Friedrich Kaiser
Die Schule des Armen
oder
Zwei Millionen
Original-Charakterbild mit Gesang in vier Akten

Personen

[2] Personen.

    • Schlenkheim, Buchhändler.

    • Henriette, seine Tochter.

    • Robert Starr, Kommis,
    • Christoph, Kolporteur,
    • Johann, Diener, in Schlenkheims Hause.

    • Dr. Sandel, Advokat.

    • Herr von Toßmann, Bankier.

    • Helfer, Schullehrer.

    • Torf, Maler.

    • Hochmann,
    • Elegius Obenaus, Schriftsteller.

    • Grund, Amtmann,
    • Haller, Rentmeister,
    • Grünmann, Förster,
    • Hager, Amtspraktikant,
    • Rohr, Schulmeister,
    • Strenge, Richter, auf der Herrschaft Gemswalde.

    • Frau von Brigge, Witwe.

    • Karoline, ihre Tochter.

    • Schnapper, Frau von Brigges Freund.

    • Stürmer, Leutnant.

    • Glanzberg, Juwelier.

    • Madame Flor, Frau eines Malers.

    • Erster,
    • Zweiter , Offizier.

    • Martin Bull, Tischler.

    • Hanne, sein Weib.

    • Seine zwei Kinder.

    • Jaques,
    • Matthias,
    • Charles, Diener.

    • Offiziere, Jäger, Gäste, Bauern, Dienerschaft.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Christoph kommt aus der Tür rechts, noch in Hemdärmeln, Kleidungsstücke über dem Arm, Bürste und Ausklopfstäbchen in der Hand tragend. Während des Ritornells seines Entree-Liedes stellt er einen Kleiderstock in die Mitte und den Stuhl rechts usw.
Entree-Lied.

Das Schicksal ist ganz einem Buchhändler gleich,

Papier sind die Menschen – sein s' arm oder reich;

Sie sind leere Blätter bei ihrem Entstehn,

's ist anfangs die Farb' nur der Unschuld zu sehn;

Die erste Erziehung ist das Manuskript,

Die schon dem Papiere Bedeutsamkeit gibt,

Dann kommt es zum Buchhändler Schicksal ins Haus,

Sein Druck macht erst fertige Bücher daraus.


Die geistreichsten Menschen gehn oft so herum,

Kein Mensch auf der Welt aber kümmert sich drum,

So gibt es auch Schriften, die sehr geistreich sind,

Wozu grad' deshalb kein Verleger sich find't;

[3] Das dümmste Zeug prachtvoll oft aufgelegt wird;

Im Franzband, mit Goldschnitt dazu noch verziert,

So auch mancher Mensch, des Verstandes ganz bar,

Steigt herum illustriert als ein Prachtexemplar.


Während er die Kleider bürstet.

Ja, wenn man so eine Stellung in der Literatur einnimmt wie ich, wenn man nämlich Kolporteur einer bedeutenden Buchhandlung ist und sozusagen, den wichtigsten Einfluß auf die Verbreitung der deutschen Belletristik hat, da erkennt man die ungeheure Ähnlichkeit zwischen Menschen und Büchern. Die Jahre des Menschen gleichen der Seitenzahl von Büchern; bei guten Menschen und guten Büchern ist es einem leid, wenn es an die letzte Jahres- oder Seitenzahl geht; bei schlechten Menschen und Büchern dankt man seinem lieben Himmel, wenn sie gar sind. Die Fehler der Menschen haben, wie die Druckfehler der Bücher, ihren Grund darin, daß die Korrektur vernachlässigt ist. Ein mittelloses Mädchen gleicht einem Bande lyrischer Gedichte; man findet sie recht nett – recht gefühlvoll, aber es nimmt sie niemand ab und sie kommen ungelesen unter die Makulatur. Das Leben einer sitzengebliebenen Kokette gleicht einem Almanach; – ihr Angesicht ist das bemalte Titelblatt, worauf die Jahreszahl steht – im Innern findet man einen ganzen Namenkalender, ferner nicht sehr erfreuliche Sagen der Vorzeit und Gedichte von verschiedenen Mitarbeitern. Dagegen gleicht das Herz einer braven Frau einem Roman von vielen Teilen, alle voll Schönheiten und voll spannendem Interesse; – wenn man aber auch nur einen Teil davon leichtsinnig verliert, so hat [4] man das ganze wertvolle Werk verloren! – Die alten Weiber männlichen und weiblichen Geschlechtes gleichen schlecht redigierten Journalen; sie wissen immer eine enge Neuigkeiten, von denen aber die Hälfte erlogen ist, und kritisieren die ganze Welt, ohne zu bedenken, daß sie selber nicht einmal die mäßigste Kritik aushalten könnten.

2. Szene
Zweite Szene.
Christoph, Hochmann von links, dann Torf von rechts.

HOCHMANN
ebenfalls noch im Morgennegligé, öffnet sein Dachfenster.
Guten Morgen, Christoph – schon so zeitlich auf?
CHRISTOPH.
Leider!
HOCHMANN.
Warum leider? Morgenstund' hat Gold im Mund!
CHRISTOPH.

Wohl möglich; aber was nützt mir das Gold, wenn es im Munde der Morgenstunde und nicht in meiner Tasche ist?

TORF
öffnet sein Fenster auf der entgegengesetzten Seite.
Hahaha! Das Gold der Morgenstunde kannst du leicht auch in deinem eigenen Munde haben.
CHRISTOPH.
Wie denn?
TORF.
Du darfst nur bei Sonnenaufgang gähnen, so fällt das Morgengold dir ins Maul, hahaha!
HOCHMANN
lacht laut.
CHRISTOPH.

Na, hören Sie, bei meiner Nüchternheit wäre mir eine neugebackene Semmel lieber als so ein altgebackener Spaß.

HOCHMANN.

Schäme dich, ewig dieses Winseln um die Befriedigung leiblicher Bedürfnisse! Hast du denn gar keine Philosophie, um dich darüber zu erheben?

[5]
CHRISTOPH.
Ach, Himmel, für diese Leerheit meines Innern könnte nur eine philosophische Sekte mir Trost bieten.
HOCHMANN.
Und diese eine Sekte ist? –
CHRISTOPH.
Die Sekte der Materialisten.
TORF.

Hahaha! Na, laß gut sein, närrischer Kauz! Sollst dir heute einen guten Tag antun; wir lassen dich mit uns frühstücken.

CHRISTOPH.

Mit Ihnen? Für sich, auf beide Fenster deutend. Ein Literat und ein Künstler? Ich glaube kaum, daß ich mir bei diesem Frühstück den Magen verderben werde.

3. Szene
Dritte Szene.
Vorige. Robert Starr.

ROBERT
kommt von links.
TORF.
Ah, sieh da, Robert! Guten Morgen!
ROBERT.

Guten Morgen? Für einen armen Teufel gibt es keinen guten Morgen; für ihn gibt es auf Morgen nur einen Reim. Sorgen! –

CHRISTOPH.
O noch einen schönern – Borgen! –
HOCHMANN.

Pah! Wer wird schon so früh seinen Sorgen Raum geben! – Der aufgebende Sonnengott zerstreut alle Nebel, also auch die des Kummers.

ROBERT.

Ei, laßt mich mit dem Sonnengotte! – Er mahnt mich noch mehr an meine Armut, weil er das vollendete Bild eines herzlosen Reichen ist. Da fährt er in seinem goldenen Wagen stolzierend über den Himmelsbogen, weckt, wie ein Sklavenaufseher, die armen Erdensöhne aus ihren Betten und Träumen empor, zwingt sie zu ihrer Arbeit – preßt ihnen bittere Schweißtropfen [6] aus und geht dann wieder stolz lächend nieder, unbekümmert darum, wie viele grüne Blätter er vergilbt, wie viele schöne Blüten er bleich gesogen hat.

TORF.
Haha! – Es spricht schon wieder sein Urhaß gegen die Reichen aus ihm.
ROBERT.

Hab' ich vielleicht nicht Ursache, sie zu hassen? Diese Metallherzen, die ewig wieder nur durch Metall zu erweichen sind! – O ich habe sie kennen gelernt!

HOCHMANN.
Ihr? – wie so?
ROBERT.

Seht – mein Vater, ein armer Förster, sandte mich auf die Universität – ich verlegte mich mit Fleiß und Erfolg auf die Wissenschaften; aber plötzlich setzte der Tod meines Vaters meinem Streben ein Ziel. – Es hätte sich nur darum gehandelt, mir auf zwei Jahre einen dürftigen Lebensunterhalt zu sichern, so hätte ich meine Studien vollendet; aber da war niemand, der sich meiner angenommen hätte.

HOCHMANN.
Aber hattet Ihr denn gar keine Verwandte?
ROBERT.

Einen einzigen, es ist der Bruder meines Vaters, einer der reichsten Kaufleute in Frankreich, er war, wie mir erzählt wurde, schon seit lange feindselig gegen meinen Vater gesinnt, aber ich hoffte, er werde den Haß nicht auch auf den Sohn übertragen. – Ich schrieb an ihn – aber nicht einmal einer Antwort würdigte er mich!

TORF.
Aber tat denn der Gutsherr, in dessen Dienst dein Vater gestanden hatte, nichts für dich? –
ROBERT.

Ja, da kam ich erst an den Rechten; der empfing mich mit den hingeworfenen Worten: [7] »Sie sind? Sie wünschen?« Hörte kaum meine Bitte an und mit den Worten: »Es ist mir leid – aber ich kann nichts für Sie tun,« drehte er mir den Rücken zu und ließ mich stehen, der letzten Hoffnung beraubt. – Ich war gezwungen, meine Studien aufzugeben und, um nur leben zu können, die unbedeutende Stelle eines Buchhandlungskommis anzunehmen. Mein ganzes Leben ist dadurch ein verfehltes und nun fragt Ihr noch, warum ich die Reichen hasse?

HOCHMANN.
Nun, es werden doch nicht alle so gefühllos sein? –
ROBERT.

Alle – alle, weil sie sich gar nicht vorstellen können, was Not ist. Aber es sollte nur ein recht armer Teufel, der die ganze Schule der Entbehrungen selbst mitgemacht hat, dem aber das Herz aus dem rechten Fleck sitzt, so plötzlich recht reich werden, dann solltet Ihr schon sehen!

TORF.
Und der arme, reichwerdende Teufel möchtest wohl du sein? – Der Wunsch ist begreiflich.
ROBERT.
Beim Himmel, ich wünschte es weniger um meinetwillen – sondern –
HOCHMANN
ihm auf die Schulter klopfend und lachend leise ins Ohr sprechend.
Sondern um Henriettens willen –
ROBERT
überrascht.
Henriette!? Wie, Ihr wißt, – das heißt – wie kommt Ihr auf diese Vermutung?
HOCHMANN
lachend.

Hahaha! Da gibt es auch noch was zu vermuten! Närrische Leute, die Verliebten! Tragen ihr Verhältnis mit Lapidarschrift im eigenen Gesichte zur Schau und wähnen, es sei dennoch für die ganze Welt ein Geheimnis.

[8]
TORF.
Was, du willst es verheimlichen, daß du in die Tochter deines Prinzipals geschossen bist? Hahaha!
CHRISTOPH.

Aber ich bitte, diese Melodie singen je bereits unserm Herrn Nachbarn die Spatzen auf dem Dache, hahaha! Hochmann und Torf lachen mit.

ROBERT
verletzt.

Meine Freunde! Ihr mögt nun vermuten oder wissen, was ihr wollt doch ersuche ich euch, mit diesem spöttischen Gelächter einzuhalten. Wenn ihr mich nicht schonen wollt, so seid doch so gefällig, Henrietten zu berücksichtigen; denn gewiß, Henriette ist eine Blume, die –

4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Schlenkheim.
Schlenkheim ist schon während Roberts letzter Rede über die Treppe heraufgekommen, hat, von den Anwesenden unbemerkt, gehorcht und tritt nun mit Ingrimm hervor.

CHRISTOPH.
Der Herr Prinzipal –
ROBERT.
Ihr Vater!
SCHLENKHEIM
sich mit in die Seite gestemmten Armen vor Robert hinpflanzend.

Nun, fahren Sie doch fort – Sie waren ja eben im besten Zuge – nun also – Henriette ist eine Blume – nun – was stocken Sie denn wie ein Schuljunge beim Aufsagen eines Spruches?

ROBERT.
Herr von Schlenkheim –
SCHLENKHEIM.

Ja, sie ist eine Blume – haben Recht – aber eine in einem wohlgehüteten Garten stehende Blume und der Gärtner bin ich – verstanden? Und ich treibe jeden, der sich unberufen dieser Blume nähern will, zum Tore hinaus! Verstanden? – Frechheit!

ROBERT.
Herr von Schlenkheim –
[9]
SCHLENKHEIM.

Ich habe mich so tief herabgelassen, so hoch zu Ihnen hinaufzusteigen, um Sie vor dem Tribunal meiner väterlichen Autorität zur Rede zu stellen. – Also – man rede!

ROBERT.
Nun wohl – ich will sprechen!
SCHLENKHEIM.

Er will sprechen? Welche Frechheit! Sie wollen noch sprechen, anstatt mit dem Schweigen der tiefsten Beschämung in die Erde zu versinken?

CHRISTOPH.

Aber ich bitte Sie, Herr Prinzipal, wenn er da heroben am Dach versinkt, so kommt er ja gerad' ins Zimmer vom Fräulein Henriette –

SCHLENKHEIM.

Halt Er seine Speiseanstalt! Zu Robert. Was wollen Sie denn noch sprechen, was denn? Haben Sie nicht geschrieben Liebesbriefe an meine Tochter – welche Frechheit! Jetzt verteidigen Sie sich – hören Sie – ich fordere Sie auf – verteidigen Sie sich! –

ROBERT.
Gut – ich will mich verteidigen –
SCHLENKHEIM.

Will sich verteidigen – welche Frechheit! Gibt's da noch eine Verteidigung? So ein armer Schlucker, dem ich aus Barmherzigkeit dreißig Gulden Monatsgehalt dafür bezahle, daß er meine Bücher in möglichster Unordnung erhält, untersteht sich, das Herz meines Kindes, der einzigen Tochter eines Hunderttausendguldners, als ein Album zu betrachten, in das jeder Laffe seinen Namen hineinkritzeln kann! Wie konnten Sie sich so weit vergessen, daß Sie vergessen konnten, daß meine Tochter nie vergessen darf, wie hoch sie über einem Menschen Ihrer Kategorie steht. Wie konnten Sie sich unterstehen – ich frage – und will jetzt einmal Antwort haben – also – Antwort! –

[10]
ROBERT.
Meine redlichen Absichten –
SCHLENKHEIM.

Redliche Absichten? Welche Frechheit! Der Mensch hat so wenig Einsicht, daß er bei seinen Aussichten noch Absichten haben will! – Eine Absicht auf ein Mädchen mit hunderttausend Gulden nennt er eine redliche Absicht – welche Frechheit! Aber ich werde Ihnen jetzt sagen, welche Absicht ich habe. – Ich habe die Absicht, in das Herz meiner Tochter nicht, wie in ein Bauernhaus, Gemeine einquartieren zu lassen, sondern, wie in ein Palais, nur einen vom hohen Stabe – deshalb habe ich auch die Absicht, jeden unberufenen Eindringling hinauszuwerfen. – Ich habe ferner die Absicht, Ihnen augenblicklich Ihre Stelle aufzukündigen, Ihnen Ihren Gehalt auszuzahlen und Sie zu zwingen, heute noch dieses Haus zu verlassen. – Das sind meine Absichten, und das – verstehen Sie – das sind redliche Absichten! Und jetzt – Ihn barsch anfahrend. schweigen Sie und reden Sie nicht weiter!

ROBERT.

Herr von Schlenkheim, daß Sie hart gegen mich sind, kann mich nicht befremden; – denn Sie sind reich, ich arm. – Aber, daß Sie auch gegen Ihre einzige Tochter so grausam verfahren, daß Sie unerbittlich ihr Lebensglück zerstören –

SCHLENKHEIM.

Lebensglück? – Mit Ihnen!? Welche Frechheit! Lebensglück! Hahaha! Halten Sie eine Buchhändlerstochter nicht für eine solche Roman-Närrin, die nur von einem Herzen und einem Strohdache schwärmt! – Sie ist ein reiches Mädchen und folglich ein gescheites Mädchen, das sich wohl den Spaß machen kann, einen solchen[11] Habenichts vor sich girren zu sehen, aber nicht im Schlafe daran denkt, seine Narrheit zu teilen.

ROBERT.
Was? Herr! Das ist eine Lüge! –
SCHLENKHEIM.

Lüge?! Welche Frechheit! Wenn Sie glauben, ich gebe mir die Mühe, Sie blau anlaufen zu lassen, so nehmen Sie's hier Indem er die Briefe hervorzieht. schwarz auf weiß und werden Sie meinetwegen grün und gelb vor Galle! Hält ihm die Briefe hin. Hier sind Ihre Briefe – meine Tochter hat sie mir selbst gegeben und sich über Ihre Geckenhaftigkeit lustig gemacht.

ROBERT
im höchsten Schmerz.
Henriette – das konntest du tun?
SCHLENKHEIM
heftig.

Reden Sie nicht per du von meiner Tochter! – Frechheit! – Jetzt wissen Sie alles und ich will nichts mehr von Ihnen wissen – aus – alles aus!

5. Szene
Fünfte Szene.
Vorige. Doktor Sandel.

SANDEL
keucht die Treppe herauf.
SCHLENKHEIM.
Was seh' ich – Herr Doktor Sandel! Sie hier? Suchen Sie mich?
SANDEL.

Suche Sie zwar nicht, aber ist mir angenehm, Sie hier zu treffen. – Hier heroben soll ja einer ihrer Leute wohnen – ein Herr Robert Starr.

SCHLENKHEIM.

Ja, wohnt da – dort – Auf Robert deutend, welcher auf einen Stuhl gesunken ist und starren Blicks die Briefe betrachtet. Der auf den Stuhl Hingegossene!

SANDEL.
Der? Oh! Zieht den Hut ab und macht gegen Robert ein tiefes Kompliment.
[12]
SCHLENKHEIM.
Ich werde ihm aber bald den Stuhl vor die Tür setzen.
SANDEL.
Was? Dem? Stuhl vor die Tür setzen? Werden' nicht tun, Carissime! Werden's nicht tun!
SCHLENKHEIM.
Werd's tun – der Teufel soll mich holen! –
SANDEL.
Aber, warum denn – cur? – quomodo? quando?
SCHLENKHEIM.
Weil er sich unterfängt, redliche Absichten auf meine Tochter zu haben. Frechheit!
SANDEL.
Und deshalb – deshalb! – Carissime! Faßt ihn an der Hand und zieht ihn seitwärts.
SCHLENKHEIM.
Was haben Sie denn vor?
SANDEL.
Ich nichts; aber Sie haben einen ungeheuren Eselsstreich vor –
SCHLENKHEIM.
Eselsstreich? – Welche Frechheit!
SANDEL.

Wahrheit, Freund – Wahrheit! Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, welche Sie wollen, daß Sie, wenn ich jetzt gleich dieses Aktenstück Das Papier, welches er in der Hand hält, erhebend. laut vorlese, sich augenblicklich eigenhändig zwei wohlkonditionierte Ohrfeigen applizieren.

SCHLENKHEIM.
Was, Ohrfeigen? – Ich mir? Welche Frechheit!
SANDEL.

Würden's tun, Carissime! Würden's tun! Und ich sehe eigentlich nicht ein, warum ich Sie dieses Vergnügens beraube und nicht augenblicklich – Entfaltet das Papier und will in die Mitte treten.

SCHLENKHEIM
ihn zurückhaltend.
Aber warten Sie doch! Was ist denn das für eine Schrift?
SANDEL.

Jede Terminserstreckung kostet bei mir Geld und jede Konsultation noch mehr; – wollen Sie guten Rat von mir annehmen? Aber [13] wie gesagt, der gute Rat ist teuer, namentlich wenn man ihn bei einem Advokaten kauft.

SCHLENKHEIM.
Ich werde nicht klug aus Ihnen.
SANDEL.
Dafür bin ich Advokat.
SCHLENKHEIM.
Was wollen Sie mir raten?
SANDEL.

Hier ist nicht der Ort, aber wenn Sie wünschen, verfüge ich mich in Ihr Kontor hinab, bespreche mich alldort mit Ihnen und steige wieder herauf; natürlich zahlen Sie mir pro primo für die Unterredung selbst – pro secundo für den Weg hin und zurück den Wagen.

SCHLENKHEIM.
Was, den Wagen? Wollen Sie denn die Treppe hinab und herauf fahren?
SANDEL.
Tut nichts; – bei uns wird für jeden Gang ein Wagen aufgerechnet, dabei fahren wir am besten.
SCHLENKHEIM.

Welche Frechheit! – Aber Sie haben mich einmal stutzend und neugierig gemacht, – also kommen Sie in Teufels Namen!Hängt sich in seinen Arm; beide gehen die Treppe hinunter.

ROBERT
vom Stuhle aufspringend.

Da habt ihr wieder die Reichen! O daß ich auch von einem eichen Mädchen Liebe hoffen konnte, – daß ich nicht früher bedachte, daß der Reichtum der Karlsbader Quelle gleiche, welche alles, auch die zartesten Blüten, versteinert!

CHRISTOPH
zu Torf und Hochmann.

Meine Herren, er fängt an zu lamentieren! Ich glaub', das werden wir mit nüchternem Magen nicht vertragen können; denn wenn's auch wahr wäre, daß der Anblick zweier glücklich Liebenden ein Schauspiel für Götter ist, so ist doch gewiß der Anblick eines betrogenen Liebhabers ein Schauspiel, das selbst der Teufel auszischte.

[14]
TORF
zu Robert, ihm tröstend die Hand auf die Schulter legend.
Freund Robert! Nur keine Klagen über einen Verlust, der im Grunde doch ein Gewinn ist.
ROBERT.
Ein Gewinn? Du hast recht; wozu klagen? Ihr könnt meinen Schmerz doch nicht ermessen.
CHRISTOPH.

