.
WENDELBORN
steht dabei ganz achtlos.
LUISA.
Das ist aber ein großartiges Entgelt für die Tage meiner gänzlichen Witwenschaft ...
DER CLOWN
beim Betrachten des Schmuckes.

Mein Name ist Odebrecht, wenn ich einen solchen Diamanten anstarre, heiße ich nur wie ein Weltmann Odebrecht ...

WENDELBORN.

Ja ... diesen großen Diamanten hat Buntschuh ausdrücklich für Sie ausgesucht – ... und befohlen, ihn in eine ausgelassene Fasson einzurahmen ... nicht wahr ... das ist ein köstliches Ding ... eine sehr gelungene Ersinnung ... ein kleiner Sarg aus Gold und Steinsplittern ... der Sarg ist aufgeklappt ... ein Frauengerippe mit kostbarem Goldröckchen darin ... und einem Goldhütchen ... und an der Stelle, wo das Herz liegt, da steckt dieser kostbare Stein ...

DER CLOWN.

Wissen Sie ... dreitausend Mark ... für dreitausend Mark könnte ich mir diese Agraffe nicht beschaffen ... ja ... nur simuliere ich immer ... es ist wohl ein Sinnbild ... es soll wohl gar eine Anspielung sein ... ich merke jetzt schon, wo das hinaus will ...

LUISA.

Was heißt denn das ... was merkst du denn wieder ... warum sprichst du denn plötzlich wieder gereizt ... Herr Gott ... vor solchen Schätzen ... ich dächte, die könnten dir doch den Mund jetzt stopfen ...

DER CLOWN.

Ja, ja, ... es ist eine sinnreiche, köstliche Sache ... ich begreife es völlig ... dieser aus Elfenbein gebildete Clown, der neben dem entwichenen Weibe [19] steht, das soll wohl ich sein ... nicht wahr ... Herr Wendelborn ... Sie werden mir doch nicht etwa einreden wollen, daß dieses große Erfindergenie sich auch noch solche Kunstwerke ausdenkt ... das tut doch nur sein Goldschmied Wendelborn ... sagen Sie es mir nur gefälligst offen ins Gesicht ... dieser hoffnungslose Weibersklave und Clown soll ich sein ...

WENDELBORN
lacht harmlos.
Tja ... haben Sie etwas dawider, daß ein Künstler wie ich aus Ihrem Leben Schmuckstücke macht ...
LUISA
mit zappelnden Abwehrbewegungen.

Ich kann diesen Menschen nicht hören und sehen ... er ist ewig melancholisch ... und nimmt sich immer furchtbar wichtig ... als ob es auf einen solchen Kobolzschießer in dieser Welt überhaupt ankäme ...

DER CLOWN
guckt wieder in das Etui und lacht plötzlich clownhaft.

Hahahaha ... ich soll wohl einen dreifachen Salto mortale machen ... ja verflucht ... wenn solche Steine reden ... da schweigen in der Tat für einen Augenblick die anständigsten Gefühle ... Luisa ... mach dich nicht großartiger, als du bist ... du weißt ... wenn ich meine Sauen tanzen lasse, bin auch ich ein Herr und Gebieter ... und fuchtle mit meiner Peitsche herum ... also ... Im anderen Tone. entschuldigen Sie vielmals ... mein tiefstes Kompliment, Herr Wendelborn, an Herrn Buntschuh ... meine tiefste Ergebenheit ... meine ganze Ehrerbietung ... meine untertänigste Dankbarkeit ... das ist wirklich ein großartiges Geschenk ... Sie haben mich mißverstanden ... konnten Sie denn wirklich denken, ich wollte Sie aus diesem jämmerlichen Rückzugswinkel für armselige Artisten vertreiben ... wenn ich wirklich, ohne zu wissen, wer ...

LUISA.

Red dich nicht raus ... das ist erbärmlich ... wenn du auch in deinem ernsten Lebensgeschäft ein Clown bist, bist du doch auch ein Mann ... und[20] hast also nicht feige zu sein ... du wußtest sehr gut, wer den Vorhang aufhob ... du hattest schon vorher Herrn Wendelborn einen Schmarotzer genannt ... und schriest wieder Schmarotzer ...

WENDELBORN
sehr gütig.

Nein bitte ... es lohnt sich ja gar nicht, weiter darüber zu sprechen ... was wahr ist, muß wahr bleiben ... ich bin erst durch Buntschuhs Reichtum wirklich der berühmte Goldschmied geworden ...


Radiana schleicht sich wieder herein, hockt sich scheu auf ihren Schub hin.
LUISA.
Mach deinen Fußfall, Kanaille ...
WENDELBORN
in Gedanken weiterredend.

Obwohl ich im übrigen immer ein Mensch war, der nur für die Idee der Kunstarbeit Leidenschaft besaß ... für diese herrliche Idee, das grauingraue Leben der Pflicht- und Zweckmenschen ins Fröhliche und Bunte und Sinngebende zu verfärben ...

LUISA.
Mach deinen Fußfall ... ich bestehe darauf ...
DER CLOWN.
Herr Wendelborn, den Kleidersaum küsse ich Ihnen ...

Er wendet sich zum Gehen.
WENDELBORN
während ihn Radiana scharf anstarrt.

Nein nein ... gehen Sie ja nicht ... oder ich gehe wenigstens mit Ihnen, Herr Odebrecht ... ich muß nämlich unbedingt in Buntschuhs Nähe sein, wenn er wieder neu zum gemeinen Leben aufwacht ...

DER CLOWN
steht und bestarrt neu den Schmuck.
[21]
LUISA
steht jetzt vor dem Spiegel.

Sehen Sie wenigstens mich erst einmal ordentlich an ... wie diese Perlen meinen federweichen Frauenhals geradezu betörend schmücken ...

WENDELBORN
lacht und tritt vor den Spiegel.
Ja ... das habe ich für meinen geliebten Buntschuh vortrefflich gemacht, nicht ...
LUISA.

Berauscht Sie nicht ein solcher Anblick völlig, Herr Wendelborn ... Buntschuh ist ein Verschwender ...

WENDELBORN
ganz achtlos.

Ja, ja ... freilich ... ein Verschwender ist er ... aber vor allem ist er fein und zart und grundgütig ... hat eine reine Kindsseele ... und deshalb sage ich es Ihnen auch immer wieder ... Sie müssen ihm die erdenklichste Zärtlichkeit zeigen ... wenn man Buntschuh seit der Jugend kennt wie ich, weiß man, daß er volle Liebe verdient ... adjüs, Fräulein Luisa ... auch Ihnen, Herr Clown, sage ich das ausdrücklich ... auch Sie vergessen mir das ja nicht ... zärtlich ... natürlich voller Ehrerbietung zu Herrn Buntschuh ... aber zärtlich ... nennen Sie mich dann, wie Sie wollen ... mich stört das gar nicht ... hahahaha ... ich habe in diesem Punkte noch immer das beste Gewissen ... ja ... ich habe Buntschuh schon leidenschaftlich geliebt, als er noch ein ganz armer Teufel war ... aber natürlich schon mit dem unglaublichsten göttlichen Scharfsinn alles überglänzte ... schon in der Schulzeit ... schon damals war es mir ordentlich ein Glück, sein heißbegehrter Schmarotzer zu sein ...


Radiana springt auf, läuft sprunghaft zu Wendelborn, der schon die Vorhangsfalte in der Hand hat, küßt ihm die Hand und läuft wieder auf ihren Schub zurück.
WENDELBORN.
Ih ... dumme Kleine ... was hat's denn nur ...
[22]
LUISA.
Hocken bleibst du ... sie ist ein verrücktes Ding ...
WENDELBORN
lachend und winkend.
Adjüs, adjüs ... Ab.
8. Szene
Achte Szene
DER CLOWN
wie Wendelborn hinaus ist, starrt nur den Schmuck lange an .
.. Mir ist himmelangst ...
LUISA.
Wovor denn ...
DER CLOWN.
Vor mir und vor dir ...
LUISA
steht noch immer vor dem Spiegel.

Von solchem Schmuck bin ich richtig besoffen, als hätte ich eine ganze Buddel Sekt auf einmal heruntergestürzt ...

DER CLOWN.
Oh du Gott der Gaukler ... für Diamanten und Gold verhandeln wir unser Leben ...
LUISA.
Hahahaha ...
DER CLOWN.

Luisa ... ich liebe dich ... mehr als alle Reichtümer ... und ich verachte dich ... mehr als alle Reichtümer ...

LUISA.
Ach quatsch nicht ... geh jetzt ... du bist jetzt dran ...
DER CLOWN.

Ich will dir auch gerne diesen Schmuck noch schenken ... da ... nimm ihn ... Wie Luisa sich nicht darnach wendet. meinetwegen auch in die Ecke damit ... Erde zu Erde ... Er hat den Schmuck in den Winkel geworfen.

[23]
LUISA.

Behalte hübsch den offenen Sarg mit dem Totengerippe eines Frauenzimmers ... ich weiß schon ... du möchtest mir einen Zauber antun ... so eine kleine Vorbedeutung meines Todes mir ge schickt ins Blut hineinspritzen ... damit ich womöglich vom Drahtseil falle ... mich Herrn Buntschuh gar nicht mehr hingeben könnte ... in der Manege einfach verreckte ... und du dann dastehen könntest als etruskische Tränenflasche ... dich vor den Leuten als trauernder Liebhaber satt flennen könntest ... den Gefallen tu ich dir nicht ...

DER CLOWN
hebt seinen Schmuck wieder auf.
Für kalte Steine verhandeln wir unser Leben ... Ab.
LUISA
hinter ihm drein lachend.
Hahahaha ...
9. Szene
Neunte Szene
LUISA
noch immer vor dem Spiegel.
Die Augenlider werde ich ihm küssen dafür ... die Füße werde ich ihm küssen dafür ...
RADIANA.
Wem ...
LUISA.

Ein Weib darf niemals das letzte sagen ... du bist wohl schon eifersüchtig ... du willst mir wohl schon in die Karten sehen ...

RADIANA.
Inwiefern ihm die Augenlider küssen ... ist denn das der Herr, der eben ging ...
LUISA.

Quatsch ... Unsinn ... frag nicht so albern ... das weißt du alleine ... das wäre mir so einer ... der ... ist selber nur ein Schmarotzer ... der [24] berühmte Goldschmied Wendelborn bringt doch den Schmuck nur im Auftrage von Herrn Tobias Buntschuh ... der sein Herr ist ...

RADIANA.

Und für die kalten Steine und das gelbe Gold willst du dich diesem Herrn Buntschuh zu Füßen werfen ... und seine hingebende Sklavin sein ...

LUISA.
Fällt mir nicht ein, Sklavin sein ... Herrin bin ich immer ...
RADIANA.

Ist der so mächtig, daß er sich einen solchen Herrn Wendelborn halten kann ... oh, Herrn Wendelborn möcht ich liebkosen ...

LUISA.

Hahahaha ... Gott ... ein Mädel wie du ... das möchte manche, jetzt wo er durch Buntschuhs Gnade auch immer Geld hat ...

RADIANA.

Ach ... der hat eine Freundseele ... mit dem Herrn Wendelborn möchte ich auch nur einen einzigen Augenblick auf der Blumenwiese der Seligkeit spielen ...

LUISA
plötzlich zornig.

Gar nichts hast du dich um diese Männer zu kümmern ... um beide nicht ... meinetwegen hat sich dieser Herr Wendelborn den herrlichen Schmuck ausdenken müssen ... nicht deinetwegen ... meinetwegen hat Buntschuh diesen Menschen hierher geschickt ... nicht deinetwegen ... fang nur mit solchen Frechheiten an ...


Eine lustige Stakkatomelodie beginnt hinter der Szene, während Luisa ihren Schmuck erregt in das Kästchen legt und dann in eine Handtasche sorgfältig einschließt.

Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Ein runzliges Mannesgesicht guckt behutsam und scheu zur rechten, vorderen Tür herein. Leise und verschmitzt lachend.

Hahahaha ... es ist ja noch Totenstille hier ...


Jetzt tritt er in Pantoffeln schlürfend herein. Es ist der

VATER BUNTSCHUH
ein etwa achtzigjähriger, sonderbarer, dürftig mit einer Eisenbahnarbeitermütze und verschabtem Jackett angetaner Mann, mit langem strähnigen, weißen Haar.

Er steht wieder still und guckt sich nur pfiffig amüsiert um. Dabei spricht er flüsternd für sich. Nu ja ... es ist ja noch Totenstille hier ... und warum sollte denn hier auch nicht Totenstille sein ... da wohnt doch der König Herodes ... da wohnt doch der König aus dem Mohrenlande ... ja ... der hat Vater und Mutter ... der hat Mohren aus dem Mohrenlande ... und seine Mutter ist wunderbar schön ... und sein Vater ist wunderbar köstlich ... und der Sohn selber ist wunderbar köstlich ... ach so wunderbar köstlich ... und die Gartenbäume sind wunderbar köstlich ... und der ganze Morgenhimmel ist doch wunderbar köstlich ...

2. Szene
Zweite Szene
In diesem Augenblick kommt behutsam, aber eilig die

MUTTER BUNTSCHUH
eine alte, etwa sechsundsiebzigjährige, noch rüstige, aber gebeugte Frau, in einfacher Kattunjacke und einem Chenillennetz über dürftigem Haar, einen Handbesen in der Hand.

Vater ... du sollst doch nicht immer fortrennen ... du sollst mir doch helfen ... bleib gefälligst oben in der Stube bei mir ... du störst doch Tobias ... er steckt ja noch tief in der Arbeit ... komm nur wieder ...

3. Szene
[29] Dritte Szene
DIENER FRANZ
erscheint wie aufgescheucht aus der Tapetentür.
Oh ... man schläft richtig ein, wenn Stunde um Stunde so totenstill hingeht –
MUTTER BUNTSCHUH.
Wie lange geht's denn schon wieder ...
DIENER FRANZ.

Seit drei Uhr nachts ... wo der gnädige Herr aus seinem Schlafzimmer in seine Arbeitsräume hinüber schlürfte ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Ja, ja ... schlürfte ... im Nachthemde womöglich ... halb nackt und bloß ... hatte er wenigstens den Schlafrock um ... und die Pantoffel an den Füßen ... Sie geht zur Gartentür. macht nur die Tür auf, damit die schöne Luft reinkommt ... Bei diesen Worten hat sie selber die Tür aufgeriegelt und weit geöffnet. es geht ja schon auf zwölf ...

DIENER FRANZ.

Ja ... es geht schon auf zwölf, wie ich eben sehe ... und wer weiß noch, wie lange es weiter geht ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Du kommst jetzt, Vater ...
DIENER FRANZ.
Gehen Sie nur ja, Herr Buntschuh ...
VATER BUNTSCHUH
mit abwehrendem, verächtlichem Blick gegen den Diener, zu Mutter Buntschuh gehend und ihre Hand fassend.

Ach ... Herr Buntschuh ... Blödsinn ... wenn auch mein Sohn mein Sohn ist ... ganz gleichgültig ... nennen Sie mich gefälligst Siebenhaar ... wie mein alter Onkel Siebenhaar hieß ... der sein ganzes Leben lang nur immer mühsam auf dem Schusterschemel hockte ... ja ... Mutter Buntschuh [30] führt ihn und zieht ihn behutsam durch die rechte, vordere Tür fort, während er noch zurückspricht. und überhaupt nicht eine Minute übrig hatte in seinem Leben, sich seine sieben Haare wieder zum Beispiel rot zu färben ... nicht ... Mutterle ... Beide ab.

4. Szene
Vierte Szene
Diener Franz guckt durch das Schlüsselloch in der rechten, tieferen Tür. Da klopft es an der Tapetentür vorn. Er geht hin und öffnet sie. Es steht ein reich livrierter, Mohr mit Silbergeschirr auf einem Silbertablett sichtbar davor.

DIENER FRANZ.

Nein nein ... ih bewahre ... immer noch nicht ... immer noch nicht ... für Napoleon mußte man auch erst immer zwölf Hühner braten, ehe er eins verschlingen konnte ... wenn die Schlacht ging, sagt Herr Buntschuh ...


Er schließt wieder die Tür.
5. Szene
Fünfte Szene
DER SEKRETÄR
ein Mann von etwa 28 Jahren, kommt aus der rechten, vorderen Haupttür.

Eilig. Es fehlt ja doch nicht mehr viel zu zwölf Uhr ... und der gnädige Herr halten die üblichen Empfangsstunden schon wieder nicht ein ...

6. Szene
Sechste Szene
Gleich dahinter erscheint.

PHILIPP WENDELBORN
den leichten Überzieher über einer Art Arbeitsschürze, eine samtene Meistermütze auf dem Kopfe, die er in den Nacken geschoben hat.

Er hat einen eleganten, kleinen Handkoffer mit sich. Ebenfalls aus der rechten, vorderen Haupttür. Nun ... wie steht es ... noch nicht ...

DIENER FRANZ.
Nein ... noch immer nicht ... seit drei Uhr nachts ...
WENDELBORN
setzt sich breit auf einen Sessel, starrt den Diener, dann den Sekretär lustig an.

