[51] [53]4. Das Narrengespräch

[53][55]
Es war im März ein wolkiger Wintertag,
Denn überall hart der Schnee noch lag,
Da quoll es in der Stadt herfür und hervor
Aus Thür und Thor
Und seit morgens fruh
Ergoß sich ein Menschenstrom nach Westen zu.
Dort vor dem Weichbild bald
Begann ein hoher, dichter Wald,
Und die breite Allee, die durch ihn führt,
War heute geschmückt und ausgeziert
Mit bunten Flaggenstangen, die sich verbanden
Längs und quer durch Fichtenguirlanden.
Dort aber, wo höher die Flaggen ragen,
War ein Rondell mit Sitzbänken aufgeschlagen
In einem Halbkreis, bunt ausstaffirt
Und austapeziert
Mit Wappen und Schi ldern und Draperien
Mit Sinnbildern und Spruchphantasieen.
Schon stand hier
Die Allee entlang ein Menschenspalier
Und vor dem Rondell in dichtem Gedränge
Eine unzählige Menschenmenge.
[55]
Sie harrten seit morgens mit Ausdauer friedlich,
Im Warten geduldig und unermüdlich;
Denn es waren überneugierig die Leute
Damals gerade so wie heute.
Auf dem Rondell allmählig füllten sich
Die Plätze fraulich und männiglich.
Zur Rechten waren zu schauen fein
Holde Frauen und Mägdelein,
Zur linken Werkmänner, in der Mitte der Rath,
Der kam zuletzt. – Es war schon spat,
Als endlich durch die Lüfte drang
Ein feierlicher Trompetenklang,
Von der Menge begrüßt mit lautem ah!
Denn der geschah,
Das Erscheinen des Bischofs anzuzeigen;
Und schon sah man ihn die Stufen aufsteigen
Und den Rath und die Frauen vor ihm sich neigen.
Es war, wie man alsbald murmelnd spricht,
Und sich im Volke verhehlte nicht
Ein Mann von Gewicht
Mit rundglänzendem Angesicht,
Das herniedersah wie ein Vollmondlicht.
Wie er jetzt
Neben dem Rathe sich niedersetzt,
Und allmählig umher ward Ruh,
Da winkt er einem Trompeter zu;
Der gab ein Zeichen mit hellem Trara.
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Da –
Lustig wie ein Feuer im Kamine knattert,
Und wie im Wind eine Fahne flattert,
Risch und frisch
Wie im Wasser ein Fisch,
Wie ein Vogel im Gebüsch,
So kamen zwei Reiter, die Zügel verhängt,
Auf der harten Allee heraufgesprengt,
Im Galopp ein Fuchs, im Galopp ein Schimmel,
Mit Jubel begrüßt von dem Menschengewimmel.
Zum Rondell galoppirt in vollem Lauf,
Stellten sie gegen einander sich auf
Und grüßten fein zu dem Rath und dem Bischof hinauf
Und grüßten munter
Zum ganzen Publikum hinunter.
Doch wie man sie näher erschaut und gewahrt,
Sie erschienen gar wunderlicher Art:
Der auf dem Schimmel trug ein streif'ges Gewand,
Das schwarz, weiß und roth mit einander verband,
Auf der linken Brust,
Stolz bewußt,
Als Orden von verschiedenen Rängen,
Hat er drei todte Spatzen hängen,
Aber sein Haupt
War ganz von künstlichen Wein umlaubt.
Sein Gegner diesen Anblick bot:
War von Kopf bis Füßen feuerroth.
[57]
Mitten auf der Brust drei goldene Sterne
Leuchteten ihm schon von ferne;
Auf dem Kopf aber trug der Gesell
Ein natürliches Bärenfell. –
Dazu jeder von beiden schwenkte stolz
In der Hand eine Pritsche von klatschendem Holz.
Und jetzt der Rothe den Kampf anbrach
Und zum Schimmelgestreiften also sprach:
Wohledler Ritter mit Rappen und Speer,
Mit Wappen und Wehr,
Wo kommt ihr her?
Drauf jener öffnete den Mund
Und mit heller Stimme Rede stund:
So gesegnet wie mein Land,
Das Rheinland,
Das Weinland,
Ist kein Land!
