Theodor Gottlieb von Hippel
Kreuz- und Querzüge des Ritters
A. bis Z.

Erster Theil

1. Der Name
[1] §. 1.
Der Name

meines Helden ist kurz und gut: A.B.C. bis X.Y.Z., des heiligen Römischen Reiches Freiherr von, in, auf, nach, durch und zu Rosenthal, Ritter vieler Orden trauriger und fröhlicher Gestalt, von der Ceder auf Libanon bis zum Ysop, der aus der Wand wächst. Da er das goldene A.B.C. bei der heiligen Taufe zu seinen Vornamen empfangen hatte, so ward er A.B.C. Freiherr von und zu Rosenthal, zuweilen auch, wer weiß ob beliebter Kürze oder der Euphonie wegen, Alpha- und Omega-Ritter genannt. Seine

2. Familie
§. 2.
Familie

ist eine der urururältesten auf Gottes ergiebigem Erdboden, so daß sie das Wort neu selbst bei den heiligsten und unschuldigsten Dingen so leicht nicht ertragen mochte. Ob sie das Alte Testament für den eigentlichen Stamm, und das Neue etwa für einen Ableger hielt, blieb ein Familiengeheimniß, so wie wir noch mehr auf dergleichen stoßen werden. Außer Zweifel schien es, daß sie das Neue bloß als die Fortsetzung des Alten aus christlicher Liebe [1] gelten ließ. War vom neuen Bunde die Rede, so wollten die Rosenthaler vom alten Bunde seyn, ob man gleich zur Steuer der Wahrheit nicht unangezeigt lassen kann, daß sie das Sacrament der heiligen Taufe dem Sacramente der heiligen Beschneidung rühmlichst vorzogen und überhaupt nicht in Abrede stellen wollten und konnten, recht altgläubige, zur evangelisch-lutherischen Kirchenordnung gehörige Christen zu seyn. Als ein junger Zweig des von Rosenthalschen Geschlechtes mit gewichsten Stiefeln von Universitäten zurückkehrte, ward im väterlichen Hause ein Büß- und Bettag angeordnet; und wer nicht aufhören konnte, über die wächsernen Nasen zu seufzen, die man aus Gottes Wort und aus den Rechten in dieser letzten betrübten Zeit machte war die Frau Großmama, deren wackelnder Kopf bei dieser Leichenpredigt sich rühmliche Mühe gab, dem entzahnten Munde schrecklich und erwecklich nachzuhelfen. Die alten Damen dieses Ehrengeschlechtes waren Todfeindinnen jeder neuen Mode; und wenn diese auch den ältesten Trachten auf den Familiengemälden wie Ein Ei dem andern glich, so machten sie es sich doch zur Pflicht, bei einem gothischen Geschmacke Verschwenderinnen zu seyn. Dessen ungeachtet circulirte von allem Neuen eine getreue Controle in der Familie, wiewohl nur als Präservativ, um über diese Gräuel ein desto gründlicheres Ach und Weh ausrufen zu können. Die jüngern Damen traten diesen Gesinnungen nicht völlig bei; indeß söhnten sie sich mit ihren Gothinnen durch eine gemeinschaftliche Sitte aus, nach welcher weder Damen noch Herren respective neue Schuhe und Stiefel trugen, sondern sie erst durch andere austreten ließen. Der Mißbrauch einer bekannten Spruchstelle, wodurch man noch zu dieser Frist das Inconsequente lächerlich zu machen sucht:Gleich wie der Löwe ein grimmiges Thier ist, also sollen wir auch in einem heiligen Leben wandeln, schreibt sich aus dieser Familie her. Wegen der apokalyptischen Worte: Siehe, [2] ich mache alles neu! waren sie mit den Herren Geistlichen in ewigem Zwist, und die altfränkischen Wörter, bei denen in den Wörterbüchern Warnungstafeln zu stehen pflegen, hielten sie für die ersten und besten. Es war erbaulich, ihre Briefe zu lesen! wenigstens hundert Jahre konnte man sie zurück datiren. Ob ich nun gleich bei der Stange zu bleiben und mich auf meinen Helden einzuschränken entschlossen bin (mit dem ich gewiß alle Hände voll zu thun haben werde, wobei ich indeß vielleicht den Kopf zu schonen hoffen darf), so will es doch der Zusammenhang, daß ich auch ein paar Kreuz- und Querzüge von seinen Ahnherren in beliebter Kürze und Einfalt bestehe; und da muß ich Schande halber das Wort

3. Stammbaum
§. 3.
Stammbaum

zuerst beherzigen.

Der Stammbaum dieser Altenbundes – Familie hatte, wie Europa, die Gestalt einer sitzenden Jungfer; nicht als ob Europa schon das weiteste Ziel wäre, das dieses ausgebreitete Geschlecht sich zum Territorio vorgezeichnet hatte; nicht als ob die Jungfer hier etwa ein Bild der Fruchtbarkeit vorstellte (denn die Familie wußte so gut wie ein anderer und irgend jemand, daß Jungfrauen nicht, wie Aecker, durch Fruchtbarkeit im Anschlage steigen), sondern weil Europa der Sitz des wahren Großen und alles Erhabenen und Schönen ist; und zunächst, um die Makellosigkeit, Pracht, kurz, die reine Jungfrauschaft der Rosenthalschen Familie anzudeuten. Der Stammbaum lag bei dem Seniori Familiae, um die Ehrerbietung für das Alter auszudrücken, was auch die Zahl bezeichnen sollte, die mit der Welt lief und jährlich am Charfreitage abgeändert ward; wohl zu merken, zum Andenken des Hauptmanns, der unter dem Kreuze Christi stand, und mit dem die Familie (obgleich nur vermittelst eines Streifschusses, wie sie Hochselbst im [3] Scherz es zu nennen pflegte) verwandt zu seyn nicht undeutlich zu verstehen gab. In dem jetzt laufenden Jahre hat die Stammtafel nach Sethi Calvisii Rechnung die Nummer 5741. Dieß Ehrenwerk war übrigens auf holländische Leinwand geklebt, um theils den Reichthum der Familie, und theils auch, in Rücksicht des Kleisters, die Bluts- und Gemüthsübereinstimmung des Geschlechtes zu versinnbilden. Ob es übrigens aus Pergament oder bloßem Papiere bestanden habe, wird leider! in meinen Nachrichten nicht bemerkt; und da ich es vorzüglich darauf anlege, treu befunden zu werden, so will ich diesen Umstand weit lieber mit bescheidenem Stillschweigen übergehen, als ihn voll Eigendünkel mit falschen Vermuthungen ausstatten. Vielleicht finde ich noch loco congruo Gelegenheit, diese Stammtafel anzuführen. Der dritte Paragraph mag sich mit dem Postscripte von Anmerkung begnügen, daß dem Familienkasten, in welchem dieses Kleinod von Stammbaum lag, die Form des Kastens Noä beigelegt war, so daß (obgleich, wie es sich von selbst versteht, nach verjüngtem Maßstabe) dreihundert Ellen seine Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen seine Höhe hielt. Auch war er von Tannenholz und (des weisen Sittenspruchs: »wer Pech angreift, besudelt sich,« ungeachtet) mit Pech, Notabene nur inwendig, nicht ver-, sondern ausgepicht, und verdiente sonach, caeteris peribus, mit allem Rechte der Kasten Noä genannt zu werden. Außer dem Seniori Familiae gehörten zu dieser Bundeslade vier Assessoren, welche die vier an Jahren auf den Senior folgenden Freiherren von Rosenthal waren und im gemeinen Leben schlechtweg Kastenherren hießen. Jeder von den Kastenherren hatte einen Schlüssel, nach Anzahl der fünf besondern Schlösser; dem Seniori kam das Schloß in der Mitte zu, das die übrigen vier an Größe bei weitem übertraf und auch, wie Rechtens, einen großen Schlüssel erforderte, welcher gewöhnlich derKammerherrnschlüssel genannt zu werden pflegte. Ich will dieser heiligen [4] Rolle nicht zu nahe treten, die mit so vielen Randglossen verbrämt war, daß die Tressen das Tuch, die Noten den Text kaum frische Luft schöpfen ließen. Nur auf das, was unumgänglich nöthig ist, wollen wir uns einschränken. Dahin gehört unter andern, daß vier Arme von der Rosenthalschen Familie sich ergossen hatten. Einer war gräflich, einer bestand, wie man sagte, aussimpeln Edelleuten, zwei Arme, und bei weitem die zahlreichsten, waren freiherrlich. Die Gräflichen schrieben sich ausschlußweise Grafenvon und zu Rosenthal, und hießen zuweilen die Edelsteine der Familie; die simpeln Edelleute von Rohsehnthaahl, weil sie, nach unwiderlegbaren Urkunden, von jeher des Buchstabirens rühmlichst unbeflissen gewesen waren, wobei sie sich denn auch bis auf den heutigen Tag hochansehnlich zu erhalten um so mehr Mühe geben, da sie sonst sehr leicht den Ruhm des Alterthums aufs Spiel setzen könnten. Was hülf' es dem Menschen, wenn er das Buchstabiren gewönne und nähme doch Schaden am grauen Alterthum seiner Familie? Zuweilen wurden sie die Familienecksteine genannt. – Was die beiden freiherrlichen Arme betrifft, so schrieb sich der eine mit, der andere ohne Circumflex am Ende des Namens, so daß jene, mit diesem Circumflex, auchCircumflexer hießen. Zuweilen wurden sieElephanten genannt, und obgleich diese Benennung ihnen nicht zur Schande gereichte und von keinem Spötter erfunden zu seyn schien, so sahen sie doch diesen Namen als einen Spitz- oder Ekelnamen an. Auch hießen in dieser steinreichen Familie dieohne: Flintensteine, die mit: Steine des Anfloßes. Die Circumflexer waren wieder nach ihren Häusern unterschieden und hießen Mühl-, Reib- undNierensteine, womit ich aber weder meinen Lesern noch mir einen Stein in den Weg legen will. Wer es seiner geben wollte, nannte jene mit dem Circumflex bloß: mit, z.B. Freiherr von Rosenthal mit. – Man hatte zu dieser Ellipsis noch eine besondere Ursache; es [5] ging nämlich die Rede, daß, so lange die Circumflexer existirt hätten, zwei Dritttheile von ihnen einen Buckel gehabt. Ob es bloß ein artiger Scherz oder eine unartige Wahrheit gewesen, daß der Stamm ohne den Stamm mit durch Brief und Siegel, durch Urtheil und Recht, gezwungen hätte, buckelig zu seyn (welcher Rechtsspruch bei Gelegenheit eines dreißigjährigen Lehnsprocesses rechtskräftig geworden war), lass' ich dahin gestellt seyn. – Wie viel durch Urtheil und Recht möglich ist, wissen wir alle. Dieser Hokuspokus macht das Gerade krumm, das Krumme gerade, erklärt Menschen für todt und spricht: kommt wieder Menschenkinder! je nachdem es im Rathe der Schöppen beschlossen ist. Ich selbst habe drei Rosenthaler gekannt, welche diesen Auswuchs (dieses Harz, wie es die anderen Arme der Rosenthalschen Familie, um es sein und lieblich zu geben, auch wohl zuweilen nannten) nicht läugnen konnten, indeß gar merklich daß widerlegten, was man in der Regel zu behaupten pflegt: daß dergleichen Ausgewachsene oder Harzige sich in Hinsicht der Seelen durch Verschlagenheit und Lift und dem Fleische nach durch körperliche Stärke auszeichnen. Wenn die Spruchstelle: »Hüte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat,« (so wie die meisten Exegeten der höckerigen Meinung sind) geradezu auf die Buckeligen geht, so kann man mit Bestande der Wahrheit hinzufügen: Excipe die Circumflexer. – Unser Held war aus dem Stamm ohne. Wie der Stamm mit zu dem Mit gekommen, erhellt aus einer

4. Legende
§. 4.
Legende,

die bei der Familie durch Tradition, und also nicht im Kasten Noä mit fünf besondern Schlössern, aufbewahrt wurde, und die ich curiositatis gratia, so wie ich sie empfangen habe, erzählen will.

[6] Es war einmal Adam Sem Ham Japhet Freiherr von Rosenthal, der wegen seiner Stärke, um bei der heiligen Schrift zu bleiben, Simson, und wegen seiner Schönheit Joseph heißen konnte. Ich würde ihn mit dem Königssohne Absalom vergleichen, wenn der Herr Vater des PrinzenAbsalom von alter Familie gewesen wäre, und Se. Majestät nicht in Dero Jugend das liebe Vieh gehütet hätten. – Hierzu kommt, daß Se. königliche Hoheit an einer Eiche hangen blieben. (Schade, nicht um den Prinzen, sondern um sein schönes Haar! –) Das schwarzbraune Haar unseres Adam Sem Ham Japhets, das Absalom gewiß nicht köstlicher haben konnte; seine Ritterstirn, die sich wie ein Fächer in Falten legte und öffnete, je nachdem es Styli war; seine freiherrliche Adlernase; seine felsenfeste Brust; sein Potsdamer Wuchs – alles und jedes erhob ihn zu dem seltsamsten Manne seiner Zeit. Jeder Theil seines Körpers schien es auf eine besondere Festung anzulegen und auf sichere Eroberung Anspruch zu machen. Er war vom Schlage der Antinousse, ging übrigens, wie es sich eignet und ziemet, ländlich sittlich, ehrlich und ordentlich zu Werke, und spannte alle diese Natursegel nur auf, um den Hafen eines einzigen schönen und reichen Fräuleins zu erreichen. Diese Bescheidenheit gab allen seinen Eigenschaften ein reizendes Colorit. Sein Haus ward durch diese Heirath, durch Fleiß und Oekonomie groß, und allgemein erscholl die Rede, er werde sich, wie man es nannte,grafiren (in den Grafenstand versetzen) lassen. Bei allem, was dem Publikum zum Besten gegeben wird, ist Wahrheit die Basis; indeß, um es schmackhaft zu machen, mischt, wer die Kunst versteht, etwas für den Gaumen hinzu; er bemüht sich (um ein anderes Bild aufzustellen), durch seine falschen Steine eine Wahrheit zu erspiegeln, und jedem seiner Lügenschlösser legt er ein Fundament von richtigen Umständen; nur selten bauet er auf Sand, wie Stümper, die entweder nicht lange [7] genug im Dienste des Lügenvaters gewesen sind, oder denen es an Genie fehlt, seinem Unterrichte Ehre zu machen. – Unser Freiherr hatte wirklich öfters den Gedanken, für sein so reich gewordenes Haus den Grafenstand zu suchen, den er auch eben so wirklich gesunden haben würde. Bloß der weise Umstand, daß die von der gräflichen Familienlinie ältere Grafen gewesen wären, erzeugte die reifere Ueberlegung, lieber zu bleiben, was er war, und sich auf andere Art unsterblich zu machen. Man weiß z.B., daß er einen prächtigen Kirchthurm, drei neue Glocken und einen Riß zu einem neuen Beichtstuhle veranstalten, dem Pfarrer loci eine Speisekammer und was sich bei Küche und Speisekammer von selbst versteht – anlegen ließ; und wenn gleich einige naseweise Klüglinge ihm den Rath gaben, den Theilhabern der in seinem selbsteigenen Hospitale befindlichen Armen ein paar Pfennige zuzulegen, so fand er es doch weit rühmlicher, das Hospital durch eine schöne Uhr zu zieren, als diese Zulage einzuräumen, da es wohl auffallend den Vorzug verdient, ganz richtig zu wissen, wenn es Mittag ist, als etwas zu essen zu haben. – Sein Geld trug, wie sein Acker, tausendfältig, ohne daß er den Boden und alles, was sonst um und an ihm war, anders als landüblich behandelte. Die Glücksumstände unseres Freiherrn wurden zu groß, als daß sie nicht die todten Kohlen des Neides hätten ins Leben hauchen und sie glühend machen sollen, obgleich der Kohlendampf den Neidern oft mehr als den Beneideten schadet. Der gemeine Mann schrieb in beliebter Kürze und Einfalt dieses fast unerklärliche Glück dem Alp zu, der nicht allein drückt, sondern auch beglückt; die Philosophen damaliger Zeit behaupteten: es hätte sich im Rosenthal'schen Schlosse ein Schatz gefunden; die Juristen, die am seltensten den Punkt treffen, waren der federleichten Meinung: er hätte seine Schwäger bei der Theilung hintergangen; die Politiker sagten sich ins Ohr: er wäre ein Spion und geheimer Briefträger einer benachbarten Macht; [8] die Theologen, die er Ehren halber weidlich bewirthete, machten alle jene Aus- und Einfälle durch die fromme Belehrung caput: Gottes Segen, an dem alles gelegen sey, habe ihn reich gemacht ohne Mühe! – Niemand traf den Nagel auf den Kopf; und freilich konnte man so leicht nicht errathen, daß allein die frommen Wünsche und Einlenkungen der Unterirdischen dieß Hans so glücklich machten. Diese Unterirdischen hatten ihre Wohnung in dieß Schloß verlegt, und zwar wegen eines unangenehmen Vorfalles, der ihnen in ihrem vorigen Quartier zugestoßen war. (Bekanntlich sind kleine Leute sehr leicht aufzubringen.) Den Schwergläubigen unter meinen Lesern zu Nutz und Frommen bemerk' ich, daß die Unterirdischen angeblich kleine, fingerlange Menschlein seyn sollen, die mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit in ihre unterirdische Wohnung hinab und zu uns herauf kommen und, wenn sie um uns sind, sich mit der leichtesten Mühe, und fast natürlich, unsichtbar machen können. Sie haben die vortrefflichsten Augen, die ihnen selbst in der Dämmerung und bei Nacht nicht ungetreu werden. Ach! nicht nurzwischen Himmel und Erde, sondern auch in und unter der Erde gehen, nach alter Rosenthal'scher Meinung, Dinge vor, die keinem Philosophen – ausgenommen den Grafen Gabalis – geträumt haben! Wer hörte nicht, wenn am schwülen Sommertage, wo der Hirsch nach frischem Wasser schrie, die Natur sich schnell mit Flor überzog, so wie der Hof, wenn der Fürst das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt? Wer hörte nicht beim Donner und Blitz, bei Hagel und Schlossen und dem heftigsten Sturme seine pfeifende Stimmen, die so ein alter grauer Kerl, wie der Sturm, um alles in der Welt nicht herauszugurgeln im Stande ist? Wer vernahm nicht fürchterlich heisere Stimmen, die zuletzt nur pfiffen und zischten? Und wer zweifelt an der unerschütterlichen eisernen Brust des Sturms, dem es schier eine Kleinigkeit ist, alles Stimmbegabte und den tapfersten Bassisten zu [9] überkreischen? – Wer kann es erklären, wenn Hunde, oft mir nichts dir nichts, anschlagen und ihre Leute aus dem angrenzenden Quartiere durch ein Feldgeschrei ins Gewehr rufen und, wie es uns dünkt, ohne alle Ursache schneidend heulen und jammernd wehklagen? – O, des gräßlichen Weh's, das in diesen Klagen liegt! – Wer sah nicht Fenster zittern und beben, ohne daß weder Schlossen noch ein heftiger Regen dazu Anlaß gaben? – Wem blitzte nicht oft ein kalter Schauer durch alle Glieder, obgleich nichts als ein sanftes, fast unmerkliches Säuseln in der Luft seine Nerven berührte? – Wie oft wimmern nicht unsere Hausthiere und selbst das Schooßhündchen (das sich doch nicht sicherer befinden kann), ohne allen körperlichen Schmerz und ohne alle Luftveränderung? – Wer wird nicht aufmerksam gemacht durch so manchen Aufruhr unter dem Federvieh, der ohne Schatten von Ursachen entstand? – Wer kann es erläutern, warum die ältesten hölzernen Mobilien, die alle mögliche Jahreszeiten ein ganzes Säculum hindurch und länger erduldeten, die von Großmutter auf Mutter, und von Mutter auf Tochter vererbt wurden, auf einmal in Laute ausbrechen, über die ein Feldmarschall aufspringt und derentwegen der gespensterungläubige Philosoph die Feder fallen läßt, die er sich in sechs Minuten nicht aufzuheben getraut? – Wenn nicht Besuche von Unsichtbaren hieran Schuld sind, was kann es sonst seyn?

Längst hätte der Mensch die Hunde, an die er sich so unerklärlich gewöhnt, mit dem Hunderechte, das diese Creaturen, so gut wie die Tauben das ihrige, behaupten, aufgegeben; längst hätte der Mensch eine Balanz von Kosten und Vortheil gezogen und das augenscheinlichste Mißverhältniß zwischen den Diensten der Hunde und dem Aufwande, den man ihretwegen treibt, überschlagen – wenn Hunde nicht so sichere Witterung von dergleichen Erscheinungen hätten. – Eine Abschweifung! Wahr! allein ein Auszug von fünfzig Folioseiten meiner Legendennachrichten, bei dem meine Leser [10] nichts verloren haben. Damit wir indeß unsere Fingermenschen nicht unter den Händen verlieren, so setzt meine Tradition zum voraus, daß sie gar gern sich in Schlössern aufhalten, je älter je besser; nur müssen diese Schlösser bewohnt seyn, weil die Menschlein sich gar zu gern mit Menschen messen, und, wiewohl fast unsichtbar, ihres Umganges genießen. Ein besonderes Völkchen! So lange hat man vergebens Eldorado gesucht, und es bis jetzt nirgends als in Romanzen gefunden; – unter der Erde ist es, ihr Herren Sucher und Versucher! – Ach! glaubt mir – nirgends anders, als unter der Erde!

Ob übrigens etwa eine Verwünschung, die in dergleichen alten Gebäuden zu Hause gehört, an der Figur unserer Kleinen Schuld sey, oder ob wirklich dergleichen Geschöpfe gleich anfänglich und schon bei der Schöpfung so klein gewesen, das bleibt in meinen Nachrichten weislich oder unweislich unbemerkt. Allenfalls müßte D. Swift darüber Auskunft geben. – Daß ihrer weder bei einem Tagwerk in der Schöpfungsgeschichte Mosis, noch bei dem Inventario von dem Kasten Noä der alten Welt, noch vermittelst einer Registratur bei dem Rosenthalschen Kasten Noä gedacht worden, ist nicht zu läugnen; indeß können solche Kleine leicht von Geschichtschreibern übersehen worden seyn, besonders da sie sich so gerne verstecken und die Gewohnheit haben, mit den Menschen Blindekuh zu spielen. Sie leiden nichts mehr, als das Wiedervergeltungsrecht, wenn sie übersehen werden. Genug, dergleichen Fingerlein, wie man sie in der Familie nannte, befanden sich bei oder unter dem altväterischen Schlosse des Herrn Freiherrn Adam Sem Ham Japhet, Freiherrn von Rosenthal. Schon zu seines Herrn Großvaters Zeiten hielten sie ihren Einzug in dieses Schloß; und so sehr man sich auch Mühe gab, die eigentliche Ursache zu ergründen, welche die Fingerlein bewogen haben könnte, diese Wanderung vorzunehmen, so war dennoch dieses Geheimniß [11] nicht zum Stehen zu bringen. Man hielt die Familie in dem Schlosse, dem die Fingerlein den kleinen Rücken zugekehrt hatten, für eine der glücklichsten im Lande, ohne daß sie wußte, wie sie zu diesem Segen kam. Was sie anfing, ging fort, wie die Weiden an den Wasserbächen; – ihre Rechnung war ohne Wirth gemacht, und doch richtig. Selbst der Neid schwieg. »Der Himmel gibt es ihnen im Schlafe;« mehr getraute er sich nicht ihnen nachzureden. O, des beneidenswerthen Glücks! Nach dieser böslichen Verlassung ging es der Familie nicht viel anders, als dem Kreuz- und Querträger Hiob; doch mit dem Unterschiede, daß sie nicht wie er zu sagen vermochte: Ende gut, alles gut. Man konnte nicht ausfahren, ohne ein Rad zu brechen; nicht bei dem Fürsten des Landes essen, ohne von einer bauchlauten(ventriloque) Kolik übel geplagt zu werden. Ward etwas Kluges gesprochen, so überfiel die Cavaliere ein so schläfriges Gähnen, daß sie wegen dieser Idiosynkrasie zum Sprichwort wurden. Gegen die Fräulein, die sich so geheim zu halten wußten, wie eins im Lande, hatte man, der äußersten jungfräulichen Behutsamkeit ungeachtet; in puncto puncti gar übel Verdacht, so daß nicht Stern, nicht Glück weiter, in der Familie war. Der Name dieser verlassenen Familie ist nicht mehr unter den Lebendigen, und hauset nur noch auf Leichensteinen und in Gebeinhäusern, wo man, wiewohl doch nur sehr verstümmelte Ueberbleibsel ihrer vorigen Bedeutung findet; – denn selbst im Grabe hörte die Rache der Unterirdischen dießmal nicht auf! – Diebe haben die Hauptstücke dieser Grabesherrlichkeiten verfälscht und Donner und Blitz sich an den Ruinen auf eine so gewaltsame Weise vergriffen, daß diese Ruinen (wenn man den elenden Ueberbleibseln ja diesen Ehrennamen verstatten wollte) nur Schrecken und Rache verkündigen. – Einer von den Fingerlein, und wie man sagt nicht der geringste, kam zum Großvater des Adam Sem Ham Japhet Freiherrn von Rosenthal früh Morgens um drei Uhr. [12] Den eigentlichen Tag hat man nicht ausfindig machen können; indeß soll es entweder der kürzeste oder der längste im Jahre gewesen seyn. Sonst wird bemerkt, daß die Fingerlein in der Regel des Morgens zwischen zwei und drei Uhr ihren Anzug zu melden und zwischen elf und zwölf Uhr Nachts Abschied zu nehmen gewohnt wären. Sie wurden von dem Großvater mit Freuden auf- und angenommen; wer wird sich auch nicht freuen, Gäste in seinem Hause zu haben, die mehr einbringen, als kosten? Man hört, man sieht sie nicht; bloß Sonntagskindern war es gegeben, sie zu erblicken, und nur diese wußten ein Wort von ihnen zu seiner Zeit zu erzählen. Zwar gaben sie keine verabredete Miethe; indeß strömte dem Großvater Geld und Gut von allen Ecken und Enden zu, er und sein ganzes Haus gingen auf einer Art Rosen, die keine Dornen hatte, man lebte, wie man sagt, in floribus. – Der Großvater, ward der Glückliche genannt, und all sein Dichten, all sein Trachten ging herrlich von statten. Die Erbschaft dieses Glückes fiel seinem Sohne glücklichen Andenkens zu, und auch sein Enkel Adam Sem Ham Japhet grünte und blühte, so daß der Wohlstand der von Rosenthalschen Familie weit und breit bekannt und des Redens und Singens darüber kein Ende war – Sela!

So war und blieb es, bis ein durchlauchtiges Beilager unter den Fingerlein sich ereignete, der erste Vorfall dieser Art, den man bei Familiengedenken erlebte. Zwar sind es bloß Bruchstücke, die man von der Sache weiß; ist es indeß überhaupt mehr als Bruchstück, was von den Fingerlein mit Bestand Rechtens gewußt und erzählt werden kann? Selbst da, wo sie Wohnung machen, haben nur drei, sieben, höchstens neun und allerhöchstens zehn von dem Geheimniß ihres Aufenthalts Wissenschaft. Das Geheimniß der Zahlen ist nicht jedermanns Ding. Die wenigsten Menschen [13] verstehen Drei zu zählen; Geweihte kennen Sieben und Neun, und Auserwählte, deren es in der ganzen Welt nicht über drei, höchstens sieben, geben kann, haben es bis Zehn gebracht. Die zahlreichen Betrachtungen, die meine Tradition bei dieser Gelegenheit preisgibt, muß ich übergehen, um den extraordinären Gesandten, der des Morgens zwischen zwei und drei Uhr am freiherrlich von Rosenthalschen Ehebette seine Cour machte, nicht länger warten zu lassen. Unser Herr Adam Sem Ham und Japhet legte bei dieser Gelegenheit keinen Beweis der ihm beiwohnenden Entschlossenheit ab; denn er fiel, unter uns gesagt, in ein so panisches Schrecken, daß die Frau Gemahlin ihm ein Riechfläschchen holen mußte. Auch wär' er sicher und gewiß in seinen Sünden geblieben und auf der Stelle Todes verblichen, wenn etwa, Gott sey bei uns! ein Riese als Gesandter erschienen wäre. Se. Excellenz verbaten mit unausdrücklicher Höflichkeit diese Riecherei, da sie Dero Nerven zu sehr angriffe; und es war ein Glück, daß unser Adam Sem Ham Japhet sich schon von selbst erholt und frischen Muth geschöpft hatte, würde er sonst wohl im Staude gewesen seyn, Nase und Ohren zu öffnen, um zu vernehmen, weß Geistes Kind der Gesandte wäre? Diejenigen aus meiner Lesewelt, welche glauben, daß dieser Ambassadeur extraordinaire etwa den Auftrag gehabt, zur Hochzeit einzuladen, kennen die Weise der Fingerlein noch nicht. Ihre Art und Sitte verdiente wohl einen besondern Folianten, den ich, wenn sie mir die Ehre erweisen und das alte Haus auf meinem Gute zu beziehen geruhen wollten, sehr gern ex officio schreiben würde. Das wenigste wär' es, mir bei diesem Anlaß von diesen Hochmögenden ein Privilegium exclusivum auszuwirken, dergestalt und also, daß alle Nachdrucker dieser Schrift den Nachdruck zur ewigen Scham und Schande an ihrem Leibe tragen müßten. – Wer weiß, was sie mir unter der Hand von wegen dieses Riesen von §. schon jetzt zu Gefallen [14] thun –!Wornach man sich zu achten und vor Schaden zu hüten hat! Kommt Zeit, kommt Rath.

Se. Excellenz nieseten wegen des Geruchs, der Sie hart angegriffen, dreimal, und erbaten Sich (damit ich meine Leser nicht aufhalte) den Saal, der beinahe über das ganze Schloß ging und der den Fingerlein schon in vorigen Zeiten bei festlichen Anlässen war eingeräumt worden. Gern ward er bewilligt, und eben so gern die Bitte, daß sich niemand unterstehen sollte, auch nur durch die kleinste Ritze sich einen Blick zu Schulden kommen zu lassen. Der Frau Baronin Gnaden war bei dieser Gelegenheit, als eine in das Fingerleingeheimniß längst eingeweihte, nicht nur eben so schnell, sondern noch vorschneller, auf die Bitte der Fingerlein in Absicht des Saales ein deutliches und aufrichtiges Ja anzugeloben. Wenn es indeß auf Beweise ankäme, daß unsere Damen überhaupt zum Ja und wir zum Nein geneigter sind, so könnte dieser Vorfall zu keinem Belege dienen, denn die zweite Bitte blieb hinterlistig unbeantwortet, und es war allerdings ein großer Fehler, daß seine Fingerleinsche Excellenz, ohne über den zweiten Punkt dieß Ja auch von der gnädigen Frau zu vernehmen, sich bloß mit dem Ja des Herrn Barons begnügte, um, wie diese Excellenz sich gar zierlich und manierlich ausdrückte, sich dankbarlichst zu beurlauben. Da die Fingerlein schon vorher oft bei solchen Feierlichkeiten den altväterischen gothisch-prächtigen Saal inne gehabt hatten, ohne durch ein neugieriges Auge gestört zu werden, so glaubten Se. Excellenz unfehlbar, keiner so großen Peinlichkeit zu bedürfen, und welcher Gesandte wird auch gleich einem Notario publico jurato und immatriculato, ein Protokoll über seinen Auftrag aufnehmen, oder, wie ein Testamentsdeputirter, die Fragdreistigkeit besitzen, die sich bis auf den Umstand erstreckt: ob auch respective der Herr Testator und die Frau Testatricin sich bei gesundem Verstande befinden? Si vales bene est, ego valeo: (Wenn die Herren[15] nur bei gesunden Sinnen sind; ich befinde mich Gott Lob ganz wohl!) ist keine unschickliche Antwort, die einst bei einer solchen Fraggelegenheit fiel.

Der Tag erscheint. Die meisten Hausbedienten werden verschickt; und, um so viele Hindernisse, wie nur möglich, aus dem Wege zu räumen, wird den übrigen, männlichen und weiblichen Geschlechts, ein froher Tag gemacht. Sie sollten über die Freude (wie es gemeiniglich der Fall mit der Freude zu seyn pflegt) der Neugierde ausweichen. Die Traurigkeit ist unaufhörlich neugierig, welches, wie ich fast glaube, der Drang der Hoffnung verursacht. – Die freiherrliche Familie selbst behalf sich mit kalter Küche, da der Koch, der von höchst neugieriger Complexion war, verschickt und aus dem Schloß entfernt werden mußte, ob er gleich, so wie der eben so neugierige Nachtwächter, sehr gern an dem frohen Tage des Hausgesindes theilgenommen hätte und wirklich darum ansuchte, indeß abschlägig beschieden ward. Herr und Dame des Hauses unterhielten sich, wie wohl nicht anders zu vermuthen ist, von dem Feste der Fingerlein, welches diese in großer Stille anfingen, bis nach drei Stunden, gegen ihre sonstige Gewohnheit, alles ins Laute ausbrach, woraus man aber, wie die gnädige Frau sich ausdrückte, keinen Vers machen konnte. Da sie indeß, weil dießmal alles außer der Weise ging, lüstern auf einen Vers war, so ging es hier wie mit Adam und Eva im Paradiese. Man sagt, unser Adam würde nun und nimmermehr nachgegeben haben, wenn nicht die Stunde des Rendezvous mit einer Kammerzofe der Frau Gemahlin gekommen wäre, die sich unvermerkt von ihrem großen Feste schleichen sollte, um dem gnädigen Herrn ein kleines zu geben. Er hatte es darauf angelegt, daß Eva eine Promenade machen und ihn allein lassen sollte; allein der Mann denkt, die Frau lenkt. Was war zu thun? Sie schützte Kopfweh vor, das die Damen gleich bei der Hand haben, wenn sie nicht [16] spazieren gehen wollen. »Meinethalben,« sagte Adam, da die gnädige Frau dringend vorstellte und bat, und da es dem gnädigen Schäfer so vorkam, als hörte er schon die Schäferin lauschen – »Meinethalben,« wiederholte er stärker, und er würde es zum drittenmal sogar geschrien haben, wenn die gnädige Frau so viel Zeit gehabt hätte, das drittemal abzuwarten. Wohl ihm; denn es war schon ein Viertel über die verabredete Schäferstunde. – Adam aß vom verbotenen Baum, während daß Eva in einen Apfel anderer Art biß. Auf Strümpfen schlich sie sich an das heilige Schlüsselloch. O, des unglücklichen, des dreimal unglücklichen Ganges! Kaum hatte sie ihr Auge eingepaßt, so ging alles her, wie bei einem Ameisenhaufen, den man durch einen Stock aufschreckt. Die Lichter wurden mit Mund und Händen ausgelöscht, und in weniger als drei Minuten war alles aus, und zum unseligen Ende.

Bei dieser Stelle entfiel meiner Erzählerin, einer wohlbeleibten Matrone der von Rosenthalschen Familie, der letzte Zahn, den sie mit einer solchen Rührung in ihren Nähbeutel begrub, daß ich nicht wußte, worüber ich hier am ersten und besten condoliren sollte. Ich will hoffen, daß man dieser Geschichte das Zahnlose ansehen wird, denn sonst liegt die Schuld an mir, und nicht an der Erzählerin, die nach dem Leichenpomp ihres Weisheitszahnes fortfuhr, wie folget.

Die bestürzte Baronin kam zu ihrem Gemahle, der sein Zimmer aus Furcht vor einem Nachschlüssel verriegelt hatte – was sie um so weniger befremdete, da er in dem Geschrei stand, daß er Betstunden hielte. – »Betstunden?« – Allerdings! Ist es etwa das erstemal, daß diese sich in Schäferstunden verwandeln –? Die gnädige Frau mußte es sich gefallen lassen, einen Umweg zu nehmen; und auch von dieser Seite waren Riegel vorgeschoben. In der großen Verlegenheit, worin sie sich befand, fiel ihr die Verlegenheit des Herrn Gemahls nicht auf, der nicht Zeit und Raum hatte, die Zofe wo anders, als in seinem Bücherschränke zu [17] verbergen – und ihr nicht viel weniger zerstreut, als sie es selbst war, entgegen kam. Gewiß würde er, nach der Männer Weise, über den Sündenfall der Frau Gemahlin ein lauteres Zeter erhoben haben, wenn er nicht noch vom verbotenen Apfel den Mund voll gehabt hätte. Nach dem ersten Schreck, der nun allmählig vorüberging, fand die Baronin manchen Trostgrund in der Nähe und in der Ferne, den sie ihrem Gemahl mittheilte; indeß hatte er wegen des Bücherschrankes dringenden Anlaß, diese Tröstungen in einem andern Zimmer zu vernehmen und ihnen nach und nach beizutreten. Besonders beruhigte es ihn, daß die Augen der Frau Eva gar nicht waren aufgethan worden, und daß sie weder Gutes noch Böses, sondern gerade gar nichts gesehen hatte. – Umsonst! Nach neun Tagen zwischen 11 und 12 Uhr erschien der Bote, der den Abzug eröffnete und zugleich das Todesurtheil des Ambassadeur extraordinaire beiläufig bekannt zu machen, in commissis hatte. »Ach!« sagte der bedrängte Baron, »darum zu sterben, weil man nur einmal Ja gehört hat!« Die Baronin war in Verzweiflung, an dem Tode eines Ministers Schuld zu seyn, der es an Gefälligkeit und Höflichkeit gewiß nicht hatte ermangeln lassen. Sie nahm sich die Erlaubniß, von seinen letzten Stunden Nachricht einzuziehen und zu fragen, ob er durch einen Geistlichen zum Richtplatz wäre begleitet worden? Zu ihrem nicht kleinen Troste erfuhr sie, daß er mit größerer Resignation, als viele, welche diesen Weg vor ihm gingen, den Richtplatz bestiegen und der gnädigen Eva das hinterlistig zurückgehaltene Ja mit christlicher Fassung vergeben und nicht vorbehalten hätte. »Was ist mein Verbrechen?« sagte mit andern Worten der wohlselig Hingerichtete zu den Umstehenden. »Verrieth ich mein Vaterland? Sucht' ich Wittwen und Waisen in falschem Justizspiel um das Ihrige zu bringen? Ward ich reich auf Kosten des Dürftigen? Machte ich, wie Necker, Rechnungen ohne Wirth? Ward ich Minister, weil [18] ich eine schöne Frau hatte, oder weil mich der Castrat, oder der Harfenist, oder sonst ein bedeutender Hofschranze dem Monarchen empfahl? Verführt' ich Weiber oder Töchter, indem ich Männer, Väter und Brüder durch Aemter und Pensionen gewann oder einschläferte? Macht' ich einen Lahmen zum Ballet-, oder einen Tauben zum Kapellmeister? Gab ich als Staatsdiener den Menschen auf? Der Mensch ist schön, die Menschheit ist erhaben; nur ein Haufen Menschen, ein Menschenkomplott, taugt gemeiniglich wenig oder gar nichts. – Vielleicht wird es mit der Zeit besser, wozu indeß unser guter Oberhofprediger und seine schwere und leichte Infanterie und Cavallerie sicherlich nie etwas beitragen werden. – Das Reich Gottes ist in euch, sagt der weiseste aller Lehrer auf Erden. – Ihr wißt mein Verbrechen: ich fragte nicht, was sich von selbst verstand; ich glaubte, daß unter Einem Ja, wie bei der Ehe, sich tausend Ja's von selbst verständen; ich bedachte nicht, daß Weiber zwar nicht böse, indeß neugierig sind. – Ich fluche ihr nicht, der guten Eva der Oberwelt; ich segne sie vielmehr. Sie ist keine aus der siebenten Bitte; ihr Fehler ist Leichtsinn: und wer ist davon frei bei Lebhaftigkeit und Offenheit des Charakters –? Man frage sie, was sie weiß! und ich gebe mehr als ein Leben hin (falls ich mehr als das Eine hätte, dessen Faden man gewaltsam abzureißen im Begriffe steht), wenn sie das mindeste gesehen hat. Ihr schönes, großes Auge ist viel zu stolz, um sich sogleich in ein Schlüsselloch einpassen zu lassen. Brachte sie einen Nach-, einen Diebsschlüssel in Anwendung? Bediente sie sich nicht vielmehr des allen Weibern zustehenden Rechtes des Schlüssellochs, das ihnen wegen der Untreue der meisten Ehemänner durchaus nicht zu entziehen ist? Ich sterbe, nicht weil die Baronin gesehen hat, sondern weil sie hätte sehen können; so wie die meisten des Beispiels halben zum Schaffot geführt werden – und diese sterben dann als Heilige, als Märtyrer der Gesetze. So, Freunde, [19] sterb' auch ich. Ich murre nicht; ich danke meinen Richtern; sie thaten, was sie zu thun schuldig waren; ich danke den Gesetzen, sie sind nicht für einen einzelnen, sondern für alle Fälle gegeben. Gin Gesetz auf den gegenwärtigen Fall gemacht, ist ein Machtspruch, und ein altes ist selten oder gar nicht anwendbar! Was taugt also die Justiz? – Ich danke dem Gesalbten, der bei der ganzen Sache kein anderes Interesse genommen, als daß er sich die Mühe gegeben, seinen Namen zu unterschreiben. Der seinige möge dafür, und zwar kalligraphischer, eingeschrieben werden in allen unsern Jahrbüchern bis auf den jüngsten Tag! – Mein Andenken kann nicht in Unsegen unter euch bleiben; – und an meinem Blute hat niemand Schuld, als der Moloch, der Staat, der sich so viele seiner Kinder opfern läßt. Selten schlachtet er wie Brutus;Nero und seines Gleichen sind seine Vorbilder. – Doch wie? ich schelte, weil man mich schilt? Ich vergelte Böses mit Bösem, und bin ungehalten, weil ich leide? – Wohlan, meine Lieben! ich will segnen; und es ist nicht gut, daß bisweilen Einer stirbt für Viele –? Ich verzeihe allen, die mir je unrecht thaten; verzeihet auch mir! Und ihr, die ihr euch für beleidigt hieltet, Große und Kleine, Vornehme und Geringe, vergebt, so wird euch vergeben! Wer kann wissen, wie oft er fehle –? Laßt uns versöhnt scheiden! – Was ist am Leben? Die höchste Lebensweisheit ist: an den Tod denken und sterben lernen. – Geht! ich werde heute examinirt, und ich hoffe zu bestehen in der Wahrheit. Im Tode fällt der Schein: die Schminke wird abgewischt, und wir sind in eigener Person sichtbar. Starb doch die Königin Maria als eine Heldin, welche eine andere Königin, die Putzhändlerin Elisabeth, zwar rechtskräftig, aber doch bloß darum mordete – weil Maria schöner war als sie! Starben doch so viele Menschen – ohne daß die Gesetze einen Buchstaben, geschweige denn den Geist auf sie bringen konnten – bloß durch feile Richter! Heil mir! das Gesetz, daß mich [20] verurtheilt, ist so ziemlich klar; – ganz klar ist fast keine, wenn es mit dem Fakto zusammen gepaßt wird. Niemand ist vor seinem Tode glücklich, sagte Solon; im Tode sind wir alle glücklich – alle! Guter Oberhofprediger, alle! – Ich sterbe. – Jeder, wer mich hört und sieht, wird auch sterben. – Ich habe in einer Viertelstunde vollbracht (bei diesen Worten bereitete sich der Scharf und Nachrichter vor, indem er seinen rothen Mantel von sich warf und sich mit dem blinkenden Schwert fürchterlich in Positur setzte), und über den Häuptern dieser Trauerversammlung schwebt noch immer derFels des Sisyphus. Ich bin nach wenigen Augenblicken gewesen, und die meisten unter ihnen werden nach Stunden, Tagen und Jahren gewesen seyn! Gewesen!! Wer sein Leben lieb hat, wie können den Ananas, Caviar, Austern, Forellen, Haselhühner und dergleichen reizen? Der Gedanke, daß er auf den Tod sitzt, vergällt ihm alles. (Der Scharf- und Nachrichter winkte seinem geistlichen Collegen, dem Oberhofprediger; dieser verstand den Wink, und bat Se. Excellenz, sich kurz zu fassen. –) Kurz und gut! Lebt wohl, vergeßt mich nicht, nehmt euch meines Weibes und meiner Kinder an. Der älteste ist der nächste zur Schwadron bei den grünen Husaren, und sein Bruder will sich den Rechten widmen. Freilich könnt' er etwas Klügeres thun. Der Stabsrittmeister ist keinem vorgezogen; er hat die gewöhnliche Schule gemacht, und war drei Jahre Junker, ehe er Cornet ward. Lebt wohl!«

Die arme Baronin war dreimal in Ohnmacht gefallen, und hatte sich dreimal erholt. Der Oberhofprediger loci hatte eine sehr rührende Beschreibung von diesem Vorgange und den Wirkungen seiner Bemühungen zum Preise der göttlichen Gnade edirt – worüber sich die Baronin nicht der heißesten, bittersten Thränen enthalten konnte; und es war ein Glück daß etwas vorkam, worüber sie weinen konnte, denn eine neue Ohnmacht rückte heran, und hätte sich ohne den Ableiter des Oberhofpredigers gewiß nicht abweisen[21] lassen. Die Furchtsamkeit des Barons bei der Anmeldung, das Riechfläschchen und die Ohnmacht des wohlseligen Herrn Ministers, die ihn, als hätte er Knoblauchsgeruch eingesogen, anwandelte, wurden jetzt als die treffendsten Omina anerkannt, und der Engel des Todes schien nicht ungehalten über die Langwierigkeit dieses Wortwechsels, da die wohlselige Excellenz sein Vetter war, und da er ungern zu seinem eigentlichen Auftrage schreiten mochte. – Endlich ermannte er sich. Die Schuld ist getheilt, fing erex abrupto an; der Sohn, den die Frau des Hauses unter ihrem Herzen trägt, wird unglücklich, und ein Dritttheil der Familie, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, trägt die Zeichen unzeitiger Neugierde am Leibe sichtbarlich. »Sichtbarlich!« seufzte die Baronin. Sichtbarlich, wiederholte der Unglücksbote. »Unglücklich!« fuhr der Baron fort. Unglücklich, hallte der Würgengel nach. – Beides ist Ja und Amen worden. Das Unglück des unschuldigen Sohnes, den die Baronin unter ihrem Herzen trug, traf leider zu seiner Zeit baar und richtig ein, so wie man überhaupt die Erfahrung haben will, daß prophezeietes Unglück sich richtiger, als verkündigtes Glück, einstellen soll. Was die Zeichen der unzeitigen Neugierde betrifft, welche ein Dritttheil der Nachkommenschaft, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, am Leibe zu tragen verflucht ward, so ist auch dieser Fluch erfüllt bis auf den heutigen Tag. Da indeß die Damen der Sichtbarkeit aller solcher Auswüchse mächtiglich zu widerstreben pflegen, so würde die höchste Rechenkammer in der Welt, die doch in Rücksicht der Auswüchse eine unverkennbare Stärke besitzt, das eine Dritttheil arithmetisch herauszubringen Mühe haben. – Noch einen Fluch hauchte unser Thaumaturge aus, der den auf das Alterthum seiner Familie so stolzen Baron bei der Pusillanimität, die ihn wieder anwandelte, völlig zu Boden schlug. Sein Stamm nämlich sollte, nach hundert Jahren und sieben Tagen sein Ende erreichen. Die Baronin, [22] welcher das Zeichen am Leibe und das Unglück ihres noch ungebornen Sohnes bis zum Verstummen nahe gingen, wollte den kleinen Gesandten bestechen und ihm eine Pathenstelle antragen, zu welchem Ende sie sich seinen Vornamen erbat; indeß er gab auf alle diese Höflichkeitserweisungen kein Wort, raunte dem Baron etwas ins Ohr (worüber die arme Frau in Puncto eines artigen jungen Herrn, der sie vor der Schwangerschaft sehr oft zu besuchen nicht ermangelte und jetzt, da sein Regiment – er war Fähnrich – ein entlegenes Standquartier erhalten hatte, nur schriftlich aufwarten konnte, sich allerlei Gedanken machte, ob es gleich nichts mehr und nichts weniger als die Bibliotheken-Geschichte war) – und nun verschwand er wie gewöhnlich – vor ihm Tag, hinter ihm Nacht. –

Das Säculum ist abgelaufen, ohne daß es diesem Familienzweige an Stammhaltern und Männern gebricht, die vor dem Riß stehen; woraus sich denn ergibt, daß die neueren Propheten unter diesem kleinen Volke eben den schlechten Ruf verdienen, wie die bei uns, oder daß ihre Jahre eine andere Breite und Länge haben müssen, als die man auf der Oberwelt zu kennen das Vergnügen hat. Sind doch schon die Jahrwochen des Propheten Daniel aus einem ganz anderen Kalender zu berechnen! – Vielleicht interpretirt man ihre Orakel, so wie die unsrigen, mehr aus dem Erfolg, als aus der Anzeige! – Bei Gesetzen und Prophezeiungen thut immer, die Auslegung das beste. Vielleicht schien dieser Familienzweig auch nur zu leben, da er, genau genommen, längst lebendig tobt war. In der That vegetirte ein großer Theil der Familie bloß, und schon ein gemeiner Geistlicher wäre im Stande gewesen, diese Weissagung bei so bewandten Umständen pünktlich erfüllt zu finden. – Was kümmert mich indeß jenes Fingerlein-Säculum, da das unsrige, welches sein Haupt neigt, alle Säcula in der Ober- und Unterwelt zu Spott und Schanden macht! – [23] Und wer kann das Wort Säculum ohne ein: Steh,Wanderer! aussprechen? Nicht wahr? das beste ist, so lange in Sprichworten zu reden, bis unser Stündlein kommt – und sich in Legenden zu zerstreuen, bis die Morgenröthe der Wahrheit aufgeht. – Wozu mich das Wort Säculum bringt? – Noch hab' ich zwei


Legenden:


Eine


vom ungebornen Unglücklichen;


und die andere


vom Gevatterstande.


Beide sind bestimmt, diesen Paragraphen, welcher der Form nach gewiß kein Fingerlein ist, noch näher zu erläutern.


Legende vom Gevatterstande.


Den Fingerlein geht es, wie der Gelehrsamkeit: beide haben die Gewohnheit, sich bei gewissen Familien einzuquartieren und mit dem zu begnügen, was da ist. So geschah es denn, daß die Fingerlein, nachdem sie jenes von Rosenthalsche Schloß mit den kleinen Rücken angesehen hatten, ihre Wohnung in einem andern eben derselben Familie aufschlugen und durch die Fourierschützen das Quartier einrichten ließen. Je länger sie hier hauseten, je zufriedener wurden sie mit ihrem Wirthe und seiner Gemahlin, so daß sie, wenn sie es gleich wollten, ihren inneren Hang, mit beiden sich näher zu verbinden, nicht bergen konnten. Zwar ging es so weit nicht, wie vor der betrübten Sündfluth, wo die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren, und zu Weibern nahmen, welche sie wollten; indeß brachen die Fingerlein oft die Gelegenheit vom Zaun, um dem Herrn oder der [24] Frau des Hauses einen Besuch abzulegen, der, ob er gleich durch keine Erfrischungen aufgeheitert ward, ungewöhnlich lange währte und dem guten Baron, noch mehr aber seiner Gemahlin, der mit keinem Fingerlein gedient war, lästig fiel. – Unsre beiden Eheleute wurden oft von dem schrecklichen Gedanken ergriffen, ob die Fingerlein nicht etwa eine Gegenvisite verlangen würden, welche ihnen einer Höllenfahrt nicht unähnlich schien; indeß trösteten sie sich mit dem Umstande, daß ihre Gäste sich jederzeit ein Gewerbe bei diesen Visiten machten, so daß keine derselben zwecklos, leer und aus bloßem Ceremoniell gemacht zu seyn schien. Die Baronin befand, sich, mit Vorbewußt, gepflogenem Rath und angewandter That des Herrn Gemahls, in gesegneter Verfassung, und näherte sich ihrer Entbindung, so daß bereits eine von den berühmtesten Wehemüttern der Gegend sich gegen Wartgeld im Hause aufhielt, und der Geistliche seit vier Wochen jeden Sonntag für Geld und gute Worte um eine glückliche Entbindung der Frau Kirchenpatronin gebetet hatte. Eines Morgens erschien ein Abgeordneter, welcher der Baronin eine baldige glückliche Entbindung wünschte, und es nicht etwa bloß fallen ließ, sondern pünktlich den Antrag that, daß eine Dame fürstlichen Standes bei der Taufe zu Gevatter gebeten werden möchte. – Dieses Verlangen kam der armen Dame so unerwartet, daß sie, bei der großen Verlegenheit, in welche sie fiel, sich nicht anders zu helfen wußte, als daß sie sich zu ihrer Erklärung drei Tage Befristung erbat, um während dieser Zeit dem Herrn Gemahl darüber Vortrag thun und gemeinschaftlich mit ihm einen Entschluß fassen zu können. Der Abgeordnete lächelte dienstfreundlich, als wollte er sagen: er wisse wohl, daß dieser Aufschub bloß zu einem Vorwande diene, indem es auch unter der Erde Sitte sey, daß nicht die Damen, sondern die Herren die Referendarien in Hausangelegenheiten wären. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die Baronin, daß das Kind, welches sie unter ihrem Herzen trug, ein [25] Fräulein sey; denn Ihro Hochfürstliche Durchlaucht hoffte, daß man Ehre dem Ehre gebühre erweisen, und nach wohlhergebrachtem Gebrauch ihr, als der Vornehmsten in der Gesellschaft, aus christlicher Demuth nachlassen würde, das neugeborne Fräulein über der Taufe zu halten. Bloß die Angst, die bei diesem Umstande am höchsten stieg, hielt die gute Baronin zurück, laut zu lachen. Das kleinste Menschenkind, dachte sie, ist ein Riese gegen Ihro Hochfürstliche Durchlaucht; und es war in der That ein Glück für die gute Dame, daß sie so dachte, und daß die Angst dem Lachen den Weg vertrat; denn ganz ohne alle Veranlassung fing jetzt der Abgeordnete an, die Hauptstücke des christlichen Glaubens zu beten, und sang darauf den Glauben so wörtlich und treu, daß wenn hier nicht die Frömmigkeit, wie vorher die Angst (ist der Unterschied unter beiden groß?) bei der Baronin ins Mittel getreten wäre, und das Lächeln über den possierlichen seinen Ton des Gesandten verhindert hätte, es ihr völlig unmöglich gewesen wäre, sich zurück zu halten. – Die Baronin wollte bemerkt haben, daß der Tit. Herr Abgeordnete die Bitte:Führe uns nicht in Versuchung, mit Thränen in den Augen gebetet hätte; und so schied denn unser katechismusfestes Fingerlein von dannen. Er sang den Tenor. – Den dritten Tag verfehlte er nicht, zu rechter Zeit und Stunde sich einzufinden, um die Antwort zu erfahren; und da die gnädige Frau bereits in der Dämmerung des ersten Fristtages diese Sache mit dem Herrn Gemahl, der alles, wie natürlich, der Frau Gemahlin anheimstellte, rechtskräftig abgeredet hatte: so erhielt der Herr Abgeordnete, der schon wegen seiner ersten vorläufigen, wiewohl nicht hoffnungslosen Antwort mit einem Orden verziert worden war, dessen Stern einem Fixstern ähnlich blitzte, ein volles Ja. – – Beiläufig ward jetzt noch die Etikette verabredet.

Ihro Hochfürstliche Durchlaucht, sagte der Herr Ritter, verlangten gar nicht eingeladen zu werden, da die Posten in der Unterwelt [26] sehr unrichtig gingen und alles durch Gesandte und Couriere abgemacht würde. Höchstdieselben würden Sich von Selbst zu rechter früher Tageszeit einstellen; indeß müßte Ihnen eine Art von Thronhimmel mit Purpur beschlagen (wozu der Herr Abgeordnete die Zeichnung überlieferte, die vom Oberbaudepartement entworfen war) nahe am Wochenbett errichtet werden. Uebrigens würde sie, wie der Ritter es nannte, nur beitreten, und beifassen, so daß immer eine andere Dame das Kind vor der sichtbaren Welt halten könnte. Endlich würde sie der Frau Baronin eine besondere Wochenvisite nicht entziehen. Bei der Taufhandlung selbst wollte sie im strengsten Incognito seyn; das heißt: das Elternpaar sollte sich mit keiner Sylbe zu ihr wenden, obgleich die ihr zukommende körperliche Verbeugung (wiewohl unvermerkt) nicht erlassen ward. Das Kind sollte Banise heißen. »Banise?« Banise, erwiederte der besternte Abgeordnete, und fügte mit anständigem Ernste hinzu: Wie ich sage, Banise. – Gern hätte die Baronin diesen Namen verbeten; da indeß alle Punkte und Klauseln bereits bewilligt waren, so konnte freilich der Banisische keinen Anstand veranlassen. Nach vielem Hin- und Her-, Vor- und Nachdenken erinnerte sich unser freiherrliches Ehepaar des Umstandes, daß die Gemahlin des Adam Sem Ham Japhet den Gesandten des Fluchs mit einer Pathenstelle bestechen wollte, der er aber, ob sie gleich sich gar höflich seinen Vornamen erbat, mit einer Art von Verachtung auswich; und so war die Vermuthung nicht unrichtig, daß jener Vorfall Gelegenheit zu dem gegenwärtigen gegeben, der immer mitlaufen können, wenn nur der verwünschte Name Banise nicht das Spiel verdorben hätte. Nie war die Wöchnerin, die sonst immer schwere Geburten gehabt, so leicht abgekommen. Die weise Frau bediente sich des merkwürdigen Ausdrucks, sie nähme dießmal das Honorarium mit Sünden; und der Baron, der, er wußte selbst nicht warum, sich eine Tochter gewünscht hatte, war vor Freuden [27] außer sich. – Die vornehmsten Personen der Gegend wurden zu Taufzeugen erkoren, und als der Tauftag erschien, der unsichtbaren Fürstin ihr besonderer Sitz nach der eingehändigten Zeichnung des Oberbaudepartements hingestellt. Dieser Sitz gehörte, wenn gleich eine unsichtbare Person ihm die Ehre erweisen wollte, ihn einzunehmen, doch zu den sichtbaren Dingen, und war so wenig das vornehmste darunter, daß vielmehr dessen Possierlichkeit einem jeden, der Autorität des Oberbaudepartements ungeachtet, auffiel. Besonders konnte die Gräfin v. **, die an sich eine stolze, übermüthige Dame war, nicht umhin zu wünschen, sie möchte das Schooßhündchen kennen lernen, welches hier ruhen würde. Die Sechswöchnerin sah sich einer Nothlügenverlegenheit ausgesetzt, und gab dieß Unwesen für Spielzeug ihres jüngsten Sohnes aus, der indeß, als er es nur betasten wollte, sehr ernstlich von diesem Noli me tangere abgewiesen ward. Natürlich stand der Name Banise obenan, und commandirte die sechs anderen, welche dem Fräulein sonst beigelegt werden sollten. Die Gräfin, die noch vor der heiligen Taufe diesen Umstand erfuhr oder erfahren mußte, weil sie sich darnach erkundigte, ließ des Namens Banise halber, da erihrem Namen vorzutreten die Dreistigkeit hatte, ihrer Spottlaune noch mehr freien Lauf; und da sie es nicht wagen wollte, sich nach der Ursache dieses wildfremden Namens zu erkundigen (den sie aus demBlitz-, Donner und Hagelroman vortheilhafter zu kennen Gelegenheit nehmen können, falls dieser Roman damals schon existirt hätte), so ersah sie sich (nach Art des Unwillens, der immer unruhig einen Gegenstand sucht, auf den er seine Pfeile schießen kann) den fürstlichen Sitz zum Ziel. – Die vornehmste und kleinste Taufzeugin trat mit dem Geistlichen zu gleicher Zeit ins Zimmer. Der Baronin, die sich durch die Stachelreden der Gräfin bis jetzt nicht im mindesten hatte verstimmen lassen, fiel die Figur der Fürstin nicht wenig auf. Ihro Durchlaucht erschienen [28] nicht en parure, sondern in Krönungspracht; die Königin Elisabeth hätte ihr an Ziererei weichen müssen. Es war ohnehin die erste Dame von den Fingerlein, welche die Baronin jemals sah. – Der Reifrock war erschrecklich, und der ganze Anputz kam der aufgeweckten Wöchnerin so abenteuerlich vor, daß sie Mühe hatte, ernsthaft zu bleiben. Das Derrière des Dames, worauf jeder, der den Putz versteht, am meisten zu sehen pflegt, schien völlig verfehlt, und schon eine Provinziale (welches die Baronin doch nicht im eigentlichen Sinne war, da sie die Ehre hatte, den Hof von Zeit zu Zeit zu sehen und sich von ihm sehen zu lassen) hätte alle die possierlich angebrachten Arabesken, Guirlanden und Devisen auf den ersten Blick als Grammatikalfehler des Putzes entdecken müssen. Der Taufaktus begann, und Se. Wohlehrwürden hielten eine lange Rede. Während derselben geruhten Ihro Durchlaucht Sich auf das Taufbecken zu erheben, worin, wohl zu merken, noch kein Wasser war. Die Baronin, die bis jetzt ihr Lachen, wiewohl nicht ohne saure Mühe, verbissen hatte, konnte es jetzt, da es an die Tauffragen ging, nicht länger überwinden. Die Fürstin würgte ihr Ja so sein heraus, daß sich alles umsah, als wäre ein Kätzchen so dreist, eine christliche Handlung stören zu wollen. Besonders fiel dieß Katzen-Ja der Sechswöchnerin auf, als es die Frage, galt: Entsagst du dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen? – Denn die Fürstin legte einen so besondern Accent auf dieses Teufels-Ja, daß die Wöchnerin, bei, aller Anstrengung sich zurückzuhalten, nicht länger in die Faust, sondern laut auflachen mußte; und dieß hörte die Fürstin so klar und deutlich, daß sie sich nicht entbrechen konnte, der Frau Gevatterin einen strafenden Blick zuzuwerfen, der indeß, wie es in dergleichen Fällen oft zu geschehen pflegt, die besondere Wirkung hatte, daß die Baronin noch herzlicher und lauter lachen mußte. Sobald das Taufwasser im Becken war, und während [29] der Fragen und Antworten, hatte die Fürstin sich auf die Perücke des wohlehrwürdigen Taufredners gesetzt. Dieser ärgerte sich gewaltiglich, daß so viel Puder auf sein Kleid und sogar in das Taufwasser fiel; und da er aus bloßem, unverständigem Widerwillen seine Perücke gleichsam abstrafen und sie ihre Unart fühlen lassen wollte, indem er sie nicht eben säuberlich zurechtsetzte, so wären Ihro Durchlaucht bei einem Haare ins Wasser gefallen – das, bei aller seiner Weihe und Heiligkeit, Höchstdenenselben doch an Leib und Leben hätte gefährlich werden können, wie denn Ihro Durchlaucht wohl am wenigsten in dieser Kleiderpracht aufgelegt schienen, das Lauchstädter Bad zu brauchen. – Der bestellte Name Banise war nicht im Stande, die Fürstin für alles dieß Herzeleid zu entschädigen; vielmehr schied sie – nachdem die Gräfin sich wegen des Namens Banise verblümt, und wegen des fürstlichen Sitzes schier öffentlich, in fürstlicher Gegenwart lustig gemacht, der Pfarrer den Küster wegen des seiner Perücke übermäßig gegebenen Puders ausgescholten, eine zweite Dame sich nach dem feinen Echo, das bei dem Tauf-Ja sich hören lassen, erkundigt, eine dritte, um sich bei der Gräfin beliebt zu machen, den fürstlichen Sitz auf einen Finger genommen und ihn leichter als einen Ball in die Höhe geschleudert hatte – voller Unwillen von hinnen. Freilich wäre schon eine dieser Anzüglichkeiten hinreichend gewesen, ein anderes fürstliches Blut in Wallung zu bringen; indeß hatte unsere Fürstin so viele Zurückhaltung, daß sie sich damit begnügte, an der Thüre der Sechswöchnerin mit zwei Fingern der rechten Hand, nämlich dem Zeige- und Mittelfinger, zu drohen, welches der armen Baronin einen nicht geringen Schreck zuzog, so daß sie von diesem Drohaugenblick an äußerst mißmuthig und verdrießlich ward. Sie nahm der Gräfin die Bitterkeit überBanisen, dem Pfarrer seine unzeitigen Scheltworte über den Küster, der zweiten Dame das naseweise Echo, und der dritten das Ballspiel so übel, [30] daß alles bitter und böse auseinander schied und die vieljährige gute Harmonie in dieser Nachbarschaft, die bis dahin wegen guter Freundschaft allgemeinen Ruf gehabt hatte, nie wieder in den vorigen Stand gesetzt werden konnte. Bei der armen Baronin wechselte von Stund' an Hitze und Kälte, und dem neuen Tochtervater war dabei so übel zu Muthe, daß er sehr gern gegen die Fürstin – von deren unerklärlichem, unzeitigem Appetit zu einem Gevatterstande auf der Oberwelt doch alles hieß Unheil, bis auf den verstreuten Puder und den Namen Banise (mit dem er besonders sehr unzufrieden schien), gekommen war – ein Anathema Maharam Motha ausgestoßen hätte, wenn er nicht vor den hitzigen und kalten Folgen, die er sichtbarlich an seiner Gemahlin sah, in Furcht gewesen wäre. »Que de bruit pour une omelette!« konnte er sich nicht überwinden auszustoßen, in der festen Hoffnung, daß die Fingerlein es nicht verstehen würden, wenn sie es auch wider Vermuthen hören sollten. – Bis in den dritten Tag ging alles im freiherrlichen Hause nicht viel besser, als in diesem Buche, in die Kreuz und in die Quer. Jetzt ließ die Fürstin sich zur Wochenvisite melden, die angenommen und mit vielem Pomp abgelegt wurde. Die fürstlichen Begleiter waren zwei Kammerherren und fünf andere Diener, zusammen sieben, und, was auffiel, keine Person weiblichen Geschlechtes – es wäre denn, daß die Kammerherren, die äußerst weibisch aussahen, sich aus unerklärlicher Fingerlein-Etikette verkleidet gehabt hätten, wovon die Geschichte indeß in keiner Randglosse etwas besagt. – Es würde schwer seyn, wirkliche Kammerherren von Weibern zu unterscheiden, und warum sollten wir bei diesem Umstande ohne Noth verweilen? – Nach einigen kalten Complimenten fing die Fürstin mit der Bemerkung an, daß sie sich von ihrer Freundschaft mehr versehen hätte, als bei so wichtigen Fragen und noch wichtigeren Antworten durch ein so befremdendes Lachen gestört zu werden. Die [31] wohlvorbereitete Baronin hatte zwar gleich die Sara bei der Hand, welche bei einem Besuche von drei Engeln auf die gesundesten Schüsseln in der Welt, Butter und Milch, Kalbsbraten und Kuchen, gelacht hätte. Auch vergaß die gute Baronin nicht, wohlbedächtig zu bemerken, daß die exemplarische Sara (bis auf den Fall, da sie ziemlich unexemplarisch sich für Abrahams Schwester ausgeben ließ) das Muster aller Weiber hoher und niedriger Abkunft wäre. Ihro Durchlaucht waren indeß nicht gemeint, sich durch 1. Buch Mose XVIII, 12 besänftigen zu lassen; doch geruheten Sie, höchlich zu versichern, die Ungezogenheiten der Mitpathen nicht auf die Rechnung der Baronin, die ohnehin groß genug wäre, setzen zu wollen. Viel Güte von einer Fürstin! – Jetzt folgten die Flüche, die sie über alle, welche sie beleidigt hatten, aussprach, und ob sie gleich in gar keinen Verhältnissen mit den begangenen Fehlern standen, so schienen sie doch recht ausgedacht zu seyn, um den Interessenten schwer zu fallen. – (Geht es mit den positiven Strafen anders? Die natürlichen allein bleiben bei der Stange.) – Wer wäre wohl von selbst darauf gekommen, daß die Frau Gräfin durch die Blattern gedemüthigt werden und auf ihren Wangen der NameBanise, zwar undeutlich, jedoch dem, der sich auf Blattern-Hieroglyphen versteht, verständlich genug, zu lesen seyn sollte! Die Blatternschrift, setzte die Fürstin hinzu, auf die sich die Physiognomisten nicht legen, weil sie sich begnügen, Nase, Augen und Stirn zu deuten, verdient gewiß nicht vernachlässigt zu werden. Die zweite Dame, fuhr sie fort, ist keines Traumes weiter werth. Ein Glück, fügte sie hinzu, das von so wenigen geschätzt wird! – Träume haben die Menschen auf die Dichtkunst gebracht, und die Dichtkunst ist die Mutter aller Erfindung, Hallelujah! Die dritte komme dreimal nach einander mit Drillingen nieder; facit Neun. Der Pfarrer endlich, der bei der heiligen Taufhandlung seinen Affekten so freien Zügel schießen ließ, gerathe nicht [32] in poetische Entzückung, sondern in Verfewuth, so, daß er sich nicht entbrechen könne, in Versen zu predigen. – »Und ich?« wollte die gute Baronin eben anheben, als die fürstliche Wahrsagerin sich zu ihr wendete: Und Sie, Frau Gevatterin – werden nie mehr niederkommen. – »Sein Wille geschehe!« erwiederte die Baronin. Und Ihre Tochter, die bestimmt war, eine Fürstin zu werden, wird es nicht. – »Wie Gott will!« erwiederte die Baronin. – »Und nun hängt es von Ihrer Wahl ab: Soll sie mit einem Fürsten einen Sprößling erzielen, der sich einen Namen mache? Oder soll sie das Weib eines Privatmannes werden, der vom Gesalbten und den von ihm Gesalbten, das heißt von seinen Ministern, nicht gekannt, froh und glücklich unter einem gutmüthigen Landvolke lebe, schwebe und sey?« – »Ich wähle das letzte,« erwiederte die Baronin. »Es sey also,« beschloß die Fürstin; »und weit Sie weise wählten,« fügte sie hinzu, »so wählen Sie noch von drei Dingen eins – für Ihre Tochter, und es soll ihr gewährt seyn: Soll sie es in ihrer Gewalt haben, die Herzen zu gewinnen, welche sie gewinnen will? Oder zu weinen oder zu schlafen, wenn sie will

Die Wahl würde keiner Dame schwer geworden seyn, da sie, wie man glaubt, es alle auf das Herzensspiel anlegen und ihre Gewinnluft außer Zweifel ist. Da die arme Baronin drei nach einander folgende Nächte kein Auge hatte schließen können, so wählte sie den Schlaf, ohne sich auf das Hazardspiel der Herzen und auf die Thronen (welche letzteren, wie man sagt, der schönen Welt ohnehin sehr leicht zu Diensten stehen) einzulassen. Kaum hatte sie gewählt, als die Prinzessin verschwand und die Baronin auf der Stelle so plötzlich einschlief, daß, wenn sie nicht entsetzlich geschnarcht hätte, der so neugierige als besorgte Gemahl gewiß geglaubt haben würde, sie sey in den Todesschlaf versunken. Adam konnte nicht fester schlafen, als ihm die Rippe genommen ward, und die Baronin [33] machte wirklich eine Probe von jenem eisernen Schlafe der weltbekannten Siebenschläfer. Sie schlief drei, sieben und neun Stunden, und noch nie hat ein Ehemann so sehnlich wie der Baron gewünscht, daß seine Gattin erwachen möchte, da die Neugierde ihn fast sehr plagte. Er lechzte nach den Resultaten der fürstlichen Visite. Noch hatte die Baronin die Augen nicht völlig geöffnet, als er sich mit seinem »Guten Morgen« dieß Geheimniß zu erschmeicheln suchte. Ueber die Unfruchtbarkeit der Frau Gemahlin zuckte er bloß stillschweigend die Achseln; laut unzufrieden war er, daß die Mutter den fürstlichen Sprößling so rund ausgeschlagen hatte, obgleich seiner Gemahlin deßfalls der Beiname: die Weise, von der fürstlichen Sibylle war beigelegt worden. »Noch lieber, bemerkte er, wäre es ihm gewesen, wenn sie gar eine förmliche Fürstin zu werden das Glück gehabt hätte;« als ob die Baronin nichtSchlacken von Erzstufen zu unterscheiden verstände! – Nachdem indeß die gute Frau ihn an so viele unglückliche Könige erinnert (ohne daß es damals schon die classische Schrift Can dide in der besten Welt gab), und nachdem sie gar liebreich hinzugefügt hatte, daß es noch weit unglücklichere Königinnen gegeben und noch gebe, so fand er Trost in ihrer Wahl des Schlafs, indem er ein großer Schlafverehrer war. »Hätte die Fürstin unter den drei zur Wahl ausgestellten Dingen einen Gürtel angeboten, vermittelst dessen man sich unsichtbar machen kann: ich wüßte nicht, was ich gewählt hätte,« sagte die Baronin; und diese Aeußerung beruhigte ihn völlig. Er schien kein Gürtelliebhaber zu seyn. Als ein vernünftiger, welterfahrner Mann hat er zu diesem Gürtelwiderwillen gewiß seine Ursachen gehabt – und wer hat sie nicht? Spät erinnerte die Baronin sich des fürstlichen Beifalls bei dieser Wahl des Schlafs. »Wohlgesprochen!« – hatte die Fürstin erwiedert; »den Seinen gibt er's im Schlafe.« – Wahr! Eldorado ist unter der Erde! –

Dankbarlich verehrte Fräulein Banise die Weisheit ihrer [34] Mutter lebenslang. Sie konnte schlafen, wenn sie wollte, und bemühte sich nicht nur, alles Uebel des Lebens sanft und selig zu verschlafen, sondern hatte auch das Glück, durch süße und angenehme Träume eins der fröhlichsten Weiber zu seyn, die je auf Gottes wachendem Erdboden gelebt haben. Es war ihr immer und in alle Wege so, wie es uns nur zuweilen ist, wenn wir recht ausgeschlafen haben. Jener weise König erwiederte dem Schmeichler auf die Versicherung, daß das gemeine Wesen so lange blühen würde, so lange er nicht aufhörte, so wohl zu befehlen: »Nicht also, sondern so lange das Volk nicht aufhören wird, so wohl zu gehorchen.« – Nicht auf das Wachen, sondern auf das Schlafen kommt es an. – Daß ihr eine gute Sentenz erhaltet, eine erbauliche Predigt hört, daß unser Heer siegte, und daß dein Kleid so wohl paßt – macht, weil Richter, Prediger, Feldherr und Schneider gut geschlafen hatten. Zum Laufen hilft nicht schnell seyn. Alexander schlief an dem Tage, der zur entscheidenden Schlacht mit Darius bestimmt war, so fest, daß sein Schwerin-Parmenio ihn mit Mühe aufwecken mußte, weil es Zeit zur Schlacht war. – Wer nicht schlafen kann, versteht der zu wachen? Wer nicht ruht, kann der arbeiten? – Unsere Banise ward von ihrem Gemahl, einem schönen reichen Jünglinge, zum erstenmal gesehen, als sie recht charakteristisch in einer Laube schlief. – Wer so schlafen kann, dachte er, ist ein edles, liebenswürdiges Geschöpf. Sie ward seine Gemahlin und die Mutter von sieben wohlgerathenen Kindern. Ihre Unterthanen liebten sie, wie ihre Mutter, und sie wollte auch nicht gefürchtet seyn. Die Worte: gute Nacht angenehme Ruhe! sprach sie liebevoll und zuweilen mit einer Art von magischer Kraft aus, so daß die, welche diesen Segenswunsch von ihr empfingen, des Schlafes, der sie geflohen hatte, wieder gewürdigt wurden. Ihren Mann und ihre Kinder hat sie oft auf diese Art curirt. Wenn sie nach abgelaufenem [35] Leben noch einmal hätte zu leben anfangen sollen – sie würde durchaus kein anderes Leben gewollt haben, so schön war ihr Schlafleben. – Ihre Krankheiten verschlief sie, und nach späten Jahren sagte man im Geist und in der Wahrheit von ihr: sie sey nicht gestorben, sondern eingeschlafen. Sie ruhe wohl – –!

Bei der


Legende vom ungebornen Unglücklichen


will ich mich kürzer fassen. Der ungeborne Unglückliche kam glücklich auf die Welt und war ein allgemein geliebter, schöner und fester Junge, der überall auf Händen getragen und gestreichelt wurde. Sein Milchbruder, der Sohn seiner Amme, brach in seiner Gesellschaft dreimal den Fuß und siebenmal den Arm, ward aber allemal so wohl geheilt, daß man bei jedem Bein- und Armbruche Gottlob! sagte, weil es nicht der Hals war. Unser Unglücklicher zerbrach sich nichts und auch nicht den Kopf, indeß wußte er mehr als seine Kameraden; es kam ihm alles im Spielen. Die Eltern, welche wegen der Prophezeiung den Knaben fast aufgaben, wurden bei ewigen außerordentlichen Glücksfällen dergestalt überrascht, daß sie zu glauben anfingen, die Drohung der Fingerlein hätte einen verborgenen Sinn, und die Bangigkeit, die sie der Mutter und dem Vater des Ungebornen halber auferlegt, wäre die einzige Strafe, die man beabsichtigt hätte. Auf den grünen Auen dieses süßen Traumes weideten sie sich so lange, bis ein irrender, ein landfahrender Philosoph – oder Scholasticus ambulans, wie sie zu unsrer Väter Zeiten genannt wurden, und deren es oft so viele wie der irrenden Ritter, aber weniger als der ewigen Juden (Juifs errants) gegeben haben soll – diese Straße zog unfröhlich. – Da sein Beruf bloß dahin ging, alles, was guter Dinge schien, zu betrüben, so erzählte er den in ihrem Glauben beglückten Eltern die Geschichte des Polykrates, dem alles gelang, und der, als sein [36] Freund Amasis, weiland König in Aegypten, ihn ersuchen ließ, seinem Glück einen etwas bittern Geschmack zu geben, seinen köstlichen Ring ins Meer warf, nicht um mit diesem, wie die Dogen von Venedig, eine Art von Liebesverbündniß einzugehen, sondern um sich etwas, das ihm werth war, zu entziehen. Siehe da! nach einigen Tagen erhielt Polykrates einen Fisch zum Geschenk, der, als aus ihm eine stattliche Fastenschüssel bereitet werden sollte, dem glücklichen Polykrates den Ring, den er verschluckt hatte, mit den harten Zinsen seines eigenen Lebens wiederbrachte. Amasis, der viel zu klug war, es mit einem so glücklichen Freunde länger zu halten, kündigte ihm das Capital seiner Freundschaft auf, und das Ende vom Glücksliede war ein schrecklicher Tod am Kreuze, obgleich die Tochter, die ein Traum unterrichtete, den glücklichen Vater vergebens warnen ließ, sich nicht unglücklich zu machen. – Wer nicht zuvor glücklich ist, kann nicht unglücklich werden, fügte der schwarze Magus hinzu, und verstreute so viel sieben Sachen über Glück und Unglück, daß das erstaunte Elternpaar den Entschluß faßte, die Vorsehung nicht um Glück, sondern um Unglück zu bitten. – Das Glück, sagte er, ist eine Katze: es kratzt, wenn es leckt; eine Spitzbübin: es stiehlt dort dem verdienten Manne Geld und Gut, um es dem unverdienten zuzuwenden; – es ist ein Glas, das, eben wenn es recht fein und reizend ist, am leichtesten und gemeiniglich in froher Gesellschaft bricht, wenn man mit Wohlgefallen trinken will. Schade um den schönen Wein, der hierbei verschüttet wird! – Wißt ihr nicht die Geschichte des Sesostris, Königs in Aegypten? Er hatte einen Wagen, worin Jupiter zu sitzen, sich nicht hätte schämen dürfen, und den er von vier Königen ziehen ließ. – Phöbus ausgenommen, wer hatte je ein besseres Fuhrwerk? Da eins der vier Königpferde mit unverwandtem Blick die Räder ansah, wollte Sesostris wissen, was an diesem, aus Elfenbein, Gold und Edelsteinen bestehenden Wagen [37] seine Aufmerksamkeit reize, und erhielt zur Antwort: Ich sehe den schnellen Umlauf der Räder, woran das höchste sobald das niedrigste wird! – Was that Sesostris? Er ließ ausspannen. – So schnell, setzte Magus hinzu, so schnell, wie ich anspannen lasse. Alles Bittens ungeachtet, ein Glas süßen Wein für diese bitteren Wahrheiten aus einem ehrenfesten Glase zu trinken, und Zuckerzwieback statt der bittern Salze seiner Rede, zu genießen – setzte dieser ewige Jude seinen Stab weiter, welches er durch den bildlichen Ausdruck anspannen andeutete.

Diese Lehren schlugen das Elternpaar gewaltig nieder; besonders schwebte ihnen das Kreuz, an welches Polykrates geschlagen worden, unablässig vor Augen. Sie ermahnten ihren Sohn, den sie nicht lieben wollten und eben darum desto inbrünstiger liebten – und wer konnte umhin, es zu thun? Der Neid selbst hätte es gethan, dem es überhaupt wenige oder gar keine Mühe kostet, glückliche Leute zu lieben, wenn er gewiß weiß, daß sie über ein Kleines unglücklich seyn werden. – Ob man das zuweilen wissen könne? Ich glaube, ja!

Das Polykratische unseres Unglücklichen dauerte sehr lange. Er ward Soldat, und sein Vater beförderte seinen Entschluß, weil es eben einen großen Krieg gab, damit eine Kugel ihn treffen und das Kreuz von ihm abwenden möchte. Tausend fielen zu seiner Rechten, und Tausend zu seiner Linken. Er stand, schlug Feinde und Freunde, und spielte den Meister, wo sein Auge und sein Schwert sich hinneigten. In kurzer Zeit brachte er es bis zum Feldherrn. Seine Nebenbuhler fielen, wie die Fliegen im Zimmer des Kaisers Domitian, oder zogen sich auf ihre Landhäuser zurück, da sie wohl merkten, daß sie mit einem solchen Manne nicht Schritt halten konnten. Sein Weib war so liebenswürdig und so treu, daß kein Fähnrich es wagte, ihren Reiz anders als in Gedanken zu bewundern. Als er siebenmal sieben Jahre alt war, [38] kam sein böses Stündlein! Sein liebenswürdiges Weib sank in eine unerklärliche Schwermuth. Sie glaubte, ihr Mann wolle sie heimlich vergiften; – und da sie von dieser schrecklichen Idee nicht abzubringen war und sich ihretwegen alles Genusses von Speise und Trank enthielt, so starb sie unter bitteren Klagen über ihren Ehemann, den sie so herzlich geliebt hatte. – Seine Tochter, der Abglanz det Mutter an Leib und Seele, ward von einem Jüngling geliebt, dessen Verstand und Schönheit aller Augen auf ihn zog, und der ein so getreuer Verehrer seiner Vielgeliebten war, daß alles, was lieben wollte, sich auf dieses Paar, als das Ideal reiner Liebe, bezog. – »Liebt euch, so wie Hans Greten,« sagten die Schönen; und die Jünglinge: »so wie Grete Hansen« – und siehe! Vater und Tochter werden an Einem Tage krank – und die Tochter durch die Blattern völlig entstellt, so daß nicht Gestalt und Schöne an ihr ist. Sie starb endlich nach ihrem Wunsche, dem ihr betrübter Liebhaber indeß auf keine Weise beitreten wollte; denn er betheuerte, daß die Blattern seiner Liebe, wie Unglücksfälle der Tugend, nur einen neuen Glanz beigelegt hätten. Der Vater vergaß seine Tochter, um den über ihren Hintritt verzweifelnden Jüngling zu beruhigen. Seine Kräfte nahmen seit geraumer Zeit von Tage zu Tage ab; jetzt schwanden sie von Stunde zu Stunde. Er machte ein Testament, wendete seinem Schwiegersohne sein ganzes Vermögen zu, und schien beruhigt zu seyn; allein leider nicht auf lange: – er erlebte das Unglück, daß sein Erbe seine Verlobung mit einer Dirne bekannt machte, die seiner und der Seligen so unwerth war. O, des Ruchlosen! Nicht einmal den so nahen väterlichen Tod abzuwarten! So vieler Liebe wäre ein weit minder gütiger Vater werth gewesen. Man sagte, die Dirne hätte zu diesem Drang Ursache gehabt. Der Vater schwankte ob er sein Testament ändern, oder diesen Undankbaren mit Großmuth strafen sollte. Er entschloß sich zum letzteren. Von aller Welt [39] und von seinem Schwiegersohne verlassen, hatte der Unglückliche noch einen einzigen Freund, der in Glück und Unglück ihm treu geblieben war; einen Freund, auf den seine Gattin, selbst in den Tagen ihres schwermüthigen Argwohns, nicht einen Argwohn hatte; einen Freund, der, wie er sicher annehmen konnte, auf seinem Grabe seinen Tod finden würde: seinen Hund; – und dieser wird wüthend. Ohne Hülfe? Allerdings. Er selbst muß das Todesurtheil über seinen Freund aussprechen. Ein Flintenschuß! – Es verstand sich in mehr als Einer Rücksicht von selbst, daß der Jäger ihm diesen Liebesdienst in freiem Felde erweisen würde; und, siehe da, unser Unglücklicher mußte diesen Schuß hören, den er gewiß mehr als sein Freund fühlte. – O! was ist da das Kreuz des Polykrates, welches das Elternpaar unseres Unglücklichen so erschreckte! Und der grausame Tod! – Will er denn durchaus nicht anders als ungebeten kommen? Unser Unglücklicher lebte und mußte leben, der Nachricht halber, daß der Bruder seiner Frau, den er todt geglaubt, in der größten Dürftigkeit in einem Gefängnisse schmachte, wohin ihn bestochene Richter hineingeurtheilt hatten B.R.W. Und eben, da der Unglückliche in der großen Noth war, sich noch einige Stunden Leben zu wünschen, eben da die Gerichtsdeputirten des Ortes sich schon versammelt hatten, ein Codicill diesem Gefangenen zum Besten zu verzeichnen, verlassen ihn Gedächtniß und alle Sinne, und so liegt er sieben und siebzig Tage, bis endlich der Tod allem seinem Elend ein Ende macht! Was fehlte zum möglich höchsten Gipfel des Unglücks? Daß er Gott läugne und die Hoffnung der künftigen Welt. – In der That, unser Unglücklicher starb zwei Jahre zu spät, und bewies auf eine schreckliche Weise, was außer dem schwarzen Magus viele Weise des Alterthums und neuerer Zeit behaupten: Das Glück des menschlichen Lebens läßt sich nur in der Sterbestunde berechnen.

[40] Doch es ist Zeit, die Familie mit an ihren Ort zu stellen, und zur Familie ohne und zu unserm Helden heim zu fliegen.

5. Sein Vater
§. 5.
Sein Vater

war der Hochwürdige und Hochwohlgeborne Caspar Sebastian des heiligen römischen Reiches Freiherr von Rosenthal und des heiligen Johanniter-Ordens Ritter, so daß mithin zweimal heilig in seinem Titel vorkam. »Geheiligt werde sein Name,« pflegte er in den Tagen des Glücks zu sagen und vor sich selbst ein Knie zu beugen. Zur Scheinheiligkeit hatte er nicht die mindeste Anlage, wozu sein eben nicht splendider Kopf ihm auch keine Dienste geleistet haben würde, indeß war es eine besondere Heiligung, der er, nach dem Ausdruck seines Geistlichen, nachjagte, wovon unten eine genaue Beschreibung vorkommen wird. Es war im ganzen Leben unsres zweimal Heiligen nichts merkwürdigeres vorgekommen, als der Ritterschlag, und eben darum hatte dieser Vorgang einen außerordentlichen Eindruck auf Seine Heiligkeit gemacht. Seine Feinde nannten diesen Eindruck: blaue Flecken. Unser Freiherr war so wenig in guten Glücksumständen, daß man vielmehr, ohne eine Unwahrheit zu begehen, das gerade Gegentheil von ihm behaupten konnte; doch waren die Fingerlein an dieser seiner Lage völlig unschuldig. Sein Vater hatte durch lateinische, das ist, einfältige Wirthschaft, viel eingebüßt; und da sein Herr Sohn auf der Akademie seine Stiefeln, gewichst und von der alten Weise seiner Ahnherren und Ahnfrauen schnöde abgewichen war, so kostete beiden das Latein sehr viel. – Wenn es meine Art wäre, abzuschweifen, so würd' ich hier fragen: warum man einen schlechten Wirth, so wie einen schlechten Reiter, einen lateinischen nenne? Warum nicht, wenn doch eine alte Sprache hier ins Spiel kommen soll, einen [41] griechischen? und antworten: weil die Herren Geistlichen, welche (besonders die von einer gewissen Kirche) es nicht über das Latein gebracht haben, sowohl schlechte Reiter, als schlechte Wirthe sind; allein ich gehe weit lieber dergleichen Nebendingen aus dem Wege, um nur desto kürzer und einfältiger zu seyn. – Eins der freiherrlichen Güter, und bei weitem das vorzüglichste, stand in Subhastation, und niemand wollte weiter auf dieses so sehr verschuldete und vernachlässigte Gut zwei Drittheile der darauf haftenden Schuldenlast bieten, oder, wie man es nannte, aus Bein binden. Kurz, es ging mit des heiligen römischen Reiches Freiherrn völlig auf die Neige, als er zum Ritterschlage aufgefordert ward. Einige silberne Gefäße, die von urururalten Zeiten von einem von Rosenthal auf den andern gekommen waren, mußten, so wie jene silbernen Apostel, in alle Welt gehen. Da dieses unter der Hand geschah, und die silbernen Gefäße der alten Form halber in der modischen Welt zu weiter nichts als zum Einschmelzen gebraucht werden konnten, so trug ein jeder dieser beiden Umstände noch obendrein zum wohlfeileren Preise das seine bei. Die Pächter mußten zum voraus ihre Arrende berichtigen, und den Kirchen und Hospitälern lieh der Freiherr auf Handschriften die Vorräthe ab. – Mit diesem Gelde, aus wenigstens fünfzehn Kassen, trat er seine Reise zum Ritterschlag, nicht nach dem gelobten Lande, sondern nach Sonnenburg an. Sonne und Burg waren ihm schon einzeln ein Paar ehrenvolle Wörter; als doppelte Schnur rissen sie nicht. Der Kandidat zur heiligen Ritterschaft hatte, aller seiner Rechnungssorgfalt ungeachtet, doch seine Rechnung ohne Wirth gemacht, und sah sich nothgedrungen, in Berlin auf einer hohen Schule, wie er es nannte, Credit zu suchen, den er auch, wohl zu verstehen, auf seiner Rückreise, bis auf 900 Rthlr. bei einem Juden gegen ansehnliche Zinsen fand. Ihm schien dieser Umstand ein Beweis, daß die Zeit kommen würde, in welcher das Kreuz diesem Voll nicht mehr ein Aergerniß [42] seyn, sondern es auch bekehrt werden und leben würde, so wie er dagegen von der Härte der christlichen Banquiers auf die je länger je mehr erkaltende christliche Liebe keinen ungründlichen Schluß zog, indem er sich hinreichend überzeugte, daß bei so wenig christlichem Lebenswandel es wohlverdienter Lohn wäre, wenn der Leuchter von her heiligen Stätte genommen würde. So beschwerlich ihm nun auch hieß Geld-Negoce geworden war, so kam ihm doch das Kreuz als kein unbedeutender Cavent vor, der ihm wenigstens bei Juden Dienste leisten könnte. Es gab Rechtsconsulenten, die immer einen Zeugen bei der Hand hielten, und ohne diesen Helfershelfer keinen Schritt thaten – warum sollte ein Kreuz nicht als Bürge dienen? Diese Caution indeß fing in Berlin an, und hörte in Berlin auf, da in seinem Vaterlande weder Christ noch Jude weiter einen Thaler auf sein Kreuz borgen wollte. In gerechtem Grimm sah er alle Leute, die ihn mit einer abschlägigen Antwort kränkten, für Ungläubige und Türken an, die er gern mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben würde, um sich das gelobte Land ihres Vermögens zuzueignen, wenn er nicht die Justiz, der man den Beinamen heilig (wiewohl spottweise) beilegt, gefürchtet hätte. Seine Unterthanen nannten den neuen Ritter: Kreuzige ihn, kreuzige ihn! Und es muß ein förmlich komischer Anblick gewesen seyn, als ein altes Mütterchen sich zuvor ein Kreuz, wie beim: das Walte, schlug, eh' es sich herausnahm, dem Hochwürdigen Herrn den untertänigen Glückwunsch abzustatten. – Wahrlich, das Scherflein dieses alten Mütterchens galt mehr als alle Produkte der Redekunst, welche Sokrates und viele andere Weisen der alten und neuen Zeit gar richtig die Kunst zu betrügen nannten. Gern hätte unser Ritter dieser Kreuzschlägerin ein Trink- oder Stecknabelgeld gereicht, wenn er es gehabt hätte. Einer seiner witzigen Nachbarn, den er vergebens um Geld angesprochen hatte, war so dreist gewesen, ihn den Schächer am Kreuz zu [43] nennen; ein andere hatte sich des satyrischen Ausdrucks bedient: er wäre geschlagen, ja wohl recht geschlagen; und man sagt, daß diese Spottreden ihn bis zur Verzweiflung gebracht haben würden, falls er nicht in seinem Kreuz auch seinen Trost gefunden hätte. Recht ritterlich rang er, in seiner Burg eine Sonne von allerlei Anspielungen auf den Ritterschlag anzubringen; allein es fehlte ihm, wie man sagt, am Besten, am unwürdigen, am leidigen Gelde. Zu diesem Kreuz anderer Manier kam, wie doch überhaupt kein Leiden allein bleibt, sondern Gesellschaft sucht und findet, noch eine ganze Menge anderer Trübsale. Seine Güter sollten wirklich veröffentlicht werden. Einer seiner Nachbarn hatte ihn höchst unbefugt wegen seiner Grenzen in Anspruch genommen, und er würde, bloß weil er keine Kosten zum Rechtsstreit anwenden konnte, die Sache, mit ihr aber ein Hauptstück seines Gutes, eingebüßt haben. So ängstigten ihn auch einige Handwerker, und unter diesen besonders ein Schneider, der ihm ein Ordenskleid gefertigt und alle Auslagen gemacht hatte; und, was mehr als alles war, so kam der berlinische

6. Wechsel
§. 6.
Wechsel

in die Hände eines christlichen Banquiers in –, der über die Vorrechte des Wechselrechtes die Würde unseres Freiherrn so tief vergaß, daß er ihn zum Spaß den Wechselbaron hieß, indeß in seinem Mahnbriefe ihm alle Gerechtigkeit erwiesen zu haben glaubte, indem er ihn Ew. Edlen nannte. »Ueber den Dummkopf!« sagte der Ritter; »Edel! der Teufel ist edel!« Er war fast ärgerlicher, daß der Banquier das Hochwürdig ausgelassen, als daß er ihn mit den Folgen des holländischgroben Wechselrechtes bedroht hatte, welche nichts geringeres als [44] der persönliche Arrest sind. Nach einigen Tagen legten sich diese hochwürdigen Wellen, und unser besänftigter Ritter enschloß sich, die

7. Antwort
§. 7.
Antwort

Sr. Edlen selbst zu überbringen, um die unedlen Folgen des Wechselrechtes von sich abzulehnen. Wahrlich, dieser Gang war so glücklich, wie jener der neugierigen Baronin an das Schlüsselloch unglücklich ausfiel. Unser Ritter war so wenig ein Schächer seinem Körper nach, daß der naseweise adelige Nachbar mit diesem Ausdruck bloß auf seine Glücksumstände, und, wie mich dünkt, sehr uneigentlich, angespielt hatte; und da er sein Kreuz sehr wohl zu legen wußte, dem unbezahlten Kleide es auch nicht anzusehen war, daß der Schneider noch ein Laus Deo in Händen hatte, es vielmehr ihm links und rechts nicht übel stand: so ging es mit ganz natürlichen Dingen zu, wenn unser Wechselbaron sogleich in den Saal genöthigt wurde, wo er, in Abwesenheit des Wechslers, dessen Frau und eheleibliche Jungfer Tochter, auch noch obendrein ein altes Frauenzimmer von Adel, die alle Sonn- und Festtage bei unserm Banquier einen Freitisch hatte, antraf. Dem zweimal heiligen Ritter blitzte die eheleibliche Jungfer Tochter, so sehr ins Auge, wie dieser das ritterliche Kreuz die Augen blendete oder brach. Kurz, sie verliebte sich schon in einmal Heilig, und das zweite diente dazu, dieß Feuer zu einem vollen und herzgefährlichen Brande zu verstärken. Mama fand, den Ritter so fein und lieblich, daß sie selbst, wenn es Gottes Wille gewesen wäre, ihn geehelicht haben würde. Nur der Freitischdame stieg das adeliche Blut, sobald sie den Ritter sah, sympathetisch ins Gesicht, weil sie sich herabgewürdigt fühlte, ihr Brod bei Sr. Edlen zu essen. Der alte Wechsler ward von diesen drei Grazien belagert, und er mochte wohl ob übel wollen, er mußte durch die Finger sehen. Die [45] Fristen, die unser Ritter wegen des Wechsels sich persönlich erbat, sahen die drei Grazien als so viele sinnreiche Erfindungen der Liebe an. Der Banquier ward durch das sehr höfliche Betragen des Wechselbarons selbst nachgiebiger, so wenig er sonst das Wort: Nachgabe kannte; er ließ sich indeß, Lebens und Sterbens wegen, noch eine besondere Schrift, und, weil er mit einem Baron zu thun hatte, auf Stempelpapier ausstellen, worin dieser ausdrücklich stipuliren mußte, auch die Verzögerungszinsen mit – vom Hundert bankbarlichst zu getreuen Händen berichtigen zu wollen. Der Emsige fand, wie er sich sonst erklärte, keine Bedenklichkeit, Zehn von Hundert zu nehmen, da selbst der Gott Abrahams und Isaaks sich durch den Erzvater Jakob den Zehnten oder zehn Procent versprechen lassen (1. B. Mose 28, 22). Indeß begehrte er vom Wechselbaron keinen Pfennig über die landesüblichen Zinsen. – Ob sich nun gleich nicht läugnen läßt, daß die Liebe allemal und in alle Wege (und wie man zu sagen pflegt:stock-) blind ist, so soll sie es doch, wenn man in ein Kreuz verliebt ist, noch mehr als gewöhnlich seyn. Die eheleibliche Jungfer Tochter war sterblich oder bis zum Tode in unsern Ritter verliebt, und auch er hatte aus der Noth eine Tugend gemacht. So wie die Noth vieles lehrt, so lehrte sie auch hier ritterliches Fleisch und Blut kreuzigen und sich bis zur ehelichen Zuneigung zu einer Bürgerlichen herablassen. Daß übrigens die Freitischdame zu dieser

8. Ueberwindung
§. 8.
Ueberwindung

sehr viel beigetragen, bedarf noch einer näheren Auseinandersetzung. Sie ward, da sie, der Sage nach, noch Fräulein war, und die Bürden des ehelosen Standes aus der ersten Hand kannte, von der baronlustigen Mutter zur Unterhändlerin erkoren.

[46] »Glauben Sie denn, Baron, daß mir der Freitisch an Sonn- und Festtagen nicht Ueberwindung kostet?«

Desto schlimmer! Geschieht dieß am grünen Holz. – Der Schluß vom Freitisch an Sonn- und Festtagen auf alle Tage – und vom Tisch aufs Bett. Mann und Weib sind ein Leib!

»Recht Baron! Ein Leib mit Ihnen, und in, mit und durch Sie – adelich –«

Freiherrlich, wollen Sie sagen. – Wahr –!

»Wahr, und –?«

Aber auch ritterlich?

»Sie bleiben Ritter nun und in Ewigkeit.«

Und die ritterfähige Nachkommenschaft halten Sie für nichts? –

»Ein jeder für sich, Gott für uns alle.«

Sie sind Fräulein –

»Weiß aber, was Nachkommenschaft sagen will –«

Will nicht hoffen –

»Die Liebe ist blind«

Bei Argusaugen, um Geld zu sehen.

»Noth bricht Eisen« –

Kleinigkeit! – Auch den Willen sollte sie brechen! Ach! auch den Willen, wenn er uns verräth und verkauft. – Was ist Eisen gegen Willen? Mit der linken Seite liebt unser einer, was und wie viel er will; gilt es aber die rechte – ha! wird da nicht der Fürst Unterthan?

»Gingen nicht auch Regenten ins Kloster –?«

Wir gehen alle zu Bette, wenn wir des Tages Last und Hitze getragen haben.

Ein dergleichen langes und breites Für und Wider fiel unter dem Fräulein und dem Baron vor, die bei aller Wechsel- und Freitisch-Abhängigkeit sich doch so himmelweit über das Haus Sr. Hoch-Edlen empor hoben.


[47] Noch ein Körbchen dergleichen Brocken.


Ritter. Ein wahrer Fall Adams! Weg ist das göttliche Ebenbild, das einmal Heilig.

Fräulein. Die Menschen leben im Stande der Sünden, immer noch artig genug –

Ritter. Ach Fräulein! in mir fallen alle meine Descendenten bis an den jüngsten Tag!

Fräulein. Schrecklich! Doch wer kann Ihren Nachkommen bis an den jüngsten Tag das heilige römische Reich nehmen–? – Wer Ihren Kindern den Vater?

Ritter. Gilt er beim Ritterschlage ohne Mutter?

Was zu machen? Mit den heißesten Thränen bedauerte das Fräulein diesen betrübten Sündenfall. – Der Apfel war schön und der Wechsel fällig. – Wechselschuld, sagte die Freiwerberin, ist freilich nicht Blutschuld; doch hab' ich es von vornehmen Verwandten, daß es hier wie im Himmel zugehe, wo kein Ansehen der Person ist, und wie in der Hölle, wo alles in Ein Gefängniß kommt und Hoch und Niedrig Einegeschlossene Gesellschaft ausmacht. Der Ritter hatte sich von dem Freitischfräulein keine solche theologische Beichtandacht versehen, und in der That spielte es die Freiwerberrolle auf eine Art, wie sie so leicht nicht gespielt worden ist. Der zweimal Heilige ward am Ende durch diesen Wortwechsel vollständig überzeugt, daß, wenn gleich seine Nachkommenschaft auf das eine Heilig Verzicht thäte, und der Kasten Noä und die sitzende Jungfer (ein paar Familienhieroglyphen) gröblich befleckt würden, ein verfallener Wechsel dennoch alle diese hochfreiherrlichen Vorzüge überwiege; und nach genau angestellter Subtraction brachte der Ritter, ohne Wechsler zu seyn Summa Summarum heraus, daß er in diesen sauren Apfel heißen und das Paradies verlassen müsse. Auch außer dem Paradiese leben Menschen, und hinter dem Berge wohnen Leute. – Sein Stolz [48] überredete ihn, daß es nur auf sein herablassendes Ja ankäme. Wie könnten wohl, dachte er, eine eheleibliche Jungfer Tochter und ihre eheleibliche Familie einem freiherrlichen Ja widerstehen? Der Banquier, welcher auf der Börseder Emsige hieß (Spötter nannten ihm dieAmeise), hatte seine Tochter Sophie (dieß war, zu nicht geringer Kränkung unseres Ritters, ihr einziger, noch dazu ziemlich alltäglicher Name) mit Herzen, Mund und Händen seinem lieben getreuen Nachbar und deßgleichen, einem fürnehmen und berühmten Kauf- und Handelsmann, zugewandt, verschrieben und zugesichert, der Valuta baar besaß und dem auch, genau genommen, nichts weiter abging, als das Johanniterkreuz, welches auf das Wechselnegoce und den Cours, wie der Emsige wohl wußte, keinen Einfluß hat. Die Ehefrau der Ameise war indeß mit dieser Verbindung desto zufriedener, und das Sonn- und Festtagsfräulein hatte ihre Rolle so vollgültig gemacht, daß kein Hefen von Bedenkkeit zurückblieb. Der Umstand, daß der Herr Bräutigam aus einer sehr alten Familie und sogar mit Fräulein – – man denke den Vorzug! – vetterlich verwandt war, schien Madame von entschiedener Wirkung zu seyn. Der Emsige hatte nun zwar die Wechseldreistigkeit zu behaupten, daß alle Edelleute von A und alle Bürgerliche von dam abstammten, und insoweit auch verwandt wären; indeß wußte das in der Heraldik und Genealogie nicht unerfahrene Fräulein ihm die Verdienste einer adeligen Abkunft so weitläufig und meisterhaft auseinander zu setzen, daß er vor lauter Ueberzeugung einschlief. – Sie erniedrigte sich zuweilen zur Probe, wenn sie allein waren, Madame und ihre Tochter Cousine zu nennen. Das erstemal, da dieser Name durchbrach und, wenn ich so sagen soll, durch das Schlüsselloch ausgesprochen wurde, war das Fräulein im Begriff, einen Haufen Holz von der neuen Cousine zu erbitten, den diese ihr denn mit zuvorkommender Freundschaft dreidoppelt bewilligte, so daß sie in drei Haufen ihre vetterliche [49] Zuneigung lichterloh brennen ließ. Ich wette, es wäre ihr Cederholz zugestanden worden, wenn sie es darauf angelegt und der Emsige nicht peremptorische Einreden dagegen gehabt hätte. Madam behauptete übrigens (weil der Emsige um die Hausregierung sich zu kümmern nicht viel Zeit hatte oder sich nahm) manchen Vorzug, den sie ihrem Eheherrn abgewonnen hatte; sie war größtentheils zum genere masculino übergetreten. – Ländlich sittlich – Madam verlangte auf den Grund dieses Vorzuges ein vollstimmiges Ja zur Heirath; indeß wußte er es doch, wiewohl mit genauer Noth, dahin zu bringen, daß man, statt dieser Förmlichkeit, sich mit bloßem Kopfneigen begnügte. Der GeistCaprizzio ist sauber und unsauber, je nachdem der Ort beschaffen ist, wo er einkehrt. In der Seele des Emsigen war er so unsauber, daß die Sauberkeit des Fräuleins Cousine dazu gehörte, alles ins Geleise zu bringen. »Wer sollte denken, Fräulein,« ließ der Emsige im Zorn sich aus, »daß Sie auch zu mäkeln verstehen?« Und ein andermal: »So wie ich meine propre (eigene) Handlung führe, so hätt' ich mir auch einen Schwiegersohn mit proprer Handlung oder wenigstens mit proprem Vermögen gewünscht.« – Cousine fing an, ihrer neuen Verwandten die Feile zu geben, und rieth z.B. der künftigen Frau Baronin, etwas weniger gesund zu seyn und sich rühmlichst einer blassen Farbe zu befleißigen. Ein gar zu gesundes Aussehen sey so unvornehm, sagte sie, daß es ins Bäurische falle. Das allerliebste Mädchen (das einen König hätte beglücken können, wenn er nicht eine Prinzessin zu ehelichen verbunden wäre), sollte sich Mühe geben, krank zu werden! Da indeß die Liebe eine Krankheit ist, so machte ihr diese Rolle keine große Mühe, wozu freilich die väterliche Begegnung, welche der mütterliche Trost nicht völlig unkräftig machen konnte, auch das ihrige beitrug. Ein merkwürdiges

9. Gespräch
[50] §. 9.
Gespräch

fiel zwischen dem Emsigen und Madam über das Kreuz vor, das ihren künftigen Herrn Schwiegersohn bezeichnete.

»Blind!« sagte der Emsige, da er den Abend seinen Posttag früher als gewöhnlich beendigt, und wegen eines gestrandeten, nicht verassecurirten Schiffes, das ihm im Kopfe noch einmal strandete, Verfügungen getroffen hatte: »blind! blind! blind!«

Wer blind? erwiederte Madam.

»Sophie blind! Du blind! Alles blind!«

Sophie? –

»Ja sie, sie und Du und die neue Cousine; der Baron hat euch Augen und Verstand ausgestochen –«

Und dir der leidige Geiz!

»Wer ist leidig!«

Du, der Nachbar und alle die nicht einsehen, daß der Baron –

»Arm wie Hiob ist, der aber sehr reich wurde, ohne daß er einem ehrlichen Manne seine Tochter stahl –«

Wenn die Mutter einen Schwiegersohn hat, bindet sie es eher mit ihrem Manne an, und erwartet von dem Schwiegersohn Unterstützung; als ob er ihr mehr, als dem Schwiegervater zugehörte. Der Emsige verstummte vor seiner Schererin, zuckte die Achseln, und sagte nach vielen Hin- und Rückreden auf eine kaufmännisch witzige Art: der Wechsel des Herrn Baron sey par onore di lettera bezahlt. »Lettera,« sagte die Frau Schwiegermutter, und verstand keinen Laut von allem, was ihr zu Ohren gekommen war. »Lettera!« beschloß der Emsige und knirschte mit den Zähnen. Wäre die Cousine dabei gewesen, sie hätte auch lettera gesagt, und keinen als der Emsige, der mit dem Kalbe des Wechselrechts gepflügt hatte, würde den Sinn dieser Redensart verstanden haben.

[51] Der Nachbar, fing der Emsige an, hat sich Leides gethan –

»Den Hals abgeschnitten?« fiel Madame ein.

Die Börse einmal versäumt, erwiederte der Emsige; und sie – fiel so in's Lachen, daß der Emsige aus der ganzen Connexion kam, und ein Punctum statt eines Comma's machte.

Bin ich denn nicht Vater? fing er zu einer andern Zeit an.

»Was das für eine Frage ist!« erwiederte sie, ohne sich über diesen Umstand weiter auszulassen. Es ward vielmehr eine so bedenkliche Stille, daß beide streitende Parteien es gern zu sehen schienen, als Fräulein Cousine, die sich eine kleine Bewegung gemacht hatte, damit der Abend dem Mittage nichts nachgebe, wie gerufen dazwischen kam. Das Gespräch fiel auf die

10. Hochzeit
§. 10.
Hochzeit.

Die Hochzeit ist die Zahl Zehn, sagte mir ein weiser Mann, und es wäre eine herrliche Sache, dergleichen Haupt- und Kernworte auf Zahlen zu bringen. Mir macht es eine nicht geringe Freude, daß der Vater meines Helden eben §. 10. Hochzeit hält. Der Bräutigam drang, nachdem der Emsige den berlinischen Wechsel (bis auf die Zinsenhefen, wie der Emsige sich ausdrückte) bezahlt und dem Herrn Schwiegersohn die Schuldverschreibung eingerissen zurückgegeben hatte, auf Ehebett und priesterlichen Segen. Der Emsige nannte diese beiden Stücke: Hochzeit; Madam und der Bräutigam: Beilager, an welchem Worte indeß der Emsige einen so großen Stein des Anstoßes fand, daß er sich des lautesten Unwillens über die galanten Greuel dieser letzten betrübten Zeit nicht enthalten konnte. Nach vielen weitschweifigen Deliberationen ward man über folgende Umstände eins, die der Rechtsfreund des Hauses zu Hauf brachte.

1) Das Beilager, alias Hochzeit, ist über sechs Wochen; [52] (Alias! seufzte der Emsige, als der Rechtsfreund sich bei diesem ersten Punkte räusperte.)

2) wird zum Andenken des Stammvaters Adam im Garten,

3) incognito,

4) ohne Klang und Sang gehalten.

5) Beide Hochverlobte treten in Adam-Evaische Gemeinschaft der Güter, damit eins dem andern nichts vorrücke, es mögen Capitalien oder Ahnen seyn. (Was Gott zusammenfügt, soll kein Ehepakt scheiden.)

6) Lieben einander bis in den Tod, und zeugen Kinder, die ihrem Bilde ähnlich sind von Rechtswegen für und für.

7) Der S.T. Nachbar wird ehrenhalber zur Hochzeit gebeten.

Ich wette, fiel die Frau Schwiegermutter bei S.T. ein, ich wette hundert gegen eins, er wird an diesem Tage die Börse nicht versäumen!

»Und kein Leichenbegleiter seyn wollen,« setzte der Emsige hinzu.

Dieser Incidentpunkt endigte das Protocoll des Rechtsfreundes, so daß mit der Sieben diese Punktation abgeschlossen ward. »Ein schlechtes Omen!« meinte der Emsige, da der Rechtsfreund die Feder zur Ruhe brachte. Was braucht es denn hier des Omens? erwiederte Madame.

Guter Emsiger, ziehe aus deine Schuhe, denn die Zahl Sieben ist heilig! – Hätte der Nachbar sich auf das Negociiren besser, als der Emsige auf die Zahl Sieben verstanden – Sophie wäre Madam Nachbarin und nicht Frau Baronin geworden für und für. Zu spät ließ er dem Baron die Valuta der Wechselschuld nebst den Verzögerungszinsen, und obendrein ein siebenmal so großes Capital, als Reukaufsgeld, wie er es nannte, anbieten. Zu spät, Freund Nachbar! die Sache ist zu weit gekommen. Doch machte der Baron von diesem Antrage nicht den mindesten Gebrauch zu seinem [53] Vortheil und des Nachbars Nachtheil. Fräulein Freitisch war die einzige Depositärin dieses Geheimnisses.

Die Hochzeitfackel ist fertig zum Anzünden, und es wird Zeit, daß wir uns auf eine Schüssel Gern gesehen, wie der Emsige sein bürgerlich zu reden pflegte, in dem Garten des Brautvaters vor dem Thore einfinden. Dieser so nothwendigen Kürze ungeachtet, muß ich den sieben Punkten des Rechtsfreundes noch hinzufügen, daß Madam und der Emsige bei dieser Eheangelegenheit ein siebenpünktliches Pactum dotale, freilich etwas spät im Jahr, indeß doch immer gültig, wiewohl ohne Rechtsfreund, abgeschlossen hatten. Nun und nimmermehr würde einer von diesen sieben Ehepaktspunkten zu Stande gekommen seyn, wenn nicht der Emsige sich hierdurch eine noch weit schwerere Last hätte abkaufen können. Es war auf nichts geringeres angesehen, als daß er, zur Ehre und auf Kosten seines adeligen Eidams, Commerzien-Rath werden sollte. »Warum nicht gar!« erwiederte er einem Schmeichler, der ihm vorschußweise diesen Namen beilegte. »Wo es Commerzien-Räthe gibt, da geht es mit dem Handel schlecht; und ist es Wunder, daß diese Herren nicht zum Handeln, sondern zum Rathen sind? – Weit lieber,« fügte er wohlbedächtig hinzu, »nach den Specien der hochedlen Rechenkunst Numerations-, Additions-, Subtractions-, Multiplications-, Divisions-Rath.« – In der That nicht sieben, sondern siebenzigmal sieben Punkte hätte unser Emsige eingeräumt, um dem Commerzien-Rath auszuweichen. Und die sieben Punkte?

1) Der Commerzien-Rath wird an seinen Ort gestellt, der wahrlich schon sehr voll ist.

2) Madam will nicht mehr Liebe Frau, sondern meine Liebe heißen. Er dagegen heißt nicht lieber Mann, sondern mein Lieber. – Anfänglich ward auf mon cher und ma chère bestanden.

3) Zu Hause bleibt das Band der Ehe unverletzt, in Gesellschaft [54] je länger, je lieber; wie Madam sich ausdrückte: je fremder, je angenehmer.

4) Die Tochter wird nach der Hochzeit die Baronin genannt, und

5) Der Schwiegersohn heißt nicht Herr Sohn, sondern Herr Baron.

6) In Abwesenheit werden sie der gnädige Herr und die gnädige Frau prädicirt.

7) Das Wort: Wechsel, wird sorgfältig vermieden, und alles mit dem Mantel der christlichen Liebe bedeckt.

»Wo nur ein Mantel helfen kann!« fiel der Emsige ein; und so ward auch diese Punktation mit der bösen Sieben beschlossen.

Wieder Sieben! fuhr der Brautvater erschrocken auf. Wenn es nur nicht ein Trauermantel wird! setzte er mit einer Betrübniß hinzu, die allen auffiel. Die Tochter sah ihn zärtlich an, die Mutter war stumm. Das unbedeutende Wort Trauermantel traf sie so, daß man sagen konnte, sie sey auf der Stelle geblieben. Es gibt solcher Art Worte, die man zur Erkenntlichkeit Schlagworte nennen könnte; und man kann sicher glauben, daß viele Leute an dergleichen Worten sterben – sie wissen nicht wie. – Sieben Tage vor der Hochzeit klagte Madam über Kopf weh. Der Emsige, den sonst dergleichen Zufälle seiner Lieben, als sie noch seine Frau war, sehr zu interessiren pflegten (falls sie nicht so ungezogen waren, ihm an einem Posttage beschwerlich zu fallen), blieb, da jetzt zweimal sieben Punkte ihn beugten, bei der gegenwärtigen Kophfkrankheit seiner Lieben gleichgültig; und ohne ihr, wie sonst, Hofmanns Lebensbalsam auf Zucker zu träufeln oder ihr einen Aderlaß in Vorschlag zu bringen, ließ er der Krankheit freien Lauf, wie er bis jetzt im Durchschnitt seiner Lieben überhaupt freien Lauf hatte lassen müssen. Den zweiten Tag vor der Hochzeit konnte sie sich weiter nicht auf den Beinen halten; sie legte sich, [55] und ob es gleich ihrem Manne nicht in Sinn und Gedanken kam, Aufschub der Hochzeit zu verlangen, so kam sie doch diesem Gedanken weislich zuvor, weil der Herr Schwiegersohn von keinem Aufschub hören und wissen wollte. Madam ließ den Emsigen vorladen. Er erschien; und eh' er noch Zeit hatte, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, versicherte sie ihn hoch und theuer, daß sie sich von Minute zu Minute erhole. Desto besser! Denn, dacht' er, ohne es zu sagen, die Opferthiere sind geschlachtet und alles bereitet. »Du bist feuerroth im Gesicht, liebe« – liebeFrau, wollt' er sagen, strich aber Frau punktationsgemäß aus. Sie schwieg.

Den heiligen Abend vor der Hochzeit um 7 Uhr Morgens ließ Madam ihren Mann nicht vorladen, sondern bitten.

Ich sterbe, lieber Mann! sagte sie, da sie ihn sah; ich sterbe! »Gott im Himmel! Du stirbst?« erwiederte der Emsige, und vergaß die zweimal sieben Punkte und alle bösen Sieben, die über ihn ergangen waren. – »Du stirbst?« – Ich sterbe, und Dich segne Gott, und lohne Dir alles, alles! Vergib! – Hier vertraten Thränen ihr den Ausdruck. Herzlich nahm der Emsige die Hand seiner Lieben, die nun so ganz wieder seineFrau war. »Ach, sagte sie, vergib!« – Alles, erwiederte er, und stieß selbst das Wort Wechsel, das unzeitig sich vordrängen wollte, von seiner Lippe, so daß es bebend heimging. – O des theuren und werthen Wortes: Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden! sagte Madam. – »Und keine Wechselstellen,« wandelte den Emsigen an hinzuzufügen; indeß wußte er zeitig genug seine Zunge zu zähmen, und nicht bloß seine Lippen, sondern auch sein Herz rein zu halten, alle arge Gedanken bis auf jeden letzten Heller derselben aus seinem Gemüthe zu verstoßen, so daß er ihr keine einzige Sünde behielt. – Nur den Löseschlüssel hatte er in seiner Hand. – Sie weinten[56] beide. – Wer hätte das dem Emsigen zugetraut! Der Kaufmannsstand hat in der ganzen Welt etwas von der Manier der Holländer. Wenn Mann und Frau in Holland, will's Gott! dreißig bis vierzig Jahre Thee zusammen getrunken haben, so wird keins von beiden, falls Gott Eins lieber hat, je nachdem es gut oder böse war, sich freuen oder betrüben. Was Zuneigung und Liebe heißt, gehört in Hinsicht der Kauf- und Handelsmänner auf der Börse zu Hause, wo sie mit Inbrunst, Herzensbeklemmung und einer Art von verliebter Exstase zittern und froh sind, vor Empfindung verstummen oder beredt werden, schwer oder leicht Athem holen, seufzen oder jubeln, sich die Hände reichen oder wegstoßen – Als Braut und Bräutigam zu der Sterbenden wollten, war sie in Verlegenheit; und, siehe! selbst ihre Tochter wollte sie in den letzten Lebensaugenblicken nicht bei sich haben. An den Baron war vollends nicht zu denken; ihr lieber Mann allein sollte sie nicht verlassen noch versäumen. Die Tochter nannte sie, wie ehemels, Sophie, und hatte sie gestern und ehegestern und seitdem sie zu sterben glaubte, ermahnt, ihrem Vater gehorsam zu seyn bis in den Tod! Der Emsige hatte bei sich geschworen, alles anstäßige, und vornehmlich das Wort Wechsel, zu vermeiden; indeß entfuhr ihm doch hieß confiscirte Wort, und lichterloh war es zu bemerken, wie der Sterbenden vor dieser losen Speise ekelte. Vergib! war ihr letztes Wort, nachdem sie kurz vorher den Nachbar zu grüßen gebeten hatte. – Dieser Hartherzige blieb den Dank schuldig; er hätte danken sollen! Er vernahm ihre Reue, und hoch vergab er nicht; vielmehr war er so bitterböse, daß ich fast glaube, er wird den Himmel verbitten, wenn Madam sich dort aufhält. – Viel würd' er dabei nicht einbüßen, weil dort ohne Zweifel keine Börse ist. Ob der Himmel verlieren wird, ist noch weniger die Frage. – Freilich war es die Sterbende gewesen, die dem Nachbar Hoffnung zur Hand ihrer Tochter gemacht, ehe [57] beide den Stern gesehen hatten. Darum aber einer Sterbenden zu fluchen! Hat Sophie verloren, daß sie nicht Frau Nachbarin ist? Ich glaube nein. Der Emsige, der an sich ohne alle Beobachtungsfähigkeit war, verwunderte sich höchlich, daß seine liebe Frau sich nur auf eine allgemeine Beichte einließ. Freund, die allgemeine Beichte liegt in der Natur des andern Geschlechtes. – Er hätte vielleicht Ursache gehabt, über das Wochenbett, wodurch er rechtskräftig zum Vater der freiherrlichen Braut erklärt ward, sich einige Aufschlüsse zu erbitten, worüber, wie es hieß, viel zu sagen wäre; doch fiel es ihm nicht ein, es auf eine dergleichen Ohrenbeichte anzulegen. Sie blieb ihm unter den Händen. Der Emsige, der während seines ganzen vieljährigen Ehestandes beständig sich ein Auge zugedrückt hatte, drückte jetzt seiner lieben Frau, mit einem völlig ausgesöhnten Herzen, beide zu, und kam mit einem Gesicht, das malerisch war, zu den Verlobten. Sie ist todt, sagte er. Die Tochter weinte und gab sich Mühe, durch das Johanniterkreuz sich aufzurichten, welches ihr indeß durch das mit Thränen bedeckte Auge so reizend nicht dünkte. Der Emsige dachte gewiß an seinen Tod, auf daß er klug würde; sonst hätte er nicht so kenntlich den Zug im Gesichte stehen lassen, der so laut sagte: Friede sey mit euch! Es ward eine Conferenz angezettelt, ob die Hochzeit aufgeschoben werden sollte. Der Baron drang auf Nein, da die Hochzeit still, ohne Klang und Sang wäre. Der Emsige trat bei: wir wissen warum. Die Braut schien zwar nicht völlig unzufrieden, daß die Pluraliät schon vorhanden war, ohne daß sie ihr Votum abgab; sie hatte indeß ihre Mutter zärtlich geliebt, und würd' es eben so gern gesehen haben, wenn die Aussetzung der Hochzeit per plurima wäre entschieden worden. Dessen ungeachtet ward beliebt, das Consilium des Geistlichen, der die Seelenangelegenheiten des Hauses besorgte, einzuholen. Dieser Ehrenmann fand es bedenklich, daß Madam ohne sein Vorwissen und [58] seine Genehmigung die Zeit mit der seligen Ewigkeit verwechselt hatte; aber nachdem ihm der leidtragende Herr Wittwer zu verstehen gegeben, daß der Tod, ohne sich melden zu lassen, gekommen (à la fortune du pot, würde das alte Fräulein gesagt haben), und daß die Selige in den Worten: »Herr, lehre mich bedenken, daß ich sterben muß, auf daß ich klug werde!« viel Heil und Segen gefunden, so schien der Hausgeistliche diese Worte auch auf seinen selbsteigenen Seelenzustand zu nutzanwenden, und begnügte sich sein säuberlich (in Miterwägung, daß er seine Gebühr schon bei der Trauung einholen könne), dem entseelten Körper auf dem Leichenbrette und nachher in der Erde eine sanfte Ruhe, und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferweckung zur Auferstehung der Gerechten zu wünschen. »Ihre Seele,« fuhr er fort, »ist in Gottes Hand, und keine Qual rührt sie an.« Keine Qual rührt sie an, wiederholte der Emsige, und sah dem Baron, ich glaube ganz von ungefähr, ins Gesicht. In der Hauptsache eröffnete der Herr Gewissensrath, nachdem ihm der Casus vom Vater und Bräutigam uno ore vorgetragen worden war, seine Meinung praemissis praemittendis dahin: dieweil Ehen im Himmel geschlossen würden, die selig verstorbene Brautmutter nächstdem auch, wie wir nach der Liebe hofften, sich in den fröhlichen Wohnungen der Gerechten befände, und christliche Todesfeier weit eher ein Freuden-, als ein Trauerfest wäre, sie auch selbst den Tag der Hochzeit gewußt und ihn sogar besorgt hätte, so daß man ihn in gewisser Rücksicht als ihren letzten Willen ansehen könne: so sey nichts unbedenklicher, als ohne Aufschub die Hochzeit zu feiern. Die Aegyptier, fuhr er fort, hatten die Gewohnheit, ein Todtengerippe bei ihren Gelagen aufzustellen; und wenn man der Sache näher tritt, so war außer diesem theatro anatomico der Magen das zweite, theatrum anatomicum, und ist es noch! – Man merkte aus allem, daß der Baron den Herrn Gewissensrath schon [59] zu diesem Voto vorbereitet und ihm mit vollwichtigen Gründen an die Hand zu gehen nicht ermangelt hatte. Den Emsigen würden diese geistlichen Ursachen sicherlich nicht überzeugt haben, wenn nicht seine Ochsen und sein Mastvieh geschlachtet gewesen wären; und so ging denn die Hochzeit vor sich, und der gute Prediger mischte essentia amara und essentia dulcis, Tod und Hochzeit, um doch hier und da auf die veränderten Umstände Rücksicht zu nehmen, wie ein Spiel Karten unter einander, so daß man nicht wußte, was Trumps und wie man geschoren war. Einer seiner Collegen, den man einer weitläufigen Verwandtschaft halber als Hochzeitsgast eingeladen hatte, bemerkte, daß man nach dieser Rede seines Herrn Collegen ungewiß bliebe, ob man zur Hochzeit oder mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische gehen sollte. Daß Ehen im Himmel geschlossen würden, in welchem sich die Brautmutter befände, war die Achse, um welche sich die Rede drehte. Der Emsige freute sich innerlich, daß der himmlisch gesinnte Geistliche die Hochzeit und Standrede so artig zu verbinden gewußt hatte, und daß er doppelten Gebühren entgangen war, obgleich, unter uns gesagt, der Geistliche so wenig einbüßte, daß, wenn auch der Baron als latus per se ihn nicht bestochen hätte, er doch hinreichend durch das Geschenk entschädigt worden wäre, welches der Emsige ihm gleich nach dem Dixi in die Hand drückte. Das Wechselrecht hatte ihn prompt seyn gelehrt. Unserm Himmelsboten schmeckte denn auch das Essen und Trinken besser, weil er sich so meisterlich darauf verstand, in der Tasche die Siegel zu brechen und die Dukaten zu zählen, daß es ihm selbst nicht entging, ob sie gerändert wären oder nicht. Das

11. Paradebegräbniß
[60] §. 11.
Paradebegräbniß

geschah fünf Tage nach der Hochzeit, ohne mehr Parade, als höchst nöthig war. Bei aller Mühe, die der Gewissensrath sich gab, in der Stadt diese Angelegenheit zu bemänteln, ließ das Gerede sich doch nicht ausrotten. Er selbst büßte sechs Beichtkinder ein, bei denen er aber wenig verlor. Dem Nachbar wurden von der studirenden Jugend, welche die Volksjustiz auszuüben gewohnt ist, die Fenster eingeworfen, und dem Emsigen konnte man es nicht vergeben, daß er aus leidigem Geize die Hochzeit nicht ausgesetzt, und daß er seine Frau, der freiherrlichen Verbindung halber, gegen die er sich zu wechselrechtlich erklärt, in die Gruft gebracht hatte. Seine Sache war es nicht, den Staub seiner Gattin zu besuchen, und sich von ihrem entflohenen Schatten eine Erscheinung zu erflehen, oder sich gar einzubilden, daß sie seine Seufzerlein behorche, seine Thränen zähle und auf ihn herablächle. – Wer wollte auch so viel von einem Kauf- und Handelsmanne verlangen, der gewiß schon mehr that, als von Hunderten seines Gleichen zu erwarten ist! – Indeß betrauerte er sie wirklich, so wenig auch seine Herzenstrauer bei dem Publikum, das einmal seines Geizes halber den Stab über ihn gebrochen hatte, Glauben fand. Die selig frau kam am besten bei dem Volksgerichte davon, weil sie todt war. Unter der Erde liegt Eldorado – nirgends anders, als unter der Erde. Das

12. Junge Paar
§. 12.
junge Paar,

dem nun freilich sein beschiedenes Theil auch nicht vorenthalten blieb, machte sich sehr zeitig aus dem Stadtstaube, und entging dem Wespenstiche der bösen Zungen durch seinen Einzug auf den [61] freiherrlichen Gütern, wo alles, was lebte und Odem hatte, dem jungen Ehepaare jubilirend entgegenkam. Man hat sich zu sehr an den Soldaten die Augen verdorben; sonst ist ein Menschenhaufe, jung und alt, Mann und Weib, Kind und Kegel, oder der Säugling, der steht und fällt, ein contrastirendes, ein herrliches, malerisches Bild: – ein englischer Garten, wenn ein Soldatenhaufe einem holländischen ähnlich steht. Auf die Baronin, deren Seele (bis auf die Stern- und Kreuzseherei) gut und unverfälscht war, machte das Landleben einen lebendigen Eindruck, der, wie der lebendige Glaube, in Liebe thätig ist. Das neue Ehepaar lebte, wie fast jedes neue Ehepaar, nach dem Vorbilde desAdam-Evaschen Paares in den ersten Tagen im Paradiese; und ob es gleich dem Afterreden und dem bösen Leumund des benachbarten Adels nicht entging, sondern in dieser Rücksicht aus dem Regen in die Traufe kam, so setzte es sich doch über diese Verleumdung hinaus, und war vorzüglich nur darüber bekümmert, daß der Emsige vielleicht noch einmal heirathen möchte. An einem nebeligen Morgen warf man sogar auf das alte Fräulein Verdacht, da man ihre Ehenetze kannte, und es ward beschlossen, sie, wenn es Ernst würde, bonis modis auf das Land zu ziehen. Die Anerbietung, ihr nicht nur Einen, sondern alle Tage in der Woche den Freitisch decken zu wollen, hatte sie bis jetzt abgeschlagen. Die Ursachen blieben ein Geheimniß und unterstützten den Verdacht. Doch dieser Verdacht gehörte bloß auf die Rechnung des Nebels und war so ungegründet, daß der betrübte Wittwer, von Gram und Kummer auf Wegen und Stegen begleitet, sich begnügte, in dem Spiegel von des Herrn Nachbars Kaufmannsglück das Kreuz seines Schwiegersohnes tagtäglich zu erblicken. Zwar konnte nicht geläugnet werden, daß der Emsige, der das Freitischfräulein in jenen Wechseltagen förmlich angefeindet hatte, sich jetzt außerordentlich gütig gegen sie betrug; allein was that das zur Sache? Es ist eine weit sicherere[62] Speculation, Menschen zu seinen Wohlthätern, als zu seinen Schuldnern zu machen, wenn man sie benutzen will: sind sie das letztere, so wird es ihnen beschwerlich, uns zu sehen, weil sie gemahnt werden; sind sie das erstere, so sehen sie uns als gute Werke an, mit denen man gern prahlt, und an denen man, durch zweckmäßige Bemühung, ein Meisterstück in seiner Pflichterfüllung gemacht zu haben sich einbildet. Der Emsige wußte selbst nicht, wie er zu dieser Gemüthsveränderung gegen Fräulein Cousine kam; indeß war dieß auch sein wenigster Kummer. Wer macht seinem guten Herzen nicht gern ein Compliment, und wer findet sich durch dasselbe nicht mit dem lieben Gott und mit sich selbst ab? Wer glaubt nicht, durch den Beglückten die Erfolge einer vernünftigen Thätigkeit vermehrt zu haben? Wer eignet sich nicht dadurch ein Recht auf jene Zwecke zu, die der Gegenstand, gegen den wir wohlthätig waren, bewirkte? – Der Emsige hatte gewiß diese Ursachen seiner Zuneigung gegen Fräulein Cousine nicht auseinander gesetzt; vielmehr begnügte er sich, diese als ein Vermächtniß seiner seligen Frau anzusehen. Auch gut! Selbst wenn wir durch einen minder edlen Beweggrund Wohlthätigkeit bekommen haben, gewinnt sie doch über kurz oder lang durch jene edleren Reize, und wir sangen zuweilen an, sie, aus reineren Quellen abfließen zu lassen. – Das neue Paar war übrigens so wenig gewohnt, sich auf Gnade und Ungnade des ersten Eindrucks zu ergeben, daß an die Befürchtung, die Ameise möchte, zum zweitenmale heirathen, nicht weiter als an diesem und anderen nebeligen Tagen gedacht ward. Die Nachricht, daß seine Tochter sich in mütterlichen Umständen befände, war der Kreuzkrankheit des Emsigen ein wohlthätiges Kraut und Pflaster; und da er sich entschloß, auf die Güter seiner Kinder zu wallfahrten, bewirkte die schöne Natur, wozu seine gesegnete Tochter vorzüglich mit gehörte, auf dem eingefallenen, verbleichten Gesichte dieses Mannes einen so lieblichen Märzschein, daß man mit [63] Grund vermuthen konnte, das Landleben würde unserm Leidtragenden eine wohlthätige Medicin geworden seyn, wenn ihn nicht der Posttag und der Wechselkurs zurückgerufen und aus einem unbekümmerten, das heißt glücklichen Sterblichen auf's neue wieder einen Kreuzträger gemacht hätten. Uebrigens hatte unser Emsige nicht das mindeste Ansehen; denn da er von seinem Vermögen keinen äußern Gebrauch machte, und das Geld, so wie alles auf Erden, nur durch Anwendung seinen Werth bekommt, so zog kein Bauerjunge den Hut vor ihm ab, welches ihm indeß, weil er den seinigen gern schonte, so unwillkommen nicht war, ob er sich gleich ganz augenscheinlich und wie durch das Einmal-Eins überzeugte, daß einzig und allein auf der Börse der Ruf des Reichen hinreichend gilt, da er dort der Hahn auf dem Mist ist. Die

13. Niederkunft
§. 13.
Niederkunft

der Frau Baronin erfolgte den – 17**. Ein Sohn brach die Rosen ihres keuschen Busens. In der That, sie war schön, und der Nachbar hatte nicht Unrecht, ihretwegen einmal die Börse zu verabsäumen; – der Mutter dieses lieben Geschöpfes aber hätte er vergeben und für ihren Gruß danken sollen. – Da dieserSohn der Held der gegenwärtigen Kreuz- und Quergeschichte ist, so wird wohl jeder nach Stand, Würden und Verdiensten belieben, hier bei diesem Kindbette (nach Art des Bischofs, wenn Ihro Majestät die Königin von England in die Wochen kommen will) sich aufzuhalten und sich die Zeit nicht lang werden zu lassen. Lange soll es nicht währen. Die Wöchnerin hatte den ersten Sieg ohne Verlust errungen, und war, wie es bei jungen Frauen allemal der Fall seyn soll, fröhlich wegen des Vergangenen, und voll guter Hoffnung wegen des Künftigen. Den ritterlichen Herrn Vater indeß wandelten auf einmal Wehen an, indem der Gedanke wie ein [64] Gewaffneter ihn ergriff: Dein Sohn ist Johanniterritter- unfähig. Er unterlag diesem Türken von Gedanken, und fand keinen Trostgrund, der ihn entband. Schwerlich würde das Freitisch-Fräulein ihm diesen Dienst haben leisten können. Zwar hatte er so viele christliche Liebe und männliche Zuneigung zu seinem auch in den Wochen nach schönen und liebenswürdigen Weibe, daß er sich bemühte, ihr seinen Schmerz auf alle Weise zu verbergen; indeß härmte ihn dieß schleichende Fieber so ab, daß, wenn man den Lauf der Natur nicht besser gekannt, der Zweifel sich hätte einschleichen können: ob er oder sie in Wochen gekommen wäre? Kind und Mutter waren frisch und munter; nur der Herr Vater lag (nach Art gewisser Völker bei denen die Ehemänner die Sechswochen halten) am Verlust, der Johanniter-Ehre in Hinsicht seiner Descendenz so gefährlich

14. Krank
§. 14.
krank,

daß alles im ganzen Hause seinetwegen in Besorgniß stand. Niemand war verlegener bei diesem sonderbaren Zufalle, als der grundgelehrte Hausdoktor, indem er in seiner vollständigen Receptensammlung nichts von dieser Krankheit fand; wie ihm denn auch in seiner lange, todtreichen Praxi nie ein Johanniter-Fieber in den Weg gekommen war. Er verschrieb den Teich Bethesda, die Brunnenkur, welche der Baron nicht so ganz unrichtig den faulen Knecht der Aerzte hieß. So wie indeß in Fällen, wo die Kunst verzweifelt, die mütterliche Güte hat, zu Hülfe zu kommen oder zuzuspringen, so schien auch hier eine Krankheit der andern den Lauf zu hemmen, indem

15. Ein Schwindel
§. 15.
ein Schwindel

den Emsigen, und zwar an heiliger Stätte, auf der Börse, unvorbereitet befiel, so daß seine Füße ihm Knall und Fall den Dienst [65] aufkündigten, und er nach Hause getragen werden mußte. Man sagt, die Nachricht von einem Bankerott in Amsterdam, die, leider! noch überdieß falsch war, habe dem Emsigen diesen Streich versetzt oder gespielt. Es war eben Freitag, als dieser Sterbefall sich ereignete, und die Cousine hatte sich ungewöhnlich, nach förmlicher Einladung, zum Mittagsmahl eingefunden. Sowohl der Nachbar, welcher der Hauptleichenträger war, als das heißhungrige Fräulein bewiesen bei dieser Gelegenheit augenscheinlich, wie sehr Dienstpflicht und Erkenntlichkeit von Freundschaft und Liebe unterschieden sind. Gottlob! daß sie es sind! Was wäre auch sonst in dieser Zwangs- und Dienstwelt anzufangen? Zwar ist man des officiellen Dafürhaltens, daß Liebe und Freundschaft ein paradiesisches, arkadisches, goldenzeitliches Produkt, ein übertriebenes Etwas wären; was nennen aber diese Kaltherzigen Uebertreibung?

Liebe und Freundschaft lassen die Landstraße bei Seite, und schlagen den Richtsteig ein; sie wandeln die enge Straße, die wenige finden und die von wenigen gesucht wird. Dienstpflicht thut, was vorgeschrieben war, ist genau auf Wort und Werk, behutsam auf Punktum und Komma, Kolon und Semikolon; beobachtet eine kalte Vorsicht, einen gewissen Anstand, so daß alles, was hier vorfällt, zur Noth auf Stempelpapier sein säuberlich verzeichnet werden könnte. Dienstpflicht schreibt kanzleimäßig; Theilnehmung hat zu viel zu thun, um auf Buchstaben Zeit zu verwenden. – Nicht Gelehrte, sondern Freunde, schreiben schlecht. Beim Verlust des Freundes will der Freund nachsterben; – was soll ihm das Leben, da seine Hälfte nicht mehr ist? Nichts als dieser Verlust interessirt ihn, und es ist eine schrecklich schöne Lage der Freundschaft, nach jenem Verluste nichts mehr zu verlieren zu haben! Wenn gleich die Zeit, welche die besten Feueranstalten besitzt, den Brand der Leiden des Freundes zuweilen zu löschen scheint, so bricht doch alles sehr leicht wieder in neue Flammen [66] aus, und ein Wort, ein Laut, kann sie aufregen. – In dem Hause des Emsigen war alles kalt wie der Tod! Der Emsige schlug die Augen auf und sah Cousinen, die vorschriftsmäßig ein paar Thränen aus dem Schatzkästlein ihres guten Herzens hervorzog und zum Besten gab. Dieß nöthigte den Sterbenden, in der Ordnungen zu bleiben, und sie dem Nachbar in bester Form Rechtens für die Sonn- und Festtage abzutreten und sogleich zu übergeben. Dieser hatte die Eiskälte, während daß der Emsige starb, mit Cousinen zu capituliren und zum ersten Eingange der Capitulation den Umstand weislich zu überlegen, daß er noch unverheirathet sey. Sie blieb die Antwort nicht schuldig, daß ihre beiderseitige Tugend über denVerdacht erhaben wäre; mit Fleiß vermied sie ihr graues Haupt, das sie stadtkundig mit Ehren trug. Nach diesem ins Reine gebrachten Hauptzweifel wurden noch andere Nebenpunkte in Erwägung gezogen, weil es doch hier weiter nichts zu thun gab, als die Kleinigkeit – daß der Emsige starb. Der Nachbar hatte nämlich wegen eines schrecklichen-Bankrotts, woraus der liebe Gott, wie er sagte, ihn wie Lot aus dem Feuer gezogen, dem Herrn schon vor sechs Jahren ein Gelübde gethan, alle Sonn- und Festtage zu fasten; er tauschte also mit Tagen, welches Cousine, wenn sie gleich an Tagen verlor, doch um so lieber einging, da sie Sonntags einer alten Verwandtin leicht fiel, deren Willen sie in gewisser Art unter dem Schlüssel hielt, und die sie mit Rath speisete, wenn jene ihr That auftischen ließ. – Und so starb denn unser Emsigen, verlassen von allem, was Liebe und Freundschaft vermag, während des Freitischhandels, und nahm noch den völlig abgeschlossenen und berichtigten Gedanken mit, daß die Cousine nicht alle Sonn- und Festtage, sondern Freitags, excipe den Charfreitag, und wenn Weihnachten auf den Freitag fiele, als auf welche Tage sich das Gelübde des Nachbars mit erstreckte, bei dem Nachbar essen würde. Ein Feind selbst würde dem Emsigen mehr [67] Liebe erwiesen, sein Blut wenigstens in sanfte Bewegung gewacht, und seiner Krankheit vielleicht etwa hierdurch eine glücklichere Wendung gegeben haben. Unsere Lebendigtodten nicht also. Zur Steuer der Wahrheit muß ich bemerken, daß es in Absicht des Leibes an innerlichen und äußerlichen Aerzten nicht fehlte; nach dem Seelenarzte ward ein Bote geschickt, der indeß zur Uebereilung keinen innern Beruf fühlte. Der Nachbar, und nicht der Emsige, fiel auf diese geistliche Arznei. Da aber der Seelenarzt nach einer Traurede bei dem Hochzeitsmahle beschäftigt war und zu der Natur des Emsigen das gute Vertrauen unterhielt, daß er dem Tode doch wenigstens so lange Widerstand leisten würde, bis der wohlehrwürdige Magen die erste Verdauung vollendet hätte, so nahm es der Chirurgus über sich, dem Gewissensrathe Gang und Mühe zu sparen und sich wenigstens des Magens eines Mannes anzunehmen, der dießmal seines Beutels so wenig eingedenk schien. Ob die Nachricht des dienstfertigen Chirurgus die Eß-und Trinkfreude des Gewissensrathes unterbrochen, oder dieser aus Ueberzeugung von der freiherrlichen Freigebigkeit sich in den erlitteten Verlust gefunden habe, lass' ich an seinen Ort gestellt. Der

16. Nachruhm
§. 16.
Nachruhm,

den man den Credit nach dem Tode nennen könnte, hatte den Emsigen nicht sonderlich interessirt; vielmehr war sein Dichten und Trachten dahin gegangen, seinen Credit bei seinem Leben, wie er selbst sich ausdrückte, gleich einem rohen Ei zu schonen. Er hatte seinen Lohn im Leben dahin, und hieß nach, wie vor dem Tode, der Emsige. Die Stadt behauptete, der Wohlselige sey am Johanniter-Kreuz und Leiden, und zwar wohlverdient, gestorben obgleich der vermeintliche Bankerott in Amsterdam die einzige Ursache seines plötzlichen Hintrittes war. Hätte man gewußt, daß, [68] als der Emsige seine Tochter besuchte, die schöne Natur auf den Rosenthalschen Gütern, wozu seine Tochter einen so reizenden Beitrag darstellte, dem Emsigen so wenig mißfiel, daß ihm vielmehr die Landluft bei einem Haar einen lebendigen Odem in seine Nase geblasen hätte! – Doch konnte ein solcher Baum nicht auf den ersten Schlag fallen. Es ging ihm wie dem Felix, der auf gelegenere Zeit zur Landluft wartete; und noch blieb unser in Stadtsünden todtester Todter ohne Auferstehungsregung. – Die Eilbotschaft von seinem natürlichen Tode bewirkte bei dem Vater unseres neugeborenen Helden einen Geruch des Lebens zum Leben. Seine Johainniter-Grillen zerstreueten sich wie Spreu vor dem Winde; nicht, als ob er über diesen Hintritt fröhlich gewesen wäre – wahrlich nicht! – sondern weil er jetzt mehr nach eigener Melodie leben zu können glaubte. In diesem Verhältnisse hat das Geld einen entschiedenen Trost. In der That, der Ritter nahm den Hintritt des Emsigen nicht wenig zu Herzen. Er kannte seine Sophie und wußte, wie heilig ihr die Kindespflicht war; dieß vermehrte seinen Schmerz. Dieser Schmerz erhielt indeß eine andere Wendung, und eine Seelenkrankheit, die den Leib außerordentlich angreift, ist nicht besser als durch einen Ableiter zu heilen, welches unsere Herren Aerzte nur zu oft vernachlässigen. Mit der innigsten Verlegenheit ging er zu seinem lieben Weibe. »Du kommst ja heute wie die aufgehende Sonne?« – Und doch bring' ich Regen, erwiederte der Baron. Wie lange ist es, daß Deine Mutter starb? fuhr er fort; – und sie: »Der Vater ist todt!« Er neigte künstlich sein Haupt. Sie blieb natürlich, faltete die Hände, und freute sich, daß er in Segen und nicht in Fluch zum letztenmal ihr Angesicht gesehen hatte. Die höfliche Antwort, welche der Emsige auf die Anmeldung der Tochter, daß sie die Mutter eines Sohnes sey, auf dem Comtoir durch den ältesten Buchhalter schreiben lassen, und zwar mit Buchstaben, die Hilmar-Curas nicht [69] schöner würde gemacht haben, hatte, außer den herrlichen Buchstaben, im eigenhändigen Postscript auch ein paar väterliche Stellen, und die Beilage eines Wechsels à 5000 Rthlr., schreibe fünftausend Reichsthaler, mitgebracht. Ueberhaupt war dieß Postscript (bis auf den Umstand, daß der Alte rieth, das Kino nicht nach der Art der Mennoniten so lange liegen zu lassen, bis es Taufe und Communion auf einmal erhalten könnte, und bis auf das Fraktur-Marginale: »Eine Tochter wäre mir lieber gewesen!«) väterlich und in Rücksicht des Emsigen zärtlich. – Die Thränen, welche die Tochter fallen ließ, konnten keine bessere Stelle finden, als ihren lieben Sohn, den sie bethauten, und zwar so warm, daß der Kleine keinen Mißlaut vorbrachte. Sie ließ den letzten väterlichen Brief mit Hilmar-Curasschen Lettern holen, und drückte ihn an ihr Herz. Der Baron umarmte Mutter und Sohn zärtlich, um in das Trauerhaus zu eilen. Den Brief entriß er mit einiger Gewalt den zärtlichen Händen einer edlen Tochter, – »Zieh in Frieden,« sagte die Baronin, »und sey des väterlichen Postscripts eingedenk!« So ging alles seinen Weg zärtlich und guter Dinge. Selten sterben Kaufleute, die an Brief und Siegel gewöhnt sind, ohne Testament; indessen mochte unser Emsiger, aus bloßem Abscheu gegen die Justizgebühren, keinen zierlichen letzten Willen gemacht haben. Bloß auf einen unzierlichen Zettel hatte er einige Stiftungen angeordnet, wodurch er sich mit dem lieben Gott in Rücksicht so mancher Handlungsgewissensstiche in aller Stille abfinden wollte. »Läßt der Baron sie nicht gelten,« soll er, wie der siebenmal sieben reiche Punktirer versicherte, gesagt haben, »nun, so weiß doch der liebe Gott, daß es nicht an mir gelegen hat.« Der Baron erfüllte jede Stelle dieses unzierlichen Zettels, deren keine von der Hilmar-Curas-Hand des ältesten Buchhalters, vielmehr sehr unleserlich geschrieben war, als wenn der Tod dem Emsigen auf die Hand gesehen hätte. Ueber eine Null bei einem dergleichen[70] Legat, waltete ein nicht geringer Zweifel ob; denn da alle Nullen, wenn sie hinter einer Eins sind, so wie alle Taugenichtse, wenn sie einem regierenden Herrn nachtreten, von einer nicht geringen Bedeutung sind, so war auch hier die Frage zwischen Tausend undZehntausend. Der Baron setzte es nicht einmal auf das Gutachten des Rechtsfreundes aus, den er den siebenhärigen nannte, sondern nahm geradezu und gutwillig zehntausend an, und fand bei all diesen Vermächtnissen so wenig Anstand, daß der Nachbar selbst sich nicht in die Großmuth des Barons finden konnte, und nicht nur von ihm, sondern von allen Baronen in der Christenheit, wider Willen eine andere Meinung bekam: ob als Kaufmann, ist nicht ausgemacht – als Mensch gewiß; und vielleicht gab es alle Jahre im Durchschnitt zehn Stunden, in denen er noch nicht aufgehört hat, Mensch zu seyn! – Besonders auffallend war ihm der Umstand, daß der Baron, noch ehe er die Erbschaftsmasse mit einem arithmetischen Auge überblickte, sich schon erklärte, diese unzierlichen. Zettel erfüllen zu wollen. Die mit Nullen verstärkten Anordnungen des selig Verstorbenen fielen dem Baron bei weitem nicht so hart, wie

17. Die Leichenpredigt
§. 17.
die Leichenpredigt,

die der Emsige auf dem unzierlichsten aller unzierlichen Flicke verfügt hatte. Der Baron fühlte, daß ihm dieß eine Art von ranger seyn würde; indeß war ihm auf diese Anordnung, die er herzlich gern mit drei Nullen hinter der Eins mehr abgekauft hätte, heilig, so das er sich, rühmlichst entschloß, sie als die letzte Oelung, zu der er sich als Schwiegersohn bequemen mußte, zu ertragen, und dem Gewissensrathe nur beliebte Kürze empfahl, da er wohl wußte, daß mit dieser Leichenpredigt all sein Wechseljammer und Elend, welches er als Schwiegersohn erduldet, begraben seyn und nicht [71] mehr auferstehen würde. Der Baron fand es unerträglich, den Wohlseligen und sich so schrecklich lobpreisen zu hören; indeß war das Volk m Rücklicht der milden Stiftungen so sehr mit Schwiegervater und Schwiegersohn zufrieden, daß sich hier und da die Stimme hören ließ, der Vater sey wohlselig, der Schwiegersohn hochselig, obgleich dem Schwiegersöhne mit der Hochseligkeit sehr wenig gedient war, und er sie gewiß ganz gern so weit als möglich von sich entfernt wünschte. Da wir einmal einer Leiche zu ihrer Ruhestätte folgen und an einer Leichenpredigt gar kläglich laboriren, so ergreife ich diese Gelegenheit, das Fräulein Cousine mit ihrem ehrenvollen grauen Haar zu ihrer Ruhe zu bringen. Meine Leser und Leserinnen werden mir die Gerechtigkeit gewiß nicht versagen, daß ich beiläufige Personen in diesen Kreuz- und Querzügen nicht lange quälen lasse; und warum sollt' ich auch? Zwar würde mir diese rollenfüchtige Schauspielerin keinen Dank dafür wissen, daß ich ihr in dieser Geschichte bloß eine Soubrettenrolle zugetheilt habe, und sie nur so auf- und abtreten lasse; indeß bin ich hier der Wahrheit und Natur zu viel schuldig, als daß ich die Rollen parteiisch verteilen sollte. – Fräulein Cousine hielt sich während der Leichenpredigt in einem vergitterten Stande auf, wo sie, sich selbst überlassen, nicht anders scheinen durfte, als sie wirklich war. Die Erinnerung, daß der Sonn- und Feiertagstisch begraben wurde, brachte eine Thräne in Bewegung; allein die Erinnerung, daß dieser Tisch ihr Freitags (exclusive des Charfreitags und wenn Weihnachten auf einen Freitag fielen) beim Nachbar gedeckt sey, ließ diese Thräne nicht zum Fluß kommen. Ein Schwert hielt das andere in der Scheibe; und das gute Fräulein würde die ganze Zeit über in dem vergitterten Stande zwischen Thür und Angel geblieben seyn, wenn ihr nicht ihr Liebhaber Unseliger eingefallen wäre, der vor 45 Jahren die Gottesvergessenheit gehabt hätte, sie böslich zu verlassen. Das, was sie vor aller Welt zu [72] verbergen gewußt, konnte sie in diesem Gegitter Gott und ihrem Gewissen nicht vorenthalten, und in der That, es war gut, daß sie wieder einmal Gelegenheit fand, an einen Jugendfall zu denken, der ihr dießmal schwerer als sonst fiel. Sie entschloß sich vor Gott, zu thun was sie noch konnte; und dieß war? Ein Testament zu machen, welches ich sogleich entsiegeln und publiciren werde. Der Freitags-Freiwirth heirathete ein schönes und, wohl zu bemerken, reiches Mädchen, die eheleibliche Tochter des Johann Peter Hankel, Vater, Sohn et Compagnie. Weder Vater noch Compagnie hatten zur Existenz der Braut einen Beitrag geliefert; vielmehr war bloß und allein der in der Firma genannte Sohn Vater der Braut. Entweder hatte die Cousine bei dieser Ehegelegenheit sich die Sache zu sehr angelegen seyn lassen, oder ihr Magen war mehr überladen worden, als er tragen konnte; – kurz und gut, Fräulein Cousine starb, und, wie man nach ihrem Tode ganz ohne alle Zurückhaltung sagen konnte, im 60sten Jahre ihres grauen Alters, oder ihrer blühenden Jugend: wie man will; beides war in der Wahrheit gegründet. Ihren Nachlaß hatte sie, dem im vergitterten, Stande genommenen Entschlusse gemäß, einem Menschen zugewendet, der auf einem kleinen Freigute saß 45 Jahr alt war und, wie man sagte, viele Aehnlichkeit von Fräulein Cousine hatte. Er hieß wie das Dorf, und war, nach der Behauptung aller seiner Vorzeitgenossen, ein Findling. Dieser Umstand konnte indeß, wie natürlich, der Cousine keinen Abbruch an ihrer fräulichen Ehre thun; vielmehr hatte der Rechtsfreund quaestionis die Sache so in die Sieben geleitet, daß Cousine, welche wo wohlbedächtig alles was Leichencerimoniell ist und heißt, per expressum verbeten hatte, dennoch bei der Danksagung vom Gewissensrath als Fräulein proclamirt, und so in die selige Ewigkeit als eine unbefleckte, reine Braut eingeführt wurde. – Der Nachbar war glücklich, indem er das Legat gewann. Warum [73] Cousine nicht auf den Rosenthal'schen Rittergut ihr Leben beschlossen? Eine neugierige Frage! Die Wohnung des 45jährigen war den Rosenthal'schen Gütern in der Nähe.

18. Die Taufe
§. 18.
Die Taufe

unseres Helden, die ich nicht länger aussetzen kann, wenn auch das Postscript des Emsigen mir nicht den Ausweg verträte – war eine Nothtaufe. Auf der Reitbahn von Entwürfen, wo der Vater unseres Helden sich befand, brachte ihn die Nachricht von der Schwächlichkeit seines ritterunfähigen Sohnes auf den Gedanken, zurückzukehren und sich vorderhand mit der Gewährleistung zu begnügen, die schon der erste Ueberblick in bester Form annahm: daß er ein Erbherr von dreimalhunderttausend Thalern wäre. Geld und Liebe haben die größten Reize, wenn man ihnen nicht zu nahe ist. Ueberhaupt enthält das Nahe wenig oder gar nichts, was uns befriedigen kann; in tiefe Ferne zu blicken, eine Aussicht, die, wenn ich so sagen darf, ins Unendliche geht, macht uns glücklich: – sie ist ein Bild, das uns bloß vorgaukelt und verschwindet, wenn dagegen das Nahe uns so steif und fest vorschwebt, und auswendig gelernt wird, daß es uns oft beschwerlich fällt. Dieß ist ein Bild der Zeit, jenes ein Bild der Ewigkeit. – Selige Ewigkeit! – Unser Baron konnte in der That nicht glücklicher seyn, als er durch diesen Vorschmack der Zukunft geworden war. Die Imagination begnügt sich nicht mit landüblichen Zinsen; sie erbauet für das Geld, wovon kaum eine Hütte zu Stande kommt, einen Palast. Unser Baron hatte sich so tief in dieß weite Feld ververloren, daß er Mühe hatte sein eigenes Haus zu kennen, wohin er, ohne zu wissen wie, gelangt war. Es kam ihm jetzt alles so klein vor, daß er nicht begreifen konnte, wie bis dahin Raum für ihn in der Herberge gewesen wäre. Der Sohn seines Leibes war [74] außerordentlich schwach; und dieß brachte ihn aus den Wolken auf die Erde. Er schickte einen Courier zum Prediger loci, und gleich hinterher feurige Rosse und Wagen, um die heilige Taufe zu beschleunigen. Während dieser Extrapost-Veranstaltung war es ihm eingefallen, ob er nicht selbst in hochwürdiger Person, versteht sich, nur dann, wenn der Pfarrer nicht zu Hause wäre, den Taufactum übernehmen könnte; und dieser Gedanke eröffnete allem andern, was sonst in seinem Kopf und Herzen vorging, eine andere Bahn. Da stand er, der geistliche Ritter, in Lebensgröße! Auf einen Berg Gottes hatt' er sich in seinem hohen Sinne postirt! Ein Hoherpriester dünkt' er sich, unter dessen Füßen die andern Priester ihr Werk trieben; ein Adler, der zur Sonne fliegt, und unter dem tief gesunkene Krähen schreien, und Sperlinge Fliegen fangen. Erwünscht! Der Pfarrer hatte zu einer unglücklichen Stunde den Entschluß gefaßt, seinen Schwager zu besuchen, und nicht etwa über Feld, sondern über Land zu ziehen. Erst nach drei Tagen sollte er zurückkommen. Freilich hätte unser Ritter nach einem andern benachbarten Geistlichen schicken, oder auch die Heimkunft des Herrn Ordinarii abwarten können, da das Kindlein seit der Zeit sich wenigstens nicht verschlimmert hatte; indeß sah er diesen Vorfall als göttlichen Ruf an, und so ward denn zur Vorbereitung geschritten. Bei der Komödie ist die Probe das beste; und wer hat nicht bemerkt, daß die Anstalten zu jeder Feierlichkeit das Hauptstück bei der Sache sind?Friedrich II., König von Preußen, fragte bei Gelegenheit eines Gevatterstandes den taufenden Geistlichen, dem er beliebte Kürze hatte empfehlen lassen: ob er auch etwa einen nothwendigen Tropfen des Formulars ausgelassen habe? (Der Taufactus kam ihm nämlich zu sehr epitomirt vor.) Sollte denn nun wohl nach dieser Frage des allerchristlichsten KönigsFriedrichs II. jemand scheel sehen, daß ich meinen Helden umständlich nothtaufe? Noth hat kein Gebot; und wer ist es, der [75] mir hier Regeln vorzeichnen will? – Der erste Vorbereitungsumstand war der Ort, wo die Taufhandlung geschehen sollte; und da ward nach genauer Hausvisitation beliebt, daß kein schicklicherer Ort, als die verfallene Capelle, dazu gebraucht werden könne. Zwar war sie seit undenklichen Jahren zu einer Taubenkammer entwürdigt worden; indeß ward sogleich der Befehl zur Läuterung und Reinigung erlassen. Unmöglich konnte der Taubenrost von so geraumer Zeit, der sich hier überall angesetzt hatte, so schnell ausgefegt, und eine Taubenkammer in so kurzer Zeit wiedergeboren werden, daß der alte Adam nicht immer auf die Aergerniß suchenden fünf Sinne hätte wirken können. Der Stall des Augias schien dagegen ein Kinderspiel. – An Geld fehlte es nicht; aber obgleich selbst die Hochseligkeit feil ist, so hat doch das Geld in gewissen Fällen, z.B. in Hungers- und Durstnoth, in Gewissenssachen keinen wirklichen Werth. Auch verlor es seinen Valeur in der Taubenkammer. Zum Glück wußte unser Hochwürdiger durch ganz andere Mittel dieser Nothtaufhandlung eine Würde beizulegen, die ein gewöhnlicher Geistlicher zu leisten nicht vermag. Hier kann ich den Wunsch nicht bergen, mit den Gaben eines schriftstellerischen Apelles ausgerüstet zu seyn, denn ich bekenne frei, daß mir diese Scene fast zu schwer zu malen scheint. Lieber wollt' ich die weiland Königin Elisabeth von England darstellen, die, wie bekannt, durchvon Gottes Gnaden schön seyn und aus einer Taubenkammer eine Taufcapelle erzwingen wollte. – Zu Gevattern wurden nach der Zahl der Buchstaben 24 regierende Herren, den heiligen Vater mit eingeschlossen, gebeten. Wenn gleich unser Ritter lange in gerechtem Zweifel war, ob und in wie weit Se. Heiligkeit diesen Gevatterstand in einer evangelisch-lutherischen Taubenkammer anzunehmen geruhen würde, so entschloß er sich doch, bei Gelegenheit dieser Taufhandlung dem heiligen Vater den Pantoffel zu küssen, und war außer sich vor Jubel, daß Se. Heiligkeit nach[76] allen gehobenen Schwierigkeiten am Ende kein Bedenken trug, Ja zu fragen. Das darf denn auch wohl keinen Wunder nehmen, da die andern Dreiundzwanzig Herren waren, deren Se. Helligkeit sich nicht schämen durfte. Beiläufig dient zur Nachricht, daß das Gevatterbitten im geheimsten Incognito geschah, und daß die, welche die Pathen vorstellten, wahrlich zu Gesandten nicht erkoren zu seyn schienen. Indeß kommt es in allen großen Dingen vorzüglich auf die Einbildung an. Was für Jünger werden nicht oft in alle Welt gesandt, um die regierenden Herren vorzustellen! Und doch sollen diese Herren Repräsentanten, wie man sagt, ihre Originale übertreffen und ihre Rollen oft besser machen, als sie. – Unser Ritter bewirkte diese wichtige Sache in der stillsten Stille und so einsam, wie weiland Se. kaiserliche Majestät Domitian der Fliegenschütze sich von seinen Regierungssorgen erholte. Bloß die Frau Sechswöchnerin war von dem Vorhaben des Herrn Gemahls unterrichtet, und sie zerbrach sich denn auch sehr den Kopf, wie doch diese gekrönten Häupter unter einander wegen des Ranges einig werden, und besonders, welchen Platz Se. Heiligkeit sich zueignen würde? Ihr fiel Ihro Durchlaucht die Fürstin Fingerlein ein; indeß hatte sie nicht nöthig sich gegen das Lachen zu waffnen – da wohl gewiß bei einer hohen Versammlung. in Menschengöß kein Lachen besorgt werden konnte. – Auch erfuhr es nach der Zeit der Pastor loci, welcher gegen die Gebühr von 24 Ducaten diese 24 regierenden Herren in das Kirchenbuch eintrug, und wohlbedächtig die alphabetische Ordnung wählte, um in Hinsicht des Ranges aller Verantwortlichkeit für jetzt und in Zukunft, wenn sein Taufbuch höchsten Orts requirirt werden sollte, auszuweichen. Man sagt, einer unter den Ducaten sey ein Kremnitzer, und zwar ein beschnittener, gewesen, und der Pastor loci habe sich die Freiheit genommen, ihn auf die Rechnung des heiligen Vaters zu setzen. – So leicht es um und um genommen dem Ritter ward, die [77] hohen Taufzeugen zu vermögen, daß sie die Pathenstelle übernähmen, und sie beiläufig in der Taubenkammer in eine geistliche Verwandtschaft zu bringen, so ward es ihm doch äußerst schwer, die übergangenen Potentaten zu beruhigen, daß er sie nicht zu Taufzeugen gebeten hatte; denn über die Buchstabenzahl hinaus zu gehen, war nicht sein Wille. – Auch mußten sich die Majestäten und Durchlauchten, Se. Heiligkeit nicht ausgeschlossen, in höchsten Gnaden gefallen lassen, daß dem Täuflinge nicht ihre Namen beigelegt wurden, indem er hierdurch mit dem goldenen A B C, das er sich einmal zur Richtschnur auserkoren hatte, in tausend Händel gekommen wäre. Durchaus wollt' er es nicht mit dem A B C verderben, wozu er auch sehr viele gute Gründe hatte. Jetzt schrieb er auf sein Täflein, und strich aus, daß es Schand' und Sünde war, bis er denn endlich, wie Zacharias, den Nagel auf den Kopf traf. Schwert und Lanze haben ihre Zeit; allein kleine Steine haben auch die ihrige, und sind dem Magen und dem Kopfe, wäre das Ziel auch der Flügelmann Goliath, und der Schleuderer der ahnenlose König David, gleich gefährlich. »Ja, ja; nein, nein: das Drüber und Drunter kann den Kohl nicht fett machen;« sagte unser Ritter, und schrieb und sprach: er soll A B C heißen. »So,« fuhr er fort, »hat er, wenn man's in abstracto nimmt, alle Namen in der ganzen Welt, und in concreto die ersten und besten Namen, die von Anbeginn gewesen sind und bis aus Ende seyn werden, Sela! Auch kann man unter A den Vokal der Seele, den lebendigen Odem aller Buchstaben, den Adam, den Stammvater aller Lebendigen, verstehen.« Ad vocem Adam kam er noch auf andere, weit tiefere Bemerkungen, die zur Sache gehörten. Adam, fuhr er fort, gab allen Thieren und allem Dinge, was Selbstlauter war, Namen, oder er holte sie aus dem Wesen dieser Vocal-Dinge heraus, indem er sie, so zu sagen, dem Dinge nachhallte, das er taufen wollte. Er schöpfte das Taufwasser aus dem [78] Dinge selbst, konnte man sagen, oder sein Taufwasser war Springquell und nicht Fluß- oder Teichwasser. Dieß Adamslexikon scheint denn nun wirklich in Dingen, welche Vokale und nicht Consonanten sind, bei nur einigem musikalischen Gehör auch so schwer nicht; was aber die Consonanten-Dinge, deren es freilich so viele in der Welt gibt, betrifft: so hat der junge Adam sich hier freilich als Meister bewiesen. Die ritterliche Nutzanwendung? Wie geht es zu, fragte er, daß der Sohn meines Leibes, der, wenn er gleich nicht Johanniterfähig ist, doch immer ein Vocalis genannt zu werden verdienen wird, mir in puncto der Namen so hoch zu stehen kommt?

Es ist gewiß eine Denkwürdigkeit, daß ich die eigentlichen Namen unseres Helden, aller ersinnlichen Mühe, die ich angewendet, ungeachtet, nicht habe herausbringen können. Im Kirchenbuche war nichts als A B C D E F G H I bis X Y Z, nebst den hohen Taufzeugen verzeichnet; und ich habe Ursache zu glauben, daß unser Held seine 24 Namen selbst nicht gewußt haben mag; – denn in der That, es gehört viel Gedächtniß dazu, 24 unbedeutende Worte zu behalten. Auch weiß ich nicht, warum man nicht so gut A B C, als Gregor heißen könnte; – Namen sind Zeichen.– Daß unter A Adam zu verstehen gewesen sey, ist wohl keinem Zweifel unterworfen, und da die hohen Taufzeugen wegen dieses Mangels an Aufmerksamkeit abgefunden sind, so weiß ich in der That nicht, wie irgend sonst jemand es sich herausnehmen könne, bedenklich zu thun.

Weit wichtiger scheint mir der Einwand: Wie unser Ritter nach der Zahl der Buchstaben ein vier und zwanzigmaliges Falsum begehen und dazu gegen 24 Dukaten in gewisser Art auch den Pastorem loci habe verleiten können. – Hier ist die Auflösung, die er seinem lieben Weibe, wiewohl lange nach der Taufhandlung, [79] zuwandte. Das gute Weib ist viel zu gefällig, als daß es nicht erlauben sollte, an dieser Auflösung Theil zu nehmen.

Nicht auf das, was vor Augen ist, sondern auf das Herz und die Gesinnungen kommt es an. Ich habe nun einmal 24 Regenten zu Taufzeugen erkoren; ob sie wirklich dazu schriftlich eingeladen worden sind, und diese Einladung angenommen haben – darauf kommt es wohl nicht an. Die Sache nach christlichen Sitten genommen, konnten sie nicht Nein sagen. Hätten sie wirklich eine abschlägige Antwort ertheilt, so würden sie unrecht gehandelt haben, und es war sehr gut, daß ich sie zu dieser wirklichen Sünde nicht kommen ließ. Nahmen sie es aber an, wie wohl zu vermuthen ist, so kam ich durch einen Richtsteig weit kürzer an Ort und Stelle, wohin ich auf dem geraden Wege weit langsamer gelangt wäre. Hab' ich nicht das Porto erspart, wodurch sich die Postbedienten mehr als der Staat bereichern? Ein negativer Pathen- und Ehrenpfennnig! Ich verlange nichts, als die hohen Namen der Regenten, und auch diese nur im Kirchenbuche, das, so Gott will, außer dem Pastore loci niemand lesen wird. Ob nun diese Namen, die in jedem Fingerleinkalender stehen, beiläufig auch im Taufbuche vorkommen – was will das sagen? That ich mehr, als daß ich diese Namen aus den Kalendern in das Kirchenbuch eintragen ließ? Erhöhte ich nicht, was erniedrigt war? – Sollte mein A B C- Sohn der Hülfe seiner hohen Pathen bedürfen, so würd' es niedrig seyn, sich auf einen Umstand zu berufen, der so wenig zur Sache thut, wie eine Pathenstelle. Hat er Verdienste – bedarf er wohl dieses Mittels, um überall Hülfe zu finden? Der edle verdienstvolle Mann hat überall Pathen. Ist es Anreiz für meinen A B C, sich emporzuheben, so nehme man es doch mit dem Beweggrunde zum Guten nicht so genau. Nur auf den Umstand, daß das Gute geschieht, kommt es in der Welt an. – Daß die Herren Volksrepräsentanten nicht wissen, wen sie [80] vorstellen, ist nichts ungewöhnliches; wie selten wissen sie das? Und daß ihrer nicht eben 24, sondern mehr in der Taufkapelle waren – was thut das zur Sache? Die Anzahl der Repräsentanten von England im Unterhause beläuft sich auf 489, derer von Wales auf 24, derer von Schottland auf 45, überhaupt auf 558 Mitglieder. So unverhältnißmäßig als möglich! Und wem ist es unbekannt, daß die Herren Kandidaten von den Wahlmännern die Stimmen, wie der Emsige, seliger, Weizen, Roggen, Gerste, Hafer u. dgl., erhandeln? Man sagt, dieses Wahlgeschäft sey in England ein Handelszweig, und dieser Seelenkauf und Verkauf bringen 3 Millionen Pfund Sterling in Umlauf, und komme selbst der Regierung an 500,000 Pfund Sterling zu stehen. Geschehen dergleichen Dinge am grünen Holze – warum sollten sie am dürren bedenklich seyn? – Was in London geschieht, kann auch in Rosenthal geschehen. Oder könnten sich etwa die regierenden Herren für beleidigt halten? Bin ich nicht Edelmann, Ritter und reich? Wird nicht alles im allerstrengsten Incognito getrieben? Auch kann diese Sache den regierenden Herren nicht schwer fallen, da sie von diesem Geschäfte (wie es wohl oft der Fall ist) selbst nichts wissen. In der That, wenn es ihnen nicht viel Mühe macht, thun sie nicht ungern Gutes. Der Gevatterstand ist etwas Gutes, das ihnen gar keine Mühe kostet; sie wissen nicht, daß sie es thun. Verlang' ich für den Pathen eine Fähnrichsstelle? Eben so wenig wie einen Doctorhut! Mag er sich alles selbst verdienen, und mögen Schleicher ihre Windelsöhne zu Fähnrichen wachen; ich nicht also.

Die Baronin war völlig überzeugt, und konnte nicht begreifen, warum man überhaupt zu Gevatter bäte, und warum man nicht schon längst die Gewohnheit eingeführt hätte, nach Wohlgefallen in das Kirchenbuch einschreiben zu lassen, wen man wolle. Gewiß, sagte sie, werden die gekrönten und fürstlichen Häupter es hoch [81] aufnehmen, daß man sie bloß unter ihres Gleichen eingeladen hat. Nicht immer werden sie es so gut haben wie bei dieser Taufhandlung. – Die Toleranz war ein Hauptzug bei dieser Feierlichkeit. Da kamen von allen Confessionen, Zungen und Sprachen die Volkshäupter zusammen, und vertrugen sich brüderlich. Den türkischen Kaiser hatte der Ritter nicht gebeten, und wie konnt' er auch, da er ein Hauptfeind des Ordens ist, und das heilige Grab noch bis auf den heutigen Tag von diesem Vater des Unglaubens so schnöde vorenthalten wird?

