[56] Ewald Christian von Kleist
Gedichte
vom Verfasser des Frühling

[57] [8]Vorrede

Gegenwärtige Ausgabe der Gedichte dieses Verfassers ist die einzige, die unter seinen Augen seit zehn Jahren, da die ersten Abschriften herumgiengen, besorgt worden ist. Die bisherigen haben nur den Frühling nebst einigen wenigen andern Stücken enthalten; bey der jetzigen aber ist alles hinzugekommen, was der Verfasser für seine Arbeit erkennet. Das Lob der Gottheit und die Sehnsucht nach Ruhe, würde er nach der ihm gegen seine Arbeiten eigenen Strenge weggelassen haben, wenn nicht Kenner die Fehler, die er darinnen zu finden meinet, des vielen guten wegen für unbeträchtlich gehalten hätten. Einer seiner Freunde hat eine italiänische Übersetzung des Frühlings veranlasset, welche von dem Herrn von Tagliazucchi, Dramatischen Dichter des Königs verfertiget, und der Gesellschaft der Arcadier in Rom zugeschrieben worden ist. Man hat diese wohlgerathene Übersetzung zur Ehre der deutschen Poesie in dieser Ausgabe beybehalten, und sie den Liebhabern der italiänischen Sprache mittheilen wollen. Übrigens hat der Verfasser niemahls den Namen eines Dichters, sondern bloß den Namen eines Freundes der schönen Wissenschaften zu verdienen gesucht. Freudige Minuten haben ihm seine Verse eingeflösset, und nicht der Wunsch des Nachruhms, noch des allgemeinen Beyfalls. Er überläßt es den Homeren Deutschlandes durch grössere Werke für den Ruhm der deutschen Nation zu sorgen.

Der Herausgeber.

[8] Vorrede des Verfassers zum Frühling

Gegenwärtiges Gedicht ist nicht so wohl eine ausführliche Beschreibung des Frühlings, seiner Abwechslungen und Wirkungen auf die Thiere, Gewächse, u.d. gl. als vielmehr eine Abbildung der Gestalt und Bewohner der Erde, wie sie sich an einem Tage ohngefähr in der Mitte des Frühlings des Verfassers Augen dargebothen. Er hat diesen Weg zu erwählen nöthig gehalten, um was Neues zu sagen; denn auf erstere Weise haben schon viele, und zwar Thomson unnachahmbar, diese Jahrszeit besungen. Übrigens verspricht sich der Verfasser keinen allgemeinen Beyfall, und verlangt ihn auch nicht. Er sagt:


Lobt G. und B. nur mein neues Saitenspiel,
Der ganze Helikon mag bleiben wer er will.

Diejenigen, denen diese Versart nicht gefällt, werden ersucht zu vergessen, daß es Verse sind, und das Gedicht wie Prose zu lesen.

Schema der Versart


[9][11]