Acht Stunden und neunundfünfzig Minuten ... und auf einem Fleck angepicht ... na ... ich sitze doch wenigstens einmal zur Abwechslung an meinem[31] Bechstein und spiele mir ein Bachsches Präludium vor ... oder schäkere mit meinem Jungen, wenn der aus der Schule kommt, Blaubeeren in der einen Tasche und Heuschrecken in der anderen ... aber bei dem gebrechlichen Leibe obendrein diese ununterbrochene Arbeitskraft ... das ist das Kolossale bei dem Kerle ... schon in der Studentenzeit kriegte er mitten in der Nacht ... und wenns im tieffsten Winter war ... den Denkrappel ... hockte bei der rauchenden Petroleumlampe auf eine alte Holzkiste nieder ... soff zur inneren Illumination die helle Menge eiskalten Kaffee runter ... und saß dann noch am hellen Mittag in Hemd und zerfranstem Havelock und malte seine Zahlen ... Zu dem Sekretär gewandt. schicken Sie nur am besten die wartenden Menschen wieder fort ... Sie wissen ja doch ... jetzt, wo er als graues Gespenst über den dunklen Abgründen der Begriffe taumelt, kommt er doch nur scheu wie eine Eule ans Tageslicht ...

DER SEKRETÄR
im Abgehen.
Na natürlich ... schicke ich die wartenden Leute einfach wieder weg ...

Ab, wo er gekommen ist.
7. Szene
Siebente Szene
WENDELBORN
läuft in Ungeduld hin und her.

Wissen Sie ... solch eine sonderbare, meinetwegen ganz einseitige Veranlagung, die kann man wirklich nicht bloß bestaunen ... die muß man einfach bewundern und lieben ... nur so wird doch letztes Menschenmögliches überhaupt erst zustande gebracht ... ein solcher Grad von Vertiefung, wo zwölf Stunden gar keine Zeit sind ... na ... Er bleibt stehen und sieht den Diener an. jedenfalls ... Er weist auf den auf den Tisch gestellten Koffer. der Kram bleibt einstweilen hier stehen ... aber ich muß noch das Telephon in die Hand nehmen ... denn sonst arbeiten mich meine Kerls zu Hause in Grund und Boden ... Franz ... wenn Herr Buntschuh ruft ... ich bin unten im Telephonzimmer ...


Ab durch die rechte Tür vorne, während Diener Franz wieder an der tieferen Tür rechts durchs Schlüsselloch beobachtet.
8. Szene
[32] Achte Szene
DER SEKRETÄR
kommt wieder.
Ich bringe den Herrn Generaldirektor nicht wieder auf die Socken ... er schimpft und wartet ...
DIENER FRANZ.
Jetzt wird jedermann unbarmherzig fortgeschickt ...
DER SEKRETÄR.

Aber der Herr Generaldirektor erregt sich unten ... er tritt eine größere Reise an ... muß Herrn Buntschuh unbedingt sprechen ...

DIENER FRANZ.

Und die Herren Baumeister werden auch ihre Gründe wissen ... und der Herr Küchenchef wird auch fluchen ... und der Herr Parkdirektor wird vor Ungeduld einen Kranz roter Rosen selber auffressen ... jetzt wird einfach jedermann fortgeschickt ...

DER SEKRETÄR.

Ich hasse derlei Auftritte ... erklären Sie es ihm, wenn Sie mögen ... sonst rennt dieser Generaldirektor doch noch die Mauern durch ...


Beide nach rechts vorn ab.
9. Szene
Neunte Szene
Man sieht jetzt im Garten, durch die geöffnete Flügeltür, Radiana erstaunt und neugierig näherschleichen. Sie ist in ein dürftiges Mäntelchen gehüllt. Ihr Haar in spitzem Knoten über den Kopf gebunden. Ihre Füße stecken, mit fleischfarbenem Trikot bekleidet, in einer Art schmiegsamer, grauer Tanzschuhe. Nur die Knöchel sind unter dem Mantel sichtbar. Aber man hat das Gefühl, als wenn sie unter dem Mantel in einem engen Seiltänzerkostüm steckte. Bei einem geringsten Geräusch springt sie sofort wie eine Katze zurück und verschwindet wieder in der Tiefe des Gartens.
10. Szene
Zehnte Szene
Die rechte Tür in der Tiefe wird ganz leise aufgetan. Scheu guckt der von langen, braunen Locken umhangene, hohe Schädel.

BUNTSCHUHS
heraus.
Und eine hohe Stimme ruft ziemlich kläglich. Philippchen ... Philippchen ...

[33] Man sieht Tobias Buntschuh, einen zirka achtunddreißigjährigen, kleinen, buckligen Mann, mit länglicher Nase, dünnen Beinchen in weißseidenen Unterhosen und Hemd, einen alten violetten Seidenmantel um, die baren Füße in vertretenen violetten Schlafschuhen, die schattende Hand über die Augen, blinzelnd aus der Tür treten. Schritt um Schritt ängstlich.

Wo denn ... wo bist du denn ... es kam mir doch plötzlich so vor ... es guckte doch ein zärtliches Auge durch das Schlüsselloch ... lauert ihr wieder ... Franz ... nein ja nicht ... du warst es, Philippchen ... ich bin jetzt so fröhlich ... ich bin jetzt so fröhlich ...


Er hat sich in einen Lehnstuhl gehockt.
11. Szene
Elfte Szene
WENDELBORN
tritt aus der rechten Haupttür vorn herein.
Guten Morgen, Tobby ...
BUNTSCHUH
in den Lehnstuhl gehockt.

Philippchen ... ich werde die höchste Macht noch gewinnen ... ich werde alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... was nutzt denn der ganze idealistische Dunst ... was nutzt denn all dieses Glauben und Lieben und Meinen ... ich glaube gar nichts ... was nutzen denn eure Theaterstücke ... was nutzen denn all die steinernen Figuren ... möcht ich nur wissen ... was nutzen denn all die poetischen Redensarten im Leben ... nein ... schweige nur still ... und sage gar nichts ... was nutzen all diese Gaukelspiele ... sie können einem nicht den geringsten Zahnschmerz vertreiben ... ich bin jetzt so fröhlich ...Gewichtig. der Scharfsinn macht Reichtum ... und Reichtum macht fröhlich ... nur mit Reichtum hat man göttliche Macht ... reich ist Gott ... reich ist der Teufel ...

WENDELBORN
betrachtet ihn pfiffig gütig.

Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... wenn ich auch die Einseitigkeit deiner Auffassung in diesem Augenblick nicht völlig teile ...

[34]
BUNTSCHUH
ganz prahlerisch.

Ja ... ich werde bald alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... es dauert gar nicht mehr lange ... da werde ich auch die große Sonne zu meinem Mahlochsen gekürt haben ... und damit die irdischen Goldmühlen drehen ... ich bin schon heute der kühnste Beherrscher ... hahahaha ... ein ganz anderer noch als der König Salomo ... ein ganz anderer noch als der berühmte Gold- und Weihrauchkönig ...


In sich hineinlächelnd.
WENDELBORN
betrachtet ihn immer kindlicher und liebevoller.

Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... und wenn dir wieder Großes gelungen ist ... du redest ja heute richtig, als wenn du auf einem Kriegsrosse mit goldener Schabracke säßest ... und nur so als Triumphator verächtlich bei mir vorbeitänzeln wolltest ... du weißt, daß ich dein sieghaftes Genie liebe ... das ist doch viel schöner, als wenn du dir manchmal wie eine Laus vorkommst ... dich jämmerlich zerfrißt ... und dann wie eine traurige Mißgeburt heulst ...

BUNTSCHUH
scharf.
Schweig ... du sollst mich an Häßliches jetzt nicht erinnern ...
WENDELBORN
sehr gütig.

Tobby ... ich begreife es ja völlig, daß es dir nach solcher erfolgreichen Arbeit nach Tagen und Wochen wieder einmal die letzte Seligkeit vorgaukelt ...

BUNTSCHUH
lächelnd.
Ich werde mit meinen Erfindungen ganz gewiß noch die letzte Seligkeit mir gewinnen ...
WENDELBORN.

Ich weiß ja, Tobby ... das ist ja hundertmal dein Glaube ... und zum schönen und zum großen Tun muß man den letzten Glauben haben ... [35] sonst kann nichts gelingen ... vielleicht erfindest du es so weit, daß man deine Sonnenstrahlen auch noch persönlich essen kann, um damit zum Beispiel das schönste Kunstwerk hervorzubringen ... oder daß man dadurch eine göttliche Stimme bekommt, wie Caruso ... oder daß man dadurch ein Auge bekommt mit göttlicher Sehschärfe bis zum fernsten Fixstern ...

BUNTSCHUH
blinzelnd giftig.
Rede nur weiter ... was du noch sagen willst ...
WENDELBORN
gütig.
Du, ich bin harmlos ... was will ich noch sagen ...
BUNTSCHUH.
Ich weiß es ...
WENDELBORN.
Da sag's doch ...
BUNTSCHUH.

Vielleicht kannst du es noch so weit bringen, daß du wieder aufrecht gehst wie Apollon ... und keinen Krummbuckel mehr hast wie dieser Buntschuh ...

WENDELBORN.

Tobby ... jeder Mensch besteht mindestens aus Zweien ... aus einem Superklugen und aus einem Weisen im Innern – ... aber du Dämon bist doch extra gemischt ... du hast doch wenigstens drei Götter und neun Teufel in dir ... und das hämische Zeug, das du eben redest, redet doch nicht etwa der hellerlichte Strahlenmensch in dir ...


Buntschuh schweigt.
WENDELBORN.

Weißt du, Tobby ... du solltest dich an deinem Schicksal nicht versündigen ... du hast solch eine geistige Gewalt mit auf deinen Lebensweg bekommen, daß du wirklich damit zufrieden sein solltest ... Lustig. dein geliebter Höcker und dein eingedrückter Brustkasten gehört ja doch offenbar zu [36] deinem exorbitanten Tiefblick und Spürsinn in die Geheimnisse dieser Welt aus Dreck und Feuer völlig mit hinzu ...

BUNTSCHUH
heftig.
Schweig, du beleidigst mich ...
WENDELBORN.

Junge ... dem Unvermeidlichen kann auf dieser Erde niemand entgehen ... das greift unbarmherzig noch in jedes Leben ...

BUNTSCHUH.
Ich werde es euch schon klarmachen noch, daß ich auf Erden der schönste Mann bin ...
WENDELBORN.
Tobby ... Vernunft ... du willst wieder einmal einen beliebigen Streit vom Zaune brechen ...
BUNTSCHUH
hat plötzlich aus seinem Schlafrock einen ziemlich großen Silberspiegel genommen und beginnt mit seinem Spiegelbild heimlich ein Spiel zu treiben.

Sein Lachen wird krampfhaft. Hahahahahahahaha ... göttlicher Buntschuh ... göttlicher Buckelhans ... hahahahahahahaha ... du kannst dir doch mit deinem Scharfsinn die köstlichsten Paradiesfrüchte aus Golde erhandeln ... warum solltest du dir denn nicht mit deinem Scharfsinn das herrlichste Menschenglück hier auf Erden erhandeln ... hahahahahahahaha ... Tobiaschen ... du bist doch ein Erfindergenie ...

WENDELBORN.

Wer dich nicht kennte, müßte in einem solchen Momente ein bissel vor dir erschrecken ... jedenfalls müßte er denken, du redest im Wahnsinn ...

BUNTSCHUH.

Ich weiß schon ... ich weiß schon ... das ärgert dich furchtbar, wenn ich mich göttlicher Kräfte rühme ...

WENDELBORN.

Glaube, daß es mich ärgert ... den Spaß sollst du haben ... ich weiß ja doch, wie unsinnig in dir die Gegensätze beieinander wohnen ... und wie [37] gerade du um so jämmerlicher aus allen Himmeln herabfällst, je mehr du dir wieder einmal den Wahn deiner Macht vergrößert hast ...

BUNTSCHUH.
Ich habe die Macht ... ich habe niemals den Wahn einer Macht ...
WENDELBORN.

Trotzdem wirst du es nicht aus der Welt schaffen, daß gerade der idealistische Dunst, wie du es nennst, das ganze göttliche Phantasieleben des Menschen, die höchste und wichtigste Macht ist ... wenn es nur die greifbaren Dinge wären ... selbst Berge Belugakaviar ... oder die bunten Langusten auf den Schüsseln ... oder die Goldhaufen in den Goldschränken ... dann wäre die Welt reif für den Schindanger ... denn dann würden nur gierige Leiber sich um diese Greifbarkeiten reißen ... im übrigen brauche ich dir das gar nicht erst zu sagen ... denn ich weiß nicht erst von heut und gestern, aus welchen heimlichen Gründen du heute wieder einmal mit der Lanze in die Arena reitest ...

BUNTSCHUH.

Aus welchen heimlichen Gründen reite ich denn mit der Lanze in die Arena ... da sag' es doch offen ...

12. Szene
Zwölfte Szene
VATER BUNTSCHUH
schleicht sich wieder in diesem Augenblick zur rechten, vorderen Tür herein.

Er umschleicht sofort kindlich devot und lächelnd den in dem Lehnstuhl hingelümmelten Tobias. Aah, ja ... nu da ist ja der König Herodes wieder von den Toten erwacht ... hahahaha ... da atmet er wieder ... aber seine Augen sind gar so aufgequollen ... er hat wohl geweint ... er sieht gar nicht schön aus ... Er beginnt zu weinen. Jesus ... Jesus ...

WENDELBORN.

Machen Sie Tobias nicht erst zornig, Herr Buntschuh ... gehen Sie lieber wieder zu Frau Buntschuh hinauf ...

[38]
BUNTSCHUH
hat den Vater Buntschuh nur verächtlich angestarrt.

Zieht nur wieder seinen silbernen Handspiegel heraus und treibt mit seinem Spiegelbilde wieder ein Spiel. Hahahahahahahaha ... göttlicher Buntschuh ... göttlicher Buckelhans ... hahahahahahahaha ... dein Vater und deine Mutter stammen ja doch nur aus Armutsblut ... und du bist gar noch bucklig geraten ... hahahahahahahaha ...


Plötzlich klingelt er herrisch.
13. Szene
Dreizehnte Szene
DIENER FRANZ
erscheint.
BUNTSCHUH.

Vorwärts ... vorwärts ... führe Vater zu Mutter hinauf ... sie soll ihn bewachen ... daß er nicht 'rumirrt ...

DIENER FRANZ
bemüht sich sogleich, Vater Buntschuh durch die rechte, vordere Haupttür wieder hinauszuführen.
Kommen Sie ... kommen Sie nur freundlichst, Herr Buntschuh ...
VATER BUNTSCHUH
unwillig.

Ach ... Herr Buntschuh ... Blödsinn ... nennen Sie mich nur gefälligst Siebenhaar ... wie meinen alten Onkel Siebenhaar ... der auch Siebenhaar hieß ... und der immer schneeweiße Haare hatte ... und der niemals Zeit hatte ... sich seine Haare, zum Beispiel ...

DIENER FRANZ
mit Vater Buntschuh ab.
BUNTSCHUH
krampfhaft lachend.
Hahahahahahahaha ... nennen Sie mich nur gefälligst auch Siebenhaar ... hahahahahahahaha ...
14. Szene
[39] Vierzehnte Szene
WENDELBORN.
Tobby ... du bist von dem unsinnigen Denken richtig wie verdreht ...
BUNTSCHUH
nimmt eine gereizte Haltung an.
Was soll denn der Koffer ... zeig das Spielzeug her ... ich werd es bezahlen ...
WENDELBORN.

Du läßt den Koffer stehen ... er gehört nicht hierher ... ich werd mich mit meinen schönen Dingen jetzt durchaus nicht brüsten ... ich bin doch in diesem deinem menschlichen Hochmomente nicht geschmacklos genug, den güldenen und kostbaren Kleinkram hier auszubreiten ...

BUNTSCHUH.

Ja ... eben ... was bringst du denn erst diesen güldenen und kostbaren Kleinkram überhaupt hierher ... ich erlebe meine höchste Stunde heute ... ich brauche weiß Gott mit kostbaren Ködern niemanden erst noch an mich zu locken ...

WENDELBORN.
Ich sage es dir ja, Tobby ... ich begreife vollkommen dieses erhabene Gefühl ...
BUNTSCHUH.
Ich brauche auch keine schöne Dame mit Gold und Diamanten erst an mich zu locken ...
WENDELBORN
lachend.

Lieber Tobby ... eine kindliche, keusche, reine Frauennatur ... die gar nichts verlangt ... eine, die dir nur selber zwei Hände voll Güte entgegenbringt ... eine Fromme ... sozusagen eine nur Hingebende ... hahahaha ... eine, deren Blut das Tröpflein wahrer Seligkeit und Einigkeit zugemischt ist ... das bekanntermaßen aus Gottes glitzerndem Ölfläschchen direkt herstammt ... die kann man eben mit Gold und Diamanten gar nicht an sich locken ... [40] die wirst also auch du mit deinem Gold und deinen Diamanten niemals an dich locken.

BUNTSCHUH
heftig ausbrechend.

Weil dein Weib rechtzeitig gestorben ist ... in der ersten Blüte und du dir jetzt beständig ihr Andenken recht sentimental ausmalen kannst ... und vor deinem zehnjährigen Bengel prahlen kannst ... deshalb redest du ...

WENDELBORN.

Tobby ... nun lache ... ich ... na ... niemals ... ich nehme den Namen meines Weibes niemals auch nur in den Mund vor dir ... das schlucke ich gefälligst stets runter vor dir ... aber ... du weißt doch ... ich habe doch genug Einsicht ... viel zu viel ... in deine eigenen, letzten Lebenssehnsuchten ... und in deine furchtbaren Schmerzen ...

