[346] Die vortrefflichkeit der küsse

1.
Nectar und zucker und safftiger zimmet/
Perlen-thau/ honig und Jupiters safft/
Balsam/ der über der kohlen-glut glimmet/
Aller gewächse versammlete krafft/
Schmecket/ zu rechnen/ mehr bitter/ als süsse/
Gegen dem nectar der zuckernen küsse.
2.
Hyble wird gerne der blumichten brüste/
Rosen/ narcissen und liljen verschmähn/
Wird er die freuden-geschwängerte lüste
Zweyer sich küssender seelen ansehn.
Da sich stets honig einsammlende bienen
Finden um ihre geküßte rubinen.
3.
Marmel und kisel und eiserne wercke/
Diamant und unzerbrüchlicher stein/
Stählerne/ noch alabasterne stärcke/
Schliessen so feste/ wie küsse/ nichts ein.
Küsse verknüpffen mit nährenden flammen
Zwischen zwey lippen zwey hertzen zusammen.
4.
Schätzt ihr nicht küssende küsse für winde/
Welche nicht über den lippen-pfad gehn?
Meynet ihr/ münde beküssen nur münde?
Nimmermehr wirds euch die liebe gestehn.
Wisset/ ihr eiß-kaltgesinnete/ wisset/
Hier wird die küssende seele geküsset.
[347] 5.
Küsse bewurtzeln sich schwerlich so seuchte;
Meynen die lippen/ daß küssen nur rauch?
Lippen und mund zwar empfinden das feuchte/
Den mit der wärme verschwisterten hauch.
Aber die seele bekömmet das beste/
Von dem mit liebe beseeleten weste.
6.
Küsse sind schweigende reden der lippen/
Seuffzer der seelen und strahlen der gunst;
Welche von ihren corallenen klippen
Sämen ins hertze die qvelle der brunst;
Derer gebraucht sich der wütende schütze/
Daß er mit ihnen gemüther zerritze.
7.
O der unendlich-erqvickenden schmertzen/
Wenn man die küsse mit seuffzern vermengt!
Bald die lieb-äugelnden sternen und kertzen
Auff die geküsseten rosen versenckt/
Wenn sich gemüthe/ gedancken und leben
Haben auff äuserste lippen begeben.
8.
Lachet ihr lippen/ ihr pförtner des lachens/
Schöpffer der worte/ du perlerner mund/
Schieß-platz der liebe/ des feurigen drachens/
Köcher der pfeile/ durch die man wird wund.
Höle/ wo Cypripor wangen erröthet/
Hertzen uns stiehlet/ und seelen uns tödtet.
9.
Lippen/ die scharlach und rosen bedecken/
Welche der marmel der wangen umflicht/
[348]
Rühret von purpurnem schaume der schnecken
Euere göttliche lieblichkeit nicht?
Nein/ nein/ ihr habt euch in thränen und aschen/
Und in dem blute der buhler gewaschen.
10.
Erstlich zwar wolten die milchernen wangen
Geben an farbe dem munde nicht nach;
Aber seit purpur die milch hat umfangen/
Und das vor lauter- und schneerne dach
Ward von halbfarbichter röthe besämet/
Stehet die prahlende hoffart beschämet.
11.
Wo denn die blutige wärme der glieder
Selber der wagen der seelen soll seyn/
Auch sie sich nirgend nicht schöner läst nieder/
Als in der lippen beblümeten schein/
Kan man die seele gewisser nicht finden/
Als auff mit blute beseeleten münden.
12.
Prüfet man ferner der lippen ihr kosen/
Muß man gezwungen bekennen/ man schau
Säugende bienen/ und säugende rosen/
Winckende nelcken/ und tränckenden thau;
Die wohl mit thaue die lippen beküssen/
Aber nach anderen dürsten auch müssen.
13.
Zwar in der augen gestirntem gerüste
Wird die uns marternde liebe gezeugt.
In den bemilcheten liljen der brüste
Wird sie mit feuer und flammen gesäugt/
Biß sie mit reiffender saate wird gelbe/
Zwischen der schooß alabaster-gewölbe.
[349] 14.
Aber man kan sie mit keinerley kosen/
Als mit gepfropfeten früchten erziehn/
Auff den mit seelen geschwängerten rosen/
Wo das begeisterte küssen wird grün/
Soll mit der zeit sie mit feuer und blitzen/
Können metallene hertzen zuritzen.
15.
Denn wie wird können die seele der seelen/
Die uns entseelende liebe bestehn?
