Heinrich Laube
Die Karlschüler

[Widmung]

Fräulein Louise Neumann, Mitgliede des k.k.

Hofburgtheaters in Wien, gewidmet.

Einleitung des Verfassers

[149] Einleitung des Verfassers.

Zahlreiche Nachfragen, ob das Drama »Die Karlsschüler« noch nicht als Buch käuflich zu haben sei, bestimmen den Herrn Verleger, diesen sechsten Band zu einer Zeit schon auszugeben, welche im gewöhnlichen Gange noch die erste Theaterlaufbahn des Stückes in sich begreift. Unsern mangelhaften Gesetzen nach sind aber Theaterlaufbahn und buchhändlerischer Verkauf eines Stückes geschworne Todfeinde. Ist dies nicht eine eigentümliche Erfindung zum Gedeihen dramatischer Schöpfung? Gute Theaterstücke fordern wir mit höher gespannten Forderungen als irgend eine Nation, und die gemein irdischen Wege für die Laufbahn eines Theaterstücks verschließen wir ebenfalls sorgfältiger als irgend eine Nation. Ist diese Logik eine absonderliche, oder ist es gar keine?

Sobald nämlich ein deutsches Stück im Buchhandel erscheint, kann es von jeder Bühne ohne das geringste Honorar für den Verfasser aufgeführt werden. Die Bühne zahlt wie jeder Privatmann ihren Taler Ladenpreis dem Buchhändler und wirtschaftet nun mit dem Stücke, wie sie mag. Was doch eigentlich nur verkauft ist zum Lesen, das wird für sie Gegenstand eines Geschäftes. Sie teilt es in einem Abende tausend Menschen mit, welche nun das Buch nicht mehr zu lesen und zu kaufen brauchen, und es ist nicht die Rede davon, ob hierdurch ein wichtiges Eigentumsrecht verletzt werde. Ja, sie verschneidet, verstümmelt, verwertet es nach Gutdünken, unbekümmert darum, ob der Verfasser sein Stück für die Bühne ganz anders eingerichtet habe als für das Lesepublikum, unbekümmert, ob solchergestalt der Ruf des Stückes und des Verfassers leiden können. Das Stück ist eine gute Prise, sobald es im Buchhandel erschienen ist, und der Verfasser hat den Bühnen gegenüber kein Recht mehr zu irgend einer Forderung, zu irgend einem Einspruche.

[149] Unsere beiden größten Theater, das Burgtheater zu Wien und das Hoftheater zu Berlin, haben früher als die juristische Behörde die Einsicht gehabt, daß hier ein Unrecht vorliegt, und haben für sich diesen Unterschied zwischen Manuskript und Buch aus eigner Billigkeit aufgehoben. Sie honorieren auch das im Buchhandel erschienene Drama. Bei allen übrigen Bühnen ist es ein Akt einzelnen Wohlwollens, wenn sie dies tun, und obwohl wir neuerdings in all diesen Punkten Fortschritte gemacht und in den meisten Beziehungen solcher Art einen anständigeren Stil gewonnen haben, obwohl wirklich heutigen Tages die Direktoren der zunächst folgenden Hofbühnen zu Dresden und zu München und wahrscheinlich auch die edleren Stadtbühnen eine Ehre darein setzen, solch eine Benutzung auf Kosten des Verfassers zu verschmähen, so sind wir doch noch weit entfernt von einem Gewohnheitsrechte, welches sich gegen schreiende Unbilligkeit einzustellen pflegt. Weit entfernt, und diesem doch vielleicht näher als der Erringung eines Gesetzes! 1

Es ist hier nicht der Ort, die Rechtsfrage zu erörtern. Wir haben dies zu wiederholten Malen getan vor den zuständigen Behörden des Vaterlandes und haben keine Änderung erwirkt. Zuletzt ist es vor den sächsischen Kammern geschehn. Wiederum vergeblich, obwohl die erste Kammer zustimmend auf unsre Petition einging. Die zweite Kammer hat, wenn auch mit geringer Majorität, unser Begehren abgewiesen.

Wenn aber nicht eine Erörterung der Rechtsfrage hier am Orte ist, so ist's doch ein Hinweis auf die praktische Bedeutung der Frage. Diese Bedeutung ist sehr groß; denn das Interesse des Publikums am Theater und somit das Theater selbst wird ungemein gehoben und gestärkt, wenn das Stück zu gleicher Zeit dargestellt und als Buch verkauft wird. Die Neugier ist ein Hebel von geringerem Werte als die Wißbegier. Bloß auf die Neugier zu spekulieren, wie dies bei unserer Ausschließung des gedruckten neuen Theaterstückes geschieht, ist ein dürftiger, dem mannigfaltigen und tiefen Zwecke nicht entsprechender Stil. Und man verliert auch nicht einmal den Hebel der Neugier, wenn das neue Stück schon [150] gedruckt vorliegt. Ein großer Teil des Theaterpublikums ist nicht so eilig mit dem Kaufe eines Buches und bewahrt sich die erste Illusion. Dieser Teil des Publikums hat aber doch nach dem ersten Anschauen das Bedürfnis, genau zu erfahren und still zu prüfen was ihm schnell vorübergeführt worden ist. Kann einem solchen Bedürfnisse genügt werden, so ist dies ein offenbarer Gewinn für tieferes Interesse am Theater. Man verliert also nicht einmal die Neugier, sondern man veredelt sie, und man gewinnt obenein den Hebel der Wißbegier. Alle besseren Theaterfreunde fühlen sich doppelt angeregt, wenn sie das Stück in Händen haben; sie üben ihre Phantasie, indem sie sich selbst eine Vorstellung machen, wie die wirkliche Vorstellung wirken werde und wirken könne, sie üben ihre geistigen Kräfte, indem sie Debatten erregen, welche mit immerwährend möglicher Berufung auf die Einzelnheiten des Buches gründlich geführt werden können, sie wecken solchergestalt in sich selbst die schlummernden Fähigkeiten für eigne dramatische Schöpfung, sie spornen die Schauspieler zur Gründlichkeit; denn sie haben die vollständige Kontrolle der Schauspieler in der Hand, sie nötigen die Kritiker zu gründlicher Wahrheit aus demselben Grunde, sie werden mit einem Worte zu viel größerer Mitwirkung ermächtigt. Und je mehr Menschen beteiligt werden, desto vollständiger wird jede Sache.

Dabei ist der Gleichgültigen noch gar nicht gedacht, derjenigen nicht, welche sich ohne Inhalt in den Gesellschaften umhertreiben, und welche nun plötzlich in einem überall vorrätigen neuen Theaterstücke einen überall verständlichen Inhalt finden; es ist derjenigen nicht gedacht, welche durch Lebensart und unübersteigliche Hindernisse vom Besuche des Theaters ausgeschlossen sind, und welche nun auf einmal durch das vorhandene Buch an einer Welt des Interesses teilnehmen können und zu einer Zeit teilnehmen können, während welcher dies Interesse durch Aufführung des Stückes seinen Höhepunkt erreicht.

Das alles, was ich hier nur andeuten und nicht einmal erschöpfend andeuten kann, wie wichtig wäre es besonders in Deutschland, wo man mehr denn anderswo der Gründlichkeit zuneigt, wo die Lektüre der gesuchte Vorhof ist für alles, wo man so gern vorbereitet ist für öffentliche Handlung, wo die Bildung wirklich verbreiteter ist als in irgend einem Lande der Welt, wo also ein gedrucktes Buch mehr Teilnehmer findet als irgendwo, wo so gern [151] jedes Ländchen, ja jedes Städtchen ein selbständiges Urteil haben möchte und doch über Theaterstücke aus Mangel an gutem Theater, aus Mangel an irgend einem Theater nicht haben kann! Das Land der Zentralisation hat diese gründliche Hilfsbedingung für ein mächtiges Theater längst eingesehen und eingeführt, Frankreich, welches mit seinem Paris dieses Hilfsmittels viel eher entbehren könnte als Deutschland, Frankreich hat dies Hilfsmitttel längst in Wirksamkeit! Dort begreift man nicht, wie an der Rechtmäßigkeit, ja Notwendigkeit desselben zu zweifeln sei. Im innersten Wesen dieser Frage ist es wie mit dem Nachdrucke, obwohl der äußere Anschein entgegengesetzt ist. Der kurzsichtige Volksfreund meint der Mehrzahl einen Dienst zu erweisen, wenn er den Nachdruck gut heißt, weil er solchergestalt die guten Bücher wohlfeil und verbreitet mache. Aber er übersieht, daß für jeden Strom eine Quelle nötig ist, er übersieht, daß keine guten Bücher entstehen, wenn die Entstehung derselben nicht sorgfältig geschützt, wenn für den Urheber eines Buches nicht die Möglichkeit einer großen Eigentumsschöpfung gesichert wird. In dem Staate des Eigentums ermuntert man nur zu Schöpfungen, wenn man ihnen Lohn sichert. Das Theater gedeiht nur, wenn man die Quelle des Theaters, die Dichter kräftigt! Weil man sie für Nebenpersonen erachtet hat, ist dies wunderliche Nachdrucksrecht mit Theaterstücken, das heißt ein freigegebenes Aufführen der bereits gedruckten Stücke entstanden. Die bloßen Verwaltungen zur Hauptsache machen, wie man solchergestalt in Deutschland getan, die Direktionen, welche nur vermitteln, nicht aber erzeugen, zum Hauptaugenmerk des Schutzes nehmen, das ist die verkehrte Welt. Und was ist's für ein Schutz! Für jede einzelne Direktion eine Kleinigkeit an Honorar, für den Dichter aber die ganze Summe all dieser Kleinigkeiten, das ganze Honorar! Weil zwanzig solcher Direktionen einige Louisdor sparen können, entzieht man der ganzen Nation das Urteil und die Teilnahme an einem neuen Drama, indem man den Dichter abschreckt, sein Werk im entscheidenden Augenblicke der ganzen Nation durch den Druck mitzuteilen. Hat das einen haltbaren Sinn? Und nur die mittelmäßigen Direktionen verlieren die paar Louisdor Honorar, nur die schlechten und trägen verlieren sie, nur diejenigen, welche nicht eifrig auf Darstellung neuer Stücke bedacht sind, nur sie werden nicht mehr wie jetzt entschädigt durch Honorarfreiheit für ihr nachlässiges Zuwarten, also nur die [152] Trägheit und Nachlässigkeit wird beeinträchtigt, wenn morgen das gedruckte neue Stück seinen Honorarpreis behält; und diesem kläglichen Schutze wird in gedankenlosem SchlendrJan ein so großer Zweck geopfert!

Möge diese Erinnerung unsere Gesetzgeber mahnen, einem Verhältnisse nachzudenken, welches das Nachdenken wohl verdient. Da in dieser Einleitung und diesem Buche vorzugsweise von Schiller die Rede sein wird, so will ich hierbei aus Schillers eigener Praxis ein Faktum erwähnen, welches dasselbige Thema berührt. Als Schiller den Wallenstein schrieb, lag die Honorarzahlung der Bühnen noch tiefer im argen als jetzt, und dies war für Schiller kein geringes Hemmnis. Er war darauf angewiesen, von seinem Talente den größeren Teil seines Einkommens zu beschaffen, und wenn er zögernd nach langer Pause wieder an dramatische Arbeit ging, und wenn er zweifelnd ausrief vor dem ernstlichen Beginnen des Wallenstein: »Soll ich denn wirklich so viel Zeit und Kraft an ein mißliches Unternehmen wagen?!« so war der unsichere Ertrag eines Theaterstückes in Deutschland auch ein Moment in diesem zagenden Zweifel. Allerdings nur ein Moment, und ich möchte nicht im entferntesten behaupten, daß diese Alltagsrücksicht einen Dichter wirklich bestimmen oder abhalten könne. Aber auch das geringste Moment hat seine Schwere und kann einen unglücklichen Ausfall bewirken, sobald die Wagschalen schwanken. Wenn nun Schiller in jenen neunziger Jahren um einen Grad ärmer war, wenn er zum Beispiel nicht durch die ungewöhnliche Großmut jener holstein- schleswigschen Edelleute unterstützt wurde, durch dies Geschenk von dreitausend Talern, welches ihm die Augustenburg und Schimmelmann so liebenswürdig aufdrängten, lag es dann nicht nahe genug, daß die Wagschalegegen das Drama sank? Und doch datiert von diesem Wendepunkte das Glück des Vaterlandes: in »Wallenstein«, »MarJa Stuart«, »Jungfrau von Orleans«, »Braut von Messina«, »Wilhelm Tell« ein klassisches Drama erhalten zu haben binnen sechs Jahren! Wahrlich, das Glück hat sie uns gebracht, unsre Anstalten und Gesetze haben nicht die geringste Förderung, wohl aber sehr der Rede werte Hemmnisse ausgeübt. Ich lese immer mit Leidwesen die Stellen aus Schillers Briefen jener Zeit, welche diese Wunde berühren, und welche zeigen, daß er gar wohl sorgenvoll auch mit dieser äußeren Wunde beschäftigt war. Noch vor Beendigung des Wallensteins ließ [153] er durch Herrn von Stein Unterhandlungen anknüpfen in Breslau, also mit einem Theater zweiten Ranges, ob er nicht eine kleine Zahl von Louisdor erhalten könne, wenn er sein Stück hinsende vor Erscheinung desselben im Buchhandel. Und die Ermunterung wurde ihm nicht, das Theater fühlte sich nicht berufen, dies kleine Honorar zu zahlen; die Aufführung kam dem Theater noch zeitig genug, wenn das Stück im Buchhandel für einen Taler zu haben sein werde!

Es liegt also dies äußerliche Thema nicht so ganz fern von dem Dichter, welcher Mittelpunkt dieses Buches ist.

Ich habe nun zu erzählen, wie ich auf die verwegene Idee geraten sei, den erst seit vierzig Jahren abgeschiedenen, unsrer Nation so vorzugsweise und so persönlich werten Dichter zum Helden eines Theaterstückes zu wählen. Die Idee ist schon vor neun Jahren in mir aufgetaucht und zwar bei Abfassung meiner Literaturgeschichte. Die Jugendgeschichte Schillers war damals durch Hoffmeisters gutes Buch »Schillers Leben, Geistesentwickelung und Werke im Zusammenhang, dessen erster Band 1838 erschien, sehr erleichtert. Die erste Entwickelung des großen Dichters ist so ungemein belebt durch charakteristische Verhältnisse und Begebenheiten, daß sie sich von selbst zu einer Kunstform darbietet. Ich fand nur keinen Schluß dafür; denn die Flucht Schillers als bloße Begebenheit war mir kein genügender Schluß. Deshalb ließ ich den Plan einer solchen Komposition versinken im Hintergrunde des Sinnes und Gedächtnisses. Zu wiederholten Malen erhob er sich wieder mit einzelnen Figuren und Szenen und winkte mir fragend tief aus dem Dunkel. Traurig mußte ich das Haupt schütteln; denn ich sah keine Möglichkeit eines künstlerisch befriedigenden Endes. Die Größe des Namens, das muß ich eingestehen, hielt mich nicht ab; es schien mir im Gegenteile besonders geraten, eine Charakterentwicklung zu versuchen, für welche uns die geistigen und gemütlichen Motive so erkennbar und so ansprechend vor Augen liegen. Freilich dachte ich nie an einen andern Schiller als an den Schiller von Stuttgart, an den Karlsschüler und Regimentsfeldscheer, den Verfasser der Räuber und des Fiesko. In seinem Werden lag mir seine Romantik. Den fertigen Dichter, den gereiften Mann, den großen Schiller darzustellen, das schien mir stets und scheint mir noch ein Wagstück, welches nicht nur meine Kräfte übersteigt, sondern welches auch [154] meines Erachtens für den künstlerischen Zweck noch nicht geeignet ist. Erfundene Helden der Gegenwart kann man in Szene setzen. sie brauchen nur den Ansprüchen Rede zu stehen, welche wir selbst mit ihnen erwecken. Geschichtliche Größen aber, welche noch ganz und gar der Gegenwart angehören, geraten in ein falsches Licht. Die Atmosphäre ist noch so durchsichtig, die Verhältnisse des Bildes erscheinen nüchtern, nüchterner wenigstens als sie in unsrer Phantasie ruhen, die so naheliegende Wahrheit der Alltagsverhältnisse wirkt platt, weil sie nicht Gegensatz genug bildet zu der Gedanken- und Tatenhöhe des Helden, und was die Hauptsache ist: der Held soll ganz, ganz so wie er kurz vorher unter uns gestanden, wiedergeschaffen werden. Um den vollen Dichter Schiller wiederzuschaffen, müßte man also wenigstens die Dichtungsfähigkeit eines Schiller haben. Wem wird solche Dreistigkeit beikommen! – Jenseits der Gegenwart verändert sich alles: die Ferne ist an sich schon eine Romantik, welche nur charakteristische Höhen und Grenzen zeigt, und welche die Unnahbarkeit des Höchsten aufhebt, weil sie eben nicht eine vollständige, nicht eine wirkliche Kopierung zuläßt. Der junge Schiller, der Verfasser der Räuber steht längst in solcher Ferne: der ganze Inhalt einer neuen Weltepoche liegt zwischen ihm und dem Schiller in Weimar, ja für den vom Reich geadelten Schiller in Weimar, für diesen fertigen Schiller selbst war der ungestüme, drangvolle Regimentsmedikus Fritz Schiller bereits eine romantische Figur, welche er außer sich hinstellen konnte in einer künstlerischen Form.

Dies alles war mir wohl deutlich, aber was half mir die Wissenschaft, daß dort am Neckarufer ein Edelstein zu finden sei, in harter Kieselschale, was half sie mir, da ich die Kieselschale nicht zu sprengen, den Edelstein nicht zu fassen verstand! Was mich zu Gottsched und Gellert getrieben, das mußte mich allerdings doppelt treiben zur Dramatisierung des Räuberpoeten. Alle Gründe, welche ich in der Einleitung zu Gellert angedeutet, mußten hier in doppelter Kraft gelten, und der Erfolg hatte mir's ja einleuchtend genug bewährt, daß unsre Literaturgeschichte fast in ganzer Bedeutung des Wortes unsre Nationalgeschichte geworden ist, daß in den Schicksalen unsrer Poeten der uns allen gemeinschaftliche Funke zu suchen sei, welcher anderswo so schwer zu finden ist, ja welcher anderswo nicht einmal gesucht werden soll, weil man es für unanständig hält, vornehme Personen dem Beifalle der Nation preiszugeben.

[155] Ich suchte zunächst meinen Stoff in zwei andern Persönlichkeiten unserer Literatur: die eine bot ihn im Zusammenstoße mit der geistlichen Welt, die andere im Familienleben. Beide sind interessant, der erste ist sogar mächtig. Aber ich selbst war, zu meiner Schande muß ich's gestehen, ziemlich erlahmt an dem stumpfen Widerstande, welchen uns die Haupttheater bieten. Dies unerschöpfliche Spüren und Schnüffeln, ob dies oder das nicht bedenklich, wohl gar gefährlich sei und deshalb nicht aufgeführt werden dürfe, dies bis zur Bedenklichkeit hinabgeführte System, welches ich einen Monat lang am besten Haupttheater studierte und zum ersten Male in seiner schrecklichen Unendlichkeit erkannte, dies System der Hinderung lähmte meinen Trieb nach dramatischer Schöpfung unbeschreiblich. Gerade jeglicher lebendige Stoff war in diesem Netze von Verneinungen grundsätzlich ausgeschlossen, nur das Nichtsbedeutende hatte einige Aussicht. Und wenn man endlich einmal mit verrenkten Gliedern auf die Szene kommt, dann die Unzulänglichkeit der Darstellungsmittel! Hier kein Held, dort keine Heldin, hier keine Jugend, dort keine Reife! nirgends ein wirklicher Sammelpunkt des Besten im Vaterlande, nirgends also die Möglichkeit eines vollständigen Gelingens, nirgends ein Theater, welches im Prinzip und in den Mitteln das beste der Nation darstellte, nirgends ein Nationaltheater – ich hielt es am Ende doch für eine Torheit, dieser Laufbahn alle Kräfte zu widmen. Da trat an einem warmen Frühsommertage Berthold Auerbach ins Zimmer und hörte diese Litanei, welche ich eben einem Schauspieler aufsagte. »Wie wär's denn,« sagte Auerbach mit seiner ruhigen, nachdenklichen Weise, »wenn Ihr's einmal mit dem Schiller versuchtet! Dem würde doch die ganze Nation zujauchzen.«

Ich schwieg und dachte: Jetzt kommt der auch darauf!

»Na, Laube, das ist der Rede wert!« Das glaub' ich, aber ich weiß es nicht anzufangen! – Und bei mir dacht' ich: anzufangen wohl, aber nicht zu schließen.

»Ja, das ist nicht unsre Sache. Wir sagen bloß: dort in jenem Teil des Waldes ist gutes Wild anzutreffen, wie es zu fangen ist, das bleibt Eure Sache, Sache des Jägers.«

Ich weiß es eben nicht zu fangen. Und so wurde noch ein Weilchen hin und her geredet, und auf all meine Einwendungen meinte Auerbach beim Scheiden: ich sollte Schillers Heimatsjahre von Hermann Kurtz lesen –

[156] Davor würd' ich mich wohl hüten, wenn ich ein Stück schreiben wollte. Die Daten kenne ich hinreichend, und die Auffassung eines anderen befängt einen dann nur, weil man sie nicht wieder los werden kann, falls man nicht schon selbst einen Plan hat.

Diese kurze Unterredung blieb zunächst ohne Folgen, weil ich der Meinung blieb: es ginge nicht mit dem jungen Schiller; denn dies novellistische Ende einer Flucht, welches doch immer das Ende werden müßte, sei ein bloßes Ende und werde kein Schluß.

Zunächst ohne Folgen, aber nicht ohne Eindruck blieb dies Gespräch. Der Dramatiker ist mehr denn irgend ein Schriftsteller auf Zustimmung angewiesen: mit dem Buche kann ich trotzen, mit dem Stücke aber bedarf ich des entgegenkommenden Atems. Daß ein gesunder Mann des Volkes wie Auerbach, welcher den Puls der Nation so kundig fühlt, ebenfalls dies Thema wünschen konnte, daß er keinerlei Bedenken zeigte wegen der noch so großen historischen Nähe, wegen der empfindlichen Pietät für den geliebten Poeten, das war ein starker Sporn für mich, die Kompositionsversuche meiner Phantasie wieder einmal zu erwecken und zu prüfen. Es geschah, und es endete wieder mit Kopfschütteln. Aber je größer das Verlangen, je lebhafter die Absicht, desto reichlicher strömen die Hilfsquellen – ich stand plötzlich still und dachte: Bist du nicht sonst äußerst gleichgültig gegen platte Daten der Wirklichkeit? Sollst du durch ein solches Datum den schönen Stoff unmöglich machen, wenn es eben nichts ist als ein Datum? Hast du nicht in Wahrheit das Recht dazu, im September geschehen zu lassen, was zufällig im Januar geschehen ist? Ja, ja freilich! Und dadurch wird alles anders, die Spannung wird gewonnen, und der Schluß wird erobert!

Dieser Gedankengang ward Entschluß, und mit diesem Entschlusse ward das Stück geboren. Jetzt wundre ich mich, daß ich so lange ratlos vor einer dünnen Bretterwand des Hindernisses habe stehen können; denn als ich sie niedergerissen und die niedergerissene kundigen Leuten gezeigt, da sagten sie einstimmig: wenn es weiter nichts ist! Wir sind aber so: Gott verleugnen wir allenfalls in einem Atem dreimal bei toller Stimmung, aber einen abgeschmackten Jugendbekannten verleugnen wir nicht, wenn er uns noch so ungelegen in den Weg tritt.

[157] Die Räuber nämlich wurden schon in der Mitte Januar 1782 zu Mannheim aufgeführt, und Schiller floh aus Stuttgart erst in der Mitte Septembers desselbigen Jahres. Dies war der Stein meines Hindernisses. Sobald dieser vom Januar bis zum September gerollt war, hatte ich alles, was ich bedurfte! Nun konnten die Räuber noch ein Geheimnis sein, nun konnte der Herzog noch im Laufe des Stückes sie entdecken, nun konnte dem gepeinigten und verachteten Dichter am Ende das Urteil des großen Publikums, der jubelnde Beifall bei Aufführung des Stückes zu Hilfe und zu gründlicher Rettung kommen, nun konnte ein wirklicher Schluß eintreten des Volkes Stimme gegen die absolute Stimme des gewaltsamen Herzogs.

Dieser Änderung folgend ordnete sich denn das seit langer Zeit aufgeschichtete Material in wenig Tagen, und die Abfassung konnte beginnen und konnte in zwei Monaten bei dem Briefe aus Mannheim angelangt sein. Und als das Stück nun mit dieser Umstellung eines wichtigen Datums auf der Bühne erschien, da störte sie nicht nur die Kundigen nicht, sondern – sie wurde gar nicht bemerkt! Ein Zeichen, daß mit ihr gar nichts Organisches berührt, viel weniger verletzt worden war. Nur in Mannheim mußte sie den Unterrichteten auffallen, und Düringer, der Leiter des dortigen Theaters, sprach mir seine Klage darüber aus; denn man wisse noch den Platz, auf welchem Schiller gestanden und die Aufführung der Räuber angesehen habe. Die Darstellung der Karlsschüler ist aber auch dort nicht beeinträchtigt worden durch diesen Widerspruch. Neben dem Organismus eines ganzen Stücks tritt eine einzelne Notiz in den Hintergrund.

Was sonst an Änderungen im Hergange der Begebenheit nötig geworden, ist daneben nicht der Rede wert, und die Charaktere sind so treu, als es mir erreichbar war, nach der historischen Überlieferung gebildet oder erfunden. Das Prinzip dafür muß richtig gewesen sein; denn mehrere noch lebende Zeitgenossen, darunter Schillers eigene Schwester und zahlreiche Karlsschüler, welche über ganz Deutschland zerstreut sind, haben mir die Versicherung geschenkt, daß es damals in solchem Stile hergegangen sei auf dem Schlosse zu Stuttgart. Zu den erfundenen Personen gehört natürlich Laura. Wir wissen nichts Rechtes über diese erste Liebe Schillers, und ich glaube dies sagen zu können auch neben den wertvollen Nachrichten, [158] welche Herr von Scharffenstein, Schillers Karlsschulgenosse und Jugendfreund, im Morgenblatte darüber mitgeteilt. »Schiller wohnte in dem Hause einer Hauptmannswitwe« sagt er; »ein gutes Weib, das, ohne im mindesten hübsch und sehr geistvoll zu sein, doch etwas Gutmütiges, Anziehendes und Pikantes hatte. Dieses, in Ermangelung jedes andern weiblichen Wesens wurde Laura. Schiller entbrannte und absolvierte übrigens diesen ohnehin nicht lange dauernden platonischen Flug ganz gewiß ehrlich durch.«

Hoffmeister hat schon berichtet, daß dieser »sinnlich exaltierte Liebestraum« der Lauragedichte »eher alles andere als platonisch genannt werden könne«, und ich möchte dazu bemerken: Wie kann selbst ein damaliger Freund des Dichters mit Sicherheit sagen, diese oder jene Person sei der Gegenstand dichterischer Phantasie! Sagen wir in solchen Entzückungen dem Freunde, oder überhaupt den Genossen: Diese, diese da mein ich?! O nein! Ich würde diese Bezeichnung einer Hauptmannswitwe als eine wertvolle, aber unsichere Notiz auf sich beruhen lassen, auch wenn uns nicht bekannt wäre, daß Schiller nach seinem Austritte aus der Karlsschule und während seiner kurzen Feldscheerlaufbahn in Stuttgart lebhafter als vorher und nachher seiner Phantasie und sinnlichen Neigung nachgegeben und mancherlei Abenteuer bestanden hat. Hier also ist der erfindenden Gestaltung voller Spielraum gelassen. Die andern Worte Scharffensteins, welche folgendermaßen lauten, kommen vielleicht der Wahrheit näher. »Die gehalt- und glutvollen Gedichte an Laura schlummerten schon lang in Schillers Brust; es war die Liebesmystik dieser jugendlichen, erst ausfliegenden Feuerseele, und nichts weniger als eine Laura gab dieser Flamme den Durchbruch.« Sie kommen der Wahrheit vielleicht näher; denn es ist möglich und wahrscheinlich, daß die ersten Neigungen überhaupt alles auf den Namen Laura gehäuft haben im Ausdrucke des Poeten, welcher als künstlerisches Talent frühzeitig der Einheit bedürftig war. Aber zwingend ist diese Auslegung auch nicht: Schiller kann ebensogut ein ganz bestimmtes Frauenbild, und ein ganz anderes als die Offizierswitwe vor Augen und im Sinne gehabt haben. Was Frau von Wolzogen in ihrem vortrefflichen und wahrhaft liebenswürdigen Buche darüber sagt, ist hierfür von keiner großen Bedeutung. Besondere Details über diese Stuttgarter Zeit scheint sie nicht gewußt zu haben, und [159] sie verlegt auch zum Beispiele den Entwurf von »Kabale und Liebe« in diese Zeit, der offenbar von Hoffmeister richtiger, wenigstens überzeugender in die erste Mannheimer Zeit verlegt wird. Gustav Schwab, welcher neuerdings ein sorgfältig gesichtetes »Leben Schillers« herausgegeben, hat keine neueren Data aufgefunden über diese Jugendliebe. Kurz, Laura kann noch oft und wahr geschaffen werden. Komisch ist es, daß fast jede Stadt, in welcher Schiller sich aufgehalten, die Laura besessen haben will; Stuttgart mit vollem Prioritätsrechte die Witwe; Mannheim die schöne Margareta Schwanin, für welche Schiller allerdings eine Neigung gehegt und gepflegt, welche er aber erst gesehen hat als die Laura-Gedichte schon gedruckt waren in der Anthologie; Dresden das Fräulein von Arnim, für welche er freilich, aber mehrere Jahre später, erst als der Heiratsplan mit der Schwanin längst zerronnen war, in lebhafter Neigung entbrannte; Weimar und Berlin die Frau von Kalb, welche Schiller erst bei seinem dauernden Aufenthalte in Mannheim kennen lernte, und welcher er freilich innig und wahrhaft und dauernd zugetan war, aber nicht in entzückter Laura-Liebe, sondern in edelster Sympathie, so daß bei ihr wohl der Gedanke uns auftauchen kann: sie hätte mit voller Liebe sein Herz ausfüllen können, wenn sie ihm früh genug und frei begegnet wäre.

Sie kam bekanntlich später nach Weimar, und Berlin nenne ich nur darum unter den Prätendenten, weil diese Dame dort bei Aufführung der Karlsschüler als mögliche Laura in Rede kam. Natürliche Veranlassung dafür wurde ihre Tochter, welche dort lebt, und wurde eine Korrespondenz Schillers, welche sich in der Nähe Berlins vorfindet und welche trotz anhaltender Bemühungen noch immer nicht für den Druck gewonnen werden kann. Von Berlin aus wurde übrigens bei Veranlassung dieses Stücks mit fröhlicher und leichtfertiger Unwissenheit in die Welt geschrieben: Laura sei eine Waschfrau gewesen. Das ist ganz bezeichnend für einen großen Teil der dortigen Kritik: Geringschätzung jeglichen Materials, hochbeinige Theorie ohne Lebenshauch, Frechheit der Äußerung, welche durch nackten Sprung den Mangel eines tieferen Interesses ersetzen soll. Ich brauche nicht hinzuzusetzen, daß die »Waschfrau historisch nichts für sich hat als den Geschmack des Journalisten, und daß der größte Teil dieser herzlosen Kritikaster das gebildete Berlin nicht vertritt.

[160] Laura also war der Erfindung freigegeben. Wenn man die erste Regierungshälfte des Herzog Karl betrachtet, die Zeit, ehe Gräfin Franziska ihn fesselte und sänftigte: so wird man es erklärlich finden, daß ich dies Mädchen zur Erleichterung meiner dramatischen Einheit in so nahe Beziehung zum Herzoge bringen konnte. Ob der freie dreiste Ton neben diesem durchfahrenden Fürsten möglich gewesen sei, wird man bei näherer Betrachtung dieses gewaltsamsten und doch populärsten schwäbischen Fürsten mit leichter Mühe entdecken. Ein kerniges Naturel wie das seinige war nicht einen Augenblick besorgt um Verlust seines herrschaftlichen Ansehens. Er forderte heraus und gestattete den Seinigen die muntre Herausforderung; zu den Seinigen gehörten aber die Karlsschüler ganz und gar. Darüber fehlt es nicht an den buntesten Geschichten in derbem Tone und über die geschichtliche Berechtigung des zwanglosen Verkehrs in der ersten Hälfte meiner »Karlsschüler«, ein Verkehr, welcher manchem Norddeutschen Bedenken erregt, bin ich nicht einen Augenblick verlegen gewesen. Gewichtiger ist die Frage, ob es angemessen ist, die Figur Schillers aus solchem oft putzigen Treiben hervorwachsen zu lassen, ob dem großen Poeten nicht auch von vornherein ein strengerer Stil nötig gewesen wäre. Darauf habe ich zweierlei zu erwidern. Erstens habe ich, wie schon gesagt, keineswegs den großen Poeten Schiller zum Helden meines Schauspiels machen wollen und also nicht einen Stil einzuhalten gehabt, wie er im Wallenstein und den ähnlichen Werken Schillers herrscht, sondern ich habe den dreiundzwanzigjährigen Jüngling herausschälen wollen aus einem Schul- und Kamaschentum des Rokokos, welches er nicht ohne Krampf und Lärmen abstreifte. Zweitens habe ich um jeden Preis wahr sein wollen. Der erkünstelte Stil hat uns ums Leben des Dramas gebracht, in dem natürlichen Stile allein können wir meines Erachtens Leben und mit dem Leben Größe wieder finden. Ohne die leicht einhergehende erste Hälfte des Stücks wußte ich für die wahrhafte Wirkung eines jungen überspannten Poeten den Weg nicht zu bahnen, wußte ich die Zeit nicht zu schildern, aus welcher er sich emporrang. Und da man doch die richtige und starke Wirkung der zweiten Hälfte überall anerkannt hat, so kann ich mir den mannigfach begründeten Tadel des Weges wohl gefallen lassen. Wenn die zweite Hälfte des Stücks von manchen wie etwas ganz anderes und Selbständiges und unter [161] Lobpreisung Abzutrennendes geschildert wird, so ist dies eben ein Fetzen jener in der Luft herumfahrenden, auf keinem Beine ruhenden Kritik, welche einer absterbenden, im Schaffen unerfahrenen Zeit angehört. Ohne die Wurzeln in der ersten Hälfte wächst kein Strauch oder Baum für die zweite; ohne die natürlichen und in ihrer Natürlichkeit steigernden Vorgänge weiß ich für die noch unreife Welt eines übertreibenden jungen Poeten keinen Nachdruck zu gewinnen, gegenüber einer gefesteten Welt des absoluten Mannes. Mit Deklamationen ist's eben nicht getan. Daß diese Vorgänge weniger bunt sein und überhaupt besser angelegt sein können, auch um eine bunte Zeit und Welt darzustellen, das räume ich natürlich auf das Bereitwilligste ein. Es ist jetzt nicht meine Absicht und nicht meine Aufgabe, meine Leistung dem Tadel, dem strengsten Tadel zu entziehen, ich nehme nichts als eine nach meinen Kräften sorgfältig erwogene Absicht in Anspruch und weise nichts ab als das zusammenhanglose Absprechen. Letzterem hab ich denn auch freilich nichts zu sagen, was auf Verständnis hoffen könnte, und was die Form im ganzen betrifft. Ich verweise darüber die Wohlwollenden auf die Einleitung zu Gottsched und Gellert. Bietet unsrer Verzweiflungskritik ein Stück mit sorgfältiger Verschränkung und Intrige, so wird es französisch genannt, bietet ein Stück, welches die Intrige möglichst vermeidet und sich deutscher Vorliebe gemäß aus den Charakteren zu entwickeln trachtet, so hört ihr hinter euch schreien: kein Aufbau, keine Intrige, keine Form. Man bedarf einer stets auf Entsagung eingerichteten Gemütsverfassung, um in solchem Hexensabbat nicht Geduld, Mut und Vertrauen einzubüßen. Bei alledem ergibt sich auch aus der Verzweiflungskritik Lehrreiches in Menge, man gewinnt dessen auch von Widersachern, welche an sich keinen Wert und keine Bedeutung haben. Für den Autor gewinnen sie doch eine Bedeutung, und wenn sie ein Stück geschlossenen Auges und grimmig knurrend hastig hin- und herschüttelten, wie der Pudel einen unergiebigen Fund hin- und herschüttelt, so ist dies immer noch heilsamer als manches unbedachte Lob. In der schüttelnden Bewegung lockert sich ihr Hirn, und sie endigen doch wohl mit einem Worte, welches Ärger zusammenfaßt, und welches uns einen unerwarteten Blick öffnet. Was glatt und leicht gelingt, ist ja selten von Bedeutung, und wer sich einbildet, eine so wichtige Form wie die des Theaters ohne wirren, gellenden und beleidigenden Widerspruch [162] anbauen zu können, der möge daheim bleiben: die Form der Leidenschaften weckt Leidenschaften, und Leidenschaften gegen Leidenschaften ist eben Schlacht.

Leider sind auch die Freunde und Bundesgenossen gar sehr gefährlich. Sie schwächen unsere Kräfte, indem sie uns stützen. So möchte ich keinen Augenblick die Gefahr verkennen, welche in der Gunst des Publikums für solche Stücke liegt. Form und Inhalt kommen dem Publikum auf halbem Wege entgegen, und wenn dies öfter geschieht, so ist die Mittelmäßigkeit fertig. Wer die Hand der Nation fassen und dann selbständig bleiben und trotz Murren und Widerstreben aufsteigen könnte, der verdiente die Palme!

Die Hand der Nation gefaßt haben und dann auf derselben Stelle bleiben, ist ebenso übel, als aufsteigen und aufsteigen ohne Verbindung mit der Nation. Dort verschlemmt, hier verflüchtigt man sich. Dort hört die Wirkung auf, der Rede wert zu sein, und hier entsteht gar keine Wirkung.

Die wohlwollend Zuschauenden mögen also nicht zweifeln, daß ich die Zugeständnisse an das Theaterpublikum mit vollem Bewußtsein mache, und daß ich diesen Weg für nichts weiter erachte als für einen Weg, auf welchem das Ziel zu finden sein könne. Welches Ziel? Eine wirksame Dramenform, welche unseren lebendig verbleibenden oder lebendig gewordenen Eigenschaften entspreche, welche unsren tüchtigen und eigentümlichen Eigenschaften und Kräften entspreche, welche sich also nicht bloß auf Autoritäten oder gar nur auf Vergangenes berufe, sondern welche aus bestehendem Leben künstlerische Gestalt bilden will und endlich in gewonnener Fülle von Gestalten und Wendungen einen Stil darstellen kann. Die Götter mögen es wissen, wenn dieses Ziel erreicht wird. Von der jetzigen Generation schwerlich. Die Hilfsmittel unserer Nation sind noch weitaus ungenügend versammelt, und wir kleinen Schöpferlinge stehen nur in erster Linie, weil Zeit und Stunde der Triarier noch nicht gekommen ist. Unterdes haben wir doch die auserwählte Aufgabe mit bestem Gewissen zu erfüllen, und immerhin können wir doch schon getrost sagen, daß ein ungemeines Interesse geweckt worden ist. Mit dem herkömmlichen Spott und Hohn wurde der Versuch eines neuen Theaterlebens empfangen, und binnen wenig Jahren ist doch wirklich ein neues Theaterleben entstanden, und die jetzige Saison 1846–47 hat es doch gegen alle Erwartung bereits dahin gebracht, daß zum [163] ersten Male lauter Originaldramen das Repertoir bilden und ausfüllen, und daß die übersetzten eine ganz und gar untergeordnete Rolle spielen.

Ein eigentümlicher Fingerzeig ist es, daß sich die Kritik in Norddeutschland grell abscheidet von der Kritik in Süddeutschland, sobald ein nationaler Stoff auf der Bühne erscheint und zwar in einer Form erscheint, welche dem deutschen Wesen eigentümlich zu entsprechen sucht. Der Süddeutsche sieht mit Vorliebe auf den Kern, gibt sich der Seele bereitwillig hin, lobt mit Freude und tadelt ungern. Der Norddeutsche umgekehrt mißachtet leicht Kern und Seele und richtet all seine Aufmerksamkeit auf die Form. Sie ist ihm in dem nationalen Versuch befremdlich und verdächtig, weil ihm die Schule viel näher am Herzen liegt, als das Leben. Er tadelt mit innerer Genugtuung und lobt sehr ungern.

Man übersehe nicht, daß ich nur von nord- und süddeutscher Kritik spreche, und nicht vom Publikum. Genauer zu unterscheiden muß ich auch noch sagen statt Norddeutschland: Nordostdeutschland, und statt Süddeutschland: Südwestdeutschland. Im Publikum ist die alte Trennung überwunden, soweit es sich um Hingebung handelt an gemeinschaftliche deutsche Herzenspunkte. Das norddeutsche Publikum wird immer etwas kälter und zurückhaltender sein, als das süddeutsche, aber das natürliche Herzensgefühl für vaterländisches Interesse ist ebenso vorhanden, und die künstliche Bildung, welche dem Norden viel schärfer zugesetzt hat als dem Süden, sie hat den Kern des Publikums durchaus nicht beschädigt. Man kann mit Büchern und besonders mit Theaterstücken in diesem Punkte die lehrreichsten Erfahrungen sammeln. Namentlich mit Stücken, welche auf nationalem Inhalte ruhn, und welche die Bildung ihrer Gestalt in eigner, dem deutschen Wesen entsprechender Weise versuchen; am deutlichsten mit einem Stücke, welches sich nicht auferbauen, sondern welches auferwachsen will im Schicksale und Charakter eines nationalen Helden. Da ist dem Publikum völliger Raum gegeben zur Mithilfe, und der kundige Zuschauer und Zuhörer kann die feinsten Nüancen des Publikums entdecken.

