Adam Mickiewicz
Herr Thaddäus
oder
Der letzte Einritt in Lithauen 1 , 2
(Pan Tadeusz czyli ostatni zajazd na Litwie)

Erster Gesang

[3] Erster Gesang.
Die Wirthschaft.

Rückkehr des jungen Herrn. Die erste Begegnung im Stübchen, die zweite bei Tische. Des Richters wichtige Lehre von der Artigkeit. Des Kämmerers politische Bemerkungen über die Moden. Beginn des Zwistes um Mutz und Falk. Die Klagen des Wojski. Der letzte Gerichtsfrohn. Ein Blick auf die damalige politische Lage Lithauens und Europas.


Lithauen! Wie die Gesundheit bist du, mein Vaterland!
Wer dich noch nie verloren, der hat dich nicht erkannt.
In deiner ganzen Schönheit prangst du heut' vor mir,
So will ich von dir singen, – denn mich verlangt nach dir!
O heil'ge Jungfrau, Czenstochowa's Schirm und Schild, 3
Leuchte der Ostrabrama! Du, deren Gnadenbild
Schloß Nowogrodek und sein treues Volk bewacht:
Wie mich, als Kind, dein Wunder einst gesund gemacht,
Als von der weinenden Mutter in deinen Schutz gegeben,
Ich das erstorb'ne Auge erhob zu neuem Leben,
Und konnte gleich zu Fuß in deine Tempel geh'n,
Gerettet, Gott zu danken für's Heil, das mir gescheh'n:
So wird zum Schooß der Heimat dein Wunder uns wiederbringen!
Indessen trage du mir der sehnenden Seele Schwingen
Zu jenen waldigen Hügeln, zu jenen grünen Auen,
Die weit und breit sich dehnen am Niemenstrom, dem blauen, –
Zu jenen Feldern, prangend voll bunter Ähren und Garben,
[3] Wo goldig strahlt der Weizen, der Roggen silberfarben,
Rübsamen bernsteinhell, Buchweizen schneeig blüht,
In jungfräulichem Roth der duftige Quendel glüht,
Und, wie ein Band, durch Alles der grüne Rain sich schmiegt,
Drauf da und dort ein Birnbaum still die Krone wiegt.
Auf einem Hügel erhob sich mitten in solchem Land,
Von Birkengehölz umgeben, an eines Bächleins Rand,
Ein Herrenhaus, – von Holz, der Unterstock von Stein;
Es leuchteten von Ferne die Wände weiß und rein,
Das Weiß vom dunklen Grün der Pappeln noch gehoben,
Die ihm zum Schutze dienen vor des Herbstwinds Toben;
Ein wohnlich saub'res Haus, wenn auch von mäßiger Größe,
Hat eine große Scheuer, und drei Getreidestöße
Liegen noch neben ihr – die faßte der Söller nicht mehr.
Man sieht wohl, reichgesegnet ist das Land umher.
Der Garben Zahl auch, die weit und breit auf dem Gelenge,
Wie Sterne, dicht erglänzen, und auch der Pflüge Menge,
Die sich schon zeitig auf dem mächtigen Brachfeld zeigen,
Dem schwarzscholligen, (sicher derselben Herrschaft eigen
Und wohl bestellt, es sieht wie Gartenbeete aus –)
Das alles zeigt, daß Fülle und Ordnung herrscht im Haus;
Das Thor ist weitgeöffnet und sagt dem Wand'rer an,
Daß freundlichen Empfang der Gast gewärtigen kann.
Ein zweispänniges Fuhrwerk kam eben durch das Thor,
Flog um den Schloßhof, fährt beim Gange wieder vor.
Ein junger Herr steigt aus; die verlassenen Pferde zieh'n
Das Gras abrupfend, langsam wieder zur Einfahrt hin.
Im Hof ist's öd'; ein Riegel verschließt die Thür zum Gang,
Von einem Pflöckchen durchsteckt. – Der Fremde fragt nicht lang,
Sucht kein Gesinde auf: er öffnet, ohne zu säumen,
Und tritt in's Haus. Wie lange war er nicht in den Räumen!
Bis nun hielt ihn die Schule in der Stadt entfernt, –
Wie wohl ist ihm! Er hat doch endlich ausgelernt!
Nun wird von jeder Wand sein Blick so festgehalten,
Er grüßt sie mit vollem Herzen, die wohlbekannten, die alten!
[4] Noch mit denselben Tapeten sind sie ausgeschlagen,
Der Hausrath ganz wie damals in seiner Kindheit Tagen;
Jetzt scheint ihm Alles freilich nicht mehr so groß, so schön; –
Dieselben Bilder sieht er, die er damals geseh'n:
Hier in der Czamarka Kosciuszko, den Blick zum Himmel gekehrt,
Mit beiden Händen hält er umspannt sein starkes Schwert,
So war er, als er einstmals am Altar geschworen,
Mit diesem Schwert zu verjagen die drei Usurpatoren
Oder auf ihm zu verbluten. Im polnischen Gewand
Sitzt dort, die Freiheit betrauernd, Rejtan, 4 – in seiner Hand
Sieht man, auf's Herz gerichtet, ein blitzendes Messer ragen, –
Phädon und Cato's Leben sind vor ihm aufgeschlagen.
Und dort der junge Jasinski, 5 so schön, so voller Gram, –
Daneben Korsak, der niemals von seiner Seite kam,
Auf Praga's Schanzen steh'n sie, auf Russenhaufen beisammen,
Kühn hau'n sie drein, – und Praga steht schon ringsum in Flammen.
Und sieh', im Holzgehäuse, an der Alkoventhür
Die alte liebe Spieluhr sogar erkennt er hier,
Und zieht in kindischer Freude, wie einstmals, an der Schnur,
Und Dombrowski's alte Weise 6 spielt die alte Uhr.
Er eilt durch's ganze Haus, nach jenem trauten Stübchen,
Wo er vor zehn Jahren gespielt als kleines Bübchen.
Kaum ist er eingetreten, stutzt er und weicht zurück:
Ein Frauengemach! Er mustert's mit erstauntem Blick;
Wer mag hier wohnen? Der alte Oheim war unvermählt, –
Die Tante hatte zum Wohnort Petersburg erwählt!
Die Wirthschaftsfrau? Unmöglich! – Was soll der Flügel nur?
Und Noten auf ihm und Bücher, – von Ordnung keine Spur;
In holdem Durcheinander Alles umhergezaust, –
Das waren nicht alte Händchen, die da so gehaust.
Und hier ein weißes Kleid auf die Sessellehne gebreitet,
Frisch vom Nagel geholt, zum Anzieh'n vorbereitet;
Und auf den Fenstern duften, in Blumentöpfen gehegt,
Geranium, Veilchen, Astern, Levkojen, wohlgepflegt;
Er tritt an eins der Fenster: ein neues Wunder, sieh'!
Im Obstgarten, am Rande, wo Unkraut sonst gedieh,
[5] Lag nun ein winzig Gärtlein, getheilt von schmalen Stegen,
Und Sträuße von englischem Gras und Münze allerwegen;
Als Namenszug geformt, faßt es ein Zäunchen ein,
Ein winziges, hölzernes, mit schimmernden Maßliebreih'n;
Die Beetchen waren frisch begossen von sorgender Hand,
Man sah noch das Blechgefäß, das auf dem Boden stand.
Doch wo ist die Gärtnerin? sie war wohl eben hier;
Noch zittert ja in den Angeln dort die kleine Thür, –
Und nah' der Thür im Sande, trocken, weiß und fein,
War eine Spur so leicht von einem Füßchen klein;
Das hatte nicht Schuh, noch Strumpf – und rasch durchlief's den Raum,
Und wie es lief, man sieht's, berührt' es den Boden kaum.
Der Fremde stand am Fenster und sann und schaute lange –
Der Blumen süßer Duft umspielt ihm Brust und Wange,
Und bis zum Veilchenstrauch neigt er das Antlitz nieder,
Die Augen suchen umher – und bleiben haften wieder,
Dort an den Spuren haften von jenen Füßchen klein –
Er schaut' und sann: weß mochten wohl die Füßchen sein?
Zufällig blickt er auf – und sieh', auf der Planke stand
Ein junges Mädchen, gekleidet in ein weiß Gewand,
Das von der Brust hinab den schlanken Leib umfloß –
Der Schwanenhals, die Arme blieben frei und bloß.
So pflegt ein lithauisch Mädchen des Morgens nur zu geh'n,
So wird's von eines Mannes Augen nie geseh'n.
Drum hält sie auch die Hände ob der Brust verschränkt,
Wiewohl sie ja gewiß an keine Lauscher denkt.
Das Haar, in Locken nicht gelöst, in kleine Knötchen
Gebunden nur und rings besteckt mit weißen Schötchen,
Ziert wundersam den Kopf, wie's in der Sonne strahlt:
Den Kronen gleich, die man um Heiligenstirnen malt.
Sie blickt in's Feld, das Antlitz ist drum nicht zu sehen,
Dort unten weit, dort scheint sie nach Jemand auszuspähen.
Nun hat sie gefunden – lacht, klatscht in die Hand – und schnell,
Gleich wie ein weißer Vogel, entfliegt sie von der Stell'
Und flattert durch Garten und Blumen – und flink kommt sie gerannt
[6] Über ein Brett, das lehnet an der Zimmerwand,
Und eh' er's merkt, da fliegt sie schon durch's Fenster herein,
So still und leicht und glänzend, wie des Mondes Schein.
Und summend ergreift sie das Kleid, will sich zum Spiegel wenden:
Da sieht sie den Jüngling – das Kleidchen fällt ihr aus den Händen –
Bleich wird sie vor Staunen und Schreck – roth wird sein Angesicht,
Gleich dem Gewölk, das hinfließt durch des Morgens Licht.
Er drückt die Augen zu, bedeckt sie in scheuem Schweigen –
Will reden, Entschuldigung stammeln – kann sich nur verneigen
Und tritt zurück. Und schmerzlich schrie auf die holde Maid,
Undeutlich, wie ein Kind furchtsam im Schlafe schreit.
Erschrocken blickt' er auf – doch sie war nicht mehr da,
Verwirrt ging er hinaus, wußt' nicht wie ihm geschah:
Sollt' er sich freu'n darob, was da sich zugetragen?
Sich schämen? oder lachen? er konnt' es selbst nicht sagen.
Im Meierhof indeß hat man schon wahrgenommen,
Daß heut' ein neuer Gast im Hause angekommen.
Schon hatte man die Pferde in den Stall gebracht,
Und, wie sich ziemt, sie reichlich mit Hafer und Heu bedacht.
Der Richter leidet sie nicht, alle die neuen Manieren, 7
Daß man beim Juden läßt die Pferde einquartieren.
Kein Diener kommt ihm entgegen; doch meine darum nicht,
Daß man in Richters Hause versäume Dienstespflicht.
Sie warten bis der Wojski im Staat erscheinen kann, 8
Der ordnet hinter dem Hause eben das Nachtmahl an:
Ein Hausfreund ist's, dem Richter auch entfernt verwandt,
Der in der Regel die Gäste, wenn nicht der Herr zur Hand,
Empfängt und unterhält. Sobald der Fremde erschien,
Sucht' er in aller Stille in's Vorwerk zu entflieh'n;
Da er im Pudermantel nicht gut empfangen kann,
Legt er nun möglichst rasch die Sonntagskleider an;
Die lagen seit früh bereit – denn da schon hatt' er vernommen,
Daß heute viele Gäste zur Abendmahlzeit kommen.
Von fern erkennt er den Gast; mit lautem Freudenschrei,
Mit ausgebreiteten Armen eilt er nun herbei,
[7] Herzt ihn, küßt ihn – und jenes wirre Gespräch beginnt:
Von Jahren erzählte man gern in wenigen Worten geschwind,
Stets unterbrochen von Fragen und Seufzern und Entzücken,
Ausrufen, neuen Grüßen und neuen Händedrücken.
Als endlich der Wojski genug hat an aller Art Berichten,
Erzählt er ganz zum Schluß des heutigen Tags Geschichten:
»Gut, mein Thaddäus,« sagt' er – (so war der Jüngling genannt;
Als er zur Welt gekommen, war der Krieg im Land,
Da hatte man ihm den Namen von Kosciuszko gegeben);
»Gut, mein Thaddäus, daß du heim kommst heute eben,
Da wir so viele Mädchen bei uns im Hause sehen;
Wir dürften ja in Kurzem hier deine Hochzeit begehen:
So meint der Onkel. – An Auswahl fehlt es g'rade nicht;
Viel Leute sind jetzt bei uns versammelt zum Grenzgericht,
Den Handel mit dem Grafen, der sich schon schleppt seit Jahren,
Zu endigen. Er selbst kommt morgen hergefahren.
Der Kämmerer 9 mit Gemahlin und Töchtern ist schon hier,
Die Jugend ist im Wald und jagt dort im Revier –
Die Alten und die Damen sehen sich nahe beim Wald
Die Ernte an. Dahin kommt auch die Jugend bald.
Willst du, so geh'n wir hin, da wirst du sie gleich erschauen:
Den Onkel, die Kämm'rerschaft und die geehrten Frauen.«
Nun haben sie den Weg zum Walde eingeschlagen
Und thun sich nimmer genug mit Sagen und mit Fragen –
Die Sonne sank. Sie strahlte wol in schwächerem Glanz,
Doch breiter, als bei Tage – und geröthet ganz,
Gleich wie des Ackermanns gesundes Antlitz glüht,
Wenn er den langen Tag sich auf dem Feld gemüht
Und nun zur Ruhe geht. Schon auf des Waldes Wipfel
Senkt sich die Scheibe nieder, und Gezweig und Gipfel
Erfüllt ein neblicht Dunkel, das in Eines schließt
Den ganzen weiten Wald und wie zusammengießt.
Und schwarz und schwärzer wird er, ein riesengroß Gemach,
Roth über ihm die Sonne, wie Feuer auf dem Dach.
[8] Da sinkt sie in die Tiefe. Noch blitzt es durch den Wald
Wie eine Kerze durch des Fensterladens Spalt, –
Und es verlischt. Und die Rechen, die die Mägde schwangen,
Die Sicheln, die im Getreide vereint zusammenklangen,
Erschweigen und ruh'n. Denn also ist des Richters Wille:
Sobald der Tag beschlossen, halte der Landmann stille;
Der Herr der Welten maß die Zeit der Arbeit zu:
Wenn seine Dienerin, die Sonne, geht zur Ruh',
Ist's Zeit auch, daß der Bauer ruht und sich behagt;
So pflegt der Richter zu sagen, und was der Richter sagt,
Der bied're Ökonom sieht es als heilig an.
Die Wagen auch, in die man Schober zu legen begann,
Heimfahren sie ungefüllt; die Thiere geh'n zur Rast,
Mit Freuden fühlend die leichte, ungewohnte Last.
Eben kommt die Gesellschaft vom Walde, – lachend und heiter,
Doch wohlgeordnet. Voran die Kinder mit ihrem Begleiter,
Drauf mit der Kämm'rersfrau der Richter, und daneben
Der Kämmerer selber, fröhlich von den Seinen umgeben.
Gleich d'rauf die jungen Damen, die jungen Herrn zur Seite,
Die Damen den Herrn voran, um halben Schrittes Weite:
So will's die Sitte. Niemand wies da zur Ordnung an,
Niemand stellte in Reih und Glied – nein, Jedermann
Befolgte unwillkürlich Ordnung und rechte Art.
Denn beim Richter, da wurden die alten Sitten gewahrt,
Und niemals hat er Verstöße gegen die Achtung geduldet,
Die man dem Alter, dem Geist, dem Stand, der Würde schuldet.
Denn rechte Sitte, sagt er, erhält Geschlecht und Reich.
Und wenn sie sinkt, so sinken Geschlecht und Reich zugleich.
So hatten sich Haus und Gesinde der Ordnung angepaßt;
Und kam zu Besuch ein Verwandter oder ein fremder Gast:
Wenn er nur kurze Zeit in Haus sich aufgehalten,
Zollt' er den Sitten Gehorsam, die beim Richter galten.
Nur kurz begrüßt er den Neffen: reicht ihm würdig zum Kuß
Die Hand, küßt ihm die Stirn und sagt ihm freundlichen Gruß.
Er spricht nur wenig – es sind so viele Gäste zur Stell' –
[9] Doch wie er mit dem Ärmel seines Kontusz schnell
Die helle Thräne wegwischt, die ihm vom Auge rinnt:
Sieht man, er liebt Thaddäus, wie ein eigen Kind.
Aus Feld und Flur und Wald und Weide nah' und fern
Kehrt Alles nun zurück nach Hause mit dem Herrn;
Hier eine Heerde Schafe, sie wälzt sich in die Gasse
Lautblökend und Staub aufwirbelnd; dort die schwere Masse
Tyroler Kälber, die Hälse mit Messingglocken behängt;
Da fliegen vom Anger her die Pferde – Alles drängt
Zum Brunnen, wo auf und nieder kreischt der hölzerne Arm,
Den Trog mit Wasser zu füllen für den durstigen Schwarm.
Müd', und von Gästen umringt, säumt doch der Richter nicht,
Auch jetzt genau zu erfüllen die wichtige Landwirthspflicht.
Er selbst begiebt sich zum Brunnen. Wenn's Abends heimwärts geht,
Da sieht der Wirth am Besten, wie's mit dem Viehstall steht.
Die Prüfung überließ er seinen Knechten nie:
Er weiß, des Herrn Auge füttert wohl das Vieh.
Im Vorhaus, Licht in den Händen, standen um diese Zeit
Protasius, der Gerichtsfrohn, 10 und der Wojski im Streit.
Protasius nämlich hatte heimlich aus dem Saal
Den Tisch fortschaffen lassen sammt dem Abendmahl
Und anzurichten befohlen, so rasch sich's machen läßt,
Im Schloß, unweit des Walds: ein altes Trümmernest.
Was sollte dies? Der Wojski macht ärgerliche Gesichter,
Zankt, – entschuldigt sich dann bei dem erstaunten Richter;
Was hilft's? es ist schon spät: der Richter muß die Gäste
Um Nachsicht bitten und führt sie in die verfallene Veste.
Im Geh'n erklärt ihm Protas des Breiten und des Langen,
Warum er sich die Befehle zu ändern unterfangen:
Es ist im Hause kein genügend großer Saal
Für Gäste von solchem Range und von solcher Zahl;
Im Schloß giebt's eine Halle, recht groß und wohlerhalten,
Die Wölbung ganz – es ist zwar eine Wand gespalten,
Die Fenster ohne Scheiben, doch ist's ja Sommerzeit,
[10] Auch hat's die Dienerschaft zum Keller gar nicht weit.
So spricht er und blinzelt ihm zu – und seine Miene zeigt,
Er hat noch andre Gründe, die er klug verschweigt.
Zweitausend Schritt vom Hause sah man das Schloß nun ragen:
Ein stolzer, mächt'ger Bau. Hier hauste in frühern Tagen
Das alte Geschlecht der Horeszko; der Schloßherr war gefallen
Zur Zeit der innern Wirren; und von den Gütern allen
War Nichts geblieben; schlecht verwaltet und gepflegt,
Theils durch Processe zerrieben, theils mit Beschlag belegt,
Ward endlich, was nicht Verwandte von Mutterseite bekommen,
Von Gläubigern getheilt. Das Schloß hat Niemand genommen;
Denn es zu erhalten, fiel bei mäßigen Mitteln nicht leicht.
Als aber der Graf die Jahre der Mündigkeit erreicht –
Ein naher Nachbar, entfernt mit den Horeszko verwandt, –
Kam er, ein reicher Junker, heim aus fremdem Land,
Und ihm gefiel das Nest. Warum es ihm gefiel?
Wer sagt es? Er erklärte, es wär' in gothischem Stil –
Und standen doch dem Richter die Akten zu Gebote,
Daß der Erbauer aus Wilna gewesen, und kein Gothe.
Genug, den Grafen gelüstet's nach dem Schloß – und just
Befällt, Gott weiß warum, den Richter dieselbe Lust.
Nun stritt man im Grundgericht, im Obergericht, im Senat,
Und wieder im Grundgericht und dann im Regierungsrath;
Endlich, nachdem man viel Geld und viel Papier verthan,
Langt nun die Sache wieder beim Grenzgerichte an.
Protasius hatte Recht; es faßte bequem die Halle
Die Leute vom Gericht und auch die Gäste alle, –
Groß wie ein Refectorium: die Wölbung hochgestreckt,
Auf Pfeilern ruhend, der Estrich ganz mit Stein gedeckt.
Schmucklose, nackte Wände, doch war die Mauer rein –
Rings eine große Menge von Reh- und Hirschgeweih'n
Mit Aufschriften, wann und wo die Beute ward erlegt,
Der Jäger Wappenbilder überall eingeprägt,
Und Jeder mit Namen genannt; und über alle erhoben,
Prangt der Horeszko Halbbock an der Wölbung droben.
[11] Eintraten Alle in Ordnung und stellten sich sodann
Ringsum im Kreise auf; der Kämm'rer obenan.
Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern;
Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.
Daneben der Almosenier, bei dem der Richter steht;
Der Priester spricht ein kurzes lateinisches Gebet;
Man giebt den Männern Branntwein; dann setzen sich Alle in Ruh'
Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu. 11
Thaddäus gehört wohl zur Jugend, doch sitzt er nach Gastesrecht
Heut' oben, nah' dem Hausherrn, beim weiblichen Geschlecht.
Zwischen dem Onkel und ihm ist aber ein Sitz noch leer,
Als sollt' noch Jemand kommen. Oft sieht der Onkel her
Und wendet sich dann wieder zur Thür, erwartungsvoll, –
Als wollt' er und wüßte sicher, daß Jemand erscheinen soll.
Zur Thür begleitet Thaddäus seinen suchenden Blick
Und kehrt mit ihm dann wieder zum leeren Sitz zurück.
Seltsam, da sitzt ja rings ein ganzer Mädchenreigen, –
Er dürft' sich vor den Augen eines Prinzen zeigen, –
Lauter Edelgeborene, Junge, Schöne, Feine:
Wo aber Thaddäus hinschaut, da sitzt ja g'rade keine!
Die Jugend liebt die Räthsel, und räthselhaft ist der Ort.
Zerstreut spricht er nur hin und wieder kaum ein Wort
Zur holden Nachbarin, zu Kämmerer's Töchterlein,
Er wechselt ihr nicht die Teller, gießt nichts in's Glas ihr ein,
Denkt nicht daran, den Damen artige Reden zu bieten,
Die da an ihm der Hauptstadt feine Erziehung verriethen, –
Zu jenem leeren Platz lockt es ihn einzig hin:
Nun nicht mehr leer, – es füllen seine Gedanken ihn, –
Vermuthungen, unzählige, läßt er darüber laufen,
Wie nach dem Regen im Feld der muntern Fröschlein Haufen;
Doch königlich ob Allem ein trautes Bildniß schwebt,
Der Wasserlilie gleich, die aus der Fluth sich hebt.
Man war beim dritten Gang. Da goß ein Tröpfchen Wein
Der Kämm'rer in das Gläschen des Fräuleins Rosa ein,
Und schob der jüngern Tochter den Gurkenteller hin
[12] Und sprach: »Ja, Fräulein Töchter, so alt und plump ich bin,
Muß ich euch heut' bedenken.« – Da stürzen rasch zu ihnen
Ein paar der jungen Herrn, die Damen zu bedienen.
Der Richter warf auf Thaddäus einen Seitenblick,
Schob sich die Ärmel des Kontusz erst ein wenig zurück,
Goß dann Tokaier ein und sprach: »Wir schicken heute
Zur Schule in die Hauptstadt unsre jungen Leute,
So will's die neue Mode. Und wir räumen ein:
Sie mögen an Bücherweisheit uns überlegen sein.
Doch täglich muß ich die Jugend daran kranken seh'n,
Daß keine Schule lehrt mit Menschen umzugeh'n.
Vor Zeiten pflegte der Junker an einen Hof zu fahren,
Ich selber diente einen Zeitraum von zehn Jahren,
Beim Wojewoden, unsres verehrten Kämm'rers Vater;
(Hier drückt' er den Kämm'rer am Knie), der war mein treuer Berather,
Als ich den Staatsdienst lernte – und hielt mich lang' in Acht,
Und hat dann endlich aus Einem einen Menschen gemacht.
Sein Name bleibt uns theuer, so lang' mein Haus besteht,
Und seiner Seele gedenk' ich täglich im Gebet.
Und hat mir's weniger Nutzen als Anderen gewährt,
Bin ich vom Hofe wieder zum Acker zurückgekehrt.
Indeß die Andern, die wohl würdiger erschienen,
Hernach in höchsten Ämtern dem Staate durften dienen:
Hab' ich doch so viel gewonnen, daß Jeder muß gesteh'n:
Bei mir ist nie was wider die Artigkeit gescheh'n,
Noch gegen das rechte Benehmen. Und ein Benehmen, ein feines, –
Das sag' ich kühn, ist weder was Leichtes noch Kleines.
Nichts Leichtes – denn mit dem Kratzfuß ist es nicht gethan,
Anlächeln, den Ersten Besten, das lernt ein Jeder an,
Das ist die Artigkeit des Krämers, das ist modern,
Doch nicht altpolnisch, nicht die Art der edlen Herrn.
Artigkeit schuldet man Jedem, doch Jedem auf andre Art,
Denn Kindesliebe muß auch sein mit Artigkeit gepaart,
Auch das Verhalten des Mannes zum Weibe – vor der Welt, –
Des Herrn zur Dienerschaft: und nirgends ist's gleich bestellt.
Da muß man lange lernen, um wirklich nie zu fehlen
Und Jedem die schuldige Achtung richtig zuzuwäh len. –
[13] Man hat auch früher gelernt! Wie oft besprachen die Herrn
Die polnische Zeitgeschichte – die Schlachta redete gern
Von Allem, was im engeren Bezirk geschehen;
So gab man denn dem Bruder Schlachcic zu verstehen,
Daß Alles ihn kennt, ihn nicht zu übersehen vermag;
Drum ließ sich auch der Schlachcic nicht gehen. – Heutzutag,
Heut' frägt man Keinen: wer bist du? welcher Eltern Sohn?
Mit wem hast du gelebt? Und wie? Nein, nichts davon –
Ist Einer nur kein Bettler oder gar ein Spion,
So wird in jedem Haus gleich kühnlich vorgesprochen.
Wie jener Vespasian, der nie zum Geld gerochen,
Und nie nach seinem Ursprung und Wege mochte fragen:
So scheert man heut' sich nicht um Abkunft und Betragen;
Hat Einer Gewicht und Stempel, so gilt er in der Welt:
So schätzt man denn die Freunde, wie die Juden das Geld.«
So sprach der Richter und prüfend blickt er umher im Kreis.
Denn ob er geläufig redet und mit Verstand: er weiß,
Daß ungeduldig die Jugend sei in unsren Tagen,
Und langes Erörtern sie langweilt, wie gut auch vorgetragen.
Allein in tiefem Schweigen sitzen und horchen Alle.
Nun blickt er auf den Kämm'rer, wie das wohl ihm gefalle;
Der hat zwar nie mit Worten des Lobes unterbrochen,
Doch öfter Beifall genickt, indeß der Richter gesprochen.
Der Redner schweigt. Der Kämm'rer nickt noch immerfort;
So füllt er denn Beider Becher und nimmt auf's Neu' das Wort:
»Die Artigkeit ist auch von nicht geringem Werth:
Hat Einer Andre schätzen gelernt, wie sich gehört,
Nach Alter und Geburt, nach Tugend und Gebahren,
So mag er auch seinen Werth im rechten Licht gewahren;
Wie wir auch bei der Wage, um unser Gewicht zu wissen,
Ein Gegengewicht an's andre Ende setzen müssen.
Werth aber ist, ihr Herren, besonderer Beachtung,
Wie Jünglinge den Damen erweisen schuld'ge Achtung.
Zumal wenn Glückesgüter und hoher Stand noch heben
Die Tugenden und Reize, die Natur gegeben.
Da finden sich die Herzen, – da sah man sich gestalten
[14] Schon manchen herrlichen Bund. – So dachten unsre Alten.
Und drum« – hier wandt' er rasch den Kopf zur Seite hin,
Winkt' zu Thaddäus hinüber und blickte streng' auf ihn –
Man sah, jetzt werd' er gleich die Nutzanwendung zieh'n.
Da schlug der Kämm'rer klimpernd auf die goldne Dose
Und sprach: »Es mag schon sein, jetzt geht es etwas lose, –
Doch einst, mein lieber Richter, war's schlechter noch als heut!
Hat nun die neue Mode uns Alte auch erneut,
Oder ist's wirklich besser, genug, so scheint es mir. –
Ach, ich gedenke der Tage, da die Franzosenmanier
Zum ersten Mal in's Land kam. Herrchen strömten in Schaaren
Aus fremden Ländern herüber, ärger als Tataren,
Die Gott und Glauben verfolgten und was uns die Väter vermacht,
Gesetz und Recht und Sitten und selbst die alte Tracht!
Milchbärte, vergilbt und näselnd, oft auch nasenlos, –
Es war ein Jammer zu sehen, – die kamen und thaten groß,
Hatten Brochuren in Händen und allerlei Zeitungsblätter,
Verkündeten neue Moden, neue Gesetze und Götter;
Die Rotte nahm die Geister gefangen in kurzer Zeit;
Denn wenn der Herr einmal ein Volk der Strafe geweiht,
Dann pflegt er zuerst die Köpfe der Bürger zu verkehren.
So wagten denn die Vernünft'gen den Stutzern nicht zu wehren;
Es fürchtete sich vor ihnen das Volk, wie vor der Pest,
Saß ja der Keim der Krankheit schon in den Herzen fest.
Man schrie wol über die Gecken, doch that man, wie sie thaten, –
Gesetz und Glauben und Sprache – Alles wurde verrathen!
Es war ein Faschingspossen, voll Tollheit und voll Schmach,
Dem bald das große Fasten, die Knechtschaft, folgte nach!
Wie ich aus meiner Kindheit mich zu erinnern weiß,
Da kam zu meinem Vater in den Oszmianer Kreis
Der Herr Podczaszyc 12 auf einem kleinen französischen Wagen, –
Der Erste, der in Lithau'n französische Kleider getragen.
Als wär's ein Wunderthier, so lief man hinter ihm her; 13
Beneidet wurde das Haus, das da genoß die Ehr',
Das Wägelein mit den zwei Rädlein zu seh'n vor seiner Schwelle,
[15] (Man hieß das Cabriolet); an der Lakaien Stelle
Sah man im Wagenkasten zwei Hündchen auf dem Lager,
Auf dem Bock ein deutscher Kerl, als wie ein Brett, so mager,
Mit langen, dürren Beinen, wie die Hopfenstangen
Mit Strümpfen daran, die Schuhe geziert mit silbernen Spangen.
Der Zopf an der Perrücke von einem Beutel gehalten –
Wie sie das seh'n: vor Lachen bersten fast die Alten;
Die Bauersleute aber bekreuzen sich und sagen:
Der venetianische Teufel fahre im deutschen Wagen.
Lang' aber wär's, zu geben des Herrchens Konterfei:
Uns kam er vor, wie ein Affe oder ein Papagei,
In seiner großen Perrücke, die der närrische Tropf
Dem goldnen Vließ verglich, – wir einem Weichselzopf.
Wenn damals auch Mancher fühlte, daß unsre polnische Tracht
Viel schöner sei, als das Fremde, das wir nachgemacht,
So schwieg er. Sonst hätte ›Verrath!‹ geschrie'n die grüne Schaar,
›Verrath an der Cultur! Der Fortschritt in Gefahr!‹ –
Also beherrschte die Narrheit die Köpfe ganz und gar.
Der Ankömmling versprach, er wolle uns reformiren,
Uns konstituiren und civilisiren –
Erklärt' uns, daß welche Redner im Franzosenreich
Die neue Erfindung gemacht: die Menschen wären gleich.
Wiewohl doch diesen Punkt die Bibel längst erledigt,
Und jeder Geistliche das von der Kanzel predigt.
Der Satz war alt; es galt nur, daß man ihn erfüllt!
Doch damals hat alle Köpfe solche Blindheit umhüllt,
Daß selbst die älteste Sache keinen Glauben fand,
Wenn's in französischen Blättern nicht zu lesen stand.
Daß sich der Herr Podczaszyc Marquis benennen ließ,
Verschlug nicht gegen die Gleichheit. Die Titel sind aus Paris –
Und damals waren sie dort modern, die ›Herrn Marquis.‹
Als aber später die Mode in andre Geleise trat,
Da führte derselbe Marquis den Titel Demokrat;
Zuletzt, bei der neuen Mode, unter Napoleon,
Kam unser Demokrat zurück aus Paris: als Baron;
Vielleicht, im Lauf der Zeit, hätt' sich bei läng'rem Leben
[16] Noch aus dem Herrn Baron ein Demokrat ergeben;
Paris lebt ja am liebsten nach immer neuem Schnitt,
Und was der Franzmann aufbringt, das macht der Pole mit.
Gottlob, daß wenn die Jugend jetzt in's Ausland zieht,
Es nicht mehr so, wie früher, der Kleider wegen geschieht, –
Nicht um in gedrucktem Kram nach neuen Gesetzen zu spüren,
Oder Beredtsamkeit im Café zu studiren.
Denn der Napoleon, ein energischer Mann und gescheidt,
Der läßt für Plaudereien und Moden keine Zeit;
Jetzt dröhnen die Waffen; da schwillt uns alten Leuten das Herz,
Daß wieder man von den Polen hört reden allerwärts.
Der Ruhm ist da – so ist auch die Republik nicht fern!
Der Baum der Freiheit sprießt ja aus dem Lorbeer gern; –
Nur traurig, daß sich uns so ohne Thätigkeit
Die Jahre schleppen! Und Jene so ferne allezeit, –
So lange warten! Und selten kommt eine Nachricht sogar!
Hört,« – sprach er leise zum Mönch, – »hört, Pater Robak, ist's wahr,
Daß ihr von jenseits des Niemen Briefe habt bekommen? 14
Habt ihr nicht etwas auch von unsrem Heer vernommen?«
»Gar nichts,« warf kühlen Tons der Bernhardiner hin,
Das ganze Gespräch war sichtlich nicht nach seinem Sinn –
»Was scheert's mich auch? Mich langweilt das politische Treiben;
Hab' ich auch was aus Warschau, so betrifft das Schreiben
Nur Ordenssachen. Wer fängt davon beim Nachtmahl an?
Hier giebt es Laien, für die das nicht gehören kann.«
So sprach der Mönch und schielte zur Seite bei dem Wort.
Ein Russe, der Hauptmann Rykow, saß unter den Gästen dort,
Ein alter Kriegsmann, im nahen Dörfchen einquartiert,
Aus Höflichkeit geladen. Der hatte nur wenig gespürt
Von allen den Reden; in's Essen war er versunken tief.
Doch nun er von Warschau hörte, erhob er den Kopf und rief:
»Herr Kämmerer! O, ihr! Ihr wollt nur allerhand
Von Bonaparte! von Warschau! Ja, das Vaterland!
Ich bin kein Spion – kann polnisch kann Das wohl versteh'n,
Ja, Vaterland! ja wohl! kann mir zu Herzen geh'n!
[17] Ich bin ein Russe, ihr Polen, – aber jetzt nicht raufen,
Jetzt ist ja Waffenstillstand, drum brüderlich essen, saufen!
Thun oft so mit dem Franzmann auf den Posten schwatzen,
Schnaps trinken, – dann heißt's: Hurrah! und die Kartätschen platzen.
Ein russisches Sprichwort: Geliebt, geklopft! – wie mit den Frauen:
Gestreichelt, wie mit der Plätte, wie einen Pelz gehauen!
Ich sag': 'S wird Krieg! – Vorgestern kam die Ordre herab,
Es brachte sie dem Major der Adjutant vom Stab:
Marschfertig stehen! Gilt's nun dem Türken oder Franzen; –
He! dieser Bonaparte! der könnt' uns kuranzen!
Ohne Suwarow nähm's vielleicht ein böses End'; –
Wie's mit dem Franzmann losging, da hieß es im Regiment:
Der Bonaparte hext. 15 Zwei Zauberer gegen einander, –
Denn Suwarow hext auch. Einst, in der Schlacht, verschwand er:
Wohin? Sucht Bonaparten; nun aber ging's euch bunt,
Der Franzmann wird zum Fuchs – und Suwarow zum Hund,
Drauf Bonaparte zum Kater und kratzt' euch mit den Krallen –
Und Suwarow zum Fohlen. – Was weiter vorgefallen,
Mit unsern Hexenmeistern – nun, da gebt nur Acht –«
Hier schwieg er und aß. Es wurde der vierte Gang gebracht,
Als plötzlich die Seitenthüre rasch ward aufgemacht.
Eintrat ein weiblich Wesen, jung und wohlgestaltet;
Ihr plötzlich Kommen, ihr Reiz, der Putz, den sie entfaltet,
Lenkt Aller Blick auf sie; man heißt sie froh willkommen,
Offenbar kennen sie Alle, Thaddäus ausgenommen; –
Von schwerem rosafarbnem Seidengewand umflossen
Der schlanke Leib, der Hals von Spitzen rund umschlossen;
Die Krause ausgeschnitten an der holden Brust,
Die Ärmel kurz, – den Fächer hält sie nur zur Lust,
Es ist ja gar nicht heiß – der Fächer, mit Gold belegt,
Sprüht Funken rings umher, wie sie ihn spielend bewegt.
Der Kopf, wie ein Haubenstock: das Haar in Locken gebunden,
Von rosafarbnen Bändern überall durchwunden –
Inmitten, dem Aug' zur Folie, glänzt ein Edelstein,
Wie im Kometenschweife eines Sternes Schein.
Kurz, eine Galatracht; und Manche flüstern still,
[18] Daß sie für's Land, am Werktag, wohl nicht sehr passen will.
Das Kleid ist kurz, und doch entdeckt man die Füßchen schwer –
Wie sie so schnell dahinläuft oder sich schiebt vielmehr,
Gleich den Persönchen, die man am Dreikönigsfest
Im Krippenspiel von versteckten Knaben schieben läßt.
Mit leichtem Neigen grüßt sie im Laufen der Gäste Schaar,
Und will zum Sitz gelangen, der ihr bereitet war.
Das war nicht leicht. Es mochte an Stühlen Mangel sein,
So saßen auf vier Bänken die Gäste in vier Reih'n;
Man mußte sie stören, wollt' man über die Bank nicht springen;
Sie aber weiß behende zwischen die Bänke zu dringen,
Und dreht sich dann zwischen den Sitzenden und dem Tische fort,
Wie eine Billardkugel, bis zu ihrem Ort.
Und unsern Jüngling berührt sie ganz nah' im Weiterschieben, –
Sie war mit einer Falbel an Jemand hängen geblieben,
Und gleitet ein wenig – und ehe sie sich fassen kann,
Hält sie sich fest am Arm des Herrn Thaddäus an.
Und nun, nachdem sie sich bei ihm entschuldigt fein,
Nimmt zwischen ihm und dem Richter sie ihre Stelle ein –
Doch ißt sie gar nichts – fächelt sich nur ohne Ruh',
Dreht an dem Heft des Fächers, – legt sich ab und zu
Den Spitzenkragen zurecht und streift mit leichter Hand
Bald über eine Locke, bald über ein Rosenband.
So war wohl vier Minuten das Reden unterbrochen.
Indeß wird unten am Tisch, erst flüsternd nur gesprochen,
Dann zwischen den Männern halblaut ein Gespräch geführt:
Es ist das heutige Jagen, das man discutirt:
Notar und Assessor 16 streiten, wild und wilder entbrannt,
Um einen gestutzten Hund, ein Windspiel, Mutz genannt;
Das der Notar mit Stolz sein theures Eigen heißt,
Und das auch den Hasen gefangen, wie er jetzt beweist.
Worauf der Assessor zeigt, dem Herrn Notar zum Trutz,
Dies Lob gebühre dem Falk und keineswegs dem Mutz.
Die Anderen alle befragt, was ihre Meinung sei,
Ergriffen theils für Mutzen, theils für Falken Partei,
Als Augenzeuge der, und der nach Kennersinn. –
[19] Am andern Ende sagt indessen zur Nachbarin
Halblaut der Richter: »Vergieb, es war nicht zu verschieben;
Die Gäste hatten sich lang im Freien herumgetrieben –
Und Alle bekamen Hunger nach dem vielen Geh'n;
Auch dacht' ich nicht, dich heute bei uns zu Tisch zu seh'n.«
Drauf wandt' er, die Becher füllend, zum Kämm'rer sich zurück,
Und leise besprachen beide die neuste Politik.
Wie rechts und links sich so beschäftigt Jedermann,
Blickt Herr Thaddäus näher die Unbekannte an.
Er denkt, wie er doch früher errathen hab' sofort,
Für wen bestimmt gewesen der leergelass'ne Ort.
Laut klopft sein Herz – erröthend glüht sein Wangenpaar:
Was er im Stillen vermuthet, so sah er's offenbar!
So war's bestimmt, daß sitzen sollt' bei ihm so traut
Die Schöne, die er heut' im Dämmerlicht erschaut!
Zwar die Gestalt – sie schien ihm schlanker jetzt zu sein:
Weil sie im Anzug war, und der macht groß und klein.
Dort hatt' er kurz das Haar und goldig-hell gefunden,
Hier ist es rabenschwarz, in lange Locken gewunden;
Gewiß, die Farbe kam wohl von den Sonnenstrahlen,
Die ja des Abends Alles röthlich golden malen.
Nicht hatt' er das Antlitz geseh'n, – sie war zu rasch entschwunden –
Doch war's ein schönes Bildniß, was sich sein Sinn erfunden;
Schwarzäugig, weiß an Wangen – so stellte sich's ihm dar –
Die Lippen, wie ein prangend Kirschenzwillingspaar,
Und Mund und Aug' und Wangen – hier war's, wie er gedacht.
Das Alter ist's, was noch am meisten denken macht:
Ein junges Mädchen glaubt' er im Garten zu gewahren,
Und diese Dame war ein Weib in reifern Jahren.
Doch Jugend frägt die Schönheit nach dem Taufschein nicht,
Jung ist dem jungen Manne jedes Frauengesicht,
Gleichaltrig dünkt dem Burschen, was nur in Schönheit blüht,
Und jedes Lieb jungfräulich dem schuldlosen Gemüth.
Thaddäus war wohl schon fast zwanzig Jahre alt,
Und Wilno, die große Stadt, seit Jahren sein Aufenthalt;
[20] Doch war er von einem Priester, der ihn treu bewahrt,
Gar streng erzogen worden in der Väter Art.
So bracht' er denn nach Hause der herben Zucht Gewinn:
Ein schuldlos-reines Herz und einen lebendigen Sinn;
Doch auch nicht wenig Neigung, über die Schnur zu hauen.
Im Voraus plant' er schon in fröhlichem Selbstvertrauen:
Die langentbehrte Freiheit nun zu genießen nach Lust;
Jung war er, flink und stattlich, und war sich auch dessen bewußt:
An Kraft und Frische war er seiner Eltern Kind –
Er hieß Soplica, – und alle die Soplica's sind
Bekanntlich gut bei Leibe und voll gesunder Kraft,
Zum Waffenhandwerk einzig, nicht so zur Wissenschaft.
Thaddäus war in Allem der Ahnen rechter Sproß.
Er war vortrefflich zu Fuß, auch recht geschickt zu Roß;
Nicht dumm, jedoch im Wissen nicht gar weit gedieh'n –
Wiewohl der Ohm nichts sparte, ihn würdig zu erzieh'n –
Er hantirte lieber mit Säbel und Schießgewehr:
Er wußte, daß man ihn bestimmt zum Militär,
Wie es sein seliger Vater im Testament gewollt –
Und seufzte nach der Trommel, wenn er studiren sollt'.
Doch plötzlich gefiel's dem Onkel, anders für ihn zu wählen,
Er hieß ihn nach Hause kommen, sich möglichst bald vermählen,
Und dann die Wirthschaft führen; versprach, ihm als erste Gabe
Ein kleines Gut zu geben, – dann seine ganze Habe.
All' diese Tugenden, die Herrn Thaddäus schmücken,
Bemerkt die Nachbarin, ein Weib von scharfen Blicken, –
Die hohe, schöne Gestalt betrachtet sie mit Lust,
Die kraftgeschwellten Arme, die männlich-breite Brust, –
Die Wangen auch, die immer erglüh'n in rothen Flammen,
So oft mit ihrem Blick der seine trifft zusammen;
Denn seine Blödigkeit war nun verschwunden ganz,
Kühn blickte jetzt sein Auge, voller Glut und Glanz –
Und sie gleich ihm – und wie die Kerzen am Altare,
So glühten gen einander zwei helle Augenpaare.
[21] Sie knüpfte die Unterhaltung auf französisch an:
Er kam aus der Stadt, vom Studium – weshalb sie von Büchern begann,
Und was seine Meinung wäre von der und jener Erscheinung –
Und neue Fragen erzeugte jede gegebene Meinung.
Und wie sie nun gar anfängt von der Malerei,
Von Tanzkunst, von Musik, ja von der Bildhauerei –
Zeigt sie in Farben und Noten und Bücher sich eingeweiht,
Daß fast Thaddäus versteinert vor so viel Gelehrsamkeit!
Er fürchtet, Schand' und Spott zum Schluß davonzutragen,
Und stottert, wie ein Schulbub vor des Lehrers Fragen.
Zum Glück ist der Lehrer hübsch und hält kein streng Gericht.
Die holde Nachbarin erräth, woran's gebricht,
Und bringt die Sprache auf leicht're und minder weise Dinge:
Auf's Landleben, – wie viel Langweil' und Müh'n es mit sich bringe,
Wie man die Zeit muß nützen, wie sich unterhalten,
Das Leben fröhlicher und schöner zu gestalten.
Thaddäus erwidert kühner, nun geht es glatt vom Munde:
Man war auf vertrautem Fuß nach einer halben Stunde,
Beginnt selbst kleine Späße, neckt und zankt und droht;
Zum Schluß stellt sie vor ihn drei Kügelchen aus Brod,
Als drei Personen zur Wahl: er wählt die Nächste aus;
Die beiden Kämm'rerstöchter zieh'n die Stirne kraus,
Die Nachbarin lacht auf, aber sie verschweigt,
Wen jene glücklichere Kugel angezeigt.
Ganz anders unterhielt man sich auf der andern Seite:
Denn Falk's Partei hat plötzlich sich aufgerafft zum Streite,
Und über Mutzens Freunde ging's unbarmherzig her.
Groß war der Kampf, – man aß die letzten Speisen nicht mehr,
Man stritt nur, stehend und trinkend; am schrecklichsten aber war,
Gleich wie ein Birkhahn zu schauen, der hitzige Notar.
Wenn er einmal begonnen, so sprach er in Einem fort,
Eindringlich mit Geberden malend jedes Wort.
Der Herr Notar Bolesta war früher Advokat,
Man nennt ihn Prediger, weil er so rege Gesten hat.
Die Hände an der Seite, nach hinten die Ellenbogen,
Die Finger mit den langen Nägeln vorgezogen,
[22] So zeigt er jetzt, im Bild, die beiden Hunde am Strick:
Nun schließt er: »Hussah! Wir lassen in Einem Augenblick
Ich und der Assessor, auf Einmal, unsre Hunde los,
Als wie mit Einem Finger zwei Hähne am Doppelgeschoß –
Hussah! Sie liefen – der Hase, ripps! in's Feld, – sie nach –«
Hier fuhr er über den Tisch und stellte, während er sprach,
Den Lauf mit den Fingern dar, mit wunderbarem Geschick;
»Sie nach – und waren vom Wald schon weg ein gutes Stück.
Falk ripps! voran – ein Hitzkopf, obzwar ein flinker Springer,
Er rannte Mutzen vor – um so viel – um einen Finger.
Ich wußt' es: er blamirt sich! – Der Graue, pfiffig und fein,
Schießt scheinbar g'rad in's Feld, – die Hunde hinterdrein –
Ein Schlaukopf! Wie er die Meute beisammen weiß, – bums! ging's
Nach rechts – ein Purzelbaum – sie nach – er wieder links:
Flink in zwei Sätzen, – er macht sich die Dummheit der Hunde zu Nutz –
Sie flugs nach links ihm nach: er in den Wald, und mein Mutz:
Rapps!« – Also schreiend war er, über den Tisch gebogen,
Bis auf die andre Seite mit seinen Fingern geflogen –
Und »Rapps!« so schrie er mächtig Thaddäus dicht in's Ohr –
Thaddäus und seine Dame schrecken jäh empor,
Aus traulichem Gespräch. Es fliehen wider Willen
Die Stirnen von einander vor dem lauten Brüllen:
Gleich zwei verbund'nen Wipfeln, die der Wirbelwind
Mit jähem Stoße scheidet. Es trennen sich auch geschwind
Die Hände, die unter'm Tisch nah' bei einander lagen –
Und Eine Röthe sieht man aus zwei Gesichtern schlagen.
Thaddäus wollt' verbergen, wie zerstreut er war,
Und meinte: »Ja, ohne Zweifel, ja, mein lieber Notar,
Schön ist der Mutz, ist er nur auch ein tüchtiger Packer –«
»Ein Packer«? schrie der Notar, »mein Lieblingshund, so wacker,
Der wär' vielleicht kein Packer?« Thaddäus freut sich nun sehr,
Daß ein so schöner Hund ganz ohne Tadel wär',
Bedauert, ihn nur beim Gang vom Wald geseh'n zu haben,
Und ihn nicht näher zu kennen nach allen seinen Gaben.
[23] Darauf erbebt der Assessor, läßt aus der Hand den Becher –
Mit Basiliskenblicken durchbohrt er den jungen Sprecher –
Er war nicht so beweglich, konnt auch nicht so schrei'n,
Wie der Notar, er war viel schmächtiger und klein,
Doch Kreistag, Ball und Redoute kannten seine Schrecken:
Der Mann hat einen Stachel in der Zunge stecken,
Hieß es von ihm; so witzig wußte er zu spaßen,
Man hätt' es im Kalender können drucken lassen –
Und immer scharf und bissig. – Früher ziemlich reich,
Verputzt' er sein eigenes Erbtheil und das des Bruders zugleich,
Um in der großen Welt nur recht viel Pomp zu entfalten;
Drauf trat er in den Staatsdienst, um im Bezirk zu schalten.
Er jagt für's Leben gerne, theils der Kurzweil wegen,
Theils, weil ihm Horn und Treibjagd Erinn'rungen erregen
An seine jungen Jahre, da er noch sein genannt
Viel Jägersleute und Meuten, weit und breit bekannt.
Zwei Windspiele besaß er noch aus jenen Zeiten,
Und Einem von diesen wollt' man noch den Ruhm bestreiten!
So rückt er denn näher, streichelt langsam den Backenbart,
Und lächelnd beginnt er (es war ein Lächeln giftiger Art):
»Ein Hund ohne Schwanz, das ist ein Schlachcic ohne Amt –
Der Schwanz macht ihn behender: woher auch das Sprichwort stammt,
Ihr scheint euch aber den Stutzschwanz als Vorzug vorzustellen?
Übrigens mag eure Tante hier das Urtheil fällen,
Ob auch Frau Telimene in der Hauptstadt geweilt
Und unser ländliches Leben erst seit Kurzem theilt,
Doch weiß sie im Jagen besser, als junge Jäger, Bescheid, –
Seht ihr: So kommt die Einsicht von selber mit der Zeit.«
Thaddäus, so angedonnert, er wußte kaum, warum, –
Erhebt sich ganz verwirrt, bleibt eine Weile stumm,
Mißt aber den Assessor mit immer wild'rem Blick:
Da niest der Kämmerer zweimal, es war ein großes Glück –
Helfgott! ruft Alles – er neigt sich dankend im ganzen Kreise
Und an die Dose klopft er mit den Fingern leise.
Die Dose war von Gold, mit Edelsteinen belegt,
Das Bild des Königs Stanislaus mitten eingeprägt;
[24] Der König hatte sie einstmals seinem Vater gegeben,
In Ehren hielt sie nun der Sohn sein ganzes Leben.
Klopft er an diese Dose, so heißt das: er will sprechen.
Da schweigen Alle und Keiner wagt ihn zu unterbrechen. –
Er sprach: »Großmächtige Herrn und Brüder allzumal!
Nur Forst und Felder sind des Jägers Tribunal,
Weshalb ich in solchen Dingen zu Haus kein Urtheil künde,
Und unsere Sitzung für morgen anzuberaumen finde,
Und weitere Repliken den Streitenden untersage.
Frohnbote, für morgen, für's Feld, vertage du die Frage!
Der Graf mit seinem Jagdtroß trifft hier morgen ein,
Und ihr auch, Nachbar Richter, werdet mit uns sein,
Frau Telimene auch, die Fräulein und die Frauen –
Kurz, morgen kriegen wir ein wacker Jagen zu schauen –
Und unser Wojski auch wird sich uns nicht entzieh'n.«
Mit diesen Worten reicht er dem Greis die Dose hin.
Der saß an der Ecke mitten unter den Jägersleuten,
Geschlossenen Auges hört' er all' das Reden und Streiten,
Doch ohne ein Wort zu sprechen, wiewohl man ihn öfter fragt, –
Denn Keiner weiß, wie er, Bescheid in Sachen der Jagd.
Er schwieg; die Prise, die er zwischen die Finger schloß,
Wog er in langem Sinnen, bis er sie endlich genoß –
Er niest: daß es gewaltig hallt im ganzen Gemach;
Kopfschüttelnd und bitter lächelnd begann er drauf und sprach:
»O! Wie mich alten Mann das wundern muß und grämen!
Was sagten die alten Jäger, wenn sie das vernähmen,
Daß mitten in so vieler edler Herren Kranz
Processe verhandelt werden um eines Windspiels Schwanz?
Was sagte der alte Rejtan, käm' er zur Erde wieder?
Er gienge nach Lachowicze und legt' auf's neu' sich nieder.
Was dächt' sich der Wojewode Niesiolowski 17 heute,
Er, der jetzt in der Welt besitzt die erste Meute,
Und hält zweihundert Jäger, nach großer Herren Art,
Und hundert Wagen Netze in seinem Schloß bewahrt,
Und doch, wie ein Mönch, seit Jahren sitzt in seinem Nest,
Und sich um keinen Preis zur Jagd erbitten läßt,
[25] Und selbst dem Bialopiotrowicz 18 es unlängst abgeschlagen?
Denn was auch soll der Alte auf euren Jagden jagen?
Das wär' ein schöner Ruhm, den solch ein Herr erstritte,
Wenn er, nach heut'ger Mode, auf Hasenfährten ritte!
Zu meinen Zeiten, ihr Herrn, da hießen wir Jägersleute
Wolf, Elenn, Bär und Eber edelmännische Beute,
Und was nicht Klauen, Hauer oder Hörner trug,
Ließ man für Bursch und Troßknecht mit gutem Recht und Fug.
Es hätte ja jeder Herr mit Grau'n sich weggewendet
Von einer Flinte, die jemals dünnes Schrot geschändet!
Windspiele hielt man wohl, denn bei der Heimkehr geschah's,
Daß unter dem Roß hervorglitt so ein armer Has',
Da mochte man zur Kurzweil auf ihn die Hunde hetzen,
Und Bürschlein auf kleinen Rößlein pflegten ihm nachzusetzen,
Vor ihrer Eltern Augen, die solche Lustbarkeiten
Kaum würdigten anzuschauen, geschweige drüber zu streiten.
Drum, gnädigster Herr Kämm'rer, mög's euch gefällig sein,
Die Ordre zurückzunehmen, mir aber zu verzeih'n,
Daß ich auf solch ein Jagen mich keineswegs begebe,
Und nie begeben werde, so lange ich noch lebe.
Hreczecha heiß' ich und seit Lech's, des Königs Zeiten,
That niemals ein Hreczecha wider Hasen reiten.«
Hier fingen die jungen Leute laut zu lachen an;
Man stand vom Tische auf, der Kämmerer schritt voran,
Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern;
Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.
Drauf folgt der Mönch, der Richter schließt sich dicht an ihn,
Der Richter giebt an der Thür den Arm der Kämm'rerin,
Thaddäus bietet ihn Frau Telimenen dar,
Assessor und Krajczanka bilden das nächste Paar,
Zum Schluß des Wojski Tochter mit dem Herrn Notar.
Thaddäus führt einige Gäste zur Scheuer; – er ist verstimmt,
Durchaus nicht guter Laune, verwirrt, sogar ergrimmt;
Und alles, was heut' geschehen, zergliedert er im Sinn,
Die erste Begegnung, die Mahlzeit neben der Nachbarin;
[26] Und namentlich dies »Tante«, dieses Eine Wort,
Wie eine lästige Fliege, umsummt's ihn immerfort
Gern möcht' er vom Gerichtsfrohn sich näher berichten lassen,
Über Frau Telimene, – doch der war nicht zu fassen;
Auch der Wojski war fort. Sie waren allesammt
Den Gästen gleich gefolgt, wie's des Gesindes Amt,
Die Stuben herzurichten. Die Damen und die Alten
Sollten im Herrengebäude ihre Nachtruh' halten,
Indessen, an Stelle des Hausherrn, Thaddäus die jungen Leute
Zur Scheuer führt, aufs Heu; dort übernachten sie heute.
Bald drauf lag tiefe Stille über das Haus gebreitet,
Gleichwie in Klosterhallen, wenn man zur Hora geläutet.
Des Wächters Stimme nur durchtönt die Ruh' der Nacht.
Entschlummert sind schon Alle. Nur der Richter wacht;
Als Oberhaupt des Hauses durchdenkt er nun den Zug
In's Feld – und ordnet auch die ferneren Spiele klug;
Aufseher, Verwalter, Vögte erhalten Befehle genau,
Stallknechte, Schreiber und Jäger, und auch die Wirthschaftsfrau,
Auch alle Rechnungen vom Tag sind durchzuseh'n.
Nun sagt er dem Gerichtsfrohn, er wolle zu Bette geh'n.
Der bindet ihm den Gurt ab – ein Slucker Gurt und gediegen 19,
Mit strahlenden dichten Quasten, die wie ein Helmbusch fliegen; –
Die eine Seite aus Goldstoff, mit Purpurblumen geschmückt,
Die andre aus schwarzer Seide, mit Streifen, in Silber gestickt;
Man kann einen solchen Gurt auf beiden Seiten tragen,
Die goldne an festlichen, die schwarze an Trauertagen.
Der Frohn nur weiß es, wie man ihn lösen und falten muß –
Jetzt ist er eben daran, und sagt noch dies zum Schluß:
»Was macht's, daß ich die Tische geschafft zum Schloß hinein?
Geschadet hat es Niemand – und Euch kann's nützlich sein.
Hat doch um dieses Schloß sich der Proceß entsponnen,
Und heute haben wir darauf ein Recht gewonnen.
Da mögen unsre Gegner noch so viel Ingrimm zeigen:
Ich weise nach, wir nahmen das alte Nest zu Eigen.
Wer auf ein Schloß zur Mahlzeit lädt eine ganze Schaar,
[27] Hat's oder nimmt's in Besitz: das ist doch sonnenklar;
Sogar die Gegner selber sollen uns Zeugniß geben:
Ich weiß dergleichen Fälle genug aus meinem Leben.«
Schon schlief der Richter. Der Frohn geht sacht in's Vorhaus hinein,
Setzt sich und zieht aus der Tasche bei einer Kerze Schein
Ein Büchlein, das er immer und überall mit sich trägt,
Zu Haus und auf der Reise, und wie ein Gebetbuch hegt.
Es war die Gerichtsvocanda; 20 da standen in voller Zahl
Die Fälle all' verzeichnet, die vor dem Tribunal
Protasius selbst verkündigt mit eignem Mund vor Jahren,
Oder von denen er später Näheres mocht' erfahren.
Andern scheint die Liste nur Namen zu enthalten,
Ihm ist sie ein Gemälde voll herrlicher Gestalten.
In Sinnen versunken, las er: Oginski mit Wizgird,
Die Dominikaner mit Rymsza, Rymsza mit Wyzogird,
Radziwill mit Wereszczaka, Giedroic mit Rdultowski,
Obuchowicz mit dem Kahal, Juraha mit Piotrowski,
Malewski mit Mickiewicz, und zum Schluß der Graf
Mit Richter Soplica; – und jeder Name, auf den er traf,
Mahnt ihn an große Händel, an alle Einzelheiten,
Er sieht Gericht und Zeugen, hört die Parteien streiten,
Er sieht sich selbst, wie er im weißen Zupan stand,
Den blauen Kontusz darüber, am Säbel die eine Hand,
Die andre auf dem Tisch – und vor dem Tribunal
Beide Parteien aufrief, und »Ruhe!« laut befahl –
So träumend und leise betend schloß sodann zur Ruh'
Lithauens letzter Gerichtsfrohn sacht die Augen zu.
Also war Spiel und Streit zu jener Zeit bestellt
Im stillen Lithauerdorf, da rings die übrige Welt
In Blut und Thränen schwamm; als jener Gott der Schlacht,
Mit tausend Geschossen bewehrt, mit brausender Heeresmacht,
Zum silbernen Adler den goldnen gespannt an den Siegeswagen,
Vom lybischen Sand dahinflog bis wo die Alpen ragen –
Blitz schleudernd um Blitz: so sahen die Pyramiden ihn,
Marengo, Austerlitz, Ulm; Sieg und Erob'rung zieh'n
[28] Vor ihm und hinter ihm her. Es braust der Ruhm im Flug
Mit allen den Heldennamen, die durch die Welt er trug,
Vom Nil gen Norden hin – bis an des Niemens Strand
Gleich einer ehernen Mauer, ihn Moskau's Heerschaar bannt,
Die da von Lithauens Grenzen abwehrt stark und fest
Die Botschaft, die für Rußland schrecklich, wie die Pest.
Und doch: wie ein Stein vom Himmel, kam Kunde dann und wann
Nach Lithauen. Manchmal bettelt um Brod ein alter Mann,
Ohne Fuß oder Hand – der, wenn ihm die Gabe gespendet,
Steh'n bleibt, und scheu die Blicke nach allen Seiten wendet.
Und sieht er, daß der Kreis von russischen Söldnern frei,
Von Käppchen und rothen Kragen: dann sagt er, wer er sei:
Er ist ein Legionist. Zur Heimat, die er nicht mehr
Vertheidigen kann, bringt er die alten Knochen her.
O wie ihn dann die Herrschaft, wie ihn das ganze Gesind'
Heiß in die Arme schließt und laut zu schluchzen beginnt!
Dann setzt er sich an den Tisch, und seltsame Geschichten,
Erstaunlicher, als Märchen, weiß er zu berichten:
Wie General Dombrowski 21 sich aus Italien müht
Nach Polen vorzudringen, wie er fern im Süd
Um sich die Brüder sammelt, auf dem lombardischen Feld, –
Wie vom Kapitol Kniaziewicz befiehlt, der mächt'ge Held,
Und hundert blutige Fahnen 22 vor den französischen Schaaren
Hinwarf, entwunden alle den Söhnen der Cäsaren, –
Wie Jablonowski gar dahin sich aufgemacht,
Wo man den Zucker ausschmilzt, 23 und wo in ewiger Pracht
Die würzigen Wälder blüh'n – die Mohren schlägt er dort
Mit der Donaulegion – und möcht' nach Polen fort.
Die Reden des Alten kreisen dann im Dorf geheim,
Der Bursch, der sie vernommen, ist plötzlich nicht daheim –
Durch Wälder und Moräste stiehlt er sich unverzagt,
Der Niemen rettet ihn, wenn ihn der Russe jagt,
Bis er unter den Wellen an's Herzogthum Warschau geschwommen,
Wo liebe Stimmen ihn grüßen: »Kamerad, sei willkommen!«
Dann springt er auf einen Hügel vor dem Weitergehen,
Und über den Niemen ruft er den Russen: »Auf Wiedersehen!«
[29] So haben sich durchgestohlen Gorecki, Pac, Obuchowicz,
Piotrowski, Obolewski, Rozycki, Janowicz,
Brochocki, die Mierzejewski's und die Bernatowicz,
Kupsc, Gedymin und Andre – wer zählte alle die Schaaren,
Sie ließen das Land und die Lieben, sie ließen Alles fahren, –
Und ihre Güter nahm der lange Arm des Czaren.
Zu Zeiten kam auch ein fremder Almosenier in's Land,
Und wenn er mit den Schloßherrn näher ward bekannt,
So trennt' er eine Zeitung aus dem Skapulier.
Die Anzahl der Soldaten war verzeichnet hier,
Die Legionenführer alle genannt – von allen
Erzählt, wie sie gesiegt oder im Kampf gefallen.
So mochte die Familie zum ersten Mal seit Jahren
Vom Leben, Ruhm und Tod des theuren Sohns erfahren;
Man legte Trauer an. Doch scheu verschwieg der Mund,
Um wen; in der Umgebung errieth man nur den Grund.
Der Herrschaft stille Freude oder stiller Gram,
Das war die einzige Zeitung, die ihr zu Augen kam.
Ein solcher geheimer Bote mocht' auch Robak sein:
Mit dem Richter besprach er sich oftmals ganz allein;
Nach einem solchen Gespräch war in der Nachbarschaft
Stets etwas Neues verbreitet. Auch die Gestalt voll Kraft
Zeigt, daß der Mönch nicht immer die Kapuze getragen,
Und schwerlich sich von jeher im Kloster mocht' behagen.
Ein wenig ober der Schläfe, über dem rechten Ohr,
Tritt handbreit eine Lücke in der Haut hervor,
Von einem Schuß oder Stich ist eine Spur zu seh'n
Am Kinn, – das ist ihm sicher nicht bei der Messe gescheh'n.
Doch nicht blos in den Narben und in des Blickes Droh'n:
Er hatte was vom Kriegsmann in Gang und Stimme schon.
Wenn er sich vom Altar mit aufgehob'nen Händen
Beim »Dominus Vobiscum!« sollt' zum Volke wenden,
Da konnt' er sich so flink umdreh'n mit einem Mal,
Als wär' ihm commandirt: »Rechtsum!« vom General.
[30] Und las er die Liturgie, geschah's in solchem Ton,
Als redete ein Hauptmann vor der Escadron.
Die Meßnerbuben bemerkten das mit klugem Blick. –
Auch war er viel vertrauter mit der Politik,
Als mit den Heil'gen. Fuhr er nach Almosen herum,
So that er sich gar häufig in der Kreisstadt um.
Er steckte voller Geschäfte; bald kommen Briefe an,
Die er vor fremden Zeugen nicht eröffnen kann,
Bald schickt er Boten aus, doch sagt er nie ein Wort,
Wohin und wozu; oft schlüpft er in die Schlösser fort
Bei Nacht – hat mit der Schlachta zu flüstern allezeit,
Die Dörfer in der Nähe durchstreift er weit und breit;
Verhandelt mit den Bauern öfters in den Schenken
Und mag die Rede immer nur auf's Ausland lenken.
Jetzt will er den Richter wecken, der schon seit einer Stunde
Im Schlafe liegt; gewiß kommt er mit neuer Kunde.

