Darüber kommt kein Weib hinweg ...

[51] [53]Elende! rief Fräulein Gröhl und zerknitterte eine eben empfangene Anzeige. In diesem Augenblicke trat Dr. Klausmann ein.

»So im Zorn, Kollegin?« Er warf seinen Schlapphut auf ihren Schreibtisch und sich selbst auf einen Sessel. »Was ist geschehen, wer hat es gewagt –«

Sie stellte unsanft eine Schachtel Cigaretten vor ihn hin und reichte ihm das Feuerzeug.

[53] »Es ist einfach ekelhaft. Wissen Sie das Neueste? Die Leonie Strehlke hat sich verlobt ...«

Dr. Klausmann nahm die Brille von den kurzsichtigen Augen. »Was Sie sagen! Das bildschöne Mädel! Schad', dass sie schon ihre Wahl getroffen hat. Nun ist's aus mit der Hoffnung für unsereins ...«

»Sie sind ein Idiot!« Die kleine kugelrunde Kandidatin warf ihm einen giftigen Blick zu. »Wenn Sie Liebesabenteuer erleben wollen, müssen Sie sich an jene

Weibchen halten –«

»Sie sehen ja, auch unter der heiligen Flagge der Wissenschaft bleibt das Weib Weib, es müsste denn – hässlich sein.«

[54] Hören Sie, Klausmann, wenn Sie gekommen sind, mir Unverschämtheiten zu sagen, dann entfernen Sie sich lieber.«

»Aber Beste,« er putzte eifrig an seinen Brillengläsern, »ich sag' doch nichts, was Ihren Zorn erregen könnte. Zeigen Sie mir eine einzige junge, schöne, glückliche Frauenrechtlerin, und ich will mich für geschlagen erklären. Es sind immer die vom Schicksal schlecht Bedachten, die Revolution machen. Auch auf diesem Gebiet. Ein persönlicher Grund ist's meistens, der sie anspornt, sich Gehör und Geltung zu verschaffen. Ein persönliches Erlebnis ist's, das sie zur Amazone gemacht, ihr die dem modernen Zeitalter angemessenen geistigen Waffen in die Hand drückt.[55] Geben Sie diesen Frauen den Geliebten wieder, der ihnen vielleicht untreu geworden ist, geben Sie ihnen die mangelnden Subsistenzmittel, ein liebes Kind, das ihrer Langweile Beschäftigung bietet, Jugend, Schönheit, und ich wette mit Ihnen, den Teufel kümmern sie sich darum, ob nach fünfzig Jahren ihr eigenes Geschlecht seine Vertreter im Reichstag sitzen haben wird oder nicht. Beim Weibe ist alles aus dem Persönlichen herzuleiten.«

»Nun schweigen Sie aber gefälligst, oder ich mache von meinem Hausrecht Gebrauch.« Die Augen der Studentin blitzten ihn an. »Sie werden alle Tage ungeschlachter.«

[56] »Erst seitdem ich –«

Ein kräftiger Faustschlag auf den Tisch liess ihn innehalten. Er lachte vergnüglich und zeigte dabei zwei Reihen wunderschöner Zähne. »Wenn Sie so anfangen, schliesse ich sofort Frieden. Vor Ihren Fäusten habe ich allen Respekt. Was macht die Arbeit?«

»Sie schreitet vorwärts, aber ob ich sie bis Mitte März einreichen kann, bezweifle ich.«

»Dann reichen Sie sie eben später ein.

Was liegt an ein paar Wochen bei einem Werk, das Sie Jahre gekostet hat?«

»Sie haben nicht unrecht.« Die Kandidatin wurde sanfter. Sie zog ein dickes Heft hervor.

[57] »Über die Verkümmerung der Stimmbänder am untern Kehlkopf der Luftröhre bei den weiblichen Singvögeln.« »Sehen Sie, ich brauch' bloss ein bischen zu feilen und ins Reine zu schreiben, dann bin ich fertig.«

Fräulein Gröhl führte nämlich den schneidigen Beweis, dass nicht nur die erlauchten Herren der Schöpfung in der Vogelwelt, sondern auch deren Gattinnen die Gabe des Gesanges besässen, wenn – jetzt kommt der wichtige Punkt! wenn das zweite Paar Stimmbänder ihres untern Kehlkopfes nicht bis zur völligen Unnachweisbarkeit verkümmert wäre. Bekanntlich trifft jedes Organ dieses Schicksal, dessen Funktionen verhindert werden. Die Singvögelweibchen sind eben auch [58] durch den grausamen Egoismus ihrer Männer unterdrückt und aufs Piepsen angewiesen worden; den Gesang betrachten die Herren Gatten als ihr ausschliessliches Recht.

»Diese Arbeit,« die Kandidatin klopfte auf das Heft, »wird eine Umwälzung der Werte in der Vogelwelt bewirken.«

Klausmann schob die geputzte Brille wieder hinter die Ohren. »Ich bewundere Ihre Vielseitigkeit aufrichtig.« Er blickte ernsthaft auf die Kollegin. »Neben einer weit ausgreifenden, wissenschaftlichen Thätigkeit finden Sie noch Musse, eine Frauenzeitung herauszugeben, sich –«

»Reden Sie nicht von der. Sie wird ein unausgeführter Plan bleiben. Fehlen [59] mir doch zur Herstellung der ersten Nummer schon die nötigen Mittel.«

»Ach ja, richtig -,« der junge Gelehrte fuhr sich verlegen durch den dünnen Haarschopf, »betreffs der Zeitung sollte ich Ihnen ja etwas mitteilen. Frau von Kerb – Sie kennen gewiss dem Namen nach die reiche Mutter meines Schülers – Frau von Kerb hat mir angedeutet, dass sie gerne bereit wäre, Ihr Unternehmen mit den nötigen Mitteln zu unterstützen, wenn es ihr freigestellt würde, hie und da einen Roman von sich in Ihrer Zeitung zu veröffentlichen.«

