Lukian
Meergöttergespräche
(Enhalioi dialogoi)

1. Die Liebe des Zyklopen Polyphemus zu der Nereide Galatea

[321] I. Die Liebe des Zyklopen Polyphemus zu der Nereide Galatea.

Doris, Galatea.


DORIS. Dein schöner Liebhaber, Galatea, der feine sizilianische Schäfer, soll ja zum Rasen in dich verliebt sein, sagt man.

GALATEA. Spotte nicht, Doris; er mag sein, wie er will, so ist er doch ein Sohn Neptuns.

DORIS. Ei was! Und wenn er Jupiters Sohn wäre, so wild und struppicht, wie er aussieht, und, was noch das häßlichste ist, mit dem einzigen Aug über der Nase, was würde ihm seine hohe Abkunft zur Schönheit helfen!

GALATEA. Das Struppichte und Wilde, das du so häßlich findest, läßt ihm gar nicht übel: es gibt ihm ein männliches, majestätisches Ansehen. Auch das einzige Auge macht einen schönen Effekt auf seiner Stirne, und er sieht nicht weniger damit als mit zweien.

DORIS. Ach, wie ich höre, bin ich falsch berichtet: anstatt daß Polyphem dein Liebhaber wäre, bist du selbst in ihn verliebt.

GALATEA. Das nun eben nicht; ich kann nur das spöttische, tadelsüchtige Wesen nicht an euch leiden. Aber der bloße Neid, wie ich merke, spricht aus euch. Daß er neulich, da er von seinem Felsen herab unsern Spielen am Fuße des Ätna zusah, euch keines Anblicks würdigte, ich hingegen unter allen ihm die schönste deuchte, kurz, daß er für mich allein ein Auge hatte, das ärgert euch! denn es ist ein Beweis, daß ich liebenswürdiger bin als ihr und daß er, sobald er mich sah, euch übrigen nicht einmal bemerkte.

DORIS. Du glaubst also, sehr beneidenswürdig zu sein, weil dich ein halbblinder Schafhirt hübsch gefunden hat? und [321] was hat er denn am Ende an dir loben können als deine Weiße? Vermutlich weil es die Farbe seiner Milch und seiner Käse ist und er alles, was diesen gleicht, für schön hält. Wenn du aber wissen willst, wie wenig du dir auf alles übrige einzubilden hast, so bücke dich nur von irgendeiner Uferspitze aufs Wasser herab, wenn das Meer vollkommen windstill ist: so wirst du sehen, daß diese fade Milchfarbe deine ganze Schönheit ausmacht; aber wer wird denn diese loben, wenn sie nicht durch eine angenehme Röte belebt wird?

GALATEA. Mit aller meiner Weiße hab ich doch wenigstens einen Liebhaber gefunden! Von euch ist keine einzige, die sich rühmen kann, jemals von einem Hirten, Schiffer oder Fährmann besungen worden zu sein. Mein Polyphemus hingegen ist, außer seinen übrigen Vorzügen, auch musikalisch.

DORIS. O sage mir nichts von seiner Musik! Wir haben ihn singen gehört, wie er neulich zu dir schmausen ging. So wahr mir Venus hold sei, wir glaubten, einen Esel schreien zu hören. Und seine Fiedel, die war nun vollends ein schönes Stück! Der nackte Schädel von einem Hirsche; das Geweih stellte die beiden Seitenhölzer vor; oben hatte er einen Steg angebracht, woran die Saiten ohne Stimmnägel aufgespannt waren; und nun zwickte er aufs Geratewohl eine häßliche Art von Mißtönen heraus, unbekümmert, daß sie gar nicht zu seinem Geplärr stimmten und daß seine sogenannte Leier ganz was anders nachschnarrte, als was er brüllte. Es war uns unmöglich, das Lachen zu lassen; es klang so schön, daß sogar die Echo, wie geschwätzig sie auch sonst ist, keinen Laut von sich gab, weil sie sich geschämt hätte, einen so rauhen und lächerlichen Singsang nachzusingen. Aber das war noch nicht alles. Der holde Schatz trug einen kleinen Bären in den Armen, der beinahe so zottig war als er selbst und womit er dir vermutlich statt eines Schoßhündchens eine Galanterie machen wollte. Wer sollte dich um einen solchen Liebhaber nicht beneiden, Galatea?

GALATEA. Gut! So zeige mir denn den deinigen, Doris, der [322] ohne Zweifel schöner ist und schöner singt und besser auf der Zither spielt!

DORIS. Ich habe keinen Liebhaber und gebe mich auch nicht für so schön, daß sich alles in mich verlieben müßte. Behalte du immer deinen Zyklopen, der einen so angenehmen Bocksgeruch um sich her duftet und die Fremden, die sein Revier betreten, ungekocht aufißt! Ich wünsche dir Glück zu ihm, und möchtest du ihn ebenso zärtlich wieder lieben, als du von ihm geliebt wirst!

2. Polyphems Abenteuer mit Ulysses

II. Polyphems Abenteuer mit Ulysses.

Polyphemus und Neptunus.


POLYPHEM. Vater Neptunus, sieh einmal her, wie mir der verfluchte Fremdling mitgespielt hat. Erst machte er mich trunken, und wie ich davon eingeschlafen war, überfiel er mich und stieß mir das Auge aus.

NEPTUN. Wer ist der Verwegene, Polyphem, der sich dessen unterstanden hat?

POLYPHEM. Anfangs nannte er sich Niemand; wie er sich aber wieder aus dem Staube machte und weit genug weg war, daß ihn die Felsenstücke, die ich ihm nachwarf, nicht treffen konnten, rief er mir zu, sein Name sei Ulysses.

NEPTUN. Ich kenne deinen Mann, es ist der berüchtigte Ithakenser; er war auf der Rückreise von Troja, da er zu dir kam. Aber wie konnte er eine solche Tat verüben, da er sonst nichts weniger als verwegen ist?