Der Frühling, ein Gedicht

Empfang mich, schattigter Hayn, voll hoher grüner Gewölbe!
Empfang mich! fülle mit Ruh und holder Wehmuth die Seele!
Führ mich in Gängen voll Nacht zum glänzenden Throne der Tugend,
Der um sich die Schatten erhellt. Lehr mich den Wiederhall reizen
Zum Ruhm verjüngter Natur. Und ihr, ihr lachenden Wiesen!
Ihr holde Thäler voll Rosen, von lauten Bächen durchirret!
Mit euren Düften will ich in mich Zufriedenheit ziehen,
Und wenn Aurora euch weckt, mit ihren Stralen sie trincken.
Gestreckt im Schatten will ich in güldne Sayten die Freude,
Die in euch wohnet, besingen. Reitzt und begeistert die Sinnen,
Daß meine Töne die Gegend, wie Zephyrs Lispeln, erfüllen,
Und wie die rieselnden Bäche.
Auf rosenfarbnen Gewölcke, bekräntzt mit Tulpen und Veilchen,
Sank jüngst der Frühling vom Himmel. Aus seinem Busen ergoß sich
[11][13]
Die Milch der Erden in Strömen. Schnell rollte von Hügeln und Bergen,
Der Schnee in Haufen herab, und Felder wurden zu Seen, – – – – – – – –
[13][15]
Allmählich verseigte die Fluth. Von eilenden Dünsten und Wolcken
Flohn junge Schatten umher. Es schien der Himmel erweitert,
Und war voll Schimmer und Strahlen. Zwar streute der weichende Winter
Noch oft bey nächtlicher Umkehr von den geschüttelten Flügeln
Reif, Eis und Schauer von Schnee; noch liessen wüthrische Stürme
Die rauhe dumpfigte Stimm aus Islands Gegend ertönen,
Durchstreiften klagende Klüfte, verheerten taumelnde Wälder,
Und bliesen Schrecken und Furcht herum, Verderben und Kälte.
Doch endlich siegte der vor noch ungesicherte Frühling.
Die Luft ward sanfter; es deckt' ein bunter Teppich die Felder,
Die Schatten wurden belaubt, ein sanft Getöne erwachte,
Und floh und wirbelt umher im Hain voll grünlicher Dämmrung,
Die Bäche färbten sich silbern, im Luftraum flossen Gerüche,
Und Echo höret' im Grunde die frühe Flöte des Hirten.
[15][17]
Ihr, deren zweifelhaft Leben gleich trüben Tagen des Winters,
Ohn Licht und Freude verfließt, die ihr in Höhlen des Elends
Die finstern Stunden verseufzt, betrachtet die Jugend des Jahres!
Dreht ietzt die Augen umher, laßt tausend farbigte Scenen
Die schwarzen Bilder verfärben! Es mag die niedrige Ruhmsucht,
Die schwache Rachgier, der Geitz und seufzender Blutdurst sich härmen;
Ihr seyd zur Freude geschaffen, der Schmerz schimpft Tugend und Unschuld.
Saugt Lust und Anmuth in euch! schaut her, sie gleitet im Luftkreis
Und grünt und rieselt im Thal. Und ihr, ihr Bilder des Frühlings,
Ihr blühenden Schönen! flieht ietzt den athemraubenden Aushauch
Von güldnen Kerkern der Städte. Kommt, Kommt in winkende Felder!
Kommt! überlasset dem Zephyr die kleinen Wellen der Locken,
Seht euch in Seen und Bächen, gleich jungen Blumen des Ufers.
Pflückt Morgentulpen voll Thau, und ziert den wallenden Busen.
Hier wo der spitzige Fels, bekleidet mit Sträuchen und Tannen
Zur Hälfte den bläulichen Strom, sich drüber neigend beschattet,
Will ich ins Grüne mich setzen auf seinen Gipfel, und um mich
Thal und Gefilde beschauen. O welch ein frohes Gewühle
Belebt das streifichte Land! Wie lieblich lächelt die Anmuth
[17][19]
Aus Wald und Büschen hervor! Ein Zaun von blühenden Dornen
Umschließt und röthet ringsum die sich verlierende Weite
Vom niedrigen Himmel gedrückt. Von bunten Moonblumen laufen,
Mit grünem Weitzen versetzt, sich schmälernde Beete ins Ferne,
Durchkreutzt von blühendem Flachs. Feld-Rosenhecken und Schleestrauch
In Blüthen gleichsam gehüllt, umkränzen die Spiegel der Teiche
Und sehn sich drinnen. Zur Seite blitzt aus dem grünlichen Meere
Ein Meer voll güldener Stralen, durch Phöbus glänzenden Anblick.
Es schimmert sein gelbes Gestade von Muscheln und farbichten Steinen,
Und Lieb und Freude durchtaumelt in kleiner Fische Geschwadern,
Und in den Riesen des Wassers die unabsehbare Fläche.
Auf fernen Wiesen am See stehn majestätische Rosse,
Sie werfen den Nacken empor und fliehn und wiehern, für Wollust,
Daß Hayn und Felsen erschallt. Gefleckte Kühe durchwaten,
Geführt vom ernsthaften Stier, des Meierhofs büschichte Sümpfe,
Der finstre Linden durchsieht. Ein Gang von Espen und Ulmen
Führt zu ihm, welchen ein Bach durchblinkt, in Binsen sich windend,
Von Reihern und Schwänen bewohnt. Gebirge, die Brüste der Reben
Stehn frölich um ihn herum; sie ragen über den Buchwald,
Des Hügels Krone, davon ein Theil im Sonnenschein lächelt
[19][21]
Und glänzt, der andere traurt im Flor vom Schatten der Wolken.
Die Lerche steigt in die Luft, sieht unter sich Klippen und Thäler;
Entzückung tönet aus ihr. Der Klang des wirbelnden Liedes
Ergetzt den ackernden Landmann. Er horcht eine Weile: dann lehnt er
Sich auf den gleitenden Pflug, zieht braune Wellen ins Erdreich,
Verfolgt von Krähen und Elstern. Der Saemann schreitet gemessen,
Und wirft den Saamen ihm nach. O daß der mühsame Landwirth
Für sich den Segen nur streute! Daß ihn die Weinstöcke tränkten
Und in den Wiesen für ihn nur bunte Wogen sich wälzten!
Allein, der frässige Krieg vom Zähne bleckenden Hunger
Und wilden Schaaren begleitet, verheert oft Arbeit und Hofnung.
Er stürmet rasend einher, zertritt die nährenden Halmen,
Reißt Stab und Reben zu Boden, entzündet Dörfer und Wälder
Für sich zum flammenden Lustspiel. Wie wenn der Rachen des Ätna
[21][23]
Mit ängstlich-wildem Geschrey, daß Meer und Klippen es hören,
Die Gegend um sich herum, vom untern Donner zerrüttet,
Mit Schrecken und Tod überspeyt, und einer flammenden Sündfluth.
Ihr, denen zwanglose Völker das Steuer der Herrschaft vertrauen,
Führt ihr durch Flammen und Blut sie zur Glückseligkeit Hafen?
Was wünscht ihr Väter der Menschen noch mehrere Kinder? Ists wenig
Viel Millionen beglücken? Erforderts wenige Mühe?
O mehrt derjenigen Heil, die eure Fittiche suchen,
Deckt sie gleich brütenden Adlern; verwandelt die Schwerdter in Sicheln,
[23][25]
Laßt güldne Wogen im Meer, fürs Land, durch Schiffahrt sich thürmen,
Erhebt die Weisheit im Kittel, und trocknet die Zähren der Tugend.
Wohin verführt mich der Schmerz! Weicht, weicht ihr traurigen Bilder,
Komm Muse! laß uns die Wohnung und häusliche Wirthschaft des Landmanns
Und Viehzucht und Gärte betrachten. Hier steigt kein Marmor aus Bergen,
Und zeuget Kämpfer, kein Taxus spitzt sich vor Schlössern, kein Wasser
Folgt hier dem Zuruf der Kunst. Verschränckte wölkichte Wipfel
Von hohen Linden, beschatten ein Haus von Reben umkrochen,
Durch Dorn und Hecken befestigt. Ein Teich glänzt mitten im Hofe
Mit grünem Floßkraut bestreut, wodurch aus scheinbarer Tiefe
Des Himmels Ebenbild blinkt. Er wimmelt von zahmen Bewohnern.
Die Henne jammert ums Ufer, und ruft die gleitenden Entchen,
Die sie gebrütet; sie fliehn der Stiefmutter Stimme, durchplätschern
Die Fluth, und nagen am Schilf. Voll majestätischen Ernstes
Schwimmt hier der Schwan, und treibet fern von der Lustbahn der Jungen
Mit starken Flügeln den Schießhund. Nun spielen die haarigten Kinder
[25][27]
Sie tauchen den Kopf ins Wasser, sie hängen im Gleichgewicht abwerts
Und zeigen die rudernde Füsse. Dort läuft ein munteres Mädchen
Sein buntes Körbchen am Arm, verfolgt von weitschreitenden Hünern.
Nun steht es, und täuscht sie leichtfertig mit eitelem Wurfe; begießt sie
Nun plötzlich mit Körnern und sieht sie vom Rücken sich essen und zanken.
Dort lauscht in dunkeler Höhle das weisse Kaninchen, und drehet
Die rothen Augen umher. Aus seines Wohnhauses Fenster
Sieht das Lachtäubchen sich um, es kratzt den röthlichen Nacken,
Und fliegt zum Liebling aufs Dach. Er zürnt ob dessen Verweilen
Und dreht sich um sich und schilt. Bald rührt ihn das Schmeicheln der Schönen,
Viel Küsse werden verschwendet, bis sie mit schnellem Gefieder
Die Luft durchlispeln, und aufwärts sich zu Gespielen gesellen,
Die blitzend im Sonnenglanz schwärmen. Von blühenden Fruchtbäumen schimmert
Der Garten, die kreutzende Gänge mit rother Dunkelheit füllen,
Und Zephyr gaukelt umher, treibt Wolken von Blüthen zur Höhe,
Die sich ergiessen und regnen. Zwar hat hier Wollust und Hochmuth
Nicht Nahrung von Mohren entlehnt und sie gepflanzet; nicht Myrthen,
[27][29]
Nicht Aloen blicken durch Fenster. Das nutzbare Schöne vergnüget
Den Landmann, und etwan ein Kranz. Durch lange Gewölbe von Nußstrauch
Zeigt sich voll laufender Wolken der Himmel, und ferne Gefilde
Voll Seen und büschichter Thäler, umringt mit blauen Gebirgen.
Das Auge durchirret den Auftritt, bis ihn ein näherer schliesset.
Die Fürstinn der Blumen, die Tulp' erhebt die Krone zur Seiten
Hoch über Aurikeln, dran Flora all' ihre Farben verschwendet.
Die holde Mayblume drengt die Silberglöckchen durch Blätter,
Und manche Rose durchbricht schon ungeduldig die Knospe.
Es steigen holde Gerüche, vermischt vom Garten zur Höhe,
Und füllen mit Balsam die Luft. Die Nachtviole läßt immer
Die stolzeren Blumen den Duft verhauchen; voll Edelmuth schließt sie
Ihn ein, im Vorsatz den Abend noch über den Tag zu verschönern.
Ein Bildniß grosser Gemüther, die nicht gleich pralrischen Kämpfern
Der Kreis von Zuschauern reitzt, die tugendhaft wegen der Tugend
In der Verborgenheit Schatten Gerüche der Wohlthaten streuen.
Seht hin, wie brüstet der Pfau sich dort am farbichten Beete!
[29][31]
Voll Eifersucht über die Kleidung der frölichen Blumen stolzirt er,
Kreist rauschend den grünlichen Schweif voll Regenbögen, und wendet
Den farbenwechselnden Hals. Die Schmetterlinge sich jagend,
Umwälzen sich über den Bäumen mit bunten Flügeln, voll Liebe,
Und unentschlossen im Wählen beschauen sie Knospen und Blüthe.
Indessen impfet der Herr des Gartens Zweige von Kirschen
Durchsägten Schleestämmen ein, die künftig über die Kinder
Die sie gesäuget, erstaunen. Das Bild der Anmuth, die Hausfrau
Sitzt in der Laube von Reben, pflanzt Stauden und Blumen auf Leinwand,
Die Freude lächelt aus ihr; ein Kind, der Gratien Liebling
Hängt ihr mit zarten Armen am Hals, und hindert sie schmeichelnd,
Ein anders tändelt im Klee, sinnt nach, und stammelt Gedanken.
O dreymahl seliges Volk, dem einsam in Gründen die Tage
Wie sanfte Weste verfliegen! Laß andre dem Pöbel, der Dächer
Und Bäum' ersteiget, zur Schau in Siegeswägen sich brüsten,
Von Elephanten gezogen; laß sie mit Heeren von Schiffen
Untreue Wellen bedecken, und Japan in Westen versetzen.
Der ist ein Liebling des Himmels, den fern von Lastern und Thorheit,
Die Ruh an Quellen umschlingt. Auf ihn blickt immer die Sonne
[31][33]
Von oben lieblich herab, ihm braust kein Unglück in Wogen,
Er seufzt nicht eitele Wünsche, ihn macht die Höhe nicht schwindelnd,
Die Arbeit würzt ihm die Kost, sein Blut ist leicht wie der Äther,
Sein Schlaf verfliegt mit der Dämmerung, ein Morgenlüftchen verweht ihn.
Ach wär auch mir es vergönnt, in euch, ihr holden Gefilde,
Gestreckt in wankende Schatten, am Ufer schwatzhafter Bäche
Hinfort mir selber zu leben, und Leid und niedrige Sorgen
Vorüberrauschender Luft einst zuzustreuen! Ach möchte
Doch Doris die Thränen in euch von diesen Wangen verwischen,
Und bald Gespräche mit Freunden in euch mein Leiden versüssen,
Bald redende Todte mich lehren, bald tiefe Bäche der Weisheit
Des Geistes Wissendurst stillen! Dann gönnt ich Berge von Demant
Und goldne Klüfte dem Mogul, dann möchten kriegrische Zwerge
Felshohe Bilder sich hauen, die steinerne Ströme vergössen,
Ich würde sie nimmer beneiden. Du Quelle des Glückes o Himmel
Du Meer der Liebe! o tränkte mich doch dein Ausfluß! soll gänzlich
Wie eine Blume mein Leben, erstickt von Unkraut, verblühen?
Nein, du beseligst dein Werk. Es lispelt ruhige Hofnung
Mir Trost und Labsal zum Herzen; die Dämmrung flieht vor Auroren,
[33][35]
Die finstre Decke der Zukunft wird aufgezogen, ich sehe
Ganz andre Scenen der Dinge, und unbekannte Gefilde.
Ich seh dich, himmlische Doris! du kommst aus Rosengebüschen
In meine Schatten, voll Glanz und majestätischem Liebreitz;
So tritt die Tugend einher, so ist die Anmuth gestaltet.
Du singst zur Cither, und Phöbus tritt schnell durch dicke Gewölke,
Die Stürme schweigen, Olymp merkt auf; das Bildniß der Lieder
Tönt sanft in fernen Gebirgen, und Zephyr weht mirs herüber.
Und du mein redlicher Gleim, du steigst vom Gipfel des Hömus
Und rührst die Tejischen Seyten voll Lust. Die Thore des Himmels
Gehn auf, es lassen sich Cypris und Huldgöttinnen und Amor
Voll Glanz auf funkelnden Wolken in blauen Lüften hernieder,
Und singen lieblich darein. Der Sternen weites Gewölbe
Erschallt vom frohen Concert. Komm bald in meine Reviere,
Komm, bring die Freude zu mir, beblüme Triften und Anger,
O Paar! du Trost meines Lebens, du milde Gabe der Gottheit!
Doch wie, erwach ich vom Schlaf? Wo sind die himmlischen Bilder?
Welch ein anmuthiger Traum betrog die wachenden Sinnen?
[35][37]