Dies ist mir bei den »Karlsschülern« eine unversiegbare Quelle von Bemerkungen geworden. Die warme Hingebung, die rasche Auffassung, der lebhafte Ausdruck, die schöne Eigenschaft, Fehler gern [164] zu übersehen, wenn das Ganze wohlgefällig ist, hat der Süddeutsche in vollständiger Einheit bewährt. Man hat oft und nicht mit Unrecht gewünscht, es möchte sich ein Hauch davon dem ganzen Vaterlande mitteilen, da rasches, warmes und ganzes Ergreifen unserm deutschen Gesamtwesen nur förderlich sein könne. Nun in betreff der wohlwollenden Aufnahme, welche die Karlsschüler als ein Stück nationalen Stoffes im ganzen Vaterlande gefunden, konnte man wohl meinen, es sei ein süddeutscher Hauch überall hingedrungen. Ich habe natürlich nicht meine Arbeit im Auge, sondern nur den nationalen Stoff, ich habe nur die Seele des Stücks vor Augen, welche ich nicht zu schaffen, sondern nur möglichst treu zu verkörpern hatte, ich habe nur das vor Augen, was mich als den zufälligen Vermittler ganz zur Seite läßt, und kann also meine Bemerkungen ganz unbefangen und ohne allen Bezug auf meine Person aussprechen. Es war eine große Freude, das ganze deutsche Publikum so einig zu sehen gegenüber seinem Schiller, gegenüber der ewigen Streitfrage zwischen Dichter und Fürsten, zwischen der schöpferischen und erhaltenden Macht. Überall war Begeisterung, überall war Maß. Wie ungerecht, dem deutschen Volke maßloses Vorurteil gegen die erhaltende Macht nachzusagen! Überall ward die wahre Berechtigung im Herzoge Karl geachtet. Ja, ja das oft angezweifelte Berlin zeigte sich in seinem Publikum vom stärksten, markigsten und doch besonnensten Ausdrucke im Norden. Schiller fand Enthusiasmus, Döring als Herzog Karl fand im vierten Akte wahrhafte Auszeichnung. Es gab also keinen Unterschied mehr zwischen Süd- und Norddeutschland? Eigentlich nicht. Denn daß man in Süddeutschland: »Es lebe Friedrich Schiller! mitruft und jubelt, das ist nur ein lebhafterer Grad des Ausdruckes, nicht eigentlich ein Unterschied, da man in Norddeutschland diese Stelle ebenfalls mit voller Stärke der Empfindung aufnimmt. Aber es zeigte sich ein greller Unterschied zwischen konstitutionellem und nicht konstitutionellem Deutschland, und zwar zeigt er sich nicht im Publikum, sondern bei den Kritikern. In dem Deutschland mit freien, entwickelten Staatsformen hatten die Kritiker nicht etwa den Tadel verschwiegen, o nein, sie haben gründlicher und für den Autor empfindlicher getadelt, aber der Tadel traf nur den Autor, traf nur mich. Man hatte ein Herz für die Sache. Der größere Teil der Kritiker in Preußen hatte dies nicht. Dies ist nichts Zufälliges, [165] es ist eine geschichtliche Krankheit. Die Kritik entsteht so, wie sich der Staat entwickelt. Im steten Zagen und Zaudern, im steten Besserwissenwollen auch dessen, was der erprobte Sinn der Zeit längst entschieden, in dreißigjähriger absoluter Verneinung hat man die Kritik ins verworrene Dickicht nach sich gezogen, daß sie nun selbst den Wald vor Bäumen nicht mehr erkennt. Einst, bald nach den Freiheitskriegen, war auch in Berlin die Kritik gesund; denn sie durfte das Wesen der Dinge mit natürlichen, geradeaus gehenden Blicken ansehen und bezeichnen. Das blieb ohne Wirkung, ja es wurde abgewichen bald hierhin, bald dahin, bald nach rechtshin, bald nach linkshin. Wer wird nicht irre, wenn er niemals Erfolg hat! Das Auge ist unsicher geworden, das Auge hat schielen gelernt, am Ende methodisch schielen gelernt. Und welche verschrobenen Ansprüche müssen in solcher geschichtlichen Entwickelung entstehen! Ein einfaches, natürliches Wachsen sieht man nicht mehr in seiner Nähe, eine regelmäßige, eins nach dem andern, eins neben dem andern entwickelnde Folge erlebt man nicht mehr in seiner Nähe; muß man nicht da überspannt werden, ärgerlich, unbillig, ja verdreht?! Müssen da nicht jeder Produktion gegenüber, auch wenn sie einen innerlich willkommenen Stoff behandelt, die Nergeleien in erster Linie zum Vorschein kommen! Wer mag sich einem einzelnen behaglich hingeben, wenn ihm in der ganzen Haut unbehaglich zumute ist! So hat's dahin kommen müssen, daß auch ein vom Publikum beifällig aufgenommenes nationales Schauspiel für die Kritik in Berlin nur ein Leichnam ist, der herkömmlich zu sezieren sei. Der hingebende Verkehr mit dem natürlichen Leben ist ihr längst abgewöhnt worden. Läge das bloß an der Landesart? O nein. Die freientwickelten Bäume unter den richtenden Schriftstellern sind allmählich abgestorben aus Mangel an nährender Luft; die neuen Pflanzen aber sind aus demselben Mangel nicht über das Strauchwerk hinaus gediehen. Was macht man aus Strauchwerk, aus bloßen Reisern? Besen und Ruten. Betrachten wir ohne Bildlichkeit die Schriftsteller von dorten. Wir sehen drei Gattungen. Die eine hat sich zeitig genug über die Grenze gerettet, um des wirklich treibenden Lebens im großen Vaterlande wirklich teilhaft zu werden. Die andre hat den guten Instinkt gehabt, sich in Haus und Garten zurückzuziehen, um ihre schöpferische Fähigkeit nicht in unfruchtbarer Krittelei abzunutzen; ja auch die dritte Gattung hat noch tüchtige[166] Leute, welche bitterlich leiden, weil sie die Schmerzen der Lähmung wohl erkennen, aber nicht mehr Kraft und Gelegenheit haben, sich ihr zu entreißen. Ihre schüchtern gewordene Stimme verhallt in dem wüsten Geschwätze eines gründlich verdorbenen Chors. So ist am Ende nichts hörbar geblieben, als die hoffnungslose Horde derjenigen, welche nichts zu vertreten haben, weil sie nichts zu verlieren haben in der Literatur. Die Besseren dieser Horde kennen nichts, und die Schlechteren wollen nichts. Sie wollen wenigstens nichts weiter als sprechen. Je abschmeckender sie sprechen, desto sichrer meinen sie Aufmerksamkeit zu erregen, und so hat denn der große Begriff von Kritik zusammenschrumpfen müssen zu eitel Tadelsucht, Klauberei, Nörgelei und zu unersprießlicher Hyperspekulation, welche alles in allem suchen und vermissen will, eine Katzenmusik ohne Prinzip und Bedeutung. Auch ohne Bedeutung für das Publikum, welches sich in unverwüstlicher Gesundheit abscheidet von dem verzwickten Urteile der Tageskritik.

Glaubt man, ich übertreibe? Nun hier folgt die Summe eines Urteils, welches eine große Berliner Zeitung über die Karlsschüler fällte. Sie lautet In diesem Stücke des Herrn Laube herrscht ein Hundejungenbewußtsein!

Bedarf es weiterer Anführungen?

Als ich bis daher geschrieben, unterbrach mich die Nachricht: Preußen hat eine Konstitution! Ist die Nachricht begründet, dann wird sich auch in Preußen eine Kritik bilden, welche organische Bestrebungen durch gesundes Urteil in Lob und Tadel zu fördern weiß, welche ein Nationalinteresse im Theater zu achten weiß, auch wenn sie den Verfasser des Theaterstücks strafen muß, eine Kritik, welche nicht bloß phrasenhafte Rezensionen sondern eine innere Teilnahme zeigt, eine Teilnahme an Herz und Nieren, nicht bloß an Haut und Knochen.

Über den andern großen Staat, über Österreich, habe ich keine Bemerkung mitzuteilen. Die Karlsschüler sind dort noch nicht erlaubt worden.

Was ich übrigens zu erzählen hätte über die Aufnahme der »Karlsschüler« würde sehr eintönig ausfallen, wenn ich streng bei allgemeinen Gesichtspunkten verweilen wollte. Denn die Aufnahme war sehr gleichmäßig, und es würde mir auch schwer werden, einzelne Theaterführer und Schauspieler anzuführen, welche sich des Stücks [167] vorzugsweise angenommen: ich müßte fast alle nennen. Die deutschen Schauspieler sind dem Stücke, welches ihren Schiller zum Helden hat, mit liebenswürdiger Hingebung entgegengekommen, und in den ersten Darstellungen herrschte überall eine Weihe, ja eine ängstliche Spannung und Aufregung, daß ja nichts verdorben werde, wie ich niemals erlebt habe. Ist diese tiefe Andacht für den großen dramatischen Dichter nicht ein schönes Zeichen von ernstem Sinne? Kann man da noch alten Stiles von Frivolität der Schauspieler reden, kann man da noch zweifeln, daß mit einem so gesinnungsvollen Bundesgeiste ein Nationaltheater geschaffen werden könne, wenn die politischen Hilfsmittel, politisch im weitesten Sinne des Worts, sich nicht so träg und widerstrebend erwiesen? Und noch eins muß ich hervorheben, einen Eindruck, welchen mir die hundert Briefe aus allen Winkeln Deutschlands, die nur ein Theater bergen, tief eingeprägt haben: welch eine bemerkenswerte Bildung ist jetzt unter diesem Stande verbreitet bis in die unscheinbarsten Lagen und Verhältnisse hinab! Entwickelungen der Charaktere und Szenen habe ich von den Sprechern kleiner Theater zu lesen und zu hören gekriegt, Entwickelungen, Ausführungen und Bemerkungen, welche mich in Erstaunen gesetzt. Wie sticht das ab von den Schauspielern in den französischen Provinzen! Was wäre aus solchen Truppen für ein Kontingent zu bilden, wenn die große Gelegenheit für ein großes deutsches Theater geboten und auf rastlose Ergänzung gestellt würde!

Ich habe also nur noch einige charakteristische Punkte zu erwähnen. Das Stück war bestimmt, an Schillers Geburtstage zuerst und gleichzeitig an allen Haupttheatern gegeben zu werden. In Leipzig feiern wir längst schon diesen Tag als einen regelmäßigen Festtag, und ich hoffte durch solche gleichzeitige Aufführung der Karlsschüler auch an vielen andern Orten willkommene Veranlassung dafür zu bieten, daß dieser Festtag eingeführt werde. Man kam mir bereitwillig entgegen an vielen Orten, sogar die beiden Hauptstädte Berlin und Wien, welche sonst so jüngferlich Festung spielen gegen die anstürmenden Theaterstücke, sogar diese machten verheißungsvolle Miene. In Wien ist aber die Intendanz noch nicht zu eigner Zensur ermächtigt und konnte den Termin nicht einhalten. Der Schillertag blieb der Zukunft vorbehalten. Herr von Küstner in Berlin wünschte lebhaft die Karlsschüler zu fördern und hat sie denn auch [168] später sorgsam gefördert, aber den Geburtstag Schillers konnte er ihnen ebenfalls nicht erobern. Die Anregung brachte indessen doch das richtigste zuwege in Berlin: Der Tag wurde zu dauernder Folge ins Repertoir mit roten Lettern eingeschrieben, und Wilhelm Tell wurde gegeben. So schmolz die Schar Freiwilliger; ich behielt aber immer noch die stattliche Aussicht für den geschichtlichen Feiertag. Zuerst dachte ich natürlich an Stuttgart. Dort stand ja die geistige Wiege Schillers, dort steht sein ehernes Monument neben dem Theater, dort hausen soviel gediegene Geistesgenossen des großen schwäbischen Poeten, dort war das Theater seit Jahren mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit bereit, den neuen dramatischen Dichtungsdrang zu verkörpern, dort ist endlich Oberregisseur Moritz, welchem die neue dramatische Bestrebung so ungemein viel zu danken hat, noch überboten worden durch Einsetzung eines halbliterarischen Intendanten, kurz, dort ist ja geschichtlich, praktisch und theoretisch alles vereinigt, was einer solchen Feier entgegenkommen mag. Es gab nur ein Bedenken, und dies war für mich keins, ob nämlich der König zugeben werde, daß sein Ahnherr Herzog Karl auf der Bühne erscheine. Das war für mich, der ich sechs Jahre lang die liberalsten Grundsätze am Stuttgarter Hoftheater herrschen gesehn, kein Bedenken. Erstens ist Herzog Karl als ein so gesunder und tüchtiger Vertreter des damals herrschenden absoluten Stiles hingestellt, und er hat als Vertreter des energischen Konservatismus so vielfach recht, daß jedermann ihn respektieren muß. Zweitens hat sich uns der König von Württemberg immerdar als ein wahrhaft freisinniger Regent bewiesen, bei welchem die Poeten stets eine königliche Antwort fanden, wenn von irgend einer ängstlichen Rücksicht oder von beschränkender Etikette die Frage ging. In diesem guten Glauben schrieb ich zu allererst im September schon den Inhalt des Stücks und die Anfrage nach Stuttgart an die Theaterbehörde, ehe noch das Stück zum Versenden fertig war. Die Antwort erhielt ich nach zwei Monaten am 12. November, also nach Schillers Geburtstage, den wir unter enthusiastischer Zustimmung des Publikums eben in Dresden gefeiert hatten mit Aufführung der Karlsschüler. Diese Antwort setzte des Königs Zustimmung auch nicht in Zweifel, aber sie verbreite sich darüber, daß die Intendanz selbst kein günstiges Vorurteil hege für die »Karlsschüler. Denn man finde es in Stuttgart noch nicht an der Zeit, Schiller auf die Bühne zu bringen.

[169] Das gab nun wohl zu lachen, je einstimmiger sich das Publikum für seinen Schiller auf der Bühne erklärte, das gab nun wohl Veranlassung zu Vivats für den Exregenten Moritz, dem so was nimmermehr passiert wäre, aber es hatte doch seine betrübend ernste Seite. Die Überhebung in Vorurteilen scheint doch bei den bloßen Verwaltungsbehörden unsers Theaters unerschöpflich zu sein in Nüancen. Wie unnatürlich ist die Stellung, welche die bloße Verwaltung ein nimmt gegen Poeten! Diese Verwaltung sagt in voller Naivität: Ich habe zu bestimmen, was gedichtet werden soll! Dies und der jähe Wechsel, welcher nicht bloß bei dieser Gelegenheit das uns so wertvolle Stuttgarter Theater aus der Reihe fördersamer Bühnen gerissen und es dem Übersetzungsplunder, wie dem willkürlichen Änderungsplunder an historischen Stücken in die Arme geworfen hat, dies alles verlangt eine genauere Betrachtung. An dieser Stelle fehlt mir der Raum dazu, hier soll nur erzählt werden, wie meine Schar der Geburtstagsbühnen zusammengeschmolzen sei. Die Todesarten sind von dem mannigfaltigsten Reize. Der einst so wichtigen Hamburger Bühne konnte gar kein Anspruch eingeräumt werden auf eine Feier des Schillertages. Dort ist durch die sogenannte Konkurrenz und durch fabrikmäßige Leitung das deutsche Schauspiel ganz verwüstet und von einem soliden Repertoir gar nicht mehr die Rede. Literarischen Anstands halber konnte ich nach Hamburg kein Exemplar verabfolgen lassen und mußte es später auch für Stuttgart verweigern, als dort das weise Vorurteil durch den Erfolg des Stücks erschüttert worden war. Mit Berlin ferner starben für die Geburtstagsfeier sämtliche preußische Bühnen. Es starb nicht viel mit ihnen, das ist wahr, denn sie haben außer Breslau nur dürftige Mittel, und nur in Königsberg macht sich ein höherer Theatersinn geltend, ja Breslau hat sich denn auch später durch die schlechteste und wirkungsloseste Darstellung des Stückes hervorgetan – aber es starb doch eine Anzahl Bühnen für einen Feiertag, welcher auch durch die Anzahl der Feiernden gehoben wird. Sie starben mit Berlin, weil die fürs Theater sonst wünschenswerte Zentralisation in dem entbehrlichsten Punkte nahezu durchgesetzt ist, im Punkte der Zensur. In den Provinzialhauptstädten wartet durchschnittlich die Zensur mit ihrer Zustimmung für ein einigermaßen bedenkliches Stück auf die Zustimmung in Berlin. Was also dort aus besondrer Residenzrücksicht aufgehalten oder beseitigt wird, [170] das erleidet der Uniform wegen auch in der Provinz Aufschub oder Beseitigung. Und ereignet es sich einmal anders, so wird es leicht noch nachteiliger für das Stück. Erscheint nämlich ein Stück früher in der Provinz als in der Hauptstadt, und machen die Berichte über Darstellung desselben auf irgend einen verfänglichen Punkt des Stücks aufmerksam, dann ist für die Hauptbühne selbst, für die Berliner der Aufruf zu strengerer Zensur entstanden. Dann verliert die Intendanz im wesentlichen die Selbständigkeit der Eigenzensur, indem ministerielle Nachfragen und Beschränkungen oder Verbote entstehn. Der Autor ist also in seinem eignen Interesse genötigt, die Aufführung seines Stücks in Preußen von der Aufführung in Berlin abhängig zu machen.

Es starben im Embryo ferner mehrere kleine Hoftheater, welche neuerer Zeit so in Apathie und Schlendrian versunken sind, daß man ihnen mit literarischem Gewissen nichts ganz Neues anvertrauen kann, und es blieben natürlich immer noch einige andere Hoftheater übrig, welche den ausgestorbenen Olymp mit unerschütterlicher Würde vertreten zu müssen gemeint sind durch örtliche Handhabung des tödlichen Blitzes. Man spräche nicht von ihnen, wenn sie nicht zuweilen olympisch donnerten und blitzten. Ich hielt es für meine Schuldigkeit, ihnen für den Schillertag die Gelegenheit nicht zu entziehen. Und sie haben meine Erwartung nicht getäuscht, ihre altgeschichtliche Konsequenz nicht verleugnet. In Karlsruhe habe ich mich freilich nicht unmittelbar gewagt, da liegen schon fünf Köpfe von mir, gerade soviel als ich bis jetzt aufs Theater zu strecken versucht, da ist die rote Draperie und der gemalte Donnerkeil permanent. Es stimmt gar nicht zu dem Baden, wo unsre Hauptstadt Mannheim unter Düringer immer vorangeht, aber es ist doch so, und ich habe bei aller Schüchternheit ohne Mühe zuwege gebracht, daß auch die Karlsschüler samt dem Räuberhauptmann Schiller in der Stille stranguliert worden sind. Leichtsinniger bin ich mit Hannover umgegangen, aber auch zum Ziele gekommen, das heißt zur Hinrichtung der Karlsschüler beim ersten Schritte über die Landesgrenze. Ich konnte hier schon mehr wagen; man vergibt mir's nicht, daß ich für die Aufführung des Monaldeschi vier ganze Louisdors ausgezahlt erhalten habe. Ich habe dies zum allgemeinen Besten nicht verschwiegen, und – Strafe muß sein! Es war mit einiger Sicherheit vorauszusehen, daß man mit diesem Schiller, der ohnedies [171] so verfängliche Reden führt, keine Umstände machen werde. Vor einem guten Gesetze gilt kein Ansehen der Person.

Verwickelter war das Verhältnis zu Kassel, welches sich bis zu Gottsched und Gellert meine Stücke hatte gefallen lassen. Gellert fiel mit dem vierten Akte in Ungnade, und die Karlsschüler hatten nun keine sanfte Begrüßung zu erwarten. Es schwebt jetzt noch ein dicker Nebel darüber, was aus den armen Jungen geworden sei am Fuße der Wilhelmshöhe. Soviel ist gewiß, zum Schillertage sind sie nicht mit klingendem Spiele aufgezogen.

Bleiben noch einige harmlose Hofbühnchen übrig, die bloß betroffen waren vom Ungetüm dieser kleinen Räuber und von dem festgesteckten Termine, dem 11. November. Sie wollten sich besinnen. Zum Teil besinnen sie sich noch.

Hiermit hat der Leser eine charakteristische Übersicht über die deutschen Theater von Anno 1846 und kann sie vergleichen mit Schillers Zorne Anno 1782.

Und bei alledem, obwohl Österreich, Preußen, Hannover, Württemberg, das Kurfürstentum, sämtliche Großherzogtümer, mehrere Herzogtümer und die größte freie Stadt abgingen, bei alledem blieben mir noch stattliche Theater, und blieb mir noch eine große Anzahl von Theatern übrig. So ausgedehnt ist unser Reichtum! Und bei alledem kann und muß ich mit lebhaftem Danke aussprechen, daß die Karlsschüler ein ungemein lebhaftes Entgegenkommen und bereits im ersten Vierteljahre ziemlich auf einem halben hundert Bühnen Aufführung gefunden haben. Begegnet nun also ein glückliches Stück bei seinem ersten Erscheinen so krausen Schwerfälligkeiten, daß selbst Schillers Geburtstag keinen besonders förderlichen Eindruck machen kann, was steht einem Stücke bevor, welches keine Empfehlung mit sich bringt und bei den ersten Schritten kein Glück findet!

Vier gute Theater bildeten am Ende doch die auserwählte Schillerschar, welche am Geburtstage mit den Karlsschülern hervortreten wollte und wirklich hervortrat. Dies war Dresden, München, Mannheim, Schwerin. Sie vertreten auch wirklich die verschiedensten Völkerschaften im Norden und Süden. Das Schweriner Hoftheater hatte gerade seine Saison in Wismar, so daß also an der See im Norden und angesichts der Alpen im Süden, am Rhein und an der Elbe die Gedächtnisfeier des deutschen [172] Dichters begangen werden konnte, und darunter au zwei Orten begangen werden konnte, welche seinem Jugendleben wichtig und ergiebig, ja seinem jungen Herzen erquickend geworden waren, in Mannheim und in Dresden. An diesen vier Orten waren die Theaterbehörden sogleich von liebenswürdigster Bereitwilligkeit für solchen Zweck einer Feier, und in München erledigte der König selbst eine Zensurfrage mit den Worten: Wo es sich um Schiller handle, sei es unschicklich zu zensieren oder nur ein Wort zu streichen!

Als fünfter Ort war Leipzig sofort bereit gewesen. Hier ist aber schon längst der Schillertag ein stehendes und in hohem Grade populäres Fest. Wesentlicher Bestandteil dieses Festes ist die Aufführung eines Schillerschen Stückes. Dies ist die natürlichste und schönste Feier; sie auf allen Theatern vorzubereiten für jeden wiederkehrenden Jahrestag war meine Idee, als ich die Karlsschüler am Schillertage anempfahl; wo also diese Feier schon bestand, da wäre es unpassend gewesen, mein Stück einzudrängen.

Möge wenigstens dieser Vorgang 1846 ein wirklicher Anfang geworden sein, die Feier des Schillertages überall einzuführen, und möge die öffentliche Stimme mit jedem Herbste die Theater mahnen an eine Schuldigkeit, welche gleichzeitig eine Gewissensfrage werden kann für jede Bühne, eine Gewissensfrage: ob im Angesichte Schillers Bestand und Geist der Bühne gebilligt werden könne.

Wunderlich genug entstand übrigens eine Unsicherheit über das Datum von Schillers Geburtstage, und ich mochte zu gleichmäßiger Übereinkunft schreiben soviel ich wollte, unser vaterländischer Drang nach eigentümlicher Absonderung wollte doch sein deutsches Recht behaupten. Der 10. November nämlich hat bis vor kurzem als Schillers Geburtstag gegolten und gilt jetzt noch in Schillers eigner Familie. Gustav Schwab hat aber die kirchlichen Urkunden aufgefunden und herausgegeben, welche Schillers Geburt und Taufe amtlich nachweisen, und nach diesen unabweislichen Quellen ist unser Dichter am 11. November geboren und an demselben Tage getauft worden Anno 1759 im schwäbischen Städtchen Marbach und zwar im Hause des ehemaligen Seklers Ulrich Schöllkopf. Also besagen »zwei gleichlautende Auszüge aus dem Marbacher Taufregister, wovon einer ein Taufschein für Friedrich Schiller ist, datiert vom 12. Juli 1769, als er Petens im Landexamen werden wollte,« und also besagt auch ein Auszug aus Schillers Taufschein vom Jahre 1773.

[173] Möge das hinreichen, uns ein für allemal über ein so wichtiges Datum zu vereinigen. Unserm Naturell gemäß ist eine sofortige Vereinigung allerdings nicht wahrscheinlich, und es wäre auffallend, wenn nicht der bisher gültige, in allen Biographien genannte 10. November an vielen Orten Festtag bleiben sollte. In Leipzig, wo der Schillertag gegründet worden ist, wird seit dem urkundlichen Nachweise der 11. November gefeiert. Die Presse sei gebeten, das Ihrige beizutragen für eine so wünschenswerte Einstimmigkeit.

Unter den Jugendgenossen Schillers hat dies Stück noch sehr viele am Leben gefunden: aus Mecklenburg, aus Bayern, aus Württemberg sind graue Karlsschüler jener Zeit hervorgetreten und haben ihren Anteil ausgedrückt; aus den verborgensten Winkeln Deutschlands sind Lebenszeichen und Zeugnisse an mich gelangt; so dankbar und interessant ist es, ein naheliegendes, der Nation wirklich angehöriges Thema auf die Bühne zu bringen. Was ist mir alles geschrieben, was erzählt worden von Anekdoten und Kuriositäten! Bald dieser, bald jener alte Theaterdiener hatte den »berühmten Herrn von Weimar« gesehen. Man möge sich erinnern, daß Schiller von Weimar aus auf der Höhe seines Ruhms 1804 gerade diese drei Orte Leipzig und Dresden wieder, und Berlin zum ersten Male besucht hat, und daß also leichtlich Augenzeugen an den Theatern noch vorhanden sein können. Es war dies damals der Triumphzug der Jungfrau von Orleans, und es gedenken noch Leipziger der Aufführung jenes romantischen, durch neue Pracht und Fülle aufregenden Stückes, welcher Schiller beiwohnte, und an deren Schlusse die Zuschauer ehrfurchtsvoll eine Gasse bildeten, die Treppen, den Flur entlang bis ans Ranstädter Tor hinüber. Der Landesgewohnheit gemäß blickte man schweigend und zeigte man schweigend auf den hindurchschreitenden Poeten der Johanna d'Arc. Besonders charakteristisch von all den kleinen Geschichtchen ist wohl folgende Notiz, welche Düringer nach der ersten Aufführung der Karlsschüler in Mannheim mitteilte: »Es lebt hier eine alte pensionierte Schauspielerin, die Witwe des kürzlich verstorbenen Kapellmeister Ritter. Sie hat die Luise in Kabale und Liebe zum ersten Male hier gespielt« – ist also, da dies Stück zuerst in Mannheim gegeben wurde, die erste Luise überhaupt gewesen – »und erinnert sich mit kindlicher Freude, wie Schiller ihr den Hof gemacht.« Die [174] schüchternen Biographen aus Schwaben mögen nicht erschrecken, wie sie gewiß bei dem Laurakapitel oben schon erschrocken sind, es ereignet sich hierbei nichts unmittelbar Gefährliches. Ganz ohne Herzenssprünge geht es nun einmal nicht ab; vierundzwanzig Jahre zu sein und leidenschaftliche neue Theaterstücke mit lebendigen Menschen aufführen zu lassen! Also, Schiller fühlte sich angezogen von seiner ersten Luise, die mit ihrem bürgerlichen Namen Katharina Baumann hieß, und als er sie abends nach der ersten Vorstellung nach Hause führte, da faßte er sich als blöder Schwabenjüngling ganz plötzlich ein Herz und drückte ihr etwas in die Hand. Was war es? Ein ganz kleines Porträt von Friedrich Schiller. »Die alte Dame bewahrt es jetzt noch wie ein Heiligtum. Damals hat sie es unschlüssig betrachtet und den kühnen Dichter etwas wunderlich gefragt: Was soll ich denn damit?« Der kühne Dichter aber, wie billig von so naiver Frage ein wenig außer Fassung gebracht, hat bald auf gut Schwäbisch erwidert: »Ja, sehet Sie, i bin a kurioser Kauz, das kann i Ihne nit sage.«

Am rührendsten ist es mir gewesen, zwei Matronen durch die Karlsschüler nahe zu kommen und eine herzliche zustimmende Billigung zu erhalten von diesen beiden Frauen, welche nächst der verstorbenen Gattin des Dichters unserm Schiller am nächsten gestanden. Es ist dies Frau Karoline von Wolzogen und Frau Reinwald, die älteste Schwester Schillers. Ich wußte weder von der einen, noch von der andern etwas Näheres, und wenn man mich über sie gefragt hätte nach Erscheinen des Stückes, so würde ich wohl geantwortet haben: Meines Wissens sind sie beide tot. So sandte ich denn ohne weitere Gedanken ein Exemplar nach Jena, wo ein geselliger Kreis in Ermangelung eines Theaters gern Vorlesungen veranstaltet von neuen Dramen, und war auf das Glücklichste überrascht, als mir nach einiger Zeit die Nachricht zuging: er sei der fast sterbenden Frau von Wolzogen, dieser Schwägerin und edelsten, innigsten Freundin des Dichters, der Verfasserin einer so schönen Lebensgeschichte Schillers, vorgelesen worden, sei ihr ein letzter Sonnenblick aus schöner Jugendzeit gewesen und habe mir Dank und Segen einer so verehrungswürdigen Frau erworben. Ihr Geist ist noch in voller Kraft und Klarheit gewesen, ihr Auge hat während des Zuhörens mit glücklicher Treue auf dem großen Bildnisse Schillers geruht, welches allein ihr Zimmer geschmückt und bald [175] darauf – ist sie gestorben. Die Karlsschüler sind ihre letzte Lektüre geworden; im Hinblicke auf ihres Dichters Jugend ist sie aus diesem Leben gegangen.

Einige Wochen später kam mir nicht minder überraschend und beglückend ein Schreiben vom Thüringer Walde, der für Schiller frühzeitig und lange Asyl und Heimat geworden ist, aus Meiningen, wohin er einst von Bauerbach so gern wanderte zum Freunde Reinwald, um über Don Karlos zu phantasieren. Dies Schreiben in festen Zügen mit kurzem, kräftigem Ausdrucke war von Schillers jüngster Tochter, die noch in der Wiege gelegen, als man den erst fünfundvierzigjährigen Vater schon ins Grab gelegt. Sie schrieb für des Vaters Schwester, für Tante Reinwald, welcher man von München aus die Karlsschüler gesendet, welche »im neunzigsten Lebensjahre steht bei voller Kraft des Geistes und Frische des Herzens, eine liebenswürdige Greisin. Wie mußten die Karlsschülersie erfreuen, welche die historischen Personen derselben alle persönlich gekannt hat« – – »sogar in den Redensarten ihres Bruders glaubt sie ihn wiederzuerkennen. Alle Scherze jener Zeit sind ihr wohlbekannt, und bei manchen Stellen jubelte sie von ganzem Herzen. Könnten Sie nur selbst einmal aus dem Munde der lieben Tante von jenen Zeiten erzählen hören, wie lebhaft und mit welchem Gedächtnis sie alles und jedes aus ihrer Jugendzeit bewahrt hat, einen wahren Schatz von Erinnerung!« – »Sie drückt Ihnen ganz besonders die Hände, weil Sie die Frauen so hoch gehalten, daß sie klüger als der Herzog gewesen. Dies sind die eignen Worte der lieben herrlichen alten Tante, welche jede Stunde heiter und lebensfroh zu finden ist. Heute mußte sie mir wieder von den Augenblicken vor der Flucht meines Vaters erzählen, wo alles so herrlich auf der Solitüde erleuchtet war, er Abschied von ihr genommen hatte, und ihr das Geheimnis anvertraut. Das Angesicht der lieben alten Frau wird ordentlich im Erzählen jünger, und man fühlt sich so lebhaft in jene Zeit versetzt, daß man wie aus einem Traum erwacht und sich wundert jetzt zu leben. Das ganze Wesen dieser alten Frau macht einen so gewaltigen, aber unbeschreiblich wohltuenden Eindruck auf das Gemüt; man fühlt, sie gehört einer andern Zeit an, und doch lebt sie so schön auch den Augenblick.«

Nicht nur an dieser Schwester, welche Schiller zärtlich liebte, auch an den meisten Mitgliedern des Schillerschen Geschlechtes zeigt [176] sich in den Urkunden eine volle Lebensdauer; wie schmerzlich, daß nur gerade der Wichtigste eine Ausnahme sein mußte! Es ist ein oft wiederkehrendes Geschwätz, Schiller habe seine Gesundheit durch unregelmäßige Lebensweise zerstört. An seiner Lebensweise war nur etwa unregelmäßig, daß er drängender Geistestätigkeit oft mehr Zeit und Kraft widmete, als das Gleichgewicht zwischen Seele und Leib vertrug. Im alltäglichen Sinne des Wortes hat er nie unregelmäßig gelebt, und die pikanten Schilderungen von Champagner- und Burgunderanregung sind grundlose Märchen, für welche sich in allen Zeugnissen derer, welche neben und mit ihm gelebt, nicht ein entfernter Anhalt findet. »Beim fröhlichen Mahle im Kreise vertrauter, ihn ansprechender Menschen überließ er sich gern einem heitern, aber mäßigen Genusse des Weins. Das Unmaß floh er immer da ihm, wie er sagte, ein Glas zuviel gleich den Kopf zerstöre. Beim Schreiben trank er nie Wein, oft Kaffee, der ermunternd auf ihn wirkte. Wenn er sich einem Genusse überließ, so lag eine so unschuldige Fröhlichkeit in seiner Art zu genießen, daß man sich derselben mit erfreuen mußte, wie man sich an dem Genusse eines glücklichen heitern Kindes ergötzt.« Diese Worte der Schilderung tragen doch wahrlich das Gepräge unbefangenster Wahrhaftigkeit, und es gibt wohl kaum etwas Widrigeres, als die Neigung unsers Publikums, große Menschen gern in den Qualm kläglicher Neigungen und Leidenschaften herabzuziehn. Wie selten hat eine Nation und eine Zeit solch ein edles Nebeneinanderleben größter Talente aufzuweisen, als die unsrige zu Anfang dieses Jahrhunderts in Weimar, wo Schiller und Goethe wahrhaft Hand in Hand und Herz in Herz gingen! Die letzte Stunde des achtzehnten Jahrhunderts feierten sie einsam miteinander in ernstem Gespräche auf Goethes Zimmer. Und angesichts dieser schönen Menschen will man von Alltagsneigungen sprechen! Schiller starb früh, damit er unter uns um so länger lebe: seine Hingebung an den Geist entzog seinem Körper die Stütze. Muß im Äußerlichen ein Todeskeim gesucht werden, dann wird er am ersten in der Karlsschule zu finden sein, im zu früh erregten und getriebenen Arbeiten des Hirns, welches heute noch auf unsern übermäßig geistigen Schulen die Menschenentwickelung tief beeinträchtigt.

Ich habe die Verbindung mit Schillers Angehörigen dazu benutzt, mir eine genauere Kunde zu verschaffen über Schillers [177] Nachkommen. Frau von Wolzogen hat schon einmal darüber Auskunft gegeben, aber seit dem Abdruck derselben find Veränderungen eingetreten. Schiller hinterließ eine Gattin und vier Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen. Die Gattin hat bis 1826 gelebt und liegt am Rheinstrome bei Bonn begraben. Der älteste Sohn Schillers lebt noch und zwar wie der Vater in der schwäbischen Heimat. Er zog als echter Schiller 1813 mit in den Befreiungskrieg, und zwar focht er als Reiter, welche der Vater in den Wallensteinern so lockend verherrlicht hat. Nach dem Frieden nahm er sein Forststudium wieder auf, und suchte dafür die schwäbischen Berge, in welchen ihm der König von Württemberg bereitwillig eine Oberförsterstelle übergab. Dort lebt er in demselben Lorch, wo der Vater einen Teil seiner Jugend verlebte, wo er den Pfarrer Moser fand, wo er sich die schwarze Schürze umlegte und auf den Stuhl stieg und predigte. Dieser Karl von Schiller hat einen einzigen Sohn, welcher des Großvaters Namen Friedrich trägt, und welcher der einzige Enkel ist mit Schillers Namen. Er zählt jetzt zwanzig Jahre und ist ebenfalls den Trompeten aus des Vaters Wallenstein gefolgt: er ist fröhlicher Leutnant in einem der schönsten österreichischen Kürassierregimenter, genannt Graf Auersperg, welches jeden Augenblick bereit ist, die Pappenheimer wieder lebendig zu machen. Liegt in Garnison zwischen Olmütz und Wien und kümmert sich wenig um Gevatter Schneider und Handschuhmacher.

Der zweite Sohn Schillers hieß Ernst und war Jurist in preußischem Dienste. Er ist 1841 als Apellationsgerichtsrat zu Köln am Rheine gestorben und hat keine Kinder hinterlassen. Die Witwe lebt noch in Köln.

Schillers älteste Tochter Karoline war in Rudolstadt verheiratet und hatte einen Sohn, welcher in allen Zügen das Ebenbild des Großvaters gewesen ist. Er ist gestorben, und die Mutter ist ihm voriges Jahr in den Tod gefolgt.

Schillers jüngste Tochter Emilie ist mit dem ältesten Sohne seines Jugendfreundes von Gleichen, den er in seiner Freierzeit zu Rudolstadt gefunden, mit einem Gleichen-Rußwurm vermählt. Sie lebt in glücklicher Ehe auf dem Gute Greifenstein ob Bonnland in Franken unweit Hammelburg und hat einen einzigen Sohn namens Ludwig, den zweiten Enkel Schillers.

Von der älteren Familie Schillers lebt nur noch Tante Reinwald [178] So sind uns denn von dem gesegneten Stamme Schillers nur zwei männliche Sprossen übrig für die Zukunft, ein Friedrich von Schiller und ein Ludwig von Gleichen, und nur einer also führt den geliebten Namen weiter. Mögen sie glücklich sein als einzige Blutserben des unvergänglichen Ahnherrn, ihres Großvaters!

Es bliebe nun noch übrig, des Besondern und Hervorragenden zu gedenken, welches die Aufführung des Stückes an einzelnen Orten, welches ausgezeichnete Talente unter den Darstellern zur Geltung oder zur Streitfrage gebracht. Wie weit würde mich dies aber führen bei diesem Stücke! Es ist an unscheinbaren Orten mit unscheinbaren Mitteln wirksam geworden, weil der Stoff schon große Wirksamkeit mit sich bringt, wenn er nicht durch geradezu ungeschickte Behandlung verdorben und dann allerdings in die gegenteilige Wirkung, in die der Entrüstung hinuntergezogen wird, der Entrüstung darüber, daß der teuerste Mann der Nation gemißbraucht worden sei. Das Augenmerk eines Theaterdichters muß es freilich sein, populär zu wirken, soweit es die höhere literarische Absicht und die Eigenschaft des Stoffes zuläßt. Wieviel aber bei den Karlsschülern der Form, wieviel dem Thema selbst zuzuschreiben sei, daß auch die kleineren Bühnen ihr Publikum ungewöhnlich erwärmen und fortreißen konnten, das weiß ich nicht zu entscheiden. Deshalb ist mir diesmal das Urteil über den Wert der einzelnen Darstellungen ungemein erschwert. An Dresden denkend, sehe ich ein prächtiges Kleeblatt von Frauen vor den Augen meiner Erinnerung: Fräulein Bayer mit dem liebsten und wahrhaftigsten Frauentone als Gräfin Franziska, Fräulein Berg als Generalin Rieger, Fräulein Lebrun als Laura; an Berlin denkend, belebt mich die frische Energie Dörings als Herzog Karl, das gesunde süddeutsche Feuer Hendrichs' als Schiller, der vollendete Schwung, die hinreißende Macht der Frau Crelinger als Gräfin, und in Leipzig seh' ich vor mir das so herzenswahre, elegische Talent Wagners, dessen Schiller wahrscheinlich zu den besten gehört und in der Schilderung, wie die Räuber entstehen mußten, mit Hendrichs um die Übermacht ringt, ich sehe ferner in Fräulein Unzelmann als Gräfin jene, ach so selten gewordenen feinen Reize einer Künstlerin, welche die leisen Übergänge des Gedankens und der Empfindung meisterhaft andeutet – wie kann ich da wählen und entscheiden! Von den Darstellungen, welche ich nicht gesehn, preist man besonders die in München, an der Spitze das Dahnsche [179] Ehepaar, Fräulein Denker, Herrn Jost, und aus Braunschweig verlangt man für Herrn Schütz als Herzog den ersten Preis, aus Frankfurt werden die Damen Hausmann, Lindner, Meck, die Herren Breuer, Reger, Meck (Sergeant) als geschlossener Kreis gepriesen. Ich bin diesmal befangen, als ob ich selbst mitspielte, und ich beeile mich nur, einen Fehler einzugestehen, welchen ich selbst und gröblich begangen und recht wie ein Schauspieler begangen habe. Die Schlußworte des Herzogs erschienen mir in Dresden, wo ich das Stück zum ersten Male sah, zu lang, und statt sie ein wenig zu kürzen, strich ich sie ganz bis auf die Viertelzeile: »Der Erfolg ist Gottesgericht!« In dieser Form sah ich dort die Wiederholung und empfand den Übelstand nicht, weil in mir die Wendung des Herzogs hinreichend motiviert und lebendig war. Es warnte mich aber auch niemand; denn über eine zweite Vorstellung spricht man weniger und schreibt man gar nicht. Mit dieser radikalen Kürzung brachte ich nun den Schluß vor ein neues Publikum, vor das Berliner, und sah gleichgültig drein, daß auch die bessere Kritik daran Anstoß nahm. Man wird dort unter eitlem Tadel offenbaren Mißwollens viel gleichgültiger gegen Tadel als anderswo. Es befremdete mich aber doch, daß auch wohlwollende Kritiker mündlich darauf hindeuteten, und als auch Zuschauer, welche spätere Vorstellungen in Dresden gesehn, dieselbe Ausstellung machten, wurde ich inne, daß ich gründlich gefehlt hatte mit jenem radikalen Striche. Ich stellte also einige Zeilen wieder her für ein neues Publikum, für das Leipziger, und – vermied jeglichen Zweifel über den Schluß. So zart ist die Ökonomie der Form.

Zum Schlusse eilend, muß ich das traurigste Geständnis machen: ich erscheine mir wie ein Todeskandidat, welchem man in Gestalt glänzender Theatererfolge eine prächtige Henkersmahlzeit auftischt. Ich genieße diese Mahlzeit kläglich menschlich mit dem Bewußtsein, daß sie nicht wiederkehren kann. Es gibt nur eine Figur in Deutschland, welche dem Dramatiker eine so gründliche populäre Hilfe verleihen kann, es gibt nur einen Schiller. Jeder andere Stoff, welchen ich in Zukunft erwählen mag, wird traurig blaß erscheinen hinter diesem, und mit gutem Fuge werden die absoluten Kritiker höhnen: Da seht ihr's, der Stoff war alles, und der Verfasser nichts!

Ja wohl. Und jetzt meine ich selber, daß die Ausführung doch [180] viel stattlicher hätte geschehen können, nachdem ich mir einmal mit glücklicher Hand den Stoff zurechtgehämmert. Das ist eben die alte Geschichte von den Ratsherrn, welche so viel weiser vom Rathause herunterkommen.

