[26] I. An Italien.

(1818. 1)


Mein Vaterland, ich seh' die Mauern ragen,
Die Bogen, Säulen, Bildnisse, die leeren
Thürme der Väterzeit;
Doch seh' ich nicht den Ruhm,
Den Lorbeer und das Schwert, die sie getragen,
Die großen Ahnen. Machtlos, dich zu wehren,
Mit nackter Brust und Stirne trägst du Leid.
Weh, welche Wunden seh' ich
Und Todesblässe! Muß ich so dich schauen,
Du aller Frauen schönste? Sagt, o sagt,
Euch, Erd' und Himmel, fleh' ich:
Wer hat ihr das gethan? und wer – o Grauen! –
Belastet' ihr mit Ketten beide Arme,
Daß sie gelös'ten Haars, von Gram zernagt,
Am Boden sitzt, verlassen, schleierlos,
Und ihr Gesicht, die Arme,
Im Schooße birgt und weint?
Ja, wein', Italien! Du hast Grund zu weinen;
Dir fiel das herbe Loos,
An Glück und Elend unerreicht zu scheinen!
Und wären deine Augen Wasserbäche,
Nie könntest du mit Zähren
Den Abgrund füllen deiner Noth und Schmach.
Die Herrin war, nun trägt sie Magdgewand.
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Wer schriebe oder spräche
Von dir, der nicht, gedenk der alten Ehren,
Wehklagte: Klein ward, die wir groß genannt!
Warum? Warum? Ging deine Kraft in Stücke?
Wo sind die Waffen, wo dein Siegerglauben?
Wer nahm das Schwert dir ab?
Und welcher Macht gelang es, welcher Tücke,
Den Mantel dir zu rauben
Und deiner Stirn das goldne Band, du Schöne?
Wie stürztest du hinab
So tief von solcher Höh' und brachst zusammen?
Und Niemand schirmt dich? Keiner deiner Söhne
Steht für dich auf? Ha, Waffen! Ich allein
Will in den Kampf, will kämpfend für dich fallen;
Du aber, Herr, laß Flammen
Aus meinem Blut in alle Herzen wallen!
Wo sind sie, deine Söhne? Hör' ich nicht
Von Waffen, Schlachtruf, Pauken helle Klänge? –
Ach, fern von dir verspritzen
Ihr Herzblut deine Kinder.
Auf, auf, Italien! Ist's ein Traumgesicht?
Nein! Dort zu Fuß, zu Rosse – welch Gedränge,
Und Rauch und Staub und heller Klingen Blitzen,
Wie Wetterstrahl am Himmel!
Ist dir's kein Trost? Bang kehrst du vom Gefechte
Die Augen ab, noch eh' Entscheidung winkt?
Was soll dort das Getümmel
Italischer Jugend? O ihr ew'gen Mächte,
Dort kämpft für fremdes Land Italiens Schwert! –
Weh dem Unsel'gen, den der Krieg verschlingt
Nicht kämpfend um die heimischen Gefilde,
Für Weib und Kind und Herd,
Nein, gegen Feinde Fremder
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Und fern; nicht sinkt er mit dem Rufe nieder:
O Heimath, hehr und milde,
Dies Leben, dein Geschenk, – hier nimm es wieder!
Ihr holden, glücklichen, gepries'nen Tage
Der Vorzeit, wo in Schaaren
Das Volk zum Tod fürs Vaterland sich drängte,
Und du, Thessaliens Bergschlucht, stets umflutet
Von Ruhmeshauch und Klage,
Wo Persien und das Schicksal schwächer waren
Als jenes Häuflein, frei und hochgemuthet!
Hört nicht der Wandrer hier Gesträuch und Flut
Und Fels und Bergeshöhe sich erzählen
Mit heimlich dunkler Stimme,
Daß hier die Schaar der Unbesiegten ruht,
Die hochgesinnten Seelen
Der ihrem Hellas heilig Zugeschwor'nen?
Damals in feigem Grimme
Floh Xerxes durch den Hellespont zurück,
Ein Spott und Hohn den fernsten Nachgebor'nen,
Und von Antela's Hügel, wo im Tode
Die heil'ge Schaar ein ew'ges Leben fand,
Sah mit erhobnem Blick
Simonides hinaus auf Meer und Land.
Und beide Wangen überthaut von Zähren,
Die Brust beklemmt, indeß die Füße wanken,
Die Leier in der Hand,
Singt er; »O ihr Beglückten,
Die ihr die Brust preisgabt den Feindesspeeren
Für sie, der ihr das Leben habt zu danken,
Euch preis't die Welt, euch segnet Griechenland.
Wie heiße Liebe trieb
Euch junge Seelen fort in die Gefahr,
[29]
O welche Lieb' in euer herbes Loos!
Und wo, ihr Söhne, blieb
Das Todesgrauen, daß ihr jauchzend gar
Hinströmtet zu dem düstren Felsenpasse,
Als ob zum Tode nicht, zum Tanze bloß,
Zu heitrem Mahl man euch geladen hätte?
Ihr aber zogt die Straße
Hinab zum Fluß der Todten,
Eh' scheidend Weib und Kinder ihr umfasstet,
Da ihr auf hartem Bette
Ach, ohne Thränen, ohne Kuß erblasstet!«
»Doch erst, nachdem ihr Züchtigung und Grauen
Und Schmach dem Feind gebracht.
Wie in der Rinderheerd' ein Löwe wüthet,
Bald auf den Stier sich stürzt und ihm den Rücken
Zerfleischt mit wilden Klauen,
Bald hier, bald dort die Zähne braucht mit Macht,
So schlägt ins Heer der Perser breite Lücken
Hellenengrimm, von hehrem Muth entbrannt.
Ha seht, wie häuptlings Roß und Reiter fallen,
Wie Wagen und Gezelt
In wirrem Sturz die Flucht der Perser bannt,
Und bebend, weit vor Allen,
Flieht mit gelös'tem Haarschmuck der Despot.
Seht, wie vom Blut entstellt,
Das sie vergossen, Griechenlands Heroen
Den Persern schaffen unermessne Noth,
Eh' Mann an Mann, besiegt von seinen Wunden,
Dahinsinkt in den Staub. Heil euch, ihr Helden!
Von eurer That, der hohen,
Wird Zung' und Griffel noch den Enkeln melden.«
»Eh' wird, ins Meer gestürzt, der Sternenreigen
Auslöschend in der Tiefe Schlund verzischen,
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Bevor der Nacht zum Raube
So heller Ruhm erblaßte.
Eu'r Grab ist ein Altar. Den Kindern zeigen
Dereinst die Mütter hier die ewig frischen
Spuren von eurem Blut. Und hier im Staube
Knie' ich, ihr Benedeiten,
Und küsse diese Schollen, dies Gestein,
Die unvergänglich heller Glanz verklärt
Durch alle Erdenweiten.
O läg' auch ich hier unten! Hätt' auch mein
Geopfert Blut getränkt die theure Erde!
Doch wenn ein feindlich Schicksal nicht gewährt,
Daß für mein Hellas brechend im Gefechte
Mein Aug' umnachtet werde,
So möge doch der keusche
Ruhm eures Sängers blühn in fernsten Tagen
Durch Gunst der Himmelsmächte,
So lang von euch man singen wird und sagen!«

Fußnoten

1 Die Jahreszahl bedeutet das Jahr der ersten Veröffentlichung.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 1. An Italien. 1. An Italien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E451-F