Ja, es geht mit dem Liebesschmerz wie mit dem Zahnschmerz; die Leut', die nicht dran leiden, betrachten ihn als ein ganz geringes Übel, aber der, der's selbst hat könnt' oft drüber wahnsinnig werden.

ROBERT.

Ich will auch um meiner selbst willen nicht klagen – ich will nicht mehr an sie denken – und ich bitte auch euch, erwähnt ihrer nicht mehr, sprecht kein Wort von ihr.

TORF.
Recht so – das ist vernünftig. – Also von etwas anderm!
CHRISTOPH.
Zum Beispiel vom Frühstück; – da können Sie Ihren Schmerz verbeißen.
TORF.

Ja, zum Frühstück – wir wollen es gerade heute in echter Garçonmanier recht fidel anstellen! – Ich will einen Beitrag dazu liefern, der am meisten dazu geeignet sein wird, unseres Freundes Grillen zu zerstreuen. Der Weinhändler Schwibs, an dessen Porträt ich eben arbeite, hat mir gestern drei Flaschen Bordeaux zum Präsent geschickt.

CHRISTOPH.

Wein? Bravissimo! Beim Wein denkt man sicher nicht an die Schwüre einer Geliebten, denn im Wein ist nur Wahrheit.

6. Szene
Sechste Szene.
Vorige. Schulmeister Helfer. Ein Bauer.

HELFER
kommt die Treppe herauf – ein Bauer mit einem Korbe folgt ihm; Robert erblickend.
Ah, da ist er [15] ja! Nun, weil ich dich nur zu Hause treffe – Robert – Vetter! Breitet die Arme aus.
ROBERT
erblickt ihn und eilt auf ihn zu.
Vetter Helfer – Gott zum Gruße! Seid Ihr wieder in der Stadt?
HELFER.

Ist denn je ein Monat vergangen, in welchem ich nicht in die Stadt gekommen wäre, und wär's auch nur, um dich wieder einmal zu sehen.

ROBERT.

Ja, ich weiß es, Ihr denkt immer in Liebe an mich – aber Ihr werdet müde sein? Kommt doch her – setzt Euch! Rückt einen Stuhl zurecht.

HELFER.

Warte nur ein wenig, mein Sohn! Warte! Du weißt ja – ich komme nie ganz leer zu dir. Geht zu dem Bauer mit dem Korbe zurück.

HOCHMANN
zu Robert.
Dies ist Euer Vetter?
ROBERT.
Ja, der Schulmeister aus demselben Orte, wo mein Vater als Förster angestellt war.
HELFER.

Da sieh her, Robert – ich habe dir ein bißchen von meiner eigenen Armut mitgebracht. Auspackend. Hier dieser Schinken von dem Schweine, das ich selbst aufgezogen habe.

CHRISTOPH
nimmt ihm den Schinken ab und beriecht ihn.
Ach, – der scheint Ihrer Erziehungskunde Ehre zu machen.
HELFER.
Und hier ein Stück Butter – ganz frisch – von meiner schwarzen Kuh –
CHRISTOPH.

Famos! Eine ganze Idylle spricht sich in der Butter aus – muß eine charmante Person sein, die schwarze Kuh!

HELFER.
Und da noch ein Laib Brot – leider konnte ich nicht mehr und nichts Besseres bringen. Der Bauer ab.
[16]
ROBERT.
Dank, herzlichen Dank, mein guter lieber Vetter!
CHRISTOPH
zu Helfer.

Freut mich außerordentlich, Ihre werte Bekanntschaft gemacht zu haben – ich bitte, wie ist der werte Name?

HELFER.
Ich heiße Helfer.
CHRISTOPH
auf die Speisen deutend.

Ach, sind mir durch Ihre Werke schon sehr vorteilhaft bekannt! –Zu den übrigen. Aber sehen Sie, meine Herren, da haben wir eben vom Frühstück gesprochen und nun, Tischlein deck' dich, da ist's! –

TORF
geht etwas zurück.
ROBERT.
Vetter, Ihr habt doch ein Stündchen Zeit?
HELFER.
Ich wohl – aber du – du wirst nicht Zeit haben für mich – wirst an dein Geschäft müssen.
ROBERT.
Geschäft, nein, Vetter, heute habe ich Zeit, solange Ihr wollt!
HELFER.
Nun – dann ist's gut – dann bleib' ich gern da – wenn die Herren nichts dagegen haben.
CHRISTOPH.
O ich bitte, so ein ausgezeichneter Mann –
ROBERT.
Frühstückt mit uns! – Gehen wir auf meine Stube!
TORF.

Wozu denn in die enge Stube? Hier heraußen auf der Plattform ist's bei weitem luftiger. – Wir tragen einen Tisch und Stühle heraus. Allons, rasch dran! Hochmann, hilf mit!


Er und Hochmann gehen in die Seitentüren ab, kommen aber gleich mit den Tischen und Stühlen heraus; dann bringen sie Teller und Bestecke, zuletzt Torf die Bouteillen.
HELFER
zu Robert.

Aber nun sage mir, Robert! Wie geht's dir denn immer? Bist du gesund? Dein Aussehen ist wenigstens gut. –

[17]
CHRISTOPH
bei Seite.
Ja – auswendig – auswendig ist er freilich gut gefärbt, – aber inwendig ist er sehr blaß. –
ROBERT
sich zur Heiterkeit zwingend.
O mir geht es gut – ganz gut – besonders – heute ist mein Herz viel freier!
HELFER.
Gerade heute? – Drückt dich sonst dein Herz?
ROBERT.

Hm! Ich hatte es verloren – aber heute habe ich es zurückerhalten. Mit Bitterkeit. O es geht nichts über redliche Finder!

CHRISTOPH.

Ja, wenn wertvolle Dinge verloren gehen, gibt sie ein redlicher Finder zurück; wenn aber ein Mensch das Wertvollste, sein Herz, verliert, so ist der Finder unredlich, der's wieder zurückgibt.

TORF
nachdem alles geordnet.
So, der Tisch ist gedeckt!
ROBERT
zu Helfer.
Nun kommt, Vetter! Setzt Euch neben mich!

Alle setzen sich.
CHRISTOPH.

Ich bin auch so frei; – ich war, wie ein Taufpate, schon früher eingeladen, als das Frühstück auf der Welt war.

HOCHMANN.
Ja, ja, Christoph! Sei du unser Ganymed und schenke ein!
CHRISTOPH.

Mit Wonne! Ich werde überhaupt die Hausfrau machen und aufschneiden; das kann ich trotz einem amerikanischen Journalisten. Schenkt die Gläser voll. So, und jetzt geben Sie den Schinken her! Auf den hab' ich eine eigene Passion!Schneidet den Schinken an, macht Butterschnitte, präsentiert sie usw.

TORF.

Das ist einmal so eine rechte Junggesellenwirtschaft, – es geht doch nichts drüber! [18] Sein Glas erhebend. Der Junggesellenstand hoch! – Stoß an, Robert!

ROBERT
stoßt schweigend an, leert das Glas und stützt dann, trüb gestimmt, sein Haupt in die Hand.
7. Szene
Siebente Szene.
Vorige. Schlenkheim.

SCHLENKHEIM
kommt wieder herauf, in seinem Wesen ganz verändert.

Ach sieh da, – die Herren sind beim Frühstück; nun, wohl bekomm's! Helfer erblickend. Auch ein Fremder hier? – Welche Frechh –

ROBERT.
Entschuldigen Sie, es ist mein Vetter!
SCHLENKHEIM.

Ihr Vetter? Sehr freundlich. Ach, freut mich sehr, die werte Bekanntschaft gemacht zu haben! Zu Helfer, welcher aufstand. O bitte, bleiben Sie sitzen, würdiger Mann, bleiben Sie sitzen! Von woher sind Sie, wenn ich fragen darf? –

HELFER.
Ich bin Schulmeister in Gemswalde. –
SCHLENKHEIM.

Ah – das ist ja – Zu Robert. Ihr Geburtsort; – also sind Sie Zu Helfer. wahrscheinlich auch der Lehrer dieses jungen Mannes? – Nun, dieser Schüler macht Ihnen Ehre. – Zu Robert. Nun, was sehen Sie denn gar so finster d'rein? Kommen Sie doch ein wenig näher, wenn ich bitten darf!

ROBERT
steht auf und tritt zu ihm.
Was haben Sie mir noch zu sagen, Herr von Schlenkheim?
SCHLENKHEIM.

Hahaha! Wie gespannt! Hahaha! Ist mir richtig aufgesessen! Hihihi! War doch ein guter Spaß das! Hahaha! Hat's wirklich geglaubt; hahaha, nun, nun – aber nur nicht böse sei. wollt' ja auch den Spaß nicht [19] zu weit treiben – bin ja deshalb gleich wieder herauf – also nicht böse sein – nicht wahr? Gemütlich. Die Hand darauf! Fast Roberts Hand.

ROBERT.
Nein – nein – ich bin gewiß nicht böse, aber sprechen Sie – ich beschwöre Sie –
SCHLENKHEIM.
Muß ja sprechen, bin Ihnen ja diese Genugtuung vor diesen Herren schuldig.
ALLE ANDEREN
sind vom Tische aufgestanden und näher getreten.
SCHLENKHEIM.
Sie müssen wissen, es ist heute mein Geburtstag.
CHRISTOPH
küßt ihm die Hand und spricht monoton, aber sehr rasch.
Glück und Segen, Gesundheit, langes Leben – wünsch' wohl gespeist zu haben!
SCHLENKHEIM.
Schweig, Esel!
CHRISTOPH.
Bitt' um Ihre fernere Freundschaft!
SCHLENKHEIM
mit einem affektiert gutmütigen Tone.

Also, es ist heute mein Geburtstag, und da kam mein Jettchen mir Glück zu wünschen, und da saßen wir denn so gemütlich beisammen und sprachen von meinem Alter, und von dem, was ich noch zu erwarten hätte, und ich sagte ihr, daß ich noch gar zu gern ein Paar Enkelchen auf meinem Schoße schaukeln möchte, und da fing mein Jettchen zu weinen an.

CHRISTOPH.
Weil Sie aber auch gleich die Enkeln paarweise verlangen!
SCHLENKHEIM.
Ich frage – ich dringe in sie – sage ihr sie wisse doch, was für einen Vater sie an mir habe –
CHRISTOPH.
Da wird sie noch mehr geweint haben!
SCHLENKHEIM.

Na – und da – da rückte sie endlich mit der Farbe heraus und gestand mir, [20] daßScherzend Robert in die Wange kneifend. der Tausendsappermenter da, sich ganz und gar in ihrem Herzen eingewurzelt habe, so daß, wenn man ihn herausreißen wollte, das ganze Herz mit darauf ginge.

ROBERT.
Sagte sie das? Sagte sie das wirklich?
SCHLENKHEIM.
Nun was denn sonst!
ROBERT.
Und Sie, Herr von Schlenkheim, Sie?
SCHLENKHEIM.
Ich war empört, wütend –
CHRISTOPH.
Da haben wir's.
SCHLENKHEIM.

Darüber empört – daß ihr eure Liebe so lange vor mir verborgen hieltet. »Was,« rief ich, »wie konnte mir der Robert das verheimlichen? Wovor fürchtet er sich? Glaubt er, ich wüßte seinen Verstand, seine Herzensgüte nicht zu würdigen? Warte,« sagte ich, »das soll er mir büßen, eine Viertelstunde Verzweiflung ist noch eine geringe Strafe« – und so – hahaha! Wie ich überhaupt ein Spaßvogel bin, ließ ich Sie erst einige Augenblicke zappeln, eh' ich meine Einwilligung gab.

ALLE
außer Robert, sehen ihn staunend an.
ROBERT.
Wie – Ihre Einwilligung? Und alles andere nur ein Scherz?
SCHLENKHEIM.
Ein Scherz – den Sie mir aber verzeihen – nicht wahr?
ROBERT.
O fragen Sie nicht – aber verzeihen Sie mir, daß ich noch an mein Glück nicht glauben kann.
SCHLENKHEIM.

Was – nicht glauben? Welche Frechheit – entschuldigen Sie – wie kindisch, wollt' ich sagen – – aber ich will sogleich alle Zweifel heben. – Zu den übrigen. Ich ersuche Sie, meine Herren, unsere gegenseitigen Zusagen anzuhören – um dieselben nötigenfalls als Zeugen [21] vor Gericht wiederholen zu können. Zu Robert. Ich ersuche also zuerst Sie, sich zu erklären: Ob es Ihr ernster Wille, Ihr unerschütterlicher Entschluß sei, meine Tochter zur Frau zu nehmen?

ROBERT.

Wenn es hier noch einer Beteuerung bedarf, so gelobe ich bei meiner Ehre, daß mich nichts glücklicher machen könnte.

SCHLENKHEIM.

Gut – gut – und ebenso gebe ich hiemit mein feierliches Ehrenwort, daß ich der freien Wahl meiner Tochter nie und unter gar keinem Verhältnisse ein Hindernis in den Weg legen will.Zu den übrigen. Haben Sie's gehört, meine Herren?

ALLE
bejahen es.
CHRISTOPH.
Mit den besten Ohren!
SCHLENKHEIM
zu Robert.

Nun – sind Sie jetzt zufrieden? Was? Nun wollen wir aber auch gleich ein Glas auf das Wohl meines Eidams leeren. – Sie erlauben Geht zum Tische, nimmt ein Glas und besieht den Wein. Nein, der tut's nicht – nur Champagner ist der rechte Freudenwein. – Christoph!

CHRISTOPH.
Befehlen?
SCHLENKHEIM
zieht ihn etwas bei Seite.

Geh hinab, der Johann soll einige Bouteillen Champagner in den Eiskübel setzen und sie heraufbringen.

CHRISTOPH.
Mit Entzücken! Will fort.
SCHLENKHEIM.

Noch eins! Leise. In meinem Bureau wartet der Advokat Dr. Sandel; – sag' ihm, jetzt könne er mit meiner Tochter auch herauf kommen, es sei alles in Ordnung!

CHRISTOPH.

Gut – gut – der Champagner – das Fräulein Tochter und der Advokat sollen heraufkommen in Eiskübeln. Ab.

[22]
HELFER
zu Robert.

Siehst du, Robert, der Mensch soll nie verzagen, und wenn der ganze Himmel schwarz umzogen ist – auf einmal zerreißen die Wolken und die Sonne sieht wieder freundlich herein.

8. Szene
Achte Szene.
Vorige. Dr. Sandel. Henriette. Christoph. Johann mit den Champagner-Bouteillen.

CHRISTOPH
welcher vorauseilt.

Herr Prinzipal – hier Auf Dr. Sandel weisend. ist das Fräulein Tochter, – Auf Henrietten. hier der Advokat und hier Auf Johann zeigend. der Champagner, damit keine Irrung geschieht.

ROBERT
eilt auf Henrietten zu.
Henriette! Sie hier?
HENRIETTE.
Der Vater hat befohlen –
SCHLENKHEIM.
Ja, und das Herz hat gezogen.
CHRISTOPH.

Ja, wenn das Herz zieht, ist's freilich leicht herauf zu kommen; denn das Herz ist das stärkste Lokomotivon

ROBERT
Henrietten umschlungen haltend.
Henriette – darf ich denn an das namenlose Glück glauben? Sie mein – wirklich mein?
DR.

SANDEL. Über Mein und Dein zu verhandeln, ist eigentlich unsere Sache und daher erlauben Sie, Herr von Starr, daß ich mir die Ehre gebe, mich Ihnen selbst vorzustellen. Ich bin Advokat Sandel,juris utriusque Doctor – Punctum!

ROBERT
sieht ihn erstaunt an.
Und Sie wünschen?
SANDEL.
Ihnen Glück!
ROBERT.
Ich danke Ihnen, aber ist dies der einzige Grund Ihres Hierseins?
SANDEL.

Nequaquam! Wichtigeres steckt noch im Hintergrunde – das Wichtigste! Sie [23] werden wissen, daß Ihr Herr Vater einen Bruder hatte?

ROBERT.

Jawohl, den ich aber nie kennen lernte – es wurde mir erzählt, daß er am Tage der Hochzeit meines Vaters plötzlich verschwand.

HELFER
welcher mit Aufmerksamkeit zugehört hatte, tritt hinzu.

Ja, davon weiß ich zu erzählen.Zu Robert. Deine Mutter war nämlich ein so schönes Mädchen, daß beide Brüder sie liebten; als sie aber deinem Vater den Vorzug gab, entbrannte der Abgewiesene in Haß gegen seinen Bruder, nahm einen Posten bei einem Kaufmann in Frankreich an und reisete, ohne Abschied zu nehmen, dahin ab.

SANDEL.
Nach Marseille – er wurde dort einer der reichsten Kaufleute.
HELFER.
Ja, das haben wir erfahren; aber mit seinem armen Bruder wollte er sich nie wieder versöhnen.
SANDEL.

Er scheint diesen Haß später bereut zu haben und an seinem Totenbette ist der Engel der Versöhnung gestanden.

HELFER UND ROBERT
zugleich.
An seinem Totenbette?
SANDEL.
Er ist vor einem Monat gestorben.
HELFER UND ROBERT
zugleich.
Gestorben?!
SANDEL.
Und hier Auf ein Papier weisend. sein Testament.
ROBERT.
Sein Testament?
SANDEL.
Er hinterließ ein Vermögen, welches alles in allem über zwei Millionen beträgt.
ROBERT.
Zwei Millionen!
SANDEL.

Es folgt hiebei Wieder auf das Papier deutend. eine genaue Spezifizierung desselben und der Universalerbe –

[24]
ROBERT UND HELFER.
Der Universalerbe –?
SANDEL.
Sind Auf Robert weisend. Sie!
ROBERT
zuckt anfangs sprachlos zusammen und steht starr und betäubt; dann langt er hastig nach dem Papiere – hält es mit zitternden Händen und ruft.
Ich – wirklich ich? – Und beginnt zu wanken.
ALLE
drängen sich an ihn und sind bemüht, ihn zu unterstützen.
CHRISTOPH
trägt schnell einen Stuhl herbei.
Ist's vielleicht gefällig, in Ohnmacht zu fallen?
ROBERT
sinkt erschöpft auf einen Stuhl.
SCHLENKHEIM.

Um Himmelswillen! Es ist ihm unwohl – nur jetzt noch nicht sterben! Henriette, labe ihn doch – er ist ja noch nicht dein Mann! – Bringt Essig!

CHRISTOPH
mit einer Bouteille Champagner.
Vielleicht tut's der Wein auch.
HELFER
sinkt von der Hauptgruppe etwas entfernt auf die Knie, erhebt andächtig die Hände und den Blick zum Himmel, mit halblauter, gepreßter Stimme.

Das Glück ist da, ich habe den Augenblick noch erlebt – Himmel! Ich danke – ich danke dir! Jetzt weiß ich, daß alles, was geschehen ist, dir recht war – mein Robert ist glücklich! Aufstehend und zu Robert eilend. Mein guter lieber Robert! Es hat dich zu stark gepackt – ich bitte dich, erhole dich – wie ist dir denn?

ROBERT
sich erholend.
Es ist nichts – mir ist wohl – ganz wohl –
CHRISTOPH.
Ich glaub's – mit zwei Millionen unwohl sein – wäre gar dumm!
ROBERT.
Aber noch kann ich's nicht fassen – nicht denken.
CHRISTOPH.
Denken ist ganz überflüssig mit zwei Millionen.
[25]
ROBERT.
Dieses Glück, das meine kühnsten Träume überragt, ist es denn wirklich? Wirklich? –
SANDEL.

Es ist eben so wahr und wirklich, als Sie selbst sind, denn wie Sie aus dem Testament ersehen, wäre nur für den Fall, daß Sie nicht mehr am Leben sein sollten, der Großhändler Toßmann, bei welchem Ihr seliger Onkel zuerst konditionierte, oder dessen rechtmäßige Kinder die Erben; – nun sind Sie aber am Leben –

CHRISTOPH.
Und er wird jetzt erst recht zu leben anfangen, als Zwillionär.
SANDEL.

Also duldet das Testament keinen Einspruch, der unermeßlich Reichtum muß Ihnen eingeantwortet werden.

ROBERT.

Reichtum! Welcher Quell des Segens liegt in diesem Worte! Ich bin reich, Freunde, hört es – ich bin reich!

HOCHMANN.
Und sind somit jetzt selbst einer derjenigen, die Sie immer verachteten.
ROBERT.

Ja, ich bin jetzt ein Reicher, aber ich will nicht sein wie die Reichen. Ich will nicht mein Vermögen in toller Jagd nach schnöden Genüssen verschwenden; nicht wähnen wohltätig zu sein, wenn die Brotkrume, die von der überladenen Tafel fällt, geringschätzend den Armen zugeworfen wird, will mich nicht verschanzen gegen den Besuch des Unglücklichen. Mein Haus soll, wie die Kirche, jedem Bittenden offen stehen; ja, ich will selbst die Träne aufsuchen, die der Kummer im Verborgenen weint, ich will das Verbrechen hindern, indem ich der Not steuere, ich will den Hemmschuh lösen, welchen das Bedürfnis so oft den tüchtigsten Talenten anlegt, [26] ich will nur glücklich sein, indem ich Glückliche mache.

SCHLENKHEIM
Henrietten zu Robert führend, mit erheuchelter Rührung.

Vor der Hand machen Sie nur Ihre Braut glücklich – deren Schicksal ich vertrauensvoll in Ihre Hände lege.

ROBERT
Henrietten umarmend.

