Sophie von La Roche
Erscheinungen am See Oneida

Erstes Bändchen

Ihrer

Königlichen Hoheit

der

Prinzessin von Wallis

gebornen

Prinzessin von Braunschweig.


[3] Edle Wißbegierde und Menschenliebe leiteten Euer Königliche Hoheit, schon in der ersten Blüthe Ihres Lebens zu gründlicher Kenntniß der Erde und ihrer Bewohner; die Wunder und Wohlthaten der Schöpfung waren Ihrem forschenden Geiste ehrwürdig; Glück und Verdienste Ihrer Neben-Menschen eine Angelegenheit Ihres gütevollen Herzens. Diese Ueberzeugung [3] sagte mir, daß Euer Königliche Hoheit die Denkblätter von dem See Oneida und seiner Insel gnädigst aufnehmen werden von


Höchst Ihrer

unterthänigsten altergebensten Dienerin

Wittwe von la Roche.

[4]

[1] »Oft wendet eine edle, gefühlvolle Seele ihr Auge von den Begebenheiten, welche das Schicksal als eine Folge der französischen Staatsveränderung zusammenreihte – oft aber kehren auch ihre Blicke gegen den Schauplatz trauriger Auftritte zurück, in der schönen Hoffnung, etwas Gutes herbey geführt zu sehen.« –

Wissen Sie noch, meine Freundinn, wer dieses sagte, als eine werthe Hand die Morgens-Zeitungs-Blätter zum Lesen faßte, und man erinnerte, Abends vorher versichert zu haben, keine mehr zu berühren? O, gönnen Sie, – nach dem Verwerfen meiner [1] ersten Briefe, – diesen Papieren auch einen der Blicke, welche auf Gutes zählen! – denn gewiß – Sie finden es an dem See Oneida. –

Helfen Sie meinen Freund mit mir versöhnen – und vergeben Sie beyde dem Verfasser des Genius unsers Zeitalters, daß er, wie Sie sagen, mich so phantastisch stimmte. Ich glaube selbst, daß ich manche weitschweiffende Ideen habe, unter welchen meine Reise nach Amerika gerechnet werden kann; aber warum sollen nur Kaufleute, Eroberer, Physiker und Maler ferne Welttheile besuchen? warum nicht auch, nach Lorenz Sterne, ein gefühlvoller Reisender? Warum wollte man mir nur die Wanderungen auf die Berge in Europa vergeben, und nicht auch die nach dem See Oneida? Warum liebt mein Freund alles, was die alte und neue Dichtkunst hervor brachte, und sollte er mit den wahren Bildern edler Empfindung zürnen, indem der Gang meines Geistes, wie der von seinen [2] Lieblings-Poeten, das freye Ungebundene liebt, und wie Dichter immer auf Neues sinnen, auch mit Begierde Neues sucht? Ich unterwerfe mich gerne dem Ausspruch, daß die Erstern durch einen Genius, ich nur durch Phantasie geführt wurde; es bleibt doch Aehnlichkeit zwischen den vorgezogenen Günstlingen und mir. Dichter schaffen mit ihrem Geiste das Mögliche, Große und Schöne, welches sie in der wirklichen Welt zu sehen wünschen; – und mein Herz sucht es auf, wo ich es zu finden hoffen kann. Neues lieben wir alle in Allem. – Meine in Europa gemachten Reisen, zeigten meinen gesättigten Begierden und meiner immer regen Einbildungskraft keine Aussicht mehr auf ganz unbekanntes, weder in Menschen noch Dingen; denn ich wollte noch nicht nach Rußland. – Ostindien, wohin ein Freund mich mitnehmen wollte, hat nichts reitzendes für mich; denn, freymüthig gesagt, ist es mir zu weit von meinem Vaterlande, und meinen [3] Lieben; zu viel von Leidenschaften beherrscht, zu vergoldet, zu heiß, zu weichlich und zu grausam. Nordamerika war mir nahe; eine Art Sympathie zog mich an, die Wesen dieses Welttheils kennen zu lernen; müde des Denkens und Nachsuchens, über das was seyn könnte, da ist und da war; – überzeugt in Amerika Anfang und Fortgang des Anbaues der Vernunft und der Erde zu sehen, ging ich, ohne von Ihnen und meinem Freunde Abschied zu nehmen; denn ich besorgte, mein Widerstreben gegen Ihre Vorstellungen würde Sie unzufrieden machen; ich wollte Sie nicht vergebens reden lassen, und meinen Plan ausführen. Möge meine Aufrichtigkeit dem Geiste und dem Herzen meiner Freunde genügen, und ihre Güte das übrige meiner Rechtfertigung besorgen!

Sie, meine Freundin! dachten einst nur im Scherz meine Reisebeschreibung zu fordern, aber ich weihe sie Ihnen und Ihren Wünschen für mich. Heben Sie sie gütig in einer Ecke [4] Ihres Cabinets auf, diese Blätter, denn sie können von hier aus nichts anders seyn, als Merkstäbe von dem Wege meiner Beobachtungen und Gefühle; einst werde ich sie mit Ihnen durchgehen, Ihre Fragen darüber hören, Erläuterung über das Dunkle geben, und dem Freunde und der Freundin mündlich sagen, was sich mit Dinte nicht sagen läßt. Da ich also meine Gedanken bey Ihnen, wie auf den Altar der Muemosine niederlegen will, so muß ich genau bey meiner Abreise anfangen, und erzähle dann: – Sontags den 28. Juny schiffte ich in dem Fahrzeuge Hußmann, mit einer schätzbaren Familie aus dem Hessischen, von Braak unweit Bremen ab, und kam den 29. in die Nordsee, wo alles anfing krank zu werden. Fünf Tage segelten wir bey sehr günstigem Winde, mit welchem wir in den Canal zwischen Frankreich und England kamen, wo wir beyde Küsten, doch die von Frankreich nur in den emporragenden Bergen erkannten, welche den folgenden Tag verschwanden; [5] England aber kamen wir so nahe, daß ein Flintenschuß hingereicht hätte. Dieser Anblick erneuerte in meiner Seele den Wunsch, dieses mir so werthe Land noch einmal zu besuchen, ja es dünkte mich schön, Ihnen beyden ein Rendezvous in London zu geben, und mich freute sehr, daß wir in vier Tagen durch den Canal waren, weil ich dadurch unserer Zusammenkunft um so viel näher schien, da wir in 9 Tagen 200 teutsche Meilen zurück gelegt hatten. –

Bey dem Eintritte in das spanische Meer, begegneten uns drey englische Kriegs-Schiffe, nebst funfzehn amerikanische Kauffarthey-Schiffe, welche sie, ich weiß nicht aus welcher Ursache, genommen, und nach Brittanien führten; auch fühlten wir ihre Herrschaft auf dem Meere, denn unser Schiff mußte halten, und ein englischer Officier, der zu uns an Bord kam, untersuchte Alles. Da er überzeugt war, daß unser Schiff nach Amerika bestimmt sey, durften wir weiter [6] segeln. Dieser Gegenstand meiner Beobachtungen war neu, und staunend der Anblick schwimmender Vestungen und Gebäude großer Schiffe, welche auf dem unermeßlichen Raume des Weltmeers, so gehorsam einen bezeichneten Weg befolgen müssen. Ich ließ mir von dem Steuermann die Gegend von Albion zeigen; meine Einbildungskraft stellte mir diese Kriegsschiffe in Linien, ich dachte mir ein Seegefecht – den Muth und die Größe des menschlichen Geistes, der die hohe Kunst der Schiffarth und des Schiffbaues, zu dieser Vollkommenheit führte. Denn was ist alles andre, so durch Arbeit, Kunst und Gewalt auf dem festen Lande geschieht, gegen die Unternehmungen zu Wasser? Ich betrachtete mit neuer Aufmerksamkeit unser Schiff, und machte Vergleiche mit einem Kriegsschiffe von 100 Canonen, und dem was an Menschen, Mund-Vorrath, Kugeln und hundertfachen andern Bedürfnissen da seyn muß. Was für eine Last zwischen hölzernen Wänden! Was werden die [7] Zimmerleute, Nagelschmiede, Schlosser, Segeltuchweber und Anker-Schmiede für wichtige Menschen, wenn ihre guten Arbeiten als Schutzgeister des Lebens und des Glücks so vieler tausend Sterblichen erscheinen! Ich suchte mit einer Art Liebe und Ehrfurcht, die Freundschaft unsers Schiffcapitains zu gewinnen, um etwas von seinen, zur Schiffarth nöthigen Büchern zu lesen, weil ich nun den ausübenden Theil dieser Wissenschaft vor Augen hatte. Der gute Capitain war sehr geneigt dazu, aber da er seit 30 Jahren Seereisen macht, hatte er wenig mehr zu lernen, also auch wenige Bücher bey sich. Mein freywilliges Studiren dauerte auch nicht lange, indem ein 48 Stunden daurender Sturm uns Reisenden eine allgemeine Lection gab, welche aber sehr glücklich vorüber ging, hingegen einer sehr widrigen Witterung Platz machte; denn bald hatten wir Windstille, bald eine Art Sturm. Dieses dauerte bis den 15. August, da wir nur noch einen halben Segel [8] gebrauchen durften. Die Wellen wurden zu Gebirgen, auf deren Spitze das Schiff bald hier, bald dorthin geschleudert ward. Ich konnte nicht lange bey diesem Gleichnisse verweilen, denn ich fühlte die Verschiedenheit zu stark, zwischen dem seligen Staunen über Größe, Festigkeit und feierlicher Stille der Alpen um die Senn-Hütten, gegen den schreckvollen Anblick der um unser Schiff brausenden und tobenden Berge. O! wie lieb, wie unschätzbar wird die ihre Kinder so geduldig tragende Mutter Erde in einem solchen Moment; denn niemand konnte sich aufrecht erhalten, Kisten und Kasten, welche nicht fest waren, wurden wie Bälle herum geworfen. In fünf Minuten war der Wind von Südost in Nordost, und ehe man sichs versah, schlug eine Welle alle Fenster unserer Cajüte in Stücken, und das Wasser strömte in den Raum. Alles glaubte nun, das Schiff sey geborsten, und wir würden sinken. O, meine Freundin, was für eine Erfahrung, ein solches [9] Tod-und Jammer-Geschrey zu hören! Ich war stille, sagte mir aber doch sehr ernst: was hattest du hier zu thun? dann aber ruhig: sterben müssen wir, es sey auf diese oder jene Weise. Indessen hatten die Schiffsleute die Wahrheit entdeckt, und beruhigten Alle. Groß und innig war die Freude, noch zu leben, und herzlich schmeckte der Punsch, in welchem wir uns neue Gesundheit zutranken. Nun konnte ich auch bey der beruhigten See, ihre so verschiedenen ungeheuren Fische sehen, deren einige über 50 Schuh lang waren, Meerschlangen von 25 Schuh, und den prächtigsten Farben. Ich betrachtete alle, nicht nur als Gegenstände der Neugierde und Bewunderung der Mannigfaltigkeit aller Arten Geschöpfe, sondern auch mit dem Schauder erregenden Gedanken; vor wie kurzer Zeit ich in Gefahr stand, die Nahrung eines von ihnen zu werden, und in diesen Moment schien mir das glänzende Farbenspiel ihrer Schuppen düster und unangenehm; desto ergötzender war [10] mir aber bey dunkler Nacht der Anblick der Wellen, welche alle entzündet schienen, da man staunend durch ein Feuer-Meer zu segeln glaubte, indem zugleich die ganze Luft beleuchtet war. Den 25. August ertönte von dem Mastbaume der frohe Ruf: Land! Land! Ich sah nun in meinen Reisegefährten das Entzücken der Freude, wie ich vor wenigen Tagen den allgemeinen Jammer der Angst gesehen hatte. Wir liefen darauf den 28. August glücklich in den Hafen zu Baltimore ein; viele Teutsche kamen uns zu bewillkommen, Erfrischungen und Dienste aller Art anzubieten, aber auch tausend Fragen zu ma chen. Baltimore, ein hübsches Städtchen von 2000 Häusern, zählt 14000 Einwohner, liegt an dem prächtigen Flusse Surquehanna und vergrößert sich täglich, indem ein Theil der Handlung von Philadelphia sich hieher zog, weil dieser Fluß immer beschifft wird, und sich ein beträchtlicher Seehafen formirt. Da ich sicher bin, daß meine Freundin auch den ökonomischen[11] Theil meiner Ueberfahrt zu kennen wünscht, so will ich dieses nachholen. Ich mußte, da ich in der Cajüte, als dem besten Theile des Schiffes zu wohnen verlangte, 100 Thaler bezahlen; mein Bette, Wein, Zitronen-Saft in Bouteillen, gesalzne Butter, dürre Zungen und Würste, feinen Zwieback, Zucker, Caffee und Mandeln mitnehmen, welches mir auch wieder so viel kostete. Das gewöhnliche Essen besteht in gesalzen Rindfleisch, Stockfisch, Bohnen und Grütze.

Ich eilte meine Reise fortzusetzen, und verließ Baltimore zwey Tage nach meiner Ankunft, um sogleich Neu-Jersey aufzusuchen, welches mir als der Garten von Nordamerika bekannt war: ein Ausdruck der auf mich wirkte, wie die Benennung der Bergstraße, als Garten von Teutschland, in unserm Europa mich eher anlockte, als das schöne Mannheim; – so durchreiste ich Jersey ehe ich Philadelphia besuchte, und wahrlich ich staunte bey jedem Schritte meines Pferdes in den[12] prächtigen Kornfluren, und zwischen den vielfachen Kräutern, die so üppig da wachsen, und die Erde mit dem lieblichsten Grün schmücken. Mein mir seit meiner englischen Reise so werthes Ferren-Kraut, stand in höchster Schönheit; das zweyblättrige Kolben-Kraut, Indian Graß, typha latisolia, wovon man die Saamen-Woll benützt, und aus den Stengeln geflochtene Sachen macht, traf ich in der höchsten Vollkommenheit an. Diese Freude über die Pflanzen-Welt wurde für mich dadurch erhöht, weil ihre, mehr als anderwärts, herrlich grüne Farbe, den Eisentheilchen des Bodens zugeschrieben wird. Sie wissen, daß ich Eisen mehr als andre Metall-Arten schätze, ich freute mich also, daß mein, allen Menschen so nützlicher, Liebling, in seinen kleinsten Theilen die Gabe der Verschönerung zeigte: die Menge prächtiger weißer Cypressen, welche zu tausenden, 120 Schuh hoch wachsen, und ihren Sümpfen den Namen; Cypressen-Sümpfe gaben, würden Jersey [13] allein reich machen können, weil dieses Holz so dauerhaft zum Schiffbau, Zimmerholz, Bretter, Stäbe und Dachschindeln ist. Magnolia, Wallnüsse, rothe Cedern, Eichen, Sommer-Lorbeer, rother Maßholder zu Tischlerarbeit, Buchen, Eschen, wilde Castanien, der blumigte Fischerbaum, Accacia, Ulmen, Pech-Kiefer, Persimon, der eine Art Mispel trägt, aus welcher man eine Gattung leichtes Bier braut. – – – O, meine Freundin! wie glücklich machte mich die Pflanzen-Welt, wovon ich die Beschreibung der Bäume meinem Freunde, die schönen fruchttragenden Sträuche aber Ihnen weihe. Sie haben nie solche Heidel- Johannis- Moos- Erd- und Brombeeren gesehen, so wie mir die an den Bäumen sich aufschlängelnden Fuchs-Trauben, ganz unbekannt waren, welche sehr klein, in ihrer Blüthe einen herrlichen Geruch verbreiten, eßbar sind, Wein geben, und deren gedörrte Beeren zu Backwerk dienen. Dieses Gewächs werde ich [14] suchen in Ihren und meinen Garten zu pflanzen, so wie das hanfartige Apoeynum, aus welchem schon die Indier Stricke, Säcke und Decken machten. Ich hatte jetzo die mächtigen Schifftragenden Flüsse: Hudson und Belavare gesehen, welche Jersey der Länge nach von Pensilvanien abschneiden. Nun ging ich nach dem Wasserfall des Passaik, welcher in einem, auf der Höhe liegenden Moor entstand; aber nach einem langsamen ruhigen Lauf zwischen zwey Reihen mit Kiefern bewachsenen Bergen stellte sich ihm auf einmal ein großer Fels entgegen und hemmte seinen Gang. Der Druck des Wassers sprengte den Fels bis in die Tiefe, nun stürzt der Fluß durch eine 30 Fuß breite Spalte 70 Schuh hoch in einen grundlosen Schlund, in welchem er sich von dem Falle zu erholen scheint; dann ohne das mindeste Brausen zwischen den Steinmassen hervorkommt, und sich als stillfließender Strom verbreitet, welcher auf der Abendseite durch ein hohes Ufer eingeschlossen [15] wird, von dessen Höhe man die schönste Aussicht nach den fruchtbaren östlichen Flächen hat. Jersey ist meist von Holländern und Engländern angebaut, welche den Geist der Ordnung und Nettigkeit ihres Vaterlandes in allem zeigen.

Denken Sie, was für einen ergötzenden Anblick dieser Fleck der fruchtbarsten Erde dem Auge gewährt. Mais, 8 Schuh hoch, viel von meinem lieben wilden Spargel dazwischen; Buchweizen, der zu Kuchen, sonst aber wie Hafer zur Fütterung gebraucht wird; tausend Weizen-Felder, welche Korn und Mehl zur Ausfuhr liefern; Roggen, der unter Mais-Mehl gemischt, ein gutes Brod giebt, welches von allen Einwohnern gebraucht wird; Erbsen, aber sehr wenig, weil ein in Amerika eignes Insect, Brunus genannt, sie zerstört, hingegen wird sehr viel Gerste gebaut: Obst- und Küchen-Gärten im höchsten Flor: Wasser-Melonen giebt es so viel, daß im Sommer die Feldarbeiter sie, wie es in Italien [16] üblich ist, zum Labsal erhalten; großer weisser Winterkohl, Artischocken, alle Arten Rüben, Bohnen, Zwiebeln, Knoblauch, Salatkräuter, Raute, Salbey, Senf, besonders eine Menge der schönsten Aepfel, von welchen der vortrefflichste Cider gemacht wird: jeder Bauerhof hat auch seine eigne Presse; Pfirsiche werden häufig zu Branntwein und zu Schweinsmast gezogen, Kirschen, Birnen und Wallnüsse in Menge; da man weiß, daß die europäischen Obstbäume früher blühen, als die amerikanischen, so hat man viele gepflanzt. Sie können leicht denken, daß mir diese Aussicht und dieser Wasserfall eine außerordentliche Freude machten, aber die Nachricht, daß die waldigten Theile dieses Gartens von Panther, Tieger, Wölfen, Luchse, Bären, rothen und grauen Füchsen bewohnt waren, und noch sind, machte mich etwas ernst und mißmuthig. Meine Freundin weiß, daß ich von allen vierfüßigen Thieren nur Pferde, Rindvieh, Schaafe, Hirsche, [17] Rehe, Haasen und zahme Schweine liebe, also waren mir alle oben benannte, im Walde und dem Garten zu viel; die Pelz-Thiere, als: Waschbären, Marder, Fischotter, Bieber, Caninchen, will ich wegen ihren wärmenden Fellen, und wegen dem Nutzen der Handlung gerne dulden; wildes Geflügel söhnte mich etwas mit den rauhen Waldbewohnern aus. Fasanen, Kalkutten, Purpur-Drossel, Schnepfen, Lerchen, Wachteln, Perl- Reb-und Birkhühner, Wander-Tauben, welche sich auch von Eicheln nähren, und des Jahrs viermal kommen, leicht zu fangen sind und delicates Fleisch haben, und die Wander-Drossel, sind alle in wohlthätiger Menge da. Aber wie diese Erde in allem ein Gegengewicht hat, so giebt es auch alle Arten Raubvögel: Falken, Adler, Eulen, Krähen, ja einen, der den schrecklichen Namen: Menschenfresser, hat. Hingegen wieder alle wahrhaft liebenswürdige Wasservögel: Schwanen, wilde Enten und Gänse in [18] reichem Ueberflusse. Die Zucht zahmer Gänse aber, wird in den niedern Gegenden, durch ein mir verhaßtes Geschöpf, die Schildkröten gestört. – See- und Fluß-Fische haben alle Provinzen in Uebermaß; diesen Auszug habe ich wegen Ihnen und mir selbst niedergeschrieben. Ebelings Staats-Calender von Nordamerika belehrt Sie noch besser in Allem, und ich gehe nun nach dem berühmten Philadelphia – wirklich eine der schönsten Städte alter und neuer Welt. Ihre breiten geraden Straßen, mit den abgesonderten Wegen für Fußgänger, welche alle Nächte beleuchtet sind; Wasser-Rinnen, Brunnen, zierliche Häuser und die, wie in London, reitzenden Kaufläden, und Reinlichkeit; – aber wie sollte sich Penn wundern, die völlig europäische Pracht, in Equipagen, Hausrath, Kleidung, Gastgeboten und allen Belustigungen zu sehen! – Es ist ohnmöglich, Ihnen einen Begriff davon zu geben. Die Gegend, der große Fluß Delavare, der Shulkyl, alles [19] erregt Staunen, und giebt dem Begriff von Schönheit mit Größe vereint. Nur muß ich bekennen, daß mich diese Pracht schmerzte; daß die Idee von Penn mich verfolgte, und daß, nachdem ich viele Wanderungen gemacht hatte, der lebhafte Wunsch in mir entstand: Europäer in einer neuen Anpflanzung zu sehen; um nach dem so vollkommnen Philadelphia und den schönen Garten von Jersey, ganz wilde Natur und erste arme Holzhütten zu betrachten. Ich sprach in ein Paar Familien davon, und wurde angewiesen, nach dem in Neuyorks Gebieth liegenden See Oneida zu reisen, wo ein teutscher Kaufmann, Scriba, eine große Strecke Landes gekauft, und einen seiner Freunde aus Holland überredet habe, sich bey ihm ein Landguth anzubauen, und die Colonisten anleiten zu helfen, welche er hinführe, um nach dem Bedingnis des Congresses, in zehn Jahren eine Stadt errichtet zu sehen. Diese Leute wären noch nicht lange hingezogen, [20] bey diesen könnte ich meine Neugierde vollkommen befriedigen. Die Jahrszeit war schön, ich bekam von einem schätzbaren Mann Emphelungsschreiben, nahm einen braven jungen Zimmermann, der auch neues Land suchte, mein Bett und andre Bedürfnisse mit mir, und machte mich in einem gemächlichen Fuhrwerke mit einem braven Philadelphier, welchem dieser Weg bekannt war, mit großen Freuden reisefertig. In Wahrheit, das Auge des Philosophen genießt viel, bald an prächtigen Flüssen, bald durch unermeßliche Wälder, längst hohen Bergen und engen Thälern hin. Anfangs noch einige artige Dörfer, dann abgesonderte Wohnungen, in welchen die Menschen weise genug sind, ihr Glück in Gemüthsruhe und in der Natur zu suchen. Wir waren bey einem dieser einsamen Pächter über Nacht, der ehemals in einem Städtchen wohnte und mir sagte:

»Wie wohl ist meiner guten Frau und mir, bey unserer täglichen Arbeit, welche uns [21] Statt Besuche, und Abends die versammelte Familie Statt großer Gesellschaft dient; das Gewühl der Städte hat keinen Werth für uns, – wie oft sagen wir: Bäume verläumden nicht, und verführen unsere Töchter nicht.« – – – –

Wie soll ich aber meinen Freunden das Staunen schildern, in welches meine Einbildungskraft, meine Vernunft und meine Gefühle versetzt wurden, als ich in dem, wenig Tage vor meiner Ankunft, durch Ahndung errichteten Loghouse oder Holzhütte ankam, welche Herr Scriba mir und meinen Gefährten einräumte, nachdem er mich seinem Freunde Vandek und seiner eigenen Familie vorstellte. Die lange, 400 englische Meilen daurende Reise; alle Naturscenen von Gebirgen, Flüssen, Seen, unabsehbaren Flächen, seit Jahrhunderten nur vor Gottes Augen geblühter und verwelkter Millionen Pflanzen und grünen Wildnissen, an welchen ich vorüber gekommen; der Anblick[22] des 18 Stunden langen See's Oneida, in welchem die Stralen der niedergehenden Sonne eine lange Feuersäule bildeten, welche sich längst einer Insel, an den Ufern des festen Landes ausdehnten, und die hölzernen Häuser der Europäischen Ansiedler beleuchteten; die, in dieser weiten Einsamkeit, feyerliche Stille, zu welcher ich, von dem geräuschvollen Philadelphia an, durch bewohnte und unbewohnte Gegenden gelangt war, hier wo man nicht einmal die Räder meines Wagens tönen hörte. – Alles dieses hatte schon auf mich gewirkt; ja es erschien mir die Idee meiner Freunde in Europa, in einigen dunkeln Vertiefungen der Wälder, mit dem Gefühl: ach wie weit bin ich von ihnen, dem Aufenthalt einer Menge von wilden Thieren, und vielleicht auch wilder Menschen gegen über! An dem See aber frenete ich mich innig, zu Teutschen zu kommen: lebhafte Neugierde führte sämtliche Hüttenbewohner, welche von der Feldarbeit zurückgekehrt vor [23] ihren Thüren saßen, mit Nachbarn und ihren Kindern schwatzten, zu mir. Alle eilten meiner kleinen Kutsche nach, alle rusten: willkommen! obschon uns keiner kannte; alle drängten sich die späten Ankömmlinge zu sehen, und nach der freundlich erhaltenen Sitte der Gastfreyheit, beeiferten sie sich nach den Pilgern zu fragen und ihnen Herberge und Dienste anzubieten. Doch dieses war mir nicht so neu, weil ich es auf allen Reisen durch die vereinigten Provinzen erfahren hatte. Meine Briefe verschafften mir die allergünstigste Aufnahme, und ich speiste in Gesellschaft der zwey Familien sehr vergnügt zu Nacht; dennoch schlief ich spät ein, und war unruhig. Die unglückliche Eigenschaft, Ideale zu denken, hatte mir schon einige Unzufriedenheit gegeben, und ich besorgte, bey Tages Anbruch würden auch die übrigen Bilder, welche ich mit so neuen lieblichen Farben ausgemahlt hatte, in den See niedersinken. – Ich stand früh auf, öffnete meinen Koffer, kleidete [24] mich an, und betrachtete den Bau meiner Stube, welche natürlich, wie die Wohnungen aller Colonisten, aus lauter auf einander gelegten, grob behauenen Baumstämmen bestand, deren Zwischenräume mit Moos ausgestopft wurden. Alles Geräth ist äußerst einfach, wirklich ganz nach der Kindheit der Künste des Zimmermanns und Schreiners. Denken Sie sich die Freude meines Kopfs, über die so oft getadelte Anhänglichkeit an Rousseau, um dessentwillen ich Schreinerey gelernt hatte; und da ich auf so viele hundert Meilen das satyrische Lächeln meines Freundes nicht sehe, so habe ich Muth genug Ihnen zu bekennen, daß alle meine Werkzeuge, ja das Model, meines mir noch immer so lieben Säpflugs, und die kleine Drehmachine, mit mir an die User des See's Oneida kamen, und daß ich durch sie mein Andenken in der neuen Stadt gründen und verewigen will. Ich spreche noch nicht davon, aber da ich heute Nachmittag die Fruchtfelder betrachtete, und sie[25] wegen der darauf stehenden Baumstumpen, einen unabsehlich großen Gottesacker voll Leichensteine ähnlich fand, so habe ich mir den Augenblick vorgesetzt, meinen Freunden ihre Aecker reinigen zu helfen, und dann mit meinem Säpflug zu beweisen, daß sieZeit, Korn und Arbeiter sparen, daneben auch bessere Erndte, und schöneres Stroh erhalten sollen. – – Meine Freundin wird nun sagen, daß unsre Lieblingsgrillen einen sehr langen Flug aushalten, indem sie unermüdet aus einer Ecke meines schwäbischen Vaterlandes, bis nach Nordamerika hinüber schwebten. Aber ich will von Ihrem kleinen Spott und meinen Phantasien hinweg, zu den wirklichen Wohnungen von 10 Familien eilen, welche diese neue Pflanzstadt bevölkern wollen. Ich ging mit herzlichem Segen umher, besuchte Alle, und wünschte ihnen die Fruchtbarkeit der Ehen, welche ich schon in andern Gegenden von Nordamerika sah, indem ich selten unter fünf Kinder, mehrmal aber 7, 8, ja [26] 11 und 12 von einer Mutter getroffen hatte. Doch dünkten mich die jungen Leute der Holländer und Teutschen nicht so stark und schön, als die Stämme der Eingebohrnen, von welchen ich einige bey einem Handel von Biber-und Bärenfellen sah, und mich bey ihrer Schönheit und Stärke an den Auftritt des großen englischen, in Amerika gebohrnen Mahlers: West, erinnerte, welcher in Rom bey dem ersten Blick auf den Apoll des Vaticans ausrief: »O was für eine Aehnlichkeit mit einem jungen Krieger der Mohawks, welcher den Bogen gespannt, das Aug' auf den Feind geheftet, ihn mit schnellen Schritten verfolgt!« – – – nur diejenigen, welche wie ich, diese edlen Gestalten sahen, werden finden, daß West nicht als Amerikaner, sondern als Kenner großer edler Schönheit der Natur und Wahrheit, die Kunst in der Nachahmung zu beurtheilen wußte.

Heute wünsche ich, daß Sie alle Tage, neben dem Gebet für mein Leben, den Himmel [27] auch anflehen möchten, mir die Gabe des guten Erzählens zu verleihen, damit ja nicht das mindeste von der Geschichte verloren gehen möge, welche mir der schätzbare Vandek und seine vortreffliche Frau bekannt machten. Gerne möchte ich sie dem Geiste und dem Herzen meiner Freundin ganz darstellen, weil ein Frauenzimmer von Ihrem Alter die schönste Rolle darin spielt. Ich dachte nur den Jahrhunderte gehäuften Reichthum einer fruchtbaren, noch nie benutzten Erde kennen zu lernen: ursprüngliche Pflanzen und Thiere zu beobachten, und zu sehen, wie Colonisten sich dabey benehmen, wie Verstand und Herz in dieser Ferne und Verschiedenheit, mit dem vaterländischen Boden, sich in erfinderischem Fleiß und freundlicher Hülfe unter ihnen zeigen würden. Diese Gegenstände meiner Aufmerksamkeit dünkten mich Beschäftigung genug für meinen Geist; aber wieviel mehr wollte mir das Schicksal geben! –

Der teutsche Haupt-Director hatte mich [28] den ganzen Morgen in der Gegend und bey seinen Arbeitern umher geführt: der Holländer bat uns auf den folgenden Tag zu Tische; als wir dem Hause uns näherten, wurde ich gebeten, ja nicht viel von Europa, am allerwenigsten von Frankreich zu reden, indem ein Coloniste und seine Frau mit uns speisen würden, welchen diese Erinnerung schmerzliche Gefühle geben könnten: ich möchte nur diese zwey Menschen beobachten. –

Diese Vorbereitung spannte meine Erwartungen ungemein. Vandek, seine Frau und fünf Kinder, hatte ich den Morgen in seiner, mit dem Geiste der hölländischen Reinlichkeit und Ordnung beseelten Wohnstube gesehen, der Tisch zum Mittagessen wurde im Freyen, nahe an dem User des See's gedeckt. Der Platz war auf festem Sande, sehr eben, und wie die Bänke, mit schönem Moos und Waldblumen bestreut: eine herrliche Reihe von Bäumen beschattete uns, und die Insel zeigte sich gegen über. Madame Vandek[29] schien noch im Hause beschäftigt: ich mit ihrem Manne im Gespräch auf- und abgehend, wurde sehr überrascht, auf einmal zwischen einem Bouquet von Bäumen, einen großen jungen Mann von 27 Jahren mit leichtem edlen Schritt, und einer schönen Frau von etwa 24 Jahr, recht geschmackvoll Europäisch gekleidet, mit einem allerliebsten Knaben von drey Jahr, gegen uns kommen zu sehen. Ich betrachtete sie erst schweigend, dann bat ich aber Vandek mit einem Blicke voll Verwunderung, mir diese Art räthselhaften Auftritts zu enthüllen. –

»Es ist Herr und Frau von Wattines aus Flandern, die bey uns wohnen.« –

Eine solche Erscheinung, sagte ich, hätte ich in die ser Gegend nicht vermuthet. – Je näher sie kamen, desto höher stiegen die Gefühle des Erstaunens in meiner Seele; mein geistvoller Vandek lächelte, und indem er auf seine Wohnung deutete, sagte er, seinen Frießrock fassend: [30] »nicht wahr, das schlichte Gewand des Batavers paßt besser zu einer Holzhütte, als die Eleganz eines Hofmanns?« – Ich war nun überzeugt, daß die zwey guten Fremdlinge zu den zerstreuten Emigrirten des französischen Adels gehörten, und der Ausdruck: Hofmann, dessen sich Vandek bedient hatte, sagte mir, daß Herr von Wattines einst bey Hofe lebte, und nun hier! tönte in meiner Seele, da ich auf das Loghouse, den See und die halbe Wildnis umher blickte. – – Der Mann erschien mir, als ein durch Sturm zur Erde gebogner junger Baum, den eine sorgsame Hand an einen nahstehenden Wildstamm sanft erhob, und festband, um wieder in gerader Richtung fortzuwachsen. Die Frau war mir eine schöne, mit einem Sprößling, in das Gras ihrer Blätter sich bis zum Brechen neigende Nelke. Ich mußte, so bald ich ihnen genannt war, mich etwas entfernen, um meine Rührung zu verbergen, und ging den Seribas entgegen, mich ganz zu [31] sammeln. – Wir speißten vergnügt, tranken vortreffliches Bier, auch Jerseyer Cider; doch denken Sie sich meine Empfindungen, als ich folgende Geschichte hörte: – nachdem ich gefragt wurde, wie mir das eingebeitzte Fleisch schmeckte? und ich bey der Antwort: vortrefflich! zugleich meinen Teller hinreichte, und mir noch ein Stück ausbat, ich aber alle mit bedeutender Miene, doch sehr freundlich aufeinander blicken sah, rief ich mit einer Art von Sorge, doch dabey lächelnd: habe ich etwas, gegen die Sitten am See Oneida, Unschickliches gethan, da ich das zweyte Stück forderte? –

Nicht das mindeste. Im Gegentheil freuen wir uns, daß ein Europäer in den ersten Tagen diese Speise freywillig ißt, da wir dieses nur durch Noth lernten. – Diese Bemerkung dünkte mich sonderbar, und ich dachte sogleich an Büffelfleisch, sagte es, und kaute mit eben so kluger Miene, wie Wein-Prüfer Wein kosten. Alle Augen waren auf [32] mich geheftet; ich blickte auch in der Runde nach ihnen, wobey ich zugleich wiederhohlte: daß ich dieses Fleisch sehr zart und schmakhafter fände, als unser Europäisches Ochsenfleisch. Vandek sagte nun:

Sie haben uns alle davon essen sehen; es wird Ihnen also nicht am Namen, sondern an der Sache liegen, und nicht zuwider seyn, daß es die Lende von einem Bären war, womit ich meine Gäste bewirthete. – Der Gedanke wirkte mechanisch auf mich, denn ich sagte mit einem sichtbaren Stutzen:

Bärenfleisch! – Alle schwiegen; aber ich setzte schnell hinzu:

Sie sehen, was Gewohnheit den Worten für eine Gewalt giebt; da ich bey dem Bilde eines Bären etwas zurück schauderte, ohngeachtet ihr Beyspiel bey Tische, und meine so [33] eben gemachte Erfahrung des Wohlgeschmacks dieses Fleisches, mich daoor schützen sollten. Aber ich habe jetzt doppelte Freude; einmal, ein Vorurtheil verlohren zu haben, und, mir sagen zu können, daß rechtschafne Menschen in den Wäldern dieses fernen Bodens, die Bären zu den angenehmen Nahrungsmitteln zählen können. Sie müssen, setzte ich hinzu, mir diese Jagd bekannt machen.

Sehr gerne, sagte einer, aber nicht wie Herr von Wattines diesen Bären fieng.

Sie können leicht vermuthen, daß der Ton in welchem dieses gesprochen wurde, meine Augen nach Hrn. v. Wattines lenkte, und mich wünschen machte, die Geschichte dieses Fangs zu hören. – Der edle Mann sagte:

Ich stimme mit meinen Freunden in den herzlichen Wunsch, daß ja niemand anders [34] und ich selbst auch nie wieder in den Fall komme, eine solche Jagdgeschichte zu erzählen. – Nun deutete er nach einem Theil des See's, gegen die Länge des Waldes hin, und sagte:

»Dort war ich, um etwas Wild aufzujagen; der Bär kam langsam zwischen den Bäumen, hervor; ich zielte, und glaubte ihn richtig gefaßt zu haben, schoß, traf ihn, aber nicht tödtlich; sah ihn nach mir laufen, und eilte so schnell ich nur konnte einem Kahne zu, der am Ufer lag, und stieß ab. Das Thier schwamm mit mehr Schnelligkeit, als ich rudern konnte, und war nahe dabey seine Tatzen anzulegen, wodurch er den Kahn umgestürzt, und ich also entweder damit unter das Wasser gebracht und ertrunken, oder in seine Klauen gerathen wäre; denn mein Schwimmen konnte mich nicht retten, und keine Seele war in der Gegend nahe genug. Gott gab mir den [35] Gedanken und die Kraft, aus dem Strick des Kahns, ich weiß nicht wie, eine Schleife zu machen, und schenkte mir das Glück, gerade den Hals des Thieres zu treffen, und die Schleife zuzuziehen. Erst nach einigen Minuten war ich gefaßt genug aus dem Kahne zu springen, und, meinen erstickten Feind nach mir ziehend, an das User zu schwimmen. Schauder überfällt mich heute noch bey deutlicher Vorstellung meiner Gefahr, und selten gehe ich, an der in meinem Hause aufgestellten Haut vorbey, ohne dem Himmel für die gesegnete Gegenwart des Geistes zu danken.« – Seine liebenswürdige Frau hatte während der Erzählung Thränen der Sorge und der Liebe in ihren schönen Augen. Mir war auch eine Bewegung des Entsetzens durch die Seele gegangen, und alle sprachen mit erneuter Bewunderung und Freude von dieser glücklichen Klugheit, welche ihnen einen würdigen Freund erhielt; – und, setzte Vandek [36] hinzu, Herrn von Wattines auf immer mit uns verband.

Hier bemerkte ich, daß die Frau sich sanft gegen Frau Vandek neigte, und sie zärtlich küßte; zugleich aber ihren Knaben umarmte, die Thräne im Auge zertheilte, und wieder ruhig um sich blickte. Dieser kleine Umstand zeigte mir etwas Besonderes in der Geschichte der Wattines und ihrer Verhältnisse mit Vandek. Doch das muntre, durch die Jagd-Erzählung unterbrochene Tischgespräch wurde wieder belebt: wir tranken guten Caffee, und ich begleitete mit Frau Vandek die Wattines nach Hause. Ernst betrachtete ich die über eine Holzform gezogene Haut des Bären, welche wie eine Art von Trophee, mit dem Strick um den Hals aufgestellt ist, und dem kleinen Caremil zum reiten dient. Das Haus der Wattines ist viel kleiner als die andern, sie haben auch weniger Dienstboten,[37] Kühe und Schaafe; aber ihr Hof und Garten ist nach der Vestungsbaukunst mit Pallisaden und Gräben eingefaßt und beschützt, weil sie, da ihre Länderey als der zuletzt angesiedelten Familie, an der äußersten Seite steht, den Anfällen der aus dem dichten Gehölze kommenden Bären und Füchsen am meisten ausgesetzt seyn würden. So hatte Wattines seine als Ingenieur-Officier erlernte Wissenschaft, für die Sicherheit seines Wohnsitzes verwendet. Ich erkannte das Vaterland dieser guten Menschen an dem Eingange in ihr Haus, da man wie in Flandern über einen kleinen Graben an der Landstraße hin eine schmale Brücke von einigen Schritten bis an die Hausthüre geht, wo zu beyden Seiten Accacien gepflanzt sind, und zu einer Laube gebogen werden, in welcher ein paar einfache Sitze zur Abendruhe, und dem Anblick der vorübergehenden Nachbarn dienen. In der Stube fand ich nur äußerst [38] einfaches Holzwerk, wie es einem Loghouse zukommt, aber was mich staunen machte, war eine aus 300 Bänden bestehende Bücher-Sammlung der besten französischen Schriftsteller, und die Englische Monathschrift universelle Magazin. – Der edle, bisher ganz schweigend mit uns gegangene Wattines lächelte gegen mich, saßte aber mit ernster gerührter Miene meine Hand und sagte:

Dieses erwarteten Sie nicht in meiner Hütte, aber diese Freunde erhielten das Leben meiner Seele, wie Milch der treuen Mutter das Leben ihres Kindes, wobey er auf seine Frau deutete, welche sich eben gesetzt hatte, ihrem Säuglinge die Brust zu geben. – Das äußere Betragen dieses Mannes und seiner Frau, hatte ganz die seine Form dessen, was wir unter dem Namen große Welt bezeichnen. Sein Aufenthalt an dem See Oneida, war mir eine Erscheinung, [39] einiger, auf den Trümmern eines Schiffs, vom Sturm an eine Insel geschleuderten Menschen. Der Ton und Gang seiner Ideen, wie richtig gestimmte aber zu schwach gespannte Sayten einer prächtigen Leyer, deren Töne nun in einer Art von Wüste verhallen. Ich fühlte Theilnahme an ihm, und eine Art fromme Ehrfurcht für sie, wie für eine Märtyrin des Schicksals; aber ich wagte keine Frage darüber. Der Abend neigte sich, die Schaafe kamen vom Felde zurück. Frau Vandek nahm Abschied, und ich begleitete sie zu Hause. Nun kam ich zu meinem teutschen Landsmann, und erzählte diesem, wie sehr mich das Wesen und die Umstände der zwey liebenswürdigen Wattines eingenommen habe: daß ich sicher sey, die Pariser Revolution habe sie aus ihrem Vaterlande getrieben, aber so weit bis zu den Ufern des See's Oneida, dünke mich noch andre Beweggründe zu verbergen. – [40] Er antwortete mir: wenn Sie noch einige Zeit bey uns bleiben, so werden Sie alles entdecken können. Im Ganzen ist die Verkettung des Vandek und Wattines eine merkwürdige Erscheinung, und konnte nur durch die eiserne Hand der Gesetze der Noth hervorgebracht werden. –

Wattines wurde durch die Liebe zur Fürsten-Regierung, und Vandek aus Haß gegen sie hierher geführt. Ersterer floh aus Europa, wo man seinen geliebten König von dem Thron stürzte, der Zweyte, weil Holland seinen Prinzen wieder aufnahm. Mangel des Vermögens hinderte sie, gute angebaute Ländereyen oder Güther in der Nachbarschaft großer Städte zu kaufen: Bedürfnis des geselligen Lebens mit guten vernünftigen Menschen verband uns zusammen. Dieses kann für Sie, der nur beobachten will, einen großen Werth haben, und wird Sie gewiß für Ihre Reise [41] belohnen. Ich als erster Ankäufer dieses öden Landes, darf mich nicht mit solchen Betrachtungen aufhalten, und muß für das Beste des Lebens meiner Famille und der Colonisten sorgen, welche aus Vertrauen auf mich hierher zogen. Wie sehr freute ich mich, als Ihre mitgebrachten Briefe, mir einen Mann verkündeten, welcher allein den Gang der Anlage einer neuen Colonie sehen will, voller Güte zu uns kam, uns gewiß gerne seine Einsichten mittheilt, so wie er unsere Erholungsstunden versüßt. Vandek ist ein Gelehrter, der sich nun als Familienvater der Landwirthschaft widmet, mit welchem ich als einem gebohrnen Holländer auch von Producten und Erwerb sprechen kann. Fleiß und Sparsamkeit seines National-Characters, seine Sitten und Lehren als Geistlicher, sind mir von unschätzbarem Werthe und Nutzen für meine Colonie. Ihm wird es auch wohl thun, hie und da ein Stündchen mit Ihnen [42] zu sprechen, so wie ihn die Bücher von Wattines freuten. Dieser ist auf einer andern Seite viel für uns geworden, weil wir den klagenden Colonisten sagen konnten:

Seht! dieß war ein reicher junger Edelmann in Frankreich, der alles verlohr, und eben so dürftig hierher kam, als Ihr, auf der Insel allein wohnte, mit seiner schönen jungen Frau arbeitete, Geduld hatte, und Gott vertraute. Wir sind gleich mit nachbarlicher Hülfe unserer eigenen Landeleute hergekommen, haben Handwerkszeug und Nahrungsmittel mitgebracht, welches alles der gute Mann und seine Frau nicht hatten. Seht, wie beyde noch arbeiten, und euch und eure Weiber noch vieles lehren können. –

Dieses wirkte viel; denn unsere teutschen Landsleute sind noch sehr an den alten Begriff der Vorzüge des Adels geheftet, und beurtheilen [43] das Schicksal der Wattines nach dem, was sie besaßen und verlohren. Die meisten unserer Leute haben ihre Wohnung und ihre Felder auf der Insel besucht, alle kamen von Hochachtung und Mitleiden durchdrungen zurück, und der letzte Auftritt des Hrn. v. Wattines, da seine Gegenwart des Geistes, sein Muth und seine Geschicklichkeit ihn von der augenscheinlichen Todesgefahr rettete, hat diese Gesinnungen mit einer Art höherer Ehrfurcht verbunden, und nicht nur das, sondern unsere Jungens, und Handwerks-Gesellen, ja selbst Männer, üben sich mit Schleifen machen, und haben Pflöcke mit einem Stück Bärenhaut auf einem Bret befestigt, welches einige Buben ziehen, und andre dastehende bemühen sich, dem Pflock die Schleife überzuwerfen, und den Bären, wie sie ihn nennen, nach sich zu schleppen; ja viele tragen jetzo einen Strick bey sich, um mit ihrer Geschicklichkeit und Stärke auch [44] einst einen Fang zu machen. – Mich dünkt dieser Tag und diese Unterredung war die Hälfte meiner Reise werth; aber mein Hauswirth und seine Frau endigten mit der Versicherung, daß die Wattines sich sehr über meine Ankunft freueten, weil ich so geläufig französisch spräche, und Frankreich kenne, indem sie wie alle Emigrirte, an ihrem Vaterlande, seiner Sprache und Gewohnheiten hängen. Er dankte mir dabey nochmals für den jungen Zimmermann, welchen ich mitbrachte: ihm wird morgen nach dem Gottesdienste, ein Stück Feld und Wald zugemessen werden. Ja der Kaufmann, der heute lange mit ihm redete, und seinen guten Verstand schätzt, will ohne Kaufschilling und ohne Pacht für ihn sorgen. Sie können nicht glauben, meine Freunde! Mit was für einem vergnügten Herzen, ich in mein Loghouse kam; diesen jungen Mann versorgt, und die Colonie mit einem nützlichen Bürger bereichert zu [45] haben. Es war ein wahres Fest, diese Aufnahme des neuen Einwohners der künftigen Stadt, und gewiß konnte in der ganzen Christenheit kein Sonntag schöner gefeyert werden. Vandek hielt erst die Gebete, dann eine kurze rührende Rede; über die göttliche Vorsicht und Bestimmung der Menschen, welche sie alle von so verschiedenen Gegenden hierher führte, um den ursprünglichen Beruf, bete und arbeite, hier auszuüben; es koste Mühe, gösse aber seeligen Trost in das Herz, als guter Hausvater und nützlicher Mensch zu leben. Er sey sicher, daß nicht einer unter ihnen sey, der nicht mit ihm Gott danke, daß er jetzo die Schritte eines guten Zimmermanns hierher leitete, weil sie gerade noch einen solchen Mitbürger gewünscht hätten, um noch in der schönen Jahreszeit ihre Wohnungen alle gesund und nützlich auszubauen. Gewiß würden auch alle mit ihm jeden Fußbreit Erde, der ihrem neuen Nachbar [46] zugemessen würde, segnen, und ihm hülfreiche Dienste leisten, wo er es brauchte; und Gott würde diese Ausübung der Nächstenliebe an ihnen lohnen. Nun zog alles hinaus, die Meßstangen wurden von jungen Leuten, in vollem Jubel getragen: kleinere Knaben, und die Mädchen trugen Baumzweige und Tannenreißig, welche sie auf die gemessenen und etwas aufgehackten Striche der Felder des neuen Landmanns legten, so daß der ganze Umfang des ihm zugetheilten Bodens, eine zwey Fuß breite Einfassung hatte, die von beyden Seiten an den ausgesteckten, und mit Waldblumen verzierten Bäumen endigten, welche man an der Stelle eingegraben hatte, wo das Wohnhaus hinkommen soll. Dieser, nebst dem bestimmten Hofplatz, war seit ein paar Tagen gereinigt und geebnet, und Baumstämme statt Bänken umher gelegt: dort hatten während dem Abmessen des Landes, die Weiber Mittagessen und Bier zugetragen, [47] und alles, Herr und Knecht, Frauen und Mägde, Kinder und Alte, verzehrten ihr Mittagbrod mit freundlicher Eintracht und Munterkeit. Ich gab gutes englisches Bier, auf die Gesundheit des Zimmermanns zu trinken, und Vandek sagte: wir sind hier in dieser Wildnis viel glücklicher als der berühmte Lord Baco, Canzler von England, mitten in London war, da er in seinem Alter zu arm wurde, um sich gutes Bier zu kaufen. Diese wohl angebrachte Erinnerung, verhinderte jeden Wunsch nach Wein. Die Zufriedenheit wurde vermehrt, da ich einen Vorrath Braten, Schinken, Bier und Punsch zum Vesperbrod schaffte, meine Flöte nahm, und ein paar junge Einwohner ihre Geigen holten, dann wechselsweise Musik machten, sangen und tanzten, nachdem alle in einer Reyhe geschlossen, den neuen Hofraum umhüpften. Bey Sonnen-Untergang kehrten alle vergnügt nach Hause zurück; indem der Ober-[48] Anordner frühes Schlafengehen und frühe Arbeit mit einander verbindet. Den Morgen nachher besuchte ich das Vorrathshaus, wo Breter, Nägel, Korn, Hülsenfrüchte, Mehl, gesalzen Fleisch, Oehl, Butter, Salz, Sämereyen, grobes Tuch, Leinen, Kochgeschirr, Eisenwerk und so weiter liegt. Diese wichtige Hütte steht neben dem Platze, wo einst in der neuen Stadt 4 große Gewölber zu den Niederlagen von Lebensmitteln und Waaren erbaut werden, daneben aber mit den Mauern der zwischen ihnen laufenden breiten Gänge in dem obern Stockwerke, wieder vier eben so große Stuben tragen, und zwischen ihnen eben solche helle Gänge formiren sollen: wo die Einwohner hingehen und sicher seyn können, in jeder dieser Stuben an gewissen Tagen der Woche bey ihren Vorstehern einen Vorrath vonKlugheit und Erfahrung zu benöthigten Rathschlägen, Güte und Gerechtigkeit in Streit, Sicherheit [49] für wichtige Urkunden, und eine allgemein nützliche Büchersammlung zu finden. Diesem doppelten Ratthause gegen über soll die Kirche, und unmittelbar neben ihr, auf einer Seite die Wohnung des Pfarrers, auf der andern Seite die Schule und das Haus des Schulmeisters seyn. Der Raum zwischen diesen Gebäuden soll den Hauptplatz der Stadt bestimmen, und zwey andre, der dritten und vierten Seite des Quadrats gegen über stehende Häuser, soll eines dem Arzte und Chirurgo, das andre dem Mauermeister und dem Holzverwalter angewiesen werden: wo dann den aufwachsenden Knaben, bey dem Schulunterrichte zugleich von der ersten Jugend an, Bild und Begriff von Pflichten und Verdiensten nützlicher und nöthiger Menschen und Wissenschaften sich einprägen; Erwachsene aber sogleich die Häuser zu finden wissen werden, wo sie in Sorgen und Leiden der Seele und [50] des Körpers Hülse und Erleichterung finden können. Zwischen diesen vier Gebäuden laufen die vier Hauptstraßen in die Länge und Quere hin, an welchen nachwachsende und nachfolgende Einwohner sich nach Willen und Vermögen anbauen sollen. Längst dem Rathhause gegen den See, wird ein offner Gang, ein Warff und ein Landungsplatz für Schiffe angelegt. Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie sonderbar mein Herz bewegt wurde, als ich den kleinen rauhen Grundriß in der Hand auf den noch leeren Platz, zwischen den einzelnen Holzhütten hinblickte, und mir sagte: »diese Stelle war also seit Jahrtausenden noch nie bebaut, nie von Menschen bewohnt, nun sind welche da, die von ihrem, so viele hundert Jahre cultivirten Vaterlande, die Kunst zu dem Bau der Holzhütten mitbrachten, und, sagte meine Einbildungskraft, in zehn Jahren werden links und rechts hinlaufende Häuser entstehen: nun [51] ist einfaches Bedürfniß, Genügsamkeit, ämsiger Fleiß und Eintracht, Verehrung der Fruchtbarkeit des Bodens, einfache Wohnung, Kleidung und Speisen in diesen Hütten: und nach diesem Zeitraume werden aufkeimende Lustgärten, Verschönerungen, Geschmack und Begierden des Ueberflusses mit allen Fehlern in die Seelen der Bewohner derselben folgen; und dann auch Unmuth und Schmerz in den schätzbarsten Menschen entstehen, welche zum Entbehren bestimmt zu seyn dünkten.« – Dieser Spaziergang und dieses Denken kostete mich Seufzer, und verdarb mir beynahe die Hälfte der ersten Freude. Ich ging zu Vandek, und erzählte ihm diese in mir entstandene Unzufriedenheit. Er sagte mir: dieses geschieht immer, wenn wir die wirkliche Welt nach Idealen beurtheilen, denn was sollen die Bewohner dieser Ufer vornehmen? Immer in Holzhütten bleiben und ihr Korn zwischen Grabmälern fortpflanzen, [52] wie Sie von unsern Aeckern sagten? Bedenken Sie, daß der gesunde menschliche Geist nicht gerne stille sieht, und daß wir alle aus Ländern kamen, wo wir Wohlstand, Künste und angenehmen Genuß des Lebens sahen, daß vielleicht der Kummer, es nicht so zu haben, uns hierher führte. Wir sangen mit harter Arbeit an, wissen aber, daß es für uns ist, und arbeiten um so ämsiger, immer das Auge auf die Zukunft des Genusses geheftet, wie wir andre den Erfolg ihres Fleißes genießen sahen; denn diese Ideen und Gefühle verlieren sich nie. Und warum sollen wir für das Vergnügen einer philosophischen Phantasie immer nur die Rollen der ersten Scene der Cultur durchspielen? Gönnen Sie uns die Aussicht der Freude des Höhersteigens, des Weiterumsehens auf der Bahn von Glück des Erdelebens, der Kräfte des Verstandes und der Kunstfähigkeit, wie unsere Vorfahren in Europa, und die frühern [53] Colonisten Westindiens genossen: helfen Sie uns bey unsern Anlagen durch Vortheile der Handarbeit, eine Abkürzung des mühevollen Weges finden, den wir noch vor uns haben: geben Sie uns Auszüge richtiger, für Alle passende, Begriffe, von Bedürfniß, Glück Pflichten; damit unser Geist auch Umwege und Zeitverlust der Vorurtheile vermeide.

Mein Freund muß sich noch der Miene erinnern, welche ich hatte, wenn mir in jüngern Jahren ein begangener Fehler so deutlich bewiesen wurde, wie Vandek mich von dem Unrecht meines Wunsches überzeugte, daß die Colonie ja nicht sobald zu den Ideen des Schönen gelangen möge. Ich suchte mich zu vertheidigen, und versicherte, daß ich weit entfernt sey, den Gang ihres Geistes und ihres Wohlstandes gehemmt zu wünschen, daß ich nur den Leidenschaften den Zugang erschweren möchte; weil diese immer das Glück [54] der Menschen zerstören. Er lächelte und sagte:

Dieß heißt dem Seefahrer sehr freundlich gewünscht, daß er keinem Winde ausgesetzt seyn möge, weil es sehr gefährliche Stürme giebt; aber es ist männlicher zu sagen: Sorgen Sie für einen geschickten Steuermann. – Dieses werden wir bey der Erziehung unserer Kinder thun, indem wir soviel möglich ihrer Vernunft zu den Kräften helfen wollen, Schiff und Seegel, bey Wind und Ruhe, nach dem bestimmten Hafen zu bringen. –

Vortrefflich, sagte ich, – hier und in meinem fernen Vaterlande werde ich den Himmel um Segen zu diesem Plane bitten.

Dank, recht schönen Dank und Lohn für Ihre Liebe, erwiederte er, schwieg dann etwas nachdenkend, und ich rufte mir unsre Unterredung zurück, um auszufinden, ob ich etwas gesagt hätte, so ihn beleidigen könnte. [55] Da ich ihn von Moment zu Moment forschend anblickte, sagte er, ich kenne ihn wohl, den traurigen Einfluß der Leidenschaften, aber sie sind in der moralischen Welt durch eine allmächtige Hand eingeführt, wie nützliche und schädliche Thiere unser liebes Amerika bewohnen. Wir Menschen haben aber die Kraft erhalten, beyde zu zähmen und zu überwältigen, wenn wir nur immer eben so ernsthaft für die Ruhe unserer Seele sorgten, als Sie uns hier, unsern Schlaf, und unsere Besitzungen gegen die Einfälle der Thiere besorgen sehen. Doch, wer die Vorsicht versäumt, wird durch Schaden klug, oder durch Unglück gestraft. Ich glaube, daß wir neuen Bewohner dieser Gegend alle, durch versäumte Vorsicht auf unserer ersten Lebensbahn Schaden genommen hatten, wünschen Sie uns nur, daß wir jetzo klüger seyn mögen... Nun erwiederte ich, vergeben Sie mir, tbeurer Vandek! mich dünkt ich habe einen Gegenstand berührt, der Ihnen [56] unangenehm ist. – Er sagte sanft aber ernst: blos deswegen, weil er mir mit dem Wort Leidenschaft, die Ursache meiner Entfernung von Freunden und Europa zurück ruft. Ein in mir liegendes Ideal vollkommner Regierung und Glück meines Vaterlandes, wurde der Gegenstand einer, wie ich glaubte, schönen und gerechten Leidenschaft meiner Seele. Ich strengte mich an, verbessern und abändern zu helfen, es wurde auch Aenderung hervorgebracht, aber nichts besseres. – Ich möchte mir früher gesagt haben: wo Menschen sind, ist Unvollkommenheit. Sey du der beste, thue das beste in deinem Beruf, aber nicht mit Leidenschaft, sie führt dich zum Verderben, und erbittert die andern. Sie, junger Mann! setzte er lächelnd hinzu, leiden auch an dem Weh der Ideale: nehmen Sie sich in acht! das wirkliche Leben leidet darunter; wir werden unzufrieden mit dem was wir hören und sehen, werden ungerecht [57] und strenge gegen unsern Nächsten und unser Schicksal, und was das schlimmste ist, man stiftet selten Gutes; wenigstens wünsche ich seit Jahren, daß nur Poeten und Künstler, die gefährlichen Reitze der Fähigkeit Ideale zu schaffen kennen möchten, weil diese ihr Glück dadurch gründen, und das Vergnügen der andern, durch Darstellung schöner Bilder befördern. –

Ich mußte bekennen, daß er recht habe, sagte aber, daß ich die Gabe, Ideale zu denken, für ein süßes Geschenk der Natur halte. Schnell faßte er mich bey der Hand, und antwortete:

Gut, bleiben Sie immer bey dem Genuß des Denkens und Dichtens; aber gehen Sie nie so weit, weder von sich selbst noch von andern ungewöhnliche Dinge zu fordern.

Während diesem Gespräche waren wir aus seinem Loghouse herausgetreten, um [58] noch etwas auf und ab zu gehen, als uns Wattines entgegen kam, und Vandek mir nur ganz kurz sagte:

Hier kommt ein menschliches Wesen, das wirklich zu Idealen gehört. –

Wie so, sprach ich?

Das werden Sie morgen auf der Insel hören, wohin ich sie führen werde. Wattines war nun bey uns, und erzählte von einem sehr glücklichen Fischfange, und dem Vorsatze, einen Versuch mit dem Einmariniren zu machen, wie sie es in Frankreich gewohnt waren. Diese Unterredung mußte mit Madame Vandek fortgesetzt werden, ich ging also nach Hause, diese Blätter zu schreiben, und auf etwas zu sinnen, womit ich, wie Vandek es wünschte, den guten Menschen nützlich werden könnte.


[59] O meine Freunde! ich war auf der Insel, und hörte Vandek erzählen. Nie, niemals wird der Eindruck erlöschen, welchen dieser Besuch auf meine Seele machte, nie habe ich süßere Wehmuth und reinere Bewunderung gefühlt, und ich möchte hinzusetzen, nie die Menschheit in einem schönern Lichte gesehen. Ein Kahn brachte uns mit einem kleinen Vorrath Vesperbrod nach der mit hohen Bäumen bewachsenen Insel, deren Ufer von tausend, in Blüthen, Blätter und Formen, verschiedenen Pflanzen besetzt, sie wie ein von Nymphen geflochtener Kranz zu umfassen scheint, welcher zwischen Wurzeln prächtiger Bäume durchgeschlungen, da und dort [60] an gebogne abhängende Aeste geknüpft, sich zu Bade-Lauben bilden; denn das Wasser der See ist so helle und rein, daß man Muscheln, Fische und Wasserkräuter wie in Crystal schwimmen sieht. Vandek schickte die zwey Ruderer mit dem Schischen zurück, weil er allein mit mir bleiben wollte, und sie uns erst um acht Uhr abholen sollten. Schmale Wege zwischen dichtem Gesträuch, leiteten uns zu dem etwas erhöhten Theil dieser äußerst lieblichen aber tiefen Einsamkeit; endlich war ein ziemlich freyer Platz mit Gras bedeckt vor mir, und bey dem Umwenden erblickte ich eine mit Mangolia und Accacia beschattete Hütte; zu beyden Seiten Rasenbänke und kleine Blumenstücke unter Bäumen. Ich sah auf Vandek und sagte:

Ey, was für eine Erscheinung ist das? und bemerkte zugleich, daß die Hütte zwey Schuh hoch schräg aufwärts eine Einfassung [61] von länglichen schwarzen Muscheln hatte, welche mit großem Fleiß und Sorgfalt eingepaßt waren. Meine Blicke fragten Vandek, und er antwortete:

»Sie staunen! denken Sie sich mich mit dem Candidaten Holl, da ich aus simpler Neugierde die Insel sehen wollte, welche ich eben so unbewohnt dachte, als die uns angewiesene Seite des See's, und nun traf ich eine Wohnung. Diese damit verbundene Zierlichkeit, zeigte mir die Hand der Europäer von Erziehung und Geschmack. Wieviel? Wer? war natürlich die nächste Frage, welche in mir entstand. – Wir gingen zur Hütte, und pochten, niemand antwortete. Ich wollte nicht mit Gewalt hinein. Wir legten den kleinen Vorrath Brod und Bier auf eine der Bänke und gingen abwärts dem Sandwege nach,« wo er mich jetzo auch hinführte. Ein kleines Gesträuch hatte die angebauten Felder [62] verborgen, die nun ausgebreitet in vollem Wachsthume da lagen. Mein Auge weilte auf einem Stücke blühenden Flachs, als Vandek sagte, »so stand es vor einem Jahre, als ich herkam, den Anblick kann ich Ihnen nicht geben, der mich überraschte, als ich einen jungen Mann in dem Felde arbeiten, und seine holde Frau mit zwey Kindern dort unter den Bäumen bey den hohen Büschen von Gicht-Rosen sitzen sah. Sie erblickte uns zuerst, und schrie laut, Europäer! faßte aber zugleich ihre Kinder in ihre Arme. Der Mann sah auf, sie deutete nach uns, er stutzte im ersten Moment mit einer Art von Schrecken, blickte dann nach unsern Händen und Armen, ob wir bewafnet wären oder nicht, winkte seiner Frau ruhig zu bleiben, und kam mit seiner Harke und einem muthvollen Schritt gegen uns, gleich als wollte er fragen: was macht ihr auf meinem Gebiethe? Die Frau rief ihm etwas zu, ich [63] bemerkte, daß es französisch war, und sagte ihm ganz sanft in dieser Sprache, ja nicht unruhig zu seyn, wir wären Colonisten, welche sich auf der Neuyorker Seite des See's anpflanzen wollten und sehr entfernt wären die kleine Insel bewohnt zu denken. – Er hatte eine Art gestricktes Hemde und Beinkleider an, aber keine Strümpfe, und seine Füße statt Schuhen mit einem Stück Leder umbunden, wie es auch seine Frau und Kinder hatten. Könnte ich nur, setzte Vandek hinzu, den Anstand schildern, mit welchem er sich näherte und sagte:

Seit beynahe vier Jahren, da ich hier wohne und arbeite, kam keine lebendige Seele auf die Insel, wundern Sie sich also nicht, daß wir etwas erschraken.

Vier Jahre! rief ich, und Sie erbauten die Hütte? Gott! davon hörte ich in Philadelphia und Neuyork keine Sylbe. –

[64] Ich wünschte auch nicht, sagte er mit einer Art Unmuth, daß man in den prächtigen Städten von mir sprechen möchte.

Nun schwiegen wir beyde etwas, ich bat ihn aber, daß er seine Familie versichern sollte, wir wären weit entfernt ihnen Mißvergnügen oder Besorgniß zu geben, im Gegentheil verspräche ich ihm, als Vorsteher der Colonie, daß wir ihnen alle Dienste guter Nachbarn erweisen würden, welche sich rechtschaffne Menschen, in einer solchen Abgelegenheit von jeder Hülfe und Verbindung, doppelt schuldig sind. Er dankte mit edler Verbeugung und gesenktem Blick, ging nach seiner noch immer ruhig sitzenden, aber aufmerksam nach uns blickenden Frau, sprach mit ihr; sie schien ernst zuzuhören, reichte ihm die Hand, indem sie mit ihrem Kopfe eine Bewegung gegen den Himmel machte, und er winkte uns näher zu kommen.

[65] Die in Kummer welkende Schönheit dieser jungen Frau, und die vollblühenden Kinder rührten mich so, daß ich nicht sprechen konnte, sondern mit Augen voll Thränen nach ihr und den holden Unschuldigen blickte. Sie bemerkte es, erröthete sanft, und sagte mit etwas zitternd bewegter Stimme:

Sie haben gewiß eine Frau und Kinder, ich sehe es in Ihrem Blick auf meine Kleinen.

Ja, erwiederte ich, ich habe eine sehr schätzbare Gattin und fünf Kinder mit mir aus den Niederlanden an die Ufer des Oneida gebracht. Hier faßten sich beyde an der Hand, blickten mit inniger Wehmuth sich an, und sagten zu gleicher Zeit mit sichtbarer Rührung: aus den Niederlanden, sagen Sie? Der Mann war aber schnell gefaßt, und ruhig setzte er hinzu, ich habe mich einst da aufgehalten, und kenne das schöne Land voll Fleiß [66] und Ordnung. Nun war eine Pause. Ich sah nach den so vortrefflich stehenden Feldern, indem ich sagte: Sie müssen gute Leute mit gebracht haben, denn die Bestellung der Aecker ist ganz die von der netten Flandrischen Landschaft. Nun wurde der Mann roth, die schönen Augen seiner Frau waren mit Liebe und Trauer auf ihn geheftet. Er blickte einen Moment durchdringend nach ihr, und sagte dann männlich sanft mit Stolz gemischt:

Mich freut, wenn Sie die Felder gut angebaut finden. Wir sind allein hier. Diese Arme graben um, indem er mit einem Arm über das Feld hin reichte, mit dem andern die Hand seiner Frau faßte, setzte er hinzu, und die Hand der Tugend streuet den Saamen aus.

Mein Herz war hier auf einen hohen Grad gerührt, so daß ich kaum stammeln konnte.

[67] Sie allein! aber der Allmächtige segnete beydes. Nun schwiegen wir alle. Die holde Frau sah mit Zufriedenheit mich an, und sagte mit bebendem Tone, und einem sehr ausdrucksvollen Blick zum Himmel. Ja, wie er uns jetzo einen Nachbar gab. Lebhaft erwiederte ich, mit aufgehobenen Händen, und er sieht, daß ich guter Nachbar seyn will.

Dieß sagte ich gegen Beyde mich hinneigend. Ich wollte nun etwas traulicher werden, wendete mich gegen die Frau, und sagte, auf die Rosenbüsche deutend, gewiß haben Sie die Blumen gepflanzt!

Nein, mein Herr! es ist Sorgfalt der gütigen Liebe. Ich wünschte eine Bank nahe bey dem Felde zu haben, um meinem Carl manchmal bey seiner Arbeit zu sprechen und zu unterbrechen, damit er je zuweilen ausruhe; da fand ich eines Tages die Bank mit [68] Moos bedeckt, und nachher sproßten die Blumen auf. Aber kommen Sie, ich will Ihnen noch mehr zeigen – lieber Carl, sich zu ihrem Manne wendend, führe unsere Kinder – mich leitete sie um diese Bäume, (wo Vandek auch mich hinführte), da waren Gemüs-Felder so ganz Flandrisch schön, so vortrefflich geordnet, daß ich Hochachtung für den Arbeiter fühlte, und meinem Gefährten sagte: Vetter! wir wollen über nichts klagen.«

Vier Jahre hier allein, o was kann der Mensch, wenn er will, rief ich bey dem Theile dieser Erzählung! – Vandek fuhr fort:

So, mein Freund! fand ich Herr und Frau v. Wattines, die mich nun zu ihrer Hütte führten, wie wir dahin zurück wollen. Vandek ging voran, mein Gedächtniß sagte mir vieles, was ich von den Schicksalen emigrirter [69] Familien in unserm Europa gehört hatte, aber nie wäre ich fähig gewesen, mir ein Bild des Lebens zu denken, welches die Wattines hier erwartete. Auf einmal stand ich vor der Hütte, welche so lange Zeit dem höchsten Grade der Liebe, dem edelsten Muthe und dem ehrwürdigen Unglück der Tugend zum Aufenthalte diente. Das Erdreich hatte da eine sanfte Erhöhung, und mein Führer sagte:

Frau Wattines bat, die Hütte da zu errichten, damit der Regen von allen Seiten ablaufen, und sie einen trocknen Wohnort haben möchten. Sorgsam schonten sie schöne umher stehende Bäume, welche zugleich die Hütte beschatten und ihre rauhen Außenseiten mit ihren Aesten bedecken konnten. –

Meine Freunde können leicht denken wie aufmerksam ich auf alles war. Die Thüre, und wenige Fensterladen sind von der Hand des [70] damals 24 Jahre alten Wattines, aus mitgebrachten Bretern über einander genagelt, denn keinen Leim hatte er nicht: die Fenster sind mit Leinewand überspannt. Statt der Angeln befestigte er längst der Thüre und den Pfosten der einen Seite, einen Streif von Leder, denn aus Philadelphia hatte er nur zwey Kloben und Schlingen mitgebracht, um die zwey Thüren von innen zuzuschließen, denn die, welche zu den kleinen Abtheilungen führten, wurden mit einem Stück eingeschnittenen Lederriemen an einem Nagel befestigt. Der durch die ganze Hütte laufende schmale Vorplatz, war die Wohnstube, und hatte zugleich in einer Ecke den Feuerheerd, wo man sich wärmte und kochte. In dem zweyten Theile war gegen Mittag die Schlafstätte, an dieser die Art Vorrathskammer, wo sie gesammelte Früchte und ihre kleine Habseligkeit verwahrten. An der Wand des Herdes hin, war ein Stall für ihre mitgebrachten [71] Hühner, neben welchem auch ihr Holzvorrath lag. – Nun machte mich Vandek auf den Theil der Wand aufmerksam, welche von der Schlafstelle an, bis in die Ecke der Hütte läuft. Er deutete auf diesen Platz und sagte: denken Sie Freund! wie ich staunte, als Wattines hier, eine von seinen übrigen Bretern verfertigte Doppelthür öfnete, und ich die vielen Bände der besten französischen Werke fand, die über den Vorrath von Sägen, Hacken, Beil, Hämmer, Nägel, Eisendrath, Schaufeln, Sensen, einem Degen, zwey Flinten und Pistolen aufgestellt waren. Die Armuth in allem, und der Reichthum in Büchern! Ich konnte mich nicht enthalten auszurufen: Gott! dieser Vorrath hier. Edler junger Mann! Vandek setzte hinzu, hätten Sie nur den ernsten, aber schönen Ausdruck seiner Züge gesehen, als er mit einer Hand die Bücher, mit der andern eine Harke berührte und sagte: dieß waren die [72] vier Jahre hindurch die zwey Stützen unsers Lebens.

Sie sehen mich nun auch, meine Freunde, auf diese Wand blicken, Sie hören mich gewiß wiederholen: 300 Bände hier, auf dieser Insel?

Ja, sagte Vandek, sie hatten in York und Philadelphia vieles andere zu Gelde gemacht, um Bedürfnisse für diese Wohnung zu kaufen, aber ihre Bücher veräußerten sie nicht.

Mir ward einige Augenblicke wunderlich zu Muthe, weil ich mir sagte: Himmel ich war stolz, alles von meines Vaters Erbschaft, ja selbst meine Bibliothek wegzugeben, um auf meinen Reisen ganz frey, lauter Thatsachen zu sammeln, und Wattines opfert alles, nur Bücher nicht. Er, den das Schicksal zu so viel Thatsache bestimmte! Hatte wohl dieser französische Edelmann weniger Eigenliebe, [73] als ich guter Schwabe? aber ich mußte die Antwort aufschieben, weil mich Vandek weiter führen wollte. Er schloß die Hütte, und da ich die Einfassung mit den Muscheln betrachtete, sagte er: die Geschichte dieser Arbeit werden Sie in den Noten meiner Frau erzählt finden.

Bey der Wendung um die Hütte, zeigte er mir zwey, einen Schuh ins gevierte in die Erde gemachte Gruben: hier mein Freund, haben die guten Wattines auf einem eng geflochtenen Drathgitter, schottisches Bergbrod gebacken. Ich starrte auf die Gruben hin, und da ich weder von Bergschottenbrod, noch von dem Brodbacken über einer Grube einen Begriff hatte, fragte ich darnach, und hörte, daß Frau Wattines es besser wußte, indem sie bey dem Brodmangel auf der Insel sich erinnerte, einst gelesen zu haben:

›Die Schotten machten einen Teig von Habermehl, welchen sie auf sehr dünne, ein [74] Schuh breit und lang, mit lauter Löcherchen durchschlagnen Eisenbleche legten, und über solchen durch Feuer erhitzten Gruben zu backen wüßten. Wollten sie nun davon essen, so schlügen sie Stücken ab, würfen sie in Wasser oder Ziegenmilch um sie etwas zu erweichen, und nährten sich recht gut damit.‹

Nun hatten Wattines kein Mehl, aber die liebe Frau kochte Mais und Buchweizen recht weich, zerrieb sie zu Brey, machte einen Teig und dünne Kuchen, wie die guten Weiber der Schotten: Wattines machte die Gruben, und da sie kein Blech hatten, so wollte sie sich der eisernen Gartenschaufel bedienen. Wir haben auch Wasser im See, um es einzuweichen, sagte sie, da leben wir wie die Bergschotten, welche mich bey der Beschreibung ihres armen Brods so jammerten, da ich noch unser gutes französisches Brod hatte. Ich glaube, sagte sie [75] zu ihrem Manne, daß Gott mir um dieses Mitleids willen das Ganze in meinem Gedächtnisse bewahrte, damit ich einst auf einer öden Insel Brod hätte wie die Schotten auf ihren Bergen.

Sind Sie nicht, meine Freunde! hier eben so gerührt wie ich? Hätten Sie nicht mit mir gesagt:

Holdes, verehrungswerthes Weib! – Vandek fiel ein, gewiß ist sie beydes, setzen Sie hinzu, daß Emilie damals kaum 20 Jahre zählte, und Wattines 24, als er hier von seinem Drath enge viereckigte Gitter über die zwey Backgruben machte. Meine Freundin vergiebt mir, daß ich hier der jungen edlen Französin zu Ehren wünsche, daß unsere teutschen Frauenzimmer, welche so gerne lesen, sich auch solche Züge der Geschichte der Menschheit zu eigen machen möchten. Ich betrachtete diese Gruben mit [76] mehr Achtung und Empfindungen, als ich die Werkzeuge des vornehmsten Pasteten-Beckers ansehen würde, und freuete mich herzlich, daß die liebe Frau und ihre Kinder jetzo ordentliches Brod zu essen haben. – Mein letzter Blick auf diese Hütte war mit dem Gedanken verbunden:

Vier Jahre hier, von der ganzen Welt getrennt, ein junger französischer Edelmann und sein blühendes Weib. Beyde für die glänzendsten Zirkel ihres Vaterlandes gebildet! Mit Schauer setzte ich hinzu, o Schicksal! – Vandek führte mich weiter, und bey jedem Schritte vermehrte sich mein Staunen; denn Wattines hatte Wunder des anhaltenden Fleißes und der Geschicklichkeit gethan. Zugleich liegt in allem der Beweiß, daß guter Geschmack uns eben so natürlich werden kann, als Athem holen, und Zierlichkeit ein beynahe eben so großes Bedürfniß [77] für unser Auge wird, als die Lichtstralen selbst. Urtheilen Sie, lieben Freunde, ob ich dieses nicht denken, nicht sagen mußte, als ich die großen, von Wattines Hand noch jetzo aus Dankbarkeit ganz allein und äußerst nett angebauten Felder, hier und da mit Blumenbüschen besetzt sah. Alles sieht vortrefflich, und Vandek ist mit Wattines völlig überzeugt, daß der gute Abbee Rozier Recht hatte, als er behauptete, daß ein mit dem Spaten umgegrabenes Stück Erdreich immer gegen die mit dem Pfluge bearbeiteten von doppeltem Ertrage seyn würde. Zwanzig Schritte näher gegen Mittag, von den Feldern ab, stehen schlanke Pappeln, an welchen Wattines von den in Neu-Jersey so gut fortkommenden Fuchstrauben anpflanzte, welche wirklich schon von einem Baumstamme zu dem andern, in lieblichen, wie Thomson vom Geißblatte sagt, phantastichen Gewinden zusammen hängen, unter [78] welchen einige abgesägte Baumstumpen Statt Stühlen umher stehen. Unweit dieser Stelle endigt sich der von Wattines angebaute Theil der Insel, und man kommt zu einem schönen Wäldchen, dessen Eingang Wattines ziemlich erweiterte, und den Boden mit Waldgras unterhalten hat. Aber dieser Gang wird gegen das Dickigt des Waldes schmäler und etwas gewunden. Vandek führte mich unter beständigem Sprechen und Erzählen, bald stille stehend, bald rückwärts blickend, zu einer noch viel unerwartetern Ansicht, als alle Vorhergehenden; denn eine Art sich unter düster verwachsene Eichen und Trauer-Birken hinziehender Waldplatz, zeigt auf einmal zwey große weiße Aschen-Krüge, wovon der eine in schwarzen Buchstaben die Aufschrift trägt:


Dem Andenken der Väter und Mütter von Carl und Emilie von Wattines geweyht.


[79] Der andere:

Dem Oheim und den Brüdern.


Der Uebergang von der Holzhütte zu den Feldern, der Moosbank und den Blumen durch einen ganz einsamen Theil des Waldes, und dann auf einmal diese Vasen von der schönsten Form zu treffen, war sehr überraschend. Ich stand wie träumend, und blickte staunend auf die Urnen. Nun faßte mich Vandek bey der Hand und sagte:

Treten Sie näher! Dieses ist Emiliens Arbeit in Zeit von zwey Jahren. – Was fand ich, Vasen und Fußgestell aus Thon, mit lauter Muscheln besteckt, und in das schattigte Dickigt gestellt, damit sie nicht von der Sonne ausgetrocknet, in Stücken springen möchten. Ich war sehr gerührt, und auch noch nicht ganz von der Ueberraschung erholt, als mein Begleiter mir [80] lächelnd sagte: Freund! hatten Wattines und seine Frau Unrecht, den Geschmack an Ordnung und Zierlichkeit, mit in ihre Hütte und in ihre Einsamkeit zu bringen? Sie sehen, das Feld wurde nicht vernachlässigt: nun erlauben Sie mir zu wünschen, daß unsere Stadt bald stehe, und das nach dem Riß der Ihnen mißfällt, weil er so hübsch ist. Glauben Sie, theurer Freund, der Geschmack an Ordnung, Blumen und Symmetrie, verdirbt die Menschen nicht, sonst würde Holland nicht in dem Wohlstande seyn. Begierden nach Ueberfluß und Leidenschaften, die verderben alles.

Ich war über den Eifer betreten, mit welchem er mir meine Sorgen verwieß, daß seine Colonisten zu früh schöne Häuser und Gärten haben würden, und da er auf einen andern Weg eingelenkt hatte, folgte ich ihm schweigend nach, und kam an einem, dieses Jahr zum erstenmal angesäeten Kleestücke vorbey, [81] in einem lichten Theile des Waldes, welchen Vandek den Hayn der Liebe nannte; weil Wattines durch seiner Emilie Muschelarbeit gereitzt, auf einem, mit Magnolia bewachsenen Platze, einen nach alter Form dreyeckigten Altar errichtete, ihn auch mit Muscheln bedeckte, und auf die drey Seiten den Namen, Emilia, setzte. Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie alles dieses auf mich wirkte, und was dieses Denkmal edler Liebe unter den schönen, in voller Blüthe stehenden Bäumen, für einen Eindruck auf mich machte. Von da kamen wir an das Ufer des See's, wo der gute Wattines einen Platz zum Fisch- und Otterfang eingerichtet hatte. Eine Strecke davon, auf etwas erhöhetem Boden traf ich Carmils ersten Garten, mit einem Laubhüttchen und zwey Bänken, wo väterliche Liebe das, für Sonnenblumen, zu ihrem kleinen Vorrathe Oehl bestimmte Feld umarbeitete, [82] ordnete, kleine Wege machte, und Linien zog, in welchen er Grübchen bezeichnete, wohin der Kleine die Saamenkörner einlegte, welche von den Händen der Unschuld, wie die Mutter sagte, wirklich besonders gesegnet schienen, und zu einem Wäldchen en quinconce erwuchsen, worin die Kinder unter einem Blumenschatten spatzierten. Längst der Anhöhe hin, machte er sorgsam eine Verzäunung, damit die Kinder keinen Schaden nähmen, und die Mutter mit ihnen, den in der Tiefe mit wirklichem Kunstfleiße und Kenntniß angelegten Endtenfang sehen, und sie durch Fütterung anlocken könnten. – Alles, selbst der Platz für die Hühner, ist mit nettem geometrischen Geiste abgemessen und eingetheilt. Das nicht weit von der Hütte gegen Mittag liegende Stück Land wurde mit unsäglicher Mühe, für die mitgebrachten Obstbäume zubereitet und verwendet. Wattines versuchte auch den Zucker-[83] Ahorn aufzuziehen. Diese Bäume stehen alle gut, und versprechen Ertrag; auch sind noch wilde Bienen da, denn mehrere der selbst gezogenen Stöcke, nahmen sie mit nach der neuen Wohnung, um dort wie hier, nicht nur Wachs zu ihren Lichtern, und Honig zur Speise, sondern auch eine Art sehr guten Wein, und Essig zu erhalten. –

Theurer Freund! sagte ich zu Vandek, wie viele Kräfte, und wie viele Verdienste schlummern auf ewig in dem Menschen, welchen alles zur Hand gelegt und getragen wird.

Ja, erwiederte er, die Wattines können durch dieß, was sie als zwey einzelne Menschen vier Jahre hindurch an Arbeit, Erfahrung und Nachdenken gethan haben, unserer ganzen Colonie ein lebendes Model des anhaltenden Fleißes, und ein sicherer Wegweiser, zu stillem wahrem Glücke des Erdelebens werden.

[84] Meine geliebten, vaterländischen Freunde sehen, daß ich heute nur mit den einfachen Umrissen und Merkstäben, des mühsamen Weges einer in Verbannung lebenden Tugend beschäftigt bin; aber Sie können leicht denken, daß ich alles anwenden werde, auch die eigentliche Geschichte der Wattines, die von ihrem Zuge in diese Einöde, und die der Entwürfe ihres so schön verwendeten Lebens zu erfahren; denn es ist beynahe unglaublich, was dieser Mann und diese Frau bewirkten. Vandek und ich verzehrten unser mitgebrachtes Vesperbrod auf der Bank, welche Wattines an dem obersten Ende der Insel, neben schönem Gesträuche und vertieften Blumenbeten anlegte, von welcher Stelle man einen großen Theil des See's übersehen kann. Sie ist nicht weit von der Hütte, wo Wattines mit Frau und Kindern 4 Jahre wohnte, ohne von Jemand besucht worden zu seyn: ohne alle andre Hülfe, als Geduld, Fleiß und [85] Liebe. Ich äußerte Vandek meine Begierde mehr von ihnen zu wissen, indem das Abmessen des Weges von Flandern und Versailles, nach dieser Insel, und die Uebersicht von allem, was diese jungen Leute hier gethan haben, meine ganze Seele beschäftigte. Er fand meine Neugierde sehr natürlich, und sagte: was er von ihnen wisse, sey, daß sie in französisch Flandern, diesem so sehr bevölkerten, und so schön angebautem Lande gebohren wurden, durch den Wohlstand ihrer Familien eine vortreffliche Erziehung genossen haben, und zu äußerst glücklichen Aussichten bestimmt waren. Emilie ward im 18ten Jahre durch die unselige Revolution zu einer Vater- und Mutterlosen Weise gemacht, und aller Güter beraubt, so, daß ihr beynahe nichts, als ihr Bräutigam Wattines blieb, welcher, nachdem sein Oheim und sein Bruder ermordet worden, seinem eigenen Tode und dem Anblicke der Ungeheuer entfloh, welche ihm seine Verwandten und [86] Freunde tödteten Die Seele und die Grundsätze des edlen jungen Mannes waren verwundet. Der mit dem Blute seines guten Königs und so vieler tausend rechtschafnen Menschen benetzte Boden war nicht länger Vaterland für ihn. Er raffte das Wenige, was er und seine geliebte Emilie noch hatten, zusammen, und eilte einen Welttheil zu erreichen, wo er keine Mörder der Unschuld, keine Räuber des Vermögens der Witwen und Waisen sehen würde. Amerika war also sein Zufluchtsort, aber unsere großen Städte zu reich und prachtvoll. Angebaute, oder bevölkerten Orten nahe liegende Pachthöfe waren ihm zu theuer, für die kleine Summe geretteter Pfennige, wie er uns sagte. Der Zufall machte ihn mit einem alten, aber auch armen Quaker bekannt, welcher ihn nicht weit von seinem Garten, trostlos und Menschenscheu herum gehen sah, ihn anredete, ihm Theilnahme zeigte, und durch sein sanftes[87] Zureden den Kummer seiner Seele ergießen machte. Dieser wackere Mann sagte zu ihm:

Du bist arm, und willst weder mit Reichen noch vielen Menschen leben, willst du aber arbeiten und Gott vertrauen, so nimm einen Theil des Erdreichs an der uns abgetretenen Seite des See's Oneida, oder der Insel, die werden sehr wohlfeil gegeben, und nimm einen treuen Mann zu dir, welcher Arbeit und Ertrag mit dir theile.

Diesen Vorschlag ergriff Wattines mit Eifer. Der Quaker schafte ihn die Freyheit, die Insel zu bewohnen, half ihm alle nöthigen Bedürfnisse einfach aber dauerhaft anschaffen, gab ihm Unterricht in Ansehung der auf der andern Seite des See's wohnenden Indier und ihrer Behandlung, wieß ich Fischer an, welche ihn auf die Insel begleiteten und die Holzhütte bauen halfen. Nach dieser [88] Leitung zog er mit seinem zärtlichen Weibe hierher. Wie ich sie entdeckte, habe ich Ihnen kurz erzählt. Von dem ganzen Gange ihres Lebens auf dieser Insel können Sie Bruchstücke in den aufgezeichneten Erinnerungen meiner Frau finden, die Ihnen gerne alles mittheilen wird. Gewiß, alles verdient bemerkt zu werden, und Sie können Ihre Muße nicht besser anwenden, als dieses Bild der edlen Verwendung seines Unglücks und seiner Kräfte, in ein vortheilhaftes Licht zu stellen. Ich, meine Frau und andre Colonisten haben entweder keine Zeit, oder kein Geschick dazu. Vielleicht gewinnen Sie Wattines Freundschaft, und dann ergänzt er die Lücken welche in den kleinen Blättern meiner Frau seyn müssen, da sie meist nur Abends spät, ehe sie zu Bette ging, oder während sie unser jüngstes Kind stillte, mit Bleystift das Merkwürdigste aufzeichnete, was sie ihrem Mädchen nützlich achtete, erzählt zu werden. [89] wenn sie einen Abend mit der lieben Emilie verschwatzt hatte.

Bey dem Zurückfahren erzählte mir Vandek noch, wie sehr Wattines ihn bey seinem ersten Besuche auf der Insel bat, ja auf dem festen Lande nicht von ihm zu sprechen, und ja niemand anders von den Colonisten zu ihm herüber zu schicken; doch hätte er gerne eingewilligt, daß er seine Frau, ein paar Kinder, und wegen dem Rudern auch seinen Verwandten, den Candidaten, wieder mitnehmen könnte. Auf die Anfrage, ob er ihm nichts mitbringen solle, habe er ihm nach einigem Schweigen die Hand gedrückt und erröthend gesagt: ja, etwas Brod und Salz. In dem Augenblicke aber, wo Vandek sich dem Nachen näherte, habe Wattines noch mit angelegnem Tone gesagt: o, bringen Sie doch eine Carafine Milch mit, für meine gute Frau, welche sie so sehr liebt, und in vier Jahren keine kostete.

[90] Regen verhinderte einige Tage den Besuch, aber dann kamen sie mit allem, was zu Thee gehört und mit ihrem vier Jahre alten Knaben auf die Insel.

Lassen Sie sich, sagte Vandek, von meiner Frau erzählen, mit welcher Bewegung Frau von Wattines sie aufnahm, wie herzlich sie ausrief: Gott sey Dank! als die Milch auf den Tisch gestellt wurde, und die liebe Emilie sogleich um eine halbe Tasse voll für sich bat, und Thränen von ihren schönen Augen in die Schale ranten, als sie die Hälfte dieses ihr so lieben Tranks ihren Kindern zu kosten gab. Artig war es, wie der muntre junge Franzose Caremil, meinen dicken gesunden Jonas betrachtete, dann ihn freundlich bey der hand nahm und zum Laufen winkte. Meine Frau hatte von dem Spielzeuge unserer Kinder, ein kleines nürnberger Pferd für Caremil, und dem Mädchen eine Puppe mitgebracht. Diese freuete sich der Puppe, Caremil [91] besah das kleine Pferd, welches mein Knabe in das Gras stellte, lange von ferne, und am Ende besonders die Füsse, lief aber schnell weg, und kam mit einem kleinen Käfer wieder, den er auch hinsetzte, und zu seinem Vater sagte:

Dieses Thier sey so klein und laufe, das Ding da viel größer und bewege sich nicht.

Wir mußten alle lächeln, und sein Vater zeigte ihm, warum das Pferd nicht laufe, ging dann mit mir, dem Knaben und meinem Vetter weg, bis der Thee fertig seyn würde. Bey unserer Zurückkunft bemerkten wir bey Frau Wattines eine sichtbare Freude, daß sie eine europäische Familienmutter bey sich sah, und ihres guten Herzens und Verstandes sicher seyn konnte. Ihr heutiges Staunen, mein Freund, setzte er hinzu, und das Meine, so groß es bey meinem ersten Besuche war, können auf keine Weise der innigen [92] Gemüthsbewegung meiner Frau zur Seite gestellt werden; denn sie fühlte nicht nur als Gattin eines Colonisten alle Beschwerden der ungeheuern Arbeiten des Mannes, sondern auch als Mutter das unaussprechliche und vielfache Weh, hier Mutter zu werden, hier zu denken, dein Mann, der Vater deiner Kinder kann sterben! dann bist du und sie allein in dieser Einöde; oder zu sagen, ich kann sterben, laß ihm ein kleines Kind, und er bleibt mit allem Jammer des Lebens belastet hier. Es schauderte meiner menschenfreundlichen Frau, die nicht sehr gerne an den See Oneida zog, weil sie auch zu bessern Tagen gewöhnt war, aber nun dankte sie Gott für unsern Entschluß, weil dadurch einer so verlaßnen, aus aller Verbindung gerissenen Familie Trost und Hülfe zufloß. Sie war seitdem auch heiterer und glücklicher in unserer Hütte. Es kostete Mühe, Wattines zu bewegen, ein Landgut bey [93] uns zu nehmen. An Alleinseyn gewöhnt, und zu stolz jemand anders als einem Könige etwas zu danken, nahm er es nur auf bedingte Abgaben an, und da wir ihm den Genuß der Insel von dem Congreß verschaffen wollten, stimmte er nur dahin ein, daß es Belohnung für Ingenieur Dienste bey der Anlage der Stadt seyn sollte.

Sie sehen, meine Freunde! was dieser Tag für mich seyn mußte, und können sich die Gefühle denken, mit welchen ich bey unserer Zurückreise die Insel betrachtete. Ich speißte bey Vandek zu Nacht, und er sagte mir:

Sie kennen nun die Scene, wo das Schicksal zwey außerordentlichen Personen den Beweis gab, wieviel die Menschen vermögen, wenn es ihnen Ernst ist, alle ihre Kräfte, und ihr Nachdenken zu verwenden. Nun sagte er seiner Frau, daß er mir die Versicherung [94] gegeben hätte, sie würde mir alles mittheilen, was sie von Wattines aufgeschrieben habe.

