August Klingemann
Faust
Ein Trauerspiel in fünf Acten

[Motto]

»Kein Aberglaube hat herrschend und weit durch Zeiten und Völker verbreitet seyn können, ohne eine Grundlage in der menschlichen Natur zu haben: an diese wendet sich der Dichter, und ruft aus ihren verborgenen Tiefen hervor, was die Aufklärung gänzlich beseitigt zu haben meint, jenen Schauer vor dem Unbekannten, jene Ahnung einer nächtlichen Seite der Natur und Geisterwelt.«

A. W. Schlegel.

Vorerinnerung

Vorerinnerung.

So viel auch die alte Legende von Faust schon bearbeitet worden ist, so mangelt es doch der Bühne bis jetzt immer noch an einem ächt dramatischen Faust, und Lessing scheint den Ton angegeben zu haben, den Gegenstand überhaupt so sehr in das Gebiet der Philosophie hinüberzuspielen, daß die mystischen Beziehungen bei den spätern Bearbeitern sich bis zum Allegorischen aufgelös't haben, und das geheimnißvolle Grauen, das durch die alte Legende waltet, in den neueren Darstellungen gänzlich verschwunden ist. Die Herrlichkeiten des Götheschen Faust sind anerkannt, aber Göthe's Gedicht hat nur dramatische Momente und ist nie für die Bühne bestimmt worden. – Wenn ich deßhalb mich an eine neue Bearbeitung dieses Gegenstandes gewagt habe, so geschah es aus dem oben angeführten Grunde, und weil ich versuchen wollte, die alte Legende ächt dramatisch auszuführen und jenes Gothische, Geheimnißvolle und Schauerliche in meine Darstellung zu übertragen, das vor der Aufklärung anderer Dichter dieses Stoffes daraus entflohen ist.

Personen

Personen.

    • Doctor Johann Faust.

    • Käthe, sein Welb.

    • Diether Faust, sein blinder Vater.

    • Wagner, sein Famulus.

    • Helene.

    • Ein Fremder.

    • Erster Student.

    • Zweiter Student.

    • Dritter Student.

    • Erster Leichenträger.

    • Zweiter Leichenträger.

    • Erste Maske.

    • Zweite Maske.

    • Dritte Maske.

    • Anführer der Gerichtsdiener.

    • Ein Kellner. Leichenträger. Gerichtsdiener.

    • Masken. Erscheinungen.

1. Akt

1. Scene
Erste Scene.
Diether Faust, der von Käthe geführt eingetreten ist.

DIETHER.
Es weht hier eine dumpfe Kellerluft,
Und doppelt hallt der Fußtritt durchs Gewölbe!
KÄTHE.
Wohl ist's hier schauerlich und nicht geheuer,
[1] Denn Todtenbein steht ringsum an den Wänden,
Und überall giebt's solche Gegenstände
Vor deren Anblick man sich fürchten möchte!

Die schaudernd ein Skelett betrachtet.

Hu, welch ein widrig Konterfai der Mensch,
Wenn seine Erdenschönheit Staub geworden,
Und wie er grinsend in das Leben schaut!
DIETHER.
Was ist es, meine Tochter?
KÄTHE.
Ein Gerippe!
Behüt uns Gott! – 'S ist doch so lieb das Leben,
Und süß und freundlich, selbst wenn Sorgen drücken!
Ich möcht' nicht gerne sterben, guter Vater;

Schaudernd.

Doch trägt schon jeder sein Gerippe in sich,
Und seinen Todtenschädel, bis es Zeit wird!
DIETHER.
Die Stund' ist eilf! – Mach dir nicht schwarze Träume!
Und führe mich zu Bette, Tochter Käthe;
Denn Faust kehrt heute nun auch nicht zurück.
KÄTHE.
Wenn gleich! Verweilt nur noch ein weniges;
[2] Denn ist der Faust auch selber nicht daheim,
So liegt doch hier so mancherlei Geräthschaft,
Die sein gehört und die er oft berührte,
Daß ich mich näher schon hier bei ihm wähne!
DIETHER.
Du treues Kind!
KÄTHE.
Ach könnt' ich's ihm nur sagen,
Wie sehr ich ihn so tief im Herzen liebe;
Doch liegt's zu tief und findet keine Worte,
Und drum kann ich's dem Faust auch nicht erklären;
Mit vieler Rede ist's mir nicht gegeben. –

Legt die Hand auf Fausts Studirstuhl.

Hier steht sein Stuhl, auf dem er einsam sitzend,
Ernst nachsinnt über tief geheimen Dingen!
DIETHER
halb in sich hinein.
Gott geb' auch über guten!
KÄTHE.
Ei, mein Vater,
Die Kunst des Buchdrucks, die er ausgefunden,
Ich denke – ist ein gutes Ding zu nennen!
Denn, wie der Faust erzählt, wird nun in Zukunft
Durch die Erfindung manches wackre Wort,
[3] Das vormals eingeschlossen und verborgen,
Vervielfacht ausgehn in die weite Welt
Und tausend Herzen trösten und erquicken!
DIETHER
wie vorher.
Auch manches Wort des Fluches!
KÄTHE
schaudernd.
Weh', mein Vater!
Erschreck mich nicht! – Dein Faust ist brav und gut!
DIETHER.
Von Gott dem Herrn aus – ja! – Doch liegt in ihm
Viel Stolz und Hochmuth und ein wilder Sinn; –
Der zieht zum Bösen!

Er schlägt ein Kreuz.

Weiche von uns, Unhold!
KÄTHE
erschweckend.
Herr Gott!
DIETHER.
Was giebt's?
KÄTHE.
Es war der Sturmwind draußen!
Er fuhr hernieder an den Fensterscheiben,
Sie klirrten! –

Wieder auf den Tisch blickend.

Drüben steht der Druckerkasten,
[4] Worin die neu erfundne Schrift! – O nein,
Das kann ja nimmer Böses seyn, mein Vater,
Ist's doch das heil'ge Bibelbuch, woran
Der Faust zuerst die neue Kunst verherrlicht,
Und das er jetzt gedruckt dem Kaiser vorlegt! –
O ja, fürwahr, das wird uns Segen bringen,
Und alle alte Sorgen schnell verscheuchen,
Die hier in diesen finstern Mauern nisten!
Faust selbst hat seine Hoffnung drauf gesetzt,
Denn immer drückender wird das Bedürfniß,
Und wie ich auch als treue Hausfrau walte,
So will's doch nicht mehr langen, nicht mehr reichen!
DIETHER
unwillig.
Das ist's! Ein Feind der Ordnung wohnt in ihm!
KÄTHE.
Klag' ihn nicht immer an! – Die Wissenschaft
Hat viel hinweggenommen; – was noch übrig,
Ward für die neu erfundne Kunst geopfert;
Sie wird's belohnen, so vermeint der Faust!
DIETHER
finster.
Wer weiß!
KÄTHE
hat das Feuergewehr ergriffen.
Ein zweites Werk von seinem Scharfsina!
[5]
DIETHER.
Was ist's?
KÄTHE.
Das Feuerrohr für Berthold Schwarz!
Faust hat es für sein Pulver ihm erfunden;
Man kann damit aus weiter Ferne treffen.
DIETHER.
Ein Höllenwerk!

Er hat es ihr genommen.

Es brennt in meiner Hand!
Hinweg damit – schwer ist's, wie Vatermord!

Er wirft es auf den Boden.
KÄTHE
die es wieder an seinen Ort legt.
O wehe, Vater! Wenn du es versehrt,
Wird Faust der Neugier seines Weibes zürnen!
DIETHER
wild.
Versehrt, zerstört, für jetzt und alle Zeiten,
Die Welt, die Nachwelt würde mich noch segnen! –

Ausbrechend.

Nein, nein – das ist mir nimmer etwas Gutes!
Du armes Weib – komm her an meine Brust.

Er zieht sie zu sich.

[6] Dein Faust – das Wort erstirbt – doch meine
Ahnung. –

Heftig.

O Herre Gott!
KÄTHE
zitternd.
Du ängstest mich, mein Vater!
DIETHER
sehr bewegt.
Mein frommes Käthchen – hast erst heut gebeichtet –!
KÄTHE
herzlich.
Man fehlt ja stets! –
DIETHER.
Und Er?! – Du armes Weib! –
O könnt' ich dich doch sehn! – – Nein blind ist besser!
Ich müßte sonst ja auch auf seiner Stirne
Den Unhold schauen – –
KÄTHE
dichter an ihm.
Schütze mich, mein Vater!
DIETHER
steigend.
Den Unhold –
KÄTHE.
Weh' der Sturm umtobt das Haus,
[7] Und heult und pfeift durchs dunkele Gewölbe;
Mich schaudert's so mit dir allein!
DIETHER
der sich faßt.
Du zitterst
Wie eine Espe!
KÄTHE.
Deine Schreckensworte –
Was willst du damit –
DIETHER
sie beruhigend.
Nimm es nicht so schwer,
Ich sprach in Vaterangst!

Zum Himmel.

Du dort bist mächtig,
Und dir hab' ich ja stets ihn anvertraut!
KÄTHE
beklommen.
Mir wird's so bang' in diesen dumpfen Mauern,
Die Wände rücken eng auf mich zusammen,
Die Schädel grinsen mir aus hohlen Augen,
Und alles lebt und winkt und wird beweglich –!

Zu Diether schaudernd.

Und du bist blind, und siehst nicht, wie so heimlich
Sich alles an mich wendet und mir zuspricht!

Ihr Blick fällt auf eine kleine Phiole mit einer Signatur, die auf dem Tische steht.

[8] Sogar –

Sie ergreift es.

Gift! –

Schaudernd.

Gift ist dieses Fläschchens Aufschrift!
DIETHER.
Gift denn und Mord –! Es liegt gut bei einander!
KÄTHE
innerlich ergriffen.
Herr Gott, wozu bedarf der Faust denn Gift?
Das kann durch Unvorsicht viel Unheil stiften;
Und wenn ich denke – –

Sie setzt schaudernd das Fläschchen wieder hin.

Fort aus meinen Händen!
Man sagt der Tod durch Gift sei fürchterlich. –
Ach hätten wir die Thür doch nicht geöffnet;
Mir wird so ängstlich in dem düstern Zimmer!
DIETHER.
Ich warnte dich; der Faust zürnt so darüber,
Wenn man in seine – schwarze Werkstatt tritt.
KÄTHE.
Das eben ist's; – ich sah den Schlüssel stecken,
Den er sonst immer sorgsam bei sich führt.
Da überlief mich's, wie im alten Mährchen
[9] Vom Ritter Blaubart, mit geheimer Neugier,
Daß ich die schwere Thüre öffnen mußte! –
Hast Recht, ich habe Sünde dran gethan,
Weil Faust es ungern sieht! –
DIETHER.
So laß uns gehen!
Ich aber will in's Nachtgebet ihn schließen.
KÄTHE
nimmt die Lampe.
Schon recht! – Hu! wie beim matten Lampenscheine
Sich's überall umher zu regen scheint!

Nach dem linken Tische schauend.

Hier linker Hand – da in der dunkeln Ecke,
Schau doch – was flammt da auf?
DIETHER
sie erinnernd.
Ich soll es schauen?
KÄTHE.
Ich dachte nicht an deine blinden Augen!
Doch macht's mir Furcht, daß ich allein hier sehe.

Sie betrachtet den globus coelestis.

Welch wunderbare Kugel voller Kreise!
DIETHER
der ihn betastet.
Das ist der Himmelsglobus, meine Tochter,
Und in den Kreisen laufen die Planeten,
[10] Die auf die Complexion der Menschen wirken!
Von früh her trieb der Faust Astrologie,
Und schaute frech die Zukunft aus den Sternen!
Ich hab' ihn oft verwarnt; denn solche Kunst
Ist schon Geschwisterkind mit Teufelswerken. –
Der Mensch soll knieen und die Augen schließen;
Will er dem Herrgott in's Geheimniß schauen,
So überspringt er toll die sichern Grenzen!
KÄTHE
beleuchtet das Buch.
Welch schweres Buch, mit einer Kett' umwunden!
DIETHER
er faßt danach und zieht die Hand schnell zurück.
Was sagst du, Käthe?
KÄTHE
hat die Kette berührt, die rasselnd auf den Boden fällt.
Ha, das Schloß ist offen!
DIETHER
aufschreckend.
Was rasselt da?
KÄTHE.
Die Kette fiel zu Boden!
DIETHER.
Die Kette?
KÄTHE.
Von dem Buche!
[11]
DIETHER
hastig.
Oeffn'es nicht!
KÄTHE
schlägt das Buch auf.
Ich kann's nicht lassen!
DIETHER
schaudernd.
Hier ist's nicht geheuer!

Er will sie fort ziehen.

Du wirst versucht!
KÄTHE
in das Buch mit hastigen Blicken schauend.
Ha, welche seltne Zeichen,
In Roth und Schwarz – es blendet fast die Augen –
Die Farben leben, brennen, glühen, flammen –
Die Zeichen winken –

Als Diether sie zurückziehen will.

nicht doch! – Laß mich schauen!

Sie blickt fortwährend in das Buch.
DIETHER
stark, indem er ein Kreuz schlägt.
Im Namen Gottes!!
KÄTHE
taumelt ermattet zurück.
Welcher Todesschwindel!
DIETHER
heftig.
Das ist –
[12]
2. Scene
Zweite Scene.
Wagner mit einer Lampe. Die Vorigen.

WAGNER
hereintretend.
Nehmt mich in Schutz, ihr guten Geister!
DIETHER.
Wer redet da?
WAGNER
um sich blickend.
Gottlob, ihr seid's, Herr Diether!
Ich schaute Licht hier durch das Bogenfenster,
Drob furcht' ich mich in meiner Kammer drüben,
Dieweil's fast Mitternacht, und mir's bewußt war,
Daß Würden, unser Doctor, nicht daheim!
Doch da ich öfter schon zur selben Stunde
Hier Lichtschein in dem Zimmer wahrgenommen,
So faßt' ich mir ein Herz, schlug guten Muthes
Mein Kreuzlein vor der Thür, mich benedeiend,
Und schritt so, wohl gerüstet, kühn herein,
Nach Licht und Feuer sorgsam umzuschauen!
KÄTHE
die sich allmählig erholt hat.
Jetzt wird die enge Brust mir wieder frei!

Zurückfahrend, als sie das noch offene Buch erblickt.

Was hab' ich angeschaut!
[13]
WAGNER
schlägt es heftig zu.
Ihr guten Geister! –
Kehrt euren Blick hinweg von diesen Zeichen;
Das ist – auch mich trieb neulich solcher Vorwitz! –
O schlingt die Kette wieder fest darum –
Gebt her –

Er windet die Kette wieder um das Buch.

Das muß in starken Fesseln liegen!
DIETHER.
Ich ahnte es! –
KÄTHE
ängstlich.
Erklärt euch deutlicher!
WAGNER.
Nur was mir wiederfuhr, kann ich berichten!
Sonst pflegte Würden, unser Doctor, immer
Dies Schreckensbuch in sicherm Schloß zu halten,
Und wenn ich oft ihn um den Inhalt fragte,
So gab er dies und jenes mir zur Antwort,
Das nimmer auf den Grund der Sache führte.
Drob brannte mich die Neugier immer mehr –
Man ist ein Menschenkind – und als ich neulich
Die Kette offen fand und unverschlossen,
So wollt' ich rasch mich an den Inhalt machen;
[14] Doch ob ich gleich in Sprachen wohl bewandert,
So war hier meine Wissenschaft am Ende,
Denn nie sah ich vorher dergleichen Zeichen.
Indeß verspürt' ich heimliches Gelüsten,
Und mußte wider Willen weiter blättern,
Und immer krauser wurden die Figuren,
Und wie ein Rausch stieg mir's empor zum Haupte,
Daß ich fürwahr von Wildheit fast ergriffen;
Bis mir, gleichsam ein Schreckniß vor mir selber,
Der Name Gottes von den Lippen fuhr;
Da knistert' es wie Flammen aus dem Buche,
Und mich ergriff ein fürchterliches Grauen,
Daß sich die Haare auf dem Schädel sträubten,
Und ich hinweg floh, wie verfolgt vom Bösen!
DIETHER
tief erschüttert.
Der war's fürwahr!
KÄTHE.
O redet nicht so schrecklich!
DIETHER.
Was ich mit bangem Schauder oft geahnt,
Es ist gewiß – der Faust treibt schwarze Kunst!
KÄTHE
bebend.
Welch finstrer Name!
[15]
DIETHER.
Das sind ihre Zeichen!
Die locken ihn, die garnen ihn hinein,
Bis endlich er, vom Argen überlistet,
Hinunterstürzt in Hölle und Verdammniß!
WAGNER
ängstlich.
Behüt' uns Gott!
KÄTHE
außer sich.
Du tödtest mich, mein Vater!
O laß uns fort von diesem Schreckensorte!
DIETHER
zu Wagner.
Ihr seid sein Schüler – ihr müßt darum wissen!
WAGNER.
Behüte! – Ich bin frommer Leute Kind,
In Armuth und in Gottesfurcht erzogen;
Und weil ich Würden, unserm Doctor, diene
Als Famulus in den Collegiis,
So räumt er mir mein Plätzchen gratis ein,
Daß ich umsonst bei ihm mich klug studire!
Der Herr hat einen grundgelehrten Geist,
Und ist in Metaphysicis bewandert,
Wie weiland Plato selbst es nicht gewesen!
Doch geht mit Gott dem Herrn das Ganze zu!
[16]
DIETHER.
So habt ihr nimmer mehr etwas bemerkt?
WAGNER.
Bis auf das Schreckensbuch und meinen Schwindel,
Auch oftermal'gen Lichtglanz hier zur Nachtzeit,
Den ich auf Electricität geschoben,
Nicht das Geringste weiter, Ehrenfester!
Obgleich ich auch bescheidentlich bekenne,
Daß mancher Satz in Metaphysicis,
Den ich vernahm, noch nicht von mir ergründet.
So grübelt' ich noch jetzo ob dergleichen,
Als ich das Licht durchs Fenster hier erblickte.
KÄTHE.
Umsonst hast du mir Furcht gemacht, mein Vater!
Wie kannst vom Faust so Schreckliches besorgen?
DIETHER.
Gott gebe, daß die inn're Stimme log;
Allein sein wilder Sinn, der zu den Sternen
Und zu dem Himmel kühn empor ihn stürmt,
Kann ihn zur Hölle auch hinunterstürzen!
WAGNER
erschreckend.
Wer nahet da so spät zur Mitternacht?
[17]
KÄTHE
freudig auffahrend.
Das ist der Gang des Faust! – Er ist's! Er ist's!
3. Scene
Dritte Scene.
Faust in einem bis auf die Knie hinabreichenden weiten schwarzen Ueberkleide und mit einem viereckten schwarzen Barette auf dem Haupte.
Die Vorigen.

FAUST
tritt, die Bibel in der Hand, finster und wild in sich grollend, ein.
Da bin ich wieder! Jetzo nimm mich hin!
KÄTHE
die auf ihn zueilt.
Mein Faust! Mein lieber Faust!
FAUST
blickt erst jetzt düster auf.
Ihr seid noch wach –
Und hier an diesem Ort –?
KÄTHE.
Wir harrten dein
Bis in die Nacht!
FAUST.
Wozu?
KÄTHE.
Selbst Vater Diether
Entsagte deinetwegen seiner Ruhe!
[18]
DIETHER
murrend.
Er grüßt den Vater nicht!
FAUST
kurz.
Ich grüße euch!
DIETHER.
Gott grüße euch! So heißt der rechte Spruch!
FAUST
wie vorher.
Mein'twegen!
DIETHER.
Hörst du, Käthe?
KÄTHE
Faust liebkosend.
Lieber Faust! –
Du bliebst so lange fort!
FAUST.
Inspruck ist weit!
KÄTHE.
Hast du denn keinen Blick für deine Käthe?
FAUST.
Verlaß mich, ich will schlafen!
KÄTHE.
Gott, wie wild! –

Sehr erschüttert.

So träumt' ich mir das Wiedersehen nicht.
[19]
FAUST.
Ich auch nicht! – Hörst du meine Rosse schnauben,
Womit ich heimzukehren dir versprach?
WAGNER.
Der Sturm saus't draußen, Rosse scheinen's nicht.
FAUST
wild lachend.
Der Sturm? Haha! – Du witterst die Naturen,
Mein Freund! – Der Sturm, ganz recht, hat mich zerpeitscht;
Die Rosse aber sind noch weit dahinten,
Und ich bin ihnen immer vorgelaufen,
Mit meiner Bibel unterm Arm, von Inspruck!
DIETHER
schaudernd.
Wie ist sein Ton verändert!
FAUST.
Auch das Kettchen,
Das ich zum Sonntagsschmucke dir gelobte;
Ich hatt' es wohl mir um sein Wort verdient,
Daß in der Kirche dich das Kettchen zierte –

Er wirft grollend einiges Geld auf den Boden.