Meine Braut! Jetzt erst macht mich dein Besitz ganz glücklich, weil ich dem Engel sein Paradies bieten kann! Zu den übrigen. Und ihr – ihr meine Freunde! Was steht ihr so fern von mir? Kommt, teilt meine Freude, wie ich mein Glück mit euch teilen will. – Zu Torf eilend und seine Hand fassend. Torf! Deine Sehnsucht ging immer dahin, Italien, die Wiege der Kunst, und ihre Schatzkammer Rom zu besuchen; du sollst die Reise machen – ich bestreite die Kosten – und Ihr, Hochmann! – Wie oft klagtet Ihr, daß die Mühsal des Erwerbens Eure Phantasie lähme; – von nun an sollt Ihr schreiben, wie Euch der Genius gebietet – und Ihr Zu Helfer eilend. mein lieber, guter Vetter – Ihr sollt Eure alten Tage nicht länger mit dem beschwerlichen Unterricht blöder Bauernkinder zubringen – Ihr sollt jeder Sorge überhoben, bei mir und stets in meiner Nähe bleiben! Bemerkt Christoph, welcher sich demütig nähert. Nun – und du, lustiger Christoph! Hast du keine Bitte –?

CHRISTOPH.

Eine unsinnige! – Euer Exzellenz! Eure Millionärheit! – Ich wünsche gar nichts, als in Ihre Dienste zu kommen – auf Ehre! Ich will Sie bedienen, wie Sie sich gar keinen Begriff machen können.

ROBERT.
Nun, diese Bitte sei dir gewährt!
[27] Beinahe zugleich.
CHRISTOPH.
Heißa, ich bin ein Millionärbedienter.
HOCHMANN.
Meine Muse ist frei.
TORF.
Ich reise nach Italien.
HELFER.
Ich bleibe bei meinem Robert.
SCHLENKHEIM.

Dieser Ausbund von Edelmut, der gleich in der ersten Stunde seine ganze Umgebung beglückt – ist mein Eidam! Jetzt, meine Herren, die Champagnergläser zur Hand!

JOHANN
präsentiert allen die Gläser.
SCHLENKHEIM.
Auf das Wohl des Millionärs, auf das Wohl des Brautpaars – sie leben hoch!
ALLE
die Gläser erhebend.
Hoch! Hoch!
CHRISTOPH.
Mein Gehalt! Hoch!
ALLE
mit Robert anstoßend.
Auf das Gedeihen Ihres Glückes!
ROBERT
ein Glas erhebend.
Auf das Ende fremden Unglücks!

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Mehrere Diener in glänzender Livree. Christoph im eleganten schwarzen Frack, dann Helfer.

CHRISTOPH
mit den Dienern beschäftigt.

Feierlich! – Nur recht feierlich! Zu einigen. Ihr stellt euch an den Haupteingang – Zu den andern. ihr stellt euch an die Treppe – ihr andern verteilt euch in die verschiedenen Gemächer des Palastes –

HELFER
kommt eilig herein.
Ah, da sein Sie ja Herr Christoph!
[28]
CHRISTOPH
flüchtig grüßend.

Servus! – – Servus!Zu den Dienern. Nun, was steht ihr noch da – hab' ich nicht gesagt – ihr sollt euch in den Zimmern verteilen.


Alle Diener gehen nach verschiedenen Richtungen bis auf einen, welcher unentschlossen stehen bleibt.
CHRISTOPH
zu selbem.

Nun, Tölpel, warum verteilst denn du dich nicht auch Marsch! Es kommen heute eine Menge unbekannte Leute hieher; – gebt also wohl acht, daß nichts von dem Silberzeug wegkommt.


Die Diener ab.
HELFER.
Ist es wahr, ist mein Robert schon zurück?
CHRISTOPH.

Robert? Robert? Spricht man denn von Leuten, wie mein gnädiger Herr ist, nur so per Robert? – Feierlich. Der gnädige Herr Robert von Starr, Grund- und Gutsherr auf Gemswalde, beliebten gestern von ihrer Reise glücklich und im besten Wohlsein hier anzukommen.

HELFER.
Also ist er gesund? Hat ihm die weite Reise gut angeschlagen?
CHRISTOPH.

Nun ja, eine solche Reise, die man nur unternimmt, um eine Erbschaft von zwei Millionen in Empfang zu nehmen, wird schlecht anschlagen!

HELFER.

Ein so glückliches Alter hätte ich kaum zu hoffen gewagt. – Robert hat mich bereits in den Stand gesetzt das Lehramt verlassen zu können; – und nun werde ich immer und immer um ihn sein können – er wird auf meinen Rat hören.

CHRISTOPH.

O weh! Immer und immer wollen Sie raten! – Schauen Sie, Herr Schulmeister – das können Sie bleiben lassen; – denn wissen Sie, reiche Leute verlangen gewöhnlich nur einen Rat, um ihn entweder nicht zu befolgen oder [29] um, wenn die Sache doch nicht nach Wunsch geht, jemanden zu haben, auf den sie die Schuld wälzen können. – Aber still – ich höre kommen – er ist es selbst – ein Millionär naht – die Natur feiert eine große Pause!


Er tritt etwas zurück.
2. Szene
Zweite Szene.
Robert kommt mit Hochmann und Torf durch die Mitte.

ROBERT.

Welch angenehme Überraschung, daß ihr, meine Freunde, die ersten seid, die mich hier auf meiner neuen Besitzung empfangen; seid mir herzlich willkommen!

HOCHMANN.

Ihr Aussehn ist vortrefflich; – die wenigen Monate, welche Sie in Ihren Erbschaftsangelegenheiten in Frankreich zubrachten, haben Sie merkwürdig verändert. Sie kommen mir fast wie ein anderer Mensch vor –

ROBERT.

Bin auch ein anderer, lieber Freund, bin ein ganz anderer. Im Wesen des Menschen spiegelt sich immer das Bild ab, als welches ihm das Leben entgegentritt, und das Leben ist wie ein Tautropfen; es zeigt sich bald wie eine Träne, bald wie ein glühender Funke, bald wie ein glänzender Demant, je nachdem der Beschauer den Standpunkt verändert. So erging's mir auch; – matt und farblos, wie trübes Gewässer erschien mir mein Leben früher, jetzt erkenne ich es als schäumenden Feuerwein.

HELFER
hervortretend.
Robert!
ROBERT
an seinem Halse.
O mein lieber Vetter!
HELFER.
Du nennst dein jetziges Leben einen Feuerwein – hüte dich nur vor dem Berauschtwerden.
[30]
ROBERT.
Um mich davor zu wahren, seid ja ihr in meiner Nähe.
CHRISTOPH.
Ihre Ermahnungen werden den Feuerwein gewiß wässern.
ROBERT.

Ich habe mir schon so meinen Lebensplan gemacht. – Ich habe dieses Gut gekauft und will mir hier meine kleine Welt gründen. Hier kann ich nicht nur Gutes üben, ich kann auch die Früchte meines Wirkens gedeihen und reifen sehen. – Christoph!

CHRISTOPH.
Befehlen Euer Gnaden?
ROBERT.
Sind die Beamten meiner Herrschaft bereits versammelt?
CHRISTOPH.
Schon seit einer Stunde.
ROBERT.
Ich lasse sie ersuchen, herüber zu kommen.
CHRISTOPH
ab.
HOCHMANN.
Nun werden wir uns entfernen.
ROBERT.

Nicht doch, liebe Freunde, bleibt bei mir, ihr stört mich nicht. Tritt zu dem Tische seitwärts, Torf, Hochmann und Helfer stellen sich hinter ihn.

3. Szene
Dritte Szene.
Vorige. Amtmann Grund. Rentmeister Haller. Förster Grünmann. Mehrere Jäger. Schulmeister Rohr. Amtspraktikant Hager. Ortsrichter Strenge. Mehrere andere Beamte und einige alte Bauern, sämtlich festlich gekleidet, treten durch die Seitentür, welche von zwei Dienern geöffnet wird, ein; auch die übrige Dienerschaft des Schlosses versammelt sich im Hintergrunde des Saales. Christoph kommt mit und stellt sich zu Torf und Hochmann.

GRUND
tritt, nachdem sich alle andern im Halbzirkel aufgestellt und geordnet haben, feierlich vor, räuspert sich und beginnt.
Gnädiger Herr!
[31]
ROBERT
fällt ihm in die Rede.

Lieber Herr Amtmann! Ich bin im vorhinein überzeugt, daß Sie in Ihrer Rede mir alle möglichen guten Eigenschaften eines Gutsherrn beigelegt haben, und ich will daher diese gute Meinung alsogleich wenigstens zum Teil rechtfertigen. Ich mache Ihnen daher bekannt, daß ich Sie alle in Ihren bisherigen Ämtern oder Diensten beibehalte. Da ich aber weiß, daß die Besoldung unter dem früheren Besitzer nicht im Verhältnis zu Ihrer Bemühung stand, und dies manchen auf Abwege führen könnte, so sichere ich von heute an sämtlichen Beamten das Doppelte von dem, was sie bisher bezogen haben, zu.


Sämtliche Beamten verneigen sich tief.
AMTSPRAKTIKANT HAGER
stoßt verzweiflungsvoll einen Seufzer aus.
O Himmel! Drückt das Sacktuch vor die Augen.
ROBERT.
Was ist denn dem alten Manne? –
GRUND
zu Hager.
Unverschämter! –
ROBERT
zu Hager.
Treten Sie vor! – Wer sind Sie?
HAGER.

Seit fünfundzwanzig Jahren – Prakti kant, und habe noch gar keine Besoldung bezogen; und nun – nun sichern Euer Gnaden mir das Doppelte von dem zu, was ich bisher bezogen habe – das halt' ich nicht aus.

ROBERT.
Fünfundzwanzig Jahre umsonst gedient??!! – Herr Amtmann – ist denn der Mann gar nicht brauchbar?
GRUND.
O ja, er ist recht sehr brauchbar, aber Achselzuckend. ein Raisonneur!
HAGER.
Raisonneur!? Wenn etwas in mir raisonnierte, so war's mein Magen.
[32]
ROBERT.

Ich sehe ein, daß es in Ihrer Lage schwer hält, zufrieden zu sein; – Sie treten von heute an in den Bezug eines Gehaltes.

HAGER
küßt Roberts Hand.

Dank! Tausend Dank, gnädiger Herr! O Wonnegedanke, ich habe einen Gehalt! Jetzt kann ich vielleicht sogar noch heiraten! Eilt ab.

CHRISTOPH.

's ist merkwürdig! – Wie so ein Mensch angestellt ist – denkt er gleich ans Heiraten und doch sagt das Sprichworts: Wem der Himmel ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.

ROBERT
zu Rohr.
Sie sind der neue Schulmeister des Orts?
ROHR.
Euer Gnaden untertänigst aufzuwarten.
ROBERT.

Sie betracht' ich als den Wichtigsten unter allen meinen Beamten und Sie sollen deshalb auch in jeder Beziehung so gestellt sein, wie der erste derselben.

ROHR
will Roberts Hand küssen.
Gnädiger Herr!
ROBERT
seine Hand zurückziehend.

Keine Demütigung! Es hat mich immer empört, zu hören, daß derjenige, der Pferde oder Jagdhunde dressiert, besser bezahlt wird als der, der aus rohen Bauernjungen Menschen bilden soll! – Ich will deshalb eine Ausnahme machen. Sich zum Förster wendend. Mit Ihnen, Herr Förster, werd' ich am meisten im Verkehr sein; – ich verstehe noch von meinem Vater her etwas von der Forstwirtschaft und liebe die Jagd. Suchen Sie den Holz- und Wildstand reich zu erhalten und seien Sie meiner Erkenntlichkeit versichert!

CHRISTOPH
zu Torf leise.
Das ist der einzige Beamte, der um so besser bezahlt wird, je mehr Böcke er zu stande bringt.
[33]
ROBERT.
Und nun Ihr, Richter, und ihr Ältesten und Geschwornen der Gemeinde!
CHRISTOPH
mit komischem Pathos.
Hört, hört!
ROBERT.

Ich erkläre sämtliche Rückstände für getilgt und verzichte für das nächstkommende Jahr auf alle Gibigkeiten. Ich selbst werde den Feld- und Weinbau stets im Auge haben und trachten, daß alle neuen Erfindungen im Gebiete der Ökonomie schleunigst auf meinem Gute in Anwendung gebracht werden. Verkündet dies der ganzen Gemeinde und sagt zugleich, daß ich für jeden, den irgend ein Unglücksfall heimgesucht hat, stets zugänglich und bemüht sein werde, nach besten Kräften jedem zu helfen. Lebt alle wohl!

ALLE
fallen ein.

Es lebe unser gnädigster Herr! Hoch! Hoch! Alle entfernen sich, von unten herauf wiederholt der Chor der Bauern diesen Ruf mit Begleitung von Trompeten und Pauken.

ROBERT
geht zum Fenster und winkt grüßend mit der Hand hinab.

Abermaliges Vivatrufen, welches sich noch später wiederholt.
4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Ein Diener.

DIENER
meldend.
Herr von Toßmann.
ROBERT.

Ah – der Bankier, mit welchem ich in Angelegenheiten meines Vermögens zu sprechen habe. – Zu dem Diener. Ich lasse bitten! Zu den übrigen. Liebe Freunde, nun muß ich euch ersuchen, mich auf einige Augenblicke mit dem Manne allein zu lassen. Sucht euch indes die Zeit so gut als möglich zu verkürzen.

CHRISTOPH.

Wenn Sie vielleicht die Schönheiten des Schlosses vom Grund aus kennen lernen und[34] zugleich eine geistige Unterhaltung haben wollen, so fangen wir gleich beim Schloßkeller an. Zu Helfer. Können auch mitgehen, Herr Schulmeister! Sie finden dort einen verwandten Geist, den von Anno 97. Ab mit Helfer, Torf und Hochmann.

5. Szene
Fünfte Szene.
Robert. Toßmann.

TOSSMANN
tritt während des Vivatrufes ein.
Was ist das für ein Geschrei? – Sind doch fast scheu geworden meine Pferde.
ROBERT
ihm entgegengehend.
Herr von Toßmann ich danke Ihnen, daß Sie meiner Einladung so freundlich nachkommen.
TOSSMANN.
's ist eigentlich zu wundern, – denn ich sollte Sie als meinen Feind betrachten.
ROBERT.
Warum dies?
TOSSMANN.

Weil Sie leben! Sie wissen doch, daß Ihr seliger Onkel in unserem Großhandlungshause konditionierte und deshalb in seinem Testament für den Fall, daß Sie nicht mehr am Leben wären, sein ganzes Vermögen uns vermachte. –

ROBERT.
Ich begreife! – Indes, was ist zu tun – ich lebe nun einmal!
TOSSMANN.

Nun ja – Ihr Leben ist – sozusagen – ein fait accompli! – Sie sind durch diese Erbschaft einer der reichsten Männer der Stadt geworden und es ist mir daher sehr angenehm, mit Ihnen in freundschaftlichen Verkehr zu treten.

ROBERT.
Dann habe ich nur zu bedauern, daß ich Ihre Freundschaft nur meinem Reichtume zu verdanken habe.
[35]
TOSSMANN.

Je nun – man wird doch nur der Freund eines Menschen seiner guten Eigenschaften wegen und man kann nicht leicht eine bessere Eigenschaft besitzen als zwei Millionen; denn Geld ist alles und alles ist nichts ohne Geld. – Wollen Sie sprechen vom Verstand? – Geld ist Verstand; denn wenn jemand Geld hat, arbeitet er mit fremden Köpfen, wenn er selbst keinen hat. Wollen Sie sprechen von Stärke? – Geld ist Stärke; denn nur wer keines hat, muß bei den meisten Gelegenheiten sagen: das übersteigt meine Kräfte. – Oder wollen Sie gar sprechen von Tugend? – Geld ist Tugend; denn die meisten Vergehen werden begangen aus Mangel an Geld und es gibt so wenig Tugend unter den Leuten, weil es gibt so wenig Geld unter den Leuten. – Oder wollen Sie endlich sprechen von Macht? – Nu sehen Sie, es war eine Zeit, wo nur allein eine tüchtige Faust, ein eiserner Harnisch, ein gewaltiges Schwert Macht war; dann ist gekommen eine Zeit, wo man glaubte, nur ein großer Geist sei eine große Macht und jetzt ist gekommen eine Zeit, wo Geld ist die größte Macht! – Aber man muß auch verstehn, diese Macht zu gebrauchen; und das, nehmen Sie mir's nicht übel, das verstehn Sie noch nicht.

ROBERT.
Wie können Sie dies wissen?
TOSSMANN.

Es ist klar! Um zu wissen, was Geld ist, muß man von Kindheit auf gelernt haben, zu arbeiten mit Geld. Sie aber, – verzeihen Sie mir, Sie sind ein Neuling; – Sie kommen mir vor wie ein Mensch, der in seinem Leben noch nicht einmal hat geschossen aus einer Schlüsselbüchse und der nun auf einmal gestellt [36] wird zu einer großen Batterie von Kanonen mit einer Menge Kugel und Pulver und soll damit eine Festung verteidigen. – Was wird er tun? – Er weiß nicht zu laden – nicht zu zielen; er wird zerstreuen nutzlos das Pulver oder er wird gar die eigene Festung in die Luft sprengen, statt zu schießen gegen den Feind.

ROBERT.

Es mag sein, daß ich die Gebarung mit großen Summen noch nicht recht verstehe; darum eben ließ ich Sie bitten, mir Ihren Rat zu erteilen.

TOSSMANN.

Sie haben schon zu viel getan ohne meinen Rat. – Sie haben das Gut hier gekauft viel zu teuer; – es wird Ihnen wenig tragen. Auch haben Sie, wie ich eben hörte, den Bauern alle Rückstände nachgelassen; – was haben Sie davon? Daß die Kerls Vivat schreien? – Hm, das hätten Sie billiger auch haben können; solche Leute schreien um ein Glas Wein auch Vivat!

ROBERT.

Ich kaufte dieses Gut auch weniger, um Gewinn zu haben, sondern es war so eine Lieblingsidee von mir. –

TOSSMANN.

Ein kluger Mann muß bei der jetzigen Zeit keine andere Lieblingsidee haben, als die, sein Geld zu vermehren.

ROBERT.
Vermehren? Wozu? Ich habe genug!
TOSSMANN.

Was – Sie haben genug? Was ist das für eine leichtfertige Rede! Wie der tugendhafte Mensch noch immer zu sündhaft ist, so ist der reichste Mann noch immer zu arm; und wie der leiseste noch immer sagen muß: ich weiß zu wenig, muß der Reichste noch immer sagen: ich habe zu wenig. – Aber es scheint Ihnen der Spekulationsgeist zu fehlen; das hab' ich gemerkt aus Ihrem ersten Offert.

[37]
ROBERT.
Aus welchem Offert?
TOSSMANN.

Sie wollen Ihr bares Geld sicher anlegen; da trägt es vier Prozent – da wird sich das Kapital nie vermehren. – Wenn Sie sich aber einließen in großartige Unternehmungen – mit Ihrem Vermögen können Sie dies – so würden Ihre Millionen fruchtbar werden und wieder gebären Millionen. – Sie würden erst Bedeutung bekommen in der Welt; denn, glauben Sie mir, nur Geld haben, heißt noch nichts anderes als ein schönes Schwert in der Scheide tragen; wer aber mit Geld arbeitet, der steht da wie ein gewaltiger Krieger auf dem Schlachtfelde mit gezogenem Schwert; die Schwachen flüchten sich hinter ihn, die Starken fürchten ihn und er allein entscheidet die Schlacht.

ROBERT.
Nun, so weisen Sie mich auf irgend eine große Unternehmung hin, bei der ich mich beteiligen kann.
TOSSMANN.

Ich will Sie zuerst von einer Unternehmung abhalten, bei der Sie zu Schaden kommen. – Sehen Sie, die Heirat, die Sie da vorhaben – diese Heirat mit der Buchhändlerstochter, das ist das schlechteste Geschäft, was Sie nur machen können.

ROBERT
verletzt.

Ich dachte auch nie daran, meine Heirat als Geschäftssache zu betrachten; ich gehöre nicht zu jenen Verächtlichen, welche den Traualtar zur Krämerbude machen.

TOSSMANN
ohne aus seiner Ruhe zu kommen.

Was wollen Sie? – Die ganze Welt ist eine Krämerbude, wo jeder sein Gut so vorteilhaft als möglich an den Mann zu bringen sucht; – der erste sein Talent – der zweite seine Stärke, die [38] dritte ihre Schönheit und Tugend. Wer auf diesem Lebensmarkte irgend ein Gut umsonst hergibt, der ist ein Verschwender, wer aber sein größtes Gut, seine Freiheit an ein Weib verschenkt, der ist ein Wahnsinniger; nehmen Sie mir's nicht übel.

ROBERT.

Die Liebe aber scheinen Sie gar nicht in Betracht zu ziehen, oder Sie wissen gar nicht, was Liebe ist!

TOSSMANN.

Nun ja – das weiß ich sehr wohl; – die Liebe ist ein angenehmer Rausch – im Rausche soll man aber nichts Wichtiges unternehmen, folglich soll man das Wichtigste, eine Heirat, auch nicht aus Liebe schließen.

ROBERT.
Und warum, meinen Sie, soll man denn überhaupt eine Ehe schließen?
TOSSMANN.

Es gibt nur eine vernünftige Ursache, wenn man aus Vernunft heiratet, das heißt: um seinen Reichtum zu vermehren; und das sollten Sie auch tun. – – Ich wüßte eine sehr vernünftige Partie für Sie –

ROBERT.
Für mich?
TOSSMANN.

Eine Verwandte von mir, eine junge, sehr kluge Witwe, die es bewiesen hat, daß sie versteht, aus Vernunft zu heiraten. – Ihr erster Mann war achtzig alt, aber er starb ein halb Jahr nach der Hochzeit und hinterließ ihr ein Vermögen, welches dem Ihrigen beinahe gleichkommt. – Sie kennen diese Dame – Frau von Goldheim –

ROBERT.

Goldheim! Ach ja, ich entsinne mich, ich hatte vor einem Jahre ungefähr in ihrem Hause wegen der Zusammenstellung einer Bibliothek zu tun –

[39]
TOSSMANN.
Richtig; – sie erzählte mir davon.
ROBERT.
Und auf diese Dame sollte ich damals schon Eindruck gemacht haben?
TOSSMANN.

Ich sage Ihnen, sie ist eine Verwandte von mir und eine kluge Frau und Sie – Sie waren damals ein armer Kommis – wie werden Sie Eindruck gemacht haben auf sie? – Aber jetzt – jetzt, glaub' ich, würden Sie Eindruck machen; – sie will sich wieder vermählen – aber vernünftig!