Doch es ist Zeit, daß wir den Ritter als Täufer sehen! Es wird ein Zeichen durch die Eßglocke gegeben, daß jedes, weß Standes, Geschlechtes und Würden es wäre, sich in die Kapelle, oder, damit man nicht X für U nähme, in die Taubenkammer, zur Abgabe seines Ja einfinden sollte. Ich darf wohl nicht bemerken, daß es an Ja-Herren und Frauen nicht gefehlt haben wird. Man dünkte sich viel, daß der gnädige Herr geruhte, seine unterthänigen Knechte und Mägde in solchen Gnaden anzusehen. Nur der lose Schulmeister, der im Herzen des Dafürhaltens war, daß nicht der Ritter, sondern er, ein eigentlicher Nothtäufer vigore officii wäre, schüttelte den Kopf und flüsterte dem Gevatter Nachtwächter ins Ohr, daß heute dem Dorfe gebratene Tauben in den Mund fliegen würden, welches der Nachtwächter sich lächelnd ad notam nahm.

Der Ritter hatte seinen schwarzen Mantel mit dem weißen Kreuz umgehängt, und war in Stiefeln und Sporen und in vollständiger Rüstung, als es hieß: das Taufwasser sey warm.

Gut, sagte er; und schnell fielen ihm über die Sporen Zweifel ein, die denn auch, nach einem gründlichen Für und Wider, von der Wöchnerin mit vielen Gründen verbeten wurden. »Wie kann man an Gott glauben, wenn ihn ein Teufel predigt?« meinte der rebellische Schulmeister, und der Nachtwächter trat durch ein [82] kritisches Kopfnicken bei. Hätte Freund Schulmeister gewußt, daß er, als der einzige Geistliche, natürlich allein fähig war, Se. Heiligkeit zu repräsentiren, sein Neid würde sich in Dank verwandelt haben. Ungewöhnliche Saat bringt ungewöhnliche Früchte. – Der Ritter erhebt seine Stimme; das Volk staunt. Fast wörtlich wußt' er die Taufformel auswendig, welches dem Volke, wie alles, was ihm aus dem Gedächtnisse mit Parrhesie verkündigt wird, als Eingebung vorkommt. Da er an den Exorcismus kam, that es ihm doch leid, daß er seine Sporen abgelegt hatte, weil er desto nachdrücklicher hätte auf die Erde stampfen können. Was ihm indeß an Rüstung abging, ersetzte er durch das Pathos seiner Zunge. Was seine Stimme erheben heißt, konnte man hier kennen zu lernen die Ehre haben.

Fahr aus, schrie er, als ob er den Satan auf Pistolen herausforderte – fahr aus, du unreiner Geist! – Einige von den Ja-Sagern und Ja-Sagerinnen wollten den Teufel lichterloh in Gestalt eines Strahls gesehen haben; sie behaupteten, daß sie einen häßlichen Gestank empfunden hätten. Indeß konnten diesen wohl ehrwürdige Ruinen von der Taubenkammer verursacht haben, und jenes war dagegen ganz füglich von dem Kreuze des Täufers abzuleiten, das an seiner Brust hing. – Allgemein ward gewünscht, daß der Exorcismus bei der Taufe beständig von einem geistlichen Ritter und nicht von einem Geistlichen ausgesprochen würde, damit der Teufel nicht zurückbliebe, wie es oft, weil er sich vor dem Geistlichen entweder nicht fürchtete, oder wohl gar mit ihm in heimlicher Verbindung stände, der Fall wäre.

Als unser Ritter an die Worte in dem Taufformular kam: »Nimm hin das Zeichen des heiligen Kreuzes, beides an der Stirn und an der Brust!« war alles in Bewegung. Jedes schlug sich ein Kreuz; so elektrisch wußte unser Ritter das Kreuz zu schlagen. Ueberhaupt schien unser Ritter (bis auf den Schulmeister, der viel [83] zu tadeln fand, was er indeß einzig und allein seinem Freund Nachtwächter anvertraute) vielen Beifall einzuernten; und die Dorfschaft hätte um vieles ihre Kinder nicht mehr bei Sr. Wohlehrwürden, sondern bei Sr. Hochwürden taufen lassen. Indeß hatte der Pastor loci sich in die Zeit geschickt und Gelegenheit genommen, in der nächsten Sonntagskinderlehre die Fälle näher zu entwickeln, in denen einzig und allein eine Nothtaufe stattfinden könne. Auch vergaß er nicht, zu bemerken, daß, wenn sie selbst etwa in diese Feuersgefahr oder Wassersnoth, wie man es nennen wollte, gefallen wären, dem Geistlichen doch seine Gebühren bezahlt werden müßten – wenn anders nämlich der liebe Gott das Kind in seinen Gnadenbund auf- und annehmen solle. Daß unser Ritter diese Katechisation nicht mit angehört habe, führe ich bloß beiläufig an. – Das besonderste war, daß unser Held ABC bis XYZ nach der Nothtaufe sich von Stunde zu Stunde erholte, so daß die Dorfleute in den Aberglauben verfielen, der Johannitermantel sey ein Abkömmling von Elias Mantel und habe hier mitgewirkt. – Einige nannten den Actum: Feuertaufe; zum Unterschiede von der, die der Pastor zu geben gewohnt war. Selbst die Taubenkammer brachte auf herrliche Ideen, und bei Menschengedenken ist keine solche Taufe gewesen. Der Baronin hatte dieser Actus außerordentlich gefallen. Ist es Wunder, da die Hauptpersonen, Mann und Kind, ihr so nahe am Herzen lagen? Ihr Beifall ging so weit, daß sie die Taufe eines gewöhnlichen Predigers für eine Nothtaufe hielt, und daß in ihren Augen nur ein geistlicher Ritter ein Täufer in einem erhabenen Verstande seyn konnte. Sie ward so verliebt in den schwarzen Mantel, daß ihr Gemahl ihn nach vollbrachtem Taufactus auf das Wochenbett legen mußte; und wenn gleich dieses Auflegen nicht im Stande war ihr die verlornen Kräfte wieder zu ersetzen, so blieb es ihr doch feierlich, indem dieser Mantel sie nebenher an ihren [84] Vater erinnerte und den Wechsel von Freude und Leid, das unwandelbare Loos der Sterblichen, versinnbildete! – Die Feierlichkeit des Mantelauflegens geschah bei verschlossenen Thüren – caetera textus habet. Wer nothtaufen kann, der kann auch mehr. Schon wissen wir, daß der Ritter Täufer sich Mühe gegeben, seiner Frau Gemahlin den Hintritt ihres Vaters auf eine gute Manier in einem Säftchen beizubringen; jetzt mochte es ihm wirklich so vorkommen, als fänden sich bei seiner Frau Gemahlin die verlornen Kräfte unter dem Mantel schneller wieder ein, oder hielt er es für den bequemsten und angenehmsten Zeitpunkt, seine liebe Frau in sein Netz zu ziehen? Kurz, er dachte zu schmieden, da das Eisen warm war, und gab sich Mühe, die Ritterin zu vermögen, ihm die Erbschaftsgeschäfte und die Anlegung des Geldes zu überlassen; allein er hätte es nicht nöthig gehabt, so peinlich auf diesen Augenblick zu denken. Die Baronin kam ihm auf halbem Wege zuvor; diese Stunde war längst bei ihr gekommen. Alles stellte sie ihm anheim; und warum auch nicht? – Sie war ein edles Weib; doch blieb sie Weib, das heißt: sie war nach der Weise der jetzigen Weiber erzogen. Da den Weibern bei keiner andern feierlichen Gelegenheit des Lebens eine Rolle zugetheilt wird als wenn sie sich verheirathen (welche Festlichkeit indeß durch das Ehebett so viel von ihrem Pathos verliert, daß man am Brautmorgen nicht weiß, wie man daran ist, und weßhalb so viel Zwang und Streit und Widerstreben hat vorausgehen müssen, um sich so bald und so enge zu vereinigen), so ist es natürlich, daß besonders junge, mit der Welt und ihrem eigentlichen Gehalte noch unbekannte Weiber, einen rechten Drang nach Feierlichkeiten verspüren. Sie lieben nicht nur Männer, die öffentlich ihr Licht leuchten lassen und mit Glanz auftreten, sondern mögen auch außerordentlich gern pompvollen Anlässen beiwohnen. Sie können sich nicht vorstellen, daß unter diesen Reverenden nichts weniger [85] als Ehrwürde verborgen sey; der Mantel macht bei ihnen den Philosophen. Werden sie älter, so sehen sie freilich ein, daß nichts hinter den meisten unserer Feierlichkeiten steckt, daß der Kern der Schale, die Glocken der Predigt, die Poesie der Musik nicht werth ist; und nun fallen sie von einem Extrem auf das andere, und lachen gemeiniglich über etwas, das ihnen zuvor so wunderbar, hehr und hoch schien. Unserer Ritterin fehlte es gewiß so wenig an Kopf, wie es ihr an Herz gebrach; indeß hatte sie vom Johanniterorden und dessen Stiftung aus der teilnehmenden Relation ihres Gemahls eine so große Idee, daß sie ihn für nichts geringeres als einen Original-Nothtäufer hielt; – und in der That, sie traf nicht weit vom Ziele. Um alles in der Welt wünschte ich, daß das gute Weib bei meinen Lesern durch eingehaltenes Consilium nichts verlöre, wovon ich meiner Leserwelt nur die Resultate, ihr zum Besten, mittheilen will. Es ward beschlossen, dem Orden im Rosenthalschen Schlosse hier und da ein Andenken zu stiften; und so sehr auch unser Ritter ins Weite und Wilde ging, so wurden doch die sieben Hauptpunkte mit dem größten Beifall der Ritterin verabredet und abgeschlossen, so daß alles Ein Herz und Eine Seele war. Sie spielten beide unter Einer Decke und unter Einem Mantel, und über ein Kleines werden wir die Ehre haben, die Folgen dieses Plans zu ersehen. – Die

19. Trauer
§. 19.
Trauer.

über den Emsigen ward so ausgekünstelt, daß man nicht wußte, ob es hier dem Vater oder einem andern weniger nahen Verwandten gelte, oder ob nicht vielmehr der Johanniterorden, der immer in Halbtrauer ist, diese Einrichtung erfordere. – Sit divus, modo non vivus, ist zwar fast immer das Ende vom Liede, und [86] eine jede Erbschaft verknöchert das fleischerne Herz einigermaßen; allein dieß war bei unserer Ritterin der Fall nicht. Selbst durch den Umstand, daß sie in den Augen der Welt dem Andenken des Vaters etwas von der Trauer entzog, gewannen er und ihre Mutter im Herzen. – Zwar nahm man hiervon Anlaß zu der Nachrede, daß sie sich ihrer Eltern schäme; wie kann man das aber, wenn sie todt sind? Wahrlich, sie hatte sich als Tochter nichts vorzurücken. Für's erste ward eine herrliche Rüstung aufgestellt. Nur bei der Nothtaufe hatte sie die Sporen verbeten; sonst war sie nicht dagegen. Da das brave Weib sich nie so sehr auf eine Seite neigte, wie der Herr Gemahl, so blieb sie sicherer vor dem Fall. A silentio, war ihr Hauptargument; weder eine witzige Schwächlichkeit, noch ein unvernünftiger Uebermuth kam ihr so leicht zu Schulden. – Sie hieß gnädige Frau, und war in gewiß tausend Rücksichten ein kreuzbraves Weib. – Wer sie verachtet, weil sie zu sehr nachgab, und weil sie sich die Ideen des Ritters zu bald eigen machte, überlegt nicht, daß sie eben dadurch als Weib gewann. Was helfen mehr Segel, wenn auch mehr Ballast im Schiffe ist? Es war mit unserer Ritterin etwas anzufangen; allein weder der Witzling, noch der Vernünftler durfte dieß geradezu seyn; der Witz mußte sich, so wie die Vernunft, fein ländlich sittlich in Empfindung kleiden, und dann machte man mit ihr, was man wollte. An Verstand war sie dem Ritter ohne Zweifel überlegen; an guten Gesinnungen gingen sie Hand in Hand. – Wer mag ihm sein Spiel verderben? Ist er nicht einer der eifrigsten Johanniterritter, die der Orden je gehabt hat? Kann er diese Ordensfreude an seiner Descendenz erleben? Und kennen wir nicht dieStern- und Kreuzseherei der Ritterin? Ende gut, alles gut! Immerhin, da er alles mit dem Johannitermantel, als dem wahren Mantel her Liebe, bedeckte! – Der

20. Säugling
[87] §. 20.
Säugling

ward gleich früh mit der Mutter- oder Ammenbrust und mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bekannt. Die Windeln, die Bettchen und Hemdlein waren alle mit einem Kreuze gestempelt, und die Amme konnte sich nicht genug verwundern, daß unser ABC-Kind, ohne auf das Kreuz in den Windeln Rücksicht zu nehmen, es mit ihnen machte, wie andere kleine Kinder es mit unbekreuzten Windeln zu machen pflegen; freilich besser, als Kaiser Wenzel, doch noch immer unverzeihlich. – Die

21. Veränderung
§. 21.
Veränderung,

welche der Todesfall des Emsigen in dem hochfreiherrlichen Schlosse bewirkte, gewann ein so geschwindes Fortkommen, daß es fast stündlich etwas neues zu bewundern gab. Unter andern ließ der Ritter sich dreimal malen, und en gros wie en détail, in Lebensgröße wie in Miniatur, hing ein schwarzer Mantel mit einem weißen Kreuze über seinen Schultern. – Drei Schlafröcke auf einmal, von dunkler Farbe, damit das darauf gestickte Kreuz sich desto besser ausnähme. Einer dieser Schlafröcke war wie ein Mantel gefertigt, und der Ritter sah darin ungefähr so aus, als ob er zum Ritterschlage vorknien sollte. Die Communion empfing er, ob er gleich die Taufhandlung an seinem Sohne nicht mit Sporen und Rüstung verrichtet hatte, in förmlicher ritterlicher Kleidung. Daß besonders zu Anfange das ganze Dorf, und zum Theil auch die benachbarten Honoratioren, vel quasi zusammenliefen, um den Ritter communiciren zu sehen, war natürlich. Da trat denn Monachus armatus auf, und empfing kniend die heilige Communion, welches ihm noch obendrein als eine große [88] Demüthigung ausgelegt ward. Der Pastor loci gewann stillschweigend hierdurch in den Augen des Volkes zehnfach bei dem Sacramente des Altars, was er beim Sacramente der heiligen Nothtaufe eingebüßt hatte; denn wenn gleich Se. Hochwürden gewiß nicht vor Sr. Wohlehrwürden auf den Knien lagen, so weiß man ja doch, wie selten die Person des Geistlichen bei seiner geistlichen Handhabung abgesondert wird. Wer den Baron nicht Ew. Hochwürden nannte, bekam, wenn er etwas hat, zwar keine abschlägige, wohl aber beim »Fiat, wie gebeten« eine unfreundliche Antwort. Seinen Bauern ward durch einen Anschlag in den Schenken bekannt gemacht, daß sich niemand unterstehen sollte, ihn anders zu tituliren, indem er durch strenge Gelübde verpflichtet wäre, hochwürdig zu seyn oder zu heißen; was denn die gemeinen Leute in eine nicht geringe Verwirrung brachte, da sie die Gewohnheit hatten, den Pfarrer loci Ew. Wohlehrwürden zu nennen, und mit diesen Ehrwürden sehr ins Gedränge kamen. Da übrigens die Kreuze in Rosenthal sich außerordentlich mehrten und hierbei nicht auf Kosten gesehen ward, um diese Verzierung recht reichlich und prächtig auszuspenden, so hieß es spottweise: es sey kein Haus in der Christenheit, das so viel Kreuz habe. Der Schulmeister, der wie wir schon wissen, ein Schleicher war, glaubte noch tiefer gesehen zu haben, und fürchtete heimlichen Katholicismus, welchen er vorzüglich in der religiösen Rittermanier und Kreuzausspendung fand, wodurch er jesuitisch beabsichtigte, die Herzen des Pöbels (der, um zu beweisen, wie klein er ist, sich so gern an alles, was groß ist, hängt) von der Nothtaufe des Ritters und andern unzeitigen Anhändlichkeiten loszumachen. Ob nun gleich der Schulmeister seinen Hirtenstab nicht gegen das Schwert des Ritters heben konnte, sondern wohlbedächtig bloß in Emblemen, einsylbig und (was nicht viel auseinander ist) zweideutig zu Werke ging, so wirkte doch dieses Stückwerk von geäußerter Befürchtung, eben wegen dieser [89] Oekonomie und Heimlichkeit, gewaltiglich, so wie alles, wovon man Ein Drittheil, und dieß noch brockenweise, ins Ohr entdeckt, die beiden andern Drittheile aber zurückhält und im Schatzkästlein seiner Gewissenhaftigkeit verschließt, wiewohl so laut, daß man die Schlösser rasseln hören kann. Uebrigens hätte unser Schulmeister immer noch mehr sagen können, da sich unser Hektor nur mit einem Achill ohne Schande messen konnte, und unser Ritter zu keinem Duell auf kleine Steine fundirt war, selbst wenn der ahnenarme König David ihn dazu herausgefordert hätte.

Als der Stammhalter ein Jahr alt war, sollte er, und neben ihm auch seine Mutter, zu Jerusalem im Tempel dargestellt oder eigentlicher in den

22. Stammbaum
§. 22.
Stammbaum.

verzeichnet werden. Schon §. 3 ist dieses Stammbaums rühmlichst erwähnt worden. Von jeher hielt es die Familie so, daß die neuen Sprossen in dem Wohnsitze des Senioris familiae intabulirt wurden. Dieß schien gegenwärtig bei einer wirklichen Firmelung um so nothwendiger; indeß ward mit unserm Ritter eine preiswürdige Ausnahme gemacht. Und warum?Senior familiae war, die Wahrheit zu sagen, ein armer Schlucker, bei dem die Fingerlein nie Wohnung zu machen für gut gefunden, und der auch keine Gelegenheit gehabt hatte irgend einen Emsigen zu beerben, so daß der Kasten Noä zwar seinem Hause, das Haus aber dem Kasten keinen Glanz beilegte. Er selbst sagte schmarotzerisch, daß die Bundeslade bei ihm weder im Salomonischen noch im zweiten Tempel stände. Auch erscholl das Gerücht von der fürstlichen Einrichtung unseres Ritters weit und breit, und alles war voll Lust und Liebe, ein Augen- und Magenzeuge dieser Pracht [90] zu seyn und lüstern zur Wallfahrt nach Rosenthal. – Unser Ritter, der sich durch diese seinetwegen gemachte Ausnahme von der Formularregel oder den Schmalkaldischen Artikeln, wie man sich zuweilen ausdrückte, nicht wenig beehrt fand, ermangelte nicht, dieß Anerbieten zu begünstigen – und zu den sieben Modifikations-Artikeln die Hände zu bieten. Einer dieser schmalkaldischen Artikel war, daß die Bundeslade unter Bedeckung von 24 Mann zu Schimmel von – nach Rosenthal geholt werden sollte. Sowohl Senior als die vier Assessores oder Kastenherren wurden alle auf Einen Tag nach Rosenthal beschieden, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Aufzug einzig in seiner Art genannt zu werden verdiente. Die 24 Kastenbegleiter waren nun freilich nichts mehr und nichts weniger als vierundzwanzig ehrliche Rosenthalsche Bauern; indeß hatte man sie aufgefordert, Feierkleider, das heißt schwarze Röcke anzulegen, welche den Schimmeln, so wie die Schimmel den schwarzen Röcken zu einem nicht kleinen Ansehen verhalfen. – Die herabgekrämpten Hüte kamen mit den fliegenden Haaren in einen ununterbrochenen Zank, so daß es schien, als wollten die Haare sich an den Hüten vergreifen. Den besten Abstich bewirkten die weißen Pferde, welche diese Bedeckung so feierlich machten, daß man, wie der Krittler Schulmeister selbst eingestehen mußte, in die Verlegenheit gerieth, vor diesem Leichen-Condukt den Hut abzuziehen; er hätte gewiß hinzugefügt: »und ein Vater Unser zu beten,« wenn er nicht der wohlgelahrte Schulmeister gewesen wäre. Der Baron ritt mit zwei Assessoren, die sich schon zeitiger eingestellt, dem Kasten entgegen; und da dieß Triumvirat den Stern gesehen hatte, kehrt' es heim hocherfreut und blieb beim Wagen des Senioris, der den Zug anführte. Als man sich der Kirche näherte, ließ unser Ritter, vermöge des Patronatsrechts, läuten. Der Prediger kam, weil er wohl wußte, daß es sein Schade nicht seyn würde, auf dieß Signum exclamandi sogleich und beim ersten Glockenanschlage [91] in vollständigem Ornat zum Vorschein, und so blieb er auch, ohne zu weichen, bis vom Zuge kein Staubkorn mehr zu sehen war. In dieser Melodie ging es denn bis nach Rosenthal, wo ein herrliches Souper des Senioris und seiner vier Assessoren nebst ihren Frauen und Kindern wartete. Die gute Baronin hieß nicht anders als allerliebste, schönste, beste Cousine, englische Frau; und es gebrach an nichts, um diesem Familienfeste Würde beizulegen, die bei dem Vater unseres Helden gewiß zu Hause gehörte. Man gedachte bei dem Feste der in Gott ruhenden Vorväter, und es ward, nach der in dieser Familie wohlhergebrachten Sitte, auch deren Gesundheit und zwar so kräftig getrunken, daß bei allem Nachdruck, den man seinen Kräften gab, es doch zuletzt am ritterlichen Vermögen fehlte, den Wein ertragen zu können. Senior sagte: die Rosenthaler sind seit Menschengedenken von nichts anderem als vom Wein überwältigt worden.

Der folgende Tag war eigentlich dazu bestimmt, die Baronin und ihren Sohn zu legitimiren. Die Ceremonie war folgende. Die beiden jüngsten Assessoren erhoben sich zum Senior, um ihn zu befragen: wann die Festlichkeit ihren Anfang nehmen sollte? – So stand es in der Rolle; da aber Senior sich nicht bloß vom Wein, sondern auch vom Bett hatte überwältigen lassen, und wegen der gestrigen zu guten Aufnahme ganz aus seinem Concepte gedrückt war, so verpfuschte man den ersten Auftritt dieses weinerlichen Lustspiels völlig. Nur mit vieler Mühe konnten sie den Senior zu sich selbst und in seine Rolle bringen, der er übrigens weit mehr als sein Haus der Bundeslade gewachsen war. Die Damen hatten nicht Stimme und Sitz, und mußten sich begnügen, den Zug anzusehen. Bei Parlamentsversammlungen, sagte die Frau Seniorin, ist es den Damen erlaubt, den Streit und Widerstreit anzuhören. – »Weil er,« erwiederte einer der Assessoren, »mit Ew. Gnaden Erlaubniß, gemeiniglich bloß pro forma geführt wird. Der Staat[92] läßt sein Licht leuchten vor den Leuten, daß sie seine gute Werke hören und den König und die Freiheit lobpreisen.« – Die allerliebste, schönste, beste Cousine und englische Frau erschien jetzt den Damen nicht viel anders als eine arme Sünderin, die man auf dem Richtplatze begnadigen will. In der That die ganze Ceremonie war nicht viel mehr als eine Pardonsertheilung, ein Fahnenschwung und übrigens Paternosterwerk und Rosenkranzandacht.

Der erste Aufzug. Senior ging allein und die vier Assessoren folgten ihm paarweise in das Familienheiligthum. Das Collegium kann eine gute Stunde bei verschlossenen Thüren zugebracht haben. – Es war Probe.

Beim zweiten Akt wurden die Vorhänge aufgezogen. Ehe man aufzog, klingelte Senior dreimal, und ehe das eigentliche corpus delicti eintrat, ward unser Ritter allein vorgelassen, den der Senior anredete wie folgt:


Hochwürdiger Ritter,
Hochwohlwohlgeborner Freiherr,
Freundlich geliebter Herr Vetter!

Wir haben gesehen, was wir schon zum voraus von Ihrer angeerbten Weisheit erwarten konnten, daß Sie Ihr Herz mit keiner Gattin theilen würden, die nicht auch ein Herz in die Theilung zu bringen hätte. Ihre –Frau, kann ich sie statutengemäß noch nicht nennen; es sey mir erlaubt, sie Braut zu heißen: ist sie denn nicht die Braut dieses Tages? – Ihre Braut also hat alle Eigenschaften, welche man haben muß, um sich selbst und einen Cavalier glücklich zu machen. Sie hat Verstand, ohne daß sie Verse macht; sie hat Willen Gutes zu thun, ohne auf ihre Tugend stolz zu seyn und einen andern Herold für dieselbe zu brauchen als ihr Gewissen und dessen zwei äußerliche Stellvertreter: ein Paar große, lebendige, ungezwungene Augen. Die Leuchter zu diesem [93] Lichte, die Augenbrauen, sind Meisterstücke der Kunst – würd' ich sagen, wenn sie nicht geradeswegs aus der Hand der Natur gekommen wären. Doch fehlt ihr etwas, das kein Kaiser und König, das ihr Gott selbst nicht ersetzen kann: der leibliche Adel, der wie ein Kleid den Seelenadel erhebt und ziert. Wir können nicht, wenn wir auch wollten; und wir wollen auch nicht, weil wir nicht können. Schon der Gedanke und der Wunsch, von alten Sitten und altem Brauch abzuweichen, würde uns unwerth machen dieses heilige Feuer zu bewahren, welches so viele Jahre mit vestalischer Keuschheit bewacht worden. Nur was Recht und Gebrauch ist, und nichts, weder zur Rechten noch zur Linken, kann und soll und wird geschehen.

Der Ritter, welcher stehenden Fußes die Rede angehört hatte, bückte sich tief, ohne ein Wort zu erwiedern. Und nun ward aufs neue, wiewohl nur Einmal geklingelt. Senior nannte dießmal das Glöckchen: das Transsubstantiations-Glöckchen.

Die Baronin trat, in einem weißem Kleide, mit fliegenden schwarzen Haaren, die auf ihrem warmen, weißen und marmorfesten Busen mit einander liebkoseten, ins Gericht, wo an einem Tische mit einer pompvollen rothen Decke der Senior und die vier Assessoren auf Lehnstühlen saßen, der Ritter aber in einiger Entfernung stand. Das gute Weib machte eine tiefe vorschriftmäßige Verbeugung, die sie auch ohne Anweisung in puncto der rothen Decke gemacht haben würde. Man hat vor allem Respect was bedeckt ist; und rothe oder grüne Tischdecken sind darum noch ehrwürdiger, weil wir die weißen in der Regel alle Tage zweimal über unsern Eßtischen sehen. – Unsere arme Sünderin fühlte die Wirkung der rothen Decke in allen fünf Sinnen; da sie aber in einer Art von desorganisirtem (entsinntem) Zustande, aus reinem, klarem Herzensgrunde, und der Vorschrift gerade zuwider ihrem Manne die Hand reichte, die er, weil ihre Zeit noch nicht kommen [94] war, verbitten mußte, so gerieth das arme Weib in eine so andächtige Verlegenheit, daß der Senior selbst sie nicht ohne Sinnverdoppelung und Sensation ansehen konnte, und bei einem Haar blitzschnell aus der Rolle gefallen wäre. Noch zu rechter Zeit griff er in seine Patrontasche.

»Was bewog Sie,« fing er, nachdem er sich fest gemacht hatte, in einem starken Ton an, um sein Herz zu überkreischen, das ganz seinen Worten entgegen war – »Was bewog Sie, da Sie eine Null vor der Eins waren, eine hinter der Eins werden zu wollen? – Wissen Sie nicht, daß der Weg zur Ehre schmal und es nur wenigen Auserwählten beschieden ist, ihn zu finden? Verleiteten Sie nicht unsern Vetter zur verbotenen Frucht, wovon er und Ihre Nachkommen den Fluch tragen müssen? Reichthum und Schönheit waren die beiden Bäume, die er hätte meiden sollen; allein warum legten Sie ihm Ihre verbotenen Reize so nahe?«

Nachdem er dem guten Weibe ganz evident gezeigt hatte, daß ihr Vater nur ein Emsiger gewesen wäre, dessen Schätze, und hätte er deren auch noch weit mehr gehabt, keinen Fingerhut, ja keinen Tropfen freiherrliches Blut aufwiegen könnten, fügte er wohlmeinend hinzu, daß ein unadeliger Lazarus, wenn selbst Abraham noch in der andern Welt ihm erlaubte, seinen Flecken mit himmlischem Wasser wegzuwaschen, denselben so wenig, wie ein Leopard die seinigen, verlieren würde in Ewigkeit.

Die Ritterin, welche durch ihren Gemahl mit den sieben Sachen dieser Ceremonie zur Noth bekannt gemacht worden war, hatte sich vorgesetzt, sich alles gefallen zu lassen, was man nach Herkommen und Brauch beginnen würde. Sie war, wie man schon weiß, überhaupt keine Feindin von Feierlichkeiten, welches sie bei der Nothtaufe und bei der Stern- und Kreuzseherei bewies; und es gibt wenige Weiber, die Ceremonien widerstehen können, auch wenn sie nicht, wie hier, einen roth beschlagenen Tisch vor sich haben. [95] Selbst die Vorwürfe, als ob sie dem Ritter zuvorgekommen wäre und ihn zu dieser Mißheirath, wie Eva den Adam zum Apfelbisse, verleitet hätte, brachten sie nicht aus der Fassung, so beleidigend sie auch waren. Als indeß der Herr Senior sich nicht entbrach, die Asche des Emsigen zu beunruhigen, konnte die redliche Tochter nicht umhin, ihren Entschluß plötzlich zu ändern, und, wie es bei dergleichen Gelegenheit nicht auszubleiben pflegt, gerade noch einmal so viel zu sagen, als sie gesagt haben würde, wenn sie nicht zuvor den pythagoräischen Entschluß gefaßt gehabt hätte. – Meine Herren, fing sie trotz der rothen Decke an, ich bin weit entfernt, dem Geburtsadel zu nahe zu treten; vielmehr betracht' ich ihn als heilige Reliquien des Apollo, die zu sehen man nach Italien wallfahrtet. Indeß gehört doch immer der kleine Umstand dazu, daß man in die Kunst verliebt seyn und eine nicht kleine Imagination besitzen muß, wenn man dem Ahnen-Cicerone den Beifall geben soll, auf den seine redselige Zunge richtige Rechnung macht. Wenn man von 16 und 32 Ahnen, und von 16 und 32 Thaten die Rede ist, so weiß ich, was ich wähle. Schon muß man Grundsätze mit Thaten vermischen, wenn man vor jenen Achtung haben soll, sie mögen mit noch so hohen Farben im gemeinen Leben aufgetragen werden; und was hilft der Glaube an die Vorwelt, wenn er nicht durch Werke der Zeitgenossen lebendig wird? Daß das Johanniterkreuz meines Gemahls sehr viel zu meinem ehelichen Ja beigetragen hat, läugne ich nicht; wenn aber der Orden mehr auf brave Männer, als auf die Ahnenreihe Rücksicht zu nehmen geruhete – würde er nicht mehr ausrichten, als jetzt? – Ich will niemanden unter Ihnen, am wenigsten meinem lieben Gemahl, Vorwürfe machen; aber Sie werden mir zugestehen, daß selten ein adeliges Geschlecht sein Alterthum vor das eilfte und zwölfte Jahrhundert hinauszuführen im Stande seyn wird, und daß die Genealogienkünstler es nicht viel besser machen, als die Maler, die, wenn sie die Sündfluth [96] malen, alle die mit ertrinken lassen, gegen die sie etwas haben. Bei der Sündfluth in unserer Kirche kommen Pontius Pilatus, Herodes und Kaiphas ums Leben; auch Judas würde ihnen gewiß Gesellschaft geleistet haben, wenn er sich nicht noch zu rechter Zeit erhängt hätte. Sie selbst werden den Jakob gepudert und frisirt auf manchem Bilde gesehen haben, wie er um Rahel wirbt; und eben in unserer Kirche hat Isaak sich einen Haarbeutel angelegt, als er sich auf die Freierei begibt. Was gilt die Wette: in allen Genealogien werden sich Pontius Pilatus, Herodes und Kaiphas im Wasser der Sündfluth, Jakob gepudert und frisirt, und Isaak mit einem Haarbeutel finden! – Wenn man dem Ursprunge der alten adeligen Familien nachspürt – wann entstanden sie? Zu einer Zeit, wo Straßenraub Modetugend, höchstens Mode-Untugend war; wo der Mordbrenner bei seinen Zeitgenossen mehr gewann, als verlor, wenn seine Unthat bekannt wurde; zu der Zeit des Faustrechts, der Befehdung und der Tollkühnheit. Wie oft sind die Grundsteine des Adels Landesverräthereien und Beförderungen einer himmelschreienden Tyrannei? – Mein Vater war ein Emsiger; und was ist entwürdigender: vermittelst kleiner Papiere, die man (mit Erlaubniß meines Gemahls) Wechsel nennt, Staaten auszukaufen, Regenten in Stand zu setzen, daß sie Krone und Scepter erhalten können, und Schätze aus fremden Gegenden durch Schiffe herbei zu führen; oder auf seinem Gute tausend Thaler intabuliren zu lassen, den Einschnitt des currenten Jahres in der nächsten Stadt zum Verkauf auszubieten, und im Kleinen dem Kaufmanne das zu überlassen, was dieser im Großen verkauft? Seinem adeligen Nachbar ein blindes Pferd für ein sehendes zu verhandeln, oder eine Lieferung von viertausend zu übernehmen? – Ich gebe gern zu, daß sich der Adel und der Kaufmann in einer Person nicht vertragen, daß den Edelmann der Degen und das Gesetzbuch kleidet; handeln indeß nicht oft Kaiser und Könige? Die [97] Fugger zu Augsburg wurden aus Kaufleuten Grafen in Deutschland; und wie vieler Grafen Voreltern waren Kauf- und Handelsleute! Zu Florenz veredelte kaufmännisches Gut kaufmännisches Blut, und die Medicis kamen zur großherzoglichen Herrschaft von Toscana; oder ist der Name Medicis Ihnen nicht schätzbar genug, obgleich aus diesem Hause Katharina und Maria als Königinnen von Frankreich während der Jugend ihrer Söhne herrschten? War der französische Thron nicht einer der stolzesten auf Erden? – Darf ich mir die Erlaubniß nehmen, an den Agathokles zu denken, dessen Vater ein Töpfer und armer Mann war? Der Sohn diente als gemeiner Soldat und schwang sich bis zum Obristen, und vom Obristen bis zum Könige von Sicilien. Es ging ihm, wie es andern geht; er ward ohne Zweifel von den Vornehmen seines Staates verachtet. Und Agathokles? ließ die zum niedrigsten Gebrauche bestimmten goldenen Gefäße in einen Ju piter verschmelzen, dem er einen der heiligsten Plätze im Tempel gab. Alles betete dieß Bild an; und nun erhob Agathokles seine Stimme und sprach: Ihr Männer und Weiber von Sicilien, wisset, ihr, wen ihr anbetet? – »Jupiter.« – Freilich Jupiter, den ich aber aus verächtlichem Geschirr meiner Kammer machen ließ! Und wie? ihr tragt Bedenken, über meinen Jupiter den Töpfer zu vergessen? Dieß wirkte; und der weise Agathokles verfehlte nicht, neben den goldenen Geschirren auch irdene zum Andenken seiner Abkunft zu gebrauchen. In der andern Welt, meine Herren, werden wir weder freien noch uns freien lassen: da werden nur die guten Thaten des Agathokles gelten und seiner Töpfer-Abkunft weiter nicht gedacht werden. Wahrlich, jeder edle Mensch ist in der Welt keine Null; er ist nicht Mittel, er ist Zweck. Je mehr er sich der Unehre, bloß Mittel zu seyn, nähert, je unedler ist er in dem herrlichen Sinne, wenn edel und adelig gleichbedeutende Wörter sind. Menschenrecht und Menschenehre sind [98] Dinge, die wir jedem lassen müssen, und die auch uns jeder lassen muß, vermöge eines Traktats, den die Tugend (verzeihen Sie mir den emsigen Ausdruck, der auch politisch ist) negociirt hat, und der, wie Vernunft und Wahrheit ewig bleibt – (ich rede wie die Tochter eines Kaufmanns) der uns bei der gefährlichen Schifffahrt dieses Lebens leiten muß. – Men schen sterben; das Geschlecht ist unsterblich. – Ich liebe meinen Gemahl zärtlich; allein, war ich seine Anführerin? Er rede, ob ich ihn unglücklich gemacht habe! Ich kenne sein Herz, und weiß gewiß, daß er das meinige kennt; oder hab' ich je in der größten Ehestille ein Wort gegen ihn von dem verloren, was ich jetzt gezwungen bin laut zu sagen? Hab' ich mich nicht mit seinem Johanniter-Mantel bedeckt, und ist mir seine Nothtaufe nicht so erbaulich gewesen, daß ich ihn täglich nothtaufen sehen möchte? Ich werde gewiß meinen Stand als Königin von Sicilien nicht verkennen; allein ich hoffe auch, daß man meinen Vater nicht verkennen wird, der durch sein Töpferhandwerk mich zur Königin von Sicilien gemacht.

Diese Rede schlug den Herrn Senior zu Boden, und der dritte Kastenassessor war versteinert. Er hatte die Dreistigkeit gehabt, nicht weniger als fünfzigtausend Thaler ohne Zinsen von unserm Ritter zu verlangen; und da ihm dieses Darlehen abgeschlagen ward, so ergriff er mit beiden Händen die Gelegenheit, jene so harte Rede für den Herrn Senior zu stylisiren. Die andern Assessoren, besonders der jüngste, den die Ritterin, schon ehe sie zu reden anfing, bezaubert hatte, nahmen das Wort und versicherten, daß die liebe Cousine keine Narbe oder Schmarre, wie sie es nannten, von diesem bösen Stündlein behalten sollte, daß auf den Charfreitag Ostern, auf Peterkettenfeier Peterstuhlfeier folgen würde, und daß alles nur Formalien wären. Vorzüglich beruhigte der Ritter sein braves Weib. Sie selbst brachte den gelähmten Senior wieder zu Kräften und versicherte ihn, daß er nach dieser [99] Erklärung sagen könnte, was er wollte, ohne im mindesten weiter von ihr unterbrochen zu werden. Da er in der Verwirrung nichts an dem Aufsatze, den er von dem erbitterten Herrn Assessor erhalten hatte, ändern konnte, so suchte er alles durch einen sanften Ton zu ersetzen, und befragte die Ritterin liebreich, ob sie ihrem vorigen Stande völlig entsagen, sich ihres heutigen Taufbundes erinnern, ihren Kindern und Kindeskindern eine adelige Erziehung angedeihen lassen, Söhne und Töchter bis ins tausendste Glied vor Mißheirath warnen und durch Segen und Fluch sie vor diesem Falle bewahren wolle für und für? Sie antwortete: Ja! und ein noch lauteres auf die Schlußfrage: Ob sie der Familie ihres Gemahls treu seyn und bleiben wolle bis in den Tod? Daß der Vetter Schriftsteller hier an die fünfzigtausend Thaler ohne Zinsen dachte, war sichtbar; indeß hatte die Baronin ihrem Ja andere und viel engere Grenzen gesteckt, ohne zu wissen, daß der Fünfzigtausendthaler-Assessor der rachsüchtige Verfasser des Uriasaufsatzes gewesen war. Nun erhob sich der Senior vom Stuhle und besprengte sie dreimal mit wohlriechendem Wasser aus einer Patene (einem Oblatenschüsselchen).

Nachdem Vater und Mutter meinen Helden gemeinschaftlich auf einem Kissen dem Senior dargebracht, und dieser auch ihn dreimal mit dem Wasser des Lebens besprengt hatte, ward das Resultat publicirt:


daß dem Herrn Vetter der verbotene Biß zu verzeihen, und der A B C des heiligen römischen Reiches Freiherr von Rosenthal nächstdem unbedenklich in den Stammbaum einzutragen sey.


Was die Mutter anbeträfe, so sollte sie zwar, da ohne Mutter kein Sohn zur Welt kommen könne, auch ins Grüne gebracht werden; indeß müßte sie sich gefallen lassen, daß auf ihren Namen ein Kleck käme.V.R.W.

[100] Ihr Mann, ein zweiter Brutus, war unbeweglich bei diesem Urtheil, und würde, wenn es ihm Amtshalber wäre aufgetragen worden, selbst der Scharf- und Nachrichter gewesen seyn, um diesen Brandmark in Erfüllung zu setzen. Heroismus steckt an wie die Liebe; und so war denn auch die Baronin ihres feierlichst gegebenen Wortes eingedenk, zumal da sie ohnehin wohl wußte, daß Stände in der Welt seyn müssen, und daß nach Peterkettenfeier Peterstuhlfeier eintritt. Willig erduldete sie den

23. Kleck
§. 23.
Kleck,

und war hinreichend befriedigt, daß man ihren Vornamen gewürdigt hatte, ihn ohne Kleck in den Stammbaum auf- und anzunehmen. Der jüngste Assessor, dem die Cousine je länger, je mehr gefiel, und der sein häßliches, wiewohl sechzehn Ahnen reiches Weib den Augenblick mit ihr vertauscht hätte, ohne einen Dreier als Zugabe zu begehren, trat zu der armen Sünderin, als ob er sie mit Trost zum Richtplatz und Staupenschlage begleiten wollte. Sie dankte ihm anständig für seine Bemühung, zeigte, daß sie keines Zuspruchs bedürfe und starb wie eine Märtyrin den Tod des Kleckes, ohne einen Seufzer fallen zu lassen, was denn allen wohlgefiel. Das Urtheil ward sogleich zur Vollstreckung gebracht, und da dem Senior, welcher Ehren halber diese Hinrichtung zur Pflicht hatte und vigore officii die Namenseintragung besorgte, die Hand zitterte, so ward auch der letzte Buchstabe im Namen Sophie mit Tinte ersäuft und mit dem Zunamen zugleich vertilgt, so daß nurSoph und der Punkt auf dem i zu sehen blieb. Man schüttelte, ohne auf den ersten Edelmann Adam, der auch nur einfach benamt war, Rücksicht zu nehmen, die weinleeren Köpfe, daß die Frau Baronin nur einen Vornamen hatte, und um so mehr bat [101] der Senior sie um Verzeihung, daß er an dem unschuldigen i und e bis auf den Punkt sich widerrechtlich vergriffen, da sie so wenig an Namen zu verlieren hätte. Während der ganzen Verhandlung mußte die Baronin stehen; selbst ihrem Gemahl ward zur Kirchenbuße erst in der Folge, und zwar nur ein Tabouret gesetzt. Man gab sich das Wort, von allem, was vorgefallen war, keine Sylbe zu verlautbaren, obgleich dieses Gelübde der Verschwiegenheit schon an sich zu den Familienstatuten gehörte; indeß schien zu diesem allem die Gegenrede der Baronin, die man Einspruch nannte, nicht gerechnet zu seyn, wobei es ihr übrigens nicht viel besser ging, als jenem Alchymisten, der es auf Gold anlegte und Porzellan zur Welt brachte. – Auch gut! Ist Porzellan zu verachten? – Sie hatte sich, wie wir gesehen haben, schon lange zuvor gegen etwaige Vorwürfe ihrer Geburt in Vertheidigungsstand gesetzt. Schade! denn gewiß hätten wir sonst ein weniger gelehrtes, allein ein ihrem Verstande und Herzen angemesseneres Glück erhalten. Jetzt machte man, so wie es hingegangen war, seinen Rückweg. Nach dem Senior gingen unser Ritter und sein braves Weib, die ihr A B C trug. In pleno, wo die weibliche Gesellschaft, welche bis jetzt in der Gemeinde geschwiegen hatte, zutrat, ward ein Archengang verabredet, der nach Tische gehalten werden sollte; denn dieß Drama, bei dem die Baronin ihr A B C und ihr Gemahl die weinerlichen Rollen gemacht, beschloß ein herrlicher Schmaus cum applausu aller, die am rothen Tische gesessen hatten, und derer, die draußen geblieben waren. Die in effigie bemakelte Baronin war nun wieder ganz die allerliebste, schönste, beste Cousine, und der Senior hätte um vieles den Tintenfleck von dem e und i sondern mögen, wobei er sich doch herzlich freute, daß wenigstens der Punkt zum i unversehrt geblieben war. Man aß und trank fröhlich und guter Dinge. Nach aufgehobener Tafel ging man paarweise nach der Bundeslade und hüpfte mit einer solchen[102] Wohlanständigkeit um sie herum, daß sich viele der Damen bei diesem Tanz aus Rührung der Thränen nicht enthalten konnten. In der Familie hieß er der Todtentanz. – Der Bundeslade ward ein Prunkzimmer eingeräumt, wo sich alle drei Stunden sieben Mann zur Wache ablösten, die vom Senior Parole und Feldgeschrei erhielten; – denn diese Bundeslade konnte nur zu ihrer Zeit wieder, so wie sie hergekommen war, nach Hause gebracht werden. Der Senior mußte sie geleiten! Die Gesellschaft blieb sieben Tage (nach der Zahl des Seniors und seiner Assessoren, wobei Senior für zwei gerechnet ward) einmüthig bei einander. Man hatte den Pfarrer loci am letzten Tage zur Familientafel gezogen, oder ihr einverleibt; und da vieles von dem Vorgegangenen, insoweit es ins Auge fiel und zum Aeußerlichen des Familienfestes gehörte, zu seiner Wissenschaft gediehen war, so konnte er nicht Worte genug finden, die Feierlichkeit zu lobpreisen. Sein unvorgreifliches Gesuch, die Arche unbedeckt zu sehen, ward ihm indeß abgeschlagen – Die wachehabenden Bauern dienten übrigens zu Fuß und ohne Schimmel; doch waren sie mit Unter- und Obergewehr knappenmäßig versehen, welches den Schulmeister am meisten verdroß, der gerne bis zum Allerheiligsten der Bundeslade hohepriesterlich vorgedrungen wäre, jetzt aber aus verbissenem Aerger gegen den Gevatter Nachtwächter behauptete: dieses Unwesen würde mit einer sonnenklaren Finsterniß verdeckt, damit ihm von christfrommen Herzen desto weniger gesteuert werden könnte. Er gab unverschämt vor, die Nuß dieser Handlung mit den Backzähnen aufgebissen zu haben und den Kern zu besitzen. Und dieser Kern war? – Die Baronin hätte eine Feuerprobe ihrer Jungferschaft aushalten müssen. – Rosenfest nach der Hochzeit, versetzte der Nachtwächter. O, des Unbeschnittenen, schrie der Schulmeister, an Herzen und Ohren! Aus der Mutterschaft wird der sicherste Beweis der Jungferschaft geführt. Das nennt man a posteriori; [103] – der Beweis a priori, Gevatter, ist und bleibt eine kitzliche Sache.

Die Damen machten Schwesterschaft, ohne sich zu dutzen. Die Fünfzigtausend Reichsthaler-Schwester, die unter vielen andern Häßlichkeiten schwarze Zähne hatte, wie sie so leicht kein Holländer vom heißen Thee gehabt haben mag, konnte nicht umhin, sich einige Anspielungen auf die Gegenrede oder den Einspruch herauszunehmen. Gern wollte die Ritterin reinen Mund halten; konnte sie aber die Frau Schwester wohl vermögen, daß auch sie die Hand auf den Mund legte? Scharfsinnig wich die Ritterin aus, und brachte unter andern das Kapitel von der Verschwiegenheit mit der Behauptung vor: unser Geschlecht wäre weniger zum Schweigen aufgelegt, als das weibliche. Vielleicht, fuhr sie fort, substituirte man in dieser Rücksicht dem Worte Mann das beschriene WörtleinMund: Vormund, statt Vormann. Allein die Frau Schwester wollte nun einmal ihr Müthlein kühlen. Selbst nicht das herrliche Mahl war im Stande, sie zu bändigen, ob es gleich davon nicht heißen konnte, so viel Mund, so viel Pfund; sondern: so viel Mund, so viel Centner. Und am Ende – was wird es seyn, das die Frau Schwester auf dem Herzen hat? Auf dem Herzen, wahrlich nichts mehr und nichts weniger, als die fünfzigtausend Reichsthaler ohne Zinsen. – Noch wich die Mutter unseres Helden ritterlich aus. Gibt es indeß nicht Gedanken und Worte, die man nicht verschmerzen kann? Diese pflegen gemeiniglich mit einer körperlichen Bewegung verbunden zu seyn; sie erregen eine Art von Seelenstoß; sie klopfen nicht bei uns an, sie schlagen eine Thüre ein – und wir mögen wollen oder nicht, wir müssen erwiedern.


»Der Papst, liebe Schwester, bedarf keiner Ahnen.«


Hat aber keine Kinder –

[104] »Und wie viele gekrönte Häupter waren aus der Volksklasse!« –

An gekrönte Häupter sollte eine ehrbare Frau schon Schande halber nicht denken.

»Es wird mir doch erlaubt seyn, des Königs David, des Mannes nach dem Herzen Gottes, zu erwähnen?«

Der liebe Gott kann Ahnen beilegen, so viel er will; das läßt man sich nach der himmlischen Heraldik ganz gern gefallen. Nach der irdischen konnte König David so wenig wie sein Herr Sohn Salomo, Johanniter-Ritter werden –

»Wenn Salomo nur den Namen des Weisesten behält, und Könige und Fürsten sich glücklich dünken, daß sie nach ihm Salomone heißen!« –

Es ist Zeit, daß ich an das

24. Inventarium
§. 24.
Inventarium

denke, welches ohne Subtilitätenklauberei in optima forma abgeschlossen ward. Der Nachbar war bei dem Abschlusse so thätig gewesen, daß der Baron eine große Meinung von ihm bekam, da er bei einer Sache, die doch außer seinem Geschäftskreise lag, so viele Einsicht und Thätigkrit bewiesen hatte. Zwar hieß es, der Nachbar habe im Trüben gefischt, und wenn gleich die eheleibliche Tochter des Emsigen ihm nicht zu Theil geworden, doch in casu den besten Theil erwählt; indeß war alles schwarz auf weiß, und dem Ritter lag nur daran, zu wissen, woran er wäre, und nicht quid juris. Wenn die Herren Juristen nur so gütig seyn wollten, dieß gegen dreimal so viel Kartengeld, als sie jetzt einziehen, den armen Leuten in kürzerer Zeit zu verkaufen, als jetzt, wo denn auch nichts mehr für das Geld gegeben wird, als Geduldslehre! –[105] Wär' es wahr, daß es nur drei Reihen Geschriebenes braucht, um jemanden mit Ehren an Galgen und Rad und, was natürlich leichter ist, um Ruf und Vermögen zu bringen, so verdiente unser Nachbar das Zutrauen, welches ihm der Ritter durch das Anerbieten bewies, das Geld auf landübliche Zinsen in seine Handlung zu geben. Nur erst nach vielen Schwierigkeiten, und bloß wegen des grenzenlosen Zutrauens, welches der Ritter in ihn setzte, erfolgte endlich ein aufrichtiges Jawort; und der Ritter entging durch dieses Ja der gewiß nicht kleinen Sorge, ein so ansehnliches Capital unterzubringen. Dazu kam noch, daß er nun die Anträge so mancher Ritter und Herren, womit man ihn, außer dem Kasten-Assessor Nr. 3., gleich nach des Emsigen Tode bestürmt und besäuselt hatte, geradezu von der Hand weisen konnte. Da sehen die Frau Schwester mit den Holländerzähnen, wenn der Ritter auch wollte – kann er? Die Wechsel, die der Ritter acht Tage nach dem Ableben des Emsigen gestellt hatte, und die wegen ihres sonderbaren Verfalltages erwähnt zu werden verdienen, wurden bis zum letzten Heller bezahlt, und doch blieb unser Ritter schuldenfrei, und besaß herrliche, Güter, welche, ohne die Kreuze mitzurechnen, zu den ersten im Lande gehörten, und außerdem noch ein Capital von einhundert und fünfzigtausend Thalern. Die

25. Erziehung
§. 25.
Erziehung

unseres Helden war völlig diesen Vermögensumständen angemessen, die, so wie sie zu allen Dingen nütze sind, sich auch bei Erziehungsanstalten ihre Stimme nicht nehmen lassen. Man kann nicht sagen, daß unser Held schwächlich war, und daß er die erhaltene Nothtaufe körperlich bewies; doch gehörte er auch nicht zu jenen Felsenfesten, die unser Ritter, wiewohl sehr uneigentlich, geborne Atheisten nannte – die sich vor nichts fürchten und deren Stärke ihr Gott ist. [106] Die Schwächlichkeit unseres Helden verhinderte gewiß keine seelen- und leibesritterliche Uebung, die der Herr Vater seinem Erstgebornen zudenken mochte. Der väterliche Plan indeß war in Hinsicht dieser ritterlichen Uebung so eingeschränkt, daß man ihm sogleich ansah, es sey mit dem A B C-Junker auf keinen Johanniterritter angelegt. Die Mutter eignete sich die Erstlinge der Erziehung zu, und jede Mutter, wenn gleich ihr Kind ein Sohn ist, bleibt dazu berechtigt. Ohne Zweifel werden wir finden, daß unser Held sich durch so manches Muttermal und durch recht viele Eindrücke, die er von seiner Mutter empfing, und wozu die Stern- und Kreuzseherei gehörte, sein ganzes Leben hindurch auszeichnete. – Warum verhinderte die Mutter nicht, daß schon zeitig unlautere Leidenschaften genährt wurden, um dem Junker eine Elle zuzusetzen, womit die weit klügere Mutter Natur (die aber freilich keine Baronin ist) den Menschen nicht ausgestattet zu haben scheint! War er denn aber nicht zu dieser wohlriechenden Erziehung besprengt? Da mußten Neid, Stolz, Ehrgeiz den glimmenden Docht der Fähigkeiten in dem Junker aufblasen, und mit so mancher Vernachlässigung des Menschen ein Baron ausgearbeitet werden. Das arme Weib war ihrer natürlichen Herzensgüte und ihr Sohn seiner Nothtaufe wegen zu keinen großen Leidenschaften aufgelegt. Gut! warum benutzte man indeß den Boden nicht so, wie man ihn fand? Leidenschaft ist Poesie der Seelen, und Poeten werden geboren – Warum Ilias ante Homerum? Warum ließ man den Kleinen durchaus vom Tanzmeister gehen lernen? Das schlimmste war, daß das arme Weib selbst bei dieser Gelegenheit zusehends einen guten Theil ihres natürlichen Ganges verlor, und es zwischen Kunst und Natur so manchen Zwist gab. Die Natur behielt freilich den Sieg; sollte aber Streit seyn, wo alles entschieden ist? Bedächten die Vornehmen, daß die Pluralität doch immer auf der Seite des Volkes, und daß mit Recht dessen Stimme [107] die göttliche ist; bedächten sie, daß ihre Vota wie Tropfen gegen den Ocean sind, sie würden mehr Achtung für das Ganze beweisen und fürchten und lieben lernen da, wo sie jetzt ohne Furcht und Liebe bloß befehlen. – Durch das Befehlen ist wahrlich wenig oder gar nichts ausgerichtet, wenn die, welche gehorchen sollen, nicht zum Gehorsam vorbereitet und geneigt sind. – Ist bei einer Baronserziehung an einen individuellen Charakter zu denken? Umstände sollte man, so wie Neigungen, dem Kinde unter seine Botmäßigkeit bringen lehren; und wie weit leichter wäre dieß olympische Ziel zu erreichen, wenn man die unendlich mannichfaltigen Anlagen des Kindes zu benutzen wüßte, und wenn man es mit Umständen und Schwierigkeiten bekannt zu machen suchte! Lernte der Lehrer den Zögling kennen, machte ihn mit sich bekannt, und waffnete ihn gegen alle sehr leicht auf ihn zu berechnende Umstände; verstärkte man die individuelle Natur durch künstliche Nachhülfe: – wie leicht müßte es, wo nicht gewiß, so doch wahrscheinlich zu bestimmen seyn, was aus dem Kindlein werden würde? Jetzt soll schlechterdings aus jedem Holz ein Merkur werden; und wie selten gibt es Aepfel, die weit vom Stamme fallen! Neigungen lassen sich verpflanzen, und wenn Kräfte und innere Beschaffenheiten des Kindes ein Wunder in unsern Augen sind – was werden wir ausrichten? Sagt nicht: es befänden sich Anlagen zu allen Neigungen im Menschen; auf seinen Acker könne so gut Weizen als Roggen gesäet werden, und es komme nur auf den Lehrer an, aus seinem Schüler zu machen, was ihm beliebe. Solchen Neigungen, welche die Natur zu Hauptzügen des Charakters bestimmte, kann der Mensch so leicht nicht entsagen. Oft heißt Kampf wider die Natur: Erziehung, und doch sollte Erziehung Naturveredlung seyn. – Gemeiniglich fängt die Erziehung unserer Vornehmen nicht vom Menschen an, um zum bedeutenden Menschen überzugehen, sondern man sagt dem Zöglinge: er sey schon [108] von Natur bedeutend, und werde nicht übel thun, wenn er bei dieser Bedeutung geruhen wolle ein Mensch zu seyn. Man complimentirt ihm den Menschen bloß auf, ohne ihm denselben zum Gesetz zu machen. Was Sie vor sich sehen, sagt man ihm, ist Ihr Untergebener; Gott setzte Sie, wie weiland Adam, ins Paradies, um zu herrschen und zu regieren. Leibes- und Seelenkräfte sind zwar liebe Gottesgaben; indeß gegen Geburt und einmal hundert und fünfzigtausend Reichsthaler baares Geld (ohne die schönen schuldenfreien Rosenthal'schen Güter) wie gar nichts! – Es ist schon alles, was man thun kann, wenn man ihm Gnade und Huld gegen die Würmer, seine Unterthanen, anpreist, weil der liebe Gott ihnen doch die Ehre erwiesen hat, Nase und Ohren an ihren Kopf zu hängen. Wer ist unser Nächster? und sollen wir nicht unsern Nächsten lieben als uns selbst? – Warum diese Ausholung? Unser Junker erhielt eine wohlriechende Erziehung, bei der es nur auf gutes Wetter angelegt ward. An den drückenden Sonnenstrahl des Sommers und an den Nordwind des Winters, als an die beiden Jahreszeiten des Bürger-, und an den noch mühseligern Herbst, als an die Jahreszeit des Bauernstandes, ward gar nicht gedacht, obgleich wahrlich! nur der als Mensch erzogen ist, der, wenn Noth an Mann geht, alle vier Jahreszeiten in den vier Tagszeiten mir nichts dir nichts und so zu überstehen vermag, daß er weder von einem physischen noch von einem moralischen Catarrh oder Fieber oder etwas dergleichen befallen zu werden fürchten darf. – Jetzt mußte nichts, auch nur einen Strohhalm breit, aus seinen einmal angenommenen Grenzen verrückt werden, wenn der Junker nicht der Kälte und Hitze unterliegen sollte. Kein Dreier Zinsen von dem ansehnlichen Capital mußte ausbleiben, kein Kreuz im freiherrlichen Schlosse angegriffen werden, kein Dachziegel sich verschieben, kein Mensch, selbst den regierenden Herrn nicht ausgenommen, sich in einen andern Ton umstimmen. Es mußte [109] immerwährender Frühling auf Erden bleiben und Rosenthal Arkadien werden; Nektar und Ambrosia immer für Geld, nota bene ohne gutes Wort zu haben seyn, wenn unser ABC-Junker grünen und blühen sollte. Freund und Feind, daß ihr euch nur in den Schranken zu halten wißt; denn wenn sich nicht alles in der Welt wie im Einmal-Eins folgt, so kann es unserm Junker nicht wohlgehen und er nicht lange leben auf Erden. Nicht für Gottes Erdball, für Rosenthal ward er erzogen. – Vielleicht ändert sich unser Held, da die Scene sich verändert. Seht! zeitiger als es sonst Sitte im Lande ist, wird ihm durch einen Hofmeister unter die Arme gegriffen: gewöhnlich die zweite Amme, welcher die liebe Jugend an die Brust gelegt wird. Der Ritter – zu seinem Ruhme sey es gesagt – vergaß nicht, die Milch dieser Amme zu untersuchen, eine Ammeninstruktion zu entwerfen, und selbst an seinem Theil dem Hofmeister mit Rath und That zur Hand zu gehen. Er wollte aber nicht die zweite Amme seines Sohnes, sondern die Amme seiner Amme seyn; – das ist freilich leichter! Und diese Instruktion? Der Ritter meinte kraft derselben, daß sein Sohn keines griechischen oder römischen Piedestals bedürfe, um sein Licht leuchten zu lassen vor den Leuten, indem er schon ohne Piedestal groß genug sey, um aufzufallen. Da er nicht überzeugt war, daß der Maßstab unserer Größe bloß in den Händen der Nachwelt ist, so ward es nur auf den Schein angelegt, obgleich hierdurch der Geist der Herrschsucht, der Heuchelei und des Priesterbetrugs eingehaucht wird. Die Erklärung der Biene in der Fabel, die man vor giftigen Blumen warnte: »das Gift lass' ich darin,« war ihm zu hoch, und die ganze freiherrliche Instruktion war ein Gängelband, wodurch eigentlich dem freien Willen ein Streich gespielt werden sollte. Ein paar Stellen dieser Instruktion schienen wirklich auf Veränderung des Wetters calculirt zu seyn; indeß wurde in diesem Falle, da Gott vor sey! ein Amulet von Worten, [110] ein Universale von schönen Phrasen väterlich empfohlen, um, wenn sich Wolken zusammenzögen und Unfälle erhöben, sie durch Scheltworte oder Sentiments abzuwenden. – Das ist der Lauf der Welt! – So wie der Blitz (eigene Worte) sich nie selbst trifft, das Feuer sich nicht selbst verbrennt, das Wasser sich nicht selbst ersäuft: so auch der Mann von Geburt und Vermögen. In der Natur und in der Menschenwelt ist alles wider einander. Der edle Mann muß sich durch erhabene Gesinnungen sichern lernen; und wenn Gleich und Gleich sich mit einander balgen – was ist sein Beruf? Durch einen Vorsprung befehlen, richten und strafen, ohne das Gelübde des Gehorsams zu übernehmen und sich richten und strafen zu lassen. Da ist er denn vor einem blauen Auge sicher, wie im Schooß Abrahams. Ein so wohlerzogener Held wird so selten von seinen Thaten eine Wunde heimbringen, als sich ein Kleck im Grünen in alten Familien findet. – Alle jene schöne Reden des Alterthums über Vaterland und Heroismus waren hier Schulredensarten, die man zu Ehren und Unehren brauchen kann, je nachdem das Exercitium es will. Zu den geheimen Artikeln der Instruktion gehörte, daß der ABC-Junker ohne Schläge groß werden sollte. Strafen, hieß es, sollen durch Empfindung des Unangenehmen bessern; und da es Seelen- und Körperstrafen gibt, so müssen Kinder, je nachdem sie mehr Seele oder mehr Körper haben, mit Seelen- oder Körperstrafen belegt werden. Der Ritter war nicht ganz auf unrichtigem Wege; nur gehört der Kopf eines Meisters dazu, zu bestimmen ob und wie viel das Kind Seele und Körper habe; der Baron thut hier wahrlich nichts zur Sache. Kurz, bei der Art wie unser Held erzogen ward, schien es freilich nicht darauf angelegt, daß der Junker selbst etwas versuchen, selbst etwas erfahren sollte; vielmehr ward die Geschichte ihm als Spiegel, Regel und Riegel aufgeschlagen und ihm die Versicherung gegeben, daß schon andere für ihn versucht und erfahren hätten. Wer wird [111] denn auch auf eine französische Revolution und dergleichen calculiren? Mein Held ward ein Held aus Büchern und lernte reden, handeln aber nicht. Wenn das Dichten und Trachten des Menschenkenners dahin geht, daß der Lehrling alles aus sich selbst herausziehe, daß das Kind durch seine eigenen Handlungen lerne, daß seine Handlungen ihm Fibel und Katechismus werden, so war hier die Geschichte das Götzenbild, welches angebetet ward. Wahrlich! was in der Geschichte nicht übertrieben wird – und das ist vom Uebel – geht täglich vor unsern Augen vor. Ob Fingerlein oder Goliath, ob in Seide oder im Kittel – Mensch ist Mensch. Voltaire ist wahrlich einer der ehrlichsten Geschichtschreiber; denn er dichtete so unverhohlen und war so dreist, daß ein jeder wußte, woran er war. Die aber, die sich ängstlich den Kopf zerbrechen, welches doch wohl die geheime Triebfeder gewesen sey, die dieß und das ans Licht gebracht habe, die sich Mühe geben, Wahrheit von lügenhaften Nachrichten zu destilliren, bedenken nicht, daß wenn zwei Menschen einerlei sehen, wenn zwei Menschen einerlei hören, jeder anders gesehen und gehört hat, und daß niemand weiß, was im Menschen ist, als der Geist in ihm. – Kindern die Geschichte! Ein Mann, dem der Kopf am rechten Orte sitzt, weiß freilich zur Noth, was ein ehrlicher Kerl thun kann, und da die Menschen einander erschrecklich gleichen, wie es denn so ungefähr zugegangen seyn wird. Ihm kann die Geschichte nützlich und selig werden. Ein Kind aber – was soll das mit der Geschichte, die seine Jahre und seine Kräfte übersteigt? Legte man Kindern Kinder- und Jünglingen Jünglingsgeschichte vor: – immerhin! Dann wäre dieser Einwand gestürzt, allein darum auch jeder andere? Was soll aber dem Kinde und dem Jünglinge die Rüstung des Mannes? – Ich fand diese Einwendungen als Glossen und mit vergelbter Tinte hinzugefügt:»Quae qualis quanta!« Mit dem

26. Türken
[112]
§. 26.
Türken

ward die Geschichte angefangen. Natürlich! da der Herr Vater des Lehrlings Johanniterordensritter war. Der Hofmeister hatte einen göttlichen Beruf, mit dem Volke Gottes anzuheben, um, wie er sich ausdrückte, die Pferde nicht hinter den Wagen zu spannen; aber was war zu machen, da der Ritter den Türken auf den Leib gebannt war? – in der Geschichte nämlich. – Nie konnte unser Ritter an den elenden Anfang der Türken denken, ohne zu bedauern, daß nicht schon damals der Johanniterorden existirt hätte. Freilich! warum, sagte er, ließ man es zur Pforte kommen? Eine Thür ist eher einzuschlagen. Otmann! Otmann! Stifter der Ottomannischen Pforte, dir Gerechtigkeit! Doch könnte ich bei der Gerechtigkeit, die ich deinem Muth erweise, Hölle und Verderben aufrufen. »Aber, lieber Ritter,« fiel die liebe Ritterin ein, »ohne Türken, wer hätte wohl an die Johanniterritterschaft gedacht? und ohne Ottomannische Pforte, was den Orden so gehoben? was und wer?« – Und der Hofmeister, der blindlings aus Rache beitrat, weil dem Volke Gottes so sonnenklar Unrecht geschehen war, fügte hinzu: je größer der Feind, je größer die Ehre ihn zu Paaren zu treiben. Ist es, um biblisch zu reden, nicht weit ehrenvoller, auf Löwen und Ottern, auf Schlangen und Drachen zu gehen, als auf Regenwürmern?

Ob nun gleich das Grab unseres Herrn schwerlich durch den Vater unseres Helden erobert werden wird, so erstreckte sich doch seine Todfeindschaft gegen alles, was Türk hieß und nicht war – in der That etwas weit, so daß er gegen türkischen Weizen, türkisches Papier und gegen die unschuldige Blume, welche türkischer Bund genannt wird, die seltsamste Antipathie hatte, die je zwischen [113] einem Johanniter-Ordensritter und einem wirklichen Türken gewesen seyn mochte. Kennen muß man seinen Feind, pflegte er zu sagen; und eben darum mußte sein Sohn auch die türkische Geschichte vor der Geschichte des Volkes Gottes lernen. »Kennen,« fragte der naseweise Hofmeister, »um zu verfolgen?« – Bis in den Tod! erwiederte der Ritter; weßhalb er denn auch rühmlichst an dem türkischen Weizen, dem türkischen Papier und dem türkischen Bund schreckliche Exempel statuirte. Oft dankte er dem Himmel, daß er nicht zu dem sonst so alten und berühmten Geschlechte der Türken gehöre; er behauptete, daß bloß wegen dieses Steins des Anstoßes ein Zweig von ihnen sich Türk von Ramstein geschrieben hätte.

Als der Hofmeister mit Ehren die türkische Geschichte geendigt hatte, dankte er Gott, daß er aus dieser Mördergrube wie Daniel errettet wäre; als wenn es nicht auch andere Mördergruben in der Geschichte gäbe! Jetzt glaubte er, ohne allen Widerstand zu dem Volke Gottes übergehen zu können; doch legte unser Ritter sich diesem abermals in den Weg, und achtete nicht darauf, als ihm der angehende Mann Gottes bewies, daß es wegen der Beschneidung, wegen des gelobten Landes, wegen der Bärte und wegen vieler andern Umstände, halbe Arbeit seyn würde.

Der Ort, fügte er hinzu, wird nicht verändert; es hebt nur ein neuer Akt an. – Alle diese Umstände galten nicht und konnten nicht gelten, da selbst der Gedanke des alten Testaments dem Ritter nicht überwiegend war. Auf Specialbefehl mußte die

27. Römische Kaiserhistorie
§. 27.
Römische Kaiserhistorie

an die Reihe. Gleichviel! waren die Menschen nicht von jeher einander ähnlich? – Der Hofmeister bat für Romulus und Remus [114] um geneigtes Gehör, es ward abgeschlagen, und nur nach so vielen Mißgriffen sah er denn endlich ein, wovon er, ohne Oedip zu seyn, sich gleich anfänglich hätte überzeugen können, daß der Ritter (nach Art gewisser Leute, die nichts achten, was sich nicht mit einer Pointe endet) bei jedem Theile der Geschichte seinen Herrn Sohn in freiherrliche Situationen setzen wollte. Je mehr nun dieser oder jener Theil der Geschichte dazu Stoff enthielt, je früher sollte sie, des Eindrucks halber, den man (nach der Instruktion) in den ersten Jahren am sichersten bewirken kann, der Gegenstand des Unterrichts seyn. Todte Fliegen, sagte der Ritter, verderben das köstlichste Salböl. – Mag! dachte der Hofmeister; ich will bloß die Nester voll Eier ausbrüten, die mir überliefert werden. – In der römischen Geschichte war es sehr mit auf die Christenverfolgungen gemünzt, die der Hofmeister nach allen Kräften einwässerte. Es kostete ihm wenige Mühe; zu den bekannten

28. Zehn Verfolgungen
§. 28.
zehn Verfolgungen

noch einige andere kritisch beizufügen, wozu er z.B. den Kindermord zu Bethlehem rechnete, welches unser Ritter in besondern Gnaden vermerkte. So erfinderisch unser angehender Geistlicher in Rücksicht der Verfolgungen schien, so schwach war er in der

29. Heraldik
§. 29.
Heraldik,

die ihn noch mehr als die Türkengeschichte, ängstigte. Doch, wollte er wohl oder übel, er mußte dieser brodlosen Kunst Zeit und Raum gönnen, um, wenn vom Ursprunge der Wappen, deren Eigenschaften und den Regeln, die beim Aufriß und bei der Anfertigung, Visirung und Auslegung eines Wappens erforderlich sind, die Rede war, nicht länger wie jetzt ein Stillschweigen der Unwissenheit [115] beobachten zu dürfen, welches sich vom Stillschweigen der Weisheit etwa wie schleichen von behutsam wandeln unterscheidet. In kurzer Zeit konnte er den Ritter auf einen heraldischen Zweikampf herausfordern; und da er sein Studium in der Stille getrieben hatte, so erschrak der Ritter nicht wenig, als er, anstatt den Wappenunterredungen auszuweichen, sie selbst auf freiem Felde aufsuchte. Wappen sind Aushängeschilde, fing er an. »Halt! sagte der Ritter; der Begriff muß veredelt werden. Ich leite die Genealogie dieses Namens von den Waffen ab; diese Unterscheidungszeichen führte man anfänglich auf Schild und Helm!« – Der Hofmeister würde sein Schild gewiß noch nicht so bald eingezogen haben, wenn sich nicht die gnädige Frau in dieses Gespräch gemischt und ihm, der heute zum erstenmal seine heraldischen Ikarus-Flügel versuchte, zu verstehen gegeben hätte, daß, wenn gleich jedes Handwerk einen goldnen Boden habe, der Schuster doch wohl thue, bei seinem Leisten, und der Schneider bei seiner Nadel zu bleiben. Ob nun gleich die gute Frau den Schuster vorausgehen ließ, so fühlte doch der Schneiderssohn den Nadelstich so heftig, daß er in eine Art von kurzer Raserei fiel, und (nach Art der Menschen, die, wenn sie von der Tarantel gestochen sind, vom Tanzen nicht ablassen können) sich durch Reden aushelfen wollte, und sich wie ein Kreisel durch Worte herumdrehte. Fassung ist das einzige Mittel, das erforderliche Gleichgewicht zwischen Leiden und Thun herzustellen, sie ist ein Extrakt der Geduld. Anstatt den Schuster aufzufangen und den Schneider seine Wege gehen zu lassen fröhlich – fiel er auf die Kleider im Paradiese, die von dem lieben Gott selbst gefertigt wären; indeß mußte er, da der Bediente hinter dem Stuhl der gnädigen Frau in Lachen ausbrach, eine andere Tarantelmaterie aus der Luft greifen. Noch nie hatte die Baronin eine Verwirrung dieser Art gesehen, die aus einer Unschicklichkeit in die andere, und zwar immer aus einer kleineren [116] in eine größere bringt. Die Gabel entfiel dem jungen Mann; er wollte sie aufheben und verschüttete ein Glas mit rothem Wein auf das herrliche damastene Tischtuch. Es fehlte nicht viel, so wär' er vom Stuhle gefallen; so wenig konnt' er sich an Leib und Seele halten. – Der Baronin schien ihr Nadelstich wehe zu thun, weil er den jungen, welt-unerfahrnen Jüngling so sichtbarlich verwundet hatte. Sein Vater benähte das höchst-freiherrliche Haus, und durch den Vater war der Sohn zur Informatorwürde empfohlen worden; indeß glaubte die gnädige Frau verbunden zu seyn, dem Jünglinge, der seit einiger Zeit und je länger je mehr über die Nadel ging, zu seinem eigenen Besten Schranken zu setzen. Die gewöhnlichen Tischreden wurden zwar auch in der Folge aus der Heraldik geschöpft; indeß hütete sich der Schneiderssohn, Blößen zu geben. – Der Ritter, dessen Vorliebe für das alte Testament wir schon kennen, verfehlte nicht, den Adam, Sem, Ham und Japhet, die jüdische Nation und deren Stämme mit Wappen zu beehren. Im Segen Jakobs fand er vielen Stoff zur Heraldik. Dem ahnenarmen Köninge David selbst, der Gott sein Schild nennt, konnt' es die Wappenehre nicht abschlagen; und ob er es gleich nicht völlig zu läugnen im Stande war, daß man erst zu Ende des zwölften und zu Anfange des dreizehnten Jahrhunderts Spuren von Wappen antreffe, so hielt er doch das werthe seinige für weit älter, und sah es als ein brennendes Licht unter dem Scheffel an. Auch setzte er den Ausdruck: Helm zu Ernst und Schimpf, oder zu Krieg und Turnieren, ins Reine. Bekanntlich leidet keine heraldische Figur so viele Veränderungen wie das Kreuz; und es war erwecklich, das heraldische Collegium über das Kreuz aus seinem Munde zu hören – welches der Ritterin um so mehr Freude machte, da es sie so lebhaft an ihren Brautstand erinnerte. Ueberhaupt sind Wappen eine Bilderschrift, und haben etwas Geheimnißvolles, Hieroglyphisches; und da die Damen wohlbedächtig [117] von den Altären der Geheimnisse, die wir generis masculini halten, entfernt werden, so ist nichts natürlicher, als daß sie sich gern dazu einweihen lassen möchten – und daß sie sich auch gern mit Brosamen begnügen, die von unsern wohlbesetzten Geheimnißtafeln fallen. Wahrlich, diese Brosamen sind bei weitem der beste Theil! –

»Wenn ein Collegium von Zwanzig, eine Innung von Fünfzig, nur Ein Wappen hat,« sagte der Ritter eines Mittags – »was folgt natürlicher, als daß diesen Zwanzigen und diesen Fünfzigen zusammen auch nur Ein Kopf gebührt!« –

Ei, guter Ritter, wenn der gestochene Hofmeister eingewandt hätte, daß auch die ganze Rosenthalsche freiherrliche Famille Mit und Ohne nur Ein Wappen in vielen vidimirten Kopien besitze und Ewr. Hochwürden die Schlußfolge zu ziehen selbst überlassen hätte! Doch verdarb dieser junge Mann seit dem Stich der gnädigen Frau fast alles; und wenn er sich ja herausnahm, feurige Kohlen auf das Haupt Sr. Hochwürden und Gnaden zu sammeln, so waren es ein paar Kohlen aus dem Rauchfaß, und immer solche, an denen noch Weihrauch hing. Wenn er sich unter seines Gleichen befand, behauptete er, daß die Manier, mit vornehmen Leuten umzugehen, die in diesem Fall ohne allen Unterschied Eines Geistes Kind sind und alle zusammen nur Ein Wappen führen, noli me tangere, welches verdolmetscht ist:honny soit qui mal y pense, leider! so allgemein wäre, daß nur demjenigen Lebensart zugestanden würde, der mit Menschen einer höhern Region umzugehen verstände; ob es gleich nicht nur weit schwerer, sondern auch weit nützlicher sey, sich in jede Menschenklasse – sich in das Volk zu schicken. Vor Gott dem Herrn, dem väterlichen Beherrscher, setzte er hinzu, ist alles gleich weit und gleich nahe: Cherubim und Seraphim sind nicht himmlische Grafen und Freiherren; – Allvater, Alleinherrscher ist Gott, und alle Lande sind seiner Ehren [118] voll. Diese theologische Zweizüngigkeit legte sich gar bald, je mehr der junge Mensch aus seinem Compendio in die Welt kam, und je mehr er sah, daß die Welt, wenn gleich nicht die beste, so doch leidlich war, desto mehr genas er. Jetzt war er vor jedem Nadelstiche der guten Baronin sicher, und konnte auf ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit rechnen sein Leben lang. Der gute Franklin, der seinen Sohn vor Voltaire auf die Knie fallen ließ, verglich den Adel mit Thieren, die im alten Testament ein Greuel sind, und die sich mit den unsaubern Geistern vor den Augen der Gergesener auf eine wunderbare Weise fleischlich vermischten. In der That, der Vergleich ist so wenig höflich, als völlig anpassend. Unser Ritter verglich ihn, als er ein Glas Champagner über Verordnung getrunken hatte, zu nicht geringer Verwunderung des Hofmeisters, mit Hunden, die man doch zur Zeit unserer in Gott ruhenden Vorfahren zur Beschimpfung und zur Strafe tragen ließ, und die man, nach römischen Grundsätzen, schweren Verbrechern beipackte, wenn sie am Leben gestraft werden sollten. Bei unserm Ritter indeß waren Hunde kein unedler Vergleich. – Er besaß Hunde, die er zwar nicht, nach dem Beispiel des Tyrannen, der sein Pferd zum Maire in Rom erkor, beehrte und an die Tafel zog, denen er indeß sein Bild und Ueberschrift, sein Wappen (das Johanniterkreuz selbst nicht ausgeschlossen), angehängt hatte. »So wie der Mensch Hunde braucht, Thiere, ihres Gleichen, zum Gehorsam zu bringen und sich unterwürfig zu machen, sagte der Ritter etwas leise, wie in Parenthesi: so auch der Regent den Edelmann. Der Lohn ist ein Band.« – Der Regent? fragte die Baronin. – Der Regent, erwiederte der Ritter; er sey Fürst oder Gesetz.

Sie. Oder Gesetz?

Er. Denn Geber und Handhaber sind alsdann Edelleute.

[119] Wenn aber der Hund gereizt wird, erwiederte Sie, beißt er nicht seinen eigenen Herrn?

So wie das Unrecht ihn schlägt, beschloß der Ritter. – Jener Ernst und Scherz, der sich nur bei Gleich und Gleich einfindet, und mit Herz und Herz verträgt; jener Gedankenfluß, der das Wohlgefallen bei einem geschmackvollen Tisch erregt, jene Artigkeit gegen das schöne Geschlecht, die fern von aller Zweideutigkeit und Verführungsanlage ist, jene Offenherzigkeit, bei der niemand von den Anwesenden sich unter dem Schlüssel hält, sondern jeder spricht und jeder hört, ohne sich bloß auf den nächsten Nachbar einzuschränken, der uns doch gewiß nicht für eine ganze in Feuer gesetzte Gesellschaft entschädigen kann; jene Aussaat, die schon so oft dem Weisen in seinem Studirzimmer eine reiche Ernte brachte, war im ritterlichen Hause gewiß nicht in die Acht erklärt und verbannt. So wie die Freiheit in der treuen Beobachtung selbst gemachter Gesetze besteht, so besteht Lebensart in der Weisheit, das Wort, oder die Flucht des Schweigens zu nehmen. Man ließ dem Champagner seine Kraft, wenn man einen Einfall, anlockte, und dämpfte den Einfall nicht wie die Erbsünde, damit keine wirkliche daraus entstehe. – Um in der Gunst seiner hohen Patronen desto tiefer Wurzel zu fassen, schlug der Schneiderssohn ein

30. Examen
§. 30.
Examen

vor, und eröffnete es mit einer Anrede über den Ausdruck Wappen-König, welchen Namen er sehr gelehrt von Wappenkundig ableitete. Was meinen Sie, sagte er zu dem Junker, wollen Sie nicht, wenn Gott Leben und Gesundheit verleiht, Wappen-König werden? – Nein, erwiederte der Junker, Wappen-Kaiser. Dieser Kaiserschnitt von Antwort setzte den Hofmeister in eine nicht geringe [120] Verlegenheit. – Wer Menschen kennen lernen will, muß sie nach ihren Wünschen beurtheilen, fing die Baronin an. Heil mir, daß ich Mutter ward! Beim Wunsche zwingt man sich nicht; man glaubt keinem in seine Grenze zu fallen. Die größte Unbescheidenheit findet man verzeihlich, und das Gebot: du sollst nicht begehren, scheint bei weitem nicht auf Wünsche anwendbar zu seyn. – Zwar sollten nach Art der Examinum dem Junker gelehrte Daumenschrauben angesetzt und er über einige Special-Artikel peinlich vernommen werden; indeß hatte der Hofmeister, wie wir aus der kritischen Frage vom Wappen-König ersehen, sich schon in die Zeit schicken lernen; und anstatt aus dem Credit und Debet von des Junkers Verstand und Unverstand eine Balanz zu ziehen, wußt' er es so zu kehren und zu wenden, daß die Frage die Antwort, und die Antwort die Frage enthielt. Eine Hand wusch, wie in unseren Katechismen, die andere.

Das römisch-kaiserliche Wappen ward gar zierlich zerlegt, wobei der Ritterin der zweiköpfige Adler, seiner Zweiköpfigkeit ungeachtet, nicht mißfiel. Des vierten Quartiers sechzehntes silbernes Feld brach Sr. Hochwürden das Herz. Die Worte: »im sechzehnten silbernen Felde ist ein von vier kleinen in den Seitenwinkeln besetztes goldenes Krückenkreuz wegen Jerusalem,« kamen kaum zum Vorschein, als ein Examen-, Waffen- und Wappen-Stillstand einbrach, und alles mit dem Worte: »Jerusalem« sich endigte.

Der Hofmeister, der bloß ex libro doctus war, dankte nun freilich dem Himmel, daß er so unversehens den rechten Fleck getroffen hatte; indeß that es ihm herzinniglich leid, daß er seine Schlußrede, welche von den redenden Wappen handelte, nicht anzubringen Gelegenheit fand. Er setzte sich dieser Rede halber vieler Gefahr aus, und wagte einige Saracenische Ueberrumpelungen, konnte aber gegen die Tapferkeit unseres Ritters nicht aufkommen. [121] Bloß an der Tafel hatte er Gelegenheit, den Inhalt seiner abgeblitzten Schlußrede anzudeuten und ad unguem zu zeigen, worin er das Wesentliche, das Zufällige und das Modische des Rosenthalschen Wappens setze. Diese Dreiheit führte ihn überhaupt auf die drei Ingredienzien eines Wappenrecepts, und zu einer lehrreichen Unterhaltung. Zum Wesen, wenn anders diese Kunst ein Wesen hat, rechnete er, wie Rechtens, das Feld oder den Schild, die Tinkturen und die Figuren; zum Modischen den Helm, die Helmzierrathen, und zu dem Zufälligen, das nur einigen Wappen zusteht, die Standes- und Ordenszeichen, Schildhalter, Wappenzelte und Mäntel, Sinnsprüche, Familienparole, Symbola. Wie schrecklich unser Ritter mit seiner Lanze bei dieser Gelegenheit über die Mode herfuhr und ihr den verdienten Lohn gab, wird man sich sehr leicht vorstellen, wenn man sich des natürlichen Rosenthalschen Abscheues gegen alles, was Mode ist und heißt, erinnert. Die Mode sollte auch so viel Bescheidenheit haben, sich dem Gothischen Tempel der Heraldik mit mehr Ehrerbietung zu nähern, und ihre Arabesken anderswo loszuschlagen suchen! Ist es nicht ein elendes, jämmerliches Ding um die gepriesene menschliche Freiheit? Da, wo lex scripta den Menschen losläßt, bindet ihn die Mode, um ihn auch da nicht frei zu lassen, wo er sich völlig frei zu seyn glaubt und frei seyn könnte. – Der Uebergang des Hofmeisters von den drei Ingredienzien des Wappenreceptes auf den Umstand, daß aller guten Dinge drei wären, Geist, Seele und Leib, Rock, Weste und Beinkleider, brachte den Baron auf die ritterkecke Behauptung, daß jedes Ding von Wichtigkeit drei Wörter in und zu seinem Dienste habe. Unter vielen Beweisen war der Ritterin merkwürdig, daß das Wort stürzen dem Vieh, das Wort sterben von gemeinen Menschen, das Sonnenwort untergehen dagegen von vornehmeren gebraucht werden sollte. So war der in Gott ruhende hochwohlselige Herr Vater unseres Ritters untergegangen, der [122] Vater seiner Frau Gemahlin Gnaden nur gestorben, sein Hund ob er gleich bebändert war, gestürzt. – Wer hätte gedacht, daß das Wesentliche, Modische und Zufällige bei den Wappen mit so vielen Anlässen zu erbaulichen Betrachtungen an die Hand gehen könnte! –

Der Ritter, eingedenk, daß er seinem Sohne, außer der von ihm entworfenen Instruktion, auch Hochselbst Unterricht zu geben verheißen hatte, bereitete sich schon längst auf dieses Geschäft im Stillen vor; und im Stillen, wiewohl mit Zuziehung der Frau Gemahlin, ward beschlossen, daß, da man diesen Unterricht in der Dämmerung ertheilen würde, er auch

31. Die Dämmerung
§. 31.
die Dämmerung

heißen sollte. Wer jedes bildliche Wort mit der Hand malen will, ist ein Geck, und wer keins mit der Hand bezeichnet, ist ein Metaphysikus. Ausdrücke, die mit der Hand begleitet werden, verdienen dadurch den Beinamen handgreiflich; und so wie das Schwert den Ritter ausmacht, so adelt auch dergleichen Handgriff den Ausdruck.

Diese Lehre, welche der Ritter dem Hofmeister theoretisch einband, ward von ihm selbst praktisch meisterhaft in Erfüllung gesetzt, und wenn es gleich wahr ist, daß Hände, die gewissen Leuten im gemeinen Leben los zu seyn scheinen, ihnen allen Dienst versagen, sobald es zu Ernst oder That und Wahrheit kommt, so ist es doch auch wahr, daß jeder Schwache noch einen Schwächeren findet, an dem er zum Ritter zu werden, wo nicht Ueberlegenheit, so doch das Glück hat. Wer den Löwen mit einer gewissen Art auszusprechen im Stande ist, scheint sich wenigstens so etwas von Löwen eigen zu machen, was für den ersten Anlauf gilt; und so gibt es [123] eine Art Löwenworte, die ein gewisses königliches Gebrüll an sich haben.

Die Dämmerungsstunde des Ritters hieß zuweilen auch geheime Stunde. Sie war mit Einbildung stark gewürzt, welches überhaupt ein Rosenthalsches Losungswort schien, so wie das WortFreiheit das Schlagwort, der Wahlspruch des Volkes ist. Einbildung, pflegte der Ritter zu sagen, ist der Thron der Menschheit, den kein regierender Herr, kein Tyrann angreifen kann. Sie ist zollfrei. Der Tyrann selbst hat den Eid der Treue an diesem Throne geleistet und dieser Menschenalleinherrscherin gehuldigt. Ohne das Glück, hier ein Unterthan zu seyn, wäre der Fürst unglücklicher als sein letzter Sklave. Man könnte die Einbildungskraft einen Hang zur Unwahrheit nennen, den alle Menschen haben. – In der Bibel werden alle Menschen Lügner genannt. – Oft scheint die Unwahrheit sogar das Gewürz zu seyn, welches der Wahrheit den Geschmack beilegt. – Die meisten Worte sind Lügen; und wo ist der Denker, der sich diese Wortlügen nicht zu Schulden kommen läßt, der nicht in Gedanken aufschneidet?

Der Gegenstand der geheimen Stunde, welcher sich indeß bei der Ausführung gar sehr verkleinerte, war nichts Geringeres, als eine Geschichte der in Europa verblühten und noch blühenden Ritterorden, welche der Ritter mit einer solchen Lebhaftigkeit, wiewohl in nuce – (in einer Nuß, ob einer aufgebissenen oder nicht, wird die Folge lehren) vorzutragen Willens war, daß sein Vortrag von einer wirklichen Ordensaufnahme nicht sehr verschieden seyn sollte. Dieß Ding von Wichtigkeit hatte wenigstens dreimal drei Worte in und zu seinem Dienste. – Ein großer Stein des Anstoßes ward dem dämmerungsschwangern Baron und seiner Ritterstunde in den Weg gelegt, und welch ein Ding von Wichtigkeit hat deren nicht drei und dreimal drei aus dem Wege zu räumen? Hier war der Stein des Anstoßes und der Fels des Aergernisses ein tertius [124] interveniens, ein wackerer Edelmann, der diese Straße absichtlich zog, um mit unserm Ritter eine Lanze zu brechen. Dieser Gast war kein geschlagener, allein, wie unser Ritter es sein gab, ein beschlagener Cavalier, der sein Ring-, Kopf- und Qwitenrennen, Freibalg und Scharfrennen und was man sonst in unsern gesitteten Zeiten zum Turnier rechnet, keck und wohl verstand, und der diese Reise, wie man nachher aus vielen Umständen schloß, vorzüglich aus Neugierde unternommen hatte, um zu sehen, was an den Funken sey, welche der Ruf von unserm Ritter und seinen ritterlichen Anlagen weit und breit umhergeschlagen hatte. Da alles, was ins Abenteuerliche fällt oder schlägt, das Schicksal hat, übertrieben zu werden, so ging es auch dem Ritter und seiner Burg nicht anders. Man hatte behauptet, er habe sein Kind, das wirklich maustodt gewesen sey, durch eine besondere Art von Taufe auferweckt; in seinem Schlosse wohne die Kraft, weibliche und männliche Unfruchtbarkeit in ein tausendfältiges fruchtbares Erdreich, Spreu, die der Wind zerstreut, in Weizen zu verwandeln, unedle Metalle in edle umzuschaffen und an Menschen und Vieh vermittelst des heiligen Kreuzes Wunder zu thun, die bei Menschengedenken nicht gesehen und gehört, und in unsern letzten Zeiten nur etwa von Gaßnern, dem Caffetier Schröpfer und wenigen andern höchst seltenen Menschen bewirkt worden. Der Gast war zu fein und zu gutdenkend, um eitle Neugierde aus seinem Besuche hervorschimmern zu lassen. Er kam, sah und schämte sich, es bei dieser Angelegenheit auf eine Wette angelegt zu haben, die schon a priori unmöglich anders, als wie es am Tage z.e.w., ausfallen konnte. Als weitläufiger Verwandter des Barons fand sich gar bald der Apellessche Vorhang, der philosophische Mantel, und der Anstand, womit er seine Blöße deckte. Hier ist ein Extract ihrer Kreuz- und Querzüge über Licht oder Wahrheit, Freiheit, Gleichheit, Ordenswesen oder Unwesen u.s.w. Ich will mit Fleiß in diesem Extract nicht [125] bezeichnen, was dem Gastvetter und dem Ritter zugehört. Wir werden finden, daß ein tertius interveniens dieser Art im Stande war, unserm guten Ritter eine herrliche Wendung beizulegen!

Bestehen die Wappeningredienzien nicht aus dem Wesentlichen, Modischen und Zufälligen? Hat nicht jedes Ding von Wichtigkeit drei, und wenn das Glück gut ist, dreimal drei Worte in und zu seinem Dienst? und gibt es nicht bei jedem Dinge von Wichtigkeit eben so viele Hindernisse wegzuräumen –? Weisheit, Reichthum (sonst auch Stärke, Vermögen genannt) und Schönheit sind die drei Hauptwünsche, wozu alle Menschen sich neigen. Wenn diese drei Hauptbegierden alle in liebenswürdiger Person, in Eva's Gestalt, erscheinen; wenn dem Adam gesagt wird, daß er nur Einer huldigen könne, und ihm die Wahl überlassen bleibt, welcher von diesen dreien Even er den untheilbaren Huldigungsapfel, wie der Sultan das Schnupftuch, zuwerfen wolle: ist es nicht mißlich, ob Pallas, Juno oder Venus das große Loos ziehen werde? Können diese drei Neigungen nicht, veredelt, in Verbindung treten und Eins werden? Ist es nicht sogar das wahre Tugendrecept: von allen dreien Undredienzien gleich viel? Was darüber ist, ist vom Uebel. Kann der Mensch die Schätze der Natur nicht wohl anwenden und mit einer gleichdenkenden Gattin sich Gottes, seines Lebens und seines Todes freuen? Dienen nicht viele den drei Götzen, der Augenlust, Fleischeslust, und demhoffärtigen Wesen zusammen? und sind es nicht noch die leidlichsten Lasterhaften, die unter diesen dreien Götzen keinem den Vorzug einräumen? Sollt' es denn nicht möglich und ein köstlich Ding seyn, züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt? Das war vielleicht der Geist derdrei Gelübde, welche die ersten Ritter ableisteten, da sie einen ihren Zeiten angemessenen Entschluß faßten, das Grab Christi zu erobern. Gelegenheit ist Gelegenheit; der Entschluß verdient Andenken. Auch wenn der [126] Anfang dieser Kreuzzüge (wie gar vieles in der Welt) ein Gedanke ohne Plan und Absicht war – macht es dem Menschen nicht Ehre, daß er nach der Zeit ein neues Testament diesem alten hinfügte, dieses Chaos ausbildete, Geist und Leben in diese rohe Idee legte und einen Merkur aus diesem Block zu schaffen im Stande war? – Gewiß fühlte ein Theil jener Streiter die Ohnmacht des einzelnen Menschen, einen gewissen Gipfel der Tugend zu ersteigen und heilig zu seyn; vielleicht wollten sie höhere Kraft zur Heiligkeit vom Grabe Christi einholen, um ihre Leidenschaften sammt den unzeitigen Lüsten und Begierden zu kreuzigen! – Gesegnet sey uns heute und immerdar ihr Andenken! Und, um ihren Gelübden näher zu treten – wer kann groß seyn, wenn er ein Sklave der Liebe bleibt, falls sie nicht geistig gerichtet ist? – Es gibt eine irdische und eine himmlische Braut, thörichte und kluge Jungfrauen, körperliche- und Seelenneigung – Jungfrauen mit und ohne Oel. – Was helfen alle Schätze der Natur, wenn man sie nicht genießt? Kann es aber nicht Genuß (Zinseneinnahme) für diese und die andere Welt, für das Sichtbare und das Unsichtbare, für das Zeitliche und das Ewige zugleich geben? Ist nicht die Liebe das Gewürz des Lebens? – wirkt sie nicht auf den ganzen Menschen? Heißt es nicht oft von ihr: wenn ich schwach bin, bin ich stark? Gewinnt der Mensch nicht durch sie an Leib und Seele? – Sie erhebt, erhöht und verstärkt die Sinne, und nicht allein diese, sondern auch den Geist. – Wer bei Liebe bloß auf den Geist säet, vergißt, daß er ein Mensch ist; wer aber bloß auf das Fleisch säet, erniedrigt sich der nicht unter den Menschen? – Die Geschlechterneigung in Ordnung bringen, heißt die Welt reformiren. Ein Mensch, der hier von keinem verbotenen Baume ißt – was gilt der nicht in seinen eigenen und in aller Kenner Augen? – – – und wo ist Weisheit ohne Grundsätze; wo ist sie ohne treuen Gehorsam gegen die Befehle, die Gott durch Vernunft [127] und Gewissen vorschreibt, als wovon weise Männer manchen Volkskatechismus zu jedermanns Wissenschaft bekannt machten. Das Fleisch gelüstete von Anbeginn, und auch hier, wider den Geist! – Und was ist aus diesem Geiste der drei ehrwürdigen Gelübde geworden? – Wenn, anstatt einer aus unserer Rippe abstammenden, uns so nahe liegenden, mit uns gleichdenkenden Eva, ein Mondfräulein mit Namen Dulcinea gesucht wird, die nirgends ist und überall; die vor uns gaukelt und Kopf und Herz unnatürlich angreift – was wird dann aus uns? was? – Wenn alle jene Uebertreibungen, welcheder Liebe schon an sich eigen sind, zur wirklichen unmenschlichen, unnatürlichen Schwärmerei erhoben oder herabgestürzt werden – ist es nicht eine geistige Hur – ei, die eben so unnatürlich, eben so schädlich ist, wie die leibliche? Wenn der Gehorsam bloß der Unfehlbarkeit eines Menschen, oder vielmehr seinem Stuhl oder seinem Pantoffel, geleistet wird; wenn endlich Vermögen (es mag nun in klingender Münze oder in Talenten, in der Tugend selbst und den Anlagen dazu bestehen, welche die Vorsehung diesem und jenem zum Besten der Menschheit zuwies) unter Pauken und Trompeten in einen Gotteskasten gelegt wird, wo man es zur Aufrechterhaltung des Müßiggangs verschwendet – was meinen Ew. Hochwürden? – In Wahrheit, das ist eine Ehre, ein Kreuz zum Andenken zu tragen, daß dergleichen Unnatur aufgehört hat, welche Männer aus dem Lehr-, Wehr- und Nährstande, von regierenden Herren bis zum Schuhflicker, auf die Beine brachte und zu Wanderburschen heiligte, indem sie alle gen Jerusalem gingen. – An den frommen Betrug, welchen Vater Papst bei diesem heiligen Blindekuh-Spiel beabsichtigte – wer denkt daran ohne Aerger? –

Unser Ritter, der nun freilich, Gottlob! nicht bis zum heiligen Grabe gekommen, sondern in Sonnenburg geschlagen, und dem auf dieser Schlagreife der gleichen Gedanken-Kreuzfahrten nicht [128] vorgekommen waren, dem überhaupt (außer dem Wechselvorfalle mit dem Juden, den er zusammt den Verzögerungs-Zinsen durch die heilige Ehe so glücklich beilegte) keine Avanture schwer fiel, kam aus seinem ganzen Concept; indeß hatte ihn der Vetter so hin- undmitgerissen, daß ihm ein anderes Licht aufzugehen schien. – Schien, sag' ich; denn wenn gleich anfänglich das Brevier seiner Ordensgeschichte ihm als eine wahre Dämmerung gegen diese Ideen vorkam, so schwankte er doch bald hernach von der Rechten zur Linken, und wußte selbst nicht, ob er diese Ideen für profan oder heilig, für Schimpf oder Ernst halten sollte. Pallas, Juno und Venus; Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Wesen, als der dreiköpfige Adler im Wappen des Menschen – und was weiß ich, was mehr? – waren Umstände, die in seinem Kopfe so gewaltig kreuz und quer zogen, daß er den Gast aus reiner Herzensangst wie vom Himmel gefallen fragte: ob er beim heiligen Grabe gewesen sey? – Oft, sehr oft, erwiederte dieser; aber nur im Geist und in der Wahrheit; wenn ich eine Leidenschaft begrub und einen neuen Menschen auferstehen ließ, der vor Gott lebe! Nur dann dünk' ich mich ein Ritter zu seyn, wenn ich mich selbst und wenn ich in meinen Wirkungsgrenzen Vorurtheile überwinde. Freund! das sind die Türken der Menschheit, und ein Ritter ist der, welcher es sich mit Leibes- und Seelenkräften, das heißt thätig, angelegen seyn läßt, daß das Gute über das Böse in ihm, und wo möglich überall siege. – Die Türken, welche von den Johanniterrittern gar gewaltiglich, freilich in ihren vier Wänden, verfolgt werden, sind Menschen wie wir, und unsere Brüder, und jüdische und christliche Ketzer, Gläubige an beide Testamente, da die Christen nur das neue annehmen, ohne recht zu wissen, was sie mit dem alten machen sollen. Auch bedarf es bei Selbstüberwindung und bei den Siegen über Vorurtheile keiner so hochgepriesenen Mittel. Das erste, das beste; das kleinste, unbeträchtlichste [129] ist schon heilig, hochwürdig, wenn der Zweck, zu dessen Fahne es schwört, hochwürdig und heilig ist, auch wenn dieser durch einen Schleuderwurf von Mittel erreicht wird. Ein Kreuz ist eine Schande, wenn es ein Sinnbild ist, daß ich Seele und Herz, beide Hände und beide Füße unthätig kreuze, und mich einem gewissen faulenzenden Mysticismus und Fanatismus ergebe, und hier, als auf einer grünen Aue, mich weide. Warum – sagen Ew. Hochwürden selbst – warum vermögen die Bösen so viel? warum herrscht das Böse in der Welt? warum liegt sie, so zu sagen, im Argen? Weil die Guten unthätig bleiben; weil der Tugendritter so wenige, und weil sie mit zu wenig Muth ausgerüstet sind; weil man dem Bösen die Pluralität, das Uebergewicht noch nicht abgewonnen hat. Ein einzelner Mensch kann nichts, weder physisch noch moralisch; vereinigt können die Menschen viel – alles. – Je mehr Menschen, je mehr Köpfe und je mehr Hände. Auf Einen Kopf gehen zwei Hände; und da jeder Mensch, bis auf die unbeträchtliche Anzahl Krüppel, zwei Hände hat, wenige Menschen dagegen, welche Köpfe haben, Köpfe sind: so ist der, welcher ein Kopf genannt zu werden verdient, ein Edelmann; die Hände sind die Bauern. – Je mehr gute Menschen, je weniger Aergerniß, je mehr Beispiel. – Der Philosoph muß denken; der Edelmann muß denken und thun. Jener kann unsere Begriffe von Tugend und Glückseligkeit berichtigen und befestigen, wenn er ein bloßer Spekulant, und uns das Schöne und Erhabene des Himmels auf Erden versinnlichen, wenn er ein Dichter ist. Wenn die Tugend in weiser Thätigkeit besteht, so gehört gemeiniglich theoretische Weisheit zum gelehrten Gebiete; und auch die ist nicht jedermanns Ding, und selten dem eigen, der das Recht erhalten hat, einen Kranz oder ein Kreuz der Gelehrsamkeit auszuhängen, sondern dem, der den Doktorhut aus den Händen der Menschen erhielt. Der Denker ist Priester, der Edelmann Prophet und König. Beide[130] sind Ritter, wenn sie wirklich sind, was sie seyn sollen, beide sind bemüht, das menschenmögliche Ziel der theoretischen und praktischen Vernunft zu erreichen, die Ehre der Menschheit herzustellen und oft durch das Kleine in das Große zu wirken. Trug ich dazu bei, daß ich als Edelmann geboren und, kraft meiner sechzehn Ahnen, zum Johanniterritter geschlagen ward? Wozu ich nichts beitrug, ist das mein? Es gibt Fürsten von Gottes, und Fürsten von Kaisers Gnaden – Jeder Mensch ist ein Fürst von Gottes Gnaden: nicht wenn er sein Diplom, seinen Geist, in ein Schweißtuch der Vorurtheile wickelt; nein, wenn er durch Fleiß und Treue ihn veredelt, verdient er den Namen Edelmann! Ew. Hochwürden kennen meine Ahnenzahl; allein Sie kennen vielleicht meine Achtung für Ihren Orden nicht. Alles, was ihr thut, ihr esset oder trinket, ihr seyd Johanniterritter oder seyd es nicht, ihr seyd wer, und was ihr seyd – thut alles zu Gottes Ehre, das heißt: zur Ehre der Menschheit, welche die Offenbarung Gottes im Fleisch und sein hergestelltes Ebenbild ist. – Der Stifter der christlichen Religion starb am Kreuz, weil ihm sein übermenschlich großer Plan, die Menschen moralisch zu verbessern und ein allgemeines Reich Gottes zu stiften, nicht glückte; und die Johanniterritter tragen ein Kreuz, weil sie die gehörigen Ahnen und keinen Plan haben, die Menschen moralisch besser zu machen.

War unser Ritter zuvor zweifelhaft, so gerieth er jetzt in böhmische Wälder. »Freund,« fing er an, »wenn ich Sie nicht besser kennte, ich würde fürchten, der Neid flamme Sie zu dieser türkischen Härte gegen mein unschuldiges Kreuz an, das keinem Menschen Schaden und Leides gethan hat, und mit Gottes Hülfe auch nicht thun wird.« Führt es nicht auch vom Kleinen zum Großen, vom Ritter zum Commendator? Und ist es nicht gut, daß oft sinkende Familien dadurch gestützt und Häuser und Schlösser verwandelt[131] werden, wenn gleich hier die Fingerlein keine Wohnung aufschlagen? Lassen Sie uns doch die Würde des Adels nicht verkennen, Freund! der Menschen in superlativo! – So lange Deutschland Hochstifter und Ritterorden hat, wo 16 oder 32 wohlerwiesene Ahnen mehr gelten, als so viele wohlerwiesene Thaten, sie bestehen nun in Schlachten, wodurch Tyrannen gestürzt, oder in Solonischen Gesetzen, wodurch tausendmal Tausend beglückt worden – was ist da zu machen? Ist denn das alte Herkommen durchaus verwerflich? Ich für meinen Theil bin dem alten Testament sehr gewogen und trag' es in meinem Herzen. Sollten Türken mehr als Christen wissen, was man damit machen soll? Führten nicht viele von unserer Familie alttestamentliche Namen: Adam, Sem, Ham, Japhet –? Sollte der Adel nicht den heiligen Reliquien des Apollo, den Ruinen Roms und Griechenlands die Wage halten? – Hat die Natur nicht selbst den Adel erschaffen und erhält sie ihn nicht noch? Menschen sind geborne Edelleute auf Erden durch Verstand und Willen. Vielleicht gibt es solche Edelleute nicht mehr im ganzen Weltall; und wenn Verstand und Wille sie unter allen Geschöpfen, von denen sie äußerlich so viel ähnliches haben, zu Edelleuten macht – warum sollten nicht durch vergrößerten Verstand, durch veredelten Willen es auch Menschen unter Menschen seyn? Sind nicht Edelleute die Offiziere unter den Menschen? Und wenn es erst auf die Wahl ankommen soll, wer als Klügerer und Besserer ein Edelmann sey, so stirbt das meiste Gute unter den Händen, so ist ewiger Streit und gewiß noch größerer Jammer und größeres Elend unter den Sterblichen als jetzt. Ohne Autorität und ohne daß man die Knoten auf Erden entzweischlägt, bleiben sie ungelöst in Ewigkeit. – Wie viele Neposwollams werden der Edelmannswahl den Weg vertreten! Und kommt Verstand vor Jahren? Begeht nicht auch der Klügste und Beste so viele dumme Streiche, daß kein Mensch in der[132] Welt (ausgenommen der heilige Vater, der von der dreifachen Krone seines Hauptes bis auf die Pantoffel seiner Füße sich zu einer Ausnahme erhebt) Selige und Heilige machen oder entschatten kann? Daß sich Gott erbarme! Die Menschen sind alle zu gleichen Trübsalen und Ungemächlichkeit berufen; allein wahrlich zur Standesgleichheit sind wir nicht da. – Ist nicht jeder Hausvater der Edelmann in seinem Hause? ist er es bloß gegen sein Gesinde oder auch gegen Weib und Kind? Ist Herr und Edelmann nicht Eins? und würden wir mit der Zeit nicht Gott den Herrn selbst verlieren, wenn wir alle Herrschaft vertilgen und allgemeine Gleichheit einführen wollten? – Ach, Freund! in Republiken gibt es so gut Könige, wie in Monarchien – und sie werden bleiben, wenn auch alle Namenkönige auf Erden aufhören sollten. Die heimlichen Jesuiten sind ärger als die öffentlichen, und die heimlichen Könige verhalten sich ebenso gegen die, welche bloß so heißen. – Die Gleichheit der Stände ist der Natur des Menschen, den Staatsverfassungen, den größern und geringern Geistes- und Leibeskräften einzelner Menschen, der Erfahrung und kurz und gut – der menschlichen Vernunft entgegen. Es gibt der Menschen zu viel, und das Eigenthum so vieler unter ihnen ist so verschieden und so beträchtlich geworden, daß es Unterschiede geben muß. Kasten nicht, aber Unterschiede, die so allmählig unter einander verschmelzen, daß alles wie Ein Stück aussieht. Also kein Erb-, sondern wirklicher Adel. – Ohne Erbsünde wäre keine wirkliche, ohne Erbadel kann es wirklichen geben. Jene Stärke des Leibes, jene Fähigkeiten der Seele erwerben Vermögen, das wir unsern Kindern zurücklassen, wenn wir heimfahren aus diesem Elende, Kyrie eleison! – Und diese Glücksgüter verewigen den Adel; was Stärke des Leibes und der Seele schuf, erhält das Vermögen. In Polen macht das Vermögen, daß ein Edelmann des andern Diener, Camerad und Oberer ist – je nachdem er [133] ihm an Vermögen unterliegt, gleichkommt oder über ihn hervorragt. Bürgt nicht Vermögen für eine bessere Erziehung? Würd' ich meinem Einzigen einen so wappenkundigen Führer zugesellen können, wenn meine Sophie mit dem Kleck mir nicht zu Theil geworden wäre? Würden sie und mein Sohn in meinem Hause gefirmelt seyn, wenn ich nicht im Stande gewesen wäre, den Senior und die vier Kastenassessores besser alsSenior familiae zu bewirthen? Freund, warum wollten wir auch etwas vertilgen, das sich schon mit der Natur der Deutschen amalgamirt zu haben scheint? – wie der von der Nation angenommene Geheime Secretarius Tacitus fast zu schön bezeugt. – Hat sich nicht schon zwischen einem Edelmann schlechtweg und zwischen einem edeln und thatenreichen Edelmann ein Unterschied eingeschlichen, der niemals schwerer als in dieser letzten betrübten Zeit zu vertilgen war? Schon in der ersten goldenen Zeit des Adels finden wir von dieser conditione sine qua non, vom adeligen Verdienst, unverkennbare Spuren. Franz I., König von Frankreich, wollte die ritterliche Würde von niemanden anders als von Bayard, dem Chevalier sans peur et sans reproche, empfangen. Nannten nicht Fürsten und Könige die Ritter Herren? Machten sie sich nicht eine Ehre daraus, außer der Würde der Regenten die Würde großer, edler Menschen zu besitzen? Hohe Personen hießen Junkherr oder Junker, so lange sie nicht Ritter waren; und gingen nicht Edelknechte, Knappen und Wappner Rittern zur Hand, wie Lehrlinge und Gesellen dem Vater des Hofmeisters und einem jeden ehrbaren Meister? Damals waren edle Thaten zünftig. Diese Zünfte sind aufgehoben: wir sollen jetzt alle Virtuosen seyn; aber leider! sind die echt edlen Thaten mit jenen Thatenzünften zu gleicher Zeit verschwunden. Das Militär macht freilich auch noch jetzt eine kriegerische Zunft aus; allein ihre Gesellen-und Meisterstücke sind nur selten edle Handlungen; – ihr [134] Dienst wird nur durch Zufall alter Ritterdienst, und Don Quixote ist, wo nicht wirklich, so doch in der Anlage edler als manche Militär-Excellenz, welche kein Bedenken trägt, Menschen für Windmühlen anzusehen. Besolden wir nicht oft in unsern Legionen Staatsunterdrücker unter dem preiswürdigen Namen von Staatsbeschützern und Staatsvertheidigern? – Die Soldaten bringen ihre angeworbenen Menschen unter das Maß; allein die Seele wird nicht gemessen. Ich wünschte nicht, daß mein A B C sich diesem Stande widmete, ob es gleich wahre Zierden der Menschheit nicht nur unter Feldherrn und Offizieren, sondern auch unter dem gemeinen Manne gibt. Die Kluft, die nicht nur zwischen Militär und Civil, zwischenSoldat und Bürger, sondern auch zwischenSoldaten und Menschen befestigt ist – ist diese Kluft nicht unnatürlich? – Große Armeen bekriegen das Reich Gottes, und so lange diese sind, istzum Heil der Welt sichere Aussicht? – – – Nach verschiedenen Evolutionen siegten die stehenden Armeen; und unser Ritter fing auf einem andern Wege an. – Ist es nicht gut zu spielen, eh' es zum Ernst kommt? zu lustkämpfen, ehe Blut vergossen wird? Das Spiel, Vetter, ist mir immer lehrreicher als der Ernst in der wirklichen Welt und selbst in Büchern. Sehen Sie hier zum frommen AndenkenSchwert, Speer, Lanze, Wurfspieß als die ehemaligen Trotz- und Angriffswaffen; Schild,Helm, metallene Schuppen, Harnisch als Schutz- und Schirmrüstung! Ich bin ein Freund der alten Kern- und Sternworte, und würde gewiß den Ausdruck Krebs, der nur unlängst aus der Mode gekommen ist, beibehalten haben, wenn nicht der wirkliche Krebs dieser Rüstung zum Muster gedient hätte, und wenn nicht soviel in der Welt und das alte ehrwürdige Ordensspiel selbst den Krebsgang eingeschlagen wäre. Wie gefallen Ihnen Gürtel,Sporne und verblechte Handschuhe? Die Kreuzsammlung wird Ihrem strebenden Auge[135] nicht entgangen seyn. – Auch Spiel, aber ein ehrwürdiges, seel- und herzerhebendes – – –!

Man lasse doch alles lieber beim Alten, wenn man nichts besseres unterschieben kann. Ehe das heilige Gesetz, die unsichtbare Gottheit über Menschen die Oberherrschaft führen wird, ohne daß ein Hoherpriester ins Allerheiligste geht, werden noch tausend Jahre verlaufen. Die aufgeklärtesten, klügsten Völker konnten sich nicht ohne sichtbare Regenten behelfen, ohne etwas Eisen am Scepter und ohne Stab Aarons, der, wenn er mit Maße gebraucht wird, Staaten grünend und blühend macht. Und was ist besser: vom krummen oder geraden Stabe regiert zu werden, vom Knechte aller Knechte, der eines geringen Handwerkers Sohn seyn und doch mit einer dreifachen Krone auf dem Haupte und mit Pantoffeln an seinen Füßen prangen kann, oder vom Durchlauchtigen Herrn, vom Muth oder von der Furcht? – Freund, Muth ist ein herrliches Ding im Leben und im Sterben. Zöge der Adel sein Schild ein – würde nicht der Bannstrahl gelegentlich das Regiment verlangen? Alles ohne Unterschied würde dann wirkliche Heerde und jene Herren wirkliche Hirten seyn, da jetzt der Edelmann so gut und oft mehr ein Schaf ist als die Schafe, die er weidet. – Neid, Hoffart, Zank, Zwietracht, Rotten, Saufen, Fressen und die schamlose Begierde sich über andere zu erheben, gingen mit dem Tiger, dem Drachen und Löwen, mit Wölfen und Bären paarweise aus dem Kasten Noä, und da sie nicht in der Sündfluth ersäuft worden sind – wer kann sie vertilgen von der Erde? – Die Natur thut ihr Mögliches, sie läßt alle frei geboren werden. Alle reden von der Freiheit, aber alle sind Sklaven. – Welcher Despotismus ist besser: der weltliche oder geistliche? Jener hört mit dem Leben auf, dieser erstreckt sich bis jenseits des Grabes in alle Ewigkeit! Jener straft, wenn er aufgebracht ist, dieser kreuzet und segnet eine vergiftete Hostie, umarmt uns, daß er uns desto [136] gemächlicher und kälter den Dolch ins Herz stoßen kann, küßt uns, um zu verrathen, macht uns ein Hocuspocus, um uns während der Zeit, daß wir auf seine wunderthätigen Hände sehen und sie wohl gar ehrerbietigst küssen, die Taschen leer zu machen, nimmt uns alles Irdische gegen das Himmlische, baare Summen gegen Papiergeld und eine Assignation auf die andere Welt. Nicht auf dieser Welt ist Glück und Freiheit, sondern in Eldorado! und Eldorado liegt unter der Erde. – Ja, Vetter, nirgends anders als unter der Erde –!

Ich will abbrechen. Unser Gast, das wird man leicht finden, ist kein ewiger Jude, kein Pilgrim und Fremdling, der Verstand und Willen sucht; es ist einGast auf Erden, der gern Bürger würde, wenn er nur die Stadt Gottes fände, um hier das Bürgerrecht gewinnen zu können. Er ist es werth, daß er, wenn nicht als ein solcher Bürger, so doch als Wirth in dieser Geschichte erscheine. – Jetzt kurz und gut: – er aß mit unserm Ritter und seiner Familie an der runden Tafel, sah die aufgepflanzten Ordenszeichen und die vielen Kreuze, und schied nach einem Mahl voll Wohlgefallen von dannen! – Thun Sie, sagte er zu dem Ritter, was Sie nicht lassen können. Gott stärke alle brave Menschen, die auf der Oberfläche des Erdbodens zerstreut sind! – »Und segne Sie!« erwiederte der Ritter. Mein Held ließ kein Auge von diesem Vetter, dessen Ungewöhnlichkeit ihn außerordentlich fesselte, und gewiß entging auch er dem Gaste nicht, der alles, was beobachtet zu werden verdiente, zu Kopf und Herzen nahm. – Unser Held schien den Gast sogar zu interessiren. – (Warum bat man diesen seltenen Gast nicht, die väterliche Instruktion zu prüfen und zu ergänzen?) »Und die Ritterin nicht auch?« Ist das eine Frage? Syphie konnte, ihrer Stern- und Kreuzseherei ungeachtet, bei jedem klugen Mann auf Verehrung Anspruch machen, und der Vetter [137] glaubte sich durch ihre Bekanntschaft für die Beschwerlichkeiten seiner Wallfahrt völlig entschädigt.

Ehe wir aus dem Licht in die Dunkelheit zurücktreten, muß ich bemerken, daß der Vetter natürlich dem Ritter in sein Collegium solche Kreuz- und Querstriche gezogen hatte, daß dieser, er mochte wollen oder nicht, den Pastor loci zu Hülfe rufen mußte, um die etwas hart gezogenen Striche vermittelst eines scharfen Federmessers auszuradiren, und durch die Güte des wohlthätigen Bleiweißes die Stellen wieder auszuweißen. Freilich eine tiefe Demüthigung für unsern Ritter, indem der ungeweihte Pastor loci dadurch zum Ordensvertrauten auserkoren ward! Indeß tröstete sich der Ritter über diesen Umstand so gut er wußte und konnte, und dankte dem Himmel, daß er dem, obgleich nicht mehr unpolirten Sohne eines Schneiders nicht in die Hände fallen dürfte, da dieser ihm bei dem allen doch noch zu jung zu einem so wichtigen Zutrauen schien, das gewiß drei Worte in und zu seinem Dienste haben wird. – Jerusalem und das heilige Grab waren und blieben dem Ritter und seinem erkornen Waffenträger, dem Pastori loci, die Aepfel, die er auf dem glühenden Ofen der Einbildung briet. Wie wär' es, wenn ich auf dem Brevier des Ritters et Compagnie, noch ein Brevier machte, und wenn wir mit kalter Uebersehung aller Seiten- und Nebensprünge in ein paar Abenddämmerungen (pro hospite) als Pilger und Fremdlinge gingen, ohne im mindesten den Leuchter von seiner Stätte zu nehmen und dadurch Lehrer und Hörer, welches letztere unser Held und seine Mutter waren, in ihrer Ordensandacht zu stören? –

Das Wunderbare thut auf Kinder eine unfehlbare Wirkung, so wie das Tragische auf den Jüngling; der Mann liebt das Lustspiel, und im hohen Alter steigt man den Berg hinunter, den man hinaufgestiegen war, bis man wieder ein Kind wird und von [138] Fingerlein erzählt und erzählen hört. Das Kreuz, das unser Held bei der ritterlichen Nothtaufe beides an der Stirn und an der Brust empfing, und die Kreuze, welche ihm mit der Milch eingeflößt wurden, hatten eine Art von Eindruck in sein Gesicht gefurcht, und demselben eine gewisse Feierlichkeit, eine Kreuzesform einverleibt, welche der Hofmeister anfänglich als ein Werk der Noth, nachher aber als ein Werk der Liebe, pflegte und vollendete. Er behauptete, mein Held wäre seelenkreuzlahm. Das Kreuz war ein Muttermal, das er auf die Welt brachte; warum aber lahm? Hatte der ABC-Junker nicht sein beschiedenes Theil von Verstand und Willen? Beides freilich war zum Ritter geschlagen, und, wie es doch bei Schlägen geht: sie treffen selten die rechte Stelle – Das Wort After sagt zu viel, und würde ihm zu nahe treten; warum auch einen Nothhafen von Namen, da unser Held nicht wie eine Bienenkönigin sich in eine Zelle einschließen, sondern vor unsern Augen handeln wird? »Handeln?« – Freilich scheint er zum Wortmenschen erzogen zu werden. Ist es anders in der Welt? Kommen wir nicht alle aus Wortschulen in das thätige Leben? Und doch gab es von jeher unter uns nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter des Worts. Ich will meinem Helden keinen Namen beilegen; er selbst soll sich taufen! – Die Geschichte des unheiligen türkischen Reichs, die zehn Haupt- und die vielen andern kreuz und quer eingeschalteten Nebenverfolgungen trugen das ihrige mit bei, unsern Helden an Leib und Seele zur Geschichte der Hospitaliten vom Orden des heiligen Johannes von Jerusalem anzuschicken. Aristippus sagte, da er durch einen Sophisten überwunden war: Ich werde besser schlafen als du, ob du mich gleich in die Enge getrieben und gesiegt hast. Laßt es gut seyn; das Ende krönt das Werk. – Die Mutter unseres Helden war eine Kreuzseherin; sie hatte, wie wir wissen, den Ritter des Kreuzes halber, welches auch in der Dämmerung, wie ein Katzenauge, an seiner Brust funkelte, [139] geehlicht, und so konnte sich denn unser Lehrer wohl nicht empfänglichere Herzen wünschen.

Der heilige Orden – fing unser Ritter an, und nahm seine Mütze, die eine Art von Inful oder Bischofsmütze war und zugespitzt wie ein Kirchenthurm gen Himmel zeigte, sehr tief und ehrerbietig ab. Schon lange konnte unser Ritter sich nicht ohne Mütze behelfen, und es gibt Menschen, denen sie natürlicher als der Hut ist. Zwar läßt sich nicht läugnen, daß eine Mütze eben nicht die schicklichste Tracht für einen Ritter sey; indessen war er wegen seiner Neigung zu Hauptflüssen zur Mütze verurtheilt; und da in unseren letzten Tagen die Freiheit sich in Frankreich laut und deutlich für die Mütze erklärt und das alte Sinnbild der Freiheit in den vorigen Stand gesetzt hat – warum sollte es unserm gutgesinnten Aristokraten nicht auch erlaubt seyn, sich einer aristokratisch zugeschnittenen Mütze zu bedienen? – Der heilige Orden, sagte der bemützte, vom Jacobinismus himmelweit entfernte Ritter zum zweiten-, und der heilige Orden, sagte er, nach seiner hochwürdigen Gewohnheit, zum drittenmal (wobei die gnädige Frau sich jedesmal ehrerbietig beugte), ist unstreitig unter allen Orden einer der ältesten und berühmtesten; denn obgleich der Orden der Freimaurer sich dünkt, als ob Adam der erste ächte und gerechte Maurer gewesen sey, so dient doch zur dienstfreundlichen Antwort, daß die Schürze, welche Freimaurer Adam trug, von Feigenblättern war, und daß auf diese Art die Schlange den Großmeister des Ordens vorgestellt hätte, welches der Freimaurerorden, wie ich hoffe und wünsche, schwerlich auf sich sitzen lassen wird.

Unser Held, der wohl wußte, daß er das Ebenbild zur Johanniterordens-Ritterschaft verloren hatte und durch Mutter Eva gefallen war, wurde so voll von dem Freimaurerorden, daß er seinen väterlichen Lehrer mit Kiuberfragen, so wie weiland der Gast mit Mannsfragen, ängstigte. Da indeß der Ritter wenig oder gar nichts [140] von dem Freimaurerorden wußte, weil zu dieser Frist noch nicht so viele Lehrbücher über diesen, wenn man will, geheimen oder verrathenen und zerschmetterten Orden geschrieben waren, so gingen diese unbeantworteten Fragen, die überhaupt mit verbissenem Schmerz viel ähnliches haben, unserm Helden durch Mark und Bein. Schuldig gebliebene Antworten sind bewährte Hausmittel, die fragende Jugend auf Irrwege zu führen, und streuten auch hier Samen; ob zu künftigen Früchten oder zu künftigem Unkraut, wird die Zeit lehren. – Für jetzt nahm der Junker – vielleicht aus Freimaurerhunger, den die wenigen Brocken eher gereizt als gestillt hatten, vielleicht auch, weil der zurückgesetzte Hofmeister insgeheim unsern Helden mit so manchem Zweifel ausrüstete – Gelegenheit, den Johanniterrittern den Vorwurf aufzubürden: warum sie seit so geraumer Zeit nicht entweder mit dem Schwerte des Geistes oder des Leibes gesiegt, und die Türken, welche sich unterstanden, das Grab Mahomets zu Medina dem Grabe Christi, und die Kaaba zu Mecca der santa casa zu Loretto entgegenzustellen, entweder bekehrt oder zu Grabe gebracht hätten? Der Ritter, welcher den leiblichen Eroberungen wohlbedächtig auswich, versicherte in Hinsicht des geistlichen, bis dahin unerfochtenen Sieges, der auch jetzt noch im weiten Felde sey, daß die fünf Brüder des reichen Mannes eher zu bekehren wären, als Leute mit Bärten. Beweisen dieß nicht die Juden sichtbarlich? Hierzu kommt, fuhr er fort, daß die Beschneidung Juden und Türken so fühlbar an ihre Religion erinnert, und daß die Unterdrückung des Geschlechtes der Eva dem christlichen Glauben in Hinsicht der Türken, dieser bärtigen Ungläubigen, unübersteigliche Hindernisse in den Weg legt.

Unser Held merkte es dem ritterlichen Vater mit und ohne Assistenz des Hofmeisters ab, daß er seinen Worten durch Ernst und Würde (ein Privilegium de non appellando) das letzte Entscheidungsrecht [141] beilegen und seinen Schülern das Opium der Unfehlbarkeit bei seinen Erzählungen eingeben wollte.

»Im eilften Jahrhundert,« fing sich eine Dämmerung an, »wünschten Kaufleute aus der Stadt Amalfi im Königreich Neapolis, welche in Syrien Verkehr trieben und bei dieser Gelegenheit die heiligen Oerter in Jerusalem besuchten, hier eine Kirche zu haben.« Die gnädige Frau sowohl, als unser Held fanden bei so bewandten Umständen die Feuerahnenprobe des Ordens ungerecht, und beide forderten Satisfaction vom Orden wegen dieser Strenge, und von der Familie wegen der Firmelung, wenn sie gleich mit wohlriechendem Wasser an ihnen vollbracht war. Indeß konnten sie von wegen der Gestrengigkeit des Ritters nicht aufkommen; vielmehr sahen sie sich in den Umständen, sich bloß mit Husten oder Protestiren (welches der juristische Husten ist) zu behelfen. So sang der Judenbekehrer Stephan Schulz (vulgo Sanftmuth Sieget) zu Rom in der Peterskirche das Lutherische Siegeslied: Ein' feste Burg ist unser Gott, ein' gute Wehr und Waffen.

»Da Betrug und Handel,« fuhr der gestrenge Ritter fort, »wie Haken und Oehse, wie Nagel und Wand, wie Mann und Weib verbunden sind, so wollten diese Emsigen, diese Nachbarn, um das Gewissen zu beruhigen, den Zehnten dem lieben Gott ablegen; obgleich diese Zehn von den Hunderten, welche auf Kosten des armen Nächsten genommen waren, dem lieben Gott, der nur reine Thiere zum Opfer verlangt, unmöglich ein süßer Geruch seyn konnten. (Weder Mutter noch Sohn husteten.) Der damalige Kalif in Aegypten, Almansor von Muftasaph, ward gewonnen (der Ritter setzte kannengießerlich hinzu: man könne wohl rathen, wodurch –) und gab sein fiat wie gebeten zum Bau einer Kirche in der Stadt Jerusalem. Wenn nun gleich die Herren Emsigen undNachbarn es mit dem sechsten Gebot, das weder auf [142] Wasser- noch auf Landreisen zu gehen pflegt, genau nicht so nehmen konnten, da sie beständig unterwegs waren, wollten sie doch, daß ihre zurückgebliebenen Weiber demselben strikte Observanz leisten sollten. Um nun dieses Glückes theilhaftig zu werden, widmeten sie die Kirche der heiligen Jungfrau; und damit es weder ihnen noch andern Pilgern an guter Aufnahme und an den Exceptionen vom sechsten Gebote fehlte, erbauten sie neben dieser Kirche ein Gasthaus oder Kloster, worin sie Benedictiner zu Wirthen machten. Wollte Gott, daß unsere Gastwirthe, die alle eine Art von Benedictinern sind, nicht bloß sich, sondern auch ihre Gäste, da sie das Kreuz in Händen haben, segnen möchten! Auf meiner Reise nach Sonnenburg – blieb mir dieser sowohl als vieler andere Segen aus, den ich indeß dem Gast auf Erden, unserm lieben Vetter, hiermit reichlich anwünsche, so wenig er ihn auch am Orden verdient.«

Ist je etwas im Stande, die Einbildungskraft bis zum höchsten Gipfel zu treiben, so ist es der Pilgerstand. Vier Dämmerungen ging man bei diesen Benedictinern aus und ein, und ließ es sich mit den andern Pilgrimen herzlich wohl seyn. Der Ritter ergriff diese Gelegenheit, den Kaufmannsstand in Rücksicht des obigen Hustens in integrum zu restituiren, und erlaubte dem Schuldner Nachbar, ob er gleich nicht aus Amalfi war, sich ohne Umstände zu Tische zu setzen und es sich wohl schmecken zu lassen. Eine Hand wäscht die andere. Die Zinsen fielen auf die Minute; der Ritter wußte, woran er war, und konnte ungestört und mit Ehren, ohne einen Schritt aus dem Hause zu thun, gen Jerusalem reisen, und den Nachbar in seiner Abwesenheit und während dieser auf der Börse den Cours berichtigte, zu Tische ziehen.

Schon gleich bei der Anlage der Congregation des heiligen Johannes des Täufers, welche Gottfried von Bouillon unter dem Schutze dieses Heiligen stiftete, ohne daß die Jungfrau Maria diese [143] Trennung ungnädig aufnahm, zeigte sich der Ritter in Lebensgröße; und so blieb er auch, sowohl bei dem Sonnenschein als bei dem Platzregen, der den Orden betraf, unbeweglich, bis er sich die Erlaubniß nahm, Karl V. die Hand zu küssen, der 1530 den 20. Mai dem Orden die Insel Malta cum att- et pertinentiis unter der Bedingung verehrte, diese Insel zu schützen und den türkischen Seeräubern allen Abbruch zu thun. Froh gestand er, daß der liebe Gott seine Heiligen wunderlich geführt hätte, und daß, wenn er, gleich seinen in Gott andächtigen und in Gott ruhenden Vorvätern, sich durch die Eroberung der Insel Rhodus den Ritternamen verdienen sollen, er zwar ohne Wechselschuld, allein doch vielleicht nicht so mit so gesunden Armen und Beinen, wie aus Sonnenburg, zurückgekommen seyn würde; worüber denn die Ritterin ihre ganz besondere Zufriedenheit bezeigte!

Ob nun gleich dem Ritter keine verschmelzenden Uebergänge eigen waren, so erinnerte er sich doch nicht ohne Rührung, daß sich bei allem, was zu seyn werth wäre, Geist, Seele und Leib, Rock, Weste und Beinkleider fänden, und daß jede Sache von Wichtigkeit drei Wörter in und zu ihren Diensten hätte. Durch dieses weite Portal des Eingangs kam er geradeswegs zu den drei Gelübden derArmuth, der Keuschheit und des Gehorsams, und zu den drei Klassen, in welche MeisterRaymund du Puy die Hospitaliten theilte.

Auf Prima, sagte der Ritter, saßen die Adeligen, welche er zur Vertheidigung des heiligen Glaubens und zur Beschirmung der Pilgrime bestimmte. – Daß sich Gott erbarme! sagte die Ritterin, wiewohl in Gedanken, die den Worten zuweilen erlauben, aus der Schule zu laufen.

Auf Secunda, fuhr der Ritter nach einer Weile fort, saßen die Kapläne und Priester des Ordens zum Gottesdienste; denn wenn gleich die Ritter allerdings Geistliche sind, so können sie doch [144] vom Adjectivo geistlich das Substantivum Ritter nicht trennen. Sie richteten weltliche Sachen geistlich: – es waren Nothtäufer.

Auf Tertia saßen die Brüder Unteroffiziere und Gemeinen, die zwar unadelig waren, indeß doch alle Fähigkeit hatten, im Kriege todt zu schlagen und sich todt schlagen zu lassen; als in welche Klasse er zu seiner Zeit den Hofmeister anzuwerben nicht abgeneigt schien, der indeß sich leicht auf Secunda schwingen könne. Diesem heiligen Drei fügte er noch Eins (überhaupt waren ihm die Dreien sehr geläufig) hinzu, indem er die Ordensregel die Regula de tri nannte, welche der Orden sich eigen gemacht, nachdem er zuvor seine Rechnung bloß nach den gemeinen fünf Speciebus geführt hätte. Und nun ließ sich unser Ritter in Malta bei dem Großmeister (er nannte ihn Großherrn) melden, wünschte ihm eine frohe Abenddämmerung und condolirte von Herzen, daß Se. Allerhöchstwürden Großmeister des Hospitals zu St. Jerusalem hießen, obgleich Jerusalem, wiewohl bloß wegen der gräulichen Sünden der Juden, sich noch jetzt in türkischen Händen befände, und daß er den erhabenen Namen Guardian der Armeen Jesu Christi führe, wenn nicht schon bekannt sey, ob, wo, und in wie weit nur eine einzige von diesen Armeen, die himmlischen Heerschaaren ausgenommen, ein Lager aufgeschlagen habe.

Die neue Ordensgeschichte hätte der Ritter gern für alte verkauft; er war dabei so kleinlaut, daß er bei den acht Zungen, Sprachen und Nationen, in die der Orden pfingstfestlich, wie der Ritter sich ausdrückte, vertheilt ist, seine Sprache verlor und das Collegium nicht endete, sondern brach, welches wohl vorzüglich auf die Rechnung des Gastes gehörte, die zehn Pastores völlig zu berichtigen nicht im Stande waren. Simonides sagte, er sey öfters [145] mit sich unzufrieden gewesen, wenn er geredet, aber nie, wenn er geschwiegen habe. – Ich, fügte der Ritter hinzu, umgekehrt.

Damit indeß alles seine Art hätte (wofür der Ritter sehr war), und unser Held in eine lebendige Sache geführt werden, und eine Experimentalgeschichte, wie der Ritter es hieß, pragmatisch und praktisch lernen möchte, so ließ er von dem Vater des Hofmeisters verschiedene sehr prächtige Kleider entwerfen, als da sind: ein rothes Oberkleid in Gestalt einer Dalmatica, welches die Ritter zur Zeit des Krieges (den Gott in Gnaden abwenden wolle!) über ihrem Kleide trugen. Dieser Ueberrock war vorn und hinten mit einem breiten Kreuze verziert. Nach der Kriegszeit (die Gott in Gnaden abwenden wolle!) war die Friedenszeit (die Gott in Gnaden zuwenden wolle!) zu sehen in Gestalt eines langen schwarzen Leichenmantels. Beide Stücke wurden so gelegt, daß sich auf der linken Seite das achtspitzige weiße Leinwandzeug zeigte. Das goldene Kreuz, welches die Ritter an einem schmalen schwarzen Bande auf der Brust trugen, lag nicht minder auf diesem castro doloris, und stach in der Abenddämmerung so trefflich ab, daß die Ritterin ihren Mannablöste, wie ein junger Adler sich über sich selbst schwang und, ohne daß an die Unsichtbaren gedacht ward (auf die Fingerlein sah sie nicht), voll kühner Phantasie und Diction sie also anredete: O ihr, die ihr neugierige (nicht aber wißbegierige) Weiber und ungetreue Männer flieht, und nur wohnt bei denen, die nicht sehen und doch glauben! Wenn es wahr ist, daß ihr in der Dämmerung gern ungesehen unter Menschen wandelt und bei aller eurer Behutsamkeit es doch nicht hindern könnt, daß ein heiliger Schauer uns eure Gegenwart verkündigt – hört und antwortet uns im heiligen Schauer, als der Sprache der Unsichtbaren! Haben diese Dämmerungsvorlesungen und diese ausgebreiteten Kleider, die, ob ich gleich den Schneider kenne, der sie gemacht hat, weil er der Vater unseres [146] Hofmeisters ist, nicht etwas Seelenerhebendes in sich? – Von Fingerlein kann ich mir keinen Begriff machen, wohl aber von guten Geistern, die Gott den Herrn loben, und Kinder und Pilgrime geleiten, bis wir zur Stadt Gottes kommen, wo wir, mit weißen Kleidern angethan, für Ritterpflicht Ritterlohn empfahen werden – Amen! – Nach Eldorado, sagte der Ritter – Nach Eldorado, das unter der Erde ist.

Konnten euch, fuhr sie fort, o ihr Unsichtbaren! diese Kleider und unsere Dämmerungsvorlesuugen nicht rühren, ob sie gleich mir fast das Herz abstießen – o! so rühre euch meine Rührung! Wüßtet ihr, wie gern ich einen von euch, fromme und selige Schatten, sehen möchte, wie sehr ich euch liebe und ehre (verzeiht mir diese Ausdrücke, weil ich nicht anders als menschlich zu reden verstehe), ihr würdet, da ich gern auf Gegenehre Verzicht thue, mir Liebe schenken. Neigung ist der Gegenneigung werth. – Mein Herz verdammt mich nicht. Engel! Geister! Selige! oder wie ihr sonst heißt, Schatten mag ich euch nicht nennen, und glaubt (wenn zu diesen Erdenworten euch nicht aller Begriff fehlt), glaubt, eure Erscheinungen werden mich nicht schrecken. – Mögen die zittern, deren Gewissen nicht bestehet in der Wahrheit. – Ist es möglich, so wünschte ich einen jener trefflichen Ritter der Vorwelt, versteht sich in Begleitung seiner Ritterin, zu sehen; und ist diese Bitte zu groß, so laßt mir meine Mutter, meinen Vater oder das Freitisch-Fräulein erscheinen, damit ich über so manche Erden-Hieroglyphen Licht erhalte – und vom Ende vom Liede, vom Ziel meiner Erdenpilgerschaft, vom himmlischen Jerusalem. – Bin ich zu kühn in meinen Wünschen? Begehr' ich eine Gotterscheinung? Schon eine Erscheinung meiner Lieben wird mich befriedigen, meiner Lieben – die ich, als sie hier wallten, verstand, ehe sie sprachen, deren Gedanken ich von fern kannte, und deren Innerstes ich errieth. Nur Gedanken möcht' ich mit ihnen wechseln, [147] nicht Worte – nicht Blicke –; nur Gedanken! – Dann wäre das heilige Grab, das in der Vorzeit so viele treffliche Menschen zu Licht und Leben brachte, das uns in diesen Dämmerungen begeisterte, eine Pforte des Himmels geworden, uns und allen, deren Licht der Hoffnung im Grabe nicht erlischt; dann wäre mir die Pilgerschaft dieses Lebens erleichtert. Halleluja!

Kind, unterbrach der Ritter seine Gemahlin, ich kann zu deinem Halleluja kein Amen sprechen! Laß ab von deinen Bitten, wodurch man nur niedere Seelen fesselt! Ergebung ist der Ton der Menschen, auf den unser Geist gestimmt ist. Die Wollüste der Geister sind geheim, so wie die Wollust der Liebe, die vom Himmel strömt. Wahre Liebe ist ein unsichtbares Band, seiner noch als unsre Nerven, die Lautensaiten in uns, auf denen die Unsichtbaren zuweilen spielen, welche aber, wie Virtuosen, nicht immer dazu aufgelegt sind. – Wie anlockend! Oft schlugen sie auch hier, während meiner Vorlesung, einen Triller, machten eine Bebung, und dafür Dank! – Was du recht liebst, ist nicht das, was du siehest, sondern das, was du nicht siehest: das Bild, das du dir von dem Gegenstande deiner Liebe abziehst, und von welchem oft der Maler in seiner Begeisterung einen Zug erhascht und trifft, der dich so hinreißt, als sähest du deinen eigenen Geist, bald hätt' ich gesagt leibhaftig! Was soll die Einladung der Himmlischen? – so laß uns die Unsichtbaren nennen, die Verwandten des Geistes, der in uns ist, mit denen wir Gedanken unh Thaten (die hohe Sprache der Geister)wechseln, wenn wir gut sind. Wir sind Geist von einem Geist. – Gott spricht, das heißt: Gott schafft. – So oft wir uns zu den Vollendeten erheben, so oft lassen sie sich zu uns herab. – – Hier fiel schnell ein Blitz; ein heftiger Knall folgte, und plötzlich flog die Thüre auf. Man sprang auf. Grauen und Entsetzen überfiel alle (die Ritterin ausgenommen, deren Gewissen gewiß und [148] wahrhaftig bestand in der Wahrheit) und jedes hatte, ohne zu wissen wie und warum, die Hände gefaltet. – Die Dämmerung war zu Ende, man schlich sich ohne Amen, nach etwa dreimal neun Minuten sinnloser Betäubung, davon und hatte das Herz nicht, ein Wort über das, was so eben vor aller Augen vorgegangen war, zu wagen; ich glaube, man getraute sich nicht daran zu denken. – Unser Held entfaltete seine Hände zuerst, ging hin und machte die aufgesprungene Flügelthüre zu, aber so leise, daß, wenn wirklich etwas Ueber- oder Unterirdisches sie geöffnet hätte, dieses Etwas es nicht übel genommen haben würde.

»Wunderbar!« Freilich wunderbar! noch wunderbarer indeß, daß man der Ursache dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls nicht im mindesten nachspürte, so daß er unerforscht blieb bis auf den heutigen Tag. – Warum sollte denn ein Geist mit Blitz und Knall erscheinen, und, wie regierende Herren, vor sich her Kanonen lösen lassen? Was kann einen Geist – dem es ein größerer Vorzug seyn würde, durch verschlossene Thüren einzudringen – bewegen, Thüren zu sprengen und seine Ankunft mit Geräusch zu bezeichnen, das man am wenigsten in der Geisterwelt, die sich leider! so still hält, vermuthen kann?

Vater und Mutter umarmten ihren Sohn herzlich, sobald sie aus der Dämmerung zum Licht gekommen waren; und er, edel unbefangen, so daß er diese Umarmung nicht deuten konnte – wird er bei denen von seinen und meinen Lesern gewinnen, die ihn wegen seiner vielen Nothtaufen von so verschiedener Art verkannten? Neunmal neun gegen Eins, viele seiner Verkenner hätten die Flügelthüren weit offen gelassen! weit!

Erst jetzt befragten Ritter und Ritterin sich unter einander wiewohl heimlich, und zum ersten- und letztenmal, was jedes gesehen hätte? Beide erwiederten sich, außer dem Blitz und der geöffneten Thür nichts gesehen, und außer dem Knall nichts gehört [149] zu haben; doch glaubte keines dem andern! Jedes bildete sich ein, dem andern sey mehr erschienen. – Brannten nicht unsere Herzen? fing der Ritter an. Waren nicht unsere Zungen feurig? erwiederte die Ritterin. Bloß in dergleichen Dingen haben die Menschen immer mehr Zutrauen zu andern, als zu sich; und der Hang, jedem Irrlichte von Orden, jedem: hier ist es, da ist es, dort ist es, nachzulaufen, entsteht aus diesem sonderbaren Mißtrauen in sich selbst, und dem größeren Zutrauen zu andern.

Wer von meinen Lesern sich überredete, der Blitz-und Knall- und Thürvorfall habe die Dämmerungen auf immer verscheucht, irrte sich. Schon den andern Tag ward der abgerissene Faden angeknüpft. Man schien, ohne vorher getroffene Verabredung, entschlossen, sich durch nichts weder zur Rechten noch zur Linken bringen zu lassen, und nach diesen Entschlüssen fing der Ritter keck an, wie folgt:

Der Blinde hat keinen Begriff von der Farbe, und – warum Zurückhaltung? – wir keinen von Entkörperten. – Auch haben sie uns nicht zu befehlen! Guten Tag, guten Weg! Sind sie nicht an ihre Pflichten, so wie wir an die unsrigen, gebunden? – Gott und das Gewissen, oder wir selbst, haben uns zu befehlen – sonst nichts, es sey, was es sey. – Wer wollte sich vor Unsichtbaren fürchten? wer? Er schwieg, und ein Schauder ergriff alle. – Warum er stockte, weiß ich nicht; wohl aber kann ich es verbürgen, daß er nicht glauben wollte, und doch glaubte. – Ich läugne nicht, fuhr der Ritter nach dieser stummen Scene fort, den Seelenanklang, die elektrischen Funken der Geister; was aber diese Phänomene sind – wer kann das ergründen? Wir wissen nicht, was wir seyn werden, und ich verlange es auch nicht zu wissen. – Kommt Zeit, kommt Rath, kommt Ewigkeit, kommt Rath. Ein Körper würde dort uns zu schwer seyn, und selten bleibt man ohne Hauptflüsse, wenn man bekörpert ist. Wird das Kleid der [150] abgeschiedenen Geister im Schattenreich, in der Breite und Länge von den Leibern unterschieden seyn, die wir diesseits als wahre Dalmatiken tragen?

Noch einmal! laßt uns nicht die Unsichtbaren fürchten; sie sind unsre Mitgeister. Doch lieben können wir sie. Liebe ist das Hauptwort der andern Welt, weil Glaube und Hoffnung sich dort im Genuß und Schauen verlieren werden. Laßt mich, Geliebte meiner Seele, noch mehr von dieser Liebe mit euch lallen!

Gewinnsucht ist das Wasser, welches das Feuer der Liebe bis zum letzten Funken auslöscht. Die eigentliche Liebe ist Seelenliebe; sobald Fleisch und Blut Theil daran nehmen, ist sie nicht mehr Liebe. Selbst in der heiligen Ehe, wo Fleisch und Blut sich ihre Stimme nicht nehmen lassen, muß der Geist wider das Fleisch gelüsten, wenn die Ehe seyn soll, wie die unsrige ist, die unsrige, liebe Sophie, wo wir in dem Sinne, den wir beide wissen, Fleisch und Blut kreuzigen sammt den unzeitigen Lüsten und Begierden. Verstärken nicht Abwesenheit und Enthaltsamkeit die Liebe? Aller Besitz schwächt das Vergnügen, der Besitz in der Liebe besonders; er ist ein Mordbrenner. Die Liebe muß Widerstand haben. – Wenn ich je Muth hatte mich zu balgen, so war es als ich dein Liebhaber war, ob sich gleich keine Gelegenheit zum Schlagen fand; wofür Gott gepriesen sey! Der Nachbar, der jetzt unser erwünschter Schuldner ist, konnte, wenn er gleich aus Amalfi gewesen wäre, sich Subordinations halber keine Ausforderung herausnehmen; und glaube mir, Leute, die so viel Geld besitzen, haben, bei meiner armen Seele! kein Herz. – Ohne Hinderniß ist keine Liebe. Seht da, worin die geistige Liebe die gemeine, die gemischte Liebe übertrifft! Unsre Schulmänner, von deren Art der Schneiderssohn auch sein Theil besitzt, behaupten: man könne Gott nicht lieben, weil die Liebe ein Opfer wolle, und weil er unsichtbar ist. O, der Naseweisheit! Will die Liebe denn sehen? ist sie nicht [151] blind? Und was das Opfer betrifft – bring' ich nicht Hekatomben Gott dem Herrn, wenn ich mich selbst überwinde? Ist es nicht, als lösten wir unser Wesen in reinster Liebe Gottes auf – wenn wir edel und groß handeln? – Fließen nicht in diesen seelerhebenden Lagen Thränen, weil uns verlangt, immer edel und groß zu seyn – und weil wir es nicht seyn können? Ist durchaus gegenseitiges Opfer bei der Liebe nöthig, so ist es eine Art von Opfer, daß Gott den menschenmöglichen Eifer, vollkommen zu werden, daß er den reinen Willen für reines Vollbringen ansieht. – Liebe gegen Gott und Gottes gegen uns ist von besonderer Art; und warum hier eine andere Sprache, als die uns so wohl thut und geläufig ist? – Ist sie kindlich; immerhin! – Können wir diesseits die Kinderschuhe ausziehen? – Es ist noch die Frage, ob wir sie in der nächsten andern Welt ausziehen werden; und doch – können wir es wagen zu behaupten, daß wir göttlichen Geschlechts sind, daß wir in ihm leben, weben und sind! Du rufst die Unsichtbaren an, edle Ritterin! Was für Heil aber können sie diesem Hause widerfahren lassen, das, Gottlob! schon genug gekreuzet und gesegnet ist? Können sie deinen Vater zum Edelmann und deinen Sohn zum Johanniterritter erheben? Vielleicht ist es gut, daß wir mit der andern Welt in keiner Verbindung stehen; vielleicht sind wir mit den Unsichtbaren verbunden, ohne daß wir es wissen. – Der Gast, der uns erschien – noch erscheinen uns nicht entkleidete Geister, sondern Geister mit Körper umgeben – war er nicht Geist? und wer kann es läugnen, daß er uns nicht Worte, sondern Gedanken zurückließ, die ich, so lange die Augen meines Geistes und meines Leibes offen sind, nicht vergessen werde, bis ich gen Eldorado komme, welches unter der Erde ist! – Hätte er weniger, wie der jüngste Tag, gerichtet die Lebendigen und die Todten, er würde mir lieber seyn; erhabener kann er mir nicht werden. Wir wollen sein [152] gedenken, ob er uns gleich manche Dämmerung durch sein Licht verdorben hat. Denke sein, Jüngling, den er so fest an sein Herz drückte, als er segnend von hinnen schied! Denke sein, Weib und Mutter, und laß ab von deinen Bitten an die Himmlischen – die so dringend waren, daß man inbrünstiger nicht beten kann, als du die Geister citirtest! Doch bist du nicht die Erste, welche das heilige Grab der Welt und allem, was darin ist, entriß! Laß uns, edle Ritterin, zufrieden seyn mit dem, was da ist, mit dem, was uns Gott gab, und mit dem, was er uns entzog. Diese Ordenskleider sind nicht für unsern Sohn; doch wird auch er nicht im Bloßen bleiben, sondern seinem ihm beschiedenen Theile nicht entgehen. Kleider erwärmen uns, sagte der Gast, nur in so weit unser Körper ihnen Wärme ertheilt, ob sie gleich die Windbeutelei haben, diese Wärme für ihr Eigenthum auszugeben. – Der Leib ist das Kleid der Seele. Es gibt ein Ziel, das jeder erreichen kann; das Ziel der Vernunft und der Menschheit. – Sohn! ringe, da du das Johanniterkreuz zu erhalten nicht im Stande bist, daß du doch diesen olympischen Kranz erreichest, wozu Gottes heiliger Geist dir seine Gnade, seine Kraft und seinen Beistand verleihen wolle! Vergiß nicht die weisen Lehren des Gastvetters, die, das Bittere abgerechnet, vorzüglich dir nützlich und selig werden können. Mancher, sagte der Vetter, hängt einen Kranz aus, weil sein Wein schlecht ist. Der dürftigste Gastwirth nimmt sich die Freiheit, Heinrich IV. als Schild auszuhängen, und das feierlichste Gesicht verbirgt einen Alltagskram von Kinderspiel und Puppenwerk. Der Virtuose putzt sein Instrument nicht; der Gelehrte läßt seine Lieblingsbücher broschiren, und nur der Ehemann das Portrait der Frau Gemahlin in einen goldenen Rahmen fassen: der Liebhaber nicht also, um das Bildniß seiner Geliebten überall mitnehmen zu können. – Das deinige, liebe Sophie, ist ungefaßt. – Ich schließe mit Worten aus dem Schatzkästlein des [153] Gastvetters: die Vernunft ist unser Schutzgeist. Befrage sie, und denke ans Ende, so wirst du nimmermehr Uebles thun! –

Das ganze Auditorium schwieg; und wenn es überhaupt Geister gibt, und wenn von ihnen wirklich einige gegenwärtig gewesen und diese Unsichtbaren anders gute Engel sind, so müssen ihnen die hellen Thränen in den Augen dieses Kleeblatts, wovon immer eine nach der andern den Augen entzitterte, gefallen haben.

Was ist – fing der Ritter nach einer Weile an – was ist unsere Pflicht in jeder Dämmerung, und besonders heute in dieser Dämmerung, da wir unsere Vorlesungen schließen? Zu denken an die Dämmerung aller Dämmerungen: zu denken, daß unser Leben ein Ziel hat und wir davon müssen. Wenn wir unsterblich wären; wenn unser Sohn nie zum Besitze dieses Schlosses und seiner Kreuze kommen könnte; wenn meine Hauptflüsse, derentwegen ich die Mütze trage, nie ein Ende gewönnen, ach! dann würd' ich deiner Geistercitation beitreten; jetzt aber, da wir nach diesem Leben noch seyn, und, wie wir nach der Liebe hoffen, die Ehre haben werden, vielleicht nicht mit größern, aber bessern Wesen, als die Menschen sind und jemals seyn können, Bekanntschaft zu machen und uns ihnen anzuschließen – jetzt – ein großes Jetzt! – laßt uns bei der Todtenfarbe dieser Ordenskleider uns freuen, daß Tage unsrer warten, wo Kopfflüsse und aller Jammer und alles Elend aufhören! Der Tod – wer kann es läugnen? – ist ein Türke, der sich überwinden läßt; allein dieses Leben, wenn es ewig wäre, würde uns mehr zu stehen kommen, als wir haben und auftreiben können. Warum wollen wir so lange am Ufer weilen und uns besinnen? – Frisch gewagt ist halb gewonnen! – Hinüber! – Es ist ein Gott – und es ist sein Funke in uns. Getrost! – Wer ein reines Gewissen hat – was darf der fürchten? Laßt uns nicht vergessen, daß der, welcher uns diesseits so viel Gutes zuwandte, uns jenseits nicht aufgeben wird! – Tugend [154] bedroht Wind und Meer, und es wird stille! Gewonnen! Der Gast sagte: Nicht die Liebe zum Leben, sondern die Furcht vor dem Tode, macht, daß man sich an das Leben hängt. Vielleicht könnte man es dahin bringen, daß man das Leben fürchtete und den Tod liebte. – Warum so weit? Laßt uns das Leben lieben und auch den Tod! Laßt uns den Tod fürchten und auch das Leben! Diese Lehre hat unsPastor loci, der zwar kein Gastvetter ist, doch aber gar wohl auf Secunda zu sitzen verdient, in einer Homilie ans Herz gelegt! – Der Mensch ist einmal an Tag und Nacht gewöhnt, und so wechselt es bei ihm wunderlich. Seine beste Tageszeit ist die Dämmerung, wo die Furcht mit der Liebe, und die Liebe mit der Furcht in Streit ist. – Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen. – Eine Eiche bleibt, auch wenn sie hingerichtet ist, eine Eiche, und eine Ceder eine Ceder. Stände, das hoff' ich, werden auch in der andern Welt seyn. Es gibt deren unter guten und unter bösen Engeln; und der Gast sage, was er wolle – wer im irdischen Jerusalem als Edelmann treu befunden wurde, wird auch als Edelmann eingehen im himmlischen Jerusalem gen Eldorado, wo Gerechtigkeit wohnet. – Wer Weizen säet, erntet Weizen. Roggensaat und Hafersaat tragen homogene Früchte. – Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere der Mond, eine andere die Sterne. – Ein Kreuz ist des Sterns Fundament, und ohne Kreuz und Leiden – was wird groß und was kann groß werden? Was kann in der Natur ohne Kreuz bestehen? was in der Kunst? Der Mensch und seine Wohnung ist kreuzweise. – Necket eure Hände aus einander, und ihr seyd ein Kreuz. – Wer es hört, der merke darauf! – Ich freue mich, meine. Lieben, daß ich diese Vorlesungen mit dem Gedanken schließen kann, euch ein Licht in mancher Dämmerung angezündet zu haben. Auch habt ihr wohl gefunden, daß ich unvermerkt hier und da den edlen Gast freundvetterlich zu widerlegen gesucht! – Seine Grundsätze [155] von Selbstadel verdienen vor allen eine Prüfung. – Gar zu scharf macht schartig. – Gott ist von Natur gut, Menschen müssen es durch Erziehung werden; – und leisten da nicht Geburt und Ahnen herrliche Dienste? Eben darum in allen deutschen Titeln (bis auf die fürstlichen, denen ich auch das Wort zu reden nicht gesonnen bin) das Wort geboren. Originale sind schön, sagt man, und selbst wenn sie zu weit gehen; ihre Fehler sind besser, als die Schönheiten mittelmäßiger Menschen. – Mit oder ohne Erlaubniß des Herrn Vetters, ich nicht also! Die Ehre ist in die Originale verliebt, nicht Originale in die Ehre. – Ist denn da der Unterschied so groß? – Ich sollte denken. Muß man denn entweder der Ehre nachlaufen oder von ihr gesucht werden? Warum immer Extreme, lieber Gastvetter?

Nach dieser Rede, welche der Ritter unvorbereitet hielt, so daß das Feuer in seiner ersten Kraft wirkte, und nach verschiedenen Postscripten von Vorträgen, welche er noch auf seinem Herzen und Gewissen hatte, brach die Ritterin in Begeisterung aus, und redete wie folgt: Mein theuerster Gemahl! Es gereicht dir zu keinem Vorwurf, daß du nicht am heiligen Grabe und in Jerusalem gewesen bist. Du hast uns durch die Macht deiner Zunge und den Nachdruck deines Geistes bis ins Allerheiligste gebracht, wo nur dem Hohenpriester im alten Bunde die Erlaubniß des Einganges nachgelassen war. Du hast frei herausgeredet, und nicht wie die alten Orakel und manche verfehlte Witzköpfe, die sich mit Zweideutigkeiten abgaben und noch abgeben. – Da die heiligen Oerter nicht auf dem Wege nach Sonnenburg liegen, so würde ein Umweg dieser Art zu einer Zeit, wo das strenge Wechselrecht dich unbarmherzig verfolgte und gar sehr erbittert gegen dich war, einer der unheiligsten Gedanken gewesen seyn, der dich hätte anwandeln können; und auch jetzt, da sich das Blatt jenes strengen Wechselrechtes gewendet hat, legen sich dieser Reise die wichtigsten Bedenklichkeiten [156] wegen deiner Mütze, deren du nicht ohne die betrübtesten Folgen entbehren kannst, in den Weg. Ohne wirkliches Wunder, welches im neuen Bunde nicht zu erwarten ist, bleibst du bei uns und bei deiner Mütze, die dir gewiß nicht schlechter steht, als irgend einem Bischofe, dem sein Theil unter den Gläubigen oder Ungläubigen beschieden ist. Der Hildebrandismus hat unsere Bischöfe und Aebte mit Inful und Stab verherrlicht; deine Mütze hat die Natur dir aufgesetzt. – Auch bin ich mit deiner Resignation, nichts in originali sehen zu wollen, um so zufriedener, da dein Sohn Erziehungs-Instruktionen braucht, wovon du schon so manches Meisterstück geliefert hast. Ueber das sechste Gebot bist du hinaus, lieber Gemahl; und ich müßte deine Umstände weniger kennen, wenn ich nicht dieserhalb eben so sicher, wie im Schooße Abrahams, seyn wollte. Wie wär' es indeß, wenn wir jene heiligen Oerter in effigie darstellten? Denn wenn auch nicht die vornehmsten regierenden Herren unsere Gevattern wären, so fänd' ich doch bei dieser ganzen unschuldigen Sache keine Bedenklichkeit von Gottes- und von Staatswegen. Das Geld bleibt nicht nur im Lande, sondern wenn Fremde aus fernen Staaten nach diesen Heiligthümern wallfahrten, muß die Geldmasse im Lande sichtbarlich steigen. – Reizt die Wahrheit wohl, wenn sie nicht mit etwas Ceremoniell, mit Kunstwörterkram, oft selbst mit Wahn, ausgeziert ist? Hypothesen spielen in der Philosophie eine nicht kleine Figur; und eröffnet die Phantasie, wenn sie am Tage kein Privilegium von uns erhält, nicht in Träumen ihr privilegirtes Theater? Warum sollten wir uns dieses Geschenks der Natur schämen, wenn nur beim Feuer der Phantasie unser Urtheil kalt bleibt? Hätte man mehr als Ein Grab Christi gehabt – würde wohl die werthe Christenheit den unwerthen Türken deßfalls zinsbar geworden seyn? Hat man denn nicht der heiligen Reliquien sehr viele doppelt, drei- und vierfach? und ist es nicht gleich, wenn nur das Andenken[157] von ihnen dadurch befördert wird? Bewahrt man nicht Christi Thränen, und, wenn ich nicht irre, irgendwo einen seiner Seufzer auf? Würde man von den Ueberbleibseln des Kreuzes Christi, die man weit und breit zeigt, nicht einen ziemlichen Palast erbauen können? – Die Wallfahrten zu unsern heiligen Orten werden so gefahrlos seyn, daß ohne unsere Erlaubniß kein Türke es wagen wird, sich hier anders als wie ein Gast einzufinden; und dann sey er uns willkommen. Der Kosmopolit, der fern von niedrigem Egoismus das Wohl seiner Nation beherzigt, verdient Liebe; allein, wer das Weltwohl umfaßt, Verehrung. – An die Erbauung mag ich nicht denken, die hier ein jeder, wenn er Erbauung sucht und dazu empfänglich ist, gar reichlich finden wird. Die guten Werke müssen dem Glauben vorausgehen; nach meinem gläubigen Dafürhalten ist er eigentlich nur da, das Fehlende zu ersetzen. Ach lieber Gemahl! warum sollten wir uns selbst vermessen, besser zu seyn, als wir sind? Der Mensch, man sage was man will, hat eine überwiegende Neigung zum Bösen. Gott weiß, wie er dazu kommt! – – Wär' ich eine eben so große Freundin von der Erbsünde, wie du, Geliebter, ein Freund von dem Erbadel bist, ich würde in die Anfechtung fallen, sie in mein Credo zu nehmen. Und Gott! welch ein Ziel, zu dem wir verpflichtet sind! Ein Ziel, das wahrlich so leicht nicht zu erringen ist! – Wer hat es bis zur Heiligkeit gebracht? außer in seinem Titel, nach welchem dir, mein Gemahl, zum Beispiel, ein zwiefaches Heilig gebührt. Das Ziel der strengsten Gewissenhaftigkeit ist unsere unablässige Pflicht; und wird dieß Kleinod ohne den frischen stärkenden Hauch der edlen Empfindungen zu erreichen seyn? Ist es nicht eine Schande, das Ziel zu kennen, Kraft zu haben, und doch nicht an Ort und Stelle zu kommen? – Hätte der Gastvetter nur die ersten Spuren zu diesen heiligen Oertern entdeckt – würd' er wohl so. kopfschen gewesen seyn? Was sah er jetzt? Schwert, Speer [158] und Lanze und eine Kreuz-Sammlung, die nicht zu verachten war, gegen die heiligen Oerter aber wie gar nichts ist. – Zwar sind die selig, die nicht sehen und doch glauben; indeß geht sehen vor sagen. Und siehe da! Geliebter meiner Seele! Wir werden Verdienste besitzen, ohne die Eifersucht aufzuregen, und unschuldiges Vergnügen genießen, ohne Feindschaft zu bewirken. – Können Dichter die tiefste Einsamkeit beleben, und (nach der Versicherung eines von ihnen) Zungen in Bäumen, Bücher in Bächen, Predigten in Steinen finden: wie weit herrlicher wird unser Plan ausfallen, wenn wir bei der edelsten Muße, die uns Gott und der Emsige machte, und die uns erlaubt, wir selbst zu seyn, die Seelen der Vorzeit einladen werden, in diesen elysischen Feldern umher zu wandeln! – Ruhm und Ehre in der großen, weiten und breiten Welt, und auf derselben Kreuz- und Querzüge, sind den Kapitalien gleich, die, so wie die Mitgaben geiziger Schwiegerväter, nicht eher als nach ihrem Ableben bezahlt werden. Mein Vater, der Emsige, nicht also! – Was hilft der Nachruhm? Ich bin für den Vorruhm, den ich noch im Leben genieße, und der, ob er gleich ein geistiger Genuß ist, dennoch die Güte hat, auf meinen Credit und meinen Magen Einfluß zu behaupten. Wohl uns, lieber Gemahl, daß wir hier Vorruhm ernten können die Hülle und Fülle, ohne daß wir fürchten dürfen, an Stelle und Ort lächerlich zu werden! Hier wird kein Schauspieler, keine Schauspielerin unser Gesicht, unser Auge, unsern Gang, oder den Schnitt des Kleides oder deiner Mütze leihen, um uns, wie den Sokrates in den Wolken, lächerlich zu machen.

Weib, fiel der Ritter ein, von Stunde an sollst du nie schweigen in der Gemeine! Und hinge es von mir ab, du solltest 16 und 32 Ahnen haben, weil du sie mehr als zehn andere verdienst, die damit ausgestattet sind. Längst war dieser Anbau der geheimste Gedanke meiner Seele; doch wußte ich nicht, ob er bei [159] dir auf ein erwünschtes Land fallen, und, wie es am Tage ist, tausendfältige Früchte bringen würde. Wie viele Jahre haben wir ungenutzt dahin sterben lassen, und wie viel weiter würden wir seyn, wenn wir früher an gefangen hätten! Was sind die dürftigen Ueberbleibsel der Johanniterordens-Ritterschaft gegen einen solchen Anbau? Was jener Detailverkehr gegen diesen Handel en gros? Die Aerzte leiten Flüsse, die sie nicht vertreiben können, an minder gefährliche Orte ab; – warum soll ich über den meinigen einen Stab brechen, da er mich nicht mit heroischen Mitteln, sondern durch eine Mütze im Geleise erhält? Ich werde in kurzem alles, was noch anziehende Reize für mich hatte und was mich meiner Gemächlichkeit untreu machen könnte, aus meinem Fenster sehen, ohne meine Mütze anders abzunehmen, als aus Ehrfurcht vor Heiligthümern, deren Schöpfer wir waren. Wenn andere an die Mühseligkeiten dieses Lebens denken, oder an ihren unsterblichen Ruhm, wie Epikur, oder an die Rache, die unsere tapfern Brüder an ihren Feinden nahmen, um durch diese Nebenwege den Bitterkeiten des Todes auf den Hauptwegen auszuweichen, so wird unser neues Jerusalem die Todesfurcht schwächen, und der inwendige Mensch, der sich an diesen heiligen Oertern weidet, den auswendigen so betäuben, daß dieser sich über sich selbst erheben wird, um nicht den bekannten Vorwurf zu verdienen, der die meisten Sterbenden mit Recht trifft, daß sie sich wie Kinder geberden, die man mit Gewalt zu Bett bringen muß. Es ist leichter, seine Leidenschaft zu ändern, als sie zu bezwingen. – Hat die Philosophie eine andere Absicht, als uns von der Hauptsache ab, und auf Nebenumstände zu leiten? – Xenophon war im Opfer begriffen, als man ihm sagte: dein Sohn ist geblieben. Er nahm seinen Kranz ab, doch nur auf einen Augenblick. Der Gedanke, daß der Tod seines Sohnes eine Pflicht, ein Heldentod gewesen sey, beruhigte ihn; er setzte seinen Kranz wieder auf, und räucherte weiter. Was dem [160] Xenophon der Kranz war, das wird mir diese Mütze seyn; mit dem Unterschiede, daß unser ABC-Sohn sich durchaus nicht der Gefahr aussetzen soll, in einem Treffen zu bleiben.

Die Ritterin war entzückt über die Wonne, die ihr Vorschlag ihrem Gemahl im Leben und Sterben vorbereitet und über die Aufstrebung seines Geistes, die sie besonders seit seinen Kopfflüssen selten oder gar nicht an ihm bemerkt hatte; sie benutzte seine Ekstase und bat für den Schneiderssohn, dem sie weiland einen Stich beigebracht, um Kraut und Pflaster auf diese Wunde zu legen. »Was jener Kritikus dem Jupiter zurief: Du bist böse, also mußt du unrecht haben! das hab' ich mir schon oft im Stillen ins Ohr gesagt. – Ein guter Schwimmer, wenn er auch untertaucht, kommt doch wieder hervor. – Den Armen wird das Evangelium gepredigt! – Beim Bau der herrlichen Stadt Jerusalem sind nicht bloß Meister, sondern auch Gesellen nöthig, und es trügt mich alles oder der Schneiderssohn ruft sich mehr als ehemals zu: wer da steht, mag wohl zusehen, daß er nicht falle. Wir weinen da bitterlich, wo uncultivirte Menschen auch nicht die kleinste Gelegenheit zur Betrübniß finden; wo jene vor Lachen sich auszuschütten scheinen, finden wir keinen Anlaß zum Lächeln. Man muß die Wurzeln, die in jedem Menschen liegen, aufsuchen. Das was über der Erde ist – ist es wohl im Ganzen der Rede und des Gaumens werth?«

Ja!! war das Resultat, und der Junker, der die Thür leise zumachte, als Noth am Mann war, sollte der Herold dieses Avancements seyn, welches im ganzen Hofe viel Aufsehens und Glückwünschens gab. – Wenn unsere Wünsche erhört werden, dünkt es uns, als hätten wir ganz etwas anderes gewünscht; wir kennen das Ding in der Wirklichkeit nicht wieder, das wir in unserer Idee entwarfen; unser Weib ist ein ganz anderes Wesen als unsere Braut. – Der Hofmeister war, vielleicht aus Heimtücke, weil er [161] an den Dämmerungen keinen Theil hatte, bei diesem Avancement sehr kalt. Er äußerte sogar über diesen Jerusalemsanbau den Nähnadeleinfall, daß der Ritter es hier nicht viel besser mache als Mahomet, der, nachdem er vergebens den Berg citirt hatte, sich kurz und gut besann, zum Berge zu gehen, weil dieser, nach Art der Berge, so grob gewesen und es rund abgeschlagen, zum Mahomet zu kommen. Die Erfahrung indeß hatte unsern Einfällisten gelehrt, daß man zuvor zuschneiden muß, ehe die Nadel anzuwenden ist; so wußte er denn seine Bitterkeit zu kreuzigen sammt ihren Lüsten und Begierden, und die Großmuth zu verehren, welche er der Ritterin zu verdanken hatte. – Man wollte den Bau nicht übereilen oder wie der Ritter es uneigentlich nannte, sich mit dem Bau nicht in die Flucht schlagen. Kommt Zeit, kommt Rath, hieß es. – Die Frage, ob der erste oder der zweite Tempel zum Muster dienen sollte, ward unentschieden reponirt. Sowie indeß der Salomonische Tempelbau in aller Stille unternommen ward, so sollte es auch bei dem Rosenthal'schen gehalten werden, ohne daß der Herr Vetter, ehe es Zeit wäre, einen Hammerschlag hörte. Unser Held, der durch das Grab Christi und die Pilger über den Verlust, den er an den Freimaurern gemacht, fürs erste beruhigt und durch so viele schöne Schlußreden äußerst bewegt schien, war voll heiligen Posaunentons und voll Jubelsprünge über so viele Jerusalemsanstalten. Er hatte beim Schlusse der Dämmerungen mit Ja und Amen verheißen, da er nach dem Laufe der Natur länger als seine Eltern zu leben erwarten könne, bei dieser Dämmerungsstätte ihr Andenken heilig seyn zu lassen. – An dem Tage, da der Aufbau eines neuen Jerusalems, mit Zuziehung des Predigers und des Hofmeisters, collegialisch beschlossen ward, gab die Ritterin ein Mahl, das man ein Denk- und Merkmahl nennen konnte. Man kam aus einer finstern Kammer – in die der Mond selbst nur ein bescheidenes Licht zu werfen sich unterstand, als wenn er, [162] der Waffenträger der Sonne, nur verstohlen hineinzusehen sich erlauben könnte – in einen herrlich erleuchteten Saal. Licht und Klarheit herrschten hier; und da eine gewisse innige Zurückhaltung sehr zur Feierlichkeit hilft, so ward dieses Ehrenmahl mit einem Anstande gegeben, daß es dem Pfarrer selbst dünkte, als sey es für diesen Tag zu groß und zu köstlich, und als würde die Einweihung Jerusalems nicht herrlicher ausfallen können. Als man aus der Dunkelheit in das Licht kam, rief der Pastor entzückt aus: so war es, als Aether aus der ewigen Natur heraus geschlagen ward! – Gerufen, sagte der Ritter, und der Pastor räusperte sich. Nicht die äußere Pracht, sondern die Wirkung, die dergleichen Feste auf Acteurs und Zuschauer machen, entscheidet. Alles war festlich geworden, so daß man sich kaum unter einander kannte. Die vertrautesten Brüder hätten Anstand genommen sich zu dutzen. Baron und Baronin, Junker, Pastor und Hofmeister waren einander so fremd, als ob ein Ungefähr sie zusammengebracht hätte. Die herrlichen Kleider, welche durch die Hände des Hof- und Ordensschneiders gegangen waren, fanden als allerliebste Masken allgemeinen Beifall, und es ward beschlossen, daß auch der großmeisterliche Anzug, der Schnabelmantel (Manteau à bec), welcher den Rittern bei Ablegung der Gelübde gegeben ward, die Kleidung der Rittergroßkreuze, wenn sie zur Kirche und wenn sie zu Rathe gehen, von eben der Meisterhand dargestellt werden sollten. Der Schneidervater hatte mit vieler Schlauigkeit von seinem Sohne ein Wort aus der Heraldik aufgefangen, und da er bei Gelegenheit dieser Kleidungsstücke groß that, sich brüstete und seinen Mitmeistern gar deutlich zu verstehen gab, daß sie Idioten wären, nächstdem zufolge so mancher von dem Ritter aufgefangener Winke sich bemühte, aus dem Schnabelmantel wie aus dem Hechtskopfe das Leiden Christi zu erklären, so erhielt er von einigen stichreichen jungen Meistern, die er in der ersten Hitze Grünschnäbel zu nennen [163] kein Bedenken trug, den Beinamen: Heraldikus, ohne daß ihm jemand von allen gewanderten Jung- und Altmeistern die Ehre streitig machen konnte, den ersten Schnabelmantel bei Menschengedenken gefertigt zu haben. Der Schneidervater, voll unbändigen Stolzes, kränkte sich über den unverdienten SpottnamenHeraldikus zusehends und zwar so, daß sein Sohn, der hierzu Gelegenheit (freilich die unschuldigste von der Welt) gegeben, diesen Schaden Josephs nicht nur kindlich zu Herzen nahm, sondern ihn auch zu heilen bemüht war. – Umsonst! unsern welkenden Hypochondriakus konnte nichts erfrischen. Der Spottname Heraldikus war wirklich der Hauptnagel zu seinem Sarge, in welches der Schnabelmantel-Märtyrer, nachdem er den Schwanengesang als Ordensschneider gar lieblich gesungen hatte, bald nach diesen Tagen einging. Hatte Nicolaus Copernikus mit seinem neuen Weltsystem ein besseres Schicksal? – Die gottlosen Schneiderjungen konnten nicht umhin, noch auf den bescheidenen Stein, welchen der Schneidervater sich auf sein Grab legen ließ, Heraldikus, wiewohl bloß mit Kreide zu schreiben! Der Sohn, welcher den Vater liebte, war nicht so unverschämt, sich seines Vaters zu schämen; indeß freute er sich doch im Herzen, als er starb. Er glaubte sein Ansehen auf Secunda desto fester zu gründen und es je länger je mehr dem Flusse der Vergessenheit näher zu bringen, daß er Schneiderssohn sey. Da

32. Jerusalem
§. 32.
Jerusalem

wohl unbedenklich der Hauptsitz aller Sanctuarien ist, so war Jerusalem unserm Ritter ein theures, werthes Wort. Das Hauptstück in Jerusalem war derhohe Rath. Ging doch, nach der ältesten Urkunde, Gott der Herr zu Rathe, ehe er Menschen schuf. Das erste, was von Jerusalem in Rosenthal sichtbar wurde, war [164] eben dieser hohe Rath, dem ich hiermit meine Verbeugung mache. – Ob nun gleich die in diesen hohen Rath gezogenen beiden Rathsherren, der Pastor und Hofmeister loci, eines Tages es auf Bethlehem anlegen wollten und unwiderlegbar zeigten, daß die Abbildung dieses Fleckens und der Krippe weit weniger als Jerusalem sowohl auf dem Papier als auch unter freiem Himmel zu stehen kommen würde, zu geschweigen, daß die Hirten loci am Weihnachtsheiligen Abend dieser feierlichen Erinnerung einen sehr naturgemäßen Nachdruck zu geben im Stande wären, so blieb der Ritter doch bei der Hauptstadt Jerusalem. Auch schien er es den Herren Räthen übel zu deuten, daß sie sich nicht entblödeten, Hirten in das Johanniterspiel zu bringen, für welche er keine Classe hatte, ohne daß sie den Herren Secundanern in jeder Rücksicht zu nahe gekommen wären. Jerusalem blieb das hohe Wort, das Ja und Amen bei allem ritterlichen Dichten und Trachten, und den beiden bürgerlichen Räthen blieb nichts weiter übrig, als ihr Haupt bei dem Worte Jerusalem zu neigen und den artigen Flecken Bethlehem aufzugeben. Zur Nachricht. Wöchentlich wurden zwei Sessionen gehalten, die den Namen hoher Rath von Jerusalem führten. Von Stiftungsbrief und Rathssiegel hab' ich in den erhaltenen Papieren keine Reliquien gefunden. – In diesem hohen Rathe ward alles vorgetragen, was zur Abbildung der heiligen Oerter nur förderlich und dienstlich seyn konnte; indeß blieb, wie es in Collegiis wohl zu seyn pflegt, alles auf dem Papier, wo wir es denn auch fürs erste werden lassen müssen.

