Liebe, Misverständniß und Freundschaft.

Elise Baumthal, ein edelmütiges, gefühlvolles Mädchen, mit herrlichen Eigenschaften des Verstandes begabt, erhielt eine sehr gute, aber für ihre Geisteskräfte unvollkommene Erziehung. Denn wenn ihre Fähigkeiten zum Denken und Wissen alle den Anbau erhalten hätten, der ihnen nöthig war, so würde dadurch das Uebermaß von Elisens Gefühl gehemmt worden seyn, und sie würde ohne vielen Kummer und ohne ausserordentliche Schritte zu machen, zu Ruhe und Vergnügen gekommen seyn.

Wißbegierde und Zärtlichkeit waren die Hauptzüge ihres Charakters. – Sie wollte studieren, und die teutsche Laura Bassi werden. Ein Oheim hinderte die Erfüllung ihres Wunsches; doch machte sie sich die Französische, Italiänische, und Englische Sprache eigen, spielte schön auf dem Klavier, und sang mit Anmuth dazu, zeichnete Landschaften, und malte Blumen in Wasserfarben; Ihre Mutter unterrichtete sie in allen weiblichen Arbeiten, und daneben [46] laß Elise mit vieler Begierde jedes Buch, das ihr vorkam, aber ohne Ordnung und ohne besonderes Nachdenken. Doch entstund aus dem Gemische von natürlichem Geist und halben Kenntnissen eine angenehme Gattung weiblichen Verstands, den die Männer mehr an uns lieben, als würkliche Gelehrsamkeit.

Elise war keine Schönheit, aber Leben, Wohlwollen und Güte waren auf ihrem Gesicht verbreitet – Anstand und Anmuth in allem, was sie that. Sie war nie, wie andre Mädchen geschmükt, hatte selten einen Wechsel in Kleidern, weil es ihre Eltern nicht vermochten, und sie auch immer eher um Lehrmeister und Bücher bat, als um neue Putzsachen. – Sie lebte nach dem Tod ihrer Eltern bey einer Verwandtin, in deren Haus sie viele Menschen kennen lernte, und mit welcher sie auch kleine Reisen machte, wodurch ihr Beobachtungs-Geist viele Kenntniß von Menschen, Lebensarten, Künsten und neuen Ideen sammelte, und in der That schöne Bilder in ihrer Seele entstunden, aber auch ein gewisser eigensinniger Geschmack in ihr Herz und Aug kam. – Sie wollte nur einen Gelehrten heurathen, weil sie dadurch ihren Geist zu bereichern hofte, aber dieser Gelehrte sollte auch weise, edelmütig und liebreich seyn. Sie wollte [47] nichts kostbares, aber in allen Sachen schöne Formen haben. – Rauhe Reden, niedrige Scherze, Geräusch, Uebermaas in Essen und Trinken – alle das war ihr unerträglich. Sie arbeitete so gern, als sie Bücher laß, und niemand kann Freunde und Verdienste inniger lieben und schätzen, als sie that. Sie war dabey immer bereit zu helfen und zu trösten, wo sie konnte.

So gieng sie mit einem Tugend- und Liebevollem Herzen bis zu End ihres neunzehnten Jahrs, als Wießbach, ein vortreflicher, mit Wissenschaften und Vermögen beglükter Freund ihres Vetters, auf einige Zeit in dem Haus wohnte, und von der angenehmen Elise gefesselt, ihr seine Liebe gab, und seine Kenntnisse mittheilte. Hochachtung und Dankbarkeit erfüllten Elisens Herz, und jeder neue Gedanke, jede edle Gesinnung von Wießbach vermehrte ihre Zärtlichkeit, und ihre Hofnung auf das höchste Glück der Liebe. Sie heftete sich allein an ihn; er war ihre Welt; Um seinetwillen und für ihn übte sie ihre Talente und jede Tugend. – Die Besorgung seiner Güter entfernten ihn oft: da waren die schönste Briefe der Ersatz für die verlohrne Freuden der Gegenwart.

Endlich kam die Zeit, wo sie denken konnte, bald auf immer ungetrennt mit dem vorgezogenen [48] Mann zu leben, und er wohnte für den ganzen Winter in einem benachbarten Haus. – Da war Entzücken bey Elise, und die Stunden des Umgangs mit Wießbach immer Eröfnung des Himmels für sie. Aber nun entdeckten sich auch natürlicher Weise die kleinste Verschiedenheiten ihrer Charaktere und ihres beyderseitigen Geschmacks, die eben so wesentlich waren, als die Uebereinstimmung vieler Ideen und Empfindungen. – Da kam es nun, daß diese zwey schätzbare Personen sich auf der schönen Höhe des süssen Glücks der edlen Liebe eben so wenig zu erhalten wußten, als andre auf dem Gipfel des Ruhms und der Ehrenstellen, weil sie zu wenig Nachsicht für die Unvollkommenheiten der andern, und zu viel Anfoderungen für ihre eigene Verdienste mit sich dahin brachten. – Elise hatte die ganze Reihe moralischer Gefühle in ihre Seele gefaßt; Sie wußte, daß ihre Ausübung Pflicht ist, und ihr Leben war ein Beweiß von der Möglichkeit, diese Pflichten zu erfüllen, so wie ihre unaussprechliche Zärtlichkeit für Wießbach ihr die Wahrheit einer vollkommenen Liebe bewiese. Aber sie machte aus diesem den Grund ihrer Erwartungen von Wießbach, und die Ursachen ihres Misvergnügens, wenn etwas fehlte. – Ach! man hätte sie lehren sollen, daß die physische Welt die vorgeschriebene Gesetze immer [49] besser befolgt, als die moralische die ihrige, und daß die Menschen bey mechanischen Arbeiten und bey den Geschäften des Kopfs es immer im Ganzen und in einzelnen Theilen eher zur Vollkommenheit bringen, als es mit den moralischen Gesinnungen des Herzens geschieht.

