Carl Hauptmann
Panspiele

[1] Carl Hauptmann
Im goldenen Tempel-Buche verzeichnet
(Nach einer japanischen Skizze)
Dichtung in drei Vorgängen
(Hinter Schleiern zu spielen)

[1][3]

Personen

Personen.

    • Der Kaiser.

    • Giwau, dessen Geliebte.

    • Tozi, Giwaus Mutter.

    • Ginyo, Giwaus jüngere Schwester.

    • Hotoke, eine junge Sängerin.

    • Diener.

    • Dienerin.

1. Vorgang

Erster Vorgang

Der vordere Raum der Bühne ist rechts und links je durch eine Wand mit Tür, nach der Tiefe durch einen kostbaren, zweiteiligen Vorhang begrenzt. Wenn sich der Vorhang auseinander breitet, sieht man Stufen, die zu einer freien Terrasse mit Säulen und Gewinden führen. Dort oben stehen ein paar vornehme Ruhebetten. Durch die Säulen sieht man in die Gärten des Kaisers, darüber der Abend sich legt. Der Vorhang ist halb geöffnet.
Tozi und Ginyo, Giwaus Mutter und Schwester, kommen von links aus der Tür. Gleich danach erscheint aus der rechten Tür eine Dienerin.

DIE DIENERIN.
Oh! in der jachen Unrast unsrer Stunden
ein Weilchen Frieden, Herrin! Deine Tochter
schmückt sich. Die stille Abendfeier, wo
der kaiserliche Herr, ganz hingegeben,
dem Laut aus Giwaus keuschen Lippen lauscht
und des verzückten Reigens brünstigem Zwange
nachstarrt, ist nicht mehr weit. Sie summt schon leise
die Lieder, die der Kaiser gerne hört.
[5]
DIE MUTTER.
Nur sage Giwau, dass die Mutter und
die Schwester Ginyo zu ihr kam. Sie möchte
sich ja beeilen, eh die blauen Blüten
im Tanze vor dem Kaiser niederwirbeln
aus ihrem vollen Haarkranz. Abendstrahlen
umfluten schon den Weg. Die Sonne taucht
in Busch und Wipfel ein mit goldnen Säumen.
Und Mutterliebe will die Schleierstimme
der Tochter nicht nur träumen, wirklich trinken,
wie reichen Seelenlaut im Garten Gottes.

Die Tür zur Rechten hat sich geöffnet, und Giwau ist kindlich bewegt erschienen, in Freude über ein köstliches Perlengeschmeide, das sie im Begriff ist sich umzulegen.
GIWAU.
Du Mutter! sieh nur, sieh die seidigen Perlen,
die mir der Kaiser gestern umhing. Oh,
er liebt mich, Mutter, liebt mich ohne Mass.
Wie reiner Morgen liebt den weiten, dunklen,
lautlos erstorbnen See der Traurigkeit,
darin in goldner Flut die Nacht versinkt.
Nein, Mutter! Grenzen nicht der Huld und Gnaden
erkennt er noch. Erhöhen! Nur erhöhen!
von Tag zu Tage mehr, ganz ungestüm.
[6] Sein Wink häuft Schätze mir und Euch ... und Schönheit,
so dass ich wirklich wie von Genien
behütet bin. Und seine dunkle Stimme
rühmt unablässig mich – nur mich! – nur mich!
»Du, Giwau«, sagt er – –
DIE MUTTER
zärtlich drohend.
Schatz, rühm dich nicht selbst!
Des Liebeswahnes heisse Worte irren
und zücken bandenlos, wie helle Blitze
in Wolken zücken. Und schon ist es Nacht.
Lass selige Liebesworte nur dein Auge
sanft hellen, ganz von ferne, wie ein Blick,
der ungehört vergeht und Lächeln macht.
Und sprich sie höchstens einmal leis, in Glücke,
wenn du mit dir allein bist, so nur hin –:
wenn du, erschauernd von dem jungen Wein,
das höchste Gut ermessend, noch tief sinnst.
Doch ja nicht laut der Liebe Stammeln, Kind,
und nicht vor andern! Ach, die Zeit ist Flucht!
GIWAU.
Nein, Mutter! nicht doch! – Nein, so flüchtig ist
[7] die Glut der Liebe meines Kaisers nicht.
Nein, allzu kleinmütig ist meine Seele
noch nicht geworden. Ach, es ist so süss,
so Tag um Tag und Jahr um Jahr geborgen
am selben Baume ruhen, an derselben
kristallnen Quelle meinen Durst zu stillen.
Oh Mutter! Huldvolle! nur preise fröhlich
mit mir das junge Licht, das sonnenflutend
mein winziges Leben einhüllt! Rühm mich hoch,
dass meiner Schönheit züchtiger Tulpenbaum
so ewig Gaben vor den Kaiser hinstreut.
Du liebe Schwester Ginyo, Morgenschein
ist nicht so sanft, wie du. Und sanfte Mutter,
du hohe Hüterin! – Dass ihr mir lebt!
Mein Gott! Der Kaiser kommt den Myrtenweg,
im Schatten wandelnd. Der Geliebte kommt!
Ein Sinnen um die Lippen. Und ein wenig
schon Ungeduld. Er kann es nicht erwarten,
mich anzusehen mit den saugenden,
geliebten Blicken. Oh! Zeit, stehe still!
Er kommt verlangend. Roten Blumenkelch
schwenkt er in lässigem Tändelspiele immer
nur auf und nieder mit der schlanken, weissen,
beringten Hand.

[8] Giwau küsst eilig Mutter und Schwester, indem sie sie zur linken Tür geleitet.

Geliebte, nehmt nur mit euch
so viel, als eure Seele fassen mag
vom heiligen Wunder Liebe, das ich lebe.