Ich bin aus dem Bann von Bonn zu Haus,
Auf den goldigen Bergen da kenn' ich mich aus,
Und meine Wiege stand neben dem Wein,
War rings umglänzt vom Sonnenschein? –
So laß mich nach deiner Herkunft fragen.
Was kannst du mir dagegen sagen?
Und der Rothe, ruhig und gelassen,
Antwortete folgendermaßen:
[58]
Wo meine Wiege stand, weiß ich kaum,
Kann mich nicht besinnen auf den Raum,
War es ein düsterer, oder ein heller,
War's unterm Dach, oder war es im Keller;
Nur so viel weiß ich, es war in Berlin,
Und mit dem Bewußtsein sag' ich kühn:
Was du nur Schönes findest bei dir,
Das find' ich hundertmal schöner hier! –
Jetzt aber sag' mir an,
Was bist du für ein Mann?
Welch Weges streifst du?
Welch Liedlein pfeifst du? –
Von mir will ich's dir also sagen:
In trüben Tagen
Ohne Zagen
Aller Welt entgegenschlagen
Und just das Allerkeckste wagen,
Das wird bei mir sein gang und gebe,
So lang ich lebe.
Darauf der Bonner also sprach:
Wohl jauchzten die Kinder Israel und sangen Hosianna,
Als sie endlich in der Wüste gefunden das Manna;
Aber vorher ließen sie das Singen fein bleiben,
Und nicht anders kann ich es treiben.
Wenn mein Gemüth murrt, kann mein Lied nicht klingen,
Wenn mein Magen knurrt, kann mein Mund nicht singen.
[59]
Ich bin einer, der bei dem Vollen lieber blieb,
Als bei dem, was überblieb.
Wie der Waldmeister lieblichen Duft nur sprüht,
Wenn er vom Weine glüht,
So auch ertönet beim Wein mein Lied;
Aber wie wenn im Regen die Amsel
Aufschüttelt ihr flockiges Wamsel
Und ihr Schnäblein unter den Flügel steckt,
So warm geduckt und warm gedeckt
Muß mein Haupt sein, wann Stürme kommen,
Anders kann mein Gesang nicht frommen.
Darum bei einem hohen Herrn
Da-weil' ich gern,
Zu dem will ich sagen: O Herr, sieh her!
Mein Becher und mein Beutel sind beide leer.
Wirst du sie nicht füllen, muß mich Finsterniß umnachten,
Wirst du den Durst nicht stillen, so muß ich verschmachten.
Ich schätz' aber auch den Spruch nicht wenig:
Wer lieblich redet, deß Freund ist der König.
Dann stehet er da auf der Höhe,
Unberührt von der Sorgen Ach und Wehe,
In reinerem Klang kann da sein Sang ertönen
Zu allem Lieblichen, allem Schönen,
Und wie ein Gott von seinem Himmel
Schaut er herab auf alles niedere Gewimmel!
Da klatschten Viele Beifall; von den Frauen jede. –
Und der Berliner hub so an die Gegenrede:
[60]
Es giebt Hähne, die auf der Erde krähn,
Und Hähne, die auf dem Dach sich drehn.
Der eine zu seinem Vergnügen kräht,
Der andere, weil der Wind ihn dreht.
Der eine steht unten, der andere oben,
Wen von beiden willst du loben?
Den einen nenn' ich einen Götterhahn,
Der andere ist nur ein Wetterhahn! –
Ein Beifallssturm erscholl bei diesem Wort,
Und er fuhr fort:
Bläst der Wind nach Osten,
Muß er sich drehn nach Osten,
Bläst er nordwärts, kann er nordwärts verrosten.
Also du suchst einen hohen Herrn?
Ihn dir zu mißgönnen liegt mir fern.
Siehe, Saul zog aus,
Aus niederem Haus,
Suchte zwei Esel und fand zugleich
Ein Königreich.
Warum solltest du auch dein Glück nicht gründen?
Warum solltest du was du suchst nicht finden?
Willst du ein Hofpoetlein werden?
Der Himmel segne dein Streben auf Erden.
Ich glaub' es freilich, es ist ihr Amt
Zu den schönsten Annehmlichkeiten verdammt,
Behaglich wie einer Katze Schnurren
[61]
Und lieblich wie des Taubers Gurren,
So angenehm wie Geld in der Truhe
Und so bequem wie Morgenschuhe.
