Karl Immermann
Düsseldorfer Anfänge
Maskengespräche

[3] 1.

Die Düsseldorfer Künstler sind geistige Nomaden. Sie binden ihr Rößlein heute an diesen Pfahl, morgen an jenen Strauch. Sie mahlen nicht nur, sie verkleiden sich auch, machen Knittelreime, oder gelegentlich Ottaven, extemporiren Schnurren, oder führen geschriebene Komödien auf. Wie auf der Universität, wächst in der akademischen Stadt jährlich eine frische Jugend nach. Wie aber nicht auf der Universität, bleibt mit wenigen Ausnahmen der alte Stock und Stamm. Der Student wird nach seinem Triennio ein Philister, den Künstler erhält die Kunst länger grün. Unsere Dreißigjährigen, zum Theil ehrsame Gatten und Väter, verschmähen nicht, »die kurzen bunten Lumpen um des Lebens arme Blöße zu schlagen,« die Egmont mit so rührender Bitte für sich in Anspruch nimmt.

Der Darstellungstrieb der Düsseldorfer Mahler erlebt im Karneval seine Blüte. Der italienische Karneval ist ein Impromptu toller Volkslust, der Kölnische schmeckt etwas nach Absicht und Berechnung; die Fastnachtsscherze unserer Künstler sind eine Fete, welche eine geistreiche Kaste sich und ihren Anhängern gibt. Diese Fete hat sich nun schon mehrere Jahre hindurch wiederholt, sie ist zur Tradition geworden. [3] Ein geräumiges Haus draußen vor dem Thore, zwischen Gärten, thut seinen weiten Saal auf; lampenhelle ist er; da hinein laden sich die Mahler ihre Freunde, die Ersten der Stadt, den Hof. Die bunten Masken kommen eine nach der andern an, man begrüßt sich, man sucht sich zu enträthseln, Possen und Anspielungen fliegen durch den Saal. Plötzlich ertönt ein Zeichen hinter dem Vorhange, der einen Theil des Raums verhüllt, die mythischen, romantischen, exotischen Figuren ordnen sich still auf den Sitzen, die Gardine hebt sich, das Stück – eines von denen, welches Anlaß zu reicher Kostümirung gibt – beginnt, und eine Zeitlang vergißt der zuschauende Türke seinen Turban, der schlanke, schöne Minnesänger sogar, welch ein hübsches Mädchen vom Peloponnes in seiner Nachbarschaft sitzt.

Vor einem Jahre war der Mahler Faschingsabend besonders lebendig. Kaum zwölf Meilen von uns schworen die Belgier persévérance et courage um Luxemburg und Limburg, Skrzynetzky war in Brüssel angekommen, die Gesandten waren von dort abgereist; hier aber tummelten sich, als wohnten wir weit weg im Westmeer auf einer der Inseln der Seligen, Einfälle, Scherze, Attrappen. Uechtritz hat in seinem Buche über das Düsseldorfer Künstlerleben auf dessen politische Unschuld hingewiesen. In der That glaube ich, nur der Donner der Kanonen am Rhein würde diesen Zustand in den Sündenfall schrecken.

Indessen waren die Mahler auch kriegerisch auf ihre Weise, d.h. in der Einbildung. Sie gaben Wallensteins Lager. Die Jacken, Koller, Hosen, Schärpen, und Harnische der Kriegsleute, alten Waffenbüchern genau nachkopirt, und mit künstlerischer Klugheit zum lebhaftesten Farbenbilde zusammengestellt, verfehlten ihre Wirkung nicht; mit der nöthigen Gravität sprach der Wachtmeister, dieser Feldherr in Holzschnittmanier, feurig und keck der Jäger, in einer eigenen komisch-rührenden Erhabenheit der Wallone ...


... »Der nie erfahren, wer er sey?

Sie stahlen ihn schon in jungen Jahren.« –


Das Reiterlied verklang, der Vorhang fiel, wurde aber gleich wieder aufgezogen. Nun gestaltete sich der Platz vor den Zelten bei Pilsen so zu sagen zur vornehmsten Frontloge. Denn eine Reihe der geschmücktesten Damen nahm dort bei den Kochfeuern Platz, zwischen denen Gustel von Blasewitz und ihrer Schwester Kind aus dem Reich den Melnecker umhergeschenkt hatte. Dieser und jener Spanier, mancher glänzende Ritter trat zu den Damen hinter ihre Stühle; ein gekröntes Haupt, ein weiser Meister stellte sich ein, und so gewann das Ganze da droben auf der kleinen Bühne das Ansehen eines Artushofes, der, freilich aus [4] kontrastirendem Rahmen, vergnüglich auf das Getümmel unten im Saal niederschaute.

Das war groß unter den paar hundert Masken, die sich dort versammelt hatten. Der Jubel des Tanzes begann. Perserinnen, Gärtnermädchen, Fischerinnen, Donnen, Fürstinnen aus Rußland und Polen schwangen sich mit den Wallensteinern und anderem Sammet, Seidenzeuge, Zindel umher, dazwischen hüpfte der Zwerg, schnitt der rothe Pickelhäring mit Kolben und Gugel seine Gesichter. Die braune Wahrsagerin fand in einem Winkel aufmerksame Zuhörer für ihre Prophezeihungen, die alle glücklich klangen. Selbst der arme Gelähmte war an seinen Krücken lustig, und maß allerhand Gelegenheitsreime den Begegnenden nach der Elle zu. Da aber der Verstand bei der Phantasie nicht fehlen darf, so umsäumte diese heiteren Tänze und Spiele ein Kreis ernsthafter und bescheidener Domino's.

Unter denen befand sich ein schwarzer, dem von vielen Seiten Komplimente gemacht wurden. Es hatte nämlich verlautet, daß er alte Regisseurkünste geübt und das Wallensteinische Lager einstudirt habe. Mit dieser Darstellung war man aber ausnehmend zufrieden. Der schwarze Domino bekam daher viel Schönes zu hören.

Er schien aber von diesen Freundlichkeiten nicht sonderlich gerührt zu seyn und sich denselben eher zu entziehen, so weit Dies die Rücksichten zuließen, welche ihm die gute Absicht seiner Gönner auferlegte. Er erwiederte, daß nicht ihm, sondern den geschickten Darstellern die Ehre gebühre, daß die Nachsicht der Zuschauer bei solchen Gelegenheiten die Unvollkommenheiten des Versuchs ergänze, und was dergleichen mehr war. Als nach einiger Zeit das zierlich-kräftige Aufstampfen zweier schöner Paare im Masureck die Augen der Umstehenden fesselte, benutzte er diesen Moment, sich still zurückzuziehen. Er entwich in ein Nebenzimmer, wo einige ältliche Herren sich beim Glase des stilleren Gesprächs erfreuten.

Ein blauer Domino folgte ihm. Dieser hatte im Saale kopfschüttelnd den ausweichenden Reden seines Freundes zugehört. Der Schwarze saß, halb in sich versunken, hinter einem Tische seitab von den Andern. Der Blaue stellte sich vor ihn, und sagte nicht ohne Ueberwindung, wie es schien: Du bist zwar da drinnen eben kein erkenntlicher Gepriesener gewesen, dennoch muß auch ich Dir noch für den Genuß danken, den Du uns gegeben hast. Ich erinnere mich von den großen öffentlichen Theatern her keiner ähnlichen Darstellung an Frische, Ründung, rauhem, kräftigem Leben.

[5] Lieber, versetzte der schwarze Domino, wenn es Dir und Denen, die ich hier lieb habe, Spaß gemacht hat, so ist es gut, und nun laß uns von der ganzen Sache nicht weiter reden.

Nein, erwiederte der blaue Domino, einige Worte mußt Du mir schon noch gestatten. Wie ist es Dir möglich gewesen, mit zwanzig Dilettanten auf zwanzig Schuh Raum uns vorzugaukeln, daß wir uns wirklich inmitten der gewaltigen Armada des Friedländers befänden?

Vergiß zuvörderst nicht, sagte hierauf der schwarze Domino, daß allen dilettantischen Bemühungen der persönliche Antheil der Zuschauer kräftig nachhilft. »Das ist Der, und das ist Der« – »Mein Gott, wie sieht der – Dings da – aus?« Du glaubst nicht, welche Magie aus diesem Gemurmel des Auditoriums hervorflüstert. Sodann mußt Du erwägen, daß der Naturalismus phantasievoller Nichtkünstler für den Augenblick oft wirklich mehr zu leisten im Stande ist, als die Routine gewöhnlicher Schauspieler. Naturalisten sind wie junge Rekruten, mit denen zuweilen kühnere Handstreiche gelingen, als mit der alten Garde, welche die Gefahr kennt.

Also Du bist, wie der Gott Epikur's, indifferent gegen Deine Welt? sagte der blaue Domino etwas scharf.

Nein, versetzte der Schwarze, da Du einmal mit mir über dieses fürtreffliche Lager so gründlich anbindest, so will ich Dir gestehen, daß ich auch weiß, welchen Theil ich an seinem szenischen Siege habe. Bei solchen dramatischen Genrestücken kommt es hauptsächlich darauf an, die Phantasie der Zuschauer produktiv zu machen, auf daß sie glauben, was sie nicht sehen. Deßhalb ließ ich vor dem Erheben der Gardine Signale auf der Bühne geben, denen dann hinten weit vom Garten her Trommelwirbel und Trompetenschmettern antwortete. Damit meinte ich ein groß Stück Land für die Einbildungskraft der Zuschauer zu erobern. Der Appell, der hierauf hinter dem Vorhange gehalten wurde, mußte dazu dienen, ihr geistiges Auge zu fixiren. Bei dem Spiel sorgte ich dafür, daß jeder meiner Wallensteiner zur rechten Zeit und am bestimmten Flecke in das Gefecht des stummen Mitspielens kam, welches bei einem solchen Stücke so wesentlich ist. Ich zeigte Euch den Mann bald von vorn, bald vom Rücken, bald in der Stellung, bald in jener, jetzt in der Zusammenstellung mit diesem Kameraden, dann wieder in einer Gruppe mit Andern, und so fort. Bedenke, daß mir fast immer fünfzehn disponible Komparsen solcher Art blieben, multiplizire diese mit fünfzehn, und Du findest zweihundert und fünfundzwanzig verschiedene Motive der Bewegung und Zusammenstellung, unter denen ich das Aussuchen der besten für die Dauer einer kurzen Stunde frei hatte.

[6] Der blaue Domino lachte. So arithmetisch hätte ich diese ästhetischen Gebilde nie betrachtet! rief er.

Und doch ist in allen Dingen, wenn man sie einrichtet, ein gewisses Zählen und eine Art von Mathematik nothwendig, antwortete der schwarze Domino. Ich hatte für sämmtliche Szenen einen förmlichen strategischen Plan entworfen, nach welchem die Evolutionen der Haufen und Gruppen naturgemäß, und wie die poetischen Momente der Handlung sie bedingten, sich entfalteten. So kam es, daß die Zuschauer an den redenden Personen, als an den Trägern der Handlung, einen Halt hatten, in dem bewegten Mittel-und Hintergrund aber beständig neue Soldaten zu-und abströmen zu sehen wähnen durften. Die Herren Regisseure unserer großen und berühmten Hoftheater begnügen sich bei solchen Darstellungen damit, den Choristen und dritten oder vierten Fächern, welchen dergleichen Rollen zufallen, anzubefehlen, daß sie an der Handlung Theil nehmen sollen. Das kommt mir so vor, als ob ein Feldherr einem einzelnen Regiment geböte, am Kriege überhaupt Theil zu nehmen. Gerade da, wo in unsrer heutigen Komödie mein strategischer Plan bis auf die halbe und Viertelswendung pedantisch exakt ausgeführt worden ist, mag wohl der täuschendste Schein entstanden seyn, daß die Sache sich von selbst gemacht habe. Denn in der Kunst sieht das Berechnetste und Regelrechteste immer wie der reizendste Zufall aus. Ich habe Dich nun tief in meine Karten blicken lassen, und wenn Du dazu nimmst, daß ich in den Zuschauern immer ein weites Draußen zu produziren wußte, so wird Dir mein Experiment ziemlich plan und begreiflich vorkommen. Ich ließ nämlich, wo es anging, und besonders in den enthusiastischen Szenen, an gewissen Gipfeln der Rede, von Denen, die nicht auf der Bühne standen, Gesumme, Gelärm, Geschrei, Becherklingen machen, oder auch dann und wann eine halbe Strophe eines Schelmenliedes singen.

Vergiß nicht, sagte der blaue Domino, daß Du das Stück von den Meisten in Dialekten sprechen ließest.

Dieses Mittel, die Illusion der buntesten Mannigfaltigkeit zu erzeugen, liegt so nahe, daß man nicht begreift, wie die Leute, die sich mit dem Theater beschäftigen, es haben außer Acht lassen können, erwiederte der schwarze Domino. Eine rohe Soldateska, die durcheinander schwatzt und selbst von sich aussagt, daß sie aus allen Ecken und Enden zusammengeblasen worden sey, braucht doch nicht mit uniformer klassischer Eleganz zu reden. Man zerstört also nicht den Sinn des Gedichts, man interpretirt vielmehr Schiller auf richtige Weise, wenn man statt des gangbaren reinen Deutsch ein Sprachmengfutter in diesem Stücke [7] auftischt. Deßhalb ist es mir eingefallen, den Böhmen böhmisch hart, den Oberdeutschen schwäbisch, den Tyroler tyrolisch, die Marketenderin sächsisch, den Kapuziner in dem Kölnischen Dialekte, dessen er mächtig war, (obgleich ich lieber einen Bayern oder Westphalen aus ihm gemacht hätte), den Holsteiner im breiweichen Küstenton reden zu lassen; der Wallone aber hatte sich selbst ein gebrochenes Idiom erfunden, welches mir noch lange im Ohr nachklingen wird, denn es gab der Rolle, anstatt ihr Pathos zu schwächen, im Gegentheil etwas eigen Ergreifendes.

Der blaue Domino bedachte sich, und sagte dann: Aus Deinen Worten abstrahire ich mir eine Regel. Man soll in der Kunst hauptsächlich per synekdochen wirken, durch den Theil das Ganze andeuten.

Der Schwarze versetzte: Alle echten Mittel der Kunst, namentlich der szenischen, sind höchst einfach, und kosten kein Geld, sondern erfordern nur Verstand. Göthe wußte mit einem alten Lappen, den er irgendwo aufgetrieben, Wunderdinge auszurichten. Die heutigen Intendanten aber meinen, Das, wofür sie nicht Geld ausgegeben, sey überhaupt Nichts werth. Und mit diesen wenigen Worten ist der ganze Verfall deutscher Bühnenkunst beschrieben zugleich und erklärt.

Ja, sprach der blaue Domino mit Feierlichkeit, unsere Bühne ist in einen Verfall gerathen, der –

Oh, oh, oh! rief der schwarze Domino, und hielt sich beide Ohren zu. Lieber, ich bitte Dich, Nichts vom Verfall der deutschen Bühne weiter! Die Reden über dieses Elend sind mir fast so unleidlich geworden, wie das Elend selbst es mir ist. – Macht's besser, aber hört endlich mit diesen Jeremiaden auf! Genießt wenigstens das Gute, wo es sich einmal wieder emporringt, fördert es dankbar, vertheidigt es tapfer! Aber Ihr thut's ja nicht. Düsseldorf hat drei Jahre lang eine Bühne besessen, deren Mängel und Schwächen ich wahrhaftig, dem sie sehr wohl bekannt sind, nicht abläugnen werde. Aber die Wahrheit ist, und deßhalb darf ich sie aussprechen: die Düsseldorfer Bühne hatte Tendenzen, wie sie mir auf keinem andern deutschen Gerüste neuerdings ersichtlich geworden sind, und was menschliche Kraft vermag, ist aufgeboten worden, den Tendenzen nachzukommen. Und hat sich eine kräftige Feder bewegt, ist ein beredter Mund laut geworden, die Gunst des Hofes, die Ambition unserer Reichen und Vornehmen rege zu machen, daß sie von ihrem Ueberfluß Etwas abgaben, um das Institut zu erhalten? Mit nichten. Man hat uns gelassen und gleichgültig fallen lassen.

Den Untergang unserer Bühne möchte ich weit mehr von inneren [8] Ursachen ableiten, erwiederte der blaue Domino. Ganz gewiß, wenn Du Dich nur aufrichtig prüfen willst, standest Du einer gewissen Ermüdung und Blasirtheit über die Sache nahe. Und Du warst doch die Feder in der Uhr.

Es ist mir lieb, daß ich mich über diesen Punkt einmal offen aussprechen darf, sagte der schwarze Domino. Ja, man hat Dies verbreitet und drucken lassen, und es ist noch zuletzt etwas Aehnliches im Artikel des neusten Konversationslexikons, der von mir handelt, gesagt worden. Es ist aber nicht wahr. Ich habe nie die Bühne überschätzt, und bin nicht der Meinung, daß Deutschland untergehn müsse, weil es seit Dezennien keine mehr besitzt. Ich weise der Bühne aber allerdings ihre Stelle im Kulturleben eines Volkes an, und bin der Meinung, daß diese nicht vom Pietismus, nicht von der Philosophie, nicht vom Kommerziellen, oder vom Bilderbesehen, oder von hundert andern Dingen, womit die Leute sich jetzt beschäftigen und unterhalten, ausgefüllt werden kann. Weil ich mich denn also nicht mit einem trunkenen, sondern mit einem nüchternen aber liebevollen Blick an die Bühne machte, so habe ich ihre Leitung als ein ernstes Geschäft angesehen, bei dem man bekanntlich das Vergnügen nicht in einem wollüstigen Kitzel, sondern mir darin sucht, daß man sieht, man bringe die Sache vorwärts. Da nun die Resultate meiner Arbeit augenfällig waren, und sich im Verlauf des Geschäfts nicht minderten, sondern steigerten, so hatte ich als guter Arbeiter meinen Lohn, fühlte mich in meinem Berufe frisch, und verspürte keinerlei Ermüdung.

»Aber die Schauspieler?«

Diesen muß ich das Zeugniß ehrenhaftesten Fleißes bis zuletzt geben. Ich habe meinen Schauspielern nie geschmeichelt, ich habe ihnen Anstrengungen zumuthen müssen, wie sie sonst nirgends den Leuten auferlegt werden, sie haben mir auch durch ihre Trakasserien und Grillen tausendfachen Verdruß gemacht, aber in der Hauptsache, in der Lust und Liebe zum Dinge, in der Ausdauer und Beharrlichkeit sind sie Kerntruppen zu vergleichen gewesen, welche sich noch schlagen, wenn auch kein Sieg mehr zu hoffen ist und die Milizen längst davon gelaufen sind.

Damit Du aber nicht sagest, ich brüste mich nur mit ihnen, so erinnere Dich gefälligst, daß die Düsseldorfer Bühne am letzten März 1837 aufhörte, und daß ein Vierteljahr vorher dem ganzen Personal gekündigt war. Es war also eine Zeit damals eingetreten, in der sonst die Kräfte eines Instituts erlahmen, weil die Gedanken, ohne Interesse an der Nähe, schon wild in der Ferne umherschweifen. Und da haben die [9] Düsseldorfer Schauspieler am 1. März Egmont, am 16. Julius Cäsar, an Göthe's Todestage, am 22., Iphigenie, am 31. Griseldis geliefert, neben der übrigen kurzen Tageswaare. Egmont war in mehreren Hauptrollen neu, Cäsar, Iphigenie, Griseldis waren ganz neu. Daß zu den Proben unter solchen Umständen nicht selten ein Theil der Nacht verwendet werden mußte, begreift sich; sie thaten und leisteten aber Dieses, weil sie ihre Ehre darein setzten, daß die Bühne im höchsten Glanze der Thätigkeit untergehe. So lieferten sie mir den Beweis, daß auch der deutsche Schauspieler sogleich wieder ein ganz anderes Wesen wird, wenn man ihn nur richtig anfaßt. Die richtige Behandlung, welche ich meine, besteht aber nicht im Kajoliren oder Ordonniren vom Kabinett des Intendanten aus, sondern darin, daß ihnen, nicht in hohlen Worten, sondern in der That und in der Wahrheit, das Bewußtseyn werde von einem in tüchtigem Sinne unternommenen Wirken, daß der Intendant gestaltend, ordnend, erfindend, bis in das Kleinste eingreift, daß er, um es kurz zu sagen, das Feuer des Gefechts nicht scheut. Muth und Geschick wird er nun freilich dazu nur haben, wenn er selbst von der Klinge ist. Man macht Rechner zu Financiers, Juristen zu Richtern, Mahler oder Bildhauer zu Direktoren der Akademien, aber im Gebiet der schwierigsten und verwickeltsten Kunst macht man Hofleute zu Intendanten. Es ist ein Widersinn, der kaum widersinniger gedacht werden kann.

Wenn ich Dir auch Alles Das zugeben will, so würde das Versiegen des Repertoirs der Sache ein Ende gemacht haben, sagte der blaue Domino.

Leben ruht auf sich selbst, wird durch sich selbst verbürgt, weiß sich seine Zuflüsse zu öffnen! rief der Schwarze. Ueber einem Institut voll Kraft und Blut waltet sein Stern. Ich weiß nicht, was ich noch Alles hätte geben lassen sollen, meine Projektenzettel enthalten manches seltsame, phantastische, poetische, gewagte Problem verzeichnet. Da fallen mir eben beispielsweise Fortunat, Manfred, Drei Vergeltungen in Einer, Demetrius, den ich fortsetzen wollte, Almansor, versteht sich etwas zugestutzt, Grabbe's Napoleon, szenenweise phantasmagorisch-tableauartig behandelt, Oedipus Rex ein. Denn auch an die antike Tragödie wollte ich mich wagen. Was davon mißlungen, was geglückt wäre, wer weiß es? Die Bühne aber würde fortgelebt haben in dem neuen, Alles hazardirenden Geiste. Konnte mittlerweile nicht ein frisches Talent erblühen, und seine Kraft zu einem Theater hingezogen fühlen, welches ihm mehr Chancen für den Erfolg origineller Gedanken darbot, als ein anderes?

[10] Du siehst also, Freund, wie sich die Sache eigentlich verhält. Die Düsseldorfer Bühne ist nicht an einem innern Leiden, sondern einzig und allein daran untergegangen, daß die mehreren Millionen, welche das Kapital unserer hiesigen Optimaten bilden, nicht ein ferneres jährliches Subsidium von viertausend Thalern mehr abwerfen wollten, denn so Viel etwa bedurfte sie zu ihrem Fortbestand. Ich will dieses Faktum weder loben noch tadeln, aber konstatirt muß das Faktum endlich doch einmal werden. Ferner ist es faktisch, daß wegen jener mangelnden viertausend Thaler, und nur wegen ihrer, ein Institut zertrümmerte, welches bestimmt zu seyn schien, in die Reihe der rheinischen Kulturanstalten mit einzurücken.

Die beiden Domino's schwiegen. Endlich hob der Blaue, welcher bei seinem Freunde eine trübe Stimmung wahrzunehmen glaubte, wieder an, und sagte: Wirst Du nicht die Geschichte dieses Theaters schreiben?

Ich kann kaum sagen, ich will sie schreiben, sondern es muß geschehen, erwiederte der schwarze Domino. Ich habe die Pflicht, denn ich allein kann doch nur von dem innern Mechanismus der Anstalt und ihren Gedanken im Einzelnen Rechenschaft geben. Nun ist aber die Aufgabe sehr schwer, und die Lösung will mir noch nicht klar werden. Mein Interesse an einer solchen Schrift ist ein rein praktisches: sie soll dem großen Publiko zeigen, auf welche Weise man etwa die Reorganisation der deutschen Bühne beginnen könnte. Ich muß aber, will ich gründlich zu Werke gehen, über viele Materien technisch verhandeln. Das interessirt nur den einzelnen Techniker. Das Publikum, fürchte ich, wird sich dabei langweilen. Es will, wenn es auch nicht auf den Bänken vor den Lampen sitzt, die Entscheidung, nicht den Prozeß.

Nun, rief der blaue Domino, bis Dir die passende Form einfällt, erfreue Dich unterweilen an der Geschicklichkeit unsrer Volontaire!

Nein, versetzte der schwarze Domino ganz ernsthaft, an einem solchen Gesellschaftsscherz kann ich mich nicht nachfreuen. Wenigstens ist er in meiner Schätzung ohne allen reellen Werth. Die Mahler sind so gute Leute, sie sind mir so gefällig und liebevoll, daß es unrecht von mir wäre, wenn ich nicht einmal ihnen wieder einen kleinen Gefallen thäte, wenn ich ihnen ihren Spaß verderben wollte. Nachher mag ich aber nicht mehr davon reden hören, denn alles Dilettanten- und Zwitterwesen, wozu doch solche Privatkomödien auch gehören, wird einem gleichgültig, wenn man die Dreißig hinter sich hat, doppelt gleichgültig, wenn man, wie ich, die Kunst im strengen Styl und auf ihrem eigentlichen Boden trieb. Erzeige mir also die Liebe, und laß uns von einer Sache nun[11] schweigen, über welche genug und vielleicht schon mehr als genug geredet worden ist.

Der blaue Domino schüttelte nun abermals, wie im Saal, das Haupt, und ging halb unwillig nach dem Tummelplatze des Festes. Unter der Thüre aber wandte er sich um, und kehrte zu seinem Freund zurück, der hinter dem Tisch sitzen geblieben war. Zögernd kehrte er zurück, in seinem Antlitz kämpfte Verdruß mit wehmüthiger Freundlichkeit. Er stellte sich vor den Freund hin, stemmte die Arme in die Seite, und sagte: Bist Du nicht seltsam? Da drinnen klingen und jubeln die lustigsten Straußischen Walzer, schöne Mädchen und hübsche Jünglinge entfalten Putz und Reize, Dir ist man dankbar für das Vergnügen, welches Du der Gesellschaft gemacht hast, und Du sitzest hier und grämelst.

Man grämelt ja nicht, wenn man über die Dinge, auf welche die Unterredung führt, gerade heraus spricht, erwiederte der schwarze Domino etwas ungeduldig. Du, mein freundschaftlicher Kritikus, stellst Dich mit diesen und andern Worten, welche ich bisweilen von Dir zu hören bekomme, auf die Seite Derer, zu denen Du doch Deinem innersten Sinne nach nicht gehörst. Sie nennen mich erbittert und verbissen, wenn ich nicht jede Meinung, die der Tag eben aufbringt und sanktionirt, theile; sie heißen mich vornehm, weil ich nie habe Clique machen mögen. Das Komische bei der Sache ist, daß mich der hohe Adel, so weit er von mir Notiz genommen hat, seinerseits wieder für einen Antiaristokraten hält. Ja, ich fürchte fast, für noch etwas Schlimmeres, nämlich für eine rustique, wenn nicht gar plebeje Natur.

Ein solcher Tanz, fuhr er fort, der die blühenden Gestalten durch einander wirbelt, hat für mich immer etwas Wehmüthiges gehabt, und es beschlich mich dann die tragische Empfindung, welche den Grundton alles innern Lebens ausklingt. Schon als Knabe mußte ich mich oft halten, daß ich nicht in Thränen ausbrach, wenn die muntern Figürchen so hüpften und hüpften, und die Musik in einförmiger Weise immer fort lachte, und der Mond so seltsam blaß sich zwischen den Spalten der Vorhänge zu der Freude herein stahl. Ein schönes Mädchen, für die meine kindische Empfindung schwärmte, hatte mir einst auf einem Balle fast immer in den begehrlichen Armen geschwebt, ich ruhte nicht und ließ nicht ab, bis sie mir zum nächsten Ball den Tanz versprach, und dann noch einen, und noch einen, ich weiß nicht viele. Sie starb aber in der Woche darauf, von einem jähen Uebel hingerafft. Nun ging ich zwar als echter Knabe auf den nächsten Ball, aber es war mir doch wunderbar und fürchterlich zu Muth, als ich die von der [12] todten Schönen erschmeichelten Tänze mit den Lebenden tanzte, und es kam mir immer so vor, als müsse ein blasser Schatten in die Thüre treten und unwillig den Finger heben. Es ist ein Symbol in diesem kindischen Vorgange verborgen. Wir sind dem Dunkeln, dem Tode versprochen, das Leben reißt uns gleichgültig hin, in dessen Armen wir gleichwohl den ernsten Partner nicht vergessen.

»Aschermittwochs-Betrachtungen! Es hat noch nicht zwölf geschlagen.«

Maskenfreiheit! – Alle Gestalten sind beim Karneval zugelassen. Auch der Eremit darf nicht ausgeschlossen werden mit seiner Wüstenpredigt. – Indessen muß ich Dir entdecken, daß mich noch andere Gedanken heute bewegen, als solche Reminiszenzen unreifer Jahre. Es kommt ja wohl, daß man zu Flöten und Geigen mit ernsten Melodien im Kopfe tritt. Diese belgischen Wirren, die so hart an unsrer Gränze tosen, haben mich zu einer Lektüre geführt, die mich in den letzten acht Tagen unausgesetzt beschäftigte, wunderbar bewegte.

Ein rother Domino, welcher schon seit einiger Zeit in der Nähe umhergewandelt war, und hin und wieder dem Gespräch zugehört hatte, trat jetzt zwischen die Redenden, legte dem Schwarzen die Hand auf die Schulter, und rief: Was? ...


»Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied!

Ein leidig Lied!« –


Mehr eine historische Chorstrophe! versetzte der schwarze Domino.

2.

Eine historische Chorstrophe? fragten die beiden Andern. Nun, versetzte der schwarze Domino, wir treiben hier allerhand Mummenschanz, oder sehen dem Mummenschanz zu, und Aller Sinne sind, wie es scheint, in dieses Larvenspiel versenkt und gleichsam trunken davon. Mein Verhängniß aber hat es gewollt, daß ich noch den ganzen Abend über weniger an diese Masken habe denken können, als an den Boden, auf dem sie umherhuschen, und an die Zeiten, in welchen die Masken meist noch nicht geboren waren. Mehr, als die Gegenwart, ist, wie Ihr wißt, die Vergangenheit meine Göttin. Wer dieser ernsten Alten treu und fest in das Antlitz zu blicken wagt, dem zeigt sie treue und feste Züge. Die Mienen der jungen, flatterhaften Schönen sind zweideutig [13] und nicht selten verbuhlt. Man kann eine Leidenschaft für sie empfinden, aber bedenklich ist es, sie zur Freundin zu wählen.

Du bist demnach heute ein umgekehrter Gracioso, sagte der blaue Domino. Sonst parodirt der Lustigmacher den Ernst der Haupt- und Staatsaktion, Du aber willst die Faschingstollheit gleichsam in Deinem Ernste zur Vernunft bringen.

Es muß auch solche Käuze geben, versetzte der schwarze Domino.

Aber Ihre Lektüre? fragte der Rothe.

Görres.

Wie? Athanasius?

Nein. Den habe ich früher gelesen. Er hat mich auch keineswegs bewegt, oder eigentlich nur nachhaltig beschäftigt. Ein Falsum verdient die Aufmerksamkeit Dessen nicht, der nach Unterricht und Belehrung strebt, wenn er liest.

Ein Falsum! rief der blaue Domino. Sollte der Inhalt des Athanasius so hart zu bezeichnen seyn?