In dieser Niedergeschlagenheit eines Todeskandidaten klammre ich mich an jeden Hoffnungsschimmer, der über den morgenden Tag in weitere Zukunft hinausreicht, und so denke ich bei der Widmung ans Land Österreich, wo das Stück noch unbekannt ist, und wo Schiller aus doppelten Gründen in aller Herzen und Munde lebt. Dort kann den Karlsschülern an der Burg ein charaktervolles Zusammenspiel werden, welches eine wahrhaft erquickende Wirkung verspricht, dort kann diejenige junge Dame Schillers Laura spielen, welche mir beim Entstehen der Rolle vorgeschwebt hat. Es ist nicht Schuld des Vorbildes, wenn diese Rolle in den Übergängen nicht breit genug ausgeführt, wenn sie nach dem Siege der Liebe nicht mächtig genug geltend gemacht worden ist, es ist meine Schuld, die Schuld des ungeschickten Komponisten, der nicht Raum genug ausfinden konnte für diese Figur. Fräulein Luise Neumann wird diese Lücken verdecken durch ihre reizende Darstellungskunst, welche ihresgleichen sucht in Deutschland. Schalkhafte Grazie und innerliche Wahrheit, bestechendes Lächeln und rührende Tränen sind ihr eigen vor allen andern Vorzügen, und sie wird diese Vorzüge ihrer Landsmännin Laura nicht versagen, wie sie ja diesem schwäbischen Schauspiele ihre wohlwollendsten Wünsche und Empfehlungen bisher nicht versagt hat. Möge sie auch vor einer Widmung nicht erschrecken, welcher keine Vorstellung zum Hintergrunde dient. In der Nähe Schillers sind wir ja Idealisten genug, die mangelnde Wirklichkeit zu übersehn und eine Vorstellung zu haben von der Wahrheit, die kein Verstand der Verständigen sieht.

[181]

Personen

Personen.

    • Herzog Karl von Württemberg.

    • Gräfin Franziska von Hohenheim.

    • Generalin Rieger.

    • Laura, deren Pflegetochter.

    • General Rieger, Kommandant des Hohen-Aspergs.

    • Hauptmann von Silberkalb, Kammerherr.

    • Sergeant Bleistift.

    • Friedrich Schiller, Regimentsfeldscher.

    • Anton Koch, genannt Spiegelberg,
    • von Scharpstein, genannt Schweitzer,
    • von Hover, genannt Ratzmann,
    • Pfeiffer, genannt Roller,
    • Peters, genannt Schufterle, , Karlsschüler.

    • Christoph Bleistift, genannt Nette, Hundejunge.

1. Akt

1. Szene
[182] Erste Szene.
Gräfin Franziska von Hohenheim, bald darauf Generalin Rieger.

GRÄFIN FRANZISKA VON HOHENHEIM
kommt links aus der offenen Ecktür und sieht einen Augenblick nach rückwärts, ob niemand komme.

Dann tritt sie rasch an die Mitteltür. sieht in gleicher Absicht nach der Glastür hinaus und läßt dann die Portiere vorfallen. Alsdann geht sie einige Schritte gegen die Ecktür rechts und horcht eine kurze Weile. Ich höre noch nichts! – Geschwätzige Bäbele, laß mir eine Viertelstunde Einsamkeit für meinen Dichter! Nach dem Vordergrunde kommend und ein gedrucktes Blatt – Oktavform, ein halber Bogen – hervorziehend. Für meinen Dichter, der eben wieder Das Blatt entfaltend. frisch angekommen ist. Gott und der Herzog mögen mir's verzeihen, aber ich denke, 's ist ja nichts Böses, die lieblich schwellenden Worte eines Sängers zu lesen, der doch ebenfalls gewiß nichts Böses denkt, wenn er sie an mich richtet und sendet mit schwungvoller Seele! Sie setzt sich behaglich in die Sofaecke und liest.

Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich!

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich –

Weisheit mit dem Sonnenblick

Große Göttin, tritt zurück,

Weiche vor der Liebe.

Nie Erobrern, Fürsten nie

Beugtest du ein Sklavenknie,

Beug es jetzt der Liebe.

Ich will nicht hoffen, daß er – »nie Erobrern, Fürsten nie beugtest du ein Sklavenknie, beug es jetzt der Liebe« – ich will nicht hoffen, daß er damit eine Anspielung wagt auf – den Herzog!

GENERALIN
rechts aus der Seitentür den Kopf steckend.
Darf man eintreten?
GRÄFIN.
Ach mein Gott! Fährt mit dem Blatt zur Seite, faltet es zusammen und steckt es ein.
GENERALIN.
Durchlaucht noch nicht zurück?
GRÄFIN.
Nein.
GENERALIN.
Darf man?
[183]
GRÄFIN.
Ja doch!
GENERALIN.
Ich hab' was Neues!
GRÄFIN.
Aus dem Institut?
GENERALIN.
Ach nein, unsere Mädchen sind stille Dinger, die richten nichts Neues an, aber unser Kind –
GRÄFIN.
Laura?
GENERALIN.
Die richtet an – der Störenfried!
GRÄFIN.
Doch nichts Übles?
GENERALIN.
Wenn's ein Übles ist, daß sie hübsch und liebenswürdig und dem jungen Mannsvolke den Kopf verrückt –
GRÄFIN.
Bäbele!
GENERALIN.
Wo ist sie denn?
GRÄFIN.
Da oben Nach links hinten deutend. auf dem Theater, sie probieren den Clavigo.
GENERALIN.
Die Karlsschüler? Und da laßt Ihr sie allein mit dem jungen Mannsvolk?!
GRÄFIN.

Ich komme eben erst herunter, und die Probe wird nicht lange mehr dauern – seit wann bist du denn so ängstlich? –

GENERALIN.

Ich nicht, Ihr wart ja aber so erschrocken, daß Laura in den Köpfen der Mannsbilder spuke. Mich ängstigt das nicht, mich freut's! Die Mädchen wachsen dazu auf, daß die Männer ein bißchen verrückt werden.

GRÄFIN.
Bäbele!
GENERALIN.

Franzel, wir sind ja allein, und dein Mädcheninstitut und die Stuttgarter Bürgerfrauen hören dich ja nicht!

GRÄFIN
lachend.
Aber Bäbele!
GENERALIN.

Du bist eine leidlich tugendhafte Frau, aber du willst doch nicht eine Heilige werden, Gott verhüt's, nicht wahr, Franzel, du willst keine Heilige werden –?

GRÄFIN.
Strenge Grundsätze sind in allen Dingen gut, besonders in meiner Stellung.
GENERALIN.
Ja, aber nichts Unnatürliches, nicht wahr, Franzel, 's wär gar zu schad' um dein gutes Herze!
GRÄFIN.
Topp, leichtsinnige Weinsberger Tante! Und was gibt's Neues mit der Laura?
GENERALIN.
Die neuesten Blätter vom »Schwäbischen Magazin« sind heraus, hast sie schon gelesen?
[184]
GRÄFIN
erschreckend.
Nein – Warum? An die Tasche fühlend, für sich. Die hat's gemerkt!
GENERALIN.
Da steht's drin!
GRÄFIN.
Was denn?
GENERALIN.
Nu, die Liebeserklärung!
GRÄFIN.
Ach mein Gott Für sich. – so arg nennen's die Leute?
GENERALIN.
Was sagst du?
GRÄFIN.
So arg nennen's die Leute?
GENERALIN.

Was arg! Was ist's denn weiter, und 's ist doch so! 's ist nur unvorsichtig, und ich hätt' 's dem schüchternen Sünder gar nicht zugetraut, daß er den Namen seiner Herzallerliebsten mit abdrucken läßt vor aller Welt.

GRÄFIN
sehr erschrocken.
Warum nicht gar!
GENERALIN.
Freilich!
GRÄFIN
das Blatt hastig herausziehend und seitwärts ängstlich überfliegend.
Das ist ja nicht möglich – das ist ja nicht wahr!
GENERALIN.

Nicht wahr? Ich hab' doch lesen gelernt Das ihrige herausziehend. sieh sieh, da hast du's ja selber, schau, schau – du sagtest ja vorhin –?

GRÄFIN.

Nun ja, ich hatte es nur flüchtig angesehn, aber auch jetzt find' ich keinen Namen. Sie halten beide ihr Blatt vor sich.

GENERALIN.
Nun, du meine Güte, wie heißt denn die Überschrift?
GRÄFIN.
»Der Triumph der Liebe« heißt sie.
GENERALIN.
Ach was. »Die Entzückung an Laura« heißt sie.
GRÄFIN.
An Laura! Steht auf und nimmt hastig das Blatt aus der Hand der Generalin.
GENERALIN
hat gleichzeitig das der Gräfin genommen.

Ach, du hast nur die erste Hälfte des Blatts, das ist nur so eine allgemeine Einleitung – in der zweiten Hälfte kommt die Hauptsache, an Laura geradezu! – Ich bin auch ordentlich erschrocken über dies geradezu und über die »Entzückung«. Da lies nur, wie's gleich anfängt: »Laura über diese Welt zu flüchten wähn' ich« – 's ist ein Phantast! Aber ich hab's gar zu gern, wenn einer so mir nichts dir nichts über alle Dächer fliegen, in alle Fenster hineinplatzen kann, nicht wahr? 's wird einem dabei so frei ums Herze!

[185]
GRÄFIN
ist an das Sofa getreten, wie mit sich kämpfend, und hat das Blatt aufs Sofa geworfen.

Die ganze Geschichte macht mir einen sehr unangenehmen Eindruck, und ich finde, daß du die Sache allzu leichtsinnig behandelst.

GENERALIN.

Mag wohl sein. Sie geht links an die Ecktür, den Vorhang hebend und sich umsehend, die Tür öffnend und offen lassend. Dann geht sie an die Mitteltür und macht die Vorhänge eben falls auf.

GRÄFIN.

Der junge Schiller ist Regimentsfeldscher mit 18 Gulden Monatsgage, und ans Heiraten kann er nicht denken. Das Mädchen aber ist in großen Verhältnissen auferzogen, ist des Herzogs Liebling und kann der glänzendsten Heiratsanträge sicher sein. Was soll also dieser Verkehr, dem gar keine Aussicht offen steht!? Wenn obenein der Herzog davon erfährt, und gar solch eine Liebeserklärung vor aller Welt an seine Laura zu lesen kriegt, dann kann ein Unglück geschehn. Du kennst seine Heftigkeit, und dem Schiller hat er schon zu wiederholten Malen die unpassende Schriftstellerei untersagt!

GENERALIN.
Na, was verbietet der nicht alles!
GRÄFIN.
Bäbele!
GENERALIN.
's ist wahr! Und das »Magazin« liest er nicht, das nennt er deutsche Suppe.
GRÄFIN.

Aber der Hauptmann liest alles und trägt ihm alles zu, und, wie gesagt, was soll denn daraus werden, wozu denn das alles –?

GENERALIN.

Wozu? Wozu blühn denn die Blumen? Und was draus werden soll? Das überlaßt doch dem lieben Gott, den ihr ja sonst mit allem möglichen Plunder belästigt. Wie ich dich damals in die Kirche begleitete, da du mit deinem ersten Manne, dem Leutrum, getraut wurdest, und der Herzog in seiner männlichen Herrlichkeit vorüber ritt und still hielt und dich anschaute, weißt du noch –?

GRÄFIN.
Ach ja!
GENERALIN.

Da sagt' ich leise. Das wär' ein Mann für dich, Franzel! Na, das war noch eine größere Dummheit als jetzt mit dem Schiller und der Laura! Du wurdest eben verheiratet, und der Herzog war verheiratet, und du warst doch eben keine Prinzessin, was stand denn da für Aussicht offen? Nicht die allergeringste. Eine Scheidung, zwei Scheidungen waren nötig, und ein Mittel [186] mußte gefunden werden, wie ein armes Fräulein einem regierenden Herrn angetraut werden könnte, waren das etwa nicht die ärgsten Phantastereien, nicht? Und 's ist doch alles wahr geworden, und du regierst doch jetzt Württemberg so gut wie er, nicht?

GRÄFIN.
Ja, aber –
GENERALIN.

Und, mit Respekt zu sagen, Seiner Durchlaucht weltliche Herrlichkeit und dein bißchen Schönheit, die sind mir zusammengenommen doch nicht soviel wert, das heißt so recht innerlich im Herzen nicht soviel wert, wie des jungen Schillers Schwung und Herrlichkeit, wenn er so in Zug kommt mit Predigen und Dichten. Denn das gibt mir eine Andacht und ein Herzklopfen, als wenn ich in der Kirche vor Gottes Thron stünde –

GRÄFIN.
Mir auch!
GENERALIN.

Und wenn einer noch einmal Wunderdinge zustande bringt, dann ist's der Schiller, das sollt ihr noch einmal sehen und an mich denken, und wenn für irgend einen unser Pflegkind nicht zu gut ist, dann ist's für den Schiller, das sag' ich, und dabei bleib' ich!


Geht nach rechts – Pause.
GRÄFIN.
Ist denn die Laura im Einverständnisse.
GENERALIN.

I Gott bewahre! Das dumme Ding weiß ihn ja gar nicht zu schätzen! Der ist er nicht hübsch genug, und ungeschickt und ungalant und wunderlich ist er auch, das ist freilich wahr.

GRÄFIN.
Aber sie wird die Liebeserklärung im Magazin lesen!
GENERALIN.

Wenn auch! Ich radiere den Namen Laura heraus oder klebe Englischpflaster drauf, da weiß sie den Kuckuck, auf wen die »Entzückung« geht, 's ist ja noch ein unerfahren Kind.

2. Szene
Zweite Szene.
Laura. Die Vorigen.

LAURA
kommt aus der Ecktür links, das »Magazin« lesend.
Träume werden um mich her zu Wesen,
Kann ich nur in deinen Augen lesen:
Laura, Laura mein!

Dabei ist sie bis in die Mitte zwischen beide gekommen.
[187]
GRÄFIN.
Das englische Pflaster ist nicht mehr nötig.
GENERALIN.
So scheint's.
LAURA
stehenbleibend.
Ah, bonjour!
GENERALIN.
Was liesest du denn da so andächtig?
LAURA
stehenbleibend.
Schnurriges Zeug, Mama, »Die Entzückung an Laura« heißt es.
GRÄFIN.
Und das interessiert dich, weil die angedichtete Person ebenfalls Laura heißt.
LAURA.

Nein, liebe Tante, ich versteh' nicht viel davon, und es würde mich vielleicht gar nicht interessieren, wenn ich nicht selbst die Laura sein sollte, über welche man in Entzückung geraten ist.

GENERALIN.
Da ist nichts mehr zu radieren!
GRÄFIN.
Wer hat dir denn das gesagt?
LAURA.
Ei, der Verfasser selbst, der mir das Blatt gegeben!
GRÄFIN.
Was, der Schiller erlaubt sich solche Vertraulichkeiten mit dir?
LAURA.

Der Schiller! I Gott bewahre! Das ist ja der ernsthafteste Peter von der Welt, der mir nimmermehr ein Blatt Papier in die Hand drücken würde. Hast du acht gegeben, Tante, wie der den Clavigo spielt?

GRÄFIN.
Nein.
LAURA.

Ach, das ist kurios. Onkel Durchlaucht wird entweder sehr darüber lachen oder sehr böse werden. Ich sage dir, Tante, dieser Clavigo läuft herum und macht einen Spektakel, als ob er sich immerfort den Hals abschneiden wollte.

GRÄFIN.
Laß das jetzt. Wer hat dir also das Blatt gegeben, wenn nicht der Verfasser selbst!
LAURA.
Ei, allerdings der Verfasser selbst!
GENERALIN.
Also Schiller?
GRÄFIN.
Also doch Schiller?
LAURA.

Herr Gott nein, warum soll denn gerade Schiller der Verfasser sein?! Der hat ja immer nur turmhohe und erschreckliche Dinge im Kopfe und ist ganz und gar nicht galant, dem bin ich zu unbedeutend, wie soll denn der auf ein kleines Mädchen Gedichte machen.

GRÄFIN.
Du bist kein kleines Mädchen mehr.
LAURA.

Nicht? Ihr die Hand küssend. Ich danke Ihnen, liebe Tante, für das Avancement, setzen Sie's nur auch bei Onkel Durchlaucht durch!

[188] GRÄFIN.
Der Verfasser! Der Verfasser!
GENERALIN.
Wer ist denn also der Verfasser?
LAURA
gravitätisch zurücktretend.

Ja, meine verehrten Herrschaften, nachdem ich avanciert worden bin, darf ich doch nicht mehr so indiskret sein wie ein kleines Mädchen und meinen Sänger verraten. Sonst singt er am Ende nicht mehr, und es ist ein ganz eignes angenehmes Gefühl, so angesungen zu werden mit großen unverständlichen Worten.

GENERALIN.

Larifari! Das Mädchen hat uns zum Besten! 's kann kein Mensch in ganz Schwaben so schöne Verse machen als der Schiller, und 's steht ja auch wohl sein Name darunter.

LAURA
ihr das Blatt hinhaltend.
Gott bewahre!
GRÄFIN
welche das Blatt vom Sofa genommen und angesehen.
S steht darunter, das ist Schiller!
LAURA.
Fehlgeschossen!

Man sieht, das hinten durch Diener erleuchtet die Glastür geöffnet wird und daß der Hauptmann Silberkalb erschienen ist; ein Diener bringt zwei brennende Armleuchter, setzt sie auf den Tisch und geht schweigend wieder ab.
GRÄFIN.

Ich befehle dir, Laura die Sache ernsthaft zu behandeln. Wenn der Herzog von diesem öffentlichen Spektakel mit deinem Namen erfährt, dann kann es die übelsten Folgen haben für den zudringlichen Poeten – wer ist's?

LAURA.

Pst! Die Generalin herzuwinkend. Verratet nur nichts an den Silberkalb da draußen, den die Karlsschüler für ihren Spion halten – das S heißt –Sich nach Silberkalb umsehend.

GENERALIN.
Nun?
GRÄFIN.
Rasch! Wie heißt der Poet?
LAURA.
Spiegelberg!
GRÄFIN.
Was?
GENERALIN.
Wer ist Spiegelberg?
LAURA.
Den kennt ihr nicht?
GRÄFIN.
Nein.
GENERALIN.
Ich hab' den Namen in meinem Leben nicht gehört.
LAURA.

Da kennt ihr wohl auch den Schweizer nicht und den Roller, den Ratzmann nicht, den Schufterle nicht und die ganze Bande?

GENERALIN.
Es hat wohl übergeschnappt mit dem Mädchen! Schufterle!
[189]
GRÄFIN.
Laura! »Die Bande!« Was für Ausdrücke!
LAURA.
Nein wahrhaftig, Tante! Die Leute nennen einander so, ich weiß nicht, warum.
GRÄFIN.
Und der Schiller heißt Spiegelberg!
LAURA.

Gott bewahre, der Schiller ist der Hauptmann und heißt Moor, Karl Moor, der Koch heißt Spiegelberg. Gräfin wirft das Blatt wieder aufs Sofa.

GENERALIN.
Der Sausewind ist also dein Poet? Nun das lohnt der Mühe!
LAURA.
Da hab' ich mich doch verschwätzt?
GRÄFIN.
Herr Hauptmann Kammerherr von Silberkalb! Hauptmann verbeugt sich und kommt.
LAURA.
Bitte, bitte, liebe Tante, nichts sagen!
3. Szene
Dritte Szene.
Hauptmann. Die Vorigen.

GRÄFIN.
Ist noch kein Pikör da, der die Ankunft des Herzogs meldete?
HAUPTMANN.

Nein, erlauchte Frau Gräfin, aber man sieht Fackelträger postiert nach der Solitude hinauf. Se. Durchlaucht der Herr Herzog haben also darauf gerechnet, erst mit einbrechender Nacht heimzukehren. Soweit mir bekannt, revidiert Durchlaucht die ganze Treiberlinie zu der großen Jagd, welche für den hohen Besuch vorbereitet wird. Diese Linie umfaßt mehrere Meilen und kann des mannigfaltigen Terrains wegen nicht schnell beritten werden. Daraus erklärt sich wohl auf ganz natürliche Weise die Verspätung Sr. Durchlaucht. Ich erlaube mir auch die Vermutung auszusprechen, daß Serenissimus noch nicht so bald zu erwarten sein dürfte. Soviel verlautete, sind Hochdieselben jede Stunde gewärtig, den hohen Besuch von Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Herrn Großfürsten von Rußland ankommen zu sehen, und haben vielerlei Arrangements von Empfangsfeierlichkeiten auf der Landstraße im Werke.

GRÄFIN.

Ich danke Ihnen. Sie erstatten Sr. Durchlaucht noch zuweilen Rapport über Zeitungsnachrichten, und was in der Stadt vorgeht, und was in seiner Karlsakademie etwa seinen aufmerksamen Blicken entgehen könnte?

[190]
HAUPTMANN.

Durchlaucht haben noch zuweilen die Gnade, nach meinen Bemerkungen zu fragen, besonders in Sachen der öffentlichen Moral und des Rufes, welchen die hohe Karlsakademie im Auslande genießt, da diese preiswürdige Anstalt quasi Dero Steckenpferd ist.

GRÄFIN.
Haben Sie neuester Zeit Günstiges oder Ungünstiges darüber zu berichten?
HAUPTMANN.

C'est selon. Jugend hat nicht Tugend; aber im ganzen ist die Konduite der jungen Leute respektabel. Es ist nur ein kleines Häuflein, welches seit einiger Zeit eine verdächtige Kommunikation mit Leuten aus der Stadt und namentlich mit einem früheren Eleven unterhält –

GRÄFIN.
Wer ist der frühere Eleve?
HAUPTMANN.

Er ist aus dem medizinischen Fache und jetzt beim Grenadierregimente des General Augé angestellt als Regimentsfeldscher –

GRÄFIN.
Schiller?!
GENERALIN.
Schiller?!
LAURA.
Schiller?!
HAUPTMANN.
Friedrich Schiller – Gräfliche Gnaden sehen mich betroffen –
GRÄFIN.

Wir sprachen eben von ihm! – Tun Sie mir doch den Gefallen, nach dem Theatersaale hinaufzugehn – wie weit ist die Probe, Laura?

LAURA.

Ich war eben gestorben, als ich ankam, sie sind also jetzt schon mitten im letzten Akt, und der ist sehr kurz, sie müssen sogleich zu Ende sein.

GRÄFIN.
Sie finden da unter den probierenden Karlsschülern den Anton Koch –
HAUPTMANN.
Mir sehr wohl bekannt.
LAURA.
Ein liebenswürdiger junger Beaumarchais!
GENERALIN.
Ein leichtsinniger Patron!
HAUPTMAUN.
Jawohl.
GRÄFIN.

Und finden auch den Friedrich Schiller, welcher zur Probe kommandiert ist, weil er die Rolle des Clavigo schon früher gespielt, also inne hat, und weil der Herzog die Vorstellung rasch ermöglicht sehen will – diese beiden jungen Leute möchten sich [191] unmittelbar nach Schluß der Probe hierher zu mir verfügen. Rieger erscheint im Vorzimmer.

HAUPTMANN
verbeugt sich; ab, links durch die Ecktür.
4. Szene
Vierte Szene.
Die Vorigen ohne den Hauptmann, bald darauf General Rieger.

GENERALIN.

Herr Gott, da ist ja mein Alter – ich erschrecke immer, wenn ich ihn hier im Schlosse sehe; es ist gewöhnlich ein Unglück im Anzuge, wenn er vom Asperge heruntersteigt.

GRÄFIN
winkt.
General Rieger! Was führt Euch zum späten Abende vom Asperge herab nach Stuttgart?
RIEGER.

Meines Durchlauchtigsten Herrn Befehl, Hochgräfliche Gnaden. Hochderselben erwartet fürnehmen Besuch aus fernen Landen, und bei solcher Gelegenheit verlangt sein Herz, daß das Haus frisch gesäubert werde von allem Unrate der Übeltäter.

GENERALIN.
Dacht' ich's doch!
GRÄFIN.

Was heißt das, General? Ihr wollt' doch nicht Eure armen Gefangenen noch ärger mißhandeln, wenn der Herzog Besuch empfängt. Mich dünkt, das wäre eher ein Grund, ihre Ketten zu lüften, wenn nicht zu lösen.

RIEGER.

Die Gesangenen sind nicht arm; denn das Himmelreich steht ihnen offen, und ein weiser Regent ist strenge.

GENERALIN.
Das ist nicht wahr!
RIEGER.
Es ist ein Wort der Schrift.
GRÄFIN.

Ein weiser Regent ist milde. Ich wiederhole Euch. General, was ich Euch durch Eure Frau schon zu wiederholten Malen habe sagen lassen, daß ich Eure finstere Auslegung des Christentums nicht gutheißen, Eure Strenge gegen die Gefangenen nicht loben kann vor dem Herzoge.

RIEGER.
Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.
GRÄFIN
streng.

Wollt Ihr wieder in Euer unterirdisch Gefängnis zurück, um die Liebe des Herrn gegen Euch noch höher zu preisen?


Kurze Pause.

Seid unbesorgt, ich bin nicht von derjenigen Frömmigkeit, welche Gott nur in Leid und Trübsal sucht. Im Gegenteile, ich glaube in Gott zu wandeln, wenn ich meinen Mitmenschen zu [192] Zufriedenheit und Freude verhelfe. – Deshalb hab' ich die Bäbele da schon heruntergeholt von Eurer Seite, weil ihr Herz gepeinigt wurde von Eurer schwarzen Lebensfarbe, und die Laura desgleichen, und ich werde ihnen den Besuch bei Euch oben ganz untersagen, wenn Ihr fortfahrt, die Trockenheit Eures Herzens für eine Gottseligkeit auszugeben, wenn Ihr fortfahrt, die armen Gefangenen mit verkehrt gedeuteten Bibelsprüchen in Verzweiflung zu bringen. – Das merkt Euch! Wenn der Herzog auch leider Kerkermeister braucht, so hat er doch ein zu edles Herz, um nicht wenigstens in der Wahl des Kerkermeisters auf den menschlichen Rat seines Weibes zu hören. Sie ist entrüstet hin und her gegangen und setzt sich aufs Sofa. Laura geht hin zu ihr und küßt ihr die Hand. – Pause.

GENERALIN.
Das ist ihm schon recht.
GRÄFIN.
Was habt Ihr denn wieder anzuklagen? Es betrifft wohl wieder den unglückseligen Schubart?
LAURA.
Mein unglücklicher Lehrer!
GRÄFIN.
Ist er noch nicht genug gepeinigt? Hat er zu seufzen gewagt über so schreckliches Schicksal?
RIEGER.

Er hat es endlich verlernt, wieder den Stachel zu löken. Die Gnade des Herrn ist ihm aufgegangen in der Finsternis des Kerkers; aber die Jugend hier unten mißkennt und mißdeutet seinen Zustand der Gnade. Von dieser Jugend hab' ich einen anzuklagen, wenn mein irdischer Herr das Schloß meines Mundes öffnet.

GRÄFIN
aufstehend.
Wen?
GENERALIN.
Rieger! Schon wieder einen Menschen unglücklich machen!
GRÄFIN.

Rieger! Ihr habt das schrecklichste Los eines Menschen erfahren! Von diesem Schlosse aus habt Ihr einst Württemberg beherrscht, bis Eure Feinde Euch schmählich zu Boden und in den tiefsten Kerker warfen; in grauenvoller Gefangenschaft habt Ihr jahrelang geschmachtet, ärger geschmachtet als das verworfenste Geschöpf – hat Euch so schreckliche Erfahrung nicht gelehrt, daß der Mensch den Menschen lieben solle?

RIEGER.

Gott verläßt uns in der Freude, in der Trübsal findet er uns. Mich fand er in dem tiefsten Loche von Hohentwiel, wo mein Leib in Schmutz und Wasser verdarb, meine Seele aber erquickt wurde.

[193]
GRÄFIN.
Entsetzlich! Und wer ist der Unglückliche, den Ihr anklagen wollt?
RIEGER.

Ich will nicht, ich muß. Der Befehl meines Herzogs, der Geist der Wahrheit zwingt mich, diesen jungen Mann zu bezeichnen.

GRÄFIN.
Wer ist's?
GENERALIN.
Wie heißt er?
RIEGER.

Von der Gnade des Herzogs ist er auferzogen worden in der Karlsschule, die Gnade des Herzogs hat ihn angestellt beim Regimente als einen Helfer bei leiblichen Gebresten –

GENERALIN.
O Gott – sein Name?
GRÄFIN.
Sein Name? Sein Name?
LAURA.
Sein Name!
RIEGER.
Des Hauptmanns Sohn in Ludwigsburg, Friedrich Schiller.
GRÄFIN.
Schiller! wie ich gefürchtet –
GENERALIN.
Schiller!
LAURA.
Wieder Schiller! Das ist doch wirklich der Matador!

Trommelwirbel und klingendes Spiel von unten.
GRÄFIN.

Da kommt der Herzog! Sie geht rasch zur Generalin nach rechts hinüber – Rieger tritt zurück, nach hinten blickend, Laura geht nach links hinten zur Ecktür, durch welche Silberkalb eintritt, dem sie bittend was zu sagen scheint, und der dazu die Achseln zuckt. O Gott, Bäbele, und nun muß ich auch gerade den unglücklichen Menschen, den Schiller, hierherbestellen, daß der Herzog an ihn erinnert werde! Richtig, da ist der Hauptmann zurück, und der ist auch falsch, ich wag' es nicht, ihn mit Kontreordre zu beauftragen, und über diesen Rieger, deinen Mann, vermag ich nichts, er weiß, wie fest er beim Herzoge steht.


Während dieser Rede sieht man in den hinteren Zimmern einige Soldaten und Diener sich aufstellen.
LAURA
herüberkommend.
Mama! Der garstige Hauptmann will die beiden Leute nicht abbestellen!
GENERALIN.
Komm' mit! Du mußt Kundschaft einziehn.

Geht mit ihr bis an die Tür rechts, dort bedeutet sie dieselbe pantomimisch an der Schwelle, schickt sie
fort und bleibt hart an der Türe stehen. – Unterdessen kommt Silberkalb zum Sofa, sieht das Blatt des »Magazins«, liest halblaut »Entzückung an Laura«, und steckt es rasch zu sich, während die Frauen nach rechts, wo Laura abgeht, Rieger aber nach hinten sehn.
5. Szene
[194] Fünfte Szene.
Der Herzog Karl. Die Vorigen ohne Laura, die später erst zurückkehrt. Bleistift (im Vorzimmer bleibend).

HERZOG
in Jagdkleidung, eine lange Peitsche in der Hand, mit welcher er klatscht.

Seinem Erscheinen hinten voraus ein Tambour, der einen Wirbel schlägt und jenseits des Vorzimmers zurückbleibt. Sowie er durch die Glastür schreitet und Rieger sieht, sagt er. Wie geht dir's, alter Sünder? Fortschreitend.

RIEGER.
Nach Gottes Ratschluß, Durchlaucht!
HERZOG.

Um was alles soll sich der Herrgott speziell kümmern! – Grüß di Gott, Franzel Küßt sie auf die Stirn. Der Großfürst wird wohl noch diese Nacht eintreffen, 's gibt Not, meine Jagd ist noch nicht ganz in Ordnung, wenn's was Apartes werden soll – na, Frau Gevatterin Zur Generalin. die Demoiselles unsrer Schule sind doch in Ordnung, mit weißgewaschenen Kleidern, niedergeschlagenen Augen, gutem Gewissen und guter französischer Aussprache?

GENERALIN.

Ich hab' den Demoiselles noch zu sagen vergessen, daß ein gutes Gewissen die Augen niederschlagen soll.

HERZOG
sie auf die Wangen klopfend.

Blitz, die Bäbele ist unwirsch – Bleistift winkend. Sessel!Bleistift bringt hastig einen Sessel. Ich bin müde wie ein Jagdhund. Das Bauernvolk stellt sich an, als ob es das Hirschezusammentreiben erst heute lernen sollte. Sich setzend, zu Silberkalb:. Hat Er nachgefragt, Hauptmann, drüben beim Nieß, ob in der Karlsschule was vorgefallen ist?

HAUPTMANN.
Zu Befehl, Durchlauchtigster Herr.
HERZOG.
Wie hieß der Ulmer Vers, Bäbele, welcher dem Schubart den Hals gebrochen hat?
GENERALIN.
Als Dionys zu Syrakus
Aufhören muß
Tyrann zu sein,
Da wurd' er ein Schulmeisterlein.
HERZOG
lacht.
Sieh, wie gut du dein Sprüchlein kennst! Das schmeckt dir wohl besonders?
GENERALIN.
Wie süßes Zwetschenmuß.
HERZOG.
Hat denn das Sprüchlein recht?
GENERALIN.
Nein.
HERZOG.
Nicht? Warum nicht?
[195]
GENERALIN.
Man kann ein Schulmeister werden und ein Tyrann bleiben.
HERZOG.

Bäbele, du bist – ein ganz gescheites Frauenzimmer. Bleistift, 'nen Schoppen Achtundvierziger, ich bin ganz ausgetrocknet. Bleistift ab. 's ist ein Herbst, der den Sommer nicht vergessen kann. – Wie weit seid ihr mit der Komödie, Franzel?

GRÄFIN.
Die Probe wird eben zu Ende gehn.
HERZOG.

Das ist recht – ich kann die Spielerei jeden Augenblick brauchen zum Unterhaltungsimbiß für unsre Gäste; denn mit der Jagd ist's noch nicht so weit, und die italienischen Sänger haben nur zum bestimmten Abende ihre Stimme und dann nicht immer, dies Sängervolk lernt kein Kommando. Unsre Eleven und Demoiselles haben wir aber Tag und Nacht zur Disposition. Ihr habt doch für 'ne gute Garderobe gesorgt?

GRÄFIN.
Für eine passende.
HERZOG.

Prächtig muß sie sein, sag' ich dir, Franzel! Mit eurer historischen Treue ist nichts getan; denn es ist doch und bleibt ein erhöhter Zustand bei solcher Aufführung, und verhältnismäßig muß alles im Sonntagsstaate sein – und diesmal also sind die Frauenzimmerrollen mit Demoiselles besetzt?

GRÄFIN.
Du hast so befohlen.
HERZOG.
Ganz recht. Für Fremde geht's nicht mit meinen Buben. Du hast doch hübsche ausgesucht, Bäbele?
GENERALIN.
Wie sich's schickt nach der Rolle.
HERZOG.
Na?!
GENERALIN.
Hübsch braucht nur die Liebhaberin zu sein, und das ist die Laura.
HERZOG.
Richtig, eine hübschere gibt's nicht, wo ist denn die kleine Hexe?
GENERALIN.
Wird gleich hier sein!
BLEISTIFT
ist unterdes gekommen und präsentiert auf einem silbernen Brette einen Schoppen.
Achtundvierziger! Service!
HERZOG
halblaut.
Ist was vorgefallen, Bleistift?
BLEISTIFT.

Non, Sire – nur der Mosje Herr Hauptmann hier scheint viel Geld zu brauchen, hat heute vor dem Lever der Sonne einen Kurier durchs Ludwigsburger Tor hinausgesprengt –

HERZOG.
Er konspiriert doch nicht, Hauptmann?
[196]
HAUPTMANN.
Im Sinne Serenissimi –
HERZOG.
Wohin der Kurier?
HAUPTMANN.
Nach der Pfalz.
HERZOG.
Was?
HAUPTMANN.
Morgen verhoff' ich Auskunft eben zu können. Beiseite über Bleistift. Tölpel!
HERZOG.

Ist nötig! – Jetzt regieren! General Rieger, Kommandant des Hohenasperg, vor! Rieger marschiert bis zur Linie des Herzogs – die Generalin folgt ihm einige Schritte, die Gräfin setzt sich zur äußersten Rechten. Halt!

GENERALIN
beiseite.
Wenn nur die Laura käme!
HERZOG.

Wir wollen alle Winkel des Hauses ausfegen, damit unser Besuch nirgends ein Häuflein Unrat entdeckt. Wie steht's oben bei dir, sind deine Gefangenen in Ruhe?

RIEGER.
Sie fürchten Gott und loben ihn.
HERZOG.
Ach was, dabei kann man seinen Herrn auf Erden tadeln! – Wie steht's mit dem Schubart?
RIEGER.
Er hat den alten Menschen ausgezogen.
HERZOG.

Und du ziehst ihm den neuen an, du verstehst das Schneiderhandwerk. Keine Redensarten! Hat er's aufgegeben, die Preußen auf unsre Kosten zu loben, und macht er keinen Versuch mehr, die Schwaben aufzuhetzen?

RIEGER.
Seine Seele ist abgewendet vom irdischen Wirrsal, und er küßt die Rute, die ihn geschlagen.
HERZOG.

Klägliches Volk, diese Schreier! Wenn ihnen das Messer an die Kehle kommt, dann kriechen sie zu Kreuze – und mit denen soll eine neue Zeit ankommen! Mut ist die Seele jeder großen Idee! Weiter!

RIEGER.

Nur zuweilen noch kommt der Teufel über ihn und flößt ihm ein Gedicht ein. So in diesen Tagen ein gottloses Poem, welches er die »Fürstengruft« genannt hat.

HERZOG.
Ein schönes Thema – hat Er's da?
RIEGER.

Nein, ich denk' es aber zu fahen, es soll schon hier unten sein, und in diesem Betracht, Durchlauchtiger Herr, hab' ich zu vermelden, daß er in den Ruf der Heiligkeit kommt, wie ein Prophet in der babylonischen Gefangenschaft, und daß die neuen Juden aus allen vier Winden gewandert kommen, sein Auge zu sehn, seine Stimme zu hören.

[197]
HERZOG.
Was? Deutlich!
RIEGER.

Nicht nur allerlei fremdes Volk wallfahret zum Asperge seinetwegen, auch von hier, von Stuttgart selbst kommt man hinaufgestiegen –

GENERALIN.
Rieger!
RIEGER
sieht sich einen Augenblick um, fährt aber fort.

Sogar Leute, die sonst die Kleider des Herzogs tragen, kommen in bürgerlicher Hülle, zum Beispiel gestern ein junger Mann – In diesem Augenblicke kommen von links an die Tür Schiller und Koch und rechts aus der Tür Laura.

GENERALIN.
Rieger –! denk an Hohentwiel!
RIEGER.
Ein – Er stockt, nachdem er sich umgesehen.
GRÄFIN
winkt den beiden jungen Männern fortzugehen.
HERZOG
der vor sich hingesehen hat.
Was ist?
BLEISTIFT.
Sire, Madam Kontessa winken mir, ich weiß nicht pourquoi.
HAUPTMANN
macht eine leichte Bewegung nach hinten, als der Herzog auf die Seite nach Bleistift sieht.
HERZOG
sich darauf ganz umsehend und die jungen Männer erblickend.
Was wollt ihr?
6. Szene
Sechste Szene.
Schiller. Koch. Die Vorigen.

KOCH.
Gräfliche Gnaden haben uns herkommandiert.
GRÄFIN.
Ist nicht mehr nötig!
HERZOG.
Bleibt – Sich nach rechts umsehend. Ah, Laura, mein Kind!
LAURA
zu ihm eilend und ihm die Hand küssend.
Bonsoir. Onkel Durchlaucht!
HERZOG
ihr die Wangen streichelnd.
Was treibst du denn?
LAURA.

Wir spielen Komödie, Onkel Durchlaucht, aber die beiden da und besonders der Koch können ihre Rollen noch nicht, bitte, jag sie fort, daß sie zum Lernen kommen.

HERZOG.

Ich will nicht hoffen. – Schiller und Koch, avanciert, vorwärts, marsch! Schiller und Koch marschieren vor. Halt! Front! Ihr könnt eure Rollen nicht?

KOCH.
Wenn wir alles so gut könnten, Durchlaucht, so wären wir schon lange nicht mehr in Stuttgart.
[198]
HERZOG.
Ist Er wieder unverschämt?
KOCH.

Es wäre unverschämt von uns, herzoglicher Regimentsfeldscher und Eleve der Karlsakademie absolut bleiben zu wollen, wenn wir Anlage hätten, Papst und Kaiser zu werden.

HERZOG.

Der Regimentsmedikus Schiller hat zum Beispiel eine ausgesprochene Anlage, Tierarzt zu werden. Er macht Pferdekuren mit meinen Grenadieren.

KOCH.
Und da sie gelingen, Durchlaucht, so ist hieraus zu schließen –
HERZOG.
Will Er still sein, vorlauter Mensch – der Zopf sitzt Ihm ohnedies wieder schief!
KOCH.
Daran ist der Zopf schuld, Durchlaucht!
HERZOG.

Geb Er Antwort, Schiller, ist es wahr, was ich heute gehört, daß Er vorige Woche dem Flügelmann ein ganzes Lot Ipekakuanha zu verschlucken gegeben hat? Der Mensch soll sich wie ein Wurm gekrümmt haben.

SCHILLER.
War aber tags darauf vollkommen hergestellt.
HERZOG.
Ihn hat auch Gott in seinem Zorne zum Doktor gemacht.
SCHILLER.
Ew. Durchlaucht haben mich dazu gemacht.
KOCH
leise.
Bravo!
SCHILLER.

So bin ich in der bevorstehenden Tragödie zum Darsteller des Clavigo bestimmt worden, und ich bitte Ew. Durchlaucht, mich diese Rolle mit einer andern vertauschen zu lassen, da sie meinem Wesen ganz und gar nicht zusagt.

HERZOG.
Warum nicht gar! Er will alle Augenblicke ein apartes Wesen haben, ich kenne das!
LAURA
leise.
Onkel Durchlaucht, er spielt die Rolle aber wirklich gefährlich!
HERZOG.
Hat Er nicht vor vier Jahren die Rolle schon einmal gespielt als Eleve?
SCHILLER.
Ja.
KOCH.
Aber schlecht.
HERZOG.
Na, Er wird doch was gelernt haben in den vier Jahren!
SCHILLER.
Aber meine Natur, die sich für diesen schwankenden Charakter nicht eignet, hat sich nicht geändert.
[199]
HERZOG.

Laß Er mich aus mit diesem Sich-eignen und Sich-nicht-eignen! Er weiß, ich kann das nicht leiden. Eine richtige Erziehung kann alles aus einem Menschen machen. Er will gewiß – ich weiß, daß Er gar zu gerne obenhinaus und nirgend an möchte – Er will gewiß den Mosje Beaumarchais spielen, he?

SCHILLER.
Zu Befehl, Durchlaucht.
HERZOG.

Dacht' ich's doch. Er weiß, daß ich diesen naseweisen Figaroverfasser, welchem man in Paris viel zuviel Spielraum gestattet, nicht ausstehen kann. Punktum! Er spielt den Clavigo! Adieu! Rechtsum kehrt! Vorwärts marsch! Schiller und Koch links ab. Rieger, weiter im Rapport! Einer meiner Leute, ein junger Mann, habe in bürgerlicher Tracht den Schubart besucht, wer ist das gewesen?