Sie gehn so stolz daher in ihrem Narrenkleid,
Mit Kreuzlein behängt und Ordensgeschmeid,
Aber ein Gesunder hohnlacht
Ihrer Ohnmacht
Und ihrer ekeln Unmannbarkeit;
Denn ein kräftiges Wort zur rechten Zeit,
Das stünd' ihnen ja so stattlich zu Leibe
Wie ein Schnurrbart dem Weibe.
Sie bleiber immerdar so erbaulich, beschaulich,
Loben und erheben ihre Zeit gar graulich,
Besingen ihre Götzen ergötzlich,
Entsetzlich,
Bewedeln die Edlen so süßlich,
Ersprießlich,
Oder auch sie werden zu singen verdrießlich.
Und kümmern sich schließlich
Mehr um Mosen und die Propheten,
Als um die Musen und die Poeten.
Lachen und Beifall rings erklang.
Und der Bonner dagegen sang:
Du kriegst mit Gegnern, die du dir geschaffen
Und siegst mit ungeschliff'nen Waffen,
Aber dein Krieg erliegt
Und dein Sieg versiegt
[62]
Dein Schelten ist Schein,
Wer verständig ist, sieht es ein.
Statt glücklich zu sein über glückliche Saat,
Willst du betreten den Dornenpfad,
Auszujäten was faul ist im Staat?
Leicht ist der Rath,
Schwer die That.
Wer sie will verrichten,
Muß auf jede Freude verzichten.
Soll ich etwa Verdammungsurtheile singen
Und von allen mit Unrecht geschehenen Dingen
An die rechte Stelle Kunde bringen?
Ein warmer Auftrag, ein heiß Geheiß,
An dem man den Mund verbrennt, eh' man's weiß.
Meinst du etwa unverholen,
Ich werde mich machen auf die Sohlen
Und die Kastanien für dich aus den Kohlen holen? –
Und dein Angriff thut des Guten zu viel
Und dein Bogen schießt über das Ziel.
Giebt's nicht in unsern Landen zur Zeit
Männer, die wacker gestanden im Streit?
Ist nicht von ihren Zungen
Manch freiheitliches Lied erklungen?
Da rief der Berliner:
Wetterwend'sch
Ist der Mensch!
Unter hunderten findet sich einer kaum,
[63]
Der Wurzen hat wie ein Eichenbaum.
Ich weiß wohl, welche du meinst,
Sie gehörten zu den Bessern einst,
Aber da sie nicht anders sich zu helfen wußten,
Als daß sie mitheulen mit den Wölfen mußten,
Anstatt die Lüge auszuroden,
Nun sind sie auch verdorben in Grund und Boden.
Sie glitzern noch immer
In falschem Schimmer,
Und daß sie längst todt sind, merken sie nimmer.
Wer zu seinem guten Glücke
Fern ist geblieben ihrer Klique,
Auf sich selber vertrauend in allem Leid,
Keinen Herrn über sich als die Zeit,
Und von ihrem Führerstab
Keinen kennend, der ihm zu lernen gab,
Der schaut nun lachend auf sie herab,
Spielt mit ihrem Angstgeschrei
Und fühlt sich stark und frisch und frei
Wie auf dem wilden Meer die Möve,
Wie in der Wüste ein freudiger Löwe.
Der Bonner erwidert darauf und sprach:
Ja, da gehörst du hin
Mit solchem Sinn,
In die Wüste, wo Niemand weilet,
In die Einöde, da es heulet.
Bist du auch einer von jenen bösen?
[64]
Ihr wüstes, wildes Wesen
Wird uns vom Banne nicht erlösen.
Roh und ungeschlacht sind sie alle,
Ihre Trauben sind Galle,
Sie haben bittere Beeren
Und können der Welt weder Trost gewähren
Noch Gutes gebären.
Sie sind wie ein Wild,
Das irre gegangen heult und brüllt.
Das sind die für den Geist der Schönheit taugen
Wie der Rauch für die Augen.
Wie wenn im Wald in der Frühlingsnacht
Bei des Mondlichts Pracht
Der Vogel flötet goldenen Klanges,
Vor dem sich beugen alle Töchter des Gesanges,
Und Blumen und Bäume schönheitstrunken
Sind andächtig in stillem Schweigen versunken,
Da im Nu – hu!