ROBERT.

Vernünftig – das heißt. wir sollen aus unsern beiden Geldkassen eine machen und uns gegenseitig als Fasson des Metalls hinnehmen. Ich gestehe, ich kann mich zu diesem Grade von Vernunft nicht hinaufschwingen –

TOSSMANN.
Dann sind Sie noch nicht so vernünftig als Ihre gegenwärtige Braut –
ROBERT.
Wie meinen Sie das?
TOSSMANN.
Sind Sie überzeugt, daß diese Sie nicht bloß Ihres Reichtums wegen zum Manne nimmt?
ROBERT
pikiert.
Das bin ich. Sie liebte mich, als ich noch arm war –
TOSSMANN.

Nun ja – sie liebte Sie; – aber hätte sie Sie auch geheiratet, wenn Sie arm geblieben wären? Lieben kann man bald jemanden!

ROBERT.
Sie suchen vergeblich solche Zweifel in mir zu wecken. –
TOSSMANN.

Ich will dadurch Ihnen nur geraten haben, sich mit dieser Mariage nicht zu sehr zu übereilen; prüfen Sie sorgfältig, und wenn Sie Grund finden, dieses Verhältnis zu lösen, so gratulieren Sie sich. Denn sehen Sie, die Liebe ist wie ein überseeischer Wein und die Ehe ist der Äquator; wenn der [40] Liebeswein diesen passiert, so bricht er sich leicht und dann haben Sie die wertlose Ladung am Bord! – Aber Gold, mein Freund! Gold bleibt unter allen Himmelsstrichen Gold – und vier Millionen sind besser als zwei Millionen. – Also, ich werde indes Ihren Besuch anmelden bei der Frau von Goldheim.

ROBERT.
Ich trage kein Verlangen –
TOSSMANN
mit zusammengedrückten Augen zuversichtlich lachend.

Sie werden meine Worte überlegen; und ich sage Ihnen, ich melde vor der Hand Ihren Besuch an. Ich empfehle mich Ihnen.Ab.

ROBERT.

Der Mann hat mich ernst gemacht – er sprach nur Ansichten aus, die ich stets verwerflich fand – und doch – in mancher Beziehung hat er recht.

6. Szene
Sechste Szene.
Robert. Christoph.

CHRISTOPH
tritt ein.

Euer Gnaden, die Nachricht, daß Sie jeden Unglücklichen anhören und ihm helfen wollen, hat sich sehr schnell im ganzen Orte verbreitet und sehr viele Unglückliche gemacht.

ROBERT.
Wie das?
CHRISTOPH.
Der ganze Vorsaal wimmelt schon von Unglücklichen!
ROBERT.

Sie kommen zur guten Stunde! – Die Lust am bloßen Besitze des Geldes, welche dieser Geldmensch in mir erweckte, soll ersterben in der schöneren Lust, es zu Wohltaten zu verwenden. Lasse jeden einzeln vor!

CHRISTOPH
öffnet die Tür und winkt herein zu kommen.
Ihr dort, Alter! Ihr seid am längsten da – Ihr dürft herein kommen.
7. Szene
[41] Siebente Szene.
Vorige. Martin Bull.

MARTIN
tritt ein und gafft mit offenem Munde die Verzierungen des Saales an.
Ah! –
CHRISTOPH
steht an der Tür und somit neben dem Eintretenden.
MARTIN
sich auf die andere Seite wendend.
Ah!
CHRISTOPH.
Nun wer A sagt, muß auch B sagen; dort ist der gnädige Herr, sprecht mit ihm! Deutet auf Robert.
MARTIN
sieht Robert an, geht einige Schritte näher, wendet sich dann halb gegen Christoph, mit dem Kopfe beifällig nickend.
Ah!
ROBERT
hat sich indessen gesetzt und winkt Martin vorzutreten.
Nun, mein lieber Alter, was führt Euch zu mir?
MARTIN.

O Gott! »Lieber Alter.« Sich zu Christoph wendend. Lieber Alter – haben S' es gehört, daß so ein vornehmer Herr mit unser ein'm gar so familiär und niederträchtig redt, das macht ein'm 's Herz ordentlich butterweich. – Zu Robert. O mein lieber, lieber gnädiger Herr! Sie sind doch einmal ein guter Mensch – und das tut ein'm so wohl – o mein, o mein! Die Leut' sein alle gar so bös.

ROBERT.
Wer hat Euch denn gar so böse behandelt?
MARTIN.

Alle, gnädiger Herr, alle! – Schaun S', Euer Gnaden, ich bin eigentlich ein g'lernter Tischler – bin der einzige im ganzen Ort, aber ich kann mir nichts verdienen.

ROBERT.
Wie kömmt das?
MARTIN.

Weil die Leut' gar so bös sein. – Schaun Euer Gnaden, da ist d'roben der Holzhandler, [42] der hat mir anfangs, gleich wie ich ins Dorf kommen bin – 's nötige Holz auf Puff geben – ich weiß nit, ob so ein vornehmer Herr versteht, was »auf Puff nehmen« is.

CHRISTOPH.
Seid unbesorgt, Alter; das »auf Puff nehmen« verstehen mitunter auch sehr vornehme Leute. –
MARTIN.

Na, alsdann – der Holzhandler hat mir also 's Holz auf Puff geben und i hab' fleißi g'arbeit' – o Gott! Wieviel Holz hat der an mich abg'setzt – er hat gar keine bessere Kundschaft g'habt; – aber der undankbare Kerl kommt auf einmal und fragt mich, was 's denn mit'n Zahl'n wär'? – Wissen Euer Gnaden! Ich war ihm schon 50 fl. schuldig – und 50 fl. von einem Handwerker zu begehren, das ist doch g'wiß nit schön!

ROBERT.
Wollte er denn ganzen Betrag auf einmal?
MARTIN.

Ah na! So pfiffig war er schon; – teilweis, hat er g'sagt, sollt' ich ihm's zahl'n – so 5 fl.-weis – aber so g'scheit bin ich auch, daß 10 Mal 5 fl. auch 50 fl. sein, und 50 fl. kann ich nit entbehr'n und darum hab' ich ihm's a nit zahl'n können –

ROBERT.
Nun, was tat er?
MARTIN.
Er hat mir nix mehr geb'n; sehn S', so böse Leut gibt's.
ROBERT.
Nun, was habt Ihr darauf gemacht?
MARTIN.

Nix mehr hab' ich machen können – ich war a g'schlagener Mann. Und die andern Leut' hab'n mich auch so bös behandelt; – da ist die Gemeind'wirtin – bei der is auch was auf der Tafel g'standen und sie hat g'wußt, daß [43] ich mir nichts mehr verdien', daß ich nit bezahl'n kann; – da laßt mir die Person nichts mehr einschenken – kein Pfiff Wein mehr. – O das Weib is a Bisgurn! – Und der Herr Amtmann – man soll zwar über seine Obrigkeit nit schimpfen, aber der Mann weiß a nit, was Armut ist – das is a böser – böser Mann! –

ROBERT.
Was hat Euch denn der Amtmann getan?
MARTIN.

Weil ich den Zins für meine Hütten nit zahl'n kann – schon seit drei Jahren peinigt er mich darum – hat er mir jetzt aufg'sagt, Euer Gnaden, was sagen Sie dazu?

ROBERT
aufstehend.

Ich sage, daß Euer Unglück mir durchaus nicht unverschuldet erscheint. Ihr scheint ein liederlicher Patron zu sein. Ich sehe übrigens ein, daß Ihr in der gegenwärtigen Lage Euch nicht aufhelfen könnt –

MARTIN.
Na, das g'freut mich, daß Euer Gnaden doch noch die Einsicht haben.
ROBERT.
Ich will also einen Versuch machen, ich will Euch aufhelfen.
MARTIN.
Na, dös is a Red'! –
ROBERT.
Der Zins soll Euch geschenkt sein.
MARTIN
die Achsel zuckend.
Na, das wär' schon all's eins; zahlt hätt' ich ihn eh' nit. –
ROBERT.
Ich will Eure Werkstatt mit dem Nötigen versehen lassen; – Ihr sollt Holz bekommen.
MARTIN.

Du lieber Himmel! Mit'n Holz allein ist's nit g'holfen; – ich brauch' Spän. Mit der Pantomime des Geldzählens.

ROBERT.

Und zum neuen Betriebe des Geschäfts – sollt Ihr auch 50 fl. erhalten. Ich will Euch auch Arbeit verschaffen.

[44]
MARTIN.
O ich bitt', Euer Gnaden, bemühen Sie sich nicht zu viel – wegen der Arbeit ist's nicht so dringend.
ROBERT.

Aber ich werde mich nach Eurem Tun und Treiben oft erkundigen; ich will sehen, ob Ihr Euch meiner Wohltat wert zeigt.

MARTIN.
Sie sollen sehen, ich werde ein neuer Mensch!
CHRISTOPH.
Tut das! – Und wißt Ihr was? Nehmt vorzüglich an der Wirtin Rache.
MARTIN.
Rache? Ja, das tät' ich schon gern; aber wie denn?
CHRISTOPH.
Indem Ihr gar nicht mehr ins Wirtshaus geht.
MARTIN
sieht ihn lange an.

Gar nicht mehr?! Nein, die Rache wäre zu rachsüchtig, – dazu bin ich zu viel guter Kerl; na – das tu' ich nicht! –

ROBERT
lachend.
Na, geht – geht nun!
MARTIN.

Ich küss' die Hand, Euer Gnaden! Geht, bleibt aber wieder stehen. Euer Gnaden, – haben S' die 50 fl. vielleicht g'rad' bei Ihnen?

ROBERT
zu Christoph.
Gib ihm das Geld!
CHRISTOPH
zieht die Brieftasche heraus und gibt Martin eine Banknote.
Hier!
MARTIN.

So! Jetzt bin ich ruhig! Küss' die Hand!Die Banknote betrachtend, für sich. Fünfzig Gulden – 's ist auch noch nicht das Wahre; – aber 's ist doch was! Hätt' mir aber schon mehr vermut't, hätt' mir mehr vermut't! Ab.

ROBERT.
Jetzt lasse die übrigen vor!

Christoph öffnet die Tür.
8. Szene
[45] Achte Szene.
Vorige, Frau von Brigge und Karoline beide anständig, aber einfach gekleidet, treten ein.

CHRISTOPH
noch an der Tür.
Darf ich um den Namen bitten?
FRAU VON BRIGGE.
Frau von Brigge.
CHRISTOPH
verdutzt.

Frau von, – ja – ich bitt' – gnädige Frau – Sie entschuldigen schon – aber der Herr hat diese Stunde bestimmt, um nur die Unglücklichen zu hören; – oder sind vielleicht die gnädige Frau auch ein Bettelweib?

FRAU VON BRIGGE.
Ich bin eine Unglückliche – eine verschämte Arme.
CHRISTOPH.
Eine Verschämte! So! Und Auf Karolinen deutend. ist das vielleicht auch eine verschämte Arme?
FRAU VON BRIGGE.
Es ist meine Tochter.
CHRISTOPH
sie wohlgefällig betrachtend.
Wenn ich mein Herr wäre, die dürfte schon etwas unverschämt sein.
ROBERT
sich nun erst umwendend.
Wünschen Sie mit mir zu sprechen?
FRAU VON BRIGGE UND KAROLINE
treten gesenkten Hauptes vor.
Frau von Brigge seufzt und sieht sich nach Christoph um.
ROBERT
gibt Christoph einen Wink, sich zu entfernen.
CHRISTOPH
für sich.
Sie seufzt mich hinaus. – Aha! 's ist wegen der Verschämung! Ab.
FRAU VON BRIGGE
mit gepreßtem Tone.

Herr von Starr! Sie glauben nicht, wie unendlich schwer – wie sauer mir dieser Schritt wurde; aber mein Unglück – der Ruf Ihres edeln Herzens – mein Muttergefühl! Ach!

[46]
KAROLINE
tut desgleichen.
ROBERT.
Wer sind Sie? –
FRAU VON BRIGGE.

Ich bin die Witwe eines herrschaftlichen Beamten ohne Pension, dies meine Tochter; – unsere gänzliche Armut zwingt uns, hier auf dem Lande zu wohnen und uns von unserer Händearbeit kümmerlich zu ernähren; – wir gönnen uns kaum den Schlaf, – und doch reichte unser Fleiß nicht hin, uns schuldenfrei zu erhalten. Ach!In Aufregung Roberts Hand fassend und mit ihm seitwärts tretend. Herr von Starr, ich wurde einem Manne schuldig, welcher, wie ich nun erst erkenne, mit einem Blicke auf Karoline. unsere Not benützen will! Herr von Starr! Begreifen Sie die Verzweiflung einer treusorgenden Mutter! Retten Sie mich – retten Sie die Ehre meiner Tochter- o Himmel, o Himmel! Will, heftig weinend, zu seinen Füßen stürzen.

ROBERT.

Madame, – ich begreife Ihren Schmerz und achte Sie deshalb! – Weisen Sie den Mann mit seiner Forderung an meinen Kassier; er soll befriedigt werden.

FRAU VON BRIGGE
trotz Roberts Widerstreben, seine Hand an ihre Lippen drückend.

O Rettungsengel! – Schutzgeist der Unschuld! – Zu ihrer Tochter. Linchen – Linchen, – komm hieher; – danke diesem edlen Menschenfreunde! Ach! Du kannst es noch nicht fassen, wie unendlich viel er für dich getan hat!

KAROLINE
will auch Roberts Hand küssen.
ROBERT
selbe zurückziehend.
Lassen Sie das liebes Kind; es freut mich, Ihrer Not abhelfen zu können.
FRAU VON BRIGGE
drückt seine Hand an ihre Brust und blickt zum Himmel.

Ach, daß die Sprache so arm ist – aber – der oben sieht in mein Herz; – er allein kann Ihnen vergelten! – Zu Karolinen. [47] Komm, meine Tochter, komm! Nach langer Zeit sollst du heute deine Mutter wieder heiter sehen! – Geht mit Karoline fort, wendet sich aber an der Tür nochmals mit einem seelenvollen Blicke gegen Robert, deutet mit der Hand gen Himmel, dann ab.

ROBERT.
Ja, nur in solchen Augenblicken lernt man das Glück des Reichtums schätzen.
9. Szene
Neunte Szene.
Vorige, dann Elegius Obenaus.

CHRISTOPH
tritt ein.
Euer Gnaden!
ROBERT.
Was ist's?
CHRISTOPH.

Da steht ein Mensch draußen, der alle anderen über die Achsel ansieht und der mir nicht seinen Namen nennen will, weil der, wie er sagt, zu groß wäre, um von den Lippen eines Knechtes ausgesprochen zu werden. – Ich bitt', Euer Gnaden! – Ich – Knecht!! Ich hab' ihn schon wollen eigenhändig zum Fenster hinauswerfen suche aber pflichtgemäß erst um die hohe herrschaftliche Bewilligung an.

ROBERT.
Sei kein Narr; ich will sehen, was der Mann will, – laß ihn vor!
CHRISTOPH
öffnet die Tür und spricht hinaus.
Der Herr mit dem unaussprechlichen Namen!
ELEGIUS OBENAUS
in einem abgeschabenen Flausrocke, mit langen herabhängenden Haaren, wild verwachsenem Schnurr- und Knebelbart, einen Knotenstock in der Hand, tritt mit stolz zurückgeworfenem Haupte ein.
Servus!
ROBERT.
Was wünschen Sie von mir?
ELEGIUS
tritt vor und fixiert Robert.

In Ihren Zügen liegt so viel Geist, daß ich hoffe – Sie werden mich auch verstehen. Ich heiße Elegius Obenaus!

[48]
ROBERT.
Und sind?
ELEGIUS
erstaunt.

Was? – Ich sage Ihnen, ich heiße Elegius Obenaus – und Sie fragen mich: »Und sind?« – O Deutschland! Deutschland! – Warum müssen in deinen Gauen Genies geboren werden, um unerkannt unterzugehen! Doch fasse dich, erhabene Seele; großen Männern ziehen die Schmerzen nach – wie hohen Bergen die Gewitter! Heftig. Herr – haben Sie meine Gedichte unter dem Titel »Leuchtkugeln« nicht gelesen, nicht gierig verschlungen?

CHRISTOPH.
Nein, wir haben Ihre Leuchtkugeln noch nicht genossen.
ROBERT.
Also – Sie sind Dichter, lyrischer Dichter?
ELEGIUS.

Dichter, so nannte man uns einst, in jener dunklen Zeit, wo selbst der Begabte durch nichts zum Liede begeistert wurde als durch ein Rauschen des Waldes, durch ein girrrndes Tauben- oder Menschenpaar. – Doch jetzt ist's anders, höhere Interessen nehmen die Lyra in Anspruch; – jetzt holen wir uns Begeisterung aus den Reskripten der Kabinette aus den Noten der Ministerien – aus den Artikeln der »Augsburger Allgemeinen«; jetzt sind wir nicht mehr sentimentale Troubadours, jetzt sind wir Weltverbesserer und unsere Lieder leuchtende Kometen!

CHRISTOPH.
Aha! Darum ist, wie bei den Kometen, der äußere Dunstkreis immer größer als der innere Kern!
ROBERT.
Also – ein politischer Dichter?
ELEGIUS.
Ja, einer von denen, von welchen Deutschland allein Heil zu hoffen hat.
CHRISTOPH.
Armes Deutschland!
[49]
ELEGIUS.

Wir sind die Verbesserer der Staatenpolitik; – von uns aus geht das Licht; – unser Streben geht dahin, den Völkern zuerst ihre fade Zufriedenheit, diese Mutter der Lethargie, zu nehmen.

ROBERT.
Und was geben Sie ihnen dafür?
ELEGIUS.
Das wissen wir noch nicht, aber das findet sich schon!
ROBERT.
Was haben Sie aber bei mir anzusuchen?
ELEGIUS.

Ich komme nicht in meinem Interesse, sondern in jenem der gesamten Menschheit. – Gönnen Sie deshalb dem Dichter ein freies Wort! Sie lassen den Bauern die Abgaben nach, Sie beschenken die Armen mit Geld, um sich Brot zu kaufen; – Sie bedenken aber nicht, daß bereits die Zeit gekommen ist, wo körperlicher Hunger das kleinste Übel ist.

CHRISTOPH.
Gegen diese Ansicht legt mein Magen Protest ein.
ELEGIUS.

Jetzt hungern die Geister; diesen muß Nahrung geboten werden, und Licht ist diese Nahrung – dieses aber geht von uns aus – den Erkornen, den Berufenen! – Deshalb sollten wir aber auch, wie einst die Druiden und Barden, auf Kosten des Landes erhalten werden.

CHRISTOPH.

Sein Sie ruhig, junger Mann, bei Ihren Gesinnungen dürfte Ihnen eine Versorgung in einem Staatsgebäude nicht ausbleiben.

ELEGIUS.

Ich mache Ihnen einen Vorschlag! – Befreien Sie mich von den Lebenssorgen – machen Sie Ihr Schloß zum Musensitze, indem Sie mir einige Zimmer einräumen, mich mit echtem deutschen eine zum deutschen Liede begeistern [50] und mir noch einen kleinen Jahresgehalt von ein paar hundert Dukaten auswerfen. Ich will Sie dafür mit mir unsterblich machen, indem ich Ihren Namen in einer Widmung meinem nächsten Buche vorsetze.

ROBERT.

Ich danke Ihnen für diese Unsterblichkeit; aber – wenn ich mich schon wie der Zaunkönig auf den Rücken eines Adlers setzen wollte, um mit ihm zur Sonne zu fliegen, so müßte ich ihn doch früher als Adler erkannt haben.

ELEGIUS.
Und erkennen Sie mich nicht als solchen?
ROBERT.

Ihre Dichtungen sind mir noch nicht bekannt; aber die ganze Richtung, welche in neuerer Zeit die lyrische Poesie genommen hat, halte ich für eine verfehlte, eine verwerfliche. Ich wünsche hier nicht mißverstanden zu werden; ich achte den tüchtigen politischen Schriftsteller, welcher, durchdrungen vom Gefühle des Rechts, in klaren Worten zu seinem Volke spricht; aber diese sogenannten politischen Liedermacher tragen alle den Schild für das Allgemeine und dahinter steckt doch nur der Egoismus, welcher für sich wohlfeile Lorbeern ernten will. – Sie prunken mit ihrer Gesinnung, um den Preis derselben zu erhöhen, wenn sich ja ein Käufer findet – sie lärmen und poltern vor dem Hause – und sind die friedlichsten Gäste, wenn man sie im Hause füttert. Sie wollen das Ruder des Staatsschiffes lenken und sind doch, wenn man sie auf den unbedeutendsten Posten setzt, die unbrauchbarsten Beamten. – Dies ist meine Ansicht – und darum werde ich auch nie zur Beförderung eines solchen Getriebes beitragen.

[51]
ELEGIUS.
Also – Sie tun nichts für ein verkanntes Genie?
ROBERT.
Die verkannten Genies sind es eben nur darum, weil sie sich selbst verkennen!
ELEGIUS.
Herr – Sie sind hart gegen einen Armen!
ROBERT.
Wenn Sie sich mir als Armer vorstellen, werde ich es nicht sein.
ELEGIUS.

Nun – ich denke – so Auf seine Kleidung deutend. spricht sich der Wohlstand eben nicht aus; – mein Rock gibt Kunde von den Stürmen des Schicksals und Mit dem Stock auf seine Stiefel weisend. meine Fußbekleidung klagt offen über die Rauheit der Lebenswege.

CHRISTOPH
neigt sich zu seinen Füßen hinab.
Sie! Mit diesen Stiefeln werden Sie schwerlich bis zur Unsterblichkeit gehen können!
ROBERT
im verweisenden Tone.