»Donnerwetter!« Die Studentin packte die Hände Klausmanns, »und mit dieser Freudenbotschaft rücken Sie so spät heraus? [60] Das ist ja herrlich, einzig! Dadurch käme ich ja endlich ans Ziel meiner Wünsche. Selbst mein Doktorexamen liegt mir nicht so am Herzen als die Gründung dieser Zeitung. Denn, das sehen Sie doch ein, am hiesigen Platz – einer mittelgrossen Universitätsstadt – fehlt ein Centralorgan für die Fraueninteressen. Wir haben einen Verein, wir haben Versammlungen, aber wir hatten bislang keine Zeitung, welche unsere Bestrebungen und Errungenschaften, unsere weitern Pläne den übrigen Gleichgesinnten übermittelte. Es ist für uns von grosser Tragweite, ein solches Organ zu besitzen, das von der wichtigsten Förderung für unsere Sache werden kann. Sagen Sie Frau von Kerb, aber nein, ich selbst [61] werde zu der Dame hingehen ... Mag sie das ganze Reich unterm Strich – das Feuilleton – beherrschen, das geht uns nichts an, wenn uns nur der übrige Teil der Zeitung zur Verfügung steht. Ich gehe gleich heute zu ihr.«

»Thun Sie's,« der Doktor erhob sich, »sie ist um fünf Uhr zu sprechen. Und seien Sie nur dreist in Ihren Ansprüchen, der Dame kommt's auf den Mammon nicht an. Sie möchte nur durch die Unterstützung der Frauensache auch ihre eignen literarischen Interessen vertreten.«

»Topp.«

Der Doktor verabschiedete sich von der Studentin. Sie war ein nettes Persönchen mit einem frischen Gesicht, in [62] dem sich leider zu wenig Nase befand; doch ihre Naturwüchsigkeit entschädigte für dieses körperliche Zuwenig, zu dem auch ihr schlecht behandeltes Haupthaar gehörte, das struppig und kurz verschnitten ihr wie angeklebt hinter den Ohren sass. Sie gewann Frau von Kerbs Sympathie und damit die Verwirklichung ihres Planes. Ihre Kolleginnen blickten bewundernd zu ihr auf. Diese Energie imponierte ungemein. Das war ein ganzer Mannskerl, der durch seinen zähen Willen mehr erreichte, als mancher andere, der die Hosen obenauf trug.

Die bedeutendsten Tagesblätter verkündeten das Erscheinen des neuen Organs, das den stolzen Namen Arete tragen sollte, und erzählten von der Selbstlosigkeit, der [63] rastlosen Thätigkeit seiner Schöpferin, der es gelungen war, die Gründung dieses hochwichtigen Organs zu stande zu bringen. Man brannte vor Neugierde, wie die erste Nummer sich einführen würde. Der anberaumte Termin erschien, aber die Zeitung erschien nicht. Vielleicht war sie ihres Freimuts wegen, der allem Engherzigen kühn zu Leibe rücken wollte, konfisziert worden. Man wartete geduldig. Die Nummer erschien nicht, auch keine Notiz, die Aufklärung über die Verzögerung brachte.

Eines Tages pochte Dr. Klausmann bei einer Freundin an. Er fand sie unwirsch, geärgert, fast grob. Was er wünsche. Ewig die Fragerei wegen der Zeitung! [64] Hätte er sich schenken können! In Gottes Namen wolle sie denn seine Neugierde stillen. Also die Sache wäre diese. Frau von Kerb hatte ihren Roman eingereicht, der schon mit der ersten Nummer beginnen sollte. »Ich war darauf gefasst,« die Studentin kreuzte die Arme kampflustig über der Brust, »ziemlichen Blödsinn lesen zu müssen. Nennen Sie mir ein Frauenzimmer in Deutschland, das heutzutage einen lesenswerten Roman schriebe, alles ist Redaktionsschund, zurecht gemachtes Geschwätz, das Weib ist eben über die Gedankenspielerei hinaus – aber aufdiese Überraschung war ich doch nicht gefasst.«

»Frivol,« suchte der Doktor zu erraten.

[65] »O mehr, viel mehr,« rief die Kandidatin entrüstet.

»Materialistisch wie das erste Atom, das aller Idealität fremd nur ein Fresssack war.«

»Mehr.« Fräulein Gröhls Augen funkelten.

»Na, zum Teufel, was hat sie denn angestellt?« platzte der Doktor heraus.

»Ihre Heldin hat sie Leonie genannt, wie die Strehlke heisst.«

Der Doktor schnellte von seinem Sitz empor, drehte sich dreimal um sich selbst und versuchte einen Freudenpurzelbaum zu schiessen, was aber der Enge des Zimmers wegen nicht gelang. »Und Sie, Sie lehnten die Annahme des Romans [66] ab, und weil Sie ablehnten, lehnte sie die Geldbeteiligung ab und – die Zeitung bleibt ungedruckt.«

»Selbstverständlich,« sagte Fräulein Gröhl mit Würde, »sie wollte aus Eigensinn keinen andern Namen wählen, und ich, ich werde doch nicht –«

»In diesem Zeichen wirst du nicht siegen!« Der Doktor machte eine Verbeugung und drückte sich, bevor ihm ein Schmöker an den Kopf flog, zur Thüre hinaus ...

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TextGrid Repository (2012). Janitschek, Maria. Erzählungen. Die neue Eva. Darüber kommt kein Weib hinweg .... Darüber kommt kein Weib hinweg .... Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8D0D-9