Fußnoten

1 Zur Zeit der polnischen »Republik« war die Vollstreckung richterlicher Urtheile eine sehr schwierige Sache, – in einem Lande wo die executive Gewalt fast gar keine Polizei zur Verfügung hatte, und die Mächtigen Haustruppen hielten, manche – wie die Fürsten Radziwill – sogar viele Tausend Mann. Hatte also der Kläger sein Decret erlangt, so mußte er sich zum Zwecke der Execution an den Ritterstand, d.h. an die Schlachta, wenden, die auch die vollziehende Gewalt besaß. Die Verwandten, Freunde und Districtsgenossen des Klägers zogen dann aus, mit dem Decret in der Hand und vom Gerichtsfrohn (Wozny) begleitet, – und eroberten, oft nicht ohne Blutvergießen, die demselben zugesprochenen Liegenschaften, welche der Gerichtsfrohn legal »tradirte« oder in Besitz übergab. Eine derartige bewaffnete Execution der gerichtlichen Entscheidung nannte man »Zajazd«, »Einritt«. In früheren Zeiten, in denen die Achtung vor dem Gesetze herrschte, wagten selbst die mächtigsten Herrn nicht, einem Urtheilsspruch Widerstand entgegenzusetzen. Bewaffnete Überfälle kamen selten vor und Gewaltthätigkeiten gingen fast niemals straflos hin. Man kennt aus der Geschichte das traurige Ende des Fürsten Wasil Sanguszko, und des Stadnicki, genannt »der Teufel«. Die Verderbniß der öffentlichen Sitten in der Republik vermehrte die Zahl der Einritte, die eine fortwährende Ruhestörung für Lithauen bildeten.