Schon von jeher hatte der Ritter den zehnten Sonntag nach

33. Trinitatis
§. 33.
Trinitatis

zu seinem Lieblinge erkieset, an welchem das ordentliche Evangelium Jerusalem zerstört. »So lange,« pflegte der Ritter zu [165] sagen, »noch ein Stein auf dem andern bei mir ist, so lange diese meine Augen offen stehen, will ich dein nicht vergessen, Jerusalem. An meinem Busen hab' ich dich gezeichnet!« Die gnädige Frau und unser Held, der im hohen Rathe den Collegen Junker machte, trugen zu allen diesen Denkwürdigkeiten die Wetterbeobachtung bei, daß es seit ihrem Gedenken an diesem Sonntage beständig schwül gewesen, als wenn Jerusalem nach dem Untergangsbrande rauche! Sonne und Mond werden ihren Schein verlieren, erklärte die Ritterin (ihrem Gemahl zur Seelenwonne) von Groß- und Heermeistern, die leider! ihren Schein verloren hätten. »Die Sterne, die vom Himmel gefallen,« sagte sie, »scheinen mir die Johanniterritter, welche Gott wie die Wachteln zum Besten der Juden in den Wüsten des alten Testaments (ganz aus der Wüste ist das jüdische Volk nie gekommen) vom Himmel fallen lassen, um für den ersten Anbiß seinem Volke, das sonst vor Hunger gestorben seyn würde, Helden zu schaffen.« Unserm Ritter war die von den Wachteln hergenommene Erläuterung des Sternvergleichs nicht so ganz in optima forma, und der hohe Rathmann Pastor loci konnte von der Exegetik dieses Textes keinen Gebrauch machen, ob er gleich das Ingenium der gnädigen Frau zu lobpreisen nicht ermangelte. Da er die Hauptperson, so wie jedes, so auch dieses Lieblings – Sonntags des Xten nach Trinitatis war, so gab er sich jahrjährlich Mühe, dem hohen ritterlichen Hause mit etwas Neuem vom Jahr und etwas Unvermuthetem aufzuwarten, und je nachdem dieses Neue vom Jahre fiel, je nachdem war auch der Ritter erkenntlich.

Im Jahr 17– beschloß der hohe Rath, diesem X. Sonntag nach Trinitatis den Namen Kreuz- oderRittersonntag beizulegen und seiner Feier eine besondere Etikette vorzuschreiben; denn da der Ritter je länger je hochwürdiger ward, oder, wie er sich ausdrückte, sich ganz dem heiligen Orden und der heiligen Stadt [166] widmete, so hatte er sich mit der unerläßlichen Pflicht belastet, an diesem Sonntage den Johannitermantel anzulegen und so seinen Einzug in die Kirche zu halten, um sowohl hierdurch, als durch Kniebeugen, eben die Ceremonie zu beobachten, als wenn der Ritter des heiligen Johannes, Freiherr des heiligen römischen Reiches, die heilige Communion empfing. Schwärmerei macht oft den Scheinphilosophen zum Scheindichter, den Scheindichter zum Scheinphilosophen, den Narren klug und den Klugen zum Narren. Begeisterung ist der Geist, wovon die Schwärmerei der Schatten ist; – und eine gewisse Feierlichkeit, welche eine kalt gewordene, eine verrauchte Begeisterung heißen könnte, hilft der Schwachheit derer aus, die entweder jederzeit arm an Begeisterung sind, oder die nur eben heute nicht dazu aufgelegt waren – und wer kann seinen Geist anstrengen, ohne dabei einzubüßen? wer immer in höchster Geistesgalla erscheinen, wenn es angesagt wird? Ist das Alltagskleid rein – was geht denen ab, die es angezogen haben?

Hierauf (so fing der Pfarrer seinen Text nach einem gläubigen und andächtigen Vater Unser an) wolle eine christliche Gemeinde das heutige ordentliche Sonntagsevangelium vorlesen hören, welches am X. Sonntage nach Trinitatis in der Gemeinde des Herrn pflegt verlesen und erklärt zu werden, wie uns solches der Evangelist Lucas im neunzehnten Kapitel vom einundvierzigsten bis achtundvierzigsten Vers beschrieben hat. Es lautet in unserer deutschen Lutherischen Uebersetzung also.

Bei diesen Worten setzte sich unser in der Demuth große Ritter in kniebaren Stand; und bei dem ersten Worte des Textes:

»Und als er nahe hinzu kam,«

fiel er nieder mit seinem ganzen Hause, bis auf den Hofmeister, dem, wenn er gleich aus dem Unter- ins Oberhaus gekommen, und von einem Whig des gesunden Menschenverstands ein Tory des hohen Rathes geworden war, das Knien am X. Sonntage nach[167] Trinitatis bei Vorlesung des ordentlichen Sonntagsevangelii in Rücksicht seines Standes, und weil sein Vater ein bekannter Schneidermeister mit dem Zunamen Heraldikus gewesen, nicht eignete und gebührte.

»Und als er nahe hinzu kam,« wiederholte der Prediger, »sah er die Stadt an,« –

Nämlich Jerusalem, sagte der Ritter auf seinen Knien ganz laut, so daß es die ganze Gemeinde hörte. – Jerusalem! ward von einigen frommen Weibern aus dem Volke kläglich nachgeseufzt:

»und weinte über sie,«

fuhr der Prediger fort, um eine lange Pause zu machen: denn er wußte, was in der ritterlichen Rolle stand, und was dieser Vers zu erwarten hatte. Thränen aus einem alten Hause sind Perlen; auch werden sie, falls man dem Dichter glauben darf, wenn das Stündlein vorhanden ist, um das letzte Diadem zu zieren, sich in tausend Perlen verlieren. – Es sah nicht viel anders aus, als ob der Pastor den Zapfen in der Hand hielte, um diese Thränen laufen zu lassen. Der Ritter war gerührt: die Ritterin weinte und unser Nothtäufling accompagnirte beide. Die Gemeinde konnte natürlich einem so großen Beispiele nicht widerstehen, und zog die andächtigen Schleußen, so daß beinahe, auch ohne das Schluchzen einzurechnen, die Thränen fast hörbar fielen. Zum Zeichen, pflegte der Ritter zu sagen, über sie, zum Zeugniß des Blutes, das in Jerusalem floß. Ueberhaupt waren Wasser und Blut ihm ein wechselseitiges tiefes Symbol; und da er mehr Neigung hatte, Thränen, als Blut zu vergießen, so waren Weinen und Blutlassen ihm im gewissen Verstande gleicbbebeutende Wörter. Blut weinen hieß ihm: große Thränen, Platzthränen fallen lassen, die sich, wie bekannt, gemeiniglich mit Schmerz losreißen, ehe sie ins Auge treten Die Küche und was ihr anhängt, vergießt nicht Blut; Wasser und Feuer sind ihre Waffen, Thränen und Auto da fé.

[168] »Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient; aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.«

Das Wort Nun ward im Stillen gefeiert. Da man sich unter diesem Nun den letzten Athemzug des Lebens dachte, so war jedes bewegt, bis auf den ungläubigen knieunfähigen Hofmeister, der in diesem Nun keinen Todtenkopf, kein Memento finden konnte. Doch übermannte ihn von Jahr zu Jahr bei Gelegen heit dieses Nun ein größerer Grad von Rührung, den er aber bloß auf die Rechnung der guten Gesellschaft schrieb. Der Ritter wiederholte dieß Wort Nun nie, als ob er befürchtete, bei diesem Nun oder Nu in seinen Sünden zu bleiben; und so wagte sich auch niemand aus der Gemeinde an dieß Nun, als ob es ansteckte. Der Prediger selbst, der zuweilen, besonders wenn er seinem Magen zu viele Nächstenliebe erwiesen hatte, von Krämpfen, und seit einiger Zeit, nach dem Beispiele seines Kirchenpatrons, mit der Hauptkrankheit geplagt ward, schlich sich nur so auf den Zehen vorbei, als wenn er mit dem Tode blinde Kuh spielte. – Doch wird dich der Tod fressen, guter Pastor! wenn nicht am Nu, so an einem andern Worte – wenn nicht an Gichten, so an Fiebern.

»Denn es wird die Zeit über dir kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir, eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen, und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum, daß du nicht erkennet hast die Zeit, darin du heimgesuchet bist.«

Dieß waren die Verba probantia für unsern Ritter, und kein Wort entging Sr. Hochwürden, das er nicht, da der Würgengel des Wörtleins Nun vorüber war, mit einer lauten Rührung ausgestattet hätte. Bei der Wagenburg pflegte er zu zittern, und diese Gewohnheit brachte ihn im Punkte der Herzhaftigkeit in zweideutigen Ruf, ob ihn gleich nicht seinet- sondern Jerusalems halben [169] Zittern und Zagen ankam, und bei dieser Belagerung, die in seiner friedlichen Patronatskirche vorfiel, nichts zu befürchten war.

Die vier folgenden Verse hörte zwar der Ritter nebst den Seinigen knieend, doch aber ohne alles Accompagnement an, bis auf den merkwürdigen Umstand, daß er jedesmal bei dem Worte Tempel zwar einen tiefen, doch etwas Hoffnung schöpfenden Seufzer, wie Noah seine Taube bei der Sündfluth, fliegen ließ.

»Und er ging in den Tempel und fing an auszutreiben, die darinnen verkauften und kauften, und sprach zu ihnen: Es stehet geschrieben, mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt es gemacht zur Mördergrube.«

Bei dieser Stelle sah der Ritter die Ritterin an, als wollte er sagen, in diesen Worten liege der Grund, warum kein Emsiger Johaniterritter werden könne.

Die Schlußworte kamen ohne Bemerkung ab.

»Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Vornehmsten im Volk trachteten ihm nach, daß sie ihn umbrächten, und fanden nicht wie sie ihm thun sollten, denn alles Volk hing ihm an und hörete ihn.«

Jetzt standen unser Ritter und sein kniegebeugtes Haus auf. Der Hofmeister bückte sich vor jedem unter ihnen, als ob sie großmüthiglich seinetwegen diese Pönitenz übernommen hätten; und nun erhob sich die Dedikationspredigt, die als ein gutes Wort auch in alle Wege eine gute Stelle fand. Die eine, um von ihr den Spiritus mitzutheilen, behandelte die Geschichte der Thränen Christi. Ein gewisser Thränenverehrer, Robertus Holcoth, hat behauptet: Christus habe siebenmal geweint; andere, sagte unser Dedikationsprediger, geben vor: er habe viermal Thränen vergossen, und zwar bei der Beschneidung, beim Grabe des Lazarus, bei der Stadt Jerusalem und endlich am Kreuze. Diese Behauptungen schienen Wasser auf seine Mühle; denn er malte die sieben und vier so rein aus, [170] daß nichts als das reine gebeutelte und durchgesiebte Mehl übrig blieb, nämlich, Christus hätte nur dreimal geweint: beim Grabe seines Freundes Lazarus, Joh. 11, 35., beim Anblick Jerusalems, Luc. 19, 41., und außer diesen beiden Malen, nach dem Berichte des heiligen Paulus Ebr. 5, 7., da er am Tage seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der ihm vom Tode konnte aushelfen. Die Thränen Christi brachten den Pastor zum Vergleich zwischen Christus undAlexander dem Großen, welcher neu und, wie der Ritter betheuerte, nicht ohne Scharfblick war: – Beide Weltüberwinder! aber wie verschieden!

Alexander weinte, da man ihm nach dem Lehrbegriffe des Demokritus bewies, daß es unzählige Welten gebe, weil er noch nicht der Herr einer einzigen zu seyn die Ehre hatte. Wohl dir, Weltüberwinder, daß du nicht zu Herschel's Zeit lebtest! wie klein hätte dir das Sandkorn eingeleuchtet, auf welchem du den Großen spieltest, und ihn nur sehr klein machtest! – Auch vergoß er Thränen in seiner Jugend, wenn sein Herr Vater mit seinen Potsdamern siegte, weil er besorgte, es würde nichts weiter für seine Großmächtigkeit übrig bleiben.

Nur mit Königen wollte Alexander als Jüngling wettlaufen. Sein Reich war von dieser Welt. Zwar sah er es gern, daß Raketen seines Ruhms in seinem kleinen Geburtsstaate aufstiegen, und daß man hier in den Zeitungen von seinen Thaten las; doch war sein Plan auf die ganze Welt angelegt, die er nicht befreien, sondern unterjochen wollte.

Sein Geschlecht war fürstlich, sein Lehrer ein großer und feiner Kopf. Wiegt beide ab Seht, wie Aristoteles Schale sinkt, und Alexanders Schale steigt! seht! – Doch suchte Alexander, mit seiner Abkunft, kraft deren er des Aristoteles Schüler ward, [171] und mit seiner Menschheit unzufrieden, sich eine Gottheit zu erkaufen.

Sind dieß Resultate der Aristotelischen Philosophie?

Seine Logik war in seinem Stolze, so wie viele sie im Magen haben. O, des kleinstädtischen Thoren! des Gottes, der, zügelloser Leidenschaften halber, bei weitem nicht den Namen Mensch verdiente, und der im zweiunddreißigsten Jahre starb, ohne gelebt zu haben!

Er wollte im Leben Ruhm und Ehre ernten; doch fallen Ruhm und Ehre keinem wirklich großen Mann im Leben zu: nach dem Tode wird diese Saat reif. Edle Menschen bitten, wie Buttler, um Brod, und man gibt ihnen einen Stein. Nur durch Hindernisse, Unterdrückung und Leiden werden Menschen groß. Sind Titel und Bänder und Ehrenstellen mehr als Schminke, um kleine Seelen zu gewinnen und zu verführen?

Er ward an eben dem Tage geboren, an welchem Herostrat den Tempel der Diana in Ephesus, dessen Apostelgeschichte 19. gedacht wird, in Brand steckte, um sich unsterblich zu machen. Schmeichler nahmen sich die Erlaubniß, zu behaupten, Diana hätte der Olympias, der Frau Mutter Alexanders, als weise Frau gedient. – War Alexander mehr als ein Welt-Herostrat? und konnte sein Geburtstag durch eine bessere That bezeichnet werden? Ich bin in Versuchung, sie Pathengeschenk zu nennen. – Man sagt, die Epheser hätten, um Herostrats Absicht zu vereiteln, im Criminalurtheil festgesetzt, wer ihn nennen würde, sollte mit dem Tode bestraft werden. Welche Schwäche! Sie scheint wohl von jeher das Erbtheil der Richterstühle gewesen zu seyn. Jene Richter zu Ephesus liegen im tiefsten Todesschlummer, ohne daß ein Mensch ihren Namen weiß, da hingegen Herostrat noch jetzt genannt wird.

Alexander war im zwanzigsten Jahre König über Griechenland. – Er zerhieb den gordischen Knoten, anstatt ihn zu lösen.

[172] Er erwiederte dem Darius seinen Sack voll Mohnsamen mit einem Säcklein Pfefferkörner, zum Beweise, daß nicht die Zahl, sondern die Würde es ausmache.

Er eroberte Jerusalem; – da ihm aber der Hohepriester und die hochwohlehrwürdige Priesterschaar entgegen kam, zertheilten sich die Donnerwolken und der Würgengel ging vorüber.

Er erstach den Generallieutenant Klitus, der nicht nur seinem Königlichen Herrn Vater Philippus allerunterthänigst treugehorsamste Dienste geleistet, sondern auch dem Alexander das Leben gerettet hatte. Warum? Weil Klitus nicht schmeicheln konnte! – Auch war Alexander voll süßen Weins.

Diogenes verlangte nichts mehr von Alexandern, als daß er ihm die Sonne nicht vertreten möchte. War es Wunder, da Alexander der Knecht der Knechte des Diogenes war, der Leidenschaften, über welche Diogenes zum Alexander geworden?

Er wollte bloß erobern; nähere Verbindung der Nationen unter sich lag außer den Grenzen seines Plans. Er war einer der stärksten Egoisten, die bei dem Geräusch, alles gethan zu haben – nichts thun. – Sein Gebet an den Ufern des Ganges, daß kein Mensch nach ihm die Grenzen seiner Eroberungen überschreiten möchte, ist dem Verdruß angemessen, den er äußerte, als Aristoteles seine Philosophie durch Schriften verbreitete. Nur er allein wollte die Ehre haben, Aristoteles Schüler zu seyn.

Seine Verschwendung war grenzenlos Olympias warnte ihn, seine Freunde nicht durch seine Verschwendung zu Königen zu erheben, weil er dadurch Freunde verlöre und Könige gewönne. Kann man schlechter spielen?

Er ward tyrannisch und ein Feind seiner Freunde und Spießgesellen; heirathete des Darius Tochter, wogegen sich nichts sagen läßt.

[173] So wie sein Reich von dieser Welt war, so ging es auch wieder in alle Welt.

Dem alten Testamente der heidnischen Vorwelt erwies er große Ehrerbietung; Homers Gedichte geleiteten ihn auf seinen Wegen und Stegen.

Ehe er Griechenland verließ, wollte er zu Delphi sich seine Schicksale verkündigen lassen. Die Priesterin verbat den Auftrag, und als Alexander sie mit Gewalt in den Tempel stieß, rief sie: »Sohn! dir kann niemand widerstehen!« Gut, rief Alexander, ich weiß jetzt mein Orakel.

Er wollte durchaus ein Gott seyn und verfolgte die, welche ihn nicht anbeteten – Er, Aristoteles Schüler; Philipps Sohn!

Alexander fand Nachahmer, die der Menschheit unmenschlich gefährlich waren. Viele dünkten sich schon Alexanders zu seyn, wenn sie wie er den Kopf schief trugen. – O der Kleinheit!


* * *


Christi Advent in der Welt war arm und dürftig. Maria und Joseph lebten kümmerlich. Sein Geburtsort hieß Bethlehem. Sein Evangelium sollte der Armuth gepredigt werden, um sie reich oder beglückt zu machen. Hirten waren die Herolde seiner Geburt, seine Wiege eine Krippe.

An seine Lehrer wird nicht gedacht. – Schon im zwölften Jahre zeigte er im Tempel, weß Geisteskind er sey, ohne den Bucephalus zu überwältigen.

Er erniedrigte sich, nannte sich des Menschen Sohn, der nicht kommen wäre, daß er bedient würde, sondern daß er diene.

Seine Ehre suchte er nicht bei Menschen, sondern bei Gott und seinem Gewissen. Nach seinem Tode hat der heilige Geist seiner Lehre die Erde erobert. So hieß es mit Recht von Cato, daß er dem Staate nützlicher gewesen sey, als Scipio. Dieser war [174] Held und Sieger der römischen Feinde; jener bekriegte die römischen Sitten.

Er war ein geistlicher König, der es nicht auf Sklaverei, sondern auf Freiheit bei der Menschheit anlegte, und sie in vieler Rücksicht schon wirklich frei machte; und noch ist nicht erschienen, was wir seyn können und seyn werden!

Seine Feinde waren nicht die Mohnkörner des Darius'schen Heeres, sondern die Sünde! Sie war das persische Reich, das er zerstörte – um Leben und unvergängliches Wesen der Tugend und Gottgefälligkeit ans Licht zu bringen.

Er vergoß nur Thränen der Menschheit und Freundschaft bei dem Grabe des Lazarus, und Thränen der Großmuth und des edlen Mitleidens, weil die Menschen, und besonders die Juden, die Finsterniß mehr liebten, als das Licht; denn ihre Werke waren böse.

Gern hätte er das Licht der Wahrheit zuerst in Judäa angezündet; es blieb aber vor den Augen der Juden verborgen.

Im dreißigsten Jahre trat er als öffentlicher Lehrer auf. Zwar lehrte er nur drei Jahre; doch ist die Welt durch ihn so belehrt, daß noch jedes philosophische und politische System sein Vorbild im Evangelio suchet und findet.

Jerusalem tödtete ihn.

Er hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte.

Seine zwölf Jünger nahm er aus der Klasse des gemeinen Mannes, und erwarb sich keinen Phalaux durch Weltweisen. – Er liebte seine Jünger und seine Freunde bis in den Tod, vergab seinen Feinden, und lehrte sie lieben und sie segnen, um Kinder Gottes zu seyn, dessen Sonne aufgehet über Böse und Gute, und der regnen läßt über Gerechte und Ungerechte. – Sie wissen nicht, sagte er von seinen Feinden, was sie thun. Seinen Liebling Petrus, den eine Magd aus der Fassung brachte, ob er es gleich kurz vorher mit Malchus, dem Knechte des damaligen Hohenpriesters, [175] anband, sah er nach einer dreimaligen Verläugnung an; und dieser ging hinaus – und weinte bitterlich.

Hätten Se. Heiligkeit nicht wohlgethan, sich einen andern Jünger, als den Petrus, zum Stammvater zu wählen? Ich hätte den Johannes vorgeschlagen.

Er suchte nicht eigene Ehre, sondern die Ehre seines himmlischen Vaters. Alle Menschen wollte er zu Gottes Kindern erhöhen; und nach der Kinderlehre seines Evangeliums sind alle Gottes Kinder, die in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.

Sein Muth war groß. Seinem Verräther, einem aus den Zwölfen, ging er mit den göttlich-großen Worten entgegen: Ich bin's. Dem Petrus gebot er, sein Schwert in die Scheide zu stecken.

Er starb den schmählichsten Tod des Kreuzes, und nichts ging ihm so nahe, als sein so großes Werk, das aber nicht starb, sondern auferstand, und dessen Geist er dem Geiste der Geister empfahl!

Das alte Testament sah er als Hieroglyphen an, als Schattenbilder, die er begeisterte. Reine Tugend war seine Lehre; das Herz, die innere Gesinnung, seine Forderung an die Menschen, und Vollkommenheit sein Ziel! –

»Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, nach Vollkommenheit; und alles andere wird euch zufallen,« war sein politisches System, das die Probe der Anweisung enthielt, zu geben dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!

Seine Lehre von der Vorsehung: Sehet die Lilien auf dem Felde – und von der andern Welt, nach welcher wir durch den zeitlichen Tod nicht auf ewig sterben, wickeln alle Knoten auf, die er nie gewaltsam zerschlug, sondern menschenfreundlich lösete. Wenn ein Kollegium von Gott und Menschen über den [176] Menschen richten sollen, es hätte gerichtet wie Christus. – Selbst die spitzfindigsten Fragen, die eine gerade Abweisung verdienten, beantwortete er auf Kosten des Fragenden.

Nicht mit Verheißungen hoher Ehrenstellen, sondern mit der Verkündigung, daß man sie behandeln würde, wie ihn, sandte er seine Zwölfe in alle Welt, um sein Evangelium auszubreiten!

Er wußte seine Schicksale, übernahm sie muthig, und starb getrost, um ewig in seiner Lehre zu leben; und sie – von den Toden der Mißverständnisse, der Zusätze und falschen Erklärungen erweckt – stirbt hinfort nimmer. Halleluja!


In einem andern Jahre wandelte unser Pastor einen andern Weg; doch so, daß er immer ganz richtig in Jerusalem eintraf. Laßt uns, sagte er, bei den Worten unseres Textes bleiben: So viele Worte, so viele Gewichte! Zwar reichte er jenem zu seiner Zeit bewunderten Geistlichen nicht das Wasser, der seiner lieben Gemeinde, unter vielen andern künstlichen Propositionen, den königlich prophetischen Namen David vorstellte, und im ersten Theile den Da, und im zweiten den vid herzrührend zergliederte; indeß fand er in jedem Worte – im Worte und, im Worte als, im Worte er, und im Worte nahe – so viel Erbauungsreiches, daß ich die beste Gelegenheit von der Welt hätte, meine Leser durch eine Anwaldsweitläufigkeit recht aus dem Grunde zu erbauen. Ein Thema war: Wer seinen Feind segnet, wenn dieser ihm fluchet, thut Gott und sich einen Dienst, und bringet seinen Feind obendrein um die Hoffnung, die ihn zu Schanden werden läßt. Er nimmt eine Sünde von ihm, und an den feurigen Kohlen, die er auf sein Haupt sammelt, wird sich das Licht der bessern Ueberlegung anzünden lassen. – Wohl [177] ihm, daß er so weit ist! zum bessern Willen braucht er nur noch einen Schritt. – Eine Predigt hatte zum Motto: daß ein Richter nicht die Person, sondern die Sache ansehen müsse, um sich nicht durch Geburt, Schönheit Ansehen, Verstand u.s.w. bestechen zu lassen. Geschenke sind Fliegen, die ein jeder sieht, wenn sie ins Essen fallen; aber das Personansehen ist eine weit feinere Verleitung zur Ungerechtigkeit, zu Menschenfurcht und andern dergleichen Schand' und Lastern. Wer ein Weib ansiehet, sie zu begehren, hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. – Christus sah die Stadt an, nicht die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer; nicht Pilatus, der Herr im Hause war, und Herodes den Fuchs, die am Tage der Verurtheilung Christi Freunde wurden!

Noch eine andere Predigt war der Bemerkung gewidmet, daß es gut sey, als Baumeister, besser aber als Menschenkenner auf Reisen zu gehen. Zwar kämen die meisten Menschen mit der Erzählung von Größe, Pracht und Einrichtung der Stadt zurück, ohne die Augen ihres Leibes und ihres Geistes auf die Menschen zu richten; der Weise indeß sähe auf Men schen. – Wenn er von Jerusalem spricht, redet er von seinen Einwohnern; – auch nicht von den Hefen des Volkes, sondern von dem Schaum desselben: von den Schriftgelehrten und Pharisäern. Zwar gibt es Nationen und Völker, die von der Art sind, daß wenn man fünf unter ihnen kennt, man das ganze Volk ergründet hat; wozu auch die Juden gehören, die, wenn gleich durch das viele Reisen fast alle Völker sich einen großen Theil ihrer Eigenheit abschleifen lassen, doch bis auf das schwarze Haar Juden bleiben, zum Zeichen über sie! – wobei er indeß dem Judas und seinen,salva venia! rothhaarigen Nachfolgern unter dem Volke das Haar nicht philistrisch abschneiden, sondern nur a posteriori das Volk schwarzhaarig geheißen wissen wollte.

[178] Noch ein anderes Thema: Wenn man viele traurige Nachrichten zu verkündigen hat, so muß man nicht von den kleinen zur größern, sondern von der größern zu den kleinern übergehen, weil alsdann die minder schreckliche Nachricht, vermittelst des Abstiches, Trostgrund wird. So würde auch, sagte der Pastor, wie er nach der Liebe hoffe, der Tod leichter als Gicht und Wassersucht seyn, und vortheilhaft contrastiren. Man wird finden, daß unser Pastor, trotz unsern besten Kanzelrednern, aus dem Glückstopfe seines Textes einen Gewinnst zu ziehen verstand, den man auf tausend Meilen nicht vermuthet hätte. Kam er vollends auf die Thränen; – alsdann hatte er die Worte nicht nöthig! Oft gedachte er eines Kirchenvaters, Gregorius Nazianzenus, der, wenn er über die Thränen der armen Sünderin (an der und andern Schwestern der fromme Vater übrigens keinen Herzens-, sondern bloß Verstandesantheil nahm) predigen sollte, in die Herzensworte ausbrach: »Auch mir fließen Thränen statt der Worte!« Was die christliche Gemeinde übrigens aus seiner Predigt ohne besondere Bemerkung wohl von selbst abgenommen haben würde.

Es sind mir sechs vollständige Predigten mit dem zu diesen Kreuz- und Querzügen gehörigen Hausrath behändigt worden, ich will indeß meine Leser nicht damit heimsuchen, wohl aber durch ein lebensgroßes Meisterstück des hohen Rathes sie ad unguem usque entschädigen.

Ob nun gleich das Evangelium quaestionis am X. Sonntage nach Trinitatis jederzeit mit den bezeichneten Formalien gegeben und auf Knieen empfangen ward, so publicirte der Pastor doch alle drei Jahre außer demselben noch einen Auszug von der gänzlichen Zerstörung der Stadt Jerusalem. Diese Aehren waren aus den Geschichtschreibern Josephus, Hegesippus, Eusebius und Nicephorus zusammengelesen.

[179] Ein jeder, meine Freunde, fing der Prediger bei Gelegenheit eines solchen Schaltauszuges an – ein jeder, welcher fühlt, daß er einer der letzten Menschen ist, gibt sich Mühe, sich durch Stand und Geld emporzuschwingen, und andere, ja am Ende sich selbst, zu überreden: er sey etwas. Was dem Hofe an Tugend abgeht, wird durch Pracht ersetzt, die zwar allerdings in einen zweideutigen Ruf gerathen ist, indeß, wenn sie sich des Kreuzes nicht schämt, etwas Augen- und Herzstärkendes bei sich führt. So ging es der Stadt aller Städte, dem Tempel aller Tempel und dem Volke aller Völker. Woher kam es, daß das jüdische Volk sich auf die goldenen Kälber seines Tempels und seine Einrichtung verließ, ohne Hand an das Werk einer moralischen Verbesserung zu legen? Die Bosheit macht schwach, und die Schwäche macht boshaft. Ein Mann, der sich bewußt ist, Mann zu seyn, pflegt so wenig in Härte, als in Eigendünkel auszuarten: er geht dem Kinde aus dem Wege. Kleine Leute dagegen sind schon böse, weil sie klein sind. Sie schlagen Wellen, um eine Fliege zu erseufen, und brauchen einen Orkan, um ein Vergißmeinnicht zu entblättern. Niemand ist zu tadeln, weil er das ist, was er ist, sondern weil er das nicht ist, wofür er gehalten seyn will. Was war das jüdische Volk, und was wollte es seyn? Ein tief verderbtes Volk, das zu diesem sauren Wein den Kranz aushängte: Volk Gottes. Ob sich nun gleich fast mit Gewißheit annehmen läßt, daß Adam, der erste Mensch, ein Christ gewesen sey, indem erst Abraham sich beschnitt, und die Juden sich seine Kinder nennen (wogegen Christus der zweite Adam genannt wird von Rechtswegen), so hatte doch dieß Tempelvolk, von Abraham, der den ersten Tempel baute, bis auf die Zerstörung Jerusalems, Männer unter sich, die es zur Tapferkeit und zur Tugend aufmunterten. Kleinheit und Unlauterkeit waren ihm indeß zur andern Natur geworden. Da dieß Volk sich so tief herabgebracht hatte, daß seine [180] Obersten Heuchler, Niederträchtige, Elende waren, die nicht einmal die Kraft besaßen, ächte Bösewichter zu seyn, so daß auch Christus der Herr einen einzigen braven, mannhaften Kerl von Sünder, der schon seiner Natur nach der Buße weit näher ist, für neunundneunzig solche jüdische heuchlerische Schelme geben wollte; – was konnte anders als der Untergang desselben erfolgen? und zwar ein solcher, daß sogar die Türken, ein noch weit elenderes Volk, Jerusalem besitzen, wovon ich heute das Memento mori in aller Kürze zu publiciren in dem Herrn entschlossen bin, und zwar so in That und Kraft, daß man nicht hören, sondern sehen wird.

Wenn ich mein ganzes Leben hindurch über meinen Kreuz- und Querzügen gebrütet hätte – würde wohl ein Küchlein herausgebracht seyn, das dieser gackelnden Henne das Wasser reichen könnte?

Als sich die Zeit nahte, daß Gott über Jerusalem und das jüdische Volk den endlichen Zorn wollte ergehen lassen, wie die Propheten und der Herr Christus selbst ihnen gedräuet und zuvor gesagt hatten, sind diese nachfolgenden Zeichen vorhergegangen.

Es ist am Himmel ein Komet gesehen, wie ein Schwert gestaltet, welcher ein ganzes Jahr über der Stadt gestanden und von jedermann gesehen worden.Item, eben in den Tagen der gesäuerten Brode, am achten Tage des Monats April, um 9 Uhr in der Nacht, ist bei dem Altar im Tempel ein solch hellglänzendes Licht erschienen, daß jedermann gemeint, es wäre Tag. Item, ein ehernes großes starkes Thor am innern Tempel, daran zwanzig Männer heben mußten, wenn man es aufthun wollte, welches mit starken eisernen Schlössern und Riegeln verwahrt war, hat sich um die sechste Nachtstunde selbst ausgethan. (Das Wörtlein Item ward vom Ritter und seinem ganzen Hause, mit Ausschluß des Schneidersohns, der es, obgleich er Sekundaner war, bleiben lassen [181] mußte, inbrünstig wiederholt.) Item, auf den einundzwanzigsten Tag Judä hat man gesehen in der Luft und Wolken an vielen Orten des Himmels Wagen schweben und wie eine große Rüstung von Reitern und Knechten in den Wolken zusammenziehen und sich schlagen in der Nacht. (Der Ritter wich dem Schlagen wohlbedächtig aus, und hallte bloß nach: in der Nacht.) Item, vor dem Pfingsttage, als die Priester einwendig haben wollen bereiten was zum Fest gehört, haben sie ein großes Gepolter und darnach eine Stimme gehört, welche gerufen hat: Lasset uns von hinnen wegziehen. (Diese Worte wurden mit aufgehobenen Händen nachgesprochen und von der ganzen Gemeinde wiederholt. Der Hofmeister blieb mit seinem Tenor nicht zurück. Der Prediger hielt eine ganze Weile inne, und fing, als ob er das ritterliche Haus und die ganze Gemeinde bäte, von ihrem Vorsatz abzustehen, in einschmeichelndem Tone an:) Wiewohl etliche sagen, das sey geschehen zur Zeit, da der Vorhang im Tempel unter Christi Leiden zerrissen ist. Item, es ist ein Mensch gewesen, Jesus, genannt Ananias, eines gemeinen Mannes Sohn, selbiger, als er ist gen Jerusalem kommen, auf das Fest Laubrüst, hat aus einem besondern heftigen Geist geschrien: O, ein Geschrei vom Morgen! o, ein Geschrei von den vier Winden! ein Geschrei über ganz Jerusalem und den Tempel! eine elende Klage über Braut und Bräutigam! ein Geschrei über alles Volk! Und das klägliche Schreien trieb er Tag und Nacht an einander, und lief wüthend in der Stadt umher. Und wiewohl ihn etliche mit Geißeln und Ruthen straften, die diese Worte als eine böse Deutung über die Stadt nicht gerne hörten, so hörte er doch nicht auf. Und als man diesen Menschen hat bracht vor den Landpfleger, welchen die Römer da hatten, der ihn auch mit Geißeln hart bis aufs Blut stäupen und peitschen ließ, hat er doch mit keinem Wort Gnad' gebeten, sondern ohne Unterlaß überlaut geschrien: [182] Weh, Weh, Weh dir, o du armes Jerusalem! (Der Hofmeister und die ganze Gemeinde hatten die Erlaubniß, das Weh! Weh! Weh! mitzurufen, und wenn ich meinen Nachrichten trauen darf, so ist seit der wirklichen Zerstörung Jerusalems kein so herzbrechendes Geschrei gehört worden.) Albinus, der Richter, hat ihn als einen Thoren verachtet. Dieser Mensch ist sieben Jahr an einander nicht viel mit Leuten umgangen, sondern allein gangen, wie ein Mensch, der etwas tief bei sich besinnet und dichtet, und hat immerdar diese Worte von sich hören lassen: Weh! Weh! dir, o du armes Jerusalem! Und von solchem Rufen ist er nicht müde worden. Und als die Stadt nun ist von den Römern belagert gewesen, ist er auf den Mauern umhergegangen und hat immer geschrien: Weh über den Tempel! Weh über das ganze Volk! Und zuletzt hat er auf eine Zeit diese ungewöhnlichen Worte dazu gesagt: Weh auch mir! und in dem Wort ist er ungefähr von der Feinde Geschoß getroffen und also todt blieben. (Der Ritter bog sich rückwärts, als ob er getroffen wäre.) Diese und andere große Zeichen sind vorhergegangen, ehe Jerusalem zerstört ist. – (Bei diesen letzten Worten trat der Ritter ins Angesicht der ganzen Gemeine, als ob er zeigen wollte, daß das römische Geschoß ihm, Gottlob! kein Haar gekrümmt hätte.)

Kein Held konnte nach dem überstandenen dreißigjährigen Kriege; kein Beichtvater kann, wenn er nach so vielen Hindernissen seine Vaterhände unter vier Augen nach der schönen schmachtenden Nonne ausbreitet; kein Freier, wenn er nach allerlei Theaterstürmen und Ungemach in den Hafen der ehelichen Verbindung wohlbehalten einläuft – so fröhlich und guter Dinge seyn, wie unser Ritter, wenn er bei Tafel dem Pastor seine Mühe vergalt und das feierliche Andenken von Jerusalems Zerstörung beschloß. – Da blieb bei Tische kein Stein auf dem andern – Trauer- und Freudenfeste schließen mit Essen und Trinken. Indeß, wenn gleich dieses [183] Fest dem ritterlichen Hause an Leib und Seele sehr hoch zu stehen kam, so gingen doch Ritter und Ritterin gern in dieses Trauerspiel, so daß sie oft die Zeit nicht erwarten konnten, wenn Jerusalem zerstört werden sollte. Der Schaltsonntag war zwiefacher Ehre werth. Zum Beschluß ward an jedem 10ten Sonntage nach Trinitatis Hohe Raths-Session gehalten; nichts schien natürlicher, als daß nach dem Greuel der Verwüstung das Baudepartement auf den Wiederanbau denken mußte, um aus dieser Asche einen Phönix zu erwecken. Aus den Protokollbüchern würden sich, wenn ich ein Freund von Spinnstuben und Protokollen wäre, noch manche rothgefärbte Tage ausheben lassen. So war, zum kleinen Beispiel, am 10ten Tage des Monats Augustus, an welchem beide Tempel zerstört worden, Helden-, Haupt- und Staats-Session, das heißt: es ward eine stattliche Mahlzeit gehalten und dabei gewiß nicht des Magens, wohl aber des Hauptes nothdürftig geschont. Eine dergleichen Kreuz- Session zur Probe, und zwar über die

34. Geschichte
§. 34.
Geschichte.

Sollte meinen Lesern die Lob- und Trauerrede auf die Einbildungskraft (§. 31, Dämmerung) noch beiwohnen, wo unser Ritter der Unwahrheit (man nehm' es nicht unrecht!) hochfreiherrliche Gerechtigkeit widerfahren ließ, und sie das Gewürz zu nennen geruhete, welches der Wahrheit den Geschmack beibringe; und wo er keinen Menschen ausnahm, der sich nicht Lügen zu Schulden kommen ließe und in Gedanken aufschnitte, so würde die dreiste Art, womit man über die Geschichte absprach, weniger auffallen. (Lieben guten Leute! wißt ihr denn, wie ihr in der gegenwärtigen Geschichte abkommen werdet?) – Ich will hier, wie sonst, Extracte geben, hoffentlich sollen bloß die Schlacken zurückbleiben. – Von jeher hat der Mensch mehr von sich gehalten, [184] als er sollte. Sein Fall war, und ist und wird seyn, wenn er mehr seyn und mehr wissen will, als ihm eignet und gebührt. Er hat Vier; warum sollt' er aber auf allen Vieren wandeln? Er halte sich gerade, nur bieg' er nicht zu sehr den Kopf zurück; nur steh' er nicht auf den Zehen, als wollt' er sehen, was im Monde Trumpf ist! Mittelmäßig sind des Menschen Glücksstand, Tugend und Wissen. Mittelmäßigkeit im Wissen heißt: Glaube. Nicht etwa, was der Weltweise nach Vernunftregeln abwiegt, sondern, leider! auch selbst das, was in die Sinne fällt, ist Zweifeln unterworfen, sobald Menschen dabei Rollen spielen. Nur da, wo Menschen nicht mitwirken, ist die Natur in ihrer Ursprünglichkeit – in ihrer Natur, hätt' ich bei einem Haar gesagt; und da hört und sieht und empfindet man aus der ersten Hand. Was aber kann interessiren, wo nicht Menschen dabei sind? Die beste Landschaft ist todt an sich selbst, wenn sie nicht Menschenspuren zeigt. Sind aber Menschen auf demTheater, gleich fallen wir auf diesen oder jenen unter ihnen, der die übrigen verdunkelt. Der Verlierende, der Stärkere, der Beherztere, der mit der breiten Stirn, mit der Fechterhand, mit der Habichtsnase, der Nothgetaufte, der Mensch, der die Thür nicht offen läßt – und so weiter, ist unser Held; und während dieser Zeit übersehen und überhören wir Dinge, die uns sogar oft recht vorsprangen, ungeachtet wir uns selbst oft Mühe gaben und Augen und Ohren spitzten, um das Ensemble zu umfassen. Der Feind oder Freund hatte Unkraut unter den Weizen gestreut; schläft wohl der Verräther? Der Faden unseres Gesichts und Gehörs ist, ehe wir es uns versehen, abgerissen. Vor fünfzig fremden Gedanken ließen wir uns verläugnen; der einundfünfzigste platzte mit der Thür ins Haus. Geschichte ist nicht das, was geschah, sondern was, nach dem Dafürhalten des Geschichtschreibers, bei den gegebenen Zahlen hätte geschehen können und geschehen sollen; gemeiniglich das Wahrscheinlichste oder Unwahrscheinlichste. [185] Beide Extreme weiß man oft so zu brauchen, daß es eine Lust ist. Ach, Gott! was wird für Wahrheit ge- und verkauft! – Wollen wir andere beobachten, gleich kommt unser Ich uns in die Kreuz und Quer; und wer es auf sich selbst anlegt, den stören andere. Geister lassen sich nicht treffen, wenn man auch noch so sehr seinen Bogen spannt und zielt. Auch ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn ist nur ein schlechter Geisterschütze; – im Fluge zu schießen, ist hier noch das Erste und Beste. – Alles, was die Natur hervorbringt, kann der Mensch so ziemlich genau kennen lernen, in so weit er es mit seinen äußeren Sinnen erreicht. Bei der Kunst hat man einen Geheimnißkram; der menschliche Geist scheint hier, wenn ich so sagen darf, sein Bild der Kunstkenntniß eingedrückt zu haben. Ich muß mich in dieses Geheinmiß einweihen lassen, oder es entwenden. Meine Neigungen und meine Gedanken weiß ich; und wer von dieser Seite sich nicht kennt und in diese Beobachtungen etwas außerordentliches setzt, weiß nicht, was er spricht oder begehrt. Warum liest man so gern selbsteigene Lebensbeschreibungen? Weil, wenn man gleich weiß, daß der Mensch sich nicht vorgesetzt hat die Wahrheit zu sagen, man sich doch einbildet, er werde, eh' er es selbst merkt, sich verreden, roth werden, und wir dann ausrufen können: Erubescit, salva res est. (Es thut nicht noth, denn sie wird roth.) So gibt es Augenblicke, wo wir uns gegen unsern Willen zeigen, wie wir sind. Wir lassen uns aus Schrecken, Furcht oder Freude fallen, und der Beobachter nimmt uns auf. – Wer ist es werth, Menschen! wer, daß er zum Leben aufgenommen wird? Und ist es zum Tode – sagt, ist der, welcher den Stab bricht, besser, als der, über den er gebrochen wird? Wir mangeln allzumal des Ruhms, den wir haben sollten! – Zu enge Freundschaft, und wären auch Damon und Pythias, David und Jonathan die Freunde, zieht Verachtung nach sich. Nur Mann und Weib können ohne Verachtung sich so genau als möglich [186] kennen lernen. Die Geschlechterneigung hebt, duldet, trägt alles; und doch ist selten eine Ehe ohne Reservate. Zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern sind Scheidewände gezogen; und es gehört Erziehung dazu, wenn Kinder ihre Eltern ehren, und wenn Geschwister sich unter einander nicht verrathen und verkaufen sollen; – wenn das Glück gut ist, verrathen an Neider, verkaufen an Buchhändler. – Geschwister kennen sich in der Regel am wenigsten, weil sie zusammen aufwuchsen. Kommt es unter ihnen ans Beobachten – wo ist mehr Zank, Haß und Widerwille, als hier? Gedenkt des armen Josephs! Gott sey gelobt, daß kein Mensch sich so zeigt, wie er ist! – Gott, was würden wir sehen! Selbst wenn der Mensch sich verliert, selbst wenn er sich preisgibt, ist er noch immer nicht in naturalibus, sondern unter Vorhängen von Feigenblättern: – er zeigt den Schaum von seinen Leidenschaften; die Hefen werden zurückgehalten. Freundschaft ist eine wechselseitige Verbindung, nach welcher einer den andern nicht verachtet, ob er gleich dessen Schwäche mit Händen greifen kann. Geschichte ist eine durch Völkerrecht und Convention beliebte Art, den Gegenstand von einer gewissen Seite zu zeigen. Mensch, du bist glücklich, wenn du einsam bist; denn du bist von Menschen entfernt! Mensch, du bist unglücklich, wenn du einsam bist; denn du hast dich selbst! – Der Mensch hat keinen Hang sein Glück zu erzählen; wer von sich sagt, er sey glücklich, will glücklich scheinen. Wenn Nationen Geschichtschreiber suchen, so ist es ein schlechtes Zeichen; sie sind in Verfall. Zu klagen ist dem Menschen eigen; selbst die Prahlerei – ist sie mehr als eine ungezogene Klage? Wenn der Stöhner nichts hat, sagt das Sprüchwort, der Prahler gewiß nicht. Wo ist der Geschichtschreiber, der seine Historie so malt und trifft, daß sie jeder wieder kennt? Jeder steht anders, jeder hört anders, jeder denkt anders. Nicht die Geschichte erzählen wir, sondern wir erzählen uns selbst in der Geschichte. »Das bist du,« würde man [187] Alexander dem Großen, Sokrates, Plato versichern müssen, wenn man sie in die Bildergallerie ihrer Biographien führen sollte. – Man beschreibt nicht den Helden, sondern seine Handlungen; nicht den Minister, sondern seinen Rath; nicht den König, sondern seine Majestät. Das Aeußere und das Innere sind hier so verschieden, wie Leib und Seele. – Den Leib kann der Geschichtschreiber tödten, die Seele nicht. Hütet euch vor dem, der Leib und Seele tödten kann: Gott und seinem Stellvertreter, dem Gewissen! – Sandkörner machen den Berg, Minuten das Jahr, flüchtige Gedanken ewige Thaten. Haltet nichts für Kleinigkeiten, denn der Geschichtschreiber geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge. – Wer ist, der nicht ein tönend Erz und eine klingende Schelle wäre, seinen Panegyriker suchte und ihn fände? Wer schließt sich nicht an Umstände an? und was ist wahr und was ist Zusatz an ihm? – Wo gibt es einen Umstand, der sich selbst wahr macht, der selbständig ist? Die meisten bedürfen anderer Umstände, welche hülfliche Hand leisten. – Im Thun können wir andern Exempel geben, im Glauben nicht. Wir glauben insgesammt; ein jeder glaubt anders. Glauben ist der Vernunft Analogon. Dem schwachen Bruder hier beispringen, und wenn Vorurtheile ihm über den Kopf gewachsen sind, ihn davon befreien, heißt: ihn aufklären. Seine Kinder von einem Mathematiker bilden lassen heißt nicht: sie aufklären; wohl aber: praktisch gute Menschen aus ihnen machen wollen! – Ihr, die ihr Romane verdammt und auf ihre Kosten die Geschichte erhebt – wißt ihr, was ihr thut? Nicht die Sache, der Schreiber ist euch zuwider und seine Unmanier. Geschichte heißt nicht Roman; ist sie es aber nicht gemeiniglich? Die Vernunft richtet hier wie überall; sie kennt Lagen und Augenblicke, in denen das Herz auch durch die feinste Ueberlegung durchschimmert; sie, der Geist des Menschen, der in ihm ist, kennt sich und kennt jeden einzelnen Menschen; und hier [188] hat sie sich einen Faden angeknüpft, daß sie auch das Labyrinth einer ganzen Gesellschaft durchwandeln und ohne sich zu verwirren nach Hause kommen kann. Um die Welt reisen heißt: die Erde umschiffen. Die Erde ist für den Menschen die ganze Welt, weil er nichts als nur sie berühren kann, und wie lange kann sich ein Weltumreiser aufhalten? Das menschliche Leben ist kurz und mit so vielen Schwachheiten durchkreuzt, daß nicht viele Zeit zum Sehen und Hören übrig bleibt. – Durch Gläser sieht man den Himmel und durch die Einbildungskraft Staaten und Völker. Einbildungskraft ist ein Seelenglas; wir entwerfen Reisebeschreibung und Geschichte, je nachdem Länder und Menschen Eindrücke auf uns machen, und noch sind wir nicht so weit gekommen, die Einbildungskraft der Vernunft zu unterwerfen. Jene ist oft auf den ersten Anblick mit allem fertig und greift dieser so unbescheiden vor, daß der ruhige Leser bald sieht, woran er ist. – Gemeiniglich sind Monarchen und die Verweser (die vornehme Classe des Volkes), die nur sich unter einander kennen lernen, sehr schlechte Menschenastronomen. Auch thut freilich das Sehen bei der Astronomie es nicht allein, das Rechnen thuts! – – In der Gesellschaft zeigt jeder einzelne Mensch nur ein Pröbchen, wie Krämer von Seiden- und Wollenzeugen. – Eine artige Gesellschaft ist eine Probekarte; – wie verschieden ist das ganze Stück von diesen Pröbchen! Wer aus Gesellschaften Menschen abzieht, bekommt nicht sie, sondern ein kleines Etwas von ihnen; und wie lernst du deinen Obern, deinen Freund, deinen Diener kennen? Wenn sie sich raufen? Wenn sie in Wuth und Verzweiflung sind? Wenn sie sich in sanfterm Lichte zeigen, wenn sie lachen, wenn sie weinen, wenn sie nüchtern, wenn sie voll süßen Weins sind, oder wenn sie sich selbst vergessen, wenn sie zusammen fallen, wenn sich ihre Seelen ausziehen und zu Bette gehen wollen? Beobachter, die sich des Trunks bedienen, um Freunde und Feinde kennen zu lernen, sind auf unrichtigen Wegen. [189] – Wie verschieden wirkt der Trunk! wie verschieden das Getränk! Legt man es auf einzelne Dinge an, so kann man vielleicht seinen Zweck erreichen; – den ganzen Menschen auf diese Probe bringen heißt: im Heiligenschein Tugend suchen, im Ernst die Weisheit, im Lachen den Witz und auf der Tortur die Wahrheit – Der Trunk besticht die Seele. Gastmahle, gute Worte sind geistige Torturen. Man kann hier und da durch dergleichen peinliche Fragen einen Umstand herausbringen – ex omnibus aliquid, ex toto nihil. – Staaten sind wie Kinder, und man behandelt sie auch so. Wenn sie ganz klein sind, erzählt man Wunderdinge von ihnen. Was die Kinder nicht alles wissen und verstehen! – Wenn der Verstand zu reifen, wenn die Staaten sich zu setzen anfangen, wenn sie älter und größer werden, geht es, wie es immer ging: was reif ist, nimmt ab. Unreife Früchte sind noch besser als überreife; jene macht man in Zucker ein, das Ueberreife ist völlig unbrauchbar. – So wie viele (vielleicht die besten) Menschen nur nach ihrem Tode berühmt werden, so auch Völker. Nie werden Handlungen schlechter erzählt als den Tag nachher, wenn sie geschehen sind; an dem Handlungstage selbst ist jeder von seiner Handlung betrunken. Der Held weiß gerade am wenigsten von seiner That; und in Wahrheit, nicht er, sondern die Sache muß reden. – Heißt das aber nicht die Folge? – Beim Volke zwar, allein auch beim Weisen, beim denkenden Manne? Wer kann für die Folgen stehen? Nur Tyrannen lassen sich die Folgen verbürgen. – Der Hergang der Sache wird, anstatt daß er je länger je bewährter werden sollte, je länger je unrichtiger und unsicherer, besonders wenn er mündlich fortgewälzt wird, obgleich er zusehends anschwillt; – der Schneeberg wird zu Wasser, sobald die Sonne der Kritik wirkt. Je mehr Körper, heißt es auch hier, desto weniger Seele. – Man knetet die Geschichtsmasse erst durch und läßt sie aufgehen und ausbacken, ehe sie gegessen werden kann. Die Folgen freilich sind [190] hör- und sichtbar, obschon auch hier, wenn gleich alles offen da zu liegen scheint und der Aufrichtigkeit kaum auszuweichen ist, Künste gesucht werden; die Ursache aber wird nicht gesehen, nicht gehört, sondern herausgedacht. Sehen und Hören sind die historischen Sinne; kann man aber ohne Vernunft hören und sehen? – das heißt: menschlich sehen und hören? Zwar können allgemeine Untersuchungen über historische Dinge angestellt werden; wird aber nicht jeder diese Untersuchungen anders führen, jeder die Resultate anders abziehen und jeder anders auf- und annehmen oder glauben? Wenn der Historiker die höchste Glaubwürdigkeit herausbringen will, so bezieht er sich auf Aktenstücke; und nun sagt, Aktenfabrikanten, was täglich, was stündlich bei euch vorfällt! Wenn eine Wachtparade von Zeugen die Finger gen Himmel präsentirt und mit Leib und Seele versichert, die reinen Umstände über etwas abzugeben, das vor ihren sichtlichen Augen vorging – was ist das Ende vom Liede? Stimmen die Aussagen der Zeugen, wenn sie gleich sogar Sanctionen ihres Gewissens waren, mit Zeit, Ort und andern Datis und unter einander? Widerspruch über Widerspruch, ohne daß man der Ehrlichkeit und dem guten Willen dieser Menschen zu nahe zu treten im Stande ist! – Und dann Worte! In ihrer Natur liegt schon so viel Stoff zur Unrichtigkeit, daß sie an sich verfälschte Gedanken sind. – Gedanken sind das rohe Material, Worte sind Fabrikate. – Noch besser: Worte und Geld sind einer und derselben Natur. Wenn die Sprache der eiskalten Vernunft, die Memento mori der philosophischen Karthäuser je die Sprache des gemeinen Lebens werden könnte – würde mehr Wahrheit in der Welt seyn? – würde die Menschheit selbst an Moralität gewinnen? – Verlieren würde sie durch diese Haarfeinheit, durch diesen unnatürlichen, klösterlichen Zwang, durch diese Kopfhängerei. Wohl uns, daß jetzt in die Kreuz und in die Quer gedacht, geglaubt und geredet wird! daß Weisheit, Ernst und Strenge, Thorheit, [191] Schönheit und Häßlichkeit, gerade und krumme Linien in- und durcheinander laufen! In allem, was Lachen verursacht (und Gott erhalt' uns doch bei dieser doppelten Schnur, bei dieser Zwerchfellserschütterung und Seelenmotion!), liegt eine Unrichtigkeit, Carricatur, ein Ueberschritt des Charakters, und wo ist der Mensch, der von aller Erb- und wirklichen Carricatur befreit wäre? – Man lasse sie ihm! – Selbst allgemeiner Geschmack – wäre er wünschenswerth? Mode ist in vieler Rücksicht die Losung des menschlichen Geschlechts; sie weiß dem Alter einen neuen Anstrich zu geben und Abwechslung, sonach auch Vergnügen in das Leben zu bringen – und wenn gleich wenig, so doch etwas zum Fortschreiten der Menschheit beizutragen. Wer Aufklärung anders als das Salz braucht, kennt die Menschen nicht. Salz ist ein gut Ding. Was ist indeß unerträglicher: versalzen oder ungesalzen? – So wie unsere Erde um die Sonne läuft und sich um sich selbst dreht, so geht es mit dem Menschengeschlecht und mit dem einzelnen Menschen. Die Menschheit war, ist und bleibt immer dieselbe; sie wird immer um die Sonne laufen, und so sind ihr verschiedene Jahreszeiten eigen. Es wartet ihrer Frühling und Sommer, den sie noch nicht erlebt hat (excipe das Paradies, wo nur ein Paar den Genuß hatte); im Herbst ist sie jetzt und auf ihn folgt Sommer. Der Frühling, als das Summum, ist das tausendjährige Reich der schwärmenden Prosaisten und der ewige Frühling der schwärmenden Dichter! – Jeder einzelne Mensch dreht sich um sich selbst. – Immerhin, wenn er nur seinen größern Lauf dabei nicht vernachlässigt! Ein andrer Tag aber ist ein Winter-, ein andrer Tag ein Herbst-, ein andrer ein Sommertag. Ein gemilderter Frühlingstag ist von allen der beste: ein Sonn-, ein Festtag! Wer dieß Bild nicht schmecken und sehen kann, wird der fassen, was für Beziehung allgemeine Aufklärung auf die Tugend und den Seelen- und Leibeszustand des einzelnen Menschen hat? – Mehr Verstand, mehr Wille, mehr[192] Treue, mehr Glaube heißt darum nicht: lauter Verstand, lauter Wille, lauter Treue, lauter Glaube. – Summa: jede Freude muß mit edlem Schmerz, jeder Schmerz mit einer Art von Freude, jede Vernunft mit Einfalt, jeder Glaube mit Zweifel gewürzt werden, sonst fehlt überall der Reiz. – Das Ende vom Liede: ist es nicht ein andres Ding, den Menschen zu epitomiren und zu paraphrasiren, ihn tanzen, gehen, stehen, sitzen zu lassen und so weiter? Es kommt viel und alles darauf an, wie er gestellt wird. Im Grunde denkt, spricht, handelt der Fürst so wie der Bauer; nicht sie, sondern die Stellung ihres Körpers ist verschieden. – Der leidige Körper! ist er uns doch immer im Wege! und doch – wer gibt ihn weg um wie vieles! – Die Stellung des Körpers macht Provinzen und Kohlgärten, macht Fürstenthümer und Meierhöfe, ändert Ausdruck, Sitten und Ton. Sonst sind wir uns im Leben so gleich, wie im Tode!

Nach diesen Aus- und Einschweifungen ward per Decretum festgesetzt:

a) Der gute Vetter, sonst ein Mann, ist der Intoleranz gegen Adel und Johanniterorden zu zeihen.

b) Glaube gehört zu allem; Glaube ist nicht jedermanns Ding. Zu einer an die mathematische Evidenz grenzenden Gewißheit ist wenig zu bringen. Die sinnliche Evidenz steht der mathematischen oft nach.

c) Ceremonien und Darstellungen sind Glaubenskrücken.

d) Man thut wohl, sich den Glauben in die Hand zu spielen. Dieß war der Hauptschlüssel zu diesem ganzen Paragraphen; – Jerusalem sollte nach Rosenthal höflich eingeladen, und beliebter Kürze und Einfalt wegen hierher das gelobte Land verlegt werden. – Es wird die Einladung nicht abschlagen, sondern die Ehre haben, aufzuwarten. Trägt man gleich die Trauben hier nicht auf Stangen, fließt gleich in Rosenthal nicht Milch und Honig, – [193] wird das gelobte Land sich übrigens hier nicht ganz wohl befinden? Omne simile claudicat.

e) Der vierzigjährige Wüstengang bleibt an seinen Ort gestellt.

Zu Ehren der Ritterin muß ich bemerken, daß sie auf ein Drittheil, der Ritter auf ein Siebentheil, der Junker auf ein Zehntheil dieses Paragraphen Anspruch haben. Das übrige gehört auf die Rechnungen des Predigers und des Hofmeisters; und nach dieser Vermessung und Abwiegung ein Stück vom Prediger und eins vom Hofmeister, den wir lieber Heraldicus junior nennen wollen. Daß er an diesem Spitznamen nicht sterben wird, dafür verbürge ich mich.

35. Der Prediger
§. 35.
Der Prediger

gehörte nicht zu den Geistlichen, welche glauben, was die Kirche glaubt, und die ein ganzes Leben hindurch von dem Honig zehren, den sie in dem Dreiblatt der akademischen Jahre so ziemlich dürftig in die Zellen ihres Kopfes gesammelt haben. – Oft ist der Bienenkorb oder Stock des Kopfes auch so klein, daß nicht viel Honig Platz hat; oft hat die Gegend so wenig Honiggewächse. – Er war als Ehemann und als Vater so glücklich, wie man es unter dem Monde seyn kann. Seine Stelle, die zwar mittelmäßig, doch hinreichend war, ihm und seinem Hause Nahrung und Kleider zu geben, hätte er mit keiner General- und Special-Superintendentenstelle vertauscht. »So ihr Nahrung und Kleider habt, laßt euch begnügen,« war die Losung seines Weibes und auch zur Noth die seinige; zur Noth! denn er hatte Gelegenheit gehabt, sich näher zu überzeugen, daß man sich in die Zeit schicken müsse, weil es böse Zeit ist, und in die Menschen, weil es gute Menschen gibt. – Großes Verdienst ist nie ein sicherer Bürge für Lob und Preis; vielmehr verhindert es gemeiniglich, was es befördern sollte. Wir [194] rühmen den am liebsten, der uns am wenigsten die Sonne in unserm vermeintlichen Verdienstrevier vertritt. Nur dem Nebenbuhler können die Menschen, wenn er gleich unendlich über sie an Würdigkeit hervorragt, diesen Tribut nicht zugestehen. Dieß Lob, denken sie, wäre eigne Verachtung. Was gilt ein Prophet in seinem Vaterlande? Durch das Lob derer, die es auf eine andere olympische Bahn anlegen, verlieren wir wenig oder nichts. Der Feuermauerkehrer lobt unbedenklich den Friseur, der Dichter den Philosophen, der Mathematiker den Officianten, der Geistliche den Weltlichen, der Arzt den Barbier. Glauben die Menschen noch überdieß, daß sie den heterogenen Gegenstand ihres Lobes zu übersehen im Stande sind, so kommt es ihnen nicht auf Lobpauken und Preistrompeten an.

Die Klippe, an welcher unser Prediger scheiterte, war die Vermuthung, daß in geheimen Gesellschaften der Mensch doch wohl vom Glauben zum Schauen erhoben werden könnte; und ob er gleich Gott und die andere Welt herzlich und sehnlichst glaubte, so war er doch der Meinung, noch diesseits des Grabes zu mehr nicht gelangen und wohl gar das Geisterreich, wie das gelobte Land, nach Rosenthal verlegen zu können. Die Freimaurerei, von welcher der schausüchtige Pastor alles glaubte, was er hörte, aber nichts, was erlas, bestärkte diese Hoffnung; und nun griff er nach jedem Mittel, das ihm vorkam: nach einer Eiche und nach einem Strohhalm, nach dem Gastvetter und nach dem Senior familiae mit seinem Kasten. – Warum sollte auch nicht einer von den Todten, dem Pastori loci zu Ehren, einen Besuch unter den Lebendigen machen? War er doch keiner von den sieben Brüdern des reichen Mannes, dem Abraham mit Recht die Gefälligkeit abschlug! – Gern hätte er seinen Kirchhof in ein Elysium umgeschaffen, wo abgeschiedene Geister selige Schatten geleiten! – Die Veranstaltung, daß Rosenthal zum gelobten Lande geadelt werden sollte, lag nicht [195] außerhalb der Grenzen seines Zweckes; es war ihm vielmehr ein Richtsteig. Die alten Ritterorden und andere noch florirende, auf Geheimnisse sich gründende Orden hielt er für Depositairs einiger höheren Aufschlüsse. – Ueberall fand er für seine Schwärmerei im Rosenthal'schen Kanaan Nahrung, die ihm, meinte er, wenn nicht von Rittern, so doch von einigen Pilgrimen, geliebt's Gott! geleistet werden würde. Simeon konnte nicht inbrünstiger auf den Trost Israels warten, als unser Geistliche auf eine Geistererscheinung. – Ob er doch je etwas sehen wird? Verschweigen wird er es gewiß nicht! – Daß seine Grundsätze unvermerkt auch auf die Ritterin gewirkt hatten – darf ich das erst anführen? – Diese Kreuzseherin war geneigt, sich in eine Seherin verwandeln zu lassen; doch alles medice und modice. – Es heißt vom Geistlichen: ich will dir desHimmelreichs Schlüssel geben; doch hat er ihn auch von der Erde und zum Kopf und Herzen derer, die mit ihm umgehen. Die Geistlichen taufen, sie confirmiren, sie copuliren; – sie finden die Menschen, wenn ihr Herz und ihre Seele offen und jedes Eindruckes fähig sind. Und in der That, die Ritterin kam zuweilen dem Pastor auf halbem Wege entgegen. – Secunda war ihm eine wahre Promotion. – Was hab' ich zu verlieren? Nichts. Was zu gewinnen? Viel. – Freilich viel! Wenn ihm auch niemand von den sieben Brüdern des reichen Mannes erscheinen sollte, was ging ihm ab? Wer ist nicht gern im gelobten Lande, wo Milch und Honig fließt? – Der Umgang im ritterlichen Hause entschädigte ihn für so manchen Lebenskummer; er gewann bei seiner Gemeinde durch die Achtung, die ihm bei Hofe erwiesen ward, und so trieb er unvermerkt diese Schwärmerei als Bedürfnis, zu der er zwar allerdings schon von Natur geneigt war, zu der er sich indeß doch anfänglich in Hinsicht der Manier, aus Gefälligkeit und Lebensart, bequemen mochte. Der Ritter ging nicht auf Geistersehen aus; doch leistete er, ohne [196] es zu wissen, dem sehlustigen Pastor loci Vorschub. – Schwärmerei und Empfindelei sind Geschwisterkind, und unserm Manne Gottes wurden die obern Seelenkräfte je länger je entfremdeter, wogegen er es sich bei den untern herrlich schmecken ließ. Ein ächter Secundaner!

36. Heraldicus junior
§. 36.
Heraldicus junior

hat einen unauslöschlichen Trieb zu Gleichheit und Freiheit, wozu nun freilich sein Vater (den blauen Montag etwa ausgenommen, den er jedoch in reiferen Jahren aufgab) keine Gelegenheit gegeben hatte. Von der Akademie war ihm diese Sinnesart beigebracht; und nun wollte er mit dem Kopfe durch die Wand! – Selbst im ritterlichen Hause glaubte er dieses Evangelium nicht ohne Segen verkündigen zu können; allein siehe da! die Ritterin lenkte ihn ein. Und da er bei allem Freiheitssinn oder Unsinn nur zu deutlich einsah, daß es ihm an der runden Tafel besser ginge als an der Marschalls- und an der Bediententafel, und daß die Ritterin und ihre Freundinnen andere Weiber wären, als das schöne Gesindel, das er in seiner Jugend zu verehren Gelegenheit gehabt hatte, so sprach er von Freiheit und Gleichheit, wie FreundJohann Jakob – so daß sich alle beide,Rousseau und Er, im Umgange mit Weibern, deren Gestalt Engel ohne Bedenken annehmen können, und mit Männern, die, wenn sie nicht unsere Glückseligkeit, so doch unser Glück zu machen im Stande sind, die schon durch ihren Besserschein das Herz erheben, die Seele anfeuern und das Leben menschenwürdiger machen, gar nicht übel befanden. – Nie konnte Heraldicus junior die Art vergessen, die, wie er sagte, über alle Art ging, womit die Ritterin ihm ein Geschenk machte. War es doch so, sagte er, als ob ich [197] gab, und als ob sie nahm! Wo ihr Auge nur hinreicht, verbreitet sie Heil und Segen, und das alles so in der heiligsten Stille, wie das göttliche Wesen – oder wie jener herrliche Bach im Lustwäldchen, der, ohne einen Laut von sich zu geben, Menschen, Vieh, Blumen und Kräuter erquickt. Stolz zerstört jede Schönheit, macht alles unsymmetrisch und verdirbt unsere Gesichtszüge und Lineamente noch ärger, als die Blattern. Edelmuth übertrifft die drei Grazien und die neun Musen. Heraldicus junior konnte nicht umhin, seiner Schwester zu versichern, daß sich sein voriger und sein jetziger Umgang verhielten wie ungeschmierte Thürangel- gegen Lautentöne. – Freilich sind oft die Dürftigen nur dürftig, der gemeine Mann nur gemein, sonst aber bieder und brav; freilich gibt es unter den Großen wahrhaft kleine Menschen, unter den Reichen bettelarme, unter den Hochgeehrten niederträchtige, unter den Hochgelehrten unweise, – doch gibt es auch unter ihnen viele, die ihres Standes und ihres Reichthums würdig sind, die beides zu genießen verstehen, ohne sich zu überladen. Man erwäge, daß Heraldicus junior nicht ohne Talente war; daß seine Burschenmanieren, sein ins Gemeine sinkender Anzug ihn, als er seine Hofmeisterstelle antrat, bei aller Gelegenheit im Herzen fragten: Freund, wie bist du hereingekommen und hast kein hochzeitliches Kleid? – Wird man sich noch über seinen Freiheitssinn und über seine Abneigung von aller persönlichen Convenienz wundern? Der Gastvetter hatte ihn hingerissen, allein nicht eingenommen. – Und warum nicht? Weil er kein Schneiderssohn war; weil, obgleich seine Seele einen Adel behauptete, den kein Diplom und keine Stammtafel verleihen kann, er doch so leicht das nicht hätte werden können, was er war wenn er nicht ein Edelmann gewesen wäre. So manches gute Wort, das der Ritter fallen ließ, hatte indeß gezündet, und obgleich Heraldicus junior sich allerdings überzeugte, daß Reichthum und Stand Zeugen und Beklatscher nöthig haben, und daß [198] dergleichen Zeugen und Beklatscher, wenn sie sich nicht von selbst melden, von den Reichen und Vornehmen mühsam aufgefordert und eingeladen werden: – verdient es Vorwurf, nicht nur sein Brod, sondern auch seinen Reichthum, mit andern zu brechen? Man zeigt seine Pokale; allein es sprudelt Champagner darin. Sehet! zuweilen erhebt Tokayer den Krystall! Man will mit seinem Silbergeschirr prahlen; allein es enthält die geschmackvollsten, einladendsten Speisen. Ist es denn nicht eine gute Seite der Menschen, daß sie nichts für sich allein behalten können? Newton und Copernicus würden nicht erfunden haben, wenn sie nicht in Gesellschaft gelebt hätten. Wie gut ist es, daß Edelgesteine nicht strahlen, wenn sie nicht von andern gesehen werden; daß Gold nicht leuchtet, wenn andere es nicht zu bemerken würdigen; daß der Stolze, der Reiche nichts für sich, sondern alles für andere thut, und daß selbst der reiche Schlemmer, dessen Bauch sein Gott ist, doch alles nur halb genießt, wenn nicht andere Theil daran nehmen! Hat der Eigenthümer von seinem Stein- und Goldreichthum mehr als das Sehen? Ist es nicht eine Art von Mittheilung, sie andern zu zeigen? – Fließt aus dem Satze: »Nur das hab' ich, was ich sehen lasse,« nicht natürlich die Betrachtung: »Nur das ist dein, dessen du dich zu entäußern im Stande bist?«

Dieß und das brachte den Heraldicus junior aus der spinnbewebten Studirstube in die Welt, wo wir ihn fürs erste willkommen heißen wollen. Seine Freiheitsgrundsätze gab er darum im Ganzen nicht auf; er wußte nur aus- und einzubiegen, und, wenn beim fein raffinirten (er nannte es schön stylisirten) Diner oder Souper bonmotisirt wurde, seinen Gleichheitssinn auszusetzen. Oft sagte er dem Pastor, daß ihm manches seine Mahl wie ein Concert vorkäme, wo alle Töne sich freundschaftlich einander nähern und das Mannigfaltigste zum Entzücken zusammentrifft. Von seinen Gartengewächsen und von Baumfrüchten, die nur durch [199] Gärtnernachhülfe zu erziehen sind, war er ein großer Liebhaber, und diese durch die Kunst erhöhete Natur machte ihm den Aristokratismus in Rosenthal so erträglich, daß er oft nicht wußte, wie er mit dem Demokratismus daran war! Der Mangel an bürgerlichem Ansehen und ein zu starkes Selbstgefühl veranlassen Revolutionäre, die den Drang, etwas vorzustellen, nicht besser als auf diesem Wege befriedigen können. Herrschsucht ist der Hang aller Menschen. Selbst das Christenthum lehrt: wir wären geistliche Könige, Priester und Propheten. Warum nicht geistliche Bauern und Handwerker? – Wer wird der Tyrannei das Wort reden, da sie nicht anders ist, als die Herrschaft des Eigendünkels, der in die Stelle der Herrschaft der Gesetze tritt? – Wer wird aber jenen Brauseköpfen beitreten, die immer von Gleichheit sprechen und alles zu beherrschen suchen? Nicht nur was vor ihnen ist, sondern selbst was bescheidenneben ihnen gehen will, hat in ihren Augen tyrannische Absichten. Alles soll hinter ihnen seyn! – Kann ein Tyrann anmaßender verfahren? – Je länger man in der Welt lebt, desto unzufriedener ist man mit jedem Machtspruche und jeder Machtthat; doch desto mehr überzeugt man sich auch, daß jugendliche Freiheitsherolde nur zu oft Schlösser bauen, die von außen erhaben und schön glänzen, indeß nicht bewohnbar sind; pompvolle Schiffe, die nur den kleinen Fehler haben, daß sie nicht geschickt sind, im Wasser Dienste zu thun. – So dachten Ritter und Ritterin; ob richtig oder unrichtig, kann im §. Heraldicus junior noch nicht die Frage seyn.

Das Stück vom Prediger?

Gut! wenn man mich beim Worte hält – hier ist es.

Und vom Heraldicus junior?

Wird es nicht zu viel werden?

Ich wette, man wird, die Kupferstiche Nro. 35 und 36 in [200] der Hand, den Prediger so wenig, wie den Heraldicus junior in ihren Arbeiten wieder erkennen; – oder ich wette nicht.

Zum Stück des Predigers in

37. Lebensgröße
§. 37.
Lebensgröße,

oder besser in ganzer Figur. – – Vorbericht. Ein Gesetz ist ohne Vorbericht; eine Predigt kann sich nicht ohne ihn behelfen, und auch selbst ein Geistlicher selten. Hat jemand von meinen Lesern bemerkt, daß der Ritter kein Feind der katholischen Religion war, so darf ich es nicht bemerken. Dieß that indeß seiner evangelisch-lutherischen Confession nicht den mindesten Abbruch. Ohne des Umstandes zu gedenken, daß der Reichsfreiherr, und daß die Originalritter und ersten Hospitaliten vom Orden des heil. Johannes in Jerusalem dieser Religion zugethan waren, hat die katholische Religion ihre Ahnen, ob richtig oder nicht, damit ist es bei Ahnen wahrlich so genau nicht zu nehmen. Pater est quem justae nuptiae demonstrant. Das Kind heißt nach dem Gemahl, ob der Gemahl Vater ist, da siehe du zu! Außerdem haben alle Kreuze etwas Katholisches in sich, und wenn gleich das Kreuz die gemeinste Strafe war, mit welchen man bei den Syrern, Juden, Aegyptern, Persern und Römern Knechte, Mörder und Räuber belegte, so ist doch diese Figur ein Ehrenzeichen geworden durch den gekreuzigten Stifter der christlichen Religion, der aber verlangte, daß seine Anhänger auf eine andere Weise ihr Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen sollten.

Der Zuneigung, die unser Ritter zu der katholischen Religion hatte, ungeachtet, hielt er es doch nicht mit Klang und Sang, worin diese Kirche ein Hauptstück ihres Gottesdienstes setzt; vielmehr war er ein Gönner der Prosa. Er hielt dafür, sie sey adlich, und [201] man sehe ihr Wehr und Waffen an. Schon hatte man sich, um den Ritter durch das Alterthum zu gewinnen, Mühe gegeben zu behaupten, daß die Menschen mit der Poesie den Anfang gemacht hätten, und daß das Jauchzen und Springen wahre, ächte Poesie wäre; indeß ward er so wenig in diesem Garn gefangen, daß er sogar das Alter der Poesie in totum undtantum abläugnete. – Und wie das? – Gott der Herr, wenn er sprach, redete in Prosa. Adam und Eva mußten natürlich auch so antworten, und haben im Paradiese in keiner andern Art als in Prosa conversirt. Die erste Urverwirrung der Sprache ist Poesie und Prosa. – Vergebens war alle Mühe, den Ritter zu überzeugen, daß Poesien Früchte und Kinder der Imagination wären, die doch beim Ritter galt. Zuweilen schien es wirklich, als ob er mit seinen Behauptungen in Verwirrung käme; doch konnte man dieses Eingeständniß nicht von ihm erhalten. Er glaubte, es ans Tageslicht bringen zu können, daß die Behauptung der Dichter: »die Dichtung sey das Chaos, die Mutter der Prosa,« schon eine Dichtung wäre; daß die Einbildungskraft, in der doch der Dichter, wie der Fisch im Wasser, zu schwimmen vorgebe, nicht zähle und messe, und daß noch die Zeit kommen müsse, wo man der Prosa Gerechtigkeit widerfahren lasse. Die höchste Poesie sey nicht eine toll gewordene oder poetische, sondern eine durch ihren innern Gehalt, durch ihren Geist geadelte Prosa. Verbannte nicht Plato, sagte er, die Poeten aus den Vorhöfen des Himmels, aus seiner Republik?

Nach diesen Grundsätzen kam der Ritter gemeiniglich bei den letzten Worten des Glaubens in die Kirche, und so war das Amen des Predigers auch das Zeichen, seinen Hut zu nehmen und in die Melodie des Gebetes zu fallen. Morgen- und Abendandachten waren in Rosenthal seit Menschengedenken eingeführt; allein alles ging ohne Klang und Sang ab (welches der Schulmeister, der zugleich die Orgel schlug und die Cantorei zierte, ohne Salz und [202] Schmalz nannte). Der Prediger, der wie fast alle seine Collegen im Gesang seine einzige Erbauung fand, da das Auswendiglernen ihm alle Rührung und allen Herzensantheil an der Predigt entwendete, mochte nun so viele Verse in seiner Predigt anbringen, wie kaum in den Lebensläufen in aufsteigender Linie angebracht sind: – unser Ritter konnte dieser Gewohnheit keinen Geschmack ab gewinnen. »Er will nicht anbeißen,« sagte Heraldicus junior etwas zu prosaisch, der auch ein Liederfreund war, indeß, wie es sich von selbst versteht, mit mehr Schmalz und Salz, als der Organicus loci. Freiheit und Poesie haben von jeher gute Freundschaft gehalten, wenn gleich die Bemerkung unsres Liederstürmers nicht zu verachten ist, daß Poesie eine gebundene und Prosa eine ungebundene Rede hieß.

An einem X. Sonntage nach Trinitatis überraschtePastor loci den Ritter loci, und ließ, so wie es bei den Herrnhutern Sitte ist, ehe man sichs versah, ein Liedlein anstimmen, und hieß war: Erhalt' uns Herr bei deinem Wort.

Pastor nannte diese Herrnhutersitte, der man auch in Philanthropinen gehuldigt hatte, die Predigt lardiren.

Nichts in der Welt, nicht die Stimme des castrirtesten Sängers, noch die Poesie des uncastrirtesten Dichters, hätte den Ritter so angreifen und bekehren können, wie der »Türkenmord.« Indeß fand er am Morde des Papstes einen nicht kleinen Stein des Anstoßes; und nun mußte noch ein Strategem von Abhandlung dazu kommen, wenn der Ritter den Gesang mit gnädigern Augen ansehen und sich mit dieserbürgerlichen Sophie verbinden sollte.

Ich gebe diese Abhandlung in Lebensgröße; doch mehr als Brocken vom Pastor werden wir nicht sammeln. Fast keine Schrift ist so schlecht, daß nicht etwas von guten Brocken darin vorhanden seyn sollte; auf ganze Körbe voll muß es kein geneigter Leser anlegen.

Dieß Körbchen hieß:

38. Unvorgreiflicher Vorschlag
[203] §. 38.
Unvorgreiflicher Vorschlag

zur


Abänderung des Martin Lutherschen Kirchen- und Hausliedes:


Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort etc.

allen christliebenden gesanglustigen Seelen,

besonders aber


Sr. Hochwürden und Gnaden


dem


Hochwürdigen Hochwohlgebornen Herrn


Caspar Sebastian,


des heiligen römischen Reiches Freiherr und des heiligen Johanniter-Ordens Ritter, der weiten und breiten Rosenthalschen Güter Erbherrn, des im Riß

liegenden Jerusalems und vieler andern schön gezeichneten heiligen Oerter Eroberer, des hohen Rathes zu Jerusalem in Gott andächtigen Präsidenten etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc.


seinem gnädigen Kirchenpatron, hochgebietenden Chef


und Herrn,


namentlich unterthänigst zugedacht, zugeschrieben und gewidmet


von


einem zu Gebet, Gesang und Dienst


verbundensten Diener.


[204] Daß schon die blinden Heiden bei ihrem Gottesdienste Gesänge gebraucht haben, beweisen der hochblinde Homer und viele andere, als Orpheus, Kallimachus, Hesiodus. Nach dem Pausanias war Licius Olenus ein griechischer geistlicher Liederdichter, wiewohl der Streit in der alten heidnischen Singwelt unausgemacht bleibt, wer den ersten Hymnus angeschlagen habe, indem, wenn ich mit Heiden heidnisch reden soll, es das Ansehen gewinnen will, als ob die fröhlichen Vögel dem Menschen den Sang und die Poesie, dagegen die vierfüßigen Thiere die Prosa kollegialisch beigebracht, unter welchen der beschriene Ochse und der nicht minder beschriene Esel gewiß das ihrige rühmlichst beizutragen nicht ermangelt haben werden. Daß die Poesie ihr Hüpfen und Springen, und die Prosa ihren vierfüßigen Gang von ihrer Urabstammung beibehalten bis auf den heutigen Tag – darf ich das bemerken? Doch was geht dergleichen blindes Heidenthum, wodurch die vierfüßige Prosa am schlechtesten wegkommen würde, uns an, da ein ganz anderes Schema genealogicum der geistlichen Lieder in der christlichen Familienlade deponirt ist? So wie jener Weltüberwinder, nachdem er überall kam, sah und siegte, nicht mehr von einem leiblichen Vater abstammen, sondern seinen Ursprung im Himmel unter den Göttern aufsuchte und von ihnen abglänzen wollte: so können wahre Menschen mit weit größerem Rechte behaupten, daß sie in linea recta von den Morgensternen und Kindern Gottes abstammen, von denen sie auch ihre Singkunst erlernt haben. Bleibt es gleich in diesem Jammerthale beim Tenor oder mezza voce, wenn dagegen jene himmlischen Virtuosen im hellen Discant einen Triller den andern beschämen lassen und mit ihren Engelflügeln den Takt dazu schlagen, so hat doch niemand, weder Engel noch Mensch, des Herrn Sinn erkannt. Wer ist sein Rathgeber bei der Form gewesen, in die er seine Welten und in ihnen seine Geschöpfe goß? und wer kann dafür, daß er nur, oder daß sogar [205] Ein Mensch ist? Wer warst du, sagt Gott der Herr zu Hiob, der von dem himmlischen Fiskal, dem Satan, in puncto criminis laesae in unbefugten Anspruch genommen ward, so daß er auch seinen Proceß in der letzten Instanz refusis expensis gewann. – Wer warst du, da mich die Morgensterne mit einander lobten und jauchzeten alle Kinder Gottes? – Daß hierdurch die Sphären-Instrumentalmusik und die Engel-Vokalmusik, und unter derselben das hohe Lied: Heilig! heilig! heilig! verstanden wird, welches Jesaias, der ein vortreffliches musikalisches Gehör besaß, in Noten gesetzt hat, ist auffallend. Singen und Spielen sind so nahe verwandt, daß ein jeder Sänger gern allem, was ihn umgibt, die Zunge zum andern Discant lösen möchte; und so hat der Mensch wirklich leblosen Instrumenten einen musikalischen Athem eingehaucht; und was die Sphären dort oben sind, das sind hienieden Pauken und Trompeten, Violinen und Flöten. Wenn ich nun gleich der kritischen Frage: ob die ersten Eltern im Paradiese gesungen, ganz gern ausweiche (da Se. Hochwürden und Gnaden nach guten Ursachen, die fast eben so viel als gute Nachrichten bedeuten, wissen wollen, daß die ersten Eltern im Paradiese sich in Prosa unterhalten), so würde es den guten und bösen ersten Eltern doch zu keiner Scham und Schande gereichen, im Paradiese mit den Morgensternen und den heiligen Engeln, ihren Gespielen, eins um die Wette angestimmt zu haben. Von selbst versteht es sich, daß der Paradiesgesang ein ganz anderes Ding gewesen ist, als der, den Adam und Eva bei der Holzaxt und beim Spinnrocken leierten.

Man sagt, die Noth lehre beten. – Wahr! Lehrt sie aber nicht auch fluchen? und ist es nicht gewiß, daß die Noth eben so viel, wo nicht mehr, gute Christen als Bösewichter erzieht? Die Herren Finanziers brauchen die Noth zum sichern Recept wider das kalte Fieber der Faulheit, womit sie, trotz der China, Wunderkuren [206] gethan zu haben behaupten. In der That, die Herren sollten in ihren Finanzrecepten weiter gehen, und wenn sie selbst wegen dieser Noth in Noth gerathen, das wohlfeile Singen verschreiben. Erinnert man sich nicht hierdurch an die große Harmonie, die doch immer – auch bei Gram und Sorgen, bei Donner und Blitz, bei Schelten und Schlägen, welche die Herren Staatsregierer über die Staatsbürger im Rathe der Wächter beschließen und mit außerordentlicher Pünktlichkeit ausführen – in der argen bösen Welt ist? – Ach! durch den Gesang wird die arge böse Welt zur besten! – Der Gesang kühlt die Angst; und was ein Glas Wasser der Zunge in schwüler Mittagszeit ist, wird der Seele ein Lied. Mein Gesangbuch nenn' ich einen Eiskeller, und hab' es im hitzigen Fieber der Anfechtung in Segen gebraucht. Wenn die Verdammten in der Hölle singen könnten – wären sie nicht aus aller Noth? und dürften sie wohl einen Tropfen Wasser zur Zungenkühlung erbetteln? Würden nicht vielmehr Harmonie und Takt unter ihnen seyn, da sie jetzt sich unter einander vertragen wie Katzen und Hunde? – Ist je Sonntagskindern der Vorschmack der künftigen Welt beschieden, und können sie hoffen, über ihren künftigen Aufenthalt und ihre künftige Beschäftigung von vollendeten Seelen sub rosa Nachricht einzuziehen, so wird der Gesang das Mittel seyn, Erscheinungen der Geister zu bewirken: nicht der schwarzen, sondern der weißen; nicht der bösen, sondern der guten. Alle gute Geister loben Gott den Herrn, und singen; alle böse Geister loben Gott den Herrn, und zittern. Tugend und Gesang verbinden diese Welt mit der künftigen – so daß sie in einander verschmelzen, man weiß nicht wie. Leider! waren von Anbeginn Wortstreit und Hahnengefechte, wenngleich bei einem Seelenduell kein Blut, sondern Gedanken fließen. – Obstat, quidquid non adjuvat. – Es gibt nur Einen Verstand. Alle Menschen würden Eins seyn, wenn die Worte nicht so oft Streit [207] suchten, und Parteigänger, Volontärs und was weiß ich was mehr wären. – Einige unter den Wörtern sind bekanntlich so ungeschliffen, daß sie es recht darauf anlegen, Händel zu machen. Die Poesie gibt ihnen Anstand, Erziehung und Politur; sie lehrt sie, sich in Zeit und Umstände schicken. Jene Antwort: »Etwas, das du nicht zu wissen brauchst,« auf die unbescheidene Frage: »was trägst du da unter dem Mantel?« sollten sich die Menschen merken, da sie fast alles, was sie glauben – und das ist doch bei weitem der größte Theil von dem, was sie zu wissen vorgeben, oder zu wissen sich einbilden – unter dem Mantel tragen. Man lasse doch jeden so viele Worte tragen, als er nur unter seinem Mantel beherbergen kann, und zwinge die Träger so wenig, diesen Wortkram zu enthüllen, als uns andere, uns mit Mänteln und einer solchen Wörterlast zu behängen – falls wir selbst nicht wollen. – Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. – Doch um wieder zur Poesie einzulenken, bei der man nur zu leicht Absprünge machen kann, so trete ich dem hohen Praesidio vollständig bei, daß die gegenwärtige mit Erbsünde beladene Poesie im Paradiese nicht im Schwange gewesen. Lebhaft kann ich mir vorstellen, daß die damalige Prosa so ein englisches liebliches Wesen an sich hatte, daß es, wenn ich so sagen soll, Poesie ohne Dichtung war. Merkt euch dieß, ihr guten Dichter, und legt nicht zu viel Gewürz an natürliche Kost; denn in Wahrheit, das setzt kein gutes Blut. – Wenn innere Würde sich mit äußerlicher Pracht vereinigt, wenn der Zweck so edel ist, wie die Ausführung: dann ist Prosa Poesie, deren sich niemand schämen darf. – Wenn Poesie unsere Aufmunterung, nicht unser Ziel, unser Mittel, nicht unser Zweck ist: o, dann verlohnt es der Mühe, ein Poet zu seyn – und Plato selbst war es, der bloß Asterpoeten des Landes verwies, das indeß auch nicht in rerum natura, sondern in der Poesie existirte. In einer poetischen Republik Poeten nicht dulden wollen, ist wahrlich [208] sonderbar! Adam und Eva im Paradiese befanden sich übrigens gar nicht in der Nothwendigkeit, zur Dichtkunst ihre Zuflucht zu nehmen: sie hatten beim lieben Gott eine offene Tafel, und alles, was sie nur dachten (es zum Wünschen kommen zu lassen, hatten sie nicht nöthig), stand vor ihnen. Auf anakreontische Anlockungen durfte es der verliebte Adam nicht stutzerisch anlegen. Eva liebte nicht sich, sondern ihn, so wie auch seine Liebe nicht aus Erkenntlichkeit, sondern aus Herzensneigung über alles ging – und so auch über ihn selbst! – Den Apfel, Vater Adam, hättest du nicht aus ihren Händen nehmen sollen, so lieblich sie ihn auch abgeschält hatte! – Poesie lehrt indeß, nicht bloß aufs Wort, sondern auch auf den Ton merken, und haben Gedanken allein auf den Ausdruck und nicht auch auf den Ton Einfluß? Gibt es nicht eine gewisse Aufgeblasenheit der Worte, die man Bauernstolz nennen könnte, welcher wahrlich die unerträglichste aller Stolzarten ist und selbst über den Stolz der Heiligkeit geht? Reden ist Kunst; recht Reden ist Natur. Wahre Ehrbegierde ist die Poesie bei unsern Handlungen und bei unsern Worten. Die höchste Sprache ist die, welche jeden Wortputz verschmähet, und keinen Ruhm wegen der Ausdrücke, sondern wegen der Gedanken, die in den Worten enthalten sind, sucht und findet. Man trachte nach Gedanken am ersten, und Worte und ihre Geberden, der Ton und alles andere wird uns zufallen von selbst. – Ich hätte sehr viel darum gegeben, den wirklichen Adam und auch die jungfräuliche Eva singreden oder redesingen zu hören. Singen ist die Musik des ledigen, Spielen die Musik des ehelichen Standes, in welchem man die Stimme verliert, man weiß nicht wie! Bei so manchem großen paradiestschen Verluste verlor das erste Paar auch seine Stimme. Jammer und Schade! – Was die Instrumentalmusik betrifft, so entstand sie nicht im Paradiese; Adam und Eva hatten vielmehr zu jener glücklichen Zeit ein Freibillet, das Sphärenconcert [209] zu besuchen, wenn sie wollten, und nur nach dem betrübten Sündenfalle ahmte der Mensch auf einer Rohrpfeife nach, was er so im Großen gehört hatte. Welch ein Abfall! vom Sphärenton zur Schäferflöte! So steht es mit dem Stande der Unschuld und dem Stande der Sünden in Rücksicht der Sing- und Dichtkunst aus. – Singen heißt: mit der Zunge dichten; und Instrumentalmusik heißt: Gesang lebloser Geschöpfe, welchen der Mensch die Singstimme gelöset hat. Was den Stand der Gnaden im alten Bunde anbetrifft, dem Se. Hochwürden in Gnaden gewogen sind, so war er nichts weiter, als eine Silhouette; dessen ungeachtet gab es in diesem Silhouetten-Gnadenstande – ganz vortreffliche Gesänge, z.B. den Lobgesang Mosis, das Lied, welches der Prophet Jesaias seinem Vetter von seinem Weinberge sang, den Lobgesang des Königs Hiskiä, als er wieder gesund geworden war. – Und was soll ich von dem Erzsänger, dem königlichen Propheten David, sagen, der, wenn gleich ahnenarm, doch sehr liederreich war! Auch wußte er wohl, was sich für einen singenden König schickt; keinem andern, als dem König aller Könige, dedicirte er seine Lieber. Er erlaubte sich kein anakreontisches verfängliches Stück, selbst nicht auf die Bathseba. Basilius meint, der heilige Geist habe sich Mühe gegeben, die ganze Bibel in Verse zu bringen, da er dem David die Psalmen diktirte. Was. denneuen Bund betrifft, so will es anscheinen, daß es darin eigentlich keine Dichtkunst, sondern Geist und Wahrheit gebe. In dem Munde des Stifters der christlichen Religion ist kein Betrug und selbst keine Dichtkunst (ein erlaubter Seelenbetrug) zu finden; und wenn er gleich kurz vor seinem letzten Leiden den Lobgesang, wohl zu merken, sprach, so war doch dieß ein Stück vom Osterlamm, das unser Herr aß, weil es Sitte im Lande war. Wer hat unter tausend und abermaltausend Behauptungen von seiner Person und Lehre die Angabe gewagt, daß er Dichter und[210] Dichtershelfershelfer, Musikus gewesen sey? Einwendungen? Gut! sie mögen sich hören, aber auch widerlegen lassen. Gibt es nicht Poesie en gros und en détail? Der starke Glaube, den der Stifter des Christenthums an Gott, und das Zutrauen, das er zu seinem Werke hatte, welches er im Namen Gottes begann – waren das nicht Beweise einer erhabenen Einbildungskraft, die seinen Geist stärkte und heiligte? Sein Kopf und sein Herz arbeiteten in großen Massen; so ins Große ging kein Weiser vor ihm. – Welche Menschenfreundlichkeit! Zu den Aufschlüssen, die er uns gab, ist ein bloßer Prosaist nicht im Stande. Seht! in Gott dem Herrn zeigte er uns mit Fingern den Vater. – Väter sind nicht für Hymnen, und nirgends sind Hymnen Kindern Gottes zur Pflicht gemacht: – das Gebet zwar, welches freilich eine Art von Poesie ist; doch beteten Menschen vor seiner Zeit. Und nimmt man Poesie in göttlich hohem Sinn – ist es dann der höchsten Vernunft selbst eine Schande, sich mit Poesie zu verbinden? Kann es der ganzen christlichen Lehre zum Vorwurf gereichen, wenn sie die Dichtkunst der Vernunft genannt wird? Diese Bemerkungen eröffnen von selbst ein Feld zur schönen Nutzanwendung. Alles in der Natur, außer dem Menschen, geht müßig, es sey denn, daß der Mensch es anstrengt; und dann arbeiten Ochse, Pferd und Esel nicht für sich, sondern für den Menschen; der Mensch allein ist der Arbeiter im Weinberge der Natur und der Sittlichkeit. An ihm kann man sehen, was Königen obliegt, wenn sie diesen Namen verdienen. – Der König der Erde, der Mensch, hat gewiß nicht Zeit, wenn er treu ist in seinem Berufe, sich mit brodlosen Künsten abzugeben, sich für Spottgeld, für Schandbote zu verkaufen, und über Klingklang seine Regierungsgeschäfte zu versäumen. Wer verlangt aber auch von ihm, daß er dasDichterhandwerk treibe? Es ist genug, daß erDilettant sey. – Bei diesem Wegweiser wird der Mensch gerade so [211] viel wie die Dichtkunst gewinnen. Allerdings bleibt der Mensch der Nachschöpfer auf Gottes Erdboden; und wohl ihm, wenn er fleißig ist, in guten Werken zu trachten nach dem ewigen Leben! – Sein diesseitiges Leben soll nicht künstliche Irrungen, nicht unvorgesehene Begebenheiten, nicht verschlungene gordische Knoten und kunstreiche Auflösungen, selbst nicht pompreiche, mit Philosophie stark gewürzte Sentenzen, nicht Lippengrundsätze enthalten; eine lange einfache Handlung ist sein Wandel, der sicher und fest zum Ziele fortschreitet. – Das sind Werke in der moralischen Welt, in der unsichtbaren Kirche, in Jerusalem, welches, mit Ew. Hochwürden Erlaubniß, nicht von Menschenhänden gemacht ist. Wer kann zum moralischen Erdenchaos sprechen: Es werde Licht! – Vorbehalten ist es dem Menschen, vermittelst des Lichtes der Vernunft die sechs Tagwerke allmählig hervorzubringen, bis der Sabbath einbricht, der Tag der Ruhe! Das tausendjährige Reich – der Zustand, da Engel und Menschen sich wechselweise besuchen werden. Eva, wären wir da! Seelenweide! Herzensfreude! Himmlisch Manna! Halleluja, Hosianna!


† †


Hosianna, rief die Ritterin auf, ohne daß ein Blitz zu sehen, ein Knall zu hören war, und eine Fluch-oder Gnadenthür sich aufthat. Der Ritter reichte ihr aus Beifall die Hand. – A B C wiederholte das mütterliche Hosianna. – Und gilt dieß etwa dem unvorgreiflichen Vorschlage des zu Gebet, Gesang und Dienst verbundensten Dieners? Nimmermehr! Die Ritterin fühlte seine Weitschweifigkeit so gut, wie wir. Dem Gastvetter galt es, der durch so manche gute und böse Gerüchte in Rosenthal gegangen war; ihm und seiner Behauptung:


[212] »Daß Poeten das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit in den Anfang der Welt, Philosophen dagegen es in die spä teste Zukunft setzen.«


Dieß Thema gab Gelegenheit zum Streit und Widerstreit, wodurch das Dreiblatt einer Familie begeistert ward, das wahrlich Genossen des Reiches Gottes zu seyn verdiente! Ganz ungezwungen kam die Ritterin zu ein paar Geschichten, die ihr auf dem Herzen lagen, und die den Namen Hosianna-Geschichtchen erhielten. – Sie hatte unter vielerlei Armen (in ihrem Rittersitze waren keine) auch eine Klasse, die vierteljährlich nach Rosenthal wallfahrtete, um ihre Pensionen abzuholen. Arme dieser Klasse kamen beständig zu Zwölfen; und diese Apostelzahl geleitete sich unter einander, und ward, außer der Mitgabe, in Rosenthal vierundzwanzig Stunden reichlich bewirthet. – Nie versäumte es die Ritterin, mit diesen Zwölfen zu Tische zu sitzen. Sie nannte sie ihre Schildereiensammlug, und kein Maler der alten und neuen Zeit hat solche Gruppen dargestellt; wahrlich keiner! Heute aber verlangteEine dieser Zwölf geheime Unterredung.»Haben Sie Dank, gnädige Frau,« fing sie an, als sie mit der Ritterin allein war, »für Ihre Güte; und wenn ich gleich von dem Ihrigen nehmen muß, um es Ihnen zu geben, so freu' ich mich doch, daß diese Stunde kam, und ich wenigstens auf diese Art geben kann. – Ich theilte den Jahrgehalt, den Sie mir bewilligten, mit einer unglücklichen Mutter, die drei Meilen von mir lebt, und die nur das Unglück mit mir verband. – Ein heiliges Band! Sonst sind wir nicht Verwandte. Diese Mutter ist glücklich geworden und bedarf meiner Theilung nicht mehr.« – Edles Weib! sagte die Ritterin, und verstummte. – Nur erst nach einigen Minuten war sie im Stande, sich nach der Veränderung des Unglücks in Glück zu erkundigen. Der edlen Ritterin fiel die Legende vom ungebornen Unglücklichen ein, welcher sich aus einem Glücklichen in einen [213] Unglücklichen verwandelte: ein Fall, der sich öfter ereignet! Aus dem Zuge, daß es eine Mutter betraf, glaubte die Ritterin sicher abnehmen zu können, die Kinder hätten die Mutter unglücklich gemacht, und der Tod, der Armen und Unglücklichen natürlicher Vormund, wäre auch hier der Beförderer zu dem Glücke der Mutter geworden. Nicht also. Die Mutter hatte einen kranken Sohn, den sie schon einige Jahre auf dem Bette wartete und pflegte, und diesen hatte sie verkauft! – Verkauft? fuhr die Ritterin auf. –Zum Glück verkauft, erwiederte die Eine von den Zwölfen! – Die Mutter, setzte sie hinzu, hielt den Käufer für einen Arzt, obgleich seine Physiognomie ihr gütiger vorkam, als viele dergleichen Herren mit glühenden Zangen und Menschenfleischmessern sie zu haben pflegen. Er gab ihr dreißig Thaler; und was konnte das arme Weib sich anders vorstellen, als daß der Käufer eine Medicinprobe mit diesem Unglücklichen machen würde? – Da sie indeß überzeugt war, daß der abgezehrte, völlig entnervte Körper ihres Sohnes keine Probe auszuhalten im Stande wäre, so glaubte sie einen vortrefflichen Handel gemacht zu haben, den ihr der liebe Gott verzeihen würde, und gewiß auch verziehen hat. Der kranke Sohn willigte nicht etwa bloß in diesen Kauf ein, sondern verlangte ihn durchaus. Er empfand, wie schwer er seiner Mutter fiel. – Die Vorstellung, der Käufer könne nichts anders als ein Arzt seyn, brachte die Mutter noch auf die einzige Bedingung, daß ihr Sohn nach seinem Ableben in keinem Anatomiehause aufgestellt werden möchte. Unbedenklich ging der Käufer diese Bedingung ein. Nicht nur die halbe Pension, sondern auch diese dreißig Reichsthaler hat sie dazu anwenden müssen, die Arzneien und die Aerzte für ihren Sohn bis zu diesem Kauf- und Verkaufscontract zu berichtigen. – (Daher der Groll wider Aerzte, unter denen es gewiß gute Menschen gibt!) Ein Zettel, den der Käufer dem Schulmeister behändigte, diente zum [214] Wegweiser, von dem Schicksale des Kranken Nachricht einzuziehen. Dieser Zettel war der Mutter nur wegen des Anatomiehauses von Erheblichkeit. Der Wegweiser indeß zeigte nicht geradezu, sondern durch unglaubliche Umwege: der Käufer wollte unbekannt bleiben. – Durch treue Kur und Wartung genas der Kranke in drei Monaten, ist gesund wie ein Fisch und in den Gütern des Käufers! – »Wie? dieser Unmensch kaufte sich einen Unterthan? – erhandelte ihn so wohlfeil, weil er vielleicht sein Uebel besser kannte, um ihn und seine Nachkommen zu Sklaven zu erniedrigen?« – Gnädige Frau, der Jüngling bestand darauf, Unterthan zu seyn. Ich bin bezahlt, sagte er; und in der That, wenn je ein Mann Unterthanen zu haben verdiente, so sind Sie es, sagte er zu seinem Käufer. Nichts! der Käufer schlug es aus – und der junge Mensch arbeitet als Freier, und ist jetzt schon im Stande, seine Mutter nicht nur zu unterstützen, sondern wird sie noch in diesem Jahre sammt ihrer Familie zu sich nehmen, sobald er durch seine Braut Louise Selbsteigenthümer eines schönen Freigutes geworden ist!

Ihr habt mich bewegt, gutes Weib, sagte die Ritterin! Ich habe mich gröblich an dem edlen Manne versündigt. – Das gewöhnliche Loos edler Männer, an denen man sich gemeiniglich versündigt, wenn dagegen Unedle die Kunst verstehen, ihre Handlungen auszustaffiren! – Nicht wahr, Mutter, der Kauf hat etwas Befremdendes? – Freilich, gnädige Frau, ist dem braven Herrn auch in unserer Gegend viel zu viel geschehen, besonders weil er es bei diesem Kauf nicht bewenden ließ. – Nicht? – Er kaufte noch einem Dorfrichter einen Dieb für 100 Thaler ab. – Dieser Unglückliche war in der Untersuchung, als der Käufer durchreiste. Der Dorfrichter hat die Meinung, daß ein Diebstahl, wenn er ersetzt ist, mit Strafe übersehen werden könne. Sehr unrecht! Ist der Diebstahl aber aus Noth begangen, so mag es wohl so unrecht [215] nicht seyn. – Wer das Verbrechen hindert, sagte die Ritterin, thut dem Lande Gutes (und mir sey es erlaubt, hinzuzusetzen, daß ein John Howard, der in dieser Absicht reiset, noch zu wünschen ist). Es sey! Dieser Dieb hieß ein Umtreiber, weil er neun Meilen im Umkreise nicht zu Hause gehörte. Der Käufer bezahlte 100 Thaler, und dieser Dieb hat, heißt es, für seinen Vater gestohlen, um ihn aus dem Gefängnisse zu befreien, worin er dieser Schuld halber schmachtete. Der gütige Herr wollte, nachdem er die Umstände vernahm, den Dieb auf der Stelle entlassen; allein der Dieb war viel zu ehrlich, um sich mit diesem Lobspruche zu begnügen. Seine Absicht, es ganz abzuarbeiten, hat er nicht erfüllt. Seines Vaters Schwester ward durch den Käufer bequemt, sich ihres Bruders anzunehmen; und diese durch Mißverständnisse entzweite Familie lebt jetzt einmüthig bei einander; ein Lebensglück, wozu die guten Menschen nicht gekommen wären, wenn der Vater nicht im Gefängnisse geschmachtet, der Sohn nicht gestohlen, der Richter nicht verkauft und der edle Mann nicht gekauft hätte! – Der beglückte Menschenkauf-und Handelsmann wird jetzt von der ganzen Familie gesegnet. Wenn er doch alle Gefängnisse und alle Hospitäler abkaufte! – Wer es ist! Der Wegweiser zeigte nicht geradezu, sondern durch unglaubliche Umwege; und wie viele Kreuz- und Querzüge müßt' ich machen, wenn ich in Gegenwart meiner Leser mir die Mühe geben wollte, ihm so nachzuspüren, wie die Ritterin, die hier ihr Herz im Spiegel sah! Mit einem Worte, es ist der Gastvetter!

Der Ritter hatte Thränen in den Augen; der Ritterin entfielen sie. Unser Held sah beide an. Er verstand zu fühlen, was diese Thränen bedeuteten; doch weinte er nicht.

Nach dieser Herzstärkung wollen wir die Vorlesung fortsetzen. Bei jener laßt uns wünschen: Erhalt' uns Herr bei guter That! – Wahrlich es verlohnt, bei dem Reiche Gottes und [216] seiner Gerechtigkeit, des Gastvetters zu denken, der keine Handlung auf Subscription that oder Lob sich pränumeriren ließ. – Wer von Dankbarkeit leben wollte – würde der überhaupt nicht Hungers sterben?

Erhalt' uns Herr bei guter That!


† †


Finden sich irgendwo Spuren, daß die Jünger des Stifters des Christenthums und seine Apostel instrumental- und vocalmusikalisch gewesen sind? Schwerlich! Doch, ward nicht Geist Gottes über sie ausgegossen? wurden sie nicht begeistert? war ihr Pfingsttagsentschluß voll des heiligen Geistes prosaisch? Man vergesse nicht, daß es eine Poesie im göttlich hohen Sinne gibt. Plinius in seiner Apologie des ersten Christenthums bekundet blindheidnisch, daß die Christen an gewissen Tagen Christo zu Ehren gesungen hätten! Zugegeben; allein warum? Um im Handeln ihm Ehre zu machen, und sich aufzufordern, den Willen dessen zu thun, der ihn gesandt hatte.

Beispiele sind stärker als Worte; und gibt es nicht hohe poetische Thaten, denen das Feuer der Einbildungskraft so wenig entgegen ist, daß es vielmehr eine dergleichen Geistes- und Herzensstimmung bewirkt? Was ist blendender Wortglanz gegen edle That? Durch sie wird man erschüttert, überwältigt und lebendig überzeugt. Der Muth und der Trost der Nothwendigkeit, welcher Seelen von Inhalt und Nachdruck eigen ist – was hat der nicht ausgerichtet, wie viele bewunderungswürdige Märtyrer gezogen! Nicht immer, nicht von jedem werden diese Thatenepopeen gefordert! – Doch kommt es im neuen Bunde durchaus auf moralische Sinnesveränderung an; und wenn gleich diese allerdings [217] durch kalt vorgetragene Grundsätze angefangen wird, so gibt es doch Fälle, wo wir die Nachhülfe der Einbildungskraft und Glaubensstärkung bedürfen, um sie zu vollenden und sie in Werken darzustellen. Man sage nicht, Dichtkunst sey Heuchelei. Heißt, sich gut ankleiden, heucheln? und ist Dichtkunst mehr oder weniger, als Versinnlichung, als Menschwerdung der Grundsätze der Seele? mehr als Darstellung des inneren Menschen – des Geistes, der in uns ist, ohne welchen keine Handlung verstanden und beurtheilt werden kann? Ein reines Herz und reine Gesinnungen adeln unser Thun, und weisen ihm seine Klasse an; – – und kommt man durch Gesang und durch die Verbindung des Tons, des Textes und der Melodie nicht zu jener christlichen Harmonie, zu jener Bruder- und Schwesterliebe, vermittelst deren man nur Ein Herz und Eine Seele ist? Gott helfe uns zu seinem Reiche, wo alles uns gefällt, ohne daß wir wie jetzt durch verderbliche Lottos entkräftet werden, und auch beim höchsten Loose, wegen der vorigen vielen Verluste, arm bleiben! – Thorheit vereinigt oft die, welche durch Gesinnungen getrennt waren; der Gesang stimmt Menschen zu einerlei Gesinnungen. – Was in der Krankheit frische Luft bewirkt, das leistet der sanfte Hauch der edelsten Empfindungen bei verstimmten Gemüthern. – Recht und Gerechtigkeit übt man hier nicht nach Anleitung des finstern abschreckenden Gesetzbuches, sondern nach dem Evangelio der Vorstellung, daß kein Mensch ganz böse sey, ob er gleich auch nicht ganz gut zu seyn die Ehre hat. Was Billigkeit ist, dieß große Problem läßt sich, scheint es mir, nur durch Poesie auflösen. – Gesang sollte bloß negativen Vortheil bringen, und den nicht befriedigen, der auf etwas Positives ausgeht? Mit nichten! – Sprich, und du bist mein Mitmensch. Singe, und wir sind Brüder und Schwestern!

Ob der Gastvetter Gesang liebt, fragte die Ritterin den Ritter. Ich glaube nicht, erwiederte dieser. Wer handelt, singt nicht. – [218] Nicht doch, guter Ritter, singen die Neufranken nicht eben so viel, wie die alten? Freilich andere Lieder!

Das wäre ein Wort ins Kreuz; jetzt noch eins in die Quer.

Der Gesang, sagt ein großes Kirchenlicht, der Gesang macht mit den Engeln Allianz; der Teufel, der Drache, die Schlange weicht, wenn gesungen wird. Ein Lied hilft arbeiten, und ist die beste Gesellschaft in der Einsamkeit; es versöhnt unsern Schutzgeist, wenn wir ihn durch eine Thorheit böse machten, und wenn er schon den Hut genommen hat, um wegzugehen, bleibt er doch, und setzt sich wohl gar nieder. Der Gesang ist der Schwur der Bruderliebe, des Menschenhundes; – ist Opfersprache; – man hört nur Eine Stimme, wenn Takt gehalten wird. – Er ist eine Morgen- und Abenddämmerung, wo es weder zu hell, noch zu dunkel ist. – Man wird durch den Inhalt eines Liedes allmählig besponnen, würd' ich sagen, wenn man nicht hierbei an die Spinne denken müßte. So geht es mit den besten Vergleichungen! sie sind muthigen Pferden ähnlich, die, ehe man's denkt, den stolzirenden Reiter zu Gottes Erdboden werfen. – Ein Lied bringt Thränen und trocknet sie. – Es ist ein Rauchwerk, das die Wolken theilt und zum Herrn dringt ungemeldet. – Die meisten Gedanken der Menschen – sind sie nicht in dunkle Farben gekleidet? Wir Geistlichen ziehen ihnen nicht selten eine Reverende, einen langen schwarzen Rock an, wo nur ein kleiner weißer Flick angebracht ist. – Spendet die Poesie nicht die besten, schönsten, angemessensten Kleider? – Geistig sind sie, und weit leichter, als die Gewänder, welche die Alten ihren Göttinnen umwarfen. – Will man wissen, wie der Dichter sich vom Mathematiker und Philosophen unterscheide? Zu dienen. Der Mathematiker ist ein Götzendiener; gleich hat er eine Figur, die er sieht und anbetet: – ein goldenes Kalb, würden Spötter sagen; was sagen aber die nicht alles! Nichtspötter würden erwägen, daß ein Mathematiker seiner Figuren [219] halber beneidet zu werden verdient, weil er vermittelst ihrer selten vergißt was er einmal weiß. Er hat sein Geländer, woran er sich hält. Körperlich ist er, der Dichter geistig; – er sieht Geister, er schafft sich Heerschaaren. – Selbst wer ihn liest, wird begeistert, obgleich freilich nicht aus jedem Holze seiner Leser ein Merkur und aus jedem Golde seiner Leserinnen ein Trauring Luthers wird. Der eigentliche Philosoph hält sich weder an Körper noch an Geister, hört und sieht nichts als sich selbst und ist gemeiniglich so verrathen und verkauft, so verlassen wie ein Einsiedler, der nicht von einer Stelle kommt, der sich selbst schlägt, sich mit sich selbst verträgt – und hinten und vorn, im Audienz-, im Wohn- und Schlafstübchen überall nichts als ein vervielfältigtes Ich hat. Der Philosoph theilt seinem System seinen Namen mit, und tauft seine Glocke; der Dichter thut Verzicht auf diese eigene Ehre. Hatte doch, denkt er, Christophorus Columbus das Glück nicht, daß sein entdeckter Erdtheil Columba hieß! In einer Nothtaufe (mit Ewr. Hochwürden gefälligster Erlaubniß) erhielt dieser Erdtheil den Namen Amerika nach dem Vespucius Amerikus. Haben wir eine Homerische Poesie, ob man gleich im Scherz eine Pindarische, eine Horazische Ode sagt, um den, der sie ge macht hat, zum Sklaven des Pindar und Horaz, höchstens zu ihren Freigelassenen, zu erheben oder zu erniedrigen? Man sagt, die Philosophie könne oft zur Krankheit ausarten; und dazu ist kein probateres Mittel als Poesie. – Recipe, das Uebersinnliche den Sinnen wenigstens näher zu bringen; und dieß ist der Beruf des Dichters. Ein Philosoph will der Seelenmann seyn; aber macht er ihn nicht oft bloß? Er ist die lustige Person auf dem Engelstheater, bei aller Ehrbarkeit, die er sich beizulegen pflegt. Der Dichter, ein höherer Chemicus der Seelen, verwandelt die tiefste, abstracteste Philosophie in die Sprache des gemeinen Lebens. Durch diese höhere Seelenchemie findet der Dichter zuweilen den Stein [220] der Weisen, den die Philosophie immer sucht. Nie wird er aus seiner gebückten Stellung herauskommen, und singen und springen, oder sich nur gerade halten, welches doch der Vorzug des Menschen ist! – In der ächten Poesie gelüsten freilich zuweilen Empfindungen und Gedanken gegen einander, und dieser Wettstreit, der den Streit in uns zwischen Geist und Fleisch, zwischen Verstand und Willen ziemlich abbildet, macht die Poesie zu einer so menschlichen Sache, daß man mit Wahrheit sagen könnte, der Mensch sey im Gedicht getroffen. Getroffen! und wer wird sein eigenes Fleisch hassen? wer wird sich selbst verläugnen? – – Doch, nicht nur uns selbst brachte die Dichtkunst uns näher, sondern auch dem Unerforschlichen, mit dem der Mensch vermittelst seines Geistes verwandt ist! – Der Dichtkunst haben wir diese Entdeckung zu danken. Gottesdienst entstand nicht eher, als da der Kram der Ehrenbezeugungen unter den Menschen anfing; bis dahin war Gott Vater, Andacht hohes Andenken an ihn, und die Folge davon Ergebung und Anhänglichkeit an diesen unsichtbaren Vater. – Wieviel Stoff beut sich hier zu einer Dichter-Theodicee dar! Doch versteht die Dichtkunst zu verstummen. – Wahrlich eine große Kunst!

(Hier lächelte die Ritterin, der Ritter gleichfalls. – Schwerlich wird man um die Antwort bei der Fragewarum? verlegen seyn. – Man las weiter wie folgt.)

Aus diesem allen beantwortet sich die gegebene Frage von selbst: ob nämlich der Papst aus der zweiten Reihe des herrlichen Liedes:


Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort,

Und steur' des Pspst's und Türken Mord!


wegbleiben und dieses Lutherische Meisterstück in dieser Zeile verändert oder wohl gar verbessert werden könne? Der Subordination unbeschadet, die mir gegen Luthern, diesen Paulum post Paulum [221] beiwohnt, der dem Petro sine Petro so manches böse Stündlein machte, wird es mir erlaubt seyn, mein Herz auszuschütten, wobe das auserwählte Reformationsrüstzeug gewiß nichts einbüßen soll. Wie viel könnte man aus dem thätigen Leben Luthers ausheben, was ein Lob- und Danklied für so vieles Heil verdiente, das er uns erwies! – Aus diesem vielen nur blutwenig. – Luther erblickte das Licht der Welt, in der er kein kleines Licht werden sollte, zu Eisleben; eigentlich stammt er aus Möra unweit Salzungen. Alles, was groß werden soll, kommt unterwegs – und unerwartet zur Welt; – recht als ob es nicht länger verschlossen bleiben könnte; es will Licht sehen.Vivit war Luthers Losung; und kann es nicht auch von jedem seiner Worte und Werke heißen: vivit, es lebt? Er wollte Jura studiren; da aber der Blitz ihm einen seiner guten Freunde beim Spazierengehen von der Seite schlug, so ward aus einem schnaubenden Saulus ein Apostel Paulus. Den gradum Doctoris nahm er von dem gelehrten, sogenannten UBCdario Andrea Bodensteinio Carolstadio an – (bei dieser Gelegenheit mache ich dem jungen Herrn meine tiefe Verbeugung) und starb – nach Art großer Männer, die nach vielem Hin- und Herreisen gemeiniglich da, wo sie geboren worden, ihr Leben schließen – zu Eisleben. – Tout comme chez nous. Ehe ich indeß in diesen Schlaftrunk von Abhandlung, wie Luther nach Eisleben, heimkehre, sey mir die Bemerkung ad rhombum erlaubt, daß Dr. Luther einen guten Alt gesungen hat. In diesem Alt sang er, wenn der Papst ihn bannte und gar übel plagte:


Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort,

Und steur' des Papst's und Türken Mord!


Wahrlich ein Lied im Alt zu singen! Doch was bleibt ohne Tadel? – Unter vielen gelehrten Kletten, die sich an dieses Ehrenlied setzten, gehört auch die Fragklette: ob dieß Lied nicht den Religionsfrieden [222] störe? Ich würde in meiner Einfalt fragen, ob der Papst (den Türken noch bei Seite) ein Erbfeind sey? und ob, wenn er es ist, man seinen Erbfeinden fluchen könne? Hier unsers Orts hat der Papst sich einen Gevatterstand gefallen lassen. – Freilich läßt sich über diesen Gevatterstand so viel wie über diese Erbfeindschaft sagen, und um eins von diesem vielen zu bemerken: es läßt sich hier noch mehr denken. – Oft spricht man ein gerechtes Urtheil so stark aus, daß es unrecht wird. Wenn man Schuldigen mit einer Art von Wuth begegnet – wer kann sich entbrechen, sie für unschuldig zu halten? Eine ungestüme Tätigkeit bringt alles gerades Wegs in Unthätigkeit, und sind Epikur und Epikuräer nicht ebenso weit von einander entfernt, wie Papst und Päpstler, wie Luther und Lutheraner? Auch war der Papst zu Luthers Zeiten ein weit wunderlicherer Heiliger, als ein Papst unserer Zeit. Umstände ändern die Sache. Ich verarge Luthern so wenig den Papst in seinem Liede: Erhalt' uns Herr etc., als ich ihm die Grabschrift übel deute, die er sich selbst setzte:


Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, Papa!


Luther lebt in ihr! vivit! – Zerrinnt gewöhnlich alles nach dem Ableben des Eroberers, was er in seinem Leben mit Feuer und Schwert gewann; hält die Nath nur selten, wodurch dergleichen gewaltige Schneider vor dem Herrn Provinzen aneinander heften, so wirken ächte Arbeiter im Reiche Gottes noch mehr als in ihrem Leben; sie stehen auf von den Todten, Hallelujah! – Blieb Luthers Grabschrift eine unerfüllte Weissagung? Und wem widersetzt sich Luther in unserm Textliede? Leibeigenen oder Feinden des Christenthums? Ist es endlich wirklich Unheil, das unser Sänger über sie ausschüttet? – Ich find' es nicht.


Und stürz' sie in die Grub' hinein,

Die sie machen den Christen dein!


[223] Das läßt sich hören! Sie sind ihre selbsteigenen Todtengräber. Darf ich hier einen Ausfall auf Lutherische Päpste wagen? Gibt es nicht im Lutherthum Bauchpfaffen, die ihren Champagner trinken, während andere ihrer Collegen sich Glück wünschen, wenn beim hohen Kirchenpatron die Ermahnung Pauli erfüllt wird: trink ein wenig Weins deines schwachen Magens halber? Dieses Wenig wird an Sessionstagen in dem neuen Jerusalem in Viel verwandelt und es ist an mir erfüllt worden, was geschrieben steht: Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig treu gewesen, ich will dich über viel setzen; – gehe ein und so weiter. – Die fetten Kühe helfen den magern zusehends aus! Consistorialräthe, General- und Specialsuperintendenten und wie dieß stolze Volk weiter heißt, kitzelt seinen Gaumen und ehrt Gott mit seinen Lippen; doch ist sein Herz, das seinen Sitz im Magen hat, fern von ihm! Es ist an ihm, nach der Typik jenes Witzlings, erfüllt, was das Vorbild der Schlange besagt, die verflucht ward – auf dem Bauche zu gehen ihr Lebenlang. – Wider diese Baalspfaffen, die auf Mosis Stühlen sitzen, Schwert des Herrn und Gideon! stürz' sie in die Grub' hinein! – – –

Die Rangliste, welche in unserm Singtexte beobachtet wird – ist sie etwa poetische Licenz oder ein Sylbenmaßzwang? Mit nichten! dem geistlichen Stande eignet und gebührt auch beim Morde die Ehre. – Zwar glaub' ich, daß Se. Heiligkeit cum reservatione reservandorum, sobald von öffentlichen Mordfällen die Rede ist, es so genau nicht genommen haben würde, dem türkischen Kaiser die rechte Hand und die Evangelienseite abzutreten, indem der erste in der Grube (bei der ihm nicht abzustreitenden Ehre der erste zu seyn) doch schlechter daran ist als der, welcher über ihn fällt. – Nach einer bebrauchten Juristenregel ist gegen den zu sprechen, durch dessen Schuld die Sprache im Vortrage nicht deutlich genug ausfiel. – Mord! die Herren Juristen, von [224] denen weder ex notorietate noch testandibus actis hervorgeht, daß sie gute Christen sind, eignen sich die Kenntniß von Mord und Todtschlag privative zu! Warum nicht gar! wenn die guten Herren nur die Bibel zur Hand nehmen wollten, wie so manches könnten sie über Mord und Todtschlag lernen, worüber in ihren Gesetzbüchern einaltum silentium herrscht! Gibt es nicht groben und feinen Todtschlag, und tritt nicht diese Eintheilung auch beim Morde ein? Denken die eingeschränkten, kraftlosen Gesetzsuppen an den schönen Mord für die Ehre Gottes und des Vaterlandes? an die gesegneten heiligen Kriege, wo Zehntausend fallen zur Rechten und Zehntausend zur Linken? wo derjenige, der am besten würgt, der größte, nicht im Himmelreich, sondern auf Erden ist und (nach der Kleiderordnung der Zahnärzte, die sich mit ihren ausgewürgten Zähnen behängen) ein Band erhält, welches nur dann den Mann ziert, wenn das Kleid in Menschenblut gefärbt ist, wie das Kleid Josephs, das seine Brüder in Bocksblut tauchten? Die Frage: »Kann der Gott lieben, den er nicht sieht, der ganze Schaaren seiner Brüder hinrichtet, die er sieht?« verdient die eine Antwort? – Nie in der Welt macht der Pluralis einen solchen Unterschied gegen den Singularis, wie hier! Das Angstgeschrei der Wittwen ist den Herren Kriegsknechten ein Allegro; die Thränen der verwaisten Töchter ein Herz erquickendes Andante; Blitz und Donner ist ihnen angenehmer, als die segnende Sonne; mit Pestilenz, ansteckenden Seuchen, Feuers-, Wassers-, Hungers- und aller möglichen Noth leben sie in Gemeinschaft der Güter; sie theilen ihre Siegeszeichen mit diesen ihren Spießgesellen und Amtsbrüdern. Wenn einer todtgeschlagen wird, ist es Mord; wenn Zehntausend durch das Schwert fallen, ist es Heldenthat. Der Mörder eines Menschen wird auf einem schimpflichen Karren zur Schädelstätte geführt; der Held, der Zehntausend hinrichtet, wird in einem Triumphwagen, den Brüder der Erschlagenen ziehen, eingeholt! – [225] und die Töchter des Landes singen: Saul hat Tausend, David Zehntausend geschlagen. Nach eingeschränkten Privatgesetzen würde man Helden sammt ihren Spießgesellen: Mörder und ihre Lager Mördergruben nennen können, und doch gelüstete im alten Bunde Engel, dieß Menschenschachspiel nicht etwa als Volontärs anzusehen, sondern selbst Hand ans Werk zu legen, und in stiller Nacht Tausende hinzurichten. Der Unterschied, wenn man sich allein auf seine eigene Hand betrinkt, und wenn es in Gesellschaft ehrenvoll geschieht, erläutert einigermaßen die Sache. Dieß simile auf Menschenblut angewendet hinkt zwar, doch erträglich: der letzte ist Feldherr, der erste Mörder! –

Was sagt ihr Herren Juristen, ihr Mordhöker, zu diesen Genies, die ins Große arbeiten? und was zu Seelen-, zu Gewissensmorden, wenn man einem den Glauben so an die Kehle setzt, daß er entweder sogleich das Gewehr der Vernunft strecken und sich auf Gnade und Ungade zum Gefangenen ergeben oder aber eines langsamen Seelentodes sterben muß? Könnte dieser Glaube nicht in besonderem Sinn ein gewaltiger Glaube heißen? – Man gibt den Irrgläubigen Gift, das nicht wie der Tarantelstich aufs Hüpfen und Springen wirkt, sondern Leib und Seele zerschneidet; doch, versteht sich, um Gottes willen, damit diese Leute im Feuerofen unerwünschte Gelegenheit haben, vorschriftsmäßig und auf die rechte Art Gott zu loben. Wird dieser Mord im Großen minder getrieben als in Kriegen? Ach! auf diesem Schlachtfelde büßt man noch mehr ein als Leben: – Verstand und Willen, Gewissen und Freiheit! doch alles von Rechtswegen. Wie aber? gibt es nicht bei gerechten auch ungerechte Kriege? Allerdings! Freilich sind sie schwer zu unterscheiden; doch mag man sich die goldne Regel merken, daß Kriege, diewir von Gottes Gnaden führen, gerecht, dagegen die, welche andere von Gottes Gnaden führen, ungerecht sind. Von den ungerechten singt Luther in unserm Text [226] ob er aber Seelen- oder Leibeskriege oder, was mir am glaublichsten vorkommt, beide zusammen meine, scheint problematisch. Problematisch? Wie? redet Luther nicht von den Leib-und Seelengroßen der Erde? vom Papst und Türken? – und sollt' er sich nicht den Mordgipfel, das Mordideal gedacht haben? Ich glaube.

Soll ich diese Strophe auf Prosa reduciren oder übersetzen? Ehrlich währt am längsten. Luther singt, als wollt' er sagen: Erhalt' uns, Herr, bei der menschenfreundlichen, liebevollen Lehre, und steure allen Tyranneien, die ihr so gerade entgegenwirken! Wenn gleich der Reim und der Zorn oft thun, was nicht recht ist, so sind doch Mord und Wort poetisch verwandt und prosaisch verschwägert. Doch warum weitere Ausholung? Nicht wahr, man könnte dem Freilingshausischen und andern Gesangbüchern nachsingen:


Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort,

Und steur' der Feinde Christi Mord?


Wer es ist, oder seyn mag, ob türkischer oder christlicher Türke, ob päpstlicher oder lutherischer Papst – der schlage zöllnerisch an sein Herz: Gott sey mir Sünder gnädig! Schlecht für ihn; gut für das Lied und den Dr. Martin Luther! Das Lied schlägt auf den Sack und meint den Müller. Ob ich nun gleich dem Worte Türk in meiner Abhandlung bis jetzt so wohlbedächtig als glücklich auszuweichen gesucht habe, so ist doch auch diesem Hauptworte, dieser Blume des Textes, der vorzüglichste Honig abgesogen. Hab' ich nicht die Ehre, die hohen antipathetischen Gesinnungen Sr. Hochwürden Gnaden gegen alles, was Türk ist und heißt, zu kennen? Doch ganz kann ich den Türken nicht übergehen. Gewiß würde unser hohes Präsidium, wenn Mahomet in der Hölle und der Qual Hochdasselbe um einen Tropfen Wasser bäte, seine Zunge zu kühlen, diesen Volksverführer nicht Sohn nennen, wie Abraham den reichen Mann als Israeliten. Indeß, Hundert gegen Eins! [227] Wasser schlüge unser Chef dem Mahomet nicht ab, selbst Wein nicht, wenn ihm, zur Strafe, daß er diese herzerfreuende Gabe Gottes so schnöde verachtete, die Weinwehen, anwandeln sollten. – Dort ist kein Grab Christi, das der Höllenhund Mahomet bewachen und bebellen kann! Johann Feinler, dieser gelehrte Glockengießer, macht unser Lied bloß zur geistlichen Türkenglocke, die nicht oft genug in der Christenheit gezogen werden kann. Ach! Frevler, die schon so viele Ehrfurcht gegen das Grab ihres Lügenpropheten beweisen, daß sie ihm zu Ehren, wenn sie beten, ihr Gesicht gen Mittag kehren, und mit großer Andacht nach Mekka wallfahrten; sie, bei denen schon das Grab des Ali, des Schülers Mahomets, so hoch am Brette ist, daß die persischen Könige auf demselben das Schwert empfangen; ach! diese Frevler besitzen, trotz so vielen streitbaren Rittern, das Grab Christi! – Elender Staat, wo der Mufti und Großvezier dem Strange viel näher sind, als ich einer Superintendentenstelle! – Elende Religion, die aus der heidnischen, jüdischen, griechischen und christlichen zusammengesetzt ist und viererlei sich anschreiende Farben in sich faßt! Viele Köche! – Das unangenehmste von allem ist, daß der Sultan ein Kreuz mit seinen Beinen macht, wenn er sitzt, welches überhaupt türkische Manier ist. Daß du gekreuzigt würdest, du Schwarzkünstler, der du das Kreuz, das christliche Ritter tragen, mit deinen unheiligen Beinen schlägst und so gröblich und ungezogen in die Rechte des Papstes greifst, dem es auf den Pantoffeln zu tragen erlaubt ist! – Unser hohe Chef hat sich durch seine ehrenvolle Mütze vom türkischen Turban entfernt; und was meine Federmütze betrifft, die von einem dergleichen türkischen Unwesen einige Aehnlichkeit hatte, so ist sie mit wahrer Herzensbeistimmung dem hohen Rath in Jerusalem aufgeopfert, dem zu Ehren ich denn auch endlich die Steine des Anstoßes der gegenwärtigen Abhandlung, falls man nicht bei dem Freilingshausischen Gesangbuche bleiben wolle, so legen würde:


[228]

und steur' der Türken List und Mord;

oder

verhüte, Herr, der Türken Mord!


welches auszuwählen ich dem geneigten Sänger überlasse, herzinniglich wünschend, daß das Grab Christi, welches das Unglück hatte, schon in der ersten Nacht von Heiden bewacht zu werden, endlich in christliche Hände kommen möge, wozu der Himmel die gesegneten Anstalten der Grabesritter segnen und sie mit Muth und Macht ausrüsten wolle für und für! – Die Türken, denen ich nicht wünschen kann, dereinst zur Linken zu stehen, da die linke Hand aus List und Naseweisheit bei ihnen obenan ist, mögen in Zeiten bedenken, was zu ihrem Frieden dient! Denn mir (um aufrichtig zu reden) sollen sie im Himmel nicht im Wege seyn, wo wir nicht mehr singen werden:


Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort!


Amen! –

39. Garrick
§. 39.
Garrick

sagte zu einem französischen Schauspieler: Sie haben die Rolle eines Trunkenen mit viel Wahrheit und Anstand gespielt, nur Schade! daß Ihr rechter Fuß nüchtern war. So praeter propter fiel die Kritik des Ritters in Rücksicht der Ehrenrettung des Liedes: Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort, aus; nur daß es dem Ritter nicht gegeben war, sie mit der Garrick'schen Wendung auszustatten. Der türkische Ausfall des Predigers gegen den Krieg hatte dem Ritter nicht mißfallen, und noch weniger das gute Zutrauen, daß der Ritter dem Mahomet in der Hölle und in der Qual ein [229] Glas Wasser, und noch lieber Wein reichen würde! In der That, er hätte ihm beides gereicht! – Unter der Erde war ihm Eldorado; und ist es wo anders? Indeß gab es auch manchen nüchternen Fuß in der Abhandlung! – Der Menschenhandel des Gastvetters that diesem stattlichen Werk allerdings Schaden! Doch war es gut gemeint, und in einem geschenkten Gaul – muß man nicht den Pegasus suchen. – Es ward im hohen Rath eine Dankadresse decretirt, die, weil man ihr ein Goldgeschenk beifügte, dem Pastor sehr willkommen war. Der Hofmeister, von diesem Meisterstück, noch eh' es zu Stande gekommen, unterrichtet, wollte aus einem höhern Chore singen, und hatte Hand an das befreite Jerusalem des Torquato Tasso gelegt; indeß war der Ritter so gesättigt, daß er diese Ausarbeitung als wirklich genossen quittirte. Unser Schneiderssohn verlor also wie, jener Schuster, oleum et operam. Da der Ritter auch ohne die Abhandlung über das befreite Jerusalem von seinem Poesievorurtheil sich nothdürftig befreien ließ, und den freiwilligen Entschluß faßte, so wie überhaupt den Gesang, so insbesondere das Lied aller Lieder: Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort, welches von Stund' an bei der Nothtaufe den Namen Türkenlied empfing, in der Kirche nicht mehr, wie bis jetzt, mit dem Rücken anzuhören; so fand sich der Hofmeister in sein Poetenschicksal, und entschloß sich, den Junker mit seiner Arbeit zu bestrahlen. »Mit den verdammten Dedicationen!« sagte der Schneiderssohn. – Sind sie mehr als eine Krücke, ein Arm im Bande, ein hölzernes Bein oder deß etwas? – War indeß das dem Junker beigebrachte Säftchen etwas anders, als Krücke, Arm im Bande und hölzernes Bein? Der Junker setzte sein Licht nicht unter den Scheffel, sondern ließ es leuchten vor der gnädigen Mama, die das WortJerusalem in ein feines gutes Herz auffaßte und die Dedicationsgebühren nicht schuldig blieb, wenn gleich keine Dankadresse erfolgte. Jerusalem war das[230] Centralwort. Doch sollte die Sache nicht ewig in Worten (wären sie auch unvorgreifliche Vorschläge) schlummern. Die Ritterin war überhaupt nicht dafür, daß Worte Thaten den Preis abgewönnen; vielmehr sehnte sie sich, von der Projectwürde entbunden zu werdne und Jerusalem in That und in Wahrheit zubefreien.

40. Der Bau
§. 40.
Der Bau

ward dringend in Anregung gebracht. Es ist bereits §. 31 in Stein gehauen, wie die Ritterin zuerst den erhabenen Gedanken faßte, die heiligen Oerter in Rosenthal anzupflanzen, damit sie von Pilgern und Einheimischen besucht werden möchten. Das Geld bleibt bei dieser Jerusalems-Einrichtung im Lande und mehrt sich durch auswärtige Gäste – war, unter vielen wichtigen Gründen, ihr Finanzgrund, der gemeiniglich der schwächste von allen ist. – Das Finanzfach verdient überhaupt fast in allen Staaten, mehr als das Kabinet und die Hofhaltung, die Donnerworte Thue Rechnung von deiner Haushaltung, du kannst hinfort nicht mehr Haushalter seyn. – Ob man sich nun gleich mit diesen heiligen Jerusalems-Copien in Rosenthal nicht übereilen wollte, vielmehr in aller Stille ohne Wort und Hammerschlag diesen Bau zu vollführen beschloß, ob man gleich ferner, nach §. 33, unsern Ritter, der bloß auf Jerusalem bestand, mit Bethlehem und den Dorfhirten in die Enge trieb; und obgleich endlich verschiedene Trauerspiele von Jerusalem am X. Sonntage nach Trinitatis und in Sessionen des hohen Raths aufgeführt wurden, als wodurch dieser hauptheilige Ort wirklich schon geistig aufgebaut stand: – so schien jedoch niemand anders, als die Ritterin, die Anfängerin dieses guten Werkes, bestimmt, es zu vollenden. Nicht in pleno (ob sie gleich nach diesem Vorschlage saß, wo Männer saßen, und in dieser Gemeinde nicht schweigen durfte, vielmehr das Privilegium der Zungenlösung förmlich [231] erhalten hatte), selbst nicht an der Tafel, wo ein weibliches gutes Wort fast jederzeit auch eine gute männliche Stätte findet, sondern unter vier Augen fragte sie ihren ritterlichen Eheherrn in aller Unschuld und gewiß ohne Endabsicht: ob er der König David oder der König Salomo, oder Vater und Sohn zusammen in Einer Person seyn würde? Gern gönn' ich, fing sie an, unserem Sohne die Salomonische Ehre, nach dem Riffe zu bauen, den sein Vater ihm nachläßt. – Weiter ließ der edle Ritter die edle Ritterin sich nicht auslassen; er griff das Wort nachläßt fast unfreundlich und beim Kopf, und schwur: so lieb ihm sein Sohn sey, ihm doch den Salomonischen Bau nicht abtreten zu wollen, vielmehr sich morgen am Tage als David und Salomo in Einer Person zu zeigen (versteht sich, die Davidsche Kebsliebe und die etlichen hundert Salomonischen Weiber abgerechnet). So wahr ich Ritter bin, fügte er hinzu, – und die Ritterin sprach Amen zu diesem hohen Schwur. – Vom Sinnlichen zum Abstrakten ist der Richtsteig, den wir zu wandeln haben, und wir fangen vom Abstrakten an, um zum Sinnlichen zu gelangen – sagte der Ritter mit mehr Kälte, und nahm sich die Freiheit, seine Amazonin in puncto der Salomonischen Kebsweiberei zu fragen: ob dieselbe nicht etwa fremde unweise Gedanken gewesen wären, die auch dem Weisesten unter den Weisen den Weg der Weisheit vertreten? Ein liebevoller Kuß, den sie anfing, beschloß diese Scene. Den dritten Tag war

41. Session
§. 41.
Session.

Da der hohe Rath zuvor bei jedem Schritt und Tritt unbehauene Steine des Anstoßes gefunden hatte, so war jetzt alles behauen und so passend, daß nur wenige leere Fugen blieben, wo der Kalk seine guten Dienste that, wenn er gleich nur da Haltung hat, wo Steine mitwirken; so wie das Genie ohne Kenntniß bei [232] trockenem Wetter auch abfällt. Man hatte sich anfänglich, obgleich im hohen Rath niemand des Zeichnens erfahren war, in den Kopf gesetzt, alle heilige Oerter abzuzeichnen; jetzt, da alles aut aut ging, begnügte man sich, bloß eine geistige Zeichnung anzulegen, und die leibliche dem Hiram aus dem nächsten Flecken gegen Geld und gute Worte anheimzustellen. – Die Schwierigkeitsfässer waren geleert und die Zweifel hatten im Fingerhut der Ritterin gemächlichen Platz. Die ganze Centnerlast von Bedenklichkeiten konnte der Ritter mit seinem Ohrfinger heben. – Er hatte lange und sehr wohlgebildete Finger.

Ist denn wohl, fing der Prediger an, um die Ritterin zu gewinnen, alles im gelobten Lande an Stell' und Ort? und kommt es denn bei Reliquien und Sanctuarien auf etwas mehr als auf den heiligen elektrischen Schlag an, den man bei dieser Gelegenheit ans Herz erhält? Jener Weise des Alterthums, welcher der Atheisterei beschuldiget ward, sagte: Ich biete meine Lehren mit der rechten Hand dar, und meine Zuhörer nehmen sie mit der linken. Muß man denn nicht an Conterfeie der Maler glauben? und was glaubt nicht alles der am reinsten denkende und abstrakteste Philosoph, was muß er nicht glauben, wenn er nicht verzweifeln und verzagen will? Dergleichen

42. Glaubensübungen
§. 42.
Glaubensübungen

kann man in dieser ruchlosen bösen Welt nicht zu viel haben. Ist es nicht auch in diesem Sinn ein wahres Wort: Was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde, ist Ueberspannung? So fing der Prediger eine pathetische Rede an, die er fortsetzte, wie folgt:

Des Menschen Verstand unter dem Monde ist ein Glaubens-Verstand. Nun gibt es freilich Dinge, die mit der linken Hand [233] gegeben werden, und diese muß man denn mit der rechten nehmen. Z.B. die andächtige Helena (der Prediger bückte sich tief gegen die Ritterin) soll, als sie von Jerusalem zurückkam, beim großen Sturme dem adriatischen Meer einen Nagel aus dem Kreuze Christi an den Kopf geworfen haben, und das Meer von dieser Zeit ab weit gefälliger und sittsamer geworden seyn. Der erste christliche Kaiser, Constantin der Große, hat zwei Nägel des Kreuzes Christi in seinen Privatnutzen verwandt, und den einen an seines Pferdes Zaum, den andern an sein Schwert gelegt, um den Feind zu schlagen und im Fall der Noth auszureißen Nach menschlichem Dafürhalten wäre also, geliebts Gott! der Nägel Zahl zu Ende; indeß werden deren noch so viele gezeigt, daß Ew. Hochwürden wenigstens alle Ordenskleider und Mäntel ganz bequem daran hängen könnten, ohne daß deren eins sich über die Nagelfestigkeit zu beschweren im Stande seyn würde. An diese Nagelgeschichte ward noch ein Verzeichniß von vielen Reliquien gehängt, die der Rede werth waren. Schon ist einiger derselben rühmlichst gedacht. Der Prediger nahm nach einigen Gesprächen, die nicht verdienen Reliquien zu werden, wieder das Wort. Werden, sagte er, nicht wenigstens drei Schweißtücher gezeigt, die Veronika Christo gereicht, um sich den Schweiß abzutrocknen, und in welches er sein Angesicht abgedrückt hat? Der Stein, der eben zum Schreien den Mund aufthat – nachdem er nämlich zuvor den Mundex officio erhalten, bei Gelegenheit der Worte: wo diese (scilicet) Kinder schweigen, so werden die Steine schreien – ist gewiß keine Alltagsreliquie. Allerdings, sagte der Ritter, wird im gelobten und in so manchem ungelobten Lande so manches und mancherlei gezeigt, wobei: wer Lust und Liebe zu glauben hat, schon seine Nuß finden kann – sein Heil zu versuchen im Stande ist, beschloß der Preidger, indem er die Nuß veredelte. Warum soll man sich aber solche Glaubensgelegenheiten nicht näher legen? warum nicht lieber [234] mit Händen und Augen greifen, als mit Imagination? Im gemeinen Leben sagt man von dem, was man nicht behalten will, man lasse es durch ein Ohr hinein, und durch das andere hinaus, wie unkeusche Weiber ihre Liebhaber respektive durch Vorder-und Hinterthüren.

Am Ende kommt es freilich auf die Absicht an, beschloß der Prediger; und wenn der Gruß der heiligen Jungfrau Elisabeth, Christi Seufzer, der Schlaf der Jünger Christi, das Krähen des Hahns bei Petri Verrätherei, der Traum der Frau Gemahlin des im Credo prangenden Pontius Pilatus, der Kuß des Judas, sein Wurf der Silberlinge, der Hieb des Petrus, auf welchen das Ohr des Malchus abfiel, nur mit Manier gezeigt werden; – wer kann und wird satyrisch fragen: ob nicht auch für Geld und gute Worte blauer Dunst zu sehen sey? Zwar gibt es Spötter, die eine Unrichtigkeit durch eine noch größere in die Enge treiben; – doch kommt alles auf die Vorstellung an. Der englische Dichter Schmart schrieb, von frommen Gefühlen hingerissen, viele Stellen seiner Gedichte auf Knien; und was galten nicht zu einer gewissen Zeit Verse, die man vorwärts und rückwärts lesen konnte, Wortspiele und Paronomasien, Gryphen? – Wenn nun freilich, nach der Analogie des d'Alembertschen Vorschlages, alle hundert Jahre aus allen nützlichen Geschichtschreibern einen Auszug zu machen und den Rest zu verbrennen, auch ein solches Auto da fé über die Reliquien gehalten werden sollte – wie viel würde übrig bleiben? – Wer wird aber diese Musterung an heiligen Reliquien übernehmen, da man den profanen Weizen noch nicht gesichtet und die Reliquien des Apollo noch lange nicht aufs Reine gebracht hat? Jener Schweizer pries Strümpfe an, die er unter andern mit der Versicherung empfahl, daß er von ihrer Art viele länger als drei Jahre getragen hätte. Ein an diese Verheißung gläubiger Käufer, dem die seinigen nicht länger als drei Tage Dienste leisteten, machte [235] seinem Käufer die bittersten Vorwürfe, und dieser erwiederte ganz gelassen: Es kommt bei der Sache sehr auf die Frage an, wo Sie die Strümpfe getragen haben; Sie sehen, ich trage die meinigen auf dem Rücken. – Heraldicus junior, der, wie er gegen unsern Helden prahlte, mehr für Lebenspflichten als Glaubenslehren war, hätte aber dieser Prahlerei halben nicht schweigen, sondern eine seiner Lebenspflichten außer Zweifel setzen sollen. Doch schwieg er gegen jedermann, und bloß dem A B C gab er im Stillen zu vernehmen, daß man von Kindern Glauben, Zutrauen, von Erwachsenen Prüfung einzelner Stücke, von Männern Kritik des Ganzen fordere – und daß man von Bildern zur Deutlichkeit, vom Buchstaben zum Geist hinübergehen müsse, wenn man nicht der Bestimmung des Menschen und dem Gange seines Geistes entgegen arbeiten wolle. – Nach den pathetischen Brocken des Predigers, welche (bis auf die Winkelkritik des Hofmeisters) allgemeinen Beifall erhielten, ward verabredet und beschlossen, alles nur in einer freien

43. Uebersetzung
§. 43.
Uebersetzung

stattfinden zu lassen. Vor allem die Kapelle des Grabes Christi. Das Grab zu allererst. – Beim Grabe den Stein, den der Engel weggewälzt, nicht zu vergessen. Beim Original-Grabe ist dieser nicht zu sehen, weil die Armenier ihn entwendet haben sollen; hier indeß ist dergleichen Diebstahl nicht vorgegangen; der Stein werde also immer gelegt. Melior compositio: Zweite verbesserte und stark vermehrte Auflage! Eine Kirche, wodurch das heilige Grab und der Ort der Kreuzigung in Obhut genommen wird, wie an Stell' und Ort, fand man bedenklich.

Pilati Hans kann nicht schaden. – Die Ritterin verlangte das [236] Schlafzimmer der Frau Landpflegerin Excellenz in vorzüglichem Geschmack, und behielt sich vor, wenn kein Pilger ihr zuvorkäme, hier auf einen Traum zu Gast zu gehen. Man wünschte ihr eine angenehme Ruhe! – Das Haus des reichen Mannes, zusammt dem Mahagonitische, von welchem die Brosamen dem Lazaro zugefallen, fand kein einziges Votum. Auf der Hütte des Lazarus bestand die Ritterin; indeß ward sie mit außerordentlicher Distinction abgestimmt. Von Zwillingen, sagte der Pfarrer, nimmt der liebe Gott immer Eins. – Das Haus des Hohenpriesters Hannas fiel weg. Auch Kaiphas bekam kein Haus, obgleich die christlichen Geistlichen freie Wohnungen haben. Beides waren Vorschläge des Pfarrers, der hier Zwillinge verlor. Die sogenannte verfluchte Erde, wo Judas mit der Schaar ankommt, die Stelle, wo die Jünger schliefen, ging einstimmig durch; nicht minder der Blutacker, wo die Pilger, wenn sie der Tod hier träfe, begraben werden sollten – Apostelgeschichte I, 18. 19., sagte der Prediger. Er hat für den ungerechten Lohn erlangt einen Blutacker zum Begräbniß der Pilger; und die Ritterin fügte hinzu: Gott lasse sie selig ruhen! sie kommen in ihr Eldorado. – Die gute Ritterin wird im Schlafkabinet der Frau Pontius Excellenz gewiß so glücklich nicht seyn.

Den Ort, wo Petrus dem Malchus das Ohr abgehauen, verbat der Ritter, weil man mit den Ohren behutsam seyn müsse. Wer das Schwert nimmt, fügte der Prediger hinzu, und übersetzte die Stelle: Wer das Schwert zieht, wider den wird das Schwert gezogen!

Oelberg! ein wichtiges Stück, leicht zu kopiren. Der Baum, woran Judas sich erhängt, fand keinen Beifall, und diese Reliquie ward, da in dem hohen Rath keiner ein sonderlicher Liebhaber von französischen Freiheitspfählen zu seyn schien, wie so manches andere überhüpft.

Der Prediger unterstand sich nicht, noch einmal Bethlehem in [237] Vorschlag zu bringen, so viel Lust und Liebe er auch zu Bethlehem hatte. Sein Wunsch, den Ort, wo Christus über Jerusalem geweint, mit einem Steine zu bezeichnen, ward dagegen einstimmig genehmiget.

Gar höchlich wunderte man sich, daß der Statthalter Christi nicht die heiligen Stellen insgesammt in Rom nach dem Leben kopiren lassen, wo alsdann, eben so wie in Rosenthal, kein Streit der römischen Kirche mit Griechen, Armeniern, Kopten und Mahomedanern zu besorgen gewesen wäre. Und warum, fing A B C an, (bravo!) warum heißt der heilige Vater diese Oerter nicht insgesammt spornstreichs nach Rom kommen? Diese Bergversetzung würde unter den vielen Wundern der Kirche doch wohl gewiß immer nur eine große Kleinigkeit gewesen seyn. Vielleicht würde der türkische Kaiser es sogar freiwillig den Engeln überlassen haben, diese heiligen Oerter, wie das Haus der Maria von Nazareth nach Loretto herüberzubringen. Ist denn kein Gott in Israel, der helfen könne, daß ihr hingehet zu dem Gott von Ekron? könnte es hier heißen; und man fand endlich in dieser Unterlassungssünde feine Politik des heiligen Stuhls, welche darin bestand, die tapfern braven Kerls der damaligen Zeit sich vom Halse zu schaffen, um in Europa desto freiere Hand zu behalten.

Wie viele Sessionen, deren Länge vorzüglich der Ritter so manche Elle zusetzte, auf so viele wichtige Deliberationen gegangen seyn mögen, kann man sich sehr leicht vorstellen. Das sind Hekatomben, die Collegia bringen, die, wenn sie gleich den Magen mehr als den Kopf angreifen, doch immer Opfer sind.

Diesen Jahrgang von Deliberationen beschloß der Pastor mit einer Extemporalrede über die Worte: Es kommt die Zeit und ist schon jetzt, daß man weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten wird. Die Idee dieses Baues ward als ein protestantisches Originalwerk, das alle protestantische[238] Ritter besuchen sollten, befunden. Jetzt entwarf man, auf den Fall, daß Pilger diese heilige Stätte bereisen würden, ein Beglaubigungsformular, nicht minder die Etikette, nach welcher den Reisenden diese Sanctuarien zu zeigen wären; und auf diese Postscripte von Gegenständen allein gingen sieben Sitzungen, wiewohl auch in denselben die Wohnungen, wo Pilger abtreten und ihres Leibes und der Seelen pflegen könnten berichtigt wurden.

Alles dieses meinen Lesern pünktlich mitzutheilen, würde sie mehr als mich

44. Ermüden
§. 44.
ermüden.

Es wurden zwölf Rosenthalsche junge Leute zu Kriegsknechten geworben, und mit ihnen capitulirt, daß, wenn sie in diesem Kreuz- und Grabesdienste sieben Jahre treu befunden wären, ihnen ein Weib zur Belohnung, wie dem frommen Jakob, beigelegt werden sollte; es versteht sich, nur Eins: entweder Lea oder Rahel; – und zu diesem Behuf sollten besondere Grabesschwestern als Exspectantinnen eingekleidet werden.

Obgleich mit göttlicher Hülfe so leicht kein Türke sich hier blicken lassen würde, so wollte man es doch gern gestatten, damit aus diesen authentischen Kopien die mangelhaften Originale (dergleichen Fälle ereignen sich öfters) ergänzet werden könnten. Die Kriegsknechte gehen schwarz gekleidet mit weißen Aufschlägen und Knöpfen, und haben, statt der bösartigen Flinten und anderer Wehr und Waffen, alttestamentliche Osterstäbe. Weßhalb? Um zu beweisen, daß hier ein neues Jerusalem auferstanden sey! um die Pilgrimstäbe abzubilden; um sich des alten Bundes zu erinnern; um außerdem – sich die Hunde abzuwehren. Vivit, sagte der Prediger im Geiste Luthers: Es lebt! Am Heck, welches der [239] beliebten Ordnung halber von Stund' an Pforte heißen sollte, ziehen zwei auf die Wache. Den Kriegsknechten muß es nicht an Proviant und warmer Stube fehlen; ihr Wachthaus soll nach dem Riffe des Simeonschen Hauses, noch sichtbar im gelobten Lande, angelegt werden. Die Aufschrift sey:Viel sind berufen; Wenige sind auserwählt.

Sobald der Pilger ankommt, wird er in eine der für die Pilger bestimmten Wohnungen gebracht, und Se. Hochwürden erhalten Rapport: wie der Pilger heiße? Weß Standes, Vaterlandes, Glaubens und Alters er sey; was für ein Geist ihn getrieben, zu diesen Sanctuarien zu wallfahrten; ob zu Fuß, oder zu Wagen, oder zu Pferde. Wald- und Posthörner müssen an diesen heiligen Oertern zu. Molltönen gestimmt seyn, und, an Traurigkeit gewöhnt, den Wiederhall nicht reizen. – Rosenthal wird dem Pilger, wie man nach der Liebe hofft, von selbst das Thal Josaphat im gelobten Lande ins Gedächtniß bringen. – Nach Beschaffenheit des Standes wird dem Pilger eine Zelle angewiesen und die Küche eingerichtet. Es werden nur drei, fünf und sieben Schüsseln gestattet. Bei diesen heiligen Zahlen wird niemand Hungers sterben. – Was über drei, fünf oder sieben geht, ist vom Uebel. – Machen wir es nicht alle, wie kleine Kinder, die dem Schmetterlinge stundenlang nachlaufen? – Endlich erhascht. Allerliebst! – Gelacht, ihm die Flügel abgerissen, geweint. – O Welt, sieh hier dein Leben! – Der Pilgerkoch, der zugleich den Kellner macht, ist Rendant der Kasse, ohne eines Controleurs zu bedürfen, der ohnehin gewöhnlich mit dem Rendanten unter einer Decke spielt. – Das Geld wird zur Kriegskasse verrechnet. – Dieser Regiments-Quartiermeister muß sich Mühe geben, den Pilgerstand nach Ortsgelegenheit einzurichten: – Hecht, in Rücksicht der Köpfe, ja nicht zu vergessen. – Fische haben überhaupt mehr Geruch der Frömmigkeit, und sind ebenfalls Pilger, [240] mit dem Unterschiede, daß ihnen kein warmes Blut nach dem Kopfe schießt. Tafelzeug wird geliefert, und in jedem Zipfel des Tischtuches, so wie der Serviette, ist ein Kreuz sichtbar.

Häusliche Dienste besorgen die sieben wohlgebildeten Grabesschwestern. Ihr Anzug ist weiß; es wird ihnen ein T oder halbes Kreuz von schwarzem Bande vor dem Busen verstattet; – nicht mehr, nicht weniger. Die drei ersten Tage bringen die Pilger mit Nachdenken in tiefster Stille und Einsamkeit zu – Raketen steigen in die Höhe, und lärmen und prasseln; allein ihr Ende ist Gestank. Hinter dem Berge wohnen auch Leute. – Bete und arbeite! – Wer wird sterben, ehe man gelebt hat! Am dritten Tage wird den Pilgrimen ein schwarzes Buch mit einem weißen Kreuze vorgelegt, in welches sie Namen und Tag der Ankunft schreiben. Jetzt nimmt die Ceremonie mit einem Glockenschall den Anfang. Zuerst wird der Pilger auf den Oelberg geführt. Se. Hochwürden gehen in Ritter-Pontificalibus voraus. Ist der Pilger Ritter, so muß er seine Ritterkleidung anlegen; die andern Pilger hängen bloß lange schwarze Mäntel um, welche der Koch liefert. Schwarz schmutzt nicht. Hier werden die zwölf Bogen zu Ehren der zwölf Apostel gewiesen, die Helena erbauet, weil sie hier das Symbolum apostolicum verfertigt (man wußte nicht, ob, ehe sie in alle Welt gingen, oder ob sie zu diesem Geschäfte aus aller Welt zusammengekommen waren), und alsdann wird dieß Symbolum, wiewohl deutsch, gesprochen.

Petrus fängt an: Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden u.s.w.

Matthäus: eine heilige christliche Kirche und eine Gemeinschaft der Heiligen;

Simon: Vergebung der Sünden;

Thaddäus: Auferstehung des Fleisches;

Matthias: und ein ewiges Leben. Amen.

[241] Zu diesen Zwölfen werden die Vornehmsten im neuen Jerusalem gewählt. Der Ritter macht den Petrus; auch nimmt er, mit Erlaubniß des Matthias, das Amen über sich.

Will der Pilger noch mehr sehen; wohl ihm! nur daß er die Augen seiner Einbildungskraft aufthue. Beim Bache Kidron wird ihm ein Becher kaltes Wasser angeboten, und apostolisch gewünscht, daß er alle Leiden seines Lebens durch diesen Lethetrunk vergessen möge! Kann er weinen, so läßt er drei Thränen in diesen Becher fallen. Hat die Natur ihm dieses Hausmittel versagt, so hat es nichts zu bedeuten. Ein edler Mann weiß im Märzschein den Mai zu fühlen; allein er schämt sich einer Thräne nicht. Con feratur der zehnte Sonntag nach Trinitatis.

In Pilati Hause kann das Schlafkabinet keinem vermiethet werden. Bei den übrigen heiligen Stellen ist nach Umständen dem Pilger ein Schlag ans Herz zu geben. Hat er kein Herz, so greife man den Kopf an! – Es müssen durchaus Kopf- und Herzstellen in Jerusalem angelegt werden; wo Eins von beiden fehlt, ist nicht viel auszurichten. Der Blutacker ist ein Hauptherzplatz.

Nach und nach können mehrere Reliquien kopirt werden.

Jeder Anfang ist schwer: – Raphael malte Teller, ehe er zu dem Ruhme stieg, den ihm jetzt niemand streitig machen wird. – Altes und Neues ist hier zu vermischen: – Reliquien und ein Stück von gestern und ehegestern. Die Einbildungskraft muß beständig in Athem gehalten werden. Seelenhektisch ist jeder, dessen Einbildungskraft auf schwachen Füßen geht: – die Phantasie ist die Lunge der Seele. – Leute, die nicht Vernunft haben, um richtig, und Imagination, um angenehm zu urtheilen; Leute, die ohne Urtheil sind, werden hier nicht verrathen und verkauft werden. – Man halte für sie die Zeitungen. Mit dem lieben Urtheilen! Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet. Urtheilen nicht viele, weil es so Mode ist; weil sie nicht urtheilen können; [242] weil sie das Urtheil anderer hören wollen; weil sie sich nicht aus der Uebung bringen mögen, falsch zu urtheilen; weil sie eine schöne Schwester haben; weil ihre Frau, ihre Nichte Hofdame waren; weil sie bezahlt werden; weil sie keinen Kopf oder kein Gewissen besitzen; weil sie schläfrig sind; oder weil es noch zu früh ist zu Bett zu gehen? – Menschen schenken lieber, als daß sie bezahlen; überall betteln sie um Gnade, weil sie nicht bestehen können vor der Gerechtigkeit. – Spielschulden sind ihnen wichtiger als Wechselschuld. Ihre Logik sitzt ihnen im Unterleibe und ihre Moral im Magen.

Es werden zwei Bücher gehalten, in welche der Pilger seinen Namen aufzeichnet. Das eine heiße: weiß auf schwarz und schwarz auf weiß; und hierin zeichnet der Ankömmling, nach abgelegter heiliger Quarantaine, seinen Namen ein, wenn ihm die Sacrarien gezeigt werden. Das andere Buch heißeroth, und deute die Vollendung, die Sonne, die Himmelfahrt an. Darin schreibt er seinen Namen ein, am Tage seines Heimganges. – Eine glückliche Reise!

45. Das Attestatum
§. 45.
Das Attestatum,

oder die Kundschaft, wird auf geziemendes Ansuchen gegeben, wie folgt:

Wir Caspar Sebastian von Gottes Gnaden des heiligen römischen Reichs Freiherr von Rosenthal, Ritter des heiligen Johanniterordens, Grund- und Erbherr der Rosenthalschen Güter, des protestantischen gelobten Landes und aller hier befindlichen Sacrarien.

Entbieten einem jeden Leser der drei Klassen, adeligen, geistlichen und bürgerlichen Standes, Heil, Gnade und Frieden, vom Anfgange bis zum Niedergange, von Bethlehem bis zum Joseph Arimathiaschen Grabe. Amen! Amen! Amen!

[243] Thun kund und zu wissen einem jeden, der sich kund und zu wissen thun lassen will und nicht will, welchergestalt N.N., protestantischer Confession, den – – in beliebter Stille zu uns gen Rosenthal gediehen, um seine Gelübde der Andacht bei den hier, christlich gesinnten Herzen zum Heil und Frommen, eingerichteten Sacrarien zu erfüllen. Es ist im Jahre nach Christi Geburt 17 – die fromme Besichtigung in Segen angefangen, nachdem er zuvor seinen Namen in das Buch weiß auf schwarz und schwarz auf weiß verzeichnet, seine Vernunft im Glauben und Gehorsam gefangen genommen, seine fünf Sinne angestrengt, seine Einbildungskraft erhöht und die vornehmsten heiligen Oerter gesehen und empfunden; wonächst Vorzeiger während dieser heiligen Zeit an dem Pilgertische mit dem Stabe in der Hand gegessen und getrunken in Mäßigkeit und Nüchternheit: nicht als die ihren Bauch vergöttlichen, die leben, um zu essen und zu trinken, sondern, die trinken und essen, um zu leben. Entfernt, alles zu beurkunden, was unser Pilger reichlich und täglich erblickt und gehört, kann, ohne den folgsamen Leser aufzuhalten, ihm jedoch nicht verhalten werden, daß er an dem Hause Simeons abgetreten, und nach gehöriger Meldung zu seiner Zelle gebracht worden, daß er das Haus Pilati, die verfluchte Erde, den Oelberg und vor allem das H.G. und den Stein, den der Engel von des Grabes Thür gewälzt hat, von Angesicht zu Angesicht gesehen. Wobei unsere Herzenswünsche sich in Bescheidenheit dahin begrenzen, diese Wallfahrt möge zu seiner armen Seele Nutz und Frommen gereichen, blühen und Früchte bringen in Geduld. Urkundlich ist demselben dieser offene Brief und Gezeugniß, welches bei jedermann so viel gelten soll, als wenn ihm das Kreuz ins Fleisch gebrannt wäre, auf sein bittliches Ansuchen bewilligt, nachdem selbiger mit vieler Rührung von diesen Sanctuarien Abschied genommen und sie gesegnet, auch zu Urkund dessen sei nen Namen in das rothe oder Wolkenbuch aufgezeichnet. [244] Alles ohne Arglist und sonder Gefährde. So gegeben Jerusalem, den – 17 –


N.N. und Siegel.


Auf das Siegel ist gegraben die Geschichte der Geistes- und Feuertaufe der Apostel, und das Fußwaschen des Herrn, mit der Beischrift: Sigillum magnum Guardiani sancta terrae et montis Sion.

Gott behüte vor Vettern und bringe uns Pilger ab und zu, die nicht sehen und doch glauben! Amen.

46. Ein Ordensmann
§. 46.
Ein Ordensmann

des heiligen Apollo, der zum Vater des Unglaubens gen Ferney wallfahrtete, blieb, wie man sagt, Voltairen zu lange. Dieser Unart eine Art beizulegen, rühmte er das Voltaire'sche Schloß ohne End' und Ziel, und das veranlaßte Voltairen, dem Panegyristen zu erwiedern: Mein Herr, Don Quixote sah ein Wirthshaus für ein Schloß an, Sie scheinen ein Schloß für ein Wirthshaus anzusehen. – Darf ich den frommen Schlußwunsch noch hinzufügen: auch wende er Schmarotzer ab, denen der Mund immer nach gebratenen Tauben offen steht: Kyrie eleison!

Ob nun gleich diese

47. Ganze Einrichtung
§. 47.
ganze Einrichtung

das Ansehen gewinnt, als wenn der verstorbeneHeraldikus sie aus alten und neuen Flicken zusammengebracht hätte, so waren doch die Glieder des hohen Raths sammt und sonders, nachdem sie dieß Werk zu Stande gebracht hatten, auf eine so einleuchtende Art begeistert, daß eins das andere fragte: wie gefällt es Ihnen beim Pontius Pilatus? – Gelt! in der adeligen Zelle Nr. 6 ist [245] eine Aussicht, die einen Fürsten reizen könnte? Die bürgerliche Zelle Nr. 5 – ist die zu verachten? Alles stand so herrlich in der Einbildung, daß man auf dem Berge Zion war wie zu Hause. Die Ritterin hatte in dem Schlafkabinet der Frau Pontius Pilatus schon viele und recht denkwürdige Träume gesammelt, und das Häuschen des heiligen Simeons gefiel dem Pfarrer so herzlich wohl, daß er oft die Hände brach und zur Uebung einmal über das andere ausrief: Herr! nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren! – wobei er indeß jederzeit wohlbedächtig hinzufügte: wenn Zeit und Stunde ist. Fürs erste gefiel es dem Diener in diesem Jammerthale nicht übel; denn nach aufgehobener Session wartete seiner ein kostbares Mahl, welches nach so vielen Imaginationsfesten und Geistesschmäusen die ehrlichen fünf Sinne wirklich mit Wohlgefallen sättigte.

Der Ritter übernahm es, dieses Jerusalem bei dem

48. Meister Hiram
§. 48.
Meister Hiram

zu bestellen, und obgleich dieser ehrliche Meister nichts im Zusammenhang begriff, so war er doch trunken durch den Gewinn, von dem er sich bei dieser Imaginationssache überzeugt hielt, so daß er dem Ritter hoch und theuer versicherte, alles auf ein Haar verstanden zu haben. Er zeichnete die Hauptingredienzien, wie der Meister sie nannte, in seine Schreibtafel, um aus diesen Geniestrichen zu Hause Jerusalem näher auseinander zu setzen, und wenn Gott wollte, völlig auszubauen.