Mutter und Schwester gehen mit zärtlichen Blicken auf Giwau ab. Giwau ist ganz leicht auf Zehen wieder zur rechten Tür hinübergeschlichen, immer in beglückt lauschender Haltung. Dort steht sie, im Begriff in die Tür zu gehen, gespannt den Kopf
leicht nach dem Garten rückgewendet.
DER KAISER
ist vom Garten her auf Terrasse und Stufe erschienen und schlägt achtlos eine Vorhangfalte zurück.
Nun, Giwau! Seele meiner Seele! – Du! –
So zärtlich aufgereckt! – Der Abend kam.
Die Blüten allenthalben in den Büschen
verschenken Duft, der Sehnsucht weckt. Und drüben,
dort, wo im Teiche sich die weissen Säulen
des Tempels spiegeln, klagen schon die Schwäne,
und ziehen Nebel aufwärts. Und ich komme ...
GIWAU.
Ganz nur von ferne, vielgeliebter Mann!
der du ja Kaiser bist, mir zu gebieten!
Doch weil du in dem Reiche meiner Gnade
[9] ein Nichts dich dünkst, Herr Kaiser! will ich wagen
zu bitten –: Nur von ferne sollst du jetzt
in stummer Feier Giwaus Stimme lauschen
und nicht das Traumbild ihres Liedes stören
durch Ungestüm! – – Nur später! – später – wenn
der Mondstrahl lautlos fällt, die bleichen Rosen
der dunklen Wasser ihren Schoss auftun
dem mitternächtigen Licht im weiten Raum,
da wollen wir ins Dämmer-Flüster-Reich
der seidnen, reichbesternten Wasser gleiten
und in das Flüsterreich der Liebesschwüre
weit fortziehn ohne Zeit. – – Nur manchmal noch
vom Boote wie im Traum die Hand eintauchen,
die heisse Wange mit der Flut zu kühlen.
DER KAISER
ist lachend, während zwei Diener den Vorhang auseinander gebreitet, zu einem der Ruhebetten hingegangen.
Hier sitzt sich's gut. Nun also, Giwau, singe!
GIWAU
die noch zögert.
Bist du schon herrisch? Willst du nicht mehr hören,
[10] was meine Seele dir noch eben sanft
in Lüfte hingemalt?
DER KAISER
lacht.
Ganz nur von ferne.
GIWAU
unterdessen um sie Dienerinnen mit Schleierwerk, Harfe und einem Kranz aus blauen Kelchen erschienen sind, steigt langsam die Stufen empor.
Bis – ach! – der Mond im Flutgeriesel auf
und nieder tanzt mit blanken Silbersternen!
und du von meinen willenlosen Lippen
Feuer und Duft und Atem saugst der Liebe.

Sie hat während dieser Worte gedankenlos den Kranz ergriffen und sich ins Haar gedrückt. Der Kaiser ist in ihren Anblick versunken. In diesem Augenblicke hört man von links eine sanfte, aber heitere.
STIMME.
Nein, nein! lasst mich nur zu ihm, ihm zu tanzen
und ihm zu singen! denn ich bin Hotoke!
Hotoke! Ruhm und Preis ist mein! Hotoke!
Nicht süssere Lieder sang ein Mädchenmund
jemals in diesem Lande. Also loben
die Dichter meinen holden Seelenlaut.
[11] Und meiner Tänze reiche Linienspiele
malt nicht die Sonne in die klaren Wellen
des Baches, malen Wolken nicht auf Wiesen,
wenn schöne Wolkenschattenleiber langsam
auf Erden hinziehn. – Oh lasst mich zum Kaiser!

Hotoke ist, von Dienern zurückgehalten, hereingestürmt und steht an den Stufen vor dem Kaiser, der sich wie ermannt, fragend Giwau ansieht und dann ein achtlos strenges Gesicht Hotoke zuwendet.
HOTOKE
die ihre lieblichste Miene zeigt, verbeugt sich tief vor dem Kaiser.
Oh! – Kaiser! – Ich bin deiner Hoheit Magd!
Ein lieblich Mädchen bin ich – – bin Hotoke!
DER KAISER
streng.
Hotoke? – Wer? – Wer ist denn nur Hotoke?
Gerühmt im ganzen Land? – Weil ihre Brauen,
Sammetbändern gleich, die weisse Stirne zieren?
der Stimme Wohllaut tief und lieblich tönt?
und weil du deinen jähen, schlanken Leib
sanft schlingen kannst, wie Ranken um den Stab,
so um den Harfenklang? Was willst du hier?
[12]
HOTOKE.
Dir Lieder singen, Kaiser! – – von den schönsten,
die je ein Herz ersann! – – Dir tanzen, Kaiser!
den tiefsten, süssesten, geheimsten Schmerz,
der je in jungem Leibe Seligkeit
und Schönheit wurde – Kaiser –.
DER KAISER.
Nur schweig still! – –
Du, Giwau – Lieblichste, – du Gläubige!
Du Gnadenspenderin, vergib der Frechen
die sich herzudrängt!

Mit einem harten Blick auf Hotoke.

Fort von hier!

Nun ganz nur Giwau zugewandt.

Oh Giwau!
Du Trank aus eines Alabasterbechers
verborgener Kühle! – ja – wess' Lieder glichen
den deinen? – oder wessen Tänze glichen
dem Wunder deiner keuschen Gliederspiele?

Nun wieder hart und achtlos gegen Hotoke geredet.

Nur fort! – Ich hab nicht Sehnsucht.

Hotoke steht tief beschämt.
[13]
GIWAU
sanft zu ihr gewandt.
Geh, Hotoke!

Während Hotoke scheu und zögernd der Tür zuschreitet, redet Giwau freundlich in sie ein.

Ich will den Herrn sanft machen!

Hotoke ist jetzt scheu verschwunden.