Hier hast du meine letzten Kupferdreier,
Die laß dir sein auf einen Faden reihen,
[20] Und häng sie um den Hals; – ein theurer Schmuck!
Ist's doch fürwahr des Faustes ganze Habe!
KÄTHE.
So ist dir deine Hoffnung fehl geschlagen?
FAUST.
Ja fehl und dreimal fehl! – der Kaiser Mar
Braucht Geld zum Türkenzuge! – Kunst und Wissen,
Die wirft man zu den Bettlern aus der Thüre!
Und mich nun gar, mit meiner Druck-Erfindung,
Mich zählt man zu den Ketzern, und die Mönche,
Sie schreien laut aus ihren Klosterlöchern,
Daß ich dadurch sie um den Wein bestehle
Für ihren Schreiberlohn; – und noch um mehr,
Sobald die Menschen wirklich lesen lernen.
KÄTHE
schmiegt sich an ihn.
O rolle nicht so wild die dunkeln Augen!
FAUST
etwas vortretend.
So hab' ich denn mein Hirn und meine Habe
Umsonst vergeudet – ja für Haß und Undank!
Die Wissenschaft betrog mich um den Preis,
Und gab statt Wahrheit mir den ew'gen Zweifel! –
[21] Die Kunst – verdammt! Die Kunst macht mich zum Bettler,
Und was ich für die Nachwelt kühn errungen,
Zahlt mir den Lohn voraus im Hungertode!
Noch mehr der Himmel selbst – –

Er schleudert wild die Bibel auf den Boden.

Ha Trotz geboten!

Ein donnerähnlicher Sturm fährt durch das Zimmer.
KÄTHE
aufschreiend.
Was thust du, Faust!
FAUST
wild und heftig.
Es gibt noch andre Mächte!
DIETHER
haftig.
Was ist geschehn?
WAGNER.
Ein Donnersturm erschüttert
Den Grund des Hauses!
KÄTHE
behend.
Weh', es ist die Bibel,
Die du zu Boden warfst! – Das bringt dir Unglück!
DIETHER
will auf ihn zu.
Die Bibel – Bube!
[22]
KÄTHE
drängt sich ihm entgegen.
Er that's ohne Wissen!
WAGNER
schaudernd.
Das ist entsetzlich!
KÄTHE
die Fausts Hand ergriffen.
Ich will für dich beten,
Ob dieser Sünde!
FAUST
grimmig.
Beten? Weiber beten!
Ein Mann kann trotzen, drohen!
KÄTHE
angstvoller in ihn dringend.
Weh! Nicht lästern!
FAUST
wild fortfahrend.
Kann zürnen, donnern –
KÄTHE
wie vorher.
Faust!
FAUST
stößt sie heftig von sich.
Zurück von mir!
DIETHER.
Ha, laßt mich zu ihm!
KÄTHE
außer sich.
Welcher Augenblick!
[23]
WAGNER.
Hört ihr den Sturm –
DIETHER.
Wie Weltenuntergang!
FAUST.
Und wenn ihm Erd' und Himmel treulos werden,
So wagt er's mit der Hölle gegen beide!

Er stürzt ab.
DIETHER.
O wehe!
KÄTHE.
Faust!
WAGNER.
Welch fürchterliche Stunde!

Alle ihm nach.
4. Scene
Vierte Scene.
Finstere Gegend; im Hintergrunde zur rechten Seite ein Kirchhof mit einer Kapelle, deren altgothische Fenster erleuchtet sind.

CHORALARTIGER GESANG
in der Kapelle.
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulchra regionum
Coget omnes ante thronum!
[24]
FAUST
tritt auf.
Was will der finstre Sang um Mitternacht?

Erblickt die Kapelle.

Ja so – es ist St. Clarens Todtenacker! –
Warum mußt' ich die Kirche nicht vermeiden?
Gab's doch der Wege mehr zum Spessar Walde!
GESANG
wie vorher.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura
Judicanti responsura!
FAUST.
Man singt das Requiem für einen Todten!
Ein mitternächtlich grauses Werk – wie meins!

Zusammenschaudernd.

Was flüstert um mich her? – Nicht doch, es war
Der Wiederhall von meiner eignen Stimme,
Der leise rückruft aus den Grabgewölben! –
Ha, todt ist todt! – Was wollen denn die Todten,
Daß sie mich hier an ihre Schwelle bannen?
Noch ist die Brüderschaft zu früh, ihr Herren
Mit euern nackten Glatzen; Faust verhungert
Der Welt und euch fürwahr nicht zu Gefallen!
Zu kühn hab' ich gestrebt, zu hoch gewaltet,
[25] Um drunten schon den Tanz mit euch zu klappern!
Vollkräftig steh' ich da, und zwingen will ich
Das Leben, mir zu dienen, wenn sich's weigert!

Heftiger.

Ja zwingen, zwingen – denn die Macht ist mein!
Und frei ist auch hier in der Brust der Wille!

Er will fortschreiten, hält aber plötzlich wieder inne.

Doch künftig? – Wenn ich künftig zu cuch komme?
Was grinset ihr mir euer künftig zu?
Giebt's dann ein künftig jenseit eurer Schwelle?
Ich habe darum Höhere befragt,
Als euch Geschorne in den Zellen drunten;
Das ganze Wissen hab' ich durchgestürmt –
Doch Nichts! ist mir zur todten Antwort worden!

Mit größerer Heftigkeit.

So soll denn eine andre Pforte springen,
Wozu ich mir den Schlüssel kühn erobert,
Und wollte man mich droben nicht erhören,
Ha denn – so soll man unten mir gehorchen!

Er will abgehen.
GESANG
wie vorher.
Quid sum miser tunc dicturus,
[26] Quem patronum rogaturus,
Cum vix justus sit securus!
FAUST
zurücktaumelnd.
Was soll der Zuruf? – Warum grade jetzo?
Könnt ihr nicht eure Todten still begraben,
Statt uns so fürchterlich dabei zu mahnen? –

Er versinkt in Nachdenken.

Wohl gab es eine Zeit – ich denke ihrer –
Wo jene Töne mir zum Herzen sprachen! –
Du schönes Traumbild meiner Jugendjahre,
Der süßen Unschuld frommer Kinderglaube,
Du bist dahin, und kehrst mir nimmer wieder!
Hier war mein Spielplatz, am St. Claren Kirchhof,
Der Mutter Grab schuf ich zum Blumengarten,
Und als ihm eine Lille entsprossen,
Erschien sie mir der Lichtglanz ihrer Seele! –

Ergriffen.

Die Mutter ruht dort auch!
5. Scene
Fünfte Scene.
Ein Fremder, ganz in einen dunkeln Mantel verhüllt. Faust.

FAUST
aufschreckend.
Wer nahet drüben!

[27] Das Licht erlischt in der Kapelle, und es wird ganz finster.
DER FREMDE
der in der Nacht wie ein ungewisser Schatten erscheint, tritt etwas näher.
FAUST
unwillkührlich grausend.
Ein Nächtlicher vom schwarzen Grabgefolge!

Es donnert dumpf.

Nicht also! – Ha, was spricht mit solcher Wildheit
Zu meinem Geiste? Worte hör' ich nicht,
Doch sind's Gedanken, glühend, wie die Rache,
Die innerlich den meinigen begegnen! –

Zurückbebend.

Hier ist was Schreckliches in meiner Nähe!
DER FREMDE
deutet zur linken Hand hinaus.
FAUST.
Dort liegt der Spessar! –

Er fährt sich über die Stirn.

Ha, was ist es denn,
Das mir die Haare grausend aufwärts sträubt,
Und kalten Schweiß aus meinen Poren preßt! –
Wer bist du – rede!

Es donnert stärker.

Ha, im Innern wieder!
[28] Und immer wilder! – Donnert nicht der Zorn
Schon laut in mir?

Mit steigender Leidenschaft.

Ja, rächen möcht' ich mich!
Nach Rache brennt's, wie Feuer in dem Busen! –
Betrogen von dem Himmel und der Erde,
Möcht' ich verderbend durch das Leben stürmen,
Und allen Haß in meiner Brust erschöpfen,
Und wenn ich meiner Wuth genug gethan,
Dann hoch und königlich darüber herrschen,
Und seinen vollen Freudenbecher schwingen!
Ha, nieder denn mit diesen engen Schranken,
Ich fühl' mich im Bewußtseyn meiner Macht,
Und wenn ich's will, so kann ich's auch vollbringen!
DER FREMDE
lacht halblaut und höhnisch.
FAUST
heftiger.
Was soll das Gaukelspiel – weg die Vermummung!
Zeig dich mir selbst – so schrecklich wie du bist;
Ich bin der Faust – dein Herrscher und Gebieter!

Es wetterleuchtet.
DER FREMDE
deutet nach der linken Seite.
FAUST.
Zu früh! Rufst du in mir? – Ha, Schattenbildung,
[29] Du zitterst nicht vor meiner Uebermacht?
Das Wort ist mein, und hab' ich's ausgesprochen,
So liegst du wie ein Sklav zu meinen Füßen,
Mein Wink stürmt dich von einem Pol zum andern,
Und fröhnen mußt du meinem Herrscherwillen! –
Heraus denn aus den Nebeln, die dich bergen,
Ich bin ein Mann für dein Entsetzlichstes,
Und will dich schauen!

Indem er auf ihn zustürzt.

Ha, gehorche mir!

Ein Donnerschlag.
DER FREMDE
streckt den Arm aus.
FAUST
taumelt zu Boden.

Der Donner verhallt langsam.
FAUST
rafft sich wüthend empor.
DER FREMDE
deutet wieder nach der linken Hand.
FAUST.
Zu viel! Ha, Lügenbildung – Trotz sei dir!
Hinaus zum Spessar! – Eh der Tag beginnt,
Sollst du, ein Sklav, zu meinen Füßen zittern!

Der Fremde schreitet voran. Faust folgt verwegen.

[30]
6. Scene
Sechste Scene.
Nach einer kurzen Pause treten Diether, Käthe und Wagner von der Seite der Kirche auf.

KÄTHE.
Hier ging sein Weg hinaus!

Es donnert fort.
DIETHER.
Gott sei ihm gnädig!

Er tappt um sich.

Das wilde Wetter wüthet über uns;
Die Nacht gehört dem Bösen!
KÄTHE.
In Verzweiflung
Floh er von hinnen! – Weh, wo find' ich ihn?
Ich ahne Schreckliches!

Es blitzt stark.
WAGNER.
Dort gehen zwei –
Seht nur – am Spessar! –' Sist schon wieder Nacht!
KÄTHE.
Er war es selbst! – Hinaus, laßt uns ihm folgen!
DIETHER.
Ich kann nicht weiter! Meine Kniec brechen!
Willst du mich in das Ungewitter stoßen!
[31]
KÄTHE.
Doch Faust – o Gott, dein Sohn!
DIETHER.
Er ist verloren!

Erhebt den Stab.

Ich fluche ihm!
KÄTHE
außer sich.
O halte ein, mein Vater!
DIETHER.
Es ist zu spät! – Sein Wort trat er mit Füßen!

Schwach.

Mein graues Haupt! – Will mich denn niemand stützen?
Verläßt mich Käthe, ob des Buben?
KÄTHE
ringt die Hände.
Gott!
WAGNER.
Ich will ihm nach! – Auf meinem Herzen trag' ich
Ein Sprüchlein, noch ererbt vom Urgroßvater,
Das mich vor allem bösen Wesen schützt! –
Bleibt bei dem Vater, Frau!

Er geht links ab.

[32]
7. Scene
Siebente Scene.
Die Vorigen ohne Wagner.

DIETHER
den Käthe auf einen Rasensitz geleitet hat.
Wo sind wir hier?
KÄTHE.
Am Clarenkirchhof!
DIETHER
ergriffen.
Wo mein Weib begraben!
Das ihn gebar! –

Zu dem Kirchhofe hinüber rufend.

Hörst du mich, Margarethe?
KÄTHE
schaudernd.
O Gott – wie fürchterlich!
DIETHER
wie vorher.
Hörst du, der Hans –
Er ist verloren! Ich bring' ihn nicht mit!
Bald komm' ich zu dir! Gretchen, ruhst wohl süß?
Ich läge gern da bei dir in dem Kühlen,
Könnt' ich den Jungen auch nur zu dir bringen!

Tief.

Den hat der Schwarze!

Es donnert stark.

Gott sei uns genädig!
[33]
KÄTHE
die neben ihm betend auf die Knie gesunken ist.
O höre mich in meiner tiefen Angst!
DIETHER
legt die Hand auf ihr Haupt.
Du betest, Kind! – Recht so!

Wieder nach dem Kirchhofe zu redend.

Sein Weib ist gut;
Die bringe ich einst mit mir, Margarethe!
Der Junge freilich lag dir unterm Herzen. –

Als es sehr heftig blitzt.

Ist das dein Geist – es strahlt in meine Nacht!

Das Gewitter wird heftiger.
8. Scene
Achte Scene.
Wagner. Die Vorigen.

WAGNER
athemlos auf die Bühne stürzend.
Gott schütze uns! Die Höll' ist losgegeben!
Im Spessar-Wald – ha nimmer wieder Vorwitz!
Ein Donnersturm saus't durch die alten Eichen,
Der Boden zittert – Feuer –
KÄTHE
heftig.
Wo ist Faust?
WAGNER.
Ach fragt mich nicht – laßt uns von hinnen fliehen!
[34]
KÄTHE.
Wo ist der Faust?
WAGNER.
Ich hab' ihn nicht gesehen!
Die Welt geht hinter mir in Flammen auf
Entsetzlich – fürchterlich –

Der Blitz schlägt in die Kirche.
WAGNER
schreiend.
Gott sei uns gnädig!
DIETHER
aufrufend.
Ich sehe!
KÄTHE
taumelt zurück.
Hülfe!
WAGNER.
Weh! das hat gezündet!
FAUSTS STIMME
aus der Ferne.
Weh! Wehe!
KÄTHE
strengt die höchste Gewalt an, sich fort zu reißen.
Das ist Faust!
WAGNER.
Die Kirche brennt!
KÄTHE
streckt die Arme nach der Ferne hin.
Zu Hülfe!

Sie sinkt in Ohnmacht.
[35]
DIETHER
um sich her tappend.
Faust!
WAGNER
außer sich.
Entsetzlich!
FAUSTS STIMME
wie vorher, sehr laut.
Wehe! Wehe!

Der Vorhang fällt.
[36]

2. Akt

1. Scene
Erste Scene.
Faust allein in einer anderen und stattlichen Kleidung.

FAUST
wild auftretend.
Nehmt ihr mich auf, ihr wilden Felsgeklüfte,
Mit meinem Unmuth – ha! mit meinem Groll!
Hier unterm Himmel in dem Sturm der Lüfte,
Hoch ob den Menschen, wird mir wieder wohl,
Hier hör' ich Töne, die mir wiederklingen,
Und zürnend in das innre Zürnen dringen! –
Wer bin ich jetzt – ha! stehe ich am Ziele,
Mit diesem Grimm, den ich im Busen fühle?
Als mir die Freiheit, als mir die Macht gegeben,
[37] Da stürzt' ich hinaus in das Leben,
Wollte zürnen, wollte mich rächen,
Unter meinem Fußtritt die Welt zerbrechen;
Doch als ich den Donner in Händen schwang,
Da schien mir der Mensch zu klein
Für meinen Zorn zu seyn,
Und die erhobene Rechte sank! –
Und von neuem stürmt' ich ins Leben,
Seinem Hochgenusse mich hinzugeben,
Schlürfte der Traube Feuergluth,
Bis der Becher überschäumte,
Ich mich zum König, zum Gotte träumte
In meinem kühnen verwegenen Muth!
Doch als der wilde Rausch verflogen,
Fand ich mich wieder, wie ich war;
Um alle die goldenen Preise betrogen,
Blieb ich der alte immerdar! –
Ha, mußt' ich darum mein höheres Leben,
Darum mein Heil und die Seele vergeben?

Er betrachtet tiefsinnig seine linke Hand.

Hier ist noch die Wunde verblieben;
Nimmer heilt sie an dieser Hand,
Woraus ich mein Herzblut ihm unterschrieben,
[38] Der Hölle zum sichern Unterpfand! –
Zwar kann ich getrost seyn, kann seiner lachen!
»Vier Todessünden – so lautet der Pact –
Sollen mich erst zum Leibeignen ihm machen
Da trotz' ich auf meinen geschloss'nen Contract!
Doch wurmt mich's, für so ein alltägliches Leben
Ihm auch nur die Hoffnung des Preises zu geben!

Wilder.

Genießen will ich, glühend heiß genießen,
Und nimmer welken soll mir der Genuß;
In's Herz des Lebens will ich überfließen,
Berauschen mich an seinem schönsten Kuß;
Doch Dauer sei dem Augenblick gegeben,
Rauscht er hinweg, mag ich ihn nicht durchleben!

Der Kuhreigen erschallt sanft aus der Ferne.

Der Sturm verstummt, die goldnen Töne klingen,
Der Hirte bläs't sein heimisch Abendlied! –
Ha, wie sie freundlich zu dem Herzen dringen,
Aus dem der düstre Groll von hinnen flieht;
Mit ihnen möchte sich die Seele schwingen
Zur Ferne, wo die Sonne unterglüht,
Mit jenen Feuerwogen sich vereinen,
[39] Die purpurn an dem Himmel wiederscheinen!
Sie tönen fort – ha wie auf leichten Flügeln
Die Nachtigall zu ihren Lieben eilt,
Sie hold begrüßend auf den fernen Hügeln! –
Nur wo das Herz sich mit dem Herzen theilt,
Kann in der Freude sich die Freude spiegeln!
Des Lebens Hochgenuß – ha, er verweilt,
Wenn sich zwei Geister liebend eng verbinden,
Aus Seele ihn in Seele zu empfinden!

Der Kuhreigen hat aufgehört. Faust schaudert
zusammen.

Dahin!! – – Wo ist denn meine Seele,
Mit der ich mich vermähle?
Wer ist mein Freund –
Der Finstere, der Feind? –
Mit ihm bin ich verwandt,
An ihn gebannt,
Und will der Geist zum Himmel sich beflügeln,
Muß er in Hölle sich und Abgrund spiegeln!

Der Kuhreigen beginnt wieder, und Faust fährt nach einer Pause mit Innigkeit fort.

O holder Traum, als du mir einst erschienen,
Mein treues Weib – – die Töne denken dein!
Der Andacht Ernst in deinen frommen Mienen,
Verklären sie zu einem Heil'genschein;
[40] Du könntest mit mir selber mich versühnen,
Im engen Hause möcht' ich bei dir seyn,
Einfältig treu in deiner Nähe weilen,
Und fromm mit dir die fromme Seele theilen!

Heftig auffahrend.

Ha Hölle, sende meinem Herrscherwillen
Zum Dienste denn die dunkle Macht empor,
Die Heimath tönt – ich muß die Sehnsucht stillen!

Indem er wild auf den Boden stampft.

Die Kraft des Faust schlägt an dein ehrnes Thor!
Gedankenschnell mein Wollen zu erfüllen
Ist dein Gesetz! – Schwing dich im Sturm hervor:
Denn immer wilder glühen diese Schmerzen,
Es brennt mein Herz nach einem zweiten Herzen!
DUMPFE STIMME
1 aus der Höhle.
Fluch und Verderben! Wer stürmet hernieder!
Ungestümer, was willst du schon wieder?
FAUST.
Boten der Liebe sollst du mir senden,
Schnell wie der Lichtstrahl eile ihr Lauf!
[41]
STIMME
wie vorher.
Heische zerstörend das Gute zu enden,
Ruf zum Vernichten mich lieber herauf!
FAUST.
Finsterer Unhold, der Tugend zu fröhnen,
Werde zur Qual dir – so will ich dich höhnen!

Es donnert wild in der Höhle.

Tobe und stürme – du mußt es vollbringen!

Heftiger, als es noch fortdonnert.

Mangelt der Bann noch –? Ha soll ich dich zwingen?
STIMME
mit tiefem Grimme.
Teufel der Teufel! – Vollende das Wort!
Glühend vergelte den Trotz ich dir dort!
FAUST.
Juble zu früh nicht! du kennst den Contract,
Unerschüttert besteht unser Pact,
Bis ich vier Todessünden vollbracht;
Dann erst erzittr' ich der höllischen Macht!

Es rollt dumpf durch die Höhle.