BUNTSCHUH
schreit.
Wenn du mich so erniedrigen willst, stelle ich dir den Stuhl vor die Türe ...
WENDELBORN
lachend.

Du bist doch ein ebenso törichter wie ganz gemeiner Kerl, Tobby ... wirklich manchmal im Gemüte noch der reine Weichenstellerjunge im Straßengraben ...

BUNTSCHUH
wieder schreiend.
Ich hasse dich, Philipp ... ich hasse dich, Philipp ...
15. Szene
Fünfzehnte Szene
In diesem Augenblick sieht man im tieferen Garten eine Sekunde das Gewand der Radiana.

WENDELBORN
der in den Garten hinausgestarrt hatte, sagt sogleich bedachtsam.
Tobby ... bitte ... Haltung ... es sind Leute im Garten ...
[41]
BUNTSCHUH
schleicht hastig in die Tür, guckt verkniffen und empört zurück und spricht heraus.
Scharf. Jag das Gesindel hinaus aus dem Garten ... jag das Gesindel hinaus aus dem Garten ... Ab.
16. Szene
Sechzehnte Szene
WENDELBORN
der in der Flügeltür steht.

Nein ... was ist denn das da für eine kleine Vogelscheuche ... solch ein freches Ding ... sie kommt wahrhaftig ganz dreist und gottesfürchtig hier durch den Park ... Zurückrufend nach Buntschuh. potz Donner ... das Frauenzimmerchen will doch nur dich jetzt sehen ... da bleib doch gefälligst ...

17. Szene
Siebzehnte Szene
Man sieht jetzt, wie Radiana im Garten immer näher, ganz scheu herankommt.

WENDELBORN.

Nein ... sagen Sie ... das ist wohl die kleine Radiana ... was ... wie ... wie kommen Sie denn hier herein ... Sie müssen ja doch über Mauern und Wassergraben gekommen sein ...

RADIANA.

Ja ... jawohl ... über Mauern und Wassergraben ... was ist denn dabei ... ich bin nach der Probe gleich weggelaufen ...

WENDELBORN.
Und auch durch die Wachthunde sind Sie durch ...
RADIANA.

Ja ... jawohl ... die Wachthunde habe ich nur gestreichelt ... gebissen hat mich keiner ... sie haben alle nur gewedelt ...

WENDELBORN.
So ... hahahaha ... verstehen Sie das alles ...
[42]
RADIANA
stutzig und anmutig.

Ja ... jawohl ... das verstehe ich ... ich heiße nämlich eigentlich gar nicht Radiana ... das ist nur so ein roter Klecks auf der Stirn ... ich heiße eigentlich ganz gewöhnlich Lotte Grasmück ... nur als Schlangenmädchen heiße ich Radiana ... nur für die Kunststücke im Zirkus heiße ich Radiana ... weil ich noch so junge und gewandte Glieder habe ... sonst bin ich ein ganz gewöhnliches Mädel ... über die höchsten Mauern kann ich klettern wie eine Eidechse oder wie eine Schlange ... Hunde kann ich auch gleich von der Ferne so ansehen, daß sie mich lieben ... das können so junge, geschickte Mädchen oft ...

WENDELBORN.

Das können Sie wohl gar auch mit Männern schon ... Sie sind ein lustiges Ding ... ich habe Sie ja schon manchmal bei Fräulein Luisa sitzen sehen ... was wollen Sie denn aber nur hier ...

RADIANA
plötzlich sehr verlegen.

Das weiß ich selbst nicht ... wo auch Sie gerade so unerwartet noch vor mir auferstehen ... nein richtig ... Sie zieht unterm Mantel einen Brief hervor. das ist von Luisa an Herrn Buntschuh ... ich bin nur ein gemeiner Schicketanz heute ...

WENDELBORN
lachend.

Das hätten Sie aber bequemer haben können ... wenn Sie zum Beispiel nur unten in der Kanzlei den Brief einfach an den Portier abgegeben hätten ... nicht ...

RADIANA.
Ja ... jawohl ... es war nur ein Abenteuer ...
WENDELBORN
mit dem Finger drohend.

Na na na ... wie heißen Sie ... Lotte Grasmück heißen Sie ... Einbrecher sollten Sie heißen ... da wollten Sie sich wohl den großen Erfinder Buntschuh einmal gründlich besehen ... Die tiefere rechte Tür hat sich wieder aufgetan, und Buntschuh mit immer demütiger verzogenem Gesicht nähert sich.

[43]
RADIANA
die ein wenig erschrocken auf ihn starrt.

Nein ... gar nicht das Einzelne ... ich wollte nur diese ganze Herrlichkeit einmal betrachten ... lieben tu ich weder den Prunk noch die Menschen ... die Wolken und die Kühe und Lämmer liebe ich viel mehr ... und die Wiesenblumen liebe ich auch ... zum Beispiel eine Schafherde liebe ich mehr wie mein Leben, wenn die so mit gesenkten Schafsköpfen auf einer Kleestoppel in Sonne herumschrobt ... aber ich bin sehr neugierig ...

BUNTSCHUH
geht Radiana immer näher und will sie streicheln.
RADIANA
ganz erschrocken.

Oh nein ... bitte ja nicht ... wenn ich auch aus dem Zirkus bin ... angreifen darf mich niemand ... sonst schreie ich um Hilfe ... außerdem ... wenn das Luisa wüßte, da erdrosselte sie mich ...


Sie ist jetzt nahe daran, in Verlegenheit fortzuspringen.
BUNTSCHUH
immer demütiger.
Schenk ihr doch Schmuckstücke ... schenk ihr doch Schmuckstücke ...
RADIANA
sehr bestimmt.

Gott bewahre ... ich muß fort ... es ist ja doch schon ganz spät am Tage ... ich müßte mich längst zu einem vernünftigen Men schen hergerichtet haben ... wie ich nur aussehe ... manchmal bin ich so töricht ... manchmal setze ich mich plötzlich auf einen Ofen ...

WENDELBORN.
Hahahaha ... was man bei dir nicht alles erleben kann, Tobby ...
RADIANA.

Die Menschen reden eben so unsinniges Zeug, was hinter diesen Mauern alles verborgen sein sollte ... da ist es kein Wunder, wenn einen die Neugierde überwältigt ...

[44]
WENDELBORN
wieder lachend.

Wollen Sie nicht wenigstens erst ein Stück Torte essen, kleine Lotte ... das ist nämlich hier in diesem Zauberschloß zu haben wie auf dem Tischlein deck dich ...

RADIANA
plötzlich fortspringend in den Garten.

Dann stehen bleibend. Nein ... weder Kuchen noch sonst etwas ... weder angreifen lasse ich mich ... noch lasse ich mir etwas schenken ... da denke ich gleich, man will mich vergiften ... das leide ich gar nicht ... ich will jetzt überhaupt die Augen ganz schließen vor mir und vor Ihnen ... Sie müssen auch jetzt die Augen schließen, und niemand darf wissen von meiner Frechheit ...


Sie läuft wieder ein Stück fort.
WENDELBORN
ihr nachrufend.
Da bleiben Sie doch ... Sie brauchen doch nicht wieder über die Mauern zu planken ...
RADIANA
wieder stehen bleibend.
Warum denn nicht ... dabei ist doch gar nichts ...
WENDELBORN
sehr bestimmt.

Nein ... nun befehle ich es aber ... Sie kommen mit mir ... ich führe Sie jetzt den normalen Weg durchs Treppenhaus ... da können Sie noch die Wandmalereien bewundern ... und das große Gemälde an der Decke, worauf die genialen Erfindungen des Herrn Tobias Buntschuh in allegorischen Gestalten verherrlicht sind ...

RADIANA.

Meinetwegen ... obwohl mich das gar nicht interessiert, was man so mit Ölfarbe an die Decken und Wände kleckst ... aber wenn Sie es mir sagen, muß ich gehorchen ... ich will nur vorher Herrn Buntschuh noch einmal bitten, mir nicht böse zu sein ... nicht wahr ... Herr Buntschuh ... bitte, [45] bitte ... es war eine richtige Dreistigkeit von mir ... ich halte mich manchmal gar nicht im Zaume ... da breche ich aus, als wäre ich wild ...

WENDELBORN
steht bereits an der offenen Tür.

Hahahaha ... Tobby ... was man bei dir nicht alles erleben kann ... da ... der Brief von Fräulein Luisa für dich liegt dort auf dem Tische ...

BUNTSCHUH.
Halte sie doch ... nein ... halte sie doch ...
RADIANA
hat Buntschuh ein tiefes, züchtiges Kompliment gemacht, scheu mit dem Kopfe schüttelnd.
Nein ... nimmer ... nimmer ...
WENDELBORN.

Kommen Sie nur, Sie kleiner Verbrecher ... in meiner Hut sind Sie gut geborgen ... Menschen zu hüten, das ist nämlich mein Lebensgeschäft ... am besten werden Sie im Auto heimgefahren ...


Beide sind schon durch die Tür.
RADIANAS
Stimme noch hörbar.
Um Gotteswillen ... das wäre mein Tod ...
18. Szene
Achtzehnte Szene
BUNTSCHUH
hat Radiana fortwährend nur wie gebannt angestarrt.

Ganz in sich gekrochen. Verkniffen lächelnd. Die Hände halb schon ausgestreckt. Wie sie nun mit Wendelborn verschwindet, streckt er plötzlich die Arme nach ihr aus in die Luft und ruft sehnsüchtig. Oooh ... oooh ... oooh ... ich bin so zärtlich ... ich bin so zärtlich ... ich bin so zärtlich ...

Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Man sieht Stallmeister mit abgewandten Gesichtern in den Vorhangspalten stehen. Hinter dem Vorhang Gekreisch von Clowns. Ausgelassene, sinnliche Glockenmusik, wozu ein Clown singt.

Ach, liebste Phyllis,

hör mein Musizieren ...

und laß mich stumm

in deinem Schoß pausieren ...


Geklatsch dazwischen. Wieder Geklatsch. Der Clown mit dem Glockenbehang drängt sich aus der Manege durch den Vorhang. Beim Lupfen des Vorhangs hat man das Spiel des Jongleurs mit bunten und drolligen Gegenständen gesehen. Der Vorhang wieder geschlossen. Neu feierliche Ruhe, so daß man den Jongleur jetzt mit irgendwelchen Gegenständen, etwa Flaschen, auf einem Brett dumpf den Takt schlagen hört. Eine Kunstreiterin als Balletteuse ist jetzt von links vorn, abwartend
und horchend, lässig an den Vorhang getreten. Hinter dem Vorhang Clownsgerede und Lachen. Zwei Clowns kommen neu mit Geschrei durch die Vorhangsfalten gestürzt und verschwinden nach links vorn, jeder zur wartenden Balletteuse, die sich nicht rührt, eine galante Gebärde machend. Ein dickes, weißes Manegepferd ist jetzt ebenfalls dicht an den Vorhang herangeführt. Geklatsch. Musik. Tusch. Die Vorhänge gehen flüchtig auseinander. Der Jongleur erscheint nun und verschwindet eilig nach links vorn. Man trägt ihm bunte Dinge nach. Clowns kreischen ihm hinterdrein.
2. Szene
Zweite Szene
Nun neu feierliche Musik der Klosterglocken. Das Pferd verschwindet hinter dem Vorhang. Die Balletteuse verschwindet ebenfalls hinter dem Vorhang. Stallmeister treten wieder in die Vorhangspalten.
3. Szene
Dritte Szene
Clown Odebrecht drückt sich durch die Vorhangsfalten heraus. Sackartiger Frack, Hose und Weste in einem. Ganz schwarz. Mächtiger purpurroter Schlips. Alles übermäßig. Der riesige, hohe Hut in nach oben sich breitender Form, total zerdrückt. Er geht während des Spiels vor dem Vorhang hin und her, die Hände auf dem Rücken, samt dem Hute.
Clown Ambrois mit langer Peitsche als lottriger, frecher Schweinejunge gekleidet, drückt sich ebenfalls durch den Vorhang heraus.

[49]
CLOWN ODEBRECHT.
Prost die Mahlzeit ... Ambrois ...
CLOWN AMBROIS.

Morjen ... Morjen ... Er guckt durch die Vorhangspalte in den Zirkus und kehrt sich zurück. die Menge heult heute gut ...

CLOWN ODEBRECHT.
Na ... und ob ...
CLOWN AMBROIS.

Ein einziger Schöps mit goldenen Hörnern ... Er macht eine lustige Geste mit den Zahlfingern. das genügt nicht bloß vor tausend grauen Schafsköpfen ... in unserem erhaben gedehnten Teufelstempel ... das genügt im Götterhaine ...

CLOWN ODEBRECHT
bläst mit vollen Backen plump hinaus.

Pfpfpfpf ... neieiein ... hier staunt man nicht bloß das Gold an ... das ist selbsterfundener Reichtum ... ein napoleonisches Kaiserreich ... deshalb sitzt auch in den Zwischenakten die Menge mit offenen Mäulern, nur um diesen Virtuosen auf der goldenen Orgel in seiner Loge beständig zu begaffen und zu betuscheln ...

CLOWN AMBROIS
wieder durch den Vorhang beobachtend.

Hahahaha ... und wie S. Hoheit, dieser Tobias Buntschuh, sich heute wieder mal die kleinen Händchen zerklatscht ...

CLOWN ODEBRECHT.
Wir sind ja doch heute nach der Vorstellung alle von Herrn Buntschuh zum Souper geladen ...
CLOWN AMBROIS.
Ja ja ja ja ... da werde ich mich jetzt nur einstweilen ummaskieren ...

Nach rechts vorn ab.
4. Szene
[50] Vierte Szene
Beifall. Man bringt das Pferd von Clownsgeschrei umringt. Die Balletteuse springt hinterdrein. Verschwindet vorn links samt dem Pferde. Clowns stürmen von rechts und links vorn in die Manege hinein. Die Vorhänge sind neu geschlossen. Die Musik schweigt. Man hört nur jetzt dann und wann abgerissene Worte eines Clowns und Gelächter im Zirkus.
5. Szene
Fünfte Szene
WENDELBORN
als Weltmann gekleidet, den hohen Hut sogleich aufsetzend, drängt sich durch die Vorhangsfalten heraus und zieht einen Stallmeister mit sich.
Sagen Sie, Herr Stallmeister ...
DER STALLMEISTER
sogleich sehr devot.
Ganz zu dienen, hochzuverehrender Herr Wendelborn ...
WENDELBORN.
Kennen Sie mich denn alle schon ...
DER STALLMEISTER
mit Emphase.

Ich bitte Sie ... hochverehrter Herr Wendelborn ... sagen Sie lieber, wer kennte in diesem Zirkus Herrn Tobias Buntschuh und Herrn Philipp Wendelborn nicht ... Sie sind sozusagen jetzt unsere größte Attraktion ...

WENDELBORN
kurz.

Daran bin ich am wenigsten schuld ... aber Herr Tobias Buntschuh ist auch rein wie ein ausgelassener Kobold heute ... wirklich ... er amüsiert sich göttlich und kindlich ... beinah, als ob er selbst eine Rolle hätte ...

DER STALLMEISTER.

Tja ... und entfesselt den ganzen Zirkus ... denn die Menge achtet ja doch auf jeden Taktschlag seiner kleinen Hand ... es macht den sechstausend Menschen ordentlich Spaß, wie nach seinem Kommando zusammenzuwirken, [51] um uns arme Gaukelspieler mit Beifall zu überschütten ... einen so stürmischen Abend habe auch ich in unserem Zirkus kaum je erlebt ...

WENDELBORN
sich unruhig umblickend.
Freut mich ... freut mich ... ja ... wo ist denn nun aber ...
DER STALLMEISTER.
Herr Wendelborn suchen ... Fräulein Luisa ...
WENDELBORN
während er einen Blick wieder in den Zirkus tut.

Nein ... doch nicht ... Versinnlich. ich suche ... die Kleine ... die kleine Schlange ... wie heißt sie doch gleich so nett mit ihrem Bürgernamen ... Grasmücke, glaub ich ...

DER STALLMEISTER.
Aaah ... die kleine Radiana ... natürlich ... das hätte ich mir wohl gleich denken können ...
WENDELBORN.
Die sollte doch wohl jetzt sicher in Fräulein Luisas Garderobe sein ...
DER STALLMEISTER.

Oooh nein ... viel höher, mein Herr ... hahahaha ... sie hat seit heute bereits einen eigenen Garderoberaum angewiesen erhalten ...

WENDELBORN.
So so ... wieso denn ...
DER STALLMEISTER.

Das sollten Sie am wenigsten fragen, mein hochverehrter Herr Wendelborn ... denken Sie denn, daß in dem hohlen Bauche dieser mächtigen, bretternen Schaubude den Argusaugen und Argusohren des Herrn Direktors auch nur das geringste Quäntchen des Beifalls der Menge entgeht ... wir sind eine Börse ... hahahaha ... nämlich ... wenn es nun gar nicht bloß der Direktor schon merkt ... es auch die Pferde im Stalle wittern ... und die Esel in ihren Strohwinkeln selber dazu den Boden stampfen und Jiaa [52] schreien ... und die Kakadus auf den Stengeln es auskreischen: die kleine Dame entfesselt Stürme ... nein ... Plötzlich sehr gemessen. hier handelt es sich zunächst wirklich nur um die Gunst dieses mächtigen Herrn Tobias Buntschuh ... Herr Buntschuh ist ja richtig wie heiter gestimmt, jedesmal, wenn diese kleine, unscheinbare, unschuldige Person sich auch nur bei der geringsten Handreichung in der Manege blicken läßt ... Gott ... es ist ja ein Stern vierter Güte ... nicht ... sie ist zunächst eben nichts ... ganz wahrhaftig ... als höchstens ein keusches, unberührtes Mädchen ... das ist ja doch immer schon etwas ... hahahaha ... aber jetzt hat sie durchaus ihre eigene Garderobe ...