Oh, mein Kaiser!
Sie ist ein heller Vogel, der in Lüften
frei hinzieht, möwengleich – – ein Schwall im Meere,
der sich mit feuchtem Tang und Perlenschaum
bekrönt nur herdrängt ohne Arg. – Geliebter!
Sie dachte nicht, dass Schmach und Rutenstreiche
dort lauern, wo der Kaiser wohnt.
DER KAISER.
Ja, Giwau?
Ich sprach zu hart mit ihr?
GIWAU.
Nein, wirklich hart!
Meinst du, dass sie gescheucht, beschämt, mit Tränen
hinweg sich stähle, wenn du sie gerühmt?
DER KAISER.
Nun! – – nicht gerühmt, nein, nein!
[14]
GIWAU.
Ruf sie zurück!

Der Kaiser geht unschlüssig zum Ruhebett zurück. Dann gibt er einen Wink.
Hotoke wird von Dienern wieder hereingeführt. Sie wagt nicht aufzublicken.
EIN DIENER
zu der Zögernden.
Der Kaiser wünscht, dass du vor ihm erscheinst.
HOTOKE.
Du Gott der Lieder! meine Seele bangt noch,
erzittert noch ohn' Halt. Du musst vergeben,
Du gütige, reine Fraue, wenn mein Lied
ganz eingeschüchtert jetzt und traurig hinströmt.
GIWAU.
Du brauchst nicht furchtsam sein, Hotoke, hörst du!
HOTOKE
spricht psalmodierend.
Ich war wie Wind,
flüchtig und leicht.
Sonne hat nie
mein Haar gebleicht.
[15] Mondstrahl hat
meine Lippen gekühlt,
der Liebe
blühende Wunde.
Oh, meine traurigste Stunde,
wo mich der Kaiser geschlagen!
Klagen – nur Klagen
entströmen aus meinem Munde.

Sie hat ganz verschämt innegehalten und sagt entschuldigend.

Oh – ich bin noch in Schreck – ich finde nicht
die Worte, die erfreuen.
DER KAISER.
Singe weiter!
HOTOKE
spricht psalmodierend.
Ich bin die Nacht,
traurig und schwer.
Keine Sterne scheinen.
Und finster her
ziehen nur, dunkle Gewande,
die Wolken über die Lande.
Kein Mondstrahl mehr
meine Lippen kühlt.
[16] Oh! meine traurigste Stunde!
Ich habe so brennend, so brennend gefühlt
den Zorn, der mich hart geschlagen.
Klagen – nur Klagen
entströmen aus meinem Munde.
DER KAISER
ist ganz in Hotokes Anblick versunken.
HOTOKE.
Ich bin eine Löwin,
schmiegsam und kühn,

Die es bemerkt hat, beginnt leidenschaftlicher ihren Ton zu heben.

treibe in Wildnissen,
wo die dunklen Rätselblumen blühn,
ruhe in Schattennacht,
spiele im Sonnenschein,
rufe und rufe nach Einem! – –
Mein Herz ist toll,
ist von der Sehnsucht übervoll! – – –
Ach, wie ein Rauch in die Lüfte zieht,
ist meine Blume Sehnsucht verblüht – –

Sie hat ihrem Vortrag allmählich und besonders zum Schluss freie Tanzbewegungen hinzu gefügt, steht plötzlich still, atmet tief auf und sieht Giwau sieghaft an.
[17]
GIWAU
die zu Anfang gelächelt hatte, ist während des Gesanges immer mehr erstarrt, hat in Gedanken den Kranz von ihrem Haar in die Hand genommen und dann achtlos ihrer Hand entgleiten lassen.
DER KAISER
ist ganz versunken.
HOTOKE
wendet sich zögernd zum Gehen.
Nein, nein, ich kann nicht weiter – nichts gelingt.
DER KAISER
blickt Hotoke an und jedem ihrer zögernden Schritte nach, sieht scheu zu Giwau hin, deren Blick ganz in die Ferne der Gärten gerichtet ist.
HOTOKE
ist langsam nach der Tür gegangen.
DER KAISER
hastig.
Hotoke! – – bleibe! – – bleibe!
HOTOKE
sich sanft, aber überlegen dehnend.
Nein, nein, Herr!
Lass mich nur fort von hier! – Denn sieh nur, Giwau,
die gütige, schönste Frau ist ganz erstarrt.
[18]
DER KAISER
blickt scheu zu Giwau.
HOTOKE
die einige Schritte vorgetreten war, zögert Schritt um Schritt zurück.
DER KAISER.
Stört Giwau dich, Hotoke?
GIWAU
hat sich zum Gehen erhoben.
DER KAISER
sanft.
Gehe, Giwau!
HOTOKE.
Du brauchst ihr nichts zu sagen. Oh, sie geht.
GIWAU
ist in hoheitsvollem Gange nach rechts verschwunden.
HOTOKE
steht hoch aufgerichtet und doch scheu.
DER KAISER
ruft.
Hotoke!

Hotoke sieht jetzt unverwandt, aber innerlich immer noch streng gebunden, den Kaiser an.

Personen [1]

[19] [21]Personen.

    • Der Kaiser.

    • Hotoke.

    • Giwau.

    • Eine Kammerfrau.

    • Ein Diener.

    • Vier Sklavinnen.

2. Vorgang

Zweiter Vorgang

Der Vorhang zur Linken ist so weit vorgezogen, dass vorn zwischen ihm und der linken Tür ein Raum entsteht, den man von den Ruhebetten auf der Terrasse aus nicht übersieht. Es ist alles noch wie im ersten Vorgang eingerichtet.
Hotoke kommt Schritt um Schritt, lässig, verhärmt, vom Garten, vor sich hintändelnd, bis auf die Terrasse, indes die Kammerfrau zögernd hinter ihr drein geht. In gemessener Distanz von der Kammerfrau zögern vier Sklavinnen hinterdrein, von denen eine einen goldenen Becher, die andere eine Schale mit üppig getürmten Früchten, die dritte ein kostbares, mächtiges Buch mit Edelsteinen und goldenen Schliessen, die vierte ein Kästchen mit Juwelen trägt.