RIEGER.
Durchlaucht, es war eben Will auf Schiller weisen. In diesem Augenblicke Geräusch hinten, unten.
HERZOG.
Was ist das für ein Lärm im Hofe? Unsre Gäste überraschen uns doch nicht? – Nachsehn, Bleistift!
BLEISTIFT.
Service, Sire! Ab.
HERZOG.
Warum stockt Er, Rieger –?
GENERALIN.
Weil er sich wieder aufs Anschwärzen eingelassen, ohne was Rechts zu wissen.
HERZOG.
Bäbele, menge dich nicht in Staatsgeschäfte.
GENERALIN.

Ja, Staatsgeschäfte! Klatschereien sind's. Rieger kennt den jungen Mann gar nicht genau und möchte zehn Unschuldige einsperren lassen, um den einzigen auszufinden, der auch am Ende nichts verbrochen hat. Wie mancher junge Stuttgarter kam hinauf, als ich noch mit der Laura oben wohnte, um des Schubart Klavierspiel zu hören, wenn er dem Kinde Unterricht gab.

LAURA.
Jawohl!
HAUPTMANN.

Die Mitteilung, welche ich für Durchlaucht vorbereitet, betrifft einen ganzen Kreis der aufsätzigen jungen Stuttgarter, und ich bin außer Zweifel, daß jener nicht genügend erkannte junge Mann ein Teilnehmer des Komplottes ist, welches ich zu enthüllen imstande bin.

HERZOG.
Was, ein Komplott!
GENERALIN.
Nun fängt der an!
GRÄFIN.
Unvermeidlich!
[200]
LAURA.
O weh, Spiegelberg!
HAUPTMANN.

Dies ist der mildeste Ausdruck dafür. Wohl wissend, daß Ew. Durchlaucht von allen Staatsangelegenheiten die Erziehung besonders am Herzen liegt und unter den Erziehungsanstalten namentlich die hohe Karlsakademie, diese gründliche und glänzende, so manche berühmte Universität überstrahlende Schöpfung Ew. Durchlaucht, wohl wissend, daß einige Hundert junge Leute nie genug wachsame Augen finden können, hab' ich seit längerer Zeit all meine Attention auf diese Anstalt gerichtet.

HERZOG.
Kurz! In meiner Karlsschule soll ein Komplott sein? Rasch heraus!
HAUPTMANN.

Der Aufseher, Leutnant Nieß, Durchlaucht, fängt an etwas stumpf zu werden. Aber er ist vom besten Willen; er folgt genau meinen Ratschlägen, welche auf einzelne Bemerkungen hin erteilt wurden, und so haben wir denn in vergangener Nacht folgendes mit allen Nebenumständen entdeckt.

HERZOG.
Rasch! Kurz!
HAUPTMANN.

Abends, wenn alle Eleven in den Schlafsälen zu Bett sein sollen, schleichen sich aus der obersten Klasse fünf bis sechs durch die Korridore nach dem abgelegenen östlichen Flügel des Hauses, wo der kleine Examiniersaal gelegen ist.

LAURA
leise.
Armer Spiegelberg!
HAUPTMANN.

Zu diesem haben sie sich Nachschlüssel verschafft; dort versammeln sie sich jeden Abend, und dorthin kommen von der Stadt aus junge Leute, welche offenbar mit der Ortsgelegenheit sehr vertraut sind und wahrscheinlich durch das Zwingerpförtchen einpassieren –

HERZOG.
Und was machen sie da? Sie zechen?
HAUPTMANN.
Nicht bloß, Durchlaucht, daß sie zechen und Tabak rauchen –
HERZOG.
Rauchen im Examiniersaale?!
HAUPTMANN.

Das ist nur äußerlicher Exzeß, wobei sie übrigens ein neumodisches berauschendes Getränk brauen, welches den barocken Namen »Punsch« führt und wie Opium wirken soll. Das ist alles nur äußerlich; sie haben offenbar einen Bund und Orden nach Art der Tempelherrn in Paris, über welche neulich im Redeaktus ein so interessanter Vortrag gehalten wurde. Sie nennen diesen Orden die Bande. Jeder hat seinen aparten Ordensnamen,[201] und auf dem Tische liegen geheime Schriften, wel che sie beschworen haben. Das hauptsächlichste dieser Bücher, welches einer meiner Späher erblickt, aber leider noch nicht ergriffen hat, soll einen greulichen Löwen auf dem Titel und um den Löwen herum die Inschrift tragen: Zerreißt die Tyrannen!

GENERALIN
beiseit.
Ach mein Gott!
GRÄFIN
desgl.
. Unglückliche Menschen!
HERZOG.
Weiter!
HAUPTMANN.

Von ihren Plänen weiß ich mit ziemlicher Gewißheit nur folgendes: Sie wollen ausbrechen in hellen Haufen und sich in den Schwarzwald, welchen sie ungeographisch Böhmerwald nennen, hinaufwerfen, und dann –

HERZOG.
Meine Schüler verstehen mehr Geographie als Er! – Und dann?
HAUPTMANN.

Das ist mir noch dunkel. Das Endziel aber soll sein, alle rüstigen Männer Schwabens hinwegzuführen aus dem Lande und über das Meer, und auf einer Insel der Südsee ein Reich zu gründen, unter neuen, natürlich verbrecherischen Grundsätzen.


Pause.
HERZOG.
Ist Er fertig?
HAUPTMANN.
Bis auf die Namen, ja!
BLEISTIFT
eintretend.

Sire, es ist la Meute, die Herren Hunde und Hundejungen, die nach der Treiberlinie hinauf ihr Avancement beginnen.

HERZOG.
Was? Jetzt zur Nacht?
BLEISTIFT.

Der Hundemaitre sagt, die Tage wären zu warm für die Nasen der Herren Hunde, und er müßte seine Künstler schonen.

HERZOG.

Das ist ganz gescheit, aber er soll sie auch zweckmäßig verteilen – Aufstehend. Wartet hier! Kein Mensch verläßt das Zimmer! Ab.

BLEISTIFT
folgt ihm – draußen wieder Trommelwirbel.

Pause.
GRÄFIN
nach links hinübergehend.

Ich finde es unverzeihlich von Ihnen, aus einem Schülerspaße solch eine ungetüme Anklage zu machen, was haben Ihnen denn die jungen Leute getan?

GENERALIN UND LAURA.
Jawohl.
[202]
HAUPTMANN.

Was sie mir getan? Erlauchte Gräfin, in den Angelegenheiten meines Gebieters bin ich gar keine Person, welcher man was tun oder nicht tun könnte. Ich versehe ohne Arrièrepensée meinen Dienst. Je mehr ich Serenissimo dienen kann, desto dienlicher bin ich ihm, desto verdienter mach' ich mich. Dies ist ja meine Stellung und der Ehrgeiz meiner Stellung.

GENERALIN.
Klatschereien anzuzetteln!
GRÄFIN.
Ein tüchtiger Mann dient seinem Gebieter am unliebsten auf Kosten anderer!
HAUPTMANN.

Und was die gnädigste Frau Gräfin einen Schülerspaß nennen, das kann ja leichtlich viel mehr sein. Im Interesse meines Gebieters muß ich ja immer das Schlimmste und Ärgste voraussetzen.

GRÄFIN.

Das sollen Sie eben nicht tun. Das tun die Schranzen, welche alles wichtig machen, um sich wichtig zu machen.

RIEGER.
Ein treuer Knecht fragt nicht warum und nicht wozu!
GENERALIN.
Na, fang du auch noch an!
HAUPTMANN.

Ich bin bestürzt über die Ungnade der erlauchten Frau, aber ich kenne mir gar kein anderes point de vue für solche Verhältnisse. Diese jungen Leute, zum Teil bürgerlicher Herkunft, sind ja ungemein bedenklich für uns Edelleute, die wir nicht mit Grundeigentum und Grundmacht des hohen Adels ausgestattet, sondern allein vom Dienst und Einfluß bei Hofe abhängig sind. Diese jungen Leute werden mit Kenntnissen angefüllt, welche Prätensions erzeugen. Was von diesen Prätensions erfüllt werden soll, das kann ja nur erfüllt werden auf unsere Kosten. Unter diesen jungen Leuten wachsen sogenannte Genies auf, welche gar keinen Unterschied unter den Ständen einräumen, es fehlt nur noch, daß man ihnen glaubt oder daß man sie gewähren läßt in ihren tollen Streichen, dann müßten wir uns am Ende an einem schönen Morgen fragen: Wozu sind wir denn auf der Welt?


Trommelwirbel.
GENERALIN.
Das wär' auch eine ganz vernünftige Frage.
HERZOG
zurückkommend mit dem ihm folgenden Bleistift.
Die Frauen weichen alle drei auf die rechte Seite in den Vordergrund.
GRÄFIN.
Laßt uns zusammenhalten, um ein Unglück abzuwenden.
[203] GENERALIN.
Jawohl!
LAURA.
Jawohl! Ich weiß ein Mittel durch den Nette!
HERZOG
nach einer Pause und nachdem er alle angesehen, zum Hauptmann.
Was weiß Er für Namen von Seiner sogenannten Bande?
HAUPTMANN.

Von den Eleven ist dabei: der adlige Scharpstein und von Hover, der bürgerliche Peters und Pfeiffer und als Rädelsführer der bürgerliche Anton Koch.

GENERALIN leise.
Der Schlingel!
LAURA
desgl.
. Richtig!
HAUPTMANN.
Der Haupträdelsführer aus der Stadt aber ist der bürgerliche Regimentsmedikus Schiller.
HERZOG.
Das sieht ihm ähnlich!
HAUPTMANN.

Welchem ein bürgerlicher Musiker Streicher als Galopin dienen, und sogar ein bürgerlicher Leutnant Kapf anhängen soll, wie er denn überhaupt in der Bürgerklasse als ein verwegnes Genie betrachtet wird. Ich habe in betracht seiner weitere Nachforschungen vorbereitet, welche die bedenklichsten Machinationen und heimlichen Verkehr mit dem Auslande betreffen. Hierauf bezieht sich mein vorhin erwähnter Kurier. Soviel ist bereits erwiesen, daß er kürzlich ohne Urlaub nach Mannheim gereist ist.

HERZOG.
Wo hat er denn's Geld her?
HAUPTMANN.

Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß er anonym gefährliche Schriften drucken läßt und damit Geld erwirbt. Er soll eine epouvantable Tragödie, in welcher lauter Spitzbuben agieren, abgefaßt haben –

GRÄFIN.
O Gott!
GENERALIN.
Der Arme!
HERZOG.
Warum nicht gar! Dumm ist der Schiller nicht.
HAUPTMANN.
Sogar ein Hundejunge von der herzoglichen Livree –
BLEISTIFT
erschreckt, halblaut.
Comment!
HAUPTMANN.

Soll der Verschwörung als Spion und Laufbursche behilflich sein, ein Zeichen, wie weit die Fäden sich schon erstrecken!

GENERALIN.
Bis in den Hundestall!
LAURA
macht Bleistift Pantomime, als beträfe ihn etwas.
BLEISTIFT
laut.
Demosell schestikulieren –!
HAUPTMANN.
Nach neun Uhr pflegen sie zusammenzukommen.
[204]
HERZOG.
Fertig?
HAUPTMANN.
Zu Befehl, Durchlaucht!
HERZOG.

Rieger! Nach neun nehm Er sich drei Mann von der Schloßwache, und rück Er in das Quartier des Schiller, Hauptstätter Gasse neben dem Glockengießer, durchsuch Er das Zimmer, und nehm Er alle verdächtigen Papiere und Gegenstände an sich.

RIEGER.
Zu Befehl, Durchlaucht.
GENERALIN
leise.
Weh uns!
HERZOG.

Sergeant Bleistift. Eine Viertelstunde vor neun Uhr vier Mann mit einem Junker aufstellen drüben an der Galerie, die aus dem Schlosse in die Karlsakademie führt, und auf mich warten!

BLEISTIFT.
Service, Sire! Laura macht ihm Pantomime, als wollte sie dabei sein.
HERZOG.
Die Tür, welche aus dem Examiniersaale in meine Loge hinaufführt, ist doch vom Saale aus zu öffnen?
HAUPTMANN.
Ja, sie hat einen Druckschlüssel im Saale.
HERZOG.
Dann brauchen wir nicht den großen Umweg zu machen.
BLEISTIFT.
Sire, die Demosell Laura macht mir Avancen.
HERZOG.
Halt's Maul!
BLEISTIFT.
Bon!
HERZOG.

Und ihr Frauenzimmer, laßt hierbei eure Spielereien, bis ich auf dem Reinen bin, wieviel Ernsthaftes an der Sache ist. Ich weiß, ihr seid immer auf seinen der Angeklagten, besonders wenn sie Verse machen.

GRÄFIN.
Schiller ist ein großes Talent.
LAURA.
Und der Koch auch!
HERZOG.

Wird sich zeigen. Daß er Spitzbubenstücke macht, will ich auch noch nicht glauben. Generalin bekräftigt dies durch Pantomimen. Aber ein überspannter Kopf ist er allerdings. Also ruhig von eurer Seite und nach außen nicht geschwatzt, bis ich genau unterrichtet bin. Versteht ihr mich? Ich sehe die Sache ernsthaft an, und ihr wißt, was das sagen will. Damit es euch leichter werde bis um neun Uhr, folgt mir sogleich zum Souper. Sie besonders Zu Laura. lustige Person! Ich weiß ganz wohl, daß [205] Sie vorzugsweise das Vertrauen dieser Herren Poeten genießt. Also zu Tisch. Er geht; doch wendet er sich sogleich. Hauptmann! Nach hinten ab.

HAUPTMANN
hat sich auf den Zuruf verbeugt und folgt ihm, Bleistift ebenfalls.

Sobald der Herzog in die Tür tritt, hinten Trommeln. Diener mit Lichtern stürzen herbei und gehen voraus rechts zwischen der Wand mit Glastür und der Hinterwand des Zimmers.

HERZOG
in der Tür sich nochmals umsehend.
Bleistift, Arrieregarde bilden!
BLEISTIFT.
Service, Sire! Marschiert zurück und stellt sich links im Vordergrunde auf.
GRÄFIN
zu Laura.
Weißt du was?
GENERALIN.
Laura, du mußt helfen!
LAURA.
Freilich! Aber ich kann nur mit Bleistifts Hilfe.
GRÄFIN.

Der lauert schon! Fort! Der Herzog darf uns nicht vermissen – – An Bleistift vorn vorübergehend. Er dient dem Herzoge hierbei, wenn Er uns dient.

BLEISTIFT.
Comment!
GRÄFIN
winkt Rieger, er geht neben ihr ab, rechts im Vorzimmer sich wendend und dem Herzoge folgend.
GENERALIN
an Bleistift vorübergehend.

Ehrlicher Bauerssohn, daß Er uns die bürgerlichen Jungen nicht in die Patsche bringt, das rat' ich Ihm! Der Laura folgen in allen Stücken, sonst nimmt's für Ihn ein schlechtes Ende! – Ab, ebendahin.

BLEISTIFT.
Quoi –?
LAURA
ebenso.
Bleistift, ich bin heut abend Sein Junker, versteht Er?
BLEISTIFT.
Non!
LAURA.

Weiß Er, wer der kleine Hundejunge ist, der zum Komplott gehört? – Der kleine Christoph ist's, Sein eigner Sohn!


Klingel. Laura geht. Während der Vorhang fällt, spricht:
BLEISTIFT.
Kreuz Millionen Heidekuckuck!

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Es ist finster.
Laura. Bleistift.

BLEISTIFT
von links hereinstürzend.
Herr Jesus, Herr Jesus, das ist mein Tod – Rennt an den Stuhl links. Au! Auch das noch!
LAURA
einen militärischen Hut auf dem Kopfe, blauen Mantel über die Frauenkleidung, eine Blendlaterne in der Hand, mit der sie umherleuchtet und jetzt den Schein auf Bleistift fallen läßt.

Das ist ein Sessel! Warum rennt Ihr so ungestüm ins Schwarze hinein – setzt Euch lieber darauf! Er tut's, wie in Verzweiflung. während ich das Terrain inspiziere. Der Herzog ist beim Nieß eingetreten und da dauert's immer eine gute Weile.

BLEISTIFT
aufspringend.

Ich halt's nicht aus, Demosell Junker, ich halt's nicht aus, solch eine Durchstecherei zu begehen, 's ist gegen meine Natur und mein Gewissen.

LAURA.

Euer Gewissen!? Das Euch täglich und stündlich erlaubt, jedermann, selbst die eigne Gemahlin des Herzogs, bei Eurem Herrn zu verklatschen und anzuschwärzen –!

BLEISTIFT.
Glauben Sie doch um Gottes willen nicht, daß ich das aus bösem Herzen tue.
LAURA.
Sondern? – etwa aus Nächstenliebe?
BLEISTIFT.
Nein, auch nicht.
LAURA.
Nun?
BLEISTIFT.

Aus Raison, wie der Herzog sagt, aus niederträchtiger Raison, so wahr ich das unglückseligste Schwabenkind bin.

[207]
LAURA.
Ihr seht danach aus!
BLEISTIFT.

Ich bin's, Demosell, ich bin's, straf mich Gott! Sie sind jung und schön, und unsers Herrn Liebling, Sie wissen nichts davon und halten's nicht für möglich, daß hier inwendig Auf die Brust schlagend. alles verbrannt und verfault sein kann, und 's ist doch nicht anders, und deshalb, bloß des halb sieht alles so tückisch aus, was ich tue.

LAURA.
Und ist auch tückisch.
BLEISTIFT.
Warum?! Weil ich maltraitiert worden bin, wie ein Stück Vieh.
LAURA.
Er?
BLEISTIFT.

Ja, ich, junge Kreatur! Ich hatte eine Frau, so schön, wie Sie sind, und hatte mein Häuschen und meinen Acker, und mein alter Vater saß bei mir im Hausgeding und hatte zu essen, und meine Frau gebar mir den Buben, den Christoph, und ich lachte zum Edelmann hinauf: Wie teuer ist sein Schloß! So froh war mir zumute, und ging nach Nagold hinein, um einen Schoppen über den Durst zu trinken, da kam der, Gott verdamm' ihn! der Rieger geritten, der damals das Land regierte, und die Kriegsknechte kamen hinter ihm mit Spießen und Stangen und Stricken. Ich wußte nichts davon, daß er wie der Henker im Lande herumzog, um die Regimenter einzufangen, welche der Herzog an Frankreich verkauft hatte zum Kriege gegen den König von Preußen, und ich blieb stehn am Wege und hatte Maulaffen feil über den Aufzug und wußte nicht, was mir geschah, als der Rieger auf einmal schrie: Holla! Da ist ja der Deserteur von Tübingen! Packt ihn an! – Was, sag' ich, ich?! Aber ich kam gar nicht zur Rede, ich ward gebunden und zwischen den Pferden hopp, hopp, hopp! fortgeschleppt und eingekleidet und nach Böhmen getrommelt ins Kugelfeuer hinein, ehe ich mich recht besinnen konnte, recht wie ein verlaufner Hund. Ja doch, ein solcher Hund ist besser dran, der hat nichts zu verlieren – ich aber, oh –

LAURA.
Armer Mann!
BLEISTIFT.

Ja arm! Als der Siebenjährige Krieg aus war und man heimkehrte, da war's eine alte vergeßne Geschichte, daß meine Frau vom Schlage gerührt worden war bei der Nachricht – daß mein alter Vater, der nicht mehr die Kraft hatte, das Feld zu bestellen, in Hunger und Not umgekommen war – und daß mein [208] kleiner Bub betteln lief von Dorf zu Dorf – soll das einen nicht inwendig verbrennen, wie einen Kohlenmeiler, und einen tückisch machen, Jungfer Laura, nicht?

LAURA.
O mein Gott!
BLEISTIFT.

Sie hat recht, ich mußte Gott danken, daß mir der Bub am Leben geblieben war, ein wahres Labsal für mein Alter, der Töffel, und daß der Herzog gerade an mir seinen Narren gefressen und mich zu seinem Faktotumsergeanten gemacht, das ist wahr – aber Gott vergeb' mir die Sünde, ich kann's nicht, ich kann nicht mehr danken, ich hab' einmal den Teufel im Leibe von damals, und der Teufel plagt mich, alle Leute zu plagen, der Herrgott mag aus mir machen, was er will, ich kann nicht mehr anders. Nun seh Sie, Jungfer, nun wohnt aber immer noch der ehrliche Schwabe in mir, meiner Mutter Sohn, der sagt: Bleistift ich glaub's daß du dem Teufel gehorchen mußt, aber gehorch ihm christlich! Die niederträchtige Lüge hat dich zugrunde gerichtet, jetzt laß keine Lüge mehr aufkommen, 's mag kosten, was es will. So hast du deinen eignen Teufel zum Narren, und – so geschieht's, Jungfer, so geschieht's immerfort, und ich seh' aus wie ein Drehstrick, bin aber ein ganz richtiger christlicher Strick! Und jetzt verleitet Sie mich zu einer handgreiflichen Lüge, und lauft neben mir her als ein Junker, und ich laß mir's gefallen, weil mein Töffel hier mit in der Patsche steckt, und das soll mich nicht rasend machen, he?! Ich weiß ja nicht mehr, wer und was ich bin!

LAURA.
Schrei Er nur nicht so, sonst ist der Christoph verloren!
BLEISTIFT
zusammenfallend.

Ja so! Sich am Stuhl haltend. Mein Bub'! An mir ist ja doch nichts mehr zu verlieren, ich bin einmal ein Forijeng, wie der Herr sagt; aber mein Bub', ach der ist so brav und so klug, den muß ich beschützen, und wenn's mein Leben kostet – weiß Sie, Jungfer, daß er jetzt auch Klarinette spielen kann?

LAURA.

Das ist eben sein Unglück! Weil er den jungen Sausewinden aufspielen muß zu ihren Schelmenliedern, kommt er mit hierher und läuft in die Gefahr.

BLEISTIFT.
Richtig! So geht's, weil der Junge Schenie hat und wißbegierig ist!
[209]
LAURA.
Neugierig, Bleistift!
BLEISTIFT.

Wißbegierig, Demosell Junker, das ist er, und das hat er von mir! Hört man mir die Dorferziehung an? Non. Ich war immer wißbegierig. Als Hundejunge fängt der Töffel an, als Professor wird er aufhören. Klarinette ist schon's vierte Instrument! Erst pfiff er simpel, dann pfiff er auf dem Finger, dann blies er Horn, bis es ihm der unmusikalischen Herrn Hunde wegen verboten wurde – denn wenn er blies, heulten die Beester – jetzt lernt er bei Herrn Streicher Klarinett und bläst Herrn Streicher schon in Grund und Boden – aber wie will Sie ihn retten samt den übrigen Herren Schenies?

LAURA.

Geduld! Die ganze Gesellschaft soll wieder auseinander sein, ehe der Herzog da oben in der Loge sie sehn und hören kann.

BLEISTIFT.
So?
LAURA.
Er ist wohl schwach, Bleistift?
BLEISTIFT.
Herzschlecht ist mir von der Alteration!
LAURA.

Ja, Lieber, dazu ist aber jetzt keine Zeit. Es hat neun geschlagen, lange wird der Herzog nicht mehr ausbleiben. Also Achtung! Bleistift fährt auf. Seine Soldaten von jenem Korridor da in diesen herüberführen. Von links nach rechts deutend. Fix!

BLEISTIFT.
Service – ja so! Er geht und tut es während der folgenden Rede Lauras.
LAURA.

Nun ans Werk! – Onkel Durchlaucht hat Waffenstillstand von uns verlangt bis neun Uhr! Jetzt aber lassen wir unsre Batterien spielen!Leuchtet nach dem Tische. Wahrhaftig – die Vorbereitungen stimmen zu! Da sind auch Bücher! Tante Franzel sagt, die wären das Gefährlichste, und die müßte ich auf die Seite bringen. Was ist denn das? Schlägt auf und liest bei der Laterne. »Anthologie für das Jahr 1782.« »Gedruckt in der Buchdruckerei zu Tobolsko.« Schlägt um. »Phantasie an Laura.« Herr Gott! Von Spiegelberg? Nein, ein Ypsilon darunter! – Herrje! Haben die Tanten am Ende recht, und ist der Spiegelberg ein Schalk, der gar keine Gedichte machen kann – noch eins? »Laura am Klavier!« 's ist doch aber allerliebst grauslich, so bei Nacht und Nebel überall gedruckt zu sein und mitzuspielen, wo's berühmt und gefährlich zugeht – wieder Ypsilon! Läßt es in der Hand sinken, weggehend. Wahrhaftig, der Koch hat mich am Ende betrogen, der [210] Schlingel! Und all die Herrlichkeit für mich ist von Schiller! – Der gefällt mir eigentlich viel weniger – er ist so schrecklich ernsthaft – aber was Besonderes hat er freilich – die Tanten sagen's auch und der Onkel selber – und recht treu scheint er doch zu sein! – Eilig, eilig! Onkel darf die Gedichte an mich nicht finden – in die Tasche Steckt's in den Mantel. und das andere Buch Aufmachend. »Die Räuber« – – Herr Gott, da ist ja der Löwe!

BLEISTIFT
ist leise hinter sie getreten.
Was weiter, Herr Junker?
LAURA.

Ach! – Wie Er mich erschreckt! Das Buch verbergend. Seh Er jetzt nach, ob die Tante recht hat, und ob sich der Druckschlüssel dort an der Tür, welcher zur Loge hinaufführt, befindet.

BLEISTIFT.
Was soll das meinem Buben helfen?
LAURA.

Wenn der Herzog dort nicht hinauf kann, dann muß er den großen Umweg um das Corps de Logis machen, um in die Loge hinaufzukommen – und wenn unterdes die jungen Leute eintreffen, so haben wir Zeit, sie fortzujagen.

BLEISTIFT.
Wir müssen ja mit dem Herzoge –
LAURA.
Ich nicht – – geh Er nur nachsehen!
BLEISTIFT.
Ist mein Christoph auch wirklich dabei?
LAURA.
Freilich!
BLEISTIFT.
O Jerum! Geht nach hinten.
LAURA
für sich.

Ich vermute es wenigstens aus Kochs Reden – aber das Buch! Das ist gewiß die Spitzbubenkomödie Schillers, von welcher der Hauptmann sprach Steckt's auch in die Tasche. die darf durchaus nicht gefunden werden!

BLEISTIFT.
Der Drücker steckt. Geht nach links.
LAURA.

Gut! – Nun den Warnungszettel an die Stelle der Bücher. Ein wenig versteckt, daß ihn nicht etwa der Feind findet im Vorübergehn. Steckt ein Blättchen Papier unter das Feuerzeug. Wenn sie den lesen, so werden sie wohl zeitig genug ausreißen.

BLEISTIFT
von der Tür links.
Der Herzog kommt!
LAURA.
Also hinweg!
BLEISTIFT.
Nehmen sie die Laterne nicht mit –
LAURA.

Nein, nein! Da! Gibt sie ihm, eilt an die hintere Tür und zieht den Drücker ab, nachdem sie geöffnet. So, artiges Instrument – mich hinauslassen, aber niemand hereinlassen! Ab, hinein; man hört schnappen.

2. Szene
[211] Zweite Szene.
Bleistift der den Laternenschein durch die offne Tür hinausfallen läßt. Herzog. Hauptmann.

HERZOG.
Wo ist die Mannschaft?
BLEISTIFT.
Drüben Sire – Nach rechts hinüber deutend.
HERZOG.

Recht, denn von hier müssen die Bursche kommen – leuchte, ob die Vorbereitungen dazu stimmen. Wahrhaftig! Die vermaledeiten Tonpfeifen! Aber die Bücher fehlen, das Buch mit dem Löwen.

HAUPTMANN.
Ich vermisse es ebenfalls – dort unter dem Feuerzeuge scheint ein Zettel zu stecken! Nimmt ihn.
HERZOG.
Was steht darauf!
HAUPTMANN
liest.

»Moor und Spiegelberg und die ganze Bande ist verraten in ihrem Lagerplatze, sie muß auf der Stelle – auf der Stelle ist unterstrichen! – ihre Zelte abbrechen.«

HERZOG.
Also ein Spion unter uns?! Was für 'ne Handschrift?
HAUPTMANN.
Eine offenbar verstellte.
HERZOG.
Her damit! Leuchte, Tölpel.
BLEISTIFT.
Sire, hier!
HERZOG
betrachtet das Blatt und schüttelt mit dem Kopfe.
HAUPTMANN.
Durchlaucht verzeihen die Bemerkung, daß die Verschwörer jeden Augenblick eintreffen können.
HERZOG.
Also hinauf in die Loge!
BLEISTIFT.
Dort ist kein Drücker, Sire.
HERZOG.
Hab' ich nicht ausdrücklich –!
HAUPTMANN.
Unbegreiflich – Heut' nachmittag war er noch da!
HERZOG
nach der Tür rechts.

Als ob man mit lauter Weibern zu tun hätte! Marsch! 's ist ein Umweg über Treppe und Gänge, der eine Viertelstunde Zeit kostet. Zu Bleistift. Voraus!

BLEISTIFT.
Service, Sire. Ab.
HAUPTMANN.
Auch dies muß Verräterei sein! Ab; man hört schließen.
3. Szene
[212] Dritte Szene.
Laura. Dann Schiller und Koch.

LAURA
leise öffnend.

Fort? Ich kann hinter der Tür nichts verstehn! – Herr Gott, und nun ist's so schauerlich still und einsam in dem großen Saale, und ich fange an, mich zu fürchten – ich lauf' davon – Nach links. aber Tante Bäbele – da kommt jemand! Zurück! Sie verschwindet wieder hinter die Tür.


Koch, Schiller im blauen Mantel.
SCHILLER
voraus.
Zum Verzweifeln, daß kein Brief kommt, zum Verzweifeln!
KOCH.

Na, vielleicht kommt der Streicher noch herauf, und vielleicht hat er einen, warum läßt du auch nicht direkt an dich schreiben?

SCHILLER
sich in den Sessel links werfend.

Warum nicht direkt?! Hast du denn keine Vorstellung, auf wie gebrechlichen Stützen meine ganze Existenz schwankt, und wie ich von Schnüfflern und Spionen umgeben bin?

KOCH.
Ach, ihr Poeten seht immer Gespenster!
SCHILLER.

Anton, ich bitte dich um's Himmels willen, sei nicht am unrechten Orte leichtsinnig. Du weißt, daß wir alle möglichen Anzeigen haben, dieses Silberkalb spüre um unsere Wege, du weißt, daß ihm die Herausgabe der Räuber auf die Länge nicht verborgen bleiben kann, und hat er einmal das Buch in der Hand, so hat es auch der Herzog, und was dann?

KOCH.

Auf den Asperg wie der Schubart – nicht doch! Aber guter Junge, das hast du ja alles vorher gewußt, warum hast du's denn drucken lassen?

SCHILLER.
Wofür hab' ich's denn geschrieben? Schreiben müssen?
KOCH.

Das ist auch wahr, 's hat jeder recht, sonst gäb's gar zu viel Verrückte. Weiter im Text, ich will unterdessen Feuer schlagen.

SCHILLER.
Außerdem hab' ich's drucken lassen, wie Cortez seine Schiffe verbrannte: ich will siegen müssen.
KOCH.
Das ist wahr.
SCHILLER.
Deshalb habe ich das Äußerste gewagt und hab's zur Aufführung nach Mannheim geschickt.
[213]
KOCH.
Damit es der Herzog ganz gewiß erfährt, richtig.
SCHILLER.
Anton, laß die Spielerei, du machst mich rasend.
KOCH
zündet das Licht an.

Wenn du lieber einmal ein neues Feuerzeug erfändest, Schiller, statt der unnützen neuen Theaterstücke – Zu ihm gehend. Moor, sei ein Mann, sieh' dem Satan Zukunft ins Angesicht.

SCHILLER.
Das tu ich.
KOCH.
Du bist also wirklich aufs Äußerste gefaßt?
SCHILLER.
Das bin ich.
KOCH.
Ich auch.
SCHILLER.
Anton –?
KOCH
holt sich einen Sessel neben ihn.

Ich hab' das Zopfspiel hier satt. Sprechen wir uns aus, ehe die andern kommen, die doch alle nichts Ernstliches wollen. Du mußt über kurz oder lang die Flucht ergreifen, und ich will; du in die Pfalz, ich nach Welschland

SCHILLER.
Wahrhaftig?
KOCH.

Da meine Hand drauf, und ich helfe dir dann; du bist mehr wert, als ich, und bist hilfsbedürftiger, weil du ungeschickt bist. Wie weit bist du also in Mannheim, was sagt dein Mäcen, Herr von Dalberg?

SCHILLER.

Ach Anton, das ist eben auch ein vornehmer Herr, welcher für uns kein rechtes Herz hat. Wie er mein Stück so lobte und aufzuführen versprach, nachdem es ihm wahrscheinlich die Schauspieler erst angelegentlich empfohlen, da warf ich mich ihm mit all meinen Ängsten und Hoffnungen in die Arme: ich schilderte ihm, daß ich hier am Abgrunde wankte und aus dieser Höhle des Despotismus hinaus müsse, wenn ich aufatmen und schaffen und zunächst meinen Fiesko zu Ende bringen sollte. Ich bat ihn, an den Herzog zu schreiben und um längern Urlaub für mich zu bitten und mich als Theaterdichter in Mannheim anzustellen.

KOCH.
Nun?
SCHILLER.

Nicht ja noch nein gab er zur Antwort; er hat nicht den Mut seiner Einsicht. Ausstellungen an den Räubern, Vorschläge zur Änderung für die Bühne und so weiter –

KOCH.
Und so weiter. Ein Zopf wie der andere. Alles brauchen sie beim Theater, nur nicht Dichter!
SCHILLER.

Ich habe aber hier keine Zeit mehr zu verlieren! Umgehend hab' ich einen neuen flammenden Brief hingeschickt, dem [214] aus jeder Zeile leuchtet: Sein oder Nichtsein! Ja oder nein! Und diesen Brief hab' ich an den jungen Iffland gesendet, daß er ihn unter beredten Worten dem Reichsfreiherrn überreiche!

KOCH.
Iffland, das ist ein Schauspieler?
SCHILLER.
Der den Franz Moor spielen soll.
KOCH.

Und der als Schauspieler den Kuckuck danach fragen wird, einen hofmeisternden Verfasser auf den Proben zu sehn!

SCHILLER.
Nein, nein Anton, nein, er ist jung und tüchtig und nach dem Höhern strebend.
KOCH.
Larifari! Das einzige Gute dabei ist, daß er jung ist.
SCHILLER.

Er hat mir denn auch umgehend geantwortet, daß er alles daran setzen und mir spätestens bis Mitte September Bescheid verschaffen werde.

KOCH.
Und heut' ist der sechzehnte.
SCHILLER
aufstehend und umhergehend.

Vorüber! Und Streicher, an den er adressiert, ist nicht zu finden! Und mein ganzes Leben hängt an dem Briefe!

KOCH.

Nun dabei ist also noch nichts verloren. Ich gestehe dir aber, daß ich verzweifelt wenig Vertrauen habe zu den großen Herren!

SCHILLER.

Ich habe auch keins, lieber Anton, aber ich kann doch nicht ohne irgend einen Anhalt aus dem Vaterlande hinaus in die weite Welt laufen.

KOCH.
Warum nicht, ich werd's doch tun.
SCHILLER
sich niedersetzend.

Ja, ich tät's wohl auch, wenn ich allein stünde. Denn hungern und darben und verderben, was ist's weiter, wenn man nur sich selbst und dem Ewigen verantwortlich ist, und wenn man große Absichten im Busen trägt!? Aber die Meinigen in Ludwigsburg! Mein strenger Vater ärgerte sich bis in die Grube hinab, wenn sein Sohn dem Herzoge, seinem Wohltäter entliefe, wie ein Vagabund und – nichts weiter würde als ein Vagabund! Und meine Mutter, meine gute, zärtliche Mutter, meine Schwester – ach, ich darf nicht daran denken!

KOCH.
Aber du wirst ja kein Vagabund bleiben, wofür hast du denn dein Genie?
SCHILLER.

Guter Anton, mit dem Genie ist das so ein unsicher Ding. Manchmal, ja oft sogar glaub' ich auch daran und schlag' es wohl noch höher an, als eure Lobsprüche es anschlagen; [215] denn ich fühle und weiß noch viel größere Absichten in mir, als ihr erscheinen seht, aber manchmal –

KOCH.
Bist du hypochondrisch, kleinmütig –!
SCHILLER
schüttelt den Kopf.

Nicht bloß, nicht bloß. Ich fürchte, es ist doch nichts Ganzes mit meinem Talent, und ich komme mir jämmerlich klein vor neben den großen Vorbildern und besonders neben den unbestimmten Bildern, die ich als Ideale von Dichtwerken in mir selber trage –

KOCH.
Ach was!
SCHILLER.

Anton, du glaubst es gar nicht, wie sauer mir manchmal das Schreiben wird, und wie es nach einer mühsam beendigten Arbeit wüst und leer und öde in mir aussieht, daß ich mir in Verzweiflung gestehen muß: du bist fertig, du kannst nichts mehr – siehst du, bei einem richtigen Genie darf das nicht vorkommen, eine göttliche Zuversicht muß den schöpferischen Dichter über die Erde hinwegtragen, und diese Zuversicht, Anton – die hab' ich sehr selten.

KOCH.
Hast sie aber doch!
SCHILLER.

Und wenn man nicht das Größte leisten kann in der Dichtkunst, dann hat man kein Recht, sich den Verpflichtungen eines bürgerlichen Amtes zu entziehen. Wer nicht im Großen wirken kann, muß wenigstens im Kleinen nützen, oder er ist ein unnützes Glied der Gesellschaft.

LAURA
erscheint in der Tür.

Es sind die beiden – jetzt also Etwas vorgehend. lieber Himmel, jetzt empfind' ich erst, daß es sich wohl nicht schickt für ein junges Mädchen, mitten in der Nacht –

SCHILLER.
Du schweigst, Anton?
KOCH.

Du machst mich irre. Den Kuckuck auch! Wenn du mit deinen großen Fähigkeiten zögerst, dich auf gut Glück in die Welt zu wagen, wenn du fürchtest ein Taugenichts zu werden, wie soll ich mich denn unterstehen! Ich kann ja nichts als Gesichter stehlen, und bilde mir ein, in Rom ein Maler zu werden; wenn ich dich aber so reden höre –

SCHILLER.

Sei getrost, Freund, du bist glücklicher. Dir hat der Himmel ein einiges starkes Talent gegeben, da gibt's keinen Zwiespalt, wie bei einem Dichter, der vielleicht keiner ist –!

KOCH.
Warum nicht gar!
[216]
SCHILLER.

Und dir hat die Natur den persönlichen Empfehlungsbrief gegeben, du gewinnst die Männer und gefällst den Frauen, du bist der Glückliche!

KOCH.

Nicht so, Schiller, du machst mir das Herz schwer. Ich weiß, worauf du zielst. Du meinst die Laura und denkst, ich sei der bevorzugte. –

SCHILLER.
Still, still, das ist mein Schicksal!
KOCH.

Nicht doch, Schiller, ich hab' da ein wenig gespiegelbergt, und sie bildet sich ein, deine Gedichte seien von mir – 's hat mir aber auch nichts weiter genützt. Sie ist lustig mit mir und trotzdem nicht minder spröde, sie weiß noch nichts von Liebe.

SCHILLER.

Sie hat wohl kein Herz! Wächst auf in Hülle und Fülle und gewinnt keine Einkehr in das Innere. Das ist unser Reichtum, den wir vor den Reichen und Mächtigen voraus haben, daß wir den Schmerz und die Tränen finden. In Schmerz und Tränen nur erschließt sich uns die innerste Seele, die geheimste Kammer, welche von der Gottheit in jedem Menschen bewohnt wird, und welche den lächelnden Glückskindern ihr Lebelang verschlossen bleibt. Und doch, wie schade! Welch eine liebliche Seele wohnt auf ihrem Angesichte, wie oft in Phantasien schwelge ich inniglich mit dem bezaubernden Blicke ihres Auges – ach, lieber Anton, sieh', da ist der weite aschgraue Horizont meines Lebens: mich hat noch kein Weib geliebt und – mich wird keins lieben.

KOCH.
Du bist nicht bei Trost!
SCHILLER.

Aus Ätherhauch und Himmelsflammen, aus Sternen des Geistes und aus dem Dufte des schmachtenden Herzens bilde ich sie mir und umarme sie, die schimmernde Wolke – die Wolke, immer nur die Wolke! Kein weicher Mädchenarm schlingt sich um meinen Nacken! – Aufspringend. Darum will ich ein Ende machen hier; es ist wahr, die törichte Sehnsucht nach jenem Mädchen, das mir doch niemals beschieden ist, bannt meinen Fuß, ich will fort, sei's ins Verderben!

LAURA
allmählich zurückweichend; man hört links die Ankommenden, sie spricht für sich: Man kommt! Und eilt in die Tür; sobald sie aber in der Tür ist, ruft sie laut.
Flieht, flieht, ihr seid in Gefahr! Und verschwindet hinter der Tür.

[217] Gleichzeitig mit Lauras Ruf spricht.
KOCH.
Nicht ins Verderben, in bessere Luft.
SCHILLER.
Was war das?
KOCH.
Es ist die Bande!
4. Szene
Vierte Szene.
Pfeiffer Roller. Scharpstein Schweizer. Peters Schufterle. Hover Ratzmann. Die Vorigen, bald darauf Nette.

PFEIFFER schon außen.
Es lebe die Nacht und die Freiheit!
SCHARPSTEIN.
Es lebe der jüngste Tag in Schwaben!
KOCH.
Schreit nicht so.
HOVER.
Es lebe die Zukunft und die Republik.
PETER
singend.
»Ein freies Leben führen wir.
KOCH.
Zum Henker schreit nicht so, bis die Tür hinter euch verschlossen ist – der Nieß könnte euch hören.
SCHARPSTEIN.

Nieß liegt im Siechbett seit heut nachmittag – seine ärgerliche Leber hat ihn mit Gelbsucht übergossen.


Schiller geht vorn quer auf und nieder.

Alles sehr schnell und fast gemeinschaftlich.
PFEIFFER.
Ich wollt', er wär' erst blau und schwarz, wie unsere Montur!
PETER
singt.
»Ein Leben voller Wonne!«
HOVER.
Wer macht Feuer, wo ist die Nette!
SCHARPSTEIN.
Die Nette kommt gleich – guten Abend Hauptmann.
PFEIFFER.
Bonus dies, Moor!
HOVER.
Was ist dem Moor?
SCHARPSTEIN.
Er phantasiert!
HOVER.
Will Fiesko nicht sterben?