POLYPHEM. Wie ich von der Weide zurückkam, traf ich einen Rudel unbekannter Bursche in meiner Höhle an, die vermutlich einen Anschlag auf meine Schafe gemacht hatten; denn wie ich den großen Felsen, der mir zum Deckel vor den Eingang der Höhle dient, vorgeschoben und mit einem vom Berge mitgebrachten Holze Feuer angemacht hatte, sahe ich, daß sie sich zu verstecken suchten. Ich nahm also [323] etliche von ihnen beim Kopfe (wie billig, da sie Räuber waren) und speiste sie auf. Inzwischen schenkte mir der abgefeimte Erzspitzbube, der Niemand oder Ulysses, wie er hieß, ich weiß nicht was für ein Getränke ein, das gar süß schmeckte und einen überaus lieblichen Geruch hatte, aber die Folgen zeigten, daß es ein gefährliches Gift war: denn es brachte mir alle meine Sinnen in Unordnung; alles schien sich, nachdem ich getrunken hatte, mit mir herumzudrehen, die ganze Höhle stand umgekehrt, kurz, ich war nicht mehr bei mir selbst und versank in einen tiefen Schlaf. Während ich schlief, spitzte er einen Pfahl, machte ihn glühend und trieb ihn mir ins Auge; und von dem an, Neptun, bin ich dir so blind als du mich siehest.

NEPTUN. Du mußt entsetzlich tief geschlafen haben, mein Sohn, daß du nicht aufsprangst, wie die glühende Stange so nahe ans Auge kam. Aber wie entwischte denn Ulysses? Den Felsen konnte er doch unmöglich vom Ausgang der Höhle wegwälzen?

POLYPHEM. Ich selbst wälzte ihn weg, um den Spitzbuben desto gewisser zu fangen, wenn er herausschleichen wollte; ich setzte mich mit ausgestreckten Händen vor den Eingang und ließ niemand hinaus als meine Schafe, die auf die Weide gehen mußten, und befahl dem Schafbock, was er an meiner Stelle zu tun hätte.

NEPTUN. Aha, nun merke ich, daß er unter dem Schafbock hinausgewischt sein wird. Aber du hättest die übrigen Zyklopen gegen ihn zusammenrufen sollen.

POLYPHEM. Das tat ich, Vater, und sie kamen auch; wie sie mich aber fragten, wie der Räuber hieße, der mir so übel mitgespielt hätte, und ich ihnen sagte Niemand, glaubten sie, ich sei wahnsinnig worden und gingen ihrer Wege. So hinterlistete mich der verfluchte Kerl mit seinem falschen Namen! und was mich noch am meisten ärgert, war, daß er meines Unglücks noch spottete und sagte, mein Vater Neptun würde mich schon heilen.

NEPTUN. Gib dich zufrieden, mein Sohn! Ich will dich an ihm rächen. Er soll bald erfahren, wenn ich gleich blinde Augen nicht wieder sehend machen kann, daß dafür das Schicksal [324] der Seefahrer in meinen Händen steht und es nun auf mich ankommt, ob ich sie erhalten oder verderben will. Er ist noch nicht auf dem Trocknen!

3. Liebe des Alpheus zu der Quelle Arethusa

III. Liebe des Alpheus zu der Quelle Arethusa.

Neptunus und Alpheus.


NEPTUN. Wie geht das zu, Alpheus, daß du der einzige Fluß bist, der, nachdem er ins Meer gefallen ist, sich mit dem salzichten Wasser desselben nicht vermischt, wie es bei allen andern Flüssen Sitte ist, sondern darin gleichsam gerinnest und deinen Strom immer süß erhältst und rein und unvermengt forteilest. Man dächte, du tauchest dich bloß unter, wie die Meerschwalben und Reiger, um irgendwo wieder ans Tageslicht hervorzukommen.

ALPHEUS. Ich muß gestehen, Neptun, daß ein verliebtes Geheimnis dahinter steckt. Du wirst mir's zugute halten, da du selbst so oft geliebt hast.

NEPTUN. Ist deine Geliebte eine Sterbliche oder eine Nymphe, oder sollte es gar der Nereiden eine sein?

ALPHEUS. Keines von allen dreien, es ist eine Quelle, Neptun.
NEPTUN. Und in welcher Gegend der Erde fließt sie denn?
ALPHEUS. Sie ist eine Insulanerin, aus Sizilien, Arethusa genannt.

NEPTUN. Ich kenne diese Arethusa, mein lieber Alpheus, sie ist nicht häßlich; im Gegenteil, sie sprudelt, so rein und durchsichtig wie Kristall, aus einem feinen Sandgrunde hervor, und ihr Wasser rieselt gar anmutig wie lauteres Silber über die Kieseln weg.

ALPHEUS. Ich sehe, du kennest sie sehr gut, Neptun. Zu ihr also bin ich im Begriffe zu eilen.

NEPTUN. So zieh im Frieden und sei glücklich in deiner Liebe! Nur das einzige sage mir noch, wie du Arethusen zu Gesichte [325] bekommen konntest, da du ein Arkadier und sie eine Syrakuserin ist?

ALPHEUS. Ich bin eilig, Neptun, und du hältst mich mit unnützen Fragen auf!

NEPTUN. Das ist auch wahr! Eile dann, von mir ungehindert, deiner Geliebten zu und tauche deines Gefallens wieder aus dem Meer auf; und mögest du dich in wechselseitiger Ergießung mit deiner geliebten Quelle vermischen, um in einem Strom ewig in ebendemselben Bette mit ihr fortzufließen!

4. Zweifel eines hartgläubigen Augenzeugen

IV. Zweifel eines hartgläubigen Augenzeugen unglaublicher Wunderdinge.

Menelaus und Proteus.