2 Es sei erlaubt, den Leser gleich an dieser Stelle über die politischen Begebenheiten, die unser Gedicht berührt, kurz zu orientiren: Nach der dritten Theilung suchten viele begabte und eifrige Patrioten, vor Allem der berühmte General Dombrowski, für die polnische Sache im Auslande zu wirken. Dombrowski vereinbarte (1797) mit Bonaparte die Bildung polnischer Legionen, die, in nationaler Uniform, aber französischer Organisation, mit den Heerschaaren der Republik vereint kämpfen sollten. Viele tapfere Krieger folgten Dombrowski's feurigem Aufruf, sammelten sich um ihn in der Lombardei und glänzten von nun ab mit in den vordersten Reihen der Napoleonischen Heere. Einer der hervorragendsten Feldherrn neben Dombrowski war der General Kniaziewicz, der namentlich im römisch-neapolitanischen Feldzuge (1798 und 1799) und später an der Seite Moreau's und Richepanse's in der Schlacht bei Hohenlinden (1801) mit großer Auszeichnung kämpfte. Aber weder Dombrowski's, noch Kniaziewicz's Dienste, noch alle die Opfer an Blut und Leben, die die Legionen für Napoleon brachten, vermochten den französischen Machthaber zu irgend einem für die Polen segensreichen Schritte zu bewegen. Im Frieden zu Luneville (1801) wurde ihrer Sache nicht gedacht, und kurz darauf ein großer Theil ihres Heers unter dem Fürsten Jablonowski nach San Domingo geschickt, um dort gegen den Negerhäuptling Toussaint L'Ouverture zu kämpfen, der sich gegen die französische Herrschaft erhoben hatte. Erst 1806, als der Krieg mit Preußen und Rußland ausgebrochen war, schien sich Bonaparte für die Polen lebhafter zu erwärmen. Er selbst forderte den alten Freiheitshelden Kosciuszko auf, seine Landsleute zu den Waffen zu rufen; dieser aber schlug es ab – er mißtraute den Versprechungen des Kaisers. Dombrowski hingegen leistete ihm wieder Heeresfolge und rückte unmittelbar nach der Schlacht bei Jena in Posen ein. Auch diesmal aber blieben Napoleon's Thaten weit hinter seinen Versprechungen zurück. Im Frieden von Tilsit (1807) wurde Rußlands geschont. Aus dem preußischen Antheil an den ehemals polnischen Provinzen schuf Napoleon das Großherzogthum Warschau, zu welchem später (im Wiener Frieden 1809) noch Westgalizien geschlagen wurde. Immerhin aber sahen die Polen diese Schöpfung als den Keim eines künftigen Reiches an, dessen baldige Wiederherstellung sie von einem neuen französisch-russischen Zusammenstoß erhofften. In der That erklärte Napoleon, als er 1812 über den Niemen ging, den begonnenen Feldzug gegen Rußland für den »zweiten polnischen Krieg« – und die Polen eilten begeistert unter seine Fahnen. Prinz Joseph Poniatowski, der bekannte Marschall Napoleon's, und General Dombrowski führten neue zahlreiche Heerschaaren in den Kampf, die im russischen Feldzug ebenso tapfer und todesmuthig kämpften, wie früher auf den Schlachtfeldern Deutschlands, Italiens und Spaniens. Der Ausgang des Feldzuges war auch das Ende ihrer Hoffnungen.

Im Herbst 1811 und im Frühling 1812 spielt nun unsre Erzählung. Alles blickt voll Erwartung über den Niemen, der das unter russischer Herrschaft stehende Lithauen vom Großherzogthum Warschau trennt. Über den Niemen eilen die Jünglinge, um sich mit den Landsleuten zu verbünden – vom Herzogthum aus soll die Befreiung herannah'n. In den letzten zwei Gesängen der Dichtung sehen wir denn auch die polnischen Generale bereits in Lithauen und freudig und hoffnungsvoll schließt die Dichtung. (d.Ü.)

3 Ganz Polen kennt das Wunderbild der heiligen Jungfrau auf dem Klarenberge (Jasna Gora) in Czenstochau (poln. Czenstochowa). In Lithauen befinden sich berühmte Wunderbilder der Muttergottes im »Spitzen Thor« (»Ostrabrama«) zu Wilno, auf dem Schlosse in Nowogrodek, ferner in Zyrowiec und Boruny.

4 Thaddäus Rejtan, einer der energischesten und reinsten Patrioten aus der Geschichte der Zerstückelung Polens. Nach dem Theilungsakte vom Jahre 1773, gegen den er, als Landbote für Nowogrodek, auf dem Reichstage mit unbeugsamem Widerstande angekämpft hatte, wurde er wahnsinnig vor Schmerz über die Schmach des Landes und machte seinem Leben mit eigener Hand ein Ende. (d.Ü.)

5 Jasinski leitete 1794, während des großen Aufstandes unter Kosciuszko, die insurrectionelle Bewegung in Lithauen. Während der Erstürmung der Warschauer Vorstadt Praga durch Suwarow war er, nebenKorsak und Grabowski, einer der heldenmüthigsten Vertheidiger des Platzes. Die Aufopferung der Helden war vergeblich: Praga wurde erstürmt (4. Novbr. 1794), und die Russen wütheten auf die unmenschlichste Weise wider die Besiegten. Es wurde weder Geschlecht noch Alter geschont – 12000 Menschen sollen an jenem Tage unter den Händen der Russen umgekommen sein. Das war »das Blutbad von Praga«, von dem noch später, im 12. Gesange, die Rede ist. (d.Ü.)

6 Das berühmte Lied: »Noch ist Polen nicht verloren!« (d.Ü.)

7 Die russische Regierung pflegt in eroberten Ländern die bürgerlichen Gesetze und Institutionen niemals mit einem Schlage zu vernichten, sondern sie langsam durch Ukase zu untergraben und aufzulösen. In Kleinrußland z.B. ließ man noch bis in die jüngsten Zeiten das, durch Ukase modificirte, Lithauer Statut bestehen. In Lithauen selbst blieb die ganze alte Einrichtung der Civil- und Kriminalgerichte. Es wurden demgemäß nach altem Brauch die »Landschafts«- und »Burgrichter« in den Bezirken und die »Oberrichter« in den Gouvernements gewählt. Da aber nach Petersburg, an vielerlei Instanzen, appellirt wird, so haben die Ortsgerichte kaum noch einen Schatten ihrer alten traditionellen Autorität bewahrt.

8 Der Wojski – in lateinischen Acten: tribunus – bekleidete in älteren Zeiten das Amt eines Beschützers der Frauen und Kinder der Schlachta während des allgemeinen Heeresaufgebots. Doch war die Würde schon seit Langem mit gar keiner Function verbunden und zum bloßen Titel geworden. In Lithauen pflegt man angesehenen Personen aus Artigkeit irgend einen alten Titel zu geben, dessen Gebrauch nach und nach ein rechtskräftiger wird. Die Nachbarschaft nennt z.B. einen ihrer Freunde »Quartiermeister«, »Truchseß« oder »Mundschenk«, anfangs bloß im Gespräch und in der Correspondenz, dann aber selbst in amtlichen Schriftstücken. Die russische Regierung verbietet alle derartigen Titulaturen und möchte sie gerne lächerlich machen, an ihrer Stelle aber die Titel der mannigfachen Rangstufen ihrer Hierarchie einführen, die bei den Lithauern bis zum heutigen Tage einem großen Abscheu begegnet.

9 Der Kämmerer (poln. Podkomorzy) war in früheren Zeiten ein hervorragender und angesehener Beamter gewesen: princeps nobilitatis. Unter der russischen Regierung sank die Würde zu einem bloßen Titel herab. Zuweilen fungirte er noch als Richter in Grenzstreitigkeiten, verlor aber schließlich auch diesen Theil der Jurisdiktion. Jetzt vertritt er manchmal den Marschall (den Vorsitzenden der Kreisversammlungen, »Sejmiki«) und ernennt die »Komornik's« oder Bezirksfeldmesser.

10 Der Gerichtsfrohn (poln. Wozny) oder »General« wird durch Tribunals- oder Gerichtsbeschluß aus der erbgesessenen Schlachta gewählt. Er hat Vorladungen zu überbringen, Intromissionen (Besitzergreifungen) zu proclamiren, Localbefunde aufzunehmen, die Parteien aufzurufen u. dgl. Gewöhnlich verwaltete der niedere Adel dieses Amt.

11 Es ist eine kalte Rahmsuppe mit Ingredienzien von Fleischstücken u.s.w. Der Ausdruck der Übertragung ist nicht ganz genau, wurde aber als der relativ ansprechendste gewählt. (d.Ü.)

12 Podczaszyc (»Mundschenksohn«), zumeist ein leerer Titel, ganz im Sinne der in der Anm. 8 erwähnten. (d.Ü.)

13 (Wörtlich: Man lief ihm nach, wie einem »Rarog«.) Rarog, eine Habichtsart. Bekanntlich fliegen die kleineren Vögel, namentlich die Schwalben, schaarenweise hinter den Habichten her. Daher das Sprichwort: Nachlaufen, wie einem Rarog. (Im Deutschen, welches jenes Sprichwort nicht kennt, schien es gerathen, den fremden Ausdruck zu vermeiden. d.Ü.)

14 Vgl. Anm. 2. (d. Ü.)

15 In Rußland giebt's eine Unzahl Volkssagen von den Zaubereien Bonaparte's und Suwarow's.

16 Die Assessoren stehen der Landespolizei in den Kreisen vor. Nach den Ukasen werden sie bald von den Bürgern gewählt, bald von der Regierung ernannt. – Auch die Appellationsrichter führen den Namen »Assessoren«, doch sind nicht diese hier gemeint.

»Notar« (poln. Rejent, was im deutschen »Regent« heißen und ganz sinnlos klingen würde; heutzutage versteht man unter dem »Rejent« vornehmlich den »Notar«. In der Übertragung wurde daher dieser Ausdruck gebraucht, zumal die amtlichen Functionen des »Rejent,« wie sie damals in Lithauen bestanden haben, wird unser Gedicht nicht entfernt berühren. Mickiewicz macht zu diesem Worte folgende Bemerkung:) Die Actuariats-»Regenten« verwalten die Kanzlei; die Decrets-»Regenten« schreiben das Urtheil: alle aber werden von den Gerichtsschreibern ernannt. (Diese Letzteren waren höhere Beamte; das poln. »Pisarz«, das eben nichts Anderes heißt, als Schreiber, hat doch als Amtsbezeichnung eine ganz andere Bedeutung, als das entsprechende deutsche Wort. d.Ü.)

17 Joseph Graf Niesiolowski, der letzte Wojewode von Nowogrodek, war Präses der revolutionären Regierung während des Jasinski'schen Aufstandes (1794).

18 Georg Bialopiotrowicz, der letzte »Schreiber« (s.Anm. 16. Schluß) des Großfürstenthums Lithauen, nahm thätigen Antheil an der Erhebung Lithauens unter Jasinski: er war Richter über die Staatsgefangenen zu Wilno. Ein seiner Tugenden und seines Patriotismus wegen in Lithauen sehr verehrter Mann.

19 In Sluck befand sich eine in ganz Polen berühmte Fabrik für Goldbrocat und massive (gediegene) Gürtel, die durch Tiesenhaus noch vervollkommnet wurde. (Anton Tiesenhaus, ein ausgezeichneter Staatsmann zur Zeit des letzten polnischen Königs, Stanislaw August Poniatowski, der in energischester Weise die Hebung der wirthschaftlichen Zustände Polens wirkte und sich auf diesem Gebiete große Verdienste erwarb; er bekleidete die Würde eines Schatzkanzlers von Lithauen. d.Ü.)

20 Die »Vovanda,« ein schmales längliches Büchlein, in welches die Namen der processirenden Parteien, nach der Reihe der Geklagten, verzeichnet wurden. Jeder Advocat und Gerichtsfrohn mußte eine solche »Vocanda« besitzen.

21 Vgl. hiezu, wie überhaupt zu diesem ganzen Abschnitt, die Anm. 2. (d.Ü.)

22 General Kniaziewicz übermittelte, als Abgesandter der italienischen Armee, dem französischen Directorium die im Kampf erbeuteten Fahnen. Vgl. Anm. 2.

23 Fürst Jablonowski, der Führer der Donaulegion, starb in San Domingo, und fast die ganze Legion ging dort – theils im Kampf, theils am gelben Fieber – zu Grunde. In der Emigration giebt's noch einige Veteranen aus jener unglückseligen Expedition, unter Andern General Malachowski. Vgl. Anm. 2.

Zweiter Gesang

[31] Zweiter Gesang.
Das Schloß.

Jagd mit Windspielen auf das aufgespürte Wild. – Der Gast im Schlosse.– Der letzte der Hofleute erzählt die Geschichte des letzten der Horeszko. – Ein Blick in den Obstgarten. – Das Mädchen in den Gurken. – Das Frühstück. – Frau Telimene's Petersburger Anekdote. – Neuer Ausbruch der Feindseligkeiten von wegen Mutz und Falk. – Robak's Intervention. – Vorschlag des Wojski. – Die Wette. – Auf in die Pilze!


