45. Der Klosterbarbier.

Ein junger Mann hatte von seinen Eltern ein großes Vermögen geerbt; weil er selbst aber nicht haushalten konnte und arbeiten nicht mochte, so nahm sein Reichthum ein rasches Ende und eh er sich's versah, war er genöthigt, Haus und Hof zu verkaufen, um nur seine Schulden bezahlen zu können. Da blieb ihm nichts übrig, als ein Schuldschein von dreihundert Gulden, der lag schon seit vielen Jahren da; der Schuldner aber wohnte weit weg, und deshalb machte[160] er sich eines Tages auf, um diese Forderung einzutreiben, mußte aber das Geld zu der Reise von einem Freunde entlehnen, so arm war er jetzt. Dann wanderte er fort und traf, als es schon Abend geworden und er sehr müde war, einen Mann; bei dem erkundigte er sich nach dem Wege und nach einer Herberge, und hörte von diesem Manne, daß es nur noch eine halbe Stunde Wegs bis zum Kloster sei, wo er umsonst übernachten könne. Das war ihm sehr lieb, denn viel Geld hatte er nicht zu verzehren und war auch an dem ganzen Tage noch in kein Wirthshaus eingekehrt.

Wie er nun endlich zum Kloster kam, und so recht behaglich dasaß und sich ausruhen und erquicken konnte, rief er aus: »ach eine freudige Stund läßt doch zehn traurige vergeßen!« und war wieder ganz vergnügt und ließ sich das Eßen und Trinken schmecken. Als er aber schlafen gehn wollte, sagte man ihm, daß alle Betten bereits besetzt seien und daß er auf den Boden der Stube sich hinlegen müße. »Es ist zwar noch ein Bett leer, sagte ein Klosterbruder, das steht im Schloß; allein wir können es Niemand zumuthen, sich dahineinzulegen, weil ein Geist dort spukt.« Der Reisende aber sagte: »es wird ja wohl der Teufel nicht sein!« und ließ sich hinführen und legte sich getrost in das Bett; konnte aber doch vor Angst kein Auge zuthun.

Als es nun eben Mitternacht war und Zwölf schlug, hörte er ein Schlüßelbund rasseln und die Thür seiner Schlafkammer ward aufgeschloßen und ein Geist trat herein, der trug in der einen Hand ein Becken mit Seife und Waßer, in der andern hielt er ein Rasirmeßer und winkte dem Gaste; [161] der aber blieb still liegen. Dann winkte er zum zweiten Male, worauf er wiederum sich nicht rührte und regte. Darauf faßte ihn der Geist und zog ihn mit Gewalt zum Bett heraus und gab zu verstehen, daß er ihn rasiren solle, und setzte sich auf einen Stuhl. – Da machte der Reisende sogleich den Schaum zurecht, seifte das Gesicht des Geistes gehörig ein und rasirte ihm den langen Bart herunter, daß es eine Art hatte. – Dann rasirte auch der Geist den Reisenden und sagte, nachdem dieser es gelitten: »jetzt endlich bin ich erlöst! Seit dreihundert Jahren muß ich schon in diesem Schloße umgehen und noch nie hat mich einer rasiren wollen. Ich bin früher Barbier in dem Kloster gewesen und habe einen dicken Klosterbruder einmal zum Schabernack in die Lippen geschnitten, daß das rothe Blut auf den Boden floß und ich mich des Lachens nicht enthalten konnte. Zur Strafe dafür hat er mich auf dreihundert Jahre in's Kloster verwünscht.«

Dann fragte er den Fremden: »was wünschest Du Dir jetzt? willst Du sterben, oder was magst Du sonst?« Der andre meinte, nein, sterben möge er noch nicht; er wünsche sich aber Geld, denn das hab er zum Leben nöthig. »Nun, sprach der erlöste Barbier, so geh nur hin und heb die Steine auf, die vor der Klosterthür liegen, da wirst Du Geld genug finden!« – Wie er nun den ersten Stein aufhob, sprang eine »Krott« (Kröte) ihm entgegen, und das war gewiß Niemand anders, als der Teufel; unter dem zweiten Steine aber fand er einen Schatz, an dem er sein Lebenlang genug hatte.

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TextGrid Repository (2012). Meier, Ernst. Märchen. Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. 45. Der Klosterbarbier. 45. Der Klosterbarbier. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-332C-3