HOTOKE
die jetzt auf der Terrasse steht und unruhig immer wieder nach dem Garten zu ausblickt, redet nebenher unwillig.
Nein – bringt mir nichts! – wenn es ihn nicht gereut
um jede Stunde, die er ferne bleibt –
um jeden Laut der demutvollen Liebe,
die das verzehrte Herz ihm ewig zollt –
und nimmer müde wird. – Nur geht – ich lache
[23] der Sorgfalt seiner Gaben so von ferne,
wo nur die Sklavin tut, was er nicht tut,
weil's längst zur Last ihm ist –
DIE KAMMERFRAU.
Oh, Herrin – nein,
Nehmt doch ein Stück Melone! – Diese Frucht,
so kühl und duftig – Herrin, tut es doch!
tut es dem Kaiser doch zuliebe – hört Ihr!
HOTOKE
hüllt sich, müde und gequält, in die kostbare Brokatdecke und streckt sich achtlos auf das Ruhebett, wobei ihr die Kammerfrau behilflich ist.
Warum lässt er mich heut allein? – nun? – sprich!
Heut – wo es draussen harte Tropfen träufelt
und über alle Welt die Trauer ausgiesst.
Noch müder schleicht mein Boot in finstrer Flut
dahin – ganz unterm Lastenhimmel der Enttäuschung.
Im Wachtraum meiner Sehnsucht dünkt mir Liebe
ein Lied des Wahns und nie stillbarer Schmerzen –
aus eines Kindleins weichem Lippenflaum
[24] hinausgesungen wie ein Sieggesang,
der nur die Herzen tört, die er zerbricht.
DIE KAMMERFRAU
hat den goldenen Becher genommen, ihn Hotoke hinzureichen.
Nehmt einen Schluck nur aus dem Becher!
HOTOKE
unwillig zu den Sklavinnen gewandt.
Fort!
Ich habe kein Begehr – so höre endlich!
Und schick sie fort – die Sklavinnen! Ich will es.
Ich kann das Wispern mit den Muschelketten
nicht hören – und den Ambraduft nicht leiden
aus ihrem Haare. – Störe mich nicht weiter
mit diesen Liebesgaben, die nichts gelten!
DIE KAMMERFRAU.
Auch nicht die Blätter, die der Kaiser sandte,
Euch zu erfreuen, wenn Ihr sie beschaut?
Liebliches Märchenwerk ist drauf gebildet,
die Schwermut und den Willen zu verscheuchen,
der Euch gebunden hält. Oh, Eure Seele
wird wie ein Kindlein werden, lachen wieder, so wie die Lerche lacht.

Hotoke hat ihr einen funklen Zornblick zugeworfen.
[25]
DIE KAMMERFRAU
zu den Sklavinnen.
Ihr seht es – geht!

Die Sklavinnen gehen durch den Garten zurück und verschwinden.
HOTOKE
den Kopf ganz überrück, die linke Hand unruhig mit den Juwelenketten tändelnd, die um eine neben ihr stehende, hohe, goldene Vase nachlässig herumgeschlungen sind und herabhängen, plaudert hin.
Ist es nicht sonderbar, durch alle Zeiten
ist sie besungen – unsterbliche Liebe!
Oh Blütenkelch von schwermütigem Duft –
nicht lange, und du stirbst und hauchst Verwesung!

Sie nimmt einen ausgelassenen, fast drolligen Ton an. Lachend.

Was tu ich nur, wenn mir's so geht, wie Babbuk?
dem Buckligen, dem armen Schneiderlein,
dem Bruder des Barbiers – der ruhlos stichelt
auf seinem Schneidertisch – und wahrlich arg
die Finger sich zerstach –
DIE KAMMERFRAU.
Was war's mit ihm?
HOTOKE.
Du kennst den Babbuk nicht? – der in der Mühle
[26] am Fenster drüben nur einmal sie sah,
die schlimmen Zauber warf – die Müllerin.
Oh, Gott Gott Gott – der Narr, der schliesslich noch
als Esel eingespannt ins Rad der Mühle
bei Nacht das Mühlwerk umschwang – unterdessen
der Müller Trauben kostete bei ihr –
bei seiner Müllerin –
DIE KAMMERFRAU.
So muss es kommen!
HOTOKE.
Wer sagt mir, dass ich nicht ein Narr wie er?
der arme Babbuk? – Ja, wer sagt es mir,
ob ich mich nicht ganz hoffnungslos verzehre
nach einem Blick, nach einem sanften Laut,
dass nur der Kaiser einmal leise rufe:
Hotoke! – und in meine Augen lache.
Ich habe Zweifel. Zweifel quälen sehr.
Ich sehe nur zu oft, dass er Geschäfte
voranstellt aller Sehnsucht – rastlos ist –
und nur zum Zeitvertreibe flüchtig tut,
was mir ein Leben gilt – viel mehr als Leben.
[27]
DIE KAMMERFRAU.
Ja, Herrin – das ist alt. Des Mannes Leben
ist Tun – nur immer Tun. – Sie dünken sich
in diesem ewigen Tun – und Macht erringen
und Ehr und Ansehn – dünken sich die Männer
doch wunder was – und recken ihre Hälse. –
Und viel ist nicht dahinter – glaubt mir's – nirgend.
Ein Mann ist gar nicht wert, dass sich ein Weib
das Herz nach ihm zerreisst, dass sie ihn gar
anbetet, liebt, inbrünstig, demutvoll,
ganz Kind in seinen Armen – er indessen
berechnet und verfügt – will dies und das
besitzen und ergreifen – Sieg gewinnen,
und wenn es gleich um nichts ist – Herr sich fühlen –
es muss ein schön Gefühl sein – bläht die Brust.
HOTOKE.
Ja ja, so ist es, liebe Kammerfrau!
Und dann das Allerschlimmste – die Gelüste!
Kannst du mir sagen, ob den Kaiser nicht
nach Giwau gestern, nach Hotoke heute
gelüstete – und dass er morgen schon
[28] Hotokens Seele gar nicht mehr begreift
und wegwirft wie ein Baum die reife Frucht.
Oh, Kammerfrau – es fliessen meine Tränen.