WENDELBORN.
Ja ... also ... wo steckt also nun der weiße Hase ...
DER STALLMEISTER.
Ich führe Sie hin ...
WENDELBORN
im Abgehen nach rechts zu dem Stallmeister.
Herr Tobias Buntschuh will sie unbedingt heute beim Souper haben ...

Beide ab.
6. Szene
Sechste Szene
Händeklatschen, Bravoschreien. Clownsgekreisch. Clowns bringen durch den Vorhang unter Getümmel einen riesigen Hampelmann getragen, der ein jämmerliches Quieken hören läßt. Clowns nach rechts vorn ab.
7. Szene
Siebente Szene
Eine noble Streichmusik hat begonnen. Fräulein

LUISA
ist eilig von links vorn erschienen.

Blankes Schuppentrikot. Silbern. Eine wunderbar lange, reiche, schwebende Feder im Haar und einen silbernen Stab in der Hand. Die Zofe daneben mit einem Silberspiegel in der Hand, den ihr Luisa noch einmal aus der Hand reißt. Sie wirft einem Stallmeister den Stab zu. Halten Sie ... bitte ...


Sie eilt dann durch die Vorhänge hinein.
8. Szene
[53] Achte Szene
Clown Odebrecht, noch immer in demselben Kostüm, drückt sich durch die Vorhangsfalten wieder heraus. Die feine Streichmusik klingt ruhig und gleichmäßig. Er spaziert genau wie das erste Mal vor dem Vorhang hin und her.

CLOWN AMBROIS
tritt jetzt in vollendeter Weltmannstracht, grauer, hoher Hut, Monokel, Spazierstock, auffällige Eleganz, von rechts vorne wieder herzu.
Guckt durch die Vorhangspalte. Tja ... das Beest hat gut tanzen ... diese Favorite ...
CLOWN ODEBRECHT.
Papapapa ... diese Favorite wird sich ans Kaltgestelltsein wieder auch gewöhnen müssen ...
CLOWN AMBROIS.
Das sagst du aus Rache ... böses Vieh ...
CLOWN ODEBRECHT.
Hahahaha ... solch ein führender Geist macht das nicht anders ...
CLOWN AMBROIS.
Zuerst hat er dich verzückten Liebhaber mit seinem Golde kaltgestellt ...
CLOWN ODEBRECHT.

Jaaa ... das hat er ... Er greift mit drolliger Grimasse in seine weiten Pluderhosen und reicht stumm einen Brief heraus. und heute betreibe ich für ihn Spionendienste ...

CLOWN AMBROIS.
Bist du mit Buntschuh so intim ...
CLOWN ODEBRECHT.

Ich ... mit ihm ... er ... mit mir ... intim ... wie ein Weib ohne Hände und Arme, das mich aus Gründen schwelendster Eifersucht und eines jämmerlichen Mißtrauens gegen seinen besten Freund gern umarmen möchte ...

CLOWN AMBROIS
lesend.

Du ... na hör mal ... wegen dieser ungesalzenen und ungeschmalzenen, kleinen unschuldigen Grasmück ...

[54]
CLOWN ODEBRECHT.

Er läßt mich hinterrücks durch seinen Sekretär über die kleine Grasmück und Wendelborn eifrig befragen ... hahahaha ...

CLOWN AMBROIS.
Hämisch gereizt wie eine Spinne in Wochen ...
CLOWN ODEBRECHT.
Hahahaha ...
CLOWN AMBROIS
noch immer lesend.

Und dieses wahnsinnige Mißtrauen und diese schwelende Eifersucht fällt auf Sr. Hoheit ewig dienstwilligen Bademeister ...

CLOWN ODEBRECHT.
Jaaa ... auf diesen äußerst gehaltenen ... äußerst vornehmen Herrn Philipp Wendelborn ...
CLOWN AMBROIS.
Hahahaha ... auf diesen Kalfaktor ...

Angstgeschrei im Zirkus, als wenn jemand fiele.
CLOWN ODEBRECHT UND AMBROIS
gleichzeitig.
Donnerwetter ... Donnerwetter ...
9. Szene
Neunte Szene
Im nächsten Augenblick bringt man Luisa getragen. Es ist offenbar nicht schlimm. Sie ist nur leicht gefallen. Sie kann nicht gehen, aber sie lacht aufdringlich und jäh. Man trägt sie sofort nach links vorüber. Ein vornehmer Herr hinter einer Dame und einem Knaben, die Dame in Aufregung voran, erscheinen vom Zirkus im Stalleingang.

DER HERR.

Es ist ja gar nichts ... komme doch wieder ... es ist ja rein gar nichts ... Er beugt sich, noch ein wenig höher stehend, nieder. sagen Sie einmal ... Herr Stallmeister ... dieser bucklige Herr in der Loge ... der sich so auffällig und beifallssüchtig gebärdet ... wer ist das wohl ...

[55]
DER STALLMEISTER.
Das ist ja doch der berühmte Herr Tobias Buntschuh ... das große Erfindergenie ...
DER HERR.

So so ... ach Gott ... Er hilft jetzt der Dame wieder herein. also der berühmte Mann, der dem lieben Herrgott schon arg Konkurrenz macht ...

DIE DAME
die Stufen hinter der Brüstung steigend, halb im Vorhang.
Sage nur lieber, dem Teufel schon Konkurrenz macht ... ich hasse diese Erfindungen ...
DER HERR.

Und dabei schaffst du dir jedes lächerliche Toilettenmittel gleich an ... und probierst jedes Schlafpulver, das die Industrie neu auf den Markt wirft ...


Alle ab.
10. Szene
Zehnte Szene
STIMME EINES STALLMEISTERS
hinter dem geschlossenen Vorhang im Zirkus drin.

Meine hochverehrtesten Herrschaften ... es ist nur eine unbedeutende Quetschung ... Fräulein Luisa spaziert schon wieder lachend in ihrer Garderobe herum ... stampft vielmehr mit ihren gewandten Füßchen beständig über ihre Ungeschicklichkeit auf dem Boden herum ... sie dürfte schon morgen wieder mit aller Grazie vor Ihnen auf dem Drahtseil erscheinen ... für heute läßt sie den Herrschaften nur allerseits ein recht vergnügtes Souper wünschen ...Stürmischer Beifall. Als es still wird. sie würde sogleich auch parat sein, einer Einladung zum Souper zu folgen ...


Nochmals Beifallsklatschen. Clownsworte und Clownsgerede.
11. Szene
Elfte Szene
Radiana erscheint. Ganz in Trikot. Wunderbar sanft und scheu. Kindlich lächelnd. Fast verlegen. Abwartend vor dem offenen Vorhang. Sie kommt von links.

[56]
CLOWN ODEBRECHT
in der Manege.

Aufgepaßt, meine Damen und Herren ... aufgepaßt ... jetzt kommt wirklich ein Meisterstück ... Sehr gespreizt das reine S sprechend. das hat der Schöpfer aller süßen Dinge geschaffen ...

EIN ZWEITER CLOWN.
Das ist wohl ein schneeweißer Rabe ...
CLOWN ODEBRECHT.
Neieiein ... doch nicht ... ein schneeweißer Rabe kann niemals so schneeweiß sein ...
DER ZWEITE CLOWN.
Da wird es vielleicht ein schneeweißes Lämmchen sein ...
CLOWN ODEBRECHT.
Jiih ... keinen Finger dran ... ein schneeweißes Lämmchen kann niemals so schneeweiß sein ...
DER ZWEITE CLOWN.
Da ist es vielleicht ein Badelaken ...
CLOWN ODEBRECHT.

Hihihihi ... ein Badelaken könnte noch so schneeweiß sein ... ein Badelaken könnte niemals so schneeweiß sein ... ich werde dir einmal jetzt auf die Hundsfährte helfen ... es ist weder ein schneeweißer Rabe ... noch ein schneeweißes Lämmchen ... noch ein schneeweißes Badelaken ... aber wenn du zu ihm frech werden wolltest ... würde es dir einen derartigen Klaps versetzen ... mindestens wie zwei schneeweiße, boxende Hasen ...

DER ZWEITE CLOWN.
Ich weiß ... ich weiß ... ein schneeweißer Hase ...
CLOWN ODEBRECHT.

Hahahaha ... ein schneeweißer Hase könnte noch so schneeweiß sein ... er könnte niemals so schneeweiß sein.

DER ZWEITE CLOWN.
Ich schwitze schon ...
[57]
CLOWN ODEBRECHT.
Ich sage dir ja, einen derartigen Klaps versetzen, mindestens wie zwei schneeweiße Hasen ...
DER ZWEITE CLOWN.
Ich weiß ... ich weiß ... drei schneeweiße Hasen ...
CLOWN ODEBRECHT.
Hihihihi ...
DER ZWEITE CLOWN.

Du mußt mir noch einmal den Gefallen tun ... und mir auf die Hundsfährte helfen ... ich hab heute leider meinen genialen Tag, wie Herr Tobias Buntschuh ...

CLOWN ODEBRECHT.

Ich werde dir also jetzt zum letzten Male auf die Hundsfährte helfen ... es ist weder ein schneeweißer Rabe ... noch ein schneeweißes Lämmchen ... noch ein schneeweißes Badelaken ... noch drei boxende, schneeweiße Hasen ... aber wenn du dich erdreisten wolltest, deine Lippen ganz sanft daran zu legen, könntest du dich gehörig daran verbrennen – – – – und deine Lippen würden sogleich vor deiner Nase aufwachsen wie eine Seifenblase ... hahahaha ...

DER ZWEITE CLOWN.

Hahahaha ... das könnte schneeweißer, kochender Reis sein ... aber das ist es nicht ... nein ... das ist es nicht ... kenne ich ... kenne ich ... das ist das schlanke ... schlängliche ... bängliche ... hahahaha ... huschlige ... puschlige ... so liebe ... so keusche ... so scheue ... Seelchen eines leibhaftigen Mädchens ... Schmachtend. rein wie der Tau auf Asphodelos Wiesen ... weiß wie der Flaum von Engelsflügeln ... lachen Sie ja nicht ... lachen Sie ja nicht ... Eine zierliche Musik hat neu begonnen. Radiana ist in den Zirkus verschwunden. Die Vorhänge sind geschlossen. aha ... aha ...

12. Szene
Zwölfte Szene
Ein Clown und eine Biedermeierdame, die jetzt wartend vor den Vorhang getreten sind, beginnen nach der Musik zu tanzen. Clown Odebrecht tritt durch den Vorhang, sich den Schweiß wischend. Und geht wieder hin und her. Clown Ambrois [58] tritt von links auch wieder herzu und sieht neu durch die Vorhangspalte. Im Zirkus hört man mitten in die gleichmäßige Musik ein paarmal scharfe Bravoschreie. Und beständig kurz abbrechendes Händeklatschen.

CLOWN AMBROIS.
Jetzt scheint S. Hoheit, dieser Herr Buntschuh, offenbar auf dem Gipfel der Freude ...

Wendelborn kommt auch von links an den Vorhang heran. Verschwindet in dem Zirkus. Kommt aber sogleich zurück und verschwindet wieder nach links.
CLOWN AMBROIS.

Hahahaha ... das schwelende Mißtrauen und die tückische Eifersucht dieses Gold- und Weihrauchkönigs fällt also auf seinen ewig dienstwilligen Bademeister ...

CLOWN ODEBRECHT.
Tja ... auf diesen wirklich äußerst gehaltenen ... äußerst vornehmen Herrn Philipp Wendelborn ...
CLOWN AMBROIS
durch den Vorhang blickend.

Das muß man sehen ... das muß man sehen ... wie dieser kleine, bucklige Teufelskerl sein Gesicht verbiegt ... und den Höcker schüttelt ...


Zu dem ersten Paare, das vor dem Vorhang noch tanzt, tritt von rechts vorn ein Clown, der eine bunte Kugel wie eine Seifenblase beständig auf der Nase balanciert.
CLOWN AMBROIS.
Nun verstehe ich auch, warum die große Favorite Luisa plötzlich so glanzvoll vom Stengel fiel ...
CLOWN ODEBRECHT.

Hahahaha ... ja ... jetzt verstehe ich auch, warum die große Favorite Luisa plötzlich so glanzvoll vom Stengel fiel ...

13. Szene
Dreizehnte Szene
Fräulein Luisa in großer Straßenaufmachung, neben ihr der Arzt, erscheint von links vorn vor dem Vorhang.

DER ARZT.

Aber Sie müssen sich unbedingt stützen, gnädiges Fräulein ... Sie müssen unbedingt den Stock fest gebrauchen ...

[59]
LUISA
sehr ablehnend.

Lassen Sie mich in Ruh, lieber Doktor ... Sie hinkt leicht. gehen Sie einfach ... Sie stecken wohl auch in dieser Verschwörung ... denke nicht dran ... denke nicht dran ... Fräulein Luisa am Krückstock humpelnd ... Sie sieht zu Odebrecht und Ambrois hin. na ... ihr Kanaillen ... was brütet ihr denn ... ich bin noch nicht tot ... es geht ja bei uns heut recht lustig zu ... wer gaukelt denn jetzt drin ... es ist wohl ...

CLOWN ODEBRECHT
süßlich, höhnisch.
Die Kleine ... die Schlange ...
LUISA.
Hahahaha ... kann ich auch sein ... hahahaha ...
CLOWN ODEBRECHT.
Doch nicht ... so eine winzige, kleine ...

Plötzlich beginnt rasender Lärm. Stürmisches Beifallklatschen. Man hört den Namen Radiana
vielstimmig rufen. Der Lärm steigert sich. Es wird ein Tusch geblasen. Es wird neu ein Tusch geblasen. Radiana tänzelt atemlos, sanft und verlegen durch den Vorhang. Luisa ist nur jäh lauernd vorgesprungen. Aber Radiana springt in den Beifallstumult sogleich wieder in den Zirkus zurück. Die Musik fließt noch einmal im stillen Gleichmaße weiter.
14. Szene
Vierzehnte Szene
CLOWN ODEBRECHT
halblaut und scharf.

Ambrois ... sieh hin ... hörst du ... wie die große Schlange ihr Gift ansammelt ... wie die große Schlange schon unheimlich züngelt ...


Ein zweites Tanzpaar, dann ein drittes Tanzpaar, dann ein viertes Tanzpaar, immer Clown und Biedermeierdame, ist von links oder rechts vor den Vorhang getreten, die alle tanzen. Dazu ein Mann mit Kakadu an der Kette. Alles in rhythmischer Bewegung. Auch ein zweiter Clown mit einer Kugel wie eine Seifenblase, die er auf der Nase balanciert. Alles wartet schon auf die nächste Nummer.
LUISA
hinkend und fiebernd, wird immer länger beim Hineinblicken.

Ist denn Herr Buntschuh immer noch im Zirkus ... kann er denn überhaupt diese Süßlichkeit ewig ertragen ... kann er denn diese Süßlichkeit [60] noch immer ertragen ... Zu Ambrois gewandt. komm doch, Junge ... komm doch ... wir gehen ... komm zur Krippe ... du bist ja doch ebenfalls eingeladen ...

CLOWN AMBROIS
küßt ihr preziös die Handschuh.

Untertänigster Diener ... untertänigster Diener ... Er reicht ihr den Arm. Beide im Abgehen. bon jour ... buona notte ... lieber Mitschuldiger ... hahahaha ... In diesem Augenblick setzt der Beifall noch fanatischer ein.

LUISA
springt sofort jäh zurück.
Sie vergißt sich völlig.
CLOWN ODEBRECHT
gibt sich mit Ambrois spitzfindig Zeichen.
LUISA
lacht ganz unsinnig.

Hahahaha ... Sie klatscht wie rasend in die Hände. Sie ruft phantastisch gespreizt. wartet nur, Kinder ... wartet nur, Kinder ... der geb ich den Zahlaus ... die will ich einmal richtig verpauken ...

CLOWN ODEBRECHT
erschrocken.
Was ist denn ... was ist denn ...
LUISA
reißt den Vorhang vorzeitig auseinander.
Sie ruft. Seht nur das blöde Frauenzimmer ... riecht nur das ungesalzene Kalbfleisch ...

Im nächsten Moment springt Radiana atemlos aus dem Vorhang, der sich sogleich hinter ihr schließt. Da hat sie auch Luisa schon um den Hals gegriffen. Hat sie geschüttelt. Und hat sie plötzlich auf den Boden geworfen.
LUISA
sogleich Ambrois Arm neu aufgreifend und nach rechts rauschend.

Fort jetzt ... zur Krippe ... nur fort zur Krippe ... An der Ecke bleibt sie doch wieder, wie zu einem neuen Sprunge zurückgewandt, stehen. ich werde bei diesem Souper diesem reichen Päscheräh den blöden Schädel schon geraderücken ...


Clown Ambrois ist mit leisem Reden bemüht, sie fortzuziehen.
[61]
RADIANA
ist sofort aufgesprungen.