Wer könnte der Zeit vergessen, da er, ein kleiner Held,
Die Flinte auf der Schulter, pfeifend schritt auf's Feld:
Da war kein Zaun, kein Bergwall, der dir Müh' gemacht,
Gingst über fremde Raine, sorglos und unbedacht!
Denn ein Jäger in Lithauen ist wie ein Schiff im Meer:
Wo und wohin du willst, da schweift er kreuz und quer!
Sei's, daß er in den Himmel blickt, wie ein Prophet –
Denn viele Zeichen giebt's dort, die er gar wohl versteht –
Sei's, daß er, wie ein Zaub'rer, mit der Erde spricht,
Die stumm ist für den Städter, doch für den Jäger nicht.
Willst du die Schnarre suchen, die dort im Gras geschrie'n?
Umsonst! der Hecht im Niemen schießt schneller nicht dahin!
Die Morgenglocke des Frühlings, hörst du wie sie dir rief?
Die Lerche ist's – die birgt sich im Blau nicht minder tief!
Horch, wie der breite Flügel des Adlers droben weht!
Die Spatzen schreckt er auf, wie Czaren ein Komet,
[32] Und hoch im Äther hangend, schlägt und schüttelt die Schwinge
Ein Habicht, wie an der Nadel gespießte Schmetterlinge;
Nun zeigt sich ein Vogel, ein Hase – drunten, im Thale fern:
Da stürzt er auf ihn nieder, wie ein fallender Stern.
Wann läßt der Herr das Ende der Irrfahrt uns erschau'n,
Daß wieder auf heimischer Erde wir uns're Hütte bau'n,
Und dort als Reiter fechten, wo's Hasen gilt zu schlagen,
Und dort im Fußvolk dienen, wo's Vögel gilt zu jagen –
Und Sens' und Sichel macht die ganze Rüstung aus,
Und keine andre Zeitung, als Rechnungen für's Haus!?
Ob Soplicowo ging die Sonne auf, – ihr Feuer
Strahlt schon auf's Dach und stiehlt sich durch Sparren in die Scheuer,
Und über die dunkelgrüne, duft'ge Lagerstatt,
Die sich das junge Volk aus Heu bereitet hat,
Ergießt sie goldne Streifen durch das offne Dach, –
Wie Bänder in schwarzen Flechten, so flimmert's durch's Gemach.
Der Schläfer Lippen kitzelt sie mit dem Strahl und neckt,
Wie ein Mädchen den Buhlen mit einem Kornhalm weckt.
Schon springen und singen die Spatzen, zum dritten Mal hat schon
Der Gänserich gegackert – auch haben in gleichem Ton
Truthähne und Enten erwidert in allgemeinem Chor,
Und ausgetriebener Heerden Gebrülle schlägt an's Ohr.
Aufsteh'n die jungen Leute; Thaddäus ist noch nicht erwacht;
Er war auch zuletzt entschlummert. Kam er doch diese Nacht
Vom Mahle so erregt, daß, als der Hahn schon krähte,
Er noch kein Aug' geschlossen, und nur sich wälzt' und drehte,
Bis er in's Heu, wie in Wasser, versank – und schlief recht hart.
Nun bläst ihm ein kalter Wind in's Aug' – die Thüre knarrt,
Geräuschvoll tritt in die Scheuer und ruft mit strengem Ton
Der Bernhardiner Robak: »Erhebe dich, mein Sohn!«
Und schwingt ihm über die Schulter zu einem derben Streich
Den langen Strick der Mönche – es traf nicht allzuweich.
[33] Im Hofe hört man schon der Jäger lauten Chor,
Man führt die Pferde heraus, die Wagen fahren vor,
Der weite Raum des Hofes faßt kaum die Schaaren all',
Man öffnet die Hundeställe, es schmettert Hörnerschall;
Anstürzen die Hunde und winseln vor Lust, wie da erscheinen
Die Hetzer mit ihren Pferden, die Jäger mit den Leinen –
Die Rüden sind wie toll, sie wedeln, rennen, springen,
Dann kommen sie wieder und strecken die Hälse nach den Ringen.
Nach solchen Zeichen darf man sich gute Jagd versprechen;
Endlich giebt der Kämmerer die Ordre, aufzubrechen.
Sacht, Einer hinter dem Andern, reiten die Jäger hinaus;
In langer Reih' entwickeln sie sich erst vor dem Haus; –
In ihrer Mitte reiten Assessor und Notar:
Und sah es sich auch zuweilen mit Abscheu an, das Paar:
Doch sprach es freundschaftlich, – nach ritterlichem Gebot,
Wenn sich entscheiden soll ein Streit auf Leben und Tod.
Kein Wort verrieth an ihnen des Herzens Grimm und Trutz, –
Falk läuft mit dem Assessor und der Notar führt Mutz.
Die Damen folgen in Kutschen, die Jünglinge zur Seiten,
Die, mit den Damen plaudernd, dicht an den Rädern reiten.
Im Hof schritt Pater Robak langsam auf und nieder,
Sein Morgengebet beschließend; doch blickt er hin und wieder
Auf Herrn Thaddäus, erst finster – dann lächelt er ihn an
Und winkt ihm mit dem Finger. Thaddäus reitet heran:
Den Finger an der Nase, droht ihm der Priester still;
Doch wie auch Thaddäus forscht, was das bedeuten will,
Wie er auch bittet und fragt: Robak erwidert nicht,
Blickt ihn nicht an; schiebt seine Kapuze in's Gesicht,
Und endigt sein Gebet; – bis, da kein Bitten frommt,
Thaddäus weiter reitet und zu den Freunden kommt.
Die Jäger hielten eben ihre Meuten an,
Und still auf seinem Platz verharrte Jedermann;
Die Einen gaben den Andern das Zeichen tiefster Ruh'
Und Alle wandten die Blicke jenem Steine zu,
Auf dem der Richter stand. Er hat ein Wild erseh'n,
[34] Winkt mit der Hand Befehle herüber. Alle versteh'n.
Sie halten stille. Mitten im Kreise traben nur
Assessor und Notar gemessen über die Flur.
Thaddäus war Beiden voran, hält an des Richters Seite
Und seinen Blicken folgend, späht' er rings in's Weite.
Er hatte schon lange nicht gejagt; im grauen Thal
War's schwer, den Grauen zu seh'n, und im Gestein zumal, –
Der Richter zeigt ihm die Stelle. Lampe, der Ärmste, sitzt
Unter's Gestein geduckt, die beiden Löffel gespitzt,
Das rothe Auge sieht der Jäger spähenden Blick,
Und wie verzaubert, fühlend das eherne Geschick,
Kann er den Blick nicht wenden, vor lauter Angst und Schreck;
So sitzt er unter'm Stein versteinert auf dem Fleck.
Jetzt nähert sich der Staub, wächst immer mehr und mehr –:
Mutz jagt am Leitseil, Falk ist hurtig hinter ihm her –
Assessor und Notar schrei'n hinten im Verein:
»Hetz! Hetz!« und sammt den Hunden hüllt der Staub sie ein.
Indessen so die Meute den armen Hasen hetzt,
Erscheint denn auch am Schloßwald der junge Graf zuletzt.
Der Herr kommt nie – das weiß man in der ganzen Runde, –
Wann und wohin es sei, zur festgesetzten Stunde;
So hat er auch heut' verschlafen – die Diener büßten's dann –:
Wie er die Jäger gewahr wird, sprengt er rasch heran;
Der lange weiße Rock, nach englischer Mode geschnitten,
Spielt mit den Schößen im Wind; die Diener, die hinten ritten,
Waren mit weißen Hosen und Spencern angethan
Und streifigen Stiefeln; die Hütchen sah'n sich wie Schwämmchen an,
So klein und schwarz und glänzend; Bediente in solchem Gewand
Werden im Palaste des Grafen Jockey's genannt.
Flink sprengen seine Leute auf den Wiesenplan, –
Da sieht der Graf das Schloß und hält den Renner an:
Er hatt' es nie des Morgens geseh'n, – nun glaubt er kaum,
Das wären dieselben Mauern: so war der ganze Raum
Vom Morgenstrahl verschönt, mit neuem Glanz geschmückt, –
Der Graf betrachtet es verwundert und entzückt.
Der Thurm scheint zweimal höher, weil über den Nebel gestreckt,
[35] Das blecherne Dach vom Lichte mit hellem Gold bedeckt,
Der Rest der zerschlagenen Scheiben glitzert in den Gittern,
Wie die gebrochnen Strahlen buntfarbig sie durchzittern;
Die untern Stöcke sind vom Nebeldunst umwallt,
Dem Aug' verhüllt sich so jedweder Riß und Spalt;
Vom Winde getragen, hallt der Jäger Schreien und Tollen
Oft an den Mauern wieder: man hätte schwören sollen,
Es lärme so im Schlosse, – unter der Nebelhülle
Sei es auf's neu' erbaut und Leben dort in Fülle.
Der Graf liebt' alles, was neu war und außerordentlich:
Das nannte er romantisch. Er sagte oft von sich,
Er sei ein romantischer Kopf; und man muß wirklich sagen:
Er war ein eigener Kauz. Oft konnt' er im besten Jagen
Stillsteh'n und kläglich starren in den Himmelsraum,
Wie ein Kater nach Spatzen auf hohem Fichtenbaum.
Oft irrt' er ohne Hund und Flinte durch den Hain,
Wie ein entlaufener Rekrut; saß oft allein
Ganz steif am Bach und neigte über die Fluth sein Haupt,
Wie ein Reiher, der mit den Augen alle Fische raubt;
Das waren so seine Grillen. Man kam auch überein,
Bei ihm sei's nicht ganz richtig. Doch ehrt man ihn allgemein:
Ein reicher Herr mit ur-uraltem Wappenschild,
Leutselig gegen die Nachbarn, gegen die Bauern mild,
Ja, gegen die Juden sogar.
Jetzt trabte des Grafen Roß,
Vom Wege abgelenkt, geradehin zum Schloß.
Dort steht er einsam, seufzt, blickt zu den Mauern auf,
Zieht Stift und Papier heraus – und zeichnet Figuren drauf.
Da sieht er sich um: von ihm wohl zwanzig Schritt fern,
Steht da ein Mann – der sieht Dergleichen auch wohl gern –
Den Kopf emporgeworfen, in den Taschen die Hände,
Als zählt' er mit dem Blick die Steine dieser Wände.
Der Graf erkennt ihn gleich; doch eh' er nicht mehrmals schreit,
Hört ihn Gervasius nicht. Der war in früh'rer Zeit
Im Dienst der Herrn, die einst geherrscht auf diesem Schloß, –
[36] Ein Schlachcic, und der Letzte von Horeszko's Troß.
Ein hochgewachs'ner Greis, mit rauhen, verdüsterten Zügen,
Gesundem, frischem Antlitz, das zahllose Furchen durchpflügen.
Einst war er in der Schlachta der Lustigste von Allen, –
Doch seit dem Kampf, in dem der letzte Schloßherr gefallen,
Ist er wie ausgetauscht; es sind schon viele Jahr',
Seit er auf einer Hochzeit oder Kirchmeß war –
Kein heit'res Lächeln sah man um seinen Mund seither,
Die witzigen Späße vernahm man von seinen Lippen nicht mehr.
Horeszko's Liverei trug er, wie einst, so jetzt,
Den Spencer mit den Schößen, mit gelben Tressen besetzt, –
Wohl nur vergilbt und golden gewiß in früh'rer Zeit, –
Halbböcke waren aus Seide ringsum genäht auf's Kleid,
Horeszko's Wappen: der Alte hatt' auch aus diesem Grunde
Den Übernamen »Halbbock« in der ganzen Runde.
Vom Lieblingsworte, das er stets im Munde trägt,
Ward ihm auch oft der Name »Herrlein« beigelegt –
Auch »Schartenkopf«: voll Scharten hatt' er die ganze Platte;
Er aber hieß Rembajlo, – welch' Wappenschild er hatte,
Ist nicht bekannt. Er selbst hat stets sich titulirt:
Den Schließer, – weil er einst im Schloß dies Amt geführt.
Den Schlüsselbund im Gürtel trug er noch immerfort
Am Band mit der Silberquaste, am altgewohnten Ort;
Zwar gab's nichts mehr zu öffnen; das Schloßthor stand nun offen,
Doch hatt' er für sein Amt Anstalten schon getroffen.
Zwei Thüren fand er – die setzt' er auf eigene Kosten in Stand,
Und schloß sie auf und zu tagtäglich mit eigner Hand.
Eins von den öden Zimmern hatt' er zum Heim erwählt;
Das Gnadenbrot beim Grafen hätt' ihm zwar nicht gefehlt,
Doch nirgends duldet's ihn – und wohl wird ihm erst dann,
Wenn er die Luft des Schlosses wieder athmen kann.
Nun sieht er den Grafen – zieht die Mütze schon von fern
Und ehrt mit einem Bückling den Blutsfreund seiner Herrn;
Die große Glatze, die schimmernd von Weitem herüberscheint, –
Zerkerbt, wie eine Raspel, im Kampf mit manchem Feind, –
Neigt er und streichelt sie; so tritt er näher heran,
[37] Bückt sich noch einmal tief, dann fängt er traurig an:
»Herrlein, Junker – erlauchter Herr Graf – wollt mir's verzeih'n:
Nicht Mangel an Respekt, Gewohnheit ist's allein –
Herrlein: das Wörtchen war bei allen Horeszko's Brauch,
Mein Herr, der letzte Truchseß, liebte das Wörtchen auch –
Herrlein, Ihr processirt nicht? ist's wahr: Ihr spart das Geld
Und duldet, daß Soplica dieses Schloß behält?
Ich glaub's nicht – doch wird üb'rall im Kreis davon gesprochen.«
Hier blickt er zum Schloß empor und seufzt ununterbrochen.
»Was Wunder, – es kostet viel und langeweilt noch mehr!«
Rief Jener, »Ich will's enden. Nur steift er sich so sehr,
Der leidige Schlachcic. Er weiß: er nergelt mir's heraus –
Ich bin auch schon mürb' geworden, und halt' es länger nicht aus:
Vergleich' uns das Gericht, ich will dann gerne weichen.«
»Vergleichen!« schrie Gervasius, »mit den Soplica's vergleichen!
Herrlein, mit den Soplica's?« und während er so spricht,
Verzieht er den Mund, als faßt' er die eignen Worte nicht –
»Soplica und Vergleiche! Herrlein! ein Spaß, ein Witz, –
Nicht wahr, mein Junker? – Dies Schloß, Horeszko's Rittersitz,
Dies in Soplica's Händen? Beliebt nur abzusteigen –
Geh'n wir in's Schloß – ich bitte, laßt es Euch nur zeigen.
Ihr wißt nicht, was Ihr thut. Neigt gnädig Euren Sinn.
Sitzt ab, Herr!« spricht's und hält zugleich den Bügel hin.
Sie traten in's Schloß. Der Alte hielt vor der Thür der Halle.
»Hier,« sagt' er, »pflegten die Herrn und rings die Mannen alle
In früheren Zeiten zu sitzen, zur Nachmittagszeit,
Hier schlichtete der Herr den Bauern manchen Streit;
In guter Laune, erzählt' er Geschichten seinen Gästen,
Oft gaben wieder diese allerlei Schwänke zum Besten,
Indessen die jungen Leute dort in des Hofes Mitten
Mit Stöcken fochten oder des Herrn Bachmate beritten.«
Sie traten in die Halle, und Gervasius sprach:
»Nicht so viel Steine pflastern dies riesige Gemach,
Als Fäßchen Weines hier gesprungen dazumal. –
[38] Zum Kreistag oder Landtag versammelt in diesem Saal,
Wohl auch zu des Herrn Geburtstag oder zur Jagd berufen,
Zog hier die Schlachta mit Riemen aus dem Keller die Kufen;
Auf diesem Chor stand immer die Kapelle beim Mahl
Und spielte Orgel 1 und Instrumente ohne Zahl, –
Und wenn dann toastirt ward, da brauste Hörnerklang,
Als wie am jüngsten Tag. In wohlgeordnetem Gang
Folgt Vivat auf Vivat: das erste wird dem König gebracht,
Drauf wird des Primas, drauf der Königin gedacht,
Der Schlachta und der ganzen Republik sodann –
Nun, nach dem fünften Glas, da stieß man fröhlich an:
›Lieben wir uns!‹ Nun: Vivat! Unaufhörlich dröhnt' es!
Bei Tage hatt' es begonnen, bis an den Morgen tönt' es!
Und da standen schon für alle die fröhlichen Schaaren
Fuhren und Kutschen bereit, um Jeden nach Haus zu fahren.«
So geh'n sie durch mehrere Stuben. Des Alten Auge blieb
Still haften hie und da; bald trüb und bald so lieb
Gemahnt ihn hier die Wölbung und dort die Mauerwände;
Zuweilen, als wollt' er sagen: »Nun ist ja Alles zu Ende!«
Schüttelt er kläglich das Haupt, abwehrend winkt die Hand,
Als wollt' er die Erinnerung, die hier ihm neu erstand,
Fortscheuchen – und mit ihr auch die erneute Qual.
Nun steh'n sie oben, im ehemaligen Spiegelsaal:
Jetzt sind die Spiegel zertrümmert, die Rahmen leer, – entlang
Der scheibenlosen Fenster zieht sich ein Bogengang.
Dem Thor gegenüber.
Der Alte hat sein Haupt geneigt,
Bedeckt sein Gesicht mit den Händen, – und wie er's wieder zeigt:
Liegt tiefes Weh und Verzweiflung darüber ausgebreitet.
Der Graf versteht wohl nicht, was alles dies bedeutet;
Doch wie er dies Antlitz sieht, da rührt es ihn so eigen.
Er drückt ihm die Hand. Ein Weilchen währte dieses Schweigen,
Dann bricht es der Greis und schüttelt die erhob'ne Rechte:
»Nein, Junker! Nein, kein Friede zwischen Horeszko's Geschlechte
Und diesen Soplica's! In Euch fließt ja Horeszko's Blut,
[39] Ihr seid dem Truchseß verwandt – ja, Herr, das weiß ich gut,
Von der Frau Jägermeist'rin, Eurer Mutter, her,
Sie war die zweite Tochter des Kastellans, und der
Ein Oheim meines Herrn. – Nun hört, was hier einmal
Euer Geschlecht erlebt hat, hier in diesem Saal.
Mein seliger Herr, der Truchseß, altadlig, stolzgesinnt,
Der Erste und Reichste im Kreis – der hatte ein einzig Kind,
Ein Mädchen, schön, wie ein Engel; viel Herrn werth und fein,
Umschwärmten denn gar eifrig des Truchseß Töchterlein.
Nun traf sich's, daß sich darunter ein Brausekopf befand,
Ein Raufbold, Jacek Soplica, – im Scherz Wojewode genannt,
Er galt in der Wojewodschaft auch wirklich nicht gering,
Weil Alles im Hause Soplica nach seinem Pfeifchen ging,
Ihre dreihundert Stimmen hielt er in der Hand,
Und hatte doch Nichts, als nur sein Stückchen Ackerland,
Den Säbel und einen Schnauzbart, von Ohr zu Ohr, so lang.
Der Blitzkerl fand beim Truchseß gar gnädigen Empfang;
Zumal wenn Kreistag war, lud er ihn in den Palast,
Um seine Familienpartei zu ködern, oft zu Gast.
Dem Schnauzbart stieg's zu Kopf – und wahrlich, er träumte schon,
Was glaubt ihr wohl, zu werden? des Schloßherrn Schwiegersohn.
Nun kam er ungebeten in's Schloß, so oft's ihn gelüstet,
Und hatte sich endlich bei uns ganz heimisch eingenistet.
Schon sollt' er sich erklären; da merkte man's bei Zeiten,
Und ließ ihm denn zu Tische die schwarze Suppe 2 bereiten.
Das Töchterlein, so schien es, war ihm wohl geneigt,
Doch hat sie vor den Eltern nie was davon gezeigt.
Es war zu Kosciuszko's Zeiten; die Charte vom dritten Mai 3
Wollt' unser Herr vertheidigen – und sammelte seine Partei,
Den Konföderirten ein Hilfsheer der Schlachta zuzubringen,
Als plötzlich russische Haufen Nachts unser Schloß umringen.
Wir hatten kaum noch Zeit, um zum Allarm zu schießen,
Die untern Thore zu sperren und mit Riegeln zu schließen.
Im Schloß war nur der Herr, die Frau, ich, ein Lakai,
Der Koch mitsammt zwei Jungen, besoffen alle drei,
[40] Der Propst und vier beherzte Haiducken: Nun zum Gewehr –
Und an die Fenster! Schon braust ein lautes Hurrah daher,
Auf die Terrasse stürmt ein Troß heran, vom Thor;
›Zurück!‹ so donnern wir ihm aus zehn Gewehren in's Ohr –
Nichts sah man; unten schoß fortwährend die Dienerschaft,
Vom Gange aus der Herr und ich aus voller Kraft.
Alles ging schön und recht, trotz großer Bangigkeit.
Hier auf dem Boden lagen zwanzig Flinten bereit,
Kaum hatten wir eine verschossen, reicht man die andre dar:
Ein Dienst, bei dem der Propst mit Eifer thätig war,
Ferner die Herrin, das Fräulein und die Damen all'.
Drei Schützen waren da, und doch ging's Knall auf Knall!
Während die Russenkerle von unten hageln und toben,
Schießen wir nur vereinzelt, doch sicherer, von oben.
Die Lümmel drangen drei Mal fast bis an die Thür,
Doch jedes Mal verreckten ihrer drei dafür.
Schon tagt's. Die Feinde flieh'n, zum Magazin gewandt.
Froh trat der Herr auf den Gang, die Flinte in der Hand,
Wie eine Russenschnauze sich um die Mauer stahl,
Stracks! gab er Feuer und traf ganz herrlich jedes Mal.
Ein schwarzer Tschako lag nach jedem Schuß im Grünen,
Nur selten Einer mocht' sich noch vorzugucken erkühnen.
Wie nun der Truchseß sieht, daß so die Feinde verzagen,
Greift er zum Säbel, will nun einen Ausfall wagen;
Vom Gang aus ruft er den Dienern Befehle in's Gemach
Und wendet sich dann zu mir: ›Gervasius, mir nach!‹
Da knallt es unter dem Thor: mein Herr fährt stöhnend empor,
Wird roth, dann bleich, will sprechen, Blut quillt aus dem Mund hervor –
Da sah ich, genau in der Brust, die Unglückskugel stecken,
Sah meinen wankenden Herrn zum Thor den Finger strecken –
Ich hab' ihn erkannt, den Schurken Soplica! Ich hab' ihn erkannt,
Am Wuchs, am Schnurrbart! Ja, es fiel von seiner Hand
Der Truchseß – ich hab's gesehen! Noch hielt er die Flinte empor!
Der Elende! noch sah ich's rauchen aus dem Rohr!
Ich zielte auf ihn, – versteinert stand der Bösewicht,
[41] Und zweimal gab ich Feuer und zweimal traf ich nicht –
Zielt' ich aus Wuth so schlecht? aus Schmerz und Herzensnoth? –
Ich hörte die Weiber schrei'n – sah hin: mein Herr war todt.«
Hier schwieg Gervasius, von Thränen übermannt;
Dann schloß er: »Schon wurden vom Feind die Thore eingerannt,
Denn als mein Herr gefallen, stand ich fassungslos da,
Daß ich von allem, was vorging, Nichts hörte und Nichts sah.
Zum Glück kam Parafianowicz mit zweihundert Mann,
Mit den Mickiewicz's aus Horbatowicze heran,:
Ein zahlreiches Geschlecht von lauter tapfern Leuten,
Und Feinde der Soplica's seit unvordenklichen Zeiten.
So fiel ein solcher Herr, fromm, mächtig und gerecht;
Senatoren, Feldherrn, Ritter zierten sein Geschlecht;
Ein Vater der Bauern, ein Bruder der Schlachta – und kein Sohn
Schwur auf des Edlen Grabe dem Mörder seinen Lohn!
Doch hatte er treue Diener. Wie ich sein Blut sah fließen,
Drein taucht' ich mein Rappier, das sie Federmesser hießen –
Von meinem Federmesser vernahmt ihr sicher schon,
Jedweder Land- und Kreistag und Jahrmarkt spricht davon –
Auf der Soplica Nacken schwor ich es schartig zu schlagen,
Bei Einritten hetzt' ich sie, auf Land- und Jahrmarktstagen;
Zwei hab' ich im Streit zerhackt, zwei im Duell zersägt,
Noch Einem in einem Holzbau Feuer untergelegt,
Als wir in Korelicze mit Rymsza eingeritten:
Er schmorte, wie ein Bratfisch; die Ohren abgeschnitten
Hab' ich Gott weiß, wie vielen – nur ein Einziger blieb,
Dem ich noch gar kein Merkmal in den Nacken hieb:
Das erzleiblichste Brüderlein jenes Schnauzbarts lebt!
Lebt noch, bläht sich im Reichthum, und seine Feldmark strebt
An's Schloß der Horeszko heran – ja, er ist beim Gelichter
Im Kreis gar angesehen, hat ein Amt, ist Richter!
Und ihm dies Schloß? Sein Fuß, der niederträchtige, soll
Das edle Blut wegwischen, das hier zur Erde quoll?
Nein! Nein! So lang' Gervas für einen Heller Leben
Und Kraft hat, um mit dem kleinen Finger nur zu heben
[42] Das Federmesser, das noch bis nun hängt an der Wand:
Wird dieses Schloß Soplica's Eigen nicht genannt!«
»O!« rief der Graf und streckte die Hände hoch empor –
»Als mir die Mauern gefielen, da fühlt' ich's richtig vor!
Ahnt' ich auch nicht die Schätze, die in ihnen lagen,
So viele dramatische Scenen, so viele Mären und Sagen!
Bin ich erst Sieger – nenn' ich das Schloß der Väter mein:
Gervasius, fürwahr, du sollst mein Burggraf sein!
Was du erzählt, es hat mich so mächtig gefesselt, gerührt –
Nur schade, daß du mich des Nachts nicht hergeführt:
Auf Trümmern säß ich, den Mantel malerisch geschlungen,
Und du entrolltest blutige Erinnerungen.
Schad' auch, daß dir die wahre Darstellungsgabe fehlt,
Oft hört' ich und las von Dingen, wie du sie mir erzählt,
In England und Schottland waren alle Burgen der Lords,
In Deutschland die Schlösser der Grafen Schauplätze mannigen Mords;
Erzählt doch jedes alte, mächtige, edle Haus
Von irgend einem Frevel oder blutigen Graus;
Die Rache wird vom Erben als Erbstück überkommen;
In Polen ist dies der erste Fall, den ich vernommen,
Ja, ja, das Blut der Horeszko fühl' ich in mir nun recht,
Weiß, was ich der Ehre schulde und meinem edlen Geschlecht, –
Ja, mit Soplica ist alles Verhandeln abzubrechen,
Müßt' auch zuletzt die Kugel oder die Klinge sprechen!
Die Ehre will's!« Ausschritt er feierlich, wie er's sprach.
In tiefem Schweigen ging Gervasius ihm nach.
Der Graf hielt vor dem Thor – sprach mit sich selbst – auf's Schloß
Hinblickend schwingt er sich dann hurtig auf sein Roß,
Und endet in tiefem Sinnen den Monolog also:
»Ach, hätte der alte Soplica ein Weib – wie wär' ich froh!
Oder ein Töchterlein, – das hielte mich gefangen
Mit holdem Reiz: ich liebte, und könnt' sie nicht erlangen!
Was für Verwicklung gäbe das der Märe nicht!
Dort Ehre – hier das Herz! Hier Liebe, dort die Pflicht!«
So murmelnd drückt er dem Roß die Sporen in die Seite;
[43] Da reiten aus dem Walde drüben die Jägersleute;
Er jagt sehr gern, und kaum erblickt' er sie: im Nu
War Alles vergessen; er sprengt gerade auf sie zu,
Vorbei an Thor und Gärten und Zäunen – plötzlich fällt
Sein Blick auf einen Zaun, an dem er stille hält.
Da war ein Obstgarten.
In Reihen aufgestellt,
Beschatten die Fruchtbäume die Beete im weiten Feld.
Sieh', wie der Kohl da sitzt, den würdigen Kahlkopf senkt
Und des Gemüses irdisch Schicksal überdenkt;
Die schlanke Bohne dort betrachtet der Rübe Köpfchen
Mit tausend Augen, und flicht die Schoten ihr in's Zöpfchen;
Hier hebt der türkische Weizen den goldnen Busch empor,
Stellenweis streckt den Bauch ein dicker Kürbis vor,
Der sich von seinem Stengel gekollert hat in's Weite,
Ein Gast der rothen Rüben ganz auf der andern Seite. –
Die Beete durchschneiden Raine; da steh'n vor jedem Gebiet
Hanfstauden in den Gräben, zur Wacht in Reih' und Glied:
Cypressen des Gemüses, so still, gerad' und grün.
Mit Duft und Blättern schützen sie der Pflanzen Blüh'n,
Die Natter zieht sich zurück, wo nur ihr Blätterwerk droht,
Und Raupen und Insekten bringt ihr Duft den Tod. –
Und wo die weißlichen Stengel des Mohns sich aufwärts schlingen,
Ist's nicht, als sähest du dort ein Heer von Schmetterlingen
Die zarten Flügel schütteln? und prächtige Edelsteine
Erblinken dort in buntem Regenbogenscheine?
So prangt berückend der Mohn. Und unter den Blumen thront,
Wie unter den himmlischen Sternen der volle, große Mond,
Die runde Sonnenblume – und folgt mit brennender Wange
Von Ost nach Westen hin des Sonnengottes Gange.
Buschlos und baumlos zieh'n sich Hügel am Zaun dahin,
Ganz schmal: hier wachsen Gurken, die, schön emporgedieh'n,
Die mächtigen Blätter weithin über die Beete strecken
Und wie mit faltenreichem Teppich sie bedecken.
Inmitten wandelt ein Mädchen, schneeweiß angethan,
[44] Das Maiengrün umfließt sie bis an's Knie hinan, –
Sie beugt sich über die Furchen und scheint da kaum zu schreiten,
Vielmehr im Grün zu baden und über die Blätter zu gleiten.
Ein Strohhut bedeckt ihr Haupt; zwei rosenrothe Schleifen
Weh'n von der Stirn herab und einige Lockenstreifen
Der aufgewickelten Zöpfe, die hell im Lichte blinken.
So geht sie, gesenkten Blicks, ein Körbchen an der Linken,
Die rechte Hand erhoben, als wollt' sie etwas fangen,
Wie Mädchen, wenn sie im Bade flink nach den Fischlein langen,
Die ihnen um's Füßchen spielen, so bückt sie sich, während sie sucht,
Mit Korb und Händen von Weile zu Weile nach der Frucht,
Sobald ihr Fuß sie anstößt oder ihr Aug' sie erblickt.
Der Graf, vom wundersamen Anblick ganz entzückt,
Lauscht leise. Sein Gefolge trabt von fern heran;
Er winkt ihm stillzustehen, – sie halten die Pferde an.
Mit ausgerecktem Halse schaut der Graf und späht,
Dem Kranich gleich, der fern vom Schwarm zur Lauer steht,
Auf Einem Fuß sich haltend, mit wachsam off'nen Blicken,
Im anderen Fuß ein Steinchen, um nicht einzunicken.
Da weckt ihn etwas, das ihm um Kopf und Rücken saust:
Es war der Pater Robak; der schwang in seiner Faust
Den Knotenstrick und donnert ihm zu mit grimmem Blick:
»Kerl, wollt Ihr den Strick verdienen? da habt Ihr ihn, den Strick!
Das wächst da nicht für Euch, – laßt mir die Früchte liegen,
Packt Euch! Da könnt Ihr Nichts, als etwa Schläge, kriegen!«
Dann winkt er ihm drohend, schiebt die Kapuze zurecht und geht;
Der Graf bleibt eine Weile noch am Gartenbeet,
Und lacht und flucht zugleich, daß man ihn so gestört.
Doch wie er die Blicke wieder nach dem Garten kehrt,
Da war sie nicht mehr dort; es blinkt nur im Fensterlein
Ihr weißes Kleidchen und der Schleife rosiger Schein.
Noch sieht man an den Beeten den Weg, den sie durchflogen:
Die grünen Blätter, im Lauf vom Füßchen leicht gebogen,
Erheben sich, zittern ein Weilchen – bis Alles ruhig wird,
Wie Wellen, über die ein Vöglein hingeschwirrt.
[45] Das Weidenkörbchen, weggeworfen auf der Flucht,
Hing, mit dem Deckel nach unten und beraubt der Frucht,
Noch auf den Blättern dort, an jener trauten Stelle,
Und schaukelte sich leise auf der grünen Welle.
Bald herrschte tiefe Stille ringsum – und unverwandt
Blickt nach dem Haus der Graf und lauscht und horcht gespannt;
Und wie er so immer sinnt, steh'n immer unbewegt
Die Jäger hinter ihm. Bis es sich plötzlich regt
Im stillen, einsamen Haus, – dann folgt ein jauchzend Lärmen,
Wie wenn die Bienen summend in ihre Stöcke schwärmen,
Ein Zeichen, daß die Gäste heimgekehrt vom Jagen,
Und daß die Diener geschäftig für's Frühstück Sorge tragen.
Auch ging's gar rührig zu an jedem Eck und Fleck,
Man trug die Speisen auf, Bouteillen und Besteck,
Die Männer stecken noch alle im grünen Jagdgewand,
Die geh'n durch's Zimmer, Glas und Teller in der Hand,
Essen und trinken, – die steh'n am Fensterpfosten und schwätzen
Von Flinten, Hunden und Hasen; ruhig auf ihren Plätzen
Sitzen der Richter und die Kämm'rerschaft bei Tisch;
Die Damen flüstern im Winkel. Es war ein buntes Gemisch,
Wie es wohl niemals vorkommt beim Mittag- und Abendbrode:
In altpolnischem Hause eine neue Mode!
Beim Frühstück duldet der Richter, daß man dergleichen thut,
So schwer es ihm auch fällt, – doch heißt er's niemals gut.
Verschied'ne Speisen trug man für Herrn und Damen auf;
Hier bringt man Kaffeebretter mit allem Geschirr darauf,
Großmächtige Tassen, bemalt mit zierlichem Blumenflor;
Aus blechernen Kannen steigt ein duftiger Dampf empor;
Daneben goldige Schalen aus sächsischem Porcellane;
Bei jeder Schale steht ein winziges Töpfchen Sahne. –
Ein Kaffee, wie in Polen, findet sich nirgends mehr;
Dort hat man in besseren Häusern, von alten Zeiten her,
Ein Weib, das Nichts, als Kaffee, zu bereiten hat,
[46] Die Kaffeefrau genannt – die holt denn aus der Stadt
Oder vom Marktschiff 4 Bohnen von feinster Qualität,
Die sie auch mit geheimen Künsten zu brau'n versteht.
Der Kaffee ist schwarz, wie Kohle, dabei wie Bernstein, klar,
Wie Honig dicht, und duftet, wie Mokka, wunderbar.
Was Rahm für den Kaffee bedeutet, weiß die ganze Welt:
Im Dorf ist's einfach; die Kanne wird zum Herd gestellt,
Dann geht die Kaffeefrau in die Milchkammer hinab,
Nimmt zart die frische Blüthe des Rahms von oben ab,
Und gießt sie für jede Schale in ein eignes Näpfchen,
Auf daß sein eignes Häutchen besitze jedes Töpfchen.
Die älteren Damen tranken ihren Kaffee bei Zeiten;
Sie waren früher auf, – nun sitzen sie und bereiten
Das zweite Gericht, zu dem man Warmbier und Sahne nimmt,
In welchem Gemisch noch Quarkkäs in kleinen Klümpchen schwimmt.
Die Männer haben zur Auswahl Spickgänse fein und zart,
Dann Schinken, Zungenscheiben, Rauchfleisch aller Art,
Vortrefflich Alles, Alles nach altem Hausmannsbrauch
Im Schornstein wohlgeräuchert bei Wachholderrauch;
Zum Schlusse kommen Klöpse; dann ist die Mahlzeit aus:
So frühstückt man gewöhnlich in des Richters Haus.
In zwei Stuben bilden sich zwei verschiedene Kreise:
Die Alten am Tischchen plaudern in gewohnter Weise
Von Wirthschaftssachen und manchem neuentdeckten Verfahren,
Von neuen, immer härteren Verordnungen des Czaren,
Der Kämm'rer bespricht die Bedeutung der neuen Kriegsgerüchte
Und schließt draus auf die nächste politische Geschichte.
Fräulein Hreczecha hat blaue Gläser aufgesetzt
Zum Kartenlegen, womit sie des Kämm'rers Frau ergetzt;
Die Jugend im zweiten Zimmer spricht immer noch vom Jagen,
Doch nicht so hitzig, wie sonst; warum, ist leicht zu sagen.
Assessor und Notar, Hauptredner alle zwei,
Die besten Schützen und ersten Kenner der Jägerei,
Die saßen gegen einander mürrisch und ärgerlich:
Sie hetzten beide so wacker! Jeder sah schon vor sich
[47] Seines Windspiels Triumph – da fand sich, mitten im Feld,
Ein Bauernacker, noch mit Sommersaat bestellt:
Hinschlüpfte der Hase; – sie sehen: schon greift ihn Falk, schon Mutz –
Da hält sie der Richter vom Fang zurück: der Saat zum Schutz!
Sie müssen gehorchen, wie sehr ihr Herz darob ergrimmt,
Die Hunde kamen – allein; und Niemand weiß bestimmt:
Entrann das Wild oder nicht? und Niemand kann errathen,
Ob es in Mutzens Rachen oder in Falk's gerathen,
Oder in beider zugleich – die Meinungen sind gespalten:
So bleibt des Zwistes Schlichtung der Zukunft vorbehalten.
Der alte Wojski geht von einem Zimmer zum andern,
Läßt seine Blicke schweifend nach allen Seiten wandern,
Mischt sich in kein Gespräch – ganz andre Dinge gehen
Ihm offenbar durch den Kopf; zuweilen bleibt er stehen –
Erhebt eine lederne Klappe, die er in Händen trägt:
Sinnt lange – bis er endlich eine Fliege erschlägt.
Thaddäus und Telimene nahmen die Schwelle ein
Zwischen den beiden Stuben und plauderten ganz allein;
Und weil das Paar nicht fern von läst'gen Zeugen stand,
So flüstert' es. Thaddäus erfuhr da allerhand:
Die Tante Telimene sei eine reiche Frau,
Die Blutsverwandtschaft binde sie gar nicht so genau,
Sie seien nicht kanonisch, vielleicht auch gar nicht verwandt;
Sie werde allerdings vom Oheim Schwester genannt,
Weil einmal ihre Eltern, der Jahre ungeachtet,
Die Beide sichtlich trennen, sie als Geschwister betrachtet.
Dann habe sie lange Zeit in Petersburg zugebracht
Und sich da um den Richter gar verdient gemacht,
Weshalb er sie hoch verehrte und gern geschehen ließ,
(Vielleicht aus Eitelkeit), daß er ihr Bruder hieß:
Was ihm Frau Telimene aus Freundschaft nicht verwehrt.
Thaddäus athmet auf, wie er das alles hört;
Auch giebt's noch manches And're, was man sich nun bekennt –
Und alles dies in Einem flüchtigen Moment.
[48] Im Zimmer zur Rechten aber beginnt jetzt der Notar
Beiläufig, dem Assessor zum Ärger: »Nun, nicht wahr?
Jetzt gelingt kein Jagen; gestern sagt' ich's doch:
Es ist zu früh, – das Korn steht in den Halmen noch,
Die Sommersaat der Bauern noch selten wo geschnitten, –
Drum hat auch heut' der Graf gefehlt in unsrer Mitten,
Wiewohl man ihn geladen. Der kennt die Jägerei!
Sprach oft darüber, wann und wo zu jagen sei;
Er lebte lang' im Ausland, schon seit den Kinderjahren,
Und pflegt zu sagen, das kennzeichne die Barbaren:
Zu jagen, wie bei uns üb'rall und allezeit,
Um kein Gesetz bekümmert und keine Obrigkeit,
So ohne Wissen des Grundherrn, mißachtend Grenz' und Rain,
Auf fremdem Grund zu reiten, – so durch Feld und Hain
Im Frühling, im Sommer, zu schweifen, wie das Herz begehrt, –
Nicht selten den Fuchs zu tödten, wenn er sich eben härt,
Die trächtige Häsin im grünenden Winterfeld zu fassen,
Und eigentlich sie von Rüden zu Tode quälen zu lassen,
Zum großen Schaden des Wilds. Weshalb der Graf auch klagt,
Daß uns Rußland heute an Cultur überragt; –
Dort giebt es Jagdukase, Aufsicht der Polizei,
Und Strafe für die Schuld'gen: dort sündigt man nicht frei!«
»Ja«, sagte Telimene, zum linken Zimmer gewendet,
Während sie mit dem Battisttuch den Schultern Kühlung spendet:
»Ja, meiner Treu, der Graf hat Recht, wenn er so spricht;
Ich kenne Rußland wohl; Herrschaften glaubten's nicht,
Wenn ich so oft gesagt, daß aus gar manchen Gründen
Die strenge Aufsicht gut sei, die üb'rall dort zu finden.
Ich war in Petersburg, nicht Ein Mal oder zwei, –
Ach, holde Erinnerungen! Wie weilt sich's gern dabei!
Welch' eine Stadt! War keiner der Herren dort? Wie Schade!
Interessirt Sie der Plan? Ich hab' ihn in der Lade.
Im Sommer geht die Gesellschaft auf die Datschen, auf's Land, –
Bezieht die Villen – ein Dörfchen wird russisch ›Datscha‹ genannt.
Ich wohnt' in einem Palästchen, das lieblich heruntersah
Von einem eigens errichteten Hügelchen – nicht zu nah'
[49] Der Stadt und nicht zu weit – ganz dicht am Newagestade:
War das ein Häuschen! Ich hab' den Plan noch in der Lade.
Da führt mein Unstern einen kleinen Tschinownik heraus,
Zu einer Untersuchung; der miethet ein Nachbarhaus;
Er hielt sich einige Hunde – dahin nun Glück und Ruh'!
Ein kleiner Tschinownik als Nachbar und Hundeställe dazu!
Trat ich nur mit dem Buch in meinen Garten ein,
Zu laben mich am Abend oder am Mondenschein,
Gleich rannte auch der Hund herbei und spitzte die Ohren
Und wedelte, – recht, als hätt' er den Verstand verloren.
Oft ward mir bang. Mein Herz ließ mich nichts Gutes hoffen
Von diesem Hund – die Ahnung ist auch eingetroffen.
Denn einst, als ich im Garten den Morgen wollt' genießen,
Erwürgt mir dieser Windhund den Liebling zu meinen Füßen:
Mein Bologneserhündlein! Ach, war das ein wonniges Thier!
Ich hatt' es vom Fürsten Sukin geschenkt zum Souvenir, –
Eichhörnchenartig lebhaft, und klug im höchsten Grade!
Sein Bildchen hab' ich noch – ich will nur nicht zur Lade;
Wie ich es todtgewürgt sah, mir wollten die Sinne vergehen, –
Herzklopfen bekam ich, Krämpfe – Was konnte noch sonst geschehen!
Zum Glück besucht mich eben der Jägermeister des Czaren,
Kirylo Gawrylicz Kozodusin; frägt, was mir widerfahren –
Und läßt den Tschinownik holen, – bei den Ohren, und gleich!
Der kommt mehr todt, als lebendig, schlotternd und schreckensbleich –
Was? donnert Kirylo ihm zu, du konntest im Frühjahr wagen,
Unter der Nase des Czaren die trächtige Hirschkuh zu jagen?
Der arme Teufel schwor vergebens hoch und theuer,
Die Jagden hätten bei ihm noch nicht begonnen heuer,
Das Thier da sei kein Hirsch, – vielmehr, so viel er glaube,
Ein Hund: mit Seiner Gnaden gütigsten Verlaube.
Wie, – schrie Kirylo, – Hallunk', du unterstündest dich
Von Thierclassen und Jagd mehr zu versteh'n, als ich,
Der Jägermeister des Czaren? So mag denn zwischen uns Beiden
Der Polizeidirector allsogleich entscheiden! –
Man ruft den Polizeichef, der's untersuchen soll.
Ich, sagte Kozodusin, gebe zu Protokoll,
[50] Das Thier sei eine Hirschkuh; er faselt, es sei ein Hund.
Nun, wer versteht das besser? Thu die Entscheidung kund. –
Der Polizeichef kannte seine Amtspflicht gut,
Erstaunte über des Tschinowniks frechen Muth,
Und gab ihm dann bei Seite den freundschaftlichen Rath,
Durch reuiges Bekenntniß zu sühnen seine That.
Kirylo verspricht begütigt, bei seiner Majestät
Zu wirken, daß ein mild'rer Urtheilsspruch ergeht;
Das Ende ist: daß man die Hunde erdrosseln läßt
Und der Tschinownik brummt vier Wochen im Arrest.
Wir lachten den ganzen Abend; Tags drauf ward überall
Die Anekdote erzählt, wie meines Hündchens Fall
Dem Oberjägermeister derart zu thun gemacht,
Sogar, ich weiß es sicher, der Kaiser hat gelacht.«
Nun lacht die ganze Gesellschaft. Der Richter spielte eben
Mariage mit Pater Robak und sollte was Wicht'ges geben,
Grün war Trumpf – der Pater athmete fast nicht mehr, –
Als die Geschichte begann; die fesselte ihn so sehr,
Daß er die ganze Zeit, den Kopf hinaufgewandt,
Die Karte, zum Schlagen bereit, erhoben in der Hand,
Still saß – und Robak kam nicht aus der Angst heraus.
Nun da sie geendet, spielt' er den Eichelober aus,
Und sagte lachend: »Ei nun, wer will, der rühme nur
Am Deutschen die Cultur, am Russen die Dressur!
Man führ' in Großpolen 5 die Schwabensitte ein,
Um Füchse zu processiren, und nach Gensdarmen zu schrei'n,
Wenn sich einmal ein Spürhund in fremdes Revier verrannt:
Die Sitte der Väter herrscht, Gottlob, im Lithauerland.
Wir haben Wild genug für uns und die Nachbarn auch,
Processe um Dergleichen, die werden bei uns nicht Brauch –
Auch an Getreide fehlt's nicht; wir werden nicht Hungers sterben,
Wenn uns einmal die Hunde einigen Kohl verderben;
Nur auf den Bauernhufen duld' ich den Jäger nimmer.«
»Ja, freilich!« rief der Verwalter aus dem linken Zimmer,
»Ihr zahlt auch, lieber Herr, recht theuer für solch ein Thier.
Die Bauern sind auch froh, wenn je in ihr Revier
[51] Ein Windhund rennt; zehn Halme, wenn er niedertritt:
Ihr zahlt dafür ein Schock – und seid noch immer nicht quitt.
Oft gebt Ihr einen Thaler dem Bauern obendrein, –
Glaubt, mit dem Volk wird's bald nicht auszuhalten sein,
Wenn –« Was der Herr Verwalter sonst für Belege bringt,
Vernimmt der Richter nicht mehr; denn dazwischen klingt
Spektakel, Spaßen, Erzählen auf zehn verschiedenen Seiten,
Ein Schwirren von Anekdoten – und endlich kommt's zum Streiten.
Thaddäus und Telimenen bemerkt man gar nicht mehr;
Sie aber denken an sich. Die Dame freut sich sehr,
Daß ihre Unterhaltung dem Jüngling so gefällt,
Wofür sie wieder von ihm viel Complimente erhält.
Immer langsamer, leiser spricht sie – Er nun thut,
Als hörte er im bunten Redegewirr nicht gut;
Und flüsternd tritt er näher, – nun fühlt er so ganz nah'
Der Stirne süßes Glüh'n! Beklommen steht er da,
Mit seinem Munde saugt er des Mundes Seufzer ein,
Mit seinem Blicke hascht er des Blickes Feuerschein.
Da flimmert zwischen die Lippen der Beiden jäh hinein
Erst eine Fliege, und Wojski's Klappe hinterdrein. –
In Lithauen giebt's viel Fliegen; darunter wohlbekannt
Eine besondere Art, Schlachcicenfliege genannt.
Nach Farbe und Gestalt nicht von den gemeinen zu trennen,
Nur an größerem Bauch und weiterer Brust zu erkennen.
Die saufen im Flug sehr laut – summen, kaum zum Ertragen,
Und sind so stark, daß sie ein Spinnennetz durchschlagen.
Bleibt aber eine hängen, so wird sie drei Tag schnaufen, –
Denn Leib an Leib vermag sie mit der Spinne zu raufen.
Das alles erforschte der Wojski und bewies noch mehr:
Nämlich, von ihnen stamme das kleinere Fliegenheer,
Sie seien im Fliegenreich, was Weiseln für die Bienen –
Vertilgte man sie, so stürben alle Insekten mit ihnen.
Zwar wagten sowohl der Pfarrer, als auch die Wirthschafterin
Die Theorien des Wojski stark in Zweifel zu zieh'n,
Und waren andrer Meinung über das Volk der Fliegen;
[52] Den Wojski und seine Gewohnheit konnte das nicht besiegen:
Kaum zeigt sich eine, geht er gleich mit der Klappe vor.
Jetzt summte ihm eben ein solcher Schlachcic über'm Ohr, –
Ein, zwei Mal schlug er, – erstaunte, sich heut' umsonst zu plagen,
Schlug nochmals – hätt' um ein Haar ein Fenster eingeschlagen, –
Bis daß die Fliege, vom Knallen betäubt, und am Entgeh'n
Gehindert von den Zweien, die auf der Schwelle steh'n,
Sich voll Verzweiflung zwischen die beiden Gesichter warf;
Und hurtig folgt ihr die Klappe. Der Schlag gerieth so scharf,
Daß gleich die beiden Köpfe von einander prallten,
Wie Hälften eines Baumes, den der Blitz gespalten.
Sie schlugen sich an den Pfosten recht stark, im raschen Schwung, –
Und hatten blaue Flecken zur Erinnerung.
Zum Glück blieb's unbemerkt. Denn unterhielt man sich
Bis nun zwar laut und lebhaft, doch ziemlich ordentlich,
So schloß man jetzt urplötzlich mit einem lauten Lärmen;
Wie Jäger, wenn sie zur Fuchsjagd durch die Wälder schwärmen,
Hier hört man Bäume krachen, dort Schüsse und Hundegebell, –
Da wird ein Eber plötzlich aufgejagt! Und schnell
Erhebt sich auf das Zeichen ein Lärm der Jäger und Hunde,
Als brausten alle Bäume der Wildniß in der Runde:
So ist es im Gespräch. Erst schleicht es ziemlich sacht:
Da wird ein großes Thema, ein Eber, aufgebracht. –
Den Eber bildete diesmal jenes berühmte Paar,
Um das sich grimmig bekriegten Assessor und Notar.
Kurz war's, doch thaten sie viel in einer kurzen Weile,
Denn so viel Injurien sagten auf einmal beide Theile,
Daß sie die drei Perioden des Zankens durchgenommen:
Das Sticheln, Wüthen und Fordern – und nun zum Raufen kommen.
Aus dem zweiten Zimmer stürzt denn Alles zur Stelle,
Wälzt sich durch die Thür, und wie eine wilde Welle
Trägt's unser Pärchen mit, das mitten in dem Brand,
Ein zweiköpfiger Janus, auf der Schwelle stand.
Noch ehe sich aber die Beiden ihr Haar zurecht gestrichen,
War der bedrohliche Handel schon glücklich ausgeglichen.
[53] In allen Reihen wird geflüstert und gelacht,
Der Bernhardiner hatte dem Zwist ein Ende gemacht:
Ein alter Mann, doch sehr breitschultrig und gewandt;
Schon war der Assessor auf den Juristen losgerannt,
Schon drohen einander die Kämpen, begierig dreinzuschlagen,
Da packt er Beide von hinten mit einem Ruck am Kragen,
Schlägt dann die harten Köpfe der beiden hitzigen Schreier
Ein- zweimal an einander, wie die Ostereier,
Und wirft, wie seine Arme sich von einander recken,
Mit einem Stoß die Beiden in zwei verschiedene Ecken.
Steht so ein wenig – einem Meilenzeiger gleich,
Und schreit: »Pax, pax vobiscum! Friede sei mit euch!«
Beide Parteien verwundern sich und lachen sogar, –
Allein aus Ehrfurcht vor dem geistlichen Talar
Wagt Niemand, den Mönch zu schelten. Es trägt auch Keiner Verlangen,
Mit ihm, nach solchen Proben, Händel anzufangen.
Doch war es ihm durchaus nicht um den Triumph zu thun.
Er schmählt und droht nicht weiter, nun da die Zänker ruh'n, –
Rückt die Kapuze zurecht, fährt dann mit beiden Händen
Still in den Gurt und geht.
Um Weiteres abzuwenden,
Setzt sich hierauf der Kämmerer zwischen die Parteien,
Der Richter neben ihn. – Doch, wie aus Träumereien
Erwacht, tritt nun der Wojski mit feierlichem Schritte
Und glühenden Aug's, die Reihen musternd, in die Mitte, –
Und wo ein leises Flüstern noch in's Ohr ihm dringt,
Dort schwingt er, wie der Priester den Weihewedel schwingt,
Die lederne Fliegenklatsche beschwichtigend auf und ab.
Zuletzt erhebt er würdig, wie einen Marschallstab,
Das Stielchen in die Höhe und gebietet Ruh':
»Still!« ruft er nochmals, »Freunde, erwägt doch, seht doch zu!
Die ihr im ganzen Kreis die ersten Jäger seid,
Wißt ihr's: was wird aus eurem immer ärgeren Streit?
Die Jugend, zu der das Land aufblickt so hoffnungsvoll,
Die unsere Waldreviere mit Ruhm bedecken soll,
[54] Die ach! auch so schon anfängt, die Jagd gering zu schätzen
Bestärkt's vielleicht auf's Neue, sie ganz hintanzusetzen, –
Da, die vorangeh'n sollten als Beispiel in allen Dingen,
Vom Waidwerk nichts als Hader und Zank nach Hause bringen!
Zollt auch gehörige Achtung meinen weißen Haaren!
Ich kannte größere Jäger, als ihr, in früheren Jahren, –
Und mußte oft als Schiedsmann über sie erkennen.
Wer konnt' in Lithauens Wäldern sich neben Rejtan nennen?
Und Georg Bialopiotrowicz, wer möcht' ihn heut' erreichen?
Im Angriff, in der Treibjagd, wo fänd' er seines Gleichen?
Wo steht wohl heut' ein Schütze, wie Schlachcic Zegota, auf,
Der mit der Pistolenkugel den Hasen traf im Lauf?
Ich kannte Terajewicz, der's niemals gelten ließ,
Zur Sauhatz etwas Andres zu nehmen, als den Spieß, –
Budrewicz, der es liebte, dem Bären zum Kampf zu steh'n –
Das waren Männer! das haben unsere Wälder geseh'n!
Und kam's zum Streit – nun wißt ihr, wie man's zu schlichten pflegte?
Indem man Richter erwählte und Pfänder hinterlegte:
So hat einmal Oginski hundert Hufen Wald
Um einen Wolf verspielt; dem Niesiolowski galt
Ein Dachs gar einige Dörfer, die er auch verlor;
So gingen euch die Alten mit gutem Beispiel vor.
Nun, meine Herren, macht's denn heut' nach ihrer Weise
Und schlichtet euren Zwist, sei's auch um kleinere Preise.
Das Wort ist Wind, beim Wortstreit wird man kein Ziel erjagen;
Wer wird um einen Hasen so lang' die Lunge plagen?
So wollet denn vor Allem Schiedsrichter euch bestellen,
Und fügt euch dann getreulich dem Urtheil, das sie fällen.
Ich will den Richter bitten, dem Spürmann nicht zu wehren,
Und sollt' er auch ein wenig das Weizenfeld verheeren, –
Und bürge, daß der Herr es gnädig geschehen läßt.«
Er spricht's, indem er den Richter leicht an den Knieen preßt.
»Ein Pferd, ein Pferd sammt Reitzeug,« rief nun der Notar,
»Das setz' ich ein – erkläre vor dem Landamt sogar,
Den Ring als Bürgschaft zu legen in des Richters Hand.«
»Ich« rief der Assessor »setze Halsbänder ein als Pfand,
[55] Goldne, mit goldenen Ringen, mit Schlangenfell belegt,
Dazu eine seid'ne Leine, die Aller Staunen erregt
Durch die gewirkte Arbeit und einen glänzenden Stein:
Das alles sollt' ein Erbtheil meiner Kinder sein,
Wenn ich heirathen sollte. Es schenkte mir's einmal
Fürst Dominik, 6 als ich einst mit ihm, mit General
Mejan 7 und mit dem Fürsten Marschall Sanguszko gejagt,
Und Alle mit meinen Hunden herauszufordern gewagt.
Es war auf der Au von Kupisko, wo das sich zugetragen;
Dort hab' ich, – unerhört ist's, seitdem nur Jäger jagen, –
Mit einer einfachen Füchsin sechs Stück Hasen erlegt.
Fürst Radziwill mußte vom Pferd, so tief war er bewegt, –
Und meine berühmte Hündin Kania umarmt' er entzückt;
Nachdem er ihr mitten auf's Köpfchen noch einen Kuß gedrückt,
Klatscht' er ihr auf die Schnauze dreimal mit der Hand
Und rief: ›Fortan sei Fürstin von Kupisko genannt!‹
Seinen Feldherrn giebt so Kaiser Napoleon
Von ihren Siegesstätten Fürstentitel zum Lohn.«
Telimena, gelangweilt von allen den Zänkerei'n,
Möcht' in den Hof hinaus, und ginge nicht gern allein.
Sie nimmt ein Körbchen vom Nagel: »Die Herren bleiben zu Haus,
So viel ich sehe: ich geh' in die Pilze hinaus!
Mir nach denn, wem's beliebt!« Und hüllt den Kopf sich ein
In's rothe Kachemirtuch, faßt dann das Töchterlein
Des Kämmerers mit der einen, und mit der anderen Hand
Schürzt sie hinauf, bis an die Knöchel, ihr Gewand. –
Still und eilig folgt Thaddäus ihren Wegen.
Dem Richter kam der Vorschlag ungemein gelegen;
Das zänkische Geschrei beendet er nur zu gern;
Drum ruft er: »Schwämmesuchen! In den Wald, ihr Herrn!
Wer mit dem schönsten Rothpilz zu Tische wiederkehrt,
Wird mit dem Platz beim schönsten Fräulein heut' beehrt;
Er selber wählt sich's. Hat ihn eine Dame errungen,
Nimmt sie sich selbst zum Nachbar den allerschönsten Jungen.«

Fußnoten

1 In den alten Schlössern pflegte man auf dem Chor Orgeln anzubringen.

2 Wenn dem Junker, der sich um die Hand der Tochter des Hauses bewarb, bei Tische die schwarze Suppe gereicht wurde, so bedeutete das einen Korb.