Rauschte daher ein Uhu
Mit unheilbringendem Gesaus,
Und alles Schöne ist aus –
So kommen sie daher ungestüm
Wie ein Ungethüm,
Kennen keine Schönheit, keine Zierde,
Haben nichts als wilde Begierde,
Und was wir bisher zu unserm Ruhme
Still verwahrt hielten im Heiligthume,
Sie wollen's aufessen mit Kruste und Krume.
[65]
Manch Beifallsklatschen erscholl ringsum.
Und es sprach der Berliner wiederum:
So billig sind deine Räthsel
Wie beim Bäcker die Brätzel.
Deiner Worte Sinn ist mir klar,
Doch was du darin thust offenbar,
Das ist im tiefsten Grunde nicht wahr.
Sage mir vor Allem, kein Heiliger
Ist der nicht besser als ein Scheinheiliger?
Der Lüge und der Heuchelei
Der tret' ich kühn den Kopf entzwei,
Oder ich reiße ihr mindestens munter
Die Maske von dem Gesicht herunter,
Dein Hohlspiegel wird mich nicht schrecken.
Du willst vertuschen, so will ich aufdecken,
Du willst einlullen, ich will wecken.
Ist es nicht hoch und hehr und schön und groß,
Zu lehren
Die da sind niedrig und elend und blind und bloß?
Ihnen die Augen aufzuthun?
So woll'n wir darin nicht rasten noch ruhn.
Und stehn wir auch wie in der Wüste allein,
Und ist auch der Anfang noch winzig und klein,
Wir dürfen und wollen nicht muthlos sein.
Lieber weinend gesät und lachend gemäht
Als feig abwarten, bis beides zu spät;
[66]
Und was winzig war, wächst ungeheuer,
Aus Funken wird Feuer.
Der Bonner fiel ein:
Aber das Feuer spricht nicht, es ist genug;
Drum zünd' es nicht an, so bleibst du klug.
Auch dies laß dir sagen,
Deine Ernte wird wenig Früchte tragen.
Dem Esel sind drei Körner Gerste in dem Magen
Weit lieber als ein Zentner Golds, den er muß tragen.
Ein Murmeln und Murren die Menge durchlief.
Und der Berliner mit erregter Stimme rief:
Wie die abgelebten Gesellen plärr'n,
Mit solcher Weisheit bleib' mir fern!
Das Recht und die Wahrheit verkünd' ich gern,
Davor müssen sich beugen die stolzen Herrn.
Die Wahrheit bleibt ewiglich bestehen
Und reichet so weit die Welten gehen!
Dies aber ist Wahrheit:
Von oben herab wird kein Haus gebauet,
Von unten herauf ist es gut gebauet. –
Was ich sagen will, muß ich sagen,
Wer kann Feuer im Busen tragen?
Was bis heut in glänzender Hülle sich barg,
Das ist im tiefsten Innern bös und arg
Und faul bis in's Mark.
[67]
Weh' dem, der vom gleißenden Schein geblendet,
An die Geistesvertreter des Glanzes sich wendet
Und sein wackeres Wort an sie verschwendet,
Er findet bei Taubstummen eh'r
Als bei ihnen Gehör,
Ich will von ihnen nichts wissen mehr.
Wer giebt auch gesunde Kost für kranke Bäuche?
Wer gießt auch Most in alte Schläuche?
Aber es kommt ein Tag der Vergeltung auf Erden,
Noch sind nicht alle zu Bett,
Die eine böse Nacht haben werden!
Ein Beifall von drunten Bahn sich brach.
Der Bonner aber dagegen sprach:
Wenn der Krug auf den Stein fällt,
Der Krug zerschellt.
Wenn der Stein auf den Krug fällt,
Der Krug zerschellt.
Jedesmal zerschellt der Krug,
Und der Stein bleibt heil, der ihn zerschlug.
Drum sieh wohl zu, wohin dein Geist sich wende;
Du weißt wohl den Kampf aber nicht sein Ende,
Wer Gewinner sein wird, wer Verlierer,
Und so bist du ein Blinder der Blinden Führer.
Die da nur sinnen können auf Empörung
Und auf Zerstörung
Und in die Welt wollen bringen Feuer statt Licht,
[68]
Aber den Weg des Friedens wissen sie nicht,
Deren Tage müssen einsam bleiben,
Und kein Jauchzen wird darinnen sein,
Und ihre Nacht wird finster sein
Und von Sternenleer! –
Die trüben Gedanken, wie werd' ich sie los?