Die gute Frau versprach es nicht allein, sondern gab mir noch den Abend alle Hefte mit nach Hause, mit dem Versprechen, Hrn. und Frau Wattines zu bewegen, sich mit mir in Erläuterungen einzulassen, wenn ich ihre Erinnerungen unvollkommen fände, oder einige Theile besser ausgeführt wünschte. Ich trug das kleine Packet Papiere mit mehr Freude und Sorgfalt in meine Wohnung, als ich vielleicht einen Sack mit Geld heim getragen hätte; denn ich war von den Bildern alles dessen, was ich auf der Insel sah, noch so eingenommen, daß mir die Geschichte dieser Menschen die merkwürdigste schien, welche mir vor kommen könnte. Zwey Tage lebte ich allein mit diesen Papieren, welche ich mit wahrem Heißhunger verschlang, dann stückweise überlas, und nachdachte, wie ich in dieser Lage gehandelt haben würde? und ich [95] mußte hier die Verschiedenheit des National-Characters anerkennen.

Sicher hätte ich wie Wattines gearbeitet, mich und meine Familie zu ernähren. Ich hätte Korn, Flachs, Gemüs und Obstbäume gepflanzt, aber gewiß nicht daran gedacht, neben einer Bank meiner Frau Blumen aufzuziehen, oder ihren Namen dreyfach an einem Altare zu schreiben; doch sagte ich mir auch, mit Zurückdenken an Heinrich Humes Grundsätze der Critik: wie er behauptet: Wohlgefallen an einer Handlung, welche wir erzählen hören, zeige an, daß in unserer Seele eine übereinstimmende Neigung liege, und beweise, daß wir gerne eben so handeln und denken würden, wenn die nämlichen Umstände uns dazu aufforderten. Ich schrieb mir also etwas von Humes sympathetischem Gefühle der Tugend zu. Sie, die mich am besten kennen, werden bey dem Fortgange der Erzählung, genau zu sagen [96] wissen, in wie weit ich Wattines ähnlich gewesen seyn würde, und in was der teutsche National-Character eine Verschiedenheit bezeichnet hätte.

Mein Zimmermann erleichterte mir die Annäherung zu Wattines trauterer Bekanntschaft. Er wurde, wie Sie wissen, in der Colonie aufgenommen, und bekam sein Stück Land, gleich neben Wattines, an dem See. Letzterer fieng an zu besorgen, sein Nachbar möchte ihm durch den Bau seines Hauses, die Aussicht auf die Insel benehmen, für welche er die größte Anhänglichkeit hat, und ihren täglichen Anblick nicht verlieren möchte. Da ich den braven jungen Mann hieher führte, und zu seinem Glücke half, so glaubte Wattines, daß ich etwas über ihn vermögen würde; er suchte mich also auf, erwähnte freymüthig seine Besorgnisse, und die Wünsche darüber beruhigt zu seyn. Er ist mir so werth, der Boden der [97] mich aufnahm, sagte er, daß ich ihn nicht aus den Augen verlieren möchte. Ich fand die Ursache so schön, so sehr in die Gefühle seines Herzens verwebt, daß ich im versprach, dafür besorgt zu seyn. Er freute sich, und bat um baldige Antwort, indem er hinzu setzte: der Mann wäre gerade beschäftigt, einen Platz zu ebnen, und er habe ihn mit Schritten umgangen, welche den Plan eines Hauses bezeichneten. Ich nahm sogleich meinen Hut, und folgte ihn bis an seine Wohnung, von welcher er mir die so liebe Aussicht auf die Insel zeigte, welche er allein um Emiliens willen verlassen habe, und nur in dem täglichen Anblicke einen Ersatz fände.

Nun suchte ich meinen Zimmermann auf, und sprach eben so gerade mit ihm, als Wattines mit mir. Ich bemerkte daß mein Landsmann roth und nachdenkend wurde; dieß machte mir bange, eine schwere Arbeit zu treffen, und flochte allerley schöne Beweggründe zusammen, [98] um ihn zu dem gewünschten Entschlusse zu leiten, wurde aber sehr überrascht, als er mit dem Lächeln der innigsten Freude sagte:

O wie froh bin ich, zu hören, daß es Ihnen und dem guten Herrn v. Wattines so sehr darum zu thun ist, daß ich meiner Hütte eine andre Stelle gebe; denn jetzo darf ich wohl auch um etwas bitten, woran mir eben so viel gelegen ist. Gewiß, antwortete ich, sage Er es nur frey heraus. Ach! erwiederte er schüchtern, es ist etwas sehr großes, aber ich will gerne Herrn von Wattines meine Hütte ganz opfern, oder mein Gut zu seinem Hofguth machen, wie es in Teutschland gewöhnlich ist, wenn er mich etwas Geometrie und Baukunst lehren wollte. Ich würde sehr fleißig seyn, daß er nicht so viele Mühe mit mir hätte, wie mit einem andern, und danken würde ich es ihm mein Lebelang. Richten Sie es doch aus, ich bitte Sie.

[99] Ich hatte wahre Freude für Wattines, und Freude an der Wißbegierde meines Zimmermanns, der so gerne sich und sein Guth verpfänden wollte, wenn er nur hoffen könnte, eine Art geschickter Baumeister zu werden. Ich sagte ihm, daß ich sogleich mit Wattines sprechen würde, ging auch mit wirklich eilenden Schritten seiner Wohnung zu. Er hatte mit Wünschen und Verlangen nach guter Antwort auf mich gewartet, und kam, mit einem noch viel lebhaftern Gang als der meine war, mir entgegen. Ich winkte ihm von ferne das ja zu, und er dankte mir sehr gerührt, setzte auch hinzu: könnte ich nur dem braven Manne und Ihnen, meine Dankbarkeit in der That beweisen. – Er sagte dieses mit dem Ausdrucke der Wahrheit und des Wehs, so wenig zu vermögen. – Sie können es, fiel ich schnell ein, ihn bey der Hand fassend, Sie können Ihren Nachbar zehnfach belohnen.

[100] Wie, wie? ich bitte Sie, wie kann ich es?

Nun erzählte ich ihm meine Unterhaltung mit dem Zimmermann, wie Sie eben gelesen haben, und Wattines sprach freudig:

Von ganzer Seele will ich dem rechtschafnen Manne alles mittheilen, was ihm dienen und ihn freuen kann. – Sie sind doch nicht zu müde, fuhr er fort, kommen Sie mit mir zu ihm, und seyn Sie Zeuge meines Versprechens.

Das bewilligte ich gerne, und redete noch mit ihm von der Wißbegierde des Mannes, und wie er so getreu seinen Dank, nach dem hohen Werthe der Wohlthat berechnete. Wattines wurde nach gerade stille, etwas tiefsinnig, ja mich dünkte er blicke mit ernster Trauer nach mir. Sollte, dachte ich, der Mann eine Reue über sein schnell gegebenes Versprechen fühlen? und stand stille. Herr von Wattines, wir wollen nicht weiter. Mir [101] scheint, Sie machten Ueberlegungen wegen der so rasch gegebenen Zusage, einen mühsamen Unterricht zu übernehmen. Sagen Sie mir, ich bitte, Ihre Gesinnung. – Er antwortete, gerne; aber mit gedämpfter Stimme setzte er hinzu: das Anerbieten des ehrlichen Mannes, mir für das, was er von mir wünschte, seine Besitzungen hinzugeben, machte mich nachdenkend. Ach, ist dieses nicht Wiederholung der Geschichte der Lehen-Rechte, da Bedürfniß einer Hülfe, Begierde nach Erfüllung eines Wunsches, nach etwas, so in der Gewalt eines andern war, ehemals solche Entwürfe machte, gute Menschen zu eben solchen Anerbieten leitete, welche von Rechtschafnen, ohne Mißbrauch der Noth des Bittenden auf billige Bedingnisse angenommen, leider aber von den niedern habsüchtigen Seelen, zu größern Vortheilen benützt wurde? Der traurige Gedanke drängte sich mir auf: ach, hier auf diesem neubewohnten [102] Boden keimte nun auch, in dem Kenntniß und Ehre liebenden Herzen dieses redlichen Mannes die Idee auf: ich will was er hat, was ich wünsche, nicht umsonst, will ihm dagegen anbieten, was in meiner Gewalt ist. Wissenschaft ist ihm, was ehedem Sicherheit gegen Feinde in dem Schutz tapferer Ritter oder Versicherung der Seligkeit von den Geistlichen, vor so vielen Jahrhunderten in Europa war, wofür sich Landleute hingaben, wie der gute Zimmermann, sich und seine Haabe für Geometrie und Baukunst, in meine Hände geben wollte, und also einst in Amerika, die Nachkommen meines Sohnes, auch in einer Revolution ermordet, auch wieder von dem eigen angebauten und übertragenen Feldguthe vertrieben würden, wie ich von dem meiner Voreltern.

Mein ernster europäischer Freund wird mich nicht tadeln, wenn ich sage, daß diese [103] unerwartete, aber in Wattines sehr natürliche Betrachtung, gerade weil sie so treffend war, mich rührte. Ich sagte ihm, ich ich könnte diese Erinnerung und Anwendung nicht mißbilligen, und nur den angenommenen Satz großer Philosophen entgegen stellen, daß nichts auf der Erde zweymal in der vollkommnen Aehnlichkeit erschiene.

Er lächelte, wie ein Kranker gegen den Freund lächelt, der ihn mit Hoffnung des Besserwerdens tröstet, und sagte mit einem Blicke nach der sich senkenden Sonne: ach, die Geschichte der Menschheit zeigt mir einen Kreißlauf des Denkens, Handelns und der Leidenschaften, wie die Sonne und die Jahrszeiten ihre Cirkel seit Jahrtausenden beschreiben.

Ich faßte seine Hand und ging in seine Gedanken über, indem ich sagte: Sie sahen also auch immer, von Zeit zu Zeit, einen [104] höchst edeln Sterblichen, wie Sie es sind, auf ihres Gottes Erde wandeln.

Er drückte meine Hand, und blickte männlich innig mich an, da er mit sanft ernstem Tone sagte: Dank, daß Sie Gottes Erde nannten, denn dieses allein hielt mich auf ihr fest, aber ich freue mich sterblich zu seyn.

Ich sagte: der Himmel wird Sie für Ihre Familie und zu einem Beyspiele des hier neu aufwachsenden Geschlechts erhalten.

Ein Blick und eine bescheidne edle Verbeugung seines Kopfes war die einzige Antwort, welche er gab. Nun waren wir nahe bey dem Zimmermann, dieser eilte uns entgegen, und bald war der schöne Vertrag des emsigen Fleißes, und des treuen Unterrichts in dem beyderseits gebrochnen Englischen, unter meiner Gewährschaft geschlossen. Wattines freuete sich, und der brave Handwerker dankte mir. Bey dem Zurückgehen fragte [105] mich erster, ob ich noch einige Zeit dieses Sommers hier bleiben würde? – Der Ton seiner Stimme, und sein auf mich geheftetes Auge, sagten so deutlich, daß er es wünsche, daß mein Herz antwortete:

Ja! auch den Winter, wenn ich Sie oft sehen und sprechen kann.

Ein flüchtiges Erröthen, das ein schnelles Pressen unsers Herzens hervor bringt, und eine eben so schnell und flüchtig in seinem prächtigen Auge sich zeigende und schwindende Thräne, waren unmittelbare Vorläufer einer nach einigem Stillschweigen folgenden Antwort, wobey er stehen blieb, sich zu mir wandte und sagte: das Schicksal hat mich nach vier Jahre langer Einsamkeit wieder mit Nebenmenschen verbunden. Ich fühlte schon oft den wohlthätigen Einfluß des gesellschaftlichen Lebens für mich und die Meinigen, fühlte auch durch die Bekanntschaft des Vandek wieder Empfindungen [106] der Freundschaft erwachen: Sie erheben dieses Gefühl zu einem Wunsche, um so mehr, da Sie aus einem Theile von Teutschland sind, dessen Einwohner ich, besonders wegen dem Geiste und Character der Fürstlichen Familie liebe; denn ich war einige Zeit in Straßburg in Garnison, machte kleine Reisen nach Carlsruh, lernte den weisen menschenfreundlichen Regenten kennen, verehrte ihn, gefiel mir in dem Fleiße der Unterthanen, und der Güte ihres Landesherrn; aber wie weit war ich entfernt zu denken, wenn ich bey der Zurückkunft mit meinen Jugend-Freunden von diesen Reisen sprach, daß ich einst ohne Freund in einem andern Welttheile leben würde, bis ein in den baadenschen Landen gebohrner schätzbarer junger Mann, mir diese edle Menschenfreude in einem erneueten Bilde zeigte.

Wir waren jetzt am Ufer des See's. Die von einem sanften Abendwinde bewegten [107] Wellen rauschten in dem von der niedergehenden Sonne erhaltenen Purpurlicht an uns vorbey, und in diesem Moment traf die Erinnerung an mein Vaterland, an meinen Fürsten und an meine Freunde Wucherer so unverhoft an meine Seele, daß ich Wattines weinend umarmte, indem ich ausrief: Gott! die Erinnerung an Carlsruh hier! von einem Sohne Frankreichs! Wie sonderbar ist dieses Zusammentreffen!

Nicht so sonderbar, erwiederte Wattines lebhaft, als daß Carl Friedrich von Baaden und Robespierre zu gleicher Zeit als Nachbaren lebten.

Nun gingen wir den übrigen Weg meist schweigend, gegen seine Wohnung zu. Emilie kam uns mit den Kindern entgegen. Wattines rief ihr zu: Ich habe meinen Wunsch erreicht, die Aussicht auf die Stelle, wo wir den ersten Abend auf der Insel uns umsahen,[108] bleibt mir offen. Hier der Freund des Herrn Vandek hat mir dieses Glück erhalten.

Die liebenswürdige Frau dankte mir für die große Freude welche ich ihnen dadurch schaffte, und ersuchte mich den Abend bey ihnen zu bleiben, indem Vandeks, bey welchen ich mich zu Gaste gebeten hatte, bey ihnen essen würden. Wattines entfernte sich, und brachte den Zimmermann mit nach Hause. Unser Tisch war in ganz altem Tone bestellt, denn der gute, bey Wattines wohnende Taglöhner, seine Frau und Tochter aßen mit uns ihren Antheil Wandertauben und Erdtoffeln, wie wir, tranken Sproßbier mit uns, und sprachen dann mit ihrem Herrn von der Arbeit des folgenden Tages, gingen aber früh weg zu Bette. Nun sprach Wattines von dem Plane und den Wünschen des guten Zimmermanns, Emilie brachte eine Flasche von ihrem Honigwein, dessen wirklich angenehmer Geschmack mich in [109] Verwunderung setzte. Ich berührte nun mein Verlangen etwas von ihrer Reise nach der Insel, und von ihrem einsamen und arbeitvollen Leben zu wissen.

Das sollen Sie, sagte Wattines, in sehr munterm Tone in meinen Abendstunden hören, wenn Sie Wort halten, und den Winter bey uns bleiben.

Ich versicherte dieses, und alle bezeigten ihre Zufriedenheit über meinen Entschluß. Der edle Wattines setzte hinzu: Emilie soll Ihnen auch von ihr erzählen, und alle Abend von ihrem Inselwein vorsetzen.

Also bin ich wirklich verbunden zu bleiben, auch wie ich die Menschen und die Gegend fand, gefalle ich mir besser am See Oneida, als in einer der Hauptstädte, wo man ganz den Wiederschein europäischer Pracht und Wohlleben findet. Hier bin ich für alle diese Menschen sehr viel, bey den [110] glücklichen Bewohnern einer schon eingerichteten volkreichen Stadt, nur eine Person mehr; und ich bekenne, dieser Gedanke fesselte mich auch. Vandek und seine Frau versicherten mich bey dem Nachhausegehen, daß mein Entschluß ihr Glück vergrößere, und so ging ich selbst auch glücklich schlafen.


Meine Freunde glauben gewiß ohne meine Versicherung, daß ich sehr bald einen Auszug von den Blättern der Frau Vandek notirte, über welche ich bey Wattines noch einige Erklärungen wünschte; aber da ich irgendwo in der Ordnung anfangen mußte, so wiederholte ich ihm selbst die Erzählung, welche mir Vandek von den Beweggründen gab, die ihn nach Amerika führten. Wattines sagte: ich will Ihnen darüber schreiben, denn die Zeit und die Sammlung der Gedanken fehlen mir zum [111] mündlichen Vortrage. – Acht Tage nachher gab er mir diesen Aufsatz.

»O, wie soll ich sagen, warum ich auf der Insel war, und nun in dieser Holzhütte bin? Ich floh Frankreich, nachdem man meinen Onele und meinen ältern Bruder ermordet hatte, welche ich beyde unaussprechlich liebte. Meine Schwägerin starb in Geburtswehen mit dem Kinde aus Jammer über den Tod ihres so liebenswürdigen Mannes. Die Familiengüther wurden eingezogen: die höchste Güte und Wohlwollen für alle, konnten selbst den besten König nicht retten. Ungerechtigkeit und Grausamkeit siegten überall, und Tugend verlor. – Meine Seele war empört und zerrissen. Ich konnte nichts mehr thun, als mein Leben oder meine Grundsätze aufopfern. Das letzte wollte ich nicht. Mich auch morden zu lassen? zu was half ein Todter mehr? und Emilie, meine Braut, die mich liebte, hatte niemand mehr, [112] als mich. Ich konnte mich dem Tode nicht weihen, da Emilie nur für mich lebte. – Wir flohen also, wie so viele andre Familien, nach Amerika, raften von dem, was die Räuber und Mörder nicht genommen hatten, noch so viel zusammen, als wir konnten, selbst Lieblingsgegenstände von mir, Bücher und mathematische Instrumente: Emilie, meine mir nun augetraute, in Flandern gebohrne, so gern reinliche Emilie, wollte sich nicht von dem Ueberreste ihres Leinen trennen. Ich wollte nicht nach England, weil man mir sagte, es liebe uns nicht; andre europäische Staaten waren mir nicht eifrig genug zur Hülfe, und ihre Länder zu sehr mit den Nachrichten und Anhängern der Revoluzion erfüllt. Mein Vater und mein älterer Bruder hatten mir Amerika oft gerühmt. Liebe zum Leben, zu Emilie, und der Wunsch, das Ende der Revoluzion zu sehen, neben dem Haß gegen die Menschen in Frankreich und Europa, [113] führten mich nach Philadelphia; aber da wurde stets und immer von den unseligen Begebenheiten meines Vaterlandes, und seinem Umsturze gesprochen, und meine tief verwundete Seele hatte schon auf der Reise durch das Geschwätz des Leichtsinns, durch leere Entwürfe der Wiederherstellung des Guten, und durch Ideen einer elenden Rache, unter den mit uns überschiffenden Flüchtlingen gelitten. Die Pracht, die Lebensart in Philadelphia, ruften mir Paris und Brüssel in das Gedächtniß zurück; auch waren viele Emigranten mit viel mehr Hülfsmitteln als ich herüber gekommen. Ihr Character und ihr Betragen mißfielen mir, ich wollte die Zeit nicht abwarten, den Gutgesinnten durch Vorschläge und Ansuchen beschwerlich zu fallen, oder den Bösgrtigen ein Gegenstand des Spottes und des Uebermuths zu werden; besonders da ich in dem Grunde meiner Seele diesen Uebermuth der Reichen und Großen als [114] die Ursache des Umsturzes der Monarchie betrachtete, und sie haßte, – sicher war, daß diese Menschen, welche in glücklichen Tagen keine edlen Gesinnungen zeigten, auch zetzo nicht mit mir stimmen würden. Ich fühlte Geringschätzung für den Geist der Männer, fürchtete für Emilien den Umgang ihrer Weiber, scheute den Vergleich zwischen meinen Umständen und denen, in welchen sich die Bewohner der französischen Seeküsten noch mit großem Vortheile retten konnten. Ich suchte ein kleines Landgut in der Nähe der Stadt zu kaufen, ging daher oft zu den Besitzern der umherliegenden Bauerhöfe, weil ich hoffte, einen zu treffen, der als Pächter mit mir leben, und den Kaufschilling als zurücklegenden Erwerb ansehen würde. Ich war aber zu einem solchen Kaufe nicht reich genug. Traurig machte ich einen Abend meinen Weg zurück: unweit eines artigen Bauerhauses blieb ich an einer Magnolia gelehnt stehen und jammerte[115] aus voller Seele, daß mir von dem großen Vermögen und zwey Schlössern meiner Väter, nicht einmal so viel übrig war, eine eigne Hütte zum Obdach, und Feld zum Anbau meines Brods zu kaufen. In meinem Kummer und Nachdenken vertieft, bemerkte ich nicht, daß jemand sich mir näherte, bis auf einmal ein alter Quäker neben mir stand, und theilnehmend mich betrachtete. Ich stutzte, und grüßte ihn, – als er sagte: Fremder! du vergißt, daß es bald Nacht seyn wird, wenn du nach der Stadt willst, so hast du Zeit. – Ich dankte ihm und war in Wahrheit etwas ängstlich als ich mich umsah. Der liebe Mann bot mir an, mich den kürzesten Weg zu leiten. Mein wenig Englisch zeigte ihm deutlich, daß ich einer der neuen unglücklichen Ankömmlinge sey, und seine väterliche Treuherzigkeit bewegte mich, ihm die Ursache meines Tiefsinns zu sagen. Er erwiederte mit sanftem Ernst:

[116] Du hast sehr irrige Begriffe aus Europa mitgebracht, da du vermuthen konntest, ein guter Landmann würde so leicht, die von seinem Vater, oder von ihm selbst angebaute Erde verkaufen, und kein Mann, der Seele und Eigenthum hat, wird jemals Söldner werden. Ziehe tiefer in das Land, suche eine Familie die auch nicht reich ist, vereint Eure Kräfte, und bauet Felder unter Gottes Segen und täglichem Fleiße, so wird sich deine Trauer und deine Sorge mindern.

Es war zu spät ihn mehr zu fragen, als, ob ich ihn wieder besuchen dürfe?

Gerne, wenn ich dir was helfen kann. Schon lange hatte ich von den Quäkern gehört, und es war mir eine angenehme Zerstreuung, diese mir neue Art Wesen näher kennen zu lernen; aber es verflossen einige Tage, ehe mir die Umstände erlaubten, wieder auszugehen, und Emilie wollte sich nur [117] Abends auf dem schönen Platze eine Bewegung machen. Während dem verbitterten mir die Nachrichten von der Ankunft so vieler Familien des französischen Adels den Aufenthalt in Philadelphia, und da ich meiner holden Emilie, die zunehmende Unruhe meiner Seele verbergen wollte, so ging ich bey einbrechender Nacht noch auf dem großen Spatziergange allein, über unser Schicksal nachzudenken. Ich wollte keinem meiner Landsleute mich entdecken, und dachte an den Quäker, um seinen Rath zu holen. Um ferner nachzudenken, setzte ich mich auf das oberste Ende einer Bank, welche ganz im Finstern stand. Ich war aber nicht lange da, als ich einige Stimmen französisch sprechen hörte, und aus dem Stoff der Unterredung bemerkte, daß es der Gesandte der Pariser Patrioten mit einigen Anhängern aus Philadelphia war. Mein Herz wurde äußerst bewegt, und der Gedanke: in Amerika ward [118] der Saame zu der unseligen Revoluzion geholt, beklemmte meine Seele. – Amerika war nun nicht mehr Zufluchtsaufenthalt für meinen Engel Emilie und für mein Herz, es war der Boden, auf welchem unser Elend keimte. Die Gestalt meines Schicksals wurde mir fürchterlich und unerträglich. Die Idee, daß ich einmal diesen verwünschten Gesandten treffen und sehen könnte, daß ich unter lauter Freunden der Neufranken lebte, daß Frankreich die Republik der Amerikaner gründen half, alles dieses bestürmte meine Seele zu sehr. Ich verfluchte die Asche des Ministers von Vergennes, welcher England necken wollte, und den Verfall unsers Königreichs bereitete. O, was für eine Lage war die meinige! Geburts- und Zufluchtsort mit gleichem Hasse zu denken! – Stellen Sie sich die Stimmung vor, in welcher ich zu Emilien zurückkam; denn an das Verbergen meiner Gemüthsbewegung [119] dachte ich gar nicht mehr. Sie erschrak über den Ausdruck der Leidenschaft, welcher in meinen Zügen verbreitet war. Ich hatte sie umarmt, ohne zu sprechen. Ich holte schwer Athem, und vermied ihre Blicke.

Mit zärtlicher Angst fragte sie: O, was ist in deiner Seele? rede, laß mich Antheil nehmen an deinen Jammer, Wattines! Du leidest, du bist krank, Gott, was ist dir geschehen! kann deine Emilie nichts für dich thun? – Ach! sie stand vor mir mit ringenden Händen und flehenden Blicken. Ich stürzte zu ihren Füssen, und rief:

Ja Emilie! ja, du kannst mir helfen. O, wenn du mein Leben und meine Ruhe liebest, geh mit mir in die äußerste Einsamkeit. Ich sterbe hier elend und wahnsinnig. –

Sie zitterte und sank auf den Stuhl zurück, von welchem sie aufgestanden war, bog [120] sich aber gleich wieder vorwärts gegen mich, und lebhaft rief sie aus:

O, gerne! gerne, heute noch, indem sie eine Bewegung zum Aufstehen machte. Nur laß mich wieder deine Züge sehen, wie mein edler liebender Wattines immer war.

Sie küßte meine Stirne, und weinte in stillem Schmerze. Ich weinte auch, und bat sie, mir den Kummer zu vergeben, den sie leide; aber ihr Versprechen nicht zurück zu nehmen, mit mir weit von Philadelphia wegzuziehen. – Sie hatte mich, während ich sprach von allen Seiten emsig betrachtet, meine Hände besehen, meine in Unordnung um meinen Kopf hängende Haare von beyden Seiten in die Höhe gehoben, meinen Kopf und Nacken zärtlich berührt, und sagte nochmals mit festem Tone und ohne Thränen: Ich folge dir in jede Wüste, ja in den Tod, und das heute noch, mit all meiner Liebe.

[121] Ihre Blicke lagen durchdringend auf meinen Augen, und die Erinnerung der nächsten Gefahr, die nach alt europäischer Sitte einen französischen Officier unter seinen Landsleuten begegnen konnte, verleitete sie zu der Frage: O sage, hattest du kein Duel? bist du nicht verwundet?

Aeußerst bewegt durch diese sorgsame Frage, sagte ich: nein, mein Engel! ich bin unverletzt, und habe seit ich dich verließ meist nur an dich gedacht, und mit niemand besonders gesprochen, als mit mir selbst.

Mich mit Ernst betrachtend, und mit dem Finger drohend, sagte sie: Du zweifeltest also an deiner Emilie, und ersannest die fürchterliche Scene, um mich desto eher zu bewegen. O Wattines! da legte sie schweigend ihren Kopf auf mich und weinte. Ich setzte mich neben sie, umfaßte sie und erzählte ihr alles, was diesen Nachmittag in mir [122] vorgegangen war, und die holde Liebe tadelte mich nicht, nahm Antheil an allen meinen Klagen und meinen Unmuth, ermahnte mich, einen Aufenthalt zu suchen, welcher mich und sie vor solchen Erinnerungen, und unser Glück und Liebe zerstörenden Gemüthsbewegungen schützen könnte.

Du willst einsam leben! führe mich hin wo du willst, wo nur unsere Liebe und die gütige Natur um uns seyn werden. Der ganz eigne Geist meines Wattines wird nur da glücklich seyn, und ich bin es nur, wenn er es ist; – denn mein Carl! deine Liebe allein kann nie der Grund meiner Zufriedenheit werden, deine Ruhe, deine Zufriedenheit müssen damit verbunden seyn. –

Sie können leicht denken, daß meine ganze Seele sich in Dankbarkeit ergoß, und dann schon Plane den übrigen Abend wegnahmen; ja als Emilie durch den auf ihr Herz gestürmten [123] Auftritt schon sanft schlummerte, wachte mein empörter Geist unter dem Hin-und Herwägen eitler Entwürfe noch. Der Gedanke, morgen meinen alten Quäker aufzusuchen, ihn um Rath zu fragen, beruhigte mich endlich, und ich schlief ein, aber nicht lange. Bey dem Frühstücke sagte ich Emilien meinen Entschluß, diesem guten Manne mich zu eröfnen; sie freuete sich darüber. Ich eilte zu ihm, besuchte aber noch einen Moment ein Caffeehaus, wo immer alle Nachrichten aus Europa zuerst mitgetheilt wurden. Ach! alle Tage besuchte ich es, mit der stets eitlen Hoffnung, gute Aenderung in Frankreich zu hören, auch den Morgen waren die Sachen schlimmer als je, und ich ging mit neu gebrochenem Herzen zu meinem Quäker, nach der Benennung dieser Secte, zu einem Freunde, die man immer in Stunden des Kummers aufsucht. Er empfieng mich, wie ein gütiger Weiser einen Jüngling, dem er wohl [124] vill. Ich erzählte ihm alles, zeigte ihm Trauer, Wünsche, Liebe, Sorgen und Haß meiner Seele. Er hörte mir aufmerksam zu, unterbrach mich nie, als hie und da mit dem sanften Ausrufe: arme Menschen! wie verirrt, wie quält ihr euch.

Die Erzählung des Mordes meines Oncles, meines Bruders und des Vaters meiner Emilie, füllte seine Augen mit Thränen. Er drückte meine Hand und sagte:

Ach! der Boden von Amerika ist auch mit Blutge tränkt; – aber sey ruhig, deine Verwandten sind bey Gott. Er sah alles. Er hat sie getröstet. Er lohnt sie. Er hat dich erhalten und wird dich stützen.

Nun zeigte ich ihm aufrichtig das Verzeichniß dessen, was wir retteten, was wir noch für die Zukunft verwahren und noch zum Verkauf geben wollten, ausgenommen unsre Bücher. – Nach einigem Stillschweigen [125] sagte er: Junger Mann! du bist hitzig, du hast Vorurtheile und Stolz, hast Bedürfnisse des Lebens und bist mit allen Menschen unzufrieden. Reichthum und Gewalt fehlen dir, um deinen Menschenhaß in Trotz zu zeigen, Güther zu genießen, und mitten unter ihnen einsam zu leben. Möchtest du es wagen, mit dir allein beschäftigt, wie unser erster Vater auf einer artigen, aber sehr abgeschiedenen Insel zu leben, wo du nicht gezwungen seyn würdest, nur des Nachts auszugehen, oder Einöden aufzusuchen um keine Menschen anzutreffen, aber immer unter den Augen Gottes zu wandeln, auf einer Seite nichts als Waldung und Fläche am Creek, auf der andern Waldung und ein kleines Dorf von guten Indianern zu sehen? Wolltest du dort die liebe Erde, durch ordentliche Feldarbeit bewegen, dir Nahrung zu geben, so will ich sorgen, daß du ohne Pacht und Kauf dahin kommst, will dir [126] durch gute Menschen ein Loghouse erbauen lassen, und einen rechtschafnen Mitarbeiter geben; aber du mußt dich bald entschließen, während meine Freunde noch in der Gegend fischen. Ich will für alles, einem genügsamen Menschen, Nöthige sorgen Deine Bücher, und das Beste so du rettetest, sollst du dabey behalten: dort kannst du lernen Menschen ertragen, Ueberfluß und Stolz verachten, den Werth mancher Kräuter und Thiere, ja, den von dir selbst kennen; aber Geduld und Fleiß müssen dich geleiten.

Ich dankte ihm, und ergriff den Vorschlag mit Freuden, zeigte ihm meine Arme, und sagte: daß ich Gärtner-Arbeit verstünde, und als sehr junger Mensch, meinem Oncle, welcher mich und meinen Bruder erzog, den Versuch machen half, ob der Abbee Roziers recht habe, zu behaupten, daß ein mit dem Spaten umgegrabenes Feld doppelt soviel [127] trage, als ein nur gepflügtes. – Mein Quäker freuete sich und sagte:

Nun so gehe in Segen, und werde ein guter Ackersman! Ich will für alles Nöthige sorgen, denke mit deiner Frau an mäßige Kleidung und auch an Weiber-Arbeitzeug. – Ich eilte zu Emilien; die sanfte liebende Seele war froh, noch einen lebhaften Wunsch, noch eine Hoffnung in mir zu sehen, mit Vergnügen und Zärtlichkeit folgte sie mir an den See Oneida. Ach, ich sagte ihr nicht, daß wir vielleicht ganz allein leben, oder nur Indier sehen würden. Ich fühlte da am lebhaftesten für mich, daß ich fern von jeder Spur europäischer Sitte, Kunst und Regierung seyn würde. Emilie fühlte sich glücklich über mein heiteres Aussehen, und fand den Entwurf auf einer Insel zu leben ganz herrlich. Die in dem Blute unserer Nation liegende Leichtigkeit alles zu fassen, alles thunlich zu finden, und im Vertrauen auf [128] unsern Geist und Thätigkeit, alles zu unternehmen, hat immer in Krieg und Frieden unserm Vaterlande große Vortheile geschafft. Dieses angebohrne Selbstvertrauen beseelte uns, und versicherte uns Glück und Vergnügen; deswegen kauften wir beynahe eben so viel Blumen- als Gemüs-Saamen, folgten unserm Quaker in allem, nur nicht in der Wahl der Betten, indem wir auch für den Winter nur Matratzen mit Schafwolle gestopft, statt der amerikanischen Federbetten nahmen, und allein große lederne Pfühle mit Federn gefüllt, nebst einigen wollenen Decken kauften; alles andre blieb der Kenntniß, und dem Gutdünken meines alten Quakers überlassen, welcher mir in wenig Tagen ein Verzeichniß aller meiner in Kisten gepakten Sachen gab, das was ich hatte, wurde damit vereint, und gute Quaker-Kleidung für uns auf die Reise und auf die Insel angeschaft hatte. Recepte zu Sproßbier, zu Ahornzucker, zum wilden Bienen, [129] und Wander-Taubenfang kamen auch zu unserm Vorrathe. Ich führte Emilien den Tag vor unserer Abreise zu unsern Freund, welcher ihren Muth bewunderte, und durch seinen herzlichen Segen stärkte. Er hatte zwey Fuhrleute bestellt, und gab uns Briefe an die Fischer, welche wir am See Oneida treffen würden. Bald würden wir, setzte er hinzu, Europäer zu Nachbarn auf dem Lande erhalten, indem diese Gegend zu der Grafschaft Onotaga gehöre und der Congreß den schifbaren Creek-Fluß, welcher sich in den See Oneida ergießt, zu Beförderung des inländischen Handels benutzen, und an dem Ufer des See's Oneida eine Stapelstadt erbauen wolle. Diese Aussicht war uns sehr tröstlich; mich freuete aber, daß die Stadt noch nicht stand, und ich also noch einige Zeit, weit von Menschen entfernt leben, und dabey einen Wunsch meiner Emilie erfüllt sehen würde, ohne etwas von dem meinigen zu opfern; denn bey der Bereitwilligkeit [130] mir überall zu folgen, hatte sie immer die Bedigniß gemacht, daß wir nahe an einem Flusse wohnen möchten. Ich hatte in meinem Herzen vieles dagegen, denn Flüsse werden von Menschen und Thieren besucht, und der Vorschlag von der Insel war mir tausendmal willkommner, weil er mein Fliehen vor Nachbarn, und Emiliens Verlangen nach Wasser befriedigte. Nun war aber noch ein großer Punkt zu besorgen; meines Quäkers Freunde sollten mir einen Gehülfen schaffen, und ich wollte keinen haben; bemerkte mit Vergnügen, daß Emilie mit mir gleich dachte, aber aus Sorge, ich würde, wenn ich allein arbeitete, meine Kräfte zu sehr anstrengen, wollte sie lieber eine starke arbeitsame Magd, am liebsten eine Witwe, welcher sie die Kinder besorgen wollte, während die Mutter im Felde, um zu arbeiten seyn würde. Der Quaker fragte:

Warum willst du nicht lieber einen braven[131] Knecht? – Emilie war verlegen, und sagte: guter Vater! wie, sollten wir einen alten Mann sich viel plagen lassen? und ein junger bey uns in der Einsamkeit, würde sich bald unglücklich fühlen. Der leisere Ton in welchem Emilie dieß sagte, das Erröthen dabey, wurde von unserm Freunde so gut verstanden, daß er sie bey der Hand saßte, liebreich auf sie blickte, und wirklich wie ein Patriarch sprach:

Du hast recht, meine Tochter! Zieh hin und glaube, daß wer so für seinen Nächsten denkt, von seinem Gotte nie vergessen seyn wird. Bereite dich aber auf das Entbehren einer Magd, denn fleißige Witwen ohne Kinder sind nicht gern in der Einsamkeit, weil sie wissen, daß man in Amerika arbeitsame und geschickte Weiber sucht, und was würdest du mit einer trägen Gehülfin machen? Eine treue Mutter würde beängstigt seyn, was aus ihren Kindern werden solle. Hier [132] schwieg er, und sah auf Emilien, welche schnell antwortete:

Nein Vater, ich will keine Seele mit Sorgen beladen, und an deinen Segen glauben, daß Gott für uns sorgen wird. –

Wir schieden von diesem Manne wie von einem Vater, und er weinte mit uns. – Ach, wie leicht war mir, als Emilie unterwegs versicherte, sie würde mit mir allein viel ruhiger und zufriedner seyn, als bey dem Gedanken, daß ein andres Wesen aus Noth in unser Schicksal verwickelt würde, welches vielleicht die Einsamkeit nicht tragen, oder unsere Lebensweise nicht lieben würde. Doch zitterte ich oft wenn wir bey einzelnen kleinen Anlagen vorbey kamen, wo mehrere Leute arbeiteten, und Emilie nachdenkend hinblickte. Die Idee, ach vielleicht fühlt sie nun, daß wir nicht so glücklich seyn werden, Menschen um uns zu haben,[133] und verbirgt ihre Unruhe vor mir, wie ich mein Entzücken über die unbewohnten Ebenen, Wälder und unbeschifften Flüsse. Ich webte in unsere Entwürfe oft den Gedanken: Es freue mich eine Probe der gänzlichen Einsamkeit zu machen, die Zeit gehe schnell, und die Fischer, welche uns nach der Insel führten, würden uns besuchen, und könnten uns wieder zurück nehmen. Unter dem Ausbruche des Enthusiasmus für Größe und Schönheit der Natur, machte ich die holde Emilie aufmerksam auf die Scenen, an welchen wir vorüber kamen, wenn hier und da ein Blick von ihr in das Dunkle dichter Wälder hinschauderte, und das Aufbrechen und Fliehen wilder Thiere Emilien erschütterten, und den Gedanken in mir rege machten: wohin führst du sie? so nahm ich meine Zuflucht zu ihrer innigen Liebe für mich, und zu ihrer Religion, drückte sie an mich und sagte:

Emilie! wie prachtvoll, stark und innig [134] verbunden ist alles, wie es aus der Hand Gottes kam, wenn Menschen noch nichts verdorben haben! Ach, da freuete sie sich der ungeheuren Wälder der Gegend am Ontaria, der Wasserfälle in den Strömen, und lächelte, wenn der Knall der Peitschen unserer Fuhrleute die Indischen Hühner scheu und von den Bäumen abflattern machten: die großen Flüge der Zugtauben ergötzten sie. – Endlich waren wir bey den Fischern und ihren Hütten. Es schauderte mir in meiner Seele, aber ich wollte nicht zurück, Emilie bebte, bey dem Erheben der Blicke über den See hin, nach der Insel. Ich faßte mich, umarmte sie und sagte: Gott sey Dank, wir sind gesund hier, und die Sonne unsers Schöpfers beleuchtet den uns bestimmten Wohnplatz recht freundlich. Mit sanfter Freude sagte sie: Es ist ja auch unsers Gottes Erde, wie die Gegenden, wo wir bisher lebten. Die Fischer waren äußerst rechschafne [135] Leute, bey denen wir den ersten Abend blieben, den andern Morgen waren bey unserm Erwachen unsere Fuhrleute schon weg, und ein Theil unserer Habe auch schon nach der Insel abgefahren. Wir aßen Mittags noch von ihren guten Fischen, und wurden dann auch gelandet. – Aber den ersten Moment kann ich nicht beschreiben. Ich weiß es nicht, ich hob Emilien aus dem Kahne. Sie, die mich auf der Reise nach Amerika und auf der nach dem See Oneida leicht wie ein Vogel dünkte, schien mir wie Himmel und Erde auf mir zu wägen, beynahe taumelte ich, Emilie bemerkte es, und bewundern Sie, mein Freund! die Gegenwart ihres Geistes und ihrer Liebe, indem sie ausrief: Carl, hab Sorge! oder willst du Besitz nehmen, wie Cäsar von Brittanien. Dieß weckte meinen Muth. Ich stellte sie nieder, blickte sie und den Himmel an, konnte aber nicht reden. Sie faßte meine Hand, und folgte mit ihrem [136] Auge meinen Blicken, sagte dann: du betetest diesen Moment für mich, Gott erhöre dich, und segne uns beyde. Ich drückte sie an meine Brust, sie küßte mich und sagte mit unaussprechlicher Sanftmuth: Carl! lächle mich an, alles lächelt auf diesem Platze; indem sie mit Heiterkeit und der ihr eigenen Grazie sich überall umsah.

Der Landungsplatz war in der That schön, aber ich sahe und fühlte es nicht sobald, als der holde Engel, welcher mich durch Gottes Fügung begleitete. Nun hatten die vier Fischer beynahe alles ausgeladen, und Emilie ermunterte mich ihnen zu helfen. Ich will, setzte sie hinzu, indessen die Stelle zu unserer Hütte suchen. Wirklich entfernte sie sich, meine Blicke folgten ihr, sie sank neben einem Gebüsche auf ihre Kniee, und erhob ihre Arme flehend zum Himmel, stand aber schnell wieder auf, drängte sich zwischen einigen[137] Bäumen durch, und rief laut: O, welch ein schöner Platz! –

Sie war 19 Jahre alt, wahre Gehülfin meines Lebens; denn Sie fühlen selbst, daß ihre Heiterkeit und ihre Zufriedenheit mich unterstützten, so wie die Arbeiten mich zerstreuten. Staunend bemerkte ich, daß schon viele Balken auf einem Platze lagen, und hörte von den Fischern, daß sie ein Loghouse am Ufer hätten bauen wollen, aber dem Quaker alles verkauft hätten, ich möchte nur bald einen Platz wählen, weil sie nicht länger als zwey Tage von ihrer Arbeit und ihren Gefährten entfernt bleiben könnten. Emilie wählte wirklich den Platz, wo Sie unsre Hütte fanden, weil der Boden eine sanfte Erhöhung hatte. Wir arbeiteten vereint an ihrem Baue; es geht auch mit Errichtung dieser Häuser, wie Sie bey den Colonisten sehen, sehr schnell. Emilie war es, welche bat, die zwey Accacien-Bäume neben dem Eingange der Hütte stehen zu[138] lassen, indem sie mir zugleich liebreich sagte: diese Bäume machen unsere Wohnung zum Sinnbilde des Tempels von Philemon und Baucis.

In diesem Moment wurde sie für das süsse Vergnügen belohnt, welches diese schöne Idee mir gegeben hatte; denn die Fischer stellten einen Korb mit Hühnern neben ihr nieder. Ihr Entzücken über diese unverhoffte Freude durchdrang mein Herz. Die Erbin einer Herrschaft hatte nun kein Eigenthum mehr, als einen Hühnerkorb, welchen ein guter alter Quaker ihr zum Hausgeschenk in die Einöde bestimmte. Die Fischer sagten, er hätte auch zwey Ziegen geschickt, aber die trächtige sey gestorben, weil sie übertrieben wurde. Emilie wurde bis zu Thränen gerührt, sah gen Himmel, und rief mit dem Anedrucke des innigsten Schmerzes:

Auch hier noch Verlust! lehnte sich auf meinen Arm, ich umfaßte sie mit einem [139] unaussprechlichem Gefühl innern Jammers, sie sah ihn über meine Züge verbreitet, küßte mich lächelnd, und sagte: sey ruhig, Carl! wir haben Eyer, da kann ich lait de Poule 1 machen; aber es war schön von dem guten Vater John, daß er seine Kinder mit Milch und Eyer versorgen wollte. Nun gab sie den Hühnern Brod von unserm Vorrathe, streichelte sie, küßte sie, legte gebratene Fische, welche in einem Napf lagen, auf einen Balken, um an die See zu laufen, und Wasser für ihre Hühner zu holen. Ich segnete den Quaker für diese Freude des besten, edelsten Geschöpfs, aber der Verlust der Ziege quälte mich, weil Emilie so gerne Milch aß; es war mir trauriger, als die Einsamkeit. Denken Sie, wie tief Emiliens Ausruf, auch hier noch Verlust! meine Seele erschütterte. Ich sah auch um[140] mich, und dachte empört: auch hier noch Schläge des Schicksals! Warum? fragte ein erbitterter Blick, den über mir fließenden Himmel. Sie haben gewiß mit Achtung bemerkt, wie schnell Emilie ihre Trauer-Gefühle überwand, aber dieses schärfte nun die, welche mein Herz durchschnitten. Ich hatte eifrig an dem Bau meiner Hütte geholfen, eilte aber zu Emilien, nahm ihre Hand, und beschwor sie, mir zu sagen, ob sie nicht lieber zurück wollte, da wir einen so schlimmen Anfang unsers Verhängnisses gesehen hätten.

Nein Carl! sagte sie schnell, nein, wir bleiben, Gott wird für uns sorgen, und auf die vor uns liegenden Kisten und Fäßchen blickend, setzte sie hinzu: Sieh, wie reich wir sind! und auf die prächtigen Bäume deutend, wie schön ist die Natur. Wir wollen bleiben. Wir sind uns genug. Nun war sie heiter, ordnete unser weniges Küchengeräth [141] zusammen, ich half das Haus beendigen, das am zweyten Morgen bis zu der Decke fertig war. Die Fischer hatten zwey Bären- und einige Bieberfelle mitgebracht, um darauf zu schlafen, ein kleines Segel wurde an zwey Stöcken aufgehängt, um Emilien und mich wie mit einem Zelte zu decken. Schönere Witterung sah ich nie: bessere Menschen als unsere Fischer auch nicht. Den andern Tag halfen zwey Männer meine Thüren und Fensterladen im Rauhen machen, zwey andre fällten Bäume, nahe bey einer Art Wiese, um den Platz zu Feldern etwas zu vergrößern; sie lehrten mich vieles von ihren Handvortheilen. Zwey von ihnen gingen den Abend bey schönem Mondschein mit einem Kahn zurück, die zwey andern lehrten mich die Lücken zwischen den Balken mit Moos ausstopfen, und die Wände im Winter mit Bieberfellen verwahren. Da mein Dach gut gedeckt war, verschob ich die [142] bessere Arbeit für das Innere, auf die Regentage für mich. Emilie raufte alle Tage Moos, und breitete es zum Trocknen auf einen leeren Platze in die Sonne. Wir fragten die Leute nach den Indianern, die jenseits des See's wohnten, und hörten, daß wir nichts von ihnen zu befürchten hätten, da sie wenig an Zahl, und ein sehr gutes Volk wären, das sein Wort immer heilig halte, und nie ein abgegebenes Land beträten. Ich fand dieses auch ganz war, denn nie habe ich einen auf der Insel gesehen, aber was uns unendlich schmerzte, auch nie mehr einen von unsern Fischern, nie bekamen wir Nachricht von unserm Vater John, als von Hrn. Vandek die von seinem Tode, den wir herzlich beweinten, und nur hofften, daß er durch unsre Fuhrleute und die Fischer, die zwey kleinen Briefe erhielt, welche wir ihm schrieben. Den letzten halben Tag halfen mir die zwey guten Fischer noch mein erstes Feld ein [143] wenig umgraben, und versprachen heilig das kommende Jahr uns zu besuchen, und neuen Vorrath Oehl, Salz und geräuchert Fleisch zu bringen, weil ich bis zu meiner eignen Erndte, Bohnen, Mais und Buchweizen genug hätte. Das Ordnen dieses Vorraths in Kisten, in welchen unsere Habe von Philadelphia kam, das Aufstellen der Bücher und des Arbeitzeugs; Emiliens Säubern und Ordnen des blechernen und eisernen Küchen-Geräthes, erfüllte die ersten Tage, nachdem uns die Fischer verlassen hatten. Wir verbargen unter unsere Schlafstätte das Wenige, so wir noch an Kostbarkeiten und letztes Hülfsmittel für künftige Zeiten aufhoben, legten das wenige Gute von Weißzeug und Kleidungsstücken auch zurück, selbst die Schue, indem wir von niemand gesehen, uns gewöhnten nur ein Stück Leder um unsere Füße zu binden. Mir als Officier, war in Vergleich eines Zeltes, mein Loghouse ein [144] Pallast, und wenig Hausgeräthe war mir auch genug: wir mußten wohl genügsam seyn, da wir erst gegen Ende des vierten Jahres, durch den Entwurf des Anbaues einer Stadt, wieder Umgang mit Menschen und wieder Hülfe nebst Darreichung ehemals gewohnten Genusses erhalten haben.«


Dieser Auszug von Wattines Geschichte und Denkart, machte mich nun begierig auf die in der nehmlichen Zeit bey seiner Frau erschienenen Aeußerungen, nachdem die Fischer abgereist, und die zwey Unglücklichen ganz allein waren. Mir graute vor den Moment ihrer gänzlichen Abgeschiedenheit von allen andern Menschen, und durchblätterte die Noten der Frau Vandek mit erneuetem Eifer, und Aufmerksamkeit; da fand ich zu meiner Freude Emilien über den ersten einsamen Abend redend.

[145] »Wattines führte mich auf den Theil der Insel, der nicht weit von unserer Hütte an das Ufer des See's leitet, und zugleich zwischen den Bäumen hin einen großen Waldplatz neben unsern Feldern zeigt, von welchem er mir erst, da wir auf dem vesten Lande mit Ihnen lebten, sagte, daß er ihn oft mit Sorge betrachtet habe, weil es bey dem üppigen Wuchse aller Bäume und Gesträuche der Insel nicht natürlich war, daß die Natur eine solche große Stelle ohne große Gewächse gelassen habe; sondern er war überzeugt, daß ehemals die Indier hier Feste hielten, oder bey ihren Jagden auf der Insel öfters Feuer da hatten und Strauchwurzeln nebst Bäumen ausgerottet wurden. Da die Fischer uns beruhigten, sagte er mir nichts von seinen Vermuthungen über diesen mir so schön dünkenden Wiesengrund. Mein Herz dankt ihm heute noch dafür; denn was würde mein Leben geworden seyn, wenn ich den schönen [146] Rasen mit dieser Vorstellung und dem Gedanken betrachtet hätte: die Wilden können wiederkommen.

O, wie gütig ist die Vorsicht, wie sehr sind es die Menschen, welche uns traurige Aussichten decken! Ich ging über dieses feine Gras sehr vergnügt an Wattines Seite nach der schönen Aussicht hin, wo er mich die ganze, von der Abendsonne beleuchtete Gegend, betrachten machte, mich dann umarmte, und nachdem er seine schönen Augen mit einem flehenden Blicke zum Himmel erhoben hatte, sagte er feyerlich:

Emilie! nun sind wir hier auf diesem fernen Theil von unsers Gottes Erde ganz allein, aber weit von den Barbaren, die uns unschuldige Nachkömmlinge unserer von ihren Vorfahren verehrten Eltern, dem Tode und der Armuth weihten: hier von Einsamkeit, Ruhe und Bäumen umgeben, weit [147] von Unrecht und Bosheit, die unsere Verwandten mordete, und uns beraubte. Von schöner, fruchtbarer Erde aufgenommen, leben wir hier allein vor Gottes Augen, seinen Himmel über uns, mit deiner Tugend und unserer Liebe. – Emilie! erinnerst du dich noch, mit welchem Vergnügen du die Versicherung hörtest, meine erste Liebe zu seyn, und wie entzückt ich war, daß noch kein anderer Mann jemals den geringsten Antheil an dein Herz erhalten hatte: und unser guter Vetter, welcher noch glücklich vor der Revoluzion starb, bey dem Feste unserer Verlobung, auf dem Landguthe deines Vaters, uns das schöne Bild der Liebe von St. Pierres Feder zueignete?

Kennen Sie es? fragte Emilie Frau Vandek, als diese mit nein antwortete, sagte Emilie mit Erröthen; O lassen Sie mich dieses schöne Stück von einem Lieblings-Schriftsteller meines Wattines Ihnen vorlesen, [148] weil, dem Schicksal sey Dank, noch jede Zeile Wahrheit für uns ist. –

St. Pierre: ›In dem Alter der Liebe entwickeln sich alle edle Gefühle, Unschuld, Aufrichtigkeit, Großmuth, Sittsamkeit, Heldenmuth und Frömmigkeit, zeigen sich in unauslöschlicher Anmuth in der Stellung und den Zügen zweyer jungen Liebenden; denn die Liebe nimmt in ihren Seelen den Character der Tugend und Religion an. Sie fliehen die lärmende Gesellschaft der Städte, und suchen auf einer einsamen Stelle des Feldes einen ländlichen Altar, um sich ewige Liebe zu schwören. Wasserquellen, der Aufgang der Sonne, der gestirnte Himmel hören ihre Gelübde. Oft sehen sie sich für göttliche Wesen an, das Gras, worauf sie treten, die Luft, welche sie athmen, die Schatten, unter welchen sie ruhen, dünken sie durch ihre Gegenwart geheiligt. – Sie sehen in der ganzen Welt kein größeres Glück, als mit [149] einander zu leben und zu sterben; werden sie getrennt, so können weder die Hoffnungen des Reichthums, noch Freundschaft sie trösten. Sie haben Seligkeit kennen lernen, und schmachten nun auf der Erde, schließen sich aus Verzweiflung in Klöster, um von Gott die Hoffnung der Wiedervereinigung zu erbitten.‹

Emilie! setzte er hinzu, wir leben, wir sind vereint, wir wellen mit vereintem Geiste und Herzen ihn wahr machen, den schönen Traum alter und neuer Dichter: glücklich zu seyn, in Einsamkeit durch Liebe. Er umarmte mich dann und sagte zärtlich: ich will arbeiten, das Feld umgraben, du, indem er meine rechte Hand faßte, wirst mit dieser Hand, die das Glück meines Herzens versicherte, den Saamen einstreuen, Engel und Heilige werden es sehen, und Gott mit uns um Gedeihen bitten. Ich drückte seine Hand gerührt an meine Brust, [150] und sah wirklich mit innerm Gebethe nach Gott in die Höhe. Wattines sprach fort: ich will nun unsere Hütte ordentlich ausbauen, Fische zu fangen suchen, auf die Wandertauben lauschen, und Achtung geben, ob nicht auch etwas Wild in den tiefern Gebüschen lebt. Morgens mache ich Feuer und helfe dir unser kleines Mahl bereiten. Sind wir ermüdet, stürmt es, und denken wir zurück an Genuß und glückliche europäische, im schönen Flandern unter liebreichen Verwandten verlebte Tage, da werden wir dieser Erinnerung eine Thräne weihen, aber auch sagen: ach, die besten, die liebsten dieser Verwandten sind nicht mehr, sind ermordet, die andern flüchtig, unglücklich wie wir. Sie können uns, wir ihnen nicht helfen, und hier sind wir doch weit von unsern Feinden, von den Boshaften und Fühllosen, die uns alle unglücklich machten. Unsere Blicke treffen nur auf uns oder den von Gott bewohnten [151] Himmel und die friedliche Erde, die uns trägt und nährt.

Ich umarmte meinen Wattines und sagte: Gott hat unsern Weg bis hieher geleitet; diese völlige Abgeschiedenheit von allen Menschen, dünkt mich, stellt uns noch näher, noch genauer vor sein allsehendes Auge; wir wollen auch, mein Geliebter! hier diese Prüfungszeit so durchleben, als ob ein jeder Tag der letzte seyn könnte; in dieser Stimmung wird alles Ansehen und Vergnügen der Erde gleichgültig betrachtet, ohne Wunsch und ohne Trauer daran gedacht, und nichts erhält einen Werth, als moralische Gefühle gegen Gott, und das Bild von der künftigen Welt. Wattines fand diese Ideen zu düster, und erwiederte:

Nein Emilie! ich denke mich lieber in die Lage unserer ersten Eltern, welche aus dem Paradiese wandern und allein wohnen [152] mußten: wo noch kein andres Wesen ihrer Art lebte, und Eva, nicht so ruhig, nicht mit so unschuldsvollem Herzen auf Adam blicken konnte, als meine Emilie auf mich.

Er verlängerte den Spatziergang mit Fleiß, um mich müde zu machen, aber es erhob sich ein Wind, die Bäume flüsterten, die Wellen des See's rauschten, und der Wiederschein des Mondes zitterte auf dem Wasser. Es wurde kühl, Wattines war froh, daß ich dieß alles noch im Freien hörte und fühlte, also das Geräusch kenne, und nicht unruhig seyn würde. Er führte mich nach unserer Hütte, wir sahen auf unserm kleinen Wege eine Menge Leuchtkäferchen, welche mich, da ich sie liebe, sehr freueten. Wir zündeten eine Lampe an, und schliefen diese vierte Nacht auf der Insel allein, und das erstemal in der geordneten Schlafstelle unserer Hütte. Das mitternächtliche Krähen unsers Hahns, war mir eine Art tröstlicher Täuschung [153] von Nachbarschaft und Idee von Hausfreunden. Wir erwachten früh, hatten aber sehr wohl geschlafen, und fanden sehr gut, daß wir von Philadelphia an, so viele abwechselnde Ruhestätten hatten, bis wir am Ende noch zwey Bärenfellen auf der Erde, unter ein niedres Zelt von dem Segel der Fischer-Barke krochen; nun also den Werth unserer Hütte, der Matratze und Wolldecken mit Dankbarkeit fühlten – und, o wie glücklich machten mich zwey Eier von unsern Hühnern, und ihr trauliches Zulaufen gegen mich! Ich bat Wattines, ihnen doch sobald möglich einen kleinen Umfang anzuweisen, damit sie die Freude haben möchten, Grünes zu fressen, ohne daß ich in Gefahr käme, sie zu verlieren. Ich bin heute noch sicher, daß mein guter Mann eine ganz andre Arbeit vor hatte, aber seine Güte überwog sein Nachdenken, und mein Hühner-Hof wurde besorgt. Ich half kleine Breter herbeytragen, [154] holte Nägel, hielt die Aeste des Gesträuchs, welches Wattines umbiegen und einflechten wollte; aber ich muß bekennen, sagte sie halb lächelnd, daß ich damals noch Handschuhe anzog. Mein geliebter Carl machte das alles so geschickt, und so schnell, daß ich ihn bewunderte, und mit inniger Rührung seine Hände küßte, und nun an meinen Heerd ging, Feuer anmachte, und zwey Wander-Tau ben, welche die Fischer uns noch zurück gelassen hatten, zu dämpfen Es geschah nicht ohne Thränen, daß ich mir selbst dankte, aus Liebe zu meiner Amme, welche Küchenmagd bey meinen Eltern war, mich immer gern um sie befand, selbst da ich 12 und 13 Jahre alt war. Wenn wir auf dem Lande wohnten, mich oft in die Küche stahl, auch bey mancher Sache, die nicht schmutzig war, mit arbeitete, und Freude hatte, etwas so gut zu machen, als Trinette.

[155] Wie weit war ich damals mit ganz Frankreich, und so viel tausend andern Personen entfernt zu vermuthen, daß dieß, was wir uns zum Vergnügen, oder als schöne Kunst bekannt machten, einst Erwerb zu Lebensmittel seyn würde, und daß ich, die meiner Milchschwester manchmal zum Scherz Vögel rupfen, oder in den Zimmern eine Arbeit bey dem Aufräumen fertig machen half, mich tausend Meilen von unserm Geburtsorte entfernt, ihrer erinnern, und sie in dem Grunde meiner Seele glücklicher achten würde, als ich war. Gewiß, es flossen Thränen mit in den Topf, in welchem ich die Tauben kochte, aber die Sorge, meinen Wattines dadurch zu kränken, trocknete sie. Ich blieb auch etwas länger, als nöthig war, an meinem Herde, um jede Spur von Trauer verschwinden zu lassen, und lief nur einen Augenblick zu Wattines, um zu fragen, ob ich ihm noch etwas helfen könnte? als er nein [156] sagte, kehrte ich schnell um, rang dann unter Beten und Seufzen nach Heiterkeit. Einige Zeit nachher ruste mich mein theurer Carl und bat um etwas Bindfaden, damit wir den Hühnern einige Schwungfedern zusammen binden könnten, um sie am Fortfliegen zu hindern, und nun ließen wir sie auf ihrem angewiesenen Spatziergange laufen. Wattines bat mich, zu beobachten, ob sie nicht irgend in der Einzäunung durchzukommen suchten; er wolle nur noch ein wenig auf sein Feld gehen. Meine erste Bemerkung, daß er schon früh eine andre Arbeit, als den Hühnerhof vorhatte, und dieser Austrag, machten mich den Schauder überwinden, der mir bey dem Gedanken ankam, daß ich nun ganz allein in der Hütte seyn, und selbst Wattines nicht sehen und hören würde. Er eilte mir nach in die Hütte, wo ich meine Bewegung verbergen wollte, er aber seinen Spaten und Rechen holte, liebevoll zu mir an den [157] Herd kam und fragte, was ich kochte? ich den Topf aufdeckte und traurig sagte:

Carl! nur eine Speise – und einen Kuß, antwortete er, mich innig an seine Brust schließend und forteilend. Ich sah ihm nach, bis er zwischen den Bäumen weg war, da fiel ich auf meine Knie, weinte, konnte nichts anders zu Gott sagen, als: O, Ewiger! erhalte ihn, und stärke mich.

Diese wenigen Worte wurden gesegnet, denn ich fühlte mich durch diese Gedanken gestärkt und selbst ermuntert: ich nahm mir vor, den Topf mit den gar gekochten Tauben in ein Tuch zu binden, auf den umgewandten Deckel einen Teller, das Messerzeug und Brod zu legen, in die andre Hand aber die noch übrige Flasche Sproßbier zu nehmen, und so mit einem Strohhut auf dem Kopfe, wie eine gute Landfrau ihrem Manne das Essen auf den Acker zu [158] bringen. Ich gewann dabey eine doppelte Freude; denn schon der Entwurf verscheuchte meine Furcht des Alleinseyns, und jeder Schritt näherte mich meinem Manne. O, wie war der gute Wattines gerührt und erstaunt, wie warf er den Spaten von sich, mir entgegen zu eilen, wie träufelten Thränen der Freude über meine Heiterkeit von seinen Wangen. Emilie! Engel Emilie! rief er, o wie edel verschönerst du mein Leben, wie rührst, wie lohnst du mich!

Er war sehr roth und erhitzt, und bekannte, daß er mich ängstlich dachte, deswegen um so eifriger arbeitete, weil das Feld morgen angesäet werden müsse, und er mich nicht länger allein lassen wollte, als bis die die Stunde des Mittagsessens gekommen seyn würde. Wir aßen sehr vergnügt unter den Bäumen, auf der Stelle, wo Wattines nachher die Mosbank errichtete, und die schönen Gichtrosen dabey pflanzte, weil er [159] wußte, daß ich sie liebe. – Als er sich wieder nach seiner Arbeit umsah, wollte ich meinen Muth auf die Probe stellen und sagte, daß ich unterdessen unser Eß- und Trinkgefäße nach Hause tragen und reine machen wollte. Mein Carl lächelte mit trauervoller Zärtlichkeit mich an, und ich erinnerte mich glücklicher Weise an ein kleines Duett, aus der Operette: Suson et Colin, und fieng an es zu singen. Er antwortete mir, und ich eilte weg, weil mich seine Stimme etwas zitternd dünkte: auch als ich um den Busch unserer schönen Magnolia herum war, und über das untre Gesträuch nach ihm hinsah, erblickte ich ihn, seine Arme über der Brust gekreutzt, den Spaten an sich drückend, Kopf und Augen zum Himmel erhoben. Er betete. Innig vereinte sich mein Herz mit ihm, und mit desto weniger Furcht setzte ich meinen Weg fort, dachte auch da an Trinette, die oft in der Nacht allein eine halbe Stunde [160] Wegs nach Hause gehen mußte, und bat Gott, da er das Schicksal meines Lebens, zu den Beruf einer Bäurin geführt habe, mir auch alle Tugenden dieses Standes zu geben; wie ich ihn ehemals eben so aufrichtig um die Gabe der Verdienste meiner Geburt und meiner Aussichten gebeten hätte. Ich räumte unsere Hütte sehr nett auf, wie ich es auf unserer Reise nach der Insel, in englischen kleinen Pachthäusern gesehen hatte, suchte Waldblumen, setzte sie in einem unserer kleinen, aber neu noch recht hübschen Koch-Töpfen auf den Tisch, und kam dann zu Wattines zurück. Dieser wurde mit seiner Tagarbeit bald fertig: es war noch sehr hell, und Wattines wollte einen andern Weg zu der Hütte zurück nehmen. Er hatte sein großes Gartenmesser und eine Hacke bey sich hatte, um niedres Gesträuch abzuschneiden, und an Bäumen einen Span einzuhauen, um unsern Weg zu zeichnen, und wieder zu erkennen. [161] Wir fanden eine Menge Thymian und blühendes Heidekraut, welches uns Hoffnung gab, ganz gewiß auch Bienen zu finden, welche Wattines aufsuchen wollte, sobald sein ganzes Feld bestellt seyn würde. Ich suchte nach wildem Sauerampfer, und traf welchen. Mein Mann schnitt davon und zeichnete die Stellen durch Niederbiegen der umherstehenden Pflanzen. Sauerling oder Epine vinette fand sich in Menge, nebst Erdbeeren, so uns beyde freueten; denn die ersten konnten kühlendes Getränke geben, und die zweyten uns in Sommertagen erquicken. Wir kehrten von diesem Besuche unserer Insel vergnügt zurück, aßen unsere kalten Fische, und mit sparsamen Bissen von unserer gesalznen Butter. – Wattines sagte: ich wünschte wohl zu wissen, ob sich einer unserer Pächter in Europa und seine Frau jemals einen so deutlichen Begriff von unserm Wohlstande machten, als wir uns jetzo ihre Gefühle bey Arbeit [162] und Entbehren vorzustellen gelernt haben. Ich wollte weder für mich, noch Wattines, bey der traurigen Seite dieser Betrachtung verweilen, sondern antwortete: daß die Pächter meiner Eltern oft mit eben der Ergebung, welche wir jetzo übten, unsere Wohnung, Speisen und Geräthe, als nach Gottes Willen verordnete Verschiedenheit angesehen hätten, und ich überzeugt wäre, meine Milchschwester Trinette und ihr Mann würden uns bedauern, und gerne arbeiten helfen. Wattines sagte: er sey auch davon versichert, und setzte hinzu: Gott gebe uns nur, was der Pächter sich als das beste wünscht,Gesundheit, und mir, sagte ich: erfülle er den schönen Traum von Philemon und Baucis. So floß uns dieser Tag zu Ende: wir gewöhnten uns an frühes Schlafengehen und Aufstehen.

Die Obstbäume mußten in die Erde, alles was zu pflanzen war, besorgte der liebe [163] gute Mann so eifrig, so gut, wie es heute noch zu sehen ist. Er suchte auch Wild auf, aber ich liebte es nicht, wenn er auf der Seite gegen die Indier jagte, weil ich besorgte, es möchte sie reizen zu uns herüber zu kommen. Die Eintheilung unserer Arbeit schaffte uns Zeit, alle Tage einen andern Theil unserer Insel zu besuchen, und bald kamen wir unvermerkt an eine, etwas mehr als alle andre, erhöhte Stelle, von welcher noch nicht lange ein Theil in den See gesunken zu seyn schien, weil das abgebrochene Stück noch gar nicht bewachsen, und auch nicht von Schlamm bedeckt war, aber eine große Menge weiße und schwarze süße Wassermuscheln aufgehäuft da lagen. Während mein nachdenkender Wattines welche auffaßte und losbrach, sie betrachtete und nachsann, wie diese Menge ausgewachsener lehrer Muscheln hieher gekommen seyn möchten, da bemerkte ich glücklicher Weise, daß das Wasser kleiner Wellen, welche [164] eine leichte Bewegung des See's anspülen machte, bey dem Zurückweichen über die Müschelchen herunter träufelte, und in diesem Moment kleine niedliche Cascaden bildeten, die ich mit dem größten Vergnügen betrachtete, aber wenige Minuten nachher sagte: ach warum haben wir keinen solchen Grund bey Erbauung unserer Hütte getroffen? der Regen, welcher an dem Fuß der Balken anschlägt, würde schneller abgelaufen seyn, und unsere Wohnung mehr Schutz gegen die Feuchtigkeit der Herbsttage haben.

Wattines gab mir Recht, setzte aber hinzu, die Sache könnte noch gut werden, wenn er so glücklich wäre, etwas Thon zu finden, so wollte er davon eine zwey Schuh hohe schräge Einfassung um die Hütte machen, und diese mit Stücken dieser Muschelerde bedecken, wodurch ein doppelter Vortheil entstehen würde, weil Thon kein Wasser durchlasse, und die schiefe Lage der mit Muscheln besetzten [165] Lambris den schnellen Abfluß des Regens befördern würde. – O, sagte ich lebhaft, mein lieber! diese Muschelarbeit will ich machen, wie ich in Flandern die Wände einer kleinen Gartenhöhle besetzt sah; möchtest du nur Thon genug finden, dann will ich unserm Hause eine schöne Lambris geben. Meines guten Carls Auge ruhte, während ich sprach, mit der zärtlichsten Liebe auf meinen Zügen. Er lobte mein Gedächtniß, und nannte meine Aufmerksamkeit auf die Arbeit in dieser Grotte, einen Geist der Ahndung, der mich so lange voraus, so vieles bemerken machte, das mir nun in unserer Einsiedeley dienen könnte. – Die Vandek vereinten hier ihre Betrachtungen über den Zufall und die Verdienste der Aufmerksamkeit, welche mit den Bedürfnissen des Lebens verbunden, alle Künste und Entdeckungen erzeugten. Wenige Tage nach diesem, fuhr Emilie fort, als ich wirklich nach Wattines Anweisung allerley [166] Saamen in die von ihm bereiteten Felder eingestreuet hatte, welche er mit dem Rechen zudeckte, und ich zusah, erinnerte ich mich an den schönen Wunsch des englischen Dichters Thomson, den ich nur noch in der Uebersetzung kannte, aber meine ganze Seele betete mit ihm, wie ehemals für die Feldarbeit unserer Pächter.

›Himmel, sey gnädig! denn jetzt hat der Mann, der zu der Arbeit gewöhnt ist, seine Pflichten gethan. Haucht pflegende Lüfte! steigt nieder nährende Tropfen des Thaues, ihr gelinden Güsse des Regens! Mildre du alles, du diese Welt belebende Sonne, zum vollkommen Jahre!‹ – Wattines näherte sich mir in diesem Augenblicke, er hatte bemerkt, daß ich gerührt ihm nachsah, bis an das Ende des Feldes. Er umarmte mich und sagte: Nun haben wir der Erde die Hoffnung einer Erndte vertraut, für welche Gott sorgen wird. Heiter, um das Aussehen meines [167] Tiefsinns zu zerstreuen, setzte er hinzu: wir wollen heute noch etwas thun, und einen Platz zum Fischen suchen, vielleicht können wir dann mehrere fangen, und für den Winter auftrocknen. Dieser Platz war nicht schwer zu finden, und neben diesem entdeckte Wattines eine Stelle zum Baden, welche durch eine Art Sanddüne von dem Fischplatz abgesondert war. Die erste Stunde fieng er schon Fische, und versuchte zu baden, wozu er mich auch ermunterte, indem es gut seyn würde, durch das von der Sonne erwärmte Wasser den Staub abzuwaschen, welchen wir bey dem Säen und Einrechen des Saamens gesammelt hätten. Ich folgte ihm, und fand in Wahrheit ein großes Vergnügen bey dem Herumplätschern in der kleinen Bucht des Cristal klaren See's und so reinen Sandes: Wattines machte sich weiter, bis er Wasser genug zum Schwimmen bekam, wo er sich dann hin und her [168] wand, bey meinem Rufen zurück zu kommen, mich neckte und zu sich bat. Ich wagte so weit ich gehen konnte, mich ihm zu nähern, doch als das Wasser bis an meine Arme kam, dünkte es mich, empor gehoben zu werden, ich rufte Wattines zu Hülfe, er kam, und hegte den Wunsch, daß ich schwimmen lernen möchte: es gefiel mir, und er überzeugte mich, daß alle Menschen schwimmen könnten, sobald ihre Furcht überwunden sey. Ich faßte also auch Muth, und da ich beynahe jeden Abend an warmen Tagen Unterricht bekam, so erhielt ich auch bald das Zeugniß, eine Meisterin zu werden. Auf diese Weise waren die Abende schön, aber die Tage nicht so, denn Wattines suchte Bienen und Thon, da mußte ich lernen allein seyn, indem es nicht möglich war, meinen Mann zu begleiten. Er ging mit Aufgang der Sonne weg, und kam nur spät wieder, und da er eine Art mathematischer Beobachtungen mit diesem Bienensuchen verbinden [169] mußte, wollte er auch ungestört seine ganze Aufmerksamkeit dazu verwenden, indem er diese Art zu verfahren nie gesehen, also nur nach der Beschreibung einen Versuch machte.

Dieser Theil von Emiliens Erzählung war mir so werth geworden, daß ich diesen Bienenfang zu kennen wünschte, ob wir es schon in unserm Europa nicht nöthig haben, so dünkt es mich den guten Menschen schätzbar zu wissen, wie andre weniger Glückliche Schwierigkeiten überwinden, etwas zu erhalten, was er so leicht und so nahe hat; wie die Bewohner des Fürstenthums Zelle ihren Bienenstadt auf der Lüneburger Heide. Ein amerikanischer Landmann lehrte Wattines Waldbienen suchen; dazu gehörte ein Gläschen Honig, ein Compaß, Feuerzeug, einige platte Steine, gelbes Wachs und Carmin, nebst einem Stock mit etwas schwerem Knopfe von Eisen oder Metall. Mit diesen Werkzeugen gerüstet, und eine gute Flinte dabey, [170] geht man in den Theil des Waldes, welcher am weitesten von Dörfern entfernt ist, sucht nach den großen Bäumen, klopft mit dem Stockknopf an die obern Theile, und starke Aeste des Baumes, und horcht ob sie nicht hohl lauten. Sobald man vermuthet, daß irgendwo Bienen sind, so macht man auf einem der platten Steine ein kleines Feuer, in welchem man etwas Wachs schmelzen läßt, auf einem andern dieser Steine, läßt man einige Tropfen Honig fallen, und streut rings um diese von dem Carmin. Sobald nun die Bienen den Wachsgeruch bemerken, fühlen sie auch durch Instinkt, daß Honig dabey ist, und fliegen zu. Die, welche von dem Honig kosten, färben sich an dem Carmin roth, und da sie ihre gefundene Beute sogleich nach ihren Zellen tragen, kommen sie mit mehreren ihrer Freundinnen zurück. Der Jäger kennt die ersten an dem roth gefärbten Kleide, und da er mit seinem Compas die Richtung ihres Fluges, [171] und an seiner Uhr die Zeit beobachtet, welche sie zum Hin- und Herfliegen nöthig hatten, indem diese Thierchen immer den geraden Weg nehmen, so folgt er ihnen nach, und betrachtet im Gehen jeden Baum; denn da der Wachsgeruch alle Bienen-Familien reitzt, so ist auch leicht die Unruhe bey ihren Wohnungen zu bemerken, mit welcher sie nach Raub fliegen. Nun werden die Bäume und der Weg zu ihnen bezeichnet, die hohlen Aeste sorgsam abgenommen, und bey den Bauerhöfen in Sicherheit gestellt; wodurch sie ihre Bienenzucht anlegen.

Meine Freunde können sich nicht vorstellen, mit welchem Vergnügen ich von dieser Bienenjagd sprechen hörte, und wie eifrig ich mich verband, mit auszugehen. Indessen sagte die Fortsetzung von Emiliens Geschichte sehr artig:

Wattines und ich waren da sehr verschieden beschäftigt. Er bahnte sich einen Weg [172] durch verwachsene Gebüsche, um bald zu Bäumen vorzudringen, wo er Bienen zu finden hoffte, und ich kämpfte zu Hause mit meiner Angst allein zu seyn, und mit meiner Sorge um ihn. Ich mußte also in meinem Geiste eben soviel Vorurtheil und weibliche Schwäche auf die Seite räumen, als Wattines verwirrte Gesträuche im Walde. Es glückte uns beyden. Er fand Honig, und ich, ruhiges Vertrauen auf den Himmel und die Natur. Heute noch achte ich die Stunde als eine der glücklichsten meines Lebens auf der Insel, in welcher ich nach überwundenen Thränen und schmerzvoller Erinnerungen mir sagte:

Ach! wenn ich mein Nachdenken immer an die Bilder dessen verwenden will, was ich in Europa war, hatte und genoß, so vermehre ich das kummervolle Gefühl des Mangels, und verschwende meine Kräfte im Streiten gegen Wolken und Unmöglichkeit. Gott hat zugelassen, [173] daß mein Verhängniß mich hieher führte. Er sah, wie ich in glücklichen Tagen ihm nach der Anleitung der besten Mutter für alles Gute, und auch für die Fähigkeit es zu genießen dankte: ich will nun hier biegsam unter seiner mich prüfenden Hand das Gute aufsuchen, welches diese Insel von ihm erhielt, und mir darbietet. Ich will die Lehren der heiligen Religion ausüben, will ihm eine folgsame Schülerin des Christenthums in mir zeigen, will seinen Schutz und seine Fürsorge, neben der Beruhigung meines Geistes dadurch verdienen, und meine erhaltene Erziehung, nebst der Aufmerksamkeit, welche ich immer auf alles hatte, dazu anwenden, alle Verstandes- und Leibeskräfte mit europäischer Geschicklichkeit vereint, aufzubieten, unser beschwerliches Leben zu erleichtern und angenehm zu machen.

O wie süß, wie erquickend waren die Gefühle meines Herzens, als ich nach diesem [174] Selbstgespräche aus unserer Hütte heraustrat, und mir laut sagte: Gott! der Allgegenwärtige, sieht mich in der einsamen Hütte, und hier auf dem einsamen Felde. Nach diesem Gedanken ging ich den Abend muthig den Weg hin, meinen Wattines entgegen, welchen ich nahe an dem Ende seiner umgearbeiteten Felder, voll Freude mit einem Stück Wachswawe in der Hand antraf. Wir vereinten unsre Thränen des Danks. Ich erzählte ihm meine gefaßte Entschließung: er umarmte mich äußerst gerührt, sank auf seine Knie, bat Gott um Leben, Trost und Glück für mich, um Stärke und Weisheit für sich selbst, um für mich zu sorgen, und meine Liebe zu lohnen. Ich war neben ihn gekniet, konnte nicht reden, ich weinte und mein Herz betete. Wattines stand zuerst auf, half mir und umfaßte mich mit einem Arme, erhob den andern und seine schönen Augen gegen den Himmel, und als ob er einen Eid ablegte, sagte er:

[175] Ja ewiger Vater! du sollst auf deiner ganzen Erde keine bessere Kinder sehen, als uns. Einige der letzten Stralen der sich unter die fernen Ufer des See's senkenden Sonne, beleuchteten in diesem Moment seine Züge, unsere vereinten Schatten erstreckten sich über die Felder hin, und alles das ward mir sichtbares Zeichen von Beyfall und Segen unsers Gottes. Von da an war Resignation der Grund meines Wohls.

Wattines sagte, als wir Abends von der Entdeckung des Bienenbaums sprachen, daß gewiß kein Kaufmann von Amsterdam ein höheres Maaß Freude empfinden könnte, wenn ein für ihn beladenes Schiff aus Ostindien glücklich anlangte, als er bey der Entdeckung eines kleinen Bienenschwarms, an der Höhle eines nicht gar hohen Baums empfand. Wir mengten von dem Honig aus der Wawe unter unsern Abendtrank, waren glücklich einen Ersatz des Sproßbiers vor uns zu sehen, und [176] Wachs zu Lichtern zu hoffen. Wattines mußte mir versprechen, daß ich den wohlthätigen Bienenbaum bald besuchen sollte.

Den zweyten Tag ging Wattines früh aus, um einige Fische zum Mittagsessen zu fangen: Emilie dünkte ihm gegen ihre Gewohnheit mit seiner Abwesenheit zufrieden. Er fand sie auch bey seiner Zurückkunft sehr heiter. Sie forderte ihn auf, daß er die Fische schuppen helfe; weil sie bey dem guten Bäume zu Mittag essen möchte, dann trug jedes einen Theil der Mahlzeit in den Wald. Emilie fand den Weg schon gebahnt, weil der Mann schon zweymal hin und her gegangen war, auch mehrere Bäume zum Fällen gezeichnet hatte. Er zeigte nun Emilien den so werthen Baum, und machte noch etwas Platz umher, damit sie sich zu ihrem Essen setzen könnten. Emilie schien das Tuch öfnen zu wollen, in welchem sie ihre kleine Last eingeknüpft gebracht hatte, bat aber Wattines, [177] er möchte etwas Wasser holen, weil sie dürstete. Er eilte hinweg, und fand bey seiner Zurückkunft den Bienenbaum mit einem Gewinde von Löwenzahn, wilden rothen Nelken, weißen Blüthen der Schaafgarben und mit schönen blauen Blumen geschmückten Sauerampfer umgeben. Diese liebliche Idee entzückte ihn, weil sie ihm Emiliens heitre Zufriedenheit anzeigte, indem sie ihm zugleich sagte: ich konnte der guten Dryade, welche den Honig so wohl verwahrte, meinen Dank auf keine andre Art beweisen. Wattines bekam auch einen Kranz, und sie sagte: daß dieses die Arbeit sey, welche sie den Morgen während seiner kleinen Fischerey gemacht hätte.

Ihr einfaches Mittagsessen wurde dadurch unendlich angenehm, sie beredeten sich dann über die Art den neuen Schwarm einzufangen, welches Wattines nach der Vorschrift ausführte, und Emilie ihm getreu an [178] der kleinen Schleife ziehen und tragen half. Wenige Zeit nachher entdeckte er auch Thon. Emilie suchte Muscheln und machte sie rein, dann kamen sie mit ihrem eisernen Kessel an einer Stange, und trugen mehrere Tage scherzend und munter, bald eine Last Thon, bald eine von Muscheln in die Nähe ihrer Hütte, zu einem hinreichenden Vorrath für ihre Arbeit zusammen. Wattines besetzte nach seinen ersten Gedanken den Fuß der Hütte schräg abwärts mit Thon, und half Emilien Vortheile finden, welche das Einsetzen und Festmachen der Muscheln erleichterte.

Da war es angenehm arbeiten, sagte sie, weil Wattines immer bey mir war, und die Lambrisarbeit anordnete, welche Ihnen so wohl gefällt und auch mich sehr freute, besonders da ich mich erinnerte, in einer Reisebeschreibung von der Arbeit einer Engländerin gelesen zu haben, welche einst zwey Vasen von Kütt machte, sie mit lauter kleinen [179] Müschelchen von allen Gattungen besteckte, und in den Ecken ihres Zimmers aufstellte. Diese Erfindung dachte ich, durch Urnen von Thon nachzuahmen, und sie in einem dicht bewachsenen Theil des Wäldchens als Denkmähler unserer geliebten Verstorbenen aufzustellen. Ich sagte es Wattines, welcher diese Idee gut fand, und während er die Formen machte, und auf den Platz, wo sie stehen bleiben sollten, festsetzte, sammelte ich Muscheln. Diese Arbeit zerstreute mich, aber oft fühlte ich, daß es mehr Denkmähler meines innern Grams über mich selbst, als die der Trauer über den Verlust meiner Verwandten waren: denn ich achtete sie glücklich. Sie litten nicht mehr, und wurden beweint: Wattines und ich lebten in Kummer, und niemand dachte unser; – doch jetzo erkenne ich, daß Beschäftigung wohlthätig ist, und die Gedanken von Schönheit und Geschicklichkeit sehr wirksam sind; denn mitten in der Trauer,[180] welche ich bey dem Anfange der Arbeit dieser Denkmähler fühlte, entstand in meiner Seele eine Art süßes Wohlgefallen, über den Entwurf, und über die Fähigkeit ihn auszuführen. Ich genoß wahres Vergnügen bey der Erinnerung, immer die Gestalten der Urnen geliebt zu haben; die Arbeit verkürzte mir die Tage, und wahre Freude durchdrang mein Herz, als Wattines mich mit Entzücken lobte; ja ich bekenne, daß die Hoffnung in mir aufkeimte, es würden einmal gebildete Amerikaner diese Aschenkrüge sehen und bewundern. Gewiß diese angenehme Vorstellung dieser möglichen Begebenheit, wurde ein großes wohlthätiges Gegengewicht meines wirklichen Elends. Liebe und Wünsche des Lebens erwachten aufs neue, und der gute Wattines eilte, während dem Eifer der phantastischen Arbeit seiner Frau, einen Theil unserer Erndte heimzubringen, um mich zu schonen: und ordnete dann, als ich fertig war, alles [181] um die Urnen herum so schön, daß der Platz wirklich das Ansehen eines, den Todes-Göttern geweihten Hayns bekam. Der gute Wattines war weit entfernt, sich die Empfindung zu denken, welche mich einst ergriff, als ich ihn bat, mit mir in vollem Mondenschein zu den Urnen zu gehen, und wir bey dem schönen Anblicke des Ganzen, von dem liebenswürdigen Geiste der Griechen sprachen, welcher jede Idee und jede Empfindung, in edlen Bildern darzustellen wußte. Als wir nahe genug waren, die Nahmen unserer geliebten Verwandten deutlich zu sehen, erinnerte sich Wattines an den Glauben dieser seelenvollen Nation; daß die Verstorbenen oft ihre Denkmähler umschwebten, und setzte hinzu: daß unsre geliebten Verlornen uns segnen würden, daß wir so getreu, bis in diese ferne Gegend ihr Andenken mit uns brachten. Ich dachte, ach mögen sie da seyn, und in meiner Seele den Wunsch lesen, Gott zu [182] bitten, daß er Wattines und mich auch zu sich nehme. Es war ein höchst feierlicher und schaudervoller Moment, in welchem wir beyde stillschweigend da standen, und bey der vorübergehenden gänzlichen Beleuchtung der Urnen, sie voll Ehrfurcht und Wehmuth betrachteten, zugleich aber auch das leichte Flüstern der Blätter von den umstehenden Bäumen hörten, und es durch ein dumpfes Gefühl, für das leise Geräusch von Fußtritten nahmen; denn ich zitterte ein wenig, und fühlte an Wattines Arm, daß auch er schauderte. Ich verbarg meine Furcht, indem ich mit einer Hand auf die Inschrift von unsern Eltern deutete, und er unterdrückte seine Bewegung, da er laut ausrief: Ach Gott lohne ihre Tugend und ihre Leiden: ich aber hinzusetzte: und unterstütze uns in der zugemessenen Prüfung; dabey verschloß ich aber meine Augen vor den sich verlängernden Schatten der Bäume, und [183] wandte mich gegen den Rückweg. Wattines hatte diese Bewegung in mir bemerkt, sagte aber nichts, sondern warf noch feste Blicke auf die Aschenkrüge, erhob mit einem halb erstickten Seufzer die Augen zum Himmel, umfaßte mich mit einem Arm, und führte mich langsam zurück; aber nie mehr gingen wir des Nachts zu den Denkmählern, nie sprachen wir von diesem Spatziergange, als erst hier, da ich ihm meine damals gehegten Gedanken sagte, er mir aber seine Besorgniß wegen den in mir liegenden Trauerphantasien eröfnete, von welchen er Ueberspannung befürchtete.

Wattines bedeckte nun die Wand an dem Herd und den Rauchfang, welchen er mit vieler Mühe und Geschicklichkeit gemacht hatte, auch mit Thon, wobey er mir von den vortrefflichen Eigenschaften des Thons erzählte, daß er die Ecke der Hütte, wo der Feuerherd war, vor Brand beschützen würde, [184] welches mir unendliche Freude machte, indem mir schon oft für unsere Hütte bange war; aber so sehr ich damals den Thon schätzte, weil er mich vor Feuer und Wassersgefahr bewahrte, so geschah kurz darauf etwas, welches mir auf lange Zeit den Gedanken, und selbst das Wort, Thon verhaßt und schmerzlich machte. – Vandek sagte mir da, daß sie alle bey diesem Theile von Emiliens Erzählung staunten, und begierig zuhörten, als die liebe Frau sagte: daß sie wegen Thon die heftigste Gemüthserschütterung erlitten habe, und die allerempfindlichste Vorstellung von ihrem Manne hörte. – Einen Vormittag, da ich Mais mit Sauerampfer kochte, und in meiner kleinen Vorrathskammer etwas von dem noch übrigen geräucherten Speck holte, bemerkte ich bey dem Zurückkommen, daß Wattines mit einem hölzernen Napf in der Hand, und etwas Salz hinweg eilte, dabey aber wie mich [185] dünkte, sehr tiefsinnig und ernst auf den Herd blickte. Da ich wußte, daß er es nicht liebte gefragt zu werden, wenn er etwas von neuer Arbeit oder Probestücken vorhatte, so schwieg ich, war aber desto begieriger unterrichtet zu seyn, indem er mit einem Theil der nachdenkenden Miene, die er bey dem Weggehen hatte, wiederkam, und den noch nassen, aber rein gespülten Napf an seine Stelle setzte, aber von ganz andern Dingen sprach, ohngeachtet er meine unruhige Wißbegierde sehr deutlich bemerkte. Erst lange nach diesem Vorgange, als unsere Gemüse, Mais, Bohnen und Buchweizen-Erndte heimgebracht war, erst da sagte er, den Napf in die Hand nehmend:

Jetzo, meine Emilie! werde ich diesen Napf gewiß nie zu dem Gebrauche nöthig haben, wozu ich ihn das erstemal holte. Diese Art Vorrede spannte meine so lange genährte Erwartung noch höher, und er sagte:

[186] Ich dachte bey dem Thongraben und meinen Arbeiten von ihm, an die außerordentliche Nutzbarkeit dieser Erdart, und am Ende erinnerte ich mich, gelesen zu haben, daß die kleine Völkerschaft der Altanes in Louisiana, wenn ihnen bey langen Reisen, bey einer unglücklichen Jagd, einer mißrathnen Fischerey, oder andern Zufällen die Lebensmittel fehlen, so essen sie weich gekneteten Thon. – Mein Herz fing an beängstigt zu werden, und als Wattines hinzusetzte, ich war unsicher, ob ich unsere Felder geschickt genug anbaute und bepflanzte, und befürchtete, daß wir von ihrem Ertrage den Winter hindurch nicht beyde genug Vorrath haben würden; da wollte ich mich mit diesem Nahrungsmittel bekannt machen, und es ein wenig mit Salz würzen; aber dem Himmel sey Dank! es ist nicht nöthig. Ich hörte das letzte kaum, denn ich war starr vor Schrecken, über diese Erzählung, da ich von der [187] Liebe, die sich selbst vergaß, um nur für mich zu sorgen, und von der Gefahr bey diesem unseligen Versuche krank zu werden, gleich stark gerührt ward, aber auch sein Leben durch diese unnatürliche Kost angegriffen glaubte. Meine ganze Kraft war überwältigt, und ich sank ohnmächtig in Wattines Arme: klagte ihn, da ich mich erholte, einer grausamen Vergessenheit an, daß er mich durch diese Unternehmung zu dem äußersten Grad des Elends führen konnte; indem ich nicht ohne Verzweiflung an die Möglichkeit seines Verlustes zu denken wüßte. Nichts beruhigte mich, als das heilige Versprechen, daß er nie mehr einen solchen Versuch wagen würde; als wir hernach gelassener davon sprachen, sagte Wattines sanft, aber sehr ernst:

O Emilie! wie tief liegt das Andenken an die ehemals genossenen Speisen in deiner Seele, weil es da selbst deinen Glauben [188] an die gütige Natur und deine sonst so schwesterliche Gesinnung für die armen Amerikaner überwog, und dich so heftig fürchten machte, daß dieß, was den guten Aitanern in der Noth zu Erhaltung ihres Lebens dient, mir zu Gift werden könnte.

Dieser Abend, sagte die liebe Frau, war der bitterste meines Aufenthalts auf der Insel, weil Wattines mir noch nie so ernste Vorstellungen gemacht hatte. Er bemerkte auch nachher bey unsern Spatziergängen, daß ich meine Augen immer von der Thongrube abwand, wenn wir auch nur von ferne gegen sie hinkamen, und daß ich aus der Hütte ging, als er etwas an unserm Rauchfang auszubessern hatte. Er sagte aber nichts darüber, und lächelte nur freundlich nach mir, wie auf ein Kind, das man liebt, und ihm einen Eigensinn durch Nachsicht abgewöhnen will. Er sprach nie von Thon, aber dieser Verdruß machte mich nachsinnen, ob ich nicht [189] bey unsern Nahrungsmitteln etwas verbessern, oder erfinden könnte. Die Franzosen essen gerne Brod, unser Vorrath war lange weg, kein ordentliches Brod konnte ich nicht backen, da erinnerte ich mich an das Brod der Bergschotten, welches doch immer besser als gerösteter oder gekochter Mais war. Ich rieb also gekochten Mais und Buchweizen, welcher so gute Kuchen giebt, zu einem Teige, und versuchte es erst in einer erhitzten Pfanne trocken zu backen. Wattines machte die Gitterchen und Gruben, wie Vandek schon weiß, wir versuchten es auch mit Erdtoffeln, so daß wir immer Vorrath hatten, und am Ende dieses in unsern Honigwein geweichte Brod ein köstliches Abendessen war.