Sie liegt hingestreckt und hat die Augen geschlossen.

Ich will allein sein. – Nein, nicht weiter reden!
nicht denken – auch nicht träumen will ich mehr –
nur noch das Herz ganz ferne schlagen fühlen.

Sie hat sich plötzlich hastig erhoben.

Nur wenn der Kaiser käme –
DIE KAMMERFRAU.
Ruht nur still!
Ihr wisst, ich wache, Herrin.
HOTOKE
hat sich wieder zurückgestreckt und die Augen neu geschlossen.
Danke, Liebe!

In diesem Augenblick ist der Kaiser geräuschlos und ungesehen zur linken Tür hereingeschlichen und steht lauschend in der Nische des Vorhangs.
DIE KAMMERFRAU
geht, den Blick sorglich nach Hotoke wendend die Stufen nieder, wo sie den Kaiser erblickt.
Sie spricht leise zu ihm.
Herr, nur erschreckt die Herrin nicht. Sie ruht.
[29]
DER KAISER.
Kam Giwau nicht?
HOTOKE
auf ihrem Ruhebett sich allein glaubend und vor sich hinplaudernd und seufzend.
Nein, meine Lieder sind ganz ausgetrunken.
Der Quell ist leer. – Ich bin jetzt ganz verstummt.
Heimlich geschüchtert von der kranken Schwermut.
Ich mag nicht singen – mag auch nicht mehr tanzen!
Die unschuldvolle Lust ist mir entwichen,
die ruhig strahlte, wie der Morgenstern.
Sein Auge ist auch achtlos. Ehedem
sah mich sein Auge an mit ruhiger Fülle,
als breitete sich seine tiefste Seele
um meine Seele wie ein reicher Mantel,
als wär sein Auge wie ein tiefes Meer
der Gabe seiner Liebe, die mich hüllte,
mich trug im Jubel – schwelgend im Umfassen. –
Nun ist sein Auge flüchtig – irrt leicht ab –
denkt heimlich dies und das – will freilich scheinen,
dass seine letzten Gründe mir sich auftun,
[30] wo im Verborgenen doch ein Rechnen geht
ob dies und das – und seiner Liebe Mantel
ganz eingefaltet, wie ein Falterflügel
in seine Hüllen längst verschlossen ruht.
DER KAISER
gedämpft aber erregt zur Kammerfrau.
Bei meiner Kaisermacht! Wo bleibt nur Giwau?
DIE KAMMERFRAU
ganz erstaunt.
Wie? – Giwau?
DER KAISER.
Zweimal hab ich Diener hin-
gesandt zu Giwau – hab sie heissen kommen,
Hotokens Grübeleien und Misstrauen ganz
mit ihrer Lieder Demut zu zerstreuen.
Wenn Giwau jetzt zum dritten Male wagt,
sich wegzuwenden – wieder nur die Diener
umsonst rückkehren – nun, dann mag der Hass,
der aufbrennt, Giwau treffen!

Die letzten Worte hat er in plötzlichem Überwallen laut gesprochen.
HOTOKE
auf ihrem Ruhebett, wie aus Träumen aufgeschreckt.
Kammerfrau!
[31] Ein trüber Unstern brütet heute. – Giwau!
Wer schreit den Namen Giwau laut heraus,
der mich wie keiner schreckt?
DIE KAMMERFRAU
hat sofort eine sorgliche Freundlichkeit angenommen und eilt bis an die Stufen zurück.
Geliebte Herrin,
der Kaiser kommt.
HOTOKE
ist sogleich freudig aufgesprungen.
Der Kaiser? – ja? – er kommt?
Liebt er mich noch? Denkt er noch manchmal mein?
Bin ich ihm nicht zu freudelos und arm?
zu matt das Leben in mir? Ist er nicht
erzürnt, dass meiner Lieder Quell versiegt?
der süsse Schwung des Tanzes hingeschwunden –? –
dass ich mich nur wie eine Hündin müssig
hindehne, träge, wach nicht und nicht schlafend –
und ohne Grund gequält und ohne Ziel
erstarrt ausspähend. – Lieber Herr, das Auge,
das trüb geworden, sieht die Sonne nicht,
wenn sie auch strahlt.
[32]
DER KAISER
ist während dieser Worte langsam und zärtlich die Stufen emporgeschritten.
Geliebtes Leben! – Kind!
Du Seidenweiche! nur was redest du
im Unmut ewiger Zweifel?
HOTOKE
scheu, ohne ihm entgegen zu gehen.
Lieber Herr,
nur sage mir, warum sprachst du von Giwau?
warum riefst du nach ihr? Bist du es müde –
des weissen Leibes? – meiner brünstigen Lippen? –
des sanften Schmerzes von dem Biss der Zähne?
Hegst du neu Sehnsucht, wie der Wind hingeht?
DER KAISER
während Hotoke spröde und zögernd rückwärts zum Ruhebett Schritt um Schritt heran tritt.
Nein nein, Hotoke! – Warum stehst du scheu
nur weggewendet? – Warum zweifelsüchtig
in Ferne bleiben? Stolze, die du bist!
Nein, Giwau kommt, die reichsten Tongespinste
und ihrer Tänze Feier still entfalten,
dass sich der Seele heisses Flammenfeuer,
[33] aus deinen Augen tief in meine Augen,
wie Steine blitzend, fängt. Ich gab Befehl ...
HOTOKE
ihm ins Wort fallend.
Dass Giwau komme – so wie eine Magd,
die man bestellt, dass sie der Herrin tanze?
Mir? – Mir? – Hotoken – alle Zukunft hülle,
dass ich es bin? – dass ich es wieder lebe –
die einzig Auserkorene meines Kaisers?
die Königsblume üppiger Tempelgärten?