Winde dich murrend – dein Donner verhallt;
Mein ist der Wille und mein die Gewalt!
[42] Auf zeige mir im lichten Aetherspiegel
Mein frommes Weib, das in der Heimath weilt;
Gib ihren Tönen, ihren Worten Flügel,
Vereine, was durch weiten Raum getheilt,
Daß ihr Gedanke über Berg' und Hügel
In treuer Liebe zu dem meinen eilt,
Die Fernen zwischen uns in Nichts zerrinnen,
Und fromm ich schaue in ihr still Beginnen!

Ein aufzürnender Donnerschlag; dann erschallt aus der Ferne eine sanfte kirchliche Musik, und in dem Grunde der Höhle zeigt sich hinter einem durchsichtigen Schleier Käthens knieende Gestalt in einer milden Beleuchtung.
Indem er auf die Knie sinkt.

Für mich! Für mich! Ha töne zu den Höhen
Vereint mit ihr du mein Gebet empor!
Dort wo des Abends Purpurflammen wehen,
Da ist –

Indem sich seine Worte wild verwirren.

Ha Fluch – der Hölle Feuerthor!
Erhöre – nimmer! – Dorthin muß ich gehen! –
AveVerderben schallt der Jubelchor –
Dort wo die Felsen himmelan sich thürmen,
Will ich hinauf – – hinunter will ich stürmen!

Er reißt sich wild empor.

[43] Ha Unhold, was verwirrst du meine Worte,
Daß sie zum Fluche das Gebet verwandeln?
Nein beten kann ich nicht in deiner Nähe,
Ich kann nicht beten – nimmer wieder beten!
Der Gnade ew'ger Quell ist mir verschlossen,
Und wenn die Engel Thränen um mich weinten,
Er würde dennoch nie sich wieder öffnen!

Gegen die Erscheinung gekehrt.

O kniee nicht für mich – – das ist vergebens!
Zum Himmel schwingst du nie mich mit dir auf;
Doch laß der Erde Freuden uns genießen,
Und fühle glühend mit in meine Seele,
Wenn sie des Lebens Hochgenuß berauscht! –

Indem er auf die Erscheinung zu eilen will, verschwindet sie mit einem Donnerschlage. Er stürzt zurück.

Ein Schatten nur – wie Rauch in Luft zerronnen!
Nichts Wahres, das ich heiß an meine Brust
In diesem wilden Sturme drücken könnte,
Das meine Pulse mir entgegen klopfte! –
Ha fort – hinweg aus dieser Einsamkeit,
Starr und gefühllos sind die Felsenklüfte,
Gleichgültig fährt der Sturm an mir vorüber,
Gleichgültig geht die Sonne auf und nieder,
[44] Gleichgültig tönen mir der Vögel Lieder,
Gleichgültig ist's, wem die Natur erblüht –
Ich will ein liebend Herz, das mit mir glüht!

Wild gegen die Höhle rufend.

Herauf aus deiner Nacht!

Ein dumpfer Donn er antwortet.

Flüchtig schnell wie Blitze glühn,
Eil' zu meiner Heimath hin,
Mach den Lichtstrahl dir zur Bahn,
Künde meine Rückkehr an!

Ein Blitz fährt über die Bühne.
STIMME
aus der Höhle.
Schon vollbracht ist dein Verlangen!
FAUST.
Goldne Ketten, goldne Spangen,
Brust und Arme schön zu zieren,
Magst du bei dem Gruße spenden!
STIMME.
Dank! da gibt es zu verführen!
Gold trägt Zins in Weiber Händen.
FAUST.
Unhold, nimmer in den ihren!
[45]
STIMME
höhnisch lachend und mit verändertem frivolen Tone.
Stammt doch auch aus Eva's Blut;
Es gefällt ihr wahrlich gut! –
Wie sie äugelt,
Wie sie lacht,
Wie sie sich spiegelt
In blitzender Pracht!
Glühend die Wangen
Von heißem Verlange!
Auszustellen den glänzenden Leib! –
Meine Schlange verstand sich auf's Weib!
FAUST.
Ha schweig Verfluchter! Geifre deinen Gift
Auf meinesgleichen – nicht auf solche Unschuld!
Die Lügenzunge bind' ich dir fortan,
Und stumm nur sollst du meinem Wink gehorchen!
Auch feßl' ich dich von jetzt an meine Fersen;
Doch daß du nicht das Ebenbild des Herrn
Durch trügerisches Konterfei entehrst,
So wandele den Abscheu deiner selbst
In eines Hunds verworfene Gestalt,
[46] Und winde dich im Staub zu meinen Füßen,
Daß ich dich trete, wenn mein Grimm entbrennt –

Es donnert wüthend in der Höhle.
Heftig rufend.

Ha Ruhe jetzt! – Und führe mich von hinnen!

Er eilt ab, indem noch ein krachender Donnerschlag hinter ihm her erfolgt.
2. Scene
Zweite Scene.
Ein im besten Geschmacke jener Zeit ausgeschmücktes Zimmet. An der Wand hängt ein großes weibliches Konterfei.
Diether Faust an seinem Stabe hereintappend. Käthe von der andern Seite.

DIETHER.
Wo bist du Tochter Käthe?
KÄTHE
in besserer Kleidung, eine goldene Kette um den Hals.
Hier, mein Vater!
DIETHER.
Du ließest mich allein!
KÄTHE.
Ihr schlummertet!
[47]
DIETHER.
Ich hörte Lärmen und Geräusch im Hause,
Man rannte hin und wieder –
KÄTHE
im Zimmer umherblickend.
Ha was seh' ich?
Schon alles hier in Ordnung – und wie glänzend!
DIETHER.
Was gibt es?
KÄTHE.
O wie soll ich's euch erzählen! –
Ich betete zu unsrer lieben Frauen
Für meinen Faust das angelobte Ave;
Da wurd' ich plötzlich wie mir selbst entnommen
Und in der Phantasei hinaus geführt
In einen Wald voll finstrer Felsenklüfte;
Und wollte mir's allda seltsam bedäuchten,
Als hört' ich seine Stimme zu mir schallen;
Doch wieder war das ganze Bild zerronnen,
Und ich lag knieend an dem vor'gen Orte,
Und kalter Angstschweiß rann mir von der Stirne! –
Wie ich mich von dem Schrecken nun erholt,
Trat auf der Heimkehr jemand mir entgegen,
Der brachte einen Brief –
[48]
DIETHER
rasch.
Mit Gold!
KÄTHE
scheu.
Ihr wißt es?
DIETHER
wie vorher.
Es brennt, wirf es von hinnen!
KÄTHE.
Nicht doch, Vater!
DIETHER.
War es nicht Gold?
KÄTHE
ängstlich.
Nur leichter Schmuck, mein Vater!
DIETHER
der in dem Augenblicke ihre Halskette berührte.
Leicht sagst du? Nicht doch – schwer – fürwahr sehr schwer!
Ist das die Kette von dem Höllenbuche?

Käthe tritt erschrocken zurück.

Wo nicht – so ist es Gold. Und du belogst mich!
Der Bube hat dich wieder neu versucht. –
Verhungre lieber, Käthe! Wirf es von dir!
[49]
KÄTHE
legt sich an seine Brust.
Ach, nur für ihn hab' ich es angenommen!
Er hat mich nie um meiner selbst geliebt,
Zu einfach ist mein Wort und meine Sitte;
Da dacht' ich, würde dies mir Reize leihen,
Der Glanz für seine Kathe ihn bestechen!
DIETHER.
Du armes Weib! – – Wirf diese Kette von dir!
KÄTHE
sie legt sie ab.
Du willst's, mein Vater!
DIETHER.
Fühlst du dich jetzt leichter?
KÄTHE
aufathmend.
Es wälzt sich tiefe Angst von meiner Brust!
DIETHER
feierlicher.
Denkst du an Gott den Herrn?
KÄTHE.
Mit Heiterkeit!
DIETHER
küßt sie auf die Stirn.
So ist es gut, mein Kind!
KÄTHE.
Doch in dem Briefe
Hat unsern Argwohn treu er widerlegt! –
[50] Verzweiflung trieb in jener Wetternacht
Ihn weit hinaus – so lauten seine Worte –
Doch eben als die Noth am höchsten drängte,
War Hülfe nahe, und ein reicher Herr
Nahm ihn zum Führer mit in's ferne Welschland. –
Das übrige schreibt er auf unsre Angst
Und Phantasei!
DIETHER.
Doch hörtest du nicht selbst –
KÄTHE.
Ich war betäubt – und Stimmen täuschen leichtlich!
DIETHER.
Und was sein Famulus –
KÄTHE.
Den kennt ihr ja; –
Die Furcht schuf Teufel ihm in's wilde Wetter!
DIETHER
warnend.
O trau' ihm nicht!
KÄTHE
innig.
Es ist dieselbe Hand,
Mit der er schrieb so treue gute Briefe!
Die liebe Hand kann mich ja nicht betrügen!
[51]
DIETHER.
O Käthe – – und was hier im Innern vorgeht!
Ich hör' es wohl, wenn gleich mein Auge schlummert.
KÄTHE.
Für neuen Hausrath hat er sich bemüht;
Und wie er meldet, werden hohe Herren,
Ob der Verbindung, öfter hier verkehren!
DIETHER
schwer wiederholend.
Ob der Verbindung!
KÄTHE.
Nimm es nicht so finster!
DIETHER.
Nimm du's so leicht nicht! – Deine blauen Augen
Sind – Ihm! ein Zugang, der bei mir verschlossen!
KÄTHE
umherschauend.
Wie schnell es sich im Hause hier verwandelt,
Und wie so reich und köstlich jedes glänzt;
Es muß ein hoher Herr seyn, der's bescherte! –

Sie erblickt das Gemälde.

Ein weiblich Konterfei – – ha, wunderschön –

Indem sich ihre Augen darauf heften.

So wunder – schrecklich – –! Welches süße Lächeln –
[52] Nein, tückisch – schneidend –! Himmel, diese Augen –
Sie flammen, stechen – – wie sie mich verfolgen!
Hu, wie sie schleichen – wie sie nach mir zielen!

Angstvoll aufrufend, indem sie sich an Diethers Brust wirft.

Ha, schütze mich! – Sie wollen mich ermorden!
DIETHER.
Was ist dir, Käthe?
KÄTHE
schaudernd.
Schütze mich, mein Vater!
Vor diesen Mörderaugen! – Welch ein Bild!
DIETHER.
Sprich deutlicher!
KÄTHE.
Ach könntest du's nur sehen,
Wie schön und furchtbar! – Sagen kann ich's nicht!
Doch zielt mir's, wie mit Dolchen, nach dem Herzen!
Ich halt's nicht aus –!

Indem sie außer sich einen Schleier ergreift und ihn halb abgewendet und schaudernd über das Konterfei hängt.

So! – So bin ich gerettet!
DIETHER.
Wie deut' ich das?
[53]
KÄTHE
noch grausend.
Seh' ich die Augen wieder,
So tödten sie dein treues Kind, mein Vater!
3. Scene
Dritte Scene.
Wagner. Die Vorigen.

WAGNER
eintretend.
Mit Urlaub, Ehrenvester, und Ehrsame!
DIETHER
aufhorchend.
Das ist –
WAGNER.
Des Wagners Stimme, alter Herr!
Ihr habt sie lange bei euch nicht vernommen;
Das macht, ich steckte in der Wissenschaft,
Und glaubte nahe dran seyn, sie zu fassen, –
Die liebe Wahrheit mein' ich! – Seht, Herr Faust,
Ein andrer Doctor lehrte hier seit kurzem,
Und hatte mich zum Famulus erwählt;
Ich habe mich auch tüchtig dran gehalten,
Daß oft der Schädel vor Gedanken dampfte;
Allein nachdem der Cursus jetzt beendigt,
[54] Entdeckt sich mir, zum herzlichen Erstaunen,
Daß ich so wenig weiß, als wie vorher!
DIETHER.
So bleibt dabei! – Viel Wissen ist gefährlich!
WAGNER.
Ja, guter Gott! Man will denn doch erfahren,
Wie man zuletzt daran ist mit sich selber;
Das drückt und quält, wenn mit der lieben Nase
Man stets sich an die alte Mauer stößt!
DIETHER.
Der Herrgott hat sie weislich aufgeführt,
Für Nasen eures gleichen!
WAGNER.
Nein, mit Gunsten,
So dachte Würden, unser Doctor, nicht!
Drum hält man ihn auch hoch und schätzt den Mann,
Seitdem er fort ist aus dem deutschen Lande;
Und wird er gar einmal gestorben seyn,
So möchte leicht der Ruhm noch lauter schallen,
Dieweil der Deutsche erst die Todten ehrt! –
Indessen druckt man wacker schon drauf los,
Und zieht den Zins von dem, was er erfunden;
Ja, was man auch vom schwarzen Bündniß munkelt,
[55] So scheut doch niemand seine schwarzen Zeichen,
Und Guttenberg pflügt dreist mit seinem Kalbe! –
Doch redet, hat mein Ohr es recht vernommen?
Er kehrt zurück! so lautet das Gerücht!
KÄTHE.
Es ist gewiß!
WAGNER.
Fürwahr?

Gerührt.

Mein lieber Meister!

Er küßt Käthens Hand.
KÄTHE
bewegt.
Die Hand ist naß!
WAGNER.
Vergebt den schwachen Augen,
Es kommt vom Lesen bei der Abendlampe!
KÄTHE
drückt ihm die Hand.
Ihr Guter! – Ihr verdammt den Faust doch nicht!
WAGNER.
Ehrsame Frau – den Herrn, ich ihn verdammen?
Seht, mir sind hohe Worte nicht verliehen;
Doch hab' ich ihn so treu einfältig lieb,
[56] Daß, wenn er sich dem Feind fürwahr ergeben,
Ich, ihn zu retten, selbst mich opfern könnte!
DIETHER
der nach außen hin hörte.
Horcht! Wie das stürmt!
WAGNER
am Fenster.
Nicht doch, es ist ein Wagen!
Vier schwarze Rosse toben dort herauf!
KÄTHE
aufschreiend.
Jesus Maria! Der Faust!
DIETHER
bewegt.
Der Hans!
WAGNER
rufend.
Der Meister!
Ich muß hinaus!

Er eilt ab.
KÄTHE
mit einer Bewegung gegen die Thüre.
Ich kann nicht fort! Der Freudenschreck erstarrt mich!
DIETHER.
Ist es denn wahr?
KÄTHE
in einem Taumel, ohne zu wissen, wohin, nach dem Fenster zu.
O wie so hoch und stattlich!
[57]
4. Scene
Vierte Scene.
Faust. Die Vorigen.

FAUST
auf sein Weib zueilend.
Da bist du!
KÄTHE
schlingt die Arme um ihn.
Faust!
FAUST.
Hier ist mir wieder wohl!
DIETHER.
Im Namen Gottes!
FAUST.
Seid gegrüßt, mein Vater!
DIETHER.
Ein Amen! wär' mir lieber!
FAUST
leicht hin.
Noch der Alte! –
Ihr wißt, ich halt' es ungern mit den Worten! –
Mein Weib kam ich zu sehn!
KÄTHE
an seiner Brust.
Du lieber Mann!
FAUST.
Zu küssen und zu herzen! – Glühend, Käthe,
[58] Hat mein Verlangen sich nach dir gesehnt!

Indem er sie wild umschlingt.

Ha, Feuer auf die Wangen! Brenne mit mir!
KÄTHE
bebend.
Gott, wie du wild bist!
DIETHER.
Laß die Weltlust schweigen,
Und steh mir Wort! – Wo triebst du dich umher?
FAUST.
Mit einem reichen Herrn, wie ich geschrieben;
Herüber und hinüber ging der Lauf;
Aus Frankreich hin nach Welschland, über Ströme
Und über Berge, durch die Pyrenäen,
Und wo die Gletscher himmelhoch sich thürmen!
KÄTHE
sieht ihn ängstlich an.
Die Sonne hat dich wild und roth gebrannt!
DIETHER.
In Welschland warst du – also auch in Rom?
FAUST.
Vor allen Dingen!
DIETHER.
Wo der heil'ge Vater
[59] Im Namen Gottes frommen Haushalt führt!
Du kehrst von ihm gesegnet uns doch wieder?
FAUST
unwillig.
Nicht doch; für eine Beifahrt ging's zu eilig;
Sanct Peters Fuß ist mir nicht klein genug
Zum Küssen! Laßt das!
DIETHER
ergriffen.
Käthe, weh! mir schwindelt!
Hinweg!
KÄTHE
bange.
Mein Vater!
DIETHER.
Hörtest du es nicht!
Es wird mir heiß und bang in seiner Nähe!
FAUST
unwillig auf den Boden stampfend.
In's Teufels Namen!
KÄTHE
hebend.
Wehe!
DIETHER
außer sich.
Führ' mich fort!
Soll ich nicht selbst mich durch das Dunkel tappen!
KÄTHE
in großer Bewegung.
O Faust!
[60]
DIETHER
dringend.
Zum Lager! Mein Gebein erzittert!

Käthe führt den Alten ab.
FAUST
legt die Hand an die Stirn und steht einen Augenblick tiefsinnig; – dann fährt er auf.
Was soll das Träumen? – Ist es doch zu spät!
4. Scene [2]
Vierte Scene.
Wagner. Faust.

WAGNER.
Ich wollte bei dem Wagen Dienste leisten;
Doch euer Führer saus'te schnell von hinnen.
Wenn er im Orte nur zurecht sich findet!
FAUST.
Laß den, mein Freund, der kennt schon seine Wege!
WAGNER.
Im übrigen verblieb ein Hund zurück,
Ein schwarzer Pudel, fast ein häßlich Thier,
Er knurrte bös mich von der Seite an,
So höflich ich auch mit der Zunge schnalzte,
Und fletschte, als ich fortfuhr, wild die Zähne.
FAUST.
Laßt ihn zufrieden; er gehorcht nur mir!
[61]
WAGNER.
Jetzt hat er tief im Winkel sich verkrochen,
Doch grüne Augen leuchten aus dem Dunkel! –
Nun aber laßt, mein lieber guter Meister,
Noch einmal eure Hand mich herzlich küssen!
FAUST
mit Innigkeit.
Mein Freund!
WAGNER.
Ach, wie ich mich nach euch gesehnt!
Zur Nachtzeit oft in meiner engen Kammer,
Wann mir die Wissenschaft das Haupt verwirrte,
Da dacht' ich eurer, wie ihr mich berathen,
Mit tiefen Lehren, die zum Herzen drangen!
Die neuen Herren haben's nur in Worten,
Das klingt und schallt denn wohl recht hochgelahrt,
Doch flieht's vorüber ohne Frucht und Ernten!
FAUST.
Frisch auf, mein Freund! Drum trenne dich vom Wissen!
Minervens Schild ist ein Medusenhaupt,
Vor dessen Blick das Leben sich versteinert;
Doch Aphrodite, Phöbus und Lyäus,
[62] Die schließen einen heitren Zauberkreis,
In dessen Mitte Feuerblüthen prangen!
WAGNER.
Doch ließ ich's nie am guten Willen fehlen!
FAUST.
Du zählst dich nicht zu jenen Herrschergeistern,
Die kühn erobernd rastlos vorwärts dringen,
Obgleich sie dennoch an der Laufbahn Ziele
Ihr Banner nur in öde Trümmer pflanzen! –
Drum schlag das Buch des finstern Wissens zu,
Und folge mir hinaus in's freie Leben!
WAGNER.
Das klingt so dreist und wild!
FAUST.
Schulfüchserei
Ist alles Uebrige! – Ich bin dir gut,
An dich gewöhnt seit jener düstern Zeit!
Darum bleib bei mir, mehr als Freund, denn Diener;
Ich habe Gut und Wohlseyn für dich übrig,
Und alles läuft zuletzt doch darauf hin!
WAGNER.
Wenn man so Böses nur nicht munkelte!
[63]
FAUST.
Was munkelt man? Die alte Leier wieder!
WAGNER.
Ich sah ja selbst die blauen Höllenflammen,
Im Spessar drüben!
FAUST.
Thor! Gewitterstrahlen! –
Auch scheue dich so ängstlich nicht vorm Brennen;
Ist doch das Feuer wohl ein gutes Ding,
Es kocht den goldnen Wein uns an den Bergen,
Es röthet Wang' und Lippen zum Genusse,
Und wenn Begeisterung uns glühend naht,
Wenn hell und weit das Leben sich eröffnet,
Dann steigen wir empor auf Feuerschwingen!
WAGNER
ernst.
Auch in der Tiefe brennt's –
FAUST
kühn einfallend.
Die Erde schwängernd!
Daß sie den Frühling schwellend in sich trage,
Und ihn gebäre an das Licht der Sonnen,
In Duft und Farben und in tausend Blüthen!
WAGNER.
O ihr betäubt mich!
[64]
FAUST.
Leiste kühn den Handschlag!
5. Scene
Fünfte Scene.
Käthe zurückkehrend. Die Vorigen.