Wird auff der lippen rubinenen hölen
Ihr nicht die säugende nahrung auffgehn?
Denn auff den lippen entstehen und stertzen/
Leben und sterben/ die seelen und hertzen.
16.
Hier find die seele den tod und das leben/
Auffgang und untergang/ wiegen und grab.
Hier wird die glut ihr zur speise gegeben/
Und was sie nehret/ das zehret sie ab.
Gleichwie der Phönix von neuem auch lebet/
Wenn er sich zwischen die flammen begräbet.
17.
Küsset demnach/ ihr geküsseten/ küsset/
Küsse mit küssen verwechseln steht fein.
Glaubet/ ihr geber und nehmer/ man büsset
Nicht an der küssenden waare hier ein.
Würde sich wer/ als bevortheilt/ beschweren/
Der wird dem nehmer sie doppelt gewähren.
18.
Seelen/ die ihr von zwey augen entzündet/
Lustige marter und marternde lust/
[350]
Ja ein unsterbliches sterben empfindet
In der entseelt und beseeleten brust/
Hier hilfft ein kuß/ ein erqvick-safft den herben/
Sterben dem leben/ und leben dem sterben.
19.
Hier sind die küsse das flammende kühlen/
Ja die verwundete salbe der pest/
Welche das hertze beseelig't/ das fühlen
Mit überzuckertem sausseln anbläst.
Küssen ist hier/ das den todten das leben/
Daß er nur öffter ersterbe/ kan geben.
20.
Ist/ Roselinde/ nun auch dein beginnen/
Meine vergnügung/ dein kummer/ mein schmertz?
Haben wir einerley willen und sinnen?
Haben wir zwischen zwey brüsten ein hertz?
Fasset mein hertze dein hertze/ du meines?
Ach! ach! wie seynd nicht die lippen auch eines?
21.
Ach meiner augen augapffel und sonne/
Ach meiner seelen beseelender geist!
Qvellbrunn der freuden/ und wurtzel der wonne/
Die mein verhängniß mich peinigen heist;
Laß dein rubin-glaß der lippen hersincken/
Daß ich daraus mir mein sterben kan trincken.
22.
Blicket/ ihr sternen/ in himmel der liebe/
Blicket ihr spiegel der augen mich an.
[351]
Lebende sonnen durchstrahlet das trübe/
Das euer abseyn erregen mir kan.
Will ich doch willig im blutenden hertzen/
Euere blitzende pfeile verschmertzen.
23.
Reiche den perlenen purpur im munde/
Zwischen vergeisterten seuffzen mir dar.
Küssen verwundet und heilet die wunde/
Welche von küssen geritzet erst war.
Aber/ wenn wird man die wunde gelosen?
Küssen sticht ärger/ als dörner an rosen.
24.
Ja/ wenn die lippen auff lippen sich legen/
Wenn kuß und kuß mit ergetzligkeit schertzt/
Fühlet die seele so feuriges regen/
Daß sie fast ausser sich selber wegstertzt.
Wenn sie der seuffzer geflügelter wagen
Hat auff die küssende lippen getragen.
25.
Fühlen die glieder denn solche geschäffte/
Welche die seelen den seelen entziehn/
Bald die ergäntzen die mangelnden kräffte:
Fänget das marck an in adern zu glüh'n/
Und des geblütes erregete flammen
Lauffen biß zwischen die lippen zusammen.
26.
Die überrötheten wangen erwarmen/
Schwimmend in rosen und schwanger mit lust/
Und die verwechselten armen umarmen
Achsel/ und neben dem halse die brust;
Eben wie dörner die winden/ die reben
Ulmen/ und eppich die eichen umgeben.
[352] 27.
Cypripor aber/ mehr schmertzen zu schmieden/
Spielet indessen ins hertze sich ein/
Zündet ein feuer an/ thränen zu sieden/
Seuffzer zu kochen/ das öle der pein/
Welches der seelen halbglimmende kertze
Nur noch erfrischt mit erquickendem schmertze.
28.
Unterdeß geht auff den küssenden münden
Eine gewünschete wechselung für.
Liljenlieb giebet sein hertz Roselinden/
Und er empfänget die seele von ihr/
Endlich mißgönnens den lippen die augen/
Durstig das honig der lippen zu saugen.
29.
Zwischen dergleichen beliebenden nöthen
Macht sich die sterbende seele gesund/
Und die getödteten hertzen ertödten/
Und das verwundete machet uns wund/
Und das verletzete leben verletzet/
Und das ergetzete sterben ergetzet.