Ich wüßte mich wenigstens nicht milder auszudrücken, erwiederte der schwarze Domino. Athanasius besorgt die Unterdrückung der katholischen Kirche am Rhein, und gibt zugleich zu verstehen, daß das Heil des Geistes auf dem Katholizismus beruhe. Nun aber weiß der kluge Mann recht wohl, daß die Regierung keineswegs auf so starken tyrannischen Füßen steht, und als Geschichtskundiger muß er wissen, daß unsere große Literatur, Philosophie, die Richtung der neuern deutschen Gelehrsamkeit und klassischen Bildung nur aus dem Schoße der Reformation geboren ist. Wer ein so offenkundiges Faktum unterschlägt oder bei Seite schiebt, begeht ein Falsum.

Ich kann in Dein Verdammungsurtheil über Görres nicht einstimmen, sagte der blaue Domino. Ich wüßte Keinen außer ihm in Deutschland, ja, ich wiederhole es, Keinen, in welchem das parlamentarische Genie, was bei uns selten gedeiht, so mächtig wäre. Er ist gleichsam durchsogen vom politischen Elemente, er hat nicht die Zeit ergriffen, sondern er ist selbst die personifizirte Zeit. Oft hat man neuerdings die Worte: dämonisch, dämonische Natur – gar freigebig verwendet, auf Görres aber passen sie. Er ist ein Dämon, nicht Gott, nicht Mensch, sondern mitten inne. Wie die Zeit die geheimnißvollsten und wechselndsten Akkorde anschlägt, so ist freilich auch Görres nicht selten dunkel und wechselt die Töne. Aber ihm darum Zweideutigkeit vorzuwerfen, oder ihm Inkonsequenz vorzurücken, wie zu geschehen pflegt, ist ungerecht. Solche Windharfen der Geschichte sind gewaltige Stimmen des Moments, die Wolke der blitzschwangern Gegenwart findet in ihrer Rede die heftige [14] und wohlthätige Entladung. Der Athanasius hat der Regierung mehr geholfen, als alle Schutzschriften. Die Wetter und Schwaden, welche versperrt in unterirdischen Stollen umherzogen, explodirten in ihm, manche Verdrießlichkeit fand in dieser harten und herben Allokution ihre Verpuffung.

Verdrießlichkeit! rief der rothe Domino. Ja, da hast Du ein Wort gebraucht, welches für die Gegenwart paßt. Die Menschen haben nicht die rechte Kraft, zu hassen und zu zürnen; sie sind verdrießlich. – Aber das verdrießliche Wesen ist es eben, welches mich von Görres verdrießt. Ich theile sonst Deinen Respekt vor ihm. Sein Vermögen ist groß, sein Eifermuth nachhaltig. Es ist gar schön, wenn ein Land ein Individuum hervorbringt, welches gewissermaßen das Land selbst ist, persönlich mit Fleisch und Blut, mit allen Tugenden und Lastern, mit seinen Gedanken und Schrullen. So zwingt mir O'Connell, den Irland bewegt, und der Irland wieder mit dem Winke seiner Hand bewegt, Ehrfurcht ab, so begeistre ich mich an Uhland, von dem sie in Schwaben sagen, er habe nie etwas Anderes geredet, als was ihnen gerecht gewesen. Görres war nun das Rheinland, mit seiner Berührigkeit und Lehhaftigkeit, mit seinem schnellen Witz, seiner glänzenden Einbildungskraft, mit seinem schlagenden Verstand, und – seiner Advokatensuade. Er war der Agitator des Rheins, er hätte der Regierung wie in einer Abbreviatur immer die Physiognomie des Landes gezeigt, welches ihr hin und wieder unverständlich ist. Und deßhalb ist es ein Verlust, daß er seinem heimischen Boden entzogen ward. Die repräsentative Regierung bedarf der Opposition, die absolute Monarchie der Fronde, um ein Gegengewicht zu haben und dadurch sich im Gleichgewicht zu halten. Nun ist es verdrießlich geworden, und seine schlechte Laune hat die Früchte getragen, davon die spätere immer saurer war, als die frühere: Deutschland und die Revolution, Europa und die Revolution, endlich die christliche Mystik. In dieser wird die Verstimmung positiv, und will zu Gunsten des frommen Kinderglaubens eine neue Karfunkelphysik stiften.

Ein ältlicher, heiterer Herr, in papagaigrünem Domino, welcher an einem benachbarten Tische Whist spielte, war im Begriff gewesen, einem Bekannten seine Karten zu überlassen, und sich zu den Redenden zu gesellen. Als er aber die letzten Worte hörte, murmelte er halb spöttisch: Nichts als tiefsinnig gelehrte Konversation! und setzt vor der Hand sein Spiel fort.

Wie groß und tapfer steht dagegen der alte, herzhafte Agitator im Rheinischen Merkur da, fuhr der rothe Domino fort. Diese Blätter, zu [15] ihrer Zeit von den hungrigen Lesern verschlungen, welche dem Redakteur den Ehrennamen der fünften alliirten Macht zuwege brachten, gehören zu den wichtigsten Dokumenten unsrer großen Sturm- und Drangperiode. Der Befreiungskrieg war in Sachsen, Böhmen, und Schlesien ein wilder Jüngling gewesen, der heftig sich getummelt und um sich gehauen hatte; erst am Rhein wurde er zum Mann, schlug die Augen auf, besann sich, und fragte: Was willst Du? – Schlachten sind wohl gut, aber der Sieger verlangt doch endlich zu wissen, wohin er gelange. Da stellte sich nun der schlaue Götterbote auf den Markt zu Koblenz, und wies die Wege und die Stege, maß mit richtig geaichtem Maße die Könige und die Völker, und sah nach, ob die zirkulirende Münze ihr Schrot und Korn habe, setzte den Kurs der vollwichtigsten fest, und märzte die Stücke der Kipper und Wipper aus. Der Rheinische Merkur war das Gewissen jener Zeit.

Was mir den scharfen Warner, den einschneidenden Strafredner, den unerschrockenen Propheten von damals besonders ehrwürdig macht, ist sein versöhnlicher Sinn, sein konservativer Charakter inmitten alles Zornigen und Dräuenden, was der gewaltige Mund ausströmt, sagte der blaue Domino. War Etwas Thatsache geworden, so redete der Merkur zum Frieden, wie sehr er sich auch früher dagegen gestemmt haben mochte. So z.B. ist er der entschiedenste Widersacher von Sachsens Zerstücklung, als denn nun aber das verhängnißvolle Werk geschehen, da weiß er die edelsten und herzlichsten Worte zur Beschwichtigung der tiefverwundeten Gemüther zu finden. Weise sind seine Betrachtungen über den Aufstand der sächsischen Garden zu Lüttich, meisterhaft ist die Auseinandersetzung der sich kreuzenden Prätensionen in der Wiener Kongreßperiode, welche er verschiedenen Interlokutoren auf dem Kongreß in den Mund legt. Nur von Etwas ist er ein unversöhnlicher Feind, selbst wenn es Thatsache geworden zu seyn scheint: von der organisirten Anarchie, einer Erfindung, auf welche die neuern Zeiten ein Patent bekommen haben. – Aber ich sehe – mit diesen Worten wandte sich der blaue Domino gegen den schwarzen – Du hast es gemacht, wie manche Emissäre der Propaganda und bösartige Demagogen; sie verleiten die Völker in den politischen Schwindel hinein, und ziehen sich dann klug zurück. So hast Du uns vermocht, allerhand Bedenkliches und Verfängliches auszusprechen, selbst aber ein schlaues Schweigen beobachtet.

Nun, versetzte der schwarze Domino lächelnd, Ihr habt mich ja des Sprechens überhoben, indem Ihr laut werden ließet, was ich im Stillen dachte. Eben der Rheinische Merkur war es nämlich, der mich [16] in diesen letzten Tagen so gewaltig aufregte. Ich hatte ihn noch nie gelesen, nun erweckten die Zeitverhältnisse einen Trieb in mir, die versäumte Bekanntschaft nachzuholen, und da trafen mich denn die beiden starken Foliobände mit der intensiven Gewalt eines Kernschusses. Was Wilhelm Meister sagt, als er in Shakespeare zum ersten Male hinein blickte: »Man glaubt vor den aufgeschlagenen ungeheuren Büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust, und sie mit Gewalt hin- und wiederblättert« – etwas Aehnliches erlebte ich, nicht durch ein Gedicht, sondern durch jene Urkunde der Wirklichkeit: wir haben keinen Shakespeare, und werden schwerlich einen bekommen, denn alle Bedingungen zur Erzeugung eines solchen Geistes fehlen bei uns, aber – und ich bitte Euch, lacht mich nicht aus über Das, was ich jetzt sage – in anderer Form und Art beweist der deutsche Geist von Zeit zu Zeit, daß auch er den geschickeumfassenden Blick sich erwerben kann, vor dem die Herzen der Gewaltigen und Schwachen sich aufthun, die Verhängnisse durchsichtig klar werden, den Blick, der Shakespeare zu Shakespeare machte. Wie traurig nun, wenn ein solcher Geist von sich abfällt, und, weil ihm der Stoff, darin er wirken kann, entzogen wird, seine Kraft an Ersonnenes, an Launen und Bizarrerien hat verschwenden müssen! Des Mannes, von dem wir reden, Unglück ist, daß ihm das Organ, in dem er sich als eine Nothwendigkeit fühlte, zerstört wurde, und von da an ging es mit ihm abwärts. Unsere Pflicht aber ist es, in ihm, als in einer durchaus geschichtlichen Natur, der Geschichte treu zu bleiben, ihn zu verwerfen im Verwerflichen, im Rühmens- und Dankenswerthen aber ihn zu rühmen und ihm zu danken. –

Da die letzten Reden mit ziemlich lauter Stimme geführt wurden, so hatte sich ein Kreis neugieriger Zuhörer gebildet, von denen einige nach und nach Mitredende wurden. Man gab zu, bestritt, schränkte ein, und unter diesem Hin und Her nahm das Gespräch einen unpersönlicheren Charakter an. Ja, rief Einer, wenn wir bedenken, wie nahe wir hier dem Geschrei der Franzosen nach ihrer sogenannten natürlichen Rheingränze sind, wie von der andern Seite her die belgisch-katholischen Sympathien das Land netzartig überziehen, wenn wir uns erinnern, aus wie vielen Dutzenden von geistlichen Stiftern, Herzogthümern, Grafschaften, Herrschaften und Unterherrschaften dieses burgundisch-fränkisch-sassische Reich vor fünfundzwanzig Jahren zusammengebacken worden ist, so fühlt man wohl, daß man auf zitterndem Boden, daß man auf einem Erdreich, ähnlich dem alten kauchischen Bebelande, steht.

[17] Das größte Unglück für den Rhein ist, daß zwei historische Anlässe, ein großes, selbstständiges Reich zwischen Maas und Weser zu gründen, widrig für eine solche Pflanzung ausschlugen. Bei dem einen hätte man nicht sollen auf den lutherischen Lehrbegriff hinhören, bei dem andern wäre das sechste Gebot die Staatsraison unterzuordnen gewesen.

Welche Anlässe meinen Sie? fragten Mehrere.

O, versetzte der Gefragte, der erste war, als Gebhard Truchseß von Waldburg, Kurfürst von Köln und Herzog von Westphalen, Ausgangs des sechzehnten Jahrhunderts, seiner romantischen Neigung für die schöne Konventualin von Gerresheim, Agnes von Mansfeld, folgte. Er heirathete sie, kündigte der Kurie den Gehorsam auf, und wollte Kurfürstenthum sammt Herzogthum säkularisiren. Es hätte einen tüchtigen Länderkern gegeben, der mit der Zeit sich schon arrondirt haben würde, denn die Reformation hatte von der Pfalz und von Holland her weit um sich gegriffen. Die protestantischen Stände des Reichs hätten alle Kraft aufbieten sollen, dem natürlichen Bundesgenossen zu helfen, aber es geschah nicht, denn der verliebte Truchseß war leider gut kalvinisch, und die Kurfürsten von Sachsen, Brandenburg, Pfalz, stocklutherisch. Rom aber war Rom, d.h. fest und schlau, der Kaiser auch klüger, als die Fürsten. Was half's, daß der überkühne Schenk, dessen Namen noch die Schenkenschanze zwischen Kleve und Nimwegen bewahrt, sich für den abtrünnigen Priester herumkatzbalgte? Er wurde besiegt, niedergestochen, der Truchseß aber entfloh mit seiner Agnes gen Straßburg, und in Köln und Westphalen blieb der Krummstab stehen. Unter dem läßt sich zwar nach altem Spruch gut wohnen, Patriotismus aber, militärische Kraft, historischer Stolz im größern Maßstabe, über den Pfahl und das Weichbild der Stadt hinaus, kurz Alles, was das politische Leben eines Landes zeugt und nährt, kann nimmer darunter gedeihen.

Und der zweite Anlaß?

War, als wenige Zeit später Jakobe von Baden vom guten, albernen Herzog Johann Wilhelm keine Kinder bekommen konnte. Die Tugend dieser etwas ausgelassenen Dame würde wohl kein Hinderniß eines gewissen Kunststücks gewesen seyn, wenn anders nur die Hälfte der im Prozesse ihr gemachten Beschuldigungen wahr ist. Der Erbe wäre da gewesen, Johann Wilhelm hätte an ihn geglaubt, und die schöne Gebietsmasse, die von der Maas bis an die Ruhr reichte, wäre zusammengeblieben. Man hat sich anderer Orten, wo Noth an Mann war, zu helfen gewußt, aber dann müssen sich freilich die Interessenten verstehen. Hier zogen die häkelichten Stände von Jülich, Kleve, Berg, die vermuthlich in der allgemeinen Zerrüttung auch nebenbei im Trüben [18] fischen wollten, benebst der klugen, bösen Schwägerin Sibylle es vor, Jakoben zu verderben. Peinlich auf Ehebruch wurde sie angeklagt, Johann Wilhelmen ließen sie durch einen sonderlichen Meister aus Holland, wie Beer von Lahr in seiner Chronik schreibt, Etwas gegen des Herrn Phantasien und Schwachheiten eingeben, und Gott war demnächst so gefällig, die Markgräfin plötzlich in der Nacht vom 3. Sept. 1597 aus diesem Jammerthal anzurufen, wie derselbe Lahr berichtet. Dessen Chronik muß man lesen, um eine Anschauung von dem Zustand eines deutschen Landes zu gewinnen, in welchem Niemand weiß, wer Koch und wer Kellner sey. Die Ritterschaft intriguirt, Sibylle intriguirt, die Prätendenten Brandenburg und Neuburg halten die Hand im Spiel, der Kaiser schickt Kommissarien zur Schlichtung des Handels, die aber kein Ende finden können, wahrscheinlich geheimer Instruktionen wegen, um durch Hinzögern einen Sequester herbeizuführen, der regierende Herr medizinirt gegen Zauberei, die Gemahlin sitzt im Kerker. Das tollste Durcheinander kleiner Menschen, unterirdischer Schliche und Wege! Eine wunderliche Volkssage hat sich in Düsseldorf erhalten, daß die Angeklagte nicht, wie man natürlich vermuthet, durch ihre Widersacher bei Seite geschafft worden sey, sondern daß die Anverwandten, erzürnt und bekümmert über den Skandal, der ihr Haus traf, demselben heimlich ein Ziel zu setzen gewußt haben. – Nun, dem sey wie ihm wolle, die Gelegenheit war verpaßt, man läßt nachmals zwar Johann Wilhelmen die lothringische Prinzessin heirathen, aber auch dieser Bund bleibt ungesegnet, und nach dem Tode des letzten Fürsten zerschlagen die Prätendenten das Land im Jülichischen Erbfolgekrieg. Brandenburg bekommt zu wenig, um recht Fuß am Rhein fassen zu können; Pfalz, Köln, Trier, Mainz sind in den nachherigen Kriegen französisch, österreichisch, wie es fällt, nie aber selbstständig, und so treibt sich Alles hier in Ohnmacht und Zersplitterung bis zu den letzten großen Welthändeln hinab.

Man hat immer, besonders in den ersten Friedensjahren, von der undeutschen, ja französisch gebliebenen Gesinnung der Rheinländer geredet; so nahm der rothe Domino wieder das Wort. Bedenke man jedoch! Woher sollte eine vaterländische Gesinnung kommen? Diese segentriefenden Gauen trugen die Kornähre und die Rebe; aber es mähte und herbstete in ihnen ein ohne seine Schuld abgestumpftes Geschlecht. In den geistlichen Kurfürstenthümern ein gewisser Seelenschlaf, hie und da die Ueppigkeit, welche der Mitra auch die letzte Bedeutung nahm, in den weltlichen Herrschaften der langweiligste Schlendrian. Dazu fast überall das Gemenge von Nepotismus, Nebenrücksichten, Fraubaserei, was wir hier mit einem Provinzialismus »Klüngel« nennen. [19] Die Aemter nicht selten käuflich. Und mit dieser nullen oder verdorbenen Atmosphäre die Länder seit dem spanischen Sukzessionskriege immerdar das Kriegstheater ohne eignen Helden! Wahrlich, ich wüßte nicht, wie da ein anderer, als ein gleichgültiger Sinn entstehen konnte, und wenn dieser auch bei Vielen ein enger und kleinlicher wurde, so dürfen wir deßhalb immer noch nicht die menschliche Natur anklagen. Nun kam die Revolution, wie ein Gewitter, über die Lande. Sie zerschlug Vieles, sie hatte in den meisten Beziehungen das Ansehen einer wüthenden, herzlosen Naturgewalt, aber – sie befreite die Scholle, und gab die Frucht in die Hände Derer, welche die Frucht gebaut hatten. Was aber mehr: ihre Elektrizität weckte eine elektrische Spannung auf in den Geistern der Menschen, zum ersten Mal nach Jahrhunderten; die Spannung, in welcher Gedanken und Charaktere reifen. Trotz allen Druckes, trotz aller tiefschmerzenden Verletzungen lernten doch die Rheinländer sich zuerst wieder in dem französischen Wesen fühlen, denn eine Nation, welche den Begriff verstand, begrüßte sie als Nation. Napoleon war das Glück, die Macht, der Sieg der Revolution, er half den Anfang einer politischen Stimmung hier vollenden. Was Wunder, daß sie ihren Ursprung nicht so leicht vergessen konnte? Napoleon haßte diese Länder nicht; als ein unblutiges Erbe waren sie ihm schon zugefallen. Er schonte sie, so viel er konnte, er half ihnen selbst hie und da, er schmeichelte der Eitelkeit mehr, als er schonen und helfen konnte. – Wenn man diese vergangenen Dinge so mit einem ruhigen Blick betrachtet, so muß man sich vielmehr des Unzerstörlichen im deutschen Wesen innig erfreuen, welches dennoch viele Herzen, als die große Wandelung eintrat, der vaterländischen Sache sympathetisch entgegenbewegte. Freudig wurden die siegreichen Schaaren empfangen, die Wunden und Kranken fanden Pflege von den Händen der Barmherzigkeit, das begeistert-hassende Wort des Merkur war Tausenden aus der Seele gesprochen; endlich fochten Rheinländer nicht ohne Ehre in den niederländischen Schlachten.

Andere rissen aber auch tüchtig aus, siehe die sogenannte Feuer- und Pfuhlproklamation! murmelte der papagaigrüne Domino halblaut. Er hörte trotz seines Robbers aufmerksam dem Gespräche zu.

Du regst mir da Gedanken an, die ich noch nie in solcher Klarheit gedacht habe! rief der blaue Domino. Die Rheinlande, französirt, waren, als das Interesse an der vaterländischen Sache die Gemüther auch in ihnen bewegte, wie ein Seefahrer, der mit einem Schiffe Gewinn machen will, scheitert, gerettet wird, und im Berghafen hört, er habe in der Lotterie gewonnen. Sie waren mit Napoleon in sein [20] Glücksschiff gestiegen, hofften von der Fahrt guten Vortheil, das Schiff brach, und gerettet hörten sie, sie seyen Deutsche und frei. Nicht in Schweiß und Blut, nicht aus dem Zustand der äußersten Verarmung, Schmach, und Erniedrigung heraus hatten sie das Gefühl, welches nun auflebte, sich geboren, kein Schmerzenskind aus furchtbaren Geburtswehen war es ihnen, wie Millionen ihrer östlichen und nördlichen Brüder. Es kam ihnen wie ein Glück, wie ein glänzendes, wie ein ohne sonderliche Mühe aufgeschürfter Schatz zu. Wie es nun aber immer zu geschehen pflegt, wenn der Mensch an ein großes, praktisches Gut nicht die arbeitsvollste Praxis setzt, so geschah es auch hier. Man empfindet dann mehr ein ästhetisches Vergnügen an dem Errungenen, als daß man sich mit demselben sogleich in ein eigentlich tiefes Verhältniß, welches immer eine stille Bescheidenheit hat, zu setzen wüßte. Die Rheinlande empfanden an der Befreiung Deutschlands und an ihrer Dividende in dieser Ausbeute mehr ein ästhetisches Interesse und Vergnügen. –

Diese Aeußerung fand großen Widerspruch, und man erinnerte in den verschiedensten Ausdrucksweisen an die unzähligen Mühsale, Beschwerden, und Kriegslasten, welche auch der Rhein getragen habe. Als der Sturm sich etwas gelegt hatte, fuhr der blaue Domino fort:

Bedenkt doch, Freunde, daß wir in unsern Gesprächen, wenn sie sich nicht in ein endloses Detail zersplittern sollen, nur die allergemeinsten Umrisse zeichnen dürfen. Es handelt sich bei Dem, was ich sagte, nur von einem großen Mehr und Minder. Der Rhein ward belastet, gedrückt, gezinset und der gemeinen Sache wagen, ja! aber die geöffneten Adern seiner Söhne hatten seine Wellen nicht roth gefärbt, die Triften, welche er bespült, waren von Roß und Mensch und zerstampft worden, die Ehre vor der Welt hatte ihm der Eroberer gelassen. Fragt nur die Elbe, die Oder, die Weichsel, ob sie Euch dieselbe Geschichte erzählen können? Ich wiederhole also, man empfand die Wiedergeburt der deutschen Dinge in hiesigen Landen mehr wie ein Schönes in einer ästhetischen Stimmung, und übrigens mag Euch der Ausdruck in viel gelten, als er werth ist. Gewiß aber ist es, daß aus diesem Verhältnisse die wichtigsten Konsequenzen entsprangen. Denn während man östlich schon zufrieden war, nur dem grimmigsten Elend entgangen zu seyn, und während dort die Bewegung der Zeit vor der Hand lediglich in der Jugend und bei den Intellektuellen rumorte, die Praktiker aber, den Bürger und Bauer wenig ergriff, hatte ein Verlangen, den neuen Zustand vom Schönen in das Schönste zu steigern, am Rhein mächtig alle Stände durchdrungen. Die verschiedensten Ansprüche wollten sich [21] geltend machen. Die Städte petitionirten im Sinne des Bürgerthums; dagegen rührte sich der alte Adel in der Denkschrift, die er 1818 dem Staatskanzler übergab. Er führt darin aus, ein Vertrag habe bestanden zwischen den Provinzen und dem Landesherrn, der Vertrag sey durch die Revolution wohl bei Seite geschoben, aber nicht zerstört. Diese Dinge fanden nun wieder die heftigste Entgegnung vom Bürgerthum aus, welches sonderbarer Weise die Nützlichkeit jenes Anführens, auch für sich, nicht begriff, sondern nur seinem Adelshaß folgte. Man ging so weit, den Bittstellern zu sagen, daß, wenn sie in den Uniformen, die sie noch vor wenigen Jahren getragen, erschienen wären, der Kanzler sie leicht für eine Deputation von St. Helena hätte halten können. So steigerte sich das Fordern, das Hetzen und Verhetzen bis zur Koblenzer Adresse, in der nun Alles vertragen ward, was man wollte, meinte, wähnte. Sie ist das merkwürdigste Symptom des damaligen rheinischen Geistes. So lange man noch um Erhaltung der Geschwornengerichte, um Entfernung aller Feudalität, um Entfeßlung des Handels, und um andere Güter, die man theils hatte, theils mit gesunden Augen nahebei sehen konnte, bat, kann man sagen: die Bittenden hielten sich in den Schranken, die ihnen gegebene Umstände setzten. Aber jene Adresse fordert eine Verfassung, uns zwar nicht in Ständen für die Provinz, sondern für das Reich, ja, nicht für das Reich allein, sondern sie erheischt sogar die Interzession des Königs für diese Sache zu Gunsten von ganz Deutschland bei dem Bundestage. Der kundigste Interpret jener politischen Handlung sagt an einem andern Orte: es sey wohl schicklich gewesen, für das Geschenk, welches die östlichen Stammverwandten dem Westen mit der Befreiung vom französischen Joche gemacht hätten, ihnen ein Gegengeschenk vorzubereiten: die bürgerliche Emanzipation. Als wenn dergleichen sich schenken ließe! Als wenn Verfassungen, nämlich die ächten, lebendigen, lebensfähigen nicht immer, die Früchte großer Krisen im Hauptorganismus des Staats wären! Die große Krise in Preußen war nun, daß, weil Friedrichs herbe Kraft, sein genialer Verstand, und sein gewaltiges Bewußtseyn sich, so weit diese Tugenden Eigenthum einer Masse werden können, dem Volke infiltrirt hatten, das Volk fähig und tüchtig geworden war, den Staat zu retten. Popularisirter Fridericianismus war das neuste Entwicklungsstadium des Staats. Naturgemäß hätte daher die Frage der Zeit nur von den ältern Söhnen des Hauses angeregt werden können, die allein jenes Stadium ganz durchmessen hatten. Sie thaten es aber nicht, gewiß zum Theil aus frommer Scheu vor der ungeheuren Schwierigkeiten und Verwickeltheit der Frage, auf welche auch der Staatskanzler in der[22] Antwort auf die Adresse, leise und schonend, wie seine Art war, hindeutete. Daß die jüngsten Kinder sich dessen unterwanden, zeigte, daß sie die Gestalt der Dinge, wie sie geworden, leicht, und zum dritten Mal sey es gesagt, ästhetisch nahmen.

Klage nicht an, sagte der schwarze Domino. Laß die Eris ruhn, wecke sie am wenigsten über Vergangenheiten gewisser Art.

Meine Rede soll ihre Schlangen nicht rühren, versetzte der Blaue. Ich klage nicht an. Ich finde gerade in dem Leichten, Wagenden, Uebermüthigen jener Adresse einen Sinn, der rein ist von den schweren Erinnerungen des Staats, in dieser Unschuld aber ohne ich die glücklichste Zuthat zu dessen Gesammtleben. Die Rheinlande sind das heitere Blut, die Phantasie, der fröhliche Sinn Preußens. Ein rühriges, anstelliges, gewitzigtes Volk bewohnt sie. Auch Gemüth hat es, Talent zur Liebe, Anlage zur Treue. Aller patriarchalischen und nebenbei vigilanten Behandlung ist es freilich von Grund der Seele abhold, aber es vermag der verständige Freund des aufrichtig Meinenden zu seyn. Wollt Ihr es bevormunden, so wird es sich bald seinen eigenen Familienrath ernennen. Befehlt ihm kurz und ohne Umschweif, wo Euch Gott das Recht zum Befehl anvertraute; es wird gehorchen, die gute Gabe, die Ihr ohne hinterhaltige Gedanken ihm bietet, wird es mit Dank annehmen. Das germanische »Auf seine eigene Hand seyn« ist höchst rege in diesem Volke. Die Städte sind eifersüchtig aufeinander. Stiften sie in Düsseldorf einen Kunstverein, Köln wird bald auch einen haben wollen. Will diese Stadt ein Zentralfest feiern, gleich treten andere mit Spezialfesten hervor. Es ist eben deutsches Leben, pulsirend, quellend, an hundert Orten hervorbrechend. Von dem strömt nun eine Ader über in die uniformere östliche Hälfte, anfrischend, auflockernd, vom Osten aber hält der knappere, gemessenere Geist die hiesige Ungebundenheit zusammen, sie vor der Zersplitterung bewahrend. Und so trägt Eines das Andere, ergänzt und ründet einander; die lustige Fülle den schmaleren Ernst, der bewußte Ernst die überwuchernde Fülle.

Auf diesem Punkt sehe ich Dich gerne angelangt, sagte der schwarze Domino. Laßt uns als Deutsche in deutschen Sachen immer das Positive erblicken, und an der Hoffnung festhalten! Scheuen wir uns nicht, wie Männer in jede Verderbniß einzuschauen, aber kein Schwindel ergreife uns, und vom Abgrund her leuchte uns noch ein Licht, hell, wie Odin's Auge im Brunnen Mimer's! – Die Vereinigung dieser weiten Lande mit Preußen ist das größte und glücklichste Ereigniß, welches sich seit Jahrhunderten in der deutschen Geschichte zutrug, denn dadurch wurde, wie sehr Das auch die Oberflächlichkeit läugnen mag, eine mächtige [23] historische Wahlverwandtschaft gestiftet, die nur fruchtbar seyn kann. Welche Früchte sie trägt und tragen wird, das ist freilich ein Staatsgeheimniß, und ein wahres, denn kein Staatsweiser kann es aussprechen.

Hier legte der papagaigrüne Domino seine Karten nieder, ja man kann sagen, er warf sie hin. Schnell sich erhebend trat er zu den Sprechenden, gestikulirte mit den Händen, sah roth aus, und rief: Habt Ihr Euch nun satt gesprochen von Tendenzen, Anlässen ästhetischem Interesse, Ideen, Personifikationen, Wahlverwandtschaften, Mimer's Brunnen, und sonstigem erhabenen und spitzfindigen Rokoko? Mich wundert nur, daß heutzutage noch irgend ein Tisch auf seinen Füßen steht, und nicht alle Wände einstürzen, so wird Alles durchsubtilisirt und abbegriffelt! Kinder, man merkt es Euch doch an, daß Ihr insgesammt keine Praktiker seyd, und Nichts erfahren habt. Wer so bei Allem gewesen ist, wie ich, der sieht in der Vergangenheit Nichts, als –

... Konfusion, fiel Einer ein.

Dem ist die Geschichte Nichts als eine große –

... Konfusion, sagte ein Anderer.

Der hält die Welt für Das, was sie ist, nämlich für –

... Konfusion, rief ein Dritter.

Alle lachten. – Der Papagaigrüne lachte mit. Und ist es denn nicht wahr, sagte er, daß von Anbeginn der Welt noch Niemand gewußt hat, was er wollte? Kein Held kam an sein Ziel, sondern unter den Füßen verlor sich ihm der Weg. Alexander der Große lief durch Asien nach Indien, nur weil er gar nicht wußte, wohin er noch laufen sollte, nachdem er einmal so heftig von Mazedonien ausgelaufen war. Und so kann man diesen Satz verfolgen durch jedes –

... historische Ereigniß hindurch, fiel ihm der schwarze Domino in die Rede. Eure kolossalen Geschichtsansichten sind bekannt, alter Herr, sie sind aber zu trübe für diesen heitern Abend. Erzählt uns lieber Etwas von Spezialhistorien, die Ihr so gründlich inne habt, erzählt von der rheinischen Konfusion, wie Ihr gern mögt. Denn wir wissen es, Ihr habt die Hände in Allem gehabt. Ihr waret nassauischer Akzessist, kurkölnischer Vogt, kurtrierscher Rath, französischer Souspräfekt. Eure Augen haben in alle Winkel geblickt.