Elise that alles, um dem einzigen Mann, dem ihr Herz jemals ergeben war, ihre Liebe und ihre Verehrung zu zeigen; aber sie konnte nicht ertragen, wenn etwas in dem Wesen und Bezeugen des Mannes erschien, was sie nach den hohen Begriffen von seinen Verdiensten als eine Entweihung seiner Würde ansah; sie that alles für ihn, so lang als die Idee von Anbetung in ihr lag: Aber sie foderte immer Vollkommenheit von ihrem Freund. – Es ist in ihm – sagte sie – und wenn Wießbach dieses oder jenes nicht thut, wer wird es thun? die andre haben den Geist – haben die Seele nicht dazu.

Dieß gab nun manchen grossen und manchen kleinen Zwist. Elise erkannte oft in sich selbst, unrecht zu haben, wenn sie einen vorübergehenden Schatten an dem Götterbild ihres Geliebten mit Kummer geahndet hatte, weil der Anschein eines Fehlers sehr oft von den Umständen herkommt, über die wir Menschen eben so wenig gebieten können, als der Astronom über die Wolken in der Luft, [50] durch welche schon so oft die mühseligste Reise von vielen hundert Meilen, und die gehofte Beobachtung eines wichtigen Gestirns vereitelt wurde. In diesen Fällen foderte Wießbach von Elisens Verstand und Liebe mehr Nachsicht und Gerechtigkeit: – Sie hingegen erwartete von seinem Scharfsinn und seiner Edelmüthigkeit, daß er nur auf die Ursache ihrer Klagen sehen solle: und da sie aus nichts, als der vollkommenen Idee entstünden, die sie immer von ihm gehabt, so achtete sie es verzeihungswerth, indem sie sich selbst über ihre Unruhe tadelte, und so leicht Wießbachs rauhes Wesen, das sie öfters sehr schmerzte, entschuldigte und vergaß.

Sie wurde doch nach einigen dieser Auftritte nachdenkender über den besondern Weg, welchen der Geist ihres Freundes in vielen Sachen genommen hatte. Sie fühlte oft Vorbedeutung einer unausbleiblichen Kälte ganz dunkel in sich: aber sie wand sich weg von diesem Gedanken, und suchte den süssen Glauben an Glück der Liebe zu erhalten, das bey jedem neuen Frieden sich wieder zeigte.

Wießbach war edel genug, sich zu grämen, wenn er der guten, ihn anbetenden Elise mit zu viel Unmuth begegnet war: Aber unvermerkt gewöhnte er sich an die Thränen, die er dem zärtlichen Mädchen von Zeit zu Zeit im Auge sah. – Elise bemerkte [51] genau diese anfangende Gleichgültigkeit seines Herzens, obschon immer wieder Aufwallungen der feurigsten Liebe darinn erschienen, und auch Wießbach jede Gelegenheit ergriff, sie davon zu überzeugen.

Endlich zerrüttete eine Krankheit das blühende und helle ihres Gesichts und Auges; sie war blaß und etwas eingefallen: Da trat nun auch die Furcht ein, daß sie jetzo ihrem Freund nicht mehr angenehm genug aussehe, und die kleinste Mishelligkeit machte sie elend – denn sie fühlte auch Anwandlungen von Eifersucht. Sie bemühte sich aber den Geist und die Gemüthsart der Frauenzimmer auszuforschen, für welche ihr Geliebter eine besondere Achtung zeigte. Aber diese Entdeckungen dienten nur sie zu überzeugen, daß alle ihre Hofnungen Traum gewesen. Denn ihre äuserliche Gestalt in eine andre Form zu bringen war natürlicher Weise unmöglich, und der Glaube, daß ihre Grundsätze und ihre Gesinnungen gut und edel seyen, machte sie sagen, daß es nicht von ihr abhänge, etwas daran zu ändern. Und da sie dachte, daß ihre Person aufgehört hätte, ihrem Wießbach angenehm zu seyn, so faßte sie wenige Wochen vor dem zu der Trauung bestimmten Tag einen Entschluß, den keine Seele von der zärtlichen Elise erwartet hätte. Wießbach führte ihre Verwandte auf sein Landgut, um ihnen zu zeigen, was [52] er Elisen in dem Ehevertrag zu geben gedenke. Der Frau seines Vetters war äuserst daran gelegen, diese Bedingungen recht zu befestigen, weil das kleine Vermögen, welches die gute Elise von ihren Eltern ererbte, in den Händen des Bruders dieser Baase zu Grunde gegangen war, und nur noch wenige hundert Thaler gerettet wurden, welche sie vor ihrer Abreise Elisen übergab, und ihr dabey sagte, daß Wießbach um so viel großmüthiger gegen sie seyn würde, welches sie und ihr Mann bey der Ehestiftung besorgen wollten. – Ach! dachte Elise – ich weiß wohl, daß er großmüthig ist: aber das ist nicht Liebe. – Er wird bey diesen Geschenken nicht mehr mit Entzücken fühlen, daß er sie dem Geschöpfe giebt, das ihn über alles liebt, und das ihm auch das liebste ist. – Diese Art von Gedanken und ihr Plan dabey machte sie etwas krank und der Zufall wollte, daß noch in den letzten Augenblicken vor der Abreise ein Misverständniß in den Weg kam, und ohne daß sie sich erklären konnten, Wießbach in die Gutsche stieg, und Elisen ganz betäubt und traurig zurückließ, ohne daß er darauf zu achten schien. Aber wie staunte er, als zwey Tage nachher ein Bote ankam, und ihm diesen Brief brachte? –