Er flieht von dannen, ich seufze. Zu viel, zu viel vom Verhängniß
Im Durchgang des Lebens gefodert! Hier ist statt Wirklichkeit Hofnung
Des würklichen Schatten beglückt, selbst wird michs nimmer erfreuen.
Allein, was quält mich die Zukunft; weg ihr vergeblichen Sorgen,
Laß mich der Wollust geniessen, die ietzt der Himmel mir gönnet,
Laß mich das fröliche Landvolk in dicke Haine verfolgen
Und mit der Nachtigall singen, und mich beym seufzenden Gießbach
An Zephyrs Tönen ergötzen. Ihr dichten Lauben, von Händen
Der Mutter der Dinge, geflochten! ihr dunkeln einsamen Gänge,
Die ihr das Denken erhellt, Irrgärte voller Entzückung
Und Freude, seyd mir gegrüßt! Was für ein angenehm Leiden
Und Ruh und sanftes Gefühl durchdringet in euch die Seele!
Durchs hohe Laubdach der Schatten, das streichende Lüfte bewegen,
Worunter ein sichtbares Kühl in grünen Wogen sich wälzet,
Blickt hin und wieder die Sonne, und übergüldet die Blätter.
Die holde Dämmrung durchgleiten Gerüche von Blüthen der Hecken,
Die Flügel der Westwinde duften. In überirdischer Höhle
Von krausen Büschen gezeugt, sitzt zwischen Blumen der Geishirt,
Bläst auf der hellen Schallmey, hält ein, und höret die Lieder
Hier laut in Buchen ertönen, dort schwach, und endlich verloren,
[37][39]
Bläst, und hält wiederum ein. Tief unter ihm klettern die Ziegen
An jähen Wänden von Stein, und reissen an bittern Gesträuche.
Mit leichten Läuften streift ietzt ein Heer gefleckter Hindinnen,
Und Hirsche mit Ästen gekrönt durch grüne rauschende Stauden,
Setzt über Klüfte, Gewässer und Rohr. Moräste vermissen
Die Spur der fliegenden Last. Gereizt vom Frühling zur Liebe
Durchstreichen muthige Rosse den Wald mit flatternden Mähnen,
Der Boden zittert und tönt, es strotzen die Zweige der Adern,
Ihr Schweif empört sich verwildert, sie schnauben Wollust und Hitze
Und brechen, vom Ufer sich stürzend, die Fluth der Ströme zur Kühlung;
Dann fliehen sie über das Thal auf hohe Felsen, und schauen
Fern über den niedrigen Hain aufs Feld durch segelnde Dünste
Und wiehern aus Wolken herab. Ietzt eilen Stiere vorüber,
Aus ihrer Nasen raucht Brunst, sie spalten mit Hörnern das Erdreich
Und toben im Nebel von Staub – – – –
Aus ausgehöhltem Gebirge fällt dort mit wildem Getümmel
Ein Fluß ins büschigte Thal, reißt mit sich Stücke von Felsen,
Durchrauscht entblössete Wurzeln der untergrabenen Bäume,
[39][41]
Die über fliessende Hügel von Schaum sich bücken und wanken;
Die grünen Grotten des Waldes ertönen und klagen darüber.
Es stuzt ob solchem Getöse das Wild, und eilet von dannen.
Sich nahende Vögel verlassen, im Singen gehindert, die Gegend
Und suchen ruhige Stellen, wo sie den Gatten die Fühlung
Verliebter Schmerzen entdecken in pyramidnem Gesträuche,
Und streiten gegen einander mit Liedern von Zweigen der Buchen.
Dort will ich lauschen und sie sich freun und liebkosen hören.
Fließ sanft unruhiges Flüßchen! still! ächzende Zephyrs im Laube,
Schwächt nicht ihr buhlrisches Flüstern. Schlagt laut, Bewohner der Wipfel,
Schlagt, lehrt mich euren Gesang! Sie schlagen; Symphonische Töne
Durchfliehn von Eichen und Dorn des weiten Schattensaals Kammern,
Die ganze Gegend wird Schall. Der Fink, der röthliche Hänfling
Pfeift hell aus Wipfeln der Erlen. Ein Heer von bunten Stieglitzen
Hüpft hin und wieder auf Strauch, beschaut die blühende Distel,
Ihr Lied hüpft frölich wie sie. Der Zeisig klaget der Schönen
Sein Leiden aus Zellen von Laub. Vom Ulmbaum flötet die Amsel
In hohlen Tönen den Baß. Nur die geflügelte Stimme,
Die kleine Nachtigall weicht aus Ruhmsucht in einsame Gründe
Durch dicke Wipfel umwölbt, der Traurigkeit ewige Wohnung,
(Worinn aus Lüften und Feld der Nacht verbreitete Schatten
Sich scheinen verenget zu haben, als sie Auroren entwichen,)
[41][43]
Und macht die schreckbare Wüste zum Lustgefilde des Waldes.
Dort tränkt ein finsterer Teich rings um sich Weidengebüsche,
Auf Ästen wiegt sie sich da, lockt laut, und schmettert und wirbelt,
Daß Grund und Einöde klingt. So rasen Chöre von Sayten.
Ietzt girrt sie sänfter, und läuft durch tausend zärtliche Töne,
Ietzt schlägt sie wieder mit Macht. Oft wenn die Gattin durch Vorwitz
Sich im belaubten Gebauer des grausamen Voglers gefangen,
Der fern im Lindenbusch laurt, dann ruhn die Lieder voll Freude,
Dann fliegt sie ängstlich umher, ruft ihrer Wonne des Lebens
Durch Klüfte, Felsen und Wald, seufzt unaufhörlich und jammert,
Bis sie vor Wehmuth zuletzt halbtodt zur Hecken herabfällt,
Worauf sie gleitet und wankt mit niedersinkendem Haupte.
Da klaget um sie der Schatten der todten Gattin, da dünkt ihr
Sie wund und blutig zu sehn. Bald tönt ihr Jammerlied wieder,
Sie setzt es Nächte lang fort, und scheint bey jeglichem Seufzer
Aus sich ihr Leben zu seufzen. Die nahen strauchichten Hügel,
Hiedurch zum Mitleid bewogen, erheben ein zärtlich Gewinsel.
Allein, was kollert und girrt mir hier zur Seiten vom Eichstamm,
Der halb vermodert und zweiglos von keinem Geflügel bewohnt wird?
Täuscht mich der Einbildung Spiel? Sieh! plötzlich flattert ein Täubchen
[43][45]
Aus einem Astloch empor, mit wandelbarem Gefieder,
Dieß zeugte den dumpfigten Schall im Bauch der Eichen. Es gleitet
Mit ausgespreiteten Flügeln ins Thal, sucht nickend im Schatten
Und schaut sich vorsichtig um mit dürren Reisern im Munde.
Wer lehrt die Bürger der Zweige voll Kunst sich Nester zu wölben,
Und sie für Vorwitz und Raub, voll süssen Kummers, zu sichern?
Welch ein verborgener Hauch füllt ihre Herzen mit Liebe?
Durch dich ist alles, was gut ist, unendlich wunderbar Wesen,
Beherrscher und Vater der Welt! Du bist so herrlich im Vogel,
Der niedrig in Dornstauden hüpft, als in der Veste des Himmels,
In einer kriechenden Raupe, wie in dem flammenden Cherub.
See sonder Ufer und Grund! Aus dir quillt alles, du selber
Hast keinen Zufluß in dich. Die Feuermeere der Sterne
Sind Wiederscheine von Pünktchen des Lichts, in welchem du leuchtest.
Du drohst den Stürmen, sie schweigen, berührst die Berge, sie rauchen;
Das Heulen aufrührischer Meere, die zwischen wässernen Felsen
Den Sand des Grundes entblössen, ist deiner Herrlichkeit Loblied.
[45][47]
Der Donner, mit Flammen beflügelt verkündigt mit brüllender Stimme
Die hohen Thaten von dir. Vor Ehrfurcht zittern die Haine
Und wiederhallen dein Lob. In tausend harmonischen Tönen
Von dem Verstande gehört, verbreiten Heere Gestirne
Die Grösse deiner Gewalt und Huld von Pole zu Pole.
Doch wer berechnet die Menge von deinen Wundern? Wer schwingt sich
Durch deine Tiefe, o Schöpfer? Vertraut euch Flügeln der Winde,
Ruht auf den Pfeilen des Blitzes, durchstreicht den glänzenden Abgrund
Der Gottheit, ihr endlichen Geister, durch tausend Alter des Weltbaus,
Ihr werdet dennoch zuletzt kein Pünktchen näher dem Grunde
Als bey dem Ausfluge seyn. Verstummt denn, bebende Sayten!
So preist ihr würdger den HERRN.
Ein Fluß von lieblichem Duft, den Zephyr mit säuselnden Schwingen
Von nahgelegener Wiese herbeyweht, nöthigt mich zu ihr.
Da will ich an schwirrendem Rohr in ihrer Blumenschooß ruhend,
Mit starken Zügen ihn einziehn. Kommt zu mir Freunde der Weißheit,
Mein Spalding und Hirzel, durch die jüngsthin der Winter mir grünte,
Von deren Lippen die Freude zu meinem Busen herabströmt,
[47][49]
Komt! legt euch zu mir, und macht die Gegend zur himmlischen Wohnung,
Laßt uns der Kinder der Flora Gestalt und Liebe bewundern,
Und spotten mit ihnen geschmückt des trägen Pöbels im Purpur,
Besingt die Schönheit der Tugend; laßt eures Mundes Gespräche
Mir seyn wie Düfte von Rosen. Hier ist der Gratien Lustplatz,
Kunstlose Gärte durchirrt hier die Ruh, hier rieselt Entzückung
Mit hellen Bächen heran. Den grünen Kleeboden schmücken
Zerstreute Wälder von Blumen. Ein Meer von holden Gerüchen
Wallt unsichtbar über der Flur in grossen taumelnden Wogen
Von lauen Winden durchwühlt. Es ist durch tausend Bewohner
Die bunte Gegend belebt. Hochbeinigt watet im Wasser
Dort zwischen Kräutern der Storch, und blickt begierig nach Nahrung,
Dort gaukelt der Kybitz und schreyt ums Haupt des müssigen Knaben,
Der seinem Neste sich naht. Ietzt trabt er vor ihm zum Ufer,
Als hätt' er das Fliegen vergessen, reitzt ihn durch Hinken zur Folge
Und lockt ihn endlich ins Feld. Zerstreute Heere von Bienen
[49][51]
Durchsäuseln die Lüfte, sie fallen auf Klee und blühende Stauden,
Und hängen glänzend daran wie Thau vom Mondschein vergüldet;
Dann eilen sie wieder zur Stadt, die ihnen im Winkel des Angers
Der Landmann aus Körben erbaut. Rechtschafner Weltweisen Bildniß,
Die sich der Heimath entziehn, der Menschheit Gefilde durchsuchen,
Und dann heimkehren zur Zelle mit süsser Beute beladen
Und liefern uns Honig der Weisheit. Ein See voll fliehender Wellen
Rauscht in der Mitte der Au, draus steigt ein Eyland zur Höhe
Mit Bäumen und Hecken gekrönt, das wie vom Boden entrissen,
Scheint gegen die Fluthen zu schwimmen. In einer holden Verwirrung
Prangt drauf Hanbuttengesträuch voll feuriger Sternchen, der Quitzbaum,
Hollunder, raucher Wachholder, und sich umarmende Palmen.
Das Geisblatt schmiegt sich am Zweige der wilden Rosengebüsche.
Aus Wollust küssen einander die jungen Blüthen und hauchen
Mit süssem Athem sich an. Der blühende Hagdorn am Ufer
Bückt sich hinüber aus Stolz, und sieht verwundernd im Wasser
[51][53]
Den weissen und röthlichen Schmuck. O Schauplatz, der du die Freude
Ins Herzens Innerstes mahlst, ach! daß die Wärme, die annoch,
Seitdem der Winter von uns entflohn, kein Regen gemildert,
Dich sammt Gefilden und Gärten, die nach Erfrischung sich sehnen,
Doch nicht der Zierde beraubte und seiner Hofnung den Landmann!
Erquick sie gnädiger Himmel, und überschütte von Oben
Mit deiner Güte die Erde. – – – Er kommt! er kommt! in den Wolken
Der Segen, dort taumelt er her, und wird sich in Strömen ergiessen.
Schon streicht der Westwind voran, schwärmt in den Blättern der Bäume
Und wirbelt die Saaten, wie Strudel. Die Sonn eilt hinter den Vorhang
Von Baumwollähnlichem Dunst; es stirbt der Schimmer des Himmels
Gemach, und Schatten und Nacht läuft über Thäler und Hügel.
Gekraust durch silberne Zirkel die sich vergrössernd verschwinden,
Verräth die Fläche des Wassers den noch nicht sichtbaren Regen. – – – –
Ietzt fällt er häufiger nieder sich wie Gewebe durchkreuzend,
Kaum schützt des Erlenbaums Zelt mich vor den rauschenden Güssen.
Das Volk, das kürzlich aus Wolken die Gegend mit Liedern erfüllte,
[53][55]
Schweigt und verbirgt sich in Büsche. Im Lindenthal drängt sich in Kreisen
Vom Dach der Zweige bedeckt die Wollenheerde um Stämme,
Feld, Luft und Höhen sind öde; nur Schwalben schiessen in Schaaren
Im Regen, die Teiche beschauend. – – – – Die Augenlieder die jetzo
Das Auge des Weltkreises decken, die Dünst' erheben sich plötzlich,
Nun funkelt die Bühne des Himmels, nun sieht man hangende Meere
In hellen Tropfen zerrinnen und aus den Lüften verschwinden,
Es lachen die Gründe voll Blumen, und alles freut sich, ob flösse
Der Himmel selber zur Erden. Jedoch schon schiffen von neuem
Beladne Wolken vom Abend und hemmen wieder das Licht,
Sie schütten Seen herab, und säugen die Felder wie Brüste. – – – –
Auch die vergiessen sich endlich. Ein güldner Regen von Stralen
Füllt jetzo wieder die Luft; der grüne Hauptschmuck der Felsen,
Voll von den Saaten der Wolken, spielt blendend gegen der Sonne,
Ein Regenbogen umgürtet den Himmel, und sieht sich im Meere;
Verjüngt, voll Schimmer und lächelnd, voll lichter Streifen und Kränze
Sehn die Gefilde mich an. Tauch in die Farben Aurorens,
Mal mir die Landschaft, o du! aus dessen ewigen Liedern
Der Aare Ufer mir duften und vor dem Angesicht prangen,
[55][57]
Der sich die Pfeiler des Himmels, die Alpen, die er besungen,
Zu Ehrensäulen gemacht. Wie blitzt die streifichte Wiese
Von demantähnlichen Tropfen! Wie lieblich regnen sie seitwärts
Von farbigten Blumengebüschen und blühenden Kronen der Sträuche!
Die Kräuter sind wieder erfrischt, und hauchen stärkre Gerüche,
Der ganze Himmel ist Duft. Getränkte Halmen erheben
Froh ihre Häupter, und scheinen die Huld des Himmels zu preisen.
Grünt nun ihr holden Gefilde! Ihr Wiesen und schattichte Wälder
Grünt, seyd die Freude des Volcks! Dient meiner Unschuld hinführo
Zum Schirm, wenn Bosheit und Stolz aus Schlössern und Städten mich treiben.
Mir wehe Zephyr aus euch durch Blumen und Hecken noch öfter
Ruh und Erquickung ins Herz. Laßt mich den Vater des Weltbaus,
(Der Seegen über euch breitet im Stralenkreise der Sonne,
Im Thau und Regen) noch ferner in eurer Schönheit verehren,
Und melden voll heiliger Regung sein Lob antwortenden Sternen.
Und wenn nach seinem Geheiß mein Ziel des Lebens herannaht,
Dann sey mir endlich in euch die lezte Ruhe verstattet.