Ja, das haben sie, versetzte der papagaigrüne Domino mit Selbstbewußtseyn. Ich habe alle die großen Herren, und Staatsmänner, und Generale gesehen, und Viele haben mit mir gesprochen, und bedeutend war der Inhalt unserer Unterredungen, und ich weiß ungefähr Bescheid. Eine elektrische Spannung soll die Revolution gegeben haben? Ei, Gott bewahre! Die Franzosen kamen hereinmarschirt, und wollten [24] Geld haben, und Menschen, und Pferde, und was Amtskellner geheißen, hieß nun Receveur, und die Leute sollten französisch können, verthaten sich aber noch zuweilen. Napoleon ließ sich einmal zwei Maires vorstellen, davon sagte der eine zum Kaiser: Je suis la mère. Et vous? fragte Napoleon den andern. Je suis le faiseur des filles, antwortete Dieser, denn er wollte sagen, er sey ein Zwirnfabrikant. Eh bien, allez coucher ensemble, erwiederte der Kaiser, und lachte. – Schlechte Advokaten hießen deutsche Prokuratoren, und zwischen all' dem Wesen versteckten die Geistlichen und Stifter ihre Ländereien und Kapitalien unter Scheingeschäften, damit der Präfekt sie nicht auswittere und in den großen Schlund der Staatskasse werfe. Seht, das war das Ganze. – Interesse an der deutschen Sache, ästhetisches Interesse? Wir hörten eines Tages, die Franzosen seyen in Rußland erfroren, und da rottete sich ein Haufen Konskribirter zusammen, die nicht dienen wollten, und zogen mit einer Fahne, und Stecken, und Mistgabeln durch die Berge und Wälder; das waren die sogenannten Knüppelrussen. Weiber und Gesindel schlug sich dazu mit großen Schnappsäcken, in die sie die Beute, auf die es abgesehen war, einthun wollten, auf dem Markte von Elberfeld aber wurde der ganze Haufe entwaffnet, und Mehrere wurden erschossen, die dazu gekommen waren, sie wußten selbst nicht wie. Dann rückten die Alliirten ein, die wollten wieder Nichts, als Menschen, und Pferde, und Geld. Die Prokonsuln kamen, die Gouverneure und Generalgouverneure; Oesterreich, Bayern, Preußen, und Rußland regierte, und wir waren provisorisch. Wenn Einer den Andern damals fragte: Wie geht's Dir? und der Andere wollte sagen: Schlecht, so antwortete er: Provisorisch. Denkt Ihr, daß in solchen tumultuarischen Zeiten sich die ordentlichen Leute zu den Gewalthabern finden? Gott bewahre! Die sitzen still und verdrießlich zu Hause. Die Glücksjäger, die Plusmacher, die Schwadroneure kommen herangesummt, und erzählen Denen am Ruder süße milesische Mährchen. So war es auch hier. Einige von den sogenannten Gutgesinnten trugen sich halb militärisch, die nannte das Volk mit einem Spitznamen die Zivilkosaken. Die Dichter kamen an. Arndt saß in Köln, und sang: Was ist des Deutschen Vaterland? Schenkendorf auf der Frankenburg bei Aachen quängelte vom deutschen Kaiser und vom lieben heiligen römischen Reich, welches uns ein so erbärmlicher Schutz und Schirm gewesen war. Daneben horchten Freunde und Vettern auf die Erzählungen der von Moskau Zurückgekehrten, und wie brav sich die Armee in dem entsetzlichsten Unglück geschlagen. Der Zuruf des Königs klang gnädig, ein General aber erließ von Wiesbaden die Feuer- und Pfuhlproklamation, wie sie [25] genannt wurde, die mit den Worten anfing: Die bergische Infanterie führt sich schändlich auf. – Von den Prokonsuln war der eine so, der andere so. Sack in Aachen, ein kreuzbraver Mann, rechnete und sparte, und machte sich aus blühenden Phrasen Nichts; über den klagten die Soldaten. Justus Gruner in Koblenz hielt uns eine Rede nach der andern, sagte, die Schmach der Erniedrigung sey nun vorbei, und wir seyen nun wieder glorreiche Deutsche, die französischen Abgaben aber müßten wir fortbezahlen, und einige neue deutsche dazu mache der Drang der Zeitumstände nothwendig. Das wollte nun wieder den Bürgern nicht in den Kopf. Keiner wußte, wie ihm war, und aus einem Munde ging kalt und warm, Ja und Nein. So war's und das war das Ganze. Hernach könnt ihr jungen Leute wohl in einen solchen kunterbunten Zustand die Einheit hineinphantasiren, wer aber mit dabei war, sagt: Es war nichts als Mischmasch und –

Konfusion! riefen alle Zuhörer. – Ihr habt, alter Herr, die vollkommenste Darstellung geliefert, sagte der schwarze Domino, denn das Mittel, dessen Ihr Euch bedientet, ist genau so, wie der Gegenstand, den Ihr schildern wolltet. – Ach, geht mir, versetzte der Papagaigrüne etwas empfindlich, Ihr seyd Alle neologisches Volk, und versteht von der Wirklichkeit Nichts. – Er begab sich wieder zu seinem Spieltische.

In seinen Reden, wie übertreiben und karrikirt sie sind, ist doch ein Zug der Wahrheit, fuhr der schwarze Domino fort. Er hat das Chaos der widerstreitenden Gedanken und Empfindungen, welches quirlte und brodelte, als die ältesten deutschen Länder wieder deutsch wurden, anschaulich gemacht, wenn gleich, wie es unserem Konfusionspropheten zu begegnen pflegt, einige Anachronismen mit untergelaufen sind. Denn Arndt hat freilich: Was ist des Deutschen Vaterland? nicht in Köln gesungen. – Als ich vor dreizehn Jahren an den Rhein kam, hatte sich Alles abgedämpft, und die neue Vegetation fing an, die alten Risse und Narben zu begrünen. Zwei Dinge regten damals noch das politische Blut der Rheinländer. Das erste war das französische Recht mit dem öffentlichen Verfahren. Die Erhaltung dieses Besitzes war der eigentlich populäre Wunsch und ist es geblieben. Das zweite waren die Versuche der Oligarchie, sich als Kaste für sich, gesondert vom Volke, aufzustellen.

Was verstehen Sie denn darunter? fragte eine junge Charaktermaske von vornehmer Haltung, die sich eben dem Kreise der Sprechenden genähert hatte, etwas spitz.

Ich verstehe darunter den Kompler der Stimmungen, Ansichten, und Sehnsuchten in den rheinischen Fürsten, Grafen, und Herrn, welche [26] zuletzt ihre Erfüllung im Autonomiestatut erhalten haben, antwortete der schwarze Domino.

Wenn Sie davon reden, so weiß ich den Ausdruck Oligarchie nicht zu rechtfertigen, sagte die Charaktermaske. Darin liegt gar nichts Politisches. Es ist eine reine Privatsache, wie wir unter einander erben wollen.

Das Erbrecht gehört an und für sich schon halb zum öffentlichen Rechte, versetzte der schwarze Domino. Seine Satzungen helfen die materielle Physiognomie der Familie bestimmen, so weit erstere von der Privatwillkühr unabhängig ist. Daß ich weiß: mein Vater kann mich nicht enterben, wenn ich kein Verbrechen begehe – das wendet mein Antlitz von dem gnädigen oder zornigen Blicke seiner Augen gegen das Unwandelbare der Gesetze, die mich schirmen – macht mich zugleich frei und unwandelbar. Aus dem Unwandelbaren der Familie setzt sich aber das Unwandelbare des Staats zusammen, wenigstens des germanischen. So steht die Sache, selbst wenn man an dem Buchstaben Ihres Statuts haftet, der freilich von politischen Tendenzen schweigt. Blicken wir aber tiefer ein! Die Häupter Ihrer Familien sollen das unbegränzte Recht haben, ihr Gut zu hinterlassen, welchem unter ihren Kindern sie wollen, sey es das älteste oder das jüngste, sey es Sohn oder Tochter. Die Gerichte des Staats dürfen von den Benachtheiligten nicht angerufen werden, sondern ein Ausschuß, der abermals aus Ihren Familienhäuptern hervorgeht, soll in allen Fällen richten und entscheiden. Dies sind die Ritterräthe der rheinischen ritterbürtigen Ritterschaft.

Das sollte man den Schauspielern, die das R nicht aussprechen können, zur Uebung des Organs aufgeben, murmelte der Papagaigrüne an seinem Spieltisch.

Nun, und? sagte die Charaktermaske.

Ich weiß nicht, wie ein kompakterer Kern gefunden werden möchte zur Bildung einer politischen Aristokratie. Die Söhne und Töchter, unbeschützt durch irgend eine Institution, – denn daß der Ausschuß immer im Sinne der Familienhäupter urtheilen wird, leuchtet ein – müssen sich in einer völligen Abhängigkeit von den Häuptern fühlen, da denn doch der Trieb, zu besitzen, zu den mächtigsten im Mensch gehört. Die Stifter haben ihre Absicht klar ausgesprochen. Sie wollen den Flor ihrer Familien für alle Zeit sichern. Ein reicher Adel aber strebt nach Macht, denn wonach sollte er sonst noch streben? Nehmen Sie dazu, daß durch eine Stiftung für die Töchter gesorgt werden soll, daß man damit umgeht, für die Söhne eine Ritterakademie zu gründen. Hiedurch ist für die Absonderung des heranwachsenden Geschlechts von [27] Allem, was nicht zur Kaste gehört, und für seine Hineinbildung in den statutarischen Standes- und Korporationsgeist in der That trefflich gesorgt.

»Tendenzen lassen sich freilich leicht insinuiren.«

Ich insinuire nicht, ich sage, was vor Aller Augen liegt. Sie haben sich vor den Augen aller Welt manifestirt; Sie müssen doch auch mithin gestatten, daß alle Welt darüber rede. Nicht einmal glaubte ich, daß den Stiftern die Absicht klar vorgeschwebt hat, etwas Aehnliches zu werden, wie die hohe Aristokratie Englands, oder die Magnaten Ungarns. Aber was kommen muß, wenn die Dinge ihre Entwicklung finden, das wird auch kommen. Uebrigens würden Sie mich mit Unrecht für Ihren Gegner halten. Sie berufen sich auf alte Befugnisse in Ihren Familien, die das Statut nur erneuert habe; wir Andern kennen sie nicht, aber es kann ja dennoch existiren, was wir Andern nicht kennen. Man befürchtet Erbschleicherei und jede Art der Willkühr in so schrankenlosen Verhältnissen; diese Besorgniß theile ich nicht. Die patriarchalische Gewalt der Häupter wird es ihrem Interesse gemäß finden, möglichst unbescholten zu bleiben, mit einer gewissen Billigkeit zu walten. Man hat sich stark darüber formalisirt, daß Sie in einer schwungvoll abgefaßten Vorrede Frömmigkeit, Rechtschaffenheit, Treue von Ihren Nachkommen fordern. Ich finde es dagegen unwürdig, Ehrenmännern Heuchelei und Affektation unterzulegen, ich bin überzeugt von dem Ernste und der Aufrichtigkeit jener vielfach bespotteten Vorrede, und nun frage ich: Was kann bescheidener seyn, als Tugenden einzuschärfen, die sich von selbst verstehen? – Das Korporative ist mir der Lebenstrieb der neuen Zeit. Soll der Adel nicht auch das Recht haben, sich korporativ zu regenerieren? Welcher gemeinsame Gedanke soll nun aber die neue Korporation zusammenhalten? Der Himmel ist der gemeinsame Gedanke des Klerus; Bildung, Kunst, Poesie, Wissen sind die Domäne der Intellektuellen; Handel und Gewerbe das Verbindende unter den Bürgern; die Scholle ist Das, was den Bauer trägt. Von Neuem ist die Welt weggegeben – was bleibt für den Adel, wenn er sich nicht verlieren soll unter den Klerus, unter die Intellektuellen, unter Bürger und Bauern? Nichts, als das Stammes- und Blutsgefühl, der Glaube, von Natur anders zu seyn, als alle andern Menschen, und deßhalb auch befreit seyn zu müssen von den Regeln, welche die Andern binden. Diese Rede klingt hart, können Sie dieselbe aber Lügen schelten? Hier ist nun auf die klügste Weise angefangen worden, das Blutsgefühl zu verkörpern. Der rheinische Adel spricht durch das Statut keine Vorrechte nach außen an, die nur tausendfachen und [28] wahrscheinlich zur Zeit noch siegreichen Widerstand finden würden. Was thut er? Er faßt sich zuvörderst in sich zusammen, und baut sich auf binnen seiner Hecken und Pfähle. Man konnte nicht richtiger verfahren. Ich bin Ihr Gegner nicht, nur müssen Sie mir erlauben, die Sache gerade anzusehen. Ihr Statut ist ein politischer Gedanke.

3.

Ein fröhlicher Lärmen, der aus dem Saale in dieses stillere Zimmer drang, machte dem Gespräch ein Ende. Die Charaktermaske zog sich zurück, und fragte draußen, ob der Wagen noch nicht da sey? Die Domino's standen auf, und so auch die Spieler, worunter der Papagaigrüne. Alle gingen nach der Saalthüre, durch welche die barocksten Figuren geschritten kamen. Ein tollverwachsener Kerl in einem dem Trödel abgeborgten Habit humpelte voran, und dem folgte ein gleich kostümirter Bänkelsänger mit einer ungeheuren Nase. Der Verwachsene trug eine Drehorgel, der Großnasige einen Bilderrahmen an langer Stange. Dutzende der leichtfüßigsten Masken hüpften, trippelten, schwirrten nach.

Die Bänkelsänger baten in holperichten Knittelversen um Platz. Sie traten in die Mitte des Zimmers, und augenblicklich umstand sie ein großer Kreis. Neugierig wurden die verwunderlichen Bilder des Rahmens gemustert. Der Rahmenträger, der zugleich einen großen Deutestab in der Hand führte, erklärte die Absicht, auch hier in diesem stillen Stübchen der lieben Jugend die Wunderdinge mitzutheilen, welche drinnen im Saale das reifere Alter beglückt hätten, und ein schnarrender Bänkelgesang begann, wozu der Orgler waidlich orgelte.

Da wurde gesungen vom türkischen Kaiser und seinen zwei Leibdardanellen, die nichts Anderes tränken, als Blut, vom Kinde, das, mir sieben Armen geboren, gleich nach der Geburt sieben Porträts gemahlt habe, vom tiefen Schnee, in den ein Postwagen mit vier und vierzig Passagieren und einem halben gestürzt sey, so daß man Nichts mehr sehen könne, als den Schnee, nämlich die weiße Tafel, und von hundert andern außerordentlichen Begebenheiten und großen Thathandlungen wurde gesungen. Es war ein abenteuerliches Imbroglio neckischer Einfälle, denen sich versteckte und offenbare Anspielungen auf Stadtgeschichten und Persönlichkeiten unsparsam beimischten. Ein [29] schallendes Gelächter unterbrach oft den Rhapsoden, der zu jeder Geschichte mit seinem Stabe die Abbildung wies. Da lauschten auch hin und wieder bekannte Züge durch die Karrikatur hervor. Mehreremal wurde Da Capo gerufen, und am Schlusse des Bänkelgesangs forderten viele Stimmen stürmisch die Wiederholung des Ganzen. Die Rhapsoden waren so klug gewesen, sich auf diesen Fall vorbereitet zu halten, sie trugen nun in einer Art von Duett einige neue, noch erhabnere und entsetzlichere Fälle vor, was denn natürlich einen unermeßlichen Jubel anfachte, der sie begleitete, als sie ihren Abzug in ein noch entlegeneres Zimmer nahmen, auch dort den Separatisten des Festes Etwas vorzusingen und vorzuorgeln.

Als es in unserem Gemache wieder still geworden war, sagte der schwarze Domino: Gemahnt mich doch diese tolle Posse an die Düsseldorfer Anfänge!

Düsseldorfer Anfänge? fragte der blaue Domino. – Was verstehen Sie darunter? der Rothe.

Kinder! rief der Schwarze, die Anfänge, was ich unter Anfängen verstehe, das ist gerade so etwas Geheimnißvolles, wie die Mütter im zweiten Theile des Faust:


»Gestaltung, Umgestaltung,

Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung,

Umschwebt von Bildern aller Kreatur!«


Es läßt sich mehr ahnen, als beschreiben. Die Düsseldorfer Anfänge sind eben die Düsseldorfer Anfänge.

Läßt Euch doch nicht mit ihm ein! rief der papagaigrüne Domino vom Spieltisch herüber. Er schlägt seinen mystischen Ton an, und will Euch damit nur schrauben. Es ist Nichts als Moos, wie er selbst zuweilen dergleichen Zeug nennt.

Was versteht Ihr unter Moos, alter Herr? fragte der schwarze Domino den Papagaigrünen.

Das Moos – das Moos – das Moos, das ist das Moos, stotterte der Papagaigrüne, und stach in der Zerstreuung das Aß seines Aiden mit Atout.

Seht Ihr, da werdet Ihr selbst zum Mystiker, und wollt überdies Gott verbessern, der dem Aß Eures Freundes den Stich prädestinirt hatte, sagte der Schwarze. – Wollt Ihr vom Moose wissen? mit dieser Frage wandte er sich an den blauen und an den rothen Domino. Denn nicht bin ich gewillt, das Begreifliche supranaturalistisch zu umschleiern, und nur das Unaussprechliche bleibe im Mysterio verborgen. Das Moos, das Gedankenmoos läßt sich begreifen und begreiflich machen.

[30] Erweitre nur unsere Kenntnisse! versetzte der blaue Domino und lachte.

Gott der Herr, hob der schwarze Domino feierlich an, hatte, als er das Werk der Schöpfung vollbracht, von den Stoffen Etwas übrig behalten. Denn seine Fülle war unendlich, und seinem Reichthum selbst die gränzenlose Mannigfaltigkeit nicht gränzenlos und mannigfaltig genug. Was thun mit diesem Reste? Die Sache machte dem Herrn Sorge; denn wie er der ewig Reiche ist, so ist er auch der ewige Haushalter und will Nichts umkommen lassen. Er berief die Elohim und fragte sie um Rath. Gabriel meinte, er solle eine zweite Welt daraus schaffen. Diesen Vorschlag verwarf des Herrn Liebe; eine Welt aus Resten wollte er sich nicht nur so hinstümpern lassen. Raphael sagte, er möge den Rest aufbewahren zum Flicken, wenn das Universum einmal schadhaft werden sollte. Dar auf versetzte des Herrn Weisheit: Ich habe Alles so gemacht, daß es immerdar durch sich wird stehen und gehen können, und wird nimmer ein Riß einreißen. Michael schwieg, und dieses Schweigen gefiel dem Herrn, denn in seinem Verstande hatte er schon den Ausweg gefunden.

Er warf, streute, träufelte den Rest der Schöpfungsstoffe in die fertige Welt. Und daraus entstand der Ueberfluß, der Ueberschuß, das Zwecklose, das Gerathewohl in der festen Ordnung, in der tiefen Absichtlichkeit, die nun jene Reste der Gotteskraft in eine so süße Gährung versetzten. Daraus ist auch der Zufall entsprungen, der Kobold der Kobolde. Gott selbst kann Nichts wider den Zufall, denn auch er ist aus ihm, und Gott vermag Nichts wider sich. Darum sollten Die, welche Geld, Macht, Hoheit missen, Gott nicht verklagen, der ihnen gern hälfe, wenn er nur könnte vor dem Zufall, der ihm immer über den Weg rennt. Die Thoren! Sie wissen nicht, daß der Herr sie um so zärtlicher liebt, weil er sie für den Zufall entschädigen möchte. Es kostet sie nur einen Schritt, um in Gottes ewig feste, geordnete Welt einzutreten, aber den thun sie selten, sondern laufen lieber hinter dem Zufalle her, den sie am Ende noch gar für Gott halten.

Wollt Ihr Beispiele, wie Gott in der Natur den Schöpfungsrest verwandt hat? Erinnert Euch der wahrhaften Sage vom Stieglitz, an dessen Flügeln der Heer den Pinsel mit den übrig gebliebenen Farben auswischte. Seht die Spielarten, die Uebergänge, die Thierpflanzen, die Pflanzenthiere, den lichtschluckenden Stein, den Fisch, der lebendige Junge zur Welt bringt, das neuentdeckte Säugethier, welches Eier legt. Alle diese Kreuze der Naturforscher sind Ueberschüsse der Schöpfungskraft. Seht in der Geschichte die verunglückten Helden, die mißrathenen [31] Weisen, die sogenannten interessanten Menschen. Alle diese Kreuze des redlichen Geschichtsforschers sind Ueberschüsse der Schöpfungskraft. Seht das Moos! da kriecht's, wuchert's. nistet's am Boden, trägt seine Krönlein, Kelchlein, Kölblein ohne Nutzen, Zweck, Bestimmung, denn das isländische Moos, welches den Schwindsüchtigen dient, ist kein Moos, sondern gehört zu den trockenen, vernünftigen Flechten und Algen. Auch das Moos ist ein Ueberschuß der Vegetation, die im Schöpfungswunder quoll und keimte.

Und in das Hirn des Menschen, in diesen höchsten und feinsten Organisumus, wäre kein Tropfen jenes uranfänglichen Ueberschusses gefallen? Das hätte nicht mit rechten Dingen zugehen müssen. Nein. Jeder spürt's, wenn er sich an den Kopf faßt. Da ist was drin, was nicht Verstand, nicht Vernunft, nicht Urtheil ist, und wovon kein Kompendium der Logik handelt. Es ist das Moos im Kopf, das Gedankenmoos. Und wie sieht es aus, wenn es zu Tage kommt? Es sind die zarten Spiele der Einbildung, die lieblichen Grillen, die holden Thorheiten. Die Jugend ist seine Keimezeit, in der Liebe kommt es zum Blühen, der Traum bleibt ihm als Altentheil und Rückzug. Niemand auf der Welt ist ohne Gedankenmoos, und die Menschen sind in dem Verhältnisse zu dieser wundersamen Pflanzenformation nur durch die Art, wie sie sie behandeln, unterschieden.

In Sachsen heißen sie Moos Geld. Er hat Moos, bedeutet, er ist ein vermögender Mann, sagte der Papageigrüne.

Ei, so schweigt doch, Ihr unerschrockener Interlocutor! rief der blaue Domino. Laßt unseren Botaniker hier seinen Lehrvortrag vollenden.

Auch der Grüne hat Moos im Kopf, er gehört aber zu der einen Klasse von Menschen, sagte der schwarze Domino. Diese wissen nicht recht, was für eine Bewandtniß es mit dem Moose habe, sie fühlen ihr Hirn auf eine seltsame Weise davon gekitzelt, möchten es gern ausreuten und schlechthin besonnene Männer seyn. Aber das Ausreuten geht nicht, weil es der unsterbliche Ueberschuß von Gottes Gedanken ist, und da sie in ihrem Aerger keine Kultur daran legen, so wächst es ihnen in Alles hinein, in Verstand, Vernunft, und Urtheil. Daher kommt es, daß sie so oft schreien: Um Gotteswillen, wo ist der Begriff geblieben? oder seufzen: Nimmermehr hätte ich mir Das vorstellen können! oder tiefsinnig murmeln: Wie kann ein so richtig angelegter Plan mißglücken? Ja, das unkultivirte Moos ist ihnen über den Begriff gewachsen, oder es kriecht schalkhaft zwischen den Vorstellungen umher, oder der Plan glitt auf seiner Glätte aus. Deßhalb machen denn auch die Erzprosaiker [32] immer die dümmsten Streiche. – Nun, die andere Klasse, das sind, die am Tage des Herrn geboren wurden, die Sonntagskinder. Die ergeben sich in den Rathschluß des Herrn, tragen das Moos dankbar als eine Gabe Gottes bei sich, hegen es ein, kultiviren es, ökonomisiren damit. Es hat sein Plätzchen für sich bei ihnen, darauf es lustig gedeiht, ohne die anderen Gewächse im Kopfe zu ersticken. Die gehen nun ganz still und ordentlich ihren Weg, von Verstand, Vernunft, und Urtheil geführt, sehen oft sehr trocken aus und als ob sie nicht fünf zählen könnte, und innerlich begleitet sie eine Welt der farbichtsten Wunder. Nach verschiedenem Gemäß ist ihnen der göttliche Ueberfluß zugetheilt, der Eine hat mehr, der Andere minder. Mitunter ist Einem bis zum Ueberlaufen voll gegeben worden;


Und wenn es sich trifft,

Und wenn es sich schickt,


so wird der ein Dichter. Seht, so verhält es sich mit dem Moos im Kopfe.

Du hast dem Konfusionspropheten nachgeahmt, sagte der blaue Domino. Du gabst uns zugleich mit Deiner Beschreibung ein Exemplar von der neuentdeckten Spezies.

Seyn Sie nun auch nicht eigensinnig, und definiren Sie die Düsseldorfer Anfänge, fügte der rothe Domino hinzu.

Definiren kann ich sie wahrhaftig nicht, denn Anfänge sind undefinirbar, versetzte der schwarze Domino, Damit Ihr aber begreift, was ich mir ungefähr denke, so sage ich: die Anfänge sind irgendwo, wenn sich eine Anzahl nicht ganz gewöhnlicher Menschen zusammenfindet, die Alle noch nicht recht wissen, was sie wollen. Produktive Talente müssen vorhanden seyn, die ihr Ziel nur gleichsam zwischen Nebeln sehen, Kapazitäten, die noch mit Prinzipien ringen, Empfängliche, die Alles aufnehmen, selbst wenn Manches zu ihrem Wesen nicht stimmt. Da entsteht denn eine Koterie, in der sich Jedermann versteht und mißversteht, anzieht und abstößt, in der sich eine Terminologie übereinkömmlicher Sätze bildet, die denn doch halb zu den Sachen nicht passen wollen. Alles brauset und zischt in einer solchen Mischung; Lachen und Weinen folgen einander in raschen Uebergängen, die größten Ansprüche werden gemacht, und mit Scheinbefriedigungen nimmt man vorlieb. Es ist eine Zeit der Irrthümer, der Leiden und Nichts, aber es sind auch Tage der Jugend, der Luft, der Poesie. Da göttliche Moos wächst dann, so zu sagen, in Haus und Hof und auf den Straßen. Ein idealistischer Nihilismus überdeckt als glänzende Schaale solche Anfänge, aber unter der Schaale arbeiten die ernsteren Kräfte sich aus. In Frankreich, wo [33] Alles sich nach Paris zieht, und in Paris die Begriffe despotisiren, sind Anfänge unmöglich. In deutschen Städten aber, selbst von mittlerer Größe, haben sie sich mehrmals begeben und dann dem Leben der Stadt eine Zeitlang ein ganz eigenes Gepräge verliehen. An einigen Orten ging Großes daraus hervor, an andern Kleineres. Göthe erlebte sie, als er Werther und Götz geschrieben, und in Frankfurt mit Jakobi und den Stollbergen zusammenhing, nebenbei Lili heirathen wollte und mit Gustchen briefwechselte. Vielleicht erlebte er etwas Aehnliches noch einmal in den ersten Weimarischen Jahren. Varnhagen beschreibt einen solchen Zustand, wenigstens zum Theil, wo er von Halle kurz vor 1806 erzählt. Und auch wir haben hier Anfänge erlebt.

Wenn? fragte der blaue Domino.

Schwer zu bestimmen. Wollt Ihr aber eine Antwort, rund und nett, so sagte ich, in den Jahren von 1827 bis 1830. Die Restaurationszeit war überhaupt einem Sichgehenlassen in Angenehmen günstig; mit der Julirevolution trat die Kritik, die Skepsis, der Materialismus unwiderstehlich in alle Geister ein, sie mochten sich sträuben, wie sie wollten. Zufällig fiel auch Schadow's italienische Reise in jene Zeit, er kam als ein halb Verwandelter zurück, und seitdem begann hier das Auseinandertreten der Elemente. Deßhalb setzte ich die Gränze der Anfänge in das Jahr 1830.

1827 aber begannen sie. Schadow war Ende 1826 eingetroffen und hatte die Akademie übernommen. Lessig, Sohn, Hildebrandt, Mücke, Hübener waren ihm gefolgt. Bald trat Bendemann hinzu, und Schirmer gründete die Landschaft. Eine Kolonie mit Kolonisten aus Osten und Westen auf rheinischem Boden! Kolonisten suchen naturgemäß Schutz und Schirm. Schadow schloß sich und sein Häuflein exklusiv dem Hofe, den Vornehmen an. Der Hof war jung und auch noch neu auf dieser Erde, die Vornehmen noch nicht recht sicher in sich. Katholisch, wie sie war, fühltediese Kategorie schon deßhalb eine stille Vorliebe für den katholisch gewordenen Künstler. Beide aber waren unterhaltungsbedürftig. Gemählde waren etwas Neues geworden, da die Bayern schon zwanzig Jahre früher die Gallerie entführt hatten; die inhaltreiche Konversation des Künstlers, der Menschen, Werke, Welt gesehen hatte, war auch etwas Neues. All dieses Neue erhielt einen pikanten Zusatz durch die Figuren der jungen, hübschen, bescheidenen Künstler, welche blose Hälse und lange Bärte trugen, und von denen der Meister mit Sicherheit den spätern Ruhm vorhersagte. Es konnte nicht an mannigfachen Sympathien hinüber und herüber fehlen. Die Repräsentation nahm die Kunst unter ihre Flügel, die Kunst durfte der [34] Repräsentation sich anschmiegen, denn diese war unschuldig, harmlos, damals selbst noch poetisch, wenigstens poetisch kostümirt.

Ich fand diese Allianz schon ziemlich fest, als ich 1827 herkam. Ich hatte gerade den Hofer geschrieben in der alten Gestalt, die ich nachmals verworfen habe. Diese Helden der jüngsten Vergangenheit, zu denen mich ein unwiderstehlicher Trieb gedrängt hatte, machten mir, als sie auf dem Papier standen, bange; ganz mich vergriffen zu haben, meinte ich. Welches frohe Erstaunen, als Holtei, der uns kaum 14 Tage nach meiner Ankunft besuchte, und dem ich das Stück im schönsten Frühlingswetter vorlas, sich hoch erfreut darüber zeigte. Er nahm es nach Berlin mit, rezitirte es dort vor mehreren hundert Personen. Als es erschien, erhielt es Beifall. Mein Name wurde allgemeiner genannt, ich fühlte mich selbst anders als zuvor.