MENELAUS. Daß du zu Wasser werden könnest, Proteus, ist eben nichts Unbegreifliches, da du vorhin schon wässeriger Natur bist; auch zu einem Baume will ich noch gelten lassen; sogar die Verwandlung in einen Löwen ist nicht schlechterdings unglaublich: aber wie es möglich sein sollte, daß einer, der mitten im Meere lebt, zu Feuer werden könne, das wundert mich sehr und, aufrichtig zu reden – ich glaub es nicht.

PROTEUS. Wundre dich lieber nicht, Menelaus, denn es ist nun einmal nicht anders.

MENELAUS. Ich hab es freilich selbst gesehen; aber, mit deiner Erlaubnis, ich denke, daß irgendeine Taschenspielerei hinter dem Dinge stecke und, kurz, daß du die Augen der Zuschauer zu täuschen wissest, ohne wirklich und im Ernst Feuer zu werden.

PROTEUS. Aber wie sollte bei einer so klar in die Sinne fallenden Sache eine Täuschung möglich sein? Hast du nicht mit offnen Augen gesehen, in was für Gestalten ich mich verwandelt habe? Wenn du aber nicht trauest und dir einbildest, es werde dir ein bloßes Blendwerk vor die Augen gespiegelt, [326] so ist nichts leichter, mein edler Herr, als hinter die Wahrheit zu kommen: strecke, wenn ich zu Feuer werde, nur die Hand nach mir aus, so wirst du bald fühlen, ob ich nur Feuer zu sein scheine oder ob ich auch brennen kann.

MENELAUS. Das Experiment ist ein wenig unsicher, Proteus.

PROTEUS. Du mußt vermutlich in deinem Leben noch keinen Polypen gesehen haben und nicht wissen, was dieser Fisch für eine sonderbare Eigenschaft hat.

MENELAUS. Polypen habe ich wohl gesehen, aber die besondere Eigenschaft, von der du sprichst, möchte ich wohl von dir hören.

PROTEUS. Sie besteht darin, daß er allemal die Farbe des Felsen annimmt, an den er sich mit seinen Armen und Fühlhörnern angeschmiegt hat, so daß er die Fischer dadurch betrügt, weil sie ihn von dem Felsen nicht unterscheiden können, und also ihren Augen entgeht.

MENELAUS. Das hab ich auch schon sagen gehört: aber deine Verwandlungsgabe ist noch viel unbegreiflicher.

PROTEUS. Wenn du deinen eignen Augen nicht glaubst, so weiß ich nicht, wem du glauben wolltest.

MENELAUS. Es ist wahr, ich hab es mit meinen sehenden Augen gesehen; aber – es ist gleichwohl eine wunderseltsame Sache, daß ebendasselbe Ding Feuer und Wasser sein soll!

5. Eine Nereide erzählt ihrer Schwester

V. Eine Nereide erzählt ihrer Schwester, was bei der Hochzeit der Thetis vorgefallen.

Panope und Galene.


PANOPE. Sahest du gestern, Galene, was Eris bei dem hochzeitlichen Gastmahl in Thessalien für einen Spuk machte, weil sie nicht auch dazu gebeten worden war?

GALENE. Ich war nicht dabei, Panope; Neptun hatte mir aufgetragen, das Meer indessen ruhig zu halten. Aber was konnte denn Eris tun, da sie nicht zugegen war?

[327]

PANOPE. Thetis und Peleus waren eben von Amphitriten und Neptun in das Brautgemach geführt worden, und die Gäste überließen sich indessen der Fröhlichkeit; die einen tranken, die andern tanzten, noch andere hörten Apollos Zitherspiel oder dem Gesang der Musen zu. Es war also nichts leichter, als daß Eris ihre Rache bewerkstelligen konnte, ohne von jemand bemerkt zu werden. Sie warf einen wunderschönen ganz goldenen Apfel unter die Gäste, der die Aufschrift hatte: »Die Schönste soll ihn haben«; und der Apfel rollte so lange fort, bis er, wie absichtlich, an die Stelle kam, wo Juno, Venus und Minerva Platz genommen hatten. Da ihn nun Merkur aufgehoben und die Aufschrift laut abgelesen hatte, hielten wir Nereiden uns mäuschenstill; denn was hätten wir machen sollen, da jene zugegen waren? Sie hingegen maßten sich alle drei des Apfels an, und wenn Jupiter nicht dazwischen getreten wäre, würde es gewiß zu Tätlichkeiten gekommen sein. Die Göttinnen drangen in ihn, daß er Richter sein sollte: aber er wollte nichts damit zu tun haben. Geht auf den Ida, sagte er, zum Sohn des Priamus, der wird die Schönste am besten herauszufinden wissen; er ist ein Liebhaber und Kenner des Schönen, und ihr könnt euch auf sein Urteil verlassen.

GALENE. Was taten da die Göttinnen, Panope?

PANOPE. Heute, denke ich, gehen sie nach dem Ida ab, und wir werden bald Nachricht bekommen, wer gesiegt hat.

GALENE. Weil Venus dabei ist, gewiß keine andere als sie, oder der Richter müßte sehr schlechte Augen haben.

6. Die Entführung der Amymone

VI. Die Entführung der Amymone.

Triton, Neptunus und Amymone.


TRITON. Gnädiger Herr Neptun, es geht alle Tage ein wunderschönes Jüngferchen mit einem Wasserkrug auf dem Kopfe nach Lerna; ich wüßte nicht, daß ich je ein schöneres Mädchen gesehen hätte.

[328]

NEPTUN. Ist sie frei geboren oder eine zum Wassertragen angestellte Sklavin?