Schließlich fiel es dem Schneiderssohn ein, daß bei dem ganzen so kostbaren Bau an kein Kreuz gedacht wäre; denn wenn gleich jeder Pilger sein Kreuz in natura mitbringen würde, selbst wenn er kreuzlahm seyn sollte, so ist und bleibt doch das Kreuz ganz natürlich die Hauptlosung des gelobten Landes. Man erstaunte [246] über diese Unterlassungssünde, welche Heraldicus junior aus heimlichem Muthwillen rügte. Bei dieser Gelegenheit ward, wiewohl beiläufig erzählt: nachdem das Christus- und die beiden Schächerkreuze im gelobten Lande gefunden worden, sey man äußerst verlegen gewesen, das Kreuz Christi unter diesen dreien zu finden, bis endlich entweder eine ganz todte oder todkranke Frau alle drei angerührt habe, und bei der Berührung des Kreuzes Christi sogleich entweder gesund oder lebendig geworden sey. Man ermangelte nicht, hierbei den Wunsch zu äußern, daß der Ritter durch eine dergleichen Kreuzesberührung von seinen Hauptflüssen befreit werden möchte, – wofür der Ritter den ergebensten Dank nicht schuldig blieb. Das Resultat nach so manchen Kreuzzügen war: auf dem Rosenthalschen Golgatha bloß eine einzige Kreuzstelle auszuwählen, ohne sie in Silber, wie im gelobten Lande einzufassen; hiernächst auch nur Ein Kreuz in Lebensgröße in die Kapelle zur Erbauung hinzulegen, dem frommen Schächer dagegen dieses Andenken um so mehr rund abzuschlagen, da die Illusion sonst zu sehr gestört werden würde. – Der Pfarrer machte bei dieser Gelegenheit auf Kosten des Papstes eine gallenbittere Anmerkung, wogegen er dem Patriarchen ein feines Compliment unterschob. Es ist bekannten Rechtens, da den Päpsten ein dreifaches Kreuz,



den Patriarchen aber ein doppeltes



bei Processionen vorgetragen wird, und so war Pastor loci des [247] wiewohl übereilten Dafürhaltens, als wäre dieses Kreuz ein Spiegel, Regel und Riegel, indem der Patriarch sich das Christus- und das Paradiesschächerkreuz, der Papst aber auch zugleich das Kreuz des verstockten Schächers vortragen lasse, als ob – Indeß ward dieser Ausfall vom Ritter so wenig gebilligt, daß man bei dieser Gelegenheit, wenn man gewollt, aufs neue den Nebenhang des Ritters zur päpstlichen Kirche hätte bemerken können. Der

49. Schulmeister
§. 49.
Schulmeister

pflegt sonst ein Schatten des Pastoris loci zu sehn, ein Spiegel, worin Se. Wohlerwürden sich wieder sehen; ein Ruhebett, auf das er sich hinstrecken kann; ein Fußwasser, um sich die Flüsse nach unten zu ziehen; ein Sprachrohr, um den Bauern bekannt zu machen, daß so rein er Gottes Wort predige, ebenso rein auch sein Calendegetreide seyn müsse; ein Vergrößerungsglas, um ja jede Sünde des Kirchspiels zu entdecken; Ohrbaumwolle, um ihm alle Dorfneuigkeiten einzuflüstern: – unser Schulmeister und Organist in Einer Person, nicht also. Daß er bei Gelegenheit der Nothtaufe schon so manches geheime Wort gegen den Gevatter Nachtwächter fallen lassen, und daß er von den Abendandachten in Rosenthal sagte, sie wären ohne Schmalz und Salz, ist uns ohne Zweifel noch in frischem Andenken. Gelegenheit macht Diebe. Der Schulmeister, welcher als der eigentliche Nothtäufer von Gott- und Rechtswegen bei der Taufe unseres Helden und auch nach der Zeit bei vielen andern Gelegenheiten so schnöde übergangen worden war, ging recht geflissentlich nach Gelegenheit auf die Jagd, um Rache zu üben, die so süß ist. Die Frau Nothtäuferin ward (auf Veranlassung des Nachtwächters, der ihr vergnügter wohlbelohnter Herzensfreund, vor der Welt aber ein leidtragender Wittwer war) zu den geheimen Unterredungen zugezogen; und nun währte es [248] auch nicht lange, daß diese in der Asche glimmenden Funken aufschlugen und in ein wirkliches Denunciationsfeuer ausbrachen. Der Hauptdenunciationspunkt war, daß Kirchenpatron und Pfarrer in heimlichem Verständniß mit dem Antichrist lebten und die arme Gemeinde in aller Stille zum katholischen Glauben verleiten wollten. Die Nothtaufe ward nur durch einen Streifschuß berührt, da der Denunciant es nicht in Abrede stellen konnte, daß der Pfarrer selbst dagegen öffentlich seine Stimme wie eine Posaune erhoben; indeß hätte er jetzt, sagte der Schulmeister, den Katholicismus wie Demas die Welt lieb gewonnen, und wäre nun so tief in dieß Babel versunken, daß wenn nicht das hochehrwürdige Consistorium die gestrenge christliche Liebe hätte, ihm und dem Kirchenpatron ein Tintenfaß, wie ehemals der Glaubensvater Luther dem Satan an den Kopf zu werfen, die arme Gemeinde mit Leib und Seele zur Hölle fahren müßte, welches traurig anzusehen seyn würde.

Zu den Hauptbeweisen seiner Denunciation gehörte:

1) der Gevatterstand des Papstes. Dieser unväterliche Vater hat sich nicht gescheut, um sein Reich zu vermehren, sich in ein lutherisches Kirchenbuch ein tragen zu lassen, als welches Buch, obgleich der Pfarrer es wie sein Auge im Kopfe verwahrt, mir doch nicht hatte können verborgen bleiben.

2) Der Reliquienkasten, der von 24 Mann nach Rosenthal als eine antichristliche Bundeslade und offenbare Religionscontrebande eingeführt worden. Der Pfarrer hätte Eid und Pflicht bedenken und diesen Raritätenkasten confisciren sollen.

a) Die Pferde waren nota bene lauter Schimmel.

b) Als dieser abgöttische Kasten die Kirche vorbeizog, ward mit allen Glocken geläutet.

c) Der Pfarrer trat zum Aergerniß der ganzen Gemeinde vor diesem Greuel der Verwüstung ins Gewehr und er hätte, wenn der Herr Generalwender (Braten war ausgestrichen; sollte [249] Generalsuperintendent heißen) gekommen wäre, ihn nicht ehrerbietiger in Empfang nehmen können. Es fehlte nur noch, daß der Pfarrer, der nach der Pfeife des hochfreiherrlichen Hofes zu tanzen gewohnt ist, vor dieser Lade, wie weiland der König David vor der Lade des Bundes ein Solo tanzte.

d) Es ist allerlei Baalsdienst, ohne Zuziehung des Pfarrers mit und um diesen Kasten getrieben worden, wobei

e) der Frau von Rosenthal Gnaden und des Junkers Hochwohlgeboren, wie es geheißen, noch einmal die heilige Taufe mit wohlriechendem Wasser erhalten.

f) Der Pfarrer nimmt jetzt an aller dieser Abgötterei Leibes- und Seelenantheil und setzt aus strafbarem Appetit zu Egyptens Fleischtöpfen seiner Gemeinde Seel' und Seligkeit aufs Spiel. Ende schlecht, alles schlecht. Sollte ein Geistlicher sich nicht Muth und Kraft von oben erflehen, um dem Saus und Braus und dem Rauch aus Schüsseln und Pokalen stattlichen Widerstand zu thun? – Schlägt es ihm an? Mit nichten; ich wiege zwei Steine mehr als er.

g) Der Kasten ward so geheim gehalten, daß, da ich aus angebornem Triebe zur Hermetik (sollte Hermeneutik heißen) hinter die Schliche desselben zu kommen Tag und Nacht punktirte, ich wiewohl nur so viel heraussubtrahiren konnte, daß der Frau Baronin Gnaden eine Feuerprobe ihrer Jungferschaft ausstehen müssen, als welches ich in diesen jungferletzten und jungferbetrübten Zeiten ganz gern mit dem Mantel der Liebe bedeckt hätte. Da ich aber von diesem groben Irrthum, den mir Gott und E. Hochehrwürdiges in Gott andächtiges Consistorium verzeihen wolle, durch die wunderbare Leitung der Vorsehung abgebracht, auch der Junker, welcher nunmehr sein fünfzehntes Jahr zurückgelegt, ebenso wie dessen Frau Mama Gnaden zu der Zeit wirklich mit wohlriechendem Wasser getauft worden, so ist wohl alles so ziemlich[250] am Tage. Daß ich dem Frieden nachjage, ist dorfkundig, und kann ich dem lieben Gott nicht genugsam danken, daß er meinem Hause durch den Nachtwächter loci Heil widerfahren lassen, da er meine Gattin, die vor diesem oft in Zank und Streit mit mir ausbrach, so daß ich mit dem einem Fuß schon im Steigbügel war, um der Scheidung halber zur weltlichen Obrigkeit einen kostbaren Ritt zu machen, seit vielen Jahren unter eine recht friedliche Haube gebracht hat. Nach dieser Liebe zum Frieden würd' ich denn auch diese ganze Sache vergeben und vergessen haben, wenn jetzt nicht ohne Rede und Recht ganz scheulos katholisches Unkraut unter lutherischen Weizen gesäet würde.

Beweis.

3) Am X. Sonntage nach Trinitatis hört der Herr Baron und Ritter das Evangelium kniend an.

4) Mischt sich in heilige Sachen, indem er z.B. viele Stellen im Evangelio so laut mitbetet, daß man sein eigenes Wort kaum hören kann.

5) Sein böses Exempel verdirbt die guten Sitten der Gemeinde, indem sie zu einem solchen Tremulanten gestimmt ist, daß so oft dieser Sonntag kommt, die Gemeinde mehr Thränen vergießt, als sie im Vermögen hat und die Natur bei ihr immer in Thränenvorschuß kommt. Und wenn ich gleich

6) übersehen wollte, daß er mit einem langen schwarzen Mantel voll Kreuze communicirt, nicht minder in Stiefeln und Sporen (welches wohl ganz klar und deutlich den päpstlichen Pantoffel abbilden soll), im Gleichen, daß er sich zum Defect (soll heißen Despect) eines hochehrwürdigen Consistorii von aller Welt hochwürdig nennen läßt, ohne daß ich weiß, wie ein Mann, der NB. öffentlich seine Sporen trägt, zur Hochwürde kommt; so hat er doch

[251] 7) sich von einem gewissen Schneider eine so zahlreiche geistliche Garderobe fertigen lassen, daß gewiß mehr dahinter steckt.

8) Der Schneider soll, damit dieß Geheimnis nicht auskomme, wie man sagt, plötzlich und heimlich aus der Christenwelt geschafft worden seyn. Gott hab' ihn selig! So viel ist nicht zu läugnen, daß sein Tod bei dem ganzen ehrbaren Gewerk der Manns- und Frauenschneider viel Aufsehens gegeben.

9) Hat mich ein ehrlicher Maurer, den man zum katholischen Babel spornstreichs verführen wollen, zu Rathe gezogen und bin ich bonis modis an den beiliegenden Aufsatz sub Kranich gekommen, worüber einem hochehrwürdigen Consistorio Heulen und Zähnklappern ankommen wird. Besser hier als dort. Wie man denn auch

10) sich unterstanden, Gottes reines und lauteres Wort zu ändern dem Papste zu Liebe, und in dem schönen Liede: Erhalt' uns Herr bei deinem Wort, dem Papste seines Mordes wegen Pardon zu geben und dem Türken kein ehrliches Haar zu lassen. Alles ohne die Erlaubniß eines hochwürdigen Consistorii, welchem doch allein über Papst und Türken Urtheil und Recht zustehet, aut aut, entweder zu ewigem Feuer, oder zu ewigem Leben. Was kommt auch aus dem Federlesen heraus?

Der ich übrigens unser armes Häuflein einem hochehrwürdigen Consistorio zur gestrengen Seelsorge empfehle, und für mich, Weib und Kinder, nicht minder den Nachtwächter loci, dero viel vermögenden Schutz und Schirm und ein sicheres Geleit erbitte, auch in diesem Kummer und in dieser Hoffnung mit Leib und Seele beharre bis an den lieben jüngsten Tag,

Eines hochehrwürdigen gestrengen Consistorii


Freund und dienstwilliger Fürbitter und

Mitarbeiter am Worte und an der Lehre


[252] Beilage Kranich.


»Ehrbarer Meister Endesunterschriebener, Hans Peter – –, bin geladen gen Jerusalem, und es soll alles vollendet werden, was hier geschehen ist, laut Verabredung wie folgt:

›Erstlich wird gemacht ein Pontius Pilatus und ein Haus, wo unten fünf Stuben und oben fünf, und ein Traumkämmerlein für die Frau des Herrn, wo auch Pilger bei ihr schlafen können. Gesund und munter muß seyn das Zimmer, sonst wie andere Schlafzimmer.‹«

»Zweitens ein Ohr abzuhauen, und wo es fiel einen Denkstein zu legen, auch wo Judas gegangen kommt. Daß der rothbärtige Schelm den Hals bräche!«

»Drittens Blutvergießen auf einem Acker der Pilgrime, damit sie dort können ohne viel Gerede begraben werden. Gott habe sie selig!«

»Viertens ein Thorhäuslein nach gegebener ungefährer Zeichnung, wo ein alter Mann in der Wachtstube in Frieden fährt; denn seine Augen haben seinen Heiland gesehen – heißt Simeon.«

»Fünftens ein Hospital mit fünfzehn großen und fünfzehn kleinen Zimmern, auch Betkammern, nach Klosterkostüme. Für junge Mädchen kleine Abschläge, um den Pilgrimen beizuspringen, wenn's ihnen noch thut. Alles nach Klostermanier.«

»Das Hauptstück wird im Herzen behalten. Ein Stein daneben, den kein Mensch heben soll, wohl aber ein Engel, wenn er will und kann. Ueber dieses Hauptstück eine Kapelle, die unser einer wohl machen wird. Vorerst Risse und Anschläge. Richtige Zahlung. Gute Arbeit. Und bitte ferner gewogen zu bleiben.«

»Wer läßt wohl heutzutage einen Simeon und Pontius Pilatus machen, wenn's nicht so ein reicher Herr thut, dem heiligen Kreuz zu Ehren? Das kann der Teufel nicht wehren!«

»In drei Pulsen wird bezahlt.«

[253] »Der erste, wenn Pilatus steht; der zweite, wenn der Teufel den Judas holt, und der dritte, wenn der Engel den Stein hebt. Mit göttlicher Hülfe zwischen ein und zwei Jahren. Zu allem Dank quittirend. Aufgeschrieben von Hans Peter – –, ehrbarem Meister allhier.«


† †


»Laß ab, laß ab von mir, o du Angst meiner Seelen! Gönne mir einen ruhigen, furchtlosen Athemzug, einen, der sich nicht von allen Seiten umsieht, ob er was höre. – Bin drauf gefallen in eine schwere Krankheit überm Riß und Anschlag, länger als die Erde, breiter als das Meer. Da ist erschienen mir nach manchem Satansengel, der mich mit Fäusten schlug braun und blau, ein guter Geist, der mich warnte. Eine Eingebung, weil der Herr Pfarrer leider! auch als Schriftgelehrter in Jerusalem sein Wesen treibt, und im hohen Rath auf- und angenommen ist, zu suchen Ruhe für meine Seele beim Herrn Schulmeister, und es ist mir sehr warm worden ums Herz, und hab' ich vor Zittern und Zagen in allen Gliedern keinen Finger zur kleinsten Arbeit regen, geschweige, Gott sey bei uns! den Judas zu Markt bringen können, auf dem Papier. Ist mir vorgekommen als eine Sünde wider den heiligen Geist, in einem ungelobten Lande ein gelobtes zu verfertigen. Bin so krumm und kreuzlahm an Leib und Seele worden, daß die Füße, die Beine und die Seele den Kopf nicht halten wollen, und alle Nachbaren haben mir in die Augen gesagt, mein Kopf sey angebrannt und mein Fuß vergleitet auf eine verfluchte böse Stelle, welches alles der Hahn wird zu verantworten haben, der mich nach Jerusalem gekräht hat, worüber ich weine bitterlich, bis ein anderer Stern aufgeht in meinem Herzen.«

»Wächst auch eine Eiche im Sumpf, wo schwankendes Rohr schießt – wie Weiden an den Wasserbächen, und im Sande die [254] wurzelleichte Tanne? Gern wär ich gestorben und hoffentlich nicht verdorben. Könnt' ich? Da schmiegte sich die Seele so an den Körper, wie der Bräutigam an sein Liebchen im Brautbette, oder wie der Hopfen an die Stange. Noch leb' ich und lebe mir selbst zum Possen. – Wohlan! ich will meine Hände waschen, reiner als Pontius Pilatus, und Gott sey mir Sünder gnädig!«

Schulmeister und Nachtwächter hielten einen

50. Rath
§. 50.
Rath.

wie sie Jerusalem fingen, bei welchem sich beide wechselsweise auf den Zahn fühlten, so daß der Nachtwächter, dem das Ding zu arg ward, sagte: Gevatter, unser einer läßt sich zwar den Bart, nicht aber die Zähne rasiren. Ich bin so wohlgezähnt als der Herr. – Warum dieß edle Paar sich in die Zahnhaare fiel? Es galt die Frage: ob es untrügliche Kennzeichen von dem Vorzuge der Ehegattinnen der Hohenpriester im alten Testamente gäbe oder nicht? um von dieser Prämilinarfrage gerades Weges gen Jerusalem zu kommen. Von dieser harten Nuß kam man auf den Glauben, und da behauptete der Schulmeister, der Glaube wäre freilich nicht jedermanns Ding, indeß müßten auch die, welche zum Glauben nicht Lust und Liebe hätten, ihn als Lebensart ansehen, wodurch im gemeinen Leben eine gewisse Uebereinstimmung, eine gewisse Gefälligkeit eingeführt und erhalten würde. Der Glaube sey ihnen die Erfüllung des schönen Grußes: Friede sey mit euch. Ein Ungläubiger ist ein Händelmacher – und haußen sind die Hunde. – Es ist nicht alles Gold, was glänzt, sagte der Schulmeister; und dieses Gespräch vom Glauben wäre ohne Zweifel sehr weit gegangen, wenn nicht ein Kesselflicker die Herren Gläubigen gestört und Jerusalem näher gebracht hätte. Man ging die Aufsätze Punkt für Punkt, Komma [255] für Komma, Wort für Wort durch und feilte und glättete, verstärkte und schwächte, und nun galt es den Unterschied zwischen Denuncianten und

51. Controleur
§. 51.
Controleur.

Ein gewaltiger Unterschied! Der hausfriedliche Schulmeister betheuerte, ex officio ein Controleur der reinen lutherischen Kirche seyn und alle unreinen Glieder derselben verfolgen zu müssen, bis aufs Blut und in den Tod. – Freilich, da gibt es denn doch Gebühren für das Begräbniß. Der Nachtwächter meinte, den Reinen sey alles rein. Ich, setzte er hinzu, hasse die Controleurs, wie die reinen heiligen Engel den unreinen bösen Feind. Hätt' ich vollends einen geheimen – und (ich glaube die Controleurs sind alle geheim, fiel der Schulmeister ein) – würd' ich wohl aus dem Verdruß mit dem Amtmann kommen? – Was denn mehr? erwiederte der Schulmeister. Hat doch der erste Nachtwächter in der Welt, Homerus, auch geschlafen. Thue Recht, scheue niemand – d.h. keinen Controleur – im Ehestande ausgenommen. Nicht wahr, Gevatter? – Die Frau Ludi-Magisterin, die während der Deliberation das Auge nicht vom Nachtwächter gelassen hatte, und der bei dem Zwist über die Haare auf den Zähnen nicht wohl zu Muthe war, ob sie gleich sitzen blieb, lief hier schnell hinaus, um nach der Küche zu sehen, und der Nachtwächter schneuzte sich die Nase. Es blieb Ja und Amen, wie der Schulmeister sagte und der Nachtwächter es benickte. Nach dieser After-Session eine aus höherem Chor. In dieser ward, wie gewöhnlich, mit einem actum oben und peractum ut supra unten verfahren, und bei diesem actum undperactum ein

52. Kreuzkabinet
[256] §. 52.
Kreuzkabinet

beschlossen, fürs erste im Schlosse, zu seiner Zeit in der Kapelle. Zu seiner Zeit! – Der Maurermeister sollte peremtorisch aufgefordert werden. Der arme Heraldicus junior! Er, der die Kreuzunterlassungssünde rügte, er, der Buße und Bekehrung bewirkte, erhielt, anstatt des wohlverdienten Dankes, eine derbe Weisung. Unverschuldet? Wie man will. Durch seinen heimlichen Muthwillen hatte er sie doppelt verdient. Er gebrauchte den Ausdruck: Es ist keinen Kreuzer werth. Der Ritter, dessen Gehör entweder durch Flüsse oder durch die Mütze, vielleicht auch durch beides, zuweilen litt, ward durch den Schall des Wortes verführt, und verband einen ganz fremden Sinn mit dem was Heraldicus junior sagte. – Sobald er seinen Irrthum eingesehen hatte, ward auf der Stelle ein für allemal verfügt, daß das Wort Kreuz nicht weiter so entheiligt und bis zur Scheidemünze herabgewürdigt werden sollte. In der Selbstvertheidigung ist der arme Junge, wie wir wissen, nicht glücklich. Wollte er sich entschuldigen, oder seine Gelehrsamkeit beweisen – ich weiß es nicht, kurz, er fiel tiefer, indem er bemerkte, daß auch die Aerzte und Apotheker sich des Kreuzes als eines Zeichen bedienten, und, wie er nicht anders wisse, † Essig, und wenn in jedem Winkel ein Punkt stände, abgezogenen Essig bedeute. – Essig! rief der Ritter voll heiligen Eifers. Ha! Mörder! mit Essig und Galle tränkt ihr den Sterbenden. Wißt! – und nun legten sich seine stolzen Wellen, da er sich wohlbedächtig erinnerte, daß er den Aerzten und Apothekern so wenig zu befehlen hätte, daß vielmehr regierende Herren den Recepten oder Rescripten ihrer Leibärzte und Hofapotheker unterworfen wären. (Eine andere Art von Schulmeistern und Nachtwächtern!) Heraldicus junior, dem seine Apothekerrechnung [257] von Vorwürfen diesesmal mehr als sonst zu Herzen ging, machte von Stund an einen Bund, mit dem Ehrenworte »Kreuz« säuberlich zu verfahren und es nicht unnützlich zu führen. Uebertreibung, denkt der Kunstrichter. Warum aber so arges in deinem Herzen? Woher, warum

53. Uebertreibung
§. 53.
Uebertreibung?

Lerne die Menschen näher kennen, und du wirst finden, daß auch die gelehrtesten und geschicktesten unter ihnen – ad certum objectum – übertreiben. Und ist diese Uebertreibung nicht unschädlicher, als Steckenpferdezucht, auf die sich fast jeder legt, um zu wettrennen? – Nebendinge zum Wesentlichen erheben, sich als Pastetenbäcker werden lassen und doch ein Hofpoet seyn: ist das nicht so ziemlich sich höher anschlagen, als man wiegt – und andere über die Hälfte und oft den Staat mit seiner werthen Person anführen? – Siehe dich um, Lieber! Ist übertreiben und mit Ernst treiben nicht fast ein und dasselbe Ding auf Erden? Diensteifer ist übertriebene Diensttreue; und wer ist mit Diensttreue befriedigt? wer geht nicht auf Diensteifer aus? Ich weiß, mit keinem Zu ist zu prahlen; allzuviel ist ungesund. Ist zu viel indeß nicht erträglicher, als zu wenig? – Sieh den Soldaten, den Staatsmann, den Gelehrten! Nimm, um etwas Nagelneues vom Jahre zu haben, die jetzige Königsfeindschaft in Frankreich. Heute, den 6. Oktober 1792, lese ich in öffentlichen Blättern, man habe in Nancy das Wort König an der Bildsäule des Stanislaus vertilgt. – Auch nach dem Tode wird dieser arme König entthront! – Man verwandelt die Könige im Kartenspiel in Freiheitspiken; man will den Namen Ludwig ändern und den Heiligen dieses Namens aus dem Kalender verweisen. König David [258] hat von Glück zu sagen, daß er, außer der Königs-, auch noch die Prophetenwürde bekleidet, sonst ging' es ihm kein Haar besser, als dem Stanislaus! Und wie wird es mit dem lieben Gott bleiben, welcher derKönig aller Könige und der Herr aller Herren genannt wird? Klippern gehört zum Handwerk, Sporen zum Reiter, Ordensband zum Helden und Minister. – Jeder Gegenstand hat seinen ihm angemessenen Styl: wer in einen benachbarten fällt, ist ein Pedant; wer alle durch die Bank übertreibt, ein Genie. – Das Kreuzzimmer bedurfte keines Hirams, keiner Risse und keiner langen Vorbereitung. – Der Rittersprach, und es ward eine Sammlung aller Kreuzarten, wiewohl nur in efsigie, und dergestalt, daß das Johanniter-Malteser-Kreuz seinen Platz in der Mitte nahm. O, der Sonne an diesem Kreuzhimmel! sagte der Ritter, und hob gefaltete Hände zum Mittelpunkt aller dieser Kreuze. Es war ein herrlicher Tag, da eben dieß Zimmer, Jerusalemschem Gebrauche nach, mit einer Session und nachherigem Mahl feierlichst inaugurirt werden sollte, als eine

54. Commission
§. 54.
Commission

die Session, nicht aber, wie die Folge lehren wird, die Mahlzeit verdarb. Es wurden nämlich, da eben der Pfarrer einige nicht unwichtige Vorschläge zur künftigen Verklärung und Vollendung dieses Kreuzzimmers that, und mitten im Worte: Entzücken, war, zwei Consistorialräthe angemeldet, die im Vorzimmer wären, und die Erlaubniß verlangten, Sr. Hochwürden vorgestellt zu werden. Der Ritter, der einestheils sich über dergleichen hochehrwürdige Lichtputzen von ganzer Seele wegzusetzen kein Bedenken trug, anderntheils in Consistorialräthen eine Art von Handlangern in seinem Kanaanschen Weinberge zu finden glauben mochte, oder sich wirklich [259] übereilte – befahl in der vollsten Reinheit seiner Seele kurz und gut, sie gerade in das Sessionszimmer zu führen. Dagegen wollten der Prediger und Heraldicus junior, die auf das Wort Consistorialräthe gelähmt waren, mit Hand und Fuß protestiren; allein sie konnten keins von allen ihren Gliedern regen und bewegen. In das Sessionszimmer? – Was denn mehr? Wenn keine Session ist – thut das Zimmer etwas zur Sache? die Scheide etwas zum Schwert? – Wer die Auftritte kennt, wenn jemand im Sterben noch gern eine Schuld, wozu ihn sein Gewissen auf eine schreckliche Art verurtheilt, berichtigen möchte, aber nun nicht mehr reden kann: nur der ist im Stande, sich von der Lage dieser beiden hohen Räthe, des Pfarrers und des Hofmeisters, einen Begriff zu machen. Beide waren im Sterben, als diese Consistorialvögel, der eine im Predigerhabit, der andere als Saecularis in weltlicher, wiewohl mit schwarzem Band eingefaßter Kleidung hereinflogen – es konnte nicht schneller seyn. – Der Ritter, der diesesmal bei der Session im langen Johanniter- Ordensmantel saß, und sich pathetisch von dem Präsidentenstuhle erhob, den ein Ordenskreuz von nicht gemeiner Größe zierte, gab, so wie der Sessionstisch, welcher schwarz mit weißen Kreuzen behängt war, der hohen Commission so viele Blößen, daß jeder sich selbst gelassene Zuschauer Schrecken und Erstaunen, als den Anfang des vom Schulmeister vorher verkündigten Heulens und Zähnklapperns auf den fetten Kapaunengesichtern der Herren Commissarien, wo Schrecken und Erstaunen sehr leicht sichtbar werden, bemerkt haben würde. Der undefangene Ritter bemerkte nichts – die Ritterin deßgleichen – und unser Held war mit Blitz-, Knall- und Thürvorfällen zu bekannt, um an etwas Arges zu denken in seinem Herzen. – – Beide Commissarien, die durch diesen Anblick geblendet wurden, hätten hier das schrecklichste von allem, das Gelübde der Keuschheit, vermuthet, wenn nicht ein Frauenzimmer, [260] und, wie gar lieblich anzusehen, ein so reizendes, in der Mitte dieses Synedriums Sitz und, wie zu vermuthen war, auch Stimme gehabt hätte. Der hochwürdige Präsident, seine Gemahlin und sein Sohn, die sich nichts Böses bewußt waren, wünschten den Knoten des glücklichen Zufalls zu lösen, der ihnen das Vergnügen dieses schwarzen und in Schwarz gefaßten Besuches zuzog. Und da der Ritter alles, was bei weitem noch nicht einmal zu Papier gebracht war, in Lebensgröße sah, so fügte er die zweite Frage hinzu: ob sie etwa als Pilger eine Zelle zu beziehen gesonnen wären? wobei er sich aber nicht entbrechen konnte, zu bemerken, daß sie in Zukunft vor dem Hause des alten Simeons angehalten werden würden, weil man sie ungemeldet nicht in Frieden lassen könnte. Es blieb ein

55. Glück
§. 55.
Glück

für den Pastor und Heraldicus junior, daß sie nicht Augen- und Ohrenzeugen dieser Vorgänge seyn mußten. Die Angst ihres Herzens war jetzt schon so hoch gestiegen, daß, wenn sie diese ritterliche Unvorsichtigkeit noch hätten hören und sehen sollen, sie sicher auf der Stelle geblieben wären in ihren Sünden. – Beide hatten sich zugleich, da sie die Consistorialvögel (wahrlich nicht Tauben, am wenigsten gebratene) einfliegen sahen, aus dem Staube gemacht; nicht, um nach der Verrätherei zu weinen bitterlich, sondern sich gegen jede böse Anwandlung zu einer Verrätherei in bester Form zu waffnen. Wessen Geist erniedrigt ist, dessen Herz ist auch verderbt, sagten sie sich einander. Wer etwas gegen sein Gewissen bekennen oder läugnen kann, begeht eine Sünde wider den heiligen Geist – über dessen Vergebung, setzte der Pastor nach einer Minute hinzu – zu urtheilen ich mich nicht unterstehe. – Ein Schmeichler, der, nach dem Ausdruck eines witzigen Dichters, als ein Ohrgehenk seinen [261] Gönnern Nichtswürdigkeiten, sie mögen nun in gewürzten Stadtneuigkeiten oder in candirten Lob-und Preisküchlein bestehen, zuflüstert, nimmt sich selten Zeit, von dem Hause, worin es ihm so wohl ging, Abschied zu nehmen, wenn der Gönner ohne Legat für den Schmarotzer stirbt, und der rechtmäßige Erbe seine Ohrlappen zu lieb hat, um sie für ein dergleichen Ohrgehenk durchstechen zu lassen. Unsere beiden Männer, die um frische Luft verlegen waren, hatten sich an Jerusalem so gewöhnt, daß sie Antheil, freilich der eine mehr als der andere, an seinen Vorhöfen (weiter war der Bau nicht gekommen) nahmen, obgleich die Unvorsichtigkeit des Ritters sich mit nichts entschuldigen, viel weniger rechtfertigen ließ. Ihr Entschluß, den sie in frischer Luft faßten, war, Glück und Unglück über sich ergehen zu lassen und Märtyrer in der heiligen Stadt zu werden, die schon mehrmals die Propheten getödtet und seine Boten gesteinigt hatte. Wir sind nicht die ersten, versicherte einer den andern, die in Jerusalem überantwortet werden. – Nachdem sie auf diese Weise sich wechselsweise aufgerichtet hatten, kehrten sie mit einer Art Muth oder besser Trost zurück, womit es eben die Bewandtniß hat, wie mit dem Glauben der Teufel, die zwar glauben, indeß glaubensvoll zittern. – Was ist der Glaube mehr, als Trost und Muth? – Faßt euch! euer Gewissen ist euer Vertheidiger! Ihr werdet nicht sterben, sondern leben. Wohlbedächtig blieben sie an der Thür stehen, und erst nach dem unablässigen Verlangen des undesorgten Ritters traten sie näher. – Und was war es, was ihr Herz ängstigte? was ihren Kopf trübte? Die ganze Welt und, was mehr sagen will, kein Concilium würde hier eine Heterodoxie gefunden haben; was findet indeß nicht ein hochehrwürdiges Consistorium? Es war Zeit zum

56. Benedicite
[262]
§. 56.
Benedicite,

wie der Ritter sich dießmal consistorialisch ausdrückte; zu deutsch: es war angerichtet. Nach vielen Kratzfüßen, die der ganz schwarze Consistorialis schlechter als der schwarz verbrämte begann, ließen die Herren Commissarien im arglistigen Hintergrunde erblicken, was sie herausgegangen waren zu sehen und zu hören; und da sie wider ihr Denken und Vermuthen den pastor loci, auf den sie eigentlich Jagd machten, in flagranti betroffen hatten, so schienen sie, um aller Parteilichkeit auszuweichen, sich beurlauben und den Prediger am dritten Orte in Commissionsanspruch nehmen zu wollen. Sie gaben diese Bedenklichkeiten dem Ritter, wiewohl etwas undeutlich, zu verstehen, und dieser bot ihnen dagegen alle Sanctuarien an, die auf dem Papier standen, und unter diesen auch die Stelle, die Judas der Verräther betreten, oder den Blutacker, wo die Pilger, wenn der Tod sie hier überfiele, begraben werden sollten; wonächst er auch betheuerte, daß er, so gern er auch wollte, ihnen weder mit dem Hause des Hohenpriesters Hannas, noch des Kaiphas, wohl aber mit dem Palais des Herrn Pontius Pilatus, zu seiner Zeit dienen würde, – das Schlaf-und Traumstübchen der gnädigen Frau wohlbedächtig ausgenommen – welches sonst in puncto des Schlafes kein übles Commissionsstübchen gewesen wäre. – Da nun, aller Commissionsfalten ungeachtet, in welche die Herren Consistorialräthe ihre Gesichter legten, sie doch am Ende nicht bestimmen konnten, wo sie ihr geistliches und schwarz verbrämtes weltliches Gericht aufschlagen sollten, nächstdem ihnen auch, als feinnasigen, ganz und halb geistlichen Räthen, der Geruch des Mahls, wozu man sie bereits eingeladen hatte, nicht entgangen war; so schlug der geistliche Consistorialrath in gebrochenem Küchenlatein dem weltlichen Consistoriali vor: Ob man nicht den Prediger hier zu Schlosse [263] vernehmen sollte. Dieser, der theils dem Latein entwachsen war, theils durch den lateinischen Ueberfall aus aller Fassung kam, antwortete mit einer Miene, die Ja und Nein bedeutet, und gewissen mutterwitzigen Leuten, die keine Schule haben, eigen ist, wenn man sie in die Schule schickt oder mit gelehrten Kinderfragen überfällt und ängstiget. Se. Hochehrwürden nahmen es für Ja, und wollten sich eben an den Ritter wenden, daß er der Commission hierzu die Erlaubniß bewilligen möchte, als man wiederholentlich zur Tafel einlud, bei welcher sich, wie gewöhnlich, auch der Prediger und Heraldicus junior einfanden. Kann man so unschuldig seyn, wie wir, dachten Prediger und Hofmeister, und doch solche Angst haben? – Guten Leute, eben weil ihr unschuldig seyd, habt ihr Angst! – Wer hätte sie nicht auch bei dem lautesten Zuruf seines Gewissens? – Laßt uns die Welt überwinden! – Dieß Kreuz, sagte der Pfarrer zum Junior in der Stille, kommt vom Herrn. Zwar haben wir, erwiederte Junior, das Kreuzstübchen selbst gemacht; ist aber nicht fast jedes Kreuzstübchen ein Ipse fecit? Laßt uns nicht vermessen, noch weniger aber verzagt seyn. – Diese und dergleichen Klag- und Trostworte, die sie einander verstohlen in die Hand drückten, wirkten zusehends, als die Manieren sie aufmerksam machten, welche die Herren Consistoriales beim Eingange in das Tafelzimmer einschlugen. Außer den Generalfragen: (vor sich) ob und wie es styli sey, daß Leute, von denen einer Küchenlatein reden, und der andere so thun konnte, als verstände er es, der Dame des Hauses den Arm bieten könne, um sie aus dem Ordens-Sessionszimmer in den Eßsaal zu bringen? Ob dieß, oder ob dieß nicht, eben jetzt, da sie Commissarien wären, Bedenklichkeit hätte? – Machten auch noch andere Specialfragen die Sache kritischer, z.B. ist es Decori, daß ein Geistlicher dergleichen leibliche Führungen und Leitungen bei der ihm doch eigentlich obliegenden Seelenführung und Leitung übernimmt? Ist es oder [264] scheint es nicht Herabwürdigung des geistlichen Standes, einem Laien, ob er gleich zum Küchenlatein den Kopf zu nicken versteht, einen Vortritt zu gestatten? – Ich glaube gewiß, daß dieser letzte Umstand der Goldwage den Ausschlag zu ertheilen geruhet hätte, wenn dem geistlichen Consistoriali nicht eingefallen wäre, wie leicht der Satan, der immer wie ein brüllender Löwe umhergeht, seinen im Tanz ungeübten Füßen einen Stein des Anstoßes in den Weg legen, und ihm einen tiefen Fall, dem er ohnedieß schon bei den ersten Scharrfüßen so nahe war, vorbereiten können.Saecularis, der sich kaum von dem unverstandenen Latein erholt hatte, kämpfte mit gleich wichtigen Zweifeln, die er indeß nicht sowohl von der Seite seines geistlichen Herrn Collegen, als von dem Standesübergewichte des hochwohlgebornen Wirthes hernahm. Die Ritterin, bei der auch nicht der mindeste Scrupel auf- und abstieg, würde vielleicht in keinem Monat von der Stelle gekommen seyn, wenn sie sich nicht kurz und gut entschlossen hätte, eine Verbeugung zu machen, und diesen Kreuzzug als Amazonin auszuführen. Da indeß jeder der beiden Gäste diese Verbeugung als eine Aufforderung ansah, so fielen beide der armen Ritterin so ungezogen auf den Hals, daß dieser Auf- und Einzug das Ansehen eines außerordentlich komischen Auftrittes gewann, der die beiden Gelähmten nunmehr schnell und völlig zu der vorigen Gesundheit herstellte. Die ehrlichen Schlucker hätten das Küchenlatein und das mutterwitzige Kopfnicken sehen und hören sollen; sicher wären sie zeitiger genesen! – Zwar entfiel den Augen beider Commissarien bei der Suppe, wo tiefes Stillschweigen despotisirte, dann und wann ein Blick, der den Prediger traf; indeß war er diesem, so wie das Latein dem Concommissarius, völlig unverständlich, und es blieb ohne Angriff, bis der Wein das Band der Zungen lösete, und die Herren Commissarien von dem unverfälschten Wein auf die Lauterkeit der christlichen Lehre in diesem Hause einen nicht unrichtigen Schluß zogen. [265] Der geistliche Consistorialis hatte lange auf eine Wendung gesonnen, dem Ritter über den Punkt des Fastens, welches ihm (nächst dem voto castitatis, worüber er einverstanden war) der Hauptstein des Anstoßes bei der katholischen Religion dünkte, an den Puls zu fassen, als er bei Gelegenheit der Lobrede, die er voll römischer Urbanität der edlen Kunst hielt, die Fische zu verschneiden, damit sie größer und fetter würden, zugleich erfuhr, daß der Ritter fern von allem Fasten sogar kein Fischmann sey, und nicht eigentlich die katholische Religion als katholische Religion beabsichtigte, sondern bloß gegen Alter, Stand, Ahnen und die Ritterzüge dieser Ritter- und Heldenkirche nicht gleichgültig, übrigens aber so wenig zur Intoleranz geneigt wäre, daß er selbst dem Ohre des Malchus keinen Stein des Andenkens legen wollen, und daß er dem Mahomet, wenn dieser ihn in der Hölle und Qual darum angesprochen, nicht, wie Abraham dem reichen Manne, Wasser abgeschlagen, schwerlich aber ihn Sohn genannt haben würde. Hier rissen die Dämme der Zurückhaltung, und Commissio konnte sich, nachdem sie je länger je vertraulicher geworden war, nicht entbrechen, die Denunciation in extenso dem Pfarrer zu behändigen, der, wie die Commissarien es nicht länger verhielten, eigentlich das Ziel sey, nach welchem zu schießen sie gekommen wären. Schon während des Lesens brach der Pfarrer einen Lorbeer über den andern, von welchen Lorbeern er seinen Beisitzer, den Heraldicus junior, durch Händedruck und Fußstöße den freundschaftlichsten Antheil nehmen ließ. Beisitzer wagte es bei biesen Umständen, einen Blick voll nach dem andern aus dieser Schrift schlau und verstohlen zu ziehen, und mit innerlichem Hohngelächter jedem Bissen, den er während der Zeit ununterbrochen verschluckte, das Geleite zu geben. Es konnte nicht fehlen, daß, wenn gleich die Größe des Ritters sonst über den Schein der Neugierde sich hinwegzusetzen gewohnt war, die Ritterin, welche die Mutter Eva nicht ganz verläugnen[266] konnte, dringend das punctum juris dieser Schrift kennen wollte. »So geht es, fing der Pfarrer an, wenn man das Ganze nicht mit Rücksicht auf das Einzelne, und das Einzelne nicht mit Rücksicht auf das Ganze erwogen hat und erwägen kann, und wenn unsere Seele keine Interpunktion versteht. Setz' ich den Punkt nicht in die Mitte – wie kann ich denn den Umkreis wissen? Das Gerade ist mir schief, das Schiefe gerade.« Solcher gelehrten Brocken viele Körbe voll, bis denn endlich der Ritter mit Erlaubniß der Commissarien das Papier nahm, es laut las, und aus diesem hohen Commissionsberge eine lächerliche Maus nach väterlicher Weise heraussprang. – »Wenn das Herz in der Hand des Verstandes ein Wasserbach ist, den er leitet, wohin er will, fing der Pfarrer wieder an, um sich den Herren Commissarien nicht bloß im Profil, sondern en face seiner Gelehrsamkeit zu zeigen; indeß ließ der Ritter ihn nicht zum So kommen. Auch er, wenn gleich die feurigen Consistorial-Pfeileihn eigentlich nicht treffen sollten, fand sich beleidigt. Er schien sich der Punkt der Mitte«. – Schade um das So, um welches der Prediger kam, er wußte nicht wie! Aus dem Simson Schulmeister ist ein blinder Spielmann der Philister geworden, sagte der Ritter, ohne zu bedenken, daß er, mir nichts dir nichts, die Commissarien zu Philistern machte. Der geistliche Commissarius wollte über diese Kadis, wie er Schulmeister und Nachtwächter nannte, ein Auto da fé halten und von Jerusalem aus ein Brand-Decretum urbis et orbis datiren, wozu er schon trockenes Holz spaltete; indeß ward der Vorfall von der edlen Ritterin für zu groß gehalten, als daß er gestraft werden könnte. Der Ritter trat bei; Pfarrer und Heraldicus junior benutzten jede Gelegenheit, wo das Reden an sie kam, und rafften Gelehrsamkeit zusammen, um sich den Commissarien, wiewohl ohne deren Verdienst und Würdigkeit, von der besten Seite zu zeigen, als säßen sie, um gemalt zu werden. So nahmen sie sich z.B. die [267] Erlaubniß, zu versichern, daß es hier wie bei dem Differential-Calcul ginge, worauf Leibnitz und Newton zu gleicher Zeit gefallen wären, indem sie auf Ehre und Redlichkeit betheuern könnten, gleicher Meinung gewesen zu seyn. – Ich will, wie gewöhnlich, die Sache zusammenziehen. Das Blatt

57. Wandte
§. 57.
wandte

sich. Commissio fand alle Jerusalemische Einrichtungen auf dem Papiere vortrefflich. Der geistliche Consistorialrath bat insbesondere, ihn als Pilger einzuschreiben; doch hoffte er, daß ihm erlaubt werden würde, aus seiner Zelle zuweilen in den Hof zu kommen, nicht des Herodes, sondern des Königs David, der sich bald in den König Salomo verwandeln würde. Wie die Raupe in einen Schmetterling, fügte der Saecularis höchst undedachtsam hinzu. Es lag nicht am Wollen, sondern am Können, sonst hätte der geistliche Consistorialis Odenlob geräuchert, denn er war, wie viele der protestantischen Geistlichen, die bis zu Consistorialräthen gediehen sind, bis auf dasvotum castitatis und paupertatis, weit weit katholischer als unser Ritter, so daß er von dieser ritterlichen Religion sich nur quoad thorum et mensam geschieden hatte. Gottlob! daß die großen Herren von der protestantischen oder streitenden Kirche die Vereinigung mit der katholischen und triumphirenden nicht Consistorialräthen überlassen! Kirche ist Kirche! und so lange wir in Samaria und Jerusalem Gott anbeten, und nicht im Geist und in der Wahrheit – hängt es nicht bloß von Umständen ab?

Die Kunst, nach welcher man alte Gemälde von Leinwand, Kalk und Holz ohne Schaden abnimmt und sie auf Leinwand bringt, war hier nichts gegen die große Idee, Jerusalem auf [268] Rosenthalschen Grund und Boden zu verlegen und dadurch den Protestanten Gelegenheit zu verschaffen, auch zu einer sinnlichen Evidenz von den Wundern der Religion zu gelangen, welche den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit geworden. – Wenn die Jura stolae bezahlt werden, und der Geistliche das Söhnlein oder Töchterlein christlicher Eltern, für Geld und gute Worte, noch besonders im Gebete Gott vorträgt – kann es dem lieben Gott nicht gleich seyn, wer tauft? Das Hauptwort bei diesem Sacrament ist Stolgebühr, welche St. Johannes der Täufer nicht kannte.

Von ehelichen christlichen Eltern abzustammen, ist ein großer Gewinn, obgleich auch David vom lieben Vieh zum Throne kam – »und manche Kaufmannstochter, setzte der Saecularis wieder höchst undedachtsam hinzu, gnädige Frau wird.« So geht es den Mutterwitzigen, wenn sie nicht Küchenlatein verstehen! – »Und warum sollte nicht ein Kirchenpatron, der die Glocken pflanzt, auch ihre Früchte genießen?« fragte der geistliche Consistorialrath, um die Ungezogenheit des Herrn Collegen mit dem Mantel der Glocken zu bedecken. Die Relation des Pfarrers über die Poesie, und das Strategem, das er aus dem Liede:Erhalt' uns Herr, bei deinem Wort, genommen, um in Sr. Hochwürden der Poesie (die wirklich, meinte man, in Absicht der Prosa der geistliche Stand wäre, wenn diese dagegen den Laienstand ausmachte) einen Mäcen zuzuführen, ward als Proberelation zur Consistorialrathsstelle angesehen. Warum auch nicht? Die Poesie ist der Puder, den man auf schwarzes Haar streut. – Sie verdient den Namenheilig, wenn gleich von einem guten Gassenhauer die Rede ist, sagte Caput commissionis; doch erbat er sich aus natürlichem Haß gegen das Lesen diese Abhandlung nicht, vielmehr schien er, ohne sie gelesen zu haben, bereit, dem Verfasser die Ehre zu geben, die ihm gebühre Desto besser! – In der That war es ein [269] Glück, daß Consistorialis sich diesen Aufsatz nicht behändigen ließ, der es sich herausgenommen hatte, über die hohe Geistlichkeit manchen Stab zu brechen. – Ohne Zweifel würde der Prediger diesen Aufsatz der Commission so undefangen übergeben haben, wie der Ritter diese Herren geradezu in das Sessionszimmer eintreten ließ. Auch ist zwischen dem türkischen Kaiser und dem Ehren Gevatter Papst, der eben so gut bei christ-evangelisch-lutherischen Kindern, als bei päpstlichen, Pathenstellen übernehmen könnte, ein gewaltiger Unterschied. Luther selbst hatte Se. Heiligkeit oft genug ganz höflich zu Gevattern gebeten, bis endlich, da Se. Heiligkeit durchaus nicht stehen wollten, dieser Glaubensheld Verachtung der Verachtung entgegensetzte, und, was ihm nie genug zu verdanken ist, Käthen heirathetel – – Man gratulirte dem Dr. Martin Luther allgemein, und wartete ihm mit dem Epithalam aus freier Faust auf.

Die übrigen Klagepunkte wurden als ungeschrieben angesehen. – Der Maurermeister, hieß es, hat keine Anlage zum Nikolaus Copernicus, der das Weltgebäude abzeichnete, ob er gleich fast mehr Hang zur Grillenfängerei als Copernicus besitzt.

Wenn der Schulmeister es so gemacht hätte, wie gewisse Witzlinge, die ihre Einfälle und Gedanken wie Spielmarken bloß zeigen und sie wieder einstecken, unter welche der Nachtwächter loci zu gehören schien: habeat sibi. – Wo kein Kläger, da kein Richter! Es wäre für die Commissarien, die voll süßen Weins waren, das Beste gewesen, wenn sie seria in crastinum und den Schulmeister bis morgen in Ruhe gelassen hätten. Da sie aber vernahmen, daß der Maurermeister eben in loco wäre, so erhob man sich nicht ohne Selbstüberwindung von der Tafel. Was man nicht alles seinem schweren Amte schuldig ist! Wie selten werden solche Schweißtropfen vom Staate erkannt und belohnt! – Die Ritterin zog sich in bester Ordnung zurück, um nicht in die Häscherhände [270] der Commissarien zu fallen. – Bei der Hegung des Gerichtes hätte sie um vieles nicht verfehlt, gegenwärtig zu seyn. Es ward ein Gerichtszimmer eingerichtet und bloß ein schwarzes Tuch aufgelegt, um diesem Lippenvolke, wie der Ritter es nannte (Schulmeister und Compagnie), nicht mehr zu zeigen, als es zu wissen brauchte. Er strafte es damit, daß er ihm die weißen Kreuze entzog! Eine edle, eine wirkliche Ritterrache!

Ein Palast läßt freilich prächtiger, wenn er erleuchtet ist; doch hatte Diogenes Recht, einen Fremdling, der sich auf ein Fest so sehr putzte, zu fragen: ob denn ein Rechtschaffener nicht jeden Tag einen Festtag hätte? Wir wollen doch caput commissionis hören, da Schulmeister, Nachtwächter und Maurermeister hereintraten. (Die Ritterin, welcher die Ehre der Sitzung bewilligt war, hatte ihren Platz nicht weit vom Haupte der Commission genommen.) Ueberflüssig ist mein Wink, daß Consistorialis durch ein frohes Mahl in Umstände versetzt war, worin er nichts vorbereiten, nichts motiviren konnte, wenn er auch gewollt hätte, indem seine Rede nicht Licht, nicht Schatten hatte, und vom Tage zur Nacht, vom Mittage zur Mitternacht, von Liebe zum Haß, von Haß nur Liebe überging oder überfiel.

Die Thorheit, fing er ex cathedra, wo nicht gar ex tripode an, ist ein Wurmstich; wo dieser ist, da fällt die Frucht heute oder morgen unreif ab; und wenn man sich gleich von einem bösen Weibe nach protestantischen Grundsätzen scheiden kann, so lebt man doch mit der Thorheit in einer katholischen und desto unglücklichern Ehe, weil sie unscheidbar ist. Wißt ihr denn, meine geliebten Freunde in dem Herrn, daß ihr Erzschlingel seyd? Einem Johanniterordensritter gebührt hochwürdig und ein langer schwarzer Mantel mit einem Weißen Kreuze. Er ist ein geistlicher Ritter in und in mit, durch und durch. Ein Wegweiser ist nicht genug; – es gibt Winter- und Sommerwege, [271] Haupt- und Beiwege, Landstraßen und Richtsteige, Geleise und Fußstapfen; wer wird gleich dem ersten dem besten Stück Holz von Wegweiser blindlings zu allen Jahrszeiten folgen?Arithmetica speciosa heißt der Gebrauch der Buchstaben zum Rechnen. Dummköpfe! versteht ihr denn dieß ABC und AB ab? In eurer eingegebenen Schrift ist alles verrechnet! – Seht ihr darum scheel, daß der hochwürdige Herr euch den Glauben, um die Sache zu verkürzen, in die Hand geben, und daß euer Seelsorger dem Liede: Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort, eine Nothtaufe angedeihen lassen, die so gültig ist als die des hochwürdigen Herrn, da sein Herr Sohn in Gefahr war als Heide und Türke in die Ewigkeit zu gehen? – Da war' er so schön angekommen, wie ihr heute, ihr underufenen Todtengräber, die ihr für andere eine Grube macht und selbst hinein fallt, wie es in dem Liede: Erhalt' uns, Herr, bei deinem Wort, euch zuvor verkündigt worden ist! Die Zunge, ihr Stümper, ist mit zwei Gliedern Kriegsknechten umgeben, die auf die Wache gezogen sind, um dieser Gefangenen ja nicht zu viele Freiheiten zu gestatten. – Ein Schwätzer ist ein undezahlter Judas: er verräth ohne dreißig Silberlinge; allein er kann leicht zu vierzig Schlägen weniger Eins kommen. Der Grenzstein wird nach der Schnur gelegt, ohne auf die Steine Rücksicht zu nehmen, die schon da liegen. Wie heißt das vierte Gebot und seine Erklärung? Wenn wechselseitig Eltern, Kinder, Herrschaft und Gesinde, Obrigkeit und Untergebene ihre Pflichten erfüllen, dann geht es ihnen wohl und kein Kummer, keine Uebereilung kürzt ihnen das Leben, das ohnehin wenig und böse ist. Bei den zehn Geboten hättet ihr bleiben, nicht aber in gelehrte Materien, die heilige Taufe betreffend, euch einlassen sollen. Ich und meine Herren Collegen müssen heut zu Tage wachen und beten, daß wir nicht in Anfechtung fallen; und ihr Esel geht, ohne dazu wie unser Einer von Gott und von wegen des [272] Consistorii verpflichtet zu seyn, auf das spiegelblanke Eis? – Schickt euch in die Zeit, denn es ist böse Zeit. – Habt ihr denn nicht von den Weisen aus Morgenland gelesen? da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut. Und so ist es uns beiden gegangen, da wir die Ehre hatten hier anzukommen. Der Mensch fällt ins Alltägliche, wenn er nicht festliche Tage hat, durch die er sich erhebt, und ohne Gott und göttliche Dinge würden wir auf allen Vieren kriechen. – Nur vermittelst dieser himmlischen Gegenstände sehen wir gen Himmel nach den Sternen, ohne zu straucheln oder wohl gar zu fallen. Doch kommen Menschen nur allmählig zu reinen Ideen von Gott. Erst Anbetung körperlicher Dinge, dann die Lehren: Gott ist zu edel, um zu zürnen; er will nichts Willkürliches; – er kann nicht beleidigt werden; – ich darf ihm nur glauben. – Nicht um Gutes zu thun, um gut zu seyn hab' ich ihn nöthig, sondern zu meinem Troste – zu meiner Herzstärkung, daß er meinen Zweck vollenden, ihn, aller Weltunordnung ungeachtet, so vollenden werde, daß einmal sein Reich kommen und das Gute herrschen wird. – Nicht aus der Ordnung, sondern aus der Unordnung überzeugen wir uns von Gottes Existenz und von der andern Welt. – Seht! das waren die Hauptmaterien, die heute bei dem Mahl vorfielen, welches mich und meinen Herrn Confrater, wie es am Tage ist, gesättigt und getränkt hat mit Wohlgefallen! – Gottlos ist oft nichts mehr, nichts weniger als gedankenlos: Gott ergeben heißt fast in allen Fällen: vernünftig. Gottlos, selbstlos, charakterlos sind fast einerlei, und nie ist gottlos dem Worte fromm entgegen zu setzen. Ihr seyd gottlos in hohem Grade! Und diese hohe Familie ist Gott ergeben; in vieler Rücksicht könnte man sie heilig nennen. – O, ihr Dummköpfe! woran stießet ihr euch? An etwas, wovon ihre keinen Begriff hattet. Stümper! dem lieben Gott wollt ihr beim Consistorio das Wort reden! – Zwischen einer schönen Gegend und [273] einem schönen Garten ist ein Unterschied. Wenn die Natur eine schöne Landschaft hinwirft und die Kunst ein schönes Landschaftsgemälde entwirft, so ist es nicht eins und dasselbe. Wer aber nicht zu unterscheiden weiß, lasse sich in kein Urtheil ein, wodurch er sich an Gegend und Garten, an Landschaft und Landschaftsgemälde gleich gröblich versündigt. – Diesegroben Sünder seyd ihr! – Die dramatische Muse muß selbst in ihrem Auskehricht, in ihren niedrigsten Gattungen die Schilderungen von Thoren verachten, die kein Quentlein von Kraft und Stärke, von Witz und Vernunft besitzen; man will nicht ekelhafte, sondern lächerliche Charaktere! – Gottlob! daß ihr das Letzte, daß ihr nur lächerlich seyd und bloß eine Farce macht! Man sehe doch! ihr hattet auch wohl etwa Lust, auf Secunda zu kommen, wo euer geistreicher Prediger und Heraldicus junior so rühmlich sitzen! und eure Klage sollte unfehlbar die Preisschrift seyn, um diesen Vorzug zu erhalten! Ihr Schweintreiber, ihr Gergesener! – wie konnte euch ein solcher Hochmuth anwandeln, der immer vor dem Falle kommt! – Der hochwürdige Herr ist kein ordinirter Geistlicher. Wahr, wer hat aber bei seinem Amte nicht einen Nebenposten, der ihn wegen seiner Amtsleiden entschädigt? – Dort ist er zünftiger Meister, hier ist er Virtuose. Gab es nicht unter den Herren Ministern und selbst unter den Herren Generalen, besonders den französischen, große Theologen, große Baukünstler, Poeten, Mitglieder der Akademien? – Und was ging es euch an, daß der Herr Baron neben Rosenthal auch Herr von Jerusalem war? – Johanniterritter sind Weltgeistliche, die nicht bloß Welt und Geist, sondern Politik und Religion, heroischen Muth und Andächtelei, Wahn und edle Früchte der Sittlichkeit und Selbstüberwindung wunderbarlich verbanden – die sich nicht schämten, heute Helden und morgen Krankenwärter zu seyn; und wenn gleich die neuern Ritter [274] dieß Werk des Herrn mit mehr Gemächlichkeit treiben – ist und bleibt der Orden nicht eine hochwürdige Reliquie? Was können die jetzigen Ritter dafür, daß man es sich mit dem Glauben leichter macht, als ehemals? Wenn die Vernunft über Vorurtheil siegt, ist es schön; – nur bleibt zu wünschen, daß es nicht auf Kosten der Unschuld und der Tugend geschehe. – Habt ihr den Orden des hochwürdigen Herrn je aus diesem Gesichtspunkt genommen? Und wie untersteht ihr euch im Namen der Gemeinde oder des Volks aufzutreten? – Ich weiß wohl, das Volk hat sein eigenthümliches Recht; aber das Volk heißt nicht der Küster, Nachtwächter und Maurer im Dorfe; vielmehr ist die ganze Gemeinde wider euch. Volksstimme – Gottesstimme! – Schämt euch, daß ihr solche elende Krüppel von Kindern, wie eure Aufsätze sind, aussetzt, um das Consistorium zum Mitleiden zu erwecken! Als ob bei dem Consistorio Mitleiden zu Hause wäre! Die Enbabsicht des Stifters der christlichen Religion war, die entschlummerte Urkraft unseres Geistes zu wecken und – was aufzuregen? seine Freiheit! Die christliche Lehre gründet sich auf die Göttlichkeit im Menschen, auf seinen intelligibeln Charakter; sie enthält eine Religion der Geister. Liebe Gott heißt: achte das Gesetz der Geisterwelt, in soweit du Gutes freiwillig thust, ohne Hin- und Rücksicht, wär' es auch auf die künftige Welt. – Liebe deinen Nächsten als dich selbst: liebe in dir nur den Menschen und liebe alle Menschen aus diesem Grunde – liebe nur die Menschheit. – Protestantismus ist das System einer vernünftigen Freiheit in Glaubenssachen. – Universalmedicin taugt für niemand, da sie für jedermann ist, und ich bin für keinen Purismus weder in Sachen noch Worten, weder im Essen noch Trinken. – Paulus und Petrus, selbst der Lehrer dieser Lehrer, würden vor manchem Consistorio nicht bestehen in der Wahrheit; – vor dem unsrigen gewiß. Was meinen der Herr College? – Ueber die Frage: ob ein bekannter Geizhals in den [275] Gotteskasten einer menschenfreundlichen Collekte ein Scherflein gelegt hätte, sagte einer: ich hab' es nicht gesehen und glaub' es; ein anderer: ich hab' es gesehen und glaub' es doch nicht. Da seht ihr wie es mit dem Glauben geht! – Und der Name was thut denn der zur Sache? Die Bulle in coena Domini und die goldene Bulle sind eurer Meinung nach wohl ein paar Schwestern? Wahrlich auf den Namen kommt es nur bei Schafsköpfen an; doch wenn man euer Machwerk, euern Wuthanfall, eure Klage mit dem eigentlichen Namen belegen sollte – wie würdet ihr bestehen? Sagt, warum dämpftet ihr nicht eure Instrumente? warum suchtet ihr nicht vermittelst eines sanften Oels ein stumpfes Scheermesser zu schärfen? Wehe dem, dessen Gebet ein Fluch ist, der Gott bittet, seinen Zorn über seinen Feind auszuschütten und Feuer und Schwefel über die regnen zu lassen, die ihm angeblich übel wollen! – wohl recht, angeblich! – Kein Wort in der Welt wird so gemißbraucht, wie das theure, werthe Wort: Katholisch von den römischen und andern Christen, und ihr seyd nicht werth, daß ich es euch erkläre! – Seyd ihr Schäker denn vom bilderreichen oder ernsthaft gründlichen Vortrage gerührt? war es nicht rathsamer, euch durch sichtbare Sinnlichkeit zu erschüttern? Bildet erst euer Auge, ehe ihr an das Ohr denkt, um von ihm zu Herz und Verstand zu gelangen! Habt ihr Pisang, Paradiesfeigen, Ananas, Datteln, Pfirsiche, Aprikosen und andere dergleichen Leckerbissen gekostet? Versteht ihr die hohe Andacht, die Stillschweigen bewirkt, die sich fürchtet, auch mit einem Seufzer den zu stören, der sie erregt? Ihr Vivat-hoch- und Pereat-tief-Rufer! Ein Ochse kennt seinen Herrn, ein Esel kennt die Krippe seines Herrn; und ihr! – seyd ihr nicht fast weniger als sie? Schämt euch! – Den Meinungen ruhiger Denker begegne man durch Untersuchungen und sehe mehr auf ihre Lebenspflichten als auf ihre Glaubenslehren! Kann man nicht durch Erziehungsregeln, wenn sie den rechten Weg [276] verfehlen, ungezogen werden und durch argwöhnische Altklugheit zum Kinderspott? Eifer und Einsicht sind selten gute Freunde, und der Neid liegt immerwährend an der Gelbsucht schwach und krank danieder. – Behutsamkeit im Urtheil kleidet jedermann, besonders den Untergebenen, der selbst in wunderliche Herren sich schicken lernen muß. Ihr hattet einen äußerst gütigen Herrn, und ich wüßte nicht ein Haus im Lande, wo für beide Facultäten der Seele, die untere und die obere, so gesorgt wäre wie hier. – Die Vernunft hat sich hier in Empfindung gekleidet, leicht und schön! Ein frischer Hauch der edelsten Empfindung geht in Rosenthal durch alles, was man sieht und hört. Wenn ihr euch gewöhnt hättet, überall etwas Gutes zu sehen und zu hören, – würdet ihr es nicht auch hier gesehen und gehört haben hundertfältig?

Hier griff der Unlateiner ein und bat, die Edelsteine von Gedanken (die so ordentlich wie ein Traum eines Kranken waren) liegen zu lassen und deutsch mit diesem Triumvirat zu sprechen. Hierauf nahm Caput commissionis sich zusammen und schritt zum Grundstein. Das Konsistorium, versicherte er, könne zwar kein Blut sehen und woll' es auch nicht; doch hätte es andere Mittel und Wege, den Menschen ans Herz zu treten: Fasten und beten; und so sollten sie denn bei Wasser und Brod im Ehebrecherpranger unweit der Kirche drei Wochen stehen, der Gemeinde von der Kanzel als Aufrührer zu drei verschiedenen Malen vorgestellt und die heilige Communion ihnen ein Jahr lang rechtskräftig entzogen werden. Indeß wäre es Christenpflicht, für sie in jedem Monat des Excommunicationsjahres namentlich und öffentlich zu beten. Diese schreckliche Drohung brachte natürlich alle drei dahin, daß sie zu Kreuze krochen und auf Knien um Gnade flehten. Der Nachtwächter wollte sich weiß brennen; indeß da er sah, daß Consistorialrecht für Gnade erging, so war er klug genug, es mit der Frau Schulmeisterin nicht zu verderben. Die Ritterin, welche die [277] Seelenangst der Excommunicirten nicht ansehen konnte, eignete sich das Begnadigungsrecht zu, und so ward durch ihre Vermittelung die Sache durch Abbitte beigelegt.

Ich will abbrechen. Dieß par nobile fratrum ließ es sich noch drei Tage in Jerusalem bene seyn, wie es im Consistorialstyl hieß, ohne sich weiter um diese Sache zu bemühen. Nicht nur der geistliche, sondern auch der weltliche Consistorialrath hatte sich ebenso gut wie Pastor und Heraldicus junior in die Rosenthalsche Weise einstudirt. – Uns, die wir nicht an diesem Commissionsgeschäfte Theil haben, wird es indeß nicht gleichgültig seyn zu wissen, daß der Maurermeister nach einiger Zeit wegen Schwermuth in dem Irrenhause untergebracht werden mußte, welches er aber für das Haus des Pontius Pilatus ansah, so daß er caeteris paribus dem Ritter in der Schwärmerei sich näherte. Der Schulmeister, dem die Prostitution die Seele durchbohrt hatte, folgte in kurzem dem Heraldicus senior und starb am Rosenthalschen Jerusalem. Der Nachtwächter heirathete die Schulmeisterin und war am unglücklichsten, da ihm der neue Schulmeister dieselbe Ehre erwies, die er seinem Ehevorgänger nach allen Kräften erzeigt hatte. Er besaß nicht wie sein Ehevorfahr ein Traumstübchen; denn er wußte wohl, daß er ehemals mit der Frau Schulmeisterin bei seinen Besuchen kein Vater Unser gebetet hatte.

Der Ritter befahl, den Commissarien zur Probe einCertificat sonder Arglist und Gefährde auszufertigen, und das große Siegel daran zu hängen, wodurch zu erweisen wäre, daß sie in Jerusalem gewesen; indeß wußte der politische Pfarrer es krebsgängig zu machen, so daß diese lettres patentes in ihrer Geburt erstickten.

Anytus und Melitus, sagte Sokrates, können mich zwar tödten, allein schaden können sie mir nicht; und der Pfarrer gewann durch diesen Vorfall, der mit einer Lähmung anfing. [278] Heraldicus junior, in der Voraussetzung, daß er über kurz oder lang sich zum examine rigoroso vor dem Consistorium zu stellen verpflichtet seyn würde, wünschte umgekehrt, was man sich in Rücksicht der Aerzte zu wünschen pflegt. Man besucht den Hippokrates gern; nur sieht man es ungern, wenn Hippokrates zu uns kommt. Und wer, als ein Consistorialrath, sollte wohl bei der heiligen Nothtaufe auf die goldene Bulle und die Bulle in coena domini fallen?

Damit indeß niemand wähne, daß ich über den aufsteigenden Vater den absteigenden

58. Sohn
§. 58.
Sohn

aus dem Gesichte verloren habe, so will ich den Inhalt eines Gespräches mittheilen, welches mein Held undHeraldicus junior, der Held des Junkers, mit einander hielten. Den Dialog wird man mir hoffentlich gern schenken. – Die Geburt sollte von nichts ausschließen, was die Menschen unter sich als Vorzug und Ehre angenommen haben, obgleich heutzutage niemand ein bloßes Kind der Natur, sondern jeder auch ein Kind des Staates ist. Entweder müßte Verstand oder Tugend, oder beides in der Welt persönliche Vorrechte beilegen; oder es müßten alle Vorrechte vom Erdboden vertilgt werden. Durch Vorzüge, welche ich durch die Geburt erhalte, lebe nicht ich, sondern mein Vater, meine Mutter lebt in mir. Realitäten werden uns freilich durch die Staatsklassen nicht entzogen: Sonne, Mond und Sterne, Fische im Meer, Vögel in der Luft machen unter adlich und unadlich keinen Unterschied; die Fliege setzt sich so gut auf eine Freiherrn- als auf eine Bettlernafe; und ist der edle, der vernünftige Mann nicht auch ohne Band und Stern überall der erste, wann und wo er es seyn will? Nur selten wird er es wollen. Die Imagination ist [279] die Schutzpatronin der Stände; sie macht, sie erhält sie. Beim persönlichen Adel, den auch der Bettler in seiner Gewalt hat, findet sie weniger ihre Rechnung; sie adelt erblich, wenn gleich Absalon, der Sohn des Mannes nach dem Herzen Gottes, an einer Eiche hangen blieb, und die Kinder edler Leute selten gerathen; – wenn gleich die Kinder der Reichen nicht besser einschlagen, und nicht selten an Eichen hangen bleiben. Ein edler, persönlich geadelter Mann – wird er bloß dem Allgemeinen dienen, und sich selbst über das Allgemeine vergessen? Jeder ist sich selbst der Nächste, und außer ihm selbst sind es seine Kinder und seine Verwandten. Der Papst, der von Gott und Rechtswegen nicht Kinder haben kann, hat Nepoten. Der Beruf des Menschen zum Reichthum ist so natürlich, daß schon mehr Kraft in den Lenden, in Armen und Beinen den reichen Mann macht. Die Kraft in Verstand und Willen (diesen Lenden, Armen und Beinen der Seele) thut es deßgleichen. Durch geistige und leibliche Kräfte werden Geld und Gut bewirkt, und so entsteht der Erbadel, man weiß nicht wie. Das Ackergesetz und die Aufhebung der Intestat- und Testamentserbschaft – würde sie nicht den schönen Zusammenhang der Privat- und öffentlichen Tugenden stören und alles schwächen, was Menschen edel und gut, oder nur leidlich und erträglich zu machen im Stande ist? Auf redlich selbst erworbenes Eigenthum hat der Staat, wenn er gerecht seyn will – und wehe ihm, wenn er es nicht ist! – keinen Anspruch. – So lange der Reichgewordene lebt? – Auch nach seinem Tode; wem kommt es wohl natürlicher zu, als seinen Kindern? und wieviel Triebfedern würden wir lähmen, falls der Staat hier als Universalerbe eintreten wollte, und wenn die Rechte über Eigenthum geschmälert würden! – Freiheit ohne Eigenthum ist tönend Erz und klingende Schelle. In Barbarei würden wir sinken, ohne daß je Hoffnung wäre, die Menschen noch so weit zu bringen, als sie schon gebracht sind, falls [280] Eigenthum seinen Werth, den man Kraft und Stärke nennen kann, verlöre. Ist der Erbabel ein Uebel, so ist er fast ein nothwendiges. – Der erste ist nicht immer der beste. Doch würde er es in der Regel seyn, wenn man aufhörte, Adelsbriefe feil zu halten. Sich den Adel kaufen, ist fast eben so viel, als wenn man einen Unschuldigen hängen oder ins Zuchthaus setzen wollte. – Wie denn das? – Adel ist die einzige Belohnung, die der Staat hat, soll er denn nur strafen? – Ei! Aemter und Würden? – Sind das Belohnungen? Man geht beim Amte so in die Lehre, wie bei einem Handwerk, wird so examinirt, macht so ein Meisterstück, wie beim Handwerk; kurz es ist eben so, wie beimMeister und Bürger: – man lernt im Amte dem Amte gewachsen seyn. Wen würdest du in Nordamerika aufsuchen? Franklin und Washington? Und wenn der letztere, so wie der erstere, nicht mehr im Lande der Lebendigen ist, wirst du nicht nach ihren Kindern fragen? werden dich nicht schon die Namen Washington und Franklin interessiren? Schon der Vorname deiner Geliebten, deines Weibes, deiner Schwester hat eine magnetische Kraft. – – Ein großes Vorbild fordert zu ähnlicher Größe auf. Wie die Alten sungen, versuchen es die Jungen. – Und wenn Verstand und Tugend persönlich adeln – wer sollen die Herren im Obervernunfts- und Tugendcollegio seyn, die das persönliche Adelsdiplom ertheilen? Wissen wir denn nichts wie es in Wahlkönigreichen, wie es mit Papstwahlen, mit Parlamentswahlen und mit allen Wahlen geht? – Wird das Geld nicht in seine jetzigen Rechte treten, und wo nicht mehr, doch eben so stark tyrannisiren, wie jetzt? – Alles abgewogen, ist es so besser als anders; Realadel besser, als bei seiner Aufhebung bloß Personaladel. Um den erblichen Edelmann zum persönlichen zu machen, thut man wohl und weise, ihm die Pflicht aufzulegen, Ritter zu werden. Ritterschaft ist Spornschaft. Das Johanniterkreuz war z.B. ein Sporn, ohne den wir unseres [281] Orts kein Jerusalem hätten in Rosenthal, und kein Haus des Pilatus, und keines des alten ehrlichen Simeons, der in Frieden fuhr. – Hinter den Vorhängen der Freimaurerei herrschen diese Grundsätze, oder es trügt mich alles. Dort kann doch auch ein ehrlicher Mann ein Kreuz tragen, er habe gleich die Tochter eines Kaufmanns zur Mutter, oder einen Ordensschneider zum Vater. – Monarchen können, nach dem braven Ausdruck jenes Königs, zwar hundert und mehr Edelleute in einem Tage, aber nicht einen einzigen edlen Mann machen. – Wahr! Alles, was wahrhaft groß ist, macht sich selbst. – Auch wahr! – Die Antwort des Iphikrates: mein Geschlecht fängt mit mir an, das deinige wird mit dir aufhören – nicht minder wahr, und unfehlbar das letzte Wort, das ihm sein Gegner ließ. – Empfängniß und Geburt sind so etwas Thierisches und Gemeines, daß man sich schämen sollte, daraus einen Vorzug abzuleiten. – So wahr, wie alles vorige. – Wenn aber der Wohlgeborne diesen zufälligen Vorzug nur benutzt, seinen persönlichen Adel zu erleichtern und ihn zu verewigen? wenn er ihn als eine erwünschte Gelegenheit schätzt, seine ABCe zweckmäßig zu erziehen; wenn er durch Lehre und Wandel sie die Resultate mit Händen greifen läßt, daß ohne persönlichen Adel der Geschlechtsadel nichts mehr und nichts weniger als ein Geburtsbrief gelte? Kann durch eine Einrichtung dieser Art, die freilich, so wie alles in der Welt, gemißbraucht ward, das menschliche Geschlecht, auf welches doch Gott und alle braven Leute anlegen, sich nicht seinem Ziele nähern? Ehrwürdiger Orden der Freimaurer! wenn dein geheimer Gang diese olympischen Bahnen bricht, wenn er die Menschen sich unter einander gleich an moralischer Güte zu machen beabsichtigt, und sie mit hoher Weisheit der Welt und ihrem Geräusch in eben dem Maße entzieht, wie er die Menschen in sich selbst zu verschließen verbietet, als wodurch sie den Kranken gleich werden, die sich der freien Luft entwöhnen!

[282] Zwar tragen die Freimaurer ihr Kreuz unter der Weste. – Am Ende einerlei, ob unter oder über der Weste; die Hauptsache ist das Kreuz. Geht der Stern gleich in der Loge auf, und scheint er hier bloß in einem verborgenen Orte – war nicht die Tageszeit der Johannitervorlesung die Dämmerung? – Wenn in den Logen Auserwählte sind, so wiegen von diesen 5, 7 und 9 mehr, als in der profanen Welt so viele Tausend. Vielleicht sind die Maurer der Phalanx des menschlichen Geschlechts die Garde der Menschheit. Heil mir! Plato ward vom Dionysius verworfen, allein von den Göttern an Kindesstatt angenommen. – Es gibt in der Maurerei nicht Präbenden! Bedarf ich ihrer? Und wer weiß, ob es ihrer nicht gibt! Präbenden, die unsichtbar, Geistesehrenzeichen, die unsterblich sind. – Ist denn unser Jerusalem mehr als ein Kreuz unter der Weste? Und doch fand es Ausspäher, und unter ihnen einen Judas, der mit seiner Verrätherei nicht viel besser abkam, als jener Erz-Judas. – Es gibt eine sichtbare und unsichtbare Kirche: – die sichtbare ist der Staat, die unsichtbare vielleicht die Maurerei! – Wie? wenn die Maurerei zur Absicht hätte, Erbadel und Verdienst sich näher zu bringen? – und dieß Paar ehelich zu verbinden? Würde nicht auf vortreffliche Kinder in der Ehe zu rechnen seyn? – Schon in der Verschwiegenheit liegt so viel Kraft und Stärke, daß man durch sie Türken in die Flucht schlagen und das heilige Grab befreien könnte, wenn wir es nicht jetzt in friedlicher Nähe hätten. Bei einem Sessionsmahl, das man in Athen fremden Gesandten zu Ehren angestellt hatte, und wozu Zeno mit eingeladen war, erwiderte dieser Weise auf die Frage der Gesandten: was sie denn von ihm dem Könige sagen sollten? – »daß sie zu Athen einen Mann kennen gelernt hätten, der auch bei vollen Bechern zu schweigen verstände.« Schweigen ist oft der Preis-Courant der Einsicht; Mißbrauch der Freiheit die Quelle der Laster.

[283] Wie Jerusalem stell' ich mir die Menschenwelt vor: – Im Vorhof ist der gemeine Mann; im Heiligen Fürsten, Geistliche, Gelehrte und so viel ihrer mehr sind, die da verstehen zu seyn, was sie sind: Menschen; im Allerheiligsten – – genug! ich sehe, ohne zu sehen, ich höre, ohne zu hören. Es gibt einen Tempel, der nicht mit Händen gemacht ist: eine geistliche Kirche, einen Himmel auf Erden, Worte, die unaussprechlich sind. – Maurerei! ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Da sehen doch meine Leser, ob ich meinen Helden, seitdem ich kein Examen mit ihm veranstalten lassen, verwahrlost habe. Kreuzlahm, sagte Heraldicus junior zu einer gewissen Zeit; allein ich wette, daß nachher der Lehrer zuweilen an Kreuzschmerzen schwach und krank darnieder gelegen, und sich, wenn man will, auch wieder gebessert habe.

Doch begehre ich hiermit nicht zu läugnen, daß Vater und Mutter jenen Lampenschein des heiligen Grabes auf meinen Helden geworfen, den Pastor loci noch begieriger aufgefaßt hatte. So kann auch A B C eine gewisse Extractsucht und Gemächlichkeit nicht von sich ablehnen, die man nur regierenden Herren zugestehen sollte, wenn gleich auch hohe Staats-Officianten sich diese Privilegien je länger je mehr zueignen. – Um den Montblanc der Wissenschaft zu ersteigen, gebrach es unserem Helden an Lust und Liebe. Der Gastvetter nannte es gelegentlich: Seelenlunge. – Die obern Seelenkräfte blieben zwar nicht uncultivirt; doch sollte diese Cultur ihn nicht zu stark angreifen, und er sehnte sich, in der Dämmerung dunkler Gefühle von jener Tageslast und Hitze auszuruhen. Der Orbis pictus nennt den Physikus: Naturforscher; den Metaphysicus: Ueberforscher. Unserem Helden war alles Ueber, was er nicht leicht fassen konnte. Auch war er der Art von Pietisterei nicht abgeneigt, vermittelst deren man das sieht, was Philosophen nicht ohne Mühe glauben; er war ein [284] aufmerksamer Hörer, wenn Pastor loci behauptete: der Mensch könne einen genauen Umgang mit Gott haben und ihn in Gedanken und fast in Sinnen sich vergegenwärtigen, im Gebet ihm beinahe die Hand reichen und das Herz abgeben. Heraldicus junior philosophirte freilich dagegen, doch so, daß er das philosophische Deckmäntelchen nach dem Winde hängte. – Warum sollt' ich meinem Helden indeß nicht volle Gerechtigkeit erweisen? Ich will es. Der Mensch ist sich ein Räthsel; unser A B C wollt' es lösen. – Lösen? Wie ich sage: lösen; und wer will es nicht? Auch der, welcher vollkommen überzeugt ist, er könne es nicht, wird es wollen, und wenn er es nicht will, ist er entweder ein stolzer Thor oder ein Kaltblütiger. – Der Wunsch ist verzeihlich; auf la manière avec laquelle kommt es an. Mehr von meinem Helden zu verrathen, hieße sich übereilen. Er war jung, und hatte sich nicht durch Ausschweifungen geschwächt, um Wunderessenzen zu bedürfen; er war reich, und also nicht in der Verlegenheit, auf denStein der Thoren auszugehen. Auch schien Ehrgeiz sein Fehler nicht zu seyn, um sich durch Ordenswege ein Amt zu erschleichen. – Doch wer kann für ihn stehen! Ich nicht.

Der Ritter merkte übrigens oft die Kämpfe auf Tod und Leben, die in seinem Sohne vorgingen; indeß war er sehr weit davon entfernt, gegen dessen Phantasie das Schwert der Vernunft in Anwendung zu bringen, Licht in diese Wüste zu tragen, Bilder, die ihm vorgaukelten, in die Flucht zu treiben und ihren Reiz auch nur zu ermäßigen; vielmehr trat er mit diesen moralischen Türken in einen Bund, goß Oel ins Feuer, und glaubte, wie wir wissen, gegen seinen Sohn nicht väterlicher handeln zu können, als wenn er das heilige Feuer seiner Phantasie ohne Unterlaß unterhielte und ihm Nahrung gäbe. Sie äußerte sich bei unserem Helden auf mehr als eine Weise. – Die Gestalten des Proteus sind eine Kleinigkeit gegen die Garderobe der Einbildungskraft. Muntere [285] Pferde schnauben im Schlafe, schwitzen aus Kraftanstrengung, geben sich selbst den Sporn und setzen das olympische Rennen fort, das sie im Wachen anfingen; sind ihre Reiter nicht mehr als sie? – Im Wachen und Schlafen, im Singen und Beten, im Essen und Trinken, im Lachen und Weinen ging unser Held nicht, er lief. Daß ich seinem olympischen Beispiele nicht nachjage und ihn laufen lasse, ohne ihm nachzulaufen, bedarf meiner Versicherung nicht; doch hoff' ich mit ihm zum Ende zu kommen. – Im väterlichen Hause herrschte eine Gastfreiheit, die edel war. Man sandte nicht an die Straßen und Zäune, und nöthigte nicht, ohne und mit hochzeitlichen Kleidern der Denk- und Handlungsart hereinzukommen; doch war das Haus des Ritters jedermann offen – der Tisch so eingerichtet, daß nicht bloß Pilger, sondern auch Menschen von von allerlei Leckerzungen und allerlei Gaben des Ausdrucks oder Sprachen, wie der Ritter diese Spruchstelle zuweilen deutete, Dach und Fach, Tisch und Bett fanden, und mit herzlichen Benedicite und Gratias kamen und gingen. Selbst die Nachbarschaft wartete nicht immer auf Einladungen; vielmehr überließ sie sich oft der undeschreiblichen Wollust des Ungefährs, die so viele Wunder thut an uns und allen Enden.

Ein Ungefährbesuch dieser Art, veranlaßt durch ein Fräulein – das, wie es hieß, aus fremden, weiten Ländern zum Nachbar – gekommen war, blieb unserm Helden nicht

59. Gleichgültig
§. 59.
gleichgültig.

Ist der Trunk eine kurze Wuth, so ist die Schönheit, nach dem Ausspruche des weisen Sokrates, eine kurze Tyrannei – die tiefste und höchste Vernunft kann sich nicht halten; – Schönheit erobert diese Festung. Unser Held, der jetzt einundzwanzig Jahr alt [286] war, hatte sich noch nicht Zeit genommen, zu lieben. Ueberall, sagte Heraldicus junior, hätte er sich Flügel der Einbildungskraft angelegt; nur hier nicht. Nie hatte ein Stück aus der gewiß nicht kleinen Bildergallerie, die in Rosenthal so oft gastfreundlich aufgestellt war, ihn länger gerührt, als sie da zu Markte stand. Vielleicht war die Ursache in der Zudringlichkeit zu suchen, mit der diese Schönen ihn durch ihre Augen fahen wollten. Jetzt war es mit ihm geschehen. – Sie kam, sah und siegte. – Wer denn? – Wenn ich es selbst nur wüßte! Es war gewiß seine erste Liebe. Seine Herz schien ihm den Schwur abzunehmen: auch die letzte. – Ihre Bildung, ihr Wuchs, ihr Verstand, ihr Herz! – Keine genauere Beschreibung! jede wäre ein Verlust für sie. Sie würde das Mädchen vielleicht zum allerliebsten, zum schönsten Mädchen machen; – doch war sie meinem Helden eine Gottheit. Genug, es war Eva die einzige! – und – was ich meinem Helden hoch anrechne – er war so ganz Adam. Mit einer Herzlichkeit und Offenheit, wovon man seit demverlornen Paradiese, nicht dem Miltonschen, sondern dem wirklichen, kaum ein Beispiel hatte, nahte er sich ihr, und sie erwiederte sein Ave Maria – nicht mit einem feinen Amen, das heißt: Ja, ja, es soll also geschehen, sondern mit einem bescheidenen Willkommen! – Wahre Schönheiten zieren sich nicht, so wie große Menschen nicht stolz sind. – Ihr keuscher Busen bedurfte nicht der Gardine ihres fliegenden Haares; die Unschuld schlug laut in ihm. – Hohe Schönheit, hohe Tugend, hoher Verstand – wo diese drei Eins sind, da braucht es keiner elenden Schildwache von Ziererei! Unter dem Schutze der Unschuld und der allgemeinen Sitten ist ein Mädchen am sichersten. Die Grazien verstatten keine ungezogene Zudringlichkeit. – Der Ritter fand in den herrlichsten Stellen auf dem Angesichte dieses erschienenen Engels, und besonders in der rings um den Mund, eine große Aehnlichkeit mit seinem vortrefflichen Weibe; und [287] gewiß sind alle Grazien einander ähnlich. – Die Ritterin verehrte diesen Engel dieser Aehnlichkeit halber; und der Ritter wußte nicht, wie er seine Mütze kehren und wenden sollte, bis er sie endlich, trotz der Furcht vor Kopfflüssen, völlig ablegte. – Es war eingelenkt, daß unser Held bei seiner Heldin sitzen sollte. – Man wollte zu Tische gehen, und siehe da! die Dame des Hauses, unter dessen Schutz der Engel erschienen war, ward von einer so heftigen Krankheit ergriffen, daß in einem Augenblicke die Freude ein Ende hatte. So schnell löschten die Fingerlein ihre Lichter nicht aus, wie dieser Besuch sich endigte und die Nachbarschaft von hinnen zog; – es war, als flögen sie davon. Den Ritter entzückte

60. Die Leidenschaft
§. 60.
die Leidenschaft

seines Sohnes; und in der That, er hatte Recht, sich zu freuen, daß er, außer dem geistlichen Jerusalem, auch ein leibliches gefunden hätte. Bis jetzt konnten keine Spuren entdeckt werden, daß sein Sohn verliebt gewesen wäre. Oft war dem Ritter die Frage eingefallen: ob etwa gar die Nothtaufe hieran Schuld sey? – Mein Sohn, fing er an, Alexander und Cäsar waren so gut Untergebene der Liebe, als Herren der Welt. – Du weißt am besten, was ich deiner Mutter aufgeopfert habe; – und, genau genommen, war sie nicht des Opfers werth? Was ich verlor, kannst du auf eben dem Wege wieder gewinnen. Läge die Schönheit bloß in Gesichtszügen – würde sie wohl unter so verschiedenen Gestalten erscheinen? – Fast jedes Volk, jeder Hof, jede Stadt, jeder Mensch hat sein besonderes Schönheitsmaß und Gewicht. Der will es rund, der eckig, dem ist die Stirn, und dem das Auge, dem die Hand, und dem der Fuß der Sitz der Schönheit. Und woher aller dieser Unterschied? Weil die Schönheit ihren [288] Sitz in der Seele hat, und weil nun diese sich bald hier, bald da durch den Körper spiegelt. Die Seele, die den Fuß zum Spiegel erwählte, hat meinen Beifall nicht; wenn sie den ganzen Körper bewohnt, o! dann ist es lieblich anzuschauen. Ein solcher Mensch scheint ein Engel. Wer Leib und Seele trennt, der tödtet. – Wenn du liebst – vergiß nicht, daß der Mensch aus zwei Theilen besteht, und daß, wenn diese nicht gepaart sind, alles andere Paaren nicht viel vermag. – So wie die Ehen zwischen Seele und Körper der Liebenden geknüpft, und, wie es heißt, nicht bloß auf Erden, sondern auch im Himmel (oder dem Geistersitze) geschlossen werden, so ist die geistliche ohne die leibliche Eheverbindung, und diese ohne jene, nicht zureichend. Der Mensch ist ein Engel und ein Thier; Seele und Leib sind seine Bestandtheile.

Diese pathetische Rede beantwortete unser Held mit einem Seufzer – und mit der Bitte, die Gastfreiheit des nachbarlichen Hauses stehenden Fußes auf die Probe setzen zu dürfen. – Noch nie war dem ganzen Hause ein Besuch so langweilig und lästig geworden, wie der von den übrigen Gästen, die es verhinderten, daß der folgende Paragraph

61. Nicht
§. 61.
nicht

zeitiger vorfallen konnte. – Drei Tage und drei Nächte blieb er ungeboren – und rang und sehnte sich, das Licht der Welt zu sehen. – Vater, Mutter und Sohn wurden in Einer Minute entbunden, und nun machten sich alle drei die bittersten Vorwürfe, warum man sich nicht zeitiger nach dem Befinden der krank gewordenen Nachbarin erkundigt hätte! »Die ungezogenen Gäste!« sagten alle drei, ohne daß einer dem andern sein ganzes Herz ausschüttete, obgleich alle drei wußten, was im inwendigen Menschen [289] vorging. – Die ungezogenen Gäste! Nicht doch, liebes Dreiblatt! die ziehende Liebe ist Schuld an allem. Die

62. Reise
§. 62.
Reise

unsres Helden war mehr ein Flug, als ein Ritt. Keine einzige von allen Bedenklichkeiten erhielt Audienz. – Aber? – Kein Aber! – und wenn? – Kein Wenn! – Das Roß schien den Ritter zu verstehen: es war, als zög' es auch nach Liebe aus – und eh' es sich beide versahen, waren sie da! – da! Sprung vom Pferde und Sprung ins Haus des Nachbars waren Eins. – Die Genesene empfing unsern Helden, und er vergaß zu fragen, wie sie sich befände, und zu versichern, daß er bloß dieser Frage halben den Ritt unternommen hätte. Sein Späherblick flog umher. Fräulein Amalia, die älteste Tochter des Nachbars und der Nachbarin, die es auf unsern Helden angelegt, und gegen die er noch am wenigsten seine Kälte geäußert hatte, kam ihm in den Wurf. Suchst du mich? sprach ihr freundlicher Blick; – der seinige antwortete laut und deutlich: mit nichten. Fräulein Bärbchens Auge sprach: Herr, bin ichs? – das seinige: ist das eine Frage? – Dagriff Fräulein Cäcilia mit der Augenfrage ein: etwa ich? – Gott behüte! erwiederte sein Blick. – Wenn mehr als dieses A B C und bis X Y Z unserm Alphabethelden entgegen gekommen wären; so würde auf ein sanftes Ich? ein ungestümes:Nein! die Antwort gewesen seyn. – Die kluge Mutter hatte es bis jetzt sich selbst verborgen, daß die Erschienene unserm Helden nicht übel gefallen. – So krank sie war? – Allerdings! So etwas beobachten die Weiber im Sterben. – War es vielleicht eine Schulkrankheit, um unsern Helden Fräulein Amalien zu sichern? – Nein; sie war wirklich sterbenskrank. [290] Jetzt gab ihr das Augenstreben ihres vermeintlichen künftigen Schwiegersohns eine Gelegenheit zum Scherz. – Zum Scherz? Die Liebe pflegt nicht Scherz zu verstehen. – Spaß nicht; Scherz wohl – je nachdem er fällt; oder besser, je nachdem er angelegt und angebracht wird. – Angelegt? – Freilich gibt es Fälle, wo gegen Verliebte Scherz angelegt werden kann. – – – Wer bestellt den Gruß von der Erschienenen? fing sie an. Weder A, noch B, noch C bewegte die Lippe. Man verneigte sich, als der Sucher heftiger vordrang: »Ist sie nicht mehr?« – Sie ist noch, erwiederte die Nachbarin; nur. nicht hier; – sie ist auf ihrer Rückreise! – Und nun fing die Nachbarin den Roman an, den ich indeß nach den Regeln der Kunst noch nicht erzählen kann. – Unserm Helden fiel der Muth so sehr, daß, nachdem er (wiewohl etwas spät) vom Befinden der Frau Nachbarin Erkundigung eingezogen, heimkehren wollte. Warum nicht gar! Er mußte bleiben – Er schützte Undäßlichkeit vor: eine Entschuldigung, die immer bei der Hand ist; und in Wahrheit, unser Held befand sich nicht wohl. Er mußte bleiben. – Er versprach in kurzem wieder zu kommen. Er mußte bleiben. – Das nachbarliche Haus beschloß, der Gastfreiheit zu Ehren, dem Gaste mit den A B C-Fräulein das Geleite zu geben, und in Rosenthal die jüngst abgebrochenen Tage reichlich einzuholen. Er mußte bleiben, und blieb am Ende gern, da es das einzige Mittel war, noch mehr von der Erschienenen zu erfahren. – Noch mehr? Wußte er nicht schon genug? oder war es nicht hinlänglich, daß die Erschienene eine Schwester einer Maurer-Adoptionsloge war und, ob sie gleich über diese Geheimnisse ein pythagorisches Stillschweigen behauptet, doch einen Orden im nachbarlichen Hause zurückgelassen hatte? – Einen Orden? – Allerdings einen Orden. Fräulein Amalia und ihre Mutter kannten sicher unsern Helden von dieser Seite nicht. Sie machten einen ganz falschen Angriff. – Schade! – oder nicht [291] Schade! – Doch wie? soll ich mein Buch etwa schon mit §. 62 schließen? – Unser Held brannte, wenn gleich die gute Dame ihm durch diese Schwesterschaft Amalien sicherer zuzuführen dachte. Adoptionsloge war ihm Funke zum Pulver. – Der guten Dame ging es nicht viel besser, als jenem französischen General im weltbekannten siebenjährigen Kriege, der recognosciren ritt und einen Transport mit Proviant für einen feindlichen Haufen hielt. Der Held hätte vier-bis fünftausend Portionen Brod bei einem Haare getödtet, so daß nicht eine einzige mit dem Leben davon gekommen wäre, wenn nicht der Lieferant und die hungrigen Magen seines Corps Gnade für diese Feinde gebeten, und sie durch Capitulation mit dem Speisemeister erlangt hätten. – Was mehr war, als ich meinem Helden zutraute, war die Kunst, den Brand zu verstecken. – Es brannte bei ihm innerlich. Die Fräulein A B C Ordensschwestern! Oel ins Feuer, das aber bloß für die Erschienene brannte. Hier und da flog ein Funke zum Dach hinaus, den die Fräulein A B C auffingen, als käme er ihnen zu! – Es war der Orden der Verschwiegenheit, den die Erschienene als einen Segen zurückgelassen hatte! Amalia glaubte, sich wenigstens in den vorigen Stand bei unserm Helden zu setzen, wenn er je eher, je lieber ihr Bruder würde. – Dergleichen platonische Liebe pflegt bald sich auch auf die Sinne zu ergießen, dachte die Mutter – und billigte die Schnelligkeit bei der Aufnahme. – Vom verschwiegenen Bruder zum Liebhaber, ein kleiner Schritt! – Wir wollen sehen! – Unser Held ward in den

63. Orden der Verschwiegenheit
§. 63.
Orden der Verschwiegenheit

in Rosenthal aufgenommen. So sehr auch dieser Orden in seinen Augen durch den Umstand verlor, daß die Erschienene nicht selbst die Großmeisterin machte, so genügte ihm doch die Idee: es kam [292] von ihr! Ein Orden! Ob es der Mühe lohnen wird, daß wir der Aufnahme unseres Helden (Mutter und Vater waren schon ohne förmliche Aufnahme in der Stille eingeweiht worden) als Gäste beiwohnen? – Der Junker ward zuerst in ein herrlich erleuchtetes Zimmer geführt, und drei Viertelstunden allein gelassen. Jetzt trat die Nachbarin in einem weißen Kleide mit fliegenden Haaren, Ordensband und Stern – und einer großen Serviette, die vorgesteckt war wie eine Schürze, mit der Frage herein: Wer ist da? – Ich, erwiederte der Held zu seinem Unglück. – In diesem vorschnellen Ich, versetzte die weiße Dame, liegt mehr, als Sie denken: Ihre Unwürde zum Orden liegt darin. Wer rückt mit seinem Ich so zeitig heraus? Wer macht sich eher bekannt, als er die kennen gelernt hat, die ihn umgeben? ich will nicht sagen: fahen wollen; und doch ist dieß der Welt Lauf. – Wer seinem Ich ausweicht, ohne es höher anzuschlagen, als im Marktpreise, befleißigt sich der Weisheit, und verdient den Namen eines Weisen, ist es in der That, wenn andere bloß so heißen. Entging Sokrates dem Giftbecher? und hat der Neid nicht Giftbecher verschiedener Art, womit er die Weisen, ach! und auch ihre Plane, hinrichtet, wenn sie mit ihrem Zweck und den Mitteln, diesen zu erreichen, undehutsam umgehen? – Die Schüler unseres Schutzheiligen mußten drei Jahre schweigen lernen, ehe sie sprachen. Wohlan! nehmen Sie sich diese Zeit und diesen Raum zur Buße, um Ihr Ich zu kreuzigen sammt den Lüsten und Begierden!

Unser Held war von dieser Rede äußerst durchdrungen. Es schien ihm ein Extemporalstück zu seyn, indem er sehr leicht dem Ich hätte ausweichen können; – und eben weil es ein Extemporalstück war, rührte es ihn desto mehr. Da er indeß nicht Lust hatte, noch drei Jahre zu warten, so bat er die abgeordnete Pythagoräerin, ihm sein Ich, das selbst vermessener schiene, als es [293] wäre, zu verzeihen. – Sie versprach, ihm Aussöhnung bei ihrem Schutzheiligen auszuwirken – wenn er ihr gelobte – (hier glaubt man wohl, es werde ihre Tochter gelten; vielleicht glaubte es unser Held selbst. – Mit nichten; so eigennützig ist der Orden der Verschwiegenheit nicht) – wenn er ihr gelobte, seinem Ich zu widerstehen bis in den Tod. – Wenn's nicht mehr ist! dachte der Candidat, und versprach es von Herzen. – Jetzt sollte ihr Gemahl sich zum Recipiendus verfügen, ihm wegen seines unzeitigen Ichs die Absolution überbringen, und über die Verschwiegenheit eine stattliche Rede halten. Er fing pathetisch an: »Die Verschwiegenheit« – Allein die Helle des Zimmers, die Feierlichkeit des Candidaten, ein paar Gläser über Gebühr, und vielleicht auch die Ungewohnheit, Reden zu halten, benahmen ihm jedes Wort; und nachdem er dreimal die Worte: die Verschwiegenheit, stotternd wiederholt hatte, ging er so verschwiegen davon, daß der Candidat sich überredete, ein dergleichen Verstummen gehöre zur Ceremonie der Handlung. – Der stecken oder kurz gebliebene Redner hätte seine Rolle nicht besser machen können, wenn er Pythagoras oder Roscius – find die Herren weit auseinander? – in hoher Person gewesen wäre! – Der Nachbar ward von den Ordensschwestern wohlverdient ausgelacht, erhielt indeß, da man keinen bessern Acteur hatte, den Auftrag, dem Candidaten die Augen zu verbinden – und ihn in ein finsteres Zimmer zu führen, wo die Nachbarin seiner wartete. Als nach einer kleinen Weile der Candidat in die Frage ausbrechen wollte: bin ich hier allein? zog ihn sein Genius von dem Rande des Verderbens, und er verbesserte seine Ich-Frage. Ist jemand hier? fing er, und zwar in eben der Minute an, da die Nachbarin mit ihrer Wiederholung: wer ist da? zum Vorschein kam, und ihm ins Wort fiel. – Wer fragt mich? war seine Antwort. – Eine Abgeordnete, erwiederte sie, die es lieber gesehen hätte, wenn Sie ihre Frage[294] abgewartet hätten. Neugierde und Schwatzhaftigkeit sind, wo nicht wirklich verwandt, so doch verschwägert oder in nachbarlicher Verbindung. – Sie hieß ihm die Augen aufbinden, und es war ihm nicht anders, als sey er zu den Fingerlein unter die Erde gerathen; so gut er auch jedes Zimmer im Rosenthalschen Schlosse kannte, wo er geboren, nothgetauft und erzogen worden war. Er hielt sich still, um sich nicht neuen Weisungen auszusetzen, worauf es die schlaue Nachbarin anlegen mochte. Da er schwieg, so mußte sie anfangen. – Was denken Sie? – da, von seinem Ich zu sprechen, oft verzeihlicher seyn kann, als an dieses allerliebste Ich unablässig zu denken. Was denken Sie? – An den Vorzug der Sprache und an die Schande der Menschheit, auf Mittel denken zu müssen, sich Zaum und Gebiß anzulegen. – Dieser Seitensprung brachte die Nachbarin aus ihrer Rolle; ihre Gemeinsprüche paßten nicht, und sie fand sich, trotz dem Herrn Gemahl, in Verlegenheit. – Da Sie so schön denken, so verbinden Sie sich wieder die Augen. – Der Stock steht im Winkel, also wird es regnen. – Unser Held fand in dieser inconsequenten Rede doch einen Sinn, und übersetzte sich die letzten Worte: so stören Sie sich durch kein Sinnenspiel auf der olympischen Gedankenbahn, die zum Kleinod führt. – Wie Feierlichkeit ansteckt! Alles deutet sie feierlich. – Mit verbundenen Augen ward der Candidat in das Heiligthum, und zwar rücklings, eingeführt. – Nun mußte er dreimal einen Cirkel machen. Dieß brachte ihn aus aller Connexion mit dem Zimmer, in welchem er war, und er mußte glauben, in einem bezauberten Schlosse zu seyn.

Nach dieser Kopfverdrehung blieb er ganz allein stehen; und nach einer Viertelstunde fing sich folgende Unterredung an.

Verschwiegene Großmeisterin, wir sind nicht allein! (Die Großmeisterin machte die Ritterin.)

[295] »Wer ist, antwortete sie, der Ungeweihete, der es wagt, in unserem Areopag zu erscheinen?«

Ein Jüngling, der sich der Verschwiegenheit heiligen will.

»Ein Jüngling, sagt Ihr? – Wohlan! Laßt ihn Mann werden, und dann führt ihn wieder zu uns! – Laßt ihn die Welt kennen lernen, aus Erfahrung klug werden, und dann erst melde er sich zu seiner Aufnahme!«

Wohlgesprochen, verschwiegene Großmeisterin! Wohlgesprochen in der Regel; allein war je eine ohne Ausnahme? Wird je eine ohne Ausnahme seyn?

»Hat die Tugend Ausnahmen? liebt sie Begünstigungen?«

Die Tugend nicht. Wo ist aber eine diesseits des Grabes, die rein wäre, die nicht hätte einen Flecken oder Runzel oder deß etwas? – Unsere Sache ist, unsere Tugenden zu waschen, zu heiligen und zu reinigen – damit sie nicht unter dem Scheine der Tugend gar Untugend, und schöne wohlgebildete Sünde werden.

»Glaubt Ihr, durch diese Klagen Eurem Antrage näher zu kommen?«

Ich glaub' es, verschwiegene Großmeisterin; denn, obgleich die Tugend eine Regel ohne Ausnahme ist, so gibt es doch Gemüther, welche der schlüpfrigen Bahnen der Selbsterfahrung nicht bedürfen, um zur Weltkenntniß zu gelangen; Licht- und Lebensköpfe, die zu Heerführern, zu Meistern berufen sind, welche die Natur berechtigte, der Landstraße auszuweichen; – Menschen, die sich Richtsteige brechen und Wege erfinden; – Seelen, die, indem sie lernen, schon lehren, wenn andere, welche durch Wege und Umwege eines lange genossenen Unterrichts zum Lehrstuhle gekommen, andern doch wenig oder nichts beizubringen im Stande sind.

»Ihr haltet eine Lobrede, und ich verlange ungekünstelte Wahrheit.«

[296] Gibt es nicht Lob, das auch vor dem strengsten Richterstuhle des Gewissens, selbst im Sterben, das Siegel der Wahrheit trägt und verdient?

»Was will Euer Lehrling bei uns, wo er lernen muß, wenn er schon jene so seltene Lehrgabe besitzt, die nur wenigen gegeben wird?«

Nicht kaufen will er, sondern tauschen. Sein Plan ist, uns zu benutzen, indem er uns nützlich wird. Er will mit der Linken geben, ohne daß die Rechte es weiß, und mit der Rechten nehmen, ohne daß die Linke es als Bezahlung ansieht; – er will rescontriren.

»Wird er halten, was Ihr versprecht?«

Ich stehe für ihn.

»Wir ehren Eure Bürgschaft. Was habt Ihr aber für Gegensicherheit genommen?«

Seinen guten Ruf, sein edles Herz, seine Geburt, seine Eltern, sein ganzes Aeußere. Haben Menschen andere Bürgschaften? Steht nicht oft der auswendige Mensch für den innern, der sinnliche für den intellectuellen? Wahrlich! der Geist hält seltener Wort, als der Leib, wenn von wechselseitiger Bürgschaft die Rede ist. Zwar trügt die Physiognomie zuweilen; hält sie aber nicht noch öfter Wort? Seht! er hat eine der glücklichsten, die man sehen kann.

»Hat er Zutrauen zu uns, und wird er mit uns sympathisiren? Werden wir auf einander wirken und gegenwirken können?«

Sicher! sonst litt' er die Decke nicht, die ihn verhüllet.

»Und was glaubt er zu finden?«

Nicht Menschen, die es ergriffen hätten, doch die ihm nachjagen, ob sie es auch ergreifen würden.

»Was hat ihm diese gute Meinung beigebracht? – Menschen sind wie Bäume; aus ihren Früchten muß man sie erkennen. [297] Kann man auch Feigen lesen von den Dornen, und Trauben von den Disteln?«

Sollt' er seinen Eltern und denen nicht trauen, deren Herzen sich noch näher sind als ihre Besitzungen? – Nur die Zeit bringt Rosen. – Zwar ist das Leben kurz; doch langsam reifen die Früchte des Guten. Unreife, zu frühzeitige Früchte brachten in der moralischen Welt von jeher den unwiederbringlichsten Schaden. Eva wollte Erkenntniß des Guten und Bösen so leicht erlangen, als einen Apfel essen, und verlor das Paradies, das wegen dieser Vorschnelligkeit nicht anders als durch den langsamen Weg der Tugend zurück zu bringen ist.

»Ist dem also, was verlohnt es, daß der Mensch den rauhen Weg zum Guten antritt?«

Ist es nicht besser, den Garten anzulegen, den Baum zu pflanzen, als unter dem Schatten eines wohlthätigen Baumes sich hinzustrecken und geradezu in Eden eingeführt zu werden? Hätten Adam und Eva das Paradies allmählig gepflanzt, sie wären nicht gefallen. – Damit die Menschen die Erde zum Paradiese machen möchten, wurden Adam und Eva nackt, bloß und arm in sie hineingestoßen. – In eben den Zustand, in welchem wir auf die Welt kommen, sahen Adam und Eva sich versetzt und zu diesem Kinderspiele verurtheilt! – Thiere arbeiten ohne Rücksicht auf ihre Gattung; wir für das Menschenall. – So wie jene mit Adam und Eva aus dem Paradiese, oder mit der Familie Noahs aus dem Kasten gingen, so sind sie auch noch leib- und seelhaftig; allein der Mensch – was ist aus ihm nicht geworden! – was wird aus ihm nicht noch werden! – Der Mensch wirkt auf die Menschheit, und die Menschheit wirkt zurück auf den einzelnen Menschen. Von sich selbst denke der Mensch so klein, von der menschlichen Natur so groß als möglich! – Das Gute, das wir thun, lebt von nun an bis in Ewigkeit. – Halleluja!

[298] »Der Tod soll hinfort darüber nicht herrschen, Halleluja.«

Halleluja.

»Was der Mensch vermag, kann er nur durch die Anstrengung seiner Kräfte erfahren; was dieMenschheit vermag, wer hat dieß Ziel gemessen? Arcane und heimliche Mittel sind verdächtig; Verschwiegenheit ist für jeden Mann, für jedes Weib nöthig, welche die Ehre haben wollen, Mann und Weib zu seyn.«

Wahrlich, eine große Ehre!

»Viele Menschen sind durch Reden unglücklich geworden; durch Schweigen wird es niemand. – Will man jemand um Verzeihung bitten, ihn bewundern – ehren, lieben, verachten, ihm vergeben, – wie weit stehen Worte dem Schweigen nach! – Die größte Beredsamkeit besteht in der Kunst, zu schweigen. Schweigen ist ein moralisches Universale, alles zu erlangen, was man sich vorsetzt. – Ich will schweigen, um alles zu sagen.« – – – Eine Stille.

Verschwiegene Großmeisterin, dieser Jüngling fühlt die Erhabenheit unseres Ordens in Eurer Rede und in Eurem Schweigen; er will Würdigung der menschlichen Natur und Würdigung seiner selbst lernen; er will durch Schweigen an sich selbst arbeiten, seine Anlagen verstärken und befestigen und seine Fehler mindestens nicht durch Reden vervielfältigen. Sagt Ja zu seiner Aufnahme.

»Brüder und Schwestern, Schwestern und Brüder! gebt mir den ersten Buchstaben.«

Sie sagen I, und sie A. Jetzt eine Stille.

Hierauf fragt die Großmeisterin: Brüder und Schwestern, Schwestern und Brüder! Ist es euer Wille?

Alle sagen ein volles Ja.

Sie schließt mit Amen, und der Candidat wird ihr drei Schritte näher geführt. Sie redet ihn an:

[299] »Der Areopagus, in welchem die wichtigsten Sachen gerichtlich entschieden wurden, war kein pompreicher Tempel, sondern eine Strohhütte; – Weisheit und Verschwiegenheit zeichnen ihn aus. Bei Nacht hielt man Gericht, und keiner Partei, keinem Anwalt war es erlaubt, durch Eingänge und Blendwerk, durch Tropen und Figuren, durch Licht und Schatten seinen Vortrag zu verschönern, und durch Wendung und Witz den Richter zu bestechen. – Durch Worte gibt man sich oft so aus, daß man bettelarm ist; durch Schweigen verfährt man so ökonomisch, daß man nicht nur für sich selbst spart, sondern auch noch einen Ehren- und einen Armenpfennig behält; diesen, zu geben dem Dürftigen, jenen, um mit Anstand Feste zu feiern, wenn es Festumstände verlangen. Wer viel spricht, kann nicht allein nicht immer gut sprechen: nein! Unwahrheiten und Dichterlicenzen haben eine solche Gemeinschaft mit den Worten, daß sie nicht von einander lassen. Wollt Ihr behutsam und bedächtig in Euren Reden seyn?«

Der Candidat antwortet: Ich will es.

»Kaiser Augustus hatte einen Freund, Fulvius, dem er sein Leid klagte. Ich armer, verlassener Vater! fing er an; mein Posthumus ist verwiesen; ohne Stütze, ohne Erben jammere ich; und weißt du, was ich zu meinem Troste thun will? (Worte sind leidige Tröster; Handlungen nur können trösten und aufrichten.) Den Posthumus nach Rom berufen und ihm die Regierung anvertrauen. – Fulvius entdeckte den Entschluß des Kaisers seiner Gattin; diese offenbarte ihn der Kaiserin Livia, ihr, die dem Stiefsohn Augusts das Regiment abwenden wollte! – Armer Kaiser! und noch ärmerer Fulvius, dem August seine Freundschaft aufkündigte, und dem nichts weiter übrig blieb, als sich verzweiflungsvoll das Leben zu nehmen! Seine Gattin kam ihm zuvor, und beide starben an diesem verrathenen Geheimniß den wohlverdienten Tod wegen beleidigter Freundschaft. – Mein Sohn, wollt [300] Ihr jedes anvertraute Geheimniß heilig bewahren, und es nie verrathen noch verkaufen, weder durch Worte noch durch Zeichen?«

Ich versprech' es.

»Werdet Ihr Euch aber auch durch nichts, weder durch Verheißung noch Drohung, durch Liebe oder Leib, durch Freundschaft oder Feindschaft in Euren Entschlüssen wankend machen lassen?«

Durch nichts.

»Zu gewisser Zeit versammelte sich der Rath in Rom einige Tage nach einander auf eine ungewöhnliche Art. Die Gattin eines Senators beschwor ihren Gemahl, ihr den Schlüssel zu diesen Berathschlagungen zu behändigen, den sie heilig zu bewahren gelobte. Um sie zu befriedigen, gab der Senator vor: eine übernatürliche Lerche sey nach der Anzeige des hochehrwürdigen Consistoriums über die Stadt geflogen, und nun stehe man in Sorgen, ob dieser Flug Segen oder Fluch bedeute. So schnell konnte die Lerche nicht fliegen als diese Nachricht. Sie kam zeitiger zu Rathhause, als ihr Erfinder; und wie wohl war ihm, seiner Gattin nichts von den rathhäuslichen Deliberationen entdeckt zu haben! – Werdet Ihr den Durst Eurer Geliebten nach Eurem Geheimnisse – nicht durch eine Unwahrheit löschen, keine Lerche über die Stadt fliegen lassen, sondern Muth genug haben, Nein zu sagen, wo Ihr Gewissens halber nicht Ja sagen könnt?«

Ich werde.

»Wohlan es sey! Leeret diesen Becher mit Wein gefüllt und erinnert Euch, daß Wein und Weiber oft den Weisen verleiteten!«


(Er trinkt den Becher aus.)


»Jetzt leeret den Becher mit Wasser, der Euch an den Fluß Lethe erinnere! Ein guter Egel schlage Euch mit Vergessenheit, wenn Ihr an den Rand der Verrätherei kommen solltet, wovor Euch Pflicht und Neigung, Kopf und Herz bewahren wollen!«

»Jetzt öffne man ihm die Augen!«

[301] Der Candidat sieht Brüder und Schwestern, Schwestern und Brüder (damit kein Geschlecht dem andern vorgreife, wurden Brüder und Schwestern nie anders ausgesprochen) gekleidet wie die vorbereitende Schwester und seine Mutter als Großmeisterin. – Jetzt ward er in das Lichtzimmer gebracht und ihm das Ordenskleid angelegt. Bei seiner Zurückführung in den Areopag sagt ihm die Großmeisterin: »Ihr seyd nun wie unser Einer. Wir fordern keinen Eid, keinen Handschlag. Warum? Diese Vermuthung, daß Ihr Euer Wort minder halten werdet, als Schwur und Handschlag – hätten wir die, wahrlich Ihr wäret so weit nicht gekommen!« – Die Großmeisterin nimmt ihn bei der Hand und führt ihn auf ein anscheinendes Kanapee, weiß beschlagen, wo indeß nur von beiden Seiten Sessel sind. – Die Mitte ist leer. »Setzt Euch!« sagt sie; und indem er sich setzen will, fällt er auf die Erde –! –

Unser Held war, als er fiel, in eben dem Grade verlegen, wie es Schwestern und Brüder und Brüder und Schwestern waren, mit dem Unterschiede, der Neuaufgenommene aus Aerger, die Aufnehmer und Aufnehmerinnen, die Aufnehmerinnen und Aufnehmer – um nicht laut zu lachen. – Der Ritter allein blieb ernsthaft. »Hab' ich es dir nicht oft gesagt, Eldorado sey unter der Erde? – Nur unter der Erde ist Eldorado!« sagte er seinem zur Erde gesunkenen Sohne.

Nachdem sich die Großmeisterin gesammelt hatte, redete sie ihn an:

»Stehet auf! Diese Ceremonie ist ehrwürdig, so kleinlich sie auch aussieht. Sind die Ceremonien überhaupt anders? Selten sind sie der Sache auf den Leib gemacht, – und man muß ihnen nachhelfen, wenn sie ehrwürdig seyn sollen. Die gegenwärtige deutet an, daß die meisten Geheimnisse nichts weiter als ein verdeckter leerer Raum sind: – Vorhänge, hinter denen nichts ist. [302] Leider! der Vorhang ist alles. Wer sie recht zu fassen gedenkt, fällt, sowie Leute, die nach den Sternen sehen und den Boden vernachlässigen, auf dem sie wandeln.«

Sie enthält die Warnung, sich nicht den Geheimnissen anzuvertrauen, wenn gleich andere sich beredet haben, Euch hoch und theuer, ja theuer zu versichern: man werde hier Schlüssel zu Himmel und Erde und dem gehofften Kanaan der Natur finden. – Wir beide hatten Stühle und Ihr fielt zu Boden. Die meisten Menschen glauben, daß das, was sie für ihr größtes Glück hatten, nicht von ihnen, sondern von andern herkomme. Nicht also! von andern kommt nicht nur unser größtes, sondern all unser Unglück

Sie lehrt, daß man auch ohne blankes Eis fallen kann. Viele brachen in ihrem Zimmer physisch und moralisch Arm und Bein.

Sie lehrt, daß man so leicht fallen als aufstehen kann, und daß, wer da steht, wohl zusehe, daß er nicht falle. – Alles ist ein Grab, sagt ein geistreicher Dichter, und die Brautkammer ist nur ein höheres Stockwerk über dem Grabe; der prächtigste Speisesaal ist seine Vorkammer. – Unsere gestrengen Gesetze machen den Menschen oft schlecht, um ihn strafen zu können, und befinden sich im geheimen Dienste des Despotismus, obgleich die Gesetzhanbhaber behaupten, sie wären die trostreichen Mittler zwischen Volk und Oberhaupt. – Sie befehlen, was sich von selbst versteht, wollen Naturgesetze durch Strafen verstärken, positive Gesetze der Natur unterschieben; sie befehlen – was Putzmacherinnen und Modehändler weit besser bewirken könnten, wenn man sich die Mühe nähme, diese Menschen unvermerkt in Staatsdienst zu nehmen. – »Die Generalpächter halten den Staat,« sagte Fleury. »Freilich,« erwiderte jemand; »aber gerade so, wie der Strick den Gehängten.« – Seht! wer bloß ein gesetzlicher Mensch ist, kann wahrlich nicht[303] weniger seyn. – Nicht nach den Gesetzen des Staates, sondern nach Euren Grundsätzen müßt Ihr leben, wenn Ihr den Namen Mensch verdienen wollt. – Wahrlich! man kann nur die Tugenden seiner Ueberzeugung besitzen. Die äußerste Grenze von den Eigenschaften der Seele ist die Vernunft, – und dieHauptsumma aller Lehren: seyd vernünftig! – Hütet Euch zu fallen, und wenn Ihr fallt, stehet schnell auf! Durch eine Constantinstaufe sollten alle Verbrechen, Mord und Blut abgewischt seyn? Daß sich Gott erbarme! Von unserm ganzen Leben, nicht von dem letzten Augenblicke desselben sind wir verhaftet. – Er aber, der in Euch angefangen hat das gute Werk, wolle es durch seinen heiligen Geist in Euch bestätigen und vollführen! Amen.

Endlich soll Euch diese Ceremonie lehren, daß der Mensch nicht zur Ruhe berufen ist – und daß bei weitem nicht jede Ruhebank, wenn sie gleich köstlich und fein einladet – Ruhe gewährt.

Das Zeichen, wodurch wir uns von andern unterscheiden, ist, den Zeigefinger auf den Mund legen. Zeichen und Bedeutung bedürfen keiner Erklärung.

Außer diesem Grade gibt es im Orden noch zwei, von denen die Erschienene uns nichts als das leere Nachsehen zurückgelassen hat. Sie versichert dieser beiden Grade selbst noch nicht gewürdigt zu seyn. Der Himmel bringe sie zu diesem Ziele, wenn es ihr nützlich und selig ist!

Der nächstfolgende ist der Grad der gelösten Zunge, und der dritte der Grad der Handlung.

Die Freimaurer-Adoptionsloge ist übrigens von dem gegenwärtigen Orden völlig unterschieden.

Auch wird Tafelareopag gehalten, bei dem nichts Denkwürdiges vorkommt, als daß man bei der ersten und letzten Schüssel [304] kein Wort spricht. Dieß Symbol bedeutet den Anfang und den Schluß des menschlichen Lebens.

Daß diese Aufnahme viele Fragen über die

64. Erscheinung
§. 64.
Erscheinung

veranlaßte, war natürlich; die Nachbarschaft indeß wußte nur wenig. Und dieß Wenige? – Die Erschienene wäre ihr unter dem Namen des Fräuleins Sophie von Undekannt empfohlen. Ihr Zuname sey offenbar angenommen. Auch Sophia (Weisheit) schiene nicht authentisch zu seyn, bemerkte die Nachbarin. – Diese Bemerkung richtete den aufs Haupt geschlagenen Ritter in Rücksicht des einen und ziemlich gemeinen Namens auf, – die Ritterin aber freute sich innerlich, daß Fräulein von UndekanntSophie hieße. »Von wem empfohlen?« Von einem Verwandten aus Sachsen, nicht empfohlen, sondern auf die Seele gebunden. Sie hätte hier bloß einen jungen Cavalier drei Viertelstunden gesprochen und wäre überhaupt nur drei Tage in – – gewesen. Dieser edle Jüngling hätte sich, aller Bitte länger zu bleiben ungeachtet, keine Minute über die drei Viertelstunden aufgehalten, und – das war alles, was man wußte. Fräulein Undekannt sey äußerst für sich gewesen und habe nie gelacht oder geweint. »War sie allein mit dem Cavalier?« fragte unser Junker. Eine wahre ABC-Frage! Nein, ihre Kammerzofe war Zeugin. – »Und die?« – Auch aus dem Orden der Verschwiegenheit. Den ersten Tag sprach die Undekannte den Undekannten, den zweiten waren wir in Rosenthal. Die Nachbarin glaubte durch geheime Einflüsse krank gewesen zu seyn; sie war es den zweiten und dritten Tag zum Sterben gewesen, bis drei Stunden vor der Abreise des Fräuleins Undekannt. – Durch Auflegen ihrer Hände, wie sie [305] glaubte, sey sie schnell gesund geworden; dieß Auflegen wäre indeß unvermerkt und wie ein Streicheln vorgefallen. Man bat die Nachbarschaft, sich in Sachsen bei ihren Verwandten nach diesem wunderbaren Mädchen zu erkundigen, und Vater und Mutter, Prediger und Heraldicus junior wünschten nicht weniger Nachricht als unser Junker; denn ob er gleich hier in besonderm Sinne neugierig war, so schien ihm doch der Umstand mit dem Dreiviertelstunden-Cavalier, der Kammerzofe ungeachtet, nicht zu gefallen. Ach! du armer ABC-Darius im Liebesorden der Verschwiegen heit! – – Verliebt und neugierig seyn ist nicht weit auseinander. – Daß die Großmeisterin und die andern agirenden Personen nur ein ausführliches Scenarium vor sich hatten und in vielen Stellen improvisirten – darf ich das bemerken? Auch daß es wörtlich vorgeschriebene Scenen gegeben, versteht sich von selbst. Gleich den ersten Tag wurden Ritter und Ritterin aufgenommen, am dritten Tage unser Held. Nie schied die Nachbarschaft mit so vielen wechselseitigen Dank- und Erkenntlichkeitsbezeugungen von einander.

65. Wer da
§. 65.
Wer da?

Der Junker, der, je länger je mehr über die dreiviertelstündige Unterredung beruhigt, überall die Undekannte sah, horchte voll Neugierde auf; und siehe da! ein Offizier, der nichts weiter verlangte als ein Attest, daß seine Braut die Enkelin von dem Fräulein Cousine wäre. – Die Enkelin von einem Fräulein? – Lieber Gott! erwiederte der sonst dienstfertige Ritter, wie soll ich die Richtigkeit der Enkelin beurkunden, da ich nicht weiß, daß das selige Fräulein Sohn oder Tochter gehabt hat? – Hier zu Lande, Herr Hauptmann, ist es nicht in Gebrauch, daß Fräulein Kinder[306] haben, und Eva ist die einzige rechtmäßige Ausnahme von dieser allgemeinen Fräuleinregel. Die Ritterin konnte dieses moralische Räthsel, das sie verzweifelt nannte, eben so wenig lösen; und allerdings mußt' es ihr unerklärlich vorkommen, wie Fräulein Cousine eine solche Heuchlerin seyn können. Kann etwas Aergeres, sagte der Pastor, auf Gottes Erbboden seyn, als daß ein sonst regelmäßiges Fräulein Mutter wird, ohne priesterliche Einsegnung? – – Ist davon die Frage? erwiederte der Offizier. – Ich dächte! erwiederte der Prediger; und der Hauptmann: binich nicht der Frager? – Das Räthsel! Die wohlselige Cousine, deren Fräuleinschaft der Gewissensrath und der Rechtsfreund Hand in Hand mit Brief und Siegel nach ihrem Hintritt corroborirten, ließ ihr Vermögen, wie wir aus ziemlich richtigen Angaben schon wissen, ihrem fünfundvierzigjährigen Sohne nach, der einen Meierhof besaß und nicht ohne Kenntnisse war. Er hatte ein armes Fräulein geheirathet (wahrlich ein besonderes Schicksal für die Fräulein! sagte der Pastor), das, von aller Welt verlassen, nichts weiter als sechzehn Ahnen einbrachte, an die indeß nie anders als an hohen Festtagen, wenn ein Glas Most das Herz der glücklichen Eheleute erwärmte, gedacht ward. Beide pflegten alsdann über ihre wunderbare Weihnachten zu lachen, er ein Findling; sie ein sechzehn Ahnen reiches Fräulein! Der Pfarrer des Ortes und der Küster hatten etwas von diesem Meierhofsgeheimnisse erfahren. Die Erbschaft vom Freitischfräulein war nicht undeträchtlich! Der Sohn erbte das Kapital, von dem die Mutter bloß Zinsen und wegen Sicherheit des Kapitals nur sehr mäßige Zinsen zog. Bei dieser Erbschaft fiel dem Sohne auch eine Handbibliothek, und in derselben eine nicht kleine Anzahl Gebet- und Gesangbücher zu. – – In einem derselben fand er Hieroglyphen von Anzeigen, die den Gedanken in ihm erregten, dem Rechtsfreunde ein baares und richtiges Geschenk auf gute Manier [307] beizubringen, falls er sich entschließen wollte, gegen diese Valuta ihm das Räthsel zu lösen. Nie indeß würd' es der Sohn auf diese Lösung ausgesetzt haben, wenn seine Gattin es nicht mit Händeringen gewollt hätte. – Wie denn so? Wollte das brave Weib nicht länger die Gattin eines Findlings seyn, durch den sie dreimal sieben Jahre glücklich gewesen war? – Sie hatten eine Tochter, die in der benachbarten Stadt in einigen ritterlichen Uebungen unterrichtet ward; und – wie es bei diesen Uebungen nicht ungewöhnlich ist – der Offizier des gegenwärtigen Paragraphen verliebte sich in sie. Seine Verwandten bestanden auf sechzehn Ahnen; und da er selbst als Johanniterritter eingeschrieben war – weßhalb sollten seine Kinder dieser Ehre ohne Noth verlustig gehen? – Es beugte ihn keine Wechselschuld und er brauchte keine zusammengetragenen Schätze einer Ameise. Freilich in der ersten Hitze gab Monsieur Egalité den ganzen Orden gegen das Linsengericht einer Sinnlichkeit auf, und das Evangelium der Gleichheit war die vernünftige lautere Milch, bei der er es sich im Kanaan der Liebe, wo Milch und Honig fleußt, wohl seyn ließ. Doch wußte sein Elternpaar, besonders die vernünftige Mutter, die Freiheitsmütze ihres Sohnes Egalité so unvermerkt wieder in einen Soldatenhut zu verwandeln, daß er zur Besinnung kam. War bei diesen Umständen der Brautmutter das Händeringen zu verargen, ihr, der das Fräulein noch immer im Blute saß? – Und der Brautvater? – Besser, lieber Leser, du fragst zuerst nach der Brautgroßmutter! – Freilich, die Großmutter! – Der Rechtsfreund, der nach gehöriger Vorstellung des Findlings versicherte, daß er sich Gewissens halber verpflichtet gehalten, nicht mit diesem Geheimnisse aus der Welt zu scheiden, und daß er eben (sonderbar!) in diesem Augenblicke dieses baaren und richtigen Besuches von Gewissens wegen den Entschluß gefaßt, sein Herz zu erleichtern, nahm indeß, seines von Gewissens wegen [308] gefaßten Entschlusses ungeachtet, die positiven Beweggründe mit Dank an, und beichtete nunmehr, daß Herr von ** mit Fräulein Cousine wirklich im Kloster zu – ehelich verbunden worden wäre, worüber er das Attestat in Händen hätte. Wie gut war es, daß unser Rechtsfreund nicht lebendig gen Himmel geholt oder plötzlich zur Hölle gefahren war; der Hauptmann wäre sonst um dieß Attestat gekommen, ohne zu wissen, wie. – Daß doch alle Rechtsfreunde oder Rechtsfeinde (wie heißen diese Herren eigentlich?) nur langsam sterben möchten, um desto mehr Zeit und Raum zu haben, mit ihrem Gewissen abzuschließen! – Wird ihnen doch selbst dieser Abschluß baar und richtig bezahlt! Auch wolle der geneigte Leser und die geneigte Leserin unschwer bemerken, daß eigentlich ein Kloster einFräulein zur Frau machen könne, ohne daß sie aufhört, Fräulein zu bleiben. Es leben die Klöster und ihre Attestate! und der Lack! denn an dem unsrigen war er nicht gespart. Und was fehlte noch diesem gefundenen Schatze, den der Gräber desselben, wiewohl erst nach ausgestellter legaler Quittung, aushändigte? – Was noch fehlte? Zuerst sollte diese Quittung gerichtlich recognoscirt werden. Selten ist eine Krankheit, wo der Doktor nicht einen Barbier anbringen kann; eine Hand wäscht die andere. – Zweitens fehlte der Beweis, daß unser Findling der wirkliche eheliche Sohn aus dieser Klosterehe sey. Hierüber hatte sich der Rechtsfreund, ohne seinem Gewissen auf tausend Meilen zu nahe zu kommen, eidlich, und abermals gegen die Gebühr, abhören lassen; indeß fand man, wo nicht nöthig, so doch nützlich (da die Gerichte, wie es heißt, eben der Gebühren halber alles dreidoppelt bewiesen haben wollen), daß drittens auch die Schrift der Fräulein Cousine recognoscirt werden möchte. Undedenklich! – Die Ritterin recognoscirte diese Cousinenhand mit Freuden, und alles war froh, daß ein Fräulein, wenn es eine schöne Enkelin hätte, noch nach dem Ableben eine [309] Frau werden könnte, ihrer Fräuleinehre undeschadet. Unser Held hatte sich den Offizier zu seinem Freunde gemacht, der, ob er gleich nicht jener Cavalier war, welcher mit der nur drei Tage in der Nachbarschaft gebliebenen Undekannten im Beiseyn der Kammerzofe drei Viertelstunden conversirt hatte, doch etwas Wichtiges vorstellte. – Er erblickte unvermuthet beim Schlafengehen ein Kreuz auf seiner Brust, welches der Kreuzträger, sobald der Held sein Auge darauf heften wollte, mit erstaunlicher Sorgfalt verbarg. – Vielleicht, um seine Neugierde zu reizen? – Vielleicht, vielleicht auch nicht! Ohne sich mit ihm ins Kreuz einzulassen, brachte der Hauptmann ihm doch in der Quer eine große Meinung von der

66. Freimaurerei
§. 66.
Freimaurerei

bei, und nahm es über sich, ihn in – als Aspiranten in die Rolle einzeichnen zu lassen, wodurch er edle Zeit gewänne; ja wohl, edle Zeit, da in der Loge zum hohen Licht, die in – leuchtete, niemand auf- und angenommen würde, der nicht zuvor drei Jahre (eine strenge Loge!) auf der Exspectanten-Liste gestanden hätte. Warum so

67. Lange
§. 67.
lange,

da strenge Herren bekanntlich nicht lange regieren? Weil man jedes Mitglied verpflichtet, während dieser drei Jahre, so viel an ihm ist, den Aspiranten zu erspähen, und weil jeder Aspirant von dem Augenblicke an, da er eingezeichnet zu werden das Glück hat, einen Genius erhält, den er so wenig, wie Sokrates seinen Dämon, sieht. – Und dieser Genius? – ist sein Schatten, oder er der [310] seinige, wie man will. – Und der Auftrag dieser moralischen Mouche? – Ueber Schritt und Tritt des Aspiranten zu wachen und darüber zu berichten. Von diesen Nachrichten allein hängt es ab, ob und um wie viel die Wartezeit verkürzt werde. – Also doch verkürzt? – Nach Umständen. – O die allerliebsten Umstände! Dacht' ich es doch gleich, daß aus drei Jahren, wiewohl nach Umständen, auch drei Tage werden können. Fürs erste rieth der Hauptmann ihm an:

1) es sich fest einzuprägen, daß alle Menschen frei und gleich geboren würden. Diese Lehre ist das Fundament der Maurerei und die beiden Grundpfeiler der Menschen- und Brüderliebe.

2) Diese Gleichheit und diese Freiheit werden so wenig durch Staatsverhältnisse gehoben, daß sie dieselben vielmehr bestätigen. Man kann im Namen der Gleichheit morden und im Namen der Freiheit vergiften; die Bilder der Freiheit und Gleichheit dienen oft den Tyrannen zur Parole, und zum Schild und zur Losung bei der Fahne des Verderbens. Kann sich der Jude nicht ein Scheermesser, der Taube eine Nachtigall, der Blinde ein Gemälde von Tizian und der Wassersüchtige einen großen Garten anlegen? – Da sich bei jeder Gährung Bodensatz findet, so ist jede Revolution gefährlich, und oft lenken verschlagene Köpfe das leichtgläubige Volk in noch größeres Elend. – Allmählig kommt die Natur zum Ziel, und dieß ist auch der eigentliche Gang der Menschheit. Die bürgerliche Gesellschaft ist eine Societät, woran Todte, Lebende und Werdende Theil haben; sie gibt dem Menschengeschlecht die Unsterblichkeit, und durch sie sind wir ewig! Sobald wir in eine bürgerliche Gesellschaft treten, hören wir auf, frei und gleich zu seyn; allein wir werden es auf der andern Seite weit mehr und weit erhabener. Ein größeres Maß von Kraft Leibes und der Seele beim Individuum macht Unterschiede unter den Menschen; und wenn gleich dieseUnterschiede, wie es am Tage ist, einen [311] gewissen Seelenluxus und ein leibliches Wohlleben, einen leiblichen Luxus bewirken, so dienen sie doch auch dazu, daß ein Viertel im Staat (eigentlich der Hospitalitentheil) ernährt und erhalten wird, der vielleicht sonst vergangen wär in seinem Elende. Die Brocken, die von den Tischen der durch die Natur zum Vermögen berufenen Menschen fallen, übertragen jenes Viertel von Staatseinwohnern, welche von der Natur kärglich ausgestattet werden.

3) Dieser Unterschied indeß, den die Natur in der Metaphysik und Physik des Menschengeschlechts macht, muß nie Augen, Ohr und alle Sinne beleidigend abstechen: er muß verschmelzen wie Licht und Schatten, muß so gehalten werden, daß edle Thaten alle jene physischen und metaphysischen Unterschiede überwiegen. – Auch gibt es Fälle, die selbst im monarchischen Staate an Gleichheit erinnern; z.B. die ausübende Gerechtigkeit! Wahrlich, wir sind alle Brüder! Ueber diesen Weltunterschied und Zusammenhang nachzudenken, sey ihr Vorbereitungsgeschäft! (Etwa auch nach Umständen?) Vielleicht, daß ihnen Schürze und Kelle gegeben werden, um den Zusammenhang noch mehr zu befestigen, das Schadhafte desselben zu ersetzen und – o, des großen Wortes! – ihn zu verbessern. Wir bauen Kerker für das Laster, und Tempel für die Tugend; wir verfolgen das Laster, wenn gleich eine Krone seine Schutzwehr seyn, – dulden keine Schlechtheit, wenn sie sich gleich in List verkleiden und mit Schein des Rechtes schmücken sollte. – Ein Beichtiger, welcher dreimal nach einander seinem Beichtvater einen Schafbiebstahl bekannte und ihm bußfertig das Geld zum Ersatz behändigte, erwiderte auf die Beichtfrage: warum er denn diesen Umweg zur Zahlung nehme, und warum er, bei dem Vorsatze zu bezahlen, nicht lieber kaufe als stehle?»Der Vortheil ist klar: jetzt mach' ich den Preis, im andern Falle würde ihn der Verkäufer machen.« Der Beichtvater absolvirte; wir würden excommunicirt haben. – Auch das witzigste Schelmstück verfolgen wir mit Steckbriefen; wir [312] sind seine erklärten Feinde. Die Verschiedenheiten der Meinungen dagegen trennen uns nicht. Trägt der Baum gute Früchte, so hindert er nicht das Land. – Um unsere Grundsätze mit den Staatseinrichtungen zu verbinden, lehren wir, daß es einen inneren und äußeren Menschen gäbe. Der innere macht eine unsichtbare Kirche, wo alles gleich ist; der äußere eine sichtbare, wo durchaus Verschiedenheit stattfindet.

Außer der Erscheinung des Fräuleins Sophie von Undekannt hätte unserem Helden nichts Erwünschteres begegnen können. Voll Erkenntlichkeit bot er seinem Lehrer den ersten Grad des Ordens der Verschwiegenheit an, welchen dieser aber mit vollem Lachen ausschlug. Wer die Sonne gesehen hat, wird der den Mond anbeten? Auch gab er dem Angeworbenen auf, von dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, gegen jedermann, und, wohl zu merken! auch gegen seine Eltern, ein tiefes Stillschweigen zu beobachten. Der Orden, setzte er feurig hinzu, ist Vater, Mutter, Schwester, Bruder. »Auch Geliebte?« fiel unser Held ihm pfeilschnell ein. – Nein, guter Profan, die ist eine Maurerschwester. – »Kraft der Adoptionsloge?« – Woher kennen Sie die? – »Ach! eine Undekannte hat mich damit bekannt gemacht, doch so, daß mir alles undekannt geblieben ist.« – Der Bräutigam lächelte und schwieg – und schwieg! – O, wie gern hätte unser Held noch mehr Honig von seinen Lippen genossen; doch wollte der Bräutigam sich auf mehr nicht einlassen. Uebrigens nahm er sein gerichtlich bestätigtes Attestat für die Maurerschwester mit und schied von hinnen, nachdem er zuvor mit unserem Helden eine

68. Correspondenz
§. 68.
Correspondenz

verabredet hatte, die ohne Anstand, wiewohl in ordensgemäßer Ordnung, ihren Anfang nehmen sollte. Die Hauptbedingungen [313] waren: Novicius kann, bei Strafe der Correspondenz-Aussetzung, oder völligen Aufhebung, nichts in Ordenssachen fragen. Er ist verpflichtet, sich, wie es einem Novizen eignet und gebührt, zu führen. Nach dreimal drei Wochen wird der Bräutigam die erste Epistel erlassen, und nach dreimal drei Wochen muß die Antwort abgehen, und so weiter. – Die dreimal drei Wochen sind von dem Tage des Empfanges zu berechnen. – Bei einer Frage und bei jeder ordensunwürdigen Führung wird der Correspondenztermin auf dreimal drei Monate hinausgerückt oder gar auf ewig gehoben. – Da ich weder ein Mitglied des sehr ehrwürdigen Ordens der Verschwiegenheit bin, noch als Novicius dem Hauptmann, der die Enkelin eines Fräuleins, welche Maurerschwester war, zu heirathen im Begriff stand, eine Handgelobung geleistet habe – was hindert mich, eine Sache nachzuholen, die unsern Helden außerordentlich interessirte? Geheimnisse verjähren, wie körperliche und unkörperliche Dinge. – Seit der Zeit ist alles verjährt. – Dreimal drei Viertelstunden vor seiner Abreise vertraute der leibliche Bräutigam seinem Ordensbräutigam eine Berechnung an, die ihm alle drei Grade des Ordens der Verschwiegenheit aufwog, ob er gleich nur des ersten gewürdigt war und die Undekannte selbst die andern beiden Grade noch nicht erhalten hatte. – Vermittelst dieser

69. Berechnung
§. 69.
Berechnung

konnte Novicius auf ein Haar wissen, wer von beiden, ob Mann oder Weib, Braut oder Bräutigam, eher sterben würde. Freilich war dieß mehr, als auf ein Scheinkanapee genöthigt, zum Fallen gebracht und mit dem Troste versehen werden, daß Eldorado unter der Erde sey; denn wenn man Eldorado in der Loge findet, hat man es nicht bequemer und näher? Der Werbehauptmann ließ [314] es unserm Helden im Hintergrunde und in tiefer Ferne sehen. Er zeigte ihm eine Diple über die andere, womit die Grammatiker vorzüglich die schönen Stellen im Homer bezeichneten; allein er ließ ihn keine dieser bezeichneten Stellen lesen, nur die Zeichen erlaubte er ihm zu sehen. Die Hand von der Tafel! Der Orden, fing er an, deß ich lebe, deß ich sterbe, und deß ich mit Leib und Seele bin, öffnet seinen Angehörigen Schatzkammern von Geheimnissen; doch müssen sie deren empfänglich seyn, und nicht um acht sich einfinden, wenn man um sieben ihrer wartet. Den Hauptumstand bei einer verwickelten Sache treffen und den wahren Zeitpunkt ergreifen, ist ein Eigenthum besserer Köpfe, das sie durch keinen Unterricht veräußern können. Es ist ein Radikalvorzug, eine Realwürde; indeß fallen Späne, wo Holz gehauen wird, und besonders scheint unser hoher Orden sehr spänreich zu seyn. Desto besser. Auch das heiligste Feuer wirft Funken aus. Alles, mein Freund, was den denkenden Menschen am meisten interessirt, ist ihm verschleiert. Diesen Schleier kann er nicht ziehen; vielleicht aber gibt es Mittel, dem Allerheiligsten sich ohne eine dreiste Hand zu nähern. Das aut, aut, das Entweder Oder; wenn nicht ein Bund mit dem Obersten der Seraphe, so mit dem Beelzebub; wenn nicht Cäsar, so Nichts, mag sein Fürhaben – meine Losung ist: Alle gute Geister loben Gott den Herrn. Wir wissen nicht, was Gott ist, wir können ihn nicht mathematisch beweisen; allein wir glauben ihn undan ihn, und müssen es, wenn anders dieß Leben uns in den Hauptstellen verständlich seyn soll. Wir werden nicht aufhören; wir werden nicht sterben, sondern leben. Ist es nicht eine Erfindung der Furcht, das Ende des diesseitigen Lebens Tod zu nennen? Dieß Leben mit seinen Drangsalen, wo der Fels des Sisyphus uns zu erschlagen drohet, wo immer ein Gewitter über unserm Haupte steht und Blitze in Kreuz und Quer uns ängstigen; das ist Tod; – der sogenannte Tod ist Leben. – [315] Wir sollten zum Sterbenden nicht:Gute Nacht, sondern: Guten Morgen, sprechen. Die Herrlichkeit indeß, die nach dieser Zeit Leiden unser wartet, ist uns verborgen. Wir müssen alle aufhören – Menschen zu seyn; wenn aber dieß Stündlein schlägt, wer weiß es? Die Aerzte? Behüte! Wie oft überlebte der, dem sie das Leben absprachen, seinen Scharfrichter von Leibarzt; und wie oft stirbt, ehe wir es uns versehen, der, dem die Facultät Brief und Siegel zu Methusalems Alter behändigte! – Der stirbt, weil er aß; der, weil er trank; der, weil er sich an den Fuß stieß; der, weil er seinem Freunde die Hand gab; der, weil er am Kaminfeuer stand; der, weil er zu viel, der, weil er zu wenig genoß; der, weil er den Tod verachtete; der, weil er sich Mühe gab, ihm auszuweichen; der am Examen; der am zu viel, der am zu wenig wissen; der an Fischen, der an Fleisch; der an einem Kern von einer Weinbeere, der am Pfirsichstein; der in der Kirche, der auf dem Ball; der am Schlagfluß, der an Hektik; der, weil er ein Hagestolz war; der, weil er in der Ehe lebte; der am Muth, der an der Furcht, der auf dem Bette der Ehren, der auf der Ottomane der Schande; der an Alexander dem Großen, der an Alexander dem Kleinen. Nur dann genießen wir die folgende Stunde, wenn wir ihre Vorgängerin als die letzte ansahen; nur alsdann ist sie uns ein Geschenk, wenn wie keine Rechnung darauf machten. Warum auch ein weites Ziel, da Blüthen abfallen und kleine und große Früchte, weit eher als der Baum geschüttelt wird! Maurer lieben nicht Diastematiker, Wortzieher und Dehner, Trillerschläger und Coloraturenmacher, wohl aber Männer, die mit Sachen ökonomisiren. – Jedes Ding hat seine Jahrszeit! Schnell will ich dir einen Vorhang ziehen. Es gibt Umstände, wo man durchaus wissen muß, wer in der Ehe der zurückbleibende Theil seyn wird. – Hier ist der Schlüssel. Zähle, mein Freund, die Vokale in den Vornamen, so ist das Räthsel gelöset. Wie heißt dein Vater? – [316] Fabian Sebastian. – Die Mutter? – Sophie. – Dein Vater stirbt vor deiner Mutter. – Man nahm Namen von längst verstorbenen Personen, und die Probe war richtig. So entzückt war kein Schüler des St. Germain und des Cagliostro, wie unser Held. Schnell wollte er seinen Vornamen mit dem der Erschienenen zusammenstellen, und die Vokale, wie die Offiziere, den Buchstaben vortreten lassen; indeß vertraten ihm zwei kleine Umstände den Weg. Der erste: seine Vornamen waren eine förmliche Sammlung, und ohne die Beihülfe des Kirchenbuches würde er nicht bestanden seyn in der Wahrheit. Der zweite Umstand machte auf gleiche Erheblichkeit Anspruch. Er wußte nicht, ob die Undekannte einen Geschlechts-, vielweniger einen Vornamen hätte. Wenn es meine Leser und Leserinnen interessirt – die Enkelin des Fräuleins Cousine überlebt den Werbehauptmann. Der

70. Dank
§. 70.
Dank

für diesen Unterricht ging über allen Ausdruck. Dankvoll bis zum Entzücken seyn, heißt nicht danken können. Dieß war der Fall unseres Helden. Könnt' ich doch, sagte er, nachdem er sich von der Dankverstummung erholt hatte, Worte aus lauter Vokalen bestehend finden – die man vielleicht nur in Eldorado haben wird; sie sollten Ihnen gewidmet seyn! – Unser Held that nichts als Vokale in den Namen zählen, so daß ihm die Consonanten als Leib, jene als Geist vorkamen. – Wie indeß doch alles sein Aber hat, so ward er durch die Diphthongen gewaltig zurückgesetzt. Sein Lehrer hinterließ ihm wegen der Diphthongen solche extrafeine Regeln, daß diese sonst so leichte Kunst dadurch nicht nur ins Gedränge kam – sondern auch, was bei weitem das ärgste war, nicht Wort hielt. Unser Held hatte sein Wort schriftlich gegeben, nichts von dem, was zwischen ihm und dem Werbehauptmanne [317] vorgefallen war, zu entdecken. Hierdurch gewann nicht nur der Bräutigam bei unserm Helden, sondern unser Held gewann auch in seinen Selbstaugen. – Er wußte doch ein Vogelnest, das dem ganzen reichsfreiherrlichen Hause, den Pastor und Heraldicus dazu addirt, verborgen war. – Ein Hauptreiz aller geheimen Gesellschaften, von wannen sie auch kommen und wohin sie auch fahren mögen! Gibt es nicht, sagte der Werbehauptmann, überall Geheimnisse, in Kabinetten, in Kosmopoliten-Clubs, in Schulen der Weisen, und in den Kirchen der Gläubigen? Geheimniß ist der Busenfreund eines glücklichen Erfolgs, der gültigste Bürge eines erwünschten Ausganges; Geheimniß zerbricht die feurigen Pfeile des Schwächlings und des Bösewichtes, des Verdachtes und der Bosheit. – Noch hatte ihm der Werbehauptmann einige diätetische Regeln in die Hand gedrückt, als da sind: alle Monate drei Hemden anzuziehen – sich vor gewissen Speisen zu hüten, und besonders auf gewisse Zahlen zu merken. Seine vorletzten Worte waren: Freund, es trügt mich alles, oder Sie sind zum Vokal unter den Menschen bestimmt. Schon find' ich in dieser romantischen Gegend, in der Denkart Ihrer Eltern, in der Physiognomie dieses Schlosses, seiner Bewohner und Gäste so viele Ordensorgane, daß Sie den Tag dreimal glücklich preisen können, da mich der Bedarf eines Zeugnisses zu Ihnen brachte. Das Instrument ist da; es darf nur gestimmt und gespielt werden. – Glücklicher Zufall! rief unser Held, wer sollte denken, daß so viel Gutes aus dem kleinen Umstande erstehen kann, wenn ein Fräulein eine Enkelin hat! Und das letzte Wort des Werbehauptmanns?

71. Erkenntlichkeit
§. 71.
Erkenntlichkeit.

Nicht doch! – Gewiß. – In Silber und Gold? – So schien es; – indeß war dieß Wort mit schönen Phrasen verbrämt, die [318] unser Bruder Redner wie Sklaven in seiner Gewalt hatte. Ist es nicht Ordenssprache? Ich sollte glauben. Unsere Ritterin bemerkte, der Hauptmann zwirne seine Ausdrücke. Nicht übel, da zwirnen zwei Fäden in einen bringen heißt. Doch schien er bei diesem an sich schweren Worte, an dem höchsten und niedrigsten, an dem so viele scheitern und fraudulose Bankerotte machen – ebenfalls zu kurz zu schießen. – Jupiter, fing er sehr pathetisch an, erhob das Fell der Ziege Amalthea, die ihn auf dem Berge Ida ernährte, zu ihrem Andenken zur Diphthera, zum Tapis, zur Schreibtafel, wo er der Menschen Thun und Lassen aufzeichnete. – Einen Anfang, der dem geistlichen Consistorialrath, als er voll süßen Weines war, Trotz bietet! Da es indeß in der Geschwindigkeit ihm nicht gelingen mochte, das Fell der Ziege, den Berg Ida, Tapis und der Menschen Thun und Lassen in Verbindung zu bringen, indem man es zu jener Frist nicht so weit gebracht hatte, aus einem halben Dutzend heterogener Wörter ein bewundernswürdiges homogenes Werk zusammen zu würfeln; – so schloß er: Sie verstehen mich. – Der Orden verlangt nichts, allein man gibt ihm ohne sein Verlangen. – Wer wollte nicht in den Klingsäckel des Staats, dessen Glöcklein jetzt, wo wir stehen und gehen, sitzen und liegen, läutet, reichlich legen, wenn die Gabe dem Geber hundertmal wieder gegeben wird – und dieß Scherflein von Saat zu tausendfältigen Früchten gedeihet?

Der gute Ritter hat freilich bis zum §. 72 in diesen Kreuz- und Querzügen gegrünt und geblüht, und dreimal sieben Jahre mit seiner Ehegattin in einer exemplarischen Ehe gelebt. Selten werden Väter der Bücherhelden es so weit und bis zum §. 70 bringen, sondern weit zeitiger dem Achill, dem Ulysses, dem Aeneas (soll ich an die Henriade denken?) Platz machen. – Warum soll ich es verhalten? Auch selbst noch im siebenmal siebzigsten §. würd' es mir leid seyn, mich von meinem Ritter zu

72. Scheiden
[319] §. 72.
scheiden

und ihn scheiden zu lassen. Leider wird er nur noch diesen und wenige folgende §§. erleben.

Was ist unser Leben? Wer weiß von uns, die wir dieß Buch schreiben und lesen, wie viele Paragraphen uns noch bevorstehen? – Wie Gott will? – Das edle gute Paar hatte, außer dem Erstgebornen, noch sechs Kinder erzeugt, die indeß im dritten, siebenten und neunten Jahre starben, obgleich keins nothgetauft war. Der Pastor loci zog nie, wenn die Baronin niederkommen sollte, über Land; vielmehr fehlte nicht viel, daß er bei ihrer Entbindung, wie ein Bischof in England bei der Königin auf die Sechswochenwache zog. Wär' ich paragraphensüchtig – zu wie vielen hätten mir so viele Kinder Gelegenheit gegeben! Jetzt begnüg' ich mich mit der Bemerkung, daß diejenigen regierenden Herren und Frauen, die bei der Nothtaufe, wiewohl gebührlich, übersehen waren, bei den folgenden drei Kindern als Taufzeugen in das Kirchenbuch verzeichnet wurden. Die letzten drei mußten sich ohne diese Ehre behelfen, und es war gut, daß man die Herren Nachbarn und Frau Nachbarinnen, die ohnehin genug mit sich selbst zu thun hatten, weiter nicht mit doppelten Personen belastete, obgleich, wie wir wissen, regierende Herren am leichtesten gemacht und vorgestellt sind. Ein

73. Brustfieber
§. 73.
Brustfieber

überfiel unsern wackern Ritter mitten unter seinen Cirkeln, eine Krankheit, mit welcher der Hausdoktor freilich bekannter war, als mit dem Johanniterfieber, woran der Ritter zu Anfang seines Ehestandes laborirte. Was half aber diese Bekanntschaft? Noch vor Ablauf der kritischen Tage entschlief er so sanft, ruhig und selig, [320] als hätten Engel ihm die Augen zugedrückt. – Er ruhe wohl! Denkwürdig bleibt es, daß in der letzten Session die Frage vom himmlischen Jerusalem aufgeworfen ward, wozu man die Finger zeige in der

74. Offenbarung Johannis
§. 74.
Offenbarung Johannis

fand und einbildungskräftig benutzte. Der Tod macht weise, sagte der Ritter; und warum sollten wir an ihn bloß als an den Zerstörer unserer Natur denken? warum ihn nicht als Beförderer zur Stadt Gottes, zum himmlischen Jerusalem, ansehen – um uns im Sterben die Bitterkeit des Sarges (wahrlich, der Sarg, nicht der Tod ist bitter) zu vertreiben? – Als hätt' er sich prognosticirt! – Nun war freilich das gelobte-Landes-Jerusalem noch nicht angefangen und der Meister Hans Peter – darüber leider! ins Irrenhaus gekommen. Auch verstand man nicht die Graphik des irdischen Jerusalems, und konnte keinen Bauentwurf auf das Papier bringen; was sollte denn aus dem unsichtbaren Jerusalem werden? Nicht minder wandte die Ritterin sehr bedächtig ein, daß die vielen Perlen und die Edelsteine wohl ihre Kräfte übersteigen möchten, und daß, wenn auch z.B. die Perlen von Glas oder Wachs genommen werden sollten, Regen und Sonnenschein dieß Hauptstück im himmlischen Jerusalem verwüsten könnten, so daß keine Perle auf der andern bliebe. Aller dieser nicht kleinen Bedenklichkeiten ungeachtet, entschied doch der hohe Rath für die Meinung des Ritters – der nicht wußte, daß er seine eigene Leichenrede hielt! Und wer weiß es, wenn man seinen Schwanengesang anstimmt? Wer? – Die Ritterin selbst, so perlenschwierig sie anfänglich schien, trat aus Liebe zu ihrem Gemahl bei, ohne sich durch die Pluralität zwingen zu lassen. Vielleicht fiel ihr in dunklen Vorstellungen der treffliche Gedanke ein, daß das gelobte Jerusalem bis jetzt außer den Sessionsschmäusen [321] noch keinen Dreier gekostet hatte. – Man beklagte, in Rücksicht eigenen Unvermögens und des traurigen Schicksals des verunglückten Maurermeisters Hiram, daß es so wenig Zeichnungen von den interessantesten Aussichten dieses himmlischen Jerusalems gebe, als Symphonien für das himmlische Orchester und Melodien auf die dortige in der Offenbarung mitgetheilte Liedersammlung. Wer weiß es, sagte der Prediger, wie dort die bekannte himmlische Collekte, das dreimal Heilig gesungen werden wird, und ob das Amen des Chorus nicht mit dem Ja dieses Pilgerlebens aufhört! Niemand indeß aus der himmlisch-jerusalemschen Gesellschaft brach in den Hymnus aus: Eia! wären wir da! – Die gnädige Frau, die schon in Gedanken in den krystallenen schnurgeraden breiten Straßen ging, indeß ohne einen Schritt zu thun und sich von der Stelle zu bewegen, erklärte sich im Geist einer Amazonin, und in den Gesinnungen einer Arria, ihre Perlen ganz gern zu diesem Jerusalem in den Gotteskasten legen zu wollen. Freilich ein Scherflein! Der Pfarrer übernahm den eben abgeschlossenen Plan und der Hofmeister das Notificationsschreiben an den geistlichen Consistorialrath, obgleich der Pfarrer beiläufig erinnerte, daß es noch sehr zweifelhaft bliebe, ob dem hochehrwürdigen Consistorio mit einer vidimirten Copie des himmlischen Jerusalems gedient wäre, als wo sich die Herren Consistorialräthe, ob sie gleich dort über alle Johanniterkreuze hinweg zu leuchten die Hoffnung hätten, höchst ungern zu Rittern schlagen ließen.

Der Abschied unsers Ritters war

75. Rührend
§. 75.
rührend.

Er tröstete seine Gemahlin und gab seinem Sohne schöne Lehren. – Der Prediger und Heraldicus junior hatten nichts weiter zu thun als den Ritter zu bewundern. »Ich würde unerkenntlich [322] seyn, wenn ich vom Vater im Himmel mehr verlangen sollte, als er mir reichlich und täglich gab. Dank ihm, daß ich lebte und daß ich sterbe! Ein Geschenk hätte ich freilich mit Danksagung empfahen: – sechzehn Ahnen für meine Sophie! Da war aber am Emsigen kein Tröpflein adlich – und ihm konnte weder durch eine Enkelin eines Fräuleins, noch durch tausend Atteste von Rechtsfreunden etwas beigelegt werden, was ihm in allen seinen Vorfahren bis auf Adam, den ich ausnehme, nicht zustand.« – Ich habe ihm keinen Stein in den Weg gelegt, weder zu Wasser noch zu Lande, und er wäre mir in Amalfi so willkommen gewesen, wie der Nachbar, der mir die Zinsen so richtig zahlt. – Wer weiß, welchem Guten auch unangenehme Vorfälle den Weg bahnen! Die Planzeichnung des gelobten Landes Jerusalem ist fertig, und wäre Hiram nicht im Irrenhause, so würden freilich die heiligen Oerter auch in natura vollendet seyn – bis auf das himmlische Jerusalem, welches erst in der letzten Session beschlossen ward und welches ich in kurzem im Original schauen werde. Gern würd' ich euch Zeichnungen senden, wird es aber angehen? Daß ich lieber David und Salomo in einer Person, als David allein gewesen wäre, wißt ihr so gut wie ich. Doch murr' ich nicht, und gern stellt es David seinem Sohne Salomo anheim, ein Werk zu vollenden, das herrlich angefangen ward. Ist dem Salomo dieß Werk bedenklich, da ihm die Ehre versagt ist, Johanniterordensritter zu werden, so fange er immerhin ein anderes an – nach Belieben. – Mein Segen über ihn und über sein Dichten und Trachten in diesem und jedem andernWeinberge des Herrn! Wahrlich, die Natur hilft mir sterben: sie ist immer bis auf die Mütze sehr gütig gegen mich gewesen; auch hab' ich ihr mit Wissen und Willen nichts in den Weg gelegt. Ich sterbe auf ihren Namen. – Meine Krankheit hat mich vom Leben nie mehr abgezogen als meine Grundsätze, die alle es dazu anlegten, ritterlich zu leben und ritterlich zu sterben. [323] – Ich saß nie, wie es von Malesicanten heißt, auf den Tod; – ich war so wenig ein Knecht des Todes, als ich je Knecht irgend eines Menschen gewesen bin. Ich lebte bis ich sterbe; ich sterbe, weil meine Stunde schlägt; ich gehe zu Bette, weil ich schläfrig bin. Eine leichte Todesart! Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele, bin ich besser als meine Väter! ist meine Losung. Mir fehlt nichts als daß ich sterbe. So sind meine letzten Stunden selbst ein herrliches Geschenk der Vorsehung, da ich in ihnen die schöne Natur bis zum allerletzten Augenblicke zu sehen und ihre Gaben, wenn gleich in kleinerem Maße zu genießen hoffen darf. – Ich war sehr für den Genuß des gegenwärtigen Augenblicks. – Besser Zeichnungen auf dem Papier für etwas Wirkliches ansehen als den heutigen Tag fliehen, ihn vernachlässigen, wie ein galanter Geck von Ehemann sein Weib vernachlässigt, weil er mit ihr copulirt ist. Die Zeit tödten, heißt den gegenwärtigen Augenblick verstoßen und es mit der Vergangenheit und der Zukunft halten. Alles hat seine Zeit: die Zeit und bald hätt' ich gesagt auch die Ewigkeit. Mit Gottes Hülfe will ich keinen Augenblick vom Leben verlieren – und allem Vermuthen nach werd' ich hier noch das Frühstück halten und in der andern Welt nicht zu spät zum Mittagsmahl kommen, wo Manna und Nektartrank und Speise sind. Wünscht mir eine gesegnete Mahlzeit! und ich? herzlich wünsch' ich euch eine fröhliche Nachfolge. – Was der Mensch säet, wird er ernten. – Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf. Ich halte mit allen Menschen, sogar mit den Türken Frieden, und über meiner Seele schwebt der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was die Welt besitzt und geben kann. – Meine unglücklich-glückliche Wechselsache und der Subhastationsrechtsstreit machten mich proceßscheu; ich kaufte mir Processe gleich bei ihrer Entstehung und ehe sie noch zu Kräften kamen, ab, ich erstickte sie in der Geburt. Ohne allen Zweifel wären sie mir sämmtlich nicht [324] so hoch zu stehen gekommen, wenn ich den breiten Weg der drei Instanzen eingeschlagen hätte. Wer den Reichthum aus einer andern Ursache schätzt, als um sich dadurch Ruhe zu kaufen, verdient nicht reich zu seyn und macht der Vorsehung Vorwürfe, daß sie Reichthümer oft an noch unverdientere Menschen spendet als Ehrenstellen. Mein Geist scheint in eben dem Maße an Stärke zuzunehmen als mein Körper ermattet, und dieß läßt mich hoffen, daß wenn mein Leib eine Leiche, Erde und zur Erde geworden, mein Geist sich in sein eigentliches Wesen versetzen wird, in welches er an frohen Tagen sich so gern entzückte! Ach, was ich so oft sagte, ist noch im Sterben meine Losung: Eldorado ist nicht hier, unter der Erde ist Eldorado. Diesen Wahlspruch legire ich meinem Einzigen. – In Eldorado ist Friede und Wonne! Doch jetzt, da es zum Sterben geht, möchte ich meine Firma verändern. Unter der Erde ist mir zu traurig, und warum nicht eine Wortveränderung, die so klein ist? Die Sache bleibt – Eldorado ist in der bessern Welt. Wie dünkt es dir am besten? Ueber der Erde scheint tröstlicher als unter der Erde. Dort oben brennen immer Lichter, unter der Erde ist es finster. Selbst die mit Blumen besäete Wiese – kann sie sich gegen den gestirnten Himmel messen? Doch sey es dir überlassen, ob über oder unter, nachdem du Lust und Liebe hast, dir eine Landkarte von der Zukunft zu zeichnen, mit der man nicht so leicht als mit der vom irdischen Jerusalem fertig werden kann. Ueberhaupt ist es übel mit den Worten, kann man sie wohl zum Stehen bringen? – Wenn der Leib untergeht, geht die Seele auf. – Thue Gutes, liebe Sophie, den Kindern und Angehörigen des Küsters, des Nachtwächters und des Hirams. – Ist dem letzten noch zu rathen und zu helfen, rathe und hilf ihm! Das Gewissen beißt mich nicht wegen dieses Dreiblattes von Leuten: ich gab ihnen nicht Aergerniß, sie nahmen es. Dem Hofmeister Heraldicus junior genannt, verehre ich eine Pension auf Lebenslang [325] von 200 Thalern. – Dem Herrn Pastor schenk' ich ein- für allemal 1000 Thaler. Eben so viel sollen unter Arme an meinem Begräbnißtage vertheilt werden. Meine liebe Sophie wird verzeihen, daß ich mich in ihr Departement, dem sie so musterhaft vorsteht, einmische. Dem Andreas Kloz, der mich zu verklagen drohte, geb' ich einen Freiheitsbrief und 100 Reichsthaler, und seiner Tochter, die ihn dazu aufhetzte, gerade so viel zum Brautschatze. Ich bin so furchtlos, daß ich nie in meinem Leben freier geredet habe und mehr meiner selbst Meister gewesen bin als jetzt! Mir braust keine Meereswoge, – es blitzt nicht um mich her, ich sehe keine finstre Wolke, ich höre keine Donnervorboten. Nichts klirrt mir wie Ketten, ich gehe ins Land der Freiheit. Alles ist so heiter und ruhig um mich her, daß es eine Lust zu sterben ist. – Weiß ich, was ich war, als mir die Menschenrolle zugetheilt ward? Und warum will ich wissen, was ich seyn werde, da der Vorhang fällt und da mein Gewissen mir klatscht? – Ich komme auf eine andere, höchst wahrscheinlich auf eine höhere Classe, – auf eine bessere, als Prima und Secunda in Jerusalem waren, ohne allen Zweifel. – Der Tod ist eine Wiedergeburt zur Geisterwelt und zu mehr intellektuellen Kräften. – Diese Fackel der Hoffnung soll mir leuchten auf den finstern Pfaden des Todes. – Bald wird diese Rolle ausgespielt, ja wohl ausgespielt seyn! bald! Kein Tag ohne Linie! der Tod zieht die letzte diesseits – nicht auf ewig! – Der Tod ist feierlich, weil er ein Gast ist, der nur einmal kommt. – Denkt an den Gastvetter und die Unbekannte! Nur drei Wochen länger geblieben und sie wären geworden wie unser einer! Hätten wir mehr in den Orden der Verschwiegenheit aufgenommen, würde seine Aufnahme so feierlich geblieben seyn? – Würd' ich mich nicht selbst hassen, wenn ich den Tod hassen wollte? Würd' ich nicht das Leben hassen, wenn ich zittern und zagen wollte zu sterben? – Der sogenannte Tod ist eine enge Pforte [326] zum neuen Leben und einem veränderten Seyn. Wer auf Kosten des Todes lebt, ist ein ebenso großer Thor, als wenn er auf Kosten des Lebens stirbt. Leben und sterben ist auseinem Stück. Wir machen hier Platz, weil dort uns andere Platz machen. Ohne Zweifel wird es mit dem Erdentode nicht aufhören, sondern noch unendliche Male werden wir sterben, das heißt: zu einem andern und immer bessern Leben befördert werden. Sterben nicht alle, die leben? Werdet ihr nicht auch sterben? Starben unsere Vorfahren nicht? und wer wollte nicht in so guter Gesellschaft seyn, wer wohl gern allein übrig bleiben und dem ewigen Einerlei sich unterwerfen, das zuletzt anekeln muß? Wahrlich, wer vorausgeht, hat einen Schritt vor uns. Er hat vollendet; nicht alles, doch das Menschenleben: – ein besonderes Leben! Kaum hätt' ich Lust und Liebe, es von vorn anzufangen, und doch gab es herrliche Zeitpunkte in diesem Leben. Auch sterben in dem Augenblicke, da ich sterben werde, viele hundert Menschen, so daß ich gewiß nicht ohne Gesellschaft bleiben kann. Sicher werden zum Mittagsmahl, dem ich entgegen gehe, viele aus Osten, Süden, Westen und Norden anlangen, die zum erstenmale die Ehre haben, dort zu Tische zu sitzen. Kommt es auf die Lebenslänge oder auf die Lebensreife an? Wäre oder schiene der Tod nicht etwas bitter – wer würde leben? – Das Abschiednehmen, die Vorbereitungen sind das Schrecklichste. Ich nehme heute von euch Abschied, meine Lieben! und nach meiner Art etwas weitläufig, damit ich mich, wenn es zum Sterben geht, desto kürzer fassen könne. – Bis aufs Wiedersehen! mehr wird euch mein sterbender Mund nicht sagen. – Ich denke noch viele Tage, vielleicht viele Wochen bei euch zu bleiben. Lebt wohl, wohl, wohl bis aufs Wiedersehen! – Schrecklich wäre es, wenn wir uns dort zusammenfänden, ohne uns wieder zu kennen! Schrecklich! – Wir werden wiederkommen, gen Zion kommen! – Freude wird über unserm Haupte [327] seyn; wir werden uns kennen und erkannt werden, Hallelujah! Hat man einen hohen Thurm erstiegen – wer fürchtet nicht herab zu stürzen, obgleich ein Geländer vorhanden ist? Diese Art von Schwindel, dieß und nichts mehr nichts weniger ist der Tod. Auf Ehre und Redlichkeit nichts mehr nichts minder! – Auch soll mich niemand betrauern. – Geht, wenn ich begraben bin und auch nachher zuweilen in meine Rittergarderobe. – Solches thut zu meinem Gedächtniß. – Von meinen Bedienten erhält jeder 100 Thaler zum Geschenk; ist er unterthänig, einen Freibrief. Außer den Ordenskleidern werden Wäsche und Kleider unter sie vertheilt. Sorgt dafür, daß nicht Würmer in die Ordenskleider kommen! es wäre doch Schade! und wie lange sie sich halten können, beweist Kaiser Karls des Großen alter dalmatischer Rock, mit dem der angehende Kaiser am Krönungstage paradirt, weßhalb ihn so leicht niemand beneiden wird. – – Zwar hat meine Neigung zu Hunden gegen die vorige Zeit abgenommen, doch hab' ich noch unter ihnen Lieblinge, die ihr kennt. Laßt sie meinen Hintritt nicht empfinden. Bedauern werden sie mich ohnedieß. – Gebt ihnen, bis ihr Stündlein kommt und siestürzen, ihren Unterhalt reichlich und vergeßt nicht, daß die Thiere sich wie wir nach Erlösung um Veredlung sehnen! – Ich fürchte, der ehrliche Greif stirbt mir nach! – und wenn wir gleich nicht zusammen an einer Tafel essen werden – es sind dort gewiß auch Domestikentische für Seelen der Thiere, da wird er sein Couvert finden. – Gewiß, lieber Greif, du wirst nicht zu kurz kommen! du braver Hund! – Wird aus der Erschienenen eine Bleibende, aus Fräulein Unbekannt Fräulein Bekannt, so grüßt Sophien von mir. Gern hätt' ich sie näher kennen lernen! Eine schöne Person! Außer meiner Sophie, von der sie viel Aehnliches hat, hab' ich sie nie schöner gesehen. – Lebt alle wohl und sterbt, wenn euer Stündlein kommt, so glücklich wie ich! – Hab' ich euch, Gemahlin [328] oder Sohn, auch nur durch eine Geberde beleidigt – vergebt! und findet es sich, daß ich ohne mein Wissen jemand Unrecht gethan, berichtigt es um Gottes willen! Ich ging meinen Lebenslauf peinlich durch und fand nur zweierlei zu ersetzen, obgleich beide Fälle noch zweifelhaft bleiben. Lieber leiden als leiden lassen; doch wer kann wissen, ob er nicht unwissend fehlte! Diese Ersetzungen vermach' ich euch, ihr guten lieben Seelen, die ich herzlich liebe und lieben werde ewig, ewig! – Er gab jedem die Hand und lebte nach diesem Abschiede noch drei Tage und dreimal drei Stunden, wie unser Held es sorgfältig verzeichnete, der nach der Abreise seines Freundes auf die Zahlen starke Jagd machte. Auf seine Rechnung gehören die Zahlen, die so wie überhaupt, so insbesondere in den letzten Paragraphen vorgekommen sind und ohne Zweifel noch vorkommen werden, obgleich unser Held gewiß auch nie vergaß, sich alle Monate drei Hemden anzuziehen und sich gewisser Speisen zu enthalten. Getrost aus Grundsätzen sterben ist ehrenwerth, und aus lichterloher Imagination? ist auch nicht zu verachten. Springen nicht Grundsätze oft über den Zaun? laufen sie nicht zuweilen aus der Schule? – Es ist gut, sie durch Imagination zu binden, die sich oft auch mit Exaltation verträgt und da noch ihre Kraft behauptet, wo Grundsätze bestehen – wie Schnee in der Sonne. – Nach einiger Zeit empfahl der Ritter seinem Sohne einen

76. Begleiter
§. 76.
Begleiter,

der seinen Paragraph hinreichend verdient. Protagoras war in seiner Jugend ein Tagelöhner, der, außer vielen anderen Tagelöhner-Arbeiten, auch Holz zu tragen verpflichtet ward. Demokritus, der ihm begegnete, fand das Holz so geschikt zusammengelegt und gebunden, daß er den Protagoras befragte: wer es so künstlich [329] zusammengebracht habe? und nachdem der Holzträger seine Behauptung, es selbst zu seyn, in seiner Gegenwart durch einen thätlichen Beweis außer Zweifel gesetzt hatte, ward er ihn zu seinem Schüler, wie der Werbehauptmann unsern Helden; – und der Holzträger ward ein Philosoph. Setzet anstatt Protagoras und Demokritus Pastor und Michael, und anstatt des Holzbündels den Katechismus, so wißt ihr, woran ihr seyd, und was ich sagen wollte. Dieser Knabe legte das Holz des katechetischen Unterrichts so meisterhaft, daß der Pastor ihn dem Ritter empfahl, der ihn dann gemeineren Arbeiten entzog und zu einer bessern Klasse der Dienste bestimmte. Michael hätte vielleicht Protagoras werden können, wenn unser Pastor Demokritus gewesen wäre, wozu er indeß keine Anlage zeigte. Vielmehr besprengte unser Pastor diese schöne Pflanze mit so mystischem Weihwasser, daß sie ganz etwas anderes ward, als sie von Natur wegen hätte werden können. Der testirende Ritter wählte ganz von ungefähr einen Ausdruck, der unsern Michael ziemlich deutlich bezeichnete: Begleiter! Zwar nahm ihn von Stund an unser A B C als Diener zu sich, doch war Michael mehr. – Und was? – Frage, Freund: was nicht? Denn mit mehr kann ich in diesem Paragraph nicht dienen. Michael gehörte nicht zu Theaterdienern, die, wenn sie gleich, so wie er, mitsprechen und mithandeln, es immer auf eine Weise thun, die weder den Herrn noch seinen Diener gekleidet haben würde. Michael war nicht der Leib, und sein Herr die Seele, – oder umgekehrt; – doch machten sie ein Paar, das schwerlich sich besser zusammen finden konnte.