Schweige, Christoph – Seine Börse herausziehend und sie Elegius in die Hand drückend. Nehmen Sie indes und wenden Sie künftig Ihren Fleiß einem ernsteren Berufe zu! – Kann ich Ihnen dazu behilflich sein – mit Freuden; – es dürften sich bei mir selbst bald Erledigungen von Stellen ergeben –

ELEGIUS
plötzlich wieder stolz.

Nichts davon, mein Herr! Meine Armut kann nie so groß sein, daß sie mich zwingen könnte, den Pegasus als Ackergaul zu vermieten; und wenn ein Dichter auch als Bettler vor Ihnen erscheint, so ist er doch noch immer zu groß, um Raum in einer Ihrer Schreibstuben zu finden. Leben Sie wohl – ich verlasse Sie! Geht gegen die Tür, kehrt aber wieder um. Könnten Sie mir nicht einige echte Havannazigarren mitteilen?

[52]
CHRISTOPH.
Nein – aber spanische können Sie draußen bekommen.
ELEGIUS.
Danke! Für sich. Das sind ein Paar kannibalische Philister! Ab.
CHRISTOPH
ihm nachsehend.
Und Roß und Reiter sah man niemals wieder! Euer Gnaden! Ist Ihnen nicht leid um Ihre Geldbörse?
ROBERT.
Hm! Ich betrachte es, als hätt' ich ein Almosen ans Irrenhaus abgegeben.
10. Szene
Zehnte Szene.
Vorige. Helfer.

HELFER
kommt eilig herein.
Robert! Robert! Geschwind – deine Braut ist soeben mit ihrem Vater angekommen!
ROBERT.
Henriette! Wo ist sie?
HELFER.

Ich habe sie sogleich in den Trakt des Schlosses, welcher, wie ich hörte, für sie als deine Frau bestimmt ist, geführt.

ROBERT.
Ich eile sogleich, sie zu begrüßen. Will fort.
CHRISTOPH.
Aber, Euer Gnaden! Die Leute im Vorzimmer –
ROBERT.
Bestelle sie auf morgen; jetzt muß ich dem Wunsche meines eigenen Herzens genügen. Ab mit Helfer.
11. Szene
Elfte Szene.
CHRISTOPH
allein.

Die große Wohltätigkeit meines Herrn tut mir nicht sehr wohl; – ich werd' auf diese Art den ganzen Tag Bettelvogt sein müssen; – es geniert mich bedeutend. – Aber kann ichs ändern? Ein Mensch in so subordinierter [53] Stellung, wie ich, kommt überhaupt in tausend Gelegenheiten, wo er sich gern eine Änderung ausbitten möchte – aber – es bleibt doch alles beim alten.


Couplet.


1.

Statt daß man den Kindern das Deutsche gut lehrt,
Krieg'n sie in der Wieg'n schon d' französ'sche Grammaire,
Und jetzt g'hört das Englische auch zum bon ton,
D' Mama lernt's und z'gleich ihr zweijähriger Sohn,
Der tut sich mit »Yes« und »Good morning« schon plag'n,
Doch auf deutsch kann er nicht »liebe Mutter« noch sag'n,
Hätt' ich so ein' englische Närrin im Haus,
Da bittet ich höflichst eine Änderung mir aus.

2.

Vereine hab'n's Tierreich jetzt sicher gestellt,
Daß kein Tier wie ehmals wird nutzlos gequält –
Doch sieht man, wie d' Menschen sich gegenseitig quäl'n,
Da ließ sich noch mancher Verein zusamm'stell'n;
Betracht't man die Wuch'rer mit hundert Prozent –
Die noch schlechter die wuchern mit fremdem Talent
Und den Leuten die Seel' aus dem Leib zieh'n heraus,
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

[54] 3.

Betracht't man jetzt Werke der Architektur,
Vom Stil edler Einfachheit gar keine Spur;
Da schnörkeln s' herum, patzen ein Ornament
Auf's and're, daß man sich fast nimmer auskennt.
Und griechische Säul'n, got'sche Fenster hernach,
Und dann als Hauptzier ein windschelches Dach;
Wenn ich da was d'rein z'reden hätt' bei so einem Haus,
Ich bittet mir höflichst ein' Änderung da aus.

4.

Sitzt man im Waggon auf der Eisenbahn drin
Und 's Lokomotiv keucht so langsam dahin,
Kaum kommt es in Lauf und man denkt: na jetzt geht's,
Da ist a Station wieder – und darum schon steht's;
Hier füllt man bedächtig frisch' Wasser erst ein
Und dort steigen biergefüllt Menschen hinein –
Es lacht so ein'n Train jeder Zeiselwag'n aus,
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

5.

Es wird eine Vorstellung wo annonciert,
Da heißt's: es sind Logen und Plätz' pränum'riert;
Man bitt't den Verkäufer: ach nur einen Sitz –
»Unmöglich!« schreit der – und kommt völlig in d' Hitz –
»Und wenn Sie mein Bruder wär'n – 's ist nichts mehr da!«
Darauf zeigt man ein'n Taler – da sagt er: »Na ja –
Weil Sie's sein – so suchen Sie sich halt was aus!« –
Jetzt da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

[55] Repetition:


Es sind für Fiaker jetzt Taxen bestimmt,
Daß keiner im Fordern sich stark übernimmt,
Doch kommt man im Regen beim Theater heraus
Und sagt zum Fiaker: »Führ' um d' Tax' mich nach Haus!«
Da schaut er ein'm an, über d' Achsel so nur
Und sagt ganz verächtlich: »Ich hab' schon a Fuhr!«
Was nutzt da die Tax', man richt't nichts damit aus,
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

Von ein'm fremden Theater kommt ein Mitglied daher,
Der Direktor führt höflich ihn frei ins Parterre –
Dort stellt er sich auffallend vorne gleich hin,
All's, was er da singen hört, ist z'schlecht für ihn:
»Hier kann man kein' Oper hör'n,« sagt er ganz laut;
»Das ist ganz was anders, bei uns dort ang'schaut!« –
Nimmt ein Freibillet sich so a Freiheit heraus,
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

Wenn man sein Kaffee z' trinken ins Kaffeehaus geht,
So möcht' man doch wissen, was in d' Zeitungen steht –
Doch da sitzt oft einer, der nie was verzehrt,
Doch alle Journale für sich gleich begehrt –
Zwei hält er in der Hand – unter jed'n Arm drei,
Und buchstabiert so, daß gar keine wird frei,
Und um gar kein' Preis laßt er eine Zeitung da aus –
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

[56]
Man geht in ein Gasthaus, da geht's recht nett her,
A recht hübsche G'sellschaft, daß all's z'frieden wär',
Der Wirt ein charmanter, gesprächiger Mann,
Den Gentlmen sieht man von weitem ihm an.
Doch wie es am Abend geht, so geg'n elf Uhr,
Da kommt mit dem Besen dem Kellner sein Bua
Und kehrt mit dem Staub auch die Gäst' fast hinaus,
Da bitt' ich mir höflichst eine Änderung aus.

Ab.
Verwandlung.
Ein anderes, ebenfalls sehr elegant eingerichtetes Gemach im Palais.
12. Szene
Zwölfte Szene.
Schlenkheim. Doktor Sandel.

SCHLENKHEIM.
Nehmen Sie doch Vernunft an! –
SANDEL.

Ein Advokat ist nicht dazu da, Vernunft anzunehmen, sondern um seine Vernunft andern gegen bares Geld zu leihen; und davon habe ich von Ihnen noch nichts gesehen.

SCHLENKHEIM.
Aber haben Sie nicht meine Zusage, sobald die Sache in Ordnung ist –?
SANDEL.

Eine Zusage ist noch nicht bares Geld und »Traue niemandem!« ist der oberste Grundsatz eines tüchtigen Rechtsfreundes!

SCHLENKHEIM.
Welche Frechheit – mir – mir nicht trauen –!
13. Szene
Dreizehnte Szene.
Vorige. Robert.

ROBERT
tritt während der letzten Rede ein.
SANDEL.

Ihnen am wenigsten! Ich habe Ihnen schon einmal einen sehr wesentlichen Dienst erwiesen,[57] wofür Sie mir ungeheure Erkenntlichkeit versprachen, aber diese bestand immer nur in Worten. Ich habe Ihnen zu wissen gemacht, welch ungeheurer Schicksalswechsel dem Herrn von Starr bevorstehe, und Ihnen geraten, umzusatteln, damit der reiche Freier nicht entgehe. Und was hab' ich davon? – Nichts – gar nichts – für solches Honorar mag der Teufel Advokat sein!

SCHLENKHEIM.
Aber lieber Doktor, noch ist ja gar nichts geschehen?
SANDEL.

Was – noch nichts geschehen? Soll nicht heute schon der Ehekontrakt unterschrieben werden? Ist das nichts geschehen?

SCHLENKHEIM.
Nun ja und der Ehekontrakt, den Sie mir eben vorgelesen haben, ist auch ganz gut.
SANDEL.

Was, ganz gut? Ein Meisterwerk juridischer Schlauheit ist's! – Ist der verklausuliert! – Schlingt sich da nicht ein Paragraph in den andern so wunderbar zu einem Netze, aus dem er gar nicht mehr heraus kann, sobald er ihn unterfertigt hat?

SCHLENKHEIM.

Nun ja, und sobald dieser Kontrakt vom Herrn von Starr unterschrieben ist, soll Ihnen, wie ich Ihnen bereits zugesagt habe, ein Honorar von 5000 Gulden werden.

SANDEL.

Aha! Post festum – wann ich selbst nichts mehr ändern kann? – Sie sind nicht so dumm, als Sie aussehen! – Nichts da; sie händigen mir alsogleich die Summe von 5000 Gulden ein, oder der bereits fertige Kontrakt wird gar nicht produziert und ein neuer, simpliciter nach Angabe Ihres Eidams, abgefaßt! Punktum!

[58]
SCHLENKHEIM.
Aber hören Sie doch –
SANDEL.
Punktum!
SCHLENKHEIM.
Man muß ja doch erst sehen –
SANDEL.
Punktum!
SCHLENKHEIM.
Welche Frechheit!
SANDEL.
Punktum!
ROBERT
tritt vor.
Guten Morgen, meine Herren!
SCHLENKHEIM.
Ah, ah, – sieh da! – Da ist er ja, mein lieber Sohn! – Lassen Sie sich umarmen! Will ihn umarmen.
ROBERT
zurücktretend.
Wo ist denn Ihr Fräulein Tochter? –
SCHLENKHEIM.

Ich werde sogleich meine Tochter rufen, aber wäre es Ihnen nicht genehm, zuerst die Kontraktsangelegenheiten –

ROBERT
sehr bestimmt.
Ich wünschte vor allem Ihre Tochter zu sprechen!
SCHLENKHEIM.

Hahaha! Über das verliebte Volk! – Gut, gut – sie soll sogleich da sein. Herr Doktor! Kommen Sie doch mit mir! Zieht Sandel mit sich, indem er leise zu ihm spricht. Zum Kuckuck! Es liegt in seinem Tone etwas, was mir vorkommt wie fernes Donnerwetter! – Kurios – sehr kurios! Mit Sandel ab.

ROBERT
geht in heftiger Bewegung auf und nieder.
Wer hätte das geglaubt? Sie wußten also?
14. Szene
Vierzehnte Szene.
Vorige. Henriette.

HENRIETTE
kommt aus dem Nebenzimmer und eilt auf Robert zu, ihm an den Hals stürzend.

Robert! Mein lieber, teurer Freund! Durch Roberts Kälte befremdet. Robert, wie bist du so seltsam – was ist dir?

[59]
ROBERT
faßt heftig ihre beiden Hände und sieht ihr starr ins Auge.
Henriette!
HENRIETTE
erschreckt.
Welch ein Blick! Du erschreckst mich, Robert! Solche Blicke schafft das das Unglück nur!
ROBERT.
Ja, – das Unglück – ein namenloses Unglück! –
HENRIETTE.

O sprich! Teile mir deine Leiden mit! Wer anders sollte sonst ein Recht auf dein Vertrauen haben als ich! –

ROBERT.

Ja freilich – freilich! Du verdienst mein Vertrauen vor allen! – So will ich dir denn auch sagen, was mich so namenlos quält. – Er deutet auf einen Ring. Sieh hier diesen Ring! –

HENRIETTE.
Welch herrlicher Edelstein!
ROBERT.

Ja, welch herrlicher Edelstein! So rief auch ich aus, als ich diesen Schmuck noch in den Händen seines früheren Besitzers sah und eine nicht zu unterdrückende Begierde faßte mich, ihn mein zu nennen. Der Mann stellte aber eine sonderbare Bedingung; – ich mußte, nebst der Bezahlung des Preises, mich mit meinem Ehrenwort verpflichten, diesen Ring nie von mir zu geben und ihn, solange ich lebe, an meiner Hand zu tragen. Diese Bedingung schien mir nicht schwer; – ich schloß das Geschäft ab. – Aber – stelle dir vor, soeben überzeugte ich mich, daß der Edelstein nichts ist als eine künstlich geschliffene Glaskomposition!

HENRIETTE.
Aber läßt sich denn der Handel nicht rückgängig machen? –
ROBERT.
Ich sagte dir ja, ich gab mein Ehrenwort!
HENRIETTE.
Und ist der Kaufpreis denn so hoch? –
[60]
ROBERT.

Pah! Die Summe kann ich verschmerzen, aber die zweite Bedingung, daß ich diesen falschen Schmuck immer tragen muß, diese vergiftet mein Leben; denn ich hasse – noch mehr – ich verachte das Falsche!

HENRIETTE.

Aber, lieber Robert, die ganze Sache erscheint mir wahrhaftig nicht so wichtig, daß du mir die Freude des ersten Wiedersehens verkümmerst; – welchen Einfluß kann dieser Vorfall auf das Glück unserer Liebe haben?

ROBERT.

Du fragst, welchen Einfluß? So höre denn! – Der Mann, welcher mich mit dem Edelsteine betrog, ist – dein Vater! –

HENRIETTE.
Mein Vater?!
ROBERT.
Und der falsche Edelstein – bist du!
HENRIETTE
zurückbebend.
Robert!
ROBERT.

Du erschrickst? – Das Blut tritt zurück von deinen Wangen? – Oh – es ging mir nicht anders! – Auch mich durchzuckte es krampfhaft und es war mir, als legte sich eine kalte Totenhand an mein warm schlagendes Herz, als ich, unbemerkt hier eintretend, deinen Vater mit dem Notar sprechen hörte, als ich vernahm, daß eure Sinnesänderung nur durch die Kenntnis meines Reichtums hervorgerufen wurde, daß du in mir nur den Millionär liebst! –

HENRIETTE
im tiefsten Schmerz.

Robert – dieser Verdacht – diese Worte – mir – oh – den Schmerz ertrage ich nicht! Sinkt weinend in einen Stuhl.

ROBERT.

Weinen Sie nicht, mein Fräulein! – Sie bedroht kein Unglück; denn Sie haben es mit einem Manne zu tun, dem seine Ehre heiliger ist als sein Lebensglück; ich gab Ihrem Vater mein Ehrenwort – Sie zur Frau zu machen; – ich [61] werde es halten. – Sie sollen mir getraut werden – ich werde Ihnen einen Teil meines Vermögens sichern – aber die Stunde unserer Vermählung ist auch die letzte unseres Beisammenseins. Nun, trocknet diese Zusage Ihre Tränen nicht, da es Ihnen doch nur um mein Vermögen zu tun war?

HENRIETTE
erhebt sich vom Stuhl.

Herr von Starr – ich vergebe Ihnen um unserer frühern Liebe willen den namenlosen Schmerz, die tiefe Kränkung, welche Sie mir jetzt bereiten. Sie glauben durch Ihr Ehrenwort gebunden u sein? – Ich gebe es Ihnen hiemit zurück! – Sie sind frei! – Leben Sie wohl! Entfernt sich rasch.

ROBERT
überrascht stehen bleibend.

Sie gibt mir mein Wort zurück? O, dieses Spiel durchschaue ich; – dieser anscheinende Stolz der Gekränkten ist nur eine neue Maske – es ist eine glücklich improvisierte Rolle – ein verächtliches Komödienspiel!

15. Szene
Fünfzehnte Szene.
Robert. Toßmann tritt ein.

TOSSMANN.
Mein verehrter Freund!
ROBERT
ihn bemerkend.
Sie hier?
TOSSMANN.
Ich wollte Sie nur fragen, wann Sie werden nach der Stadt kommen?
ROBERT.

Vielleicht eher als ich's selbst vermutete! – Herr von Toßmann – ich mußte Ihnen vorhin in mancher Ihrer Ansichten recht geben; daß Sie aber auch hier, in bezug auf Henrietten, recht haben sollten – dies hätte ich nie geglaubt! Sinkt in einen Stuhl.

[62]
TOSSMANN.

Habe ich recht? – Nun sehen Sie, kenn' ich die Welt? Kenn' ich die Menschen? Zu ihm vortretend. Nun – wann fahren wir zur Frau von Goldheim?


Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Robert. Helfer.

ROBERT
sitzt noch am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt.
HELFER
tritt ein.
Wie, Robert, du bist allein?
ROBERT.
Allein!
HELFER.
Und deine Braut? –
ROBERT.
Ich habe keine mehr! –
HEFER.
Was sprichst du – das liebe Fräulein Henriette?
ROBERT.
Das liebe Fräulein!
HELFER.
Was ist's mit ihr?
ROBERT.

O gar nichts Besonderes – das liebe Fräulein wollte eben nichts anderes, als was alle Fräuleins wollen; sie wollte Frau werden – und ich – ich war der Glückliche, der als Zugabe zu seinen zwei Millionen – so als Agio, angenommen worden wäre.

HELFER.
Wie – nur um deines Reichtums willen? Ich kann's nicht glauben!
ROBERT.
Ich stellte sie zu Rede, aber sie hatte nicht ein Wort zu ihrer Verteidigung.
2. Szene
[63] Zweite Szene.
Vorige. Christoph.

CHRISTOPH
eilt herein.

Euer Gnaden, Euer Gnaden, was ist denn das? – Im Saale sind schon alle Gäste zur Verlobung versammelt – und das Fräulein Braut –

ROBERT.
Nun – was ist's mit ihr?
CHRISTOPH.
Im Augenblick ist sie, ihr Papa und der Advokat aus dem Schlosse gefahren.
ROBERT.
Fort? – Fort? –
CHRISTOPH.

Fort! – Ich bitt, Euer Gnaden, was tun wir jetzt – wo nehmen wir in der Geschwindigkeit eine Braut her?

ROBERT.
Vetter! Entschuldigt mich bei den Gästen!
HELFER.
Wie aber – unter welchem Vorwande?
CHRISTOPH.

Das ist leicht; wir kündigen an: Wegen plötzlicher Heiserkeit der Braut kann die Vorstellung nicht stattfinden.

ROBERT.

Erwähnt ihrer nicht; – sagt, ich sei plötzlich unwohl geworden. – Es ist auch die Wahrheit – ich fühl's, ich bin krank; – laßt deshalb auch niemanden zu mir, ich will allein bleiben.

HELFER.
Nein, nein! In dieser Stimmung lasse ich dich nicht allein.
CHRISTOPH
zu Helfer.

Sie haben recht, allein darf man ihn nicht lassen; aus seinen Augen schaut ja beinahe ein ganzes Sortiment von Selbstmordgedanken! Aber gehen Sie nur indes hinüber und sehen Sie, daß Sie die Gäste auf eine gute Art fortbringen. – Ich bleibe da.

[64]
HELFER.
Nun wohl – suchen Sie ihn aufzuheitern – ich bin sogleich wieder hier. Ab.
ROBERT
ist aufgestanden und geht mit verschränkten Armen auf und nieder.
CHRISTOPH
für sich.

Ich soll ihn aufheitern! – Das ist leicht gesagt, – aber wie? Wenn mir nur was einfallen möchte! – Ich brauchte jetzt ein paar gute Gedanken so notwendig wie einen Bissen Brot; – ich werd's probieren. Geht ihm nach. Euer Gnaden! – Für sich. Er hört mich nicht! Etwas lauter. Euer Gnaden! Für sich. Mir scheint, das Herzübel hat sich auf seine Ohren schlagen. Zieht ihn am Rockschoß. Euer Gnaden! –

ROBERT
auffahrend.
Was willst du denn? – Was machst du überhaupt noch hier? – Ich will allein sein! – Geh!
CHRISTOPH.

Euer Gnaden! Wenn Euer Gnaden jetzt allein bleiben, so sind Sie ja in der schlechtesten Gesellschaft!

ROBERT
drohend.
Christoph!
CHRISTOPH.

No ja, mit so ein'm närrischen Ding da – allein im Zimmer auf- und abrennen – das ist ein schlechter Spaß!

ROBERT.
Mach' mich nicht böse, Bursche!
CHRISTOPH.

Recht so; machen Sie mich aus – zanken Sie recht mit mir – heißen Sie mich meinetwegen was – ich halt' an – ich geb' mich zum Blitzableiter Ihrer üblen Laune her. – Mir ist's lieber, Sie wüten gegen mich als gegen sich selbst; gehen Euer Gnaden, sein Sie recht grob mit mir!

ROBERT.
Du bist ein Narr!
CHRISTOPH.
Bravo – nur zu so – ich bitt' noch was –
[65]
ROBERT
geht wieder schweigend auf und nieder.
CHRISTOPH
für sich.

's ist noch nicht vorbei; und solange es nicht gedonnert und geblitzt hat, ist kein heiterer Himmel zu hoffen.

ROBERT.
Laß mein Pferd satteln, ich will ausreiten.
CHRISTOPH.

Aber, Euer Gnaden – was ist das für ein Einfall? – Bei den Gästen lassen Sie sich krank melden und dann wollen Sie spazierenreiten; – sollen denn die Leute glauben, daß Sie eine Roßkur brauchen?

ROBERT.

Du hast recht – ich kann nun nicht aus – und doch – doch ist mir hier die Luft so drückend – die Mauern so enge – ich kann mich hier der empörenden Gedanken nicht erwehren.

CHRISTOPH
plötzlich einen Gedanken fassend.
Euer Gnaden – ich hab's!
ROBERT.
Was?
CHRISTOPH.