TRITON. Nichts weniger als das; sie ist eine von den funfzig Töchtern des Danaus, den du kennst, und nennt sich Amymone; denn ich habe mich nach ihrem Namen und Geschlecht erkundiget. Dieser Danaus hält seine Töchter überaus hart; sie müssen alle Hausarbeiten mit eigenen Händen verrichten, und er schickt sie sogar mit dem Wasserkrug aus; kurz, er zieht sie so, daß sie zu jeder Arbeit unverdrossen sein müssen.

NEPTUN. Und macht das Mädchen den ganzen langen Weg von Argos bis Lerna allein?
TRITON. Ganz allein; zu Argos fehlt es sehr an Wasser, wie du weißt; sie müssen es weit herholen.

NEPTUN. Du hast mich durch das, was du mir von diesem Mädchen sagtest, ganz aus meiner Fassung gebracht; wir müssen ihr nachgehen.

TRITON. Ich bin dabei. Es ist just ihre Zeit; sie wird schon ungefähr auf halbem Wege nach Lerna sein.

NEPTUN. Spanne mir meinen Wagen an – doch es hielte uns zu lange auf, bis der Wagen zurechte gemacht und die Pferde angeschirrt wären – Hole mir lieber einen der behendesten Delphinen; auf dem denke ich am bäldesten an Ort und Stelle zu kommen.

TRITON zurückkommend. Hier ist der schnelleste aller Delphinen zu deinen Diensten.

NEPTUN. Gut! ich reite davon, und du, Triton, schwimmst neben her. – Nun, da wir zu Lerna angelangt sind, will ich mich hier irgendwo verstecken, und du gib acht, und wenn du sie kommen siehst –

TRITON. Da ist sie schon ganz nahe!

NEPTUN. Ein hübsches Mädchen, Triton, ein reizendes Mädchen! Wir müssen uns ihrer bemächtigen!Neptun greift zu.

AMYMONE. Kerl, was zerrst du mich so? Wo willst du hin mit mir? Du bist ein Menschendieb, du siehst mir gerade so aus, als ob du mir von meinem Oheim Ägyptus übern Hals geschickt seist. Ich werde meinem Vater rufen. Sie ruft.

[329]

TRITON. Stille, Amymone! es ist Neptun!

AMYMONE. Das mag mir ein feiner Neptun sein! – Wie? Du brauchst Gewalt, Mann? Du ziehst mich ins Meer hinab? Ich Unglückliche! Ich werd im Wasser ersticken!

NEPTUN. Sei ruhig, es soll dir kein Leid geschehen! Ich will mit meinem Dreizack eine Quelle deines Namens aus dem Felsen hier hervorspringen machen, und du sollst glücklich und die einzige unter deinen Schwestern sein, die nicht nach ihrem Tode noch Wasser schöpfen muß.

7. Io

VII. Io.

Notus und Zephyrus.


NOTUS. Diese junge Kuh, die Merkur dort übers Meer nach Ägypten führt, hätte Jupiter also aus Liebe um ihr Kränzchen gebracht, sagst du?

ZEPHYRUS. Nicht anders, mein lieber Notus; aber freilich war sie damals keine Kuh, sondern die Tochter des Flusses Inachus. Ihre dermalige Gestalt hat ihr Juno aus Eifersucht gegeben, wie sie sah, daß Jupiter so außerordentlich in sie verliebten war.

NOTUS. Liebt er sie denn auch noch jetzt, da sie ein Rind ist?

ZEPHYR. Gar sehr! Deswegen hat er sie eben nach Ägypten geschickt und uns befohlen, das Meer ruhig zu halten, bis sie hinübergeschwommen ist, damit, wenn sie dort niedergekommen sein wird (denn sie ist guter Hoffnung), sie selbst eine Göttin und ihr Sohn ein Gott werde.

NOTUS. Diese junge Kuh eine Göttin?

ZEPHYR. Allerdings! und wie mir Merkur gesagt hat, soll sie eine Schutzpatronin der Seefahrer und unsre Gebieterin werden, so daß sie jedem von uns, nach ihrem Belieben, zu blasen befehlen oder verbieten kann.

NOTUS. So müssen wir ihr beizeiten die Cour machen, Zephyr, da es soviel ist, als ob sie es schon wäre.

[330]

ZEPHYR. Zum Jupiter, es ist ein Mittel, sie uns desto gewogener zu machen. – Aber sieh! die Überfahrt ist schon vollbracht; sie ist bereits ans Land geschwommen. Siehst du, daß sie schon nicht mehr auf vier Füßen geht und was Merkur für eine schöne stattliche Frau aus ihr gemacht hat?

NOTUS. Das sind wunderliche Begebenheiten, lieber Zephyr! Weg sind auf einmal Hörner, Schwanz und gespaltne Füße, und die Kuh ist ein reizendes Mädchen. Aber was fehlt dem Merkur, daß er seinen schönen Jünglingskopf mit einem Hundegesicht vertauscht?

ZEPHYR. Wir wollen uns nicht darum kümmern; er muß am besten wissen, was er zu tun hat.

8. Arion

VIII. Arion.

Neptunus, ein Chor von Delphinen.


NEPTUN. Das macht ihr recht schön, ihr Delphinen, ich lobe euch darum, daß ihr den Menschen immer so hold gewesen seid. Schon in alten Zeit habt ihr den Sohn der Ino, da er mit seiner Mutter von den Skironischen Felsen ins Meer stürzte, auf den Rücken genommen und nach dem Isthmus getragen: so wie du nur eben den Zitharöden von Methymna aufgefaßt und in seinem ganzen Ornat samt seiner Zither an das Tänarische Vorgebürge getragen hast; da er ohne deine Hülfe dem Verderben, das ihm die boshaften Schiffer zugedacht hatten, nicht entronnen wäre.

DELPHIN. Laß dich's nicht wundern, Neptun, wenn wir den Menschen Gutes tun, da wir selbst aus Menschen Fische geworden sind.