30.
Nun so gib/ daß die begeisterten lippen
Ich/ Roselinde/ von deinen nicht zieh.
Lasse der marmel-brust milcherne klippen
Locken vom munde kein küssen auff sie.
Tödte die mißgunst der blumichten wangen/
Welche so sehnlich nach küssen verlangen.
31.
Laßt es euch doch nicht gelüsten ihr hände;
Küssen geht eure gelencke nicht an.
[353]
Denn wie nicht werth ist der liebenden bände
Diß/ was hinwieder uns lieben nicht kan:
Also soll/ was uns nicht wieder kan küssen/
Auch nicht das seelige küssen geniessen.
32.
Ja das uhrälteste liebes-gesetze
Wiedmet den lippen das küssen/ und will/
Daß sich die hand auff den brüsten ergetze/
Setzet die augen den wangen zum ziel.
Uber den lippen befiehlt es zu leben/
Aber die schooß ist zum sarge gegeben.
33.
Hütt euch indessen ihr münde für worten/
Fühlet der reden lieb-kosenden west.
Schleuß/ Roselinde/ die redende pforten/
Daß ihr nicht etwa des küssens vergest.
Durch die mit worten verstörete hertzen
Fühlen die seelen unleidliche schmertzen.
34.
Tödte der zungen gewäschiges schwätzen/
Welche die lippen im küssen verstöhrt.
Aber dafern sie soll kräfftig ergetzen/
Und nicht hinfüro zu waschen auffhört;
Glaub' ich/ daß mich eine natter will schrecken/
Welche die rosen der lippen verdecken.
35.
Hast du denn zunge so sehnlich verlangen
Einige worte der liebe zu fühl'n?
[354]
Schaue wie freundlich die züngelnde schlangen
Mit dem so schlüpffrichten zungen-gifft spiel'n.
Eben so kanst du mit zünglenden küssen/
Zwischen den lippen ihr honig geniessen.
36.
Honig geniessen/ ja honig verleihen/
Wie des besilbernden perlen-thaus glaß
In den wohlriechenden nächten des mäyen
Kräntzt und bezuckert das blumichte graß/
Also bezuckert das züngelnde kosen
Küssender lippen benelckete rosen.
37.
Weil nun dergleichen beliebtes besüssen/
Lippen und zungen so balsamet ein/
Pflegen die zähne mit linderen bissen
Zungen und lippen behäglich zu seyn;
Hoffende von dem liebreitzenden spielen
Lieblichen seegen und regen zu fühlen.
38.
Will denn die liebe mit süssem vergällen/
Zucker den zuckernen küssen verleihn/
Kan sich die schlaue so meisterlich stellen/
Küssen das müsse zu wider ihr seyn.
Ja Roselindens halb-sauere blicke
Stossen die küssende lippen zurücke.
39.
Aber allhier sind nur kinder erschrocken/
Denn ein erfahrener buhler weiß wohl:
Weigerung sey ein liebreitzendes locken/
[355]
Daß er noch eifriger küssen sie soll;
Weil die mit liebe bezauberte frauen
Gerne zum küssen gezwungen sich schauen.
40.
Erstlich zwar/ ehe das küssende kämpffen
Ein unerfahrener Corydon wagt/
Läst er ihm offt die begierden fast dämpffen/
Weil ihm sein eigener kleinmuth absagt.
Dreymahl schlägt sie sein beginnen ihm nieder/
Endlich bereut er sein reuen erst wieder.
41.
Wagt er es auch gleich nach zweiffelndem zagen
Daß er ihr wieder ein küßgen zustellt.
Ach/ ach/ so ist zu dem furchtsamen wagen
Ein holgebrochenes seuffzen gestellt/
Gleichsam als nisteten zwischen den wangen
Küssender lippen verletzende schlangen.
42.
Schiene sie gleich auch gar zornig zu werden/
Buhler-zorn ist ein beliebender west/
Welcher das feuer der lauen geberden/
Welches schon halb war erloschen/ auffbläst/
Und die gewäschigen liebes-gezäncke
Sind denen vereinigten hertzen lust-räncke.
43.
Sencken sich gleich auch die lippen vonsammen/
Ach es rührt nicht aus ersättigung her;
Denn die mit schwefel gemehrete flammen
[356]
Fällt zu ersättigen schwerlich so schwer/
Als den nach küssend-recht lechzenden willen
Wollen mit übrigen küssen erfüllen.