Die Ritterin hatte, ohne daß das Schlafstübchen der Frau Landpflegerin (außer in Rosenthalschen Träumen) nur angefangen, geschweige fertig war, einen

77. Traum
[330] §. 77.
Traum,

der auf den Hintritt ihres Gemahls anspielte. Sie sah einen Ritter in voller Kleidung auf einem weißen Pferde um das himmlische Jerusalem dreimal herumreiten, den Kopf unter dem Arm, den Sattel des Schimmels in Perlen gefaßt. – Mit den lieben Traumperlen! In der Regel bedeuten sie Thränen; und in der That, die Ritterin beweinte ihren Verlust bitterlich. Sie liebte ihren Gemahl bis in den Tod! – Ach, es war ein gutes Paar! – Dieser Traum der Ritterin, der wegen seiner Bescheidenheit wenig Anhang fand (Traum- und Wunschbescheidenheit findet selten Beifall), ward durch Dinge von größerer Wichtigkeit ganz und gar verdrängt. Da hatte man einen alten Herrn in langem schwarzem Mantel gesehen, dessen Schleppe den ganzen Kirchhof bedeckte, und dieser Herr war so groß, daß er sich mit dem Kirchthum maß, und da er weit über ihn hinwegragte, schämte sich der Kirchthurm, daß er blutroth ward. Dieser Ritterriese ließ sich zwischen 11 und 12 Uhr in der Nacht sehen; doch nur Sonntagsaugen erblickten ihn in Lebensgröße. Einigen Alltagsaugen kam er nicht viel größer vor, als ein Fingerlein, und noch ewige Alltagsaugen konnten ganz und gar nichts sehen. – Auch gab es Sonntagsriecher, die, wenn die Erscheinung vorbei war, einen Sternanisgeruch verspürten, wogegen Unsonntagsnasen, bei aller Anstrengung der Geruchsnerven, nichts entdecken konnten. Diese Gesichte und Gerüche brachten so manche andere Ereignisse voriger Zeit zum Vorschein; und da erinnerten sich alte Leute an Unglücksstellen, wo kein Sonntagspferd hinginge, wenn man ihm auf der Stelle das Leben nähme. – Es gibt Pferde wie Menschen, ward behauptet: Pferde, die alles sehen, Riesen und Fingerlein, und andere, die nichts sehen. Wie es Pferde halten, weiß ich nicht; [331] daß es aber Fälle gibt, wo Menschen nicht sehen und doch glauben – ist das zu bezweifeln? Pferde, die sich ohne Ursache bäumen, nennt man scheu; gibt es nicht auch dergleichen scheue Menschen? – Doch warum Abschweifungen? – Es ward über die weiße und schwarze Frau, über den weißen und schwarzen Mann weiß und schwarz commentirt. Die Altenweiberbeiträge liefen alle auf Blut hinaus; in den Altenmännergeschichten kamen rasselnde Ketten, Nasenstüber, auch wohl streitende Heere am Himmel vor, doch ohne daß diese Heere Blut vergossen. Hundert Erzählungen, die eben verjähren wollten, wurden aufgefrischt und ihre Präscription gehemmt. Der Junker, der wenigstens neunmal mehr als andere Jünglinge zum Wunderbaren geneigt war, obgleich die Liebe zum Wunderbaren der Jugend und dem Alter eigen ist, glaubte über kurz oder lang zum nähern Aufschlusse so mancher Dinge zu gelangen, deren Grund und Ungrund vergebens von den Philosophen nachgespürt worden. Der Anfang war durch den Orden der Verschwiegenheit und durch die Vocalgeschicklichkeit gemacht, vermittelst welcher letzteren er auf ein Haar zu bestimmen im Stande gewesen war, daß der Ritter früher als seine Gemahlin sterben würde, was man freilich auch ohne Vocal durch die Mütze ziemlich deutlich hätte herausbringen können. – Daß unser Ritter im Stufenjahre starb, versteht sich von selbst. Außer dem erzählten Traume fielen noch

78. Anzeigen
§. 78.
Anzeigen

und andere Träume vor, die ich um vieles nicht mit Stillschweigen übergehen könnte; als da sind: Drei Tage vor der letzten Krankheit des Ritters verlor die Ritterin sein Bild in Miniatur von ihrem Armbande; ein Geschenk ihres Vielgeliebten am Hochzeitstage. – Ohne daß sie es gemerkt hatte, war es ihr entfallen;[332] und obgleich dem Finder von drei Kanzeln ein stattliches Findegeld zugesichert ward und der Pastor loci nicht nur bei dieser Kanzelaufforderung, sondern auch beim Suchen selbst sich viele rühmliche Mühe gab, so hat dieses Bild sich doch nie wiedergefunden – nie!

Drei Tage nach dem Anfange der letzten Krankheit des Ritters fiel der Blick der Ritterin ganz von ungefähr in den Spiegel im Zimmer, wo der Ritter auf einem Sopha, ich weiß nicht ob lag oder saß, während ihm sein Krankenbett gemacht ward. – Schrecklich! Er erschien ihr in Todesblässe im Spiegel, und beim Schauder, der ihr durch die Seele ging, war es, als hörte sie die Stimme: Sein Grab wird gemacht!

Auch hatte die Ritterin einen Fenstergarten, den man zu dieser Frist jardin portatif nennen würde. Dieser Garten, der aus dreimal drei Töpfen bestand, verdorrte in einer Nacht. Die Ritterin mochte diese Töpfe weiter nicht sehen, indem sie dadurch zu lebhaft an den Verlust ihres Gemahls erinnert worden wäre.

Ich fing mit einem Traum an und will mit einem enden. Warum auch nicht?

In der Nacht vor dem Tode des Ritters sah sie (im Traum) auf den Mauern Jerusalems den Schatten jenes Weherufers. Ueberwunden! rief er; überwunden! und zum drittenmal: überwunden! Jetzt verschwand der Schatten – die Mauern stürzten ein und kein Stein blieb auf dem andern.

Unser A B C gab sich viele Mühe, als ihn seine Mutter nach dem Hintritt des Ritters mit diesen Anzeigen und Träumen bekannt gemacht hatte, gleichfalls Postscripte von dergleichen besondern Vorfällen zu erfahren, um eines Theils in Träumen niemanden, und wäre es auch seine leibliche Mutter, etwas nachzugeben; andern Theils aber, um über dergleichen wichtige Gegenstände dem Werbehauptmann in der nächsten Epistel berichten und [333] sich Verhaltungsbefehle erbitten zu dürfen. Indeß schlief er zu fest um zu träumen, sah im Spiegel nur sich und – da er kein Armband trug, so war es unmöglich, eins zu verlieren. – Ein jardin portatif würde freilich am leichtesten zum Verdorren zu bringen gewesen seyn, wenn er ihn nicht begossen hätte; allein die Aufgabe war: dreimal drei Blumentöpfe sollten bei hinreichendem Wasser verdorren, und diese Aufgabe war unerreichbar.Pastor loci fand im verlornen Portrait ein unerklärliches Räthsel; der Junker in der Zahl Drei. – Drei Tage vor seiner Krankheit, sagte A B C. – Vielleicht ein Ohngefähr, erwiederte der Pastor. – Warum nicht gar! versetzte der Junker; dann wäre das verlorne Portrait ein noch größeres Ohngefähr. Warum gab es eben sieben Weisen in Griechenland? warum nicht mehr oder weniger? – Der Pastor war vermittelst der sieben Weisen völlig überzeugt. – So kann in Glaubenssachen ein Senfkornumstand viel beitragen! – Mit der heiligen Zahl Drei hätte denn doch unser Pastor auch bekannter sehn können und seyn sollen;können: da jedes Ding von Wichtigkeit seine drei Worte im Vermögen hat, und in allem, was werth ist zu seyn, sich Geist, Seele und Leib befinden; sollen: da er trotz dem Simeon vom Glauben zum Schauen sich sehnte. – Die

79. Vigilien
§. 79.
Vigilien

vor dem Begräbnisse des Ritters? In der That erbaulich. – Die Begleiter der Leiche Alexanders des Großen, die wegen ihrer Reden bekannt sind, hätten hier lernen können. Wohl dem, der am Ziele ist! (Ach freilich wohl! und wär' es auch nur ein Buchziel!) – Er hat überwunden; wir streiten noch. – Heil dem, der aus dem streitenden Jerusalem in das triumphirende einging! – Dreimal Heil dem, der, wie er, als ein gebetener Gast eilte, [334] um beim Mittagsmahle der Herrlichkeit nicht zu verspäten, wozu er eingeladen war! – Der Tod ist eine Genesung von einer langen Krankheit. Wer weiß, wann er einschläft! Eben so wenig wird man wissen, wann man stirbt. Lasset uns Gutes thun und nicht müde werden; wir ernten ohne Aufhören. – Wenn das Feuer auszugehen schien, ging man zum Castro doloris, welches dem Ritter bereitet war. Hier brannten so viel große Wachslichte, als er Jahre zurückgelegt hatte. – Zwölf Gemeinbeältesten hielten die Ehrenwache. – Die Zwölf hatten ihre Haare, ich weiß nicht warum, in einen Zopf gezwungen. Nichts kann so entstellen und schmücken, wie das Haupthaar. Hier ist die Residenz der Affectation und der Anständigkeit. – Der Geschmack läßt sich den Kopf nicht nehmen. – Die Haare unserer Zwölfe hatten das Schicksal ungesalbter Dichter, denen Worte und Gedanken sich widersetzen, wenn sie beides in einen Zopf zwingen wollen. Oder ist dieß Gleichniß nicht erhaben genug? Es ging den Zwölfen wie einem freien Staate, dessen fliegendes Haar in eine Monarchie verwandelt wird! – Da jeder von diesen Nationalgardisten dieser Feierlichkeit halber zum Andenken ein Communionskleid erhalten hatte, das, wie alle neuen Kleider, nicht sonderlich saß, so hatten sie auch von dieser Seite kein geistlich-militärisches Ansehen. – Schmerz über den Verlust eines braven Herrn, und Freude über das erhaltene Ehrenkleid durchkreuzten ihr Gemüth noch überdieß, und man konnte sich bei warmen Thränen des Lächelns nicht enthalten, diese ehrlichen Gemeindeältesten in pontificalibus zu sehen. Den folgenden Sonntag gingen alle Zwölf ad Sacra, obgleich ihre Zeit respective noch 3, 5 bis 7 Wochen lief. – Auf dem Sarge lag die ganze Rüstung und der Degen, alles ins Kreuz. Das

80. Abendessen
[335]
§. 80.
Abendessen

vor dem Begräbnißtage war sehr einfach, und sah einem Liebesmahl, einer Agape, ähnlich. Unser Ritter hatte keine Nacht bei den Waffen in irgend einer Kapelle gebetet, auch nicht nach Ritterweise eine Ritter-oder Waffenwache gehalten. Diese Vigilien übertrafen an Feierlichkeit eine Ritter- oder Waffenwache bei weitem.

81. Das Begräbniß
§. 81.
Das Begräbniß

gab der Einfachheit des Liebesmahls nichts nach. Gern hätte die Ritterin sich unterrichten lassen, wie die Exequien für einen Johanniterritter eigentlich einzurichten wären; indeß fand sich niemand, der die Art des Begräbnisses näher angeben konnte. Da Heraldicus junior beim Castro doloris Flickarbeit geleistet hatte, so ward ihm dieses Ehrenwerk zutrauensvoll ganz besonders übertragen; doch konnte er keinen Fingerzeig in seiner heraldischen Rüstkammer finden, und in dieser Grabesfinsterniß der Unkenntniß keine Lampe anzünden. – Am Ende sah man sich der Nothwendigkeit ausgesetzt, sich über folgende Solennitäten einzuverstehen.

Zuerst ging ein schwarz gekleideter Jüngling, der ein weißes Kreuz und eine ausgelöschte umgekehrte Fackel in beiden Händen trug, und von Zeit zu Zeit in die Worte ausbrach: Gehet! wir gehen hinauf gen Jerusalem. Sodann ward ein Paradepferd von einem Stallknecht geführt, welchem dieser Feierlichkeit halber der Charakter als Stallmeister ohne Chargenausgaben beigelegt ward. Der Anblick des Pferdes brachte die Zuschauer [336] zu den lautesten Klagen: Er ist nicht mehr! – Man hatte sich nie vorgestellt, was für Wirkung ein dergleichen Paradepferd ohne Reiter zu machen im Stande wäre. Ein Pferd dieser Art thut nicht anders, als hätt' es seinen Reiter eingebüßt; und ist das nicht ein rührender Anblick? – Wenigstens ein weit rührenderer, als wenn der Reiter das Pferd verliert. Unser Pferd hätte gewiß noch mehr Wirkung gethan, wenn der Ritter, der seit länger als drei Jahren seiner Hauptflüsse wegen kein Pferd bestiegen hatte, dieses leidtragende Paradepferd in seinem Leben geritten hätte. Doch zog man, um diese Illusionsstörung zu schwächen, in weise Erwägung, daß der Ritter es hätte reiten können! Freilich! Jetzt wurden drei Hunde an schwarzen Stricken geleitet. Daß derliebe Greif unter diesen dreien nicht war, versteht sich von selbst. – Man wollte bemerken, daß Hunde und Paradepferd Thränen in den Augen gehabt hätten. – Wer weiß, ob und warum? – Nun gingenDienerei und Stallleute paarweise. Protagoras folgte mit dem Kammerdiener im ersten Paare, ohne daß die andern älteren, und selbst derSilberdiener und Tafeldecker, ihm den Rang streitig machten: – alle in ihren Feierkleidern mit langen Flören, die von den Hüten bis zur Erde hingen. Dann folgten sieben jungen Leute, die bei der Rosenthalschen Domänenkammer angestellt waren, schwarz gekleidet. Diesen waren die vorzüglichsten Insignien des Johanniterordens anvertraut, wozu auch ein Foliobuch, um die Ordensregel anzudeuten, gehörte. – Ein altes Rechenbuch leistete mit vielem Anstande diesen Dienst. Der Kammeldirektor trug auf einem schwarzen Kissen den Orden. Auch hatte er den Auftrag, wenn man den Sarg beisetzte, demselben die feste Versicherung anzugeloben, daß nach wenigen Generationen diese Sonne wieder aufgehen würde. Der Kammerrath, welchem man den Schnabelmantel zugetheilt hatte, war so unbeholfen, daß er dieses Ehrenstück dreimal fallen [337] ließ; auch dem Kammerdirektor entfiel, wiewohl nur einmal, der Orden. – Jetzt ward eine Fahne des Kreuzes getragen; zu beiden Seiten gingen Marschälle mit Stäben. – Der Fähnrich und die Marschälle waren mit mehr Flor von oben bis unten behangen, als alle andern. Man hatte diese drei Subjecte aus einer der nächsten Städte gemiethet, wo Marschälle und Fähnriche wohlfeil zu haben waren. Die Leiche ward von sechs mit schwarzem Tuch behängten Pferden langsam gezogen. – Unser Held war mit der Zahl 6 unzufrieden und wünschte überall 9. Warum? Weil sein Conductor bei Gelegenheit als er seinem Novicius die Zahlenobservation nahe legte, die Zahlen 3, 7, 9 und 10, als Vocale unter den Zahlen, mit Ehrfurcht nannte. – Vocales unter den Zahlen? – Hat nicht alles in der Welt seine Vocales? dachte unser Novicius. – Die zwölf Aeltesten gingen zu Fuß neben her. Unweit der Kirche erschien der Schulmeister und Organist mit seinem Musenchor von neun Knaben, die aus vollem Halse das Ritterlied: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, nach der Verbesserung des Pastors abschrien. – Bald hätt' ich vergessen, daß drei Wagen mit sechs Pferden bespannt die Leiche begleiteten. – An der Kirche ward der Sarg von den Zwölfen vom Leichenwagen gehoben und bis zum Altare getragen, den der Pastor erstiegen hatte, um über die Johanniterordensworte, Offenbarung Johannis XII. B. 7 bis 9 eine rührende Leichenrebe zu halten. Die Worte lauten wie folgt: Und es erhob sich ein Streit im Himmel. Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel und siegte nicht, auch ward ihre Stärke nicht mehr funden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin [338] geworfen! – Die oben bemeldete Procession stand während der Leichenrede am Altar.

Ob es dem Pastor leicht oder schwer geworden, die Regeln der Taktik bei diesem himmlischen Kriege zu enträthseln und die Türken, den Großherrn, Großvezier, Veziere, Bassen, Agas in dieser Weissagungsstelle zu finden, muß ich wohlerfahrnen Auslegern der Apokalypse zu entscheiden überlassen. Cato schloß alle seine Reben: ego vero censeo, Carthaginem esse delendam; und unser in Gott ruhender Ritter behauptete bei der Anwesenheit des in Gott andächtigen Consistorialraths und seines weltlichen Gesellen, daß viele Geistliche ihre Texte, so wie viele ungeschickte Aerzte ihren Patienten, behandelten, und an seinem Prediger Exempel nehmen könnten, der mit seinen Texten, auch selbst mit den widerspenstigsten, die sich schwer deuten ließen, sanft, wie mit gutartigen Kindern, umginge. Es war nichts übereck in der Leichenrede, sagte der Nachbar, der bei Gelegenheit der Aufnahme unseres Helden an der Verschwiegenheit zum Ritter ward, obgleich wenn er auch der wohlerfahrenste Scheidekünstler in der Redekunst gewesen wäre, es ihm Mühe gemacht haben würde, hier etwas auszusüßen und abzusiegen. Die Ritterin war zu betrübt, um sich durch eine Altarrede über Michael und seine Engel stören zu lassen. Desto besser! – Protagoras der Begleiter war so stolz, als würde sein Namensfest gefeiert. Die Kunst zu trösten war unseres Leichenredners Sache nicht; und die meisten Menschen sind leidige Tröster. – Wer nicht das Herz künstlich verwunden, den halb oder am unrechten Orte gebrochenen Arm künstlich und gehörig ganz zu brechen versteht, besitzt auch die Kunst nicht, zu heilen und zu verbinden. Die Nachbarin und ihre Töchter waren des kritischen Dafürhaltens, daß unser Leichenredner auch selbst in der Offenbarung Johannis einen bessern Text hätte auftreiben, können; indeß nahm sich unser Vocalheld Michaels und seiner Engel an, [339] und die Damen traten bei. – Da ist ja, sagte der Nachbar auf den Junker und seine Tochter zeigend,Michael und seine Engel; und machte seine Töchter roth – den Junker nicht. – Der Begleiter lächelte; ich möchte wissen, warum?

Als etwas Besonderes ward bemerkt, daß auf Stirn und Gesicht unseres Ritters sich keine Falte zeigte. – Kein Fluch, sagte die Ritterin, beunruhigte den Seligen; seine Rechnung war rein und richtig abgeschlossen, und kein Deficit quälte seine scheidende Seele. – Will man sagen, er war tugendhaft, weil er keine Gelegenheit hatte lasterhaft zu seyn, fügte die Nachbarin hinzu, so irrt man: er war reich. – Der Nachbar bemerkte: seine leichten Ideenspiele berührten ihn noch sanfter, als Schmetterlingsflügel – und auch niemanden von seinen Freunden und Freundinnen fielen sie schwerer. Die ABC-Töchter weinten, ich weiß nicht, ob um ihren Herzen Luft zu machen, oder ob dem ABC-Junker zu Liebe. Heraldicus junior schloß mit dem Dank an den Leichenconduct: »Wir haben gethan, was wir zu thun schuldig waren. Der Unvergeßliche« (das Legat begeisterte seine Zunge) »hat eine gewisse Feierlichkeit naturalisirt; und die Rosenthalsche romantische Gegend schien diese Neigung zu begünstigen! – Was an äußerer Feierlichkeit abging, Verewigter! das ersetzten unsere Herzen.« – – Ohne Zweifel wird man auch mir erlauben, mich in diese Nachreden zu mischen. Schwärmer genießen alles voraus, Philosophen alles hinterher. Geht da! den Grund von dem runzellosen Gesichte der Schwärmer im Leben und im Tode, und von den Furchen in den Gesichtern der Philosophen, die sich in ihren Hoffnungen so oft betrogen finden! – Gott tröste sie!

Daß ich übrigens die veralteten und verjährten deutschen Wörter unseres Ritters nicht beibehalten, sondern nur selten davon ein Pröbchen gegeben habe, wird meine Leserwelt hoffentlich mit Dank erkennen. – Hiermit

82. Ruhe wohl
[340] §. 82.
Ruhe wohl,

edler Ritter! Deine Werke folgen dir nach! – Nie werde deine Asche durch den Fuß eines Drachen von Türken entweihet, und wenn eine Schlange von Mamelucken diese Straße zieht, und lästern will, falle ihm von dieser heiligen Asche so viel in die unrechte Kehle, daß er sich bekehre und lebe! – Ruhe wohl! – Der Tod ist ein ächter Ritter, gewiß mehr fröhlicher als trauriger Gestalt. – Er überwindet die Drachen des Lebens, läßt den Körper das heilige Grab erobern und einnehmen, während der Geist zum himmlischen Jerusalem eingehet. Nach diesem Elend ist ihm bereitet Eldorado der Ewigkeit! – Du starbst ritterlich. Wohl dem, der es vollbracht hat! – Dich suchten ein fälliger Wechsel, ein weiser Vetter, eine Consistorial-Commission und so manches andere heim, ohne an deine Mütze zu denken. – – – Und was drängt und drückt mich, ohne daß ich eine Mütze tragen darf, und mit einem abgelaufenen Wechsel von einem Emsigen bedrohet werde? Staatsgeschäfte, an denen man den Undank im Original kennen lernen kann! Ach! ein Jerusalem anderer Art, das da tödtet die Propheten, und steinigt die zu ihm gesandt sind – und wo wahrlich kein Schlafstübchen der Frau Pontius Pilatus vorhanden ist, um des Tages Last und Hitze zu verträumen! – Und wenn ich als Schriftsteller mich erholen will – wer sucht mich heim? Wahrlich kein reisender Vetter, keine Consistorial-Commission – die, sobald sie weinwarm war, mit sich handeln ließ. Da wollen Prophetenknaben zu Rittern an mir werden! Eben heute (den 26 Oktober 1792) les' ich eine Recension, in der man den Prophetenknaben an seinem Vivat-und Pereatgeschrei, und an seinem Fensterwurf mit Händen greifen kann. Lieber Gott! dieß Knäblein vergreift sich an einer Schrift, bloß weil sie in seinen ästhetischen Heften sich unter keine [341] Rubrik bringen lassen will! Mit den lieben Heften! Immerhin! ich will keinen Bären aussenden, der diesen Knaben in seinem Spiele störe, um ihm seinen Freitisch nicht zu verderben, und den Groschen zu entziehen, den ihm der Verleger zahlt! – Oder wie? ist es – selbst? Nun, wahrlich, dieser Schwächling wird nie die Kinderschuhe ausziehen und über seine Hefte kommen. – Guter Ritter, verzeihe mir diese Nutzanwendung, die mir an deiner Gruft so wohl thut! Sie fiel deinem Leichenredner nicht ins Wort, noch der Kritik über seine Rednergaben, die wahrlich anderer Art war, als die, womit ein Knabe an Geist oder Leib, oder an beiden, sich an mir vergriff. Guter, seliger Ritter, wenn dein Vokalsohn den Bau nicht vollenden sollte, den du so herrlich auf dem Papiere angefangen hast, wird doch diese Stätte heilig seyn dem Consistoriali und dem Laien, und jedem der werth ist, dich zu kennen – heilig! bis jeder mit Simeon sagt: Herr! nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren!

Zweiter Theil

83. Die Betrübniß
[1] §. 83.
Die Betrübniß

des Sohns über den väterlichen Verlust war so herzlich, als sie nur je bei einem Sohn gewesen ist und seyn kann; indeß konnt' er sich nicht entbrechen, während der Leichenrede über Michael und seine Engel, an den Engel zu denken, der ihm in Gestalt eines Bräutigams der Enkelin von Fräulein Cousine erschienen, und an seinen Diener Michael, der ihm von seinem Vater, im letzten Willen, als dienstbarer Begleiter zugewiesen war. Da eben dreimal drei Wochen abliefen, und ihm nach dreimal drei Stunden, von Präsentation des letzten Briefes an gerechnet, die Pflicht der Antwort oblag – wer kann es ihm verdenken, daß er während des Streits zwischen Michael und dem Drachen auf die Ausführung eines Reiseplans dachte, welcher schon längst, vor der Abreise seines Vaters nach dem himmlischen Jerusalem, vorgetragen und bewilligt war. Er sollte drei Jahre abwesend seyn. Jetzt kam es nur auf die Frage an: ob, und auf wie lange, die veränderten Umstände diese Reise aufschieben würden? Wenn gleich sein einundzwanzigstes Lebensjahr abgelaufen war, in welchem, weil dreimal sieben einundzwanzig machen, er freilich etwas Besonderes hätte unternehmen sollen, so tröstete er sich doch mit dreimal neun, und glaubte, daß, wenn er im siebenundzwanzigsten Sophien fände, [1] es alles sey, was von ihm erwartet werden könnte. – Außer dieser Präliminarfrage, wie viel andere? Wird Heraldicus junior nach dem Legat, welches ihm ohne Einschränkung und Bedingung zufiel, der Führer seyn wollen? Und wen wird die zärtliche Mutter dem einzigen so herzlich geliebten Sohne sonst zugesellen, wenn Legatarius etwa sich weigern sollte? – Das Unschickliche, sich noch im einundzwanzigsten Jahre führen zu lassen, fiel ihm nicht ein, da Prinzen von den ersten Häusern noch weit länger ihre Gouverneure behalten, so daß es kein Wunder ist, wenn regierende Herren nach der Zeit, und ihr Lebelang, sich von Leuten führen lassen, die gemeinhin weit mehr als ihre Gouverneure sind, wenn gleich sie allerunterthänigst treugehorsamste Diener (servi servorum) heißen.

Der Hauptumstand, den unser Held vor sich selbst zu verheimlichen suchte, blieb die Frage: wohin? Zur Loge, zum hohen Licht, oder zum Fräulein Unbekannt, das, wenn gleich es drei Viertelstunden mit einem Unbekannten, in Gegenwart der Kammerzofe, conversirt hatte, unserm Helden doch unablässig vor Augen schwebte – oder flitterte? War's bei so viel Fragen, die mit einander stritten, dem Junker zu verdenken, daß er vom himmlischen Kampf zwischen Michael und seinen Engeln auf einer, und dem Drachen und Schlangen auf der andern Seite, wenig oder nichts vernahm? Nach drei Tagen trat er der Sache

84. Näher
§. 84.
näher.

Die Mutter, die den Willen ihres Gemahls nach seinem Ableben eben so sehr in Ehren hielt, als ob er noch am Steuerruder des Rosenthal'schen Staats wäre, bestätigte den Reiseplan, verstärkte die ausgesetzte Summe um ein ansehnliches, und war in [2] ihrem mütterlichen Segen so liberal, daß sie kraft desselben nicht nur wünschte, sondern auch gewiß war, ihr Sohn würde der Unbekannten den Gruß ihres sterbenden Gemahls überbringen, sich selbst und seine Mutter mit einer Sophie bekannt machen, und so die Schmach heben, welche man diesem Namen erwiesen hatte. – Nicht undeutlich ließ sie es merken, daß man diesen Namen denn doch einmal in Lebensgröße in der sitzenden Jungfer erblicken, und ihn um kein e und i bis auf den Punkt bringen würde. Ziehe hin in Frieden, fuhr sie fort, und wenn du den Gastvetter, den Menschenhäuser (unsere Wege sind nicht Gottes Wege, unsere Gedanken nicht die seinigen) triffst, betheure ihm, daß sein Andenken bei uns im Segen sey. Auch dein Vater verehrte ihn im Herzen, wenn gleich er kein Freund vom Schnabelmantel und von der Kleidung der Ritter Großkreuze, wenn sie zur Kirche und wenn sie zu Rathe gingen, war, die Heraldicus senior gefertigt hatte, und die trotz der Dalmatika des Kaisers Karl des Großen, vor Würmern und andern Feinden bewahrt werden sollen, so lang ein Faden beim andern ist!

85. Der Legatarius
§. 85.
Der Legatarius

lehnte den Antrag der Mitreise aus Eigenliebe zur Freiheit ab, und da er, kraft seines Freiheitsdünkels, es nie auf große Dinge angelegt hatte, wollte er dem Fräuleinsohne sein Gütchen abkaufen, der sich vorzüglich in Rücksicht seines Schwiegersohns vergrößern mußte; und so entging er, außer dem allgemeinen Leiden und jener Plage, die ein jeder Tag und fast auch jede Nacht hat, allen andern Plagen und Sorgen, die zu den besonderen gehören, welche der Staat über seine ersten Staatsbürger oder Officianten verhängt. Nimmermehr würd' er vor der Consistorial-Commission [3] geflohen seyn, hätte er diesen Ausgang seines Schicksals sich vorstellen können. Armer Prediger, dacht' er, der du keinen Augenblick vor hohen und niedern Schulmeistern und Nachtwächtern sicher bist! Hätte ihm die Ritterin oder ihr Sohn die Mitreise nahe gelegt, er würde, aller Vorliebe für Freiheit ungeachtet, sich mit auf den Weg gemacht haben. Da indeß unser Held in ihm keine Berufsspur zum Ordensmann entdecken konnte, und der Werbehauptmann, der die nämliche Bemerkung machte, seinem Novicius in Hinsicht des Legatarius vorzüglich Rückhalt empfohlen hatte; so entband man ihn gern von dieser Mühe, die Pastor loci, aus Hunger und Durst nach Geheimnissen, mit Entzücken übernommen hätte. Betrübter noch wäre der Pastor gewesen, wenn er nicht die Hoffnung gehabt, daß sein künftiger Kirchenpatron bei seiner Rückkunst ihn initiiren, und wo nicht auf Prima, so doch auf Secunda bringen würde, da er schon in einer andern Verbindung auf Secunda zu sitzen die Ehre hatte, und von der Maurerei nicht glaubte, was er las, sondern was er hörte. Er war so bescheiden, sich selbst für nichts mehr als Einen Secundaner zu halten. In der That, er war auch wirklich nichts mehr und nichts weniger. – Legatarius lachte im Herzen über diese Ordensschwäche, und wenn gleich er auch auf Secunda zu sitzen die Ehre hatte, als welches Avancement ihm zu seiner Zeit durch unsern Helden als Herold nicht ohne Pomp verkündigt ward, so that er doch im Herzen auf Prima, Secunda und Tertia Verzicht, und konnte sich über den Prediger nicht genug wundern, daß er außer Mosen und den Propheten, außer seiner natürlichen und seiner excolirten Vernunft, noch mehr Licht suchte. – Die Spruchstelle: suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgethan, deutete der Pastor und Heraldicus junior jeder auf eine besondere Weise. – Aeußerlich ließ sich Legatarius, der aus einer Studirstube in die Welt getreten war, von seiner Ordensverachtung [4] um so weniger Etwas merken, da er für seine Anhänglichkeit an das Rosenthalsche Jerusalem so reichlich belohnt war! – Dieß erkannte er mit so vieler Rührung, daß er, dieser Spielerei eine gute Wendung zu geben, sich philosophische Mühe gab, und am X. Sonntage nach Trinitatis in die Kirche ging sein Leben lang. – Nie anders als mit Ehrerbietung dachte er des Ritters, und da er bei allem seinem Freiheitssinn die Poesie liebte, und selbst im Stillen Verse creirte, so erschien auf das Ableben seines Wohlthäters unter der Aufschrift:der ritterliche Tod, ein Gedicht, das man auch befreites Jerusalem hieß. Hier ermangelte er nicht, zu bemerken, daß die Vernunft auf ihrem Präsidentenstuhl gesessen, und wenn Fürsten Lieblinge und Päpste Nepoten, Geistliche Inquisitionsscharfrichter hätten, und Richter hellsehende Blinde wären, so – doch, man weiß schon, was auf einen dergleichen Anfang in Lobgesängen folgt. Auch nahm er sich vor, durch ein komisches Heldengedicht die Consistorialcommission zu verewigen. – Nun war der Punkt wegen der

86. Begleitung
§. 86.
Begleitung

noch zu erörtern. Michael, der dem verstorbenen Ritter vom Pastor loci empfohlen, in dieser Rücksicht gemeineren Arbeiten entnommen und zu einer bessern Klasse der Dienste bestimmt war, entschied den Fall, der ohne ihn gewiß so leicht nicht zu entscheiden gewesen wäre. Mann und Frau, sagte Michael, Vater und Sohn, Herr und Diener: Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden; und scheidet nicht ein Dritter solche Paare von einander, die Gott zusammengefügt hat? Ist dieser Dritte alsdann nicht gemeinhin ein Eheteufel? Warum nicht gar, erwiederte der Junker. – Ist drei nicht eine heilige Zahl? Gibt's nicht in der Natur [5] ein Dreiblatt (Trifolium), welches ein herrliches Hausmittel ist und auch in der künstlichen Arzneikunst gebraucht wird? Können nicht Vater, Mutter und Sohn oder Tochter eine Dreieinigkeit ausmachen, welche die Natur begünstigt? – Ich will dich nicht zurück in deinen Holzbündel von Katechismus führen. – Michael, der eine knechtische Furcht vor dem Katechismus hatte, fiel seinem Herrn demüthigst ins Wort, um ihn an den Stand der Ehe zu erinnern, wo ein Dritter alles in Unordnung brächte, es wäre denn, daß das dritte Blatt als Hausmittel oder als künstliche Arznei gebraucht würde; und sey es, daß ihm der Cavalier einfiel, der mit Fräulein Sophie von Unbekannt drei Viertelstunden, wiewohl in Gegenwart der Kammerzofe, conversirte, oder daß er durch die Ueberzeugung, die heilige Zahl verliere in der Ehe ihre Heiligkeit, zu Paaren getrieben ward, kurz und gut, der Junker schwieg und Protagoras hatte gesiegt! – Jetzt allererst fiel er auf die Frage: bin ich denn nicht alt genug, mich ohne Heraldicus junior zu behelfen? Wird man nicht Bedenken tragen, mit den Vokalgeheimnissen herauszurücken, wenn Zwei sind, die darnach trachten? – Michael war äußerst verlegen über diese letzte Frage, welche der Junker so laut dachte, daß Michael sie vernahm. Natürlich fielen ihm die Nachrichten ein, die er seinem Mäcenas verheißen hatte, und die Wiß- und Neugier gehörten zu seinen Tugenden und Untugenden. – Man sagt, daß diese und einige Tugenden und Untugenden von Einem Vater und zwei Müttern wären. – Freilich kommt's viel auf die Mütter an! – – Die Sache ward der Ritterin referirt, und sie bestätigte die Wünsche ihres Sohnes, und ermahnte den Protagoras, sich des Zutrauens würdig zu machen, das man in ihn auf eine so einleuchtende Weise setzte. Wer hätte sich besser als

87. Michael
[6]
§. 87.
Michael

geschickt, den Junker zu begleiten? Michael war so wenig ein Jadiener, als der Junker ein Jaherr. – Der letzte hatte seine Partie genommen, und ich stehe dafür, Michael wird auch die seinige ergreifen. Bei viel Gutmüthigkeit, besaß er die Gabe, jede Sache von der natürlichen, vielleicht eigentlichen Seite zu nehmen, und sie von aller Kunst zu entkleiden, so daß sie oft nackt und bloß da stand, wie im Stande der Unschuld, ohne sich nach einem Feigenblatte umzusehen. – Michael, der freilich das Ankleiden so gut als das Auskleiden verstehen sollte, war überall nur ein schlechter Putzmeister. – Es fehlte ihm an Gewandtheit, seine Gegenstände zu zieren. – Er selbst war so ungeschmückt, daß er bei jedem Weltmann anstoßen mußte. War es Wunder, da er bei viel Mutterwitz und Vaterurtheil keine Erziehung gehabt? – Er gehörte indeß auf keine Weise zu der berühmten Schildknappensippschaft komischen Andenkens, bekannt seit und durch ihren Ahnherrn Sancho Pansa, weiland berühmten Stallmeister des weiland berühmteren Junkers Don Quixote von Mancha. So wie Philosoph Terrasson, so oft er Blößen gibt, uns ein angenehmes sanftes Lächeln ablockt, so ging es auch Michaeln. Seine ungeputzte Seele vernachlässigte ihren kurz und dickleibigen Freund, den Körper, ohne ihn zu verwahrlosen. Wenn er seines Gleichen an Verstand und Willen übertraf und seinem Herrn Kopfdienste leistete, so sah es doch zuweilen mit den Handdiensten nur sehr dürftig aus; und wenn andere seines Gelichters sich durch außerordentlichen Putz so auszeichnen, daß sie eben dieses Putzes halber ihre Herren berechtigen oder zwingen, schlecht und recht einher zu gehen, so ließ doch Michael dem Junker hier den weitesten Spielraum, von dem dieser indeß, wie alle Schwärmer, die auf inneres Licht und innere [7] Kleidung ausgehen, wenig Gebrauch machte. Es fehlte Michaeln immer etwas an seinem Anzuge. – Seine Rock-und Westenknöpfe waren nie vollzählig, und die Staatslivree ward schon in den ersten vierundzwanzig Stunden so bezeichnet, daß man sie, unter vierundzwanzig andern, auf den ersten Blick gekannt haben würde, wenn auch diese sonst ganz gleichförmig gewesen wären. Mit seiner Frisur lebte Michael in beständigem Zank und Streit; sie befand sich immerwährend in einer Lage, als ob er sich gerauft hätte. Indeß erregten alle diese Flecken und Runzeln beim Junker keine Bedenklichkeit, ihm das Prädikat alsBegleiter zu bewilligen und diesen Vorzug nicht bloß auf den Titel einzuschränken, sondern ihn auch auf den Geist dieses Namens auszudehnen. Der Pastor fand die Wahl vortrefflich, weil er durch Michaeln von den Ordensfortschritten des Junkers getreulich unterrichtet zu werden hoffte. Er hatte den Protagoras zu seinem geheimen Untergebenen (warum soll man denn bloß geheime Obern haben?) gemacht, damit er, wo möglich vom Glauben zum Schauen gelangen möge, als welches wir ihm von ganzem Herzen gönnen wollen. – Nachdem er Michaeln mit seinen Ideen bekannt gemacht, segnete er ihn zu seinen Kreuzzügen so rührend und ungewöhnlich, wie Voltaire den Enkel Franklins, ein, wiewohl weit orthodoxer, förmlicher und seiner Absicht anpassender. – Nichts bedauerte er so sehr, als daß er diese Reise mit dem Rücken ansehen mußte. Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet, fing er an, und schüttelte gewaltig sein Haupt über den Heraldicus junior, der diese Reise um die moralische Welt ausgeschlagen hatte. Der Tag zur

88. Abreise
§. 88.
Abreise

ward mit Genehmigung der Ritterin bestimmt. DerPastor loci [8] ermangelte nicht, öffentlich zu beten und insgeheim zu wünschen. – Oeffentlich brachte er dem lieben Gott seinen Kirchenpatron in Erinnerung, und empfahl ihn der göttlichen Obhut in brünstig, damit er zur Freude und zum Trost der durch das Ableben des Ritters tiefgebeugten Frau Mutter Gnaden, mit Kenntnissen bereichert, sich selbst zur Ehre, seinem Geschlechte zur Zierde, und allen zur Bewunderung heimkehren möge, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, Amen. In seinen geheimen Wünschen ging er viel weiter. Da die meisten Menschen in ihren Gebeten eine gewisse Lebensart oder Bescheidenheit beobachten, so glauben sie, in ihren Wünschen – als hörte sie Gott nicht – dreister und ungezogener seyn zu können. Soll ich diese vor sich's mittheilen? – Ich dächte, meine Leser wüßten sie so gut, als der Pastor und ich. – Auch den Begleiter des Kirchenpatrons schloß er ins Oeffentliche und ins Geheime ein. Ueber die öffentliche Empfehlung der göttlichen Gnade und Treue ward, obgleich sie freilich nur beiläufig geschehen konnte, Michael bis zu Thränen gerührt. – Viele in der Gemeinde schluchzten – indeß so laut bei weitem nicht, als am zehnten Sonntag nach Trinitatis. – So wie der Ritter einige Tage vor seinem Ableben Abschied genommen hatte, so theilte auch die Ritterin, viele Tage vor der Trennung, ihrem Sohne das Schatzkästlein mütterlicher Lehren und Segnungen mit, unter denen Sophie natürlich eine Hauptrubrik ausfüllte. – Die Welt stand ihm offen; war es Wunder, wenn die Frage:

89. Wohin
§. 89.
wohin?

unserem Junker und seinem Begleiter eine lange Unterredung kostete? Ich will sie kurz wiederholen.

[9] Als Herkules, fing Michael an –

Wie kommst du und Herkules zusammen? griff der Junker ein.

Nicht ich, versetzte der Begleiter, sondern Herkules und Sie, oder Sie und Herkules sollen zusammenkommen. – Oder soll ich nicht die Ehre haben, den Herkules zu kennen? Da wär' ich nicht werth, Sie zu geleiten auf den Bahnen zur Rittermeisterschaft; – nicht werth, zu den Füßen Gamaliels gesessen und die vernünftige, lautere Milch eines Unterrichts eingesogen zu haben, den man in Osten, Süden, Westen und Norden schwerlich vernünftiger und lauterer finden wird. – Der große Ritter Herkules hatte die Qual der Wahl zwischen Wollust und Tugend, und wie? – Es erschienen ihm zwei weibliche Figuren. Was that er? Er faßte sich und machte es wie ein weiser Richter, der ein paar Advokaten hört und sich entschließt –

Dem ist also, sagte der Junker. Was willst du aber bei der Frage wohin, mit deinen weiblichen Figuren, deinem paar Advokaten und dem weisen Richter, der sich entschließt?

Um Ihre Lage mißlicher darzustellen, als die des Herkules, der vielleicht kurz vor der Abreise von seinem Rosenthal, nach dem hohen Licht, diese Erscheinung hatte. Denn zu geschweigen, daß man zwischen Lea und Rahel, falls man nicht auf beiden Augen blind ist, einen Unterschied zu machen im Stande ist; zu geschweigen, daß Herkules nicht die Nothtaufe erhielt (die bei uns Rosenthalern allen im Segen ist und bleiben wird), vielmehr schon als Kind in der Wiege zwei Schlangen, die ihm nach dem Leben trachteten, erdrückte, so ist Ihnen nur eine einzige weibliche Figur erschienen, die Sie als Huldgöttin und Schwester zu weisen strengen Ordenspflichten und zum sanften Ehebette, gleich stark einlud. Wohin Ew. Gnaden bei diesen Umständen sich wenden werden? ist die Frage, die genau genommen, nicht schwer zu beantworten seyn kann, denn ich glaube, glauben zu können, daß, wenn Ew. Gnaden [10] Fräulein Sophien entdecken, Sie durch ihren Besitz, wo nicht im hohen Lichte selbst Sich befinden, so doch nicht entfernt von demselben seyn werden.

Dein Gamaliel, erwiederte der Junker, hätte dir Zeit gönnen sollen, dich in der Frisir-, Rasir-, Complimentir- und in andern deinem Stande angemessenen Künsten, wohin ich die Kunst des An- und Auskleidens mitrechne, unterrichten zu lassen, ohne deinen Kopf mit dem Herkules und seinen beiden Paradiesschlangen zu belästigen, und wenn ich mich gleich meiner Nothtaufe zu schämen keine Ursache finde und nur selten jemand so viele hohe Taufzeugen aufzuzählen haben wird, obschon ich wegen meiner 24 Vornamen in Punkto der Vokale keiner geringen Schwierigkeit ausgesetzt bin –; so ist es doch unschicklich, daß du dir herausnimmst, mir im Angesicht des Herkules meine Nothtaufe vorzuwerfen. Ich sehe wohl, daß, wenn du gleich, wie Protagoras, das Holz deines Katechismus zu binden verstehst, dir noch sehr viel abgeht, um ein brauchbarer Diener zu seyn.

Wahr, gnädiger Herr! und das traurigste dabei ist, daß man ein brauchbarer Diener zu seyn auch von dem brauchbarsten Herrn nicht lernen kann, vielmehr sollen die brauchbarsten Herren in diesem Unterricht leider! die unbrauchbarsten seyn.

Was die weibliche Erscheinung betrifft, deren du gedenkest, fuhr der Junker fort, so kann meine Zunge nie den Namen Sophie aussprechen, ohne daß mein Herz gerührt ist. – Ich berechtige dich hiermit, ihrer, so oft es dir gefällt, zu gedenken. Noch sey es dir unverhohlen, daß ich wünsche, es möchte, da wenig oder gar keine Logik in deiner Rede liegt, mit mehr Logik geschehen. Denn wenn Sophie aus Orden und Liebe, wie der Mensch aus Leib und Seele, bestünde, so würde freilich die Frage: wohin? keinem Zweifel unterworfen seyn. Da sie indeß nur den ersten Grab des Ordens der Verschwiegenheit besitzt, und [11] ihre erlangten Einsichten, als Mitglied der Adoptionsloge, bei unserem Nachbar nicht leuchten ließ, so kann dieß alles, und wär' es zehnmal so viel, gegen die Loge zum hohen Licht, wo ich auf der Exspektantenliste stehe, wenig oder nichts betragen, und du siehst von selbst ein, daß ich die Wahl habe, dem Orden, der mir in der Person des Hauptmanns erschien, oder der Liebe, die in Sophien leibhaftig wohnt, zu folgen. Das sind die beiden Arme des Weges, und welchen ich ergreife? – das ist die Frage.

Michael, der wohl einsah, daß er durch die Erinnerung an die Nothtaufe, im Angesicht des Herkules, einen großen Fehler der Lebensart begangen, und daß er, zum Nachtheil der Loge zum hohen Licht, in Sophien nicht Orden und Liebe vereinbaren können, rieth zur Loge zum hohen Licht, um eines Theils, wie er glaubte, nach den Gesinnungen seines Herrn zu votiren, andern Theils aber, um hierdurch in den Stand zu kommen, desto geschwinder seinem Gamaliel den Segen zu erwiedern, womit er ihn ausgestattet hatte. – Wenn ich nun gleich nicht läugnen will, daß, wenn Michael Sophien den Apfel, wie weiland Paris der Venus, gegeben, sein Herr eben so unzufrieden geschienen, so verwies ihm doch der Junker seinen Rath und hielt auf Sophien eine starke Lobrede, daß Michael stehenden Fußes seine Meinung änderte, und, aller obigen so wichtigen Gründe ungeachtet, Sophien vorschlug. – Das Resultat war, daß sie einen Weg ausforschen wollten, mittelst dessen man zu Sophien und zur Loge zum hohen Licht kommen könne. Das ist freilich die sicherste Partei, zu der ein weiser Richter in der Mitte zweier kunsterfahrner Advokaten sich zu entschließen pflegt. – Wer beiden Recht gibt, verdirbts mit keinem von beiden. Hiezu kam, daß Michael ganz richtig bemerkte, sein Herr sey bei weitem so übel nicht daran, als Ritter Herkules, indem nicht zwischen Tugend und Wollust, Thätigkeit und Faulheit, sondern zwischen Tugend und Tugend, zwischen Orden und Liebe [12] der Streit war. – Nach diesem wichtigen Streit hätte man freilich glauben sollen, das gezogene Resultat habe sie aus aller Noth gebracht, allein sie waren, wie es fast immer bei Streitigkeiten geht, bloß aus einer Noth in die andere gekommen. – In der That, sie kamen keinen Schritt weiter, denn wo war dieser Weg, um Orden und Sophien zu finden, oder zwei Fliegen mit einmal zu schlagen? wie Michael sich ausließ. – Man entschloß sich, beim Fräuleinsohue Feuer zu holen, und dazu hätte man sich, wie mich dünkt, ohne die Frage: wohin? und ohne so viel gelehrte Antworten entschließen können. Sage mir aber, sagte der Junker auf diesem Wege zu Michael, was du überhaupt von Herkules Versuchung denkst? – Eben das, was ich von einer andern höchst merkwürdigen Versuchung, welche der Satan wagte, denke, erwiederte Michael, wovon mich die vernünftige, lautere Milch meines Gamaliels unterrichtet hat. Die Tugend und das Laster, die Wahrheit und die Lüge, Gott und Teufel, halten in uns jeder seinen Advokaten, welche die Sache ihrer Machtgeber vertreten; und da kommts nun darauf an, wozu die Vernunft, als der weise Richter sich entschließt, um die Angelegenheiten zu entscheiden und zur Execution zu bringen. Hebe dich weg, Laster, hebe dich weg, Lüge, hebe dich weg, Satan!

Du glaubst nicht an wirkliche Erscheinungen?

Noch nicht.

Das heißt, du hast Lust und Liebe, zu glauben?

Allerdings.

Und wann?

Wenn ich sehen werde.

Thor! dann wirst du wissen und nicht glauben.

Michael behauptete, daß, wenn ihm wirklich etwas erscheinen sollte, wogegen er so wenig etwas hätte, daß er's vielmehr wünschte, er zwar sehen, indeß doch noch nöthig haben würde, zu glauben; [13] denn, setzte er hinzu, wie leicht kann uns etwas vorkommen, als sähen wir's, und wir sehen es nicht? – Kann man nicht träumen, als wache man, und wieder wachend träumen? Schein und Erscheinung thun oft so vertraut, als wären sie nahe verwandt, und doch sind sie verschieden, wie Wahn und Wahrheit, wie Einbildung und Wirklichkeit. Ich setze Zehn gegen Eins, Herkules sah Wollust und Tugend nicht mehr und nicht weniger, als Ew. Gnaden und ich, und mit Ew. Gnaden Erlaubniß, als unser selige Herr Jerusalem.

Der Junker hatte große Luft, Michaeln denBlitz-, Knall- und Thürvorfall zu erzählen, der ihm zur Zeit des Vorganges gar nicht auffiel, indem er sonst schwerlich die Thür so gemächlich und leise zugezogen haben würde, und der Entdeckung des Werbehauptmanns in Punkto des Früher- oder Spätersterbens der Ehe- und Brautleute zu erwähnen: indeß erwog er wohlbedächtig, daß man bei der Logezum hohen Licht drei Jahre auf der Exspectantenliste bleiben müßte, wenn nicht nach Umständen diese Wartezeit um etwas oder um alles verkürzt wird; und so blieb er verschlossen, um mit seinem Michael zuvor noch mehr Salz zu verzehren. – – Herkules verlor übrigens so wenig durch die Kritik des Herrn, als des Dieners, und that wohl, sich geduldig ihr zu unterwerfen. Hätt' er ja was übel nehmen können, so war es der Umstand, daß der Junker den Werbehauptmann, trotz des Wortes Erkenntlichkeit, ihm nicht weit nachsetzte. Herr und Diener kamen darin überein, sich auf dem geradesten Wege zu befinden, um etwas zu sehen, und dieß brachte auf die Frage: was jeder zu sehen wünsche?

Mit dem lieben Wünschen! fing der Junker an. Du weißt, daß es mir in meines Vaters Hause, das jedem Wohlerzogenen offen stand, nicht an Gelegenheit fehlte, Menschen kennen zu lernen.

[14] Besser, versetzte Michael, sie wären nicht Wohlerzogene gewesen, besser von Straßen und Zäunen, als mit hochzeitlichen Kleidern!

Nicht also, erwiederte der Junker, der rohe Mensch hat seinen Mantel, so wie der Erzogene, sie sind nur von anderem Schnitt und anderer Farbe! Es geht bei Menschenbeobachtungen kein Haar besser, wie beim stark besetzten Concerte, wo man, beim Geräusch der stärkeren Instrumente, die Violinisten zwar spielen sehen, nicht aber hören kann. – Der Gastvetter, der den herrlichsten Seelenhonig, wenn gleich auch manchen Seelenstachel, in Rosenthal zurückließ und dessen Sache so wenig das leere Fach der Titulatur oder Spekulation war, daß er vielmehr im Ganzen alles ganz herrlich einzugliedern verstand, machte mich auf die Instrumente der Wünsche aufmerksam, welche die Menschen so ganz verschieden spielen. Wünsche, Michael, sind nichts mehr, nichts weniger, als Gebete, mit dem Unterschiede, daß der liebe Gott Gebete hören soll, Wünsche aber nicht. Gelt! – Gamaliel war nicht anderer Meinung? – Wünsche nimmt sich der Mensch so wenig übel, daß man ihn eben dadurch, im gemeinen Leben, fast handgreiflich faßt. – Diese Wünschelruthe, die mir der Gastvetter behändigte und die mir bis jetzt noch um richtigsten schlug, habe ich, um Menschen zu kennen, in Gegen gebraucht. Kannst du glauben, daß der wahre Geizhals sich selbst nicht viel wünscht?

Andern gewiß noch viel weniger, fiel Michael ein.

Nicht anders, erwiederte der Junker.

Vielleicht aus Neid? sagte Michael.

Aus Geiz.

O des Thoren!

Neid und Geiz sind oft nahe, oft sehr entfernt verwandt, was ich dir aber sage, aus purem Geiz.

Mit Ew. Gnaden Erlaubniß scheint mir dieser Eingang der [15] Frage, die beantwortet werden soll, nicht günstig zu seyn! Wie wär's, wenn wir diese Frage auf eine gelegenere Zeit aussetzten?

Freilich würde Nachdenken uns hier und da auf etwas bringen, das sich vielleicht besser hören ließe, was aber nicht aufrichtig genug wäre. – Zum Lippendienst, zur Herzentfernung.

Wie Ew. Gnaden befehlen.

Unser Herr und Diener hatten sich einmal vom Ziel entfernt und konnten aus der Materie, warum der Mensch so sehr zur Heuchelei geneigt wäre, nicht herauskommen. – Daß selbst elende, von Grund aus böse Menschen, wenn sie mit ihren Helfershelfern einen Rath halten, sich die Schädlichkeit ihrer eigentlichen Absicht zu beschönigen Mühe geben; und daß, wenn gleich jeder dieser elenden, von Grund aus bösen Menschen und ihrer Helfershelfer, weiß, die angegebene sey nicht die wahre Absicht, man doch nach dem Scheine buhlt: – war beiden ein Wort zu seiner Zeit.

Wehe über den Heuchler, sagte der Diener.

Warum denn? der Herr.

Weil er heuchelt!

Willst du denn, daß er so sich zeigen soll, als er ist?

Allerdings.

Können sich aber, selbst unter seinen Spießgesellen, nicht einige finden, die weniger böse sind, die durch die Offenheit ärger noch würden, als sie waren?

Schwerlich! viel, kann's hier nicht zu verderben geben.

In der That, dieser Tugendschein ist von der größten Wichtigkeit; er legt einen Beweis ab, daß auch Bösewichter die Tugend innerlich ehren. Zieh diesen Vorhang, nimm diesen Schein hinweg, laß Menschen sich zeigen wie sie sind – und es ist das Schrecklichste, was man sehen kann. Laß immerhin, wenn in der Mördergrube über den Eingefangenen votirt wird, das votum decisivum [16] heißen: nicht Blutdurst, nein! die Furcht nicht verrathen zu werden. – Laß dem Bösewicht, der dem Unglücklichen das Leben nimmt, die Thräne im Auge.

Damit meine Leserwelt nur ja nicht wähne, es würde jeder Ritt meiner Reisenden so weitläufig werden. Behüte! ich mußte dieß Paar repräsentiren. – Und darf ich bei dieser Gelegenheit an die Spruchstelle erinnern: ich preise dich, Vater, daß du solches den sich dünkenden Weisen und Klugen verborgen und es dem Unmündigen, dem gemeinen Menschenverstande, der andern nicht Staub in die Augen streut und auch nicht leidet, daß andere Staub in die seinigen streuen, offenbart hast? – Nicht als ob Protagoras hieß Kleinod ergriffen hätte, sondern daß sein unverbrehter Kopf und sein unverfälschtes Herz dazu keine kleine Anlage hatte.

Uebrigens sind zu grelle Abstechungen in den Charakteren wahre Unnatur. Die Menschen sind sich in der That gleicher als man glauben sollte, – und wenn man die Funken ihres Kopfes entflammt, was kann aus ihnen werden! – Von Scheidemünzmenschen ist hier die Rede nicht, sondern von Menschen von besserem Schrot und Korne, zu denen Protagoras gewiß gehörte. Die Mediceische Venus ist von der Natur gewiß entfernter als Protagoras vom Demokritus. – Es war nicht anders als würden Michaeln die ihm unbekanntesten Dinge als bloß vergessene in Erinnerung gebracht. Scheint es nicht, die Menschen wären schon ehemals wo gewesen, wo sie das alles gewußt hätten, was sie jetzt ganz frisch lernen? Katechisirte Sokrates nicht alles aus seinen Schülern heraus? Sie waren der Stein, aus dem sein Stahl Funken schlug. Können wir nicht durch wohleingerichteten Unterricht andere selbst weiter bringen, als wir selbst sind?

Noch mehr. Kann der Mensch je mit den Augen des Geistes oder der Sinnen mehr sehen wie andere, kann er je ein geist- und [17] leibliches Sonntagskind werden, so ist's gewiß auf dem Wege der Unschuld, der Kindeseinfalt, der reinsten Güte des Herzens und bei der höchsten moralischen Vollkommenheit, zu der Menschen diesseits gelangen können. – Um mich des Ritters zu erinnern, der nun schon weiß, wie es oben und unten zugeht, laßt mich mit seiner Losung, die in Rosenthal eine Art von Ja und Amen war, schließen oben oder unten ist Eldorado! Eldorado! – Unser Held und sein Begleiter kamen zum

90. Fräuleinsohne
§. 90.
Fräuleinsohne,

der sie ländlich, sittlich, wie er sich ausdrückte, empfing. Er war, wie wir wissen, nicht ohne Kenntnisse, allein durch seinen Ueberschritt von Sekunda auf Prima hatten sie wahrlich nicht gewonnen. Man sah ihm zwar noch das Kind der Liebe und der Wonne an, doch hatte hieß Ebenbild durch die Standeserneuerung gelitten. Da er vom Werbehauptmann, wie er sich ausdrückte, höchlich vernommen hätte, wie viel Dank er dem Rosenthalschen Hause sowohl wegen seiner selbst als wegen seiner wohlseligen Fräulein Mutter schuldig sey, so war unser Biedermann über diesen unvermutheten Besuch hoch erfreut. Zu dieser Freude trug der Umstand bei, daß Heraldicus junior mit ihm wegen seines Gütchens in Unterhandlungen stand, und er als Verkäufer begierig war, sich nach den Umständen des Käufers zu erkundigen. Eine gewisse Ungeschliffenheit konnte weder er noch sie verläugnen, doch fiel die ihrige weniger auf. Weiber haben an sich und von Natur mehr Lebensart als Männer. Unsere Dame hatte sich ohnehin durch das Bewußtseyn ihrer Geburt von dem, was gemein und niedrig ist, von jeher zu entfernen gesucht. Jetzt waren beide Eheleute wegen des johanniterordensfähigen Schwiegersohns zu einer [18] Manier gekommen, die etwas widerlich abstach, und nie würden sie in die Melodie jener hohen Festtagsfreuden sich haben zurückbringen können, zu welchen sie ein Glas Most erwärmte und wobei sie über ihre wunderbaren Weihnachten so herzlich zu lachen gewohnt waren. Der jetzige Ton im Meierhofe des Findlings liegt ungefähr in der Antwort, die ein Emsiger seinem Fürsten gab. Ich habe von Ihm geträumt, Freund Emsigerl sagte der Fürst. – Ew. Durchlauchten werden gnädigst verzeihen – was denn? – Es wäre meine Schuldigkeit gewesen, von Ew. Durchlaucht zu träumen. – Oder in der Höflichkeit jenes Postmeisters, der sich beim Besuch des Fürsten gewaltig entschuldigte, daß er ihn im Schlafrock träfe und geschwind für den kattunenen einen seidenen anzog. Die Frau Werbehauptmännin dagegen war eine wahre Werbehauptmännin, das heißt eine so seine Weltfrau, daß man erstaunen mußte, wie bald sie zu diesen Werbeeigenschaften sich hinaufstimmen können. – Sie nahm eben von ihren Eltern, welche sie besucht hatte, Abschied, als man den Junker bewillkommte, und so gern sie ihr Werbnetz ausgestellt hätte, um an einem so liebenswürdigen Jünglinge einen Verehrer mehr bei ihrer Fahne zu haben, so konnte sie doch weiter nichts als ihm einen schreienden Blick über den andern zuwerfen und ihn versichern, daß sie ihn in – anmelden würde. Unserm Junker gefiel die Maurerschwester so wenig als dem Begleiter, der, da sich die Reisenden ihre Herzen ausschütteten, die Meinung äußerte, daß ein Tanz-, Spiel- und Singmeister es in kurzer Zeit unendlich weiter beim Frauenzimmer als ein Gamaliel bringen könnte. Auch ich, Michael, versetzte der Ritter, finde die Verschwiegenheitsschwestern viel vorzüglicher als die Maurerschwestern, wenn ich von dem, was ich von beiderseits Schwestern kenne, auf das, was ich nicht kenne, schließen soll. Die Mutter konnte sich nicht entbrechen, ihrer Tochter eine herrliche Standrede, und zwar auf Kosten des Werbehauptmanns zu halten. [19] Sie befände sich, sagte sie, bei weitem nicht in den glücklichen Umständen, die sie sich selbst und so viele Weltmenschen ihr prognosticirt hätten. – Die vernünftige Mutter des weiland Herrn Egalité ward, wie man sich ins Ohr sagte, aus Verdruß über die vermeintliche Wißheirath noch einmal Mutter. – Aus Verdruß? fragte der Junker. Wie ich Ihnen sage, betheuerte die Referentin. Mit Thränen beklagte die Mutter diesen Verdrußschritt, nachdem sie die Aufklärungen des Rechtsfreundes erfuhr. – Zu spät! wie doch die Rechtsfreunde immer zu spät kommen und außerdem, daß die Mutter des Werbehauptmanns einen Sohn zur Welt brachte, außerdem daß dieser Sohn ihr das Leben in den Wochen kostete, verband der Schwiegervater sich aufs neue ehelich, und den Kindern erster Ehe ist nicht nur durch die von einem Rechtsfreunde erkünstelten Pakta viel entzogen, sondern die Schlangenlist der jetzt florirenden Frau Gemahlin würd' ihnen gern noch die Ueberbleibsel entziehen, um sich und ihre Kinder, die gewiß zu erwarten wären, desto mehr zu bereichern. Was den Junker am meisten befremdete, war die Nachricht, daß der Hauptmann das Unglück gehabt, seinen Abschied zu erhalten, den er wegen überwiesener Vorenthaltung und Verkürzung der Montirungsstücke suchen müssen, um nicht noch obenein zur beschämenden Strafe gezogen zu werden. – Der gewesene Findling wollte zwar die Frau Gemahlin zu mehr Zurückhaltung bringen, indeß war sie nicht zu halten, und er mochte husten, winken und drein reden, soviel er wollte, der Candidat der Loge zum hohen Lichte mußte noch wissen, daß der Hauptmann, bloß weil es ihm an demSchlagschatz fehlte, nicht Johanniterritter geworden wäre, wozu ihm indeß ein anderer Orden, der ihn für alles gehabte Unglück entschädigte, ohne allen Zweifel verhelfen würde! – Diese weniger treuherzig als aus Bitterkeit abgelegte Beichte konnte unserm Novizen in keiner Rücksicht gleichgültig seyn, obgleich er aus einigen Stellen der in ordensgemäßer Ordnung [20] geführten Correspondenz auf etwas von dieser Art hätte schließen können. Es waren noch zwei Töchter des Findlings auf der hohen Schule, sonst würde er die Werbehauptmännin mehr als jetzt haben unterstützen können. Auch konnte er in Rücksicht des Ankaufs eines größern Guts sich nicht entblößen; und wußte er denn schon, was Heraldicus junior für den Meierhof geben würde? Mit der geerbten Handbibliothek, aus Gebet- und Gesangbüchern bestehend, würde weder dem Werbehauptmann und noch weniger der Frau Gemahlin gedient gewesen seyn, wenn Findling sie, das Werk mit den Hieroglyphen von Familienanzeigen nicht ausgeschlossen, der Tochter oder dem Schwiegersöhne verehrt hätte.

So geneigt der Junker und sein Begleiter waren, den Meierhof sogleich zu verlassen, so konnten sie's nicht, da sie beim Willkommen zu einem längern Besuch die Verbindlichkeit eingegangen waren. – Doch kürzte man so viel ab als möglich, und kaum waren die Reisenden in freier Luft, als folgendes Gespräch wie aus der

91. Pistole
§. 91.
Pistole

fiel. Bis jetzt ist unter unsern Reisenden fast immer klüger geantwortet als gefragt worden. Man gibt dieß unsern Katechismen schuld, wo der Frager vorschriftmäßig weit dummer als der Antworter ist. Kein Wunder, wenn Protagoras diese Methode noch von seinem Holzbündel beibehielt. Vielleicht verändert sich in §. Pistole die Scene, wenigstens gibt's Fälle, wo Pistolenfragen und Antworten von ganz besonderer Art sind. Was vom Werbehauptmann zu denken? Freilich, sagte der Junker, wäre es besser, wenn Er über der Berechnung, ob Mann oder Frau, Braut oder Bräutigam früher sterben würden? seine Montirungskammer-Rechnung nicht vernachlässigt und hier nicht eine wahre Rechnung ohne [21] Wirth gemacht hätte. Vernachlässigt? erwiderte Michael. Seine Sache steht schlechter. Ich verwette meine Montirung mit Ew. Gnaden Erlaubniß, er hat seinen armen Untergebenen zu viertel und halben Ellen entzogen – und das schreit gen Himmel. Dem Junker gingen alle die schönen Sentenzen durch Herz und Kopf, wodurch der Werbehauptmann ihn so gewaltig einnahm; doch fiel ihm auch die Behauptung der Ritterin ein, der Hauptmann zwirne seine Ausdrücke. – Das Wort Erkenntlichkeit hatte schon damals, trotz der Ziege Amalthea, die den Jupiter auf dem Berge Ida ernährte und deren Fell er zum Tapis machte, um hier der Menschen Thun und Lassen aufzuzeichnen, – den Junker etwas kopf- und herzscheu gemacht, und verfehlte nicht, sich jetzt wieder anzumelden. – – Nach etwa drei Viertelstunden, während welchen unser Held in tiefer Stille an die Zählung der Vokale, an alle die herrlichen Versicherungen, daß man im Orden keine Schlechtigkeit dulde, wenn gleich sie sich in List verkleidet und mit dem Schein des Rechts schmückt, und daß auch das witzigste Schelmstück mit Steckbriefen verfolgt würde, und mitunter auch an Jupiter und an die Ziege gedacht hatte, fing der Junker wie aus dem Schlaf erwacht an:

Michael, wer ungehört verdammt, ist, um das Wenigste zu sagen, ein schlechter Richter.

Wohlgesprochen, gnädiger Herr! Gehört aber der Werbehauptmann zu den Nichtgehörten?

Allerdings.

Hörten wir nicht die Schwiegermutter, die alles so zum Besten lehrte, als es schwerlich der Werbehauptmann zu kehren im Stande seyn würde, und sahen wir nicht seine Frau?

Der gewiß nichts von Anlage zur Vorenthaltung und Verkürzung der Montirungsstücke anzusehen war.

Mit Ew. Gnaden Erlaubnis mehr als zu viel. Eine Frau, [22] deren Gemahl den Abschied nehmen muß, die einen Vater im Meierhofe besucht, sollte die, Ew. Gnaden sind ein gerechter Richter, so seyn als sie war?

Vergiß nicht, daß sie Maurerschwester ist.

Und wenn sie Maurermutter wäre, gnädiger Herr, ich weiß, Sie sind mit der Wahrheit noch näher verwandt als mit Schwester und Mutter.

Der Junker sank wieder in seine dreiviertelstündige Stille – und nach ihrem Ablauf; Michael: ich kann den Werbehauptmann der Verkürzung und Vorenthaltung der Montirungsstücke halber nicht entschuldigen, so sehr ich's wollte. In Kleinigkeiten niedrig handeln ist schändlicher als im Größern. Es ereignen sich dazu die Gelegenheiten so oft. – Das Gemüth scheint verderbter. Da es nicht einmal einem Dreier widerstehen kann, wie weit tiefer wird es bei größern Versuchungen sinken? Auch ist man geneigt anzunehmen, daß ein dergleichen Mensch mit der Gewohnheit zu fehlen so amalgamirt sey, daß es bei ihm auf keinen Kampf, auf keine Gewissensbedenklichkeit weiter ausgesetzt wird. Man sagt, Lord –, der vielleicht von Käuflichkeit der Parlamentsstimmen traurige Erfahrungen gemacht haben mochte, behauptete, merke wohl, in einer Damengesellschaft, daß jede fräuliche Tugend verführbar sey.

In Damengesellschaft? fragte Michael.

Wie ich dir sage.

Und die Damen?

Natürlich widersprachen sie, besonders eine. – Eine Million Pfund Sterling, rief er, und die Dame schwieg. Geld her, der Kauf ist richtig, nahm er sich die Lordsfreiheit zu sagen. Zugegeben, daß er den Streit gewonnen, was meinst du von der schweigenden Dame? Ich nehme sie zur Frau, heute lieber als morgen.

Und ich stehe für ihre Tugend.

[23] Michael, du übernimmst eine große Bürgschaft!

Wer kann's bieten? –

Wir sind mehr als einig, Michael?

Desto besser!

Daran zweifle ich, besser wär's, wir wären nur ewig.

Ist der Unterschied zwischen mehr und nur so groß?

Weißt du, was mir sicherer als die Tugend deiner Millionpfundsterlingsfrau dünkt? – Daß der ein elender Mensch ist, der mit Pfennigen seine Tonnen Goldes vermehrt, mit Verkürzung der Montirungsstücke seinen Hauptmannsposten –

Gedacht gerade wie Sie, nur hätt' ich dieß Holzbündel so nicht zu legen gewußt.

Daß du nur des Hauptmanns halber den Maurerorden nicht leiden läßt.

Ich will's versuchen.

Versuchen?

Wär' er Hauptmann, nicht Werbehauptmann, unbedenklich.

Das hohe Licht des Ordens soll eben sowohl dem Verstande als dem Willen leuchten, nicht wahr?

Bei meiner armen Seele, so denk' ich. –

Es verdrießt mich, daß du nicht unrecht hast.

Es verdrießt mich selbst, gnädiger Herr, daß ich recht habe.

Die

92. Pferde
§. 92.
Pferde

hatten während des vorigen Pistolenparagraphen sich zuweilen so gebäumt, daß besonders Michael Mühe hatte, das seinige in Ordnung zu halten. Die Pferde? Eine wohlverdiente Frage. Freilich hätt' ich's bei der Auslastung, und wenigstens beim Auszuge bemerken[24] sollen, daß die Wanderschaft zu Roß begann, und wie könnt' es anders? Ein Junker, der auf Orden es anlegte, und ein Protagoras, der einen neugierigen ordensdurftigen Gamaliel zurückgelassen hatte, mußten wohl natürlich zu Roß diesen Weg antreten. A la Don Quixote? Mit nichten. Denn erstlich hatten unsere Pferde keinen Namen; zweitens waren hier Herr und Diener, und nicht Ritter und Stallmeister; drittens war ein Stallknecht in ihrem Gefolge, der freilich bei Gelegenheit des Leichencondukts dem Stallmeister sehr nahe war, dem indeß dieser Titel vorüberging (– bald hätt' ich Würgengel von Titel geschrieben; sind Titel es nicht gemeiniglich? –); viertens führte der Stallknecht noch ein Reservepferd, daß drei Menschen und vier Pferde in diesem Kreuz- und Querzuge waren (da die heilige Zahl an Menschen erfüllt war, warum sollte man diese Perle der Heiligkeit bis zu den Pferden herabwürdigen? –); fünftens hoffe ich, daß vom Stallknecht wenig oder gar nichts vorkommen werde. Sechtens und siebentens behalte ich für mich – um meiner Leserwelt Gelegenheit zur Vollendung zu geben – damit ich diesen Paragraphen so leise, wie mein Held zu seiner Zeit die Thüre, zuziehe. Lacht nicht oft mancher über den Don Quixote, der es ärger macht, als dieser brave Ritter von trauriger Gestalt? Und wie viel Fürsten und wie noch viel mehr Minister, treiben in ihren Regierungskreisen Don-Quixoterien, freilich auf andere Manier! Don Quixote gab bei trauriger Gestalt Lustspiele; jene Staatsruderer geben bei der fröhlichsten Gestalt Tragödien. Cervantes kurirte die Spanier, Rabelais die Franzosen, und viele Durchlauchten und Excellenzen verderben Staaten und Länder bis in Grund und Boden. Wie wird unser

93. Empfang
[25]
§. 93.
Empfang

seyn? Der voreilige Begleiter behauptete, der Werbehauptmann würde seinem Novizen drei Viertelmeilen entgegenkommen; wer sich aber irrte, war Protagoras. Am Thore, da man das gewöhnliche Examen hielt, überreichte man dem Junker, sobald man seinen Namen vernahm, einen Brief. Ha, dachte Michael, doch gewonnen! Wieder verloren. Es enthielt dieser Brief keine Sylbe weiter als eine Logisempfehlung: zur

94. Sonne
§. 94.
Sonne

Michael, der ungehalten war, daß der Werbehauptmann ihn zweimal fehlen lassen, wiegelte seine ganze Beredsamkeit auf, um seinen Herrn zu bewegen,zum Monde, einem Gasthofe, einzukehren, wovon sie unterwegs eine vortheilhafte Beschreibung eingezogen hatten; indeß gewann Michael, seiner Beredsamkeit ungeachtet, das mißliche Spiel seiner Rache nicht, und es blieb bei der Sonne. Auf einen Besuch vom Werbehauptmann hatte der Junker selbst ganz unfehlbar gerechnet, indeß wollte jener durch diese Kälte den Candidaten noch hitziger machen, und wahrlich, es ist ein plumpes, doch fast immer unfehlbares Mittel, junge Leute in einen Brennpunkt zusammenzudrängen, wenn man sie warten läßt. – Unser Werbehauptmann hielt sich in Beziehung auf seinen Novizen für nichts weniger als einen Newton, dem die Natur, wiewohl ohne Reception, ihre fünftausendjährigen Geheimnisse offenbarte und gewisser als Protagoras würde der Werbehauptmann sein Spiel gewonnen haben, wenn nicht die Dame im Meierhofe geplaudert hätte.

[26] Der Wirth zur goldenen Sonne, dem nichts von Montirungsstücken vorenthalten und verkürzt worden war, gab sich auf eine, wiewohl einstudirte Art Mühe, den Werbehauptmann ins vorige Licht zu setzen. Er versicherte, daß er das Glück gehabt, sich seinen Abschied selbst zu geben, um sich desto mehr dem Orden zu widmen. – Niemand kann zweien Herren dienen! Und sich von mehr als einem Begleiter bedienen lassen, fügte Protagoras hinzu, und war in großer Versuchung, den Gastwirth auf sich selbst zurückzuführen, der nur durch die Vielheit der Herren gewinnt, denen er dient, und je mehr er deren zählt, je berühmter ist seine Sonne. Doch beschämte Michael dießmal die Dame im Meierhofe. – Ein Fall, der ihn nicht auf die Probe stellen muß! Hast du gehört, Michael? sagte Novicius.

Ich habe mir Mühe gegeben, gnädiger Herr, über die Erzählungen der Schwiegermutter hinweg zu hören.

Warum Mühe?

Weil wir nicht im Monde, sondern in der Sonne logiren.

Ich verstehe, soll man sich aber andern zu sehr überlassen und vor Baal, er erscheine wie er wolle, die Knie beugen? – Nicht die Gottheit kann uns glücklich machen, wenn wir nicht selbst Hand aus Werk legen.

Auch ich verstehe, gnädiger Herr! – Allen Baals zum Trotz lebe der Orden!

Er lebe!

Der Besuch des Novizen bei seinem Conduktor ward schnell erwiedert, und nur eine Stunde später, so wäre der Meister dem Jünger zuvorgekommen! Dem Gastwirth zur Sonne war es nicht entgangen, daß das Zutrauen bei weitem so groß nicht sey, als es beim Novizen gegen seinen Conduktor von Rechtswegen seyn sollte, und in der That, Novicius hatte einen großen Theil der hohen [27] Meinung aufgegeben, die er ehemals vom Werbehauptmann gefaßt hatte. Am Wirth lag es freilich nicht, den Werbehauptmann zu heben. Daß er mit seiner Schwiegermutter in keine kleine Fehde gerathen, und daß die gute Frau das letzte Wort behalten, gehört nicht so eigentlich zur gegenwärtigen Geschichte; wohl aber, daß die Tochter, obgleich zum Glück unseres Junkers, nicht wie gestern und ehegestern gegen ihn sich betrug. – – Die Scene veränderte sich, der Orden ward gerechtfertigt, und ein gewandter, junger Mann erhielt den Auftrag, den Candidaten vorzubereiten. – Dieser abermalige Abschied, den der Werbehauptmann erhalten zu haben schien, setzte unsere beide Aspiranten um so weniger in Verlegenheit, als gleich beim ersten Besuch der Antrag des Junkers, seinen Begleiter mit aufzunehmen, mit Wärme bewilligt ward: – als dienender Bruder, versteht sich. Protagoras hatte um so weniger beim dienenden Bruder eine Bedenklichkeit, als es ihm nicht um Rang und Stand, sondern um Meisterschaft und Einsicht zu thun war, und die Sache zu den Füßen Gamaliels in Erwägung genommen, der Herr dient so gut als der Diener. – Es ist mir nicht erlaubt, die drei, sieben, neun und zehn Siegel der Papiere zu brechen, welche die Aufnahmen des Junkers und seines Begleiters in den Maurerorden, und alle seine viele Haupt- und Nebenzweige betreffen. Immerhin! was gewinnen, was verlieren wir? Wissen nicht in unsern wunderlosen Tagen Ungeweihete oft mehr vom Maurerorden, als active Theilnehmer desselben? Wer bei diesen ungelöseten Siegeln der Offenbarung Sanct Johannis, seines öffentlichen Gebets und seiner geheimen Wünsche ungeachtet, einbüßte – war Pastor loci, der ein für allemal sich entschlossen hatte, vom Maurerwesen und Unwesen nicht zu glauben, was er las, sondern was er hörte. Der Glaube kommt durch die Predigt. Darf ich Sr. Wohlehrwürden mit ein paar Spruchstellen auf bessere Wege leiten?

[28] Marc. 4. V. 22. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar würde, und ist nichts Heimliches, das nicht hervorkomme. Und V. 24. Sehet zu, was ihr höret.

Nur ein Drittheil aus diesen Texten von dem herausgebracht, wozu das Evangelium am zehnten Sonntage nach Trinitatis so reiche Ausbeute darbot, wie viel weiter wär' unser Pastor in Zeichen, Wort und Berührung!

Des unglücklich Gläubigen, der hier Berge versetzt und dort nicht ein Senfkörnlein Glaubens im Vorrath hat! – Uebrigens überzeugten sich Herr und Diener gelegentlich, daß dem Pastor loci dis Unwissenheit im Orden zum Besten diene. Warum? Er überhob sich einer Arbeit, die gewiß nicht zu den leichten gehört. Auch nur bei halbem Glauben würde die Maurer-Polemik siebenmal stärker als die Thetik werden, und dieß Studium, wirb es nicht zu einem Ketzerlexikon Stoff geben, das alle zeitherige Kirchen-und Ketzerlexika bei weitem übertreffen könnte?

Brocken, die von den reichbesetzten Geheimnißtafeln fielen, deren einige Körbe der jetzt jubilirende Werbehauptmann, weiland in Rosenthal, bis auf die diätetischen Regeln vom weißen Hemde verstreute: – wo Holz gehauen wird, da fallen

95. Späne
§. 95.
Späne.
Es waren sieben Vorbereitungen, denen sich unsere Candidaten unterwerfen mußten.

Erste Vorbereitung.


Geheime Gesellschaften sind entweder religiös, politisch oder moralisch. Die Maurerei ist alles Dreies, – und diese Dreieinigkeit hat bereits gewirkt und wirkt noch; – doch mußte sie sich nach Zeit und Umständen modificiren, wenn sie nicht wie ein Gewand [29] (excipe die Ordenskleider des seligen Ritters) veralten sollte. Daher die vielen Abweichungen, Uneinigkeiten und Zwiste im Orden. – Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, auf mehr Uebereinstimmung und Zusammentreffung zu einem Hauptpunkt zu sinnen; obgleich es bis dahin nicht ohne Nutzen blieb, daß fast jede Mutterloge ihren eigenen Weg ging, und daß ihre Töchter, wenn sie heranwuchsen, auf eigene Oekonomie dachten. – Der Orden hat sich im Religiösen, im Politischen und Moralischen, in dem gesitteten Theile der Welt (und besonders der kleinen Welt Europa) zusehends nützlich und wirksam bewiesen. Schwerlich werden die Luthere, vielweniger die Melanchthone unserer Zeit, die Hinrichtung der Servete gut heißen; und schwerlich werden der Sultanismus und die Anarchie, in Glaubens- und politischen Dingen, die eisernen Scepter mit Erfolg weiter in Anwendung bringen; da Menschenschätzung und Toleranz, welche Voltaire predigte, mittelst des Hauptmittels der Maurerei mehr ins Leben vorgedrungen sind, und so manche andere Lehre, bestimmt wie Blut zu circuliren, in Umlauf gebracht haben. Doch ist jetzt die letzte Stunde, die Maurer-Apostel, die in alle Welt gehen, zu versammeln, die verrathenen und zerschmetterten Maurereinrichtungen zu übersehen, und mehr Uebereinstimmung zu einem Plan zu bewirken, damit das Ende vom Freimaurerliede vor Kinderspott bewahrt bleibe. Ist diesem nicht alles ausgesetzt, was mit der Zeit nicht Schritt hält? Was vor alten Zeiten Handel und Krieg thaten, das leisten jetzt weit natürlicher und geräuschloser Buchdruckerei, Reisen und Verschiedenheiten der Staatenregierungen. Schon würd' es um die Welt gethan seyn, wenn lauter Republiken wären, und noch ärger würd' es aussehen, wenn bloß Despoten und Monarchen regierten. Es gibt mancherlei Gaben, doch ist nur ein Geist. – Eine harte Nuß zur ersten Vorbereitung! Von allem das schwerste ist, den Menschen vorbereiten. Ob Johannes seine Kunst verstehen wird?


[30] Die zweite Vorbereitung.


Es gibt Gegenstände, wobei jeder Versuch, sie ratiociniren zu wollen, vergebens ist. Die Ringe sind zu schwach, um ihnen philosophische Erklärungen anzureihen. Vielleicht hat die christliche Religion hierin einen Vorzug, der ihre Würde, wie mich dünkt, mehr als viele andere Criteria außer Zweifel setzen könnte. Bis jetzt hat sie sich mit allen philosophischen Systemen einverstanden; fast scheint es, daß diese ihr zum Theil entnommen waren, – wie Eva aus Adams Rippe! – Der erste Zweck der Maurerei kann aus ihrer Entstehung bestimmt werden. Ist jener Zweck noch das Maurerziel, das erarbeitet wird? Dieß annehmen, würde ein Kind zum Regenten eines großen Staats aufstellen heißen. Nicht bloß die Mittel, nein, auch die Zwecke vervollkommnen sich.


Die dritte Vorbereitung.


Der Hunger und Durst nach Geheimnissen liegt in der Natur des Menschen. Läßt er sich nicht, außer dem uns eingepflanzten Triebe, unsere Kenntnisse und Glückseligkeit zu verstärken, auch aus dem Hange zum Eigenthum erklären, welches andere ausschließt? Da die Menschen, vermöge der Geheimnisse und durch sie, in Modificationen erscheinen, worüber die Geschichte der Menschheit bis jetzt ein tiefes Stillschweigen beobachtet hat; wär' es nicht ein nützliches Unternehmen, die Menschen von dieser Seite, die noch wenig oder gar nicht berührt worden, zu entschatten? Man würde eine neue Welt in der alten entdecken, und wenn das Glück gut ist, den Menschen vermögen, alle Geheimnisse, von welcher Art sie seyn mögen, aufzugeben, damit er nicht sorge für den andern Morgen. Hat nicht ein jeglicher Tag seine eigene Plage? Es gibt Menschen, welche die christliche Religion ihrer Wunder halber ehren; andere, die ohne Zweifel ihr lieber seyn werden, ehren sie dieser Wunder ungeachtet. – Die Alten sahen die Einweihung in die Mysterien [31] als eine Wiedergeburt und einen Uebergang aus einem thierischen in ein geistiges Leben an; und auch in unsern Tagen thut das Mittel der vermeintlichen Wiedergeburt Wunderkuren: – man ist wirklich besser, wenn man sich fest überredet, es zu seyn. Kranke aus Einbildung (gibt's deren nicht mehr, als man glauben sollte?) genesen durch den nachdrücklichen Befehl, zu glauben, sie seyen gesund, oder durch die feste Versicherung des Arztes, sie wären hergestellt, oft in dem Augenblick, da sie Gesetz oder Evangelium hören. Es gibt Mittel, des Menschen gute Säfte auf einmal zu zerstören – Gifte: gibt's aber Mittel die Säfte des Menschen auf einmal zu verbessern? Vielleicht, – vielleicht auch nicht. Das Wiedergeburtsmittel kann im Moralischen Dienste leisten, ein Universale ist's nicht. Gibt's deren? Der Glaube an sich selbst, das Zutrauen zur menschlichen Natur und zur Menschheit wirkt mehr als man denken sollte.


Die vierte Vorbereitung.


Der Mensch ist zur Coexistenz berufen; seine Kräfte können nur durch coexistirenden Widerstand in Handlungen sich offenbaren. Alles an einer Schnur ziehen, heißt ein Marionettenspiel aus dem menschlichen Geschlecht machen. – Ganz einerlei muß nichts werden. – Eine Heerde und Ein Hirte ist ein Hieroglyph von sehr tiefer Deutung. – Wo keine Opposition ist, da gibt's auch keinen Gegenstand von Wichtigkeit. – Das Reiben von Köpfen an Köpfe bewahrt vor Einseitigkeit, die leicht in Stumpfsinn übertritt. Einsames Nachdenken ist darum oft schädlich. Hier hält man gemeinhin für evident, was andern so nicht vorkommt. Zur Theorie taugt die Einsamkeit, – die indeß nur dann erst gilt, wenn sie auf dem Probirstein Erfahrung bewährt befunden wird. Ist der Mensch allein, so kann an ihm nicht erscheinen, was er seyn wird und seyn kann; wir wissen aber, daß in Gesellschaft, wo sich seine [32] Bedürfnisse vermehren oder vervielfältigen, seine Bestimmung fortgeht – zur Unsterblichkeit. Seine physische und seine moralische Einschränkung wird gehoben. – Der Mensch ist sterblich, das Geschlecht ist ewig. – Seine Privatwerke sind hinfällig, seine publiken trotzen der Zeit. – Bereinigung gibt Kräfte, Muth und neues Leben, die Tugend zu befördern und das Laster zu stürzen. Die ganze Schule muß gemacht, der ganze Kreis muß einmal durchlaufen, es muß alles nicht bloß dogmatisch begriffen, sondern praktisch geübt werden, um endlich aus Ziel zu kommen. Das Kind, das gehen lernt, setzt sich der Gefahr aus, zu fallen, und sollten die Verstandeserweiterungen auch wirklich zunächst unangenehme Folgen haben, – sollten! scheinen diese Folgen nicht vielleicht bloß so? Wären sie aber auch wirklich Uebel, krönt nicht bloß das Ende das Werk? Können wir Böses thun, damit Gutes daraus werde? Sollen wir darum nicht Gutes thun, weil wir den Mißbrauch nicht hindern können? Nicht Weizen säen, damit kein Unkraut wachse? Warum nicht lieber sichten als nicht ernten? Man lasse Unkraut und Weizen wachsen und bemühe sich, dem Unkraut zu steuern; sicher steht uns eine gesegnete Ernte bevor. – Mängel und Uebel sind weder von unserer Existenz, noch von unserer Coexistenz zu trennen. – Wie? wenn in der Loge der subtile Faden der Ariadne gesponnen würde, welcher nicht den Theseus, sondern den Staat, nicht den einzelnen Menschen, sondern die Gesellschaft durchs Labyrinth führt? Man kann der Vernunft in Coexistenz nie zu viel, oft aber wohl zu wenig zumuthen. Der weise Stufengang zum Ziel der Menschheit erfordert, daß die Coexistenz in der Gesellschaft, wenn man so sagen darf, inniger und vertrauter werde, daß man die Menschen sich näher bringe; und wäre dieß der Zweck der Maurerei, die in ihren Vorhof, in ihr Heiliges und ihr Allerheiligstes alle Arten von Menschen aufnimmt und mit und unter einander bekannt, oft gar vertraut macht, welch eine Aussicht [33] –! Es gibt Geschäfte, die einen bessern Umgang gewähren, als Bekannte und eine gewisse Art Freunde. – Aechte Freundschaft gibt das Zutrauen, sein Geheimniß und sich selbst in seines Freundes Herz und Seele zu deponiren. Das hauptmännische Wort Erkenntlichkeit ist Todsünde in ächter Freundschaft; doch gibt's Stiefliebe und Stieffreundschaft, bei der Geld borgen der Sand ist, auf den ein Tempel der Freundschaft gebaut wird!


Die fünfte Vorbereitung.


Das ganze menschliche Geschlecht auf einmal verbessern wollen, heißt Utopien einrichten und einen Convent zur Constitution der platonischen Republik zusammen berufen. – Ohne Wissenschaft, auf bequemern Schleichwegen, den Schlüssel zu Kabinetsgeheimnissen der Natur finden, um von der Geister- und Körperwelt auf einmal Meister zu werden, ist ein Sprung, den die Natur nicht begünstigt: sie springt uns nicht vor! – Im Stillen treibt sie ihr großes Werk, langsam, doch sicher, kommt sie zum Ziele. Alles muß ein Kind der Zeit seyn und von jedem kann es heißen, seine Stunde ist noch nicht gekommen. Viel (ich sage nicht zu viel), das Meiste muß mißlingen, weil das, was werden soll, sonst nicht gut, bauerhaft und bleibend seyn würde. Es muß alle Stufen des Drucks durchlaufen, um abgehärtet zu werden. Ohne diese Weisheitsregel verliert man das Meiste; man hat nicht Zeit, die reiche Ausbeute unterzubringen. Anstrengung des Glaubens, Imaginationserhitzung, können Seelenappetit erregen (so gibt's Dinge, die Liebesappetit machen); dieß Machwerk indeß, ist es für die Dauer? – Personen, die nicht schreiben können, helfen sich zwar mit drei ††† aus; denkende Menschen indeß mißbrauchen den Orden nicht, um ungesäet zu ernten. – Mit einem Paar scharfsinniger Ideen, mit viel Phantasie, mit excentrischen Entwürfen, – man rechne immer guten Willen dazu – lehrt man die Welt [34] nicht um; – doch wirken Männer von Verstand und Willen auf Zeitgenossen und Nachwelt allmählig. Sucht man nicht oft Geld und findet Porcellan? Auch gut. Wenn nicht militärische oder klösterliche Disciplin (beide sind Kinder eines Vaters) eingeschlagen wich, ist's möglich, bei einem großen Haufen und auf einerlei Weise, Gutes zu bewirken und zu erhalten? Die Welt fing mit Einem Paar an. – Es gab nur zwölf Jünger. – Kluge, einsichtsvolle Männer, gekitzelt von der Idee, sich mit etwas Höherem, als andere Menschen, abzugeben, können wohl Porcellan finden, wenn sie Gold suchen: – aber –


Die sechste Vorbereitung.


Was hilft die Cultur des Verstandes, wenn der Wille nachbleibt? – Was hilft's dem Menschen, wenn er mit seinem Verstande die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Es gibt zwei Pforten zum Willen. Eine hoch und breit für viele, die andere schmal und enge, und nur wenige gehen hier ein zu ihres Herzens Freude. Geboren mit dem Triebe nach Glückseligkeit (nach frischer Seelenlust), wird der Mensch dennoch nur, durch Achtung fürs Gesetz, zur Moralität und Tugend bestimmt. Da nicht in äußerlichen Verhältnissen, sondern im innern Zustande das Wesen der Glückseligkeit liegt, könnte man nicht beide Verfahrungsarten des Willens vereinigen? – Durch Laster kann man nicht glücklich, durch Tugend kann man nicht unglücklich werden. – Niemand steigt durch Laster, niemand fällt durch Tugend. – Der Maurerorden verbindet den Stoiker mit dem Epikuräer, er versucht Menschen von verschiedener Art und Stand, Zungen und Sprachen, Selten und andern Unterschieden durch Gesetz unter Einen Hut zu bringen. Dieß wirkt zur Freiheit und Gleichheit, ohne daß man Stände aufhebt. Man [35] zeigt nur, Gleichheit und Freiheit könne mit Gehorsam und mit Ordnung bestehen. Man gehorcht dem Meister, nicht weil er an Geburt, Verdienst und selbst Verstand der erste ist, sondern weil er in den Logen oben an steht: nicht seiner Wohlredenheit, sondern seinem Hammer; nicht einem Kleide von Gold und Azur, sondern dem Meisterbrustschilde. – Es kann unter gleichen Menschen eine Subordination und ohne Aufhebung der Stände Gleichheit in der Welt seyn! – und wo drei, sieben, neun und zehn kluge Männer zusammen sind im Namen der Tugend und Redlichkeit, kann man da nicht den Winkeltyranneien (ärger als die öffentlichen) entgegenarbeiten? – Nicht durch Riesenoperation, sondern durch Vorstellungen; – nicht durch Trommetenhall, sondern durch Sanftmuth. – Einer richtet hier nichts aus, eine kleine Zahlalles. – Jene Lebensart, wodurch der Hohe sich herabläßt und der Niedere erhoben wird, jene Vereinigung der Gelehrten von Profession mit den Geschäftsleuten, der Studirstube mit dem gemeinen Leben – Doch – warum Vorgriffe? Wer ins zu Große arbeitet, vergißt und verlernt sich oft selbst. Allgemeine Aufklärung und ein mit ihr wiederkehrendes goldenes Zeitalter, ist selbst an sich nicht leicht denkbar, weil es ohne Contrast weder Größe noch Tugend, noch Vollkommenheit für uns gibt.


Die siebente, oder die Gold- und Porcellan-Vorbereitung,


wie Johannes es nannte, war sublim – sie hatte ein Offenbarung-Johannissiegel, das ich nicht brechen mag. Der Vorbereiter sagte von Amtswegen, daß der Orden, oder einige Auserwählte, nach ihrer Angabe, Naturräthsel zu lösen wüßten. Gut für die, so es wissen, übel für jene, die es nicht wissen, für jene, die sogar keinen Strahl von Hoffnung fassen können, es je in dieser [36] Welt zu erfahren. Die Kunst ist klein, mit höheren Wesen umzugehen, welche Appetit haben und unser Essen und Trinken sich wohl schmecken lassen, mit Geistern, die sich in unsere Mädchen, unsere Frauen, Töchter oder Schwestern verlieben. Aber mit Schatten der Verstorbenen, mit Geistern Gedanken wechseln, die uns von der künftigen Welt, von unsern künftigen Schicksalen diesseits und jenseits des Grabes unterrichten, die – der Vorbereiter bekannte frei, so weit nicht zu seyn, und keine Aussicht zu haben, so weit zu kommen, indeß beschied er sich über Dinge zu urtheilen, die über ihm waren. Daß zwischen einem rêve d'un homme de bien und Taschenspielerkünften, einem Hokuspokus von Augenblendwerk und Schatzgräbereien ein gewaltiger Unterschied ist, wer hat je daran gezweifelt? Ein Genie und ein Heiliger, für sich genommen, sind schon nicht Charaktere für jedermann. Ist aber ein Heiliger ein Genie, oder ein Genie ein Heiliger, dann sey uns Gott gnädig! – Herr und Mensch ist im Deutschen geschimpft und geehrt; – Genie und Heiliger desselben gleichen. – Was man sagt, ist zwar gesagt, doch bei weitem noch nicht gethan. Eine Kreuzspinne heißts, soll zum Juwel werden, wenn sie hundert Jahre unangerührt bleibt: – ich füttere dergleichen Spinnen nicht, und schwerlich wird eine Leihbaul gegen dieses Spinnen-Unterpfand Geld borgen. – Wo ist der Neugierige, der, bei all seinem Hang nach Besonderem, auf den Brocken oder Blocksberg sich begeben wird, um die Hexen auf Walpurgis an ihrem Landtage oder in ihrer Landnacht zu bewundern, wenn sie auf Ziegenböcken und Ofengabeln reiten, oder falls sie körperlichen Unvermögens sind, mit Sieben fahren? – Sachez vouloir, croyez et voulez, sind Worte von Bedeutung, denn recht wollen ist über die Hälfte des Vollbringens; und mehr als diesen rechten Willen, der aber so selten als das rechte Recht ist, verlangt die Gottheit nicht. Suchet, daß ihr wollet! – – – [37] und wenn auch der Erfolg eurem Willen nicht gehorcht, es gilt bei Gott und allen guten Menschen.

Sowohl der Junker als Michael waren von diesen sieben Dämmerungen, wovon hier nur wenige Striche mitgetheilt werden können, äußerst erbaut, und beide konnten den Zeitpunkt nicht abwarten, wiedergeboren zu werden, und das von Angesicht zu Angesicht zu sehen, was ihnen bloß in Schattenrissen und Bildern war mitgetheilt worden. Man bat dringend, daß der Zeitpunkt, wenn gleich die Wartejahre noch bei weitem nicht abgelaufen waren, so sehr als möglich beschleunigt würde; und ehe sie sichs versahen, erscholl die Stimme: Ei, ihr frommen und getreuen Novizen, über wenig seyd ihr treu gewesen, ich will euch über viel setzen; gehet ein! – Wer aus diesen Fragmenten auf den

96. Vorläufer
§. 96.
Vorläufer,

auf den Johannes der Receptionen, schließen wollte, würde zwar dem Orden, indeß mehr noch dem Vorbereiter zu nahe treten, der gewiß mit so viel Einsicht als Ueberzeugung zu Werke ging, um dem Orden weder zu viel, noch zu wenig beizulegen. Ich scheide nicht von dir, sprach seine Seele zur Wahrheit. Wenn gleich er zu den Epopten gehörte, die das hohe Licht zu schauen das Glück gehabt, – so war doch das Wunderbare seine Losung nicht, vielmehr stellte er alles, was ins Uebermenschliche ging, da er selbst nicht zu den Sonntagskindern gehörte, jedem anheim, der Sonntagsanlage hatte.

Es war dieser junge Mann von der Loge zum hohen Licht geworben, um durch seinen Kopf derselben Dienste zu leisten; und wenn gleich er dieser Hoffnung völlig entsprach, so übertrafen doch die Dienste seines Herzens jene bei weitem. Dazu gemacht, Subalternköpfe [38] zu leiten, und zur Offiziersstelle unter Menschen berufen, erforschte er die Gegenstände in ihren Höhen und Tiefen, ohne die gezogenen Resultate irgend jemanden aufzubringen. – Die Curialien, welche die Loge gegen die Hohen der Erde, wenn sie zu den Fremden oder zu Profanen gehörten, und die Verhältnisse, die sie gegen den Staat beobachten mußte, waren vorzüglich sein Departement. Man hat bemerkt, daß Leute, die mit Geistern umzuspringen wissen, oft beim Umgange mit ungeweihten Menschen und bei wahren Alltäglichkeiten straucheln. Eben daher die Werbesucht und der Heiligenschein, womit sie alles von sich schrecken. – Johannes war Bruder Redner, und nie sprach er aus Menschenfurcht oder Heuchelei, sondern aus Gefühl der Kraft, deren sein guter Geist sich bewußt war. Sein Streben war nicht Selbst- und Gefallsucht, sondern Wunsch, wohlthätig zu wirken, und er wirkte. – Von seiner Kindheit an hatte er sich den Wissenschaften gewidmet, und sie waren die Genien, die ihn geleiteten, so daß sein Kopf und sein Herz nie an einen Stein stieß. Menschenkenntniß strömte ihm in der Ordensverbindung von selbst zu. Weder seine mündlichen noch schriftlichen Vorträge keuchten unter der Last hochtönender, schwerer Worte; er redete, was ihm seine Ueberzeugung gab auszusprechen, und zwirnte seine Worte so wenig, daß sie einfach fielen, wie sein Herz und seine Seele. Oft hieß er Bruder Thomas; allein auch die Vielgläubigsten unter den Brüdern, wenn sie redliche Männer waren und nicht durch kecken Anstrich des Geheimnisses Nebenabsichten erschleichen wollten, liebten Bruder Thomas mehr, als wenn er in Gemeinschaft mit der unsichtbaren Welt zu flehen das Sonntagsglück gehabt, und Macht über die Elemente zu besitzen und künftige Dinge verkündigen zu können, vorgegeben hätte. Da er keinem das Recht zugestand, Menschen zu täuschen, und wäre es aus angeblich wohlthätigen Absichten, so ließ er dagegen auch sich nicht täuschen. Alles, was den Geist [39] des Menschen erniedrigt, erniedrigt auch sein Herz. Alle Künste, wodurch Männer, die vor den Riß stehen, auf Subalternseelen wirken, waren ihm falsches Geld, womit er keinen Menschen hintergehen wollte.

Die entfernten und unvorhergesehenen Folgen sind in moralischen Dingen von viel größerer und gefährlicherer Bedeutung, als die unmittelbaren Wirkungen, und wer kann dieß überdenken und doch täuschen? – – Ganz hatte er das Zutrauen unseres Helden gewonnen, und wenn dieser gleich, eben wie Michael, darauf ausging, Räthsel in der physischen und moralischen Welt zu lösen, ohne sich den Kopf zu brechen, so wußte doch Johannes dem Junker so unvermerkt eine Neigung zu Wissenschaften, und unter ihnen zur Chemie, Physik und Astronomie, beizubringen, daß der Vorläufer sich einbildete, mittelst dieser heiligen Drei ihn gegen alle Anfälle von Schwärmerei gesichert zu haben. Irren ist menschlich. Johannes irrte sich. Die Seele unseres Helden war viel zu voll von höheren Dingen, um seinen Glauben an höhere Chemie und höhere Physik und – aufzugeben. Warum soll es denn, dacht' er, außer so vielen Werktags- nicht auch hier und da Sonntagskinder geben?

Wenn man die Erziehung unseres Junkers unparteiisch beherzigt, welche, ungeachtet der so häufig unterbrochenen gemäßigten Bemühungen des Schneidersohnes, sie einzulenken, durch Vater, Mutter und Pastor loci zu einer angenehmen, ruhigen Schwärmerei geleitet ward, wird man sich wundern, daß jene heilige Zahl, Physik, Chemie und Astronomie, gegen so viel andere heilige Zahlen nichts vermochte? Es gibt Menschen, die, wie Pflanzen, im Sonnenlichte die Luft reinigen, und in der Nacht und im Schatten sie verderben. So unser Held, der bei Nacht und Schatten der Schwärmerei alles verdarb, wogegen er im Sonnenlicht guter Gesellschaft liebenswürdig war.

[40] Noch eine Bemerkung, die dem Bruder Präparateur einfiel, ohne daß ich mich darüber auslasse, ob sie der Aufbewahrung werth sey oder nicht.

Die Offenbarung, sagte er, wird den zu jedem Eindruck fähigen, zarten Seelen der Kinder, als die Quelle aller Quellen, als der Grund aller Gründe unserer Erkenntnisse angegeben; und was noch mehr ist, der christlichen Religion wird ihre Lauterkeit und ihre Vernunft vorenthalten, worauf sie freilich nicht zu Anfang ihrer Entstehung rechnen konnte, zu der sie aber (wie alles Menschliche in der Welt) durch Nachdenken und Säuberung ihres Grundstoffes von allen Menschensatzungen, Vorurtheilen der Zeit ihrer Entstehung und der Zeit ihrer Verbreitung, bis auf die gegenwärtige, von Autoritäten, und allen andern heterogenen Ingredienzien, hinanzureifen im Stande ist. – Einbildungen und Wesen der Phantasie werden zu Gegenständen, die man erkennen, begreifen und umfassen kann, nicht bloß gemacht, sondern sogargeheiligt. Unsere Neigungen und Triebe stellt man als verdächtig dar, obschon sie, recht verstanden, die Ueberbleibsel des göttlichen Ebenbildes sind. – Ist's Wunder, wenn die meisten Menschen schwärmen? und würden sie nicht, aus dem Schooße der Kirche in die Welt gelassen, in noch unleidlichere Schwärmereien sinken, wenn der größere Menschentheil mehr Zeit hätte und nicht im Schweiße des Angesichts sein Brod essen müßte sein Lebenlang? Wenn nicht der müßigere, kleinere Theil mit einer großen Portion Leichtsinn ausgestattet wäre? Wenn nicht die noch übrigen wenigen Edlen, diese Menschen Gottes, getrieben vom heiligen Geist zu reden und zu schreiben, den hohen Beruf fühlten, sich des menschlichen Geschlechts anzunehmen? – Leichtsinn und die rastlose Thätigkeit der theoretischen und praktischen Vernunft wird das menschliche Geschlecht vor noch ärgeren Ausbrüchen der Schwärmerei bewahren. Die Winde des Leichtsinns reinigen die Luft, und die Sonne der Vernunft [41] erleuchtet und erwärmt und bringt Früchte w Geduld. Deß sollen wir alle froh seyn, Halleluja! – –

Selbst in der Loge waren sehr viele und bei weitem die meisten, welche die Thomasart des Johannes unserm Helden verdächtig zu machen suchten; – obgleich dieser Vorläufer seiner Moralität wegen nicht in Anspruch zu nehmen war. – Johannes blieb bei jener Bemühung, die Sache nicht aus dem hohen, sondern aus dem rechten Lichte zu sehen, vom Heraldicus junior außerordentlich verschieden. Schon trug hiezu sein emsiges Studiren bei, wodurch er sich zu einem Staatsposten ausbildete. Erziehung und Umgang mit Menschen von allerlei Zungen, Sprachen, Religionen und Sitten gaben ihm selbst ein vom Schneiderssohn abstechendes Aeußeres. Das Gesicht zieht sich der Seele allmählig nach, und der excolirte Geist gibt selbst dem Körper eine Stellung, die charakteristisch ist, wenn sie gleich nicht allemal auf dem Tanzboden bestehen würde. – Die Werbehauptmännin erwies unserm Präparateur die ungesuchte Ehre, sich sterblich in ihn zu verlieben, und er ihr die Erkenntlichkeit, diese Liebesangelegenheit auf eine für sie unnachtheilige Art beizulegen. Er wollte nicht Joseph sehn, um Madam Potiphar zu demüthigen, und stehe da! anstatt Verfolgung und Rache, als die gewöhnlichen Folgen verschmähter Liebe, unsern Joseph (er soll Johannes heißen) empfinden zu lassen, überwand die Ehre, die ihm wegen seiner Tugend gebührte, jede andere, niedere Leidenschaft in dem Herzen der Werbehauptmännin, – ob auch die Liebe, weiß ich nicht. – Daß es ihr an erkenntlichem Liebhabern bei einer so beliebten Loge nicht gefehlt haben werde, versteht sich von selbst. – Bei den

97. Aufnahmen
[42]
§. 97.
Aufnahmen

fanden Junker und Michael, wie fast zum voraus zu sehen war, überall mehr als Johannes. Michael hieß zwar dienender Bruder und diente wirklich; indeß machte man mit Protagoras einen sichtlichen Unterschied in Hinsicht seiner dienenden Collegen. – Der Freiheits- und Gleichheitsbaum, den man in den Logen pflanzte, ohne den Herrn und Diener aus ihren Angeln zu heben, war beiden schon so etwas Seelerhebendes, daß nicht die Hälfte der Feierlichkeiten nöthig gewesen wäre, um ihren Herzen, auch ohne Werbehauptleute, deren es mitVokalkunststücken die Menge gab, wohlzuthun und sie für den Orden zu gewinnen. Ob unser Junker und sein Diener bei diesen Gesinnungen auch da noch geblieben, als sie alle heiligen und minder heiligen Zahlen von Graben durchgegangen, würde freilich mehr interessiren; doch hängen an der Beantwortung dieser Frage so viele Siegel, daß ich die Hand von dem Tapis des Jupiters nehmen muß, auf welchem er der Menschen Thun und Lassen niederschrieb; von welchem güldenen Vließ den Logen ein Stück in die Hand gefallen seyn soll, wie zwar nicht Johannes, wohl aber die Werbehauptmänner versicherten.

Unter vielen Ceremonien, welche unserm Helden und seinem Knappen Kopf und Herz entwendeten, war eine nicht unwichtige, daß sie gleich bei der Aufnahme des ersten Grades ein Paar Frauenzimmer-Handschuhe empfingen, um sie den Königinnen ihrer Herzen jetzt oder in Zukunft zuzuwenden. – Sophien von Unbekannt gehört dieses Kleinod, erwiederte der Junker auf die vorgeschriebene Handschuhrede des Meisters, und küßte drei, sieben und neunmal das Kleinod, das ihn so überraschte und rührte, als wär' es Sophiens Hand. – Der Meister, der durch dieß unerwartete Intermezzo völlig aus dem Concepte kam, wollte einlenken; indeß fiel [43] ihm der Recipiendus ein, und gewiß zum Glück des Meisters, der vom Buchstaben abhing, und ihm den Sklaveneid geschworen hatte. »Ein heiliges Unterpfand, – daß ich Sophien durch den Orden finden werde! – Ein Omen, das mir dieß Ziel meiner Wünsche verbürgt. O! daß Sie sie nicht kennen! Die Grenzscheidung zwischen Erhaben und Schön ist durch sie eine leere Vorgabe worden. Sie ist beides und hat mich gelehrt, alles Erhabene sey das Schöne von feierlicher Weise.« – Der Knappe fügte hinzu, er hoffe, die Handschuhe würden sich weiß erhalten, bis er so glücklich wäre, der Begleiterin der Fräulein Sophie von Unbekannt dieß Opfer bringen zu können.

Alle Grade in linea recta und obliqua (in gerader und Seitenlinie) waren beendigt, und unser Held besaß ein ganzes Schatzkästlein voll Bänder undKreuze und Sterne. (An Geräthe, Kleinodien und Zierrathen war nicht zu denken, wenn nicht ein Ruft- und Packwagen genommen werden sollte.)

Es gab eine so unglaubliche Menge von Systemen und Graden, daß man sie füglich Legion nennen könnte. Da man sie schon am grünen Holz und in jeder Schrift finden kann, was man zu finden wünscht, was will am dürren, an Hieroglyphen werden?

Michael konnte dem Orden, der auf Gleichheit und Freiheit auszugehen behauptete, einen gewissen Widerspruch nicht vergeben. Großmeister, Vorsteher, Activ und Passiv, dienender und befehlender Bruder, schienen ihm wo nicht wirkliche Widersprüche, so doch ungelösete Zweifel; sein Herr dagegen glaubte, daß die Vorbereitungen und Aufnahmen hier, so wie bei schlechten Komödien und den gewöhnlichen Ehen, wenig oder gar nicht zusammenhingen. Viel gäb' ich darum, wenn ich die bekannte Frage: Was ist, das du gesammelt hast? unserm Helden vorlegen, auf die Antwort seines Innern Rechnung machen, und sie so treu meinen [44] Lesern mittheilen könnte. – Der Knappe war übrigens im Punkt der Handschuhe, wenn gleich er seine Zofe Unbekannt nie gesehen hatte, eben so glücklich und so sorgsam, als der Ritter. Bei solch einem Paar Handschuhen werden freilich die Hände nicht ausbleiben. Noch ward an die

98. Adoptionsloge
§. 98.
Adoptionsloge

gedacht, und mit Ausschluß des Begleiters, der als dienender Bruder ohne Bänder, Kreuze und Sterne blieb, und dem nur wenige unbedeutende Ordenskleidungsstücke bewilligt wurden, dem Junker angetragen, diesen Nebenweg noch einzuschlagen. Freilich hätt' er diese Seitenlinie immer noch mitnehmen können. – Ich habe zu bemerken vergessen, daß unser Held, so wie bei verschiedenen Maurerschwestern, so auch bei der Werbehauptmännin Bekanntschaft unterhielt, und daß, statt des vormaligen Vokalzutrauens gegen den Werbehauptmann, sich ein gewisser, galanter Consonantfuß eingefunden hatte, wodurch beide Theile gewannen. Warum unser vollendeter Maurer gegen die Adoptionsloge war? Weil die Werbehauptmännin keine kleine Rolle in ihr spielte, weil er alle Adoptionsmitglieder kannte, und weil Sophie in diesem Cirkel ein Fräulein Unbekannt war. Wichtige Gründe für unsern Junker (den wir von jetzt an – in Rücksicht des Schatzkästleins voll Bänder, Kreuze und Sterne, wodurch er jetzt schon mehr Rittergrade als Vornamen zählte – Ritter nennen wollen –), sich in nichts mit der Adoptionsloge einzulassen. »Desto besser,« sagte Michael. Warum? fragte der Ritter. Der Teufel könnte sein Spiel haben. – Wie meinst du das? – Ich meine, daß Gelegenheit Diebe macht, und daß bei aller Treue, die ich Fräulein Sophiens Begleiterin geschworen habe, es sich zutragen könnte, daß eine Begleiterin Bekannt jene Begleiterin Unbekannt verdrängen, und das letzte [45] Uebel ärger als das erste machen könnte. – Schweig, fiel der Ritter ein – im Munde eines Knappen ist's unanständig, auf der Zunge eines Ritters wär' es schändlich, ein so schlechtes Zutrauen zu sich selbst, zu seiner Gebieterin und zu den Paar Handschuhen zu äußern, das jeder von uns empfangen hat.

Es fiel zwischen unserm Ritter und Johannes eine treuherzige Unterredung vor, die das Nein des Ritters, in Hinsicht der Adoptionsloge, noch mehr gründete. Sind Weiber schon so weit, um mit Männern in dergleichen Verbindungen sich einzulassen? Haben sie bis jetzt einen andern Beruf, als alles in sich verliebt zu machen? Sie wollen, es gehe wie es gehe, es koste was es wolle, geliebt seyn. – Der Witz der Weiber, womit sie so reichlich ausgestattet sind, läßt dem Gedanken nicht Zeit, auszuwachsen. – Wäre Freund ABC minder ernsthaft, suchte er weniger die Räthsel der Menschheit aufzulösen, wozu dem Sucher (woran ich herzlich Theil nehme) im Orden so viel Vorder-und Hinterthüren geöffnet werden – ich riethe Ja! Jetzt Nein! – Freund Bruder! erwiederte der Ritter, ich erkenne und bekenne mit Dank, Ihr Schuldner zu seyn. Nie sollen Ihre sieben Dämmerungen aus meinem Kopf und Herzen weichen, und wenn gleich unsere Ordensaugen nicht gleich sehen, unsere Ordensohren nicht gleich hören, und unsere Verstandeskräfte sich nicht ähnlich sind – was thut's! Wir sindBrüder Freunde! Eine Wortverbrüderung, deren Nachdruck ich nie mehr als jetzt fühle, da ich meine Maurerbahn mit so viel kostbaren Graden, in gerader und Seitenlinie, schließe; meine Bänder, Kreuze und Sterne, bis auf ein Kreuz, das ich auf bloßem Leibe trage, und einen Stern, der auf dem Hintertheil meiner Weste glänzt, in ein Schatzkästlein lege, und es bei Ihnen, so wie meine Maurerbibliothek, bestehend aus seltenen Büchern und noch seltenern Manuscripten, deponire. Ohne Sie würd' ich Physik, Chemie und Astronomie nicht studirt, und dieß Dreiblatt von [46] Wissenschaften vernachlässigt haben. – Ohne Sie wäre der Werbehauptmann mein Vorbereiter gewesen; wahrlich, kein Johannes, der den Thomas neunmal neun überwiegt. – Sie wissen, ich suchte Sophien in allen Graden und mir zuerkannten Ehrenzeichen, ohne sie zu finden. – Der Rath, den mir viele unserer Groß- und Kleinmeister aufdrangen, ihretwegen an ferne Logen, besonders nach Sachsen, zu schreiben, ward ohne Wirkung befolgt. Was soll mir Adoptionsloge ohne Sophien? – was ein Paar Handschuhe mehr oder weniger, ohne die schöne Hand, der sie gebühren? Freund Bruder, erwiederte Johannes, auch der Werbehauptmann selbst würde, seiner Vokalgeheimnisse ungeachtet, die Gründe nicht entkräften, die fürs Nein sind. Die Damen der Brüder heißen Maurerschwestern; wie viel haben Sie derer, kraft Ihrer Kreuz- und Querzüge von Aufnahmen? Wollen Sie noch nähere Schwestern, Sie werden in der Adoptionsloge ohne Zweites nicht vergebens wollen. Sophien aber finden Sie hier nicht, wenn gleich diese Aspasia im Orden der Verschwiegenheit und in einer andern Maurer-Adoptionsloge Schwester ist! Unsere lieben Schwestern sind Werbehauptmänninnen, bei deren dreiviertelstündigen geheimen Unterredungen mit Officieren und Nichtofficieren gewiß nicht immer eine Kammerzofe gegenwärtig seyn wird, sie wäre denn gleichfalls in die Mysterien dieser geheimen Zusammenkünfte initiirt. Es blieb beimNein! – Kräftig war der Segen, den Johannes auf den Ritter legte. Es trügt mich alles, oder Sie werden zu seiner Zeit finden, was Sie suchen – es wird Ihnen aufgethan werden, wenn Sie vorschriftsmäßig anklopfen; – bis dahin fassen Sie Herz und Seele in Geduld, wovon Sie oft rühmliche Proben ablegten. – O! des Trostes, dessen unser Ritter sich nicht würdiger zu machen glaubte, als wenn er sobald als möglich zu suchen sich entschlösse! Er bezahlte den erhaltenen profanen Unterricht in Physik, Chemie undAstronomie, der in Hinsicht der Summe [47] gegen die enormen Ordensaufgaben bis zum Lautlachen abstach, und war völlig bereit, die Loge zum hohen Licht, wo es nichts weiter zu hoffen gab, zu verlassen, wozu ihn ein

99. Brief
§. 99.
Brief

ohne Namen und Ort schon bestimmt hätte, wenn sein Hunger und Durst nach Geheimnissen auch weniger vorschnell gewesen wäre. »Sohn des Monds! wenn du das Licht der Sonne zu ertragen dich stark genug glaubest, fasse deine Seele, komm auf Flügeln der Morgenröthe und stehe! Petrus, der aus einem profanen Fischer zum Menschenfischer erhoben ward, verließ sein Netz, folgte nach und erhielt auf Tabor den Meistergrad. Ein ander Ding als das Thal Josaphat, wo du dich jetzt befindest. Da Ihr solches wisset, selig seyd Ihr, wenn Ihr's thut. Folge dem Winke des heiligen Geistes, der dich berief und in dir anfing das gute Werk! – Thue, was du nicht lassen kannst! – Jeder Laut, der von dieser Einladung zum himmlischen Manna und zum Tische des Herrn dir in einer schwachen Minute entfährt, ist ein Nagel zu deinem Sarge! Nicht deinem Begleiter, nicht dem Johannes (der nie aus einem Meister des Scheins ein Meister des Seyns werden wird) sollst du bei Strafe der Vernichtung den ersten Buchstaben dieser Vocation entdecken. – Bist du werth, ein Sonnenkind zu werden und die Feuertaufe zu empfahen, so mögen die Schuppen von deinen Augen fallen, und der Stein, den gewisse Bauleute verworfen, dir zum Eckstein werden! – Bist du unwerth des Werks des Herrn, das große Dinge thut, so schlage dich Finsterniß und dicke Nacht, und deines Namens werde nie gedacht unter allem, was Ordensleben und Odem hat. In dem Grade, als wir uns entsinnlichen, kommen geistige Dinge durch Sinnlichkeit uns entgegen. – Auf halbem Wege begegnen sich Geist und Leib, wenn der Geist[48] (wenigstens) das Gleichgewicht mit dem Körper hält. Je mehr wir uns vergeistern, desto mehr werden wir entkörpert; je weniger Physik an uns ist, desto mehr wächst unsere Metaphysik. Was wir dem Menschen entziehen, gewinnt der Engel. In dem nämlichen Grade, wie der äußere Mensch stirbt, aufersteht der innere, und je mehr wir uns von der Welt losreißen, desto fester gründen wir unser geistiges Bürgerrecht in der Stadt Gottes, die nicht mit Händen gemacht ist, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen ist ewiglich. Es ruft der dieses zeuget, komme bald! Amen! – Die Gemeinschaft des Allerhöchsten sey mit deinem Geiste. Wozu eine Reisekarte –? Bist du, der da kommen soll, so wird der Engel des Bundes dich geleiten, und deiner Seele die Feuersäule ein Wegweiser seyn. – Amen! Sollen wir eines andern warten? So kommst du nie an Stelle und Ort. Von dem Augenblick, da du dieß Blatt zum drittenmal gelesen hast, wirken Geister auf dich – und daß du es dreimal liesest, ist dir hiermit befohlen, wenn anders dein Geist nicht widersteht unserm Geiste. Gegeben Aurora im Jahre des Heils – – –«

Dieser Brief, der unerklärliche Postzeichen trug, ward dem Ritter des Abends von einem weiß gekleideten Knaben, den er weder vor noch nachher gesehen hat, in die Hand gedrückt. Unserm Helden war's, als sähe er eines Engels Angesicht – und was hätt' er nicht gegeben, um seinen Geist in den seinigen zu hauchen, welches wir Bekörperte unterreden nennen. Hätt' ich ihn am Kleide seiner Menschheit gehalten, würd' er mir es nicht zurückgelassen haben? – Und was hätte ich gehabt? Nichts mehr und nichts weniger als einen Leichnam.

Alles wunderbar! – Die Wirkungen, die diese Vorgänge auf unsern Helden behaupteten, lagen in seiner Natur, das heißt, mehr als in der Natur der Sache. Da er schon sonst mit seinem Begleiter die Frage: wohin? überlegt hatte, so kostete es ihm gewiß mehr Mühe, gegen ihn, [49] als gegen Johannes, verschwiegen zu sehn. Wenige Augenblicke stand unser Held an, den Brief zum drittenmal zu lesen, zweimal las er ihn unwillkürlich. – Als er sich endlich zum drittenmal ermannt hatte, war ihm, als sey er nicht mehr derselbe. Angst und Freude, Schrecken und Wonne, Himmel und Erde wechselten in seiner Seele. Er wollte sich dem Schlaf, der als Postmeister im Dienste des Geisterreichs steht, in die Arme werfen; doch konnt' er schlafen? Seine leiblichen Augen schloß er, je fester er aber sie schloß, desto exaltirter ward er. Er sprang auf – um frische Luft zu schöpfen, warf er sich ins Fenster; es war ihm er wußte nicht wie, und wie soll ich's wissen? Es kann gewiß keine Kleinigkeit seyn, wenn Geister auf Menschen wirken, wenn Menschen aufhören Menschen zu seyn, und aus der Gesellschaft der Sterblichen in die der Unsterblichen gerückt werden. Etwa gegen zwölf Uhr, die bekannte Geisterstunde, überraschte ihn ein Gesang der Liebe. – Die Stimme war entzückend. – Die Sängerin näherte sich, und der Inhalt, von dem ihm keine Sylbe entging, war:Geheimnisse der Liebe und der Geisterwelt sind nahe verwandt. Wahr! dachte der Ritter, bereit, sich aus seinem Zimmer zu stürzen, um wo möglich in Prosa den Grad der Verwandtschaft zwischen Minnegeheimnissen und Geheimnissen der Geisterwelt zu ergründen; ich hätte zuerlieben gesagt, wenn nicht Geister auf ihn gewirkt hätten. – So oft er diesen Vorsatz ausführen wollte, floh die Sängerin. – Jetzt entschloß er sich, sie anzureden und sie – verschwand? Wie? dachte er, sollte diese Grazie dich warnen wollen, dem Irrlichte des Briefes zu widerstehen, den dir ein Knabe im weißen Kleide in die Hand drückte? – Hat der Geist der Liebe sie in Sophiens Namen gesandt, um es bei dem einen Schatzkästlein voll Orden, Sterne und Kreuze zu belassen und Sophien auf anderen Wegen und Stegen nachzuspüren? Nur durch sie und an ihrer Hand, mit den Geheimnissen [50] der Geisterwelt, wenn es dir nützlich und selig ist, vertraut werden; welch ein Gedanke! Oder ist's eine Sirenenstimme, die dir das Licht der Sonne entziehen will? – Der Mond schien herrlich! – Weg mit dem Monde, war sein Resultat; – die Sonne, die ihm das Licht gibt, ist mein Ziel und der Engel des Bundes wird mich begleiten. Sind Geheimnisse der Liebe mit der Geisterwelt verwandt, bin ich nicht auf dem rechten Wege? Heil mir, dreimal Heil! – So dachte unser Held und nach diesem Entschluß, den er um drei Uhr Morgens faßte, machten seine Augen noch einen Schlafversuch, und stehe da! es überfiel ihn ein somnambulistischer Schlaf. – Herkules erschien, mit den Worten aus dem Evangelio: Stehe auf, hebe dein Bette auf und gehe heim! Und er stand auf, um nach dreien Tagen zu gehen. – Aber wohin? Nach dem Worte des Herkules – heim. Der

100. Reitknecht
§. 100.
Reitknecht

konnte zu keiner ungelegeneren Zeit als des folgenden Tages Audienz verlangen. – Er bat, wer sollte denken? als dienender Bruder aufgenommen zu werden. Das bist du in meinem Dienst, – alle Menschen sind Brüder. – Da er indeß sich mit dieser Universalabfertigung und diesem christ. brüderlichen Machtspruch nicht begnügen wollte, sondern seinem Herrn eine Empfehlung von einem Bruder der Loge zum hohen Licht behändigte, den er die Pferde seines Herrn reiten lassen und der dem Ritter in diesem Briefe versprach, es bei der hochwürdigen Loge dahin zu bringen, daß der Candidat in der besagten Qualität unbedenklich gegen geringe Kosten aufgenommen werden sollte, falls nämlich der Herr Baron ihn zumStallmeister zu erheben die Güte haben würde; so ward der Ritter unwillig und verwies ihn, ohne ihn zum Meister zu [51] erheben, – in den Stall. Don Quixote, setzte er hinzu, brauchte einen Stallmeister, ich bedarf keines Sancho Pansa – (wozu Comparent auch keine Anlage hatte). Mit dieser von guten Gründen unterstützten Sentenz war der Candidat sehr wenig beruhigt, vielmehr brachte er in der Appellationsinstanz von einem schlecht unterrichteten Papst an einen besser unterrichteten bei, daß mit Pferden umzugehen oft schwerer sey als mit Menschen, – daß bei der Cavallerie das Volk nicht nach Menschen, sondern nachPferden gezählt werde, daß Stallleute von jeher in gutem Rufe gewesen, daß Reiter und Ritter nur wie hoch- und niederdeutsch von einander verschieden wären, und daß Michael sein Vetter sey. – Michael, der bis dahin in seiner Kammer herzlich gelacht hatte, konnte als er diesen Umstand vernahm, sich nicht zurückhalten. Er sprang heraus, um den Reitknecht stehenden Fußes Lügen zu strafen. In der That Stoff zum Divertissement, wozu der Ritter, der seinen Kopf voll Geister hatte, die auf ihn wirkten, weder Lust noch Liebe besaß. Er gebot Schweigen und deutete dem Reitknecht an, daß sein Vortrag ihm kein süßer Geruch gewesen, der bei Stallleuten ohnehin etwas Seltenes wäre; er zähle nicht nach Pferden, sondern nach Menschen, und zwischen Reiter und Ritter sey freilich kein so großer Unterschied, wohl aber zwischen Stallknecht, selbst Stallmeister und Ritter; – was die Verwandtschaft mit Michaeln beträfe, so hätte er nichts dagegen und bleibe ihm sein Recht gegen Michael ausdrücklich vorbehalten; doch sollte er nie vergessen, daß Michael zu den Füßen Gamaliels gesessen und daß sein vermeintlicher Vetter seine Holzbündel von Reden, seitdem er in Gegenwart des Herkules ungebührlich an die Rosenthalsche Nothtaufe zu denken sich herausgenommen, so sein und künstlich zu legen verstände, daß zwischen Michaels und des Stallknechts Seele keine Verwandt- und Vaterschaft wäre, auf die es fast eben so viel als auf die leibliche ankäme. Da der Stallknecht von diesen übrigens [52] ganz planen Entscheidungsgründen in der zweiten Instanz nichts verstand, so ging er gerechtfertigt zu seinen Pferden; auch nahm sich der Bruder des hohen Lichts, den er die Pferde nothreiten lassen, seiner nicht weiter an, da das Gerede schon lange ging, der Baron würde nicht lange mehr in –

101. Wo denn
§. 101.
wo denn?

bleiben. Nicht diese Frage, sondern die Ursache zu derselben liegt mir zu beantworten ob. Freilich verliert die Geschichte an Leben und Individualität, wenn man dergleichen Umstände nicht handgreiflich bestimmt und Stelle und Ort führen geraden Weges, wenn man so sagen darf, in eine gegenwärtige Sache. Doch kann ich einestheils die Grenzen meines Auftrages nicht überschreiten, da ich ein Feind von allen, besonders aber von Grenzstreitigkeiten bin, anderntheils halte ich dieß heilige Dunkel der gegenwärtigen Geschichte nicht unangemessen, welche durch mehr Klarheit viel von ihrem innern Licht einbüßen würde. Der

102. Abschied
§. 102.
Abschied

von Freund Bruder Johannes war zärtlich – und vernünftig. Es gibt Zärtlichkeit, geheiligt durch die Vernunft. Die Vernunft überhaupt erleuchtet, heiligt und erhält, das Herz beruft. – In Wahrheit es verdiente Johannes um so mehr Achtung und Liebe, da er den Orden nie als Mittel mißbrauchte, zu seinem Zweck zu gelangen, selbst nicht als Nachhülfe des Mittels. – –

Johannes war zu bescheiden, um seinen Freund zu befragen: wohin? und sein Freund zu gewissenhaft, ihm etwas zu sagen, [53] was er selbst nicht wußte. – Lassen Sie mich, sagte der Ritter, Ihre sieben Dämmerungen mit drei Ermahnungen erwiedern.

Die erste war sein Freund zu bleiben ewiglich. – Mit Hand und Mund verheißen (ich stehe fürs Ja!). Die zweite sich wo möglich durch keine Bedienung im monarchischen Staat die Hände und den Kopf binden zu lassen; – in Freistaaten ists vielleicht anders, vielleicht auch nicht; wo gibt's außer Eldorado, das oben oder unten ist, einen wahren Freistaat? Nur Menschen, die ihre Bestimmung verkennen und den erhabensten Beruf Menschen zu seyn nicht überblickt haben, können nach Stellen trachten, bei denen sie nicht von der Stelle kommen. – Verzeihen Sie mir dieses Wortspiel, das mit der Wahrheit, wie oft der Fall ist, so richtig zusammen trifft. Wer von andern für seinen Kopf und sein Herz Gegenstände sich vorlegen oder zuweisen läßt; wer einer Aufforderung, eines Pönalanstoßes und einer Direktoranweisung bedarf, geschäftig zu seyn; wer sich ohne bestimmte Berufsarbeiten und Amtspflichten nicht zu lenken und zu richten weiß, ist und bleibt wo nicht noch weniger, doch ein Subalternkopf, ein Kanzellist; wogegen der Zwanglose, sich selbst Ueberlassene sich am nützlichsten und einflußreichsten beschäftigt, wenn der Präsident ihm die Sache nicht zugeschrieben hat, wenn er sie selbst wählte und wenn er sich von aller pünktlichen Nothwendigkeit entfesselt glaubt. – Thue das, so wirst du leben! – Johannes war längstens überzeugt, daß ein Unbeamteter oft Geschäfte von dem größten und wichtigsten Umfange treibe. Wenn panische Furcht und sklavische Pflicht benutzen, regieren heißt, so haben die Regierungsofficianten wahrlich keine sonderlich freie Aussicht, vielmehr führen sie ihre Aemter in Ketten und Banden ihr Lebenlang, ohne je auf Gelbstgefühl, das Kleinod edler Seelen, und Nachruhm Anspruch machen zu können, welcher uns zu Erben der Ewigkeit macht. Gibt's indeß, fügte Johannes hinzu, nicht auch in Aemtern Gelegenheit, an Gottes [54] Reich und seiner Gerechtigkeit zu arbeiten? und wo nicht mehr, doch Abderiaden abzuwenden und so manches im Staat ein Ende gewinnen zu lassen, daß man es könne ertragen? Die Philosophie des Lebens lernt sich im Amte am ersten und besten. Muß man nicht, fuhr er fort mit einer Thräne im Auge, unglücklich seyn, um sich von der Richtigkeit gewisser Grundwahrheiten zu überzeugen? Sind die Menschen nicht ohne Vorgesetzte träge? Und zugegeben, daß der Stempel des ausgezeichneten Kopfs Thätigkeit und der größte Beweis der Kraft Kraftanwendung ist, würde nicht jeder Staat einen so unfehlbaren als fraudulösen Bankerott machen, wenn er ohne Wirth rechnen und auf Zwangsmittel Verzicht leisten wollte? Glück und Ruhe geben Ehre, doch beschränken sie oft die Erkenntniß, wogegen Unglück uns für Unglück entschädigt, wenn es uns auf hohe Weisheitslehren führt, die sich sonst nicht lernen lassen. – Die Gründe von Mühe und Beschwerlichkeit, welche Ehrfreigeister wider dieses Hauptstück göttlicher und menschlicher Einrichtung anbringen, sind sie nicht unwiderlegbare Aufforderung, dieses heilige Werk zu treiben? Ich glaube, es gibt Stellen, um Ihr Wortspiel nachzuahmen, bei denen man auf der Stelle bleiben kann, doch gibt's auch andere, die Mittler zwischen Regierung und Volk sind, und Aemter dieser Art bekleiden und in ihnen einen Nachwuchs gleich edel denkender Jünglinge erziehen, ist's nicht eine Aussicht, die sich sehen läßt? Gibt's hier nicht Worte, die sich hören lassen und Thaten würdig der Ewigkeit –? –

Freund Bruder! erwiederte unser Held, ich verdenke es Ihnen nicht, daß Sie Ihre Ketten vergolden und sich nicht bloß bemühen, sondern anstrengen, Aemtern das Wort zu reden, die nicht für Köpfe Ihrer Art sind. – Gehen Sie hin in Frieden; Ihr Glaube helfe Ihnen! – Wer sein eigener Herr seyn kann, suche keinen andern neben sich. Oft werd' ich Ihrer und Ihrer Bande und Ihres Glaubens denken und Gott bitten, daß Ihr Amtsglaube [55] nicht aufhöre, der, wie der Glaube überhaupt, nicht jedermanns Ding ist. Kleine Mittel führen oft zu großen Zwecken, wenn dagegen große Aufsehen bewirkende und mit Paukenschall verbundene des Zwecks verfehlen. Finde ich Sophien, so ist mein Ziel erreicht, soweit es in dieser Welt zu erreichen steht. Völlig aus Ende kommen kann weder der Mensch noch die Menschheit in diesem Leben. – Oben oder unten ist Eldorado. Vorschmack kann es hier geben und sollte mit, durch und in ihm nicht Eldorado zu uns herabkommen und wir entkörpert und verhimmelt werden können? – Johannes sah seinen Freund Bruder mitleidig an, und dieser ging zur dritten und letzten Ermahnung über. Diese war? Den Orden mit Augen der Wahrheit und Gerechtigkeit anzusehen. – Das ist, sagte Johannes, von jeher meine Sache; mit Augen glühender Schwärmerei kann nur ein Fieberhafter schauen. – Für mich ist's ein Wunder, wenn ich sehe und höre, daß andere in unbedeutenden Dingen Wunder suchen und Wunder finden. So lange man sich Dinge natürlich erklären kann, sollte man zur Uebernatur, die nur zu oft Unnatur wird, übersteigen? Warum etwas erstürmen, was sich von selbst ergibt? Arzneien erfinden, wo keine Krankheit ist? Bei den meisten Visionen, Geistererscheinungen und Wundern sind so viel unverdauliche, abgeschmackte Dinge eingemischt, daß es das größte Wunder bei der Sache ist, hier eine göttliche Sendung und ein Wunder im Wunder entdecken und glauben zu können. Johannes wollte noch weiter reden, doch unterbrach ihn unser Held, um ihn noch unwürdiger zu machen, ein Kind der Sonne zu werden. – Leben Sie wohl! beschloß er, und um wohl zu leben, bekehren Sie sich vom Lichte des Mondes, vielleicht des Mondes im letzten Viertel, zum Licht der Sonne. Sie schieden von einander; nicht viel anders, als wenn ein Quäker mit innerem Licht von einem gewöhnlichen Menschen, dem dieses Licht ein Licht unterm Scheffel ist, scheidet. – Unser [56] Held bereitete sich zur Abreise. Da die Stadt, wo die Loge zum hohen Licht mit allen ihren At- und Pertinenzien von Graden und Systemen und Systemen und Graden brannte, viele Thore hatte, so war der Ritter in nicht kleiner Verlegenheit, welches Thor er wählen sollte. Michael litt hierbei

103. Unschuldiger
§. 103.
unschuldiger

noch als bei der Nothtaufe, deren er zur Unzeit in Gegenwart des Herkules erwähnte. Die Frage: wohin? war sonst schon zwischen seinem Herrn und ihm debattirt, und es würde ihm von keinem andern als einem Candidaten des Lichts der Sonne übel genommen seyn, daß er mit außerordentlicher Bescheidenheit zu wissen verlangte: durch welches Thor? Beträgt diese Frage, fragte Michael sich selbst, bei weitem wohl die Hälfte der Frage: wohin? die du ohne Bedenklichkeit mit deinem Herrn abgehandelt hast? Du bist vorwitzig, Michael, erwiederte ihm unser Held: durch das Thor, durch das dich dein Pferd tragen wird, ist kurz und gut meine Antwort. Ich bedauere, gnädiger Herr, erwiederte Michael, daß seit der Zeit, da der Reitknecht mit Gewalt mein Vetter seyn will, ich Ihre Güte eingebüßt habe, obgleich ich an dieser Vetterschaft so unschuldig bin, als an seinem ungeschliffenen Einfall, Bruder Maurer zu werden. Wenn gleich vor alten undenklichen Zeiten ein Pferd bei einer Königswahl das entscheidende Votum hatte, und ein anderes das Consulat in Rom mit Würde bekleidete, und wenn gleich in neueren denklichen Zeiten, wo es der Wunderdinge weniger als im grauen Alterthum gibt, viele Pferde, besonders in Kriegszeiten klüger waren als die Feldherren, die darauf saßen, so würde es mir doch nicht anstehen, mich meinem Roß in Rücksicht des Thors zu überlassen. Schweig, Schwätzer! gebot der Ritter, [57] und Michael schwieg, völlig überzeugt, kein Schwätzer zu seyn. Der Stallknecht war mit seinem Herrn und Michaeln ausgesöhnt als er sah, daß der erste verdrießlich war und der andere diesen Verdruß empfand. Der gemeine Mann, der dienende Bruder im Staat (dem großen Maurerorden) steht es nicht ungern, wenn die Vornehmern Kummer und Verdruß haben. – Nicht ihres göttlichen Berufs und hohen Standes halber, sondern weil sie Feinde ihrer Feinde sind, liebt er die Fürsten. Die

104. Antwort
§. 104.
Antwort,

welche der Junker Michaeln gegeben hatte, und welche letzteren so herzlich schmerzte, war so buchstäblich wahr, daß sie nicht genauer und wahrer seyn konnte. Unser armer Held kannte eben so wenig als Michael das Thor, wovon die Frage galt. Diese Ungewißheit allein machte unsern Helden so muthig, wenn gleich, wie wir wissen, seitdem er zum drittenmal den Einladungsbrief gelesen hatte, Geister auf ihn wirkten. Bis dahin fehlte ihm der Begriff von göttlicher Eingebung, und sein Glaube war so schwach, daß es ihm zuweilen höchst ungläubig einfiel, auch bei der größten Anstrengung menschlicher Kräfte, behalte der liebe Gott noch immer sehr viel zur Eingebung übrig, wenn etwas Vorzügliches zum Vorschein kommen solle. Jene Ueberlassung, wobei Verstand und Wille völlig unthätig sind und nicht viel anders sich geberden, als falte man die Hände, und als lege man sie in den Schooß, hatte unser Held bis jetzt noch nicht die Ehre zu kennen. Wie viel Mühe der gute Ritter, bei so viel ungläubigen Intervallen, dem auf ihn wirkenden Geiste gemacht, ist um so begreiflicher, als er, bis auf den heutigen Tag, noch nicht einmal eine Extemporalrede eines Quäkers gehört hatte. Seine Meinung war, daß von einer Sache, worüber man nicht [58] nachgedacht, unmöglich anders als unzusammenhängend gesprochen werden könne. – Natürlich mußte ihm, bei dieser Unerfahrenheit von jener höheren Wunbergabe, jenseit unserer Vorstellungen, mit dem Auge des Geistes zu sehen, geistige Gegenstände von Angesicht zu Angesicht zu erblicken und über sich selbst herüber zu ragen, noch weniger beiwohnen. Es war ohne Zweifel eine Lection des auf ihn wirkenden Geistes, als es unserm Helden, der einem Brief ohne Namen und Ort sich so blindlings überlassen hatte, zu rechter Zeit noch einfiel, wie schon Dichter in ihren hohen Abstraktionen sich aus ihrem eigenen in einen wildfremden Zustand versetzen können, und wie diese Versetzung nicht eine freie Uebersetzung seiner selbst, sondern ein so reines, abgesondertes und unbedingtes Original sey, daß auch nichts vom vorigen Zustande übrig bleibe. – Vom Dichter zum Candidaten der Sonne, mit Flügeln der Morgenröthe, welch ein Abstand! – Man steht, unser Held ist fürwahr weiter, als er glaubt. Da größere Dinge ihn heben, sollte er sich wohl von kleineren und unbedeutenderen niederdrücken lassen? Weg mit den Schuppen von den Augen! – Er gab seinem Pferde die Sporen, und dieß ging, ohne daß er wußte, wohin. Kaum waren unsere Reisende zum Thor hinaus, als ein Bote, schön wie Ganymed auf feurigem Roß, mit einem Briefe auf unsern Helden zustürzte, und eben so schnell ihn verließ. Er erbrach den Brief, und fand, außer dem Namen eines kleinen unbeträchtlichen Fleckens und der ihm nächsten Stadt, eine Anweisung zu einem geheimen Ort und einer mystischen Stelle, die siebenmal sieben Meilen von Ort und Stelle des Empfanges des Briefes lag! – Zusehends heiterte unser Held sich auf, er wußtewohin, und sah, daß, wenn gleich er nur ein Sohn des Mondes war, er doch in Ansehung der Zahlen sich nicht auf unrichtigem Wege befände. – Wer am meisten bei dieser

105. Parole
[59] §. 105.
Parole

gewann, war Michael, der es seinem Herrn auf ein Haar abmerkte, daß der Inhalt des vom Götterboten erhaltenen Allerhöchsten Cabinetsschreibens ein Wort des Trostes gebracht. Wahrlich, fast zu viel Aufmerksamkeit, daß man weißgekleidete Jünglinge und Götterboten außerordentlich versandte, obgleich ein chargé d'affaires bei unserm Ritter sich aufhielt. – Der Ritter brach schnell das

106. Stillschweigen
§. 106.
Stillschweigen.

Obgleich Michael sich anfänglich einbildete, sein Herr würd' ihn, einen dienenden Bruder, wegen des harten Worts Schwätzer einer Ehrenerklärung würdigen, so ließ er doch seine Versöhnung wohlfeileren Kaufs, herzlich froh, über den Nicht-Vetter Reitknecht gesiegt zu haben. Dieser letztere mochte aus dem wunderbaren Briefe vielleicht anfänglich eine erneuete Empfehlung des Logenmitgliedes, welches in – die Pferde seines Herrn geritten hatte, erwarten; doch gab er diese falsche Hoffnung bald auf, und fand, durch doppelte Portion von Essen und Trinken, sich so hinreichend entschädigt und abgefunden, daß er die Vetterschaft darüber vergaß. – Nach Anleitung Esau's sie zu verkaufen, fiel ihm nicht ein, vielmehr behielt er sie sich wohlbedächtig auf bessere Zeiten vor.

Der Ritter, der jetzt die lebendige Erfahrung gemacht hatte, daß die hohen Sonnenbrüder, außer den Geistern, die sie auf ihre Candidaten wirken lassen, nicht nur eine Leibgarde zu Fuß, sondern auch zu Pferde halten, und sein Knappe, zufrieden durch die Zufriedenheit seines Herrn, wiederholten auf dieser Reise den [60] Geist der so reichlich erhaltenen Grade, und wurden, ich weiß noch nicht eigentlich wie? und warum? auf den Umstand geleitet, daß es Menschen Gottes gebe, die sich selbst Religion und Gesetz wären, und die sich völlig ihren Pferden überlassen könnten, ohne einen von der Leibgarde hoher Obern, es sey zu Fuß oder zu Pferde, bemühen zu dürfen. Die Traurigkeit steht mit unverwandten Augen der Seele und des Leibes auf einen Ort, wogegen die Freude von einem aufs andere in die Kreuz und Quer springt. – Um indeß jene Menschen Gottes nicht aus der Acht zu lassen (die, wie mich dünkt, noch zur leidlichsten Erklärung der Diderotschen Behauptung dienen, Religion und Gesetz wären ein Paar Krücken für Kopflahme), so behauptete der Ritter, daß der, welcher weiter als positives Gesetz und Menschensatzung zu gehen im Stande sey, dadurch, daß er das Größere erfülle, auch das Kleinere berichtige, welches der güldenen Regel, wer das Kleinere aufgebe, werde nicht Herr des Größeren, nicht im geringsten zu nahe trete.

In den Augen des billigen Richters, der nach dem Geiste und nicht nach dem Buchstaben sein Amt führt, fuhr der Ritter fort, ist der Codex des Landes nur für den gemeinen Mann und nicht für den Menschen Gottes. Und doch, bemerkte Michael, könnte es Fälle geben, wo man bei all dieser Menschheit Gottes in – gehangen, in – – gevierttheilt, in – in Oel gesotten werden, und in – vierzig Streiche weniger einen erhalten könne.

Allerdings, sagte der Ritter. Und das Gegengift, das Universale gegen Hängen, Viertheilen, in Oel sieden, und die vierzig Streiche minder einen? – Rathe!

Der Selbsttod. –

Die Kunst zu schweigen!

Sollte?

Ich stehe dafür!

[61] Doch ist Kunst nicht Natur, und ehre mir Gott die Schwatzhaftigkeit der Dame im Meierhofe.

Nur die deinige nicht! – Den Knappen schmerzte dieser Vorwurf, so liebevoll er gleich dießmal erging. Zwar empfand er ihn bei weitem nicht so, wie den ersten desselben Inhalts, mit dem ihm sein Herr noch vor der Ankunft des Gardisten schwer fiel; indeß nahm sich Michael vor, sein Herz zu prüfen, und wenn er's ohne Tadel fände, zu gelegener Zeit bei seinem Herrn sich näher zu erkundigen, womit er das Scheltwort eines Schwätzers verdient hätte.

Der Ritter belehrte seinen Knappen, daß er unter der Kunst zu schweigen nicht jene plumpe Alltagstugend verstehe, die auch zur Noth ihr Gutes haben könne, sondern die Verschwiegenheit im Sonntagsfinne, in welchem sie Bescheidenheit oder Verschwiegenheit, nicht der Leides-, sondern der Seelenzunge, das Schicken in die Zeit, die Zurückhaltung, die erst sieht, was andere machen, die erst die Leute in der Gesellschaft kennen lernt, ehe sie vertraut wird, meine; und da gestand denn der Knappe gerne, zum Schweigen gebracht zu seyn, der nach manchen Nothtaufvorfällen, je länger je besser, auch die Holzbündlein dieser Art zu legen lernte. – Michael nahm sich, mit Seiner Gnaden Erlaubniß, die Freiheit zu bemerken, daß, wenn man den profanen Worten solche Freimaurerdeutungen unterlege, man zuletzt bloß durch Auslegung der Worte jedes Spiel gewinnen müsse, und sein Herr konnte sich nicht entbrechen, ihm eine gewisse Sophisterei zu empfehlen, ohne die selbst Sokrates nicht gewesen wäre und kein Mensch seyn könnte. Sie sey das, was die Höflichkeitsconventionen im gemeinen Leben wären. Die Herren Philosophen, setzte der Ritter hinzu, fischen in diesem trüben Wasser am glücklichsten; – ein großer Theil dieser Herren würde ohne dieses trübe Wasser wenig Fische fangen; wenn jetzt, bei jenem Kunstgriff, ihre Netze vor der Menge von Jüngern und Aposteln und Nachbetern reißen.

[62] Da Michael seinen Herrn nach erhaltener Parole, von Tage zu Tage, fast möchte ich sagen, von Stunde zu Stunde, ruhiger, gesprächiger und vergnügter fand, so glaubte der gute Schwätzer, der freimaurerischen Nachlese über die Kunst zu schweigen ungeachtet, die Frage nach dem Orte ihrer gegenwärtigen Bestimmung näher legen zu können. Vergebens! – der Blick seines Herrn wies ihn auf das nach obgewalteter Discussion gezogene Dekret, und gegen jeden neuen Versuch des dienenden Bruders erfolgte eine verstärktere Abweichung, so daß der Knappe auf diese Frage völlig Verzicht that, deren Beantwortung sein Herr mit desto weniger Mühe zurückhalten konnte, als er sie selbst nicht zu beantworten vermochte. Probatum est.

Etwa sieben Meilen, diesseits des Orts der Bestimmung, kamen unsere Reisenden ermüdet in eine

107. Herberge
§. 107.
Herberge,

der man keinen bedeutenden Namen zugestehen konnte, und so entschlossen der Ritter war, den Hunger dem Schlaf aufzuopfern, ward er doch durch ein ländliches Reisemahl überrascht, welches ein Fremder sich auftragen ließ, der sich zwar mit keiner Zudringlichkeit, wohl aber so zuthätig zu ihm gesellte, daß unser Ritter, er mochte wollen oder nicht, nicht umhin konnte, seinen Schlafplan aufzugeben. Michael schien hiermit um so zufriedener, als das Bedürfniß des Hungers ihm in der Regel weit lieber als das Bedürfniß des Schlafes war, und er die Gewohnheit hatte, der Mutter Natur mehr für das Geschenk des Hungers, als des Schlafs verbunden zu sehn. So sehr der Ritter, der so weise abgehandelten Materie zufolge, jeder neugierigen Frage gegen den Reisenden, mit dem er sich zu Tische setzte, auswich, so freigebig war dieser von selbst, ihn [63] mit seiner Reise bekannt zu machen; – und da er, durch diese Offenherzigkeit, sich den Weg zu einer gleichen Verfahrungsart gebahnt zu haben glauben mochte, befand der Ritter sich in keiner geringen Verlegenheit, als jener näher in ihn drang.

Verzeihen Sie meine Frage, sagte der Fremde, und lenkte die Verlegenheit des Ritters so zum Besten, daß es dem letzteren leid zu thun anfing, verschwiegen seyn zu müssen. – Eben war er mit sich im Streit, ob dieses Leidthun, wo nicht Uebertretung selbst wäre, doch der Uebertretung des Stillschweigens nahe käme, als der Fremde ganz von freien Stücken von dem Parole-Orte zu reden anfing. Michael lauschte um bei dieser Gelegenheit den Ort zu erfahren, ohne seinem Herrn Verdruß und dem Vetter Reitknecht Freude zu machen; – abermals vergebens. – Der Knappe mußte sich auf Special-Befehl seines Herrn entfernen, und der Reitknecht hätte laut gelacht, wenn er etwas von diesem Exilium gewußt hätte.

Sie mögen reisen wohin Sie wollen, fing der Fremde an, einen Wink – bin ich Ihnen schuldig aus Menschenliebe, – die liebste Schuld, die ich abtrage. Kennen Sie Trophonius Höhle?

Ich habe nicht das Glück.

Unglück würde angemessener seyn, – wenigstens versichern die Alten, daß die, welche hinabfliegen, die Eindrücke der Traurigkeit nicht ausglätten konnten.

Es gibt eine göttliche Traurigkeit.

Die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod. Er ist in Trophonius Höhle gewesen, hieß nicht viel weniger, als er ist lebendig todt. – Diesem lebendigen Tode eilen Sie entgegen, ohne auch nur im geringsten befriedigt zu werden. Die Verwirrung Ihrer Sinne gewährt Ihnen dort kein Bewußtseyn. Sie werden mit Hindernissen streiten, und Ihr Lohn wird Rauch seyn. – Man wird Sie Kämpfen aussetzen, über die man den Triumph, wenn er uns ja zu Theil wird, gern vergißt. Der geheime Ort, [64] die mystische Stelle, die man Ihnen angewiesen hat, ist der Schlund des Molochs, der sich nicht mit Kindern begnügt, er verschlingt Männer. – Was Ihnen winkte, war ein Irrlicht, das viele schon unter hohen Verheißungen hinlockte, um sie ins Verderben zu stürzen; – eine Mordgrube, die desto gefährlicher ist, da man nicht weiß, ob Menschen oder böse Geister die unglücklichen Schlachtopfer der Neugierde hinrichten.

Ich komme nicht uneingeladen! sagte der Ritter.

Schlechter Trost! – Kein Licht steckt so schnell an, als das Licht der Einbildungskraft. Drei meiner Freunde, treffliche Männer voll edlen Durstes nach Mysterien, die nicht suchten, sondern gesucht wurden, fanden hier ihr Grab. Mich rettete ein Zufall, um die zu warnen, die am Rande des Verderbens sind. Einer der Helfershelfer dieser Menschenfresser nahm an diesem Zufall aus Mitleid Theil, dessen martervollsten Tod ich bewirken würde, falls ich meinen Eid bräche und mehr entdeckte. Vermag ich mehr zu sagen? als: retten Sie sich, retten Sie Ihre Seele um nicht ein Kind des Todes und ein Kind des ewigen Verderbens zu seyn! Retten Sie sich! – Bei diesen letzten Worten sprang der Fremde auf, und erhob sie zu einem so hohen Nachdruck, daß der Ritter unmöglich gleichgültig bleiben konnte. Diese Lage benutzte der warnende Freund, indem er ihm den Inhalt jenes Briefes fast wörtlich wiederholte, von dem der Ritter, sogar gegen Johannes, ein so großes Geheimniß gemacht hatte. Ein ehrlicher Mann, sagte der Fremde, dient gern mit seinem Verstande; ein Bösewicht will uns mit List darum bringen.

Das Schrecklichste, womit der Referent von dieser Trophonius höhle neuerer Zeit wohlbedächtig das Ende krönte, war, daß der Eingefangene sich verpflichten müsse, sich mit einer von dreien Weibsbildern ehelich zu verbinden, die ihm zwar selbst zu wählen überlassen bleibe, deren Auswahl indeß um so trauriger sey, als alle [65] drei den höllischen Furien ähnlicher wären, wie ein Ei dem andern. Weit eher hätte unser Ritter mit dem Tode und dem ewigen Verderben, als mit dieser Nachricht sich ausgesöhnt. Ist das die Deutung jenes Mitternachtsgesangs:


Die Geheimnisse der Liebe sind mit der Geisterwelt verwandt?


Hingerichtete Gesundheit, zerstörter Gemüthszustand, Ehebündniß mit einer Furie! Wahrlich zu viel für die Schultern des Ritters.

Ob nun gleich Michael nicht mit in die Trophoniushöhle hinabstieg und von diesen geheimen Bekenntnissen wenig oder nichts zu erspähen im Stande war, so nahm doch der Fremde bei seinem Abschiede Gelegenheit, ihn mit in diese Höhle der Bekümmernisse zu stürzen. Der Ritter ist verloren, raunte er ihm ins Ohr. Hier wäre Subordination Gefangennehmung der Vernunft unter den Gehorsam. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Recht des Verstandes gilt. – Sey durch Klugheit sein Herr, ohne dich es merken zu lassen. Arznei muß nie mächtiger als die Krankheit sehn, sonst ist sie Gift. – Heil und wehe dir! Segen und Fluch, Lohn und Strafe schweben über deinem Haupt, wenn du thust oder unterlässest, was ich dir gebiete! – – Es war ein sonderbares

108. Gespräch
§. 108.
Gespräch,

in welches Ritter und Knappe nach einer fürchterlichen Stille sich verwickelten. Beiden log die Pflicht der Verschwiegenheit ob, und so gab es hier gewaltige Umwege, und doch (besonders!) verstanden sie sich nie besser, als bei diesem mystischen Zwange. – Wer an Mystik gewöhnt ist, hat Abneigung gegen alle Deutlichkeit, er befindet sich bei ihr am übelsten. Was wir klar nennen, ist ihm [66] Dunkelheit, und bei seinem inneren Lichte sieht niemand etwas, als er selbst! – Obgleich Michael nicht die mindeste Neigung hatte sich irgend einer Lebensgefahr auszusetzen, und eben deßhalb Mördern, gleichviel Menschen oder bösen Geistern, in die Hände zu fallen, so hielt er nicht nur seinem Herrn von der Pflicht der Selbsterhaltung eine stattliche Rede, sondern war auch entschlossen, alle Gefahr und den Tod selbst mit ihm zu theilen. – Auch den Tod, rief er sich selbst zu, so untheilbar er immer seyn mag! Soll das der Erfolg von Gamaliels öffentlichen und geheimen Gebeten seyn? dachte Michael sich selbst gelassen: Wir des Todes und er das leere Nachsehen! Zwar hat der Maurerorden, den ich in allen seinen ehrenvollen Graden, so unzählig sie gleich sind, bewundern werde bis in den Tod, auch seine Höhlen; doch weiß jeder, woran er ist und nicht ist. Zwar gelobt man dort Verschwiegenheit, doch ist, des Bundeseides ungeachtet, so viel Toleranz, daß, wenn ich Gamaliel dahin bringen könnte, zu glauben was er lese, er wo nicht mehr, doch eben so viel als ich wissen würde. – Zwar ist dort, bei aller Versicherung von Gleichheit und Freiheit, Unterschied der Stände; doch sind nicht im innersten Heiligthume dienende Brüder? Hat der Hohepriester nicht seinen Hofküster, der ihm nachtritt! Wie? ist's Eigennutz, der mich zu diesen Klagen bringt? Nicht weniger! Nicht nach dem was wir sind, sondern nach dem was wir zu seyn verdienen, können wir Schätzung verlangen. Wer nach meinem Namen fragt, ist ein Weiser; wer sich nach meinen Titeln erkundigt, ist ein Thor, oder will mich dazu machen. Gern will ich nicht sehen, wenn mein Herrsieht; gern mich mit der Seligkeit derer begnügen, die nicht sehen und doch glauben, wenn nur sein theures Leben außer Gefahr ist! – Doch Gedankenkeuzzüge thun's freilich nicht. Blühen und nicht Früchte tragen, heißt wissen und nicht thun; ich will, – ich weiß nicht, was ich [67] will! Den folgenden Morgen fing Michael, ehe sie aufstiegen, an: Gnädiger Herr, wenn ich mich gleich bescheide, das Ziel Ihrer Wallfahrt nicht wissen zu können, und wenn ich gleich alles in der Welt eher, als den Vorwurf meines Gewissens, ein Schwätzer im gemeinen und ungemeinen Sinn zu seyn, über mich kommen lassen wollte, darf ich Ihnen doch diese Schrift, die aus meinem Herzen abgeflossen ist, behändigen, – und Sie bitten, wohl zu balanciren, ob Ihr Leben und das meinige (an den Vetter Reitknecht dachte er nicht) mit der Hoffnung, die Sie begeistert, das Gleichgewicht halte? Der Ritter entblätterte die Schrift, die Michael mit seinem Blute geschrieben hatte und worin er ihm verhieß, da sterben zu wollen, wo das Schicksal über sein Leben gebieten würde. Die Schrift war unbedingt und rührte den Ritter bis zu Thränen, welche sich auf dieser Blutschrift nicht übel ausnahmen. Michael konnte sich nicht entbrechen, seinem Herrn von dem Winke des Fremdlings einen Wink zu geben, und der Ritter ersetzte ihm diese Offenherzigkeit mit gleicher Münze, ohne von der Festung des eigentlichen Geheimnisses einen Fuß breit abzutreten. – Ueber Trophonius Höhle, deren der Warner gegen Michaeln zu erwähnen unbedenklich gefunden, war unserm Helden kein Gelübde der Verschwiegenheit zugemuthet, – und eine Schrift, mit eigenem Blute geschrieben, verdient sie nicht mehr, als diese Erkenntlichkeit? Horatius Cocles stellte sich, als die Hetrusker bereits bis an die Brücke Sublicium vorgedrungen warm, um Rom einzunehmen, den Feinden entgegen, während der Zeit die Brücke abgeworfen und dem Feinde der Weg nach Rom abgeschnitten ward; und nun sprang er mit seinem Pferde in die Tiber, ohne Verlust und mit dem Gewinn der Unsterblichkeit. Feldherr Seidlitz behauptete, kein Kavallerist dürfe sich gefangen nehmen lassen, und stürzte mit seinem Pferde in die Spree, als sein König auf der Brücke sagte: Hier ist Seidlitz doch mein Gefangener! Er ward [68] Friedrichs Liebling und ein Held wie er! – Der Wüstling Marcus Curtius warf sich in einen Schlund, um Rom von der Pest, welche David zu seiner Zeit wohlbedächtig die Hand des Herrn hieß, zu befreien, – und wenn gleich Marcus Curtius übler abkam, als Seidlitz und Horatius Cocles, indem er sein Leben einbüßte, verfüllte er nicht die pontinischen Sümpfe? Reinigte er nicht die Luft in Rom? – Wenn Michael sich überzeugen können, daß auf der olympischen Bahn nach Trophonius Höhle ein Kleinod zu erreichen wäre; daß diese Krümmungen zum Ziel brächten, welches Ritter und Knappe beabsichtigten; und daß man sich Kenntnisse von den höhern Wesen, der Geisterwelt und was diese Welt beträfe, dem Aufenthalt Sophiens und ihrer Kammerzofe, erstürzen könnte; – mit Freuden würde er mehr Blut, als zu seinem Testament erforderlich war, aufgeopfert haben. – Wer leistete aber diese Bürgschaft? – Seine Ueberzeugung, daß es höhere Mysterien und Gemeinschaft der Menschen mit Geistern gäbe, die ihm lebendig war, sagte ihm den Dienst auf, weil, wenn gleich der Weg zur bessern Welt durchs Grab, und zur Himmelfahrt durch Höllenfahrt geht, der Fremde noch betheuert hatte, daß aus Trophonius Höhle keine Erlösung sey. Freilich! – Was hilft's, an einen Ort zu kommen, wo Heulen und Zähnklappen unglücklicher Menschen ist; wo man Höllenhunde heulen, Raben krächzen und Schlangen zischen hört, ohne nach all diesen Prüfungen etwas zu erfahren, was der Mühe werth ist? Kann denn dem göttlichen Wesen mit Angst und Furcht so gedient seyn, als den Priestern, die sich auf diese Art in Ehrwürde zu setzen suchen; die die Aufzunehmenden Leitern steigen, schleudern und sich durchwinden lassen, während der Zeit sie, an ganz sichern Orten, die dazu gehörigen Maschinen in Bewegung setzen und durch bequeme Hinterthüren sich durchschleichen? Und was soll wohl, wenn auch eine liebliche Musik auf das Angstbrüllen der Verdammten und [69] das Heulen und Geschrei der Thiere erfolgt, was soll diese theatralische Vorstellung? Daß die Gottheit einen Theil ihres Himmels und ihrer Hölle in diese Höhle beurlauben sollte, um den Aufzunehmenden zu ängsten und zu erfreuen, ist das zu denken? Dergleichen Gedanken, wiewohl in anderer Form, durchkreuzten den Kopf des Knappen, als ihm sein Herr die mariage de conscience mit der Furie entdeckte. Ich siehe Ew. Gnaden mit Leib und Seele dafür, sagte der Knappe, daß sie, bei all ihrer Häßlichkeit, Ihnen doch nicht die Erstlinge der Liebe zubringen würde; – und werden wohl die heiligen Handschuhe unsaubern Händen anpassend seyn? Nicht, als ob ich meine Bittschrift zurück verlange, gnädiger Herr, sagte er, die fest und unwiderruflich bleibt im Leben und im Tode; – doch denken Sie Sophiens und erlauben Sie mir, an Sophiens Begleiterin zu denken, die ich bis jetzt schon, wiewohl ohne Ew. Gnaden Erlaubniß, nach Ihnen am meisten geliebt habe.

Meine Einwilligung, Sophiens Begleiterin zu lieben, erwiederte der Ritter, ertheile ich dir so vollgültig, als gerne; doch vergiß nicht, daß sie auch von der Begleiterin selbst und von Sophien abhängt. – Außer sich vor Entzücken über diese Einwilligung, that Michael nicht viel anders, als ob er mit einer verlobten Braut zur Trau gehen sollte. Gern war sein Herr Gast auf Michaels Myrtenfeste; indeß vergaß sich dieser so sehr im Taumel des Vergnügens, daß er fast mit Unbescheidenheit in den Ritter drang, seine Laufbabn aufzugeben und nach Rosenthal heimzukehren. Michael! mehr erwiederte der Ritter nicht auf diese Sirenenworte, und der jauchzende Knappe fühlte seine Vorschnelligkeit. War es denn nicht seinem Herrn allein zugedacht, in Trophonius Höhle den Hals zu brechen?

Wer eine Statue mit Kenneraugen ansieht, wird eine Statue. Wahr! – Wer in die Sonne sieht, erblindet. Wahr! – Es [70] gibt Menschen, die sich Teufel schaffen, welche nirgends existiren, als in ihrem Kopf, um der Ehre werth zu seyn, sie gebannt zu haben. Wahr! – Wie sich dieß auf einander bezieht? – Ist das eine Frage? Unsere beiden Reisenden drehten sich um diese Wahrsätze, als der Ritter, durch Michaels Kleinmuth gestärkt, wie aus tiefem Schlaf erwachend, anfing:

Siehe, Michael! so wenig verstehst du dich auf Herkules! Wie, wenn der Fremde bloß eine Maske wäre, die den Herkules vom Wege der Mysterien abzuwenden es anlegte? – Wenn er mir dieß ungesuchte Glück beneidete? Es ist ein Zeichen des größten Schauspielers und des größten Bösewichts, sein Individuum so zu verläugnen, daß auch nichts davon übrig ist, weder zu sehen, noch zu hören. Die Uebertreibung der Drohungen, die, selbst in einem Roman, die Grenzen der Bescheidenheit übertreten würden, – sehen sie nicht einer Prüfung ähnlich? Und wenn gleich ich nicht in Abrede stelle, daß diese Art von Prüfung übel gewählt und unangemessen einer jeden guten Sache sey, kann man vor dem Ende den Werth der Sache beurtheilen? Zwar sollen Polizei und Justiz, in vieler Herren Landen, einen gefunden, festen Schlaf haben, wo ist aber das Land, wo, bei Polizei- und Justizschlaf, Höhlen-Greuel dieser Art sich ereignen? Und was in aller Welt, was und wer ist im Stande mich zu zwingen, Sophien untreu zu werden? Ihr die Handschuhe zu entziehen, um mich mit einer Furie ehelich zu verbinden? Würde ein gesetzloses Verfahren dieser Art nicht alle noch so feierlichst eingegangenen Bande zerreißen? Mag die Moralität, in die Kreuz und in die Quer, in die Breite und in die Länge, in die Höhe und in die Tiefe, gewinnen, wenn sie nur gewinnt! Das Barocke und eine gewisse Singularität hat von jeher Glück gemacht, und in der Regel sind Sonderlinge besser, als Alltagsmenschen. – Was ist ganz zu erklären? Und das, was wirklich ganz, bis auf den letzten Grad, erklärt werden kann, [71] verdient es diese Ergründungsmühe? Führen wir nicht in dieser Welt ein änigmatisches Leben? Und würde ewiges Licht auf unserer Erdenbahn uns nicht schädlicher noch, als ewige Finsterniß seyn? Wohnen wir auf einem Planeten oder in der Sonne? – Hier stockte der Ritter, als ob er schon zu weit gegangen wäre. – Auch würden seine Gründe auf Michael lange so kräftig nicht gewirkt haben, hätte der Redner ihm nicht den Umstand vorgeschoben, daß der Fremde, der in der Herberge gewiß keine Anlage zum Fasten bewiesen, auch für Ritter, Knappen und Reitknecht Essen vorbereiten lassen. Aber wie wußte er denn, daß wir kommen würden? Das ist die Frage, erwiederte der Ritter, als

109. Drei
§. 109.
drei

Männer zu Roß auf unsere Reisenden stießen, wovon Einer vorsprang, und vom Ritter, im befehlenden Ton, wohin? zu wissen verlangte. Michael, den die Art der Frage verdroß, hatte doch an der Frage selbst kein Mißfallen. Der Ritter schwieg, und da dieser Frager mit mehr Zudringlichkeit und zuletzt mit wirklicher Beleidigung auf Beantwortung bestand, blieb dem Ritter weiter nichts übrig, als ihn nach dem Recht zu dieser Dreistigkeit zurückzufragen. Statt zu antworten, zeigte der Frager Pistolen. – Der Ritter erwiederte durch die nämliche Pantomime; – und Michael sah sehr genau, was die beiden Begleiter thun würden, um theils sich selbst in Positur zu setzen, theils seinen Nichtvetter Reitknecht zu commandiren. – Der Frager setzte sich in Schußordnung, der Ritter deßgleichen. – Ernst! fing jener an. – Der Ritter: Ich scherze nicht mit Pistolen. Eine Unterredung – sagte der Frager. Bereit, der Ritter. Sie stiegen von ihren Pferden, gingen, jeder mit seinen Pistolen, in ein benachbartes Gesträuch.

[72] Freund! sing der Frager an, Sie haben Pistolenmuth, und warum nicht den kleinern Grad des Muths, auf meine Frage zu antworten. Darf ich bitten, da vielleicht das Fragen Sie beleidigte, wohin? Der Ritter honorirte diese Bitte so wenig, als die Pistolenforderung, und der Bittende stimmte sich eben so schnell und leicht wieder um. Ich bedarf Ihrer Antwort nicht. Sie sind aufgefordert von Menschen, die Sie nicht kennen, zu Dingen, die dem vernünftigen Manne überschwenglich sind. Angeblich sind Sie in Geisterobservationen gesetzt. Haben Sie den Einfluß des Ihnen beigeordneten Genius gefühlt? Hat er mit Ihrem Geist sich so eingelassen, daß seine Existenz Ihnen kund und unläugbar ward? Auch die Loge zum hohen Licht ordnete Ihnen, da Sie Aspirant wurden, einen Genius zu, der eben so gut Fleisch und Bein hatte, als Sie; und dergleichen Mouche läßt sich denken und erklären; einen Geist aber einem in Fleisch und Blut gekleideten Geiste zugesellen, verbinden Sie dieß? Kamen Sie nicht, bei Ihrer ersten Ordensausflucht zum hohen Licht, schon mitSonne und Mond in Collision, obgleich dort bloß von Gasthöfen die Frage war? – Was für Staub ich mache! sagte die Fliege auf dem Wagenrad. – Verstehen Sie mich, so werde ich Sie wieder verstehen, wo nicht, so ist's mir leid, ich weiß nicht, ob mehr um Ihren Verstand oder Willen.

Da der Ritter auf diese lange, harte Rede nichts antwortete, fuhr der Pistolenmann, wie es schien, noch mit mehr Festigkeit fort, wie folgt:

Mit Recht verlangten Sie meine Vollmacht zu meiner Frage; haben jene Höhlenunbekannte die ihrige gezeigt? Was für eine Bürgschaft leisteten sie, ob der so großen Verheißungen, die sie vorspiegelten? Gaben Sie nicht schon dadurch, daß Sie die Befehle dieser Unbekannten befolgten, jedem andern das Recht, sich über Sie Zumuthungen herauszunehmen? Macht's die Art, sich auszudrücken? Nichts ist [73] leichter, als über Dinge, die wir nicht kennen, der Einbildungskraft, nicht Gedanken, sondern eine Art von Gedanken zu leihen, und die Bibelausdrücke, die ein Recht auf unsere Ehrerbietung von Kindesbeinen erlangten, in dieß Garn zu ziehen. – Sie sind alle Grabe in der Maurerei durchgegangen; was ward Ihnen dafür? Sie entdeckten selbst Ihrem Johannes, dem Vertrauten Ihrer Seele, nichts von Ihrer Höhleneinladung, und hielten Ihre Verpflichtung gegen unbekannte Einladung höher, als die gegen Ihren Freund, der nur den einen Fehler hat, daß er nichts mehr, nichts minder von jeder Sache sagt, als was er davon begriffen hat. – Freilich, ein großer Fehler! Nicht aber auch die beste Anlage zum Redner, wenn anders Redner nicht, wie Poeten, in jedem wohleingerichteten Staate bürgerunfähig sind? Ließ sich Sokrates in Mysterien einweihen, obgleich seine Weigerung einige Zweifel in Absicht seiner Religion erregte, und obgleich man Gelegenheit nahm (um christlich zu reden), zu behaupten, daß er nicht zum Abendmahl ginge? Darf man bei einem guten Wein Kränze aushängen? Man befragt das Orakel nicht ungestraft; und wer erreichte je einen heiligen Ort und eine mystische Stelle, ohne zu verlieren – wäre es auch nur – Geld! – Das heißt, Viel und Wenig, je nachdem man es anzuwenden versteht. Erhielten nicht in der Maurerei falsche Spieler, Ehebrecher. Betrüger Zutritt, wenn dagegen der Mann von Kopf und Herz auf die Ehre der Aufnahme völlig Verzicht that, oder bei Ertheilung der höheren Grade so gutwillig zurückblieb, daß man wohl einsah, er sey nicht begierig, mehr Vorhänge aufzuziehen? Dieß ist der Gang aller Mysterien, so alt und so jung, so wichtig und so unwichtig sie seyn mögen. Wäre Johannes Ordensmann, wenn die Herren zum hohen Licht ihn nicht, bei all seiner Finsterniß, nöthig hätten? Würde er Ihnen in Sonneneinladungen nachstehen, wenn er minder ein offener Mann wäre? – Freund! erwiederte der [74] Ritter, auch dem Schicksale, selbst wenn es uns verwahrlost, muß man Wort und Treue halten; – – und schwieg. – Und schwieg. –

Diese lange Rede hatte ihn in weit größere Verlegenheit gesetzt, als die Pistolenbravade und als die Unterredung mit dem Fremdlinge; denn außerdem, daß sie mit den Bedenklichkeiten übereinstimmte, die Ritter und Knappe unter einander gewechselt hatten, lag nicht der größte Theil derselben in der Natur der Sache? Später besann sich der Ritter auf das Trostwort, daß der Glaube durchaus eine Sache sey, über die uns niemand zur Rede und Antwort stellen könnte und woraus keine Folgen zu ziehen wären. Nicht jeder Mensch sey an Major, Minor und Conclusio gebunden. Es hat Menschen gegeben, sagte er, die nicht wußten, was sie wollten, und doch große Männer wurden. – Sowohl Ignatius Lojola als Zinzendorf waren inconsequent; doch schlugen ihre Schüler in dieses Chaos Licht und Leben. Wenn ich zu Petern ein Zutrauen habe, so kann Paul nicht das nämliche fordern. – Manche Menschen thun alles, was sie thun, Gutes und Böses, als Ausnahme; manche thun alles nach der Regel. Sokrates, einer der edelsten unter den Menschen, hatte, außer seiner excolirten Vernunft und seiner Weisheit, den untrüglichsten Wegweisern, noch Einen Dämon, der ihn nicht antrieb, sondern zurückhielt, der schwieg, wenns gelingen sollte, und sprach, wenn ein mißliches Ende bevorstand. – Es gefällt mir nicht an Sokrates, in Beziehung auf diesen Dämon, daß er keinen, auch nicht den vertrautesten seiner Schüler, auf Tabor führte, um ihm seinen Dämon erscheinen zu lassen;

daß er zu viel und zu wenig über diesen Dämon sprach;

daß er sich sogar zu Hokuspokus herabließ, und z.B. im tiefsten Nachdenken, in der größten Sonnenhitze stand, und so bis an den folgenden Tag verweilte. – Wer kann so lange ungestört [75] nachdenken? und mit der Wahrheit, ihrem Urquell, der Gottheit, ober seinem Schutzgeist, anhaltend sich beschäftigen? So du betest, gehe in dein Kämmerlein, schließ die Thür zu, und laß dein Herz reden.