Ich hab's! Einen prächtigen Gedanken, das beste Mittel, Sie zu zerstreuen; – wir stellen eine Maskerade an.

ROBERT.
Eine Maskerade?
CHRISTOPH.

Ja, Maskerade! Schauen Euer Gnaden, im Grunde ist die Welt nichts als eine Redoute; jeder sucht anders zu erscheinen, als er wirklich ist! Einer neckt den andern und der Kluge könnte jeden mit dem beliebten Maskenwitz ansprechen: O du, ich kenn' dich! Und darum wär' mein Rat, Euer Gnaden sollten einmal die allgemeine Mode mitmachen.

ROBERT.
Wie meinst du das?
CHRISTOPH.

Ich will Euer Gnaden so zurichten, daß Sie, wenn Sie sich im Spiegel sehen, sich[66] selbst mit »Herr von« anreden und dann – dann ehen Euer Gnaden mitten unter Ihre Freunde – unter Ihre Beamten – unter die Leute im Ort; hören Sie, wie man über Sie spricht – schimpfen Sie mitunter ein bißchen über sich selbst und sehen Sie, ob nicht einer oder der andere aufsitzt. – Oh – es kann einen Hauptspaß geben!

ROBERT
den Gedanken aufgreifend.
Der Gedanke ist gut!
CHRISTOPH.

Nun ja, mitunter findet ja auch eine blinde Henne ein Körndl. – Also, wollen Euer Gnaden von diesem Erzeugnisse meines Gehirns Gebrauch machen?

ROBERT.
Ja, ich will.
CHRISTOPH
in die Höhe springend und in die Hände klatschend.

Bravo! Bravo! Jetzt kann's angehen! Aber nicht wahr, Euer Gnaden, ich, ich darf auch verkleidet mitgehen? – Dazu hab' ich ein außerordentliches Talent, schon von frühester Jugend her; – schon als zwölfjähriger Bube habe ich, als auf unserem Stadttheater: »Der Diamant des Geisterkönigs« gegeben wurde, einen ehrenvollen Ruf erhalten, einen der im Stücke vorkommenden Pudel darzustellen, und ich konnte von meiner Leistung als solcher stolz sagen: »Jeder Zoll ein Pudel!« O geben Euer Gnaden nur acht, diese Maskerade soll uns Stoff zum Lachen auf ein paar Jahre geben.

ROBERT.
Ich will dem Geschicke danken, wenn mir diese Verkleidung nur zum Lachen Stoff gibt.
CHRISTOPH.
Nun wozu denn, doch nicht zum Weinen? Das wäre lächerlich!
ROBERT.

Das Mißtrauen hat sich in mein Herz eingeschlichen; ich hielt die Welt bisher für [67] gut, weil ich sie für gut hielt, denn in ihr erkannte ich meine Welt. Blickt wieder trübe vor sich hin.

CHRISTOPH.

Aber, wer wird denn in einem Frauenzimmer seine Welt finden; da ist doch gar keine Ähnlichkeit! Bedenken Euer Gnaden nur, wie viele tausend Jahre besteht die Welt schon, und bleibt sich doch immer gleich und beständig und hängt durch ewige Zeiten treu an ihrer Sonne; das soll einmal ein Frauenzimmer probieren! Wenn uns're Welt da – die Erde, wie ein Frauenzimmer wär', so hielte sie's schon lange nicht mehr in diesem angewiesenen Gange um die Sonne aus, – sondern wär' schon der Neuheit wegen, dem nächsten besten Kometen nachgerennt. Nein, Euer Gnaden! – Statt in einer Geliebten seine Welt zu erkennen, ist es besser, die ganze Welt als seine Geliebte zu betrachten.


Beide ab.

Verwandlung.
Wohnung der Frau von Brigge, ein ziemlich elegant eingerichtetes Zimmer – aber im Charakter einer Landwohnung – im Hintergrund ein Fenster, welches gegen die Straße führt.
3. Szene
Dritte Szene.
Frau von Brigge. Karoline beide auffallend, elegant gekleidet, kommen aus dem Nebenzimmer.

FRAU VON BRIGGE.

Wo nur der Schnapper bleibt? – Ich sehe mir fast die Augen blind. Geht ans Fenster. Ich habe dir eine Unruhe, Kind, eine Unruhe – wenn er nun das Geld nicht brächte?

KAROLINE.

Ach zweifeln Sie doch daran nicht – Herr von Starr hat es ja unbedingt zugesagt.[68] – Auf wieviel haben Sie denn den Schuldschein ausgestellt?

FRAU VON BRIGGE.
Nun, auf fünfhundert Gulden –
KAROLINE.
Das ist aber viel, Mama!
FRAU VON BRIGGE.

Viel? – – Er ist ein Millionär, er kann's tun; – und wenn man schon einmal einen solchen Schritt tut, so muß es doch der Mühe wert sein.

KAROLINE.

Sie werden aber doch während Ihrer ganzen Karriere als dramatische Künstlerin für keine Rolle ein so glänzendes Honorar erhalten haben als für diese kleine Rolle, welche Sie im Palais des Gutsherrn spielten?

FRAU VON BRIGGE.

Hahaha! Du hast recht – aber hab' ich sie auch gespielt! – Sage selbst, Kind, war ich nicht ganz zärtliche Mutter? Hahaha!

KAROLINE.

Und eine Beamtenwitwe, hahaha! In der Tat, Mama – es ist doch schade, daß Sie nicht Schauspielerin geblieben sind.

FRAU VON BRIGGE.

Wär ich's nicht geblieben, wenn der Direktor nicht so ungalant gewesen wäre – nachdem ich zwanzig Jahre lang als jugendliche Liebhaberin ihm Geld verdient hatte, mir zuzumuten, daß ich Anstandsdamen und Mütterrollen spielen solle?

4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Schnapper, dann Robert und Christoph.

SCHNAPPER
kommt mit einem großen Korbe.
Da bin ich, Holdeste! Stellt den Korb nieder und will auf Frau von Brigge zugehen.
FRAU VON BRIGGE.
Keinen Schritt näher, Schnapper bevor Sie sagen, ob alles nach Wunsch gegangen!
[69]
SCHNAPPER.

Statt Worten spreche die Tat! – Zieht seine Brieftasche und aus derselben einen Pack Banknoten heraus. Hier sind die Trophäen meines Zuges! –

KAROLINE
in die Hände klatschend.
Geld ist da wirkliches Geld! – Mama, nun fahren wir doch morgen in die Stadt auf den Ball? –
SCHNAPPER
zu Frau von Brigge.
Nun, darf ich jetzt mich nahen, Holdeste?
FRAU VON BRIGGE.
Nun so komm' Er her – Er kleiner Schelm! –
SCHNAPPER
trippelt auf sie hin.
FRAU VON BRIGGE
nimmt ihm die Banknoten aus der Hand und hält ihm zugleich die Wange zum Kusse hin.
Nun! –
SCHNAPPER
sie küssend.
O Seligkeit!
FRAU VON BRIGGE.
Jetzt keine Schwärmerei! Aber sprechen Sie doch – wie ging's auf dem Schlosse? –
SCHNAPPER.

Ach spaßig – sehr spaßig! Ich ging, wie Sie befohlen hatten, mit dem von Ihnen unterfertigten Schuldschein zum Kassier des Herrn von Starr; derselbe gab mir das Geld und sagte: »So, nun lassen Sie aber die Unschuld unangefochten! Der gnädige Herr wird das Haus der Frau von Brigge vor Ihrer Zudringlichkeit zu schützen wissen.« – Ich war ganz verblüfft und begriff gar nicht, was der Mann da von Unschuld sprechen wollte; – aber ich hatte doch das Geld und so – so eilte ich her. –

ROBERT UND CHRISTOPH
treten leise und unbemerkt ein.
FRAU VON BRIGGE.
Und haben Sie gleich die nötigen Einkäufe gemacht?
SCHNAPPER.

Freilich, Holdeste! Nimmt den Korb und packt aus. Hier ein delikates Fasänchen – hier[70] Forellen mit Aspik – hier Austern – das feinste Zuckerwerk – und hier der Champagner!

FRAU VON BRIGGE.

Charmant! – Es wird eine herrliche Soirée; in dergleichen Arrangements war ich von jeher berühmt. – Aber wo haben Sie denn hier auf dem Lande alle diese Delikatessen bekommen können?

SCHNAPPER.

Hihihi! Freilich etwas schwer – aber ich bin ein Schlaukopf – ich weiß überall Rat. Ich ging zum Koch des Herrn von Starr und zu seinem Kellermeister und brachte mit des Herrn von Starrs Geld – Herrn von Starrs Eigentum an mich. – Hihihi! War das nicht klug? –

CHRISTOPH
schlägt, sich vergessend, die Hände zusammen.
Euer Gnaden! –
FRAU VON BRIGGE.

Wer ist hier? – Sieht sich um, die beiden erblickend. Fremde hier? – Wer sind Sie, meine Herren? Was wünschen Sie?

ROBERT leise zu Christoph Nun, so sprich! –

CHRISTOPH
leise.
Mir hat's die Red' verschlagen.
FRAU VON BRIGGE.
Nun, was wollen Sie denn hier? –
CHRISTOPH.
Was ich wollte? Für sich. Durchkarbatschen wollte ich eigentlich die ganze Bagage.
FRAU VON BRIGGE.
Sie kommen mir in der Tat sonderbar vor!
CHRISTOPH.
So – wir kommen sonderbar vor? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Sie mir vorkommen.
ROBERT
stoßt Christoph.
CHRISTOPH
sich besinnend.

Ja so! – Zu Frau von Brigge. Wissen Sie – ich und hier – Auf Robert weisend. mein Kompagnon, wir haben in der Stadt eine Handlung mit weiblichen Handarbeiten[71] – und wir haben vom Kammerdiener im Schlosse erfahren, daß Sie und Ihre Tochter sich von weiblichen Arbeiten kümmerlich ernähren, so recht kümmerlich – Indem er seinen Blick auf den mit Eßwaren bedeckten Tisch richtet. und da – da wollen wir etwas in Augenschein nehmen und dann Bestellungen machen.

FRAU VON BRIGGE
im geringschätzenden Tone.

Weibliche Handarbeiten? Hm – nun ja – meine Tochter macht so manchmal zum Zeitvertreibe Stickereien – aber – Stolz. von einem »Davon leben« ist, Gott sei Dank, noch nicht die Rede!

KAROLINE
ans Fenster eilend.

Mama – der Leutnant – und der Herr Förster – sie bringen noch ein paar Offiziere mit. Grüßt zum Fenster hinaus.

5. Szene
Fünfte Szene.
Vorige. Leutnant Stürmer, Förster Grünmann und einige andere Offiziere stürmen zur Tür herein.

KAROLINE.
Willkommen, Herr Leutnant! –
STÜRMER.

An mein Herz. Herzensmädchen! Drückt sie an seine Brust. Auf Ehre, ein Prachtmädel! Zu den übrigen. Na, sagt 'mal, Kameraden: kann man sich eine bessere Station wünschen als ein Dorf, wo solche Blumen wachsen?

DIE OFFIZIERE
Karolinen betrachtend.
Auf Ehre!
STÜRMER.
Nun kann man's doch den Winter über in dem faden Neste aushalten –
FRAU VON BRIGGE.
Ja, wenn nur wir den Winter über hier bleiben – wir werden wahrscheinlich in die Stadt ziehen –
GRÜNMANN.

Warum nicht gar! – Bleiben Sie nur den Winter über hier! – Für die Leute [72] in der Stadt ist der Winter ein teuerer Gast; hier aber sollen Sie mit Holz von mir versehen werden und das Wildbret schöner erhalten als die herrschaftliche Küche.

STÜRMER.
Das Wort Küche erweckt Empfindungen in meinem Magen – der Ritt hat mir Appetit gemacht –
FRAU VON BRIGGE.
Dafür ist schon gesorgt. – Schnapper, decken Sie den Tisch im Salon!
SCHNAPPER.
Sogleich, Holdeste!
STÜRMER.
Habt acht! Zum Gouter! Marsch! Karolinen den Arm bietend. Ist's gefällig?
GRÜNMANN
bietet Frau von Brigge den Arm.
ALLE
verfügen sich ins Nebenzimmer.
SCHNAPPER
folgt ihnen mit einigen Schüsseln in den Händen.
CHRISTOPH
ganz versteinert.
Ich stehe da wie eine Nina! Ich bitte, Euer Gnaden, wieviel kostet Ihnen das Anschauen dieser Szene?
ROBERT.
Fünfhundert Gulden!
CHRISTOPH.
Fünfhundert Gulden? – Dafür bekommt ja ein Direktor eine halbe Lind!
ROBERT.

Ich sehe, die Menschenkenntnis ist der teuerste Kurs auf der Hochschule des Lebens; – aber, ich hoffe, mein Gedächtnis wird mir so treu sein, daß ich diese Lektion nicht zu wiederholen brauche! – Komm!

CHRISTOPH.

Ist das ein Volk! – Aber nicht nur das Volk hier, sondern dieser Koch, unser Kellermeister! Aber ich werde ein Kriegsgericht veranstalten, werde meine haushofmeisterliche Autorität zeigen. Damit aber das Corpus delicti nicht fehlt – nehm' ich hier die sprechenden Beweise ihrer Schandtaten. Nimmt zwei Champagner-Bouteillen [73] von Tisch, steckt sie in die Rocktasche und geht mit Robert ab.


Verwandlung.
Freier Platz im Dorfe. – Im Hintergrunde das Gemeindewirtshaus, vor demselben unter Bäumen einige Tische; gegenüber ein größeres Gebäude, über der Tür die Aufschrift »Amtshaus«.
6. Szene
Sechste Szene.
Hager sitzt vor dem Wirtshause bei einem Glase Wein, aus einer langen Pfeife rauchend; an den übrigen Tischen sitzen einige Bauern, darunter der Richter. Grund, Haller treten aus dem Amtshause.

GRUND
im Gespräche mit Haller.
Ich sage Ihnen, Herr Rentmeister, es wird nicht gut!
HALLER.
Hm! – Der Anfang wäre doch nicht so übel; – doppelten Gehalt!
GRUND.
Timeo Danaos et dona ferentes!
7. Szene
Siebente Szene.
Vorige. Robert. Christoph in der früheren Verkleidung, kommen aus dem Hintergrunde.

HALLER.
Wie meinen Sie das, bester Herr Oberamtmann?
GRUND.

Er gibt uns doppelten Gehalt – das wäre ganz gut; – aber haben Sie nicht gehört – er wird immer hier auf dem Gute bleiben, und geben Sie nur acht, das ist einer von denen, die ihre Nase in alles hineinstecken – die jede Rechnung nachrechnen – sich überall selbst überzeugen.

HALLER.
Hm! Wir bleiben doch die alten Freunde.Hält ihm die Hand.
[74]
GRUND
einschlagend.

Immer, immer, Herr Rentmeister; dieser Guckindiewelt wird ein Paar so alte Praktiker, welche ehrlich aneinander halten, nicht zu Schanden machen. Wendet sich gegen das Wirtshaus und erblickt Hager. Ecce! Herr Hager, was machen denn Sie da?

HAGER.
Nichts und trink' einen Pfiff Wein dazu.
GRUND.
Sie sollten jetzt in der Kanzlei sitzen!
HAGER.

Sie haben mich so lang' in der Kanzlei sitzen lassen, daß ich jetzt außerhalb derselben ausruhen muß. Wozu wäre ich denn sonst wirklicher Beamter, als um von den Praktikantenfatigen auszuruhen?

GRUND.
So? – Und was soll denn mit der Arbeit geschehen?
HAGER.
O, wir werden schon einen neuen Praktikanten finden; den will ich dann schon zum Arbeiten anhalten.
GRUND.
Unverschämtheit ohne Gleichen! Will unwillig auf Hager zugehen, in demselben Augenblicke treten ein.
8. Szene
Achte Szene.
Martin. Hanne. Zwei Kinder aus dem Wirtshause kommend. Vorige.

GRUND
tritt zurück.
Was ist das wieder?
MARTIN
sehr benebelt, am Arme seine Frau.

Was das ist? Ein guter Ehemann, der Freud und Leid mit seinem Weibe teilt! – Weil's mir heute gut geht – soll's der Familie auch gut gehen.

GRUND.
Wird denn nie ein besserer Geist über Euch kommen?
MARTIN.

Ist schon da, der bessere Geist; sonst hab' ich 36ger getrunken, heute trink' ich 48ger – der Geist ist schon um 12 Kreuzer besser.

[75]
GRUND.
Nun hab' ich Euch auf Befehl des gnädigen Herrn Holz zuführen lassen; warum arbeitet Ihr nicht?
MARTIN.

Das Holz ist schon verarbeitet! Der Wagner hat mir's um 15 fl. abgekauft; – wie lange hätt' ich sonst gebraucht, bis ich mit dem Holz fertig worden wär'! Es ist reine Zeitersparnis! Ab mit dem Weib und Kindern.

GRUND.

Solche Leute unterstützt unser superkluger Gutsherr und macht sie insolent gegen die Obrigkeit! – O – es ist eine schöne Wirtschaft – eine herrliche Wirtschaft!

CHRISTOPH
tritt vor und grüßt.
Guten Tag, meine Herren! Sind Sie der Herr Oberamtmann?
GRUND.
Zu dienen! Mit wem hab ich die Ehre?
CHRISTOPH.

Ich bin Ökonom und hier – Auf Robert weisend. der Herr, ein Engländer, der leider nicht deutsch sprechen kann, ist Master Jonbum, der Erfinder mehrerer Ackerbaumaschinen. – Der Besitzer dieses Gutes hat uns hieher verschrieben – um zweckmäßige Verbesserungen in der Feldwirtschaft vorzunehmen.

GRUND.

Ich erstarre! Was? Fremde werden verschrieben zur Feldwirtschaft – wozu bin ich da? – Herr, wozu bin ich da? Daraus wird nichts!

CHRISTOPH.
Aber der Gutsherr hat's befohlen!
GRUND.

Ei was – der Gutsherr ist ein junger Naseweis, der versteht selbst einen blauen Teufel davon, was zum Nutzen und Frommen seines Gutes ist. Woher denn auch; wir wissen ja seine Geschichte – ein ehemaliger Handlungskommis; ich muß da d'rein reden und hier Auf die Bauern [76] rufend. diese Leute, welche die Felder teils besitzen, teils gepachtet haben. – Heda, Leute!

DIE BAUERN
stehen auf.
Was befehlen Euer G'streng?
GRUND.
Leute, ich hab' euch auf Befehl des Gutsherrn zu sagen, daß ihr vom Feldbau nichts versteht.
DIE BAUERN
sehen sich untereinander verwundert an.
Was?
GRUND.
Und ich verstehe auch nichts davon, gar nichts!
BAUERN
wie vor.
Was?
GRUND.

Aber hier sind zwei Fremde; der eine gar aus England – die haben's weg, die werden euch lehren, wie ihr die Felder auf neue Art bebauen, wie ihr auf neue Art düngen, mit neuen Pflügen ackern und eggen, mit neuen Sicheln ernten und mit neuen Flegeln dreschen sollt.

DIE BAUERN
brechen in ein Gelächter aus.
GRUND.
Lacht nicht, Leute – lacht nicht – es ist ja Befehl des Gutsherrn!
DER RICHTER.

Was wär' das? Wir sollen was Neues lernen und gar von einem Engländer? – Da wird nichts draus – wir bleiben beim Alten, wir brauchen keine Neuerungen – da hat allemal der Teufel sein Spiel damit.

DIE BAUERN.
Ja, ja, der Herr Richter hat recht.
GRUND
höhnisch.

Aber ihr werdet doch die neuen englischen Maschinen versuchen? – Tut's doch dem Gutsherrn zu Liebe, er hat euch ja die Abgaben nachgelassen.

DER RICHTER.
Ah was – dafür lassen wir uns nicht in der Wirtschaft kujonieren!
[77]
DIE BAUERN.
Nein, nein, wir lassen uns nicht kujonieren!
DER RICHTER.
Es soll's nur einer probieren und sich auf unsern Feldern blicken lassen!
DIE BAUERN.
Ja, soll's nur probieren! Sie nehmen drohende Gebärden an.
DER RICHTER
zu Robert.

Ich rat's dem Herrn, schau' sich der Herr bald um einen Landkutscher um, der'n wieder in sein England z'ruckführt, oder wir werden dem Herrn zeigen, daß uns're alten Dreschflegeln noch immer ihre Schuldigkeit tun!

DIE BAUERN.

Ja, ja, das werden wir tun – jagt's die Kerls hinaus aus'n Ort – fort mit ihnen! Sie dringen auf Robert ein, einige erheben ihre Stöcke andere ergreifen die Stühle vor dem Wirtshause.

CHRISTOPH
zieht Robert rasch bei Seite, leise.
Euer Gnaden – das Inkognito fängt an unangenehm zu werden, gehen wir nach Haus!
9. Szene
Neunte Szene.
Mehrere Bauern, Martin, dann Elegius Obenaus. Vorige.

MEHRERE BAUERN.
Was ist's denn da – was gibt's denn da?

Die frühern belehren die ganze Masse über den Vorgang. Alle nehmen eine drohende Gebärde gegen Robert und Christoph an.
GRUND
steht seitwärts, sich vergnügt die Hände reibend; zu Haller.
Es geht ganz gut so; so sieht er am besten, wie weit er mit seinen Projekten kommt!
MARTIN
mitten unter den Bauern.
Ja – 's ist nichts mit den Neuerungen!
ELEGIUS.
Recht so, Leute! Bravo, ihr gefallt mir! Ihr müßt euch nichts aufzwingen lassen!
[78]
DIE BAUERN.
Das lassen wir auch nicht!
ELEGIUS.

Und wenn euch der Gutsherr auch sagt, daß er nur das Bestreben habe, euch zu beglücken – auch darin liegt Tyrannei!

DIE BAUERN.
Ja, ja, ein Tyrann ist er! –
ELEGIUS.

Es ist jetzt nicht mehr die Zeit, wo die Herren ihre Untertanen beglücken dürfen! – Diese sind reif geworden, sie können sich selbst beglücken.