KÄTHE
sehr beängstigt.
O Faust, was thatest du?
FAUST.
Der Alte reizt mich!
In Hitze bin ich nicht des Wortes Meister!
KÄTHE.
So hart und wild nur – –
FAUST.
Warum gönnt er mir
Des Wiedersehens kurze Freude nicht!
Es drängte mich so glühend zu euch her;
Ich sah dich, Käthe – – meine Phantasei –!
Und zu dir flog ich mit des Sturmes Eile;
Doch kalt und herzlos sind' ich's hier wie vormals!
KÄTHE.
Machst du ihm seine Vaterangst zum Vorwurf?
[65]
FAUST.
Des Alters Irrwahn – er wird mir zur Last!
Die Jahre machten ihn zum zweiten Kinde.
WAGNER
besorgt.
Doch wenn er krank ist, will ich seiner hüten!

Er geht ab.
6. Scene
Sechste Scene.
Faust und Käthe.

KÄTHE
nahet sich ihm, sanft und innig.
O lieber Mann!
FAUST
legt ihre Hand auf sein Herz.
Hier schlägt es heiß und glühend!
KÄTHE
bang.
Wild, wie im Fieber!
FAUST.
Gieb mir Gluth für Gluth! –
KÄTHE.
Ich leide Todesangst!
FAUST
wild und scheu.
Was will ich denn?
Ein Herz begehr' ich nur, das meines fühlt,
[66] Allein will ich nicht stehn auf dieser Erde,
Nicht ewig in ein todtes Echorufen; –
Nur eine Seele, die in meine glüht,
Und ich bin fromm und mild!
KÄTHE.
Mein lieber Faust!
FAUST
mit innerer Angst.
Dann kann noch alles wohl und gut sich enden!
KÄTHE
in ihn dringend.
O höre mich! – Dein Blick ist wild und schrecklich! –
FAUST
aufstürmend.
Doch warf er mich mit dieser Feuerseele
In eine Wildniß, wo nichts Nahrung giebt,
Nichts meinen innern Hunger je befriedigt; –
Dann wär' es besser, wenn ich nie geboren!
KÄTHE
wie vorher.
Verzweifle nicht! Noch giebt es einen Ausweg!
FAUST.
Was willst du?
KÄTHE
hastig zu ihm redend.
Folge mir zum Gotteshause!
So lange ist es, daß du nicht gebeichtet! –
[67]
FAUST.
O weg damit!
KÄTHE.
Stoß mich so hart nicht von dir!
Erinn're dich der frommen süßen Stunden,
Wo Hand in Hand wir zu dem Altar gingen,
Vereint dem Himmel unsre Schuld bekannten
Und seine Gnade uns vereint versöhnte!

Dringend.

Folg mir dahin – der Angst dich zu entladen!
FAUST
wild und heftig.
Nein! Nein! –
KÄTHE
schaudernd.
Herrgott! –

Als sie seine linke Hand faßt.

Du blutest an der Hand!
FAUST.
Das ist – –

Indem er auf die Hand starrt.

Ja so!
KÄTHE
ängstlich.
Wer hat dich so verwundet? –
Der Schnitt geht grade durch die Lebenslinie!
[68]
FAUST
wild auflachend.
Ha! ha! –
KÄTHE.
Du blutest stark!
FAUST.
Ein alter Schaden!
Wenn's in mir stürmt, bricht er stets wieder auf,
Und macht mir Luft! –
KÄTHE
die unverwandt darauf hinblickt.
Es ist die linke Hand,
Die kommt vom Herzen – –

Tiefsinnig und langsam.

es ist Herzensblut!
FAUST
entreißt ihr die Hand.
Nun doch – was starrst du drauf!
KÄTHE
wie wenn sie sich ein Mährchen wiederholte.
»Es war ein Graf
Der ging hinaus in einen finstern Wald,
Alldort er sich dem Bösen übergab.«
FAUST
erschüttert und bewegt.
Ha denn, was soll das alte Ammenmährchen?
KÄTHE
monoton fortfahrend.
»Der Finstre aber schnitt mit einem Eisen
[69] Ihm in die linke Hand, gerad' durch's Leben,
Und ließ den Pact mit Blut sich unterschreiben;
Als das vollbracht, begann die Feuertaufe,
Und schloß das Werk der Nacht; drauf ward der Grafe
Ein reicher Mann, allein die Wunde heilte
Nie wieder zu, und nach der Feuertaufe
Blieb sein Gesicht –«

Bricht in dem Augenblicke Faust anblickend ab, verlaßt den vorigen Ton und schreit außer sich auf.

– Ha, glühend, wie das deine!
FAUST
unwillkührlich zurückbebend.
Ha – glühend?
KÄTHE
stürzt die Hände ringend vor ihm nieder.
O in aller Heil'gen Namen!
Gieb mir die Wahrheit – deine Linke blutet,
Dein Auge brennt wie sein's!
FAUST
reißt sie heftig empor.
Was soll das Mährchen,
Womit die Amme einst in Schlaf dich lullte;
'S ist Tollheit – weiter nichts!
KÄTHE
bebend.
Und wär' es mehr!?
[70]
FAUST
wilder und kühner.
Beim Teufel, wollt' ich's doch! – Mich trieb es längst,
Mit ihm da drunten wacker anzubinden,
Denn ihm zu trotzen fühl' ich Kraft in mir!
Zu Schanden macht' ich ihn mit seiner Tücke –
Und hätt' er auch mein Herzblut roth auf weiß!
KÄTHE
wirft sich an seine Brust.
O Faust, es ist nicht so!?
FAUST.
Was so? Was soll es?
Ihr träumt euch närrisch durch die Phantasei –

Ablenkend, indem sein Blick auf das verschleierte Konterfei fällt.

Was ist denn dort?
KÄTHE
die seinem Blicke nicht gleich folgt.
Wo meinst du?
FAUST.
Hinterm Schleier!
KÄTHE
aufschreckend.
Um Gottes willen!
FAUST.
Nun?
[71]
KÄTHE
schnell und hastig.
Enthüll' es nicht!
FAUST.
Was ist's? Warum nicht?
KÄTHE.
Weh! Entsetzliches!
FAUST
will hinzutreten.
Laß mich!
KÄTHE
die ihn zurückhält.
Ein Haupt!
FAUST
mit flüchtiger Laune.
Nun denn – doch nicht des Teufels?
KÄTHE
außer sich, ihn hinwegdrängend.
O mehr – ein Mörderhaupt!
FAUST
reißt den Schleier gewaltsam fort.
Hinweg den Schleier!

Eine Pause. Käthe taumelt zurück. Faust ist gewaltsam ergriffen und streckt die Arme aus. Dann fährt er begeistert und außer sich fort.

Was ist geschehn! – Ha, welch ein heiß Entzücken,
Das feurig mir durch alle Adern glüht,
Das Leben thront in diesen Flammenblicken,
[72] Auf dieser Lippe, die zum Kusse blüht,
O könnt' ich wild an's wilde Herz dich drücken,
Ha, wie dein Auge meines zu sich zieht! –
KÄTHE
blaß und schwankend.
Es mordet mich – den Dolch seh' ich's erheben!
FAUST
feurig.
Ha, lebend steig herab in's helle Leben! –
KÄTHE
bebt zurück.
Schau, wie es flammt!
FAUST.
In heißen Liebesgluthen! –
Blick zu mir her!
KÄTHE.
Es kündet mir den Tod!
Hinweg! –
FAUST.
Für dich stürzt' ich hinab in Fluthen!
Der Frühling blüht in diesem Wangenroth!
Hin, zu dir hin! –
KÄTHE
jammernd.
Und mich läßt du verbluten?
FAUST.
Es reißt mich fort!
[73]
KÄTHE
streckt die Arme nach ihm.
Bleib mir in dieser Noth!
FAUST
zu dem Bilde gekehrt.
Dich suchte ich!
KÄTHE.
O weh! mein Herz gebrochen!
FAUST.
Du hast mein Leben glühend ausgesprochen!

Käthe sinkt in Ohnmacht, Faust tritt gegen das Gemälde vor, der Vorhang fällt.
[74]

3. Akt

1. Scene
Erste Scene.
Studenten sitzen an der rechten Seite um einen Tisch und singen und trinken. Zur linken Hand abseits ein Fremder einsam bei seinem Glase mit einem hochrothen wilden, von der Sonne verbrannten Gesichte. Während des Chors treten Faust und Wagner ein. Kellner.

STUDENTENCHOR.
Mihi est propositum
In tabeina mori,
Vinum sit appositum
Morientis ori,
[75]
Ut dicant cum venerint
Angelorum chori:
Deus sit propitius
Huic potatori!
STUDENTEN
schwingen die Gläser, als sie ausgesungen.
Runda! Hoch!
FAUST
unwillig.
Was führst du mich in diese Schlemmerei?
WAGNER.
Mit Gunsten, Würden! Ihr lauft mir zu hastig
Durch's liebe Leben, und stets kreuz und quer!
Dazu nach einem Bilde – Gott verzeih' mir's!
'S ist Phantasei ein Bild, und nichts Reelles!
FAUST.
Ha! Nichts davon!
WAGNER.
Ich bin schon mäuschenstill!
Der Widerspruch erhitzt euch! – Doch mit Gunsten,
Der übereilte Lauf hat mich ermattet,
Und hier ist ein Hospitium für Müde!
FAUST.
Du fügst dich gut und schnell!
[76]
WAGNER.
Den Wein belangend,
Das geb' ich zu, der ist ein gutes Ding,
Und süßer als der Quell, woraus ich vormals
Mich beim Studiren zu begeistern suchte! –

Dreist rufend.

Drum Wein herbei!

Der Kellner bedient ihn.
FAUST
halblaut und beißend, indem er ihn betrachtet.
Wie das Charakterlose
So leicht in jede Form sich gießen läßt!
Ja wett' ich doch, daß eh' ein Jahr vergangen,
Der Bursche dreist dem Teufel selbst sich zutrinkt!
WAGNER
indem er trinkt.
Was murmelt ihr gedankenvoll?
FAUST.
Ich meine,
Da mit dem Trinken dir's so gut gelungen,
So wagst du's auch mit meinen raschen Fahrten!
WAGNER
kreuzt sich.
Behüte Gott!
DER FREMDE
stößt sein Weinglas auf den Tisch, daß es zerbricht.
[77]
WAGNER
zusammenfahrend.
Was giebt's?
DER FREMDE
kurz und tief.
Ein andres Glas!

Der Kellner bringt es ihm.
WAGNER
schüttelt nach ihm hinsehend den Kopf.
Der Mann ist heftig –

Mit einer Pantomime, die Betrunkenheit andeutet.

exaltirt, wie's scheint! –
Doch wieder auf die Fahrt zu kommen: – Nein,
Dafür bedank' ich mich – es ist gefährlich!
Und ob ihr's weiße Kunst gleich titulirt,
So fürcht' ich doch, daß mehr dahinter steckt!
ERSTER STUDENT.
Nun munter, Brüder! Gebt was Frisches an!
Ich bin vergnügt – der Teufel soll mich holen!
ZWEITER STUDENT
halb betrunken.
Eins singen, Brüderchen!
DRITTER STUDENT.
Der Ton versagt dir!
ZWEITER STUDENT
trinkt.
Ich frische an!
[78]
DRITTER STUDENT.
Du singst dich untern Tisch!
Laßt lieber Schwänke an die Reihe kommen!
ERSTER STUDENT.
Ja, Schwänke, Bruderherz? Da kann ich dienen
Aus Leipzig her – der Teufel soll mich holen!
ZWEITER STUDENT
lallend.
Aus Leipzig, ja!
ERSTER STUDENT.
Und zwar vom Teufelskerl,
Vom Doctor Faust!
DRITTER STUDENT.
Du hast den Faust gesehen?
ERSTER STUDENT.
Gesehen? Pah! Wir sind auf du und du!
Der Teufel soll mich holen!
FAUST.
Wohl bekomm's!

Indem er ihm zutrinkt.
ERSTER STUDENT
stößt mit ihm an.
Zum schuld'gen Dank!
WAGNER
halblaut zu Faust.
Der Bursche lügt sich schwarz!
[79]
ERSTER STUDENT.
Wir waren dorr ein Herz und eine Seele!

Mit Wohlbehagen.

Es ist ein Kerl – früh Morgens schon betrunken,
Zu Mittag niemals nüchtern, und am Abend
Mit durst'ger Kehle vor dem Zapfen sterbend!
FAUST
zu Wagner mit Laune.
Der macht den Bruder Lüderlich aus mir!
ERSTER STUDENT.
Wir tranken oft uns in Gesellschaft voll,
Und dann gab's immer Händel, tolle Streiche!
So, eines Tages, als beim Auerbach
Im Keller drunten brav wir commercirt,
Fährt draußen uns ein Fuder Heu entgegen,
Worüber unser Mann sich hoch erzürnt,
Und wild dem Bauer droht, ihm auszuweichen,
Doch als der ruhig in dem Gleise leiert,
Da sperrt mein Faust – der Teufel soll mich holen!
Den Mund gleich einem Wallfischrachen auf,
Und frißt das Fuder Heu, sammt Pferd' und Wagen.
DRITTER STUDENT
erstaunt.
Hoho!
[80]
ZWEITER STUDENT
mit aufgerissenen Augen.
Das ist ein starkes Stück!
DRITTER STUDENT.
Nicht möglich!
ERSTER STUDENT.
Ich war dabei – der Teufel soll mich holen!
So auch ein andres Mal, als er ein Weinfaß
Beritten machte in demselben Keller,
Und hopsasa! darauf hinaus trottirte!
ZWEITER STUDENT
lallend.
Haha! das hätt' ich sehen mögen Bruder!
DRITTER STUDENT.
Der Kerl ist ja des Teufels ganz und gar!
FAUST
zu Wagner.
Da hörst du's, was der Pöbel aus mir macht!

Ergrimmt.

Ich hätte Lust, dem Kerl mein Fratzenbild
Mit heiß gemünztem Golde zu bezahlen,
Bedenk' ich, daß er's so zur Nachwelt liefert!
ZWEITER STUDENT
noch immer mit aufgerissenen Augen.
Das geht doch nie mit rechten Dingen zu!
[81]
ERSTER STUDENT.
Bewahre Brüderchen! Der Teufel hilft ihm;
Sein Diener nennt sich Mephistopheles,
Das ist der Freund quaestionis – hu ein Kerl
Mit rothem Haar, auf beiden Augen schielend,
Und in dem Stiefel steckt der Pferdefuß! –
Er hat mit mir auch Brüderschaft getrunken!
DRITTER STUDENT
schaudernd.
Du bist ja ruchlos!
ZWEITER STUDENT
mit schwerer Zunge.
Ein verwegner Kerl!
ERSTER STUDENT
renomirend.
Von Alters her! – Der Teufel soll mich holen! –
So fuhr ich auch auf Doctor Fausti Mantel
Einmal im Fluge mit ihm durch die Luft
Nach Merseburg, das Bier dort anzuzapfen!
ZWEITER STUDENT
starrt ihn, den Kopf auf beide Arme gestützt, an.
Die Möglichkeit –!
ERSTER STUDENT
schlägt auf den Tisch.
Der Teufel soll mich holen!
FAUST
klopft ihm in dem Momente stark auf die Schulter.
[82]
ERSTER STUDENT
fährt heftig erschrocken in die Höhe.
O wehe mir!
FAUST
hält ihm gebietend seinen Becher entgegen.
Stoßt an!
ERSTER STUDENT
bemüht sich, wieder Fassung zu erlangen.
Was – soll das, Herr?
FAUST
wie vorher.
Stoßt an! – Nun wird's – der Teufel soll mich holen!
ERSTER STUDENT
greift zitternd nach dem Becher.
Ja so – ha, ha!
FAUST
stark.
Der Faust bringt euch das Glas!

In dem Augenblicke schlängelt sich eine blaue Flamme aus der Seitencoulisse über den Tisch hin, und entzündet den Becher des Studenten, daß er in Flammen auflodert, und mit einem Knalle zerspringt. Zugleich fährt ein Blitz durch's Gewölbe, auf den ein starker Donnerschlag folgt.
ERSTER STUDENT
zurückstürzend.
Der Faust – es brennt!
FAUST
mit lauter Stimme.
Der Teufel soll dich holen!
[83]
ZWEITER STUDENT
auftaumelnd.
Der Teufel!
DRITTER STUDENT
eben so.
Hülfe!
ERSTER STUDENT
reißt aus.
Er hat mich in Klauen!

Die Studenten stürzen fort. Der Kellner ist schon früher abgegangen.
2. Scene
Zweite Scene.
Die Vorigen ohne die Studenten und den Kellner.

WAGNER
bebend, mit gefaltenen Händen.
Joseph, Maria! Meine Glieder beben! –
Mein armes Trommelfell – der Donnerschlag –
Der blaue Blitz – nein, das sind schwarze Künste!
FAUST
lachend.
Electrische Versuche, Thor! Nichts weiter!
Log doch der Kerl – –

Indem er den Fremden erblickt.

Wir sind hier nicht allein!
DER FREMDE
der ruhig sitzen blieb und sorttrank.
Ihr donnert brav!
[84]
FAUST
betroffen.
Verzeiht, – mein Herr!
DER FREMDE
ruhig.
Ich liebe
Experimente und Physik, als Spielwerk
Zur Unterhaltung!
FAUST
wie vorher.
So!?
DER FREMDE
ruhig fortfahrend.
Und kann auch donnern;
Noch besser blitzen! – Denn mein Katzenfell –
Wenn man's zu streichen weiß – sprüht ächte Funken!
WAGNER
der den Fremden betrachtete, leise zu Faust.
Ein Physicus! – Er sieht mir ganz verwildert!
FAUST
betroffen in sich hinein.
Ich weiß nicht recht!
FREMDER
wie in einem halben Rausche, trinkend.
Wohlauf! Der Wein soll leben!
FAUST
beruhigt für sich.
Der Trunk läßt ihn so im Gesichte glühen!
FREMDER
hält ihm das Glas entgegen.
Nun bringt mir's wieder – auf des Weins Gesundheit! –
[85] Wenn er nur nicht so wild im Haupte machte;
Ich tränke sonst noch heut ein Stückfaß aus!
WAGNER
faltet die Hände.
Gott schütze uns!
FREMDER
zerschmeißt heftig sein Glas.
Ei, in des Teufels Namen –
Was schwatzt der Herr von schützen–!
WAGNER
zieht sich zurück.
Ei, wie hitzig!

Für sich.

Dem trunknen Mann soll man den Weg nicht sperren!
FREMDER
gießt sich ein anderes Glas voll.
Das kostet neu Krystall! –

Zu Faust.

Macht's euch bequem!
Und klingt mit an: Der Feuergeist soll leben!

Er stößt mit Faust an.

Ihr wißt schon, was ich meine!
FAUST
halb gezwungen.
Er soll leben!
WAGNER
für sich.
Der Feuergeist – was für ein Doppelsinn;
So könnte man den Teufel auch benennen!
[86]
FREMDER
zu Wagner, ihm das Glas entgegenhaltend.
Nun Freund, thut auch Bescheid!
WAGNER
zieht sich zurück.
Ich hab' mein Theil;
Ein Tropfen mehr läßt mich im Kreise drehen!
FREMDER
fixirt ihn.
Ein Neuling noch – wird mit der Zeit schon werden!
WAGNER
für sich.
Der Kerl verbrennt mich fast mit seinen Augen!
Mir wird so heiß und bang!
FREMDER
zu Faust.
Euch mundet's auch nicht!
Wohlauf denn – eine andere Gesundheit:
Die Weiber!! – Doch da muß der Wein erst brennen!

Er zündet den Spiritus im Glase an.

Das ist die Feuertaufe! –

Das Glas schwenkend.

Hoch die Weiber!!
FAUST
stößt erhitzt an.
Die Weiber! hoch!
WAGNER
sieht dem Fremden angstvoll zu.
Herrgott, er säuft die Flammen!
[87]
FREMDER.
Ha! das ertönt wie eine Glocke – hoch! –
Ich hab' auch eins mit rosenrothen Wangen,
Mit schwarzen Ringellocken, dunkeln Augen,
In denen Nacht und Inbrunst heimlich glühen,
Indeß die weiße Brust vor Sehnsucht schwellt!
FAUST
macht eine Bewegung und blickt dann heiß vor sich hinaus.
WAGNER
für sich.
Er malt recht reizend in der Trunkenheit!
FREMDER.
Um ihrentwillen spornte ich mein Roß,
Die Reise zu ihr stürmend zu vollenden,
Und wenn der Wein nicht so im Haupte braus'te,
So schwelgt' ich schon zur Nacht in weichen Armen;
Doch der macht mich so dumpf – so heiß – und wüst!