Beginnt sich nur abzustäuben. Der Zirkus tobt noch immer ihren Namen. Sie wendet sich. Macht ein paar Tanzschritte gegen den Zirkus. Dreht sich neu um. Stampft mit dem Fuße wütend auf. Schreit weinend. Aas ... Besinnt sich. Sieht scheu nach Luisa. Ist totenbleich.


Clown Odebrecht ist schützend zu ihr getreten. Redet kurz etwas zu ihr.
RADIANA
hastig.
Fort ... nicht doch ... mir ist gar nichts ... mir ist gar nichts.

Die Musik bläst neu einen Tusch. Der Name Radiana dringt durch. Radiana hat sich nur noch einmal scheu nach Luisa umgesehen. Dann läuft sie, was sie kann, an einen Haken, daran ein beliebiger bunter Mantel hängt. Reißt ihn herunter. Hüllt sich hinein und flieht nach rechts bei Luisa vorbei.
LUISA
bei ihrem Vorbeihasten.

Kröte ... kokette ... böse ... vermickerte Kröte ... laß dir nur ja nicht nach dieser Tracht einfallen, heute noch zu dem Souper zu kommen ...


Radiana ab. Hinterdrein die grell lachende Luisa mit Ambrois.
15. Szene
Fünfzehnte Szene
WENDELBORN
kommt von links vorn ihnen entgegen.

Wo ist die Grasmücke, möcht ich nur wissen ... ich habe unterdessen der Ruhe gepflogen ... still in Fräulein Radianas Garderobe gewartet ... weil ich sie unbedingt bereden muß, heute mit beim Souper zu sein ...

CLOWN ODEBRECHT.

Hahahaha ... es hat einen sehr amoenen Auftritt unter Zweien gegeben ... dieses Fräulein Luisa hat die kleine Radiana gewürgt und auf den weichen Sägespänboden hingestreckt ...

EIN ZIRKUSDIENER
drängt sich herzu.
Herr Tobias Buntschuh ist außer sich, daß Herr Wendelborn noch immer nicht kommen ...
[62]
WENDELBORN
ohne zu hören.

Nein ... sagen Sie, Odebrecht ... nicht möglich ... wo ist denn die Kleine hingelaufen ... Unwillig. ja ja ja ja ja ... erst das eine gefälligst ... wo ist denn die kleine Radiana jetzt hin ... Herrn Tobias Buntschuh sagen Sie nur, ich käme sofort ... er solle nur ruhig voraus ins Astorhaus fahren ...

DER STALLMEISTER.

Fräulein Radiana ist gleich, wie sie ging und stand ... hahahaha ... oder auch lag ... ohne im übrigen auf die Begeisterung des Publikums auch noch den geringsten Wert zu legen ... mit Recht nur sehr beschämt und geängstigt hinausgeflohen in die Nacht ... und verkriecht sich sicher in dem hintersten Winkel ihrer Mietswohnung, wie ich sie kenne ...

CLOWN ODEBRECHT.

Wenn sie nicht etwa gar in eine Sitzung der Heilsarmee läuft ... und dort Choräle brüllt, um sich abzukühlen ...

WENDELBORN.

Also ... frisch auf zum fröhlichen Jagen ... Mit Odebrecht nach rechts vorn. ich darf ja doch zu dem Souper nicht kommen, ohne den weißen Hasen nicht mitzubringen ...


Beide ab.
16. Szene
Sechzehnte Szene
Man hört abgerissen einige Worte einer umständlichen Erklärung über ein zu beginnendes Spiel. Eine Pantomime ohne Musik.

TOBIAS BUNTSCHUH
drückt sich durch den Vorhang.

Die Stallmeister verneigen sich. Tobias Buntschuh ist hochelegant. Ausgesucht hell gekleidet. Sehr dandyhaft. In farbigem, hohem Hute. Kopf in den Schultern wie ein kranker Geier. Dabei stolzierend. Große Blume im Knopfloch. Monokel im Auge. Blinzelnd suchend. Wo denn ... wo denn ... wo ist er denn ... wo bleibt er denn ewig ...

DER STALLMEISTER
sich tief verbeugend.
Zu allergehorsamsten Diensten, Herr Buntschuh ...

Gleich hinter Buntschuh sind Zuschauer aus dem Zirkus neugierig herausgetreten, die ihn von ferne begaffen.
[63]
BUNTSCHUH
mürrisch.
Lassen Sie jetzt nur die Redensarten ...
EIN ANDERER STALLMEISTER
tritt hastig, sich tief verbeugend, herzu.
Herr Tobias Buntschuh suchen Herrn Wendelborn ...
BUNTSCHUH.
Vorwärts ... vorwärts ... da bringt ihn doch endlich ...
EIN ANDERER STALLMEISTER
kommt.
Herr Wendelborn wird sicher in der Garderobe bei Fräulein Radiana sein ...
EIN ANDERER STALLMEISTER
herzutretend.
Nein ... in der Garderobe ist er nicht ... diese Garderobe ist bereits leer ...
BUNTSCHUH.
Kommen Sie einmal gefälligst beiseite ... Sie sind wohl verschwiegen ...
CLOWN ODEBRECHT
kommt von rechts.

Erlauben Sie nur in Eile, Herr Buntschuh ... Radiana ist gleich nach dem peinlichen Auftritt mit Fräulein Luisa hastig in die Nacht hinausgeflüchtet ...

EIN ANDERER STALLMEISTER.

Ja ... ich habe Fräulein Radiana in einem beliebigen bunten Mantelfetzen in die Nacht hinausstürmen sehen ... und soviel ich bemerkte, ist Herr Wendelborn dann sofort eiligst hinter ihr drein gelaufen ...

BUNTSCHUH
ratlos vor Odebrecht.
Oooh ...
CLOWN ODEBRECHT
ebenfalls die Schultern ratlos hochziehend.

Tja ... ich muß leider schon wieder hinein ... entschuldigen Sie mich gütigst ... hochverehrter Herr Buntschuh ...


Ab durch den Vorhang.
[64]
BUNTSCHUH
zu seinem Diener, der mit Stock und Mantel hinter ihm steht.

Oooh ... die Dame ist in einem bunten Mantelfetzen hastig in die Nacht hinausgeflüchtet ... und Wendelborn ist sofort hinter ihr drein ... ich durchschaue diese animalische Tücke ... ich durchschaue alles ...


Er läßt sich vom Diener jetzt den hellen Mantel umlegen, bleibt aber wie gebannt vor sich hinstarrend stehen.
Im Zirkus klingt unterdessen zu mehreren Gitarren fein und spitzig ein Fistelgesang von Clownstimmen.

Lieder singen dich nicht,
sie alle enden wie Nachhall
fernester Zeiten von dir.

Namen nennen dich nicht,
dich bilden Griffel und Pinsel
sterblicher Künstler nicht nach.
BUNTSCHUH
malt mit dem Spazierstock vor sich auf den Boden und tut zögernd Schritte.

In welches verfluchte Rattenloch haben sich denn die beiden jetzt miteinander hinverkrochen ... Mit diesen Worten verschwindet er langsam und unentschlossen. möcht ich nur wissen ...


Musik und Gesang säuseln noch immer süß.

Wäre des Herzens Empfindung
nur hörbar – jeder Gedanke
wäre ein Hymnus von dir.

Wie du lebest und bist,
so trag ich einzig im Herzen,
holde Geliebte, dein Bild.

Lieben kann ich dich nur,
doch Lieder, wie ich dich liebe,
spar ich für jene Welt auf.
Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
MUTTER BUNTSCHUH
mit Nachthaube überm weißen Haar, in dürftiger Nachtjacke und Kattunrock, kommt mit einer brennenden Kerze in der Hand durch die rechte, vordere Tür.

Ihr auf den Fersen immer trippelnd der Vater Buntschuh. Ach ... es war eine solche Unruhe wieder in der Nacht ... die Automobile fuhren ein paarmal ... dann war ein Rennen im Hausflur ... Herr und Heiland ... was ist denn nur aller Erfolg und alles Gepreise, wenn man damit nicht die Seele stillt ... was ist denn der ganze beneidete Scharfsinn, wenn das Menschenherz immer gejagt bleibt dabei ...


Sie ist sogleich nach dem Garten zur Flügeltür gegangen, hat sie geöffnet und horcht hinaus.
VATER BUNTSCHUH.

Mutterle ... nein ... ach ... du brauchst dich nicht ärgern ... ich stehe dir doch bei ... was willst du denn draußen ...

MUTTER BUNTSCHUH
tritt ein paar Schritte hinaus.

Warte du nur hübsch drinne, Vater ... bleib und warte ... ich muß einen Blick in den Garten tun ... ich hab eben etwas Schauderhaftes geträumt ... es war im Garten draußen ... Tobias ... unser Tobias lag da ...

VATER BUNTSCHUH.

Mutterle ... geh immer Schritt um Schritt ... du und ich ... wir finden vollends den Weg noch ... ja ...

MUTTER BUNTSCHUH
hat nun wieder in den Garten gespäht.

Zögert. Kehrt zurück und steht unschlüssig in der Tür. Ach Gott ... nein ... es war doch bloß ein Traum ... geh du nur lieber wieder ins Bette zurück, Vater ... es ist frisch draußen ... du erkältest dich ...

[69]
VATER BUNTSCHUH.

Ach ... Pfiffig lachend. niemals ... wo werden wir zweie der Welt erst noch groß die Stirne bieten, wenn gerade die ewige Lampe durchs Schlüsseloch scheint ...

MUTTER BUNTSCHUH
geht jetzt sogleich auf die rechte tiefere Zimmertür zu.

Sitzt er denn ... Jesus ... er sitzt doch wenigstens wieder über seinen Ideen ... da hat mich doch der Alb bloß aus dem Bette gescheucht ... aber seit der Zeit gestern abend, wo ich den Sohn als großen Herrn nur kratzig durchs Treppenhaus schwenken sah ... wo er mich einfach stehen ließ ... ansah und doch einfach stehen ließ, Vaterle ... Sie streichelt ihn. die Mutter stehen ließ, als wäre sie bloß eine hölzerne Treppenfigur ... unser Sorgensohn ... nein nein ... da sitzt er ... Ganz behutsam. Lächelnd. und wenn er mich jetzt wieder gehörig anfaucht, als wenn er eine blinde Katze im Korbe wäre ... soll ich klinken ...

VATER BUNTSCHUH.

Und wenn auch der König aus dem Mohrenlande die goldenen Eier wieder bebrütet ... Mutterle ... ich gehe immer einen Schritt hinter dir ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Ich klinke ruhig ...

Sie hat die Tür geöffnet. Man sieht strahlendes Licht herausleuchten. Sie trippelt hinein. Dicht hinter ihr der Vater Buntschuh. Und beide verschwinden eine Weile.
2. Szene
Zweite Szene
DIENER FRANZ
ist ebenfalls aus der Tapetentür aufgescheucht erschienen.

Da hört man die Stimme von.
MUTTER BUNTSCHUH
schon innen rufen.

Franz ... Franz ... es ist ja niemand zu finden ... wo ist denn der Sohn ... wo ist denn der Sohn ... In diesem Augenblick erscheint sie wieder. um Gottes Willen, wo ist denn Herr Buntschuh ...

[70]
DIENER FRANZ
während Vater Buntschuh jetzt auch wieder heraustritt.

Nein ... in den Arbeitsräumen ist Herr Buntschuh sicherlich nicht ... es sollten nur dort die Lichter brennen ... das befahl der gnädige Herr, als er ziemlich spät heimkam ... ja ... wo ist er ... er befahl ausdrücklich, daß niemand ihn stören sollte ... und lief sogleich nur in den Garten hinaus ... irgendwo im Hause oder Garten muß er wohl sein ... in seinem Schlafzimmer ist er allerdings noch nicht erschienen ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Ach Gott, ach Gott ... gar keine Rücksicht nehmen wir jetzt auf seine Schroffheit ... vorwärts, Franz ... jetzt suchen wir ihn ... den Vater bringen Sie erst ins Bett – – – – und rufen auch Jakob ... du gehst, Vater ... vorwärts ...

VATER BUNTSCHUH
im Abgehen.

Hihihihi ... vielleicht wird der König Baal gerade im großen Musiksaale sitzen ... Mutterle ... vielleicht wird er gerade im großen Lichtersaale sitzen ... wie Gott im Himmel ... hihihihi ... weil er doch immer wie ein Wechselbalg schrie, wenn auch nur eine Bettelleier vorm Wärterhause tirilierte und jubilierte ... hihihihi ...

MUTTER BUNTSCHUH
hat den Alten sanft zur rechten, vorderen Tür hinausgeschoben.
Der Alte mit dem Diener ab.
3. Szene
Dritte Szene
MUTTER BUNTSCHUH
ist wieder ruhelos bis zur Flügeltür zum Garten gelaufen und ruft hinaus.

Tobias ... Tobias ... geliebter Tobias ... Sie kommt zurück. oh ... oh, oh ... das war kein Traum ... das war eine klare Ahnung ... oh Heiland, Heiland ... wo auch Tobias so anfällig und fallsüchtig ist ... daß er manchmal geradezu wegbleibt, wenn ihn seine furchtbare Lebensgier wieder einmal richtig erschüttert ...

4. Szene
[71] Vierte Szene
DIENER FRANZ
erscheint wieder.

Ich bringe eine Fackel, Frau Buntschuh ... aber wir müssen doch sehr vorsichtig zu Werke gehen ... womöglich meditiert der gnädige Herr schon wieder am grauen Morgen ... wenn es mir freilich auch so vorgekommen ist, als ob ihm irgendeine nächtliche Angelegenheit den Atem ganz benähme ... und ihn um seine stolze Würde gebracht hätte ... denn als er das zweite Mal diese Nacht heimkam, schlich er nur ganz widerwillig die Stufen im Treppenhause herauf ...


Sie gehen beide in den Garten vorwärts. Das kleine Licht der Mutter Buntschuh brennt jetzt auf dem Tische im Gartensaal allein, während der Feuerschein der draußen von dem Diener entzündeten Fackel im morgengrauen Garten verschwindet.
5. Szene
Fünfte Szene
Wenige Sekunden nachher kommt Diener Franz aus dem Garten angestürmt. Ein anderer Diener und der Mohr sind gleichzeitig aus der Tapetentür eilig erschienen.

DIENER FRANZ.

Der gnädige Herr ... rasch ... es ist ihm etwas zugestoßen ... er liegt auf dem Kiesweg ... es ist eine Ohnmacht ... sofort den Lehnstuhl hinaus ... greift nur zu ... beide ... ja ... den Lehnstuhl hinaus ...


Die beiden Diener greifen einen Lehnstuhl. Alle verschwinden wieder in den Garten. Ab.
6. Szene
Sechste Szene
Im nächsten Augenblick bringen die Diener Tobias Buntschuh auf dem Lehnstuhl getragen. Er ist noch genau so gekleidet, wie er im dritten Akt erschienen.

DIENER FRANZ
leise.
Wohl lieber ins Bett gleich ... nicht, Frau Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH
ebenfalls leise.

Nein doch ... stille ... er rührt sich ja schon ... halten sie doch ... geliebter Junge ... was ist denn nur ... Man hat den Stuhl jetzt niedergestellt. was ist denn nur ... himmlischer Vater ...

[72]
BUNTSCHUH
liegt wieder völlig reglos.
DIENER FRANZ
schüttelt beobachtend mit dem Kopfe.
Sehr leise zu Mutter Buntschuh. Wie ich den Anfall kenne ...
BUNTSCHUH
plötzlich scharf.

Aber völlig gedehnt und schwer verschlafen. Gar nichts ... gar nichts ... gar nichts ... kennst du ... Einfaltspinsel ... gar nichts ... kennst du ... stehen lassen sollt ihr mich auf der Stelle ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Der Sessel steht schon, Junge ...
BUNTSCHUH
noch immer mit geschlossenen Augen.

Ich will um keinen Preis so weiter über die Treppen emporschweben ... wer ist es denn eigentlich ... Mutter ... bist du es ...

MUTTER BUNTSCHUH
indem sie den Dienern winkt beiseite zu treten.
Geliebter Tobias ... wer soll es denn sonst sein ...
BUNTSCHUH.
Ich bin eine jämmerliche Karkasse ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Wirklich des Todes bin ich erschrocken, Junge ... was ist denn nur wieder ...
BUNTSCHUH.
Schicke das Dienervolk in die Kirmes ... was geht denn das dem Pack an, was mir passiert ist ...
MUTTER BUNTSCHUH
gibt einen stummen Wink, so daß alle Diener verschwinden.
BUNTSCHUH.

Nein ... nein ... ja nicht bewegen ... wo soll es denn hingehen ... ich mag nicht mehr fliegen ... verfluchter Humbug ... haltet doch stille ...

[73]
MUTTER BUNTSCHUH.
Junge ... du bist noch nicht bei dir, Tobias ...
BUNTSCHUH.

Tobias ... sehr wohl ... der Hexenmeister Tobias ... aaah ... Halb Gähnen, halb Seufzen. Tobby, der Mann mit den Regimentern aus lauter Zahlen ... und nicht nur immer auf dem Papiere ... Tobby, der Allerweltsgoldzusammentreiber ... Tobby, der winzige Spinnenleib mit den großen Mutteraugen ... Tobby, der ewig Ungestillte ... Tobby, der ums Leben Betrogene ... Tobby, der seine Arme ausstreckt nach dem Tröpflein Seligkeit Gottes ... und greift nur immer in leere Luft ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Tobias ... was redest du nur für unsinniges Zeug ...
BUNTSCHUH.