Als Emilie sich gewöhnt hatte allein zu bleiben, und mit heiterer Miene für ihre kleine Hausarbeit und Hühner zu sorgen, wurde Wattines dadurch auch viel ruhiger in seinem Gemüthe, arbeitete leichter und konnte [190] mehr um seine Emilie seyn. Die Einrichtung des Endtenfangs hatte ihm, nach Heimführung der Bienen die meiste Mühe gekostet; aber diese Endten gaben ihnen Fleisch und Federn zu warmen Decken für den kalten amerikanischen Winter. Die Beschreibung des Wandertaubenfangs konnten sie nicht benützen, weil sie keine Locktauben hatten, um die vorbeyfliegenden einzuladen und zu fangen. Jetzo hat man welche bey der Colonie, und ich war mit dabey, als auf einmal 14 Dutzend gefangen wurden. Dieß erinnerte mich an die Freude, welche ich in meiner Jugend in Oberschwaben hatte, wenn wir bey unserm weisen und gütevollen Graf Stadion zu Warthausen, bey dem Finkenstrich im November, das grüne Jägerhaus und den mit Tannen umgebenen Finkenherd besuchten, und sehr oft bey 800 dieser kleinen, etwas bittern Vögelchen habhaft wurden. Wie entschieden ist hierin der [191] Vortheil der Amerikaner mit ihren Wandertauben, indem diese des Jahrs drey bis viermal, und oft in solcher Menge kommen, daß sie die Luft verfinstern, und man von diesen fetten und vortrefflich wohlschmeckenden Tauben eine unzählbare Menge fängt, welche den Armen Nahrung und Federn geben. Es ist sonderbar, daß man noch nicht weiß, wo sie herkommen, und wo sie brüten, indem es nur Vermuthung ist, daß die Ebenen längst des Ohio, wo viel wilder Haber und Reiß wächst, ihr Vaterland seyn müsse. Sicher ist, daß ein Einwohner der Grafschaft Carlile in der Provinz Pensilvanien, in dem Kropfe einer dieser Tauben noch unverdauten Reiß fand, und daraus schloß, daß entweder diese Vögel während dem Fliegen nicht verdauen, oder daß ihr Flug von einer solchen Geschwindigkeit sey, daß sie vom Fressen bis zum gänzlichen Verdauen 560 englische Meilen zurücklegen; indem das [192] nächste Reißfeld von Carlile in dieser Entfernung liege.

O meine Freunde! auf wie vielen Seiten lerne ich hier größern Reichthum, größere Mannichfaltigkeit der Natur, und in beyden Wattines, mehr unschätzbare Eigenschaften der moralischen Menschenwelt kennen, als ich in Büchern und der wirklichen cultivirten Welt nicht traf.

Emilie sagte einst bey Vandek: Einige unserer Sommerabende waren unaussprechlich schön und voll seliger Gefühle; denn die Zerstreuung, welche das Tageslicht durch Beleuchtung aller Gegenstände mit sich bringt, wurde der vielfältigen Sorge für unsere Erhaltung, Abends und Nachts aber, wo alle außer uns liegenden Gegenstände sich in Dunkel hüllen, wo man sich und seine Ideen sammelt, diese Stunden wurden unserm Geiste und seinen Betrachtungen gewidmet. Wie die einer sternhellen Nacht, da wir von der kleinen freien Anhöhe unweit unserer Hütte [193] an dem obern Ende der Insel, den prächtig gestirnten Himmel über uns sahen, und ihn Hand in Hand anfangs stillschweigend betrachteten, Wattines dann sich freuete etwas von der Astronomie zu wissen, und mir einige der Sternbilder dieses Welttheils nennen zu können. Ich freuete mich auch und sagte: mich dünke bey dem Anblicke dieser Menge erhabener und sich bewegender Geschöpfe, daß wir weniger allein sind, und da ich nun einige Namen von ihnen weiß, so ist mir, als ob freundliche edle Wesen auf uns blicken. Ich war dabey etwas bewegt, und legte meinen Kopf an Wattines Brust. Er küßte meine Stirne und sagte lächelnd:

Du hast recht, meine Emilie! diese Sterne als liebreiche Nachbarn anzusehen, welche nach Untergang der Sonne, bey sanftem Lichte eine stille Wache für uns halten. Die Luft war so ruhig, daß wir den Wiederschein der Gestirne auf der glatten Oberfläche [194] des Wassers sahen. Wattines machte mich darauf aufmerksam, indem er sagte:

Theure Emilie! sind wir nicht in diesem Moment zwischen zwey Himmel? und mit einem Arme mich umfassend, mit dem andern auf den See und die Sterne deutend, setzte er hinzu: hier bey dem nahen Ebenbilde des Himmels über uns, bist du mein Engel, der sanfte Tugend und Vorschmack der Seligkeit in meine Seele gießt. Ich dankte ihm zärtlich, da ich aber dabey einen Seufzer unterdrückte, vielleicht auch etwas traurig um mich blickte, wollte er die Ursache wissen, und ich antwortete: daß ich uns eher als zwey, aus beyden Himmeln, an die Gränze verbannte Unglückliche betrachtete. – Ich fühlte an seinem mich umfaßt haltenden Arme, daß er schauderte; er seufzte, schwieg lange, endlich umarmte er mich lebhaft, und sagte wie in Begeisterung: Nein Emilie! der Anblick dieser zahllosen Welten über uns, und [195] das Gefühl unserer moralischen Verbindung mit ihrem und unserm Schöpfer, erhebt meine Seele über alles Wohl und Weh unserer Erde. Diese Gestirne und Gott über uns,du, deine Liebe für mich und unsere auf dieser Insel ausübende Tugend, erfüllen alle meine Gedanken. – Nach einigem Stillschweigen von uns beyden, sagte ich: – mein Carl erinnert sich wohl an den schönen Ausspruch eines großen Alten:

Daß die Gottheit kein angenehmer Schauspiel kennt, als den rechtschafnen Mann mit dem Unglücke kämpfen zu sehen; – ist dieses nicht die Lage meines Carls? Wattines staunte über diesen Gedanken seiner Frau, umarmte sie äußerst gerührt, und sagte dann männlich ernst:

Diesen Anblick soll der Himmel in mir genießen.

[196] Sie waren bey dieser Stimmung des Geistes sehr vergnügt, und gingen, wie Emilie sagte, durch diese Betrachtungen zu jeder edlen That, und zu der Kraft allein zu seyn gestärkt, zufrieden in ihre Hütte zurück, wo der zum Sprechen sehr aufgemunterte Wattines noch sagte:

Alleinseyn und stillschweigen, wurde immer als die härteste Strafe für uns junge Franzosen angesehen, und dieß war der Grund, warum so gräßliche Bilder von dem Gefängniß der Bastille gemacht wurden, weil unsere Minister vornehme Bösewichter dort einsperrten; dennoch ruhte neben diesem Zuge unsers National-Characters, ganz genau der Beweis entgegengesetzter Ideen; denn Frankreich hatte mehr Klöster von dem so streng, einsam und schweigenden Orden de la Trappe, als das ganze übrige Europa: Emilie hörte gern und aufmerksam ihm zu. Er faßte sie bey der Hand und sagte mit daurender [197] Lebhaftigkeit: Ja, theure Emilie! verkehrte Begriffe von Gott, von seiner Güte und den Pflichten gegen ihn, auch zu weit getriebener Haß gegen die Fehler der Menschen, führten ehemals Einsiedler in Wüsteneien, und in neuern Zeiten viele unserer besten Landsleute in diesen harten Orden; wie mich der Abscheu vor den Mördern unserer Verwandten hierher brachte: denn, ach Emilie! gerade in der vollen Blüthe aller Kräfte bestimmt der junge Mann sein Schicksal, der edle gute will mit warmen Eifer alles bessern, der stolze, herschsüchtige alles ändern. Geht es nicht, wie die ersten wünschen, so reißen sie sich von allem los, gehen mit dem Geiste der Religion in Klöster, und mit dem meinigen an den See Oneida: die zweyten vereinigen sich, wie es in Frankreich geschah, zerstören das Alte, morden was sich widersetzt. Enthusiasmus der Frömmigkeit hielt die Einsiedler fest, und die [198] Mönche in ihren Zellen. Ich sahe einst eines dieser Klöster nahe bey Lyon, einer unserer größten und volkreichsten Städte, das Gelübde verbot ihnen irgend jemand zu sehen und zu sprechen: wir meine Emilie! sind durch das Schicksal einsam, sehen, sprechen und lieben uns. Sollte der Enthusiasmus unserer Tugend sich nicht erhalten und uns hier glücklich machen?

Diese Unterredung freuete die sanfte Emilie, denn sie stützte ihren Muth; doch, sagte sie, war ich froh, daß Wattines für seinen und meinen Unterhalt arbeiten mußte, weil ich gelesen hatte, daß jedes nur durch überspannte Ideen entzündete Feuer der Gesinnungen auslösche, und nicht nur Kälte, sondern Erstarren aller Kräfte und Mißmuth des Geistes zurück bleibe, wo man nichts mehr wünsche noch liebe. Dieser Zustand der Seele war das größte Uebel, das Emilie [199] sich für ihren so feuervollen Wattines denken konnte.

Er fällte nun, wie er es von den Fischern gelernt hatte, einige Bäume, um einen Vorrath Winterholz zu sammeln; machte eine Tragbare, damit Emilie nach ihrem Verlangen, ihm Stücke Holz und Büschel nach der Hütte bringen helfen konnte. Es war Pflicht mei nem Mann die Arbeit zu erleichtern, sagte sie, und diente ja uns beyden. Es erinnerte mich wie oft ich diese Arbeit von den armen Bauersleuten in dem Dorfe meines Vaters sah, und nun Gott dankte, daß ich niemals sie belachte oder mit Verachtung ansah, sondern immer bedauerte; so daß ich meine beschwerliche Arbeit nicht als Strafe ansehen durfte. –

Mich dünkt, meine Freunde! Sie müssen nun die beyden freywillig Verbannten eben so sehr lieb gewinnen, als ich selbst.

[200] Ein paar Tage nach dem Schreiben der letzten Blätter ging ich mit Frau von Wattines am See spatzieren. Ich sprach von ihrer Familie, durch welche mir dieser Theil von Amerika unvergeßlich bleiben würde, und daß ich selbst in meinem Vaterlande oft nach dem See Oneida zurückblicken würde. Ich weiß nicht, dachte die holde Emilie, daß ich auf dem Wege sey ihr etwas Galantes zu sagen, und mir eine Sperre machen wollte, indem sie sogleich das Wort auffaßte und sagte: ich liebe ihn sehr den guten See. Er verschönerte nicht nur unser Leben durch seinen Anblick, sondern auch durch unsern Fisch- und Endtenfang und die vielen Arten Wasservögel, welche wir auf ihm sahen. Wattines gab mir auch ihre Geschichte zu lesen, und dieses machte mich sehr glücklich, denn er hatte bis gegen den Herbst immer nur die Bilder einsamer Liebenden und die Naturgeschichte von Bäumen und Pflanzen in unserm Büchervorrathe aufgesucht. [201] Ich fand es natürlich, weil alles, was zur Nahrung gehörte, ihn zuerst anziehen mußte, aber ich bemerkte auch, daß er mit einer Art von Sorgfalt vermied, von Poesien, Comedien und andern Schriften der schönen Litteratur zu sprechen, und ich suchte bey erster Gelegenheit die Ursache zu erforschen.

Der Anblick vieler Schwanen und ihrer Spiele reitzte mich, ihre Geschichte zu wissen, Wattines war bereit und sagte, meine Emilie hat recht, wir leben in der einfachen Natur, wir wollen sie ganz kennen lernen und unsern Büffon lesen. In diesem Moment war Wattines zu uns gekommen, und hatte das letzte gehört. – Er sagte:

Emilio war bey einer Erläuterung: ja, sagte sie, aber sie ist zu Ende, wollte auch nicht fortsprechen, sondern ging nach Hause, da nahm Wattines das Wort und sagte:

[202] Emilie will nicht von sich reden, weil sie mir bey diesem Anlasse ihren Geist auf einer ganz neuen Seite zeigte, denn nachdem ich Büffons Naturgeschichte zu lesen vorgeschlagen hatte, setzte sie sich lächelnd zu mir, und sagte mit ihrer Miene: nicht wahr, Lieber! du wolltest bisher nicht, daß ich an Europa und sein geselliges Regentenleben zurück denken sollte, deswegen hindertest du immer das Lesen der Menschen-Geschichte, wegen der Idee von Menschen-Gesell schaft. – Ich war in etwas verlegen, und blickte nur traurig nach ihr, Sie umarmte mich und erwiederte: guter Carl! du hattest nicht ganz unrecht, die dadurch entstehende Rückerinnerungen oder Wünsche zu besorgen, weil dir deine Emilie nicht ganz bekannt war: vergieb mir den Stolz dieses zu sagen, und laß mich die Betrachtung beyfügen, daß der Weg welchen du nahmst, nicht der sicherste war; nicht allein weil Evens Kinder immer das [203] Verbothne und Versagte lieben; sondern wenn meine Seele an das Bild des geselligen Lebens geheftet gewesen wäre, so würden ja schon Bücher an sich, und nun Büffons Beschreibung von den Kunstfähigkeiten und Sitten der Thiere, seine Kenntniß und seine Feder, mir die allein in großer menschlicher Gesellschaft erlangten Verdienste zurück gerufen haben; denn Lieber! diese Einsamkeit konnte keinen Büffon hervorbringen. Vereinte Kräfte des Geistes vieler Menschen bildeten ihn. Hast du mich nicht selbst gelehrt, daß von den geschafnen Wesen keines einzeln wirken kann, daß ein Lichtstrahl keinen heitern Tag, ein Wassertropfen keinen fruchtbaren Regen geben kann, daß viele Feuertheile vereint werden müssen, um uns zu wärmen, und nun hier unser schottisches Brod zu backen, so wie unzählbare Sand- und Staubtheilchen dazu gehören, die Stellen unserer Aecker zu füllen?

[204] Mit liebevollem Ernst setzte sie hinzu: Sammelten wir nicht auch in der Gesellschaft, wo wir ehemals lebten, die Kräfte, mit Nachdenken und Zufriedenheit alles zu tragen, zu entbehren oder selbst zu schaffen? aber ich bekenne das Alleinleben drückte mich bey Erinnerung an genossene Vortheile in der geselligen Menschen-Verbindung doch nie so schmerzhaft, als wenn ich dich über deine Kräfte arbeiten, und das thun sah, wozu in einer Stadt oder einem Dorfe mehrere Personen erfordert würden, und dann Gott bat um Nachbarn; aber heute bitte ich meinen Carl, schätze sie genug deine Emilie und ihre Liebe, um mit mir von dem Vergangnen und Gegenwärtigen, bey jedem Anlasse offenherzig zu reden, und laß uns mit Klugheit und Ruhe unsern Bücher-Vorrath genießen; welches dann auf die Regentage, und die nun näher kommenden langen Winterabende beschieden wurde. Emilie suchte für sich [205] zu lesen, alle Artikel auf, welche ihr kleines Hauswesen betreffen konnten: Bienen, Hühner, Eier, Mais, Oehl, welches sie aus den Körnern der Sonnenblumen zu erhalten hoffte, das Verwahren der Gemüs-Pflanzen u.s.w. Wattines aber brachte beynahe zwey Monate zu, um eine brauchbare kleine Oehlpresse mit ihrer Schraube zu verfertigen, während Emilie auf ihrer Seite nachdachte, ob nicht aus diesen Körnern das Oehl durch Zerstampfen und auskochen gewonnen werden könnte.

Ihre Flachserndte freuete sie unendlich, weil sie nun sicher war, Strümpfe verfertigen zu können. Wattines half ihn nach der Vorschrift in ihren Büchern bereiten, und klopfen. Er machte auch von starken Drath, welchen er spitzte, eine Art von Hechel, um den Flachs etwas fein zu kämmen, aber der Drath bog sich, und das erschwerte die Arbeit; da kam Emilie aus ihrer armen Vorrathskammer [206] mit vier zweyzinkigten eisernen Eßgabeln; deren der gute Quaker ihnen 6 gekauft hatte, und die liebe Frau sagte zu Wattines: sie glaube, daß wenn er diese Gabeln in einem Stücke Holz befestigen könnte, so würde sie eine recht gute Art Hechel erhalten. Ich habe, meine Freunde, da die guten Menschen alles aufhoben, was ihnen auf ihrer geliebten Insel gedient hatte, diese zwey Nothhecheln gesehen, ja ich wünsche sehr, daß meine liebenswürdige Baase sich bey diesem Blatte in ihrem Hause und Keller umsehe, um sich dann einen Begriff von der Freude zu machen, welche die gute Emilie empfand, als sie nach einigen Versuchen so glücklich war, eine Art Honigwein und Honigessig zu kochen, wodurch sie einen gesunden Trank erhielten, und Fische theils in Essig zum Speisen abkochen, theils gebraten mit Essig besprengen und aufheben, und nach vielen Tagen, neben einer Schüssel [207] gekochter Bohnen auftischen konnte. Im Winter aber, da sie mit unendlicher Mühe Sonnenblumenöhl erhalten hatten, aßen sie auch, wie ihr grünes Gemüse verzehrt war, Bohnen als Sallat. Ihr Freund der Quaker hatte an vieles, aber nicht an alles gedacht. Sie trösteten sich indeß auf das kommende Frühjahr, wo sie durch die wiederkommenden Fischer Nachrichten und neue Hülfsmittel zu erwarten hatten. Der gute alte Freund, welcher ihnen einen Knecht oder Magd mitzunehmen gerathen hatte, hatte alles für drey Personen berechnet, womit sie nicht nur bis zu ihrer Erndte, sondern bis zu der neuen Fischzeit reichen würden. Da sie nun allein waren, und Emilie sehr sorgfältig wirthschaftete, kamen sie über dieses Ziel hinaus. Wattines fieng einige Biber und Fischottern, wovon seine Frau die zartesten Theile zum Essen bereitete, das Fett aber sorgsam auskochte, um davon bey Mangel des Mondscheins, [208] in den langen Winternächten, welche sie fürchteten, eine Lampe zu unterhalten; Wattines aber die Felle, nach Anweisung der Encyclopädie, auf eine geschickte Art bewahren und weich zu machen lernte. Als sie Flachs hatten, mußte er Spindeln schnitzen, so wie er auch eine recht artige, aber sehr einfache Haspel verfertigte, und am Ende selbst spinnen lernte; wobey er sich an die Geschichte des Herkules und der Omphale erinnerte, Emilie aber zu ihm sagte:

Ach, die Aehnlichkeit ist sehr klein, da wir beyde nur Sterbliche sind, ich keine Prinzessin und Wattines kein Halbgott ist; da wir, wo diese nur spielten, sehr ernsthaft arbeiten müssen. Wir lächelten bey diesem Theile der Erzählung, und die holde Frau sagte:

Sie sehen, daß wir auch Mittel fanden, manchmal mit unserm Kummer zu scherzen, und dieß war sehr nöthig, denn mein guter [209] Wattines war nur zu oft ernsthaft. Da sie mit diesem Worte aus dem Zimmer ging, sah er mit Blicken voll Liebe und Bewunderung ihr nach, dann aber stillschweigend auf mich, der ihn fragte: ist es wahr, daß sie oft zu ernsthaft waren?

Er antwortete nach einiger Ueberlegung: ja, ich wurde es in den allerglücklichsten Stunden meines Lebens, wenn ich an den hohen Werth des Engels dachte, der alles verlassen hatte, und ohne Klagen oder Murren, mir hieher gefolgt war. O Emilie weiß nicht, wie oft ich mit mir selbst kämpfte, wenn nun die Stunde kam, nach meiner Hütte zurück zu gehen, und ich manchmal die Ermüdung bey einer schweren Arbeit, auf einen Grad fühlte, daß mich der Gedanke von Möglichkeit meines Krankwerdens faßte. O, da lag ich vor Gott, flehte um Leben, um Barmherzigkeit und Unterstützung, nur um Emiliens willen. Denken Sie sich, was für eine Menge von Ideen [210] und Empfindungen ich unterdrücken mußte, um mit einer etwas heitern Miene in meine Hütte zu treten, und dem doppelt scharfen Blicke ihres Verstandes und ihrer Liebe zu entweichen, und ihre Aufmerksamkeit von mir abzulenken. Oft machte ich unvermuthet eine Frage, welche sie mit dem liebenswürdigsten Geiste beantwortete, und hundertmal meine Seele zwischen Schmerz und Entzücken theilte.

Wattines sah, daß ich eine dieser Scenen zu kennen wünschte, und erzählte mir, daß er einst zwey schöne Fische und eine wilde Endte in seinem Hute nach Hause brachte, seinen Fang aber auf großen Blättern, und mit Waldblumen geziert zu Emiliens Füßen niederlegte, worüber sie viel Vergnügen bezeugte und munter sagte: Carl! ich bin froh, daß wir nicht mehr in der Zeit der Griechen oder unter einem amerikanischen Jägerstamme leben, weil ich auf die Vermuthung gerathen könnte, Diana selbst oder eine reizende [211] Sqwa beschenkte dich so oft mit ausgewählter und geschmückter Beute.

Da ich ihr nun die Geschichte der kleinen Jagd erzählte, und sie meine Geschicklichkeit mit so vieler Zärtlichkeit lobte, sagte ich wie sehr mich ihre Zufriedenheit mit meinen ländlichen Talenten freue, und setzte hinzu:

Emilie! ich wünsche schon lange zu wissen, was in dem Innern deiner Seele für ein Bild von mir liegt? – sie blickte mich forschend an, sagte aber gleich mit fester Stimme: das von einem edlen, feuer- und gütevollen liebenswerthen Manne.

Ich war gerührt, umarmte sie dankbar, sagte aber mit einer Art Schmerz: ach Emilie! edel und gütevoll suchten meine Eltern mich zu bilden, aber das Feuer welches die Natur in mir legte, verzehrte und verwüstete vieles davon. Das holde liebe Weib küßte mich und sagte lächelnd: der [212] See Oneida hat alles zu Feurige gedämpft. Hier erwiederte ich schnell, also fandest du mich auch zu feurig?

In deiner Liebe nicht, aber deine zu lebhaften Empfindungen bey Gesprächen und Urtheilen, machten mich erst oft vor Duellen, und dann vor der Guillotine zittern, aber dem Himmel sey Dank, diese Sorge habe ich hier nicht mehr. – Nun fragte ich: Emilie! war dieß alles, was du von meinem Feuer dachtest?

O ich wünschte es selbst in den glücklichen Königstagen, natürlich noch bey der unseligen Revoluzion mindern zu können, aber bald erschien es mir als verehrungswerther Eifer, des edlen, wohldenkenden, gegen Unrecht, Niederträchtigkeit und Bosheit empörten jungen Mannes.

Ich saßte sie in meine Arme, und dankte ihr; aber ich war nun im fragen, und setzte, [213] doch etwas stockend, hinzu: theure gute Emilie! aber was ist es dir hier? hier in dieser Einöde, wohin der wilde Theil dieses Feuers dich an meiner Seite trieb?

Sie nahm meine Hand und sagte zärtlich: Es ist immer Theil meines Carls, dieses Feuer, und hier mehr als anderswo, denn dieses Feuer half unsre Hütte bauen, Bieber, Fische und Endten fangen; bestellte unser Feld mit Korn und Gemüs; belebt deine Liebe, deine Kenntnisse und unsere Hoffnung zu künftigem Glücke.

Ich hatte ihr staunend zugehört und rief aus, Glück? Emilie, Glück? hier für dich, für uns o Beste? – Ernst, aber voll Liebe, erwiederte sie, ja Carl! Glück unserer Lage für jetzt, ist für mich in deinem Leben und deinem Geiste; künftiges Glück für uns beyde, ruhet noch in der Hand Gottes, der durch deine Hand es geben wird. – Sie [214] küßte hier meine Hand, drückte sie an ihre Brust, und indem sie bittend und zärtlich auf mich blickte, sagte sie noch: laß, mein Geliebter! keinen Zweifel unsere erworbene Ruhe und unsere tröstende Hoffnung stören; denn so lange Gottes Himmel über mir und deine Tage neben mir hinfließen, so kann meinem, Gott und dich liebenden, Herzen kein Wohl fehlen, das ich wünsche.

Wattines schwieg hier einige Minuten: ich war voll Bewunderung über den Geist und Character dieser so jungen Frau, denn sie war damals erst 20 Jahr alt. Ich ergriff Wattines Hand und sagte innig: o wie glücklich waren Sie in Ihrer Verbannung durch Ihre vortreffliche Frau!

Ach, mein Freund! antwortete er mir seufzend, höchst glücklich, und höchst elend.

Wie das? fragte ich schnell. Er antwortete lebhaft, wie das, sagen Sie? konnte [215] ich wohl mit einem wahren innern Gefühl von Glück sehen, wie getreu meine liebenswürdige Emilie den wirklich harten Befehl des obersten Gesetzgebers erfüllte, ihrem Manne unterthan zu seyn, alles mit ihm zu theilen, und wenn ich bedachte, wie verschieden die Liebe in ihr und in mir wirkte, sie mir alles opferte, ich ihr nichts? – Ach, nur seit der Ankunft des Vandek genoß ich den Trost, auch etwas für Emilien zu thun, das den Namen eines Opfers verdient, da ich meine vorzügliche Liebe für die Insel, den Hang des Alleinseyns, den Wunsch des Alleinbleibens aufgab, und das Land von Vandek annahm, weil ich sah, daß meine Emilie das so lange entbehrte Glück des Umgangs mit einer Freundin zu genießen wünschte.

Ich sagte ihm: Sie müssen doch finden, daß es so besser ist. Er antwortete: ja nach dem Ernst der Vernunft, aber fragen Sie [216] sich selbst, ob es nicht viel kostet, eine geliebte und gewähnte Phantasie zu opfern?

O wie sehr fühlte ich, daß Wattines recht hatte, als er von der Gewalt der Phantasten sprach; denn ich weiß wie stark man sich an sie heftet, aber ich tadelte ihn, daß er sich bey der Liebe für seine Insel dieses Ausdrucks bediente; denn diese Anhänglichkeit ruhet auf bessern Grund, als dem von einer Phantasie: Er fand für sich und Emilie einen Schutz, als sie Vaterland und Menschen flohen; sie vergnügte täglich seine Liebe für die Schönheiten der Natur; sie trug Nahrungsmittel und Blumen wie er sie wünschte; er hatte viele Theile von ihr angebaut und verschönert, Kräfte und Erfindung dazu verwendet, hatte da Leiden getragen, Tugenden geübt: dieses waren schöne Bande, welche sein Herz mit Dankbarkeit an den Boden und den Gewächsen der Insel festhielten. Er war ganz frey und Herr von allem. [217] Alles dieses lag in der Wagschale, wenn er Insel und festes Land verglich; – aber ich will ihn forterzählen lassen.

Oft machte ich Betrachtungen über die Macht der christlichen Moral, welche Emilien vergeben, Fehler meiden und Uebel tragen lehrte; meine stolzen Grundsätze aber mir Haß erlaubten, und mich durch das Gefühl meiner Ohnmacht, Rache auszuüben, straften: mich auf diese unbewohnte Insel trieben, wo ich, nach aller Gerechtigkeit, in Erfüllung meiner feindseligen Gesinnungen, in dem Jammer des Mangels, in harter Arbeit und Verlassenheit meine Züchtigung finden sollte; denn bey dem Genusse des Trostes, daß ein sichtbarer Engel mein Elend theilte und alles bittre meiner Lage versüßte, ergriff mich tausendmal der zerreißende Gedanke, diesen Engel an die Gränzen eines unabsehbaren Jammers geführt zu haben; auch dünkte mich oft in dem Blicke ihres großen seelenvollen, [218] zum Himmel erhobenen Auges, das Gebet zu lesen:

Ewiger Vater! du siehst, wie geduldig ich dem von dir bezeichneten Pfade meines traurigen Schicksals folge.

Ich konnte nicht mit dem Vertrauen zu dem Erhabenen blicken. Er war für meine Seele nicht ein mich prüfender Vater, wie er Emilien erschien. Er war mir beobachtender mächtiger Richter. Ich mußte mir sagen:

Ach, in meiner Jugend wurde ich wie Emilie gelehrt, daß wir alle zu ausübender Tugend berufen sind; aber ich faßte nicht wie Emilie den Gedanken, daß Leiden und Unglück die Prüfungen für diese ausübende Tugend sind. Ich sah immer nur die Störer der Ruhe meines Vaterlandes, fühlte mit innern Klagen gegen die Vorsicht und mit Empörung meines Geistes, die Oberherrschaft, welche unsere Feinde erhalten hatten; durch die meine [219] Leiden, wie ein unaufhaltbarer wilder. Strom auf mich flossen: ich floh das Ungewitter und glaubte alles gethan zu haben, da ich Emilien rettete und entfernte.

Er dauerte mich und ich sagte theilnehmend: theurer Wattines! Sie sind zu streng gegen sich selbst, Sie berechnen Ihre Leiden, Ihre mühvollen Arbeiten und die errungene Tugend des standhaften Ausdauerns zu gering. Er antwortete: o mein Freund! sagen Sie nichts in diesem Tone, auf der einsamen Insel des See's Oneida lernt man den innern Werth jeder Wahrheit und jedes Verdienstes kennen. Was habe ich denn gethan als die Erde bearbeitet, wie jeder redliche Landmann in Europa und hier, für die Erhaltung seines Lebens und seiner Familie thut? Ich hatte doch unendlich mehr Erleichterung als ein anderer durch meine Bücher, meine Erziehung, durch die Liebe des Schönen, und in dem Geiste und der Zärtlichkeit [220] meiner Frau: wir lernten beyde an dem See Oneida den Werth der Zeit kennen, wenn jede Stunde wohl benutzt wird; denn alle unsere Arbeiten wurden besorgt, und wir hatten noch Muße zum Lesen. Ich sprach nun, von meinem Staunen über den Geist der Zierlichkeit, welchen ich auf der ganzen Insel bemerkt hatte, indem mir ehemals dieser Geschmack nur als Eigenthum des Wohlstandes und des Ueberflusses bekannt war. Er erwiederte:

Sie haben recht, es würde auch in der ersten Zeit meines Hierseyns, eher eine Art Wahnsinn, als ruhige Fassung angezeigt haben; doch dauerte es nicht lange, das erste innere dumpfe Gefühl von Wildniß und Abgeschiedenheit von allen Menschen, so wie sich die Furcht vor den Indiern und wilden Thieren verlor, welche anfangs alle Gegenstände um uns her, durch einen trüben Nebel scheinen machten; aber bald gab Emiliens [221] Liebe für mich mit ihrem kindlichen Vertrauen auf Gott vereint, ihr die Kraft, alle Zufriedenheit zu zeigen und mich bey meiner Feldarbeit zu erheitern; wir machten auch die Erfahrung, daß die Gesetze der Noth und der Nahrungssorgen die dringendsten Beschäftigungen vorschreiben, und sagten uns mit einer Art Freude;

Ach, so wie jetzt der Gedanke unser Feld zu bestellen und unsere Wohnung gut zu versorgen, alle andre Ideen aus unserer Seele entfernt, so ist es in dem Leben der guten Landleute. Ihre Arbeiten und die Hoffnung des glücklichen Erfolgs ihrer Mühe hindern sie auch, wie jetzo uns, mit unnützen Kummer rückwärts und um sich zu sehen: wir leiden also nicht mehr wie sie trokne Zeit zum Pflügen und Graben, sanfter Regen nach den ersten Tagen der Saat, und Sonnenstrahlen zum Blühen und Reifen der Früchte, sind die lebhaftesten Wünsche ihrer redlichen Her[222] zen, wie es jetzo die unsern sind. Grüne Wiesen mit ihren Blumen, erfreuen sie, wie uns hier die schönen Rasenplätze zwischen den Bäumen, mit ihren blühenden Waldpflanzen uns bey jedem Blicke ein sanftes Gefühl des Vergnügens gewähren, und, setzte Emilie hinzu, noch mehr, ich bin überzeugt, daß die ruhige Zufriedenheit der Landleute mit ihrem Stande und Berufe darin besteht, daß sie alles von dem gütigen Himmel und der Erde hoffen, also mehr Sicherheit für die Erfüllung ihrer Wünsche haben, als wenn ihre Erndten von dem Willen der Menschen abhiengen. Wie froh bin ich, sagte das liebreiche Geschöpf, daß alle diese reinen Gefühle in das Looß der Pächter meiner Familie verwebt sind, wie die Feldarbeiten in ihre tägliche Beschäftigung.

Solche Unterredungen erleichterten unsere Lage: Trieb der Erhaltung, Sorge für Emilie machten mich arbeiten. Die Umstände [223] hatten mich schon lange entbehren und nachdenken gelehrt. Nationalcharacter, Farbe und Falten, welche ihm die Erziehung, die Gesetze und Landesgewohnheiten geben, verliert sich niemals. Beobachten Sie unsern Holländer, ob nicht der still ämsige Geist der Ordnung, des Fleißes, des Ausdauerns, der Sparsamkeit und Reinlichkeit in allem wirksam ist. Sollte nicht die Gabe des leichten Denkens und Vergessens, des muntern Tragens einer Beschwerde, und das Erfinden der Hülfsmittel, welches man alles den Galliern zuschreibt, mit uns hieher gekommen seyn? Die Bildung des Geschmacks für das Schöne und Artige, konnte sich nicht aus unsern Empfindungen verlieren, weil wir ehemals zu vieles Vergnügen dabey genossen hatten, und wer sucht nicht die Gefühle der Freude zu erneuen?

Also, da nun die Hütte fertig, die Felder besäet, und so die ersten Bedürfnisse befriedigt [224] waren, Sicherheit der Nahrung im Fischen und Endtenfang, bis zur Erndte uns beruhigte, wir auch das einsame Leben gewohnt wurden, so erhob sich wieder das seine Gefühl für das Schöne. Ich suchte jede Anmuth der Insel auf, um Emilien zu zerstreuen, und durch den Genuß der Reitze in den Wundern der Natur, die Erinnerungen an das Reitzende der Künste zu schwächen. Die angeborne Stimmung ihrer höchst moralischen Seele leitete sie mit Lebhaftigkeit auf die Bahn dieser edlen einfachen Empfindungen; denn sie achtete es eine heilige Pflicht gegen Gott zu seyn, alles Gute dankbar zu bemerken, welches seine väterliche Hand um unsern Aufenthalt verbreitet hatte. Ich nährte diese sanft tröstenden Gesinnungen, durch Aufsuchen aller Stellen von Schäferleben und Auszügen der vortrefflichen, obschon sehr kleinen, philosophischen Betrachtungen in dem englischen Journal [225] universal Magazine, welche uns wirklich schöne Stunden gaben; mir kam glücklich ein Theil der Abhandlung: Ueber das Gefühl des Schönen in der Natur, in das Gedächtniß zurück, wo ein Schriftsteller beweißt, dieses Gefühl erhebe die Seele über niedre Begriffe und Neigungen. Ich nenne diese Erinnerung glücklich, weil sie mich überzeugte, daß Emiliens geduldiges Tragen alles Ungemachs unserer Lage, und in mir das Aufbieten meiner Kräfte diese Lage zu bessern,schön sey. Selbst da ich mir innerlich mit Schmerz bekennen mußte, daß mein zu weit getriebener Abscheu gegen die Menschen, uns hieher brachte, und ich mir nicht erlaubte, den Himmel mit Bitten oder Klagen über ein selbst gegebenes Weh zu ermüden, dünkte mich diese freiwillige Art von Buße und Selbstbestrafung auch schön, wie der Muth, mit welchem ich mir sagte: Habe ich Kummer um mich gehäuft, so will [226] ich alles anwenden ihn zu vermindern. Die Kraft diesen Entschluß zu fassen, dünkte mich ebenfalls schön: und ich weiß nicht, ob es mir wirklich ging, wie man von Einsiedlern sagte, daß alle ihre Gefühle überspannt würden, oder ob es Folge der Empfindung von dem Wesen der Schönheit war, welche immer, sie mag durch den Anblick eines schönen Mädchens, eines großen Kunstwerks oder edlen Gedanken wirken, uns stets aus der natürlichen Stimmung in eine Art Entzücken außer uns versetzt; gewiß ist, daß mich däuchte, bey dem Gedanken des Worts schön erhöbe sich mit sanfter Empfindung begleitet, eine stärkende Triebfeder in meiner Seele, welche mir die Ahndung gab: Gott würde das redliche Anerkennen meines Unrechts, das Versagen der Erleichterung im Erguß der Wehmuth und den Aufruf meiner von ihm erhaltenen moralischen Kräfte in Ausübung jeder Tugend meiner Umstände, mit eben soviel Beifall [227] anblicken, als Emiliens sanfte Ergebung; denn ich fühlte ihn ganz den Unterschied zwischen mir und ihr. Ich suchte alles gute zu thun, um Fehler auszulöschen und das Unrecht zu ersetzen. Ich unterdrückte jede Ungeduld, jeden leidenschaftlichen Jammer, um durch gelassenes Dulden der Strafe meines Trotzes gegen das Schicksal und meines Menschenhasses, Gnade und Vergebung zu verdienen.

Hier dachte ich an unsern Schiller, welcher die Menschen durch die Empfindung des Schönen zu der Moral führen will. Wie weit ist er aber entfernt, sich einen solchen Schüler in den Wäldern von Nordamerika zu denken! Wattines, der mir alle freie Stunden dieses Tages schenkte, führte seine Erzählung fort.

Ich freuete mich Emiliens frommer Ruhe, die in allen ihren Ideen und Handlungen [228] herrschte, da hingegen in mir bald dumpfer, bald heftiger Schmerz entstand. Zum Beweiß, ich hatte viel Blumensaamen mit nach der Insel gebracht, Sie können leicht denken, daß ich Emiliens Lieblinge am sorgsamsten pflegte. Ich zog ein schönes Beet voll nach einer englischen Anlage, zwischen Gesträuchen und Bäumen versteckt, bis sie in Blüthe standen, und führte dann Emilie zu dem unerwarteten Anblick. Ihre dankbare Freude rührte mich in dem Innersten meiner Seele, trauervoll sagte ich:

O Emilie! wie ungerecht war ich gegen diese Blumen und dich. Ihr verblüht beyde ungesehen und unbekannt in dieser Einsamkeit. – Möchte ich ihnen aber Emiliens Blick beschreiben, und den anmuthsvollen obgleich ernsten Ton der Güte angeben können, mit welchem sie erwiederte:

Mein Carl! wie kannst du dieses sagen, da Gott, du und die Sonne uns sehen, und [229] Bienen die Blumen besuchen, indem sie dadurch von deiner Hand ein neues Gastmahl genießen, wie ich, daß die Gestalt deiner Emilie deinem Auge so werth ist.

Sagen Sie, war nicht Emiliens Resignation reines Gefühl der Ueberzeugung, daß die Vorsicht immer Gutes will, und daß Gott, gegen dessen Befehle sie nie handelte, liebreich und zufrieden auf sie blicken müsse? – Ich konnte dieß nicht denken, nicht hoffen! Nach einigem Schweigen sagte er, mir die Hand drückend, und sich von mir nach Hause wendend: sehen Sie Freund! so verschieden wirkten bey dem nehmlichen Gegenstande die Gefühle der Unschuld und die der Reue auf der lieben Insel.

Ich war auch gerührt und wollte ihn nicht aufhalten, denn die Unterredung hatte schon lange gedauert. Die Bewegung seiner Seele war mir ehrwürdig, und ich wußte aus eigner Erfahrung, daß man bey einem[230] gewissen Gange der besten Ideen und Erinnerungen gerne ganz allein ist. Ich wollte ihm auch nicht nachsehen, sondern ging einige Schritte nach dem neu umgegrabenen Felde zurück, wo mir bey der Uebersicht der ganzen Anlage der Gedanke kam, daß ich auf diesem, erst jetzo von Menschen bewohnten und angebauten Stücke Erde, in Wattines und Emiliens Seele die Wirkung des in Europa seit Jahrhunderten geübten Anbaues der moralischen Welt bemerken könne, wo Kenntnisse und Leidenschaften schon so lange sich zeigten, und zwey auf die nehmliche Bahn gewiesene Menschen, in der innigsten Verbindung der Liebe und der Schicksale, beynahe in allem so verschieden denken, und dennoch, wie richtig gestimmte Saiten, den edelsten Einklang der starken und raschen, schwachen und sanften Töne geben. – In dem Manne dünkte mich eine durch philosophische Moral gebildete Heldenseele, voll [231] edlen Stolzes zu seyn, der sich kraftvoll fühlt, und eher mit äußerster Anstrengung selbst trägt, als um Hülfe ruft. – Emilie aber mir das Bild darstellt, welches Gray, der englische, mir so liebe Dichter, in seiner Ode an die Widerwärtigkeit beschreibt. Was er von der Tugend sagt, kann man von Emilien sagen: Sie, die unter der eisernen Hand der Widerwärtigkeit, die ernste Zucht dieser strengen hartherzigen Pflegerin manches Jahr hindurch mit Geduld trug, von sanfter Weisheit in entzückte tiefsinnige Gedanken verhüllt begleitet wurde, das stolze Gemüth ihres Mannes erweichte, nicht verwundete, und den beynahe ausgelöschten edelmüthigen Funken in seiner Seele wieder belebte, ihn lehrte lieben und vergeben, eigene Fehler richtig wägen, was andre sind fühlen, und daran zu denken, daß wir alle unvollkommne Menschen sind.

[232]

[1] Zweytes Bändchen

Meine theuren Freunde schätzen gewiß diese Emilie und ihren Wattines mit mir unendlich höher als viele Menschen, welche wir in großem Ansehen wissen.

Da beyde Wattines mich nochmals versicherten, daß ich von ihnen alle Erläuterungen erhalten sollte, welche ich bey den unvollkommnen Noten der Frau Vandek, von ihrer kleinen Inselgeschichte wünschte, so vermehrte ich meine Fragen, wie sich auch die Gelegenheit sie zu beantworten vermehrte, indem ich beynahe immer mit Wattines lebe, weil ich an dem Theile ihres Gartens arbeiten helfe, wo er von seinem zu Feldern angewiesenen Stück Waldes gegen Norden 20 Bäume stehen ließ, [1] um längst dem gezogenen Graben hin sogleich eine schattige Allee zu haben. Vielleicht arbeite ich darum eifriger, weil dorten wieder eine mit Gichtrosenbüschen umgebne Bank für Emiliens Ruhestunden angelegt wird, von welcher sie nicht nur den ganzen Garten und ihren Hof, sondern auch wie auf ihrer Insel-Bank, die Feldarbeiten sehen kann. An der Mittagsseite sind vier Morgen Land mit Zucker-Ahorn, und vier Morgen mit Aepfel- und andern Obstbäumen besetzt; so wie von dem Hofe an eine Laube mit Fuchstrauben den ganzen Garten gegen die Felder hindurchläuft. – In Wattines Scheune habe ich eine Sämaschine zu schnitzeln angefangen, weil er sich mit so vielem Vergnügen an diesem mir so lieben Gedanken anschloß, der Zimmermann sich auch darüber freuete, und in mancher Ruhestunde nicht nur mir zusah, sondern alles nachahmte: und da jetzo ein Hüttchen für die Schreinerarbeit und Drehbank errichtet wird, [2] indem ich Wattines diese Künste eben so getreu lehren will, als er meinen Zimmermann die Geometrie lehrt; so will ich ihm zu meinem Andenken alle meine Werkzeuge lassen. Mit dem Zimmermanne habe ich verabredet, daß wir beyde zwey Morgen Land von den Baumstumpen reinigen wollen; indem man sonst meinen Säpflug nie gebrauchen kann. Bey alle dem vergaß ich meine Fragen nicht, und suchte eine besonders bezeichnete Scene auf, welche selbst in den Noten der Frau Vandek die Aufschrift hat:zweyter und letzter Kummer, welchen Wattines seiner Frau machte.

Als die Regenzeit einfiel, sagte Emilie: lieber Carl! nun werden wir in vielen Wochen keine so schöne sternhelle Nacht von unserm Belvedere, wie sie den obern Theil der Insel nannten, sehen, wie die war, in welcher wir unsre himmlischen Nachbarn zuerst betrachteten.

[3] Ist dir dieser Platz so vorzüglich werth, meine Emilie? fragte Wattines zärtlich.

Ja Bester! ich werde sie auch nie vergessen, die Gefühle, welche der Anblick des so herrlich gestirnten Himmels und seines Wiederscheins in der ruhigen See mir gab, und nie sah ich ihn, selbst bey Tage nicht, ohne mich an den Wunsch zu erinnern, welchen ich damals hegte. – Wattines fragte schnell und eifrig: was für einen Wunsch, meine Liebe? Emilie faßte die Hand ihres Mannes, drückte sie an ihre Brust und sagte: Ich wünschte, daß mein Carl mir einmal verspräche, daß wenn ich hier stürbe, er mich in einer solchen Nacht, von der Anhöhe des Belveders in die See senken wolle. Wattines stand auf, warf sich mit einem Ausdruck der bittersten Schmerzen zu ihren Füssen und rief: o Emilie! dieß wünschtest du!

Lächelnd und ihn küssend erwiederte sie: ja, herzlich wünschte ich es, weil es mir [4] eine schöne Bestimmung zu seyn dünkte, daß wenn nun meine Seele zu dem Himmel über uns aufgestiegen seyn würde, auch ihre Hülle aus den Armen meines Carls, zwischen den Abglanz der Sterne, sanft nach dem Grunde der reinen See hinabgleitete. – Wattines umfaßte sie mit Heftigkeit, drückte sie an sein pochendes Herz, legte seinen Kopf auf einen ihrer Arme, und ihre Blicke vermeidend rief er: o Emilie! was für ein Bild! und welche Erinnerung kommt mir von einem dieser ersten Abende in die Seele zurück.

Er schwieg dann, sah tiefsinnig und mit bewegtem Herzen vor sich hin, als ob er etwas überlegte, endlich wie mit sich selbst sprechend, sagte er:

Ich will bekennen, daß ich auch einen Todesgedanken hatte, und dann leise hinzu setzte, als wollte er es nur denken, und mit etwas Stocken: Ach Rousseau! mit Heloise auf [5] dem Felsen Meillerie! – Seine Arme, welche bis auf diesen Moment Emilien umfaßt hielten, öffneten sich und fielen wie erstarrt zurück. Mich schauderte, sagte Emilie noch bey dem Erzählen.

O Gott rief ich, was für eine Verschiedenheit zwischen Mann und Frau. Ich dachte unter dem schönen Himmel, an den mich zu Gott rufenden Tod – und du! die Scene deiner und meiner Zerstörung. O Rousseau! wie viel Uebel hast du bey Erwachsenen gestiftet, wie sehr würdest du diesen schrecklichen Ausbruch deiner Leidenschaft bedauern, wenn du diese Wirkung deiner gefährlichen Beredsamkeit auf das beste edelste Herz wissen könntest! sie faltete ihre Hände, und unwillkührlich aber ernst sagte sie, ihre Augen zum Himmel hebend: Ewiger! ich danke dir für die Kraft zu tragen, ich will sie nicht, die Gewalt des Zerstörens, des Niederwerfens. Nun war aber alle ihre Stärke erschöpft, sie [6] weinte voll innigem Schmerz. Wattines war äußerst gerührt, umfaßte ihre Kniee und bat: O vergieb Emilie! daß ich deinem gefühlvollen Herzen diesen Schmerz verursachte, vergieb Rousseau'n! ach, tiefgefühlter Jammer wirkt so, wenn jede Hoffnung entflohen ist,

O wie nah, sagte Emilie, war meinen Lippen zu sagen, du und dein Rousseau, sind auf diesem Punkte sehr klein, aber stolze Männer tragen das nicht, dachte ich, weil ihr hoher Geist, das Wort klein so sehr herunter würdigt, trügen es am wenigsten, wenn eine Thatsache als Zeuge neben dieser Anklage da stünde; und dann befürchtete ich auch, daß Wattines denken möchte, eine Idee von etwas Kleinem in seiner Seele, würde nothwendig meine Liebe für ihn mindern, welche in dieser Einsamkeit einen so großen Werth für ihn hatte, und diesen Kummer wollte ich ihm nicht machen, sondern sagte zärtlich ernst, meinen Kopf auf seinen hinbiegend:

[7] Carl! dein Freund unter den Alten, welcher von dem Vergnügen der Götter sprach, wenn sie Tugend mit dem Unglück ringen sehen, dieser Mann war größer und besser als Rousseau, obschon gewiß nicht weniger leidend als er; denn wie sollte ein glücklicher Mensch zu einer solchen Betrachtung gelangen.

Wäre ich in diesem Moment bey meinen Freunden in Europa, so traulich allein, wie in den seligen mit Ihnen verlebten Abendstunden, so fragte ich hier meine Baase: hat Emilie bey ihrer Sanftmuth nicht mehr Stolz als Wattines und andre Männer? aber hat sie nicht im Ganzen eine höchst edle Denkart, und habe ich wohl Unrecht, meine Freunde! wenn ich mit Bewunderung von Emiliens Character schreibe? den noch wird mir alle Tage überzeugender wahr, was beyde Wattines aus Erfahrung sagen: daß das einsame Leben des moralischen Menschen seine Gefühle erhöht, und allen seinen Ideen einen [8] stärkern Ton giebt. Dieser oben erzählte Auftritt, noch mehr aber die Folge der vollkommensten Aussöhnung dieser edlen Unglücklichen, dünkt mich ein großer Beweiß dieses Ausspruchs zu seyn; denn als Emilie, mit welcher ich die Blätter von der Beschreibung dieses außerordentlichen Auftritts las, mir alle abgebrochne Anzeigen der Frau Vandek berichtigt hatte, sagte ich freimüthig: daß ich zu wissen wünschte, wie sie die ersten Tage nach diesen erschütternden Erklärungen durchlebten? – sie antwortete voll Würde: sehr glücklich. – Wattines war mit erneueter Zärtlichkeit um mich, wir sprachen ernst und vernünftig von Leben, Tod und der bessern Welt, Gott, unser Schicksal, und wenn ich so sagen darf, unsere, durch diese Unterredung gewiß über gewöhnliches Leben erhöhte und veredelte Tugend und die Gesetze der Natur wurden uns heiliger und werther, als zuvor. Mein liebenswürdiger Wattines [9] söhnte sich mit einer strengen moralischen Empfindlichkeit aus, ich mich mit seinem Rousseau; und da er theils wegen der schönen Idee der Alten: Erde ruhe leicht auf ihrer Brust, theils weil die Bewegung des Wassers, das sanfte Bild des ruhigen Schlafes der Begrabenen störte, auch mir dabey sagte, daß, da sein Herz bey dem Versenken in den See, keinen sichern Platz treffen könnte, den geliebten Staub zu besuchen, er nichts von meinem Wunsche hören wollte; so endigte sich unser kleiner Streit mit dem Entwurf, zu beyden Seiten des Belveders, in der Nähe unserer Hütte, gemeinschaftlich wie die frommen Mönche de la Trappe, unsere Grabstätte zu bereiten, sie wie Rousseaus Ruheplatz auf der Insel zu Ermenonville auch mit jungen Pappeln und den schönen Blüthe tragenden Gesträuchen unseres Eilandes zu umpflanzen. Sonne und Mond würden unsere Ruhestätte bescheinen, und Vögel auf den Bäumen bey [10] unserm Grabhügel, im Frühjahr, das Lob unsers Schöpfers singen; ja wir freueten uns bey der Vorstellung, daß diese Pflanzen durch die aufgelößten Theile unsers Wesens einen stärkern und schönern Wuchs erhielten, also die Zierde der Insel seyn würden, welches der Genius der Griechen gewiß als ein Dankopfer für den auf der Insel genossenen Schutz angesehen hätte. Das Ganze wurde noch vor dem Anfange des Winters fertig, und war die letzte Arbeit im ersten Jahre unserer Einsamkeit, und diese Scene die letzte, in welcher eine schmerzhafte Verschiedenheit der Ideen zwischen Wattines und mir vorkam.

Ich kann Ihnen nicht sagen, meine Freunde, welchen Eindruck der Gedanke dieser Arbeit und der Vorstellung dieses Bildes auf mich machte. Ich konnte nicht reden, wollte auch nicht weiter fragen, sondern sagte nur: Gott sey Dank, seltene ehrwürdige Frau! daß alles in Ihrem Schicksale anders wurde. [11] O wie innig war der Blick, mit welchem sie mit gefaltenen Händen zum Himmel sah und sagte: gewiß es hergeht kein Tag, ohne daß meine ganze Seele der ewigen Güte für diese glückliche Aenderung dankt.

Ich erwiederte aber, daß ich diese, ihrer letzten Ruhe bestimmten Plätze noch nie bebemerkt habe, ob ich schon vier Wallfahrten zu der mir heiligen Zelle und den zwey Sitzen der liebenden Einsiedler der Insel Oneida machte. – Emilie antwortete mir lächelnd:

Sie waren doch sehr nahe dabey, denn die zwey nun mit Mooß bedeckten Sitze auf dem Belvedere, entstanden von der aus den Gräbern gehobenen Erde, und die zwey etwas tiefer liegenden Blumenbeete zwischen den Pappeln sind die von uns selbst verfertigten Ruheplätze; denn da ich die Idee, daß Wattines meinen Körper in den See bringen sollte, ganz aufgegeben hatte, und wir viel vom [12] Tode sprachen, erneuerte sich in meinem Gedächtnisse die Vorstellung, welche meine vortreffliche Mutter mir einst nach einem alten Schriftsteller von dem Bilde des Todes gab: daß er weit entfernt, von der schreckenden Gestalt eines Gerippes, als mächtiger, liebreicher Genius, die Straße des Lebens auf- und abschwebe, um die von Kummer und Leiden ermüdeten Sterblichen zur Ruhe des Grabes zu tragen; da forderte ich meinen Carl auf, einmal die Stelle dieses Genius zu vertreten, und mich vom Kampf ermüdet in mein letztes Bette zu legen. Er versprach es mit Zärtlichkeit, und ich bat ihn, meinen Grabhügel mit unsern Lieblingsblumen zu schmücken, wie er stets während meinem Leben die Gegend meines Aufenthalts mit dem Flor der Jahrszeit verschönerte.

Den kommenden Frühling fand ich die Gruben, und die zum Decken der Verstorbenen bestimmte Erde, mit feinen wohlriechenden [13] Kräutern und holden niedrig wachsenden Blumen, wie mit einem Teppich überzogen. Als Wattines mich bey diesem Anblicke so dankbar gerührt sah, betrachtete er meine ganze Gestalt mit aufmerksamer Liebe, und sagte, indem er mich an seine Brust drückte: wenn meine so angenehm blühende Emilie hier dahin welkt, so soll sie auch nach ihrem Wunsche von mir zur Ruhe gebracht werden, und hier in dem Schooße der Blumengöttin schlafen.

Dieser unerwartete Gedanke erhöhte meine Gemüthsbewegung, ich umarmte Wattines und sagte: Lieber wie schön und gütig ist dieses. Nun erzählte er mir, daß er diese Idee einer Reise nach Berlin danke, als es Mode war, die Revue der Armeen des großen Friedrichs zu besuchen, hätte er in den prächtigen Garten zu Sans-Souci, die so vortreffliche Idee ausgeführt gesehen, daß Flora in anmuthsvoller Stellung daliegend, ihren Kopf auf eine Hand gestützt mit lächelnder [14] Miene auf einem Grabe schläft; wodurch der große Mann in dem herrlich gearbeiteten Marmorbild, nicht nur den sanften Schlummer des Todes anzeigte, sondern den edlen tröstenden Sinn des Wiederauflebens und Auferstehens zum ewigen Frühling damit verband. Sehr artig setzte Emilie hinzu: finden Sie nicht, daß ich recht hatte zu behaupten, lange Einsamkeit schafft Erscheinungen bey frommen Seelen in Klöstern und bey liebenden Unglücklichen auf der Insel Oneida?

Ich faßte den Gang des Gesprächs auf, indem ich sagte, daß die Vorstellung des Sterbens, der Trennung und der andern Welt, zu allen Zeiten auf schöne gefühlvolle Seelen wirkte: bey den Griechen das Bild von Elysium, und bey den Christen das von himmlischer Seligkeit hervorbrachte, so wie Liebe und Freundschaft die Denkmähler der Verstorbenen errichtete, und fügte hinzu, daß diese Empfindungen, und selbst ein Spiel des [15] Zufalls mich in den Stand setzte, ihr von mir selbst, und in Personen meiner Nation ganz neue Beweise von dem Einflusse zu geben, welche die Erinnerung an Grab und geliebte Todte, immer haben würde; Sie forderte mich auf, ihr das alles bekannt zu machen: ich suchte nun in meiner Briestasche das kleine Gemälde eines mit Vergißmeinnicht bepflanzten Grabes, welches mir um eines unvergeßlichen Freundes willen so werth geworden war, weil er diese Blümchen vorzüglich liebte, und ich dem Andenken dieses geliebten Freundes zu Ehren, sehr oft zwischen Lerchenbäumen einen schmalen Bergpfad bestieg, wo Schloß und Garten der Grafen von Stadion lag, um den Theil der Anlage zu besuchen, wo zwischen hohen grünen Wänden ein einsamer Springbrunnen lag, dessen Wasserbecken mit einem zwey Schuhe breiten Kranz von tausend und tausend Vergißmeinnicht umgeben war. Dort wo ich in [16] früher Morgen- oder in der Abendstunde bey Auf- und Niedergang der Sonne, das Haus sehen konnte, in welchem er geboren war, unser Franz von la Roche, welchen wir in der vollen Blüthe von männlichem Geiste, Tugend und Gestalt verloren. Ich zeigte Emilien die Einfassung, welche meine schätzbare Baase von dem aus diesem Kranze gepflückten Blümchen, um den Nahmenszug meines Freundes machte; dieser Kranz, wo sein schönes Auge diese Blümchen zuerst sah, und sein noch schöneres, zur edelsten Freundschaft gebildetes Herz, sie zuerst lieben lernte. Ich bekenne, daß ich mich in diesem Andenken ganz verlor, aber doch bemerkte, daß Emilie mir gerne zuhörte, und als ich ihr von der Betrachtung sagte, welche ein edler Teutscher über die Vergißmeinnicht schrieb, so wollte sie den Inhalt kennen.

»Es ist als hätte die Natur überall die Vergißmeinnicht als ein Memento für das [17] Herz hingesäet, denn wo ist der Mensch, dem nicht irgend in der Schöpfung etwas zurufe: vergißmeinnicht? Das gefühlvolle Mädchen drückt dem scheidenden Jüngling die Hand, vergißmeinnicht! die Mutter dem Sohne, der Freund dem Freunde, vergißmeinnicht! Wehe dem Unglücklichen der in der weiten Welt nichts gefunden hat, woran ihn dieses Blümchen erinnern könnte! doch ihr holden blauen Wesen! wenn Ihr kein Memento seyd für Liebende, Mütter und Freunde, dem Verlaßnen, ruft der aus Euch zu, der Euch gebildet hat, vergißmeinnicht

Ich dankte Emilien für ihre theilnehmende Aufmerksamkeit und fragte: ob sie nicht bey dem kleinen Bilde des Grabes in meiner Brieftasche, auch etwas von der sanft melancholischen Schwärmerey fände, welche die Mönche von la Trappe und die edlen Wattines zu ihren eigenen Gräbern führten? ja, sagte [18] sie, ich denke es ist der nehmliche Geist, welcher gute große Römer die Aschenkrüge in ihren Grabmälern beleuchten ließ, und, erwiederte ich, Emilien von Wattines zwey Jahre an Errichtung der Urnen ihrer geliebten Verwandten arbeiten machte. Sie senkte bescheiden ihr Auge zur Erde, faßte sich aber und sagte: Sie sprachen auch von einem Spiel des Zufalls, welches mit diesen rührenden Gegenständen unserer Unterredung verbunden seyn solle.

Ich zog Schillers Klagen der Ceres aus meinen Papieren hervor, wobey ich fragte: Ist es nicht ein sonderbarer Zufall, daß in dem einzigen Paquet Briefe meiner Freunde, welches ich hier bekam, gerade ein vortreffliches Gedicht von einem der schätzbarsten Genies von Deutschland mit eingeschlossen ist, dessen Inhalt so ganz zu Friedrichs Flora und dem Andenken meines Freundes paßt, auch Ihrem gütevollen Mutterherzen [19] gefallen wird, weil es die Trauer der Mutter meines geliebten Freundes in etwas milderte?

Ich gab ihr nun im Ganzen einen Begriff von den in dem Gedicht gegebenen, jeder edlen sanften Seele heiligen und willkommnen Beweiß, daß durch die auf den Gräbern der Geliebten entsproßnen Pflanzen eine Verbindung mit den zurückgelassenen unterhalten würde. Ich suchte Emilien so viel möglich eine Idee von der schönen Poesie zu geben, und übersetzte die Verse, wo Ceres sagt:


Nein, nicht ganz ist sie entflohen,
nein! nicht ganz sind wir getrennt:
haben uns die Ewighohen
eine Sprache doch vergönnt!
wenn des Frühlings Kinder sterben,
von des Nordes kalten Hauch,
Blatt und Blumen sich entfärben,
[20]
traurig sieht der nackte Strauch;
nehm ich mir das höchste Leben
aus Vertumnus reichem Horn –
opfernd es dem Styx zu geben,
mir des Saamens goldnes Korn:
traurend senk ichs in die Erde,
leg es an des Kindes Herz,
daß es eine Sprache werde.
meiner Liebe, meines Schmerz's.
Führt der gleiche Tanz der Horen
freudig nun den Lenz zurück,
und wird alles neu geboren
von der Sonne Lebensblick;
Keime, die dem Auge starben,
in der Erde kaltem Schooß,
in das heitre Reich der Farben
ringen sie sich freudig loß.
Wenn der Stamm zum Himmel eilet,
sucht die Wurzel scheu die Nacht,
gleich in ihre Pflege theilet
sich des Styx, des Aethers Macht;
[21]
halb berühren sie der Todten,
halb der Lebenden Gebieth;
ach, sie sind mir theure Boten
süsse Stimmen vom Cozyt,
hält er gleich sie selbst verschlossen
in den schaudervollen Schlund,
aus der Frühlings jungen Sprossen
Redet mir der holde Mund:
daß auch fern vom goldnen Tage,
wo die Schatten traurig ziehn,
liebend noch der Busen schlage,
zärtlich noch die Herzen glühn.
O so laßt Euch froh begrüßen
Kinder der verjüngten An!
Euer Kelch soll überfließen
von des Nectars reinstem Thau;
tauchen will ich euch in Stralen,
mit der Iris schönstem Licht,
will ich Eure Blätter malen
gleich Aurorens Angesicht;
in des Lenzes heiterm Glanze
[22]
lese jede zarte Brust,
in des Herbstes welken Kranze
meinen Schmerz und meine Lust.

Ich wünschte Sie hätten die Aufmerksamkeit der vortrefflichen Frau gesehen, mit welcher sie auf jedes meiner Worte horchte, und wie schnell dem Gefühle ihres reinen Herzens, meine Uebersetzung und der feine edle Sinn der Verse deutlich wurden.

Ich wußte ihr von unserm Franz la Roche erzählen, und da sie als Beweiß ihrer zärtlichen Theilnahme an dem Kummer seiner Mutter und dem Verdienste des Sohnes, mich um einige Blümchen von den Vergißmeinnicht bat, schenkte ich ihr die Einfassung mit dem Namenszuge, indem ich sagte: daß es bey meiner Zurückkunft in mein Vaterland eine meiner süßesten Freuden seyn würde, eine Blume von seinem Grabe zu pflücken, um dadurch nach der Anweisung des herrlichen [23] Gedichts, noch meine Verbindung mit dem edelsten und besten jungen Manne zu fühlen.

Hier stossen Thränen von ihren Augen, und sie sagte mit innigem Schmerze: ach wenn ich nach Frankreich zurück käme, wäre ich nicht so glücklich, Blumen auf der Ruhestätte meiner geliebten Freunde zu finden. –

Diese Anwendung meines Gedankens war mir unerwartet, ich blickte äußerst gerührt nach ihr hin, aber sie verließ mich. Ich sah ihr nach und bemerkte, daß sie ihren Carmil bey seinem Spiele in dem Hofe aufgesucht hatte, und ihn lange in ihren Armen hielt. Der Kleine betrachtete sie, und bemühte sich dann mit seinen Händchen ihre Thränen abzuwischen. Ich war ihr langsam gefolgt, und hielt mich ferne, weil ich ihre Bewegung still verehrte und ruhig vorüber gehen lassen wollte; aber Wattines kam gerade von dem Felde zurück, und wußte natürlich keine Ursache [24] zu denken, warum seine Frau bey dem Kinde in Thränen schwamm, und fragte ängstlich:

Emilie! warum diese Trauer?

Sey ruhig, mein Bester! es ist nichts geschehen, sagte sie. Meine Wehmuth entstand bey einem schönen Gedichte, und aus Mitleiden für eine arme Mutter in Teutschland.

Dieß war ihm noch immer unverständlich. Nun erzählte ich, mit dem Bilde des teutschen Grabes in der Hand, den Anlaß zu Emiliens so schön sympathisirender Trauer. Sie lächelte hier ruhig und sprach von dem so neuen und rührenden Gedanken des teutschen Gedichts, mit so viel Empfindung und Klarheit, daß ich an die Harmonie schöner Seelen glauben müßte, wenn ich auch niemals davon gehört oder eine Ahndung gehabt hätte; denn der Auszug, welchen diese Frau, von dem tief [25] moralischem und schönen müthologischem Sinne von Schillers Gedicht, in ihrer Landessprache machte, war eine neue herrliche Abbildung von dem Originalideen in französischen Glanzflor gehüllt, der die Farben nicht verlöschte, sondern nur etwas dämmernd schimmern machte: ich staunte daneben über die Stärke und Feinheit des Geistes dieser Frau, indem sie, um ihren Mann zu schonen, mit keiner Sylbe die Erinnerung an ihre verlornen Freunde berührte, und nur von der sanften Wehmuth sprach, welche ihr das Gedicht einflößte; so wie das Mitleiden für die teutsche Mutter ihre Seele erweichte und ihre Liebe für Carmil erhöhte.

Wattines nahm nun das Wort und sagte: alles was ich von dem Inhalte dieser Poesie höre, macht mich bedauern, daß ich es nicht im Original lesen kann; aber es erinnert mich auch an einem meiner Lieblings-Schriftsteller unserer Nation, Bernardin de [26] St. Pierre, welcher, setzte er gegen mich lächelnd hinzu: obschon geborner Franzose, dennoch eine schöne Abhandlung über das Vergnügen der fühlbaren Seele bey den Gräbern schrieb; nun besann er sich ein wenig, und sagte zu mir: wir wollen dieses Stück einmal auf der Insel lesen.

Dieser Vorschlag freuete mich, denn da konnte ich nach der Stelle von den Gräbern fragen. Unsere folgenden Unterhaltungen waren nicht von so rührender, aber doch nicht minder angenehmer Art, denn sie betrafen die Antworten auf meine Fragen, über ihre Herbst- und Wintertage. Wattines sagte: an diese gewöhnen sich Europäer nur mit der äußersten Mühe, indem Amerika nur drey Jahrszeiten hat, Sommer, Herbst und Winter; vom September bis November ist das Clima paradiesisch, aber wie im November die Blätter fallen, so kommen kalte, abgesetzte Regengüsse und [27] Schneegestöber, Nordwestwinde führen um Weihnachten den strengen Winter über das ganze Land, die Erde wird hoch mit Schnee bedeckt, die Lust zu Eiß; aber der Himmel ist reiner Azur. Unsere Blicke, Wünsche und Bitten konnten stets, ohne von Nebel oder Wolken aufgehalten zu werden, zu unserm Urheber in die Höhe steigen, denn die Sonne leuchtet täglich hervor. Anfangs Mai schmilzt der Schnee und acht bis zehn Tage nachher, stehen Bäume, Felder und alles in Flor.

Diese Beschreibung freuete mich sehr für die guten Wattines, denn sie sahen also doch in ihrer tiefen Einsamkeit, zwischen den entblätterten Bäumen und Gesträuchen hindurch, – wie der Abbe Reyrac in seiner Hymne sagt:

»Alle Tage einen stets warmen Freund, dieSonne

[28] Als nun Wattines zu seinen Geschäfften eilte, nahm Emilie die Fortsetzung des Erzählens auf und sagte: unser Herbst und Winter wurden auch schön durch neuen Kunstfleiß, bey Lichtern und Lampen, für mich aber durch Wattines freigebige Mittheilung aller seiner Kenntnisse.

Ich fragte nach dem Kunstfleiße, welcher für mich immer viel Anziehendes und Schätzbares hat, hier aber um so mehr hatte, wenn ich bedachte, daß weder Wattines noch seine Frau zu Mangel geboren, oder zu rauher Handarbeit erzogen waren. Aus den Bibern, Fischottern und fetten Vögeln, welche er gefangen hatte, kochte Emilie das verschiedene Fett sorgsam aus, und mengte es mit dem Vorrathe Oehl, welchen sie mitbrachten. Die Dochte verfertigte sie aus äußerst schmal geschnittnen Streifen Mouselin, von einigen Halstüchern, welche sie dann zusammen drehte, Lampen- und als [29] sie im zweyten Jahre Wachs genung hatten, und es zu behandeln wußten, auch Kerzdochte davon machte: Wattines aber, um den starken Lampendampf abzuziehen, erbaute, nahe an der Wand, von Thon einen kleinen Rauchfang, welchem er einen guten Zug zu geben wußte. Was für eine Wohlthat in den langen Winternächten, wo Lesen und Arbeit der einzige Genuß von Erleichterung ihrer Noth und des schrecklichen Wehs, der langen Weile war. Ihre ihnen Eier gebende, bis zu 15 Stück angewachsene Hühner, wohnten des Tages mit in ihrer Stube. Wattines hatte sich einen Weg zum Fischen und Wasserholen offen gehalten, wodurch der Wechsel unserer Speisen, wie auch die Mittel zu unserm Honigwasser und der Reinlichkeit gesichert war. Unser Flachs, sagte Emilie, war gut gerathen, und noch in den letzten Herbsttagen ziemlich bereitet. Ich spann ganz artiges Garn, Wattines etwas [30] starkes. Hier verließ sie mich, und kam mit zwey Spindeln voll Garn und einer Handvoll Flachs zurück. Sehen Sie! da sind noch Reste von unserer Arbeit, und Spindeln welche mein Wattines so nett und mühsam schnitzelte: daß er Netze stricken konnte, berühre ich nicht, denn dieses muß ja immer ein guter Jäger verstehen, aber das Garn dazu verfertigen, lehrte ihn die Nymphe des Hayns auf der Insel Oneida. Ich bezeugte ihr meine Freude dieses alles gesehen zu haben, und bat sie, mir Flachs, Garn und eine Spindel zu schenken. Sie bewilligte es gerne, ich dankte und setzte hinzu, ach! was für Erinnerungen ruft Ihnen diese Arbeit zurück! sie erwiederte, o diese Tage waren süß, denn Hoffnung der Rückkunft unsrer Fischer war damit verbunden. Wir arbeiteten bald in die Wette, dann auch unter wechselseitigem Lesen.

Da ich den eigentlichen Unterschied zwichen der männlichen und weiblichen Erziehung [31] von unserm Stande wissen wollte, so erzählte mir mein guter Carl, soweit er sicher zurück denken konnte, den Gang der Leitung seines Geistes und seiner moralischen Gefühle; wie nun etwas wissenschaftliches vorkam, wurde ein Band der Encyclopädie genommen, das Ganze vorgelesen und erklärt; so daß ich dadurch mit Wattines eine völlige Wiederholung aller seiner Studien machte, ihn wegen dem was er wußte höher schätzte, wegen dem, was er mich lehrte, dankbarer liebte. Er mußte mich den Nutzen und den Gebrauch aller mathematischen Instrumente lehren, ja ich plagte ihn mit der Begierde das Latein zu wissen. Ich lächelte, und wiederholte das Wort: plagte.

O gewiß es war Plage, denn wir hatten keine Grammatik, kein Dictionaire mitgegebracht, nur Ciceros Werke und Briefe, da auf einer Seite Latein, auf der andern die französische Uebersetzung war, eben so der [32] Horaz, nur Virgil war ganz in seiner Sprache da. Alle diese Schriften las Wattines mit mir, und ich lernte eifrig, kam auch durch mein gutes Gedächtniß so weit, um so ziemlich alles was in andern Büchern vorkam zu verstehen, – und o wie sehr lernten wir beyde den Werth der Kenntnisse verehren! Buchdruckerkunst war uns göttliches Verdienst; denn durch sie waren wir in der Zeit, wo das Schicksal uns von allen Lebenden getrennt hatte, mit den besten die jemals lebten, umgeben, und konnten uns immer die nützlichste angenehmste Gesellschaft wählen. Wie oft sagte ich mit dem größten Staunen: o wie viel schönes hat der menschliche Geist hervorgebracht! ja, als ich das Glück des Wissens kannte, segnete ich unsere Einsamkeit, ohne welche Wattines nie Zeit gefunden hätte, weder mich zu belehren, noch für sich zu wiederholen. Er wurde uns sogar werth, der [33] Zustand der Armuth und des Mangels an allem, was Glück des physischen Lebens ist, da wir den höchsten Reichthum, aller seit Jahrtausenden gesammelten Schätze des Geistes um uns sahen. Dieser wirklich schöne Gang unseres Schicksals, welchen wir selbst in unsere Umstände verwebt hatten, und uns einzig in seiner Art schien, gab uns durch das angenehme, welches der Ausdruck einzig unter Millionen jungen Leuten unsers Alters zu seyn, mitten in unserer tiefen Einsamkeit, die edelste Freude der Eigenliebe zu kosten, und wurde, ich bin es gewiß, wahre Stütze unsers Lebens und unserer Kräfte. Wir genossen darin nicht allein das Glück, daß wir uns liebten, sondern auch hochschätzten, und so, edel vergnügt, die Wahrheit des Gedankens fühlten: daß Unwissenheit die Armuth des Reichthums, Kenntniß und Tugend, Reichthum der Armuth sey. Wir bemerkten auch wohl, [34] daß dieser unterscheidende Zug unsers Wesens, bey der Ankunft der Colonie sehr für uns sprach. Unsere Jugend rührte die guten Herzen, der Anblick unserer schön bearbeiteten Felder erregte freudiges Staunen; aber unsere vielen und vortrefflichen Bücher, die höchste Bewunderung, vielleicht um so mehr, da wir von der französischen Nation, und von der Classe waren, welche sich durch Leichtsinn und Begierde nach Vergnügen ausgezeichnet hatte.

Unsere Erfahrung und unsere Bücher gaben uns richtige Begriffe von Tugend, Verdienst, Glück und Jammer. Diese richtigen Begriffe wurden Grundpfeiler des Gebäudes unserer Ruhe; denn wie viele Arten Wohl und Weh werden uns in Städten und großen Gesellschaften durch die Einbildung zugeführt, welche wir am See Oneida nicht mehr hörten und sahen. Wir waren gegen das Lachen der Thorheit und gegen die [35] tyrannische Herrschaft der Mode geschützt, unsere Leiden und Freuden der Sinne kamen aus der Hand der Natur, und je länger wir auf unserer Insel unter ihrer Aufsicht und Pflege waren, desto mehr fühlten wir, daß sie sich gegen gute, ihr immer nahen Kinder wahrhaft mütterlich zeigt; denn unsere Gesundheit und unsere Kräfte vermehrten sich, nie hinderte Unverdaulichkeit unsern Schlaf, nie plagte uns Langeweile. Sie sehen nun auch, wie sehr ich Recht hatte zu sagen, der Herbst und Winter waren eine reiche Erndtezeit für meinen Verstand und für mein Herz. Sie kennen meinen Wattines durch den männlich sanften Ton der Freundschaft und das gefällig Ernste, wenn er mit Männern über einen wissenschaftlichen Gegenstand spricht: denken Sie sich die Stimme der edlen wahren Liebe, welche nicht nur die besten Gefühle des Herzens, sondern auch die besten Güther des [36] Verstandes mitzutheilen sucht. Sie wissen, daß in dem ersten rauhen Loghouse keine Fensterscheiben sind, aber Noth und Nachdenken lehren vieles: unsre kleinen mit welsrem Leinen bespannten Fenster, würden einen mir unschätzbar gewordenen Unterricht eben so sehr unterbrochen haben, als sie das völlige Eindringen der Lichtstralen hinderten; aber Wattines nahm den ohngefähr einen Schuh großen Spiegel, welchen ich zwischen die Bücher gepakt hatte, und sagte mir: er wolle die Hälfte des mit Quecksilber auf das Glas befestigten Staniols abmachen, so würde dieser Theil Fensterscheibe werden, der andre Spiegel bleiben, und wir also den dreyfachen Nutzen vereinen, bey Wind und Regen, dennoch die Ansicht unserer Insel zu genießen, mitten im Winter Sonnenstralen aufzufangen, und zugleich die Ordnung unserer Haare und unsers Gesichts zu beobachten Sie können sich, sagte sie mit wahrer weiblicher Freude, keinen Begriff [37] von dem Vergnügen machen, welches ich über diesen Gedanken meines Carls empfand, und was für eine Quelle edlen reinen Genusses sich damit für uns öffnete. Lesen und Arbeiten wurden erleichtert, und wir konnten nun, ohne den Wind, das Schneegestöber oder den Regen bey dem Aufmachen eines Fensters einstürmen zu sehen, alles bemerken, was auf dieser Seite vor unserer Hütte lag oder sich zutrug. Sonne, Mond, Sterne, Bäume und Erde, die Luft und der See, waren nun selbst in übler Witterung frey vor unsern Augen, weil Wattines uns durch Aushauen einiger Baumäste eine Aussicht längst dem See geschafft hatte. Da ich, setzte sie hinzu, in meinem englischen Nähzeuge noch ein kleines Spiegelchen besaß, welches mir zu meinem Putze auf der Insel genügte, so bat ich Wattines, den ganzen Spiegel zur Fensterscheibe zu nehmen. Ein Gefühl von Glück durchdrang unser Herz bey [38] dem ersten Genuß dieser Aussicht: wie gerne hätten wir dem Oberherrn der Insel eine englische Fenstertaxe bezahlt, wenn sie jemand gefordert haben würde. Da dieses liebe Fenster nahe bey unserm Heerde war, und wir uns freistehend, sowohl wärmen als umsehen konnten, sagte Wattines: gewiß der Generalpächter in Paris, welcher über seinen Camin statt eines großen Spiegels ein eben so hohes prächtiges Glas einsetzen ließ, um bey dem wärmenden Feuer zugleich die Aussicht auf der volkreichsten Straße der Stadt zu genießen, dieser fühlte gewiß bey diesem kostbaren Kunstwerke kein so hohes Maaß Vergnügen als wir, bey der kleinen eine Spanne hohen Scheibe. Die liebe Frau führte mich nun gleich zu dem so sehr geschätzten Fensterchen, welches etwas schief zwischen dem Hausbalken befestigt war, gerade das Kämmerchen beleuchtet, wo alle ihre Inselgeräthschaften aufgestellt sind, und Wattines in warmen [39] Tagen auf dem kleinen Tischen aus der Hütte arbeitet.

Das Opfer meines Spiegels wurde reichlich bezahlt, indem mich mein Carl in den stürmenden Tagen des Novembers, über die Naturgeschichte der Winde, des Regens, der Wolken und des Schnees belehrte: da ich noch kein Englisch verstand, übersetzte er mir alle die schönen Herz erhebenden Betrachtungen eines Philosophen im universal Magazin: zeichnete mir dabey die feinen Stern gebildeten Schneepflocken, welche ich seitdem in Vandeks Hause, im Catechismus der Natur, nach zwölf abgeänderten sehr schönen Gestalten sah. Des Engländers Betrachtung über den Schnee reizte mich zum Fleiß seine Sprache zu lernen, weil er immer Kenntniß der Sache selbst, moralische Empfindungen, Auszüge aus den vortrefflichsten Dichtern neuerer Zeit, mit den Ideen der Alten verband, und ich diese Lehrart unendlich liebte: wie er zum Beispiel [40] vom Entstehen des Schnees sagte, Homers Bild war:


In des Winters dunkler unfreundlicher Regierung
deckt eine Ueberschwemmung von Schnee die Ebne.
Jupiter heißt die Winde schweigen und die Wolken schlafen,
dann stößt er das flille Unwetter dick und tief herab:
zuerst umhüllt es die Spitzen der Berge,
nach dem die grüne Flur und auch sandige Wüsten.
Das Gewicht des Schnees fesselt die Bewegung der Bäume,
und ein weit verbreitetes glänzendes Weiß verbirgt alle Werke der Menschen,
nur der bey ihrem Fall sich in lauter kleine Cirkel theilende See verschlingt sie
und trinkt seine aufgelösten Flocken wie sie fallen.

[41] Der Philosoph Aristoteles nannte den Schnee kurz und richtig, eine gefrorne Wolke, wie er den Hagel gefrornes Wasser nannte. Plinius, welcher dreyhundert Jahre nach ihm lebte, also eine noch gewissere Idee von dieser Lufterscheinung geben konnte, verirrte sich doch wieder zu der poetischen Phantasie, zu sagen: es sey der Schaum, welchen das in den obern Luftgegenden zusammen geschlagne himmlische Ge wässer hervorbringe.

In dem englischen Dichter der Jahrszeiten aber findet man den Wiederhall der Stimme des Vaters aller Poeten, Homers; denn Thomson sagt:


Siehe! sie kommen, die strengen Witterungen; aufdämpfend
aus dem schwarzgelben Osten, aus scharf durchdringendem Norden
steigen die dicken Wolken; in ihrem Schooß liegt
[42]
eine Dunstüberschwemmung, zu Schnee gefroren.
Siehe, sie rollen schwer durch ihre wolligte Welt hin;
und der Himmel ist traurig, beym dicht versammelten Sturme,
durch die gestillte Luft steigt ein weißer Schauer herunter,
welcher dünn zuerst wirbelt; und endlich fallen die Flocken
breit und weit und geschwind, so daß sie den Tag selbst verdunkeln
in beständiger Flut. Die werthgeschätzten Gefilde
nehmen ihr Winterkleid vom allerreinsten Weissen,
alles glänzt; nur nicht wo der neugefallne
Schnee schmilzt, längst den labyrinthischen Bach.

Hier unterbrach die liebe Frau das Lesen der Verse und sagte: o wie sehr fühlte ich, [43] daß der Dichter recht hatte, als er anmerkte, daß im freien ofnen Felde alles glänzte, nur nicht am labyrinthischen Gange, längst den Bach. Labyrinthe haben gewiß nichts glänzendes, nichts helles, jeder Schritt ist mit Furcht und Ungewißheit umgeben, kleine, wie Schneeflocken von ferne hellscheinende Aussichten und Hoffnungen, verlieren sich in einem Labyrinthe in dunkle Ungewißheit, wie die weißen Flocken im Wasser. Wundern Sie sich nicht, setzte sie hinzu, daß mein Herz hierin das Bild unsers Schicksals erblickte, so wie mein Geist in Thomsons Beschreibung des Winters die vollkommenste Aehnlichkeit mit dem von Amerika, so wie ich glaube, daß meine Aufmerksamkeit mich nicht täuschte, als ich eine Aehnlichkeit zwischen Homers und Thomsons Wintergemählden fand; es müßte nur in Popens Uebersetzung des ersten etwas gefehl seyn; denn Sie glauben wohl, daß ich weder Homer noch Pope im Original kenne? doch [44] da ich unüberlegt von zwey großen Männern sprach, so muß ich noch einen Punkt der Aehnlichkeit zeigen, die ich zu sehen glaubte, da Thomson auch sagt:

»Es beugen die Wälder jetzt ihr bereistes Haupt, das Antlitz der Erde ist tief verborgen, gefroren, eine blendende Wüste welche der Menschen Werke begräbt.«

Ich konnte nicht anders, ich mußte etwas über den Eifer der guten Frau lächeln, mit welchem sie von den zwey aufgefaßten Auszügen sprach. Ich sah noch den alt französischen Geist darin, wo artige Weiber alles beurtheilten. Emilie bemerkte aber mein Lächeln: ein Schimmer von Rosenfarbe überzog ihr Gesicht, ich war bange, ihr Mißvergnügen verursacht zu haben, und wurde in Wahrheit mehr verlegen als sie es seyn konnte; auch dieses bemerkte sie, und sagte freimüthig:

[45] Lächeln Sie nur ganz offenherzig, ich weiß wohl, daß Ihr Männer Eure Sprachkenntniß und alten Schriftsteller wie Heiligthümer betrachtet, welche wir guten Geschöpfe nicht berühren sollen. Wattines lächelte auch, als ich mit ihm davon sprach. Er war aber aufrichtiger als Sie, und sagte wie zu einem vorschnellen guten Kinde: ich sehe darin, daß der Winter in Homers Vaterland nach den ewigen Gesetzen der Natur dieser Jahrszeit sich zeigte, wie in den kalten Gegenden von England. Ich fühlte diese Wahrheit, und liebte die Betrachtungen des englischen Philosophen je mehr ich seine Landessprache kennen lernte, desto inniger, ja Thomson war auch mein Freund, weil ich in mir Sympathie mit ihm fand, da er alles was vom Himmel auf die Erde kommt, rein und schön nannte. Er wurde mir mehr als Homer durch seine edle Bitte an Gott:

[46] »Vater des Lichts und des Lebens! lehre du mich was gut ist, fülle meine Seele mit Einsicht, mit innerem Frieden, mit reinster Tugend, mit heiliger, wesentlicher und nie welkender Wonne.«

Diese Anhänglichkeit an das universal Magazin und der lange Auszug welchen die liebe Frau gemacht hatte, bewogen mich, das Heft zu begehren. Sie ging und brachte alle. In allen waren die Stücke der Betrachtungen bezeichnet. Sie machte auch im Febr. 1796 die über den Schnee. Sie ist in Wahrheit sehr schön. Als ich nun sagte, daß ich mir diese Monatsschrift selbst anschaffen wollte, und gewiß nie vergessen würde, bey welcher Gelegenheit sie mir bekannt wurde, sagte sie mit Würde und Freundschaft:

O es wird Sie immer freuen, das vortreffliche Werk zu besitzen, wie es mich freut, daß Sie es bey uns kennen lernten, und bey [47] jeder Betrachtung über die Güte der Natur, auch an die zwey guten Wattines in Amerika denken werden.

Diese Aeußerung überraschte mich. Ich ward durch das Bild meiner Entfernung von diesen wirklich guten Menschen bewegt, wollte nicht in gerührtem Tone sprechen, und lobte nur Emiliens Fleiß im Lesen, ihren Geschmack an Kenntniß, und ihre Bemerkungen. Sie lächelte und erwiederte ganz heiter:

Meine Bemerkungen bey dem Lesen auf der Insel machten sehr oft meinen Wattines lächeln, schafften mir aber auch die Freude, von seinen eigenen Gedanken unterrichtet zu werden, wie es einst bey der sehr ernsthaften Gelegenheit geschah, da er mit mir von den wesentlichen Verdiensten aller Wissenschaften sprach, wo natürlich auch Sittenlehre vorkommen mußte, und ich sagte: [48] ach Männer! warum habt ihr in so vielen Jahrhunderten die Gesinnungen und das Betragen der Menschen gegen einander, wovon das Glück des Lebens für alle abhängt, nicht unter so unwandelbaren Gesetzen befestigt, als die Regeln Eurer Sprachen, Eurer Geometrie, Mathematik und Künste! Mein guter Carl lächelte, wie Sie bey meiner Aeußerung über Thomson und Homer, sagte aber bald, und wie mich dünkte seufzend: ich fürchte, gute Emilie! das konnte nicht seyn, weil in der moralischen Welt der Gesinnungen unserer Seele vollkommneFreiheit ist; aber für das was wir thun wollen, hat unsere sinnliche Welt Gesetze, diese werden schwer gemißbraucht, Freiheit immer.

Ich wollte, sagte sie, nicht weiter gehen, dennnie, ach nie hörte ich ihn das Wort Freiheit aussprechen, oder von andern in seiner Gegenwart nennen, ohne zu bemerken, [49] daß seine Seele an den grausamen Gang der französischen Freiheit dachte und er dann litte.

Auch ich konnte nun diese liebenswürdige Frau weder lange fragen, noch Auslegungen über die geäußerten Gedanken ihres Wattines vorlegen, besonders da er alles, selbst das Ernsthafte so leicht und artig einkleidet, daß es natürlich seiner Frau stets das beste und vorzüglichste seyn muß, und auch, weder das gründliche noch schwankende seiner eigenen Ideen auf der Insel Oneida, keine besondern Folgen haben konnte. Aber indessen bekommt Wattines Geist und Charakter immer mehr anziehendes für mich, so daß ich mit äußerster Sorgfalt alle Züge davon zu haschen suche: noch mehr, es liegt mir unendlich stärker daran, zu bemerken, auf was für eine Art er sich bey seiner Frau in dem unterrichtenden Tone zeigte, als zu beobachten, was er für mich oder andre Männer seyn möchte; denn da, wo wir uns unter einander zeigen,[50] durchdringen wir uns sehr oft bey der schwachen Ecke, Lustigkeit, Unmuth, Eitelkeit oder Leidenschaften, verrathen uns auch eher als wir denken. Nun wird Wattines seiner Frau keine Ideen geben, die er nicht gern in ihrem Geiste einheimisch sehen möchte. Sie spricht mit Vergnügen von seinen Gedanken und seinen Thaten, so, daß meine Neugierde nur durch die Sorge beunruhigt ward, daß ich nichts als abgebrochne Stücke erhalten würde; weil Emilie auch mit ihren Kindern und ihrem häuslichen Wesen so getreu beschäftigt ist, daß ich gewiß bin, hätte sie mir nicht versprochen, über alles zu antworten, sie schenkte mir wenig Zeit; denn bey ihr möchte ich nicht auf die gewöhnliche Gesprächigkeit der französischen Damen zählen. Demnach urtheilen Sie, wie sehr ich wünschen mußte, die ganze Reihe folgender Gedanken zu wissen, da er zu seiner Frau einmal sagte: daß er den Verstand und die Seele für sehr [51] verschiedene Wesen halte, und glaube, daß der erste nur für das beste der Geschäfte dieses Lebens, wie ein erhöhter Naturtrieb zu den Künsten des vornehmsten Geschöpfs unter den Thieren bestimmt sey; auch hätte Gott nirgends dem vorzüglichsten Verstande, sondern nur der vorzüglichsten Seelengüte eine Belohnung verheißen.

Ein andermal sagte er: bald möchte ich hohe Tugenden, die schönen Künste der moralischen Welt nennen, unter welchen in so vielen Jahrtausenden, die Menschengeschichte alter und neuer Zeiten, nur wenige einzelne Bilder des Verdienstes, der Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und hülfreichen Großmuth aufzeichnen konnte. So wie die Kunstwelt auch nur Einzelne: einen Apoll, eine Venus, nur einmal die holde Idee der Grazien aufstellte; das Urbild des Cirkels als Laufbahn der Sonne, der Gestirne, Welten und Jahrszeiten, nur einmal Sinnbild des [52] Unendlichen wurde. Es war natürlich, daß Menschen, welche selbst gut und edel sind, die Modelle der hohen Tugend eines Socrates und Mare Aurels verehrten und schön fanden; wie das Auge des feinen Geschmacks, der Künste, seit mehr als tausend Jahren die Meisterstücke der griechischen Bildhauer und Baumeister bewundert und liebt. Natürlich entstanden in der moralischen Denk- und der materiellen Kunst-Welt, Millionen Copien und Versuche der Nachahmung und des Bestrebens, die schöne Höhe des Verdienstes der Alten zu erreichen; man lernte ihre Sprachen, um die Modelle ihrer Gedanken zu besitzen. Man maß und zeichnete ihre Bildsäulen und die edlen Bruchstücke, welche die Zeit und barbarische Kriege von ihren Gebäuden übrig gelassen haben, – aber dieser Gang der Ideen schien Emilien nicht der angenehmste zu seyn, denn sie unterbrach ihn mit einer sehr muntern Bemerkung und Frage, indem [53] sie sagte: mich dünkt, mein Carl hat eine sehr neue Anwendung von der griechischen Bildhauerkunst gemacht. Sage mein Bester! was sind wir auf unserer Insel? sollten wir unter Copien oder Originale gezählt werden?

Wattines antwortete mit sanftem Ernst: unsere Lage, meine Emilie! ist nicht ganz Original, weil es schon oft geschah, daß zwey gute Menschen, durch Schiffbruch, Treulosigkeit ihrer Reisegefährten, oder wie wir durch Unglück geleitet, auf einem unbekannten und unbewohnten Eilande einsam lebten, und wie wir, ohne alle fremde Hülfe harren und für sich sorgen mußten, bis das erzürnte Verhängniß wieder mit ihnen ausgesöhnt, ihre Erlösung veranstaltete: doch ist gewiß die Ursache unsers Hierseyns etwas eigenes, und alles was du, meine Emilie, gethan hast, einzig, daß es auch selbst in der andern Welt als Urbild einer der schönsten Erscheinungen [54] in der Menschheit aufgestellt zu werden verdient.

Emilie erwiederte: dieß würden vielleicht höfliche Männer sagen, welche mich als junge Frau von 21 Jahren hier fänden; aber meines Carls Pariser und Versailler Freundinnen könnten am aller staunenswürdigsten finden, daß ein junger französischer Hofmann, dessen liebenswerther Geist die glänzendsten Cirkel belebte, sich aller Bewunderung entzog, um freiwillig mit einer einfachen Landnymphe in dieser Einöde zu leben, und gewiß, sollten sie sehen, was der schöne Wattines auf dieser Insel für meine Unterhaltung und für mein Vergnügen unternahm, so würden alle mein Looß nur zu glücklich achten.