3 Nach der ersten Theilung Polens arbeiteten die Patrioten, an ihrer Spitze Ignaz Potocki, mit dem Aufgebote aller Energie an der Reorganisation des Staates. Vor Allem galt es, die Hauptschäden der alten Verfassung zu beseitigen: das Wahlkönigthum, welches für das Reich eine Quelle unbeschreiblicher Zerrüttung geworden war, die gänzliche Machtlosigkeit der Krone, die Rechtlosigkeit der Bauern und den Druck, der auf den Städten lastete, das »liberum veto«, jenes berüchtigte Recht eines jeden einzelnen Edelmannes, durch seinen Einspruch den Reichstag zu »sprengen«, d.h. alle legislatorische Thätigkeit zu Nichte zu machen, u.s.w. Auf dem sog. langen Reichstag (1788-1792) kam endlich die große Reform zu Stande. Am dritten Mai 1791 wurde eine Verfassung beschlossen, welche alle genannten Schäden im Wesentlichen beseitigte. Das Wahlkönigthum wurde in ein Erbkönigthum verwandelt, das »liberum veto« abgeschafft, die Bedeutung der Städte erhöht, eine Besserung des Loses der Bauern angebahnt, und im Ganzen eine Constitution geschaffen, die sehr wohl den Selbstauflösungsproceß des Staates hätte aufhalten und seine Wiedergeburt wenigstens vorbereiten können. Der König, mitgerissen vom Enthusiasmus der Patrioten, beschwor die Verfassung und schloß so »Frieden mit seinem Volke.« Die Begeisterung im Lande war unbeschreiblich; in Warschau feierte man Freudenfeste, Alles schien einem neuen Leben entgegenzugehen. Aber das Schicksal Polens vollzog sich unerbittlich. Die Kaiserin Katharina von Rußland, die wohl sah, daß Polen jetzt den Weg der Festigung und Erstarkung betreten habe, war entschlossen, die neue Verfassung nicht lebendig werden zu lassen. Mit ihr verbanden sich alle die Ehrgeizigen und Verblendeten, die gegen die Patriotenpartei conspirirten, alle die Schwärmer für jene »altpolnische Freiheit«, die den Staat an den Rand des Abgrunds gebracht hatte, alle Niederträchtigen, die mit russischem Golde zu erkaufen waren. So bildete sich eine Liga gegen die Reform vom dritten Mai, die Conföderation von Targowica, die die russische Autokratie zum Schutze der »Freiheit«, die Urheberin der ersten Theilung zur Rettung Polens in's Land rief. Eine russische Armee überschritt die Grenzen; mit der verrätherischen Conföderation vereint, erhob sie die Waffen gegen die Patrioten, an deren Spitze jetzt der aus dem amerikanischen Freiheitskampfe heimgekehrte Kosciuszko trat. Der schwache König wurde durch die Drohungen Katharina's bewogen, seinen Eid zu brechen und der Liga von Targowica beizutreten (Juli 1792). Da eine Conföderation erst dann zur vollen autoritären Gewalt im Lande wird, wenn ihr der König beigetreten ist, so verhalf Stanislaw August durch seinen verhängnißvollen Schritt den Targowicanern erst recht zum vollen Siege. Kosciuszko mußte das Schwert niederlegen, und die Beschützerin Katharina vollzog hierauf die zweite Theilung des Reiches (1793).

Hier ist also der Kampf der Conföderirten unter Kosciuszko (und Joseph Poniatowski) gegen jene landesverrätherische Conföderation von Targowica und die mit ihr verbündeten Russen gemeint. (d.Ü.)

4 (Marktschiff, Flußboot, poln. Wicina, auch zuweilen im Deutschen »Witinne«.) Witinnen sind jene großen Boote auf dem Niemen, die die Lithauer im Handelsverkehr mit Preußen gebrauchen; sie schaffen zu Wasser Getreide hin und tauschen dafür Colonialwaaren ein.

5 Großpolen, der westliche Theil des ehem. Königreichs, der auch die heutige preuß. Provinz Posen einschließt. (d.Ü.)

6 Fürst Dominik Radziwill, ein großer Jagdliebhaber, emigrirte in das Herzogthum Warschau und rüstete auf eigene Kosten ein Reiterregiment aus, das er auch anführte. Er starb in Frankreich. Mit ihm erlosch die männliche Linie der Fürsten zu Olyka und Nieswiez, des mächtigsten Geschlechts in Polen und gewiß auch in ganz Europa.

7 Mejen zeichnete sich im nationalen Kampfe unter Kosciuszko aus. Noch jetzt zeigt man bei Wilno die Mejen'schen Schanzen.

Dritter Gesang

[56] Dritter Gesang.
Kurmacherei.

Des Grafen Expedition in den Obstgarten. – Die geheimnißvolle Nymphe ist eine Gänsehirtin. – Die Pilzenlese als ein Wandeln elysischer Schatten. – Die verschiedenen Gattungen der Schwämme. – Telimene im Tempel der Träumereien. – Berathungen über Thaddäus' Zukunft. – Der Graf als Landschaftsmaler. – Thaddäus' Kunstbemerkungen über Bäume und Wolken. – Des Grafen Ansicht über die Kunst. – Die Glocke. – Das Billet. – O Herr, ein Bär!