Schiller geht nach hinten.
PETERS.
»Der Wald ist unser Nachtquartier.«
SCHARPSTEIN.
Zum Teufel, so rede doch, Moor!
SCHILLER.
Hat keiner den Streicher gesehen?
SCHARPSTEIN.
Nein!
PFEIFER.
Nein.
HOVER.
Doch – die kleine Nette hat ihn gesehen, er hat ihr einen Brief für dich gegeben.
SCHILLER.
Wahrhaftig? – Wo ist der Bub', wo ist er?
PETER
singt.
»Bei Sturm und Wind marschieren wir.«
[218]
KOCH.
Still doch, Schufterle, man hört ja sein eigen Wort nicht.
HOVER.
Er wird gleich kommen – er holt frischen Rum und Tabak und bringt warmes Wasser.
SCHILLER.

Viktoria! Koch vorführend. So käme die Entscheidung noch zu rechter Zeit! Dann wieder nach hinten eilend und dort harrend.

KOCH.
Wenn sie nur was taugt!
PETERS
der währenddem singend phlegmatisch am Tische Pfeifen gestopft.

Sessel herbei, Sitzung eröffnet, Feuer angezündet; mort de ma vie, wo sind denn unsre symbolischen Bücher? – Die hat ja der Teufel geholt!

SCHARPSTEIN.
Wahrhaftig.
HOVER.
Wie?
PFEIFFER.
Was?
KOCH.
Was heißt das? Alle suchen. Wo sind die Räuber und die Anthologie?
PETER.
Dies ist meine bescheidene Frage.
KOCH.
Wer hat du jour?
SCHARPSTEIN.
Schufterle!
PETER.

Ich. Daher meine bescheidene Frage – ich habe gegen Abend den Altar der Südsee in Ordnung gebracht, die Bücher daher gelegt!

KOCH.
Hast sie vergessen, Schufterle!
PFEIFFER.
Hast geschlafen.

Pfeifen anzündend, Feuer machend.
NETTE
erscheint hinten während Schufterles Rede, einen großen Napf heißen Wassers tragend.
SCHILLER.
Du hast einen Brief für mich?!
KOCH.
Da kommt der Stift. Zutretend.
SCHARPSTEIN.
Verbrüht die Nette nicht – gib das Wasser her!
PFEIFFER.
Hierher den Rum, Nette.
PETERS singt.
»Der Mond ist unsre Sonne.
SCHILLER.
Wo hast du ihn? Heraus, heraus!
NETTE
in Hundejungenlivree grau und grün, entstellt durch Flaschen, Pakete, Klarinette, die unter den Kleidern verborgen sind.
Ja, ja, gnädiger Herr.
KOCH.
Na, so mach' doch, Stift. Den Brief!
NETTE.
Hier, Herr Spiegelberg. Reicht die Flasche.
[219]
KOCH.
Das ist ja eine Flasche. Sie Pfeiffern reichend.
NETTE.
So?
SCHILLER.
Mein Brief, Bursche!
NETTE.
Gleich, Herr Hauptmann, hier. Die Klarinette hinreichend.
KOCH.
Der Junge ist dämlich geworden –
PETERS.
Geworden! Wie höflich!
KOCH.

Macht unser jüngstes Genie nicht dumm! Dies Nervensystem der Bleistifte ist zart, verträgt keine Zudringlichkeit – Streichelt und visitiert ihn, Nette lächelt. Nette, du hast ihn gewiß in der Tasche?

NETTE.
Erraten!
KOCH
visitiert ihn vorn.
Nein!
SCHILLER.
Zum Verzweifeln!
NETTE.
Doch – aber da hinten!
KOCH.

Ah! Entschuldige, Stift – hier Moor, der Brief aus Franken vom Reichsgrafen, diesmal Reichsfreiherrn.

SCHARPSTEIN.
Hierher, Nette!
PFEIFFER.
Feuer machen!
HOVER.

Kessel aufsetzen!

PETERS bereitet neben Nette am Kamine, wo Feuer angezündet worden, den Punsch, indem er Zucker, Zitronen, die Nette in Paketen gebracht, und Rum in den Napf schüttet; etwas vom Rum obiger Flasche kostend, ruft er: Es lebe Laura, des Herzogs lustiges Töchterlein!

SCHARPSTEIN.
Keine Klatscherei, das verbitt' ich mir!
PETERS.
Wer hat hier zu verbitten?
SCHARPSTEIN.
Sogar zu verbieten, wenn mir eure Lästerung nicht gefällt.
PETERS, PFEIFFER UND HOVER. Holla, ho, Schweizer, keine Tyrannei!
SCHILLER
der unterdes gelesen, läßt den Brief fallen und läuft in Verzweiflung nach hinten.
KOCH
der aufmerksam auf ihn gesehen.
Armer Schiller! Hebt den Brief auf.
PFEIFFER.
Moor! Wonaus, Moor? Was beginnst du?
HOVER.
Was hat er, was hat er? Er ist bleich wie die Leiche.
[220] SCHARPSTEIN.
Das müssen schöne Neuigkeiten sein! Laß doch hören, Spiegelberg!
PETERS.
Erster Akt, zweite Szene, ins Leben übersetzt!
KOCH
liest.

»Ihr bis in den Tod ergebenster Iffland, Schauspieler. – Verehrtester Herr Schiller! Legen Sie's um's Himmelswillen nicht meiner Saumseligkeit zur Last, wenn ich Ihnen kein besseres Resultat vermelden kann.«

Da schmeckt schon der Essig vor!

»Alles, was in meinen schwachen Kräften liegt, hab' ich aufgeboten bei unsrer Exzellenz, dem Herrn Intendanten, Sie von Ihrem Herzoge für unser Theater zu erbitten und Ihnen eine, wenn auch zunächst kleine Anstellung als Theaterdichter anzutragen. Es würde ja ein ganz neues Leben über das deutsche Schauspiel kommen, wenn junge Dichter von ihrer Außerordentlichkeit ein Wort mitzusprechen hätten. Es war alles umsonst. Exzellenz sagte: Ich kann so was nicht wagen vor dem Herzoge von Württemberg, es könnte meinen Ruf kompromittieren.«

SCHARPSTEIN.
Aha!
KOCH
ohne Unterbrechung lesend.
»Schiller ist ein exzentrischer Kopf,«
HOVER.
So?
KOCH.
»der allerdings großes Talent haben mag,«
PFEIFFER.
Wirklich?!
KOCH.

»für dessen Zukunft aber kein Mensch einstehen kann, am wenigsten ein Mann in meiner Stellung. Ich wage schon das Äußerste, wenn ich die Räuber aufführen lasse.«

PFEIFFER.
Wie heißt die – Exzellenz!
SCHARPSTETN.
Stille, Herr von Dalberg ist immer noch einer von den Besten.
Sehr schnell.
SCHILLER
hervoreilend.

Einer von den Besten! Jawohl! Das sind die Besten! O Vaterland, was hab' ich dem Manne alles vorgestellt, wie hab' ich mich hingegeben, mich zu flehenden Bitten erniedrigt, alles umsonst! Umsonst die Beweisführung, daß der Dichter in diesem Kamaschendespotismus, in dieser kleinstädtischen Schulpedanterie ohne Horizont und ohne Schwung erlahmen und verkümmern müsse, umsonst der Zuruf, daß ein herzhaftes Beispiel nottue fürs ganze deutsche Vaterland, umsonst der Hinweis auf den jungen Fürsten von Weimar und [221] den Götz von Berlichingen und den Herder und Wieland, umsonst Zuruf und Beweis und Beispiel, umsonst Bitten, Flehen und Tränen, diese Großen in unserm Vaterlande sind nichts mehr, als gehorsame Diener des Augenblicks, ohne eigenen Geist, denn sie behelfen sich mit dem Witze der Franzosen, ohne mutiges Herz, denn sie wagen nicht mehr ohne Kommando zu lieben oder zu hassen, sie leben nur noch vom Abfall der Herrenti sche und vom Flittertande, der ihnen gnädigst erlaubt wird, diese Großen sind kleine Bediente geworden, und wir armen Schlucker, wir sind die Hundejungen dieser Bedienten, und dabei floriert das heilig römisch-deutsche Reich seinem Untergange entgegen!


Wendet sich wieder nach hinten.
SCHARPSTEIN.
Du hast recht!
PFEIFFER.
In die böhmischen Wälder!
HOVER.
Fort über das Meer!
ALLE.
Es lebe Karl Moor, unser Hauptmann!
SCHILLER.

Ja, ewiger Gott, was wir hier als Knabenspiel getrieben, es gewinnt eine fürchterliche Bedeutung. Übers Weltmeer sollten wir uns retten, hinweg aus einem Lande, das seine hingebenden Söhne mit Füßen tritt, das in seinen besten Männern die Manneswürde verloren hat, das selbst durch seine größten Fürsten kein Heil mehr erobern kann, nein, nein, nein, kein Heil mehr für uns unglückliche Deutsche, deren großer König Friedrich uns weder Geist noch Poesie zutraut, deren edler Kaiser Joseph gewaltsam die Besserung erzwingen muß und von Nadelstichen zermartert nicht erzwingen kann, kein Heil mehr für uns auf unsrer geliebten deutschen Erde! Er sinkt Koch in die Arme.

KOCH.
Fasse dich, Freund, wir sind jung!
HOVER.
Wir haben Mut, unser Ideal zu verwirklichen.
SCHARPSTEIN.
Unsere Pläne auszuführen mit dem neuen Staate!
PFEIFFER.
Wo es keine Polizei mehr geben soll.
HOVER.
Kein Eigentum und kein Erbrecht.
PETERS.
Keine Examina und keine Karzer!
KOCH.

Und unter andern nötigen Dingen keine Zöpfe mehr – lassen wir die Possen mit unserm Schlaraffenstaate, in dem wir's noch weniger aushalten könnten als hier!

[222]
SCHARPSTEIN.
Spiegelberg!
Sehr schnell hintereinander.
HOVER.
Du bist ein Verräter.
PFEIFFER.
Nieder mit ihm!
SCHARPSTEIN.
Standrecht über ihn!
PETERS.
Das Bundeslied angestimmt! – Nette, an deinen Posten!
PFEIFFER.
Standrecht über Spiegelberg!
KOCH.

Standrecht, so? Aber keine Polizei! – Laßt mich ungeschoren mit Eurem Plunder! Dem Schiller muß geholfen werden! Das ist die Hauptsache!Geht zu Schiller, der sich auf den Sessel links geworfen hat, und scheint zu ihm zu sprechen.

Alle nach den Plätzen um den Tisch.
PFEIFFER.
Also Sitzung halten.
HOVER.
Sitzung und Beratung halten.
PETERS.
Das Bundeslied angestimmt!
SCHARPSTEIN.
In die Höhle, Stift!
PETERS
der sich immer mit dem Punsch beschäftigt, jetzt den Napf aufsetzend.
Da ist auch Jupiters Nektar, um den Geist aufzuklären!
HOVER.
Erst das Bundeslied, damit wir in Stimmung kommen!
PETERS.

Nette! Der links in den Kamin gekrochen ist. Den Ton angeben! Nette bläst die ersten Tone des Liedes: »Ein freies Leben« usw. – Laura öffnet.

LAURA
erscheint.
Der Herzog naht – was ist zu tun, da sie meinem Zettel nicht gehorchen!?
ALLE
außer Schiller und Koch; Gesang.
»Ein freies Leben führen wir.«
LAURA
rückwärts sehend.
Er kommt, ich muß hinweg!
ALLE.
»Ein Leben voller Wonne!«
LAURA
ruft.
Der Herzog kommt! Rettet euch!

Ab rückwärts in ihre Tür.
ALLE
springen auf, Nette bläst weiter.
SCHILLER
bleibt in Gedanken sitzen.
ALLE
außer Schiller.
Was war das?
Der Herzog kommt!
Der Herzog kommt?
PETERS.
Sauve qui peut –?
PFEIFFER.
Nehmt den Punsch mit!
SCHARPSTEIN.
Kreuz Donnerwetter!
[223]
HOVER.
Und die Pfeifen!
PETERS.
Sauve qui peut!
SCHARPSTEIN.
Haltet Stand!
KOCH
schreiend.

Halt! Ruhe, Fassung. Nette, stopf' die Klarinette – ist das die Bande, welche die Welt reformieren will?!

SCHARPSTEIN.
Er hat recht.
HOVER.
Ruhe.
PETERS.
Den Teufel auch, der Herzog kommt!
KOCH.
Wer hat's gesagt? Wo kam der Ruf her?
PFEIFFER.
Wer weiß es!?
HOVER.
Ich weiß es nicht!
KOCH.

Wo kann er hergekommen sein?! Beim Herzoge drüben ist alles beschäftigt mit der Festlichkeit, Nieß liegt krank, ein Verräter ist nicht unter uns, und die Wände sprechen nicht mehr heutigestages – hat sich einer von uns einen Witz gemacht?! An die Tür rechts gehend. Diese Tür ist verschlossen. Zur Mitteltüre. Diese ebenfalls hier.Links. Holla?! – ist kein Mensch –! Wer kann's gewesen sein?!

PETERS.
Am Ende der Nette!
SCHARPSTEIN.
Der Stift im Kamine!
KOCH.

Straf mich Gott, die Stimme war dünn – junger Bleistift, musikalisches Genie, was untersteht du dich?!

NETTE
im Kamine.
Ich, gnädiger Herr?
KOCH.
Was fällt dir ein, Witze zu machen?
NETTE.
Der Wald ist unser Nachtquartier – dritte Strophe, hohes E –
KOCH.

Hohes Beh! – Aber die Blamage habt ihr verdient – Singen und Trinken statt unserm Hauptmann da zu helfen – 's ist wirklich unser Hauptmann! Hat gar keine Notiz genommen von euerm Hasenpanier, und wer wäre mehr bedroht als er, wenn der Herzog käme. Armer Dichter!

SCHILLER
hat während des Lärmens ein Blatt Papier aus der Tasche gezogen und darin gelesen.

Jawohl Schubart, »o Mensch, wie klein bist du!« Jawohl, Schubart, und dein Schicksal steht mir bevor!

KOCH.
Was tun, Schiller! Faß einen Entschluß! Du kommst auch ohne Dalberg durch die Welt. Was hast du da?
[224]
SCHILLER.
Ein Papier für den Herzog.

Der Herzog erscheint in der Nische.
KOCH.
Doch keine Supplik?
SCHILLER.
Eine Replik, mein Junge. Schubarts Fürstengruft.
ALLE
nähertretend.
Was ist das?
SCHILLER.
Das neueste Gedicht des Aspergopfers; ich war gestern oben bei ihm.
KOCH.
Um dein künftig Logis zu betrachten?
SCHILLER.

Du kannst recht haben. Vater im Himmel, nicht vor der Gefangenschaft erschreck' ich, nicht vor der Zerstörung des Leibes, nein, aber vor der Zerstörung der Seele –

HOVER.
Ist der Schubart wahnsinnig geworden?
KOCH.
Schwachsinnig –?
SCHILLER
sie ansehend.

Wißt ihr, was Wahnsinn, wißt ihr, was Schwachsinn ist, wenn man sechs lange Jahre schmachtet – fromm ist er geworden!

ALLE.
Was?
SCHILLER.

Ein Pietist! Diese einst so kerngesunde Natur ist von dem Holofernes Rieger so lange geknetet worden, bis ihre Spannfedern zerbrochen sind. Mir hat Schubart, der Chronist Schubart, gestern gesagt: daß er alltäglich Gott auf den Knien danke für die Gnade; welche ihm sein Fürst angetan mit der einsamen Einsperrung im Gefängnisse, mit der Überlieferung an einen Kommandanten, wie Rieger, dadurch sei er zur Ruhe, zur höhern Einsicht gekommen und habe sich, Demütig. das heißt, seinen ewigen Menschen wiedergefunden – – Aufspringend. Dies ist der Triumph der Tyrannei! Nach vorn gehend.

ALLE.
Entsetzlich.
SCHILLER.

Fürchterlich! Fürchterlich! Gott, wenn mir dies bevorstünde – lieber den Tod! Der Herzog verschwindet.

KOCH
leise.
Lieber Flucht, da es noch Zeit ist.
SCHARPSTEIN.
Und diese Fürstengruft ist also zahm?
SCHILLER.

Nein, nein, diese nicht – er hat noch Rückfälle, es ist ein Chaos in ihm, wie vor der Schöpfung. Diese Fürstengruft ist ein Zeugnis dafür.

ALLE.
Lies! Lies! Moor! Drängen sich.
[225]
SCHILLER.

So hört. Beim ersten Worte tritt durch die Logentür der Herzog ein und nähert sich langsam, ungesehen.


Die Fürstengruft.

Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer,
Ehmals die Götzen ihrer Welt.
Da liegen sie, vom fürchterlichen Schimmer,
Des blassen Tags erhellt.

Wie fürchterlich ist hier des Nachhalls Stimme,
Ein Zehentritt stört seine Ruh.
Kein Wetter Gottes spricht mit lautrem Grimme:
O Mensch, wie klein bist du!

Denn ach, hier liegt der edle Fürst, der gute,
Zum Völkersegen einst gesandt,
Wie der, den Gott zur Nationenrute
Im Zorn zusammenband.
KOCH.
Solch eine Zuchtrute kennen wir!
SCHILLER
ihm die Hand reichend.
Und liegen ohnmächtig unter den Streichen derselben!
HERZOG
die Hand auf Schillers Schulter klopfend.
Les' Er weiter! –
ALLE
erstarrt einen Schritt zurücktretend und nur ganz leise sprechend.
Der Herzog!

Pause.
KOCH
leise.
Nun helf uns Gott, das ist ein Unglück.
HERZOG
sieht sie alle der Reihe nach an und geht dann zum Tische.
Sergeant!
BLEISTIFT
ist hinten ans der kleinen Tür, durch welche nun auch der Hauptmann und unbemerkt von diesem zuletzt Laura getreten.
Sire! Ist sehr bewegt und sieht sich ängstlich nach Nette um.
HERZOG.

Das saubre Getränk soll in die Schloßapotheke getragen und es soll untersucht werden, ob eine Tollwurzel oder was ähnliches Sinnverwirrendes darin enthalten sei –

BLEISTIFT.
Service, Sire! Tollwurzel –
HERZOG.

Dieser unsaubere Tabak samt Pfeifen auf eine Torwache – die Gemeinen mögen versuchen, ob ihnen solch eine Zungenbeize ansteht, welche durch die Eleven der Karlsakademie nobilitiert worden ist – wo sind die Bücher, die hier zu liegen pflegen? – Wer antwortet?! Wer ist der Rädelsführer?

[226]
SCHILLER.
Ich muß als solcher von Durchlaucht betrachtet werden.
HERZOG.
Er gehört nicht mehr zur Akademie, Er gehört zum Regiment Augé, Ihm gebührt ein Militärgericht.
SCHILLER.

Ich bitte Durchlaucht, die Eleven von dieser Verantwortlichkeit des Exzesses zu entlassen und auf mein Haupt allein die Strafe zu sammeln.

KOCH.
Durchlaucht –!
HERZOG.
Er hält wohl sein Haupt für erstaunlich groß?
SCHILLER.

Diese unerlaubten Versammlungen stammen noch aus der Zeit, da ich die Ehre hatte, Eleve der Akademie zu sein. Die gegenwärtigen Akademisten sind also dazu wie zu etwas Herkömmlichem verleitet worden, und da ich allein von außen her damit in Verbindung geblieben bin, so halt' ich es für meine Schuldigkeit –

HERZOG.
Alles auf sich zu nehmen?
SCHILLER.
Ja, Durchlaucht!
LAURA
leise.
O wie brav!
KOCH.
Durchlaucht –!
HERZOG
zu Koch.

Schweig' Er da, bis Er an die Reihe kommt! Zu Schiller. Er bildet sich ein, mir durch solche Großmut zu imponieren?! Mit nichten. Ich kenne die Wurzel dieser Großmut. Sie heißt Überspanntheit und Überschätzung. Es ist krankhafte Großtuerei gegen gesetzliche Macht. Wo sind die Bücher?

KOCH.
Wir wissen's nicht, Durchlaucht – sie waren schon weggenommen, als wir ankamen.
LAURA
leise nach Koch zu.
Still doch davon!
HERZOG.
Was waren's für Bücher?
KOCH.
Poesien.
HERZOG.
Poesien – so? Mit dem aufsteigenden Löwen, der die Tyrannen zerreißen soll.
KOCH
leise.
Um Gottes willen, er kennt die Räuber!
SCHILLER
ebenso.
Ich bin verloren!
HERZOG.
Wird sich finden! – Ich hab' Ihm gesagt, Er soll weiterlesen, les' Er!
SCHILLER.
Ich?
HERZOG.
Ja Er! Was Er da in der Hand hat von Freund Schubart –
[227]
SCHILLER.
Das soll ich –?
HERZOG.
Das soll Er mir vorlesen.
SCHILLER.
Mein Gott!
KOCH.
Weh' uns! Schrecken unter den Übrigen.
HERZOG.
Die Fürstengruft heißt es ja wohl?
SCHILLER.
Ja!
HERZOG.

Nun, was zögert Er? 's ist ja doch auf mich gemünzt! Jetzt kann Er's an den Mann bringen. Besser kann's doch der Schubart und seinesgleichen nicht verlangen. Also les' Er! Drei Verse hab' ich schon gehört bis zur »Nationenrute, die Gott im Zorne zusammenband« – da fahr' Er fort, und mit dem gehörigen Ausdruck; wir stehn vor den Särgen tyrannischer Fürsten.

SCHILLER
nimmt das Blatt auf, sieht hinein, zögert, sieht den Herzog an, der sich auf den Stock stützt.
HERZOG.
Nun wird's? Erhöhter Schrecken der Übrigen, die leise zurücktreten.
SCHILLER
anfangs schwach, allmählich überwältigt ihn der Inhalt, und er liest mit vollem Feuer.
Da liegen Schädel mit erloschnen Blicken,
Die ehmals hoch herabgedroht,
Der Menschen Schrecken! Denn an ihrem Nicken
Hing Leben oder Tod.

Nun ist die Hand herabgefault zum Knochen,
Die oft mit kaltem Federzug
Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen,
In harte Fesseln schlug.
HERZOG
mit der Linken auf seine Rechte deutend.
Diese Hand!
SCHILLER
flüchtig danach sich umsehend.
Damit die Quäler nicht zu früh erwachen,
Seid menschlicher, erweckt sie nicht.
Ha, früh genug wird über ihnen krachen
Der Donner am Gericht.

Wo Todesengel nach Tyrannen greifen,
Wenn sie im Grimm der Richter weckt,
Und ihre Greul zu einem Berge häufen,
Der flammend sie bedeckt.

Pause.
[228] Im Tone wechselnd.

Ihr aber, beßre Fürsten, schlummert süße
Im Nachtgewölbe dieser Gruft,
Schon wandelt euer Geist im Paradiese
Gehüllt in Blütenduft.

Pause.
HERZOG.
Den letzten Vers hat Er wohl in der Geschwindigkeit hinzugereimt?
SCHILLER
sieht ihn an.
KOCH
leise.
Schweig! Das kann dich retten! Oder sag' ja!
HERZOG.
Na, hat er soviel Genie!
SCHILLER.
Nein, auch dieser Vers ist von Schubart

Pause.
HERZOG.
Der Mann hat viel Talent zum Versemachen, aber wenig Talent zur Freiheit.
SCHILLER.

Um so mehr Gnade, daß ihm Durchlaucht bei solcher Ansicht doch vor kurzem die Freilassung versprochen haben –

KOCH
leise.
Schiller!
LAURA
bewundernd ebenso.
O, Schiller!

Pause.
HERZOG.

Ich glaube, Er untersteht sich, für einen Autor zu petitionieren, während Er selbst – trag' Er Sorge, Er deklamierender Apostel Schubarts, für seinen eigenen Hals und Kragen!

LAURA
vorkommend.
Seien Sie gnädig, Onkel Durchlaucht. Das ist ein edler Mensch!
BLEISTIFT
halblaut.
Himmel Sakkerment! Sie ruinieren mich ja.
ALLE.
Fräulein Laura!
SCHILLER.
Das Fräulein, gütiger Himmel!
HERZOG.

Was ist das, Mädchen, in dieser Maskerade, was unterstehst du dich?! Weißt du denn nicht, daß es unanständig ist, so allein unter Mannsbildern umherzulaufen?

LAURA.

Ach, Onkel Durchlaucht, mir ist das Herz so voll Mitleid und guter Gedanken, daß von so was gar nicht die Rede sein kann. Du aber verkennst und bedrohst da einen edlen Menschen, und das schickt sich nicht für einen so guten Fürsten, wie du bist und sein sollst!

HERZOG.
Laura –!
[229]
SCHILLER.
O welch ein Engel erscheint für uns!
HERZOG.

Hauptmann, nehmt Ihr den groben Mantel ab! Dieser tut's, indem er rasch hinter der Reihe zu ihr kommt.

LAURA.

Die Tanten sagen's auch beide, und du wirst schon sehen, daß du Übles anrichtest, wenn du auf Tante Franziska nicht hörst – sei gut, Onkel Durchlaucht!

5. Szene
Fünfte Szene.
Generalin von links kommend. Die Vorigen.

GENERALIN
von links, hinter ihr ein Diener mit Licht.
Darf man eintreten, Durchlaucht, ins Kriminal? Mein Auftrag leidet keinen Aufschub.
HERZOG.

Ei Potztausend, ihr Weiber überhebt euch – das ist nicht mein Geschmack – wer erlaubt Euch, Generalin Rieger, hierher zu kommen?

GENERALIN.

Na, na! Das Allerdringendste! Eben weil's hier gefährlich zugehen soll, mochte die Frau Gräfin keinen Beamten schicken, damit er nicht ungeschickt in ein falsches Haus platze, und deshalb hab ich's übernommen. Undank ist der Welt Lohn.

HERZOG.
Kurz!
GENERALIN.

Kurz – es kommt Kurier auf Kurier, der Großfürst von Rußland können nächste Minute im Schloßhofe vorfahren!

HERZOG.

Blitz, das ist was andres! – Hauptmann Silberkalb! Zu den Anordnungen hinüber – große Tafel anrichten! – Alles beleuchten!

HAUPTMANN.
Zu Befehl. Geht.
HERZOG.
Noch eins! Er betrachtet einen Augenblick Laura und geht dann zu ihm nach hinten.
GENERALIN
halblaut.
Na, wie steht's – das scheint ja mißlungen.
LAURA.
Mißlungen!
GENERALIN.
O weh!
LAURA.
Habt ihr denn meinen Zettel nicht gelesen, mein Rufen nicht gehört?
KOCH.
Sie haben gerufen – die dünne Stimme –?
SCHILLER.
Sie, gnädiges Fräulein –?
[230]
KOCH.
Waren Sie? Dann haben Sie auch die Bücher auf die Seite gebracht!
LAURA.
Ja.
GENERALIN.
Wo hast du sie denn?
LAURA
erschreckend.
Ach du mein Himmel, sie stecken in dem Mantel, den der Hauptmann –
KOCH.
Um Gottes willen, es sind die Räuber darin.
GENERALIN.
Was, Räuber?
SCHILLER.
Verehrungswürdige, ein Buch, das dem Herzoge nicht in die Hände fallen darf!
KOCH.
Den Mantel!
LAURA.
Den Mantel.
GENERALIN.

Also den Mantel müssen wir erobern, der Hauptmann wird jetzt nicht zum Visitieren der Taschen kommen! – Still, der Herzog! Wenn sein Gesicht so aussieht, dann ist nichts Gutes zu erwarten. Hauptmann links ab.


Pause.
HERZOG
betrachtet alle.
Sergeant!
BLEISTIFT.
Sire. Halb auf den Kamin blickend, wo er fortwährend seinen Sohn zu decken getrachtet.
HERZOG.
Zähl' Er sich die Leute, Er wird Sie hinüber in den gelben Saal transportieren.
BLEISTIFT.
Eins, zwei, drei – sechs, sechs. Seitwärts nach Nette blickend. Sire, wohl nur sechs –?
HERZOG.
Na, kann Er nicht zählen?
BLEISTIFT.
Ja so – wahrhaftig nur sechs Erwachsene!
HERZOG.

Im gelben Saale werdet ihr das Weitere erwarten und euch unterdes ankleiden für eure Rollen in der einprobierten deutschen Komödie, jeden Augenblick gewärtig, daß ihr das Stück vor meinen Gästen aufzuführen habt. Das kann nach der Tafel, vielleicht also erst gegen Morgen geschehen, wenn meine Gäste noch Lust haben. Sergeant!

BLEISTIFT.
Sire.
HERZOG.
Seine Leute eintreten lassen!
BLEISTIFT
schließt rechts auf.
Marsch! Die Soldaten treten ein. Halt!
HERZOG
Bleistift winkend.
Hierher! Bleistift kommt. Regimentsmedikus Schiller – geb' Er Seinen Degen ab.
[231] Allgemeine Bewegung.
SCHILLER.
Durchlaucht!
LAURA.
Onkel –!
GENERALIN.
Durchlaucht –!
ALLE.
O Gott!

Kurze Pause.
HERZOG.
Hat Er verstanden – geb' Er seinen Degen ab; er gebührt Ihm nicht mehr!
SCHILLER
den Degen lösend.
Er hat an meiner Seite, Durchlaucht, nichts Unehrenhaftes erfahren –
LAURA.
Onkel Durchlaucht, das wird der Tante Franziska einen Stich ins Herz geben!
GENERALIN.
Durchlaucht, dieser junge Mann steht unserm Herrgott näher, als irgend ein Betbruder unter uns –
HERZOG.
Wir wollen sehen, ob ihn der Herrgott jetzt beschützt!
LAURA.
Onkel Durchlaucht, du kannst nicht so böse handeln!
GENERALIN.

O, Durchlaucht macht keinen Unterschied der Person, er straft auch die Guten, wenn sie ihm nicht gefallen.

HERZOG.
Frauenzimmer!
GENERALIN.

Er beschimpft sie, wenn es seine Laune gebietet. Soll dieser von Gott begabte junge Mann beschimpft werden, dann lege ich mein Amt als Erzieherin in Dero Fräuleinschule nieder; denn ich weiß dann nicht mehr, was Tugend und Gerechtigkeit ist.

HERZOG.
Reize meinen Zorn nicht, Weib.
GENERALIN.

Ich fürchte keines Menschen Zorn, und ich kann allein auf den Asperg hinaufgehen, wohin Ihr mich schicken möchtet!

LAURA.

Nein, ich gehe mit dir, Mama, ins ärgste Gefängnis, wenn man nicht mehr die guten Menschen beschützen darf!

SCHILLER
nach einer dankbaren Pantomime gegen Laura.

Vergeben Durchlaucht ein Wohlwollen weiblicher Herzen, welches ich vielleicht nicht verdiene. Mitleid zu üben, ist ja das Amt der Frauen. Hier ist mein Degen, das Symbol meiner Freiheit. Wenn ich meine Freiheit gemißbraucht habe, so geschah es wahrlich nicht aus Leichtsinn oder Übermut, sondern weil ich einem innern und, ich weiß es, einem nicht unedlen Drange gefolgt bin, einem Drange, welchem eben nur der Leichtsinn widerstrebt. Ich weiß, daß ich dabei äußerlich gefehlt habe, und ich unterwerfe mich schweigend der gebietenden Macht –

[232]
HERZOG.
Weil Er muß!
SCHILLER.

Ob ich in höherm Sinne gefehlt, wage ich nicht zu bestimmen, aber ich weiß, daß ich dafür nur Gott verantwortlich bin – Klingel. Hier ist mein Degen! Übergibt ihn an Bleistift.

HERZOG.
Vorwärts!

Der Vorhang fällt rasch.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Koch. Schiller. Die Karlsschüler. Die Generalin.

KOCH
links auf dem Sessel schlafend.
SCHILLER
rechts auf dem Sessel schlafend.
SCHARPSTEIN
rechts oben auf der Treppe schlafend.
HOVER
links unten an der Treppe schlafend.
PFEIFFER U.
PETERS oben links schlafend.

Sie haben Theatermäntel und dergleichen zur Unterlage und zum Erwärmen. Alle im Clavigo-Kostüm: spanisch und Rokoko-französisch.
GENERALIN
von links eintretend, den Vorhang haltend und die Situation betrachtend.

Die armen Jungen! Trotz ihrer Not sämtlich eingeschlafen, weil sie eben doch ein gut Gewissen haben. Zu Koch tretend und ihn schüttelnd. Tiroler! Köchle! Koch!

KOCH.
Ah! – Ja! – Wo bin ich?
GENERALIN.
Im gelben Saale, und auf dem Punkte, Komödie zu spielen!
[233]
KOCH
hat sich ermuntert und umgesehen.
Weiß Gott, 's ist alles wahr – brr! Ich friere! Wie weit ist's in der Nacht?
GENERALIN.

's ist gegen Morgen. Die herzogliche Tafel ist beim Dessert und wird sogleich aufgehoben werden. Dann kommen die Herrschaften in den Theatersaal und nehmen den Kaffe und sehen eure Komödie an, so lang' es ihnen gefällt.

KOCH
aufstehend.
Ach, Sie sind es, Frau Generalin! Sie meinen's gut mit uns!
GENERALIN.
Das glaub' ich, und deshalb –
KOCH.
Uns hier so im Kostüm biwakieren zu lassen, wie Kunstreitertiere!
GENERALIN.

Deshalb hab' ich mich fortgeschlichen und euch ein paar große Kannen Kaffee aus der Kuchel holen lassen – sie werden gleich kommen, und da oben in eurer Garderobe könnt ihr sie zu eurer Stärkung und Ermunterung genießen.

KOCH.
Gott lohn's Ihnen an Ihren zukünftigen Kindern.
GENERALIN.

Will Er wohl! Das Spaßen wird euch bald vergehen. Die Sache nimmt eine Wendung, der ich nicht über den Weg traue.

KOCH.
An den Galgen kann er uns doch nicht bringen!
GENERALIN.
Aber ins Loch – den wenigstens da, welcher mehr wert ist, als ihr alle. Auf Schiller zeigend.
KOCH.
Das glaub' ich auch – hat der Herzog was geäußert?
GENERALIN.

Ach, es sieht sehr garstig aus. Wir haben zwei Verbündete eingebüßt – die Gräfin Franzel und die Laura!

KOCH.
Donnerwetter!
GENERALIN.

Er hat Sein gutes Teil Schuld dabei! Denn die Blätter des schwäbischen Magazins mit Seinen Liebesgedichten hat doch gewiß Er an die Gräfin spediert. Sie hat sich nun offenbar eingebildet, die Schwärmerei gelte ihr, und Frau ist Frau, wir haben all' unser Herzpünktchen Eitelkeit – wie brav sie auch ist und ohne arge Nebengedanken, 's hat ihr doch geschmeichelt, und jetzt ist die Bescherung fertig.

KOCH.
Wieso?
GENERALIN.

Nachdem der Herzog die Laura ins Gebet genommen, hat das dumme Kind der Franzel alles gebeichtet und von einem ganzen Buche solcher Lauragedichte erzählt, und daß Spiegelberg[234] eine Dummheit gewesen, und daß der Schiller von all den Schwärmereien der Verfasser sei, und nun ist's vorbei mit dem Schutze der Franzel.

KOCH.
Ach, 's ist ja eine edle Dame!
GENERALIN.

Edle Dame, freilich! Wenn sie nicht getäuscht worden wäre! Jetzt kommt sie sich lächerlich vor, und über diesen Stein stolpert auch der Edelmut – wo nur der Junge bleibt mit dem Kaffee – Zurückgehend. es kann uns zu spät werden.

KOCH.
Und Fräulein Laura hat auch dem Herzoge alles gesagt, was sie weiß von der Schwärmerei?
GENERALIN.

Das glaub' ich nicht. Von dieser Geschichte weiß er wohl noch nichts, das fehlte auch gerade noch! Wenn er die Bücher kriegt, dann wär' es Matthäi am Letzten –

KOCH.
Hat sie den Mantel wieder?
GENERALIN.

Das glaub' ich auch nicht. Ich werde nicht klug aus dem Mädchen, sie ist wie ausgetauscht seit gestern abend. Ihr wißt, wie sehr der Herzog sie liebt.

KOCH.
Nun, sie geht ihn wohl auch nahe genug an.
GENERALIN.

Das geht Ihn nichts an! Merk' Er sich das! In diesem Punkte bin ich als Pflegemutter des unschuldigen Mädchens wie der Herzog, ich laß mir nicht einen Muck gefallen – wollt Ihr mich auch los sein?

KOCH.
Nicht doch!
GENERALIN.

Ich fürchte, das Mädchen seid ihr los. Wie's der Herzog in einer fünf Minuten langen Kanzelpredigt vor Beginn der Tafel mit ihr angefangen hat, das weiß nur er, der sich darauf versteht, jemand den Kopf zurechtzusetzen. Kurz, ich erkenne das Mädchen nicht mehr. Sie ist still, sie ist zerstreut, sie ist bald rot, bald blaß, bald lächelt sie vor sich hin, bald treten ihr die Tränen in die Augen – habt Ihr gesehen, daß der Herzog im Examiniersaale einen Augenblick zurücktrat und mit dem Hauptmann Silberkalb sprach? Ich fürchte, er hat einen raschen Beschluß gefaßt, weil er des Mädchens Lebhaftigkeit gesehen, mit der sie den Schiller verteidigte, o, der hat Augen, und ich fürchte, nun läßt er diesen schönen Hauptmann und Kammerherrn eine große Karriere machen und gibt ihm die Laura zur Frau!

[235]
SCHILLER
hat in dieser Rede die Augen aufgeschlagen und fährt jetzt lautlos in die Höhe, ohne daß es bemerkt wurde.
KOCH.
Und Fräulein Laura?
GENERALIN.

Muß gehorchen! Ist nichts und hat nichts, wenn der Herzog seine Hand von ihr abzieht und – ist ein Mädchen.

KOCH.
Das heißt?
GENERALIN.

Auf der einen Seite ein schöner Mann, ein vornehmer Herr, ein duftender Herr, der schön französisch spricht – auf der andern Seite nichts, nichts, kein Schimmer von Aussicht, nur Aussicht auf Schimpf und Schande, kurz, wenn mich die Wetterzeichen nicht trügen, so ist sie auf dem besten Wege das einzusehen und mit zierlicher Verschämtheit Frau von Silberkalb zu werden – ach, wir taugen alle nichts, Mannsvolk wie Weibervolk! Trocknet sich die Augen.

KOCH.

Das ist nicht möglich! Dieser Engel an solch einen Hofschranzen! Was ist er, was hat er für ein Verdienst, solches Glück anzusprechen?!

SCHILLER.
Er hat sich die Mühe gegeben, geboren zu werden und das keinen Augenblick zu vergessen.
KOCH.
Armer Moor!
GENERALIN.
Ach Gott, der Unglückliche brauchte das nicht zu hören, der wird ohnedies Leid genug finden.
SCHILLER.

Jawohl, ich werde Leid genug finden. Wie jener Wicht zum Glück, bin ich zum Unglück geboren. Narr, der ich war, mich einen Augenblick einwiegen zu lassen vom Sirenengesange – und doch, und doch war dies die süßeste Speise, welche meine Seele noch genossen hat, als dies Mädchen gestern abend für mich sprach wie ein erzürnter Engel, für mich, den Verstoßenen! O himmlische Täuschung, du wiegtest mich in Schlummer, und im Traum lispeltest du unaufhörlich in meine Seele, tief in meine Seele hinein: Sie empfindet für dich, sie wagt für dich, sie wird, ja sie wird dich einst lieb haben, sie wird dich lieben, wenn sie dich erst ganz kennt und versteht – lächerliches Puppenspiel, das ich selbst mit meinem armen Herzen treibe! Unterdes läßt sich jenes Mädchen verschachern an einen Zuckermann, dessen Ehrerbietung gegen die Vorgesetzten an Niederträchtigkeit grenzt, unterdes läßt sie ihr Herzlein auf einen andern Ton stimmen, wie ein Instrument stimmt, unterdes wird[236] wieder alles, wie es von jeher war um den Fritz Schiller, und es bleibt ihm wie immerdar nichts übrig, als die Klage der Verzweiflung und die Frage an den Himmel: warum immer diesen Menschen das Glück und mir und meinesgleichen der bittre Kampf und immer wieder die bittre Niederlage, warum, o Himmel?! Er sinkt auf den Sessel.


Pause.
GENERALIN.
Das heißt lästern. Gott hat Euch mehr gegeben, als den auswendig Glücklichen.
KOCH.
Und es bleibt uns mehr übrig, als die Klage der Verzweiflung.
SCHILLER
aufspringend.

Jawohl, Anton, die Tat der Verzweiflung bleibt uns übrig! Sie geschehe nun. Tiefe Seelenschmerzen und vor allem dieser schleichende Zorn der innersten Entrüstung zerstören den Körper und trocknen die Säfte des Lebens aus – deshalb muß ich zugrunde gehen, oder ich muß fort von hier, fort auf Nimmerwiederkehr! So sei es. Gute Frau Generalin, Sie sind eine Freundin meiner Mutter. Übernehmen Sie Trost und Entschuldigung für meine gute Mutter, sobald Sie das nächstemal nach Ludwigsburg kommen. Wollen Sie?

GENERALIN.
Ja doch.
SCHILLER.

Sagen Sie ihr, ich hätte lange geglaubt, nur ihretwegen nicht hinweg zu können aus der Heimat – auch das war eine Betrügerei meines Herzens, welches die Kindesliebe vorschob, um die – andere nicht sehen zu lassen! Jetzt weiß ich's freilich besser und bin nur noch schlimmer daran, indem ich einen Vorwand und eine Illusion in einem Atem verliere.

GENERALIN
weinend.
Arme Frau! Sie ist so brav und hängt so an ihrem Fritz – das Herz wird ihr brechen!
SCHILLER.

Sagt ihr – auch – meines – sei gebrochen. Aber ich könnte hier nicht mehr bleiben. Sagt ihr, der Fritz wäre vielleicht – geliebt worden, aber die tyrannische Macht, welche auch die Herzen kommandiert, hätte ihm diese Seligkeit vernichtet. Anton, jetzt ist nicht mehr die Frage, ob ich draußen verkümmere oder verderbe; jetzt weiß ich, daß ich hier zugrunde geh', jetzt hilf mir hinweg. Verschaff' mir den Jungen, unsern Botenlaufer, damit er einen Auftrag an Streicher besorge!

[237]
KOCH.

Potztausend, der Junge ist am Ende gestern abend im Kamin des Examiniersaals vergessen und eingeschlossen worden!

GENERALIN.

Nein, ich hab' ihn mitgenommen, und er sollte eben den Kaffee bringen – aber ehe ihr so etwas Gewaltsames tut, überlegt doch erst –

SCHILLER.
Das ist überlegt.
KOCH.

Schiller hat recht. Seine Lage kann nur schlimmer, nicht aber besser werden. Wenn der Herzog von den Räubern erfährt – Ihnen, edle Freundin, brauchen wir's nicht länger zu verschweigen – dann ist der Hohenasperg ihm unfehlbar und gewiß!