Dieses kleine Gespräch, meine Freunde! zeigt Ihnen doch ganz, einen Grundzug der Nation, welche stets einen so hohen Werth auf Scherz und Höflichkeit legte, daß weder Unglück [55] den ersten verbannen, noch die häußliche Verbindung die zweyte vertilgen konnten; aber gehören diese zwey Eigenschaften nicht mit unter die wirklichen Nationalvorzüge? Ich erinnere mich in diesem Moment, daß einmal in unserer kleinen Abendgesellschaft, von dem Scherze bey Kummer, und von Höflichkeit unter Eheleuten gesprochen wurde, wo die Gattin meines Freundes sagte:

Sie wünsche sich nicht das Talent, mit dem Unglücke zu scherzen, weil sie es für die erzwungne, unnatürliche Wirkung des Stolzes der wilden Iroquesen halte; aber daß sie den Himmel bitte, ihr die Kraft zu geben, den Kummer ruhig zu tragen, und wie die schöne leidende Engländerin ihrem Jammer zuzulächeln, smile and griefs, denn dieses allein sey wahre edle Stärke der Seele. Höflichkeit im Ehestande, schien ihr vor ihrer Heurath der einzige beneidenswerthe Vorzug der adelichen Damen zu seyn, weil ihre Männer die [56] Ebenbürtigkeit ihrer Gattinnen mit Achtung behandeln, und also jede rauhe, die Liebe tödtende Vertraulichkeit vermeiden müßten; aber jetzo, fügte sie hinzu, da ich den besten, höflichsten Mann der ganzen Gegend mein nenne, habe ich keinem Frauenzimmer auf der weiten Erde etwas zu beneiden.

Meine Base wird, hoffe ich, mit mir zufrieden seyn, wenn sie bemerkt, daß das Meer und die große Entfernung von Ihnen, ja selbst die schöne romantische Erscheinung der Wattines, das Andenken Ihres Hauses und Ihres Umgangs nicht aus meinem Gedächnisse verdrängte, und daß ich herzliche Wünsche zu dem Himmel schicke, mich wieder gesund zurück zu führen, damit ich die Erinnerungen meiner Reise und alles dessen, so mich hier freute, mit Ihnen theilen, und aufs neue das Glück Ihrer Freundschaft genießen könne. Ich werde mir auch ein Stück Feld neben Ihrem Garten kaufen, und dort [57] eine Hütte bauen, wie Wattines Hütte auf der Insel ist, welche ich mit Bäumen, Gesträuchen, Pflanzen und Blumen von der Insel Oneida umgeben werde, die ich mitbringen und einheimisch machen will; wie ich es mit dem Zucker-Ahorne versuchen werde, welcher eine wahre Wohlthat ist, indem jeder Baum, der wie bey uns die Birken, angezapft wird, fünf Kannen Saft giebt, aus welchem fünf Pfund Zucker gekocht wird. Ein Mann kann mit drey bis vier Knaben oder Mädchen in einem Monat 1500 Pfund Zucker sammeln, wenn die Kinder nur stark genug sind, die Gefäße mit dem Safte zu dem Kessel zu tragen, und ein leichtes Feuer zu unterhalten wissen, wobey sich der Saft auflöst. Wenn die Bäume geschont werden, so können sie mehrere Jahre dauern. In Europa könnte man sie zwischen die Obstbäume setzen, da sie zwey Schuh weit von einander stehen müssen, und ein Morgen überhaupt 140 Stämme [58] saßt, da erhielten wir Zucker, von welchem das Pfund nur 8 Kreuzer kostete.

Die amerikanischen Indier machen mit diesem Safte und Maismehl einen Teig zu ihrer Nahrung auf Reisen, oder auch bey Jagden und für Kinder. Bey diesen Anlagen meines Landguts, welches Oneida heissen wird, soll auch die schöne Mooßbank vor den Büschen der Jerich oder Peonien-Rosen als Vorbild einer artigen Gartenverzierung zu stehen kommen; dort werden wir den Ahorn-Zucker quellen sehen, und ich also zweyfacher Wohlthäter meines Vaterlandes werden.

Bald nach diesem Tage, an welchem Frau von Wattines mit mir mit so vieler Gefälligkeit, als geistvoll von ihrem ersten völlig einsamen Winter gesprochen hatte, verwieß sie meine fernern Fragen an ihren Mann, indem sie artig bescheiden sagte; da ich bis zu[59] dem Anfange der neuen Feldarbeiten meines Wattines vieles von ihm lernte, so würde das Zeugniß meines Fleißes in meinem Munde nicht so anständig lauten, als das, welches mein liebreicher Lehrmeister mir geben kann, auch, setzte sie mit gerührter Stimme und sanft erröthend mit niedergesenktem Kopfe hinzu, wurde meine Rolle im Frühjahre sehr wichtig. Ich wußte daß ich Mutter war, und es zu Ende Juny ganz werden sollte: aber ich verbarg dem theuren Wattines diesen Zustand so lange als möglich, um sein edles zärtliches Herz noch einige Zeit von diesen neuen Sorgen befreit zu halten. Ich konnte es um so leichter, da wir nun von der Zeit der Rückkunft unserer Fischer sprachen, und jeden Tag, da die Sonne höher stieg, lächelten wir ihnen mit mehr Freude entgegen, mehr, in Wahrheit mehr, als dem wiederaufblühenden Frühlinge und dem schönen Abglanze des Himmels, der Bäume und der [60] Blumen am Ufer des See's. Wir hofften durch sie so viel von Freund John, auch von Europa zu hören, und wieder Menschen, bekannte, gute Menschen zu sehen. O kaum, kaum, selbst in den glücklichen Tagen, des noch königlichen Frankreichs, als mein Herz der Ankunft des geliebten Wattines entgegen klopfte, ach kaum da waren meine Hoffnungen so süß, so lebhaft, und gewiß sah ich nicht so oft nach der Landstraße, von welcher Wattines kommen mußte, als nach dem Theile des See's, von wo die Fischer kommen sollten. Nun schwieg sie, nahm ihren Carmil in ihre Arme, und sagte dann so innig zu ihm: Lieber Unschuldiger! du theiltest diese Sehnsucht und diese Hoffnungen unter meinem Herzen mit mir, ach, du wirst in künftigen Tagen deines Lebens auch große und kleine Wünsche kennen lernen, möge Gott die besten immer erfüllen.

Ich bemerkte die Thräne sehr nahe in ihrem [61] Auge, und entfernte mich, um Wattines aufzusuchen, welcher mir mit dem Zimmermanne begegnete, da sie von der Arbeit eines neuen Hausbaues zurückkamen, wobey der edle rechtschaffne Wattines eben so fleißig hilft und angreift, als die übrigen; auch durch seine größere Geschicklichkeit und seinen erfindungsreichen Geist, bey hundert Anlässen, den andern das Anstrengen ihrer Kräfte erleichtert, abkürzt und die Arbeit verbessert. Er hat den Vorschlag gethan, daß man die ersten Wohnhäuser auf der Stelle des künftigen Hofes oder eines Seitengebäudes errichten solle, um einst die Arbeit des bessern größern Hauses gut beobachten zu können, ohne der, beym Bauen so angenehmen und dem Ordnung liebenden Auge so nöthigen Symmetrie zu schaden. Als ich ihm von Emiliens Anweisung auf seine Nachrichten sagte, willigte er sogleich ein, mit dem mir so erfreulichen Zusatze, daß er morgen mit mir [62] einen Theil des Sonntags auf der Insel feiern wolle, indem bey den Erinnerungen der wichtigsten Vorgänge, in der Geschichte des zweyten Jahres ihres Aufenthalts in der Insel-Hütte, einige Auftritte vorkämen, welche mich auf der Stelle selbst mehr freuen würden, als irgend eine Erzählung. Dieser Entwurf entzückte mich, weil ich viel mehr erwarten konnte, als er jemals in seinem Hause und Garten gesagt haben würde.

Wir nahmen, nach Vandeks wirklich schöner Predigt, ein gutes Frühstück ein, und schifften über. Wattines lenkte den Kahn selbst, befestigte ihn an einem Baume, und ging lebhaft der Hütte zu, öfnete, sie und sagte: ich weiß, Sie haben die gute Hütte schon gesehen, aber treten Sie doch auf einige Augenblicke mit mir hinein; denn, ob ich Sie schon weiter führen will, so ist mir doch unmöglich, an der lieben Hütte vorbey zu gehen, in welcher die allermerkwürdigsten Tage meines [63] Lebens vorüber flossen. Ich erwiederte: gewiß! ich betrachte sie mit neuen Gefühlen, da ich sie mit Ihnen besuche. Er drückte mir die Hand, blickte voll Freundschaft mich an, und sagte: es ist mir auch neu, das Gefühl, mit einem Freunde meines Alters zu seyn, und das hier in dieser Hütte, wo ich vier Jahre lang weit von dieser schönen Hoffnung lebte.

Ich erwiederte hierauf: indessen war sie Tempel der Liebe, diese einfache, mir dadurch heilig gewordene Hütte.

Haben Sie Dank, für diesen Ausdruck, sagte er, mich umarmend. Emiliens Tugend hat sie zum Tempel geweiht, denn es ist keine Stelle hier, wo sie nicht als eine Heilige dachte und handelte. –

Der Tisch und die Bank zwischen der Schlafkammer und dem großen Bücher- und Gärtnerzeug-Schrank sind noch da, Wattines [64] wußte, bey welchem Punkte seiner Geschichte meine Fragen stehen geblieben waren. Er blickte nachdenkend auf die Ecke der Bank, deutete nachher dahin, und sagte: diese Stelle wird mir unvergeßlich seyn, hier las ich Emilien vor, und auf eine andre Stelle zeigend, da saß sie in den trüben Tagen des ersten Winters mir gegen über und arbeitete, weil unsere kleine Fensterscheibe, da gerade beyden leuchtete, und wir zugleich die Aussicht über einen Theil der Insel, des See's und der Luft vor uns hatten, ja manchmal mit so vieler Freude Vögel vorbey fliegen sahen.

Emilie zögerte, so lange sie konnte, mir zu sagen, Carl! ich glaube du bist Vater. Ich bemerkte es früh genung, und einige Minuten genoß ich die süße erschütternde Freude, ein Kind von meiner Emilie zu hoffen, ganz rein und ungemischt; da ich aber wußte, daß sie es noch verbergen wollte, so ging ich mit meiner innigen Freude ausser [65] der Hütte, auf den schön erhöhten Platz, welchen wir Belvedere genannt hatten, dort sagte mir aber der weite Blick auf den See, und das feste Land, ach, und die große, große Stille um mich her: Emilie ist in diesem Zustande hier allein! Nun war sie fort, meine Freude, mein vor wenigen Augengenblicken so ausgedehntes Herz wurde beklemmt, tausend Ideen kreutzten sich in meiner Seele, Reue, hier zu seyn, Reue, Vater zu werden, erneuerter Haß gegen die Menschen der Revolution, ach! alles, alles stürmte in meinem Innern. Ich sah nach der Hütte, meine für Emilien umher gepflanzten Blumen und feinen Gesträuche wiegten sich durch die sanfte Bewegung der Luft, welche mein Gesicht und meine Brust kühlte. Die Beleuchtung des See's und unserer Insel, war außerordentlich schön. Mein Herz wurde gerührt, ich warf mich nieder vor dem Schöpfer von allen mich umgebenden [66] Wesen, meiner Emilie und meines Kindes Schöpfer. Denken Sie sich, was ich bat und wünschte, sagte er meine Hand fassend: gewiß haben Sie auch schon erfahren, wie ein aufrichtiges Gebet in unserer Seele wirkt, meiner Worte waren wenig. Du siehst, du hörst mich, Allmächtiger! Nun trat auch die Hoffnung auf die Ankunft der Fischer vor mich, und flüsterte mir zu, daß diese verheuratheten Männer uns Rath geben: uns auf einen Pachthof führen, oder jemand zu uns bringen könnten, wie es schon der gute Quäker gleich anfangs haben wollte. Hoffnung lächelt gern und macht lächeln, mein Herz war durch sie erleichtert, und ich fühlte nur noch, daß ich jetzo keine nähere Pflicht hätte, als Emilien ihr Leben und ihren Zustand so angenehm als möglich zu machen; doch setzte ich mir zugleich vor, zu beobachten, wie lange sie noch darüber schweigen würde. Ich mußte [67] ihr in den ersten Wintermonaten von meiner erhaltenen Erziehung und Bildung meines Verstandes sehr genau erzählen, ja sie manches lehren, und Sie können nicht glauben, mein Freund! wie schnell und richtig sie faßte, wie fleißig sie sich in der Sprachkenntniß übte, aber meist nur auf dem abgekürzten Wege, sich nach Uebersetzungen einige Ausdrücke und Verbindungswörter bekannt zu machen, und dadurch in den Sinn der andern zu dringen. »Ich will, sagte sie, nur den Geist der großen Menschen hören, welche in dieser Nation lebten und dachten, dazu muß ich wohl etwas von ihrer Sprache wissen, aber ich möchte es mit dieser äußerlichen Einkleidung ihrer Gedanken halten, wie mit den Gewändern der Statuen und Basreliefs, wo man sogleich das Amt, den Stand und das Alter kennt, ohne alle Büge des Faltenbruchs aufzuzählen und durchzumessen.«Denk und Sittensprüche, [68] abgesetzte Lehrsätze, Ausdrücke der Freundschaft und der Liebe, suchte sie auf, faßte sie rein und lebhaft; denn ob sie schon eine geborne Französin ist, so kann sie Wortspiele gar nicht leiden. Der Witz muß sehr sanft und geistvoll seyn, wenn Emilie bey ihm verweilen soll. Als sie nach Uebersetzungen, welche neben den Originalen standen, einige Vergleiche mit dem Französischen und Latein machen konnte, und in dem universal Magazin so viele Auszüge der Alten fand, dann auch die Uebersetzung von den Werken des Hesiodes eifrig gelesen hatte, so sagte sie eines Tages mich umarmend: »Lieber Carl! ich finde, daß zu allen Zeiten die besten geistvollsten Männer, wie du bist, ihren Gott, ein Weib und das Landleben liebten.« Sie kennen sie selbst, und werden mit mir sagen, setzte er hinzu, daß die immer wirksame Liebe, das aufmerksame und doch leichte Durchlesen meiner Büchersammlung,[69] und die mit so viel Jammer verbundene Einsamkeit meiner Emilie, zu einem der edelsten Weiber bildeten,

Meine Freunde finden es gewiß auch, aber das Schicksal hatte doch die Liebenswürdigkeit der Frau von Wattines, auf einen zu hohen Preiß gesetzt. Meine theure Base wird es selbst sagen, wenn sie nun folgende Erzählung ließt.

In einiger Zeit, sagte Wattines, misch-Emilie Fragen in unsere Gespräche, von dem was meine Mutter zu meiner Ausbildung beygetragen habe, und bey diesen Fragen hieng sie an meinen Blicken auf die Antwort harrend, liebkoßte jeden Zug meines Gesichts mit der äußersten Zärtlichkeit, und war so dankbar für jeden Beweiß meiner Liebe, daß ihr und mein Schweigen mir bald unerträglich wurde, und ich auf Mittel sann, wie ich sie zum Sprechen leiten könnte. – [70] Nach einigen sehr schönen warmen Tagen, munterte ich sie auf, wieder einmal mit mir zu baden und zu schwimmen. Sie versagte es zärtlich erröthend, und von etwas anderm sprechend; doch begleitete sie mich an das Wasser und sagte: ihr Auge müsse sich wieder an die Schwimmkunst gewöhnen, sie wolle mir zusehen. Den andern Morgen nahm ich einen Band der Encyclopädie, und suchte den Artikel: Pflege der Gesundheit einer schwangern Frau auf. Ich las, während Emilie unser kleines Mittagsmahl bereitete, sehr eifrig, wobey ich von Zeit zu Zeit voll Liebe und Rührung nach ihr hinblickte.

Der Winter war meist unter Lehrstücken aus der Encyclopädie hingegangen, Emilie liebte dieses Werk unaussprechlich, und kam schnellen Schrittes, sich über meine Achsel zu lehnen, um zu sehen, was ich lese. Ich umfaßte sie mit einem Arme, da sie [71] eine ihrer Hände auf meine Achsel gelegt hatte. In wenigen Augenblicken fühlte ich ihre kleine Hand zittern, und ihr Herz klopfen; drückte sie an mich, sah mit Feuer und Liebe auf ihr holdes an mich geschmiegtes Gesicht, und so sanft ich sprechen konnte, sagte ich: Emilie! warum zittert deine Hand? warum fliehst du meinen Blicken? Nun schlang sie beyde Arme um meinen Hals, und rief mit Vergießung vieler Thränen, ach Carl! du hast es also gefunden, das Geheimniß meines Herzens? Ja, meine Liebe, mir ist es Heiligthum meiner Seele, das ich höher achte als mein Leben.

Sie küßte mich zärtlich und sagte: ach theurer Wattines, verzeih der Natur und mir, die neue Last und Sorgen, welche dir mit einem Kinde zukommen, Gott wird dich gewiß unterstützen und segnen.

Ich staunte über diese Bitte, und antantwortete: ja Emilie! er wird es thun, [72] der Ewige, um deiner Tugend, und um der Unschuld unsers Kindes willen.

Sagen Sie, redete er mich an, war dieses nicht eine mir ewig werthe Stunde? Ich fühlte es, drückte seine Hand, konnte aber nicht reden, und er fuhr fort: hierauf lasen wir zusammen in Büffon und der Encyclopädie, die Naturgeschichte des Men schen; denn wir selbst, und die ganze Menschheit, erhielten um des kleinen anfangenden Wesens willen in unserm Geiste und Herzen einen höhern Werth, und von dort an, war unser Denken, unser Lesen und unsre Arbeit nur für unser Kind berechnet. Meine Feldgeschäfte wurden mir leicht, meine Kräfte schienen mir verdoppelt, wenn ich Mutter und Kind mir dachte. Emilie durchsuchte unsern kleinen Vorrath Weißzeug, und machte sorgsam etwas davon für den Dienst des kleinen kommenden Fremdlings auf dieser Insel zurecht. Sie arbeitete mit zärtlichen Blicken [73] auf ihre Nadel und das Leinen blickend, auf einer Ecke des Feldes sitzend, wo ich zu thun hatte. Sie war wohl und heiter, aber bald wurde es trübe um uns, da jeder Tag Emilien und ihr Kind der Zeit näher führte, wo beyde eine Hülfe bedurften, die ich nicht geben konnte, und wir nun die zum Fischen bestimmte Zeit, immer vergebens nach der Seite der Insel gegangen waren, wo unsere guten Fischerleute herkommen mußten; da fühlten wir zugleich unsere jammervollen Sorgen und Zweifel. Einen Nachmitag, da wir lange und oft in tiefem schmerzvollem Schweigen nach der ganzen Länge des See's hingeblickt hatten: da der Abend näherte, und nichts einen Kahn ähnliches erschien, drückten wir uns die Hand, sahen mit Seufzen, mit beklemmten Herzen nach dem Himmel; ich konnte nicht reden, ich war beynahe außer mir. Emilie faßte sich zuerst, und sagte ruhig fest; Lieber! wir wollen uns [74] nicht mehr schmeicheln. Ich bin überzeugt, die guten Leute kommen dieses Jahr nicht, denn vielleicht betrifft ihr Fang Zugfische, die nicht alle Jahre nutzbar sind, und auch ihre Zeit zum wachsen nöthig haben. Vielleicht ist es eine Gattung, welche der Creek-Fluß nur alle zwey oder drey Jahre herbeyführt: wir armen guten Kinder vergaßen, selbst da wir von den schmackhaften Fischen aßen, nach ihren Namen und eigentlichem Vaterlande zu fragen; denn es ist gewiß, keine Art von allen Fischen, welche Du in dem See fingest, waren denen, von der Fischergegend ähnlich. Nach einigem Stillschweigen setzte sie hinzu, Carl! ich bin gewiß, wir werden dieses Jahr nichts hören, nichts sehen was andre Menschen betrifft. Diese Ueberzeugung war auch in der Tiefe meiner Seele, wo sich Verzweiflung erhob. Emilie umarmte mich mit inniger Zärtlichkeit, und sagte feierlich: Lieber, wir bleiben uns! Gott ist mit uns, Hoffnung [75] war unsere Gesellschaft, und täuschte uns ein ganzes langes Jahr.

Sie schwieg wieder und rief endlich: mögen die guten Leute und unser Freund John glücklich seyn, die göttliche Vorsicht wird für uns sorgen. Ich sagte nur Amen, die Welt lag auf meiner Brust, und ich bemerkte, daß Emilie nicht weiter sprechen wollte, nur im nach Hause gehen sagte sie, noch einmal rückwärts blickend, und die Hand nach der Fischereigegend hin, wie zum Abschiede bewegend, adieu Hoffnung, und zu mir gewendet, Lieber Carl! wir wollen nie mehr von verlornen Dingen sprechen, aber desto mehr an Gott, und an unsere von ihm erhaltenen Kräfte denken.

Nun führte mich Wattines nach der andern Seite des See's zu seinem Endtenfang. Ich suchte diesen, sagte er, zu einer Art Vollkommenheit zu bringen, wie Sie noch [76] Spuren sehen. Die warmen Tage gaben Emilien öfters Lust zu baden, und das Schwimmen zu üben. Ost fragte sie mich scherzend: Geometer! wie weit ist jene Ecke der Insel von dem Platze wo wir nun sind? oder auch, wie weit ist das nächste Ufer?

Während dem Erzählen führte mich Wattines ein langes Stück am See hin, blieb manchmal stehen, sah mit bewegter doch vergnügter Seele sich um, bis wir zu einigen, in einen halben Kreiß gesetzten jungen Bäumen kamen, und uns auf eine der vier Bänke zwischen den fünf schönen Pappeln setzten, welche dadurch wie mit einem breiten Gurd von vielfarbigtem Moos zusammen verbunden schienen, so wie der sanfte Abhang, welchen die Insel gegen den See hatte, wie mit einem grünen Sammtteppich bedeckt war. Ich hatte, als wir unweit von Wattines Endten- und Fischfangplätzen längst dem Ufer, einen schmalen ungleichen Pfad [77] betraten, wohl die sorgsam gepflegte Einfassung von tausend Waldblumen bemerkt, welche nur durch kleine Gesträuche unterbrochen, an dem bald für zwey, bald nur für eine Person passenden Pfad hinläuft, bis er am Ufer sich endet, aber ich wollte den vorangehenden und schweigenden Wattines durch keine Frage unterbrechen, weil ich sicher einen Aufschluß erwarten konnte. Auf diesen Platz mein Freund! sagte er, sollen Sie den großen Character meiner Emilie ganz kennen lernen. Wir sprachen nicht mehr von unsern Fischern, vermieden aber, ohne es verabredet zu haben, beyderseits den Spaziergang von der Seite, welche wir einige Wochen täglich mit so viel Eifer besucht hatten. Emilie war in meiner Gegenwart immer sehr heiter, aber wenn sie allein zu seyn dachte, bemerkte ich, daß sie viel betete, besonders bey dem Auf- und Abgehen an dem Ufer des See's, wovon sie nur die [78] Seite zu lieben schien, welche wir so eben herkamen. Da sie diesen Weg so oft nahm, so belauschte ich sie durch Umwege in den Gebüschen, und beobachtete, daß sie unruhig bis an die äußerste Spitze von diesem Platze hier ging, und sehnsuchtsvoll nach den zwischen den Bäumen des festen Landes, an dem jenseitigen Ufer versteckten Hütten der Indier blickte, und vermuthete sehr natürlich die Ursache in den Wünschen nach dem Beistande einer Person ihres Geschlechts. Von meinen Empfindungen dabey, will ich keine Beschreibung ma chen: der edle, gefühlvolle Mann, mit welchem ich spreche, der Emilie und mich kennt, empfindet sie selbst. Einst da ich keine besondre nöthige Arbeit hatte, und darauf sann, ihr meine Ahndungen über die einsamen Spatziergänge zu entdecken, nahm sie mich schweigend aber mit Zärtlichkeit bey der Hand, führte mich einen Weg, welchen ich vorher nie betreten[79] hatte, auf diese Stelle, welche, wie Sie sehen, sich am weitesten in den See gegen das Land erstreckt, und sagte mit ernster liebevoller Miene, indem sie zugleich erröthete, und mit einer zitternden Thräne im Auge, auf ihren stark erhöhten Leib blickte:

Bester Mann! der Tag wird bald kommen, an welchem die Natur uns ein geliebtes Unterpfand unsrer Liebe geben wird: hier hielt sie voller Bewegung inne, faßte sich aber und fuhr fort: ich möchte dieses Pfand unserer treuen Liebe gesund in deinen Armen sehen; ich habe es unter meinem Herzen vor aller heftigen Bewegung meines Leibes geschützt, und machte auch sorgfältige Schritte, damit es nicht schädlich erschüttert würde; ich suchte auch meine Kräfte zu erhalten, um den so entscheidenten Moment seiner Geburt gesund zu überleben, und unser Kind unter meiner Pflege aufwachsen zu sehen, – aber – nun schwieg [80] sie, schmiegte sich mit einem Arme an mich, legte ihren Kopf an meine Brust, die mit banger Angst erfüllt, sich nur durch langsames Athemholen bewegte. Ich drückte Emilien an mich, aber kaum konnte ich sagen: was aber! o meine Emilie! was? Sie blickte zärtlich auf, küßte mich und sagte: deine und meine gänzliche Unwissenheit in allem, was zum Besten des geliebten Unschuldigen, zur Erleichterung seines Eintritts in die Welt, und zu meiner Erhaltung geschehen muß, dieß machte mich schon lange sorgen, und erweckte am Ende einen innigen Wunsch in mir. –

Ich dachte, sie würde mir vorschlagen, hinüber zu schwimmen, und eine Indianerin zu holen, und antwortete schnell, welchen Wunsch meine Emilie! kann ich ihn erfüllen? Sie faßte eine meiner Hände, drückte sie an ihre Brust, und mir ins Auge sehend sagte sie mit festem Tone: ja Carl! du kannst es für mich und für dein Kind. Schwimme [81] mit mir hinüber zu den Hütten unserer Nachbarn, da finde ich erfahrne Personen meines Geschlechts, denn die Natur machte in nichts, was zu dem physischen Leben gehört, einen Unterschied, und Weiber wissen zu gut, daß wir in diesem Zustande hülfsbedürftig sind. Unsere Fischer haben gesagt, daß diese Indier sehr gut sind, wir fanden es auch in der Treue, mit welcher sie das dem Congreß gegebene Versprechen halten, die Insel und das gegenseitige Ufer nie zu betreten. Meine Seele, lieber Carl! ist für alles, was uns bey dieser Reise und Aufenthalt betreffen kann, voll Vertrauen auf Gott und auf die Herzen dieser, wie wir aus seiner Hand stammenden Menschen. –

Emilie bemerkte, daß mein Geist mit Staunen, und mein Herz mit tausend Empfindungen erfüllt waren, sah, daß ich gleichsam mechanisch, bald auf sie, bald nach dem jenseitigen Ufer blickte, und sagte, indem sie [82] mit zärtlicher Miene mich streichelte, als ob sie die Züge der Sorgen aus meinem Gesichte verwischen wollte:

Ich sehe, Lieber! dein geometrisches Auge mißt den Weg, welchen ich machen muß, und deine Güte befürchtet meine süsse Last würde mir das Schwimmen erschweren; denke an beladene Schiffe, die im Sturme über das große Weltmeer gehen, wir werden bey heiterm Himmel und ruhiger Luft, nur quer über den kleinen Arm eines Land-See's, wie im Baden spielend, an das andere Ufer schwimmen. Ich habe seit vielen Tagen den schmaleften Theil des Wassers gesucht, um den Weg abzukürzen, ich fand ihn hier, mit der innern Ueberzeugung, daß Gott mich mit seinem Schutze zu der Erfüllung einer mir von ihm auferlegten Pflicht geleiten wird.

Wattines hielt nun mit seiner Erzählung inne, sah, wie ich, nach dem gegenüber liegende [83] Lande, und fuhr fort: Sie können leicht glauben, mein Freund! daß ich diesen Tag und diese mütterlich heroische Entschließung meiner Emilie nie vergessen kann. Wir saßen hier auf einer kleinen mit Moos bedeckten Erhöhung; ich warf mich beynahe außer mir zu ihren Füßen, bereuete das Glück ihrer Liebe und ihres Besitzes, drückte sie mit Bewunderung, Schmerz und Leidenschaft an meine Brust, und rief aus, ach warum – mit edelmüthiger Eile schloß sie meinen Mund mit einer ihrer Hände, und sagte ernst:

O sprich ihn nicht aus, den schwarzen, deiner und meiner Liebe unwürdigen Gedanken. Sey zärtlicher, sorgsamer Vater, wie ich treue Mutter seyn will! und geleite mich einen dieser schönen Tage hinüber.

Ich fragte, ob es nicht besser für sie seyn würde, wenn ich eine von den Indianerinnen holte, aber Emilie wollte es nicht, und erwiederte: [84] es ist gegen die Sitte dieser Leute, und gewiß, die beste von diesen Weibern hat eigene Kinder und einen Mann der sie liebt, wie soll sie ihre Kinder verlassen, und der Mann seine Frau ruhig mit einem Fremden davon schwimmen sehen? – nein, mein Carl! wir wollen zu ihnen, der erste Blick auf meinen Zustand wird für mich reden.

Ich nannte sie eine heldenmüthige Mutter, schnell und munter antwortete sie, ich hoffe auch Mutter eines Helden zu werden; denn ein Mädchen würde mich mich nicht zu dieser Unternehmung treiben, sondern mich still ergeben, mein Schicksal erwarten lassen.

Bey dem Zurückgehen nach unserer Hütte sprach sie von den Zurüstungen zu unserer Reise; den Morgen darauf fand ich, daß Emilie schon für alles gesorgt hatte, und für sich eine Art blauen leinenen Mannsschlafrock zurecht hielt, den sie als Staubrock auf [85] der Reise trug; Linnen für ihr Kind, ein paar Hemden für sie, und meine Matrosen-Sommerkleidung, sollte in ein paar Bieberfelle gepackt, und diese Bündels im Ueberschwimmen vor uns hergestoßen werden. Unsere übrige Haabe war geordnet und dem gütigen Schicksale empfohlen, nur für unsere Hühner war ihr bange, da wir nicht wußten, wie lange unsere Abwesenheit dauern würde, und wir sie nicht verlieren wollten, so machte ich eine gedeckte und wohlverwahrte Einzäunung, wo sie Gras hatten, streute ihnen Futter umher, bald mehr, bald weniger, trug morastigen Boden hin, damit sie Würmer suchen konnten, grub hie und da von unserm kleinen Vorrathe Schüsseln ein, welche ich den Tag unsers Weggehens mit Wasser füllte. Wie es mir bey alle dem zu Muthe war, unternehme ich nicht zu beschreiben. Gott sah es, Gott stützte mich.

Die Hast und die Eile, mit welcher Emilie [86] alles betrieb, wie ich sie der Hütte, den Hühnern und Blumen Abschied sagen hörte, und da, wo man bey den dicht bewachsenen Büschen gegen die See geht, Felder und Hütte nur noch ein wenig sieht, ihre Hände küßte, noch gegen die Plätze hinblickte und sagte: Himmel! schütze den Zufluchtsort den du uns gabest, liebe Felder! ihr werdet eurer Reife nahe seyn, wann ich wiederkomme – alles dieses wälzte Centner Lasten auf mein Herz. Eine Thräne war in ihrem Auge, ihre Stimme war so zärtlich, wie wenn man von Freunden scheidet. Bald waren wir am Ufer des See's, Emilie rüstete sich muthvoll, und selbst scherzend zum Schwimmen. Sie umarmte mich noch einmal, und blickte, an meine Brust gelehnt, auf zum Himmel. O mein Freund! was für ein Gebet stieg in diesem Blicke zu Gott! Ich konnte nicht reden, aber mein Auge erhob sich auch flehend zu dem Allmächtigen um seinen Beystand. Ich schloß Emilien in [87] meine Arme, aber sie wand sich los und sagte: komm mein Carl, denn die Sonne muß uns noch hinüber begleiten; damit eilte sie nach dem See. Ich folgte ihr mit gepreßter Seele, und flehte im Stillen um Kräfte zu ihrer Unterstützung. Denken Sie sich meine Lage, als wir so weit von dem Ufer waren um Wasser genung zum Schwimmen zu haben, ich immer nur Emilien beobachtete, sie dann gegen das Ufer binüber blicken, und zugleich eine Hand küssen sah, mit welcher sie das Wasser um sich her streichelte, und mit bittender Stimme sagte: o Ewiger! beweise deinen Namen an mir! Sey wirklich Arm, der mich an das andere Ufer trägt!

Diese unerwartete Einkleidung ihrer innern Besorgnisse, ruste mir unglücklicher Weise die Bitte des jungen liebenswürdigen Prinz Arthur, aus einem Stücke des Shakespear in mein Gedächtniß zurück, welches einen unauslöschlichen Eindruck auf mein [88] Herz gemacht hatte: da der holde Knabe auf der Mauer seines Gefängnisses stehend, ehe er heruntersprang, die Steine bat, ihn sanft aufzunehmen, und das Schicksal den Unschuldigen den Kopf zerschmettern läßt. Mich ergriff der Gedanke, Emilie könnte in ihrem Zustande durch Erkältung einen Krampf bekommen und sinken. Ich litte unaussprechlich bey dieser Vorstellung, war aber fest entschlossen, sie zu retten, oder mit ihr zu sterben. Gott schützte uns, wir kamen glücklich, ohne die mindeste Gefahr an das Land, wo wir uns für Freude zitternd umarmten und Glück wünschten. Ich half Emilien ihren armen Schlafrock anziehen, band ihr das Stück Leder, so uns statt Schuhen diente, um die Füße: ihre schönen Haare waren mit einem dünnen groben Filet von Zwirn und Garn, meiner ersten Spinnprobe umbunden, ein leichter Gurt unter ihrer Brust, machte ihren hohen Leib um so sichtbarer, und dieser [89] Anblick durchdrang mein Herz. Dennoch, so äußerst beängstigt der bevorstehende Auftritt bey den Indianerinnen mich machte, fühlte ich mit Entzücken die natürliche Anmuth, welche stets meine Emilie umgab, und mich versicherte, daß selbst die Wilden von ihr eingenommen werden müßten. Ich hatte eine kleine Flasche Honig-Wasser an meinem Hals hängend, mit hinüber gebracht, wir tranken davon, und die leere Flasche begrub ich bey einem Baume; denn die Indier denken bey einer Bouteille gleich an Rumm, und wir hatten keinen mitzubringen. Nun gingen wir langsam und wahrlich beyde etwas bebend die Hütten aufzusuchen, welche wir hinter dichtes Gebüsche trafen. Gleich bey der ersten saßen zwey gute Weiber mit ihren Kindern, welchen sie gekochten Mais zu essen gaben. Sie betrachteten uns mit Staunen. Eine von ihnen stand auf, sah sorgsam weiter nach dem Wege, wo wir herkamen, ob nicht mehr[90] Leute bey uns seyn möchten. Emilie errieth ihre Sorge, winkte ihr nein, zeigte dabey auf mich, und mit einer Hand die gute Indianerin fassend, mit der andern auf ihren hohen Leib deutend, sagte sie in ihrem wenigen Englisch ihre Bitte mit so rührender Stimme und Wesen, daß die Frau, ob sie schon die Worte nicht verstand, durch die Pantomime belehrt wurde. Ich beobachtete sie, ihre Züge sprachen sehr deutlich von Güte und Verstand. Ich faßte nun ihre noch freie Hand, welche ich an mein Herz drückte, mich auf ein Knie warf, auf Emilien zeigte und auch in meinen Ausdrücken um Hülfe für sie bat. Die gute Sqwa legte nun auch eine Hand auf ihre Brust, und indem sie in abgebrochenen kurzen Sylben, doch ziemlich sanft etwas sprach, streichelte sie zu gleicher Zeit Emilien die Hände, zeigte ihr den Eingang der Hütte, und ließ sie neben sich sitzen, besah sie nochmals, fühlte ihr Kleid an, und [91] winkte voll Ungeduld daß Emilie ihren Gürtel sogleich auflöse, indem sie lebhaft deutete, daß er ihr und ihrem Kinde schaden würde. Die andre Frau, welche wie verschwunden gewesen, kam mit eilenden Schritten nebst einem starken jungen Manne, der einen kleinen sehr muntern Knaben an der Hand führte, gegen uns.

Der Mann fragte sogleich auf Englisch, was wir wollten, wo wir herkämen? und blickte dabey scharf in mein Auge. Ich sagte auch kurz, wie seine Frage war! von der Insel. Emilie, über meinen Ton beängstigt, eilte zu antworten, ehe ich mehr sagte. Da sie schon bey seiner Annäherung aufgestanden war, und sich an mich anschmiegte, bog sie sich nach dem kleinen Indier, reichte liebreich nach ihm, und sagte dem Alten: o laß mich hier, um deines Sohnes willen, diesem guten Manne (auf mich deutend) auch einen Sohn gebähren! – Aber nun war ihre ganze [92] Kraft dahin, sie sank halb ohnmächtig in meine Arme. Ich war im höchsten Jammer.

Die Weiber halfen Emilien stützen und zurecht bringen. Eine holte eine Bärenhaut aus der Hütte, um sie darauf zu legen, der Indier blickte voll Empfindung auf uns erhob dann seine Hand zum Himmel, und sagte:

»Bey dem Gott der Sonne und der Erde! du sollst sicher wohnen und Hülfe haben,« lief fort wie ein Reh, und kam eben so schnell wieder, mit weich geklopften Bieberfellen unter einem Arme, breitete sie an dem Eingange der Hütte aus, und winkte Emilien, sich darauf zu legen. Sie scheuete sich und fragte warum? Er sagte freundlich: du mußt ruhen, denn dein Sohn wird dich oft müde machen, bis er so groß ist wie dieser, seinen vier Jahr alten schön gebildeten Knaben küssend. Emilie war gerührt, weinte und küßte die Hände des Knaben, da kam auch eine [93] Thräne in mein Auge, der Indier wischte sie mir ganz rasch ab, und sagte dabey: komm, sey Mann! laß das Weib bey Weibern. Meine Schwester ist gut. Ich stutzte: Emilie war gefaßter als ich, denn ich wollte nicht gehen, wollte sie nicht verlassen: aber sie bat mich, dem Manne zu folgen, sie sey in Gottes Schutz und voll Vertrauen zu den Töchtern der Natur. Ich verließ sie ungern, erfüllte aber ihren Wunsch. Der gute Indier suchte mich zu zerstreuen, und ich hörte von ihm, daß die Männer von den zwey Sqwas, mit andern jungen Leuten, sehr weit von dem Dorfe auf der Jagd wären, daß die Weiber sich liebten, und indessen in einem Wigwham beysammen wohnten, welches ich für eine glückliche Bedeutung für uns hielt. Nun führte er mich zwischen blühenden Accacien an den See, zeigte mir unsere Insel, wie jemand der sein väterlich Haus liebt, einem andern seine Heimath zeigt. Zwischen den Bäumen[94] dort steht dein Wigwham, sagte er sehr freundlich auf mich blickend, und schien mit dem Ausdrücke der Sehnsucht zufrieden zu seyn, mit welcher ich unsere Insel betrachtete, und wirklich den innigen Wunsch hegte, mit meiner Emilie und meinem Kinde wieder glücklich da zu seyn. Meine Augen sahen lange hinüber, und folgten mit Trauer dem zunehmenden blauen Nebel der sie deckte. Mein Begleiter schwieg immer, nur als ich um mich sah, zeigte er mir seinen Beifall über die Liebe zu meiner Erde. Hast du auch Mais und Squash? ich sagte ja Mais, aber das andre kenne ich nicht. Du sollst es haben, und dann deine Erde noch mehr lieben. Ich fragte ihn nun, wo er das Englische lernte? er antwortete mir mit einem Gemisch von Trauer, Stolz und Freude: von meinem Vater Nesquehiounah, welcher als Obrist Louis den Amerikanern ihre Freiheit erwerben half. So war ich auf einmal in einer Familie, mit [95] welcher mein Vater und mein Oncle gegen die Engländer gekämpft hatten, und der Sohn eines Indianers, dessen Geschichte ich in meinem Vaterlande mit Widerwillen anhörte, war nun in dem Wohnsitze seines Vaters Schutzgeist meines Lebens und meiner Familie. O die Alten hatten recht, an ein Wesen zu glauben, das sie Verhängniß nannten.

Von diesem Nesquehiounah hatte ich nie etwas sagen hören, die Ausdrücke, in welchem Wattines von dem Manne und seinem Sohne sprach, mußten mich begierig machen, mehr zu hören. Ich bat ihn daher, mir diese von ihm geäußerte sehr wichtige. Anmerkung bey dem Aufenthalte unter den Oneidas zu sagen. Er antwortete: vielleicht, mein Freund! liegt das Besondere welches ich in dem zufälligen Zusammentreffen mit einem Sohne des Colonel Louis sah, nur in der durch mein Schicksal und die Einsamkeit geschärften Einbildungskraft, welche mir alles, was mich betraf, mit einem eigenen [96] Werthe und Farbe darstellt; aber von dem Vater meines Wohlthäters will ich Ihnen erzählen:

Er war eigentlich ein Iroquese, diente den Amerikanern mit Geist und Eifer, so gut, daß er zum Obrist gemacht wurde. Er hatte ganz europäische Kleidung, Waffen und Sitten angenommen, sprach englisch, französisch und selbst holländisch. Man konnte ihn für den Rechtsgelehrten und Geographen seines Vaterlandes halten; denn er kannte alle Jagddistriete und Gerechtsame jedes Stammes und jeder Nation seiner Landsleute; die Lage und Länge der Gebirge, den Lauf der Flüsse, die Anzahl der Dörfer und wehrhaften Indier. Er war muthvoll, von einem vortrefflichen Character, hatte mehrere Jahre mit Europäern gelebt, und am Ende des Kriegs erschien die Macht der Gewohnheit so unüberwindlich in dieser schätzbaren männlichen Seele, daß er unvermuthet 1785 zu einem seiner amerikanischen Freunde in Neuyork kam, noch einmal [97] mit ihm zu frühstücken und zu rauchen, ehe er abreise. Da er schon ganz wieder in der Kleidung eines Mohawks war, staunten ein paar Europäer, welche gerade aus dem Schiffe gestiegen waren, ihn mit einer Art von Schauer an, staunten aber noch mehr, als er ihrem gemeinschaftlichen Freunde die Hand schüttelte, und in sehr deutlichem Englisch sagte: »habe ich dir gestern nicht versichert, daß der Obrist Louis das Letztemal bey dir sey, daß der Weg, welcher zu meiner Hütte führt, geebnet und gereinigt ist? Die Oneidas haben mir ein Stück Land und Wald an dem See hier gegeben, (indem er auf die Charte deutete) mein Weib und meine Kinder haben schon meinen Wigwham dort aufgerichtet und mein Feuer angezündet, ich kann nicht mehr nach meiner alten Wohnung in Canada zurück; weil die Kriegsleute des Königs Georg wissen, was durch mich geschehen ist, würden sie sich rächen wollen, und [98] ich und die Meinigen stritten wieder gegen sie; aber die Blätter des Baums meines Lebens fangen an abzufallen, der Kopf des Nesquehiounah wird weiß, nachdem ich mich so viele Monden bewegt und bemühet habe, will ich nichts mehr als meine Pfeife in Ruhe rauchen, unter dem Schutze meines Wigwham gegen Wind und Regen, wo ich bey Sonne und Mond in dem Schatten schlafen kann, wo sollte ich sonst meine Bärenfelle hintragen, als an einen Ort des Friedens? Meine Augen werden dunkel und meine Ohren verrostet; ich bin zum Jagen zu alt. In dem nahen Flusse bey meinem Wigwham will ich Salmen fangen, mein Weib wird sie räuchern und aufheben, meine Kinder gehen auf die Jagd und pflanzen Mais. Ruhe ist Reichthum und Nahrung der Alten, deswegen habe ich die europäische Schale abgelegt, und meine Rinde wieder genommen.« Nun sagten die Fremden auf französisch zu dem Hausherrn: [99] ist dieß nicht ein Wilder? aber wie erschraken sie, als der Indier ihnen in ihrer Sprache ganz rasch erwiederte:

»Ein Wilder! Ihr Leute vom Aufgang der Sonne seyd sonderbar. Ich ein Wilder! O, ich habe lange genug bey den Weissen gelebt, um überzeugt zu seyn, daß sie, nicht die Menschen im Walde, Wilde genannt werden sollten. Haben wir Gefängnisse und Prozesse? Sind wir nicht frei wie die Vögel, und sie Sclaven wie Hunde? haben wir so viel Leidenschaften, Laster, Krankheiten und Kummer als sie? Nein, wir ehren das Alter und sie verachten es. Ihre brennenden Wasser machen uns oft toll, aber ich und die Meinigen sagen: das Land, wo der Tag anfängt, ist ein böses Land, die Sonne geht nur vorbey, es ist nicht so gut wie das Unsere, wo sie zur Ruhe geht. Hört ihr! ein Jesuit sagte mir in meiner Jugend, daß unser Leben zu leer sey. Ich [100] weiß jetzo, daß der Europäer ihres zu voll ist; daß ein böser Geist sie treibt und ihnen keine Ruhe läßt, bis sie sterben. Kitchy Manithu wird für uns sorgen. Er ist gut und der Vater aller Menschen. Er gebe dir gute Gedanken, bis du nach Osten gehst,« sagte er seinem amerikanischen Freunde; als er ihm die Hand schüttelte und Abschied nahm: »wenn du jemals an die Gewässer des großen Ontario gehst, so kommst du nahe zu einem Dorfe der Oneidas, ehe du dein Feuer an den See anzündest, frage nach den Wigwham des Nesquehiounah, du wirst unter seiner Baumrinde Schutz und zu Essen finden.«

Ich hörte dieses vor eilf Jahren erzählen, und ärgerte mich als junger Offizier, der nichts größeres kannte, als ein mit Ruhm und Belohnung umgebner Obrist zu seyn. Dieser Mann legte alles zurück und wurde Oneida. Mußte mir nicht hier, als ich seinen Namen hörte, der Gedanke eines Verhängnisses vor [101] die Seele kommen, und ich mir sagen: ohne Nesquehiounahs Liebe zu den Sitten seiner Väter, stünde kein Dörfchen am See Oneida, wo meine Emilie ihre Wochen halten, und ich mit einem Sohne dieses außerordentlichen Mannes zu ihrem Besten reden könnte?

Diese kleine Ausschweifung in Wattines Geschichte war mir sehr angenehm, ich dankte ihm, aber er bemerkte, daß ich mehr von seinem Aufenthalte bey den Indiern zu hören wünschte, und knüpfte den Faden wieder an, indem er sagte: ich fragte den jungen Mann, ob er nicht auch bey den Engländern gewesen wäre? Er sagte ja, einige Zeit. Nun fragte ich weiter: warum er nicht geblieben sey, da er doch viel Gutes und Gemächliches bey ihnen sah? Er blickte mit einer Art spöttischem Lächeln mich an, und sagte kurz: nichts als viele Arbeit, welche die guten Oneidas nicht brauchen und ruhen können.

[102] Ich blickte da etwas sorgsam nach ihm, nun ließ er mich aus seiner Pfeife rauchen, führte mich zu seiner Hütte, gab mir eine eigene Pfeife, zündete sie an, und als ich einige Züge daraus gethan hatte, tauschte er mit mir, und versicherte mich seiner Freundschaft, zeigte mir die Stelle seiner Hütte, wo sein Vater starb, und freuete sich, als ich mit Hechachtung von seiner Tapferkeit und Klugheit sprach; aber mein Herz war voll Unruhe, immer mit dem Gedanken an Emilien beschäftigt. Ich sagte es meinem Indier und bat ihn, mich zu meinem Weibe zurück zu führen. Emilie saß in der Hütte zwischen den zwey Weibern, welche ihr freundlich zuredeten. Sie schien glücklich zu seyn mich wieder zu sehen, sagte mir aber, daß sie gewiß sey, bald Mutter zu werden, weil die Bewegung des Schwimmens und die Erschütterung ihrer Seele bey dem Anblicke und Wesen dieser guten, aber uns sehr fremden [103] Leute stark auf sie gewirkt habe. Die Weiber gaben uns von einem unter der Asche gebratenen großen Kürbis Squash zu essen, und legten statt Löffel länglichte Muschelschalen hin. Diese Kürbis haben wirklich, auf solche Art bereitet, einen vortrefflichen Geschmack, welches mich wegen Emilien unendlich freuete, indem sie es auch sehr gut fand, auch den gerösteten Mais kostete. Da sie mir nun sagte, sicher zu seyn, daß die Weiber mich nicht in der Hütte dulden würden, sie aber sehr wünschte, daß ich die Nacht in der Nähe bliebe, so vertraute ich diese Bitte unserm Indier. Er faßte meine Sorge, und machte mir mit einem Bärenfelle, mit fünf Stangen und einigen Birkenrinden ein Lager und Zelt, oder halben Wigwham.

O was ist eine Wilden-Hütte oder Wigwham für eine Erscheinung, besonders für einen Mann, der wie ich eine geliebte junge Frau hat, welche als Braut zu der [104] Auswahl zwischen zwey prächtigen Familien-Siren bestimmt war, und sie nun nahe der Stunde ihrer ersten Niederkunft, in einer solchen Hütte sieht!

Denken Sie sich einen ebenen Platz zu Anfang oder Seite eines Waldes, der gegen die heftigen Winde schützt, hier werden 15 bis 20 Fuß hohe junge Tannen oder Birkenstangen in einem etwas mehr als halben Cirkel eingesteckt, und oben etwas zusammengebogen; an diesen befestigen die Indier Birkenrinde, welche in Stücken zu drey bis vier Schuh geschnitten, und mit Fischdärmen zusammen genäht sind. Diese Decke machen sie nett und dicht, und am allerdichtesten an der Stelle wo die Alten schlafen. Zwischen der Thüre, das heißt, wo die Stangen am weitesten von einanderstehen, wird das Feuer gemacht, wobey immer auf den Wind geachtet wird; denn wenn er sich ändert, wird ein Fleck Rinde auf eine andre Seite gehängt, [105] und das Feuer bekommt eine andre Stelle. Die Stücken Rinden liegen, wie die Fischdärme, in Vorrath da, so wie immer einige Bieber- und Bärenfelle innen umher hängen, welche Abends beym Schlafengehen in der Hütte ausgebreitet werden. Ein mittelmäßig großer Kessel, ist der ganze Hausrath, darin kochen und rösten sie ihren Mais. Wildpret essen sie roh, oder nur etwas am Feuer gesengt. So mein Freund, sagte Wattines, sah die Wohnung meiner Emilie, in diesen für ihren Tod oder fernern mühvollen Leben entscheidenden Stunden aus; so waren die Sitten unserer, an dem See Oneida, erhaltenen Freunde. Mußte ich da nicht an das schöne l'Isle in Flandern, am Wohnsitze unserer Bekannten denken? Litte ich nicht auf das äußerste für Emilien und unser Kind?

Unser guter Indier blieb noch bey uns, und sagte ohne Zweifel seiner Schwester, daß sie neben dem Eingange der Hütte einige [106] Rindenstücke wegheben solle, damit es ein wenig heller werde, und wir noch sprechen könnten. Wir dankten ihm sehr; denn es machte Emilien und mir wahre Freude, uns noch ganz zu sehen. Ich bat den Mann, seiner Schwester zu sagen, Emilien zu lieben wie eine Tochter, weil ihre Mutter und Vater, wie auch mein Bruder ermordet seyen. Er bedauerte mich, und die Frau blickte, da er von dem Tode unserer Eltern erzählte, tröstend und theilnehmend nach Emilien und mir; aber da er von dem Tode meines Bruders sagte, bemerkte ich, wie sehr sie ihren Bruder liebte, denn sie faßte, mit so viel Ausdruck wahrer Zärtlichkeit, seine beyden Hände, und drückte sie an ihre Brust, indem sie in höchst sanften Tönen zu ihm sprach, sich dann gegen mich wandte, und mit Bewegung ihres Kopfs etwas sagte, welches der Bruder mir in die Worte übersetzte: Alha sagt, daß du weißer Mann unglücklich bist, keinen[107] Bruder mehr zu haben. Ich sah immer auf Emilien, und bemerkte, daß sie viel litt; da ich aber von meinem Kummer wegen ihrer Schmerzen, und Mangels an schicklicher Hülfe sprach, lächelte das holde edle Weib und sagte: vor 21 Jahren litte meine Mutter um meinetwillen eben so viel. Gott wird für mich die Gesetze der Natur nicht ändern, aber gewiß auch nicht erschweren. Ich fühle Kräfte in mir, und traue fest auf den Himmel. Sey auch ruhig mein Geliebter, und freue dich unserer Hoffnung.

Die Weiber und der Indier bemerkten ihren Muth in ihrem Tone und ihren Blicken, und bezeigten ihren lauten Beyfall. Ich wurde mit der einbrechenden Nacht ängstlicher und gepreßter, die Weiber schlossen den Wigwham ganz zu, der Indier ging auch schlafen, und ich, der nicht in die Hütte kommen durfte, ging in das Freie, warf mich nieder, betete. Ach nie, niemals war meine [108] Seele bedrängter! Die schöne Sommernacht war mir trübe. Die höchste Ruhe war in der ganzen Natur, und in mir die unruhigste Sorge. Ich blieb etwas über eine Stunde weg, als ich zurückkam, war Feuer in der Hütte, aber doch keine besondere Bewegung, die Weiber sprachen sanft, aber sehr wenig mit Emilien, sie aber lispelte kaum. Ich blieb vor der Hütte liegen und lauschte, bald ward alles stille. Ich wünschte den Tag. Endlich dachte ich die guten Weiber und meine Emilie im Schlafe, und kroch unter meine aufgehängte Bärendecke. Von Angst und Kummer ermüdet schlief ich ein, weiß aber nicht, wie lange es dauerte; aber noch ehe es Tag wurde, durchdrang das zitternde Schreien eines Kindes mein Herz. Wie mir bey dem Gedanken war, mein Kind, das kann ich nicht sagen. Ich sprang auf, war gleich an der Hütte, rief Emilien, und suchte zugleich hinein zu dringen. Emilie antwortete mir heiter: [109] Lieber Carl! sey ruhig! und danke Gott für das Leben deines Sohnes. Ich bin wohl, aber ich würde dir in diesem Moment selbst in dem Hause meines Vaters den Zutritt versagen. Sey ohne Sorge, und gieb mir keine durch deine Unruhe. Ich versprach alles und schwieg, blieb aber vor der Hütte, horchte, dankte der Vorsicht für das Leben der Mutter und des Kindes. Bald war alles wieder stille. Als der Himmel sich röthete, kam mein guter Indier sich nach mir umzusehen, ehe er auf die Jagd ging; gab mir eine schon angezündete Pfeife zu rauchen, und freuete sich wahrhaft über die Geburt meines Sohnes. Lange dauerte es meinem Herzen, bis ich Mutter und Kind sah; aber dann war ich vor Entzücken außer mir, zu den Füßen meiner Emilie, zugleich voller Qual bey dem Gedanken, sie als Wöchnerin in dieser Hütte zu sehen, Sie bat mich, ja keinen Kummer, sondern Dank und Freude zu zeigen. Aber[110] denken Sie, mein Freund, was für ein Bild war vor meiner Seele? Hier Emilie auf Bieberfellen liegend, ihren Sohn in ihren Armen mit der Haut eines Fischotters gedeckt. Zwey indische Weiber mit drey Kindern, auf Bärenfellen, nicht weit von ihr in tiefem Schlafe. Emilie beobachtete mich, und kannte mich zu genau, um nicht in meiner Seele zu lesen, und allen den Jammer zu sehen, der mich zerriß, als ich da knieend sagte: ach Emilie! du und unser Sohn hier!

»Gott sey dafür gedankt, sagte sie, denn gewiß, in Paris, wo Glück und Stolz der Wissenschaften und der Künste wohnen, in Paris, welches der Kriegsgeist seiner Könige und seines Adels, zu der größten Macht erhoben hatten, ach da würden Robespierres Fischweiber die Edelfrau und ihren Sohn nicht so liebreich gepflegt haben, als ich und dein Kind es in dieser Hütte sind.

[111] Sie können leicht denken, was diese Betrachtung in mein Gedächtniß zurück rufen mußte; aber Emilie fand eine edle Zerstreuung für meinen innern Jammer darin, indem sie sagte: Lieber! wir haben nichts bey uns, womit wir diese guten Weiber belohnen könnten, gieb einer deinen Trauring, ich gebe den meinigen der andern; denn hier (indem sie unsern Sohn an ihre Brust drückte) ist ein mehr als goldenes Unterpfand unserer Liebe. Nun wünschte Emilie, daß ich, ehe die Weiber erwachten, unsern Sohn taufen sollte. Knieend nahm ich aus dem holzernen Napfe, der neben Emilien stand, einige Tropfen Wasser, welches unnöthig war, denn meine und seiner Mutter Thränen netzten seine Stirne und Kopf. Ich wollte ihm nur den geliebten Namen Emil beylegen, aber ich mußte den meinen dazu nehmen, und ihn Carl Emil nennen, wodurch in der Abkürzung am Ende das heutige Carmil entstand. [112] Als die Weiber erwachten, kochten sie Mais, gaben ihren Kindern und mir davon, stellten Emilien einen Theil mit einer Muschel hin, und wollten nach ihrer Arbeit auf das Feld. Ich faßte die Hand von Alha, deutete auf Emilie und mein Kind, sagte in zärtlichen Tönen meinen Dank, und gab ihr den Ring, so wie Emilie den ihrigen zu gleicher Zeit der andern Frau. Beyde schienen vergnügt, belehrten Emilien noch mit ihrer Pantomime und abgebrochenen Tönen, wie sie ihr Kind behandeln solle, und gingen ihrer Arbeit nach. Ich blieb bey Emilien: ihr Wohlseyn dünkte mich wundervolle Güte Gottes: ich ergoß mich in Dank- und Freudenthränen; und da wir uns erinnerten, daß die Indier es gerne haben, wenn man ihre Namen annimmt, so beschlossen wir Abends, wenn der Jäger nach Hause kommen würde, unsern Sohn in seiner Gegenwart Nesquehiounah zu nennen. Ich hob also, da er zu der [113] Hütte kam und mich fragte, ob ich noch froh sey? meinen Sohn unter der Thür gegen Morgen empor, wobey ich den Namen Nesquehiounah ausrief, worüber mein Indier und seine Schwester sehr viele Zufriedenheit bezeigten. Was mich dabey rührte, war, daß der Mann eine Hand meines Kindes faßte und sagte: Kitchy manitou soll dich leben lassen und stark machen, ich will dich jagen und fischen lehren; dann auf einmal seinen Hund rufend und ihn streichelnd, sagte er mir: wenn du einmal deinen Sohn im Walde verlierst, wie Derik, der Holländer verloren wurde, so rufe mich und meinen Hund, da finden wir dein Kind, wie Tewenissa und sein Hund Oniah, den Sohn Derik gefunden haben.

Ich dankte ihm, und bat ihn, mir die Geschichte zu erzählen, welche ich nachher besser hörte. Ein Colonisie an dem Fuße der [114] blauen Berge, verlor einen Knaben von vier Jahren; die Eltern und ihre Freunde waren voll Angst, suchten und ruften das Kind, erhielten keinen Laut. Der Gedanke, wilde Thiere hätten es zerrissen, durchbohrte ihr Herz. Ein Indier, der mit Pelzwerk handelte, will den Colonisten besuchen, und erfährt die traurige Nachricht. Ruf deinen Herrn, sagt er einer alten Sclavin, ich will ihm Gutes sagen. Die Frau stößt ins Horn, welches gewöhnlich geschieht, wenn der Herr auf dem Felde ist, und jemand zu ihm kommt und ihn sprechen will. Der Mann kommt. Der Indier sagt: gieb mir Schuhe und Strümpfe deines Sohnes, die er kurz zuvor getragen hat, nun läßt er seinen Hund daran riechen, und zieht mit der Hand einen Cirkel in die Luft. Der Hund läuft fort, bald giebt er einen Laut, welches anzeigte, daß er auf der Spur sey. Der Indier geht seinem Hunde nach, konnte auch, wie alle [115] seine Landsleute, geschwinder laufen, als die Europäer, und bald trifft er das Kind unter einem Baume halb verschmachtet, weil es beynahe in 24 Stunden nichts genossen, und die Nacht da gelegen hatte. Der Colonist gab seinem Sohne auch den Namen Tewenissa, aus Dankbarkeit für den Mann, welcher sein Leben rettete. War es nicht schön, daß mein Indier, mir und meinem Sohne den nehmlichen Dienst gelobte, und ist es nicht, setzte Wattines hinzu, ein schöner obwohl sehr dünner Faden der Verbindung des Denkens und der Gesinnung der Europäer und Indier, daß der wechselseitige Namentausch, ihre wehre Freundschaft bestätigt? Ich ging diesen zweyten Abend glücklicher unter meine Bärenhaut, schlief wohl, und genoß gleich bey Sonnen-Aufgang den süssesten Anblick für das Auge eines treuen jungen Vaters, meinen Sohn an der Brust seiner Mutter. – O gewiß, [116] in keinem Momente ist eine schöne Frau schöner, als mit einem Säugling an der reinen Brust! – Wie soll ich Worte finden, Ihnen das Gefühl zu beschreiben, welches meine Seele durchdrang, als eine innere Stimme mir sagte: hier saugt dein Kind Leben und Tugend ein; aber urtheilen Sie, von dem Eindruck welchen ein Gedanke meiner Emilie auf mich machte. Sie wissen wie sehr sie über den Verlust der Ziegen gejammert hatte, weil sie, die ihr ganzes Leben so gerne Milch aß, nun keine hoffen konnte, mich nun, da ihr Kind von ihren reinsten Lebens-Säften Milch erhielt, bey der Hand faßte und sagte: O wie glücklich bin ich, mein Carl! durch die Anordnung der Natur: das Schicksal beraubte mich des angenehmen Genusses der Milch, und die Natur giebt mir Milch für unser Kind. O ich freue mich, das ich es nun glücklicher sehe als ich bin.

[117] War ich nicht in diesem Augenblick der allerglücklichste Gatte und Vater auf der ganzen Erde? Wir waren wieder den ganzen Tag allein, ausgenommen ein hübsches Mädchen von acht Jahren, welches sich vor unsere Hütte setzte, und von Maisblättern recht artige Körbchen flocht. Dieses freute meiner Emilie ungemein; sie wünschte mit dem guten Geschöpfe sprechen zu können, und dieses Flechten von ihr zu lernen, um auch Körbe zu unserm Gebrauche auf der Insel zu machen; aber besonders eine Art Fußdecken zu verfertigen, auf welchen unser Carl Emil in unserer Hütte sitzen, spielen, auch liegen und kriechen könne, ohne sich auf der gestampften Erde Hände und Füße zu besudeln. Ich mußte auch Abends den Indier bitten, daß seine Schwester mit dem Mädchen reden solle. Ich rauchte mit ihm vor den Bäumen der Hütte, seine Schwester brachte jedem ein großes Stück geräucherten [118] Salmen und Wasser, ich sprach mit ihm von dem Glanze der untergehenden Sonne, und hörte bey dieser Gelegenheit das ganz einfache, und in Wahrheit eben so reine Ideengemälde ihrer Religion. »Sie glauben an ein mächtiges oberstes Wesen, von welchem alles da ist, das in dem Aufgange der Sonne wohnt, und zu welchem alle gute Menschen kommen. Die Gewitter halten sie für Kennzeichen seines Zorns, machen dann Gelübde und bieten alles zum Opfer an, was sie besitzen: die Stille und Sonnenblicke nach einem Sturme, ist ihnen Beweiß der Versöhnung und Güte, Tanz und Gesang der Ausdruck ihres Danks. Sie ehren das Alter, wie ich schon bemerkte, daß wo diese ihre Schlafstelle im Wigwham haben, doppelte Rindenstücke ausgehängt werden, um sie am besten vor Wind, Regen und Kälte zu schützen; aber einen Zug darüber hätten Sie eben so wenig erwartet, als [119] ich vermuthete; nehmlich durch Wald-Indier an das schöne Jahrhundert von Ludwig dem XIV. erinnert zu werden. Wenn ein alter Mann oder Krieger auf der Jagd oder einer Reise ermüdet, sich auf Laub oder Gras hinwirft und einschläft; so erbauen sie in der größten Geschwindigkeit und mit feierlicher Stille einen Wigwham über ihn, damit er Schatten und völlige Windstille genießen könne. Die Soldaten machten dem braven ermüdeten Herzog von Vendome eine Decke und Schatten von eroberten Fahnen im spanischen Erbfolgekriege. – Ich liebe sie, sagte er, die verschwisterten Ideen der Menschenliebe und der Kennzeichen der Hochachtung für Verdienste. Liebe für unsere Kinder haben wir auch, wie die Indier; aber in der Ehrfurcht und der Sorge für das Alter, in der Begierde ihre Erfahrungen zu benutzen, darin kommen wir ihnen nicht gleich.

[120] Unsere Tage flossen sich sehr ähnlich dahin. Die Gesundheit meiner Emilie und meines Kindes war vollkommen, dieß machte uns glücklich, erhöhte aber Emiliens ungeduldige Wünsche nach unserer Rückreise auf die Insel. Ich verlangte auch wieder da zu seyn, aber wie sie am eifrigsten davon sprach, heftete ich meine Blicke voll Angst und Zärtlichkeit auf unsern Sohn. Sie bemerkte es und sagte: Carl! ich brachte ihn unter meinem Herzen hieher, du sorgtest für unsere in Bieberfelle gewickelte Kleidung, nun machst du einen kleinen Kahn von Baumrinden, wie die Indier für sich, in diesen legen wir unsere Biberfelle, binden unsern Sohn hinein, und du stoßest den Kahn mit deiner Brust vorwärts, ich schwimme neben dir und ihm. Sie können denken, mein Freund! daß ich sie etwas staunend ansah. Emilie sagte aber: ich kenne kein ander Mittel, und finde mich doch viel glücklicher, als die Mutter des [121] kleinen Moses war, die ihren Sohn in dem Schilfkorbchen, den Gewässern des Nils übergab, und mit dem unaussprechlichen Kummer der mütterlichen Liebe im Herzen zurück bleiben mußte. Unser Carmil wird Vater und Mutter bey sich haben. O wie glücklich werde ich auf unserer Insel mit meinem Kinde, seinem Vater und meiner neu erhaltenen Gesundheit seyn. Ich wünsche wirklich auf der ganzen Welt nichts anders.« Wie viel sagte der Blick, welcher die Küsse begleitete, die Emilie in diesem Moment mir und unserm in meinen Armen ruhenden Carmil gab! Dieser Blick drückte mehr aus, als ich beschreiben kann. Sie sah mich äußerst gerührt an, und konnte wohl schließen, daß ich geneigt seyn müsse, alle ihre Wünsche zu erfüllen, denn sie wiederholte mit so vielem Eifer die Bitte um unsere baldige Abreise, war so heiter, so voll Vertrauen auf Gottes Fürsorge, durch[122] welche sie hier so glücklich aus Land kam, wohl und stark blieb, und gewiß auch so zurück kommen würde. Ich gab ihr das Versprechen, fleißig an Carmils Schifchen zu arbeiten, und so bald dieses fertig seyn würde, den ersten hellen und ruhigen Tag abzureisen. Ich verband also nach einer kleinen Anweisung meines Indiers, einige Weidenstäbe in die Länge und Quere mit einander, bog sie in Form eines Kahns, und befestigte innen und außen große Platten Birkenrinde umher, wodurch in Wahrheit ein recht gutes Schifchen entstand, in welchem mein Carl Emil, ja selbst ein viel größeres Kind, ganz sicher und bequem liegen und übergeführt werden konnte. Emilie lernte eben so fleißig, wie man die Maisblätter zusammen flechten kann, sagte mir dann, sie wolle unserer kleinen Indianerin auch etwas lehren, ich sollte Bindgras und Waldblumen holen; von diesen band sie nun Arm- und [123] Fußringe, einen Kranz auf den Kopf, ein Blumengewinde über die Achsel, nebst einer Art von Gürtel mit abhängenden Blättern zusammen, schmückte das gute Mädchen damit aus, wie eine Opern-Tänzerin in der Vorstellung eines indischen Ballets seyn könnte. Ich führte das hellbraune, mit gelben und rothen Blumen verzierte Mädchen, an das User des See's, damit sie sich in seinem Wasser betrachten könne, sie freuete sich und hüpfte unsern Hauswirthinnen entgegen, welche Emilien dankten. Unsere kleine braune Blumenkönigin, welche wir Flora nannten, lernte auch mit vieler Geschicklichkeit die Blumengewinde machen. Ich machte Pfeifchen, wollte auch ein paar Jungens auf dem Blatte blasen lehren, die Pfeifen nahmen sie, hatten aber die größte Freude an scharfen abgebrochenen Tönen, die auf den Blättern schienen jung und alt zu weich; aber Flora lernte sie gerne und ganz artig. [124] Nun sprachen wir von unserer Abreise, die guten Weiber schienen damit eben so zufrieden, wie mit unserer Ankunft. Der Indier sagte doch, in seinem und ihrem Namen: wir könnten bleiben, oder wiederkommen, bey ihrem Feuer uns wärmen und ich mit ihm aus seiner Pfeife rauchen. Ich gab ihm ein gutes Messer, welches ich mitgebracht, und immer verborgen gehalten hatte. Es war ihm recht, aber er nahm es, mit der Gleichmüthigkeit, mit welcher die Indier alles ansehen, was nicht geradezu auch für ihre Leidenschaften und Ideen paßt. Sie zeigten auch nicht die geringste Begierde, uns wegschwimmen zu sehen, oder uns zu helfen, sondern die Weiber gingen morgens mit ihren Kindern weg wie sonst. Emilie hatte bemerkt, daß Flora in ihren Blumenzierrathen geschlafen, und sie auf der Bärenhaut zerknickt hatte, und schmückte sie mit einer neuen Guirlande, wovon sie die andere [125] Hälfte um Carmils Schifchen band, der Flora aber bedeutete, sich in den andern Wigwhams zu zeigen. Ich ließ mein Matrosenwams in der gastfreien Hütte zurück, und trug unsern auf Moos und einem mitgebrachten Bieberfell in sein Schifchen gelegten Carmil an das User, mit welchen Wünschen und welcher Sorge, lasse ich Sie urtheilen. Hier band sich Emilie das andre Biberfell über ihre Brust, deckte ihren Sohn mit ihrem Kleide, wovon sie eine Ecke zum Schirm gegen die Sonne machte, und unsern Sohn mit zu dünnen Stricken gedrehten Bindgras in dem Kahne befestigte. Wir küßten beyde den schlafenden Engel, und umarmten uns schweigend. Emilie kniecte, bat Gott um Schutz, und indem sie auf mich deutete, sagte sie: dieß ist mein alles auf dieser Erde, Ewiger! du weißt es. Nun stand sie auf, winkte mir, mit dem kleinen Kahn in den See zu gehen, sah noch einmal [126] nach der Gegend der indischen Hütten, küßte beyde Hände gegen sie, mit einem herzlichen, Gott segne Euch, rauste noch eine Hand voll Kräuter von dem Ufer, warf sie auf Carmils Decke, und eilte zu schwimmen Die Idee der Geschichte des Moses kam ihr wieder in das Gedächtniß, denn sie sagte so eifrig zum Himmel: ach du hast den kleinen Moses auf dem Nil geschützt, schütze auch mein Kind! Ich hatte meine Augen stets nach der kleinen in den See sich erstreckenden Spitze der Insel, Emilie die ihrigen auf mich und ihr Kind gerichtet, war stets sehr nahe bey mir. Ich war bange der Kleine möchte weinen, aber er schlief sanft bey der Bewegung welche das Rudern meiner Arme in dem Wasser um ihn her machte: mir wurde sonderbar zu Muthe. Anfangs war ich ängstlich, dann voll Vertrauen daß Gott den Engel Emilie, um ihrer selbst willen, und mich um meines unschuldigen [127] Kindes willen erhalten würde; denn was konnte ich für mich hoffen? war ich nicht Ursache an unserm Jammer? Mir schauderte vor mir selbst, als meine Einbildung mir sagte: der Bösewicht Nero, nahm im Ungewitter auch unschuldige Kinder in die Arme. Ich litte viel, sehr viel, aber Gott half, Gott schützte uns. Wir landeten glücklich. Emilie küßte mit Entzücken die Erde, sprang auf, band ihr Kind los, faßte es in ihre Arme. Der Kleine schrie bey der heftigen Bewegung, und suchte gleich die Brust. Emilie wurde blaß, und dann wieder feuerroth, riß heftig an den kleinen Riemen, mit welchem sie das Bieberfell über ihre Brüste befestigt hatte: ich eilte ihr zu helfen, sie reichte, die Augen zum Himmel erhoben, dem Kinde stehend die Brust, der Kleine sog begierig und bekam zu viel in seinen kleinen Mund. Nun sah sie auf ihn, und rief laut, mit einer Art wilder [128] Freude: o ich habe Milch, ich habe Milch! –

Ich war durchdrungen, umfaßte und stützte sie, denn sie taumelte beynahe für Freude. Ich war bange. Emilie! theures Weib! was ist in deiner Seele? Mit einem Seufzer und in Thränen zerfließend antwortete sie: ach, ich hatte besorgt, das Schwimmen und das Wasser habe die Milch zurück getrieben, was würde da aus unserm Kinde geworden seyn!

Das Weinen erleichterte ihr gepreßtes Herz, und ich führte sie bis zu diesen Bäumen, wo sie auf meinem Schooße sitzend, den Carmil völlig stillte. Dieß, mein Freund! setzte er hinzu, ist die Ursache, warum dieser Platz besonders geordnet und besorgt ist; so wie ich den Lieblings-Fußpfad meiner Emilie in etwas auszeichnete, wo sie allein voll Sorge eine günstige Stelle zu unserm leichten [129] Ueberschwimmen suchte. Als der Kleine gesättigt war, stand sie auf, hob ihn gegen den Himmel, und rief: Dank, o Dank gütiger Gott! aber nicht mehr von hier, als zu dir, Vater der Welt!

Dieses Gebet, so schnell, so eifrig aus ihrer Seele gesprochen, zermalmte mein Herz; denn ich dachte sie müsse in der indischen Hütte, von den Weibern mehr gelitten haben, als sie mir nicht sagte, und die Rückerinnerung an die auf dem jenseitigen Ufer zugebrachten 10 Tage blieb lange wie Dolchstiche in meiner Seele. Bey dem Aufsuchen unserer Hütte genoß ich eine Freude, für welche ich dem Himmel wegen Emilien innigst dankte, als ich das Vergnügen bemerkte, mit welchem sie auf dem Wege zu unserer Wohnung auf Bäume, Gesträuche, Felder und Blumen sah, mit ihren Blicken alles grüßte, bey einem Lieblingsstück stehen blieb, das Kind küßte, und mit Hoffnung im Auge mir sagte: ach [130] wenn einst unser Knabe hier die Blumen pflücken wird, welche du für seine Mutter pflanztest!

Mein zu volles Herz erlaubte mir nicht, viel oder munter zu reden, ich erwiederte nur äußerst gerührt: da werde ich höchst glücklich seyn. Sie überhörte aus Eile nach der Hütte den abgeänderten Ton meiner Stimme, und horchte allein auf das Gackern unserer Hühner, worüber sie viel Vergnügen zeigte. Denken Sie sich selbst den Eintritt in unsere Hütte. Ach, sie war uns ein Pallast, unsere kleine Habe wurde zu Reichthum, Kleidungsstücke, Weißzeug und Hausgeräth, so wir ganz unverrückt wieder fanden, gaden uns Gefühl von Sicherheit und Ueberfluß. Emilie hatte Freudenthränen im Auge, küßte ihre Hemden und den armen aber reinen Schlafrock, welchen sie anzog, beynahe hätte ich auch meine Weste umarmt; denn ob wir schon in der indischen Hütte sahen, wie wenig der Mensch zum täglichen Fortleben bedarf, so [131] konnten wir das Wohlseyn, welches das Mehrere mit sich führt, nicht vergessen, nicht aufhören es zu wünschen. Wir öfneten Thüren und Fenster, um wieder frische Luft und Sonnenstralen in unsere Wohnung zu sammeln. Ich machte ein großes Feuer, Emilie bat mich Wasser zu holen, und welches aufzustellen, Carmil schlief noch in seinem Schifchen, seine Mutter eilte zu den Hühnern mit einem Vorrathe klein gestoßnen Mais, welchen sie noch vorfand. Sie wollte sich ihnen wieder bekannt machen und Eier suchen, sie fand einige Hühner zerstreut, brachte sie mit Jubel zu dem Herde, glaubte aber eines verloren zu haben, welches ich ihr zu suchen versprach. Wir kochten Eier, aßen sie mit unendlichem Vergnügen. Emilie trank herzlich vom Honigwasser, und ich bat sie, sich niederzulegen, und neben unserm Carmil zu schlafen, denn die jähe Eile, mit welcher sie alles vornahm, die außerordentlich schnellen Bewegungen, welche sie [132] machte, gaben mir viele Sorgen: da noch keine 14 Tage von ihrer Entbindung an verflossen waren, fürchtete ich ein Fieber. Sie schlief recht sanft bis gegen Abend, neben unserm Liebling, Ich war zu sehr erschüttert um ruhen zu können, und setzte mich vor unsere Hütte. Das Bild einer Krankheit meiner Emilie trat vor mich mit allen quälenden Ideen trauriger Nebenumstände für Carmil und mich: tiefer Jammer bemächtigte sich meines Geistes, alle vergangnen Scenen meines Lebens zogen in meinem Gedächtnisse vorüber. Der Mittelpunkt, auf welchem ich bey dieser Hütte war, rückwärts verlornen Wohlstand, gemordete Verwandte und Freunde, verlornes Vaterland, und meine ohnmächtige Wuth gegen Bösewichter, hier ich mit der liebenswürdigsten Frau und einem Kinde allein: die Zukunft, die mit einer ernsten innern Stimme mich fragte: was willst du ferner thun? – O mein Freund, die Sprache [133] hat keine Worte für die Beschreibung des Kummers der meine Seele zerriß, als ich mir sagte, was soll aus ihnen werden? In den Staub gebeugt, auf der Erde krümmend flehte ich: O laß sie nicht leiden die Unschuldige, für ihre Liebe zu dem heftigen, trotzbietenden Manne, für den Trost, für die Freude welche sie in mein Herz goß! – o es ist zerreißend, das Gefühl, Unrecht gethan zu haben! Es ist wirklich in der fühlbaren Seele der Wurm, der immer nagt, und keine Empfindung von Glück und Zufriedenheit zu reiner Blüthe gedeihen läßt. Er untergräbt die Scheingründe, welche die Leidenschaften uns gegen anerkannte Pflichten aufführen helfen. Ja, mein Freund! es ist für eine moralisch edle Seele nichts trauriger und schrecklicher, als zu sagen: ich hatte Unrecht. Wie viele Vorwürfe, sagte er nach einigem Schweigen, machte ich mir nicht, daß ich meinen Indier nicht genauer nach den amerikanischen Fischern[134] fragte, nicht weiter in ihn drang, als er mir kurz sagte, es seyen keine mehr da: ich verheelte es Emilien, und tröstete mich mit den dunkeln Ahndungen, welche uns der alte Quäker mitgegeben hatte, daß bald eine Colonie Europäer nach den Ufern des Oneida kommen würde, welche gewiß wie wir ein hartes, ungerechtes Vaterland fliehend, die kleinen Ueberreste ihres Vermögens und ihrer Kräfte anstrengen würden, sich und ihren Kindern einen sichern Aufenthalt und Nahrung zu schaffen. Mit welchen Schmerz rang ich meine Hände, indem ich sagte, ach wann kommt sie! die Colonie, wann? Sie wissen, daß wir noch zwey volle Jahre einsam blieben. Gott sey Dank, sie sind vorbey, aber ich schaudre heute noch, wenn ich an sie denke. – Emilie erwachte wohl, und wie sie sagte erquickt.

Lieber, hast du unser Huhn gesucht, fragte sie angelegen? Ich sagte, daß ich sie [135] und Carmil nicht hätte allein lassen wollen, ich würde jetzo hingehen, weil es noch helle genug sey. Es freuete sie. Stellen Sie sich das Entzücken vor, als ich ihr sagte, daß ich nicht nur das Huhn, sondern als Bruthenne in einer Grube unter dem Gebüsch der Einzäunung gefunden habe. Wie ein Pfeil war Emilie von ihrem Bette, und eilte unaufhaltbar, selbst ohne auf den schlafenden Carmil zu sehen, nach dem Hühnerplatz. Freudenthränen flossen von ihren Wangen über dieses so unerwartete Glück. Bald lief sie zurück, holte Mais, und unsern einzigen kleinen Napf welchen wir hatten, mit Wasser gefüllt für die brütende Mutter. Ich mußte noch eine kleine Umzäunung machen, daß unsere übrigen Hühner diese mit ihrem Müßiggange nicht störten. Wir glaubten bald an eine gute Vorbedeutung, und aßen eine Suppe von Buchweizen zu Nacht.

Freunde! was für eine Geschichte beschreibt [136] Emiliens erstes Wochenbett! Gewiß meine schätzbare Base hat während dem Lesen dieser Blätter, an sich und andre Frauenzimmer, auch an gute Bürgerweiber in ihrer Nachbarschaft gedacht. Wie glücklich muß sie sich und alle geschätzt haben, wenn sie an das Schicksal der holden jungen Frau von Wattines sich erinnerte. Ich konnte den guten Mann mit keiner Frage unterbrechen, welche ihn zu einem größern Detaile seiner Leiden geführt haben würde. Eine solche neugierige Frage dünkte mich, wie das Sondiren in einer Wunde, von welcher man die Tiefe untersucht, welches allein dem heilenden Arzte, aber auf keine Weise einem bloß Neugierigen erlaubt seyn darf. Ich zeigte dem schätzbaren Wattines mein Staunen, meine Theilnahme und Verehrung nur in kurzen abgebrochenen Ausdrücken, doch so, daß es ihm Trost, Zufriedenheit mit sich selbst und das süße erleichternde Gefühl gab, welches den Beyfall eines [137] guten vernünftigen Menschen uns gewährt. Ich umarmte ihn mit der innigsten Hochachtung und wahrer Liebe. Er sah, daß ich tief gerührt war, als ich ihm dankte, daß er meinen Wunsch, nach diesem Theile seiner Geschichte, so freundlich erfüllte, und es freuete ihn als ich ausrief: Sie und Emilie sind Zierden der Menschheit, sind Modelle für Tausende, und machen ihrem Schöpfer Ehre. Es war spät als wir zurück kamen. Ich sollte mit ihnen zu Nacht essen, aber ich konnte es nicht, denn als ich Emilien erblickte, dachte ich sie schwimmend auf dem Wasser, das ich heute sah. Die Hütten, die indischen Weiber, alles war vor mir. Ich sagte, ich müßte fort, um alles aufzuschreiben, wie sie es erlaubt hätten. Sie gingen mit mir bis an die Gränzen ihres Hauses und Gartens: ich konnte nicht reden, reichte beyden meine Hände, drückte die ihrigen an meine Brust und rief: Edle, edle Wesen! Gott segne Euch! O er [138] muß es! – und so eilte ich heim, aß Brod, trank etwas Wein, und fieng an zu schreiben: dachte mir diesen Wattines, als jungen schönen Officier in Versailles um seinen König, dann in glänzenden Cirkeln in Paris, dachte seine Aussichten – und Emilie als eine blühende Rose auf den schönen Gütern ihres Vaters, ihre Bestimmung, noch vor fünf Jahren, – und jetzo, beyde hier? O Verhängniß: wie spielst du mit uns träumenden, armen Geschöpfen. – Diese Gedanken begleiteten mich auf mein Kopfküssen, und ich träumte wirklich die sonderbarsten Dinge.


Wattines kam früh zu mir, ehe er auf sein Feld ging, fragte nach meiner Gesundheit, und sagte: er und Emilie, hätten gestern mit vieler Dankbarkeit von meinem theilnehmenden Herzen gesprochen, und ich hätte ihn glücklich gemacht, denn nun lebte [139] sie wieder in seiner Seele, die Ueberzeugung, daß jemand sein Herz kenne, und sich an seine Stelle zu setzen wisse, indem es ein Mann von seinem Alter, und mit den Sitten seiner Nation bekannt seyn müßte; die andern guten Einwohner von Oneida wären das nicht, könnten es nicht seyn; noch setzte er hinzu, daß Emilie gestern von meinem Segen und dem Kennzeichen meiner Verehrung für sie beyde sehr gerührt war, sie wolle auch das Bild ihres Aufenthalts bey den Indianerinnen ergänzen, wenn ich glaubte, in seiner Erzählung leere Stellen bemerkt zu haben. Ich dankte und dachte: ja es fehlen mir alle feine Züge und Schattirungen, welche allein durch eine Frau wie Emilie gesehen und bemerkt werden konnten.

Wie er sich entfernt hatte, schrieb ich alle Erinnerungen von gestern nieder, und machte Auszüge aus den Noten der Frau Vandek. Diese hatte Emilien gefragt, wie [140] sie zu dem Entschlusse gekommen sey hinüber zu schwimmen? da antwortete sie: »durch das Gefühl der Selbsterhaltung und der Liebe für mein Kind und seinen Vater; auch war kein ander Mittel der Hülfe für mich da. Es war kein Krieg mit den Indiern, und ich wußte, daß sie im Frieden treu und gut sind, damit verband ich mein völliges Hingeben in die göttliche Fügung, wenn ich nun alles gethan haben würde, was er meiner Vernunft und den Umständen erlaubte.«

Aber, sagte Frau Vandek, warum warteten Sie so lange mit Ihrem Uebergange? denken Sie, wie schnell ihre Entbindung folgte.

»Darüber müssen Sie, meine Freundin, sich nicht wundern, ich war unwissend und unerfahren, meine Seele hatte viel bey der Trennung von unserer Insel gelitten, und nie werde ich den Auftritt und mein inneres [141] Zittern vergessen, als ich der Hütte und den beyden indischen Weibern mich näherte. Denken Sie sich zwey große braun gebrannte Frauenspersonen in langen Beinkleidern und Wams nebst Kappe von groben braunen Tuch, glatte, schwarze, über Gesicht und Schultern hängende Haare, einen kurzen Rock über die Beinkleider, und dieß alles dabey sehr unreinlich, tief liegende etwas düster blickende Augen. Gewiß es kostete mich mehr Mühe den Widerwillen meiner Augen zu überwinden, als die Vorstellung der Gefahr des langen Schwimmens, aber ich strengte mich gegen Wattines an, heiter und vertraut zu scheinen; doch bald waren die Töne der Weiber gefälliger als ihre Blicke und ihr Aussehen, auch war es gut, daß ich europäische und philadelphische Bilder aus meinem Geiste entfernte, und nur an Wahrheit und Bedürfniß des Moments dachte. Indische in Wäldern lebende Weiber, konnten weder in Kleidung [142] noch Sitten denen ähnlich seyn, an welche ich in meinem Vaterlande, oder wo sonst europäische Sitten üblich sind, gewöhnt war. Ich fühlte, daß es ungerecht und thöricht sey, allein nach einem verwöhnten Auge zu urtheilen, und nahm mir vor, genau bey den einfachen Bedürfnissen der Natur, und bey Wahrheit stehen zu bleiben. Ich fühlte mich übel, und war froh, als der Indier meinen Mann wegführte. Die Weiber und ihre Hülfe waren liebreich, mein Glaube, daß die Natur mir nicht mehr auflegen würde, als andern Müttern, der kleine, aber mir äußerst wichtige Umstand, daß alle Mohawks wohl gewachsen sind, dieses stützte meine Hoffnung für die gute Besorgung meines Kindes. Ich bat Gott, mir meinen Verstand und mein Leben zu erhalten, damit ich mit dem ersten alles bemerken könne, was bey diesen Umständen nöthig ist, weil diese Töchter der Natur in nichts eingebildete Bedürfnisse [143] haben, und keine unnützen Dinge vornehmen, der Himmel aber in meiner Seele lesen konnte, daß ich nur für mein Kind zu leben wünschte. Gott erhörte meine Bitte, ich genaß, und das sehr bald. Die überströmende, alle andre Gefühle übertreffende Freude der guten Mutter, mein Kind in meinen Armen zu halten und der ewigen Güte für meinen schönen Sohn zu danken: dieser schon vor seiner Geburt beraubte Erbe großer Güter und zwey schöner Wohnsitze edler Ahnen, lag mit seiner Mutter unter Birkenrinden auf der von einem Indier gelehnten Bärenhaut, hatte wie Kinder der Indier von seiner Mutter nichts als ihre Liebe und die Milch ihrer Brust, von seinem Vater Unterricht im Feldbau und Fischerei, zu Erhaltung eines Lebens zu erwarten, das sie, von ihm ungewünscht, ihm gaben. Hätte wohl eine Rivalin, welche an dem Tage meiner Verlobung mit Wattines, alle Hoffnung auf sein Herz verlor; mich [144] beneidete und haßte, hätte mir diese wohl mehr Jammer wünschen können? Wer hätte mir an diesem, meinem Herzen so schönen, glücklichen Tage gesagt: von allen, welche dich als gesunde, heitere Braut sehen, wird in den Tagen des Kummers keiner um dich seyn, und während dem Gefühl der Geburtsschmerzen deines ersten Kindes wirst du sein und dein Leben in den Händen von zwey Indianerinnen sehen.

Es war sonst meine Gewohnheit, bey Schmerzen ruhig und stille, mit zugeschloßnen Augen auf Linderung zu warten, dießmal war ich auch stille, aber ich deckte meine Augen nicht: immer waren meine Blicke mit Aufmerksamkeit und bittend, auf die Mienen und Züge der zwey Sqaws gerichtet. Mich däuchte auch, daß sie meine Stille, meine Geduld und mein Achtung geben auf ihre Zeichen und Winke, unter sich lobten, und daß sie mit mir, meiner glücklichen Entbindung[145] sich freuten, und die Beweise meiner überfließenden Liebe für mein Kind gut fanden. O, in der Hütte meiner Indianerinnen wurde ich überzeugt, daß die Natur keinen Unterschied macht, daß meine Schmerzen, meine Bedürfnisse, bey der Geburt meines Sohnes, und sein hülfloses Wesen, der Zustand jedes gebährenden Weibes und jedes neugebohrnen Kindes ist.