Und wie? legte Sokrates sich nicht sogar einen göttlichen Vorzug bei? Er der nichts zu wissen behauptete, konnte behaupten, die Götter ließen ihn ein Blatt in den Büchern der Vorsehung lesen.

Darum ist indeß nicht allem Unbegreiflichen das Leben abgesprochen. Sokrates ließ sich nicht in die Gäng- und Gäbemysterien einweihen; indeß machte er selbst Mysterien, wozu er keinem den Schlüssel gab. Vielleicht füllte dieser Umstand vorzüglich den Giftbecher, den er leeren mußte. – Ist die Gottheit ferne von einem jeglichen unter uns? Leben, weben und sind wir nicht in ihr? Können wir uns einbrechen, wenn wir Millionen und abermal Millionen Welten und ihre Sonnen am Himmel sehen, in diesem Anschauen verloren, zum Schöpfer zu dringen und zu glauben, wir schauen auch ihn? Können wir uns entbrechen, zu ihm zu beten und unsern Geist zu erheben zum Geiste der Geister? – Ists in dieser Begeisterung unmöglich, einer Art von Eingebung gewürdigt zu werden, und durch schnelle Einsicht, durch Ueberschauung einer Sache und ihrer Folgen, eine Erscheinung zu haben? Von diesem Lichte, wie viel fehlt zum wirklichen Umgange unseres Geistes, wenn gleich er noch bekörpert ist, mit unbekörperten Geistern? Jene Schnellkraft und Richtigkeit im Urtheil, ist sie von Prophetengabe und Wahrsage weit entfernt? – Wenn man, heißt es, den Erfolg des Nachdenkens und der Weisheit, oder eines glücklichen Zufalls, der zwar gemeinhin den Thoren begegnet, doch aber zuweilen auch den Weisen aufsucht, auf die Rechnung einer übernatürlichen Wirkung setzt, sey man ein Schwärmer. Wer kann aber sicher in seinem Urtheil seyn, ob es Zufall, Erfolg [76] des Nachdenkens und der Weisheit, oder – ob es was anders war? Ach Pistolenfreund! in jeder reinen Tugend sehen wir Gott! Sie stärkt und kräftigt und gründet uns, um zu Wesen uns zu gewöhnen, denen diese durch Kämpfe und Aufopferungen erungenen Siege eine Wonne zu schauen sind. – Der kindliche Sinn, wozu diese hohe Weisheit sich gewöhnt, versteht die Kunst, alles Fremdartige und jede Nebenumstandsache zu entfernen, und oft schon auf den ersten Blick zu finden, worauf es ankömmt; sollten seine Vermuthungen, aus der reinsten Absicht gefaßt, viel weniger als Vorhersagungen seyn? In der Maurerei stellt jeder sein Ziel sich selbst auf; und wenn gleich ich weder Sophien noch manches andere fand, was ich suchte, fand ich nicht mehr als Freund Bruder Johannes? Unter den Zwölfen war Judas; kann man in irgend einer Gesellschaft auf lauter Johannes und Petrus rechnen, obgleich auch dieser letzte, wenn gleich er bis Tabor kam, ehe der Hahn dreimal krähte, seinen Meister dreimal verläugnete. Verweigert man den Großen der Erde, sie aufzunehmen, so verfolgen sie den Bund; nimmt man sie auf, so erniedrigen, so entwürdigen sie ihn. – Was thut's? Kein guter Same, verstreut oder ausgestreut, bleibt ohne Frucht. – Die Folgen alles Guten sind so ewig, als die Folgen alles Bösen. – Heil dem guten Samen, wenn er das Unkraut überwächst! – Nicht brauchen alle Brüder diese großen Absichten zu bewirken. Eine andere Klarheit hat dieSonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne, denn ein Stern übertrifft den andern an Klarheit. Wenn Sie Maurer sind, dürfen Ihnen diese Worte voll Maurer-Hieroglyphen nicht gedeutet werden. Das Beispiel lehret mehr, als das Gesetz. Freilich scheint das Menschengeschlecht noch nicht viel weiter. Sokrates soll gesagt haben, wenn die Gottheit nicht einen Abgesandten an die Menschen, mit seinem näher erklärten Willen, herabsende, – sey zu ihrer wirklichen Vervollkommnung [77] keine Hoffnung. Heiliger Sokrates! Haben wir nicht Mosen und die Propheten in uns, Gesetz und Evangelium? – Um dieß Buch, das in uns liegt, zu lesen, dürfen keine Wesen höherer Ordnung das menschliche Geschlecht unterrichten. Unser Lehrer, der heilige Geist, der in uns ist, kann und will er uns nicht in alle moralischen Wahrheiten leiten? Freilich gibt es Fragen, nach deren Beantwortung sich auch diesseits der Denkende, der sich unterscheidende Mensch, der Seelenflügelmann sehnt: Wo kam ich her? wo gehe ich hin? wie war's? wie wird's seyn? Ach Freund! dergleichen Fragen mit Bescheidenheit von Auserkornen gethan, sind sie Verbrechen? Sind sie Ungezogenheit und unanständige Näscherei? Macht ein ausgehangener Kranz den guten Wein schlechter? Wenn die Einladung an die Straßen und Zäune ergeht, ist sie nicht für den Blöden fast nothwendig? Und ist die Tugend den Blöden nicht hold?

Der Pistolenmann wollte einfallen, doch fuhr der Ritter fort: Ihre Einwendungen sind stark, der Ton Ihrer Stimme ist nach einem schwülen Tage schöne Abenddämmerung worden. – Doch glaub' ich mich an dem Zufall zu versündigen, wenn ich ihn nicht benutze, und eben, weil ich nichts dazu beitrug, bin ich verpflichtet, ihn als höheren Fingerzeig anzusehen. – Wo lebt der Mensch, der ohne Täuschungen wäre? Sind sie zu verachten, wenn sie Folgen eines angestrengten Nachsinnens, einer Gott ergebenen Seele, eines reinen Wandels sind? – Hypothesen sind Wesen, die vater-und mutterlos sind, die indeß Vernunft und Erfahrung zu natürlichen Vormündern haben.

Der Frager seufzte, schwang sich auf sein Pferd, und einer verlor sich nach dem andern von diesen drei Männern. Ein musterhaftes

110. Duell
[78] §. 110.
Duell

sagte Michael. Getroffen! erwiederte der Ritter; noch nie hab' ich Pistolen der Art so treffende gesunden. – Die noch das besondere haben, fügte Michael dazu, daß sie, so sehr sie treffen, nicht verwunden. – Verwunden und tödten! erwiederte der Ritter hitzig. Ew. Gnaden werden verzeihen, daß ich diese Hieroglyphen nicht verstehe, sagte der Knappe. – Recht gerne, beschloß der Ritter. Jetzt kamen sie in die

111. Stadt
§. 111.
Stadt,

deren Namen bis dahin dem Ritter ein großes Geheimniß gewesen war. Da er keine Anweisung zum Quartier in seiner geheimen Instruktion hatte, war ihm nichts übrig, als sich am Thor nach einem guten Gasthose zu erkundigen. Man nannte ihm deren zehn, und da er seinen Knappen bei der Auswahl um so mehr zu Rathe zog, als er ihn im Punkt des Punkts dieses Zutrauens nicht würdigen konnte, so einigten sich beide, wiewohl nachdem sie zwischen Gans und Schwan, den drei Mohren und den drei Sternen, dem Roß und Kranich lange geschwankt hatten. Zum Löwen! sagte der Ritter. – Zum Löwen! erwiederte der Knappe. Und – wer sollte es denken? – eben im Löwen fand der Ritter den Ordensvertrauten, der seiner wartete und mit ihm sogleich zur Sache schritt. Desto besser, dachte der Ritter. An Vorbereitungen hatte es (die drei Männer mit eingerechnet) nicht gefehlt. Schon war durch dieses ganz besondere Ereigniß, von welchem der Ritter zu glauben anfing, daß es wohl schwerlich ohne die Beiordnung des Schutzgeistes zu bewirken gewesen, [79] seine Seele für diesen Ordensvertrauten gestimmt. Er glaubte wegen der ritterlich überwundenen Schwierigkeiten reichlicher entschädigt zu werden. Die liebliche Weise, welche der Ordensvertraute einschlug, gewann unsern Helden noch mehr, und es war ihm Seelenwonne, nach so geraumer Zeit sich wieder einem Johannes, wiewohl anderer Art, aufschließen zu können.

Komm herein, du Gesegneter des Herrn! was stehst du draußen? war ungefähr das Resultat seiner Erwartungen. Wohl mir, antwortete der Ritter schon voraus, ich habe gefunden, deß ich so lange harrte.

Auf die feierliche Frage, die der Ordensvertraute von Amtswegen, wie er sich ausdrückte, that, was er von Ordensverbingungen überhaupt und vom Sonnenorden insbesondere dächte? legte unser Held eine so treue Osterbeichte ab, daß nichts in dem geheimsten Winkel seines Herzens zurückblieb. Nur der, welcher nach langer Enthaltsamkeit endlich wieder seinen Johannes findet, an dessen Busen er laut denken und dem er sogar Empfindungen, die sich noch nicht zu Gedanken ausbildeten, anvertrauen kann, ist im Stande, sich vom Glücke des Ritters eine Vorstellung zu machen. – Der Beichtvater verschlang jedes Wort, zeichnete hie und da etwas von diesen Bekenntnissen mit Bleifeder auf, sprang beim Amen plötzlich auf und verließ ohne Absolution spornstreichs den Gasthof. Ein

112. Zettel
§. 112.
Zettel

ward dem Ritter behändigt, dessen Inhalt ungefähr folgender war: Sie sind im Orden verloren. Kehren Sie so schnell heim, als ich diesen Gasthof verlasse, wenn Sie von meiner Bemühung, Ihr Freund zu werden, ächten Vortheil ziehen wollen. Ich bin so [80] wenig ein Ordensvertrauter, daß der Orden keinen ärgern Verfolger hat; ich bin Ordens-Saulus, ohne je Paulus werden zu wollen, noch zu können. Rache ist süß! Ich habe Sie aus Liebe zu Ihnen und aus Haß gegen die Verbindung, in die Sie treten wollen, hintergangen. Kann dieß hintergehen heißen? Dem Orden den Plan zu verderben, zu dem man es mit Ihnen anlegte, eile ich, von Ihrer Beichte Gebrauch zu machen und sie insgeheim und öffentlich mitzutheilen. – ZuIhrem Glück ward ich dieser Verräther. – Man liebt Verrätherei und haßt Verräther. Hassen Sie mich, wenn Sie's können. Ich rette Sie, das ist Ihr Glück; ich räche mich an dem Orden, das ist dasmeinige.

Bestürzt und wie vom Blitz getroffen rief der Ritter den Knappen. Laß uns, sagte er, dieß Haus verlassen. Vortrefflich, erwiederte Michael. Hier wohnt Verrätherei, fuhr der Ritter fort. Und Hungersnoth, beschloß Michael, der noch nichts zu essen, noch zu trinken habhaft werden können. Man beschloß einmüthig, wiewohl nach einer langen Disknssion, in den Sperber einzuziehen. Der Gasthof zur Krone, welchem man den Spitznamen der Affe beigelegt hatte, stritt lange mit dem Sperber, und war an jener langen Diskussion Schuld; – zwar nicht wegen des eigentlichen, sondern wegen des Spitznamens.Drei Thiere, sagte der Ritter, zur Fabel und zur Wahrheit zu gebrauchen. Es blieb beim Sperber. Michael bezahlte den Löwenwirth, und in einer Stunde waren Ritter und Knappe im Sperber, wo der Wirth den Ritter versicherte, daß ein Geistlicher schon für ihn und sein Gefolge Zimmer und Stallung besprochen hätte. Seit wann? – Seit drei Tagen. – Und dieser Geistliche? – Logirt Numero Neun. Ihr Zimmer ist Sieben. Nach etwa neun Minuten erschien dieser Geistliche mit offenen Armen. Der Ritter, aus Schaden klug geworden, war so zurückhaltend, daß der Geistliche nicht früher, [81] als bis er ihm einen Brief von der nämlichen Hand, als die Einladung war, übergeben hatte, seine Zunge löste. Hier ist der Brief:

Kannst du morgen bei Sonnenaufgang beten, – und ist dein Schutzgeist nicht unzufrieden mit dir, den du vor dem Gebetversuch zu befragen hiermit angewiesen wirst, so folge dem Seelenhirten, der dich zur reinen Quelle zu leiten gesendet wird. Wache und bete!

Der Ritter verlangte Frist bis morgen früh, um sich mit dem Seelenhirten einzulassen; und dieser? spannte alle Segel der Beredsamkeit an, um den Ritter zu bestimmen, in feinen Hafen zutrauensvoll einzulaufen. Sobald der Ritter von seinen erlittenen Versuchungen anfing, bog der Seelenhirte weislich aus; indeß war der Ritter fest entschlossen, so lange mit ihm zu ringen und ihn nicht zu lassen, bis er ihn segnete. Der Seelenhirte gab nun zwar kein Wort auf die wunderbaren Vorfälle, doch konnte er sich nicht einbrechen, sein Haupt zu schütteln. Der Ritter zeigte ihm den vom angeblichen Ordensvertrauten erhaltenen Zettel, und der Seelenhirte, als thät' er's in Gedanken, zerriß ihn in neun Stücke, die er alle neun dem Vulkan opferte. Obgleich die Sonne des andern Tages nicht aufging, und dieser Skrupel unsern Ritter aus der Fassung bringen wollte, so war seine Seele doch schuldlos; und ist dieß nicht Gebet ohne Worte? – Sein Gewissen war ohne Wolken, welche diesen Morgen das Sonnenlicht verfinsterten; und wenn gleich es nicht jedermanns Ding ist, einen unsichtbaren Genius um ein Testimonium anzusprechen, so glaubte doch unser Held, desselben nicht unwürdig zu seyn, und dieser Glaube gab ihm Freimüthigkeit nicht nur vor Menschen, sondern auch (es war ein irrender edler Ritter) vor Gott! Sein Herz verdammte ihn nicht, wer konnte ihn verdammen? Jetzt begann die eigentliche Vorbereitung, mit einer Fastenempfehlung, bei der die Fische mehr noch als Fleisch widerrathen wurden. – Ueberhaupt war alles [82] Rath, nichts Anordnung im Munde des Seelenhirten; und doch hätte der Ritter eher zehn Befehle übertreten, als einen so aus dem Herzen kommenden und durchs Herz gehenden Rath. Wenn sich doch dieß unsere Seelenhirten von Gesetzgebern merken wollten. Unser Seelenhirte überließ seinem Schäflein von Ritter, ob er die dreitägige Fasten schon gleich im Sperber vollenden, oder dazu einen Flecken, etwa eine halbe Stunde von – entfernt, wählen wollte. Der Ritter, entschlossen seinen Aschermittwoch sogleich anzuheben, merkte dem Seelenhirten die Neigung ab, heute noch mit ihm Fleisch und Fisch zu essen; und so hielten sie denn ein Mahl mit Wohlgefallen, bei welchem der Seelenhirte so edel-ernsthaft blieb, daß er beim Ritter, von Schüssel zu Schüssel, von Glas zu Glas, gewann. Ein Umstand erschütterte den Ritter; und dieser? Die Erinnerung an den Jüngling, der, wie sich der Seelenhirte ausdrückte, mit Christo ungefähr in der Lage war, wie Sie mit mir. Dieser Jüngling besaß von seinem Schutzgeiste ein gutes Testimonium und Freudigkeit vor Gott. Er behauptete, alle Gebote gehalten zu haben, und doch stand er an, sein Hab und Gut zu verkaufen und es den Armen zu geben. Hätte der Jüngling, sagte der Ritter, Rosenthal gehabt, er würde es unbedenklich haben behalten können; es ist (freilich auf dem Papier) ein Heiligthum, ein irdisches und himmlisches Jerusalem. – Und Sophie? erwiederte der Seelenhirte. Wird an Sophien beim Jünglinge gedacht? Sie ist Schwester des Ordens der Verschwiegenheit, Mitglied der Adoptions-Maurer-Loge. – Ein Engel ist sie; wo sie ist, ist Eden und Himmel!Auch Eldorado? Nein! ehrwürdiger Vater, Eldorado ist oben ober unten. Wären aber mehr Sophien, würde nicht Hoffnung zu Eldorado auf Erden seyn? Der Seelenhirte ließ seinen Laien, wie Rechtens, allein fasten, und verließ ihn bald nach dem Fleisch- und Fischmahl, das sie gemeinschaftlich gehalten hatten. Nach drei Tagen, in welchen der Ritter gefastet [83] und sich geheiligt hatte, war er entschlossen, wiewohl ohne den Flecken zu berühren, wo er sein Fasten, wenn er gewollt hätte, eben so gut als in – hätte halten können, nach der Anweisung des Seelenhirten, ganz allein, zwischen eilf und zwölf Uhr Abends, zum geheimen Ort und zur mystischen Stelle zu wandern, wenn er zuvor Michaeln ein mündliches

113. Testament
§. 113.
Testament

eröffnet haben würde. – Um sieben Uhr kam Michael von selbst; eben da er ihn rufen wollte. Du kommst wie gerufen, sagte der Ritter. Riesen Sie denn nicht? erwiederte Michael. Mit meiner Seele, versetzte der Ritter. Siehe da! meine Stunde ist kommen. Wisse, von dem, was du bis jetzt nicht wissen konntest, – – einen Theil. Wer bei wenigem treu ist, wird über viel gesetzt zu seiner Zeit. – Herzlich wünschte ich hinzusetzen zu können: Gehe du auch ein zu deines Herrn Freude! Doch ist deine Stunde noch nicht kommen. Vorerst falle die Binde von deinen Augen, und wenn du je deinen Herrn geliebt hast, beweise ihm diese Zuneigung jetzt, da er sie von dir, aus Ordenserkenntlichkeit, zu fordern glauben darf.

Schmeichelei, erwiederte Michael, ist eine Münze, mit der man am leichtesten seine Rechnung bezahlt; ich bin nicht für diese Münze. Nie werde ich vergessen, daß ich durch so viele Maurergrade durch Ihre Güte und Fürsprache geleitet ward; und wenn ich gleich keine Kiste voll Ordensbänder und Kleinodien besitze, die bei Bruder Johannes, außer dem Kreuze auf der bloßen Brust und dem Stern auf dem Hintertheil der Weste, deponirt sind, habe ich [84] nicht so viel gesehen und gehört, daß, wenn ich auch nur den ueunundneunzigsten Theil davon Gamalieln zuwenden könnte, ich ihn glücklicher machen würde, als einen König, und mich eben dadurch noch mehr?

Michael, denke nicht an das, was dahinten ist, sondern strecke dich nach dem, was vorn ist – antwortete der Ritter. Es ist mir vergönnt, dich an meiner Berufung Theil nehmen zu lassen, zu der ich mich, wie du weißt, durch Fasten leiblich bereitet habe, und jetzt geistlich bereiten will. Ich hoffe, die Zeit ist erschienen, daß ich nach Entsündigungen und Läuterungen, Licht schauen werde. Licht, Michael, ist Weihwasser der Seele, wodurch sie gereinigt wird, um mit Wesen höherer Ordnung bekannt zu werden.

Wahrlich, es ist einmal Zeit, sagte Michael, daß das Licht, das sich so lange unter Wolken hielt, Ihnen endlich Gerechtigkeit erweise. Schon oft hat seine Aechtheit mir verdächtig geschienen, da es Sie übersehen konnte. Es ist nicht richtig gesagt, doch es ist richtig gedacht, daß Licht sich selbst nicht selten im Lichte stehe; wäre sonst die Welt nicht längstens erleuchtet? – Alles hat seine Zeit, sagte der Ritter, Finsterniß und Licht. Lange war Chaos, ehe Licht ward. – Warum Abschweifung? Ich gehe, frage nicht, wohin? wo ich aber bin, soll mein Knappe auch seyn!

Michael war außer sich dieser Verheißung halber, ergriff die Hand seines Herrn, die er mit Thränen benetzte und fest an sein Herz drückte. Lesen Sie, gnädiger Herr! mehr konnte er nicht. – Etwa wieder eine Blutschrift? – Allerdings, wiewohl anderer Art.

Der Seelenhirte hatte einen Brief verloren, und da er auf fallend von der nämlichen Hand als die Anweisung geschrieben war, war es dem Ritter zu verdenken, wenn seine Knie wankten? Dieser Brief


[85] An den Bruder Aeion!


Theophil ist in der Probe geblieben. Wir haben ihn gezwungen vor seinem Ende von seiner Mutter schriftlich Abschied zu nehmen und ihr zu betheuern, daß ein Gallenfieber die Ursache seines Todes gewesen sey. Dir aber liegt ob, mit einem der Unsrigen seinen Leichnam (es waren Chiffern). Jetzt wird sich seine Geliebte wohl bequemen (wieder Chiffern). Feder und Tinte ist ein erlaubtes Gift, das schon manchen ins Grab brachte, ehe sein Stündlein vorhanden war, und eine Arznei, die von den Todten erweckt. – Den Feigen lehrt die Noth beten, den Weisen die Freude, gewisse Arbeiter im Weinberge die Politik. – (Chiffern.) Wer in allem die Probe hält, wird der auf dem Probirsteine der Liebe unächt seyn? Ein Wort zu seiner Zeit ist ein Stein Davids, um Goliathe zu stürzen. Was den Berufenen betrifft, so sind die Anzeichen des Schutzgeistes bedenklich und schwankend. – Die Berichte der unsichtbaren Vollendeten setzen es auf nähere Proben aus (Chiffern). Würde dieser Siebente, wie es fast scheint, verworfen, wer ist mehr zu bedauern, er oder sie? – Wahr ist es, sie ist ein Engel. – Vergiß des Athleten nicht, der das Unglück hatte, seinen Gegner beim Ringen zu tödten, und der, da die Richter ihm die Krone verweigerten, seinen Verstand verlor. Viele berufen, wenig auserwählt. Gegeben im Rath der zwölf Aeltesten, die auf Stühlen sitzen (Chiffer).

Daß dieser Uriasbrief dem Helden nicht gleichgültig war, versteht sich von selbst. – Ob er gleich die Deutung nicht machte oder machen wollte: Du bist der Mann des Todes; so trafen doch einige Umstände den rechten Fleck im Herzen, das, wie bekannt, ein trotzig und verzagtes Ding ist; wer kann's ergründen? Nach einer kleinen Erholung fing der Ritter an, wie folgt:

Die Schrift mit deinem Blute geschrieben ist nicht der kleinste [86] der vielen Beweise deiner Liebe. Ich würde mich mehr als dich zurücksetzen, falls ich diese Liebe nicht mit Gegenliebe erwiedern sollte. Wenn ich dir nicht dienen wollte, wäre ich werth, daß du mein dienen der Bruder bist? Mein Diener warst du nie. – Die Progression ist dir bekannt, nach welcher ich im Orden gedacht und gehandelt habe; und wohl mir, daß ich dir meinen jetzigen Vorsatz entdecken darf, den ich, will's Gott! nach drei Stunden auszuführen beginnen will und muß. Muß? griff Michael ein. Muß, erwiederte der Ritter. Setzt man den Mittelpunkt nicht in die Mitte, wie kann man eine deutliche Idee vom Umkreise haben? So wie die Radien eines Cirkels auf den Mittelpunkt desselben sich beziehen, so ist der Mittelpunkt der Zweck, worauf alles angelegt wird, und Mittelpunkt und Umkreis gehören zu jeder deutlichen Vorstellung. Zweifelst du noch am Muß? Nicht im mindesten, sagte der Knappe. Wir suchen Ueberzeugung aus sinnlicher Erfahrung, und Evidenz, da wo sich andere zu glauben begnügen. Der Mond befördert die Aushauchung der Lebenslust aus den Pflanzen nicht; hierzu wird nicht allein Licht, sondern auch eine bestimmte Wärme erfordert. – Was hilft Vernunft ohne Empfindung? Auch der Glaube thut's so wenig, wie das Wasser bei der Taufe. Mit dem lieben Glauben! Würden, wenn er nicht bloß Vorgabe wäre, die Herren Geistlichen, bei einer lebendigen und evidenten Ueberzeugung von der künftigen Welt, so sehr am Irdischen hangen? Was gilt dieses Sandkorn Leben gegen den Montblanc der Ewigkeit? – Dein Gamaliel selbst würde so ordenslüstern nicht seyn, wenn er wirklich glaubte. Alle Gläubigen, guter Michael, wenn sie gleich Mosen und die Propheten haben, sehnen sich nach Erscheinungen; und wenn einer von den Todten erstände, und sie von der andern und dritten, und vierten und fünften Welt u.s.w. überzeugte, glaube mir, dann erst würden wir sehen, was Ueberzeugung ist, und was sie wirkt. Sehen ist der edelste Sinn, dessen sich der[87] höchste Geist nicht schämen darf. Das Licht zu jedem Chaos ist doch Sinnlichkeit, so wie der geistige Ausdruck, wenn er treffen soll, sinnlich ist. Gesetzt, Michael, meine Ordensuhr schlüge unrichtig; nicht wahr, wenn sie nur richtig zeigt? Wie man es nimmt, gnädiger Herr, sagte Michael, ich weiß nicht, was minder übel ist, taub ober blind seyn. Ohne auf diesen Streifzug zu merken, fuhr der Ritter fort: Die Mysterien, denen ich zueile, sind, so wie alles, was göttlich ist, nicht an Geburt, Stand und Reichthum gebunden. Menschen machten Stände, die Gottheit schuf uns gleich. Nur daß du von Stund an mit verdoppelter Treue deine Seele in deinen Händen trägst, und dich aller Unreinigkeit und aller Speise und alles Getränkes enthältst, das zum Essen und Trinken reizet. Mit leichter Ladung und leichten Segeln, das heißt, mit Mäßigkeit und gutem Gewissen, fährt der Weise. Eine glückliche Reise! – Die Feste des Saturn sind die gemeinsten; es gibt Nektar und Ambrosia, Seelenspeise und Geistertrank. Zu diesen Festen schicke dich an, und dein tägliches Gebet sey: laß, wenn ich strauchle, wenn ich falle, nicht Feinde, sondern Freunde mich einlenken; laß mich nicht in die Hände der Menschen, sondern in die Hände, in die Zucht des Gewissens fallen. So richte deine erste Vorbereitung ein, und sie wird dir die andere, wie ich nach der Liebe hoffe, erleichtern! Schon der Maurerorden verstand das Geschenk jenes Schülers der Weisheit, der nicht Silber und Gold hatte, und sich selbst gab. »Ich bin arm, allein ich bringe mich dir. –« Die Menschheit ist wahrlich eine große Brüderschaft, unter die Gott die Erde getheilt hat!

Voll Rührung griff Michael in diese Rede, und war bis zum Verstummen dankbar, daß sein Herr die außerordentliche Güte haben wollte, in Trophonius Höhle nicht allein zu Schaden zu kommen, und daß auch er an der Ehre Theil nehmen sollte, den Hals zu brechen. »Wie sollte ich's nicht mit Freuden, [88] dachte er, in so guter Gesellschaft?« Dieser Gesinnungen ungeachtet konnte Michael (der den Rausch des Hochzeittages mit der Zofe völlig ausgeschlafen hatte) nicht umhin, dem Ritter noch einige Bedenklichkeiten zu wiederholen.

Dieser verwies ihm sein Mißtrauen mit edler Sanftmuth. Gehorsam ist besser als Opfer. Gehorsam ist Selbstopfer; ihn ohne äußern Zwang zu bewirken, ist das Geschäft des Weisen; ihn ohne Zweck zu leisten, die Würde des Tugendhaften. Die Hoffnung, fügte er hinzu, dieser Bote der Unsterblichkeit, dieser Engel Gottes wird mich leiten und stärken auf den finstern Pfaden zum Ziele. Weiß ich nicht, was jener Alte (Diogenes) sagt: Der berühmte Räuber Patäcion ist ein Eingeweihter; Epaminondas und Agesilaus sind es nicht, und wollten es nicht seyn! – Wir denken nicht alle gleich; und ist es nicht gut, daß wir insgesammt denken, nur ein jeder anders? – Gift ist oft die wirkendste Arznei, und Trübsal und Angst Richtsteige zur Verklärung. Zweifel läutern unser Wissen, Leiden das Gold unserer Tugend; das Nichtwissen des Sokrates ist vom Vielwissen abgezogen. – Wird nicht Gold, so wird Porcellan. – Und was beabsichtigten wir mit unsern Kreuz- und Querzügen, die es gewiß weder auf eine einförmige Seereise, noch auf eine Wiesenaussicht anlegten? – Kein wohlgezogener Mensch erlaubt sich Ausbrüche der Freude (ich wette, du schämst dich des Phantasie-Hochzeitschmauses mit der Begleiterin); warum sollte man sich Ausschweifungen in der Traurigkeit und in der Furcht gestatten? Nur Kranke können nicht Kälte, nicht Wärme ertragen. Gott ist mächtig in den Schwachen; oft ist der Mensch in der Schwachheit am stärksten, und in der Verzweiflung vermag er alles. Kein Kreuz ist so arg, wo die Hoffnung nicht die Präscription unterbricht, und uns an Eldorado erinnert, das oben oder unten ist. Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

[89] Wer nach diesen Todesbetrachtungen den Tod noch fürchten kann, erwiederte Michael, ist der Furcht nicht werth; – kann man weniger werth seyn? Ich fürchte den Tod nicht; doch fürchte ich ihn, ehe Ew. Gnaden Sophien, und ich die Kammerzofe kennen gelernt, und wir mit den Königinnen unserer Herzen, wenn Gott will, füufzig Jahre glücklich durchlebt haben.

Wie? Michael, rief der Ritter; hast du in so viel Schulen der Weisheit noch nicht gelernt, dich ganz und gar von der Sklaverei des Todes zu befreien? Heißt bedingt fürchten nicht fürchten? Erinnerst du dich nicht der Geschichte, welche der Seelenhirte uns so eindrucksvoll erzählte? – Als die Meister Hirame den Tempel zu Delphi vollendet hatten, und den Apoll um Belohnung baten, was erwiederte der Gott auf ihr Gebet? Sie würden ihren Lohn nach sieben Tagen empfahen. Am Ende des siebenten Tages überraschte sie der Tod in einem sanften Schlaf. Ei, ihr frommen und getreuen Knechte, ihr seyd über wenig treu gewesen, ich will euch über viel setzen; gehet ein zu eures Herrn Freude. Die Liebe, welche zwei Brüder ihrer Mutter bewiesen, als sie sich einspannten und sie zum Tempel zogen, rührte die Alte so, daß sie die Götter anflehte, diese kindliche Treue zu vergelten. Sie fanden ihren Tod im Schlaf. Wer in seinem Beruf sein Leben verliert, erhält es für eine bessere Welt; und wer nicht Pilger und Bürger zu seyn, unter Menschen zu Hause zu gehören, und unter Menschen ein Fremdling zu bleiben versteht, verkennt seine diesseitige und jenseitige Bestimmung. Zeno von Citium, der ein Rheder war, hörte von dem Verluste seines unaffecurirten Schiffes; und wie glücklich machte ihn dieß Unglück! Er ward aus einem Rheder ein Philosoph. – Von Helden, die nicht für Grillen ihres durchlauchtigsten Befehlshabers, sondern für ihr Vaterland das Leben ließen, heißt es im Geist und in der Wahrheit: Sie sind geblieben! geblieben im ehrenvollen Beruf, geblieben im ewigen Andenken der[90] Ihrigen. – Auch wir, Michael, wenn es die Vorsehung will, die alles wohl macht, daß wir in der Lehre bleiben; Sophie und ihre Zofe, meine Mutter und die Nachbarschaft, Johannes und noch viel andere Freunde und Freundinnen – werden sie uns vergessen? Werden wir nicht bleiben in ihrem Andenken im Segen? – Die bittersten Spötter könnten auf unsere Leichensteine nichts mehr schreiben, als: Sie glaubten Eldorado schon auf Erden zu finden, und Eldorado ist unter der Erde! – Ach! Michael, ich habe Stunden, wo ich die Wahrheit lebhaft empfinde; nur oben ober unten ist Eldorado. Ihre Worte des Todes, gnädiger Herr, sagte Michael, sind mir Worte des Lebens, und es fehlt nicht viel, daß ich mich stark genug fühle, mit dem Apostel (der zu einer andern Zeit überkleidet zu werden wünschte) zu sagen: Ich habe Luft abzuscheiden. – Doch ist der Laurer gleich einem Diebe zu meiden; jener bringt uns um uns selbst, dieser um Sachen. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme Schaden an seiner Seele? Ew. Gnaden besitzen so viel Seelenglück, daß Sie mit den Gebietern der wunderbaren Höhle sich weislich werden einverstanden haben. Einverstanden, griff der Ritter ein; ich bin gesichert durch Unterpfand. Seit der Berufung zu diesem großen Werke geleitet mich ein Geist, der auch jetzt mitten unter uns ist.

Den Ew. Gnaden sehen?

Den ich nicht sehe.

Doch sehen werden?

Von Angesicht zu Angesicht.

Bei meiner armen Seele! ich wünschte lieber heut als morgen.

War sein Einfluß auf unserer wunderbaren Wallfahrt im unerklärbaren Zuvorkommen nicht handgreiflich? Leitet nicht schon in dieser Welt der Weise alles? Verehrt man ihn nicht doppelt, wenn [91] er einem andern den Schein und die Sichtbarkeit abtritt – und durch ihn die Honneurs machen läßt?

Diese Spuren jener Leitung durch unerklärbares Zuvorkommen konnte Michael, der an sich sehr geistergläubig war, nicht läugnen. Sein letzter Einwand: es sey schwer zu fassen, daß Menschen durch eine höhere Geschöpfsgattung begleitet würden, falls es unter Engeln, Klassen und herrschende und dienende Brüder gäbe, war nur ein schwacher Behelf.

Michael (erwiederte sein Herr), du denkst zu gut und zu schlecht von Menschen. Menschen können so weit kommen, daß sie die Tugend der Tugend halber lieben, und sie thun, um sie gethan zu haben; die Menschen sind, bloß um Menschen zu seyn! Da freuen sich Geister, daß Menschen in eben dem Grade gute Menschen sind, als sie gute Engel: und willst du ihnen diese Freude mißgönnen? Nicht immer aber ist Menschen als Menschen, sondern gewissen durch diese Menschen auszurichtenden Thaten ein himmlischer General-Adjutant beigeordnet. Das Christenthum nicht allein, auch das heidnische Alterthum glaubte Schutzgeisterschaft. Die Behauptung des Menander, jedem Menschen würde bei seiner Geburt ein guter Dämon, und die des Empedokles, es würden ihm zwei von verschiedener Art beigeordnet, scheint sie so unrecht? – So sokratisch es übrigens war, daß ich in den letzten Stunden meines Hierseyns mich nicht mir selbst überließ, so ruft mich doch jetzt mein Schicksal. – Es geht auf Hochmitternacht. – Wir scheiden.

Michael seufzte – Gott! mit Thränen im Auge. Uns scheidet nur der Tod, sagte der Ritter. Auch der Tod nicht, gnädiger Herr! er wird gewiß so gütig seyn, mich bei Ihnen zu lassen. Ich will mich mit Blut verschreiben, auch dort Sie zu begleiten. Bin ich nicht so einsichtsvoll wie Ihr Schutzengel, an Treue weiche ich ihm nicht!

Guter Michael! treuer Begleiter! Freund und dienender Bruder! [92] Du kennst mich. Ich bin keiner von jenen Unempfindlichen, denen ein Freund so aus dem Herzen wie ein Stück Eis aus den Händen schlüpft; keiner von jenen Gleichgültigen, die sich an Menschen bloß gewöhnen, die sie alsdann oft weder lassen noch behalten möchten. – Was ich bin, bin ich ganz, und die Quintessenz meiner Neigung zu dir – darf ich sie wiederholen? Es ist ein Zeichen eines guten Kindes, wenn es begehrt, daß die Amme auch der Puppe die Brust gebe. Und wenn ich dir sage, daß wo ich bin, auch mein Begleiter seyn soll, – ist es nicht mehr als Amme, Kind und Puppe? Ich übergebe dir hiermit feierlich eine schriftliche Zusage, daß so viel an mir ist, die Kammerzofe die deinige werden soll. Nicht mit Blut ist sie geschrieben, doch floß sie aus meinem Herzen. Ich küsse dich dreimal! Gott segne uns!

Michael war außer Fassung. Nach einer Weile bedauerte er schluchzend, daß seine leiblichen Dienste neunmal neun Stunden aufhörten; meine geistigen, setzte er hinzu, sollen nicht aufhören für und für. Er übergab seinem unsichtbaren Collegen seinen, wie er sich ausdrückte, ewig theuern Herrn, den er von seinen Händen fordern würde; – von seinen Händen, wenn er Hände hätte, wo nicht von seinem ganzen Wesen, ohne das, was ist, nicht seyn kann. – Vergeben Sie mir, gnädiger Herr, fing er wieder feierlich an, alle meine Fehler, meine Vorschnelligkeit, meine Schwatzhaftigkeit und alles, was noch sonst sich aufkeit endet und enden könnte, in soweit es Ihnen zuwider seyn konnte und zuwider war. Mein Herz war an keinem dieser keiten schuldig. Auch verheiß' ich –

Verheiße nichts, guter Michael! du wirst ohne Verheißung erfüllen; dein glühendes Gesicht spricht lauter als Worte. Ohne Zweifel gehörte vieles auf meine Rechnung, womit ich die deinige belastete. Lebten die Menschen mit ihren eigenen Leidenschaften beständig im Kriege, und mit den Leidenschaften anderer in ewigem Frieden, wieviel besser stände es mit der Welt! Laß uns bei dieser [93] feierlichen Gelegenheit, da wir einander beichten und absolviren, da wir scheiden und nicht scheiden, uns trennen und auf ewig verbinden; – laß uns die festen Gelübde erneuern, so wie die Laster und Thorheiten ritterlich und knappelich zu bekämpfen, so die Schwatzhaftigkeit, diese niedrigste von allen Leidenschaften. Siehe! ein Schwätzer ist ein Verräther, der nicht bezahlt wird. Es scheint, edle Menschen sind im Reden unsere Lehrer, die Gottheit aber im Schweigen. – Bei den ältesten Einweihungen zu Mysterien ward Stillschweigen gelobt und geboten. – Fürwahr wunderbar! sagte ein Schwätzer einem Philosophen, der ihn anhörte. So wunderbar nicht, erwiederte dieser, als daß, der dich hört und Beine hat, nicht davoneilt als hätte er Flügel. Das ist der gewöhnliche Lohn der Schwatzhaftigkeit. Nicht wahr, ich habe dir lange Weile gemacht? fragte ein Plauderer den Aristoteles. Nein, erwiederte dieser, ich habe dich nicht gehört.

Weiß ich's nicht, gnädiger Herr? Und unvergeßlich ist mir der Vergleich meines Gamaliel, der ihm vielleicht jetzt am theuersten zu stehen kommt. Ein Schwätzer ist wie ein Vogel, der alles im Schnabel trägt, sagte Gamaliel. Flößt er es den unbesiederten Jungen ein, immerhin! – jedem andern ekelt vor dieser losen Speise. Amen! erwiederte der Ritter, und nun empfange mein Testament.

Es gibt Dinge, in welche sich die Vernunft mit ihren Einwendungen so wenig einmischen sollte als der Staat in Privatangelegenheiten. Nicht in jedem Klima reisen Menschen, nicht in allen Lagen blühen sie in ihrer ganzen Schönheit auf.

Erbrich nach neunmal neun Stunden, von 12 Uhr Nachts an gerechnet, dieses Blatt, falls ich während dieser Zeit dich nicht sehe. Gott lohne dir deine Treue, guter Michael! – Grüße meine Mutter! tröste sie! tröste Sophien! Ich muß – ich fühl' es – ich muß! – Schwer liegt es auf mir! – Ginge ich nicht, ich [94] verlöre den Verstand wie der Athlet, der seinen Gegner tödtete. Lebe wohl! Verdammt sey jeder Blick, der mir nachspäht! – Weg war er. Michael vermißte ein paar Taschenpistolen und einen

114. Dolch
§. 114.
Dolch.

Eine unheilige Zahl, dachte Michael, und beschloß zu fasten, noch strenger als sein Herr während der letzten drei Tage gefastet hatte, und nichts zu essen und zu trinken, was zu essen und zu trinken reizen könnte. Es ward Michaeln, da er alle Umstände zusammennahm, einleuchtend, daß sein Herr, nachdem er den Brief anAeiou gelesen, sich mit dieser unheiligen Drei versehen hatte. Auch nahm Michael Gelegenheit, sich mit dem

115. Reitknecht
§. 115.
Reitknecht

auszusöhnen. So versöhnungsgeneigt dieser auch war, so bestand er doch auf dem Bekenntniß, verwandt mit Michael zu seyn, welches Michael nicht einräumen konnte. Was denn mehr, guter Michael? Räumt doch Herzog von Orleans öffentlich ein, der Sohn eines Kutschers zu seyn? Doch schien Michael wirklich die Wahrheit auf seiner Seite zu haben, und der Stallknecht in einem verzeihlichen Irrthum. Beim Ende vom Liebe ward festgesetzt, daß, da bei Gott kein Ding unmöglich ist, sie noch verwandt werden könnten, obwohl Michaels künftige Gattin dazu nichts beitragen würde, welche indeß der Reitknecht so viel und so wenig als der Bräutigam selbst zu kennen die Ehre hatte. – Beide Theile glaubten bei diesem Vergleiche unläugbare Vortheile erhalten zu haben. Man lasse den Menschen Worte, da sie so gern daran saugen, obgleich gemeinhin ihretwegen die Sache oft nicht dafür kann, wenn sie langweilig wird. Nach diesem glücklich vollzogenen Vertrage, der [95] dem verwaisten Michael so wohl that, nicht uur weil sein Herz gut war, sondern weil er auch jetzt des Beistandes seines Reisegefährten sehr leicht nöthig haben konnte, überfiel ihn

116. Reitknecht
§. 116.
der Seelenhirte

in weltlicher Kleidung. Da Michael weder in Familienangelegenheiten noch sonst Unwahrheiten weder litt noch beging, so war alles Schlag auf Schlag.

Ist mein Brief gefunden?

Ja!

Wo ist er?

In den Händen meines Herrn.

Michael erzählte den ganzen Hergang der Sache so genau, daß er natürlich erschrecken mußte, als der Geist- und Weltliche gebieterisch verlangte, daß Kisten und Kasten seines Herrn ausgerissen und die Michaeln behändigte Instruktion, welche erhalten zu haben der Knappe ebenso wenig Hehl hatte, dargelegt werden follte, und weßhalb? Um den Aeioubrief zu suchen, an dem, wie der Seelenhirte betheuerte, sein Glück, seine Ruhe und sein Leben hing. – Der Treiber verstellte seine Geberden und tobte einem Eifersüchtigen gleich, dem man sein Weib entführt hat. – Warum martern Sie mich? redete ihn Michael mit einer Entschlossenheit an, die nur Unschuld und gutes Gewissen zu geben vermag, und die sich von dem halben Dutzend anderer Arten von Entschlossenheit so edel unterscheidet. Warum martern Sie mich? Lieben Sie die Wahrheit, wie ich wünsche und hoffe, so werden Sie auch denen nicht unhold seyn, die Ränke hassen. Ohne Zweifel wissen Sie, wo mein Herr ist, dem mein Herz zugehört und dessen letzte Unterredung mir so heilig bleibt, daß ich weit lieber alle Qualen des strengsten Todes überstehen, als eins dieser mir ewig theuern Worte aufgeben [96] wollte. Sie waren der letzte, den er von Fremden sah und sprach; – Sie waren mit ihm eingeschlossen und nahmen ihm ohne Zweifel den Eid ab, dessen Heiligkeit ihn zu dem Schritte verband, den er that, – Gott weiß wohin. Sie waren es, der mir durch ihn die Verheißung ertheilen ließ, daß auch ich gewürdigt werden sollte, einen Schritt zu thun, Gott weiß wohin. – Ist es zum Tode? Ich bin bereit im Leben und im Sterben meinen Herrn zu geleiten. Um Ihrer Weltlichkeit, um Ihrer Geistlichkeit, um Ihrer Seelen Seligkeit, um alles, was Ihnen heilig ist, um des mir durch meinen Herrn gegebenen Worts, um alles willen, was Sie lieben und ehren, verschonen Sie mich!

Der Geist- und Weltliche antwortete auf diese Jeremiade kein Wort, ging hin und forderte Michaeln vor den Richterstuhl des Orts, bei dem er eine schreckliche Klage anbrachte; Michael hat zugeständlich einen Brief, an dem mir mehr liegt als am Leben, gefunden, ihn angeblich seinem Herrn behändigt – bekennt selbst nicht zu wissen, wohin sein Herr gegangen, ob und wann er zurückkommen werde; bedient sich der bedenklichen Worte: sein Herr habe ihm seinen letzten Willen zurückgelassen. Ist die Folge ungründlich: sein Herr hat sich selbst das Leben zu nehmen Ursache gefunden, welches in diesen Gegenden seit einiger Zeit sich mehr als je zuträgt? Vielleicht vorempfand er eine geheime Krankheit, deren er sich zu schämen Ursache hatte, und die vielleicht aus Erkenntlichkeit in kurzem seinen Lebensfaden abreißt. Aus diesen Prämissen kann ich, fuhr der Kläger fort, rechtlich verlangen:

Daß Michael die ihm von seinem Herrn behändigte geheime Instruktion ohne Anstand zur Entsiegelung einreiche. Findet sich in dieser verschlossenen Schrift der verlorne Brief nicht, so müssen die gesammten zurückgelassenen Sachen seines Herrn gerichtlich geöffnet werden. Ist auch hier der Brief nicht, was natürlicher, als daß man Michaeln eidlich verpflichte, den ganzen Lebenslauf seines [97] Herrn und besonders, was er von seiner jetzigen Entfernung weiß, haarklein gerichtlich anzuzeigen, um auf Spuren seines gegenwärtigen Aufenthalts zu kommen. Auf diese letzte Klagebitte glaub' ich, sagte der Welt- und Geistliche, auf jeden Fall bestehen zu können, weil Michael an den Geheimnissen seines Herrn theilgenommen zu haben eingesteht, weil beide jahrelang Geheimnißjäger sind und ein paar Frauenzimmer entweder aufsuchen oder von ihnen aufgesucht werden. – Sein Herr, der einen bedenklichen Auftritt im Löwen gehabt, worüber ich den Wirth zu vernehmen bitte, hielt sich imSperber auf, als ich ihn kennen lernte. Doch mocht' und wollt' ich so wenig an seinen Gedanken und Ungedanken theilnehmen, daß ich ihn ernstlich ermahnte, Gräber zu verabscheuen, welche Bösewichter so zu übertünchen verständen, als wären es Nasenhügel. Es kann seyn, beschloß der Welt- und Geistliche, daß Herr und Diener die Verführten sind, waren indeß die Verführer nicht in der Regel alle – Verführte? Der Schluß: ich verbitte alle Kosten.

Michael, der dem Scheine der Klage nichts entge gen setzen konnte, ob er gleich den Bösewicht vor Augen zu sehen sich überzeugte, der in derselben ein Grab des Verderbens mit Rasen zu übertünchen verstände, war so tief gebeugt, daß er nichts weiter erwiedern konnte, als: Ach, mein armer Herr! Kläger bat, da Michael einigemal diese Worte mit Händeringen wiederholte, diesen Umstand besonders zu verzeichnen, indem er staatsgefährliche Geheimnisse zwischen Herrn und Diener nach der höchsten Wahrscheinlichkeit vermuthen ließe, denen er nachzuspüren von Amtswegen verpflichtet sey. Und dieß, setzte er wohlbedächtig hinzu, ist der Hauptschlüssel zu meiner veränderten Kleidung, – zum verlornen Briefe, und zu vielem, was meine eigene Person betrifft, – die keinen etwas angeht; – Gründe genug zu meiner Bitte, den Beklagten sogleich in Arrestationsstand zu setzen. Da Michael [98] sich selbst so tief vergessen hatte, daß er von den Worten: Ach mein armer Herr! so wenig als Jesus vor Jerusalems Mauern vom Wehe ablassen konnte; so sprang Kläger ab, und behauptete: Michael habe entweder seinen Verstand wirklich verloren, ober er schlage das Bubenstück ein, diese Rolle zu spielen. In beiden Fällen trug er auf Untersuchung und persönliche Haft an. Was zu thun? dachte Michael, und machte sich wegen seiner Schwatzhaftigkeit, dieser niedrigsten aller Leidenschaften, mittelst deren mal ohne Gewinnst von dreißig Silberlingen verräth, die bittersten Vorwürfe. – Freilich, Michael! hättest du an die letzten Reden deines Herrn und an den Vogel Gamaliels gedacht, die Grube wäre bei weitem so tief nicht geworden, als du sie dir selbst gegraben hast. So wie wir oft denen begegnen, an die wir unwillkürlich dachten: so wie zufällig Gedanken in uns entstehen, ehe wir absichtlich über eine Sache meditiren; so bereitet der Mensch sich Leiden vor, – um dabei weise zu werben. Ueberzeugt, es könne nur die Unschuld in Lagen von einer solchen schrecklichen Art fallen, glaubte Michael zu seiner Ehre, auch die allerschrecklichste sey nicht schrecklich genug, den Menschen seiner Bestimmung unwerth zu machen und ihn zu entwürdigen. – Ich bin, so war ungefähr seine Exception, weder unsinnig, noch ist mir das Schelmstück eingefallen, mich so zu stellen; doch gibt es Fälle, in denen der Verstand sich auf eine Art zeigt, daß man in die Versuchung gerathen könnte zu wünschen, man hätte keinen; oder Fälle, wo jemand, der den Verstand nicht verliert, keinen zu verlieren hat. Die leichte natürliche Art, womit der Kläger die unzubescheltendsten Umstände eines Vorgangs benutzt, zeigt seine Anlage, Interesse in die gemeinste Sache zu bringen und durch Feinheit und anschauliche Harmonie den gewöhnlichsten Dingen zu einer Wirkung zu verhelfen, welche Theilnahme, ohne ihrer werth zu seyn, nicht erbittet, sondern fordert – nicht erfleht, sondern erzwingt. Entkünstelt [99] und entkleidet man die Klage; ist wohl das, was der Kläger will, dem, warum er es will, angemessen? Er verliert einen Brief von ungefähr, oder mit Fleiß. – Wenn ich den Ort, wo ich ihn fand, in Erwägung ziehe, ist es fast zweifellos, er wollte ihn verlieren. Frei bekenn' ich, den Inhalt des Briefes nicht verstanden zu haben. Auch habe ich Ursache zu befürchten, mein Herr sey nicht glücklicher gewesen als ich. Stand der Name des Klägers auf diesem Briefe? War ich gebunden, unter Aeiou denGeist- und Weltlichen zu suchen und zu finden, Hieroglyphen zu enträthseln? Wunderdinge zu entwundern? Gab mir nicht diese auf List und Trug auslaufende Manier vielmehr das Recht, mit diesem Zettel zu machen, was ich wollte? Aus den fünf Vokalen läßt sich auf einen geheimen Staatsfiskal nicht schließen, obwohl ich den Vokalen hierdurch nicht zu nahe getreten haben will, mit denen ich es gewisser Ursache halber nicht verderben mag. Hätt' ich den Brief zerrissen, wär' es ein Mord gewesen? Doch scheint es, mein Herr und ich werden auf Mord angeklagt. Ich glaube nicht, Kläger könne läugnen zu wissen, wo mein Herr sich befindet. Ich aber, das weiß Gott am besten, weiß es so wenig in dem geheimsten Innern meiner Seele, daß ich meine Angabe, es nicht zu wissen, tausendmal beschwören kann. Nur wenn der Tod meines armen Herrn bekannt geworden, und selbst dann nicht, könnte man diese Gewaltthätigkeit an seinen Sachen sich erlauben, wenn man nicht heilige Rechte des Eigenthums aufheben will. Mein Herr ist ein Mann von Ehre und Nachdruck, seine Mutter eine der ersten Damen in – – –. Ohne an ihre herrlichen Güter und an das irdische und himmlische Jerusalem zu denken, das sie in Rissen besitzt, hat sie große Freunde und Beschützer. Mein Herr ist ihr einziger Erbe. Er sollte entlaufen; er, der nichts auf seinem Gewissen hat, und dessen Umstände so vortheilhaft stud, daß er noch mehr als neunmal neun Receptionen [100] zu bezahlen vermag, wenn er sein Geld in der Art anlegen will, worüber, wenn er's wollte, niemand als Gott und sein Gewissen ihn zur Verantwortung ziehen kann? Daß Geheimnisse auch hier zu Lande nicht confiscirt sind, beweiset selbst der Inhalt des Briefs, welcher diese Klage veranlaßt. Wahrlich er war das Geheimste, was mir je vorgekommen ist: ob ich gleich entfernt bin abzuläugnen, daß auch ich ein Kunstverständiger in Geheimnissen zu seyn die Ehre habe. – Die Frauenzimmer, die mein Herr und ich verehren, sind die edelsten und tugendhaftesten auf Gottes Erdboden. Wollte Gott, sie suchten uns auf! Nicht bloß den Löwenwirth, man vernehme die ganze Welt, und mein Herr wird als der bravste Kavalier vor Gott und Menschen erscheinen. Im engsten Zutrauen erzählte ich dem Kläger, daß mein Herr Dolch und Pistolen mitgenommen hätte. Gott wolle nicht, daß er sie so nöthig hat, als ich meine ganze Besinnung bei Dolch und Pistolen dieser Klage! Wäre der Vokalbrief ein Wechsel, der dem hochseligen Herrn, als er zum Ritter geschlagen ward, so viel Kreuz verursachte, und bei dem es auf Tage und Stunden ankommen soll (ob ich gleich das Wechselrecht weder bei Gamaliel, noch bei meinem wechselfreien Herrn gelernt habe), mein Herr würde durch ein öffentliches Ausgebot ihn angezeigt, oder, wie der hochlöbliche Herr Ritter bemerkt, ihn in seinem Amtshause deponirt haben. Bei einer gemeinen Schrift kann es auf Tage und Wochen nicht ankommen. Auch hab' ich in meiner Unschuld dem Kläger zugestanden, eine Instruktion zu besitzen, die ich selbst noch nicht erbrechen kann: und wie käme irgend ein Mensch in der Welt dazu, sie zeitiger erbrechen zu wollen? Oeffnet man Testamente, ehe der Testator tobt ist?

Der Kläger verlangte den Zeitpunkt zu wissen, wann der Beklagte die Instruktion zu erbrechen wäre verpflichtet worden. Der Beklagte, fügte der Weltgeistliche hinzu, sey ein Neuling in [101] Weltgeschäften, – und so diene ihm wegen des Wechselumstandes zur dienstfreundlichen Nachricht, daß es politische Briefe geben könne, von denen Wohl und Wehe ganzer Provinzen und Staaten abhange, und wozu man sich gewöhnlich der Chiffer zu bedienen pflege. Die Namen Jerusalem und Gamaliel und andere wildfremde beigemischte Umstände verriethen, bemerkte Kläger, ein Komplott; doch war er so gütig, der Meinung zu seyn, daß Beklagter ihm nur als ein halb unterrichteter Theilnehmer und dienender Bruder vorkäme. Ach, mein armer Herr! seufzte Michael, wiewohl nur innerlich, um der Candidatur zum Irrenhause auszuweichen. – Der Richter, sagte man, gehe mit dem Wunsche zur Sache, die Menschen unschuldig zu finden. Warum auch nicht? Die Menschen sind gefallen, alle haben vom verbotenen Baum gegessen, einer freilich mehr, als der andere, doch waren alle bei diesem Nachtisch, die Rechtshandhaber wahrlich nicht ausgeschlossen. Und unser hochlöblicher Richter? War gewohnt, gewisse Sachen peinlich anzufangen und gewisse Parteien als arme Sünder anzusehen, die er beiüberwiegenden Gründen immer noch im Falle der Noth in Gerechte verwandeln konnte. Freilich besser, hundert Unschuldige leiden, als einen Schuldigen entwischen lassen. Steckt nicht ein räudiges Schaf die ganze Heerde an? Mag die Unschuld, wie sie sich rühmt, in sich Ruhe der Seele suchen und finden. Ein Volk, das nicht im Druck lebt, geräth in Uebermuth. Ein schlechter Reiter wählt sich ein schlechtes Pferd, ein Held ein muthiges Roß, ob man gleich auch dem schlechten Pferde mit Sporen forthelfen kann. Welch ein Pferd wird unser Richter besteigen? Wie fiel sein Rechtsspruch? Warum nicht gar! Erst ein Vergleichsversuch. Und der? –

Der Richter schlug vor, daß die Instruktion sogleich in gerichtlichen Gewahrsam geliefert und nach neunmal neun Stunden (die der Beklagte wegen der Stunden höchst bedenklich fand), die [102] abgelaufenen Stunden abgerechnet, so wie die andern Sachen des Ritters, eröffnet werden möchte, womit Kläger nach vieler Weigerung sich endlich befriedigte. Beklagter wollte von diesem Vergleich nichts einräumen, weil, die Wahrheit zu sagen, er weder dem Kläger noch dem Richter traute; und so verfügte denn der Richter:

Daß nach neunmal neun Minuten Schrift und Sachen zum gerichtlichen Gewahrsam zu liefern, im Weigerungsfall Beklagter zur persönlichen Hast und zu körperlicher Züchtigung gezogen, und von neunmal neun zu neunmal neun Minuten der Grad derselben verstärkt werden sollte, bis völlig geschehe, was Recht sey. Denn

Beklagter hat zugestanden, den Brief gefunden und seinem Herrn behändigt zu haben. Da er den Inhalt, seiner eigenen Behauptung gemäß, nicht verstand, so übersteigt die Beurtheilung desselben sein Kopfvermögen. Diese an sich schon entscheidenden Gründe werden durch noch andere rechtskräftiger. Sein Herr hat sich im eigentlichen Sinn entfernt, sein genauester Begleiter weiß nicht wohin. Er reiste ohne Paß und Beglaubigungsschein; er hinterließ, um Steckbriefen zuvorzukommen, eine Schrift, die nicht früher als nach neunmal neun Stunden eröffnet werden sollte. Er nahm verdächtiges Gewehr mit (ein Dolch und zwei Pistolen könnten schon allein statt aller Entscheidungsgründe dienen), er kleidete die gemeinsten Dinge in Geheimnißanschein (neunmal neun Stunden, wie leicht waren sie auf Tage gebracht!). Die verstreuten Worte und Umstände, durch welche Beklagter nicht nur den Dolch- und Pistolenverdacht gegen seinen Herrn außer Zweifel setzt, sondern auch auf sich den schwärzesten Schatten desselben zurückwirft, übersteigen alle Gründe, und verlangen, daß auf augenblickliche Haft und steigende körperliche Züchtigung erkannt werde. Kläger hat sich durch Notorietät als einen unbescholtenen Mann ausgezeichnet. Beklagter stellt eine Person vor, bei der man nicht [103] weiß, woran man ist; für einen Bedienten zu vornehm, für einen Mann von Bedeutung zu inconsequent. Seine Art und Weise, sein Aeußeres und Inneres, seine Denk- und Ausdrucksmanier verkündigen einen Menschen, der selbst nicht weiß, woran er mit sich ist. Schon wegen seiner Unerklärlichkeit, und da er mit keinen Pässen und sonstigen Certifikaten versehen ist, würde er als verdächtig beobachtet und in Arrestationsstand gesetzt zu werden verdienen. Die Kosten muß Beklagter übernehmen, weil er nicht nur zu diesem Rechtsstreite die alleinige Veranlassung gegeben (den er auf den Fingern hätte entscheiden können, wenn er sein Selbstrichter zu werden Lust und Liebe gehabt), sondern, was mehr und wenigstens eben so viel sagen will, weil er den ihm angebotenen Vergleichsvorschlag mit verdachtsvoller Entschlossenheit abgewiesen hat.

Michael sank weniger über den Hergang dieser Sache, als wegen der so natürlich aussehenden und doch so künstlich angelegten Art des Klägers und des Richters, in Unempfindlichkeit und eine Art von Schwermuth, die nichts von jener Dämmerungsannehmlichkeit hat, welche durch Nebenideen von Zukunft und besserer Welt entsteht, sondern aus Traurigkeit über das gegenwärtige Leben und vorzüglich über die Schadenfreude und die Heuchelei so vieler unwürdigen Menschen entspringt. Guter Michael, diese Querstreiche sind dir heilsamer, als es die Erfüllungen deiner Eigendünkel seyn würden. Freudenzüge verwöhnen, – Kreuzzüge erziehen. – Wie, wenn du in der Vorbereitung wärest?

Nachdem Michael sich mehr aufgerafft als gefaßt hatte, freute er sich, des Ritters wegen unschuldig leiden zu können, und würde eben so gern, wie Pythias für Dämon, den Tod übernommen haben. Am liebsten war ihm, daß seine Instruktion außer aller Gefahr sey, die er sogleich, nachdem er mit dem Welt- und Geist lichen darüber in Streit gerieth, vergraben hatte. Was er bedauerte, [104] war, daß ihn sein Gefängniß verhindern würde, sie vorschriftsmäßig zu eröffnen, und daß dieß vielleicht nur zu einer Zeit würde geschehen können, wenn alle Hülfe und Rettung für seinen armen Herrn zu spät käme.

Richter! sonst war euer Grundsatz, die Menschen zu ermüden, und wahrlich! ihn langsam um sich selbst und seine Hoffnung bringen, heißt säuberlich mit dem Knaben verfahren und ihn vor Verzweiflung sichern, die in einer Stunde oft mehr Unheil anrichtet, als die Politik in zehn Jahren zu heilen vermag. Richter! sonst waren euch die Gesetze behülflich, aus Rechtssachen Karten zu machen, mit denen die Justiz spielte; sonst diente euch der Subtilitätenkram, die Köpfe der Laien zum Schwindel zu bringen, um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. – Wie? auch das Faktum ist in eurer Hand, um, wenn ihr das Handwerk versteht, aus Teufeln Engel des Lichts, und aus Engeln Teufel zu machen; aus Spinoza's Pietisten und aus Labres Cherub-Aspiranten? – Es gibt ein asiatisches Verfahren mit rationibus dubitandi und decidendi. Wie? gibt es auch einen Hocuspocus, um den Menschen sich selbst zu entwenden, um sein Thun und Lassen so unkenntlich darzustellen, daß er nicht weiß, wie er mit sich dran ist? Hat es mit eurem weltgepriesenen Vorzuge, daß ihr beim historischen Glauben das höchste, das letzte Tribunal seyd, und daß ihr bei Thatsachen das Privilegium de non appellando besitzt, keine andere Bewandtniß? – Armer Michael!

Schon waren einige Grade der persönlichen Züchtigung mit ihm vorgenommen, und er sah dem neunmal neunten Augenblick standhaft entgegen, da Beschimpfung und Schläge seiner warteten. Das Hauptgeschäft unserer Aerzte, die Krankheit zu nähren, um den Tod zu entfernen, ward an ihm erfüllt; die meisten Menschen sterben täglich, um nicht einmal zu sterben. – Armer Michael, so weit ist es mit dir gekommen! Das

117. Schicksal
[105] §. 117.
Schicksal

seines Herrn war, wenn gleich weniger schimpflich, so doch um keinen Grad leichter. Er sah um drei Uhr Morgens, nachdem er in einer schrecklich finstern Nacht im Walde umhergeirrt war, Licht schimmern, und da er sein Auge an dasselbe hielt, so erreichte er eine Hütte, an die er überall neunmal neunmal anklopfen wollte, und nirgends neunmal neunmal anklopfen konnte. Diese Hütte hatte keine Thür, und so war es freilich unmöglich, sie zu finden. Endlich erfühlte der Ritter eine Leiter auf der Erde. Er ergriff sie, wiewohl ohne zu wissen, wozu er diesen Strohhalm beim Ertrinken anwenden sollte. Indem er sie ergriff, war es, als hörte er eine leise Stimme: ersteige den Eingang. Er setzte die Leiter eben da an, wo er sie gefunden hatte, und erreichte, wie es ihm vorkam, einen hölzernen Verschlag. Froh, eine Stelle gefunden zu haben, um seine neunmal neun Schläge, die ihm in den Fingern juckten, anzubringen, klopfte er, und eine hohle Stimme ließ sich hören: Wer ist da? »Ein Lichtsucher.« Die Stimme erwiederte: Hier ist Finsterniß; nur dem schimmert hier Licht, der inneres Licht mitbringt. Hast du Licht in dir gesehen?

Beim Worte »Ja« sprang dieser, dem äußerlichen Gefühl nach bloß hölzerne Verschlag mit einem Gerassel auf, als wenn hundert Ketten rissen und eiserne Pforten in ihren Angeln bewegt würden. Da stand nun der Ritter, wie er im Schimmerlichte sah, an einer Höhle, die man ihm hinabzusteigen gebot. Es schien ihm ein Abgrund; und doch stieg er getrost und fühlte endlich Boden. Ein alter ehrwürdiger Greis, mit schneeweißem Haar, hielt ihm eine kleine Laterne mit der Rechten vors Gesicht. Er fragte ihn, indem er mit der Linken noch eine tiefere Höhle zeigte: Ja? [106] oder Nein? Auf die entschlossene Antwort: Ja, gab er ihm die Laterne mit den Worten: Nimm hin, suche Menschen! Glaubst du, sie zu finden? »Ich glaube,« antwortete der Ritter. Dein Glaube helfe dir, sagte der Alte; gehe hin in Frieden und Gott behüte deinen Eingang und Ausgang von nun an bis in Ewigkeit! – Bei diesen Worten verschwand der Alte, indem neben an die Erde sich aufthat und das letzte Wort Ewigkeit dem Ritter schon wie ein Echo vorkam. Der Ritter stieg wieder getrost eine Menge Stufen hinab, bis er an eine eiserne Thür kam, die sich von selbst aufthat. Hier schwankte die Erde, auf der er stand; ihm war, als hörte er Meereswogen und Stürme heulen. Blitz und Donner brachten seine Sinne in Unordnung, und eine hohle, dumpfe Stimme erscholl: Ziehe aus deine Schuhe, denn diese Stätte ist heilig! Die Bewegung der Erde machte, daß er unwillkürlich sank; und als ihm etwas wie ins Ohr raunte, ohne daß er das mindeste sah: Was suchst du? und er geantwortet hatte: Menschen, so vernahm er in höchst unharmonischen Stimmen fragweise: Unter Geistern? Eben da, erwiederte der Ritter, weil Eldorado oben oder unten ist. »Was willst du von Geistern lernen?« (wieder eine unharmonische Stimme). Leben und sterben. (Ein höhnisches Gelächter ließ sich hören.) »Was nennst du leben?« Eine von den Flecken der Unwissenheit und des Lasters gereinigte Seele dem Geiste der Geister darbringen, näher wissen, was Gott ist und was ich bin, um durch diese Kenntniß zur vollkommenen Tugend zu gelangen, bei einem unsträflichen Wandel bloß mit meinem Leibe auf Erden und mit meiner Seele im Himmel seyn, mich in Gemeinschaft Gottes fühlen und mit Geistern wie mit Freunden umgehen. Das Toben der Elemente legte sich abwechselnd. Jetzt war es ganz still und der Ritter konnte durch die Diogenische Laterne, welche er in der Hand hielt, in tiefer Ferne eine angenehme Dämmerung erblicken, ohne die Wesen näher zu erreichen, die zuweilen [107] stimmenreich und zuweilen durch ein einziges Organ mit ihm sprachen.

Bist du vorbereitet? hieß es. Er erwiederte: Ich bin es. »Was nennst du vorbereitet?« Frei im Gewissen seyn und seinen Körper durch Fasten heiligen, um ihn zum Mitgenusse geistiger Seligkeit fähig zu machen. »Bist du frei in deinem Gewissen?« Ich bin es. »Den Schuldigen treffe Tod und Verderben! Wer hier eintritt, gehört nicht zu den Siebzigern, sondern zu den Zwölfen; und wer viel gibt, hat das Recht, viel zu fordern. Bist du bereit zu Aufopferungen?« Ich bin es. »Behältst du dir nichts vor?« Nichts als Sophien, meine Mutter und Rosenthal.

Bei diesen Worten waren alle Elemente wieder in Bewegung, und eine erschreckliche Stimme rief: Rette dich! Der Ritter fiel, da die Erde sich unter seinen Füßen bewegte, und lag fast ohne Besinnung, als der ehrwürdige Alte sich wieder zu ihm fand und ihm eine andere Laterne behändigte, nachdem er das Licht der Diogenischen Laterne, die auf der Erde lag, ausgelöscht und die Laterne zerschlagen hatte. So, sagte er, zerschlug Moses die Gesetztafeln, da er sein Volk auf Knien vor güldenen Kälbern fand. Nur allmählig kam der Ritter zu mehrerem Bewußtseyn und merkte, daß er durch einen andern Weg geführt wurde, wo keine sanfte Dämmerung sein Auge, wenn nicht stärkte, so doch zerstreute. – Rings um ihn war Nacht, und die neue Laterne, die man ihm behändigt hatte, strömte bei weitem nicht jenes herrliche Licht, wie die Diogenische. Nach einer stundenlangen Wanderung, während welcher der Alte kein Wort sprach, kamen sie an eine eiserne Thür. Hier klopfte der Alte dreimal drei an und es hieß: Wer ist da? Ein Menschensucher, antwortete der Alte, der noch zu sehr an der Welt hängt, um zum vollen Lichte zu gelangen. »Wird ihn das Fegfeuer läutern und zu höheren Geschäften heiligen? wird er hier vollenden?« ließ sich die Stimme vernehmen. Ich hoffe es, sagte der Alte; und [108] nun hieß es inwendig: Verlaß ihn, wenn du ihn zuvor geblendet hast. Der Alte verband ihm die Augen und gab ihm den Unterricht, sich stille zu halten und auf das, was man ihn fragen würde, klug wie eine Schlange und ohne Falsch, wie eine Taube, in alle Wege so redlich, wie es in seiner Seele vorginge, zu antworten. »Warum sind dir deine Augen verbunden?« erscholl eine Stimme. Ich weiß es nicht, sagte der Ritter. »Zum Beweise, erwiederte sie, daß du in dem Verhältnisse, in welches du dich selbst gesetzt hast, weniger erfahren wirst, und zum Zeichen, daß es bloß von deiner Veredlung und Abgeschiedenheit abhängt, weiter zu kommen. Entbinde deine Augen, und hast du dich geprüft, ob du stark genug bist, den schwächeren Grad der Erleuchtung zu ertragen, so klopfe dreimal und es wird dir aufgethan werden.« Der Ritter, freilich sehr unzufrieden, aus der paradiesischen Herrlichkeit gestoßen und zum zweiten Grade herabgesetzt zu seyn, glaubte in seiner Seele keinen Selbstvorwurf zu verdienen, weil er Sophien und seine Mutter nicht verläugnet hatte. Und wenn ich gleich, dacht' er, so wie mein Vater, Rosenthal im Sterben verlassen muß: wär' es weise, ein irdisches Jerusalem eher aufzugeben, als bis ich mich im Besitz des himmlischen befinde? Auch beruhigte ihn der Gedanke, daß, wenn er den geheimen Bund, von dem er, außer dem alten Manne, noch keinen zu kennen und zu sehen die Ehre gehabt, größerer Aufopferung würdig fände, er immer noch Zeit und Raum zur Buße behielte. Wer wird alles an einen Faden binden? Der Ritter sah sich, da die nach drei Schlägen von selbst aufgegangene Thür sich von selbst wieder zugemacht hatte, ganz allein in einem schwarz ausgeschlagenem Zimmer. Vergebens forschte er nach der Stimme, die sich mit ihm vor den drei Schlägen unterhalten hatte. Wo ist sie hin? rief er, da er auch nicht die mindeste Spur von heimlicher Thür entdecken konnte. Er fand einen Tisch, wo eine Bibel lag und ein Crucifix stand, an welches sich ein Todtenkopf [109] gelehnt hatte. – Die Offenbarung St. Johannis des Theologen war aufgeschlagen. – Ueber diesem Tisch standen die Worte: Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. An der Thüre, die sich von selbst aufgemacht und zugeworfen hatte, und die der Ritter fest verriegelt fand, las er die Worte: Siehe, ich will einen neuen Himmel chaffen und eine nene Erde, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird, noch zu Herzen nehmen. Nach einiger Zeit erschien der Alte und wollte wissen, was er gedacht und wozu er sich entschlossen hätte. Der Ritter erwiederte: seine Gedanken und Entschlüsse wären der Lage angemessen gewesen, in die man ihn versetzt hätte. Da der Alte mehr in ihn drang und der Ritter sich näher zu entwickeln anstand, legte ihm der Greis schriftlich alles dar, was er gedacht hatte: versteht sich mit andern Worten. Der Ritter läugnete nicht. Ich hoffe, fügte er hinzu, bei billig Denkenden und billig Gesinnten Vergebung zu finden. Brach ich durch meine Gedanken und meine Entschlüsse die eingegangene Verpflichtung? Je mehr Vernunft, desto weniger Despotismus. Wahrlich! Vernunft ist das Hauptcapital, womit der Mensch Handel und Wandel treibt, womit er wagt – wenn gleich es auch hier heißt: wagen gewinnt, wagen verliert. Hat nicht die Vernunft, wenn sie durch uns selbst und andere verfälscht und verleitet wird, immer noch einen großen Ueberschuß der Wonne und des Selbstlohns? Wahr, mein Sohn, sagte der Alte; doch geht es mit ihr ein Haar besser, als mit der Dichtkunst, welcher Plato das Bürgerrecht abschlug? Wenn sie nicht bei der Darstellung der Schönheiten der Natur bleibt, sondern Leidenschaften malt oder pinselt: was macht die Dichtkunst aus Menschen? Unmenschen. Doch können, setzte er hinzu, Leidenschaften Engel der Vernunft werden, – so wie sie noch öfter ihre Teufel sind.

Es sey, daß die Vernunftslobrede oder die außerordentliche [110] Fassung des Ritters dem Alten anstößig war, plötzlich fing er an, wiewohl ohne aus seinem vertraulichen Tone zu kommen: Die vielen Vorbereitungen, denen man dich in andern Ordensverbindungen unterwarf, die indeß gegen die unsrige Spielerei sind, rüsten dich mit einer Art von Leichtsinn, der mir mißfällt. Auf seine Rechnung gehört der größte Theil von dem, was du dir selbst als vernünftige Fassung unterschiebst. Auch finde ich dich so lauter nicht, als du wähnst und es zu seyn dich überredest. Leichtsinn und Fassung sind verschieden, wie Engel und Teufel; und wenn Fassung auf Anspornung des Willens zu edlen Thaten wirkt, was wirkt Leichtsinn? Nichts mehr, nichts weniger, als Spinnen, Fliegen und Mücken, wenn sie in Speisen fallen und auch die ersten Leckereien ungenießbar machen. Der Trunkene ist laut; der Berauschte ist fröhlich und guter Dinge; der Besoffene sucht Händel; der Illuminirte guckt in einen optischen Kasten, und sieht in der Zukunft lauter Wunscherfüllung und Planerreichung. – Leichtsinn ist Trunkenheit. – Bin ich dir vielleicht dunkel? Wohlan! du wirst mich völlig verstehen, wenn ich durch That mit dir rede: die Sprache der Gottheit, auf welche Menschen Anspruch machen, je nachdem sie mehr oder weniger seinem Bilde ähnlich werden. – – Ich bin verbunden, den Geist zu entlassen, der dich bis diesen Augenblick begleitet hat. Der Alte machte einen Kreis in der Luft, in den er den Ritter einschloß, und nun schlug er drei Kreuze auch ins Freie, fiel auf sein Antlitz, küßte dreimal die Erde und sprach: Geist der Geister, der du lebest und regierest von Ewigkeit zu Ewigkeit, dir Lob und Ehre von Zeit zu Zeit, Hallelujah! Ich beschwöre dich, edler Ariel, lieber Getreuer! zum ersten-, ich beschwöre dich zum zweiten- und ich beschwöre dich zum drittenmal, daß du nach drei Minuten dich trennst von dem Menschenkinde, dem du zugeordnet warst Tag und Nacht!

Eine Stille.

[111] Der Ritter fühlte eine Trennung, die ihn äußerst wehmüthig machte –! – So ungefähr wird es dir seyn, sagte der Alte mit sanfter Stimme zum Ritter, indem er ihn bei der Hand nahm, wenn Leib und Seele scheiden. – – Er hauchte ihn an; nnd nun war es dem Ritter wirklich, als wenn eine Hauptkraft von ihm ginge.

Nimm meinen Dank, fuhr der Alte fort, guter Geist, und verzeih ihm alle trübe Stunden, die er dir machte zu Tag und Nacht, und jeden Leichtsinn. Der Ritter, in einer wirklichen Ekstase, reichte dem Geiste die Hand und sagte mit Thränen: Verzeihe!

Bleib sein Freund, setzte der Alte hinzu, und wenn sein Fuß gleitet, wenn seine Seele nahe ist dem Falle, laß sie nicht sinken und verderben! – Wenn dem Schisslein seiner Schicksale der Untergang droht, bedrohe Wind und Meer, daß es stille werde!

Der Ritter streckte wieder seine Hand aus. – Ich bitte, seufzte er.

Und wenn sein Stündlein kommt, und seine letzten drei, neun und zehn Minuten ablaufen, wenn sein Geist sich vom Körper trennt, wie du jetzt von ihm, – geleite ihn durch das finstere Todesthal und bringe ihn zur Stadt Gottes, zum Wasser des Lebens und zum Tische des Herrn, der dich und mich und uns alle lohnen und erfreuen kann von nun an bis in Ewigkeit!

Der Ritter sagte Amen und gab dem Scheidenden zum letztenmale seine Hand.

Nun fiel schnell ein Blitz, der, weil er dem ohnehin äußerst gerührten Ritter so unerwartet und neu war, wie die Entgeisterung ihn heftig erschreckte. – Du bist enthauptet, sagte der Alte, das heißt in unserer Sprache: der Geist hat dich verlassen, der dich geleitete!

Eine Stille.

[112] Der Alte fiel abermals auf sein Antlitz, küßte dreimal die Erde und sprach: Geist der Geister, der du lebest und regierest von Ewigkeit zu Ewigkeit, dir sey Lob und Ehre von Zeit zu Zeit, Halleluja! Bist du gefaßt? fragte ihn jetzt der Alte. Missethäter entfesselt man zu freien Bekenntnissen; Fassung ist Entfesselung der Seele. Bist du gefaßt? – Ich bin es, erwiederte der Ritter. So komm und vertheidige dich gegen deine Ankläger. Hier stieß der Alte mit dem Stabe, und in einem Augenblick befand der Ritter sich, ohne sich aus diesem schwarzen Zimmer zu begeben, in einer Gerichtsstube, wo sechs weiß gekleidete Männer an einem rothen Tische saßen, zu denen sich der Alte als sein Führer gesellte. Es traten wider ihn der Fremdling und der Frager auf, die ihn mit fast noch mehr Ränken ängstigten, als der Seelenhirte den Michael vor dem bestochenen oder verblendeten Richter. Nichts ist einem edlen Menschen unerträglicher, als sich durch halbwahre und gemißdeutete Umstände in die Enge getrieben zu sehen, obgleich bei einer gerechten Sache dem Scheine des Rechts und elenden Sophistereien unterzuliegen, nicht minder ein nagender Schmerz ist. Der entgeisterte Ritter verlor nicht das mindeste von der Fassung eines gerechten Mannes. Man beschuldigte ihn vorzüglich eines verrätherischen Leichtsinns in Rücksicht der ihm vorläufig anvertrauten Ordensumstände, und führte so künstliche und weithergeholte Beweise, daß man im Handwerk, Thatsachen pro und contra zu drehen, Meisterstücke machte. Vor mir Licht, hinter mir finster, war hier, wie in vielen Gerichtsstuben, die Losung; und man verstand, trotz dem geübtesten Richter, die hochlöbliche Taschenspielerei, schwarz und weiß zu künsteln, wie man wollte. Eifert nicht, Subordinationsfeinde, wider Stock und Degen, und wenn man sich ihrer als Beförderer von Treu und Glauben bedient; es gibt Seelentorturen, geistliche Stöcke und Degen. – Sollte es wohl eine Sache in der Welt geben, aus der[113] man nicht juristisch machen könnte, was man wollte? Und jene Wortvorhänge: außer Zweifel setzen, anstatt beweisen; zum Ueberfluß, anstatt: zur höchsten Noch; wer siehet es nicht ein? anstatt: die Sache ist äußerst ungewiß; und so weiter, statt: wehr weiß ich kein lebendiges Wort – welche herrliche Dienste leisten diese Nothhelfer!

Unser Ritter ermannte sich, und sprach: Herren und Richter, wäret ihr etwas anders als Menschen, so müßte ich mich bescheiden, so mit euch zu reden, wie ich reden will. – Ich bin ein Mensch. Ehe ich mich über den Grenzstein dieser Menschenbestimmung durch die väterliche Güte der mir unbekannten Obern dieses Ordensbundes erhoben fühle, vermag ich nicht anders, als menschlich zu denken, zu reden und zu handeln. Findet ihr, daß das Recht auf der Seite meiner Kläger ist, daß ich nicht Anlage habe Geist von eurem Geist, Seele von eurer Seele zu seyn, und daß ich auch zu dem Grade, zu welchem ich erniedrigt bin, nicht genug innern Beruf und Würde besitze, so laßt uns scheiden. Ich gelobe euch, von dem, was ich sah und hörte, nichts zu entdecken, vom Anfange aller Verhandlungen bis auf den gerührten Abschied, den ich vom edlen Ariel, dem lieben Getreuen, nahm, der, wie ich hoffe und wünsche, im Leben und im Sterben, wenn meine Noth am größten ist, mich nicht verlassen wird. – Bis jetzt glaubte ich (warum soll ich es läugnen?), Gottes Geistesvertraute stimmten sich durch Einfalt des Verstandes und des Herzens zu den großen Kenntnissen empor, nach denen meine Seele sich sehnte. Wo ich List und Ränke finde, da suche ich nichts; und wenn diese zwei Denuncianten mich so künstlich bei euch anklagen, so vertheidigt mich mein Herz natürlich: ich bin unschuldig.

Einer der Richter gebot ihm zu schweigen, und hieß ihn und beide Kläger abtreten. Man klingelte dreimal, und der Ritter erhielt den Befehl, seinen vorigen Platz wieder einzunehmen.

[114] Der Muth, mit dem du dich gegen deine beiden Ankläger vertheidigt hast, entscheidet nichts, sagte der Erste des Gerichts; wohl aber der Geist Ariel, der dir in der Stufe nicht gebührt, auf die du dich selbst herabgesetzt hast, ob wir es gleich nicht ungern sehen, daß er dir im Leben und im Sterben, wenn deine Noth am größten wird, beispringe. Sein Zeugniß erklärt dich, wo nicht würdig, so doch nicht unwürdig (ein großer Unterschied!) zur Stufe, zu der man dich vorbereitet. Wir haben zu deiner sittlichen Erziehung und deiner Einsicht das Zutrauen, du werdest dich von selbst bescheiden, nicht weiter, nach deinen von diesem ehrwürdigen Greise entlarvten Gesinnungen, den Orden auf die Probe setzen zu wollen, der dich zu probiren das Recht hat. Du wolltest uns den Krieg in unser eigenes Land spielen, und daran thatest du sehr unrecht.

Wenn ihr nicht bloß strenge, sondern väterliche Richter seyn wollt, antwortete der Ritter, werdet ihr scheel sehen, daß ich so verfahren, wie es unter Menschen Gebrauch ist? Wer uns examinirt, den examiniren auch wir; wer uns erforscht, wird wieder von uns erforscht; und wer fragt, wird gemeinhin, auch ohne daß der Antworter es listig darauf anlegt, zu Antworten gebracht. Auch seyd ihr Männer bei Jahren, und habt, wie ich vermuthe, Schutz- und Hülfsgeister um euch, welche eurer Schwachheit bei aller eurer Seelenstärke, die sich die Jugend nie zueignen kann, aushelfen, und euch da vertreten, wo euer eigenes Vermögen euch aufgibt. Mir ist sogar Ariel genommen, der mich, wie ich glaube, nur bloß beobachtete, ohne mir nach- und fortzuhelfen, ob ich ihm gleich seine Liebe und Güte nie genug verdanken kann. – –

Man eröffnete das Zeugniß des Geistes nicht näher, welches er dem Ritter gegeben; indeß fragte der Erste des Gerichts: Geist Ariel, du bestätigst dein Zeugniß? Ein sanfter Hauch säuselte: Ja!

Dank dir, fing der Ritter an, Dank dir, guter Geist, und [115] immerwährendes Andenken! Nicht also, sprach der Erste der Richter; warum Schmeichelei, die verflucht ist, wenn sie als ein wahrhaft unreines Thier der Gottheit selbst dargebracht wird? Ein Fluch, den der sich selbst anheimgestellte Mensch auf die Gottheit beim Schicksal ausstößt, das ihm, wie er sich überzeugt, unverdient mit der Thür ins Haus fällt, ein Fluch, sag' ich dir, ist der Gottheit angenehmer, wenn er aus ungeheucheltem Herzen ihn ausstößt, als ein Lexikon von ausgesuchten Worten. – Selbst ein Lexikon ausgesuchter Thaten sind ihr ein Greuel, wenn sie nicht rein sind! Sieh, mein Sohn, man kann rein vor Menschen in seiner Tugend seyn; allein man ist es noch nicht vor Gott. – Selbst wer das Gute Gottes wegen thut, ist ihm ein Greuel. – Wer nicht Gutes des Guten wegen thut, ist kein verklärter und vervollkommneter Mensch. – Hat die Furcht nicht Opfer erzeugt, um Gott zu versöhnen? Welch ein Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte, die dem Betruge Thür und Thor öffnete, indem die Priester gewiß mit den besten Stücken sich mästeten! Und was kann der Mensch Gott geben, der alles hat? Welch ein Hocuspocus! Wenn aber Opfer eine Erhebung zu Gott versinnbilden, wenn ihr hoher Sinn in der Aufopferung seiner selbst liegt, wenn der Mensch hierdurch zum Entschlusse gebracht wird, sich selbst zu bekämpfen, und sich das Liebste zu entziehen: was meinst du, Sohn! würdest du Bedenken tragen, noch jetzt zu opfern? Wenn unsere Volksreligion, fern von knechtischer Furcht und Verehrung, bloß einen kindlichen Sinn, Zuneigung und Liebe erforderte, ich opferte heute. Gottlob! nur noch eine einzige Furcht ist geblieben: – jene kindliche, dem himmlischen Vater zu mißfallen. Verstehst du, was du hörest? – Ich verstehe, erwiederte der Ritter, der den Contrast dieser höchsten Moral mit den Ränken seiner Ankläger so wenig ins Reine bringen konnte, daß ihm, er wußte selbst nicht wie, war.

[116] Man hieß ihn abtreten. Es ward dreimal geklingelt, und nun erklärte man ihn in der zweiten Ordnung würdig. Seine Ankläger wurden zu einer dreitägigen Ordensstrafe verurtheilt; und als diese nach der ihnen eröffneten Sentenz aufs neue denuncirten, der Ritter habe Gewehr bei sich, so erwiederte der Erste der Richter: Wir wissen! und nun eine ernstliche Frage an den Ritter: Warum?

Meine Ankläger, erwiederte der Ritter, beweisen die Nothwendigkeit dieses Hülfsmittels, dessen ich mich nie, als nur dann bedienen werde, wenn man der Menschenwürde und dem Menschenrecht in mir zu nahe treten will. – Die Ankläger wurden zur Vollziehung der wider sie erkannten Strafe abgeführt; dem Ritter, welcher zurückbleiben mußte, ward es zur Pflicht gemacht, alles Gewehr abzulegen. Ich habe gesehen, erwiederte er, daß hier Richter sitzen, welche Gaukeleien der Sophisten verachten, und der menschlichen Unschuld (eine höhere kenne ich nicht) Gerechtigkeit erweisen. – Es sey! – Die hohen Begriffe von Tugend, welche der erleuchtete Präsident dieses Gerichts mir mitgetheilt hat, leisten mir Bürgschaft für alles. Beelzebub, der Präsident der Teufel, würde hier sicher seyn! – Jetzt legte er die drei Mordgewehre hin, die er bei sich trug, und plötzlich sah er sich wieder in das schwarze Zimmer gezaubert, in welchem er sich zuvor befunden hatte. Der Alte erschien, und verlangte zu wissen, was der Ritter erwartete. Dieser erklärte sich mit einer Freimüthigkeit, die selbst den größten Frevler hätte entwaffnen müssen; und der Alte schien wirklich ein gutes Geschöpf zu sehn, das seinen Mann kannte, und nichts wider ihn hatte. Du hast viel verloren, fing er an, weil du mit Rückhalten zu uns kamst. Wie glücklich wärest du, wenn du dich von diesen entledigt hättest! – Vater, erwiederte der Ritter, miß mich nicht nach dir. Deine Jahre haben dich die Welt kennen gelehrt, die man nicht anders als durch Erfahrungssammlungen [117] kennen lernt. Kann ein Volk zu dem möglichen Ziele der Vollkommenheit gelangen, ohne zuvor die ganze Schule zu machen? Fängt der Reformator sein Werk mit dem letzten Schritt an, wenn es gleich nicht seine Losung ist, mit Weile zu eilen? Es scheint, jeder Mensch sey dazu bestimmt, erst die Dinge wesentlich kennen zu lernen, ehe er über ihren Werth und Unwerth zu entscheiden vermag. Auch müssen die Leidenschaften ausgähren, ehe der Mensch zu jener Stille und Abgeschiedenheit gelangt, die hoher Tugend eigen zu seyn scheint. Auch glaub' ich nicht, daß Männer eurer Art durch das Unglück anderer ihr Glück machen wollen. Wer dieß zu können denkt, kennt wahrlich weder Glück noch Unglück.

Wir haben uns, versetzte der Alte, an dir geirrt; indeß ziehet dich an uns deine Gutmüthigkeit und der ganze Inbegriff deines Wesens, das du hier (hier hob er seine Stimme) in einem treueren Spiegel erblicken kannst, als alle die waren, die dir deine Gestalt zeigten. – (Hier bemerkt die Handschrift, der Ritter habe sich selbst gesehen, und zwar auf eine so verzerrte und widerliche Weise, daß er betheuern zu können versichert, nicht zu wissen, ob es bloß ein Spiegel, oder ob deine Rauchfigur vor ihm geschimmert; auch ist es ihm vorgekommen, als wäre er zwei Drittel entseelt, und nur ein Flämmchen Geist in ihm.) Das ist eine Seelensilhouette, sagte ihm der Alte, wahrlich nicht so rein und klar, als es jene Gegend war, die man dir in den Vorhöfen des Paradieses in der Entfernung zeigte. Du wirst sehen, viel sehen, alles sehen, allein nicht ohne den Schleier der Hieroglyphen. Du wirst wenig sehen, und viel glauben müssen. Auch versichern dich die Ordensrichter durch mich, daß man wohlbedächtig nicht heute schon deinen Namen auf ewig der Krone des Lebens für unwürdig erklärt hat. Diese Gesinnungen vrrbinden dich, das fühlst du selbst, zum Dank (den wir erlassen) und zur unerläßlichen Erklärung, dich mit dem [118] zu begnügen, was man dir im Verhältniß deiner Aufopferungen zu offenbaren im Stande seyn wird. – Er kehrte den Todtenkopf um, stieß mit seinem Stabe, und es sprang Wasser aus demselben. Der Greis fing eine Handvoll auf, trank, und besprengte mit dem übrigen den Ritter dreimal, den er sich zur Ablegung seiner Gelübde anschicken hieß. Entblöße deinen Arm, sprach er; lege dich mit dem Knöchel deines rechten Ellbogens auf die Offenbarung Johannis, und sprich, wenn du willst und kannst, folgende Worte mir nach:

Ich gelobe bei der Hoffnung der andern Welt, bei dem Troste im Tode, und bei der Barmherzigkeit am letzten Gerichtstage, mich mit dem zu begnügen, was der Orden der Welt Unbekannten, und nur Gott Bekannten, mir nach den Verhältnissen meiner Aufopferungen anvertrauen wird, den Befehlen meiner Obern treu und gehorsam zu seyn, und, bis auf meine Vorbehalte, nicht mir, sondern dem Orden zu leben, ihm zu leiden und ihm zu sterben; auch bei den fernern Offenbarungen desselben, die von mir abzufordernden Gelübde eben so unbedenklich zu leisten, als treu zu beobachten. Wenn ich dieß halte, sey dieß Wasser mir Wasser des Lebens, Gift der Vernichtung, wenn ich es breche! Amen.

Der Ritter sprach diese Worte nach; doch setzte er hinzu: Alles, insoweit es den Pflichten und Rechten des Menschen und der Menschheit nicht entgegen ist; er fing Wasser auf, wie vorhin der Greis, und trank. Der Alte schien über das Postscript verdrießlich; indeß hielt er entweder diese Worte für weniger bedeutend, oder glaubte, das neue Mitglied seines Ordens würde allmählig diese Bedingung aufgeben. Es gibt drei thierische Bedürfnisse, Speise, Trank und Schlaf, welche unser Orden zu heiligen versteht, sagte der Alte und bedeckte das Haupt des Ritters mit einem weißen Tuche. Nach wenigen Schritten riß er ihm die weiße Decke vom Gesicht, und beide befanden sich in einem zwar kleinen, [119] aber geschmackvollen Zimmer, wo bloß Gemüse und zwei Becher standen, in deren einem Wein und in dem andern Wasser war. Der Alte segnete Speise und Trank, und sie aßen aus Einer Schüssel und tranken gemeinschaftlich aus Einem Becher, ohne ein Wort zu sprechen, während dessen sich eine sanfte, das Herz bewegende Vokal-und Instrumentalmusik hören ließ, die zuweilen mit Chorälen aus Kirchengesängen abwechselte. Es gibt eine Sanftheit und Stille, die ausdrucksvoller ist, als geäußerte Empfindungen, welche, so rein sie auch seyn mögen, doch immer angreifen, und sonach nicht natürlich (im höchsten Grade nämlich) seyn können. Die Musik liegt in der Mitte zwischen dem Uebergange von Thierheit und Geist, von geistiger Tugend und Sinnlichkeit; und hier ist es, wie bei allen unteren Seelenkräften, der Fall, wo die Mitte eine Seligkeit(medium tenuere beati) bringt, die dem Menschen äußerst angenehm zu seyn scheint. Der Mensch dünkt sich hier zu Hause; er findet sich so getroffen und in einer so erfreuenden Gemächlichkeit, daß er darüber gern seine hohen Fähigkeiten wo nicht aufgibt, so doch aussetzt. Hier ist gut seyn, fühlt und denkt er. Die Unterhaltung des Alten, dir, wenn die Musik aufhörte, anfing, war eben so Musik, wie die Musik selbst; und ein solches Mahl hatte unser Ritter noch nie gehabt oder gesehen. Auf den Gesichtern ächter Brüder findest du, sagte der Alte, Gesundheit des Leibes und der Seele, Reinheit des Herzens und Seelenruhe (an hohen Festen Seelenwonne) Keinen geheimen Kummer, den nur Gott und der Kummervolle kennt, keinen verbissenen Schmerz von nicht überwundener Welt und allem dem, was in der Welt ist, der an den Herzen derer oft am meisten nagt, die der Welt entgangen sind, findest du hier. – Klöster sind jetzt selten, was sie vielleicht ursprünglich waren: Freiörter gegen Verführungen der Welt. In unserm Bunde findest du nicht Klöster, nicht Weltabsonderung, sondern das Ideal derselben: eine Weltüberwindung, die sich nur empfinden [120] läßt. »Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr und wie wohl denen ist, die auf ihn trauen!« war das Thema dieser Tischreden, die nichts ähnliches mit denen des guten Martin hatten, ob ich gleich unendlich lieber mit Luthern, als mit diesem Alten gegessen und getrunken hätte. Nach der vom Greise gesprochenen Danksagung warf er ein schwarzes Tuch über das Haupt des Ritters und führte ihn in ein grün behängtes Zimmer, wo ein äußerst einfaches Ruhebette stand. Es ist mir angenehm, sagte der Alte, daß ich dich mit einigen unserer Gesetze und Gebräuche bekannt zu machen im Stande bin. Alle Dinge, die bloß körperlich sind, und an denen der Geist keinen eigentlichen Antheil nimmt, werden von uns mit Gebet angefangen und geendigt. In der profanen Welt (außer uns, mein Sohn, ist alles profan, und selbst das, was die Welt das Allerheiligste unter dem Heiligen nennt) wird auch vor und nach Tisch, Abends und Morgens gebetet; doch lernte man diese Gewohnheit von uns, und ohne den Grund dieser Feierlichkeit zu wissen, der, wenn ich so sagen soll, den Leib von der Seele trennt. Die Herrnhuter suchen auch die Sophienleidenschaft (du wirst mich verstehen), da sie sich ihrer nicht so wie wir zu entschlagen wissen, durch Gebet zu beschränken, und erhalten einen Sieg über sie, der sie mit gesunderem und längerem Leben belohnt, als andere, obgleich ihre Tage an die unsrigen nicht reichen. Ich zähle neunzig Jahre, und fühle bei weitem jene Entkräftung nicht, die man in der profanen Welt, wenn's köstlich ist, im fünfzigsten wahrnimmt, wo es Fälle gibt, daß Jünglinge im fünfundzwanzigsten Jahre an Entkräftung sterben und die menschliche Natur wegen dieses zu kurz beschränkten Lebensziels einer Ungerechtigkeit, wiewohl höchst ungerecht, anklagen. Man will zwar, daß die Seelen an den Freuden des Tisches einen wesentlichen Antheil nehmen; allein man irret, und es ist Materialismus, wenn man behauptet, daß Geist und Körper zu gleicher Zeit genießen können. Tischfreuden[121] und Tischfreunde gehören zu Einer Klasse, und man versieht den Pythagoras nicht, wenn man sich an seiner heiligen Diätetik den Kopf stößt. Auf die Bohnenenthaltung konnte es ein Mann, der in der Geometrie Meister war, wahrlich nicht anlegen. Es ist nicht ohne Grund, daß er selbst Bohnen gegessen. Der hohe Sinn seiner Diätetik und aller seiner ächten Schüler und Nachfolger ist: Die Seele dem Körper zu entziehen, und ja nicht sich einzubilden, daß man durch Wein und Kaffee begeistert und zum ächten Arbeiten vorbereitet werde. Wein und Kaffee, und alle jene geistberauschenden Getränke schwächen den Geist mehr, als daß sie ihn stärken. Glaube, Sohn! unsere Vorbereitungen, so besonders du sie finden wirst, führen so sehr zum Zweck, wie alles, was bloß den Körper angeht, jenem Zweck entgegen ist. Die Bildersprache unserer Dichter, und selbst unserer Propheten, wodurch sie dem Fassungsvermögen der sinnlichen Menschen auf dem halben Wege zu Hülfe kommen wollen, hat viel Schuld an allem, und besonders an diesem Aberglauben. Ambrosia und Nektar, die schönen Diners und Soupers mit Abraham, Isaak und Jakob, und das große Abendmahl haben, ob sie gleich nichts mehr als wahre Schaubrode sind, mehr Schaden gethan, als man glauben sollte; und alles Uebel, das in der Welt geschah, begann bei der Tafel, oder kräftigte und gründete sich hier, oder ward hier vollbracht. – Die Köche in unserm Orden sind unsere Aerzte; und so lange diese beiden Geschäfte, Küche und Laboratorium, nicht eins und dasselbe werden, was ist von dem menschlichen Wohlbefinden zu erwarten? Pythagoras war kein Weinverfolger; aber er verfolgte die Unmäßigkeit. Honig und Früchte und Pflanzenreich waren hinreichend, ihn zu befriedigen; doch gab es auch unter seinen Schülern Klassen, die an mehr oder weniger strenge Diät gebunden waren. Genug für jetzt! – Siehe selbst diese Unterhaltung als eine Ueberwindung [122] des Bedürfnisses an; sie hielt dich vom Schlaf ab, dessen du bedarfst. Hier sprach der Alte einen Segen und entfernte sich.

Obgleich dem Ritter so viel in Kreuz und Quer durch den Kopf ging, so wirkte doch Gebet und Segen dieses Neunzigjährigen so viel, daß er den Augenblick, da der Alte das Schlafgemach verließ, so fest einschlief, daß er bemerkt, nie in seinem ganzen Leben so vortrefflich und so in einem Stück geschlafen zu haben. Beim Erwachen wußte der Ritter nicht, wie lange er geschlafen, wohl aber, daß er froh, heiter war und völlig ausgeschlafen hatte. Menschen, sagte ihm der Alte, die nach der Uhr schlafen, fünf oder sieben Stunden, wissen nicht, was sie thun. Iß, so lange dich hungert, trink, so lange du durstig bist, und sey kein Fünf- oder Siebenschläfer, sondern schlaf so lange, bis du ausgeschlafen hast; – das heißt bei mäßigen Menschen: so lange, bis du aufwachst. – Das besonderste war, daß in dem Augenblicke, da ihn der Schlaf verließ, und nicht früher und nicht später, der Greis wieder bei ihm stand, und diese Körpersache oder Leibesübung mit Gebet beschloß. Der Ausdruck: Morgensegen, war hier confiscirt. Noch, fing er an, ist uns eine Aehrenlese bei dieser Vorbereitung übrig, die ich nicht eher anfangen werde, als bis du dich gesammelt, und alles bei und in dir selbst wiederholt haben wirst, was du hier erfahren hast.

Nach geraumer Zeit (der Ritter wußte nichts von Tagen und Stunden) erschien der Greis wieder und fing an wie folgt: Man sagt im gemeinen Leben, daß an jedem Gerüchte, es sey so gut oder so arg als es wolle, etwas wahr sey, und man sagt die Wahrheit. Auch du wirst in manchem, was du in unserm Orden lernst, etwas bekanntes finden, doch so entstellt, wie das göttliche Ebenbild in uns. Im Wunderdoctor, im Schlangenfresser, im Gespenstercitirer, in Faust's Höllenzwang; in der Clavicula Salomonis, in derTheosophia pneumatica oder der sogenannten [123] Heiligengeistkunst, in der Skiamantie (Schattenwahrfagung, wo man die Schatten der Verstorbenen beschwört, zu erscheinen und künftige Dinge zu prophezeien), bei Hexereien, Irrwischen, wilden oder fliegenden Heeren oder Jägern, in der Nekromantie (Leichenbeschauung), Pyromantie (Wahrsagung aus dem Feuer, woraus die Kunst, das Feuer zu besprechen, abzuleiten, Aeromantie (Wetterkunde), Hydromantie, aus dem Wasser, Geomantie, aus der Erde, Chiromantie, aus der Hand wahrsagen zu können, sind mehr oder weniger Spuren von Wahrheit. Hast du nie von Priesterinnen des Alterthums gehört, die in heilige Haine gingen und auf das Gesäusel des prophetischen Baums Acht gaben, welche die Blättersprache, das Lachen und Wimmern der sich bewegenden Aeste verstanden, und hier jede Veränderung des Tons bemerkten, um des Orakels bedürftige Menschen zu lehren, zu warnen und aufzumuntern? Ueberall Licht, nur nicht das volle! Ueberall Wahrheit, nur mit Hieroglyphen bekleidet! – Wer die Sprache der Natur versteht, spricht mit Gott, und diese Sprachlehre – doch die Hand von der Tafel! Den alten Mythologien liegt ein Schatz guter Kenntnisse zum Grunde; und wenn Profane und Schulmänner sich begnügen, den Tapis derselben auswendig zu lernen, so verfehlen sie den tiefen Geist der Deutung fast unglücklicher als eine blinde Henne, die doch zuweilen ein Korn findet. In wieviel Dingen wird die heilige Zahl Drei entehrt, obgleich Dreifuß, Dreieck bis auf Dreieinigkeit Dinge sind, die mehr Aufschlüsse geben, als ich dir zu entdecken vermag. Die beliebte Figur Dreieck ist von allen Figuren bis zu Ecken ins Unendliche die erste Figur, die etwas einschließt. Ohne drei gerade Linien wenigstens wird kein Raum eingeschlossen. – Die meisten Erzählungen von Wechselbälgen, die du mit Recht unter die Aprilmährchen gezählt hast, enthalten Stoff der Wahrheit, und die Welt wäre nicht mehr, wenn nicht auf unbekannte Weise Kinder in der Geburt vertauscht würden, um die [124] Absichten der Vorsehung, die so wie wir im Stillen wirkt, auszurichten. Die Kunst, in sieben Tagen alle Krankheiten zu heilen, das Leben zu verlängern, die Wesen, welche in den Elementen sich befinden, zu personificiren, wahre Gotteserkenntniß, Mitwaltung und Regierung bis an ein Ziel, das sich Gott vorbehalten hat, die Kunst sich zu verjüngen und wieder zu gebären: alles sind Dinge, über welche du in der profanen Welt, so wie über Dr. Faust's Mantel und den Landtag auf dem Brocken in der Walpurgisnacht reden und lachen gehört haben wirst, und doch liegt in diesem nonsensikalischen Geschwätz, in diesem Galimathias Wahrheitsanlage, wozu den meisten Menschen die Erklärungen fehlen. Goldmachen, Universalmedicin, Zubereitung des Tranks der Unsterblichkeit: – o mein Sohn! mein Sohn! – Doch ich präambulire, ohne daß du das Textlied hören kannst. – Laß mich abbrechen, um dich eigenen Betrachtungen zu überlassen. – Wenn dieß Aehren sind, dachte der Ritter, was soll man von der Ernte denken? Der Magus dachte noch an Michaeln und versprach, daß wenn gleich die Anzahl ihrer Ordensmitglieder sehr eingeschränkt wäre, derselbe doch zu Licht und Leben gelangen sollte. Siehe da, mein Sohn, beschloß der Alte, das Ganze deiner Vorbereitung ist ein Bild der Ewigkeit. Du weißt nichts von Tag und Nacht, von Stunden und Minuten, und nur, wenn du aus meinen Händen kommst, wird sich wieder jener alltägliche Gang bei dir einstellen, den zwar die Sonne und der Mond einzuführen scheinen, der aber Geister und Menschen, die sich Geistern nähern, nicht bindet. Hungert dich, so dürstet dich auch. Wir trinken nie, wenn wir nicht auch essen, und wir essen nie, wenn wir nicht zugleich trinken. Beides thun wir auf einmal. Der Bauch ist nicht unser Gott; unsere Mahlzeiten währen nie länger als nöthig ist. – Es erfolgte wieder eine Mahlzeit, ebenso wie die beschriebene, und ein Schlafmahl, wie der Greis es nannte. (Alles hieß Mahl, was den Körper [125] vorzüglich anging.) Laßt uns mit Danksagung genießen, war die Antwort eines methodistischen Ehemanns am Brautmorgen auf die Frage: wie er sich in seinem neuen Stande befände? – Der Ritter schlief ebenso erquickend wie zum erstenmale, und der Greis hielt wieder die Minute seines Aufwachens. Nachdem er das Schlafmahl beschlossen hatte, sagte er ihm: Vergiß nicht, was du sahest und hörtest, und wenn dir unerklärliche Schwierigkeiten aufstoßen, so bedenke, daß du ein Mensch zwar berufen, aber nur zum zweiten Grade erwählt bist. Junge Leute von Fä higkeiten haben den Fehler, über Dinge abzusprechen, die oft das Nachdenken eines ganzen Lebens verdienen; allein sie sind es, die den ehrwürdigen Namen: Genie und Geist verdächtig machen und Schade um ihn! In allem ist Geist. Den Geist einer Sache kennen, heißt ihre Bestimmung umfassen. Nicht immer ist die Behauptung wahr, doch zuweilen. Je ungeheurer der Block, desto besser der Merkur; je wildfremder das Bild, desto ergötzender dem Kenner; je kühner die Idee, desto umfassender für den Nachdenker. Die welche lehren: der Schlüssel zu den alten Mysterien sey, die Menschen zu vergöttlichen und nicht das Volk, sondern den edlern Theil desselben mit dieser Idee bekannt zu machen, – waren nicht auf unrechtem Wege. Die Veredlung der Menschen, wenn nicht aller, so doch der Heroen, der zu Halbgöttern Erkornen – ist ein hohes Ziel! – Der Ritter war

118. Verlegen
§. 118.
verlegen,

was er antworten sollte. Er hatte geglaubt, nach so besondern Situationen, in die er gesetzt worden, Belehrungen, die ihnen mehr angemessen wären, einzuernten; und doch schien er, nach der Rede des Alten, am Ende dieses Akts zu seyn. Da indeß vieles, was mit ihm vorgegangen war, ihm nicht natürlich erklärt werden zu [126] köunen dünkte, da seine Einbildungskraft wie gewöhnlich den Meister über ihn spielte, und da der Alte wirklich Ideen fallen ließ, die zum Nachdenken brachten, so wollte er nicht, nach Art junger Leute von Fähigkeiten, die den Fehler haben, über Dinge abzusprechen, über den Ordensbund abdenken, dem sich zu widmen er jetzt fester als je sich entschloß. Kaum hatte er sich von allen fremdartigen Gedanken gesammelt, so war er nach dem Dank, den er dem Alten erstattete, dreist genug ihn zu fragen: ob ihm zu fragen erlaubt sey?Drei Fragen, erwiederte ihm der Alte, sind dir am Ende dieser Vorbereitung gestattet. Bei der zum ersten Grade wärest du zu neun berechtigt gewesen. Auch dient dir zur Nachricht, daß diese drei dir bewilligten Fragen nicht den Geist, sondern den Körper, nicht das Wesen, sondern die Form des Ordens betreffen dürfen. Auch mußt du diese Fragen aus dem Herzen und ohne Vorbereitung thun und höchstens sind zu jeder dieser Fragen dir drei Minuten Bedenkzeit erlaubt. Unser Ritter war mit seinen

119. Drei Fragen
§. 119.
drei Fragen

in drei Minuten zu Stande. Ob es schnöde Linsengerichte sind, wodurch er seine Erstgeburt verkaufte, ist die Frage, die ich meiner Leserwelt überhaupt, insbesondere aber den Leserinnen anheim gebe. Die

120. Erste Frage
§. 120.
erste Frage:

Ist der Orden mit andern zu einem einzigen Grundzweck verbunden? Mit allen Orden, erwiederte der Greis, ohne eine einzige Minute Bedenkzeit, mit allen Orden, die man geheim nennt, ist er soweit in Verbindung, daß er sie alle kennt bis auf die Ritualien zu, in Hinsicht des Aeußern diese Orden besitzt, und das [127] Materiale derselben in seinen Zweck einzulenken sucht, wenn gleich so mancher dem Grundprincip unserer Verbindung geradenwegs entgegen ist. So lenkt die Vorsehung, mein Sohn, fügte der Alte mit Händefalten und einer andächtigen Miene hinzu, alles Böse zum Guten und alle Versuchungen zu einem Ende, daß der Versuchte sie ertragen kann und das Ganze einen reinen Gewinn zieht. Die Philosophen (nicht die Sokratiker, Platoniker, Pythagoräer und noch andere) zerbrechen sich den Kopf über ein Grundprincip in ihren Wissenschaften, wodurch sie alle Aufgaben derselben haben: es sind Deisten in besonderm Sinne; wir sind für eine Dreieinigkeit des Zwecks, die sich zuletzt doch in eine Einheit auflöst. Auf die

121. Zweite Frage
§. 121.
zweite Frage:

ob und wie weit die Obern des Ordens den Schülern seiner Geheimnisse bekannt oder unbekannt wären? erwiederte der Alte: bekannt und unbekannt. Der erste bekannte Ordensobere wer ist es? Der da ist, der da war und der da seyn wird; den wir, wie das jüdische Volk, nicht nennen; der, sobald Er genannt wird, einen Theil seiner Erhabenheit und seines unerforschlichen Wesens zu verlieren scheint. Nur in der Geisterwelt kann Er bezeichnet werden. Namen sind Körper der profanen Welt halber, ihretwegen sprechen wir von Gottes Wesen und Eigenschaften. – Außer dieser Thalpredigt wartet deiner eine Bergpredigt, und er, der da ist und der da war und der da seyn wird, Er, der in dir angefangen hat das gute Werk, wolle es durch seinen heiligen Geist in dir bestätigen und vollführen bis in Ewigkeit! Halleluja! Die göttlichen Eigenschaften sind ein Dieterich, womit eine Art von Gottesgelehrten, die Gott vielleicht am wenigsten kennen mögen, alle Geheimnisse aufschließen. – Gott ist gerecht, also muß er – Gott ist weise, also muß er – Gott ist gütig, also muß er – Und was muß [128] er? Nicht was Er will, sondern was diese Art von Gottesgelehrten will. – Mit ihren Küstern werden die Herren so leicht nicht fertig, wie mit dem göttlichen Wesen. In ihren Gebeten entblöden sie sich nicht, ihm Instruktionen, Fingerzeige, Rathschläge und dergleichen zu ertheilen. – O, der Thoren und trägen Herzen, die vergessen können, daß Gottes Wege nicht unsere Wege und seine Gedanken nicht unsere Gedanken sind!

Auch gibt es Obere, die von Körpern entkleidet gern die begleiten, welche ererben sollen die Seligkeit, und deren sind neun. Es sind Menschen Gottes und wenn du willst Gottmenschen, durch die das Werk des Herrn sichtbarlich auf Erden getrieben wird. Die Frage liegt dem Wesen des Ordens zu nahe, als daß ich mehr sagen könnte, ohne verrathen zu werden. Ich schweige und bete an, das heißt, ich bin nicht im Stande, was ich empfinde und denke, durch Worte zu entwürdigen. Die

122. Dritte Frage
§. 122.
dritte Frage

betraf die Zahl der Stufen des Ordens. Der Greis beantwortete sie in der Art der Orakel, die mehr nehmen als geben. Es sind deren viele und wenige, sagte er; es hat sogar unter uns Ordensmänner gegeben, die in unsern Verbindungen nur die Bestätigung selbsteigener Kenntnisse suchten und sie fanden, zu denen indeß weder du noch dein Begleiter gehört. Jetzt Amen, mein Sohn.

Dem Ritter wurden die Augen verbunden, und er in die Kreuz und Quer geleitet. Diese gemachten Wege kamen ihm wenigstens so lang als eine Meile vor. – Jetzt nahm man ihm die Binde ab, gab ihm eine Leuchte und ließ ihn die nämlichen Stufen hinabsteigen, die er bei seinem Eintritt hinaufgestiegen war, bis er endlich an die Oeffnung kam, durch welche ihn nicht eine Diebs-, sondern eine heilige Leiter, etwa nach Art derjenigen, die dem Erzvater [129] Jakob im Traume erschien, wo die Engel auf- und abstiegen, auf Gottes gewöhnlichen Erdboden absetzte. Nicht überall, sondern nur da, wo es nichts zu steigen gab, begleitete ihn der Alte. – Gewiß wußt' er Richtsteige; und sind diese einem neunzigjährigen Greise zu verdenken? An der Oeffnung fand er ihn wieder. – Lebe wohl, Sohn, sagte er zu ihm, empfange den Gegen des Hierophanten, dessen ehrwürdiges Geschäft es ist, Menschen zu vergöttlichen und zu Mysterien einzuweihen! Wenn manches, was ich dir sagte, Knospen ansetzt, so pflege und nähre sie! Konx ompax! – Unten findest du einen Wegweiser! – Wo ist Eldorado? dachte der Ritter da er mittelst der Jakobsleiter sich auf der Erde befand, und unentschlossen blieb, ob er den Tag abwarten oder sogleich seinen Wanderstab weiter setzen sollte. Es war dicke Nacht. Den Wink wegen des Wegweisers hatte er nicht verstanden. Wo ist Eldorado, oben oder unten? dachte der Ritter unablässig, und wußte in der That nicht, ob er sich Glück wünschen oder es beklagen sollte, so und nicht anders aus den Händen der Bekannten und Unbekannten, Obern und Untern gekommen zu seyn. So stark sein Hang zum Wunderbaren auch war und bis diesen Augenblick sich erhielt, so gereuten ihn doch seine Reservate keinen Augenblick. Sophie, Mutter und Rosenthal lebten in ihm und dünkten ihm wichtig genug, das Opfer der allervorzüglichsten Stufe reichlich aufzuwiegen. Auch war es ihm schwer, sich zu überzeugen, daß diese heilige Zahl von Vorbehalten ihn zum wichtigsten aller Grade untüchtig zu machen im Stande seyn könnte. Vielleicht, dachte er, suchte man diese Gelegenheit, um mir den urersten aller Grade zu entziehen? Viel leicht legten es alle jene Versucher darauf an, von deren Bemühungen man wegen meiner Vorbehalte keinen Gebrauch zu machen nöthig fand. Die dreitägige Ordensstrafe schien dem Ritter ein Spielgefecht. Auch fing er an, zu glauben, daß der Ordensvertraute selbst seine Osterbeichte nicht für sich, sondern [130] für diesen Orden der Orden aufgefangen hätte. Warum alle diese Winkelzüge? dachte der Ritter, wozu er indeß den lehrreichen Besuch des Seelsorgers nicht rechnete. – In diesen Betrachtungen vertieft, nahm ihn ein Wegweiser, ohne ein Wort zu sagen, bei der Hand. Ohne Zweifel führte dieser ihn nicht ohne viele Umwege ins Freie, wo er ihm mit der Hand den Weg zeigte. Alle gute Geister loben Gott den Herrn! sagte der Ritter. Der Wegweiser blieb den Dank auf diesen Geistergruß schuldig und schien überhaupt so wenig Lust zum Reden zu haben, daß er weder zu sprechen anfing, noch auf die Fragen des Ritters ein lebendiges Wort erwiederte. Desto weniger Hindernisse fand der Ritter, jene Betrachtungen fortzusetzen, bis er in – – in sein voriges

123. Quartier
§. 123.
Quartier

kam, wo er den angeblichen Vetter Reitknecht mit dem Seelsorger in heftigem Zanke traf. Letzter bestand auf die Auslieferung der Sachen seines Herrn; der Reitknecht widersetzte sich dieser Ungerechtigkeit. In dem Augenblick, als der Ritter erschien, verschwand der Seelsorger, und auf die Frage nach Michael, erfolgte die dem Ritter unerklärliche Antwort: er sey nach Urtheil und Recht gefänglich eingezogen. Nichts war dem Ritter dringender als Michael, der ihm so treu diente, wieder zu dienen. Ob es klüger wäre, den Seelsorger festzuhalten und ihn, da er mit so vielen Zeichen einer ungerechten That sich entfernte, einzuholen, kam ihm nicht ein. Sein edles Herz, wie es der gewöhnliche Fall bei Männern dieser Art ist, überwand die Ueberlegung; spornstreichs lief er ins

124. Gefängniß
[131]
§. 124.
Gefängniß,

wo Michael eben, nach Urtheil und Recht, vierzig weniger Eins erhalten sollte, weil er nicht die von seinem Herrn ihm behändigte geheime Instruktion ausliefern wollte. Die Scene zwischen Damon und Pythias der alten Zeit konnte nicht rührender seyn, als zwischen Ritter und Begleiter. Dionysius verurtheilte, kraft der magischen Formel: car tel est notre bon plaisir, den Damon zum Tode und setzte den Executionstag an. Damon erbat sich vom Tyrannen nicht das Leben, sondern die Erlaubniß, seine Eltern zu trösten und ihren Segen zu seinem Tode einzuholen. Pythias, sein Freund, ward Bürge für seine Rückkehr, und wollte, da Damon etwas über die Zeit verzog, für seinen Freund nicht nur sterben, sondern gern sterben. Der Tyrann und alle Welt hatten nach der höchsten Wahrscheinlichkeit herausgebracht, Damon würde nie zurückkommen; und Damon erschien. – So Michael und sein Herr. Beim Richter erkundigte sich der Ritter nach den Entscheidung gründen dieses ihm unerklärlichen Urtheils, welches ihm, gegen Gebühr, in beweisender Form behändigt ward. Erstaunt über die kunstreichen Wendungen, welche der Seelsorger dieser Sache beizulegen gewußt, hatte der Ritter von Glück zu sagen, daß der Richter ihn nicht wegen grober Injurien gegen sein hohes Amt in Anspruch nahm, und daß er die herablassende Güte hatte, der beeidigten Aussage seines Wirths, er sey wirklich Michaels Herr, zu glauben. Denn über diesen Umstand hat der Richter nicht umhin gekonnt, dem Gastwirth einen Bescheinigungseid zur Pflicht zu machen, von Rechtswegen. Ist die Feinheit der Justiz nicht zu bewundern, wenn sie sich beweisen läßt, daß mein Ich nicht ein anderes Ich, als mein Ich selbst ist? Unfehlbar würde der Wirth, der auch ein Beichtkind des entwichenen Seelsorgers zu seyn schien, so leicht [132] nicht zu diesem Geständnisse zu bringen gewesen seyn, wenn der Flüchtling bei Fassung geblieben und durch die unerwartete Ankunft des Ritters nicht überrascht worden wäre. Der Seelsorger mochte sich überredet haben, der Ritter würde sich zum ersten aller Grade im ersten aller Orden vorbereiten lassen; und da er den Zeitmesser zu dieser und zur Vorbereitung des zweiten Abschnittes vom Orden aller Orden kannte, so war sein Rechnungsfehler natürlich. – Vielleicht glaubten die Herren von der Höhle, unser Ritter würde, so wie junge Leute bei dergleichen Aufnahme gewöhnlich pflegen, allem entsagen und sich nichts vorbehalten. Auf diesen höchst wahrscheinlichen Fall gab man (so kommt es mir vor) dem Welt- und Geistlichen Aufträge, Dinge auszumitteln, die den Ritter, der überstandenen Vorbereitung zu Nummer Eins ungeachtet, doch zur wirklichen Theilnahme an diesem Grade unwürdig erklären konnten. Daß die höheren Obern sieben, neun und zehn Ursachen hatten, sich nicht mit dem ersten Grade zu übereilen, und daß sie sich herzlich freuten, zu dieser Zurückhaltung ob der Reservate so scheingerecht verpflichtet zu seyn, ist aus sieben, neun und zehn Umständen mit vieler Sicherheit zu schließen. Ritter und Begleiter eilten in ihr Quartier, forderten ihre Rechnung (in welcher der Gastwirth wohlbedächtig auch das abgelegte Zeugniß mit zwei Thalern aufgeführt hatte) und waren eben im Begriff diesen Ort zu verlassen, als der Ritter Befehl erhielt, noch auf nähere Verhaltungswinke zur Abreise zu warten. Dieß veranlaßt eine

125. Verlängerung
§. 125.
Verlängerung

der Berechnung und des Aufenthalts, nicht minder eine Unterredung, die ich kurz fassen will. Der Ritter eröffnete, insoweit er dazu die Erlaubniß hatte, seinem Schildknappen etwas von den Ordensaussichten,[133] und fand ihn geneigter, als man denken sollte, die harten Begegnungen des Seelsorgers zu verzeihen und die Angst über die Vierzig weniger Eins in christliche Vergessenheit zu stellen. Nach einem gründlichen pro und contra glaubten beide Aspiranten, daß so wie die andere Welt sich auf die gegenwärtige gründe, dort auch, so wie hier Gute und Böse seyn müßten, Engel und Unengel, auch wohl gar Teufel. Ist es Wunder, fragten sie einander, wenn es an beiden Orten in die Kreuz und in die Quer geht? Und mag es, falls nur das Ende das Werk krönt! Vorbereitungsproben dieser Art sind vielleicht nöthiger als man denkt, um Glieder zu wählen, die sich nicht von jedem Winde hin- und herwehen lassen. Nicht gegen den Gerechten und Edlen, gegen den Unedlen und Ungerechten ist auf Sicherheit zu denken; und den Menschen auch von minder empfehlenden Seiten, und selbst von den widerlichsten kennen lernen – hat das nicht sein Gutes?

Endlich versicherte der Ritter den Knappen, daß der Seelsorger wenn man die Sache auf Urtheil und Recht aussetzen wollte, schwerlich ohne dreitägige Ordensstrafe abkommen würde. Aber, was soll das? fügte er hinzu. Ich bin nicht für Strafen, sie mögen Ernst oder Spiel seyn. – Auch können Hergänge dieser Art (Schein betrügt) Hieroglyphen zu wichtigen Aufschlüssen enthalten. Wahrlich, Umstände, die zur Noth dienten, das Unerklärliche der zeitherigen Verfahrungsart aus dem Unreinen heraus – ob aber ins Reine zu bringen? daran zweifle ich. Am Ende blieb der Seelsorger ihnen beiden eine fast zu starke Hieroglyphe. Seine Arglist gewann noch einen größern Grad der Stärke, als Michael hinging, um seinem Herrn die Instruction, die er vergraben und derentwegen so nahe an Vierzig weniger Eins gediehen war, unerbrochen vorzuzeigen; und stehe da! sie war nicht mehr.

Ich bin verloren, schrie Michael; – die Instruction!

Die Instruction?

[134] Ist geraubt, und das Kreuz unversehrt.

Das Kreuz?

Das ich zur Salvegarde für jeden Frevler und für mich zum Zeichen des Wiederfindens aufgestellt hatte.

Warum ein Kreuz und nicht ein minder auffallendes Merkmal? sagte der Ritter; und Michael dachte: Weil ich keins kenne, wodurch Seelsorger und Teufel selbst mehr in Respect zu setzen sind, – als ein

126. Ordensrescript
§. 126.
Ordensrescript

sie unterbrach, das freilich mehr, allein nicht alle Nebel zerstreute. Der Inhalt? Die Vorgänge zwischen Seelsorger und Begleiter wären die eigentlichen Prüfungen, welche letzterer als dienender Bruder des Ordens übernehmen müssen, und von jetzt an sey der Ritter berechtigt, ihm ohne Rücksicht alles mitzutheilen, was er selbst erlitten hätte, wenn der Begleiter den beigelegten Eid abgelegt haben würde. Wegen einiger zu weit getriebener Umstände wäre der Seelsorger brüderlich verwiesen. Die Instruction, welche der Begleiter vergraben, erfolge zwar unerbrochen; indeß enthalte der beigelegte Zettel den wörtlichen Inhalt, zum Beweise, daß der Orden weder List noch Gewaltsmaschinen nöthig habe, um hinter Geheimnisse zu kommen. Dem Ritter ward aufgegeben, Original und authentische Copie sogleich, nachdem er beide Stücke collationirt hätte, zu verbrennen. Der Orden wüßte das Mißtrauen des Ritters, und er möchte sich wohl prüfen, ob er beim Verbrennen des Originals, und der Abschrift, mit Geist, Herz und Munde in Michaels Gegenwart sagen könnte: Laß uns gestehen, daß wir uns irrten, und Gott bitten, daß uns das Licht der Erkenntniß in dem Grade aufgehe, als unsre Worte wahr und [135] wahrhaftig, Ja und Amen sind! – Diese Ceremonie sollte in – den – wenn zur Kirche geläutet würde (vor sich gehen; und nach neun Stunden von diesem Brandopfer, worüber man vom Ritter ein förmlich abgehaltenes Protokoll erwarte) sollten Ritter und Begleiter nach – abgehen, und dort den Mann, der sie nach sieben Stunden, von ihrer Ankunft an gerechnet, besuchen würde, um die ersten Aufnahmen bitten. Uebrigens erklärten die Obern, die sehr genau wüßten, was über den Bund gedacht und gesagt würde, der natürlichen Herzenshärtigkeit der Menschen halber, zwar Gedanken für zollfrei; für jedes vorwitzige, dem Orden zu nahe tretende Wort, bliebe der Bundesgenosse dem Orden indeß verhaftet in Zeit und Ewigkeit! – Die Anordnungen dieses Recepts wurden pünktlich erfüllt; indeß schien die

127. Lage
§. 127.
Lage

unserer Aspiranten bedenklicher als sie war. – Wenn man eine geraume Zeit über eine Sache sein Herz zu öffnen das Recht hat, über die mittelst höchsten Rescripts auf einmal kein Laut weiter sich hören lassen soll – ist das nicht Tyrannei? Was wollte das Ordensrescript? Kein vorwitziges Wort! Deren hatten unsere Aspiranten sich nicht zu Schulden kommen lassen. – Dergleichen Rescript, sonst nichts, hätte sie zum Vorwitz bringen können. – Ein Erbfehler aller Rescripte! Halbverbissene Worte, Exclamationen – thun sie nicht unendlich mehr Schaden, als weite und breite Toleranz, wo bei jedem Proisten sich schon einContra ist findet, so daß das Ding unentschieden bleibt, das bei Verbotsrescripten sich den Augenblick entscheidet. – Was heißt vorwitzig? fragte Michael. Deine Frage, Michael, ist vorwitzig, erwiederte der Ritter, und das Rescript ward nach väterlicher Weise der [136] Rescriptnehmer reponirt. – Wahrlich das beste, es in Frieden ruhen zu lassen. – Genau nach

128. Sieben Stunden
§. 128.
sieben Stunden

fand sich der Herold des Ordens ein, dem Aeußeren nach so bettlerhaftig, daß der Begleiter ihn nicht zum Ritter lassen, sondern ihn mit einem Scherflein abfertigen wollte. Auch der Ritter war weit geneigter, ihm ein Almosen anzubieten, als in ihm den Herold des Bundes zu erkennen. Ich verdenke es ihnen nicht, sagte der Ankömmling, daß sie mich verkennen; doch verkennen sie mich wirklich? Bettle ich nicht um ihr Zutrauen? Der Begleiter war im Begriff, ihn um Vergebung zu bitten und er kam ihm zuvor. Warum das? sagte der Conductor, indem er den Novizen bei der Hand nahm; man verschließt mir eine profane Thür, und ich komme eine heilige zu öffnen. Die

129. Ueberschwänglichkeit
§. 129.
Ueberschwänglichkeit

der Zweige des Ordens aller Orden, und die Ueberschwänglichkeit der Luft und Liebe der Aspiranten, gab zu vielen und häufigen Beförderungen Gelegenheit, die Ritter und Knappe erstiegen. Versteht sich, in der zweiten Ordnung, zu der sich Michael eben so herzlich als sein Herr bekannte, da Sophiens Begleiterin ihm das Gelübde einer überkeuschen Keuschheit eben so unmöglich machte. Die meisten dieser Ordenszweige der zweiten Ordnung und ihre Stufen paßten so wenig auf die allgemeine und die nachherige besondere Vorbereitung, daß man gar nicht zu begreifen im Stande war, wie eins zum andern käme. Auch hingen diese Zweige und ihre [137] Grabe unter sich nicht im mindesten zusammen. Das muß ein Vorsehungskopf seyn, sagte der Ritter, der aus so vielen disparaten Bestandtheilen ein Ganzes zusammen zu bringen, Macht und Weisheit hat! War das vorwitzig? Diese

130. Unübereinstimmung
§. 130.
Unübereinstimmung

sowohl als die Schleier, welche über verschiedene dieser Zweige und Grade (einige der Grade schienen förmliche, für sich bestehende Orden) in meinen Nachrichten geworfen sind, bestimmen mich eben so sehr, als sie mich zwingen, nur etwas von dem Vielen mitzutheilen. Für den größten Theil meiner Leser gewiß zu viel; vielleicht aber für den größern Theil meiner Leserinnen zu wenig. – Ein dergleichen Grad, der den Namen eines besondern Ordens verdiente, war der Obermeistergrad, wie ihn Brüder nannten, die zwar andere Weihen schon erhalten, zu dieser Oberweihe indeß noch nicht gediehen waren. Diese Ordens-Oberstufe war unserm Ritter äußerst angemessen: kein Wunder, daß ihre Beschreibung vorzüglich weitläufig ausfiel. – Zum Glück fanden sich auch nur wenige Stellen verhangen. – Auch schickt sie sich zur gegenwärtigen Geschichte so auffallend, daß man in Versuchung gerathen könnte, zu behaupten, sie sey für sie gemacht.

Die zeitherigen Vorbereitungen waren nichts mehr nichts weniger als Vorreden gewesen. Dieser Grad sollte mit sieben Vorhandlungen anfangen, wovon ich meinen Lesern Rede und Antwort schuldig bin. Die erste

131. Vorhandlung
[138] §. 131.
Vorhandlung.

Geschichtserzählung.


Sie behaupten, ich wäre weniger heiter als sonst; Sie irren nicht. Der Zufall hat mich vor einigen Tagen mit einem menschlichen Wesen bekannt gemacht, für das ich alles empfinde, was menschliche Seelen zu fühlen fähig sind. Auf meinem gewöhnlichen Spaziergang in die Gegend, die Sie kennen, und die weniger besucht wird als ihre Lage verdient, ließ ich auch meine Seele frische Luft schöpfen, und sie von des Tages Last und Hitze sich erholen. Wahrlich, herrlichen Gegenden geht es nicht besser als herrlichen Menschen: man verkennt sie. Schon sah ich mein sogenanntes Lustschloß, und war an die schöne Stelle gekommen, wo ein Bach sich schlängelt, und mit einem mit kleinem Gebüsch bewachsenen Hügel einen reizenden Busen macht, als ich durch das Gebüsch sich etwas bewegen hörte. – Ich hörte nicht bloß, ich sah ein Wesen, das mir Aehnlichkeit mit einer menschlichen Figur zu haben schien. Noch weiß ich nicht, was mich so schnell und unwiderstehlich zu dem Orte hinzog, der, so einsam er auch ist, sich doch nicht vernachlässigt. – Ich war weit genug vorgedrungen, um meinen Gegenstand ganz eigentlich zu erkennen. – Es war eine männliche Figur, die sich unter das Gebüsch der Länge nach hingestreckt hatte. Es schien nicht, daß dieser Ort von ihm erwählt war, um die Kühle des Schattens zu genießen; er war den Strahlen der Sonne völlig ausgesetzt. Schon mehrmal habe ich bemerkt, daß Menschen mit Menschen unzufrieden, wenn sie zu einem gewissen Grade der Menschenfeindschaft und des Weltüberdrusses gekommen sind, sich nicht unter Bäume verbergen und [139] Schatten suchen, sondern das Licht der Sonne so wenig scheuen, daß sie ihm beinahe entgegentrotzen. Fast scheint es, als wollten sie beweisen, sie wären werth, von der Sonne beschienen zu werden. Der Gedanke, ich bin unschuldig, ich leide nicht was meine Thaten werth sind, macht Menschen zwar zu Flüchtlingen vor andern Menschen, doch verstecken sie sich nicht vor dem Angesichte der Gottheit unter die Bäume im Garten. – Die Warnungstafel des Lasters ist Schande und Furcht. Auch schien es nicht, als litte unser Sonnensucher durch ihre Strahlen; die Schwärze seiner Haut bewies deutlich, er lebe mit Luft und Sonne in vertrautem Umgang. Unser Sonnenfreund schien in schweren Gedanken vertieft, mit sich selbst, jedoch nur leise, zu sprechen, wobei er aber von Zeit zu Zeit heftige Bewegungen machte, die an Verzuckungen grenzten. Da stand ich unentschlossen, ob ich mich dem Unglücklichen (das schien er zu seyn) nähern, oder mich entfernen sollte. Plötzlich fiel sein Auge auf mich, worüber er auffuhr, sich in die Höhe richtete und sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Er wollte, da er einen Menschen sah, tiefer in das Gebüsch gehen, doch sehr bald besann er sich und schritt gerade auf mich zu. Es gibt Gemüthsumstände, in denen man schlechterdings unfähig ist sich zu fürchten, so wie es auch einige gibt, in denen man nicht Muth zu fassen vermag. Es wandelte mich nicht die mindeste Furcht an, obgleich bei genauerer Ueberlegung Furchtanwandlung hier sehr natürlich gewesen wäre. Ich befand mich an einem einsamen, abgelegenen Orte, mit einem Verzweiflung verrathenden Menschen, der nach dem Augenscheine seine sechs Fuß maß, und wenn er gleich einem Gerippe ähnlicher als einem Menschen sah, doch einen starken Körperbau und viel Nervennachdruck verrieth. Nicht nur sein Gesicht, sein ganzer Körper zeigte, sein Innerstes sey in einer heftigen Bewegung. Als er sich etwa bis auf drei Schritte mir genähert hatte, stand er still und sah mich starr und nachdenkend an, als [140] wollte er sich auf meine Gesichtszüge besinnen. Er schien sagen zu wollen: ich bin der Mensch nicht, der ein Unglück größer zu machen versteht als es ist. Er schüttelte den Kopf und alles was er sprach, war das mir unerklärliche Wort: Nein. – Der tiefe Seufzer, den er ausstieß, sagte mehr. Ich brach das Stillschweigen mit der Bitte um Vergebung, wenn ich ihn gestört hätte. Er verbarg mir nicht, daß er Willens sey nach der Residenz zu gehen. Sie werden mehr von mir hören, setzte er hinzu, – Worte, die mir auffielen, doch gefielen sie mir nicht. – Die größten Männer sind groß, ohne daß die Welt ein Wort davon weiß, und Unglückliche, des Mitleidens oft am werthesten, lassen am wenigsten von sich hören, doch finden sich Ausnahmen bei jeder Regel. Es gibt geheime Wunden, gibt es aber nicht auch Schmerzen, bei denen selbst der edelste Mann erbittern kann? Ob er dabei mit Recht verliert, will ich nicht untersuchen. Fast mechanisch, wenigstens ohne um seine Erlaubniß zu bitten und sie zu erhalten, kehrte ich auf der Stelle um, und geleitete diesen mir interessant gewordenen Mann. Er schien nicht geneigt, mir etwas von seiner Lage anvertrauen zu wollen, und ich war zu bescheiden, um ihm Geständnisse nahe zu legen, als das Geläute der Stadtglocken ihn wie aus einem tiefen Schlaf erweckte und schnell eine Fluth von Thränen von seinen Wangen herabfloß. Die menschliche Seele ist oft allem, selbst dem körperlichen Schmerz, überlegen, oft indeß wird sie durch eine Kleinigkeit aus der Fassung gebracht. – Die Zunge der Verschwiegensten löst sich und der Beredteste verstummt. Sich dringend nach der Lebensgeschichte des Unglücklichen erkundigen: – heißt es nicht oft, seine Fehler aussuchen und ihn statt zu gewinnen, erbittern? Doch härter noch scheint es zu seyn, ihn ohne Fragen zu lassen, und dergleichen Fragen zu finden ist schwerer als man glauben sollte. – Der Unglückliche trug ein schlichtes braunes, ziemlich abgetragenes Kleid von neuem Schnitt mit schwarzen [141] Knöpfen. Der Schall der Glocken, der ihn so äußerst bewegte, und sein Anzug gab mir Veranlassung ihn zu fragen: ob ein geliebter Gegenstand ihm durch den Tod entrissen wäre? Seine ganze Antwort war ein tiefer Seufzer; er faltete die Hände und sank in Nachdenken. – Sein Zustand war erschrecklich. – Ich machte mir Vorwürfe, ihm durch meine Frage, die so ungesucht kam, und die mir zu jenem Mittelwege von Fragen zu gehören schien, doch schon zu schwer gefallen zu seyn. Sie schien ihn in der That an sein nicht kleinstes Unglück zu erinnern. Dergleichen Erinnerungen schwächen nur selten das Uebel, sie gewöhnen so wenig unser Herz daran, daß sie vielmehr seine Leiden verstärken. Schnell brach ich ab, um einen andern Weg einzuschlagen. Ich fragte, an wen er in der Residenz empfohlen sey, und ob ich dort ihm nützlich werden könnte? »Ich bin von niemanden empfohlen,« war seine Antwort, »mich kennt dort niemand.« Und hier ergriff er hastig meine Hand, drückte sie fest und brach in die rührenden Worte aus: »Ich bin unglücklich. – Ich hatte einen Namen, ich habe keinen mehr; ich war Gatte, mein Weib ist dahin; ich war Vater und bin kinderlos; ich besaß Vermögen und bin ein Bettler.« – Sein Ton ging durch Herz und Seele und war noch stärker als seine Worte. Wäre ich berufen zur Kanzel ober zu irgend einem Rednerstuhle, vielleicht würde ich unserm Leidenden viel Tröstliches gesagt haben, als da ist: Freund, der Lauf der Welt ist leiden; der Lauf der Tugend und Weisheit, dem Leiden nicht zu unterliegen. Nicht die Stärke, sondern die Schwäche wünscht sich den Tod. Der Edle will selbst im größten Leiden leben, um des Lebens und Todes würdig zu seyn. Wer bei widrigen Schicksalen verzagt, sich den Tod wünscht, ist eben so klein, als der groß ist, der im größten Glück an den Tod denkt und zu sterben wünscht. – Suche Trost in deinem Kummer; wer ihn anderswo sucht, findet der ihn? Nur der ist seelenstark, der alles in sich sucht und [142] Will die kühlende Luft der Hoffnung einer künftigen Welt ihn anwehen, wohl ihm, wenn er selbst in ihr auf keine Linderung in schwülen Augenblicken rechnet, und wenn er sich dem auf Discretion überläßt, der ihn geschaffen hat! Ein Unglücklicher, der gern hofft und nach Träumen von Glückseligkeit hascht – macht der sich nicht unglücklicher als er ist? Dieser Welt würdig und der andern nicht unwürdig zu seyn, ist alles, worauf es beim Menschen ankommt. – Wer hat aller Tage Abend und wer aller Tage Morgen erlebt? Und nichts ist schwer, was nicht mit der Zeit leicht wird. – Von allen solchen schönen Dingen sagte ich dem Unglücklichen gerade kein Wort. Wahrlich! so wenig in Stunden der Leidenschaft durch Vorstellungen zu gewinnen ist, eben so wenig gelten Trostgründe im Unglück. Unsere Herren Philosophen und Geistlichen werden es verzeihen, wenn ich von ihrer gewöhnlichen Trosttheorie in Widerwärtigkeiten abweiche. Es gibt Kräfte in uns, jede Untugend zu unterdrücken, jede Leidenschaft zu schwächen, wo nicht zu beherrschen, und jedes Unglück zu ertragen; nur diese Kräfte in Anwendung zu bringen, das ist der Fall. Ich wußte dem Verzweifelten nichts mehr zu erwiedern, als: Freund! es gibt der Unglücklichen viel; und wer ist ganz glücklich? – Will ich denn glücklich seyn? sagte er heftig: Glücklich würde mein Unglück mich machen, ich würde es umarmen, fügte es nicht ein unnatürlicher Bruder mir zu. Herr! dieser Gedanke tödtet. Erlaubt er mir wohl den Vorzug leidender Menschen – mit Ruhe zu leiden? Eine Wonne, deren Werth ich kenne! – Ein Bruder ist es der mir das Menschendaseyn zur unerträglichen Last macht. – Um ihn auf andere Gegenstände zu lenken, ohne auf nähere Umstände seiner Geschichte zu dringen, bot ich ihm an, ihm fürs erste ein Unterkommen zu besorgen, und es schien, als thäte er mir eine Gefälligkeit, meine Dienste anzunehmen. Was ich bei dieser seiner Güte empfand, fühlt vielleicht nicht jeder; ich fand mich beehrt [143] und glücklich. Ich führte ihn in einen Gasthof, ließ ihm ein Zimmer anweisen und verabredete mit dem Wirth, es ihm an nichts fehlen zu lassen. Oel und Wein in seine Wunden zu gießen, behielt ich mir selbst vor. Wo bin ich denn? hat er den Wirth gefragt, als er allein mit ihm war. Die Antwort: im Gasthofe zur Taube, ist ihm so aufgefallen, daß der Wirth nicht aufhören konnte, mir die außerordentliche Bewegung zu schildern, die dieser Name auf ihn machte. Ich habe ihn seit der Zeit täglich besucht. Hier ist seine Geschichte.

Sein Vater verließ mit seiner Ehegattin und zweien Söhnen, wovon der Gast in der Taube der ältere war, sein Vaterland, um als Kammerrath in – – fürstliche Dienste zu treten. Sein Vermögen war bei seinem Anzuge gering. Er kaufte in der Nähe der Residenz Landgüter, durch die vorherigen Besitzer äußerst vernachlässigt, die er durch Fleiß und Oekonomie in wenigen Jahren zu einer Aufnahme brachte, daß er sie mit außerordentlichem Vortheil veräußern konnte. Der größte Theil des Geldes ward im Handel angelegt, und glückliche Speculationen machten ihn so reich, daß er bei seinem Absterben jedem seiner Söhne nicht nur ein Rittergut, sondern auch beträchtliches baares Vermögen hinterließ. – Seine Gattin starb vor ihm. – Die Baarschaften waren sämmtlich in einer Fabrik angelegt, welcher seit vielen Jahren ein Mann vorstand, dessen Redlichkeit seiner Einsicht die Wage hielt. Wollte man einen exemplarischen Mann nennen, ihm widerfuhr diese Ehre. Er starb und es fand sich alles in der größten Unordnung. Ein förmlicher Concurs brach aus und die angeliehenen Kapitalien gingen sämmtlich verloren. Die Rittergüter blieben den beiden Brüdern übrig; eins derselben wäre hinreichend gewesen, zwei Familien standesmäßig zu unterhalten. Der jüngere Bruder befand sich in – – Kriegsdiensten und stand zu – – in Garnison, wo er ungesucht Gelegenheit fand, seine Neigung zum Aufwande [144] aller Art zu befriedigen. Auch liebte er das Spiel leidenschaftlich, und es währte nicht lange, so sah er sich gedrungen, das mit Schulden überhäufte väterliche Gut zu veräußern und seiner Dürftigkeit halber zugleich die Verbindung mit einem reichen Mädchen aufzugeben, womit man ihn bis jetzt auf eine fast schnöde Weise hingehalten hatte. Nichts verdirbt den Menschen mehr als Unmuth, wenn das Bewußtseyn sich vordrängt, ihn sich selbst zugezogen zu haben. Bei diesem jüngeren Bruder war, seines auffallenden Ueberhanges zu Lastern und Thorheiten wegen, nicht viel zu verderben. Eine Ehrensache, bei welcher er sich, wie das Gerücht ging, nicht zu seinem Vortheil nahm, nöthigte ihn, die – – Dienste zu verlassen und das Zudringen der Gläubiger, daß er sich heimlich entfernen mußte. Er nahm seine Zuflucht zu seinem älteren Bruder, den ich seine Geschichte weiter erzählen lassen will.

Ich nahm ihn mit offenen Armen auf, suchte seine Creditsache beizulegen und theilte brüderlich mein Einkommen mit ihm; doch konnte und wollte ich seiner Verschwendung nicht durch mehr Zuschub Nahrung geben. Auch mußte ich ihm zuweilen seines Stolzes wegen etwas versagen, um ihn, da er durch seinen ehemaligen Stand verwöhnt war, nicht bloß fordern zu lassen, sondern ihn auch bitten zu lehren. Nur den Bruder sah er in mir, und die Meinigen, welche wußten, wie nah er mir am Herzen lag, kamen ihm mit Liebe zuvor. Ich war seit drei Jahren verheirathet, war Vater eines braven Jungen und mit dem zweiten Kinde ging meine Gattin schwanger. Dieß waren Vorstellungen, die ich seinen unbilligen Anträgen entgegensetzte. Da ich mich endlich genöthigt sah, zu verlangen, daß er die Residenz verlassen und bei mir wohnen möchte, ward er aufgebracht und schmiedete mit Hülfe eines Bösewichts, der unter dem Schilde der Justiz mordet, einen höllischen Plan, der meine Gattin ihrer Vernunft beraubte, sie zur Mörderin ihrer Kinder und mich zu einem Wesen machte – zu einem Wesen [145] – (er wollte mehr sagen) das Sie vor sich sehen. – Es schlich ein dunkles Gerücht, ich sey nicht ein Sohn meines verstorbenen Vaters. Ob ich gleich von Kindesbeinen an seinen Namen führte, obgleich mein Vater in seinem letzten Willen mich förmlich für seinen Sohn erkannt und mich mit meinem jüngeren Bruder zum Erben seines Nachlasses in gleichen Theilen ernannt hatte, war doch mein Bruder unverschämt genug, diesem allen zu widersprechen. Uneingedenk, daß er durch seine Angabe die Asche seiner Mutter entheilige, eröffnete er bei dem Landesgericht einen Rechtsstreit, stellte zwei feile Zeugen auf, bei welchen meine Mutter ihre Niederkunft gehalten haben sollte, und so ward ich zur Herausgabe der Erbschaft verurtheilt. – Die Beweise, die man bei der Justiz verlangt, sind fast von allen andern Beweisen unterschieden, und jene Kälte, die man in den Gerichtshöfen affectirt – ist sie mehr als ein übertünchtes Grab? verbirgt sie nicht oft rasende Leidenschaften? Der Ort, wo ich getauft bin, ist im siebenjährigen Kriege eingeäschert; die Taufregister waren verloren gegangen. Ob nun gleich wider das erste Urtheil, nach welchem ich das Gut räumen sollte, mir um so hoffnungsreicher die weiteren Rechtsmittel offen standen, als ich die Zeugen der offenbarsten Parteilichkeit überweisen konnte, drang mein unnatürlicher Bruder doch mit unnachläßlicher Härte darauf, daß ich das Gut räumen mußte. Dieß betrübte meine Gattin unbeschreiblich. Sie hatte sich an viele Plätze im Garten, im Walde, im Felde und überall so gewöhnt, daß sie sich von diesen ihren Lieblingen nicht ohne die äußerste Rührung trennen konnte. Ach! mein Herr, sie verstand die Kunst, die wenige Weiber verstehen: den Ort für den besten zu halten, wo sie war; die meisten glauben sich da besser zu befinden, wo sie nicht sind. Sie sank in Schwermuth und ihre öfteren Geistesabwesenheiten ließen mich ihrer nahen Entbindung halber nichts Gutes erwarten. Mein Unglück überstieg meine Vorstellung. In einer benachbarten Waldwächterhütte [146] ward meine Gattin zwar von einem Sohne entbunden, indeß ihrer Vernunft völlig beraubt. Eine bejahrte Person wollte sich durchaus von unserm Schicksale nicht trennen; sie blieb die einzige Teilnehmerin unserer Leiden. Die einzige (alle meine Freunde verließen mich)! Sie allein blieb, was sie gewesen war. Abwechselnd mit ihr bewachte ich meine unglückliche Gattin, die von Zeit zu Zeit Anfälle der größten Wuth äußerte. Etwa drei Wochen nach ihrer Niederkunft hatte ich einen Termin beim Landesgericht. – Ich war, bei Strafe der Präclusion aller meiner Einwendungen und mit der Clausel persönlich vorgeladen, daß, wenn ich nicht erschiene, mir ein immerwährendes Stillschweigen auferlegt seyn sollte. Die Herren kommen nicht aus Drohungen und Bestrafungen heraus. – Daß doch die unwahrscheinlichsten Träume immer die anlockendsten sind! Ich dachte, das Felsenherz meines Bruders durch persönliche Gegenwart zu erweichen, und glaubte, um so unbedenklicher gehen zu können, da meine Gattin seit einigen Tagen ruhiger schien. – Mein Bruder war auch in Person vorgeladen. – Unsere alte Freundin überfiel eine Ohnmacht; wahrscheinlich war dieser Vorfall die erste Ursache der Wuth, in welche meine unglückliche Gattin ausbrach, die, weil sie ohne Aufsicht war, aus dem Bette sprang, unsere beiden Kinder ergriff und sich mit ihnen ins Wasser stürzte. Beide Kinder fanden ihren Tod; die Mutter ward gerettet und befindet sich in einer Irrenanstalt. Mein Termin war eben so unglücklich; beschimpft von einem undankbaren Bruder, kündigte uns ein Deputatus, der indeß nicht der Urtheilsverfasser gewesen zu seyn schien, an,wann ich meine Beschwerden unfehlbar einbringen und wann ich die Vorschußkosten bezahlen müßte, im Fall meine Appellationseinwendung nicht für unkräftig erklärt werden sollte. Wieder eine Drohung, dacht' ich, da der Deputatus mich mit einem Versuche der Güte überraschte. – Ein Strahl der Hoffnung, der mir wohl that. – Allerdings, sagte er zu mir, [147] haben Sie viel für sich; doch, gibt es ein Recht, das auch nur bei der geringsten Richtung nicht, wo nicht unrecht werden, so doch den Schein des Unrechts gewinnen könnte? Und was ist in der Welt, wo nicht das Für und Wider fast gleiche Stimmen hätte, denen, wenn es köstlich ist, ein Ungefähr den Ausschlag gibt? Wie wäre es, wenn sie ein Drittel ihrer vorigen Besitzungen annähmen, und die übrigen Punkte niederschlügen? Mein unnatürlicher Bruder verwarf selbst diesen ihm so vortheilhaften Vorschlag. – Weit lieber will ich, sagte er, alles verlieren, als einem Menschen auch nur das Mindeste zubilligen, der sich herausnahm, sich einen Namen zuzueignen, der ihm als Bastard nicht gebührt und der so lange durch die unverantwortliche Schläfrigkeit meines Vaters entheiligt ist. Der Deputatus nahm sich nicht Zeit, die unbrüderliche Erklärung zu widerlegen, sondern begnügte sich, zu erklären, daß er aus Menschenliebe so thätig für einen Vergleich gewirkt hätte, als es nur menschenmöglich gewesen. Wahrlich ein eingeschränkter Begriff von der Menschenmöglichkeit! Jetzt überließ uns der gestrenge Herr, wie er sich ausdrückte, unserm Schicksal. Mehr aufgebracht über diese gerühmte Thätigkeit des Deputatus, als über die unnatürliche Härte meines Bruders, ging ich heim. Noch war ich nicht an unserer Hütte, als ich mein Unglück erfuhr. Elender konnte ich nicht werden, und noch bin ich mir selbst ein Räthsel, wenn ich mich frage: wie ist es möglich, alles dieß Unglück zu überstehen? Wahrlich, ich bin erschöpft. – Ein neuer Waldaufseher setzte mich aus meiner Wohnung, in der meine alte Freundin starb; und so ist keine lebendige Seele mehr auf Gottes Erdboden, die sich meiner annimmt. Unstät und hülflos irre ich umher, und doch, ich läugne es nicht, wünsche ich, meinen ehrlichen Namen herzustellen und meinen Bruder, wenn es möglich ist, zu beschämen, ehe ich aus diesem Lande des Elendes zu jenen seligen Gegenden scheide, wo alle Drangsale aufhören, wo mein Vater und Mutter, ohne [148] Rechtsstreit, meine Sache führen und wo ich alles wiederfinden werde, was ich hier verlor.

Der Unglückliche erinnert sich, von seiner Mutter vor vielen Jahren gehört zu haben, daß in der Residenz zwei ihrer Freundinnen verheirathet wären, mit denen sie den vertrautesten Umgang gehabt, und denen sie jedes Geheimniß ihres Herzens anvertrauet hätte.


Verlangen des Ordens.


Diese beiden Freundinnen sind aufzusuchen.

Dem Unglücklichen ist ein anständiger Unterhalt zu verschaffen, und der nöthige Kostenbetrag zur Ausführung des Rechtsstreites mit seinem Bruder aufzubringen; endlich ist auf die Kur und Wartung der Gattin zu denken, und mindestens kein Versuch zu ihrer Rettung zu unterlassen.

Oben oder unten ist Eldorado, rief unser Novicius, der, bis in sein Innerstes bewegt, diese großmüthige Handlung übernahm. Möchte doch, sagte er, die Taube unserm Verzweifelnden einen Oelzweig des Friedens bringen! Eine Taube! Wahrlich – besser alsLöwe, Sperber und das andere Thier. – Ein zu empfindsames Herz ist in der That ein Geschenk der Natur, das den Menschen äußerst beschwerlich fallen muß, – in einer Welt, wo es solche Brüder, solche Richter, solche Drangsale gibt. – In Eldorado wird es verlohnen, ein empfindsames Herz zu haben, dachte Novicius; in der That, diesseits kommt es zu früh. Die

132. Zweite Vorhandlung
§. 132.
Zweite Vorhandlung.

Geschichtserzählung.


Die beiden Häuser H– und O– hatten aus einer sehr geringfügigen Ursache einen bittern Haß auf einander geworfen, ihn beinahe [149] ein ganzes Jahrhundert unterhalten, und sich unmenschlich vorgesetzt, ihn auf ihre Nachkommen bis an das Ende der Tage fortzupflanzen. Graf Pold, aus dem Hause H–, war der einzige Sohn, von dem die Fortdauer seines Geschlechts abhing, und der als einziger. Zweig des gräflichen Hauses der Liebling seiner Eltern war. Außer der Sorge für die Erhaltung dieses Einzigen lag ihnen noch eine andere ob: für ihn eine Gemahlin zu erwählen, durch welche der alte Glanz der H– Familie gerades Weges auf die Nachwelt gebracht werden könnte. Fräulein Charlotte, die einzige Tochter und Erbin des O– Hauses, war nicht minder bestimmt, die Gemahlin eines Mannes zu werden, der ihrem Hause Ehre machen sollte, wodurch, wie man dafür hielt, das Glück des liebenswürdigen Fräuleins sich von selbst machen würde. Graf Pold und Charlotte wurden in der Residenz zwar in großer Entfernung von einander erzogen, hatten aber doch Gelegenheit, sich dann und wann zu sehen, nnd, trotz der Todfeindschaft der beiden väterlichen Häuser, sich sterblich liebzugewinnen. Es ist nicht das erstemal, dachten sie anfänglich, daß Familienzwiste durch eine Verbindung dieser Art beigelegt und auf immer gehoben worden sind. Je lieber sie sich hatten, desto weniger dachten sie an etwas anderes, als an sich; und selbst ihre todfeindlichen Familien störten die süßen Tage nicht, die sie durchlebten. Je fester sich dieses Paar verband, desto mehr wuchs die Feindschaft der Häuser ihrer Eltern, ohne daß man einmal ahnen konnte, ihre Kinder wären zärtlich gegen einander gesinnt. Unsere Liebenden schwuren sich ewige Treue, und nichts trübte die seligen Stunden ihres reinen Umgangs, als die Furcht, daß diese so unschuldigen Freuden des Lebens von ihren Eltern gestört und ihr so festes Band zerrissen werden könnte, sobald sie ihnen ihre Neigungen erklären und ihre Zustimmung und ihre Segnungen erbitten würden. Die Leiden in der Liebe haben einen besondern Reiz; und wenn man keine Leiden hat, thut man [150] nicht übel, sie sich zu machen. In der That, man kann in der Liebe durch zu großes Glück unglücklich seyn. – Der Verräther schläft nicht, und Unvorsichtigkeit ist eine Verwandtin auch der allerreinsten Liebe. Wenn gleich Pold und Charlotte von ihren geheimen Verständnissen ihren Eltern nichts eröffneten, so gab es doch so viele dienstfertige Federn, daß ihre Zuneigung ihren Eltern nicht lange ein Geheimniß blieb. Das gräfliche Haus H–, welches ohne Zweifel von der Zuneigung seines Sohnes am zuverlässigsten benachrichtigt seyn mochte, ließ sich so weit herab, das Haus O–, wiewohl durch die siebennndfünfzigste Hand (die sechsundfünfzigste hätte noch zu viel Freundschaft und Annäherung verrathen) zu warnen; und dieses fand für gut, die Warnung mit Hohngelächter durch die nämliche Hand zu erwiedern. Indeß schlossen beide Häuser, ohne ihre Kinder zu befragen, Bündnisse und forderten nach ihrem Ja und Amen ihre Kinder auf, das laut für sie gegebene Ja und Amen zu bekräftigen. Die gewöhnliche Art alter Häuser! Beide Familien waren so weit gegangen, daß sie Anmeldungsbriefe versandt hatten, die später in die Hände unserer Liebenden als der Verwandten und Bekannten beider hohen Häuser fielen. Erzieher und Erzieherinnen unserer Liebenden, die von den alten Häusern schon zuvor, wiewohl insgeheim, zur Rechenschaft ihrer Haushaltungen gezogen wurden, wußten die hohen Eltern aus Liebe zu ihren allerliebsten Kindern so geschickt einzuschläfern, daß man sie ihnen unbedenklich immer noch anvertraute. Jetzt war kein Augenblick zu verlieren. Graf Pold versicherte Charlotten, den Liebenden müsse alles zum Besten dienen; und zum größten Beweise, daß beide Häuser nicht wüßten, warum sie sich haßten, sympathisirten unsere beiden Liebenden so mit einander, daß Charlotte und Pold nur einen Verstand und einen Willen hatten. Auch hat die Schule des Plato noch immer ein Kämmerlein, welches die Natur sich vorbehält. Die Platonischen Unterhaltungen unserer [151] Liebenden wurden mit natürlichen Küssen gewürzt, und man dachte aus Ende (welches unserm trefflichen Paare nicht zu verdenken war), ohne von dem gefaßten Entschlusse die Erzieher und Erzieherinnen das mindeste merken zu lassen. Die so nothwendige Zurückhaltung schmerzte beide Liebenden, wenn sie gleich kein Mittel ausfindig zu machen wußten, sich ohne Gefahr entdecken zu können. Kurz, unser Paar nahm unter fremdem Namen die Flucht, die auch so glücklich einschlug, daß es ohne Hinderniß über die Grenze des Landes an einen Ort kam, wo, wie es glaubte, seine Verbindung nichts mehr behinderte. Der Platonismus verlangt durchaus Einsamkeit und Abstraction, die auf Reisen am wenigsten stattfinden können. Die Leidenschaft der Liebe hatte das Nachdenken und die Besorgnisse jetzt völlig zum Schweigen gebracht; und da dieß gemeinhin der Zustand ist, wo man sich so gern mehr verspricht als man leisten, und mehr zusichert als man halten kann: so war das Verlangen, sich ganz zu besitzen, unauslöschlich. – Unsere Liebenden gaben sich im Kloster die Hand: der Uebergabe des Herzens bedurfte es nicht. Sie leerten den Becher der Wollust mit einem Entzücken, das sich nicht beschreiben läßt. Liebe ist die Seele des Lebens; selbst die Weisheit scheint ihr untergeordnet zu seyn; und unser neues Paar wäre das glücklichste von der Welt gewesen, sobald es sich entschlossen hätte, die Vorzüge der Namen und des Standes aufzugeben und in der weitesten Entfernung von seinen Eltern durch Arbeit und Fleiß, bei einem anscheinend harten Schicksal, das reinste Erdenglück zu genießen, welches nur genossen werden kann, wenn der Liebe die Arbeit zugesellet wird. Zu diesem Nachdenken hatte unser Klosterpaar nicht Zeit, und es ward durch eine zu seine Erziehung daran verhindert. An eine bequemere Lebensart gewöhnt gerieth es in Schulden und in eine Verlegenheit, die den Eltern seinen Aufenthalt verrathen mußte. Den Gläubigern ist keine Thür zu stark, sie stürmen sie, und kein Weg zu weit, sie [152] schlagen ihn ein, um bezahlt zu werden; und je weniger sie die Bezahlung ihres Betrugs und Zinsenwuchers halber verdienen, desto unbescheidener dringen sie darauf. Es war besonders, daß jedes der feindseligen Häuser ohne Zustimmung des andern wirkte, und daß beide Häuser in ihren Gesinnungen und in ihren Wirkungen so zusammenstimmten, als hätten sie ihren Plan verabredet.

Schon würde die große Uebergewalt des Staats, den unsre Liebenden verlassen hatten, den Requisitionen wegen ihrer Auslieferung ein unwiderstehliches Gewicht beigelegt haben, wenn man sich auch nicht des niedrigen Kunstgriffs bedient hätte, fälschlich zu behaupten, daß diese unsre Unschuldigen sich wegen eines Criminalverbrechens auf flüchtigen Fuß gesetzt hätten. Sie wurden eingefangen, von ihren Gläubigern, die sie nicht befriedigen konnten, beschimpft und in eine Festung ihres Vaterlandes nach – – gebracht, wo sie abgesondert in enger Verwahrung sich befinden und hart verhört werden. Ihre Sache liegt fürchterlich. Entadelung, Zuchthaus und dergleichen harte Worte sind die Parolen, welche die Verhörer ausgeben. Und wenn gleich das Haus O– durch die Aufhebung der Ehe am meisten leiden würde, so scheint es doch eher den Schimpf einer entehrten Tochter ertragen als in ihr eine Gräfin H– anerkennen zu wollen. Man will Charlotten verstoßen und enterben und nach allen Kräften um körperliche Bestrasung des Grafen H– anhalten, die um so weniger ausbleiben wird, da die Landesherrschaft der Familie H– nicht gewogen ist, die Familie O– bei Hofe gilt und die Verbrechen des Fleisches im – Staat mit einer beispiellosen Strenge geahndet werden.

Es kommt bei dieser Sache auf die Vereinigung beider Häuser an, die der hochberühmte Rechtsfreund X– mit Zuziehung zweier Geistlichen und noch zweier Assistenten übernehmen will. Fürs erste sind die Schulden zu berichtigen, zu welcher die Flucht unser unglückliches Paar gebracht hat.


[153] Verlangen des Ordens.


Jene Schulden sind zu bezahlen, sowie der Rechtsfreund, die beiden Geistlichen und die beiden Assistenten durch Vorschuß und Belohnungsversicherung aufzumuntern, ein Werk zu Stande zu bringen, wodurch der Menschlichkeit und der Liebe ein Opfer gebracht wird. Die Gräfin und Nichtgräfin ist der Entbindung nahe und gefaßter als der Graf.

Unser Ritter war zu dieser Unterstützung um so williger als ihm Sophie einfiel. Kann ich wissen, ob die Einwilligung ihres vierten Gebots nicht auch von Schwierigkeiten der Trophoniushöhle abhängen wird? Fast schien es ihm, daß er durch dieses gute Werk diese Einwilligung verdienen, erleichtern und vorbereiten würde.

Würde das Trauerspiel Romeo und Julie bei den Familien H– und O– nicht mehr ausgerichtet haben als der Rechtsfreund, die zwei Geistlichen und andere Helfershelfer bis ins tausendste Glied? – Die

133. Dritte Verhandlung
§. 133.
Dritte Verhandlung.

Ein ehrwürdiger Degenknopf, der wegen seiner Wunden außer Stand gesetzt war, den schönen Tod fürs Vaterland zu sterben, und den man mit der Hoffnung einer Civilliste verabschiedet hatte, bat den Minister – – um Brod. Die Art seines Vortrags war so edel, daß Se. Excellenz sich während der Zeit, als der geheime Sekretarius die wichtigsten Geschäfte in Dero excellentem Namen besorgte, mit Vergnügen von diesem braven Degenknopf unterhalten ließen. Die Zeit verging, es war servirt und der Minister behielt den Degenknopf zu Mittag. Freilich auch Brod und besser als [154] wenn man Ministerialsteine des Unwillens und der Ungezogenheit erhält, – indeß nur Brod für einen Mittag. Der Gast wußte sich so empfehlend zu betragen, daß man ihn in der Gesellschaft ebenso gern hörte, als der Minister zuvor allein. Edelmuth und Dürftigkeit contrastiren überhaupt herrlich. Bei Tische kam die Rede auf einen Ring, den der Minister bei einer Gesandtschaft von Allerhöchsten Händen erhalten hatte. Er ward gezeigt und nach geraumer Zeit, da der Minister ihn zurück erbat, war er weg. Alles kehrte von selbst die Taschen um, nur unser Degenknopf nicht. Man fiel, wie man von selbst einsteht, auf dieses einer Ministertafel unangemessene Taschenmittel, um es unserm Degenknopfe nahe zu legen. Es konnte wahrlich nicht näher seyn; wer seine Taschen doch nicht umkehrte – war er. Man schwieg, um ihm wegen seiner vorher erzählten Kriegsanekdoten Erkenntlichkeit zu erzeigen, und weil man sich überredete, er würde nach aufgehobener Tafel zurückbleiben und sich eine Cabinetsaudienz beim Minister erbitten. – Man irrte. – Er war der erste, der sich mit einem Anstande entfernte, über den nichts ging. Eine schwere Rolle! So edel hat sich noch kein Feldherr zurückgezogen. Wahrlich man muß ein solcher Degenknopf seyn, um hier nicht zu unterliegen! Jetzt bat man den Minister menschenfreundlichst, dieses Unglücklichen zu schonen, und welcher Minister zeigt nicht gern diese Tugend, wenn sie ihm so hoch bezahlt wird! Der Gewinn, den Se. Excellenz bei dieser Gelegenheit zogen, war hundert solcher Ringe aus Allerhöchsten Händen werth. Ein paar Affen, welche ansehnliche Hofchargen bekleideten, hatten sich aus Furcht bei Tafel weit stiller gehalten als die andern Gäste, so sehr auch die Mienensprache Hofmännerchen eigen zu seyn pflegt. – Der Degenknopf hatte Herz. – Das Gerede verbreitete sich in der ganzen Stadt, womit Sr. Excellenz gedient war, wenn gleich sie sich äußerlich alle Mühe gaben, die Sache zu unterdrücken. Unser Degenknopf ward geflohen wie ein[155] Aussätziger. Nach acht Tagen übersandte der General – – dem Minister den Ring mit der Anzeige, ihn in seinem Stiefel gefunden zu haben. Er hatte die Gewohnheit, mit acht Paar Stiefeln zu wechseln, und so war es in der Regel, daß er nicht eher als jetzt den Knoten löste. Der Minister stand keinen Augenblick an, den Degenknopf um Verzeihung zu bitten, der diese Bitte um Verzeihung dem Minister äußerst übel nahm. Er hatte viele Mühe, ihn zu beruhigen. Wer kein inneres Bewußtseyn der Rechtschaffenheit hat, mag eine dergleichen Vergebungsbitte verzeihen, ich nicht; und wer von mir eine Niederträchtigkeit, dergleichen ein Ringdiebstahl ist, zu vermuthen im Stande war, ist entweder ein Selbstdieb ober mindestens ein Hofmann. Ein jeder ehrliche Mann muß das aus sich machen, was er ist. – Was den Degenknopf abgehalten hätte, seine Taschen umzukehren? war eine allgemeine Frage. Nur einem Freunde vertraute er den Schlüssel zu diesem Taschengeheimniß. Ehe er zum Minister ging, hatte er für seinen Mittag gesorgt und sich Käse und Brod in der Speisekammer seiner Tasche aufbewahrt. War es Wunder, daß er sie unaufgeschlossen ließ? Der Minister bat ihn verschiedentlich nach der Zeit zu sich, er schlug es jedesmal ab. – Ohne Zweifel wirb er auch eine Stelle aus seinen Händen abschlagen. Diesem Ehrenmann eine Pension zu geben, bis er ungesucht die verdiente Versorgung unmittelbar vom Fürsten erhält, war der Antrag, der auf keinen Felsenacker fiel. Warum durch Bitten und Flehen dem Degenknopf sein Leben verbittern, das er leichter tragen wird, wenn es ihm nicht durch abschlägige Antworten, sie mögen gnädig oder ungnädig fallen, erschwert wird?

134. Die übrigen vier
[156] §. 134.
Die übrigen vier

Vorhandlungen waren noch alltäglicher, obgleich auch die erzählten drei bei weitem nicht an die Verwickelungen der Vorbereitungen zum Orden der Orden grenzten.

Ein Freund hatte eine Schuldschrift vom Freunde zurück zu nehmen vergessen. Pythias starb und seine Kinder machten in tutorischer oder tyrannischer Assistenz der Pupillengerichte an Damon Ansprüche. Swedenborg hätte der Sache leichter ein Ende machen können. Jetzt kam es auf die Kosten zu diesem Rechtshandel an. Gern übernahm sie der Ritter. – Zwei Mädchen, zu bescheiden, um Rosenmädchen zu seyn, sollten in aller Stille ausgestattet werden. Gern trug der Candidat des Obermeistergrades zu diesen Ausstattungen bei. – Ein edler Jüngling, ausgerüstet mit seltenem Genie, genoß in dem Hause eines reichen und vornehmen Mannes alles, was zur Leibesnahrung und Nothburft gehört, um einst öffentlich zu vergelten, was ihm insgeheim Gutes geschah. Die Verdienste dieses jungen Menschen konnten der Tochter des Hauses nicht verborgen bleiben, und ihr beseligendes Auge behagte dem Jünglinge noch mehr als die Unterstützungen ihrer Eltern. Dieß störte den Plan eines Anwerbers, dessen Stand und Vermögen soviel Aufmerksamkeit als Herz und Kopf Verachtung verdienten. Der Jüngling ward des Hauses verwiesen. Er sollte unterstützt werden – und das arme Mädchen? Der Anwerber, als Störer ihres Glücks, ist zu entfernen, und sieaufzumuntern, die Zeit ruhig zu erwarten, in welcher ihr Vielgeliebter um ihre Hand bitten kann. – Wer empfindsam ist, sagte der Ritter, muß durchaus auf Kräfte denken und sie sich zu besorgen suchen, um Leiden und Ungemach zu ertragen, wenn er nicht diese Welt unausstehlich finden und das unerträglichste Leben führen will. Er sagte Ja.