DIE BAUERN.
Ja, wir beglücken uns selber!
MARTIN.
Ja, ich beglücke mich selber, heda! Gegen das Wirtshaus gehend. Wirtshaus, a Maß Wein heraus!
ELEGIUS.

Ihr seid kluge Leute – seid erfahrene Männer. Ihr müßt unter euch selbst beraten, selbst Beschlüsse fassen und dann darauf dringen, daß der Gutsherr die Mittel schafft, eure Beschlüsse auszuführen – denn nur dazu ist er Gutsherr.

DER RICHTER.

Ja, Leut'! Der Herr da hat echt, – das ist ein gescheiter Herr! Alles das hab' ich mir auch schon denkt, aber nur so sagen hab ich's nicht können.

ELEGIUS.
Ist's euch recht, so will ich Vertreter sein – will für euch sprechen.
DIE BAUERN.
Ja, ja, tu' der Herr das! –
ELEGIUS.
Zieht hinauf zum Gutsherrn – ich will an eurer Spitze sein, will für euch reden.
ALLE.
Ja, ja, hinauf, gleich jetzt!
ELEGIUS.

Ha – es naht für mich ein großer Augenblick, das Ziel meiner Wünsche ist erreicht – ich bin Agitator, kommt!

ALLE
setzen sich in Bewegung.
TORF UND HOCHMANN
kommen dem Zuge gerade entgegen.
Was ist's denn? Was geht hier vor?
[79]
ELEGIUS
stehen bleibend.
Ha! Da sind zwei von seiner Sekte!
HOCHMANN.
Obenaus, was macht Ihr hier mitten unter den gemeinen Leuten?
ELEGIUS.

Ja – das ist mein Platz. Ihr aber, Hochmann, Torf, – Ihr mögt vor Scham vergehen! Ihr wollt freie Künstler sein und findet euch behaglich, im Trosse eines Millionärs zu sein und dafür, daß er euch füttert, seine kurzsichtigen Gedanken groß und erhaben zu finden? Schämt euch! Schämt euch!

HOCHMANN.
Wer sagt Euch denn, daß wir die Gedanken dieses Parvenus groß finden?
TORF.

Hahaha! – Wir machten eben unsere Glossen darüber, daß er sich darin gefällt, den Rudolphe aus den Mystères de Paris zu spielen.

HOCHMANN.

Robert dient mir als Studie zu einem satirischen Romane, den ich anonym herausgeben will. Ich hoffe, der Roman wird Absatz finden.

ELEGIUS.
Wollt Ihr das im Ernst? Nun, das versöhnt mich mit Euch!
HOCHMANN.
Mein Freund Torf wird zu dem Werke einige Illustrationen mit Porträtähnlichkeit liefern. –
TORF.
Was sagt Ihr zu dieser Skizze Zieht ein kleines Album hervor und zeigt es aufgeschlagen.
ELEGIUS
es betrachtend.
Hm! Die Ähnlichkeit ist noch nicht frappant genug.
TORF.

Ich hab's auch nur so nach der Idee entworfen. Die Figur wäre wohl komisch genug aufgefaßt, aber das Gesicht will mir nicht recht gelingen.

ROBERT
ist mit Christoph leise zu dem Tisch getreten, so daß er Torf gerade gegenübersteht.
[80]
TORF.

Wenn ich mir ihn nur so recht vergegenwärtigen könnte – aber er hat ein so nichtssagendes Gesicht und ist deshalb so schwer sprechend zu treffen. Sieht gerade vor sich hin und somit auf Robert.

ROBERT
reißt plötzlich die Maske vom Gesicht und lehnt sich vor ihn auf den Tisch.
So sehe ich aus!
ALLE
fahren erschreckt zurück.
Er selbst!
ROBERT.

Nun so zeichne – zeichne – lege den ganzen Ausdruck in das Bild, den du jetzt in meinen Mienen siehst; – doch zeichne auch die ganze Gruppe dazu, die vor Angst, Beschämung und Verlegenheit verzerrten Gesichter!

TORF
verwirrt.
Aber, lieber Freund –
ROBERT.

Schweig – nenne mich nicht Freund, – es gibt keine Freundschaft, keine Liebe, keine Dankbarkeit! Sie aber, Herr Hochmann, schreiben Sie Ihren Roman, stellen Sie mich hin als einen aberwitzigen Toren – Sie haben recht – Sie haben vollkommen recht; ich überschätzte mich selbst und meine Kraft, als ich das Ziel, die Beglückung der Menschen, anstrebte – denn zwei Riesen, die Torheit und die Schlechtigkeit, verwahren den Eingang zu diesem Ziele. Ich geb' es auf, danach zu ringen! – Wenn ich aber von nun an hart erscheine – so fällt auf euch die Schuld. Ihr habt das glühende und in der Glut so weiche Erz in das Eiswasser der Enttäuschung gestoßen, nun ist's zum harten Stahl geworden. Komm, Christoph! Stützt sich auf Christophs Arm und geht dem Schlosse zu.


Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Prächtiger Saal in Roberts Palais in der Stadt. Mehrere Diener in glänzender Livree stehen bereit.

CHRISTOPH
tritt eben aus einer Seitentür.
Der gnädige Herr ist bereits auf. – Jacques, man halte das Frühstück bereit!
JACQUES
ab.
CHRISTOPH.

Der gnädige Herr belieben nach dem Frühstück einen Spazierritt zu machen. – Leopold, die englische Stute satteln!

LEOPOLD
ab.
CHRISTOPH.

Matthias! Man bedeute dem Portier, daß Seine Gnaden für niemanden zu Hause zu sein wünschen – außer wenn Herr von Toßmann käme.

MATTHIAS
ab.
CHRISTOPH.

Charles! Er geht zum Juwelier Glanzberg und fragt, ob der bestellte Schmuck heute noch geliefert wird.

CHARLES
ab.
CHRISTOPH
allein bleibend.

– So, meine Ordres sind gegeben, und daß sie pünktlich befolgt wer den, dafür bürgt mir die unumschränkte Vollmacht: zu entlassen und aufzunehmen, sozusagen, jus glachi, welches der gnädige Herr in meine Hände gelegt hat, weil er sich selbst um das niedere Domestikenvolk nicht kümmern will.

2. Szene
Zweite Szene.
Christoph. Helfer, dann Matthias.

HELFER
tritt ein.
Guten Tag, Herr Christoph!
CHRISTOPH
überrascht.
Was – Sie hier? – Donnerwetter! Zieht an einem Glockenzuge.
[82]
MATTHIAS
eilt herein.
Was befehlen der Herr Haushofmeister? –
CHRISTOPH.
Was hast du eben dem Portier sagen sollen?
MATTHIAS.
Daß der gnädige Herr für niemand zu Hause ist als für Herrn von Toßmann –
CHRISTOPH
auf Helfer weisend.
Ist dies der Herr von Toßmann?
MATTHIAS.
Nein.
CHRISTOPH.
Folglich ist der Befehl überschritten.
MATTHIAS.
Ich hab's dem Portier gesagt.
CHRISTOPH.

Folglich ist der Portier der Schuldige – und du gehst gleich hinab und sagst ihm, daß er binnen vierzehn Tagen entlassen ist. – Allez!

MATTHIAS
ab.
HELFER.
Aber, Herr Christoph! Ich bitte Sie –
CHRISTOPH.
Nutzt nichts!
HELFER.
Der Portier kennt mich ja, weiß, daß ich des Herrn Vetter bin, und da wird er gedacht haben –
CHRISTOPH.
Gedacht! Das ist eben sein Verbrechen und dieses muß geahndet werden.
HELFER.

Aber seit wann muß denn ich – ich mich auch melden lassen, wenn ich mit Robert sprechen will? – Gewiß – Robert hat das nicht befohlen!

CHRISTOPH.

Mit Worten nicht aber ich habe es in seinem Gesichte gelesen, daß ihm Ihre Besuche nicht immer angenehm sind, und ich habe daher diese Verfügung getroffen.

HELFER
traurig.
Mein Besuch unangenehm?
CHRISTOPH.

Nun ja; – Sie können sich aber auch gar nicht in den Ton fügen, der seit neuerer Zeit in unserm Hause herrscht.

[83]
HELFER.
Nein – das kann ich nicht.
CHRISTOPH.

Der Herr will nur Besuche empfangen, die ihm Vergnügen machen, und Sie – Sie kommen ihm immer mit Ihren guten Lehren und Ermahnungen. – Sie kommen mir gerade vor wie der alte Burggeist, von dem ich einmal in einem Roman gelesen habe, der immer mitten unter einem lustigen Bankette mit dräuend erhobener Hand erschienen ist und »Wehe! Wehe!« gerufen hat.

HELFER.
Ja: »Wehe – Wehe!« möcht' ich auch rufen, wenn ich Roberts jetziges Treiben betrachte.
CHRISTOPH.

Na, so rufen Sie: »Wehe«! wenn's Ihnen Vergnügen macht, aber nicht hier in diesem Palais. – Horchend. Aber still – der gnädige Herr kommt – ich bitte Sie – gehen Sie hinaus!

HELFER.
Was – ich soll wieder fort? – Ich muß ihn sprechen, notwendig sprechen –
CHRISTOPH.

Nun ja – ja – ich werd' sehen, was sich tun läßt, ich werde Sie melden, aber jetztDrängend. gehen Sie hinaus, ich riskiere sonst seine Ungnade. Gehen Sie, antichambrieren Sie einige Minuten! Drängt Helfer hinaus, tritt dann zum Glockenzuge und läutet.

3. Szene
Dritte Szene.
Christoph. Robert in einem eleganten Schlafrock, aber unter demselben vollkommen gekleidet, tritt aus dem Nebenzimmer – In demselben Augenblick tritt Jacques mit dem Frühstück ein, stellt es auf den Tisch und entfernt sich mit einer Verbeugung vor Robert.

ROBERT
setzt sich auf den neben dem Tische stehenden Diwan und winkt Christoph, auf die Kaffeemaschine deutend.
CHRISTOPH
gießt eine Tasse voll.
ROBERT
nimmt eine Zigarre.
[84]
CHRISTOPH
nimmt schnell von der am Tische stehenden Zündmaschine Feuer und brennt die Zigarre an.
Beneidenswertes Los dieser Zigarre!
ROBERT.
Warum?
CHRISTOPH.

Wenn ich ein Mädchen wäre, möchte ich nichts anders sein als diese Zigarre – so immer an Euer Gnaden Munde zu hängen, nur für Euer Gnaden zu glühen – und in dieser Glut langsam hinzusterben – o Seligkeit!

ROBERT.

Ich bemerke, daß du seit einiger Zeit dich eifrig auf die Kunst der Schmeichelei verlegst, und du machst gute Fortschritte –

CHRISTOPH.

Euer Gnaden! Schmeichelei ist keine Kunst, wenn man nur die Wahrheit zu sagen braucht, um schon etwas Schmeichelndes zu sagen.

ROBERT.

Bravo – immer besser! Ich sehe schon, du lernst dies von meinen Freunden und Gästen – denn wie du – so sprechen alle – freilich nur mir gegenüber, das weiß ich. – Aber es macht mir Spaß, zu sehen, wie sich dieses Volk krümmt und windet, es macht mir ein Vergnügen, ihre Erbärmlichkeit zu studieren.

CHRISTOPH.

Euer Gnaden! Es fällt mir zwar nicht ein, einer Ihrer Ansichten zu widersprechen – Euer Gnaden behaupten, die Menschheit ist schlecht – gut – so sage ich auch: sie ist schlecht. – Aber Euer Gnaden, gewisse Ausnahmen gibt es doch.

ROBERT.
Hahaha! Du verstehst doch nicht am Ende unter dieser Ausnahme dich selbst?
CHRISTOPH.
Ja, ich bin so frei –
ROBERT.

Hahaha! Nun wir wollen sehen! Steht auf und tritt dicht an Christoph. Sieh, ich sage [85] dir jetzt – ich halte dich für ebenso schlecht als alle, ich bin überzeugt, daß du mich, wo du kannst, belügst und betrügst, daß du ein durchtriebener Schurke bist –

CHRISTOPH.
Euer Gnaden!
ROBERT.
Nun, was sagst du darauf?
CHRISTOPH
die Achsel zuckend.

Ich muß Euer Gnaden gegenüber schweigen – das ist die individuelle Ansicht – was kann ich da anders tun als gekränkt schweigen.

ROBERT.

Was du tun könntest? – Sieh – wenn du ein Mann wärest, so müßtest du – wenn ich dich einen Schurken hieße, mir ins Gesicht schlagen.

CHRISTOPH
zurückfahrend.
Euer Gnaden!
ROBERT.

Du müßtest mein Haus augenblicklich verlassen, und wenn du auch außer demselben betteln müßtest! – Aber sieh – du tust es nicht – du stehst gekrümmt und läßt dich von mir beschimpfen, weil du weißt, daß dich kein anderer so bezahlen kann wie ich.

CHRISTOPH.
Aber, Euer Gnaden sind heute schlecht aufgelegt, – womit habe ich Ihren Zorn verdient?
ROBERT
setzt sich ruhig wieder nieder.

Zorn hahaha! – Bin ich zornig? – Es war nichts als ein kleines Experiment, um dir zu beweisen, daß du keine Ausnahme bist. – Im übrigen bin ich dir so gewogen, wie sonst, und ich sage dir sogar, daß ich nicht gern einen andern Kammerdiener haben möchte als dich.

CHRISTOPH
eilt hin und küßt Roberts Hand.
Euer Gnaden! – Diese Versicherung – o jetzt ist alles – alles wieder gut!
[86]
ROBERT
zieht die Hand unwillig weg und wendet sich ab.

Ja, nun ist alles wieder gut! – Benimmt sich so ein Kerl nicht gerade wie mein Jagdhund, den ich schlagen und treten kann und der doch – wenn ich nun wieder mit dem Finger schnalze, wedelnd und schmeichelnd zu mir heraufspringt!

CHRISTOPH
für sich.

Jetzt ist ihm das auch nicht recht! Heute ist's wieder rein nicht auszuhalten mit ihm; – so ist er immer, wenn er in seinen philanthropischen Betrachtungen ist! – Jetzt schick' ich den Schulmeister über ihn – Strafe muß sein! Laut. Euer Gnaden – Ihr Herr Onkel, der Schulmeister Helfer, wartet schon eine Stunde im Vorzimmer und bittet, aufwarten zu dürfen.

ROBERT
verdrießlich.
O weh, der langweilige Alte! Nun denn, in Himmelsnamen, laß ihn vor!
CHRISTOPH
die Tür öffnend.
Herr Helfer! – Der gnädige Herr sind für Sie zu sprechen!
4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Helfer.

HELFER
tritt ein und bleibt mit der Miene des Gekränkten etwas entfernt von Robert stehen.
ROBERT.

Guten Morgen, Vetter, – setzt Euch! – Nun, was bleibt Ihr denn so fern? Und was ist dies wieder für ein klägliches Gesicht? Ihr seht mich ja mit einer Miene an, als ob ich auf dem Sterbebette läge!

HELFER.
Gäbe Gott, daß du auf deinem Sterbebette noch so lächeln könntest wie jetzt!
[87]
ROBERT.

Ihr nehmt einen verdammt ernsthaften Anlauf zu Eurem Gespräche – aber, ich merke, Ihr verspürt ein Verlangen, einmal wieder einen moralischen Vortrag zuhalten; – nun – ich bin gefällig – ich will ruhig zuhören; – also sprecht, lieber Vetter, sagt alles, alles, was Euch auf dem Herzen liegt.

HELFER.

Erinnere dich an den Tag, an welchem das Glück zuerst sein Füllhorn über dich ausschüttete; erinnere dich der schönen Vorsätze, welche du damals aussprachst. Nun hast du das liebe Gut Gemswalde verkauft, hast dich hieher in die üppige Residenz gezogen; du lebst nur den sinnlichen Freuden, du bist so wie jene Reichen alle, die du früher verachtetest – du hast dein besseres Selbst verloren. Robert! Weich werdend. Ich suche ängstlich einen Grund aufzufinden, welcher die Veränderung entschuldigt, die mit dir vorgegangen – und ich glaube, ich habe ihn gefunden.

ROBERT
spöttisch.
Ich bin neugierig auf dieses Resultat Eures Scharfsinns.
HELFER.

Die erste Ursache ist die üble Meinung, welche du vorschnell und ungerecht von deiner Braut, deiner Henriette faßtest. Sieh, ich habe sie gestern erst gesehen und gesprochen – sie schwur mir, daß nur ihr Vater – nicht sie – früher als du selbst von jenem Testament gewußt habe!

ROBERT.
Sie nicht? Und sie schwur? Hm! Ein Weiberschwur!
HELFER.

Ihr geldsüchtiger Vater wollte sie auf jede Art dazu bestimmen, daß sie auf die Erfüllung deines vor Zeugen gegebenes Eheversprechens [88] dränge. – Weil sie sich aber dies zu tun weigerte, sagte er sich los von ihr – sie verließ sein Haus und bringt nun ein freudenleeres Leben bei ihrer alten Tante zu.

ROBERT.

Hm! – Soviel ich weiß, stammt ja der größte Teil des Vermögens ihres Vaters von ihrer Mutter; – dies kann er ihr nicht vorenthalten; – schön ist sie auch, da wird es ihr an Freiern nicht fehlen.

HELFER.

Sie wird sich nie vermählen; sie hat nur dich geliebt, sie liebt dich noch. Denn gerade sie, die von dir so tief Gekränkte, ist die einzige, welche dich entschuldigt! Robert! Um deiner selbst willen beschwöre ich dich, kehre wieder zu ihr zurück, – sprich noch einmal mit ihr!

ROBERT.

Aha! Da hinauswill also?– Ich soll zu ihr gehen? Wieviel hat sie Euch denn versprochen, wenn Ihr diese Ehe doch zu stande bringt?

HELFER
tief verletzt.
Robert – auch mir traust du nicht?
ROBERT.

Ich traue niemandem mehr – niemandem! Übrigens irrt Ihr sehr, wenn Ihr glaubt, die eine Täuschung mit Henrietten habe meine Gesinnungen geändert; – dem Himmel sei Dank, ich bin ein Mann und sieche nicht hin am Liebesschmerz. – Aber mir ist die Welt in ihrer ganzen Verächtlichkeit entgegengetreten – ich habe nur einmal unrecht und vorschnell geurteilt, das war, als ich, selbst noch arm, die Reichen ihrer Hartherzigkeit wegen verachtenswert fand. Nun habe ich diese Schule selbst durchgemacht und habe erkannt: die Reichen sind nicht hart geworden durch ihren Reichtum, sondern [89] durch die Niederträchtigkeit derer, mit denen sie in Berührung kommen. Da wird gekrochen, geschmeichelt – geheuchelt, gejammert und alle diese Manövers nur, um ein paar lumpige Gulden zu erkapern. – Darum muß der Reiche zuletzt mit Ekel von diesem Gewürm sich abwenden und nichts für gut erkennen als sich selbst, weil er, bereits im Besitze seiner Macht, nicht zu jenen erbärmlichen Mitteln seine Zuflucht zu nehmen braucht. Glaubt mir, ein wahres Wort sprach der Dichter, der da sagt:


»Es wird der Großen Übermut sich geben,
Wenn eure Kriecherei sich gibt.«
5. Szene
Fünfte Szene.
Vorige. Toßmann.

ROBERT
ihn erblickend.
Ach willkommen, Freund Toßmann!
TOSSMANN.
Guten Morgen! Was seh' ich, Ihre Stirn ist kraus?
ROBERT.
Ach – 's ist nichts – ich habe mich nur ein wenig geärgert.
TOSSMANN.
Geärgert? Über wen?
ROBERT.
Über den Alten da –
TOSSMANN
Helfer verächtlich ansehend.

Wie kann ein Mann, wie Sie, sich ärgern über so einen armen Teufel? Ich komme als Postillon d'amour. Zieht ein zierliches Briefchen hervor.

ROBERT
erbricht und liest.

Von Frau von Goldheim; sie nimmt meine Bewerbung an und bittet mich, die einzelnen Punkte des Ehekontraktes mit Ihnen zu besprechen.

[90]
TOSSMANN.
Haben Sie Zeit, so kann dies sogleich geschehen.
ROBERT.
Ich stehe ganz zu Diensten, erlauben Sie mir nur noch einige Verfügungen zu treffen.
TOSSMANN.
Nach Belieben!
ROBERT.
Darf ich Ihnen indessen eine Zigarre anbieten?
TOSSMANN.

Danke verbindlich! Nimmt eine Zigarre. Kann ich Ihnen gleichfalls dienen? Zieht ein elegantes Zigarrenetui hervor.

ROBERT
nimmt eine Zigarre aus dem dargereichten Etui.
Eine gute Sorte!
TOSSMANN.
Fünfzehn Gulden das Hundert! Setzt sich nachlässig und brennt sich eine Zigarre an.
ROBERT.
Christoph! Die Vorbereitungen zu dem Feste, welches ich heute geben will, sind doch alle getroffen?
CHRISTOPH.
Ganz nach Euer Gnaden Angabe.
ROBERT
zu Toßmann.
Sie kommen doch auch?
TOSSMANN.
Ich werde kommen!
ROBERT.

Ich hoffe, Sie werden sich amüsieren. – Ich habe gesucht, die Gesellschaft recht pikant zusammenzustellen und habe deshalb auch die ersten Mitglieder der hiesigen Operngesellschaft geladen.

TOSSMANN.
Ei! Sie werden ja in neuerer Zeit ein wahrer Mäcen der Kunst.
ROBERT.

Ja, ich liebe das Theater; und die dramatischen Künstler sind mir schon deshalb lieb, weil sie die einzigen Menschen sind, die es wenigstens offen bekennen, daß sie von der Täuschung ihrer Mitmenschen leben.

[91]
TOSSMANN.
Die Welt sagt aber, daß Sie gewissen Künstlerinnen noch mehr gewogen sind als den Künstlern.
ROBERT.
Haha! Sie meinen die niedliche Sängerin Morheim, oh – 's ist alles nur Liebe zur Kunst!
TOSSMANN.