Denn freilich umspielte mich auch eine andere Atmosphäre. Aus dumpfer Arbeitsschwüle trat ich in einen heiteren Kreis, dessen Arbeit auf die Schönheit ging, und hatte selbst Muße; aus formlosen Umgebungen unter Solche, denen unter den Händen Alles zur Form wurde, nicht allein ihr geistiges Leben und Weben, sondern auch des Alltags Ernst, Scherz, der geringste Einfall. Das Schadow'sche Haus war der Mittelpunkt der höheren Geselligkeit, ich wurde darin als Freund willkommen geheißen, und habe eine Zeit lang seine Leiden und Freuden mitgemacht. Die Mittel waren dort vorhanden, geistige und leibliche, einen solchen Zentralpunkt zu bilden, und da die letztern mit Sparsamkeit verwaltet wurden, so hatte die Sache Dauer. Ein zweites Studentenleben führten wir damals, aber kein rüdes, sondern ein phantasievolles. An andern Orten leben die Menschen ihrem bürgerlichen Berufe oder der Gelehrsamkeit, der Reiz des Daseyns wird als Nebensache behandelt. In unsern Anfängen dagegen war das Streben, das Feinste, Geistigste, die Spiele der Imagination, Laune, Witz, und selbst die Grille zur Praxis zu machen, oder, da Dies zu absichtlich klingen mag, wir bildeten uns ein, das Leben sey ein Spiel und könne in Impromptus ausgegeben werden. Mit Schadow hatte ich ein ganz eigenes Verhältniß. Wir waren polarisch entgegengesetzte Naturen, aber ein Zug tiefer Innigkeit wachte dennoch schnell auf und ließ die Sorge nicht emporkommen, wenn sie unter der Hand von der Mißlichkeit eines solchen Bündnisses schon damals flüsterte. Freilich fühlte ich bald, daß ich, um ihm verständlich zu seyn, in seinem Idiom mit ihm reden müsse, und Das that ich denn auch, weil ich ihn liebte, nicht aus Verstellung. Wie oft belauschten die Kastanien des schönen Hofgartens, in denen die Nachtigall flötete, oder die Wellen des Rheins, wo sie, wie geschmolzenes [35] Gold im Abendroth, majestätisch durch die frischgrüne Wiese schlendern, unsere wunderlichen Unterhaltungen vom Fegfeuer, oder den lieben Heiligen! Ich täuschte ihn wahrhaftig nicht, wenn ich mich ganz ernsthaft darauf einließ; ich war ihm gut und wollte gern sagen, was ihm lieb war. Es ist sonderbar mit solchen Neigungen – jener Zug der Innigkeit will mir noch nicht weichen, wenn ich ihm begegne, obgleich uns Leben und Grundsätze weit auseinander gestellt haben, und wir Beide wissen, daß wir Nichts mehr miteinander theilen können. Er führte mir einige seiner Lieblingsschüler zu, durch ihn erhielt ich sie, die nachmals meine Freunde geworden sind. Mit Entzücken belauschte ich das Sprossen der werdenden Kunst in den weiten Ateliers der Akademie, sie hörten, was bei mir entstand; von Kritik war gegenseitig nicht die Rede, uns erquickte ein naives Empfangen und Genießen. Wenn die Mitternacht bei Schwank und Gedicht, das oft aus dem Stegreife entstand, herangekommen war, und die Gläser zum letzten Male an einander klangen, dann zerstreute sich die muntere Horde, aus dem Garten heimgehend, unter den Bäumen mit muthwilligem Liede. Oder das Gestein wurde befahren, und in seinen buschichten Klippen deren Fuß das Bächlein tief drunten so heimlich wäscht, stieg gehalten fröhlicher vierstimmiger Gesang auf. Nun erst die Geburtstage, die feierlichen Gelegenheiten, die Feste! Wer zählt die Maskenspiele, die Attrappen, die Pantomimen jener ersten fröhlichen Jahre? Alles wurde dramatisirt; Eigenheiten, Anekdoten, Spitznamen verarbeitete die Erfindung des Augenblicks, und wenn auch nicht Alles Brillant vom reinsten Wasser wurde, so konnte man doch mit dem Vikar sage: What the conversation wanted in wit, was made up in laughter. – Zu allen diesen lustigen, feierlichen, kuriosen Dingen hatten wir ein Publikum empfänglicher Männer und Frauen, nicht selten nahm die halbe Stadt an unsern Schönbartsspielen Theil, und daß das Bild des freilich illusorischen, aber doch vergnüglichen Kunst- und Poesierausches aus goldenem Rahmen sah, war gar nicht so übel. Der Rahmen gab dem Bilde noch höhern Relief. Dieser goldene Rahmen war nämlich das Interesse des Hofes und der Vornehmen an unserm Treiben. Die Musen waren damals in diesen hohen und höchsten Kreisen durch uns Mode geworden, sie wurden zur Gesellschaft gerechnet, Vorlesungen, lebende Bilder, Gespräche über Dies und Das lösten einander auf dem glatten Parquet in gedrängter Folge ab. – Doch ich sehe Dir an, daß Du nur mit Unlust mich schildern hörst, also gib Deinem Kopfschütteln Worte, denn wir wollen heute aus unseren Herzen keine Mördergrube machen!

[36] Der blaue Domino, dem diese Anrede galt, sprach: Wenn ich Deine poetische Prosa höre, so weiß ich nicht mehr, ob ich damals geschlafen habe. Daß ich von den schönen Sachen, die Du da aufbringst, doch so wenig gewahr geworden bin! Ich trat freilich später, erst kurz vor 1830, zu Euch, und Das mag Manches erklären. Vieles wird wohl schon vorüber gewesen seyn, und dann muß man sich auch in einen Kreis erst eine Zeit lang eingelebt haben, bevor man seine verborgenen Schätze kennen lernt. – Aber selbst wenn ich Deiner Rede folge, so frage ich: War denn ein solcher Schaum und Schein, ein solches Versteckenspielen in fremden Kleidern etwas Schönes? Das Theatralische und alles dem Theatralischen Verwandte ist immer ein bedenkliches Zeichen an einem sozialen Leben. Man schminkt sich nur, man legt den spanischen Mantel und die Rittersporen nur an, wenn man sich in eigener Haut nicht so recht selbstständig weiß. Blick' auf Lessing, das ohne Frage größte Genie der Schule. Er hat sich von all dem Glanz und Flitter Deiner Düsseldorfer Anfänge immerdar fern und in seiner stillen Zelle gehalten. Oft ist ihm Das als Stolz, Eigensinn, spröde Laune ausgelegt worden. Ich finde aber darin mehr einen zarten Takt seiner Natur, die stets auf sich ruhte, und alle falschen Anhalte verschmähte. Auch pflegt einem solchen ästhetischen Rausche bald eine traurige Ernüchterung zu folgen.

Ich sah die Anfänge nicht mit Ihrem poetischen Auge und nicht mit Deinem kritischen Blicke, sagte der rothe Domino. Geschichte ist mein ziemlich ernstes Studium, da brauche ich denn hin und wieder eine Abspannung, und amüsire mich gern. Und Amüsement boten diese poetisch-artistisch-sozialen Versuche, Das ist nicht zu läugnen. Etwas störte mich aber doch nicht selten. Wenn Shakespeare oder Calderon vorgetragen war, wenn in zauberischer Beleuchtung sich Jerusalem, die Hehre, in Banden und darauf triumphirend gezeigt hatte, oder Madonna in lichten Wolken zum schlummernden Raphael herabschwebte, wenn das Werk eines großen Tonmeisters aus sicheren Kehlen geklungen hatte, wenn die bedeutendsten Reden über Religion, Katholizismus, Styl, Form, und alle Heimlichkeiten des Schönen gewechselt worden waren, so folgte dieser Festspeise – und Nichts war sicherer, als Das – ein Nachtisch von Berliner Witzen, wie sie hernachmals in Nante ihren eigentlichen Nationalkoch gefunden haben. Dieser Zusatz von Berliner Skurrilität zu allem Devoten, Gloriosen, Erhabenen war das Monogramm auf Ihrem Gemählde, woran es zu kennen wäre, wenn Zeitbilder sich auf Holz oder Leinwand fixiren ließen. Für Berolinismen habe ich aber keinen Sinn, weil sie immer nur der Ausdruck der witzigen Pauvreté und Niedertracht sind, und sie verdarben mir hier [37] Manches. Vom Herrn und Meister der Schule ging eine liebevolle Pflege dieser Blüten aus, und der schneidende Kontrast zwischen solchem Hange und der anderweitigen höheren Richtung wäre ein dankbarer Stoff für das feinere Lustspiel gewesen.

Ueberhaupt ließen sich komische Anekdoten aus jener Zeit erzählen, sagte der blaue Domino.

Die erzählt nur, sprach der Schwarze, denn Geschichte gibt es nicht von einer jüngsten Vergangenheit. Die Anekdote vertritt sie vor der Hand. Haltet aber ein arabisches Sprichwort dabei im Herzen.

»Welches? fragten die beiden andern Domino's.«

»Du sollst in den Brunnen, aus dem Du getrunken, keinen Stein werfen.«

Nein, das will ich auch nicht, aber sagen darf Jeder, was für Genist er um den Brunnen gefunden, versetzte der blaue Domino. – Nun, die Feste jener medicäischen Periode von Düsseldorf sollten denn also immer überaus glänzend seyn, aber – sie sollten auch so wenig als möglich kosten. Diese Sparsamkeit zeigte sich besonders am Albrecht-Dürer-Feste, welches wohl der Kulminationspunkt von damals gewesen ist; denn an dreihundert Personen stark war das schauende Publikum, und in dem großen, geschmückten Galleriesaale ging es vor sich, und nahe an hundert Künstler und Dilettanten wirkten mit. Du hattest ein Stück dazu geschrieben: Albrecht Dürers Traum. Im ersten Akte ließest Du Dürer gepeinigt von den trüben Zweifeln, welche den großen Künstler von Zeit zu Zeit ergreifen, auftreten, seinen Schlummer trösteten darauf die Traumbilder der Melancholie und des Hieronymus, als Symbole des schaffenden Tiefsinns und der frohen Beschränkung; ein Geisterchor kommentirte diese kolosallen, transparenten Gestalten. Im zweiten Akte zeigte sich Dürer, versunken in begeistertes Schaffen. In diesem Dithyrambus seines Innern hörte er die Boten nicht, die ihm hohe Ehren vom Kaiser und vom Rath von Nürnberg brachen. So erschien er uns abermals im Traum, in dem wachen Künstlertraum, der über die Wirklichkeit hinaus entrückt. – Es war ganz hübsch, Du hattest dem Altvater gute Worte in den Mund gelegt, nur zu allegorisch war mir's gemacht und nicht greiflich genug. – Die beliebten lebenden Bilder durften denn auch nicht fehlen an diesem Feste. – Engel, Heilige, Apostel zeigten ihr reizendes oder ehrwürdiges Antlitz. Die Bekleidung aber wurde mit der größten Oekonomie behandelt. Weil nämlich ganze Gewänder zu viel gekostet haben würden, so kostümirte man jede Figur nur in so weit, als sie den Zuschauern sichtbar war. Auf diese Weise kam es unter Anderm, daß [38] ein Engel, dessen Leib und Füße eine Wolke deckte, nur bis zum Gürtel das Gewand der himmlischen Räume trug, von da abwärts aber sein einfaches Hauskleidchen. Ein Apostel, der im Profil stand, war sogar nur halb Apostel, auf der abgekehrten Seite schwarzer Frack.

Gewissermaßen eine Allegorie mancher Zeitrichtungen, die auch so halbschlächtig nur auf den Effekt gestellt sind, war dieser mangelhaft kostümirte Engel und dieser Profilprophet! rief der schwarze Domino und lachte.

Wenn ich moderne und antike Charaktere distinguiren sollte, sprach der rothe Domino, so würde ich behaupten, für die ersteren müsse man immer einen bestimmten Augenpunkt nehmen, um sie im Kostüm zu sehen, um die anderen aber könne man, wie um Statuen, rund herumgehen, unbeschadet der Wirkung. – Aber ich habe auch eine Anekdote. Bei jenem Feste hatte der Festgeber erklärt, für das Kostüm wolle er aufkommen, für alles Uebrige aber müsse jeder der Darstellenden selbst sorgen. Ein Prophet nun behauptete, sein Bart gehöre zum Kostüm, und müsse ihm unentgeltlich geliefert werden. Darüber entstand eine etwas warme und nicht ganz angenehme Debatte, welche über die schwierige Rechtsfrage verhandelte: Ob ein Prophetenbart Kostüm oder das Uebrige sey? und ich weiß in der That nicht, wie die Entscheidung noch zuletzt ausgefallen ist.

Die Haute-Volée, welche Du den goldenen Rahmen um die Düsseldorfer Anfänge genannt hast, empfand von Euren Bemühungen oft mehr Grausen, als Freude, sagte der blaue Domino. Erinnerst Du Dich noch des Abends, wo Ihr die Szenen aus Heinrich dem Vierten aufführtet, und ihrer Wirkung auf den vornehmen Kreis Eurer Zuschauer?

Ja wohl, versetzte der schwarze Domino. Falstaffs pfundschwere Späße erregten diesen zarten Gemüthern durchaus mehr Entsetzen, als Behagen, es war Alles sehr still und ernst bei seinen Aufschneidereien. Nur ein einsames Lachen klang uns, tröstlich, wie der Gesang des frommen Einsiedlers in der Wüste Thebais, von fern entgegen. Es kam von Uechtritz, der ganz hinten im Saale stand, und an unserem Spiele sein unbefangenes Vergnügen hatte.

Neben mir stand ein alter, korpulenter Kriegsmann, sagte der rothe Domino. Der Dicke da, murmelte er, soll eine Satyre auf mich seyn. Ich finde Das aber unrecht.

Eine Dame von hoher Extraktion, die in meiner Nähe saß, hegte eine Besorgniß eigener Art, fiel der blaue Domino ein. Sie flüsterte ängstlich mit ihrer Nachbarin, und ich verstand so viel, daß sie derselben die Furcht mittheilte, das übermäßige Embonpoint des Menschen da sey gewiß eine künstliche Vorrichtung, eine Espece von Schrank, den [39] der Mensch zuletzt aufriegeln, und aus dem er allerhand frivole Späße hervorziehen werde, wie junge Hunde, einen Hampelmann, oder so Etwas.

Diese Personalitäten hatten wieder Mehrere in die Nähe der drei Domino's gebracht. Noch manche Anekdoten wurden laut, endlich aber rief der blaue Domino: Lassen wir es nun genug seyn, denn wenn man sich auch nicht ganz vor Commerage hüten kann, spricht man über den Tag und seine Geburten, so wollen wir doch nicht in die Medisance versinken.

Commerage und Medisance sind Eins und Dasselbe, sagte der Papagaigrüne.

Mit nichten, Ehrwürdigster, versetzte der blaue Domino. Medisance ist verwesendes Gespräch, Commerage dagegen werdende Novelle.

Etwas dunkel! rief der Papagaigrüne.

Alles, wovon wir gesprochen, ging überdies halb öffentlich vor, und deßhalb durften wir davon sprechen.

Scharf habt Ihr mich mit meiner poetischen Prosa, wie Ihr sie nanntet, durchgenommen, sagte der schwarze Domino. Aber gab ich denn nicht im Allgemeinen von Anfang an das Täuschende, Unwahre, Schiefe der Anfänge zu? Und soll uns die Vergangenheit nicht mindestens zur lieblichen Sage werden, in welcher auch der Oger und das Ungeheuer noch ihr Poetisches haben, da die Gegenwart selbst das Gute uns meistentheils mit ziemlich prosaischem Gruße zu bieten pflegt? – Ueberdies verschleuderten wir uns nicht in jenen Saturnalien. Es wurde sehr ernst gearbeitet in den muntern Tagen. Schadow baute mit sicher-kluger Hand an seiner Anstalt, wir gründeten den Kunstverein. Kortüm, Fallenstein, und ich machten das Statut. Der Gedanke darin, daß der Verein auch öffentliche Werke in das Leben rufen solle, der, beidiesem Verein meines Wissens zum ersten Male laut geworden, großes Aufsehen erregte, kam aber von Mosler. Lessing mahlte sein Königspaar, Bendemann die Ebräer im Exil, Sohn den Hylas, Hübener den Roland, Hildebrandt Judith und Holofernes. Ich fabulirte Tulifäntchen zusammen, schrieb Alexis und Merlin, vollendete Stücke der Epigonen.– Jede Familie muß zuweilen Besuch haben, jede Stadt bedarf der Fremden, jeder Zustand hat seine Abgehenden und Kommenden nöthig. Zur Akademie flutete periodisch, meist im Sommer, eine Woge hoher Herrschaften, enthusiastischer Liebhaber, räsonnirender Kenner heran. Reizende Damen fehlten nicht, welche gelegentlich den Pinsel zur Hand nahmen, und sich nebenbei von Verehrern unterhalten ließen. – Von den literarischen Gästen sind mir zwei im Gedächtniß besonders lieb und werth, ja der eine von ihnen war mir [40] ein Freund, der mir noch nicht wieder ersetzt worden ist. Ich meine Wilhelm von Normann und Michael Beer. Normann hat ein Gedicht geschrieben: Mosaik, an das man wieder erinnern muß, denn es ist es werth, und in unserer an Produktionen fruchtbaren Zeit wird so leicht Etwas auf eine Zeitlang vergessen. Mosaik ist weiter Nichts, als Heinrichs des Vierten erste Liebe und Untreue, ein Geschichtchen, wie es viele gibt, kaum hat es Inhalt, aber der Dichter plaudert Das so naiv ab, wie Heinrich die schöne Gärtnerstochter beim Scheibenschießen sieht, rasch ihre Gunst gewinnt, bald an derselben Stelle, wo er mit Fleuretten gescherzt, einer Hofdame ewige Treue schwört, und das arme verrathene Herz dann seine Glut in den Fluten kühlen muß! Dieses einfache Geschichtchen spiegelt sich in der schönen Seele des Dichters ab, neckisch und ernst, über deren Frohsinn doch der Schatten eines edlen Schmerzes läuft.


»Ich möchte König seyn!«

so hebt er an – und sagt uns darauf:

»Mir ist ein eignes Reich. Da sind Gedanken

Die Bürger, und in ihrer Mitte lebt

Als Königin die Freiheit!« –


Provence, Neapel, und Rom, wo die drei Gesänge geschrieben wurden, werfen ihre Himmelslichter, ihre Orangenblüten und Sternennächte in die zarten Reime, welche alle diese Elemente gar anmuthig zu vergleichen wissen. Ein bischen byronisirt wird freilich darin, aber was thut Das? Es ist ein Jugendprodukt, im besten Sinne des Worts. Und jugendlich war der Dichter auch, fein und höflich, gewandt und doch hingegeben fühlend. Er hielt sich, als er aus Italien zurückkehrte, ein Jahr in Aachen auf. Von dort kam er ab und zu hieher. Noch sehe ich seine schlanke Gestalt, seine vornehmen Züge. Eine leise Schwermuth lag auf diesem sonst so heitern Wesen. Er liebte eine schottische Dame, die sein Gedicht in rührenden Wendungen feiert, ohne Hoffnung des Besitzes. Ach, schrieb er mir einmal, wäre ich in Ihrer ruhigen, geistigen Welt dort! Aber ich sehe leider Alles hier wie durch Wolken und Nebel. – Endlich ebneten sich seine Pfade, er durfte die Geliebte heimführen, und kaum mit ihr verbunden, starb er, vor dem dreißigsten Jahre.

Mit Michael Beer hatte ich das wohlthuendste Zusammen- und Ineinanderleben, ruhend auf gemeinsamen Streben, Drang, vorwärts zu kommen, und Bedürfniß, Alles, was den Einen beschäftigte und förderte, auch zum Eigenthum des Andern zu machen. Keine Schmeichelei entwürdigte diesen Bund, Wahrheit hieß unser Wahlspruch. Er [41] war viel in Düsseldorf und auf längere Zeiten. Ich erinnere mich dieser Wochen und Monate mit einer frommen Bewegung. Die Plane und Vorsätze waren unendlich, kein Gespräch versiegte vor tiefer Mitternacht. Alles, was Literatur, Zeit, Welt und darreichte, wurde betrachtet. Wenn ich erwäge, wie leicht ich mich damals mittheilen konnte, und wie schwerfällig ich seitdem geworden bin, komme ich mir wie ein anderer Mensch vor. Er hatte unendlich viel gesehen und gehört, denn er war fast in allen Hauptstädten von Europa gewesen; sein Reichthum, sein geselliges Talent öffneten ihm den Zugang überall. So konnte er mich denn einer Fülle von Anschauungen in meiner stillen Klause erquicken. Mit Recht sagt sein Biograph von ihm, daß ihm Freundschaft Bedürfniß und Lebensluft gewesen sey. Es war in der That so. Einen Theil unseres Lebens faßt der Briefwechsel in sich, den die Erben herausgegeben haben. Freilich ist oft das Beste und Bezeichnendste daraus weggelassen worden, manch kleines Lebens-und Genrebild ist getilgt. Der fremde Herausgeber durfte aber nicht anders verfahren, der persönlichen Rücksichten wegen. Ich erfuhr den Tod meines Freundes ganz unvorbereitet durch ein Zeitungsblatt, und habe nachher nur sein Grab und München besuchen können.

Waren diese und andere dergleichen anregende Kräfte, die sich hier zu uns gesellten, nur von kurzem Leben, so traten dagegen zwei dauernd in unsern Kreis, und sind uns geblieben: Uechtritz und Schnaase. Ich kannte Alexander und Darius, der einen so heftigen Federkrieg in Berlin erregt hatte, und war nicht unempfindlich für die Größe des Gedankens geblieben, das junge Griechenthum mit dem alternden, an sich selbst siechenden Orient zusammenstoßen zu lassen. Ein wahrer, großer Gedanke lebt auch in den späteren Dramen Uechtritzens. Der Konflikt zwischen zwei solchen Gestalten, Mann und Weib, wie Alboin und Rosamunde, dieser Kampf von Haß und Liebe, dann in den Babylonieren das Prophetische, Vormessianische und Falschmessianische – das sind gewiß Griffe und Blicke, des Dichters würdig, und nur dem Dichter möglich. Rosamunde hat freilich den Fehler, daß darin an ein ungeheuerliches Faktum, welches nicht anders als äschyleisch skizzenhaft hätte gefaßt werden können, eine detaillirte psychologische Behandlung gelegt worden ist. Daß eine Tochter gezwungen wird, aus dem Schädel ihres Vaters halbberauschten Recken zu kredenzen, läßt sich nicht fein motiviren, und deßhalb bleibt in jenem Stücke ein Zwiespalt zwischen Stoff und Form. Ueberhaupt trennt Etwas den Dichter von seinen Gestalten, und wir können es nicht anders nennen, als Reflexion. Aber gerade dieses Vorwiegen des Reflektirenden in Uechtritz gab unsern [42] etwas bunten Anfängen einen heilsamen Gegensatz. Sein Wissen, sein ganzes Wesen mahnte zum Nachdenken, zur Sammlung. Viel und Mancherlei wurde gleich im Beginn unseres Umgangs verhandelt, wenn wir bei hellem Tageslicht mit gewaltigen Schritten unsern Spaziergang begannen, nur eine halbe Stunde mit einander seyn wollten, und uns verwundert nach langen, selbstvergessenen Gesprächen im Abenddüster zwischen fremden Hügeln und Büschen sahen. Er hat mich über ganze Strecken der Erkenntniß aufgeklärt, Mehreres, was in den Epigonen steht, ist wörtlich früher von uns so abgesprochen worden. Zu den Mahlern trat er bald in eine große Vertraulichkeit. Er kam ganz anders mit ihnen zu stehen, als ich; seine geordneten Kenntnisse, besonders in der Historie, machten ihn auf natürlichem Wege zu ihrem Lehrer. Ich konnte sie Nichts lehren, denn ich wußte selbst nicht viel Positives. Er hat ihnen wesentlich genützt, und Das sollten sie nie vergessen! Seine Freundschaft mit Lessing war mir immer eine schöne Erscheinung. Gar herrlich ist eine solche begeisterte Vertiefung des einen Geistes in einen zweiten.

Durch Schnaase erhielt die Praxis der Kunst hier ihr Komplement, die Theorie. Die Kunstbetrachtung der Gegenwart ist auf eine würdige Stufe gekommen. Endlich sind die leeren Allgemeinheiten, abgezogen von isolirt angeschauten Perioden, welche so lange das Urtheil irre führten, zum Schweigen gebracht. Auf dem historischen Wege, die Kunst aus der Geschichte deutend, die Geschichte aus der Kunst, sucht man dem Geheimnisse ihrer Erzeugung beizukommen. Und dieser Weg ist wohl der allein richtige zu nennen. Denn die Kunst ist selbst nichts Absolutes, sie ist eine historische Erscheinung. – »Die Kunst ist nicht abhängig von der Welt, nicht eine Wirkung ihrer Revolutionen, und eben so wenig eine Macht, welche in die Kette der Ursachen und Wirkungen eingreift. Aber sie besteht auch nicht ohne Verbindung mit dem Leben, sie ist vielmehr das gewisseste Bewußtseyn der Völker, ihr verkörpertes Urtheil über den Werth der Dinge; was im Leben als geistig anerkannt ist, gestaltet sich in ihr.«

So lauten ungefähr die Worte in dem Buche, welches eine der reifsten Früchte unserer Anfänge war. Ich meine die Niederländische Briefe von Schnaase. Er gehört zu den ächten Kunstforschern unserer Tage, und ich bin überzeugt, daß die Literaturgeschichte ihm unter ihnen einen ehrenvollen Platz anweisen wird. In ihm selbst hatten Kunstgefühl und Kunsterkenntniß die natürliche Geschichte erlebt. Von dem Interesse an der Architektur, von ihrem Studio war er zu dem der übrigen Künste vorgedrungen. So hatte also die älteste Kunst [43] in seinem Bewußtseyn auch das älteste Datum. Dieser natürliche Entwicklungsgang, den er, unterstützt von einem ungemeinen kombinatorischen Scharfsinne und von einem sehr ausgebreiteten Wissen, gegangen ist, gibt seinen Untersuchungen die Tiefe und Unparteilichkeit, ihren Resultaten die ausgiebige Fülle und Reinheit, welche jene Briefe aus Niederland so sehr charakterisiren. Was sie aber am meisten in meinen Augen adelt, ist, daß der Scharfsinn nie zum Pikanten und Witzelnden verführt, sondern immer nur nach Wahrheit und ihrem ernsten und schlichten Ausdrucke strebt. Ich halte dieses Buch für ein Haupt- und Grundbuch; es wird auch schon jetzt in dem Kreise der Wissenden mit großer Achtung genannt. Populär kann es aber nie werden, denn es will mit Ernst, mit Selbstentäußerung, und Hingebung an die Operationen des Verfassers studirt seyn. Möglich aber wäre es, daß wir späterhin manchem Räsonnement begegneten, welches, ohne das Ursprungszeugniß aufzuweisen, doch im Garten meines Freundes gewachsen.

Ich muß gestehen, daß ich mich nicht ganz habe hindurcharbeiten können, sagte der blaue Domino. Zweierlei verleidete mir die Lektüre. Einmal schien mir das Buch kein recht in sich geschlossenes Buch zu seyn, und dann kam es mir auch so vor, als ob der Autor zuweilen seine Nadeln so fein schliffe, daß sie ihm unter den Händen zerbrachen.

Den ersten Tadel gebe ich zu, sagte der schwarze Domino. Die leichten Reiseschilderungen, welche sich zwischen die tiefsinnigen Debuktionen schieben, sind eher ein falscher Reiz, als ein Schmuck; auch hätte der Belehrende hin und wieder Mittelglieder den Lesern zu finden überlassen sollen. Den zweiten Tadel muß ich verneinen. Dein Gleichniß von den Nadeln bei Seite gesetzt, sage ich: auf der Höhe weht eine andere Luft, als unten im Thale. Sie kann dem Athmenden dünn und scharf vorkommen, aber sie ist nun eben die Luft der Höhe. Will man einmal mit der Kunstbetrachtung aus der Fläche, in welcher sich allerhand materialistische oder religiös-patriotische Dünste ihr anhängen, emporsteigen zu der reinen Höhe, wo die rechten Messungen anzustellen sind, so muß man sich die Luftschicht der Höhe gefallen lassen.

Der rothe Domino rief lächelnd: Sie sollten Ihrem Panegyrikus durch ein Resumé aus dem Buche für uns Thalleute etwas spezifisches Gewicht geben!

Ich kann es nicht. Was hälfe es, daß ich sagte, der Wanderer geht von Osten nach Westen, von Rotterdam über den Haag, Leiden, Antwerpen, Gent, Brügge, bis in Französisch-Flandern, er durchmißt auf diesem Weg des Gebiet der Kunst von ihrem letzten Ausgang bis zu den ältesten Anfängen, und gelangt endlich auf einen Gipfel, von [44] dem er die Theilung der künstlerischen Arbeit unter den Völkern der Erde seit den Ebräern bis zum Siecle herab erblickt, gleichsam eine Generalkarte des Genius? Er findet unterwegs, daß die Landschaft die Natur darstelle, als Wohnsitz des Menschen im größten Sinne gefaßt, er mittelt aus, warum die Architektur in ihr ihre nothwendige Stelle finde, aber als Ruine, und trifft so auf den richtigen Gegensatz dieser noch wenig verstandenen Art zur historischen Kunst, wodurch sie den von dieser leer gelassenen Raum ausfüllt. Er macht uns klar, daß das frühere Mittelalter nur den architektonischen Blick gehabt habe und haben können, und daß es in seinen mahlerischen Gestalten wirklich diese architektonische Schönheit erblickt habe, so dürr und mathematisch sie uns vorkommen mögen. Es vindizirt dem Genre seine Stelle, geblöst und offen gelegt durch die Reformation, welche das Individuum und die Natur zu Ehren brachte. Er erzählt die Geschichte des Naturgefühls unter den Völkern, erklärt die Schule von Antwerpen aus den Schulen von Eyk und Hemling, und kommt zu der schwierigen Untersuchung, was denn nun eigentlich den religiösen Ausdruck in den Werken der religiösen Kunst schaffe? Da wird gefunden, daß nicht die Frömmigkeit des Künstlers oder des Zeitalters diesen Charakter hervorbringe, sondern daß er durch das architektonische Element im Werke ausgesprochen werde. – Die Kunst, sagt der Autor, steht mitten inne zwischen Lehre und Leben. Sie ist selbst eine Religion, Naturreligion, sie ist das pantheistische Element, welches keiner Religion fehlen darf.

Alle diese und hundert andere Gedanken, die mir noch aus dem reichen Buch einfallen möchten, würden aber davon dennoch keinen Begriff geben. Sein Organismus ist es, was es zu Dem macht, was es ist, und jene Aphorismen sind nur zerstreute Glieder, die den lebendigen Leib nicht darstellen.

4.