»Nehmen Sie, mein edler Freund! den letzten Beweiß meiner zärtlichen Liebe mit Güte auf. [53] Ich gebe Ihnen Ihre Freyheit wieder – der Himmel lasse Sie bey einer andern wohl alles finden, was Sie glüklich machen kann! – Ihr Schattenriß und die Geschenke, wodurch Sie meinen Geist bereicherten und kehrten, gehen mit mir, und werden die Grundlage meines künftigen Glüks seyn, das ich aber von keinem andern Mann erwarte.«

Ihren Verwandten dankte sie für ihre Güte, und bat sie wegen ihrer Flucht und ihres künftigen Schweigens um Vergebung, – und endigte mit dem Ausdruck: weit entfernt, unbekannt werde ich für das Andenken meiner Freunde leben. – Sie sahen sich an, fragten sich – ist es möglich, daß Elise, die uns liebte, die uns so theuer war, krank schiene, und keine Bekanntschaften hatte? – Der Bote, den die Hausbediente geschickt hatten, wurde ausgefragt, ob jemand zu ihr gekommen? wie es zugegangen? Er wußte nichts zu sagen, als da Elise ihr Frühstück nicht zu gewöhnlicher Stunde verlangt habe, so hätte die junge Magd an der Thüre gepocht, und weil sie keine Antwort bekam, glaubte sie, Elise schliefe noch: da es aber bald eilf Uhr geworden, und sie noch nichts hörte, sey sie in die kleine Seitenstrasse gegangen, wo die Fenster von Elisens Zimmer hinsehen, und hätte alle Laden zu [54] gefunden, auser einem, der lotter gewesen, an welchem auch das Fenster offen stund, aber keine Seele in der Stube zu sehen und zu hören war. – Da seyen sie eingestiegen, und hätten alles leer gefunden bis auf diese zwey Briefe und etliche Paketgen Geld zu Geschenken für die Dienstboten. – Nun eilten sie nach Hause, forschten, suchten und kümmerten sich – es schmerze sie alle, besonders Wießbachen unendlich Elisen verlohren zu haben, sie unglücklich zu denken, durch ihn unglücklich. –

Endlich machte die Zeit ihre Verwandte ruhig, und würkte auf Wießbach in einer doppelten Art, wie das Andenken derjenigen würkt, die man unglücklich machte. – Anfangs ist es Trauer; Man fühlt Reue, macht sich Vorwürfe – dieß alles ist Schmerz, und unangenehme Empfindung für die Seele. Ist der Mensch edelmüthig, so verbessert und ersetzt er alles Weh, was er in einer unseeligen Stunde ausübte, um sich von diesen bittern Empfindungen zu befreyen, und wieder mit sich selbst zufrieden zu werden. – Hat aber der Beleidiger keine Grösse der Seele, so wird ihm bald der Name und das Andenken einer Person verhaßt, bey deren Erinnerung er immer Stiche fühlt, und er sucht dann alles hervor, um die unglückliche schuldig zu finden, sie anzuklagen, und also sein Betragen gegen sie zu [55] rechtfertigen. – Dieß war ungefähr der Fall mit Wießbach und Elisen. – Hätte er sie bald wieder gefunden, so wäre es gut gewesen, aber nun kehrte er so gar ihren Geist gegen sie, und er würde ein begränzteres Geschöpf mehr bedaurt, ja vielleicht mehr geliebt haben; denn die Verbindung und der Umgang, welchen er wählte – liessen es vermuthen. Er sagte auch in sich: ein Mädchen von Elisens Geist hätte nichts so übertriebenes und romanhaftes in ihre Liebe verweben sollen: wenn sie ihn wahrhaft geliebt hätte, so würde sie sich völlig nach seinem Sinn und Charakter gebogen haben, u.s.w. – Ihr Eigensinn habe sie weggeführt; sie möge sich nun die Folgen gefallen lassen – Sie habe Verstand, und würde sich schon helfen. –

Auf diese Art verscheuchte er die unwillkommne Erscheinung von Elisens Erinnerung, und lebte mit Menschen, die freylich himmelweit von dem entfernt waren, was er überspanntes Gefühl nannte. Die gute Elise hätte befürchtet, die edle Seele ihres Wießbach zu beleidigen, wenn sie nur einen Augenblick vermuthet hätte, daß Koqueterie, die man ohne Unterschied für alle Männer auskramt, oder Schmeicheleyen einen Eindruck auf ihn machen könnten, denn seine Urtheile zeigten immer die gröste Verachtung über diese gewöhnlichen Künste an, und Elise, [56] welche in sich Kenntnisse genug fühlte, um Wießbachs Geist in seinem ganzen Werth zu verehren, wollte auch mit den Beweisen ihrer Zärtlichkeit keine niedere List verbinden. – Ach die Arme! wie wenig kannte sie die Welt! Schwäzerinnen – hübsche Puppen – Schmeichlerinnen – Koqueten, alle nacheinander giengen durch Wießbachs Kopf und Herz. Er hatte den Wünschen des besten Geschöpfes widerstanden, und erlag in den Ketten einer Person, die seiner ganz unwerth war. – Sein Gemüth wurde erbittert; sein Herz troknete aus; er wurde, was seine Bücherschränke waren – lauter Gelehrsamkeit, aber ohne edles, ohne süsses Gefühl des Lebens. – Jahre vergiengen, und Elise war ganz aus ihm verschwunden.