[57] Die Unzufriedenheit der Menschen

An Herrn P. Sulzer


Ja Freund! oft trinket der Mensch die Lust in Strömen und dürstet,
Der Glücklichste stirbt unter Wünschen; ein Tropfen Kummers verbittert
Ihm ganze Meere von Freude. Die Einbildung spornt seine Triebe,
Wie Rösse reissen sie aus, die Zwang und Zügel verachten,
Und ziehn ihn mit sich zum Abgrund. Sein Stolz zielt immer gen Himmel.
Bald schilt er die Vorsicht, die ihn in Purpur und Reichthum verabsäumt,
Bald dünkt er sich selber zu schwach und tadelt die Weisheit der Schöpfung:
Das Feuer haucht Plagen für ihn, ihm blüht auf Auen das Unglück,
Und eilt mit Fluthen heran, die Wind' umwehn ihn mit Schmerzen.
Wohin verwegnes Geschöpfe? Denkst du wie Riesen der Fabel
Auf Felsen Felsen zu häufen, und durch den Unsinn bewafnet,
Den Sitz der Gottheit zu stürmen? Will ein Gefässe von Leimen
Sich wider den Töpfer empören? Durchfleuch erst die blauen Gefilde
Mit Sonnen und Erden durchsät, den milchfarbnen Gürtel des Himmels,
[58]
Die Luftsphär jeglichen Sterns, betrachte des Ganzen Verbindung,
Sammt allen Federn der Räder und andrer Planeten Naturen,
Die Arten ihrer Bewohner, ihr Thun und Stufengefolge,
Ergründ mit kühnem Gefieder des dunkeln Geisterreichs Tiefe.
Sieh Wesen ohne Gestalten, merk ihre Abhäng und Kräfte,
Steig auf der Leiter der Dinge selbst bis zum Throne der Gottheit;
Dann strafe, woferne du kanst, die Vorsicht und Ordnung der Erde.
– – – – – – – – Willst du die Ursach erforschen,
Warum du kein Seraphim wurdest? Entdeck erst Stolzer! weswegen
Du keine Milbe geworden. Soll deiner Thorheit zum Vortheil
Die grosse Weltkette brechen, und tausend Planeten und Sonnen
Aus ihren Gleisen gerückt, in einen Klumpen zerfallen?
Soll bis zum Throne des Höchsten des Himmels Vorhang zerreissen?
Und endlich die ganze Natur erschüttert zum Innersten seufzen?
Dieß wilst du, wenn du verlangst, was mit der Weltordnung streitet.
Sey deiner Neigungen Herr, so wirst du das Unglück beherrschen,
Der Schöpfer ist Liebe und Huld, nur die sind deine Tyrannen.
Was baut ihr Häuser auf Wellen, ihr Diebe der indischen Berge,
Verdammt euch Jahre lang, nichts als nasse Gräber zu sehen,
Und in den Wolken den Tod? Du Untersucher der Gründe,
[59]
Was blickst du hohnlächelnd abwärts, gebläht vom Dünkel des Wissens
Im Wahn vom hohen Olymp auf Raupen der Erde zu schauen,
Dem dennoch Nebel und Dunst das Licht der Seele verdunkelt?
Und ihr, ihr Helden! was eilt ihr ins Ungewitter des Treffens,
Wo Blitze mit Blitzen kämpfen, und wilde Stürme mit Stürmen,
Um des Gerüchtes Posaune mit euren Thaten zu füllen?
Es lachen euer die Wesen, die um euch unsichtbar schweben.
Du Wahrheitsfeßler dünkst ihnen, das was dir plaudernde Dolen,
Du, Held und Geizhals! was euch um Spreu sich jagende Würmer.
Des Lebens Augenblick ist nicht werth der Anschläge Dauer
So vieler Sorgen und Pein. Der, welchem knieende Länder
Heut Schlösser und Festungen öfnen, wohnt morgen in Hölen des Todes,
Die Hofnung ist mit ihm verscharrt, verstopft der Zugang des Nachruhms.
Mich däucht, es öfnen sich mir der Unterwelt schattichte Thäler,
Ich seh den griechischen Held, vor dessen Klange der Waffen
Der ganze Erdball erschrack, der Seen mit Menschenblut färbte,
Und bis zum Ganges den Ost in eine Wüste verkehrte,
Wie ausgerissene Meere, Feld, Wald und Städte verschlingen;
Ich seh ihn in bleichen Cypressen verlassen und tiefsinnig irren,
Er ringt die Hände, und füllt mit diesen Klagen die Lüfte:
»Vor, meines Unsinns Vergnügen, jezt mir erschreckliche Bilder!
[60]
Ihr Leichen voll Wunden und Blut, weicht, weicht aus diesen Revieren,
Kehrt eure Blicke von mir, ihr halberöfneten Augen!
Vergeßt das Stöhnen ihr Gründe! weh mir, daß jemahls der Herrschsucht
Sirenenstimme mich täuschte! Du tolles Labsal der Seelen,
Zu kurz für ewige Reu! O Lob des sinnlosen Pöbels,
Warum verachtet ich dich groß in mir selber nicht eher!
Entflogene Zeiten kommt wieder; wie, oder verlaßt mich ihr Leichen,
Kehrt eure Blicke von mir, ihr halb eröfneten Augen!«
Noch wären die Schätze der Welt sammt aller Hoheit und Wollust
Für unsere Seele zu klein, durchlebten wirs Alter der Sterne,
Der Himmel sättigt sie nur, von dessen Flamme sie lodert.
Und du, o göttliche Tugend! Durch dich nur können wir freudig
Das Meer des Lebens durchschiffen. Laßt diesen Pharus uns leuchten,
So sehn wir den Hafen des Glücks, trotz Ungewittern des Zufalls,
Trotz aller Leidenschaft Sturm, der nur den Einlauf befördert,
So wird die Vorsicht uns weise, der Himmel uns gnädig bedünken.