Bei diesen Worten ist sie ganz erblasst.
DER KAISER
ängstlich.
Geliebtes Kind – was tust du? – Nein, Hotoke!
Du schreckst mich wirklich. – Wie der Morgenhimmel,
eh noch das grosse Licht sich angezündet,
so ätherbleich wirst du – und ohn ein Fünkchen
von Frührot. – Liebchen – bitte, bleibe still –
und lege deine lieben, schlanken Füsse
in meines Kleides Saum! – Wie einst der Heilige
zwei weiche, weisse Kätzlein zärtlich so
im Zipfel seines Mantels barg, will ich
[34] stumm bei dir sitzen – ganz nur deines leisen,
geliebten Lebens Atem heimlich fühlen.
HOTOKE
wieder mit geschlossenen Augen daliegend, sagt vor sich hin.
Nein, nimmer wirst du je um meinetwillen
so tief erniedern, die du einmal liebtest.

In die Ruhe, die eingetreten ist, hinein erscheint von links im Schutze des Vorhangs.
GIWAU
von einem Diener begleitet, in Trauergewändern.
DER DIENER
sehr leise redend.
Der Kaiser gab Befehl – er hiess Euch bitten ...
GIWAU
steht von dem Eindruck der alten Umgebung erschüttert.
Sie spricht wie eine Statue tonlos für sich hin.
Es gibt nicht viel der Orte – wenn wir sie
erblicken, da versteint das arme Herz
noch vollends – und das bisschen Leben stockt
vom kalten Wehen der Erinnerung,
die auferweckt ist und leibhaftig ist. –
Erinnerung, die kaum ein Traum nur, ferne
sonst manchmal zärtlich rief – die nicht mehr, ist.
[35] An diesen Orten dünkt's mich all zu kalt,
als wachte eins in Gräbern auf. – Ach Gott!
wo muss ich wandeln? – wo nur steh ich hier?
Vom Tode aufgeweckt der Liebe Klang,
dass er sich still erhebe! – Nein – ach nein!
Lasst mich nur wieder fort von hier! Ich fleh Euch!
DER DIENER.
Ihr wisst es, wenn des Kaisers Hass aufloht,
wird er nicht Euch allein, auch Eure Mutter,
auch Eure Schwester wird er töten heissen.
GIWAU.
Huh! – ja – ich weiss. – Ach Gott, es schadet nicht.
Mein Herz ist eine kühle Marmorschale,
die einsam auf dem Teiche ragt. Oh glaube,
der blauen Wunderblüte reinster Kelch
ist längst verblüht. – Die Seligkeit der Liebe
ist hingeschwunden. – Einmal liebte ich. –
Und einmal musste meine Seele sterben.
Jetzt fürcht ich keinen Tod ...

Sie ist in diesem Augenblicke sanft vor die Stufen getreten.
HOTOKE
hat Giwau sofort mit funkelndem Blick gesehen.
Sie schmiegt sich an den Kaiser.
[36] Hilf! – rasch bedecke
mich mit dem Schleier! –

Der Kaiser ist selbst über Giwaus plötzliches Erscheinen betroffen. Er hält Hotoke sanft zurück, während er den Blick auf Giwau richtet. Hotoke klammert sich ängstlich an den Kaiser.
Der Diener macht vor den Stufen eine demütige Geberde der Einführung, während Giwau sanft heran schreitet.
GIWAU.
Herrin – ach – nicht Furcht!
Der Becher Leides ist ganz ausgeweint –
und alle meine Tränen ausgetrocknet.
Ich will dir gerne singen, was du willst,
von fremdem Glücke – von den Heimlichkeiten
des Herzens – von der Seele Meereswogen,
wenn sie hinrauscht, die volle, goldne Flut
im Sonnenglanz. – Jetzt ist's ein fernes Wähnen. –
Jetzt ist es nicht mehr mein – und das ist gut.
Mein Herz ist jetzt ganz still. Mein Herz ist Stein.

Sie beginnt ein paar Akkorde auf der Lyra und spricht dumpf psalmodierend und starr.

Du trägst einen Ring von Golde schwer,
die süsse Liebe, die unbetrübt.
[37] Hüte den Ring vor den Tiefen im Meer –
Vereinsamt blutet das Herz, das liebt.

Sie spricht die folgende Zeile ganz demütig entschuldigend zu Hotoke und dem Kaiser hin.

Mein Herz wurd zu Stein.

Dann spricht sie weiter dumpf psalmodierend.

Einmal an Glanze Hotoken gleich,
bleichte mein Stern. – Tief Nacht es scheint.
Hüte dich vor, den schmerzenreichen
Tränen, die Giwau der Liebe geweint!

Hotoke hat sich immer leidenschaftlicher aufgereckt und vom Kaiser gehalten, immer erstarrter dem Gesange Giwaus gelauscht.

Personen [2]

[38] Personen.

    • Giwau.

    • Tozi.

    • Ginyo.

    • Hotoke.

3. Vorgang

Dritter Vorgang

In der Ferne hohe Schneegebirge. Es ist in einem tieferen Waldtal eine Lichtung. Felsen zur Rechten. Eine Felsschlucht tiefer links. Darunter steht eine Hütte aus Astwerk, umblüht von Schlinggewächsen. Ein paar hohe Bäume vereinzelt vorn.
Auf einem Stein vor einem Loderfeuer, sich Kerne röstend, sitzt Ginyo im grauen Kleide der Siedlerinnen. Tozi, die Mutter, ebenfalls als Siedlerin gekleidet, sitzt auf einem Baumstumpf vor der Hütte, ein altes Pergamentbuch auf den Knieen aufgeschlagen.