Mein Freund, fuhr der schwarze Domino fort, war in jener ersten Zeit unseres Zusammenseyns voll von den Problemen, deren Lösung er nachmals in den Niederlanden fand. Wie groß war der Drang der Mittheilung, wie rege die Lust des Empfangenes! Die Dichter werden nicht müde, den Frühling zu preisen und die Liebe, und das von Rechtswegen. Aber was der Frühling und die Liebe der Jugend ist, das sind die Stunden, in denen Zwei miteinander Gedanken erzeugen und ausschaffen, dem Mannesalter. Ein blos persönliches Wohlgefallen ist [45] zwischen Männern mehr nicht, als ein schöner Schein; wie die Ehe vollkommen wird durch das Kind, so bedarf die Freundschaft des Objekts. Zeugen ist nach Platon die That der Liebe: auch Männer müssen im Wahren, im Gegenständlichen diese That miteinander vollbringen, soll ihr Bund eine Wirklichkeit bleiben. – Ich kam zu jenen guten Stunden auch nicht ohne Gabe: Merlin, den ich schon als Knabe durch Friedrich Schlegels Erzählung kennen gelernt und seitdem immerdar im Herzen getragen hatte, machte mir gerade damals die heftigsten Geburtsschmerzen, und wollte durchaus an das Licht. Der metaphysische Gehalt dieser Fabel sagte dem spekulativen Sinne meines Freundes besonders zu; sein liebevollstes Interesse hieß mein Stammeln von ihren eigentlich unaussprechlichen Geheimnissen willkommen. Noch erinnere ich mich des Märzabends, an dem ich ihm draußen im Freien die Intentionen der Szene zwischen Merlin und Satan am Grabe der Mutter bei Stonehenge klar zu machen suchte. Es gelang nicht ganz, denn ich trug sie im Gefühl, nicht in Worten, bei mir. Aber uns umstrichen die ersten, scharfen, Wunder verheißenden Lenzeslüfte, der Mond schien und schien auch nicht, denn ein Chaos von Wolken wühlte sich durch den Himmel. Das wies ich ihn zuletzt an Lüfte, Mond, Wolken, und Himmel als Dolmetscher.

Schade, daß dieses Gedicht an so entlegenen, unpopulären Gestalten verläuft, sagte der blaue Domino. Klingsor, Artus, Merlin, Lanzelot, Ginevra, die Hüter des Grals! Ja, wer denkt bei diesen Namen sich Etwas? Es ist ein eigenes Unglück für Dich gewesen, daß Du mit dem Drange, den ich wohl in Deiner Arbeit erkenne, gerade zu dieser wenig bekannten Sage geriethest. Je dunkler, feiner, geistiger ein Stoff ist, desto planere Träger sind ihm vonnöthen.

Dieser Umstand möchte noch hingehen, sprach der rothe Domino, aber offenbar ist für die Durchsichtigkeit und Grazie eines poetischen Kunstwerks Ihre Mythe zu belastet durch intellektuelle Anschauungen der sonderbarsten Art. Die Figuren erliegen unter der metaphysischen Rüstung.

Ihr habt die beiden Fehler des Merlin, welche mich um den Gewinn gebracht haben, richtig angegeben, versetzte der schwarze Domino. Als ich vor Kurzem ihn einmal wieder zur Hand nahm, erregte es mir eine eigen schmerzliche Empfindung, nun zu sehen, woran es ihm gebreche. Doch brachte er mir auch seine Früchte. Tieck, Uechtritz, Häring widmeten ihm den tiefsten Antheil. Rosenkranz sprach, wenn gleich mit einigem Widerstreben, achtend über ihn. Andere sagten, ich habe den Faust überbieten wollen. Der Vorwurf traf nicht. Ich war gar nicht [46] in das Gebiet des Faust eingetreten. Nicht die Sünde schwebte mir als das Unglück der Welt vor, sondern Widerspruch. Merlin sollte die Tragödie des Widerspruchs werden. Die göttlichen Dinge, wenn sie in die Erscheinung treten, zerbrechen, dekomponiren sich an der Erscheinung. Selbst das religiöse Gefühl unterliegt diesem Gesetze. Nur binnen gewisser Schranken wird es nicht zur Karrikatur, bleibt aber dann freilich jenseit der vollen Erscheinung stehen. Will es in diese übergehen, so macht es Fanatiker, Bigotte. Ich zweifle, daß irgend ein Heiliger sich vom Lächerlichen ganz frei gehalten hat. Diese Betrachtungen faßte ich in Merlin sublimirt, vergeistigt. Der Sohn Satans und der Jungfrau, andachttrunken, fällt auf dem Wege zu Gott in den jämmerlichsten Wahnwitz.

Ich redete vom Widerspruch. Zuweilen liegt das Widerspruch, der sich sonst meistentheils vererzt zeigt, gediegen zu Tage. Ein sonderbarer Widerspruch, freilich mehr praktischer Art, begegnete mir auch in jenen Zeiten. Sie hatten, wie Ihr gesehen habt, Etwas von einer Idylle, worin freilich keine rothbebänderten Schäfer, sondern Künstler, Literatoren, Grafen, und Herren auftraten. Ein ganz idyllisches Verlangen regte sich in mir, und sein Gegenstand war – der Wolf.

Was meinst Du? fragte der blaue Domino.

Nun, Michael Beer war bei uns zum Besuch, und wir sprachen unter Anderm auch viel von Platen. Die verhängnißvolle Gabel war erschienen, der Band Gedichte deßgleichen. Seine östlichen Spielereien hatten mir zwar wenig behagt, aber in den andern Sachen gefiel mir die elegante Form, die Präzision der einzelnen Bilder und Gedanken. An manchem hübschen Einfall in der Komödie hatte ich meine Freude gehabt. Er erregte mein Interesse, ich hätte ihm gern, hingegeben wie ich damals war, gesagt, wie ich von ihm denke. Ich sprach es gegen Beer aus, und kündigte ihm meinen Vorsatz an, Platen brieflich mich nähern zu wollen. Beer machte ein sonderbares Gesicht, und versetzte: Das lassen Sie doch lieber, denn – denn – Ich stutzte, hatte aber kein Arg. Kaum sechs Monate später erschien der romantische Oedipus, von dessen Herannahen mein Freund schon gewußt hatte.

In der That würde Sie ein achtender oder verehrender Brief mit solcher Replik seltsam gestellt haben! rief der rothe Domino.

Mein guter Genius hat mich vor diesem Schritte, den nur unschuldigere Zeiten zu würdigen gewußt haben würden, bewahrt, erwiederte der schwarze Domino. Jetzt mußte ich den mir werth gewordenen Dichter und unerwarteten Feind in anderer Weise begrüßen, die Polemik griff zu ihren Worten, obgleich mir nie in jener Zeit des Kampfes [47] auch nur auf eine Augenblick die Achtung vor dem Achtungswürdigen in Platen sich trübte. Heine, der so heftig wegen seines Gegenspottes getadelt wurde, betrachtete die Sache ebenfalls leicht und heiter, seine Briefe aus jener Zeit sind voll von drolligen Aeußerungen über diesen Krieg. Aeußert komisch war der Zorn mancher Leute, die sich öffentlich vernehmen ließen. Sie schalten uns, daß wir uns unserer Haut gewehrt hatten. Doch erhielt ich auch lobende Zuschriften, die in anderer Weise lustig waren. Einer schickte mir ein Sonnett, welches so anhob:


»Du hast Dich, Edler, brav herausgebissen ...«


Ein Anderer bewunderte in einem Briefe voll schöner Sachen für mich die »Milde« meiner Streitschrift.

Wie kam es, daß Du, der Du auf jeden Angriff sonst immer geschwiegen, hier den Handschuh erhobest? fragte der blaue Domino.

Eben, weil ihn ein Gegner hingeworfen hatte, mit dem man sich schlagen konnte, versetzte der Schwarze. Und übrigens macht sich dergleichen, man weiß selbst nicht wie? Es gibt Bekannte und gute Freunde, die bei solchen Gelegenheiten die friedfertigste Gesinnung in den Harnisch zu bringen vermögen. Da kommt der Eine und zuckt die Achseln, ein Zweiter bemitleidet, ein Dritter sagt: So Etwas ist doch unerhört. Ein Vierter spricht: Wir wollen gar nicht davon reden. Der Fünfte fragt: Was werden Sie dagegen thun? Noch ein paar Andere flüstern blos, wenn sie einen sehen. – Der innere Grund, warum ich schrieb, war, weil ich einen inneren Gegensatz zwischen mir und Platen fühlte, und diesen ausdrücken zu können hoffte. Ich konnte mich nicht mit seiner Präzision, Schärfe, geschweige denn mit den metrischen Verdiensten des Mannes messen, aber ich hatte auch Etwas in mir, was er nie besessen hat, und dieses Etwas war mir Poesie, meine Poesie. So entstand aus äußeren Veranlassungen, doch mehr aus innern Ursachen, der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Kavalier. Campe in Hamburg verlegte ihn, wünschte aber der Beschleunigung wegen, daß ich den Druck und die Versendung selbst besorge. So ward ich Autor, Korrektor, und Spediteur meiner Polemik.

Ich besuchte Sie damals, und sah auf Ihrem Zimmer einen mächtigen geschnürten Ballen liegen, sagte der rothe Domino. Um des Himmels willen, fragte ich, was ist Das? Sie antworteten: Tausend Kavaliere stecken da drinnen.

Es war uns komisch-schauerlich, den poetischen Hohn in so materieller Wucht vor uns liegen zu sehen, erwiederte der schwarze Domino. Ich war froh, als der Fuhrmann mir das Zeug vom Hals schaffte. Nachher war mir Platen Derselbe, der er mir früher gewesen, und ich konnte [48] mich seiner Vorzüge erfreu'n, als ob nie ein Oedipus in die Welt gekommen wäre.

Platen, sagte der rothe Domino, ist ein eklatantes Beispiel, wie die ältere lyrische Stimmung sich bei einem Volke noch einmal zu rekonstruiren sucht, obgleich ihre Stoffe durch die Vorgänger aufgebraucht sind. Die Lyriker der Jetztzeit, die mit Heine begannen, greifen dreist in die gährenden Substanzen der Gegenwart, und gestalten sie, wie es gehen will. Die Liebe, die an ihrer eigenen Narrheit verzweifelt, das Gefühl, das an der Skepsis der materiellen Zeit hinstirbt, der Liberalismus, der Weltschmerz, Afrika, Orient, Amerika, wo möglich Südindien, durch die unzähligen Reisen in Jedes Gesichtsweite gerückt, – das sind die Themen der jetzt Berühmten. Die älteren Lyriker hatten Natur und Blüten, sehnsüchtige Liebe, zarte Scheu vor der Barbarei unseres deutschen Lebens, die Herrlichkeit südlicher und antiker Zustände gesungen. Ramler und Klopstock kontemplirten historische Personen und Ereignisse in rhetorischer Weise. Später gesellten sich zu diesen Lauten Minne, Andacht, die Klänge romantischer Vergangenheit. Ganz zuletzt fand das patriotische und Kriegsgefühl Worte. Alle diese Schätze waren ausgegeben, Uhland und Rückert beschäftigten sich mit der letzten Nachlese auf den Feldern, als Platen erschien. Er war belesen, gebildet, gelehrt sogar. Er hatte Gedanken, Gefühle, er war ein Dichter – aber keiner, in dem ein neues Evangelium der Poesie nach Offenbarung ringt. Er gehörte nicht zu Denen, die da wollen dichten, ermußte es. Aber was thun? Ein Talent war sein eigenes: das philologische. Mit diesem griff er umher unter den schon zubereiteten Stoffen, schliff sie, appretirte sie, gab ihnen Façon, eine nettere, knappere, als je eine zuvor gewesen war. Er war der Sammler, der aus zweiter Hand nahm und durch höchst geschickte Aufstellung, richtiges Licht, Säubern und Abputzen etwas Neues hervorzubringen schien: – die Sammlung. Sie gehörte ihm allerdings, dem Sammler, aber die Geister der Meister in Erz, Gold, Stein, und Farbe, welche zu der Sammlung steuerten, gehörten ihm nicht. Nun aber genügte ihm Das Alles doch keineswegs. Ein stiller Unmuth, ein geheimes Mißbehagen ergriff ihn. Denn nur die Seele, erfüllt von fremder Größe und demüthig hingegeben an sie, oder voll von eigenem, übergewaltigem Stoffe ist in sich gesättigt und ruhig. Da begann nun das halbzornige Liebäugeln mit der Form, jenes Preisen der abstrakten Schönheit schlechthin, welches immer das Ende und die Auflösung des Produktiven ist. Zugleich begann jenes Narzissenthum des Geistes, welches ihm so oft als Hochmuth bescholten worden ist. Eine traurige Zärtlichkeit! Wer sich nur liebt als Vortrefflichen,[49] nicht in seinen Sünden und Thorheiten, der liebt sich selbst nicht einmal.

Viel zu scharf! Ungerecht! rief der blaue Domino.

Soll ich Dich an Deine eigne Rede über den Rhein erinnern, an Das, was Du über das große Mehr und Minder sagtest? Nenne ich Platen einen sklavischen Kopisten? Ich finde in ihm Wendungen, Gedankengänge, besonders Zusammenstellungen, die ihm angehören. Er hat seine Stelle in der Geschichte der deutschen Poesie, und that durch die Strenge und Energie des Formellen gewissermaßen einen Schreckschuß, der die Geister aus dem Schlafe der laxen Zerflossenheit erweckte. Jeder Ruhm, der ihm gebührt, sprieße über seinem Grabe bei Syrakus! Aber ein großer Dichter, wozu man ihn hat emporschrauben wollen, ist er eben so wenig, als zwanzig gute Gedanken, die Jemand hat, aus ihm den großen Denker fertig machen. Ich bleibe also bei meiner Meinung: die ältere lyrische Stimmung wollte sich in Platen noch einmal durch die metrische Form rekonstruiren, sie brachte es auf diesem Wege aber nur zu einer geschmackvollen Anthologie, und die Originalität, welche sie produzirte, waren Variationen über die beiden Sätze: die Schönheit ist schön – und: ich bin das größte Genie der Zeit.

Laßt uns über Größe und Kleinheit nicht rechten! mit diesen Worten nahm der schwarze Domino die Rede wieder auf. Das sind relative Begriffe, die wenig Ausbeute geben. Sehen wir ihn, wie er ist für sich! Er ist der Meister des Einzelnen. Das einzelne Bild, den Blick auf eine Spezialität, diese und jene besondere Kontemplation weiß er oft meisterhaft anzustellen, zu richten, abzuründen. Ein Ganzes aus einem Gedanken organisch zu gestalten, der das Ganze bis in das feinste Geäder durchdringt, gelingt ihm dagegen selten, und nie in Kompositionen längeren Athems, weßhalb ihm auch das höhere dramatische Gesetz immer verschlossen blieb. Wie gering, zufällig, und dürftig ist bei allem Salze der einzelnen Witze die Fabel der verhängnißvollen Gabel! Einige Begegnungs-, Lausche-, und Erkennungsszenen – das ist das Ganze. Die Figuren ohne komische Konsistenz. Das Gespenst einer albernen Ahnfrau, die zuletzt, man weiß nicht warum, ein ätherischer Genius wird.

Die Irrthümer des Gefühls sind rührend und schön, die Irrthümer des Verstandes barock und trocken. Platens Verstand hatte sich an Aristophanes perturbirt, nicht sein Gefühl. Er wollte Aristophanes nachahmen. Ein unglücklicher Irrthum! Aristophanes ist nicht nachzuahmen. Es gibt Dichter, die unter Bedingungen hingestellt sind, welche sich nie wiederholen. Solche Dichter sind darin sie selbst, daß [50] sie diese Bedingungen abspiegeln. Wie ist ihnen also beizukommen, wenn jeder ähnliche Grund und Boden unter den Füßen fehlt? Man kann von Göthe lernen, und selbst von Shakespeare, denn wir schwimmen doch noch im Strome, der sie trug; von Aristophanes läßt sich nicht lernen; ihn soll man genießen, an seiner hohen, göttlichen Komik kann man sich nur berauschen. Lange war freilich »der ungezogene Liebling der Grazien« den Leuten gleich jedem andern Dichter, der da sitzt in seinem Kämmerlein, allerlei seltsame Phantasmata ausheckt, und diese dann auf den Markt trägt. Man hatte sich so sehr gewöhnt, den Poeten nur immer in einem gewissen ideellen Zusammenhange mit seiner Gegenwart zu sehen, daß man auch nur diesen in Aristophanes erblicken wollte, um den es doch ganz anders stand. Endlich witterte man einen höchst realen Kontakt zwischen ihm und der Demokratie, als deren Strafredner er sonst gegolten hatte. Damit geschah ein ungeheurer Vorschritt zur bessern Erkenntniß dieses Wunders der Poesie. Nur die Demokratie erklärt Aristophanes, wie er wieder der sicherste Führer durch ihre Irrgänge ist.


Wer aber vermag sie zu schildern? Wer gibt unsern zahm gewordenen Augen ein wahres Bild von jenem orgiastischen Taumel, in dem Genialität und Verruchtheit, Stärke und Schwäche, Kunst und Roheit, Aberwitz und Tiefsinn zwischen den Speeren des peloponnesischen Kampfes, durch das Labyrinth von Sitten, greiflichen Lebenssymbolen, Opfern, und Gerichten hindurch ihren verschlungenen Tanz aufführten? Zweimal ist auf Erden etwas Unbegreifliches erschienen. Ich nenne das Eine nicht, denn die ausgesprochene Parallelisirung möchte gottlos klingen, obgleich sie es nicht ist. Aber gewiß blicken wir zu jenen Zeiten, in denen die Perikleische Entfeßlung eines Volkes, wie es kein zweites je gab, ihre Früchte trug, immer nur durch denselben Nebel hin, welcher die Tage umhüllt, in denen das Saatkorn der neueren Weltgeschichte gesäet wurde. Thucydides sagt uns, daß der Zustand furchtbar gewesen sey, daß alle Begriffe von göttlichen und menschlichen Dingen sich damals gewandelt hätten. Aber diese Stadt voll Eidbruch, Bestechung, Treulosigkeit, Frechheit, Päderastie, Atheismus, reifte und zeitigte doch ihn selbst. Sie reifte und zeitigte die Feldherren Nikias, Lamachos, den in allen Lastern so großen Alcibiades, den Aufschwung zur sizilischen Expedition, die Kräfte, welche nach den furchtbarsten Niederlagen den Sieg bei den Arginusen erfochten. Sie erzeugte Sokrates und die Philosophie, Sophokles, Euripides, die Blüte der Kunst und der Rede. Und alle jene Männer und Thaten waren oder wurden während siebenundzwanzig [51] kurzer Jahre unter Bedrängnissen der Pest, des Hungers, des Krieges, die sonst das geistige Leben der Staaten abtödten.

In dieser gewaltigen Geburtsstätte wacht nun ein Mensch auf: witzig, phantastisch, beobachtend, wie keiner sonst. Zugleich ein Realist der immensesten Art, öffnet er seinen Busen dem tausendstimmigen Konzerte von Athen. Was vereinzelt in allen jenen Tönen spottet, jubelt, schilt, klagt, Das versammelt dieser Genius in sich zu einer schreckhaft-komischen Harmonie. Alles in seinen Erfindungen geht über unser Maß hinaus. Zu seiner Zeit aber steht er im schicklichen Verhältniß. Er ist ein Koloß, der darum Koloß seyn darf, weil er unter den Füßen ein kolossales Piedestal hat. Auch ahne ich den Boden, auf dem seine wunderbaren Personifikationen erwuchsen. Fast zweifle ich, daß die Richterwespen, die spekulativen Wolken, der Ritt auf dem Mistkäser in den Himmel, die Vogelstadt, der Plan der Heerlöserin, das Wägen der Verse von Äschylos und Euripides, und welche Dinge noch sonst sich da anführen ließen, die Athener entzückt haben würden, wenn alle diese grillichten Seltsamkeiten ihnen aus dem Gemache des Dichters als neue Bekanntschaften entgegen getreten wären. Mich dünkt, so bildet sich das Komische nicht, und so verfährt der echte Komiker keineswegs, der ja immer das gerade en vogue Gehende aufgreift. Wenn er den Frömmler, den Dichterling uns vorführt, gibt er uns im Bilde zusammengefaßt, was uns im Leben an hundert Schabhälfen und Verslern begegnete. – Wird also Aristophanes sich jene sinnreichen Tollheiten aus dem Nichts entsponnen haben? Nein, gewiß war unter den Athenern schon viel geplaudert worden von den Stacheln, die in den Volksgerichten stächen, von den Dünsten der neuen Spekulation, und daß man den Frieden vom Olymp holen müsse, da er auf Erden nicht mehr zu finden sey, daß der Landmann seiner am meisten bedürfe, dem dann freilich nur ein Pegasus eigener Art zu Gebot stehe. Man mochte bei der sizilischen Expedition gescherzt haben, die Projektenmacher würden sich zuletzt noch in den Lüften unter den Dohlen und Krähen ansiedeln. Genug! Ich mag Dies nicht weiter ausführen. Vielleicht aber hatte der attische Volkswitz bereits wenigstens die Embryonen der Wolken, Wespen, Vögel, des tollen Weiberplanes, der tragischen Wage erzeugt, die nun nur sein Dichter zu schönen, herrlichen Körpern machte.

Das sind freilich Konjekturen, welche die Gelehrten erst bestätigen müssen, sagte der blaue Domino. Wären sie richtig, so würden sich aus diesem Verhältniß manche Aufschlüsse über die komische Kunst des Aristophanes ergeben. Namentlich würde klar werden, warum er mit solcher Gründlichkeit mehrere seiner abenteuerlichsten Einfälle durchführen [52] durfte. Ein unbekanntes Bonmot wirkt nämlich nur schlagartig, jede Konsequenzenmacherei wird tädiös. Hat aber eine Masse sich schon einen Einfall ausgedacht und verkörpert, so kann der Dichter damit wie mit einer lebenden Person gebahren, sein Publikum wird ohne Ermüdung Geschichte und Schicksale des korporell gewordenen Einfalls anhören. Wer möchte einen Roman »von dem Messer ohne Klinge, woran der Stiel fehlt«, lesen? Eulenspiegel dagegen, den das Volk sich gemacht, ist ein dankbares Sujet zu Lustspielen und Novellen. – Wie denkst Du denn aber über das Bataillenpferd der Alerthumsforscher, über die Moralität des Aristophanes?

Was heißt Moralität des Dichters, was ist seine Moralität? rief der schwarze Domino. Der Dichter soll ganz hingegeben seyn an seine Zeit, alle ihre Stimmungen und Bezüge in sich aufgenommen haben, und je größerer Dichter, desto inniger wird immer diese Hingebung seyn. Daß er sich aber dennoch frei bewahre, daß er nicht selbst werde, wie ihre rohe Mannigfaltigkeit, dagegen muß ihn ein zarter Halt in seinem Innern, ein leises Gewissen in seiner Brust schützen. Dieses poetische Gewissen wird aber nicht, wie das moralische, eine Negation seyn, eine Stimme, die blos sagt, was zu unterlassen ist; sondern, da das Dichten ein Machen und Schaffen ist, so wird das poetische Gewissen sich äußern in einem Gegenmachen und Gegenschaffen. Und von diesem Gewissen werden sonach untrügliche Zeichen, nämlich positive, an des Dichters Werken hervortreten. Bei Dante ist Beatrice das Gewissen, welches von ihm aussagt, daß er von einer himmlischen Einheit inmitten der zerrissenen Welt gewußt habe. Shakespeare, der gewaltige Dollmetsch der modernen Grübelei, hat eine Vorliebe für einfache Charaktere, wie Kent und Alexander Iden, für Mönche; und in allen innerlichen Kriegen schwebt ihm die Herrlichkeit von Altengland vor. Göthe's Liebe zur Natur ist auch so ein poetisches Gewissen. Seine Dichtung ist der Reflex des Weichen, Weiblichen, Gebrochenen in den letztvergangenen Zeiten; an dem ewig festen Knochenbau der Natur hält er sich in seinem Innersten zusammen, und da ist es wieder charkteristisch, daß das Festeste und das Mathematische in der Natur, nämlich Gebein, Gestein, und Farbe, ihn theils am frühesten, theils am nachhaltigsten beschäftigt hat.

Laß mich für Dich vollenden, sagte der blaue Domino. Von diesem Punkte aus ist die Moralität des Aristophanes allerdings zu finden. Er ist nicht der ungezogene Grazienliebling, der nur so auf eigene Hand seine graziösen Ungezogenheiten ersonnen hat, noch viel weniger ist er der absichtliche Tugendprediger in der Schellenkappe, als welchen ihn [53] die spätere Auffassung bezeichnete. Eben so wenig aber ist er auch der perfide, kalumniantische, gesinnungslose Demokrat, wozu ihn manche neuere Stimme machen will. Sonderbar, wenn Jemand zugleich ein so großes poetisches Genie und daneben ochlokratisch gemein seyn könnte! Will man Plato's Epigramm und das Zeugniß, welches das Gastmahl für ihn ablegt, nicht mehr gelten lassen? Die Sache war wohl diese. Das attische Leben lebte in ihm mit allen seinen erstaunlichen und großen Dingen, freilich auch nebenbei mit seinen Schatten. Keiner Partei gehörte er in seinem freien Geiste an, Demos, Exklusive, Hetärien, Oligarchen, Aristokraten stehen ihm gleich nahe. In dieser Freiheit, woraus Inkonsequenten entspringen, liegt ein Theil seiner Größe. Er weiß von Allem, jede Nuance des Zustandes ist ihm klar. Aber er verliert sich nicht in dieses bunte Gewirr, auch er hat das Gleichgewicht in seiner Seele. Welches Gefühl aber kann nur die Gegenlast zu jener reichhaltigsten aller Darstellungen hergeben? Soll er hin und wieder züchtig reden? Niemand in Athen redet so. Soll er sogenannte edle Charaktere kontrastirend zeichnen? Kein Charakter ist unangefochten, unverspottet; alle öffentlichen Gestalten unterliegen Anklagen, die, seyen sie gerecht oder ungerecht, doch wenigstens gewiß zu objektiver Geltung Niemandes Tugend aufkommen lassen. Soll er die Götter aus der Maschine treten lassen in verehrungswürdiger Bildung? Aber der Olymp ist dem Volksglauben fast schon zum Berge geworden, wie andere Berge. Darf er die Weisheit aufführen als Trost und Heilmittel? Sie tritt in Sokrates so wunderlich einher, die Ironie gibt ihr ein so sophistisches Ansehen, sie ist in der That so sehr Ferment des Festen, Oeffentlichen, der Religion, daß sie ihm kein Organ für seine Empfindung seyn kann.

In der Gegenwart konnte also Aristophanes, wenn er nicht gemein heucheln wollte, keinen Ausdruck für sein poetisches Gewissen finden. Einst indessen war es anders. Es gab doch einst für Athen einen Tag von Marathon und von Salamis. Es gab einen Miltiades, Aristides, Themistokles. Die Poesie fand in Aeschylos ihren Mund. In der begeisterten Hingebung nun an die fromme Vergangenheit der Ahnen, in der ungeschminkten Berehrung für Aeschylos spricht das Gewissen des Dichters. Er beweist dadurch, daß er auchmoralisch besser sey, als sein schimpfender oder verdächtigender Pöbel. Allerdings ist dieser Kultus nur ein schöner Traum, aber gerade ein solcher Traum genügt, der Darstellung des Mitweltlichen, die doch auch nur ein Traum ist, ein lasterhaft-genialer Traum, die Wage zu halten. Mit praktischeren Demonstrationen würde der Dichter das goldene Zaubernetz, welches [54] seine Phantasien umsponnen hält, schwerfällig zerrissen haben. Und Das ist folglich das Edle und die Moralität in der Seele des Komikers. Bei aller Verwandtschaft mit dem Markt von Athen fühlt sie doch die Zweideutigkeit seiner Szenen, und sucht Genügen bei den einfacheren Vätern.

Am meisten ist mir das ethische Moment in Aristophanes durch die Ritter anschaulich geworden, wo es sich selbst auf Kosten des poetischen Zusammenhangs geltend macht, sagte der schwarze Domino. Der hündische Gerber Kleon muß fortgeschimpft werden, wenn Herr Demos, neuverjüngt im Lichte der guten alten Zeit, wieder zum Vorschein kommen soll. Aber durch wen operirt sich diese Verwandlung? Durch den noch ärgeren Taugenichts, den Wursthändler. Durch diesen Widerspruch ist, wie mich dünkt, eine spezifische Wahrhaftigkeit in Aristophanes Geist ausgedrückt, der die Herrlichkeit der Väter liebt, und dennoch weiß, daß sie nicht zurückgeführt werden kann. Seht, wollte der Dichter seinen Zuschauern sagen, so saht Ihr aus, und nun fragt Euch, ob Ihr, von der argen Hand in die ärgere stets übergehend, so wieder werden könnt, ob nicht jede Verbesserung, die Euch der Wechsel der Demagogen in Euren Augen zu geben scheint, eben auch nur ein verführender Schein ist?

Der Dualismus zwischen Hohn und Begeisterung, in dem wir Aristophanes offenbar befangen sehen müssen, wenn wir ihn nicht für ein Aggregat zufällig durcheinander gewürfelter Stoffe halten wollen, ist aber auch nur ein Zug, der durch die Besseren seiner Mitwelt hindurchging. Die Sitte war meist zum Formalismus geworden, von dem man bei aller inneren Ungebundenheit gleichwohl nicht ablassen durfte, sollte das Leben noch Zusammenhang behalten. Man opferte den Göttern und lachte über sie. Die Todfeindin, Sparta, hatte ihre Freunde in der Stadt, ihre Nachäffer. Man wußte schon, daß Athen nicht die Welt sey, und doch konnte ein feiner Mann nur in Athen leben, was man Leben heißt. Diese extremen Kontraste gerannen in Aleibiades zu einem praktischen Charakter, machten ihn zum Mann des Volks, und stürzten ihn beim Volke. Sie helfen auch unsern Dichter erklären.

Mich hat es immer interessirt, den politischen Gedanken des Aristophanes zu verfolgen. Anfangs ist er noch kompakt, richtet sich auf einen reellen Gegenstand, geht aber endlich in eine Art von lustiger Verzweiflung über. Jener Gegenstand ist der Friede. Frieden will der Dichter mit Sparta. Man hat jetzt, nach zweitausend Jahren, gut philosophiren »über die Nothwendigkeit des Prozesses im attischen Leben,[55] der den peloponnesischen Krieg hervorbrachte,« vor welcher weiten Philosophie denn der Dichter zu einem beschränkten Opponenten dieses nothwendigen Prozesses werden muß. Damals, unter Noth und Drangsal aller Art, war es wohl eine ganz probehaltige Idee, den Kampf mit der Bundesstadt für ein großes Unglück zu nehmen. In den Acharnern tritt der Friede als Idylle auf. Ein Einzelner verträgt sich auf eigene Faust mit den Feinden, und hat nun freien Markt und frohes Fest, während der kampflustige Feldherr Beulen und Wunden empfängt. So sähe es aus, wenn Friede wäre! Aber soll er kommen, muß das Haupthinderniß hinweggeräumt werden, Kleon. Die Ritter greifen ihn an, vernichten ihn poetisch. Kleon kommt später um, freilich nicht durch die Verse des Aristophanes. Nikias schließt einen Waffenstillstand. Der Friede, der nun folgt, ist eine sonderbare Komödie. Sie drückt zugleich die anscheinende Unmöglichkeit, gründlich Eintracht zu stiften, und den Segen, der weitverbreitet sich ergießen würde, geschähe dennoch das Unwahrscheinliche, aus. Denn aus dem Olymp muß die Friedensgöttin herabgeholt werden, aus dem Olymp, den die Götter selbst, erzürnt über den Hader der Hellenen, verlassen haben. Es gelingt, und nun wird die Fruchtin, ein Symbol jenes allgemeinen Segens, als Braut heimgeführt. In keinem Stücke wird so gründlich von den Ursachen und Schattirungen des Kriegs gehandelt; es scheint, daß der Dichter seiner etwas luftigen und allgemeinen Allegorie durch jenes historische Ingrediens eine Widerlage hat geben wollen. Von dem Frieden, nämlich von dem wirklichen, sagt Thucydides, daß er den Namen eines Friedens nicht verdient habe. Häkeleien, Kränkungen, Plackereien der gegengeistigen Schützlinge ließen kein Vertrauen aufkommen, es herrschten Argwohn und Gereiztseyn. In dieser fieberhaften Spannung beschloß Athen, durch Alcibiades hingerissen, den großen Zug nach Sizilien, den größten, den es je gethan. In der Stadt war ein Schwindel der wildesten Erwartungen. Daß Aristophanes ihn nicht getheilt, beweisen die Vögel, dieser Gipfel seiner Poesie. Das reale Athen ist ihm verschwunden, Wolkenkuckuksheim hat seine Stelle eingenommen. Vom Didaktischen oder Oratorischen ist in dieser Komödie keine Spur mehr; selbst die Parabasen sind rein phantastisch. Jene lustige Verzweiflung, die mit dem Jubel der Bankerottirer unmittelbar vor dem Bankbruch scherzt, hat das Werk geboren. Ein Gedanke in der Komödie ist von sublimster Schönheit. Als es zu dem Bau der luftigen Stadt kommen soll, legt Aristophanes nicht, wie ein Komiker geringerer Art gethan haben würde, den Akzent auf die Mittel und Wege dieses Baues, welche vielmehr episodisch behandelt werden, [56] sondern die Hindernisse des neuen Reichs zu besiegen, die Eindringlinge zurückzuscheuchen, ist des wackeren Rathefreundes Amt und Sorge. Dadurch wird das Phantastische aus der geraden Linie in die reizendste Kurve umgebogen, das Imponderable erhält ein Gewicht, ein Nichts eine Geschichte, ein Schicksal.