Jawohl ... jetzt bin ich gehörig eingeschraubt in die Daumschrauben ... und bin endlich einmal in der Lage, mich an Herrn Tobias Buntschuh direkt zu wenden ... so werde ich ihm also jetzt dieses unsinnige Zeug laut vorposaunen ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Meinetwegen, Junge ... da posaune es ihm nur vor, was dir aufs Herz drückt ... sage es um Gottes willen nur heraus ... ich bin ganz allein um dich ...

BUNTSCHUH
stöhnend.

Armes Herze ... armes Herze ... zwei müssen es sein ... die Mutter und der Sohn ... die müssen es sein ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Rede ... rede ... jedes Wort ist mir heilig ...
BUNTSCHUH.

Engbrüstig bin ich ... den Brustkasten hat mir eine Übermacht eingedrückt ... verflucht bin ich mit mißgestaltetem Leibe ... eine quarrige Stimme ist mein Teil ... einen Höcker hat eine Übermacht aus mir herausgetrieben ... Scharfsinn [74] ist mein Teil ... noch in der Todesminute werde ich die Zahl der Sekunden erjagen, die ich lebte ... wie es der Varietékünstler Beinhaus tat ... ja ... ich muß Tobias Buntschuh doch ein einziges Mal unter vier Augen die Wahrheit ins Gesicht sagen ... aaah ... Halb Gähnen, halb Seufzen. Mutter ... es ist noch ein ... Traum ... ich schlafe wieder ...

MUTTER BUNTSCHUH
leise vor sich hin.

Gottes Erbarmen ... so lange hat doch eine solche Ohnmacht noch nie gedauert ... Sie hat geklingelt und läuft sofort an die Tapetentür, tut behutsam die Tür auf. Wartet einen Moment und spricht dann zum Diener hinaus. rufen Sie ganz eilig Herrn Wendelborn ... er kennt ihn schließlich noch besser wie seine Mutter ...

DIENER FRANZ
leise.

Daß Herr Wendelborn überhaupt heut abend gar nicht mehr hergekommen ist, begreife ich auch nicht. Ab.

7. Szene
Siebente Szene
BUNTSCHUH
erwacht.

Macht jäh die Augen auf. Richtet sich auf und sieht die Mutter lange an. Aha ... na ja ... ich habe noch wüstes Zeug im Kopfe ... aber ich bin bewacht von den Mutteraugen ... und nicht von dem tückischen Kerle, dem Philipp ... der mich doch nur um alles beneidet ... und mir doch nur die wahre Seligkeit heimlich wegstiehlt ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Junge ... machst du endlich die Augen auf ...
BUNTSCHUH.

Armes Herze ... um dich ist alles nur kalt und dürr im Leben ... Mutter ... schweige nur still ... wenn der eigenste Mensch mit dem eigensten Menschen innerste Zwiesprach gehalten ... und sich sozusagen die wahrste Wahrheit ins eigenste Herz geredet, da fühlt er den Kern ...

[75]
MUTTER BUNTSCHUH.

Guter Junge ... jetzt bekommst du doch wieder ein bissel Farbe in dein bleiches Gesicht ... laß doch deine Mutter dich wenigstens streicheln ...

BUNTSCHUH.

Mutter ... ja richtig ... du bist die Mutter ... das hat gar nichts weiter zu sagen: die Zärtlichkeit, die nutzt mir gar nichts ... die hat mich in die Falle nur wieder tiefer hineingetrieben ... meine Mutter wird noch mit ihren Küssen über mich herfallen, wenn ich schon drei Tage auf der Bahre liege und stinke ... hahahaha ... Er röchelt nach Atem. ein stinkendes Genie ... das Streicheln nutzt mir gar nichts ... und wenn heute tausend freundliche Mutterhände mich streichelten ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Um unseres Heilands willen ... Tobias ... was redest du nur für furchtbare Dinge ... sage nur, was ist denn passiert in dieser einen Nacht ... gestern warst du noch stolz wie ein Pfauhahn, der das Rad schlägt ... redetest nur ewig von deiner großen neuen Erfindung ... sagtest geradezu: ein Stückel Gott, Mutter, bin ich ... sagtest sogar pfiffig: ein ziemlich großes Stückel Gott ist der göttliche Erfinder Tobias Buntschuh ...

BUNTSCHUH.

Ja ja ja ... genug, genug ... von diesen hochtrabenden Redensarten ... Reichtum in meinen Goldschränken ist dafür mein Teil ... Mutter ... gib mir einen einzigen Menschen, der sich ohne Lohn und Gold für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Junge ... was willst du ... du wirst ja vergöttert ...
BUNTSCHUH.

Nein, nein, nein ... gib mir einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Denk doch an die Tausende deiner Leute ... die Leute verschlingen dich mit den Augen geradezu, wenn du auch nur eine Viertelstunde einmal durch deine Arbeitshallen gehst.

[76]
BUNTSCHUH.
Nur einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Tobias ... du weißt, wie dich die Größten im Lande selbst mit Ruhm und Ehre überhäufen ...
BUNTSCHUH.
Einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...
MUTTER BUNTSCHUH
derb lachend.

Du bist einfach ein verrückter Kerl mit deinem Geschrei ... ich will einen in diesem Falle gar nicht erst nennen ...

BUNTSCHUH
plötzlich ganz gehässig verwandelt.

Nein, nein, nein, nein ... erwähne den ja nicht ... erwähne den ja nicht ... lehre mich ja nicht Menschen kennen ... ich bin scharfsinnig wie Gott ... ich durchblicke die Menschen alle, als wenn sie von Glas wären ... für mich lauert hinter allen nur leere Gier, die mich hungrig anstarrt ...

MUTTER BUNTSCHUH.
So ... guck mir gefälligst in meine Augen ...
BUNTSCHUH
greift seinen Silberspiegel aus der Tasche.

Starrt in den Spiegel. Ich kenne die Augen ... es sind dieselben ... sie sind nur Armut ... die Welt versagt ihnen nichts als die Stillung ...


Er gleitet an der Mutter, die ganz nahe vor ihm steht, plötzlich nieder und weint in ihrem Schoße bitterlich.
8. Szene
Achte Szene
Wendelborn kommt behutsam herein. Stutzt und geht nur zögernd dann näher. Mutter Buntschuh streichelt liebevoll das Haar von Tobias.

[77]
BUNTSCHUH
ohne Wendelborn zu sehen.

Mutter ... noch im Tiefdunkel sehe ich jetzt tief in deine Augen hinein ... auch deine Augen sind nur die Augen der tiefsten Sehnsucht, die erst der Tod selig macht ... jetzt liege ich vor dir ... und du ringst die Hände ... und fühlst mein Blut sich zu Tode frieren ... wenn du mich wärmen kannst, wärme mich, Mutter ...

WENDELBORN
plötzlich sanft sprechend.

Aber ... lieber Kerl ... hast du wieder einmal deine irrsinnigen Stunden ... und bist deshalb auch nicht mehr zum Souper ins Astorhaus gekommen ...


Buntschuh erschrocken, hebt seinen Kopf, ohne ihn zu wenden. Bleibt so mit gesenktem Kopfe vor der Mutter knien. Horcht. Löst sich noch immer, ohne sich zu wenden, von der Mutter. Erhebt sich ganz starr, als hätte er nur eine innere Stimme gehört.
MUTTER BUNTSCHUH.
Tobias ... siehst du nicht, wer da ist ... Philipp kommt dir zu Hilfe ...
BUNTSCHUH.
Wer ... Mutter ... wer ist hier ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Philipp ist hier ...
BUNTSCHUH.
Nein ... Philipp ist nicht hier ... das ist gar nicht möglich ...
MUTTER BUNTSCHUH.

Ich habe ja doch nach Philipp geschickt ... was ist denn jetzt um Gottes willen noch zwischen euch gefahren ... Philipp, man stürzt ja aus einer Aufregung in die andere ... habt ihr denn wirklich etwas miteinander gehabt, was je ernstlich werden könnte ... bei Ihrer Güte ... lieber Philipp ...

BUNTSCHUH.

Nein ... Philipp ist nicht hier ... das ist gar nicht möglich ... schicke gleich, daß er ja nicht ins Haus tritt ...

[78]
MUTTER BUNTSCHUH.

Nun höre mich einmal an, Tobias ... da gibts nämlich für mich gar kein Federlesen ... mit den siebenundsiebzig Jahren, die ich alt bin, werde ich mir meine gesunde Vernunft noch vollends bewahren ... ich stehe zu Herrn Philipp Wendelborn ... du hast Philipps Hilfe sehr nötig ... du hast seine aufopfernde Liebe sehr nötig ... du hast seine heitere Lebenskraft sehr nötig ...

BUNTSCHUH
hartnäckig.

Nein, Mutter ... ich habe weder seine Hilfe nötig ... die mir meine Leere doch nicht stillen kann ... noch habe ich seine aufopfernde Liebe nötig, die doch im entscheidenden Moment zu keinem letzten Opfer bereit ist ... noch habe ich am allerwenigsten seine Fröhlichkeit nötig, deren Grund ich schon kenne ...

WENDELBORN
ungerührt.
Natürlich ... das ist ja das alte, törichte, gehässige Gewäsch ...
BUNTSCHUH
ermannt sich plötzlich, rückt sich zusammen und beginnt hin und her zu gehen.

Ja ... entschuldige nur ... daß du mich noch jetzt am Morgen so gentlemanlike antriffst ... und in einer so erniedrigenden Lage vor meiner Mutter wie einen dummen Jungen ...

WENDELBORN.

Sei du nur froh, Tobby, daß du in deiner mißtrauischen Seelenangst noch immer deine alte Mutter hast, vor der du trotz deines Genies immer ein dummer Junge bist und bleiben mögest ... bis an dein Lebensende ...

BUNTSCHUH
sehr spitzig.

Ja, ja ... das ist sehr richtig, Mutter ... es ist in dieser menschlichen Hülle schließlich furchtbar egal, bis zu welchem Grade von Jämmerlichkeit und albernem Verlangen der Mensch herabsinkt ... es handelt sich ja im Grunde überall nur um die lächerlichsten Bagatellen ... über die ich mit meiner Mutter hier ganz allein zu verhandeln Lust habe ... das begreife jetzt endlich ... [79] bitte ... und gehe ... es ist ja noch der zeitigste Morgen, wirklich ... ich liebe es durchaus nicht, von meinen Freunden so zur Unzeit überlaufen zu werden ... also ...

WENDELBORN.

Du, Tobby ... du kennst mich ... wenn ich am Verrat an der Freundschaft durch dich hätte sterben können, da müßte ich schon eines zehnfachen, verachteten Todes gestorben sein ... in diesem Punkte stehe ich fest wie eine Säule aus Jafpisstein ... und befinde mich, wie du weißt, völlig über der Situation ... ich habe nämlich ein hohes Ziel ... von dem ich glücklicherweise nicht abzuirren brauche ... der Name Tobby ... der bedeutet für mich ... weißt du ... der elektrisiert alle meine Glanzgefühle ... da brauche ich also gar nicht erst erhaben zu wollen, wie Schiller sich so klassisch ausdrückt ... diese Freundesliebe sitzt mir nämlich im Blute und läuft also deshalb ganz von alleine ... verstehst du ... sag mir nur, Guter, was gibt es ... was hat es ...

MUTTER BUNTSCHUH
ist an die Tür gegangen.

Noch immer Schritt für Schritt eifrig mit zuhorchend. Jetzt richten Sie ihn noch vollends auf, Philipp ... das ist recht ... da brauche ich nicht erst groß noch weiter zuzuhorchen ... da will ich lieber jetzt nach dem Vater sehen ...

BUNTSCHUH
noch immer gereizt.
Du gehst, Philipp ... Mutter bleibt ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Sei nur vernünftig und füge dich endlich ...

Buntschuh steht nur immer wieder in harter Abwehrhaltung.
WENDELBORN
sieht Tobias lange prüfend an.

Es bleibt eine Weile stille. Gott ... ich ahne ja schließlich jetzt die Geschichte ... Tobby ... es täte mir wahrhaftig leid, wenn ich in meiner Döserei wirklich etwas gegen dich verfehlt haben sollte ... zunächst erlaube, daß deine gute Mutter hinausgeht ... hörst du, Tobby ...


Buntschuh antwortet nicht.
[80]
WENDELBORN.

Ich bitte dich jetzt herzlich ... sag's deiner Mutter ausdrücklich selber ... und zwar sehr freundlich ... diese Genugtuung bist du mir schuldig ... denn wir sind Freunde ... und reden wie Freunde ... auch wenn einer einmal gegen den anderen etwas verfehlt hat ...

BUNTSCHUH.
Mutter ... meinetwegen ... gehe

Mutter Buntschuh geht lächelnd durch die rechte Tür vorn ab.
9. Szene
Neunte Szene
WENDELBORN.

Nun also los ... mit meiner hohen Rede ... lieber Tobby ... ich müßte nämlich nicht Philipp Wendelborn heißen ... mir aus der Welt der Vorteile und Zwecke dieses Lebens nie das Allergeringste ... um so mehr aber aus der lieblichen Kunst der Verklärung dieses armen Daseins gemacht haben ... nein ... so komme ich nicht weiter ... ich ahne nicht nur ... dein Zustand beweist mir, daß du wieder einmal in den tiefsten Schmerzen deiner Sehnsucht lebst ... daß dein innerstes Gefühl aufgescheucht ist ... daß du nach etwas fahndest, was dir mehr gilt als alles Leben ... und aller Scharfsinn und aller Reichtum dazu ...

BUNTSCHUH.
Philippchen ... diese Luisa und alles derartige Weibsvolk ist mir immer völlig zuwider ...
WENDELBORN.
Jag sie in die Sümpfe, wo sie hingehört ...
BUNTSCHUH.

Du kannst das gut sagen ... um dich reißen sich alle ... die Bösen und die Guten ... du hast in dir eine solche Fülle von Liebe und Güte, die alle einfach zu dir verlockt ...

WENDELBORN.

Tobby ... nun also klar ... warum kamst du also nicht mehr zum Souper ... bloß um Fräulein Luisa nicht mehr zu begegnen ...

[81]
BUNTSCHUH.

Ich hatte nur einen einzigen, tödlichen Gedanken immer ... an die kleine, sanfte Radiana dachte ich nur immer ...

WENDELBORN.

Jetzt mache ich mir wirklich Vorwürfe, Tobby ... das hätte ich mir, weiß Gott, gleich von Anfang an denken können, daß deine Leidenschaft wieder einmal ernster dich zernagen würde, als sie so plötzlich wie vom Himmel gefallen vor uns stand ... selbstverständlich hat dir dieses stutzige Ding in seiner köstlichen Unnahbarkeit den tiefsten Eindruck gemacht ... aber warum sprichst du davon nicht offen ... warum verschließt du dich gegen mich ... hältst du mich etwa ... pa ... für einen Gauner ... hattest du mich etwa schon im Verdacht ... weil ich sie doch durchaus mitbringen wollte ... und weil ich sie nirgend mehr finden konnte ... lieber Kerl ...

BUNTSCHUH.

Philippchen ... ich hasse diese Luisa ... ich hasse alle Frauenzimmer, die nur nach dem Goldregen in den Schoß hungern ... ich sehne mich nur nach dieser kleinen Radiana ...

WENDELBORN.

Radiana ... du ... ja ... hahahaha ... das wird eine Königstochter sein ... verkappt als Gauklerdirne ... du bist ja doch aber auch so ein sonderbarer König ... warum solltest du nicht diese Gauklerdirne heiraten ... du hast ja schließlich nach nichts weiter als nach deinem Glücke zu fragen ... ganz im Ernste ... vielleicht ist das Mädelchen in seiner Seelenreinlichkeit geradezu extra für dein Glück gemacht ... tapfer ... wahr und klar ... streng könnte man sagen ... so jung die ist ... ihr Gefühl läßt die sich nicht trüben ... aber, Tobby ... daß du dabei offenbar mich in dein Mißtrauen und deine Eifersucht plötzlich einschließt ...

BUNTSCHUH.
Ich hab doch immer wieder vor dem Hotel gestanden ... und ewig auf dich und sie gelauert ...
[82]
WENDELBORN
seine Erinnerung suchend.

Ja Gott ... Radiana hat mir unversehens einmal die Hand geküßt ... nun ... und das war, wie ich mich jetzt sehr genau erinnere, als ich meinen Freund Tobias Buntschuh in alle Himmel lobte ... und sie ist doch auch ausdrücklich über deine Parkmauer geplankt ... nicht um mich, sondern um dich genau zu betrachten ... Fährt auf. gestern nacht ... du ... ich hatte ja doch erst bei der Kleinen ewig in der Garderobe gesessen ... weil sie es hartnäckig ablehnte, mit zu deinem Souper zu kommen ... und schließlich mußte ich ihr noch nachlaufen in die Nacht ... hahahaha ... armer Hungerleider ... du hast also wirklich einsam, in deinen Mantel gehüllt, beständig vor dem Hotel gelauert ... Mensch ...

BUNTSCHUH.

Und wie ich dich dann ohne sie kom men sah ... so eilig mit dem Auto kommen sah ... und so befriedigt ...

