Giacomo Leopardi
Gesänge
(Canti)

[26] Widmung.

(Vor der ersten Florentiner Ausgabe der Gedichte vom Jahre 1831.)


An meine Freunde in Toscana.


Meine theuren Freunde, euch sei dieses Buch gewidmet, in welchem ich, wie man es oft mit der Poesie versucht, meinen Schmerz zu verklären suchte und mit dem ich jetzt – ich kann es nicht ohne Thränen aussprechen – von der Literatur und meinen Studien Abschied nehme. Ich hoffte, diese theuren Studien würden der Trost meines Alters sein, und glaubte durch den Verlust aller anderen Freuden, aller anderen Güter der Kindheit und des Jünglingsalters mir ein Gut erkauft zu haben, das mir durch keine Gewalt, kein Unglück wieder entrissen werden könnte. Aber ich war kaum zwanzig Jahre alt, als jene Schwäche der Nerven und Eingeweide, die mir das Leben zerstört und mich doch den Tod nicht hoffen läßt, jenes einzige Gut mir mehr als zur Hälfte schmälerte und es mir später, in meinem achtundzwanzigsten Jahre, völlig und, wie ich jetzt glauben muß, auf immer raubte. Ihr wisst ja, daß ich diese Blätter nicht selbst habe lesen können und zu ihrer Correctur mich fremder Augen und fremder Hand bedienen mußte. Ich mag nicht mehr klagen, meine Theuren; das Bewußtsein von der Größe meines Unglücks verträgt sich nicht mit Jammern und Wehklagen. Ich habe Alles verloren; ich bin wie ein dürrer Stamm, der fühlt und leidet. Nur euch habe ich in dieser Zeit gewonnen! Eure Gesellschaft, die mir meine Studien, alle Freuden, alle Hoffnungen ersetzen muß, würde fast meine Leiden aufwiegen, wenn mir nicht eben jenes Siechthum verwehrte, sie so, wie ich möchte, zu genießen, und wenn ich nicht wüßte, daß mein Schicksal mich bald genug auch dieser Wohlthat berauben, mich zwingen wird, den Rest meiner Tage, von allem Behagen eines civilisirten Lebens entfernt, an einem Orte zuzubringen, wo die Todten viel besser wohnen als die Lebenden. Eure Liebe indessen wird mir immer folgen und mir vielleicht auch treu bleiben, wenn mein Leib, der schon nicht mehr lebt, zu Asche geworden ist. Lebt wohl!


Euer Leopardi.

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. Widmung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E43E-E