NEPTUN. Auch nehm ich es dem Bacchus sehr übel, daß er sich des Sieges, den er in dem Seetreffen über euch erhielt, gegen seine Gewohnheit so übermütig bediente. Aber wie ging es denn mit diesem Arion, mein lieber Delphin?

[331]

DELPHIN. Periander hielt, denke ich, seines Talents wegen, sehr viel auf ihn und ließ sich öfters Musik von ihm machen; kurz, er bereicherte sich bei diesem Fürsten, und nun kam ihn ein Verlangen an, eine Reise nach Methymna zu tun, um bei seinen Mitbürgern mit seinem Reichtum Parade zu machen. Er bestieg zu diesem Ende ein kleines Fahrzeug, das unglücklicherweise von bösen Buben geführt wurde. Da er ihnen nicht verschwieg, daß er viel Gold und Silber bei sich habe, machten sie, sobald sie mitten auf dem Ägäischen Meere waren, einen Anschlag gegen sein Leben. »Nun dann«, sagte er (denn ich schwamm so nahe am Schiffe, daß ich alles hören konnte), »weil euer Entschluß, wie ich sehe, gefaßt ist, so erlaubt mir nur, meinen Ornat anzulegen, mir selbst einen Todesgesang zu singen und mich dann freiwillig ins Meer zu stürzen.« Da sie nun nichts dagegen hatten, legte er sogleich seinen Schmuck an, spielte und sang ein überaus anmutiges und rührendes Lied und stürzte sich dann ins Meer, mit der Gewißheit, den augenblicklichen Tod in den Wellen zu finden. Aber ich nahm ihn auf meinen Rücken und schwamm mit ihm bis an den Tänarus.

NEPTUN. Deine Liebe zur Musik ist sehr löblich, und du hast ihn für seinen schönen Gesang wohl belohnt.

9. Helle

IX. Helle.

Neptunus, Amphitrite und andre Nereiden.


NEPTUN. Die Meerenge, in welche das Mädchen gefallen ist, soll künftig nach ihrem Namen das Meer der Helle (Hellespontus) genannt werden. Ihren Leichnam aber tragt ihr Nereiden an die Küste von Troas, damit er von den Anwohnern begraben werde.

AMPHITRITE. Nicht so, Neptun! Wir selbst wollen sie in ebendiesem Meere, das ihren Namen führt, begraben. Das arme [332] Mädchen hat von ihrer Stiefmutter so viel gelitten, daß wir sie recht herzlich bedauern.

NEPTUN. Dein Vorschlag geht nicht an, Amphitrite, und es würde auch nicht anständig sein, wenn sie hier irgendwo unterm Sande läge: sie soll, wie gesagt, auf dem dies- oder jenseitigen Ufer ordentlich zur Erde bestattet werden! Übrigens wird es ihr zu nicht geringem Troste gereichen, daß Ino in kurzem das nämliche Schicksal haben und, von dem rasenden Athamas verfolgt, genötiget sein wird, sich von der äußersten Spitze des Cithärons ins Meer zu stürzen.

AMPHITRITE. Aber diese Ino werden wir schon dem Bacchus zu Ehren retten müssen, da sie seine Amme gewesen ist?

NEPTUN. Sie hätte es freilich ihres bösen Gemütes wegen nicht verdient: aber, wie du sagst, es wäre unschicklich, dem Bacchus hierin nicht gefällig zu sein.

EINE NEREIDE. Aber wie kam es denn, daß die arme Helle von ihrem Widder herabfiel, ihr Bruder Phryxus hingegen sicher und wohlbehalten auf ihm davonreitet?

NEPTUN. Das geht sehr natürlich zu: Phryxus ist ein Jüngling, der Mut und Kräfte hat, eine solche Fahrt auszuhalten: das Mädchen hingegen, der eine so seltsame und grausenhafte Luftreise an sich schon bange machen und die pfeilschnelle Geschwindigkeit des Flugs den Schwindel verursachen mußte, brauchte nur einen Blick in die entsetzliche Tiefe unter ihr zu tun, um vollends so betäubt zu werden, daß sie die Hörner des Widders, woran sie sich bisher festgehalten hatte, einen Augenblick aus den Händen ließ und also ins Meer herabfallen mußte.

DIE NEREIDE. Aber hätte ihr denn ihre Mutter Nephele nicht zu Hülfe kommen sollen, wie sie das Mädchen fallen sah?

NEPTUN. Freilich hätte sie sollen; aber was vermag Nephele gegen die überlegene Macht des Schicksals?

[333]

10. Wunderbarer Ursprung der Insel Delos

X. Wunderbarer Ursprung der Insel Delos.

Iris und Neptunus.


IRIS. Neptun! Jupiter will, daß du die von Sizilien abgerissene herumirrende Insel, die bis jetzt noch unter dem Wasser schwimmt, anhalten und heraufziehen sollst, so daß sie mitten im Ägäischen Meere sichtbar werde und auf einer dauerhaften Grundfeste ruhig sitzen bleibe.

NEPTUN. Es soll geschehen, Iris. Aber was kann es ihm nützen, wenn sie nun über dem Wasser ist und still steht?

IRIS. Latona soll sich auf dieser Insel ihrer Bürde entledigen, und es ist hohe Zeit; denn sie hat schon starke Wehen.

NEPTUN. Wie? kann sie denn nicht ebensogut im Himmel gebären? oder, falls auch dort kein Platz wäre, hat denn die ganze Erde nicht Raum genug für die Kinder, die sie gebären wird?

IRIS. Nein! denn Juno hat die Erde mit einem großen Eide gebunden, der kreißenden Latona keinen Ort zum Gebären einzuräumen. Zum Glück ist diese Insel nicht unter dem Eide begriffen, weil sie damals noch unsichtbar war.