Sie hingegen hatte ihr Herz einer Jugendfreundin geöfnet, welche an einen Beamten verheyrathet, und kurz vor Elisens Brief Wittib geworden war. Da sie nun mit ihrem Mann etwas misvergnügt gelebt hatte, so war sie gerad in der Stimmung, jedem Frauenzimmer, besonders aber ihrer geliebten Elise, alle ewige Verbindung zu mißrathen. Sie antwortete daher Elisen:


»Fliehe in die Arme der zärtlichsten Freundschaft – Ich bin frey! meine ganze Seele, und mein schöner Wittibsitz sind dein – in zehen Tagen [57] bin ich bey dir mit meinem Bruder unter fremdem Namen. – Rüste dich, mit uns zu gehen.« –

Das geschah – Elise konnte alle ihr Gepäcke zu dem Fenster hinaus geben, und dann selbst nachsteigen und wegreisen, da sie dann nach vier Tagen auf dem Wittibsitz anlangten, wo sie die ältere Schwester ihrer Freundin, und etliche kleine Kostgängerinnen antrafen. Das Haus war am End eines kleinen Flecken, der an einer unmerklichen Anhöhe liegt, die durch das allmählige Steigen zu der schönsten Aussicht führt: Oben war noch ein zerfallener Kirchthurm, und zwey Mauren des Langhauses gestanden, alles mit Epheu bewachsen, und voller Schutt.

Diese Ruinen und einige Morgen Land umher bekam der Beamte von seiner Herrschaft zum Geschenk. Er legte einen Garten an, und wurde durch ein paar Freunde, wovon der eine Baumeister war, aufgemuntert, ein zweystöckiges Haus hinzustellen, und es so einzurichten, daß im Sommer einige Personen aus der Stadt dort die Landluft geniessen, oder eine Frühlings Kur trinken könnten. – Er nahm den Baumeister bey seinem Wort; und da dieser das seltene Verdienst des guten Geschmacks und der Wirthschaft in sich vereinigte, so entstund unter seinen Händen eines der angenehmsten Landhäuser [58] auf dieser Stelle. Er nahm von dem Thurm und den Mauren alles Baufällige weg, wobey er den Epheu sorgfältig schonte; eine kleine, aber ganz hübsch gearbeitete Seitenthür der Kirche, deren Gesims über den Schutt hervorragte, machte er nach der Abräumung des Platzes zu der Hausthüre, und von dort an das Stück Kirchenmauer zum Haus, und die am End noch stehende Chor-Wand zu einer Schiedmauer im Gebäude selbst. Das noch ganz gute Pflaster der Kirche wurde zum Vorplatz gemacht. Die Seiten gegen den obern Theil des Berges behielten die Höhe, welche nöthig war, um den oben angelegten Garten stützen zu helfen; aber die gegen den Abhang zu ließ er bis auf Brusthöhe abnehmen, weil man von dort aus, nach der ganzen Länge die Aussicht auf den in einem Wald von Obstbäumen liegenden Flecken hatte. Der kleine Abhang wurde mit Reben bepflanzt, und auf der Gegenseite hiengen die Rosen- und Johannisbeersträuche über die Mauer herab; der alte Thurm wurde zum Holz und Heuschober geordnet, und Herr von Oberg ließ für sich selbst einen Flügel anbauen, von welchem man die grosse Weinberge, die viele darinn stehende Pfersich- und Mandelbäume, den schiffbaren Fluß in der Ebene, und verschiedene Dörfer vor sich hatte. Ein alter Wartthurm sahe noch über den Kastanien-[59] Wald empor, der den obersten Theil des Hügels begränzte.

Frau Laben hatte ihren Stief-Kindern gern alles gezahlt, nur um dieses Haus allein zu behalten. Sie nahm ihre Schwester, und einen auf der Universität durch eine Verwundung unglücklich gewordenen Bruder zu sich, um ihre wieder erlangte Freiheit mit Wohlthun und Freundschaft zu geniessen. Der Gedanke, nur alle Frühjahr und im Sommer Leute in dem Haus und Kost zu haben, gefiel ihr nicht; Und als der neue Beamte sie bat, seines Bruders Kinder, deren Vormunder er war, zu sich zu nehmen, weil seine Frau die vier arme Mädchen nicht leiden mochte, so fragte sie ihre zwey Geschwister: ob sie nicht, vereint mit ihr, eine Art Englischer Kostschule anfangen wollten – der Bruder hätte Theologie studirt, und da seine Lähmung ihn hinderte, ein öffentliches Amt zu verwalten, so könne er ja neben der Freyschule für die Arme des Orts auch die Kostgängerinnen in der Religion, der Geschichte und der Geographie unterrichten, auch schön schreiben und rechnen lehren – Ihre liebe Schwester würde für die Kenntniß und Uebung des Nähens, das Stricken und die Kochkunst besorgt seyn. – Sie hingegen wolle ihre Sprachen üben, und sie neben den schönen Arbeiten, die sie bey einer Tante in [60] Berlin gelernt, den Mädchen beybringen, und überhaupt für die Einrichtung und alles sorgen, und auf diese Art würden sie alle nützlich seyn, und vieles Vergnügen dabey geniessen. –

Bruder und Schwester willigten gerne ein. Frau Laben sprach mit dem Beamten, und dieser unterstützte sie bey dem Herrn von Oberg, so daß dieser ihr noch alles nöthige Holz um den halben Preiß versicherte. Nun versorgte sie ihr Haus sehr artig mit Betten und Geräthen, wie es zu ihrer Absicht taugte. Sie hatte in kurzer Zeit acht Schülerinnen beysammen; und Elise zeigte gerade damals ihren Wunsch, sich von Wießbach zu entfernen, und wurde den Frauenzimmern als eine Englische Hofmeisterin angesagt. – Eine geschickte und rechtschaffene Stubenmagd mußte sie nicht nur in Wäsche und Hausarbeit bedienen, sondern auch als Muster unterrichten helfen, was man für Arbeiten von einer Magd fodern, und wie man guten Dienstboten begegnen solle? – Eine Köchin, und eine Bauermagd, die den Hünerhof, den Gemüßgarten, und die Kühe besorgte, waren auch vollkommen in ihrer Art. –