GENERALIN.
's ist also wirklich wahr mit dem Spitzbubenstücke –?
KOCH.
Wirklich wahr.
GENERALIN.

Aber, Kinder, was macht ihr auch für heillose Streiche – ach, mein Gott, da fällt mir erst der Rieger ein! Ihr habt doch nicht in eurer Wohnung Exemplare von dem Stücke?

SCHILLER.
In meiner Wohnung? Allerdings. Hinter dem Ofen stehen zwei mannshohe Stöße von Exemplaren –
KOCH.
Eignen Verlags!
GENERALIN.

Barmherziger Himmel, dann sind wir verloren! Rieger ist mir während der ganzen Tafelzeit sorgfältig ausgewichen und ist – richtig, ich hab's mit halbem Ohr gehört – hierher nach dem gelben Saale beordert – und Rieger war gestern abend in Schillers Quartier kommandiert, um alle dort befindlichen Schriften in Beschlag zu nehmen.

KOCH.
Kreuzelement!
SCHILLER.

In mein Quartier!? So ist denn die Tyrannei erfüllt bis auf den letzten Buchstaben. Bis in die Privatwohnung dringt die Zudringlichkeit der Spionerie, und sie wartet nicht mehr ab, daß das Mißfällige auf dem Markte erscheine, sie schleppt es selbst aus den Markt, um es strafen zu können. Himmel und Erde, das Tier des Waldes hat seine Höhle, wohin ihm die Zudringlichkeit seiner Feinde nicht folgen kann, nur der Mensch hat keinen Schlupfwinkel mehr vor den schmutzigen Tatzen der menschlichen Jagdherren. Holla auf Nach hin ten. ihr trägen Schläfer – wer hat euch zu schlafen erlaubt? Die Natur? Diese lumpige Natur ist ein Kinderspiel. Euer wirklicher Herr befiehlt euch, Komödie zu [238] spielen! Er hat fünf Stunden gespeist und getrunken und geschwatzt, jetzt will er verdauen und den Schlaf herbeilocken, und dafür ist die Dichtung brauchbar, wenn sie einmal vorhanden ist, und ihr, junge Brut, sollt sie vor ihm herunterleiern zwischen Schlafen und Wachen – So wird der Dichter belohnt, wenn er nicht gestraft wird!!

GENERALIN.
Schiller, Schiller, sei Er doch vernünftig!
KOCH.
Schrei wenigstens nicht so, wenn du noch auf Rettung hoffen willst.
GENERALIN.
Der Hof kann jeden Augenblick eintreffen – da kommt der Bube.
2. Szene
Zweite Szene.
Die Vorigen. Nette mit großem Kaffeebrett.

Herbeieilend.

SCHARPSTEIN.
Nette!
PETERS.
Nette mit Proviant!
PFEIFFER.
Englischer Stift!
HOVER.
Nette, du Engel!
GENERALIN.

Hier nicht! Hier nicht! Tragt's euch in die Garderobe hinauf! Ist ihnen behilflich, es rasch Nette abzunehmen und begleitet die Prozession bis an die Treppe. Oben rechts in der Tür verschwinden die Schüler damit. Unterdes nimmt Koch den Nette und führt ihn zu Schiller, der sich rechts auf die Stuhllehne stützt.

KOCH
den Nette mit der rechten Hand in Entfernung haltend; halblaut.
Hier ist der Stift! Was beschließest du für Streicher?
SCHILLER.
Ich muß fort.
KOCH.

Sobald als möglich, und solange du noch innerhalb des Schlosses, wenn auch ohne Degen – frei herumgehen darfst; – hat der Herzog einmal die Räuber in Händen, dann ist's vorbei mit halber Gefangenschaft, es wird eine ganze und die Flucht doppelt erschwert.

SCHILLER.
So ist's. Also heute noch hinweg –
KOCH.
Nach Mannheim?
SCHILLER.
Wohin sonst?
KOCH.
Streicher soll einen Wagen mieten – hast du Geld?
SCHILLER.
Nein – Streicher hat etwas. Das reicht bis Mannheim, dort verkauf' ich den Fiesko.
KOCH.

Hat Streicher ein Stichwort für solchen Fall, damit wir dem dummen Jungen nicht die blanke Münze mitzugeben brauchen?

[239]
SCHILLER.
Ja –
KOCH.

Allons! Ihn herumdrehend. Sperr' die Ohren auf, Nette. Du sollst eine Melodie zu deinem Lehrmeister tragen.

NETTE.
Schon recht!
SCHILLER.

Sag' Herrn Streichern: Genua liegt auf dem Block und dein Herr heißt Johann Ludwig Fiesko! Geht nach hinten.

NETTE.
Wie?
KOCH.
Genua liegt auf dem Blocke. Und dein Herr heißt –?
NETTE.
Mein Herr heißt – Streicher.
KOCH.
Johann Ludwig Fiesko.
NETTE.
Johann Ludwig Fiesko Streicher.
KOCH.

Scharmant, musikalisches Genie – nun fort!Ihn herumschwenkend. Und wart' auf Antwort für Herrn Schiller und bring' sie hierher ins Schloß, hier wird er schon irgendwo stecken – Nette will links hinaus. – nicht da! Geh' unterm Theater durch, der Weg ist kürzer und sichrer! Ihn nach der Mitte schiebend; Nette ab.

GENERALIN.

Übereilt nichts, Kinder, und zieht euch jetzt in die Garderobe zurück, damit ihr ihm nicht gleich in den Wurf kommt. Links hinaussehend. Die Tafel ist aufgehoben, man strömt ins Theater. Unternehmt nichts Gewaltsames, Kinder, ohne mich unterrichtet zu haben – jetzt geht hinauf – ich eile durch den Korridor hinüber, um Riegers oder seiner Grenadiere mit dem Bücherballen habhaft zu werden. Sie geht nach rechts.

3. Szene
Dritte Szene.
Rieger tritt ihr entgegen von rechts ein, hinter ihm Grenadiere, jeder einen Ballen Räuberexemplare mit Stricken oder Riemen geschnürt auf der Schulter. Generalin. Schiller. Koch. Rieger.

GENERALIN
zurückprallend.
Ach mein Gott, immer wie der böse Feind –
RIEGER
ein Paket Manuskripte in der Hand haltend.

Und ob einer entflöhe vor dem Geschrei des Schreckens, so wird er doch in die Grube fallen, und kommt er aus der Grube, so wird er doch im Strick gefangen werden.

[240] Sehr schnell.
KOCH
zur Generalin.
In den Stricken hängen lauter Räuber!
SCHILLER.
Es ist der ganze Rest der Auflage.
GENERALIN
ringt die Hände.
KOCH.
Die Papiere in seinen Händen sind das Fieskomanuskript.
SCHILLER.
Ich entreiß es ihm. Will auf ihn zu.
GENERALIN.
Um Gottes willen nichts Gewaltsames –
SCHILLER.

Nun ist auch meine Flucht gelähmt. Ich kann nicht mit leeren Händen hinaus und kann nicht mein Werk, die Arbeit eines Jahres, im Stiche lassen. O Gerechtigkeit!

GENERALIN.
Rieger! Laß die Leute im Korridor warten! Hierher kommen die höchsten Herrschaften.
RIEGER.
Hierher lautet der Ruf, hier ist die Stätte des Gerichts – es ist keine List über Frauenlist.
GENERALIN.
Rieger, du machst einen hoffnungsvollen jungen Mann unglücklich, den Gott selber begabt hat.
RIEGER.

Ist er Gottes, so wird ihm mit der Wahrheit gedient, aber es ist ein gefährliches Ding in einem Regiment um einen Schwätzer, und ein jäher Wäscher wird zuschanden werden.

KOCH.
Nur ein kindisch gewordenes Gedächtnis schwatzt und wäscht!
SCHILLER.
Und der Geist wohnt nicht in nachgeplärrten Worten!
RIEGER.
Wer sich gewöhnt zu schwätzen, der bessert sich sein Lebtage nicht.
SCHILLER.

Und wer sich gewöhnt, die Menschen, Gottes Ebenbilder zu quälen, der schändet Gott in dessen schönsten Werken. Musik von links in der Ferne. Wer ein Organ des Weltgeistes, wie Schubart eins war, zugrunde gerichtet hat mit frechen Henkershänden, den wird die Hand Gottes in den Abgrund werfen, wenn es am jüngsten Tage schallen wird: »Allen Sündern sei vergeben, nur den Mördern meiner Apostel nicht!«

RIEGER.
Jerobeam! – –
GENERALIN.
Nun auch das noch – der Rieger ist voll Wein und nun gar fürchterlich!
RIEGER
außer sich vor Zorn und Entsetzen.

Vorlauter Schreiber – ich bin der Hüter der Löwengrube, in welche Er vielleicht heute noch geworfen wird, und dann wird Er erfahren –

[241] KOCH.

Wie ein Wolf in Schafskleidern außen die christliche Liebe predigt und innen vor Zorn und Wut zittert und auf die Stunde der Rache sich freut. Ist das Christentum? Henkertum ist's!

GENERALIN.
Kinder! Kinder!
4. Szene
Vierte Szene.
Gräfin. Die Vorigen. Später Bleistift, dann der Herzog, zuletzt Laura und Hauptmann.

GRÄFIN.
Welch ein Lärm! Die Herrschaften kommen! Hinauf aufs Theater, es soll den Augenblick beginnen –!
GENERALIN.
Hilf, Franzel! Befiehl, daß die Schergen wenigstens hier das Feld räumen.
KOCH.
Gnädigste Frau!
SCHILLER.

Erlauchte Frau Gräfin, Sie waren uns stets ein tröstender Schutzengel, und in der Seele einer edlen Frau wohnt immerdar das Wohlwollen, ja die Liebe für poetische Zukunft, auch wenn diese ungestüm und fehlerhaft sich ankündigt.

GRÄFIN.

Verschone Er mich in Zukunft mit solchen Phrasen; ich bin nicht geneigt, Exzesse zu beschützen. – Der Herzog wartet auf den Anfang des Schauspiels, jede Minute Verzögerung wird die Lage des Angeklagten verschlimmern. Tritt dabei in den Vordergrund links.

SCHILLER
halblaut.

Welch ein Ton! Welch eine Verwandlung! Anton, Freund, das ist das Schlimmste! – Langsam und leise. Wenn solch eine Frauenseele keinen Anteil mehr fühlt, dann verdienen wir auch keinen, dann haben wir alle mich überschätzt, und meine traurigsten Ahnungen werden grinsende Wahrheit – Anton, ich bin dann kein Dichter, und – Ganz leise. mir geschieht ganz recht, daß ich zerschmettert werde! Ganz recht!Hand in Hand mit Koch wendet er sich nach hinten und steigt rechts hinauf.


Pause.
GENERALIN.

Du wirst es einst bitter bereuen, Franzel, diesen Mann in seiner schwersten Stunde verlassen und verstoßen zu haben. Greif' an dein Herz und zieh' den Beweggrund ans Licht, welcher dich leitet!

GRÄFIN.
Bäbele –!
[242]
BLEISTIFT
von links eintretend.

Zweiter Akt ist erster Akt! befiehlt Durchlaucht Sire! Die Damen ansehend und den Kopf schüttelnd, steigt links hinauf. Das sind nicht die richtigen Komödianten.Oben zur Mitteltüre hereinrufend:. Sire Durchlaucht befiehlt, daß mit dem zweiten Akte angefangen werde und auf der Stelle angefangen! – Es klingelt hinten auf dem Theater. Bon!

HERZOG
von links eintretend.
Anfangen! Er ist in roter Uniform mit großem Ordensbande.
BLEISTIFT
oben.
Service, Sire! Zweiter Akt der erste.
HERZOG.

Du hast nicht gehört, Franzel, daß einer der Russen meinte, die ersten Akte seien immer langweilig, man müßte stets mit dem zweiten anfangen. Nun, ein guter Wirt sorgt dafür, daß seine Gäste nicht umsonst geistreich sind – was sagst du dazu, Franzel, du siehst ja stockernsthaft aus.

GRÄFIN.
Die jungen Leute werden nun schlecht spielen.
HERZOG.
Das will ich nicht hoffen, sie sollen mir Ehre machen – was ist dir denn, Franzel?
GRÄFIN.
Ich bin unzufrieden mit mir selbst.
HERZOG.

Sei gescheit! Tafel und Arrangement waren ja magnifik – jetzt zum Kaffee noch eine halbe Stunde Schauspiel – dann Schlummer, gegen Mittag Parade – gegen Abend hab' ich meine sechstausend Hirsche am See – dann Feuerwerk und Illumination auf der Solitude, die sollen Respekt kriegen vor dem Herzoge in Schwaben, nicht wahr, alter Brummbär? Zu Rieger.

RIEGER.
Hoffart treibt zu allen Sünden, und wer darin steckt, der richtet viel Greuel an.
HERZOG.
Ist Er verrückt, Betbruder – und was hat Er da für einen Aufzug hinter sich?
RIEGER.

Es ist die Frucht Eurer Befehle, Herr! Dort die gedruckten Frevel des frechen Schreibers, hier die geschriebenen.

HERZOG.

Salbader ohne Schick! Er verlernt doch alle Lebensart über Seiner Litanei! Läßt Staub und Motten hierher schleppen, wo jeden Augenblick ein Gast eintreten kann. Zu den Soldaten. Marsch hinaus! Die Soldaten rechts wieder ab.

GENERALIN
zu Rieger.
Das ist dir gesund!
RIEGER.
Weltlicher Herr! –
HERZOG.

Nicht räsonniert. Ich will Ihm den Spaß vertreiben, auch mir mit Seiner geistlichen Hoffart entgegenzutreten. Sie ist [243] mir nicht minder zuwider, als jede andere, ja sie ist eigentlich die hoffärtigste von allen, weiß Er das?

RIEGER.
Solcher Dünkel hat viele betrogen, und ihre Vermessenheit hat sie gestürzt.
HERZOG.
Potz Element –
GENERALIN.
Er hat bei der Tafel zuviel Wein getrunken, Durchlaucht.
GRÄFIN.
Schick' ihn fort!
RIEGER.

Höre niemand auf Weiber! Denn gleichwie aus den Kleidern Motten kommen, also kommt von Weibern viel Böses!

HERZOG
lachend.
Da habt ihr's, der ist im Zuge. Das Theaterspiel ist doch eine Sache des Teufels, Rieger?
RIEGER.
– Das nackte Spiel der Eitelkeit ist des Bösen Freude.
HERZOG.
Richtig, die soll Er genießen, komm' Er mit!
RIEGER.
Mein Inneres empört sich –
HERZOG.

Was geht mich sein Inneres an! Sein Äußeres soll mit in die Komödie – Der Gräfin den Arm gebend. Bleistift, die Papiere an den Hauptmann, der soll sie auf meinen Nachttisch legen – Vorwärts marsch! Rieger unwillig langsam voraus.

BLEISTIFT.
Service, Sire. Nimmt noch vor der Tür links aus Riegers Hand die Papiere.

Laura und Hauptmann treten im Gespräch miteinander ein von links. Hinter ihnen Rieger hinaus.
HERZOG
zu Laura.
Zur Toilette, Mäuschen, 's hat angefangen!
LAURA.
– Ich komme erst im nächsten Akte.
HERZOG.
Das ist schade – du bist doch eingedenk und bist gut?!
LAURA.
Ich hoffe, Onkel Durchlaucht!

Währenddessen übergibt Bleistift das Manuskript Silberkalb.
Herzog, Gräfin, Bleistift links ab, Hauptmann begleitet sie unter Verbeugung. Laura geht links in den Vordergrund.
GENERALIN
rechts zu den Soldaten hinaus.

In die Demoisellenschule mit euren Paketen! – Rasch zurückkommend zu Laura. Rieger mit seinen Räubern ist beseitigt – des Dichters Schicksal liegt in deiner Hand! Rette den Mantel und die Papiere, welche der Hauptmann in der Hand hält – Ab links, als der Hauptmann wieder eintritt.

5. Szene
[244] Fünfte Szene.
Laura. Hauptmann.

LAURA
träumerisch für sich.
Ich tauge nicht mehr zu solchen Dingen, ich bin ungeschickt geworden – Geht rechts an den Sessel.
HAUPTMANN
mit dem Manuskript in der Hand.

Fräulein Laura tun uns Hofleuten unrecht, wenn Sie uns das Herz absprechen und uns überall Absichtlichkeit zuschreiben, wie Sie eben äußerten – Sie tun uns wirklich unrecht!

LAURA.

Das freut mich, und ich will es Euch sehr gern abbitten. Wenn alle Menschen gut sind, so ist ja der höchste Wunsch eines liebenden Herzens erfüllt!

HAUPTMANN
näher tretend.
Eines liebenden Herzens!?
LAURA.
Ich hatte Euch um meinen Mantel gebeten.
HAUPTMANN.

Und ich hatte gebeten, mir ihn zum wohltuenden Andenken zu lassen; er hat Ihre schöne Gestalt umschlossen, als Sie eine Heldentat ausübten für einen armen Poeten, er würde mir eine aufmunternde Erinnerung sein für mein ganzes Leben.

LAURA.
Wirklich? Sie sind kein Feind des armen Poeten?
HAUPTMANN.
Ein Widersacher vielleicht in manchem Punkte, ein Feind, o nein!
LAURA.
Ich glaub' es. Vielleicht überlasse ich Euch den Mantel. Ist er in der Nähe?
HAUPTMANN.
Jawohl – Hinaufzeigend. in meinem Dienstzimmer neben dem Theater.
LAURA
hinaufzeigend.
Bitte! – Ich hab' noch was vor mit dem Mantel.
HAUPTMANN.
Ich fliege – gnädigstes Fräulein!Oben in die Mitteltüre ab.
LAURA.

Ja, die Menschen sind alle gut. Mama hat unrecht, und der Onkel hat recht, wenn er sagt, ich sollte dem Hauptmann ruhig vertrauen. – Wie wunderlich! Mir ist's, als ob ich im Traum wandelte. Mama sagt: weil ich nicht geschlafen habe. O nein, ich bin gar nicht lustig, eigentlich traurig und doch auch nicht traurig, gar nicht traurig, denn es ist mir, als werde jeden Augenblick etwas Schönes und Glückliches geschehen – was wird es sein?

[245]
HAUPTMANN
mit dem Mantel zurückkommend, oben für sich.

Welch eine glückliche Veränderung mit dem ausgelassenen Mädchen vorgegangen ist,Herabsteigend. – ich bedarf nicht mehr eines Befehls vom Herzoge, um sie zu gewinnen; Laut. gnädiges Fräulein, wie Sie befohlen haben –

LAURA.

Ah, – ich danke Euch! Sie nimmt den Mantel, fühlt nach den Büchern und geht unten nach der Mitteltüre zu.

HAUPTMANN.
Gnädiges Fräulein –!
LAURA.
Herr Hauptmann –?
HAUPTMANN.
Sie sind grausam, Sie lassen mich einen Dank und eine Erklärung hoffen und verlassen mich –
LAURA.
Hab' ich nicht gedankt? Verzeihen Sie!
HAUPTMANN.
O, Sie spotten meiner!
LAURA.
Wirklich nicht! – Was für eine Erklärung meinen Sie –?
HAUPTMANN
für sich.

Bin ich gefoppt? – Ich sehe, es ist etwas in dem Mantel verborgen, und bloß deshalb ist meine Gutmütigkeit in Anspruch genommen worden, und nun werd' ich ausgelacht!

LAURA.

O nicht doch, nicht doch, liebster Hauptmann, Zurückkommend. wie können Sie mir so etwas zutrauen?! Nein, Sie sollen nicht so von mir denken, mich ja nicht für undankbar halten. Es sind zwei Bücher in dem Mantel, die nicht mir gehören, und die ich zurückgeben muß.

HAUPTMANN.
Bücher?! – Für sich. Tor, der ich war! Laut. Ei, Bücher, wer so was glaubt!
LAURA.
Ich lüge nicht, lieber Hauptmann – da sehn Sie. Sie zeigt ihm die Tasche.
HAUPTMANN
für sich.
Gewiß die vermißten! Laut. Wohl äußerst gefährliche, daß sie so versteckt werden müssen –?
LAURA.
Jawohl.
HAUPTMANN.

Liebenswürdiges Fräulein, wissen Sie wohl, daß die Frauen immer das größte Unglück anrichten, wenn sie sich in Politik mischen?

LAURA.
Das weiß ich nicht, aber ich glaub's gern.
HAUPTMANN.
Wissen Sie, daß ich die Bücher kenne.
LAURA.
Ah?
[246]
HAUPTMANN.
Wissen Sie, daß sie nur gefährlich sind, weil sie versteckt werden.
LAURA.
Meinen Sie? – Man sucht sie aber!
HAUPTMANN.

Weil sie versteckt werden. Lägen sie offen da, so ginge der Herzog daran vorüber. Und denken Sie, daß sie lange versteckt bleiben können?

LAURA.
Das weiß ich nicht.
HAUPTMANN.

Wir wissen aber das alles, und der Herzog wartet nur auf Offenherzigkeit, auf weiter nichts, dann ist die Sache vorbei.

LAURA.
Auf Offenherzigkeit –?
HAUPTMANN.

Hören Sie mich an, und entscheiden Sie dann selbst mit Ihrem guten Verstande: Diese Bücher da sind gestern abend durch Ihre eignen küssenswerten Hände, durch Ihre, Fräulein Laura, im Examiniersaale weggenommen worden –

LAURA.
Das wissen Sie?
HAUPTMANN
für sich.

Also richtig! Laut. Und es weiß es der Herzog und wartet auf Ihr Geständnis. Eins von diesen Büchern ist ein Schauspiel, in welchem Spitzbuben spielen.

LAURA.
Die Räuber!
HAUPTMANN
für sich.

Die Räuber also – Laut. Glauben Sie wirklich, daß ein gedrucktes Buch nicht auszufinden wäre? Im Handumdrehen. Noch mehr. Wahrscheinlich heute schon im Laufe des Tages bringt mir ein Kurier dieses Buch von Mannheim, wohin es der unvorsichtige Schiller zur Aufführung gesendet. Dort ist er vor kurzem selbst gewesen ohne Urlaub zu einer Generalprobe, und all diese Heimlichkeit nur ist es, welche den Herzog gegen ihn erbittert. Daß er das Theater seines gnädigen Herrn übergeht, daß er ein exzentrisches Stück ins Ausland sendet und hier ein beleidigendes Versteckensspiel damit treibt vor seinem Herrn und Wohltäter, das allein gefährdet ihn!

LAURA.
Mein Gott, wie ist da zu helfen?!
HAUPTMANN.

Deshalb hab' ich mir unter der Hand soviel Mühe gegeben, ein Exemplar aufzutreiben, damit man es in seinem Namen, in Schillers Namen dem Herzog einreiche –

LAURA.
Und das würde gut sein?
HAUPTMANN.
Das ist der einzige Weg, auf welchem ihm genützt werden kann.
[247]
LAURA.
Aber wenn das Stück nun so schlimme Dinge enthält und dem Onkel Herzog so mißfällt.
HAUPTMANN.

Das ist ja Kleinigkeit neben den andern Übelständen. Da liest er ihm den Text und streicht zur Aufführung das Ärgste heraus, und belohnt ihn am Ende doch für die Arbeit. Wenn es aber mit all seinen schlimmen Dingen hinter dem Rücken des Herzogs dreist aufgeführt worden ist – und wie gesagt, davon kann ein Kurier heute die Nachricht bringen –, so ist der Herzog außer sich und schickt den Mann zum Schubart auf den Asperg hinauf!

LAURA.
O mein Gott, was tun?!
HAUPTMANN.
Offenherzig sein, das Buch sogleich dem Herzog überreichen – Sie zieht es heraus.
LAURA.
Das wag' ich nicht –
HAUPTMANN.
Ich denke, Sie meinen's gut mit dem Schiller –?
LAURA.
Ja –
HAUPTMANN.
Nun also –!
LAURA.
Meinen Sie's nicht gut mit ihm?
HAUPTMANN.
Freilich. Was würd' ich mich sonst um seine Schreibereien ereifern.
LAURA.
So überreichen Sie's dem Herzog – Gibt's ihm – und zieht es zurück. Ich bin ganz verwirrt –!
HAUPTMANN.
Aber in Ihrem Namen!
LAURA.
Warum das?
HAUPTMANN.

Weil er's von Ihnen erwartet – weil Sie dann sein Vertrauen rechtfertigen – weil ich dann sagen kann, Schiller sendet es durch Sie, was den besten Effekt machen wird –

LAURA.
Richtig – da nehmen Sie's und machen Sie's gut, ja? Sie wendet sich zum Gehn.
HAUPTMANN
für sich.
Endlich – Laut. und das andere – Fräulein!?
LAURA.

O, das ist was andres! – Ich muß nun wohl in die Garderobe! Der zweite Akt ist kurz – Geht – kehrt um. Wenn wir nur auch wirklich was Gutes tun für den armen Dichter; er hat soviel Unglück!

HAUPTMANN.
Das find' ich nicht!
LAURA.
Nein? Um so besser! Adieu! Hinauf links.

Kurze Pause.
[248]
HAUPTMANN
ihr nachsehend.

Soweit schon ist der Roturier! – Fanfare links. Was ist das? Der Hof bricht auf? Da ist was vorgefallen –!


Man hört unter wiederholter Fanfare des Herzogs Stimme.

»Ich sage nein! – Widersprecht mir nicht!«
HAUPTMANN.

Der Herzog in vollem Schelten – aus der Schußlinie, bis ich das Ziel kenne! Will unten in die Mitteltür hinein.

6. Szene
Sechste Szene.
Herzog. Gräfin. Generalin. Hauptmann.

HERZOG
im Eintreten.

Ich sage nein! Zum Hauptmann. Halt da! – Ich sage nein! Es ist ein Skandal, wie abscheulich der Mensch spielt.

GRÄFIN.
Aber, lieber Karl!
HERZOG.

Wo würde denn unser Gast mitten in der Szene zum Aufbruch mahnen, nachdem er einmal über das andere gegähnt!

GENERALIN.
Mein Gott, er ist schläfrig!
HERZOG
zum Hauptmann.
Was macht Er hier?
HAUPTMANN.
Ich erwarte die Befehle Ew. Durchlaucht.
HERZOG
ihn nicht ausreden lassend.

Wofür ist Er denn auf der Welt?! Warum hat Er sich denn nicht um die Proben gekümmert? Was hat Er denn sonst zu tun? Statt in eignem Interesse zu spionieren, seh Er zum Rechten, damit man nicht solchen Eklat zu erleben hat. Die Vorstellung da oben ist nicht anzusehen und macht mir Schande vor meinen Gästen. Dieser Schiller ist ein Clavigo zum Davonlaufen – der Großfürst ist mir auch davongelaufen – Immer hin und her gehend. und ich wüßte wahrhaftig nicht, was mir Ärgerlicheres hätte begegnen können – dies unverständige Spiel bringt meine ganze Akademie in Mißkredit –!

GRÄFIN.
Aber, lieber Karl –
HAUPTMANN.
Durchlaucht –
HERZOG.

Schweigt still! Ich weiß, was ich weiß. Warum laß ich mich auch darauf ein, mit diesen deutschen Tölpeln eine Kunst betreiben zu wollen, zu der sie in Ewigkeit kein Geschick haben – warum geht Er nicht?

HAUPTMANN.
Durchlaucht –
[249]
HERZOG.

Ein Ende machen! Hauptmann fliegt hinauf und horcht oben bis zu Ende der Rede. dieser abgeschmackten Komödie! den Vorhang herunter! die Bursche daher, den jämmerlichen Clavigo hierher, ich will ihn – vorwärts! Der Hauptmann oben in die Mitteltür ab. Der Herzog geht hin und her.

GENERALIN
leise.
Aber Franzel, hilf doch!
GRÄFIN
desgl.

. Sei still, er ist wirklich böse; jetzt um Gottes willen keinen Widerspruch; der Schiller hat auch wirklich abscheulich gespielt.

GENERALIN.
Das ist wahr.
7. Szene
Siebente Szene.
Oben aus der Mitteltür erscheinen Schiller, dann Koch und die vier Schüler, später links von oben Laura.

HAUPTMANN.
Durchlaucht haben befohlen –
HERZOG.
Herunter mit dem Clavigo! – Hin und her gehend.

Schiller steigt herab; Hauptmann folgt.
GENERALIN.
O Gott, o Gott!
HERZOG.
Daher! – Er bildet sich ein, Talent zu haben!?
SCHILLER.
Nein, Durchlaucht.
HERZOG.
Er bildet sich ein, Komödie spielen zu können!?
SCHILLER.
Nein – Durchlaucht.
HERZOG.
Wohl gar, Komödien machen zu können –?!
SCHILLER.
Nein, Durchlaucht.
HERZOG.
Er bildet sich ein, ein Genie zu sein?
SCHILLER.
Nein, Durchlaucht.
HERZOG.

Schweig Er still, mit Seinem unverschämten Nein, was bei euch hochmütigen Burschen innerlich doch Ja heißen soll – ich sage Ihm: Er kann gar nichts! Das hab' ich aus Seinem Clavigospiel gesehen, Er kann gar nichts. Er hat ja die Rolle gesprochen, wie ein Schulbube, Er hat sie geheult, statt sie zu sprechen, Er spricht schwäbisch statt deutsch. Er hat keine Vorstellung von Übergängen und Nüancen, Er hat also auch keine Vorstellung von einem Kunstwerke, Er ist ein Stümper in allem, was er anfängt!

SCHILLER.
Leider ja, Durchlaucht.
HERZOG.

Was? Ich brauch Seine Bestätigung nicht. Ein schlechter Doktor ist Er lange schon, ein gefälliges Benehmen lernt [250] Er auch Sein Lebtage nicht, und das ganze klägliche Menschenbild, wie es dasteht, steift sich seit Jahren auf ästhetische Qualitäten. Ästhetische Qualitäten! Da haben wir's denn auf einmal gesehen, wie es damit beschaffen ist; geschmackloser Plunder ist's! Was bleibt also übrig an dem ganzen Patrone, der seit zehn Jahren hier erzogen und gebildet worden ist, was? Zieh' Er die Summe Seiner Herrlichkeit zusammen und sprech' Er sie aus!

SCHILLER
halblaut mit niedergeschlagenen Augen.

Ein verfehltes und verschrobenes Menschenbild, das sich kein Haar günstiger ansieht, als Durchlaucht es eben geschildert haben.

HERZOG.
Was?
GRÄFIN.
O Gott!
GENERALIN.
O Jammer!
SCHILLER
wie oben.

Ein verfehltes Menschenbild, das für ausschweifende Pläne nicht Kenntnis und Talent genug besitzt, für regelmäßige Tätigkeit aber durch ausschweifende Phantasie bereits unrettbar verdorben ist, ein verlornes Menschenbild, das man ins Meer werfen soll, wo es am tiefsten ist. Die Last meiner Fehler wird dafür sorgen, daß ich nie wieder ans Tageslicht komme.


Pause.
KOCH
von oben.
Durchlaucht führen auf solchem Wege sich und den Schiller links ab von der Wahrheit!
HERZOG.
Was untersteht Er sich?!
KOCH.

Der Schiller kann ein Genie sein, auch wenn er schlecht Komödie spielt, und wir haben alle schlecht gespielt, weil wir nicht geschlafen haben, und weil wir dazu kommandiert worden sind, wie die Pferde zum Traben – den ersten Akt hatten wir auf der Zunge, und trab trab, heißt es auf einmal zweiter Akt! Deshalb hat man von uns nichts weiter als eine Pferdekomödie erwarten können.

SCHARPSTEIN, HOVER UND PFEIFFER. Ja, ja, ja!

HERZOG.

Impertinenter Tiroler, ich werde dafür sorgen, daß du Schritt reiten lernst. Vorkommend. Die Jungen wollen mir über den Kopf wachsen.

GRÄFIN
halblaut.
Weil sie eben keine Jungen mehr sind.
[251]
GENERALIN.
Und wie Männer behandelt sein wollen.

Der Herzog sieht sie zornig an.
HAUPTMANN.
Ew. Durchlaucht –
HERZOG
ärgerlich.
Was will Er?
HAUPTMANN.

Ich habe einen Auftrag auszurichten, welcher das in Rede stehende Thema komplettieren kann. Regimentsmedikus Schiller hat sich allerdings eines Weitern mit dem Theater beschäftigt und, wie ich gestern schon anzudeuten die Ehre hatte, ein förmliches Stück geschrieben.

HERZOG.
Fang' Er nicht wieder Sein abgeschmacktes Spitzbubenzeug an, wenn Er's nicht beweisen kann.
HAUPTMANN.
Ich kann es beweisen, Durchlaucht.
HERZOG.
Was?
HAUPTMANN.

Fräulein Laura hat mich mit den Beweisen ausgerüstet, weil sie hoffte, den jungen Poeten dadurch bei Ew. Durchlaucht zu empfehlen.

GENERALIN.
Himmel!
GRÄFIN.
Der Unglückliche!
SCHILLER.
Das Fräulein!
HERZOG.
Deutlich!
HAUPTMANN.

Im Namen dieses verkannten Dichters überreicht sie Ew. Durchlaucht durch meine unwürdige Hand das merkwürdige Werk des Regimentsmedikus Das Stück aufschlagend. betitelt »Die Räuber«, ein Schauspiel von Friedrich Schiller.

ALLE.
Die Räuber!
SCHILLER.
Allmächtiger, und das von Laura!
GRÄFIN.
Nun ist alles verloren.
GENERALIN.
Laura!

Pause.
Laura ist während dieser Szene oben in teilnahmvollster Bewegung, welcher man ansieht, daß sie die Täuschung erkennt.
HERZOG.
Das ist wohl nicht möglich! – Er ergreift das Buch.
HAUPTMANN.

Da ist auch der aufsteigende Löwe unter dem Titel mit der Umschrift »in Tyrannos« – ganz wie ich Durchlaucht gestern berichtete.


Kurze Pause.
HERZOG.
Ist das wirklich von Ihm, Schiller?
SCHILLER.
Ja, Durchlaucht.
[252]
HERZOG.
Und gedruckt –?
HAUPTMANN.

Auch in die Welt versendet und dem kurfürstlichen Theater in Mannheim zur Aufführung präsentiert und dringend empfohlen – –


Kurze Pause.
HERZOG.
Ist das wahr, Schiller?
SCHILLER.
Ja, Durchlaucht.
HERZOG.

Und unter diesem rohen Titel? Und wahrscheinlich von rohem, exzentrischem, verbrecherischem Inhalte –?

SCHILLER.
Ja, Durchlaucht.
HERZOG
immer zurückhaltend.
Warum sagt Er zu allem ja? Was soll das heißen?
SCHILLER.

Ich sehe plötzlich ein, daß alles nichtswürdig gewesen, worauf ich eigensinnig mein phantastisch Leben aufgebaut. Aus dem Spiegel der Welt grinst es mich an wie ein verzerrtes Gespenst. Ich habe Menschen zu schildern gemeint und muß entdecken, daß ich die Menschen gar nicht gekannt, ich bin nichts gewesen als hochmütig, und es geschieht mir recht, wenn ich gedemütigt und vernichtet werde –

GENERALIN
leise schluchzend.
O Gott!
HERZOG.
Das heißt also pater peccavi, und Er bittet um Gnade –?
SCHILLER.

O nein! Mir nützt keine menschliche Gnade, denn sie kann mir nicht die Schöpfungskraft verleihen, welche ich zu besitzen wähnte, sie kann mir nicht die stolze Kraft meines Geistes und Herzens wiedergeben, welche mich über alles erhob – ich glaube nicht mehr an mich selbst, und damit ist alles verloren, und was sonst mit mir geschieht, ist gleichgültig, da ich mir selbst nichts mehr gelte.


Pause.
HERZOG
ihn ansehend.

Er ist ein wunderlicher Heiliger, der aber doch kuriert werden muß! Ins Buch sehend. Da hat Er ein gutes Motto gewählt aus Hippokrates: Was Medikamente nicht heilen, das heilt Eisen, was Eisen nicht heilt, das heilt Feuer, Feuer und Schwert! Das können wir ja mit Ihm versuchen. Den Skandal und die Schande, welche er mir im Auslande angerichtet als Eleve meiner Akademie, kann ich freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber [253] ich kann dafür sorgen, daß dies nicht weiter vorkommt. Kurze Pause. Ihr da oben könnt zu Bette gehn und die Ferien mit den andern genießen, solange meine Gäste hier sind. Später wollen wir über das Vorgefallene sprechen. An dem da könnt ihr euch unterdes ein Beispiel nehmen.Kurze Pause. Gestern abend hat Er Seinen Degen eingebüßt, heut' büßt Er Seine Freiheit ein. Er begibt sich von hier auf die Schloßwache. Soll ich Ihn hinführen lassen, oder soll ich mich auf Sein Wort verlassen, daß Er sich allein hinfinden wird?

SCHILLER.
Ich gehe von hier auf die Schloßwache.
HERZOG
zum Hauptmann.

Leg' Er das Buch zu den konfiszierten Papieren auf meinen Tisch. – Sobald ich's gelesen Zu Schiller. wird Er meine Meinung erfahren; – für Seinen braven Vater wünsch' ich, daß der Inhalt des Buches besser ist, als der Titel und die freche Entstehung und Verbreitung desselben. – Zur Ruh! – Im Hinausgehen einen Augenblick vor Laura stehenbleibend, die langsam von oben herabgekommen ist, dann ab.

GENERALIN.
Unglückliches Kind!

Alle ab, außer Laura und Schiller.
Der Hauptmann rechts hinauf durch die obere Mitteltür ab. Pause.
8. Szene
Achte Szene.
Schiller. Laura. Später der Hauptmann.

LAURA
von Schiller ungesehen, am Fuß der Treppe links stehenbleibend, ringt die Hände.
SCHILLER.

Das Vertrauen auf die Menschen dahin, das Vertrauen auf mich selbst dahin, alles dahin, und die Öde und die Verzweiflung vor mir!

LAURA.
Schiller!
SCHILLER.
Wer da? – O Gott, die mich verraten!
LAURA.
Nein, nein! – Ja, ja!
SCHILLER.
So jung, so schön, so liebenswürdig und schon so – klug.
LAURA.
Um Gottes willen nicht!
SCHILLER.

Was hab' ich Ihnen getan? Ich habe Sie geliebt! Ist es denn gar so beleidigend, von einem Menschen geliebt [254] zu werden, der freilich nicht schön ist und nicht reich und nicht vornehm?

LAURA.
O Schiller!
SCHILLER.

Der freilich seine Fähigkeiten überschätzt hat und jetzt erst einsieht, daß er Glücksgüter begehrt hat, welche ihm nicht gebühren. War es nötig, mich so in Staub zu treten, damit meine Zudringlichkeit in Schranken gewiesen werde, war es nötig –? Ja, ja, es war nötig! Mein Hochmut war nicht anders zu heilen. Sie sind ein kluger Arzt gewesen – Gott verzeih' es Ihnen, daß Sie mir den Verstand wiedergegeben und mir nicht das Leben, das nun so jammervolle Leben genommen haben!Er geht nach rechts hinten.

LAURA.
Schiller, Schiller, Sie tun mir unrecht!
SCHILLER.
Unrecht? Freilich, es ist alles unrecht, was Schiller tut!
LAURA.

Nein, nein. Unrecht ist nur dieser Ausgang. Der falsche Hauptmann hat ihn ja herbeigeführt. Er hat mich, er hat uns betrogen!

SCHILLER.
Das ist doch lieb von Ihnen, daß Sie mich einer Entschuldigung wert achten.
LAURA.
O nicht so! Um Ihre Verzeihung bitt' ich flehentlich!
SCHILLER
streng.
Nicht jetzt noch Spott, es wäre entsetzlich!
LAURA
erschöpft.

Sie verstehen mich nicht, wie ich mich selbst nicht verstehe. Das hat wohl so kommen müssen, weil ich so lange leichtsinnig und gedankenlos war. Jetzt ist's zu spät – seit gestern abend – ach du lieber Himmel, ich kann es selbst nicht begreifen und noch weniger aussprechen! Aber, Schiller, ich könnte Sie auf den Knien bitten, mir nichts Feindseliges zuzutrauen! Feindseliges, ich gegen Sie, welch eine Verirrung! Ich habe Ihnen ja helfen wollen, und es ist ja auch meine Angst und Not, daß es so schrecklich verunglückt ist!

SCHILLER.

Das klingt ja nicht wie Spott Einige Schritte tretend. sind meine Gedanken verwirrt? Sind Sie es nicht, die immer nur spöttisch lachte, wenn mein Herz in schwärmerischen Worten überfloß?

LAURA.
Jawohl.
SCHILLER.

Sind Sie es nicht, welche gestern abend wie zum Hohne Teilnahme und Mitgefühl für mich an den Tag legte und [255] gleich darauf dem Herzoge zugestanden hat, daß dies eine Verirrung gewesen sei.

LAURA.
Ich schwieg wenigstens, wo ich nicht schweigen sollte.
SCHILLER.

Sind Sie es nicht, welche sich meinen Todfeind, diesen Hauptmann, zum Führer und Leiter anempfehlen ließ?

LAURA.
Jawohl.
SCHILLER.
Die diesem Hauptmann das Buch einhändigte, an dessen Entdeckung mein Wohl und Wehe hing?
LAURA.
Jawohl.
SCHILLER.

Und Sie sprechen davon, daß Sie mir helfen gewollt?! O Fräulein, mein Geist ist zerbrochen und weiß nicht mehr, was groß und was klein ist in dieser Welt, aber soviel Fähigkeit der Folgerung ist doch noch übrig geblieben in meinem zerrütteten Sinn, daß ich in Ihnen das schimmernde Irrlicht erkenne, welches mich geblendet und ins Elend gelockt hat.

LAURA.
O Schiller, wie schrecklich!
SCHILLER.

Nein, nein, nicht so! Auch das ist falsch! Ich habe Ihnen zu danken; denn Ihr Anblick hat meine Seele erquickt! – Was können Sie dafür, daß ich mir einbildete ein Dichter zu sein!

LAURA.

Schiller! – Kurze Pause, dann mit halber Stimme. Wenn ich nur was wäre und was hätte, um Ihnen einen Beweis zu geben! Mit Worten kann ich ja nichts beweisen. Hätt' ich ein Königreich und könnt' ich's Ihnen zu Füßen legen, vielleicht glaubten Sie mir dann.

SCHILLER.
Allmächtiger Gott –!
LAURA.

Aber ich bin und habe nichts als den Flitterputz eines armen Waisenmädchens, das seinem Wohltäter gefallen soll, ich habe nichts zu verschenken – als –

SCHILLER
in höchster Spannung.
Als –?
LAURA.
Als ein kindisches Herz, das ein Dichter erst zu etwas machen müßte.
SCHILLER
enthusiastisch.