NEPTUN. Nun versteh ich's! – Halt, Insel! tauche aus der Tiefe auf, und fahre nicht länger herum, sondern befestige dich und empfang in deinem Schoße, o du Glücklichste, die Zwillingskinder meines Bruders, die schönsten aller Götter! – Ihr, Tritonen, fahret Latonen herüber! und die heiterste Stille ruhe auf der ganzen See! Den Drachen aber, der sie bisher geängstigt und von einem Orte zum andern getrieben hat, werden, sobald sie entbunden ist, ihre Neugebornen verfolgen und Rache für ihre Mutter an ihm nehmen. – Du, Iris, melde Jupitern, daß seine Befehle vollzogen sind. Delos steht; Latona kann kommen und gebären, wenn sie will.

[334]

11. Komische Darstellung einer homerischen Dichtung

XI. Komische Darstellung einer homerischen Dichtung.

Xanthus und Thalassa.


XANTHUS. Nimm mich auf, Thalassa! man ist entsetzlich mit mir umgegangen! Lösche meine Brandwunden, ich bitte dich!

THALASSA. Was ist dir begegnet, Xanthus? wer hat dich so übel zugerichtet?
XANTHUS. Vulkan – O ich Unglückseliger! Ich bin beinahe zur Kohle ausgebrannt! Ich bin lauter Glut!
THALASSA. Aber warum hat er dich denn in Brand gesteckt?

XANTHUS. Dem Sohne der Thetis zu Gefallen. Wie ich diesen ein so gräßliches Blutbad unter den armen Phrygiern anrichten sah, bat ich ihn flehentlich, von seinem Grimm abzulassen: weil er mich aber nicht hören wollte und immer fortfuhr, meinen Strom mit Leichnamen zu verstopfen, so trat ich endlich aus Mitleiden mit den Unglücklichen aus und stellte mich, als ob ich ihn ersäufen wollte: aber bloß um ihn zu schrecken und den bedrängten Trojanern Luft zu machen. Plötzlich kam Vulkan, der eben in der Nähe war, mit allem Feuer, glaube ich, wovon er Herr ist und was er aus dem Ätna und aus der ganzen Welt zusammenraffen konnte, über mich her, zündete meine Ulmen und Tamarisken an, röstete alle meine unglücklichen Fische und meine schönen Aale und machte mich selbst so entsetzlich überstrudeln, daß er mich beinahe völlig aufgetrocknet hätte. Doch, du siehest ja aus den Brandblasen, womit ich überdeckt bin, wie es um mich stehen muß.

THALASSA. Du bist in der Tat sehr trüb und heiß; und wie könnt es anders sein, da du mit so vielen blutigen Leichen angefüllt bist und ein solches Feuer ausgestanden hast. Aber es geschah dir recht, Xanthus! Warum ließest du dir auch beigehen, meinen Enkel anzufallen, ohne zu bedenken, daß er der Sohn einer Nereide ist?

[335]

XANTHUS. War es denn nicht meine Schuldigkeit, mich meiner armen Nachbarn, der Phrygier, anzunehmen?

THALASSA. Und Vulkan hätte sich des Sohnes seiner alten Freundin Thetis nicht annehmen sollen?

12. Danae

XII. Danae.

Doris und Thetis.


DORIS. Was weinst du so, Thetis?

THETIS. Meine liebe Doris, soeben sah ich, wie das schönste Mädchen mit ihrem neugebornen Sohne ins Meer geworfen wurde. Ihr Vater Akrisius ließ beide, Mutter und Kind, in eine Kiste legen, fuhr mit ihnen in die hohe See hinauf und ließ sie dort ins Meer herab, in der festen Meinung, daß sie unfehlbar darin umkommen werden.

DORIS. Und warum tat er das, Schwester? Denn du scheinst mir von dieser Sache genau unterrichtet zu sein?

THETIS. Akrisius hatte seine Tochter, ihrer außerordentlichen Schönheit ungeachtet, zu einer ewigen Jungferschaft verurteilt und hielt sie deswegen in einem ehernen Gemach eingeschlossen. Wie es weiterging, kann ich nicht gewiß sagen: aber man spricht davon, Jupiter habe sich in einen goldnen Regen verwandelt und sei durchs Dach zu ihr herabgeflossen; Danae habe den herabrinnenden Gott unwissenderweise in ihren Schoß aufgenommen und sei davon schwanger worden. Der Vater, der ein grausamer und argwöhnischer alter Mann ist, geriet darüber in einen großen Zorn, und in der Einbildung, sie habe sich unfehlbar von jemand verführen lassen, steckte er sie, sobald sie ihres Kindes genesen war, in die besagte Kiste.

DORIS. Aber wie gebärdete sie sich dabei, da sie ins Meer herabgelassen wurde?

THETIS. Sie beklagte sich mit keinem Wort über ihr eigenes Schicksal, sondern unterwarf sich der Strafe in Geduld: aber für das Leben ihres Sohnes bat sie flehentlich und [336] streckte ihn weinend dem Großvater entgegen, in Hoffnung, daß er durch die Schönheit des Kindes gerührt werden sollte, das in seiner schuldlosen Unwissenheit die Wellen anlächelte, deren Raub es zu werden verurteilt war. Ich selbst kann mich bei der bloßen Erinnerung der Tränen nicht enthalten.

DORIS mitweinend. Du machst mich auch ganz weichherzig. Sind sie denn schon tot?
THETIS. Nein! die Kiste schwimmt der Insel Seriphos zu, und sie sind noch am Leben.

DORIS. Warum eilen wir also nicht, sie zu retten und sie den Fischern, die dort am Ufer beschäftigt sind, ins Netz zu werfen? Denn die werden sie herausziehen und unfehlbar erhalten.

THETIS. Ein guter Gedanke! Das wollen wir tun! Es wäre jammerschade um sie und um das schöne Kind, wenn sie zu Grunde gehen sollten.