[61] Kleinere Gedichte

Lob der Gottheit

Tausend Sternenheere loben meines Schöpfers Macht und Stärke,
Aller Welten Himmelskreise preisen seiner Weisheit Werke,
Meere, Berge, Wälder, Klüfte, die sein Wink hervorgebracht,
Sind Posaunen seiner Liebe, sind Posaunen seiner Macht.
Soll ich denn allein verstummen? Soll ich ihm kein Loblied bringen?
Nein, ich will des Geistes Flügel auch zu seinem Throne schwingen;
Und wenn meine Zunge stammelt, o! so sollen nur allein
Dieser Augen milde Bäche Zeugen meiner Ehrfurcht seyn.
Ja, sie stammelt; sieh, o Schöpfer, meines Herzens Altar rauchen!
Könnt ich gleich den blöden Pinsel in der Sonne Flammen tauchen,
O! so würd von deinem Wesen doch durch ihn kein Strich gemacht;
Dir wird selbst von reinen Geistern nur ein schwaches Lob gebracht.
Wer heißt tausend tausend Sonnen, prächtig, majestätisch glänzen?
Wer bestimmt dem Wunderlauf unzählbarer Erden Gränzen?
Wer verbindet sie zusammen? Wer belebet jeden Kreis?
Deines Mundes sanfter Athem, HERR! dein mächtigstes Geheiß.
Alles ist durch dich. Die Schaaren ungeheurer Sphären liefen
Auf den Ton von deinen Lippen, durch die ewig leere Tiefen.
[62]
Fische, Vögel, zahme Thiere, Wild das Feld und Hain durchstrich,
Und vernünftige Geschöpfe scherzten drauf, und freuten sich.
Du giebst den entzückten Blicken zwischen kräuterreichen Auen
Wälder, die sich in den Wolken fast verlieren, anzuschauen.
Du machst, daß darinn aus Felsen wütend sich ein Naß ergießt,
Das sich endlich blitzend schlängelt, und in Muscheln rieselnd fließt.
Du rührst, durch unzählige Gegenstände alle Sinnen,
Du läßt die Gesundheit blühen, und aus tausend Quellen rinnen,
Tränkest mit der Milch des Regens, und mit Thau die dürre Flur,
Kühlst die Luft durch sanfte Winde, und erfrischest die Natur.
Durch dich schmückt die Hand des Frühlings mit Tapeten unsre Gränzen,
Durch dich muß das Gold der Ähren, und der Trauben Purpur glänzen,
Du erfüllst die Welt mit Freude, wenn die Kälte sie besiegt,
Wenn sie eingehüllt in Flocken, wie in zarten Windeln liegt.
Durch dich kann des Menschen Seele in der Sternen Kreise dringen,
Durch dich weis sie das Vergangne, hat Begriffe von den Dingen,
Scheidt der Sachen Ähnlichkeiten von den Sachen selber ab,
Urtheilt, schließt, begehrt und scheuet, durch dich flieht sie Tod und Grab.
O! wer kann die Wunderwerke deiner Liebe gnug erheben!
Selbst das Unglück ist uns nützlich, und beseligt unser Leben.
[63]
Zweifler rührt euch nicht die Liebe, o, so fürchtet seine Macht.
Zittert wie verscheuchte Sclaven, wenn des HErren Grimm erwacht.
Schaut! der Mittag wird verfinstert; es erwacht ein Schwarm von Eulen.
Schrecken überfällt die Lüfte, hört ihr ängstlich hohles Heulen;
Schaut! wie dort der Sturm die Klippen, als zerbrechlich Glas zerschmeißt,
Ganze Wälder wirbelnd drehet, und wie Fäden sie zerreißt.
Finstre Wolken, Bergen ähnlich, stossen ungestüm zusammen,
Schaut! aus ihren schwarzen Klüften brechen Ströme wilder Flammen;
Wald und Fluren stehn im Feuer, und die Glut zersprengt das Land,
Krokodille, Löwen, Tieger fliehen zitternd Dampf und Brand.
Wälder starker Masten stürzen vor der Wuth der Wasserwogen,
Auf zerstückten Brettern kommen Kriegesheere angeflogen,
Die der Sturm nebst Steur und Seegeln zu der Wolken Höhe schwingt,
Bis sie schnell der schwarze Rachen des ergrimmten Meers verschlingt.
Sagt, wer donnert in den Wolken? Sagt, wer brauset in den Stürmen?
Zweifler sprich! wer schwingt die Fluthen, die sich wie Gebirge thürmen?
Donner, Meer und Stürme rufen dir mit hohlem Brüllen zu:
O verwegenes Geschöpfe! Dies ist Gott! Was zweifelst du?
[64]
HErr, in meinem Munde sollen deine Thaten ewig schallen:
Aber laß dir nur die Schwachheit eines Wurmes wohlgefallen.
Du! der du das Innre prüfest, sieh der Seelen Regung an,
Die sie selber zwar empfinden; aber nicht beschreiben kann.
Werd ich einst vor deinem Throne mit gekröntem Haupte stehen,
Dann will ich mit edlern Liedern deine Majestät erhöhen.
O ihr längst erwünschte Zeiten, eilt mit schnellem Flug herbey,
Eilet, daß ich bald der Freude, sonder Wechsel, fähig sey.

Der Vorsatz

Dich treibt dein Eifer, wie dein Roß die Sporen,
O Held! was fleuchst du zu des Todes Thoren!
Suchst du, damit dich Wahn und Nachruhm labe,
Den Weg zum Grabe?
Laß Luft und Zeiten über Thal und Höhen
Mit ewgen Flügeln deine Thaten wehen,
Das Feld Elysens wird von fernem Schallen
Nicht wiederhallen.
Und du, o Geitzhals! magst mit Müh entdecken,
Was uns Gebirge weislich tief verstecken;
Auf! füll in Peru, trotz sey Fluth und Winden,
Dein Schiff mit Sünden.
Gekrönter Pöbel, laß in stolzen Zimmern
Jaspis, Tapeten und Cristalle schimmern;
In Schlössern drengt sich oft ein Schwarm von Leide
Im Kleid der Freude.
[65]
Der Ruh im Schoosse, will ich eure Rotten
An hellen Bächen, wie mein Utz verspotten,
Welchen die Dichtkunst, wenn sein Lied ertönet,
Mit Epheu krönet.
Er schwingt sich muthig in den Kreis der Sterne
Durch Dunst und Wolken. Von der hohen Ferne
Schaut er, wenn Schaaren wilder Krieger lärmen,
Nur Wespen schwärmen.
Er schaut von oben Länder Hufen gleichen,
Und Städte Löchern; in den engen Reichen
Schaut er in Haufen, heissen Geitz zu kühlen
Maulwürfe wühlen.
Dann denkt er seufzend mit gerührten Sinnen:
»Was wollt ihr Thoren endlich noch beginnen?
Ihr raset; meynt ihr in den schmalen Zonen
Ewig zu wohnen?
Tod, Quaal und Schrecken, laßt ihr, um zu siegen,
Aus hohlen Schlünden auf die Brüder fliegen;
Ist eurem Hochmuth in der Länder Menge
Der Raum zu enge?
Laßt ihr nur darum ewge Bäue gleissen,
Um schnell dieselbe wieder einzureissen?
Der Tod kommt plötzlich, der wird euch bey Zeiten
Höhlen bereiten.«
Drauf greift er geitzig nach der goldnen Leyer,
Bestraft des Lasters kriechend Ungeheuer,
Sein Lob der Tugend schallt in regen Lüften,
In Wald und Klüften.
[66]
So soll mein Geist sich zu den Wolken schwingen,
So rührend sollen meine Saiten klingen.
O Freund erheb mich von den seichten Hügeln!
Auf deinen Flügeln!