[157] Michael, der seinen Herrn so vorhandeln sah, billigte seine Ja's; doch gewann er durch diese Ritterdienste nicht im mindesten in den Augen des Knappen. – Wer mit Geld dient, sagte der Begleiter, dient am leichtesten. Gut ist gut, besser ist besser. – Was nennst du besser? fragte der Ritter. Vierzig weniger Eins, erwiederte der Knappe, und unmittelbare hülfliche Handreichung, wozu Ew. Gnaden eben so leicht bereit wären als zu diesen Kriegsbeisteuern. Vorhandlungen, sagte der Bettler, die siebenmal sieben mehr als Vorreden gelten. – Wahr! doch nicht immer! Früchte verderben die Luft um sich her; und kann man nicht durch Selbstgefallen die besten Handlungen verderben? Michaeln wurden die siebenVorhandlungen in Rücksicht des Seelsorgers erlassen. – Jetzt zur Aufnahme in den

135. Obermeistergrad
§. 135.
Obermeistergrad.

Sie fing mit einem Noviciat an. Der Ritter ward an einen ihm unbekannten Ort geladen. Er stieß, da er nahe zum Aufnehmungstempel kam, auf ein schönes Gesträuch, welches ihn zu Gängen führte, die sich augenreizend schlängelten. Hier rauschte das Wasser so leise, als ob es sich fürchtete etwas zu verrathen. Die Singvögel selbst schienen ihm einen sanfteren Ton angenommen zu haben, und ehe er sich's versah, fiel sein Blick auf ein englisches Grasstück, welches sich mit einer Aussicht auf ein Gewässer schloß, das ihm wie eine Wolke vorkam. Er hatte an dem Rande bemerkt: »Mein Blick fuhr auf einer Wolke gen Himmel, so reizend war es.« – Jetzt befand er sich an einer Hütte, wo ihn die Neugierde von selbst an einen Ort brachte, indem der matte Schein einer Lampe genau zur Hervorbringung einer behaglichen Dämmerung hinreichte, die ihn Särge und ein Grab sehen ließ, welches [158] zu vollenden eben jetzt ein Todtengräber sich beschäftigte. Dieser nahm Gebeine und einen Schädel aus der Erde langsam hervor, um diese Ueberbleibsel zu einem großen Gebeinhaufen zu tragen, der an der Seite angebracht war. Hier ließ sich eine sanfte Musik hören, – Lautentöne und Harmonica. – Der Todtengräber hatte sein Werk vollendet, sah es an, stützte sich auf seinen Spaten, betete leise und endete sein Gebet mit den Worten, die er laut sprach:Führ' uns nicht in Versuchung, sondern erlös' uns vom Uebel. Amen! Während seiner Arbeit sang er in eigener Melodie:


Man trägt eins nach dem andern hin,

Ich bin, wer weiß, wie lang ich bin?

Und trennt Gebein sich von Gebein,

Was werd' ich seyn?


Da der Ritter mit dergleichen Scenen bei andern Aufnahmen bekannt geworden war, so störte nichts die Rührung, die mit Erstaunen, und selbst mit Befremden, sich wenig oder gar nicht verträgt. Hätte ihn ja etwas überraschen können, so war es eine Stimme, die nichts mit einer menschlichen ähnliches hatte, die dumpf, ohne daß man wußte, von wannen sie kam, mit Papageiendeutlichkeit einfiel:

Mensch, du bist Erde, und wirst zur Erden werden. In diesem Augenblick erschienen sechs Leichenträger mit Flören, mit einem Sarge, welchen sie in das vom Todtengräber gemachte Grab versenkten, wobei sich wieder jene sanfte Musik hören ließ. Die Stille, mit der dieß vorging, rührte den Ritter mehr als alles. Und nun wieder jene Stimme:

Ueber ein Kleines wird man deine Seele von dir fordern.

Bei diesen Worten rissen ihn zwei weißgekleidete Personen aus [159] diesem Gewölbe, verbanden ihm die Augen, und nach langen Wegen, wobei er in die Höhe steigen, sich oft bücken und kriechen mußte, verließen ihn seine beiden Begleiter mit den ihm nicht neuen Worten:

Klopfet an, so wird Euch aufgethan.

Der Ritter befolgte den Wink, klopfte an, und hörte im Zimmer die gewöhnliche Frage: Wer ist da? Leise ward die Thür von inwendig aufgemacht, an welcher sich der Ritter befand. Soll ich antworten? sagte der Ritter mit Bescheidenheit. Die Thür ward schnell verschlossen und inwendig hieß es: Es ist ein Sterblicher, der sterben lernen will.

Weiß er zu leben?

Er ist in der Lehre.

Bei wem?

Bei sich und andern.

Sucht er Menschen durch sich, und sich durch andere Menschen kennen zu lernen?

Ja!

Wünscht er zu sterben?

So wenig als zu leben.

Glaubt er an sich und an Gott.

Er glaubt, der Mensch sey eines hohen Tugendgrades fähig, und ächter Wille gelte bei Gott für That; er thut Gutes und meidet das Böse, weil dieß böse und jenes gut ist, nicht weil andere böse oder gut sind, nicht weil eins besser kleidet als das andere; selbst nicht, weil Tugend sich selbst belohnt und Laster sich selbst bestraft. Die Folgen berechnet er nicht; – dieß Folgenbuch überläßt er Gott. – Nach bestem Wissen und Gewissen handeln, nennt er fromm seyn.

Wird er diesen Standpunkt nie selbst verrücken, noch ihn [160] durch andere verrücken lassen, wenn auch diese andern Herren der Welt wären?

Nie.

Wird er aus Verdruß über andere nie sich selbst, und aus Verdruß über sich selbst nie andere leiden lassen? von Selbsthaß so weit, als von Menschenfeindschaft sich entfernen, ohne selbstsüchtig zu werden und ohne den Menschen nachzulaufen?

Er gelobt es.

Wird er bis aus Ende beharren, um selig zu werden?

Er wird.

Streifet ihm die Schuppen von seinen Augen und laßt ihn hereinkommen.

Er ward in ein Zimmer gebracht, das nur ein sanftes Licht erhellte. Alles ging auf und nieder, so sanft und leise, wie die Herrnhuter singen. Der Ritter allein stand, und zwar mit umgekehrtem Gesichte.

Hast du gehört, hieß es, was einer der Unsrigen in deiner Seele geantwortet hat?

Ja, erwiederte der Ritter.

War es die Gesinnung deines Herzens?

Sie war es.

Du bist jung und reich; die Natur hat sich angegriffen, dich in eine gute Verfassung zu setzen und dir mit Güte zuvorzukommen. Hast du einen höhern Wunsch, als dieses Leben?

(Jetzt riefen alle: Bedenke, daß du sterben mußt.)

Mein Wunsch ist, so zu leben, daß ich dieses und jenes Lebens würdig sey, erwiederte der Ritter. (EinSchmetterling flog um sein Haupt.)

Glaubst du an andere Triebfedern menschlicher Handlungen, als des Jnteresse?

[161] Ich glaube an Grundsätze.

Quält dich kein Gewissensbiß? Hat keine schreckliche Stimme in dem Innersten dir die Kränkung der Unschuld vorgerückt, und dich bloß ein Wahn von göttlicher Versöhnlichkeit beruhigt und dich überredet, das Geschehene sey ungeschehen, und Folgen wären von Ursachen getrennt?

Mein Gewissen ist rein. Ich bin Mensch. – Wenn Ihr mehr seyd, werdet Ihr Mitleiden mit meiner Schwäche haben und mich lehren, zu seyn wie Ihr. Gottes Hülfe grenzt an Menschenohnmacht.

Deine Sprache hat Wärme und Wahrheit. Wir sind nichts mehr als Menschen – wir kennen dich; bei uns bist du bestanden. Der Mensch kann her einzig unparteiische Richter seiner selbst werden, wenn er will, so wie er, sein ärgster Feind und innigster Freund zu seyn, in seiner Gewalt hat. Frage dich vor dem Allwissenden, in dem wir leben, weben und sind, derden Gedanken kennt, den du vielleicht eben jetzt wegstoßen möchtest: ob du nicht unzufrieden mit andern bist, weil die Natur sie glücklicher ausstattete, als dich? ob du mit den Wegen der Vorsehung zufrieden warst? ob du aus jedem Vorfall, der nicht von dir abhing, Vortheil zu deiner Besserung zogst? ob dir der Gedanke an Gott und an den Tod Schrecken ober Muth gab? (Wichtige Fragen! riefen alle;was wird er antworten?)

Der Ritter. Ich wiederhole mein Bekenntniß: Ich war Mensch, ich bin's noch. Prüfet mich! Noch hat der Neid mir keine schlaflose Stunde gemacht; vielleicht, ich gesteh' es, nicht aus dem reinsten Beweggrunde. Die Ehren, die der Staat austheilt, sind mir zu klein, um sie zu beneiden. Werden nicht Leute damit belohnt, die es so wenig verdienen? Nimmt man ihnen nicht alles, wenn man sie dieses Scheinvorzugs beraubt? Sind es mehr, als Titulaturverdienste? Und urtheilt selbst, ob ich nicht Ursache [162] habe, zufrieden mit der Vorsehung zu seyn! Sie that viel an mir. Nicht zu gewissen Stunden und nur wenig dachte ich an Gott, wenn Beten an Gott denken heißt; doch war meine Seele froh, wenn ich an ihn dachte. Wer bei traurigem Gemüthe an ihn denkt, läugnet ihn im Herzen und bekennt ihn mit seinen Lippen. – Das ist mein Glaube.

Wirst du keine Arbeiten erschweren oder erleichtern, wenn die Menschheit dadurch verliert?

Ich versprech' es.

Willst du das Unglück ehren und gegen das Glück gleichgültig seyn?

Ich will es.

Wirst du züchtig, gerecht und gottselig leben, um einst exemplarisch sterben zu können?

Ich werde.

Glaubst du ein ewiges Leben?

Ich glaub' es. Was wäre die ganze Würde des Menschen ohne ewiges Leben?

Hast du die Hoffnung, daß abgeschiedene Seelen sich ihrer zurückgelassenen Freunde und Bekannten erinnern können?

Ich wünsch', ich hoff' es.

Wohlan! Du kennest Drei in dieser Versammlung. Mit welchem von diesen Dreien willst du vor dem Angesichte Gottes ein gegenseitiges Testament machen, kraft dessen der, welcher zuerst stirbt, dem andern erscheine?

Mit – –

Schwöret!

Hier blieb einer von den Herumgehenden stehen, und schwur folgenden Eid:

Ich schwöre bei dem Allmächtigen und Allwissenden, bei dem Richter der Lebendigen und der Todten, daß, wenn ich von hinnen [163] scheide, ich, wo möglich, in den ersten drei, neun oder zehn Tagen, drei, neun, zehn ersten Wochen, drei, neun, zehn ersten Monaten, drei, neun, zehn ersten Jahren erscheinen will, es sey im Schlafen, oder im Wachen, dem –, so daß ich mich ihm kenntlich mache, durch Berührung, durch Worte oder Gedanken, es sey auf diese oder andere, mir jetzt schon bekannte, oder noch künftig bekannt werdende Weise: den Fall, wenn es mir dort nicht erlaubt wird, ausgenommen; sonst soll mich nichts retten von dem Fluch eines ewigen Gewissensvorwurfs, und der immerwährenden Angst eines Meineidigen: Dieß gelobe ich, so wahr mir Gott helfe, im Leben und im Sterben, und bei dem Verluste der Freuden der andern Welt.

Der Ritter setzte dieß Gelübde fort: Ich schwöre den nämlichen Eid, und mache mich hierdurch vor Gott verbindlich, daß, wenn es mir in meinem künftigen Zustande erlaubt ist, mich in dieser Welt, es sey körperlich oder geistig, zu offenbaren, ich mich dem – –, es sey im Traum oder Wachen, bekannt machen will oder werde. Ich gelobe dieß bei der Würde des Menschen, und bei den Hoffnungen, die in mir sind. Amen.

In diesem Augenblick erhob sich die regierende Stimme: Du bist im Noviciat der Obermeisterschaft. Wir haben dich auf Proben gesetzt; und da wir uns bei Beurtheilung anderer die äußerste Gelindigkeit zur Pflicht gemacht, werden wir so leicht keine Fehler finden, wo keiner ist, und kein liebloses Urtheil fällen, wo es noch Seiten gibt, die sich zum Besten kehren lassen. Jetzt, da wir von deinem guten Herzen durch sieben Vorhandlungen überzeugt sind, wirst du, ehe du es dich versiehst, in andere Lagen zum Thun gesetzt werden. Wohl dir, wenn du Palmen trägst, wenn du bestehest, um würdig zu seyn, dich durch den Tod zum Leben zu widmen, das ohne Verachtung des Todes kein Leben der Freiheit, sondern der Sklaverei ist! Heißt weise seyn seine Glück [164] seligkeit befördern, so gehöret die Ueberwindung der Schrecken des Todes und genaue Bekanntschaft mit ihm zur Weisheit. Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir weise werden! Lehr' uns unsere Tage zählen, und bereit seyn, Leben und Sterben für eine Schuld anzusehen, die wir der Natur abtragen müssen! Es gibt nur Einen Weg, im Leben Fortschritte zu machen: Erhöhung unseres Wesens, Läuterung unseres Geistes. Nie laß uns zu Schanden werden durch Todesschrecken, durch Seufzer und Klagen, die unvernünftig sind! So sanft und still wie wir in diesem Noviciat gehen, so sanft und stillthätig laß uns in der Welt seyn, und nicht die Hände in den Schooß legen, wenn noch Arbeit im Weinberge ist. Alles Fremdartige, was unsere Erzieher, und was wir selbst in uns legten, laß uns entfernen, um schlecht und recht zu seyn vor deinem Angesicht. Wer die Unschuld unterdrückt, sammelt sich schreckliche Furien auf die letzten Stunden des Lebens, Kraft zum Sterben aber, wer die Thränen von der Wange des Feindes trocknet, und den Hasser durch Segen und Wohlthun bessert. Wir wollen unsere Seelen in Händen tragen, und in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben, Leidenschaften erziehen, vernünftig leben, geduldig leiden, um einst froh zu sterben. Krankheiten zu entfernen, in so weit sie von Menschen abhangen, ist unsere Pflicht; überfallen sie uns wider Verschulden – sind sie mehr oder weniger als Naturbemühungen, uns, so lange der Leib zusammenhält, das Leben zu erhalten, um, so lange es nur geht, der Zerstörung des Menschenlebens auszuweichen. Dein Wille geschehe im Leben und im Tode. Amen.


Eine herrliche, eine sanfte Musik beschloß diese Scene. Der Ritter ward wieder mit verbundenen Augen in jenes Elysium zurückgeführt, durch welches er zum Todtengewölbe und so weiter gelangt war. Dieß Leben, sagte der zu ihm, der ihm die Augen [165] verband, führen wir es anders, als mit verbundenen Augen der Seele? Wohl uns, wenn wir einst Licht sehen und genesen!

Vor dem Schlusse dieser Noviciatsaufnahme drückte jeder der Wandelnden dem Novizen die Hand, und hieß ihn willkommen. Zur

136. Aufnahme
§. 136.
Aufnahme

ward geschritten, nachdem der Noviz in verschiedenen Lagen zum Thun, ehe er's sich versah, gesetzt, und bewährt befunden war. Wahrlich, der Ritter bestand in der Wahrheit; und auch dem Knappen fiel keine schwarze Kugel zur Last. – Von diesen Herzensproben konnte Michael nicht dispensirt werden. – Der Tag ward dem Ritter durch die drei Brüder eröffnet, die, wie es dem Ritter vorkam, ihm eine geraume Zeit nachspürten. Jetzt begleiteten sie ihn durch allerlei Umwege zu einem äußerlich prunklosen Tempel. Hier ward er in ein Gemach geführt, welches die Aufschrift hatte:


Nur das Grab macht weise.


Im Zimmer selbst fand er einen Tisch, auf welchem ein Kreuz, eine Bibel, ein Todtenkopf, ein Dolch, eine Schale mit Blut und eine Schale mit Wasser standen. Er befand sich eine geraume Zeit allein, und nun erschien ihm ein ehrwürdiger Greis, ein Mann in seinen besten Jahren, ein Jüngling und ein Kind; und es fiel eine Ceremonie vor, die verhangen war. Angemerkt hatte der Ritter am Rande:

Zum Tode habe ich weit mehr Beispiele vor mir, als zum Leben. Wer sein Leben zu lieb hat, verliert es und macht sich von einer Furcht abhängig, die uns von Menschen zu Sklaven entwürdigt. Die Hauptdinge, die ich verlasse, sind es nicht Geschenke der Natur, die mir nichts nehmen wird, was sie mir nicht reichlich wieder ersetzen sollte? Wer seine Besitzungen als Theile seines Wesens ansieht, versteht weder Tod noch Leben zu schätzen; [166] ich allein gehöre mir, und nichts ist so mein, als ich. Rechter Gebrauch meiner Kräfte und die Ausarbeitung derselben sind die unsterblichen Güter, die ich jenseits des Grabes mitnehme. Entzückte mich ein sanfter Frühlingshauch, so erschreckte mich der Nord im Winter; er zersplitterte meinen Lieblingsbaum, der mir Schatten vor der Sonnenhitze auf sechs Monate lieh, vor meinen Augen. Doch müssen es Nord und Winter seyn? Haben Frühling und Sommer nicht ihre Unannehmlichkeiten, so wie die besten Menschen ihre Launen? Der höchste Grad des Schmerzes ist Fühllosigkeit selbst, oder grenzt an sie; und der höchste Grad der Freude ist Betäubung, Herzensbangigkeit, die dann erst gütig und wohlthätig wird, wenn sie sich in Thränen auflöst. Der Tod – –

Warum aber diese Randglosse, wenn der Vorhang nicht gezogen werden kann? Der Ritter ward an eine große Pforte geführt und ihm angedeutet, daß, wenn er drei, sieben, neun und zehn gezählt hätte, er die Thür selbst aufmachen sollte. Er zählte, that, was ihm befohlen war, und sah einundzwanzig Ritter des Ordens vom heiligen Grabe, die von zwei Seiten standen. Einer oben in der Mitte zeigte ihm ein großes Kreuz, mit den Kleidungen und den Zeichen dieses Ordens behangen, und sprach:

Sehet da die Kleidung der Ritter des Ordens vom heiligen Grabe!

Nach diesen Worten ließ er ihn vor sich hinknien und nahm ihm den Eid der Verschwiegenheit ab. Alle Ritter legten beim Schwur ihre Degen auf sein Haupt. Man hieß ihn aufstehen; er ward zurückgeführt und ihm die ganze ritterliche Kleidung angelegt. Nach seiner abermaligen Einführung, die in Begleitung zweier Ritter geschah, redete ihn der Ordensobere an:

Was man Euch von den Rittern des Ordens vom heiligen Grabe, welche in der profanen Geschichte nicht unbekannt geblieben und zum Theil noch vorhanden sind, erzählen mag, so seyd Ihr [167] zu einer Würde berufen, die nur das Kleinod weniger Sterblichen ist. Jenen bekannten Rittern des Ordens vom heiligen Grabe hat man ihre von uns aufgefaßten Behauptungen bestritten, daß sie von der Zeit des heiligen Apostels Jakobus, als ersten Bischofs zu Jerusalem, abstammen, und daß Gottfried von Bouillon, erster König zu Jerusalem, oder Balduin der Erste, nichts weiter als Erneuerer des Ordens gewesen; allein unser Orden ist weit über die Zeit des heiligen Apostels Jakobus hinaus. Unsere geheime Geschichte wird Euch überzeugen, daß wir dem zwölften Jahrhundert, so reich es auch an Rittern war, wenig oder nichts zu verdanken haben. Mögen müßige Köpfe den Meister über Dinge dieser Art spielen; wir wollen Meister in That und Wahrheit seyn. Der leibliche Tod ist das Loos der Menschheit, nicht der Sold der Sünden; und seit dem Ausspruch: Mensch, du bist Erde und sollst zur Erde werden, existirt unser heiliger Orden. Paradies, göttliches Ebenbild, Unsterblichkeit der ersten Menschen sind Hieroglyphen, die Euch mit der Zeit aufgelöst werden sollen. Wir, unseres Orts, kennen den Menschen nicht anders, als er jetzt ist; und wenn er gleich durch Lebensdiät an Leib und Seele sein Ziel sehr weit und viel weiter als gewöhnlich bringen kann, so ist doch der Tod die Art der Verwandlung, wodurch er in der Werkstätte der Natur zu einer andern Bestimmung geläutert und gereinigt wird. Wir erhielten aus den Händen der mütterlichen Natur Leib und Seele. Die, welche den erstern dem Feuer übergaben, störten die Wege der Natur, welche will, daß er durch Fäulniß aufgelöst und als Stoff zu einer neuen Schöpfung vorbereitet werde. – Schon Adam ward begraben; – Abraham kaufte sich ein Erbbegräbniß, und die uralte Welt verbrannte ihre Todten nicht, um, sowie einige kultivirte Völker, mit einer Handvoll Asche Luxus zu treiben, oder, wie weiland Artemisia, ihr Getränk damit zu würzen. Moses, einer der ersten Ritter, die in der Welt waren, ein wahrer geistlicher [168] Ritter, der die Chorwürde mit dem Feldmarschallsstabe verband, ward von Gott dem Herrn begraben, so daß wohl nichts klarer bewiesen ist, als daß der Ritterorden des heiligen Grabes von Gott selbst abstammt.

Unserm Ritter fielen hiebei die ersten Kleider ein, die Gott der Herr lange vor Moses Zeit den gefallenen ersten Eltern gemacht hatte, und die Heraldicus junior zu seiner Zeit nicht in einer guten Stunde anführte, als die Ritterin den Schuster zu seinem Leisten und den Schneider zu seiner Nadel zurückwies. Doch blieb ihm keine Zeit, diesem Gedanken nachzuhängen; vielmehr war ihm die Behauptung des hohen Obern, daß Patriarch Abraham schon wirklich General des Ordens gewesen, weniger einleuchtend, als erwecklich. Daß der Stifter der christlichen Religion, fuhr unser Brabevta fort, Mitglied unseres Ordens gewesen, kann durch seine Himmelfahrt nicht widerlegt werden. Lag er nicht drei Tage im Grabe? und ist sein Grab unserm Orden nicht Erneuerung und Heiligung? Nur wenige von den Rittern des Grabesordens nahmen an den tiefen Mysterien Theil, die von Adam ab in unserm Orden sich in aller Stille erhielten. So manches, das man aus dem Paradiese mitbrachte, ward durch geheime Tradition fortgepflanzt, bis es auf den geistlichen Ritter Moses kam, der, wiewohl nur einen Theil davon, schriftlich verfaßte, einen andern aber, seinen theuer geleisteten Gelübden gemäß, zur mündlichen Fortpflanzung zurückbehielt, deren nur wenige gewürdiget worden, von Anbeginn bis auf den heutigen Tag.

Was wollen bei diesen Umständen Einwendungen, die man den neuen Grabesrittern macht, als sey es so zuverlässig nicht, daß Gottfried von Bouillon oder sein Nachfolger Balduin diesen Orden gestiftet? Mögen die Statuten und die Gesetze vom 1. Januar 1099 bezweifelt werden, indem im zweiten Artikel dieser Statuten Ludwigs des Sechsten, Philipps des Zweiten und des heiligen [169] Ludwigs gedacht wird, obgleich Ludwig der Sechste 1108, Philipp der Zweite 1180 und der heilige Ludwig 1226 ihre Regierung antraten. Es wäre federleicht, gegen diese und andere Behauptungen die Statuten und Gesetze des Ritterordens vom heiligen Grabe zu retten, so profan sie auch sind und so wenig sie von uns anerkannt werden. Unser höherer Grabesorden schenkte, einem gutherzigen Baume gleich, seine Früchte selbst dem, der ihm zuweilen Aeste abriß. – Jene bezweifelten Gesetze und Statuten sind, wie alles in der Vorwelt, erst mündlich fortgepflanzt und später in Schrift verfaßt. Sieht nicht, wer Ordensaugen zum Sehen hat, daß man den besagten Regenten und besonders Karl dem Großen (von welchem behauptet wird, daß er ein Gelübde gethan habe, Gut und Blut dem gelobten Lande zu widmen, um es von dem Joche der Sarazenen zu befreien, ob er gleich nie im gelobten Lande gewesen ist) in diesen Statuten und Gesetzen den Hof machte? Daß man auf eine feine Art diesen hohen Herren sagen wollte, nicht was sie gethan, sondern was sie hätten thun können und thun sollen? Man muß die Natur des Menschen berechnen, und bewährte Erfahrungen von Convenienzen und Verhältnissen im menschlichen Leben einsammeln, um dergleichen Geschichtsskrupel zu heben und Widersprüche auszustimmen. Unsere Großen wissen durch Gewandtheit des Ausdrucks, durch Raschheit und oft selbst durch Geschraubtheit in Fragen und Antworten, das heißt: durch Wortkünstlichkeit, ihre schwachen Seiten im Denken und im Handeln so zu verhängen, daß man Mühe hat, sich nicht durch Ansichten und Aeußerlichkeiten blenden zu lassen, und wenn die Geschichtschreiber sie noch so pünktlich kennen (doch ist dieß selten der Fall), – dürfen sie sich unterstehen, sie zu treffen? – Selbst nach ihrem Tode sind sie sicher, verschönert und verherrlicht zu werden, um auf den Ehrtrieb des durchlauchtigen Nachfolgers zu wirken. – Der Mensch ist collective bis jetzt kein Haarbreit [170] anders, als er von Anbeginn war; die Schminke ist verfeinert und ein wichtigerer Handlungsartikel geworden, auf den mit der größten Sicherheit zu spekuliren ist. Freilich gibt es eine Ironie, um Wahrheiten zu verdecken, die kaum dem Zehntausendsten dämmert; wie selten aber finden sich Macchiavelle, welche skandalöse Chroniken in Lobreden umschaffen und den Marokkanischen Despotismus in einen Freistaat veredlen? – welche Köpfe, wie Friedrich den Zweiten, zu Widerlegungen begeistern, wo nichts zu widerlegen ist? – Inokulirt man mit diesen Reisern, von Grundsätzen die Baumschule unserer Grabesgeschichte: wer findet es bedenklich, wenn nach demvierten Artikel alle jene hohen Häupter, ob sie gleich zu verschiedenen Zeiten lebten, zusammentreten, um diesen Ritterorden zu Stande zu bringen? Wahrlich, wer unsere Ordensgeschichte der älteren Zeit in Erwägung zieht und zum voraus setzt, was man ganz füglich voraussetzen kann, daß hier und da einer von unsern Eingeweihten Theil genommen, wer findet nicht mehr als er liest? Alle jene Großen der Erde hatten ohne Zweifel die Ehre, etwas zum Aeußeren des Ordens beizutragen, und warum sollten sie in dieser Rücksicht im vierten Artikel nicht Stifter genannt werden? Das heilige Grab war und blieb das Hauptstück des heiligen Landes. Name und äußere Würde, wenn sie zu späteren Zeiten aufgekommen sind, entscheiden nichts. Was thut der arme Name!

Und wie? verdient der Umstand, die Stiftungsurkunde des Balduin sey nicht nur französisch, sondern neumodisch gekleidet, Erwähnung? Widerlegung gewiß nicht. Wer nicht den Geist der Geschichte vom Fleisch, die Erdentheile von den himmlischen sondert – hat der Geschichtsurtheil? Ueberall findet er Sauerteig, der den Ofterteig verdirbt. – Im Reiche der Wahrheit ernährt der Krieg, der Friede verzehrt.

Unter den weltlichen Chorherrn, die bis 1114 bei der Kirche [171] des heiligen Grabes standen, war hier und da einer in der hohen Wissenschaft unseres Ordens eingeweiht, und als man diese weltlichen Chorherren zwang, die Regel des heiligen Augustinus anzunehmen und Gelübde abzulegen, schickten sich die Unsrigen in die Zeit, und pflanzten im Stillen unsre Kunst fort. Wichtiger ist der Umstand, daß Papst Pius der Zweite im Jahre des Heils 1459 durch einen Ritterorden unter dem Namen unserer lieben Frau von Bethlehem viele Ritterorden, und unter andern die Chorherren des heiligen Grabes, unterdrückte. Da es mit der lieben Frau von Bethlehem nicht gehen wollte, so suchte und fand der Papst Innocentius der Achte Gelegenheit, die heilige Grabesstiftung mit den Rittern St. Johannes von Jerusalem oder den Rhodus-Rittern unter einer Decke spielen zu lassen. Vor unsern gerechten und ächten Brüdern gingen Wolken und Feuersäulen; weise wußten sie sich in den Nächten der Widerwärtigkeiten, weiser noch bei den Sonnenstrahlen des Glücks zu verhalten. Ihrer Tugend und Einsicht verdanken wir, was wir sind. Fällt der Himmel, er fällt denen zu, die ihn lieben! – Durch Leiden geht der Mensch zur Freude, durch Anstrengung zur Kenntniß, durch Unterdrückung zur Kraft, durch Tod zum Leben! – Haben wir nicht Beweise in Händen, so dreist auch von einigen Schriftstellern, aus Unwissenheit oder Bosheit, das Gegentheil behauptet wird, daß Innocentius der Achte nicht Chorherren, sondern Ritter des heiligen Grabes unterdrückte? Dieser Unterdrückung trat Papst Pius der Vierte, zu seiner Schande, durch eine Bulle von 1560 bei. – Vielleicht findet sich Gelegenheit, die Rechte des heiligen Ordens gegen die Johanniter außer Zweifel zu setzen. Dadurch würden wir zwar weder an Geist und Kenntniß, noch an Leib und Einkünften sonderlich viel gewinnen; doch muß Recht Recht bleiben in Zeit und Ewigkeit – wenn nicht aus andern Gründen, so von Rechtswegen. – Gereicht es dem unterdrückten Grabesorden zum [172] Vorwurf, daß Papst Alexander der Sechste die Würde der Ritter des heiligen Grabes förmlich aus Licht zog? Daß er einen Ritterorden unter diesem Namen stiftete? Daß er die Würde eines Großmeisters für sich und seine Nachfolger annahm? und dem apostolischen Stuhle Macht zueignete, dergleichen Ritter zu ernennen, womit auch der Guardian des Ordens des heiligen Franciscus als apostolischer Commissarius belehnt wurde? Es ist bekannt, daß die Mönche vom Franciscanerorden die Bewachung des heiligen Grabes zur Pflicht hatten, unter denen etliche zu den höheren Geheimnissen des Ordens non propter sed propter zugelassen werden mußten. Wer die Unschuld vertheidigt, ist beredt ohne Rhetorik. – Ein Thor sucht zu herrschen; ein Weiser bemüht sich, die Vernunft zur Herrschaft zu bringen. Freund, nicht mit Großmuth müssen wir den Feinden begegnen; sie zu lieben ist unsre Pflicht. – Großmuth ist Wohlthat, die wir uns erweisen; Liebe ist Selbstopfer, Zwang unserer Neigungen.

Mit diesen vorläufigen Umständen von der ungeschmückten Geschichte des Ordens mußte ich Euch bekannt machen, ehe man Euch nach altem oder neuem Gebrauch zum Ritter schlagen kann. Jetzt trat der Ritter näher, um folgende Fragen zu beantworten:

Seyd Ihr ein gesunder Mensch?

Ich bin es.

Habt Ihr keine geheime Krankheit?

Nein.

Seyd Ihr keines Mannes Knecht?

Nein.

Und keines Weibes?

Nein, doch hoff' ich so glücklich zu seyn, Sophien zu finden.

(Der Obere lächelte.)

Habt Ihr außer Gott keinen Herrn?

Keinen als den Staat, in welchem ich lebe.

[173] Ist Euer Fleisch nicht der Herr Eures Geistes?

Ich bin ein Mensch; doch läßt sich der Geist wahrhaftig nichts nehmen.

Wollet Ihr die Gesetze des Ordens und seine Gewohnheiten ehren, und seine Geheimnisse ins Grab nehmen?

Ich will es.

Wollt Ihr, wenn Christen mit Ungläubigen in Krieg sind, die heilige Kirche wider ihre Verfolger vertheidigen?

Wenn ich nicht durch höhere Pflichten abgehalten werde, und der Staat, in welchem ich lebe, kein Freund und Bundesgenosse der Ungläubigen ist.

(Der Obere lächelte wieder.)

Werdet Ihr allen ungerechten Zank meiden; Euch schnöden Gewinnstes wegen nie in Zweikampf einlassen; Narrentheidungen und Scherze fliehen, die Christen nicht geziemen?

Ich werde.

Wollt Ihr, so viel an Euch ist, mit jedermann Frieden halten; keinen Zank unter Gliedern Eures Ordens seyn lassen; wenn sich aber Mißlaute und Streitigkeiten fänden, sie den Ordensobern zur Einlenkung und Entscheidung anheimstellen?

Ich gelobe.

Werdet Ihr Euch der Völlerei enthalten, es sey im Essen oder Trinken, und Euch der Nüchternheit und Mäßigkeit befleißen?

Ich will.

Wollt Ihr nicht bloß über das Maß, sondern auch über Art und Weise Eures Vergnügens wachen?

Ja.

Ost wird Rittern nicht mehr als Brod und Wasser zu Theil, dürftige Ordenskleidung, Mühe, Kummer und Arbeit die Fülle. Größer ist der Arme, der nicht reich zu seyn begehrt, als der Reiche, der den Armen reich machen will. Erinnert Euch Eures [174] Vorbereiters, der Euch ein Bettler dünkte. – Seyd Ihr entschlossen, Elend, Noth und Gefahr getrost zu übernehmen und Euch mit dem zu begnügen, was da ist?

Ich bin es.

Werdet Ihr Euer Leben verachten, wenn Ehre und Pflicht den Tod gebieten; nichts als Zweck ansehen, was bloß als Mittel gelten kann? Werdet Ihr die Schrecken des Todes für nichts mehr, nichts weniger als falsches Spiel der Phantasie halten, und die Eindrücke Eurer Jugend gegen den Tod zu schwächen und zu überwinden suchen?

So viel an mir ist.

Werdet Ihr Euer Leben lieben und es zu erhalten suchen, wenn von diesseitiger Pflicht die Rede ist, oder von Vorbereitung zu einer andern Welt?

Ja, so Gott will.

Wißt, daß in Fällen der begangenen Unwahrheit, und wenn Ihr heute, morgen, übermorgen oder in der spätesten Zeit davon überzeugt werdet, der Orden strafen kann. Unterwerfet Ihr Euch den Strafen, Auge um Auge, Zahn um Zahn?

Ja.

Amen! sagte der Brabevta, und hieß ihn sich nähern, niederknien und schwören:

Dem Orden treu zu seyn im Leben und im Tode, seine Gelübde zu halten, bis sein Ende komme, und alsdann mit frohem Muthe und Herzen von hinnen zu fahren. – Darauf segnete er seinen Degen und die vergoldeten Sporen, legte seine Hand auf des Ritters Haupt und sprach: Gott stärke Euch, zu seyn und zu bleiben ein guter Streiter, – und den Sieg davon zu tragen im Leben und Sterben. Amen! – Jetzt ließ er ihn die Sporen anlegen, zog seinen Degen aus der Scheide, gab ihm denselben in die Hand, um sich seiner zu bedienen, nicht Krieg, sondern Frieden zu [175] machen. Nach wenigen Minuten befahl er ihm, den Degen wieder in die Scheide zu stecken und sich zu umgürten. Umgürtet, sagte der Obere, Eure Lenden, und seyd fertig allezeit zu thun den Willen deß, der Euch sendet. Gott aber wirke in Euch beides, Wollen und Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen! – Nach diesen Worten zog der Obere den Degen aus der Scheide und schlug dem Ritter drei Schläge auf die Schulter, der sein Haupt auf das heilige Grab legte, welches vor dem Sitze des Meisters in effigie errichtet war. – Während dieser Ceremonie sangen vier Ritter das Lied Simeons: Herr! nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, in einer dem Orden eigenen Melodie. Die Ritter waren bloß der deutschen Sprache beflissen, und das Lied Simeons schien aus dem Lateinischen übersetzt zu seyn. – Zur Probe geistreicher Poesie konnte es nicht dienen. – Die übrigen Ritter leisteten dem Oberen bei der Aufnahme Handreichung. Dreimal machte der Obere das Zeichen des Kreuzes und sagte: Ego – – – te constituo et ordino militem sanctissimi sepulchri Domini nostri Jesu Christi. (Ich weihe dich zum Ritter des heiligen Grabes unseres Herrn.) Sodann legte er ihm eine goldene Kette mit den Worten um den Hals: Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Außer dieser Kette ward der Ritter mit einem goldenen, roth emaillirten, mit vier eben dergleichen kleinen Kreuzen umgebenen, großen Kreuze geziert. Tragt dieses Ehrenzeichen, sagte der Obere zu ihm, an einem schwarzen Bande um den Hals; wachet und seyd nach Anleitung der fünf klugen Jungfrauen bereit, wenn Euer Stündlein kommt, zu leben und zu sterben. – Endlich ward ihm ein Mantel umgeworfen, auf welchen an der linken Seite eben dieses Kreuz mit seinen vier Trabanten gestickt war. – Nach der Vollendung dieser Ceremonie erhielt der neue Ritter Ritterkuß, Zeichen, Wort, Berührung und Namen. Ich taufe [176] Euch ritterlich, sagte der Obere, nach der heiligen Zahl, und Ihr heißt von nun an: Adam Ritter vom Stern (Adamus Eques a stella). Das Zeichen war, die Hände in die Lage eines Grabers zu bringen. Das Wort ist, fuhr er fort: Grab; das hohe Wort, das nur buchstabirt (in der Ordenssprache hieß es tropfenweise) ausgesprochen werden kann, heißt Lazarus: L-a-z-a-r-u-s; die Berührung, die Spitzen der zehn Finger an einander zu setzen. – Und nun küß' ich Euch als Ordensbruder.

Am Tage der Aufnahme fiel keine Dämmerung weiter vor; nach so vieler Arbeit hielt man Refektorium. – Für jeden stand ein kleiner Tisch mit der erforderlichen Geräthschaft. Die Tische waren dreieckig und standen in Dreiecken; doch übertraf die Zahl der Tische die Zahl der gegenwärtigen Mitglieder. Auf einem jeden Tische standen drei kleine Schüsseln, auch im Dreieck, deßgleichen zwei Lichter und ein Todtenkopf in derselben Figur, welches alles sich auch auf den vier Tischen befand, bei denen niemand zu sehen war. Einer der Brüder belehrte den Ritter, daß diese Tische zwei todten und zwei noch lebenden abwesenden Mitgliedern gebührten. Noch nahm er sich die Erlaubniß, den Ritter zu belehren, daß die abwesenden noch Lebenden diesen Abend nichts zu genießen im Stande wären, wenn es gleich die Ordensregel bewilligt. Sie sind gesättigt, setzt' er geheimnißvoll hinzu, und von den Gestorbenen sollen sich ehemals Schatten eingefunden haben, um für diese Art von Libation zu danken. Das ist die Deutung des wechselseitigen Testaments, einander zu erscheinen, welches zwischen dem Aufzunehmenden und einem der alten Mitglieder bei der Aufnahme gemeinschaftlich gemacht wird. Nicht kann man suchen, man wird gesucht; ohne unser Gebet, ohne menschliches Zuthun und Erflehen, erscheinen zuweilen Geister. – Eben dieses Mitglied befragte den Ritter: ob er je von sympathetischen Kuren gehört hätte, wodurch man Menschen hundert Meilen und drüber entfernt, arzeneien, [177] und, wenn das Glück gut wäre, heilen könne? Eben so, bemerkte dieser Bruder, ist man im Stande, in Abwesenheit zu verletzen. Ich, meines Orts und Theils, setzte er hinzu, bin behutsam, mich malen zu lassen, und mehr meiner Brüder deßgleichen. Man kann in effigie empfindlich bestrafen und belohnen. Fällt die wirkliche Execution in rechte Hände (Guillotinen waren damals noch nicht erfunden), so ist der Unterschied in der Empfindung nicht groß, in natura oder in Bildniß geköpft, gehängt und geviertheilt zu werden. Die Versicherung, es gäbe Orte, wo er nicht im Porträt seyn wolle, um alles in der Welt, war so herzlich, daß sie dem Ritter auffiel. – Die Ceremonie bei Tische –? Das Benedicite bestand aus den Worten: Memento mori. Die Sitze hatten eine Gestalt von Gräbern. Ein wirklich rührendes Schauspiel! Das strengste Stillschweigen herrschte geraume Zeit, bis eines der Mitglieder sich das Wort mit der Losung erbat: Memento mori. Die Antwort war: Memento mori. Jetzt fing dieser Ordensmann an, aus dem Geiste zu reden, ungefähr also:

Wir sind hier, zu leben und zu sterben. – Zu leben ist schwer, zu sterben ist leicht, doch niemand kann an den Tod weise denken, der nicht weise zu leben versteht. Es sind blinde Leiter, die alles nach Einer Form haben wollen – Alle sollen leben, wie sie, und sterben, wie sie, und doch gibt es Stufen in der Vollkommenheit und Freiheit. Der Freiheit? Allerdings. Von einer Art derselben heißt es im Geist und in der Wahrheit: je freier, desto vollkommener. Der Frevler ist ein Knecht des Todes sein Lebenlang; und so nichtswürdig sein Leben ist, so affenartig liebt er es. Was hat er mehr, als die Handvoll Leben, die dem Weisen nichts gilt, dem Unweisen aber alles? Der Edle könnte sich fast freuen, die Ketten abzuschütteln, womit das Leben ihn fesselte; er weiß, es gilt das Land der Freiheit nach einem Wüstengange, wo ihm so selten Manna und Wachteln fallen und frisches Wasser aus einem [178] Felsen spritzt. Freude stört, wie Leid, die Fassung; der Weise ist gleichgültig. Warum auch anders? warum Unzufriedenheit mit einem Leben, auf das, wenn es besser wäre, eine ganz andere Welt folgen müßte, als die wir erwarten? Nicht der, der mit Geschenken dem Dürftigen hilft, nur der ist sein Wohlthäter, der ihn in die Verfassung setzt, sich selbst zu helfen. Seht da die Pflicht der Weisen! sie sind nicht da, zu helfen: zu trösten und zur Selbsthülfe Anlaß zu geben, ist ihre Pflicht. Wenn es der Weisheit gelänge, sich mehr Anhänger zu sammeln und durch den seelerhebenden Gedanken die Pluralität auf ihre Seite zu bringen, könnte nicht manches Gute bewirkt werden, was jetzt auf dem Acker felsiger Herzen erstickt und fruchtlos von wenigen Edlen ausgesäet wird? Alsdann freilich wird es verlohnen zu leben! Aber auch jetzt – steht es denn so ganz schlecht mit dem Leben? Du klagst, die besten Pläne werden, wenn nicht durch Bosheit der Menschen, so durchs Ungefähr vereitelt, das sich fürs Böse und für Böse öfter, als fürs Gute und für Gute erklärt. Wahr –! – Nur Schwärmer hoffen, ohne zu zweifeln; der Weise zweifelt selbst noch, wenn seine Hoffnung fast völlig erfüllt ist. Er zweifelt – nicht um sich den vollen Becher der Freude, dieser Vollendung halber, aufzusparen, nein, weil kurz vor dem Amen seines Plans alles noch scheitern kann. Und kommt es zum Amen – stürzt nicht ein Thor in Einem Augenblicke, was zehn Weise ihr Lebenlang bauten? – Doch, Lieber! weißt du, wenns Zeit ist, daß die Menschen von der Finsterniß zum Licht und von der Thorheit zur Weisheit gelangen? Der größte Beweis, daß wir zu Leiden bestimmt sind, ist, weil Leiden, je größer, desto sicherer, zur Vollkommenheit bringen. Was willst du mehr, wenn du nur vollkommen wirst? Ist es Fehler, besser von Menschen zu denken, als man sollte, so ist es ein Fehler des Edlen, der mir lieber als Scheingerechtigkeit ist, die der Buße nie bedarf. Man denke vom Leben, was man will: gibt es nicht [179] Staats- und Familienverhältnisse, wo längeres Leben Glück und Ruhe auf Staat und Familien verbreiten kann? Doch gibt es kein größeres Unglück, als sich selbst überleben! Das wende Gott in Gnaden! – Wir werden Grabesritter, ohne aufzuhören Lebensritter zu seyn. Unzufriedenheit ist die Universalkrankheit, woran der größte Theil der Menschen stirbt: Zufriedenheit ist Selbstschonung und das beste Mittel, das Leben zu genießen, das mancher Methusalem neuerer Zeit immer genießen will und bei einem Haar genossen hätte, wenn er im neunzigsten Jahre scheidet. Nur wer weise entbehrt, genießt; wer nicht übertriebene Empfindung für die Sache selbst nimmt, lernt sich in Zeit und Welt schicken, auch wenn er die Menschen so verändert findet, wie Sully den Hof nach Heinrichs IV. Tode.

Dein Loos ist geworfen, neuer Ritter! Sey Mann im Leben und im Tode! Memento mori.

Am Rande war bemerkt: Enthält diese Rede mehr, als: Eldorado ist nicht hier, oben oder unten ist Eldorado?

Memento mori, erwiederte der Obere auf diese Rede. Du hast wohl gesprochen! Damit sich aber unser neuer Grabesbruder in Deinem Geistesergusse nicht verirre; so wiss' er, daß in unserm Orden die Kunst, das Leben zu verlängern, die Kunst, sanft zu sterben, die Kunst, mit Abgeschiedenen umzugehen u.s.w. gesucht oder getrieben wird. In dieser höheren Beziehung gilt eigentlich das hohe Wort Lazarus. Darf ich an den Ursprung desselben erinnern? Heil uns, wenn auch wir in unserer Kunst es so weit bringen, daß wir, wo nicht zum wirklichen Gestorbenen, so doch zum Sterbenden sagen können: Stehe auf! – Memento mori.

Hiemit war die Aufnahme-Dämmerung zu Ende. Bei dem nachherigen Unterricht erfuhr der Ritter die Fortsetzung der Geschichte der Grabesritter, die, leider! aus einem Grabe ins andere stürzten. Sie erkoren in Flandern im Jahr 1558 den König von [180] Spanien Philipp den Zweiten zu ihrem Großmeister, und wollten diese Würde mit der spanischen Krone auf immer verbinden. Der Johanniterritter-Großmeister vereitelte diesen weisen Plan; er berechnete nicht unrichtig, der Grabesorden würde die Güter zurückfordern, welche die Johanniter sich so ungebührlich zugeeignet hatten. Der König von Spanien entsagte der Grabes-Großmeisterschaft. – Im Jahr 1615 machte der Orden neue Versuche; allein auf das Gesuch des Großmeisters von Malta, Alof von Vignacourt, widersetzte sich Ludwig der Dreizehnte diesen Bemühungen – – – Die neueste Geschichte des Ordens war verhangen; doch hatte der Orden bis auf den heutigen Tag seine Großmeister, die man indeß nur im Ordensnamen bekannt machte. Der Herr kennet die Seinen, sagte der Obere. Der gegenwärtige hieß Alexander, Eques a die, Alexander, Ritter vom Tage. Noch dienet zur Nachricht, daß der eigentliche bis jetzt unter der glücklichen Regierung des Großmeisters Alexanders, Ritters vom Tage, blühende Orden des heiligen Grabes Präbenden und Priorate vertheilte, und, nicht bloß was ihm ehemals gehört hatte, sondern auch, was ihm hätte gehören können, seinen höhern Rittern mit einer Freigebigkeit zuwandte, die an Verschwendung grenzte. Wenn die Menschen an Tod und Grab denken, oder besser, wenn Grab und Tod in der Nähe sind, pflegen die meisten zu verschwenden, Emsige ausgenommen, die sich ihr Vermögen selbst erwarben. – – Die Krast der Einbildung, durch diese Besitzungen in partibus infidelium sich glücklich zu dünken, machte, daß die Herren Besitzer, besonders in den heiligen Zusammenkünften, nicht aufhören konnten, sich von ihren Vorzügen zu überzeugen. Wirklich Geheimer Rath und Geheimer Rath sind die höchsten Stellen in unseren Staaten, sagte der hohe Obere bei einer schicklichen oder unschicklichen Gelegenheit; siehe da, neuer Bruder! Du bist geheimer, wirklich geheimer Ritter. Je mehr Güter wir in der That besitzen, desto mehr Sorgen [181] drücken uns; bei unsern Präbenden ist kein Schatten von Widerwärtigkeit. Selig sind die Besitzer in partibus infidelium; denn die ganze Welt und das Himmelreich ist ihre! Eine sauber gestochene Karte von diesen Besitzungen lag bei diesen Nachrichten, die ich, um die Kosten zu sparen, diesem §. nicht beifügen will. Das meiste in der Welt wird in der Einbildung genossen, gehofft und gefürchtet; und so waren unsere Grabesritter (thun regierende Herren nicht deßgleichen?) so eifersüchtig auf diese Besitzungen, als ob es Hals und Hand, Gut und Blut, Felder, Aecker und Wiesen galt. Wer aus meiner Lesewelt über diese Eifersucht, dieß Spielwerk und diese ganze Kinderei den Kopf schüttelt, ist (nach dem Ausspruch unseres Helden) in seinem Leben in keinem Grabes-Rittersaale gewesen, hat nicht bei einer schwachen Erleuchtung Männer in langen Mänteln mit Kreuzen geziert wandeln und in eine denkwürdige Zeit vieler Jahrhunderte sich zurückgezaubert gesehen. – Nur der Kindersinn wird hergestellet. – Der größte Herr in der Welt, versichert der Ritter, kann solch ein hochwürdiges Schauspiel und solch ein herrliches Mahl nicht geben, wenn er Millionen verschwendet. Was diese Hohen thun, wird gleich zur Maskerade, und eine Art von Tollhaus. – O! es ist allerliebst, zuweilen zu werden wie die Kinder, versichert der Ritter am Rande und glaubt, Freund Johannes würde nicht ungern Grabesritter gewesen seyn oder gespielt haben.

Da der Vater unseres Helden als Johanniterritter nicht minder alles in der Karte besaß, obgleich sein in Berlin negociirter Wechsel als das Receptionsquantum baar ersetzt werden mußte – hielt unser Held mit seinem wohlseligen Herrn Vater (die sechzehn Ahnen etwa abgerechnet, über welche die Grabesritterschaft sich wegsetzte) nicht gleichen Schritt? Doch zog er seinen Orden, wie billig, vor, wegen des Alters, und weil der Johanniter-Orden öffentlich, der Grabes-Orden dagegen heimlich spielt. – Höchlich freuete sich [182] unser Grabesritter, daß der Tod ihn der Verpflichtung überhoben hatte, mit seinem leiblichen Vater wegen der dem Grabesorden entzogenen Besitzungen rechten und Krieg führen zu dürfen. Der Tod gleicht alles aus, was Menschen nicht ausgleichen können. Eldorado ist unter der Erde, sagte unser Held. War es ihm als Grabesritter zu verdenken, daß er das Oben fürs erste aussetzte? Ach! wer weiß es, wo Eldorado eigentlich liegt? – Ohne Zweifel war unser Held in seinem Element der unschuldigen Freuden seiner Jugend so lebhaft eingedeuk, daß sein Genuß wenigstens verdoppelt ward. Da standen wieder die zwölf Bogen, zu Ehren der zwölf Apostel von Helena erbanet, weil hier das Symbolum apostolicum verfertigt worden war. Da hatte er den Stein, den her Engel wegwälzte (Menschen thun es freilich nicht, die legen Steine), den Oelberg, den Bach Kidron, um einen Becher kalten Wassers, die Leiden dieser Zeit zu vertrinken, das Haus des Pontius Pilatus, das Schlafstübchen der Frau Gemahlin Excellenz, um so manches Staats- und Privatübel zu verträumen – und endlich das Haus Simeons: Herr! nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren. Kann das alles die große und kleine Welt geben –? Wahrlich, das beste, was noch in der Welt ist, besitzt man in der Karte. Der

137. Knappe
§. 137.
Knappe

der im Rosenthal'schen Jerusalem nicht so bekannt war, wie der Ritter, konnte sich nicht so leicht finden; er schien sich zu wundern, wie es in aller Welt zuginge, daß Grabesritter, so wie regierende Herren, sich von Besitzungen nennen könnten, in denen ihnen kein Nagel zugehörte, und, will's Gott, auch nicht zugehören wird. Da Michael seinem Herrn in allen Graden und Orden knappengemäß [183] nachtrat – konnt' er wohl vom Grabe ausgeschlossen werden? Seine Aufnahme war ohne Prunk. Er sagte selbst: ich sterbe, ohne lange krank zu seyn, und werde ohne Geläute begraben! Wunderbar! (des Knappen eigene Worte, als man ihm die Begleitung seines Herrn in den Grabesorden erschwerte) als wenn unser einer nicht auch stürbe! Ungeachtet schon ein hülfleistender oder dienender Bruder bei dem Ordenshause war, und diese Zahl statutengemäß nicht vergrößert werden sollte, ward Michael, jedoch auf näheren Vortrag seines Herrn, angenommen: – zum Vorrathe, der selten schadet! Der Pomp, der in dem Rittersaale herrschte, trug zu Michaels voller Zufriedenheit reichlich bei. Er selbst hatte den Vorzug, eine Art von Ordenskleid zu tragen. Eines Tages (der Glaube ist nicht jedermanns und jedes Tages Ding) wandelten Michael Zweifel an, und er war unvorsichtig genug, zu behaupten: er wäre weit dankbarer gewesen, wenn der Orden geruhet hätte, ihm eine kleine Meierei in partibus fidelium, anzuweisen, die er gegen ganze Provinzen in partibus infidelium zu vertauschen kein arithmetisches Bedenken getragen haben würde. »War denn der Fräuleinsohn in seiner Meierei glücklich?«fragte der Ritter; »wird es Heraldicus junior seyn, der sie ihm abgekauft hat?« Michael hätte freilich dem Ritter erwiedern können, daß man mit Jerusalem auf der Karte sich hinlänglich begnügen könne, wenn man Rosenthal in natura habe. Indeß fielen bei ihm nur selten verzweifelte Tage ein, er war einer der gläubigsten und frohesten im Orden; seinen eigentlichen Collegen, den alten hülfleistenden oder dienenden Bruder nicht ausgenommen, den zehn Meiereien gegen die Bosheiten eines ungerathenen Sohnes, der ihm das Leben verbitterte, nicht entschädigt hätten. Unsere Damen würden es mir kaum vergeben, wenn ich nicht näher an die

138. Kleidung
[184]
§. 138.
Kleidung

der Ordensritter denken sollte. Sie war von den Chorherren des heiligen Grabes entlehnt. Zur Zeit, da sie sich im Besitze der heiligen Oerter zu Jerusalem befanden, waren sie weiß gekleidet. Man verwechselte die weiße mit der schwarzen Farbe und kleidete sich schwarz, zum Zeichen einer immerwährenden Trauer, daß die Ungläubigen die Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem besaßen. Unser Ordenshaus hatte ein schwarzes Unterkleid und einen weißen Mantel gewählt. Ritter und Knappe hätten sich ohne Zweifel glücklich geglaubt, wenn man bloß bei diesem weinerlichen Lustspiele geblieben wäre, ohne weiter an die Kunst, das Leben zu verlängern, die Kunst, sanft zu sterben und, was natürlich noch wichtiger war, die Kunst, mit Abgeschiedenen umzugehen, zu denken. Unser Ritter, ich wette, würde sogar in dem Kämmerlein der Frau Pontius Pilatus diese ihm vom Obern gegebenen Fingerzeige verträumt und sich im Rittersaale hinreichend entschädigt haben, wenn die Obern nicht, ihrer Sache, ich weiß nicht, ob gewiß oder ungewiß? von selbst an diesen

139. Unterricht
§. 139.
Unterricht

gedacht und ihn verpflichtet hätten, darum zu bitten. Die hocherleuchteten Herren legten es recht dazu an, daß er lange leben, sanft sterben und mit Abgeschiedenen sich einlassen, und sonst noch viel andere dergleichen, wo nicht hals-, so doch kopfbrechende Künste treiben sollte. Wenn es nicht anders ist! – Körper werden durch ihre Schwere zur Erde und zum Mittelpunkte derselben gezogen: sie sind Erde und sollen zur Erde werden; der Flug des Geistes geht himmelan, sagte der Obere. Und unser Ritter wollte nach [185] diesem Wink, sowie sein Schildknappe, der Grabesritter- und Knappenschaft ungeachtet, weit lieber in Eldorado oben, als in Eldorado unten seyn. – Nur brockenweise kann der Unterricht ertheilt werden, sagte der Obere; doch ist hier ein Brocken, setzte er weislich hinzu, mehr werth, als sonst fünf Brode, und wären sie auch von Weizen, und eine große Schüssel Lachsforellen. – Je später der Donner auf den Blitz folgt, desto weiter ist man von der Gewitterwolke.

Der Ritter ward, wie er bemerkte, so ökonomisch mit kleinen Tropfen und Brocken gespeist und getränkt, daß sein emsiger Herr Großvater mütterlicherseits (in seiner Art nämlich) als Verschwender angesehen werden konnte.

Auch hatte dieser Unterricht keine Verbindung, und ich habe keinen Beruf, die Körbe zu flechten. Das Aergste vom Argen ist, daß ich bei weitem den größten Theil verhängt finde. Jede Brockenstunde fing an und ward mit den Worten beschlossen: Es blühe uns die Rose von Jericho, und neben ihr die bescheidene Blume je länger je lieber!

Michael, der gegen diese hohe Weisheit nicht drei, neun und zehn Meierhöfe eingetauscht hätte, munterte den Ritter zu dieser Korbsammlung auf. Am glücklichsten wär' er gewesen, wenn er einen davon seinem Gamaliel zuzuwenden die Erlaubniß gehabt hätte, der in Hinsicht der Geheimnisse schon von NaturHähnchen im Korbe zu seyn, was soll man sagen? sich dünkte, – oder wünschte? wie Michael sich ein wenig zu gesucht nach seiner Protagorasweise ausdrückte. Nach der Versicherung des Obern vom Ordenshause zu schließen, müßte ein Brocken Gamalieln gesättigt haben sein Lebenlang.


† †


[186] Weltweisheit ist ein Spitzname, den man der Philosophie beigelegt hat. Vielleicht thaten es die Kirchenväter, um sie vom Christenthum zu unterscheiden. In diesem Sinn ist Philosophie nichts anders, als Lebensartlehre, Tanzkunst der Seele; und die, welche Philosophie besitzen, sind Hofleute im höchsten Grade. Die eigentliche Philosophie, die sich mit der allgemeinen inneren Beschaffenheit der Dinge abgibt, war das Werk weniger Edlen, der Vorzug unsererVorväter. Von ihnen schreibt sich die Bemerkung her, daß die Philosophie in der Kunst zu sterben bestehe. Die Philosophen und Theologen (wenn man diesen letzten vermessenen Ausdruck brauchen darf) der alten Welt waren eins; und da die Philosophie alles geistig richtet, so kommt ihren Liebhabern eigentlich der Name Geistliche zu, der, wenn man ihm den Namen weltlich entgegensetzt, die Sache noch deutlicher zu machen scheint. Man wendet oft die Gesetze der Naturlehre im gemeinsten Leben an, ohne sie einzusehen und ihnen nur einen Blick der Aufmerksamkeit und Erkenntlichkeit zuzuwenden.

Bei jeder Sache von Wichtigkeit gibt es eine heilige Drei (das wußte man wohl in Rosenthal), und die Philosophie hat auch die ihrige: Gott, Welt, Mensch. Der Inbegriff von Begriffen und Kenntnissen von der kleinen Welt, dem Menschen, der großen Welt, dem All und der Gottheit, ist die philosophische Dreieinigkeit, von der es (wie? das ist die Frage) im Geist und in der Wahrheit heißen kann: Diese Drei sind Eins.

Daß Gott der Herr selbst die Logik oder die philosophische Denk- und Sprachlehre dem ersten Menschen beigebracht habe, ist kein Zweifel, da zu dieser Frist die große und kleine Welt noch Kinder waren, und wenn Gott selbst nicht die Erziehung übernommen hätte, – was würde wohl, besonders aus der kleinen Welt, dem Menschen, herausgekommen seyn? (Bei so gründlichem Elementarunterricht und bei einem solchen Lehrer – war es Wunder, [187] daß die Lernenden Riesenfortschritte machten?) Wer den Menschen in der Art berechnet, daß er vom Jäger (heißt auch zugleich Fischer) zum Hirten, von diesem zum Ackerbauer, dann zum kleinen, dann zum großen Bürger gediehen; daß Städte, wo Bürger sich zu kleinen Gesellschaften verstanden, die Stifter der Staaten gewesen, wodurch Ungleichheit des Standes, Kraft, Macht, Gewalt, Gesetzgebung, gesellschaftliche Tugend, allgemeine Religion entstanden; mag immer kein ganz verwerflicher politischer Rechenmeister seyn; in unserm Orden – was gilt er? Wenig oder nichts!

Vom Könige Salomo (einem großen Ordensmanne) heißt es: er redete von Bäumen, von der Ceder auf Libanon bis an den Ysop, der aus der Wand wächst; auch redete er von Vieh, von Vögeln, von Gewürmen und von Fischen. Und diese Leichenrede gilt von Adam, mit dem vorzüglichen Unterschiede, daß Adam nicht nur in der Physik, sondern auch in der Metaphysik kunstgerecht war. Er verstand genau, was die profanen Theologen schaffen und erhalten, wir aber schaffen und verwandeln heißen, und hatte das Glück, nicht bloßer Speculirer zu seyn. – Er drang in das Wesen, ja das Wesen jeder Sache; sah wachsen alles, was zu wachsen fähig war, obgleich jetzt die größten Beschauer nur Gras wachsen hören können; wußte, was jetzt wenige wissen (gibt es eine Sache, die man nicht anzugreifen, zu bezweifeln und oft, wenn das Unglück gut ist, gar zu widerlegen im Stande ist?): nicht nur das Ja und das Nein von allem, sondern das Ja und Nichtja, nicht nur das Nein, sondern auch das Nichtnein. (Etwas ganz anderes als Nein!) Von dieser verloren gegangenen Kunst, welche den Meister nicht verräth, gibt es noch schwache Anzeichen in manchen Sprachen. – Der Paradieser Adam hatte es schier weit gebracht; und wenn gleich auch alle seine gefallenen Nachkommen und unter ihnen besonders wenige Auserwählte, einige Kenntnisse von ihrem hohen Werthe besaßen [188] und Feuersteine zu seyn verstanden, um alles in der Welt als Stahl anzusehen, aus dem Funken sprühen; – wenn sie gleich diese Kenntnisse auf ihre Zweige verpfropften und auf ihre Nachkommen verpflanzten, so besaß Adam doch diese Kunst im Original in weit größerem Umfange, und außer ihr – Kenntnisse der Geisterwelt.


Rubriken.


Erklärung des Wortes: Anfang, wenn vom Inbegriff aller körperlichen Dinge geredet wird. Im Anfang schuf – Was heißt hier schaffen?

Was bedeuten Salz, Schwefel und Mercurius in der Chemie des Grabesordens?

Ausbrütung der Welt aus einem Eichaos, wie sie zu verstehen?

Die Erde ist in Verbindung mit dem Weltall. Wer ihre Schöpfungsgeschichte außer diesem Verhältnisse erzählt, ist nicht Mitglied unseres Ordens. – Moses verbindet Welt und ihr glänzendes Sandkorn, die Erde. – Diese Verbindung kann nur von Eingeweihten begriffen werden.

Die Erde besteht nicht aus Tropfen aller andern Himmelskörper, nicht aus Lichtschnuppen der Sonnen, – sie ist solch ein Kernplanet, wie die übrigen.

Die Naturlehrer geben Theorien; der Orden erhebt sich bis zur Experimentalphysik im Unterricht: wie die Welt und ihr nicht übelgerathenes Kind, die Erde, entstanden sey?

Geheimer Aufschluß des Umstandes, daß alle Planeten unsers Sonnensystems von Abend nach Morgen sich bewegen. – Auch der Orden kommt vom Abend und geht nach Morgen, gerade so wie die Planeten unseres Sonnensystems.

Thun die Menschen wohl durch Kultur das physische Klima [189] mancher Erdgegenden zu ändern und ihr eine andere Beschaffenheit beizulegen? Nachtlicht über die Veränderungen, welche die Erde außer der Mosaischen Ueberschwemmung erlitten, durch Feuer – Wasser – Veränderung der Achse und sonst –

Adam, urerster Mensch – Nach ihm gab es viele erste Menschen. Ein Manuscript von Sagen von Adam, Noa u.s.w. äußerst rar!

Die Schlange ist Adams Einbildungskraft, die er seinen höheren Seelenkräften vorzog. – Noch jetzt ist sie schlangenartig – Von der Einbildungsklapperschlange.

Er wollte sich nicht mit den Arten begnügen, die Gott geschaffen hatte, sondern ihm gleich werden, indem er es zu unnatürlichen Unarten anlegte. – Ein wichtiges Kapitel; Naturverfälschungen überall. – Das waren Kennzeichen von dem Falle des Menschengeschlechts.

Es bleibt die Frage, ob er nicht selbst mit einer Orangoutang einen sträflichen Versuch machte.

Er chikanirte die Engel und that (Gott sey es geklagt!) als wäre er ihr Herr! Warum das? Weil er außer ihrem Wesen einen Körper trug. Freilich ein Meisterstück; doch darum sich höher als Engel zu dünken, – ist es nicht zu arg? – Das hätte der erste Großmeister des Grabesordens nicht sollen!

Hauptschlüsselkapitel. Adam verlor eigentlich nicht den Schlüssel der Natur, er verdarb ihn. – Die Natur, die er unter diesem Schlüssel hatte, ward so gut frei wie er selbst – (Windlicht über mehr Siebensachen.) Von diesem Schlüssel, den Adam verlor, stammt der Ausdruck: die Schlüssel des Himmelreichs in gerader Linie ab und Salomons Clavicula ist Bastard.

Sein Fall ist das nicht, was man dafür hält. Wäre Adam nicht so gut vor als nach dem Falle gestorben (in der höhern Ordenssprache verwandelt worden)? Gewiß weit unvermerkter [190] und so allmählig, wie man in der Musik vom piano ins pianissimo sinkt.

Eva hätte die Kinder so ausgeschüttet wie Blumen den reisen Samen.



Erklärung der Stelle, daß Eva bei der Geburt Kains glaubte, sie habe den Mann, den Herrn. – Ein feiner Herr!



Adamitische Weisheit wird fortgepflanzt.

Namentliche Anzeige der Großmeister dieser Weisen. Seth, Adams und Eva's Sohn, war Nachfolger. Von ihm heißt es: er war ein Edelmann, ein Sohn, der Adams Bilde ähnlich war. – Großer Vorzug! – Ihm folgte Enos, ihm Kenan, ihm Mahalaleel, ihm Jared, ihm Henoch, der im Grabesorden außerordentliche Kenntnisse besaß. Moses deutet sie durch zwei Züge an. Henoch, heißt es bei ihm, führte ein göttliches Leben und Gott nahm ihn hinweg und ward nicht mehr gesehen – er schlief zur andern Welt hinüber. – Gott gab es ihm im Schlaf. – Er verwandelte sich so schnell wie man auf Operntheatern die Dekorationen und das ganze Theater verwandelt. – Auch bei Grabesrittern neuerer Zeit findet, wenn sie sterben, der Ausdruck Anwendung: Gott nahm sie hinweg.

Dem Henoch folgte Methusalah, ihm Lamech, ihm Noa – einer der denkwürdigsten Männer im Orden, nicht weil er sich betrank, sondern wegen seiner Geburt, die so einleuchtend ritterlich war, daß sein Vater prophezeite:

»Er wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf Erden, die der Herr verflucht hat.«

Das Symbolum unseres Ordens, ein Wahlspruch aller Hospitalier, die da waren und noch sind und seyn werden. Die [191] Physik der Erde hat auf die Moralität der Menschen Einfluß! – Auch die Erde hat Leib und Seele, ein ganz anderes Ding als die Weltseele, die sich vom Weltgeist unterscheidet. – Wichtige Lehren.

Der Sündfluth eigentliche Deutung. – In der Ordenssprache heißt sie Gnadenfluth. – Die Erde ist durchs Wasser gebildet und ausgewaschen.

Was es heißt: die Kinder Gottes sahen nach den Töchtern der Menschen, wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern, welche sie wollten. – Etwa: sie mesalliirten sich? – –

Warum Noa den Raben vor der Taube aussendete?

Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.

Der Regenbogen. (Hauptkapitel.)

Auf Sem ruhte von dem Dreiblatte der Söhne Noa's der Ordenssegen.

Nach Sem folgte Arphachsad, auf ihn Salah, auf ihn Eber, auf ihn Peleg, zu dessen Zeiten der Orden sich schon Besitzungen zueignete, welche zu deduciren wegen der mangelnden Archivnachrichten schwer seyn würde. Nach Peleg folgte Regu, nach ihm Serug, nach ihm Nahor, nach ihm Thara, nach ihm

Abraham, dann Isaak und dann Jakob.

Jetzt treten die Namen ein, die vom Evangelisten Matthäus als Vorväter des Zimmermanns Joseph bemerkt sind. – Ein Fingerzeig, der alle Zweifel wider diese genealogischen Nachrichten hebt, die eigentlich zu unserem Orden gehören – Was gehen sie profane Spötter an? – –

Die eigentliche biblische Exegetik wird aus dem Orden geschöpft.

Die Großmeister des Ordens oder ihre Legaten standen bei den Volksregierern in großem Ansehen, wenn erstere nicht für gut fanden, das Volk höchstselbst zu regieren. Gab es einen Regenten [192] – was war er? Ein kleines Licht, das die Nacht regiert. Und der Großmeister? Die Sonne.

Geheim war der Orden von Anbeginn: vom paradiesischen Adam bis auf den Adam, Ritter vom Tage.

Christus, der unübertrefflichste Grabesmeister.

Erklärung der geheimen Orte, wo die ersten Christen ihre Geheimnisse feierten. – Höhlen, worin sie zugleich die Todten begruben. – Die Gräber der Märtyrer waren ihre Hauptkapellen.

Aufschlüsse in der Kirchengeschichte, wovon der profanen Welt – auch nicht träumt.

Vor der Existenz des jüdischen Volkes, und nach dem Risse des Vorhanges im Allerheiligsten des Tempels gab es die größten Meister; doch ist der Stifter des neujüdischen Volks, Moses nicht zu verachten. – Er war bekanntlich ein großer Ritter. Versah er es nicht vielleicht, weil er eine Religion, die in der ganzen Welt esoterisch und in Mysterien eingehüllt war, dem Volke preisgab, das, wohl zu merken, höchst unreif war? Die Idee: Jehovah ist König in Israel, war schön und erhaben. – Da dieser König sich einen Palast in Judäa bauen ließ, Minister und Hofleute in Dienst nahm, war es Wunder, daß Israel auf einen sichtbaren König bestand?

Andere Staaten waren bloß anfänglich priesterliche Staaten; der jüdische blieb es noch, als er seinen König hatte. – Der Geist Gottes kam über Saul – heißt: Saul war ein heimlicher I– – – Moses theilte ihnen von seinem Geiste etwas mit, heißt: er gab ihnen den ersten Buchstaben seines Plans.

Aechte und falsche Propheten.

Geheimniß des Urim und Thummim. – Der Orden von Licht und Recht ist der Grabesorden mit andern Worten.

Es gibt gleicharmige, es gibt Schnellwagen; bei diesen kann man mit einerlei Gegengewicht das Gewicht vieler und verschiedener [193] Körper angeben: man rückt das Gegengewicht bald näher, bald weiter vom Ruhepunkt. – So auch mit dem Ordensunterrichte.



Etwas Eingebung oder göttlicher Einfluß, etwas Paradiesisches ist bei aller Philosophie – Tiefblicke –! Anschauer dieser göttlichen Aus- und Einflüsse!

Speculation ist Zeitvertreib: Seelenstrickzeug, wodurch weder Strumpf noch Handschuh, noch Geldbeutel (der Seele nämlich) zu Stande gebracht wird. Durch Beobachtungen des menschlichen Gefühls und der Erfahrungen muß sich der Speculant leuchten lassen, sonst verirrt er sich – selbst in seinem eigenen Hause. Subtilitätensucht ist Krankheit. – Was ist magnetische Kraft? Elektricität? Sympathie? Antipathie der Dinge? Was von allem gilt, gilt auch nothwendig von dem, was darunter begriffen ist. Was gilt aber von allem? und was ist darunter begriffen? Ist nicht das strengste Recht Unrecht, und was Euch Widerspruch dünkt – ist es immer einer? Sieht ein leuchtender Punkt, wenn er sich schnell um eine Achse bewegt, nicht wie ein Cirkel aus? und ist er darum mehr als ein Punkt? Ist nicht Licht und Schatten oft so in einander, daß man nicht weiß, was Schatten und was Licht ist?

Zustand der innern und äußern Rube, der Weltabgeschiedenheit und der Sicherheit ist zum Ordensleben nothwendig.

Wißbegierde und Wißgeiz, Wißneid – Trieb der geistigen und leiblichen Fortpflanzung. Begierde nach Vollkommenheit – nach Vollständigkeit. (Ein großer Unterschied!)

Gang von der Sinnlichkeit zur Abstraktion. Zum Wunderbaren hat der Mensch natürlichen Hang, Ueberbleibsel des göttlichen Ebenbildes. Phantasie leitet Sinn und Verstand. In Bildern zu denken und zu sprechen ist dem Menschen eigen. – Diese Welt ist die Bilderwelt. Das Wort Abstrahiren selbst ist ein[194] Bildwort. In der Kindheit steht man alles in die Breite, als Jüngling in die Länge, als Mann – –

Zoroaster –

Hermes –

Pythagoras –

Die Pythagoräer waren große Zahlenlehrer. Wenn man, wegen der Affektionen und Verhältnisse der Zahlen zu Dingen, die Dinge selbst für Zahlen nehmen will, gibt der Orden sichere Fingerzeige. – Der Herr kennt die Seinen.

Drei Vorhänge!

Farbensprache –

Die Federn und Pelze der Thiere enthalten Buchstaben, die man lesen kann wie gedruckte Schrift. – Auch auf Blumen, Kräutern und Gewächsen ist göttliche Handschrift. – In diesem Sinne hat Gott selbst geschrieben und ist wirklich Schriftsteller. Es gab einen im Orden bekannten Gärtner, der von seinen Tulpen, Nelken u.s.w., die, nachdem sie ihm viel oder wenig zu sagen hatten, sich viel oder wenig veränderten, Dinge las.

Ein Vorhang!

Geheime Aufschlüsse über Physiognomie.

Die Farben sagen Du, Ihr, Sie (um deutsch zu reden) zum Auge und zum Herzen.

Warum sich alle Völker ihren Gott als Mann gedacht haben, und ihre Opfer in der Regel männlichen Geschlechts waren?

Aus Feuchtigkeit entsteht alles, die Welt, der Mensch. Gemeinhin fängt die Naturwirkung mit Feuchtigkeit an und hört mit Feuer auf; – mit Auflösung an, mit Verhärtung auf. Der Geist schwebte auf den Wassern, soll, wie man sagt, heißen: ein starker Wind trocknete die Erde, sonderte Wasser und Erde ab. Im Winde liegt ein großes Geheimniß – du hörst sein Sausen [195] wohl, weißt aber nicht, von wannen er kommt, noch wohin er fährt. Glaubt man nicht, wenn man von irdischen Dingen redet, wie will man glauben, wenn von himmlischen gehandelt wird? Wer Ohren hat zu hören, der höre! – Das Buch der Weisheit wird zu den apokryphischen Büchern gezählt. – Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Alles Flüchtige, unsichtbar Wirkende hieß bei den Alten Geist. – Theilbar ist nicht das, was der Gedanke trennt, sondern was wirklich durch Elemente aufgelöst werden kann. So wie ein Licht ein anderes anzündet, ohne dadurch aufzuhören ein Licht zu seyn, so theilt der Naturgeist sich mit. – Der Magnet theilt dem Eisen seine Kraft mit, und was die Sonne bescheint, glänzt wie die Sonne, wie z.B. Moses Antlitz, als er vom Berge kam.

Warm, kalt, feucht, trocken sind die vier profanen Elemente, aus denen jedes Dinges Temperament besteht: Feuer, Luft, Wasser, Erde. (Die Chinesen rechnen Holz zu den Elementen.) Es sollten sieben seyn, und es sind auch sieben.

Wir wollen in die Zukunft sehen. – Man blickezuvor zurück, und dann vorwärts!

Ist unser Ich durchaus isolirt? In der Regel verbirgt die Natur uns den ersten unvollkommenen Zustand unserer Existenz und macht uns unfähig, uns der ersten Lebenserfahrungen zu erinnern; doch gibt es Ausnahmen. – Es gibt Menschen im Orden, die ihr voriges Ich, ihre Vorexistenz, auf ein Haar kennen; – sie haben nicht aus Lethe getrunken.

Prophetische Gaben wirken vorwärts und rückwärts.

Tiefe Lehren von Vertauschung der Seelen; auch werden sie zuweilen vergriffen. Im ganzen Jahrhundert kommt kaum Eine hervor, die es werth ist, Seele zu seyn.

Für und wider das Leben, für und wider den Tod.

Alles verhängt.

[196] Ich will mit Randglossen, mit einem Anhange von Lebensregeln, schließen.

Was jener Reisende an verschiedenen Orten fand, trifft man oft in einer Stadt an. – So viele Methusalems, so viele Arten, sein Leben auf siebenzig Jahre, und, wenn es hoch kommt, auf achtzig zu bringen. Der schreibt es dem Wasser, der dem Wein, der dem warmen, der dem kalten Klima, der starken, der schwachen Nerven, der dem heftigen, der dem sanften Charakter, dieser der Ruhe, jener der Unruhe zu; und am Ende liegt es in der Naturanlage des Menschen, die durch Mäßigkeit an Leib und Seele befördert wird. Ueberfluß entkräftet, Weichlichkeit macht stumpf, und nicht jede Brille ist den Augen angemessen. – Heraldicus senior wußte befleckte und zerrissene Kleider auszubessern, zu reinigen und umzukehren; unsere Aerzte mit dem Seelenkleide nicht also. – Systeme und Monarchien sind einander so ähnlich, wie Monarchen und Systematiker. Einfachheit und Kunst, das Reine vom Unreinen, den Segen vom Fluch, das Licht von Finsterniß zu scheiden, ist der Gipfel der Arzneikunst. Nicht in den ersten Dauungswegen, in das Wesen des Menschen, in seinen Geist muß der Arzt wirken, und widrige Dinge durch einen Mittler verbinden, wie Leib und Geist durch die Seele. Mein Hausmittel zum langen Leben ist: Fange wenig an und thue viel; genieße heute so, daß du morgen zum Genusse nicht unfähig wirst; genieße geistig oder durch die Einbildungskraft, da schadet zu viel so leicht nicht. Lerne Widersprüche auch von denen ertragen, die erst deiner Meinung waren und aus Nebenabsichten zurücktraten. Gehe langsam, allein sicher, – Geduld ist nicht Abspannung; sie kann die höchste Anstrengung werden. Je weniger Bedürfnisse, desto mehr Genuß; ein Diamant von vorzüglicher Größe gilt mehr, als viele Scheffel Scheidemünze. Durch Enthaltsamkeit vermehrt sich der Appetit, durch Kasteien die Fleischeslust. – Bei wenigen Bedürfnissen kann man größer seyn [197] als ein Fürst. – Nicht von Stern und Band, Urtheil und Recht, Stock und Degen, vom innern Wesen der Dinge und von der darauf gegründeten Meinung des Weisen hängt die Ehre ab. Verliert man sie nicht gemeinhin, wenn man sie in den Gerichtshöfen durch drei Instanzen gewann? Gemeinhin sucht die Justiz Nester, wenn die Vögel ausgeflogen sind. Sie nimmt dir oft das Deine, um von dem, was des andern ist, dir ein Drittheil zuzuwenden. – Der Finanzier will Leibes-, der speculirende Philosoph Seelenluxus. – Menschliche Allwissenheit ist unerträglicher und schädlicher, als Unwissenheit. – Mit Praxis und Erfahrung anzufangen, ist der kürzeste und sicherste Weg. Hasse keinen, liebe die Menschen, sey wie ein Bischof Eines Weibes Mann; keines oder vieler Mann seyn, ist schädlich an Leib und Seele. Erschrick nicht über jeden Knall, ärgere dich nicht über jedes Sandkorn, das unter deinen Sohlen knistert. Thue recht, scheue niemand, gehe mit deinen Feinden so um, als ob sie deine Frennde werden können. Wer nicht zweifelt, weiß auch nicht; alles Gute ist der Rose gleich, die mit Dornen umgeben ist. Man kann unmöglich entscheiden, wenn keine Sachuntersuchung vorausging. – Unmäßiger Tadel ist erträglicher, als unmäßiges Lob. – Faulheit ist das größte Laster. – Der Druck ist der beste, der dem Geschriebenen am nächsten kommt, und das Instrument das schönste, das der menschlichen Stimme am ähnlichsten ist. Ein junger König und ein alter Minister sind gemeinhin dem Staate nützlicher, als ein junger Minister und ein alter König. Gehe nicht auf fremden Füßen, denke nicht mit bezahlten Köpfen, verdiene dein Brod nicht mit deines Nächsten Händen, höre und sieh mit eigenen Ohren und Augen, so wird es dir wohlgehen und du lange leben auf Erden. Nur der ist frei, der die Freiheit des andern ehrt. Leidenschaften stecken an; sie sind Tyrannen, die alles stürzen, was ihnen im Wege ist. Vergrößere dich nicht auf Kosten anderer. Der Neid genießt so wenig, wonach er strebt, als der Geiz; er schadet, wenn [198] er gleich sich selbst nicht nützen kann. Weiche vor ihm, wie vor einer Kohle, die, wenn sie nicht brennt, schwärzt. – Freunde sind Zeitdiebe; Feinde lehren uns die Zeit auskausen und uns in sie schicken. Freunde stärken uns im Guten, Feinde ma chen, daß wir Fehler meiden. Frühe Reue ist Herzens-, späte Reue ist Verstandesrene; wenn beide zusammen sind, wird es göttliche Traurigkeit, die niemand gereut. Furcht macht den Gegner dreist; Muth ist ein Schwert, das nicht schlägt, doch das Schwert des Thoren und des Frevlers in der Scheide hält. Zu viel Kraft wirkt Ohnmacht. Messer, die man braucht, sind blank, die im Schranke stehen, greift der Rost an. Es gibt Dinge, wo um Verzeihung zu bitten unverzeihlich ist. Eigensinn und Festigkeit ist zweierlei. Nicht verfeinerte List, Tugend ist die Quelle menschlicher Glückseligkeit. Es blühe uns diese Rose von Jericho, und neben ihr die bescheidene Blume je länger je lieber! – Gott ist ein Wesen, das aus Weisheit Thorheit schafft. Wo sind die Vernunftgründe, die uns zu bestimmen im Stande sind die Tugend vorzuziehen, wenn es keine Aussicht jenseits des Grabes gibt? Alles lebt in der Natur. – Ist der Tod nicht Leben, so führt er dazu.

Mit diesen Worten endet sich der Unterricht; und wer von meiner Leserwelt in diesem Unterrichte vergebens den Unterricht sucht, und in diesem Garten nach dem Garten fragt, den frage ich, ob er die Geschichte von Lysias wisse? Lysias hatte eine Rechtsrede für einen Freund aufgesetzt. Zum erstenmal schien sie dem Freunde vortrefflich, zum zweitenmal mittelmäßig, zum drittenmal fand er sie matt und des Ausstreichens werth. Lysias lächelte. Werden denn die Richter sie mehr als einmal hören? sagte er zu dem Freunde.

Da der Orden des heiligen Grabes nicht nur Chorherren, sondern auch Chorfrauen hatte, und unserm Ritter nicht entgangen war, daß diese Chorfrauen Klöster in Spanien, Deutschland und andern Gegenden gehabt; so gab er sich nicht wenig Mühe, diesen[199] regulirten Chorfrauen des Ordens nachzuspüren. Die Endabsicht war Sophie. Je mehr sich Sophie versteckte, desto größer war seine Sehnsucht; je entfernter sie schien, desto näher suchte er sie sich zu bringen. Es war kein gemeiner Gedanke, sein Ideal von Sophien malen, und ihm ein Chorkleid der regulirten Chorfrauen vom Orden des heiligen Grabes anlegen zu lassen. Da Michael ihn ersuchte, ihm eine ähnliche Malerei in Rücksicht der Begleiterin zu verstatten, so bewilligte er die Kosten, und Michael hatte das Glück, die Begleiterin als Pförtnerin im angemessenen Ordenskleide zu sehen und sich manche herrliche Stunde mit diesem Bilde, trotz seinem Herrn, zu machen. Zwar behaupten einige der ritterlichen Collegen unseres Helden, es gebe wirklich im Orden noch Chorfrauen; indeß war dieses Ordenshaus ihnen nicht auf der Spur.

Ob übrigens dieß oder andere Umstände den Ritter und seinen Knappen bewogen, unbeschadet der tiefsten Verehrung, die sie für den Grabesorden und seinen geheimen, wiewohl nur theoretischen Unterricht hatten, ihren Stab weiter zu setzen, kann ich nicht bestimmen. Unser Held wollte in Ordenssachen von A bis Z kommen; ist es ihm zu verargen, daß er zum Orden Sinai, Karmel, Tabor, und sodann des Thales Josaphat, zu schreiten sich entschloß? Vielleicht daß ein glückliches Ungefähr, dacht' er, mich zur Praxis und zu jener höhern Region führt, die ich durch meine Vorbehalte verscherzte. – Doch ehe wir diese Berge und Thäler ab- und aufsteigen, will es die Lebensart, wenn es auch die Neugierde nicht wollte, daß wir uns nach den Chordamen dieser Geschichte umsehen, die uns zwar aus den Augen, nicht aber aus dem Sinne gekommen sind. Treffen wir auf diesen Wegen in Rosenthal ein, warum sollten wir nicht von Pastor Gamaliel und dem Heraldicus junior auf Extrapost vernehmen, wie sie sich bei ihrem Hange zur Freiheit und zu Geheimnissen befinden? Was die

140. Ritterin
[200]
§. 140.
Ritterin

betrifft, so konnte dieß edle Weib nicht ermüden, ihrem Sohne so viel Geld zu übersenden, als er verlangte. Sie war nicht von der Art des Emsigen, der das Geld zu etwas erhoben, gegen das man Pflicht habe und haben könne. – Fest überzeugt, daß ihr Sohn die von ihr verlangten, unglaublich großen Summen zu nichts als ritterlichen Uebungen anlege, war sie sogar fröhlich über jede Gelegenheit, die sie hatte, ihm Remessen machen zu können. Die Freude wirkt so stark auf das menschliche Herz, daß sie oft die Qulle aller Tugenden ist. – Um diese Freude vollkommen zu machen, fügte sie jedem Wechsel den stillen, heißen Wunsch bei, daß ihr Sohn auf diesen Ritterwegen Sophien fände, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit! Sie hatte seit der Zeit freilich nicht so viele Freier wie Penelope; doch begegnete sie ihnen auch anders als Madam Ulysses. Unter ihren fünf Anwerbern war auch der dritte Kastenassessor, der nach dem sausten und seligen Ableben seiner Frau Gemahlin mit den Holländerzähnen die fünfzigtausend Thaler ohne Zinsen auf einem andern und sicherern Wege zu suchen sich Mühe gab. Er hatte seine Feder zu einer galantern Schreibart gemodelt, als es jene war, die er sich in der harten Rede herausnahm, welche er dem Herrn Senior unterschob. Die Ritterin konnte sich des schalkhaften Gedankens nicht enthalten, wie doch König David und sein Herr Sohn Salomo die wohlselige Frau Schwester in der ewigen Freude und Herrlichkeit empfangen würden, da sie ihnen diesseits die Ehre der Ritterwürde so geradezu abschlug. Es ist natürlich zu erklären, daß unsere Wittwe dem dritten Kastenherrn kein geneigtes Gehör verstattete. Alter Haß rostet so wenig wie alte Liebe. – Wie, wenn es aber der jüngste Kastenassessor wäre? – Und der? – würde ohne Zweifel keine, oder wenige Steine des Anstoßes finden, weil [201] er Sophien zur Firmelungszeit, und als sie dreimal mit wohlriechendem Wasser aus einer Patene besprengt ward, mit Trost beisprang; weil, wenn gleich ihr Vatername nebst dem e und dem Punkt auf dem i an ihrem einfachen Vornamen mit Tinte ersäuft war, er sie doch gegen sein häßliches, sechzehn Ahnen und vier Vornamen reiches, und sich ohne Fleck im Grünen befindendes Weib, ohne einen Dreier Zugabe, zu vertauschen entschlossen war! Wer ist dieser Meinung? Leser oder Leserin? Ich wette, der männliche Theil meiner Leserwelt. Siehe da! auch die Gemahlin des jüngsten Kastenassessors hatte sich durch den Tod verschönert, und die häßliche Baronin war, wie wir nach der Liebe hoffen, in einen schönen Engel verwandelt. Auch hatte der jüngste Assessor, um der Präclusion rechtskräftig auszuweichen, keine Zeit versäumt, sich zu melden. Er ermangelte nicht, zu behaupten, daß die Beibehaltung des Namens und die Aehnlichkeit, die er mit seinem in Gott ruhenden Herrn Vetter hätte, die zweite Ehe höchstens nur als die zweite Auflage eines Buches darstellen würde. Wenn die Sonne, fügte der Anwerber hinzu, gegen den Regen scheint, entsteht ein Regenbogen, ein Zeichen der Gnade. Und die Antwort der Wittwe? – war und blieb nein. Viel von einer Wittwe, die nicht nur reizend, sondern bezaubernd war, und der es gewiß nicht gleichgültig seyn konnte, zu wissen, daß sie geliebt ward! Liebe ist der Weg zur Gegenliebe, besonders, wenn diese jener werth ist. – Als Mädchen war Sophie schön, jetzt war sie erhaben. – Vielleicht müßte, mit Erlaubniß der Herrn Maler und Bildhauer, selbst Göttin Venus nie in zu großer Jugend und in sehnsuchtsvollem Zustande (welcher den Teint, es sey durch Röthe oder Bleiche, verdirbt), dargestellt werden; – wie Sophie, glaubt mir! wie Sophie. – Wahrlich, es war eine Würde in ihrer Figur, die sie überall zur Alleinherrscherin macht, und doch nie anders, als durch zuvorkommende Güte. Selbst unter ihren Unterthanen herrschte sie nur so; was [202] sie befahl, hatte die Form einer Bitte. Man sagt, feine Kunst verstände bei mehreren Jahren die Grazien verführerischer zu ersetzen, womit die Natur die Jugend, ohne die Kunst zu bemühen, ausstattet. Die Ritterin war noch immer ein wohlgezogenes Kind der Natur; auch in ihrem spätesten Alter wird sie keine andere Göttin haben neben ihr. Zwar schienen, wiewohl in anderer Rücksicht, Ritterin und Natur zuweilen uneins zu seyn; doch behielt die Natur den Sieg. Nach dem Ableben des ahnenreichen Gemahls war nur selten Streit zwischen Kunst und Natur, zwischen Weib und Baronin. Ein gewisses Ebenmaß, das nichts weniger als peinlich war, legte dem edeln Weib eine Majestät bei; das Ungesuchte in ihrem Anzug ließ dagegen eine gewisse leichte Ordnung – (Unordnung wäre ein zu starker Ausdruck) – spüren, die entzückte. – Ihr Anzug bekeidete sie nicht, er umfloß sie. – So umschweben Gewänder die Göttinnen, wenn sie gemalt werden – Kann man Göttinnen anders als im Deshabillé sehen? Um nicht in den Verdacht zu fallen, ich sey (wie dieß oft der Fall mit Schriftstellern seyn soll) in sie verliebt – will ich abbrechen. Ihre abschlägigen Antworten wurden mit mehr Grazie gegeben, als bei tausend andern das Jawort. Ueberhaupt verstand sie nein zu sagen auf eine Weise, die unnachahmlich ist. Ich bin nicht Wittwe, sagte sie. Das Andenken meines Gemahls lebt in mir. – Wenn man die Hauptflüsse in Erwägung nimmt, die den wohlseligen Ritter zeitig befielen, ist fast nicht mit Gewißheit vorauszusetzen, daß sie durch seine persönliche Abwesenheit nicht viel verlieren konnte?

Wahrlich, die Heldin unseres Helden, Fräulein Sophie von Unbekannt, kann die Gesellschaft Sophiens ohne e und den Punkt auf dem i nicht lange mehr missen, wenn sie nicht zu sehr in dieser Geschichte verlieren will. – Niemand ist weniger schuld daran als ich. – Zwar weiß ich, daß aufbrausender Enthusiasmus in der Liebe das Herz nicht selten zu Erwartungen verleitet, die äußerst [203] schwer zu erfüllen sind; doch muß alles, Warten und Erfüllen, Hoffnung und Genuß, seine Zeit haben. Ober ist vielleicht

141. Fräulein von Unbekannt
§. 141.
Fräulein von Unbekannt

ein Wesen höherer Art? eine Halb- oder Huldgöttin? Wird diese Liebe geistig bleiben? sich in Dunst wesenloser Dinge auflösen, und nie zu That und Wahrheit gelangen? sich bloß in die Kräfte der Seele, nicht aber in die des Körpers ergießen? Der Besuch Sophiens von Unbekannt in Rosenthal war in der That nicht bloß geistig. Sie sollte unsern Helden sehen und sich sehen lassen. Und warum Zurückhaltung? Die Erscheinung in Rosenthal war angelegt. – Die Nachbarschaft wußte in der That nichts mehr, nichts weniger, als was sie beichtete; und unserer Erschienenen ward die Rolle einer Ritterin vom Orden der Verschwiegenheit um so leichter, da auch sie die geheime Absicht derselben nicht kannte. – Der junge Cavalier, mit dem sie drei Viertelstunden sich unterhielt, war ihr weitläufiger Vetter. Er ward in diese Scene so wie Sophie verflochten, ohne den Zusammenhang zu wissen. Ist die gute Nachbarin durch geheime Einflüsse krank gewesen, so nahm Fräulein von Unbekannt an diesem Geheimnisse keinen Theil; und ihr Auflegen der Hände war eine gewöhnliche Art, durch dergleichen Händedruck den Kopfschmerz zu betäuben. – Diese Krankheit der Nachbarin konnte unserer Unbekannt nicht glücklicher und nicht unglücklicher kommen. Unschuldige, unbefangene Herzen sind schnell überwunden, sie widerstehen entweder gar nicht, ober so unbeholfen, daß, wenn nicht der geliebte Gegenstand (im Fall er nämlich in ebenderselben Lage ist), so doch alle Umstehenden gleich wissen, woran man mit ihnen ist. Fliehen ist in diesen Herzensnöthen das beste. Gewiß wäre unser Paar nicht beim A B C der Liebe [204] geblieben, wenn die Nachbarin nicht so plötzlich hätte aufbrechen müssen. – Daß Sophie von Unbekannt nicht von sich abhing, darf ich das bemerken? Sie hatte die Hauptrolle dieses Schauspiels, und spielte sie schön, ohne daß sie woher? und wohin? wußte. Ob der glückliche Erfolg dem im Verborgenen wirkenden Schöpfer dieses Werkes Freude gemacht? Allerdings; – doch leider nur auf eine kurze Zeit. Eben da er es vollenden wollte, begann der Ritter auf Ordenswegen seinen Kreuzzug nach Sophien. Ein Umstand, der den Schöpfer aus seinem ganzen Concept brachte. – Ob ihn sein Schauspiel gereute? Er hielt es für einen mißlungenen Kreuzzug; doch war er ein Welt- und Menschenkenner, der so leicht nichts aufgab, was er angelegt hatte. Wer wird Umständen seinen Plan aufopfern? Der Schöpfer glaubte den besten Theil zu ergreifen, wenn er Sophien abwechselnd in der Einsamkeit ihr Ideal verherrlichen ließ, um in der großen Welt, wohin er sie zuweilen brachte, sich desto mehr zu überzeugen, wie unerreichbar ihr Ideal sey. Auch gut, dachte er, daß der junge Mann kreuzzieht. Sein Hang zur Schwärmerei wird sich legen, wenn er der Sache näher tritt. Legt sich nicht durch nähere Bekanntschaft des angebeteten Gegenstandes alles? So und nicht anders bemühte sich unser weiser Schöpfer, Unglück zum Glück umzuformen. Wer wollte auch unterliegen und nicht das nagende Gift unangenehmer Vorfälle lieber schnell loszuwerden suchen, als es mit sich herumtragen? – Sehnsucht und Abwesenheit brachten bei Sophien von Unbekannt das Ideal zu einer Größe und Würde, daß es keinem in der Welt einfallen konnte, ihr hochgespanntes Verlangen könne von irgend einem Sterblichen, als ihrem Vielgeliebten, befriedigt werden. Auf diese Weise ist unser Ritter seinem Ziele näher, als wir glauben? So scheint es; doch schläft der Verräther? Unser Dreiviertelstundencavalier, der in dem angezettelten Schauspiel auf keine Weise den Liebhaber spielen sollte, [205] nahm sich die Freiheit, sich sterblich in Sophien von Unbekannt zu verlieben. In eine Verlobte? In diesem Lichte war freilich Sophie dem Schauspieler gezeigt; und eben dieses Licht machte, daß er seine Leidenschaft zu unterdrücken und sie in der tiefsten Dunkelheit zu lassen sich entschloß. Wie weit er es in dieser Stärke der Seele gebracht hatte, weiß ich nicht; doch weiß ich, daß die Don-Quichotterien des Ritters, den er (so weit war es gekommen) als seinen Nebenbuhler ansah, ihn von Tage zu Tage mehr aufmunterten. Wenn mehr als eine Leidenschaft in der Seele wüthet, verstärken sie sich unter einander. Furcht, Hoffnung, Neid und zügellose Liebe wechselten in unserm Cavalier und machten ihn so leidenschaftlich, daß auch die Liebe zu Sophien auf den höchsten Grad gestiegen war. – Er benutzte nicht nur die weitläuftige Verwandtschaft, wenn Sophie sich auf dem Lande befand, sondern auch ihren Aufenthalt in der Stadt, um sie zu gewinnen. – Alles schlug fehl. – So heftig er liebte, so sehr wußt' er sich zu verstellen. Er war Meister in dieser Kunst, und an Gelegenheit fehlt' es ihm nicht, sich durch Uebung weiter zu bringen. Der Liebesteufel, von dem der Eheteufel ein Verwandter ist, geht nicht umher, wie ein brüllen der Löwe, und suchet, welchen er verschlinge, sondern nimmt Gestalten an nach Herzenslust. Sophie von Unbekannt war viel zu edel, um Ausdrücke und Gefühle gegen einander abzuwägen, und unser Cavalier war viel zu listig und zu gekünstelt, um aufgedeckt zu spielen. Der Duldsamste schlägt in Flammen auf, wenn er überrascht wird, und es gibt kleine, unbemerkliche Fälle, wo man auch dem treuesten Herzen heimliches Gift beibringen und ihm den Freund seines Herzens allmählig verdächtig machen kann. So unser Cavalier. Um ein Ideal zu stürzen (das wußte unser Verräther wohl), muß man nicht Sturm laufen. – Er verstand, jedem Zeitpunkte und jedem Umstande, wenn beides noch so gesucht war, ein ungesuchtes Ansehen beizulegen, [206] um unsern A B C zu stürzen. – Ungefähre machen alles bei Haß und Liebe. – Auch thun hier Anspielungen, Einkleidungen und überhaupt feine Geburten der Erfindungskraft unendlich mehr als Worte. Je leiser und unschuldiger die Aeußerung ist, desto mehr wird gewonnen! Spielt nicht der Neid oft so allerliebst, daß dieß Laster für baare Tugend gilt, so wie die Tugend oft am meisten verkannt wird, wenn sie sich zur höchsten Stufe der Reinheit erhebt –? – Lächerlichkeit und Verschwendung waren außer der Vernachlässigung die Hauptkarten, die unser Cavalier ausspielte. Ein paar große Trümpfe! Sophie von Unbekannt war selbst eine Schwärmerin, und man sagt, alle Schwärmer und Schwärmerinnen verständen einander. Mit wie viel Kunst mußt' es also der Cavalier anlegen, unsern A B C lächerlich darzustellen! – Es gibt Menschen, die durch einen Zug den besten, edelsten Mann travestiren können; und unser Cavalier hatte diese Gabe, die er mit einer Feinheit anwandte, daß er auch hier Meister war. – Er war Mitglied geheimer Gesellschaften; und wer ist es nicht? – Dieß erleichterte seine Rolle. Zwar wußte er (zu unseres Ritters Glück) kein lebendiges Wort von Trophonius Höhle und wie nahe unser A B C hier der Verlobung mit einer Furie war; doch brachte ihn seine Dreistigkeit, die bis zur Unverschämtheit ging, außer Trophonius Höhle und der ehelustigen Furie auf tausend Dinge. – Je mehr Ideal, desto besser, um ein Ideal zu bekämpfen. – Die Verschwendung des Ritters unterstützte diese Vorstellungen. Zur Oekonomie bestimmt, mißfällt es jedem Mädchen, wenn der Liebhaber, außer der Grenze desselben, verschwendet; und freilich waren die Summen beträchtlich, die unser Ritter gebrauchte. Ist es Vernachlässigung, dachte Sophie von Unbekannt, wenn A B C die Welt durchzieht, ohne zum Ziele zu kommen? Weiß er, daß ich ihn liebe? Wird er nicht vielleicht so aufgehalten und ins Weite geführt, wie ich? Sucht er nicht seine Vielgeliebte, [207] wie ich den Vielgeliebten? Wie aber, ist er nicht Mann? Liegt es ihm nicht ob, den ersten Schritt zu thun und die Hindernisse zu brechen, die uns scheiden? Wenn das andere Geschlecht einmal vom Gedanken ergriffen wird, es werde vernachlässigt, vermuthet es immer das Aergste. – Unser Verräther vertrat diesen Weg gewiß nicht.

Sophie von Unbekannt, die sich im Stillen mit ihrem Vielgeliebten beschäftigte, hatte die Gewohnheit, zwei Bohnen in die Nähe zu setzen: eine warSie, die andere Er. Werden sie sich umfassen? Werden sie sich scheiden? – So fragte sie vor sich; und Er entfernte sich jederzeit, um sich mit seinen Nachbarn zu verwickeln. Arme Sophie! Sie taufte zwei Blumentöpfe Er und Sie. Werden die Levkojen Knospen, Blätter, Blüthen gewinnen? Sie grünte und blühte: Er verdorrte. Die Schwärmerin that bei einer solchen Anpflanzung feurige Wünsche; sie faltete ihre Hände darüber und benetzte den Baum Er mit Thränen. Er war nicht zu halten; leider! starb Er immer dahin. – Und so ging es mit allem, was Er hieß. Wunderbares Ungefähr! Nicht doch! – der Gärtner war erkauft. Sein kleiner Jakob durfte die Namen bei der Taufe nicht etwa erwittern; Sophie, die ihn lieb hatte, war gewohnt, es ihm von selbst deutlich zu machen (er war freilich nicht Liebhaber, ein Freund, ein Bekannter, ein was weiß ich); und die Mühe, die der Vater des kleinen Jakobs sich gab, Ihn ausgehen zu lassen, ward reichlich belohnt. Darf ich sagen, von wem? Die Kammerzofe war sehr für Ihn; und als einst ihre Herrschaft der Verzweiflung näher als sonst war, bestand sie auf noch eine Probe. Da auch diese nicht minder fehlschlug, suche sie die Schwärmerin mit dem Gedanken zu beruhigen, daß es Schwärmerei wäre. Noch die beiden Nelkentöpfe. – Gut! Er undSie wurden ausgesetzt. Anfänglich ließ es sich mit ihm herrlich an, weil der Gärtner nicht Gelegenheit hatte, seine Hand an Ihn zu legen; bald aber verdorrte auch dieser Er. Warum? [208] Der Gärtner wußte sich einzuschleichen und schnitt dem Nelkenstocke die Wurzeln ab. Wird der Zofe jetzt noch ein Ausweg übrig bleiben? Noch Einer! es mit zwei Bäumen zu versuchen! Armer Er, der du dem Gärtner so zur Hand bist! – Es ward dieser allerletzte Versuch genehmigt – der so gut wie verloren ist. – Und wird sich denn die Festung Unbekannt noch länger halten? Es ist die Frage. Man sagt, es sey jede, wenn nicht durch Sturm, so durch List zu überwinden. Wahrlich es ist alles zu fürchten! Der

142. Meierhof
§. 142.
Meierhof,

den Heraldicus junior vom Fräuleinsohne gekauft hatte, war in ein Museum verwandelt. Ganz hing der jetzige Eigenthümer seiner Philosophie nach; und wenn gleich seine eingeschlafenen Dienstleute zuweilen den Jakobinismus ihm nicht wohlfeilen Kaufs ließen, so glaubte er doch, daß es an den eingeschränkten Begriffen dieser Menschen läge, und daß, wenn sie aufgeklärter wären, sie auch in einem ganz andern Leben wandeln würden. Herr, stärke uns diesen Glauben! Wenn gleich Pastor Gamaliel in Betracht seiner Grundsätze mit ihm nicht in Gemeinschaft der Köpfe lebte, so besuchten sie sich doch zuweilen, und dann war des Streits kein Ende, so daß die sonst duldsame Pastorin zuweilen nicht ermangeln konnte, »Friede sey mit Euch!« den streitenden Parteien zu gebieten. Ein zu heftiger Streit im Pastorat hatte beide wirklich etwas entzweit, und Heraldicus junior blieb länger als gewöhnlich aus. Der Pastor hielt seine Grundsätze zu sehr in Ehren, um den ersten Versöhnungsschritt zu thun. Auf einmal fiel es dem Heraldicus junior ein, das Kreuz- und Ritterfest den zehnten Sonntag nach Trinitatis in der Rosenthalschen Kirche zu feiern. Die Ritterin besuchte [209] zwar nach dem Ableben ihres Gemahls an diesem Sonntage selten die Kirche; doch ward an demselben das ganze Pfarrhaus eingeladen. Man erinnerte sich mit Rührung des im himmlischen Jerusalem sich befindenden Ritters, so daß sein Sterbetag nicht mit mehr Andenken an Ihn gefeiert werden konnte. Heraldicus junior hatte im Schlosse freien Zutritt. Da er bei Gelegenheit dieses freien Zutritts ganz von ungefähr einen Blick auf Käthchen, die älteste Tochter des Pastors, warf, empfand er, trotz seines übermüthigen Freiheitsbaumes, die Folgen dieses Blicks so sehr, daß er wirklich gefangen war. Ohre Zweifel trug zu diesen Folgen der Umstand bei, daß Käthchen einen Freier hatte, dem sie nicht übel wollte, den aber der Vater, weil er das Unglück hatte kein Literatus zu seyn, ungern zum Schwiegersohn haben mochte. Warum? Weil er sich mit ihm nicht gelehrt zanken konnte. – Heraldicus junior war verliebt; und wenn gleich die Liebe immer dringend ist, mußte die seinige es nicht um so mehr seyn, da ein andrer Freier ihm zuvorgekommen war? Ob wohl oder übel? war nicht auszumachen; er konnte sich nicht entbrechen, den Pastor zu bitten, daß er den Zuschlag noch aussetzen möchte. Dieß ward ihm mit versöhntem Herzen verheißen. Bisher hatte sichHeraldicus junior oft in Gegenwart der Pastorin und Käthchens berühmt, auch in Hinsicht der Liebe würde sein Herz frei leben und sterben. Er mochte auch wirklich versucht haben, sich vor Blicken, deren Einer ihm heute so gefährlich ward, zu verwahren; aber sein Stündlein blieb nicht aus. Schon den andern Tag warHeraldicus junior wieder da. Es geht, fing er zu Gamalieln an, mit der Liebe, wie mit dem Blitz. Man trete immerhin auf elektrische Körper, man elektrisire sich sogar während des Gewitters – hilft es? Wahrlich nicht! Da glauben einige, das Geräusch der Welt zerstreue Liebesgedanken. Wahrlich kein Universalmittel! Wenn Kanonen abgeschossen und die Glocken geläutet werden, hilft es gegen Gewitter? Zuweilen freilich [210] werden hierdurch Gewitterwolken zerstreuet, zuweilen aber näher herbeigezogen. Ist das Herz zur Liebe reif, hat man den Gegenstand seiner Neigung auch nur in Gedanken gesehen: was helfen Zerstreuungen? Man will Zerstreuungen zerstreuen. – Der Donnerschirm der Freiheit? Ich hab' ihn in Segen gebraucht; jetzt sagt er mir seine Dienste auf. – Er hatte Käthchens Vater wohlbedächtig bloß um Aufschub gebeten, und der war ihm auch zugesichert. Um Aufschub –? Er glaubte es noch in seiner Gewalt zu haben, die Zerstörung seiner Freiheit abzuwenden; doch war der Freiheitsbaum so umgeworfen, daß er um das Ja bat, und es von Käthchen – nach vielen Kreuz- und Quer-Bedenklichkeiten – erhielt. Auch beim endlichen Ja schwebte ein Wölkchen der Schwermuth in ihren schönen schwarzen Augen, das sich – hoffentlich verziehen wird. Ihre Schwierigkeiten gossen Oel zum Feuer. Freund, sagte Gamaliel, es geht der Freiheit wie den meisten Dingen in der Welt: man erfindet nicht Sachen, sondern Wörter; und was hilft es, die Uhr durch Nachhülfe richtig zeigen und richtig schlagen zu lassen, wenn das Triebwerk verdorben ist –? Sie wissen, Herr Sohn, was Erbsünde und Sündenfall ist: Eingeschränktheit unserer Natur; und wenn der Mensch nicht durch übernatürliche Hülfe – – Wäre die Pastorin nicht ins Wort gefallen, es wäre ohne Zwist, den dießmal Gamaliel erhob, nicht abgegangen. Doch konnte der Schwiegervater nicht umhin nachzuholen, daß Freiheit für den denkenden Mann ein Geschenk des Himmels, für den gemeinen Haufen ein Dolch wäre, um allem, was beglückt und erfreut, das Leben zu nehmen. Muß es denn ein Freistaat seyn, wenn die Grundsteine des Rechts, der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Glückseligkeit gelegt werden sollen? Eben so leicht will ich an die Existenz verwünschter Prinzessinnen und ihrer Entzauberung glauben, als mich überzeugen, daß alle unvermeidlichen, mit jeder Gesellschaft amalgamirten Bürden gebornen Oberen zur Last zu legen sind. Hätte [211] heute doch Gamaliel an meiner Stelle die Anekdote vom Freiheits-Herold Fox in England gelesen! Foxens Vater, Lord Schatzmeister, war Schuld an einem Defect von anderthalb Millionen Pfund Sterling. – Die Sache kam vor das Unterhaus. – Und die Auskunft des Sohnes? Fünfmalhunderttausend Pfund kommen auf meine Rechnung; mein Bruder wird mir nicht nachstehen, und ist für einen Lord Schatzmeister eine gleiche Summe wohl zu viel? Wahrlich! die Menschen müssen noch viel weiter fortrücken, nicht im Wissen, im Thun, wenn Freiheit ein Wort des Lebens zum Leben seyn soll, sagte der Pastor; und als ihn sein Schwiegersohn in die Enge treiben wollte, fügte er hinzu: Läßt sich nicht alles in ein System zwingen, wenn man List und Gewalt braucht, und nach der Philosophen Weise alles an Einen Nagel hängt, mit Einem Bande bindet? – Die Menschen wissen gemeinhin nicht, was sie wollen. Glauben Sie, Herr Sohn: Despotie ist leichter als Freiheit zu tragen. – –

Ob der Herr Sohn glaubte? Ich zweifle.

Nicht lange nach diesen Tagen hatte der Glaube des jungen Ehemannes mehr zu thun. Durch seine Ueberzeugung, daß in Dingen von weniger Bedeutung die Meinung des Schwächern und nicht des Stärkern durchgehen müsse, gewann Käthchen mit seinem guten Willen so zusehends die Obermacht, daß der Ehemann selbst das Band zusammenzog, um sich zu binden, und unser Freiheitsherold befindet sich nicht übel unter dem Pantoffeljoche seiner Gattin, hinreichend befriedigt, bloß gegen seinen Schwiegervater die Ehre der Freiheit behaupten zu können. – Wollen die meisten Menschen mehr als die Freiheit, von der Freiheit sprechen zu können? Man sagt, es gehören durchaus Fehler, wenn gleich nicht zu große, dazu, um eine Ehe glücklich zu machen. – Der Orden vom

143. Thal Josaphat
[212] §. 143.
Thal Josaphat

hatte viel Aehnlichkeit mit den bekannten Orden zu la Trappe und dem Orden des heiligen Grabes; nur waren hierbei nicht die mindesten weltlichen Aussichten, vielmehr schien alles Seltene und Schwere aus den vier Hauptregeln des heiligen Basilius, des heiligen Augustinus, des heiligen Benedictus und des heiligen Franciscus in den Vorschriften dieses Ordens zusammengetragen zu seyn. Ein großer Trost für unsern aufgenommenen Helden war, daß bei jeder dieser Regeln dispensable stand, so daß am Ende nichts weiter übrig blieb, als:

Die Pflicht, sieben Stunden zu schlafen;

Zweimal sieben Stunden, es sey körperlich oder geistig, zu arbeiten und die übrige Zeit sich zu vergnügen;

Ein Tagebuch von jedem Tage seines Lebens in der Art zu halten, daß über Wachen und Schlafen ein besonderes Diarium geführt werde.

Das siebente Jahr war ein Erlaßjahr in Absicht der Tagebücher; dagegen sollten alsdann die geführten Tagebücher durchgegangen werden, um zu bemerken, ob und in wie weit der Wachsthum im Guten zugenommen habe. Man trug in der Versammlung ein härenes Hemde, aber wohl gemerkt, über dem Kleide. Der Orden gebot drei Tage in der Woche Wasser und Brod; aber nebenher konnte man sechs, auch mehr wohlgewählte Schüsseln und Weine genießen. Der Ritter bemerkt, daß kein Orden unter allen, die er erhalten, von A bis Z und von Z bis A, Mitglieder gehabt, die so herrlich und in Freuden zu leben gewohnt gewesen, wie die Mitglieder des Ordens vom Thal Josaphat. Michael selbst hatte bei aller Strenge seiner Grundsätze die [213] größeste Mühe von der Welt, sich der Verführung zur Unmäßigkeit zu erwehren. Auch ward in keinem Orden mehr geschlafen und weniger gearbeitet als hier. Dieß gab unserm Ritter und seinem Knappen zu vielen Bemerkungen Anlaß, wiewohl es füglich bei der einzigen Frage hätte bleiben können: Was kann Menschen bewegen, übermenschliche Dinge zu übernehmen? Nie müsse, sagte der Ritter, der Mensch einen Entschluß in einer traurigen Stimmung seines Gemüths fassen; nie müsse er eine Lebensweise für sein ganzes Leben erwählen, und nie einen Vorsatz, außer dem, Gutes zu thun, auf immer ergreifen. Zwar sey ein Entschluß, im Affekt genommen, gemeinhin kräftiger als einer bei Muthlosigkeit der Seele; doch sey ein durch Nachdenken zur Ruhe gebrachtes Gemüth allein im Stande, den Menschen richtig zu bestimmen, und diese Bestimmungen würden es nie darauf anlegen, die Natur zu überflügeln und sich Dinge zuzumuthen, die den Schein behaupteten und die Kräfte verläugneten. Da der Ritter indeß bei sich fest beschlossen hatte, nie die Menschen auf eine und dieselbe Art zu beurtheilen, indem viele von ihnen bei ganz verschiedenen Handlungen eine und dieselbe Absicht hätten, wogegen sie auch bei verschiedenen Triebfedern in ihren Handlungen völlig übereinstimmen könnten, so ward dem Thal-Josaphats-Orden, eben so wenig wie vielen andern Orden seines Gelichters, mit keiner Kritik zu nahe getreten. Wer nicht richtet, wird nicht gerichtet; wer nicht verdammt, wird nicht verdammt; wer gibt, dem wird gegeben. – Thut nur, als wisset ihr mehr und ihr werdet andere finden, die bei euch in die Schule kommen. Jede Meinung in der Welt, mochte sie noch so sehr in Kreuz und Quer seyn, fand ihre Jünger und Apostel. Ein Wort im Vertrauen, eine Hoffnungsaussicht macht Menschen, wenn nicht glücklich, so doch ruhig. – Der Mensch ist zum Experimentiren geboren. – Eine Beule am Kopf und am Herzen mehr oder minder – was schadet sie? Wagen gewinnt, wagen verliert. – [214] Eins der Hauptstücke des Ordensarcans schien zu seyn, Fruchtbarkeit bei beiden Geschlechtern zu befördern. Fruchtbarkeit im Ordenssinne; das heißt: den Kindern nicht nur Schönheit und Stärke des Leibes, sondern auch Schönheit und Stärke der Seele beizulegen, wovon indeß, leider! unser Held so wenig wie sein Knappe vorderhand Gebrauch machen konnte, da ihnen diese Rosen von Jericho und neben ihnen die bescheidenen Blumen Je länger je lieber noch nicht blühten. – Es käme, hieß es, auf Cultur des Ackers und guten Samen an; – und die Zeit wäre nahe, wo man auf wohl zugerichtetem Acker auf einmal viele große Seelen und starke Körper zum Vorschein bringen und auf die Erde setzen würde, die nicht bloß durch Systeme ein besseres Loos für die Menschen erschreiben oder (wie noch schwächere Menschen) es erhoffen, sondern alles erstreben würden! – Hosianna! Wenn dieses Ackerwerk und dieser gute Samen nicht vorausginge, was hülfen die besten Educationsanstalten? Eine geknickte Lilie begießen, von einem wurzellosen Baume Früchte fordern – wer kann das?

Die Ceremonien bei der Aufnahme waren bei Josaphat gar nicht verhängt. Ich könnte sie in Lebensgröße mittheilen und würde es, wenn man sich hier nicht wie gewöhnlich Ordensmühe gegeben hätte, Anlagen durch Göttermaschinerien und Episoden aufzustutzen. In den Thälern, sagte Michael, ist in der Regel weniger Licht als auf Bergen. Und die

144. Bergorden
§. 144.
Bergorden?

Freilich weder auf Moria noch auf Garizim ist den Menschen zu helfen; denn es ist eitel Betrug mit allen Hügeln und Bergen, den Berg aller Berge, der jetzt in Paris Gesetz gibt, nicht ausgenommen. Cultivirt der Mensch nicht seine intellektuellen Kräfte, bleibt sein Charakter unveredelt, erhöht er sich nicht zum Selbstgenuß, [215] was helfen Thäler und Berge? Doch soll Schwärmerei auf Gebirgen Hütten bauen? Ist das Empfehlung? Ist in gigantischen Systemen von Schwindelei und in änigmatischen Vorträgen nicht mindestens eine Art von Kraftanstrengung, von Seelenerhebung, wie auf unsern Bergen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Fängt man doch Wallfische mit Tonnen, sagte einst Johannes, warnm sollte man im Orden sich mehr Mühe geben, wo gemeinhin nichts weniger als Wallfische zu fangen sind! So viel ist gewiß, daß viele der Vergiften zu wissen glaubten, was sie nicht wußten, und diese wollten andere in der Unschuld ihres Herzens glauben machen, daß sie wüßten. Viele von den Bergen, so scheint es mir, hatten sich nicht einmal die leichteste Mühe von allen gegeben zu glauben: es fehle ihnen an Zeit, weil sie nichts zu thun hatten. Doch gibt es Thorheiten, wel che wegen der hohen Zuthat, die man hineinzulegen gewußt hat, nicht hassenswürdig sind; an Liebenswürdigkeit würden sie grenzen, wenn nicht Faulheit ihr Hauptingrediens wäre. – Und wie? ist der Mensch nicht Glaubensgeschöpf? glaubt er nicht von Kindesbeinen an, bis er zum wirklichen Grabesorden kommt, wo es wahrlich am Glauben nicht gebrechen muß? – Laßt gut seyn! Gewisse Schwärmereien sind fast unschädlich, sie verfolgen heißt sie befördern. Wer ein politisches Gebäude stürzen will, wird nicht die Zinne desselben ersteigen und mit einem Brecheisen seinen Endzweck kund und zu wissen thun allen, denen daran gelegen und nicht gelegen ist – unmerklich wird er es untergraben, damit es bei dem Sturz so aussehe, als hätte die Zeit es gestürzt. Man mache den Hypochondristen krank, damit er einsehe, was krank seyn heiße, und er wird gesund werden. Probatum est. Man lasse den Hypochondristen hypochondrisch seyn, denn er weiß sonst nichts mit sich anzufangen. Auch probatum est. – –

Bei jedem Grad des Ordens, bei jedem neuen Orden hieß [216] es: nach Eleusis! Die Processionen, die an diesen und jenen heiligen Ort gingen, hatten für unsern Ritter und seinen Knappen (wahrlich es war ein guter Glaubensschlag von Menschen!) etwas Verführerisches. Fast alle Menschen wollen die andere Welt nicht hoffen, sondern sehen und schmecken, besonders aber ist die liebe feurige Jugend äußerst himmelsüchtig, am besondersten, wenn sie verliebt ist. Sophie und die Zofe gehörten ohnehin zur unsichtbaren Welt. – Auch gibt es gute Seelen, die den Himmel wie eine Promenade ansehen, um sich dort zu erholen, wenn ihnen dieß Leben anekelt oder sie seiner Tage Last und Hitze getragen haben. Unser Ritter hatte, freilich auf Anrathen seines Johannes, Mosen und die Propheten, die Physik und Chemie zu seiner Zeit ganz gut studirt, doch selbst die Ohnmacht dieses Studiums brachte ihn zur Allmacht der sogenannten hohen Chemie und hohen Physik. Kenntnisse leicht und spielend zu fassen, die doch so viel reichlicher lohnen! Wirklich! Freilich angeblich, was hält aber Wort in der Welt? Ist es zu läugnen, daß in uns ein Zutrauen zu unbekannten Kräften liegt? Wer kennt die Gottheit? – Man wollte dem Ritter und seinem Knappen alles augenscheinlich beweisen und sie schmecken und sehen lassen. – Kann man von Menschen mehr fordern als redlich wollen? Gibt es, wie man nicht ganz abläugnen kann, angeborne Ideen, sagte der Ritter, ist alles Erforschen, Erlernen und Wissen Erinnerung, und findet sich hier und dort und da die selige Stunde, da wir lernen, was wir wußten, vielleicht (ein wonnereiches Vielleicht!) sind Sophie und ihreBegleiterin, die wir in der Weite suchen, in der Nähe. Freilich nahm sich in den durchkreuzten Orden die Einbildungskraft fast immer heraus, das Experiment zu machen, ob sie gleich in der Regel von jedem Experiment gewissenhaft entfernt und abgesondert seyn sollte; doch merkten es entweder unsere Candidaten nicht oder sie wollten es nicht merken. Was verlier' ich, dachte der Ritter? [217] Nichts als Geld. Und ist dieß nicht da, um verloren zu werden? In der That, unser A B C konnte sich bei allen Ordensweihen mit der Reinheit seiner Absichten beruhigen; und da seinen Vorurtheilen und seiner Sinnlichkeit (beide nicht böser Art) geschmeichelt ward, fand er sich im Thale Josaphat übel? und wird es ihm auf den Bergen mißfallen?

Was ich längst hätte bemerken können, ist, daß er sich nie auf das Gold- oder Juwelenmachen einließ. Er verbat sogar diesen Unterricht mit Bescheidenheit und substituirte nicht nur diesen, sondern vielen andern Geheimnißverheißungen – Sophien. Ob er sie auf den Bergen finden wird, wo man freilich weit herumblicken kann –? Michael, der gewiß die Zofe so zärtlich liebte, wie sein Herr Sophien, war mit diesem Gold- und Diamantenverzicht unzufrieden, und äußerte die nicht ungründliche Meinung, daß sich Gold und Juwelen mit Sophien und ihrer Zofe wohl vertrügen. Michael, sagte der Ritter, schämst du dich nicht, mit verbundenen Augen sehen und mit verstopften Ohren hören zu wollen? Der Knappe erwiederte: Ew. Gnaden haben mir selbst von einem Knaben erzählt, der nach einem Hunde warf und seine Stiefmutter traf. Auch nicht unrecht, sagte der Knabe. – Da die Receptionen auch da bezahlt wurden, wo es Gold und Juwelen regnete, was meint man: ob der Ritter oder der Knappe im Punkte des Goldes und der Juwelen Recht habe? Nach Eleusis!

Von allen nur drei, sieben, neun bis zehn Worte. Bei der Aufnahme auf

145. Karmel
§. 145.
Karmel

ward, wie schon sonst, ein erschütterndes Getöse gehört. Die Erde bebte und die schrecklichen Situationen, in die der Aufzunehmende gesetzt ward, endigten sich mit den sanften Strahlen des Phöbus. [218] – Nichts neues vom Jahr. – Man kann Nebenabsichten haben und doch Gutes befördern; man kann keine Absicht haben und doch etwas zu Stande bringen, was nicht allein nicht übel, sondern heilsam und gut ist. Der Operationsplan auf Karmel war so versteckt, wie fast in allen andern Orden und Graden. War es Wunder, daß unser Ritter den Plan von Karmel aus der Aufnahme nicht abnehmen konnte? Lag es am Karmelorden oder am Ritter, daß er nicht tiefer eindrang? Der Ritter selbst macht sich in der Glosse den Vorwurf, dieß Werk mit zu wenig Lebhaftigkeit betrieben zu haben, um davon reife Früchte zu ziehen. Kann Karmel für diese zu wenige Lebhaftigkeit?

In einem Grade des Karmelordens ward die Kunst gelehrt, mit allem zu reden, die Zunge allem, was Zunge hat, zu lösen und sogar alles Leblose in der Natur zu verstehen. Ein allerliebstes Conversatorium! Laß uns hier, liebe Leserwelt, mit Dank erkennen, daß wir im Grabesorden unter andern die Farben- und Zeichensprache lernten, wovon man durch eine gleichzeitige oder successive Verbindung und Vermischung eine gewisse Melodie und Harmonie schon im gemeinen Leben herausbringen kann. Armes gemeines Leben! deine Regeln der Ordnung und Uebereinstimmung gaben gegen die heilige Farbensprache kaum ein Buchstabirbüchlein ab, da man im Grabesorden lange Farbenreden zu halten ganz unbedenklich fand! – Und was gilt diese Kunst gegen die Sprachlehre auf Karmel? Sie war eine der allerseltsamsten und schwersten. – Unser Ritter, durch mancherlei Kunstvorfälle derselben überrascht, wußte nicht, ob nicht wirklich der Kirschbaum ihn zu Gevatter und die Eiche zur Leichenfolge bat; ob die Tanne ihn nicht vor Unglück gewarnt und die Birke ihn bedauert hatte. Ein schöner Bach unterhielt den Ritter mit den Gedanken, Worten und Werken seiner angebeteten Sophie von Unbekannt, er kam geraden Wegs von ihr. Obgleich der Ritter den ihm sonst so lieben Bach nicht [219] verstehen konnte, so viele Mühe er sich auch gab, so war doch vermittelst eines Ordenstranslateurs ihm alles verständlich. Man versprach ihm ein Universallexicon, welches er bei so vielen Zungen und Sprachen im Segen zu brauchen im Stande seyn würde, doch findet sich ein NB. in den Nachrichten:

»Nicht erhalten!«

Auch hatte der Ritter die Ehre, einen geheiligten Papagei kennen zu lernen, der auf alle Fragen, wohl zu verstehen, in der weltüblichen Sprache antwortete. Er verstand Deutsch, Französisch und Italienisch. Z.B. was denkt der Neuaufgenommene vom Karmelorden?

Der Papagei. Er ist unentschlossen.

Wird sein Glaube gestärkt werden?

Ja! sagte der Vogel, ob ich gleich, seiner Heiligung unbeschadet, in meinen Nachrichten Ursache zum Nein finde. Vom Orden auf

146. Sinai
146. Sinai?
§. 146.
Sinai?

Hier ward, wie es hieß, moralische Zauberei getrieben. Die Endabsicht des Menschen ist durch die höchste Bildung seiner Kraft zu einem Ganzen in Absicht seiner selbst und der Gesellschaft zu gelangen. Wie ist diese zu erreichen? Wie bringt der Mensch seine höhere Vervollkommnung zu Stande? Wie entsteht die Erschlaffung seines Wesens? Durch Liebe und Achtung wird der Mensch geadelt, durch Interesse entehrt, und nur, wenn er ins Allgemeine mit Verzicht auf alles, selbst auf Dank arbeitet; wenn er in sich die Menschheit, das göttliche Bild sieht und nichts zum Mittel erniedrigt, was die Ehre hat Zweck zu seyn; wenn er bei den Universalrecepten gegen die moralischen Uebel nicht vergißt die Natur des Individuums zu berechnen, das er beurtheilt: nur dann,[220] dünkt mich, kann der Mensch sich einen moralischen Zauberer dünken, wenn anders Zauberei und Moral nicht zu heterogen sind.

Im Sinaiorden nicht also.

Die Gesetztafeln auf Sinai hatten den Menschen anders veranschlagt. Man gab secreta monita, nach welchen der Mensch sich selbst nichts und andern alles zutrauen sollte: dem Arzt den armen Leib, dem Priester die arme Seele. Man überzeugte sich, daß Sklaverei von jeher glücklicher als Freiheit gemacht hätte. – Volkstäuschung, Maschinensklaverei waren die Hauptwörter, um durch ein zwar barbarisches, doch universelles Mittel dem kleinern Theile durch Aufopferung des größern Ruhe und Gemächlichkeit zuzusichern. Man suchte den Menschen von den Gütern des Geistes abzuleiten, die weder Motten noch Rost fressen, nach denen weder Diebe graben noch sie stehlen, die in Glück und Unglück uns nicht verlassen und die zuletzt zur Herrschaft der Sitten bringen, anstatt der Gesetze. Ach mit den lieben Gesetzen! Sind sie mehr als übertünchte Gräber? Weltklugheit galt auf Sinai, nicht Weisheit. Höchstens lernte man schlaue Kenntniß und richtige Beurtheilung alles dessen, was uns nützlich und schädlich werden kann. Wenn zwei Kenntnisse zusammenkommen, hieß es, steht die eine, welche dir frommt, wie bei den Substantiven im Genitiv. Immerhin sey die gesetzgebende, richterliche und ausführende Macht in der Despotie vereinigt! Weiß der Despot, wie es der Fall gewöhnlich ist, keins von dieser Dreieinigkeit zu gebrauchen, desto besser; alsdann regieren Lieblinge. Es führe ein Geschlecht, welches es wolle, das Ruder, die Klugheit wird schon ergründen, was Trumpf, das heißt wer König ist. – Es muß Menschen geben, die, wenn sie nicht besser sind, so doch für besser gehalten werden. – Man lasse ihnen ja diese Ehre, wenn sie gleich nicht mehr thaten als mit dem Kopfe nicken, während der Zeit du dir ihn zerbrachst. Ist es nicht besser Fürst zu seyn als es zu heißen? Weder ein römischer Senatorschuh noch [221] ein Kreuzpantoffel des heiligen Vaters schützen vor dem Podagra. – Sokrates ward durch bie Heliäa, durch ein Volksgericht, das aus 400 Personen bestand, zum Tode verurtheilt. – Die Menschen sind entweder Tadler oder Schwätzer. Wer liest? wer merkt auf das, was er liest? Wer verwandelt das, was er liest, in Grundsätze? Wer sucht es zu üben und in Handlung zu zeigen? Im Freistaat ist jeder Monopolist; jeder sucht den Scepter an sich zu reißen. Man figurirt oder jakobinisirt. – Krieg aller wider alle ist das natürlichste und beste. Sieh dich um! Eins frißt das andere in Gottes Welt, und Eheleute, die sich am öftesten entzweien, haben die meisten Kinder. – So bleibt es immerdar. – Was kann Ein Staat, der sich veniam aetatis erringt, in dem einer des andern Freiheit achtet? Ist nicht alles noch im weiten Felde – ja Felde –, wenn sein Geschwister unmündig bleibt? – Dergleichen Vorreden führten zum Dekalogus auf Sinai. Uebrigens ward es hier, wie gewöhnlich, auf Unterricht, nicht auf Erziehung angelegt, obgleich dieß nichts anders als Essen und Trinken ist. Der Bruder Präparateur hatte so wenig Anziehendes, daß der Ritter mit ungewohnter Laune bemerkt: mache einen Kleck, und du hast seine Silhouette. – Im Orden auf

147. Tabor
§. 147.
Tabor

fand die Ritterin Mutter zu ihrer Zeit hohe und tiefe Winke. Unserm Ritter und seinem Knappen war Tabor, die Wahrheit zu gestehen, zu leicht und zu natürlich, um hier zu finden, was vielleicht wirklich, vielleicht bloß der Ritterin darin lag. Der Prediger widersprach seiner Gönnerin nicht, doch war ihm Tabor unbeträchtlich. – Er fand hier nicht Zeichen und Wunder. Tabor schien einer Art von christlicher Religion Vorschub zu leisten, die nicht [222] pastoral war. Eben der Voltaire, der sich die Freiheit nahm, zu sagen: Je ne suis pas Chrétien, mais c'est pour t'aimer mieux, versicherte einen Kapuziner, daß er nicht Genie und Stärke genug besäße, ein Trauerspiel aus Christi Leiden zu entwerfen.

Die Aufnahme war ohne alle Feierlichkeit. Alle Territionen fielen weg. – Eine sanfte Musik entzückte die Aufzunehmenden. Ihr Thema war: die Gottheit ehren heiße ihr gehorchen; ihre Macht erhebe sie über die Menschheit, – ihre Güte bringe sie zu uns. – Der Ritter muß bei so vielen Ordensmusiken, die er gehört, doch gestehen, nie eine dergleichen gehört zu haben; er glaubt, die Instrumentalmusik habe den verständlichen Gesang herausgebracht. – Jeder Ton hallte laut den Text im Innersten wieder.

Kein Hierophant, kein Demiurgus, ein schlichter Mann, etwa wie ein herrnhutscher Bischof, unterbrach diese Musik und fragte den Aufzunehmenden: ob er überzeugt wäre, daß nur ein Leidender ein großer Mensch sey, und daß die Menschheit sich nicht vollkommner zeigen könne, als wenn der Mensch seine ganze Stärke zusammennehme, um zu leiden, um sich selbst und seine Leiden zu überwältigen? Heißt seine Leiden überwinden nicht oft mehr als sich selbst überwinden?

Der Ritter betheuerte: ob er gleich bis jetzt wenig gelitten hätte, sey er doch überzeugt, daß Kreuz stähle, Freude erschlaffe und nichts Herzen und Seelen so an sich ziehe, als wenn man den Unschuldigen den guten Kampf kämpfen, ihn unverdient unterliegen oder die Palmen des Sieges tragen sehe.

Hierauf ward er mit Wasser und mit Feuer getauft. Wahrlich an Taufen hat es ihm nicht gefehlt, und schwerlich wird irgend jemand mehr als er getauft seyn. Wasser und Feuer, sagte der Täufer, sind Anfang und Ende der Dinge.

Daran, sagte der schlichte Mann (nach einer kleinen Stille), [223] wird man erkennen, daß Ihr meine Jünger seyd, so Ihr Liebe unter einander habt.

Er goß Wasser in das Becken, legte seine Kleider ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich, wusch dem Neuaufzunehmenden die Füße, trocknete sie mit dem Schurz, womit er umgürtet war, und sprach: Ein Beispiel hab' ich Euch gegeben, daß Ihr thut, wie ich Euch gethan habe. Nach dieser Ceremonie ward er zum Altar geführt, wo er die Gelübde ablegte: Christo nachzufolgen, den wahren und nicht den Kirchenglauben zu bekennen, darauf zu leben und zu sterben, nicht seine, sondern Gottes Ehre zu bewirken und bei der Einfachheit und Lauterkeit der Lehre, die er angelobte, alles für Schaden zu achten und selbst den Vorzug, tausend und abermal tausend Gläubige um sich zu versammeln, gegen die Würde recht und richtig zu wandeln vor Gott und Menschen aufzuopfern, die Welt, er möge in ihr Angst oder Freude haben, zu überwinden, den weltlichen Fürsten die Herrschaft und den Oberherren die Gewalt zu überlassen, sich nicht zum Herrn, nicht zum Meister machen zu wollen, sondern zu wandeln wie es sich gebühre, bis das Stündlein komme und die Stimme erschalle: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über weniges getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!

Bei der Tafel gebot der schlichte Mann Andacht, und nun fing er an: Da sie aber saßen, nahm Jesus das Brod, dankete und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankete, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus, das ist mein Blut. Thut's zu meinem Gedächtniß. Hierauf aßen und tranken sie das Abendmahl.

Warum soll ich es bergen? Ich habe der Ritterin verheißen, diesem Orden näher nachzuspüren, der in meinen Nachrichten [224] Vorhänge hatte, ohne Vorhänge zu haben. Der Ritter hatte ihn, der Wasser- und Feuertaufe ungeachtet, ungetauft gefunden – und auf Tabor nach den göttlichen ausdrucksvollen Symphonien Kupferstiche von Erscheinungen vermuthet. – Doch war der Unterschied zwischen Christen und Christianern dem Ritter aufgefallen. – Es schien in diesem Orden nicht darauf anzukommen, was die Evangelisten, selbst Johannes nicht, am wenigsten die Apostel von Christo geschrieben hätten. Die Vernunft, hieß es, ist die Kritik, welche diese Erzählungen berichtigt, der man mit Recht die Infallibilität zuschreibt. Auch komme es sogar, sagte der schlichte Mann, nicht einmal darauf an, ob Christus wirklich in der Welt gewesen sey oder nicht, sondern nur auf Fingerzeige, die durch ihn der Welt zu einer sichtbaren Religion gegeben sind. – Eine sichtbare Vernunftreligion sey das, was man Offenbarung nenne. – Schwer schien es hier zu seyn zu binden und zu lösen; indeß behauptete man: auf den Leib komme es nicht an; doch sey der Geist des neuen Testaments leicht und faßlich. – Er ward arm geboren, machte sich stark zu Handarbeiten, ohne seinen heiligen Geist zu vernachlässigen, lehrte so überzeugend, daß kein nachdenkender Mensch widerstehen konnte, lebte seiner Lehre getreu, im Leiden erhaben; am Charfreitage ward er aus Kreuz geschlagen, zog nach seinem geglaubten Tobe Schüler aus den Volksklassen oder vollendete sie vielmehr (sie waren schon längstens nothdürftig ausgerüstet) und ging hin zum Vater am Himmelfahrtstage. – Alles dieß ward dargestellt. Die Feste, welche die Christenheit feiert, waren hier gereinigt und so geistig gerichtet, daß der Christ bei diesen Festen sich als Glied des Hauptes ansah, und die Feste, als ihn selbst angehend, mit feierte. Pastor äußerte, die Darstellungen der Katholiken wären weit herrlicher und feierlicher. Mit nichten, sagte die Ritterin. – Man beging im Tabororden sogar den Himmel feierlich, in welchen Christus nach den zeitlichen und leichten Leiden dieser Zeit sich [225] erhob. – Hätte dieser Himmel nicht, ohne daß man von der Ritterin ihre Perlen verlangen dürfen, Risse zum himmlischen Jerusalem abgeben können? Wie hat sich die Ritterin geändert? – – Man übersehe den Zeitpunkt nicht! zu ihrer Zeit.

Man sehnte sich, auf Tabor abzuscheiden und bei Christo zu seyn, allein man vergaß nicht, daß dieses Leben des Lebens werth sey, daß ein Reisender zwar sein Ziel nicht vergessen, indeß sich seine Reise so angenehm und nützlich machen müsse, als möglich u.s.w.

Finden Ew. Gnaden, sagte Michael zum Ritter, den Tabororden nicht in unsern Sonn- und Festiags-Evangelien, die ich bei Gamaliel in- und auswendig lernte?

Der Ritter schwieg, und dachte nach so vielen gekauften Perlen an Sophien, die Perle aller Perlen, derentwegen er alles wieder verkauft haben würde, wowider Michael, bis auf den Haufen Juwelen und Gold, dessen sein Herr so großmüthig sich begab, nichts hatte. Zwar mochte das Ideal, welches der Ritter am Busen trug, in dem Chorkleide einer regulirten Chorfrau des Ordens vom heiligen Grabe, ihm zu einiger Entschädigung dienen; doch fiel ihm bei reiferer Ueberlegung von Tage zu Tage mehr ein, daß Ideale in gewissen Fällen den Gegenstand in natura so wenig unentbehrlich machen, daß sie vielmehr Sehnsucht befördern, und daß Sophie gewiß das Ideal seines Ideals seyn würde, wobei Michael von wegen der Zofe ein ganz bereitwilliger Diener war.

Das Maß der Schnellkraft war erschöpft. – Sie hatten Kämpfe gekämpft, ohne sonderlich viel ersiegt zu haben. Fast mißmuthig reiseten sie aufs Land, ohne irgend jemanden den Ort ihres Aufenthalts anzuzeigen, um dort bei voller Ruhe des Gemüths Entschlüsse fassen zu können, die näher zum Ziele führten. Glücklich sey eure Reise! – Siebenmal sieben Stunden hatten sie mit Vorbereitungen zugebracht, als sie, noch nicht von dem Uebellaut ihres [226] Gemüths zurückgekommen, in einen benachbarten Wald gingen, und es war allerdings wunderbar, daß auch hier ihnenein Abenteuer aufstieß. Sie sahen in einiger Entfernung eine menschliche Figur auf einem Baume sitzen, und zwar so, daß sie nur eben so hoch und so niedrig sich befand, um nicht übersehen und doch nicht ganz gesehen werden zu können. Das heilige Dunkel gab den weißen Haaren und der ganzen Existenz dieser Figur ein so ehrwürdiges Ansehen, daß, ungeachtet Ritter und Knappe den Entschluß genommen hatten, allem auszuweichen, was sie an der einzigen Perle (jeder hatte seine Einzige) hindern konnte, sie doch fast wider Willen zu diesem Baume gebracht wurden. Je näher sie ihm kamen, desto mehr bemühte sich der Einsiedler, sein Antlitz zu verbergen. Nur nach einer langen Weigerung, die sie natürlich desto hitziger machte, ließ er sich mit ihnen ein. Er war, nach seiner Angabe, die man freilich einem ehrwürdigen Einsiedler auf dem Baume glauben muß, durch Haß, Neid und Verfolgung und durch den Verlust der Seinen zur Weltentfernung gebracht, nachdem er lange hin und her geirrt und fast in allen heimlichen Gesellschaften Ruhe für seine Seele und Trost für sein Herz vergebens gesucht hatte. Endlich (es waren seine eigenen Worte) ward ich des Glückes gewürdigt, mit einem heiligen Einsiedler bekannt zu werden, bei welchem ich siebenmal sieben Jahre in der Lehre stand, bis dieser im 150sten Jahre die Welt segnete und mir den Schlüssel zu seinen Geheimnissen zurückließ! Er ruhe wohl! Unser ehrwürdiger Baumeinsiedler schloß mit diesem Schlüssel nicht nur die Schicksale, sondern auch die Gesinnungen unseres Ritters und seines Knappen auf. Alles und auch das wußt' er, was jeder vor dem andern bis jetzt verborgen hatte. Michael z.B. war in zu frohem Muthe, als das Capitel des Grabes zusammen war, einem Mädchen zu nahe gekommen. Der Ritter hatte an Johannes einen Brief geschrieben, worin er ihm[227] wiewohl verblümt, zu verstehen gegeben, er könne bis jetzt sich noch nicht zu den Vollendeten zählen. Nicht nur die Worte, auch den verborgenen Sinn dieser Stelle wußte der Einsiedler. Vorfälle dieser Art würden den Ritter, so wie seinen Knappen, ehedem sogleich mitgerissen haben; jetzt aber hatten beide auf ihren Wüstenreisen Kanaan fast völlig aufgegeben. – Eben waren Ritter und Knappe entschlossen, den Baumeinfiedler mir nichts dir nichts zu verlassen, als er ohne alle Veranlassung fragte: Was seyd Ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wollet Ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? (Diese Worte wiederholte der fromme Einsiedler zweimal.) Oder was seyd Ihr hinausgegangen zu sehen? Wollet Ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe! die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seyd Ihr hinausgegangen zu sehen? Wollet Ihr einen Propheten sehen? – Nichts von allem zu sehen, unterbrach ihn der Ritter, war unser Vorsatz. Du hast uns alles entdeckt, bis auf die Untreue, die Michael bei einem Haar an der Begleiterin beging, deren Bild er an seinem Busen trägt. Erlaube zu fragen, warum Du uns fragst, Du, der Du den höheren Beruf zu antworten hast? Kinder fragen, und Examinatoren, die gemeinhin Kinder am Verstande sind. Sokrates antwortete, indem er fragte; und sollte Dein Amt nicht wo nicht höher, so doch eben so hoch seyn, wie das Amt des Sokrates, der meines Wissens bei keinem einhundert und fünfzigjährigen Einsiedler in die Schule ging? Freilich, erwiederte der Baumeinsiedler, dank' ich es dem einhundert und fünfzigjährigen Alten, daß ich meinetwegen nicht Ursache zu fragen habe. Indeß so wie wir beten, nicht Gottes, andern unsertwegen, so frage auch ich nicht meinet-, sondern Euretwegen. Der Fragenlehrer, dessen Worte ich Euch ans Herz legte, wußte gar wohl die Gesinnungen seiner Befragten. Wohlan! da ich ein Glaubenssenfkorn bei Euch finde, will ich mir selbst antworten. [228] Vergebens habt Ihr auf den Ordenswegen Sophien und ihre Begleiterin gesucht; seyd, ich bitte Euch, kein Rohr, das der Wind hin und her wehet! – denket nicht Arges in Eurem Herzen. Ritter und Knappe sahen einander an. Arges? seufzten sie fragweise. Nicht anders, erwiederte der Einsiedler. Um sie nicht zu verlieren, sah er sich gedrungen, ihnen schnell ein paar Strahlen der Hoffnung zuzuwerfen. Entzückt segneten unsere Wanderer den Gedanken zu einer Resignationsreise; sie baten den Baumeinsiedler, sich herab zu bemühen, damit sie ihn in seine Hütte tragen und ihm einigermaßen ihre Dankbegierde beweisen könnten. – Er lächelte. – Ich bedarf, sagte er, Eurer Hülfe nicht; wohl aber freu' ich mich, Euch helfen zu können. Nach etwa drei Viertelstunden, die sie wanderten, kamen sie im dicksten Walde an eine Hütte, wo sie einen lieben Knaben fanden, den der Einsiedler für seinen Ururenkel ausgab, und der, so bald er sein Angesicht sah, sich seinen Segen erbat! Der Segensspruch war rührend. – Sie fanden eine Schüssel herrlicher Milch, die unseren Wanderern sehr wohl that, und nachdem sie sich auf eine niedere Grasbank gelagert, floß Honig von den Lippen des Einsiedlers, der sie völlig einnahm. Sollt' er es nicht, da er ihnen Sophien und ihre Begleiterin verhieß? – Wohlan! sagte er: ehe ich mich mit Euch weiter einlasse, sey ein Zeichen gestellt zwischen mir und Euch. Wenn dieß Opfer (es waren drei Töpfe, einer mit Basilikum, einer mit Raute und einer mit Salbey) zündet, seyd Ihr würdig weiter geführt zu werden. Der Ritter, sein Knappe und der Ururenkel trugen jeder einen Topf, und nachdem sie solche an einen Ort, wo die Sonne darauf scheinen konnte, gestellt hatten, sprach der Einsiedler einige ihnen unverständliche Worte und segnete die Staudengewächse. – Unsern Wanderern war es, als sähen sie einen Lichtcirkel um sein Haupt. Der Kleine, der allein beim Altar blieb, stürzte nach einiger Zeit mit der Nachricht unter sie: Es brennt! und fiel auf seine [229] Knie. Dieß thaten auch der Greis, der Ritter und sein Knappe. Sie gingen hin, fanden, wie das Kind gesagt hatte, und kehrten in die Hütte hocherfreut. Der Einsiedler bat sie, drei Tage bei ihm zu weilen – während welcher Zeit sie nichts als Milch und Semmel genossen. – Heil Euch! rief der Einsiedler, und schwieg. Wie lehrreich der Baumeinsiedler unsern Wanderern war, ist unaussprechlich. Er kam auf weltbürgerliche Ideen, und es thut mir leid, mich nicht in den Umständen zu befinden, wenigstens einen Theil seiner Prophezeiungen mittheilen zu können, die Europens Schicksal betreffen. Der Ritter hat sie auf sieben Bogen verzeichnet. Meine Verweigerung hat sehr wichtige Gründe. Einige Stellen sind dunkel. – (Ehre dem Ehre gebührt!) Vieles von diesen Prophezeiungen ist eingetroffen; viel ist, wie mich dünkt, der Erfüllung nahe, und der entfernte heilige Rest? – – – Kann man nicht prophezeien, ohne Prophet zu seyn? Prophezeiungen beurtheilen, heißt das viel mehr als Welt- und Menschenkenntniß besitzen? Der Weise (die Cabinette sind gemeinhin einseitig) hat die Fähigkeit, das Ganze zu übersehen, Ab- und Zugang zu berechnen und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Dinge im politischen Fache zu verkündigen, die noch kommen sollen. – Doch ging es unserem Baumeinsiedler viel weiter. – Mehr erbaut, als je, gingen unsere Wanderer nach dem Orte zurück, wo sie eingekehrt waren, und nach den genauesten Erkundigungen, ob sich kein merkwürdiger Mann in dieser Gegend hervorthäte? und nach eingezogener Antwort, daß alles hier den gewöhnlichen Weg ginge, befolgten sie die Anordnung des Einsiedlers und eilten zurück in die Stadt, um so lange sich still zu halten, bis sie den heiligen Wink zu ihrem Pfingsttage spüren würden, den ihnen der Einsiedler verheißen hatte. Unterwegs, als sie ihr Ordensschicksal aufs neue überdachten, behagte es ihnen nicht völlig, daß sie einen neuen Ordenskreislauf anfangen sollten; doch beruhigte sie die herrliche[230] Aussicht, Sophien und ihre Begleiterin zu finden, und hierdurch nicht nur wegen des neuen, sondern auch wegen des alten und ihres ganzen Ordenslaufs entschädigt zu werden. Voll Neugierde, ob ihnen dieser Wink nicht durch Feuer vom Himmel gegeben werden würde, welches die drei Töpfe mit Raute, Basilikum und Salbey zum Theil verzehrte, war nichts vermögend, ihre Andacht zu stören, als der Hunger, dem man schon sonst manche Erstgeburten von herrlichen Entwürfen aufgeopfert hat. Kurz vor der Stadt schickte der Ritter den Reiknecht voraus, um den Wanderern ein Mahl zu bereiten, die, wenn sie gleich von der Milch und dem Honig des Einsiedlers äußerst gesättigt waren, doch den Werth einer Fleischmahlzeit nicht verkannten. Wenn wir, dachten Ritter und Knappe, Sophien und die Zofe haben, sey Baumeinsiedler, wer Milch- und Honigmagen hat, und es seyn kann und will. An dem Resignationsorte fanden sie den freundlichsten Wirth und einen gedeckten Tisch; indeß erlaubten sie sich nicht, zu verweilen. Wußten sie, wann der Wink kommen würde? Auch wollte der Ritter seine Lust zu Aegyptens Fleischtöpfen an keinem dem Einsiedler so nahen Orte beweisen. Der Magenhunger und Durst hatte den Hunger und Durst nach Sophien und der Zofe fast überwältigt. Lüstern auf ein anlockendes Fleischmahl, wollte der Ritter zu Tische gehen, als ihn, er wußte selbst nicht was, zu seinem Geheimkästchen zog, wovon er den Schlüssel so wenig als das Porträt seiner Geliebten ablegte. Er schloß auf, und oben darauf lagen folgende Zeilen:

Nach drei Stunden von dem Augenblick, da Du dieses liesest, gehe hin (hier war der Ort bestimmt), und bitte um Deine Aufnahme in einen Orden, der geistig und leiblich Dich segnen wird. Noch fügt seinen Segen hinzu der Einsiedler vom Baume.

Natürlich verdarb dieser Wink dem Ritter die Mahlzeit, obschon sein Knappe, den er sogleich von der Erfüllung des Einsiedlers unterrichtet hatte, sich es wohl schmecken ließ. Es war eitel leidige [231] Freude, die dem Ritter das Essen verdarb. Darf ich sagen daß er nicht verfehlte, auf die Minute die Anweisung zu befolgen? Er fand an Ort und Stelle einen äußerst einfachen, violett gekleideten alten Mann, der ihm mit den Worten zueilte: Komm herein, du Gesegneter des Herrn! warum stehst du draußen? Eben dachte ich dein vor dem Herrn in meinem Gebete. Heil dir! ich bin erhört, ehe das Amen von meinen Lippen fiel. Segne den Augenblick, da du gewürdiget warst, zu den Auserwählten zu gehören, die die Welt nicht kennet! Halleluja!

Nach diesem Hymnus, womit der Alte den Ritter in gewisser Art überfiel, ließ er sich ein feierliches Versprechen geben, ihm auf seine Fragen treu und redlich zu antworten.

Der Ritter mußte ihm seinen Lebenslauf erzählen, und vorzüglich schien der Alte wissen zu wollen, ob ihm außer Ordensgrenzen je etwas erschienen und sonst ein Wunder begegnet sey, und ob er Menschen kenne, denen außer Ordensgrenzen etwas Wunderbares und Unerklärliches auf Kreuz- und Querzügen zugestoßen wäre? Der Ritter durfte sein Gedächtniß nicht anstrengen, um den violetten Herrn zu versichern, daß er außer den Orden nicht das allermindeste Wunderbare erfahren hätte, außer daß in einer Dämmerung, die sein Vater gehalten, ein Blitz gefallen, ein heftiger Knall gefolgt, und plötzlich die Thür aufgeflogen – Grauen und Entsetzen wäre allen angekommen, seine Mutter nicht ausgenommen, deren Gewissen gewiß und wahrhaftig in der Wahrheit bestände. Jedes, fuhr er fort, faltete die Hände, und schlich ohne Amen nach etwa dreimal neun Minuten sinnloser Betäubung davon. Ich entfaltete zuerst meine Hände und zog die aufgesprungene Flügelthür leise zu. Nach dieser vollbrachten That umarmten Vater und Mutter mich herzlich, doch verhüllte diesen Vorfall ein heiliges Dunkel. Es kam mir vor, daß man ihm mühsam auswich, um auch nicht einmal daran zu[232] denken. Der Ursache dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls ist meines Wissens nicht im mindesten nachgespürt, und er ist unerforscht geblieben bis auf den heutigen Tag.

Ob nun gleich der Bruder Präparateur unserm Ritter unendlich größere Ordenswunder präambulirte, so schien dem violetten Manne doch dieser Vorfall äußerst wichtig, wenigstens weit wichtiger, als alles, was er selbst erzählte. – Zwar fiel dieser Umstand unserem Ritter auf, doch hatte er keine Zeit, sich ihn zu entwickeln. – Mit vieler Feierlichkeit verpflichtete der violette Mann unsern Ritter, sogleich nach Rosenthal zu schreiben und diesen Vorfall, der bis auf den heutigen Tag unerforscht geblieben, durch ein gerichtliches Protokoll zu bekräftigen. Ihre Mutter, fügte er hinzu, wird kein Bedenken finden, sich gerichtlich vernehmen zu lassen. Der Präparaten erkundigte sich nach des Ritters Mutter bis auf Kleinigkeiten und auf Umstände, die mit den Ordensangelegenheiten gar nicht in Verhältniß standen. – Der Tag der Aufnahme konnte noch nicht bestimmt werden. Nach der Versicherung, daß Michael unbedenklich dienender Bruder werden sollte, entfernte sich der Ritter, um bei seiner Mutter, was er versprochen hatte, getreulich auszurichten Nach drei Tagen fand er in eben dem Kästchen eine neue Einladung, was konnte er mehr, als sie ehren und befolgen?

Es kam ein anderer violetter Mann ihm entgegen, der nach dem geforderten und empfangenen Versprechen, die reinste Wahrheit seines Herzens zu entdecken, nichts weiter zu wissen begehrte, als was er von dem neuen Orden hoffe? Der Ritter hatte keinen Hehl, außer den geistlichen Gaben auch leibliche zu wünschen, nämlich durch Sophien beglückt zu werden. Ohne sich auf Verheißungen mit dem Ritter einzulassen, ließ der Mann mehr als Schimmerlicht von Aussicht auf ihn fallen, womit sich der Ritter begnügte. Noch hörte der Ritter eine Ordenswahrheit, die er[233] schon oft gehört hatte: Die Natur erreicht nur allmählig ihren Endzweck, so auch der Orden, der so langsam als sicher die gefaßte Hoffnung übertrifft und zur Erfüllung seiner Zusagen und Nichtzusagen bringt.

Jetzt ward dem Ritter eröffnet, sich von heute über drei Tagen wieder einzufinden. Er erschien und fand einen Mann, in den er sich gar nicht finden konnte, – der Engländer schimmerte überall durch. Nichts interessirte ihn als die Mutter des Ritters, nach der er unablässig sich erkundigte. Er umarmte den Ritter einigemale unerklärlich und drückte ihn an sein Herz. Sie haben die beste Mutter, sagte er, die auf Gottes Welt ist. Kaum hatte der Engländer Zeit zu versichern: »was ich vermag, soll Ihnen im Orden zu Theil werden,« um nur wieder bei der besten Mutter sich zu verweilen. Die Geschichte Sophiens von Unbekannt, die ihm der Ritter umständlich erzählen mußte, schien ihm innige Freude zu machen, als wenn er sich über ein leichtes Mittel freuete, um einen großen Zweck zu erreichen.

Nach diesem Vorbereitungsgeschäfte, welches sich hiermit schloß, sollte dem Ritter die Bestimmung des Tages in die Hand fallen. Sie fiel ihm wirklich in die Hand, denn er fand sie oben auf seinen Papieren, – die er verschlossen hielt. Es war vom Tage der letzten Unterredung der zwölfte Tag. Die Zahl war ihm neu, doch hatte sie eine gegründete Bedeutung. Der Orden, dem er sich widmen wollte, hieß der

148. Apostelorden
§. 148.
Apostelorden,

dem (sehr natürlich) die Jüngergrade, deren Zahl eigentlich siebenzig war, vorgingen. Doch wurden sie unserm Ritter schnell gegeben, und, was ihn äußerst aufmerksam machte, ohne Geld! Wahrlich viel vom Jünger- und Apostelorden.

[234] Meine Leserwelt ist schon mit so vielen Aufnahmen belästigt worden, daß ich es nicht wage, ihr mehr als den Anfang des Apostelgrades aufzudringen.

Nachdem vierzig Tage und vierzig Nächte um waren, ward unser Held zwischen eilf und zwölf in der Nacht vor dem allerkürzesten Tage durch ein mysteriöses Cartel überfallen, wodurch er am folgenden Morgen um sieben Uhr herausgefordert ward zu erscheinen, um andere Erscheinungen abzuwarten. Daß unser Held diese Nacht seinen Schlaf zwischen eilf und zwölf beschloß, versteht sich von selbst. Die Ausforderung war datirt »Heiliger Abend vor dem kürzesten Tage im Jahre.« Wahrlich diese Nacht ward ihm so entsetzlich lang, daß er schon um fünf Uhr fertig war, und sich nicht entbrechen konnte, um sechs Uhr Morgens zu erscheinen. Die Haupterscheinung, die er dagegen erwartete, war – Sophie. Es sey, daß er wirklich durch sein zu frühes Kommen sich diese Strafe zugezogen, oder daß, wenn er auch pünktlich erschienen wäre, ihn die nämliche Stimme zurückgewiesen hätte, kurz, die Assignation auf das ihm im Cartel bezeichnete Zimmer ward nicht honorirt. Er hörte eine hohle Stimme: Vorwitziger! zu früh und zu spät ist einerlei! Gehe, Oel zu laufen in deine Lampe, und dann erscheine um sieben Uhr Abends! – Unschlüssig, ob er um Verzeihung bitten, sich mit der schlechten Uhrenpolizei entschuldigen oder stockstill seyn und thun sollte, was ihm, wenn gleich aus einer hohlen Kehle geboten ward, entschloß er sich zum letzten und kam betrübt zurück wie ein Bräutigam, dessen Braut am Hochzeitstage durch Blattern heimgesucht wird. Herzlich gern hätte der Ritter Oel vom Knappen auf Kredit genommen, wenn er nicht die hohle Stimme gefürchtet hätte. Gelt! Sie sind zu früh gekommen? fing Michael an, und dieß Gelt! brachte unsern Helden in Verwirrung, woraus ihn eine seiner Lieblingsmeinungen riß, daß es einen unzuverläugnenden Umgang unter den Seelen der Menschen auch[235] schon in dieser Welt gebe. Wo Oel kaufen? fragte sich der Ritter, und bestellte ein mageres Mahl, womit Michael unzufrieden gewesen wäre, wenn er in ihm nicht Ordensvorschrift verehrt hätte. Ich darf wohl nicht bemerken, daß der kürzeste Tag im Jahr unserm Helden der längste in seinem Leben war. So wie überhaupt Furcht und Hoffnung unserm Leben eine Länge beilegen, die es wirklich nicht hat, so wußte auch unser Held nicht, was er mit der Scheidemünze von Zeit anfangen sollte. Drei Viertel auf Sieben, sagte Michael. Die heiligen Zahlen Drei und Sieben fielen dem Ritter so trostreich auf, daß es ihn dünkte, mit lichterloh brennender Lampe an Ort und Stelle zu kommen. Wer ist da? fing es an. Eben war der Ritter im Begriff zu antworten, als eine Antwortstimme sich hören ließ, die ihn der Erklärung überhob, so daß es ihm nicht viel anders als in den Gerichtsstuben erging, wo man Leute pro und contra über sich, sein Hab und Gut schalten und walten lassen muß, ohne das Recht zu haben mitzureden. Es war ihm schon etwas ähnliches begegnet, und wie war es auch möglich, daß einem so erfahrnen Ritter etwas ganz neues in den Weg kommen konnte? Es ist ein Todter, der lebendig werden will, sagte diese Antwortsstimme, und nun ward dreimal gerufen:

Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Todten! – Wohl! dachte unser Held, der seit gestern zwischen eilf und zwölf kein Auge geschlossen, vielmehr die Lampen seiner Augen, ohne einen Augenblick zu verlöschen, in Einem weg brennen lassen. – Eine Stille. Nun ließen sich beide Stimmen über unsern Helden verlauten. Die eine klagte an, die andere entschuldigte, bis plötzlich eine eiserne Thüre aufsprang und Recipiendus die Worte hörte: Es werde das erste Licht! Dieses erste Licht bestand in einem Lämpchen. Eine Stimme erscholl:Ziehe aus deine Schuhe, denn diese Stätte ist heilig! Nichts Neues, [236] dachte der Ritter, der weit öfter als Moses seine Schuhe ausgezogen hatte, und im Augenblick war er auf Strümpfeu. Die Stimme fuhr fort: Falle nieder auf dein Antlitz und rede! – Er fiel nieder und schwieg. – Die Stimmen, die im Vorhofe sich über ihn erhoben, deuten dein Gewissen an, das du nicht siehst und das deine Gedanken richtet. Kennst du diese Stimme?

Ich kenne sie.

Was hindert dich, dieser Stimme Gottes zu gehorchen?

Meine Neigungen!

Durch Vernunft wirst du vergöttlichet; Neigungen vermenschlichen! – Wenn du durch Neigungen gefallen bist, straft dich die Nachvernunft oder das Gewissen, daß du jener. Stimme Gottes, der Vorvernunft, nicht gehorsam warst. Wie viele Personen sind in dem göttlichen Wesen der Nachvernunft oder des Gewissens?

Da er schwieg, antwortete eine andere Stimme:

Drei sind, die da zeugen im Himmel: Vater, Sohn und heiliger Geist, und drei sind die da zeugen im Gewissen: Kläger, Anwalt und Richter. Der Kläger ist väterlich, der Anwalt ist Bruder, der heilige Geist des ins Herz der Menschheit geschriebenen Gesetzes ist Richter.

Kennest und ehrest du dieses rechtliche Verfahren?

Ja!

Schwöre denn bei dem heiligen Geiste deines Gewissens, schwöre bei deiner Vor- und deiner Nachvernunft: zu bekennen deine Neigungen, die dich und deinen Gott von einander scheiden, und diese Schlangen nicht zu verbergen, die dich verführten und die dich aus dem Paradiese der Zufriedenheit in Jammer und Elend stürzten, tief! tief! tief! Schwöre mit Leib und Seele, mit A und O, mit Ja und Amen, mit Kyrie eleison und Hosianna!

Eine andere Stimme: Schwöre beim heiligen Geist!

[237] Eine dritte Stimme: Schwöre!

Ich schwöre (drei harmonische Stimmen sagten vor) bei dem heiligen Geist meines Gewissens, mit Leib und Seele, mit A und O, mit Ja und Amen, mit Kyrie eleison und Hosianna, meine Neigungen, die mich und meinen Gott von einander scheiden, zu beichten und nichts zu verhehlen. Ich will alle meine Sünden, die, so lange ich denken kann, mich beschwerten, gestehen und nichts verhehlen; und in dem Augenblick, da ich fest mich entschließe in einem neuen Leben zu wandeln, laß, Heiligster, in diesem seligen Wiedergeburtsaugenblick deines Wohlgefallens mich nicht unwürdig seyn! Wenn ich meine Sünden bekenne, sey mir gnädig! und behalten sollen diese Seelengreuel mir bleiben in meiner Todesnoth und vor deinem Gericht, wenn ich das mindeste verhehle. Amen!

Jetzt trat jemand zu ihm, verband ihm die Augen und führte ihn in die Höhe und in die Tiefe, bis er ihn endlich an einen Beichtstuhl brachte, wo er dem Ritter hinzuknien gebot.

Der Beichtvater hieß ihm die Augen aufbinden, und obgleich Recipiendus auch nach dieser Lösung der Bande nicht sonderlich mehr als vorher zu sehen im Stande war, vielmehr sich noch immer im Schimmerlichte befand, bemerkte er doch Beichtstuhl und Ohrloch. Beichtvater und Beichtsohn hielten eine Quarantaine von Minuten, und nun fing der Beichtvater väterlich und herablassend an, sich dem Beichtsohne noch mehr zu nähern.

Alle diese List hatte er bei einem edlen Manne nicht nöthig, dem nichts auf dem Gewissen lag und der darum nichts beichten konnte, weil er nichts zu beichten hatte. Verstandesmeinungen sind nicht sträflich, und Willensmeinungen nur dann, wenn sie nicht unterdrückt werden, im Fall sie böse sind. Weniger hatte der schlaue Frager noch von keinem Beichtenden erfahren; – und doch war nie weniger in einer Seele, die er torquirt hatte, zurückgeblieben. – Genug – von der Aufnahme! Alles, was Dogmatik[238] heißt, sey überschlagen, um nicht am Buchstaben, sondern am Geiste zu hangen. Das

149. Protokoll
§. 149.
Protokoll,
aus Rosenthal eingegangen, wörtlich.

Actum Rosenthal, den – 17 –


Nach gehöriger Requisition erscheint vor endesunterschriebenem Justitiario der Frau Baronin von Rosenthal, geborenen –, Hochreichsfreiherrliche Gnaden, dem Justitiario von Person und als eine von Vorurtheil und Nebenabsicht hochwohl entfernte Dame bekannt. Sie ist der evangelisch-lutherischen Confession hochwohl beithan, und hat keinen Hehl, – – Jahre alt zu seyn. Exordium. Die feierlichste Versicherung, die reine Wahrheit zu sagen und nichts, was ihr vom grausen und schaudervollen Vorgange beigewohnt, aus Liebe, Haß, Freund-, Feindschaft oder Geschenks halber zu verschweigen. Noch mehr: sie will alles, was sie gehört und gesehen, getreulich anzeigen, bei allem, was heilig ist im Himmel und auf Erden. Auch soll dieser Erklärung an Eidesstatt der förmlichste körperliche Eid folgen, sobald er gefordert wird.

Eigene Worte:

Es hatte bei einer Dämmerung (oder Vorlesung), die mein unersetzlicher Gemahl mir und unserm Sohne über den Johanniterorden hielt, uns alle drei eine Begeisterung ergriffen. Ich erinnere mich ganz eigentlich, daß ich in dieser Ekstase nicht eine Göttererscheinung verlangte, dazu war ich nie kühn genug. Es genügte mir, den Wunsch zu äußern, wenn meine Mutter oder mein Vater, oder Fräulein –, die nach ihrem Ableben durch Brief und Siegel Frau – – zu werden sich nicht entbrechen konnte, mir erscheinen möchte, Licht über so manche Erdenhieroglyphen zu erhalten. Schon war ich mit Erscheinung einer dieser meiner Lieben befriedigt, die [239] ich, als sie hier wallten, oft noch ehe sie sprachen, verstand, und deren Gedanken ich von fern errieth; wir waren sehr genau verbunden. Mein Gemahl goß nicht Oel zum Feuer; er beruhigte mich mit dem Gedanken: wenn wir uns zu den Bewohnern der andern Welt erhöben, neigten sie sich zu uns. Hier fiel (mit Zuverlässigkeit betheur' ich es) schnell ein Blitz, dem ein heftiger Knall folgte, und plötzlich flog die Flügelthür des Auditoriums auf. Ob mein Gemahl mehr als ich gesehen und mehr als ich gehört, weiß ich nicht. Daß etwas Uebernatürliches vorging, bewies die ganz eigene Art von Schreck, die uns anwandelte. – Unsere Zungen, die feurig waren, erstarrten. – Nie behauptete mein Gemahl, mehr gesehen und gehört zu haben, als ich; doch schloß ich, als wir uns, wiewohl heimlich, ein einziges Mal über diesen Vorfall unterhielten, aus seiner Zurückhaltung, die sich in Schüchternheit auflöste: es sey ihm mehr als mir und meinem Sohne in die Sinne gefallen. – Jene Schüchternheit läßt sich weniger beschreiben, als fühlen. – Nie in meinem Leben hab' ich mit meinem Sohne über diesen Vorfall gesprochen. Durch diesen Hergang der Sache und verschiedene andere Vorfälle überzeugt, daß Dinge in der Welt vorgehen, die wir nicht fassen, begreifen und erklären können, überlass' ich mich Gott und seinem heiligen Willen.

Noch werden einige Leute, die zu jener Zeit im herrschaftlichen Hofe in Diensten standen, namentlich N.N.N.N.N.N.N.N.N., nach vorhergegangener Ermahnung eidlich abgehört. Alle stimmen überein, nicht das Mindeste zu wissen und zu begreifen, ob und wie dieser Vorfall ganz oder zum Theil natürlich zu erklären sey. G – – versichert, der wohlselige Herr Ritter, Freiherr von und zu Rosenthal, habe ihm heimlich aufgetragen, in der größten Stille auf eine natürliche Erklärung dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls auszugehen. Es war, setzt er hinzu, alle meine Bemühung umsonst; nie hab' ich mich unterstehen dürfen, dem wohlseligen Herrn [240] (er besaß Muth wie ein Löwe und ließ nur vor Wesen höherer Art die Segel seiner Herzhaftigkeit streichen) weiter daran zu denken. – Nachdem dieses Protokoll der Frau Deponentin wörtlich vorgelesen worden, genehmigt sie es in allen Stücken. Auch ist es mit ihres Namens Unterschrift bestärkt, begründet und außer Zweifel gesetzt.

Eine einstimmige Bekräftigung erfolgt von den abgehörten Hof- und Dorfleuten, welche dieß Protokoll ebenfalls respective unterschreiben und mit Kreuzen bezeichnen.


Namen und Kreuze der abgehörten

neun Hof- und Dorfleute.


Namen des Justitiarius.


Siegel.


Daß dieß alles getreulich vorgegangen, wird von mir corroborirt.

A. u. s.


Namen der Baronin.


Namen des Justitiarius.


Siegel.


Der Honiggeschmack, den Demokritus an Pflaumen spürte, brachte den Philosophen auf tausend gelehrte Spekulationen; selbst die Wurzel des Baums mußte sich eine Obduktion gefallen lassen. Es ist die Frage, ob er bei aller dieser Mühe nicht im Leben und Sterben zweifelhaft geblieben wäre, wenn seine Haushälterin ihm nicht das Räthsel gelöset hätte. VomHonigtopfe stammte dieser Geschmack, in den die Philosophin, der länger Erhaltung halber, die Pflaumen gelegt hatte. – Der Ritter erhielt sein Protokoll, eben als er zu einer neuen Aufklärung in die Apostelversammlung [241] gehen wollte. Es war keine Bedenklichkeit, Michaeln dieß Protokoll mitlesen zu lassen. Dieser gerieth bei dem Lesen in so ungewöhnliche Zuckungen, daß sein Herr zu vermuthen anfing, es erscheine Michaeln wirklich etwas, oder es sey etwas auf dem Wege, ihm zu erscheinen.

Gnädiger Herr! sagte Michael bei dem Schluß des Protokolls zitternd und bebend.

Was ist dir? erwiederte der Ritter.

Werben Sie verzeihen?

Was verzeihen? den Leichtsinn am Grabes-Kapiteltage?

Das Protokoll.

Siehst du etwas?

Außer Ihnen und dem Protokoll nicht das Mindeste. – Doch verdien' ich Ew. Gnaden Unwillen.

Der Begleiterin, willst du sagen.

Den Ihrigen.

Müßte unser Ritter nicht eilen, dieß quid pro quo würde so bald nicht sein Ende erreichen. Kurz und gut, Michael gestand, auf Specialbefehl des Schulmeisters seliger, zu jener Zeit einen kleinen Puffer unter dem Fenster eben da losgeschossen zu haben, wo der wohlselige Herr ihm durch Winkelandachten ins Amt gefallen sey. Ick erfuhr, sagte Michael, schon zu jener Zeit die geheimen Nachforschungen dieses Vorganges halber, und es that mir auf der Stelle leid; Scham und Furcht banden mir aber die Zunge. – Konnte der Blitz- und Knallvorfall sich leichter aufschließen? Was das Aufspringen der Thür betrifft, so betheuerte Michael bei allen Ordenseiden, daran unschuldig zu seyn.

Der Ritter, äußerst empfindlich über diesen Pflaumentopf von Auflösung, sah deutlich ein, die Flügelthür, deren Schloß nie ganz ehrenfest war, sey von selbst aufgegangen. – Zu so ungelegener Zeit ward Demokritus von seiner Haushälterin nicht aufgekärt. – Wie [242] wird unser Ritter den Honiggeschmack seines Protokolls verschmerzen? Er stand wirklich bei sich an, was er den Aposteln dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls halber unterschieben sollte. Wahrlich, rief er aus, wir leiden durch Freunde am meisten, und durch Menschen, die uns die Liebsten und Besten sind. Was zu thun? Ich kann, dacht' er, die Apostel mit der Anzeige beruhigen, meine Mutter finde Bedenken, sich in einer Sache abhören zu lassen, die schon vor so langer Zeit geschehen sey. Und wie? wenn ich eine juristische Leiter ansetze? – – Die Herren Juristen ersteigen, trotz unsern Feuermauerkehrern, alles. – Z.B.: Es wolle sich kein Rechtsgelehrter ohne höhere Autorisation zur Aufnahme eines dergleichen Protokolls verstehen; oder: mein Vater habe meiner Mutter testamentlich zur Pflicht gemacht, über diesen Vorfall kein Wort zu verlieren. – Aber weg mit Dietrichen, die ich bei der nächsten Beichte mit Scham und Schande bekennen müßte! Ich will, dachte und sagte der Ritter, dem Protokoll den Aufschluß meines Begleiters beifügen.