Die Liebe zur Kunst kann doch nur im Theater befriedigt werden; – aber Sie sollen sie ja auch besuchen?

ROBERT.

Eben aus Liebe zur Kunst! Sehen Sie – an dieser Sängerin wird eben mit Recht getadelt, daß sie zu wenig Schauspielerin ist; aber ich versichere Sie – in ihrem Hause – einem Millionär gegenüber – ist sie die vortrefflichste Schauspielerin. Zu Christoph. War der Juwelier noch nicht da? –

CHRISTOPH.
Werde sogleich sehen. Geht zur Seitentür, öffnet sie und spricht zurück. Er ist im Vorzimmer –
ROBERT.
Nun – nur herein! Nur herein!
6. Szene
Sechste Szene.
Vorige. Juwelier Glanzberg, Madame Flor, treten zugleich ein.

ROBERT.
Guten Morgen! – Bringen Sie mir die Agraffe?
GLANZBERG.

Aufzuwarten! Er öffnet ein Samtetui und läßt die Agraffe sehen. Ich hoffe, sie ist nach Ihrem Geschmacke. –

ROBERT.
Ah! Charmant! Charmant!
TOSSMANN
steht auf und besieht den Schmuck.
Für wen?
ROBERT.
Ein Souvenir für die Morheim.
TOSSMANN
mit geringschätzendem Lächeln.
Für die Morheim!
[92]
ROBERT
zu Glanzberg.
Ich bin zufrieden! – Haben Sie die Rechnung bei sich? –
GLANZBERG.
Wenn ich so frei sein darf! Zieht die Brieftasche und aus derselben ein Papier hervor.
ROBERT
bemerkt Madame Flor.
Wer ist diese Frau?
CHRISTOPH.
Ich weiß nicht, sie ist mir so mit hereingerutscht –
MADAME FLOR
zu Robert.
Gnädiger Herr – Verzeihung meiner Kühnheit – aber mein Unglück –
CHRISTOPH.
Um alles in der Welt – eine Bettelei hier – mitten im Prachtsalon –
ROBERT
mit einem strengen Blick zu Christoph.

Mein Haus ist gut bewacht, wie ich sehe! – Zu Madame Flor. Sprechen Sie, sprechen Sie, meine Zeit ist gemessen!

MADAME FLOR.

Ich bin die Frau des Malers Flor, welchen Sie öfter mit Aufträgen beehrten. – Er litt seit längerer Zeit schon an einem Augenübel, welches sich durch die fortwährende Anstrengung verschlimmerte, und – gestern – namenloses Unglück – war es plötzlich Nacht vor seinen Augen – er ist erblindet!

TOSSMANN
hört diese Klage ganz gleichgültig an und raucht ruhig fort.
ROBERT UND HELFER.
Erblindet!
MADAME FLOR.

Kann es ein größeres Unglück geben? – Gnädiger Herr – wir haben drei Kinder und der ernährende Vater erblindet!

ROBERT
von Rührung erfaßt.
Erblindet!
MADAME FLOR.
Erbarmen Sie sich unserer Not!
HELFER.
Robert! Diese Arme wirfst du doch nicht unbeschenkt von dir lassen?
ROBERT
ärgerlich.
Ja seid Ihr denn noch da? Wollt Ihr mich stets hofmeistern?
[93]
HELFER.
Aber dieses Unglück –
ROBERT.
Dieses Unglück! – Wer weiß, ob es nicht wieder eine kluge Erfindung ist?
MADAME FLOR.
Gnädiger Herr – überzeugen Sie sich selbst!
ROBERT.

Wie soll ich mich überzeugen? Ich bin weder ein Augenarzt noch ein Armenkommissär. – Es ist merkwürdig; man sollte entweder mit der halben Überzeugung, daß man betrogen wird, in den Säckel greifen, oder man hätte den ganzen Tag über nichts zu tun, als in den dumpfigen Behausungen des Elends herumzugehen. Dazu sind die Armenväter in den Gemeinden und die Armeninstitute. Ich gebe jährlich an diese eine Summe; sie mögen nun damit gebaren, wie sie's für gut befinden. Also wenden Sie sich an eine solche Anstalt. – Adieu!- Adieu! Will fort, bemerkt aber Glanzberg, welcher die Rechnung in der Hand hält. Ja so, Ihre Rechnung, Besieht sie. 1500 fl.? – Nun – 's ist nich überhalten. – Eine Bleifeder!

CHRISTOPH
reicht ihm eine.
Hier, Euer Gnaden!
ROBERT
unterzeichnet die Rechnung und gibt sie an Glanzberg zurück.

So – mein Kassier wird Ihnen die Summe sogleich auszahlen. Christoph, diese Agraffe wird noch heute an Fräulein Morheim mit meinen freundschaftlichen Grüßen überbracht! Kommen Sie, lieber Toßmann!


Ab ins Nebenzimmer.
TOSSMANN
will folgen.
HELFER.

Tausendfünfhundert Gulden für eine Kokette und diese Arme – Auf Toßmann zueilend und ihn zurückhaltend. Herr von Toßmann! Sie sind einer der reichsten Männer! – Man spricht allgemein von Ihrer Großmut – erbarmen Sie sich! –

[94]
TOSSMANN.

Spricht man von meiner Großmut? Das ist mir lieb! – Aber wißt Ihr, warum man spricht von meiner Großmut? Antwort: weil ich nie etwas gebe, als wenn ich weiß, daß es kommt gedruckt in die Zeitung. Wenn diese Frau wird machen lassen einen öffentlichen Aufruf an die Wohltätigkeit in der Zeitung, so werden Sie Tags darauf lesen in der Zeitung: »Bankier Toßmann hat gegeben hundert Gulden!« Aber so privatim gebe ich nichts; die Wohltätigkeit ist eine sehr schöne Tugend, aber man muß selbst etwas haben davon. Ab.

MADAME FLOR.
O mein Himmel, auch hier vergebens gebeten! Geht weinend ab.
GLANZBERG
für sich.

Ich hatte die Rechnung etwas höher gestellt, weil ich dachte, er würde etwas abbrechen wollen; aber so ist's desto besser! Ich wünsche mir keine andere Bestellung als für die Geliebten der Reichen. Ab.

7. Szene
Siebente Szene.
Helfer. Christoph.

HELFER.

Er ist verloren – keine der schönen Hoffnungen, die ich von ihm hegte, wird erfüllt! – Wenn's aber zum Äußersten kommt – dann – o Himmel! Ich zitt're selbst vor dem Gedanken; – aber ich fürchte, ich fürchte, es bleibt nur der eine Ausweg über! – Herr Christoph – sagen Sie mir – wenn ich nicht irre, war die Sprache von einer Vermählung? – Hörte ich recht?

CHRISTOPH
welcher sich nachlässig in den Diwan geworfen und sich auch eine Zigarre angebrannt hat.
Oui! Sie [95] dürfen mit Ihren Gehörswerkzeugen vollkommen zufrieden sein!
HELFER.
Mit wem? Mit wem?
CHRISTOPH.

Wissen Sie das noch nicht, wovon schon die ganze Stadt voll ist? – Wir heiraten die Frau von Goldheim –

HELFER.

Wie? – Was? Diese Frau – die als übermütig, stolz und hartherzig bekannt ist? Diese Heirat wäre der Schlußstein seines Verderbens. Indem er diese Ehe schließt, versperrt er sich selbst den Weg zur Rückkehr – nein – nein, er darf nicht!

CHRISTOPH.

Hahaha! Das kostet mich eine Portion Hohngelächter. – Er darf nicht! 's ist nur schade, daß er Sie wahrscheinlich nicht um Erlaubnis bitten wird.

HELFER
mit Bestimmtheit.
Ich sage Ihnen, diese Ehe wird nicht geschlossen! Noch einmal will ich mit ihm sprechen.
CHRISTOPH.
Wird ihm ein außerordentliches Vergnügen sein.
HELFER.

Noch einmal – und hört er mich nicht, will er seinem Verderben entgegen eilen, dann reiße ich ihn mit Gewalt zurück; es kostet mich ein Wort – ein einziges Wort, und so wahr ich einst ruhig sterben will, ich spreche dieses Wort aus! Eilt ab.

CHRISTOPH
nachdem Helfer abgegangen.

Der wächst sich ganz auf den Solon hinaus, der gegen einen gewissen Krösus auch so impertinent diskuriert hat. – Mein Gott! Was sich die Leute immer nach Beispielen aus der Geschichte richten wollen! Da sind s' übel daran; denn es gibt eine Menge Ereignisse, die zwar historisch wahr, aber doch heutzutage nicht anwendbar sind.


[96] Couplet.


1.

So mancher hat's Ehrenwort immer im Mund,
Borgt Geld, schwört auf Ehre er zahlt es zur Stund';
So oft er ein'm Mädel macht schwindelnd die Cour,
Verspricht er: »Auf Ehre!« die heirat' ich nur;
Sogar im Kaffeehaus, wann's Geld schon ist hin,
Spielt er noch um d'Ehre die letzten Partien.
Wenn man da an Regulus denkt in der G'schicht'
Der nur mit sein'm Wort seine Rückkehr verspricht,
Der weiß, daß die Feind' ihm den Martertod geb'n,
Und doch lieber stirbt, als so wortbrüchig z'leb'n: –
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

2.

Wir leben im Zeitalter der Industrie,
's Maschinenrad rädert jetzt die Poesie,
»Nur praktisch!« das ist jetzt der Wahlspruch im Leb'n,
Und will schönern Träumen sich einer ergeb'n –
Und widmet der Dichtkunst er sich ganz und gar,
So sagen die g'scheiten Leut': »Das ist ein Narr!«
Wenn man so an Sophokles denkt in der G'schicht'!
Als wahnsinnig sollt' ihn erklär'n das Gericht,
Da schrieb er ein Trauerspiel und drauf, wie bekannt,
Beugt' sich selbst der Richter vor seinem Verstand:
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

3.

Es dient einer in einer Herrschaftskanzlei,
Der macht alle Wochen drei Tag' g'wiß sich frei,
Und ist er da, läßt er die Arbeit hübsch lieg'n
Und liest höchstens Zeitungen zu sein'm Vergnüg'n;
[97]
Und doch avanciert er noch außer der Tour,
Denn der Chef ist sein Vetter – das schützet ihn nur! –
Wenn man da an Brutus denkt in der G'schicht',
Der schonte die eigenen Söhne selbst nicht,
Und weil sie gefrevelt am Feldherrngebot,
Verurteilt' s' der eigene Vater zum Tod:
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

4.

Sieht man manche Frau jetzt, die hat einen Mann,
Der tut all's, was er nur im Aug' ihr sieht an,
Und doch, wann er oft auf ein Stündchen geht aus,
So paßt schon der Hausfreund und schleicht sich ins Haus.
Sogar in Gesellschaft tut sie sich drin g'fall'n,
Recht auffallend mit den Eroberungen z'prahl'n!
Denkt man an Lukretia da in der G'schicht',
Die einst, nur gezwungen, verletzt' ihre Pflicht
Und die drauf, empöret vor Scham und vor Schmerz,
Sich selber den Dolch hat gestoßen ins Herz:
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

5.

Es gibt manchen Dichter, der seine Gedicht',
So nach der Patron' für Geburtsfeste richt't,
Und dann bei den Gönnern lang antichambriert
Und mit Katzenbuckeln sein Lied offeriert
Und neuen Begeisterungsquell sauget ein,
Wenn man ihm in d'Hand druckt ein Fünfguldenschein!
Denkt man an Diogenes da in der G'schicht',
Zu dem Alexander, der mächtige, spricht:
[98]
»Nenn' mir einen Wunsch und erfüllt ist er schon,«
Und der darauf sagt: »Geh mir aus der Sonn'!«
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

6.

Sieht man auf'm Theater so manchen Akteur,
Der bleibt immer vorn stehn, gleich beim Souffleur,
Und blicket stets sehnsuchtsvoll nur nach ihm hin,
Trifft von seiner Rolle nicht einmal den Sinn,
Und hat er zu sagen was im Hintergrund,
Verspricht er sich zehnmal g'wiß jede Viertelstund'!
Denkt man an die Griechen da in der G'schicht',
Da kannte die Mod' des Soufflierens man nicht,
Es spielt' ein jeder auswendig die Roll'
Und spielte, ohne stecken zu bleiben, begeisterungsvoll:
Das ist gewiß historisch wahr,
Doch heutzutage nicht anwendbar!

Ab.

Verwandlung.
Ein Pavillon; in der Hinterwand desselben eine Bogenwölbung, durch welche man die Aussicht in den Park hat, welcher die ganze Tiefe des Theaters einnimmt. Der Pavillon ist mit Lustern und Kandelabern, die Gänge des Parks mit farbigen Rampen reich beleuchtet. Eine Menge Gäste bewegen sich gruppenweise im Park; – von der Seite her hört man eine rauschende Ballmusik.
8. Szene
Achte Szene.
Robert kommt mit mehreren seiner Gäste und tritt mit ihnen in den Pavillon.

ROBERT
etwas aufgeregt.

Hieher meine Herren! – Setzen Sie sich! Sie kennen meine Weise; bei den Festen, welche ich gebe, suche ich mir immer so[99] den Succus der Gesellschaft, die Heitersten und Tollsten aus, verbringe mit ihnen einige Stunden beim vollen Becher, bei Scherz und Gesang – und habe dann, wenn's recht brausend und toll hergeht, Augenblicke, wo mir die ganze Welt ganz gut vorkommt. – Zu einem Diener. Schenkt ein! Schenkt ein! Es wird eine bereits gedeckte Tafel herausgetragen und Champagner kredenzt.

TOSSMANN
eintretend.
Herr von Starr! Eine Überraschung, eine frohe Überraschung steht Ihnen bevor! –
ROBERT
tritt mit ihm in den Vordergrund.
Nun, laßt hören!
TOSSMANN.

Frau von Goldheim hat von diesem Feste gehört; sie ladet sich selbst dazu ein und erlaubt Ihnen, sie der Gesellschaft als Ihre Braut vorzustellen.

ROBERT.
Vortrefflich – das gibt dem Feste erst Bedeutung; ich hole sie in meinem Wagen ab.
TOSSMANN.

Nur wünscht sie, um sich selbst mit Sicherheit als Ihre Braut betrachten zu können, daß der Kontrakt früher unterzeichnet sei.

ROBERT.
Ist denn der Kontrakt bereits aufgesetzt?
TOSSMANN.

Jawohl! Frau von Goldheim hat ihn bereits unterfertigt und es kostet Sie nur einen Federzug – Zieht den Kontrakt hervor.

ROBERT.

Hahaha – recht so! – Mitten im Freudengelage einen Ehekontrakt unterschrieben, gut – gut! – Ein mutiger Schwimmer, stürz' ich kopfüber in den reißenden Strom. Tritt zu einem Tische und ergreift eine Feder. Ja so – ich muß auch zwei Zeugen haben. Zur Gesellschaft. Meine Herren – wer von Ihnen ist wohl sogefällig, sich hier als Zeuge mit zu unterfertigen? – Es ist mein Ehekontrakt. Er will unterschreiben.

[100]
HELFER
ist schon früher eingetreten, eilt vor und faßt heftig Roberts Arm.
Robert! Halt ein! –
ROBERT.

Was? Ihr schon wieder hier? Ich denk', Ihr solltet es doch selbst fühlen, daß Ihr in solche Zirkel nicht paßt.

HELFER.

Die Angst hat mich hieher getrieben. – Robert, unterschreibe den Kontrakt nicht; – denk' an Henrietten!

ROBERT.
Ihr seid betrunken, Alter! – Geht – geht!Wendet sich wieder zum Tische und will schreiben.
HELFER
fällt ihm nochmals in den Arm.

Du darfst nicht, Robert – du darfst nicht – beim Himmel!Hastig, aber leise im bittenden Tone. Robert! Ich beschwöre dich – unterschreibe nicht – nur jetzt nicht – laß mich früher noch allein mit dir sprechen. Hält Roberts Hand mit beiden Händen fest.

ROBERT.

Unverschämtheit ohnegleichen! Reißt seine Hand los. Verlaßt mich, Wahnsinniger, oder bei Gott! – Erhebt im Zorne die Hand gegen ihn.

HELFER
zurückfahrend.
Halt – schlag' deinen Vater nicht!
ALLE.
Was? Vater?
ROBERT
ihn starr ansehend.
Was sagt Ihr?
HELFER
in höchster Aufregung.
Ja, ich sag's – ich wiederhole es – ich – bin dein Vater! –
TOSSMANN
aufmerksam, doch ohne seine Fassung zu verlieren.

Was ist das – lieber Alter? Herr von Starr ist nicht der Sohn des verstorbenen Försters Simon Starr? Wie kommt dies?

HELFER.

Als der wahre Sohn des Försters Starr noch kaum ein Jahr alt war, mußten seine Eltern eine Reise unternehmen. Das Kind aber war sehr krank und wurde deshalb meiner Frau übergeben; aber an dem Tage, an welchem der [101] Förster zurück kam, sein Kind abzuholen, fand er es bereits im Sarge. Der arme Mann wagte es nicht, der Mutter die Nachricht zu bringen; ich hatte damals sechs Kin der – eines davon war im gleichen Alter mit dem eben Verstorbenen. Halb bewußt, halb willenlos gaben wir dem Förster unser Kind, er trug es als das seinige an die Brust der getäuschten Mutter.

TOSSMANN.
Habt Ihr für Eure Aussage Beweise?
HELFER.
Hier ist der Beweis: – der Totenschein von des Försters einzigem Kinde. Übergibt Toßmann ein Papier.
TOSSMANN
liest es.

Das ändert den Kurs gewaltig.Tritt zu Robert. Herr Helfer, können Sie beweisen, daß Sie doch sind der Sohn des Försters Simon Starr?

ROBERT
welcher vernichtet in ein Fauteuil gesunken.
Ich kann es nicht!
TOSSMANN.

Sie wissen die Klausel im Testament. Wollen Sie sich daher freiwillig Ihres unrechtmäßigen Vermögens zu meinen Gunsten begeben oder soll ich richterliche Hilfe in Anspruch nehmen?

ROBERT.
Ich glaube den Worten meines Vaters – ich entsage!
TOSSMANN.

Haben Sie gehört, meine Herren? Er entsagt! – Durch dieses Wort bin ich Herr dieses Hauses. Sie werden einsehen, daß in meinem Hause nur ein von mir veranstaltetes Fest stattfinden kann – und daß daher der heutige Ball sein Ende hat. Ich empfehle mich Ihnen!


Sämtliche Gäste ab.
TOSSMANN.

Der rasche Wechsel scheint den jungen Mann etwas angegriffen zu haben. Bringt [102] ihn zu Bette; ich erlaube, daß er diese Nacht noch in meinem Schlosse zubringe. Ab.

HELFER
eilt auf Robert zu und faßt seine Hand.

Mein Sohn! – Ich habe den Tempel deines Glückes zertrümmert und mein Herz blutet; – doch es war ein Götzentempel – der Himmel ist mein Zeuge – ich konnte nichts anders! – Ermanne dich! – Was jetzt dir als ein namenloses Unglück erscheint – das ist vielleicht der Grundstein deines wahren Glückes. Eilt ab.

ROBERT
sieht sich mit starren Blicken ringsum wie vom Froste geschüttelt.

Ich bin allein! – Wie schnell haben mich alle verlassen, die mich, wie Bienen einen blühenden Strauch, umschwärmten! – Die Blüten sind abgefallen, es gibt keinen Honig mehr zu holen – ich bin allein – hier – allein in der Welt! – Keinen Freund, der seine Hand mir reicht – kein Herz – das für mich schlägt! – Doch – warum faßt der Gedanke jetzt mich so eisigkalt an? – Habe ich nicht längst erkannt, daß es keine Freundschaft, keine Liebe gebe? – Doch da war ich reich – da konnte ich im Genuß mich übertäuben; – ja – nur der Reiche kann mit leerem Herzen leben – aber arm und hilflos hinaustreten in die Welt – mit einer Brust – die nichts ist als eine Grabesstätte gemordeter Gefühle, ich vermag's nicht! – Bedeckt, wie vernichtet, das Gesicht mit beiden Händen.

9. Szene
Neunte Szene.
Robert, Henriette und Helfer.

HENRIETTE
tritt mit Helfer leise aus einer Seitentür.

Roberts Situation gewahr werdend, stößt sie einen heftigen Schrei aus, eilt auf ihn zu und klammert sich an seinem Arm. Robert!

[103]
ROBERT.
Henriette, du hier!
HENRIETTE.

Ja, jetzt erst kann ich dir nahen – weil ich dir jetzt erst meine Liebe beweisen kann. Dein Reichtum hätte sie immer verdächtigt; – jetzt aber – wo du allein, arm und verlassen stehst, jetzt wirst du mir doch glauben, wenn ich dir sage: Ich, ich allein habe dich wahrhaft und uneigennützig geliebt – ich liebe dich noch und werde dich lieben, bis mein Auge bricht.

ROBERT.

Liebe? Liebe? O das Wort fällt in mein Herz, wie des Himmels Tau auf dürre Erde! Henriette! – Meine Henriette! Mir, dem Bettler, bekennst du deine Liebe! Sinkt ihr an die Brust.

HENRIETTE.

Werden auch nicht stolze Säulen das Dach unseres Hauses tragen, so wird es doch schöner noch das Immergrün der Liebe umranken.

ROBERT
ihr zu Füßen sinkend.

Henriette, wie konnt' ich mich an dir versündigen! – Kannst du mir verzeihen? Sich erhebend. Mein Vater! Du gibst mir tausendfach, was du mir genommen. – Behaltet eure Millionen, den Reichtum Helfer und Henriette umarmend. wiegen sie nicht auf!Während der letzten Szene ist im Park der Vollmond aufgegangen und beleuchtet die Gegend mit sanftem Lichte.


Der Vorhang fällt.

Ende.

[104]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

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TextGrid Repository (2012). Kaiser, Friedrich. Dramen. Die Schule des Armen. Die Schule des Armen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8E59-4