GINYO.
Es wird jetzt kühl. – Die blauen Fröschlein preisen
in Blumenkelchen ihren Abend ... Und
das Rauschen aus der Schlucht steigt voller auf ...
Und Bienen ziehn mit sanftem Summen heimwärts ...
TOZI
versunken.
Nur lausche, Kind, dem Frieden!

Es bleibt eine Weile tiefe Stille, während sich Ginyo am Feuer betätigt.
[41]
GINYO.
Oh mein Gott!
Warum der Mensch wohl Bild an Bild erschaut,
und wie Verkündetes im Auge ansieht,
wenn er so für sich sinnt? ... Erklär, mir's, Mutter!
TOZI
aus ihrem Buche aufblickend.
Wachend und schlafend, immer schafft die Seele
am Wunderwerk der Sehnsucht. Wesenlos
und unberührt sind ihre Traumgesichte,
gewirkt aus Leid und Leben, wie aus Licht.
GINYO.
Wahnspielen gleich – ein Nichts ...
TOZI
ins Lesen vertieft, nebenbei.
Und doch die Macht,
die dir die Welt und dich der Welt verbindet.
Ein heiliger Bund webt so von Seele hin
zu Wesen, dass sie fest einander halten ...
trotz Bangigkeit ... Und nicht ein Stein – ein Blatt
ist aus der Einigkeit je ausgestossen.
[42] Was fällt, das klammert sich im Fallen gleich
an irgend etwas, das im Wege liegt.

Es bleibt wieder eine Weile tiefe Stille unter den Frauen.
GINYO.
Wo bleibt nur Giwau, Mutter?
TOZI.
Kind, du weisst,
sie braucht die Menschen nicht mehr ... geht für sich.
Sie wird schon wiederkehren ... eh die Nacht
im Wald die Stimmen weckt, die einsam rufen.

Es ist wieder eine tiefe Stille eingetreten.
GINYO.
Oh, Mutter, Leid kam viel. Das Leid hat Giwau
mit harter Krallenhand berührt ... so hart,
dass fast ihr Leben hinschwand ... als sie dort,
vom Kaiser vor Hotoken hingezwungen,
ihr Selbst vollends zerbrach ... nicht, liebe Mutter?
TOZI
antwortet nicht.
GINYO.
Nein nein, es macht nur Müh, die Bitternisse
[43] noch alle zu erinnern ... Gütiger Himmel!
'ne Dienerin sein, dort wo man Herrin hiess,
und heiter sein, um Schwermut zu verscheuchen
der, die das Herz uns brach! ... Du heilige Göttin,
vergib Hotoken und vergib dem Kaiser
für solchen argen Frevel!
TOZI
ist stumm ins Lesen vertieft, achtet gar nicht.
GINYO.
Mutter, sieh ..!
Ich schütte auch der Göttin jetzt ein paar
Röstbohnen aus ... wo doch der Abend kommt.
Sie hat das gern. Es ist ihr wohlgefällig,
wenn wir ihr opfern, was uns Leben ist –:
Speise und Trank ... und manches ...
TOZI.
Tu es, Kind!
GINYO.
Und Giwau bringt ihr wieder Blumen ... Blumen!
TOZI.
Ja, ganz gewiss bringt Giwau wieder Blumen!

Es bleibt wieder eine Weile tiefe Stille.
[44]
GINYO.
Weisst du es noch?
TOZI.
Was soll ich wissen, Kind?
GINYO.
Den Tag, wo die Erlösung kam?
TOZI.
O Preis!
Den Tag vergisst kein Mutterherz.
GINYO.
Da war's –: –
Wie ganz versiegt der Seele Brunnen schien,
ganz liebeleer, ganz ausgeschöpft vom Kummer,
ganz nur ein Bett aus Stein, eiskalt geworden,
und Giwau dachte, dass sie keines Dinges
sich mehr erfreute in der Welt der Trübsal ...
da war's, dass einer Amsel Laut so brünstig
und sanft aus Wipfeln niederträufelte ...
ein Lied, vom schwarzen Vogel unermüdlich
tiefer Vereinsamung zum Trost gesungen: –
bis sie es hörte –: – unermüdlich klang es –: –
bis sie es voll gewahrte ... zärtlich lachte ...
sehr sanft für sich nur ... wie zum ersten Male ...
[45]
TOZI.
Und so ihr Herz auf einmal ganz gesundet ...
GINYO
heiter.
Ein neues Herz ward ... Herze ohn Erinnern ...
das unbegreiflich selig hinlebt.
TOZI.
Oh,
dem Himmelsvater Preis und Dank für Giwaus
neu-fröhliches Aufblühn aus dem bittren Tode.
GINYO.
Nun ist sie frei ... der Lüfte Waldgespielin ...
mit Kranze schmückt sie sich ... ihr Haar weht hin ...
sie kommt mit Blumen an den Bach ... und wirft
verträumt in Wassersturz und eilige Schäume
Blüte um Blüte, dass sie ewig kreisen ...
Und lächelnd kniet sie vor dem Waldtier ... kichernd
lockt sie den Häher aus den Zweigen nieder
ins Waldgras ... und ihr leises Stimmlein ist,
als hätte Wind ganz weit, weit hergeweht
ein seliges Lied aus himmelblauer Ferne.