Menalk

Menalk floh kummervoll den Reiz der schönsten Flur,
Kein Schatten und kein Bach, sein Harm gefiel ihm nur.
Die Heerde gieng zerstreut; er nährt' in einer Höhle
Vom frühen Morgen an, die Schmerzen seiner Seele.
Unglücklicher Menalk! gedacht er da bey sich,
Warum bist du gezeugt? Die Schickung hasset dich,
Durch sie ward Doris jüngst von dieser Flur gezogen.
O wär den Augenblick dein Geist ihr nachgeflogen,
Und dieser Leib verwest! Zwar bey Amyntens Tod
Fühlt ich die Freude nicht, die mir der Frühling both;
Doch endlich hat die Zeit den Kummer überwunden,
Er ist, dacht ich, zuerst der Nichtigkeit entbunden,
Und schaut dir jezt vielleicht von oben glänzend zu,
Schaut Sternen unter sich, ist glücklicher als du,
Nur jezt wird keine Zeit dein ewig Leid vermindern,
Sie lebt und lebt entfernt! Komm Tod! du kannst es lindern,
Komm, jezt ist Welt und Glück und Leben mir verhaßt.
Ihr Felsen stürzt herab, begrabt mich in der Last,
Die meiner Scheitel droht – – – O muß ich euch ihr Auen,
Die ihr uns oft verbargt, noch ferner grünen schauen!
Ihr martert meinen Geist, reizt ihr gleich das Gesicht,
Ihr zeigt mir Doris Bild, und zeigt mir Doris nicht.
Nur zum entfernten Belt – – Doch wer kann dir entrinnen,
O Liebe, welch ein Wahn betäubt die müden Sinnen!
Und trieb auch Angst und Quaal zum Nordpol meinen Schritt!
So flöh doch Doris Bild, gleich meinem Schatten mit.
Ja dort – – dort seh ich sie, dort hat sie oft gesprungen,
[67]
Und oft in buntem Klee den Arm um mich geschlungen.
Dort, däucht mich, hör ich noch am Teich den Zauberklang,
Als sie und Galathee Dianens Glut besang.
Ich war Endymion, nach dem sie heimlich blickte,
Dem sie bey manchem Ort die Hand verstohlen drückte.
Dort ruht ich einst allein im Rosenthal am Bach,
Ich schloß die Augen zu, dacht ihrem Liebreitz nach,
Die Lose wußte sich am Ufer hinter Sträuchen,
Ohn daß ich sie vernahm, behutsam anzuschleichen,
Und stund ihr Dämon gleich, der um sie buhlte, nah,
So küßte sie mich doch, als er nur seitwärts sah,
Schnell sprang sie um den Strauch, die Blätter hört ich rauschen;
Und merkte, wer es that, und ließ mich gern belauschen.
Doch wer belauscht mich jezt? Wo seyd ihr Zeiten hin?
O daß ich mit der Lust nicht auch vergangen bin!
Jezt wird der Südwind mich nicht mehr aus regen Büschen,
Davon der Schatten wankt, in ihrem Arm erfrischen!
Jezt werd ich nicht wie sonst, die rauchen Faunen gehn,
Und Ziegen über uns am Felsen klettern sehn.
Mein vorbeglücktes Vieh! Jezt kann ich dich nicht weiden,
Die Kluft, des Grabes Bild, vermehr hinfort mein Leiden!
So quälte sich Menalk, bis Philomele sang,
Und bis der Wachtel Schlag im Felsen wiederklang,
Da stand er auf und sah, daß sich der Schatten streckte,
Und daß der Abend schon die Flur mit Purpur deckte.

[68] Fillis an Damon

Ja, liebster Damon! Ich bin überwunden,
Mein Geist empfindet, was er nie empfunden;
Ich fühl die von mir sonst verlachten Schmerzen
Jezt in dem Herzen.
Als ich die Hand jüngst, die dein Auge deckte,
Vorwitzig fortriß; Himmel! was erweckte
Dein schönes Auge, voller treuen Thränen,
Mir nicht für Sehnen!
Ich floh und weinte. Wie ward mir zu Muthe!
Ein heftig Feuer wallte mir im Blute.
Die Flammen werden unaufhörlich währen,
Die mich verzehren.
Komm treuster Damon! den ich mir erwähle,
Auf meinen Lippen schwebt mir schon die Seele,
Um durch die deinen, unter Scherz und küssen,
In dich zu fliessen.

An Herrn Rittmeister Adler

1739


Die Stürme wüten nicht mehr, man sieht die Zacken der Tannen
Nicht mehr durch gläsernen Reif; man sieht im eislosen Bach
Am Grunde Muscheln und Gras und junge wankende Blumen,
[69]
Ein dunkles schwebendes Laub erfüllt den Buchwald mit Nacht.
Hier reizt der Nachtigall Lied durch tausend laufende Töne,
Der West im Rosengebüsch bläst süsse Düfte zur Flur,
Dort stralt im glänzenden Strom das Bildniß blühender Hecken,
Und flieht nebst Ufer und Rohr des Fischers gleitenden Kahn.
Freund! flieh der Waffen Geräusch, jezt ist die Zeit des Vergnügens,
Fühl jezt in Wäldern die Lust, die Held und Höfling nicht kennt.
Was hilfts mit freudigem Blick, vom Dunst der Ehre betrunken,
Mit Ordensketten beschwert, gekrönte Henker zu scheun?
Was hilfts wenn künftig dein Grab vergüldete Waffen beschützen,
Wenn man aus Marmor dein Bild im schreckenden Panzer erhöht!
Achill und Hanniball muß die Nacht des Todes durchschlafen,
Die nach der Schickung Gesetz mich einst in Finsterniß hüllt.
Im Tode werd ich ihm gleich, im Leben bin ich beglückter.
Er sah nur Auen voll Blut, schlief nur vom Himmel bedeckt,
Und hört ein ewig Geschwirr, von Schilden, Spiessen und Pfeilen,
Ihn flohn Vergnügen und Scherz, und Cypris freundlicher Sohn.
Ich seh auf blumigter Flur das Winken schattigter Erlen,
Den Schmuck des lachenden Thals, die weissen Birken voll Laub,
Den drinnen irrenden Bach. Ich schlaf in Lauben von Rosen,
Und höre Chloens Gesang, ob dem die Nachtigall schweigt,
Und lauscht, und aufmerksam horcht. Rings um mich flattert die Freude.
[70]
Die kleine Fillis im Hain verbirgt sich wenn sie mich merkt,
Ich such und finde sie nicht; bis sie im dicken Gesträuche,
Wo Phöbus selbst sie nicht sieht, ein schalkhaft Lächeln verräth.

Trinklied

– – Sobrium decet esse Poëtam

Ipsum, versiculos, nihil necesse est.

Catull


Weiser Damon, dessen Haupt
Lorber um und um belaubt!
Soll dir Gram und Misvergnügen
Ewig Stirn und Wange pflügen?
Wie der Glanz von dunkelm Licht
Schwach aus Todtengrüften bricht:
So blinkt deine trübe Seele
Aus des Leibes Trauerhöhle.
Wiß, in deiner Jahre Zahl
Rechnet dir der Tod einmal
Nebst den freudenvollen Tagen
Auch die Tage voll von Plagen!
Du schwimmst in der Zeiten Raum
Wie auf Strömen leichter Schaum,
Kannst du nicht so schnell zur Erden,
Wie der Schaum zu Wasser werden?
Sieh mich an, wie mir das Haupt
Epheustrauch und Ros' umlaubt,
Und wie mir die Tropfen gleiten
Wegen Kürze dieser Zeiten.
[71]
Zehnmahl füll ich schon mein Glas
Mit Liäens edlem Naß,
Noch reizt mich sein güldnes Blinken
Und die Freude wächst im Trinken.
Thür und Teppich tanzt um mich,
Erd und Himmel drehet sich.
O wie selig! welch Vergnügen!
Evan hilf! Ich muß erliegen.

Das Landleben

An Herrn Rammler

O rus, quando ego te aspiciam? quandoque licebit,
Nunc veterum libris, nunc somno et inertibus horis,
Ducere sollicitae jucunda oblivia vitae?
Horat.

O Freund! wie selig ist der Mann zu preisen,
Dem kein Getümmel, dem kein schwirrend Eisen;
Kein Schiff, das Beute, Mast und Bahn verlieret,
Den Schlaf entführet!
Der nicht die Ruhe darf in Berge senken,
Der fern vom Purpur, fern von Wechselbänken,
In eignen Schatten, durch den West gekühlet,
Sein Leben fühlet.
[72]
Er lacht der Schlösser von Geschütz bewachet,
Verhönt den Kummer, der an Höfen lachet,
Verhönt des Geizes in verschloßnen Mauren
Thörichtes Trauren.
So bald Aurora, wenn der Himmel grauet,
Dem Meer entsteigend, lieblich abwärts schauet,
Flieht er sein Lager ohn verzärtelt Schmücken
Mit gleichen Blicken.
Er lobt den Schöpfer, hört ihm Lerchen singen,
Die durch die Lüfte sich dem Aug entschwingen,
Hört ihm vom Zephyr lispelnd auf den Höhen
Ein Loblied wehen.
Er schaut auf Rosen, Thau wie Demant blitzen.
Schaut über Wolken von der Berge Spitzen,
Wie schön die Ebne, die sich blau verlieret,
Flora gezieret.
Bald zeigt sich fliehend auf des Meeres Rücken
Ein Schiff von weitem den nachfliehnden Blicken,
Das sie erst lange gleichsam an sich bindet,
Und dann verschwindet.
Bald sieht er abwärts, voller Glanz und Prangen,
Noch einen Himmel in den Fluthen hangen,
Noch eine Sonne Amphitritens Gränzen,
Grundaus durchglänzen.
Er geht in Wälder, wo an Schilf und Sträuchen
Im krummen Ufer Silberbäche schleichen,
Wo Blüthen duften, wo der Nachtigallen
Lustlieder schallen.
[73]
Jezt pfropft er Bäume, leitet Wassergräben,
Schaut Bienen schwärmen, führt an Wänden Reben,
Jezt tränkt er Pflanzen, zieht von Rosenstöcken
Schattende Hecken.
Eilt dann zur Hütten (da kein Laster thronet,
Die Ruh und Wollust unsichtbar bewohnet)
Weil seine Doris, die nur Liebreitz schminket,
Ihm freundlich winket.
Kein Knecht der Krankheit mischt für ihn Gerichte,
Unschuld und Freude würzt ihm Milch und Früchte,
Kein bang Gewissen zeigt ihm Schwerdt und Strafe
Im süssen Schlafe.
Freund! laß uns Golddurst, Stolz und Schlösser hassen,
Und Kleinigkeiten Fürsten überlassen.
Mein Lange ruft uns, komm zum Sitz der Freuden,
In seine Weiden.