44.
Nein/ nein/ mit diesem auffhören von küssen
Giebt man den lippen allein zu verstehn/
Was mit so weniger lieblichkeit müssen
Ihnen für kräfftige freuden entgehn/
Biß sie mit desto begierigerm hertzen
Wieder durch küssende wechselung schertzen.
45.
Offtermahls sind auch die dürstigen münde
Von dem entgeisterten küssen so schwach/
Daß sie sich durch die erseuffzete winde/
Durch ein mit thränen befeuchtetes ach
Müssen nach langer bemühung erquicken/
Ferner zum küssen sich frischer zu schicken.
46.
Denn wie wenn einmahl der himmel die schnecken
Mit dem bebisamten silber-thau tränckt/
Sie ihn zum andernmahl dürstiger lecken/
Wenn er noch einmahl auff kräuter sich senckt:
Also vermehret von vielem geniessen
Sich die geschöpffte begierde zu küssen.
47.
Ja! wenn am besten die lippen bedächten/
Daß noch am meisten ein einiger kuß
Durch das mit nectar erfrischte befeuchten/
Sie von dem dürsten erledigen muß/
[357]
Ach/ ach/ so säh'n sie sich eher verbrennet/
Eh' sie den kuß für ein feuer erkennet.
48.
Fühlten es gleich auch die lodernden hertzen/
Küssen sey eine verzehrende glut/
Eine vergifftung/ ein oele den schmertzen/
Eine mit flammen ersäuffende flut/
Würden sie doch wohl im küssenden sterben
Wollen verglimmen/ ersäuffen/ verderben.
49.
Denn es gelüstet die rächelnden seelen/
Wenn sie die thränenden lippen anschaun/
Zwischen dergleichen zinobernen hölen
Ihnen ein lebend begräbniß zu baun/
Meynende/ für dem nicht küssenden leben
Wäre der küssende tod zu erheben.
50.
Sehnlicher tod! Roselinde nun tödte!
Selige wunde! ach mache mich wund.
Lehre den/ mit der verschwisterten röthe/
Und den mit pfeilen gewaffneten mund;
Denn er ist/ warlich/ ein köcher voll küsse/
Tödte/ verwunde mich. Beydes ist süsse.
51.
Heilsamer köcher/ gewünschete pfeile!
Flieget/ hie habt ihr mein hertze zum ziel/
Kräncket es doch/ daß die kranckheit es heile/
Treffet/ hier trifft/ wer gleich treffen nicht will;
Denn der begierde bezauberte schmertzen
Ziehen die küssende pfeile zum hertzen.
[358] 52.
Wie der magnet sich nach norden hinkehret/
Wie sich die flamme zum flammen-qvell glimmt:
Gleich wie der schwaade der erden zufähret/
Wie das geträncke der durstige nimmt;
Also fühl ihr hertz und lippen auch lechsen
Nach den ambrosenen lippen-gewächsen.
53.
Weigerst du dich denn im glase des mundes
Mir zu gewähren das küssende gifft?
Heischet doch diß das gesetze des bundes/
Welchen mit uns hat die lippen gestifft;
Thu's/ Roselinde/ mein engel/ ich sterbe.
Sterben ist lieblich/ und leben ist herbe.
54.
Thu's/ Roselinde/ mein kind/ aus erbarmen/
Mache mein schwindendes hertze gesund/
Labe mich matten/ beschencke mich armen/
Träncke den fast halb erdürsteten mund.
Küsse mich. Weist du? die küsse die haben
Kräffte zu heilen/ zu träncken/ zu laben.
55.
Küsse mich/ hertze mich/ liebste/ von hertzen/
Treibe das friedsame kämpffen fein scharff/
Gönne/ daß ich diß erqvickende schertzen
Allemahl zehnmahl vergelten dir darff.
Billig verwechselt man süsse für süsse/
Zucker für zucker/ und küsse für küße.
56.
Wirstu diß also beständig nur treiben/
Werden wir beyde beseeliget seyn/
[359]
Du/ Roselinde/ wirst meine verbleiben/
Wie ich ingleichen auch bleiben muß dein.
Denn die verknüpffenden küsse sind kertzen
Liebender seelen/ und kochender hertzen.
[360]

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TextGrid Repository (2012). Lohenstein, Daniel Casper von. Gedichte. Gedichte. Die vortrefflichkeit der küsse. Die vortrefflichkeit der küsse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-1D5D-1