Das einen Dichter zum Gott erheben würde, wenn man's ihm anvertrauen –, mein Fräulein, um Gottes willen nur jetzt nicht wieder einen Irrtum meiner Seele! – Wenn man's ihm anvertrauen wollte dieses Herz! – Wär' es möglich –?

[256]
LAURA.

Anvertrauen! Wo soll ich armes Kind den Mut dazu finden, wenn der Dichter nicht mehr den Mut hat, ein Dichter zu sein?!

SCHILLER.

Er findet ihn wieder, ich fühl's, es strömt der Mut von Ihnen wie strahlendes Morgenlicht in meine Seele, wenn das, was ich da höre und empfinde, kein Traum ist! Ist es kein Traum? Laura, Laura, dies Herz –?

LAURA
die Augen niederschlagend.
Ich kann nicht sprechen, Schiller.
SCHILLER.

Aber die Hand vielleicht, die ich hier ausstrecke nach dem Himmel Ihr zustreckend. diese Hand berühren – und –?

LAURA.
Ergreifen, Schiller.
SCHILLER.
Ergreifen! – Ihr ewigen Götter des Himmels, ich bin geliebt!

Er stürzt in die Knie, ihre Hand vor sein Antlitz haltend.
LAURA.
Von ganzer Seele; ich weiß es jetzt –
SCHILLER
weich.

Ich bin geliebt! Aufspringend. Ich bin geliebt! Jubel über Erde und Himmel hinaus. Kein Königreich auf Erden hat Raum für mein Glück. Ich bin geliebt, und nun bin ich auch ein Dichter!

LAURA.
Das bist du gewiß – aber still! – Horchend; der Hauptmann erscheint oben.
SCHILLER
die letzten Worte übersprechend.

Ich bin's, weil du es sagst, weil nur die Liebe zu richten weiß über alles Himmlische auf Erden! Der Hauptmann tut erstaunt einen Schritt zurück.

LAURA.
Still, man überrascht uns –!
SCHILLER.

Heerscharen von Feinden mögen kommen! Sie innig ansehend. Ein Augenblick gelebt im Paradiese wird nicht zu teuer mit dem Tode gebüßt!


Der Vorhang fällt rasch.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Gräfin das Exemplar der Räuber in der Hand haltend tritt eilig aus der ersten Tür links und eilt nach hinten zu der offenen Glastür, um in den Schloßhof hinabzusehen. Generalin (tritt nach ihr aus der Tür links und bleibt im Mittelgrunde.

GENERALIN.

Die Parade kann noch nicht zu Ende sein! Rieger wollte fort, so bald er nur die Parole erfahren, und ich hab' ihn noch nicht vorbeireiten sehn.

GRÄFIN
vorkommend.

Ich wollte, er wäre fort! Mich peinigt eine namenlose Angst, und solange er da ist, fürchte ich das Schlimmste.

GENERALIN.
Das Buch ist also wirklich so arg?
GRÄFIN.
Entsetzlich, Bäbele, entsetzlich!
GENERALIN.
Ach, ihr vornehmen Leute übertreibt alles – der Schiller kann nichts Böses schreiben.
GRÄFIN.
Was ist in diesem Falle bös? Was dafür gilt! – Meine Meinung bleibt –
GENERALIN.
Den Schiller heraufbringen zu lassen –
GRÄFIN.

Das ist jetzt zu spät Der Herzog könnte kommen, und ihm muß er, wenn irgend möglich, wenigstens heute nicht ins Gedächtnis gerufen werden – der Eindruck, welchen das Buch auf den Herzog gemacht hat, scheint fürchterlich zu sein. Bäbele Deren Hand ergreifend. ich bin doch an ihn gewöhnt; aber ich zittre jetzt noch, wenn ich daran denke, wie er mir heute morgen das Buch gab. Er hat offenbar auch in der Früh keine Auge zugetan, sondern nur gelesen; sein Auge war starr, seine Hand heiß, seine Stimme trocken und er sprach nur das eine Wort: Lies!

GENERALIN.
Und nun wird er dein Urteil hören wollen.
GRÄFIN.
Ja –
[258]
GENERALIN.
Und du bist seit kurzem nicht gut zu sprechen auf den jungen Mann.
GRÄFIN.
Ach nicht doch!
GENERALIN.
Du wirst nicht mit besonders günstigem Auge gelesen haben –!
GRÄFIN.

Sei nicht töricht, Bäbele, jetzt solcher Spielereien zu gedenken. Es handelt sich um Freiheit und Leben des Schiller. Er muß fort von hier; die Flucht allein kann ihn retten; ich kann ihn nicht mehr retten, nachdem der Herzog diese Räuber gelesen –

GENERALIN.
Du großer Gott! –
GRÄFIN.
Was ist dir?
GENERALIN
nachdenklich.
Jetzt hältst auch du die Flucht für nötig – nun muß es schlimm aussehn.
GRÄFIN.
Schlimm? Lebensgefährlich!
Schnell.
GENERALIN.
Und er will nicht!
GRÄFIN.
Wer? Was?
GENERALIN.
Schiller –
GRÄFIN.
Du hast ihn gesprochen?
GENERALIN.
Ja.
GRÄFIN.
Er will nicht fliehen?
GENERALIN.
Nein.
GRÄFIN.
Ist er rasend?
GENERALIN.
's ist so was wie Raserei.
GRÄFIN.
Bäbele –!
GENERALIN.
Soll ich dir's denn sagen?
GRÄFIN.
Bäbele –! Wie soll ich helfen, wenn ich nicht alles weiß.
GENERALIN.

's macht dich am End' wieder bös – wir haben das Mädchen verkannt, Franzel, die Laura ist ganz anders, als wir dachten. Das merkte ich heute beim Frühstück. Deshalb ging ich beizeiten zum Schiller hinab. Der Offizier hat keine besondere Order er läßt ihn frei heraus in den Bogengang, und wie fand ich den Schiller?

GRÄFIN.
Nun?
GENERALIN.
Unbekümmert um sein Schicksal, strahlend von Glück und Übermut.
GRÄFIN.
Bäbele! Die jungen Leute –!?
[259]
GENERALIN.
Sind offenbar einig miteinander!
GRÄFIN.
Die Unglücklichen!
GENERALIN.

Ach, sie sind so rührend, das Kind in seiner stillen Seligkeit, der Schiller in seiner lauten Schwärmerei – Weint. es könnte einen Stein erbarmen, daß diese beiden Leute nicht glücklich werden sollten!

GRÄFIN.

Die Unglücklichen – wenn der Herzog eine Ahnung davon hätte, so wäre Schiller jetzt schon in Ketten und Banden! Nun bete zu Gott, daß der Herzog gleich hinausreitet zur Jagd, ohne nach ihm zu fragen –


Trommel und klingendes Spiel im Schloßhofe.
GENERALIN.
Da ist er!
GRÄFIN.

Das ist er! Hinweg! Sie geht zunächst nach der Glastür um vorsichtig hinabzusehen. Wenn ich ihn nur selbst vermeiden könnte, damit ich nichts über das Buch zu sagen brauchte? Aber er wird mich aufsuchen – – – Schiller muß aus Stuttgart, ehe der Herzog von der Jagd heimkehrt!

GENERALIN.
Das tut er nicht!
GRÄFIN.

Er muß – da kommt der Herzog! Ruf die Laura zu mir! Gott schütz' uns alle! So sieht er aus, wenn er ein Todesurteil unterschreiben will. Vorkommend. Hinweg! Und ruf mir die Laura!

GENERALIN.
Ja. Beide ab links.
2. Szene
Zweite Szene.
Herzog. Hauptmann. Rieger. Bleistift aus dem Schloßhofe heraufsteigend und durch die mittlere Glastür eintretend. Bleistift bleibt auf dem Treppenbalkon außen.

HERZOG
hält das Blatt »Magazin«, welches der Hauptmann im ersten Akte vom Sofa entwendet, in der Hand.

Er ist sehr ernst und nachdenkend und den ganzen Akt hindurch so gewiß verhalten in Stimme, Bewegung und ganzem Wesen, daher alles um ihn her zu erhöhter Furcht genötigt wird. – Er tritt nur einige Schritte in den Saal, bleibt dann stehen und sieht in das »Magazin«. Zu Rieger. Wartet. Rieger bleibt auf der Stelle stehn; auf einen leichten Blick folgt der Hauptmann dem Herzog in den Vordergrund. Weiß Er gewiß, daß Er sich nicht getäuscht hat?

HAUPTMANN
einen Schritt hinter der Linie des Herzogs respektvoll zurückbleibend.
Gewiß, Durchlaucht.
[260]
HERZOG.

Ich hatte Ihm Hoffnung gemacht, Er kann davon befangen gewesen sein: die Eifersucht sieht doppelt und dreifach.

HAUPTMANN.
Ich war so unbefangen, daß ich vollständig überrascht wurde!
HERZOG.
Und diese öffentliche Demonstration –Auf das »Magazin« weisend. soll auch meiner Frau bekannt sein?
HAUPTMANN.
Wenigstens lag sie auf dem Sofa der gnädigsten Frau Gräfin.

Kurze Pause.
HERZOG.
An den Freiherrn von Dalberg hat Er also geschrieben?
HAUPTMANN.
Zu Befehl, Durchlaucht.
HERZOG.
Und hat es dringend gemacht?
HAUPTMANN.

Überaus dringend. Ich habe die Ansicht Ew. Durchlaucht über dergleichen ausführlich geschildert, und wie Hochdieselben es äußerst ungnädig vermerken müßten, wenn ein offenbar unreifes Theaterstück –

HERZOG.
Weniger und mehr als unreif.
HAUPTMANN.

Von einem Ihrer Karlsschüler öffentlich aufgeführt werden sollte. Das Stück sei übrigens Wurzel und Stamm einer Konspiration –

HERZOG
macht eine verneinende, geringschätzige Pantomime.
HAUPTMANN.
Und könne nur üblen Leumund über Erziehung und Geistesrichtung in Württemberg erzeugen –
HERZOG.

Sehr richtig! Es macht diese Voraussicht Seinem Scharfsinne Ehre, da Er ja das Stück nicht gelesen hatte.

HAUPTMANN.

Ich wußte doch, Durchlaucht, was es mit diesen sogenannten Genies der bourgeoisie für eine Bewandtnis haben konnte –

HERZOG
sieht ihn an von oben bis unten.
HAUPTMANN.

Und ich konnte hinzusetzen, daß alles auf einen Skandal hinauslaufen müßte, dem ein Hoftheater nimmermehr die Hand bieten werde.

HERZOG.
Und Er hofft –?
HAUPTMANN.

Ich bin fest versichert, daß Herr von Dalberg, ein Kavalier von Geschmack und großer Ergebenheit für Ew. Durchlaucht, uns sogleich willfahren und die Piece mit meinem Kurier heute noch remittieren werde.

[261]
HERZOG.

Ich danke Ihm, Hauptmann, für diese Fürsorge. Er hat mir einen großen Dienst damit geleistet. Die Aufführung dieses Stücks hätte mein Institut und mein Württemberg vor dem ganzen Reiche prostituiert und mir unbeschreiblichen Kummer gemacht, ich danke Ihm. – Unterrichte Er mich sogleich, wenn der Kurier kommt. Geht langsam und unsicher auf sein Zimmer, erste Tür rechts, zu und bleibt davor stehen. Sergeant!

BLEISTIFT
einen Schritt an die Tür vortretend.
Sire!
HERZOG.
Die Jagdpferde satteln lassen und fertig halten!
BLEISTIFT.
Service, Sire! Ab.
HAUPTMANN.
Ich erlaube mir, Durchlaucht darauf aufmerksam zu machen, daß ein Wetter im Anzuge ist –
HERZOG
geht langsam nach der Glastür und sieht nach dem Himmel.
HAUPTMANN.
Und daß vielleicht auch eventuelle Orders wegen des Feuerwerks nötig wären –
HERZOG
langsam vorkommend, für sich.

Wetter gegen Wetter! Sturm gegen eine Wolke, und das beizeiten, solange die Wolke einzeln ist. – Sich umwendend. Adieu!


Hauptmann verbeugt sich – ab nach der Mitte.
HERZOG
ohne Rieger anzusehen.
Rieger!
RIEGER
kommt zu ihm.
Durchlaucht –
HERZOG.

Du sollst dabei jedes Aufsehn vermeiden – wegen der Fremden. Ich bin vor abend wieder hier, um die Gräfin abzuholen. Bis dahin triff deine Vorbereitungen nur in aller Stille. Erst wenn du das Signal zum Feuerwerke vom Jagdhause aufsteigen siehst, dann erst richt' es ins Werk.

RIEGER.
Wenn aber der Jerobeam das Anzünden der Stoppeln merkt und hinwegtrachtet?
HERZOG.

Ach was! Wofür sind die Torwachen da, und wären diese blind, so hätten ihn ja die Reiterpatrouillen in fünf Minuten – er hat auch ganz anderes im Sinne. Also mit einbrechendem Abende. Adieu. Warte dort im Dienstzimmer, bis du mich fortreiten siehst.


Rieger salutiert und geht links in die zweite Tür ab – der Herzog bleibt nachdenklich einen Augenblick in der Mitte stehen.
3. Szene
[262] Dritte Szene.
Herzog, dann Gräfin.

HERZOG
geht an die erste Tür links und öffnet sie.

Franziska! – Ruft Eure Herrin! Ich lasse sie bitten – Geht nach rechts in den Vordergrund und stützt sich auf die Lehne eines Sessels.

GRÄFIN
eintretend.
Du hast befohlen –
HERZOG
in Gedanken und sie nicht ansehend.
Willst du der Jagd zusehen –?
GRÄFIN.
Du weißt, daß ich dieses grausame Töten in Masse nicht gern vor Augen habe –
HERZOG
einen halben Blick auf sie werfend.

Es wird rasch vorüber sein. Halte dich also jedenfalls bereit mit Anbruch des Abends hinauszufahren zum Feuerwerk, dann zum Souper und Balle – ich werde dich selbst abholen.

GRÄFIN.
Könnte ich diesmal nicht wegbleiben?
HERZOG.
Nein – und warum willst du das?
GRÄFIN.
Ich fühle mich gar nicht gestimmt zu Festlichkeiten.
HERZOG.
Wenn du eine Fürstin sein willst, mußt du deine Stimmung unterordnen können.
GRÄFIN
seufzt.
HERZOG.

Und besonders diesen Fremden gegenüber darf nichts unterbleiben, was deine Stellung neben mir in Zweifel lassen könnte. Ich kann dich nicht ebenbürtig machen, aber ich kann zeigen, daß du gesetzlich die Gattin meiner Wahl bist, und daß ich Respekt verlange für mein Gesetz und meine Wahl. Pause. Mit tieferer Stimme. Hast du das Buch von Schiller gelesen –?

GRÄFIN.
Ja.
HERZOG.
Ganz?
GRÄFIN.
Gauz.
HERZOG.
So rasch?
GRÄFIN.
Es fesselt wie mit glühenden Ketten.
HERZOG.
Wie mit glühenden Ketten, die den Gefangenen bis aufs Mark verbrennen – was sagst du zu dem Buche?
GRÄFIN.
Mir stürmt und tobt es durch Haupt und Adern – mein Verstand hat noch kein Urteil darüber.
HERZOG.
Kein Urteil?
[263]
GRÄFIN.

Ich bin auch parteiisch befangen – noch gestern war ich schwach genug, mich auf Versen dieses Dichters zu wiegen, welche ich an mich gerichtet glaubte.

HERZOG.
Du bist – aufrichtig.
GRÄFIN.
Das bin ich.
HERZOG.
Kennst also auch die andern Verse? Das »Magazin« hervorziehend.
GRÄFIN.
Ich kenne sie.
HERZOG.
Kennst den Abgrund, für welchen sie die Brücke gebildet?
GRÄFIN.
Nein.
HERZOG.

Solch ein Räuberpoet ist nicht blöde. Wieder übergehend zu tieferem Stimmentone. Wie lautet dein Urteil über das Buch?

GRÄFIN.
Ich wag' es nicht, eins zu fällen!
HERZOG.
Du wagst es nicht? Du findest das Buch nicht – entsetzlich?
GRÄFIN.
Entsetzlich – ja.
HERZOG.

Nun also! Pause – halblaut. Was ist mir alles begegnet, seit ich das Land regiere, was hab' ich zu leiden, zu kämpfen, zu zürnen, zu strafen gehabt mit dieser Landschaft, und nichts, nichts hat mich so furchtbar betroffen als dieses Buch. – Gleichsam in meinem Schoße ist es entstanden, ein Hohn meines ganzen Lebens; – – – – Halblaut. ebenso furchtbar muß die Strafe sein an Buch und Autor!

GRÄFIN.
Karl –!
HERZOG
fortwährend mit nur halblauter Stimme.

Wenn ich meinem eigenen Leben, meiner Stellung, der ganzen Welt des gesetzlichen Bestandes gerecht sein will.

GRÄFIN.
Karl –!!
HERZOG.
Dem Henker muß Buch und Autor verfallen! –
GRÄFIN.
Karl, das wirst du nicht –!!
HERZOG
sieht sie an, mit unveränderter Stimme.

Wenn hieran nicht ein Exempel statuiert wird, so bricht die Sintflut über uns herein und verschlingt die bestehende Herrschaft, und wir verdienen unsern Untergang, da wir unsern Erbfeind erkannt und nicht erschlagen haben.

GRÄFIN.
Mir schwindelt. Du hast unrecht, Karl.
HERZOG
kaum hinhörend.
So?
[264]
GRÄFIN.

Du mußt die Spreu von dem Weizen sondern. Das Buch hat neben den entsetzlichsten Dingen Züge von Größe, welche nur den auserwählten Menschen eigentümlich sind, ja das Geschmacklose, das Entsetzliche selbst darin ist von verwegener Größe.

HERZOG.

Wenn man die Frechheit hat, jeder Sitte, jedem Gesetze, jedem Glauben Hohn zu bieten, dann ist es keine Kunst, einen Augenblick groß zu erscheinen; denn man ist wie das Raubtier den edelsten Wesen auf Hals und Haupt gesprungen und erscheint groß, weil die erkorene Beute hoch gewachsen ist. Gelingt der Biß, dann stürzt das Raubtier mit der niedergeworfenen Größe in den Staub, und es wälzt sich Hoch und Niedrig in gleichmäßiger schmutziger Niedrigkeit umher.


Kurze Pause.
GRÄFIN.

Ich kann deinen politischen Ideen nicht folgen, ich bin eine Frau. Als solche empfinde ich aber, daß mitten unter allem Entsetzen eine Seele in diesem Buche waltet, welche voll edler Wallungen ist. Deshalb wiederhole ich: Du tust unrecht, Karl, wenn du auf strenge oder gar gemeine Strafe sinnst gegen den Autor.

HERZOG
heftig.

Unrecht? – Milder. Du hast Verstand genug, die politische Lage der Welt zu würdigen, du hast mir's seit Jahren in täglicher Unterredung bewiesen. Verstocke dich nicht hierbei aus persönlicher Sentimentalität für dies unglückselige Menschenkind, welches eine alltägliche Weiberseele durch schimmernde Phrasen bestechen mag. Es ist kein Schülerspaß mehr, der verscharrt und vergessen werden kann: das Buch ist hinausgeworfen in die Welt, es wird sein lautes Echo finden, wie jeder wilde Schrei; denn das Publikum ist ein gedankenloser Berg, der jedem heftigen Anprall antwortet; um so lauter und stärker antwortet, je wilder der Schrei. Freilich ist Talent in dem Patrone! Was du als befangenes Weib die Seele nennst, das ist sein Talent. Hätte er dies nicht, was würde ich mich bekümmern und betrüben um die Fratze!? Dies Talent eben wird die Menschen verführen, daß sie das Verbrecherische ebenso beifällig aufnehmen wie das Harmlose, und darum ist es meine Pflicht, an Autor und Buch ein warnendes Beispiel aufzustellen. Dies schreckende Beispiel allein kann die Menschen belehren, daß hier ein Verbrechen vorliege, welchem man aus dem Wege gehn solle –

[265]
GRÄFIN.
Schiller ist kein Verbrecher!
HERZOG.

Aber sein Buch ist ein Verbrechen! – Du kennst die drohende Lage der Welt so gut als ich, kennst das schreckliche Gewitter, welches jenseit des Ozeans donnert und blitzt und hagelt und alles das verwüstet, was unsere Vorfahren seit Jahrhunderten mühsam aufgebaut in Europa. Alles das wird von Grund aus zerstört in jenem Nordamerika, und jener Washington sichert der Neuerung eine für uns verderbliche Dauer. Die wildesten Gedanken er Neuerung sind bereits nach Europa ausgestreut worden durch Franzosen und Polen und durch unsre eignen Hilfstruppen –

GRÄFIN.
Die ihr verkauft habt –!
HERZOG.

Und diese wilden Gedanken haben in diesem Augenblicke vollständig gesiegt! Europäische Fürsten haben sie sanktioniert: vor einer Stunde ist mir die offizielle Nachricht zugegangen, daß Frankreich am Dritten dieses Monats Friede mit England geschlossen und die sogenannte Freiheit Nordamerikas, will sagen: die Republik! garantiert hat. Der zerstörende Vulkan ist jetzt gesetzlich gesichert, und wo ist die Hilfe für das alte Recht und für uns Fürsten? Wo ist sie? Sieh dich um! In England etwa? Das ist erschöpft und ist von lange her unsrer fürstlichen Macht eine gefräßige Stiefmutter. Oder in Frankreich? Das alte schöne Frankreich ist verdorben. Da wirtschaften jetzt die überspannten Lafayettes, die frechen Beaumarchais', welche den Boden untergraben; da gärt es in allen Winkeln, und der König ist ein gutmütig schwacher Mann. Oder ist etwa bei uns dahier im Deutschen Reiche Hilfe zu erwarten? Wie? Handelt nicht unser Kaiser Joseph, als ob er bei diesem Washington in die Schule gegangen wäre, und ist der große Friedrich etwa noch eine Stütze? Wahrhaftig nicht! Hat er mich nicht verleugnet im Kampfe gegen meine Landschaft? Ist er nicht bei aller seiner königlichen Macht durch und durch angesteckt von Neuerungen, und sei er, wie er's sein kann, ein wirklicher König und Herr, steht er nicht schon mit einem Fuße in seiner Gruft zu Potsdam? Laß ihn verschwinden in dieser Gruft, wer wird den krachenden Sturz unsers alten Reichs und Rechtes aufhalten? Wer? Und Mit steigender Heftigkeit. in solcher Lage soll aus meinem Württemberg ein Schauspiel hervorgehen, welches die frechste Empörung verherrlicht, und ich, der gefürchtete Herzog Karl, soll dies ruhig geschehen lassen? [266] Der Kinder Spott zu werden verdient' ich, wenn ich die Bedeutung und die Gefahr nicht einsähe und ihr nicht einen Denk- und Grenzstein errichtete, so hoch wie der Galgen! Geht umher.


Pause.
GRÄFIN
macht bei den letzten Worten eine Bewegung des Entsetzens und der Abwehr, nach der Pause leise anhebend und langsam.

Ich weiß nicht, ob solch ein Zusammenhang mit dem Schauspiele eines jungen Poeten zu suchen und zu behaupten ist; ich weiß nicht, um wieviel dein Zorn die Erscheinungen und die Verhältnisse vergrößert; aber ich weiß, daß keine Macht der Erde stark genug wäre, durch Verbot und Strafe solchen Zusammenhang zu zerreißen, wenn er besteht, und ich weiß, daß es meinem Innersten widerstrebt, einen begabten jungen Mann wie eine Entrüstet. Beute des Henkers behandelt zu sehen! – Für mich ist hier kein menschlicher Zusammenhang! Was hat er getan? Eine wilde Phantasie hat er niedergeschrieben und sie dem Urteile der Welt vorgelegt. Das ist alles. Beurteilt sie, verurteilt sie. Das Buch ist euer, der Verfasser nicht. Vergreift ihr euch an ihm, so vergreift ihr euch an demselben alten Rechte, dessen Untergang ihr verhüten wollt. Gott gab jeder Kreatur das Recht, seine Welt anzusehn mit eigenen Augen, seine Welt innerlich nachzuschaffen mit eigenen Kräften. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und lasset Gott, was Gottes ist. Die Tat des Poeten mag euer sein, ich will's nicht bestreiten, obwohl auch dies mir widerstrebt, der Poet aber ist Gottes. Du vergreifst dich an Gottes vorbehaltenem Eigentume, wenn du den Dichter, Gottes ewigen Quell von unerhörten Dingen, vor dein beschränktes weltliches Tribunal schleppst!

HERZOG
höhnisch.
Du phantasierst!
GRÄFIN
sehr lebhaft.

Spotte nicht, Karl! Spotte nicht! Dein Spott träfe das Edelste, was wir beide gemeinschaftlich besitzen, unsre Liebe, unsre Ehe. Was ich da gesagt, ist der Kern meiner Seele. Verachtest du's, so scheidest du uns voneinander.

HERZOG.
Weib!
GRÄFIN
mit schwärmerischem Feuer.

Weil ich ein Weib bin, leb' ich und sterb' ich dem Ideal meiner Seele. Karl, du verlierst mich, ich verliere dich, wenn die Kluft, welche du da aufgerissen hast zwischen uns, unausgefüllt bleibt. –

HERZOG.
Weib!
[267]
GRÄFIN
ohne sich zu unterbrechen, mit schwächerer, aber tief erregter Stimme.

Höre genau, Karl, ich phantasiere nicht; mein ganzes Inneres erzittert vor der Wahrheit des Wortes: Du verlierst mich, ich verliere dich, wenn dieser grelle Unterschied wirklich zwischen uns besteht, wenn du wirklich einen unschuldigen Dichter den Henkern überliefern kannst, weil dir sein Gedicht nicht gefällt, wenn du wirklich das Unendliche behandeln kannst, wie das Gemeine.

HERZOG.
Franziska –!
GRÄFIN
ohne sich zu unterbrechen, der Stimme immer mehr Raum gebend.

Denn du bist dann nicht mehr der Karl von Württemberg, den ich lieben mußte trotz aller Not und Qual und Schmach und Erniedrigung, welche diese Liebe über mich gebracht.

HERZOG.
Schmach und Erniedrigung –?!
GRÄFIN
ebenso und sehr rasch.

Jawohl, Schmach und Erniedrigung war's, als ich jahrelang neben dir einhergehen mußte ohne gesetzliche Weihe, als die ehrbare Bürgersfrau schamhaft ihr Haupt von mir abwandte, weil mich ihr Herz der Schamlosigkeit zieh und der Frechheit. All deine äußerliche Pracht und Herrlichkeit, die du über mich warfst, sie konnte diesen Stachel nicht abstumpfen, der mein Herz zermarterte, und Stark. für den Herzog von Württemberg hätte ich nimmermehr das alles erlitten! Ich erlitt es Weicher. für jenen Karl von Württemberg, dem ich mich verbunden glaubte in voller, edler Sympathie der Seelen, ich erlitt es für dich, Karl, dessen männliche Seele, dessen edle Seele ich liebte. Liebe für den edlen Mann war meine Entsühnung. Streng. Muß ich jetzt, nachdem ich dein Weib geworden, entdecken, daß in der Brust dieses Karl kein Organ wohnt für eine tiefste Empfindung des Menschen, für eine Empfindung, welche den Glauben an Gott betätigt, Gesteigert. kein Organ für die Würdigung des Dichters, aus welchem Gott redet, wie entstellt auch Gottes Ausdruck laute; muß ich jetzt entdecken, daß du kleiner bist, als ich gedacht, dann, Herzog Karl Mit größtem Pathos. ist mein Herz in furchtbarer Täuschung befangen gewesen, dann bist du nicht der edle Mann, der mich entsühnen gekonnt, dann werden alle die Schlangenbisse der Schmach und Erniedrigung wieder lebendig, die Vergangenheit ist nicht überwunden, sondern wird die Hölle meines Herzens, ich bin alsdann das unglücklichste Geschöpf in deinem Reiche, und ich habe dich, du hast mich verloren.


Pause.
[268]
HERZOG.
Du übertreibst dich und überreizest dich, Franziska.
GRÄFIN
leise.
Das sagt der Mann immer, wenn ihm das Leben des Weibes unerwartet enthüllt wird.
HERZOG.

Laß das! – Er stützt sich wieder auf die Stuhllehne und schweigt einen Augenblick – halblaut. Ich kann deinem überspannten Eigensinne gefällig sein; denn ich liebe dich. Aber ich kann es nur auf Kosten meiner persönlichen Wünsche, ich kann es nicht auf Kosten des Staates. Und dies Buch ist nicht gegen mich, es ist gegen die Gesellschaft, gegen den Staat gerichtet. Erniedrige nicht deinen Herzog Karl dadurch, daß du ihm weibische Willfährigkeit ansinnest, wo man männliche Kraft von ihm erwarten, fürstliche Strenge von ihm fordern darf. Hindre mich nicht, Fürst zu sein. Weich. Sei billig gegen mich – opfre nicht einer poetischen Grille den Mann deines Lebens. – Und jetzt schmücke dich, damit du mich später begleiten kannst zum Feste auf der Solitude.

GRÄFIN.
Mit solchem Pfeil im Herzen kann ich kein Fest begehen!
HERZOG
streng.

Franziska! – Du wirst Einsicht finden! Diese Fremden sehen mit hundert Augen auf dich – eine glückliche Ehe beneiden sie, auch wenn sie deiner nichtfürstlichen Abkunft spotten möchten: jedes Zeichen einer nichtglücklichen Ehe ergreifen sie als die willkommenste Beute für bösen Leumund, als die willkommenste Bestätigung ihres Vorurteils für standesmäßige Wahl. Du wirst Einsicht finden, wirst du?

GRÄFIN
sehr weich.
Karl! Erlöse mein Herz von der quälenden Angst um den Dichter!
HERZOG
streng.
Franziska!
GRÄFIN
schnell und äußerst schmerzlich und mit nachdrücklicher Steigerung.

Alles andere ist ja unbedeutend daneben. Mit dieser furchtbaren Frage aber steht und fällt dein und mein Leben, glaub' es mir! Steht und fällt dein Ruf und Ruhm im Vaterlande, in der Geschichte, das weiß ich, Karl –

HERZOG.
Ich weiß es auch, und deshalb bin ich streng und handle rasch.
GRÄFIN
in Verzweiflung.
O mein Gott, mein Gott, wie unmächtig ist das Weib, wenn es nicht geliebt wird.
HERZOG.
Franziska!
[269]
GRÄFIN
angstvoll rasch.

So zögre wenigstens mit dem Gericht! Du bist übernächtig, du bist aufgeregt, laß die Sonne untergehen und wieder aufgehen, ehe du beschließest. Ablehnende Bewegung des Herzogs. Außer sich. Sei nicht grausam, um gerecht zu sein! Zu deinen Füßen beschwöre ich dich –! Er läßt sie nicht knien.

HERZOG
rasch.
Franziska, du bist außer dir!
GRÄFIN
erschöpft.

Jawohl, und mit Fug und Recht; denn du verstehst nicht, daß es sich um Tod und Leben für uns alle handelt.

HERZOG
geht unruhig nach hinten und sieht einen Augenblick hinaus – es donnert in der Ferne – dann kommt er langsam zur Gräfin, welche schmerzlich in sich versunken dasteht und sich nicht nach ihm umgesehen hat.
Ich will dir meinen guten Willen zeigen – soweit ich kann.
GRÄFIN
aufsehend.
HERZOG.

Ich will den jungen Menschen noch einmal sprechen. – Geht rasch hinten an die offene Tür und ruft nach rechts, wo Bleistift, ohne weiter zu antworten, einen Moment an der offnen Tür sichtbar wird und wieder verschwindet. Heda! Ruf den Schiller herauf zu mir! Zurückkommend. Hier soll er auf mich warten. Sein Schicksal sei hiermit noch einmal, aber zum letzten Male in seine Hand gegeben. Mit tiefer Stimme. Ich habe nichts dagegen, daß ihr Frauen ihn aufmerksam macht, was auf dem Spiel stehe. Nimm dir die Bäbele zu Hilfe, sie ist ein gesunder Verstand. Du siehst, ich bin billig.

GRÄFIN
reicht ihm die Hand.
HERZOG
ebenso.

Schiller ist wahr und ehrlich – ich werde sehen, ob eine Ausgleichung möglich ist, ich werde erwägen, wieviel er versprechen, wieviel er halten kann. Bist du zufrieden?

GRÄFIN.
Ich danke dir wenigstens – Gott möge es zu unserm Besten lenken.
HERZOG.
Das möge er! Und mir dein Herz erhalten.
GRÄFIN
sehr ernst.

Wie mir das deine, Karl – denn die Gefahr ist groß! Sie geht links nach der ersten Tür, er winkt ihr ernst liebevoll mit der Hand und geht nach der ersten Tür rechts ab.

4. Szene
[270] Vierte Szene.
Das Theater ist einen Augenblick leer, es donnert in der Ferne.
Schiller eilig und aufgeregt aus der zweiten Tür rechts kommend; gleich darauf Laura, welche in der ersten Tür links erscheint, als Schiller hurtig – nachdem er einen Augenblick an die offene Mitteltür getreten – bis in die Mitte des Theaters vorgekommen ist. Dann Generalin; dann Gräfin, beide aus der ersten Tür links kommend, endlich Koch; zuletzt der Herzog.

SCHILLER
als er Laura in der Tür erblickt, mit erhobenen Armen ihr entgegen.
Laura!
LAURA
ablehnend und nach rückwärts ins Zimmer deutend.
Still!
SCHILLER
bleibt in der Entfernung einiger Schritte stehen.
LAURA
halblaut.
Mama und Tante sind dicht hinter mir! Folgt ihren Ratschlägen, sie meinen's gut mit Euch.

Generalin und Gräfin treten ein.
GRÄFIN.

Laura! Sie winkt sie zu sich, gibt ihr die Hand und weist ihr die Stellung rechts neben sich an. Du darfst Schiller jetzt nicht stören, er braucht all seine Fassung. – Schiller! Ihre Stellung ist hier völlig geändert. Demgemäß müssen Sie handeln. Sind Sie dazu bereit.

SCHILLER.

Das bin ich, gnädigste Frau. Bis heute nacht war ich unsicher über meinen Beruf. Jetzt bin ich sicher, und ich werde ihn vertreten bis zum Äußersten.

GRÄFIN.
Jetzt muß ich Ihnen selbst dazu raten – es ist nichts mehr übrig als schleunige Flucht.
SCHILLER.
Flucht?!
LAURA
leise.
Flucht!
GENERALIN.
Jawohl, sprecht leise!

Pause.
SCHILLER
blickt unverwandt auf Laura, welche bittend die Hand faltet und ihn zärtlich anblickt; er macht eine entschieden verneinende Handbewegung.

Gnädigste Frau – Sie haben mich mißverstanden. Ich war unsicher und verzagt und dachte an Flucht und Verzweiflung an mir selbst, solange alle Zeichen um mich her verkündeten, ich sei im Irrtum über mein Talent, ich sei unmächtig. Denn wir Poeten sind nur etwas, wenn man uns glaubt und vertraut. Jetzt weiß ich, daß ich Mit halbem Blicke auf Laura. Glauben und Vertrauen finden[271] kann, und jetzt wanke und weiche ich nicht mehr von dem Platze, welchen mir das Schicksal angewiesen.

GRÄFIN.
Schiller!
GENERALIN.
Da hörst du's!
SCHILLER.

Ich fühle jetzt die Kraft in mir, meine innere Welt geltend zu machen gegen alle Hindernisse, ja gegen die mächtigsten Widersacher, und ich fühle, daß ich dazu verpflichtet bin.

GRÄFIN.
Nimmermehr!
GENERALIN.
O Gott, o Gott!
SCHILLER.

Der Baum, welcher verpflanzt wird, kommt in Gefahr zu verdorren. Den heimatlichen Boden muß man behaupten um den höchsten Preis.

GRÄFIN.

Unglücklicher! Diesen höchsten Preis verlangt man von Ihm? Das Dasein selbst! Ich weiß es; denn ich habe soeben auf dieser Stelle um Sein Dasein, um das Dasein des Poeten mit dem Herzog gerungen, und ich habe es nicht errungen.

SCHILLER
zeigt sich betroffen.
– Wie?

Kurze Pause.
GRÄFIN.

Verblenden Sie sich nicht, Schiller, durch den Schimmer, welcher eben Ihr Herz erleuchtet. Anderwärts – Auf des Herzogs Zimmer deutend. wächst gerade um dieses Flammenscheins willen der schwarze Schatten nur um so höher. Täuschen Sie sich nicht, weil soeben Ihr Herz weich und nachgiebig ist; das Herz der herrschenden Welt ist darum nicht weniger felsenhart, und die Hand des Herrschers wird darum nur um so schmerzhafter Ihre Brust zerwühlen. Sie sind verloren in diesem Schlosse, in dieser Stadt, im ganzen Schwabenlande, soweit es unter dem Arme des Herzogs liegt, Sie sind verloren, wenn Sie nicht mit Sonnenuntergange von dannen sind.


Pause.
SCHILLER.

Kann sein! Ja, es kann eine Lage eintreten, welche mich meiner Pflichten gegen die Heimat entbindet, welche mich zwingt das mir anvertraute Schwert des Poeten, dies Pfand der Götter, zu erretten. Aber noch ist es nicht soweit. Und ich darf, und ich – Auf Laura blickend, welche den Blick erwidert. will nicht weichen, bevor ich das Äußerste versucht.

[272]
GRÄFIN.
Um Gottes willen nicht!
Schnell.
SCHILLER.

Einer mutigen Rede kann es gelingen, dem Herzoge die neue Welt in einen neuen Gesichtskreis zu rücken.

GRÄFIN.
Niemals!
SCHILLER.

Jedenfalls aber ihm Achtung abzunötigen für eine Zukunft, die ihn verschlingt, wenn er keinen Frieden mit ihr abzuschließen weiß. Frei mütige Wahrheit soll er hören.

GRÄFIN.
Das ist Ihr Untergang!
GENERALIN.
Seien Sie nachgiebig, Fritz!
LAURA.
Zeigen Sie sich versöhnlich, Schiller!
GRÄFIN.
Das ist Ihr Untergang.
SCHILLER.
Das ist mein Sieg, oder der Inhalt meiner poetischen Absichten verdient keinen Sieg.

Koch erscheint aus der zweiten Tür rechts.
GENERALIN.
Wer kommt?
GRÄFIN.
Was ist?
LAURA.
Was gibt's?
KOCH.

Verzeihung, erlauchte Frau, ich suche meinen armen Freund da, um ihm – ich weiß nicht, ob ich hier alles sagen darf?

GENERALIN.
Alles, Freund, wir beratschlagen eben, daß er fort müsse, und der hartnäckige Schwabe will nicht –
KOCH.

Warum nicht gar! Streicher ist mit allen Vorbereitungen fertig. Der Wagen ist zum Abende bereit, und noch früher. Das heraufziehende Wetter, welches das ganze Tal einhüllt, erleichtert es uns vielleicht, gleich nach dem Aufbruche des Herzogs die Flucht zu wagen. Es wird die Luft verdunkeln, es wird mit Donner und Regen die Wachen in die Häuser treiben, und bis zum Abend hat das fremde Regiment Wimpfen die Wache am Ludwigsburger Tor. Weder Wache noch Wachtoffizier werden dich persönlich kennen, und du passierst unter fremden Namen, Leise zu Schiller. ich gehe mit!

SCHILLER.
Ich danke dir, aber ich fliehe jetzt nicht!
GRÄFIN.
Unglücklicher!
GENERALIN.
Schiller!
LAURA.
O Gott, o Gott, was soll ich wünschen!
KOCH.

Was fällt dir ein! – Vielleicht nur bis zum einbrechenden Abende ist es möglich. Nur so lange kommandiert Leutnant Kapf die Schloßwache und läßt dir volle Freiheit nach dem [273] Bogengange hinaus und weiter – gegen Abend wird er abgelöst, und dann Ade Flucht und Rettung.

SCHILLER
auf Laura blickend, welche trostlos die Hände ringt.

Ich kann nicht in diesem Augenblicke, und – Exaltiert. was ihr auch sagt, noch ist eine große Wendung in meine Hand gegeben, auf meine Zunge gelegt, es würde zeitlebens mein Gewissen peinigen, diese Wendung feigen Sinnes gemieden zu haben; ich will und muß den Herzog sprechen, und muß ihn sprechen frei und fröhlich und mutig, wie ein offener Feind, welcher Sieg oder Frieden erzwingt.

GRÄFIN.

Welcher Untergang und Tod erzwingt – jetzt gerade bei Seiner törichten Zuversicht, Schiller, ist diese Unterredung tödlich und muß vermieden werden, ich übernehme die Entschuldigung.


Der Herzog tritt ein im Jagdkleide, bleibt an seiner Tür stehn, und betrachtet alle, welche auseinander stieben.
GRÄFIN.
Zu spät!
GENERALIN.
Nun ist's vorbei!
KOCH.
Zum Verzweifeln!
SCHILLER.
Das Schicksal entscheidet für meinen Glauben und – Auf Laura hinüberblickend. meine Liebe!
HERZOG
zu Koch.
Was macht Er hier?!
KOCH.
Sire. –
GRÄFIN.
Ich hab' ihn gerufen, daß er seinen unglücklichen Freund berate.
HERZOG
in die Mitte vorkommend, sieht mit Wehmut auf Laura, dann zu seiner Linken, wo Schiller und die Generalin stehen.
Komm zu mir, mein Kind!
LAURA
stürzt ihm in die Arme und verbirgt ihr Haupt an seinem Herzen.
HERZOG
leise.
Armes Kind! Zum Spielball des Glückes in die Welt geschleudert unbedachtsam!
LAURA.
Laß dein Herz für mich sprechen!
HERZOG.

Mein Herz? – Wär' ich ein Bürgersmann! – Bäbele! Generalin kommt und nimmt Laura aus seinen Armen. Pflege dies Kind, wenn ihm Weh getan wird.

GENERALIN.
Das wird Gott nicht wollen –
HERZOG.
Ich hab' ihn leider zu vertreten auf dieser Scholle Erde.
GENERALIN.
Traget Holz und lasset Gott kochen! sagt ein altes Wort.
[274]
HERZOG.
Ich trage Holz Mit einer abwehrenden Bewegung. Geht!
GRÄFIN
bittend.
Karl.
HERZOG.
Geht!

Die Frauen links in die erste Tür, Koch rechts in die zweite Tür ab.
5. Szene
Fünfte Szene.
Herzog. Schiller.

HERZOG
tritt links an den Sessel, tief nachdenkend.

Schiller steht auf der rechten Seite hinter dem Sessel. Pause. Endlich sieht der Herzog auf, betrachtet Schiller, dann sagt er. Geh Er hin und öffne Er die Tür zum Dienstzimmer!