Ach! nur in den Gefühlen und Bedürfnissen der Natur ist sie, die wahre einzige Gleichheit, welche Frankreichs neue Philosophen durch das ganze Leben und in allen Verhältnissen der Menschen haben wollen. Aber zu was dienen diese Betrachtungen? – Ich befand mich wohl, und war eine glückliche Mutter, nur einen Jammer hatte ich noch zu überstehen: die eine Frau lief weg, blieb einige Zeit aus und brachte etwas auf einem Blatte, wovon sie meinem Kinde einen Theil von ihrem Finger abzusaugen gab. Ich war mit der größten [146] Geschwindigkeit bey ihr, um es zu wehren, indem ich befürchtete, es möchte meinem europäischen Kinde schaden. Ich weinte, als ich beyde Weiber mich so ernst zurückweisen sah, sie bedeuteten mir, es sey gut. Ich war ruhig aus Angst sie zu erzürnen und tröstete mich ganz, als sie mir gleich darauf meinen Knaben zum Säugen an die Brust legten, indem ich hoffte, daß meine Milch diesen Saft verdünnen und weniger schädlich machen würde; und nun wünschte ich Wattines zu sehen, und bat ihn, er solle den Indier fragen, was man unserm Sohne gegeben habe Er sagte: Ein Pulver von guten Kräutern mit Honig, dieß beruhigte mich ganz. Meine Nahrung war, dünner, zerriebener Maisbrey. Ich genoß ihn mit Dank, und schätzte es als eine liebe Nahrung; denn mein Kind fand immer Milch und war wohl. Mir fehlte gar nichts, Wattines war immer um mich so daß ich ihn oft bat, mir Blumen und Kräuter [147] von den Wiesen und aus dem Walde zu holen, weil ich sie kennen lernen wollte, aber ich that es, um ihn zu zerstreuen und Bewegung zu verschaffen; denn Blumen und Pflanzen dieser Seite waren wie die von unserer Insel. Der Indier nahm ihn ein paarmal mit auf die nahe Jagd. Ich wurde bange, es möchte diese alte Edelmannsfreude wieder in ihm erwachen, und ich liebte ihn mehr als Bauer und Gärtner, als ich ihn wie Jäger lieben würde. Traurige Betrachtungen konnte ich bey mir nicht verhindern, wenn ich, während die Indianerinnen und ihre Kinder schliefen, bey dem schwachen Lichte des Feuers in der Hütte umher blickte, und mir zurück rufte, wie meine Tante in ihrem Wochenbette lag, und wie ohne die Revolution, ich und mein Kind in den Armen geliebter Anverwandtinnen und Freundinnen gepflegt seyn würden; hier traf mein Auge auf niemand, den mein Gedächtniß mir nannte, doch verscheuchte ich diese [148] unwillkommnen Erinnerungen, dachte an meine Gesundheit, mein Kind, Wattines und den Allwissenden, Allgütigen, welcher in meinen Blicken um mich her, in den Thränen, welche auf meinen Säugling fielen, und in diesen Erinnerungen meine Bitten und Wünsche sah. Die guten Weiber gingen morgens mit ihren Kindern nach ihrer Arbeit auf dem Felde, hatten aber die Sorgfalt, mir ein liebes Mädchen von acht Jahren vor die Hütte zu setzen, welche das Feuer unterhalten mußte, und mir von Zeit zu Zeit, in einer großen Muschel von dem Maisbrey oder Wasser brachte. Dieses Mädchen lehrte ich Kränze und Blumengewinde machen, so wie ich von ihr Körbchen zu flechten lernte. Oft war ich ganz allein, an die Hütte gewöhnt, dachte ich an Philadelphiens und Europens Gebäude, mußte mir sagen: wie unendlich ist der Abstand zwischen einfachem Bedürfniß der begränzten Gefühle des physischen Lebens, und [149] der mit dem Anbau unseres Verstandes sich vermehrenden Begierden, welche bey uns den Wechsel des neuen, und die Menge in allen Dingen zur Nothwendigkeit machten. Diese Hütte faßt alles, was eine Familie der Oneidas zu ihrem Glücke wünschet. Die Begriffe ihres Verstandes von einem obersten Wesen und von andern Geschöpfen um sie her, sind eben so einfach und beschränkt wie ihre Wohnung, ihre Geschäfte, Essen und Kleidung; dennoch ist die Seele dieser Menschen, wie ihr Körper mit allen Fähigkeiten begabt, die wir übrigen stolzen, glücklichen Europäer an uns kennen. Aber mußte ich nicht zugleich denken, daß auch in unserm Europa die Seele einen gleichen Schritt mit dem Körper hält, wie man es in abgelegenen Wohnungen, bey Armen, die wenig Umgang baben, und bey den meisten Landleuten findet, welche man nur für Besorgung der Bedürfnisse des Leibes beschäftigt sieht, indem ihre Seele eben so[150] wenig und so einfache Begierden nach Kenntniß zeigt, als man bey Millionen Menschen einfache Gefühle und Wünsche für körperliches Wohl und äußerliche Umstände antrifft. Wir Europäer kennen mehr Vergnügen und mehr Weh der Einbildungskraft als die Indier; diese wünschen nur heftig, was zu unmittelbarem Genusse führt; Stärke, Geschicklichkeit bey der Jagd und Fischerei, Tapferkeit im Kriege, Genuß der Rache und des Ueberwindens; weil es mehr Kraft beweißt. Emilie glaubt auch, daß der Haß, und alle in der einfachen Natur liegenden Leidenschaften, bey den ungebildeten Völkern um so heftiger sind, weil sie, wie ein in unbewohnter Gegend aus einer reichen Quelle fließender Bach, auf keiner Seite in Ableitungen getheilt, und also der Hauptstrom nie geschwächt ward; daher ihre Freuden, Trauer und Haß unbändig, tobend und schreyend sind. Ich war dankbar und gerecht gegen die [151] Natur, daß sie mir in einem der wichtigsten Auftritte meines Lebens unter ihren eigentlichen Kindern Hülfe gab; diese Erfahrung, und die Beobachtung meines eigenen Kindes, der drey und fünf Jahr alten Indier, und yon unserer acht Jahr alten Flora, überzeugten mich von der Wahrheit des Glaubens und des Ausspruchs unsers schätzbaren Bernardin de St. Pierre, welcher sagt:

»Die Natur hat den Menschen gut geschaffen, wenn sie ihn hätte übelthätig haben wollen, so würde sie, die in allen ihren Werken die Folgen bedachte, dem Menschen auch entweder Klauen, einen Rachen oder Gift, und andre angebohrne Waffen gegeben haben, wie sie viele andre Thiere ausrüstete; aber sie hat ihm nicht allein keine Vertheidigungs- und Angrifsmittel gegeben, sondern sie schuf ihn, als das ärmste und hülfsbedürftigste von allen, gewiß um ihn als Gegenstand der Menschenliebe und Güte zu zeigen, und die[152] nehmlichen Gefühle für andre in ihm zu erwecken. Die Natur schuf nirgends eine Nation von lauterneidischen, verläumderischen, ehrgeizigen, hartherzigen Menschen; eben so wenig, als man Gegenden trifft, wo alle aussätzig, fieberhaft oder mit den Blattern behaftet gewesen wären. Diese physischen Uebel kommen von schlechter Nahrung, und die moralischen Fehler von irrigen Begriffen des Verstandes!« Diese Betrachtung erweckte aufs neue meine Dankbarkeit für meine erhaltene Erziehung, für Kenntniß der Religion. Kenntniß meines Gottes und der Verdienste der Menschheit. Meine verfeinerten Sinnen, meine gebildeten und geweckten Fähigkeiten, machten mich selbst hier, mitten in dem größten Mangel, glücklich. Meine Indianerinen entbehren vieles, ohne Kummer, weil sie wenig kennen, ich entbehre, mit dem süßen Gefühle, einer ausübenden Tugend, [153] geduldiger Unterwerfung in dem göttlichen Willen, und schaffe mir auch Hülfe durch meinen angebauten Verstand. Ich wünschte mir nicht die Zufriedenheit meiner Indier, freute mich für sie, daß sie es sind, weil ich nichts für sie thun kann, aber ich hoffe doch, daß der allmählige Umlauf der Kenntnisse und Wissenschaften, auch für sie ein edleres Glück hervorbringen wird: aber wie lange mag es noch dauern, bis diese Völkerschaften einmal ihre Kinder die ganze Würde der Menschheit lehren, und ihnen sagen werden: was für große und glückliche Vorzüge hat der Mensch durch die Gestalt und Fähigkeiten seines Körpers! wie viel mehr aber durch seine Vernunft, vor allen andern Wesen. Jedes schädliche Thier weis er aus dem Wege zu räumen, jedes nützliche sich zu eigen zu machen. Beyder Arten bemächtigt er sich nach Gefallen, sie mogen fliehen wie sie wollen: denn, sind sie stärker und schneller als er, [154] so ersetzt seine Vernunft beydes: diese hat an dem Elephanten und an dem Pferde die empfindlichen Theile entdeckt, so daß er als Knabe sie leitet wohin er will. Er machte Netze für Fische, Fallen für Mäuse und andre schädliche Thiere, die Pfeife um Vögel in sein Garn zu locken, und das Gewehr, womit man den Hirsch in weiter Ferne zu Boden streckt. Viele der nützlichen Thiere hat er zahm gemacht, braucht sie zu Arbeiten, und auch zur Speise; dem packt er seine Lasten auf; dieß muß ihn tragen und ziehen; jenes ihn kleiden und nähren. Fuchs, Wolf und Bär erkennt er an ihren Fußtritten, vergebens fliehen sie in die Wälder. Er fängt sie, nimmt ihnen ihre Pelze für sich zu einer wärmern Kleidung ab. Bey den Pflanzen herrscht er eben so willkührlich. Er entdeckte alle die, welche zu Speise, Trank und Kleidung taugten. Schneidet den Kohl, preßt den Saft der Traube, das Oehl der Olive, [155] schüttelt das Obst, ärntet den Weizen, hechelt den Flachs, wirft die Eiche zu Boden, stürzt ganze Wälder um sich Häuser zu bauen, im Winter sich zu wärmen, seine Mahlzeiten zu kochen, und das übrige andern zum Schiffbau und Geräthschaften zuzuführen. Er heilt mit Kräutern seine Wunden, weiß sie, Wurzeln und Rinden zu seiner Gesundheit zu gebrauchen, pflanzt Blumen, genießt ihre schönen Farben, ihren balsamischen Geruch, und pflückt sie zu Sträußer und Kränzen.

Das Steinreich steht ihm auch zu Gebot. Er gräbt Erz aus den Eingeweiden der Erde; verfertigt die herrlichsten, nützlichsten Werkzeuge, Gefäße und die schönsten Zierrathen daraus. Sammelt Edelsteine zum Schmuck, bricht den Kalkstein, seine Mauern zu verbinden, den Schiefer, seine Dächer zu decken. Sprengt Felsen, zu Landstraßen, gräbt und pflügt die Erde auf, und sie muß ihm Früchte tragen, welche er will; findet er [156] die Oberfläche zu dürftig, so bohrt er tiefer, und wühlt die untere bessere Erde herauf; gräbt Brunnen, trägt die Höhen ab, ebnet das Ungleiche, pflanzt Alleen, verwandelt Sümpfe in Wiesen, Sandfelder in Gärten; das Meer selbst muß sich seiner Herrschaft unterwerfen, denn seine Vernunft lehrte ihn Fahrzeuge bauen, mit welchen er über unermeßbare Oceane von einem Welttheile zu dem andern segelt; er mag Land sehen oder nicht, so leitet ihn der Compas. Er bringt Feuer hervor, und löscht es wieder; dem Wasser setzt er Gränzen durch Erddämme. Er baut Brücken über die Flüsse, und verbindet sie durch Canäle, leitet den Blitz ab und zertheilt Regenwolken durch Canonendonner; alle Städte, alle Dörfer, alle fruchtbaren Felder und Auen sind sein Werk. Er hat durch sorgsame Pflege alle Getraidearten, Blumen und Früchte veredelt. – Ach, wie lange mag es noch dauren, bis alle Gegenden [157] der Erde zu dem seligen Genuß dieser Kenntnisse und dieser Betrachtungen gelangt seyn werden? Wie lange, bis einst ihre Nachkommen die Encyclopädie kennen und lieben werden, wie ich und Wattines sie lieben und kennen, durch vermehrte Wissenschaft glücklich, durch erhöhte Gefühle der Tugend gestärkt und getröstet werden?«

Hier, sagte Emilie, muß ich Ihnen die muntre Antwort mittheilen, welche Wattines mir gab, als er die Frage las: Wann wird die Zeit kommen, daß unsere guten Indier Kenntnisse haben werden wie wir.

Das will ich gleich ausrechnen, sagte er, und ging zu unsern Büchern. Frau Vandek und ich dachten, er habe nur den Anlaß genommen wegzugehen, weil er, wenn von meinen Erinnerungen auf der Insel gesprochen wurde, sich immer entfernte, so bald er bemerkte, daß er genennt werden könnte: [158] nun kam er aber mit einem Papiere in der Hand zurück, und las in Wahrheit eine Berechnung vor, indem er sagte:

Als Cäsar nach Brittannien kam, lebten die meisten Einwohner, wie jetzt die Nordamerikaner, in Gebirgen und Wäldern, wußten nichts vom Ackerbaue, mahlten sich den Körper wie Nesquehiounah, als er wieder Mohawk wurde, und deckten sich mit Thierhäuten. Von dort an, bis zu der Zeit, wo England einen Bacon und Newton sah, verflossen 900 Jahre, also müssen die Oneidas, wenn sie nicht von den Europäern ausgerottet werden, noch 937 Jahre warten, bis ein Gelehrter von diesem hohen Verdienste unter ihnen erscheint. So wie die Griechen 514 Jahre bestanden, ehe ein Socrates, und die Römer 642 zählten, ehe Cicero kam, unser Vaterland aber sagte er zu mir, von Cäsar an 1700 Jahre durch alle Stuffen der [159] Kenntnisse gehen mußte, bis ein Büffon entstehen konnte.

Der muntre Einfall dieser Berechnung dünkte mich sehr in dem französischen Nationalgeiste zu seyn, dessen angeborne Heiterkeit wohl auf einige Zeit bewölkt wird, aber bey jedem Anlasse wieder mit Leichtigkeit hervorbricht. Ich setzte nun mit einer Art doppeltem Stolze hinzu, daß wir Teutschen von Cäsar an auch 1700 Jahre zurücklegen mußten, ehe wir unsernLeibnitz sahen. Mein Stolz ruhte in der That auf zwiefachem Grunde. Einmal daß Leibnitz, welchen Wattines in seiner Encyclopädie mit so vielem Ruhme genannt finden kann, uns gehört: und weil ich die Jahre von Cäsar bis auf ihn, ohne Bücher nachzuschlagen, sogleich nennen konnte. Ich erinnerte mich auch, daß unser großer Wieland einmal bey dem edlen weisen Graf Friedrich von Stadion, dessen letzte Lebensjahre er verschönerte, und die Freundschaft[160] des geistvollen Ministers genoß, einmal von den Wanderungen der Wissenschaften sprach, und auch eine Art von Rechnung gemacht wurde, wie lange die Musen ihre griechische Heimath bewohnten, und dann durch das Verhängniß zu einer Pilgrimschaft getrieben, bis in nördliche Gegenden kamen. Wieland versicherte, daß eine Zeit kommen müßte, wo seine Gedichte in Lappland, auf der Toilette jeder schönen Dame neben Rosengewinden liegen, und sie von ihren Verehrern fordern würden, ihnen seine Werke vorzulesen. Diese Unterredung verwandelte Wattines Holzhütte in eine Art von einfachen Tempel schöner Kenntniß der ersten Zeit. Ich sagte Emilien, wie oft ich schon ihre und ihres Gemahls Erziehung segnete, durch welche sie in ihren Leiden und ihrer Einsamkeit so wundervoll unterstützt wurden, und wodurch sich auch ihr Herz in der Borkenhütte der Indier in so vollem Glanze zeigte.

[161] Ach, erwiederte sie, in der Stunde, wo mein Herz so viele Wünsche für die Indier machte, mußte ich mir auch sagen: da habe ich nun die glücklichen Vorzüge der Europäer gegen den Mangel der Indier abgewogen, habe an die durch Kenntniß vermehrten Tugenden gedacht, und völlig vergessen, daß in Paris, wo der Sitz des höchsten Grads der Wissenschaften und Künste war, die Quelle alles Elends und aller Ungerechtigkeiten entstand, der Mord unsers guten Königs, der von meinen Verwandten und so vieler tausend Unschuldigen, durch Menschen von großen Talenten beschlossen und entschuldigt ward. Alle Abscheulichkeiten wurden von Parisern begangen, welche meine gutmüthigen Indier wegen ihrer Unwissenheit verachten und belachen würden. Denken Sie, was in der indischen Hütte die Betrachtung mir werden mußte, daß von so vielen hunderttausend geistvollen Bewohnern dieser [162] Stadt, welche gegen das Dörfchen der Oneidas eine ganze Welt ist, so wenige gut waren, und ach! Männer voll Kenntnisse rotteten die von Jugend auf gepflegten Ideen und Gefühle, von Gott, Religion, Menschenliebe, Güte und Mitleiden aus ihrer Seele, opferten dem Ehrgeiz und der Herschsucht jede Tugend, und das Wohl, das Leben so vieler Tausende.

Wie sehr wurde ich in diesem Momente überzeugt, daß der Gelehrte recht hatte, welcher sagte: der Mensch ist oft nicht so weit von den Thieren verschieden, als Menschen von Menschen; denn waren nicht die Oneidas, bey welchen ich Schutz und Hülfe gefunden hatte, Engel gegen das Volk der Pariser? Dennoch, ich bekenne es, dachte ich mit Abscheu an den Entschluß, eines durch den Krieg verarmten Amerikaners, der ein geborner Irrländer war, und mit Frau und Kindern zu einem Stamme der Indianer [163] überging, und aus einem guten Bauer ein Waldmann wurde, seine Frau und seine Töchter zwang, sich zu kleiden und zu leben wie die gebornen Indianerinnen. O, ich hatte mehr verloren, als der Irrländer, war an alles Gute, Schöne und Angenehme gewöhnt. Wattines wurde auch beraubt, und war über seine Landsleute empört, aber wir entsagten nicht auf Vortheile unserer Erziehung, nicht auf das Glück, alle Tage unsern Geist zu bereichern, und dieß, was wir wissen, zur Verbesserung unserer Umstände anzuwenden. Einfacher zu leben, als ich von Jugend auf gewöhnt war, geringer gekleidet, als ich tausend und tausend Familien ehemals weit unter uns kannte, ach das haben wir mit Unterwerfung in den göttlichen Willen gerne gethan, aber entsagen auf Wissen, auf verbesserte Sitten, und zurückgehen auf die niederste Stuffe der Vernunft, – o nein, nein, lieber sterben, [164] als erworbne Kenntnisse verlieren.« – Emilie sagte dieses mit Eifer, mit einer Thräne im Auge und mit auf ihre Brust gefalteten Händen. Wir waren alle gerührt, so wie wir alle überzeugt waren, daß beyde Wattines als die edelsten Beweise des Werths der Kenntnisse, vor uns stehen. Aber, meine Freunde! welch ein Character in Emilien, dieser so jungen, schönen Frau! Sie sagte freimüthig: ihre Betrachtungen in dem indischen Wigwham hätten ihre Begierde, nach der Insel zurückzukehren vermehrt. Unsere Blumen, unsere so schön und ordentlich angebauten Felder, die Aussichten auf den See, unser Loghouse, die Schlafstelle, die Fenster darin, die Abtheilung, mein Herd und weniges Kochgeschirr, mein schottisches Brod, meine Hühner und Eier, meine kleine Kochkunst, wurden viel für mich, im Vergleiche des armseligen Zustandes und der Unreinlichkeit eines Wigwhams [165] und seiner Bewohner. Denken Sie selbst, was unsere Büchersammlung gegen die Unwissenheit der Indier für mich werden mußte. Ich vergoß Freudenthränen, als ich sie wiedersah, wie ich Freudenthränen vergießen würde, wenn ich liebe Verwandte und Freunde an meine Brust drücken könnte. Ich wußte, daß der Zustand dieser Völker einst der von unsern Voreltern war, als auch diese in Wäldern wohnten, und wie Wattines berechnete, so viele Jahrhunderte nöthig hatten, um alle Fähigkeiten ihres Geistes und alle Eigenschaften ihrer Nebengeschöpfe kennen zu lernen, wie sie jetzo dem so glücklichen Europäer bekannt sind. Ach bey allem Mangel, bey allem Leiden dankte ich Gott, in dieser spätern Zeit geboren zu seyn, selbst der Mangel eines geliebten Guts, dessen Beraubung ich, so lange wir auf der Insel wohnen, mit tiefem innerlichen Schmerze trug, selbst dieser Mangel wurde [166] in der Borkenhütte eine Quelle mütterlicher Freuden für mein Herz. Milch war meine Lieblingsnahrung, ich hatte keine für mich zu hoffen, aber (setzte sie mit sanftem zärtlichem Erröthen hinzu) meinem Kinde konnte ich Milch geben. O wie deutlich fühlte ich, daß die treue Mutter ihr Kind mehr liebt, als sich selbst, denn wie innig sagte ich: o mag die süße Nahrung mir auf mein ganzes Leben fehlen, wenn nur mein Carmil die Milch hat, so lange sie ihm nothwendig ist. Wattines besuchte den andern Morgen nach unserer Zurückkunft seine Felder, während ich unsern Sohn und meine kleine Wirthschaft, besonders meine Hühner besorgte, kam wieder, durchsah, ordnete und putzte, mit erneuetem Vergnügen und Eifer, alle seine Werkzeuge; der Nachmittag war uns eine Art festlicher Spatziergang, unsere glückliche Rückkunft zu feiern, uns und unser Kind den Bäumen, den Feldern, [167] Blumen und Gesträuchen zu zeigen; als wir zu Ende die ser lieben Wallfahrt auf eine der Moosbänke des Belvedere uns gesetzt hatten, unsern See zu betrachten, und wieder den Niedergang der Sonne zu genießen, sah ich auf einmal meinen Wattines auf das nun ganz vollblühende Blumenbeet meines Grabes blicken, dann sein Auge voll Thränen und Dank zum Himmel erheben, schnell sich gegen mich wenden, Carmil und mich umfassend rief er: Gütiger Gott! Ewig sey dir für das Leben meiner Emilie und meines Sohnes gedankt.

Ich war durch diese unvorgesehene Bewegung erschreckt und gerührt, küßte ihn und sagte: theurer, geliebter Vater meines Carmils! woher entsteht diese Art von Schmerz in deiner Seele? laß mich Antheil nehmen, mein Bester! ich bitte dich, denn ich bin voll Unruhe. Nun bat er mich, wegen der auch ihm unerwarteten Erschütterung um Verzeihung: [168] er hätte bey dem Blicke auf mein bestimmtes letztes Ruhebette, an den schrecklichen Gedanken sich erinnert, welcher ihm auf seinem Lager vor der Wildenhütte quälte. Da er sich meinen Tod möglich dachte, und mein Begräbniß als Folge hinzu setzte, erschien auch die Frage: wie willst du Emiliens Wunsch erfüllen, ihre geliebte schöne Hülle in ihr selbst bereitetes Blumenbeet zu tragen? Was soll aus ihrem Kinde, aus mir werden? alle diese kummervollen Ideen hätten sein Dankgefühl mit schmerzhaften Erinnerungen gemischt, welche er nicht mehr unterdrücken konnte. Ich weinte aus zärtlicher Freude über seine Liebe und mein Leben mit ihm, ja ich muß bekennen, daß es mir unangenehm gewesen seyn würde, mir ein andres Grab, als dieß auf meiner Insel zu denken, ob ich schon weiß, daß die Erde überall des Herrn ist, so war dieser Widerwillen doch selbst mit den Ergebungen [169] verbunden, welche ich Gott bey den ersten Geburtsschmerzen zeigte. Die lebhafte Einbildungskraft meines Wattines war noch weiter gegangen, er wollte mit unserm Kinde, bey dem Orte meines Begräbnisses bleiben, und genoß eine Art Beruhigung in der Geschichte eines Sclaven, welche St. Pierre erzählt, welcher zwey Jahre lang, in der wenigen Ruhezeit, die man diesen Unglücklichen bey der harten Arbeit läßt, alle Tage mit seinen zwey Kindern zu dem Grabe der Mutter ging und dort weinte; da er auch wußte, wie sehr die Indier den Staub ihrer Voreltern lieben, so hoffte er, sie würden ihn nicht hindern, meinen Grabhügel zu besuchen, oder seinen Wigwham daneben aufzurichten. Ich dankte dem Himmel aber herzlich, daß alle diese Trauerbilder in dem Nebel der Vergangenheit versanken. Nach einigen Tagen, als wir ganz ruhig unsere Bemerkungen über die Indier uns mittheilten, [170] fanden wir, daß sich der Vorzug unserer Sitten und unserer Denkart täglich erhöhte, und die Gleichgültigkeit der Indier gegen alles, was sie aus ihrem gewöhnten Gange führen könnte, dünkte uns wahres Unglück zu seyn; so wie die Wißbegierde den Werth hat, nicht allein den Geist zu unserm Vergnügen und Nutzen zu bereichern, sondern auch die Fähigkeit vermehre, unsern Nebenmenschen in hundert Gelegenheiten angenehme Dienste zu beweisen; denn die Gleichgültigkeit der Indier machte uns viel Leiden, da sie nichts von den nahen Wohnungen der Europäer wußten, also die Sorgen unserer Herzen nicht erleichtern konnten, welche wir wegen dem Ausbleiben der Fischer, und wegen der völligen Unwissenheit über Leben und Tod unsers wohlthätigen Freundes des Quäkers fühlten. Auch, um aufrichtig zu seyn, litten wir empfindlich, gar nichts von Europa zu horen; denn, sagen [171] Sie! war es möglich Europa zu vergessen? erinnerte uns nicht jeder Band unserer Bücher daran, ob wir schon beyde vermieden davon zu reden? aber die Betrachtung über die Gleichgültigkeit der Indier, brach den Damm, welchen wir unsern innern Wünschen durch das Schweigen gesetzt hatten. Ich will nicht wiederholen, was unser Schmerz und unsre Thränen sagten, uns aber auch genauer an die Idee von Gott und moralischen Gesinnungen hefteten, um die Barmherzigkeit und den Schutz unsers Urhebers zu verdienen. Bey diesem Anlasse dachten wir wieder an religiöse Einsiedler, welche sich auch von allen Verhältnissen mit der Welt losrissen, und nur desto eifriger eine Verbindung mit den Ideen der Ewigkeit suchten. Wattines ruste sich das Leben und die Pflichten des Ordens de la Trappe zurück, und fand eine große Klugheit, ja selbst Menschenfreundlichkeit, nicht nur in [172] dem Verbot, sich zu sprechen, sondern auch in den großen Kappen, welche verhindern, daß sie sich sehen, weil Mittheilen alle Gefühle vermehrt, und man mit Blicken eben so deutlich sprechen könne, als mit Worten; also jeder die Leiden und die Wünsche des andern in seinen Augen lesen könnte, wodurch der Kummer des edlen Herzens vergrößert würde. Bey dem Schweigen des Mundes und der Blicke aber, jeder in seiner Resignation eine Tugend für sich übte, und die andern sie ausüben sah. Da ich in diesem Moment auf Wattines blickte, setzte er hinzu: Emilie! schwiegen wir nicht auch bey unserm Weh, ohne unter den Befehlen einer harten Ordensregel zu stehen? – Ich wollte nicht in diesem Tone fortreden, und sagte nur: wahre Geduld schweigt immer, und findet darin die Kraft zum tragen.

Glücklich unterbrach Carmil alles Folgende. Wattines fischte wieder, fieng Endten [173] und arbeitete an der Verschönerung des Weges, auf welchem ich den Platz zu unserm Schwimmen nach dem festen Lande gesucht hatte, und belegte unsern Landungsplatz mit Rasen, so wie er Ruhebänke zwischen den Pappeln errichtete. Ich will nicht ganz in die Gefühle gehen, die mich froh machten, daß Wattines mehrere Tage länger abwesend blieb, als gewöhnlich, indem er an diesen Arbeiten beschäftigt war, welche ich nicht wissen sollte, ich aber auch etwas vorhatte, das ich ihm zu verbergen wünschte. Ich sage nicht wie mir war, als ich meinen Carmil das erstemal zu den Denkmählern seiner Großeltern trug, ihn ihrer Fürbitte bey Gott zu empfehlen, und den Weg an den Bäumen zurückkam, in welche die Anfangs-Buchstaben der Namen unserer liebsten Freunde eingeschnitten waren, und ich seufzend sagte: keiner, ach keiner von allen den Lieben, wird je meinen Sohn, den Sohn [174] meines Wattines sehen, keiner wird je wissen, daß ihre Erinnerung uns heilig war, daß ich ihre geliebten Namen auf ihren Festtagen mit Blumen bekränzte, welche von meinen Thränen benetzt wurden. Wie oft habe ich auf den einsamen Wegen, wenn ich Wattines entgegen ging, oder bey seiner Feldarbeit ihn aussuchte, den guten Carmil zum Himmel empor gehoben, und flehte um seiner Unschuld willen die göttliche Güte an, uns wieder bessere Umstände, und Nebenmenschen sehen zu lassen, aber ach, noch mehr als zwey volle Jahre dauerte dieses hoffnungslose Gebet, und doch ruhte auf diesem Gebete mein Leben, ruhte darauf als wir noch allein waren. Denken Sie, wie ich betete, als ich Mutter war, und den Vater meines Sohnes so viel arbeiten sah, daß mir für seine Gesundheit bange wurde. Glücklich entdeckte ich wie genau er mich beobachtete, und daß ein trüber Blick von mir, oder eine tiefsinnige [175] Miene von mir seine Seele verwundete. Gewiß! wir können immer sagen: es war eine glückliche Stunde, in welcher ich den Entschluß zu einer guten That faßte! denn ich segne heute noch den Augenblick, in welchem ich sagte, daß ich Gott und allen Heiligen gefällig seyn würde, wenn ich ohne davon zu reden, nur von ihnen gesehen und gehört, der Gemüthsruhe meines Mannes, den Kummer und die Wünsche meines Herzens opferte, ihm Zufriedenheit und die feste Hoffnung zeigte, Gott würde uns und unser Kind väterlich besorgen Auch war es nicht verloren das Opfer, denn Wattines wurde glücklicher und ruhiger in seinem Geiste.


Sie sehen, meine Freunde! wie viel ich von den Ideen der lieben Frau sammelte, und natürlich meine zu sehr andringende Fragen wieder etwas zurück halten mußte. Ich blieb [176] auch zwey Tage von ihrem Hause entfernt, um mich bey andern Colonisten umzusehen, und fand es aufs neue schön, das ämsige Gewühl, das Anpflanzen, Bäume fällen, umgraben und aufräumen der Plätze, wie auch das Heimtragen kleiner Bürden von Futterkräutern, Spänen, Moos, und selbst einzelner Strohhalme, welche hier noch selten sind, und meist nur durch ankommende Packwagen zerstreut werden, zu deren Sammlung einige arme Familien ihre Kinder gewöhnen: von welchen viere mir sehr schätzbar sind, weil sie sich des verdienstvollen Herrn Doctor Hirzel philosophischen Bauern zum Muster nehmen, und, wie dieser, durch unausgesetzten Fleiß, Sparsamkeit und Ordnung, Vermögen sammeln und besonders Kleinjoggs Gedanken von verschiedenen Düngergruben ausführen wellen; weil dieser Bauer, die schnelle und langsame Verwesung dieses Krauts, jenes Blatts, und aller andern Sachen beobachtete,[177] und dadurch nach Anweisung der Natur, welche immer einen Kreislauf von Welten, Verwesen, Keimen und Wachsen macht, mit Ueberlegung ihren Weg befolgt, so, daß allen Landleuten sein Beyspiel nützen kann. Ich wünsche bey dieser Gelegenheit herzlich, daß auf diesem neu angebauten Stück Erde, der schöne Ehrgeiz in den Seelen seiner Bewohner entstehe, immer der beste ihrer Klasse zu seyn.

Ich bin nun die zwey Tage bey allen Feldern und Colonisten herum gewandelt, und habe ein paar Träumer der vollkommnen Gleichheit hergewünscht, um hier diese seltsame Idee zu berichtigen, indem mir dieser Aufenthalt der wahre Standpunkt zu seyn scheint; denn die Umstände dieser Colonisten sind alle gleich, alle haben nur Holzhütten, keiner hat Hoffnung zu Wohlstand, als in der Viehzucht und dem Anbaue seiner Felder und Gärten. Aber wie sehr verschieden ist doch schon [178] alles, in und um die Hütten herum: alles arbeitet ämsig, aber die eine, wie die holländische Familie, verbindet den höchsten Grad der Ordnung und Reinlichkeit mit ihrem Fleiße, eine andere muß sich doppelte Mühe geben, um so weit zu kommen wie ihre Nachbarn, die dritte ist in steter Eile und Bewegung, aber da sie kein Nachdenken damit verbindet, so bleibt der Nutzen ihres Bestrebens, weit hinter dem Fortgange der übrigen zurück; im Ganzen aber ist vieles geschehen, und da wieder vier Familien neuer Ansiedler angelangt sind, so wird der Wetteifer vermehrt, und die freudige Aussicht auf die Stiftung einer Stadt vergrößert sich. Aber ich habe auch bemerkt, daß Handwerksleute und ihre Frauen, welche mit den ersten Colonisten anlangten, sich schon als Altbürger ansehen, und die neu angekommenen mit stattlichem Wesen auf den Platz führten, welcher für das Rathhaus, die Kirche und Schule [179] bestimmt ist. Wattines und Emilie waren anfangs sehr beängstigt, es möchten französische Emigrirte dabey seyn, und scheinen sehr zufrieden, nichts als Teutsche und Holländer um sich zu sehen, indem sie sagten: daß ihre Landsleute eine besondre Anhänglichkeit von ihnen fordern würden, und alles nach ihrer Sitte haben wollten, und auch sie beyde durch Landessprache und Erzählungen, immer zu den Bildern und Erinnerungen ihres Jammers zurück führen würden. Mir war die Beobachtung sehr viel werth, welche ich über die neuen Ankömmlinge und die schon länger hier wohnenden Colonisten machte. Die ersten waren froh, durch erfahrne Leute mit der Landschaft und ihrem Anbaue bekannt zu werden, die zweyten genossen das Vergnügen der Eigenliebe, den andern eine Anweisung zu geben, mehr Menschen zu sehen, und wieder von andern Gegenden sprechen zu hören. Characterzüge, welche sich bey allen in etwas [180] eivilisirten Nationen finden. Vandek und Scriba erhielten auch Briefe, in welchen die Nachricht einer sehr wichtigen Naturerscheinung Wattines und mich äußerst beunruhigte. Es war die Beschreibung von dem Erdbeben, welches einen Theil des Felsen loßriß, der den Wasserfall des Niagara bildet, wovon die Umstände sehr beängstigend sind, indem, wenn noch eine solche Erschütterung kommen sollte, und noch ein Stück von 15 Klaftern völlig einstürzte, so wird sich der See Erie mit solcher Gewalt in den See Ontario ergießen, daß nicht nur alle niedre Gegenden seiner Ufer, sondern auch der größte Theil von Ober- und Unter-Canada an dem Lorenzo-Fluß überschwemmt würden, und also den Untergang der schönsten Landschaft mit so vielen Dörfern und Wohnsitzen guter Familien auf mehr als 40 Meilen hervorbringen würde. Bey diesem Theile der Unterredung zwischen Wattines und mir, da auf einer Ecke des [181] Tisches die Landeharte vor uns lag, und Emilie auf der andern Seite mit ihrer Autonette auf dem Schooße ihr Suppe gab, und Carmil neben ihr auch welche aß, zeigte sich ein schöner Theil von Emiliens Seele, indem sie auf die Charte blickte, als wir den Umfang des Landes bezeichneten, welches mit diesem Unglücke bedrohet ist. Sie wurde außerordentlich gerührt, und der Instinkt mütterlicher Liebe wirkte zugleich in dem hohen Grade, daß sie ihre Kinder an sich drückend, in Thränen ausbrach und sagte: Ach Gott! wie viele Mütter müßten da ihre Kinder ohne Hülfe umkommen sehen! Man bemerkte dabey, daß ihre Seele schauderte und gepreßt war, aber wie schön war diese Bewegung!

Mein Freund weiß aus Herrn Ebelings Beschreibung von Amerika, daß der Landstrich des See's Erie 300 englische Fuß höher liegt, als die Gegend des Ontario, daß der Sturz des Falls durchaus steil, und 2226 Fuß [182] breit und 273 Fuß hoch ist, also unserm so prächtigen Rheinfall bey Schafhausen das Ansehen der Cascade eines Bachs geben würde, wenn man beyde in kurzer Zeit nach einander sehen könnte. Sicher ist es, daß man das Getöse von dem Fall des Niagara auf 20 englische Meilen hört. Da ich diesen Wasserfall und die herrliche Landschaft umher kenne, so war mir diese Nachricht eben so schmerzhaft, als mir die von dem Ergusse einer glühenden Lava des Vesuvs über die Elysäischen Gefilde seyn würde, wel che an seinem Fuße verbreitet liegen. Der edle kenntnißvolle Wattines öfnete seinen Bücherschrank, holte einen Band der schönen Edition von Büffons Naturgeschichte, und bat mich, sogleich mit ihm die Abhandlung über die Erdbeben zu lesen. O mein Freund! wer wie Sie, die Werke des großen verehrungswerthen Mannes las, und in seinem Geiste einzugehen wußte, nur der kann fühlen, was die Schönheit [183] und Würde seiner Schreibart, auf Wattines und mich wirkte. Je weiter wir kamen, desto höher glühten die Wangen des schätzbaren Wattines, von edlem Stolze bey den prächtigen Bildern und Ideen der edelsten, den Wundern der Schöpfung ganz angemessenen Beredsamkeit des großen Büffons. Er war unser, sagte Wattines, dieser einzige Mann, um welchen die stolzen Engländer uns beneideten. Schön war der riefe Schmerz, mit welchem Wattines aufstand und ausrief, o Büffon! und deinen Sohn mordete man auch. Der edle, das Verdienst seines Vaters fühlende Sohn, sprach noch seinen Namen aus: ich heiße Büffon! dennoch wurde er gemordet. Nun küßte Wattines mit einer Thräne seine Emilie, drückte meine Hand und ging in seinen Garten, indem er deutete, daß er allein zu bleiben wünsche. Seine Frau sah mit Thränen, ich mit Rührung und Verehrung ihm nach. Ich [184] nahm den kleinen Carmil auf meinen Schooß, und konnte, ihn an mich drückend, mich nicht enthalten laut zu sagen: liebenswürdiger Knabe! Gott lasse den Geist und das Herz deiner Eltern vereint auf dir ruhen. Emilie dankte mir sanft erröthend, und mit einem Blicke zum Himmel um die Erfüllung dieses Wunsches betend. Ich nahm den Band von Büffon wieder in die Hand, fühlte mich glücklich in einer Zeit zu leben, und eine Erziehung erhalten zu haben, welche mich fähig machte, nicht nur den großen Geist, der vor Jahrtausenden lebenden Griechen und Römer, sondern auch Englands Bacon und Newton, unsere großen Teutschen und Büffon zu kennen. Der Wasserfall des Niagara, wurde mir Quelle edler geistiger Freude; denn ich setzte mir vor, diesen Herbst und Winter Buffons Epoques de la nature hier zu lesen. Hier, wo seit der ersten Erschütterung, seit der ersten Ueberschwemmung der Erde noch [185] niemand wohnte. Hier die Geschichte der Erde und aller ihrer Geschöpfe wieder zu lesen, dünkte mich einzig und höchst interessant, da ich zugleich die Geschichte des Menschen vor mir haben werde. Mein Geschmack an Reisebeschreibungen, und selbst Reisen zu machen, wurde mir ein hohes Verdienst, als ich bedachte, daß Büffon alle möglichen Reisebeschreibungen alter und neuer Zeiten las, Vergleiche zwischen ihnen machte, und gleichsam die Mehrheit der Stimmen, für den Beweiß einer Naturbegebenheit sammelte, welche in fernen Landen, und in entfernten Zeiten beobachtet wurde. Ich konnte dieses nicht ganz allein denken, sondern drückte meine Bewunderung und Liebe für Büffon auch bey Frau Wattines mit vielem Eifer aus, und machte sie lächeln; doch sagte sie auch ernst: »ich glaube sehr gerne, daß Ihrem die Natur und schöne Kenntniß liebenden Geiste, Büffons Werke sehr schätzbar sind, uns war [186] er wohlthätiger Genius, der in der engen Hütte auf der Insel, die ganze Größe unsers Schöpfers uns zeigte; die Geschichte der Gestirne und der Erde mit ihren Bewohnern vor uns vorbey führte, und uns dadurch glückliche Tage schenkte.«

Wattines kam mit dem guten Zimmermanne zu uns zurück, weil dieser sich bey ihm wegen der Angelegenheiten der neuen Colonisten befragte: wie er ihre Wohnungen besser und auch hübscher, als die bisher gewöhnlichen erbauen könnte. Er bekam die vortrefflichste Anweisung zu allem, weil der edle Wattines mit dem Bleistifte in der Hand, seine Ideen doppelt deutlich und nützlich machte; auch ging der Mann mit einem frohen, dankerfüllten Herzen weg. Ich gab Wattines die Hand, und dankte ihm für alle Güte, welche er dem Fremdlinge bewiese. Er erwiederte den Druck meiner Hand, und sagte männlich wahr:

[187] »O mein Freund! Nutzbarkeit für andre, und Thätigkeit sind wirklich gute Genien, die jeden traurigen übelthätigen Dämon verjagen.« Emiliens holdes Gesicht glänzte für Freude, ihren angebeteten Carl wie der ruhig zu sehen. Es war mein Fragetag, aber ich hielt es in Wattines Stimmung für unschicklich, nur im mindesten davon zu reden. Er sagte aber selbst: sind heute keine Noten der Frau Vandek in Ihrer Tasche? und lächelte mich an.

Nein! antwortete ich, der Niagara hat sie weggeschwemmt.

Das soll nicht seyn, bleiben Sie den Abend bey uns und fragen; denn es gehen doch wieder Tage vorbey, ehe die große Reihe an mich kommt. Emilie war beschäftigt, Wattines nahm mich noch in den Garten, wo wir ernst schweigend bis an das Ende, bey den Alleen von großen Waldbäumen, dann wieder auf den freien Platz in der Mitte zurück [188] gingen, wo er stille stand und sagte: O wie lieb sind mir Luft und Erde! sie tragen und umfassen mich so beruhigend, und ein Blick auf die Ferne zeigt mir das schöne Ziel, wo der Lauf meines Lebens sich enden wird, wie der tägliche Lauf der Sonne. Ich stutzte in mir selbst über diesen Ton, aber ich wollte mit einstimmen und sagte: ja, so soll es, aber nur am späten Abend des längsten Tages, an welchem ein glückliches Schicksal, Sie mit Lächeln auf den zurückgelegten Weg blicken heißt, seyn.

Mit Ernst sagte Wattines: Dank mein schätzbarer Freund! aber wo sind Ihre Fragen? Weil ihm nun so viel daran gelegen zu seyn schien, so sagte ich freimüthig, ich wünsche zu wissen, welche ihrer ländlichen Arbeiten die beschwerlichste war. Meine Presse zum Sonnenblumenöhl, antwortete er, denn ich mußte die Schraube von festem Holze mit vieler Mühe und Sorgfalt schneiden, [189] dann eine dichte Holzplatte durchsägen, in die zwey Hälften die Schraube passend einarbeiten, und diese mit Drath und Nägeln verbinden. Die gemeinsame Mühe für Emilien und mich war, die Körner zu dörren, von den Schalen zu reinigen, damit das Oehl zu unserm Salate süß bliebe. Dieses alles erforderte Fleiß; aber wir hatten alle Stunden des Tages für uns, da konnten wir vieles unternehmen. Keine Besuche, keine Einladungen, kein Spiel- und Putztisch störten oder verhinderten unsere Beschäftigungen, und raubten uns unsere Zeit. Meine zweyte Erndte war reich in allem, denn wir hatten auch Gerste von welcher wir eine Art leichtes Bier kochten, und hatten daneben auch schöne, und eine Menge Erdtosseln, so daß ich sicher war, daß Emilie, mein Sohn und ich, keinen Mangel leiden würden. Also auch, sagte ich, seine Hand fassend, keine Schüssel mit Thon nöthig war. O, mein [190] Freund, was für eine Erinnerung! Sprechen Sie ja bey Emilien, in meiner Gegenwart nie von Thon und der Nation der Altanen.

Ich versicherte es ihm, und bedauerte, ihm diese unangenehme Scene zurückgerufen zu haben.

Mir ist es lieb daß ich Sie warnen konnte, meine Emilie ja nie damit zu betrüben. Die Sache schmerzte mich nur wegen ihr, da ich bey dem Versuche doch sagen konnte, die Altanes sind Menschen wie ich, vielleicht trägt die Luft des nehmlichen Landes, das ich jetzt bewohne, etwas zur Verdauung einer Speise bey, welche ich in Europa nie gekostet haben würde; doch wußte ich von meinem Großvater, welcher unter dem Marschall von Belleisle mit in Böhmen war, daß dort die armen Landleute, unter ihre Erbsen und Korn, einen Theil Baumrinden malen. [191] Ich habe auch gelesen, daß die Isländer Fischgräten dörren, stoßen, sein malen und mit ihrem Brodteig vermengen; so wie in Hungersnoth das Bergmehl oder Mondmilch gebraucht wird, welches man in den Klüften der Berge findet; dieses Bergmehl aber gewiß sehr wenig nährende Eigenschaften hat, da es nichts als feines Kalkpulver ist.

Ich war nun sehr mit mir selbst zufrieden, von der Thongeschichte gesprochen zu haben, weil ich dadurch aufs neue einen Beweiß erhielt, wie sehr schätzbar die Aufmerksamkeit auf alle, die Menschheit betreffende Gegenstände ist, und jungen Leuten nicht genug empfohlen werden kann. Ich sagte Wattines auch: ich verehre den Fleiß ihrer Jugendjahre, mit welchem Sie alles bemerkten, und segne dabey den Boden Ihrer Insel, daß er eben so fruchtbar war, als Ihr Geist.

Er dankte mir mit bescheidnem Lächeln, und setzte hinzu: die Eide der lieben Insel [192] ist in Wahrheit so fruchtbar, daß ich oft bedauerte, keine Hausthiere, seyen es Schaafe, Rindvieh, Ziegen oder Schweine, zu haben, welche die herrlichen und reichen Gras- und Kräuterarten benützen könnten, die die Natur ihren verschiedenen Gattungen bestimmte.

Denken Sie, meine Freunde, wie ich überrascht wurde, als Wattines zu mir sagte: es ist noch helle genug, um in der freien Luft noch etwas zu sehen: warten Sie einige Augenblicke auf meine Zurückkunft, dann forteilte, und mit zwey von Maisblättern geflochtenen Körben wiederkam, in welchen auf großen getrockneten Pflanzen und Baumblättern, ja selbst auf dünne abgezogene Birkenrinden, alle Kräuter, Blumen und Blüthen seiner Insel, sorgfältig getrocknet und geordnet lagen. Die Blumen alle auf großen oder kleinern Blättern, die Pflanzen auf den Rinden, besonders aber alle Grasarten oder Gramen in einer Reihe aufgeheftet [193] waren. Ich staunte sie an. Sie wundern sich, sagte er, über die vielen Exemplare des Grases. Ich wußte, daß unser Korn nur eine durch Anbau verbesserte Grasart ist, deswegen habe ich einige Halme wild erhalten, ihren Saamen in gebesserte Erde gesäet, und auch von diesen welche aufgehoben, um ihre Veredlung zu bemerken, wie Emilie, als sie hörte, daß die schönfarbigten und gefüllten Blumen, welche sie so sehr liebt, nur seit 160 Jahren in Frankreich bekannt, und in Holland so vollkommen sind, durch den Fleiß der Gärtner, die herrlichen Schattirungen und Größe erhalten haben; so wollte sie auch Wiesen-Ranunkel, kleine. Pferdnelken und andre Blümchen sich unter ihrer Pflege verschönern sehen; aber auch den kleinen Anfang bemerken. Sie trocknete also die Blümchen aller Art, und sorgte für ihre Anpflanzung.

Drey Jahrgänge davon sind aufgehoben, und zwischen Birkenplatten verwahrt.

[194] Wir hatten kein Papier, und mußten uns helfen wie wir konnten, sagte Wattines, und wahr ist es, ohne die Borkenhütte der Indier wäre uns auch dieses Mittel verborgen geblieben.

Meine Freunde können glauben, daß mir unter allen Kräutersammlungen der ganzen Erde, keine schätzbarer seyn konnte, als diese. Meine Augen waren auch bald auf die Sammlung der Pflanzen, bald auf die nett geflochtenen Körbe geheftet. Mein Herz war von Bewunderung durchdrungen, und ich sagte zu ihm, ach, wenn der Glückliche seine Güter mit eben der dankbaren Achtsamkeit für ihren Urheber behandelte, wie Sie theure Wattines, die kärglichen Geschenke ihrer armen Insel! schnell erwiederte er:

Nein, nein! Ihr Wunsch soll nie erfüllt werden, denn da würde der Reiche wie wir, zuerst nur für sich genießen, und dann das [195] übrige aufheben, und so träufelte von dem Ueberflusse niemals etwas auf den Armen. Nun bemerkte er meine Blicke auf die Körbe, faßte beyde an der Handhabe, und mit dem Ausdrucke des Zurücksehens auf eine schöne Gegend, sagte er mit gerührtem Tone: diese Körbe enthalten manche der süßesten Stunden meines Lebens auf der Insel, denn der Entwurf zu dieser Sammlung verursachte meiner Emilie viele Freude, indem sie gleich die mütterliche Berechnung machte, daß unser Carmil einst vieles Vergnügen darüber haben, Pflanzenkunde dabey lernen, vielleicht glücklicher als seine Eltern, die Werke des Linne' und die Abbildung aller Pflanzen und Blumen besitzen wird, und mehr Papier als sein guter Vater, welcher die Namen der Kräuter, welche er kannte, nur mit Bleistift auf die aus einem Buche geschnittenen Blätter bezeichnen konnte. Ich schrieb, fuhr er fort, dieses kleine Gespräch der Mutter auf ein [196] anderes ausgeschnittnes Blatt, welches ich seitdem mit Tinte copirte, das erste dabey legte, Emilie aber hinzusetzte, vielleicht wird dann Carmil einem edlen Freunde von seinen Eltern erzählen, welche diese Sammlung für ihn machten.

Die Geschichte des Korns und seiner vielen Gattungen machten Emilien unendliche Freude, besonders aber die Versicherung in unserm St. Pierre, welcher im Homer fand, daß überall Korn wachse, und der große Sänger deswegen die Erde Zeidora, Kornträgerin, nannte. Nur die Beobachtung schmerzte sie, daß weder die Süd- noch Nordamerikaner Ackerbau oder Viehzucht liebten, also diese, der natürlichen Anlage zu Güte und stiller Arbeitsamkeit, so günstige Beschäftigung mit dem Pfluge und dem Gartenspaten, noch lange nicht kennen, und von gesellschaftlichen Verbindungen entfernt bleiben würden. Wie sehr wünschte sie, nach dem Auszuge des [197] St. Pierre aus dem Linne, alle die Kräuter zu kennen, welche nach der genauen Beobachtung und Kenntniß des großen Mannes den verschiedenen Hausthieren von der Natur angewiesen und bekannt gemacht sind; denn wahrlich, Naturtrieb ist gegebne Kenntniß. DieKühe haben 286 Kräuter, welche sie besonders lieben, 184 aber nur bey dem größten Mangel und Hunger abweiden: die Schaafe fressen eifrig 417 Arten, und meiden 110; die Ziegen finden Geschmack an 458 Gattungen von Pflanzen und Blättern, verwerfen nur 74; das Pferd zieht 278 allen andern vor, und läßt 207 unberührt; die Schweine suchen begierig 107 und versagen 190.

Die gute Emilie segnete und verehrte den Linne innigst, wegen dieser Aufmerksamkeit auf die nützlichen Hausthiere, und behauptete dabey: er würde nicht so gut gewesen seyn, wenn er nicht die Pflanzen vorzüglich [198] geliebt hätte; weil die stille Schönheit und Verdienste dieser Geschöpfe, das Herz auch mit sanften, wohlwollenden Gesinnungen erfülle. Aber wie sehr dankte sie dem Himmel, für die herrliche Gabe, welche er den Menschen schenkte, Gemüs und Blumen zu veredeln und zu vermehren; mit wie viel Freude war ihr Staunen verbunden, als sie lernte, daß die Sorgfalt der Gärtner, aus der erst einzelnen Art Lattich und Cichorien, welche nicht sehr wohlschmeckend, und etwas herbe waren, jetzo mehr als funfzig sehr nahrhafte und angenehme Gattungen ziehen. Bey dem Artikel der Naturgeschichte der Thiere, wunderte sie sich, daß nur 300 Gattungen vierfüßige und 1500 Vögel gezählt werden, und daß unter diesen die Menschen nur ungefähr 20 auswählten; aber diese so vermehrten und verbesserten, daß sie dadurch einen größern Theil Glück auf der Erde verbreiteten, als die übrige Menge beyder Thierarten [199] geben. Wie glücklich, wie unendlich glücklich war ich in meinem Elende, daß Emilie, die junge blühende Emilie, Gott, mich und die Natur so innig liebte. Und was für ein gesegnetes Geschenk der Gottheit war unser Carmil, dessen Daseyn und Liebenswürdigkeit das ganze Herz seiner Mutter erfüllte, und sie in der Uebung der Pflichten ihres Erdenlebens glücklich machte: Kinder zu erziehen, wie ich dem ursprünglichen Beruf folgte, das Feld zu bauen und damit Mutter und Kind zu ernähren. Carmil war aber noch mehr als Kind für uns, er war Gesellschafter, und gab uns das Vergnügen eines süßen Wechsels, zwischen Arbeit, Büchern und uns selbst zu kosten; denn ach! der Herbst kam, aber keine Fischer mit ihm, auf welche wir doch beyde, nach gegenseitigem Geständnisse, in dem Innern unserer Seele, den ganzen Sommer hofften. Wir suchten also nur unsern Vorrath gut zu ordnen. Unsere [200] Hühner hatten uns sehr glücklich gemacht, indem wir 20 Küchelchen bekamen, welche wir für den Winter, und zu jüngern Nachzucht aufbewahrten. Emilie erinnerte sich, daß in ihrem väterlichen Hause öfters schon gebratenes Geflügel, in Töpfen, mit zerlassenem Fette übergossen, sich lange eßbar erhielt, und versuchte es mit unsern wilden Endten, mit dem aus mehrern von ihnen ausgekochten Fett, so wie wir auch welche räucherten. – Was Emilie am meisten wünschte und betrieb, war die Zubereitung von unserm Flachs. In den letzten schönen Tagen aber führte sie mich auch auf Stellen der Insel, auf welchen Moos und langes Strickgras war, wovon sie auch eine Aernte zu machen wünschte. Ich mähte also Gras, sie raufte Moos, und Carmil lag auf einer ausgebreiteten Decke nahe bey uns; als wir genug hatten, und beydes trocken war, trugen wir es auf unserer kleinen Tragbare aufgebunden, [201] unsern Carmil oben liegend, nach der Hütte, wo Emilie mir dann ihre geheime Absicht eröfnete, welche darin bestand, unsere Bettmatratzen aufzutrennen, die Wolle auszunehmen, und sie dagegen mit dem Strickgrase in der Mitte, unten und oben mit Moos zu füllen, um die Wolle den Herbst und Winter über zu spinnen, wovon sie dann einen höhern Nutzen zu ziehen hoffte, als auf der Wolle zu schlafen, weil im Sommer das Moos kühl und eben so weich sey, im Winter aber eine unserer wollenen Decken darüber gelegt, uns warm halten würde. Carmil schlief in seinem mit Moos belegten Schifchen, wie in einer Wiege zwischen unsern beyden Schlafstellen, und Emilie bestimmte ihm eine, mit den Federn unserer gefangenen Endten gefüllte Decke, welche sie aus einem ihrer Kleider verfertigte. Ich nahm sehr gerne Antheil an allen Arbeiten, welche sie ersann, besonders weil sie einst [202] sagte, daß sie Gott danke, daß ich täglich Arbeit hätte, meinen eifrigen und thätigen Geist zu zersirenen und zu beschäftigen. Ich bemerkte aber auch sehr wohl, daß Nachsinnen und Arbeit auch sehr gut für Emilie war, und freuete mich, wenn sie auf neue Gedanken und Erfindungen kam; denn ihre Stille und Tiefsinn, kurz nach der Zurückkunft auf unsere Insel, waren mir sehr schmerzlich, und ihre anhaltenden Besuche mit Carmil bey den Urnen unserer Eltern, machten mir Kummer, Mich däuchte immer, sie gehe hin ihre Klagen über ihr Schicksal zu ergießen, und ich konnte sie dort nicht belauschen, wie ich bekenne, es zu thun wünschte; denn diese Vermuthungen durchwühlten mein Herz. Bald aber stellte sie diese mich quälenden Wallfahrten ein, ohne daß ich mir nur das mindeste verlauten lassen, und trug nun den Liebling ihrer Seele öfter auf den Platz, an dem Ufer des See's, welchen wir, wie [203] Sie wissen, Belvedere nannten. Einen der schönsten Abende, welcher mir auf immer unvergeblich bleiben wird, glaubte sie mich ohne Zweifel länger bey meiner Arbeit mit den Obstbäumen beschäftigt, welche, wie sie wußte, meine Lieblingsarbeit war, und ging mit Carmil auf dem Arme nach dem Moosgrunde, an der Spitze der Insel. Ich sah sie von ferne, und folgte ihr wie ein von Eifersucht über einen Liebhaber gequälter Mann thun könnte, auf einem andern Wege in die nahen dichten Gebüsche. Sie setzte sich, gab dem Kleinen die Brust, an welcher er einschlief. Emilie raffte mit der rechten Hand so viel Moos zusammen, als sie erreichen konnte, breitete ihr Halstuch darüber, und legte voll Sorgfalt das Kind darauf, bewegte sich lange nicht, und beobachtete zärtlich ob es fortschlafe. Leise stand sie auf, ging einige Schritte näher zum Ufer, blickte, ich sah es, mit einem Ausdruck voll tiefer [204] Gefühle auf das Wasser und die Bäume umumher, dann auf unser Kind und nach dem Himmel, kniete sich vor Carmil, faltete ihre erhobenen Hände und sagte:

Ewiger, Allmächtiger! dein Himmel fließt über alle Geschöpfe deiner Erde, auch über uns, du siehst uns, wie alles. O erhalte und stärke das Leben des guten Vaters dieses Unschuldigen und mich! Schütze und segne uns um dieses Kindes willen! Ihre Hände und Arme breiteten sich mit einer schnellen convulsivischen Bewegung über den Kleinen hin, ihre Blicke sanken voll Mutterliebe auf ihn, und Thränen erstickten ihre Stimme: sie trocknete sie ab, und hauchte in ihre Hände, wie man gewöhnlich thut, wenn die Spuren des Weinens verwischt werden sollen. Ich war von tausend Gefühlen durchdrungen, traute mir kaum zu athmen, denn ich wollte nicht, daß sie nur im mindesten vermuthe, von mir gesehen und [205] gehört zu seyn. Emilie war mir heilig, dreymal heilig, weil nicht eine Sylbe von Klage über ihr Schicksal mit ihrer Bitte für Carmil und mich vereinigt war. Nur Verehrung Gottes, und Liebe für Vater und Kind. O, wie schien Emilie mir so glücklich, daß sie so beten konnte! Still, tief in meiner Seele sagte ich, Ewiger! erhöre sie, und gieb mir einen Theil ihrer Tugend! Emilie nahm unsern kleinen Engel sanft von dem Moos, und eilte nach Hause. – Ich kam ruhiger und glücklicher zurück in die Hütte, als ich nie war, weil nun meine Sorge wegen Emiliens geheimen Leiden und Klagen ganz gehoben war; dieses innern Schmerzes befreit, erleichterte mein Herz von einer quälenden Last. Ich kam Emilien noch entgegen, nahm unsern erwachten Sohn in meine Arme, trug ihn zur Hütte, und sah seine englische Mutter durch meine Heiterkeit vergnügt.

Bald näherte sich der amerikanische Winter, [206] mit den starken Regen, da machten wir Pläne zu Winterarbeit und Lesen. Carmil wurde ein wichtiger Beweggrund, die Geschichte des Menschen mit aller Aufmerksamkeit vorzunehmen, und den Vorsatz zu fassen, die Bemerkungen des edlen Büffons und der Encyclopädie bey unserm Carmil Schritt vor Schritt nach dem Gange der Natur zu berichtigen, und bey der Erziehung des Knabens zu befolgen. Diese Verwendung unserer Bücher und unserer Tage, machte uns doppelt glücklich, indem wir auch wahre Achtung für uns selbst bekamen, und den Himmel mit dem Zeugnisse unserer Herzen anblicken konnten, daß wir getreu und geduldig alle Pflichten erfüllten, welche der Schöpfer den ersten Eltern, in Sorge für Kinder und Anbau der Erde aufgelegt hatte. Wir fanden uns auch unendlich glücklicher, als Adam und Eva nicht waren, weil sie nur wußten, daß sie eine unzählbare Nachkommenschaft [207] haben würden, wir aber in unserer Moral, Natur- und Kunstgeschichte sehen konnten, was diese Millionen und Milliarden von ihren Enkeln durch Jahrtausende hin, mit sich, ihren Fähigkeiten und allen übrigen Geschöpfen der Welt gemacht hatten. Wie reich, wie unterhaltend wurden unsere leeren Wintertage und die Einsamkeit. Was für ein Vergleichpunkt in dem Menschenleben und der Kunstgeschichte, wurde mir die Borkenhütte in dem Dorfe der Oneidas, und die Erinnerung von Versailles. Alles, alles innere und äußerliche physische, im Bau, in der Bestimmung und in den Bedürfnissen so ähnlich, wie verschieden aber die Verwendung körperlicher Fähigkeit, durch die verschiedenen Anstalten des Wesens, welches in den Menschen wohnt und sie belebt. Emilie bemerkte den schnellen Wachsthum unsers Carmils, natürlich dachte sie an Bedürfniß seiner Kleidung, und kam auf den glücklichen [208] Einfall, ihm von unserm Flachsgarne Rockchen zu stricken: mich lehrte sie von der Wolle unserer Matratzen grobes wollenes Garn spinnen, und da sie sich dunkel erinnerte, ihre Amme bey dem Zwirnen der Faden beobachtet zu haben, machte sie auch einen Versuch damit, der vortrefflich gelang; und von diesem warmen Garne bekam Carmil auch ein Wämschen, welches mir Lust gab, eine Weste für mich zu stricken. Sie wissen daß ich Eisendrath von mehrerer Gattung zu Vogelbauern mit auf die Insel brachte, und dann schon im ersten Jahre noch Stricknadeln für Emilien machte, nun verfertigte ich welche von größerer und dickerer Art für mich, und brachte wirklich eine Weste zu Stande, welche mir meine zwey tuchenen Kleider schonen half, so daß ich recht hatte zu behaupten, daß Phantasie, welcher man meist nur die Ideen der Verschönerung zuschreibt, bey mir die Grundlage [209] einer wahren Wohlthat wurde; denn nach strengem und gerechtem Urtheile der Vernunft, war der Ankauf von so vielem Drathe zu Vogelbauer nach den Umständen in welchen ich Philadelphia verließ, eine wahre tadelhafte Phantasie, aber durch den Gebrauch welchen das Bedürfniß einer Presse, Strick-und Webnadeln mich davon machen lehrte, erhielt diese Phantasie den Werth der Weißheit; wurde also mehr als der Zufall, welcher oft Gutes findet, und Nützliches schafft.

Ich lächelte hier ein wenig, Wattines sagte munter: ich bin sicher, ernster Teutscher! daß Sie in diesem Augenblicke an die französische National-Eigenliebe dachten, welche immer das, was sie vornimmt, mit einem erhöhten Glanze umgiebt. Diese Aeußerung war mir auffallend und unerwartet, und setzte mich in Verlegenheit, denn wahrlich, ich würde bey Wattines niemals an die berüchtigte französische Eitelkeit gedacht haben, [210] weil er es gewiß nicht verdient, und mein Herz ihn und seine Frau mit Verehrung betrachtet und denkt; auch versicherte ich ihn, daß ich, weit entfernt ihn so zu beurtheilen, selbst für das seiner Nation zugeschriebene leichte Denken, eine wahre Hochachtung hege, und wenn alle seine Landsleute das edle Geschenk des schnellen Laufs ihrer Lebensgeister so schön verwendeten wie er und seine Emilie, so achtete ich es für das höchste Glück dieser Erde.

Machen Sie keine Entschuldigung, mein Freund, da Sie wirklich durch dieses rasche Wogen unserer Gedanken, sich beleidigt halten können.

Ja, dachte ich, denn gewiß lag, unter der Hülle des Ausdrucks: ernster Teutscher! ein versteckter Sinn, welcher auf das gelindeste, schwerfälliger Teutscher, sagen wollte. Ich vermied aber die fernere Erklärung, und sagte: er könne mir alles ersetzen, wenn er [211] den noch übrigen Raum des Abends mit seiner Geschichte ausfüllte, und mir fürs erste sogleich sagte, was er mit einer Webenadel andeuten wollte? Gefällig, wie der gute und wohlerzogne Franzmann es immer ist, sagte er sogleich, sehr gerne.

Emilie beobachtete, daß meine gestrickte Weste sich zu sehr in die Länge zog, und machte mich erst eine lange Nadel verfertigen, mit welcher sie meine Weste mit Faden von einem Moose durchzog, also die Maschen am Ausdehnen hinderte, nachdem aber leinene Fäden von der Länge eines Mannsreckes an zwey Stäben aufspannte, diese aber vermittelst einer halben Elle langen Nadel von meinem Drath, welche ich unten rund spitzte, oben glühend machte und dann platt klopfte, dann mit einem spitzen Nagel in das platte Theil ein Oehr schlug, worin sie Garn faßte, und mit einer erstaunenden Sorgfalt und Fleiß, mit dieser Nadel durch [212] die aufgespannten Faden, einen andern quer durchzog, indem sie einen der langen Faden auf die Nadel hob, den andern liegen ließ, bis sie am Ende der Breite war, dann bey dem Umwenden den obern niederbog und den liegenden ausfaßte, und dadurch in Wahrheit eine Art recht guter grober Weberey hervorbrachte, wodurch ich, als die Stücken zusammen genäht waren, eine Art kurzen Schlafrock erhielt, der mich in der Arbeit nicht hinderte, aber doch in den noch kühlen Tagen des Frühjahrs, auf dem Felde wärmte und gegen Erkältung sicherte. Meine holde Emilie hatte unaussprechliche Freude, mich durch diese Erfindung noch auf einige Zeit gegen Kleidermangel gesichert zu sehen, sie strickte auch Hemden für Carmil, um nichts von unserm Weißzeug zu verschneiden; aber aus mütterlicher Sorgfalt machte sie es so, daß die gewöhnliche Aussenseite innen kam, weil die Maschen der [213] verkehrten Seite etwas rauhes haben. Wie freundlich lächelte Emilie auf unsere Flachsblüthe, weil sie uns durch Wämschen, welche sie schon in Zukunft, auch für sie und mich stricken wollte, mehr Wechsel der Wäsche, also auch mehr Reinlichkeit versicherte. Sie sehen, setzte er hinzu, daß wir ihn ganz kosteten den süßen Reichthum der Armuth und der Kunst Hülfsmittel bey Arbeit, und Beweggründe der Heiterkeit in uns selbst zu finden; doch waren wir aufrichtig genug zu bekennen, daß wir ohne Arbeit und ohne Bücher, selbst bey dem erfüllten Wunsche der Liebenden, die so gerne allein sind, doch sehr unglücklich seyn würden; ja wir fanden, daß der venetianische Gesandte sehr richtig urtheilte, als er seinen Freund von einer heftigen Leidenschaft heilen wollte, das artigste Lusthaus für ihn miethete, wo er ohne alle andre Gesellschaft als seine Geliebte, ohne Bücher und Beschäftigung nicht Tage[214] leben sollte; die zwey zärtlichen Müßiggänger, anfangs über den Vorschlag entzückt, sehr glücklich abreißten, aber ehe die Woche um war, sich unerträglich fanden, und in den Wirbel der Welt zurück eilten. Unsere Bedürfnisse erweckten die Fähigkeiten des Erfindens, dieses und die Bereicherung unseres Geistes wurden alles für uns: wie groß und schön war darüber ein Gedanke meiner Emilie, als sie einst auf der Grasbank in meiner Ruhestunde neben mir sitzend sagte:

Lieber Carl! wir sind hier wirklich in den Armen der reinen einfachen Natur, von niemand gesehen, als von unserm Urheber. Wir wollen die physischen Wunder und Güter seiner Erde ganz kennen lernen, und ihm in unsern Herzen das schönste und beste zeigen, was die moralische Welt für sein göttliches Auge haben kann.

Gewiß sagt meine theure schätzbare Verwandtin,[215] daß dieser Abend mir unendlich werth seyn mußte, gewiß würde sie gerne Antheil daran genommen haben; denn die Unterhaltung bey unserem angenehmen, aber mäßigen Nachtessen, war wie sanfter Nachhall einer schönen deutlichen Stimme, welche beym Niedergange der Sonne, in einem einsamen aber reitzenden Thale, bey Felsen, oder einem verlassenen Gebäude, das Echo ruft, und sich bey ihm theurer abwesender Freunde erinnert; denn der Geist und die Tugend der Wattines ruften mir Gespräche und Gesinnungen meiner liebsten Freunde in Teutschland zurück, welche auch bey dem kleinen ländlichen Mahle, welches Ihre erst so beschränkten Einkünfte Ihnen vorschrieben, statt Ueberfluß der Speisen, Reichthum und Heiterkeit der Seele mittheilten.


[216] Ein kleiner Zufall, welcher Wattines bey dem Springen über einen Graben begegnete, und ihn einige Tage von seinen Feldern entfernt zu Hause hielt, verschaffte mir einen schnellern Fortgang seiner Geschichte, welche in Rückerinnerungen des zweyten Winters und dritten Frühjahrs bestanden, und mir höchst schätzbar waren; denn da ich die Insel und die Hütte kenne, in welcher die lieben Einsiedler vier Jahre hinbrachten, so mußte mir der Ausruf sehr angenehm seyn, mit welchem Wattines auf meine Bitte, den vor ein paar Tagen abgebrochnen Faden der Erzählung wieder ausfaßte, da er mich fragte, wo habe ich Sie denn gelassen, mein Freund! und ich antwortete: bey dem Bilde Ihres zweiten Winters in Oneida.

O, sie waren schön, diese Wintermonate, durch den Gebrauch unsers Lebens und unserer Kräfte: sie flohen schnell, die trüben [217] Tage, und innig fühlten wir die Wiederkehr des Frühlings; so wie ich mit erneutem Eifer auf meinen Feldern und an Verschönerung jeder Stelle arbeitete, welche Emilie vorzüglich liebte. Pflanzen, Vögel, Insecten, alles hatte einen erhöhten Werth in unsern Augen, da wir ihren Bau ihren Nutzen, und menschlich zu reden, die vielfache Mühe kannten, welche der Schöpfer an sie verwendet hatte. Emilie glaubte zwar schon im ersten Jahre, wir schätzten die Thiere auch, weil sie eine Art von Seele zeigten, durch Leben, Bewegen, Bau der Nester und Sorge für ihre Jungen, uns daher in allem näher, als die Pflanzen, und eine Gesellschaft seyen, und nun machte sie beynahe mir und sich selbst Vorwürfe, daß wir unsern Carmil gewiß nicht rein als Kind, Frucht und Unterpfand des zärtlichsten Bundes, sondern auch als menschliches Wesen außer uns und als einen Gesellschafter liebten, [218] der unser Herz neu beschäftige, und uns neue Empfindungen gab. Ich mußte sie darüber beruhigen, denn sie glaubte sich beynahe des Kindes unwürdig zu seyn. Meine für den Knaben verdoppelte Liebe allein, gab ihr wieder Zufriedenheit. Die angenehmste Zerstreuung aber traf ich für Emilie, in Büffons Berechnung der wahrscheinlichen Länge des Lebens, indem wir beyde die sichere Hoffnung darin sahen, unsern Sohn aufwachsen zu sehen, und noch so viele Jahre ungetrennt zu leben, also gewiß wieder Europäer zu sehen. Unsere arme Nahrung wurde uns nun doppelt lieb, weil sie durch ihre Simplicität, die Reinheit unserer Säfte und unsers Blutes versicherte, welche so viel zu einem verlängerten Leben beytragen; also Carmil auch Kräfte und mehrere Jahre zu erwarten habe, weil die Milch seiner Mutter, ihm diese Grundlage schenkte.

Ich hatte meine im Freien gezognen Blumen [219] bedeckt, andre ausgehoben und in der Hütte überwintert, war auch so glücklich, keine zu verlieren, und verwendete jede Stunde der ersten schönen Frühlingstage zu Ausführung eines im Winter für mich gemachten Plans, einen schönen lichten Theil unsers Wäldchens mit den besten Blumen zu schmücken, einen dreieckigten Altar von Muscheln, mit Emiliens Namen zu errichten, und zu sorgen, daß alles auf Carmils Geburtstag in voller Ordnung und Flor seyn möge. Ich trug Erde zu der kleinen mit Blumen bepflanzten Erhöhung, an deren Fuß ich den Altar zwischen schönen ihn zur Hälfte beschattenden Stränchen stellen wollte; ich rettete fünf Bäume aus, weil sie der Ordnung im Wege standen, welche ich zu der Form meines Naturtempels nöthig hatte, Emilie sollte vor dem bestimmten Tage nichts wissen, nichts sehen. Den noch im verstoßnen Jahre geordneten und verzierten [220] Pfad längst dem See, und die Sitze bey den Pappeln, und der schöne Graßteppich, mit welchem ich unsern Abreise- und Landungsplatz bedeckte, kannte sie, und waren ihr als Denkmähler ihrer mütterlichen Liebe sehr angenehm; aber der doppelte Weg zu meiner neuen Anlage blieb ihr verborgen, weil sie glücklicher Weise während meiner Arbeit sehr mit Carmil beschäftigt wurde, indem dieser Zähne bekam, und daneben gehen lernte. In der Hälfte des Junys konnte er schon Papa und Mama stammeln, worüber wir eine doppelt süße Freude genossen. Ich hatte doch auch das Feld für Buchweizen besorgt, und da ich wußte, daß Abänderung der Saamen, die nehmlichen Aecker in gutem Ertrage erhält, so hatte ich die Stelle, welche erst Kohl trug, für unsern Mais umgegraben und besorgt, die Sonnenblumen rückten näher zum Endtenfang, die Erdtoffeln zu unserer Hütte, und [221] auf die wärmsten Stellen gegen Mittag kam etwas Tobak, weil Emilie die Blüthen davon so gerne sieht, auch begierig war die Saamenkörner zu zählen, mich aber auch wirklich plagte, einen Versuch zu Verfertigung einer kleinen Wage zu machen, damit sie sehen könne, ob es ganz wahr sey, daß 1012 Tobak-Saamen-Körner, nur ein Gerstenkorn schwer seyen; ich wünschte mir den Geruch der Blätter zurück, und war fleißig bey dem kleinen Felde. Unsere reiche Hühnerzucht machte uns glücklich, und der gute Wach sthum unserer Jerseyer Fuchstrauben beynahe noch mehr; indem Emilie die noch zarten Ranken in kleine Stücken schnitt und mit den grünen Beeren in dem von Honigwein verfertigten Essig verkochte, wodurch dieser mehr Schärfe bekam, welches für uns einen unendlichen Werth hatte, weil unser Salzvorrath sehr geschont werden mußte. Wir und der gute Quäker hatten auf die [222] jährliche Ankunft der Fischer gerechnet, welche uns frischen Proviant und also auch neues Salz mitbringen sollten, aber da sie auch das zweyte Jahr wegzubleiben schienen, dankten wir dem Himmel, den auf einen Knecht oder Magd gerechneten Scheffel oder 80 Pfund, nebst mehr als 40 Pfund der für uns gezählten 2. Scheffel erübrigt zu haben; denn die kleine Probe, aus Holz- und wilder Sauerampfer-Asche, durch Ablangen eine Art Salz zu ziehen, mißlang schon an sich selbst, auch fand Emilie den Geschmack davon unangenehm. Sie wissen, daß unser französisches Brod ganz süß ist, unser schottisches war es auch. Unsern Carmil wollten wir gar nicht mit dem Salze bekannt machen, sondern ihn wie unsere ersten Landsleute, die alten Gallier, und wie Plinius von den ersten drey Jahrhunderten der Römer erzählt, mit Brei von unsern Feldfrüchten ernähren, wozu Emilie etwas Honig mischte.

[223]

So lebten wir in immer regem Fleiße vergnügt unsre Tage hin, bis ein Zufall durch die Hand meines mich verfolgenden Verhängnisses, aufs neue etwas Wermuth in die Schaale meiner süßesten Hoffnung goß Die zweyte Hälfte des May's war äußerst schön, alles stand in herrlichem Wuchse, Carmil war gesund, stark, blühend, wie unsere jungen Bäume, lief auch im Juny schon mir mit seiner angebeteten Mutter entgegen, aber den Tag, an welchem ich ihn zu dem Altare seiner Mutter tragen, und wie in dem Tempel der Tugend segnen und einweihen wollte, in der Stunde wo ich hin ging, meine heimlich gezognen und gepflückten Blumen um den Altar und die Bäume zu streuen, einen schön geflochtnen Kranz auf ihn zu legen, welchen ich mit Emilien vereint unserm Lieblinge aussetzen, und ihn mit einem zahm gemachten Vogel, in einem mit hundert kleinen Blümchen umgebnen feinen Drathkäsich beschenken wollte, – in[224] dieser Zeit, wo mein Herz voll Wonne alles dieses veranstaltete, hatte ihn seine Mutter zu den Urnen, zu dem Andenken alles unsers Jammers getragen, hatte mir nichts von diesem Vorhaben gesagt. Ich kam hüpfend zur Hütte, um sie und unsern Sohn zu holen, fand sie nicht, rufte und suchte sie vergebens bey dem Belvedere, als mir die unseligen Urnen in das Gedächtniß kamen. Ich wollte sie nicht stören, aber alle meine Freude war dahin, und die Empfindungen, wel che Emilie bey den Denkmählern der gemordeten Verwandten sammelte, machten auch sie der Freude unfähig. Ich ging lange Zeit traurig halb außer mir, von Emiliens Bank zu der Hütte, und von der Hütte zu der Bank hin und wieder, immer mich umsehend, endlich kam sie langsam, ihren Kopf auf Carmil gebogen, zwischen den Bäumen hervor, blickte eifrig um sich her, und als sie mich an ihrer Bank stehen sah, verdoppelte sie ihre Schritte, [225] staunte aber etwas zurück, als sie mich, wie auf den Boden angewurzelt fand. Ich, der sonst ihr entgegen eilte, mit meinen Blicken schon sie umarmte, stand mit zu der Erde geheftetem Auge da, und erhob nur eine Hand matt gegen sie, die ihre roth geweinten Augen in einer Beugung gegen das Kind verbergen wollte.

Der Kleine rief: Papa, und reichte mit seinen Aermchen nach mir hin: dieß lößte mein Starren, und zugleich meine Thränen, ich eilte nach meinem Sohne, faßte ihn, drückte ihn hastig an meine Brust. Emilie sah mit dem höchsten Schmerz auf mich, hieng sich an meinen Arm, und schluchzend sagte sie:

Carl! o Carl! was ist in deiner Seele? und dieß auf den Geburtstag unsers Carmils, ich antwortete mit zitternder Stimme: ach Emilie! ich wollte ihn auch feiern, den lieben Tag, aber nicht mit Thränen des innersten [226] Jammers, indem ich traurig auf sie hinblickte. O, rief sie aus, giebt es andre Thränen auf dieser Stelle?

Diese Frage schmerzte mich tief, und ich erwiederte mit gedämpftem Tone: ich hoffte es, aber nun ist alles entflohn.

Emilie schwieg einige Augenblicke, sah um sich, und dann auf mich, wobey sie eine meiner Hände faßte, und ängstlich sagte: Carl, eine Freude dir entflohn? durch mich? O verzeih mir! Nun war ich gerührt und sagte: theure Emilie! ich hatte Unrecht dich zu verlassen, dir nicht gleich zu sagen: komm mit mir! nimm für dich, nimm für Carmil, was ich hier geben kann; aber wo soll jetzt ein Gefühl der Freude herkommen, da du deine Seele bey den Urnen mit tiefem, bitterem Kummer erfülltest? Sie schwieg wieder einige Zeit still weinend, und sagte dann ernst, ob schon sehr sanft:

[227] Carl! ich habe dort für unsern Sohn gebetet, und unsere Mütter angerufen, für ihn und uns vor Gottes Throne zu beten, und brachte ihn dann zu dir zurück. Soll da keine Ursache zum Vergnügen seyn?

Ich fürchte es Emilie! aber ich habe ein kleines Geschenk füx Carmil aufgestellt, das wollen wir holen, und schweigend ging ich mit meinem Sohne im Arme voran, gegen den kleinen Hayn.

Sie können nicht glauben, meine Freunde, wie traurig mich bey diesem Theile der Erzählung der Gedanke machte, daß selbst unter den besten edelsten Menschen, bey sehr geringen Anlässen Mißverständnisse erscheinen, welche die schönsten Tage verderben. – Wattines fuhr fort: Sie wissen, daß man bey Emiliens Ruhebank vorbey, den gebognen Weg zwischen den Gesträuchen nach Elysium gehen muß, wie wir von dem Tage an diesen [228] kleinen Theil des Waldes genannt haben. Emilie folgte mir nachdenkend mit langsamen Schritten: ich hielt auch ein mit meinem raschen Gange, kehrte mich am Ende des Ganges gegen Emilie, stellte Carmil auf die Erde und sagte, geh, und hole Mama. Sie staunte auf die mit einem Blumengewinde zu einem Bogen verbundenen Aeste von zwey prächtigen Accarien hin, sah dann mit Blicken voll Liebe und Thränen nach mir, unsern Sohn an der linken Hand haltend, und mit der rechten nach mir hinreichend, sagte sie mit dem zärtlichsten Tone: Carl! mein Carl! hole du mich.

Ich umfaßte sie, und sagte äußerst gerührt: komm meine Emilie! komm! mit Liebe und Zufriedenheit, zu einem Platze, welchen dein Name zu meinem Elysium machte; und so leitete ich sie unter dem schattenden Bogen zu dem Anblicke des Ganzen, woran mein Herz von den ersten Frühlingstagen her [229] gearbeitet hatte. Emilie schien entzückt, ich setzte unsern Carmil auf dem Altar, und stellte den Käsich mit dem abgerichteten Vogel neben ihn, welcher alles, was man ihm darreichte, mit artigem Flattern, aus den Fingern wegpickte. Carmil jauchte laut, seine Mutter fiel auf ihre Knie und sagte, ihre Hände an dem Altare erhebend: o Gott! Segne den Vater meines Sohnes! ich bog mich zu ihr, um sie aufzuheben, indem ich hinzu setzte: ja Ewiger! Segne seine Mutter und ihn! Emilie stand auf, ich umfaßte sie und unserm Carmil an ihrem Altare. Wir küßten und segneten vereint unsern geliebten Erstling, und von dort an war ich immer glücklich, denn nun entstand kein Mißverständniß mehr, weil wir beyde bey ruhigem Denken gerecht und edel erkannten, daß unser Unglück, unsere Einsamkeit, und der innere in uns nagende Kummer, die angeborne und durch sanfte [230] Erziehung genährte Fühlbarkeit zu reitzbar gemacht habe, und wir uns vorsetzten dagegen zu arbeiten, um nicht das Schmerzbare unsers Schicksals, durch uns selbst zu vergrößern. Emilie machte nicht nur weniger Wallfarthen zu den Urnen, sondern besuchte mit Carmil und mir vereint den Blumenhayn, welchen ich immer in möglichster Schönheit zu erhalten suchte. Emilie äußerte einst den tief traurigen Gedanken, wir hätten recht, diesen reitzenden Theil unserer Insel Elysium zu nennen, indem wir ja, wie in dem Schattenreiche der Griechen lebten, well uns hier nichts als Erinnerungen umgeben, welche in Wahrheit nichts als Schattenbilder der vorüber gegangenen wirklichen Begebenheiten seyen.

Ich faßte diesen artigen, aber im Grunde sehr düstern Gedanken heiter und zärtlich auf, indem ich ihr umarmend sagte: Emilie! jeder Augenblick deines Lebens auf der Insel, [231] widerlegt, was du vorstelltest; denn ausübende Tugend ist gewiß in den Augen des Himmels kein Schattenbild, sondern hat ewigen Werth. Diese Antwort kam meiner guten Emilie unerwartet, denn sie schien etwas erstaunt, sagte aber, meine Hand fassend: O, mein Carl! wie viel mehr kann ich dieses von dir, deinen Sorgen und Arbeiten für Weib und Kind sagen.

Der Tag war sanft bewölkt, und die Luft ruhig, also auch diese Stunden von der Natur selbst zum Nachdenken geschickter, als der hell glänzende Sonnenschein, und ich leitete unsere Betrachtungen außer uns, da ich den Vergleich zwischen unserm einsamen Leben auf dieser Insel und den mehreren tausend Menschen machte, welche in Bergwerken arbeiten, von denen viele niemals, andre wenige sehr selten an das Tageslicht kommen, also die süßen Gefühle nie kennen lernten, nie genössen, die schönen mit Bäumen, Blumen, [232] Thieren aller Art, mit Früchten, Wasser und Kräutern geschmückte Erde zu sehen, welches alles uns so reichlich zu Theil wurde. Wir wollen also, theure Emilie! immer wie du, geduldig ergeben, das in Erwägung ziehen, was Gott unsern glücklichen Jugendjahren, durch Unterricht und Erziehung schenkte, und den Reichthum schätzen, welchen er an Gefühlen für Tugend Güte und Schönheit der Natur in unsere Seele legte. – Emilie nahm diese Ideen mit Vergnügen auf, und setzte hinzu, daß sie schon oft für uns selbst, und alle andre Menschen, dem Himmel in ihrer Seele, für die wohlthätige Macht der Gewohnheit dankte, welche wie ein höchst gütiges Wesen unvermerkt für das Glück unsers Lebens sorgte, jede beschwerliche Beschäftigung erleichtre, das erst Unangenehme und Widrige nach und nach gefällig mache, wie uns schottisches Brod und gerösteter Maisbrei, durch die sanfte allmählige [233] Wirksamkeit des Angewöhnens, wohlschmeckende Nahrung wurde. – Sie erinnerte sich auch von ihrer vortrefflichen Mutter, in einem aus dem Englischen übersetzten Aufsatz gelernt zu haben, daß die Gewohnheit Gutes zu denken und Gutes zu thun, unserm Geiste schon in diesem Leben, die Gefühle der Seligkeit bekannt mache, welche den Tugendhaften in der bessern Welt der vollkommnen Weisheit und des vollkommnen Glücks erwarten.

Denken Sie sich, mein Freund! sagte er, die edle, blühende, erst 22 Jahre alte Emilie, wie sie bey den letzten Worten eine meiner Hände faßte, an ihre Brust drückte, und mit ihrer seelenvollen Stimme sagte:

O wie glücklich ist es, in unserer Einsamkeit, mein Carl! nichts kann uns hindern, diese seligen Gefühle zu genießen, und jede Tugend unsers Berufs zu erfüllen; – die lebhafte Erinnerung alles dessen, woran unser [234] Auge gewöhnt war, als Blumen und Verzierung der Gärten zu sehen, hat uns alle Sorge eingeflößt, so viel möglich diese Anmuth um uns zu verbreiten. Dein mathematischer Geist, welcher an Ordnung gewöhnt alles nett auszuarbeiten, giebt unsern Korn-und Gemüs-Feldern das Ansehen der schönsten Gartenbeete. – Gewohnheit reichte mir die Hand, einsame Wege ruhig zu durchwandeln, minderte meine Furcht, ohne Nachtlampe zu schlafen, und macht die selige Uebung, alle Tage etwas Nützliches zu lesen und meine Kenntnisse zu vermehren, zum Bedürfniß meines Lebens und zum Gefühl des größten Glücks der Erde.

Nun kam Emilie zu uns, und ich sagte zu Wattines: Dank! Edler, wahrhaft glücklicher Freund! für das so schön ausgemalte Bild verdienstvoller Tage, und er erwiederte auf seine Frau deutend:

[235] Emilie, Emilie allein, war die Triebfeder des Besten von allem was geschah. – Sie hörte dieses und fragte, wovon die Rede sey? Wattines machte einen kurzen Auszug von dem, was er mir erzählte, sie lächelte und sagte: nun bleibt mir für Ihren nächsten Besuch beynahe nichts zu thun übrig, als die Probestücke unserer Kunstarbeiten und Erfindungen vorzulegen: mit dieser mir so angenehmen Aussicht auf einen der folgenden Tage, ging ich nach Hause und schrieb einige, Ihnen meine Freunde, und mir selbst versprochene, Blätter.

[236]

[1] Drittes Bändchen

Ich glaube fest, daß selbst Philosophen, ja auch Frauenzimmer, eben so begierig gewesen seyn würden, wie ich es war, die neuere Fortsetzung der Einsiedler-Geschichte unserer Wattines durch Emilie zu hören. – Mich dünkt, daß diese Erzählung dadurch das Ansehen einer denkwürdigen Medaille bekommt, welche bey einer besondern Gelegenheit geprägt wurde. Der innere Gehalt ist durchaus von gleichem Werthe, – aber beyde Seiten wurden auf verschiedene Art, in Beziehung auf die Geschichte bezeichnet. –

Wattines Arbeiter fragte mich den zweyten Abend, wann ich wieder zu seinem Herrn zu [1] kommen gedächte? es fiel mir etwas auf, aber ich vermuthete, daß Wattines, welcher nun ganz hergestellt war, eine Feldarbeit vorhabe, warum er es wissen wollte: der Mann sagte auch, des Nachmittags erwarteten sie mich bald, – das war mir lieb, weil Scriba, bey welchem ich speiste, gerne früh vom Tisch aufstand. – Ich machte mich also zu meinen Wattines, fand ihn in einer ungewöhnlichen Jacke an seinem Tische sitzend, einen Band der schönen Ausgabe des Büffons vor sich, Emilie aber eifrig beschäftigt, an etwas vor ihr hängendes zu arbeiten.

Die Loghouses sind nicht helle genug, daß jemand, welcher von der freien Luft eintritt, sogleich alles unterscheiden kann. So sah ich nach einigen Minuten erst, daß Wattines strickte, Emilie ein halb graues Wämschen trug, und Antonette in dem kleinen Schifchen lag, in welchem Carmil nach der Insel gebracht wurde, und es zu seiner Schlafstätte [2] hatte. – Beyde lächelten über mein staunendes Kucken; Wattines sprach zuerst, und sagte: kommen Sie, Freund! und sehen eine kleine Wiederholung eines unserer auf der Insel verlebten Tage: als Carmil nicht größer wie Antonette war, Emilie für mich webte, und ich bald etwas vorlas, bald fleißig strickte.

Ich kannte die einsame Hütte, in welcher sie wohnten, Wattines hatte mir die Plätze gezeigt, welche sie da einnahmen, nun waren sie mit ihrer damaligen Beschäftigung und Kleidung, selbst mit dem Stücke Leder um ihre Füße, auch in einer Holzhütte lebend vor mir. Dieser Austritt, welcher für das feine, leicht strömende französische Blut nichts als eine Theaterscene zu seyn schien, bewegte und durchdrang mein teutsches Herz auf das innerste. Trauer und Hochachtung erfüllten meine Seele, sie bemerkten es beyde dankbar, und es schien ihnen leid, ihre Rolle zu gut gespielt zu haben. – Ich dachte mitten [3] in dem Schauer, mit welchem ich ihr Leben von diesem Zeitpunkte durchblickte, und ihre Vorstellung so rührend fand:

Ach sie sind wie der Schauspieler der Alten, welcher bey einer Trauerscene, den Aschenkrug seines einzigen Sohnes umfaßte, also den Jammer eines Vaters so eindringend spielen konnte, wie diese guten Menschen die Erinnerungen ihrer Kummertage. Nachdem sagte ich, näher zu ihnen tretend: Sie haben mich, meine würdigen Freunde mit einer für Sie ehrenvollen, und für mich äußerst wehmüthigen Scene überrascht, von welcher ich den Eindruck niemals vergessen werde. – Gott erfülle die Wünsche, welche mein Herz für Sie macht. Wattines stand auf und umarmte mich, indem er sagte: daß er des Wohlwollens meines Herzens für sich und die Seinigen ganz versichert sey. – Emilie setzte mit sehr sanftem Tone, sich anmuthsvoll gegen mich beugend, hinzu:

[4] Unser Herz ist gewiß auch dankbar dafür. Nun schwiegen wir alle einige Zeit, Emilie arbeitete fort und rief mir dann zu: Wollen Sie nicht meine Weberei näher sehen?

Ich betrachtete sie nun aufmerksam, und sah zu, bis wirklich eines Fingersbreit fertig war. Wattines nahm munter sein Strickzeug, indem er sagte: ich will auch meine Kunst zeigen. Nun sprach aber Emilie, als er wegging, um noch seinen Arbeitern nachzusehen, und ich meine Hochachtung für ihren mühvollen Fleiß bezeigte: die mechanischen Künste, welche das Bedürfniß in unserer Einsamkeit uns lehrte, gingen langsam und mit wankenden Schritten voran, es war ganz an ders mit den Saamen, welchen wir der Erde anvertrauten, denn diese folgte nach ewigen Gesetzen, der Bestimmung ihrer Wirksamkeit. Thau, Sonnenblicke und Regen, finden in der Erde weniger Hindernisse, als die Versuche der Handarbeit für den ungeübten[5] Menschen. Wir hatten nur Erinnerungen, wie Träumende, keine Modelle, keine Werkzeuge, keine Helfer die Rath gaben, unsre Anstrengungen zu erleichtern, oder uns durch Beyfall zu belohnen. – Wattines sagte einmal: er sey wirklich unter der Hand des Schicksals, in der Lage der russischen Soldaten, welche man auf den Marsch zu allen Arbeiten commandirt; ein Rad des Wagens geht entzwei, da giebt der Officier dem nächsten Manne den Befehl: schaffe ein neues Rad!ich kann das nicht, sagt der arme Mann, das sollen Schläge dich lehren, ist die Antwort: nun fängt der Mensch zitternd und ungewiß die Arbeit an, denkt dabey nach, und so entwickelt sich sehr oft ein äußerst nützliches Talent unter dem Zwange der Furcht vor Schmerzen, wie bey mir, unter den Gesetzen des Mangels. – Ehe ich etwas darüber sagen konnte, faßte Emilie den von den Indianerinnen von Maisblättern geflochtenen [6] Korb, und fragte: ob ich da nicht in dem Verschlingen der Blätter viel dichtere und nettere Arbeit bemerkte, als sie bey ihrem Gewebe hervorbrächte? – Ich erwiederte: wie viele Jahre mögen die Sqwas schon daran gelernt haben; – aber wie viele Tugenden haben Sie auf Ihrer Insel geübt!

Mit Würde und Ernst antwortete sie: – ach Gott war unsere einzige Hoffnung und Stütze. Die Lehre von seiner Allgegenwart, seiner Allwissenheit, wirkten auf unsere moralischen Gefühle, welche um so schneller zu einer mehr als gewöhnlichen Höhe kamen, weil wir mehr und inniger, als andre Menschen überzeugt waren, daß wir das Wohlwollen des höchsten moralischen Wesens, nur durch moralisches Betragen erhalten konnten. Religiöse oder politische Heuchelei, durch welche man sich selbst und andre durch äußerlichen Schein verblendet, half auf unserer Insel zu nichts, alles mußte wahr seyn, wie [7] die Natur um uns und Gott über uns. Und gewiß, Wattines und ich waren von ganzer aufrichtiger Seele, was wir seyn sollten.

Nun schwieg sie, nach einem nur der allerkürzesten Blicke, wenn ich so sprechen kann, gen Himmel, und dem eben so schnellen Niedersenken ihres Auges zur Erde, einige Minuten stille, während welchen sie ihre Weberei aufwickelte, das Strickzeug des Wattines ordnete, beydes in den Oneida-Korb legte, in der Kammer verwahrte, und in der gewöhnlichen Kleidung wiederkam, heiter und sehr gefällig sagte:

Ein Gang in den Garten wird Sie nicht ermüden, und es ist nicht zu kühl, den Rest des Tagebuches zu füllen. – Ich war es zufrieden, und sie sagte mit schönem dankbarem Ausdruck der Stimme und Mienen: – der Sommer war sehr schön, bis lange nach der Reise unserer Erndte, welche sehr reich war, da [8] lasen wir am Ufer des See's die Naturgeschichte des Schwans und anderer Wasservögel. Hier fiel ich ein, da hätten Sie auch die von den Alcyonen lesen sollen, welche im höchsten Sturme ihre Schwungkraft nicht verlieren, wie Wattines und seine Gemahlin mitten im größten Unglücke, sich in Geist und Character über alles erhoben. – Die holde edle Frau staunte, lächelte, erröthend und mit dankbarer Verbeugung gegen mich, sagte sie äußerst bewegt:

Nein, die so schön angezeigte Geschichte lasen wir nicht, – aber die von Fischen und Muscheln, wodurch unser Herz eine desto größere Verehrung für den Schöpfer fühlte, Ach oft, wenn wir die Anstalten bewunderten, welche er, selbst für die Erhaltung der Würmer und Insecten gemacht hatte, gaben wir uns die Hand, blickten auf unsern, in seiner Grube, mit Steinen, Gras, Käfern und Muscheln spielenden Carmil, und sagten: [9] O, der für die Käfer und Würmer sorgte, wird unser Kind nicht vergessen.