Er reißt sich das Brustwamms auf, aus dem ein weibliches Portrait fällt.
FAUST
erblickt es, und reißt es außer sich vor seine Augen.
Was ist das?!
FREMDER
dehnt sich wie in steigender Trunkenheit.
Nun, mein Weib – wißt ihr es anders? –
Nicht wahr – haha? – das heiß' ich Feueraugen –
[88] Und solche Lippen –! – Küßtet wohl schon manche?
Doch nur auf solchen Lippen – heißt's ein Kuß!
FAUST
kaum der Sprache mächtig.
Sie ist –?
FREMDER
noch betäubter.
Mein Weib – ja, Herr, in's Teufels Namen!
Helene heißt sie – heidnisch noch getauft! –
Ihr Landhaus, dicht vor Wittenberg gelegen,
Ist neu erbaut – ich häuste Gold auf Geld,
Es blitzschnell zu vollenden! Drinnen prangt sie –
Und –

In stärkerer Trunkenheit.

wenn der Wein nicht immer wilder braus'te,
So tauscht' ich meine Nacht – mit keinem König!

Er stützt den schweren Kopf auf die Hand und scheint einzuschlummern.
FAUST
stürzt mit dem Bilde in den Vordergrund.
Sie ist's! Sie ist's! – Sie lebt – ich weiß es, wo!

Außer sich.

Sie lebt! Sie lebt!
WAGNER
besorgt.
Herr, mäßigt eure Stimme!
Der wilde Mensch dort –
[89]
FAUST
hinblickend.
Er erliegt dem Weine!

Das Portrait anschauend.

Sie ist's! – Der Mund – die Lippen und die Augen!

Küßt das Bild.

Der süße Mund – ha, fühlte ich dich glühen,
Mein Leben gäb' ich drum! – Die seidnen Locken,
Wie sie mit Liebesbanden mich umgarnen,
Wie dieser Augen heiße Feuergluth
In mir zu Flammen sich entzündet –
WAGNER
angstvoll einfallend.
Wehe!
Ihr brecht die Ehe euerm treuen Weibe!
FAUST
wild.
Was soll mein Weib! – Es giebt nur eins auf Erden –
Und dieses ist's! –
WAGNER
wie vorher.
Gott, wenn der Mann es hörte!
FAUST.
Der Mann? – Wer ist ihr Mann? – Ha, jener dort?
Mit tausend Männern wollt' ich um sie kämpfen!
[90] Und dieser Trunkene – hat er's verdient,
In allen Lebensreizen frech zu schwelgen? –

Er zieht außer sich den Dolch.

Hin opfr' ich ihn! –
WAGNER
fällt ihm in den Arm.
Bei Gott und allen Heil'gen!
FAUST
wüthend.
Was Gott! – Hinweg! – Der soll sich ihrer freuen?
WAGNER
hält ihn zurück.
Ihr wollt ermorden!
FAUST
vordringend.
Eine Sünde erst!
Der Himmel ist damit zu leicht erworben!
WAGNER
außer sich.
O was beginnt ihr!
FAUST
nicht mehr seiner mächtig.
Fort! Ich tödte dich!
WAGNER.
Entsetzlich – schrecklich! – Weh', ich kann's nicht schauen!

Er stürzt fort.

[91]
3. Scene
Dritte Scene.
Faust. Der Fremde.

FAUST
indem er hinzustürzt, innehaltend.
Er schläft! – Was ist es denn? Was liegt an ihm?
Ein wildes Thier in seiner Sinne Taumel,

Indem er ihn schaudernd betrachtet.

Entstellt und gräßlich! – Und er sollte schwelgen
Am Lebensquelle, wo ich glühend dürste? –
Er sollte zu dir eilen –

Indem er das Bild betrachtet.

Ha, zu dir!
An diesen Rosenlippen Wonne trinken,
An diese Brust – in diese weichen Arme –

Außer sich.

Die ganze Hölle brennt in meinem Busen!
Das Ungeheuer – ha, hinweg mit ihm!

Er führt einen kräftigen Dolchstoß auf die Brust des Fremden.
FREMDER
richtet sich ruhig auf.
Nun denn, was soll's?
FAUST
indem er wild einen noch kräftigern Stoß führt.
Hinab mit dir zur Hölle!
FREMDER
gelassen.
Das hat noch Zeit! – Was stoßt ihr auf mich ein?
[92]
FAUST
betäubt zurückstürzend.
Ha, was ist das?
FREMDER
wie vorher.
Ermorden wollt ihr mich?
FAUST
ihn anstarrend, indem der Dolch seiner Hand entsinkt.
Das ist –
FREMDER
einfallend.
Unmöglich Ding, mein guter Freund!
Seht, ich bin fest – vor Hieb und Schuß und Stich;
Auch Gift verschlägt mir nichts – ich kann's genießen,
Und trinke mich darin oft wieder nüchtern
Von starken Räuschen! –
FAUST
faßt sich an die Stirne.
Ha, wo bin ich denn?
FREMDER.
Die Sache kostet freilich nichts Geringes! –

Gelassen fragend.

Doch redet mir – was hab' ich euch gethan?
Wir tranken ja ganz friedlich mit einander!
FAUST
noch betäubt.
Ich weiß es nicht!
[93]
FREMDER
lächelnd, indem er das Bild in seiner Hand sieht.
Aha! Jetzt merk' ich schon!
Helenens Feueraugen – so, mein Freund? –
Warum ließ ich euch auch das Bildniß schauen;
Hat mir's doch oft schon Händel zugezogen!
FAUST
faßt glühend seine Hand.
Ihr liebt sie?
FREMDER.
Pah! Erst kommt der Wein – dann sie!
FAUST.
Ich laß euch schwelgen!
FREMDER.
Sprecht nur bei mir ein!
Ich führe einen ausgesuchten Keller!
FAUST
stürmischer.
Ha, fordert alles denn; – ihr kennt mich nicht!
FREMDER
mit einem grinsenden Lächeln.
Gilt's hier denn einen Handel um mein Weib?
FAUST
betäubt und außer sich.
Beim Teufel!
[94]
FREMDER.
Ah! das ist ein andres Wort!
Das respectir' ich! –

Nach seiner linken Hand deutend.

Laßt die Hand doch sehen!
Der Schnitt durch's Leben –
FAUST.
Ha!
FREMDER
ausrufend.
Wir sind ja Brüder
Des Feuerbundes! –

Hält ihm seine eigene Linke hin.

Mein Mysterium
Dasselbe Stigma! –

Indem er seine Hand gewaltsam faßt.

Wir sind unzertrennlich
In Zeit und Ewigkeit!
FAUST
schaudernd, indem er die Hand loszureißen bemüht ist.
Das brennt wie Gluth!
FREMDER.
Ein Weg, Ein Ziel!
FAUST.
Ha, fort, ha, fort – entsetzlich?
[95]
FREMDER
lächelnd.
Solamen miserum – ihr kennt das Sprichwort!
Das Stigma – seht, deßhalb bin ich auch fest
Und unverletzlich – zeigtet ihr mir's früher,
So stand ich euch, dem Feuerbruder, Rede –
Mein Weib betreffend!
FAUST.
Ha!
FREMDER.
Seid nur gelassen!
Ich log die Sache! –

Auf das Bild deutend.

Sie ist unvermählt; –
Mich reizt kein Weib! – Ihr Gatte heiß' ich nur –
Den Preis – vor wilden Stürmern zu beschützen;
Dieweil von hohem Stamme sie entsprossen,
Doch aus der linken Seite – ihr versteht mich? –
Dem Feuerbruder kann ich nichts verhelen; –
Ich selbst bin nur ihr Führer und Begleiter!
FAUST
außer sich.
Ist's möglich!?
FREMDER.
Ja, sie ist noch eine Knospe,
[96] Dem Heißgeliebten einst sich zu entfalten;
Noch unberührt ist dieser Rosenmund,
Sich nach des ersten Kusses Wonne schnend,
Und diese Schwanenbrust in Liebe wallend,
Ward nie entweiht von einer fremden Lippe!
FAUST
glühend.
Beim Himmel denn! – so laß uns hin – zu ihr!
FREMDER
schnell und wild.
Ha, Fluch und –

Indem er ihn zurückreißt.
FAUST.
Weh! Was giebt es?
FREMDER.
Hast du nicht
Die Worte abgeschworen – in der Taufe? – –

Heimlich und eindringend.

Du sollst sie sehen – schlummernd hingegossen –
Die Lüfte frei mit ihren Reizen buhlend –
Die Rosenknospe unter Rosen blühend –! –

Tief und leise.

Doch lästere zuvor –!
FAUST
sich kühn emporreißend.
Ha, nimmer! – nein!!
[97]
FREMDER
in sich hinein.
Verdammter –!
FAUST
heftig.
Was?
FREMDER
sehr kalt und lächelnd.
Dein Schicksal sollst du lästern,
Weil schon im Werden dich es von ihr trennte! –
FAUST
aufstürmend.
Mich trennen? – ha, sie lebt! Das ist genug! –
Sie zu erschaffen hatt' ich keine Macht!
Doch jetzt sie zu erringen weiß ich Mittel!
Ja, thronte sie hoch auf dem Kaukasus,
Müßt' ich vom Nordpol her sie zu mir bannen –

Heftig und wird.

Ein Wink von mir – es öffnet sich mein Buch –
Wie auch die Zeichen schrecklich sich gestalten –
Ich habe Muth – und mir gehorcht die Hölle!
FREMDER
sucht ein unwillkührliches Gransen zu verbergen.
Genug – – laß das bewenden!

Er blickt ihn mit heimlicher Wildheit an.
FAUST
sieht ihn kühn an.
Du bist furchtsam? –
[98] Dich schrecken noch die wild verschlungnen Zeichen? –

Rasch.

Soll ich beherzt dich machen!?
FREMDER
drängt ihn bebend zurück.
Halte ein! –
Ist es doch hier an einem Wink genug;
Beweg die Hand, und wir sind schon am Ziele!
FAUST
mit Bedeutung.
Ihr reis't auf meine Weise?
FREMDER
lächelnd.
Nun – versteht sich! –
Mein Roß ist nur ein Blendwerk für Profane!
FAUST
hastig und kühn.
Ha denn, so laß uns auf den Sturmwind schwingen,
In wildem Fluge zu ihr hinzudringen!
4. Scene
Vierte Scene.
Die Bühne verwandelt sich in diesem Augenblicke wie durch einen Zauberschlag in eine heitere Frühlingsgegend. Aus dem Boden steigt dicht vor Faust, vermöge einer Versenkung, eine Rasenbank empor, auf der Helene von einem Schleier bedeckt schlummernd ruht. Von oben fallen aus den Soffitten Blumengultlanden herab, die eine Laube über derselben bilden. [99] Eine ferne Musik von sanften Blasinstrumenten läßt sich hören.
Faust steht entzückt. Der Fremde blickt ihn lauschend von der Seite an.

Eine verhältnißmäßige Pause.

Der Fremde tritt hinzu und hebt langsam den Schleier von der Schlummernden, die in ein feuerfarbenes idealisches Gewand gekleidet, unbeweglich liegen bleibt.
Faust breitet in einer Entzückung noch sprachlos die Arme aus.
Der Fremde beobachtet ihn seitwärts mit einem höhnisch stechenden Lächeln, und geht dann leise ab.

FAUST
allmählig der Worte mächtig werdend.
Bin ich's noch selbst? – Ha, sind es meine Augen,
Die, wie die Erde die Sonnenflammen,
Alle Lebensreize zusammen
Durstig und glühend in sich saugen! –
Ist diese Brust, ist dieses Herz noch mein?
Zerfließt nicht alles schnell wie Zauberschein?
Und wird dies Leben wahrlich Stand mir halten,
Mit seinen überirdischen Gewalten?

Die Schlummernde mit heimlicher Sehnsucht betrachtend.

Du lebst! – ha denn – jetzt fühl' ich mich auch leben!
Erstanden bin ich aus der alten Nacht;
Mein eignes Herz hast du mir neu gegeben,
[100] Durch dich ist meine Flamme angefacht;
Den Himmel brauch' ich nicht mehr zu erstreben,
Die Erde glüht ringsum in Liebespracht!

Wild und kühn.

Das Feuer brennt! – In dir bin ich gefangen;
Jetzt kenn' ich selbst mich und mein wild Verlangen!

Er schaut begeistert um sich.

Ein neuer Frühling glüht in allen Zweigen,
Die Nachtigallen jubeln ihren Chor;
Wie sich die Blüthen liebend zu mir neigen!
Das Herz der Erde drängt sich heiß hervor,
Und läßt sein Feuerblut hoch aufwärts steigen,
In grünen Flammen wogt der Wald empor;
Das volle Leben prangt im höchsten Glanze,
Nichts reizt allein – verbunden schwelgt das Ganze!

Er beugt sich glühend zu ihr nieder.

Ha, wie die Purpurwangen flammend glühen,
Ein heißer Traum des Busens Rosen hebt!
Wie auf zum Liebeskuß die Lippen blühen,
Das Herz in heimlich süßer Sehnsucht bebt!
O laß das Schattenbild dir nicht entfliehen;
Faust brennt für dich, und sein Verlangen lebt!

Er knieet außer sich vor ihr nieder.

[101] Erwache! – Wehe mir –! Siehst du's zerrinnen?
HELENE
schlägt die Augen auf, und streckt ihm die Arme entgegen.
O weiche nicht, du holder Traum, von hinnen!

Während dieser Attitüde fällt der Vorhang.
[102]

4. Akt

1. Scene
Erste Scene.
Faust. Der Fremde.

FREMDER
kalt.
Ich sagte nichts, als ihre eignen Worte!
FAUST
greift ihn heftig beim Arme.
Ha, Mensch!
FREMDER.
Seid nicht so wild; – ist's meine Schuld?
FAUST.
Zum dritten Male schon zurückgewiesen!
Ich trag's nicht länger – länger nicht!
FREMDER
kalt fragend.
Nun denn?
[103]
FAUST.
Ein Wort von mir – ich brauche meine Macht,
Und sie muß mein seyn!
FREMDER
beißend.
Herrlicher Triumph –
Erzwung'ne Liebe – – durch der Hölle Beistand –!
Und ihr steht da, in Körperschönheit blühend,
Der feurige, der Faust!
FAUST
beschämt und glühend.
Schau' mich nicht an!
Ich lästerte mich selbst! –

Wieder emporstürmend.

Doch trag' ich's nicht!
Beim Abgrund, länger nicht!
FREMDER
schneidend kalt.
So ändert es!
FAUST.
Steh' nicht so schroff und unzugänglich vor mir! –
Wer bist du? Wer ist sie? – Was liegt im Wege?
FREMDER.
Drei Fragen – und in Einem Athemzuge! –
Wer ich bin? – Eine Altagskreatur,
[104] Am Thore hieß ich Ritter Ladislaw,
Das ist genug, wenn ihr auf Namen haltet!
Was sie betrifft, so darf ich mehr nicht sagen,
Als was ihr wißt: – sie stammt von linker Hand!
Das weitere bewacht ein Doppelschwur,
Den ich bei dem –!!

Mit einem wüsten Blicke gen Himmel deutend, ohne empor zu schauen.

und bei dem Teufel drunten,
Zu größrer Sicherheit ablegen mußte,
Weil man mich nicht ganz bibelfest vermeinte; –

Mit einem tückischen Lachen die linke Hand ausstreckend.

Was denn auch eintraf – wie Figura zeigt!
FAUST
dringend.
Doch warum will sie mich nicht wieder sehen?
FREMDER
die Achsel zuckend.
Wer weiß!
FAUST
aufstürmend.
Ha, ist ein anderer vielleicht
An meiner Statt beglückt – – ein Nebenbuhler!!
FREMDER.
Ei, nicht doch!
[105]
FAUST.
Rede! Tödte mich nicht lächelnd!
Ist er's?

Fremder lächelt fort und scheint über etwas nachzusinnen.
FAUST
emporfahrend.
Wer sprach hier Mord!?
FREMDER
wie vorher.
Ich war es nicht!
FAUST
blickt ihn schaudernd an.
Dein Lächeln brennt! – – Hinweg die Augen!
FREMDER
lauernd.
Nun?
FAUST
aufhorchend.
Zum zweiten Male – – Mord!

Wild.

Was soll der Zuruf! –
Ein Nebenbuhler!? – Nenn' mir seinen Namen! –

Mit tiefer dumpfer Wuth.

Ich würge ihn! –
FREMDER
in sich hinein.
So ein Alltagesmord!
Der wiegt zu leicht für dich! –

Laut und ruhig.

[106] Was stürmt ihr doch?
Sie liebte außer euch nie einen andern! –
Ihr selbst vielleicht seid euer Nebenbuhler?!
FAUST
eindringend, indem er ihn halb umfaßt.
O rede! – Schling mich nicht in diese Räthsel,
Die ich vergeblich zu entwirren strebe;
Sie muß ich finden, oder mich verlieren!
FREMDER
in einem erzählenden Tone.
Sie hängt das Köpfchen, seufzt aus tiefer Brust,
Die Feueraugen ziehen feuchten Thau,
Der Sonne gleich, die unter Wetterwolken; –
Ihr Schritt ist abgemessen, schwer und langsam,
Und wenn sie düster oft vor sich hinausstarrt,
Sind ihre Blicke voll so tiefen Grames,
Als hätte sie um eine Welt zu trauern!

Abbrechend und wie in einem Nachdenken sagend.

Ich fürchte, daß sie mehr von euch erfahren!!
FAUST
ausschreckend.
Von mir – ha, sprecht! – Von dem verfluchten Bündniß?!

Zerschmettert.

O wehe – wehe mir!!
[107]
FREMDER
rasch und aufzürnend.
Das mein' ich nicht!! –
Was sicht euch an – ha, seid ihr ganz von Sinnen?
FAUST
außer sich.
So gieb mir Wahrheit!
FREMDER
indem er ihn wild zur Seitenthür hinstößt.
Fragt sie selbst – zum Teufel!

Er geht ab.
2. Scene
Zweite Scene.
Als Faust in die Thür dringen will, tritt ihm Helene entgegen.

FAUST
ausrufend.
Da bist du! Endlich! Endlich!
HELENE
die zurückfliehen will.
Fort! Hinweg!
FAUST
tritt ihr in den Weg.
Nein, nimmer laß ich wieder dich von hinnen; –
In deine Feueraugen muß ich schauen!
HELENE
schwach ankämpfend.
Wer hat mir das gethan?!
FAUST.
O konntest du
[108] Dem Faust so lange deinen Blick entziehen?
Du, die du seine Welt ihm bist!
HELENE
ihn von sich drängend.
Hinweg!
FAUST.
Drei Tage mußt' ich deinen Anblick meiden!
Ward ich zurückgescheucht von dieser Schwelle,
Ging zürnend fort und kehrte glühend wieder!
Drei Tage litt ich alle Höllenqualen;
Die wilde Wuth, der tiefe inn're Groll,
Der Eifersucht verzehrend heiße Flammen,
Sie tobten wechselnd hier in meinem Busen! –
Und du, du ließest kalt den Faust verderben!

Er umschlingt sie wild.
HELENE
außer sich.
Wer reißt mich fort von ihm!
FAUST
glühend.
Der Himmel nicht,
Und nicht die ganze Macht der untern Hölle! –
Du schautest in mein Herz – drum weißt du auch,
Was du mir bist, – – die Seele meines Lebens.
Dein Blick der feuerhelle Sonnenspiegel,
Aus dem die herrliche Natur zurückglänzt,
[109] Dein Ton die süße Melodie der Liebe,
Zu meines Busens innerm Saitenspiele! –
In dir nur leb' ich – mein muß ich dich wissen;
Entfliehst du mir, ist Faust sich selbst entrissen!
HELENE
bedeckt mit den Händen ihr Gesicht.
Und dennoch – – Wehe mir!
FAUST
indem er ihre Hand hinwegzieht.
Du weinst, Helene?

Dringender.

Du weinst!
HELENE
sucht sich ihm zu entwinden.
Hinweg!
FAUST
wie vorher.
Wem gelten diese Thränen? –

Sie schwärmerisch anschauend.

Wie sie, Juwelen gleich, im Auge glänzen,
Mein Bild im flüssigen Krystall erzittert! – –
Wem weinst du sie?
HELENE
sich abwendend.
Unglücklicher – mir selber!
FAUST
in steigender Leidenschaft.
Dir selber?
[110]
HELENE.
Weil ich liebe – – Weh, was sprach ich!
FAUST.
Du liebst?!
HELENE.
Hinweg!
FAUST
in der höchsten Bewegung.
Ist's möglich – Gott des Himmels!
HELENE
bei Fausts letzten Worten scheint sich ihr Blick zu entflammen und sie stößt ihn wild und heftig zurück.
Ha, fort von mir!!
FAUST
in leidenschaftlicher Betäubung.
Helene?!
HELENE.
Fort, hinweg!