Aber die entsetzlichste Niederlage beschließt den glänzenden sizilischen Zug. Die Oligarchie rührt sich. Die Demokratie ist in der Auflösung. Der Scherz des komischen Dichters sinkt zur Erde herab. Nichts, was Männer männlich haben unternehmen können, vermochte Ruhe und Bestand zu stiften. Die Weiber nehmen sich des gemeinen Wesens an. Durch die Vorenthaltung des rohesten Bedürfnisses erzwingt Lysistrate und ihr Orden den Frieden. Das Gefühl von der völligen Umkehrung der Verhältnisse ist in dieser Fabel mächtig, und erhält endlich in den Ekklesiazusen seine schärfste Zuspitzung. Der Krieg ist vorbei; der Staat matt. In jener Komödie treten die Weiber völlig an die Stelle der Männer, und herrschen. Die politische Komödie kehrt gleichsam zu ihrem ersten Genre zurück. Die Ekklesiazusen sind auch eine Art von Idylle zwischen gescheiten Betteln und dümmlichten Spießbürgern. Freilich ist diese Idylle so herb, als die der Acharner heiter war. Zwischen diesem Ausgangs-und jenem Endpunkte aber hat sich die Poesie des Komikers als Jambographie, Allegorie, Mährchen, Intriguenfabel bewegt. In Sieg und Niederlage, vor dem Angesichte des Feindes, hat sie zu scherzen gewagt, und so gemahnt sie uns, wie der schmetterndste Triumphgesang des in den äußersten Krisen sich groß und selbstständig wissenden hellenischen Geistes.

Die Redenden schwiegen hierauf eine Zeitlang. Endlich sagte der rothe Domino: Wir sind von Platen ganz abgekommen.

Bleiben wir, wo wir sind, versetzte der Blaue. Die Erinnerung an eine literarische Streitigkeit hat uns zur Betrachtung eines großen Dichters geführt. Das ist ein gutes Ziel, von dem wir nicht zurückgehen wollen.

Ich will wenigstens noch einen ausgleichenden Epilog halten, sagte der schwarze Domino. Der romantische Oedipus scheint in der Erfindung weit besser zu seyn, als die Gabel. Zwar ist der Gedanke, den komischen Helden bei den Haidschnucken sitzen, ihn erst verehren und zuletzt vom Publiko und dem Verstande aushöhnen zu lassen, auch nicht eben von unerhörter Größe. Dagegen scheinen die Motive des Zerrspiels, welches mein Zerrbild mit Puppen aufführen läßt, bunt und reich zu seyn.

»Scheinen? Wie spricht Du denn?«

[57] Nun, ich muß ein sonderbares Bekenntniß ablegen. Ich habe den Oedipus nie gelesen.

»Nicht gelesen?«

Nein, so müßte ich antworten, und wenn Du wie Orsina ausriefest: Nicht einmal gelesen! Ich ließ mir von einem Bekannten den Inhalt erzählen, und darauf schrieb ich meinen Kavalier.

»Gut, daß Deine Feinde Dies nicht hören. Sie würden daraus einen Zug oberflächlicher Vornehmheit mehr ableiten.«

Mit Unrecht. Ich wolle mir die Laune nicht verderben zu meinem Geplänkel; ich meinte, es könne mir doch etwas Menschliches begegnen, sähe ich mich so seltsam abkonterfeit, und darum ließ ich mir am Bericht vom Bilde genügen.

5.

Mitternacht war nahe. Der Tanz im Saal machte eine Pause. Man fand sich in einzelnen Gruppen zum Souper zusammen. Die drei Domino's wollten aufstehen, und sich einer solchen Gruppe anschließen; da drang ein halbes Dutzend junger Leute, Spanier, Türken, Tyroler, herbei, und setzte sich ohne Weiteres an den Tisch der Domino's, so daß diese, welche sich von lauter angenehmen Gesellschaftern und guten Freunden umgeben sahen, nun auch sitzen blieben. Man verhandelte über die Frage, was man essen und besonders was man trinken solle, und nahm sie sehr ernsthaft. Denn, sagte der rothe Domino, der Gaumen ist uns von würdiger Unterhaltung trocken geworden, und hat deßhalb ein wohlerworbenes Recht auf würdige Anfeuchtung.

Während diese Debatte war der papagaigrüne Domino, der nach dem fünfzehnten oder sechzehnten Robber des Spiels nun genug hatte, aus dem Zimmer gegangen. Mit bedeutendem Schmunzeln war er gegangen, und mit einem auffallenden Gefolge kehrte er zurück. Ihm folgte nämlich ein Junge, der in einem seefarbenen Tritonen- oder Fischhabit stack, und ein Kellermeister aus dem Mittelalter. Der jugendliche Triton oder fischichte Junge trug auf seinem Schuppenhaupte ein Austerbrett von dem Umfange eines Wagenrades, der Kellermeister schleppte sich mit zwei gefüllten Flaschenkörben, aus denen die wohlbekannten verpichten, drathumflochtenen Korke hervorsahen. Der Papagaigrüne ließ sich mit Grandezza Austern und Champagner auf den [58] Tisch stellen. Was soll Das? riefen Alle, denen die frischen Colchester Mollusken, die roth und grünen Etiketten von Forest Fourneaux père et fils à Rheims gar nicht unlieblich däuchten.

Dank, wie ihn die Praxis der Theorie darzubringen vermag, versetzte der Papagaigrüne. Er hieß den Triton und den Kellermeister abtreten, und fuhr fort: Ich bin bei meinem Whist da so mit den Brocken Reflexion, Betrachtung, Untersuchung, die von Eurem Tische fielen, vollgefüttert worden, daß ich ja der schändlich Undankbarste seyn müßte, wollte ich mich nicht für diese himmlischen Gaben durch einige irdische Nahrung revanchiren. Womit speiset man aber die Weisen? Rosinen und Krachmandeln sind Studentenfutter, die Götter nehmen Nichts zu sich als Nektar und Ambrosia, die Weisheit gedeiht am besten bei Austern und Champagner. Greift daher zum Gewehr, d.h. zu Messer, Zitrone, und Glas, ihr Drei aus Morgenland; was Euch, junge Leute, betrifft, so kommt Ihr freilich hier zum Feste ohne alles Verdienst, rein durch die Gnade des Himmels!

Ein Einfall verfehlt nie seine Wirkung, wenn Austern und Champagner ihn unterstützen. Alle lachten, erklärten den Papagaigrünen für einen Menschenfreund und braveren Mann, als Bürgers braver Mann gewesen, und griffen zum Gewehr. Bevor jedoch die erste Auster ihren Untergang fand, rief der Papagaigrüne: Halt! Ich mache zum Gesetz dieses Intermezzo's daß Niemand während desselben eine neue Abstraktion oder sonstige Tiefsinnigkeit aufbringen darf. Denn gar zu viel ist ungesund. Die alten Geschichten, die Ihr begrübelt und besprächelt habt, mögt Ihr noch vollends ausrennen lassen, denn man darf die Natur, ist sie im Lauf, nicht hemmen, Neues könnt Ihr Euch auch erzählen, so viel Ihr wollt, aber, so lieb Euch die Gnade Eures Wohlthäters ist, nur Fakta, simple Fakta, handgreifliche Fakta dürft Ihr vorbringen.

Man löste die Dräthe, die Korke flogen gegen die Decke, der ungeduldige Wein schäumte in die rothen, flachen Schaalen. Es ist ein Fortschritt des Jahrhunderts, daß die peinlichen Stengelgläser immer mehr abkommen, die dem Genie von Epernay so lange die unwürdigsten Fesseln anlegten. Nach den ersten Gläsern war das munterste Geschwätz im Gang. Die jungen Leute sagten, daß man im Saale über den Konventikelkram der drei Domino's vielfältig gelacht habe; diese versetzten, daß sie sich ja sonach um den Zweck des Festes, die allgemeine Fröhlichkeit, verdient gemacht hätten. Sie wurden befragt, wovon unter ihnen die Rede gewesen sey, und darauf wurde noch einmal Aristophanes genannt. Die verschiedensten Meinungen erhoben sich hierauf, [59] denn von diesem Dichter hat Jeder die seinige. Der Papagaigrüne machte aber bald der Diskussion ein Ende, indem er ausrief, Aristophanes sey ein Zotenreißer und Nichts weiter. Er brauchte eine noch kräftigere Bezeichnung, welche die Geschichte des Abends aber vergessen hat.

Er war frech, und darum gefiel er den frechen Athenern, denn das Volk bringt man immer nur durch Frechheit zu seiner Fahne, fuhr der Papagaigrüne fort.

Wenigstens muß Alles, was unterm Volke auf eine andere Stelle rücken soll, durch Usurpation bewerkstelligt werden, sagte der blaue Domino.

Richtig! rief der schwarze Domino. Ich habe davon bei der Gelegenheit, wo ich aus meiner Verborgenheit in das öffentliche Leben unserer guten Stadt übertrat, selbst die Erfahrung gemacht. Meine Thätigkeit damals war auch eine Usurpation, wenn gleich ich mir verbitten muß, daß sie eine freche genannt werde.

Wie sollen wir Das verstehen? fragte der rothe Domino.

Mein ganzes theatralisches Wirken hier war usurpirt, antwortete der schwarze Domino. Ich glaubte an meine Fähigkeit, der Bühne eine andere Gestalt zu geben, ich war so dreist, diesen Glauben durch die That auszusprechen, und usurpirte auf solche Weise die Macht, welche mir der Demos von Düsseldorfer gutwillig nie übertragen haben würde.

Die jungen Leute, welche zu den Anhängern der untergegangenen Bühne gehörten, forderten den schwarzen Domino auf, ihre Geschichte zu erzählen. Er versetzte, er müsse sich selbst erst darauf besinnen, und zuvor von allem Schmerz über die Zerstörung der Anstalt frei seyn.

So bleib' bei den Anfängen, wie Du sie bezeichnet hast; erzähle uns die Anfänge Deiner Usurpation, sagte der blaue Domino. Es ist mir immer dunkel gewesen, wie an unserem mäßigen Orte, wo doch wahrhaftig der Sinn für Literatur nicht durch alle Klassen verbreitet ist, plötzlich ein Theater mit literarischer Haltung, mit dem Versuche, eine Schule der Darstellung zu gründen, hervorspringen und sich ein paar Jahre hindurch erhalten konnte.

Plötzlich geschah es auch nicht, erwiederte der schwarze Domino. Die Keime schlugen nur aus. Es war eben Alles dazu vorbereitet und reif. – Ich will Euch wohl auch von diesen Anfängen erzählen, fuhr er fort, denn ich mag mich gern in die Erinnerungen an eine glückliche, arbeitsame Periode versenken. Wenn es nur nicht dem Gebote unseres gütigen Titus hier zuwider ist.

Nein, rief der Papagaigrüne, indem er eine große Auster verschlürfte, [60] vom Theater höre ich gern plaudern. Ihr wißt ja, daß ich seit zweiundzwanzig Jahren meinen Platz abonnirt halte.

Bei Sonnenschein, und Sturm, und Regen, jeden Tag, den Gott der Herr gibt, unter klassischen Himmelzeichen und unter Sternschnuppen, mochte Seydelmann spielen, oder der Herr X, die Frau Y, das Fräulein Z, sagte der rothe Domino. Ihr seyd gleichsam die pensée immuable des Theaterauditoriums.

Daß Ihr mich aufzieht für meine Großmuth, vergebe Euch Gott der Herr, versetzte der Papagaigrüne, und trank Champagner. Das Theater ist einmal da, also müssen die Leute hineingehen, ich gehöre zu den Leuten, also muß ich in's Theater gehen.

»Gegen die Bündigkeit dieses Schlusses läßt sich Nichts einwenden. – Nun aber erzählen Sie.«

Sehet zuvörderst in diesem unserem ehrwürdigen Freunde den Demos, hob der schwarze Domino an. Fest und unerschütterlich ist er, die Bretter, wie sie sind, gehören zu ihm, und er gehört zu den Brettern, wie sie auch seyn mögen. Jetzt hört von mir. Als hier ankam, hatte ich an einem Tage den vertraktesten Kontrast zu schauen. Mittag war's; mein erster Gang war auf die Akademie. Hallende Gänge, massive Räume empfingen mich. Schadow führte mich umher. Hübner mahlte an seinem Fischer, Lessing an der bizarren Landschaft, die das Licht von hinten empfing, so daß sich das Ritterschloß in der Mitte wie ein Schattenriß abschnitt. Hildebrandt machte Romeo und Julia, Sohn Rinald und Armida, Mücke einen Narziß. Junges, versprechendes, wenn auch noch unentwickeltes Leben in anständiger Wiege. Nachmittags hörte ich in meinem Gasthöfe, es sey hier auch Theater. Der Name der Gesellschaft wurde mir genannt, die, im Herbst zusammengestoppelt, den Winter durch sich für das Wohl der Menschheit bemühe, und im Frühling, wenn die Schwalben kommen, wieder auseinander fliege. Der zweite Gang war also Abends in's Schauspielhaus. Es war nicht leicht, in das Allerheiligste dieses Tempels vorzudringen, denn dunkel, wie es sich für die Avenuen zu Mysterien ziemt, waren die Korridors, denen hin und wieder die Bedielung fehlte, so daß man in dieses und jenes Loch trat, und gegen manchen rohen Pfosten stieß man in der Dunkelheit.

Ein nichtswürdiges Lokal war's in der That, das alte Gießhaus, worin sie damals spielten, fiel der Papagaigrüne ein. Man wußte gar nicht, was man im Parterre unter den Füßen hatte, ob es noch Bruchstücke von ehemaligen Bohlen waren, oder der reine Müll. Einmal bricht ein dicker Mann mit seinem Beine durch den Fußboden seiner [61] Loge durch, eine Dame, die in dem Raume darunter sitzt, fällt in Ohnmacht vor Schreck über den dunkeln Körper, der da so plötzlich vor ihrem Gesichte hängt, der arme Mann renkt sich aber das Bein aus. Indessen saß sich's doch recht hübsch darin, und man war einmal daran gewöhnt. An den Logenbrüstungen umher standen auch die Namen der Theaterschriftsteller und der Komponisten angeschrieben; die Theaterschriftsteller schwarz, und die Komponisten roth. Das sah recht gut aus.

Wenn man sie nur hätte deutlich lesen können! rief der schwarze Domino. Aber, Lieber, der Kronleuchter verbreitete doch ein gar zu zartes Dämmerlicht. – Sie gaben an jenem Abende ein Stück, ich weiß nicht mehr welches. Darauf folgte eine Merkwürdigkeit. Ein Gastwirth aus der Nähe, der sich bewußt war, daß die Ader des Schönen in ihm rinne, deklamirte den Ausbruch der Verzweiflung von Kotzebue. Ich kann nicht beschreiben, mit welcher Empfindung ich mich nach diesem Kunstgenuß niederlegte, während meine Gedanken zwischen der Akademie und der sogenannten Bühne hin und her gingen. Nach und nach fügte sich in den folgenden Jahren hier allerhand zusammen. Die dilettantischen Versuche, die bei Schadow angestellt, oder durch ihn herbeigeführt wurden, halfen in dem exklusiven Kreise den Sinn für das Dramatische erregen, der sich nun nur um so ekler von den Komödianten abwendete, da die Liebhaber dem Bedürfniß wenn auch keine künstlerisch zubereitete Speise, doch etwas natürlich Geistreiches boten. Meine Vorlesungen kamen dazu. Diese neue Art, ein dramatisches Gedicht zu rezitiren, ist von Tieck erfunden und zu einer Kunst gemacht, Holtei und Andere sind ihm gefolgt; ich schloß mich gleichfalls solcher Richtung an, und hin und wieder ist mir der charakteristische Vortrag eines Werkes gelungen. Es bleibt freilich immer eine Zwitterkunst, und der Geschmack daran kann sich nur in Zeiten finden, denen die Partitur entkommen ist. Die Darstellung nämlich ist die volle Instrumentalmusik, ein gutes Spiel auf dem Flügel aber eine derartige Vorlesung – im allerglücklichsten Falle, der auch nur eintritt, wenn Organ und Individualität des Vorlesers gerade besonders zum Gedichte passen. Eine Klippe des Gelingens sind fast immer die weiblichen Rollen, bei deren Vortrag eine gewisse Affektation kaum zu vermeiden ist. Leicht wird auch die zarte Gränzlinie, welche dieses Genre von der Aktion scheidet, übersprungen. Mir begegnete es außerdem, daß ein fades oder versteinertes Gesicht gegenüber unter meinen Zuhörern mich ganz aus dem Konzept bringen konnte, weßhalb mir's denn immer am besten gelang, wenn ich in engster Häuslichkeit, beim Scheine der traulichen Lampe, den Eindruck der Dichterworte von einem empfänglichen Antlitz [62] wiederglänzen sah. Nun denn, hier waren die halböffentlichen Vorlesungen, die ich zwei Winter hindurch, wie Ihr wißt, vor einem großen Kreise hielt, wenigstens der Theatersache förderlich. Iphigenie, Blaubart, Wallenstein, König Johann, Romeo, Leben ein Traum, standhafter Prinz, Däumchen, Hamlet, Prinz von Homburg, gestiefelter Kater, König Oedipus, und Oedipus in Kolons gingen an einigen hundert Menschen, die nach und nach meine Zuhörer waren, in lebhafter Hörbarkeit vorüber. Es war natürlich, daß der Wunsch rege wurde, einmal doch auch so Etwas hier zu sehen. Manche liefen freilich nur so in diese Vorlesungen hinein, weil sie damals Mode waren, aber im Ganzen denke ich an den Antheil, den jene Abende sich gewannen, mit dankbarem Vergnügen.

Das Lokal gab ihnen nebenbei auch noch einen hübschen akademischen Anstrich, sagte der blaue Domino. Die Mahler hatten Dir ein Atelier eingeräumt, und das mußte sich denn vor jeder Vorlesung kurzweg in den kerzenhellen Salon verwandeln, dessen graue Wände freilich mit allerhand Zeichnungen, Farbenskizzen, Kartons besteckt blieben. Einst half ich selbst sie Staffeleien und Gewänder in aller Eile wegräumen, die noch umher standen und hingen, als die Equipagen schon unten im Hofe vorfuhren. Die arme Gliederpuppe wurde bei dieser Gelegenheit ziemlich unsanft in das dunkle Nebengelaß geschleudert, fast wie die hölzerne Schöne in dem Hoffmann'schen Mährchen, welche die Liebe des jungen Phantasten entzündet hat.

Es gehörte Dieses und Aehnliches mit zu dem engen, behaglichen Familienzustande, in welchem sich alle unsere damaligen Bestrebungen verschlungen hielten, erwiederte der schwarze Domino. – Hin und wieder kam ich mit dem Theater in Berührung. Meinen Hofer studirte ich der Truppe ein, als sie das Stück geben wollte, eben so nachher Clavigo zu Göthe's Todtenfeier. Darin ließ ich die Spielenden mit Zeichen der Trauer auftreten, auch schrieb ich einen Epilog, den Porth, der jetzt in Dresden ist, am Katafalk stehend sprach. Bald darauf hieß es in der Allgemeinen Zeitung, ich habe unschicklicher Weise Göthe als Leiche auf dem Theater sehen lassen, noch ehe er im Grabe kalt geworden sey. Ich sandte der Redaktion eine berichtigende Erklärung ein, und wußte lange nicht, wem ich den guten Dienst zu danken habe.

»Haben Sie es denn späterhin erfahren?«

O ja, und auf die überraschendste Weise. Ich war einige Jahre nachher in Dresden auf einem diplomatischen Diner. Der alte Böttiger trat herein, und wir wurden einander vorgestellt. Darauf, nahe am Dessert, als eine Pause in der Unterhaltung entstand, hob der[63] Gelehrte, der in einer antiquarischen Zerstreuung meinen Namen überhört hatte, mit gründlich bedeutendem Tone an: Seit einigen Tagen hält sich hier der bekannte * auf, und nannte mich. Die Dame des Hauses, welche jede weitere Personalnotiz aus diesem Munde über ihren Gast an ihrer Tafel unwünschenswerth finden mochte, fiel rasch ein: Ja, und seit einigen Sunden sitzt er Ihnen gegenüber. – Böttiger schlug die Forscheraugen auf, und sagte: Ei, ei, ei, freut mich ja ungemein, daß u.s.w. – Und nach einigen Komplimenten: Wie leid thut es mir, daß wir in solche Differenzen gerathen sind! – Auf meine verwunderte Frage in Betreff dieser mir ganz unbekannten Wirren ergab sich nach einigen Reden die historische Ausbeute, daß der alte Schäker der Verfasser jener Leichennotiz gewesen war.

Eines Sommers nun – fuhr der schwarze Domino fort – zogen Maurer und Zimmerleute in die scheußliche Rumpelkammer ein, deren Gerüst auch hier die Welt bedeuten sollte. Sie warfen Balken, Sparren, Bretter, Bänke, Pfeiler hinaus, und ließen Nichts als die vier nackten Wände stehen. Darauf mauerte der Maurer und der Zimmerer hieb zu. Ihnen folgte der Polirer, der Tüncher, der Meister in Schnitzwerk, der Mahler, der Vergolder. Es sägte, raspelte, hämmerte, und rumorte binnen jener Mauern. Man that hier, was man an vielen Orten letzthin gethan: man baute ein neues Theater. Die ganze Stadt interessirte sich, wie Das immer in solchem Falle geschieht, auf das lebhafteste für das entstehende Werk; daran, was denn nun sich in den neuen Räumen zutragen sollte, dachte freilich Niemand, wie Das auch meistentheils in solchem Falle zu geschehen pflegt. Ich ging auch viel ab und zu, ohne zu denken, was mir Alles da noch begegnen sollte. Eines Tages im Oktober war ich ganz allein im Gebäude. Schon stiegen die Säulen mit goldenen Knäufen am Proszenium empor, rings herum sah ich Vergoldung, an der Decke bunte Arabesken, auf der Szene standen die zierlichsten Dekorationen, die Gropius so eben gesendet hatte. Auf einmal und blitzartig that ich mir die Frage: Soll denn hier abermals nur das hübsche Gefäß gemacht worden seyn, aus demselben aber der alte saure Krätzer immer und immer wieder ausgeschenkt werden? Es kam mir so albern vor, meine Seele gerieth in eine große Bewegung. Ohne nachzudenken über Hindernisse und mögliche üble Folgen, faßte ich den Entschluß, Etwas zu stiften, was so hübsch sey, wie die Säulen, die Dekorationen, die Vergoldungen und Arabesken. Wenn ich daran zurückdenke, so muß ich sagen: es war der abenteuerlichste Einfall. Denn ich war fremd am Rhein, dem großen Publikum so gut als unbekannt, bei der Bühne ohne Hebel und [64] Handhabe, und Manches, was ich Andere lehren wollte, das sollte ich selbst erst noch lernen. Indessen solche Entschlüsse kommen uns wie durch eine verborgene Nothwendigkeit. Ich habe dergleichen mehrmals erlebt und es ist immer ein Resultat daraus hervorgegangen.

Noch an demselben Abende berief ich einige Freunde zusammen. Sie gingen mit Feuer auf meinen Vorschlag ein, sagten mir jeden Beistand zu, und wir stifteten einen Theaterverein. Der sollte das Organ der Gebildeten bei der Bühne seyn, den Direktor und die Truppe in Schule und Regel nehmen. Aber als die Sache angefangen war, da zeigten sich erst die Schwierigkeiten. Die ehrsamen Väter der Stadt, mit denen denn doch die Sache als eine städtische verhandelt werden mußte, machten die erstauntesten Gesichter über diese von einem zum andern Tage hervorgetretene Oligarchie von zum Theil ganz einflußlosen Leuten. Im Demos erhob sich eine Opposition unter den Freunden des Alten. Wir selbst begingen in dem neuen Geschäfte Fehler, ich nicht die kleinsten. Alles Das war aber noch Nichts gegen die Hemmnisse, die sich aufstauten, als der Impressar mit seiner Truppe anlangte. Zwar in Worten mußte er sich willfährig bezeigen, denn wir bezweckten ja das Heil der Kunst, welches er auch im Munde zu führen hatte. Aber im Herzen hegte er den innigsten Abscheu gegen so aufdringliche Veredlungsversuche, und selten sind wohl die Musen Jemanden so durchaus fatal geworden, als wie wir sie unserem ergrauten Schüler machten.

Wir ließen indessen durch Nichts abschrecken. Gelder wurden gesammelt, um Prämien an die Willfährigen vertheilen zu können, und ich setzte mich mit den Schauspielern in Verbindung. Mein Gedanke war, ein Experiment anzustellen. Die Rose bricht auf, wenn wir sie zu erziehen wissen, das Haus muß gebaut werden, damit es stehe, die Kunst kehrt zurück, wenn Kunstwerke nicht anbefohlen, sondern geliefert werden. Von dieser Praxis in meinen Gedanken ausgehend, entstand mir der Vorsatz, mit den Schauspielern eine Reihe von Aufgaben an bedeutenden Werken praktisch zu lösen, so vollkommen, als es möglich sey. Diese Versuche waren mir der Nerv der ganzen Sache. So entstanden in zwei Wintern die Vorstellungen, welche wir Subskriptionsvorstellungen nannten. Das Publikum nannte sie Mustervorstellungen, und die Schauspieler hießen sie Kunstvorstellungen, wodurch vielleicht andeuteten, daß in den andern die liebe Natur walte. – Es waren aber folgende: Emilia Galotti, stille Wasser sind tief, der standhafte Prinz, der Prinz von Homburg, Don Juan, Egmont, Nathan, der Wasserträger, die Braut von Messina, Andreas Hofer. So folgten sie [65] sich der Zeit nach, und in den Wintern von 1832 und 1833 wurden sie gegeben. Seydelmann nahm an Nathan Theil, Weymar an der Braut und an Hofer. Uechtritz, der sich sehr warm für das Unternehmen interessirte, studirte »Stille Wasser sind tief« ein, und unterstürzte mich sonst mit Rath und That. Felix Mendelssohn lieferte die beiden Opern. Mir fielen die übrigen Stücke zu.

Ich verfuhr nun so. Des Dichters Werk, dachte ich, entspringt aus einem Haupte, deßhalb kann die Reproduktion desselben vernünftiger Weise auch nur aus einem Haupte hervorgehen. Der Satz von der künstlerischen Freiheit der darstellenden Individuen ist zwar nicht ganz zu verneinen, darf aber nur eine sehr beschränkte Anwendung finden. Das Ueberwuchern jenes falschen Prinzips hat die Verwilderung und Verluderung der Bühne herbeigeführt. Ich war nun im Falle, der mir vorlag, durch Zufall und Vertrauen das Haupt geworden, und im Gefühle dieser Mission handelte ich daher –

Das wahr wohl möglich mit mittelmäßigen Subjekten, an eigentlichen Künstlern würde Deine Mission gescheitert seyn, unterbrach ihn der blaue Domino.

Gewiß. Nur ist denn hier klar geworden, daß mit mittelmäßigen Subjekten, die einem Haupte folgen, sich korrekte Darstellungen liefern lassen, die den wahren Kunstfreund zu erfreuen im Stande sind, während wir anderer Orten das Gedicht durch große Talente zerfleischen sehen. – Ich las also zuerst das Stück, welches gegeben werden sollte, den Schauspielern vor. Dann hielt ich mit jedem Einzelnen Spezial-Leseproben, aus denen sich die allgemeine Leseprobe aufbaute. Ertönten in dieser noch Disparitäten des Ausdrucks, so wurden die schadhaften Stellen so lange nachgebessert, und wo nichts Anderes half, vorgesprochen, bis das Ganze in der Rezitation als fertig gelten konnte. Die Aktion stellte ich darauf zuerst in Zimmerproben fest, die oft nur einzelne Akte, zuweilen nicht mehr als ein paar Szenen umfaßten.

»Warum Das?«

Damit der Darstellende in den nackten, nüchternen Wänden seine Phantasie um so mehr anspannen lernte, und die falschen Geister, die jetzt durch jeden deutschen Theaterraum flattern, die Dämonen des Gespreizten, Rhetorischen, oder der hohlen Handwerksmäßigkeit, nicht verwirrend auf ihn einwirkten. Stand das Gedicht so, ohne alle illusorische Nothkrücke, fertig da, dann ging ich mit den Leuten erst auf das Theater. Gegeben wurde das Stück nicht eher, als bis Jeder, bis zum anmeldenden Bedienten hinab, seine Sache wenigstens so gut machte, wie Naturell und Fleiß es ihm nur irgend verstatteten.

[66] Auf diese Weise sind jene Vorstellungen entstanden, und aus dem Interesse an ihnen ging nachmals das Düsseldorfer Stadttheater hervor, welches ich drei Jahre lang geleitet habe. Denn er trat durch sie in dem Schönheitsgefühle einer großen Menge wenigstens ein glücklicher Moment ein, in dem sie Nichts als das Gute, Feine, und Würdige zu schauen begehrte, was denn eben die Anstalt realisiren sollte. – Uechtritz verfuhr eben so, und Mendelssohn in ähnlicher Art mit seinen Opern. Seinen Vorbereitungen, bei denen mich keine Besorgnisse störten, sah ich mit dem innigsten Behagen zu. Er lieferte einen Don Juan mit geringen Stimmen, wogegen freilich anderer Orten ganz andere Don Juans, Elviren, und Annen hätten genannt werden können, der aber an harmonischer Abründung Alles hinter sich ließ, was ich zum wenigsten sonst von dieser Oper kennen gelernt habe. Alle drei waren wir nicht im Besitz einer Geheimlehre, aber wir hatten alle drei Sinn und Begeisterung für das Ganze eines Werkes, und den festen Muth, unseren Sinn durchzusetzen. Und so habe ich mir von unsern damaligen Versuchen die Grille abstrahirt, daß die Palingenesie der deutschen Bühne, wenn sie noch einmal erfolgen soll, keineswegs von einer zu entdeckenden neuen Weisheit, sondern von Entschließungen moralischer Art abhängig seyn möchte. Die Mittel sind ganz einfach, und Intendanzen und Schauspieler führen sie beständig im Munde. Aber die Ausführung ist schwer, den sie wiederspricht dem Leichtsinn, der Eitelkeit, dem Egoismus, der natürlichen Trägheit der Menschen, und darum unterbleibt sie.