Es will Abend werden, und die Schatten werden groß.
An den Rhein will ich gehn, zurück an den Rhein,
Da kann man noch jubeln und fröhlich sein,
Da singen der Poesie die Leute
Nicht wie du ein Grabgeläute;
Ihr Wein ist gut und ihr Muth kein kleiner,
Und ihr Witz bleibt immer noch stärker als deiner!
So rief er;
Und eine Bewegung war auf der Tribüne zu schauen,
Und Beifall klatschten ihm Herren und Frauen.
Und die Menge sah mit besorgtem Sinn
Auf den rothen Berliner hin.
Aber der, –
Hast du schon einmal gesehen,
Wie ein Huhn den Kopf beugt
Und dich von der Seite anschielt,
Daß du laut auflachen mußt ob der philosophischen Dummheit,
Die in dem Blicke sitzt, –
So verschmitzt
[69]
Sah der Berliner den Bonner an,
Und er begann:
Um von dem Ende zu kommen auf den Ursprung,
Machst du mehr einen Kunst- als einen Natursprung.
Einem solchen Sprunge kann ich nicht folgen,
Einem so komischen, einem so droll'gen.
Was ich gar nicht gesagt habe, schiebst du mir zu,
Was ich gar nicht gefragt habe, antwortest du,
Was erst nicht krank war, das heilst du später,
Du bist mir ein komischer Wunderthäter.
Du machst die Blinden gehend
Und die Lahmen sehend
Und du gebrauchst das Orakel
Wie der Schulmeister den Bakel;
Malst mir da die Zukunft aus
Düster wie ein Gespensterhaus.
Bist wohl auch einer, dessen Gesang
Kündet den Weltuntergang?
Ach und Wehe ächzt er
Und wie eine Krähe krächzt er
Mit Geheul und Gewinsel,
Ein wahrer Pinsel!
Komme mir mit einem so schwarzen Bild nicht;
Du weißt doch, Bange machen gilt nicht.
Bist du aber einmal ein Unheilverkünder,
Warum kehrst du dich nicht an die rechten Sünder?
[70]
An den Quell, aus dem aller Jammer fließt,
An den Boden, auf dem alles Unkraut sprießt?
Horch wohl auf, was ich dir jetzt sage;
Du triffst wahrlich nicht aller Tage
Einen, der's laut zu sagen wage.
Der Blutegel hat zwei Töchter,
Die heißen: bring' her! bring' her!
Du siehst sie saugen rings umher.
Ihr Schmatzen übertönet das Weltgetümmel,
Und das Geschrei der Gesogenen steigt zum Himmel.
Aber da ist keiner, der darauf will Antwort geben
Und die Hand aufheben,
Daß er das Gezüchte niederschlüge
Mit ihrem Thun und ihrer Heuchellüge.
Deine Prophezeiung voll Nacht und Graus
Warum dehnst du sie nicht auf diese aus?
Was läßt du über die deinen Eifer erkalten?
Du liefest fein, wer hat dich aufgehalten? –
Wann sang ich der Poesie ein Grabgeläute?
Aber sage mir, was blühet heute?
Das sind die gezierten Versedrechsler
Und Dintenklexler,
Das sind die widerwärtigen
Immer liederfertigen,
Die den Erfolg besingen mit Gesangesbündeln,
Und ihr Hauptgeschäft ist das Anhündeln,
Wer thut sich heut auf? wer macht sich groß?
[71]
Das sind die,
Deren Devise heißt: charakterlos!
Die stets im Geleise der Phrase getrabt
Und noch nie einen ei'gnen Gedanken gehabt,
Heut sind sie mit allen Gottesgaben begabt.
Und wie es dann alle die Nullen noch wagen,
Sich gegenseitig Lobhudeleien zu sagen,
Das ist nun gleich um drein zu schlagen.
Aber die Herrn Damen lesen es mit Behagen. –
Willst du,
Daß ich dir erst lange das Sprüchlein geige:
Ganz Philisterland ist feige!?
Ihre Erwählten lassen sich traktiren mit Schlägen
Und winseln kaum ein wenig dagegen. –
Vor der Wahrheit Licht warum fliehest du?
Blicke doch um dich, was siehest du?