Wie eine Furie ihn anschauend.

Ich hasse dich –! Ha, Fluch dir und Verderben!!
FAUST
schaudernd.
Die Hölle – schaut mich an –! – Dein Blick
– – er mordet –

Mit steigendem Entsetzen.

Verzehrt – vernichtet – – Wehe mir!!
[111]
HELENE
plötzlich verändert, sich zu ihm mit dem Ausdrucke trauernder Liebe neigend.
O Faust!!
FAUST
sich wie aus einer Betäubung erholend.
Der holde Ton – das bist du selbst –!
HELENE
wie vorher.
Warum
Hast du mir das gethan!
FAUST
sich über die Stirne fahrend mit heimlichem Grausen.
Welch Schreckensbild
Schob meine heiße Phantasie dir unter!
Die Haare Schlangen – Höllenglut die Augen –
Ich träumte wild – –

Indem er sie sehnsuchtsvoll anblickt.

Doch du, du bist's, Helene!
HELENE
aus tiefer Brust.
O lerne immer meine Züge hassen,
Hat uns das Schicksal feindlich doch getrennt!
FAUST.
Getrennt, Helene –! Weh, was spricht dein Mund?!
HELENE
in steigender wilder lyrischer Begeisterung.
Du wußtest es; und warfst die Aufruhrsflammen
[112] In dieses Herz, das Lieb' und Haß vereint,
Zwei Furien, die Fackeln um mich schwangen,
Mit mir hinaus in's wilde Leben drangen,
Und die Natur, vor meinem Blick entbrannt,
Zum Daseyn rief, was nur mein Traum gekannt!
Da strahlten um mich her des Lenzes Blüthen,
Die Berge und die tiefen Ströme glühten,
Es wallte liebend auf das junge Leben,
Und wollte mir den heißen Brautkuß geben. –

Mit ausgebreiteten Armen.

Du nahtest meinem sehnsuchtsvollen Blick!!

Indem sie ihn anschaut, scheint sie plötzlich zusammen zu schaudern.

Und wild reißt mich die Furie zurück!
Ich sehe zwischen uns sich Felsen thürmen,
Nacht wird es, und die schwarzen Lüfte stürmen,
Die Erde bebt, die Feuerwolken zünden,
Die Donner toben – – wo soll ich dich finden?
Im wilden Aufruhr läßt du mich verderben!
Weh mir! – ich soll verzweifeln, lieben – sterben!!

Sie sinkt erschöpft an seine Brust.

[113] Er hält sie im linken Arme aufrecht und starrt angstvoll zu ihr nieder.

Dein Antlitz bleicht! –

Streckt die Rechte beschwörend zum Himmel.

O rette sie mir, Schöpfer!!

Ein heftiger Blitz und krachender Donnerschlag.
HELENE
fährt mit einem Schrei krampfhaft zusammen.
Weh! Wehe mir!

Sie stürzt wie vernichtet zu Boden.
FAUST
in gewaltigem Schreck.
Was ist – der Erdbau wankt! –
Der Feuerstrahl hat sie zerschmettert – – Wehe!

Aufschreiend.

Da liegt sie todt – entseelt zu meinen Füßen!

Er knieet bei ihr nieder.

Helene, höre mich!! –

Er beugt sich verzweifelnd über sie.
HELENE
richtet sich langsam mit einem scheuen Blicke empor.
– Zürnt er! – noch droben?!
FAUST
betäubt.
Wen meinst du?
[114]
HELENE
dumpf, indem sie in die Höhe deutet, ohne das wilde Auge erheben zu können.
Ihn!! – –
FAUST
richtet sie mit Anstrengung auf.
Der Schreck hat dich betäubt! –
Der Wetterstrahl war furchtbar!
HELENE
in dem Rückgefühle eines erlittenen fürchterlichen Schmerzes, dumpf und in sich hinein.
Fast vernichtend!!
FAUST
sie beruhigend.
Doch hat in ihm die Wolke sich erschöpft! –
Erhole dich! –
HELENE
zuckend, und in gewaltsamer Anstrengung mit innerm Trotze.
Ich will's!
FAUST
blickt ihr ins Auge.
Die Gluth kehrt wieder!
HELENE
mit noch größerer Anstrengung, von Faust ungehört.
Trotz gegen Macht! – Ich reiße ihn hinunter!!
FAUST
will sie umschlingen.
Dein Auge flammt der Liebe wildes Feuer!
HELENE
heftig gegen ihn gekehrt.
Zurück von mir!
[115]
FAUST
betrachtet sie erhitzt.
Wie dich der Zorn verschönt!
HELENE
im Anscheine einer großen Leidenschaft.
Genügte dir er nicht, mich zu vernichten,
Daß du in meinem Schmerz noch schwelgen willst?
FAUST.
Was that ich dir?
HELENE
kehrt sich von ihm ab.
Ha, fort – hinweg, du Heuchler!
FAUST
heftig.
Nur sterbend laß ich dich!
HELENE
zurücktretend und mit großer Betonung.
Du hast ein Weib!!
FAUST
stürzt zurück.
Helene!! –
HELENE
mit großem Schmerze.
Weh' – ein Weib! – und täuschtest mich!
FAUST
außer sich.
O nimmer! nimmer!
HELENE
rasch und feurig sich zu ihm wendend.
Hat man mich betrogen?
FAUST
dringend.
Ich liebe dich allein!
[116]
HELENE
wie vorher.
Du hast kein Weib?!
FAUST
betäubt.
Weil ich dich liebe – keins!
HELENE.
Ha, Doppelzüngler!
Erst mußtest du mein ganzes Herz ergründen,
Und nun, zu spät, lern' ich das deine kennen! –
Wohlan – du hast gesiegt; – doch nichts errungen: –
Ich liebe dich –! – Allein ich weiß zu sterben;
Leb' wohl! – Dein Auge sieht mich nimmer wieder!

Sie will hinausfliehen.
FAUST
zieht sie gewaltsam zurück.
Ha, wer entreißt dich mir? –
HELENE
mit scharfer Betonung.
Sie – oder Ich!
FAUST
entschlossen und heftig.
Ha, Sie denn – Sie!
HELENE
mit einem heimlichen wilden Ausdrucke.
Du wolltest mir sie opfern?
FAUST
wild.
Dem Feuer! – Dir!! –

Er umfaßt sie halb knieend und beugt sich auf ihre Hand.
[117]
HELENE
mit einem zärtlichen Tone redend, indeß ihr Auge, von ihm nicht gesehen, wild und stechend auf ihn niederschaut, und sie die freie Hand, als wollte sie ihn damit niederschleudern, über seinem Haupte ausgestreckt hält.
O mein geliebter Faust!
FAUST
reißt sich entschlossen in die Höhe.
Ich trenne unser Band!
HELENE
langsam und bedeutend.
Du trennst es – sicher?
FAUST
wüst.
Und was verliert sie auch an meiner Hand!
Sie hat mich nie erfühlt, nie aufgefunden
In meines Herzens Tiefen! –

Nachdenkender.

Freilich war sie
So redlich treu – die Käthe – fromm – und gut –!

Rascher.

Das ist vorbei! – Auch will ich's ihr vergelten,
Und sie soll reich und ohne Sorgen leben!
Ja –
HELENE
mit einem tiefen Tone einfallend.
Leben?
[118]
FAUST
mit wildem Ausdrucke.
Hat sie's doch um mich verdient,
Mit mancher Angst und Müh' – bei Nacht und Tage! –
Sie ist recht gut! –
HELENE
mit wilder Leidenschaft.
Fort denn! Ich bin verloren!
FAUST
ergreift ihre Hand mit ängstlicher Hast.
Helene!
HELENE
wie vorher.
Fort! – Hinweg, Entsetzlicher!
FAUST.
Ich will sie nimmer, nimmer wiedersehen!
HELENE.
Ha, lebt sie doch! Das ist mir schon genug!
Selbst wenn ihr Schatten nur noch für dich glühte,
Ich trüg' es nicht in wilder Eifersucht! –

Heftiger.

Ha, triumphire denn – du kennst mein Herz!
Ich liebe dich – allein ich weiß zu sterben;
Denn ungetheilt wie in mir mein Verlangen,
Muß ich auch ungetheilt dich selbst empfangen,
[119] Was dich begehrt, ward mir zum Haß geboren –
Sie lebt und liebt – ich bin für dich verloren!

Sie stürzt fort.
3. Scene
Dritte Scene.
FAUST
allein, in dumpfer Betäubung.
Verloren?! – Nimmer!! – Ha, auch ich kann hassen! –
Und hab' ich sie doch nie wahrhaft geliebt!
Gewohnheit war's – Bedürfniß der Natur,
Die Langeweile, die mich zu ihr trieb!
Nichts weiter – –

Mit innerer Wildheit.

Ha, auch ich kann glühend hassen,
Was in den Weg mir tritt nach meinem –

Unwillkührlich schaudernd.

Himmel –!
Was will der Frost, der durch's Gebein mir rieselt? –
Bin ich doch Meister alles tiefen Wissens,
Und kenne der Natur geheime Kräfte,
Die in dem Schooß gestalten und zerstören!
Kann ich denn in den Lebensgang nicht greifen,
[120] Daß er sich rascher hin zum Ziele förd're?

Kühn vortretend.

Ihn hemmen kann ich! – – Doch das heißt ermorden!!

Nachsinnender.

Ermorden –? Läßt das Leben sich ermorden?
Der Name schreckt nur; – wenn man's tiefer nimmt,
Ist Tod Zersetzung bloß für neue Keime,
Ja selbst der Mord kann sich mit Liebe paaren,
Denn er befreit den eingeschleßnen Lichtstrahl
Zu seiner Sonne hin, indeß der Erdstoff
Dem nächsten Frühling schon entgegengährt,
Und Farben mischt für seine Feuerblüthen! –

In ein tückisches Gelächter ausbrechend.

Haha! Das ist Metaphysik der Hölle!
Doch unumstößlich, und so mit –

Wild und fest.

soll's seyn!! –
Was nützt ihr auch das Leben, und sie ihm?
Der Mutter Wonne blieb ihr ja versagt,
Und kalt empfängt sie alle andern Freuden,
Wo jene heiß in wilden Flammen glüht; –
[121] Für eine Sünde tausch' ich dich zu leicht! –

Aufstürmend.

Ist's doch die erste nur – sie soll geschehen!
Wer Kühnes wagt, muß hinter sich nicht sehen!

Er stürzt im wilden Aufruhre ab.
4. Scene
Vierte Scene.
Fausts Zimmer wie im ersten Acte. Es ist alles noch so wie damals geordnet. Auf dem Tische rechter Hand befindet sich unter andern Sachen das Feuergewehr und das Giftfläschchen.
Käthe und Diether Faust treten auf.

DIETHER.
Was willst du hier?
KÄTHE
in einem ganz weißen Brautkleide festlich geschmückt und die Myrthenkrone im Haare.
Hier will ich ihn erwarten!
DIETHER
immer tief und finster.
In seiner Werkstatt!
KÄTHE.
Dieses alte Zimmer
Blieb unverändert doch, und mahnt an's Ehmals.
DIETHER.
Dein Ton ist heut so ernst und feierlich!
KÄTHE
in sich versunken.
Das Brautkleid macht's!
[122]
DIETHER.
Was soll denn das bedeuten?
KÄTHE.
Ach, Vater, als ich heute früh erwachte,
Da senkte mit dem Strahl der Morgensonne
Gott wunderbare Hoffnung in mein Herz!
War's doch des Faust Geburtstag, der mir anbrach,
Und ihm hatt' ich die Freude aufgespart,
Die lang verschwiegne Hoffnung zu enthüllen,
Die mich mit heil'ger Liebe fromm durchdringt.
Hoch festlich wollt' ich mich dazu bereiten,
In jenem Kleide meinen Faust begrüßen,
Worin er einst die Braut zum Altar führte,
Und so sein Herz zum voraus mir gewinnen;
Doch als der alte Schrein sich vor mir aufthat,
Fand ich – mein Todtenhemd um's Kleid gewunden;
Und jetzt erst dacht' ich an den frühern Vorsatz,
Es nur im Sarge wieder anzulegen!
DIETHER.
Das ist recht düster!
KÄTHE.
Als ich's angethan,
Durchfuhr mich auch ein so geheimer Schauer,
[123] Daß ich vor Frost am warmen Tage bebte;

Tief erschüttert.

Wär' es doch schrecklich, müßt' ich jetzo sterben!
DIETHER
faßt ergriffen ihre Hand.
Mein Käthchen – bleibst bei deinem blinden Vater!
KÄTHE.
Es war nur Einbildung –

Sucht sich von dem Gedanken loszumachen.

geht schon vorüber! –
Ist doch solch froher Augenblick mir nahe!
DIETHER.
Doch welche Hoffnung, Tochter –?
KÄTHE
aufglühend – sehr herzlich und dringend.
Ihm zuerst!!
DIETHER.
Mit Gott denn –! – Aber wird's bei ihm gelingen?

Hestig.

O Käthe, er –
KÄTHE
mild einfallend.
Fluch' jetzt ihm nicht, mein Vater!
DIETHER
wie vorher.
Doch eine Buhlerin – – hast du's gehört –?
[124]
KÄTHE
mit tiefer Innigkeit.
Ich werde sanst ihn wieder zu mir führen!
DIETHER
sich bekämpfend.
So schweige ich!
KÄTHE.
Sein Schüler sucht ihn auf;
Gewiß, er kommt, ich ließ ihn herzlich bitten!

Faßt freundlich seine Hand.

Laß mich allein mit ihm, mein guter Vater!
Viel hab' ich zu ihm –

Sehr bewegt abbrechend.

Deines Alters Freuden,
Die ganze Zukunft, meiner Liebe Glück,
Sein ew'ges Heil beruht auf dieser Stunde!
Drum laß allein mich –
DIETHER.
Nun – mit Gott, mein Kind!
Ich will indessen drüben für dich beten!

Käthe führt den Alten zur Seite ab.
5. Scene
Fünfte Scene.
Wagner tritt von außen herein. –

WAGNER.
Find' ich doch niemand! – Hu, das alte Zimmer!
[125] Es sieht so schwarz wie eine Mördergrube! –
Nein, Gott sei bei uns! – Noch hast du mich nicht!
So lang' ich kann, will ich mich vor dir wahren!
6. Scene
Sechste Scene.
Käthe zurückkehrend. Wagner.

KÄTHE
hastig.
Ihr spracht den Herrn?
WAGNER.
Ja, ehrenfeste Frau,
Er kam gerad von seiner Höllenbraut!
KÄTHE
sucht sich von einer fliegenden Angst zu befreien.
Mir schwindelt's –

Sie wankt.
WAGNER.
Setzt euch!
KÄTHE.
Nun ist's schon vorüber! –
Was sagte er –?
WAGNER.
Erst schaut' er wild mich an,
Und sprach dann dumpf: er sei schon auf dem Wege!
[126] Drauf jagt' es ihn wie Sturmwind vor mir her,
Und als ich athemlos ins Haus gefolgt war,
Traf ich ihn draußen auf der Vorderflur,
Den schwarzen Hund mißhandelnd, daß er heulte,
Und solche Schmerzenstöne hören ließ,
Die mir fast menschliches Geschrei bedäuchten! –

Aufhorchend.

Das ist sein Schritt! –
KÄTHE
hastig.
So geht – – ich danke euch!

Wagner geht seitwärts ab.
7. Scene
Siebente Scene.
Faust tritt von außen herein. Käthe.

FAUST
sieht sich wild und scheu um.
Bist du allein?!
KÄTHE
herzlich; auf ihn zutretend.
Ich bin's, mein lieber Faust!
FAUST.
Nicht gut! – Recht gut – so wollt' ich sagen!
KÄTHE
streicht ihn sanft über die Stirn.
Wilder!
Du bist erhitzt! –
[127]
FAUST.
Nein froh, und lust'ger Laune!
Drum schaff mir Wein herbei! –
KÄTHE.
O, lieber Mann!
Beruhige zuvor dein heißes Blut!
FAUST
heftig.
Wein will ich – nicht Moral! Verschone mich!
Das Predigen macht dich mir ganz verhaßt,

Rasch und sich absichtlich gegen sie erhitzend.

Du weißt nichts weiter und bist unerträglich
In dieser Männerlaune – die mich ärgert!
KÄTHE
ihre Freundlichkeit verdoppelnd.
O rede nur – will ich's doch gern verbessern,
Was dich an mir verdrießt!
FAUST
wie vorher.
Das bist du selbst!
Du selbst machst mich so toll –! Drum Wein herbei!
KÄTHE.
Nur blicke sanft zuvor!
FAUST
wild.
Gehorchst mir nicht?
[128]
KÄTHE.
Nur einen Blick der Liebe für dein Weib,
Hab' ich doch dieses Tages lang geharrt!
FAUST
auf den Boden stampfend.
In's Teufels Namen – Wein! –
KÄTHE
legt die Hand unterwürfig auf die Brust.
Vergieb, mein Herr!
8. Scene
Achte Scene.
FAUST
allein; er taumelt an den Tisch rechter Hand.
Wo ist es denn –?

Ergreift das Fläschchen.

Ha, hier – hier hab' ich dich,
Du Quintessenz von allen Todessäften,
Denn jeder Tropfen lös't ein Leben auf!

Er verbirgt es im Busen; dann schaudert er zusammen.

Was zittre ich so furchtsam wie ein Knabe?
Ist's doch – die erste nur! – drei bleiben übrig;
Und bis zur letzten hab' ich Zeit genug! –
[129]
9. Scene
Neunte Scene.
Käthe kehrt zurück mit einer Weinkanne und zwei Pokalen. Faust.

KÄTHE
sanft und mit Unterwürfigkeit.
Mein lieber Herr!
FAUST
sucht sich immer mehr gegen sie aufzureizen.
Ich hasse sklavisch Wesen!
KÄTHE.
Den vor'gen Ungehorsam sollt' es strafen!
FAUST
wild.
Nur Heuchelei dazu? – So ist das Weib!
KÄTHE
aus tiefer Brust.
Ich halte deinem Zorn geduldig still!
FAUST.
Den Wein!
KÄTHE
mit großer Innigkeit.
Doch wirst du wieder milde werden!

Faust trinkt hastig und viel, während sie, wie vorher, fortfährt.

Ich bitte dich!
FAUST
hält ihr störrisch den Becher entgegen.
Mehr Wein!
[130]
KÄTHE
indem sie ängstlich eingießt.
O lieber Faust!
FAUST.
Laß das! Hinweg! –

Nachdem er getrunken.

Jetzt wird mir wohl und glühend!

In einer Betäubung wild auflachend.

Haha! – jetzt soll's –

Er gießt rasch und mit einer Wendung das Fläschchen in den zweiten Pokal, dann blickt er scheu auf Käthen.

Was bist du denn geschmückt?
So weiß, wie eine –

Tief in sich hinein abbrechend.

Todte –!
KÄTHE
wieder Muth fassend.
Deine Braut!
FAUST
indem er sie erschrocken zurückdrängt.
Was Braut – – so weiß!!
KÄTHE.
Kennst du die Braut nicht mehr?
Dein Käthchen lieb! – wie einst am Traualtare!
FAUST.
Nun denn –
[131]
KÄTHE
mit steigender Innigkeit.
Ach Faust – warum nicht mehr so lieb?
FAUST.
Wozu – das weiße Kleid!

Hestig.

Weg mit dem Kleide!
KÄTHE.
Nein, laß dich's an die alte Zeit erinnern,
Bin ich doch jetzt erst eingeweiht zur Frau!

Mit heißer Liebe.

O Faust! Mein Faust!
FAUST
wüst.
Jetzt nicht – ein andres Mal!
KÄTHE
dringender.
Jetzt muß es seyn – 's ist dein Geburtstag heute!
FAUST
mit heimlichem Grausen.
G'rad heute!! –
KÄTHE.
Lieber Faust – jetzt bring' ich's dir –
Mein heilig Angebinde!
FAUST.
Ha, was soll's!
Weg mit dem Spielwerk!
[132]
KÄTHE
wirft sich außer sich an seine Brust.
Nein, das ist es nicht! –
HELENENS STIMME
sehr nahe mit einem Schrei der Verzweiflung.
Weh! Wehe mir!
FAUST
außer sich.
Zu Hülfe!
KÄTHE
zu Faust, ohne die Stimme gehört zu haben.
Gott, was giebt's?
FAUST
wild und hastig.
Hörst du es!
KÄTHE
ängstlich.
Nichts! –
FAUST
auf den Boden stampfend, in heftiger Angst.
Sie stirbt! Ich will sie sehen!