Emilia Galotti, der erste Deiner Vorstellungen, war ein Ereigniß für die Stadt, sagte der blaue Domino. Alles war wochenlang darauf gespannt, man wußte nicht, was bei dem Dinge so eigentlich herauskommen sollte. Die »gelehrte Bühne,« dieses Spottwort, welches nachmals Deine Widersacher zum stehenden Typus ihrer Insinuationen machten, wurde da zuerst ausgesprochen. Nun rollte der Vorhang vor dem gedrückt vollen Auditorium auf. Anfangs saßen die Leute ganz erstaunt darüber, daß Die da droben nicht so schrieen, predigten, durcheinander strudelten und stolperten, wie sonst, sondern wie Menschen sprachen und sich betrugen, und zwar wie Menschen, welche die Handlung, die sie vorstellten, Etwas anging. Nichts regte und rührte sich im Publiko. Von dem Dispüt zwischen Appiani und Marinelli aber an entzündeten sich die Zuschauer und wurden gleichsam frei vom Zwange, der sie eingeschnürt gehalten hatte. Nun fiel Szene für Szene, ja Rede für Rede der Applaus, der endlich bis zu dem Jubel stieg, in dem[67] Alle hervorgerufen wurden. Sie traten heraus, und ihr Sprecher erkannte Dir die Ehren des Abends zu.

Ich habe diese Vorstellung nicht gesehen, denn ich kam erst am Lendemain von einer Reise zurück, sagte der rothe Domino. Wo ich aber Jemand sprach, da hörte ich von Emilia Galotti. Wenn Zwei einander auf der Straße begegneten, so redeten sie so, als sey der Stadt ein Glück widerfahren. Das alte, für den gewöhnlichen Sinn abgenützte Stück hatte eine außerordentliche Wirkung hervorgebracht. Der Kredit der Sache war gegründet. Es gehörte nachher zur Observanz, in jeder dieser Mustervorstellungen Alle hervorzurufen, wenn die Speise auch nicht immer so munden mochte, wie jener Versuch, die moderne Virginia zu Falle zu bringen.

Nein, Das weiß Gott! rief der Papagaigrüne. Ihr Herren dachtet immer, wenn Euch Etwas hinnahm, und Niemand Euch aus Höflichkeit widersparch, das Publikum sey auch Feuer und Flamme, worin es doch oft sich kühl genug anließ. Ich weiß Das, ich, der ich immer mehr mit dem Leben zusammengehangen habe, als Ihr. Besonders verdarbt Ihr es mit den Leuten durch den standhaften Prinzen. Glaubt nur, darin ist rechtschaffen gegähnt worden. Dergleichen Bigotterie passe nicht für die jetzigen Zeiten, hieß es da und dort. Als der fromme Prinz, schon halb todt, noch die lange Rede hielt, sagte mein Nachbar: Der hat doch ein Leben, zäh wie eine Katze. Ich war recht besorgt als Euer Freund über die Stimmung im Parterre. Hervorgerufen wurden freilich auch damals Alle, aber ich hörte beim Hinausgehen Einen den Andern fragen, wie ihm das Stück gefallen? und der Andere antwortete es sey Schwulst von Eurer gewöhnlichen Fabrik gewesen.

Die jungen Leute verbissen ein Lachen. Der schwarze Domino versetzte: Ich hatte überhaupt das ehrenvolle Unglück, bei Manchen für den Autor sämmtlicher aufgeführter Werke zu gelten. So sagte ein hiesiger frommer Literaturkundiger nach der Darstellung des Nathan, durch dieses Stück habe sich endlich meine heimliche freigeisterische Gesinnung verrathen.

Laß es gut seyn, sagte der blaue Domino. Ich und noch mancher Andere dankte Dir für diesen Abend, vielleicht am meisten gerade für ihn. Ein eigener Zug charakterisirte ihn, den Du vielleicht nie erfahren hast. Während allerdings unter den Honoratioren viel gelinde Langeweile eingerissen war, und sie schwer begreifen konnten, weßhalb denn Jemand um Ceuta sterben wollte, haben die Menschen auf der Gallerie von Anfang bis zu Ende still und andächtig, wie bei einem Hochamte, sich verhalten. Hier empfand also das Volk richtig und tief. – Aber [68] auch welch ein Werk! Man wird nicht müde, es zu betrachten und zu bewundern. Ihr kennt mein Gefühl für Shakespeare, Ihr wißt, wie viel gründlicher er mich berührt, als der oft theatralische, ja opernhafte Calderon. Aber in diesem einzigen Werke hat sich der große katholische Dichter in eine Sphäre geschwungen, wohin der Brite mit seinen unermeßlichen Kräften doch nicht reicht. Denn nicht um das Geschick einer großen Natur durch Schuld und Leidenschaft handelt es sich darin, sondern um das Höchste, was es überhaupt gibt, um die Läuterung eines reinen Menschen in das Reinste, in die Seligkeit. Da ist also ein Gebiet abgesteckt, welches anfängt, wo andere Dichter aufhören. Ein christlicher Märtyrer, nach unseren Begriffen der Gipfel alles Modern-Menschlichen, ist der Held dieses Gedichts, welches mir die Krone der neueren Tragödie zu seyn scheint. In der Person des Dichters wird uns hier etwas Aehnliches sichtbar, wie bei den zwei größten Tragikern des Alterthums. Aeschylos und Sophokles lieferten zum Theil deßhalb ewig mustergültige Schöpfungen, weil sie in vollkommener Einheit mir dem Volksglauben dichteten. Und so konnte nur der Katholik, der Spanier, den standhaften Prinzen schaffen, in dem der christkatholische Volksglaube seine Verklärung feiert. Lessing sagt in der Dramaturgie, bis ein Genius erscheine, der durch die That beweise, daß ein christliches Trauerspiel möglich sey, solle man dergleichen nicht aufführen, denn der Christ als Christ sey undramatisch. Seine Tugenden, die stille Gelassenheit, die unveränderliche Sanftmuth, widerstritten dem Geschäft der Tragödie, welches darin bestehe, Leidenschaften durch Leidenschaften zu reinigen. Lessing hatte Recht, denn er kannte Calderons Werk nicht, oder nur oberflächlich. Auch ist die Aufgabe nur einmal gelungen, und weder vor noch nach Calderon hat sich auch nur von fern eine Produktion dieser Tragödie annähern können. Selbst Calderon hat es nicht mehr als einmal vermocht, denn der wunderthätige Magus, der am höchsten unter seinen übrigen christlichen Dramen steht, läßt sich mit Fernando nicht vergleichen. Wie aber fing der Dichter es an, unsere Theilnahme für den Gegenstand zu erregen, der auf der Szene sonst stets langweilig wird? Wodurch hat er seinen Glaubenshelden interessant gemacht?

Der papagaigrüne Domino stand auf, und ging mit einem eigen listigen Blicke in den Saal. Er murmelte Etwas, welches aber Niemand verstand. Denn Alle hörten dem blauen Domino zu, der so fortfuhr: Ich will es mit kurzen Worten sagen: dadurch, daß der Dichter die Gesinnung, welche die Katastrophe hervorruft, nicht als eine fertige, vom Beginn des Gedichtes an, und zeigt, sondern die Standhaftigkeit [69] im Glauben vor unseren Augen entstehen läßt, vor unseren Augen gleichsam die Märtyrerkrone zusammenfügt. An einem liebenswürdigen Manne wird dieser höchst merkwürdige und höchst schöne Einhergang uns schrittweise dargelegt. Im Anfang stehen wir mit Fernando noch auf gleichem Boden, wenigstens auf der Ebene, von wo nur ein sanfter Hügel zu ihm hinansteigt, mit kleinen Schritten entfernt er sich von uns, und dadurch zieht er uns so leise als unwiderstehlich nach sich.

Die jungen Leute waren begierig, Dies näher ausgeführt zu hören. Der schwarze Domino sagte: Ich merke, man muß im geistigen Felde nur getrost säen, und unverzagt bleiben, wenn die Frucht nicht gleich aufgeht. Für die Absurda comica, die mir der standhafte Prinz unmittelbar auf die Vorstellung nur eintragen zu wollen schien, gibt mir sechs Jahre später Deine Bewegung Ersatz, die vielleicht nicht so tief wäre, wenn sich Dir das Gedicht nicht körperlich gezeigt hätte. Setze uns nun auseinander, was wir Alle wohl fühlen, nur nicht zu äußern vermögen.

Ein christlicher Heereszug, geführt von zwei portugiesischen Infanten, betritt die Küste von Afrika, versetzte der blaue Domino. Der Held ist ein junger, siegesmuthiger Mann, ein katholischer Prinz, wie jedoch, möchte man sagen, es noch andere geben könnte. Der einzige Zug, der ihn über die übrigen Personen der Tragödie erhebt, ist eine lichte Heiterkeit, hervorgehend aus Gottvertrauen zwar, doch auch aus Naturell. Alle Anderen sind in ihrem Inneren getrübt. Den König haben wir aufschäumend vor Zorn, Phönix in einer unbestimmten Melancholie, Muley von Leidenschaft zerrissen, Enrique durch finstere Ahnungen bedrückt gesehen. Gegen diese Schatten kontrastirt lieblich und reizend das Licht in Fernando's Seele. Aber gelinde wird der Kontrast von der Weisheit des Dichters behandelt. Denn die Anderen sind, ein Jeder in seiner Art, edel und brav. Selbst dem König haben wir seinen Grimm nicht vorzuwerfen. Er ist die natürliche Aufwallung eines kräftigen Herrschers, dem ungerecht, wie er meinen darf, Tanger entrissen werden soll, nachdem schon Ceuta schimpflich dem Halbmond verloren gegangen war. Kein Verdienst ist noch jene Heiterkeit Fernando's, sie ist nur die schwellende Knospe, welche die Blüte verspricht, aber freilich die reichste. Er nimmt Muley gefangen, und entläßt ihn galant, ritterlich, human, zu seiner Schönen. Kein devoter Akzent entstellt die feinen Schattirungen der Rede, mit der er den edeln Feind losgibt. Selbst tolerant ist dieser katholische Prinz. Muley wünscht ihm Allah's Schutz. Dir, wenn Allah Gott ist, helf' er! ruft er dem Freigelassenen nach.

[70] Diese edelschöne, reine, echt menschliche Gestalt ergreift das Schicksal. Der König von Fez nimmt ihn gefangen und spricht schon das Wort aus, um welches sich von da an, wie um seine Angel, das Gedicht dreht. Nur Ceuta soll der Lösepreis des Infanten seyn. In diesem plötzlichen Sturz hat die erschütterte Seele des Prinzen zwei feste Gedanken, den an sich ihre unentreißbare Begabung:


»Mich soll'n die Strahlen meiner Sphäre leiten!«


und den, daß Eduard wie ein Christ zu handeln habe. Wüßte er schon bei sich, daß er um Ceuta nicht befreit seyn wolle, so würde er es aussprechen. Anzunehmen, er wolle nur die greifliche Gelegenheit abwarten, wie sie nachher kommt, um seinen Heldenmuth glänzender zu zeigen, hieße ihn einer frommen Renommisterei bezichtigen, die tief unter den Intentionen des Charakters liegt. Nein. Er hat nur jene allgemeinen, fast gegenstandslosen Gedanken, die den Charakter nicht mit einem Sprunge emporwerfen, sondern höchst behutsam vor uns steigern.

Daß das Loos des Menschen Unbeständigkeit des Glücks heiße, daß in dieser Unbeständigkeit der Infant unter den Knecht hinabsinken könne, daß aber, wer Das recht erkenne, er sey, wer er wolle, er dulde, was er wolle, nur ein gemeines Leiden trage – solche Betrachtungen sind die ersten Früchte, welche Fernando von seiner Gefangenschaft zieht. Er spricht sie gegen die Sklaven und gegen Muley aus. Aber noch hegt er sanguinische Hoffnungen, er getröstet sich seiner Lösung. Es ist undenkbar, daß ihm nicht die Möglichkeit eingefallen seyn sollte, sein Bruder Eduard werde Ceuta für ihn anbieten, und da er jene Hoffnungen der Befreiung hegt, so muß seiner Seele, wie ein Schatten wenigstens, der Gedanke vorüber geschwebt seyn, er könne auch um den Preis der Stadt sich wohl allenfalls befreien lassen. – Aber nun tritt der Fall wirklich vor ihn. Enrique kommt und trägt in seiner Hand die Vollmacht, die christliche Stadt für den Infanten in die Hände der Ungläubigen zu übergeben. Hier beginnt die äußere und innere Katastrophe. – Auch der geringe Charakter ist unter Umständen starker Entschlüsse fähig, aber sie sind bei ihm entweder Kinder des Zufalls, oder er hat sie in einer gewissen dumpfen Kälte, die man das Handeln nach Grundsätzen nennt, von vorn herein fertig. Der große Mensch schwankt zwischen Wollen und Sollen, bis der Finger Gottes das Sollen zeigt. Fernando ist ausgezogen, Tanger der Christenheit zu erobern, und nun steht sein Bruder vor ihm, Ceuta um ihn der Christenheit verloren gehen zu lassen. Dieser ernste Kontrast entblöst das innerste Heiligthum seiner Natur. Sein Geschick, seinen Beruf in den letzten Gründen durchschauend, vollendet er sich zum christlichen Leidenshelden. [71] Die große Rede, in welche er seine Seele ausgießt, voll des gewaltigsten Eifers, der erhabensten Antithesen, des würdigsten Pathos, ist darum so unvergleichlich schön, weil der heroische Entschluß, um Ceuta nicht sich befreien zu lassen, den ihr Anfang verkündet, sich doch erst in ihrem Verlaufe an der Betrachtung lusitanischer Heldengröße, katholischer Pflicht, entsetzlichen Unglücks, insofern eine dem Kreuz zugeeignete Stadt zum Abfall gebracht würde, und eigener Nichtsbedeutendheit gegen ein solches Unglück stufenweise zum vollen Leben hinauslebt. Der Infant empfängt und gebiehrt in sich die Tugend der Demuth, den Grund aller christlichen Tugenden. Der Einzelne ist ein Nichts, ein Todter, ein Leichnam, wo es gilt, sich zwischen ihm und der Sache des Glaubens zu entscheiden; das ist der Schluß jener Rede. Aber wir haben seine Seele operiren sehen, dieses Resultat zu erzeugen. Und deßhalb ergreift es uns so, darum macht jene Rede einen so überaus gründlichen Eindruck. –

Das Martyrium beginnt, schärft sich, geht zu Ende. Der König läßt Fernando zu den übrigen Sklaven werfen, ihn sogar härter behandeln als sie, ihm die Nahrungsmittel versagen, endlich ihn auf dem ekelhaftesten Lager sterben. Wie entfaltet sich nun in den Banden solcher Noth der Märtyrer? Er übt die Demuth praktisch, er will nicht erkannt seyn von seinen Mitsklaven, damit keiner ihm seine Sklavendienste erleichtere. Und nun bricht aus jener Knospe, von der ich redete, leicht und natürlich die herrlichste Blüte auf. Ale menschlichen Tugenden nämlich, die ihn im Stande des Glücks zierten, zeigen sich nun wieder, nur erhöht und vom neuen Glanze der Heiligkeit übergossen. Galant bringt er der Prinzessin Blumen, aber mit sehr ernster Deutung in dem schönen Sonette, welches von dem kurzen Blühen der Blumen eindringlich handelt. Ritterlich ehren- und vasallenhaft gesinnt, verwirft er den Rettungsplan seines mohrischen Freundes, wo solche Ehrenhaftigkeit einen ganz anderen Sinn hat, als früher, denn es handelt sich nun vom eigenen Leben auf der einen Seite und nur von der Ehre und Vasallentreue eines Dritten auf der andern Seite. Endlich, im Abgrunde des Duldens, von unheilbarer Krankheit geplagt, auf dem Mist, leuchtet wieder die ursprüngliche Heiterkeit seiner Seele empor. Er freut sich in solcher entsetzlichen Pein jedes Sonnenstrahles. Aber himmlisch ist diese Heiterkeit geworden. Denn der Strahl der Sonne ist ihm nur eine Feuerzeuge, Gott lobzupreisen geschickt. Er ist heiter in Gott.

Nicht indessen zur hohl-frommen Abstraktion verflüchtigt ihn der von göttlichem Geiste erfüllte Dichter. Durch alle Stadien des Märtyrerthums hindurch bleibt dieser Held Mensch, menschlicher Empfindung, ja [72] Schwäche zugänglich. Schon jene Rede des heroischen Entschlusses durchwebt die rührendste Klage um sein trauriges Loos. Nachher wollte er sich gern von Muley retten lassen, ehe und bevor die Ehre des Freundes durch diese Rettung gefährdet schien. Zuletzt im äußersten Elend fleht er den König um Erbarmen an.

Lange ist mir die innere Nothwendigkeit dieser zweiten Prachtrede, und warum sie von der Bitte überspringt zum Ausdruck des hohen Glaubensstolzes, dunkel geblieben. Endlich habe ich sie mir einfach aus der Situation erklärt. Fernando will wirklich, seine Schmerzen fühlend, den König nur um Erbarmen bitten. Aber auf dem Gipfel des Unglücks fühlt sich eine hohe Natur von der Poesie umweht, welche nichts Geringes, Individuelles mehr aufkommen läßt, sondern den eigenen einzelnen Fall zum Symbol des allgemein Menschlichen erweitert. Deßhalb sieht er im Könige den König, den König an sich, in sich eben so den Sklaven, entkleidet von allen Glaubensbeziehungen. Und deßhalb strömen ihm aus allen Reichen der Schöpfung die glänzenden Gleichnisse zu, welche dem Könige sagen sollen, ein König müsse barmherzig seyn. Im schärfsten Gegensätze zeigt hier Calderon die himmlische Majestät des Geistes, welche unter Lumpen und Eiterbeulen nicht verloren geht, der irdischen Majestät gegenüber. Aber während der Rede erschöpft sich der Rest seiner Lebenskraft, schon fühlt er den Tod herannahen, und nun kehrt er in das christkatholische Bewußtseyn zurück, welches denn durch den triumphirenden Ausgang der Rede das entsprechende Wort findet. Noch tönt dieses Wort in dem Rufe gegen Phönix, daß, so schön sie sey, sie doch nicht mehr werth sey als er, er vielleicht mehr als sie. – Nun kostet er den Tod in dem tiefen Spruche gegen Don Juan, daß der Mensch in den irdischen Schranken an sich selbst erkranke, daß er seine größte Krankheit sey. Nur kurz aber ist diese Verfinsterung. Gleich erhebt er sich zu dem Genusse der anbrechenden Seligkeit; er befiehlt, daß nach dem Verscheiden ihm sein Ordenskleid angelegt werde, und endet in der getrosten Hoffnung auf die Ehren des Altars.

So stirbt er, und so ist er würdig geworden, als verklärter Geist das Heer zum Siege zu führen. Am Ajax des Sophokles wird nach dem Tode des Helden noch lange für dessen Bestattung gekämpft. Hier ist ein Aehnliches in christlicher Sphäre. Fernando starb, aber eine ganze Handlung bewegt sich noch um ihn. Der kalte, ekle Leichnam des Prinzen wird Preis für die prangende Schönheit der Phönix. Außer dem allgemein menschlichen Wunsche, die sterbliche Hülle einer geliebten Person zu besitzen, wirkt hier ein großes populär-katholisches Motiv. [73] Nur die wirkliche Gruft eines Seligen macht die Weihestatt möglich, und daß eine solche entstehen könne, darum müssen die Portugiesen den Leichnam besitzen. Der Schluß ist von der Reinheit und Ruhe des Epos. Sie tragen die Leiche zu den Schiffen, und Alfonso eröffnet uns die Aussicht in den Tempel, der sich über den Resten des Märtyrers erheben wird. – Weil aber die Läuterung, welche das Gedicht darstellt, nicht blos das Geschick eines Einzelnen ist, sondern an Fernando's Dulden und Glorie sich die Erhaltung eines christlichen Gebietes und der endliche Triumph der christlichen Waffen knüpft, so gewinnt die Handlung die Verleiblichung, die historische Größe und Weite, welche der Tragödie so wohl thut.

Welche aber ist die Schuld des Fernando? denn ohne Schuld wird doch Niemand zum tragischen Helden. Sie ist sehr leise angedeutet, sie würde auf der gewöhnlichen moralischen Wage kaum die Schale drücken, aber da ist sie.

De Mensch soll im Augenblick einer großen Unternehmung sich so klar, bescheiden, und einfach halten, als möglich. Sehen wir dagegen, wie Fernando die afrikanische Küste betritt. Ja, es ist wahr, diese Reden, durch und durch gesättigt von unverwüstlicher Fröhlichkeit, sind herrlich, aber mischt sich dem Sinne, aus dem sie hervorgehen, nicht ein gewisser Rausch heroischen Leichtsinns bei? Soll ein christlicher Heerführer so keck Zeichen hin und her deuten, wie Fernando thut? Er spielt zugleich hier offenbar mit den Beziehungen. Enrique's Fallen bei der Ausschiffung soll ein glückliches Zeichen seyn, die trüben Erscheinungen, welche Jenen besorgt gemacht haben, sind nur den Mohren sinister, und dann soll doch wieder diese ganze Welt des Ahnungsvollen ein Nichts seyn. Das sind Widersprüche, die eben jenen Rausch bezeichnen, den ich meinte. Oder wird man mir einwerfen, Fernando treibe nur seinen Scherz in der Deutung der Zeichen, wolle sagen: dergleichen läßt sich so oder so auslegen, so erwiedere ich, einem christlichen Heerführer soll eben bei so ernstem Anlaß nicht scherzhaft zu Muthe seyn.


... »Soll uns nicht des Sieges Lohn erfreuen,

So werden wir beglückt zum Tode schreiten!«


ruft Fernando. Darin liegt eine Herausforderung, die das Schicksal leicht anzunehmen pflegt. Der ganze Verlauf der Tragödie zeigt, daß das zum Tode schreiten nicht so ganz beglückt sey, wie der überkühne Muth voraussagte. Ueberhaupt ist es mißlich, die letzten Dinge gewissermaßen sich voraus zu bestellen. Der Held denkt an den raschen Tod in der Schlacht, und Gott führt ihn zum Ende im schimpflichsten Elend.

Der heroische Leichtsinn Fernando's bethätigt sich in der Szene mit [74] Muley. Vom Heere getrennt, denkt er nicht an seine erste und oberste Pflicht, dem Heere durch die schnellste Rückkehr seinen Feldherrn wieder zu geben, sondern verliert sich in das humane und großmüthige Interesse an dem Privatschicksale seines Feindes. Hier ist eine gefährliche Sicherheit wahrzunehmen, und zugleich ein leises Ueberschlagen und Abweichen von dem strengen Pflichtenkreise des geistlichen Ordens, dessen Großmeister er ist, in die zarten Tugenden des weltlichen Ritterthumes. Als Haupt jenes Ordens hat er das Gelübde über sich, mir den Ungläubigen Krieg zu führen, nicht aber sich um ihre Liebesschmerzen und Liebeshändel zu bekümmern.

In diesen Dingen also finde ich die Schuld des Infanten. Aber allerdings ist sie eine so schöne, daß ohne sie der Charakter nicht so liebenswürdig wäre, wie er ist. Sie ist die kleine Unregelmäßigkeit, welche einer sonst vollkommenen Gesichtsbildung erst den reizendsten Ausdruck gibt. Ich mag nicht in Calderon hineindeuten, möglich aber, ja sogar glaublich ist, daß, wenn Fernando besonnen früh zum Heere gekehrt seyn würde, die Unruhe um ihn, das Suchen nach ihm vermieden, der Umschließung des Christenheeres durch Tarudante und den König von Fez ausgewichen, und die Gefangennehmung des Helden nicht erfolgt wäre. So könnte selbst die Katastrophe als äußere Folge jener Schuld erscheinen. Vielleicht ließ hier der Dichter mit Absicht Alles in einem gewissen Dämmer. Habe ich aber Recht, so ist sein Verdienst folgendermaßen zu fassen: Er weiß uns darzustellen, wie ein Minimum von Schuld ein Maximum von Leiden erzeuge, wobei wir an den Spruch erinnert werden, daß Gott züchtige, den er liebe. Er läßt den Charakter des Helden sich vollenden in einer ganz übersinnlichen Region, und zugleich an dem Undankbarsten, was es für die Poesie gibt, nämlich an einem fortgesetzten Leiden. Dennoch versteht er es, dem Charakter die populärste Deutlichkeit zu geben, und zugleich das Dulden in ein Handeln umzuschaffen, in das christliche Handeln, weil auf jeder Leidensstufe eine neue Gemüthsthat von Fernando gethan wird. Endlich steht Fernando, wo Niemand von uns zu stehen kommen wird. Weil aber der Dichter unsere Phantasie mit ihm wandern machte, so kommt er uns wie ein vertrautes Mitwesen vor, selbst als der Heiligenschein bereits sein Haupt umleuchtet.

[75]

6.

Ich widmete damals, vor sechs Jahren, diesem großen Gedichte die Sorgfalt, welche es unerläßlich fordert, sagte der schwarze Domino. In meiner Bearbeitung hatte ich den Spaßmacher gestrichen, den Luxus in den Szenen des mohrischen Personenkreises beschränkt, die wunderliche Audienz von Alfonso und Tarudante durch einfache Botenmeldungen zu ersetzen versucht. Denn auch in diesem hohen Werke hat Calderon nicht von seinen uns ungenießbaren Seltsamkeiten ablassen mögen, und sie stören darin doppelt. Ehe ich den Schauspielern das Stück vorlas, las ich ihnen ein Kollegium über den Angriff eines solchen Werkes und über die Rezitation des Verses, damit der Trochäus und die Strophe klinge und nicht so theaterüblich herabgeleiert werde. Sie kamen auch wirklich in eine gesammelte Stimmung für die Aufgabe. Die Vorbereitungen selbst wurden durch einen Wetteifer freundschaftlichen Mitwirkens verschönt. Schadow gab mir eine kleine, klösterlich abgelegene Zelle auf der Akademie zu den Leseproben her. Man mußte an allerhand Polterkram vorbei durch die unbesuchtesten Gänge wandern, und war in dem engen Gemache wie von aller Welt abgeschieden. Unter den Fenstern rauschte der Rhein, die weißen Wände röthete die Frühlingssonne. Bei dem Klange der Wellen, in dem rosigen Schein wurden da Sylben gemessen, Akzente festgestellt, die Schattirungen der Rede ausgearbeitet. Schirmer entwarf mir den Prospekt von Fez, Hildebrandt stellte die Ausschiffungs- und Kriegsgruppen, Felix Mendelssohn schrieb die Musik zum Werke; zwei herrliche Sklavenchöre nämlich, und einen ganz originellen, wie aufgelöste katholische Kirchenhymnen klingenden Marsch, zur Erscheinung des Geistes. Es waren gute Tage! – Mich freut es, daß ich mit der Exposition Deinen Sinn getroffen habe. Ich wirkte nämlich dahin, daß Grua, der den Prinzen spielte, in den ersten Szenen die Rolle ohne die herkömmlichen Bezeichnungen der Devotion, leicht, ritterlich-froh und wagemuthig nahm.

Wie wurden Sie aber überhaupt mit der Truppe, deren Vorgesetzter Sie doch nicht waren, fertig? fragten mehrere junge Leute.

Gut, übel, friedlich, kriegerisch, heute so, morgen so, versetzte der schwarze Domino. Das Schauspielervölkchen hat noch Niemand erschöpfend beschrieben, man muß mit ihm zu thun bekommen, um es kennen zu lernen. Das Sonderbarste ist, daß seine Launen wirklich nach nothwendigen Naturgesetzen zu entstehen scheinen. Denn auch bei Dilettanten, wenn sie Komödie spielen, zeigen sich unverzüglich alle Rücken und Tücken ihrer Kollegen vom Fach. Meine Akten aus jener Zeit sind lustig zu lesen, jeden Tag bekam ich wenigstens drei Billets, [76] denn die Schauspieler geben Alles schriftlichen von sich. Da widmet mir Einer briefliche seine »ungeheuchelte Verehrung«, der wenige Blätter später mir rund heraus erklärt, seine Nerven litten von meiner Behandlung! die Liebhaberin schmollt und wird wieder gut, der Held poltert, streckt sich aber doch nach der Decke; der Intriguant und Bösewicht war im Ganzen der Vernünftige und meine beste Stütze. Alle schrieen über Ungerechtigkeit und Tyrannei, und zuletzt that Jeder seine Schuldigkeit. Die gelungene Emilia Galotti hatte die Tradition erzeugt, daß der Sieg unter diesen Fahnen blühe, und die Schauspieler sind Sklaven der Tradition, welche das einzig Feste in dieser Kunst des Augenblicks ist. Die Sache marschirte, was kümmerte mich das Halloh unterweges?

Eine jener sogenannten Mustervorstellungen, Nathan, war besonders merkwürdig durch Seydelmann, der den Nathan gab. Fein und klug, wie er ist, und das Terrain, auf das er denn doch nun einmal getreten war, mir richtigem Blicke würdigend, gab er meiner Bitte, um der Anderen willen die Mühe der Vorbereitungen nicht zu scheuen, das willfährigste Gehör, und machte die ihm gewiß sehr langweiligen Proben alle mit durch, selbst einige Zimmerproben.

Ueber ihn erhob sich auch hier der Streit, ob er ein Genie sey oder nur ein berechnender Verstandesmensch, sagte der rothe Domino. Für mich ein höchst ungereimter Dispüt. Ich denke, wenn ein Mann mit einer schweren Zunge, einem von Natur stumpfen Organ, und einer eben nicht sonderlichen Figur so erstaunenswürdige Dinge zu Stande bringt, wie Seydelmann, so kann man schon zufrieden seyn und Gott danken, der so viel Scharfsinn, Beobachtung, und Verstand in einem Individuum versammelte.