Der Graf ritt wieder heim; doch hält er oft am Weg,
Dreht immer den Kopf zurück, schaut nach den Gartengeheg;
Und einmal schien ihm, als blinkte wieder vom Fensterlein
Jenes geheimnißvollen Kleidchens schneeiger Schein,
Und etwas Leichtes fiel dann aus der Höhe wieder,
Flog durch den ganzen Garten pfeilschnell zur Erde nieder,
Und aus den grünen Gurken strahlt' es in weißem Licht,
Wie wenn ein Sonnenstrahl aus wolkiger Hülle bricht
Und blitzt dann mitten im Acker auf glattem Feuerkiese,
Oder auf winzigem Tümpel in der grünen Wiese.
Der Graf sitzt ab. Die Diener heißt er nach Hause zieh'n;
Er selbst rückt dann verstohlen gegen den Garten hin.
Bald hat er den Zaun erreicht, fand eine Öffnung klein,
Und wie ein Wolf in den Schafstall, preßt er sich da hinein.
An's Stachelbeergesträuch, das seine Gestalt verdeckt,
Stößt er zum Unglück an; da blickt, ein wenig erschreckt,
Die Gärtnerin umher, was das Geräusch bedeute, –
[57] Sieht nichts: und flüchtet dennoch nach der andern Seite.
Durch Gras und Wegerich und Sauerampfer schlüpfend,
Auf allen Vieren kriechend, wie ein Laubfrosch hüpfend,
So schleicht der Graf heran; jetzt steckt er, schon ganz nah',
Den Kopf hervor – und herrlich war, was er nun sah:
Kirschbäume steh'n vereinzelt an dieser Stelle im Garten,
Dazwischen, mit Fleiß vermengt, viel bunte Getreidearten,
Bartgerste, Weizen, Bohnen, Erbsen, Hirse, Mais, –
Auch Blumen und Gesträucher drängen sich in den Kreis;
Ein Gärtlein für's Geflügel – die Wirthschafterin erfand es,
Frau Kokosznicka, als Wirthin eine Perle des Landes –
Geborene Jendykowicz; – ihre Erfindung bedeutet
Eine Epoche der Wirthschaft; heut' allgemein verbreitet,
War sie damals noch neu und, unter Verschwiegenheit,
Nur wenigen Leuten vertraut. Das war so bis zur Zeit,
Da sie im Kalender erschienen, unter dem Titel:
»Schutz gegen Geier und Habicht, oder: ein neues Mittel
Das Federvieh zu züchten.« Was man darunter verstand,
War eben unser Gärtlein; damit war's so bewandt:
Als treue Schildwach' ist der Haushahn aufgestellt,
Der unbeweglich den Schnabel in die Höhe hält,
Den kammgeschmückten Kopf ein wenig seitwärts neigt,
Um besser in den Himmel hineinzuspäh'n: da zeigt
Ein Habicht sich da droben, hangend im Wolkenreich –
Ein Kräh'n: und in dies Gärtlein flieh'n die Hennen gleich,
Sogar die Gänse und Pfauen, und selbst, im jähen Schrecken,
Die Tauben, wenn's nicht geht, sich auf dem Dach zu verstecken.
Jetzt war am ganzen Himmel weit und breit kein Feind,
Nur daß die Sommersonne brennend herniederscheint;
In's Ährenwäldchen flohen die Vögel vor dem Brand,
Die liegen auf dem Rasen, die baden sich im Sand.
Inmitten der Vogelköpfe ragen nackt und klein
Auch Menschenköpfchen empor; die Haare, weiß, wie Lein,
Und kurz; die kleinen Hälse bis zu den Schultern bloß,
[58] Dazwischen, mit längeren Haaren, ein Mädchen schlank und groß.
Dicht hinter den Kindern sitzt der Pfau in vollem Staat,
Entfaltet breit und glänzend das irisfarb'ne Rad,
Von dessen dunklem Blau der Köpfchen schimmerndes Weiß
Sich wie ein Bildniß abhebt, – und wie ein Sternenkreis
Umzeichnet sie ringsum der Pfauenaugen Kranz;
So strahlen sie im Getreide, wie in des Äthers Glanz,
Inmitten der goldnen Kolben, die aufwärts streckt der Mais,
Des englischen Grases, mit seinen Streifen silberweiß,
Der grünen Malven und des Amaranths Koralle;
Es flechten sich in einander die Formen und Farben alle,
Als wie ein Gitter aus Gold und Silber anzuseh'n,
Und wie ein leichter Vorhang spielend im Windesweh'n.
Gleich einem Baldachin hängt über dem bunten Hain
Ein heller Nebelstreif von Faltern zart und fein, –
Großmütterchen genannt; ihr Flügleindoppelpaar
Ist leicht wie Spinnegewebe, wie Glas so rein und klar.
Wenn sie in Lüften hangen, bemerkt der Blick sie kaum,
Und schwirren sie auch, doch meint man, sie ruhen starr im Raum.
Ein graues Büschlein, aus Straußenfedern, wie es schien,
Hielt das Mädchen erhoben und schwang es her und hin,
Als wenn sie von den Köpfchen der Kleinen scheuchen wollt'
Den Regen der Schmetterlinge; und etwas, hell wie Gold,
Und wie ein Horn gestaltet, blinkt in ihrer Linken, –
Das ist wohl ein Gefäß, aus dem die Kinder trinken,
Man sah sie es der Reih' nach dem Mund der Kleinen reichen,
Dem goldnen Horn der Amalthea zu vergleichen.
Also beschäftigt, wandte sie immer doch den Blick
Zum Stachelbeergesträuch, wo's früher gerauscht, zurück,
Sie weiß nicht, daß vom andern End' der Störenfried,
Wie eine Schlange kriechend, des Weges näher zieht; –
Nun springt er aus dem Weg'rich hervor – sie sieht sich um,
Vier Beete steht er entfernt, verbeugt sich tief und stumm, –
Schon hat sie den Kopf gewendet, die Arme ausgestreckt,
[59] Stürzt vor zur Flucht, als wie ein Häher aufgeschreckt,
Schon schweben die leichten Schritte über die Blumen hin:
Als, durch den Fremdling und die fliehende Pflegerin
In Furcht versetzt, die Kleinen ganz erbärmlich schrei'n;
Sie hört's und fühlt, es würde ganz unbesonnen sein,
Die kleinen geängstigten Kinder jetzt allein zu lassen;
So kehrt sie um, wohl zögernd, – allein sie muß sich fassen.
Unwillig, wie ein Schatten, den Zaubersprüche zwingen,
Kommt sie, den ärgsten Schreihals zunächst zur Ruh' zu bringen,
Setzt sich zu ihm auf den Boden, nimmt ihn auf den Schooß,
Die Andern stillt sie mit Zuspruch und zärtlichem Gekos'; –
Nun sind sie still; die Händchen geschlungen um ihr Knie,
Die Köpfchen angeschmiegt, also nun ruhen sie,
Wie Küchlein unter dem Flügel der Mutter. Und sie spricht:
»So schreit man? ist das schön? ist's artig? wird sich nicht
Der Herr da fürchten? Das ist kein garstiger Bettelmann;
Ein Gast – ein guter Herr – wie hübsch! seht ihn nur an!«
Sie selbst sah hin. Der Graf lächelte gar mild,
Von so viel Lobesworten sichtlich dankerfüllt.
Sie besinnt sich, verstummt, blickt nieder – und die Wangen
Erglüh'n ihr, wie Rosenknospen, in feuerrothem Prangen.
Es war auch ein schöner Herr – von schlankem Körperbau,
Länglichem Gesicht, die Augen mild und blau,
Die Wangen blaß, doch frisch, die Haare weißlich, lang, –
Jetzt zierte sie überdies ein Kranz, der sie durchschlang,
Von Grasstreifen und Blättern, die er abgerissen,
Als er sich durch die Beete hatte winden müssen.
»O du« rief er, »wie immer dein hehrer Name heißt,
Sei's Göttin oder Nymphe, Erscheinung oder Geist,
Sprich: ist's dein eigner Wille, der hier dich wandeln läßt,
Hält dich ein fremder Machtspruch in diesem Thale fest; –
Ach wohl! ich merk's, ein Freier, dem Liebe du versagt,
Ein Mächtiger – oder ein Vormund, von Eifersucht zernagt,
Bewacht dich, wie eine Verwünschte, in diesem Schloßpark hier!
[60] Du, werth, daß um dich Ritter kämpfen im Turnier,
Daß tragische Romane dich als Heldin feiern,
O wolle mir, du Schöne, dein grausam Los entschleiern!
Ich will dein Retter sein. Mein Herz ist dein von heut'
Und dein ist auch mein Arm, sowie dein Wink gebeut!«
Spricht's und streckt den Arm aus.
Sie hört, wie er so spricht,
Mit mädchenhaftem Erröthen, doch heit'rem Angesicht;
Gleich wie ein Kind nach grellen Bilderchen begehrt
Und blanken Rechenpfennigen, eh' ihr wahrer Werth
Sich ihm erschließt, so kost ihr Ohr in Wohlbehagen
Mit den tönenden Worten, die ihr gar nichts sagen.
Am Ende fragt sie: »Herr, von wo denn kommet Ihr?
Was suchen Euer Gnaden auf den Beeten hier?«
Der Graf macht große Augen, schweigt verwundert, verstimmt,
Dann sagt er, indem er den Ton ein wenig tiefer nimmt:
»Ich störe die Unterhaltung – wollen mir Fräulein vergeben,
Recht sehr vergeben, bitte, – zum Frühstück eilt' ich eben,
Käm' gerne noch zurecht: nun ist's schon ziemlich spät,
Ihr wißt ja, Fräulein, daß die Straße im Bogen geht,
Ich glaubte, durch den Garten führ' ein geraderer Weg –«
»Ja,« sagt sie, »Euer Gnaden! Doch drüben führt ein Steg, –
Man muß nicht die Beete verderben, – dort durch den Rasen hin,
Dort geht man.« – »Rechts oder links?« fragt er. Die Gärtnerin
Erhebt die blauen Augen und scheint in seinen Mienen
Verwundert nachzuforschen; denn tausend Schritt von ihnen,
Wie auf der flachen Hand, liegt deutlich dort das Haus,
Und er fragt nach dem Weg? – Nun will er aber durchaus
Etwas zu ihr sagen und weiß nicht, wie zu beginnen:
»Da wohnen Fräulein? Beim Garten? Oder im Dorfe drinnen?
Wie kommt es, daß ich Fräulein nie im Hause sah?
Wohl eine Fremde? oder doch erst seit Kurzem da?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ach, wollen Fräulein verzeih'n:
Ist das dort nicht Ihr Zimmer, dort jenes Fensterlein?«
Er denkt: Wenn sie auch nicht in Romane passen mag:
So ist sie eben ein Mädchen, blutjung und schön, wie der Tag, –
[61] Oft blüht eine große Seele, ein erhaben Gemüth
Im Stillen, wie eine Rose inmitten der Wälder blüht;
Nur an das Licht getragen, nur vor die Sonne gestellt:
Strahlt sie in tausend Farben vor der erstaunten Welt. –
Indessen stand die Gärtnerin schweigend auf; das Kind,
Das ihr am Arm gehangen, erhebt sie, – faßt geschwind
Ein andres bei der Hand, treibt noch ein paar Kleine
Wie Gänschen voraus – und geht so weiter durch die Raine.
Nun kehrt sie sich um: »Herr, wollt ihr nicht so freundlich sein
Und jagt mein Geflügel wieder in's Getreid' hinein?«
»Was? Ich Geflügel jagen?« schreit der Graf erschreckt,
Indessen war sie verschwunden, vom Schatten der Bäume bedeckt;
Vom Laubengang herüber, durch der Maien Schleier,
Strahlt nur noch etwas her, wie zweier Augen Feuer.
Der Graf blieb nun allein, stand noch im Garten lang';
Allmählich, wie die Erde nach Sonnenuntergang,
Kühlt seine Seele sich ab und färbt sich immer trüber.
Er träumt, – doch zieht nichts Holdes an seinem Geist vorüber.
Aufwacht er, ärgert sich – weiß selbst nicht über wen:
Weh! Was hat er gehofft, und was hat er geseh'n!
Denn als er durch die Beete zu jener Hirtin geschlüpft,
Da hatte sein Kopf gebrannt, da hatte sein Herz gehüpft:
In seiner Geheimnißvollen – was hatt' er nicht alles erblickt!
Mit wie viel Reizen und Wundern die Nymphe ausgeschmückt!
Wie viel geahnt! – Und nun! – Wohl war's ein hübsches Gesicht,
Wohl schön die Gestalt, doch ach! wie linkisch war sie nicht!
Und diese Pausbacken, dies Roth, ach, so robust,
Zeigt gar so viel Behagen, einfält'ge Lebenslust!
Man sieht, die Seele schläft noch und das Herz ist leer!
Und was sie sprach! wie gewöhnlich! so recht vom Dorfe her!
»Zu spät errath' ich's!« schreit er, »wozu noch Träume brüten!
Meine mystische Nymphe scheint die Gänse zu hüten!«
Und mit der Nymphe verschwanden alle Wunder zugleich:
Die Bänder, diese Gitter, die da so zauberreich
[62] Gestrahlt, die er geseh'n, so selig, so wunderfroh,
Die silbernen, die goldenen, – weh! also war das Stroh?
Und händeringend sah er am Boden, wohlgebunden,
Ein kleines Gärbchen liegen, mit Radengras umwunden,
Das waren die Straußenfedern in der Hand der Maid! –
Auch das Gefäß vergaß er nicht in seinem Leid:
Ach, jenes goldige Kännchen, das Horn der Amalthee –
Es war ein gelbes Rübchen! Ihm war, als wenn er sähe,
Wie es ein Kindermund mit großer Gier zerkaut:
Wo waren die Zauber, die Wunder, die er aufgebaut! –
So geht's dem Knaben, wenn er Endivienblumen gewahrt,
Die Blätter locken die Hand, so blau, so weich, so zart, –
Er kommt und will sie streicheln – er bläst – und wie ein Flaum
Zerflattert die ganze Blume in der Lüfte Raum –
Und in der Hand des Forschers, der sich zu viel vermaß,
Bleibt nur ein nackter Stiel von grünlich-grauem Gras.
Der Graf drückt in die Stirn den Hut und kehrt zurück
Des Wegs, den er gekommen; doch kürzt er ihn um ein Stück,
Nimmt über Gemüse und Beeren und Blumen seinen Lauf –
Dann springt er über den Zaun und athmet endlich auf!
Da fällt ihm ein: vom Frühstück sprach er ja soeben –
Nun wissen vielleicht schon Alle, was sich jetzt begeben,
Im Garten, nah' dem Haus! – Und wenn man ihn nun sucht?
Was kann man nicht alles denken von seiner jähen Flucht?
So heißt es denn wieder: zurück! Er drückt sich an Zäunen vorbei
Um Rain und Rasen herum, – und freut sich, nach tausenderlei
Umwegen, daß er sich endlich auf der Straße sieht,
Die in gerader Richtung sich nach dem Hofraum zieht. –
Hingeht er am Zaun, das Haupt vom Garten abgekehrt,
Als wie ein Dieb vom Speicher, daß ja nur Keiner erfährt,
Er woll' ihn besuchen oder er hab' es schon gethan;
So hütet sich der Graf: es dachte kein Mensch daran, –
Doch blickt er vom Garten weg, rechts in die Gegend hinein.
Auf weichem Rasengrund erhebt sich ein lichter Hain:
Dort, zwischen den Birkenstämmen, unter den grünen Zweigen,
[63] Die wie ein blühend Gezelt sich über die Matten neigen,
Dort wallen so viele Gestalten, – seltsam, wie im Tanz
Bewegt, und seltsam gekleidet: recht, wie im Mondenglanz
Umirrende Geister. Die Einen, von schwarzem Gewand umschlossen,
Die Andern von schneeigem, langem bis zur Erde umflossen,
Der unter einem Hut, so breit, als wie ein Reifen,
Bloßköpfig Jener. Um Andere wallen, wie Wolken streifen,
Leichtwehende Schleier und flattern den Köpfen nach im Geh'n,
Als wie Kometenschweife, seltsam anzuseh'n.
Jeder in anderer Haltung: der wuchs an die Erde fest,
Regt nur die Augen, die er am Boden schweifen läßt, –
Der schaut gerade vor sich, nachtwandlerartig schreitend,
Wie auf dem Seil, nicht rechts, noch links vom Wege gleitend,
Stets aber neigen sich Alle hin und her zur Erde,
Als bückten sie sich vor Wem mit demuthvoller Gebärde.
Oft stoßen sie auf einander – doch kein Einziger spricht,
Oft nahen sie einander, doch grüßen sie sich nicht –
Sind ganz in sich versunken, mit tiefen, sinnenden Mienen.
Das Bild der elysischen Schatten sah der Graf in ihnen,
Die, ob auch Schmerz und Sorge sie nimmermehr ergreifen,
Zwar still und sanft – und dennoch voller Schwermuth schweifen.
Wer hätt' in jenen Leuten, die sich so wenig regen,
So still einhergeh'n, – unsre Bekannten suchen mögen?
Die Freunde unsres Richters? Nach des Frühstücks Getöse
Begaben sie sich hinaus zur festlichen Pilzenlese.
Und als gescheidte Leute versteh'n sie Gang und Wort
Stets richtig abzumessen, daß nach Zeit und Ort
Bei jeder Gelegenheit sich Alles trefflich schickt.
Drum änderten sie, bevor man in's Wäldchen ausgerückt,
Gewand und Haltung; zogen Linnenmäntel an, –
Die werden beim Spaziergang über den Kontusz gethan, –
Und setzten auf den Kopf Strohhüte auf. Darum
Erscheinen sie weiß, wie Seelen im Purgatorium.
Die Jugend ist auch verkleidet, außer Telimene
Und Einigen, die sich französisch tragen.
[64] Diese Scene
Begriff der Graf nicht; fremd war ihm die ländliche Sitte,
So lief er staunend in's Wäldchen mit beflügeltem Schritte.
Da gab es Schwämme in Fülle. Den Fuchspilz nehmen die Jungen,
In lithauischen Liedern hundertfach besungen,
Sinnbild des Mädchenthums – weil ihn kein Wurm verletzt
Und, seltsamer Weise, kein Insekt sich auf ihn setzt.
Auf den Herrenpilz, den schlanken, machen die Mädchen Jagd,
Den Obersten der Schwämme, 1 wie das Volkslied sagt;
Jeder paßt auf den Rothpilz, der sich so stolz nicht streckt,
Und weniger ward besungen, dafür am besten schmeckt,
Gesalzen oder frisch, in Herbst und Wintertagen; –
Der Wojski aber möcht' nur Fliegenschwäm me erjagen.
Als Auswurf wird verachtet ein andres Pilzengeschlecht, –
Theils ist es nämlich schädlich, theils auch schmeckt's nicht recht;
Doch ist's nicht ohne Nutzen; es füttert manches Thier
Und ist ein Nest der Insekten und der Haine Zier.
Der Wiesen grünes Tischtuch, weithin ausgespannt,
Bedeckt's, wie Reihen Gefäße; hier mit rundem Rand
Die Blätterschwämme silbern, gelb und roth, – wie kleine
Pokälchen, angefüllt mit mannigfachem Weine;
Der Löcherschwamm, ein Becherlein, aber umgedreht,
Die Bodenwölbung nach oben; dort, schlank erhoben, steht
Der Trichterpilz, vergleichbar einem Champagnerpokale;
Und wie eine milchgefüllte runde Meißnerschale
Sitzt hier der Moosschwamm, breit und platt und weiß; – dort fällt
Der Bofist auf: die Kugel, die schwärzlichen Staub enthält,
Gleicht einer Pfefferbüchse; – wie andre sind genannt,
Ist nur in der Sprache der Hasen oder Wölfe bekannt;
Den Menschen gelang's noch nicht, sie allesammt zu taufen;
Sie wachsen aber im Wald in ungezählten Haufen. –
Die Wolf- und Hasenpilze verschmäht man ganz und gar;
Und wer sich zu einem geneigt und wird den Irrthum gewahr,
Zerbricht ihn oder stößt ihn mit dem Fuß aus Wuth;
So wird das Gras verunziert, was weder klug noch gut.
[65] Nicht Wolfs- noch Menschenpilze sucht Telimene heut', –
Den Kopf zurückgeworfen, gelangweilt und zerstreut,
Blickt sie herum. Drum sagt im Ärger der Notar,
Sie suche auf den Bäumen die Schwämme offenbar.
Boshafter aber war noch des Assessors Wort:
Er sagt': »Als Weibchen sucht sie für's Brutnest einen Ort«.
Und Einsamkeit und Stille sucht sie in der That.
Sie zog sich sacht zurück und ging auf dem Waldespfad
Zu einem Hügelabhang – es war ein schattiger Raum,
Denn dichter, als sonst im Wäldchen, wuchs hier Baum an Baum.
Grau lag ein Stein inmitten; schäumend in wildem Lauf
Braust unten ein Bach hervor – und birgt sich gleich darauf,
Als wenn er Schatten suchte, im hohen dichten Grün,
Das, von der Fluth getränkt, rings wuchert in üppigem Blüh'n.
Dort flüstert er dann, der Wildfang, auf's Blätterbett gelegt,
Eingewickelt in's Gras, ganz still und unbewegt, –
Unsichtbar, unhörbar fast, – wie, leise eingewiegt,
Ein kleiner Schreihals schlummernd im Schaukelbettchen liegt;
Die Mutter schloß die grünen Vorhängchen leise zu
Und streute Blätter des Mohns auf's Kissen. – In tiefer Ruh'
Liebt hier Frau Telimene sich stillem Sinnen zu weihen
Und nennt die holde Stelle: Tempel der Träu mereien.
Jetzt warf sie von der Schulter, sobald sie am Bache stand,
Das rothe Tuch, das wallende, auf den grünen Strand
Und wie eine Schwimmerin, die sich zum Bade neigt,
Zum kalten – eh' sie's wagt und in die Wellen steigt,
So kniet sie hin und neigt sich langsam seitwärts gebogen, –
Zuletzt, wie fortgerissen von den korallenen Wogen,
Fällt sie und liegt auf dem Shawl behaglich ausgedehnt,
Die Ellbogen auf's Gras, die Stirn auf die Hand gelehnt,
Den Kopf zum Boden geneigt; im Grase blinkt vor ihr
Eines französischen Buches feines Velinpapier,
Und rosenrothe Bänder und schwarze Locken gleiten
Hinwallend auf des Buches Alabasterseiten.
[66] So auf des Shawls Karneol, des Grüns smaragdner Fülle
Und in des langen Kleides korallenrother Hülle,
Von der das Haar sich abhob an dem einen Ende,
Der schwarze Schuh am andern; zur Seite die weißen Hände –
Des Strumpfs, des Taschentüchleins, der Wangen heller Schein:
So mochte sie aus der Ferne anzusehen sein,
Wie eine bunte Raupe auf einem Erlenblatt.
O weh, daß solch ein Schauspiel gar keine Zeugen hat!
Alle die herrlichen Reize bemerkt kein sterblich Wesen!
So stark und ganz beschäftigt sie alle das Pilzelesen.
Thaddäus nur schielt seitwärts, denn er beachtet's sehr,
Wagt sich nicht g'rad heran und rückt im Bogen her –
Wie im beweglichen Schuppen unter dem ästigen Dach
Der Jäger auf zwei Rädern den Trappen allgemach
Nah'rückt – oder auch Schnepfen nachgeht mit listiger Finte:
Am Roß verbirgt er sich, im Sattel liegt die Flinte,
Auch wohl am Hals des Pferds – er wahrt geschickt den Schein,
Als führt' er nur die Egge oder durchzöge den Rain, –
Und nähert sich immer den Vögeln: so schleicht sich durch den Hain
Thaddäus heran.
Der Richter verdirbt ihm aber das Spiel,
Kreuzt ihm den Weg und eilt zu unseres Jünglings Ziel.
Das große Sacktuch im Gürtel und der weiße Schooß
Des Pudermantels spielen im Winde leicht und los, –
Und wie ein Weg'richblatt, so wackelt beim schnellen Geh'n
Der untergebundene Strohhut nach des Windes Weh'n,
Indem er bald auf die Achseln, bald auf die Augen fällt;
Gewaltig ist der Rohrstock, den in der Hand er hält:
So schreitet der Richter. Nun wäscht er im Bach die Hände rein,
Setzt sich vor Telimene auf den großen Stein,
Stützt beide Hände auf den elfenbeinernen Knopf
Des Rohrstocks und beginnt:
»Seht, Liebe, mir ist der Kopf
Von nicht geringer Sorge fortwährend eingenommen,
Seit unser lieber Thaddäus im Hause angekommen.
[67] Ich habe keine Kinder, bin alt; der brave Knabe
Ist ja die einzige Freude, die ich auf Erden habe,
Er erbt mein kleines Vermögen – ich kann ihm, Gottlob, geben,
Was ausreicht, um als Schlachcic nicht allzumager zu leben;
Auch wär's schon Zeit für ihn, Beruf und Bestimmung zu wählen, –
Nun aber, Liebe, seht, was mich für Sorgen quälen!
Ihr wißt, Herr Jacek, mein Bruder, der Vater dieses Jungen,
(Ein eigner Mensch, deß Pläne noch selten wer durchdrungen)
Will nicht in's Land zurück – mag sich weiß Gott wo treiben,
Nicht einmal, daß er lebt, will er dem Sohne schreiben,
Und schaltet doch immer mit ihm. Erst wollt' er ihn lange Zeit
Als Legionär entsenden, – zu meinem bittersten Leid.
Dann ließ er's endlich geschehen, daß er zu Hause bleibe
Und heirathe. Nun mangelt's ja nicht an einem Weibe –
Ich fand schon eine Partie: es kommt in unsrem Bereich
An Namen und Familie Niemand dem Kämmerer gleich;
Die Anna, seine Älteste, soll sich gerade vermählen:
Ein hübsches Mädchen, – an Mitgift wird's ihr auch nicht fehlen;
Einfädeln wollt' ich's.« – Hier wird Telimena bleich,
Legt rasch das Buch weg, erhebt sich und setzt sich dann sogleich.
»Nun,« sagt sie, »meiner Treu, Herr Bruder, seid Ihr klug?
Habt Ihr denn Gott im Herzen? ist das wohl Recht und Fug?
Thaddäus Wohlthäter habt Ihr zu werden gedacht,
Wenn Ihr den jungen Burschen zum Krautjunker macht?
Ihr sperrt ihm die Welt; ja, glaubt mir, er wird Euch einst verfluchen, –
Ein solches Talent zu vergraben zwischen Kohl und Buchen!
Glaubt mir, so viel ich sah, ist es ein fähiges Kind,
Werth, daß es in der Welt den rechten Schliff gewinnt, –
Er soll in die Hauptstadt, Bruder, das wird das Beste sein, –
Etwa nach Warschau? Oder, wißt Ihr, da fällt mir ein:
Nach Petersburg? Ich geh' sicher, eines Processes wegen,
In diesem Winter hin; wir wollen vereint überlegen,
Was mit Thaddäus zu machen; dort kenn' ich viele Leute,
Hab' Einfluß, – zur Carrière das beste Mittel heute.
Mit meiner Hilfe steh'n ihm die ersten Häuser offen,
Und ist er mit mächtigen Leuten erst zusammengetroffen,
[68] Bekommt er ein Amt, einen Orden; dann mag er, wenn's ihm gefällt,
Den Dienst verlassen, und kehre aus der großen Welt
In Würd' und Anseh'n heim, gereift und wohlerfahren.
Was denkt Ihr dazu, Bruder?« – »Ei nun, in jungen Jahren,«
Sprach er, »da kann es nicht schaden, ein wenig die Welt zu durchstreifen,
Sich unter den Menschen durchzulüften und abzuschleifen;
Wie ich noch jung war, reist' ich auch so manches Mal,
Ich war in Piotrkow, in Dubno – sei's beim Tribunal
Als Anwalt, sei's auch, wenn ich eigene Sachen geführt;
Ich kam sogar nach Warschau – man hat was profitirt!
Den Neffen so reisen zu lassen, – da wär' ja nichts einzuwenden!
Ich möcht' ihn, einfach als Wand'rer, unter die Leute senden,
Wie einen Handwerksburschen, der seine Lehrzeit macht,
Daß ihm ein wenig der Sinn für Welt und Menschen erwacht!
Nicht aber um Würden und Orden! Bitte unterthänig:
Ein russisches Amt! Ein Orden! Das gilt ja doch wohl wenig!
Wer von den frühern Herrn, ja von den heutigen Leuten,
Die in der Schlachta im Kreis nur irgend was bedeuten,
Scheert sich um derlei Krimskrams? – Doch sind sie ästimirt –
Geschlecht und Name wird an ihnen respectirt, –
Ein Amt auch, – doch ein Landamt, durch Wahl von freien Männern
Ertheilt, doch nicht erschlichen weiß Gott von was für Gönnern.«
Telimene versetzte: »Wenn es Euch so gefällt,
Nun, um so besser, so schickt ihn als Voyageur in die Welt.«
Der Richter kratzt sich den Kopf. »Ja, seht, ich möchte sehr –
Doch andre Hindernisse machen's wieder so schwer;
Herr Jacek bewacht den Sohn immer und unausgesetzt,
Hat mir drum auch von jenseits der Weichsel eben jetzt
Den Bernhardiner Robak auf den Hals gesandt, –
Der ist sein Freund, mit allen seinen Plänen bekannt;
So haben sie auch Thaddäus' Zukunft schon bestimmt:
Sie wollen, daß er die kleine Soschja zum Weibe nimmt,
Euere Pflegetochter. Zu meinem kleinen Vermögen,
Das sie bekommen, will Jacek noch eine Mitgift legen
In baarem Kapital; Ihr wißt ja, er hat Geld,
[69] Und seiner Güte verdank' ich fast ganz mein Haus und Feld;
So darf er denn auch schalten. Nun, Liebe, wollt bedenken,
Wie wir das möglichst leicht zum guten Abschluß lenken.
Sie müssen sich kennen lernen. Jung sind sie zwar noch sehr,
Besonders Soschja ist klein – doch wiegt das nicht so schwer.
'S ist hohe Zeit, das Mägdlein aus der Haft zu entlassen, –
Die Kinderschuhe dürften ihr wohl nicht mehr passen.«
Verwundert und fast erschreckt, erhob sich wieder und wieder
Indeß Frau Telimene, – kniet' auf dem Tuche nieder;
Erst hörte sie eifrig zu; dann aber schüttelt sie kräftig
Über's Ohr mit der Hand, – die Worte rasch und heftig
Als wie ein lästig Insekt fortjagend mitten im Lauf
Zurück in den Mund des Redners –
»Ah! Ah!« braust sie dann auf, –
»Das ist was Neues! – Ob's nun zu Thaddäus Schaden,
Ob nicht, darüber, Herr Bruder, richte Euer Gnaden!
Mich geht Thaddäus nichts an; da redet Ihr darein
Macht ihn zum Landwirth, setzt ihn in eine Schenke hinein,
Er mag kredenzen – Jagdwild im Wald zusammenraffen –
Macht, was Ihr wollt! Doch Soschja? was habt Ihr mit der zu schaffen?
Ich, ich allein verfüge über ihre Hand!
Daß Jacek einiges Geld an ihre Erziehung gewandt,
Ein kleines Jahresgehältchen ihr ausgesetzt und verhieß,
Ihr später mehr zu geben: ei nun, um Alles dies
Hat er sie noch nicht gekauft! Übrigens, pocht nur auf's Geld!
Die Herrschaften wissen wohl – und heute noch weiß es die Welt,
Daß sie nicht ohne Grund sei, die freigebige Huld, –
Ein wenig sind die Soplica in der Horeszko Schuld.«
Mit unbegreiflicher Trauer und Bestürzung erfüllen
Den Richter die letzten Worte, – mit sichtlichem Widerwillen,
Als fürchtete er den Rest, neigt er das Haupt zur Erde
Mit brennenden Wangen und traurig bejahender Gebärde.
»Ich,« schloß nun Telimene, »war ihre Pflegerin,
Bin ihre Verwandte, Soschja's einzige Schützerin;
Nur ich, und Niemand andrer denke an ihr Glück«.
[70] »Doch wenn sie,« sprach der Richter und erhob den Blick,
»Der Ehebund glücklich machte? Wenn ihr Thaddäus gefällt?«
– »Gefällt! – Ei, Feigen am Dornbusch! Seht doch, in aller Welt!
Gefällt! Mißfällt! Nun wahrlich, das wär' was von Gewicht!
Zwar Soschja ist keine reiche Partie – doch ist sie nicht
Die Erste Beste vom Land, kein Fräulein, wie andre sind,
Sie stammt von Erlauchten ab, – ein Wojewodenkind!
Von einer Horeszko geboren! wird einen Gemahl bekommen!
Was haben wir uns für Mühe bei ihrer Erziehung genommen;
Sie müßte denn hier verwildern.« Er hört ihr eifrig zu
Und blickt ihr in's Aug'. Nun, scheint's, gelangt' er wieder zur Ruh',
Denn er versetzt recht heiter: »Ei nun, das läßt sich nicht zwingen.
Gott weiß, ich wollte die Sache in Treuen zu Stande bringen!
Nur ohne Zorn, Verehrte! Stimmt Ihr nicht überein,
Ihr habt das Recht – 's ist traurig – doch laßt das Zürnen sein!
Der Bruder befahl, so rieth ich's – das war meine Pflicht;
Doch giebt es keinen Zwang. Wollt Ihr Thaddäus nicht:
So schreib' ich Jacek, es habe nicht an mir gefehlt,
Wenn sich unser Thaddäus mit Soschja nicht vermählt.
Jetzt rath' ich mir selbst. Beim Kämm'rer dürft' es wohl gelingen,
Die Werbung einzuleiten und Alles zu Stand' zu bringen.«
Indessen kühlte sich ihr Feuer nach und nach:
»Ich lehne gar nichts ab! Nein, Brüderlein, gemach!
Sie sind ja noch zu jung, das mußt du selber sagen,
So warten wir, halten wir Umschau, – das kann ja nichts verschlagen.
Wir bringen die Beiden zusammen; an uns ist's, aufzupassen;
Man kann ja nicht And'rer Glück dem Ungefähr überlassen!
Nur warn' ich bei Zeiten, Bruder, nicht in Thaddäus zu dringen,
Ihn nicht zur Liebe für Soschja etwa gar zu zwingen, –
Ist doch das Herz kein Sklave, mag keinen Herrn ertragen,
Und nimmer läßt's gewaltsam sich in Ketten schlagen.«
Hier stand der Richter auf, nachdenklich ging er fort.
Von drüben nähert sich Thaddäus nun dem Ort,
Er thut, als lockten da ihn welche Schwämme an, –
In gleicher Richtung schiebt sich sacht der Graf heran.
[71] Der Graf war während des Streits des Richters mit Telimene
Stets hinter den Bäumen gestanden, verwundert ob der Scene.
Er hatte aus der Tasche Stift und Papier gezogen, –
Das trug er immer bei sich – und, über den Stamm gebogen,
Ein Blättchen ausgespannt und offenbar skizzirt.
Dabei sprach er zu sich: »Als wie mit Absicht gruppirt!
Der auf dem Stein, die im Gras – wie das zum Bilde paßt!
Charakteristische Köpfe! – und dieser Züge Contrast!«
Nun rückt er an – hält inne – säubert die Lorgnette,
Weht mit dem Tuch um's Auge, guckt immer nach der Stätte:
»Wird dieses wundervolle, reizende Bild verschwinden, –
Werd' ich, wenn ich mich nähere, Alles verwandelt finden,
In Mohn und Rübenkohl vielleicht dies sammt'ne Grün,
Und dort die holde Nymphe in eine Wirthschafterin?«
Frau Telimenen hatt' er in des Richters Haus
Schon oft geseh'n – er ging da häufig ein und aus –
Doch hatt' er sie wenig beachtet; da staunt er einen Moment,
Wie er nun seines Bildes Modell in ihr erkennt.
Der schöne Ort, die Stellung, das reizende Gewand
Hatten sie ganz verwandelt; man hätte sie kaum erkannt.
Noch brennt im Aug' der Zorn, der langsam nur verlischt, –
Das Antlitz, von des Windes Wehen aufgefrischt,
Vom Streit und von der jungen Leute jähem Kommen,
Ist nun in ungewohntem, stärkerem Roth erglommen.
»O Herrin,« sprach der Graf, »vergebt mein kühnes Wagen,
Ich komme, Verzeihung zu bitten, – ich komme, Dank zu sagen.
Verzeihung, daß ich es wagte, heimlich nachzugeh'n –
Und Dank, daß ich Euch durft' in Eurem Träumem seh'n.
Wie hab' ich mich versündigt! – wer Euch danken könnte!
Ich störte den süßen Moment – und selbst gewann ich Momente
Der Wonne, der Begeist'rung! – Der Mensch ist schuldbeladen:
Verdammt ihn – doch der Künstler harrt Eurer Huld und Gnaden!
Viel wagt' ich, mehr noch wag' ich – Herrin, seid Richterin!«
Hier kniet er nieder und reicht ihr seine Landschaft hin.
[72] Frau Telimene gab ihr Urtheil über die Proben
Als Weltdame, doch zugleich als Kennerin; – karg im Loben,
Doch durchaus nicht mit Worten der Ermunterung geizend.
»Bravo! Ich gratulire! schönes Talent! ganz reizend!
Nur bitt' ich es zu pflegen. Besonders die schöne Natur,
Die braucht es. – O Italiens seliger Azur!
Ros'ge Cäsarengärten! Du, klassische Cascade
Von Tibur! Und ihr schrecklichen Felsenhöhlenpfade
Des Posilipp! O Land, so mild, so sonnenwarm,
Du bist des Malers Heimat! – Bei uns, daß Gott erbarm'!
Ein Musenkind, das man hier der Amme überlassen,
Kommt sicher um. – Dies, Graf, lass' ich in Rahmen fassen,
Oder ich leg's in's Album, ja, da paßt es g'rade –
Zur Skizzensammlung, die ich gehäuft in meiner Lade.«
Nun fingen sie an, zu plaudern von würziger Winde Wehen,
Von Himmelsbläue und Meeresgebraus und Felsenhöhen;
Und wie so Gereiste pflegen, mengten sie allerhand
Spott und Gelächter dazwischen über ihr Heimatland. –
Und lagen doch Lithauens Wälder vor ihnen weit und breit,
So ehrwürdig, so voller Reiz und Herrlichkeit!
Die Ahlbeer, rings umflochten von wilder Hopfen Kranz,
Die Eberesche in frischer Hirtenröthe Glanz, –
Die Hasel, eine Mänade, mit grünen Sceptern prangend
Und, wie voll Trauben, prächtig voll Perlennüsse hangend,
Und unten die Jugend: Hollunder, die Hagebutte umstrickend,
Brombeer, den Mund, den schwarzen, an die Himbeer drückend, –
Und mit den Blättern schließen sich Bäume und Sträucher zum Kranz,
Sie halten sich an den Händen, wie Burschen und Mädchen zum Tanz
Rings um ein Brautpaar steh'n. Und mitten in der Schaar
Erhebt sich, an Wuchs und Farbe unerreicht, das Paar,
Hoch über Alle ragend im weiten laubigen Saal:
Die weiße Birke, das Liebchen, – der Jochbaum, ihr Gemahl.
Und weiter, gleich wie Greise auf Kinder und Enkel schauen,
In Schweigen sitzend, so hier: die Buchen, die altersgrauen,
Die Pappeln dort, die Matronen, – und drüben, mächtig ragend
Die Eiche, auf höckrigem Rücken fünf Menschenalter tragend,
[73] Gestützt, wie auf zerbroch'ne Grabsäulen, auf der Eichen,
Der altehrwürdigen Ahnen, längstversteinerte Leichen.
Thaddäus dreht sich umher in großer Langeweil'
Beim langen Gespräch; für ihn war ja daran kein Theil, –
Bis man zuletzt gar hoch die Wälder der Fremde pries
Und alle Arten Bäume aufmarschiren ließ:
Cypressen, Pomeranzen, Oliven und Mandeln
Kaktus und Aloe, Mahagony und Sandeln,
Citronen, wälsche Nüsse, Epheu, ja selbst Feigen, –
Wuchs, Blumen, Stengel anfing verherrlichend aufzuzeigen:
Da hörte Thaddäus nicht auf zu schnauben und zu zucken, –
Zuletzt konnt' er den Grimm nicht mehr hinunterschlucken.
Schlicht war sein Sinn, doch wirkte Natur auf ihn sehr tief, –
Jetzt sah er in seine Wälder begeistert hin und rief:
»Im botanischen Garten zu Wilna, da hab' ich sie geseh'n,
Jene berühmten Bäume, die fern im Osten steh'n
Oder im Süden, in Italien's holden Reichen:
Ja, welcher von ihnen läßt sich mit unsren Bäumen vergleichen?
Die Aloe mit den langen Blitzableiterschröpfen?
Die Zwergin, die Citrone, mit den goldenen Knöpfen?
Mit den lakirten Blättern, kurz und bauchig zugleich, –
Ein kleines Weibsbild, winzig und häßlich, aber reich?
Die hochgelobte Cypresse, der lange, hagere Pfeil,
Fürwahr, kein Baum der Wehmuth, sondern der Langeweil'?
Man sagt, daß sie auf Gräbern ein Bild der Trauer sei, –
Ja, wie in der Hoftrauer etwa ein deutscher Lakai,
Der sich nicht traut, den Kopf zu dreh'n, die Hand zu heben,
Um ja der Etiquette keinen Anstoß zu geben.
Wem unsre wack're Birke da nicht schöner scheint!
Wie die Bäu'rin den Sohn, die Wittwe den Mann beweint,
Also ringt sie die Hände mit klagender Gebärde
Und über die Schulter fließt ihr ein Flechtenstrom zur Erde!
Stumm vor Schmerz – und die Haltung, wie schluchzt sie so beredt!
Warum, Herr Graf, wenn Euch die Kunst so nahe geht,
[74] Malt Ihr nicht unsre Bäume? Ihr sitzt ja zwischen ihnen?
Fürwahr, es wird den Nachbarn zum Gespötte dienen,
Wenn Ihr da wohnt, in Lithauens fruchtgesegneten Thalen,
Um Gott weiß was für Felsen und Wüsteneien zu malen!«
»Freund,« sagt der Graf, »Natur muß Grund und Inhalt geben
Und Form – doch die Begeist'rung, die ist Seele und Leben:
Begeist'rung, die da aufschwebt, durch Phantasie beflügelt,
Geläutert durch Geschmack, durch Regeln wohlgezügelt.
Natur und Feuer sind viel, doch sind sie nicht genug:
In's Reich des Ideals gehe des Künstlers Flug!
Nicht Alles, was da schön ist, hat für den Maler Werth, –
Das alles wird Euch in Büchern seinerzeit erklärt –
Betreffs der Malerei: so gehört zu einem Bild
Gesichtspunkt, Gruppen, Ensemble – ein Himmel, rein und mild:
Italiens Himmel! Italien ist darum und war
Der Landschaftsmaler Heimat und bleibt's auch immerdar.
Drum außer Breughel (dem Meister der Landschaftsmalerei,
Nicht Höllenbreughel natürlich, denn Breughel gibt es zwei),
Und außer Ruisdael, – wo ist im ganzen Norden
Ein Landschaftsmaler ersten Ranges geboren worden?
Der Himmel, der Himmel fehlt!« – »Unsres Orlowski Genie, 2«
Sprach Telimene, »krankte an der Soplicamanie.
Denn darin, muß man wissen, sind alle Soplica's geschlagen,
Daß ihnen, außer der Heimat, gar nichts will behagen.
Orlowski lebte am Hof, beim Czaren in höchster Gnade, –
Ein Maler von Rang: ich habe Skizzen von ihm in der Lade –
Er wohnte in Petersburg, als wie im Paradies:
Und glaubt Ihr, wie ihn das Heimweh niemals ruhen ließ?
Er dachte nur immer der Jugend, – und wenn es Polen galt,
Da pflegte er Alles zu rühmen: Erde, Himmel, Wald.«
»Und er verstand es!« fiel Thaddäus feurig ein;
»Euer italischer Himmel, wie es heißt, so rein,
So blau – fürwahr, das ist ja gefrorenes Gewässer!
Ist Sturm und Ungewitter nicht hundertmal schöner und besser?
Wenn man bei uns nur aufschaut, wie sieht man da so viel!
[75] Wie viele Scenen und Bilder im bloßen Wolkenspiel!
Denn jede Wolke ist anders: die herbstliche Wolke mächtig,
Schildkrötenartig schleichend, regenfluthenträchtig –
Schickt lange Streifen vom Himmel bis zur Erdenfläche,
Wie aufgewickelte Zöpfe: das sind die Regenbäche.
Die Hagelwolke fliegt mit dem Wind, wie ein Ballon,
Rund, dunkelbau, in der Mitte ein glänzend gelber Ton, –
Ringsum ein mächtig Brausen. – Ja selbst die Alltagswölkchen,
Seht, dort die weißen Streifen: welch' wandelreiches Völkchen!
Erst tauchen sie, wie Schwäne, wie wilde Gänse, auf,
Und hinten, wie ein Falke, treibt sie der Wind zu Hauf;
Sie drängen sich, schwellen, wachsen – nun seht und staunet wieder!
Gekrümmte Nacken bekommen sie – lassen Mähnen hernieder –
Fußreihen strecken sie aus – und fliegen am Himmelsgezelt,
Wie eine Truppe Rappen über das Steppenfeld:
Und alle silberweiß; da mengten sie sich – nun seht!
Die Nacken zu Masten verzaubert, die Mähnen zu Segeln gebläht!
Der Haufe wird zum Schiff – und in gemess'nem Gleiten
Hinzieht es majestätisch durch die blauen Weiten!«
Der Graf und Telimene sahen mit ihm nach oben;
Thaddäus hielt eine Hand zur Wolke emporgehoben,
Die andre drückte leise die Hand der Telimene.
Ein paar Minuten währte so die stille Scene;
Schon breitet der Graf ein Blatt auf seinem Strohhut aus,
Und zieht den Bleistift hervor. Da tönt nun, drüben vom Haus,
Recht unerwünscht dem Ohr, die Glocke – und alsobald
Füllt mit Geschrei und Lärmen sich der stille Wald.
Da nickt der Graf mit dem Kopf und sagt bedeutungsvoll:
»So ist's bestimmt, daß Alles die Glocke enden soll!
Was Phantasie geplant, was Geisteskraft ersonnen,
Der Unschuld holde Spiele, der Freundschaft zarte Wonnen,
Ergüsse weicher Herzen – erdröhnt der eherne Ton:
So mischt sich Alles, bricht ab, trübt sich und ist entfloh'n!«
Hier richtet er gefühlvoll auf Telimene den Blick:
»Was aber bleibt?« – »Erinn'rung!« gab sie ihm zurück,
[76] Und, seine Trauer zu mildern, reicht sie, während sie spricht,
Dem Grafen vom nahen Strauchwerk ein zart Vergißmeinnicht.
Er küßt's und heftet es sich an die Brust. Zugleich
Theilt auf der andern Seite Thaddäus das Gesträuch, –
Denn etwas Weißes, sieht er, windet sich ganz leis'
Zu ihm durch's Grün – es war ein Händchen lilienweiß.
Er faßt es, küßt's – und still versinkt darein sein Mund,
Als wie die Biene in des Lilienkelches Grund.
Kalt fühlt' er's an den Lippen – fand einen Schlüssel – ein Blättchen,
Trompetenförmig gerollt; es war ein kleines Billetchen.
Er packt's und steckt's in die Tasche; den Schlüssel versteht er nicht,
Doch hat er ja das Blättchen, das ihm Auskunft verspricht.
Fortwährend läutet die Glocke – und mächtig wiederhallt
Ein tausendstimmiges Lärmen aus dem stillen Wald.
Die suchenden, rufenden Leute machen dort dies Getöse:
Das Zeichen, daß für heute geschlossen die Pilzenlese.
Ein Echo – gar nicht, wie's dem Grafen vorkam, bang
Und grabliedmäßig – vielmehr ein Mittagessenklang.
So hört man's jeden Mittag aus dem Söller läuten,
Das soll für Gesind und Gäste die Speisestunde bedeuten.
In vielen Höfen war das früher Sitte gewesen,
Und blieb's im Haus des Richters. Nun strömt vom Pilzelesen
Die Schaar aus dem Wald zurück, mit Schachteln in den Händen,
Mit kleinen Körben, gebunden an des Sacktuchs Enden,
Voll Schwämme; in der Rechten der jungen Damen prangen,
Wie zugefaltete Fächer, die Herrenpilze, die langen,
In der andern tragen sie Blätterschwämme nach Haus,
Mit bunten Baumschwämmen verbunden zu Einem Strauß.
Der Wojski hat den Fliegenschwamm. Doch leer und arm
Kommt Telimene; ihr folgt der jungen Herren Schwarm.
Eintraten Alle in Ordnung und stellten sich sodann
Ringsum im Kreise auf; der Kämmerer obenan.
Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern; –
Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.
[77] Daneben der Almosenier, bei dem der Richter steht:
Der Priester spricht ein kurzes lateinisches Gebet;
Man reicht den Männern Branntwein; dann setzen sich Alle in Ruh',
Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu.
Stiller als sonst nimmt heute das Essen seinen Verlauf;
Keiner will sprechen; der Hausherr fordert vergebens auf.
Die beiden Parteien in der großen Hundefrage
Beschäftigt die heutige Wette, der Kampf am morgigen Tage, –
Und wer was Großes denkt, der redet gewöhnlich nicht,
Telimene, die stets zu Herrn Thaddäus spricht,
Muß sich von Zeit zu Zeit auch an den Grafen wenden,
Ja, manchmal einen Blick selbst dem Assessor senden;
So blickt der Vogelsteller zugleich in die Stieglitzschlinge
Und in die Spatzenklappe. Thaddäus ist guter Dinge,
Der Graf nicht minder; Beide, so selbstzufrieden, so warm, –
Beide sind voller Hoffnung, also an Worten arm.
Der Graf blickt stolz auf's Blümchen, das seinen Busen schmückt,
Während Thaddäus heimlich in seine Tasche blickt,
Ob jener Schlüssel noch dort ist? Oft greift er gar mit der Hand
Und dreht das Billet, deß Inhalt ihm noch nicht bekannt.
Der Richter füllt dem Kämmerer fleißig den Pokal
Mit Champagner und Ungar, drückt ihn viele Mal
Am Knie, – allein zum Sprechen ist er nicht aufgelegt,
Man sieht, daß er drückende Sorgen verschlossen im Herzen hegt.
So folgen denn aufeinander im Stillen Teller und Gänge; –
Da endlich unterbricht des Essens fade Länge
Ein unverhoffter Gast. Der Forstmann stürzt herein, –
Selbst, daß man eben bei Tische, fällt ihm gar nicht ein;
Er eilt zum Herrn; man sieht aus Haltung und Gesicht:
Er bringe was Ungewohntes und etwas von Gewicht.
So richten sich denn auf ihn die Blicke rings umher –
Er athmet ein wenig auf und ruft: »O Herr, ein Bär!«
Den Rest errathen Alle – er kommt aus dem Urge heg 3,
Nimmt in die Wildniß jenseits des Niemen seinen Weg:
Die Jagd muß allsogleich sein – sofort ist's Allen klar,
Wiewohl nicht Rath, nicht Sinnen vorhergegangen war.
[78] Den Einen Gedanken entnimmt man den abgeriss'nen Worten,
Den lebhaften Gebärden, den Weisungen aller Orten,
Es drängt sich zahllos, auf Einmal aus so Vieler Munde, –
Und geht nach Einem Ziele und kommt aus Einem Grunde.
»In's Dorf!« rief nun der Richter, »zu Pferd! den Führer bestellt!
Treiber für morgen früh, sobald sich der Himmel erhellt!
Doch nur, wer will; – wer mit der Pike zu kommen gedenkt,
Dem werden zwei Mal Scharwerk und fünf Tag Robot geschenkt!«
»Auf! hurtig!« schrie der Kämmerer, »den Schimmel aufgezäumt!
Und in mein Schloß galoppirt! – Und bringt mir ungesäumt
Die beiden Bulldogs – ihr Ruhm ist ja in Aller Mund:
Strapczyna heißt die Hündin und Sprawnik heißt der Hund; 4
Man soll sie knebeln, gebunden in einen Sack dann legen
Und rasch zur Stelle schaffen, zu Pferd, der Eile wegen.«
»Wanka!« rief der Assessor auf Russisch zum Burschen hin, 5
»Flink mein Sanguszkomesser über den Schleifstein zieh'n!
Mein Jagdmesser, du weißt, das mir der Fürst verehrt!
Und sieh', ob Alles im Gurt geladen, wie sich gehört!«
»Flinten bereit!« schreit Alles, und der Assessor: »Blei!
Ich hab' die Form im Tornister! Nur Blei, nur Blei herbei!«
»Man soll,« bemerkt der Richter, »den Pfarrer verständigen, – morgen
Früh in der Waldkapelle für eine Messe zu sorgen;
Ein winziges Offertorium nur, wie sonst, bestellen –
Die St. Hubertusmesse für die Jagdgesellen.«
Nachdem die Befehle ertheilt, ward Alles still und stumm.
Man sann nur vor sich hin und sah sich im Kreise um,
Als suchte man Wen. Des Wojski würdig' Antlitz zieht
Sacht alle Blicke auf sich und einigt sie. – Man sieht,
Sie suchen einen Führer für das kommende Jagen,
Und der Marschallstab wird dem Wojski übertragen.
Der Wojski hat den Willen seiner Gefährten erkannt,
Erhob sich, schlug auf den Tisch gewichtig mit der Hand,
Und zog dann aus dem Busen eine goldige Schnur:
Dran hing, wie eine Birne, eine plumpe Uhr;
[79] »Morgen,« rief er, »halb fünf, sind bei der Waldkapelle
Die Brüder Schützen und das Treibervolk zur Stelle.«
Er sprach's und brach vom Tisch auf – vom Forsthüter begleitet;
Von ihnen wird die Jagd bedacht und vorbereitet.
So ist's, wenn die Schlacht für morgen angesagt dem Heer:
Die Truppen im Lager essen, putzen ihr Gewehr,
Schlafen auf Sätteln und Mänteln sorglos bis zum Morgen, –
Indessen im stillen Zelt die Feldherrn sinnen und sorgen.
Das Mahl war unterbrochen; nun werden die Pferde beschlagen,
Die Hunde gefüttert, die Waffen geputzt, zusammengetragen –
Und so wird's Abend. Da setzt kaum Einer sich zum Essen;
Sogar der Streit um Falk und Mutz scheint nun vergessen;
Assessor und Notar bilden nur Eine Partei,
Sie schlingen sich Arm in Arm und suchen zusammen Blei;
Indeß die Andern, ermüdet, zeitig schlafen geh'n.
Um morgen beim Hahnenkrähen pünktlich aufzusteh'n.
Thaddäus bekam sein Zimmer im Wohnhaus. Kaum darin,
Schließt er die Thüre, stellt das Licht in den Kamin,
Als schlief' er schon, wiewohl er nicht ein Auge schließt:
Er harrt der Nacht, unmuthig, wie träg die Zeit verfließt.
Vor einer Öffnung im Fenster steht er da und späht,
Wie unter'm Thor der Wächter auf und nieder geht; –
Der ist nun fern: da springt er hinaus mit Einem Satz,
Macht dann das Fenster zu – und schleicht geduckt vom Platz,
Verstohlen wie ein Spürhund. Wohin er weiter ging,
Verbarg die dunkle Herbstnacht, die ihn dicht umfing.

Fußnoten

1 Es giebt in Lithauen ein bekanntes Volkslied von den Schwämmen, die unter Führung des »Herrenpilzes« in den Krieg ziehen. In diesem Lied sind die Eigenschaften der eßbaren Pilze beschrieben.

2 Orlowski, ein bekannter Portraitmaler. Einige Jahre vor seinem Tode wandte er sich der Landschaftsmalerei zu. Er starb vor Kurzem in Petersburg. (Also etwa um 1830. d.Ü.)

3 Das unzugänglichste Dickicht der Wildnis. Vgl. 4. Gesang. S. 97. (d.Ü.)

4 (Bulldoggs, poln. Pijawki, »Blutegel«. (d.Ü.) »Blutegel« nennt man eine Art kleiner, kräftiger englischer Hunde, deren man sich zur hohen Jagd, vornehmlich zur Bärenhatz, bedient.

Sprawnik oder Hauptmann Sprawnik heißt der Chef der Landespolizei; der Strapczy eine Art Regierungsprokurator. Diese Beamten, die oft genug Gelegenheit haben, ihre Gewalt zu mißbrauchen, sind bei den Einwohnern ungemein verhaßt. (Das Femininum von Strapczy würde poln.Strapczyna heißen. d.Ü.)

5 Hier dürfte nicht das eigentliche Russisch, vielmehr das Reussische, Rusinische, Klein-Russische gemeint sein. (d.Ü.)

Vierter Gesang

[80] Vierter Gesang.
Diplomatie und Jagd.

Die Erscheinung in den Papilloten weckt Thaddäus auf. – Der Irrthum wird erkannt, aber zu spät. – Die Schenke. – Der Emissär. – Gewandtes Gebrauchen der Tabaksdose bringt die Discussion immer wieder auf's eigentliche Thema. – Das Urgeheg. – Der Bär. – Thaddäus und der Graf in Gefahr. – Drei Schüsse. – Streit zwischen der Sagalasflinte und dem Sanguszkogewehr, zu Gunsten er einläufigen Horeszkoflinte entschieden. – Der Bigos. – Des Wojski Erzählung vom Duell des Domejko und Dowejko, durch eine Hasenhatz unterbrochen. – Schluß der Erzählung von Domejko und Dowejko.