Die Tiefe des Theaters beleuchtet sich plötzlich, und man sieht in der Entfernung wie einen Schatten Helenens Gestalt vor einem schwarzen Hintergrunde mit fliegendem Haare, und einen Dolch hoch gegen sich erhebend.
KÄTHE
schaudernd.
Weh mir – wem rufst du zu?
FAUST
zu der Gestalt.
Ha! halte ein!
[133]
KÄTHE.
Was sprichst du schrecklich – dort zu dem Gerippe?!
FAUST
hält Käthen wild den vergifteten Becher entgegen.
Trink mir es zu!
KÄTHE.
Der Wein hat dich erhitzt!
FAUST
wüthend.
Trink, sag' ich!
KÄTHE
sanft.
Gern, mein Faust!

Sie trinkt.
FAUST
hastig und schaudernd.
Halt!
HELENENS STIMME
ein lautes tückisches Gelächter anschlagend.
Hahaha!

Die Gestalt im Hintergrunde schlendert den Dolch hoch in die Luft, und verschwindet bei einem Blitzstrahle.
Faust taumelt zurück, und sinkt in sich zusammen.
KÄTHE
erschrocken.
Hilf, Gott – der Schädel dort – er lachte grinsend!

Schaudernd.

Was friert mich so?!
[134]
FAUST
richtet sich auf, und fragt mit heimlicher tiefer Stimme.
Hast du vom Wein getrunken?
KÄTHE.
Wie du befahlst!
FAUST.
Nun – wohl bekomm' es dir!!
KÄTHE.
O nicht so wild und schrecklich! – Sei mir hold;
Bin ja dein altes Käthchen noch –!
FAUST.
Schon recht!
Drum gute Nacht! –
KÄTHE.
Es ist noch hoch am Tage!
Die Sonne scheint so wärmend!
FAUST.
Schlafenszeit!

Plötzlich auffahrend.

Und blick mir nicht so freundlich in das Auge! –

Wieder den Ton ändernd, und fast sanft.

Nun schlummre ein – und süß –!
[135]
KÄTHE
mit inniger Liebe.
Das bist du wieder! –
O ja, es ist noch Rettung!
FAUST
hastig und wild, es auf sie beziehend.
Nein! Nein! Nein!
KÄTHE
mit steigenderem Tone.
Und sollte mein Gebet den Himmel stürmen!
Ein liebend Weib vermag ja heiß zu bitten;
Noch mehr der Unschuld Lallen – – O mein Faust,
Jetzt fühl' ich's erst, wie ich dich glühend liebe.
FAUST
tief.
Zu spät!!
KÄTHE.
Der Gnade Vorn ist unerschöpflich!
Drum fasse Muth, wie du dich auch vergarnt;
Ein reiner Engel unterstützt mein Flehen,
Verdoppelt steigt es auf zu seinen Höhen!
FAUST
hastig sie zurückdrängend.
Hinweg! –
KÄTHE
in einem Anklange wilder Begeisterung.
Ja, müßt' ich selbst mich für dich opfern;
Wenn alles reißt – ich bin dazu bereit!
[136]
FAUST.
Hinaus!
KÄTHE
kühn und gewaltsam.
Stürz mich hinab!!
FAUST
wild.
Hinaus ins Weite!
KÄTHE
in der höchsten Bewegung.
Ich rette deinem Kinde ja den Vater!
FAUST
stürzt zurück, und schaut sie mit einem furchtbaren Blicke an.
KÄTHE.
Denn Mutter bin ich! – Das mein Angebinde!
FAUST
ein Moment der Erstarrung, dann bricht er in einen Schrei aus.
Verfluchter!!
KÄTHE.
Faust!
FAUST
wie in die Ferne hinhörend.
Zwei! donnert's!
KÄTHE.
Höre mich!
FAUST.
In einer – zwei –! Und Kinderm– –
[137]
KÄTHE.
Faust!
FAUST.
Ha, Rache!!

Er stürzt hinaus.
10. Scene
Zehnte Scene.
KÄTHE ALLEIN
will ihm nach.
Wo eilst du hin – o stürme nicht hinweg! –
Ich folge – ha –

Vom Schwindel befallen.

was dreht mich so im Kreise –
Die Mauern wanken –

Im Begriffe umzusinken.

Hülfe!!
11. Scene
Eilfte Scene.
Diether Faust. Käthe.

DIETHER.
Welch Geschrei!
Was giebt es hier!
[138]
KÄTHE
das Gift fühlend.
– Und welche wilde Schmerzen!
DIETHER.
Bist du es?
KÄTHE.
Hier! – Was wüthet – o mein Gott!
DIETHER.
Gieb Antwort!
KÄTHE.
Faust –
DIETHER.
Nun denn –?
KÄTHE.
Er stürmte fort! –
Ich trag's nicht mehr –

Sie ist an den Tisch getaumelt, und findet das leere Fläschchen mit der Signatur, aufschreiend.

Ha, Gift –!! – hab' ich getrunken!
DIETHER
außer sich.
Gift, sagst du –?
KÄTHE
in Todesangst ihn umfassend.
Rette, rette mich, mein Vater!
DIETHER.
Entsetzlich! – – Faust –?
[139]
KÄTHE.
Nicht er – ich selbst! – O rette!
DIETHER
mit einer Bewegung, die Thüre zu suchen.
Wie soll' ich – o mein Augenlicht!
KÄTHE
die Hände ringend.
Nur Hülfe!
Ich sterbe nicht allein – – dein Kind ist Mutter!
DIETHER
erstarrt.
Du, Käthe –
KÄTHE.
Mutter!
DIETHER.
Weh – entsetzlich! – Nirgends
Find' ich hinaus –
KÄTHE.
Es dringt schon nach dem Herzen –
So kalt und steinern – –

Aufzuckend.

Ha, jetzt ist's dahin –!

Mit irrem Blicke.

Schlaf wohl, mein Leben! – –

Heftiger.

Warum würgt' er dich!!
Das kann ich nimmer drüben ihm vergeben! –
[140]
DIETHER.
Ha, fürchterlich! – Er war's?!
KÄTHE.
Nicht doch, mein Vater!
DIETHER.
Er gab dir Gift –?
KÄTHE
schwach.
Ich selbst!
DIETHER.
Dein Ton – er bricht! –
Nimm keine Lüge mit! –
KÄTHE.
Ich war's!
DIETHER.
Beim Weltgericht!?
KÄTHE.
Mein Kind –!!

Leise und schaudernd.

Ja – er!!
DIETHER.
Ha, schrecklich – denn Vergeltung!
– Und Mutter du –?
KÄTHE
still und hinsterbend.
– Nicht mehr –!
[141]
DIETHER
hat an dem Tische herumfühlend plötzlich das Pistol ergriffen.
Das Feuerrohr!!
Zu Boden!! –
KÄTHE
umfaßt ihn schmerzhaft.
Weh, er ist dein Sohn!
DIETHER.
Hinab!!
KÄTHE.
Ich lieb' ihn noch –
DIETHER
fest und starr.
Hinab!
KÄTHE.
Nicht morden, Vater! –
Er ist dein Sohn! –
DIETHER
Käthchens vorige Rede kalt und gräßlich wiederholend.
Nicht mehr!!
KÄTHE.
O mein – Erlöser!

Sie sinkt an ihm hinab auf den Boden, er steht stumm über ihr aufrecht.
der Vorhang fällt.
[142]

5. Akt

1. Scene
Erste Scene.
Faust allein.
In einer drohenden Stellung mit wildem Gesichtsausdrucke und fliegendem Haupthaar; er hält das Buch in der Hand, von dem die Kette gelös't auf den Boden herabhängt. Als der Vorhang sich hebt, lodert in demselben Augenblicke eine blaue Flamme dicht vor Faust aus der Erde hoch empor, und erlischt mit einem Donnerschlage. Auf dem Boden erkennt man magische Zirkel und Figuren.

[143]
FAUST
in noch heftigerer Anspannung.
Ha, tückisch trotziger, verfluchter Geist,
So bist du unter meiner Macht erlegen;
Und siegend sieh' ich über deiner Hölle,
Im Kreise meines Bannes furchtbar aufrecht! –
Ich habe dich gequält – das mein Triumph!!
Gewinselt hast du unter meinen Streichen –
Und nun verlach' ich dich und deinen Willen!
2. Scene
Zweite Scene.
Der Fremde kommt, in einen Mantel gehüllt, schleichend von der Seite. Faust.

FAUST.
Wer da?
DER FREMDE
in einem Zustande der Vernichtung und wie von ausgestandenen heftigen Schmerzen sich erholend.
Ich bin's!
FAUST.
Was suchst du hier mich auf!
DER FREMDE
mit tückischem grollenden Tone.
Ich hört' euch wüthen aus der Ferne her!
[144]
FAUST
mit großem Nachdrucke.
Ich quälte – ihn!!
DER FREMDE
grimmig.
Ihr seid ja ganz von Sinnen!
Was treibt ihr Tolles hier in dunkler Nacht?!
FAUST
wie vorher.
Er unterlag mir!!
DER FREMDE
fast ausbrechend.
Ha!! –

Langsam und schaudernd.

Was soll das Buch?
FAUST.
Der Höllenzwang!
FREMDER
rasch und sichtbar erzitternd.
Thut es hinweg:
FAUST
mit kühnem Ausdrucke.
Ha, nimmer!
Ich habe bis an's Ende mich gewagt,
Den fürchterlichsten Zeichen Trotz geboten,
Und den Verfluchten selbst heraufgebannt,
Und eng in meine Kreise eingeschlossen,
Daß er vor mir erbebte, und sein Heulen
Im Donnersturm bis zu dem Himmel tobte!
[145] Wie einen Erdwurm zwängte ich ihn ein,
Und unter meinem Fußtritt mußt' erzittern
Der Geist des Abgrunds selbst!!

Hoch übermächtig.

Ich thats – der Faust!!
FREMDER
wüthend in sich hinein.
Ha, Fluch und Feuer!
FAUST
auf ihn aufmerksam werdend.
Was durchbebt dich so?
Scheinst du doch wie zermalmt und aufgelös't!
FREMDER.
Ein – wildes Fieber ward so meiner Meister;
Es hat mich durchgeschüttelt! – Brr! – – Ich denk's ihm!!
FAUST.
Doch, wo ist sie?
FREMDER.
Wen meint ihr?
FAUST.
Ha, was fragst du?
Giebt's außer ihr für mich noch eine zweite! –

Düster werdend.

Die zweite – mein' ich – liegt im blassen Schlummer,
[146] Und weckt die Eifersucht wohl nimmer wieder –;
Und mit ihr schläft noch ein's – – die zweite
Sünde!
Zwei kostet sie mich!
FREMDER.
Pah! Welch reicher Mann!
Ich steh schon an der vierten, und bin ruhig!
FAUST
tiefsinnig.
Hätt' ich's geahnt – – es wäre nie geschehen! –
Mein weißes Bräutlein – wolltest für mich brennen –
Du stille Liebe – – könnt' ich dich erwecken!! –

Heftig.

Verfluchter Mensch! – die Blume und die Knospe –
Den Engel erst und dann das Mütterlein!
FREMDER.
Sprecht lauter! Ich moralisire mit!
FAUST
auffahrend.
Ha, hui denn! – Geschehen ist geschehen!
Ist doch die Feuerbraut nun reich bezahlt! –
Wo ist sie?
FREMDER
mit scharfer Betonung.
– Sie?
[147]
FAUST
wild.
Nun – in des Teufels Namen!
FREMDER.
Seid nicht so toll! – Man bringt – sie bald vorüber!
FAUST.
Wo?
FREMDER.
Hier!
FAUST.
Hier geht der Weg zum Todtenacker!
FREMDER.
Die Wege führen alle zu den Todten!
FAUST
dumpf.
Wohlan, hier hab' ich sie gerächt!
FREMDER.
Helenen?
FAUST
sich besinnend.
Die Todte! – Sprachst du eben nicht von Todten?
FREMDER.
Von – ihr! – –

Langsam und schleichend.

Zwei Sünden, meintet ihr vorhin? –
[148]
FAUST
wild.
Ich habe ihn dafür in Staub getreten!
FREMDER
heimlich scheu.
Gebt mir – das Buch doch!!
FAUST.
Nein, das laß' ich nicht!
FREMDER.
Die schwere Kette macht's euch unbequem!
FAUST
zerstreut.
Nie fremder Hand –
FREMDER
lächelnd.
Sind wir doch Feuerbrüder!
Und sollt' es hier nun zu umarmen geben –
FAUST
hastig.
Sie kommt gewiß –?
FREMDER
nickend.
Dann wird das Buch euch lästig!
Drum –
FAUST
wie vorher.
Wann?!
FREMDER
tückisch.
Sie ist schon auf dem Wege! – Gebt!

Er nimmt das Buch rasch.
[149]
FAUST.
Bewahr' es wohl!
FREMDER
wie vorher.
Ihr könnt euch drauf verlassen!

Mit scharfem Nachdrucke.

Auf fröhlich Wiedersehn! – ich hoffe, bald!!

Er verliert sich in die Nacht.
3. Scene
Dritte Scene.
Wagner von der andern Seite. Faust.

WAGNER
hastig.
Da seid ihr endlich –! –

Sieht dem Fremden nach.

Hu, da schleicht er hin,
Der Schwarze –!
FAUST
abwesend.
Wer?
WAGNER
sich schüttelnd.
Mit Schweif und Pferdefuß!
FAUST.
Verrückter!
WAGNER.
Seht ihm doch nur nach im Dunkeln!
[150] Es leuchtet schwefelgelb aus ihm hervor; –
Die Hörner klar und deutlich –

Nachstarrend und dann schnell abbrechend.

Gott sei bei uns!
FAUST.
Bist du von Sinnen!
WAGNER.
Wollt' es doch der Himmel,
So wäre alles Trug und Phantasei,
Ihr hättet euer Weib dann nicht vergiftet,
Und –
FAUST
faßt ihn wild.
Ha, Verdammter!
WAGNER
aufrufend.
Wollt ihr mich erwürgen?
FAUST.
Fürwahr ich möcht's! Und alle hinterdrein; –
Seit – sie dahin! – was wollt ihr, Unkraut, leben?
WAGNER.
O welche Reden! – Weh, es ist gewiß!
Der Unhold hat euch schon in seinen Klauen! –
Ihr seid verloren dort und hier im Leben,
Denn die Gerichte spüren auch euch nach!
[151]
FAUST.
Gerichte – Pah! – Doch nicht das Weltgericht!
WAGNER
mit ängstlicher Zudringlichkeit.
O lieber Herr, jetzt ist's vielleicht noch Zeit,
Auf solchem argen Wege umzukehren;
Mich selber hatt' er auch schon nah daran,
Daß ich mich fast der Weltlust übergeben;
Doch hab' ich in's Gewissen mir gegriffen,
Und mit Vermahnungen mir zugesetzt,
Daß er entwichen! –

Treuherzig.

Betet, guter Herr!
Dawider mag der Unhold nichts beginnen!
FAUST
wild.
Haha!
WAGNER.
Lacht nicht so fürchterlich in's Echo!
Mir ist so bang – als wär's das letzte Mal,
Daß wir uns sähen; und die gute Frau
Schwebt mir auch immer vor den Augen –
FAUST
heftig.
Fort!
[152]
WAGNER.
Im Zorne nicht – war ich euch doch so treu! –
Und, lieber Herr – wenn das euch retten könnte –
Wenn euch der Unhold losgiebt – – diese Rechte,
Ich strecke sie für euch in's Höllenfeuer!
FAUST
bewegt.
Das wolltest du –?
WAGNER
sehr ernst.
So wahr mir Gott helf' – ja!
FAUST.
Du alter –

Plötzlich auffahrend, als er in die Ferne sieht.

Fackeln – ha!
WAGNER.
Nehmt ihr es an!
FAUST.
Verlaß mich!
WAGNER.
Redet!
FAUST
außer sich.
Fort, sag' ich – von hinnen!
WAGNER.
Und wenn's zu spät ist –
[153]
FAUST
schleudert ihn aus der Scene.
Ha – so fahr' zum Teufel!
WAGNER
aus der Ferne.
Verloren!
FAUST
in wildem Aufruhre.
Fackeln! – Ha, du bist's! du bist's!
An mein wildklopfend Herz will ich dich drücken.

Mit ausgebreiteten Armen.

Flieh mir entgegen, Braut! das Lager harrt!

Taumelt plötzlich in die Scene zurück.

Weh mir! – Kein Brautbett – – das – ein
Todtensarg!
4. Scene
Vierte Scene.
Ein Leichenzug mit Fackeln. In dem offenen Sarge ruht Käthe, ganz wie im vierten Acte gekleidet. Faust.

FAUST
der sie erkennt.
Entsetzlich! Fürchterlich! –
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Wer stört uns hier?
[154]
FAUST.
Es ist ein Trugbild, meinen Geist zu lähmen,
Nichts Wirkliches! –

Er stürmt auf die Träger ein.

Ha, fort, ihr Nachtphantome!
ZWEITER LEICHENTRÄGER.
Was wollt ihr von uns?
FAUST.
Ha, ihr haltet Stand!
ERSTER LEICHENTRÄGER
erschrocken.
Das ist der Mann!
ZWEITER LEICHENTRÄGER
wie der vorige.
Der Schwarzkünstler – der Faust!
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Gott schütze uns! – Hat der sie doch vergiftet!
FAUST.
Was krächzt ihr, Leichenvögel! – Ha, du bist's!
Mein weißes Bräutlein – wie du freundlich lächelst –
Und hab' dich doch erwürgt –!
ERSTER LEICHENTRÄGER
heftig.
Herr, geht zurück!
Die Leiche blutet sonst! –
[155]
FAUST.
Wer spricht von Blut?!
Ich habe weiß vom Zweige sie gepflückt –
Weiß schläft sie wie die Unschuld –! Ha, wo ist
Die andre denn, die rothe Feuerrose –
Für die ich's that! –
ERSTER LEICHENTRÄGER
schaut entsetzt auf die Todte.
Herrgott – die Leiche weint!!
FAUST.
Was – Wahnsinn – –
ZWEITER LEICHENTRÄGER.
Nein es ist! – Welch Schmerzensblick!
Und helle Thränen rieseln durch die Wimpern!
FAUST.
Du weinst um mich –?
ERSTER LEICHENTRÄGER
unwillig.
Stört nicht die Todtenruhe!
ZWEITER LEICHENTRÄGER.
Hinweg – ihr frevelt!
FAUST
heftig.
Bleibt! gebiet' ich euch!

Den Leichenträgern, die fort wollen, wild entgegentretend.

[156] Bleibt, sag' ich! Oder bei dem Teufel drunten,
Ich mache alle euch zu Nachtgespenstern!
Denn schwelgen will ich in dem wilden Schmerze,
Mein blasses Liebchen einmal noch zu schauen;

Dumpf.

Wird mir die Wonne drüben doch nicht wieder!
5. Scene
Fünfte Scene.
Diether Faust. Die Vorigen.

DIETHER
noch in der Scene rufend.
Wo seid ihr? Wo?
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Das ist der alte Vater!

Zu einem aus dem Gefolge.

Warum verließest du den blinden Mann?

Der andere Leichenträger geht ab, und führt dann sogleich den Alten auf die Bühne.
DIETHER
mit dem Pistole in der Hand.
Wollt ihr sie mir entführen?
FAUST
der die Leiche anblickte, fährt jetzt bei der Stimme auf.
Ha, auch du noch!
Sie war dein Führer durch die Mitternacht –
[157]
DIETHER
schaudernd.
Wer spricht hier?
FAUST
wild vortretend.
Ich!!
DIETHER
außer sich.
Das ist des Teufels Stimme!
FAUST.
Ein Ton davon!
DIETHER
sucht der Stimme zu folgen, und ihm entgegenzudringen.
Ha, wildes Ungeheuer!
FAUST.
Zu wenig, Alter!
DIETHER.
Ha, wo find' ich dich?
FAUST.
Suchst du mein Herz? – Wie alles mich doch liebt!

Er ist zu ihm getreten.
DIETHER.
Dein Herz!!
FAUST.
Hier ist's! –
[158]
DIETHER
umschlingt ihn, und kehrt das Pistol ihm entgegen.
Hinab – du Doppelmörder!
FAUST
der mit ihm ringt.
Was soll das Liebesspiel – ? – Ein Feuerrohr!
DIETHER
kaum der Sprache mächtig.
Für deine Brust!
FAUST
immer mit ihm ringend.
Zu früh! – Es sind erst zwei!

Sucht ihm das Gewehr zu entwinden.

Ha, seid ihr wild – erst zwei!!

Im Ringen mit dem Alten geht das Pistol, das Faust gefaßt hat, los.
DIETHER
stürzt getroffen zu Boden.
FAUST
zurückstürzend.
Das ist – die – dritte!!
DIETHER.
Fluch – – dir– –

Er stirbt.
DIE LEICHENTRÄGER
ausrufend.
Ha, Mord!
FAUST.
Laßt ihn doch erst verfluchen!
Dann schreit –!