Seine Masken und die Nichtigkeiten, an welche er die reichste Kunst verspendet, habe ich mit der größten Bewunderung gesehen, sagte der blaue Domino. Vatel – was steht dieser Darstellung gleich? Daß er den König im Tagesbefehl in Haltung, Spiel, Gestus, genau zu porträtiren wußte, will bei einem solchen Künstler noch nicht viel sagen. Aber er stattete die Rede mit einem so elegischen, zuweilen halb singenden Abklingen aus, daß mich diese Erfindung, die aus dem tiefsten Anschauen hervorging, erschütterte und mir die ganze historische Einsamkeit des großen Fürsten vor den bewegten Sinn brachte. Fast aber scheint es, daß der Künstler ein leeres Gefäß vor sich haben muß, um seinen Reichthum ausschütten zu können. Wo ein Werk ihm entgegentritt, stellt sich die Sache etwas anders. Er liefert da auch immer das Bedeutende, nur nicht immer Das, was das Werk will. Nathan, Clavigo, Mephistopheles sah ich von ihm mit einem Gemisch von Hingebung [77] und Widerstreben. Nathan spielte er im Tone eines Herder'schen Humanitätspredigers und in solcher Auffassung vortrefflich, aber die fein-sarkastische Zumischung, die dem Juden nicht fehlen darf, blieb aus. Aus Mephistopheles machte er einen erdichten, knarrenden Geist, mit eiserner Konsequenz, es ist wahr; aber wo war der Marinelli der Hölle, den Göthe im Sinne hatte? Dagegen verhielt sich im Clavigo das Ding wieder umgekehrt. Mir war Carlos, dieser gerade, durchaus rechtliche und wohlmeinende Freund, wie ihn Seydelmann uns zeichnete, die am meisten tragische Figur, weil ein so über den Andern stehender Mensch sich doch so gröblich irren und an einem Lump, wie Clavigo, den treuen Antheil als an einer bevorzugten Natur nehmen konnte.

Was soll er machen? rief der schwarze Domino. Er steht in einer zertrümmerten Kunstwelt, und kein Schauspieler kann sie wieder zusammenfügen. Er hat das Gefühl überwiegender Begabung in sich – was soll er machen? fragte ich. Er macht sich zum Mittelpunkt, um wenigstens selbst Etwas zu seyn, da das Ganze ein Nichts ist. Ohne seine Schuld außer Stand gesetzt, in ein Ganzes bescheiden, wahr, subordinirt einzugreifen, bildet er sich durch Mischung, Entmischung, Kombination, Bizarrerie eine eigene kleine egoistische Welt. Wenn der Styl verstarb, leben die Grillen auf. Seydelmann ist wenigstens die genialste Grille der heutigen Schauspielerei.

Man wollte weiter über diesen Künstler reden, aber ein laut hallendes Vivat aus mehreren hundert Kehlen im Saale unterbrach das Gespräch. Trompeten und Pauken schmetterten und wirbelten; der Jubel wollte nicht enden. Die jungen Leute eilten nach dem Orte, wo diese laute Ehrenbezeugung erklang; die Domino's vermochten endlich herauszuhören, daß sie Schadow'n galt.

Einer von ihnen wendete sich ab und zog sein Tuch hervor. Die Andern lächelten, denn sie kannten die Schwäche ihres Freundes.

Ja, rief er, nachdem er seine Thränen getrocknet, halb ärgerlich, halb mitlachend, es ist ein verwünschter Naturfehler bei mir, daß ich weinen muß, jedesmal, wenn ich ein Vivat höre. Oft ist mir dabei in der Seele gar nicht weinerlich zu Muthe gewesen, und dennoch brach das Wasser hervor. Es muß wohl mein Sinn für thatsächliche Momente seyn, der mich zu einem so unfreiwillig Gerührten macht.

Sein Nachbar sagte: Nun, hier darfst Du allenfalls bewegt seyn, denn Der, dem da ein paar hundert Jünglinge huldigen, hat Außerordentliches geleistet.

Gewiß, versetzte der Andere. Wir haben hier gleichsam ein fait accompli, eine vollendete Thatsache vor uns. Und vor denen hegen [78] selbst die Regierungen Ehrfurcht. – Die Wahrheit, daß man etwas Seyendes für seyend halten, daran nicht nergeln noch mäkeln soll, ist ein Gewinn in dem Denken unserer Epoche. Wir haben hier Großes werden sehen. Ein Mann kommt vor dreizehn Jahren daher, gefolgt von fünf Schülern, die recht hübsche Sachen gemacht haben, doch aber noch völlig unfertig sind. Er betritt ein fremdes Terrain, ohne mächtige Verbindungen zu haben, er muß sich Alles erst selbst schaffen. Sein Gouvernement unterstützt ihn wohl, jedoch nur mäßig; keines Königes mächtiger Arm hält ihn, stellt ihm die geniusentflammenden Aufgaben. Einen Namen bringt er mit, genannt allerdings in der Kunstwelt, keineswegs aber mit der Glorie allgemeiner Berühmtheit umgeben. Und nach dreizehn Jahren steht er an der Spitze einer Anstalt, worin die Hunderte nun fast statt der ursprünglichen Einheiten zählen. Die Räume sind zu eng für den Andrang, der Ruf der Anstalt geht durch Europa, und zieht die Lehrlinge aus allen Landen, bis zum hohen Norden hinauf, herbei. Die Werke der Schule zieren Königs- und Kaiserpalläste, die Erben großer Reiche besuchen den Chef und treten zum Theil unter sein Dach. Der Kunstverein, der doch auch ohne ihn nicht entstanden wäre, hat jährlich über zwanzigtausend Thaler zu verwenden. Die Schule sandte Kolonien aus nach Dresden und Frankfurt. Was aber noch mehr: das Haupt wurde längst von den Gliedern überflügelt und dennoch lösen sich viele der edelsten Glieder nicht ab, wohl wissend, daß der Zusammenhang, wie er war, ihnen auch noch jetzt fromme. Dieser Organismus findet nun aber immer noch seinen Schwerpunkt im Stifter, obgleich fast alle jüngeren Meister ganz abweichend von ihm denken. Man würde es wohl empfinden, wenn er dauernd von seiner Schöpfung zurückträte. – Ist das nun keine Thatsache, so gibt es überhaupt keine. Und nur seltene Eigenschaften konnten sie schaffen.

Man sollte denn aber endlich sie nennen, einen historisch gewordenen Namen nicht mit falschen Bezeichnungen verdunkeln oder durch ausweichende Reden verwischen! rief der schwarze Domino. Kläglich dreht sich das Urtheil über die Werke des Mannes, von dem wir reden, krümmt sich und widmet sich, um das öffentliche Geheimniß nicht laut werden zu lassen: daß Schadow keine Genie sey. Oder wollt Ihr es behaupten, so nennt mir den Jünger von Bedeutung, dem er seine Farbe und Zeichnung gegeben, nennt mir das Werk von ihm, welchem die Nation ihre Stimme ertheilt hätte! Alles, was hier Berühmtes entstand, entstand durch die Schule, die im eigentlichen Sinne doch nicht seine Schule ist.

Laßt uns nicht in Negationen und Antithesen uns verlieren! sagte [79] der blaue Domino. Auch die Kunst hat, dem Gesetze der Zeit folgend, einen repräsentativen Charakter angenommen. In einem repräsentativen Staate aber gedeiht der große Selbstherrscher nicht, ein gescheiter, balancirender Louis Philipp ist die Persönlichkeit, die ihm eignet. Das wahre Genie würde in seinem hohen Drange, in seinem unbekümmerten Stolze, nie Etwas wie die Düsseldorfer Schule hervorgebracht haben. Cornelius, den ein seltsamer Irrthum hier, wo es Nichts al fresco zu mahlen gab, zuerst zum Direktor gemacht hatte, ging, ohne eine Spur zu hinterlassen. Freilich war er nur kurz hier, er ist aber von der Art, daß er unter keiner Bedingung hier hätte lange ausdauern können. Schadow kam, und da waren nun die Qualitäten, die hieher gehören. Anstatt des urkräftigen Schaffens, welches sich nur um sich bekümmert, hatte er eine allseitige Empfänglichkeit, und jene Fürstengabe, die Fähigkeiten zu sehen und jede an ihren Ort zu stellen. Der Verstand ist das Dominirende in ihm, unterstützt von einer zähen Beharrlichkeit. Ich sage nicht, daß ihm Gefühl und Phantasie fehlen, aber sie stehen unter der Herrschaft des Kopfes. Er verwendet sie, gebraucht sie, anstatt sich von ihnen hinreißen zu lassen. Wer die Jahre her gesehen hat, wie er fest und klug, nie seine Absichten aus dem Auge verlierend, Charaktere und Schwächen berechnend und behandelnd, zur rechten Zeit sich schmiegend und im günstigen Augenblicke imponirend, sein Reich gründete und führte, der hat etwas Merkwürdiges gesehen.

Du hast mir nur das Wort aus dem Munde genommen, sagte der schwarze Domino. Meine Meinung konnte nicht seyn, ihn herabzusetzen. – Ich glaube, daß ein Verein solcher Eigenschaften, wie er sie besitzt, fähig machen würde, die öffentlichen Angelegenheiten unter den schwierigsten Umständen zu führen. Schadow wäre gewiß ein tüchtiger Staatsmann geworden, hätten die Sterne ihm die Feder des Diplomaten statt des Pinsels zugewiesen.

Meine historische Betrachtung läßt mich solche Eventualitäten nicht aufstellen, sagte der rothe Domino. Ich unterscheide vielmehr in Schadow zwei geschichtliche Personen: den vor der italienischen Reise in Jahre 1830 und den nachher. Jener hatte wirklich die allseitige Empfänglichkeit, er war gutmüthig, wohlwollend, konnte selbst naiv seyn. Zwar war er auch damals schon christkatholisch in seinem Künstlerherzen gesinnt, er mahlte (außer Portraits) nur heilige Bilder und nannte die religiöse Kunst die höchste. Aber Alles Das war doch nur mehr Privatliebhaberei. Daneben war er der humanste Patron der Landschaft, des Humors, des Genre's, selbst wenn dieses bis zu Kegelbahnen und Trinkstuben hinabstieg. Er gab da Rath, kritisirte, emendirte treu, fleißig, [80] einsichtsvoll, wie an Engelsflügeln und Madonnengesichtern. Rührend war seine Freude, wenn Etwas gelang, es gelang, wo es seyn mochte. Schrötter, der von der Kupferstecherei zum Mahlen übergegangen war, konnte erst lange der Farbe nicht mächtig werden. Mißt Ihr nun noch, wie Schadow einst, wen er von Bekannten traf, vor Schrötters Bild rief, und Jedem als ein Ereigniß ankündigte, daß der Reflex der Abendsonne auf dem Rockärmel des alten Fischers in der Mitte der Gruppe so schön gelungen sey, daß nun endlich Schrötter die Farbe habe? Solcher Dinge kamen damals unzählige vor. Den rationalistischen Lessing liebte er mit väterlicher Zuneigung. Mit Literatur, Poesie hielt er sich in Berührung, abweichende Meinungen brachten ihn nicht auf, machten ihn nicht stumm. – In Italien aber wachten die alten Reminiszenzen auf, die große religiöse Kunst hatte ihm von Neuem so imponirt, daß er zurückkam, nicht als ein Halbverwandelter, wie Sie ihn früher genannt haben, sondern als ein Geblendeter, oder wenn man im Bilderkreise seiner Kunst bleiben will, mit übermahltem Geiste. Denn ich muß sagen, daß ich für meine Person immer noch an das Richtige und Natürliche in seinem Wesen glaube, welches eben ist, das Gute und Schöne in jeder Richtung zu lieben und zu pflegen. Freilich ist die Uebermahlung jetzt stark. Nicht zu plötzlich trat sie hervor, sondern die Kruste setzte sich nach und nach an. Krankheiten, Verstimmungen mögen mit eingewirkt haben. Die Schüler wurden berühmter, als er, und wodurch wurden sie berühmt? Nicht durch Himmelfahrten und heiligen Familien, sondern durch die Landschaft, durch das Genre, das romantische sowohl, als das reale. Wer wird ihn schelten, wenn selbst etwas Gereiztheit sich seiner Empfindung beigemischt hat? Genug, es sollte nun mit aller Gewalt eine religiöse Schule am Rheine erblühen. Das hatte zur Folge, daß eine stille Entfremdung sich zwischen ihm und den meisten Heroen der Anstalt allmählig einschlich. Niemanden hat er absichtlich gekränkt oder zurückgesetzt; gegen solche Beschuldigung, welche der Klatsch auch gegen ihn erhoben hat, muß man ihn durchaus vertheidigen. Aber die Dinge wirkten, und sie sind immer mächtiger, als jede Absicht. Nun bringen sie ihm noch Vivats, es ist wahr, aber die eigentlich Bedeutenden rufen doch nur mit aus Pietät und Dankbarkeit, ein lebendiges Gefühl des Zusammenwirkens mit ihm stiftet die Verbindung nicht, welche allerdings, wie ich sagte, noch besteht. Sie seyen einander als eine Nothwendigkeit an, er sie, sie ihn, das ist ihre Gegenwart zu einander, und darüber hinaus liegt freilich ein viel schöneres, ein weit beglückenderes Verhältniß. Geistigen Einflüssen, welche die jetzige Befangenheit irre machen könnten, hat er sich zu entziehen gewußt. Praktisch aber brachte er es [81] nur zur Bevölkerung jener drei oder vier Ateliers, welche Galiläa scherzweise genannt werden, und worin man sich zur Ehre Gottes unfruchtbar genug abquält.


»Deger? Vergissest Du Deger'n?«


Deger ist ein reiner, schöner Mensch, er ist der hervorragendste unter den frommen Mahlern, und auf ihn rechnete Schadow wohl auch am meisten, als Stütze der sogenannten höheren Richtung. Aber ich frage: tragen denn diese abgedämpften Farben des Lieblingsschülers, diese zärtelnden Engel, diese kindlich frommen, oder mit dem hektisch schmachtenden Zuge um das Auge versehenen Madonnen die Bürgschaft langen Lebens in sich? Sieht man sie sich nicht schon jetzt müde, je länger man sie ansieht? Spricht sich denn in dieser frauenhaften Milde und Unschuld der christliche Geist der jüngsten Vergangenheit oder der Gegenwart aus? Und den müßte doch ein Meister zu erfassen wissen, wenn ihm gelingen sollte, einen neuen dauernden Typus christlicher Kunst zu finden, denn in den Leib seiner Mutter kann Niemand zurückkehren, auch die Kunst nicht. Sind nun nicht gerade die Besten, die Wahrhaftigsten der Jetztwelt durch allen Spott und Zweifel der Heiden hindurch gegangen, bevor sie zum Erlöser gelangten? So möchte denn wohl ein Paulinisches Bewußtseyn eher, als die legendenhafte Süßigkeit, aus den neuen christlichen Bildern blicken müssen, sollten sie zur Höhe der Zeit sich erheben, auf dieser Höhe sich erhalten. Nicht die wimpersenkende Madonna, sondern der in den leuchtenden Lichtern des Himmels über den geistvollen Verfolger triumphirende Christus scheint mir der Vorwurf der neueren religiöser Kunst zu seyn, wenn eine solche entstehen soll. Deger nahm in seinen ersten Christkindern dazu einen Ansatz, sie hatten etwas Tapferschreitendes, Siegreichblickendes. Nachher ist er hievon wieder zurückgewichen in die Reminiszenz an Fiesole. Zuletzt sah ich eine Zeichnung von ihm: die Himmelfahrt. Der Erlöser blickt wehmüthig segnend zu den Aposteln hinunter. Also auch hier Empfindsamkeit! dachte ich. Daß der Sohn sich setzt zur Rechten des Vaters, das ist das göttliche Faktum, und wird nun wohl dessen erhabene Majestät durch diese weiche Gebärde ausgedrückt? Man muß erwarten, wie den Künstler Italien, wo er sich jetzt befindet, vollenden wird, denn seine Bahn ist ja noch nicht geschlossen.


Man kommt, wenn man im Stillen für sich die Dinge betrachtet, immer mit dem Urtheile des Tages in's Gedränge, sagte der schwarze Domino. So ist es mir mit den Ansichten über unsere Schule gegangen,[82] nachdem der erste lyrische Taumel der Anfänge vorüber war, und das Urtheil in seine Rechte trat. Vor acht, neun Jahren sollten hier lauter werdende Michel Angelo's, Raphael's, Rembrandt's, Ruysdael's umherwandeln. Ich liebte meine Freunde wahrhaftig von Herzen und freute mich jedes guten Bildes, das von ihnen kam, aber ich hatte denn doch Dresden, Berlin, Kassel, München, Pommersfelden, Amsterdam, den Haag gesehen, und wußte ungefähr, wie die alten Sachen aus den Rahmen schauten. Ich vermißte bei den unsrigen Etwas: die geniale Sicherheit, das à plomb der alten Meister, die überzeugende Kraft und Nothwendigkeit der Gestalten. Versuche sah ich, höchst tüchtige Versuche, aber schwankend zwischen der Kühnheit des Individuums, immer nur sich und sein Personellstes auszudrücken, und der Scheu, Fehler zu begehen. Diese Furcht vor gemahlten kühnen dummen Streichen war immer ein charakteristischer Zug der hiesigen Schule. – Jetzt beginnt das Blatt sich zu wenden. Eine Umstimmung der Meinung naht ganz sichtbar an. Zwar bestellen und kaufen die Liebhaber noch reichlich, aber das Urtheil der Stimmführer spricht doch schon seit einigen Jahren häufig vom Düsseldorfer Schmerz, von der Weichlichkeit, vom stereotyp gewordenen Brüten. Ungerecht abermals. Man muß nie eine Richtung in ihren Schwächen angreifen, noch sie darin vertheidigen wollen. Geben wir daher die Goldschmidtstöchterlein, die Kirchengängerinnen, die Nonnen, Pagen, Ritter willig den Stickmustern preis, in welche sie so rasch übergingen! Die Stärken der Schule haben aber ungläubiger eine allgemeine geistige Stimmung der Nation, von welcher sie sich in ihrem Bewußtseyn erst jetzt loszumachen beginnt, in Form und Farbe gebracht. Und wenn diese Stimmung eben die sentimental-romantische war, und wenn darin das Weiche, Ferne, Musikalische, Kontemplative anstatt des Starken, Nahen, Plastischen, Handelnden vorwaltete, warum scheltet Ihr die Mahlerei, da Ihr die Poesie gelobt habt, der Ihr Alle einen Theil Euerer Bildung verdankt? Die Poesie ging voran, die Mahlerei folgte, und es wurde hier Etwas wahr, was Louis de Maynard in seiner Betrachtungen über neuere Kunst der Franzosen einmal sagte: l'idée passe du papier à la toile.


Nur müssen Sie mir eine Bemerkung erlauben, versetzte der rothe Domino. Der Scherz über die sogenannte Zopfperiode des achtzehnten Jahrhunderts ist in unserer Schule bekanntlich ein stehender geworden. Ich aber möchte sagen, daß selbst aus manchen Stärken unserer Besten abermals ein Zopf hervorsieht, freilich viel vornehmer und poetischer zusammengeflochten, als der alte pudrichte.

[83] Der schwarze Domino erwiederte: Es fehlt der Schule mit einem Worte die letzte Weihe, die naive Ursprünglichkeit, welche die Haare entweder frei wallen läßt, oder kurzweg abschneidet. Das ist aber nicht die Schuld der Einzelnen. Darin tritt das Mißgeschick des Urverhältnisses zu Tage. Das unbedingt Große geschieht doch nur, in der Kunst wie im Leben, wenn ein großer Praktiker auftritt, positiv leistend und die Geister entweder in die Nachahmung fortreißend, oder sie zu selbstständigen Gegensätzen treibend und nöthigend. Das war hier nicht der Fall. Das Höchste kann aber nicht kommen, wenn nur durch Methode, Kritik, Einsicht, Klugheit, gleichsam zur Kunst die Gelegenheit gemacht wird. Und nur Das geschah hier. Die Einzelnen waren also, bei aller Unterweisung in den Vorhallen, im Allerheiligsten dennoch lediglich auf sich gewiesen. Nun hätte unter ihnen ein wahrhaft tonangebender Meister im höchsten Sinne des Wortes entstehen können, und Viele haben Lessing diesen Meister genannt. Er kann es werden, noch ist er es aber nicht. Für sich hat er genug, aber für eine echte Schule hat er nicht genug. Es fehlt ihm die Weite des Blickes, es fehlt ihm der Muth, die großen Erscheinung seiner Kunst in's Auge zu fassen auf die Gefahr hin, eine Zeitlang an sich irre zu werden. Dieses Versunkenseyn in sich geht so weit, daß er es bisher standhaft abgelehnt hat, Gallerien und Museen zu beschauen. So lange eine solche Isolirung fortdauert, wird auch in seinen Werken etwas Starres und Monotones sichtbar bleiben, welches, für meinen Blick wenigstens, diese große Kraft noch gefesselt hält. Groß und gewaltig ist sie, und davon erlebte ich kürzlich in Frankfurt die Bestätigung für mich. Sein Ezzelin war das einzige unter den neueren Bildern des Museums, welches mir neben den alten Werken Stich hielt.

Die Schule hatte einen Grundfehler, sie besaß schon in ihren ersten Anfängen eine Vorstellung von sich, von ihrer Mission, von der sogenannten Würde der Kunst; sagte der rothe Domino. Freilich entsprang auch er aus dem Umstande, daß der Gründer mehr ein Theoretiker als ein Praktiker war, denn lediglich für die Theorie stellen sich dergleichen Abstraktionen ein, der echte Praktiker hat nur Vorstellungen von seinen Stoffen, und wenn er an seine Kunst denkt, so ist sie ihm ein Aggregat bewährter Handwerksgeheimnisse. Jenes mythische Gefühl aber von der besondern Vornehmigkeit des Berufes, oder von dem Berufe selbst, als einer intellektuellen Luftgestalt, welches der Meister, wie er nur konnte, den Jüngern einzuimpfen suchte, hat, abgesehen von dem schädlichen Einflusse auf die moralische Physiognomie der Schule, Manchen auch in seiner Kunst geirrt, in Gebiete getrieben, in welche er nicht [84] gehörte, – Allen vielleicht bis auf den heutigen Tag noch ein Etwas vor das Auge geschoben, daß sie mit dem letzten, schärfsten Mahlerblicke die Dinge nicht sehen, wie sie eben einzig und allein für den Mahler vorhanden seyn sollen. Sie sehen die Dinge zu natürlich zugleich und zu unwahr, die rechte Mitte ist hier noch zu entdecken.

Ihr dreht Euch im Kreise um den eigentlichen Punkt, wie Leute, die, im Walde verirrt, das Haus suchen, das zwanzig Schritte von ihren tappenden Füßen liegt, sagte der blaue Domino.

Nun, nun, nur nicht so unsanft zurechtgewiesen! riefen die beiden Andern. Sey uns ein freundlicher Leiter!

Der blaue Domino versetzte: Die Farbe fehlt noch der Düsseldorfer Schule; die eigene, selbstständig gefundene Farbe. Die Farbe ist dem Mahler, was das Wort dem Dichter; er denkt, fühlt, phantasirt in ihr. Sie ist aber nicht das Roth und Blau, das da klebrig auf der Palette steht, sondern die Verwandlung, welche Zinnober und Ultramarin im Geiste des Künstlers erleiden. Das ist eine so wunderbare Metamorphose, wie die von Gemüse und Fleisch in Blut und Nervengeist. Nicht die Farbe, wie sie in der Natur ist, kann der Mahler brauchen, sondern ein begünstigter Genius operirt jene Metamorphose in sich, und die Geister zweiten Ranges empfangen die Farbe von Mustern. Die Kunst empfängt von der Kunst. Man kann nun in Euere Ansichten eingehen und sagen: eben weil der Schule ein großes schaffendes Vorbild fehlte, suchte sie in ihrer Rathlosigkeit nach einem Halt, und den sollte ihr die beliebte Natürlichkeit des Kolorits, oder das Kolorit nach der Natur bieten. Aber eine Farbe kann so unnatürlich wie möglich, und dennoch völlig kunstwahr seyn. Seht Tizians Venus in der Nähe, es ist etwas Grauröthliches da auf die Leinwald gestrichen; tretet zurück und das lebendigste Fleisch wallt Euch entgegen. Ich habe spanische Bilder gesehen. Dicht vor der Tafel sah ich nur schwarze und weiße und blutrothe Striche, vier Schritte davon entzückten mich Magdalenengesichter, büßend im Ausdruck der tiefsten Neue. Die Farbe ist eine große Entdeckung. Unzählige Versuche müssen dieser vorhergehen. Zwei Jahrhunderte lang und länger war sie aller Orten abhanden gekommen: sollen fünfzehn Jahre hier hingereicht haben, sie wieder zu finden? Es gab alte Meister, die so eifersüchtig auf diesen Punkt hielten, daß sie das Geheimniß, wie sie ihre Palette ausrüsteten, mit in das Grab nahmen. Ich glaube aber, daß die ächte mahlerische Farbe auch hier noch entdeckt werden wird, denn so viele und bedeutende Kräfte können sich nicht wie durch ein Wunder zusammengefunden haben, ohne zuletzt ein Endziel zu erreichen.

[85] Ueberhaupt haben wir ja von den Mängeln der Schule nur geredet, um sie aus dem Zwielicht allgemeiner Redensarten, lobender und tadelnder, uns zur deutlichen Gestaltung zu bringen, sagte der rothe Domino. Denn über ihre Verdienste sind wir einverstanden. Sie ist da, eine unter ganz eigenen historischen Umständen entsprossene Zunft, die, sich gliedernd in Meister, Lehrlinge, und Gesellen, bei allem innerlichen Hader, der nicht länger abgeläugnet werden darf, doch durch ein unsichtbares Etwas noch immer zusammengehalten wird. Der Urtypus dieser Zunft war der Geist, welcher in der Literatur hauptsächlich durch Göthe, Tieck, Uhland ausgesprochen ist. Dieser Geist versetzte sich mit etwas norddeutscher Reflexion, und suchte mahlerische Konsistenz zu gewinnen durch die treuesten und fleißigsten Studien nach der sinnlichen Natur. Später traten Münchener, französische, niederländische Einflüsse auf, und es fand ein gegenseitiges Assimiliren des Ursprünglichen und Nachgeborenen statt, am augenfälligsten in der Landschaft, doch auch zu Zeiten bemerkbar in Genre, und selbst in der Historie nicht ganz verborgen. Ein Eklektizismus, nicht im rohen, sondern im feineren und geistigeren Sinne, herrscht; auch dieser ist eine vollendete Thatsache, und aus ihr werden sich gewiß noch große Folgen ergeben.

Der blaue Domino stand auf. Ich freue mich dieses Abends, sagte er. Wir haben kein Platonisches Gespräch geführt, in dem Einer die Weisheit hat und mit verstellter Unwissenheit die Andern belehrt, sondern es war eine deutsche Unterhaltung. Jeder gab seinen Scherf, im Sinne und Gemüth waren wir einig, und nur die Auffassungen waren hin und wieder verschieden. So ist es uns gelungen, die Düsseldorfer Anfänge uns vorzuführen, keine unverächtliche Station im Gesammtleben des Vaterlandes. Wie Viel wäre noch zu sprechen! Wie gern untersuchte ich, nur bei unserer letzten Materie stehen bleibend, mir Euch: Welche moralische Gestalt der Mahler durch seine Kunst erhält und wie eine Künstlergilde auf den Geist einer ganzen Stadt, darin sie waltet, influenzirt? Wir würden da auch gewiß auf bestimmte Resultate im Guten wie im Schlimmen kommen. Wir würden finden, daß auch in diesem Gebiete Stand und Beruf den Menschen fertig machen helfen. Der Soldat wird durch die Waffen tapfer und ehrenzart, aber auch leicht rauh und hochfahrend; der Dichter durchschaut in seinem einsamen Zimmer alle Räthsel der Welt, aber manche Grille pflegt nebenbei in dieser Einsamkeit zu nisten; der Richter ist gerecht, aber der Aktenstaub kann ihn moralisch engbrüstig machen. Und so würden wir finden, daß der Mahler, durch das beständige Vertiefen in die Form und in das äußerlich Erscheinende, zwar für sein Leben eine ausgeprägte Gestalt [86] und eine frohe Sichtbarkeit gewinnt, zugleich aber in Gefahr steht, sich selbst in der Aeußerlichkeit zu verlieren, und den Sinn für die innersten Beziehungen des Daseyns, so wie den Maßstab für die höchste Würde des Menschlichen, die in einem unsichtbaren Reiche thront, einzubüßen. Endlich würden wir finden, daß eine Stadt durch das in ihr vorherrschende künstlerische Element zwar ein buntes und mannigfaltiges Ansehen erhält, welches aber doch zuweilen Etwas von einem Schaugerichte hat, und daß vielen schwächeren Seelen in ihr, unter dem Schwelgen in Formen und Bildern, die Anlage zum Ernst und zur gründlichen Durchbildung des Geistes abhanden kommt. – Aber es ist zwei Uhr Morgens, immer gedrängter fahren die Wagen ab, die älteren Leute sind fast alle weg, und nur das junge Volk tanzt noch, als solle Das dauern bis zum jüngsten Tage.

Puck sprang vorüber. Eine Verschwörung ist im Gange! rief er und verschwand durch eine Seitenthüre.

Die drei Domino's wußten nicht, was die Worte bedeuten sollten. Der schwarze Domino goß aus der letzten Flasche die Gläser bis zum Rande voll und rief: Laß uns den drei Nornen opfern, welche die Zeit weben. Sie heißen Wurd, Werdandi, und Skuld.

Der rothe Domino erhob sein Glas und sprach: So nenne ich Wurd, die Vergangenheit. Ihr gilt mein Opfer. So viele verschiedenartige Menschen, auf engem Raume zusammengedrängt, mußten manche Reibung erzeugen. Ich sprach einst mit einem Freunde über das Unbehagliche unseres Lebens, was in Soupçons und Uebelnehmereien sich abhetzte. Laß es gut seyn, sagte er, es ist ein Zustand wie im Mittelalter. Die Barone halten sich auf ihren Burgen, machen einander Fehde, werfen einander die Schutzbefohlenen nieder. Es ist doch Leben und Kraft in diesem Getreibe, und Jeder vertraut seiner Faust. – Wurd sey gepriesen!

Ich beuge mich vor Skuld, der Zukunft, sagte der blaue Domino. Ohne Wort ist der Dienst dieser Norne, wir wollen ihr, stille Hoffnung im Herzen, entgegengehen.

Durch Eure List fällt mir Werdandi zu, die Gegenwart! rief der schwarze Domino. Also ...

Aber er konnte nicht ausreden. Denn der Papagaigrüne war in das Zimmer getreten, begleitet vom Zeremonienmeister im gestickten Hofkleide, mit Allongenperücke und dem goldenen Stabe. Nichts fällt Euch allen Dreien zu, als ein Tanz im Saale mit der Dame, die eben an der Tour im Kotillon ist; sagte er. Sie läßt Euch durch mich und diesen Chevalier hier holen. Die Tour aber ist, daß Ihr unermüdlichen [87] Redner die Dame umtanzt, sie dann das Taschentuch emporwirft, und der Glückliche, welcher es hascht, mit ihr herum walzen darf.

Was war zu thun? Werdandi kam in diesem Zimmer um ihren Opferspruch. Der Zeremonienmeister trat vor, die Domino's folgten, der papagaigrüne Verschwörer schloß. Im Saale empfing den Zug fröhliches Gelächter. Papagena, ein reizendes Mädchen im buntesten Federkleide, stand in der Mitte des weiten Tanzkreises. Die Geschichte sagt nicht, ob die Domino's mit ihr getanzt haben, oder ob sie sich mit einem Scherze auslösten gegen sie, die wohl für ein Bild der blühendsten Gegenwart gelten konnte.

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TextGrid Repository (2012). Immermann, Karl. Autobiographisches. Düsseldorfer Anfänge. Maskengespräche. Düsseldorfer Anfänge. Maskengespräche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89BB-1