Freilich der geradeste und beste Entschluß! Doch bat Michael mit Thränen, seiner zu schonen, um im Orden nichts durch diese Jugendsünde (wer ist ohne dergleichen?) einzubüßen. Ja, sagte der Ritter, hielt Wort, und hatte, wie es bei strenger Wahrheit immer der Fall ist, wenig oder gar keine Mühe, Wort zu halten. Der violette Mann erleichterte ihm seine Bürde durch die zuvorkommende Bemerkung, daß der Thürvorfall doch immer noch unerklärbar bliebe. Der Ritter verschwieg die schlechte Beschaffenheit des Schlosses nicht, und es war nicht seine Schuld, daß der Apostel sich über dergleichen Erläuterungen wegsetzte. Mit Dank ward das Protokoll, und, wie der Ritter nicht anders weiß, ohne die Erklärung vom Honiggeschmacke der Pflaumen beizufügen, ad Acta genommen, und dem Ritter betheuert: es würde ihn nie gereuen, die Apostelbahn eingeschlagen zu seyn.

[243] Nach einigen überstandenen Dämmerungen wurden dem Ritter verschiedene dergleichen gerichtliche Protokolle vorgelegt, um ihn zu überzeugen, daß nicht nur im, sondern auch außer dem Orden an unerklärlichen Dingen kein Mangel wäre. Freilich! – So brauchen die Kirchengeistlichen die natürliche Religion, und die positiven Rechtsgelehrten das Naturrecht, um etwas zu bestärken, das, ihrer eigenen Behauptung nach, keine Bestärkung nöthig hat. Körper, wenn sie gleich einer ursprünglichen Elektricität fähig sind, erhalten, wenn sie durch Mittheilung elektrisirt werden, eine größere Elektricität, sagte der violette Mann.

Mit Fleiß bin ich bei diesem unbeträchtlichen Vorfalle so weitläufig. – Nur wenig Erscheinungsvorfälle haben das Glück, wie der gegenwärtige, gerichtlich beleuchtet zu werden. Die meisten erschleichen den Zeitpunkt, wenn man sich ihrer nicht ganz bewußt und halb im Traum ist. Und doch, wenn gleich die Interessenten sich durch die öfteren Wiederholungen der Erscheinungsgeschichten zuletzt so sehr in die Unfehlbarkeit derselben hinein erzählt haben, daß sie sie zu beschwören nicht ungeneigt scheinen; wer hat nicht Vorfälle erlebt, wo der Erzähler, wenn man ihn bei dem Worte halten wollte, zu schwanken anfing? Selbst unbedenkliche Jaherren, sie mögen es aus Gemächlichkeit, oder aus Eingeschränktheit des Kopfes und Herzens seyn, fahren zusammen und nehmen Anstand ehe sie öffentlich beschwören, was sie tausendmal im gemeinen Leben betheuerten. – Protokolle haben sich in unsern letzten betrübten Zeiten zur höchsten Probe der historischen Gewißheit in Ruf geschwungen; und bleibt es nicht unrecht, daß, der vielen Registraturen ungeachtet, welche die Wunder am Grabe des Abts Paris bekundeten, der gottesvergessene Polizeilieutenant Herault den Kirchhof schließen ließ, und de par le Roi dem lieben Gott verbot, hier Wunder zu thun? Ist es schicklich, daß man den notarialischen Instrumenten über die Gaßnerschen Wunder die Exception der [244] Unglaublichkeit entgegensetzt? Wie aber? gibt es nicht noch eine leichtere Wunderprobe, ohne daß ein Protokollist sich in Schweiß des Angesichts setzen darf? – Laßt den Erzähler schriftlich abfassen, was ihm mündlich so geläufig war.Probatum est. – Der gegenwärtige Vorfall blieb übrigens nach der Entscheidung des violetten Mannes unerforschlich. – Freilich! weil die Thüre nicht zum Protokoll vernommen werden kann. Freund, sagte dieser violette Mann, die Verbindung der Menschen mit höhern Geistern ist

150. Möglich
§. 150.
möglich;

und braucht es mehr? Freilich ist zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit eine große Kluft befestigt; doch hat die Möglichkeit nicht dieselbe Null-Eigenschaft? Null bedeutet nichts, wenn sie vor, und viel, wenn sie hinter der Eins sich befindet. Hat die Möglichkeit keine Wirklichkeit mit oder ohne Protokoll vor sich, was gilt sie? Hat sie aber deren eine solche Menge, als die Möglichkeit der Mensch- und Geisterverbindung, was bedarf es mehr? Ist nicht Freude im Himmel über Einen Sünder, der Buße thut? Sind die Engel der Kinder nicht die Ersten in ihrer Ordnung? Warum sollen Geister ohne Leib sich nicht an Geister mit Leibern gewöhnen? Und warum ihnen nicht Kräfte der Natur entdecken, auf die sie nicht ohne die Geisterwelt gekommen wären? Die größten Erfindungen fielen ihren Urhebern aus dem Aermel. Wahr! Und warum also? Weil höhere Geister in sie wirkten. – In Parenthest: Newton schrieb aus schuldiger Dankbarkeit über die Offenbarung Johannis; und – – Wie weit es Menschen bei dieser Verstärkung bringen können, ziemt uns nicht zu erforschen, obgleich vielen die Bücher der Vergangenheit und der Zukunft aufgeblättert vor Augen lagen. – Einwendungen: Wie? Sollten Geister [245] durch Gebete, Beschwörungen, Formeln sich zu Erscheinungen herablassen? Wie? Aus Neugierde, aus Neigung zu den Menschen. Was thut man nicht eines Schooßhündchens wegen? Erscheinen bloß gute oder auch böse Geister? Und wie sind diese Geister zu unterscheiden? Gleich und gleich gesellt sich gern; ganz böse, Freund, ist kein Geist und kein Mensch. – Die Teufel glauben auch, und zittern.

Die Magier, denen Geister dienten, oder besser, um die sich Geister verdient machten, waren sie Newtons? – – Cagliostro's waren es; nicht Erfinder im Reiche der Natur, sondern Schwarzkünstler. Ei Lieber! was sagst du vom Sokrates, der seinen Dämon so deutlich sah, wie ihn Newton und andere Weise seiner Art bloß undeutlich in der Offenbarung Johannis erblickten? Sehen und nicht sehen, thut hier nichts zur Sache. Cagliostro, Schröpfer und – – – gaben vor, zu seyn, was sie nicht waren. Die sich Theosophen und Magier nennen, wollen es seyn, ohne daß sie es sind; und wenn gleich allerdings bei der Lehrgabe der Geister das Ziel näher ist, so wird doch kein gerechter und ächter Magier die Weltweisheit verachten.

Wer weiß, ob man wirklich Erscheinungen hat? War es nicht bloß Spiel der Phantasie? Freund! hast du nie in deinem Leben ein: Steh, Wanderer! ein Halt empfunden, ohne zu sehen? Eilten dir nicht oft Schnellboten von Winken voraus? Ergriffen dich nicht Ahnungen, wo du zum Sterben verlegen warst? Sollten alle die Knoten, die sich in deinem Leben (keins ist ohne Knoten) schürzten, und die sich lösten, lauter Ungefähre seyn? Nun, so nenne Ungefähre anders, und der Apostelorden hat sein Spiel gewonnen.

Warum sucht man die Sehsüchtigen zuerst zu blenden, ehe man erscheinen läßt? Warum im Rauch? [246] Warum um Mitternacht? Warum berauscht man Körper und Seele? Freilich sind Vorbereitungen dieser Art nichts Wesentliches, und ächte Magier machen es eins, zwei, drei, – (Ein Sprichwort aus dem Innersten der Magie). Hat aber Feierlichkeit nicht Einfluß auf unsere Kräfte? Gehört nicht Anspannung dazu, mit hohern Wesen umzugehen? Bereitet man sich nicht auf Gäste von Bedeutung vor? Ist nicht vielleicht dem Körperchen des Geistes eine gewisse Atmosphäre nöthig, und eine Art von Augenschirm? Soll, des Täuschers und Gauklers halber, der ehrliche Mann leiden?

War es denn ein Geist, was ich sah? Mein wenigster Kummer! Aus seinen Früchten sollst du ihn erkennen. Ist es möglich, daß ein Geist in dir Vorstellungen erregen und daß du dich davon überzeugen kannst; was willst du mehr? Sind die Wirkungen der Erscheinung von der Art, daß sie nicht von natürlichen Kräften abgeleitet werden konnten, so bist du im Besitz einer Regel für's Haus von der Richtigkeit der Erscheinung, und wendet man dir ein, ob du die Grenzen von den Kräften auf dem Wege der Ordnung kennst, so wirst du wenigstens so lange, bis dir diese Grenzen abgesteckt sind, die Erlaubniß haben, zu glauben. – Und wem? Dem Geiste, der, wenn er ein Mensch wäre, freilich in seiner eigenen Sache kein Zeugniß ablegen könnte. – Ist er aber ein Mensch? Der Allselige sprach: »Und stehe da! es ist alles sehr gut.« Wenn Menschen allselig thun, was denkst du von ihnen? – Oder verdient etwa ein höheres Wesen nicht Glauben, wenn seine Belehrungen dir heilsam waren? Dieser Erkenntlichkeit sollt' es unwürdig seyn?

Wunder haben keine Beziehung auf das, was sie beweisen sollen. – Kann seyn! Wenn aber Wunder nur Wunder seyn, und nichts weiter als sich selbst beweisen wollen? – – –

[247] Die Vorlesung über das alte, neue und neueste Platonische Testament ist zu weitläuftig, um sie mittheilen zu können. Daß man hier nicht wie in Rosenthal für das Alte, sondern für das Neue und Allerneueste war, bedarf keiner Bemerkung. Obgleich der Neuplatonismus schon ein Gemisch von Pythagoreischen, Aristotelischen, Platonischen und Gott weiß von was noch sonst für Ideen war, so schien der Neueste ihn doch an Toleranz übertreffen zu wollen. Gnostik, Kabbala, morgenländische Philosophie, Judenthum und Christenthum sind uns homogen, um allen allerlei zu seyn. Zwar entstand der Neuplatonismus, um zu Schutz- und Trutzwaffen gegen das Christenthum zu dienen. So wie indeß Clemens von Alexandria die wahre Gnosis von der falschen unterschied, und die wahre in die höchste christliche Vollkommenheit setzte, so kann die heidnische und jüdische Philosophie, wenn sie sich taufen läßt, ganz unbedenklich zum Christenthum aufgenommen werden.

Moses machte die Mysterien der ägyptischen Weisen und Gelehrten zur Volksreligion, und das Christenthum ist nicht weniger eine Religion der Aufgeklärten. Moses entsinnlichte die heidnische Religion, deren Gottheiten sinnliche Gegenstände waren. Und die christliche Religion, geht sie in ihrer Entsinnlichung nicht noch weiter? – Will sie uns nicht voll kommen haben, wie der Vater im Himmel vollkommen ist? Und erhebt uns nicht die Theurgie oder Magie zur Gottheit und zu seinen Bevollmächtigten, zu wirklichen Kammerherren mit Schlüsseln, die Natur auf- und zuzuschließen? Den Zusammenhang und die Harmonie zwischen Irdischem, Himmlischem und Ueberhimmlischem einzusehen, sich zu entsinnlichen, und ein gottseliges, von der Welt entferntes Leben zu führen, nicht nur ein wackerer, fester Mann zu seyn, sondern sich noch außerdem höhere übernatürliche Kräfte hierdurch zu erwerben, das ist unser Beruf.

Vater Plato nahm besondere Arten von Fegfeuer an, wodurch [248] die Seele von ihren Schlacken gereinigt werden könnte, von welchen ich ihm denn die Seelenwanderung in weibliche Körper nicht verzeihen kann. Wahrlich, Plato hat keine von den beiden Sophien gekannt, die du kennst. – Schade! der Name Sophie brachte unsern Helden so in Verwirrung, daß er von der Platonischen Aehnlichwerdung Gottes, von der Entsinnlichung und der Weltüberwindung durch Tugend wenig oder nichts vernahm.

Laß uns, sagte der violette Mann, Plato's Lehre folgen, und wenn nicht durch Abstraktion und Mathematik, so doch durch Mäßigkeit, Standhaftigkeit und andere theurgische und göttliche Tugenden uns gewöhnen, unsere vernünftige Seele vom Körper zu entfernen, und uns je länger je mehr überzeugen, daß, so wenig Gott stirbt, auch unser Geist nicht sterben könne und werde. Wir sind seines Geschlechts, durch ihn vermittelst besonderer Emanation erzeugt. – Sein Geist, das heißt, die uns angebornen Ideen, zeugt in uns, und wir sind alle inspirirt. – Die

151. Wunder
§. 151.
Wunder

des Apostelgrades? .... Ist es Ernst? Hat diese Geschichte nicht schon zu viele Kreuz- und Querzüge? Zwar unterscheiden sich diese Apostelwunder durch eine äußere Einfachheit und innere Wirkung von den übrigen. Heißt dieß aber nicht mit andern Worten: diese größern Wunder lassen sich leichter auflösen, als die kleinern? So wie die kleinen Propheten gemeinhin mehr Achtung verdienen, als die großen.

Der animalische Magnetismus und die Kunst zu magnetisiren und zu desorganisiren war hier eine der niedern Stufen, indem man es für keine große Ehre halten konnte, daß ein desorganisirtes schönes Mädchen im Somnambulismus klüger war, als eine hochlöbliche [249] Manipulirgesellschaft und die höchsten Magnetisten und Desorganiseure.

Man gab überhaupt vor, von der magnetischen Kraft nähere Aufschlüsse zu besitzen. So gern ich diese Aufschlüsse besäße, so wenig weiß ich mir sie und die Materie zu erklären, die in elektrischen Erscheinungen Wunder thut an uns und allen Enden, ohne daß man den Apostelgrad der Natur zu erschleichen im Stande ist.

Die eigentliche Wunderstärke der Apostel war, alte Leute zu verjüngen, über unbekannte Kräfte zu befehlen, Todte zu erwecken und auf die Geisterwelt zu wirken.

Die geheime Geschichte einiger Apostel älterer Zeit, z.B. Apollonius von Tyana, Plotin, Origines, Jamblichius, Hypatia, Johannes Brunus, Theophrastus Paracelsus, sonst Bombast von Hohenheim, Robert Fludd, Jakob Böhme, Peter Poiret, Heinrich Morus, war stockfinster verhängt.

Bruchstücke aus einigen Dämmerungen neuerer Zeit, zu denen der Ritter nichts beigetragen hat, der überhaupt an den eigentlichsten Kern-und Sternnachrichten so unschuldig wie die Sonne am Himmel ist.

Gaßner? Nie aufgenommen, ein guter Empirikus.

St. Germain? Gehörte zum Grabesorden. – Sein Name steht nicht in unsern Büchern des Lebens. Er war nicht unächt. Gott hab' ihn selig! Seine Behauptung, auf der Hochzeit zu Cana in Galiläa eine Menuet getanzt zu haben, ist stark. Er gab vor, auf seinem Todtbette verjüngt zu werden; doch starb der arme Grabesritter wie jedermann, und wird, wie wir nach der Liebe hoffen, auch wie jedermann verjüngt werden, in einer bessern Welt – um mit dem Atheisten Price zu reden, der, seiner bekannten Atheisterei unbeschadet, sein Testament, das er vor dem Kirschlorbeertrank machte, anhob: Da ich vermuthlich bald an [250] einem bessern Orte seyn werde. – Der Stümper! Wie wenig Zusammenhang in Price's Kenntnissen war, setzen folgende Umstände außer Zweifel.

Er war ein Atheist, und verlangte Glauben.

Er versprach, des Unglaubens halber seinen angeblichen Versuch zu wiederholen. Das thut kein Meister, wohl wissend, daß sich schon Gläubige finden werden. Der Unglaube in Hinsicht des ersten Versuches thut nichts. Ist es nicht heute, so morgen; ist es nicht vor, so doch nach dem Tode!

Schröpfer? Nicht von den Unsrigen. Dieß beweist der Pistolenschuß, wodurch er sich in die Geisterwelt recipirte. Doch scheint er dem Apostelorden etwas entwendet zu haben; aber was und wie!

Swedenborg? An ihn wird in unsern heiligen Zünften und Innungen so wenig, wie im gemeinen Leben an den Tod eines Hektikus gedacht. Es war ein Ganskulot, ein Marseiller in unserer geheiligten Kunst. – Ein ächter Jünger ist kein Schriftsteller. – Das Orakel spricht kurz; – gegen den änigmatischen Styl ist der lapidarische ein Pastor Gamaliel. Leidenschaften lassen sich nicht durch Dialektik in Ordnung bringen; Grundsätze sind ihre Meister. Und wie? Muß ein Hierophant sich nicht vom Fackelträger unterscheiden? der Papst nicht vom Küster? Sokrates erwiederte dem König Archelaus, der ihn zum Hofphilosophen machen wollte: er sey nicht im Stande, Gleiches mit Gleichem zu vergelten; und sicher ist Sokrates nie in größerer Verlegenheit gewesen, außer an dem Tage, da er vom Orakel für den Allerweisesten erklärt ward. – Maître André Peruquier in Paris mag aus dem Lissaboner Erdbeben eine lustige Tragödie machen. – Ueber die andere Welt lassen sich nicht lustige Trauerspiele in Folio schreiben!

Graham? Ein College des Hans Nord, ein Schwarzkünstler [251] von Hause aus. »Nach neun Monden wirst du mehr erfahren,« heißt in unserer Ordenssprache: »nach neun Monden wirst du sterben.« Bei Graham wirst du nach neun Monden respektive in die Wochen kommen oder Vater werden. Sein himmlisches Bett ist das sinnlichste, das man kennen kann. Je mehr Sinne beim Genuß angespannt werden, desto mehr verlieren die obern Seelenkräfte. Niemand kann zweien Herren dienen, und aktiver Bürger der Sinne und der Geisterwelt seyn, Gott und dem Mammon anhangen. – Wenn das Fleisch gewinnt, verliert der Geist.

Cagliostro? – – – – – – – und neunmal neun andere seines Gelichters! Alle nicht werth, unsern Aposteln die Schuhriemen zu lösen, die viel, sehr viel durch den Glauben ausrichteten. Du bist gesund, sagten sie, und der Kranke glaubte; das heißt: er ward es. Von der moralischen zur sinnlichen Ueberzeugung ist es nur über Feld. Individuelle Beziehungen machen oft zu Witz und Rührung, was andere nicht dafür erkennen. So zeigen sich auch Richtsteige zu Seele und Leib, die man durchaus aus dem einzelnen Falle lernen muß. Nie ließen sich unsere Apostel wie – – r auf sichtbare Schäden ein, die sie, als ihnen zu klein, den Wundärzten anheim stellten: vielmehr kurirten sie innerliche Schäden durch Glauben, durch Schrecken, durch Freude, durch Ueberfall, durch Schmerzableiter, durch Richtung auf einen Punkt außerhalb der Krankheit, durch eine Art von Wortzutrauen (Logolatrie, Wortabgötterei), und wenn es hoch kam, durch Luft und Wasser. – Das Luftbad, dessen sichBenjamin Franklin bediente, war hier sehr excolirt. – Durch weisen Genuß, selbst in Krankheiten, ist unendlich mehr, als durch strenge Enthaltsamkeit ausgerichtet. Enthaltsamkeit tödtet gemeinhin; weiser Genuß begeistert – macht fast Todte lebendig. – Es ist ein heimlich wirkendes Gift, drei Tage fasten und beten und den vierten in Anfechtung der Völlerei fallen. – Wir zittern vor jedem Glück und haben [252] keine unangenehme Vorempfindung beim nahen Unglück! – Dieß und das, Abhärtungen, Ahnungen, Träume, Vorurtheile, Gebet, Gesang, Lectüre und, sollte man es denken! reine Vernunft, wohl angebracht, waren hier Arzneien, die man cum grano salis vortheilhaft benutzte. – Die Methode, den Kranken aus seiner politischen Lage zu setzen und ihn nach Umständen zu erniedrigen und zu erhöhen (in seiner Vorstellung) thut Wunder. Ich habe einen Kranken gesehen, der ohne Hoffnung lag. – Einen Kranken? Nein! es war ein Sterbender. Er genas. Und that derMenschen- Kauf- und Handelsmann nicht dasselbe, ohne Apostel zu seyn?

Daß ein kaltblütiger Mensch eher als eine geängstete Wittwe, die vom Gläubiger und vom Richter geplagt wird, eine Quittung findet, liegt in der Natur der Sache.

Es gibt schon Physiognomien, die alles herausfragen können (fast möcht' ich herausblicken sagen), was sie wollen. Ein Blick aus ihrem Auge macht, daß die Wangen des schamlosesten Bösewichts hochroth anlaufen, und den Troß und Auswurf der Menschen wissen sie, wo nicht zu erziehen, so doch von Ausschweifungen abzuhalten. Die Morgenstunde hat zur Menschenkenntniß Gold im Munde und hilft selbst die unzulänglichen Großen der Erde von Angesicht zu Angesicht, von Auge zu Auge, von Zahn zu Zahn, von Zunge zu Zunge, und fast von Seele zu Seele kennen zu lernen. Man wasche ihnen die Füße, damit man die Erlaubniß erhalte, ihnen den Kopf zu waschen. – Der Diener hat immer das erste und beste Stück aus der Schüssel; nur mit dem Unterschiede daß er es verstohlen und geschwind, der Herr dagegen langsam und sicher nimmt. Gab es nicht einen denkwürdigen Staat, wo man die feurigsten Liebeserweisungen stehlen mußte?

Wenn die Vernunft dem Genie unterliegt, wird es ein Dichter, wenn das Genie von der Vernunft bemeistert wird, wird es ein [253] Philosoph; wenn Genie und Vernunft gleich stark bleiben, ist es – man helfe mir auf einen Namen! – mehr oder weniger als Prophet? Die Zukunft scheint vor dergleichen Menschen einen Vorhang nach dem andern aufzuziehen. – Es sind die glücklichsten Seelenspieler, wenn ich so frei seyn darf. Freund Plato war erst Dichter (und wer war es nicht, der etwas Großes in der Welt vorstellte? Dichtete nicht auch Sokrates unter der Hand?), dann Philosoph und Mathematiker. Ob er von den Zahlen sein mürrisches Wesen und seine Anlage zum Neide her hatte, weiß Gott. – Die Zahlen sind böse Gesellen – wenn sie nicht pythagoreisch und geistig gerichtet sind.

Auch gibt es geborne Räthsellöser; Menschen, die aus zwei gegebenen Umständen den dritten sogleich finden. Ich lernte (heißt es in meinen Nachrichten) einen Mann kennen, der den Dieb der – – – im ersten Augenblick entdeckte. Niemand weiß, was Gott ist, als der Geist, der in ihm ist. Gott ist unerforschlich; Geister sind, je nachdem sie Gestalten anziehen, schwer oder leicht zu ergründen. Der Geist des Menschen dagegen, der die Mode seines Anzuges vom Anfang seiner Existenz bis auf den heutigen Tag nicht verändert hat, ist aufs Haar zu treffen. – Kein Gedanke ist ohne Einfluß auf den Körper, ohne äußeren Ausdruck. Siehe! und du wirst den seelenlosen Ruhigen vom Ruhigen aus Grundsätzen leicht unterscheiden. Bemerkst du nicht die Gedankenfiröme auf dem Gesichte des Denkers? Das Gesicht ist eine Seelenkarte. – Mache die Thore weit und die Thüre hoch für den, den Gott so gezeichnet hat! – Zwischen sehen und schauen – welch ein Unterschied! – Wer etwas doppelt sieht, hat schlechte Augen. – Was diesem erscheint, schwebt jenem nur vor Augen. – Kunstliebhaber sehen und urtheilen oft richtiger, als die strengen Herren Kunstverwandten.

Einst (ungern erzähl' ich die Geschichte), einst wurden unser [254] Held und sein Knappe zu einem Sterbelager geführt. Der Abscheidende sprach wie der sterbende Sokrates. – Man bat ihn, sich noch der vorgeschriebenen Ordensmittel zu bedienen. Meine Stunde ist kommen, erwiederte unser Sokrates; Ihr wißt selbst, daß Ihr Nachrichten nöthig habt, die Euch seit sechs Wochen ausgeblieben sind. Ohne Zweifel ist der selige – – degradirt, der sie Euch schuldig blieb, und es ist gut, daß ich hingehe: denn so ich nicht hinginge – Seine starrende Zunge gebot ihm Anstand. Er erholte sich. – Nicht der Tod, sagte er, ein Lichtstrom der künftigen Welt verdunkelt mein Auge. – Er schwor mit sterbenden Lippen, neun Tage nach seinem Tode zu erscheinen. Ich komme, ich komme, ich komme! – waren seine letzten Worte. Gehe in Frieden! – sagten alle, die um sein Lager standen. – Er starb, ward begraben – und erschien am neunten Tage nach seinem Begräbniß in der nämlichen Figur, die ich im Bette sah, nur verklärt. – Ob er wirklich todt gewesen, ob er selbst der Todte gewesen, den ich im Sterben besuchte, eben der, dem ich mit zum Grabe folgte (eigene Worte des Ritters), weiß ich nicht – Bei seiner Erscheinung wehte er uns Dinge zu (er sprach nicht, und ich gäbe was drum, die Art seines Ausdrucks zu bezeichnen), die mir schrecklich waren. Mir! Es waren Familiengeheimnisse von meinem Vater, die außer unserm Hause niemand so leicht wissen konnte. Der Schatten (wenn ich eine erhabene Figur, die langsam bis auf etwa neun Schritte – sich mir näherte, so nennen darf) befragte mich, ob ich meinen Vater sprechen wollte. Er ist in Eldorado, erwiederte ich. Ich werde zu ihm kommen, wenn es Zeit ist! – Das Besonderste! Der Schatten beschwor mich, meine Mutter zur zweiten Ehe zu bewegen, und gelobte mir, daß ich Sophien besitzen würde.

Kein Wunder, daß ich weniger untersuchte als vernahm! Sophiens Name, der bei dieser Erscheinung, ich weiß nicht ob wohlbedächtig oder von ungefähr, gleich in den ersten Minuten vorfiel, machte, [255] daß ich mit Leib und Seele nur hörte. Nur? Daß doch keine Erscheinung ohne ein Nur ist! – Ehe man mir die Erlaubniß ertheilte, dieser Erscheinung beizuwohnen, ward vermittelst einer den heiligen Johannes vorstellenden Figur mit unbekannten Obern korrespondirt. Die Briefe wurden unter Gesang in diese Figur hineingelegt. – Nach drei Stunden erfolgte Antwort. – Ich veranlaßte drei Fragen und drei Antworten. Die letzte, welche dieser heilige Dreifuß ertheilte, war Ja. – Während der neun Stunden, die ich, mit zwei andern Gliedern des Apostelgrades, in Gesellschaft des heiligen Johannes zubrachte, wechselten Gesang, Gebet und frommes Gespräch. – Ein Paar

152. Nachträge
§. 152.
Nachträge
werden das Nur des Ritters – heben? oder verstärken?

Erster Nachtrag.


Nur der Verstand kann, nach Plato, erkennen, die Sinneserkenntniß ist ungewiß und trüglich; und kommen Leidenschaften, die Bluts- und Gemüthsfreunde der Sinne, dazu: – so gibt es Interpolationen und Verstümmelungen, wozu endlich die Sprache kommt, die völlig jedes Faktum verdreht. Ich habe einen edlen Stammler gekannt, der, um nicht zu stammeln, geradesweges die Unwahrheit sagte. Warum? Das Wort der Wahrheit war ihm zu schwer auszusprechen.

Einer der Apostel, der außer dem Engländer an mir hing, lehrte mich, daß die Chiffern unter der Würde des Apostel-Ordens wären, obgleich die andern Orden den Kabinetten in dieser Kunst Trotz bieten. Chiffern beweisen Schwäche, fing er an; wir schreiben wie gewöhnlich, ohne daß wir wie gewöhnlich verstanden werden [256] können, wenn wir wollen. – Je offener wir scheinen, desto versteckter sind wir. – Schon ist es Klugheitsregel, mit der strengsten Interpunktion zu schreiben, wenn von gleichgültigen Dingen die Rede ist; dagegen ohne Strich und Punkt, wenn wichtige Dinge im Werke sind. Der Orden mag geben oder verlangen, alles mündlich. Nichts Schwarz auf Weiß. – Wofür halten wir geistliche und leibliche Schnellboten im Himmel und auf Erden? Dagegen sucht der Orden so viel Schwarz auf Weiß von andern zu erhalten, als möglich. Jedes beschriebene Blatt, mein Bruder, ist, je nachdem man will, ein Dokument für und gegen den Schreiber; so wie jedes Dogma theologisch geschwefelt, juristisch distinguirt, medicinisch versüßt und philosophisch versalzt werden kann.


Zweiter Nachtrag.


Was ist von zehn Recepten, um Geister zu sehen, zu halten? Im Kupferstich, in Wolken, im Ueberwurf, im Traum u.s.w.


Dritter Nachtrag.


Und von drei Recepten, um Seelen lebendiger Menschen an sich zu ziehen? Eine fürchterliche Art von Erscheinung! – Durch das Recht der Stärke, wodurch der starke Geist den schwächern an sich zieht, wie ein Planet seinen Trabanten, ist es keine Kunst!


Vierter Nachtrag.

Eine Rubrik mit einem großen NB.
Kunst des Gedächtnisses des Simonides.
Großes Himmelsjahr des Plato.
Experimente mit der Wünschelruthe und Auflösung dieses Naturräthsels.

[257] Fünfter Nachtrag.

Am leichtesten ist den Menschen anzukommen, wenn sie krank sind. Die vornehmere Klasse fängt in der Regel zu zeitig an zu leben, und das, was sie noch von Früchten zeigt, kommt aus Treibhäusern. Es sitzt den Hohen der Erde immer wo: im Kopf, im Magen, in den Nieren, im Gewissen, in den Beinen. – Auch arbeiten diese Hohen an ihren Eßtischen mehr als an ihren Sessionstischen; sie geben ihr Lebenskapital auf Leibrenten aus und ziehen beim Verlust der Fonds höhere Zinsen.


Sechster Nachtrag.


Du bebst schon zurück vor dem Worte Vergiftung? Was sagst du von X.? – Er haßte Z –, ich weiß nicht warum; er hielt ihn für seinen Feind, frage nicht nach der Ursache. Kurz, Feind Z. sollte das Weite suchen; so nannte X. den Tod. Er vergiftete Z.; und wie? Mit Wohlthaten! Wie weit gütiger und menschlicher wäre aqua tofana gewesen! X. bat Z. zu den gewürzten Mahlen, kam ihm mit Höflichkeit zuvor, und gewöhnte seine Zungenspitze zu einer Verfeinerung, die ihm entweder den Bettelstab des Vermögens oder der Gesundheit bringen mußte. Ein verwöhnter Mensch ist der unglücklichste auf Gottes Erdboden; er ist unzufrieden und mürrisch mit diesem Leben, und doch verläßt er es ungern, Z. zog sein Gift mit Wohlgefallen ein; und es dauerte nicht lange, daß er alle Ungemächlichkeiten des so wohlschmeckenden Gifts empfand, welches ihn so langsam und so ungern sterben ließ, daß X. selbst sich nicht entbrechen konnte, ihm eine Art von Mitleiden zu widmen. Wahrlich, eine süße Rache! Was denkst du von dieser Ordensvergiftung? Ist sie minder schrecklich, als jemanden bei der Sündenthat zu ermorden oder ihn zum Freigeist zu machen, damit er ewig verdammt werde? Weit natürlicher, [258] faßlicher und gewisser ist das Ordensgift, wobei die Stadt obenein X. segnete, weil er seinem Feinde so wohl that!


Siebenter Nachtrag


oder Beischrift mit rother Tinte: Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.

Ob diese Beischrift mit rother Tinte dem ganzen Apostelgrad, oder nur den Auswüchsen desselben galt, ist nicht bemerkt. Es war gewiß eine nicht kleine

153. Selbstüberwindung
§. 153.
Selbstüberwindung

und Entsinnlichung unseres Ritters, daß er den Aposteln seinen Wunsch, Sophien zu sehen, nicht zeitiger in Erinnerung brachte, besonders da einer von den Todten sie ihm verheißen hatte. Ich halte dieß für ein eben so großes Wunder, als es alle die sind, die im Apostelgrade vorkommen. Jetzt war seine Sehnsucht nicht etwa zur Leidenschaft, sondern zu einer der ausgelassensten geworden. Der Engländer hatte, von dem Augenblick der Vorbereitung an, dem Ritter so das Herz abgewonnen, daß er an ihm zu hangen schien; und eben dieser Engländer war es auch, an welchen er sich wendete, um nicht bloß den Stein der Weisen, sondern die Weisheit selbst zu finden. Mein Sohn und mein Bruder, sagte der Engländer, ich liebe dich von Herzen; und nur eine Person gibt es in der Welt, die ich mehr liebe als dich. Rathe, wer es ist! Nimmermehr wäre der Ritter auf seine Mutter gefallen. – Der Engländer hatte sie schon im Hause ihres Vaters kennen gelernt. – Ich war, sagte er, damals von wegen meines Onkels in Handlungsgeschäften in – –, wo ich sieben Jahre zubrachte. – Ost sah ich deine Mutter, und ich betheure dir bei allem, was [259] heilig ist: nie hab' ich ein weibliches Geschöpf gesehen und gekannt, das deiner Mutter auch nur in einem einzigen Zuge gleich käme. – In dir, lieber Sohn und Bruder, find' ich deine Mutter wieder. Schon lang gehe ich mit dem Gedanken um, einen wechselseitigen Vertrag mit dir aufzurichten. Kurz, du sollst Sophien sehen; hilf mir zu Sophien. – Der Ritter verstand mehr, als er verstehen wollte; indeß forschte er, um gewiß zu seyn, nach dem Sinne dieser Rede, und da war es denn, wie er dachte. Der Sohn sollte der Freiwerber des Engländers bei seiner Mutter seyn, und unter dieser Bedingung der Ritter Sophien nicht länger suchen dürfen. Umsonst wendete der Ritter ein, daß er Sohn sey, daß er seiner Mutter nicht vorschreiben könne, daß er wisse, wie zärtlich und über alles sie seinen Vater geliebt habe, daß sie von jeher zu geistig gesinnet gewesen, um bei ihrer edlen Liebe bloß auf das Sichtbare zu sehen. »Ich weiß,« setzte der Ritter hinzu, »ihr Geist hängt an dem Geiste meines Vaters. Der Schwung ihrer Seele ist nicht von gemeiner Art, und es herrschte in Rosenthal eine Liebe, die zum größten Theil platonisch war, geheiliget durch ritterliche Gesinnungen der Vorzeit. – Wahrlich! meine Mutter war in eben dem Grade Ritterin, wie mein Vater Ritter. – Du glaubst vielleicht, ich schwärme, allein du irrest; die strengste Wahrheit kann nicht treuer seyn.« Der Engländer, entfernt, das was er höre, für Schwärmerei zu halten, versicherte, bekannter in Rosenthal zu seyn, als der Ritter glaubte; und eben diese Denkart deiner Mutter, setzte er hinzu, heiliget meine Liebe zur Engelerhabenheit, zur Göttlichkeit. – Sophie ist deine Mutter; doch ist ihre Seele in der jugendlichsten Schönheit. Der Sinnenwelt müde, die mich lange genug hinterging, werde ich nicht von der Sinnenwelt gereizt. – In Wahrheit, ich weiß nicht, ob ich als Jüngling oder jetzt deine Mutter inbrünstiger liebte. – Mein Onkel verlangte von mir eine schnelle Zurückkunft nach England. – Ich kannte ihn und mußte [260] eilen, daß ich seine Gunst und die Aussicht, der Erbe seines großen Vermögens zu werden, nicht verlöre. Ich reisete nicht, ich flog nach England, um in kurzer Zeit nicht zurück zu reisen, sondern zurück zu stiegen. Schon war mein Onkel, der bei aller seiner Härte ein gütiger, menschlicher Mann war, durch mein unablässiges Bitten dahin gebracht, daß er in die Heirath mit deiner Mutter willigte; allein stehe! in dieser Zwischenzeit ward sie die Gemahlin deines Vaters, und durch ihn deine Mutter. Von dem Augenblick dieser Nachricht an hörte ich auf, der zu seyn, der ich bis dahin war. Von Stunde an fröhnte ich der Sinnlichkeit. Ich schlug eine Partie aus, die mein Onkel mir aufdrang, und er enterbte mich. Wahrlich, deine Mutter hat mich glücklich und unglücklich gemacht; sie allein lenkte die Schicksale meines Lebens, und selbst (dir sey es anvertraut) bei sinnlichen Ausschweifungen war sie das Bild, das ich anbetete; nicht den feilen Gegenstand, sondern nur sie liebte ich; ihr Andenken war es, das mich bei recht großen Anerbietungen verpflichtete, allen ehelichen Verbindungen zu entsagen, und wenn nicht meinen Körper, so doch meinen Geist ihr zu weihen. Die Verlegenheit, in die mich die Enterbung meines Onkels setzte, zwang mich, mein Vaterland zu verlassen, und in Indien Geschäfte nicht zu unternehmen, sondern zu wagen. Alles gelang, und allemal übertraf der Erfolg bei weitem das Ziel, das sich meine Erwartung gesteckt hatte. Alles, was ich versuchte, war unter dem Panier deiner Mutter; ihr Bild ging mir überall vor, ich mochte beginnen, was ich wollte. Mit Reichthümern, die für einen Privatmann ungewöhnlich sind, kam ich zurück in mein Vaterland, und zog die genauesten Nachrichten von deiner Mutter ein. Dein Vater lebte noch; doch wollt' es ein Traum, daß ich hierher käme, um wenigstens die Luft eines Landes mit deiner Mutter einzuziehen. Meine Gesundheit hatte durch meine Ausschweifungen und Arbeiten, in die mein Leben sich getheilt hatte, [261] gelitten; und ein Gesicht machte aus einem schnaubenden Saulus einen Apostel. In England ist die Maurerei ohne Kraft und Nachdruck; ich fand in ihr nicht den mindesten Reiz. Ich ward Quäker, Methodist, und alles, was excentrisch macht und dazu beitragen konnte den Geist dem Fleische zu entreißen. Du bist Mitglied vieler Orden geworden; ich zähle deren mehr. Du hast, so jung du bist, manches in diesen Verhältnissen erfahren; glaube mir, meine Erfahrungen übertreffen die deinigen! Und wenn ich gleich nur selten fand was ich suchte, so war doch meine Bemühung nicht überall vergeblich. Ich darf hoffen, in meinen Ideen, daß der Mensch sich entkörpern könne, weiter gekommen zu seyn. Nimm, mein Sohn, von mir ein Geheimniß, das eines Apostels würdig ist. Der Mann allein kann weder im Fleisch noch im Geist etwas bewirken; in Gemeinschaft mit einer Männin vermag er mehr, vermag er viel, vermag er alles. – Weißt du jetzt, was ich bei der Ehe mit deiner Mutter beabsichtige? Die altplatonische Liebe bestand in einer geistigen Liebe, die ein Mittel zur Seelabbildung war. Hier bedurfte es nicht eines Männleins und eines Fräuleins; zwei und mehr Männlein waren im Stande, unter einander eine platonische Liebe zu stiften (zwei und mehr Fräulein können sich nicht füglich unter einander platonisch lieben). Der Neoplatonismus ließ sich vielleicht aus Scheinheiligleit auf das Liebeskailtel nicht ein; wogegen das neueste platonische Testament jenes Liebessystem verbesserte, und jene geistige Liebe nur zwischen Männlein und Fräulein nachgab, die nicht Hand in Hand, sondern Seele in Seele, Geist in Geist sich zu Gott erheben. – Gott ist die Liebe!

Der Ritter, durch die Neuheit dieses Vortrages hingerissen, belaß jedoch noch so viel Besinnung, dem Vater und Bruder den Einwand entgegen zu setzen, daß bei diesen Umständen eine eheliche Verbindung mit seiner Mutter zur Sache wenig oder nichts bei [262] tragen könne; allein der Engländer behauptete: die von der Natur eingesetzte und von der Gottheit geheiligte eheliche Verbindung sey durchaus nöthig, um aus Mann und Männin nur einen vollständigen Geist, ein Ganzes zu machen, und durch dieses Ganze in der Geisterwelt mehr Progressen, als in der körperlichen zu bewirken. Da diese sonderbare Unterredung zugleich den Fall zwischen dem Ritter und Sophien, wiewohl mit einem kleinen fleischlichen Zusätze entschied, so mochte der Ritter wohl oder übel wollen, er mußte der Sache näher treten. Beide vereinigten sich dahin, daß der Ritter der Verbindung des Engländers mit seiner Mutter nichts in den Weg legen, vielmehr dieselbe sogleich schriftlich, und in Zukunft mündlich, bitten würde, dem Engländer ihre Hand zu geben, und durch die äußeren Zeichen der Ehe eine platonische Liebe des neuesten Testaments zu veranstalten. Als der Ritter dieses Versprechen auf eine feierliche Art abgelegt hatte, erhielt er eine gleich feierliche Gegenversicherung, Sophien in wenigen Tagen zu sehen.

Der Ritter war zu voll, als daß er in der ersten Hitze an Michaeln hätte denken sollen. Nachdem er sich zu Hause mehr gefaßt, und den Begleiter von dem was vorgegangen war, unterrichtet hatte, ließ dieser nicht nach, und der Ritter mußte ein Postscript der Verheißung bewirken, damit auch Michael zum Ziel seiner Wünsche gelangen möchte, wobei Michael bei allem Respekt für den Geist sich wohlbedächtig auch das Fleisch nicht nehmen lassen wollte, – welches, wie ihm Gamaliel zu seinem nicht kleinen Troste zugesichert hatte, selbst im Grabe nicht bleiben, sondern, wiewohl geläutert, zum Vorschein kommen oder auferstehen wird. – Die Punkte der Zusammenkunft zwischen Ritter und Sophien, Begleiter und Begleiterin, wurden näher verabredet. Nie in seinem Leben waren zwei Menschen so gespannt, wie Ritter und Michael, und wäre das bewilligte

154. Tête-à-tête
[263]
§. 154.
tête-à-tête

noch länger ausgesetzt worden, sie würden vergangen seyn vor lauter Hoffnung. Man sah wie wenig beide das sinnliche Vergnügen von der Bestimmung des Menschen ausschlössen und wie weit sie noch im alten, neuen und neuesten platonischen Testamente zurück waren. – Die Stunde kam. – Sophie! – war alles, was der Ritter sagen konnte, undSophie erwiederte: Ritter! Die stumme Scene dauerte länger als man denken sollte. Sie haben sich verändert, sagte Sophie, und brach dieß Stillschweigen. Sie nicht, erwiederte der Ritter. Er nahm das Porträt von seinem Busen und küßte es, entzückt über den Umstand, daß Sophie so Zug für Zug getroffen wäre. In der That waren ähnliche Züge im Originale und in der Copie nicht zu verkennen. Wenn Leute in der Raserei griechisch redeten oder Verse machten, was sie in Stunden der Besonnenheit nicht vermochten und ihr ganzes voriges Leben hindurch nicht vermocht hatten, warum sollte die Liebe hier nachstehen, da sie, wie Michael meinte, nicht wie der Zorn eine kurze, sondern eine vernünftige Naserei ist? Sophie und der Ritter konnten sich nicht genug ansehen, und es war natürlich, daß wenig Zeit zum Gespräch übrig blieb. Sie fing vom Orden der Verschwiegenheit und von der Adoptionsloge an, allein der Ritter brach schnell ab, weil er seit der Zeit so viele Orden und Grade durchgegangen war, daß es ihm kaum zu verdenken gewesen wäre, wenn er wie weiland der Werbehauptmann, als ihm der Ritter den ersten Grad des Verschwiegenheits-Ordens anbot, aus vollem Halse gelacht hätte. Ach Sophie! sagte er, ich könnte böse auf alle meine Ordensverbindungen seyn, weil sie mich so glücklich nicht werden ließen, Sie zu finden. Die gleichgültigsten Dinge, denen die Liebe wie bekannt oft das größte Interesse und eine fast unglaubliche [264] Wichtigkeit beizulegen gewohnt ist, füllten die Stunde aus, und ehe noch der Ritter fragen konnte: wie Sophie zum Nachbar gekommen, was es mit der Krankheit der Nachbarin für eine Bewandtniß gehabt, warum sie so eilig jene Gegend verlassen, kam der Engländer und bat, die Unterredung zu schließen. Die Zeit, sagte er, ist verflossen. Wie schwer für den Ritter! Sophie verstand den Ritter, denn sie war in eben derselben Lage. Sie konnte nicht umhin, dem Geliebten einen Blick des Trostes zuzuwerfen, und hiermit auf heute geschieden. Du bist

155. Grausam
§. 155.
grausam,

sagte der Ritter zum Engländer. – Nicht ich, der Anstand ist es. – Anstand? erwiederte der Ritter. – Allerdings, sagte der Engländer. – Die Liebe, fuhr der Ritter fort, hat den Anstand gemacht, und kann ihn wider heben oder einlenken. – Du bist Apostel, erwiederte der Engländer, du bist Eklektiker, Weiser der Weisen. Ihr esset oder trinket, Ihr herzet oder küsset, Ihr thut, was Ihr thut, thut alles zu Gottes Ehre! Sich, Sohn und Bruder! Sophie ist Weib und könnte, so sehr ich auch für sie zu stehen übernehmen will, durch die feurige Zuneigung eines so liebevollen und liebenswürdigen Jünglings sich mißleiten lassen. Der Ritter fühlte freilich, daß er noch nicht zu den so genannten Tugenden der schon gereinigten Seele, den betrachtenden und theurgischen, gekommen war, indeß hatte er auch so die Welt nicht genossen und die Welt ihn nicht, wie Vater und Bruder Engländer. Er drang zu antistoisch, zu antiplatonisch, zu antiaristotelisch, zu antipythagoräisch in ihn, und je dringender er ward, desto kälter stellte sich der Vater und der Bruder, denn solch ein großer Eklektiker er zu seyn schien, war er doch so wenig kalt wie der Ritter. Ost dünkt man sich gut, wenn man auf eine an dere Manier böse ist. [265] – Sie über drei Tage abermals eine Stunde sprechen zu können, war alles, was der Ritter erreichen konnte.

Michaeln ging es kein Haar besser und schlechter, als seinem Herrn. Er hatte die Begleiterin dem Bildnisse, das er an seinem Busen trug, so ähnlich gefunden, daß er seinen Herrn vielfältig versicherte, es könne kein Ei dem andern ähnlicher seyn. Da der Begleiter eben so wenig Zeit gehabt, sich nach dem Aufenthalt der Zofe zu erkundigen, wie sein Herr, wo Sophie anzutreffen sey, so gab es zwischen Herrn und Diener eine kurzweilige Unterredung, bei welcher einer dem andern Vorwürfe machte, ohne daß es auszumachen war, wer von beiden sie am meisten verdiente. Zwar konnte Michael nicht läugnen, daß es ihm besser angestanden haben würde, durch die Kammerzofe Sophiens Aufenthalt zu ergründen, indeß mußte man dagegen in Erwägung ziehen, daß diese Frage zu den neugierigen und vorgreifenden gehörte, die sich weder für Ritter noch Knappen geziemen. Beide, Herr und Begleiter, gaben sich, geleitet von der inbrünstigsten Liebe, alle nur ersinnliche Mühe, den Aufenthalt Sophiens und ihrer Zofe auszuforschen; da indeß alles vergeblich war, so fing der Ritter an: Was uns bewegt edlen Dingen nachzustreben, muß uns auch bewegen sie entbehren zu lernen, und was würden uns alle Ordenskenntnisse, den Apostelgrad nicht ausgenommen, helfen, wenn sie uns nicht standstafter, gefaßter, mäßiger und weiser machten? Gibt es denn nicht große Apostel-Eigenschaften, theurgische Tugenden? Und ist das Gebet der Weisheit, stets bereit zum Sterben zu seyn, etwas anderes, als die Bemühung, uns allem zu entziehen, was nicht göttlich ist?

Freilich, erwiederte der Knappe, der Mensch muß so weit als möglich zu kommen suchen, und wen hat je seine Enthaltsamkeit gereuet?

Sollte indeß die Liebe, fuhr der Ritter fort, nicht etwas [266] Theurgisches an sich haben und Handlungen hervorrufen, die göttlich sind?

Freilich, sagte der Knappe, denn gibt es ein größeres Ziel als eine vernünftige Liebe? Und kann man Enthaltsamkeit üben, wenn man nicht weiß, wo Fräulein Sophie und ihre Zofe sich aufhalten?

Aller dieser goldenen Sprüche ungeachtet, konnten beide nicht anders als mit der größten Ungeduld die zweite

156. Unteredungsstunde
§. 156.
Unteredungsstunde

erwarten, die indeß sowohl von Seiten des Ritters als des Knappen eben so unbedeutend wie die erste ablief. Das nämliche Entzücken, die nämlichen unbeträchtlichen Kleinigkeiten, derselbe Aerger über die Kürze der Stunde, welcher bei der Ankunft des Engländers den entzückten Liebhaber anwandelte. Beide Liebende waren keinen Schritt weiter bei den Nachforschungen gekommen, die sie anzustellen sich vorgesetzt hatten. Keiner von beiden wußte den Ort, wo seine Geliebte sich aufhielt. Beide hatten sich abermals in den Umständen befunden, sich nach dem Wohnort ihrer Gebieterinnen erkundigen zu können. Freilich konnte niemand ihnen den Trost rauben, daß sie Eklektiker und Weise der Weisen wären, und daß, wenn es gleich hart schiene, alles aus allgemeinen und nothwendigen Gründen zu rechtfertigen, diese Art doch etwas Theurgisches, etwas Göttliches in sich habe.

Aller dieser weisen Sprüche ungeachtet, entschlossen sie sich bei der dritten Unterredung, zu der ihnen vom Vater und Bruder Engländer Hoffnung gegeben war, durch nichts sich abhalten zu lassen. Es ist die Zahl

157. Drei
[267] §. 157.
Drei,

sagte der Ritter; sie wird Heil bringen. Dreimal Heil! erwiederte der Knappe. Beide hatten sich mit ihren Maurerhandschuhen liebreich versehen, ohne gemeinschaftlich diese Verabredung zu treffen.

Nehmen Sie, sagte der Ritter zu Sophien, die Handschuhe, die ich drei-, sieben- und neunmal küßte, als ich sie empfing. Sophien von Unbekannt, sagte ich bei meiner Maureraufnahme, gehört dieses Unterpfand. Wie doch die Liebe, die nicht Muth hat zu fragen, wo die Geliebte sich aufhält, so dreist ist, ein Geschenk anzubieten! Sophie empfing die Handschuhe mit einer Feierlichkeit, die den Ritter rührte, ob sie gleich bei den vorigen zwei Unterredungen schon oft nahe daran war, aus der Melodie zu kommen; und wer kann, außer in der Oper, singen, wenn er innigst verliebt ist? – Wer andern nicht traut, fing sie an, traut sich selbst nicht; und wer sich nicht auf ein Paar Augen, wo Herz und Seele leibhaftig wohnen, versteht, wer und was kann dem Bürgschaft leisten? Sie sind durch dieß Unterpfand mein auf ewig! – Der Ritter hatte nur einen Seufzer in seiner Gewalt. Der Ausdruck versagte ihm alle Dienste. Er zitterte! – und die heilige Zahl Drei würde ihm das Heil der Anzeige von Sophiens Aufenthalt eben so wenig wie Eins und Zwei gebracht haben, wenn nicht Sophie selbst ihm Winke gegeben hätte, ehe der Engländer auch die dritte Unterredung zum Schluß brachte. Für einen Mann, wie unser Vater und Bruder, war dieß

158. Wagestück
§. 158.
Wagestück,

das er unternommen hatte, unerklärlich. Doch wer Menschen kennt, kennt der schon die Liebe? Der Engländer war freilich in vielen [268] hohen und niedern Schulen gewesen, um Menschen kennen zu lernen; in der Liebe war er wahrlich kein Eklektiker. Nur Sophien hatte er mit der Seele geliebt; bei allen andern Liebschaften hatte er die Seele, Sophiens Tempel, nicht entheiligt. Er traute seiner Sophie die Rolle vollkommen zu, die er ihr zugetheilt hatte; und, stehe da! sie war ihr zu schwer.

Des Engländers Sophie war

159. Nicht
§. 159.
nicht

die rechte Sophie; sie war vom Engländer untergeschoben, um seine Absicht bei des Ritters Mutter zu erreichen.

So tief konnte sich der geistige Engländer herablassen! Freilich gehörte diese List nicht zu den apostolischen Tugenden der schon gereinigten Seele, und war gewiß nicht theurgisch; indeß gibt es nichts in der Welt, das teuflisch wäre, oder das keine Entschuldigung austreiben könnte. Liebte der Ritter nicht den Selbstbetrug? Wenn er es sich nicht übel nahm, die Idee seiner Sophie malen zu lassen; warum sollte man nicht seine Idee in natura darstellen? Wo ist denn die wahre Sophie? Die Apostel, die zwar Geister, so viel man verlangte, nicht aber die wahre Sophie, citiren konnten, hätten gewiß nicht verfehlt, diese Dulcinea ausfindig zu machen. Nur zu einer Zeit, als sie nicht zu finden war, entschloß man sich zur falschen. Konnte der Vater und Bruder dafür, daß der Ritter so sophiensüchtig war, daß er nicht länger anstehen wollte?

Diese falsche Sophie war gewiß nicht ohne viele Kosten und Mühe zu Stande gebracht; und wie? hielt der Engländer sie nicht in der That für eine Art von Sophie, für eine nicht gemeine Tugend? War es seine Schuld, daß sie Feuer sing? Warum war der Ritter so liebenswürdig? Der Engländer hatte in seiner [269] vieljährigen Praxis weibliche Tugend kennen gelernt; selbst Festungen nicht, die auch nur capitulirten; – und doch, blieb er nicht Theaterdirector? Ließ er nicht seine Komödiantin lange allein? Behielt er sich nicht die Einlenkung vor? Und wie konnte er sich vorstellen, ein Mädchen, das ihm alles zu verdanken hatte, würde so unerkenntlich seyn, und aus der Rolle fallen? War es je seine Meinung, daß die Sache so weit (bis zur Verwechslung der Handschuhe) kommen sollte?

Aber der Actrice selbst, war es ihr ganz zu verdenken? Fiel sie nicht aus der Rolle bloß in die Natur? Würde sie nicht eine unerträgliche Schauspielerin gewesen seyn, wenn sie die Natur nicht mit der Kunst verbunden hätte? That sie mehr, als was alle Mädchen auf Gottes Welt thun, denen der Beruf obliegt, in sich verliebt zu machen, und dann entweder wieder zu lieben, oder aus der Verliebtheit des männlichen Theils Vortheil zu ziehen? Läßt sich die Liebe darstellen, ohne daß man liebt? Und wenn ein Licht das andere ansteckt, wenn Liebe Liebe entzündet; wer ist Schuld? Unser Ritter war freilich sehr weit entfernt gewesen, es bei seiner Sophie für einen Vorschritt in der fleischlichen Zuneigung anzulegen; doch artet die geistige Liebe nur zu leicht in fleischliche aus, so daß ich für keinen als den Engländer Bürge bin, der indeß vielleicht selbst bei seinem Platonismus das Fleisch nicht verlassen haben würde, wenn es nicht so ungütig gewesen wäre, ihn zu verlassen. Der Ritter, im System der Liebe völlig unerfahren, war nicht nur, ohne es zu wissen, verliebt, sondern konnte auch, ohne es zu wissen, verliebt machen. Beide Dinge sind zu unzertrennlich. Freilich hatte der Engländer zu der Erziehung seiner Sophie alles beigetragen, was die besten Eltern nicht reichlicher und tauglicher bewirken konnten; war indeß die falsche Sophie die einzige, die er erziehen ließ? Sein Gelübde war (ein besonderesvotum castitatis!) so viele Mädchen erziehen zu lassen, als er weiland zu Liebhaberinnen [270] gehabt; und wahrlich, das war keine kleine Zahl! Warum aber sollte bloß seine Sophie diesen harten, fast übernatürlichen und theurgischen Proben ausgesetzt werden, da es mit den andern Pflegetöchtern entweder gar nicht zur Probe kam, oder da sie leichter abkamen? Gewiß, seine Sophie müßte zu wenig in der Mädchen-Arithmetik erfahren gewesen seyn, wenn sie nicht summa summarum herausgebracht hätte: es sey besser, einen Gemahl ihrer Gnade leben zu lassen, als der Gnade eines alten launigen Engländers zu leben. Bei aller Unbefangenheit, die unserm Ritter in Liebesangelegenheiten eigen war, hätte ihn Sophiens zuvor kommende Gefälligkeit freilich befremden können und sollen; und – sie befremdete ihn wirklich. Bei aller seiner Verliebtheit würde er einen großen Theil von seiner guten Meinung in Hinsicht ihrer aufgegeben haben, wenn sie nicht Sophie, wenn sie nicht die rechtmäßige Besitzerin seiner Maurerhandschuhe gewesen wäre. Diese Hieroglyphe hatte sie, wenn ich so sagen darf, copulirt. – Da die falsche

160. Begleiterin
§. 160.
Begleiterin

gegen den Knappen noch freigebiger war, als die falsche Sophie gegen den Ritter, lag es nicht in der Natur der Liebe, daß Zusammenkünfte verabredet wurden, die so geheim blieben, daß der Engländer nichts merken konnte? Bei den theatralischen Unterredungen, die unter seiner Direktion vorfielen, spielten die Verliebten ihre Rollen so magisch, daß man glauben sollte, sie hätten dem alten, neuen und neuesten Testamente des Platonismus den Eid der Treue geleistet. Wie das

161. Baumorakel
[271]
§. 161.
Baumorakel

der ächten Sophie ausgefallen? Der Baum Er? allerliebst! Der Baum Sie? verdorrte. Wie das? Ein Versehen des kleinen Spions zwischen Er undSie. – Dieser unerwartete Vorfall (wer sollte das denken?) brachte die kleine Schwärmerin auf den unerläßlichen Gedanken, sie würde sterben. Da sie sich keiner Untreue gegen ABC bewußt war, was konnte der Untergang des Baumes Sie anders bedeuten? Vergebens verschwendete die Zofe die ersten und besten Beruhigungsgründe. Die Apostel selbst, die so wunderbare Krankheiten heilen, hätten hier bei ihrer Kunst den Kürzern gezogen. Ein wunderbarer Einfall der Zofe, den Baum bis auf seine Wurzel zu untersuchen, und ein noch wunderbareres Glück, daß Sophie gegenwärtig war; sie hätte sonst so wenig an denBefundschein als an die Trostgründe geglaubt! Jetzt fing sich durch die abgeschnittenen Wurzeln ein Räthsel an aufzuschließen, das Sophien und ihre Zofe auf so wildfremde Gedanken gebracht hatte. Man setzte von Stund an eine Probe aus, bei der über Er und Sie dem kleinen Spion kein Zweifel blieb, und nun entdeckte sich nach einiger Zeit alles. – Der kleine Spion und sein Vater gestanden den Hergang, da der Gärtner auf Wurzelmordthat betroffen ward; indeß betheuerte der letztere, von niemanden zu diesem Verbrechen beredet zu seyn. – Ich habe, sagte er, wider den mir unbekannten Er einen Haß, den ich mir selbst nicht erklären kann. Daß Er hierdurch in Sophiens Augen gewann und der Cavalier verlor, war natürlich. Er war völlig in den vorigen Stand gesetzt und mehr war nicht nöthig, um die Rache des Nebenbuhlers anzuflammen. Der Cavalier wendete alles an, damit der unschuldige Er nicht nur Sophiens Liebe verlöre, sondern noch obenein büßen möchte, und warum? weil das Bubenstück mit Er und Sie nicht[272] besser eingeschlagen war. Der Cavalier ließ mit unglaublichen Kosten und noch größerer Mühe seinen Nebenbuhler beobachten, und – man denke! – seine Verbindung mit der falschen Sophie blieb der ächten kein Geheimniß. Sie wußte alles, nur das einzige nicht, daß ABC in ihr die ächte Sophie liebte. Nach ihren unwiderleglichen Nachrichten war die Verlobte des Ritters eine zweideutige Dirne, die – Die Zofe mochte immerhin behaupten, daß auch diesen Nachrichten insgeheim die Wurzeln abgeschnitten seyn könnten, – nichts! Sie schlug Blumentöpfe, Gesträuche und Bäume mit Er und Sie in dieser Hinsicht vor, nichts! – Auf alles – nichts! – Sophie, überzeugt von der Untreue des Ritters – was wird sie thun? dem Cavalier ihre Hand anbieten? Der

162. Vater und Bruder
§. 162.
Vater und Bruder

schmachtete nach Antwort aus Rosenthal, die so ausfiel, wie man sie erwarten konnte. Der Ritter verzuckerte sie; er mußte indeß aufs neue und noch einmal aufs neue die Sache des Engländers treiben, der während dieses Briefwechsels durch ein glückliches Ungefähr zu der Entdeckung kam, daß seine Sophie und der Ritter geheime Zusammenkünfte hielten. Nichts in der Welt, selbst die Verstoßung der Ritterin nicht, konnte ihn so aus der Fassung setzen. Wie diese Sache ins Reine zu bringen?

Das sind die Folgen der Unrichtigkeit! Er stellte Sophien auf das nachdrücklichste vor, wie sehr sie ihn getäuscht hätte und verlangte, daß sie sich zurück in die ihr angewiesene Rolle begeben sollte. Sie versprach es, doch schien sie nicht Lust zu haben, seine Drohungen zu fürchten. Warum auch? Sie wußte, daß er wo nicht mehr, so doch ebenso viel wie sie selbst in den Augen des Ritters verlieren müßte, wenn es hieße, Sophie sey nicht Sophie. [273] Ihr seine Unterstützung zu entziehen, dachte der Engländer, würde ungroßmüthig und gefährlich seyn. Was ist natürlicher, als daß sie aus der Noth eine Tugend macht, und so sehr in die Enge getrieben dem Ritter ihre schlechte Verfassung entdeckt? Nur einen einzigen Ausweg hatte der arme Engländer, und dieser war? den Ritter zu warnen. – Zu warnen? Wen? Den Jüngling, der soviel Umwege nicht gescheut hatte, um diesen Hafen seiner Hoffnung zu erreichen? – Und wovor? Vor Sophien, welche der Engländer selbst zur Bedingung gemacht hatte, um den höchsten Gipfel eines Glücks zu erreichen? – Und wer sollte warnen? Der Väter und Bruder! In diesem Ausdruck lag mehr, als der Engländer tragen konnte. Doch wagt' er es, und mußt' er nicht? Er suchte dem Ritter auf eine äußerst seine Weise die Gefahren der Liebe zu zeigen, wenn man sich auf Ordensbahnen befände, um eben hierdurch sein Herz vor jeder falschen Sophie zu bewahren. Eine falsche Speculation! Sophie war ihres Sieges so gewiß, daß sie die Rolle seit geraumer Zeit ganz sorglos spielte, und diese Sorglosigkeit trug nicht wenig zur Vollendung ihres Sieges bei. Michael und die Begleiterin befanden sich in eben dieser Lage. Jeden Tag entdeckte Michael neue Vollkommenheiten an seiner Gebieterin. Er war so verliebt, daß er seinen Herrn flehentlich bat, durch das Ende das Werk zu krönen, wozu der Ritter an sich selbst schon so sehr geneigt schien. Die Handschuhe sind voraus und wir müssen nach, sagte der Knappe; wahrlich es ist Zeit, gnädiger Herr, daß wir der Welt zeigen, wir verstehen Handschuhe so heiliger Art zu verschenken. – Näher konnt' es dem Ritter nicht gelegt werden. – Und wer war denn die falsche Sophie? Die Tochter einer Schauspielerin und eines ihrer Liebhaber, welcher, der Ränke seiner Buhlerin müde, sie verlassen wollte. Die Schauspielerin drohte, die Mittlerin zwischen ihm und ihr, wie sie dieses Kind nannte, ein Opfer ihrer Wuth werden zu lassen, wenn er nicht – und was? – sich noch länger [274] zum Gespötte der Welt machen und an den Bettelstab bringen wollte. Er ermannte sich, der Drohung ungeachtet, entriß dem Ungeheuer von Mutter die Hauptperson des beabsichtigten Trauerspiels und erklärte ihr in ganzem Ernst, er hätte nicht die mindeste Lust, das Lustspiel mit ihr weiter fortzusetzen. Besonders, daß Sophiens Vater und Mutter ineinem Jahr ihre Lebensrollen endigten! sie, wie es hieß, aus Lebensüberdruß; er aus bitterm Aerger, daß er seinen Posten, nach seinem Ausdruck ohne zu wissen warum verlor. Vielleicht hätte ihn der Minister diesen Umgang mit einer zweideutigen Schauspielerin, den er ihm verbot, nicht so hart sollen empfinden lassen. – Und die Kammerzofe? Die Tochter eines vornehmen Geistlichen und einer Dame von Stande, die aus Grundsätzen der Ehre ihr Kind dem Findelhause in – übergeben hatten, und da für dasselbe ein ansehnlicher Zuschuß bewilligt war, wußte einer der Aufseher dieß reiche Kind mit einem andern zu vertauschen, dessen Vater ein dürftiger Geistlicher und des Aufsehers leiblicher Bruder war. Da das durch den Tausch herabgesetzte Kind bei diesen Umständen zur Classe derer gehörte, die nach erlangten vorschriftsmäßigen Jahren zu Dienstboten bestimmt waren, so schien es ein Glück für die Unglückliche, daß sie der Tochter einer Actrice, die der Engländer erzog, aufwarten konnte. Die vortreffliche Mutter unseres Ritters konnte nicht ohne Kleck im Stammbaum abkommen; was wirb aus dem dürren Holze dieser unächten Sophie werden? Wie viele Buchstabenopfer wird man fordern? und wird nicht der ganze Name bis auf jeden Punkt auf dem i ersäuft werden müssen? Noch hing es an einer Kleinigkeit zwischen der falschen Sophie und unserm Ritter, die gewiß leicht beizulegen ist. Sie wollte nach ihrer Verbindung in Rosenthal eingeführt werden, der Ritter wünschte, daß es vor derselben geschehe. Schon hatte Sophie so viele scheinbare Gründe gehäuft, daß der Ritter schwankte. Bin ich denn nicht, sagte sie, bei aller meiner Unbekanntschaft in Rosenthal [275] bekannt? Hat nicht Ihr sterbender Vater mich gesegnet und mir ein Recht auf Ihr Herz gegeben? War es nicht Ihre Hauptabsicht das Glück Ihrer Sophie zu machen? Und wirb Mutter Sophie Fehler der Förmlichkeiten auf die Wagschale legen? Sie, die so wie die Gottheit nicht auf das steht, was vor Augen ist, sondern auf das Herz? Besitz' ich nicht Ihre Maurerhandschuhe? Und wer wirb mich begleiten? Sie? was wird dann die Welt sagen! Sie nicht? was dann mein Herz! Doch, was Sie wollen, ist mein Wille; nur daß der Engländer uns nicht trennt, der nicht liebt, sondern Liebesgrillen hat! – Tag und Stunde waren verabredet, wann der Ritter seine Sophie ihrem Pflegvater entführen wollte; und so schlau der Engländer war, und so sehr er seine Sorgfalt seit einiger Zeit vermehrte, so wußte er doch so wenig von diesem Vorhaben, daß er vielmehr aus Sophiens Betragen abnehmen zu können glaubte, sie bemühe sich wider zurück in die ihr angewiesene Rolle zu kommen, wenn sie gleich noch nicht zu den sich reinigenden Seelen, viel weniger zu den Tugenden einer schon gereinigten Seele sich hinaufgeschwungen habe. Es war' auch Schande, wenn Weiber nicht über Apostel wären. – War nicht Delila über Simson und Eva über Adam? Eine Antwort von seiner

163. Mutter
§. 163.
Mutter

schob die Reise einen Tag auf; zwar nicht Sophiens; – diese reiste gerade zum Altar, begleitet von dem vertrautesten Freunde unseres Helden. Der Brief enthielt die Schlußantwort für den Engländer, der edlen Sophie völlig angemessen. Sie beschwor ihn bei jenen jugendlichen Freuden, welche Freude und Unschuld veranlaßt hätten, nicht in sie zu dringen. Ihr Entschluß war unerschütterlich; [276] doch, fügte sie hinzu, wird es mir Freude machen, einen alten Freund wieder zu sehen – Der Ritter traf den Engländer in keiner seligen Stunde. – Sophie quälte sein Gewissen. – Er war eben aus dem engsten Ausschusse der Apostelversammlung zu Hause gekommen, wo man lettres de cachet verabredet hatte, um die falsche Sophie zu entfernen. – Hatte dieser wunderthätige Ausschuß keine andere Wege, dieß Ziel zu erreichen? Der Engländer las mit augenscheinlichem Entzücken; wenn gleich sein Plan zu einer ehelichen Verbindung abgeschlagen ward, so begeisterte ihn doch die Art, womit Sophie abschlug. Er umarmte den Ritter und drückte ihn fest aus Herz. Sophie – (mehr könnt' er nicht sagen) Sophie ist nicht Sophie. Der Ritter, der diesen Ausdruck auf seine Mutter deutete, erwiederte: Sie ist es wahr und wahrhaftig. – Ach! Sohn und Bruder, wie erschein' ich in deinen Augen! »Als mein Freund, als mein Führer, was ich nie vergessen kann und werde.« Dieß rührte den Engländer noch mehr, und er schloß dem Ritter nicht nur das Geheimniß mit der falschen Sophie, sondern auch so manche Vorgänge im Orden der Apostel auf. – Grauen und Entsetzen überfiel den Ritter, der sich es nie hätte einbilden können, daß Menschen im Stande wären, Menschen auf diese Weise zu betrügen. Schon wandelte ihn der Gedanke an, daß vielleicht die ganze Apostelwürde ein auf seinen Zustand eingerichteter Orden wäre; der Engländer betheuerte indeß, daß nur einige Episoden zu diesem großen Werke des Ritters wegen dazu gekommen wären. Viele Dinge, fügte er hinzu, sind mir selbst in diesem Grad unerklärlich; doch ist kein Zweifel, daß die Zukunft mich zu mehreren, meinen jetzigen Horizont übersteigenden Dingen führen wirb. – Gewiß existirt eine noch höhere Region, wo Wunder über Wunder sind. – – Der Engländer war bei weitem nicht am letzten Ende des Aufschlusses, und ich wette, es war's keiner, auch nicht Einer. – Die Ehrlichkeit, [277] womit der Vater und Bruder dieß sagte, hätte freilich den Ritter mit dem Orden völlig aussöhnen können; indeß nährte er den Argwohn, daß man bei Aposteln, die einmal Episoden in ihr System aufnähmen, nicht wissen könnte, woran man wäre und wo diese Episoden anfingen und aufhörten! Die Reue des Engländers, der sich, seiner Geistigkeit unbeschadet, bei dieser Gelegenheit etwas fleischlich betragen hatte, konnte das Zutrauen des Ritters nicht gewinnen, der ein Feind aller Heuchelei war. Beide kamen darin überein, daß Mutter Sophie weit eher den Apostelnamen verdiene, als viele Väter und Brüder Episodenliebhaber. Michaeln schlug die fehlgeschlagene

164. Entführung
§. 164.
Entführung

so außerordentlich nieder, daß sein Herr Mühe hatte, sein völlig verstimmtes Gemüth in den gehörigen Stand zu bringen. Vielleicht, sagte er, ist die jetzige Reue des Engländers eine stärkere Episode, als seine bereute Versicherung. Ist es nicht schwer, zu erklären, wie eine Begleiterin, die mit dem Ideal, das man malen läßt, so pünktlich übereinstimmt, nicht die rechte Begleiterin seyn soll? Er verlangte, der Engländer sollte beweisen. – Was denn? fragte der Ritter, kann man den Augenschein beweisen? Wenn ich nur wüßte, sagte Michael nach einer Pause höchst betrübt, wenn ich nur wüßte, wiederholte er, ob ich je die ächte Begleiterin finden werde! Ich will Verzicht thun auf das Glück, in ihr die Tochter eines vornehmen Geistlichen zu treffen, die, wenn sie gleich vertauscht war, doch immer ein seltener Vogel bleibt. Tochter einer Schauspielerin! sagte der Ritter; Tochter vielleicht eines Papstes, eines Cardinals. Mindestens eines Bischofs, erwiederte der Knappe. Beide sanken in jene besondere Art von Schwermuth, welche die [278] Liebe des Leibes und die Verachtung der Seelen an geliebten Gegenständen bei unserem Geschlechte nach sich zu ziehen pflegt. – Schreckliche Lage! sie kam dem Herrn und dem Begleiter so hoch zu stehen, daß ihretwegen zu fürchten war. – Keingoldener Spruch des Pythagoras war kräftig genug, sie aufzurichten. Bei allen Episoden des Apostel-Ordens schien sein Wink zum Einsiedlerleben ihnen erwünscht. Ihr Entschluß war, die Venus Urania im Geiste anzubeten, der Welt des Fleisches abzusterben, in gänzlicher Abgeschiedenheit Ambrosia und Nektar zu kosten, mit Gott umzugehen und höchstens mit Engeln ein Kränzchen zu halten, mitten in der Sinnenwelt in einem wundervollen Lichte zu wandeln, im Schimmerlichte des Elysiums das Auge des Verstandes zu schonen u.s.w. – – als ob ein Platoniker sich nicht an Ideen ärger den Kopf verderben könnte, als ein Schwelger durch Lesung eines neuen Kochbuchs den Magen! Als ob! – –

165. Johannes
§. 165.
Johannes

kam, welchen der Ritter fest an sein Herz und, nach seiner platonischen Sprache, an seine Seele drückte. Nach dem Engländer Judas mußt' ihm dieser Apostel freilich höchst willkommen seyn. Fürs erste suchte Johannes seinen Freund mit der Welt auszugleichen. Ein Engel, sagte der Ritter, ist mir erschienen, und wie könnt' er anstehen, ihm die letzte Falte der Seele zu entwickeln? Johannes, ein Feind alles Ubernatürlichen, wovon der Ritter so oft sich überzeugt hatte, erschien als Wunder in den ritterlichen Augen, weil ein so natürlicher Johannes von allen seinen Ordensschritten fast pünktlich unterrichtet war. Wie erschrak der Ritter über die natürlichen Deutungen so vieler Vorfälle, die er bis jetzt für Wunder gehalten hatte! Freund, sagte der Ritter, was ist Ihnen für eine [279] seltene Wundergabe eigen, alles zu entwundern und das Maschinenwerk der magischen Oper aufzuziehen! – Johannes schonte den Ritter nicht, dessen vortheilhafte Stimmung er zu seiner Absicht benutzte. Es glückte ihm, seinem Freunde die Augen zu öffnen. Man darf nicht die Hälfte vom Kopf und Herzen unseres Johannes besitzen, um so manchen Greuel an heiliger Stätte zu erklären, wenn man den Umstand voraussetzt, daß auch der entschiedenste Philosoph der Glaubensversuchung unterliegen müsse, so bald nur zwei Menschen, von denen er nicht weiß und vermuthet, daß sie es auf ihn angelegt haben, ihn methodisch hintergehen. Sind mehr als zwei Menschen dieser Art vereinigt, sind in diesem Bunde Postbediente, Hauswirthe, Domestiken – halt, sagte der Ritter, von meinen Domestiken könnt' ich nicht hintergangen werden. Michael ist mein Begleiter, und der Reitknecht so ehrlich, daß, als man Michael zur Vorbereitungsprobe an Hals und Hand kommen wollte, er sich seiner mit unglaublicher Redlichkeit annahm, obgleich Michael so ungütig war, nicht sein Vetter seyn zu wollen. Johannes lachte, und in kurzer Zeit war der Reitknecht zum Erstaunen des Ritters überführt, der geheime Postillon der Briefe gewesen zu seyn, welche der Ritter auf eine unerklärliche Weise an Orten gefunden hatte, zu denen niemand als er selbst zu kommen im Stande war. Der Reitknecht war klug genug, die Wundersprache einzuschlagen und wohlbedächtig vorzugeben, daß ihn der arge böse Feind zu dieser Untreue verleitet hätte. Da indeß in Geschäften keine Wunder gelten, und wenn ein Apostel mit dem andern über Mein und Dein schaltet und waltet, eine Erscheinung, und wär' es eine Theophanie, keinen Rechtsgrund abzugeben sich anmaßen kann, so sah der Reitknecht wohl ein, daß zwischen Ordens- und gemeinem Leben ein himmelweiter Unterschied sey, so folgerungsrecht es auch immer seyn möchte. Kniend übergab er seinem Herrn die Nachschlüssel. Mit Gottes Hülfe, fügte er hinzu, wird der Teufel meine Verführer [280] schon holen! – Es war erbaulich, daß Johannes Unbegreiflichkeiten theils augenscheinlich, theils wahrscheinlich begreiflich machte, und Dinge lösete, die dem Ritter bis jetzt unauflöslich geschienen hätten. Wenn wir nichts mehr zu antworten wissen, sind wir dadurch schon zur Meinung des Gegners übergetreten? Ist es genug, daß die Knoten verschoben und verrückt werden? Muß man sie nicht lösen? – – – – Zum Synkretismus hat, seines Wissens, der Ritter nie Neigung gezeigt, nach welchem man mit seinen Feinden Frieden macht, um einen gemeinschaftlichen Feind desto nachdrücklicher anzugreifen. So schwer es unserem Johannes ward, Menschen in ihrer Blöße zu zeigen, so könnt' er es doch da nicht unterlassen, wo nur durch die Entzauberung dieser Ordensmeister die Vorgänge selbst entzaubert werden konnten. Bon Reden kommt Reden, von Thun kommt Thun. Doch bewies Johannes so viel Menschenschonung, daß der Ritter auf keinen einzigen unwillig ward. – In der That, es gehörte viel auf seine Nothtaufe, so wacker er auch scheint und so sehr er es auch in den meisten Fällen war und noch ist. Fing er nicht mit der Türkengeschichte an? Wollte er nicht Wappenkaiser werden? Ward er nicht durch die zehn Haupt- und so viele Nebenverfolgungen zum Ordensgeiste vorbereitet? Hatte er nicht verheißen, das Rosenthalsche Jerusalem zu ehren sein Lebenlang? Ward er nicht zur Maurerei berufen, erleuchtet und geheiligt? Und braucht nicht auch der persönliche Adel Sporen? Wenn man das Kreuz unter der Weste trägt, hört es darum auf, ein Kreuz zu seyn? – Auch lernte unser Held einsehen, daß der Apostel Engländer von andern Aposteln kollegialisch hintergangen war, und daß selbst Hintergeher ihres Betruges zuletzt so gewohnt würden, daß sie selbst nicht glaubten, sie betrögen, indem sie sich überredeten, ihre gute Absicht verbessere die Mittel, und Täuschungen könnten durch das Bewußtseyn eines redlichen Zwecks geheiligt werden. – Ist es nicht verzeihlich, [281] die Hieroglyphen: Gott, Geist, Seele, Mensch, Zeit, Ewigkeit u.s.w. erklären, und da noch leiblich sehen zu wollen, wo den Menschen nur der moralische Glaube zugemessen ist?

Die Bibel, ein Buch, das wir von Jugend an heilig zu halten gewohnt sind, dient zum Vorschub dieser Anstalten; – und sind Menschen auf den Weg des Wunderbaren geleitet, können nicht sehr leicht mit fünf Gerstenbroden und ein wenig Fischlein vier tausend Menschen gespeist werden? Anspielungen auf patriarchalisches Leben, Liebesmahle, und die kreuzbrave Idee der alten Ritterschaft wirken auf unverdorbene Gemüther, so daß es kein Wunder, sondern völlig natürlich ist, wenn sie vom Ordenswesen bemeistert werden. Ich weiß nicht, sagte Johannes, ob der vernünftigste Mensch in gewissen Jahren besser spielen könne; doch einmal muß man die Kinderschuhe ausziehen, die Steckenpferde zerbrechen und die Spielpuppen zum Fenster hinauswerfen. Das Mönchsleben und die Klöster, die in unsern letzten Tagen so viele Bestreiter gefunden haben, können sicher seyn, bei einer gewissen Stimmung des Gemüths immer noch zu gewinnen. Sie behaupten, die zweite Edition von dem Leben der ersten Christen zu seyn; und scheint es nicht wirklich, daß sie den einfältigen Wandel dieser ersten Bekenner und Bekennerinnen nachahmen? – Nicht wahr, lieber Ritter, fuhr Johannes fort, Sie waren in dieß erste Christenleben verliebt? Doch ist es, wie alles erste, nichts weiter als Kindheit, durch die männlichen Jahre des Christenthums bei weitem übertroffen! – Wunder lassen sich jetzt so leicht nicht unter die Leute bringen. Würd' es nicht schwer halten, der Welt einzubilden, eine neue Wittwe zu Sarepta sey in –; der Teich Bethesda zu Jerusalem thue in – Wirkung? Und während der Zeit, daß unsere neuen Bibelerklärer beweisen, unter Engeln werden Boten verstanden (so daß nach dieser Erklärung unser corps diplomatique, man denke! ein Corps Engel und Erzengel wäre), [282] könne man in – für Geld und gute Worte mit Engeln essen? – Behauptungen dieser Art machen jetzt in größern Weltcirkeln kein Glück, und der heilige Vater hat zu dieser Frist gewaltige Mühe, einen Heiligen zu Stande zu bringen. Die Folge? Man glaubt, in kleinern Cirkeln, bei Menschen, die sich einmal zum Wunderbaren stimmen lassen, oder vielmehr sich selbst stimmen, leichter fortzukommen; und ist es zu läugnen, daß diese Strategeme gelingen? – Die alten Ritter widmeten sich der Beschützung der Religion, des Vaterlandes und der Unschuld. Sie waren zu roh, als daß man vermuthen könnte, es wären bei ihnen Kleinode von Künsten und Wissenschaften vorhanden gewesen; sie waren eine Art von Nomaden, die sowohl im Geistlichen als Leiblichen nicht für den andern Morgen sorgten; wie will man bei ihnen Einsicht unseres Zeitalterserwarten? Ihr Leben sahen sie als Geschenk an, das ihnen zum Wucher anvertraut sey, um ungläubigen Sarazenen den Hals zu brechen. Ist hieß etwa ein Grundsatz, der ihre Vorzüge verbürgt? Ihnen mußte manches Wunder dünken, was jetzt Kinder natürlich zu erklären wissen. Laßt uns von ihnen lernen, unser Leben nicht lieber zu haben, als unsere Bestimmung! Laßt uns von ihnen Muth lernen, Gefahren zu überwinden, wenn die Umstände es werth sind, da ein Theil dieser Religions- und Minneritter den in barbarischen Landen gedrückten Vasallen aus Menschenliebe beistanden, verfolgte Gerechte schützten, verlassenen Wittwen Recht schafften, und jedem, der ihrer Hülfe bedurfte, sie fern von aller Gewinnsucht und Nebenabsicht leisteten! Laßt uns, wie sie, in der Welt, so viel an uns ist, das Gleichgewicht herstellen, wozu die Gottheit jeden berief, der sich an Stärke des Geistes von seinen Zeitgenossen unterscheidet.

Diese Unterhaltung lenkte unsere Freunde zu verschiedenen Ideen und zum erbaulichen

166. Wortwechsel
[283]
§. 166.
Wortwechsel.

Ein Extrakt. – Die Verbindung mit Gott brachte vielleicht von jeher Menschen auf den Hang zum Umgange mit Wesen höherer Art. Wer beim Fürsten gelten will, sucht Bekanntschaft bei Hofe; und vom Geiste des Menschen, welch ein Weg bis zur Gottheit! Ein Sprung, welcher der Natur nicht eigen ist! – Auch weiß man, daß es der lieben Geisterwelt nicht um Geld und Gut zu thun ist; und wem sollte sie es lieber zuwenden, als ihren Halbbrüdern, den Menschenkindern, die sich alles, bis auf ein gutes Gewissen, mit Geld und Gut verschaffen können? Zwar fallen Gelb und Gut nicht vom Himmel, und es wird dem Peter genommen, was dem Paul gegeben wird; doch hatte Paul es nicht nöthiger, als Peter. – Hierzu kommen Furcht und Hoffnung, ein paar Lagen, in die sich das Menschenleben vertheilt, edle und unedle Neugier, Lebensverachtung – Stolz – politischer Druck – Langeweile, schlechte Gesellschaft in dieser Erdenwelt, Grenzstreit in Hinsicht der theoretischen Vernunft, und Unkunde der Vorschrift der praktischen. – Vor allem wirbt die Kürze des Lebens der Magie Jünger. Verlohnt es, durch Fleiß, durch Anstrengung zu einem gewissen Ziele zu gelangen? Kaum sieht man Kanaan, und unser Leben ist dahin; und von welchem Jahre ab kann man sein Leben mit Recht zu berechnen anfangen? Eben darum ist schwer zu hoffen, daß Menschen je die beste Staatsverfassung erringen werden. Für wen? denkt man; für wen? –

Da man Gott als einen alten ehrwürdigen Mann vorstellte, so konnten die Geister von Glück sagen, daß wir ihnen von unsern Heraldikern (senioren nämlich) die Schnabelmäntel machen ließen. – Die Menschen begaben sich in Hinsicht ihrer nicht der Schöpferrechte; vielmehr machten sie aus ihnen große Herren und Diener, [284] je nachdem man sie nöthig hatte. Ein armer Taglöhner hält sich seinen Engel, mir nichts, dir nichts; und dieser macht sich eine Ehre daraus, ihm zu dienen, ohne daß es dem Herrn Taglöhner einen Dreier lostet. Die Schnabelmäntel der Seele sind Leidenschaften, und diese existiren nicht ohne Bedürfnisse; was aber für Bedürfnisse schicken sich für Geister? Kostbare konnte man ihnen nicht beilegen, um nicht mehr zu verlieren als zu gewinnen. Man opferte anfänglich der Gottheit, und rechnete es sich zur Schuldigkeit, den Geistern ein Vergnügen zu machen. Man ließ sie malen – wobei die Malerei am meisten gewann; denn man sagt, daß sie bei weitem das nicht geworden wäre, was sie jetzt ist, wenn den Malern nicht Götter und Geister gesessen hätten. Das beste, was man der Geisterwelt brachte – war Lob. – Freilich leicht, allein auch schwer, je nachdem das Lob ist! – – Aller dieser Verehrung unbeschadet fand doch selbst ein Volt, wie das römische, keine Bedenklichkeit, die Götter in effigie zu strafen und zu beschimpfen, wenn sie nämlich so ungütig waren, nicht zu thun, was man wollte. – Wenn Sokrates seinen Dämon hat; wenn der Stifter des Christenthums sich durch einen Engel stärken läßt: ist es Wunder, wenn die alten, neuen und allerneuesten Platoniker die Erde mit dem Himmel, die Körper mit der Geisterwelt in eine so genaue Verbindung setzen, daß ein Mensch, der sich mit Geistern verstärkt, mehr thun kann, als Werktagsmenschen zu begreifen vermögen?

Freilich ist der Mensch ein Knoten, den nur die Gottheit lösen kann; indeß sind Versuche, ihn zu entwickeln, doch besser, als wenn man ihn zerhauet. Plato, unser Freund, behauptete: die Bildung des Menschen wäre den Dämonen überlassen gewesen. Diese kneteten den Leib aus den Elementen zusammen; der göttlichen, unsterblichen Seele dagegen ward das Haupt zum Wohnsitze angewiesen. Der göttliche Plato ließ es bei dieser[285] göttlichen Seele nicht bewenden; er praktisirte noch zwei unvernünftige Seelen in den Körper, und setzte die eine ins Herz, die andere in den Unterleib – ja wohl, in den Unterleib! – Hätte Plato mit einer vernünftigen Seele im Menschen sich begnügt, er hätte ihr gewiß im Magen die Residenz angewiesen, der auf alles, was Fleisch ist und heißt, einen nicht geringen Einfluß hat. Ein so ächter Republikaner, wie Plato, machte auf diese Weise jeden Menschen zu einer Republik, wo ewiger Zank ist, wo oft Unterleib und Herz nicht wissen, was sie wollen, wo indeß doch, durch Erfahrung gestärkt, am Ende die vernünftige göttliche Seele die Oberhand gewinnt, – bis endlich (Gott geb' es!) das Reich Gottes auf Erden sich hervorthut: eine Staatsgesellschaft, wo nicht Könige, Priester und Propheten (eine andere Art von Unterleib und Herz!) die Gottheit repräsentiren; sondern wo die Menschheit, ihres göttlichen Ursprungs sich bewußt, ihren Geist als einen Ausfluß der Gottheit ansieht, und den Leib so nach der Seele modelt und einlenkt, daß ein Paradies entsteht, in das die Menschheit nicht ohne Mühe und Arbeit hineingepflanzt wird, sondern in das sie sich selbst hineinringen und hinein arbeiten muß.

Da Unterleib und Herz zu überwinden dem Kopfe zuweilen äußerst schwer wird, so geräth der Mensch aus Seelenverdruß (der vernünftigen Seele) nicht selten in die Versuchung, den Körper für eine Bastille der Seele zu halten; doch diesen Verdruß selbst – spielt ihn nicht der Unterleib? Nichts anders, als der Unterleib. Gott! was ist der Mensch! ein Knoten aller Knoten. Ist es Wunder, wenn er sich nach Geistern umsiehet? Nur wenn ihr Kollege, die vernünftige Seele, die Hauptseele bleibt; wenn sie der Sinnlichkeit und den Leidenschaften ritterlich entgegenarbeitet, sie heiliget, und so mit Weisheit und Tugend in Verbindung setzt, daß selbst das Fleisch, genau erwogen, bei dieser an selbst gegebene [286] Gesetze gebundenen Freiheit sich weit besser befinden muß: nur alsdann zeigt sich Hoffnung, der Mensch werde und könne sich auf diesem Wege entwickeln und verstehen lernen. Was der Mensch soll, wird er auch mit der Zeit wollen. Hätte die Gottheit ihm wohl ein Gesetz in die Seele geschrieben, wenn es ewig unerfüllbar bleiben sollte? – Aus dem Gesetzbuch ist ein Volk, das sich selbst Gesetze gab, oder dem sie von einem weisen Geber vorgezeichnet worden, am richtigsten zu beurkunden.

Da jede vernünftige Seele des Individuums mit seinen Gegnern des Fleisches genug für sich zu thun hat, so scheint es fast unmöglich, daß dieser Sieg im allgemeinen zu Stande kommen werde. Doch laßt uns glauben, es scheine bloß so. – Mensch, überwinde dich selbst, und der Hauptschritt ist gethan, alles zu überwinden. Wenn viele Selbstsieger zusammenreten; kann dieser Phalanx sich nicht getrösten, er werde mit der Zeit mehr Unterleiber und Herzen zur Oberherrschaft der vernünftigen Seele bekehren? Und wenn alle diese Bekehrten gemeinschaftlich eine sich bloß auf Vernunft gründende Souverainetät bewirken, wenn sie Eins und untheilbar, theils wegen ihres Ursprungs, theils wegen ihrer Uebereinstimmung in Gesinnungen (Meinungen thun nichts zur Sache) sind; wenn sie sich wider jede Anmaßung einer partiellen Souverainetät das Wort geben und sie nicht aufkommen lassen: Gott! welch' ein Vorzug, in diesem Reiche Gottes ein Beamter zu seyn! Wann diese Theokratie ohne Priester, wann dieser Vorschmack von Eldorado kommen wird? Das kann nicht die Frage seyn; wohl aber, was zu thun ist, daß dieses Eldorado komme. Die Hände zu kreuzen zum Gebet: dein Reichkomme – thut es freilich nicht. Das Reich Gottes kommt nicht in Worten und Geberden, nicht in Rednerfiguren, es mögen Figuren des Witzes, des Verstandes oder des Herzens seyn. Wer unbehülflich in Worten ist, ist es darum nicht in Thaten. Redner,[287] welche obere und untere Seelenkräfte zusammenzumischen, vernünftig und sinnlich zu seyn, zu überzeugen und zu rühren verstanden: was richteten sie aus? – Die natürlichste Regel ist: Jeder suche für sein Theil sich zum Bürger in Gottes Reich vorzubereiten, wobei er um so weniger vergebliche Arbeit unternimmt, da diese Vorbereitung zum Leben zugleich eine Vorbereitung zum Tode ist, dem kein Mensch entgeht. Zum Tode? Allerdings; und in dieser Rücksicht heißt sterben lernen mit Recht: weise seyn.Wenn jeder diese seine Lektion lernte und Gottes Reich in sich stiftete, könnte es fehlen, daß es bald im Größern kommen würde? Aechte Philosophie spricht uns den Umgang mit Geistern ab. Was zu thun? Laßt uns einen andern Weg einschlagen. Gehören nicht Auserwählte dazu, die im Stillen fördern, nachhelfen, vollenden, die nichts im Staate bedeuten müssen, um sich nicht eine Herrschaft über die Gemüther der Menschen anzumaßen? – Allerdings! und diese Gottessöhne, diese Auserwählten, legen es nicht darauf an, eine Brüdergemeinde zu stiften, eine Stadt Gottes anzubauen, und Bande zwischen Eltern und Kindern und Verwandten zu zerreißen. Auch kann es ihrer nicht viel geben; – und gewiß keinen Einzigen, der lichtvoll ruft: es werde Licht! und nun eine von Goldpapier ausgeschnittene Sonne zeigt. Sie leben im Staat, als lebten sie nicht darin; nur einzelne Strahlen lassen sie fallen. Wenn (wie in unsern besten Staaten) Souverain und die gesetzgebende und vollziehende Gewalt oft in noch ärgere Verwickelungen gerathen, als Vernunft, Herz und Unterleib, was ist alsdann die Pflicht dieser Stillen im Lande? Im Großen und Kleinen zu willen, den Vorwurf gern zu ertragen: es sey Kinderspiel, was sie in ihren Schriften beginnen, es sey eine Komödie, die nicht aufgeführt werden könne. Sie lassen die Kindlein zu sich kommen und wehren ihnen nicht; denn diese spielen das Reich Gottes, und durch weisen Unterricht werden diese Kindlein zu tüchtigen Werkzeugen eines [288] Werkes erzogen, das durchaus im Kleinen und langsam kommen muß! – Entweder so, oder nie. Wenn man an Kindern, vermittelst der Erziehung, beweiset, daß der Mensch, der Erbsünde unbeschadet, es weit bringen könne, ohne daß man Asträen vom Himmel erwarten dürfe, damit sie Unschuld und Gleichheit des goldenen Zeitalters auf der verdammten Erde wieder herstelle, und ohne daß man auf himmlische Einflüsse Rechnung machen dürfe; wahrlich! da läßt sich von der Menschheit ohne Wunder alles hoffen! Selbst wenn es Wunder wären, die auf ihre Veredlung wirkten, müßte man nicht durchaus so thun, als gäbe es keine? Durch Gewaltthätigkeiten und Machtsprüche ein Regiment der Vernunftgesetze im Moralischen und Politischen einführen wollen, hieße durch Unvernunft vernünftig seyn. Gewalt und Moralität! wahrlich das Heterogenste, was in der Welt ist. Gewalt? Allerdings, wenn es nämlich jene äußere Gewalt ist, wo Schwert und Stock Recht und Pflicht sind, wo man durch diese eisernen Scepter die Freiheit einschränkt, ohne zu erwägen, daß Gewalt eigentlich im Willen des Menschen liegt. – Doch gibt es (ohne dem Worte Gewalt Gewalt zu thun) eine innere; und diese ist die desVerstandes und der Vernunft. – Diese läßt sich aus heiligen Urgesetzen der Vernunft a priori demonstriren; jener (der Gewalt des Verstandes) hat die Erfahrung das Siegel aufgedrückt; sie beruhet auf Verträgen, wodurch man sich einschränkt, wenn dagegen die Vernunftgewalt sich über sich selbst und die Erfahrung wegsetzt, und nicht als Stimme der Menschen, sondern als Stimme Gottes gelten will. Zwar muß man Gott überall mehr gehorchen, als den Menschen; indeß bleibt doch noch die Frage: ob es je der Vernunft a priori in solchen großen Gesellschaften, wie man jetzt hat (ob zu Gottes Wohlgefallen, ist die Frage), gelingen werde? Wenigstens bleibt in diesen großen Gesellschaften die Pluralität viel zu sinnlich, um durch etwas Unsichtbares [289] sich zwingen zu lassen. – Doch sind diese großen Gesellschaftsmassen einmal vorhanden, und es wird tausend und abermal tausend Jahre, die hier wie ein Tag sind, dauern, ehe ein Codex reiner Vernunftgesetze zu Stande kommt. – Immerhin! man eile hier mit Weile, ohne es auf das platonische Jahr (auf den Tag nach dem jüngsten Tage) auszusetzen. Sobald nur reine Vernunft-Anordnungen im Staate zur Grundlage dienen; was schadet es, wenn auch ihre nächsten Gründe in einer Verstandesautorität aufzusuchen sind? – Was Recht ist, bestimmt die reine Vernunft; was bürgerlich Recht ist, mag die gesunde Vernunft oder die Autorität, die sich in der positiven Gesetzgebung offenbart, angeben. Wenn Autorität den vernünftigen Willen gegen Neigung, Leidenschaft, Interesse, kurz, gegen unvernünftige Aus- und Einfälle in Schutz nimmt, – wer darf sie für jene äußere Schwert- und Stockgewalt halten? Wer kann den fürchten, den er nicht ehrt? Wo Ehrerbietung ist, da ist Furcht. – Schon haben diese beiden Begriffe im Worte Ehrfurcht sich ehelich verbunden. Die Rechte der Menschen, die nach unsern jetzigen Verfassungen nicht viel mehr als bloß möglich sind, durch bürgerliche Rechte wo nicht zuwirklich wirklichen zu machen, so doch sie der Wirklichkeit etwas näher zu bringen; das ist die Pflicht der positiven Gesetzgebung, die in Abgötterei ausartet, wenn sie nicht die Rechte der Menschheit sich zum unablöslichen Gesetze macht. Jetzt wirdein Gesetzbuch aus dem andern gemacht; und die Stände (der nähere Ausschuß der Gesetznehmer) im monarchischen Staat bestehen selbst mit Recht darauf, daß ihnen ihre alten Rechte nicht genommen werden mögen, weil, wenn einmal die äußere Gewalt sich Willkürlichkeiten erlaubt, alles drüber und drunter geworfen wird. Ein Gesetzbuch ist eine Vernunftabschrift; und nicht nur bei der Staatseinrichtung, sondern in allen Zweigen der Staatsverfassung kann und muß sich Vernunft offenbaren, wenn nicht alles heute so und morgen anders [290] seyn soll. – Die Pflichtjener Stillen im Lande, jener Gottessöhne, jener Kinder des Höchsten, jener Auserwählten, die wir den Geistern substituiren? Den Menschen richtig berechnen, keinen Bruch übrig lassen, durch Erfahrung der Demonstration, durch empirische Principien den rationalen forthelfen, bei der Sanction der Vernunft die Vorträge des Verstandes in Anschlag zu bringen, das Muß und das Wird in genaue Verhältnisse setzen, wenn Gesetznehmer sich lieber unter die Hand des Fürsten schmiegen wollen, weil das Gesetz unerbittlich ist, und es von ihm nicht heißt: den Demüthigen gibt er Gnade, sondern: den Gehorsamen gibt er Recht; ihnen lebhaft vorstellen, welch ein Vorzug es sey, wenn Menschen sich vor dem Gesetz, wie vor der Natur, als eine einzige Familie versammeln. Kann man denn nicht Gebote und Verbote durchAusweichungen widerlegen? Dem Luxus durch Beispiel vorbeugen? Durch ein Moralbuch (warum denn immer ein Gesetzbuch) den Staat zu einem moralischen Instrument stimmen? Kann man nicht ernsthaft ohne Trotz, freimüthig ohne Plauderhaftigkeit, witzig ohne Beleidigung seyn? Ist zwischen gemaltem und wirklichem Feuer nicht ein gewaltiger Unterschied? Kann man nicht auch Gott geben, was Gottes ist, wenn man dem Kaiser gibt, was des Kaisers ist? Kann denn der Mensch, wenn er gleich über seine Zeit und seine Dienste disponirt, wohl über sich selbst disponiren? Kann er das, was geboten wird, thun, und was verboten wird, lassen, wenn er dieses nicht als schädlich und jenes als nützlich allerunterthänigst selbst einsieht? Ist nicht wirklich Etwas von Menschen (an sich selbst) ohne übernatürliche Beihülfe zu erwarten, daß sie nur die achten, die Gutes thun, da sie selbst in den ärgsten Feinden edle Handlungen ehren, und sich bei aller Selbstsucht nur alsdann im Herzen schätzen, wenn sie sich das Zeugniß, es zu verdienen, nicht abschlagen können? – Wer Gedanken für zollfrei erklärte, war ein schlechter Vernunftfinanzier; [291] und über ein Kleines wird der, der Gedanken nicht anzuhalten gewohnt ist, auch den Worten, und über ein noch Kleineres auch den Handlungen freien Lauf lassen. – Oft macht der Mensch in sich selbst ein Gesetz, das schon längst gemacht war, und das sich von selbst verstand. – Warum? um nicht in seinen eigenen Augen zu verlieren, um sich in integrum bei sich selbst zu restituiren, weil er so oft jenes ewige, in seiner Vernunft sich gründende Gesetz übertreten hatte. – Wahrlich, der Mensch ist kein schlechter Schlag – was soll ich sagen? – vom Orang-Utang oder vom Engel!

Diese Kreuz- und Querzüge von Ideen waren – wer sollte es glauben? – zugleich eine Vorbereitung zu einem neuen Orden. Ein neuer Orden?

167. Allerdings
§. 167.
Allerdings;

und zwar ein solcher, zu welchem Johannes dem Ritter den Weg zeigen wollte. Dergleichen Brüdervorbereiter waren unserm Ritter seit der Zeit, daß Johannes ihn zur Freimaurerei präparirte, nicht vorgekommen, und da der Ritter aus jener Vorbereitung nur zu deutlich den Widerwillen unseres Johannes gegen alles Ordenswesen bemerkt hatte, so schien es ihm unbegreiflich, daß das Ende dieses Wortwechsels zu einem Orden führen sollte. Johannes, rief der Ritter auf, es ist nicht zum erstenmal, daß Theokratie in Hierarchie, der Monarch in einen Despoten ausartet, und der Philosoph ein Dichter wird. Sie und ein Orden – wie kommt dieß Paar zusammen? Weiß ich nicht, daß Sie Muth und Redlichkeit hatten, ohne Rückhalt zu sagen, was Sie dachten? Suchten und fanden Sie je durch den Orden Ihr Glück? Erhielten Sie Ihr Amt nicht als Palme Ihres Verdienstes auf dem geradesten Wege, [292] wenn andere sich durch Ordensprotectionen zu Ehren und Würden schwangen, zu denen Sie kein anderes Verdienst mitbrachten, als Ordenskreuze unter der Weste? Hießen Sie nicht Thomas der Ungläubige? Und gibt es einen Menschen, der weniger für Ceremoniell und Feierlichkeit ist, zumal wenn es so wenig zu der Sache paßt, die es vorposaunt? Sie hatten bei Ihrer kleinen Stelle Gelegenheit, sich durch Handelsunternehmungen das zu erwerben, was viele andere sich auf Schleichwegen ihres Amts zuzuwenden pflegen, und wohl Ihnen, daß Sie jetzt ohne Ab-, Hin-und Rücksichten sich selbst – rein leben können! Stimmt Ihr Lebenslauf mit der Idee eines Ordens? War nicht Ihr altes Lieb: warum Schule oder Orden?

Lehrte Plato, erwiederte Johannes, nicht, wie die Herren Sophisten, an einem gewissen Orte über gewisse Materien für gewisse Personen? Sokrates selbst hatte seine Brüder Jünger, wenn gleich er und sie keinen Orden ausmachten. Wenn wir unsern gegenwärtigen Sophisten entgegen arbeiten wollen, geht es ohne Ordensschule nicht füglich an. Doch ist unsere Loge gegen die Sophisten ohne Ordensmantel, ohne Bänder, ohne Verzierungen und ohne (des wunderbaren Putzes!) Kreuz, das, wenn es Galgen hieße, fein Mensch tragen würde. – Dieser Orden ist das Gegentheil von allen Orden, oder legt es darauf an, das Gegentheil davon zu seyn. Menschheit, Menschenliebe ist sein Zweck. Wär' ich im Apostelgrade, ich würde, setzte Johannes hinzu, wie ehemals Nathanael in der Bibelsprache, sagen: Komm und siehe! Mein Herz spricht zu Ihnen; und das heißt Vorbereitung. – Es gibt keine Aufnahme; – jeder Mensch ist aufgenommen. Doch können Menschen unter sich Entschlüsse fassen; und sehen Sie da, das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe! – – Eine

168. Episode
[293] §. 168.
Episode,

nicht nach Art der Apostel! – Der Apostel verlangte vom Engländer die Versicherung, daß die falsche Sophie und ihre Zofe nichts von seiner Güte einbüßen sollten; und Vater und Bruder bewilligten beiden, außer der bisherigen Pension, eine Zulage. – Da die Maurerhandschuhe bereits entheiligt waren, so baten Ritter und Knappe, sie den Schauspielertöchtern abzunehmen und sie bis in den Grund zu vernichten, daß kein Andenken von ihnen übrig bliebe. Bewilligt. – Schauspielertöchter! sagte der Ritter mit Widerwillen in einem verdrießlichen Augenblick. – Ew. Gnaden werden verzeihen, erwiederte der Knappe, die Zofe war die Tochter eines hohen Geistlichen. – Als ob hohe Geistliche nicht auch Schauspieler wären! beschloß der Ritter. Johannes war der

169. Führer
§. 169.
Führer

unseres Ritters, dem er sich ganz überließ, und wahrlich, man könnte sich ihm überlassen. Jetzt wurden dem Ritter noch vier andere Menschen genannt, die abwesend waren. Außer diesen vier andern war einer gegenwärtig, und dieser war – wer erräth es?

170. Der Gastvetter
§. 170.
Der Gastvetter,

der das Wort führte; wenn man diesen zu starken Ausdruck in einem so kleinen, im Namen der Menschheit versammelten Cirkel gebrauchen kann, der aus edlen, prunklosen Menschen bestand, die nicht suchten das Ihre, sondern das, was der strengsten Wahrheit ist. Gewiß fällt Ihnen, sagte Johannes, Apollonius von Tyana [294] ein, der auch sieben Jünger gehabt haben soll; allein Apollonius war ein Meister, der bei uns kein Meister seyn würde. Und die Zahl sieben? Ist durch Sie entstanden; denn bis jetzt waren, trotz der Heiligkeit dieser Zahl, unser nur sechs. Hatte der Stifter des Christenthums nicht auch zweimal sechs Apostel? – Die Zahl sieben, lieber Ritter, ist bei dem allen eine Art von Naturzahl; ich bin ihr gut, ohne zu wissen, warum. Die Grundsätze des Gastvetters kennen wir, nach welchen er einen Ritter nur in so weit dafür hielt, als er sich mit Leibes- und Seelenkräften angelegen seyn ließ, das Gute zur Herrschaft über das Böse zu bringen, in sich – und, wo möglich, überall. – Wenn der Philosoph denkt, der Edelmann denkt und thut, so sind unsere Begriffe von Glückseligkeit und Tugend durch die Philosophen berichtigt und befestigt und durch die Ritter das Schöne und Erhabene auf Erden versinnlicht. Heil den Wortführern und den Thätern des Worts!

Eben diese Grundsätze herrschten in diesem Cirkel, den keine Tradition von uralter ahnenreicher Abkunft, nach väterlicher Ordensweise, ehrwürdig machen durfte. Gemeinhin stammt Tradition von einem Stümper ab, welcher der tradirten Sache nicht gewachsen war. – Auf eine Frage, sagte der Wortführer, eine Antwort, auf einen Gruß einen Dank, auf ein Warum ein Weil; was darüber ist, das ist vom Uebel. – Alte sagen was sie gethan haben, Weise was zu thun ist, Glücksritter was sie thun könnten, Kinder und Narren was sie thun wollen. – Soll ich noch mehr Worte dieses Führers mittheilen? Man mag sie in der Anlage dieses Ordens suchen und finden. Luther behauptet: die Beschaffenheit unserer regierenden Herren sey der größte Beweis der Vorsehung. Tamerlan lachte, da er den besiegten Kaiser Bajazeth sah. Nicht aus Hohn, versicherte der Ueberwinder den Ueberwundenen; ich lache, weil Gott zwei der wichtigsten Staaten einem lahmen Wicht, wie ich, und einem einäugigen, wie du, anvertraute. – Doch, sind diejenigen, [295] welche die regierenden Herren mit der Regierungslast aus allerhöchstem Zutrauen belehnen, nicht noch weit lahmer und blinder als sie selbst? Und geben diese Lehnsträger der Regenten nicht einen weit stärkern evangelisch-lutherischen Beweis der Vorsehung ab? Die höchsten Staatswürden sind nichts als ein Spiel des Glücks; und wenn man steht, wie unvorbereitet ein Liebling zu der höchsten Würde steigt, was Maitressen und Nepoten ausrichten: was muß man von der Regierung des Staats denken? Wahrlich, je höher die Aemter, desto leichter sind sie zu bekleiden. Der köstlichste dieser Staatsbeamten ist ein geschäftiger Müßiggänger. – Möchten sich immer die Fürsten für Herren von Gottes Gnaden halten, wenn sie nur nicht in ihrem allerhöchsten Namen so oft Menschen ohne alles Verdienst und Würdigkeit an diesem Vorzuge theilnehmen und die Gesichter dieser geschmückten Theilnehmer glänzen ließen, wie das Gesicht Mosis, als er vom Gesetzberge kam! – Es ist gewiß nöthig, daß unbeamtete Männer zusammentreten, um die schrecklichen Lücken so viel als möglich zu ergänzen; und wahrlich, von jeher gab es Männer, die, um desto mehr zu wirken, unbeamtet blieben, die beschäftigt waren, wenn dagegen Dienstmänner bloß den Dienst – spielten. Jene ahmten die Vorsehung nach, die auch im Dunkeln wirkt; und diesen unbekannten Edeln hat man mehr zu danken, als man denkt und versteht. Das heimliche Gericht der mittlern Zeit mag etwas von dieser Idee in sich enthalten; doch war es den Zeiten angemessen, die nicht mehr sind, und wohl uns, daß sie es nicht mehr sind! Warum auch Gericht? Wer ist es, der recht richtet? Gott! gehe nicht ins Gericht mit den Richtern, die das Volk richten! oder besser, die es quälen und martern, und war' es nur durch eine Kameelslast von Gesetzen. – Ist es nicht besser, ohne Zwangsmittel Gutes bewirken, den Willen durch der Gründe Uebergewicht bestimmen und Thäter ziehen, wahre Weisen aufmuntern, und die es nicht sind, bis zu [296] ihrer Blöße enthüllen? – Wer Licht mit Jubelgeschrei aufsteckt, will nicht erleuchten, sondern verdunkeln. Es kann herrliche Könige geben, die vom Hirtenstabe genommen und durch Pferde zur Majestät hinaufgewiehert werden, denn ihre Würde ist eine Titularwürde; werden aber die eigentlichen Vorsteher und Volksregierer von den regierenden Herren eben so willkürlich erkieset, was ist da zu erwarten, wenn die Menschheit von Tage zu Tage zum Nachdenken reist und die Vernunft den göttlichen Funken in sich gebrauchen lernt? – – Uebertriebene Begriffe von der Perfectibilität des Menschengeschlechts schaden in eben dem Grade, wie ein zu eingeschränkter Begriff von der menschlichen Vollständigkeit. Eine unrichtige Anwendung sehr richtiger Vernunftbegriffe von einer bürgerlichen Verbesserung, hat ne nicht schon edle Menschen verleitet, zu thun, was nicht taugte? Nicht alles, was theoretisch wahr ist, kann darum so leicht praktisch werden. Im alten Herkommen ist oft mehr Verstand, als in gewöhnlichen Neuerungen. Verstand kommt nicht vor Jahren. – Da der römische Senatorschuh drückt, so wie der Kreuzpantoffel des heiligen Vaters, und niemand diesen Druck empfindet, als wer den Schuh und Pantoffel trägt, was bleibt außer der Bemühung, die Last zu erleichtern, den Regenten und ihren Dienern mehr übrig, als die Vortheile der Gesellschaft mit jenem Senatorschuh- und Papstpantoffeldruck ins Gleichgewicht zu stellen? Wer dem Volk in Planipedien deutlich zeigt, daß nichts als die Gesellschaft drücke, erweiset den Königen und ihren Unterkönigen einen größern Dienst, als durch Rauchwerk und Schmeicheleien, die zur Zeit der Anfechtung abfallen.

So wie es eine unsichtbare Kirche gibt oder eine Coalition, die nicht in Samaria oder in Jerusalem, sondern im Geist und in der Wahrheit Gott anbetet, die in ihren Brüdern Gott verehrt und in der Menschheit ihn siehet, so gibt es auch eine unsichtbare Staatsverfassung. In jener sind Vorsteher und Wortführer, [297] ohne daß sie die Ordines empfingen; und auch in der unsichtbaren Staatsverwaltung sind Köpfe und Herzen, die sich vor den Riß stellen. Ihr Zusammentritt würde der guten Sache schädlich seyn. Schon eine Vereinigung von sieben, die von Einem Herzen und Einer Seele sind – würde sie wohl bei öfteren Zusammenkünften eins seyn und eins bleiben und für eins gehalten werden können? Noch nie sind wir vollzählig gewesen; wir wohnen in fünf verschiedenen Staaten.

Der Ritter fand die Idee dieser edlen Männer so erhaben, daß er ihr völlig beitrat, und daß er von selbst sich aufs heiligste verband, ihr getreu zu seyn bis den Tod. Nicht auf Kopf, Herz und Vermögen wollt' er es ansehen, soviel an ihm wäre, dieß große edle Werk zu befördern. Er hatte so manchen Orden kennen gelernt, dessen geheimstes Wort die Unterjochung der menschlichen Kräfte ist; dieser beförderte sie. – Er bestand aus Menschen, wenn in jenen Orden nur Menschen gespielt werden. – Eine lächerliche Menschenmaskerade! Die Verbesserung der Menschen (die Juden nicht ausgeschlossen), die Reformation der heiligen Justiz und der unheiligen Finanzwissenschaft waren Gegenstände dieses Ordens. Die Menschen haben es schon mit Theokratien versucht; was war aber jene Regierung anders als Priesterei? Wo die Vernunft regiert, da ist wahre Theokratie, die ohne Zweifel das Ideal einer glücklichen Staatsverfassung ist. Wann sie eintreten wird? Eldorado ist oben oder unten; – kann es denn nicht auch auf Erden seyn?

Dem guten Michael konnte man ohne alle Bedenklichkeit einen Blick in dieses Heiligthum erlauben; und es schien, als wäre dieser ordensfeindliche Orden dazu gemacht, den Ritter wegen aller der Kreuz- und Querzüge zu entschädigen, die er mit seinem Knappen unternommen hatte. Eins noch fehlte zu seiner Zufriedenheit: – Sophie. Von selbst waren Gastvetter und Johannes [298] darauf bedacht, diesen stillen Wünschen des Ritters zuvorzukommen. Man fragte ihn, ob er einer

171. Adoptions-Versammlung
§. 171.
Adoptions-Versammlung

ihrer Art beiwohnen wolle? Seine Antwort war ein entzücktes Ja, dem ein Seufzer folgte. Er begriff nicht, wie eine Adoption sich mit der geschlossenen Zahl sieben vertragen könne; doch ließ er seinem Zweifel nicht den Zügel schießen.

Ein Tag, unserm Ritter unvergeßlich, war zur Aufnahme bestimmt. Eine ehrwürdige Dame warf im Vorzimmer die Fragen auf: ob man nicht dem andern Geschlecht zur Ungebühr Rechte entzogen hätte? und ob er mit einigen ihres Geschlechts sich zu verbinden entschlossen sey, diesem Vorurtheile zu widerstehen? Der Tugend und dem Talent (fuhr sie fort) gebührt Vertrauen. Wir wollen nichts erstürmen; und warum sollen wir auch das Schwert den Gesetzen entwenden und den Arm lähmen wollen, der es führt? Macht gibt keine Würde, Achtung kann nicht befohlen werden; und wenn die Subordination nicht Folge von Grundsätzen ist, was gilt sie? und wer ist sicher bei ihr? Entfernt, Lärmkanonen zu lösen und Sturmglocken zu läuten, fordern wir vom andern Geschlecht auf dem Wege der Vernunft und der Billigkeit – und was? Wahrlich nichts, als was wir von Menschen, von Weibern geboren, erwarten können. Die Ritterzeiten der Männer haben aufgehört; durch uns soll keine Weiberritterzeit beginnen; wir wollen uns nicht erheben, nur Menschen wollen wir seyn; Rechte nicht ertrotzen, sondern erbitten, und nur dann, wenn wir sie verdienen, sie verlangen. Neu und überraschend war dem Adoptions-Candidaten dieser Antrag; doch trat er ihm mit einem wiederholten Ja bei. Warum auch nicht? Gibt es nicht Verluste, bei denen man gewinnt? Edler Mann, fuhr die Vorbereiterin fort, es wird wenig in der [299] Welt verbessert, weil die Menschen es immer auf andere, und niemand auf sich selbst anlegt. Wollen Sie, um unser gutes Werk zu vollenden, unser Geschlecht aus den Weg lenken, wo es seines Vorzugs wenn nicht theilhaftig, so doch würdig werden kann? Er versprach es. Bei Eröffnung der Thür sah er nun noch zwei andere Damen; und die eine war –

172. Sophie
§. 172.
Sophie.

Gott! welch ein Blick! Sophie! – Wahrlich! Hier sollte der Vorhang fallen. – Er falle! – Was ich von diesem Augenblick noch hinzufüge, sey Postscript und Zugabe – wie man will, zum Ueberschlagen und nicht zum Ueberschlagen. Unbeschreiblich ist, was Sophie und der Ritter empfanden, als sie sich erblickten. Sie machten auf einander Eindrücke über allen Ausdruck – fast könnt' ich sagen: über alles Gefühl. Der Gastvetter bemühte sich, diese Scene beiden erträglich zu machen. – Man kann trunken seyn in Begeisterung. Ein übler Rausch! vielleicht der übelste, den man haben kann! Jene nüchterne Begeisterung aber, wo Feinheit der Reflexion, Delicatesse der Empfindung, Leichtigkeit des Ausdrucks, selbst anspruchloser Witz sich denken läßt, welch eine Wonne! – DaEr und Sie zu sich selbst kamen, dünkten sie sich beide schöner geworden zu seyn. Sie hatte übernommen, eine Art von Aufnahme zu halten; warum nur eine Art? Weil sie Sophie war. – Jetzt – dahin, alles dahin! – Sie hatte ihn, und er sie! – Wahrlich, dieser Gedanke war hinreichend, alle Receptionen zu schließen von der Zeit, da unser Ritter sich zwischen zwei Stühle setzte, bis auf das Gespräch mit einem von den Todten im Apostelorden. Wer diese ächte Sophie sey? Kurz und gut: die Tochter des Gastvetters!

[300] Dem Knappen Michael ward die Rolle bei der Begleiterin schwerer, als bei der Tochter des vornehmen Geistlichen; doch entging ihm auf den ersten Blick der unendliche Unterschied nicht zwischen ächter und unächter Begleiterin. – Ritter und Knappe gestanden, daß ihre Ideale der Wahrheit und der Natur weichen müßten, und wurden den Porträten ungetreu, die sie bis jetzt am Busen getragen hatten. Wie es zuging, weiß ich nicht, doch fanden sich auch von der ächten Sophie und ihrer ächten Begleiterin Aehnkeiten in diesen Idealporträten. – Es war rührend, als Gastvetter und Ritter ihre Herzen ausschütteten. Der Gastvetter hatte keinen Hehl, daß er in ihm schon bei seinem selbsteigenen Kreuzzuge gen Rosenthal seinen Eidam gesehen hätte. Der Ueberfall, den Sophie in der dortigen Gegend machte, sollte dieß Paar sich näher bringen.

Als der Gastvetter sich von der Neigung seiner Tochter zu ihm und der seinigen zu ihr überzeugt hatte, war der letzte Wunsch seines Lebens erreicht. Dieß Band, dachte er, wirb mir das Glück einer Euthanasie (sanften Todes) bereiten, wenn mein Stündlein kommt. Er hatte nur Eine Tochter. – Der Cavalier? war ehemals ein Mündel des Gastvetters. Er sollte in Rosenthal das Wunderbare bei dieser Sache verstärken. Wie gewachsen er seiner Rolle war und wie sehr er sich auf Rollen verstand, ist uns nicht entgangen. – Als ihr Vater den Cavalier nannte, fiel Sophie in Ohnmacht; sie erholte sich nicht eher, als bis er ihr verhieß, seines Namens nicht weiter gedenken zu wollen. Wer erwartete vom Gastvetter Rollenverteilungen? Freilich ein anderer Theaterdirektor, als der Engländer; warum aber Theater? – Um sich der Denkart in Rosenthal zu bequemen, und wo möglich die falsche Richtung, die man dem Kopfe seines Eidams gegeben, zum Besten zu kehren. Auf allen Umwegen und Wegen, welche der Ritter einschlug, verfolgte ihn der Gastvetter; der Genius dieses edlen[301] Mannes war sein Begleiter, und nie hätte er ihn völlig sinken lassen. Desto besser, daß der Ritter ohne diesen Genius sich selbst aufzuhelfen verstand! – Der Gastvetter ließ ihn diesen Cirkel ungestört machen, um ihn sich selbst zu überlassen. Die sicherste Art, um weise zu werden und es nicht bloß zu scheinen. – Wahrlich! nicht die Dinge selbst, unsere durch die Individualität bestimmten Vorstellungen machen Wirkungen. – Hören Fliegen auf, Fliegen zu seyn, sagte der Gastvetter, weil sie blank, und Schmetterlinge auf, Schmetterlinge zu seyn, weil sie mit Puder bestreut sind? Das Werk lobt den Meister, der Kranz nicht den Wein. – Der

173. Gastvetter
§. 173.
Gastvetter

ging noch weiter, er behauptete, daß ohne die gemachten Erfahrungen des Sohns die beste der Weiber, die edelste der Mütter die wenigen Sommersprossen nicht verloren haben würde, welche der Schönheit ihrer Seele nicht angemessen waren. In dieser Behauptung ging der Gastvetter zu weit. – Da die Männer sich so gern den Weibern größer darstellen, als sie wirklich sind, da sie ihren Thaten gemeinhin eine poetische Aufschwellung beilegen und sie über Gebühr anschlagen; da die Weiber ihre Existenz nach der Art, wie sie jetzt behandelt werden, noch weniger enthüllen können als wir die unsrige (als wir, sage ich, die wir denn doch wenigstens uns politisch stellen, als wären wir etwas); da es Männer gibt, denen die Weiber Größe der Seele und entschiedene Vorzüge nicht abstreiten können (obgleich diese Ehrenmänner zwischen dem wahren und dem falschen Gott, zwischen Vernunft und Baal oft gewaltig hinken); da manche Wundergesellschaft brave Männer anwirbt, die dergleichen Dinge entweder zur Erholung oberflächlich oder in der Absicht, dort [302] edlen Menschen zu Schutzengeln zu dienen, oder durch Gewohnheit eingeübt, fast wie in Gedanken oder – – mitmachen, was müssen Weiber, welchen man diese geheimen Triebfedern nicht zeigt, von jenen Wundergeeellschaften denken? – Auch wissen Weiber, daß ein gewisser Aberglaube, eine Art von Schwärmerei, sie kleidet, und viele sehen es als einen Putz an, der zu ihren Augen, ihrer Nase, ihrem Kinn und Munde absticht. Gibt es nicht Männer, welche diese Denkart ihrer Weiber als die einzige Sicherheit für ihre Treue ansehen? Und ist die Erziehung der Weiber von der Art, daß sie das Wahre von Dichtung in der Geschichte und in dem Gedichte abzusondern verstehen? Der Religionsunterricht ist nicht minder Nahrung für die Vorliebe zu Wundern in Hinsicht des andern Geschlechts, der bei uns durch das gemeine Leben eine andere Wendung erhält. Die alte Ritterschaft hatte besonders bei der Ritterin gewirkt, und in der That, sie muß bei allen Weibern, ja selbst bei Männern wirken, die sich der Imagination preisgeben. Das Rosenthalsche Jerusalem, die Neigung des edlen Weibes zum öffentlichen Zeichen des Vorzugs ihres Gemahls, und der Wunsch, daß auch ihr Sohn ein dergleichen Zeichen, wenn auch unter der Weste, erreichen möchte, der Zufall von gewissen Zahlen, auf die man in Rosenthal seit einer gewissen Zeit so aufmerksam war, und andere dergleichen Ungefähre, die, bei weniger Zerstreuung und zu vieler Musik, den gewöhnlichen Dingen einen deutungsreichen Anstrich geben, wirkten noch mehr und machten ein an Herz und Kopf großes Weib zu einer kleinen Schwärmerin. – Wahrlich! sie verdiente es – keine zu seyn; und von selbst, ohne daß die Erfahrungen ihres Sohnes dazu beigetragen hatten, war sie geworden, was zu werden sie würdig war.

Der Schwiegervater söhnte den Eidam mit dem Engländer aus, den er kannte und dem er bei seinem Querkopf und seiner Grillenfängerei Gerechtigkeit erwies. Die Ritterin hatte diesem [303] Sonderlinge gestattet, sein Leben in ihrer Nachbarschaft zu beschließen, ihm ihre Hand zu geben wäre freilich nicht viel weniger gewesen, als wenn sie ihre Religion geändert hätte. Sophie

174. Warb
§. 174.
warb

in eben dem Grade um den Ritter, als dieser um sie, und auch hieß schien ein Gegenstand des Cirkels zu seyn, in welchem der Gastvetter Wortführer war. Adoptionsversammlung war die letzte Rollenvertheilung eines Mannes, um den es mir leid thut, daß er sich durch dieses schnöde Linsengericht um den Rang jenes Weisen brachte, der auch im Scherz keine Unwahrheit beging. – Als Johannes sich gegen dieß Theatralische erklärte, erwiederte der Gastvetter: Warum denn Himmel oder Hölle? Alles oder nichts? Ist das Böse nicht selbst Nebenumstand und Colorit des Guten auf Erden? Ist es nicht Gewürz des Lebens? – Johannes widerlegte ihn völlig, – – und ich habe Ursache zu glauben, der Gastvetter werde von Stund an nicht mehr Rollen vertheilen. – – Sophie machte dem Ritter den Sieg nicht schwer, doch erschwerte er sich selbst das Glück, sie zu lieben, da er sich überzeugte, ihrer nicht werth zu seyn. Zwar fiel es ihm nicht ein, zu wünschen, daß sie in Lebensgefahr käme, um ihr Ritterdienste leisten zu können, doch hätte er gern sein Leben für den Besitz dieses Kleinods aufgeopfert. Michael begnügte sich bescheiden zu wünschen, daß der Saum von dem Kleide seiner Zofe mit der Thüre beklemmt werden möchte, um sich ihr verbindlich zu machen. Ein Unterschied zwischen Ritter und Knappe mußte seyn. – Drei-, sieben-, neun- und zehnmal war unser Held belehrt worden: im Menschen wären zwei Naturen, die göttliche und die thierische; diese hätten [304] wir von der Mutter Erde, jene vom Vater im Himmel. Doch fand er, daß selbst sein Ideal der Vollkommenheit, seine Sophie, Gottlob! nicht eine Göttin war, und daß Menschengötter gewiß das höchste Ziel nicht wären, dem wir nachstreben könnten. – Je länger, desto mehr legte er es darauf an, Gott nicht mit dem Auge des Geistes, sondern des Herzens zu sehen, und zum Anschauen der Gottheit nicht durch den Verstand, sondern durch den Willen zu gelangen. Zwar ließ er es nicht an Reinigungen und Läuterungen der Seele fehlen, doch schien er fröhlich und guter Dinge, daß Sophie und er bekörpert waren. Und Michael – war so verliebt, daß er unbedenklich die göttliche Natur mit der menschlichen bei seiner Zofe vertauscht hätte, wenn es auf diesen kritischen Tausch angekommen wäre. Ein Apfel und eine Birn, pflegte der Engländer, wenn er den Ritter und Sophien ansah, mit Thränen im Auge zu sagen, ein Apfel und eine Birn, durch keinen Wurmstich angegriffen. In der That, dieß Paar war unschuldig und rein, als käme es aus den Händen der Natur. – Auch in der größten Gesellschaft waren die Blicke des Ritters und seiner Sophie ohne Scheu bei einander. – Große Leute pflegen durch Schönsprechen ihre Schwäche im gemeinen Leben zu decken; Verliebte sind hinaus über den Ausdruck. – Liebe ist allmächtig; nur Sprechen ist ihre Sache nicht. – Sie geht über alles, sie strengt Seele und Leib an – sie kann und will nichts halb thun. – Edel und frei bleibt ihr Gang; warum sollte sie heucheln und sich verbergen? Sie setzt sich über Ceremoniell und sanctionirte Gewohnheiten hinweg, ohne anzustoßen. Die Natur, die höchste Schule der Lebensart, ist ihre Schutzgöttin. – Der mütterliche

175. Segen
[305] §. 175.
Segen

fehlte noch, den sich Sophie in Begleitung ihres Vaters einholte. Der Ritter schloß seine Ritterbahn, und kehrte mit einer Genugthuung heim, die nicht auf Worte zu bringen ist. Michael deßgleichen. – Wohl uns, sagten beide, daß das Ende das Wer! krönt!

Ihr Rückzug brachte ihnen kein Abenteuer in den Weg; und wahrlich! sie waren nicht in der Stimmung, eins würdig zu bestehen, selbst wenn es sich ihnen angeboten hätte! Was ist scharfsinniger als die Liebe, die individuellen Züge in den Gegenständen ihrer Neigung aufzufassen und zu ergründen? Vielleicht ist nirgends weniger Täuschung als in der Liebe, wo die Geliebte die menschenmöglichste Bestimmtheit des Charakters des Liebhabers erreicht, so wie er die ihrige. Gibt es Geister, ihr Herren Apostel, die im Umgange des Menschen Vergnügen finden, so muß eine edle Liebe sie vor allem anziehen. – Wann und wo bleibt der Mensch sich länger gleich, als wenn er liebt? Und ist er je besser, als im verliebten Zustande? Der Ritter mußte, um gewisse Richtigkeiten zu treffen und Rechnungen abzuschließen, Umwege machen, und konnte seine Sophie und ihren Vater nicht unmittelbar begleiten. Die Herzen der Liebenden waren immer bei einander, sie sahen sich – ohne sich zu sehen. – Diese Art von Erscheinung ist der Liebe eigen. – Der Engländer hielt sie für ein Vorbild des Umgangs in der künftigen Welt. – Auch hatte unser Ritter der Morgenröthe Flügel abgeborgt, um nur so wenig als möglich von seiner Geliebten getrennt zu seyn. Michael, nicht minder verliebt als sein Herr, schien es ihm an Eilfertigkeit wo möglich noch zuvorzuthun; doch verlor er sich in **, und brachte sich und seinen Herrn um volle drei Stunden. Eine

176. Anverwandte
[306] §. 176.
Anverwandte

hatte sich einigemal schriftlich an ihn gewendet. Seine Absicht war, ihr sechs Dukaten zu geben. Um seiner Wohlthat, wie er sich überredete, einen desto größeren Werth beizulegen, eigentlich aber, um nicht seinen Herrn, und noch weniger den Nichtvetter Reitknecht, etwas von einer so armen Verwandten merken zu lassen, ging er insgeheim hin zu thun, was er nicht lassen konnte. Sein herzliches Verlangen, wohlthätig zu seyn, und noch mehr, die kindische Furcht, entdeckt zu werden, machten, daß er den Namen seiner Muhme völlig vergessen hatte. Er konnte auf keine Sylbe desselben kommen. Im Eifer über sich selbst, stampfte er mit den Füßen. – Vergebens! – Sechs Dukaten, dachte Michael, sollten die alte Frau nicht bewegen, dir entgegenzukommen? Sie kann nicht. Dieß machte Michaeln bitter böse auf seine Muhme. Er fragte, ohne daß er sagen konnte, nach wem. – Der arme Michael! Er erregte manches Gelächter, welches er – um nicht auf frischer That betroffen und verrathen zu werden – verschmerzte. Je aufgebrachter er auf sich, auf die Muhme, auf die Lacher und Lacherinnen war, desto mehr verlor er die Fassung. Wie blind und taub lief er umher; und als er es völlig aufgab, sie zu finden, ob er gleich die sechs Dukaten immer in der Hand hielt, entschloß er sich, aus Rache alle sechs in eine Armenbüchse zu legen, die ein unsauber geschnitzter Lazarus vor der Thüre des Stadthospitals in der Hand hielt. In diesem Augenblick hörte er eine Stimme: »Gott bezahle den gütigen Geber, und geleite den Herrn Michael!« – Die Stimme nannte seinen Namen. Flugs kehrte er um, fand seine Muhme, die im Hospital aufgenommen war, gab ihr die letzten zehn Dukaten, die er hatte, und ersuchte sie, in ihrem Gebet seinen Namen nicht laut auszusprechen. Sie versprach es; [307] er küßte sie; lief, kehrte wieder um, und wollte ihr wohlbedächtig noch die sechs Dukaten, die der Lazarus empfangen hatte, zu wenden; – weg war sie! – An seinem Vorsatze, sie von Zeit zu Zeit insgeheim zu unterstützen, hinderte ihn ihr baldiger Tod. – Michael hatte übrigens wenig Mühe, seinen Herrn auszusöhnen, der drei Stunden später ausreiten konnte, als er es sich vorgesetzt hatte. Die

177. Mutter
§. 177.
Mutter

empfing ihren Sohn mit der innigsten Freude. Sophie, war sein erstes Wort; und ihre Antwort: Sophie. – Außer Stande, der Mutter alle erlebte Ordensauftritte zu erzählen, konnte er sich nicht entbrechen, ihr mit dem ersten Buchstaben zu entdecken, daß bei so vielem Schein das wirkliche Wesen nur äußerst klein und unbeträchtlich gewesen, und daß er dem Gastvetter mehr als allen Orden von A bis Z und von Z bis A zu verdanken hätte. Seine Hand, sagte der Ritter, leitete mich unbekannt durch mein Ordensleben, so daß, wenn mein Fuß an manchen Stein stieß, ich doch nicht fiel. – Durch die Geschichte der

178. After-Sophie
§. 178.
After-Sophie

verlor der Engländer bei der Ritterin außerordentlich. Auch war sie nicht zufrieden, daß er ihr und der Tochter des vornehmen Geistlichen eine Zulage bewilligt hatte. Warum Zulage? Am Referenten lag w nicht. Dieser bemühte sich, der Sache die leidlichste Wendung beizulegen. Einem so geistigen Mann wie der Engländer, bemerkte die Mutter nicht unrichtig, sind Fehler dieser [308] Art weit höher anzuschlagen, als fleischlich gesinnten Weltmenschen. Sophiens Ankunft vollendete daß erhabene Vergnügen! Der Gastvetter bat für seine Tochter den Segen, und die Ritterin ertheilte ihn mit einer Rührung, die allen Ausdruck übersteigt. Schwester Cousine, sagte der Gastvetter, haben Sie nur den einen Segen? Segnen Sie auch im Namen des Seligen, dessen Andenken uns heute und immerdar hellig sey! Auch mir liegt das traurige Vergnügen ob, ihr den Segen für eine Mutter zu ertheilen, die nicht mehr ist. Die Mühe, die ich mir gab, Sophien zu erziehen, weiß der, der die Erziehung des menschlichen Geschlechtes so treulich übernimmt, und sie bei allen Hindernissen, die Menschen ihr entgegensetzen, nicht aufgibt. Die Mutter der Braut und der Vater des Bräutigams waren an einem Tage gestorben. Eben dieses Segensfest war der Sterbetag eines Elternpaars, das vorausgegangen war. – Die Kürze dieses Lebens, sagte der rührende Gastvetter, ist mir der beste Beweis von der Unsterblichkeit der Seele. – Ihre Thränen verdarben die Freude des Festes nicht. Selbst den Gesichtern gaben sie die schönste Schminke. – Die Verlobung ward ausgesetzt, bis der Engländer sich eingefunden haben würde. Die, Ritterin ließ sich nur nach und nach mit ihm aussöhnen; und doch darf ich behaupten, daß er ihrer Verzeihung nicht unwürdig war. Verziehen ist die Sache guter Menschen; doch muß man die Vergebung nicht zu leicht machen, um nicht rachsüchtig zu seyn. Wahrlich, es ist die empfindlichste Rache, leicht zu vergeben. Nach diesen Grundsätzen handelte die Ritterin. – Michael verfehlte nicht, seinen

179. Gamaliel
[309] §. 179.
Gamaliel

zu besuchen, nur schien dieser mit dem Holzbündel nicht zufrieden zu seyn, das Michael bei ihm ablegte. Die Frage: warum der Begleiter wider sein Versprechen so selten geschrieben hätte? beantwortete Michael durch eine mystische Fragantwort: Können abgeschiedene Geister immer erscheinen, wenn sie wollen? und bleiben nicht viele aus, welche diese Erscheinungen vor ihrem Hingange feierlichst verhießen? Hierdurch befriedigte der Begleiter freilich seinen Gamaliel nicht völlig, doch bracht' er ihn zum Nachdenken. – Michaels Antwort auf die Frage: was er mitgebracht? setzte den guten Pastor aus aller Fassung. Er wußte nicht, was, er von seinem Protagoras denken sollte.Hannen, sagte Michael, und that so entzückt, als Gamaliel verdrießlich. Doch war Gamaliel viel zu gutmüthig, um Michael unvertheidigt zu verurtheilen, und dessen Vertheidigung vermochte ihn, der für ein gegebenes Wort Ehrerbietung hatte, zu der Angelobung, nie in ihn dringen und nichts von ihm begehren zu wollen, als was Pflicht und Gewissen zu offenbaren ihm erlauben würden. Warum fürchten und ehren Menschen Geheimnisse? Sie denken, selbst verrathen und aufgedeckt zu werden. – Und so gutartig unser Pastor war, sollte er wohl ohne Verstandes- und Herzensgeheimnisse gewesen seyn – die er, trotz den Ordensgeheimnissen des dienenden Bruders Michael, nicht entdecken konnte? Aeußerst froh, daß der Ritter Sophien gefunden hätte, brannte Gamaliel vor Neugierde, seine künftige Kirchenpatronin zu sehen. Michael war es empfindlich, daß er nicht eben diese Neugierde wegen seiner Hanne bezeigte. Zur Nachricht. Als Gamaliel Sophien sah, ward er so hoch erfreut, daß er seinen unwiderstehlichen Hang zur Mystik darüber volle sechs Wochen aussetzte.

180. Heraldicus junior
[310] §. 180.
Heraldicus junior

hatte seine Losung von Freiheit und Gleichheit so wenig aufgegeben, daß er vielmehr hieß Wesen noch immer fort, wiewohl unter der Hand trieb. Er gab nicht zu, daß zwischen Generalisiren und sich beim täglichen Brod der vorkommenden Lebensvorfälle nehmen, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Gleichheit und Freiheit in Büchern und im Leben eingewaltiger Unterschied sey. Bon oben und von unten (a priori und a posteriori) anfangen, wie verschieden! – Wahrlich! wir sollen nicht vom Himmel ausgehen, um auf Gottes Erdboden zu kommen; von ihm himmelan steigen, wenn es angeht und es uns nützlich und selig ist, bleibt die Sache der Menschen. – Unser Freiheitsstürmer war gewissen Menschen gleich, welche die heftigsten Schmerzen geduldig leiden und über Kleinigkeiten verdrießlich werden; die aufspringen, wenn eine Fliege zu hart tritt, und lächeln, wenn das Haus fällt; die den Balken übersehen und den Splitter kritisiren. Käthe versteht (eben so wie es ehemals die Ritterin verstand) denHeraldicus junior zu seinem Leisten zu führen; nur faßt sie ihn so leise nicht an, und er läßt bei ihren Zurechtweisungen die Gabel nicht fallen und kein Glas rothen Wein auf ein damastenes Tischtuch umkippen. Jetzt, da er keine Nadelstiche der Baronin mehr fürchten durfte, war er zuweilen fast zu dreist. Bei aller Achtung, die er der Asche seines Erblassers widmete, konnt' er sich nicht entbrechen, auf seine Aristokratie, die bis auf veraltete Ausdrücke ging, wovon er sich ein vocabularium gesammelt hatte, zu sticheln, welches ihm Käthe zuweilen bis zum Kreuzlahmwerden verwies. Doch haben, fing er an, die überfliegenden Gefühle des wohlseligen Aristokraten die ganze Gegend angesteckt. Angesteckt? wiederholte Käthe. Aber Kind, wer kann denn der Vernunft als Vernunft zehn Gebote geben, ohne [311] daß sie sich selbst gibt? Wir sind frei, und die Unterwerfung unseres Willens unter die Gesetze, die wir uns selbst vorschreiben, ist der wahre Adel des Menschen. Ward mir unter Donner und Blitzen der Leidenschaften und der Sinnlichkeit das Gesetz gegeben, dein Mann zu seyn? Die Vernunft hieß mir, dich zu lieben, liebe Käthe. Uebrigens ist es mit Mann und Weib, wie mit den Zwillingen Castor und Pollux, den Söhnen Jovis. Wer zuerst erscheint, ist der Mann, und behauptet Erstgeburtsvorzüge. Nicht wahr, liebes Weib? – Käthe lachte aus vollem Halse. – – Sie thut wohl, daß sie ihrem Sklaven erlaubt, in die freie Luft zu gehen. – Vielleicht lernt er hier, sich selbst gelassen, mit der Zeit, daß von der Verschiedenheit und Ungleichheit die wichtigsten Absichten und Vortheile des menschlichen Lebens und der bürgerlichen Ordnung abhangen, ohne daß eben der Edelmann dem Bürger, und der Bürger dem Bauer die Röthe des Bluts abspricht und an dessen Verschiedenheit so glaubt, wie der Kalmucke an schwarze und weiße Knochen. – Der Grundsätze von Freiheit und Gleichheit ungeachtet, schien er anfänglich mit den Vorzügen unzufrieden, die man dem Begleiter beilegte. Die großmächtige Philosophie und der Name Protagoras würden (so konnte Heraldicus junior denken?) entheiligt durch ihn. »Warum nicht lieber Melitides,« sagte Heraldicus junior, »der das Brautbett nicht besteigen wollte, weil die Braut bei ihrer Mutter gerechte Beschwerden führen könnte; der nicht wußte, ob Vater oder Mutter von ihm entbunden wären, und der die Lichter sorgsam auslöschte, damit die Mücken ihn nicht etwa finden möchten?« – O, des Aristokraten, rief Käthe, der in Michael den Protagoras nicht findet, weil er nicht studirt hat, und der ihn zu Melitides erniedrigt, weil er Begleiter war!

Der Ritter gab dem Heraldicus junior die auffallendsten Beweise seiner Zuneigung. Dieß that unserem Demokraten wohl; und da es ihm nicht entging, daß sein gewesener Telemach seit der [312] Zeit so ziemlich vom Ordenssystem abgekommen war, so schrieb er diese Umstimmung auf die Rechnung seines theoretischen Unterrichts, ohne welchen, meinte er, die lehrreichste Praxis unseres Ritters den guten Erfolg nicht gehabt haben würde.

Je weniger der Pastor loci sich von den Wünschen entfernen konnte, vom Glauben zum Schauen zu gelangen und einen von den sieben Brüdern des reichen Mannes zu sehen, desto mehr begnügte sich sein Eidam mit der lieben Zeitlichkeit; er bemühte sich seine Kinder zu bilden oder ihren Seelen einen Charakter und ihrem Körper eine Stärke zu geben, diesen Charakter zu ertragen. Der Contrast, der zwischen ihnen herrschte, gab zu vielen angenehmen Auftritten Gelegenheit, Beide ließen zuweilen von ihrer Strenge nach, und wenn gleich in Rosenthal Gefühl und Empfindung nicht in die Acht erklärt waren, so blieb doch alles in seinen Schranken, und ich wüßte keinen Ort, wo ein so lehrreicher und herzlicher Umgang stattgefunden hätte. Dem

181. Engländer
§. 181.
Engländer

begegnete die Ritterin mit Schonung und Achtung;Liebe kam ihr nie in Sinn und Gedanken. Seine Seelenliebe, die sich oft sehr possierlich nahm, machte ihr keine unangenehme Stunde. – Ich weiß nicht, ob jemand meiner Leserwelt einen Seelenliebhaber von Person kennt? Es ist eine besondere Figur. – Alles hing in der Phantasie des Engländers mit seinen herrschenden Ideen zusammen; er glaubte seine Eudämonie in ein haltbares System gebracht zu haben. Der gemeine Mann hält nur äußerst thätige Menschen für groß, er will Aufopferungen der Kräfte; unser Engländer, bloß mit sich und seinen Grillen beschäftigt, könnt' es nicht bis zur Hochachtung bringen; doch ward er geliebt: und bedarf es mehr, um glücklich zu seyn? – Die Rolle eines Propheten würde ihn [313] bis zur Bewunderung erhöht haben; aber sie lag außer den Grenzen seines Kopfes und seines Herzens. Des Betrugs ungeachtet, den er dem Ritter spielte, war er ein schlichter Mann und zu Prophetenrollen unfähig, die oft Könige und Fürsten in Furcht und Schrecken setzen, wenn man sie gut zu spielen versteht. Schon das Aeußere des Engländers war einem Wundermanne nicht günstig, weder durch Majestät des Körpers, noch durch verkuppeltes Ansehen, wobei alsdann aus einem verzerrten Gesichte ein feuriges Auge herausbrechen muß, hatte eine Prophetenfigur. – Gemeinhin kennt man den Werth der Unschuld nicht zeitiger, als bis man sie verloren hat. Unser Engländer nicht also. Vielleicht brachte diese Lage ihn zuweilen in eine Schwermuth, die von ganz besonderer Art war. – Seine Behauptung, daß es nirgends mehr Rabatt und Tara als in der moralischen Welt gebe, floß nicht aus menschenfeindlichem Herzen; er glaubte an Unschuld und Tugend, er glaubte an ein paar Sophien und an die Rosenthal'sche Gruppe, und in Wahrheit, ein Teufel hätte in Rosenthal daran geglaubt und – gezittert. – Hier bedürfe es, sagte der Engländer, keiner Einladung guter Geister, Es hätten in diesem Hause Gottes Menschen sich zu Engeln gemacht; und wenn man gleich ihre Tugenden nicht theurgisch nennen könne, so wären es doch Tugenden wirklich gereinigter und menschlich reiner Seelen. – Keine Stimme dürfe hier konk ompax rufen. Fern von hier alle Ungeweihten, alle Gottlosen, alle Seelen, auf denen Verbrechen haften! Er war in seinem Eldorado. – Noch mehr vom Engländer? Mit sich zu strenge seyn, heißt oft, sich über andere erheben wollen. Man lasse immerhin Menschen auf Dank ausgehen oder es heimlich auf Ruf anlegen, wenn nur Gutes befördert wird. Unser Engländer hatte sich die platonische Moral eigen gemacht, die das Gute will und thut, des Guten und nicht der Folgen wegen. – Er wusch sich weder vor noch nach der Handlung die Hände. Was ich gethan [314] habe, hab' ich gethan, war seine Losung. Pilatus sagte: was ich geschrieben habe, das hab' ich geschrieben. Unser Sonderling gab wie Engländer geben: nicht täglich, wohl aber reichlich. Wer vom Golde abhängt, pflegte er zu sagen, ist ärger als ew Sklav; denn dieser hängt von seines Gleichen ab. Man sagt: Geld ist ein guter Diener und ein böser Herr. Nicht also, versicherte der Engländer, es ist ein Theaterdiener, der immer mitspricht, klug wie ein Teufel ist und alle Welt und seinen Herrn am ersten überlistet. – Weniger aus Gefühl des Bedürfnisses mit Menschen zu leben, die, ob sie gleich nicht dachten wie er, dieser Verschiedenheit ungeachtet doch gut dachten; aus Menschenliebe war der Umgang mit Menschen je länger desto mehr seine Sache. – Epopten, die Licht sahen oder Ideale zu Idolen machten, dieß Licht mochte übrigens seyn wo und was es wollte, blieben vorzüglich seine Leute. Ein kleines Licht in der Finsterniß haben, sagte er, ist besser als ganz im Dunkeln seyn. War es Wunder, daß bei diesen Gesinnungen der Pastor sein Freund ward, mit dem er bei aller ihrer Verschiedenheit übereinstimmte, und von dem er bei aller Uebereinstimmung verschieden war? Ein anderer mußte angeben, ob sie eins oder uneins wären, sie selbst wußten es nie. Da Plato philonisirt und Philo platonisirt, was hatte es am Ende zu bedeuten? Man hätte sie immer sich selbst überlassen sollen. – Es sey ungerecht, glaubten sie, von unsern Dichtern und Philosophen immer etwas ganz neues zu verlangen. Etwas neues vom Jahre könnten sie liefern. – Freilich gilt eine Geistererscheinung mehr als alles, was philosophirt und gedichtet ist von Anbeginn bis jetzt! – Seit der langen Zeit, daß die Neigungen und die Seele des Engländers bei zwei ganz himmelweit unterschiedenen Personen waren, hatte er sich eine gewisse Zerstreuung angewöhnt, die einzig in ihrer Art war und zu lustigen Mißverständnissen Gelegenheit gab. Immer hatte er unaussprechliche Dinge im Vorrath, wobei der [315] Pastor mit Worten die Hülle und die Fülle diente. – Auch gab der Engländer sich gern dazu her, durch Festlichkeiten, im Stillen angelegt, zu überraschen; dieß war ihm eine Art von Reception. – Leicht glitt er über das weg, was man modisches Bedürfniß und Selbstliebe hieß. – Das Eis zu brechen war seine Luft; – Lob und Tadel war ihm nicht gleich. Wer Ernst ohne viele Umstände zum Spaß erniedrigen kann, heißt Weltmann; unser Engländer war es nicht. Das Gewisse, behauptete er, blähe auf, das Geglaubte halte die Menschen in gerechten Schranken, was nicht aus dem Glauben komme, sey Sünde. Der Pastor hielt darüber drei Predigten, deren öffentlichen Druck sein Eidam verhindert hat. Da der Engländer nur Schriftsteller für eigentliche Geistliche hielt, weil sie den Geist beschäftigen und diese Priesterschaft ehrte, die, wenn sie rechter Art ist, unläugbar einen göttlichen Ruf hat, so sind wir wegen dieser heiligen Zahl von Predigten keinen Augenblick sicher. – Heraldicus junior konnte nicht aufhören über unsere Gläubigen und ihren Glauben zu spotten. Wissenschaft, sagte er, ist baares, Glaube ist Papiergeld. – Gläubige reden viel und sagen wenig. Man kann etwas glauben und sich schämen, daß man es glaubt. Die Teufel glauben und zittern, Philosophen glauben und lächeln. – Weltkluge Geistliche fordern nur einen äußern Glauben oder Lebensart in der Religion. – Muß ich, weil ich ein Fernglas habe, mein natürliches Auge ausreißen und es von mir werfen? Kann ich, weil ich in manchen Dingen weder aus noch ein weiß und die Unzulänglichkeit meiner Einsicht zu bekennen verbunden bin, den Wissenschaften Hohn sprechen? Ist die Glückseligkeit ererbtes oder erworbenes Gut? Wahrlich! nicht durch den Besitz und Genuß derselben, sondern durch die Bemühung, sie im moralischen Schweiße des Angesichts zu erwerben, ist man glückselig. – So Heraldicus junior. Und wie sein Schwiegervater und der Engländer? Sie zuckten [316] beide die Achseln, suchten, wenn es noth that, Schutz bei Johannes und dem Gastvetter. Und fanden ihn? Zuweilen. Wenn die drei Predigten nicht mächtiger sind, so fürchte ich, Heraldicus junior werde nicht überzeugt werden, sondern eine Lebensartüberzeugung annehmen. Mag er doch! Gibt er zu, Freiheit bestehe in der Unabhängigkeit von seinen Begierden, so lasse man ihn immerhin (um seinen Ausdruck zu gebrauchen) mit dem Pfunde seiner Vernunft wuchern. – Käthchen wird schon dafür sorgen, daß seine Fackel nicht zu hell brenne. – Auch werden der Engländer und der Pastor ihm gewiß das Feld nicht lassen. – Beide sind froh über ihre Eutökie (leichte Geburt), die sie haben werden, wenn ihre Stunde kommt – so nennen sie den Tod! –

Noch hat der Tod keinen dieser

182. Gruppe
§. 182.
Gruppe

entzogen. Wenn gleich Engländer und Pastor den Tod den Sieg des Lebens nennen und in der Geisterwelt so bekannt sind, wie man weiland zu Rosenthal im neuen Jerusalem war, ich stehe dafür, keiner von beiden hat fürs erste Luft und Liebe, ein Stein in dieser Siegeskrone zu werden. Hat der Engländer nicht alle Hände voll mit Seelenliebe zu thun? Und der Pastor? Unendlich lieber würd' er den himmlischen Heerschaaren zuvor bei sich aufwarten, ehe er ihnen den Gegenbesuch ablegt. Bis jetzt sind jene so ungütig gewesen, sich nicht anmelden zu lassen. – Entfernt vom Ceremoniell des Hofes und vom Prunk der Städte, von schmeichelnden Kammerherren und stolzen prahlenden Krämern genießen in Rosenthal, wenn es gleich weder irdisches noch himmlisches Jerusalem mehr ist, liebenswürdige Menschen ihr Leben, und bringen an Einem Tage vielleicht mehr vor sich als Weltmenschen [317] in Jahren. – Wahrlich, man führt in Rosenthal ein einträgliches Leben.

Die Natur gibt durch ihre Mannigfaltigkeit und Abwechselung soviel Unterhaltung, daß man die Wehklagen der Höfe und Städte über Langeweile hier als etwas ansteht, das keinen Sinn hat. Wahrlich, nichts leidet unschuldiger als die Zeit. – Man belebt in Rosenthal das Leblose und findet überall Anlaß, aus so manchen Naturblüthen sich einen Schatz der Zufriedenheit und her Wonne zu sammeln. Sich vergnügen und sich unterrichten, sich unterhalten und sich belehren, sind hier eins. Wenn Leute von Welt weit lieber unzufrieden mit sich selbst sind, als daß sie ausstehen könnten, daß andere mit ihnen unzufrieden wären, so opfert man hier der Gesellschaft nichts von seinem Kopf und seinem Herzen auf; man bildet beides aus, und dieß heißt Umgang. Die Mahlzeiten sind platonisch, die Seele und ihre Bedürfnisse werden bei dem leiblichen Hunger und Durst nicht vergessen. – Einfach und mit Geschmack gekleidet geht alles einher, und nur die Mode gilt in Rosenthal, welche das Modejournal der Natur billigt. Oft wird natürlich der Kunst, oft der Unnatur entgegengesetzt. Beide Sophien kleiden sich nicht nach der Hofmode, weil ihr persönlicher Charakter darüber in Collision kommt. Sie wollen individuell seyn und sind es. Es liege nicht, meinen diese competenten Richterinnen, ein abstrahirter politischer Charakter der Mode zum Grunde, wäre das, wie käme Frankreich zur Gesetzgebung oder gar zum Dreifuß? – Man trägt Kleider zur Nothwendigkeit. – Nimmt man die Mitte von diesem Punkt bis zum Punkt der Eitelkeit, so ist man gekleidet commo il faut. Jene Regel der großen Welt: »man kann nicht ächte Freunde haben, wenn man nicht große Feinde hat,« wird in Rosenthal widerlegt, wo alles Ein Herz und Eine Seele ist. – Selbst Heraldicus junior lernt je länger desto mehr sich wie ehemals in die Zeit schicken, [318] und die Grundsätze beider Sophien, für keine Kenntniß einen Dreier zu geben, an die sich nicht Moral knüpfen läßt, bringen ihn sicherer als Engländer und Pastor zum Schweigen. Ich glaube, Käthchen werde diesen Ungläubigen auch ohne die drei Glaubenspredigten bekehren. – – Vernunft fragt, das Herz lehrt zur rechten Zeit mit Fragen aufzuhören. – Und was helfen Zweifel, wodurch man die Ruhe anderer zerstört, ohne das mindeste zu gewinnen? – Heraldicus junior gehörte nie zu jenen Philosophen, die unter alles Säuren mischen, und ist ein Zustand des menschlichen Lebens so gut, daß man die Absicht seines Daseyns völlig, und ist ein Zustand so schlecht, daß man diese Absicht nicht auf eine Art erfüllen könnte? Thue das, so wirst du leben. Michaeln erkennt Heraldicus junior je länger je mehr für Protagoras und thut wohl daran. – In der That, man kanngroß im Dienen und klein im Herrschen seyn.

Sophiens Vater hatte seine Güter in ** veräußert und sich nicht weit von Rosenthal ein kleines Gut gekauft, um abwechselnd seine Kinder zu besuchen und von ihnen besucht zu werden. Es war ein Opfer, das er seiner Tochter gern brachte, als er einen andern Staat verließ, der ihm nie schwer gefallen war: – alles was man von einem Staate fordern kann! Und Johannes? Von Herz und Geist ein Mann! Warum doch ein Hagestolz! Er, der in allem durch Enthaltsamkeit zum Genuß sich vorzubereiten, der zu rechter Zeit das Genießen abzubrechen versteht, und der im Gedichte die Wahrheit als Hauptperson anerkennt; der von den sieben Weisen nur den Thales dafür gelten läßt, weil die andern sechs seiner Collegen Stifter und Regierer von Staaten waren, würde jedem Posten Ehre gemacht haben, wenn es nicht ein noch größeres Amt wäre, ohne Amt zu seyn. – Das Reich eines edlen Mannes ist wahrlich nicht von dieser Welt. – Neid, Haß und Verfolgung bringen ihn hier zu Unmuth und sein Ansehen [319] dauert selten länger als zehn Jahre, wenn es hoch kommt, sind es fünfzehn Jahre, und wenn es köstlich gewesen, ist es Mühe und Arbeit gewesen. Alles, was käuflich und verkäuflich ist, hat keinen Werth für die Menschheit; jeder kann es haben, wer Geld hat, und wer hat es in der Welt? Gott! wer? – Wohl dem guten Johannes, daß er frei – recht frei ist, daß er die Rosenthal'sche Gruppe dirigirt, ohne zu theilen, um zu regieren, und ohne zu vergleichen, um geliebt zu werden. Wenn der Gastvetter das Mißverständniß zu heben zu schwer findet, legt es Johannes bei. – Mit allem und mit unserm Zeitalter besonders ist er zufrieden, wenn er gleich an ihm die gar zu große Vorschnelligkeit, die Vor- und Eigenliebe zum Praktischen, zum unmittelbar Nützlichen oder Angenehmen tadelt und mit ihm nicht übereinstimmt, daß es nichts pflanzen und begießen will, wovon es nicht auch höchsteigenhändig Früchte bricht und genießt. – Der Ritter ist sein anderes Ich. – In puncto puncti hält sich der Ritter zwischen Dichtern und Dogmatikern. Er ist ein Kritiker und wird, will's Gott! nichts als absolute Wahrheit anerkennen, was höchstens relativ zugegeben werden könnte. – Die Gesellschaft, in der er sich befindet, ist ihm eine Loge zum hohen Licht. – Wahrlich! man wandelt im Lichte in Rosenthal. – Physik, Chemie und Astronomie, die Johannes bei ihm auffrischt, lassen den Ritter nie sinken. – Wenn der Gastvetter auf neue Nahrungszweige für die Vernunft fast zu mühsam ausgeht und ihr überall Erwerb verschaffen will, leistet er gern Gesellschaft und scheut den Weg nicht, nur glaubt er nicht, wie sein Schwiegervater, daß aus diesem Wege neue Naturgesetze zu entdecken seyn werden. – In vielen Stücken ist er mir lieber als der Gastvetter. Doch wer ist es, der in der Rosenthal'schen Gruppe nicht an seiner Stelle und werth wäre – Mensch zu seyn? – Jüngst zog ein Maler die Rosenthal'sche Straße und der Engländer wollte durchaus das Ebenbild seiner [320] Seelengeliebten, die gewiß nicht auf Stellungen denken durfte, um sich malen zu lassen. Es ward dem Künstler nicht schwer, sie bei einer edlen Handlung zu beobachten. Nicht allerliebst, wahr! ruft alles, was dieses edle Weib im Bilde sieht. – In der That, ein belohnendes Gewissen legt die höchste Erhabenheit und Schönheit in die Physiognomie. – Was ist affektirtes Lächeln und gezwungene Zärtlichkeit dagegen? – Der Engländer, entzückt über Sophiens Ebenbild, erlaubte mir gern eine Abschrift davon. Ihm gebührt der Dank, daß ich meiner Leserwelt Sophien so treulich darstellen kann. Dieser sonderbare Mann hat sich unweit Rosenthal niedergelassen – und durch ein Testament

183. Das junge Paar
§. 183.
das junge Paar

zu Erben eingesetzt. – Das junge Paar? Allerdings, in dem Sinne der goldnen Zeit, wo immerwährender Frühling die Erde beglückt. – Warum ich Verlobung und Hochzeit übergangen? – Weil Moses sie in seiner Geschichte des paradiesischen Paares überging. Mit der Hochzeitrede, einer Geduldsprobe, die dem Meisterstücke in Lebensgröße nichts nach gibt, kann ich jedem, der zu Meisterstücken in Lebensgröße Luft hat, aufwarten. – – Etwas spät! denn unsere junge Ritterin hat ihrem Gemahl schon zwei Söhne geschenkt, die so, wie die künftigen Brüder und Schwestern derselben, nach den weise genommenen Beschlüssen der Rosenthalschen Gruppe, nichts anderes lernen werden, als was sie erwachsenthun sollen. In der That, ein paar Jungen, werth, nach Familiensitte mit ihrer Mutter, und zwar im Wohnsitze des Seniors, in den Familienstammbaum eingetragen zu werden! Etwas von der Hochzeitrede? Gern! obgleich die Rosenthalsche Familie mit Hochzeitreden nicht sehr glücklich ist. Jene, des Gewissensrathes, mischte Tod [321] und Leben, Freud' und Leid, himmlische und irdische Braut, wie ein Spiel Karten in einander, so daß der Herr Amtsbruder selbst nicht wußte, ob er auf Erden oder im Himmel ein Hochzeitgast wäre. – Gamaliels Text war: Unser Wandel ist im Himmel; doch nahm er die Worte: da er eine köstliche Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, seinem Text zur Aushülfe an. Wäre vom Engländer eine Seelenhochzeitrede bei dem Pastor bestellt worden, sie hätte nicht erwünschter ausfallen können, und doch war sie geradezu gegen ihn. Sie handelte, wie es nach der Meinung des Pastors ganz offenbar im Texte lag, von der Elektricität und von der magnetischen Kraft. Ein paar fruchtbare Gegenstände! Der Anfang seiner Rede war: alles liebt; der Misanthrop selbst liebt seinen Menschenhaß. Wie sie schloß, wird man mir des Anfangs halber schenken. – Heraldicus junior nannte diese Rede eine Geistercitation. Ich will und kann meine Leserwelt weder damit magnetisiren noch elektrisiren. – Einen passenden Anhang zu den bewußten drei Predigten über den Glauben – würde sie abgeben. Der Engländer hatte dem Bräutigam ein Kanonikat gekauft, und dieser mußte am Hochzeitstage durchaus Stern und Kreuz über der Weste anlegen, worüber sich ganz Rosenthal – versammelt in der Taubenkammer (es war jetzt eine förmliche Kapelle geworden) – herzlich freute. Seit der Zeit trägt unser Ritter diese Ehrenzeichen nicht mehr, die seiner Mutter während der Hochzeitrede eine Thräne im Auge zu stehen kamen. Er und sie, Sophie und der Ritter, gehören wahrlich zu den trefflichsten Menschen in der Welt. Nie ist ein Paar glücklicher gewesen, als das unsrige. – Ueberall blühen ihm Rosen von Jericho und neben ihnen die bescheidenen Blumen je länger je lieber. – Ich war das letztemal in Rosenthal, als die Fürstin ** einen Besuch machte, Alles schien ihr geschmackvoll und edel. Sie kehrte mit dem Entschlusse zurück, wenigstens drei Monate [322] (eine heilige Zahl!) die Seligkeiten des Landlebens zu genießen und die Stimmen der Lerchen und Nachtigallen den italienischen Trillern vorzuziehen. Wenn die Durchlaucht nur nicht vergißt, daß zum Landleben eine Rosenthalsche Gruppe gehört! »Welch ein Unterschied, hier einen offenen, geraden Weg zu betreten, und dort sich durch eine steife Etikette durchzudrängen; hier unbemerkt durch Blumen und Gesträuch zu wandeln, und dort durch Dornen und Disteln des Neides verwundet zu werden; hier die einfache Predigt der Natur über das Lob des Schöpfers anzuhören, wenn von dem unbedeutendsten Grase bis zur hohen Eiche seine Güte verkündet wird, und dort sich durch den auf Stelzen gehenden Oberhofprediger betäuben zu lassen, der mit strotzender Gelehrsamkeit beweiset, woran niemand zweifelt, – oder niemand glaubt! Warum erschwert der hochehrwürdige Mann doch alles, was so kinderleicht ist!« Ja und Amen, Durchlauchtige Fürstin, sagte in Rosenthal alles zu dieser Apologie des Landlebens, und war und ist seelenfroh, hier das Menschenleben zu genießen und die Zukunft, ohne sie zu wünschen, und ohne sie zu fürchten, zu erwarten. Eldorado ist freilich nicht hier; doch als Stufe, ist die Rosenthal'sche Existenz zu verachten? Soll ich noch zum

184. Schluß
§. 184.
Schluß

an Nebenpersonen dieser Geschichte denken? Wer kann es, wenn man eine Gruppe so herrlicher Menschen vor sich hat, die ich nicht lassen kann und werde, bis ich alles verlasse! – Es hat sich in der ganzen Rosenthal'schen Gegend ein Geist verbreitet, der den unordinirten Ordensmännern keine Schande macht. Die Familie, und vorzüglich der jüngste Kastenherr, die zweite Edition des wohlseligen Ritters, lebt mit dem Rosenthal'schen Hause in guter Harmonie. – Die Nachbarschaft gewinnt unendlich durch das [323] liebenswürdige Rosenthal'sche Haus, und die, welche man darin aufgenommen hat. – Fräulein B. und C. sind jetzt, da ich dieß schreibe, entweder wirklich schon Bräute, oder werden es in kurzem. – Gastvetter und Engländer sind die Freiwerber gewesen. – Ihre Liebhaber sind ein paar treffliche Cavaliere in fürstlichen Kriegsdiensten, denen ihre Vorgesetzten, und – was noch mehr ist – ihre Kameraden das Zeugniß des Verdienstes geben! – Und Fräulein A? Ist die Gemahlin – – des Cavalier Mündels, dem der Gastvetter und – auch seine Tochter verziehen hat, welche bei seinem Namen keine Ohnmacht weiter anwandelt. Es gibt eine Art Vorwürfe, die ärger als eine öffentliche Buße ist. Warum Cavalier Mündel ein Feind von Gärten, besonders von Blumen in Töpfen ist, darf nicht weit gesucht werden. Man vermied in seiner Gegenwart die Wörter Blumen und Bäume, wie zur Zeit des wohlseligen Ritter S die Mißbräuche des Wortes Kreuz. – Amalie, der er seine Sünde bekannte, verzieh ihm, nur er selbst kann sich nicht verzeihen. Er wird nach wie vor Vetter genannt, nur er untersteht sich nicht, diesen Namen zu erwiedern und ist in einer ähnlichen Verlegenheit mit der Rosenthal'schen Familie, wie der Reitknecht mit Protagoras.

Michael ist von seinem Herrn zum Pächter eines ansehnlichen Theils seiner Güter angenommen, nicht mehr sein Begleiter, sondern sein Freund. Wer, außer dem Demokraten Heraldicus junior, kann ihn minder schätzen, weil er Begleiter war? Ich stehe dafür, in kurzem wird auch Heraldicus Michael völlig für Protagoras erkennen. – Nichts ist Michael angenehmer, als dem ersten Beförderer seines Glücks, seinem Gamaliel, so viel von Ordensangelegenheiten zu entdecken, als möglich ist. – Kann man sagen, daß Protagoras zur Schwärmerei Anlage hatte? Nahm er nicht die Sachen nackt und entkleidet von aller Kunst und jedem Feigenblatte? – Und doch befindet er sich, wenn nicht zu den Füßen, [324] so doch an der Hand Gamaliels, und nur noch jüngst sprachen beide von herzerhöhender Musik, durch welches Medium sie, wenn Gott will, noch Geister zu sehen hoffen. Die köstlichen Perlen, die Pastor seinem Schooßjünger verkauft, sind Elektricität und magnetische Kraft. Schade um Michaels gefunden Kopf und natürliche Anlagen! Es ist doch dem besten Kopfe nicht zu trauen, daß er nicht umschlage, wenn er ohne alle Schule ist! – Zuweilen zieht er sein Grabeskleid auf eigene Hand an, und würde dem Pastor öfter diese Freude machen, wenn seine Gattin minder darüber spottete. – Anstatt den Pastor zu unterrichten, erweiset der Pastor ihm diesen Dienst, der ihn mehr als seinen Eidam liebt. Michaels Frau, die Pastorin und ihre Tochter Käthe sind enge Freundinnen. Michaels Aeußeres ist sehr abgeschliffen. – Er geht mit abgeschnittenen Haaren; – Heraldicus junior muß, Käthchens wegen, sich täglich frisiren.

Der Reitknecht ist nicht verstoßen. Sein edler Herr wollte ihn versorgen; allein der Engländer ließ es sich nicht nehmen. Seitdem er sich mit einigen im Orden verband, Schlösser insgeheim aufzumachen, gab er die Vetterschaft mit Michaeln von selbst auf. Er würde es sich nicht weiter unterstehen, Michaels Vetter zu seyn, wenn dieser es auch erlaubte; – und doch wett' ich Hundert gegen Eins: nichts als die Begierde, in Ordenskenntnissen sich dem Protagoras zu nähern, habe ihn zu dieser unrechten Thüre des Schafstalls gebracht. – Er ist zu entschuldigen, nicht zu rechtfertigen.

Die Schauspielerinnen sind durch die Freigebigkeit des Engländers verheirathet; doch leben beide so glücklich nicht, als sie könnten, wenn sie wollten.

Noch die Schlußfrage, die sich hören läßt: wie ich zu diesen Kreuz- und Quernachrichten gekommen? Das jetzige Rosenthal'sche Conseil einigte sich über die Data, die mir gegeben sind. Von dem kleinsten Theil habe ich Gebrauch gemacht. Bei[325] Ordenssachen hätte ich hier und da weniger Vorhänge gewünscht. Gastvetter, Johannes und der Engländer waren dafür, daß wenig oder gar nichts verhängt werden dürfte; der Ritter blieb anderer Meinung: er glaubte, verpflichtet zu sehn, Geheimnisse zu verschweigen, wenn sie gleich, ohne es zu seyn, bloß so heißen; doch verhängte er nichts, worüber er kein Gelübde geleistet hatte. Ohne diese Peinlichkeit des Ritters, wäre der Engländer gewiß der Freigebigste gewesen. Er schien ein Feind aller Vorhänge zu seyn. – Dem neugierigen Pastor gehörte die erste Idee, dieses Buch zu schreiben, das er bis jetzt bloß stückweise gelesen hat. – Ob ihm seine erste Idee gereuen wird?

Sophie, Mutter, und Tochter, wollte nicht minder die ritterlichen Kreuz- und Querzüge von A bis Z wissen, in so weit es nämlich sie zu wissen erlaubt war. Abgerechnet, daß bei den Vorhandlungen auch mancher Ordensbruder sich untergeschoben hat, ist das Geld des Ritters nicht besser angewendet, als wenn er sich auf galanten Reisen um Gesundheit der Seele und des Leibes gebracht hätte? – Wer irrt nicht von A bis Z, und von Z bis A? Ob als Ritter oder Richtritter, thut nichts zur Sache. Die irrende Ritterschaft unseres A B C war nicht ohne Segen; und Heraldicus junior behauptet, wenn seine Gattin ihm nämlich so weit Spielraum läßt: irrende Ritterschaft sey eigentlich die wahre; und wo nicht drei-, sieben-, neun- und zehnmal, so doch weit besser als die nicht irrende. Ein grober Irrthum! In Rosenthal haben diese Kreuz- und Querzüge im Manuskript manche frohe Stunde gemacht. Wie es die Leserwelt damit halten wird, muß die Zeit lehren. – Der alten Baronin hat man einige Stellen verhängt. – Heraldicus junior weiß bis jetzt nicht, daß sie gedruckt sind. – Der Ritter A B C hieß vom Tage der Verlobung an Baron; seine Ritterschaft unter der Weste ist von A bis Z abgelegt.

Sollte wohl jemand glauben, ich hätte zu viel von Ordensgeheimnissen [326] entdeckt? Zu viel? Da man in unsern Tagen Gesichte und Geister zu zeigen so unbedenklich ausbietet, wie ehemals Elephanten, Riesen und Zwerge? – – Und wenn man seinem Nächsten siebenzigmal siebenmal täglich vergeben soll, warum will man mir die hundert vierundachtzig Paragraphen nicht zu gut halten, die wahrlich nicht böse gemeint sind?

Eldorado ist, so wie das Himmelreich, nicht in Büchern, sondern in uns; in uns ist Eldorado! – Es sey oben oder unten, oder auf Erden; ohne uns selbst ist kein Eldorado!

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TextGrid Repository (2012). Hippel, Theodor Gottlieb von. Romane. Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6A53-3