WENDELBORN.
Dachtest du, ich hätte dich schon mit ihr betrogen ...
BUNTSCHUH.
Bin ich völlig von Sinnen geraten ...
WENDELBORN.

Ich habe sie ja gar nicht mehr finden können ... hatte mir ja nur unsinnig die Zeit verrannt ... hahahaha ... mir fällt ein Stein von der Seele ... Gott sei Dank ... daß wir uns wieder offen und gerade ins Auge sehen ... ich hätte dich wirklich besser kennen sollen ... weiß ja doch, daß du gerade in einer solchen Lage empfindsamer und züchtiger und verschwiegener bist wie ein Gralsritter ... nun nochmals, lieber Tobby ... im Ernste ... gewinne sie dir ... sie wird ja doch kommen ... du kannst sie dann prüfen ... wirst sie natürlich wie eine zarte Teeblüte behandeln ...

BUNTSCHUH.

Philippchen ... ob sie sich wohl ihr Herz aus der Brust reißen ließe für einen armen Aussätzigen wie ich bin ... ob sie wohl ihr Leben hingeben [83] möchte, um mich noch einmal zu einem strahlenden, schlanken, gesunden Manne zu machen ...

WENDELBORN.

Tobby ... es gibt Fragen, die kann der größte Narr nicht beantworten ... die kann nur der Glückliche erleben ... vor wahrer Liebe, die sich für Leben und Seele des andern völlig verwirft, steht man vor dem Kleinod, das auch der Goldschmied Wendelborn noch nicht zu fassen vermag ... hahahaha ... aber ich sag dir, Tobby ... darin herrscht in dieser Welt auch manchmal noch die tollste Verwirrung ... denn manchmal fällt gerade auf den leersten Esel die keuscheste, reinste Seele ...


Buntschuh sitzt jetzt ganz in sich eingehockt und demütig da.
WENDELBORN
streichelt ihn.
Tobby ... ruhe dich jetzt von dieser schrecklichen Irrfahrt aus ... leg dich jetzt schlafen ...
BUNTSCHUH
während er sich zögernd erhebt, den Spiegel herausgenommen hat und wieder hineinstarrt.

Vor der linken, tieferen Tür. Philippchen ... gucke mir über die Schulter ... gucke mit in meinen Silberspiegel hinein ... sieh dir die eklige Denkspinne an ... graule dich nicht ... und dann sage es mir noch einmal, ob du wirklich für mich noch Hoffnungen hegst ... dann will auch ich wieder glauben ...


Er wendet sich mit dem Blick wieder nach Wendelborn.
WENDELBORN
bleibt auf der Stelle stehen und schließt nur seine Augen.

Ich trage ja deine drollige Leiblichkeit in meine Augen eingeätzt ... geliebter Tobby ... ich sehe dich schon bei geschlossenen Augen ganz genau ... bis auf den Floh auf deiner Nase ... nun also ... so sage ich dir ... träum dir die kleine, graue Motte einstweilen ins Dunkel deines Schlafzimmers hinein ... daß sie dir über deinem Bette Ruhe fächle ... Lotte Grasmück scheint auch ein Sonderling wie du ... sie scheint vom Leben gar nichts zu erwarten ... will wohl nur gutmütig irgendeinem Geliebten dienen ... Mit anderem Tone. aber, Tobby ... dein verfluchtes Mißtrauen ... diese[84] richtig eingekerkerte Eifersucht ... darin bist du unheilbar ... vielleicht wirst du nie wissen, was Liebe ist ... deswegen wirst du auch nie wissen, was ein Narr der Freundschaft ist ... und daß ich dein Freund bin in allen Lagen ...

BUNTSCHUH.

Setze mir ihr kindliches, gläubiges Herz in meinen zerdrückten Brustkasten ein, damit mein Leben noch einmal neu werde ... lieber Freund ...


Er geht ab, von Wendelborn bis an die Tiefentür links begleitet.
10. Szene
Zehnte Szene
MUTTER BUNTSCHUH
guckt sofort aus der anderen Tür herein.
Ganz leise. Ist er beruhigt ...
WENDELBORN.

Sein schneidender Scharfsinn steht in geradem Verhältnis zu seinem Mißtrauen ... er ist also auch ein Genie des Mißtrauens ... aber die Freundesliebe überwindet alles ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Ich danke Ihnen tausendmal, lieber, guter Philipp ...

Während beide abgehen.

Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
MUTTER BUNTSCHUH
ein wenig altertümlich aufgetakelt.

Aber wie eine ganz einfache Frau. Sie kommt von der vorderen Tür rechts. Ja, bitte ... kommen Sie nur herein ...


Radiana im schlichtesten Straßenkostüm, einen Strauß in der Hand, folgt ihr.
MUTTER BUNTSCHUH.

Kommen Sie ... kommen Sie ... seien Sie ja nicht schüchtern ... bringen Sie meinem Sohn die schönen Blumen ...

RADIANA
in ihrer stutzigen Art.
Ja ... jawohl ... für Herrn Tobias Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH.

Nun ja ... freilich ... heute ... wo die ganze Welt seinen Geburtstag feiert ... woher kommen Sie denn ...

RADIANA.

Ich bin aus dem Zirkus ... ich heiße Lotte Grasmück ... ich bin ein Schlangenmädchen ... Gott ... Sie machen auch einen so einfachen Eindruck ... sind Sie die Mutter ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Ja ja ... die sehr einfache Mutter von dem sehr berühmten Sohne ...
RADIANA.

Ich bin auch ein anständiges Mädchen ... Sie dürfen nicht etwa denken, weil ich aus dem Zirkus bin ... da denken manche gleich, man müßte durchaus ein niedriger Mensch sein ... und um einen Judaslohn käuflich sein ...

[89]
MUTTER BUNTSCHUH.

Ih Gott ... käufliches Volk gibt es überall ... Buhldamen gibt es auch unter den Prinzessinnen ... aber Leute, die auf Menschenwürde und Frauenehre halten, gibt es auch genug unter dem Arbeitsvolke, das sich im Schweiße seines Angesichtes seinen Bissen verdient ... kommen Sie nur ... setzen Sie sich nur ... von wem bringen Sie denn die Blumen ...

RADIANA.

Nein ... gar nicht von jemand ... ich habe mich selber aufgemacht ... Herr Wendelborn meinte, ich müßte zu Herrn Tobias Buntschuh selber hingehen ... ihm die schönen Rosen selber hintragen ... nein ... was nur Herr Buntschuh für einen übermenschlichen Scharfsinn besitzen muß ... wenn er sich aus so kleinen Verhältnissen herausgearbeitet hat ... und einer der reichsten und mächtigsten Erfinder geworden ist ... ein richtiger Hexenmeister muß er doch sein ... ich habe nämlich Herrn Buntschuh sehr gern ... weil ihn auch Herr Wendelborn so gern hat ... und ihn geradezu mehr liebt, als vielleicht die eigene Mutter oder gar eine Geliebte ... überall sind hier weiße Lilien aufgestellt, wie schön ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Ja ... sehen Sie ... nur weiße Lilien will er an seinem Geburtstage in Hülle und Fülle um sich haben ... er riecht sie so gerne ... und starrt richtig sehnsüchtig in die weißen Kelche hinein ... es ist das ein Wahn schon aus der Kinderzeit ... er behauptet, daß ihm die weiße Lilie gerade an diesem Tage etwas Besonderes erzählte ... Gott ja ... Reinheit und Unschuld duftet die Lilie ... aber alles Reden an diesem Tage haßt er sonst ... wo er ohnehin nicht immer alle Beglückwünschungen verhindern kann ... also Lotte Grasmück heißen Sie ... und sind aus dem Zirkus ... so ach ... Sie glauben gar nicht, was zu diesem Menschen, der so vielen Arbeit verschafft, nicht alles für Leute kommen, die sich an ihn drängen ... und die er nicht gut abweisen kann ...

RADIANA
die sich immer heimlich scheu umgesehen.

Nämlich ... einmal war ich schon hier ... da war ich zwar nur übergeplankt einfach ... aber damals war ich noch ein dummes albernes Ding ...[90] obwohl das Damals nur ein paar Tage her sein kann ... damals kam ich nur hierher, weil Herr Wendelborn den Zirkusleuten Herrn Buntschuh so schön und so drollig hilflos geschildert hatte ... ist denn Herr Wendelborn jetzt nicht auch hier?

MUTTER BUNTSCHUH.

Ach Gott ... wo könnte der denn immer gleich hier sein ... Herr Wendelborn ist ja richtig gehetzt zwischen der ewigen Bedürftigkeit meines Sohnes und seinem eigenen stillen Hause und seiner Werkstatt ... das geht manchmal den ganzen Tag hin und her ... wollen Sie ihn auch sprechen ...

RADIANA.

O nein ... nur komme ich eben gerade auf Herrn Wendelborns Befehl ... ich muß nämlich alles tun, was er mich heißt ... kennen Sie dieses eigentümliche Gefühl, Frau Buntschuh ... oh ... ich möchte Ihnen gerne noch viel mehr sagen ... Sie machen so einen Vertrauen erweckenden Eindruck, Frau Buntschuh ...

MUTTER BUNTSCHUH.
Sprechen Sie nur ...
RADIANA.

Nein, wirklich ... ich kannte dieses eigentümliche Gefühl noch gar nicht ... da ist plötzlich eine runde Seligkeit in einem Weiberherzen, wenn da vor uns ein Mensch ist, dem man sich nur dienend zu Füßen werfen möchte ... der einen im Scherze nur so ausblasen könnte, wie ein goldenes Licht ... weil seine Seele so einfach und so schön ist ... sehen Sie ... ich bin doch nur wie ein Dressierpferd aufgewachsen ... da kannte ich das noch gar nicht ...

MUTTER BUNTSCHUH
sie anstaunend.

Ja ja ... oh ... da haben Sie ein sehr richtiges Gefühl ... nur Gott konnte meinem Tobias einen solchen Freund geben wie Wendelborn ... ein solcher Freund ist eine Gnade ... wo so die Treue dazu gehört wie der lebendige Atem ... wenn nur mein Sohn Tobias das immer richtig erkennte ...

[91]
RADIANA
einigermaßen unruhig sich umblickend.

Wollen Sie aber nicht Herrn Tobias Buntschuh benachrichtigen, wenn er mich überhaupt empfangen mag ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Ja, liebes Kind ... Tobias ... stören darf ihn auch heute niemand ... ich glaube, er arbeitet noch ...

RADIANA.
Oh ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Aber er weiß es, daß Sie da sind ...
RADIANA.
So ... wie weiß er denn das ...
MUTTER BUNTSCHUH.

Er hat es ausdrücklich so angeordnet ... sonst hätten wir Sie gar nicht in den Gartensaal führen dürfen ...

RADIANA
lachend.

Nein ... ich bin heute so ausgelassen ... ich war so fröhlich, daß ich Herrn Wendelborn den Gefallen tun konnte ... und hierhergehen mit den Blumen ... sehen Sie doch an ... diese Rosen ... und ich bringe noch ein ganzes Herz voll froher Wünsche mit für Herrn Buntschuh ... Ihnen, Frau Buntschuh, könnte ich, glaube ich, viel mehr sagen, als es überhaupt anständig ist, aus seinem vollen Herzen herauszuplaudern ... gewiß weiß ich, wie einsam Herrn Buntschuh sein Scharfsinn immer zurückläßt ... er muß ja entsetzlich sein Hirn zermartern für alle die fremden Leute draußen ... Herr Wendelborn sagt, daß er manchmal eine gellende Leere davon zurückbehielte ... deshalb komme ich mit innigem Mitleiden für Herrn Buntschuh ... wenn sogar Herr Wendelborn im Grunde genommen sein ganzes Leben nur durch diese Brille sieht ... ja ... Sie lachen, aber es muß wohl wahr sein ...

[92]
MUTTER BUNTSCHUH
lächelnd.

Ja ja ja ... es ist wahr ... jedes Wort ist wahr ... Sie sieht auf, blickt sich um und horcht. ist denn jemand hier ... Pause. Franz ...

RADIANA.

Ja ... ich hörte es auch ... eine Tür quiekte ... ich glaube, es ist die Tapetentür dort, die sich eben ganz leise schloß ...

MUTTER BUNTSCHUH.

O Gott ... ich habe in einer kleinen Wärterbude ein halbes Leben zugebracht ... und da hatte man Fenster ... zwei ... sah ins offene Grüne ... und zum Himmel hinauf und eine Tür und damit genug ... und anfangs noch den Jungen im Wagen ... und nichts ... Lachend. gar nichts Bedrohliches ... manchmal rauschte der Zug vorbei ... das war unsere Uhr ... aber hier gibts Schlupflöcher und Gänge und Türen ... und alles horcht aneinander herum ... Sie ruft. Franz ... es wird einfach ein neugieriger Diener gewesen sein ...

RADIANA.

Ja ja ... die Menschen sind alle nur furchtbar neugierig ... weiter steckt ja gar nichts dahinter ...

MUTTER BUNTSCHUH
rufend.
Franz.
RADIANA.

Oh, lassen Sie nur, Frau Buntschuh ... ich gehe jetzt lieber ... ich bin auf einmal auch ängstlich geworden, ob ich überhaupt recht getan habe, hierher zu gehen ... wenn ich es Herrn Wendelborn auch gerne zu Gefallen getan ...

MUTTER BUNTSCHUH
sich wieder beunruhigt umsehend und an die Tür herangehend.

Tobias ... bist du es ... Tobias ... er kann ja doch auch nicht mehr ewig arbeiten ... er muß sich ja doch jetzt für den großen Empfang herrichten ...


Sie ist zurückgekommen an den Tisch und klingelt.
2. Szene
[93] Zweite Szene
DIENER FRANZ
erscheint aus der Tapetentür.
Zu Befehl, Frau Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Kommt denn endlich mein Sohn ... das Fräulein hat Eile ...
DIENER FRANZ.
Das glaube ich nicht ... ich will noch einmal sehen ...

Sogleich ab.
3. Szene
Dritte Szene
MUTTER BUNTSCHUH.
Er tut so dumm ... er macht ein so unbestimmtes, verlegenes Gesicht ...
4. Szene
Vierte Szene
DIENER FRANZ
erscheint sogleich wieder.

Nein, Frau Buntschuh ... der gnädige Herr kann noch nicht kommen ... er kleidet sich soeben erst um ... er bittet seine Frau Mutter ausdrücklich, das Fräulein noch ein wenig weiter mit Plaudern aufzuhalten ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Was soll denn das wieder heißen: mit Plaudern aufzuhalten ... nicht ... wir haben schon genug geplaudert ... wie lange soll denn das Plaudern noch dauern ... waren Sie nicht schon vorhin hier an der Tapetentür ...

DIENER FRANZ.
Daß ich nicht wüßte ... Frau Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH.

Na ... das kam mir aber sehr verdächtig vor ... wer war denn da das neugierige Langohr, möchte ich nur wissen ...

[94]
DIENER FRANZ.
Keine Ahnung, Frau Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH.

Nein, nein ... da werden Sie natürlich keine Ahnung haben, wenn ein so liebes Ding hier bei mir im Gartensaale sein Herz ausschüttet ... nun gehen Sie nur ...


Diener Franz mit Achselzucken ab.
5. Szene
Fünfte Szene
MUTTER BUNTSCHUH.

Ach Gott ... in diesem Hause des Reichtums ist einer alten, einfachen Frau wie mir auch immer ganz unheimlich zumute ... ja ... liebes Fräulein Grasmück, nicht ... mit meiner Not will ich Sie gar nicht erst plagen ... also erzählen Sie mir lieber noch etwas von ihrem kindlichen Leben ...

RADIANA.

Ich weiß nichts ... ich habe ja gar nichts in mir ... oder doch ... eigentlich habe ich seit Tagen ein ganzes Konzert in mir ... und immer nur alle seligen Töne um einen Menschen geschlungen ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Ja, ja, ja ... das kann ich mir schon denken, daß Ihnen auch ein Mensch wie Tobias ungeheuren Eindruck macht ... mit seinen Erfolgen ... Sie sind noch jung ... auf Prunk und Reichtum müssen Sie im Zirkus auch sehen ... alle wissen schließlich, daß er das Gold nur so in Scheffeln ausschüttet, wenn er einmal in Gebelaune ist ...

RADIANA
stutzig.

Nein ... Herrn Tobias Buntschuh meine ich nicht ... ach Gott ... eben, das ist es ja, was ich mir gar nicht getraue, Ihnen laut heraus zu sagen ... ein gewöhnliches, törichtes Mädel wie ich bin ... jetzt habe auch ich eine Last zu tragen ...

[95]
MUTTER BUNTSCHUH.
Sagen Sie es ruhig ... klagen Sie ruhig ...
RADIANA
erregt.

Ich will gerade wie meine Mutter sein ... auch meine Mutter hat in ihrem ganzen Leben nur einen Mann lieben mögen ... nur immer denselben ... durchaus nicht, weil es ihr nur Pflicht war ... nein ... ganz und gar nicht ... nur, weil es ihr alle Seligkeit ... und Sinn und Lust und alles bedeutete ... bis dann der Vater bei einem Sprunge in der Manege stürzte und gestorben war ... die sich nie wegwarf ... nur immer ein und dieselbe Liebe im Herzen hatte ... so daß der Vater die Mutter auch wert und teuer hielt ... nie mochte, daß Weib und Kind in der Manege irgend etwas täten ... die Leute im Zirkus wußten überhaupt gar nicht, wo sein Weib und sein Kind wohnten ... bis dann nach seinem Tode ich an die Reihe kam, für meine Mutter das Leben zu verdienen ... weil ich so schlank und geschickt war ...