[159] Um sich starrend.

Da liegen alle meine Sünden!
Nur eine fehlt noch!!
LEICHENTRÄGER.
Hülfe!
FAUST
wild sich unter ihnen umsehend.
Nachtgespenster!
Wer hilft uns auch die Todten auferwecken? –
Daran erlahmt der Himmel – und die Hölle!
Sonst wollt' ich's thun!
ERSTER LEICHENTRÄGER
der sich mit dem Alten beschäftigte.
Entsetzlich! er verblutet!
FAUST.
Ha, Roth und Weiß! – – Das Schwarze fehlt nur noch!
Hier schreit erst Weib- und Kind- und Vatermord!
Drei doppelt schreit's – –

Sich wüthend emporreißend.

Doch Trotz sei dem geboten!
Vier müssen's seyn! – Bis dahin bleib' ich Meister!

Er stürzt ab.
ERSTER LEICHENTRÄGER
schreiend.
Verfolgt ihn! – Hülfe!
[160]
6. Scene
Sechste Scene.
Gerichtsdiener mit ihrem Anführer. Die Vorigen ohne Faust.

ANFÜHRER.
Welch ein Mordgeschrei!
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Der Schwarzkünstler – der Faust –
ANFÜHRER.
Wir suchen ihn!
In dieser Gegend hat man ihn gesehen!
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Den eignen Vater hat er hier getroffen!
Da schaut die Leiche!
ANFÜHRER.
Ungeheu're That!
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Im Sarge ruht sein Weib, das er vergiftet!
ANFÜHRER.
Wo ist er? Redet!
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Dort hinaus entsprungen!
ANFÜHRER.
Ihm nach denn, Leute! Er muß unser werden!
[161]
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Wir wollen für den Alten Sorge tragen;
Statt einer Leiche sind's jetzt zwei geworden!

Die Gerichtsdiener eilen auf dem Wege ab, den Faust einschlug. Die Leichenträger ziehen ebenfalls fort, und tragen den ermordeten Diether mit sich.
7. Scene
Siebente Scene.
Erleuchteter Saal.
In der Ferne hört man rasche Tanzmusik Masken gehen abwechselnd über die Bühne, aber alle schwarz gekleidet, und mit ganzen undurchsichtigen Larven. Faust stürzt nach einer Pause wild herein, einen gefüllten Pokal in der Hand.

FAUST
in den Vordergrund stürmend.
Ha, Gift statt Wein, daß ich mich drin berausche!
Der Wein macht nüchtern – glühend Feuer will ich!
Fort mit dem Trank –! Und Blut ist's obendrein!

Er schleudert schaudernd den Pokal weit von sich.

Des Vaters Blut – – ich trank mich darin voll!

In steigendem Aufruhre.

Doch Fluch ihm! Fluch! daß er mich hat gezeugt!
Dem Mutterschooße Fluch, der mich getragen!
Der Amme Fluch, die mich an's Licht gefördert,
Daß sie mich nicht erwürgt' im ersten Schreie!
[162] Was kann denn ich für mein entsetzlich Daseyn?
Verflucht seist du Natur, die mich betrogen,
Verflucht ich selbst, daß ich mich täuschen ließ! –
Und du gewaltig Wesen, das zum Hohne,
Den Feuergeist in diesen Kerker bannte,
Daß er verzweifelnd hin nach Freiheit ringt –
Dir – –

Er schaudert furchtbar zusammen.

Nein, die vierte – schwarze Sünde nicht!
Nein! Nein!

Er schlägt im Uebermaße des ausbrechenden Schmerzes beide Hände vor das Gesicht.

O ich bin unaussorechlich elend!!

Drei schwarze männliche Masken treten zu ihm.
ERSTE MASKE.
Hei! Lustig, Freund!
ZWEITE MASKE.
Hei, lustig, Bruder!
DRITTE MASKE
mit einem schneidenden Tone wiederholend.
Lustig!
FAUST
in wilder Laune auffahrend, und sich unter ihnen umsehend.
Hei, lustig denn!
[163]
ERSTE MASKE.
Wer wollte Mücken saugen!
ZWEITE MASKE.
Das Leben währt ja lang', bis Mitternacht!
DRITTE MASKE.
Und hinterdrein hat gar die Lust kein Ende!

Die Musik hört plötzlich auf, und eine Glocke schlägt drei Mal an.
FAUST
betäubt.
Was giebt's?
ERSTE MASKE.
Das dritte Viertel erst auf Zwölf!
ZWEITE MASKE.
Da ist's noch Zeit!
DRITTE MASKE.
Genug zum Faschingsspiel!
ERSTE MASKE.
Um Mitternacht geht erst der Kehraus an!
FAUST
schaudernd.
Was wollt ihr?
ERSTE MASKE
faßt seine Hand rasch.
Hei! Wir tanzen ihn zusammen!
[164]
FAUST
reißt die Hand zurück.
Fort! – Feuer!!
ERSTE MASKE.
Nicht doch; nur ein Schwefelfunken!
ZWEITE MASKE.
Der Bruder phantasirt!
DRITTE MASKE.
Holla! Musik!

Die Musik hebt wieder in der Ferne an.
ERSTE MASKE
heimlich lachend.
Die Milzsucht sticht ihn!
ZWEITE MASKE.
Horch, am Rabensteine
Hebt lust'ger Tanz an!
DRITTE MASKE.
Da muß ich hinaus!

Ab.
ERSTE MASKE.
Auch drunten wirbelt's schon im Fegefeuer!
ZWEITE MASKE.
Da gilt es Eile! – Hui! Auf Wiedersehn!
ERSTE MASKE
zu Faust.
Um Mitternacht!

Beide Masken eilen fort.
[165]
FAUST
faßt sich an die Stirn.
Ha, was umgiebt mich hier!

Heftig vorwärts tretend.

Herunter mit den Larven!

Heftiges Klopfen von außen.

Welch Getöse! –
Beschleicht mich Wahnsinn –?
STIMME
heftig von außen.
Oeffnet dem Gericht!

Die Musik hört auf, es donnert.
FAUST
stürzt betäubt zurück.
Ich träume schwer! – Noch geht die Welt nicht unter!
STIMME
wie vorher.
Hier muß er seyn! – Macht auf! Es wettert draußen!
FAUST
trocknet die Stirn.
Hat mich die Angst entmannt –!
8. Scene
Achte Scene.
Die Gerichtsdiener. Faust.

ANFÜHRER.
Wo ist er? Wo?
[166]
FAUST
reißt sich empor und tritt ihnen entgegen.
Hier steht der Faust!
ANFÜHRER.
Im Namen des Gesetzes!
Giftmischer, Schwarzkünstler und Vatermörder!
FAUST.
Ja, drei ist meine Zahl! – An eurer Nase
Merk' ich, ihr Herren, wer euch hergesendet!
Ich bin die Drei!

Trotzig und wieder gefaßt.

Was wollt ihr von mir haben?
Vor lebenden Gerichten zittr' ich nicht!
ANFÜHRER.
Der peinliche Prozeß erwartet dich! –
Schlagt ihn in Fesseln!
FAUST.
Wenn, ich's euch erlaube!
ANFÜHRER
zu den Gerichtsdienern, die noch zögern.
Greift an! Und fürchtet nichts!
FAUST
tritt mitten unter sie.
Wohlan ihr Herren!
Seid nicht so höflich! – Hier sind meine Hände;
Es gilt die Eisenprobe!
[167]
ANFÜHRER.
Fesselt ihn!

Faust wird in Ketten geschlagen.
FAUST.
Und nun sagt dem, der euch hierher gesendet,

Er faßt die Ketten zum Zerreißen und stampft auf den Boden.

Der Stahl sei mir zu schlecht! –

Die Ketten reißen nicht, und er fährt außer sich auf.

– – Ha, was ist das?!
ANFÜHRER.
Der Teufel hilft nicht mehr! Schleppt ihn hinweg!
FAUST
der wild auf den Boden stampfte.
Ha, bricht die Hölle ihren Bund mit mir?!
ANFÜHRER
gegen ihn zürnend.
Zum Kerker hin – und dann auf's Hochgericht!
FAUST.
Elende Sclaven!
ANFÜHRER.
Reißt den Unhold fort!

Faust wird umringt.
FAUST
in wilder Wuth.
Gehorchst du nicht dem Donner meiner Stimme,
Verfluchter drunten!
[168]
ANFÜHRER.
Fort!
9. Scene
Neunte Scene.
Der Fremde. Die Vorigen.

DER FREMDE
mit einem noch wildern glühendern Gesichte als vorher.
Was giebt es hier?
ANFÜHRER.
Im Namen des Gesetzes!
DER FREMDE
streckt die Hand gebietend aus.
Weg von ihm!
Für euch gehört er nicht!

Ein Donnerschlag, dem Faust fallen die Ketten ab. Die Gerichtsdiener sind von einem panischen Schrecken ergriffen.
GERICHTSDIENER
durch einander.
Weh! wehe uns!

Sie eilen ab.
10. Scene
Zehnte Scene.
Faust. Der Fremde.

FAUST
außer sich.
Bin ich der Faust? – Ha, schaff' mein Buch herbei!
[169]
DER FREMDE
tückisch kalt.
Wozu?
FAUST.
Ich will in Staub ihn niedertreten!
Der Unhold trotzte mir!
DER FREMDE
wie vorher.
Vielleicht ist's aus!
FAUST.
Der vierte Frevel ist noch nicht geschehen.
DER FREMDE.
Wer weiß?
FAUST
wild.
Ha, kalter Teufel!
DER FREMDE
blickt ihn an und lacht tückisch.
FAUST
stürzt bei dem Blicke zurück.
Was ist das!?
DER FREMDE.
Nun denn?
FAUST
betäubt.
Welch schreckensvolle Aehnlichkeit!
DER FREMDE.
Ihr phantasirt!
[170]
FAUST.
Ha, durch die Menschenlarve
Brennt es hervor – –
DER FREMDE.
Der Weingeist spricht aus euch!
FAUST
fährt sich über die Stirn.
Ja, ja – es war ein Traum – – ein toller Traum!
Es dünkte mich – – du sähst dem Teufel ähnlich!
DER FREMDE.
Haha!
FAUST.
Die Einbildung!
DER FREMDE.
Ihr seid ein Schwärmer!

Mit einem geheimen schrecklichen Ausdrucke.

Wir wollen noch recht lustig seyn zur Nacht! –
Wenn's zwölfe brummt, ruf' ich euch ab zum Tanze!

Er geht.
11. Scene
Eilfte Scene.
FAUST
allein sich angstvoll umschauend.
Ha, welche fürchterliche Nachtgesellschaft!
[171] Wie sich die Larven durch einander drehen,
Im leisen wilden Tanz – – es macht mich schwindeln!

Wie, wenn er die Angst von sich zu stoßen suchte.

Ha, von der Brust hinweg! – – Könnt' ich nur beten
Nur wenig arme Worte – – daß sie schwände
Die Angst des Todes –!

Dringender.

Nur ein einzig Wörtlein –

Er sinkt unwillkührlich auf die Kniee.

O einen Seufzer nur –!! Er könnt' mich retten
Aus der Verdammniß! –

Er reißt sich wild in die Höhe.

Hu, bin ich von Sinnen?!

Die Musik beginnt wieder.

Was Beten? – Tanzen!! Wild im Sturm mich schwingen!
Ha, blaset, blaset, daß die Töne schwellen,
Die Wetter in den Freudenaufruhr donnern!
In's Teufels Namen! Faust will fröhlich seyn!

Die Musik wird stärker.

Hinan! Hinan! Das schallt in meine Weise!
[172] Auf! Drehet wild euch in dem Feuerkreise!
Hervor die Braut – die Gäste sind bereit,
Schon stürmt zur Mitternacht die flücht'ge Zeit;
Wenn ihre dunkeln Schauer uns umwehen,
Will ich in deinen Flammen untergehen!

Er eilt wild zur Seite ab, woher die Musik schallt. Tanzende schwingen sich während der Pause über die Bühne, alle in schwarzen Masken, und die Musik selbst nimmt einen wilden Charakter an.
12. Scene
Zwölfte Scene.
Faust zieht Helenen auf die Bühne, die ebenfalls ganz verlarvt ist. Die andern Masken entfernen sich.

FAUST
erhitzt und glühend.
Nicht länger sträube dich!
HELENE.
Ha, wilder Stürmer!
FAUST.
Mein Busen brennt –!
HELENE.
Die Zeit ist noch nicht da!
[173]
FAUST.
Sie ist's! Sie ist's! – Ha, Weib, sie soll es seyn!
Statt einer hab' ich drei dir aufgeopfert!
Die Mutter schläft, das Kindlein und der Alte,
Mit dir zu kosen sang ich sie in Schlummer! –
Ha, Feuerbraut, die Nacht ist eingeweiht,
Gezahlt hab' ich die theure Morgengabe;
Drum gieb mir Gluth für Gluth!
HELENE
mit heimlichem Nachdrucke.
Sie brennt für dich!
FAUST.
Zerrissen ist jedwedes Lebensband;
An dich bin ich gefesselt, dein –
HELENE
mit einem Triumph einfallend.
Auf ewig!

Die Musik in der Ferne wird immer wilder und seltsamer, es rollen dumpfe Donner hinein, die nach und nach stärker werden.
FAUST.
Auf ewig dein! – Horch, wie die Töne schwellen!
HELENE.
Sie donnern uns den wilden Hochzeitsjubel!
FAUST
sie umschlingend.
Ha, gieb den Brautkuß mir!
[174]
HELENE.
Um Mitternacht!!
FAUST.
Jedweder Puls wird mir zur Ewigkeit! –
Die Larve fort, die mir dein Wangenfeuer,
Der schwarzen Augen dunkle Gluth verbirgt!

Er will ihr die Maske nehmen.
HELENE
sträubt ihm entgegen.
Ist sie gefallen, wirst du treu verbleiben?
FAUST
streckt die Hand empor.
Ja bei dem –
HELENE
zieht ihn rasch zurück.
Halt!
FAUST
als es stärker donnert.
Das donnert meinen Eid!
Die Töne schwören ihn, die Herzensschläge,
Mein ganzes Daseyn, das in Flammen glüht!
Ha, immer wilder schwillt der Jubel an,
Schon wirbelt um uns her der Hochzeitsreigen,
Die Fackel brennt –
HELENE
mit wildem Tone.
Ha denn, mein Bräutigam!
[175]
FAUST
auf sie eindringend.
Hinweg die Larve! –
HELENE
noch wilder.
Hei! Die Hochzeitsstunde –
FAUST.
Die Larve fort!!
HELENE.
Sie schlägt!!
FAUST.
Den Brautkuß!

Er ist im Begriffe, sie zu umschlingen.
HELENE.
Nimm ihn!!

Die Larve und die Hauptbedeckung entfallen ihr und sie grinset ihn aus einem Todtenschädel an; es donnert heftig und die Musik endet wie mit einem Schrei in Dissonanzen.
FAUST
taumelt in Todesschrecken zurück.
Entsetzen – –! Weh! – –
HELENE.
Das Lager ist bereit!
Folg, Bräutigam, hinab zur Feuerhochzeit!!

Sie versinkt mit einem krachenden Donnerschlage in den Boden, aus dem Flammen emporlodern. Faust stürzt von der Bühne, die so lange leer bleibt, bis die jetzt einfallende [176] Glocke zwölf ausgeschlagen hat. Alles verdunkelt sich tief und die Lichter erlöschen.
13. Scene
Dreizehnte Scene.
Der Fremde schleudert den Faust, dessen Gesicht todtenbleich ist, bei den Haaren auf die Bühne zurück.

FAUST.
Ha, laß mich fliehen! – Fort! –
DER FREMDE
mit wildem donnernden Tone.
Es ist vorbei!
FAUST.
Entsetzliches Gesicht! – –

Sich bebend an die Brust des Fremden werfend.

Du bist mein Freund!
Drum schütze mich!!
FREMDER
auflachend.
Haha!
FAUST
dringender.
Mein letzter Freund!!
FREMDER
mit triumphirender Bosheit.
Ei freilich!!
[177]
FAUST.
Ha, so laß uns fort!
FREMDER.
Wohin?!
FAUST.
Zur Kirche!!
FREMDER.
Ich mit dir?!
FAUST
irre.
Wir wollen beten!
Ja beten! beten!! Ach mein Schlafgebet –
Aus meiner Kindheit – das wird mir getreu seyn – –
Der Mutter Segenskreuz!! – Hinaus zur Kirche!! –
Dir thut's auch Noth – – der Himmel wird uns retten! –

Wild wie im Wahnsinn.

Fort! Fort!! –
DER FREMDE
schleudert ihn zurück.
Zurück! – Dein Lebensspiel ist aus!!
FAUST
wie vorher.
Noch hab' ich Zeit bis zu dem vierten Frevel!
[178] O eine Spanne hat zur Buße Raum;
Zur Kirche hin – laß uns um Gnade knieen!
DER FREMDE.
Haha! – Kennst du mich denn?
FAUST.
O rette mich!!
DER FREMDER
ergreift ihn mit übermächtiger Gewalt, kehrt ihn so, daß Faust's Gesicht gegen die Zuschauer gewendet wird, indeß das seine von diesen abgekehrt ist; und so blickt er ihn an und ruft mit donnernder Stimme.
Ich bins!! –

Ein Donnerschlag.
Faust taumelt mit dem Ausdrucke des höchsten Entsetzens zu Boden, indem er einen unarticulirten Schrei ausstößt.
Jener fährt nach einer Pause mit schneidender Kälte fort.

Ist das der mächt'ge Höllenzwinger?
Der mir – ha, mir! – getrotzt!! –

Mit empörendem Stolze.

Gewürm des Staubes!
Ich hatte deine Qual – mir!! aufgespart –!
Fahr' jetzt hinab zu andern Sclavengeistern –
Du bist zu klein für mich!!
FAUST
richtet sich in die Höhe und scheint seine Kraft wiederzugewinnen.
Ich bin der Faust!
[179]
DER FREMDE.
Du nicht!
FAUST
indem er sich mit seinem ganzen Trotze emporreißt.
Verfluchter! Ha, ich bins! ich bins!
Zu meinen Füßen hin, ich bin dein Meister!
DER FREMDE.
Nicht mehr!!
FAUST
wild.
Ha; mein Vertrag?!
DER FREMDE.
Er ist am Ende!!
FAUST
wie vorher.
Drei Frevel nur!!
DER FREMDE.
Der vierte ist vollbracht!
FAUST.
Nur Weib und Kind – und meines Vaters Blut –!
DER FREMDE
hält ihm ein Pergament entgegen.
Und hier dein eignes! –
FAUST.
Ha, das ist mein Pact!
DER FREMDE.
Die Unterschrift – war deine schwerste Sünde!
[180]
FAUST
wüthend.
Ha, Lügengeist!! – So hast du mich vergarnt!
DER FREMOE.
Dein Blut ist mein! Das Bündniß ist zerrissen!
FAUST
mit seiner ganzen Kraft austobend.
Mein Buch!! Mein Buch!!
DER FREMDE
mit dem höchsten Ausdrucke.
Ha, jetzt – quäl' ich dich selbst!
FAUST
mit steigender Kraft.
Du mich?! – Ha, alle deine Höllenflammen,
Verfluchter, thürme sie um mich zusammen!
Ich trotze ihnen, trotze deinen Mächten,
Der wilde Schmerz, ich will mit ihm nicht rechten,
Ihn jubelnd tragen, deine Wuth verlachen,
Dich und die Hölle selbst zu Schanden machen;
So, wild und kühn, mein wildes Daseyn krönen,
Ich will's – der Faust! – und ewig dich verhöhnen!!
DER FREMDE
in höchster Wuth.
Hinab, Verfluchter!!

Er reißt ihn mit den Haaren gegen den Hintergrund, in diesem Augenblicke verwandelt sich unter heftigen Blitzen und Donnerschlägen die Bühne in eine grause Wildniß, [181] in deren Hintergrunde eine klaffende Höhle, in diese schleudert der Teufel den Faust, von allen Seiten sprüht Feuer herunter, so daß die ganze innere Höhle im Brande zu stehen scheint; ein schwarzer Schleier senkt sich über beide, als jener den Faust unter sich liegen hat.
FAUST
in einem wilden Trotze aufjubelnd.
Ha, hinab! hinab!

Donner, Blitz und Feuer. Beide versinken.
Der Vorhang fällt.
Fußnoten

1 Es bedarf wohl kaum der Erinnerung, daß diese Reden nicht im gewöhnlichen Theatertone, sondern von einem sehr guten Declamator vorgetragen werden müssen.

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TextGrid Repository (2012). Klingemann, August. Drama. Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B288-C