Von alle dem sagte Frau Laben ihrer Elise kein Wort, sondern zeigte ihr nur unterwegs alle Zärtlichkeit der wahren Freundschaft, bey welcher man, wie sie sagte, viel glücklicher als bey der Liebe [61] sey. Sie führte unsere Elise, welcher schon die Gegend sehr gefiel, gleich unter die Thüre des Vorsaals, und man kann sich für ein reines fühlbares Herz keinen rührernden Anblick denken, als den sie sah. Die gerad entgegenstehende Wand des Thurms mit seiner Epheudecke machte den Hintergrund, vor welchem eine Reihe Blumentöpfe stunden. Nebenher schöne Bäume und Gesträuche von beyden Seiten – und nun mitten unter diesen blühenden Pflanzen sassen holde Mädchen von verschiedenem Alter auf kleinen Strohstühlgen mit Nähramen, worauf die ältere Blumen stickten, mit Nähküssen, wo andre an Kleidungsstücken arbeiteten, einige Spitzen klöpelten, strickten, ein paar artige kleine Geschöpfe, die mit ihren zarten Fingern niedliche Schnürriemen schlangen, kleine Tischelgen mit Schiebladen hatten – alle in roth und weißstreifiges Leinen gekleidet, mit weißen Schürzen und Strohhüten, – Sie sprangen bey dem Gruß der Frau Laben auf, riefen so herzlich, willkomm! hiengen an ihren Hals und Arme, und küßten sie. – Was ein Auftritt für Elise! wie tief drang das alles in ihre Seele. – Tugend und Güte in ihr – Unschuld und liebreiche Weisheit vor ihr – Natur und Himmel frey offen um sie – über ihr – alles nahm sie ein – und machte sie in ihrem Herzen sagen – Hier – hier! [62] bleib ich mein ganzes Leben! Ihre Freundin hatte auf diese Würkung gezählt, und ihr deswegen nichts im voraus gesagt. – Aber als die Kinder anfiengen nach Elise zu sehen, sprach sie: –


»Da, liebe Mädchen! habt ihr eine gute Englische Tante, die bey uns wohnen will.« –

Nun bückten sich die lieben Kinder alle, und blickten auf Elise, die ihre beyde Hände küßte, und ihnen zuwinkte, aber gleich weggieng, weil sie bis zu Thränen gerührt war.

Frau Laben führte sie in ein artiges Zimmer des zweyten Stocks, von welchem man auf eine Altane gehen konnte, die von der schönsten Linde beschattet wurde. Elise war über die Aussicht auf die göttliche Gegend ganz entzückt: Vögel aller Art flogen um den Baum, sangen auf seinen Zweigen, und waren so heimlich, daß sie auf dem Geländer der Altane ihr Futter holten – Elise hatte einige Zeit ganz still und staunend neben Frau Laben gestanden: Endlich fiel sie ihrer Freundin um den Hals, und sagte: –


»O Julie! wo hast du mich hingeführt?« – Zum Genuß der reinen Natur, und der wahren Freundschaft, meine Elise! wenn nun die Mittheilung deiner Talente und deiner Tugend dich freut, wenn die Liebe deiner Julie, und [63] die von meinen Zöglingen dich über das, was du verliessest, schadlos halten können, so hilf mir die gute Kinder erziehen, und den Beweiß geben, daß wir ohne Männer, und ohne ihre Liebe glücklich seyn konnten, und daß der Werth unserer Verdienste und unsers Lebens nicht von ihnen abhängt. – Elise sagte bewegt:


»Gerne, meine Liebe! recht gerne will ich Antheil nehmen an deiner Tugend und an deinen Beschäftigungen, aber meine Beste! ich bin arm an Vermögen und Geist.« –


Dein Vermögen, meine Elise! habe ich nicht nöthig, und nähme es nicht, wenn du auch Peru hättest, denn meine Zöglinge sollen keinen Reichthum sehen als den von Geist, von Tugend und den Schönheiten der Natur. Genuß des Vergnügens ist einmal die Hauptangelegenheit der Menschen, und da wollen wir den guten Geschöpfen zeigen, was edle und vernünftige Personen für eine Menge wahrer Freuden in ihrer Gewalt haben.

Sie zeigte dann Elisen das ganze Haus, und sagte ihr alle Einrichtung der Arbeiten und Lehrstunden. Alles war einfach, geschmackvoll und höchst reinlich. Elise fragte ihre Julie, wie sie auf diesen Gedanken gekommen sey?


[64] Aus Widerwillen an dem gewöhnlichen Ton der Freude und des Wehklagens der Leute, die ich zwey Sommer hindurch hier hatte, weil mich dünkte, daß sie weder Vergnügen noch Schmerz auf der rechten Seite kannten, – und dann aus der so gewöhnlichen Begierde, seine Ideen in andre zu pflanzen – vielleicht auch, weil ich dieses Haus nach meiner wieder erlangten Freyheit auf eine andre Weise benutzen wollte, als ich bey meinem harten und gebieterischen Mann thun mußte.


»Machtest du den Plan auch selbst? und warum alles im Englischen Geschmack?«


Weil ich die Nachahmungssucht der herrschenden Mode benützen wollte – man trägt Englische Hüte, Englische Kleider, ißt Pudding, läßt Gutschen aus England kommen, und Gärten anlegen, wie ihre sind – so, dachte ich, wird man vielleicht auch eine Anstalt begünstigen, wenn sie nach dem regierenden Ton ist – und dann kostet es die Eltern und mich weniger schon in den jetzigen Ausgaben, und bewahrt meine liebe Mädchen auch in Zukunft vor dem öftern kostbaren Wechsel, weil einmal die Englische Gebräuche nicht so schnell über das Meer kommen, als die Französische über den Rhein; [65] und dann, wenn man sich in einer simpeln Kleidung schön gefunden hat, so bleibt man gerne dabey: damit geschieht nun für alle diese Familien Gutes, und ich werde auch in meinen Einrichtungen nicht so oft durch die Erinnerung – das ist Mode – gestört.