13. Tyro

XIII. Tyro.

Enipeus und Neptun.


ENIPEUS. Das ist nicht schön von dir, Neptun, wenn ich die Wahrheit sagen darf, meine Gestalt anzunehmen, um meine Geliebte zu überschleichen und zu Falle zu bringen! Das arme Kind glaubte, ich sei es, sonst würde sie's gewiß nicht zugegeben haben.

NEPTUN. Du hast es nicht besser verdient, da du so stolz und kaltsinnig bist, ein Mädchen, die tagtäglich zu dir herabkommt und vor Liebe zu dir fast verschmachtet, über die Achsel anzusehen und dir auf alles, was sie deinetwegen leidet, noch viel zugute zu tun. Das arme Ding irrte so traurig an deinem Ufer umher, stieg so manches Mal hinab und wusch sich in deinem Wasser und sehnte sich so herzlich nach deinem Genusse; und du machtest den Spröden gegen sie!

[337]

ENIPEUS. Und gab dir das ein Recht, dich hinter meine Gestalt zu verstecken, mir meine Liebhaberin wegzufischen und die unschuldige, nichts Böses ahnende Tyro zu hintergehen?

NEPTUN. Deine Eifersucht kommt nun zu spät, mein guter Enipeus; du hättest vorher nicht so stolz und ekel tun sollen. Übrigens ist der Tyro kein Leid geschehen, da sie den, der ihren Gürtel lösete, für ihren Geliebten hielt.

ENIPEUS. Als ob du ihr, wie du davongingst, nicht selbst gesagt hättest, wer du seiest! Das war es eben, was ihr am wehesten tat. Aber auch mir hast du Unrecht getan, da du die Freuden, die mir zugedacht waren, verstohlnerweise dir zueignetest und, »hinter der purpurnen Woge, die euch beide verbarg«, dich statt meiner an meinem Mädchen ergötztest.

NEPTUN. Du konntest es ebensogut haben, Enipeus, aber du wolltest ja nicht.

14. Andromeda und Perseus

XIV. Andromeda und Perseus.

Ein Triton, Iphianassa, Doris und andere Nereiden.


DER TRITON. Ihr Nereiden, der Cetus, das Ungeheuer, das ihr auf die Tochter des Cepheus, Andromeda, losgelassen habt, hat nicht nur dem Mädchen, gegen eure Erwartung, keinen Schaden getan, sondern ist selbst dabei umgekommen.

EINE NEREIDE. Durch wessen Hand, Triton? Hat ihm etwa Cepheus das Mädchen nur als eine Lockspeise vorgesetzt und ihn aus einem Hinterhalt mit überlegner Macht angefallen und umgebracht?

TRITON. Das nicht. Aber ihr erinnert euch doch, Iphianassa, des Perseus noch, des Sohnes der Danae, dem ihr aus Mitleiden das Leben erhieltet, als er mit seiner Mutter von seinem Großvater in einer Kiste auf dem Meer ausgesetzt wurde?

IPHIANASSA. Recht gut; er muß nun erwachsen und ein schöner tapfrer Jüngling sein.
[338]
TRITON. Der ist's, der euren Cetus umgebracht hat.

IPHIANASSA. Und was bewog ihn dazu, Triton? Er hat uns seine Dankbarkeit für das Leben, das wir ihm gerettet, schlecht dadurch bewiesen.

TRITON. Ich will euch erzählen, wie es zuging. Dieser Perseus machte eine Reise zu den Gorgonen, welche der König von Seriphos zu bezwingen ihm auferlegt hatte. Als er nun in Libyen, an dem Ort ihres Aufenthaltes, ankam –

IPHIANASSA. Wie, Triton, allein? oder hatte er noch andere Streitgenossen bei sich? Denn ohne dies hätte er eine gefährliche Reise unternommen!

TRITON. Er nahm seinen Weg durch die Luft, und Minerva hatte ihn dazu mit Flügeln versehen. Wie er also anlangte, fand er die Gorgonen, denke ich, schlafend: er hieb also Medusen den Kopf ab und flog mit ihm davon.

IPHIANASSA. Aber wie war das möglich, da die Gorgonen nicht angesehen werden können, oder wer sie ansieht, nichts anders mehr sehen wird?

TRITON. Minerva hielt ihm ihren Schild vor – so hab ich ihn wenigstens die Sache dem Cepheus und der Andromeda in der Folge erzählen gehört –, Minerva also zeigte ihm in ihrem hellpolierten Schilde das Bild der Medusa wie in einem Spiegel; und nun faßte er, die Augen auf das Bild geheftet, die Gorgone mit der linken Hand bei den Haaren, und mit dem Säbel in seiner rechten hieb er ihr den Kopf ab und flog davon, ehe ihre Schwestern erwachten. Wie er nun an der Küste von Äthiopien vorbeiflog, erblickt er Andromeden, an einen weit ins Meer hinausragenden Felsen angeschmiedet, mit aufgelösten Haaren und bis unter den Gürtel nackend. Götter, wie schön fand er sie! Sein erstes Gefühl war Mitleiden mit ihrem Schicksal; er erkundigte sich nach der Ursache ihrer Strafe; aber unvermerkt verwandelte sich sein Mitleiden in Liebe (denn das Mädchen sollte nun einmal erhalten werden!), und er beschloß ihre Rettung. Er machte sich also gefaßt, und wie das Ungeheuer mit offnem Rachen auf Andromeden zufuhr und sie zu verschlingen gedachte, hieb er, von oben herabschwebend, mit dem Säbel in der einen Hand darauf [339] ein, indem er es mit dem Medusenkopf in der andern in Stein verwandelte. Der Cetus starb also auf der Stelle, da der größte Teil seines Körpers, soviel nämlich von ihm die Gorgone gesehen hatte, plötzlich versteinert wurde. Sogleich lösete Perseus die Bande der Jungfrau, stützte sie mit seiner Hand, indem sie auf den Spitzen der Füße von dem steilen und schlüpfrigen Felsen herabstieg, wo sie bei jedem Tritt in Gefahr war, auszuglitschen und in die Tiefe hinabzustürzen, und jetzt begeht er mit ihr sein Hochzeitfest und wird sie nächstens nach Argos heimführen: so daß Andromeda, statt des Todes, der ihr zugedacht war, einen Gemahl von nicht gemeinem Schlage gefunden hat.