Sie hat sehr entschlossen gesprochen. Aber sie wischt sich plötzlich die Tränen.
MUTTER BUNTSCHUH.
Weinen Sie nicht, liebes Kind ...
RADIANA.

Nein, nein ... ich bin gar keine junge Henne, die ewig nur gackert ... und dann das Ei nicht bebrütet ... und eine Heultrompete bin ich am wenigsten, die alles dumme Gefühl immer hinaustuten muß ... ich weiß sehr genau, was ich bin ... ich bin ein Zirkusmädel und mache meine Sprünge ... und kann mir dabei noch immer die Welt betrachten ... aber Reichtum und Glanz und Scharfsinn ... und alle Tugenden der Menschen dazu ... locken mich gar nicht ... da mache ich mir einen Dreck draus ... mag ich eine Herumzieherin sein ... mögen wir ruhig weiterziehen ... da werde ich nur an Herrn Wendelborn denken ... und mein Herz wird sich in Augenblicken zersehnen nach dem verlorenen Himmelreich ... und wenn ich werde einen beliebigen Mann haben ... und Jungen und Mädel von ihm haben ... [96] da werde ich es ihnen einbläuen ... seid ja kein Freund wie Herr Wendelborn ... damit ist die Seligkeit nicht zu erreichen, wenn man Glück und Liebe und das letzte nur für seinen Freund hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH
ordentlich erschrocken.

Fräulein Grasmück ... Kindel ... was Sie nur für eine kleine, kluge, energische Person sind ... nein ... ich höre ...

RADIANA.

Jawohl ... nun sollen Sie auch das Äußerste noch hören, Frau Buntschuh ... Jetzt weint sie plötzlich heraus. es ist ein Blödsinn, was Herr Wendelborn sich denkt ... ich bin kein verworfenes Herze, wie Herr Wendelborn sich das denkt ... ich kann nicht aus Mitleid kommen und die Liebende spielen, mit Rosen und Blumen und Grimassen im Gesicht ... ich kann doch nicht einem beliebigen Manne mit Narde die Füße salben ... und sie dann mit meinem Haare abtrocknen womöglich ... Herrn Wendelborn könnte ich Leib und Seele hinwerfen und nach gar nichts fragen ... aber sonst für niemand ... und nicht um allen Reichtum und alle Ehren ... es wäre denn, daß ich mich aus Mitleid hingeben müßte, um dabei zu verderben und zu sterben ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Geliebtes Kindel ... mein Gott ... komm ... ich muß dich küssen ... komm ... seien Sie nur einer alten Mutter nicht böse ... ich muß Sie im Arme halten ... ich halte den größten Schatz auf Erden im Arme ... und mir ist, als wenn ich in diesem Gartensaale auf einmal die reinste Himmelsluft spürte ... ach ... du unglücklicher Tobias ... mit all deinen Reichtümern und all deinen Erfindungen ...

6. Szene
Sechste Szene
Die Tiefentür links tut sich auf. Tobias im Frack erscheint. Mit Ordenszeichen. Steif und bleich.
Radiana springt auf. Ganz scheu plötzlich. Versucht ihre Erregung zu verbergen.

BUNTSCHUH.
Guten Morgen ... guten Morgen ...
[97]
RADIANA
ganz scheu.
. Oh ... guten Morgen, Herr Buntschuh ...
BUNTSCHUH
spitzig.

Nun ... das sollte wohl eine Umarmung bedeuten ... was stelltest du denn gerade für eine Gruppe, Mutter ...

MUTTER BUNTSCHUH.

Höhne du nur ... hier klagt ein Weib einem anderen Weibe das tiefste Leiden und die höchste Seligkeit ... und zwei Weiber erkennen einander ... jung und alt ... in ihrem tiefsten Gefühle ...

BUNTSCHUH.

So so so ... das klingt ja sehr hochtrabend, Mutter ... ja ... also ... Fräulein Radiana ... oder wohl besser Fräulein Lotte Grasmück ... nicht wahr ... eine so uralte Frau, wie meine Mutter, hat schon die Weisheit der alten Parze, die nur noch darauf wartet, den Lebensfaden endlich ganz durchzuschneiden ... weil sie sich einbildet, er tauge doch nichts ... und Sie kommen trotzdem mit Blumen zu mir ... wie ...


Mutter Buntschuh starrt den Sohn nur an.
RADIANA
sehr demütig und verlegen.
Ich komme ... ja ... doch an diesem Tage heute ... gewiß ... mit Blumen ... zu Ihnen ...
BUNTSCHUH.

Ich bin nämlich noch immer nicht reif geworden, mich nach nichts mehr wie nach dem Tode zu sehnen ... und womöglich mit meinen neununddreißig Jahren schon nur zu arbeiten und in der Zwischenzeit bloß ins Grabloch zu starren, das auf mich wartet ... wie es meine Mutter immer betreibt ...

RADIANA
ganz erschrocken.
Oh ... Sie sollen nicht so grausam und rücksichtslos sein zu Ihrer alten, ehrwürdigen Mutter ...
[98]
BUNTSCHUH.

Ach was ... die Wahrheit ist immer rücksichtslos ... das merken Sie sich nur ... kleines Fräulein ...

MUTTER BUNTSCHUH
die den Sohn wegen seines gereizten und erbleichten Gesichtes nur immer angestarrt hat, erhebt sich in Gedanken und geht Schritt um Schritt rückwärts gegen die Tür.
Werden Sie fertig mit ihm ... nach dem, was er vom Leben erwartet ...
RADIANA
ängstlich nach ihr blickend.
Liebe Frau Buntschuh ...
MUTTER BUNTSCHUH.
Liebe Frau Buntschuh ... Mutter von einem Erfindergenie ...

Ab durch die Tür rechts vorn.
7. Szene
Siebente Szene
RADIANA
nach einer Weile ganz erschüttert und furchtsam.
Oh ... nun stehe ich mit Rosen in meinen Händen ... allein ...
BUNTSCHUH
geht prüfend um sie herum.
Na ja ... ich habe doch meinen Geburtstag heute ...
RADIANA.
Nicht wahr ... ja ... eben ...
BUNTSCHUH
pfiffig lächelnd.

Hihihihi ... ich habe doch meinen Geburtstag heute ... da werden Sie mir doch die Rosen bringen ... da geben Sie mir doch die Rosen her ...

RADIANA.

Ich war so erschrocken durch Ihre Rede ... gewiß ... Sie reicht ihm die Rosen. sind die Rosen für Sie ...

BUNTSCHUH
pfiffig blinzelnd.
Hihihihi ...
[99]
RADIANA.

Ich kann mich noch gar nicht wieder zu mir finden ... ich hatte mit Ihrer Mutter so freundlich geredet ... jetzt bringe ich gar nichts aus der Kehle heraus ... nicht ein Wort von dem, was ich Herrn Wendelborn ausdrücklich versprochen habe ... ja ... ja ... tausend Wünsche hege ich für Ihr Wohlergehen ... für Ihr arbeitsreiches Leben ... das doch für Hunderttausende von Menschen so kostbar ist ...

BUNTSCHUH.

Hihihihi ... natürlich ... ich bin doch ein berühmtes Erfindergenie ... ich bin doch ein angestauntes Erfindergenie ... hihihihi ... und stelle auch einen Mann noch dar, der sich selbst Leute wie einen Philipp Wendelborn halten kann ... hihihihi ...

RADIANA
ganz entsetzt.

Ach ... ich dachte doch ... Sie wären so demütig ... so bemitleidenswert ... Sie sind jetzt so anders ... Sie sind jetzt so grausam ... Sie sind so gefährlich ...

BUNTSCHUH
Radiana immer jäher nahe rückend.
Ja ... ja ... ich bin sehr gefährlich ... ich bin sehr gefährlich ...
RADIANA.

Oh ... nicht doch ... als ich Sie zum ersten Male sah ... machten Sie einen so rührenden Eindruck ...

BUNTSCHUH
schreit plötzlich kläglich zum Himmel.
In meiner Armut ... mit meinem Höcker ... mit meinem Scharfsinn ... mit meinem Golde ...

Radiana rennt sinnlos zur Tür.
BUNTSCHUH
jäh.
Laufen Sie ja nicht ... sonst muß ich in meinem Schmerze noch lauter schreien ...
[100]
RADIANA
kommt zurück, nähert sich Schritt um Schritt nur Tobias, der noch aufrecht steht.
O Gott ... ich bete für Sie ...
BUNTSCHUH
fällt jetzt plötzlich auf die Knie nieder.
Bettelnd. Hihihihi ... Grasmückchen ... Grasmückchen ... Grasmückchen ...
RADIANA.
Herr Buntschuh ... was wollen Sie denn von mir ... wollen Sie mich morden ...
BUNTSCHUH
immer kindlich bettelnd.
Grasmückchen ... Grasmückchen ... Lottchen ... du sollst mir das eiskalte Herze streicheln ...
RADIANA
auf Distanz, in sich kämpfend.

Nie ... nie ... nie ... nie ... nein ... ganz gewiß nicht ... ich kam doch nicht deshalb ... ich mag doch mit einem Manne kein Lügenspiel treiben ...


Buntschuh will sich ihr kniend nähern mit ausgestreckten Armen.
RADIANA.

Huh ... nein ... ach ... lieber Herr Buntschuh ... Sie dachten doch nicht, ich wäre gekommen, wie Maria zu Jesus, um Ihnen mit Narde die Füße zu salben ... und sie dann mit meinem Haare liebend zu trocknen ... Sie dachten doch nicht, daß ich Sie mehr als bewundern könnte ...

BUNTSCHUH
kniet.

Frierend. Zähneklappernd, indem er die Worte Radianas nachspricht. Sie dachten doch nicht, ich wäre gekommen wie Maria zu Jesus, um Ihnen mit Narde die Füße zu salben ... und sie dann mit meinem Haare liebend zu trocknen ... Sie dachten doch nicht, daß ich Sie mehr als bewundern könnte ... Er bricht plötzlich in ein sinnloses Gelächter aus. hahahaha ... Dann plötzlich schreit er scharf heraus. gehen Sie ... gehen Sie ... gehen Sie zu dem verfluchten Schmarotzer ... gehen Sie zu dem verfluchten Schmarotzer ...

[101]
RADIANA
plötzlich sich zusammenraffend, jetzt mutig und stolz.

Herr Buntschuh kommen Sie zu sich ... bitte ... kommen Sie zu sich ... wohin meinen Sie, daß ich gehen soll ... wer ist denn dieser verfluchte Schmarotzer ... meinen Sie wirklich Herrn Wendelborn, der Ihr treuester Freund ist ... meinen Sie wirklich, daß ich zu Herrn Wendelborn hingehen könnte, mich ihm an den Hals zu werfen ... ach ... lieber Herr Buntschuh ... ich möchte so gern zu Herrn Wendelborn gehen ... und ihm mein ganzes Leben hinwerfen ... aber ich schwöre Ihnen hoch und teuer ... Herr Wendelborn braucht mein Leben so wenig ... nein, nein ... er hat ja einmal aus mir einen Briefbeschwerer aus Elfenbein und Golde für Sie gemacht ... sonst hat er mich nicht auch nur angesehen ... Herr Wendelborn hat ja so viel schönere Dinge immer zu tun, als sich um ein solches armes, dürftiges Eckerlein noch zu bekümmern ...


Buntschuh hat bei ihren Worten wieder seine herrische stolze Haltung angenommen.
Pause.
8. Szene
Achte Szene
WENDELBORN
erscheint sehr weltmännisch.

Er ist im Frack. Tritt aus der rechten Tür vorn. Sei gegrüßt, Tobby ... geliebter Freund ... potztausend diese Lilien ... großes, größeres, allergrößtes Erfindergenie ... ich bringe dir mein altes Herz ohne Hehl zum Geschenk ... Vor dem Gartensaal ziehen jetzt eine Fülle Musikanten zum Ständchen auf. auch die Staatsdeputation ist schon auf dem Wege ... also mußt du jetzt gefeiert werden ...Draußen probiert unterdessen die Kapelle ihre Instrumente, während sich Wendelborn eine Rose aus einem Bukett bricht und ins Knopfloch steckt. Nun ... Fräulein Lotte Grasmück ... das ist famos, daß Sie auch noch da sind ... haben Sie sich denn schon ein bißl mit meinem berühmten Tobias Buntschuh angefreundet ... Er wirft plötzlich prüfende Blicke von Radiana zu Buntschuh und wieder zurück. sieht er nicht mit seiner Lilie im Knopfloch großartig aus ... wie ... kleines, gutes Herze ...


Radiana sieht nur scheu und erstarrt auf Buntschuh und wagt ich nicht zu rühren.
[102]
WENDELBORN.

Na ... jedenfalls müssen Sie jetzt machen, daß Sie fortkommen ... einstweilen passen Sie nicht hierher ... wenn jetzt all die berühmten Leute erscheinen ... die großen Minister ... und die großen Bürgermeister ... und alle die Prunkherren, wissen Sie ...

RADIANA
hat Wendelborn seine Worte vom Munde gelesen.
Dann sagt sie bleich und kindlich. Oh ... ich gehe schon, Herr Wendelborn ...

Ab.
9. Szene
Neunte Szene
Diener sind draußen vor dem Gartensaal erschienen, die dort einige Tische mit Gläsern herrichten.
Mutter Buntschuh, der Vater Buntschuh hinter ihr drein, nun beide feierlich gekleidet, aber altväterisch und übereinfach, erscheinen.

BUNTSCHUH
der beim Eintritt Wendelborns noch wie versteinert dastand und nur, ehe Radiana verschwand, sie und Wendelborn fragend anstarrte, hatte sich in den Lehnstuhl niedergelassen.

Er spricht die folgenden Worte mit strengem, großen Tone. Mutter ... in deinem Mutterschoße bin ich für dieses Leben leibhaftig erwacht ... heute feiert Ihr meinen Geburtstag ... du hast mich geboren ... warum hast du mich nicht mit lauter Liebe erfüllt ... daß ich nur Liebe säete ... und Liebe erntete ...

MUTTER BUNTSCHUH
geht an ihn heran, ihm seinen Kopf zu streicheln.

Geliebter Junge ... ja ja ja ja ... ich wollte dich wohl immer und allezeit mit Liebe überfüllen ... schreib's nur deinem Schöpfer vor, wie es eine Mutter machen muß ... oder erfinde selber den Weg ... vielleicht kannst du's mit deinem Scharfsinn ...

WENDELBORN
psalmodiert ein wenig gezwungen, aber liebevoll.
Gibt's denn gar kein Wegerl ...
Gibt's denn gar kein Stegerl,
Das mich führet
Aus der weiten Welt ...
[103]

Ach Gott ... geliebter Tobby ... wirf deinen Lebensschmerz von dir ... du wirst doch nicht gerade in diesem Hochmoment eine einsame Schmachtweise singen ... wie das Spinnenmännchen, wenn es um die Liebe des grausamen Spinnenweibes den Faden zupft ... hahahaha ... blase dich einmal ganz wieder auf, wie du es tausendmal tun kannst ... höre dir stolz den Dank der Welt an, den du wahrhaftig verdienst ...

BUNTSCHUH.
Ist es wahr, Philippchen ...
WENDELBORN.

Tobby ... hat je der wahre Ersinner großer Leistungen wirklich etwas zustande gebracht, ohne nicht tausendfältig auch zu entsagen ... solche Menschen, die für die Menschheit Entscheidendes taten, waren in gewissem Sinne zunächst immer einseitig ... und immer auch Märtyrer ...

BUNTSCHUH.
Ist es wahr, Philippchen ...
WENDELBORN.

Aber ich fühle dich auch als kühnen, stolzen Sieger, der in der Leidenschaft für sein Ziel nach gar nichts weiter fragt ... Tobby ...

BUNTSCHUH.
Rede nur, Philippchen ...
WENDELBORN.
Du baust doch mit deinem Genie an dem sichersten Gehäuse der Menschheit hier auf Erden ...
BUNTSCHUH.
Rede mich nur empor ... rede mich mutig ...
WENDELBORN.
Du gehörst doch der ganzen Menschheit an ...
BUNTSCHUH.

Nicht wahr, liebes Philippchen ... ich gehöre der ganzen Menschheit an ... ich bin doch ihre sicherste Hoffnung auf Erden ... hahahaha ... ich werde mit meinem Genie ganz gewiß noch die letzte Seligkeit der Menschen auf Erden erfinden ... ich bin doch auf Erden der Gott ...

[104]
WENDELBORN.

Ja ... ja ... ja ... ja ... Tobby ... vielleicht bist du auf Erden der Gott ... Er hat den Musikanten gewinkt und ruft ihnen aus der offenen Flügeltür in den Garten hinaus. Macht erst die Reiterfanfaren mit meinen mächtigen Silbertrompeten, die der Herr Buntschuh dem Orchester zu seinem Ehrentage gestiftet hat ...


Die Kapelle beginnt eine Fanfare zu blasen, nachdem sich acht Bläser in einer Reihe mit spiegelnden, langen Silbertuben aufgestellt haben.

Der Vorhang fällt.

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TextGrid Repository (2012). Hauptmann, Carl. Tobias Buntschuh. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-38C7-6