Elise war sehr zufrieden, und übernahm die Rolle der Englischen Tante nicht nur in der Kleidung und in den sanften Manieren, sondern sie lehrte auch die Kinder die Englische Sprache, Lieder und Tänze. Ihre Belesenheit in der Englischen Geschichte und Geographie gaben ihr immer Anlaß hie und da etwas nützliches zu erzählen und zu empfehlen: – denn die wenige Worte – so machen es junge Miss – wurden zu einer grossen Triebfeder des Fleisses und der Folgsamkeit. Elise blieb auch dabey besser verborgen, und die Schule erhielt neues Verdienst und Kostgängerinnen.

Frau Labens Bruder hatte Auszüge aus dem Schauplatz der Natur gemacht; Auch Elise laß Stücke aus den vier Büchern von Wundern der Natur und Kunst in allen Theilen der Welt; und mit dem Mikroskop, einem Geschenke von Wießbach, das sie mitgebracht, wurde nun alle Sonntage nach dem Gottesdienst einiges betrachtet – Mückenaugen und Flügel – der vermeinte Staub [66] auf den Schwingen der Schmetterlinge, der als Federn erkannt ist – die verschiedene Holzgewebe – der Muschel-Sand und anders: – dieses prägte die Ehrerbietung und Liebe für den Schöpfer tief in die junge Seelen. – Elise lehrte sie Klavier spielen, zeichnen, in Wasserfarben malen; Sie laß Poesien mit ihnen: Und wie sie anwuchsen, so wurden sie auch in Führung des Hauswesens unterrichtet. Verstand und Geschicklichkeit zu zeigen, war der Bug, durch welchen man ihre Eigenliebe ein Vergnügen im Wissen und Arbeiten finden lehrte. Alle Gattungen weiblichen Verdienstes wurden ihnen bekannt gemacht – der vor nehmen und geringern, der Reichen und Armen: und sie mußten dann wechselsweise nach Maaßgab der erlangten Kenntnisse und Jahre Entwürfe aufsetzen, wie sie sich in diesen und jenen Umständen gegen Freunde und andre bezeugen wollten, wie sie Feste geben, Hausgeräthe, Kleider und Beschäftigung wählen würden, was sie in Unglück und Krankheiten, als Hülfsmittel und Trost ansehen würden? u.s.w.

Elise war ganz vortreflich, um einen edlen Geschmack des Geists und Herzens zu bilden; doch hütete sie sich sorgfältig, ihnen nur das mindeste von dem Ton ihres Charakters zu geben, weil sie die traurige Erfahrung gemacht hatte, daß man [67] weder sein eigenes, noch der andern ihr Glück befördert, wenn man zu weit von der gewohnten Bahn abgeht. Es wurde immer ein Theil der Mädchen von ihr, der andre von Frau Laben spazieren geführt, wo jede von beyden etwas besonders nützliches sagte, oder eine kleine Belustigung gab: dieß mußten sie dann, wenn sie nach Haus kamen, einander erzählen und beschreiben, um auch gut reden zu lernen, so wie sie ihren Eltern von ihrem Fortgang in Kenntnissen und Arbeiten Nachricht geben mußten. – Man lehrte sie aber auch schweigen, einmal aus dem Grund, wie schön es sey, wenn eine vernünftige Person durch einige Gedanken gezeigt habe, daß sie Kenntnisse besitze, aber gar nicht das Wort allein führe, sondern mit Bescheiden heit es andern überlasse, und dann aus schuldiger Achtung für seine Mitmenschen, daß auch sie glänzen, und ihren Werth zeigen können.

Sie bekamen, wie ihre Hofmeisterinnen, nie mehr als zwey warme Speisen, und dann wechselsweiß Obst- oder Backwerk, welches letzte immer von einer der Schülerinnen verfertigt seyn mußte. – Blumen und Gemüß Gärtnerey, Milch, Butter und Käßzubereitungen machten auch einen Theil des Unterrichts, den sie in Oberg genossen. Kein Augenblick blieb ohne Nutzen, und keiner ohne Vergnügen. [68] Für Gesundheit und Schönheit wurde unter dem ernsten Namen von Pflicht gesorgt, mit welcher man die Geschenke der Natur zu erhalten schuldig sey; aber auch immer Erzählungen gemacht, in denen bald auf diese, bald auf jene Art die Anmuth der Sitten, die Reitze der Güte und Sanftmuth, und die schätzbare Verdienste des Geists und Talente den Vorzug über die äusserliche Schönheit erhalten hatten, und dabey gesezt wurde, alle Vorzüge des Körpers seyen Glück des Zufalls – aber Adel und Schönheit der Seele sey eigene Wahl, eigen erworbenes Gut, welches keine Krankheit, kein Schicksal zerstören und nehmen könne. Denn Elise benützte ihre Lieblings Idee von der Königin Christina, daß ein edles Herz jeden Stand adle, worinn es sich befindet. Es wurde ihnen auch von allen möglichen guten und bösen, klugen und thörichten Men schen gesprochen, die sie in der künftigen Zeit ihres Lebens unter Verwandten und Miteinwohnern, und auch unter Hausbedienten antreffen würden, und immer dabey die edelste würksamste Beweggründe zum Dulden der Unvollkommenheit, zur Verbesserung und zu dem immerwährenden Aufsuchen der guten Seite angegeben.