SCHILLER
geht und öffnet die zweite Tür links.
HERZOG
sieht sich danach um und ruft mit starker Stimme.
General Rieger!

Während dieser auf der Schwelle erscheint und bis in die Mitte des Zimmers kommt, bleibt der Herzog vorn, Schiller hinten unbeweglich.
RIEGER.
Durchlaucht.
HERZOG
ohne sich umzusehen.
Hierher!
RIEGER
tritt nahe zu ihm.
HERZOG
halblaut.

Warte dort, wie ich dir befohlen! Wenn du mich fortreiten siehst, ohne daß ich dich nochmals gerufen, so besteige dein Pferd und kehre friedlich auf deine Festung heim. Ruf ich dich aber noch einmal und sage dir: »Es bleibt beim Alten,« so handle nach Sonnenuntergang, wie ich dir befohlen.

RIEGER.
Zu Befehl, Durchlaucht.
HERZOG
winkt, Rieger geht ab wieder an Schiller vorbei und ins Zimmer.
– Kurze Pause. Schließe!
SCHILLER
schließt das Zimmer.
HERZOG
geht über die Bühne zum Stuhle rechts und setzt sich darauf.

Sobald er sitzt, winkt er, ohne sich umzusehen, Schiller, und dieser kommt bis in die Mitte des Theaters. Wie alt ist Er?

SCHILLER.
Dreiundzwanzig Jahr.
HERZOG
für sich.

Und richtet schon solches Unheil an! Laut. Einer von euch sagte gestern, die Menschen ließen sich nicht erziehen. Was hat Er denn werden wollen, ehe ich mich Seiner angenommen?

SCHILLER.
Ich wollte Prediger werden, Durchlaucht.
[275]
HERZOG
sieht ihn von der Seite an.
SCHILLER.

Ich band mir schon als Knabe eine schwarze Schürze vor und stieg auf den Stuhl und predigte – was hab' ich zu sagen gewußt als unkundiger Knabe! Es war also nur der Drang, ein volles Herz auszuschütten, die Wunder der Welt zu verkünden und die Menschen aufzurufen zur Sammlung, Begeisterung und Tätigkeit. So ist es noch in mir, Durchlaucht. Ich glühe, ich zittre und bebe dafür, Gutes und Großes zu bewirken.

HERZOG
halb für sich.

Ich glaube wahrhaftig, es wäre ihm besser gewesen! Im Tübinger Stifte die steife Methode und dann hinaus mit den Windmühlflügeln in die dicken Nebel zwischen diesseits und jenseits. Herrgott und Satan, Himmel und Hölle vertragen mehr, als wir auf Erden. Laut und streng. Was soll denn nun aus Ihm werden? Ein Poet, daß Gott erbarm!

SCHILLER.

Ein Prediger von der Schaubühne herab durch die begeisterte Stimme des Schauspielers. Durchlaucht, eine belebende Zukunft für deutsches Schauspiel öffnet sich unserm Vaterlande, Schröder hat in Hamburg vorgearbeitet, Kaiser Josef hat ihn jetzt an die Burg berufen, Dalberg wirkt in Mannheim, und ein Fürst von Ihrer Erfahrung und Tatkraft ist der Mann dazu, in Deutschland solche neue lebensvolle Epoche für Literatur und Kunst gründlich zu fördern.

HERZOG
ihn ansehend, ohne Heftigkeit.

Zum Aufschwung eurer wilden und rohen Gedanken! Ihn groß ansehend. Er ist doch wohl verrückt! Steht hier, um sich für Leib und Leben zu verantworten wegen eines frechen Werks und frechen Verbreitung desselben, und beginnt seine Defension damit, unerhörte Dinge zu begehren –! Deutsches Theater! Narretei! Schaff Er erst eine gebildete deutsche Sprache! Schaff Er erst Geschmack! Ihr Schwaben, die kein Satan zum guten Geschmack erziehen wird, ihr wollt ein deutsches Theater machen! Schwabenstreiche könnt ihr machen, weiter nichts!

SCHILLER.
Schwabenstreiche sind besser als Puppenspiel.
HERZOG.

Schweig Er still, bis ich Ihn frage. Deutsches Theater! Den Voltaire habt ihr neben euch gehabt und lernt doch nichts! Der junge Goethe, von welchem der von Weimar solch Aufhebens macht, hat mir bei seiner Durchreise hier gesagt, er hätte in Straßburg die Franzosen studiert, und was bringt er zustande? Ist's nicht ein klägliches Ding mit diesem Clavigo? Ein Frauenzimmer [276] stirbt fünf Akte lang an der Schwindsucht! Auf so einen geschmacklosen Einfall gerät man nur bei uns! Und das spricht von deutschem Theater! Aufstehend. Das Publikum verderben, verwirren, aufrühren, das allein könnt ihr mit euern wüsten Phantastereien, und das Handwerk soll euch gelegt werden. Umhergehend.

SCHILLER.
Durchlaucht –!
HERZOG.
Stillschweigen. – Wie ist Er auf die abscheuliche Idee dieser Räuber gekommen?
SCHILLER.
Im schwäbischen Magazin stand eine Geschichte, wie ein verstoßener Sohn seinen Vater rettete –
HERZOG.
Und –
SCHILLER.
Und ich hatte im großen Briten Shakespeare gesehen, welche Leidenschaften ein Drama bilden konnten-
HERZOG.
Immer dies verderbliche England! Und –
SCHILLER.
Und – ich war Karlsschüler!
HERZOG.
Nun, was soll das? Stützt sich auf die Stuhllehne.
SCHILLER.

Ich ward als Schüler in soldatischer Disziplin gehalten, wie ein Wesen, das keinen eignen Gedanken, keinen eignen Willen haben durfte, und war doch erregt von eignen Gedanken, war doch erhoben von eigner Willenskraft und geriet solchen Wegs –

HERZOG.
In Empörung?
SCHILLER.

Ja, in innere Empörung! – Sei's denn gesagt! – Ich bin zu dieser Unterredung gekommen mit vollem Vertrauen auf meine gute Sache und auf Ihr edles Herz, Durchlaucht. Ich habe mich nicht irren lassen durch Abmahnung, Warnung und Einschüchterung, ich habe gehofft, meinem und dem allgemeinen Interesse zu nützen durch offene, mutige Rede. So sei denn alles gesagt, was ich auf dem Herzen habe, vielleicht zündet ein Funke Wahrheit in Ihrer Seele – ja, in innere Empörung geriet ich über mein Schicksal und das Schicksal meines Vaterlandes. Ich fühlte mich gemißhandelt Tag und Nacht bis in die innerste Seele hinein. Das Ideal eines Volksredners ward mir spöttisch entrissen; denn in der Karlsschule hieß es, gibt es kein Volk und keine Gottesgelehrsamkeit. Willst du aufgenommen sein, so werde Jurist oder Mediziner. Ich war arm, die Aufnahme galt uns für die größte Wohltat, besonders weil ich nur bürgerlicher Herkunft war. Ich mußte die Hand küssen, welche mir die ersehnte Zukunft entzog; ich ward [277] Jurist und verwand mit Schmerzen diesen ersten Ruck, der meinen tiefsten Wünschen angetan wurde. Aber ich war nicht nur arm, ich war auch ein ungewandter und nun vollends eingeschüchterter Knabe, der wegen seines linkischen Wesens fortwährend gescholten und gestraft wurde. War das meine Schuld? Warum gab die Natur gerade mir ein ungestüm inneres und ein so träg nachhinkendes äußeres Wesen? So ward meine Jugend ein fortdauerndes Leiden, und als ich mich endlich mühsam in die aufgedrungene Bahn gefunden, da hieß es wiederum halt! Kein Jurist! Mediziner soll der Bursch werden, das paßt besser für den armen Teufel, und zum zweiten Male gewaltsam wurde der Ruck meines Innern erzwungen, ob auch alle Fugen in mir krachten und schmerzten. Was da! hieß es, der Mensch ist eine Maschine, man dreht sie und stellt sie und zwingt sie in Gang. Der Mensch ist keine Maschine! schrie es auf in meiner Brust, und schrie es so lange, bis wir alle wußten, solche Erziehung sei Mißhandlung, bis wir alle fest entschlossen waren, uns aufzulehnen. War's nun ein Wunder, daß die verschobene Seele krampfhaft hineingerissen wurde in wilde Phantasien, war's nun ein Wunder, daß wir Ideale ausbrüteten von ungetümer Natur?! Die Seele braucht Speise und Trank, wie der Leib, das Ideal ist ihre Speise und Trank. Konnte unser Ideal dem Herrn der Karlsschule wohlgefällig werden? Vor unsern Augen war Kampf und Gewalt gegen die Vertreter des Landes, vor unsern Augen Verhöhnung des Freiheitsgedankens, welcher jenseits des Meeres schmetternde Siege erfocht, vor unsern Augen Verhöhnung deutschen Dranges nach eigener Literatur und Kunst, vor unsern Augen all und überall Druck auf Hirn und Herz, mußte da nicht jener entsetzliche Zustand in uns entstehen, welcher die Augen schließt und blind mit dem Haupt gegen die Schranke rennt, mußten da nicht die Räuber entstehen, welche man nun so entsetzlich findet. Sie mußten entstehen, und die deutsche Karlsschule ist die Mutter des Stücks, der Herzog von Württemberg ist der Vater desselben!


Pause.
Es donnert.
HERZOG.

Wenn du horchst, Franziska, so erfährst du, daß ich recht gehabt und daß er reif ist, wie ich mir gedacht. Er geht hinten nach dem Ausgange, als wolle er nach dem Wetter sehen, geht dann rasch auf die zweite Türe links zu, als wolle er Rieger rufen, bleibt aber plötzlich stehen, [278] betrachtet wie mitleidig Schiller und kommt an seinen Platz zurück, das nächste mild, aber immer verhalten sprechend. Du ruinierst dich, mein Sohn, durch deine Heftigkeit. Ich hätte es lieber gesehn, wenn ich dir verzeihen gekonnt. Du bist aber wohl für nichts zu brauchen, nicht einmal zum Hofpoeten denn du übertreibst alles, wie du die Wüstheit und Immoralität deiner Räuber übertrieben hast – siehst du dies ein?

SCHILLER.

Durchlaucht, ich sehe ein, daß das Buch in der Schilderung seiner Menschen übertrieben ist. Aber unmoralisch ist es nicht.

HERZOG.
So?
SCHILLER.

Die Welt wird im Innersten bewegt, aber es wird das Laster furchtbar bestraft, und die Tugend geht triumphierend hervor.

HERZOG.
Und du glaubst, solch ein Stück werde dem deutschen Publikum gefallen?
SCHILLER.
Ich – hoffe es.
HERZOG.

Ich fürchte es nicht. So tief ist der Sinn des Volkes noch nicht verdorben, und solche Empörung findet nur in jungen überspannten Köpfen einen Anklang. Gefiehle es wirklich, dann müßten wir Herren des Landes von unsern Stühlen herab und in die Gräber hinuntersteigen, um euch Platz zu machen. Versteht du mich?

SCHILLER.
Ja, Durchlaucht.
HERZOG.

Und nun höre meine aufrichtige ganze Meinung über dein Werk! Wenn ich Gott selbst und im Begriff wäre, diese Welt zu schaffen, und ich sähe voraus, daß deine Räuber in dieser Welt geschrieben und mit Beifall aufgenommen werden sollten Mit furchtbarem Ernst. – ich ließe diese Welt ungeschaffen.

SCHILLER.
Durchlaucht –!
HERZOG
ebenso.

So tief ist mein Abscheu! Nun wirst du's begreiflich und gerecht finden, daß ich auf gründliche Abhilfe oder Strafe denke.

SCHILLER.
Mein Fürst –!
HERZOG
strenger.

Bin ich in Wahrheit dein Fürst, so folge mir. Ich sehe aus dem zweiten Stück, welches man im Manuskript bei dir gefunden, daß du auf dem begonnenen Wege des Aufruhrs fortwandelst. Dies zweite Stück heißt »Die Verschwörung des Fiesko, republikanisches Trauerspiel. – Mein Sohn, aus diesem Wege wirst [279] du vielleicht ein großer Dichter, vielleicht, – ich bezweifle es; denn ich vermisse Maß und Schönheit – oder du wirst, und das ist wahrscheinlich, ist für mich gewiß, du wirst ein großer Staatsverbrecher –

SCHILLER.
Durchlaucht –
HERZOG.

Der ein schmähliches Ende nimmt! – Willst du an meiner Hand umkehren? Ich will dir die Hand dazu bieten. – Dein Herz ist schöner Regungen fähig – ich kenne deine Geheimnisse und will deshalb nicht schelten –

SCHILLER.
Mein Fürst!
HERZOG.

Ich will dich deshalb nicht schelten. Weil dein Herz die wahre Liebenswürdigkeit erkennen und empfinden kann, deshalb will ich deine Besserung für möglich halten –

SCHILLER.
O, mein Fürst!
HERZOG.
Willst du Besserung versprechen?
SCHILLER.
O, mein Gott! – Was heißt Besserung?
HERZOG.
Das heißt Änderung!
SCHILLER.
Änderung?
HERZOG.
Totale!
SCHILLER.

Änderung! Wie soll ich – wie kann ich sie zuwege bringen? Ich bin ja nur etwas, indem ich – eben Schiller bin, der Mensch mit eben diesen und diesen Empfindungen, Erfahrungen, Ansichten und Wünschen – wie kann ich mich gänzlich ändern, ohne mich gänzlich zu verlieren –?

HERZOG.
Das wird meine Sorge sein. Jeder Mensch ist zu ändern, sonst wär' er nicht zu regieren –
SCHILLER.
O nein –
HERZOG.

Still, und hör Er zu! Er muß mir künftig alles zeigen, was Er schreibt, ehe Er es durch den Druck oder sonstwie veröffentlicht.

SCHILLER.
Zensur!
HERZOG.
Damit ich es entweder unterdrücken oder Ihm die nötigen Änderungen angeben kann.
SCHILLER.

Römische Zensur! – Aber wir jungen Leute haben ja eine ganz andere Welt in unserm Herzen, als die wirkliche Welt, als die Welt Eurer Durchlaucht ist!

HERZOG.
Die soll euch eben ausgetrieben werden!
SCHILLER.
Das heißt, wir sollen vernichtet werden!
[280]
HERZOG.

Er soll ferner bei höchster Leibesstrafe nicht mehr mit dem Auslande verkehren durch irgend eine Schrift, ja nicht durch irgend eine Zeile – will Er mir beides versprechen?


Kurze Pause.
SCHILLER
leise.

O, meine Täuschung! – Versprechen, daß ich zertreten lasse, was Lebendiges, was Eigentümliches in mir ist, versprechen, daß ich mein besseres Selbst töten lassen will – Ausbrechend. beim allmächtigen Gott im Himmel, das kann ich nicht!

HERZOG
heftig.

Nicht? Sich zusammennehmend. Überleg Er sich's! Sein ganzes Leben steht auf dem Spiele! Das Herzensleben wie das bürgerliche.

SCHILLER.
Das Herzensleben – o Gott! – – Nein!! Nein! Lieber sterben als verderben!
HERZOG
weggehend.
So fahre hin! Stehenbleibend und mit voller Kraft. Für diese Welt bist du verloren.

Von hier an sehr schnell.
SCHILLER.
Verloren, weil ich nicht Sklave werden will.
HERZOG.
Weil Er Seinem Fürsten und Herrn widerstrebt.
SCHILLER.
Die Welt meines Geistes gehört meinem Vaterlande, meiner Nation.
HERZOG.
Sein Vaterland und Seine Nation bin ich!
SCHILLER.

Das sind Sie nicht! – Verzeihung! Aber ich muß sagen, was ich weiß! Der Größte und Gewaltigste ist nur ein Teil des Ganzen, und nur der Tyrann überhebt sich dessen und tastet an das verschleierte Bild des Weltgeistes, des Vaterlandes und der Zukunft.

HERZOG.

Und reißt den Schleier herunter vom Götzenbilde und stürzt es samt den Baalspriestern in den Abgrund! Solch ein Tyrann will ich sein, so wahr der Himmel über mir donnert!

SCHILLER.

Und wenn dies Götzenbild »Weltgeist, Vaterland und Zukunft« eine Gottheit ist, und den Tyrannen mit einem Wetterstrahle in Staub und Tod darniederwirft bei der Berührung?! Kurze Pause. Dies Bild ist eine Gottheit, Fürst! Vergreifen Sie sich nicht an der Zukunft, Sie sind auch nur ein sterblicher Mensch!

HERZOG
mit größter Kraft.

Verwegener –! – Kurze Pause. Nahe zu ihm tretend und ihn mit den Blicken messend, anfangs leise. Dreister [281] Schüler! Ich bin als Herr was Besseres denn ihr. Das willst du verleugnen, und daher der tödliche Zwiespalt. Bringt ihr die Welt einmal zu eurem Unglauben, dann sehet zu, wie's euch bekommt. Ich will und werd's nicht erleben, und will dafür sorgen, daß ich's nicht erlebe – Ausbrechend. wenn ich Ihm jetzt den Kopf vor die Füße legen lasse, so kräht kein Hahn danach, ich kann's; Gott gab Seine Zukunft in meine Hand, ich mach' Ihn, zu was ich will, wenn ich will, zur Leiche, ich bin Sein Herr!

SCHILLER
erschrocken, halblaut.

Ebenso wäre der Mörder auf der Landstraße mein Herr, weil er mich töten kann! Gefaßt. Herzog von Württemberg, Sterben ist kein Kinderspiel, und Sie haben dem höhern Richter Rechenschaft zu geben.

HERZOG.
Die werd' ich geben!
SCHILLER.

Sie werden nicht einer zornigen Wallung gehorchen! Sie werden mein Herr sein in einem größeren Sinne! Mit Wahrscheinlichkeit stehe ich einst an Ihrem Sarge! Was werd' ich sagen können an der sterblichen Hülle dessen, der mein Fürst und väterlicher Erzieher gewesen –?

HERZOG
sieht ihn einen Augenblick groß an.

Sag Er, die Hülle dieses Fürsten hatte ein starkes Herz, welches mir nicht gefiel, aber der Mann tat nach seiner Einsicht seine verdammte Schuldigkeit. Das sag Er mit gutem Gewissen, wenn Er mich überlebt. General Rieger! Rieger erscheint an der Schwelle. Es bleibt beim Alten! Zu Schiller, nachdem er bis über die Mitte des Theaters hinausgekommen ist. Und somit Gott befohlen, Poet der Zukunft! Er hat das letztemal zu Seinem Herzoge gesprochen! Wendet sich zum Abgehen.

SCHILLER
aufschreiend.

Das letztemal!! – – Wohlan! So sei denn dieser Leib von Euch zertrümmert! Die Räuber sind schon jenseit Württembergs. Gott, o Gott gebe, daß echter Geist in Wahrheit darin walte, dann wird er über meinem Kerker, über meinem Grabe schweben. Der Dichter stirbt, die Dichtung aber nicht, und wer sie töten will, stirbt wie Prometheus ein ew'ges Sterben, einen ewigen Tod.Der Herzog ist wie betroffen stehen geblieben und winkt nun mit einer Handbewegung Schiller, sich zu entfernen.


Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Koch. Nette. Dann Schiller.
Auf dem Rasenwalle rechts ist anfangs zuweilen eine Schildwache sichtbar.

KOCH
im weißen Mantel, darunter in Zivilkleidern, ohne Zopf kommt aus der Tür links und sagt leise zu Nette, der einen Augenblick hinter ihm in der Tür sichtbar ist.

Warte! Dann geht er vorsichtig über die Bühne an das Ende der Halle rechts, wo Trommel und Gewehre sind, und ruft halblaut. Herr Leutnant Kapf!

SCHILLER
öffnet unterdes von innen das Fenster neben der Tür rechts und sowie Koch den Namen »Kapf« gerufen, ruft er.
Anton, hier!
KOCH
zum Fenster kommend, indem er sich vorsichtig nach dem Walle rechts auf welchem zuweilen die Wache sichtbar ist, umgesehen.
Holla, da bist du ja!
SCHILLER
lauter.
Aber wo bleibst du? Warum laßt ihr mich alle ohne Nachricht und Hilfe?!
KOCH
leise.
Sprich leise.
SCHILLER.
Hier ist nicht so viel zu besorgen. Kapf kommandiert noch die Wache.
KOCH.

Wenn auch. Es ist alles zu fürchten. Die Wachen [283] haben wirklich seit heute mittag Kugeln geladen, und solch ein Gemeiner schießt zu, ohne seinen Leutnant zu fragen, wenn ihm etwas in die Quer kommt – Bist du bereit und entschlossen zur Flucht? Der Ton der Unterredung bleibt halblaut.

SCHILLER.
Entschlossen zum Äußersten; denn der Herzog will mich geistig töten.
KOCH.
Und nicht bloß geistig – also komm!
SCHILLER.
Der Henkersknecht von Sergeant, welcher mich heruntergeführt, hat die Tür zur Halle verschlossen.
KOCH.

Auch diese dort Auf links hinüberdeutend. hatte er zugeschlossen, um den Frauen die Verbindung zu dir abzusperren. Vielleicht hat er's auf eigne Faust, vielleicht auf einen Wink Riegers getan. Ich fürchte, Rieger ist kommandiert gegen dich.

SCHILLER.
Ich furcht' es auch.
KOCH.

Nette hat dem Papa aus der Diensthöhle die Schlüssel entwendet; ich öffne dir, du nimmst diesen Mantel, und wenn die Wache nach jener SeiteHinten nach rechts deutend. marschiert, schlüpfen wir Nach dem offenen Hintergrunde deutend. hinaus. Fünf Schritte links macht der Wall eine Biegung und entzieht uns den Blicken. Also rasch!

SCHILLER.
Das geht nicht, Anton! Ich muß meinen Fiesko haben, und ich muß –
KOCH.

Abschied nehmen! – Schiller, nur jetzt keine Sentimentalität – mit dem Fiesko hat's seine Richtigkeit, und die Frauenzimmer harren – Geht immer nach der Wache sehend vorsichtig hinüber zu Nette und sagt diesem leise etwas. Nette verschwindet. Koch kommt zurück und schließt die Türe rechts auf. Schiller tritt heraus; er führt seinen Hut mit sich.

SCHILLER.
O mein Gott! Wie soll ich die Trennung überwinden?
KOCH
ihn nach rechts drängend.

Klage auf dieser Seite – ich gehe zu Kapf hinein wegen der Schildwache. Vielleicht kann er sich selbst auf den Wall stellen, damit er ihr den Weg hierher abschneidet. Fasse dich kurz, sobald du das Manuskript hast. Ich fürchte, der Rieger trifft Vorkehrungen, die uns verderben – Ab in die Tür rechts.

2. Szene
Zweite Szene.
Schiller der auf die steinerne Bank rechts gesunken ist, bald darauf Laura und die Generalin.

SCHILLER.

Dort Tod meines Geistes, vielleicht auch meines Leibes – hier Tod meines Herzens! Schreckliche Wahl, die mir [284] auferlegt wird! Tückisches Schicksal, das mich mit seinem Glücke verhöhnt: die Pforten der Seligkeit sind mir endlich geöffnet, mein Auge schwelgt schon im Genusse; da werde ich erbarmungslos zurückgeschleudert, um nie, niemals die Pforten zu überschreiten! Und ich soll nicht klagen! Dem Dichter gebührt nicht mehr, damit ihm die Sehnsucht lebendig, das Ideal unzerstörbar bleibe! O Dichtkunst! Welch ein schmerzliches Geschenk des Himmels bist du! Alle Schmerzen der Welt doppelt zu empfinden, das ist unser entsetzlicher Vorzug. Orpheus drang mit der Macht des Gesanges in die Unterwelt hinab, die vom Tode entführte Gattin noch einmal wiederzusehen. Er sah sie wieder, ja, aber für einen Augenblick, und um den Verlust noch einmal und tausendmal stärker zu empfinden. So erringe ich endlich, endlich ein Herz, das mich lieben will endlich! – um den Gedanken des Glücks nur einen Augenblick zu genießen, und um den wirkli chen Verlust tausendmal stärker zu empfinden! – Damit ich ein Gedicht machen kann, muß ich unsäglichen Schmerz erfahren. Denn wer nicht mit seinem Herzblut und seinen Tränen schreibt, den nennen sie keinen Dichter! Er versinkt in sich.


Die Generalin und Laura sind leise von links gekommen.
LAURA.
Schiller!
SCHILLER.
Laura! Er fliegt in die Höhe und auf sie zu, sie halten sich bei den Händen.
GENERALIN.
Arme Kinder!
LAURA.
Muß es denn sein, Schiller?
SCHILLER.

Nein, nein, nein! Wir können uns nicht bloß gefunden haben, um uns sogleich und für immer zu verlieren!

GENERALEN
wie segnend zwischen ihnen.
Du weißt am besten, Fritz, daß man niemals verliert, was man einmal ins Herz geschlossen.
LAURA.
Mutter! Ihr ans Herz sinkend.
SCHILLER.

O traurige Weisheit! Was uns auf Erden versagt wird, das versetzen wir in den Himmel. Machen wir es besser. Holen wir vom Himmel herab, was uns die Erde versagt, verpflanzen wir's gewaltsam auf die Erde.

GENERALIN.
Gewaltsam!
SCHILLER.

Den Himmel, den wir erwarten, den können wir auch erschaffen. Freundin meiner Mutter, gib mir dein Kind zum Geleit auf die Flucht in die weite Welt hinaus. Ich will sie hüten [285] wie meinen Augapfel, ich will sie ehren wie meine Gottheit; denn Laura die Hand entgegenstreckend, welche diese begeistert ergreift. ich liebe sie, ich will für sie arbeiten sei's mit dem Spaten in der Hand, wenn meine Dichtung nicht gefällt und unsern Unterhalt nicht gewähren kann.

LAURA.
Das sollst du nicht, Schiller.
GENERALIN.
Nichts Gewaltsames, Fritz!
LAURA.

Du sollst nicht erniedrigt werden um meinetwillen. Du sollst mich nicht überschätzen, ich bin ein unbedeutend Kind neben dir. Du sollst nicht gehindert werden in deiner Laufbahn durch – deine Laura. Geh, fliehe, rette dich jetzt und – sei meiner gewiß. Ich bin das kleine Blümchen, welches die Sonne augenblicks wiederfindet, sobald die Wolken zerstreut sind – du bist meine Sonne.


Kurze Pause.
KOCH
aus der Tür rechts, er hat Schillers Mantel [zweiter Akt] umgenommen und hält seinen weißen in der Hand.

Nimm meinen Mantel um, Schiller, zu größerer Sicherheit und folge mir, es ist Zeit. Rieger bedroht uns, wie ich gefürchtet. Er steht mit dem Hauptmann schon im Schloßhofe, sein gesatteltes Pferd und eine verschlossene Kutsche neben ihm. Die Kutsche soll dich auf den Asperg entführen. Die Sonne sinkt, und so wie sie hinter dem Jagdhause verschwindet, beginnt Riegers Kommando. Dann ist's vorbei mit uns; ich verliere jetzt schon das Vertrauen, weil ich gesehen, daß er die Reiterpatrouille bereit hält. Wenn er diese aussendet, dann werden wir sicher aufgegriffen; also rasch vorwärts! Wo ist das Fieskomanuskript?

GENERALIN.

Mein Gott, wo bleibt Franzel – sie hat es übernommen, das Manuskript aus des Herzogs Zimmer zu holen – Eilt an die Tür links.

KOCH.

O Weiber, Weiberzauderei! Sie wird's mir anstreichen, daß ich meinen Zopf voreilig abgeschnitten! – Ich eile der Gräfin entgegen und sende Nette, daß er den Wagen dort Nach links deutend. an die Ecke bestellt, daß er das Signal gibt und unsre Leute als Posten aufstellt bis hierher an den Wall. Dein Regiment bezieht jetzt schon die Wache am Ludwigsburger Tore. Jeder Grenadier desselben kennt dich, wir müssen also deshalb zum Eßlinger Tore hinaus – Gehend. nimm den Mantel um und sei bereit im äußersten Falle ohne Fiesko! Links durch die Tür ab.

[286]
GENERALIN
hat den weißen Mantel genommen und hängt ihn Schiller um.

Im schlimmsten Falle, Fritz, senden wir dir das Manuskript. Verlasse dich auf mich, ich sorge dafür, müßt' ich's mit Gefahr meines Lebens stehlen.

SCHILLER.
So sei es denn.
LAURA.
O Gott!
SCHILLER.

So sei es denn! So scheiden wir unter schwachem, ach so schwachem Hoffnungsschimmer. Wenn der Mensch im Schiffbruch alles verliert, so klammert er sich noch an die Hoffnung, an diesen Himmelsstrahl, als ob er an einem körperlosen Lichtstrahle sich festhalten und erretten könnte.

3. Szene
Dritte Szene.
Gräfin mit dem Manuskript in der Hand erscheint links an der Tür. Schiller. Generalin. Laura.

GRÄFIN
in der Tür.

Das tut er, wenn er ein ganz gewöhnlicher Mensch ist, nicht aber, wenn er berufen ist, einem großen Volke Dichter und Prophet zu wenden. Wer unter Millionen allein auserwählt wird zu solcher einsamen Größe –

SCHILLER
enthusiastisch während dieser Rede auf sie blickend und enthusiastisch ausbrechend.

Der muß die Kraft in sich tragen, in schauerlicher Einsamkeit durch sein Leben dahinzuwandeln und ohne Zucken seinen Blick abzuwenden vom Reize des heimischen Herdes, vom Zauber des geliebten Weibes. Das ganze Volk sei ihm die Heimat, die ganze Menschheit seine Liebe! Zu ihr eilend und das Manuskript aus ihrer Hand nehmend. Ich dank' Euch für die Mahnung, hohe Frau, ich will ihr folgen, ob auch mein Herz bricht, will scheiden aus der Heimat, von der Liebe – auf Nimmerwiedersehn! Er stürzt zu Laura und schließt sie in seine Arme.

GENERALIN.
Mein Sohn
LAURA.
Mein Schiller!
GRÄFIN.
Also sei's!
SCHILLER
Laura auf die Stirn küssend.

Dieser erste und letzte Kuß sei alles, was mir die Liebe gewährt. Der einzig glückliche Augenblick meines Lebens ist der traurigste – ein Lebewohl für immerdar.

LAURA
weinend.

Und doch bringt er ein ganzes Leben für diejenige, die – deiner bis zum Tod gedenken wird – in Lieb' und Treue.


Es wird in der Halle ganz dunkel, im Hintergrunde Abendrot.
[287]
SCHILLER
in höchster Weichheit.

Die mein gedenken wird, auch wenn wir alle uns getäuscht in mir, auch wenn ich unbekannt und wertlos bleibe in der Dichterwelt –?

LAURA.
Auch dann! – Ich liebe dich, wer du auch seist, was du auch werdest!
SCHILLER.
So ist es eine Seligkeit – zu weinen!

Schon bei den Worten »was du auch werdest« rechts hinten aus großer Entfernung Jagdhörnerruf, der in kurzen Zwischenräumen näherkommend, sich wiederholt.
4. Szene
Vierte Szene.
Koch. Die Vorigen.

KOCH
schon hinter der Tür links, aus welcher er eilt; er trägt zwei Pistolen.

Frisch auf, Kamerad! Das ist der Jagdschluß, der von der Solitude herabdringt, der Herzog kommt! Die Sonne geht unter, Riegers Regiment beginnt, nimm deinen Hut und diese Waffe, Er holt den Hut rechts von der Steinbank und reicht ihn Schiller mit einem Pistol. auf und davon!

LAURA
in größten Schmerz ausbrechend.
Mein Friedrich!
SCHILLER.
Laura!
LAURA
sich wendend und nach der Bank rechts schwankend.
Auf Nimmerwiedersehn!
GENERALIN
Schiller umarmend.
Mein Sohn, mein Sohn, Gott segne dich!
SCHILLER.
Meine Mutter!
GRÄFIN
mit herzlichstem Enthusiasmus und rasch.

Auch an mein Herz, Schiller! Sei ein Mann, mach deinem Schwabenlande Ehre und verherrliche das deutsche Valerland! Er sinkt vor ihr aufs Knie. Ich weiß, du kannst es, und du wirst es, ja ich ahne, daß kommende Geschlechter Deutschlands uns noch segnen werden, den Friedrich Schiller freigemacht zu haben. Links in mäßiger Entfernung bei den Worten »ja ich ahne« gedämpfter Gesang der Schüler »Ein freies Leben führen wir« mit diskreter Begleitung der Klarinette.

KOCH.
Unser Signal! Endigt!
SCHILLER
aufspringend.

In deine Arme werf' ich mich, o deutsches Vaterland! Nimm ihn auf den aus Heimat und Liebesglück verstoßenen Schwärmer, nimm mich auf an dein großes Herz! Und kannst du's nicht, weil meine Kraft zu schwach und zu gering [288] erfunden wird, und kannst du's nicht! o so schenke mir, mein Vaterland, doch einen frühen Tod und widme mir zur Grabschrift doch die Worte.


Der arme Schwabe trachtete nach Großem,
Wir segnen ihn für das, was er geträumt!

Schiller und Koch eilen hastig bis ans Ende des Bogenganges. Dort hemmt Koch einen Augenblick Schillers Schritt, indem er rechts hinauf nach der Schildwache – welche übrigens seit der ersten Szene nicht mehr sichtbar gewesen ist – blickt. Dann gehen beide durch die Lücke des Rasenwalles und verschwinden links. Die Gräfin und Generalin sehen ihnen nach in gespannter Angst mit ausgebreiteten Armen. Laura bleibt zusammengesunken auf der Bank. Man hört immer aus der Ferne das Lied »Ein
freies Leben führen wir«. Sobald Schiller und Koch etwa bis in die Kulisse links gelangt sind, knallt rechts hinter dem Walle ein Schuß dem unmittelbar in gleichmäßiger Entfernung ein zweiter, dritter, vierter und in äußerster Entfernung ein fünfter folgt. Im Hintergrunde sieht man Raketen und Leuchtkugeln aufsteigen. Das Lied, welches von seinem Beginn an ununterbrochen gesungen worden ist, hört plötzlich auf.
GENERALIN.
Barmherziger Gott, man schießt auf sie!
GRÄFIN.
Allmächtiger Gott! Das ist entsetzlich – das ist nicht möglich.
5. Szene
Fünfte und letzte Szene.
Rieger. Hauptmann. Dann Herzog. Bleistift. Dann Nette. Die Vorigen.

RIEGER
schon innen rechts sprechend.
Das Zimmer leer! Die Tür offen! Tritt hastig und aufgeregt aus der Tür. Er ist fort –?!
GENERALIN.
Du hast auf ihn schießen lassen, Unseliger?
GRÄFIN.
Wehe Euch, wenn eine Kugel getroffen!
RIEGER.

Auf ihn? Er ist also eben fort – holla! Wendet sich nach rechts zur Tür und ruft mit starker Stimme. Reiterpatrouille marsch! Unterdes ist der Hauptmann eingetreten von rechts aus der Tür und hat die Fragen gehört.

HAUPTMANN.

Beruhigen Sie sich, erlauchte Frau, die Schüsse sind nur Signale zum Feuerwerk,Trommel und klingendes Spiel rechts. welches nach der Solitude hinauf signalisiert wird. – Durchlaucht der Herzog kommt eben an, Euer Gnaden abzuholen.

RIEGER
hat sich nach hinten rechts gewendet und sich links vom Trommler, der sich, sowie der Grenadier, an den Pfählen aufstellt, postiert, nach rechts hinausblickend, von wo der Herzog an dem trommelnden Trommler und den präsentierenden[289] Grenadieren vorüber eintritt; vor dessen Eintritt noch ruft er.
Durchlaucht der Herzog!
HERZOG
hinten vor Rieger stehenbleibend.
Was ist?
RIEGER.

Der Jerobeam Schiller ist soeben entflohn – die Wache am Tor erwartet, und die Reiterpatrouille verfolgt ihn.

HERZOG
kommt langsam vor und betrachtet die Frauen.
Was ist das? Auf einen großen Brief in der Hand des Hauptmanns deutend.
HAUPTMANN.

Das Paket meines Kuriers aus der Pfalz, welches das Exemplar der Räuber und Herrn von Dalbergs Entschuldigung enthält.

HERZOG
zur Gräfin.
Hast du um diesen eitlen Fluchtversuch gewußt?
GRÄFIN.
Ja, ich hab ihn befördert.
GENERALIN.
Ich auch.
HERZOG
zum Hauptmann.

Les' Er – Zur Gräfin. und höre nun das Urteil eines Unparteiischen, um es deinem Schützlinge mitzuteilen, sobald er eingebracht ist.

HAUPTMANN
bricht das Siegel.
Kein Buch darin!
HERZOG.
Lesen!
HAUPTMANN.

»Euer Hochwohlgeboren Schreiben um Friedrich Schillers Schauspiel »die Räuber« zeigt eine Besorgnis, welche hierzulande niemand teilt. Jedermann, der von deutscher Dichtkunst etwas zu verstehen glaubt, war hier in Mannheim freudig überrascht von der erstaunlichen Genialität, welche schon aus der Lektüre dieses Schauspiels entgegenspringt.«

HERZOG.
Was?
GRÄFIN.
Siehst du!
HAUPTMANN.

»Ew. Hochwohlgeboren Verlangen, das Stück möge unterdrückt werden, hätte also schon darum große Schwierigkeit gefunden; denn ich könnte es vor meinem Vaterlande nicht verantworten, solch eine seltene Schöpfung der öffentlichen und allgemeinen Prüfung vorzuenthalten.«

GRÄFIN.
Ein Dalberg!
GENERALIN.
Ein braver Dalberg!
LAURA
richtet sich auf.
HERZOG.
Weiter!
HAUPTMANN.

»Es hieße dies auch Ihrem Durchlauchtigen Souverän, der ein so feiner Kenner ist in ästhetischen Dingen, [290] einen schlimmen Dienst erzeigen; kurz, Hochwohlgeborner Herr, unter allen Umständen wäre ich nicht imstande gewesen, Ihren Wünschen hierin dienstbar zu sein, wenn es auch noch Zeit dazu gewesen wäre.«

HERZOG.
Was!
HAUPTMANN.
»Es war aber nicht mehr Zeit. Schon vor Ankunft Ihres Kuriers hatte die Aufführung stattgefunden.«
GENERALIN.
Ah!
GRÄFIN.
Ah!
LAURA.
Ah!

Pause.
HERZOG.
Aufgeführt?! – Weiter.
HAUPTMANN.

»Die Zuschauer waren von weit und breit dazu herbeigeströmt; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, das Stück sei etwas Außerordentliches. Das Theater war schon nachmittags überfüllt. Ich gehe so ins Detail wegen Ihres durchlauchtigen Herrn, welchen das Debüt seines Karlsschülers sehr interessieren und erfreuen wird« – verzeihen Durchlaucht Ihm den Brief hinhaltend. mich überfällt ein Schwindel –

HERZOG.
Nehm Er sich zusammen und les' Er zu Ende.
HAUPTMANN.

»erfreuen wird. Das Publikum zeigte sich sehr einsichtsvoll und unbefangen und war drei Akte lang karg mit Beifallsspenden, trotzdem daß Bök als Karl Moor und Beil als Schweizer vortrefflich spielten; erst im vierten Akte, als der junge Iffland den furchtbaren Charakter des Franz Moor vollständig entwickelte, erst da brach der Beifall aus« –

LAURA.
Oh!
GRÄFIN.
Oh!
GENERALIN.

Oh! – Geb Er her, Er liest schlecht.Liest. »Da, da – brach der Beifall aus, aber auf eine Weise, wie ich es in meinem Leben nicht erfahren habe: es war ein Sturm, es war ein Jubel, als ob eine große Schlacht gewonnen würde. Und es war auch eine gewonnene große Schlacht, es war der Sieg deutschen Talentes über das französische Theater, von welchem wir bisher abhängig, ja welchem wir völlig dienstbar waren, es war ein Sieg, welcher Deutschland eine große dichterische Zukunft verspricht, und deshalb hab' ich von Herzen eingestimmt in den allgemeinen Jubelruf, in den Jubelruf. Es lebe der schwäbische Jüngling, in welchem der Genius unsers Vaterlandes einen großen Dichter erweckt [291] hat, einen Dichter, welcher Außerordentliches leisten und unsre Kinder und Kindeskinder noch entzücken wird, es lebe Friedrich Schiller!«

GRÄFIN.
Es lebe Friedrich Schiller!
GENERALIN.
Es lebe Friedrich Schiller!
LAURA.
Es lebe Friedrich Schiller! Welche sich begeistert genähert hat.
GRÄFIN.

Herzog Karl, haben die Frauen das Genie erkannt, und soll der Frevel sich erfüllen, daß Wachen und Reiter den Dichter, den gekrönten Dichter auf der Landstraße verfolgen und wieder hieherschleppen –?


Kurze Pause.
HERZOG.

General Rieger! Die Torwachen instruieren, die Reiterpatrouillen zurückziehen, der junge Mann soll ungehindert von dannen gehn.

GRÄFIN ihm an die Brust fallend.
Mein Karl!
GENERALIN.
Mein Herzog!
LAURA.
Gott lohn' es dir!
HERZOG.

Er selbst, Rieger, kehrt spornstreichs auf den Hohenasperg heim, und der Prediger Hahn soll mir einen Bericht erstatten über Schubart – Marsch!

RIEGER
wendet sich mürrisch und geht rechts ab.

Der Hauptmann hat sich langsam in den Hintergrund gezogen.
Pause.
HERZOG.

Ich bin scheinbar vor dir zuschanden geworden, Franziska. Der Erfolg ist gegen mich! Meine Welt wird unter dem Beifallsgeschrei eines neuen Geschlechtes zu Grabe getragen. Ich habe die Worte des Poeten Schwabenstreiche genannt, jetzt wird man Schwabenstreiche des schwäbischen Herzogs nennen, was ich dagegen getan und gelassen – die Welt richtet nach dem Erfolge und nennt ihn Gottesgericht. Was soll mir jetzt der Schüler, da sein wildes Werk nicht mehr zu hemmen ist! Zu Laura. Mein Kind! wir beide müssen mit Schmerzen bezahlen, was die Welt ihren Gewinn und Fortschritt nennen wird, tröste dich an meinem Herzen!

LAURA
ihm die Hand reichend.
Meines Dichters Zukunft ist mein Trost!

Die Generalin hebt die Hände zum Himmel, die Gräfin wie segnend gegen Laura.
Der Vorhang fällt.

Schluß.

[292]
Fußnoten

1 Soeben erscheint in Österreich ein preiswürdiges Gesetz zum Schutze literarischen Eigentums – es gibt das im Buchhandel erscheinende Drama ebenfalls frei.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Laube, Heinrich. Dramen. Die Karlsschüler. Die Karlsschüler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB1A-7