Die ihr die Großfürsten des Lithauervolkes gesehen:
Bäume von Bialowieza, von den Ponarenhöhen,
Ihr, deren Schatten einst die Herrscherhäupter bedeckt
Mindowe's, des Großen, und Witenes', der die Völker geschreckt,
Giedymin's auch, da er einstmals auf dem Ponarer Berg
Auf's Bärenfell gestreckt, ausruhend vom Waidmannswerk,
Des weisen Lizdejko Liedern am Jägerfeuer lauschte –
Und wie ihn die Wilia ansah, und ihn die Wilejka umrauschte,
Wiegt' es ihn ein, und er träumte von einem Wolf aus Eisen; 1
Und aufgewacht, erbaut' er, wie ihn die Götter weisen,
Wilno, die Stadt, die mitten in den Wäldern thront,
Als wie ein Wolf unter Bären, Uren und Ebern wohnt;
Wilno, dem, gleich jener römischen Wölfin, entsproß
Kiejstut und Olgierd, und Olgierd's Geschlecht, so kühn und groß,
Als Jäger berühmt, als Ritter nicht minder, – ob's nun galt,
Den Feind im Feld zu jagen oder das Wild im Wald.
[81] Der Traum des Jägers mag uns der Zukunft Geheimniß weisen,
Was Lithauen immer Noth thut: die Wälder und das Eisen.
O Forste! ihr saht den Letzten durch eure Reviere jagen,
Den letzten König, der Witold's Kolpak stolz getragen, 2
Den letzten der Jagellonen, der siegreich Schlachten schlug,
Den letzten Jäger in Lithauen, der eine Krone trug!
Ihr Bäume meiner Heimat, wenn ein gütig Geschick
Mich je, ihr alten Freunde, führt zu euch zurück:
Werd' ich euch dann noch finden? seid ihr am Leben noch?
Wißt ihr noch, wie ich als Kind um eure Stämme kroch?
Lebt noch der große Baublis, 3 vor Alter so ausgehöhlt,
Daß in dem Riesenraume zwölf Menschen, wohlgezählt,
Zu Tisch sich setzen konnten, wie in bequemem Zimmer?
Und Mendog's Hain beim Kirchlein, 4 blüht er wohl noch immer?
Und dort auf der Ukraine steht noch, wie sie stand,
Vor'm Haus der Holowinski, an der Rossa Rand,
Die Linde, so riesenhaft, daß sie mit ihren Zweigen
Hundert Paare beschattet von Burschen und Mädchen im Reigen?
Denkmale unsres Volks! An euch frißt Jahr um Jahr
Die gierige Axt des Kaufmanns oder Moskaus Czar!
Wie bald – und kein Asyl mehr ist euren Sängern geblieben,
Den Vögeln und den Dichtern, die euch, wie Vögel, lieben!
Hat doch der Schwarzwaldlinde die Stimme Johannes', die weiche,
So viele Weisen entlockt! 5 singt jene geschwätzige Eiche 6
In's Herz des Kosakensängers doch so viel Wunder hinein!
Und ich, wie soll ich euch danken, ihr theuern Bäume mein!
So oft ich, ein elender Schütz, um eines Fehlschusses willen
Dem Spott der Genossen entfloh: was hab' ich bei euch, ihr Stillen,
An Dichterträumen erbeutet, – wenn ich, der Jagd vergessen,
Inmitten öder Wildniß so auf dem Werder gesessen,
Ringsum vom Graubart Moos der Boden wie silberbesetzt,
Das Silber vom Granatroth zerquetschter Schwarzbeer benetzt, –
Und dort die Haidekrauthügel, die röthlich herüberglänzen,
Mit Preißelbeeren geziert, wie mit Korallenkränzen.
[82] Ringsum war's dunkel; der Zweige verflochtenes Gebälk,
Hing droben, wie grünes, dichtes, niedriges Gewölk, –
Dort irgendwo raste der Sturmwind über dem starren Dach,
Ein Stöhnen, ein Sausen, ein Heulen, ein Knattern, ein Donnergekrach,
Ein seltsam betäubender Lärm! Mir war, als hört' ich droben,
Hoch über meinem Haupte, ein hangendes Meer ertoben!
Und unten, wie Städteruinen: hier entwurzelter Eichen
Aufragende Stümpfe, mächtigen Balken zu vergleichen –
Wie Trümmer von Wänden und Säulen, steh'n darüber geneigt,
Hier halbvermoderte Stämme, dort Klötze weitverzweigt,
Ringsum ein Zaun von Buschwerk. Doch wer sah ohne Grausen
In's Innere des Wusts hinein, wo die Hausherrn des Waldes hausen,
Die Eber, die Bären, die Wölfe, – am Eingang, halbzernagt,
Liegen die Knochen von Gästen, die einzukehren gewagt.
Zuweilen schießt's durch's Grün, wie zwei Fontänen, auf:
Das ist ein Hirschgeweih – und schon, in eiligem Lauf,
Ist es, ein gelblicher Streifen, im Dunkel vorbeigeblinkt,
Wie wenn ein Strahl in's Dickicht hineinbricht und versinkt.
Nun wieder Stille drunten. Auf dem Tannenbaum
Pocht leis' ein Specht – fliegt weiter, verschwindet im dunkeln Raum.
Er hat sich versteckt, der Schnabel pocht aber unausgesetzt,
Wie sich ein Kind verbirgt und ruft: Nun, such' mich jetzt!
Da sitzt ein Eichhörnchen, hält eine Nuß in den Fängen,
Und nagt; das Schweifchen läßt es über die Augen hängen,
Wie über den Kürassierhelm die buschige Feder weht –
Obwohl nun so verschleiert, blickt's doch herum und späht;
Zeigt sich was Fremdes, so springt des Waldes Tänzerin
Von Wipfel zu Wipfel fort, blinkt wie ein Blitz dahin,
Bis sie in einen Baumspalt, – der Blick bemerkt ihn kaum, –
Versinkt, wie eine Dryade in den heimischen Baum.
Und wieder still.
Da bewegt sich einer von den Zweigen –
Und wie sich die Vogelbeeren auseinander neigen,
Erscheinen zwei Wangen, prächtiger, als die rothe Frucht:
Ein Mägdlein ist's, das Nüsse oder Beeren sucht.
[83] Ein Büchschen aus einfacher Rinde füllt sie mit ihrem Fund,
Mit frischen Preißelbeeren, so roth, als wie ihr Mund,
Ein Bursch geht neben ihr her, der ihr die Haseln zubiegt,
Flugs hascht das Mädchen die Nuß, die ihr hellblinkend zufliegt.
Da haben sie Hundegebell und der Hörner Echo vernommen,
Sie merken, daß die Jäger nah' und näher kommen,
Da faßt sie ein Bangen, und in der Äste dichtem Bereich
Sind sie plötzlich entschwunden, Göttern des Waldes gleich.
Welch Treiben in Soplicowo! Doch weder der Wagen Knarren,
Noch auch der Hunde Lärm, der Rosse Wiehern und Scharren,
Noch auch die Hörnerrufe, die ringsum wiederhallen,
Vermochten Thaddäus zu wecken. Er war in's Bett gefallen,
Unausgekleidet – und schläft wie ein Murmelthier in der Grube.
Keinem der Burschen fällt's ein, zu suchen ihn auf der Stube;
Jeder denkt nur an sich und rennt, wohin man ihn schickt,
Des Freundes vergißt man ganz, den tiefer Schlaf umstrickt.
Er schnarcht. Durch's herzförmige Loch im Laden bricht
Die Sonne in's dunkle Gemach, dem Schläfer in's Gesicht,
Daß ihm die Feuersäule g'rad' auf der Stirne glüht.
Er will noch schlafen und dreht sich im Kreisel, stets bemüht,
Dem Glanz zu entweichen. Da hört' er's pochen – er erwacht:
Wie ihm die Morgensonne heut' so fröhlich lacht!
Er fühlt sich frisch, wie ein Vöglein, leicht hebt sich seine Brust,
Er lächelt sich selber zu, glücklich und froh-bewußt;
Und denkt er an Alles, was sich gestern zugetragen,
Erröthet er, seufzt auf, fühlt's laut im Busen schlagen.
Da blickt er in's Fenster; o Wunder! In jenem Strahlenschein,
In jenem Herzen leuchten zwei klare Äugelein,
Breit aufgeschlossen, wie eben das Aug' sich öffnet weit,
Wenn es aus Tageshelle blickt in die Dunkelheit.
Er sah auch ein kleines Händchen, seitwärts vor's Gesicht
Wie ein Fächer gehalten, zum Schutz vor'm Sonnenlicht.
Die Fingerchen erschienen im rosigen Morgenglanz,
[84] Wie schimmernde Rubine, roth durchleuchtet ganz;
Er sieht auch ein lauschendes Mündlein, halboffen; darin zwei Reih'n
Zähne, wie, zwischen Korallen, schimmernder Perlen Schein.
Die Wangen, zwar vor'm Licht verdeckt mit der rosigen Hand,
Erglühen doch selber und prangen in rosenfarbnem Brand.
Thaddäus lag unten am Fenster; vom Schatten ganz verdeckt,
Liegt er am Rücken und staunt, welch Wundergebild ihn weckt –
Da hat er es dicht über sich, beinah' auf dem Gesicht.
Ist das ein Traum? ist's Wahrheit? Er staunt, er weiß es nicht:
Eins jener Kindergesichtchen, jener hellen, lieben,
Die aus den Träumen der Unschuld uns im Sinn geblieben!
Das Antlitz neigt sich hernieder, er sieht's, er faßt sich kaum
Vor Schrecken, vor Lust, – o weh! er sieht's, es ist kein Traum;
Es ist dasselbe, – das Haar, so kurz, und hell, wie Gold,
In Papilloten, in kleine, weiße, eingerollt,
Ein Kranz von silbernen Schötchen, der in der Sonne strahlt,
Dem Lichtschein gleich, den man um Heiligenstirnen malt.
Auffährt er, – die Erscheinung entschwand sofort dem Blick,
Von der Bewegung erschreckt; er wartet, – sie kehrt nicht zurück!
Nur dreimal klopfen hört er's, und wie's die Worte sagt:
»Steht auf! ihr habt verschlafen! es ist Zeit zur Jagd!«
Aufspringt er, stößt den Laden auf mit beiden Händen,
Daß er kracht in den Angeln und an beiden Wänden
Lautklirrend anschlägt; hurtig springt er hinaus und schickt
Die Blicke umher, verwirrt, erstaunt; – doch wie er blickt:
Nichts ist zu seh'n, nicht eine Spur ist zu erschau'n.
Unweit vom Fenster war der Obstgartenzaun,
Dort schwanken die blumigen Kränze und die Hopfenranken –
Hat sie ein leichtes Händchen berührt, daß sie so schwanken?
War es der Wind? Hinstarrt er und kann sich nicht getrau'n,
Den Garten zu betreten; lehnt sich nur an den Zaun,
Blickt aufwärts, und den Finger an den Mund gelegt,
Mahnt er sich selbst zum Schweigen, daß nicht, hastig bewegt,
Ein Ton die Stille störe; dann schlägt er sich an die Stirn,
Als pocht' er Erinnerungen wach in seinem Hirn,
[85] Zuletzt zerbiß er sich die Finger bis auf's Blut,
Und schrie, was er konnte: »Recht so! so geschieht mir gut!«
Das Haus, wo's noch vor Kurzem so viel Lärm gegeben,
War jetzt, als wie ein Kirchhof, stumm und ohne Leben.
Alles war ausmarschirt. Thaddäus spitzt das Ohr
Hält beiderseits die Hände, wie Trompeten, vor
Und lauscht, – bis ihm, vom Wind der Wildniß hergetragen,
Die Hörner herüberschallen und das lärmende Jagen.
Längst harrt sein Pferd im Stall, gesattelt und gezäumt;
So nimmt denn er die Flinte, sitzt auf, und ungesäumt
Sprengt er, wie toll, zu den Schenken hin bei der Kapelle:
Gemäß der gestrigen Weisung, der Jäger Versammlungsstelle.
Zwei Schenken hocken hier zu beiden Seiten der Straße,
Die Fenster drohen einander, wie Feinde in grimmem Hasse:
Die alte gehört zu des Gutsherrn Schloß, von Rechtes wegen, –
Soplica befahl, ihm zum Trutz, die neue anzulegen.
Dort führt, wie in seinem Besitzthum, das Regiment Gervasius,
Hier nimmt den Ehrenplatz am Tische ein Protasius.
Die neue Schenke war keine Sehenswürdigkeit.
Die alte aber zeigte den Styl vergangner Zeit,
Den einst die Zimmerleute von Tyrus ausgedacht
Und späterhin die Juden in alle Welt gebracht.
Ein Baustyl, fremden Meistern gänzlich unbekannt,
Bei uns verbreiten ihn die Juden jetzt im Land.
Vorn gleicht sie einer Arche und hinten einem Tempel,
Die Arche, von Noah's Viereck ein ganz genaues Exempel,
Wird heutzutage bei uns auch schlechtweg Scheune genannt;
Dort giebt es Pferde, Kühe, Ochsen und sonst allerhand
Gethier, auch bärtige Ziegen; dann oben Vögel in Schaaren,
Insekten auch und Würmer, wenigstens zu Paaren.
Der hintere Theil, gebaut wie ein seltsam Gotteshaus,
Sieht ungefähr wie der Tempel des Königs Salomo aus,
Den Hiram's Zimmerleute, – die ersten, die in der Welt
Das Bauhandwerk verstanden, – auf Zion aufgestellt.
[86] Die Judenschulen stellen noch jetzt dies Muster dar,
An Schenken aber und Scheunen sieht man den Grundriß klar.
Das Dach aus Stroh und Latten ist spitz hinaufgezogen,
Als wie ein Judenkolpak rissig, krummgebogen.
Am Giebel entspringen die Ränder des Gangs, auf eine lange
Holzsäulenreihe gestützt; die Säulen an diesem Gange
Sind für die Architekten ein wahres Wunder der Welt, –
Sie halten fest und sind doch halbfaul und krumm gestellt,
Wie am Thurm von Pisa, nicht nach griechischen Modellen,
Weil ohne Kapitäle und ohne Unterstellen.
Über den Säulen laufen, auch aus Holz gemacht,
Halbrunde Bogen hin, im gothischen Styl gedacht.
Vorn künstlicher Zierrath, – nicht gemeißelt, nicht gestochen,
Nur mit dem Zimmermannsbeil hübsch in den Stein gebrochen,
Wie Sabbathleuchterarme gekrümmt, in kleine Köpfchen
Auslaufend, – diese ähneln jenen baumelnden Knöpfchen,
Die sich die Juden beim Beten über die Köpfe schlagen,
Und die in ihrem Jargon den Namen Zitzes tragen.
Kurz, von der Ferne erscheint die krumme, wacklige Bude,
So ungefähr wie ein beim Beten wackelnder Jude;
Das Dach sei die Kappe, das struppige Stroh der Bart genannt,
Die rauchigen, schmutzigen Wände das schwarze Obergewand,
Und vorn das Schnitzwerk, wie Zitzes an der Stirne Saum.
Wie in der Judenschule, theilt ein Verschlag den Raum;
Ein Theil ist ganz voll enger, länglicher Kämmerlein,
Da kehren ausschließlich Damen und fremde Herren ein;
Der and're ein mächtiger Raum: ringsum, die Wände entlang,
Zieht sich ein hölzerner Tisch, vielfüßig schmal und lang,
Dran reihen sich Sessel, nied'rer, aber ähnlich dem Tisch,
Wie Kinder dem Vater.
Hier saßen heut' und tranken frisch,
Bauern und Bäuerinnen, dabei auch kleine Schlachcicen,
Reih'weis, – der Ökonom nur liebt's, allein zu sitzen.
Sonntag ist's; nachdem man die Frühmesse gehört,
Wird hier, beim Jankiel, geplaudert und ein Glas geleert.
Vor Jedem steht ein Pokälchen, es perlt der Schnaps darin,
[87] Ob allen läuft mit der Flasche die Wirthin her und hin.
Wirth Jankiel inmitten: im Hauskleid, mit langen, wallenden Falten
Bis an den Boden, von Hefteln aus Silber zusammengehalten;
Die Linke hat er bequem in den seidenen Gurt gebettet,
Indeß die Rechte würdig den grauen Vollbart glättet;
Rings späht er umher, um üb'rall Befehle zu ertheilen,
Empfängt die Kommenden, stellt sich zu denen am Tisch zuweilen,
Knüpft ein Gespräch an, – zankt man, so greift er begütigend ein,
Doch Keinen bedient er: er spaziert nur durch die Reih'n.
Ein alter Jude, bekannt durch seine Redlichkeit,
Besaß er den Pacht der Schenke seit langer, langer Zeit,
Und weder Bauer noch Schlachcic klagte je über ihn.
Warum auch? Er stellt dem Gast nichts Schlechtes zum Trinken hin,
Rechnet zwar mit Vorsicht, doch ohne zu betrügen,
Duldet keine Besoff'nen, stört aber nie ein Vergnügen,
Liebt alle Kurzweil sehr, – Tauffeste, Hochzeitsfeste
Begeht man bei ihm; und Sonntags läßt er, zur Lust der Gäste,
Die ganze Musik vom Dorf zu sich in's Wirthshaus bringen,
Baßgeigen und Dudelsäcke hört man da lustig klingen.
Er selbst war musikalisch, sogar ein berühmtes Talent,
Einst war er mit der Cymbal, dem jüdischen Instrument,
Von Hof zu Hof gezogen, und bewundert viel
War sein geschulter Gesang, wie sein geübtes Spiel.
Zwar Jude, sprach er doch polnisch recht rein, – allein vor allen
Erweckten die Volkslieder sein höchstes Wohlgefallen
Er bracht' eine Menge, so oft er über den Niemen fuhr,
Kolomyjken aus Halicz, 7 aus Warschau manchen Masur;
Es hieß, ich weiß es nicht sicher, im Umkreis weit und breit,
Er habe von jenseits der Grenze zuerst in jener Zeit
Das Lied gebracht und verbreitet in der ganzen Runde,
Das Lied, das heutzutage lebt in Aller Munde,
Und das zum ersten Mal im Lande der Ausonen 8
Die Welschen blasen gehört von polnischen Legionen.
Der Gabe des Sängers sind die Lithauer sehr hold,
Sie wird mit Liebe vergolten, mit Ruhm und auch mit Gold;
Jankiel erwarb ein Vermögen, erwarb auch Ruhmes viel,
[88] Nun hängte er an die Wand das tönende Saitenspiel,
Setzte sich fest mit den Kindern, des Geldes und Lobes satt,
Ward Schankwirth, Unterrabiner zugleich in der nahen Stadt,
Als Gast und Rath des Hauses überall gern gesehen.
Man muß auf dem Land ein wenig Getreidehandel versteh'n,
Den Flußboothandel 9 besonders: was Jankiel wohl verstand.
Er war auch als guter Pole gerühmt und allbekannt.
Er war der Erste, der dem Krieg ein Ende gemacht
Zwischen den beiden Schenken: er nahm sie beide in Pacht.
Die alte Partei der Horeszko verehrte ihn gar sehr,
Des würdigen Richters Gesinde ertheilt' ihm gleiche Ehr'.
Nur er allein vermochte zugleich beim wüthigen Alten,
Dem Schließer, und beim Gerichtsfrohn sich in Respekt zu halten.
Vor Jankiel hielten sie ein in ihrem grimmigen Schwunge,
Nämlich Gervasius' Hand und Protasius' Zunge.
Gervasius war nicht da; er war auf die Jagd gegangen;
Er wollte bei einem so großen und schwierigen Unterfangen
Den Grafen allein nicht lassen, so jung und unerfahren, –
So ging er mit ihm, mit Rath und That ihn zu bewahren.
Gervasius' Stelle, ein Plätzchen inmitten zweier Bänke,
Am weitesten von der Thür, ganz in der Ecke der Schenke,
(Pokucie genannt 10), nimmt heute der Pater Robak ein.
Jankiel wies sie ihm an. Viel Ehre angedeih'n
Ließ er fürwahr dem Mönch: denn wie er nur ersah,
Daß sein Gläschen nicht voll war, hurtig war er da
Und ließ ihm Julimeth eingießen bis zum Rand.
Man sagt, es hätten sich Beide in jungen Jahren gekannt,
Irgendwo in der Fremde. Robak kam oft bei Nacht
Zu Jankiel, und manche Stunde ward da heimlich verbracht
In wichtiger Berathung; vom Mönch ging das Gerücht,
Er treibe Schmuggel; doch Glauben verdient die Verläumdung nicht.
Auf den Tisch gestützt, trug Robak dem Kreise vor,
Halblaut; die Schlachta umgiebt ihn und richtet die Ohren empor,
[89] Die Nasen aber zur Dose des Paters hinab; man priest
Mehrmals aus ihr, daß Alles, wie aus Mörsern, niest.
»Reverendissimi,« – sprach Skoluba nach einigem Niesen,
»Das nenn' ich Tabak, das fühlt man bis zum Schopfe schießen!
Seit ich sie trage,« hier streicht er die Nase, groß und mächtig,
»Fand meine Nase kein Kraut,« hier niest er wieder, »so prächtig!
Ein rechtes Pfaffenkräutlein, gewiß aus Kowno gebürtig,
Die Stadt ist an Meth und Tabak den besten ebenbürtig –
Dort war ich« – Der Mönch unterbrach ihn: »Zu bestem Nutz und Frommen
Den Herrschaften allen, mög' es den Herren wohlbekommen!
Betreffs des Tabaks, je nun, der hat die Reise gemacht
Von ferner her als unser verehrter Skoluba gedacht.
Er kommt vom Klarenberge. Die Pauliner bereiten
Dies Kraut in Czenstochau, 11 wo seit uralten Zeiten
Das Wunderbild der Jungfrau auf dem Gnadenthrone,
Der Muttergottes, prangt, der Königin der Krone
Von Polen – auch Fürstin von Lithau'n heißt sie noch bis jetzt,
Die Königskrone bewahrt sie bis jetzt noch unverletzt –
Doch herrscht hier nun das Schisma, 12 soweit nur Lithauen reicht!«
»Aus Czenstochau?« sprach Wilbik, »dort war ich in der Beicht',
Wie ich zum Ablaß hinkam, es sind schon dreißig Jahr!
Nun wirthschaftet dort der Franzmann? und ist das wirklich wahr:
Sie wollen die Kirche zertrümmern und seine Schätze rauben?«
So sagt der »Courier von Lithau'n.« – »Nichts, – schenkt dem keinen Glauben«,
Erwidert der Priester, »ist doch Seine Majestät,
Napoleon, ein Katholik, wie er im Buche steht.
Der Papst hat ihn ja gesalbt, lebt mit ihm ungestört
In Frieden, es werden von ihnen auch die Franzosen bekehrt,
Die sich ein wenig verderbt. Aus Czenstochau, das ist richtig,
Gab man zum Nationalschatz viel Silber, steuerte tüchtig
Für's Land, für Polen – als wenn nicht auch Gottes Wille so wäre!
Ein Schatzhaus des Vaterlands sind immer seine Altäre.
Im Herzogthum Warschau haben wir ja ein polnisches Heer
[90] Von hunderttausend Mann, in Kurzem vielleicht noch mehr –
Und wer bezahlt's? Ihr Lithauer? zahlt wohl ihr den Sold?
Ihr leget euren Groschen nur zum russischen Gold!«
»Der Henker gäb's,« schrie Wilbik, »sie schleppen's gewaltsam fort!«
»Ach, gnädiger Herr«, nimmt kleinlaut ein Bäuerlein das Wort
Und kratzt sich den Kopf und neigt sich vor dem Almosenier, –
»Die Schlachta hat nur die halbe Plackerei, – doch wir!
Wir werden auf's Blut geschunden!« – »Cham!« schrie Skoluba, »hast' s besser,
Als wir, du Tölpel! bist, wie ein Aal, gewöhnt an's Messer!
Doch wir von Geburt, wir Edlen, wir hochmögende Herrn,
An goldne Freiheit gewohnt! Ach, Brüder, wie ist sie so fern,
Die selige Zeit, da noch der Schlachcic auf seinem Boden« –
»Ja! ja!« schrie'n Alle, »gleich war einem Wojewoden!«
»Heut' wird uns der Adel bestritten, – man frägt nach Documenten!
Wir sollen den Adel beweisen aus allerlei Pergamenten!«
»Nun«, rief Juraha, »bei euch hat's weniger zu bedeuten,
Ihr stammt von Bauern, der Adel ist aus jüngern Zeiten, –
Doch ich von Fürsten! Mich nach meinem Patent zu fragen,
Wann ich ein Schlachcic geworden! Das soll der Herrgott sagen!
Ob wohl der Moskowite die Eiche im Walde fragt,
Nach welchem Patent sie über alle Gesträucher ragt!«
»Schneidet vor Andern auf, Herr Fürst!« rief Zagiel aus,
»Hier findet Ihr Fürstenhüte wohl in manchem Haus!«
»Das Kreuz,« versetzt Podhajski, »in Eurem Wappen, – seht,
Man weiß doch, daß es die Herkunft von Convertiten verräth! 13«
»Falsch!« rief da Birbasz, »das Blut tatarischer Grafen quillt
In mir, und hab' doch Kreuze über'm Schiff im Schild!«
»Ein Poraj 14«, schrie Mickiewicz, »nebst Hut im goldnen Feld
Ist Fürstenwappen, Stryjkowski hat das klargestellt!«
Nun hört man in der Schenke nichts, als Zanken und Keifen,
Der Bernhardiner muß wieder zu seiner Dose greifen;
Die Redner alle traktirt er; gleich wird's still im Saal,
Aus Artigkeit schnupft Jeder und niest dann einige Mal.
Robak benützte die Pause, indem er wieder begann:
»O, von dem Tabak nieste schon mancher große Mann!
[91] Glaubt ihr's wohl, meine Herrn, daß der Herr General
Dombrowski aus dieser Dose Prisen nahm vier Mal?«
»Dombrowski?« hieß es – »Ja! ja! er selbst! ihr mögt es wissen,
Ich war im Lager, als er den Deutschen Danzig entrissen;
Er mußte was schreiben, wollt' sich wach erhalten und schnupfte
Und nieste, worauf er mir zweimal auf die Schulter tupfte«
Und sprach: »Freund Robak,« sprach er, »Freund Bernhardiner, wißt,
Wir sehen uns in Lithauen noch vor Jahresfrist,
Sie sollen mich dort erwarten mit Czenstochauer Prisen,
Ich nehme keinen Tabak von anderswo, nur diesen.«
Des Priesters Worte erweckten solch ein Staunen ringsum
Und solche Freude, daß Alles eine Weile stumm
Dasaß, dann hört man halblaut die Worte wiederholen:
»Tabak aus Czenstochau? Dombrowski? Tabak aus Polen?
Dombrowski? aus Italien?« bis auf Einmal zuletzt
Wie Sinn mit Sinn, so Wort mit Wort sich trifft – und jetzt,
Wie auf ein Losungszeichen, schrei'n Alle, wie Ein Mann:
»Auf, das Dombrowskilied!« und Alles stimmt nun an, –
Alles umarmt sich: Kreuz und Fürstenhut, wie sich's traf,
Schiff, Greif und Poraj, Bauer und tatarischer Graf,
Vergessen ist Alles, selbst Robak; sie singen nur und schrei'n,
Und jauchzend tönt's dazwischen: »Schnaps her! Meth her! Wein!«
Lang hörte der Bernhardiner der Weise zu; am Ende
Wollt' er doch wieder Ruhe; so nahm er in beide Hände
Die Dose und nieste laut, den Takt zu unterbrechen,
Und ehe sie wieder stimmen, beeilt er sich zu sprechen:
»Hochmögende Herrn, ihr findet meinen Tabak gut,
Nun seht auch, was sich im Innern der Tabaksdose thut.«
Drauf macht er mit dem Sacktuch den staubigen Deckel rein,
Und zeigt dort eine gemalte Armee, ganz winzig klein,
Wie Fliegenschwärme; inmitten hoch zu Roß ein Mann,
Maikäfergroß; der führt gewiß die Heerschaar an.
Er spornt das Pferd, als wollt' er in den Himmel rasen,
Die eine Hand am Zügel, die andre an der Nasen.
»Seht die Gestalt,« sagt Robak, »voll drohender Gewalt, –
[92] Wer, glaubt ihr, ist's?« Begierig schaut Alles auf die Gestalt.
»Das ist ein großer Mann, der Kaiser – doch nicht der Czar,
Die Czaren von Moskau hassen den Tabak ganz und gar.«
»Ein großer Mann,« rief Cydzik, »der die Capote trägt?
Ich dachte, große Männer sei'n immer mit Gold belegt,
Denn jeder General in Rußland, schlecht wie recht,
Blitzt so von lauter Gold, wie im Safran der Hecht.«
»Ei was!« rief Rymsza, »als Bursch, 's sind viele Jahre schon,
Sah ich Kosciuszko, den Führer unserer Nation;
Ein großer Mann, und ging im Krakauer Tuchrock einher,
In der Czamarka!« »Czamarka?« sagt Wilbik, »bitte sehr,
Das hieß Taratatka!« – »Nur, daß jene Fransen hat,«
Schrie nun Mickiewicz, »diese aber ist ganz glatt.«
Da fängt denn Alles an, zu lärmen und zu streiten
Um Taratatka, Czamarka und ihre Verschiedenheiten.
Der kluge Robak, der das Gespräch nach allen Winden
Zerstieben sieht, sucht's wieder an seinen Brennpunkt zu binden,
An seine Dose; er reicht sie herum, das Niesen geht an,
Sie rufen »Helfgott!« – und er spinnt weiter, was er begann:
»Wenn Ein um's andere Mal Napoleon in der Schlacht
Tabak schnupft, das ist ein Zeichen, der Sieg sei ausgemacht.
Zum Beispiel bei Austerlitz: das Heer des Kaisers stand
Mit schwerem Geschütz, die Russen kamen im Sturm gerannt.
Der Kaiser schaute und schwieg. Sowie die Franzosen schießen,
Mäht's ganze Regimenter von Russen zu ihren Füßen.
Eins sprengt heran ums andere, und fällt, wie Heu auf der Wiese, –
Und wie Eins hin ist, nimmt der Kaiser eine Prise.
Bis endlich Alexander nebst Brüderlein Konstantin
Und Franz, der deutsche Kaiser, aus besten Kräften flieh'n;
Und nun die Schlacht beendet, sieht ihnen ihr Bezwinger
Noch einmal nach, lacht auf und schüttelt den Staub vom Finger.
Also, sollt' Einer der Herrn, die hier Gehör mir schenken,
Im Heer des Kaisers dienen, so mög' er daran denken.«
»Ach,« rief Skoluba, »Hochwürden, wann wird das gescheh'n?
Seht nur, so viele Feste im Kalender steh'n,
[93] So kündigt man für jedes uns die Franzosen an;
Man schaut, man schaut, daß Einem das Aug' zufallen kann:
Und wie uns Moskau beim Schopf hielt, so hält's uns noch zur Stunde,
Ja, ehe das Gras nachwächst, geht das Pferd zu Grunde.«
»Mein Bester,« sagte Robak, »nur alte Weiber klagen,
Und Juden nur steh'n, die Hände übereinandergeschlagen,
Bis Einer zur Schenke hereinfährt und an die Thüre pocht.
Den Feind mit Napoleon schlagen, so was hat Mancher vermocht.
Den Schwaben hat er freilich tüchtig das Fell gerieben,
Das Preußenvolk zertreten, England zurückgetrieben
Weit über's Meer – den Russen wird's nicht besser geh'n.
Doch weiß auch Euer Liebden, was darnach wird gescheh'n?
Ei nun, die Lithauer Schlachta setzt sich zu Roß erst dann,
Wenn's keinen Feind mehr giebt, mit dem man schlagen kann.«
Dann hat Napoleon alles selbst gethan und spricht
Zu guter Letzt: »Wer seid ihr? ich bedarf euch nicht!«
Also den Gast zu erwarten, zu bitten ihn zu Tisch,
Genügt nicht – das Gesinde, heißt es, sammeln frisch!
Die Tafel bereiten, das Haus auch säubern vor dem Schmaus,
Ja, säubert das Haus, – »ich sag's euch, Kinder, säubert das Haus!«
Still ward's; dann hört man Stimmen durcheinander fragen:
»Säubert das Haus – was heißt das? was will Hochwürden sagen?
Wir sind ja zu Allem bereit, thun Alles nach seinen Lehren,
Nur wolle der geistliche Herr sich deutlicher erklären.«
Der Mönch hielt ein und sah durch's Fenster – vor dem Haus
Bannt etwas seinen Blick, er steckt den Kopf hinaus,
Erhebt sich dann bald und sagt: »Heut' haben wir keine Zeit,
Wir sprechen davon ein Weit'res bei nächster Gelegenheit;
Muß morgen in Geschäften in der Kreisstadt sein,
Kehr' auch am Weg bei euch mit meiner Büchse ein.«
»Käm',« sagte der Ökonom, »Hochwürden doch zur Nacht
Nach Niehrymow; dem Fähnrich wär' große Freude gemacht.
[94] Ihr wißt ja, ein altes Sprichwort giebt's zu Lande hier:
Glückselig, wie in Niehrymow ein Almosenier!«
»Bei uns auch,« sagt Zubkowski, »kehret freundlichst ein,
Ein halb Stück Leinwand find't sich, ein Butterfässelein,
Ein Kühlein oder ein Schöps – wie man ja sagen hört:
Er traf's, wie wenn ein Mönch in Zubkow eingekehrt.«
»Zu uns!« hört man Skoluba, »Zu uns!« Terajewicz bitten,
»In Pucewicze hat kein Mönch noch Hunger gelitten.«
Mit Bitten und Versprechen begleitet ihn so durch's Haus
Die ganze Schlachta. – Er war schon zur Thür hinaus.
Er hatte schon früher Thaddäus bemerkt, der voller Wuth
Über den Fahrweg sprengte, im Galopp, ohne Hut,
Gesenkten Haupts, – sein Antlitz war bleich und schwermuthvoll,
Und unaufhörlich peitscht' er und spornt' das Pferd, wie toll.
Der Anblick hatte den Mönch ganz aus der Fassung gebracht,
Bald hat er hinter dem Jüngling sich auf den Weg gemacht,
Zur großen Wildniß, die, soweit das Auge sieht,
Den ganzen Horizont mit schwarzem Rand umzieht.
Urwälder Lithauen's, eure bodenlose Ferne
Wer sah ihr je bis in's Herz, bis zu des Dickichts Kerne?
Den Meergrund sieht der Fischer kaum an dem Küstensaum:
So kreist der Lithauer Jäger um's Bett der Wildniß kaum,
Kennt wohl ihr Äuß'res, ihre Gestalt, ihr Angesicht, –
Doch kennt er ihres Herzens geheime Wunder nicht.
Nur Märchen und Sage wissen, was in ihm geschieht.
Denn hinter dem Dickicht der Forste und hinter der Föhren Gebiet,
Empfängt dich ein ragender Wall von Stämmen, Wurzeln und Klötzen,
Von Moor umschlossen, bewachsen mit dichten Unkrautnetzen,
Mit tausend Bächen bedeckt, mit Ameishaufen behangen,
Mit Wespen- und Hornißnestern und Knäueln giftiger Schlangen.
Und könntest du, überkühn, auch diese Schanzen bezwingen,
Der weit're Weg wird dir noch größre Schreckniß bringen.
Dort lauern, auf Schritt und Tritt, wie Wolfsgruben versteckt,
Ganz kleine Seen, zur Hälfte von Gräsern überdeckt,
[95] So tief, die Menschen messen die Tiefe gar nicht aus;
Man sagt gewiß mit Recht, dort wären Teufel zu Haus.
Das Wasser flimmert, fortwährend kommt aus dem Innern ein Rauch,
Blutrother Rost schwimmt oben, aufsteigt ein stinkender Hauch
Von dem ringsum den Bäumen Laub und Rinde verdorren;
Kahl, zu Zwergen verwachsen, krank, wurmig, mit hängenden Knorren,
Mit moosigen Weichselzöpfen, bucklig verkrümmten Stämmen, –