Die Eltern der vier ersten Kostgängerinnen, die heimkamen, fanden sich in ihren Kindern so [69] glücklich, und alle, welche die junge Frauenzimmer sahen, wurden mit so viel Hochachtung für ihre Lehrerinnen erfüllt, daß beynah alle Wochen Briefe anlangten, worinn Frau Laben gebetten wurde, neue Schülerinnen anzunehmen, so daß sie endlich die Zahl auf zwanzig festsetzen mußte, aber es allein in der Zeit thun konnte, da eine verwittibte Frau Schwester des Herrn von Oberg in das herrschaftliche Gebäude zog, weil sie nicht reich genug war, in einer Stadt nach jetzigem Ton standesmäßig zu leben. Diese verehrungswürdige Dame fand vieles Vergnügen bey dieser Erziehungsanstalt, und willigte gern in die Bitte, nicht nur die älteste Kostgängerinnen in ihrem Haus wohnen zu lassen, sondern auch durch die Erlaubniß, sie zu besuchen, den Anlaß zur Uebung in Lebensart und zu feinem Betragen in der Gesellschaft zu geben.

Elise war glücklicher, als sie nie gehoft hatte. Ihr zu zärtlicher Anhänglichkeit gewöhntes Herz hatte Gegenstände der reinsten Liebe gefunden. Sie genoß und vermehrte ihre Talente, indem sie sie mittheilte. Die herrliche Lage des Hauses in der schönen Gegend, der weite offene Himmel dabey, von aller Bosheit und niedrigen Leidenschaften entfernt, mit der süssen Pflege aufkeimender Tugenden, Fähigkeit und Schönheit beschäftigt, von Julie Laben [70] als ein Schaz betrachtet, von den Mädchen angebettet, und von den Eltern gesegnet – was wollte sie mehr? Jahre flossen als Wochen vorüber, und jedes endigte mit dem unschätzbaren Zeugniß des innern Richters unserer Seele – Gutes gethan zu haben.

Wießbachs Geschenke an Büchern, und Zeichnungen, die er gemacht, wie auch sein Bild zierten ihre Stube, und waren ihr der geliebte Schatten des vorübergegangenen Glücks ihrer Frühlingstage. Sie dachte manchmal daran; aber die wohlthätige Zeit hatte dem Bild des Gefälligen seine Reize, und dem Weh seine Schärfe genommen; Ruhig erinnerte sie sich ihres Freunds, und ruhig machte sie Wünsche für sein Wohlergehen.

Elise hatte in ihrer Vaterstadt den Ruhm der besten und anmuthsvollsten Tänzerin gehabt: Tanzen war auch ihre herrschende Leidenschaft, ehe Liebe es wurde, und sie gab in Oberg den jungen Frauenzimmern Unterricht in dieser Kunst, und tanzte bey den Uebungstagen herzlich mit, wo sie und ihre Klavier- Schülerinnen wechselsweiß spielten, oder auch Frau Labens Bruder mit der Flöte, und der Küster mit der Violine, da waren. Es traf sich, daß gerad auf den Tanztag zwey neue Kostgängerinnen anlangten; Frau Laben war froh, daß sie [71] ihnen durch den Anblick des Tanzens sogleich eine angenehme Vorstellung von Oberg machen konnte, und führte sie also unter die Thüre des Vorsaals, wo sie zusahen: die Mutter und der Oheim, welche die zwey Mädchen begleiteten, giengen auch mit, und wurden durch die Ordnung, die Freudigkeit und das liebliche Gewühle der niedlichen Tänzerinnen ergözt und gerührt – der Oheim aber am meisten, als er auf einmal in der Führerin des Reihens Elisen erkannte, und sich nur mit der äußersten Mühe von dem lauten Ausruf des Staunens zurückhielt.

Elise schauerte auch ein wenig, als sie bey dem ersten Blick auf die Fremde Wießbach sah: – doch hatten ihr acht Jahre ausübender Tugend und Klugheit, Stärke des Gemüths gegen alle Zufälle und Hochachtung für sich selbst gegeben, so daß sie sich gleich faßte, den Tanz endigte, und sich mit ihren Untergebenen den Fremden näherte, welche ihr dann von Frau Laben genannt wurden. Das Tanzen hatte Elisens Gesichtsfarbe erhöht, Wießbachs Anblick aber Erinnerungen erwekt, die ihre Munterkeit in sanften Ernst versenkten – es war, wie Wießbach sich ausdrückte, ein Zirkel von Würde und Güte um sie her, der sie zu dem Schein eines höhern Wesens erhob. – Sie grüßte die Mutter und Töchter mit dem edelsten Anstand,[72] drehte sich gegen Wießbach, und sagte ihm mit der so bekannten Stimme, die ihm nun Nachhall der Liebe zu seyn schien: »Ich hoffe, daß Sie Ihre Nichten mit Vergnügen in diesem Hause sehen werden.« – Er konnte nicht sprechen, sondern nur staunen, und sich verbeugen. Elise hatte auch ihr äusserstes gethan, mußte sich erholen, und wollte ihn schonen. Sie wandte sich also an die Mädchen, und fragte, ob sie es zufrieden seyn würden, manchmal mit zu tanzen und dann bey den Blumen auszuruhen? Sie winkte dabey gegen die andre, die sich nun anboten, den neu angekommenen den Saal und die Blumen zu zeigen. Ein paar von den ältern brachten ihnen nach dem eingeführten Gebrauch zwey Töpfe mit Blumen zum Willkommsgeschenke.