IPHIANASSA. Mir ist's eben nicht sehr leid, daß die Sache diese Wendung genommen hat: denn was konnte am Ende das unschuldige Mädchen dafür, daß ihre Mutter einmal den Mund zu weit auftat und sich rühmte, schöner zu sein als wir?

DORIS. Da Kassiopea Mutter ist, konnten wir sie nicht empfindlicher strafen als in ihrer Tochter.

IPHIANASSA. Was kümmern uns die Reden, Doris, die ein unter Barbaren aufgewachsenes Weib in ihrem Unverstand ausstoßen konnte? Sie ist durch die Angst über ihr Kind genug dafür gestraft worden. Denken wir nicht mehr daran und nehmen lieber an der Hochzeitfreude teil!

15. Die Entführung der Europa

XV. Die Entführung der Europa.

Zephyrus und Notus.


ZEPHYR. Nein, keinen prächtigern Aufzug hab ich auf dem Meere nie gesehen, seitdem ich wehe! Sahst du's nicht auch, Südwind?

NOTUS. Von was für einem Aufzuge sprichst du, Zephyr? wer waren denn die Aufziehenden?
ZEPHYR. Du hast also ein Schauspiel versäumt, wie du kein anderes jemals zu sehen bekommen wirst.
[340]

NOTUS. Ich hatte am Roten Meere zu tun und dann noch die ganze südliche Küste von Indien zu durchwehen; ich weiß also nicht, wovon du sprichst.

ZEPHYR. Du kennest doch den Agenor Zu Sidon?
NOTUS. Den Vater der Europa? Allerdings; wozu diese Frage?
ZEPHYR. Was ich dir zu erzählen habe, betrifft diese nämliche Europa.
NOTUS. Etwa, daß Jupiter in das Mädchen verliebt ist? Das weiß ich schon lange.

ZEPHYR. Daß er ihr Liebhaber ist, weißt du: aber höre nun, was die Folgen davon waren. Europa war mit einer Anzahl junger Mädchen ihres Alters ans Ufer herabgekommen, um sich da mit jugendlichen Spielen zu erlustigen. Unversehens fand sich Jupiter in Gestalt eines wunderschönen Stiers dabei ein und spielte mit; er war ganz weiß, hatte zierlich gewundene Hörner und ein überaus sanftes lachendes Auge, sprang wie ausgelassen vor Fröhlichkeit auf dem Ufer herum und brüllte so lieblich, daß es eine Lust zu hören war. Das alles machte die junge Europa so dreist, daß sie sich dem schönen Stier auf den Rücken setzte. Aber kaum merkte Jupiter, daß sie fest saß, so lief er in vollem Sprung dem Meere zu und schwamm mit ihr davon. Das gute Mädchen, mächtig über diese Begebenheit erschrocken, klammerte sich mit der linken Hand an einem seiner Hörner an, um nicht herabzufallen, und mit der andern zog sie ihren Schleier an sich, der in die Luft hinausflatterte.

NOTUS. Jupitern in Gestalt eines Ochsen mit seinem Liebchen auf dem Rücken daherschwimmen zu sehen – da ist dir in der Tat ein sehr artiges und reizendes Schauspiel zuteil worden, Zephyr!

ZEPHYR. Oh, was nun folgte, war noch viel angenehmer! In einem Augenblick zog das Meer wie einen Teppich über seine Wellen her und wurde so glatt wie ein Spiegel; wir andern hielten alle den Atem an uns und folgten bloß als Zuschauer in einiger Entfernung nach. Vor ihnen her flogen eine Menge Liebesgötter, so nah über dem Meere, [341] daß ihre Fußspitzen zuweilen am Wasser hinstreiften, mit brennenden Fackeln in der Hand und das Brautlied singend; die Nereiden tauchten aus dem Wasser auf und ritten, meist halbnackend, auf Delphinen zu beiden Seiten nebenher und klatschten vor Freude in die Hände. Auch die Tritonen und alle andere Meerbewohner, deren Anblick nichts Grausenhaftes hat, tanzten in Reigen um das Mädchen herum; ja Neptun selbst hatte seinen Wagen bestiegen und fuhr, mit Amphitriten an seiner Seite, fröhlich vor ihnen her, um seinem schwimmenden Bruder gleichsam den Weg zu bahnen. Und damit nichts fehle, trugen noch ein paar nervichte Tritonen die Liebesgöttin, auf einer großen Muschel liegend, die alle Arten von Blumen auf die Braut herabstreute. Dies dauerte in einem fort, vom phönizischen Gestade bis nach Kreta. Aber kaum hatte er einen Fuß auf diese Insel gesetzt, weg war der Stier, und Jupiter in eigener Gestalt führte Europen, die von süßer Schamröte glühte und sich nicht die Augen aufzuschlagen getraute, der diktäischen Höhle zu; denn sie merkte nun freilich, warum es zu tun war. Wir aber stürzten uns, der eine da, der andere dort hinaus über das Meer hin und setzten es wieder in sein gewöhnliches Wallen und Wogen.

NOTUS. Was du glücklich bist, Zephyr, das alles gesehen zu haben! Ich mußte meine Augen indessen an Greifen, Elefanten und schwarzen Menschen weiden.

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TextGrid Repository (2012). Lukian. Dialoge. Meergöttergespräche. Meergöttergespräche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2432-C