[46] Giwau in ärmlichem Gewande, einen Kranz im verwehten Haar, Kränze und Blumen über Armen und im Schoss des Kleides, kommt unter den Worten der Mutter achtlos heran, ganz mit sich beschäftigt, auf halbem Wege zurücklauschend und dann, wie irgend etwas Entferntem kindlich zulachend.
TOZI
die ihr Buch in die Hütte getragen, geht Giwau einige Schritte entgegen.
Nun? ... heilige Einsame ... bring nur die Kränze ...
und leg sie Ginyo und auch dir zu Häupten
auf deine Lagerstatt! ... Geliebtes Kind,
bist du nicht endlich müde?
GIWAU
schüttelt den Kopf.
TOZI.
Gar nicht müde?
und hast doch Hand und Fuss mit Dorn geritzt?
Oh, was für Wunderblumen du nur findest
in unsern Schluchten! Solche sah ich nie,
wie hier in diesem Kranze! ... Möchtest du nicht
den schönsten unserm Himmelsvater weihen,
der jetzt sein Auge zuschliesst ... und doch wacht ...
[47] ein ewiger Täter und ein ewiger Schläfer ...
des Milde wir vertrauen, wenn wir jetzt
neu in die Nacht einsinken ... wie der Keim
der in der Erde stumm zum Frühling hinschläft ...
Denn immer ist aus jedem Schlafe noch
das selige Schauen neu erwacht. – Kommt, Kinder!
wie alle Dinge sich die Hände reichen,
so tun auch wir es, unsern Gott zu preisen.
DIE DREI FRAUEN
haben sich an der Hand ergriffen und singen in kindlichem Dreiklang, mit aufgerichteten Blicken.
Abend, der selige Abend kam,
hinschwebend mit Flügeln über die Flur.
Die Blumen neigen sich nieder –.
Die Wasser steigen in Schleiern empor
und hüllen die strahlende Weite,
und hüllen das strahlende, goldene Tor.
Abend, du selige fromme Stunde!
Abend, dich preisen wir!
Abend, dich preisen mit frommem Munde
deine seligen Bräute.

Nach dem Gesange gehen alle Drei hintereinander in die kleine Hütte und schliessen die Tür hinter sich.
[48] Es ist bald tiefe Ruhe eingetreten. Sterne beginnen am Himmel zu blinken. Die Nacht ist ganz hell. Von rechts erscheint, müde mit einem Wanderstecken tastend, eine zarte Frau in Bettlerkleidern.
DIE BETTLERIN.
Hier ist ein Quell. Hier will ich trinken ... Durst
hat mich den weiten Weg gequält ... Gott! Gott!
Der Frieden dieser Nacht ist grenzenlos.
Hier will ich mir zum Lager Blätter, sammeln
und schichten ... Da ... ist eine Siedelei!
Dort ist die Hütte ... Doch die Siedelei
ist ganz verschlafen ... Lied nicht, fröhliches Lachen
noch Flüsterlaut der Beterin ist hörbar.
Die Heilige, die das Volk weit preist, schläft still
auf ihrer Matte hingestreckt. – O Gott!
Nun seh ich einmal alle Sterne scheinen
und möchte nicht zurück ins Sorgenland.
Wie still der Wald rauscht! – Ob ich hier wohl klopfe?

Sie hat an der Hütte angeklopft und lauscht eine Weile.

Es bleibt ganz still. Und nur ein Dämmerfalter
surrt durch die Nacht gespensterhaft. – Nun gut!

Sie hat sich auf einem der Baumstümpfe vorn rechts niedergelassen.

[49] Wie ferne Ahnung kommt es .... Das Erinnern
wacht wie ein Schemen auf, als hörte ich
verklungene Worte neu verwehn ... Ich bin
geflohen von der ersten Frühe, eh
die Diener wachten, bis in Nacht ... bin müde ...
bin matt geworden ... will die Augen zutun
unter den hellen Sternen ... Nein, mir bangt nicht.

Während ihrer Worte, die sie sinnend vor sich hinspricht ist Giwau völlig lautlos lauschend aus der Hütte getreten und nähert sich Schritt um Schritt ungesehen der im Selbstgespräch gebundenen Bettlerin.
DIE BETTLERIN.
Und doch flieht mich der Schlaf noch. – Allzu seltsam
erscheint der eigene Herzschlag ... allzu flüchtig,
der sich von allen Wünschen schied ... O Gott!
Nicht kenntlich bin ich mehr. Mein Kleid von Seide
ist abgetan. Ich floh. Die Seele sehnte
sich nach der Dauer ... nach dem Festgefügten ...
einmal für ewig ... sehnte sich nach dem,
was unverbrüchlich Ankergrund und Halt.
[50] Und meine Seele sehnte sich und ward
immer geängstigt von der Flucht der Dinge,
als hörte sie den Erdball rastlos kreisen.
Und ewig quälte mich und drohte immer
der Liebe letzte Qual ... ihr Tod. So floh ich ...
floh ohne Ziel ... floh hungrig nach dem Frieden ...
so wie der Wasservogel sich aus Dunkel
der Nacht erhebt, dem Schein des Leuchtturms zudrängt.
Niemand, auch der Geliebte konnte nicht
die Qual bemeistern, die im Herzen wuchs ...
was sie auch taten, mich zurückzuhalten
von jenem Wege, der nicht wiederkehrt!

Ginyo war während dieser Worte hinter Tozi aus der Hütte getreten. Beide Frauen stehen von ferne.
DIE BETTLERIN.
Nun bin ich unter Sternen, einsam ... neu
in mich zurück geborgen alle Triebe
und atme Frieden ... Oh, wer weint? Mich dünkt,
ich kenn den süssen Laut der Tränen! –

Sie erhebt sich plötzlich und sieht Giwau. Beide erkennen einander.
[51]
HOTOKE.
Ach! –

Sie geht demütig zu Giwau.

Unwürdig ganz, ich habe keinen Namen.
Wer, weiss noch, wer er ist? des Wünsche starben.
Ganz ferne rauscht das wilde, tiefe Meer
der Sehnsucht, wie ein niebegriffnes Lied.
Ich bin der Flucht der Dinge allzu müd ...
und komme Frieden suchen zu dir her.

Sie ist vor Giwau niedergesunken, und Giwau nimmt ihren Kopf lächelnd schluchzend an ihre Brust.

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TextGrid Repository (2012). Hauptmann, Carl. Dramen. Panspiele. Im goldenen Tempel-Buche verzeichnet. Im goldenen Tempel-Buche verzeichnet. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-38D9-D