Unterdessen hatte Frau Laben die Mutter und den Oheim in das Haus geführt, um ihnen die Zimmer ihrer Kinder zu zeigen; Wießbach gieng ganz Maschinenmäßig mit, hörte nichts, was gesagt wurde, und kam nur zu sich, als Frau Laben bey Eröfnung einer Thüre sagte: – »Hier ist das Zimmer meiner Freundin Elise.« – Er schaute umher, fand seinen Schattenriß, unter demselben die zwey Weltkugeln, das Fernrohr und Mikroskop, den kleinen Spiegel mit schwarzem Grund zum Landschaftzeichnen, die Theetasse mit seinem und Elisens [73] Namenszug, nebst den Büchern, welche er ihr gegeben, und dachte wohl auch einige Stellen zu sehen, auf welchen noch einsame Thränen um ihn geflossen seyn mochten. Seine Schwester fragte nach dem Frauenzimmer, und Frau Laben sagte so viel rühmliches von ihrer Gehülfin, daß Wießbach in Bewundrung und Reue kam. Denn diese schätzbare Elise war einst sein, er alles für sie – sein unzärtlicher Starrsinn hatte sie von ihm fliehen machen, und er hörte nun auch, daß nicht vier Tage Unterschied zwischen ihrem Verschwinden bey ihm, und ihrem Eintritt in diese edle Laufbahn waren. Das Bild von Elisens Verdiensten, das von ihrer zärtlichen Liebe für ihn, die so schön verlebte Stunden ihres Umgangs, umschwebten ihn. – Ihm ward bang in diesem Zimmer – Er gieng nach dem Vorsaal –

Elise stand allein an einem Baum, und sah nachdenkend in die Ebene hinunter, während die Kostgängerinnen mit den neuen Ankömmlingen herumspazierten. – Wießbach näherte sich Elisen, und sagte:


»Theure! Edle Elise! nach so vielen Jahren finde ich Sie, nur durch den Zufall, nicht durch Ihre Freundschaft!«


[74] Sie lächelte ihm zu: Gewiß würden Sie mich durch meine Freundschaft nie wieder gefunden haben, denn diese hat mich ja sorgfältig vor Ihnen verborgen. –


»Freundschaft – Elise! O wie konnte dieses seyn, da Sie doch wissen mußten, wie sehr Ihre unbegreifliche Flucht mich schmerzen würde? –

Elise erwiederte mit gelassenem Ton:


Wir wollen von den Zeiten unserer guten und schlimmen Träume nicht mehr sprechen; sie sind von uns beyden gleich weit entfernt. Ich hatte meine Erwartungen von dem Glück Ihrer Liebe, und Sie Ihre Anfoderungen auf meine Klugheit und Nachgiebigkeit überspannt – ich wurde traurig, und Sie unmuthig – dadurch kamen wir beyde aus dem schönen Zauberkreis der ewigen unwandelbaren Liebe und Seeligkeit heraus, und es ist mir gesagt worden, daß er alsdann auf immer verschwindt, und von den nemlichen Personen nie wieder gefunden wird – hingegen sollen sie sich, wenn ihre Seelen edel waren, auf den ruhigen Gefilden der Freundschaft wieder sehen, wie ich hoffe – sezte sie mit Darreichung ihrer Hand hinzu – daß es würklich mit uns geschehen ist. –

[75] Wießbach fand in dem, was sie sagte, noch den blumigten, bilderreichen Schwung der Gedanken, den sie immer hatte, der gewiß mit ihr gebohren war, und den er ihr oft als Fehler vorgeworfen hatte, aber es war so viel Ruhe der Seele damit verbunden, als er in sich nicht fühlte; er antwortete auch mit einer Art bittern Schmerz:


»O Elise! was für einen Ton gegen Ihren Wießbach, verzeihen Sie, wenn ich sage – Sie können mich nicht geliebt haben, wie Sie und ich es glaubten: Sie könnten sonst unmöglich so kalt und spielend von dieser Zeit sprechen.« –


Ich will – sagte sie – mit meinem theuren, wieder gefundenen Freund nicht rechten. Es giebt aber Bücher, in denen weise Männer den Ausspruch thun, daß eine gewisse Gattung Kälte und Ruhe der Beweiß eines grossen erlittenen Kampfes sind. – Sie hatten allein all meine zärtliche Liebe, weil ich Sie unter allen Männern, die ich kannte, allein liebenswürdig fand, und mich freute, Sie durch meine Liebe, wie Sie mir sagten, glücklich zu machen. Meine Gestalt, und wenn ich so gerad es sagen darf, der Geschmack Ihres Herzens änderten sich zu gleicher Zeit, und da mußte ich ja auch meine Liebe, die nicht änderte, [76] auf eine andre Art zeigen. Ich gab Ihnen Ihre Freyheit wieder, und versagte auf das Glück Ihrer Liebe, aber ich habe keinen Verzicht auf Ihre Hochachtung gemacht, und ich kann sagen – sezte sie mit Würde und Bescheidenheit hinzu – daß ich sie durch jede Handlung und jeden Gedanken diese acht Jahre unserer Trennung hindurch verdient habe. – Gönnen Sie mir die Achtung Ihres Herzens, und reden Sie mir von dem Wohl Ihres Lebens, welches mir noch immer so theuer, als mein eigenes ist.

Er wollte nun aber zuerst die Geschichte ihrer Flucht und ihres Lebens wissen; Sie erzählte ihm alles, und sprach auch von dem Vergnügen, welches ihr die Erziehung der lieben Geschöpfe schenkte; Er fand ihren Geist bereichert, aber ihr Herz für ihn verschlossen. – Doch entstund ein Briefwechsel unter ihnen, in welchem sie sich als Freunde ihre Mißverständnisse erklärten, und so in eine Art von Seelen-Bündniß kamen, welches sie noch schöner fanden, als ihre Liebe war.

Elise söhnte ihn oft mit seinem Schicksal, und den Menschen aus. – Sie brachte ihn zu leutseeligem Ertragen der Fehler seiner Gattin, [77] und machte seine natürliche Sanftmuth, und Edelmüthigkeit wieder aufleben. Sie half der vortreflichen Frau Laben viele Frauenzimmer erziehen, denen Elisens Andenken, und die Tage, welche sie in Oberg zugebracht hatten, bis in ihre lezte Stunde schätzbar blieben.

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TextGrid Repository (2012). La Roche, Sophie von. Erzählungen. Moralische Erzählungen. Erste Sammlung. Liebe, Misverständniß und Freundschaft. Liebe, Misverständniß und Freundschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DAC6-9