Ich frug, was sie unter Carmils Grube verstehe, und hörte, dieses Hülfsmittel bey Kindern habe sie in dem kleinen Dorfe der Oneidas gesehen, welche um junge Kinder, die noch nicht fest gehen können, vor dem Fallen und andern Beschädigungen zu bewahren, an der Seite ihrer Hütte, oder wo die Mütter arbeiten wollten, eine runde Grube machten, welche dem Kinde bis unter die Arme reichte, innen legten sie Gras, ringsum Steine, Holzästchen, eine große Muschel mit Essen, womit sich die Kinder auf allen Seiten im Spielen unterhalten, bis die Mütter wieder für sie sorgen können. Die holde Frau führte mich zugleich auf ihren Lieblingsplatz im Garten, wo sie mir eine solche Grube zeigte, welche für Antonette bestimmt war, wenn die Mutter im Freien arbeiten wollte, und Emilie beschäftigt sich viel mit der Nadel,[10] seitdem sie auf dem festen Lande die kleine Colonisten-Familie haben, welche jede grobe Haus- und Küchengeschäfte besorgt, wie Wattines durch den Mann bey seiner Feldarbeit einen fürtrefflichen Gehülfen hat, welcher wie seine Frau und Tochter, es für Pflicht der Liebe gegen ihre gute Herrschaft, und auch als Ehre ansehen, eben so fleißig und eben so geschickt zu arbeiten als sie selbst. Manche der andern Colonisten nehmen einen Umweg nach ihren Feldern, um bey Wattines Anlagen vorbey zu kommen, und ihn arbeiten zu sehen. Sie staunen dann über seine Aemsigkeit, und schätzen ihn aufrichtig.

Ja, da sie seine Herkunft, und sein Unglück kennen, so hat der vortreffliche Anbau der Insel, und dieß, was sie auf seinen Feldern, in seinem Hause und Garten beobachten, ihren Begriffen von Vorzügen des Adels, die schönste Wendung gegeben; indem sie nun überzeugt sind, daß Wattines Gewandheit, [11] und der Geist der Verschönerung, welcher alles was er berührt, auszeichnet, ganz eigentlich dem gebornen Adel gegeben sey. Einige der Colonisten freuen sich, daß er nun auch Feldarbeit versuchen mußte, aber die besten von ihnen bedauren und bewundern ihn. Ich sagte es den Wattines, es freute beyde, und Emilie sagte erröthend und vor sich hin lächelnd: also keimte die in unserm Vaterlande ausgerottete Idee der Classe des Adels, in den Wüsten von Onotaga, in den Gemüthern der neuen Bewohner wieder in die Höhe.

Nun fiel ich mit der Bemerkung ein: daß der Adel der Seele niemals seine Wirkung verliere. – Indessen bin ich von Carmils Grube hinweg gekommen, wo ich doch so etwas artiges von Emilien horte, indem sie bey meinem Lobe dieser einfachen mütterlichen Erfindung sagte: sie hätte diesen Gruben noch etwas zu danken, denn als Wattines unsers Carmils Freude und Begierde nach Käfern [12] und Papilions bemerkte, behauptete er, es sey Trieb der Geselligkeit, etwas sich ihm näherndes, wie er sich bewegendes um sich zu haben, und fieng an, Käfer um ihn zu sammeln. Hier machte mich aber Mutterliebe und Muttersorge ein Vorurtheil überwinden. Da ich diese Insecten nie liebte, aber meinen Carmil seine Freude nicht nehmen wellte, las ich mit Eifer die Naturgeschichte dieser Geschöpfe, um zu wissen, ob etwas für Carmil zu besorgen seyn könnte, und fand dadurch eine neue Quelle von Kenntniß und Freude für mich selbst.

Ich sagte ihr nun auch von der Freude, welche die edelmüthige Güte ihres Gemahls, durch seinen Unterricht, in der Seele meines guten Zimmermanns und in meinem Herzen verbreitete. – Sie versicherte mich, mit dem schönen Tone des edlen Stolzes, in welchem eine rechtschafne Frau von dem Geiste und Verdiensten ihres Gatten spricht: daß [13] ihr wirklich großmüthig gesinnter Wattines sich glücklich fühle, Gutes zu thun, und ein so lange Jahre ruhendes Talent wieder zu üben; denn der Mangel des Papiers auf der Insel und das Entbehren des Vergnügens der Zeichenkunst, hätte ihn lange und tief geschmerzt. Ich bemerkte es, sagte sie mit Seufzen, an der Miene seines so sanft männlichen Gesichts, wenn er manchmal auf der Insel Gebäude, Festungswerke oder Gartenanlagen mit einem Stock in den Sand zeichnete, sie still denkend eine Zeitlang ansah, dann mit Lebhaftigkeit wieder auslöschte. Wenn ich darüber jammerte, machte er den Boden wieder glatt, und stellte etwas anderes vor. Ich will ihm sagen, er soll Ihnen die Arbeiten seiner Reißfeder zeigen, welche er machte, seitdem er wieder das Vergnügen genoß, etwas Papier zu besitzen. Ach, Papier war auch das erste, wornach er sich in dem Magazine der Colonie umsah, das erste, was [14] er mit eben dem Eifer suchte, mit eben dem kleinen Zittern der Freude in der Hand hielt, wie ich Leinewand und Nähzwirn zu Hemden für meine Kinder; – aber, setzte sie hinzu, ich muß Ihnen bey dieser Gelegenheit auch von einer edlen Feinheit der Empfindung meines Wattines erzählen, welche mich äußerst rührte: – niemals zeichnete er in unsern Sandgrund bey der Hütte, Gegenden oder Gebäude, welche mir bekannt waren; nur Erinnerungen von Phantasten, von italienischen Gebäuden, schroffen Felsen, oder einen Gegenstand, wozu das Lesen einer Poesie oder deutlichen Beschreibung den Anlaß gab. – Diese Bilder in dem Sande waren oft angenehmer Zeitvertreib in Sommerabenden, so wie er einmal den muntern Gedanken faßte, einige Minuten ehe die niedergehende Sonne eine Seite des Ufers beleuchtete, mir die die Stellung einer Bildsäule der Flora mit einem Blumenkranze in der Hand zu geben, [15] und dann meinen Schatten abzeichnete, indem er sagte: diese Statue der Flora sey auch über Lebensgröße, wie jetzo mein Schatten mich über die natürliche Höhe zeigte. – O wie oft, in wie vielen Stellungen, mit und ohne unsere Kinder, zeichnete der gute liebe Wattines mich auf diese Art! – Einst sagte er, ach Emilie, wenn ich so glücklich gewesen wäre, wie der auf eine unbewohnte Insel verbannte Grieche, hier einen weißen Marmorbruch zu finden, ich weiß, die Liebe hätte auch mich zum Bildhauer gemacht. – Lächelnd fuhr sie fort: wenn Sie einmal unsere Insel ganz nahe an dem Ufer des See's umgehen wollen, so finden Sie noch ein Denkmahl der Kunst, der Liebe, und wie Sie oft sagten, von der lebhaften, leicht beflügelten Einbildungskraft des französischen Ritters an dem See Oneida, von dem letzten Jahre unsers einsamen Aufenthalts. – Hinter dem obern Busche, unweit unserer Hütte, gegen [16] den Endtenfang, hatte Wattines die Erde aus dem kleinen Keller, welchen er den zweyten Frühling grub, gegen den Abhang aufgeschüttet: die immer wirkende Natur, entwickelte in dieser an frische Luft und Sonne gebrachten Erde, die in ihrem Schooß versteckten Graß-und Pflanzenkeime, oder die Winde trugen sie in Menge herbey; denn im folgenden Jahre war dieser Abhang ganz grün bedeckt. Wattines legte nahe an dem Ufer, wo vieler Sand angeschwemmt war, eine Art Vestungsban, mit einem kleinen Graben an, welches ich für lebhaftes Andenken alter Studien und Beschäftigungen ansah; denn der liebe Mann sagte, er wolle mir einen Begriff von dieser Art Arbeit geben. Nun hatte er schon weiter oben eine Bank angelegt, von welcher ich ihn graben, Linien ziehen und alles ordnen sehen konnte. Einen Nachmittag als Wattines schwimmen wollte, ging ich mit Carmil dahin, welcher in dem [17] von seinem Vater für ihn gezognen Laufgraben wohl besorgt war, hin- und hergehen, und dem Schwimmen des Vaters zusehen konnte, welcher auch mit ihm spielte, bald sich näherte, ihn mit Wasser bespritzte, und dann sich wieder entfernte. Ich hatte erst gearbeitet, dann ein paar Bouquette von Wiesenblumen zusammen gebunden, welche ich Carmil gab, um sie Wattines zuzuwerfen, – gegen Abend legte ich meine Arbeit zusammen, rollte sie mit Wattines Weste zu einem Pack, legte mich auf die Bank, und stützte mit einem Arme mich auf das Paquet, ihm noch ruhig zuzusehen; als er mit der neigenden Sonne gegen das Ufer und die Bank zurückkam, bat er mich diese Stellung zu behalten. Ich lachte, wollte wissen warum? und stand auf, Carmil zu holen.

O Emilie! diese Stellung muß ich nach dem Umrisse deines Schattens in den Rasen eingraben, morgen kommen wir wieder her, [18] und da werde ich mit vielem Vergnügen diese Idee ausarbeiten. – Es war mir unmöglich zu errathen, was er damit sagen wollte, aber den zweyten Tag mußte ich seinen Bitten nachgeben, und mit Carmil um die nehmliche Stunde hin, mich wieder auf eine Rolle legen, und als mein Schatten sich auf dem grünen Hintergrunde ganz deutlich zeigte, raufte er mit dem größten Eifer das Gras aus dem innern Umrisse, an dem kleinen über die Bank erhabenen Hügel, und änderte mehrere Tage so lange daran, bis es wirklich in einer gewissen Ferne das Ansehen hatte, als als ob eine weibliche Gestalt längst der Anhöhe auf der Bank liege. Diese Phantasie dünkte mich äußerst neu, Wattines sagte aber, daß es eine Erinnerung von seiner Reise durch England sey, wo er bey einem Dorfe, die Colossalgestalt eines Pferdes auf diese Art an der Seite einer schönen Anhöhe eingegraben sah, und hörte, daß es alle Jahre ein große [19] Fest für die jungen Bauersleute sey, den Umriß des Pferdes von dem Grase zu reinigen, damit es ja recht weit gesehen werden könnte, welches bey dem kalkartigen Boden sehr leicht seye. Er hätte diesen vortheilhaften Grund nicht gefunden, hoffte aber doch, die Dame seines Herzers sichtbar zu machen.

Nun pflanzte er einige Gesträuche näher an den Abhang, grub den Umriß tiefer, vergrößerte und ründete die ganze Gestalt, machte auch den Zusatz, sie den rechten Arm ausstrecken zu lassen, als ob sie nach einem überhängenden Ast des Gesträuches greifen wollte; und um das Ganze weiß zu halten, damit es sicher von ferne gesehen werde, besteckte er es ganz enge mit Muscheln und weißen Kieselsteinen, machte zu den Füßen des Bildes eine Vertiefung, welche einen Wasserkrug vorstellte, wozu er die wenigen, von dem Wasser angeschwemmten Steine verwendete. Mehrere Wochen gingen hin, bis dieser Einfall [20] das gewünschte Ziel erreichte, und ich muß bekennen, daß das Ganze wirklich bey anfangender Dämmerung oder bey Mondschein, einen außerordentlichen Eindruck machte. Wattines hoffte auch, daß künftige Schiffer auf dem See Oneida, sich freuen würden, die weiße Frau zu sehen, weil es klares Wetter anzeige, wenn die Ufer der Insel helle seyen, munter setzte er hinzu:

Die Gestalt meiner Emilie wird den Stoff zu künftigen Feen- und Nymphengeschichten geben, meine Liebe für dich, Anfang zu schönen Mährchen und zur Bildhauerkunst der Bewohner der Grafschaft Onotaga werden, welche dann meinen Namen auch aufbehalten werden, wie die Griechen den von der Töpferstochter Dibutade verewigten, welcher man die Entstehung der Zeichenkunst zuschreibt. Vielleicht erzählen die Oneidas einmal: die da liegende weiße Frau, sey zweymal zu ihren Großmüttern übergeschwommen, [21] ihre Wochen zu halten; nachdem aber verschwunden, bis man sie in einer schönen Nacht, auf einer Moosbank an dem Ende der Insel schlafen sah, wo sie aber durch das Plätschern der Ruder neugieriger Schiffer geweckt, das Gesträuche herunter ziehen und sich verstecken wollte, aber aus Schrecken und Angst vor den rauhen Fischern in Stein und Muscheln verwandelt wurde.

Als ich über diese scherzhaften Träumereien lächelte, sagte Wattines ganz ernsthaft: Meine Emilie! wenn wir zurück gehen zu den Griechen der ersten alten Zeit, so war diese Art Vorstellung und Ideen der Anfang ihrer Dichtkunst und ihrer Geschichte. Wer weiß also, was die Imagination der künftigen Poeten dieses Landes aus der einfachen Erzählung der Fischerfamilien des See's Oneida, für schöne Heldengedichte machen werden, da sie schon an Halbgötter glauben, welche mit Erlaubniß des großen Gottes, der [22] in Süden wohnt, die Dinge dieser Welt besorgen. Sie verehren schon Sonne und Mond, halten den Donner für die Stimme der obersten Gottheit, beten, bringen Sühnopfer. Sind sie nicht auf dem Wege, einst eine schön zusammenhängende Mythologie, einen Homer und Ossian zu haben? – Vielleicht haben wir in der Hütte der Indier durch die Blumengewinde und Kränze des kleinen Mädchens, die Sage von einer Flora oder Venus gestiftet. Einer der größten griechischen Geschichtschreiber, Thueydides sagte, daß man in den Sitten der noch rohen und sogenannten barbarischen Völker den Character der ersten Griechen kennen lernte; so wie man gewiß auch in den Bildern, welche die auf ihre Macht und Größe so stolzen Römer von andern Nationen darstellten, den Zustand und die Gesinnungen sehen konnte, in welchen sie sich selbst, bey dem Anfange ihrer berühmten Stadt befanden. –

[23] Ich wurde, setzte Emilie hinzu, sehr aufmerksam und blickte nachsinnend auf Wattines hin, er bemerkte es und sagte lächelnd: Ja, meine Emilie! wie die Römer uns Gallier kennen lernten, betrachteten sie uns als Barbaren; denn sie hatten schon weiche Bett-Polster und Throne, als unsere Fürsten noch auf zusammen gebundenen Heubündeln saßen; und als sie das erstemal nach Britannien kamen, trafen sie die Bewohner der glücklichen Insel, wie die Engländer in den neuern Zeiten die nordamerikanischen Wilden fanden; denn Newtons und Bacons Landsleute wußten damals auch noch nichts von Ackerbau, bemahlten ihren Körper, und deckten sich im Winter mit den Fellen wilder Thiere. Bedenke nun, meine Emilie, was Gallien und Brittannien seitdem geworden sind.

Die Natur machte keinen so großen Unterschied in der ursprünglichen Anlage, nur [24] das Verhängniß schaft Aenderung, durch die Verschiedenheit der Umstände.

Der nackte, arme, rohe Mensch, hat alle Leidenschaften des gebildeten. Er liebt das Spiel, ist stolz unter seines gleichen, und so arm als er ist, liebt er den Putz und ist eitel. –

Hier, meine Freunde! sagte ich mir, ist Urbild eines Franzosen von einem ihrer besten Landsleute aus dem Gedächtniß gemahlt. Urtheilen Sie auch von meinem Staunen, als ich zugleich darin einen Theil des Auszugs erkannte, welchen ich in meiner Brieftasche habe und mit mir führe, weil ich ihn aus Betrachtungen nahm, welche über die Geschichte wilder Nationen, und das Vergleichen mit civilistrten Völkern gemacht wurden, und äußerst auf mich wirkten. Ja ich bekenne noch mehr, daß diese Betrachtung eine der größten Triebfedern meiner Reise nach Amerika wurde.

[25] Emilie setzte ihre Erzählung fort, indem sie sagte: Wattines sprach mit mir auch von den Verdiensten der Wilden, daß sie bey armer Sprache beredt sind, wie ihre Liebe und ihr Haß alle Energie zeigen. Auf der Jagd der listigsten Thiere bemerkt man in ihnen eine Feinheit, eine Urtheilskraft und einen Scharfsinn, welche ein Schüler des Locke, in Aufsuchung der tiefsinnigsten Wahrheit und Wissenschaft nicht vollkommner zeigen könnte; und diese Klugheit finden sie auf dem Wege der Natur, welche ihnen oft mehr Größe der Seele giebt, als alle unsere Schulen und Gesetze nicht geben können; weil diese Größe aus den innern Gefühlen des Herzens kommt, nicht aus buchstäblichen Lehren stießt. Denn ach! was bringt Religion und Philosophie hervor, wenn das Herz nicht damit übereinstimmt?

Emilie mußte, während sie sprach, eine ungewöhnliche Bewegung in meinen Zügen [26] bemerkt haben, auch blickte sie mich fragend an. Ich sagte, indem ich mein Taschenbuch vornahm, mit einer Art Entzücken, wie ich mich glücklich fände, auf einem Puncte der Sympathie mit ihrem Gemahl zu stehen, da ähnliche Betrachtungen mich nach Amerika führten, um Natur und Kunst an ihren Gränzen zu vergleichen. – Ich las ihr dann einen aus dem Mereure de france 1783 gemachten Auszug vor, und fragte, ob sie nicht einen Grund übereinstimmenden Geschmacks und Ideen darin fände, weil diese Gedanken sich so tief in Ihres edlen Wattines Seele prägten, um sie ganz aus dem Gedächtnisse zu wiederholen, ihren Einfluß auf mich aber durch meine Reise nach dem See Oneida bewiesen hätten? Sie sagte mit gefälliger Miene, ja, schwieg aber gleich wieder und sah mit einem Ausdruck von Staunen und Trauer vor sich hin. Ich war nun auch stille, endlich sagte sie: Vergebung für mein langes[27] Schweigen! es kam zum Theil von einer Betrachtung in dem Innern meiner Seele, über Wattines und Sie. – Meine Blicke hefteten sich fragend auf ihr Auge, als sie hinzu setzte: ich sagte mir, ach, mein Carl ist hier, weil er bey der unglücklichen Revolution, die allercultivirteste Nation in Barbarey zurücksinken sah, und Sie, weil Sie das Erheben aus der Unwissenheit und Rohheit beobachten wollten. Gott sey Dank! sagte sie mit gefalteten Händen, daß ich an der äußersten Gränze von beyden, in der Rindenhütte einer Indianerin die Menschenliebe fand, welche einem Kinde das Leben erhielt, dessen Großväter in dem Wohnsitze des feinsten Geistes und der schönen Künste, wegen dem Stande ihrer Eltern ermordet wurden.

So natürlich diese Rückerinnerungen bey jedem Anlasse in Emiliens Seele emporstiegen, so sehr bedauerte ich den Gedanken der Sympathie mit Wattines, indem ich damit die [28] traurigen Gefühle in der guten Frau hervorrief; aber als Wattines selbst kam, und sie ihm von meiner zufälligen Bemerkung sagte, so bezeugte er eine Art von Freude darüber, als ob ich die Beweise einer nahen Verwandtschaft vorgelegt hätte. Vielleicht war dieses die Wirkung eines moralisch wahren Gefühls, indem man sicher behaupten kann, daß Uebereinstimmung der Ideen eine Verbindung der Seelen andeute. Wattines wollte nun den in meiner Brieftasche verwahrten Auszug mit mir lesen, und ich mußte ihm eine Abschrift versprechen. Ich bewunderte die Lebhaftigkeit mit welcher er das Lob der griechischen Mythologie auffaßte und ausrief:

O wie wahr ist alles, was der Mann von dem gefälligen und einnehmenden Geiste der griechischen Einbildungskraft erzählt, welche heute noch Dichter und Künstler beseelt, und nach verflossenen Jahrtausenden, noch so wohlthätig für mich war, daß ich durch sie [29] nicht nur Tage lang meinen Kummer vergaß, sondern auch durch den Geschmack der Zierlichkeit, welchen der Genius von Griechenland bis auf uns verbreitete, so glücklich war, meiner Emilie angenehme Stunden zu geben: nicht allein durch meine Anstalten in Elysium, sondern auch, weil ich kleine Blumenbeete, wie Kränze um den Fuß dieses oder jenes einsam stehenden Baumes oder artigen Busches anlegte, wo ich wußte, daß Emilie betend oder nachdenkend hin ging, dann auch den eingeschlafnen Carmil hinlegte, oder nicht weit von unserer Hütte unsere Obstbäume mit Wünschen und Seegen besuchte, da ich nahe dabey einige Waldbäume von der Natur so gestellt fand, daß ich nur einiges Gesträuch zwischen ihnen wegzuräumen, die untern Aeste abzunehmen, und ein paar umschlingende Pflanzen an ihnen aufzuziehen hatte, um einen grünen Tempel der Gottheit des Hanns vor mir zu haben. Wie glücklich, sagen Sie[30] selbst, wie höchst glücklich war es für Emilie und mich, daß unser Herz nicht allein das Ganze der Wunder und Schönheiten der Natur mit dankbarer Verehrung ihres und unsers Schöpfers liebten; dann aber auch in unserer eigenen noch blühenden Jahrszeit des Lebens, bey den kleinen Wiesenstücken der Insel an Naväen, und bey den schön aufgewachsenen tausendfachen Blumen an der Griechen ihre Blumengöttin dachten. Wir dankten dennoch unserem erkannten Gott, mit frommer Verehrung für jedes Körnchen Mais und Gerste, für jedes Blatt unseres Gemüses; – aber die holden Phantasien der griechischen Dichter, welche zuerst ländliche Arbeit und die einsame Hütte der Liebe besangen, dieser, den Griechen allein zuerst bekannt gewordene Geist, der alles mit einer gefälligen und wohlthätigen Anmuth beseelt, dieser begleitete und lenkte unsere Spatziergänge und unsere Gefühle, machte uns lächeln [31] und an den Frühling der Welt und die guten Kinder der Natur denken, wo Gesetze und Ordnung noch keine Stuffenfolge unter den Menschen gemacht, und den bösen niedern Neid noch nicht geweckt hatten. Ich wollte den edeln gefühlvollen Wattines nicht an der Reihe dieser Ideen stehen lassen, sondern ihn sobald möglich ablenken, doch denken meine Freunde gewiß noch nicht, daß ich hiezu das Andenken an einen Mönch und einen Pabst zu Hülfe nahm. Ich bin gewiß, meine Base lächelt, über diese seltsame Mischung mit griechischem Genius, Haynen und Nymphen einen düstern Kloster und den Vatican. Mich dünkte, daß Wattines sich entschuldigen wollte, so vielen Werth auf mythologische Bilder und Ideen zu legen, auch vielleicht vermuthete, ich hätte von ihm lauter ernsthaft moralische Vorstellungen gefordert, weil poetische Ideen in seiner Lage zu tändelnd [32] seyen. – Alles dieses wollte ich in den guten Mann verscheuchen, und sagte ihm: daß er mache, daß ich die Fabeln und die Dichtkunst der Griechen aufs Neue segne, da dieser liebenswürdige Genius seine bittre Einsamkeit versüßte; so wie er dem schätzbaren Ganganelli in seinem Kloster erschien, und ihn liebreich tröstete; wie es ein kleines Gedicht anzeigte, welches er zu der Theorbe gesungen haben soll. Da ich es nur in der Uebersetzung kenne, sagte ich Wattines den mir stets interessanten Inhalt des Liedes, so gut als möglich in seiner Sprache, weil mich dünkte, Gefühle verstehen sich leichter, als gelehrte Gedanken. –


Lichtgeist! der vor Gottes Throne
Anmuth über Engel gießt,
und durch den auf jeder Zone
eine Schönheitsquelle fließt.
[33]
Aus dem Gitter meiner engen Zelle
seh ich oft den Wiederschein von dir,
plötzlich wird die dunkle Clause helle
und den ganzen Himmel zeigst du mir.
In des Himmels weiter Ferne
und hier auf der nahen Flur,
Folget Glanz im Abendsterne,
und dort Blumen deiner Spur.
Lieg ich einst auf jenem Todeshügel
den dein Fuß auf ewig flieht,
o! dann wehe mit dem Purpurflügel
bis auf meinem Grab ein Blümchen blüht.

Wattines faßte den Sinn dieses Liedes so richtig, daß er gerührt wurde und sagte: edler Mönch, unglücklicher Pabst! dein Herz verdiente ein besseres Schicksal; – aber wäre Europa noch, was es vor zehen Jahren gewesen, und ich hätte diese Anecdote in Versailles gehört, so würde ich einen Urlaub von drey Monaten erbeten, und die [34] Reise nach Rom gemacht haben, um diese Verse in ihrer Ursprache, mit der Theorbe begleitet, singen zu hören; – denn, sagte er nach einigem Schweigen: nun liegt Ganganelli vergiftet in der Peterskirche begraben, und ich wohne hier. Der Geist seines Gedichts soll aber neben dem Bilde seines Lebens und seiner schönen Briefe in meinem Gedächtnisse bleiben.

Ich war unendlich erfreut, unserer Unterredung diesen Ton gegeben zu haben. Wattines folgte nun seinen Geschäften, und ich ging die Erlaubniß zu benützen, meine Fragen bey Emilien fortzusetzen, denn ich wollte ihr ganzes Leben auf der Insel kennen, zog also die Noten der Frau Vandek aus meiner Brieftasche, und ordnete meine Blätter und Fragen. Mit Verehrung muß ich sagen, daß Madame Wattines stets in gelassenem ruhigen Tone und gleichmüthig von ihrem erlittenen Jammer sprach, während [35] ich sehr oft mit Schauer an die 4 Jahre zurück dachte, welche die vortreffliche Frau auf der öden Insel verlebte: – oft auch segnete ich in dem Grunde meiner Seele, die Liebe des Schönen und zierlichen, durch welchen die schätzbaren Wattines so viel kleinen freundlichen Trost, Zerstreuung und Vergnügen fanden. Gärtnerey, Poesie, Blumen, ja die Zeichenkunst, alles ist mir werther, und auf gewisse Art heilig geworden, indem ich sie alle als gute untergeordnete Wesen ansehe, welche nach der Weisung des Oberherrn unserer Schicksale, die arme Wattines stützen, sanft erheitern, und an dem Zauberfaden angenehmer Gefühle, von den traurigen Aussichten ihres einsamen labyrinthischen Pfads ablenken sollten.

Ich arbeite viel in Wattines Garten, wenn ich bemerke, daß Emilie mit ihren Kindern, oder mit sich selbst allein seyn möchte, wie sie auch freimüthig bekennt, [36] daß alleinseyn ein Bedürfniß für sie geworden sey, und daß sie Mühe hatte, sich ohngeachtet ihrer Freude, Europäer zu sehen, an die Erscheinung vieler Leute zu gewöhnen. Nur für Carmil hatte ich Sorge auf der Insel, für Carmil liebte ich das feste Land und die Verbindung mit Menschen. Er schien so glücklich mit Käfern und andern Insecten, mit den kleinen Fischen am Ufer, denn die ruhige Schönheit und das stille Verdienst der Blumen und Pflanzen konnten für den muntern, immer in Bewegung lebenden Knaben nicht seyn, was sein Vater und seine Mutter darin fanden. Als ich bemerkte, wie sehr ihn der Gesang der Vögel anzog, suchte ich meine Stimme wieder hervor, und Wattines machte eine Art Flöte, auf welcher er nach einiger Uebung recht artige Liedchen und Tänze spielen konnte. Ja der gute Wattines machte einen Versuch, die erste Leyer nachzuahmen, wie [37] er sie in den Kupfern der Idyllen des edlen sanftmuthvollen Geßner sah, aber es mangelte nun an Verschiedenheit des Draths, doch spannte er sieben Sayten auf, und brachte auch da für Carmil gefällige, und für mich durch ihre Einfachheit äußerst rührende Töne hervor.

Ich sagte Emilien da aus vollem durchdrungnen Herzen, o, was für ein schätzbarer und großer Beweiß sind Sie und Ihr Gemahl, von dem Werthe des wahren Geistes und wahrer moralischer Stärke!

Ach, erwiederte sie, unser Glück war, daß nur Abschen vor Bosheit und Niederträchtigkeit uns von Menschen entfernt hatte, diese Gesinnung konnten wir dem Himmel zeigen, daurender Haß gegen unsere Verfolger, hätte uns keine ruhige Ergebung in unser Schicksal, keine Hoffnung auf Gottes Beystand einflößen können. Wahr ist es, [38] Fleiß und Nachdenken stützten uns auch, wir sind jetzo um so viel glücklicher in allem, ja in Wahrheit die glücklichsten aller Colonisten; denn diese haben keine völlige Abgeschiedenheit von Menschen, keinen so gänzlichen Mangel aller Hülfe empfunden, können also nicht sagen, wie viel ein guter Nachbar werth ist. – Wattines scherzte manchmal über die Wünsche des Alleinseyns der Liebenden, welchen alle andre Gesellschaft zu viel und zuwider ist. – Wir liebten uns, aber gewiß, ohne moralische Gefühle, ohne edle Kenntniß und ohne Arbeit, würde unser Elend unaussprechlich gewesen seyn. – O, schätzen Sie meinen Wattines für alles was er that und ist! so viel Feuer! so sehr an große Welt gewöhnt, und auf der Insel Taglöhnerarbeit, bey armer Nahrung, dann so viese Ueberwindung und Opfer zur Stütze und Erheiterung für mich, und doch bey jedem Anlasse so schöne [39] liebenswürdige Ideen, welche ihm bey seinen Griechen selbst ein Verdienst gegeben haben würden. Eines Abends, da wir vom Belvedere mit unserm Knaben nach der Hütte zurückgingen, und Wattines, um mir und Carmil allen Raum zu lassen, sich näher an den Bäumen und Gesträuchen hindrängte, also keinen Schatten machen konnte, ich aber die vor uns sich hinstreckenden schönen Gestalten der Baumschatten mit vielem Vergnügen bemerkte, sagte er so unerwartet schmeichelhaft:

Ich bin glücklicher als du, meine Emilie! denn ich sehe die Schatten von zwey Engeln neben mir hinwallen, indem er auf die Stelle deutete, wo mein Umriß, und der von unserm Carmil hinschwebten. – Er übte sorgsam die Fähigkeit, schöne Bilder und Gedanken zu schaffen, damit selbst seine mühvolle Feldarbeit in meinen Augen immer in neuer Gestalt als Spiel der ergötzenden Gärtnerey [40] erscheinen möge, wie er im dritten Jahre des Aufenthalts auf der Insel, unser Sonnenblumenfeld längst dem Endtenfange hin, äußerst sorgfältig umarbeitete, in Felder und Gänge abtheilte, Linien zog, welche sich zwischen zwey kleinen Wegen immer durchkreutzten, wo er dann kleine Grübchen machte, und mir sagte, unserm Carmil das Körbchen von Maisblättern zu geben, welches ich von den Indianerinnen hatte. Wattines nahm das Maß Saamenkörner mit zu dem Felde, füllte Carmils Körbchen, und zeigte ihm, wie er in jede Grube ein Körnchen werfen solle. Der liebe Knabe war erst zwey Jahre, faßte es aber sehr leicht, trat nicht aus dem von seinem Vater angewiesenen Weg, und übersah kein Grübchen; gleich als ob der Geist der geometrischen Ordnung mit ihm geboren wäre. In der Mitte des Ganges pflanzte Wattines eine Laubhütte von Bohnen, für Carmil, [41] welcher dann, als unsere Blumen ganz aufgeschossen waren, zwischen den Reihen der hohen Stengel, wie in einer Allee hin und her gehen, und über das von seinem guten Vater gemachte Geländer hin, dem Schwimmen und Plätschern der Endten zusehen konnte. Vandek und seine Frau haben es noch gesehen, das liebe mit Blumen besetzte Feld, fanden es schön, staunten aber sichtbar darauf hin, als ob sie die Menge der Sonnenblumen für überspannte Einsiedlerideen, oder übertriebene Phantasie der Vaterliebe hielten; aber am Ende freuten sie sich des Gedankens von Sonnenblumenöhl, welches ich ihnen zu kosten gab, und bey diesem Anlasse das lang entbehrte Glück, andern zu nützen, wieder genoß; denn die vortrefflichen Vandek setzten sich vor, diese Pflanzung bey der Colonie, als etwas sehr vortheilhaftes einzuführen; doch wußte die liebe Frau die Thränen nicht zu begreifen, welche [42] bey dieser Aeußerung ihres Mannes meine Augen netzten, aber als sie mich die Hand meines Wattines fassen sah und sagen hörte: O mein bester Freund! wir aus unserer armen Hütte, einer ganzen Colonie Dienste leisten, – da umarmte sie mich, weinte auch die schöne Thräne des Mitgefühls, und schätzte von da an eine Eigenschaft meines Herzens, welche sie täglich ausübt; denn niemand kann wohlthätiger seyn, als diese würdige Frau und ihr Mann es sind. – Das schmeichelhafte Lob, welches sie unserm Oehle gegeben hatten, weckte oder reitzte vielmehr meine Eigenliebe, zu sagen: ich hoffte mich noch durch eine andre Einsiedlerkunst mit Frau Vandek zu verbinden; wenn sie eine glückliche Bienenjagd gemacht haben würden, wollten wir eine Honigweinfabrik anlegen, wovon ich alle Vortheile wüßte und geübt hätte. Beyde lächelten darüber, aber ich füllte nun die Tassen in welchen sie [43] mir wieder Thee und Milch zu kosten gegeben hatten, mit einer Probe Honigwein, und erhielt neben der Freude, sie dieses Getränke loben zu hören, einen schönen Beweis der Güte ihres Herzens, denn sie segneten die Stunde, in welcher ich den Versuch dieser kleinen Brauerey machte, weil uns in diesem angenehmen Weine eine Art von Erquickung zufloß.

Nun kam ich wieder mit meinen Fragen über das letzte Prüfungsjahr hervor, indem ich beynahe eilte, darüber wegzukommen, da mir der Gedanke ihres langen einsamen Wohnens auf der Insel ganz peinlich wurde, so daß ich sehr vergnügt war, als Frau Wattines sagte:

Ich will Ihnen das immer auflebende und wieder hinschwindende Bild der Hoffnung auf die Ankunft unserer Fischer nicht wieder vorzeichnen, denn sie würden nur die tiefer eingegrabenen Züge eines innern Jammers [44] sehen, welchen wir uns beyde zu verbergen suchten; noch viel weniger kann ich, sagte sie mit holder schöner Verwirrung, von meinem zweiten Ueberschwimmen nach den indischen Hütten erzählen, nur glaube ich sagen zu dürfen, daß mir hier die Pflicht, Mutter zu seyn, durch das Schicksal zehnfach erschwert wurde. – Ich kam wieder sehr glücklich auf unsere Insel zurück, aber der tägliche Anblick unserer zwey liebenswerthen Kinder, wirkte unendlich auf Wattines und mich: tausendmal sagten wir im letzten Herbste in unsern Herzen, was soll aus ihnen werden, wenn eines von uns ihnen fehlt? Aber am Ende des langen traurigen Winters sagten wir uns traulich und offen, daß, wenn wir im künftigen Jahre noch einen einsamen Frühling durchleben sollten, wir den Sommer mit unsern Kindern auf einem kleinen Floß zu den Oneidas gehen, und durch sie den Weg nach einer europäischen Pflanzung suchen wollten, [45] wo wir wohl jemand treffen würden, der mit Wattines nach unserer Insel zurückreiste, um sich mit uns zum Anbau zu vereinen, oder Mittel treffen würde, unsere kleine Habe wegzubringen, und uns zu einem Güthe bey Nachbarn zu helfen, auch den Rath und Nachricht von unserm liebreichen Quäker schaffen würde. – Dieser fest gefaßte Entschluß verschönerte die trüten Tage, milderte die Strenge des Winters, und verscheuchte meinen Kummer, wenn ich mir sagte:

Es ist der letzte Winter in dieser Einöde. Meine Kinder werden unter Europäern wohnen, werden Freundschaft, Güte und Kunstfleiß kennen lernen, werden auch arbeiten müssen, aber nicht so mühsam wie ihre Eltern, weil sie durch hundertfaches Handwerkszeug erleichtert, sich alles geschwinder und besser werden verschaffen können, und in Mangel erzogen, nie mit glänzendem Glücke bekannt, werden sie keine schmerzhaften Vergleiche mit [46] dem Vergangnen zu machen finden, also auch diesen Theil des Kummers ihrer Eltern nicht zu überwinden und nicht zu tragen haben. Felder umgraben, ansäen, Blumen pflanzen, Fische fangen, könnte sich Carmil schon von seinem guten Vater erinnern, wie er die Schwester von der Mutter tragen, ihn dabey liebkosen und das Essen zubereiten sah. Eine Holzhütte war ihm von Jugend auf bekannt, sie würde auch an einer andern Stelle sein Auge nicht schmerzen, und mein Herz wußte von nun an, daß meine Kinder bessere Nahrung, Kleidung und Hülfe haben würden, als ihr Vater und ich. Diese Ueberzeugung machte mich nun die süßen Mutterfreuden ungestört genießen; denn wie oft wurde das so natürliche Vergnügen, an Blüthe der Gestalt und der Fähigkeiten unserer Kinder in den bittersten Schmerz verwandelt, wenn Mutterliebe, Muttersorge mir dabey sagten: zu was blühen sie hier, diese Blumen? was [47] soll aus ihnen werden? war ihnen ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr schuldig, als das arme physische Leben? ist es nicht Pflicht, sie so weit zu führen, wie Naturtrieb die jungen Thiere von den Alten führen läßt, bis sie Stärke und Kenntniß haben, sich selbst zu besorgen? O was lag für ein eisernes Gewicht in der Frage: bin ich, ist Wattines sicher, daß wir die lieben Unschuldigen in dieser Einöde so weit führen werden? Wie traurig war es, die auf den Bäumen um unsere Hütte ausgebrüteten Vögel glücklicher zu achten, als meine so liebenswerthen Kinder! – Wie oft sagten es unsre Blicke, wenn wir die Alten bemüht sahen, den ersten Flug der nun ganz flück gewordenen Jungen zu leiten, und sie dann ihrem Schicksale in der weiten Luft übergaben; wie oft bemerkte ich, daß die Frage nach dem Glück unserer Kinder Wattines Herz durchdrang, wenn ich ihm etwas von ihrer Liebenswürdigkeit erzählte, oder[48] wenn er eines an meiner Brust liegen sah, mich und sein Kind küßte, Thränen in den Augen hatte, seufzte und sich entfernte. – O mein Herz trug viel unnennbares Weh, und Wattines viele harte Arbeit, von welcher er, um meine Empfindlichkeit zu schonen, niemals sprach, aber seit dem seligen Entschlusse, unsern Kindern auf das wenigste europäische Nachbarn zu geben, waren wir beyde ruhiger in unserm Innern. Wir empfanden den unendlich hohen Werth des Zeugnisses unserer Herzen, eine Pflicht erfüllt zu haben. Unsere Insel wurde dadurch verschönert, und unser Inneres glücklicher. Wir konnten wohl zur Strafe unseres Eigensinns, noch länger einsam leben, aber unsere theuren geliebten Kinder! warum diese?

Mich dünkte in diesem Augenblick das Wörtchenwir, Inbegriff der liebenswürdigsten Edelmüthigkeit, und schönster Ausdruck der ganzen Sprache zu seyn, indem die vortreffliche [49] Frau so getreu die Hälfte des übereilten Entschlusses ihres Gatten auf sich nahm, und so gelassen die Strafe des Eigensinnes anerkannte. Sie, welche als zärtlich erzogenes Frauenzimmer, als Mutter, der Liebe mehr geopfert, zu Erfüllung der Pflichten der Natur mehr gethan hatte, als Wattines, und nicht der leiseste Ton der Klage, nicht die kleinste Mine entfernte sie von dem gegemeinsamen Geständniß: »wir könnten wohl zur Strafe unseres Eigensinns noch länger einsam leben, aber unsere Kinder

Wie schön eignet sie hier ihrem Manne die Hälfte ihres Nachdenkens für ihre Kinder zu! – Wie verehrungswürdig war sie mir! Sie bemerkte aus einen meiner auf sie gehefteten Blicke, daß ich im Begriff war etwas darüber zu sagen, und wich meiner Lobesergießung durch den schnell einfallenden Gedanken aus:

Mein Herz wollte aber diesen Entschluß [50] mit einem Festtag feiern, und dieses bey den Urnen, – aber nicht heimlich, weil es meinen Wattines wieder geschmerzt hätte, sondern ich bat ihn um einige Blumen, welche Carmil in seinem Körbchen, Antonette in ihrer Decke zu den Füßen der Denkmähler ihrer Großeltern, als ein Dankopfer bringen sollten, weil sie ihnen so gute Eltern gebildet hatten. Mein gütevoller Wattines war es sehr zufrieden, und brachte uns den Morgen nachher eine Menge lieblicher Blumen, verließ uns mit zärtlichen Küssen, eilte zu seiner Arbeit, und ich auf meine Wallfarth, wo ich mit äußersten, aber süßem Staunen die zwey Aschenkrüge mit Blumengewinden geziert erblickte, welche um den obern Theil der Urnen gehängt, die Inschriften zu beyden Seiten umfaßten. Ich näherte mich innigst gerührt, und sah noch Thränen meines Carls auf dem Aschenkrug seiner Eltern glänzen. – Die meinigen vermischten sich damit, und da [51] meine Antonette unruhig wurde, ging ich zu der Urne unserer Mütter, ließ die Blumen zu ihren Füßen fallen, setzte mich, um mein Mädchen zu stillen, und sagte dann zu Carmil, seine schönen Blümchen bey dem Denkmahle der Väter auszustreuen, und ließ ihn die Namen küssen. Was ich da bey den Erinnerungen an die besten Eltern fühlte, kann ich nicht aussprechen, aber es war unendlicher Dank damit verbunden, weil die Idee in meiner Seele lag, daß die Fürbitte unserer Eltern, Wattines bewegt habe, sich zu der Abreise von der Insel zu entschließen. Ich rufte Gott und sie für meine Kinder an, Antonette schlief auf meinem Schooße. Wattines kam, setzte sich mit dem zärtlichsten Gefühle zu mir, und wünschte, daß einst unsere Kinder für uns gesinnt seyn möchten, wie wir für unsere Eltern.

Meine Freunde kennen mich, und sagen sich gewiß bey dem Lesen dieser Scene, daß [52] ich bey der Erzählung sicher eben so gerührt war, als Wattines selbst. Dieses ist auch so; doch beschäfftigte ich mich sogleich mit der Vorstellung, daß dieser Auftritt unter den Händen eines gefühlvollen Künstlers, ein äußerst schönes Bild werden könnte. – Frau Wattines sah mich von tausend Gefühlen durchdrungen, und schien zu bereuen, meine Empfindungen so sehr bewegt zu haben. Sie schwieg einige Zeit, lächelte dann etwas vor sich hin, nachdem auch gegen mich und sagte:

Es ist in Wahrheit eine sonderbare Sache um die Verbindung und das Wecken der Ideen, denn da ich so eben von dem dicht mit Bäumen besetzten Platze sprach, welcher den heiligen geliebten Denkmählern gewidmet war, kam mir bey Erinnerung unsers Rückweges längst den zur Seite frei stehenden Stämmen, eine Phantasie von Wattines in das Gedächtniß zurück, welche ich Ihnen als einen neuen Beweis vorlegen will, daß Einsamkeit [53] die Einbildungskraft lebhafter Menschen auf mancherley Art beschäftigt. – Die Vermuthung, daß die feindenkende Frau meine Ideen von dem mit so rührenden Farben gemalten Bilde der Wallfarth zu den Urnen abziehen wolle, gab mir um so viel mehr Aufmerksamkeit, auf die Art, wie sie es anfangen würde, und ich bat sie angelegen, wenn das Erzählen sie nicht ermüde, so wünschte ich den Anlaß zu ihrem Lächeln zu hören: ich wüßte wohl, setzte ich hinzu, daß unsere Seele sehr schnell die entferntesten Gegenstände mit einander verbände, und diese Uebergänge in einer Seele wie die Ihrige, würden mir immer äußerst wichtig seyn. Ihr Erröthen und die kleine Verlegenheit, in welche sie kam, zeigten mir aufs neue, daß ich richtig urtheilte, als ich die Besorgniß in ihr dachte, ich möchte am Ende zu viel Antheil an ihr nehmen! welches sie vermeiden und also einen zu gefühlvollen Eindruck verwischen [54] wollte. Sie sagte mit Ruhe und gefaßtem Tone: Sie legen zu viel Werth auf eine vorübergehende Idee, von dem leicht hin- und herschwankenden Geiste einer Frau; aber Sie sollen es wissen: als Wattines unsere Obstbäume pflanzte, fällte er mehrere von den Wildstämmen, welche den ersten die Mittagssonne benahmen, die welche in einiger Entfernung stehen blieben, konnten sich aber um so mehr ausbreiten. Eines Tages, da Wattines seine Obstbäume besorgte, und ich unser kleines Vesperbrod, den schottischen, in Honigwein gelegten Brodkuchen brachte, und auf die Rasenbank neben ihm mich setzte, jeden Bissen seines hart erworbenen Abendbrods segnete, so wie ich Antheil an der Freude nahm, welche er über den Wachsthum der guten Fruchtbäume äußerte, ich aber bey Betrachtung der prächtigen Wald-Stämme wünschte, daß die Obsttragenden auch so stark und dauerhaft werden möchten,[55] Wattines mich aber ganz darüber belehrte. –

Endlich aber sagte mein theurer Carl: er habe in einer Ruhestunde diese Bäume als Sinnbild des menschlichen Geistes betrachtet, wie unser geliebterBernardin de St. Pierre das Bild des menschlichen Schicksals darin erblickte, und sagte:

»Alle Aeste und Zweige unsers Lebens sind sterblich wie der Stamm selbst es ist. Unser Glück, unser Ruhm, unsere Freundschaften, unsere Liebe, alle Gegenstände unserer liebsten Neigungen vergehen und verfallen sehr oft vor uns. – Wie oft scheinen glückliche Umstände einer Familie zu glänzen, wie der weit verbreitete, den Wald verschönernde Gipfel einer mächtigen Eiche, welche unerwartet vom Donner zerschmettert fällt.« Diese Erinnerung war mir nicht lieb, und ich sagte zu Wattines: Bester Mann! deine [56] Betrachtung wird doch nicht so düster seyn wie diese?

Nein, aber vielleicht nicht so nahe bey der Wahrheit. Meine Träumerey entstand aus der Erinnerung, daß unsere großen Gelehrten in der Encyclopädie sagten: alle unsere Ideen und Kenntnisse erhält unser Geist durch die Sinne: also durch sinnliche irdische Hülfsmittel, des Fühlens und Sehens, wie Bäume, welche nach dem Gesetze der Natur aus der Erde stammen, von ihr festgehalten und ernährt werden, die Kraft des Erhebens und Ausbreitens durch sie bekommen, durch die Wurzeln unaufhörlich Säfte und Kräfte sammeln, und diese in dem freien Luftraum in Aesten, Zweigen, Blättern und Früchten, in tausendfacher Richtung und Biegungen zeigen, weil sie in der Luft sich frey und willkührlich ausbreiten können, ihre Bewegung aber nur durch zufällige, schwache oder starke Erschütterung [57] erhalten. – Ist es, dachte ich, nach dem Grundsatze der Gelehrten und dem Stammbaume der Wissenschaften nicht eben so? Da sie durch die Sinne, also durch die mit unserer Erde verbundenen Wesen entstehen, und durch sie unterhalten werden? – Erheben und verbreiten sich die Ideen der Menschen nicht in dem unermeßlichen Spielraume der moralischen Welt des Denkens, bald in mächtigen fruchtbaren Aesten großer und nützlicher Wissenschaften, bald in tausend größern und kleinern Zweigen der Dichtkunst, wohl auch in Tändeley und Phantasien? Sind die Werke des Geistes nicht auch zufälligen Meinungen, oder Erschütterung fremder Gewalt unterworfen?

Ich lächelte nun auch, und stimmte mit Frau Wattines ein, daß die Einsiedler sehr oft Erscheinungen und Träume für wahr halten, und überhaupt ihre Denkkraft einen besondern Gang nehme; – doch ist Wattines [58] Vergleich, da er sich auf seine geliebte Encyclopädie gründet, nicht so schief, besonders da er ihn nur seiner Frau in einer Erholungsstunde vorlegte, und gewiß niemals bey einer Akademie damit auftreten wird. Wie sehr wünsche ich über diese und alle andre in meinen Blättern enthaltene Gedanken und Bilder, etwas von den Bemerkungen und Noten meines theuren Freundes zu hören. Aber es wird noch viele Zeit hinfließen, ehe ich dieses angenehme Glück meines Geistes genießen kann. Leben Sie indessen Beste beyde wohl, und wünschen Sie, daß auch ich leben möge. Mit einem innigen Gefühle von Freude sage ich, die Tage an dem See Oneida haben auch nur 24 Stunden, wie in unserm Vaterlande, und gehen bey nützlicher Arbeit eben so geschwind zu Ende, doch machen mich die Nachrichten aus Europa wünschen, daß der so schnelle Lauf der Zeit, doch bald, sehr bald, alle gute Leidende, mit den schönen [59] Vers unseres edlen Haller einstimmend sagen lasse:


ja, ja die Zeit trägt auf geschwinden Flügeln,
das Unglück weg, und unser Wohl heran,
und mein Herz wiederholte leise:
geliebte Luft! auf väterlichen Hügeln
wer weiß, ob ich dich nicht bald schöpfen kann;

denn ich fühle, der Schwabe liebt sein Vaterland, wie der Schweizer.

Meine nächsten Fragen betrafen den dritten Winter, welchen die guten Wattines auf der Insel verlebten. Sanft sagte die edle Frau:


Es war alles einförmig, wie die zwey ersten Jahre, und Gewohnheit hatte mit ihrer wohlthätigen, sanft wirkenden Macht, schon vieles versüßt und erleichtert. Gewiß erheiterte [60] auch der Gedanke, im künftigen Sommer wegzuziehen oder Leute zu uns zu nehmen, unsere trüben Stunden, wie eine Trennung dichter Regenwolken, durch den Anblick des blauen Aethers, an die wiederkommende Sonne denken und ihr entgegen lächeln macht. Sie wissen, daß Lesen und Arbeit unsere einzige Stütze war. Die zwey ersten Winter wollten wir nur die Naturgeschichte ganz kennen, – als mein Carmil da war, wiederholten wir die von dem Menschen und seiner Seele, indem wir dadurch in den Stand gesetzt wurden, unsern Sohn um so besser zu erziehen, und ihn um so glücklicher zu machen. Nun da das Bild von Wiedervereinigung mit Menschen vor unsern künftigen Tagen schimmerte, so bat mich Wattines, die Wiederholung der historischen Geopraphie mit ihm zu theilen. Sie können leicht denken, daß ich gerne einwilligte, aber ich glaube auch, daß es Ihnen nicht möglich ist, sich die Summe [61] der glücklichen Gefühle zu denken, welche mein Herz und mein Geist in unserer Holzhütte genoß, wenn mein edler thenrer Carl mir kurze Auszüge mittheilte, welche als Abbild des Ganzen in seiner Seele waren, indem er mich auf den Character aller großen und kleinen Nationen alter und neuer Zeiten aufmerksam machte, mir das Entstehen, die Dauer und den Zerfall der Verbindungen, Regierungsarten, Fürstenthümer, Monarchien und Republiken bekannt machte, und mit eben so viel Empfindung als Kenntniß in dem mir so lieben Gang seiner Ideen, mir in einer Betrachtung sagte: alle Millionen Menschen, welche in den verflossenen Jahrtausenden auf unserer Erde lebten, erhielten von der Natur die nehmlichen Gefühle für körperliches Wohl und Weh, wie wir, wurden von der nehmlichen Erde getragen, von ihren Früchten genährt, von der nehmlichen Sonne beleuchtet; alle Keime der Leidenschaften unserer [62] Seele, alle Fähigkeiten des Geistes wurden mit mütterlicher Hand unter sie wie unter uns ausgestreut; – alle Menschengeschlechter hatten einen gleichen Antheil an Tugenden und Fehler. – Weißheit und Thorheit flossen durch alle Jahrhunderte der Geschichte der Menschheit, wie Wasser durch alle Gegenden der Erde; alle vor uns lebenden genossen den Wechsel der Jahrszeiten, Blumen im Lenz, Korn-Erndten im Sommer, Früchte im Herbste und tiefe Ruhe im Winter. Ein Philosoph behauptete, daß Tugend, Wissenschaft, Glück und schöne Kunst die Menschheit durchwandeln, wie die Jahrszeiten unsere Erde, – und Wattines erzählte mir nun auch die Geschichte des Geistes der Kenntnisse und moralischer Begriffe. Mir war der Wechsel der Jahrszeiten in dem Gebiethe der Seele äußerst unangenehm, denn die Idee des Winters der Menschheit, der jeden Anbau des Verstandes [63] deckt, jede Quelle der Wissenschaften stocken macht, schmerzte mich noch mehr als die begränzten Einsichten unserer Oneidas. Wattines sagte, ich will also dieses Gleichniß nicht weiter führen, besonders da die Naturgeschichte der Erde beweißt, daß das irrdische Paradies nur einmal unter dem Monde erschien, und mit der Unschuld verschwand. – Unter allen Himmelsgegenden fand einer der größten Seefahrer nur durch ein Ungefähr auf der kleinen Insel Tinian, den Ueberrest eines Landes, wo immerwährender Frühling herrscht, viel merkwürdiger ist, daß sie unbewohnt war, diese liebliche Insel, auf welcher der englische Admiral Ansen, und alle Leute seiner Flotte, ihre verlorne Gesundheit und ihre Heiterkeit wieder fanden. Ich fragte ob Tinian jetzo in der Gewalt von Großbrittannien sey? nein sagte er, sie ist auch noch nicht bevölkert, die schöne wohlthätige Insel, und dieses wie man sagt, aus [64] gemeinsamen Neide der Seemächte, weil Tinian zu klein ist, um von ihnen allen Colonisten aufzunehmen, so kamen sie zum Besten der Menschheit überein, die Natur ungestört in dem schönen Besitze zu lassen, damit immer nothleidende Schiffer sicher seyn könnten, auf Tinian Erquickung und Ruhe zu finden.

Dieses machte mir Freude, sagte Emilie, dadurch behält die liebe Insel ganz den schönen Character des Frühlings, der allen Menschen Wohlthat und Freude ist. Der Nahme Tinian, dünkte mich für eine blühende Gegend geschaffen, und ich wünschte die Nation zu kennen, in deren Sprache die sanfte Benennung entstand. – Lange war meine Seele nicht so angenehm bewegt, als bey der Idee von dieser Insel, indem mein Herz sagte: Tinian ist also für das physische alles was man wünschen kann, wie reine Tugend und Weißheit alles für das wahre Glück der [65] Seele sind. – Wattines fand mein Gleichniß wahr, und setzte hinzu: man sucht aber den stillen sichern Hafen nur, wenn die Schiffe durch Stürme beschädigt sind, und die ruhige Weißheit, wenn uns die Leidenschaften unglücklich gemacht haben. Wir waren nun beyde einige Momente stille, bis Wattines mit etwas bewegter Stimme sagte:

Wie soll ich nun meiner Emilie alles erzählen, was man durch Anson von der lieben Insel weiß, welche dich so sehr anzieht? Wie könnte ich gleichgültig bleiben, mein Bester! bey ewigem Frühling, bey Zuflucht gegen Stürme und Krankheit. – o, sage mir ja alles, was du von Tinian weißt. – Nun hörte ich, daß dieser reitzende Garten der Erde einst von Menschen voll schöner Gefühle bewohnt war; denn Admiral Anson traf in einem Dickigt von Bäumen und Sträuchen noch einige schwanke Pfeiler, welche oben mit Blumenkörben von vortrefflicher Bildhauerarbeit [66] besetzt waren. – Anson wurde dadurch begierig noch mehr Entdeckungen zu machen, aber es fand sich nirgends eine andre Spur von Gebäuden, nirgends Einwohner, die etwas erklären, oder nach alten Sagen ihrer Vorzeit erzählen konnten. – Tinian beschäftigte nun meine ganze Seele, diese Insel dünkte mich der höchste Theil eines großen, in das Meer versunkenen Eylandes zu seyn. Die schönen Pfeiler mit den Blumenkörben umfaßten vielleicht den Vorhof eines ofnen, dem guten Gott der Welt geweihten Tempels, welcher von allen Seiten, jeder an der Seite des Berges und in der Pläne wohnenden Familie, sichtbar gewesen seyn mußte, gegen welchen die guten Menschen bey Auf- und Niedergang der Sonne, ihre Augen mit einem Dankgebet erhoben; und gewiß lehrte jede Mutter ihr Kind auf dem Arme, seine Blicke nach dem schönen Berge zu richten, und seine Händchen dabey zu falten. Wie oft mag eine [67] in blühender Wiese knieende Mutter ihre betenden Hände, über denen des vor ihr stehenden Kindes geschlossen haben, von dem Urheber der Sonne, der Erde und des Meers, Glück und Leben für das geliebte Kind zu erflehen: gewiß flüchteten bey dem ersten Weichen des Bodens unter ihren Füßen, viele nach dem geliebten Berge, sahen den Untergang der andern, und zitterten für sich. Gewiß viele wurden gerettet. Wo sind ihre Nachkommen? – Wattines antwortete mit traurigem Ernst:

Vielleicht hat Begehrlichkeit und Neid der benachbarten Insulaner, mit dem kleinen geretteten Ueberreste des Volks von Tinian um den Besitz des schönen Berges gestritten, und sie völlig ausgerottet. – Und dieser Neid, sagte ich, hinderte gewiß auch, daß man nichts von der Tugend und den Verdiensten dieser einst so glücklichen Tinianer hörte. Nur der Geist des schönen Geschmacks, und [68] der Genius der Kunst, haben vereint die letzten Fußtapfen der guten würdigen Bewohner von Tinian bewahrt, und den Staub dieser, von der ganzen Welt vergeßnen, edlen Menschen, nährt noch Pflanzen, welche Kranke heilen und erquicken, Tinians ewigen Frühling verschönern, und den Wuchs der schattenden Bäume vergrößern; auch ruht stets noch ein Theil des Segens der genesenen erheiterten Seeleute auf ihrer Asche, der reine, nie getrübte Himmel fließt über sie, ihre Seelen sind bey ihrem Schöpfer und – hier fiel Wattines mit der liebreichen Anmerkung ein, ihr Andenken wird von dem edelsten Herzen, mir so vieler Theilnahme gefeiert, wobey er zärtlich nach mir blickte. – Unbedachtsam erwiederte ich diesen Blick mit dem Wunsche, ach, wenn unser Carmil auf Tinian erzogen würde! – plötzlich erschien nicht nur in Gesichtszügen und Augen, sondern in der ganzen Gestalt meines Carls ein Ausdruck von [69] Ernst und Schmerz, der mich staunen machte. Erst waren seine Augen zur Erde geheftet, dann erhob er sie mit der Thräne des innern Unmuths benetzt gegen mich, reichte mit der Hand über sein Buch nach mir, und sagte:

Bekenne theure Emilie! daß dieser Wunsch für Carmil nur ein kleiner Umweg für die erregten Wünsche deines eignen Herzens war. Tinian ist dir mehr als unsere Insel geworden. – Vergiß aber doch nicht, daß die Bewohner Tinians aus dem Schooße des ewigen Frühlings verschwanden, und daß wir auf Oneida mit Carmil ruhig leben. –

Ich starrte ihn an, und da er bey der zuletzt ausgesprochenen Sylbe meine Hand nur einen Moment drückte, und die seine sogleich zurückzog, warf ich meine Arbeit weg, umarmte ihn und sagte an seinem Halse weinend:

O Gott sey Dank für den Entschluß des Wegziehens, denn die Einsamkeit dieser Insel wirkt [70] trauriger auf meinen edlen Carl als auf mich, sein ofner, gütevoller Character wird mißtrauisch, selbst auf seine Emilie, wird ungerecht gegen sich selbst. Sage Lieber! wie sollte ich mit einer Idee meines Kopfs, oder mit einem Gefühle meines Herzens einen Umweg nehmen? Verdient dein Character und deine Liebe nicht alles Vertrauen meiner Seele, und würde mir nicht das Blid deines scharfsinnigen Geistes immer zeigen, daß alle meine Feinheit ganz platt vor deinem Auge liege? – Daß ich unserm blühenden Carmil einen immerwährenden Frühling wünschte, sagt nicht, daß ich Elysium vergaß, welches deine Liebe hier für mich schuf.

Wattines wurde überzeugt, daß ich gerecht für ihn dachte, und diese Betrachtung besänftigte ihn ganz: sie war ihm leid die Strenge, mit welcher er eine kleine Phantasie meines mütterlichen Herzens beurtheilt hatte. – Mir war dieser kleine Auftritt [71] sehr viel zur Beleuchtung eines neuen Theils in Wattines Character und Lage.

Ich dankte mit Emilien dem Himmel, daß er sie aus dem peinlichen einsamen Leben zog, denn als der Enthusiasmus der Reue und der Trauer, die holde Emilie hieher gebracht zu haben, nur einen Augenblick einem Zweifel gegen ihre Gesinnungen Raum gab, so wankte eine Stütze des in Wahrheit kunstvollen Gebäudes ihrer Glückseligkeit, und mir wurde auf der andern Seite wegen Emiliens Bemerkung, über den Einfluß von Oneidas Einsamkeit bange; aber sie wußte ihren Ideen und Ausdrücken so schnell eine liebliche Wendung zu geben, daß sein Verstand und sein Herz eben so umfaßt wurden, als er selbst von ihren Armen umschlungen ward. Ich erkannte den hohen Werth der Feinheit des Gefühls einer mit einem Hitzkopfe verbundenen Frau, denn wie viel vermag da sanftes Schweigen und Klugheit, den schicklichen[72] Moment zu einer liebreichen Unterredung zu finden. Ich wünsche diesen Geist jedem Frauenzimmer, wie ihn Frau Wattines hat; aber ich konnte ihr diese Betrachtungen nicht mittheilen, und auch nicht länger auf diesem Gegenstande verweilen, sondern ich zeigte ihr auf einmal einen großen Unmuth über Englands Barden, daß noch keiner die Geschichte von Tinian zu dem Gegenstande eines Gedichts wählte, wo der Poet einen so reichen und edlen Stoff vor sich hat; den Character des Seehelden Anson, dann Sturm, Melancholie der Seeleute, und endlich die Entdeckung des herrlichen Tinians. Engländer haben so viele Empfindung für Natur und große, schöne Charactere, müssen wir nicht sagen, daß Madame Wattines ganz nahe bey dem Entwurfe eines entzückenden Gedichts war? Bild des fruchtbaren, mit Einwohnern und Wohlthaten der Erde versunkenen Landes, nur die Anhöhe mit dem Tempel gerettet.[73] – Die Mutter welche ihr Kind beten lehrt. – Zwey Schutzgeister welche in Ueberresten schöner Kunst, das Andenken der ersten Besitzer dieser Insel aufbewahren. –

Emilie verließ mich auf einige Zeit, und ich dachte an unsers schätzbaren Professors Jacobi in Freyburg nicht genug bekanntes, nur zu kleines Werk: Nessir und Zulima, worin man wirklich in ein moralisches Tinian versetzt wird; einfache, wahre, schöne, gut und glücklich machende Begriffe von allem, was der Menschheit am meisten angelegen seyn kann erhält. – Frau Wattines kam mit einer heitern, doch sehr aufmerksamen Miene zurück, nahm ihre Arbeit wieder und sagte:

Warum haben Sie meine Geschichte von Tinian mit einem Ausfalle auf die englischen Poeten abgebrochen? – Ich sagte ihr von dem Ernst meiner Unzufriedenheit, daß ich Tinian noch nie besungen fand, – lächelnd [74] antwortete sie: ich glaube an diesen Unwillen, aber gewiß ists doch auch, daß Sie nichts weiter fragen wollten, weil die Idee des kleinen Zwistes zwischen Wattines und mir vor Ihnen stand. –

Ich war wegen ihrem scharfen Auge etwas betreten, sagte aber freymüthig: wer sollte da weiter fragen? Lebhaft und mit freundlichem Tone erwiederte sie: ein Freund sollte es, der Wattines und mich als gute Menschen kennt, die wohl manchmal auf dem Wege ihres Lebens ein paar Schritte von einander abweichen, aber sich immer wieder einholen, und zurufen, um Hand in Hand weiter zu wandeln, Blumen zu pflücken, oder sich bey beschwerlichen Stellen zu wechselseitiger Stütze zu dienen.

Ich konnte mich nicht enthalten zu sagen: verehrungswürdige Frau!

Warum dieser große Ausruf bey einer so erstaunend einfachen Gelegenheit? Geht in [75] Ihrem Teutschland das eheliche Leben so ganz ohne Mißverständnisse hin? hat man nie Anlaß dem Manne zu sagen:Vereine mit der Obergewalt edle Güte! und der Frau zuzustüstern, sey sanft und klug? muß man letzteres nicht bey Freunden und Bekannten beobachten, so lange wir und sie keine Engel treffen? Aber ich will meine durch Wattines unterrichtende Gespräche verkürzten und verschönerten Winter wieder vorsuchen, da wir gerade auf einen Beweiß kommen, daß die Eigenschaften der Engel sich selten mit irdischen Wesen vermengen. Mein Carl ließ mich bey dem so äußerst angenehmen Vorlesen der historischen Geographie, in dem Character aller Zeiten, das ungleiche Maß der Talente und Glücksgüter, der Tugenden und der Künste bemerken. Meine Emilie, sagte er, bedauerte in der Borkenhütte der freien Indier, die so sehr engen Gränzen ihrer Kenntnisse, hier, indem er die Charte [76] von Europa ausbreitete, in diesem, auf seine allgemeine Cultur so stolzen Welttheile, leben unter dem Scepter moralischer und politischer Gesetze, Halbwilde, an welchen man nichts zu achten scheint, als ihre körperlichen Kräfte zum Kriegsdienst und Landbau. – Er zeigte mir Provinzen aller Mächte von Europa, über welche weder Philosophen noch Politiker und Theologen sprechen dürfen, deren Europa so viele hat, sie, für welche unsere Könige so viele Ehrenstellen, so viele Belohnungen bereitet hatten: und, zeigten sich nicht in Frankreich, in Paris, tausend und tausend Verwilderte, Rohe, Grausame, Unwissende, wie in irgend einem Stamme der wildesten Nordamerikaner? Sie wissen, setzte Emilie hinzu, daß Wattines die Erinnerung des an dem jungen Grafen Büffon begangenen Mordes nicht ertragen konnte, und daß er voll edlen Schmerzes und Unmuths uns verließ, um sich unter Gottes freiem [77] Himmel wieder zu sammeln; eben so eilend verließ er bey diesem Punkte seiner Betrachtungen, mich und unsere Hütte. Ich sah aus unserer kleinen Fensterscheibe, wie er den Weg durchlief, welchen er sich zum Wasserholen von der Hütte zu dem See, in dem so viele Schuhe hohen Schnee gebahnt hatte. Die Luft war kalt aber heiter, die Bäume mit gefrornem Duft übersilbert, und die Sonne beleuchtete meinen Carl und seinen Weg. Ich betete für ihn, und er kam ziemlich gefaßt zurück, laß in der Encyclopädie den Artikel Gesetz, nahm dann die Lebensbeschreibung unsers großen Montesquieu, – aber dieß erinnerte ihn an das Werk von dem Geist der Gesetze, und daß 34 Jahre nach dem Tode dieses Mannes alle Gesetze mit Füßen getreten wurden. Die Seele meines theuren Wattines war düsterer, als der einbrechende Abend, doch konnte er die Idee von Montesquieu nicht verlassen, und las in [78] einem Bändchen seiner Briefe, welche ihn endlich zerstreuten. Nun bat ich um das Vorlesen einiger Blätter im Bernardin de St. Pierre, welchen Wattines besonders liebt, und dessen Art die Natur zu betrachten, unserer Lage und unsern Gefühlen nah und sympathetisch war, also immer am meisten auf uns wirkte, so wie die Natur stets sanfte Wehmuth, die Menschengeschichte aber, meist bittre Gefühle in Wattines Seele goß. – So wechselte der Gang unserer Tage und Empfindungen mit nöthiger Arbeit, mit Besorgung des so schön aufwachsenden Carmils, zwischen ungerufnen Erinnerungen, und mit Nachdenken aufgesuchter Beschäftigung unsers Geistes.

Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie diese Unterredung meine ganze Seele mit Theilnahme und Hochachtung erfüllte. Ach, wie oft zitterte ich, bald für das Glück der Zufriedenheit, bald für das Leben dieser außerordentlichen [79] Menschen, in ihrer eben so außerordentlichen Lage. Wie gütig wurden sie durch die Vorsehung vor sich selbst gerettet; denn sollte der so viel Schönes erschaffende Enthusiasmus der Liebe und des Heldenmuths in Wattines zu Mißtrauen, in seiner Frau zu Aengstlichkeit geworden seyn, – gütiger Himmel! was für eine Verwandlung, was für Jammer auf ihr Leben! – Ich war froh in diesen Ideen gestört zu werden, denn ich gerieth da in einen traurigen Ton.

Nun hatte sich Wattines erinnert, daß er mich auf die Insel führen, und dort etwas von seinem Lieblinge St. Pierre mit mir lesen wolle, ich freute mich sehr, mit ihm allein überzufahren, denn da ich auch rudern und steuern gelernt hatte, so konnte ich ihm vorschlagen, daß wir auf unserer Seefarth abwechseln wollten. Ich speiste mit ihnen zu Mittag, welches schon nach englischer Gewohnheit etwas spät ist, und setzten sodann [80] über den See. Wattines schien entzückt, seine geliebte Insel wieder zu sehen, und mich dünkte, daß in seinen Blicken auf das Ufer, auf seine ehemalige Wohnhütte, seine Felder und Obstbäume ein Ausdruck von Liebe und Freude des Wiederdaseyns herrschte, welche mich innig rührte. Ich sagte zu ihm: ich verehre Ihre Anhänglichkeit an diesen Boden. Er antwortete mit sanfter Stimme und ernster Miene:

Wie undankbar wäre mein Herz, wenn ich ihn nicht liebte und segnete, den Boden, der mich aufnahm und beynahe vier Jahre mit Frau und Kinder nährte. – Nun gingen wir stille miteinander gegen die Seite des Belveders, durch einen etwas engen, an dem Ufer hinlaufenden ungleichen Weg. Ich vermuthete, daß er mich zu den Gräbern führen wollte, von welchen Emilie mir gesagt, und wovon ich seit dem ersten Besuche auf der Insel ein Bild in dem Gedächtnisse behalten[81] hatte; nämlich zwey schmale Blumenbeete und zwey Moosbänke zu ihrer Seite. Urtheilen Sie aber, wie ich staunte, auf einer zwischen zwey Bäumen sich vordrängenden stumpfen Pyramide eine runde, halb von den Zweigen der Pappeln bedeckte kupferne Tafel zu erblicken, welche wie die zwey Blumengräber und das Gebüsche umher, zur Hälfte beleuchtet war. Ich trat wirklich bey der unerwarteten Erscheinung in dem Halbdunkel etwas zurück, besonders da ich bey einem Blicke nach dem See mich der Veranlassung zu diesen Gräbern erinnerte. Wattines stand neben mir und sah vor sich hin, ich drückte seine Hand und sagte:

Hier wollten Sie ruhen? Er antwortete: O, mein Freund! was würde aus mir geworden seyn, wenn ich Emilien hier begraben hätte. Er setzte sich dabey, wie unter der Last dieser Vorstellung ermattet, auf die eine Bank nieder, ich wandte mich von ihm ab, und ging [82] zwischen den zwey in Blumenbeete verwandelte Ruhestätten gegen die Pyramide, welche in der Mitte stand, und fand wahrlich in englischer und französischer Sprache folgende Inschrift:


Zwey junge treue Gatten, von der Classe des unglücklichen französischen Adels, flüchteten sich, nachdem der Convent von Paris ihre Verwandte ermordet hatte, 1791 im May auf diese unbewohnte Insel, bauten Felder an, bereiteten diese Gräber, und hofften auf Gottes Güte.

Emilie und Carl von Wattines


Sie wissen meine Freunde, daß ich gerne bey Denkmählern welle, und vermuthen, daß mich dieses besonders anziehen mußte. Ich blieb auch von tausend Gefühlen durchdrungen lange dabey stehen. Jugend, Schicksal, [83] Verdienste und Sorgen dieser guten Menschen umschwebten mich: Wehmuth, Wünsche, theilnehmende Freundschaft und Bewunderung wechselten in meiner Seele. – O wie ganz anders war der Gedanke des Todes hier, neben den ofnen Gräbern dieser zwey Edlen in der gänzlichen Einsamkeit, als Todesideen, welche in großen Kirchen und eigen erbauten Capellen, bey Marmor und Wundern der Bildhauerkunst mich an mein eignes Sterben und Staubwerden erinnerten. Die Stille umher, die Blumen und Pflanzen in den Grabbeeten, ein Blick auf den schönen, jungen, abgehärmten Wattines, der auf der Bank saß, welche er aus der Erde formte, die aus Emiliens letztem Ruhebette ausgehoben war, auf welches seine Augen geheftet waren. Ach, alles dieses wirkte sehr auf mich. Ich kam mit der Thräne der Rührung im Auge zu dem lieben Manne zurück, setzte mich neben ihn und umarmte ihn [84] schweigend. Nach einigen Minuten sagte er, mich bey der Hand fassend:

Nicht wahr! sie finden natürlich, daß ich wünschte unsere kleine Geschichte zurück zu lassen? Es ist so traurig, ganz, ganz vergessen zu seyn. –

Ich erwiederte: Sie haben recht, aber ich danke Gott, daß er durch Colonisten zu Hülfe kam, und ich hoffe er thut noch mehr.

Seufzend sagte er: ich wünsche es, beten Sie meiner guten Kinder wegen, um mein und Emiliens Leben. – Imsigst, gewiß innigst, theurer Wattines.

Nach einer Pause von etlichen Minuten fragte ich: wo haben Sie denn die Platte zu dem Denkmahl bekommen? nun lächelte er und sagte: ich brachte sie mit aus Philadelphia.

Ich sah mit einer Miene voll Zweifel nach ihm. Er wiederholte aber:

[85] Ja, mein Freund! ich brachte sie mit, aber in einer andern Gestalt, welche Sie den Abend sehen werden. – Es dauerte lange bis die arme Inschrift fertig war, und ich das Mittel gefunden hatte, sie mit einiger Sicherheit zu befestigen, indem ich sagte: nachkommende Besitzer dieser Insel, finden hier keine Ruinen von Gebäuden und prächtigen Denkmählern alter, kunstvoller Bewohner, wie auf den Inseln Griechenlands; aber mit dem guten Träumer Bernardin de St. Pierre hoffte ich, edle Seelen der künftigen Colonisten, würden bey diesem einsachen Denkmahle der Liebe und des unverschuldeten Unglücks, das melancholische Vergnügen des Anblicks eines Grabes genießen. Ich nahm es weg, als wir auf das feste Land zogen, und brachte es heute sehr früh herüber, damit Sie meine Phantasie sehen sollten; – aber wir sind, fürchte ich, etwas zu ernsthaft geworden, und, (indem er ein Buch aus der Tasche zog) [86] diese versprochenen Blätter werden uns nicht ermuntern.

Ich erwiederte, warum? dieser Ernst hat wirklich seinen Anmuth. Sie müssen gesehen haben, daß Todte und Gräber mir werth sind; lesen Sie mir immer die Blätter, deren Inhalt Ihnen so werth ist. – Ich achtete es für meine Pflicht, dem guten Wattines diese Bitte zu machen, denn er hatte mit so vieler Achtsamkeit auf meine teutschen Grabgeschichten gehorcht, warum sollte ich nicht zeigen, daß die Ideen von seinem geschätzten Landsmanne, mir auch angenehm seyn würden. Er las mir also eine Betrachtung überdas Vergnügen bey Gräbern vor.

»Es giebt kein Denkmahl, welches mehr Eindruck macht, als Gräber, und es ist merkwürdig, daß der größte Theil civilisirter Völker die Gräber ihrer Voreltern zum Mittelpunkt ihrer Frömmigkeit, und zu einem Theile [87] ihrer Religion machten. Die Gräber der Voreltern sind bey den Chinesen die Hauptzierde ihrer Vorstädte und ländlicher Hügel. Indische Stämme, weichen man sagte, zieht anderswo hin, antworteten: können wir den Gebeinen unserer Eltern sagen, steht auf! und zieht mit uns in andre Länder?«

»Gräber haben Young und Geßner die rührendsten Bilder gegeben, – selbst Wollüstlinge kommen manchmal zu diesen natürlichen Gefühlen zurück, und erbauen in ihren Gärten künstliche Gräber. Woher kommt dann dieses Trauergefühl mitten in dem Genuß des Vergnügens? Ist es nicht von der Empfindung, daß etwas nach unserm Leben besteht? denn es ist nicht die von der Kürze des Lebens, und daß wir in ein Grab verschlossen werden, – dieses würde ihre Phantasie empören, und die meisten von ihnen fürchten den Tod. – Nein, das Anziehende der süßen Trauer bey einem Grabe, entsieht aus den zwey entgegen gesetzten [88] Gefühlen, unserer wenigen Dauer auf Erden, unb unserer Unsterblichkeit.«

»Dieser stille Gedanke ist es, welcher sich bey dem Anblicke dieser letzten Wohnung der Menschen in unserer Seele erhebt. – Ein Grabmahl ist wie ein Gränzstein zwischen dieser und jener Welt; es zeigt das Ende des Gewühls des Lebens auf Erden; ist Sinnbild der ewigen Ruhe, und giebt das Gefühl einer unaufhörlichen Glückseligkeit. Diese Ueberzeugung ist um so stärker, je tugendvoller der Verstorbene war. Dieser Gedanke ist so richtig, daß gewiß niemand die Asche des Nero, selbst in einer silbernen Urne, in einem Garten haben möchte, und hingegen die von Socrates, sollte sie nur in einem irdenen Topfe seyn, gewiß gerne verwahren würde. Gräber verdienstvoller Personen flößen uns Verehrung ein. Man wird bey dem kleinen Hügel gerührt, welcher die Asche eines liebenswürdigen Kindes verschließt, indem man [89] an seine Unschuld denkt,« und ach! setzte er seufzend hinzu, ein Blick auf das Grab einer schönen, tugendvollen jungen Frau! – »Erz und Marmor geben da keinen Werth, ein einfacher Grabhügel erhält mehr Thränen als Trauergerüste. Der bey einem bemoosten Grabe des Dorfkirchhofs stehende Eibenbaum rührt mehr als Pyramidenbaue und Grab, bleiben auch in Verbindung mit der ganzen Natur: der Aufgang der Sonne, das Rauschen der Luft, die Abendröthe und das Dunkel der Nacht, die härteste Arbeit, der niedrigste Stand erlöschen dieses Gefühl niemals; man erinnert sich, daß zwey Jahre lang ein Neger nach dem Tode seiner Frau, in seinen Ruhestunden ihr Grab mit seinen Kindern besucht und dabey geweint habe. –«

O denken Sie, was dieses Bild für mich war, sagte Wattines, wenn ich mit Emilien und Carmil hieher kam, und wußte, daß sie zum zweytenmal Mutter werden sollte, und [90] ich sagen mußte: ach die Schwangere, die Gebährerin giebt von ihren Lebenskräften mehr als der Mann bey dem Graben des Feldes; wenn ich nun, wie dieser arme Neger, mit zwey Kindern bey dem Grabe ihrer Mutter weinte! –

Ich antwortete ihm hier nur mit einem Blicke, und durch Erwiederung des Drucks von seiner Hand; denn was hätte der größte Redner in diesem Moment sagen können? – Er nahm aber sein Buch wieder, und machte, indem er auf eine Linie deutete, die Anmerkung:

Hier hat St Pierre ganz die Lage gemahlt, in welche das Schicksal mich brachte; denn er sagt: die erste Wirkung des Unglücks macht unsere Seele starren, die zweyte zermalmt sie. – In der ersten Bewegung erhebt sich der gute Unglückliche zu Gott, mit der zweyten wird er zu dem Gefühle des Mangels aller körperlichen Bedürfnisse hinunter gebogen.[91] – Eine Stimmung, in welcher ich den Weg von meiner Hütte hierher oft zurück legte. –

Ich konnte es begreifen, und mein Herz wünschte des edlen Salis Gedicht an die Wehmuth mit dem schätzbaren Wattines lesen zu können, es schien als ob Wehmuth in meinen Zügen sich ausdrückte, weil mir Wattines in seinem schönen männlichen Tone sagte:

Ich besorge, daß ich ihr theilnehmendes Herz mit den Trauerideen des meinigen plagte. – Lassen Sie mich von dieser Stelle nur noch etwas von meiner Emilie erzählen. – Sie machte es wie alle gefühlvolle Seelen, welche das beste immer ohne Zeugen zu thun wünschen, und ich belauschte sie gerne, besonders wenn ich was vorzüglich Nachdenkendes oder Zärtliches gegen unsre Kinder bemerkte. In einer solchen Stunde, nach unserm Frühstücke, war ich bey der Pyramide, hier zwischen [92] den Bäumen, kurz nachdem Emilie von ihrer zweyten Reise nach den indischen Hütten zurück war; sie glaubte mich lange bey meiner Fischerey, und kam mit unserer, in ein Tuch gewickelten Antonette und Carmil an der Hand hierher, legte die kleine neben die Moosbank meines Grabes, faßte aber da knieend Carmil in ihre Arme, zeigte ihm die Blumen, dann den zwischen den Bäumen so klar blinkenden Himmel, faltete seine Händchen und lehrte ihn beten: guter Gott! der du die Sonne und die Blumen machst, lasse meine Eltern leben, und gieb mir meines Vaters Geist. – Nun zerfloß sie in Thränen, faßte sich aber, dem sie traurig anstaunenden Carmil zu Liebe, und zeigte ihm wo er Blumen pflücken solle. Ich war äußerst bewegt, bemerkte aber doch, daß sie Carmil zu den Blumen ihrer Ruhestätte gewiesen hatte, und fragte sie einst bey dem Bekenntnisse sie belauscht zu haben, nach der [93] Ursache dieser Abtheilung zwischen der Stelle des Betens, und des Geschenks der Blumen. – Sie antwortete mit Zärtlichkeit: mein Herz wünschte das blühende Sinnbild deines Lebens länger dauren zu sehen als meines. –

Ich hoffe, sagte ich, Sie edle beyde! sollen diese Blüthen noch oft sehen. Wattines dankte mir, legte sein Buch hin, und forderte mich auf ihm zu helfen, die Platte seiner Inschriften loszumachen, indem es Zeit wäre wieder nach Hause zu schiffen. – Ich wollte Hand anlegen, sah ihn aber lächelnd sich wenden, zur Seite einen Stock ausziehen, nachher hinter die Pyramide gehen, Erde abwerfen, und der Platte einige Stöße mit dem Stocke geben, so daß sie vorwärts rückte, und am Ende eine flache drey Zoll hohe, und 1 1/2 Schuh weite gelbkupferne Schüssel mit zwey Handhaben vorkam, auf deren umgekehrten Bodenseite die Inschrift eingegraben war, das [94] ganze in dem obern Theile der Erdpyramide eingeschoben, und der Stock zur Seite durch die Handringe gesteckt, dann alles mit Erde gefüllt und gedeckt war, so daß man nicht leicht diese Erfindung errathen konnte.

Ich äußerte Wattines meine Bewunderung, er sagte: dringende Noth und heftige Begierden machen immer erfinderisch; und so endigte dieser Tag mit einem neuen Beweise, des immer thätigen, und so leicht in tausend Gestalten erscheinenden Geistes der französischen Nation. – Ich speißte bey Wattines zu Nacht, und hörte, daß sie allein um ihrer Kinder willen Verbindung mit Europäern wünschten.

Den folgenden Tag fragte ich nach dem Reste des letzten einsamen Frühjahrs, weil sie den Sommer zu ihrem Abzuge bestimmten, und Wattines zu den Oneidas gehen, ihnen seine Hütte und seine Felder empfehlen, und [95] sie nur ersuchen wollte, ihnen den Weg zu den nächsten europäischen Colonisten zu weisen. »Hoffnung und Ungewißheit kämpften in unsrer Brust, bey jedem Blicke auf dem schönen Wachsthum unsrer Felder, und auf unsere Bücher, sagte Frau Wattines, welche wir nebst allem andern auf einige Zeit dem Zufalle überlassen mußten.« Beynahe waren sie entschlossen noch länger zu bleiben, als mitten in diesem Hin- und Herwanken Vandek erschien, und ihr Herz mit Freude überströmte. Emilie weinte und zitterte noch, als sie davon erzählte, ja weder Wattines noch sie vermochten mir einen deutlichen Begriff von ihren Gefühlen zu geben. – Wattines sagte:

Der ungewöhnliche Ton der Stimme, mit welchem Emilie rief, Carl! Europäer! machte mir die Worte unverständlich, und ich sah eifrig nach ihr, allein um die Ursache dieses durchdringenden Tons zu erforschen; aber ihre ausgehobne Hand deutete, und ihre [96] Blicke waren auf den nehmlichen Ort geheftet, da sah auch ich den vortrefflichen Mann, der sich uns näherte, und von der Stunde an so viel väterlichen Antheil an uns nahm.

Nun schwiegen beyde, Emilie faßte sich zuerst, und sagte gegen mich: O, glauben Sie, daß mein Herz den weisen, gütigen Vandek die ganze Ewigkeit hindurch danken wird!

Sie kennen, meine Freunde, die Geschichte der Entdeckung aus den ersten Blättern meines Tagebuchs, nach der Erzählung des guten Vandek, welcher aber nicht sehen konnte, daß Wattines an dem äußersten Rande des Wassers einen Baumstamm umfaßt hielt, und seinem kleinen Kahne nachsah, so weit sein Auge reichen konnte. – Vandek wußte nicht, daß Wattines wie ein Betrunkener zu Emilien zurückkam, welche er mit ihren Kindern dem Ufer zueilend fand, und ihm zurufen hörte: Wattines, zeige mir den [97] Weg, welchen unser guter Engel nahm: konntest du ihn landen sehen? Ich konnte ihn nicht begleiten, meine Füße wankten zu sehr. – Vandek sah sie nicht fließen die Thränen der Freude und des Danks zum Himmel. Er hörte den Segen nicht, welcher ihm bis an das Gestade nachfolgte; – aber Gott sah uns, Gott hörte uns, sagte Emilie. – Wir umarmten uns und unsere Kinder, und waren nahe dabey, Bücher, Hausrath und Kleidung zu küssen, welche wir seit vielen Tagen mit innerer Trauer des Verlassens angesehen hatten; nun sicher behalten und in glücklichern Tagen genießen würden. Die Gefühle, und die Unterredung dieses Abends sind in Wahrheit unbeschreiblich, jedes von uns wollte schönere, edlere Züge in Vandek gesehen haben. Wir, welche unsere Hütte und unsere schlafenden Kinder des Abends niemals verließen, schlossen unsere Thüre und eilten noch an das [98] Ufer, um zu sehen, ob wir Lichter oder Nachtfeuer der Colonisten entdecken könnten. Es war gut, daß ein, mehrere Tage anhaltender, Regen das Außenbleiben von Vandek rechtfertigte, denn bey schöner Witterung würde meine Seele von Jammer durchdrungen gewesen seyn. Die wenigen Minuten, wo der Regen aufhörte, war eines von uns am Ufer. – Gewiß man empfindet sie nicht zweymal die Bewegung des Herzens, welche schon der Anblick des zu uns rudernden Kahns, und der Anblick einer europäischen Frau in mir hervorbrachte; wie diese Frau meine Sprache redete, und meine Kinder so theilnehmend umarmte. Ich kann es nicht ausdrücken das Gefühl, welches der Gedanke mir gab: meine Kinder, Wattines, ich, haben nun Freunde, Nachbarn, Hülfe zu hoffen. – Was wurde die Vorstellung, Milch, Leinwand, Brod, Salz! – Niemand, ach niemand kann ohne Erfahrung sich einen Begriff [99] von dieser Empfindung machen. – Ich dankte Gott für die Aussicht auf dieses so lang entbehrte, so unerwartete Glück. – Ich sprach nun mit ihr von den Noten, welche Frau Vandek über ihren Character und über ihre Leiden gemacht habe, und erzählte ihr auch von der Achtung, welche die fleißige, Haußhalt verständige Holländerin für die Ordnung und die Arbeiten der Frau Wattines in der Hütte auf der Insel bezeigte. – Es freute Emilie, und lächelnd sagte sie: ich habe sie also recht wohl angewendet, die Mühe, unsere Hütte und kleinen Haußrath auf das möglichste zu ordnen, als ich wußte, daß eine Niederländerin auf unsere Insel kommen würde. –

Ich bat jetzo, daß sie mir den ganzen Vorrath ihrer Arbeitswerkzeuge weisen solle, indem ich wisse, daß sie wie Reliquien geordnet und aufbewahrt würden. – Lebhaft erwiederte sie:

[100] Ja, es sind mir heilige Ueberreste von Geist, Liebe und Tugend meines Mannes; denn diese drey Eigenschaften mußten vereint seyn, um bey dem höchsten Kummer und Leiden hervorzubringen und auszurichten, was er vier Jahre hindurch für Frau und Kinder that.

Ihr Ton und etwas in ihrem Aeußern machte mich unruhig, und ich ersuchte sie, mir eine Frage zu erlauben, – ganz gerne, antwortete sie, vor sich hinsehend: ich besorge, etwas gesagt zu haben, daß Ihnen mißfiel. – Sie erröthete ein wenig, sagte aber sehr sanft: ich bekenne, der Ausdruck, daß ich die Arbeitswerkzeuge von Wattines wie Reliquien aufbewahrte, deuchte mich Spott, und verwundete mein Herz.

Ich fühlte nun auch, daß diese gesuchte Wendung, bey einer ganz einfachen Idee, in Wahrheit unschicklich war, und die liebe [101] Frau doppelt beleidigen konnte, um so mehr da sie von einer Kirche ist, welche die Reliquien verehrt, und daher dieses unbesonnene Gleichniß, in dem Munde eines Protestanten wirklich Spott wurde, gewiß auch alles was Emilie und ihr Mann, in den harten Prüfungsjahren ihrer Einsamkeit ertragen und erfunden hatten, keine zweydeutige Benennung verdiente. – Ich war unaussprechlich unzufrieden mit mir selbst, denn wenn man sagen wollte: Frau Wattines sey durch lange getragenes Weh zu empfindlich geworden, so hätte man unrecht. War es nicht eine Pflicht ihres Herzens, alles mit Dank und Liebe zu umfassen, was ihr Mann mit so viel Sorgfalt und Beschwerde verfertigte? und ich fühle mit Schmerzen, daß ich ohne Verstand, und sehr ungerecht gehandelt hatte. Ich stand in dem kleinen Kämmerchen neben Emilie tief schweigend, und in dem Moment, wo ich eine Entschuldigung [102] herstammeln wollte, erschien Wattines. Meine innere Demüthigung wurde nun mit Verlegenheit gemischt, welche ich etwas verbergen wollte, und mich gegen das kleine Fenster wandte, wo meine Augen gerade auf die Insel trafen, wo das ganze Bild von dem Leben dieser Edlen vor mir stand, mich rührte, und meine Blicke mit wehmuthsvoller Ehrerbietung bald auf Wattines, bald auf die verschiednen Werkzeuge heftete. Der schätzbare Mann schwieg einige Zeit, bemerkte daß mein Auge auf rund gebogne Stücken Drath geheftet waren. Er faßte den Drath und sagte: Ihnen allein, mein Freund! darf ich die Idee mittheilen, daß ich hier an die großen und kleinen Zirkel denke, welche beseelte und unbeseelte Wesen dieser Erde, von Anfang ihres Entstehens, bis zu ihrem Ende neben einander durchlaufen. –

Ich sah auf ihn und lächelte, er sagte [103] aber: ja mein Freund! nicht wahr? Eisentheilchen verbanden sich in dem Innern der Erde zu Erz, dieses wurde ausgegraben, geschmolzen und zu Drath verarbeitet, da kaufte ich ihn zu Gitter eines Vogelhauses; aber die Gesetze der Noth, welche nach dem alten Sprichwort Eisen bricht, änderten, wie es auch oft mit Menschen geschieht, die erste Bestimmung dieses Draths, machte ihn theils zur Gitterflechte, für unsere schottitische Brodkuchen, theils zu großen und kleinen Stricknadeln, zum Band für meine Oehlpresse, und zwey lange Stücke wurden Nähnadeln, mit welchen Emilie eine Art Gewebe hervorbrachte, endlich wurde ein Theil zum Vogelbauer für meinen Carmil verbraucht, und werden wohl hier in Rositheilchen aufgelöst, vielleicht neben der Asche meiner Kinder liegen, mit dem Ganzen vereint werden, damit die ersten wieder neue Eisenerze, die andre aber Pflanzen nähren, welche zum [104] Dienst des Lebens nachfolgender Menschengeschlechter berufen seyn mögen.

Ich sagte zu ihm: Sie haben Ihren Drath in eine zusammenhängende Kette artiger Betrachtungen eingeflochten.

Er hob das Wörtchen artig aus, indem er fragte, warum sagten Sie nicht geradezu phantastische Betrachtungen. – Ich antwortete ernst, weil es mir nicht in den Sinn kam, und wirklich Ihre Ideen mehr als Phantasien sind.

