[68] 20. Der Himmelsreisende.

Da war einmal ein lustiger Wandersmann, der gieng in ein Wirthshaus, um ein Glas Wein zu trinken. Sprach die Wirthin: »Woher die Reise?« »Ich komme eben vom Himmel!« sagte der Fremde. »Was Sie sagen! vom Himmel kommen Sie?« sagte die Frau. »Ei freilich!« versetzte er. »Ei,« sagte die Frau, »da haben Sie ja auch wohl meinen seligen Mann, den Hans, gesehn?« »Ha, das versteht sich,« sagte der Fremde, »daß ich ihn gesehn habe; ich kenne ihn sehr gut, wir sind beständig gute Freunde zu einander gewesen.« »Jesus Maria!« rief die Frau, »was Sie sagen! also Sie haben ihn wirklich gesehn und gesprochen und gekannt?« »Ei warum nicht?« versetzte der Mann. »Um Gottes willen!« sagte die Frau, »wie geht's ihm denn nur?« »Ach, so so! nicht eben zum Besten,« sagte der Fremde. »Da droben ist's halt schwer fortkommen. Er muß viel schaffen und der Verdienst ist gering. Als ich ihn das letzte Mal gesehn habe, hat er beinah kein heils Hemd mehr am Leibe gehabt.« »Daß sich Gott erbarm!« seufzte die Frau. – »Ach, wüßt' ich nur,« fuhr sie nach einer Weile fort, »wie ich ihm etwas zuschicken könnte, ich wollt' ihm gern was abgeben, ich hab's ja, Gott sei Dank.« – »O,« sagte der Wandersmann, »da wäre wohl Rath; ich gehe nächstens zurück, und kann ihm schon Einiges mitnehmen, was Ihr ihm schicken wollt. Das wird eine Freude sein!« – »Ach, bester Freund,« sprach die Frau, »also kein Hemd hat er mehr am Leibe gehabt, kein heils? Ich hab [69] da grad ein halbes Dutzend ganz neue für meinen ältesten Sohn machen laßen, die passen auch für meinen Mann selig; ach, wenn Ihr die mitnehmen wolltet!« »Recht gern!« sprach er. »Und diese dreihundert Gulden auch!« »Auch die,« sprach er, »kann ich schon noch tragen.« »Ach Gott,« sprach sie weiter, »und da hab ich noch einen halben Schinken und ein paar Würste, die hat er immer so gern gegeßen!« Auch die nahm der Fremde noch in Empfang und trat unter tausend Danksagungen seine Weiterreise an.

Als der älteste Sohn der Wirthin nach Hause kam und von der Mutter erfuhr, was vorgefallen war, sattelte er schnell ein Pferd und jagte dem Himmelsboten nach. – Der hatte sich indes wohlgemuth in's Freie begeben und gerade beim Eingang des Waldes hingesetzt, als er den Reiter dahersprengen sah und Unrath vermerkte. Sogleich setzte er seinen Hut auf die Erde und that, als ob er ihn eifrig bewache. – Wie der Reiter nahe kam, hielt er an und fragte den Wanderer, ob er der Mann sei, der in den Himmel reise? »Freilich,« sagte er, »der bin ich.« »Nun,« rief er, »so gebt nur sogleich das Geld heraus, das ihr meinem Vater bringen solltet!« »Wie Ihr wollt,« sprach der Reisende, »mir kann es einerlei sein; wenn Ihr's Eurem Vater nicht gönnt, so brauch ich's nicht zu tragen. Nur müßt Ihr ein wenig warten. Ich hab da grad unterm Hut einen sehr seltenen und kostbaren Vogel sitzen, den ich hier gefangen, der ist wenigstens dreihundert Gulden werth, und hab einen Mann in die Stadt geschickt, daß er mir einen Käfig holen soll. Diesem Manne hab ich, weil er nichts [70] zu tragen hatte, auch die dreihundert Gulden mitgegeben, die Euer Vater haben sollte. Wenn er zurückkommt mit dem Käfig, müßt' Ihr eben mit mir in die Stadt reiten.« Ja, das war dem Sohne ganz recht und er blieb da. – Nach einer Weile aber sprach der Himmelsreisende: »wenn Ihr mir den Vogel recht sorgfältig hüten möchtet, so könnte ich dem Manne auch gleich nachlaufen, denn er wird ohnehin wohl sobald nicht zurückkommen; oder, noch schneller würde es gehen, wenn Ihr mir Euer Pferd leihen wolltet; da wäre ich gleich wieder hier und Ihr könntet bei Zeiten noch heimkehren.«

Dieser Vorschlag schien dem Sohne sehr vernünftig, weshalb er ihn auch auf der Stelle annahm und den Reisenden sein Pferd besteigen ließ, indessen er selbst den kostbaren Vogel unter dem Hute bewachte.

Da saß er nun, und hatte schon mehre Stunden neben dem Hute geseßen, und der Himmelsreisende wollte immer noch nicht mit dem Pferde und dem Gelde zurückkommen. Seinen Posten mochte er nicht verlaßen wegen des kostbaren Vogels, der ihm zugleich ein Unterpfand däuchte für die dreihundert Gulden, und doch kam der Abend schon heran, so daß er endlich sich entschloß, den Vogel in die Hand zu nehmen und selbst damit in die Stadt zu gehen. Mit der größten Vorsicht hob er deshalb den Hut ein klein wenig in die Höhe, so daß er mit seiner Hand darunter langen konnte; bekam aber gar keinen Vogel zu faßen, sondern etwas ganz anders, was er niemals gesagt hat.

Mit einem Male war er jetzt entschloßen, sogleich zu [71] seiner Mutter heimzukehren. Die verwunderte sich sehr, daß der Sohn so spät und ohne sein Pferd kam. Als er ihr aber sagte, daß er unterwegs sich besonnen und das Pferd ebenfalls dem Himmelsreisenden mitgegeben habe, damit er die Sachen schneller dem Vater überbringen könne, da gab die Mutter sich gern zufrieden, und auch der Sohn hat nicht weiter von der Sache gesprochen.

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TextGrid Repository (2012). Meier, Ernst. Märchen. Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. 20. Der Himmelsreisende. 20. Der Himmelsreisende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-330F-5