An Herrn E

nach einer tödtlichen Krankheit


Schon war mein Geist der Erd' entflohn,
In einer hellern Sphäre,
Sang ich bereits des Höchsten Ehre
Es wartete der grosse Lohn
Den Tugend giebt, auf mich.
Die Tugend kam mit Glanze mich zu zieren – – – –
Da dacht ich, Freund! an dich
Da kehrt ich um, wie konnt ich dich so früh verlieren!

[74] Amint

Sie fliehet fort! Es ist um mich geschehen!
Ein weiter Raum trennt Galatheen von mir.
Dort floh sie hin. Komm Luft mich anzuwehen!
Du kömmst vielleicht von ihr.
Sie fliehet fort! Sagt Galatheen ihr Flüsse,
Daß ohne sie der Wiesen Schmuck verdirbt;
Ihr eilt ihr nach, sagt, daß der Wald sie misse
Und daß ihr Schäfer stirbt.
Welch Thal blüht jezt, von ihr gesehen, besser?
Wo tanzt sie um ein Labyrinth? wo füllt
Ihr Lied den Hain? Welch glückliches Gewässer
Wird schöner durch ihr Bild?
Nur einen Druck der Hand, nur halbe Blicke,
Ach! einen Kuß, wie sie mir vormahls gab,
Vergönne mir von ihr; dann stürz, o Glücke!
Mich wenn du willst, ins Grab.
So klagt Amint, die Augen voll von Thränen,
Den Gegenden die Flucht der Galathee;
Sie scheinen sich mit ihm nach ihr zu sehnen
Und seufzten: Galathee!

Sehnsucht nach Ruhe

1744


Rura mihi et rigui placeant in vallibus amnes,

Flumina amem, silvasque, inglorius.

Virgil.


O Silberbach! der vormals mich vergnügt,
Wenn wirst du mir ein sanftes Schlaflied rauschen?
[75]
Glückselig! Wer an deinen Ufern liegt,
Wo voller Reitz der Büsche Sänger lauschen.
Von dir entfernt, mit Noth und Harm erfüllt,
Ergezt mich noch dein wollustreiches Bild.
Und du, o Hain! O duftend Veilchenthal!
O holder Kranz von fernen blauen Hügeln!
O stille See! In der ich tausendmahl
Auroren sah ihr Rosenantlitz spiegeln;
Bethaute Flur, die mich so oft entzückt,
Wenn wird von mir dein bunter Schmuck erblickt!
Sprich Wiederhall! Der, wenn die Laute klang,
Vom kühlen Sitz, in dickbelaubten Linden,
Mit hellem Ton in güldne Saiten sang,
Sprich! soll ich nie die Ruhe wieder finden?
Wie oft, wenn ich vergnügt im Schatten lag,
Und: Doris! rief; riefst du mir: Doris! nach.
Jezt fliehet mich die vor empfundne Lust;
Ich kann nicht mehr dein schwirrend Schallen hören,
Du fülltest dort mit Anmuth Ohr und Brust,
Hier fliegt der Tod aus tausend ehrnen Röhren.
Dort both die Flur, der Bach, mir Freude dar,
Hier sieht man Schmerz, hier fliesset die Gefahr.
Wie, wenn der Sturm aus Äols Höhle fährt,
Und Wolken Staub im Wirbel heulend drehet,
Dem Sonnenstrahl den freyen Durchgang wehrt,
Das grüne Feld mit Stein und Kies besäet:
So tobt der Feind, so wütend füllet er
Die Luft mit Dampf, die Felder mit Gewehr.
Der Fruchtbaum traurt, die Halmen bücken sich,
Der Weinstock stirbt von räuberischen Streichen,
[76]
Die schöne Braut sieht hier ihr ander Ich,
Den Blumen gleich, durch kalten Stahl erbleichen,
Ein Thränenbach, indem sie es umschließt,
Nezt ihr Gesicht, wie Thau von Rosen fließt.
Dort flieht ein Kind. Sein Vater der es führt,
Fällt schnell dahin, durchlöchert vom Geschütze;
Er nennt es noch, eh er den Geist verliehrt;
Der Knabe wankt und stürzet ohne Stütze,
Wie Boreas, wenn er die Schwingen regt,
Gepfropftes Reis, das stablos, niederschlägt.
Die Felder hat ein Feuermeer erfüllt,
Das um sich reißt, von keiner Macht gehemmet,
Wie, wenn die See aus ihren Ufern schwillt,
Durch Dämme stürzt, und Länder überschwemmet.
Die Thiere fliehn, das Feur ergreift den Wald,
Der Stämme hegt, wie seine Mutter alt.
Was Kunst und Witz durch Müh und Schweiß erbaut,
Korinth und Rom mit Gold und Pracht gezieret,
Der Städte Schmuck wird schnell entflammt geschaut,
Wie mancher Thurm aus Marmor aufgeführet,
Der stolz sein Haupt hoch in die Wolken hebt,
Stürzt von der Gluth! Des Bodens Veste bebt.
Das blasse Volk, das löschen will, erstickt;
Die Gassen deckt ein Pflaster schwarzer Leichen:
Und dem es noch das Feur zu fliehen glückt,
Das kann dem Grimm der Stücke nicht entweichen.
Statt Wasser, trinkt die nahe Wiese Blut,
Es zischt und rollt auf Felsen voller Gluth.
Wenn Phöbus weicht, weicht doch die Klarheit nicht,
Die Nacht wird Tag vom Leuchten wilder Flammen;
[77]
Den Himmel färbt ein wallend Purpurlicht,
Von Dächern schmelzt ein Kupferfluß zusammen;
Der Kugeln Saat pfeift, da die Flamme heult,
Mond und Gestirn erschrickt, erblaßt und eilt.
Wie, wenn ein Heer Kometen aus der Kluft,
Die bodenlos, ins Chaos niederfiele:
So zieht die Last der Bomben durch die Luft,
Mit Feur beschweift. Vom reissenden Gewühle
Fließt hier Gehirn, liegt dort ein Rumpf gestreckt,
Hier raucht Gedärm, so ist der Grund bedeckt.
Der Erden Bauch wirft oft, vom Pulver wild,
Nebst Maur und Heer, sein felsicht Eingeweide
Den Wolken zu. Die ferne Klippe brüllt,
Des Himmels Raum erbebt und schallt vor Leide;
Er wird mit Schutt und Leichen überschneyt,
Als wenn Vesuv und Hekla Steine speyt.
O! wer entwirft den Jammer, das Geschrey,
Des Pulvers Grimm, das Winseln und das Sterben
Natur gemäß! Mir sinkt der Kiel aus Scheu,
Wer kann mit Blut und Feur die Worte färben?
Du kannst es Mond! Auf, wink es; wehe du,
Das was du hörst, o Luft! den Völkern zu.
So wütet Mars. Und hört sein Wüten auf,
So drehn wir selbst das Schwerdt in unsre Leiber.
Ja, Gott des Streits! Hemm deiner Waffen Lauf!
Was braucht es Krieg? Wir sind uns selber Räuber.
Uns schließt der Stolz in güldne Ketten ein,
Der Geldgeitz schmelzt aus Schächten seine Pein.
Bald bringet uns ein Schurk um Ruh und Glück,
Bald suchen uns die Richter zu betrügen;
[78]
Hier wird das Geld ein heilig Bubenstück;
Dort ras't ein Freund und tödtet uns mit Lügen.
Bist du geschickt, ein andrer glaubt es nicht,
Warum? Weil ihm Geschicklichkeit gebricht.
Des Nächsten Glück, Erfahrung, Frömmigkeit,
Und Wissenschaft und ächter Tugend Proben
Sind Fehler, die kein kluger Mensch verzeiht:
Ein grosser Geist muß niemals andre loben
Wer küßt und drückt und lästert, ist verschmitzt,
Wer höhnisch blickt, der hat sich selbst genützt.
Wenn dich das Glück auf seinen Flügeln hebt,
So mag man nichts der Freunde Huld vergleichen;
Wenn Unglück stürmt, daß Mast und Steuer bebt,
O! wie dem Frost alsdenn die Schwalben weichen!
Man hat den Schwarm wie Stumme anzusehn,
Die bloß zur Pracht auf unsern Bühnen stehn.
Und wer auch noch auf Tugend standhaft hält,
Wird doch zulezt vom Haufen hingerissen,
Gleich einem, der in wilde Fluthen fällt;
Er peitscht den Strom mit Händen und mit Füssen,
Er klimmt hinauf; doch endlich fehlt die Kraft,
Der Leib erstarrt, sinkt und wird fortgeraft.
Ja Welt! Du bist des wahren Lebens Grab,
Oft reizt mich auch ein heisser Trieb zur Tugend!
Vor Wehmuth rollt ein Bach die Wang herab;
Das Beyspiel siegt, und du, o Feur der Jugend!
Du trocknest bald die edlen Thränen ein.
Ein wahrer Mensch muß fern von Menschen seyn.
Pflügt denn das Meer zum fernen Mohrenland,
Ihr Thoren! Eilt, fischt Perlen aus dem Grunde,
Es sey ein Brett des Todes Scheidewand;
Beraubt den Berg, steigt tief in seine Wunde.
[79]
Dieß rührt mich nicht. Ihr suchet Angst und Noth,
Ein güldner Dolch befördert euren Tod.
Führt Schlösser auf, laßt eine Morgenwelt,
An jeder Wand, mit Gold durchwirket sehen;
Laßt Trinkgeschirr aus Indien bestellt,
Und Diamant den Werth von euch erhöhen.
Ihr grabt die Ruh bey Marmorsäulen ein,
Ihr sehet Pracht; ich, Leinwand, Erde, Stein.
Vergießt das Blut aus falscher Tapferkeit,
Tobt kühn herum, wie wilde Hauer toben,
Damit ihr seyd, wenn ihr gleich nicht mehr seyd,
Damit euch einst die Todtenlisten loben.
Wird wohl der Geist durch Schilderey ergezt,
Wenn euch der Staar die Augen hat verlezt?
Wie täuscht der Schein; ihr seyd Verliebten gleich,
Die feuervoll den Gegenstand nicht kennen.
Macht mich das Glück nicht groß, berühmt und reich,
Geringer Gram! Ich will es Fürsten gönnen.
Ein ruhig Herz im Thal, wo Zephyr rauscht,
Sey nimmermehr für Flittergold vertauscht.
Zeig du dich mir, o teppichgleiche Flur!
O Bach! den Rohr, Gebüsch und Wald umfangen.
Kein güldner Sand; dein Murmeln reizt mich nur,
Und Zweige, die Vorhängen ähnlich hangen.
Wenn ich im Geist auf euch, Gebirge steh,
Schätz ich die Welt so klein, als ich sie seh.
Wie der, der sich von seiner Schönen trennt,
Untröstbar ist; die dunkeln Blicke kleben
An allen steif, ohn daß er sieht. Er rennt
Er seufzet tief, und sucht umsonst sein Leben,
[80]
Liebt Kluft und Wald, klagt, ringt die Hände, schreyt,
Der Wiederhall klagt auch, und mehrt sein Leid.
So sehn' ich mich, o grüne Finsterniß
Im dichten Hain! Ihr Hecken und ihr Auen!
Nach eurem Reiz; so klag ich, ungewiß,
Euch nur einmal, geschweige stets, zu schauen.
O zeigt euch bald! O Doris! meine Ruh,
Drück mir einst dort die Augen weinend zu.