Nur Spreu und kein Korn,
Keine Rose, nur Dorn.
Ihre Dichter und Schreiber und Weisen
Sie sind eitel verdorben Erz und Eisen.
Eine neue Zeit kommt heran mit Sausen
Und bewegt das Meer, daß die Wellen brausen.
Aber sie wollen nicht hören des Windes Wehen
Und können mit sehenden Augen nicht sehen,
Und rufen: Friede! Friede!
Und ist doch nicht Friede. –
[72]
Dies ist das Panier, das ich mir erwähle
Von ganzem Herzen mit ganzer Seele:
Eine junge Welt steigt auf aus Nebel und Dampf,
Mit Jauchzen gehen wir in den Kampf.
Was morsch war, ihr haltet es nimmer!
Was verfault war, stürzt in Trümmer.
Und ich sehe ein Ziel vor mir so groß,
Wer's erreicht, der gewinnt ein Götterloos! –
Da erhob sich wie Sturmgebraus und Getos
Ein Beifall ringsum riesengroß.
Und er fuhr fort:
Nun fällt dir mit einmal der Einfall ein:
Der Witz vom Rhein
Soll stärker als der Berliner sein
Und bleibe siegreich vor ihm bestehn;
Das wollen wir doch gleich einmal sehn.
Und er sprengte mit einem Satz ganz nah
An den Bonner heran, und eh' der sich's versah
Und wissen mochte, wie ihm geschah,
Packte er zu und zog mit einem Rucks
Ihn herunter vom Schimmel auf seinen Fuchs
Und hielt den armen
Vor sich fest mit beiden Armen,
[73]
Und so ritt er vor dem Rath und dem Bischof vor,
Und Jubel erscholl im ganzen Chor.
Aber mit höflich spöttischem Diener
So zu dem Bischof sprach der Berliner:
Hochwürdiger Herrscher von Papstes Gnaden
Und Helfer für jeden Seelenschaden!
Sieh, wie ich dir hier meinen Bruder bringe,
Mit dem ich zusammen mein Liedlein singe.
Ein gut Theil davon hat er gemacht
Und er hat mir den Sieg gar schwer gemacht.
Siehe aber, wir sind verkleidete Narren;
Da doch Viele hier vor uns harren,
Die zur Narrengilde beeidet sind
Aber als Kluge verkleidet sind.
Du weißt wohl, was ein Sprüchlein spricht:
Die Thoren mögen die Narren nicht,
Die klugen Herrn
Vertragen die Narren gern.
Nun haben wir gehört von Groß und Klein,
Du wollest fein
Ein gerechter Narrenbischof sein,
Und also bitt' ich
Dich fromm und sittig,
Nimm uns unter deines Schutzes Fittich,
Begegne uns gütig auf unsern Wegen
Und segne uns mit deinem Segen.
[74]
Der Bischof lachte und wurde ernst hernach,
Und mit lauter Stimme also sprach:
Siehe die Weisheit läßt sich hören auf den Gassen,
Und Niemand achtet ihrer.
An den Thoren bei der Stadt,
Da man zur Thür' eingehet, schreiet sie.
Wo aber die Narren weise reden,
Da, mein' ich, muß gut hausen sein.
Die Wahrheit der Narren ist ein köstlich Ding
In einer Zeit,
Wo alle Weisen sind zu Lügnern geworden.
Es rauschet aber, als wollte es sehr regnen.
Und somit segn' ich euch beide;
Denn es ist besser,
Daß die Wahrheit gesegnet werde,
Als daß die Schlechtigkeit geheiligt sei.
Drauf hat er Gnad' und Heil gewährt
Den beiden Reitern auf einem Pferd
Und gab den Segen, wie sich's gebührt,
Und beide zeigten sich tief gerührt.
Dann sprengten sie fort
Und wohin sie kamen, überall
Empfing man sie mit Jubelschall.
[75]
Der Lehrer aber, der unter den Werkmannen saß,
Ward gelobt ob der Schüler im Uebermaß.
Und er sah ihnen nach,
Und schluchzend erwidert er und sprach:
Ja die Rangen!
Mir sind die Thränen aus den Augen gegangen.

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TextGrid Repository (2012). Jacoby, Leopold. Gedichte. Es werde Licht. Aus Berlins Vorzeit. 4. Das Narrengespräch. 4. Das Narrengespräch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8BC5-8