Nun faßte er den Vogelkäfich, und sagte munter: es hätte mir nicht mißfallen, denn ich habe selbst den Gedanken eines Vogelkäfichs für die Insel Oneida als Phantasie geachtet, nur da ich den vielfachen Nutzen meines Draths bemerkte, sagte ich mir: in der großen Welt dient Phantasie nur zu Verschönerung des erfundenen Nützlichen, auf meiner einsamen Insel ist eine meiner [105] Phantasien Grundlage einer vielfachen Wohlthat für meine Familie geworden. –

Mein Herz freuet sich, wenn ich Wattines bey einem freyen Gange seiner stets regsamen Einbildungskraft, mit einer Art von besonderer Zufriedenheit in dem Felde des Denkens herum wandeln sehe. Ich faßte den Faden von dem labyrinthischen Wege seiner Gleichnisse auf, und lenkte das Gespräch mit erneuten Kennzeichen der Theilnahme, auf die Betrachtung ihres so ausgezeichneten Schicksals, Wattines fand es sehr gut und sagte:

Sie haben recht, wir wurden zu dem Zustande der Probe berufen, zu was Liebe, Religion, Verstand, Erziehung und die dem Menschen gegebenen Kunstfähigkeiten dienen. Denken Sie in wie kurzer Zeit wir von einem äußersten Ende zu dem andern geführt wurden, in Philadelphia noch alles sahen, was Pracht, Reichthum und [106] Wohlleben bey Menschen vermögen; auf der Insel Oneida, völlige Einsamkeit und Mangel; bey Indier, Naturmenschen und ihre zufriedne Armuth, gegen die wir in unserer Hütte uns reich dünken konnten; hier fiel Emilie ein: es war aber sehr gütig von der Vorsehung, daß sie uns durch das einfache Denken und Handeln eines Quäkers zu dem noch einfachern Naturleben vorbereitete, – und sagte ich, Sie durch arme Colonisten wieder zu gesellschaftlichen Verbindungen zurückführte. – Emilie erwiederte, und dieß zu meinem ewigen Dank gegen Gott, durch die Hand eines weisen, tugendhaften Mannes wie Vandek ist. Seine Erscheinung wirkte auf meine Seele, wie der Regenbogen nach geendigter Sündfluth auf Noah, weil er die Befriedigung des strafenden Schicksals zeigte, –

Sagen Sie, meine Freunde! ist diese Frau nicht immer auf dem schönen Pfade [107] edler frommer Gesinnungen, kann meine ehrerbietige Bewunderung ihres vortrefflichen Geistes und Characters nur im mindesten zu viel oder zu tadeln seyn? – Wie sehr wünschte ich, gleich mit der Colonie hierher gekommen, und mit Vandek das erstemal auf die Insel gereist zu seyn, gewiß dann wäre alles aufgezeichnet worden, was mit Wattines seit ihrer Verpflanzung auf das feste Land vorging; denn wie viel äußerst interessantes hätte man bemerken können, als Wattines wieder einmal Nachrichten von Europa hörte, begierig und ängstlich nach Frankreichs Begebenheiten fragte u.s.w. aber sie schrieben wenig auf, nur weniges hatte dem Vetter des schätzbaren Vandek besonders merkwürdig geschienen, wie zum Beyspiel die Aeußerung, als Emilie mit tiefem Kummer ihres Herzens ihren Mann fragte, wodurch wurde denn unser französischer Nationalconvent so grausam und blutdürstig? – warum[108] wurde keines von diesen tausend und tausend Schlachtopfern gerettet? sagte Wattines, ach meine Emilie! ich habe einst eine traurige Betrachtung darüber gelesen, welche mir nun ganz in das Gedächtniß zurückkommt, und vielleicht damals durch den Geist meines Schicksals so tief in die Seele geprägt wurde, weil er wußte, daß ich einst diese Beleuchtung des tiefsten, schwärzesten Abgrunds des menschlichen Herzens nöthig haben würde. – Der Aufsatz sagte: »wenn der auf seine Vorzüge stolze und mächtige Mensch, aus Leidenschaft oder Uebereilung jemand unglücklich macht, oder verurtheilt, und es vor Zeugen that, so würde er selbst bey dem Gefühle, daß er unrecht und grausam handle, fortfahren, würde seinen Verstand verwenden, zu beweisen, daß der arme Unglückliche seine Leiden verdiene, würde immer härter, immer grausamer werden, um die Zeugen glaubend zu machen: daß ein [109] Mann von seinem Geiste und Character nicht so handeln würde, wenn es der Verurtheilte nicht verdiente,« – und so verwandelt Stolz und Rachbegierde selbst das Mitleid der fremden gefühlvollen in Beyfall der Grausamkeit. Dieser unseelige Geist der stolzen Eigenliebe verwandelte die Hälfte der sonst so liebenswürdigen Bewohner Frankreichs in gefühllose Tieger. –

Emilie weinte da sanft auf Frau Vandeks Brust gelehnt, und sagte: ach meine Freundin! wie glücklich sind die Verstorbenen! Wattines las mit Eifer in den Heften fort, und traf die Nachricht der Verbindung des spanischen Hoses mit der jetzigen Regierung in Frankreich. Seine erste Bewegung soll unaussprechlichen Schmerz gezeigt haben, wobey er ausrief: Bourbon, gegen Bourbon! O Menschen! nachher aber sagte er mit bitterm Lächeln: aber da war schon lange voraus gegangene Sympathie, und sehr natürlich [110] daß die Spanier den Neufranken alle Grausamkeiten des Fanatismus der Freiheit vergaben, da sie schon so lange an die Unmenschlichkeit des religiösen Fanatismus der Inquisition gewöhnt sind, und der Pariser Convent hat noch einen Vorzug der Redlichkeit, vor der Regierung zu Madrit, denn unsere französischen Oberherren verläugneten zuerst den Glauben an den Gott der Güte und Gerechtigkeit, ehe sie ihre barbarischen Grundsätze ausübten: sie schlossen die Kirchen, verbannten die Lehrer der christlichen Religion, welche Sanftmuth und Wohlthätigkeit predigten, und erst nachher folgten sie den Eingebungen ihres bösen Geistes. Die Spanier hatten christlichen Gottesdienst, und den Namen Christi, neben der quälenden Inquisition. –

Er ging auch mit ringenden Händen aus der Stube des Vandeks; und suchte Milderung seines Jammers in der stillen weiten [111] Einöde eines ausgerotteten Stück Waldes, unweit Vandeks Feldern. – O wie erneute sich hier mein Wunsch, von alle diesem Zeuge gewesen zu seyn, alle Ideen bemerkt zu haben, welche sich nach einem 4 Jahre gedauertem Schweigen empor drangen, also den hohen Werth erster Ergießung seiner wahren Gefühle hatten; denn nun werden meine Fragen über seine jetzige Lage und über die Menschen um sie her, nicht mehr so freymüthig beantwortet, als die, welche ihr Leben auf der Insel betrafen; denn mit ernenten europäischen Verbindungen ist, zugleich die kluge Besorgniß, daß sie zuviel sagen möchten, in ihre Seele zurück gekommen, und verhindert alle Eröffnung über Denken und Sitten ihrer neuen Freunde. Mir ist es ehrwürdig, daß sie nur in dem ganz innern ihres Hauses, mit sich, ihren Kindern und hie und da einer Speise ächt französischer Art behalten, und in allem andern, wie [112] Vandek und Scriba leben. – Wattines arbeitet auf dem Felde, wie jeder andre Colonist, nur daß bey allem was er vornimmt, mehr Geist, Leichtigkeit und Gewandheit sichtbar ist, wodurch aber auch bey den jungen Leuten, welche nur ein wenig Anlage hatten, ein schöner Wetteifer geweckt wurde, welcher, neben den Einfluß von Vandeks Lehren und Lebensart, diese anwachsende Colonie als äußerst schätzbare Menschen zeigen wird.

Die Predigt, welche Vandek bey vollendeter Ansaat der neuen Felder hielte, war das schönste Stück Beredsamkeit des Herzens, so ich jemals hörte, und wahre Einsegnung der Saamenkörner; ich bin auch überzeugt, kein Colonist verließ die Kirche, ohne Gott um Erfüllung dieses Segens zu bitten. Ich beobachtete den Ausdruck der Physiognomien aller Zuhörer, niemand zeigte eifrigere Wünsche als Wattines, und niemand innigere Gottesfurcht als seine Frau. Nach der Predigt [113] gingen die meisten Zuhörer nach ihren Feldern, um diesen, wie ich behauptete, die Fürbitte ihres gütigen Lehrers zu überbringen. – Vandek, Wattines und Scriba durchwanderten langsam die Straße längst dem See; ich blieb zurück, und schlich in eine Ecke von Wattines Garten, wo ich alle bemerken konnte, und dachte: wie sonderbar ist das menschliche Schicksal! Wer würde vor zehen Jahren dem Holländer Vandek gesagt haben: jetzo gehst du unter den Schatten der Bäume an des prächtigen Amsterdams Canälen, zwischen Kauffartheyschiffen und einer Menge zierlicher Gebäude, welche mit allem erfüllt sind, was Reichthum von dem Geiste der Kunst, und von den Wundern der Natur in allen Welttheilen sammeln konnte; aber 1796 wirst du an den Ufern des noch nie beschifften See's Oneida, zur Seite einiger von rohen Baumstämmen und verflochtenen Baumästen gebauten Hütten, nach deinen frisch [114] bearbeiteten Aeckern eilen, auf welchen die Hoffnung des Wohlstandes deiner Kinder keimen wird. – Wer hätte damals dem schönen glücklichen Wattines und seiner blühenden Braut, die schreckende Aussicht gezeigt, daß sie, statt des reitzenden Wechsels zwischen Lille, Paris und Versailles, dem Schicksale für eine unbewohnte Insel danken würden, wenn ihr guter König und ihre geliebten Verwandten ermordet, alle Großen verjagt, umher irrend, nichts mehr würden helfen können, Wattines alsdann vier Jahre lang die Erde seiner einsamen Insel bearbeiten, und am Ende durch die Hand eines, von Unglück verfolgten, teutschen Kaufmanns, in Nordamerika, wieder zu gesellschaftlicher Verbindung zurückkommen würden?

Innere Trauer und Ernst erfüllten mein Herz, und ich war froh, mir selbst entzogen zu werden, weil ich bey dem Kaufmanne zu Mittag speiste. Ich achte ihn glücklicher als [115] alle andre, auch hat er wirklich die schönste Rolle. – Er bahnte allen übrigen den Weg zu neuer Hoffnung von Glück und Zufriedenheit des Lebens, alle seine Entwürfe sind gut durchdacht, seinen Colonisten und ihrer Lage angemessen, welches nicht bey allen neuen Anstalten beobachtet wird. – In dem Gange der Unterredung äußerte Hr. S. den Wunsch recht genau bemerken zu können, welche Wendung die so verschiedenen Grundsätze des Vandek und Wattines am Ende nehmen würden. Ich behauptete, daß er beyde als vollkommne Muster guter Familienväter und Landwirthe, die Zierde seiner Colonie nennen könnte. – Hr. S. gab es zu, zeigte mir aber eine Sorge in Ansehung des Characters, Geburt und Geist von Wattines, indem dieser auf der Insel allein nach Willkühr seiner Ideen und Gefühle lebte, wo Bedürfniß der Lebensmittel, die einzige Art von Gesetzen war, welche seinen Gehorsam forderten. Diesen Forderungen [116] unterwerfe man sich in jedem Stande und jeder Lage: daß alles was Wattines aus Liebe für Frau und Kinder that, mit süßer, natürlicher Freude verbunden war, und er in seiner Familie, keinen Gedanken und keine Leidenschaft fand, welche den seinen entgegen standen, sie in ihrem Gange hindern oder stoßen konnten; jetzo aber, da er wieder mit Vielen und verschieden Gesinnten leben müßte, wo der Name Colonist, jedem gleiche Rechte und gleiche Pflichten gebe, alle aber aus so verschiedenen Gegenden unsers Europa kamen, also verschiedene Erziehung und Gewohnheiten mitbrachten, wodurch leicht eine Gelegenheit entstehen könnte, in Wattines das Gefühl angebohrner Vorzüge zu erwecken, und eine unfreundliche Leidenschaft zu reitzen. – Ich sagte hier freymüthig, daß ich das sicherste Verwahrungsmittel gegen diese Gefahr, in dem Festhalten und Einprägen der englischen Grundgesetze sähe: Freyheit zu lassen,[117] mit sich und seinem Eigenthume zu thun was man will, nur nichts gegen das gemeine Beste und gegen andre. Dieses würde alle und jeden glücklich machen, wobey ich wirklich versichern konnte, daß Wattines nie dagegen fehlen würde. Ich ersuchte daneben den Hrn. S. um stillen Schutz für das vorzügliche Verdienst, um es nie dem Neide und Widerwillen gewöhnlicher Menschen auszusetzen, und war sehr froh, die Versicherung geben zu können, daß Wattines niemals eine andre Beschäftigung annehmen würde, als was mit Ingenieur und Bauwesen in Verhältniß stünde, im übrigen aber nur als fleißiger Landmann und Lehrer seiner Kinder leben, und arbeiten wollte. – Dienste zu leisten sey ihm heilige Pflicht vor Gott, und Vergnügen für sein Herz. – Mehr wollte ich nicht zu seinem Besten sagen, weil man oft durch zu viel Gutes rühmen schadet; und da ich schon bemerkt hatte, daß Wattines mehr beobachtet [118] wird als andre, so freute mich ein Zug von Klugheit, welchen er mit einem artigen Plane zu dem Besten unsers Zimmermanns, und Verschönerung der Anlage verband. Da noch kein Steinbruch und keine Ziegelbrennerey im Gange ist, und man Holz genug hat, so soll der Zimmermann sein Haus nach der Gewohnheit in der Ukraine bauen, wo auch die Steine fehlen, aber das Holz alles so behauen und bearbeitet wird, als ob es Quaderstücke des besten Steines wären, welche dann mit Oehlfarbe angestrichen, sehr schöne Gebäude darstellen. Wattines wollte sein Haus nicht zuerst auf diese Art unterscheiden, weil er sich in nichts auszuzeichnen sucht. Bey dem Baumeister sieht es als Lockspeise aus, einem reichen Colonisten die Begierde nach einem so schönen Hause zu geben, und also etwas mehr zu verdienen als bey einem Loghouse. – Diesen Winter will Wattines zu einer solchen Bekleidung seiner wirklich [119] stehenden Gebäude, selbst Hand anlegen, da er in allem die Bahn des männlich thätigen Lebens so lebhaft und eifrig befolgt. Jagd freut ihn, aber seine Meyerey noch viel mehr, doch tief, sehr tief hat der Kummer, wie unsere Karschin sagte, mit diamantnem Pfluge Furchen in sein Herz gegraben; denn als er mir den Plan von dem Bezirke seiner Felder, Gärten und Waldung vorgelegt, und mir alles auf dem freyen Platze seines Hofes zeigen wollte, sagte seine Frau: er solle doch die Zeichnung seines väterlichen Hauses mit dazu nehmen, und es mir auch weisen. Hier bemerkte ich, daß er mit einem Zuge des innersten Schmerzens gegen die Thüre des kleinen Kämmerchens ging und die Rolle holte. Die mit Antonette auf dem Schooße da sitzende Emilie, reichte, da er vorbey wollte, mit der Hand nach ihm, küßte seine Hand, blickte mit so wahrer Zärtlichkeit ihn an, daß sein schönes Auge auch lächelte, als er einen Kuß [120] auf ihre Stirne und ihre Hand drückte, dann aber mit mir dem Hofe zueilte, wo ich ihm den zu Wäsche und Weiberarbeit bestimmten Tisch, näher zu den Bäumen tragen half. um dort seine Papiere auszubreiten. Der Zufall schickte es, daß das Bild von dem prächtigen Wohnsitze seiner Voreltern, und das gerade von ihm daneben gelegte Blatt, mit der Zeichnung seines Loghouses, in dem Moment von der Sonne beleuchtet wurden, als er mit seinem Bleistifte in der Hand auf das erste deutend sagte: hier Wohnung des Vaters, – und, indem er das zweyte berührte, mit einer etwas geänderten Stimme und einem unterdrückten Seufzer hinzu setzte, hier die des Sohnes. Bey den über alles verbreiteten Stralen, ergriff er schnell das Bild des Schlosses von Wattines, hielt es mit ausgestrecktem Arme gegen die Sonne, indem er mit einem mir auf immer unvergeßlichen Tone sagte: O, du sahest [121] den schönen Wohnsitz meiner Voreltern gründen und diese Hütte bauen, du reiftest die Saaten ihrer durch Gerechtigkeit und Güte glücklichen Pächter so viele Jahrhunderte, o reife auch die, welche die Hand ihres unglücklichen Enkels hier in dieser fernen Gegend ausstreute! – Ich war äußerst gerührt, umfaßte ihn und sagte: Edler, schätzbarer Mann! der Gott der Sonne sieht Sie, Ihre Leiden und Ihre Tugend, gewiß lohnt er Sie! –

Innig blickte er mich an und antwortete seufzend, ach mein Freund! ich wünsche nichts für mich, aber für Emilie und meine Kinder. Nun eilte er nach seiner Gewohnheit hinweg, nach irgend einer einsamen Ecke zwischen Bäumen und Gesträuchen, damit er durch schnelles Gehen, durch die Bewegung der Luft, durch das Eindringen, Anstreifen und den Widerstand der kleinen verwachsenen Aeste in dichten Gebüschen einen Theil der Empörung seiner Seele und seines Blutes verliere, bis er [122] sich am Ende etwas ermüdet umsieht und Freude fühlt allein zu seyn, keinen Menschen zu erblicken, nur von seelenlosen Geschöpfen umgeben zu seyn. Einst sagte er, in diesen Momenten bin ich nicht einmal ein guter Grieche der schönen alten Zeit, da ich in einer solchen trüben Stunde, selbst die sanft auf mich wirkenden Gestalten und Farben der Pflanzen nicht sehen wollte, einen dastehenden Baum umklammerte, und mein Gesicht mit geschloßnen Augen gegen seine Rinde andrückte, und wirklich eine Wohlthat darin empfand, als die Idee der Lehre von Dryaden vor mir erschien, und mich von dem umarmten Baums fliehen machte; aber dann folgen ganz andre Gefühle: ich bedaure niedergestampfte Pflanzen, zerrißne Zweige, suche meinen Rückweg, freue mich der sich erweiternden Aussicht, und des fernen Horizonts, und eine, das Weh meiner Seele mildernde, Thräne füllt mein nun zum Himmel erhobnes betendes Auge, und [123] langsam, halb erschöpft, halb beruhigt komm ich zurück.

Wer, meine Freunde! kann diesen Ausdruck der schmerzvollen Rückerinnerung tadeln? Die Zeit wird das Gefühl davon schwächen, aber nie ganz erlöschen. – Wattines kam auch jetzo bald und erheitert wieder zurück, drückte mir die Hand und sagte: ich hoffe, Sie finden meine etwas lebhafte Erinnerung doch nicht ungegründet? ich antwortete: gewiß nicht, ja noch mehr, ich finde sie gerecht und natürlich.

Dieß schien ihm zu gefallen, und er sprach nun ganz gelassen von allem, was seine verlornen Güter und seine Familie betraf. – Ach, er verlor viel, sehr viel, der gute Wattines! – Mein Abend war dem Vandek versprochen, welchem ich die kleine Scene von Wattines erzählte, dieser sagte mir, indem er einen Pappendeckel öfnete, und einige Quartblätter aushob: ja, ja, es wird noch [124] oft unruhige Momente seiner Seele geben, ehe alles so ganz in einer daurenden Stimmung seyn wird, wie er einst hoffte, und sich damals bey meinem Lobe seiner Gelassenheit gegen mich äußerte, indem er hier schrieb:

»Gütiger Vandek! Sie loben meine Gleichmüthigkeit, meine Ruhe bey dem Andenken dessen was ich war, hatte und verlor, ach, das Unglück und die Einsamkeit, welche mich in moralischen Gefühlen und Ideen Hülfe suchen machte, zeigte mir auch den wahren Werth aller Dinge dieser Erde; das Schicksal meiner Verwandten und tausend andrer schätzbaren Menschen verbietet mir zu klagen; Nachdenken und Ergeben heißt mich den Mangel des gewohnten Wohlstandes durch ausübende Tugend meiner Lage ersetzen. – Der Himmel hat mir unendlich viel Gutes gethan, da er mir in Ihnen einen Freund gab, der älter und weiser als ich, doch auch durch überfließenden Eifer für das, was er seinem [125] Vaterlande das beste zu seyn achtete, auch den Schauplatz dieses standhaften Eifers verlassen mußte. – Unsere Erinnerungen von Menschen, die unter alten Gesetzen aufwuchsen, unsere Erfahrung des gewaltsamen Abänderns, können hier unsere Beobachtung über Fähigkeiten, Leidenschaften und Neigungen der menschlichen Seele zum Besten unserer Kinder berichtigen helfen. – Ich wurde beraubt, Sie opferten alles auf. Unsere Lage, unsere Miteinwohner und die Natur lehren uns, glaube ich, wahres Wohl und Weh bestimmen. Mich dünkt, wir werden unser Glück gründen, wenn Geduld und unser Fleiß eben so wirksam und anhaltend bleiben, als der Unmuth war, durch welchen wir hierher getrieben wurden.« – Vandek fuhr fort: Sie sehen hierin den edlen raschen jungen Mann von philosophischer Moral und schöner Kenntniß beseelt, welche seinen Gesichtspunkt bald glänzend bald trübe [126] machen. – Seine Frau zeigte sich ganz anders, schön freute sie sich, wieder bey Menschen zu wohnen, und sagte zu meiner Frau: ach wie viel Glück ist durch Ihre Ankunft auf mein Leben verbreitet! Ich bin wieder unter denkenden Menschen, genieße Freundschaft, Mittheilung der Gefühle, Theilnahme an mir, und dabey das edle Vergnügen, hier und da Gutes zu thun; denn ich litte auf der Insel, selbst durch die Wirkung der besten Grundsätze. – Meine geliebte Mutter hatte die Pflichten der Wohlthätigkeit und Nächstenliebe so tief und so früh in meine Seele gegraben, daß wohlthun in meinem Herzen nicht nur zu den Ideen der Tugend gehörte, sondern mit den Gefühlen des süßen innerlichen Glücks verbunden war. Ach dieses Glück fehlte mir nun ganz; ich fühlte mich nur glücklich durch das geduldige Tragen dieses Mangels, weil er dadurch ein Verdienstopfer wurde. In solchen Stunden empfand ich [127] den stärkenden Einfluß der Religion, stand nach Weinen und Gebet, wenn Wattines beym Fischen war, von meinen Knieen auf, ging mit ausgebreiteten Armen auf den freyen Platz vor der Hütte, von welchem ich einen großen Theil des über mir fließenden Himmels sehen konnte, der mir dann, mit innigst empfundener Wahrheit der Wohnsitz meines Gottes war, zu welchem ich einst berufen werden sollte, wenn ich nach dem Willen unsers Urhebers alles Gute gethan haben würde, wozu mir mein Schicksal den Fingerzeig gab. Diese Gedanken, welche mich beruhigten, machten mich meine Erziehung und meine Religion segnen; riefen mir aber die schreckliche Handlung des Nationalconvents zurück, welcher dem Volke alle Religion genommen hat, so, daß diese armen Geschöpfe keine große Triebfeder zum Guten in glücklichen Tagen, keinen heilig wirkenden Trostsrund in Unglück sahen. – Dieses schmerzte [128] mich aus Menschenliebe, selbst in meiner Entfernung von meinem Vaterlande, wie mich ehemals in dem vollen Genusse meiner glücklichen Tage schmerzte, wenn ich einen Leidenden wußte, dem Nahrung, Kleidung und Arzeney fehlte. –

Vandek setzte hinzu, Frau Wattines erfüllt nach dem Zeugnisse meiner erfahrnen Frau, ihren häuslichen Cirkel mit allen Verdiensten der guten Mutter und Hauswirthin, läßt sich aber gerne in gesellige Gespräche ein, von welcher mein Vetter noch eines aufzeichnete, weil es ihm so voll Kenntniß und Herzensgüte schien.

Die zwey Freundinnen redeten einen Nachmittag von ihrem Vaterlande und seinen Vorzügen und Gewohnheiten; da mußten wohl Vergleiche zwischen Europa und Amerika vorkommen, natürlich beyde sich an die traurigen Ursachen erinnern, welche sie an den See Oneida führten. Nehmen Sie aber, [129] was hier in der Seele von Frau Wattines vorging, als sie ganz ernst sagte: wir bewohnen nun diesen Theil der Erde, welcher Amerika heißt, wir wissen was Europa in Geist und Künsten ist, wir haben erfahren, was ein Theil unserer Landsleute für uns wurden, und gewiß wir klagten oft über unser Schicksal; aber was für ein Loos traf Nord- und Südamerika durch die Hände der Europäer, welche so stolz auf die Namen Christ und Philosophen sind? – Fielen nicht die ursprünglichen Bewohner des südlichen Theils, die mir so lieb gewordenen Kinder und Verehrer der Sonne, in die Gewalt des moralischen Ungeheuers, der Inquisition, welche sie durch Feuer, das von Gott zum Besten aller Geschöpfe gegeben worden, zu den grausamsten Mitteln gebrauchten, ihre Gold- und Herrschsucht zu vergnügen? Vergaßen die Spanier nicht, daß Mexico auch ein Theil von Gottes Erde ist, seine Bewohner auch [130] aus der Hand unsers anerkannten Gottes kamen: daß ihre Kenntnisse, ihre Moral und Künste auch Gaben unsers gemeinsamen Schöpfers waren? – Ach, die guten Mexicaner mißbrauchten das Gold ihres Vaterlandes nicht, wie die Europäer ihr Eisen, um Mordgewehre zu verfertigen, und weit entfernte Gegenden aufzusuchen, zu unterjochen und elend zu machen. Armes, unglückliches Pern! um des Goldes deiner Berge willen, vergaßen deine Ueberwinder jede Tugend und jedes menschliche Gefühl, raubten der Hälfte deiner Bewohner Glück und Leben, und verdammten die andern in den finstern Tiefen deiner Gebirge, nach Gold- und Silberadern zu graben, wo sie ihr ganzes jammervolles Leben hindurch das doppelte Weh fühlen, des tröstenden Anblicks ihrer geliebten Sonne beraubt zu seyn, und immer das Gold, die unselige Ursache ihrer Leiden, für ihre Peiniger aufzusuchen. Ich hole für Sie, meine Freundin, [131] den Auszug der Erziehungsgrundsätze der Mexicaner, Sie sagen dann, ob Ihnen nicht das Verhängniß dieser Menschen doppelt traurig seyn wird. – Nun war sie fort, und kam wieder mit den versprochnen Papieren:


Unterricht eines Mexicaners für

seinen Sohn.


»Mein Sohn, du kommst von dem Leibe deiner Mutter, an das Licht der Sonne, wie das Huhn aus dem Ey, und bist jetzo wie diese bestimmt in die Welt zu fliegen. Ich weiß nicht, wie lange mir Gott das Kleinod gönnen will, welches ich in dir besitze; aber ich werde ihn stets bitten, dich zu schützen. Er hat dich erschaffen, du bist sein Eigenthum. – Er ist dein Vater und liebt dich mehr, als ich dich nicht lieben kann; wende deine Gedanken nach ihm, bete morgens und Abends zu ihm; verehre das Alter; verachte niemand; sey niemals taub bey den Bitten der Unglücklichen und sage ihnen Worte des [132] Trostes, – Ehre deine Eltern, erweise ihnen Gehorsam und Dienste, und meide das Beyspiel böser Söhne, welche wie unvernünftige Thiere handeln, ihre Eltern gering achten, und sich weder bessern noch belehren lassen, und auf ihrem eignen Wege dem Unglücke oder wilden Thieren zum Raube werden. – Spotte nie weder des Alters, noch der Unvollkommenheiten der andern; verachte niemand der fehlt, sondern hüte dich, den Fehler zu begehn, der dir mißfällt. Geh nirgend hin, ohne daß du gerufen bist, und menge dich nie in fremde Dinge. – Bemühe dich in deinen Reden und Handlungen deine gute Erziehung zu beweisen. – Lege bey einer Unterredung niemals die Hand auf einen andern. Sprich nie zu viel, und unterbreche niemals das Gespräch eines andern, auch wenn es thöricht wäre, wenn du nicht verpflichtet bist, ihn zu bessern; mußt du dieses, so bedenke was du sagen willst: rede nicht mit Stolz, damit die [133] Ermahnung gut aufgenommen werde. – Spricht jemand mit dir, so höre ihm aufmerksam und in einer anständigen Stellung zu; spiele nicht mit deinen Füßen, und nimm die Ecke deines Mantels nicht in den Mund; spucke nicht zu oft aus und blicke nicht viel hin und her; stehe nicht von deinem Sitze auf, denn alles dieses ist gegen gute Erziehung. – Bey Tische iß nicht begierig, und zeige keinen Widerwillen gegen eine Speise. Kommt jemand unerwartet zu deinem Essen, so theile gerne mit ihm was du hast, und wenn du mit jemand sprichst, so starre ihn nicht zu fest an. – Wenn du außer Haus gehest, so gieb acht, niemand zu stoßen, sondern weiche dem entgegen kommenden aus. Gehe nie einem ältern vor, als wenn es nöthig ist oder dir befohlen wird. Wenn du mit Alten zu Tische bist, iß und trink nie früher als sie; sondern betrage dich ehrerbietig, damit du ihr Wohlwollen erhalten mögest. Wenn [134] sie dir etwas geben, nimm es mit Dankbarkeit: ist das Geschenk groß, so werde deßwegen nicht eitel oder toll vor Freude: ist die Gabe klein, verachte sie nicht, um den Geber nicht zum Misvergnügen zu reitzen. Wenn du reich wirst, sey nicht übermüthig, und blicke nicht mit Verachtung auf den Armen, sondern besorge, daß dir die Götter den Reichthum, welchen sie dir schenkten, um des Stolzes willen wieder nehmen würden. – Ernähre dich von deinem Fleiße; dein Essen wird dir besser schmecken. Ich, mein Sohn, habe dich bis jetzo durch meine Arbeit erhalten, und ohne fremde Beyhülfe alles Nöthige angeschafft, mache es auch so. Erzähle nie eine Unwahrheit, denn es ist eine gehässige Sünde; wenn es nöthig ist, einem dritten mitzutheilen, was ein andrer dir sagte, so setze nichts zu und sage die einfache Wahrheit. Rede von niemand Böses, werde kein Neuigkeitsträger, und säe nie Zwietracht,[135] wenn du zu jemand geschickt wirst, und die Botschaft mißfällt, sage nicht wieder was dem Menschen im Zorne entfiel, sondern suche alles zu besänftigen: scheine das Böse nicht zu hören, und vermeide Mißverständnisse zu vergrößern; denn es würde dich gereuen. Bleibe auf dem Marktplatze nicht länger als nöthig ist, denn auf diesen Plätzen ist die größte Gefahr für die guten Sitten, – Wird dir eine Stelle angetragen, ergreife sie nicht zu schnell, als ob du glaubtest daß andre nicht so viel Verdienst hätten als du, sondern zeige bescheidnen Zweifel in dich selbst, so wirst du mehr geschätzt werden. – Lebe niemals sittenlos; denn die Götter werden dich mit Schande strafen. – Halte dich von den Mädchen entfernt, du bist noch jung mein Sohn! warte bis die Götter dir deine bestimmte Gattin zeigen. Verbinde dich nicht ohne die Einwilligung deiner Eltern, es möchte dir Unglück bringen. – Raube niemand nichts, [136] spiele nicht; du machst sonst deine Eltern und dich selbst elend, wenn du gegen ihre Lehren handelst; wenn du aber tugendhaft bist, so wird dein gutes Beyspiel den bösen beschämen und bessern. – Nun nichts mehr, mein Sohn, ich habe alles gesagt, was die Pflicht eines Vaters fordert, ich wollte mit diesen Rathschlägen deinen Verstand stärken, verwirf sie nicht, denn das Glück deines Lebens hängt daran.«


So unterrichteten die Mexicaner ihre Söhne überhaupt, und jeder Vater sprach noch von den besondern Pflichten jedes Standes. – Nun folgen die


Lehren der guten mexicanischen Mütter.


»Meine Tochter! du bist aus den besten Säften meines Lebens entstanden, ich habe dich mit meiner Milch genährt, mit vieler Müheerzogen, und mit äußerster Sorge so weit gebracht, als du nun bist. Dein Vater hat deinen Verstand bearbeitet und polirt, wie [137] einen Smaragd, damit du in den Augen aller Menschen, als ein Kleinod erscheinen mögest. Befleißige dich immer gut zu seyn, denn wer würde dich sonst zu seiner Frau wünschen? du würdest von allen verworfen werden. Das Leben ist ein Mühe- und Dornenvoller Pfad, und wir müssen uns bestreben, die Güter zu verdienen, welche uns die Götter geben sollen; also dürfen wir nicht träge und nachlässig bleiben, sondern eifrig und fleißig in allem seyn. Liebe die Ordnung und bemühe dich, eine gute Haushaltung zu führen. Gieb deinem Manne Wasser für seine Hände und backe gutes Brod für seine Hausgenossen. Wohin du deine Schritte wendest, gehe eines bescheidnen und gesetzten Ganges, ohne zu eilende Schritte, oder laut mit den Bekannten zu lachen welche du antriffst, oder deine Blicke gedankenlos hierhin und dahin zu werfen. Sorge, daß dein guter Ruf nicht besudelt werde; gieb aber allen, [138] welche mit dir sprechen, höfliche Antwort. Sey fleißig in Spinnen und Weben, in Säumen und Sticken; denn durch diese künstlichen Arbeiten, wirst du deine Nahrung und Kleidung erwerben. – Schlafe nicht zu lange. Suche nicht immer den tiefen Schatten, sondern gehe in die freye Luft und ruhe dort; denn Weichlichkeit bringt Müßiggang und andre Laster mit sich. – Bey allem was du thust, denke an die Verehrung der Götter und an die Freude deiner Eltern. Wenn dich dein Vater oder deine Mutter rufen, bleib nicht stehen, bis du ihre Stimme zum zweytenmale hörst, sondern gehe gleich hin, wo du etwas zu ihrem Vergnügen thun kannst, damit deine Langsamkeit sie nicht erzürne. – Gieb niemand eine rauhe Antwort, zeige niemals einen Mangel an Gefälligkeit; kannst du das, was man fordert nicht ausführen, so mache eine bescheidene Entschuldigung. Wird eine andre Person gerufen, und kommt nicht [139] gleich, so komme du, höre was man verlangt, und verrichte es auf das beste: betrüge niemand; denn die Götter sehen alle deine Handlungen. – Lebe mit allen Menschen in Frieden, zeige allen ein aufrichtiges und anständiges Wohlwollen; so wirst du auch bey allen beliebt seyn. – Sey nicht geizig mit den Gütern, welche du hast, und nicht begierig nach dem, was du siehst, das andern gegeben wird. Gieb dem Neide niemals eine Stelle in deinem Herzen; denn die Götter theilen ihre Güter nach ihrem Gefallen. – Wenn du kein Mißvergnügen erfahren willst, so gieb auch den andern keines. – Hüte dich vor jeder Vertraulichkeit mit Männern. Horche nicht auf verführerische Wünsche, und auf strafbare Begierden deines eignen Herzens, oder du wirst den Vorwürfen deiner Familie ausgesetzt seyn, und dein eignes Gemüth beflecken, wie Morast das klareste Wasser trübt. Meide die Gesellschaft sittenloser Lügnerinnen [140] und Müßiggängerinnen, oder du wirst von ihrem Beyspiele wie durch eine ansteckende Krankheit ergriffen, – Wenn du spatzieren gehen willst, warte auf die Gesellschaft deiner Familie, gehe nicht leichtsinnig aus geringen Ursachen aus dem Hause, und laß dich nicht viel auf der Straße sehen, oder auf Plätzen, wo dein Unglück bereitet werden kann. Erinnere dich, daß das Laster, wie ein vergiftetes Kraut den Tod bringt, wenn man es nur kostet; wenn es aber in die Seele gedrungen ist, so ist es schwer zu vertreiben. Triffst du auf der Straße einen artigen jungen Mann, zeige ihm keine besondre Aufmerksamkeit, sondern vermeide seinen Anblick und gehe weiter: sagt er dir etwas, horche nicht, folgt er dir, wende deine Augen von ihm; er wird dich mehr lieben und in Frieden gehen lassen. – Tritt nie ohne dringende Ursache in ein fremdes Haus, damit ja niemals etwas Nachtheiliges von dir gesagt [141] werden könne; wenn du aber zu einem Verwandten gehst, so zeige dich gegen alle höflich, bleibe aber keinen Augenblick müßig, ergreife sogleich eine Spindel, oder nimm eine andere Beschäftigung vor. Wenn du verheyrathet wirst, verehre deinen Gatten, gehorche ihm, und befolge alles was er verlangt. Vermeide ihm zu mißfallen, zeige ihm niemals eine üble Laune, sondern alle deine Zärtlichkeit; auch wenn er arm ist, und von deinem Vermögen lebte. Wenn er Dinge von dir fordert, welche dir unangenehm sind, zeige ihm dein Mißvergnügen nicht sogleich, sondern richte seine Befehle aus, und mache deine Vorstellung für die Zukunft, auf eine sanfte liebenswürdige Art. Empfange seine Freunde mit Achtung, und erweise ihnen alle Höflichkeit: ist dein Mann unbesonnen, so befleißige dich der Ueberlegung in allem was du thust: geht er leichtsinnig mit seinem Vermögen um, so ermahne ihn mit aller Güte und [142] besorge seinen Nutzen auf das beste. Bezahle alle, welche für dich arbeiten, zu rechter Zeit, und hüte dich, daß niemand durch deine Nachlässigkeit schaden leide. – Fasse, meine Tochter, diese Vorschriften in dein Herz: ich bin alt und kenne die Welt; ich bin deine Mutter und liebe dich; wenn du gegen meinen Rath lebst, so ist dein Unglück deine eigne Schuld.«

Vandek setzte nun hinzu, daß Frau Wattines sagte: ich will, meine Freundin, von diesen einfachen Rathschlägen nicht erst sagen, daß sie beweisen, daß die Mexicaner civilisirt waren, wie wir Europäer; denn die Lehren des Vaters zu allgemeiner Güte und Höflichkeit, beweisen es, so wie der Unterricht der Mutter zu klugem Betragen bey dem Liebhaber und Ehemann in jede unserer Familien passen würde, – müssen wir meine Freundin nicht sagen: gewiß waren unter den Gemordeten, unter denen in die Goldgruben [143] Gestoßenen viele tausende, welche nach den Grundsätzen dieses Vaters und dieser Mutter erzogen wurden. Ach was litten diese an Leib und Seele! Was für ein Anblick für Gott, Engel und Heilige, in der Verschiedenheit des Gebrauchs, welchen die Mexicaner von ihrem Golde, und die Europäer von ihren Wissenschaften machten! Wie traurig ist es zu sagen: die aus der heißen Region von Spanien gekommenen Christen, quälten die Amerikaner in Süden durch Feuer zu Tode, verachteten ihre moralischen Gefühle, und unterdrückten jede Kenntniß ihres Geistes. Die aus den kältern Gegenden angelandeten Engländer und Holländer jagten sie aus den freundlichen Ebnen in die Wälder zu wilden Thieren, und ließen sie mit vieler Gleichgültigkeit unwissend. – Raynals Geschichte der beyden Indien zeigte mir auch Franzosen und Portugiesen eben so ungerecht, eben so grausam. – O, wenn Thränen, welche ich über das Schicksal [144] der guten Indier und Africaner vergoß, etwas zur Erleichterung ihres vielfachen Jammers beytragen konnte, so haben sie gewiß Linderung gefühlt. – Ich betete für sie, in meinen noch glücklichen Tagen, als ich meinem Oncle das schöne wichtige Werk vorlesen mußte, und mich damals in meiner Seele schämte, daß auch Franzosen ihre Obermacht in Kunst und Geist, so hart und treulos gegen diese guten Kinder der Natur gebrauchten.

Ach wie weit war ich in den Jahren 1787 und 1788 entfernt, zu vermuthen, daß so bald eine Zeit kommen würde, wo ich das ungerechteste Betragen eines Theils Franzosen gegen Franzosen, und den Martertod meiner nächsten Verwandten beweinen, und froh seyn würde, in Amerika's einsamen Gebüschen einer Insel, weit von meinem Vaterlande zu wohnen, und Gott danken würde, daß die Hütte einer armen Indianerin mich aufnahm, mein und meines Sohnes Leben rettete, welches [145] ich mir in Paris nicht versprechen konnte, da ich zu der nun so sehr verachteten Classe des Adels gehörte. Ach gewiß, meine Freunde! setzte sie hinzu, der Haß verblendet den Geist mehr, als die Liebe niemals gethan hat, diese wendet unsere Gefühle und unser Denken nur von der Klugheit und Sorge für unser eignes Wohl ab, der Haß aber entfernt uns von Güte und Gerechtigkeit: Liebe giebt Stärke zum Tragen, Haß die zum Niedertreten: – Liebe übersieht alle Fehler, Haß jede Tugend: – Liebe opfert sich selbst so gerne, Haß sucht Opfer seiner Rache. – Das Herz des guten Menschen muß auch einen Widerwillen gegen die Falschen und Bösen haben, aber er verfolgt sie nicht, er flieht nur ihre Gegenwart, wie Ihr Mann und mein Carl die Europäer flohen.

Finden Sie nicht, meine Freunde! daß Frau Wattines immer in allem einen sehr schönen Character zeigt? war es nicht schön [146] daß ihre gefühlvolle Seele das Weh der Mexicaner eben so lebhaft fühlte, als ihr eigenes? – und, sagen Sie nicht auch mit mir, daß die Familie der Vandeks sehr schätzbar ist, da sie die Züge des fremden Verdienstes so gerne sammelt und bekannt macht? wie ich sogleich noch eine Note abschreiben kann. –

Einmal, da Frau Wattines ihren Carmil mit den Kindern der Vandeks spielen sah, drückte sie ihr die Hand und sagte:

Liebe Freundin! ist es Ihnen nicht ein süßer Trost in dieser Einsamkeit, daß unsere Kinder nichts als das Beyspiel ihrer guten Eltern zum Vorbilde ihres Lebens und ihrer Sitten haben? Erzählen Sie einmal meiner Tochter von den Tugenden der Mädchen ihres Vaterlandes, ich will den Ihrigen von den Verdiensten junger Personen unseres Geschlechts in Frankreich erzählen, aber nie nichts von Leidenschaften, nie, sondern von abwechselndem Fleiße, Heiterkeit, Kenntniß, [147] Güte und dem Geschmack am Schönen. – Ja das wollen wir, sagte Frau Vandek, für unsere Töchter thun, denn unsere Knaben werden durch ihre Väter zu männlichem Sinn und Kraft des Denkens gebildet. –

Ich wünsche, sagte Frau Wattines, daß unsere Männer einen kurzen Auszug des Besten aus den Gesetzen machten und hier einführten. – Frau Vandek erwiederte lächelnd: Ihr Wunsch wird schon zu der Hälfte erfüllt, denn Vandek macht wirklich einen Auszug aus der Moral, welcher gewiß gerne befolgt werden wird, weil alles ganz einfach diesem Leben und Pflichten angemessen, nicht übertrieben und nicht überladen seyn wird. Frau Wattines erwiederte lebhaft:

O, unsere Kinder werden es gerne annehmen, denn ihre Seelen sind, wie der Boden dieses Aufenthalts, noch neu, und wie dieser gerne Saamen auffaßt, werden ihre reinen Seelen Ideen annehmen und zur Vollkommenheit [148] bringen. Mögen diese einfachen Vorschriften nur so lange ungestört wirken, als der Bau unserer Stadt dauern wird; denn unsere jungen Colonisten würden indessen neben der fleißigen Handarbeit an die Befolgung dieser Gesetze gewöhnt, und genössen das Glück des ausübenden Guten.

Einmal fragten die Vandeks unsere holde Emilie; ob sie auf der Insel nie an den Tod ihres Mannes dachte, was sie da für Entwürfe machte? – Die liebe Frau schauderte und sagte: ach! an was für Tage erinnern Sie mich! Nach einigem Schweigen setzte sie sanft nachdenkend hinzu. – Ehe ich Kinder hatte, war dieser Fall so schrecklich in meinen Augen, daß ich nichts vor mir sah, als mein Leben in dem See zu endigen, indem ich fest überzeugt war, daß mir Gott in dieser fürchterlichen Lage, diese willkührliche Erscheinung vor seinem Throne vergeben würde; aber als ich Mutter war, wollte ich Carmil und etwas [149] Kleidung in das Rindenschifchen binden, welches Wattines zu seinem Vergnügen verfertigte, und damit zu den guten Oneidas hinüber schwimmen, welche mich gewiß aufgenommen, und dann zu Europäern gebracht haben würden, welchen ich dann von meinem Schicksale, von meiner Hütte und der Anlage auf der Insel erzählt, und sie gebeten hätte, die kleine Habe meines Waysen zu retten.

Frau Vandek sagte hier, als ich sie weiter fragte: Ach das war eine sehr melancholische Unterredung, und ich bereuete sehr, der lieben Frau Wattines eine so schmerzliche Erinnerung erneuet zu haben: bereuete es um so mehr, da sie mir den nehmlichen Abend einen rührenden Beweis des edelsten fühlbarsten Herzens zurück ließ, indem sie mir, ehe sie nach Hause ging, dieses Papier als Uebung im Englischen gab. –

Vielleicht kennen Sie es, meine Freunde, [150] schon lange, das schöne Stück englischer Phantasie, aber ich kann mir doch das Vergnügen nicht versagen, diesen neuen Beweis von Emiliens Denkart, in meine Blätter zu verweben, ob ich schon sicher bin, niemals nur das mindeste zu vergessen, was eine Familie betrifft, welche die Vorzüge der edlen Menschheit so glänzend zeigt, – Emiliens Papier sagte:

»Ihre Güte, Ihre Theilnahme an meiner Familie und an mir, rufen meinem Gedächtnisse eines der ersten englischen Stücke zurück, welches ich wie aus einer Art von Ahndung, vorzüglich liebte, weil es mir gegenwärtiges und kommendes Schicksal zeigte.


Liebe und Freude.


In der Zeit des goldnen Weltalters schuf ZeusLiebe und Freude, ein Zwillingspaar, und schickte sie von dem Himmel zur Erde. Wo sie hinkamen sproßten Blumen, und verschönerte sich die Natur, aber zu gleicher [151] Zeit verließen die Menschen den Weg der Unschuld und Güte. Asträa floh mit der Freude und ihrem Gefolge die mit Blut besudelte Flur, die Liebe allein blieb zurück. Die Hoffnung, ihre Amme, hatte sie aus dem Haufen der bösen verdorbnen Menschen entwandt, und nach Arkadien gebracht, wo sie unter schuldlosen Hirten auferzogen wurde; aber der erzürnte Zevs vermählte sie mit dem Schmerze, der Brautkranz war von Cypressen und Wermuth, aus dieser Verbindung entsprang eine Nymphe, welche mit ihren beyden Eltern viel ähnliches hatte; Kummerzüge des Vaters, und das süße Liebenswürdige der Mutter. Die Hirtenmädchen versammelten sich um sie, und nannten sie Mitleid. Ein Rothkehlchen baute in der Laube worin sie geboren war, und eine vom Habicht verfolgte Taube floh in ihren Busen. Sie war von etwas ernstem melancholischen Ansehn, hatte aber einen so einnehmenden Blick, [152] das sie, wo sie sich zeigte, geliebt wurde. Ihre Stimme war leise, aber von unaussprechlicher Lieblichkeit. Viele Stunden weilte sie unter hangenden Weiden, am Ufer eines klagenden Stroms, und sang zur Laute. Sie lehrte die Menschen weinen, und oft, wenn die Mädchen zum Abendspiele versammelt waren, schlich sie in ihre Reihen, und nahm ihre weichen Herzen durch schmelzende Hirtengedichte und süß klagende Elegien ein. Auf ihrem Haupte trug sie einen Kranz von den Cypressen des Vaters, und den ihrer Mutter geweyhten Myrthen. Zevs befahl ihr, den Schritten des Schmerzes durch die Welt zu folgen, und Balsam in Wunden zu träufeln. Sie folgte auch mit ofnem, hoch klopfenden Busen, ihr Gewand wurde oft von Dorngesträuchen zerrissen, ihr Fuß blutend von Steinen des rauhen Weges. Die Nymphe ist sterblich, wie ihr Vater der Schmerz; wenn ihr Weg auf der Erde geendet ist, werden [153] sie in einem Grabe verschlossen, und die Liebe wieder mit der Freude vereint.

Ich bitte, meine gütige Freundin Vandek, diese unvollkommne Uebersetzung aufzuheben, weil mein Herz dabey sagte: ach, mit Liebe und Freude folgte ich Wattines auf die Insel, Schmerz und Jammer folgten nach: meine Vandek kam, wie die tröstende Nymphe des edlen Mitleidens und goß Balsam in unsere verwundeten Seelen. Ihr Blick, ihre Stimme waren liebreich, und an ihrer Hand kam sanfte Weisheit und Freundschaft, uns aus den labyrinthischen Gang des Kummers, auf den ebnen Weg geselliger Arbeit und Menschenliebe zurück zu führen. – Treue Liebe wohnte immer in meiner einsamen Hütte, Gott leitete aber die verdienstvollen Vandeks, um uns für alles erlittene Weh zu belohnen, den harten Verlust vieles Guten leichter zu vergessen, und unsere Tugend zu stärken.«

Tadeln Sie mich nicht, meine Freunde, [154] wenn ich sage, daß ich nicht weiß, was ich dem Verhängniß antworten würde, wenn es mich früge: ob ich als Beyspiel eines schätzbaren Reichen, oder wie Wattines, als Vorbild der verehrungswürdigsten Armuth aufgestellt seyn wollte? denn sagen Sie, ist es nicht schön das Bild der Beschreibung, wie Wattines sein Unglück trägt, oder wenn Sie den Ausdruck schön bey einer solchen Last von Jammer unschicklich finden, so müssen Sie doch den großen und wahren Gedanken der Königin Christina von Schweden auf Wattines anwenden lassen; daß eine edle Seele alles adelt was sie thut. Fragen Sie sich aber auch selbst, wie ich mich fragte, und horchen Sie, ob nicht in dem Innersten Ihres Herzens eine Stimme tönen und sagen wird; ja, lieber Wattines auf der Insel Oneida, als einer der Regenten Frankreichs, welche den so guten schuldlosen Ludwig XVI. zum Tode verdammten, und wegen des elenden Neides [155] über Titel und eines Platzes in den Zimmern der Könige, den Adel haßten, und viele tausende von ihnen mordeten, und hundert tausende unglücklich machten.

O, wie viel lernte auch ich an den Ufern des Oneidas. Wie gerne gäbe ich die Hälfte der Heiligen- und Heldennamen, welche man aufzeichnete, für den Namen des weisen Menschenfreundes der Alten, welcher zuerst den schönen Wunsch ausdrückte: der Himmel gebe dir eine gesunde Seele in einem gesunden Körper; denn gewiß meine Freunde, nichts faßt den wahren Werth alles dessen in sich, was man Glück nennt, als dieser so einfache Wunsch, – und diese wahren Güter des Lebens erhielten Wattines und seine Gattin in dem größten Kummer. Zeigten sich nicht beyde in Arbeit, Denkart und Leiden, auf ihrer einsamen Insel, zeigen sie sich nicht heute noch, als zwey durch Erfüllung dieses Wunsches beglückte Sterbliche? – O wüßte [156] ich ihn diesen Namen, so würde ich Sie bitten, ihn dem nächstkommenden Ihrer Sohne beyzulegen; alle welche der Himmel mir schenkte, müßten ihn tragen, und ich führte eine liebliche Gewohnheit der katolischen Kirche in meinem Hause ein, sich dem Schutze und den Eingebungen seines Namenspatrons zu empfehlen.

Sie glauben nicht, mit wie vielem Vergnügen ich heute meine Feder ergreife, da ich einen so vortrefflichen Beweis meiner gestern aufgestellten Gedanken zu bezeichnen habe.

Frau Wattines erzählte uns von einem Spatziergange an den Saatfeldern hin, wo einige Colonisten ihnen begegneten und eine gute Nacht wünschten, Emilie ihnen dankte und sagte: möchten auch meine guten Nachbarn einen erquickenden Schlaf genießen. – Diese gegenseitigen Wünsche, und die Ruhe der Gegend um uns her, flößten äußerst [157] sanfte Empfindungen in Wattines Seele. – Er sah den Leuten nach, blickte überall um sich, und sagte dann:

Nicht wahr, Emilie! man liest oft in den besten Stunden der großen Welt das Lob der Natur, der reinen einfachen Gefühle, bey Schönheit und Anmuth einer stillen ländlichen Gegend, wie oft auch, wenn man alles gekostet hat, was die Kunst- und Lustgärten, was Reichthum und Ueberfluß in Pallästen geben können, eilt man begierig zu dem Anblick der Felder und Wiesen, und besucht die einfache mit einigen Bäumen umgebne Bauerhütte. – Wie entzückte uns einst der in die Gartenhecke verwachsene Rosenstock, und das Beet voll Lilien, welche unsere Pächterin längst ihrem Salat- und Petersilienfelde gezogen hatte. Wie innig wurden wir gerührt, als sie uns sagte: so lang' es weiße Lilien giebt, opfern sie meine zwey Mädchen der allerheiligsten Jungfrau, [158] und bitten sie dabey um ein reines Herz. – Nun schwieg er einige Zeit, hob die kleine, das Gehen übende Antonette auf, küßte sie, und drückte sie an seine Brust, gab sie der Mutter zu küssen, stellte sie dann wieder hin, und sagte: Ich will auch Lilien für dich pflanzen, und deine englische Mutter soll dich ihre Bedeutung lehren.

Nach einer Pause setzte er hinzu: Unser vortreflicher Prinz Conde zu Chantilly, unsere gute unglückliche Königin zu Triauon, und die Gemahlin des Grafen von Provence, bauten zu Ende der prächtigen Gärten kleine Dörfchen, um die durch den Glanz der Höfe ermüdeten Augen an dem kunstlosen Anblick wieder zu stärken, und sich da zu erholen. Ach, Emilie! nicht einmal diese Bauerhüttchen sind ihnen geblieben! – Wir haben einen Pachthof, ruhige wohlmeinende Nachbarn, friedliche Stunden zu Arbeit und Schlaf, können, wenn unsere, dem Leben [159] der Erde nöthige Haus- und Feldarbeit besorgt ist, den Anbau unsers Geistes, durch unsere Bücher fortsetzen, und den edlen Ehrgeitz zu vergnügen suchen, Modell einer verdienstvollen Pächterfamilie zu werden, welche dem Staat durch gute Kinderzucht nützliche Bewohner bildet. – Er umarmte hier seine in sanfte Trauer gesunkene Emilie, und sagte: wir wollen uns, meine Beste! in die Zeiten des Adels der Normandie und der Schweiz versetzen, wo der erste von dem König unterjocht, der andre, wie wir, von dem Volk ihrer großen Güter beraubt wurden, und kaum einen armen Meyerhof erhielten, ihr Brod anzubauen. Die Normandie hat Frankreich, in dessen unterdrückten und verarmten Familien, eine Pflanzschule vortreflicher Seeoffiziere gegeben, in welchen die Namen alter Barone nicht mehr wegen Reichthum und Macht, aber durch Verdienst und Kenntniß neues Ansehen erhielten; wie [160] man von den Schweizerfamilen sagt, daß sie durch Tapferkeit in fremden Kriegsdiensten, und durch Regentenweisheit in ihrem Vaterlande, ihren alten geschätzten Namen neue Verehrung erwarben. Unser Carmil soll hier nie von dem Adel seines Namens sprechen, aber den moralischen Adel der Seele in Wissenschaft und männlicher Tugend beweisen. – Ein, durch seinen Vater angebauter, zu reichem Ertrag und einfacher Naturschönheit gebrachter, Bauerhof, soll sein Erbtheil werden. Die Geschichte seiner Eltern soll er auch finden. Ich werde ihm sagen, daß sein Großvater der Nordamerikanischen Regierung das so schöne Recht erkämpfen half, den Orden des Cincinatus zu errichten – Ich werde ihm von den Ehrenzeichen erzählen, welche seine Voreltern in Europa erworben hatten, und will ihn zu den Tugenden bilden, welche den Namen des Cincinatus verewigten, und unserm Carmil einst [161] gerechte Anwartschaft auf eine Stelle in diesem Orden geben sollen. – Und so, meine Emilie, stehen wir nun zwischen den in der alten Welt niedergerissenen und zu Boden getretnen Vorzügen unsrer Familien, und der aufblühenden Hofnung, in der neuen Welt den Namen Wattines auf der Höhe des edlen nützlichen Verdienstes neu glänzen zu sehen.

Wie innig waren unsre Blicke auf Carmil geheftet, und dann zum Himmel erhoben, welcher uns günstig schien, sagte Frau Wattines; denn nie hatten wir schönere Abendwolken gesehen: die holden jugendlichen Züge unsrer Kinder waren so schön beleuchtet, und die ganze Landschaft glänzte in dem Schimmer der Abendröthe. Wattines sah mit Entzücken auf uns, und sagte dann lächelnd: ich hoffe, daß es zu den Zeiten des Glaubens an Vorbedeutung auch einen jungen Vater gab, welcher in einer so lieblichen Stunde von Verdiensten und Glück [162] seiner Kinder träumte, wie es mir so eben begegnete; war die Mutter eine Emilie, so genoß der alte Grieche oder Römer gewiß eine unaussprechliche Freude bey diesem prächtigen Niedergang der Sonne, weil es ihm Anzeige der Erfüllung seiner Wünsche war. Auf meine Einbildungskraft wirkte es nur halb, indem unsere Lehrsätze jede Deutung verwerfen, und ich jetzt auch alles in einen grauen Nebel sinken sehe. – Dieser Nebel ist mir, sagte Emilie, das Sinnbild des Schleyers, hinter welchem die göttliche Vorsicht, der ich mich und alles was ich liebe überlasse, die Begebenheiten unserer künftigen Tage verbirgt, aber gewiß unsere Wünsche und Entwürfe nicht übel nimmt.

Mit diesen sanft dämmernden Ideen gingen sie nach Hause, und freuten sich, daß der letzte Sonnenstrahl, welcher den ganzen See durchstreifte, noch einen Augenblick auf ihrer Hütte weilte.

[163] Er mußte, sagte die holde Emilie, an der Insel und unserer alten Wohnung vorbey, ehe er den kleinen Theil unsers jetzigen Aufenthalts berührte, und dann an den Wipfeln der hohen Bäume verschwand, welche Wattines, von dem Geist des wahren Schönen geleitet, hatte stehen lassen. Meine Blicke folgten der Beleuchtung des letzten Blatts, und ich dachte tröstend: der erste Lichtstrahl, welcher die Nacht endigt, kommt wie der Hauch des Lebens meiner Seele von dem Himmel, und beyde gehen zu ihm zurück, Mein Abendgebet war durch Wattines Betrachtungen, über das Vergangene, und durch seine Entwürfe für unsere Kinder, inniger geworden. Er seufzte und betete auch ganz leise, aber wir schliefen beyde einen recht erquickenden Schlaf, wie die ganze Natur; denn der schöne Herbstmorgen war nicht heiterer als wir.


[164] Nun hat Wattines Garten seine völlige Eintheilung, und für die ersten Jahre bestimmten Anbau erhalten: alle Arten von Gemüspflanzen finden eine Stelle, alle haben auch schon ihre eigenen Vlumen zu Gefährten angewiesen bekommen. Sie nehmen nicht viel Platz ein, und geben bey der großen Ordnung des Ganzen, dem Garten einen Reitz, den kostbare Blumenstücke nicht haben. Als ich mit Wattines davon sprach, antwortete er lächelnd: ich glaube, daß diese Phantasie ein Ueberrest des Eindrucks ist, welchen ein gesellschaftliches Gespräch auf mich machte, worinnen Poeten und Maler den Kunst- und Weingärtner, prosaische Schriftsteller aber, den Weitzen und Gemüsbauer ähnlich gefunden wurden. Die ersten ergötzten und die zweyten nährten. Mein Garten verbindet beydes, und ich kann sagen, meine Gemüs-Felder sind mit Blumen verziert, wie oft ein sehr nützliches prosaisches Werk mit [165] poetischen dazu passenden Auszügen geschmückt wird –

Diese kleine Unterredung war in Wattines Garten. Carmil lief umher und suchte noch alle mogliche Wiesenblümchen zusammen, brachte sie seiner Mutter, legte sie auf ihren Schooß und überstreute Antonettens Bettchen, brachte den Kühen die, von welchen man sagte, dast sie sie liebten, auch wollte er die Bücher des Papa's und das Arbeitszeug der Mama mit Blumen überdecken. Wattines lehrte ihn Bouquete binden, sie auf seinem Hute befestigen, und in die Knopflöcher seines kleinen Westchens stecken, und führte den mit Kinderstolz erfüllten Carmil, so geputzt seiner Mutter entgegen, welche gerade mit einem Blatte Papier in der Hand zu uns kommen wollte. Sie küßte ihren Sohn, lobte die schönen Blumen, und der Knabe hüpfte weg, um sich dem Gesinde und den Nachbarn zu zeigen. Ich sprach von [166] seiner außerordentlichen Liebe zu Blumen. Ein Zug von Besorgniß, und ein Blick voll sanfter Wehmuth nach einigen noch umher stehenden Blumen, war auf wenige Momente in Emiliens schnell von mir gewendetem Gesichte merkbar, und mit gerührter Stimme sagte sie: ach möge Carmils Blumenliebe keine Ahndung seyn, wie es bey mir war.

Wie sollte dieses, bey einer so höchst unschuldigen Sache, zu einer traurigen Ahndung werden können, wie Sie anzudeuten scheinen? sagte ich, sie erwiederte: meine Mutter und meine Wärterinnen erzählten mir immer, daß ich von den ersten Kinderjahren an, eine solche Freude an Blumen zeigte, daß ich mitten in dem stärksten Weinen und Weh, auf dargereichte Blumen lächelte, in dem Blumengarten alles andre vergaß, und nie glücklicher war, als wenn ich mit meiner Puppe, zwischen den hohen Büschen der Gicht-Rosen spielen, und sie dort neben mich setzen[167] konnte. – Sie sehen hierin, setzte sie lächelnd hinzu, die Ursache, warum mein liebreicher Wattines mit so vieler Sorgfalt Gichtrosen um meine Ruhebank pflanzte. – Ich war so Blumen gierig, daß man hätte den Garten verwüsten müssen, um mich zu befriedigen, und die Mägde brachten mich nach den Wiesen, wo sie meine Aermel, mein Brust stück und Schürze mit Blumen besetzen mußten. – Dieser Geschmack blieb mächtig in mir, denn die wildwachsenden Blumen der Insel, und die, welche mein Carl für mich erzog, gossen immer durch die Anmuth ihrer Gestalt und ihrer Bewegung, durch ihre stille bescheidne Verschönerung der Erde und in der Luft verbreitete Wohlgerüche, bey jedem blicke auf sie Besänftigung in mein Herz, und Erquickung in meine Brust. Tausendmal sagte ich mir in unserer Einsamkeit auf der Insel: Gott legte dieses lebhaft wirkende Gefühl für die Schönheit der Pflanzenwelt von [168] Jugend auf in deine Seele, weil er vorhersah, daß ich einst alle andre Freuden des Lebens, alles was Gesellschaft der Menschen geben kann, verlieren, und in dem stillen, süßen Genusse dieser Geschöpfe, einen Ersatz finden würde. – Verzeihen Sie mir jetzo nicht einen Theil, der künftiges Weh ahnenden Sorge, für die erwachsenen Jahre meines Sohnes, wenn ich in seinen kindlichen Tagen, das ganze Bild der meinigen erneuert vor mir sehe?

Sehr gerne, antwortete ich, versprechen Sie mir nur, bey diesem zufälligen Auffinden von Carmils Aehnlichkeit mit ihrer Blumenliebe, auch an ähnliche Züge des heroischen Geistes seiner Eltern, an die in ihm vereinten moralischen Gefühle, und die im Ganzen abgeänderte Lage zu denken. Sie haben in einem Sturme alle Ihre Glücksgüter verloren, aber ihr aus doppelten Ursachen unschätzbares Leben wundervoll gerettet. Dieß, [169] was Sie beyde am meisten liebten, Tugend und Kenntnisse wurden mit Ihnen geborgen: bedenken Sie, was diese hohen Kräfte edler Seelen für Sie bewirkten, und für Ihre Kinder thun werden, und genießen Sie die Freude ungetrübt; sich zu sagen: daß gewiß kein menschliches Wesen unter einem günstigern Einfluß entstand, als Ihr Carmil. – In den Armen der reinen Natur, unter dem Schutze ausübender Tugend, als Frucht der schönsten Liebe! – Alles in ihm verkündet Morgenröthe eines von Gott bezeichneten heitern Tages. Er wird, wie sein würdiger Vater, Blumen und Bäume pflanzen; wie seine verehrungswerthe Mutter, alles Gute und Schöne lieben, und o, glauben Sie meiner Ahndung, er wird durch Sie beyde, als Vorbild des hier aufwachsenden Geschlechts aufblühen, und gewiß das edelste Erdenglück wird sein Loos. – O wie war die Mutter gerührt! mit welchem Ton der Stimme sagte [170] sie mir: Gott erfülle diese Prophezeyhung, und kröne einst dieses vorhergesagte Glück meines Sohnes, durch die Freundschaft eines Mannes wie Sie.

Ich dankte ihr durch eine Verbeugung, und da wir am Ende der hohen Baumalles Wattines und Carmil zurückkommen sahen, und bemerkten, daß er dem Kleinen, die in beyden Ecken angelegten halben Lauben, und einander gegenüber liegende Gärtchen zeigte, welche er für ihn und Antonette bezeichnet hatte, so sagte Frau Wattines: jetzo ist es gerade noch schicklich, meine kleine Uebersetzung aus dem Englischen zu lesen, mit welcher ich in den Garten kam: als der Anblick meines blumigten Carmils mich auf meine Kinderjahre zurückführte.

Indessen waren wir Vater und Sohn nahe genug, um Carmil schon die kleinen Wege durchlaufen zu sehen, und daß Emiliens Stimme Wattines hörbar wurde, als [171] sie sagte: glückliches Kind! mögest du in allem die von der Hand deines Vaters bezeichneten Wege mit so freudigen Schritten durchlaufen, und diese mir so liebe Betrachtung, einst deiner Denkungsart und deinem Glücke angemessen seyn.

Da sie bey dieser kleinen, nicht ohne Bewegung der Seele ausgesprochenen Rede, das Papier auseinander faltete, so werden meine Freunde sehr natürlich finden, daß Wattines und ich auf den Inhalt begierig wurden: es waren wenige aber schön gedachte Zeilen: –


Ueber die Gärtnerey.


»Man hat sie schöne Kunst und üppige Prachtliebe des glücklichen Ackerbaues genannt, mich dünkt sie der anständigste, tugendvollste Zeitvertreib, des mit Reichthum gesegneten Mannes zu seyn. Sie ruft ihm die unschuldige Beschäftigung des ländlichen Lebens zurück, und die Ausgaben, welche er zu Verzierung seiner Gärten verwendet, gewährt [172] ihm die Befriedigung seines Geschmacks am Schönen, und der Neigung zu Aufwand, welche immer mit großen Glücksgütern verbunden ist; ohne ihn der Gefahr auszusetzen, bey dieser Leidenschaft gegen die moralischen Gefühle zu handeln. Liebe der Gärtnerey ist weit von den gewöhnlichen Vergnügungen der Höfe und der großen Welt entfernt; denn sie besänftiget die empörten Leidenschaften der Seele, und jeder Blick in ihrem holden Gebiethe, scheint die zarten reinen Bande zwischen uns und der Natur zu verstärken.«


Diese letzte von Emilie dem englischen Original zugegebne Idee rührte mich, und ich sagte der frommen Frau: Sie werden auch so lange, als die Welt und Menschen, dauern, diese schönen, von Gott selbst im Paradiese geknüpften Bande, aber ich sehe in diesem Gedanken auch den Faden von der edlen sympathetischen Verbindung zwischen Ihnen beyden und Ihrem Lieblinge St Pierre. –

[173] Wie das? fragte Wattines sehr schnell. Weil mir das schöne wehmuthsvolle Stück in Erinnerung kam, welches Sie mir auf der Insel vorlasen, wo St. Pierre von dem Grabe unter dem Eibenbaume so rührend sagt: unser Staub bleibt da durch Thau und Regen, durch die Stralen der Sonne und des Mondes, durch den Wind, welcher die Grashalme auf unserm Hügel bewegt, in Verbindung mit der ganzen Natur, – und Sie edler gefühlvoller Freund! setzte ich gegen Wattines hinzu, welcher auf der lieben Insel das Gebieth der Verwesung in eine Blumenflur verwandelte, Sie werden meine Bemerkung nicht unrecht angewendet finden. – Wattines drückte meine Hand und sagte:

O nein! mir ist im Gegentheile Ihre Aufmerksamkeit für alles was die Wattines der neuen Welt betrifft, Unterpfand Ihrer Liebe und Ihrer Theilnahme, und nun müssen [174] Sie eine so eben entstandne Bitte meines Herzens erfüllen und hier in der Ecke des Gartens, nahe bey dem von dem Dach meiner Scheune halb bedeckten Platz, neben Carmils Garten, fünf Zuckerahornbäume pflanzen, welche in einem Halbzirkel stehend, unsere Namen tragen sollen. Ihr Friedrichsbaum in der Mitte, Emilie, ich, und unsere zwey Kinder zu beyden Seiten. – Diese von Ihnen gepflanzten Bäume, werde ich besorgen, und Blumen zwischen ihnen pflanzen, dort werde ich mit Emilien mich erinnern, daß Sie unsere Felder, welche man von der Stelle alle sieht, segneten, und unsern Garten anpflanzen halfen; dort soll ein Tisch und Stühle hinkommen, dort mein Carmil das erstemal die Geographie von Deutschland hören, bey Ihrem Namen soll er den Werth der edlen Wißbegierde, und die Eigenschaften eines edlen jungen Freundes kennen lernen, und bey dem Punkt [175] von Carlsruh, wo Sie die erste und endliche Bildung Ihres Geistes erhielten, werde ich ihm den Weg der Kenntnisse bezeichnen, Begriffe von den Ländern geben, welche Sie durchreisten, von Ihrem Aufenthalt bey uns erzählen, und ihm sagen, mit wie viel dankbarer Verehrung Sie sich stets Ihres verdienstvollen Lehrers der Mathematik, und das edle Beyspiel des Denkens und Lebens vom Rath Wucherer erinnerten, und dadurch so schön eine Tugend und Vorschrift des würdigsten der Kaiser befolgten; da Marc-Aurels Leben beweist, wie er noch als Regent des größten Reichs der Erde, das Andenken seiner Lehrer segnete. – So will ich Ihr Andenken feyern. Ihre in der schönen Jahreszeit uns zukommenden Briefe sollen auch hier gelesen werden. – Wenn unsere Felder gut stehen, wenn alles im Garten blüht, will ich Carmil sagen: die Wünsche der wahren Freundschaft wirken noch über Berge und Meere herüber [176] auf unsere kleine Besitzungen. Er soll auch jeden Frühling die Blumen besorgen helfen, welche zwischen den Bäumen gezogen sind, und bald, sehr bald, hoffe ich, soll er die Bedeutung fassen, welche ich damit verbinden werde: daß schöne Kenntnisse und abwechselnde angenehme Unterredungen, uns mit Ihnen – Ihre wohlwollende Güte und Geduld, Sie mit uns verband, wie diese fünf Bäume durch die Blumengewinde verbunden seyn werden. Er soll dort hören, daß ich am Ende Mühevoller Tage in Ihrem Umgange mich erholte, neue Stärke und Heiterkeit des Geistes sammelte, wie der Schatten der lieben Bäume mir in heißen Stunden erquickende Ruhe schafte, und Ihr Zuckersaft bittres Getränk versüßte.

Diesesmal brachte mich Wattines durch das liebliche Gemälde meines mir gewidmeten Denkmals auch zum Fliehen, denn er hatte dadurch meiner Einbildungskraft, meine Abreise [177] und weite Entfernung so vorgestellt, daß ich die Pferde schon gesattelt, und einen Wagen zum Abfahren fertig sah. In dieser Empfindung umarmte ich ihn, ohne ein Wort zu sagen, und verließ ihn eben so eilig, als ob ich die Schmerzen des Abschiednehmens vermeiden und abkürzen wollte. Er hielt mich nicht zurück, weil seine lebhafte Beschreibung eben so sehr auf ihn gewirkt hatte als auf mich. – Ich dachte zu Hause nach, ob ich nicht auch etwas finden könnte, welches Wattines zum fühlbaren Andenken bleiben möchte, und ich glaube einen guten Gedanken auszuführen, bey welchem mein Zimmermann mich unterstützen wird. Da Wattines bey den fünf Bäumen auch einen Tisch und Stühle nannte, so will ich nicht nur die erstern pflanzen, sondern auch diese verfertigen, und dabey, wie er von dem Ankauf seines Eisendraths sagte: es war Phantasie, welche am Ende ernsthaft nützte – so sage ich, [178] in meinem Vaterlande erschien meine genaue Befolgung der Grundsätze des Rousseau, die Schreinerey zu lernen, auch als Phantasie, und jetzo hilft sie hier meinen Freunden, einen Dienst erweisen, und Vergnügen zu machen. Mit dieser Arbeit wird mein Winter sehr angenehm verfließen, denn ich will jedem Stück den höchsten Grad Vollkommenheit geben, der in meinen Kräften steht. – Vielleicht wird dieses Vorhaben zum Beweis, daß die Freundschaft einen Schwaben zu einen eben so geschickten Schreiner machte, als die Liebe einen Holländer zum Maler schuf. Aber ehe ich an diesem Entwurf Hand anlegen kann, werde ich mit der ganzen Colonie an einem Tempel der treuen Liebe arbeiten helfen, wovon ich hier die kleine Geschichte erzählen will. – Vorgestern kam noch eine neue Colonistenfamilie hier an, welche in einem jungen Weber, seiner Mutter, einem Bruder und Schwester besteht. Da es schon [179] spät in der Jahreszeit ist, waren wir alle verwundert, noch Leute ankommen zu sehen. Neugierde führte alles zusammen. Ich ging mit, und sah gerade noch, wie ein ziemlich hübscher junger Mann einer ältlichen Frau mit großer Sorgfalt von dem Wagen half, sich unter den vielen Menschen eifrig umsah, den Hals nach den abgesetzten Häusern ausstreckte, und jemand fragte: wohnt der Becker Illig weit weg? Ja, sagte ich, am obersten Ende der Straße. Er wurde roth, blickte traurig auf die alte Frau, welche er bey der Hand faßte, und zu mir sagte: O lieber deutscher Herr! wollen Sie nicht einen Augenblick bey meiner guten Mutter bleiben, bis ich wieder von dem Becker komme.

Ich will gewiß gleich wieder zurück seyn, sagte er gegen die Frau, sie lächelte unter Thränen, und antwortete liebreich: geh in Gottes Namen – und fort war er wie ein [180] Pfeil, längst der Straße hinauf. Alle sahen ihm staunend nach, die Blicke der Mutter blieben auf ihn geheftet; endlich sagte sie, ihre Augen zum Himmel erhebend: Guter Philipp! Gott helfe dir! dann wandte sie sich zu mir, und fragte: ob der Becker und seine Kinder noch lebten? Bey der Antwort ja, dankte sie Gott mit freudigem Wesen, und gegen ihre Tochter: ach jetzt wird ihm wohl seyn.

Indessen war der Fuhrmann mit dem andern Sohne und einem Colonisten zu Herrn Scriba gegangen, und die Tochter der alten Frau sprach bescheiden und gutartig mit den Leuten umher, bat einen Mann, ihr einen Pack von dem Wagen heben zu helfen, damit ihre Mutter sich setzen könne, bis die Brüder wieder kämen. Die Mutter wollte es nicht, sondern sagte, sie würde ein wenig mit mir sprechen, und kehrte sich etwas ab, als ob sie mit mir dem Sohn nachgehen wollte. – [181] Traulich sah sie in mein Auge, und sagte: Herr! Sie sind gewiß ein guter Landsmann, Ihnen will ich auch sagen, warum mein Sohn so fortlief. Des Beckers älteste Tochter ist schon zwey Jahre seine Braut, da ist es ja natürlich, daß er sie gleich besucht. – Ich fand es auch so, indem ich aber fragen wollte, so rief die Tochter, auf die Straße deutend: Mutter, da kommt Philipp und Suse gelaufen. Wirklich kamen sie, und diese eilte auch entgegen. – Die arme Suse war ganz außer Athem, als sie uns erreichte, und der alten Frau um den Hals fiel, indem sie rief: Mutter, Mutter! Diese hielt das Mädchen umsaßt, und sagte: liebe, liebe Susanna! Der Sohn, äußerst gerührt, nahm eine Hand von Suse, und wiederholte: o gewiß, liebe, liebe Susanna! – Wir alle nahmen Antheil an dieser Familienscene.

Indessen hatte Herr Scriba die Zeugnisse und nöthigen Schreiben gelesen, und kam [182] mit Herrn Vandek, mit den Leuten zu sprechen. Der Becker war nun auch da, und bot der Frau und Tochter sein Haus an. Ich trat auf, und sicherte den zwey Brüdern die Abtheilung meiner Stube, Wattines gab seine Scheune, um ihr Gepäcke dort abzuladen und zu verwahren; andere sagten zum Becker, sie wollten zum Essen beytragen, alle gingen mit der Freude über neue Landsleute beschäftigt nach Hause. Ich besorgte den Schlafplatz der jungen Leute, welche ich, da sie nach dem Abendbrod bey dem Becker zu mir kamen, ausfragte: Warum seyd Ihr nicht früher aus Europa herüber gereist? Treuherzig sagte Philipp: Ach, mein Vater konnte nicht früher sterben, und dann weinte die Mutter so lange, daß viele Zeit hinging, ehe das Haus und Gütchen verkauft wurde. Helfen Sie, lieber Herr, aber doch hier, daß meine Mutter in dem neuen Hause ein gutes Stübchen bekommt, meine Schwester wohnt dann bey [183] ihr, ich und meine Braut in der großen Stube, und mein Bruder will nur ein Winkelchen. Ich versprach ihm, mit dem Zimmermann zu reden, sagte aber nicht, daß mir die Mutter etwas von der Braut gesagt habe, und fragte scherzend: also hat er eine Braut mitgebracht? – Ach nein, so glücklich war ich nicht! Susanna ist schon ein Jahr mit ihren Eltern in Amerika, ich durfte nicht mit, weil mein Vater dem Grabe zuging; aber da meine gute Mutter wußte, daß ich ohne Susanne nicht leben könnte, versprach sie mir, sobald der Vater bey Gott seyn würde, mit uns allen herüber zu gehen. Sie hat Wort gehalten, die gute Mutter, wir sind hier; Susanna und ich wollen ihr auch Wort halten, daß sie bey uns glücklich seyn soll, in gesunden und kranken Tagen, ohne daß sie viel arbeite. –

Meine Freunde erkennen hierin mit mir nach dem alten allgenieinen Zeugniß, einen runden redlichen Schwaben. – Ich wollte [184] nun meine Fragen Schritt vor Schritt fortsetzen: Wo ist denn seine Susanna? – Ey hier in dem hölzernen Dorfe, sonst würde ich nicht hergekommen seyn; aber ich ginge noch viel weiter nach ihr, wenn es seyn müßte, doch danke ich Gott, daß wir da sind. Es ist schön an dem hellen Wasser, es gefällt auch der Susanne recht wohl, und sobald unser Haus fertig ist, wird uns, hat sie gesagt, ein recht braver Geistlicher einsegnen, und wir wollen recht gut haushalten.

Wer sind die Eltern seiner Susanne? – Die braven Beckersleute, welche Ihr gutes Brod backen, und gewiß dabey die besten Kornbauer sind. – Ich habe nie nichts von ihnen gehört, sagte ich. Er staunte, und erwiederte schnell: Das wundert mich, denn er ist der rechtschaffenste Mann, und seine Tochter Suse war immer das schönste Mädchen in unserm Dorfe, schon in der Schule, und dann bey dem Tanz. – Ernsthaft fragte ich: Versteht [185] sie aber auch die Feld- und Hausarbeit von einer guten Landwirthin? – O das werden Sie sehen. Sie ist fleißiger und geschickter, als zehen andere, und immer gut und lustig dabey. – Nun so wird sie eine gute und schätzbare Amerikanerin werden; denn diese sind munter, sehr fleißig, und wie die Engländerinnen in allem reinlich.

Ich konnte alle weibliche Verdienste nennen, Susanne übertraf alles. Sie war über das Meer gegangen, und liebte ihn wie vorher, hatte vielen andern gefallen, wollte aber nur für ihn leben, und ich würde sehen, wie glücklich sie sich in ihrer treuen Liebe fänden. Nun war der erste Zug von Glück, daß unser Zimmermann schon behauene Bäume daliegen hatte, welche heute auf den Platz des neuen Hauses geführt wurden, und alles Hand bot, damit es bald in wohnbaren Stand komme. Die Braut kam Abends mit Mutter und Schwester, uns Kuchen auszutheilen, uns zu [186] danken, zu beweisen, daß sie eine recht artige Hausfrau seyn würde. Sie hatten in der Frühe bey dem Vorsteher als Brautleute sich gemeldet, und als die zwey Mädchen mit Körben voll Kuchen, Philipp und sein Bruder aber ein Faß gutes Bier herbeybrachten, liefen kleine Jungens und Mädchens mit Blättern und kleinen Baumästen um sie her, und riefen: Glück zu, junge Frau! – Glück zu, junger Mann! – und streuten die Blätter und Zweige vor ihnen her. Die alte Mutter fand dieses schön und von guter Vorbedeutung. Der Kuchen und das Bier wirkten auch so stark auf die freywilligen Arbeiter, daß der Zimmermann versicherte, morgen Abend fertig zu seyn, und bat Weiber und Mädchen zu Hülfe bey dem Ausstopfen der Fugen und Lücken, denn kleine Knaben und ganz junge Mädchen rauften Moos dazu. Die Dankbarkeit der neu angelangten Familie war äußerst rührend, da sie sich Glück [187] wünschten, unter so guten Nachbarn zu leben. Ich stand unweit Philipps Mutter, welche mit ihren Blicken bald ihrem Sohn, bald Susannen folgte, welche, während die andern nach dem Vesperbrod noch Balken und Breter tragen halfen, mit einem Rechen die Spähne zusammenraffte, und einer Frau, die ihr zurief: o das Holz ist ja umsonst! antwortete; ich spar' es doch, es ist Gottes Gabe. Da rollten der alten Frau Thränen von den Backen, indem sie zu mir sagte: Lieber Herr! bekommt mein Sohn nicht eine gute Frau? Ich versicherte sie, daß ich es glaubte. Nun sprach sie fort – O ich habe ihr alles von Jugend auf angesehen, sie ist auch mein Pathchen. – Dieses letzte däuchte mich mit dem Tone gesagt zu seyn, als ob sie der alten Sage sich erinnerte, welche in unserm Vaterlande zu Hause ist: daß die Kinder den neunten Theil des Charakters ihrer Taufpathen bekommen.

[188] Philipp hatte so eben einen Balken zu dem innern Theil des Hauses getragen, kam zurück, wieder einen zu holen, bot Susanna vorbeyeilend die Hand, und wollte weiter; die Mutter rief ihn, und streichelte seine Achsel, indem sie fragte: hat dich der Balken nicht zu schwer gedrückt? – Nein, liebe Mutter! er war zu Eurer Stube, und sie wird bald fertig seyn.

Schön war diese Antwort, und schnell war er aus unsern Augen. Die Mutter blickte auf mich, gleich als ob sie sagte: Habt Ihr gehört, wie mein Sohn denkt? Ich erwiederte: Gute Frau! Sie hat recht gute Kinder, ich wünsche Ihr Glück! – Mit Thränen im Auge dankte sie mir, und setzte hinzu: Ja Gottlob! es sind gute brave Kinder, und es freut mich sehr, daß es schon einer von den Herrn in diesem fremden Lande weiß.

Susanna, welche neben ihrer Arbeit immer nach ihrer Schwiegermutter blickte, bemerkte [189] nun, daß sie sich die Augen wischte, ließ ihren Rechen fallen, und kam zu uns gelaufen, faßte die Hand der alten Frau: Mutter, was fehlt Euch? sagte sie sehr sanft, indem sie dabey forschend in ihr Gesicht blickte. Weil die gute Frau fortweinte, und nicht sogleich sprechen konnte, sagte ich: Sey Sie ruhig, gute Susanne, die Mutter weint aus Freude über ihre schätzbaren Kinder. – O das ist recht, erwiederte sie munter, der Mutter die Hand drückend, mir war Angst, es reue Euch, hieher gezogen zu seyn, und das wäre mir und Eurem Philipp recht leid. – Freundlich sagte die alte Frau: Fürchte das nie, liebe Suse! ich bin gern da, und würde noch kommen, wenn ich nicht da wäre. Suse drückte ihr die Hand, und sagte: es soll Euch auch nie, nie reuen, bey uns zu seyn.

Den Moment sah sie einen Mann Breter herbeytragen, und eilte, sie gleich abheben zu helfen. Mich freute, sie arbeiten zu sehen- [190] und von ihrer Schwiegermutter segnen zu hören, eilte auch, von meinem Zimmermann gute Dielen zu begehren, und half sie an der Wand von dem Stübchen der Mutter annageln, die andern überlegten das Dach, alles war fleißig. Wir hatten Donnerstag, am Sonntag sollten die treuen Liebenden getraut werden. Uebermorgen früh wird der Platz vor dem Hof und Garten vollkommen geräumt, und beyde ringsum mit Persimonbäumen bepflanzt seyn. Dieses ist ein sehr nützlicher amerikanischer Pflaumenbaum, mit langen schmalen Blättern, welcher schwarze mittelmäßig große Pflaumen, von sehr süßem Fleisch und drey harten Körnern trägt, die man aber nicht gleich von dem Baum weg genießen kann, sondern einige Zeit liegen lassen muß, nachdem aber dient sie dem Amerikaner, ein schmackhaftes Bier daraus zu kochen, durch Gährung einen Cyder zu erhalten, Branntwein daraus zu brennen, und durch sorgfältige [191] Auswahl eine sehr angenehme Speise bey dem Nachtisch zu haben.

Mein Freund muß diese kleine häusliche Ausschweifung übersehen, weil ich gewiß bin, daß sie meiner theuren Base gefallen wird; denn sie verachtet nicht den Lebenslauf des Armen, welcher nur einfache Freuden, und so vielfache Mühe in sich faßt. Theilnehmend segnet sie seine Arbeit und kärgliche Kost, dankbar erhebt sie ihr Auge zum Himmel für ihr glücklich gefallenes Loos, und betet für die andern. – Sie mag sich bey diesen wenigen Zeilen des Tages erinnern, an welchem sie Grays Elegie auf einem Landkirchhofe mit mir las, und ich sie von dem schönen Gedichte so eingenommen sah, daß ich ihr damals meine ganze Hochachtung widmete. – Sie kannte ihren für ihr ganzes Leben bestimmten Freund noch nicht, sonst würde er vielleicht mit bey dem Spatziergange gewesen seyn, und hätte schon damals die [192] Ahndung haben können, daß Luise W. einst sein edles Herz in allem unterstützen würde, was er für das Beste der Landleute zu thun wünschte. Es war ein schöner, sehr schöner Nachmittag; wir saßen auf der niedern Kirchhofmauer, von welcher man einen Theil der Gegend, und den Ruheplatz der guten Bauern von Ottheim ganz übersieht. Luise hatte die prächtige Auflage von Grays Gedicht in ihrem Arbeitsbeutel mitgebracht, und las sogleich, nach den Gräbern umher blickend:


Nicht die kühle Einladung des Weyrauch athmenden Morgen,
nicht die von dem Dach der Strohhütte herabzwitschernde Schwalbe,
nicht die schwirrenden Töne des Hahns, noch das
wiederschallende Horn, nichts, wird sie
künftig wieder aus ihrem niedern Bette wecken.
[193]
Für sie wird der flammende Herd nicht mehr brennen,
keine geschäftige Hausfrau für sie die Abendsorgen erfüllen,
keine Kinder werden mehr laufen des Vaters Rückkunft zu erzählen
oder an seinen Knieen aufklimmen des beneideten Kusses zu genießen.
Oft hat ihre Sichel die Erndte abgemähet,
oft hat ihre gezogene Furche den harten Erdkloß gebrochen,
fröhlich führten sie ihren Wagen auf das Feld
und der Wald bückte sich unter ihren nachdrücklichen Streichen.
Daß doch der Ehrgeitz ihrer nützlichen Arbeiten,
ihrer bäurischen Freuden, und ihres dunklen Schicksals nicht spotte;
daß doch die Hoheit nicht mit einem verachtungs-
[194]
vollen Lächeln den kurzen und einfachen Lebenslauf des Armen höre.
Vielleicht liegt in diesem ungeachteten Fleckchen
ein Herz, das ehmals von einem himmlischen Feuer beseelt war;
vielleicht Hände, welche das Scepter der Herrschaft mit Weisheit geführt
oder die lebhafte Leyer zu Entzückung gespielt haben würden; –
aber die Erkenntniß öffnete ihnen niemals ihr großes,
durch die Beute der Zeiten bereichertes Buch, und
kalte Dürftigkeit that ihrem edlen Eifer Einhalt;
doch weit von unedlen Begierden des bethörten Haufens
lernten ihre gemäßigten Wünsche niemals auszuschweifen.
In dem kühlen sichern Thale des Lebens,
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setzten sie gleichmüthig und ohne Geräusch ihren Weg fort.
Unzählbare Edelgesteine von den reichsten und heitersten Stralen,
liegen in des Oceans finstern unergründlichen Tiefen begraben;
unzählbare Blumen werden geboren, ungesehen zu blühen und
ihre süßen Gerüche an eine einsame Luft zu verschwenden.