Damoet und Lesbia

Damoet:

Du liebtest mich! Kein Glück war meinem gleich,
Durch dich hatt ich ein irrdisch Himmelreich.
Lesbia:

Du liebtest mich, es floh Gram und Beschwerde,
Durch dich war ich der Glücklichste der Erde.
Damoet:

Anizt weis ich bey Fillis nichts von Quaal,
Für sie ließ ich mein Leben tausendmahl.
Lesbia:

Anizt find ich mein Glück in Tirsis Treue,
Für den ich mich auch nicht zu sterben scheue.
Damoet:

So schön, wie du, ist Fillis auch; allein
Verließ ich sie, würd ich dir Tirsis seyn?
Lesbia:

Er weiß, wie du, sich Liebe zu erwerben,
Mit dir wünscht ich zu leben und zu sterben.

[81] Einladung aufs Land

an Tirsis


im November


Der Westwind fliehet Flur und Weiden,
Die jezt verblühn,
O Tirsis sollen Scherz und Freuden
Mit ihm entfliehn?
Nein der Orcane wildes Blasen
Die um mein Gut
Jezt heulend, ausgeschlossen, rasen,
Hemmt nicht den Muth.
Komm mit mir in der öden Fluren
Bereiftes Gras,
Verfolg mit mir des Wildes Spuren
Im Wald von Glas.
Und hör des Hains Gewölbe schallen,
Wenns Horn erwacht.
Und sieh von hohen Bergen fallen
Die schnelle Jagd.
Denn eil in meine Wohnung wieder
Müd' aus dem Hain,
Und singe mit mir süsse Lieder
Bey frohem Wein.
Und Chloris die durch ihre Saiten
Dirs Herz entwandt,
Soll Lalagens Gesang begleiten
Mit kluger Hand.
[82]
Sieh hin! Die Sterne sind erschienen
Und Luna winkt,
Sie streiten gleichsam, wer von ihnen
Am besten blinkt.
Den Scherz mit Küssen zu verschwistern
Und fern vom Neid,
Den langen Abend zu verflüstern
Ists jetzo Zeit.
Komm! Laß uns unsern Geist erheitern.
Wen Gold ergözt,
Mag in der Fluth am Felsen scheitern,
Der sich entsezt.
Ruhm, Reichthum, Pracht des Hofs Beschwerde
Vom Volk verehrt,
Ist Wahn, und nicht des Herrn der Erde
Des Weisen werth.

Galathee

Beglückter Schmerz, der in den Hain mich führte!
Dort schläft im Klee
Die Ursach meiner Pein, die schöne Galathee.
O wär ich doch der Klee,
Daß mich ihr Leib berührte!
Weh sanft o Luft! daß sich die Blätter nicht bewegen – – – –
Doch sie erwachet schon und fliehet – Folg ich ihr?
O nein, sie zürnt und sie entfliehet mir!
Ich will, o welch ein Glück! Da wo sie lag, mich legen,
Auf Klee der ihren Leib berührte.
Ich will, o welch ein Glück! auf den erfreuten Beeten,
Die schönen Spuren treten.

[83] Amor im Triumpfwagen

Ich sah, (Ihr Enkel glaubt dem heiligen Gesicht,)
Ich sah den Liebesgott im Siegeswagen fahren
Und Helden zogen ihn.
Nestorn mit grauen Haaren
Und Cäsarn und Bourbon sah ich wie Sclaven ziehn.
Mir fiel Eugen, August und Ludwig, die Catonen,
Und hundert Stifter neuer Thronen,
Und Asiens Bezwinger ins Gesicht,
Nur Friedrich nicht.

Über die Statüe der Venus an die sich Amor schmiegt

von dem von Papenhoven, in Sanssouci


Bezaubernd Bild, des Meissels Meisterstück!
Ach schlüge deine Brust! Ach wär dein Auge helle!
Ein jeder, der dich sieht, wünscht dir Elisens 1 Glück,
Und sich an Amors Stelle.

Fußnoten

1 Elise, des Pigmalions Statüe, die lebendig ward.

[84] Auf eben dieselbe Statüe

Sieh Papenhovens Meisterstück die schöne Venus ins Gesicht!
Sieh an den Mund des Marmorbildes! Man sieht die Stimm und hört sie nicht.

An die Morgenröthe

Aurora fahr herauf auf deinem güldnen Wagen,
Da ich für Lieb und Schmerz nicht schlafen kann!
Wenn Chloe bey mir ruht, dann halt die Zügel an,
Dann Göttin, laß es späte tagen.

Johann Christoph und Adelgunde

Johann Christoph:

Du lose Adelgunde! Die Leinwand ist zu theuer,
Es giebt ja Weber gnug, was kaufst du von dem Schreyer?
Adelgunde:

Mein liebstes süsses Hänschen! Ich sah des Garnes Stärke,
Und denn, bedenk einmahl! Lies't er doch deine Werke.

An die geschminkte Vetulla

Du scheinest jung zu seyn, allein wer weis es nicht,
Daß du viel älter bist Vetull! als dein Gesicht.

[85] An Iris

als der Verfasser ein Lied auf sie gemacht hatte


Küß nicht das Lied, gieb mirs, o Schönste wieder!
Küß mich. In mir sticht eine Sammlung Lieder.

Marforius

Marforius fand allen Sachen Mängel,
Er lästerte Gott, Engel und Erzengel,
Und schalt darauf mit leichter Müh
Das menschliche Geschlecht, und das Geschlecht vom Vieh.
Er schalt das Lamm, den Hund, das Crocodill – – – –
Vom Esel nur und Affen schwieg er still.

Petius

Der feige Petius fortificirt und spricht
Von Folard, Puisegur, von Widdern, Spieß und Lanzen,
Von alt und neuem Krieg. Mich wundert dieses nicht,
Kein Mensch hat nöthiger, als er, sich zu verschanzen.

Lied der Canibalen

Montagne T.I. ch. 30


Verweile schöne Schlange,
Verweile! Meine Schwester
[86]
Soll in ein Band von Golde
Dein Bild für Isen wirken,
Für Isen meine Freundinn
Alsdann wird deine Schönheit
Vor allen andern Schlangen
Der Welt, gepriesen werden.

Der Säufer zu dem Dichter

Berausch dich Freund! aus deiner Hippocren,
Berausch dich draus, ich will ins Weinhaus gehn.

An Herrn Hempel,

als er eine Winterlandschaft mahlte


Die Winterlandschaft, die dein Pinsel hier gebiert,
Ist furchtbar, wie der Winter selbst; ich seh sie an, mich friert.

[87] An Markolf

Man hört dich ohne Maaß und Ziel
Spott und Verläumdung speyn,
Und du willst ehrlich seyn?
Markolf, du stielst zwar nicht,
Doch fehlt dir nicht zu viel zum Schelm und Bösewicht;
Zum Tugendhaften fehlt dir viel!

Notes
Erstdruck dieser Sammlung: Berlin (Christian Friedrich Voß) 1756 (anonym).
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TextGrid Repository (2012). Kleist, Ewald Christian von. Gedichte vom Verfasser des Frühling. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B02E-C