Meine Freunde sehen, daß ich unsers geliebten Gray schönes Gedicht noch ganz im Gedächtnisse habe, noch mehr, ich erinnere mich wie heute, daß eine Thräne in Luisens Auge glänzte, als sie diese Verse las, und daß wir auf dem Rückwege bey einer etwas einsam wohnenden Bäurin einkehrten, bey welcher wir alles so reinlich fanden, sie in dem muntersten Tone und mit vielem Verstande von ihren Arbeiten reden hörten, sehr gutes Brod und Butter bey ihr aßen, und [196] dabey schöne dunkelrothe Nelken auf den Weg bekamen; die Frau wollte nichts von uns annehmen, und versagte es wie eine Art Beschimpfung, als sie Geld in unsern Händen sah. Luise beruhigte sie, und sprach mit dem kleinen 6 Jahr alten Mädchen der Bäurin, welche uns durch einen Heckengang näher zum Amthause führen sollte. Wir dankten, und die Bäurin verbot dem Kinde, ja kein Geld anzunehmen. Luise machte aber die schwarze Schnur, mit dem kleinen goldnen Kreutzgen von ihrem Halse, und band sie der kleinen zum Andenken um den ihrigen, die nun voll Freude davon lief, während Luise mir sagte:

Sie haben bey den vielen schwarzen Kreuzen auf den Gräbern gesehen, daß die guten Leute hier dieses Kennzeichen ihres Glaubens verehren, die Bäurin wird also dieses Geschenk wegen seiner Form gerne behalten. – Ehe wir nach Hause kamen, sagte sie mir auch den Wunsch, immer auf dem Lande zu [197] leben, und wie die von ihrem Vater gepflanzten Bäume, in dem Boden des ihr so lieben Dorfes Ottheim eingewurzelt zu seyn. Sie mag aber wohl um des geliebten Mannes willen alles vergessen haben, was sie mit dem Better gesprochen hatte. Ich will nun die eigene Ursache erzählen, warum ich alles dieses so neu und lebhaft vor mir sahe. Wir haben einen Kranken und befürchten seinen Tod, dadurch wurde der Gedanke geweckt, von einem allgemeinen Ruheplatze zu sprechen. Vandek, Wattines und ich wurden von dem Vorsteher gebeten, eine schickliche Stelle aussuchen zu helfen, diese wurde bald gefunden, und dem Zimmermanne gesagt, durch eine kleine Umpfählung für die Sicherheit des ersten Grabes zu sorgen, damit die Ueberreste unsers Miteinwohners nicht durch wilde Thiere ausgescharrt würden. Während der Vorsteher und Vandek noch mit zwey Leuten über das Ganze sprachen, gingen Wattines und ich [198] stillschweigend neben einander, mir kam der Gedanke, daß ich hier schon mehreren Menschen ihre Ackergüter zumessen sah, und nun auch die Stelle bestimmen half, welche nach unserer schwäbischen Mundart der Gottes acker genannt wird, weil gewiß der erste, welcher sich dieses Ausdrucks bediente, die tröstliche Idee der Auferstehung damit verband, und uns, als die für unsern Schöpfer gemachte Aussaat betrachtete. Diese Idee führte mich zu dem Andenken von Ottheim, zum Spaziergang mit Luise und zu Gray's Gedicht, welches ich in meinen Gedanken den hiesigen Landleuten widmete, und zu Wattines sagte: daß ich wünschte, Grays Elegie möchte einst durch ein eben so edles Mädchen als meine Base, an den Ufern des Oneida bekannt gemacht werden. Wattines antwortete: wünschen Sie zuerst, daß die Bewohner dieser Stadt die Zueignung dieses edlen Bildes verdienen möchten. Vandek, welcher sich [199] uns in diesem Moment näherte, hatte die letzten Worte gehört, und fragte, was für einen Gegenstand Wattines mit dem Beynamen, edles Bild bezeichnete? ich erzählte es. Vandek, welcher mit Grays Gedicht bekannt war, sprach mit Verehrung von dem Geiste welcher darin athmet, und setzte hinzu: wenn alle nachfolgenden Colonisten von dem Gefühle der guten Weberfamilie beseelt hieher kämen, so würde ein Nordamerikanischer Gray gewiß den Stoff zu einem Gesange der ländlichen Tugend finden: er wünsche diesem guten Lande keine bessern Bewohner, und sich keine bessern Pfarrkinder. Wir vereinten unser Lob über das was wir wußten. Vandek erzählte uns aber einen viel schönern Zug. Schon diese Nacht hätte Susanna und ihre Schwägerin der Frau des Kranken zu seiner Wartung beygestanden, diesen Morgen aber, sagte der junge Haußwirth, seine Wohnung würde heute Abend ganz eingerichtet seyn,[200] Susanne und er wünschten auch morgen nach der Predigt getraut zu werden, aber sie wollten nicht die geringste Lustbarkeit anstellen, da in der kleinen Gemeinde eine ganze Familie in Trauer versenkt sey, so würde seine Schwester bey der betrübten Frau bleiben, bis alles vorüber gegangen, und sie wieder im Stande seyn würde, ihre Kinder und Haushalt ruhig zu besorgen: indessen wolle Susanne die Stelle seiner Schwester bey der Mutter vertreten, damit dieser nichts an ihrer Wartung mangeln möge. –

Der vortreffliche Vandek freute sich über die schönen Gefühle der Menschenliebe und der Ordnung, welche sich in der ganzen Anstalt des jungen Mannes so thätig zeigten. – Der Ueberrest meines Abends wurde mir in Wattines Holzhütte noch sehr angenehm gemacht, indem unser Zimmermann noch zu uns kam und erzählte: Susanna und ihr Bräutigam seyen mit ihm überall herum gegangen, [201] hätten auch frey von den Bewohnern gesprochen, und bey Wattines gesagt, dieser Herr und Frau wohnen wie wir, und pflanzen ihren Garten und ihre Felder auch mit Mühe, wir wollen alles nachahmen, was wir mit der Arbeit unserer Hände nachahmen können. Es ist in dem Garten den Sommer gewesen, wie im Paradiese, sagte Susanne, das wolle sie ablernen, weil es nichts koste als Achtung geben; so könnte es ja ein guter Arbeitsmann und seine fleißige Frau auch so machen. – Ich dachte an meine Vorbedeutung, daß Frau Vandek das Beyspiel der Reinlichkeit, Frau Wattines das von gutem Geschmack und Geschicklichkeit in allem geben würde; alles Nette und Angenehme des Milchkellers, werden wir der Holländerin; Mariniren der feinen Fische und gute, mit Gartenkräutern zugerichtete Speisen der Franzosin zu danken haben; und so wird das Beyspiel des Fleißes, und das angenehme Gefühl, welches der Anblick des [202] Schönen und der Ordnung hervorbringt, die Anlage unserer kleinen Stadt beleben, sie wird nicht prächtig, nicht glänzend, aber anziehend seyn, wie von jeher eine reine ländliche Nymphe des friedlichen Hayns und der blumigten Wiesen war, und auf diese Art wird Oneida den vortrefflichen Grundsatz des Amerikanischen Pächters befolgen: daß die Einwohner die Erde durch ihre Gegenwart verschönern, und durch ihre Arbeit bereichern sollen. – Wattines, der Zimmerman und ich, bereiten wirklich noch zwey Spatziergänge an den beyden Enden der jetzigen Gränze der Stadt, am Ufer des See's mit Bänken und Bäumen besetzt. Wird Oneida einmal groß, so können diese Plätze als Nachahmung der englischen Squarres dienen, und bis diese rings umher mit steinernen Häusern besetzt sind, werden Großväter und Enkel der jetztlebenden, die guten Menschen segnen, welche ihre Vaterstadt verschönerten, und [203] ihnen einen erquickenden Erhohlungsplatz verschafften. – Unser Vorsteher hat einen Schiffsbau verständigen Zimmermann begehrt, wodurch die Bewohner der neuen Stadt, bey dem 18 Stunden großen See, durch Abkürzung und Erleichterung der Zufuhr und des Fischens große Fortschritte machen könnten. Vandeks Vetter besorgt den gewöhnlichen Unterricht der Schulen schon sehr gut, und der edle, thätige Wattines, will die jungen Leute schwimmen lehren, weil es ihm äußerst nothwendig dünkt, daß die Bewohner der Ufer einer See es wissen. Sein und Emiliens Beyspiel zeigen den Nutzen, und ihn freut, den jungen Nachfolgern einige Meister in dieser, Leben und Vermögen wichtigen Kunst zu bilden; denn unsere guten teutschen Landsleute hier, sind nur mit dem festen Boden bekannt, und würden bis jetzo noch niemand von dem Ertrinken retten können. –

Wir hatten heute einen sehr schönen Tag [204] und noch schönern Abend, die Vandeks, Wattines und ich aßen unser Vesperbrod ganz im Freyen. Herr Scriba mit seiner Familie kam auch nach unsern schon halb geebneten Spazierplatz, und die lieben Männer besuchten noch vor dem Niedergange der Sonne, die von Wattines zum Schwimmen bezeichnete Stelle. Während er mit den beyden Führern der Colonisten darüber sprach, waren sie ihm schweigend zur Seite, als er endigte, ergriff jeder von ihnen eine seiner Hände: Vandek segnete ihn, Scriba dankte ihm innig für dieses menschenfreundliche Vorhaben, und Vandek sagte mit sanft eindringendem Eifer:

O lieben Sie immer den Boden, auf welchem Sie so viele Tugend übten, vergegeben Sie ihrem Schicksal, welches Sie hier zum Beyspiel des Verdienstes aufstellen wollte, und freuen Sie sich, durch die Stiftung der Schwimmschule einer der Schutzgeister von Oneida zu werden. Mit edler Bescheidenheit [205] erwiederte Wattines: Sie legen mir zu viel Gutes bey, mein würdiger Freund, aber ich verspreche Ihrem Herzen, daß ich den Boden nie verlassen werde, auf welchen ich durch Ihre Hand geleitet wurde.

Ich bemerkte eine Art Feyerlichkeit in Wattines Mine und Stimme, welche mir bedeutend schien, doch konnte ich ihn diesesmal nicht gleich fragen, und mußte mich bis morgen gedulden. Vandek und der Vorsteher waren eben so gerührt als ich. Die allgemeine Unterredung stockte, und endigte sich bald nachher; doch lag etwas äußerst angenehmes in dem Tone, in welchem sie sich gute Nacht zuruften. Der Wohlstand forderte, daß ich mit meinem Hausherrn zurück ging, – und wohl mir, denn ich hörte noch etwas die Menschheit ehrendes von ihm, als ich freymüthig sagte: mich dünkt, die Unterhaltung dieses Abends hat einen ganz ungewöhnlichen Gang genommen. Sie haben nicht unrecht, [206] erwiederte er, aber der Gang war doch gut, und ich hoffe der Grund der Stimmung unseres Freundes Vandek, und der meinige soll Ihnen lieb seyn; denn wir hatten so eben, mit allen Colonisten eine Vorstellung an den Congreß unterschrieben, in welchem wir die Geschichte und die Verdienste der Wattines, nebst unsern Wünschen bekannt machten, daß der vortreffliche Wattines als Ingenieur und Baumeister der Stadt Oneida angestellt werde, und die kleine von ihm angebaute Insel zum Eigenthume erhalte.

Denken Sie sich den ganzen Umfang meiner Freude, über das Glück der Wattines, und die edle Handlung der Bewohner dieses Ufers! Ich umarmte den Vorsteher, segnete ihn und seine Bürger, sagte aber doch auch: o mögen Sie alle es so lebhaft fühlen, wie ich, wie schön es ist die Tugend zu belohnen. Wie herrlich verwalten Sie ihr Amt, mein theurer Freund! Freuen Sie sich, daß die [207] Stiftung der Stadt Oneida, durch Ihre Hand sich so gut gründet, und daß Sie stets als der würdigste Vorsteher verehrt seyn werden. – Er zeigte mir viele Zufriedenheit mit meinen Ideen des Lobes und Vorhersagung von seinem Namen und Thaten, setzte aber hinzu: Vandek und ich zweifelten nicht, daß die Aussicht auf den Besitz der Insel Wattines erfreuen würde, so wie er gewiß auch einen Werth auf unsere Hochachtung und unsere Vorstellung bey dem Congreß legen werde; aber wir wollten ihn vorher auf die Probe stellen, wie er im Innern für uns denkt, und wie er die Wünsche beantworten würde, ihn immer bey uns zu sehen. Mein Herz wurde gerührt da wir ihn gleich auf dem schönen Platze fanden, welchen Oneida ihm zu danken hat, und Sie horten in dem, was Vandek sagte, wirklich den Wunsch von uns allen. – Wattines Antwort war schön, und bewegte mich besonders, da ich von der Betrachtung durchdrungen [208] wurde, es sey ungerecht, den edlen Mann bey uns anfesseln zu wollen, da moralische Schwärmerey ein herrschender Zug seines Characters zu seyn scheint, so ist er fähig, aus Dankbarkeit gegen die innern Wünsche seines Herzens zu handeln. – Mich beruhigte der Gedanke, daß wir ein gewisses Mittel in Händen haben, dieses Uebermaß der Dankbarkeit zu hindern; denn er soll bey der Uebergabe der Insel, der Freyheit versichert werden, mit ihr zu thun was er will. –

Diese Erklärung des Vorstehers machte mir viel Vergnügen, und gewiß nach allem was Sie von unsern Colonisten wissen, werden Sie mit mir sagen: die Stadt Oneida wird unter glücklichen Anzeigen gegründet. – Ich konnte nicht einschlafen, hundert Bilder von der künftigen Gestalt der Insel, Begierde so gleich zu wissen, wie sich Emilie und Wattines bey Ankündigung des Geschenks von dem Congreß benehmen würden, und andre [209] Phantasien erlaubten mir nichts als abgebrochnen Schlummer. Früh war ich auf dem Platze, welcher noch bearbeitet werden mußte. Ich speiste bey Wattines, und in der kleinen Ruhestunde fragte ich nach der Ürsache des so feyerlichen Tons seiner Antwort an Vandek, und bekannte freymüthig, daß ich es erklärt wünschte, indem mich dünkte etwas außerordentliches darin bemerkt zu haben. Er lächelte mir zu und sagte:

Ihre genaue Achtsamkeit auf die Bewegungen meiner Seele, ist mir sehr schmeichelhaft, und mich freut, daß alle so sind, daß ein rechtschafner Mann sie ohne Widerwillen betrachten kann. – Ich war gestern in Wahrheit ernsthaft gestimmt, wozu mich der Auszug des Lebens der St. Johns geführt hatte: ich wollte erst nur die Beschreibung der Bienenjagd nachlesen, um ihren Vortheil durch meine Erfahrungen auf der Insel deutlicher und nützlicher zu machen. Das ganze [210] Bild dieser Familie von St. John ist aber so anziehend, daß ich es mit erneuter Aufmerksamkeit las, und über das Schicksal seines Vaters nachdachte, der auch edler Franzose war, durch den Fanatismus der Religion aus seinem Lande nach Amerika getrieben wurde, wie mich der Fanatismus der neuen politischen Regierung durch ihre Grausamkeit hierher jagte. Ich war wie der Vater von St. John, froh, weit von meinen Verfolgern entfernt, Sicherheit des Lebens und Ackerland gefunden zu haben; welches durch meine Arbeit mich und die meinigen ernährt. Schon dieses Gefühl machte mir den Boden lieb, auf welchem ich wohne, dann aber ward ich ganz St. John, wo er sagt: »der Gedanke, daß ich für eine geliebte Frau arbeitete, machte mir mein Haus und meine Felder angenehm, alles wurde mir leicht, wenn sie mich mit ihrer Arbeit in der Hand, auf meinen Acker begleitete, und in dem Schatten eines Baumes [211] sitzend, meine schön gezogne Furchen, die braune fruchtbare Erde, und die Folgsamkeit meiner Pferde lobte. Ich baute mein eigen Feld, liebte, war geliebt, war froh, unabhängig und ohne Schulden, hatte schöne Wiesen, große Baumgärten um meinen Cyder zu machen, 450 hochstämmige Pfersichbäume zu Mastung für meine Schweine, und Brantewein zu brennen, ein gutes Wohnhaus und eine große Scheune. Ich salze alle Jahre 15 bis 20 Centner Speck, und zwölf Centner Rindfleisch ein, gebe bey der Erndte 6 fette Hämmel, und habe Korn, Gemüs, Butter und Käse in Ueberfluß für mich, meine Familie und Gäste. Meine Neger sind treu, gesund und vergnügt. Ich gab ihnen immer den Sanistag frey zu ihrer Arbeit, und Land zu Tobak, so viel sie brauchen. Die zwey ältesten verkaufen alle Jahre für 300 fl. Tobak, sie essen die nehmlichen Speisen wie ich, und sind mit dem nehmlichen [212] Tuche bekleidet. Ich habe keinen Prozeß, und kenne den Geist unserer Gesetze hinreichend genug, um meine Geschäfte so zu führen, daß ich den Schutz des Gesetzes zu verehren, aber seine Strenge niemals zu fürchten habe. Als mein erstes Kind geboren ward, öffneten sich neue Aussichten vor meinem Auge, tausend Gegenstände bekamen einen höhern Werth, meine Frau wurde mir schätzbarer, neue Bande knüpften mich an Feld und Haus, die Eigenschaft des Familienvaters, gab mir Achtung für mich selbst, und ich machte das Gelübde, mich niemals von meinen Anpflanzungen zu trennen, im Gegentheil ein neues Stück anzubauen, welches den Namen meines ersten Sohns bekam, und so bey jedem Kinde fortzufahren. Ich lebte nicht mehr für mich, sondern für sie und ihre Mutter. Ich erfand einen kleinen Sitz, welchen ich auf dem Pfluge befestigte, und meinen Sohn damit auf das Feld führte. [213] Die Bewegung der Maschine und der Pferde, machte ihn glücklich, und indem ich dieses Vergnügen mit meiner nützlichen Arbeit verband, ersparte ich der Mutter einige Mühe, und sie gewann Zeit zu andrer Arbeit. Die angenehmen Ausdünstungen der Erde stärkten mich und mein Kind. Wenn jemals Genuß des Glücks eine Pflicht für den Menschen ist, wenn uns jemals der Himmel mit Erquickung segnet, so ist es auf dem Lande im Frühjahre, wenn wir mit gesundem Verstande und reinem Herzen die verschiedenen Auftritte der Natur beobachten, und diese allgemeine Mutter ihre Fruchtbarkeit unter dem Sinnbilde von tausend und tausend Blumen verkündet. In dieser Jahrszeit danke ich dem höchsten Wesen noch viel inniger als in jeder andern, weil der Anblick der Blüthen mir als Versprechen seiner Güte erscheint. Mir ist es leid, daß ich nicht mit der Gabe der Dichtkunst geboren wurde, ich besänge die Najaden von Amerika, die [214] Schönheit unserer Wiesen, die Majestät der Flüsse und den Reichthum unserer Kornfluren. – Oft sang ich mit dem ersten der Vögel, welcher den Morgen begrüßte: wir hatten die nehmlichen Gefühle, von der frischen Luft, den balsamischen Gerüchen und dem neuen Glanze, welchen Aurora über alle Gegenstände verbreitete. War jemals ein Mensch ohne entzückende Bewegung in einem blühenden Obstgarten? Es ist das edelste Fest für unsre Sinne: das Auge wird entzückt, der Geruch vergnügt, und das Ohr ergötzt sich an den Harmonien der Vögel. So zeigt sich die Güte unsers Schöpfers bey dem Anbruche des Tages. Wie begierig würden die Menschen diesen herrlichen Anblick zu genießen suchen, wenn er ihnen nur alle Jahre einmal erschiene. Mit wie vieler Verehrung würden wir ihn betrachten, indem wir gewiß nichts schöners und nichts prächtigers denken können. Auch [215] darin, setzte Wattines hinzu, stimmte ich mit ihm, und konnte mich nicht von dem Gemälde der seligen Tage eines wohldenkenden Pächters trennen, wie er in seiner Laube sagt: O du wohlthätiger Geist der Menschheit, der alle Theile der Natur belebt, Quelle glücklicher Gesinnung und neuer Gedanken, ich höre deine Eingebungen in dem sanften Rausche der Blätter, und in dem erquickenden Hauche des Zephirs! Dir sey die Stunde des süßen Ausruhens geweiht! hier will ich auf deine Lehren horchen, leite mich zu dem Nachdenken, welches uns in Betrachtung der Schönheit der Natur, moralische und menschenfreundliche Gefühle, Zufriedenheit und Sanftmuth lehrt.«

Auf meinem Felde, sagte Wattines, will ich diesen Herbst noch eine solche achteckigte Laube hauen, will sie groß machen, daß einst meint Arbeitsleute sich mit Vergnügen darin sehen, vielleicht auch moralische Empfindungen darin kennen lernen: sie soll auch mit [216] wilden Reben, Geißblatt und Hopfen umpflanzt werden, wie St. John seine Laube beschattete. –

Denken Sie, lieben Freunde! daß mir Wattines hier immer ein Stück von dem Aufsatze des St. John vorlas, und dann mit dem ganzen schönen Eifer seiner Seele Noten dabey machte. Ein Blatt weiter sagte er: Sehen Sie, wie hier in der zweyten Generation das Gefühl für Verdienste des Vaterlandes, schon so innig wirkt, da St. John nach Beschreibung eines amerikanischen, aus den blauen Gebirgen sich erhebenden Gewitters, mit wahrem Stolze, den Nationen von Asien und Afrika zuredet. »Seyd ruhig! glaubt nicht, daß eine zürnende Gottheit auf den Flügeln des Sturms herbeykomme, euch zu strafen: folgt uns, und ihr werdet glauben, daß die Natur immer Gutes will, und daß die Gewitter über euren Häuptern, die Luft reinigen, welche ihr einathmet, und die [217] Erde fruchtbar machen, welche ihr anbaut. Ist es nicht wunderbar, fährt er fort, daß die Bewohner der alten Welt, noch vor den Wirkungen des Donners und des Blitzes zittern, während die glücklichen Amerikaner, welche erst seit gestern da sind, unter ihren aufgerichteten Eisenspitzen ruhig schlafen, und die Gewitter als nöthige und nützliche Lufterscheinung betrachten? – Wie weit war der Erbauer von Boston 1626 von der Vermuthung entfernt, zu denken, daß auf dieser Halbinsel eine der reichsten Städte entstehn, und 78 Jahre nach ihm, dort ein Mann, Benjamin Franklin, geboren würde, welcher sein Genie zu den Wolken erheben, und ihren Blitzen einen abgeänderten Weg vorzeichnen würde! Wie sehr sollten die Griechen diesen Mann verehrt haben, da sie dem Triptoleme und die Ceres vergötterten. – Diese einfachen Ideen und Betrachtungen erfüllen meine müßigen Augenblicke, aber bald wird die Entwickelung [218] der Vernunft und des Characters meiner Kinder, mir eine edlere Beschäftigung darbieten. Schon führe ich sie auf das Feld, leite ihre Gedanken und Gefühle, lege den ersten Saamen der allgemeinen Moral in ihre jungen Seelen. Rechtschaffenheit, Wahrheit, Menschenliebe, Gehorsam gegen die Gesetze, den Geschmack an Landbau und einfachen Sitten. Der Friede und die Einigkeit in meinem Hause, der tägliche Fleiß welchen sie sehen, wird ihnen, hoffe ich, die nehmlichen Neigungen und den nehmlichen Geschmack einflößen, welche das ruhige Glück meines Lebens gründeten.«

Wattines fragte mich nun, ob ich nicht, wie er, in dem Bilde des täglichen Lebens dieses Colonisten, etwas ungemein anziehendes fände? Ich konnte nicht anders als ja sagen, und dabey allen Landleuten diese Grundsätze wünschen. – Jetzo sagte Wattines etwas ernst: ich bin überzeugt, daß Sie in [219] Ihrem Herzen dieses denken, aber wenn Sie, wie ich, Familienvater und Landmann wären, so würden Sie auch stuffenweis mit St. John bis zu dem Enthusiasmus gestiegen seyn, welcher meine Seele durchglühte, als ich unserm vortrefflichen Vandek versprach, ihn nie zu verlassen, den Boden, auf welchen er mich führte; denn mußte nicht Dankbarkeit in meinem Herzen reden? hat nicht Vandek als väterlicher Freund an mir gehandelt? hat er nicht bey dem Vorsteher alles für mich erhalten, und floß nicht aus Vandeks Hand erquickender Trost auf das Leben meiner Emilie und meiner Kinder? Habe ich nicht bemerkt, daß ich, daß meine Familie einen hohen Werth bey Vandek haben? Kann ich an das denken, was er für mich und die Meinigen war, und nicht wünschen, etwas für ihn, für die Seinigen zu thun? – Emilie liebt den Boden wo noch kein Blut floß, der noch nicht von Bosheit und Grausamkeit besudelt wurde. [220] Was wir in Europa liebten ist nicht mehr. – Ich mußte vor meinen Landsleuten fliehen, hier faßten mich fremde in ihre Arme: dort wurde ich meiner Güter beraubt, hier gab mir die schönste Freundschaft einen reichen Ersatz; und, lassen Sie mich, mein Freund! noch ein paar Sandkörner auf die Wagschale legen, dort würde mein Jammer und meine Arbeiten verlacht, hier sah ich Thränen des Mitleides und Verehrung meines Fleißes. Dieses sind starke Bande für das Herz des redlichen Mannes, wie viel mehr, für meine fromme, Gott und der Natur so sehr ergebnen Emilie. – Aller Prunk ist ihrem Herzen zu Staub geworden. Sicherheit meines Lebens und Hoffnung des Unterhalts für unsere Kinder, ist alles was sie von der Erde wünscht, und sie sagt: Gott wollte uns hier haben, bleiben wir, und erfüllen die stille Laufbahn, mit Tugend und Wohlthun. – In Frankreich müßten wir das Brod für unsere Kinder in [221] einer Mördergrube betteln, unter Räubern und Mördern leben. Wir wollen in Oneida werden, was St. John in Virginien ist.

Emilie ging noch weiter, sie wünschte eine Negerfamilie, eine Wittwe mit Kindern, oder auch lauter Waisen auf unserm Gute zu haben, damit nicht Brüder von Brüdern. Kinder von Eltern getrennt würden. Diese Familie wollte sie recht glücklich machen, und ihre Liebe verdienen. Dieser Wunsch keimte schon in ihrer Seele als wir in Philadelphia die Negerschule besuchten, welche ein Abkömmling des, wegen Religionsverfolgung geflüchteten Benezets aus der Picardie errichtete, und Emilie nur bedauerte, so wenig Englisch zu verstehen, indem sie die Stelle einer Lehrerin in der Mädchenschule gesucht hätte, da sie von dem Zeugniß der Fähigkeiten und Folgsamkeit der guten schwarzen Mädchen so außerordentlich gerührt war, daß ich bey dieser Bewegung, bey ihren Thränen und [222] Umarmungen der Negerkinder in die Sorge kam, in meinem ersten Kinde einen sogenannten Negrillon zu erblicken. Sie hätten die Ehrfurcht sehen sollen, welche sie dem Negerarzt Derham erzeigte. Fragen Sie sie nach dem alten Neger Fuller: und bemerken Sie den Eifer, mit welchem sie Ihnen von dem Geiste und dem Gedächtnisse dieses Mannes sprechen wird, der in 2 Minuten die große Rechnung bestimmte, wie viel Secunden in anderthalb Jahren, das Jahr zu 365 Tagen gezählt, verfließen? Es sind, sagte er, 47 Millionen 304 tausend Secunden.

Wie mühsam und fleißig lernte Fuller, ohne daß er lesen oder schreiben konnte, indem die Geschichte seiner Rechenkunst darin bestand, daß einer seiner Nebensclaven ihn bis hundert zählen lehrte, er aber nachdem sich in Berechnung der Körner eines Scheffels Weitzen übte, und am Ende genau wußte, [223] wie viele Körner zu der Ansagt dieses oder jenes Stück Feldes erfordert würden. – Hier sagte Emilie: was würde eine edelgesinnte, menschenfreundliche Herrschaft aus einem solchen Genie, mit solchem Fleiße vereint, gebildet haben! Warum gab ihn das Schicksal nicht in die Hände des vortrefflichen Benezet? was würde Fuller für ihn, wie viel für seine Schule gewesen seyn, der Schüler Beweis der unendlichen Fähigkeiten der Negers, der Lehrer Beweis, daß Europa Herzen voll Güte und Gerechtigkeit hat. Wie würde Fullers edle Seele die Hand gesegnet haben, die seinen Geist in allem angebaut hätte. Er, welcher seiner Herrschaft dankte, weil sie ihn nicht verkaufen wollte. – Ich bekenne, setzte Wattines hinzu, daß es mir Freude machte, als ich hörte, daß die schöne Seele voll Menschenliebe dieses Benezet aus Frankreich stammte; doch vereinte sich mit der gerechten[224] Bewunderung dieses großen Characters, sehr bald die schmerzvolle Betrachtung, daß ich hier, in dem Herzen von Nordamerika, die überfließende Güte eines Franzosen segnen und wünschen muß, daß Frankreichs Adel und Geistlichkeit, in der Nationalversammlung, einen solchen menschenfreundlichen Vertheidiger gefunden haben möchten, als die Negers in der Seele unsers Benezet trafen. Nun schwieg er ernsthaft vor sich hinsehend, und ich bemerkte, wie tief diese Vergleichung sein Herz verwundete, und ihm Trauerscenen zurückrief. Ich suchte ein Mittel, ihn von dieser Vorstellung abzulenken, aber ehe ich eines finden oder wählen konnte, zeigte sich Wattines Herz durch Betrachtung fremder Tugend, und des Wohls anderer Menschen gestärkt und erheitert, indem er ausrief: Wie glänzend erscheint zu beyden Seiten der englische Nationalgeist, denn dieser unterstützte Venezets Bemühungen zum Besten der [225] Negers mit Gold und mit Fürsprache bey der Negierung; so wie dieser edle Geist jetzo, tausend und tausend verfolgte Unglückliche, des französischen Adels und der Geistlichkeit, unterstützte und aufnahm.

O, meine Freunde, wer kann es Wattines übel nehmen, wenn bey solchen Anlässen Rückerinnerungen, Trauer und Wünsche in seiner Seele entstehen? – Wer sollte ihn nicht bedauern und doppelt lieben, wenn man den schmerzvollen aber schönen edlen Gang seines Denkens und seines Lebens beobachtet? Mir wird er auch immer unvergeßlich bleiben, und mit äußerstem Kummer werde ich mich von ihm trennen. – Indessen will ich seine Verdienste um die Colonie nachahmen, und daneben mein Andenken in einigen Familien stiften; denn ich habe mich zum Unterricht im Zeichnen erboten. Da werden nun alle Tage fünf Knaben auf zwey Stunden zu mir in die Lehre gehen, mit welchen ich [226] von der Nutzbarkeit und dem Vergnügen der Zeichenkunst sprechen, und davon bey der Ausarbeitung des Tisches und der Gartenstühle Beweise geben will; wobey sie zugleich die Anfangsgründe und Handgriffe der Schreinerey lernen können; und da ich aus freundschaftlicher Phantasie meines Herzens diese Stücke für Wattines alle allein verfertigen werde, so kann ich den Knaben daneben vorzeichnen, ihre Versuche korrigiren, und mit ihnen reden; so können sie dabey den Werth der Eintheilung der Zeit, und des überlegten Fleißes eines einzelnen Menschen kennen lernen.

Ich sprach ehegestern mit den edlen Wattines von dieser Idee; sie fanden für seht gut, aber da ich hinzu setzte, daß ich den Jungens zugleich von alle dem sagen würde, was Herr Wattines bisher allein gearbeitet habe, so bat er mich, es ja nicht zu thun, indem es schon allen Einwohnern bekannt sey. – Lassen Sie meine Felder und meine Blumen von Nutzen [227] und Vergnügen meines Tagewerks reden, und gönnen Sie mir den Genuß Ihrer vorzüglichen Freundschaft, ohne die Besorgnisse, eines Fremden Schmerz über ihren Mangel, oder des Neides darein zu mischen. – Ich bitte Sie darum, sagte er, mir die Hand drückend; aber indem ich die Klugheit, Bescheidenheit und Menschenkenntniß, des Mannes bewunderte, stand Frau Wattines von ihrer Arbeit auf, ging an den Bücherschrank, und holte, da sie den Ausdruck Tagewerk in der Unterredung ihres Mannes bemerkt hatte, den kleinen Band, des von Gin übersetzten Hesiodus, reichte ihm mit anmuthsvoller Erröthung und einem halben Blick nach mir, ihrem Wattines dar, wobey sie sagte: Lieber! unser Freund will mit den guten Knaben von nützlichem Tagewerk reden, du willst nicht genannt seyn, könnte nicht aus dem guten alten Hesiod etwas zu ihrer Belehrung gezogen werden?

[228] Was ist, meine Freunde, mein Zeichnen, mein Schreiben, da ich nicht fähig bin, diese Frau mit dem Buch in der Hand darzustellen, oder die Miene und den Ton zu beschreiben, welche ich sah und hörte. Wie viel weiblicher Geist, Feinheit und Wohlwollen liegt hier vor uns! – Ich war da, staunend und äußerst gerührt, Wattines sah auf mich und sie, lächelte, nahm das Buch, und sagte gegen mich: In Wahrheit, Emilie hat das beste für Ihre Absicht gefunden. – O benutzen Sie ihn, den guten Hesiodus, indem er mir ihn darreichte.

Ich wußte wohl, daß die Griechen einen Dichter dieses Namens hatten, kannte die Zweifel, ob er vor oder nach Homer lebte; aber da ich die griechische Sprache nicht kenne, und nie eine Uebersetzung von ihm las, so bewunderte ich um so mehr Emiliens feine Empfindung und Berechnung dessen, was zu meiner Absicht taugte; denn Sie können wohl [229] glauben, daß ich ein von Emilie auf eine so unerwartete Weise vorgeschlagnes Buch mit dem größten Eifer und Aufmerksamkeit durchlas. – Wirklich hat sich auch dadurch der Plan meiner Winterbeschäftigungen weiter ausgedehnt, als ich dachte, indem ich den Knaben der Landleute am See Oneida einen Auszug des Lebens und der Schriften des Hesiodus und des Virgils machen, und ihnen eine kleine, durch Gefühl und Wahrheit verschönerte Geschichte des Ackerbaues und aller ländlichen Arbeit und Freuden, dieser so weit von uns entfernten Zeiten und Nationen für sie schreiben, und dabey ganz genau die einfachen Vorschriften und Ermahnungen des Hesiodes, und die seinem Bruder vorgelegte, auf alle Zeiten passende moralischen Grundsätze damit verbinden werde. – Alles dieses werde ich in einem heitern Lichte darstellen; Ackerbau, Gärtnerey und Viehzucht in lauter angenehmen Bildern zeigen, und die gute [230] Landwirthschaft eines vernünftigen und rechtschaffenen Mannes als sicherste Quelle des wahren unabhängigen Glücks der besten Menschen in allen Jahrhunderten zeigen. Der liebe Wattines wird mir einen Theil dieses, wie ich glaube, nützlichen Werkchens, verschönern helfen, indem ich den guten Knaben, nach dem Beispiel des Hesiodes, auch die Gestirne bekannt machen möchte, welche man von den Ufern dieses angenehmen See's beobachten kann. Ich hoffe meinen Zöglingen dadurch mit neuen Gefühlen für ihr Herz, und mit neuen Begriffen für ihren Verstand zu bereichern, und Wattines will die Knaben noch diese letzten Herbstabende, die Namen der über uns stehenden Sternbilder lehren.

Emilie, welche jetzt diesem Entwurfe mit Vergnügen zuhörte, sagte mit edler Theilnahme: Wie sehr, mein Carl, erhöhest du hiermit den Werth der Spatziergänge, welche du an dem See anlegtest, die der arbeitende [231] Mann und die Lehrlinge nur nach Untergang der Sonne besuchen können, und sich gewiß glücklich achten werden, wenn sie nun die Namen ihrer sie sanft beleuchtenden Nachbarn zu nennen, und ihre Stellen zu bezeichnen wissen. – Wie glücklich wird der Abend seyn, an welchem sie sagen werden: hier, nach geendigtem Tagewerk, dient der stille Glanz dieser erhabnen Geschöpfe zu vermehrter Freude bey unsern Erholungsstunden; den Seefahrern aber ist ihre Erscheinung, nach überstandnen Stürmen und irre getriebnem Lauf der Schiffe, ein wahrer Trost, weil sie durch die holden niemals von ihrer Bahn abweichenden Sterne, auf den Weg ihrer Bestimmung zurück geleitet werden.

Diese Betrachtung ist ein wahres Geschenk, welches Emilie meinen Zöglingen aus der Fülle ihrer vier Jahre lang gesammelten Gedanken macht; denn ihr waren ja damals die Gestirne einzige liebreiche Nachbarn. Mich freut, [232] daß die Knaben damit zugleich die schöne Verbindung sehen, in welcher eine edle Seele die Gefühle ihrer Freuden mit dem Wohl ihrer Nebenmenschen vereint.


Lange, meine Freunde, hatte ich nichts von Ihnen gehört, aber Sie haben mich mit dem letzten Paquet entschädigt, und mehr als dieses, Sie haben mich so reich und glücklich gemacht, wie ich es hier nach meinem Charakter und nach meiner Lage nur immer werden konnte. – In welch einer seligen Stunde lispelte Ihnen der Geist der Freundschaft den wohlthätigen Gedanken ein, mir des vortreflichen Herders Briefe zur Beförderung der Humanität zum Stoff meiner Herbst- und Winter-Unterhaltungen zu schicken. – Lange hatte ich nicht an die Verschiedenheit des männlichen und weiblichen Geistes gedacht, und hier sah [233] ich ihn so liebenswürdig gleich nach der vollkommensten Uebereinstimmung erscheinen. Diese sagte: unser Freund in Amerika muß Herders Briefe haben: der Mann will mit dem ersten Postwagen, das ganze allgemein nützliche nach Hamburg senden: die Frau aber sucht, beherzigt und schreibt Auszüge, welche in diesem Moment für mich passen, und giebt sie sogleich der Briefpost.

O meine Base! wie soll ich Ihnen dieses vergelten? wie belohnen? Glücklich ist, wer mit einem solchen Charakter, mit einem so ausgebreiteten Wohlwollen, wie Sie, sich die Freude wünschet, eine schöne Absicht erreicht zu haben – Und dieses ist geschehen, meine theure, mit einer unschätzbaren Feinheit begabte Luise! Diese von Ihrer Hand gemachte Copie ist früher angelangt, als das Ganze nicht kommen kann. Was diese Blätter mir für eine Freude machten, kann nur [234] der fassen, welcher einst die gewünschte Versicherung ewiger Liebe erhielt; denn Sie, meine liebenswürdige Base, haben mich damit in den Stand gesetzt, mit den edlen Wattines aufs neue von Menschen zu sprechen, welche in diesem Welttheil ihrem Herzen doppelt heilig sind, und ich genoß das edle Vergnügen, von einem unsrer verdienstvollen Landsleute zu erzählen, welcher mit dem hohen Gefühl von den verehrungswürdigsten Freunden der Menschheit spricht, wie Herder von dem spanischen Bischof las Casas, welcher sich der südlichen Amerikaner erbarmte, und an dem Hof zu Madrit für sie bat, wofür Emilie noch seine Asche segnete, und sich freute, daß der französische Bischoff Fenelon sogleich in die Reihe der Menschenfreunde gestellt wurde, nicht nur, well er Frankreichs Völker durch den Telemach einen weisen, gütigen Regenten bilden wollte, sondern weil er dem Erbprinzen, von dem damals herrschenden [235] Religionshaß und Religionsverfolgung abmahnte. Beyde Wattines schienen mit unserm Herder äußerst vergnügt, da er den Liebling der besten Menschen von der ganzen Nation mit Verehrung nannte, aber Wattines wurde entzückt, seinen Bernardin de St. Pierre den Schüler Fenelons nennen zu hören, und indem er sagte: O er war es, er kannte Fenelons Geist ganz! hatte er schon den ersten Band von den Studien der Natur geholt, und sagte im blättern:

Ihr Freund schätzte Fenelon, weil er gegen gewaltsame Religionsbekehrungen eiferte. – Sehen Sie, wie sein Schüler diese Seite des Charakters des wahren Bischoffs darstellt, da er von den Zeiten spricht, sagte er gegen Emilie lächelnd, wo unsere Voreltern noch vor Freude hüpften, wenn sie einen wilden Pflaumenbaum entdeckten, oder in den Ebnen der Normandie ein Reh im [236] Laufen gefangen hatten, und ihre Priester, die Druiden, ihnen eine Menge Vorurtheile und Grausamkeiten im Namen ihrer Gottheit einflößten, unser Fenelon mit seiner Tugend zu ihnen getreten, und gesagt haben würde: Wie irrend ängstigt Ihr Euch und das Volk durch fürchterliche Begriffe von unserm Urheber, welcher diese Ausbreitung falscher Ideen an Euch selbst durch bange Erwartungen straft! Spricht er nicht zu den Menschen durch tausend um sie verbreitete Wohlthaten? Ihr sucht sie durch Furcht zu regieren – Meine Religion ist, sie durch Liebe zu leiten, und wie die Sonne Gute und Böse beleuchtet, gegen beyde wohlthätig zu seyn. – Gewiß hätte er ihnen zugleich Geschenke der Natur bekannt gemacht, und den Nutzen der Waizengarbe, des Traubenstocks und der Schafwolle gezeigt. O wie würden unsere Voreltern ihm gedankt und seine Religionsgrundsätze befolgt haben!

[237] Dieser Geist, setzte er hinzu, verband unsern St. Pierre als Schüler mit Fenelon, und, fiel ich ein, schaffte ihm an Herders Hand eine Stelle neben seinem Lehrer, weil jede von Bernardin Schriften, bis auf die kleinste Erzählung, im Geist der Menschenliebe geschrieben wurde, da er so gerne die Natur mit der Geschichte der Menschheit verbindet, von welcher er das Gute mit so viel Freude, das Böse mit so viel Milde erzählt. – Mit Recht setzte Herder den gutenAbt St. Pierre unter die Menschenfreunde, weil er Gerechtigkeit, Tugend, Vernunft und Wohlthätigkeit lehrte. Emilie wurde über das Lob der Quäker äußerst gerührt, da Herder sagt, daß sie von Penn an eine Reihe verdienstvoller Männer nennen, welche zum Besten der Menschheit mehr gethan haben, als tausend anmaßende Weltverbesserer: die thätigsten Bemühungen zu Abschaffung des Negerhandels und des Sklavendienstes kamen [238] von Quäkern, und auf dem Denkmahl im Vorhof des Tempels allgemeiner Menschlichkeit, dessen Bau künftigen Zeiten bevorstehet, werden die Namen von Quäkern glänzen.

Kaum hatte ich diese Stelle übersetzt, als Wattines und Emilie sich bey der Hand faßten und sagten: O wir wollen den Namen unsers wohlthätigen Freundes John eingraben! – Thränen der Rührung und der Dankbarkeit füllten ihre Augen, und ich kann wörtlich sagen, ihr Mund überfloß von dem Ruhm der Tugend und der Weisheit des väterlichen Freundes. – Daß Herder auch Montesquieu unter die Wohlthäter der Menschheit stellte, hatte einen Ausruf der Freude hervorgebracht, indem wir alle den vortreflichen Mann mit gleichem Eifer lieben und ehren. Hier behauptete ich aber einen Vorzug, weil ich die schöne Wallfahrt der Hochachtung zu dem Wohnsitz seiner Familie bey Bordeaux [239] machte, das alte einfache Schloß la Brede, mit der großen Halle voll Bücherschränken, die getäfelten Zimmer und hundertjährige Tapeten, wie Reliquien verehrte, und mich so sehr freute, das Haus zu kennen, in welchem Montesquieu gebohren wurde, und das kleine Kabinet gesehen hatte, in welchem er das große Werk über den Geist der Gesetze schrieb. – Wir sachten in der Encyklopädie und dem Dictionaire des Hommes illustres die Namen aller dieser Männer, auch Penn nach, feyerten das Andenken ihrer Verdienste, und machten Wünsche, daß sie Nachfolger haben möchten.

Doch hören Sie, wie einer der schönsten Züge aus des edlen Montesquieu Leben, durch Emilie verherrlicht wurde, indem sie ihn ihrem Mann zueignete, als wir auf die Stelle kamen: Montesquieu suchte das Glück seines Lebens nicht in der großen Welt und große Gesellschaften, denn er floh stets [240] sobald als möglich in das gothische und einsame Wohnhaus seiner Voreltern zurück, wo ihn seine Philosophie, seine Bücher und Ruhe erwarteten. – In seinen müßigen Stunden war er von Landlenten umgeben, wo er nach erschöpfter Kenntniß des Geistes der Nationen und des Zirkels der Gelehrten, in diesen von der Natur allein unterrichteten Menschenseelen sich umsah, und oft behauptete, von ihnen gelernt zu haben. Er sprach vertraulich mit ihnen, und suchte, wie Sokrates, ihren Geist durch Fragen zu üben und zu entwickeln, entschied und verglich ihre Streitigkeiten, und unterstützte sie in allen ihren Bedürfnissen.

Ich bemerkte wohl, daß Wattines Stimme sich immer mehr änderte, je weiter er las, endlich zu stark gerührt, das Buch hinlegte, und sagte: Montesquieu war Präsident eines Parlaments, wo ist sein Geist der Gesetze? Emiliens Auge glänzte, und war voll Zärtlichkeit auf ihren Mann geheftet, als sie seine [241] Hand faßte, und mit sanftem ernsten Tone sagte: Theurer Carl! Montesquieu hat für unser ausgeartetes Vaterland vergebens gelebt, aber die besten schätzbarsten Eigenschaften des guten großen Mannes ruhen in deiner Seele, vielleicht bist du berufen für die Bewohner der Ufer des Oneida zu seyn, was Montesquieu für die Landleute an der Garonne war. Du warest auch einst in der großen Welt, und wünschtest dich nie zurück. – Deine Tugend und das Wohl deiner Familie genügten seit fünf Jahren zu dem Glück deines Lebens. Der Kreis deiner Wohlthätigkeit wird durch jede neue Colonistenfamilie erweitert, und so wächst dein Vergnügen in gleichem Maße; denn Montesquieu half den Leuten â la Brede auch unangebautes Land in Aecker und Wiesen zu verwandeln. – Wattines hatte seiner Frau mit einer Art von Staunen zugehört, küßte voll Empfindung ihre Hand, und antwortete gerührt: Theure, edle Emilie! gerne, sehr gerne will ich seyn, [242] was du wünschest, gerne thun, was der Himmel mir auf dieser Stelle gebietet.

Sie sehen, meine Freundin, wie schön und mit wie viel Klugheit Frau Wattines die emporsteigenden Trauergefühle ihres geliebten Mannes, in die edelste Empfindung gerechter und verdienstvoller Eigenliebe verwandelte, ihm dadurch das düstre Bild des Vergangenen aus den Augen rückte, ohne ihn von Montesquieu abzuziehen, und dabey alle edle Grundsätze in ihm zu wecken. – Jeden schönen Auftritt dieses Abends haben Sie mir bereitet, meine theure Verwandtin, denn ohne die Lebhaftigkeit, mit welcher Sie mir so schnell als möglich Herders Ideen von den Quäkern und den Wohlthätern der Amerikaner mittheilen wollten, würde ich vielleicht diese angenehmen Stunden nie erlebt haben, welche im Ganzen das waren, was der Engländer ein Fest der Vernunft, a feast of reason, nennt, welches auch gewiß der Fall ist, wenn schätzbare Lebende sich verdienstvoller Verstorbenen [243] erinnern, oder gemeinnützige Entwürfe für Wissenschaft und Künste, für Sitten und Wohlstand machen. – Ungewiß bin ich, wie Sie die endliche Wirkung dieser mir so äußerst schätzbaren Blätter beurtheilen werden: gewiß hatten Sie die edelste Absicht für die guten Landleute am See Oneida, als Sie das vortrefliche Gedicht von dem hohen Werth der Arbeitsamkeit kopirten. Sie waren sicher, daß es mir Freude machen würde, dachten aber nicht, daß damit eine lang gewaltsam unterdrückte Lieblingsphantasie mit neuer Stärke erhoben und zur Ausführung kommen sollte. Diese ist meine, aus Italien und dem Berner Gebiet mit mir wandelnde Zither und meine Stimme am See Oneida ertönen zu lassen, und bey meinen Schülern nicht nur den Geschmack an schön schreiben und zeichnen, sondern auch die Liebe des Gesangs und der Musik anzufachen.

Die Wattines, mit welchen ich davon sprach, nannten diesen Entwurf den Ehrgeiz [244] in den Wäldern und den Jahrbüchern von Oneida als nordamerikanischer Orpheus zu glänzen; aber ich werde mich nicht irre machen lassen, sondern hier diese leichte und angenehme Musik bekannt und beliebt zu machen suchen, durch welche in Italien und in dem Dorfe Langen in der Schweiz die Dämmerung und Abende verschönert werden. – Sie wissen, daß ich bey meiner Zurückkunft so manche Stunde spielte und sang, ohne dem Klavier nur eine Seele zu entwenden. Erinnern Sie sich meiner Klagen, daß jede Art einfaches Vergnügen verkannt würde, daß man lauter mühevolle, gekünstelte Dinge aufsuche, und weil sie gewöhnlich kostbar sind, aus Eitelkeit nur bey diesen eine Freude zeige, und das Natürliche allenthalben geringschätze? Ich verschloß meine Zither, und redete nicht mehr von ihr; aber wohlbehalten kam sie mit mir nach Philadelphia, von wo ich sie werde kommen lassen, dort schon nach den Ankauf einer zweyten Zither fragte, auch Drathsaiten verlangte, [245] weil ich suchen werde, durch meine Schreinerkunst eine zu verfertigen. Sie wird doch immer besser seyn, als die erste, welche in Italien entstand. Bis mein Koffer kommt, habe ich dem schönen Gedicht gewiß schon auch eine schöne Melodie angepaßt. Sehr artig finde ich das Spiel des Zufalls, welcher wollte, daß ich in Europa dem auf Ihre Hand stolzen Fortepiano meine arme demüthige Zither opferte, welche nun so viele hundert Meilen entfernt, in Amerika durch Sie so ruhmvoll als wohlthätig er scheinen wird. Ich habe auch mit Vandek und dem Vorsteher von den Gedichten und den Blättern gesprochen. Beide fühlten sogleich den Werth. Vandek wurde gerührt von dem Inhalt des Himmlischen. Er fand es so wahr, so ehrfurchtsvoll, so würdig des Stifters unserer Religion.


Heil und Gebet dem Mann im Himmelsglanz,
Zu dessen Füßen jetzt die Sterne wallen;
[246]
Wie Mond und Sonne glänzt sein Angesicht.
Er denke unser, wenn wir beten, wenn
Sich unser Herz zum Armen freundlich neigt,
Und lasse jeden Wandrer Schatten finden,
Und jedem Durstigen zeig' Er den Quell.
Er war es selber einst, der Menschlichkeit
Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth
Und Milde zur Religion uns gab.
Heil und Gebet dem Mann, der Menschlichkeit
Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth
Und Milde zur Religion uns gab.

Der Vorsteher fand es eine unsers göttlichen Lehrers würdige Hymne; aber als Oberaufseher über das gemeine Beste, überzeugt von dem hohen Werth des Fleißes in unserer Lage, wurde er von den so ernst, schön und belehrenden Versen, das Gegengift, ganz eingenommen, wünschte auch, [247] es bey unserer Gemeine bekannt zu machen, aber eher unter der freundlichen Aufschrift: Werth des Fleißes, weil er glaubt, daß, da diese Tugend wirklich von allen Bewohnern dieser Ufer ausgeübt werde, jedes von ihnen einen Theil an dem Lobe nehmen, und die Lehren desto lieber fassen würde.


Preis sey dem Geber! jede seiner Gaben
ist Huld und Weisheitsvoll. Er theilte sie,
Er wog sie ab zur langen Dauer und
Vollkommenheit der Schöpfung.
Seine Erde gab Er nicht Engeln,
Menschen gab Er sie. –
Der Menschen bester ist, der selten strauchelt,
ihr edelster, der bald vom Fall aufsteht.
Tief keimte das Laster in der neu
geschafnen Erde; wild schoß es empor,
Gift seine Blüthe, seine Früchte Tod.
[248]
Da schuf er ihm ein mächtig Gegengift,
für Thorheit ein Verwahrungsmittel, Arbeit,
die macht er uns zum heiligen Gesetz, den Fleiß zur Pflicht.
Arbeitsamkeit verriegelt
die Thür dem Laster, das dem Müßigen
zur Seite schleicht, und hinter ihm das Unglück.
Willst du dem Feinde fluchen, wünsch' ihm Muße,
Auf Muße folgt viel Böses, und des Kummers viel.
Arbeitsam wirkt die Seele froh,
langweiliger Müßiggang beschäftigt sie
zur Reue, zum Verderben; Thorheit leitet
den Müßigen; Muthwill und Vorwitz führen
ins Dunkel ihn, wo Gott nicht ist.
Arbeitet! Ihr Weisen in dem Volk,
befördert Euer und Vieler Glück!
[249]
Wo wohnt Beruhigung? wo Segen der liebreichen
Gottheit? Wo Genuß der Tage? wo das edelste
Vergnügen? nur in der Arbeit.

Diese zwey Gedichte scheinen mir zu einem Wechselgesange geeignet, und selbst das erste kann zu Anfang und Ende durch einen Chorgesang feyerlich gemacht werden. Ich bekenne, mein Herz heftet sich an die Idee, welche mir sagte: wie schön wäre es, wenn die guten Menschen hier durch mich, ehe sie eine Orgel bauen können, bey ein paar gleich gestimmten, von ihren Kindern gespielten Zithern, das Lob der Religion und der Arbeit hörten. – Wer hatte das Recht zu sagen: nur die Hayne Griechenlands sollen das Lob der Gottheit und Lehren der Moral neben den Tönen der Lyra hören, nur in Spanien und im Berner Gebieth, sollen die Abende durch die sanfte Zither verschönert werden? warum nicht auch die prächtigen Gegenden von Nordamerika? [250] Alle meine Wünsche vereinen sich nun in dem, daß ich in Philadelphia noch eine Zither finde, oder das Talent erwerbe, eine zu verfertigen: schon habe ich die Beschreibung ihres Baues in der Encyclopädie auswendig gelernt, und mich gefreut, in ihrer Geschichte gefunden zu haben, daß ihre Erfindung so alt ist, als die von der Harfe, daß ihre Töne sanft bescheiden, und etwas melancholisch genannt werden, daß man, um sie recht zu genießen, sie nur an stillen Orten spielen kann. Da sind ja die Ufer unseres Oneida und die Spatzierplätze, welche der edle geschmackvolle Wattines bereitete, wirklich die Gegend, in welcher die Zither tönen soll. Kein Geräusch der reichen großen Welt, kein Lärmen der berauschten Geringen, stört Abends nach vollbrachtem Tagewerk die Ruhe der Erholungsstunden, nur das leise Flüstern der Blätter der die Bänke beschattenden Bäume, nur das abgesetzte sanfte Anschlagen der kleinen, vom Abendwinde getriebenen Wellen sind hörbar. Wenn nun [251] Väter und Mütter hier sitzend, ihre jungen Leute die Zither spielen, und Herders Lied der Freude singen hörten. O meine Freunde! möge ich die Bewohner dieses Theils von Nordamerikas Wäldern mit den sanften einfachen Tönen der Zither bekannt, und sie ihnen angenehm machen, – ich habe ein paar Schüler, die meine Hoffnung stützen, und es verdienen werden dieses Lied anzustimmen.


Freue dich, edles Herz, das hold der Freude ist!
Schuf nicht der Schöpfer der Welt alles zur Freude?
Wer sich freuet erfüllet der Schöpfung Zweck.
Süße Gabe des Gebers, gieße dich ganz in mich!
Noch ist mein Herz von Tücke nicht befleckt.
So hüpfe dann das vergängliche Paradies hindurch
du! nicht mit drückenden Lasten beschwertes Herz.
[252]
Sey froh des Vergangnen!
jeglicher Labung froh, die du dem müden Pilger
darreichen konntest; danke dem Herrn der Welt,
der dir zu reichen sie gab.
Häuser, die deine Hände gestützt,
Hütten, die deine Hände befestigten!
Siehe sie froh! besuche des Greises Grab,
der sich an deinen Troststab lehnte.
Komme der große Tag, an welchem der Schöpfung Herr
Gericht hält! wann die Schaaren um ihn stehn
voll heiliger Erwartung, sanfte Stille
sich verbreitet die sieben Himmel hindurch.
Du trittst, ein Jüngling mit tausendmal tausend hervor
anzubeten, der Spruch des Richters ist:
was ihr der Menschheit thatet, thatet ihr
Mir selbst. Geht ein zu eures Herren Freude.

[253] Ich hoffe mit meiner Schule glücklich zu seyn, und dann meinen schönen lieben Traum auszuträumen, und mit dem hier so schnell auf den Winter folgenden Frühling, eine mir äußerst lieb gewordene Phantasie zur Wirklichkeit zu führen, da die Feldarbeit, mit den, nach dem Schmelzen des Schnee's hervorbrechenden Blättern der Bäume, und schnellen Wachsthum des Grases anfängt, so will ich meine besten Sparpfennige zu der Stiftung verwenden, daß alle Frühjahr, wenn die Bäume der Spazierplätze das erste Laub tragen, das Gedicht von dem Werthe der Arbeitsamkeit, mit zwey Zithern begleitet gesungen, und den Schulkindern eine kleine, aber nach einem von mir gezeichneten Stempel geprägte Münze ausgetheilt werde; der Gehalt wird nur 6 Kr. unsers Geldes seyn, aber auf einer Seite soll ein Baum, ein Pflug und ein Fischernetz mit der Aufschrift: Arbeit, auf der Gegenseite ein Obstzweig, eine Garbe und ein Fisch mit dem Worte Segen, geprägt seyn. – Jährlich [254] dazu bestimmte 25 Fl. werden lange hinreichen, bis die Gemeinde und die Zahl der Schulkinder eine Vermehrung fordern. – Wattines soll der Beschützer dieses kleinen Andenkens meines Hierseyns werden. Emilie bezeigte, als ich den Plan vorlegte, und die übersetzten Gedichte las, wahre Freude, und sagte sehr schön gegen ihren Mann: hat man nicht immer bey cultivirten Nationen wichtige Begebenheiten durch besondre Münzen im Gedächtnisse zu erhalten gesucht? und dienten diese Münzen nicht als Belege der Geschichte eines Volks? Ja meine Liebe! dieses ist wahrer Begriff von den Denkmünzen, antwortete er, und sie erwiederte mit dem Tone edler Wünsche und Hoffnung: wie schön wäre die Vorbedeutung der ersten Münze in der Grafschaft Onotaga! wie schätzbar müßte einst die Sammlung davon den Enkeln seyn, wenn Fleiß stets den Chargeter der Einwohner, und Segen immer ihr Schicksal bezeichnete! –

Wattines und ich waren über diese Wendung [255] ihrer Ideen gerührt, er sagte: das wird auch seyn, meine Emilie! so lange als im Frühling die Feyer des Gedichts der Arbeit heilig und geliebt seyn wird.

Ich bedauerte, nicht reich genug zu seyn, um die Stiftung, zu dem Werthe und Große eines Silberthalers zu setzen. – Nein! sagte Emilie lebhaft, das wünschte ich nicht, indem ich besorgt wäre, daß man sie wie die Piaster in zwey und drey Stücken zu Scheidemünze machte. – Ich sah mit etwas Verwunderung nach ihr, und horte daß es wirklich geschieht. Spanische Piaster, welche stets von dem feinsten Silber sind, entzwey zu schneiden um halbe Piaster zu haben, oft sollen die Eigenthümer auch einen Streif in der Mitte ausschneiden, und die zwey Seitenstücke doch einen halben Piaster gelten. Die theuren Wattines bedauerten aber meinen so vervielfachten Arbeitsplan, weil sie mich weniger sehen, und die Hoffnung verloren werde, etwas Teutsch zu lernen, wie sie beyde es für [256] die Wintertage bestimmt hatten, um die Muttersprache des geliebten Freundes zu kennen, und mit seinen guten Landsleuten an dem See von ihm zu reden: bey Vandek und Scriba, werden Sie, sagte Wattines, sehr oft Gegenstand der Unterredung seyn, aber ich wünsche ihre Erinnerung in allen Einwohnern, besonders auch in Ihren Schülern zu umfassen, und so vielfach zu erneuern als Colonisten hier sind.

Ich war äußerst gerührt und dankbar für diese schmeichelhafte Anhänglichkeit, und werde ihnen die meinige beweisen so lange ich lebe, aber sicher die Eintheilung meiner Herbst und Wintertage so machen, daß sie gewiß mich oft sehen, und im Frühjahr teutsch sprechen sollen. – Es ist unhöflich gegen Sie, meine Freunde! wenn ich sage, daß mich meine Trennung von Oneida, von Wattines sehr, sehr viel kosten wird, aber es ist Wahrheit und Gerechtigkeit gegen Wattines und [257] die Natur, welche mir beyde alles zeigten, alles für mich sind, was ich zu sehen und zu genießen wünschte.

Diese letzten Herbsttage theilte ich noch eine allgemeine Freude, die Ankunft, das Austheilen und Pflanzen von einer Ladung Apfel- und Birnbäume. Sie können sich keinen größern Jubel denken, als den, mit welchem jede Familie ihren Antheil nach ihrem Hause trug, die Alten sich schon des Apfelweins, und die Jungen sich der Birnen freuten, welche nun bald wachsen würden. Vortrefflich war das Betragen des Vorstehers, und eben so schön das von den Colonisten. Die Fuhren brachten Vorrath für den Winter an Kleidungszeug, Leinwand, Flachs und Wolle. – Alles lief zu, alles half nach Anweisung des Vorstehers den Vorrath in das dazu bestimmte große Loghouse zu bringen und zu ordnen, die Weiber machten aber Anstalt, für Essen und Lager der Fuhrleute zu sorgen.[258] Der Wagen mit den Baumstämmen war der letzte zum abladen, da es noch helle genug war, sagte der Vorsteher, die Hausväter sollten sich in zwey Reihen stellen, er wollte ihnen sogleich bey dem Abladen, jeden seinen Antheil von den Bäumchen geben. Ein Wagen hatte lauter Birn- der andre lauter Aepfelstämmchen. Die Mädchens und Jungens jeder Familie wollten tragen helfen, und stunden an den Wagen, von der Seite wo ihre Väter sich gestellt hatten. Ordnung und Vorsicht wurde geboten, und die Namen ausgerufen, wie immer nach der Reihe das Austheilen kam. Keiner hatte einen Vorzug, selbst der Vorsteher und Vandek nicht. – Wattines sagte, er habe Obstbäume auf der Insel, und schon welche in seinen Garten, seine Mitbürger sollten also diese allein unter sich vertheilen. – Nein, Sie sind auch Coloniste, riefen sie; Sie sollen Ihren Antheil nehmen. Er gab nach und stellte sich auch in [259] die Reihe, indem er mit großer Freundlichkeit allen dankte. – Vandek stellte sich ihm gegenüber, seine Kinder konnten Stämmchen tragen, ich besorgte die für Wattines, und bekenne, daß ich ihn mit innerer Rührung ansah, den schönen vortrefflichen Mann, da in der Reihe, mit alle seinem Geiste und Talenten; – aber er betrug sich so einfach, wie sein brauner Colonistenfrack es wollte. – Mein Zimmermann erhielt seinen Theil aus den Händen des jüngern Bruders von dem Weber Philipp, dieser aber die seinigen durch seine Schwester, diese zwey braven Teutschen zeichneten sich mit einem schätzbaren Gedanken aus, denn sie machten den Vorschlag, ihrem braven Lehrer Vandek, jeder zwey Stämmchen zu Vergrößerung seines Antheils zuzulegen, und ihn zu bitten, es als einen kleinen Beweis ihrer Liebe und Verehrung anzunehmen, und dabey zu denken, daß diese Gesinnungen für ihn immer wachsen und zunehmen [260] würden, wie die Bäume seines Gartens.

Alle Colonisten stimmten mit Vergnügen ein, und es war ein schöner Auftritt, erst die Aemsigkeit zu sehen, mit welcher die Väter die schönsten Stämmchen aussuchten, und dann ihre Kinder zu dem Pfarrer abschickten. Philipps jüngere Geschwister sagten sehr treuherzig: unser Bruder und der brave Zimmermann haben noch keine Kinder, da schicken sie uns, Ihnen zu sagen, daß wir den Herrn Pfarrer lieben und ehren, wie alle andre thun. – Vandek war gerührt, dankte allen äußerst freundlich, und versprach diesen Bäumchen einen besondern Platz und Sorgfalt zu widmen. Wattines bat sich von dem Vorsteher die Anweisung des Gartens für den künftigen Schullehrer aus, indem er dort in dem Namen seiner eigenen und aller Colonisten-Kinder, seinen Antheil pflanzen wolle; alle sahen auf ihn und nickten ihm Beyfall zu, [261] der Vorsteher lächelte gegen alle und trat dabey etwas vorwärts indem er sie anredete:

Meine Freunde und Miteinwohner haben mir beynahe nichts zu thun übrig gelassen, als ihren Lehrern zu der Liebe Glück zu wünschen, welche man ihnen bezeigte: ich bitte aber nun alle! ihre Obstbaumstämmchen als ein Herbstgeschenk von meiner Hand anzunehmen.

Der Ausdruck des Staunens auf den Gesichtern, und das eifrige Zudringen so vieler Hände, welche jede die Hand des Gebers fassen und danken wollten, die Freude, mit welcher jede Familie ihren Antheil heim trug, machte diese Stunde zu einer der schönsten des ganzen Jahres, sagte der Vorsteher. Philipp und der Zimmermann freuten sich aber sehr, den Gedanken des Geschenks für den guten Herrn Pfarrer gefaßt zu haben, ehe sie wußten, daß sie die Bäumchen umsonst erhalten würden. – Vandek segnete den Vorsteher für die wohl ausgedachte Gabe an seine Gemeinde, [262] und Wattines drang darauf, das Persprechen zu haben, den folgenden Morgen den Schulgarten ausgemessen zu bekommen. – Ich, der als Zeuge des schönen Wetteifers, welcher alle Bewohner der freundlichen Hütten beseelte, so viel Vergnügen genossen hatte, war begierig auch etwas zu thun, und sagte: daß ich wünschte, den Arbeitslohn für die Umzäunung des Schulgartens zahlen zu dürfen, und auch dieser Wunsch wurde gut aufgenommen.

Der Vorsteher hatte nun noch mit den Fuhrleuten Geschäfte zu besorgen. Ich aß mit Vandeks zu Nacht, freuten uns noch dieses Abends, und fanden, daß viel Gutes geschehen und geweckt werden kann, wenn die Vorsteher mit einer menschenfreundlichen Ueberlegung, in die Bedürfnisse ihrer Untergebnen eingehen, und ihnen in einem schicklichen Moment eine Wohlthat erweisen. – Wattines, welcher, wie beynahe alle seine Landsleute, [263] ein gebohrner Obstgärtner ist, ging den andern Tag bey den Colonisten umher, ihnen bey dem Pflanzen ihrer Bäumchen guten Rath zu geben, und besetzte den Schulgarten recht artig. Junge Leute kamen, ihm arbeiten zu helfen, und von ihm zu lernen. Der edle Mann ist ein wahrer Segen für diese Colonie, durch die Begierde, welche sich unter alle Colonisten verbreitet, auch so geschickt und so schön zu arbeiten, wie er.


Nun ist wirklich der nordamerikanische Herbstregen eingetreten. Solche Wassergüsse sah ich nie, und wie glücklich finde ich mich in meiner kleinen Schule und bey meiner Schreinerey, wie viel mehr aber in Wattines Bibliothek. Nun fühlte ich die Wahrheit des Ausspruchs von dem edlen Lord Falkland, ich beklage den Unwissenden, an einem Regentage. Schauer überfiel mich bey dem Gedanken, was unsere theuren Wattines [264] auf ihrer einsamen Insel ohne die Hülfe ihrer Bücher geworden seyn würden. Beyde segnen auch die Anwendung, welche sie von dem Lehrsatze machten, daß man bey Veränderung eines Landes zu dem andern, wegen seiner Gesundheit das Clima, wegen Ruhe und Sicherheitdie Gesetze, sich bekannt machen solle: ihr guter Schutzgeist aber ihnen dabey zuflüsterte, bey dem Wechsel von Europa mit Amerika, nicht nur diese Vorsicht für ihr körperliches Wohl, sondern auch gegen die Leiden der Seele, bey einem vielleicht einsamen Wohnsitz, und Entfernung von allen geselligen Vergnügen zu befolgen.

Diese innere Stimme habe ihnen gesagt, ihre Büchersammlung mitzunehmen, weil Wissenschaft ein so wesentlicher Theil des Glücks edler Menschen sey, und man in wohlgewählten Büchern, immer den Umgang einsichtsvoller und erfahrner Männer aller Zeiten und aller Nationen genieße. Ach diese [265] belehrten uns auf der einsamen Insel, daß Regengüsse und Stürme, Hitze und Frost, der Fruchtbarkeit der Erde eben so nützlich sind, als Widerwärtigkeit und Beschwerden des Lebens der Menschheit, welche die Tugend ihrer Seele, und die Fähigkeiten ihres Geistes übten, – gute Bücher also immer treue Freunde und lehrreiche Gesellschaft sind. –

Dieses Gefühl der Ehrfurcht und Liebe, mit dem lebhaftesten Ausdruck der Dankbarkeit verbunden, erscheint in Wattines schönen Zügen, so oft er einen Band seiner Bibliothek für sich, oder für Vandeks oder mich holt; oft auch bemerkte ich es, wenn sein Auge auf den Bücherschrank geheftet war, wenn von der Insel oder Einsamkeit gesprochen wurde, und Vandek während der Regentage einen Besuch machte, und von ungefähr eine Klage über die Witterung hörbar wurde; da lächelten die Wattines sich zu, blickten zum Himmel und auf ihre Bücher, Emilie [266] aber sagte: o mein theurer Freund! wie erträglich würden sie diesen Regen neben der Hütte eines Nachbars finden, wenn Sie ihn drey Jahre alle Herbst mit Sturm in ganz einsamer Gegend rauschen hörten, und kein Obdach hoffen könnten, wenn das Ihrige einstürzte. Mein Herz wußte wohl, daß es die Stimme der Allmacht meines Gottes war, aber ich zitterte oft halbe Nächte hindurch, bey der Vorstellung der Möglichkeit des Verlusts unserer Hütte. – Wohin mich retten mit den Kindern? war eine Herz zerreißende Frage, in dem Brausen der Windstöße; aber nun würde ich bey Vandeks Tugend und Freundschaft Schutz finden, wobey sie seine Hand faßte und an ihre Brust drückte. Vandek war äußerst gerührt, und sprach dann von den Eindrücken des ersten Winters auf ihn und seine Familie, welches aber, wie er es wohl erkannte, mit den Beschwerden auf der Insel in keinem Falle zu [267] vergleichen war, auch sie alle sich jetzo keine Klagen erlauben würden. – So wahr ist es, daß die Betrachtung welche wir über den Zustand der weniger Glücklichen anstellen, uns zufriedener mit unserem Schicksal, und menschenfreundlicher gegen andre macht.

Die hier angesiedelten Familien aus unserm Vaterlande haben eine in Oberschwaben übliche Gewohnheit eingeführt, alles spinnt, weil im Felde nichts zu thun und alles Ackerwerkzeug ausgebessert ist, so kommen sie nach der Reihe in den Nachbarshäusern zusammen, bringen ihr Abendbrod mit, und die Hausfrau giebt jedem einen Becher Milch oder im Hause gebrautes leichtes Bier, dabey wird gesungen, in die Wette gearbeitet und fröhlich schlafen gegangen. – Bey Wattines ist alle Tage das alte Bild der Schloßhallen in verflossenen Zeiten sichtbar, an dem großen Camine wird gekocht, unweit davon die einfachen Mahlzeiten genossen und wenn alles gesäubert und[268] aufgeräumt ist, spinnt die Frau und der Mann, welche als Knecht und Magd bey ihnen leben, das Mädchen lernt von Madame Wattines nähen und stricken, Carmil und Antonette spielen, Wattines hält sich so lange es Tag ist, mit dem Zimmermanne in der Arbeitshütte, um die Bekleidung seines Hauses bald zu endigen, ich bin fleißig an meinem Tisch und Stühlen, wenn aber Licht nöthig ist, mit meiner Feder bey den Auszügen beschäftigt. Scriba, Vandek und Wattines nebst mir, leben auch gesellschaftlich, lesen auch zweymal die Woche in Scribas Hause einmal die Zeitungen, das andremal etwas die Landwirthschaft betreffendes, und sprechen mit den Colonißen darüber. Fischfang beschäftigt auch, wenn es der Regen erlaubt, auch haben wir schon getanzt, fernere Arbeits- Handels- Bau- und Reichthumsplane gemacht, so fließen selbst Wintertage im Genusse des Fleißes, des Mittheilens, der Entwürfe [269] und Eröfnung der Aussichten auf glückliche Zeiten, schnell und angenehm vorüber, so schnell, daß ich mich abwende von dem Gedanken des Frühjahrs, weil meine Abreise damit verbunden ist. Eine Lieblingsidee habe ich heute noch, in dem liebenswürdigen und so äußerst thätigen Geiste des edlen Wattines niedergelegt, meinen Saepflug, welcher jetzo noch nicht brauchbar ist, indem noch Jahre hingehen werden, ehe der Ackerboden so genau von den Baumwurzeln gereinigt seyn wird, daß man ebenes Feld genug vor sich haben kann, um den dreyfachen Nutzen der Säfurchen Aussaat, Egge und Ersparnis von zwey Drittel des Saamenkorns zu genießen: ich erhalte dafür von den schätzbaren Wattines getrocknete Pflanzen von ihrer Insel, nebst einem von Emiliens Händen aus Maisblättern geflochtenen Sonnenhut und Körbchen, welche, ich bekenne es, mehr, unendlich mehr für mich [270] seyn werden, als alle meine Schreinerarbeit für sie seyn kann. Meine Schüler sind gute junge Leute, welche mir noch die Uebung ihrer verbesserten Handschrift zu danken haben, denn wie ich meine Auszüge und kleine Noten blattweis im Reinen habe, so müssen sie solche abschreiben, damit jeder ein Exemplar bekomme, und sich den Inhalt um so tiefer einpräge: bey diesem Anlasse sprach ich mit ihnen von der Buchdruckerkunst und dem hohen Werthe dieser Erfindung, wodurch der Geist aller Nationen und aller Jahrhunderte, sich mittheilt und bekannt wird. Der Unterricht, welchen ich diesen Knaben gebe, ist für mich eine angenehme Wiederholung dessen, was ich lernte, und in Wahrheit, im Mittheilen mich bereichere, weil alles neu und deutlich auf einem abgekürzten Wege vor mir vorüber geht. In der eigentlichen Schule wird ihnen die Geschichte von Amerika und den europäischen Colonisten [271] erzählt und zu Leseübung gegeben, welches ich als vortreffliche Anstalt des Vorstehers betrachte, weil es sie mit der englischen Sprache, welche sie ohnedem verstehen müssen, und mit den Vorbildern ihres Schicksals und der Verdienste des Fleißes und des Nachdenkens bekannt macht. –

Meine geliebten Wattines nehmen doppelte Lehrstunden im Teutschen, einmal mit mir, dann spricht der Zimmermann mit ihnen. Der holde Carmil wächst mit der Kenntniß von drey Sprachen auf, und gab dadurch im Vandekschen und seinem eigenen Hause schon manche liebliche Scene, wenn er nun seine Gespielen oder seiner Schwester neue Wörter lehren will, welche er haschte. Sein Vater lehrt ihn zugleich lesen und schreiben, welches bey dem Französischen sehr leicht geht, da aus ihrem c oder halben Ring so viele Buchstaben gebildet werden können, wobey die Kinder ihr Lieblingsvergnügen genießen, allen [272] Dingen eine andre Gestalt zu geben. In vielen, oder vielmehr im Ganzen wird sein junger Geist und Gefühl nach den Ideen und den Empfindungen des St. Pierre gebildet werden. Was mich dabey innigst freut, ist, daß Wattines ihn auch Latein lehren wird. Nun giebt es keine Blumen mehr zu suchen, keine Insecten mehr zu haschen, da sucht Carmil in den wenigen Zwischenstunden des Windes und des Regens, unter den, von dem letzten rein gewaschnen Steinchen, die verschieden farbigten zu sammeln, mit welchen er dann, in Gesellschaft der zwey kleinen Holländer Vandek, auf dem offenen Platze der Scheunen ihrer väterlichen Wohnungen, in glatt gestreuten Sand, Gärten und Blumenstücke anlegen, auch in der Werkstatt von Wattines, die Stückchen Holz nach Größe und Form ordnen, Triangel, Quadrat und Zirkel, gerade Linien oder halbe Bogen beschreibende Züge damit auslegen, [273] welches alles für ihr junges Auge eine höchst nützliche Uebung ist, und nicht an der, Kindern so gesunden, Bewegung hindert.

Heute fand ich Wattines, um die Zeit meiner deutschen Lehrstunde, mit seinem St. Pierre in der Hand, den er mir mit der Bitte entgegen reichte: O lassen Sie mich heut einige Lieblingsblätter übersetzen! Ich antwortete: Sehr gerne, lieber Freund! und als ich das Buch gefaßt hatte, traf ich die herrliche Betrachtung über Mannigfaltigkeit und entgegengesetzte Farben und Gestalten aller Wesen unserer Erde, alles aus dem schönen Gesichtspunkt der Verehrung des Schöpfers, und in der lieblich glänzenden Einkleidung der Mythologie dargestellt: äußerst rührende Stellen waren von Wattines mit Bleystift unterstrichen, oder am Rande bezeichnet, wie z.B.: »Ein Hain am Ufer der See, welcher von den ersten Stralen der aufgehenden Sonne beleuchtet, hier dichte, dort sanft [274] durchsichtige Schatten auf die Wiesen wirst, dunkles, und mit Silberglanz vermischtes Grün der verschiedenen Bäume, zeigt sich in Abschnitt mit dem Azur des Himmels, ihr Wiederschein schimmert im Wasser, und was weder Dichtkunst noch Malerey abbilden können, der Wohlgeruch von Blumen und Kräutern, das leise Rauschen der von dem Morgenwinde bewegten Blätter der Bäume, das Summen der Insekten, der Gesang der Vögel, das dumpfe, mit gänzlichem Stillschwelgen unterbrochne Brausen der an dem Ufer anschlagenden Wellen, und alle diese, nebst dem fernen Echo, sich auf der Fläche der See verlierende Töne, scheinen die Stimme der Nereiden zu seyn: Ach wenn Liebe oder Philosophie dich in diese Einsamkeit führen, so wird dein Aufenthalt angenehmer seyn, als in einem Pallast« ... Mit erstaunend kleinen Buchstaben war am Ende dieses Gemäldes geschrieben: Erster Frühling [275] mit Emilien auf der Insel Oneida. Gleich auf dem andern Blatte fand ich die kaum noch sichtbaren Züge des Entwurfs zu dem Gemälde der Insel Lemnos, mit Lorbeer- und Olivenbäumen, um das Grab des edlen Philoktet, unfern einer Grotte, in welcher man den hölzernen Wasserkrug und arme Kleidung sieht, welche die Grausamkeit der Griechen ihm in dieser Einsamkeit gelassen hatten: ich konnte mir die Ursache dieses Entwurfs denken, forschte also nicht nach Erklärung. Wattines selbst machte mich diesen Theil gleich überschlagen, und ich konnte kaum die Aufschrift des Grabes lesen:


Hier ist Ruhe nach einem wohlthätigen Leben,
und Schutz gegen Bosheit der Menschen. –

Ich wunderte mich nicht, daß er die Zeilen unterstrichen hatte, wo St. Pierre sagt: »Ohne Instrumente, ohne Naturalienkabinet [276] kann man die Natur beobachten, ihre reizenden, abwechslungsvollen Bilder kennen lernen. – Die Sonne, welche mit ihren Strahlen die halbe Erde umfaßt, während die Nacht die andre mit ihren Schatten deckt, doch ist keine Stelle, wo nicht Anbruch des Tages, Dämmerung. Morgenröthe, hoher feuriger Mittag, dann glänzender Sonnenuntergang, sternhelle, oder ernst dunkle Nacht sich folgen. Die Jahreszeiten geben sich die Hand, wie die Stunden: der Frühling mit Blumen bekränzt; der Sommer mit Korngarben umgeben; der Herbst mit seinem Füllhorn voll Früchte; vergebens streben Winter und Nacht die Wirkung der Sonne zu hemmen, ihre Feuerpfeile zerstören das aufgethürmte Eis, sie zieht Wasser in die Luft, und läßt es als Ströme und Bäche die Erde durchfließen. – Sie setzt Gewitter und Sturmwinde in Bewegung, und befiehlt den unsichtbaren Kindern der obern Luft, die Wolken zu leiten. Oft verbreiten [277] sie diese wie goldne Schleier und in schönen Farben gestreiften Seidenzeug, oder rollen sie zu fürchterlichen Gestalten mit Donner und Blitzen erfüllt; bald lassen sie diese gesammelten Dünste als Thau, Regen, Schnee und Hagel die Erde übergießen, jeder Fluß bekommt seine Urne, jede Najade ihren Wasserkrug gefüllt; bald ruhen sie, und lassen das Meer wie einen unermeßlichen Spiegel glänzen; bald kräuseln sie seine Oberfläche mit sanftem erfrischenden Hauch, andre erheben sie zu grünen und blauen Wogen; stärkere, unruhigere aber stürzen sie wie Gebirge von Schaum und Gewässer zusammen; jeder Kreis der Erde hat seine Eis- und Feuerberge, jeder hat Flächen und Hügel, in jedem fließen Ströme nach allen Richtungen, und bey allen diesen Erschütterungen, Lasten und einander widersprechenden Bewegungen, setzt unsere Erdkugel ihren Lauf ununterbrochen durch die Luft fort.« –

[278] Aufmerksam saß Emilie mit ihrer Arbeit bey Wattines, als er diese ausgewählten Stellen übersetzte; aber mit süßem zufriedenen Lächeln blickte sie auf das Buch, als die Reihe an sie kam, und wie billig während ihrem Lesen jede Schönheit unserer Erde bey uns vorüberschwebte, wo St. Pierre sagt: »Ganz andere Verzierungen schmücken das Aeußere unserer Erde: Ein Gürtel von Palmbäumen, welche die Datteln und Kokosnüsse tragen, umfassen sie zwischen den heißen Zonen, moosigte Fichtenwälder bekränzen die beyden Pole, tausend und tausend andre Pflanzen dehnen sich wie Strahlen von Mittag gegen Norden, bis sie in verschiedenen Stufen der Kälte verschwinden – der Bananier 2, dessen Früchte und Blätter so nützlich sind, wächst in Menge von der Linie bis an die mittelländische See – Der Pomeranzenbaum kam über das Meer zu uns, und umfaßt die Ufer der mittäglichen Gegenden mit seinen goldenen Früchten. – [279] Die nöthigsten Gewächse, wie Korn und Gras, dringen viel weiter, und stark in ihrer Schwäche, breiten sie sich in dem Schutz der Thäler von den Ufern des Ganges bis an das Eismeer aus. Pflanzen des rauhen Nords, kommen von den Höhen des Taurus, unter der Decke des Schnees, bis an den heißen Gürtel der Erde. Tannen und Cedern krönen die Berge in Arabien und das Königreich Cachemir, indem sich zu ihren Füßen die brennenden Ebnen von Oden und Lahor erstrecken, wo man Datteln und Zuckerrohr sammelt; andre Bäume und Gesträuche, welche Hitze und Kälte scheuen, haben ihren Wohnsitz in den gemäßigten Gegenden genommen. Der Weinstock kränkelt in Deutschland und in Senegal, der Apfelbaum ist meinem Vaterlande eigen (der Normandie), und hat nie mals die Sonne gerade über sich, oder in einem Kreise um sich herum gesehen seine schönen Früchte zu reifen; und so hat jedes Stück Erde seine Flora und seine Pomona; Felsen, Sümpfe und sandigte [280] Gegenden haben ihre Pflanzen, selbst die steilen Ufer des Meers sind fruchtbar. Der Cocosbaum liebt diese sandigen Gestade, von welchen sich seine süßen milcherfüllten Früchte, über die gesalzenen Fluthen hinbeugen. Wäldchen von Moos bedecken Steine, verschiedene Pflanzen den Grund des Meers, zwischen welchen Fische und Muscheln herumgehen, und alle, alle tragen Blumen. – Manche sind der Luft, den Jahreszeiten und Stunden des Tages gewidmet, so daß Linnens sie nach der Ordnung des Calenders und der Uhren pflanzte. – Wer kann die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten und Farben beschreiben, den Nutzen und die Anmuth erzählen, welche durch sie über die ganze Erde schweben, in Lauben, Gängen und Pyramiden voll Früchte! Wie viel köstliche und ergötzende Gastmale werden in ihrem Schatten genossen, und nichts von ihnen geht verloren! Vierfüßige Thiere essen ihre zarten Blätter, Vögel ihre Samen, andre[281] Thiere ihre Wurzeln und Rinden, die Bienen ihren Blumensaft zu Honig, ihren Staub zu Wachs.«

Ich will nicht weiter gehen, als diese von Emilie gewählte Uebungsblätter mich führten, aber ich glaube, es wird meine Base freuen, bey diesem Theile meines Tagebuchs eine geographische Wanderung auf den Landkarten ihres Saals zu machen, und den Blumen und Bäumen nachzugehen, welche St. Pierre auf ihrem stillen Wege über die Erde beobachtete, und mit so edler Verehrung des Schöpfers, mit so inniger Liebe seiner Mitmenschen begleitete. Emilie rührte mich durch eine Anwendung auf ihr Schicksal, denn bey der wirklich schönen Betrachtung: daß Felsen, Sandboden und Sümpfe, durch die wohlthätige Hand der Natur, mit eigenen Blumen geschmückt, und mit nützlichen Pflanzen begabt sind, blickte sie innig auf ihren Mann, und sagte: Könnten wir nicht, mein [282] Carl! in dem Geist deines Freundes St. Pierre behaupten, daß es in der moralischen Welt mit dem Verhängniß der Menschen eben so gütig, ja mit noch grösseren Vorzügen geordnet ist; denn so hart, so ungünstig und traurig die Begebenheiten des Lebens sind, so hängt es von dem Willen unserer Seele ab, durch ausübende Tugend, mit Kenntniß vereint, die bittersten Leiden zu versüßen, trübe Tage zu erheitern, und mit unserm Geiste das Nützliche des Fleißes und des Nachdenkens, wie das Schöne der Geduld und der Ergebung zu finden, welche unsere Tage als unsterbliche, der Ewigkeit geweihte Blumenkränze zieren, wie unser Auge reitzende Blüthen und nahrhafte Pflanzen, für das angenehme des physischen Lebens bemerkt und aufsucht.

Wattines war noch stärker gerührt, als ich, faßte ihre Hand, und mit einem zugleich ernst und zärtlichen Blick, auf die holde, edle Frau, sagte er mit bewegtem doch männlichen [283] Tone: Ja, meine Emilie! diese Grundsätze deiner Seele haben nicht nur unser Leben auf der Insel verschönert, sondern unsere Kräfte erhalten. In dir sah ich die wohlthätige Wirkung wahrer Religion und wahrer Liebe, dein auf Gottesfurcht ruhender Muth, dein sanftes Tragen jeder Beschwerde stärkte mich; deine voll kindlichen Vertrauen zum Himmel erhobenen Blicke, erhoben auch mein Herz zu der Ueberzeugung, daß der ewige Vater uns erhalten und für uns sorgen werde; dadurch ward meine Arbeit Freude, unsere Bücher und die Schönheit der Natur meine Erquickung. – Sie drückte seine Hand an ihre Brust, und sagte ihn unterbrechend: O nichts mehr, mein Carl! nichts mehr von mir! Ich war glücklich an deiner Seite, gleichen Schritt den Weg unserer Prüfung zurückzulegen, ohne den Gang deines edlen Geistes zu hemmen, oder deine Gefühle zu lange bey traurigen Gegenständen [284] festzuhalten. Er hat glücklich geendet, der einsame, von dir mit Blumen bestreute Pfad, Ruhe und Freundschaft erfüllen unsere Wintertage, setzte sie mit einer anmuthsvollen Verbeugung gegen mich hinzu, und dieses verspricht mir eine noch schönere Zukunft an unserm lieben See.

War diese Anwendung von St. Pierres Ideen nicht ungemein schätzbar und überraschend? Ist diese Frau nicht in allen Gelegenheiten eine der verehrungswürdigsten Personen ihres Geschlechts? kann man jemals Stärke des Characters und Feinheit der Gefühle, liebenswerther verbunden sehen? sollte man nicht wünschen, daß alle Glücklichen die physische Welt betrachten wie St. Pierre, und alle Unglücklichen ihr Schicksal mit so viel Geist und Tugend tragen, als Wattines und seine edle Frau.


[285] Nun sind die Regentage vorüber und der prächtigste Winterfrost eingetreten. Wohl uns, daß kein Mangel an Holz ist; denn kalt ist es mehr als ich ausdrücken kann, und wir haben es versehen Schlitten zu machen. Nun sind alle damit beschäftigt, damit wir mit unsern wenigen Pferden doch diese Winterfreude genießen, indem wir daneben mit Handarbeit und Entwürfen für den Frühling beschäftigt sind. – Alle unsere Schüler machen gute Fortschritte, zeigen Verstand, und haben Freude an den Gedanken, vernünftige und geschickte Leute zu werden. – Ich spreche mit den Meinigen sehr oft von dem allgemeinen Ruhme, welchen bisher die teutschen Colonisten erhalten haben, und die guten Jungens setzen sich alle vor die besten unter den Guten zu werden. Meine Arbeit geht sehr vorwärts, und Wattines lernt nicht nur die teutsche Sprache, sondern mit meinem liebsten Schüler die Zither gleichsam [286] in die Wette spielen; dieses bestimmt mich zu einem Opfer. – Ich werde ihm meine geliebte Zither, welche mich seit Italien nie verlassen hat, zum Andenken unserer harmonischen Gesinnungen geben, er aber mir das Gelübde ablegen, diese sanfte Musik am See Oneida fortzupflanzen. Schon wird sie den guten Einwohnern sehr angenehm, und ich habe dafür gesorgt, daß wenigstens vier bey Wattines in Vorrath gelegt werden. – Meine Auszüge mehren sich und werden recht gut, da ich sie den Knaben vorlese, und mit ihnen darüber spreche, sind sie mit Eifer zu den Abschriften gekommen.

Alle Sontag Abend spiel ich die Zither bey dem Vorsteher, singe dabey, dann giebt er einen Kuchen, gutes Bier und Tanz für unsere wenigen aber wackern jungen Leute. Wechselsweise wird bey Vandek und Wattines der Abend mit Lesen zugebracht, dann beysammen gespeißt, und die Frauenzimmer im [287] Schlitten nach Hause gebracht. So gehen sie auch in 24 Stunder vorüber die langweiliger Wintertage. Ich schreibe nicht mehr viel an meinen Denkblättern, wie Sie sehen werden, denn ich möchte meine Schreinerarbeit bald endigen. – Ich mache jetzo einen Plan zu meiner Rückreise, ohne mit jemand davon zu reden, weil alle zeigen, daß sie meine Entfernung ungern sehen; doch bekenne ich, daß öfters ein Wunsch nach Europa in mir entsteht. Ich habe gesehen was ich wünschte, und noch mehr als ich erwartete.

Ich dachte nur an ein Abbild der Bemühungen unserer ersten Vorfahren, Bäume zu Hütten zu ordnen, Felder zu Kornbau anzulegen. – Ich fand es, dieses Bild des ersten Bestrebens, Bedürfnisse zu befriedigen, und Beschwerden zu bekämpfen, aber auch kann ich sagen, daß jede Stuffe menschlichen Verdienstes in Arbeit und Denken, auf diesem kleinen Platze vereint vor meinem Auge war. [288] Ein Zimmermann, der die Loghouse mit rohen Baumstämmen erbaut; geschickte Landleute; einen Kaufmann der sie anweißt, die Producte ihres Fleißes für das beste ihrer Kinder und eigenen Wohlstandes zu gebrauchen; einen Geistlichen, welcher sie die moralischen Kräfte der Seele kennen lehrt, und auf einem einfachen Wege, zu der Liebe ihres Schöpfers und ihrer Pflichten führt; in Wattines Hütte Abglanz des feinsten Anbaues der Sitten, und Wirkung wahrer Kenntniß und Tugend; denn, liegt nicht in dem Leben dieser zwey merkwürdigen Menschen das größte, schönste Vorbild eines edlen starken moralischen Characters, und fand ich nicht in ihrer Büchersammlung den Schatz aller seit Jahrtausenden gesammelten Wissenschaften? Sah ich nicht alles, was Menschen bedürfen, vermögen und ausführen? – Wie tief ist dieses alles [289] in meine Seele gegraben! Wie heilig, wie lieb werden diese Erinnerungen mir mein ganzes Leben seyn! Wie oft sagte ich schon hier meinen Schülern, wenn ich mit ihnen von Wattines sprach: wie viel kann dergute, fleißige Mensch thun! und wenn ich die Encyclopädie sah, wie viel kann unser Geist denken, wissen und entdecken! – Wir haben die Briefe eines Amerikaners aufs neue mit großer Aufmerksamkeit durchgelesen, dieser sagt einmal:

Warum kommen die Europäer nicht zu uns, neue Tugend und Glück zu sehen? warum gehen sie in das ausgeartete Griechenland, in das alte Italien, wo sie nichts mehr von dem alten Glanze finden, wo niemand das Grab des Socrates und des Aristides, des Catons und des Fabius zeigen kann? sonst würde ich selbst diese Reise machen, kommt, besteigt statt des Aetna und [290] Vesuv unsere Apalaches, betrachtet von einer Seite, was wir auf 900 Meilen angebaut, auf der andern noch anbauen werden, setzt an die Stelle der alten Trauererinnerungen von Italien in seinen Ruinen den belehrenden und angenehmen Anblick von vier Millionen angebauten Ackerland, 600000 Häuser. Die große Scheune voll Garben des fleißigen Colonisten soll euch wohl mehr Freude geben, als die Ueberreste eines Tempels der Ceris. Unsere Gesetzgebung, unsere Mechanik, unser Landbau und schönen Städte, Schulen und liebreiche Versorgungshäuser der Armen, – was für schönen Stolz, welchen, lassen Sie mich es meinen geliebten Britten zu gerechtem Ruhme hinzusetzen, edlen, auf Glück und Verdienst gestützten Stolz könnte der Amerikaner nicht haben, wenn er nicht unter dem Einflusse des Geistes der englischen Gesetze und Sitten [291] geboren und erzogen wäre. – Ich sage gewiß andern Reisenden: geht an den See Oneida, lernt diese neue Colonie kennen, bittet um die Bekanntschaft der Familie Wattines, laßt euch die Insel zeigen, wo sie vier Jahre einsam wohnten, sprecht mit ihnen, betrachtet ihre Arbeiten und überdenkt ihr Schicksal, und eure Seele wird den Werth der ausübenden Tugend, der hohen Kräfte der Menschen und der Kenntnisse schätzen lernen. –

Sonderbar, meine theuren Freunde, ich war einige Zeit nicht ganz wohl, und bekenne, daß ich da mehr an Europa zurück dachte, aber weit, weit entfernt war, nur den geringsten Gedanken zu hegen, daß in der nehmlichen Zeit ein eigenes Weh an den Lebenskräften meines geliebtesten Freundes nage. – Ich wünschte wohl den Frühling [292] bald zu sehen, um Nachrichten aus Europa zu erhalten, und dann auf einem, während dem Winter, gut gebautem Kahne mit Wattines einen Besuch bey der Hütte der Indier zu machen, in welcher Emilie zweymal wohnte. – O jetzo bleibe ich nicht mehr so lange, werde mich nirgends, nirgends mehr aufhalten, eile übermorgen von hier, – die guten lieben Menschen alle fühlen mit mir. – Sie wissen was Freundschaft ist, ich theile meine Haabe unter sie aus, jeder muß ein Andenken haben, Schreiner-Handwerkszeug, Zither und andres Wattines. Morgen in der Nacht werden durch den Zimmermann der Tisch und die Stühle in den Garten gestellt: ich nehme wenig mit mir zurück. – Einer unserer rechtschaffnen Landleute führt mich zu dem nächsten Ort, ich schreibe den Wattines meinen Abschied, ich kann es [293] nicht mündlich thun. Der Vorsteher und der würdige Vandek allein wissen die Stunde, alle sehen und fühlen daß ich nicht mehr bey ihnen bin, daß meine Seele in Europa ist, meinen leidenden Freund, seine Gattin, seine Kinder umschwebt. – Ich werde es nicht feyern, das Fest der Uebergabe der Insel an Wattines, wozu alle Hoffnung ist, werde nicht dabey seyn, wenn das erstemal das Lob der Arbeit gesungen wird, aber die Denkpfennige sind fertig, ich werde sie von Piladelphia aus schicken, und hoffe von dort bald, bald absegeln zu können, denn ich glaube, da der Himmel meine auf gewisse Art phantastische Reise hieher begünstigte, o so wird er die sichere schnelle Erfüllung der heiligsten Pflicht segnen. O was werde ich empfinden, wenn ich mitten in der Nacht Wattines Wohnung vorbey gehe, dieses Haus, [294] die ganze Anlage, den See und die Waldungen mit den Feldern noch im Mondschein betrachten werde, denn der Zimmermann und mein Fuhrwerk erwarten mich am äußersten Ende der Landstraße, ach wie herzlich werde ich sagen: ich lasse euch Gott und eurer Tugend.

Fußnoten

1 Eygelb mit heiß Wasser gerührt, Hühnermilch.

2 Paradies-Feigenbaum, Bananas-Baum, Patanen.

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TextGrid Repository (2012). La Roche, Sophie von. Romane. Erscheinungen am See Oneida. Erscheinungen am See Oneida. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DAE5-5