Wie mit abscheulichen Bärten, behängt mit häßlichen Schwämmen:
Also hocken sie alle rings am dampfenden Teiche,
Wie Hexen sich wärmen am Kessel beim Kochen einer Leiche.
Doch hinter die Wasser, da ist's – nicht etwa blos zu gehen, –
Nein, da ist's selbst unmöglich, auch nur hinzu sehen;
Denn dort umhüllt schon Alles der Nebel, der aus dem Moor
Dem rauchenden, fort und fort steigt in die Lüft' empor.
Doch endlich, erzählt die Sage, hinter dem Nebelflor,
Beginnt ein Gebiet, ein holdes, ein frucht- und segenreiches:
Die königliche Hauptstadt des Thier- und Pflanzenreiches;
Die hegt in sich die Samen aller Kräuter und Bäume,
Draus die Geschlechter wachsen durch alle Weltenräume;
Wie in der Arche Noah's wird in ihr bewahrt
Zum wenigsten Ein Paar jedweder Thieresart.
Ganz in der Mitte sollen die Herrscher der Wildniß, die alten,
Der Wiesent, der Bär, der Büffel ihre Höfe halten,
Von den Ministern bewacht, den Hütern ihrer Kronen,
Dem Vielfraß und dem Luchs, die auf den Bäumen wohnen.
Als mächt'ge Vasallen hausen weiter in ihren Sitzen
Die Wölfe, die Eber, die Elenn, des Reiches starke Stützen, –
Haben zu Häupten die Falken und wilden Adler schweben,
Die höfischen Schranzen, die vom Tisch der Herren leben.
Die Patriarchenpaare des Thierreichs, die, so fern
Der Welt entrückt, hier hausen in der Wildniß Kern,
Senden dann ihre Kinder als Colonien aus
Jenseits des Walds; sie selber pflegen der Ruh' zu Haus.
Sie gehen nie zu Grunde durch Schuß, durch Hieb, durch Stoß, –
Sie altern nur und erfüllen zuletzt der Sterblichen Loos.
Sie haben auch ihren Friedhof; Vierfüßer legen da nieder
[96] Ihr Haar, sobald der Tod naht, und Vögel ihr Gefieder;
Wenn die zermorschten Zähne dem Bären das Kauen versagen,
Wenn den verfallenen Hirsch die Beine nicht mehr tragen,
Wenn dem Hasen vor Alter das Blut in den Adern gerinnt,
Wenn der Rabe weiß wird, und der Falke blind,
Wenn sich dem Adler der Schnabel schon so zugekrümmt, 15
Daß er, verschlossen auf ewig, kein Mahl mehr zu sich nimmt:
Dann geh'n sie auf den Friedhof; selbst Kleinere, krank oder wund,
Laufen dahin, zu sterben auf väterlichem Grund.
An jenen Stellen, zu denen der Mensch gelangen kann,
Trifft man drum niemals Knochen gestorbner Thiere an. 16
Es soll auch in der Hauptstadt, unter diesen Thieren,
Sehr wohlgesittet zugeh'n, weil sie sich selbst regieren;
Sie sind an der menschlichen Cultur noch nicht erkrankt,
Sie kennen kein Eigenthumsrecht, um das die Welt sich zankt;
Sie kennen nicht Krieg noch Zweikampf; wie in uralter Zeit
Die Väter im Eden gelebt, so leben die Enkel noch heut',
Wilde und zahme zusammen, durch keinen Zwist geschieden,
Sie stoßen, sie beißen sich niemals; dort herrscht ewiger Frieden.
Ja, geriethe ein Mensch hin, wenn auch unbewehrt,
Er schritte durch die Mitte der Bestien unversehrt;
Sie schauten ihn an, wie einst mit still-verwundertem Blick
Am sechsten Schöpfungstag, im paradiesischen Glück
Ihre Väter geschaut auf Adam, den ersten Mann,
Eh' zwischen ihm und ihnen der lange Zwist begann.
Zum Glück verirrt der Mensch sich nicht zu diesem Orte,
Denn Mühsal, Furcht und Tod bewachen seine Pforte.
Nur manchmal geschieht's, daß Hunde, in wilder Hatz verrannt,
Hineingerathen in's Moos und Moor und Grubenland:
Dann fliehen sie voll Entsetzen vor jener Schreckniß zurück,
Winselnd, von Angst geschüttelt, mit scheuem, irrem Blick –
Und liegen noch, wenn sie schon lang gestreichelt des Herren Hand,
Zitternd zu seinen Füßen, von Grausen übermannt.
Ein solcher Abgrund der Wildniß, wohin nicht Weg, noch Steg,
Führt in der Sprache der Jäger den Namen: Urge heg.
[97] O Bär, du Dummkopf! Bliebst du im Urgeheg versteckt,
So wärst von dem Wojski noch heute unentdeckt.
Doch, sei's, daß dich der Duft des Bienengartens verführt,
Sei's, daß du einige Neigung zum reifen Hafer verspürt:
Du gingst an den Saum der Wildniß, wo die Lichtung beginnt.
Und gleich bekam der Förster von deinem Dasein Wind,
Und schickt' über dich Spione voll böser, tückischer List,
Zu forschen, wo du Fraß suchst, wo du zur Nachtzeit bist.
Der Wojski und seine Treiber umstellten dir schon den Weg,
Nun bist du abgeschnitten von deinem Urgeheg!
Wie nun Thaddäus erfährt, sind es schon viele Stunden
Seitdem die jagenden Rüden im Waldesdickicht verschwunden.
Still' ist's. Vergebens strengen die Jäger die Ohren an –
Vergebens lauscht, wie der fesselndsten Rede, Jedermann
Dem Schweigen – auf seinem Platze harrend, regungslos:
Die ferne Musik nur hört man aus der Wildniß Schooß.
Die Meute durchwühlt die Wildniß, wie Taucher die Meeresflut –
Die Schützen zielen zum Wald hin – ihr Auge aber ruht
Auf dem Wojski: Der kniet, sein Ohr befragt die Erde;
Wie Freunde in des Arztes Antlitz und Geberde
Nach Leben und Tod des theuren Kranken späh'n, so schauen
Die Schützen, die den Künsten des Wojski ganz vertrauen,
Sorgend, hoffend auf ihn, und spannen Blick und Ohr.
»Er ist's! Er ist's!« erklärt er halblaut, und springt empor.
Er hört's, sie horchen noch – doch ja, sie hören's jetzt:
Ein Hund schlug an, dann zwei, dann zwanzig, nun zuletzt
Hört man sie alle – die Rüden, wild durcheinander gestoben,
Sie haschen, sie halten die Fährte, sie kläffen, sie beißen, sie toben;
Nicht so, wie Hunde langsam pflegen anzuschlagen,
Wenn sie ein Reh, ein Häslein oder Füchslein jagen, –
Nein, ein fortwährend Heulen, kurz, abgerissen, verbissen;
Nicht so, wie wenn sie die Fährte nur aus der Ferne wissen –
Sie sehen's, das Wild! Da plötzlich – die Hatz hat aufgehört,
Sie haben' s – Geheul, Gewinsel, – das Thier hat sich gewehrt,
Wohl blutig dreingeschlagen, – durch der Meute Gedröhn,
Dringt's oft und immer öfter, wie sterbender Hunde Gestöhn.
[98] Dasteh'n die Schützen und Jeder biegt sich vor, wie ein Bogen,
Schußfertig, – den Kopf in den Wald, wie magisch hineingezogen;
Sie halten sich nicht länger! Seinen Posten verläßt
Sacht Einer nach dem Andern und drängt sich durch's Geäst,
Dem Thier zuerst zu begegnen. – Was hilft des Wojski Verbot?
Was hilft es, daß er, die Posten umreitend, schreit und droht:
Ob Junker oder Bauer, wer sich vom Platze rührt,
Geb' Acht, daß er den Riemen nicht auf dem Rücken spürt!?
Nichts hilft's. Sie laufen trotzdem Alle in den Wald.
Drei Flinten feuern auf Einmal. Nun aber kracht und knallt
Fortwährend Schuß auf Schuß, bis endlich gewaltig brüllend
Alles der Bär übertönt, den Wald mit dem Echo erfüllend:
Ein furchtbar Gebrüll der Verzweiflung, des Schmerzes, der Raserei!
Drauf wieder Gebell – Hornklang der Jäger, der Schützen Geschrei,
So donnert's heraus aus der Wildniß. Die rennen zum Wald hinein,
Die spannen den Hahn – und Alles jubelt. Der Wojski allein
Steht da und jammert laut: es sei ja verfehlt, das Thier!
Denn Schützen und Jäger sind alle zwischen Jagdrevier
Und Wildniß versammelt, dem Bären den Rückzug zu verlegen, –
Doch der, geschreckt von den Haufen, läuft auf ganz andern Wegen,
Zu jenen Feldern zurück, die jetzt fast unbewacht,
Seit sich die Posten der Schützen allesammt fortgemacht,
Und Wenige nur geblieben, auf die das Wild nun traf,
Der Wojski mit einigen Treibern, Thaddäus und der Graf.
Hier lichtet der Wald sich. Es brüllt, es kracht aus der Tiefe empor –
Da stürzt, wie ein Donner aus Wolken, der Bär aus dem Dickicht hervor,
Rings hetzen die Hunde, – er stellt sich auf die Hinterbeine
Blickt brüllend umher, und reißt bald theerige Klötze, bald Steine
Zwischen Baumwurzeln aus mit den Vordertatzen – und schmeißt
Auf Meuten und Menschen, bis er den Baum aus dem Boden reißt.
Nach rechts, nach links, wie eine Keule, dreht er ihn, –
Und g'radaus stürzt er auf die letzten Posten hin,
Den Grafen und Thaddäus. Sie halten furchtlos Stand,
Richten die Mündungen auf's Thier mit fester Hand,
Als wie zwei Blitzableiter in dunkles Wolkenbereich –
[99] So stehen sie da – nun spannen die Hähne Beide zugleich,
Die Unerfahr'nen! zugleich kracht es aus Beider Gewehr –
Gefehlt! Der Bär springt los – sie greifen nach einem Speer,
Der neben ihnen steckt, auf Einmal mit vier Händen,
Sie reißen sich ihn aus den Armen. Nun, wie sie zum Wild sich wenden:
Sieh' da, im Rachen, im großen, rothen, schrecklich zu schauen,
Zwei Reihen glänzender Hauer, – die Tatze mit den Klauen
Senkt sich schon auf sie nieder – entsetzlich! sie erbleichen –
Sie springen zurück, versuchen in die Lichtung zu weichen.
Nachreckt sich der Bär, hackt schon die Klauen ein im Lauf,
Verfehlt, rennt näher, stemmt sich wieder mit Macht hinauf,
Und hascht mit der schwarzen Tatze des Grafen blonden Schopf,
Die Schale vom Hirn zu reißen, wie einen Hut vom Kopf!
Da springen von beiden Seiten Notar und Assessor heran,
Vorn, hundert Schritt weit, läuft Gervasius, was er kann,
Neben ihm Robak, der ohne Gewehr zu Hilfe rennt, –
Und, wie auf Commando, schießen Drei in Einem Moment!
Aufspringt der Bär, wie ein Hase, wenn die Meute naht,
Stürzt mit dem Kopf nach unten, kehrt sich dann, wie ein Rad,
Mit den vier Tatzen herum – und dicht vor den Grafen schmeißt
Die blutige Masse sich hin, daß es ihn niederreißt.
Noch brüllt er, will noch aufsteh'n, da stürzen sich auf ihn
Sprawnik, der Unhold, und Strapczyna, die Würgerin.
Da faßt der Wojski sein Horn, am Gürtel fest gebunden,
Sein Büffelhorn, sein langes, gesprenkelt und gewunden,
Wie eine Boa – das hält er mit beiden Händen zum Mund,
Bläst auf zum Kürbis die Backen, Blut glänzt ihm im Augengrund,
Halb schiebt er die Lider herab, zieht ein zur Hälfte den Bauch
Und treibt in die Lungen, was er nur hat an Athemhauch –
Und bläst. – Gleich einem Sturmwind, trägt das Horn den Schall
Im Wirbel in die Wildniß, verdoppelt im Wiederhall.
Die Schützen verstummen, die Jäger steh'n voll Verwunderung
Ob dieser Töne Wohlklang, Reinheit, Kraft und Schwung.
All' seine Kunst, die einst ihm erworben Ruhm und Preis,
Entwickelt der Greis noch einmal vor seiner Schützen Kreis:
Bald weckt er die Eichen, erfüllt die Forste weit in der Runde,
[100] Als hätt' er ein Jagen begonnen, als hetzten rings die Hunde.
Denn das ist die Jagd, – gedrängt in Tönen dargestellt:
Erst schmettert es hell in die Welt: das ist der Ruf in's Feld, –
Dann winselt Gestöhn auf Gestöhn: das ist der Rüden Getön, –
Dumpf donnert's da und dort: das ist der Schüsse Gedröhn.
Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',
Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.
Er bläst auf's Neue. Das Horn scheint immerwährend verwandelt:
Bald dicker, bald dünner, wie es des Wojski Mund behandelt;
Thierstimmen ahmt es nach; zum Wolfsschlund ausgereckt,
Heult's jetzt so lang, so schaurig, daß es das Herz erschreckt –
Zum Bärenrachen erweitert, entsendet es lautes Gebrüll,
Dann, wie des Uren Gemecker, zerreißt's die Lüfte schrill.
Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',
Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.
Es hören, es wiederholen das Kunststück ohne Gleichen
Die Buchen den Buchen hinüber, hinüber die Eichen den Eichen.
Er bläst auf's Neue – als wären hundert Hörner im Horn,
So hört man wirr durcheinander die Hatz, die Angst, den Zorn
Der Schützen, der Meute, der Beute – nun hält er es hoch erhoben,
Und des Triumphs Fanfare schlägt an die Wolken droben.
Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',
Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.
So viele Hörner tönen, als Bäume sind im Raum,
Als wie von Chor zu Chor, so fliegt's von Baum zu Baum,
Und breiter immer und weiter wallen dahin die Töne
Und leiser immer, in immer reinerer, zarterer Schöne:
Bis sie dort irgendwo, fern, an des Himmels Schwelle verwehen!
Mit ausgebreiteten Armen bleibt der Wojski stehen, –
Das Horn, das auf den Riemengürtel niederfällt,
Schwingt hin und her. Sein Antlitz ist geschwellt, erhellt,
[101] Und wie begeisterungstrunken blicken die Augen empor,
Die letzten verklingenden Töne hascht noch voll Lust sein Ohr –
Indessen tausendfältiger Beifall rings erklingt
Und Alles Vivat und Glückwunsch dem greisen Meister bringt.
Allmählig wird es still, und Aller Blicke kehren
Sich hin zum mächt'gen Leichnam des erlegten Bären.
Da lag er blutbespritzt, von Kugeln ganz zersprengt,
Die Brust in's dichte Gras verflochten und eingezwängt,
Die Vordertatzen in Kreuzform weit auseinandergezogen;
Noch röchelt er, durch die Nüstern strömen ihm blutige Wogen;
Noch öffnet er die Augen, doch rührt er den Kopf nicht mehr,
Die Blutegel des Kämm'rers sind furchtbar über ihn her –
Links packt ihn Strapczyna am Hals, rechts hängt sich an ihn voll Wuth
Sprawnik, würgt ihm die Gurgel und saugt sein schwarzes Blut.
Nun wird auf des Wojski Weisung den Hunden, die sich verbissen,
Mit einem eisernen Stab der Rachen aufgerissen,
Dann wird der Leichnam mit Kolben auf den Rücken gelegt, –
Und wieder ein dreifach Vivat, das bis an die Wolken schlägt!
»Nun?« schrie der Assessor und schwenkte seinen Flintenlauf,
»Was sagt ihr zu meinem Büchslein? Sind wir nun obenauf?
Was sagt ihr zu meinem Büchslein? Groß ist das Vöglein nicht, 17
Und wie steht's da? Ja, freilich, das ist eine alte Geschicht',
Das ist ein Büchslein, das keine verschossene Ladung kennt.
Ich hab's aber auch vom Fürsten Sanguszko zum Präsent.«
Hier zeigt er ein Flintchen, winzig, aber wunderbar
An Arbeit, und stellt der Reih' nach all' seine Tugenden dar.
»Ich«, versetzt der Notar und wischt sich den Schweiß, »ich lief
Dicht hinter dem Bären her, als plötzlich der Wojski rief:
Halt! halt! – Wer mag da halten? Dort seh' ich den Bären rasen,
Spornstreichs in's Feld, stets weiter, weiter, gleich einem Hasen;
Der Athem verging mir, wer mocht' ihn zu erreichen hoffen?
Nun schau' ich rechts: da rennt er, wo der Wald schon offen, –
Ich nehm' ihn denn auch auf's Korn. – Wart', Brummer, bleibst mir stehen!«
[102] Denk' ich – und basta! da lag er! und Alles war geschehen!
Ein tüchtig Gewehr, echt Sagalas – die Inschrift hier beweist es:
»Sagalas London á Balabanowka«, seht, so heißt es.
»Dort war ein berühmter Schlosser, ein Pole, der fabricirte
Polnische Flinten, nur daß er sie englisch ausstaffirte.«
»Wie?« schnaubt der Assessor, »Potz tausend Bären, was wollt Ihr sagen?
Das nenn' ich schwätzen! So hättet wohl Ihr das Vieh erschlagen?«
»Mein Bester«, versetzte der Notar, »hier sind wir nicht zu Gericht,
Hier ist Treibjagd – hier sagen's Euch Alle in's Gesicht –«
Ein wüthendes Zanken beginnt nun unter der Jägerschaar,
Die sind für den Assessor, die für den Notar.
Kein Mensch denkt an Gervasius; Alle kamen ja
Von der Seite und sah'n gar nicht, was vorn geschah.
Der Wojski beginnt: »Jetzt weiß man doch wenigstens, wofür:
Jetzt ist's kein schäbiger Hase, meine Herrn, wie früh'r,
Jetzt ist's ein Bär: da lohnt sich's schon, Revanche zu holen,
Sei's mit der Serpentine und sei's selbst mit Pistolen.
Schwer ist's den Streit zu schlichten; nach alter Gepflogenheit
Sind wir denn in den Zweikampf zu willigen bereit.
Ich denk' noch, zu meinen Zeiten, da lebten zwei Nachbarsleute,
Von ur-uraltem Adel, Beide ehrliche Häute;
Sie wohnten zu beiden Seiten an der Wilejka Strand,
Der Eine war Domejko, der Andre Dowejko genannt.
Auf eine Bärin schossen Beide in Einem Moment:
Wer hat sie erlegt? Gott weiß es: ein schrecklicher Streit entbrennt,
Dann schwören sie, sich zu schießen über ein Bärenfell –
Fast Lauf an Lauf – Was sagt ihr? das ist doch ein adlig Duell?
Die Kunde davon ist damals auch weit und breit gedrungen,
Es wurden von diesem Zweikampf Lieder genug gesungen.
Ich war der Sekundant; doch hört die ganze Geschichte,
Wie ich sie euch getreulich von Anfang an berichte.«
Eh' er begann, entschied Gervasius den Streit.
Aufmerksam prüfend umschritt er den Bären einige Zeit,
Dann zog er das Messer, zerhieb die Schnauze in der Mitten,
[103] Und fand im Hinterkopf, nachdem er das Hirn durchschnitten,
Die Kugel; er holt sie, säubert sie mit dem Rock zuvor,
Mißt sie dann an der Ladung, legt sie an's Flintenrohr,
Dann hebt er die Hand auf, nebst der Kugel auf ihr, und spricht:
»Ihr Herrn, die Kugel kam aus euren Flinten nicht,
Gekommen ist sie aus dieser Horeszkobüchse Lauf, –«
Hier hob er ein altes, mit Schnüren umwundenes Einrohr auf –
»Doch hab' nicht ich sie geschossen. O! 's war ein Unterfangen!
Mir graut's noch in der Erinn'rung, mir ist das Sehen vergangen:
Wie g'rade gegen mich zu die beiden Junker floh'n,
Und hinten der Bär, schon packend – am Kopf des Grafen schon,
Des letzten der Horeszko! – wenn auch von Mutterseite.
Jesus, Maria! schrie ich: da kam der Sieger im Streite,
Von himmlischen Engeln gesendet, der Bernhardiner, heran;
Er hat uns Alle beschämt! O wackrer Gottesmann!
Ich zittere, kann mich nicht die Waffe zu heben entschließen, –
Er reißt mir sie weg, und Eins war: wegreißen – zielen – und schießen!
So schießen! zwischen zwei Köpfe! und treffen! auf hundert Schritte!
Die Zähn' ihm herauszuschlagen! g'rad' in des Rachens Mitte! –
Hört, ich bin ein alter Mann, doch hab' ich nur Einen gekannt,
Der so etwas von Schuß zu leisten war im Stand,
Nur jenem einst so berühmten Raufbold traut' ich's zu,
Jenem, der den Frauen den Absatz schoß vom Schuh,
Dem Schurken aller Schurken, für ewige Zeiten bekannt,
Dem Jacek, vulgo Schnauzbart, (sein Name sei nicht genannt);
Doch Bären jagt er jetzt wohl nicht, der Lumpengeselle,
Bis über den Schnauzbart sitzt er ganz sicher in der Hölle.
Dem Priester Lob! Zwei Menschen rettete er das Leben,
Vielleicht auch drei'n; Gervasius will sich nicht erheben:
Doch wär' das letzte Kind aus der Horeszko Haus
Der Bestie Opfer geworden, so wär' es mit mir aus –
Dann hätte der Bär auch meine alten Knochen verzehrt;
Kommt, Pater, auf Euer Wohl sei nun ein Glas geleert!«
Vergebens sucht man den Mönch; sie können nur so viel sagen,
Er sei auf ein Weilchen erschienen, nachdem das Wild erschlagen,
[104] Sei auf den Grafen und Thaddäus losgesprungen,
Und als er Beide heil sah und Alles wohl gelungen,
Hab' er die Augen erhoben, still ein Gebet gesagt,
Und sei dann in's Feld gelaufen, wie von Feinden gejagt.
Indeß wird auf Wojski's Befehl aus Bündeln Haidekraut,
Trockenem Reisig und Klötzen ein Holzstoß aufgebaut;
Aufflammt's, anwächst der Rauch, ein grauer Fichtenbaum,
Und wie ein Baldachin, dehnt er sich hoch im Raum.
An's Feuer legt man die Speere in Pyramiden zu Hauf,
Bauchige Kessel hängt man an den Spitzen auf,
Bringt von den Wagen Gemüse und Bratenstücke zum Mahl
Und Mehl und Brot.
Der Richter öffnet ein Futteral,
Drin ragen weiße Köpfe von Fläschchen in langen Reih'n;
Er wählt das größte, aus Krystall gefertigt fein, –
Vom Pater Robak bekam's der Richter zum Geschenk:
Ein Danziger Schnaps, in Polen ein beliebtes Getränk.
»Hoch Danzig!« rief der Richter und schwang die Flasche empor,
»Hoch Danzig, einstmals unser, bald unser, wie zuvor!«
Und füllt mit dem silbernen Naß rings alle Gläser an,
Bis, in der Sonne glitzernd, das Gold zu tropfen begann. 18
In Kesseln kocht man Bigos. Wie aber stellt man dar,
Wie Bigos schmeckt und aussieht und duftet wunderbar?
Es hört den Klang der Worte, der Reime im Gedicht,
Doch ihren Inhalt faßt der städtische Magen nicht.
Um Lithauer Lieder und Speisen zu würd'gen, dazu gehören
Drei Dinge: Landluft, – Gesundsein und von der Jagd Heimkehren.
Doch ohne die Würzen ist Bigos auch so verächtlich nicht,
Ist ein aus guten Gemüsen gar künstlich gebildet Gericht;
Es wird dazu gehacktes Sauerkraut genommen,
Das, laut dem Sprichwort, von selbst kommt in den Mund geschwommen;
Im Kessel verschlossen, bedeckt's mit seinem feuchten Schooß
Die besten Stücke von Fleisch, das selbst schon tadellos.
Man prägelt es, bis die Glut, was es an Säften besitzt,
[105] Auspreßt, daß über die Ränder das siedende Wasser spritzt,
Und rings herum in die Lüfte sich der Duft ergießt.
Der Bigos ist gar, – von den Schützen mit dreifachem Vivat begrüßt.
Sie kommen mit Löffeln und stoßen hinein, das Erz klirrt hell,
Der Dampf wallt auf; der Bigos, wie Kampfer, verfliegt er schnell, –
Verschwunden ist er, verflogen; nur aus der Kessel Gründen
Dampft's noch herauf, wie aus erloschnen Kraterschlünden.
Nachdem man Geschirr und Gläser nach Herzenslust geleert,
Lädt man das Thier auf den Wagen, Alles setzt sich zu Pferd,
Gesprächig und froh, nur nicht Assessor und Notar:
Ihr Streit von heute ist grimmer, als der von gestern war;
Sie streiten um ihrer Flinten Tugenden und Ehr',
Der um die Sagalasbüchse, der um's Sanguszkogewehr.
Thaddäus und der Graf sind auch nicht eben froh,
Ein Jeder schämt sich, daß er gefehlt und daß er floh, –
Denn wenn Einem in Lithauen so ein Wild entwischt,
Hat er sich lang zu plagen, bis er die Scharte verwischt.
Der Graf behauptet, er sei zuerst zum Speer gesprungen:
Thaddäus stört' ihn, daß er auf's Wild nicht eingedrungen, –
Thaddäus sagt, er wollte, da er der Stärkere wär'
Und der Geschicktere auch, für einen so schweren Speer,
Einspringen für den Grafen, – so reden sie und streiten
Dann und wann mit einander, unter den lärmenden Leuten.
Der Wojski ritt in der Mitte; besonders gesprächig und heiter
War heut' der würdige Alte; er hätte gern die Streiter
Zerstreut, wo möglich versöhnt; so knüpft er wiederum an,
Was er vorhin von Domejko und Dowejko begann:
»Assessor, wenn ich den Zweikampf vorschlug, meint drum nicht,
Ich wär', behüte Gott, auf Menschenblut erpicht;
Ich wollt' euch unterhalten, wollt' zu eurem Ergetzen
Nur einen alten Schwank nochmals in Scene setzen,
Den ich vor vierzig Jahren ersonnen: – ein Meisterstück!
Ihr seid noch jung, ihr denket nicht so weit zurück;
[106] Doch einst hat von dem Stücklein die Kunde wiedergehallt
Von der Lithauer Wildniß bis zum Podlachischen Wald.
Domejko's und Dowejko's sämmtliche Händel kamen,
Verwunderlicher Weise, von ihren ähnlichen Namen.
Es war sehr unbequem. Wenn in der Kreistagszeit 19
Dowejko's Freunde ihm Stimmen warben voll Emsigkeit,
Was half's? Man flüstert dem Schlachcic: du, stimme für Dowejko, –
Und er versteht es falsch und stimmt dann für Domejko.
Toastirte beim Mahle der Marschall Rupejko:
Vivat Dowejko! – so schrei'n die Andern: Domejko!
Und wer in der Mitte saß, der kannte sich gar nicht aus,
Zumal man nicht so deutlich spricht bei solchem Schmaus.
Es kam noch ärger. In Wilno schlug ein besoff'ner Gesell
Sich mit Domejko, bekam auch zwei Wunden, im Säbelduell;
Und wie er dann aus Wilno wieder nach Hause schifft,
Fügt sich's, daß er Dowejko an der Fähre trifft.
Während er nun mit Diesem auf der Wilejka fährt,
Frägt er ihn, wer er sei – und kaum er ›Dowejko‹« hört:
Stracks, zieht er sein Rappier – er glaubt, es sei Domejko, –
Bims, bums, und statt Domejko kriegt's um's Maul Dowejko.
Zuletzt, das Maß zu vollenden, muß es noch gescheh'n,
Daß beide Namensvettern einst neben einander steh'n
Bei einer Jagd, und Beide in einem Augenblick
Auf eine Bärin schießen. Seltsames Mißgeschick!
Freilich, nach ihrem Schusse fiel sie auf der Stell',
Doch hatte sie zehn Kugeln von früher schon im Fell,
Flinten von einem Kaliber mochten sich viele finden, –
Wer hat sie erlegt? Jetzt such'! Wie soll man das ergründen?
Da schrie'n sie: »Genug, nun muß es enden zwischen uns Beiden!
Verband uns Gott oder Teufel: wir müssen für immer scheiden!
Wir zwei sind, wie zwei Sonnen, zu viel in dieser Welt!
Also zum Säbel gegriffen und in Distanz gestellt.
Zwei würdige Männer, und hauen so auf einander los!
Je mehr die Schlachta beschwichtigt, je grimmer folgt Stoß auf Stoß.
[107] Sie wechseln die Waffen, vom Säbel geht's zum Schießgewehr,
Sie steh'n, – wir schreien: Ihr kürzt ja die Distanz zu sehr! –
Sie schwören zum Trotz, sich zu schießen über ein Bärenfell:
Fast Lauf an Lauf! das ist ja ein Morden und kein Duell!
Sie schossen Beide vortrefflich. – Hreczecha, sekundir'!
Gut, sag' ich – grabe der Küster sogleich die Grube hier,
Das kann nicht harmlos ausgeh'n. Doch wollt nur Eins beachten:
Ihr sollt euch adlig schlagen, nicht metzgermäßig schlachten,
Genug an der kurzen Distanz; Kerle (ich weiß das zu schätzen)
Seid ihr, – doch wollt ihr die Flinten euch auf die Bäuche setzen?
Das duld' ich nicht. Pistolen? Gut, ich stimme bei –
Doch daß die Distanz nicht länger und auch nicht kürzer sei,
Als über ein Bärenfell. Ich selbst, als Sekundant,
Breit' aus das Fell am Boden mit meiner eignen Hand,
Ich selber stell' euch auch in richtige Distanz,
Ihr kommt an's End' der Schnauze, und Ihr kommt an den Schwanz.
Gut! – schrie'n sie; Zeitpunkt? – Morgen! Ort? – Uszaschenke der Ort! –
Sie schieden. Ich aber mach' mich an den Virgil so fort.«
Da unterbricht's ihn: »Hussah!« – Hervorschlüpft zwischen den Rossen
Ein Hase; schon ist Mutz, schon Falk ihm nachgeschossen;
Man hatte sie mitgenommen, weil's doch leicht geschieht,
Daß man im Feld ein Häslein vorüberhuschen sieht;
Sie liefen ohne Koppel, – wie sie den Hasen erblicken,
Rennen sie hurtig nach, noch ehe die Herrn sie schicken.
Auch Notar und Assessor wollten nachgaloppiren,
Da schrie der Wojski: »Halt! nicht von der Stelle rühren!
Hier seh'n wir Alle gut – bleibt stehen und paßt auf:
Dort ist der Hase, – nimmt jetzt querfeldein den Lauf.«
So war's; er fühlt den Feind im Rücken und rennt in's Feld;
Die beiden Löffel wie zwei Rehhörnchen aufgestellt,
Er selbst, wie ein grauer Streif, lang über's Feld gestreckt,
Die Läufe gleich vier Stöckchen und wie in die Erde gesteckt,
Als regt' er sie nicht und glitte nur über den Boden hin,
Wie eine Schwalbe die Flut küßt im Vorüberflieh'n.
Staub folgt ihm, hinter dem Staub die Hunde, – von Ferne scheint
[108] Staub, Hase und Hundepaar zu einem Körper vereint,
Als käme eine Natter durch's Feld dahergewunden,
Der Hase ihr Kopf, der Staub zum bläulichen Hals verbunden,
Als wedelnder Doppelschwanz auslaufend in den Hunden.
Mit offenem Mund, kaum athmend, schau'n auf das Hundepaar
Die beiden Herrn. Da – – blaß wird, wie ein Tuch, der Notar,
Bleich wird auch der Assessor: o welch' ein Mißgeschick!
Die Natter wird immer länger, je ferner sie dem Blick,
Schon reißt sie entzwei, schon sieht man den staubigen Hals verschwinden,
Der Kopf ist schon beim Wald, die Schwänze, weiß Gott wo hinten –
Der Kopf verschwindet, noch einmal winkt's wie ein buschiger Streif –
Der Kopf versinkt, am Walde reißt ab der Doppelschweif.
Die Hunde laufen am Wald hin, wie auf's Hirn geschlagen,
Bald scheinen sie sich zu berathen, bald sich anzuklagen, –
Endlich kehren sie um und kommen langsam gesprungen,
Mit hängenden Ohren, die Schwänze zwischen die Beine geschlungen;
Angelangt, wagen die Ärmsten vor Scham kaum aufzuseh'n,
Und statt zu den Herrn zu gehen, bleiben sie seitwärts steh'n.
Niedersenkt der Notar die Stirne, gramumhüllt, –
Umherblickt der Assessor, doch nicht von Freud' erfüllt;
Dann fangen sie beide an, den Hörern auszuführen,
»Wie wenig die Hunde gewohnt, sich ohne Koppel zu rühren,
Wie plötzlich der Hase hervorkam, wie schlecht er gehetzt war im Feld,
Wo Alles mit scharfen Steinen und Kieseln so vollgestellt, –
Die Hunde müßten dort nur förmlich Stiefel tragen –«
Recht klug ist, was die beiden erfahrenen Jäger sagen;
Die Andern hätten sollen zuhören und begreifen,
Sie hätten viel profitirt. Doch die beginnen zu pfeifen,
Die laut zu lachen, die denken noch an die Jagd von heute,
Und plaudern über die Treibjagd und die erlegte Beute.
Der Wojski schenkte dem Hasen kaum einen flücht'gen Blick,
Wie er ihn dann entwischt sieht, dreht er sich kalt zurück
Und schließt die Märe: »Also, wie weit bin ich gekommen?«
[109] Ja, richtig, wie ich die Beiden damals beim Wort genommen,
Sich über ein Bärenfell zu schießen; – da schrie im Chor
Die Schlachta: Unfehlbarer Tod! Beinahe Rohr an Rohr!
Ich lachte. Kannt' ich doch sehr wohl Freund Maro's Lehr',
Ein Thierfell sei kein Maß, wie andre Maße mehr.
Die Herren wissen, wie einst nach Libyen im Boot
Die Königin Dido kam und mit genauer Noth
Sich von den Leuten ein solches Fleckchen Land erstand,
Als man mit einem Ochsenfelle überspannt. 20
Auf diesem Fleckchen erhob sich Karthago's Macht und Pracht, –
Das also überdacht' ich mir sorgsam in der Nacht.
Kaum tagt's, als hier am Ufer vom Roß Domejko springt,
Und drüben eine Kalesche den Dowejko bringt;
Sie schau'n – da, durch den Fluß, liegt eine zottige Brücke,
Ein Riemen aus Bärenfell, zerschnitten in kleine Stücke;
An beiden Ufern stellt' ich die Beiden in Distanz,
Domejko an die Schnauze, Dowejko an den Schwanz.
»Jetzt,« rief ich, »knallt, und wär's, bis euer Leben endigt,
Ich lasse euch nicht los, als bis ihr euch verständigt!«
Sie wüthen – und die Schlachta kugelt sich vor Lachen;
Ich und ein Priester beginnen Vorstellungen zu machen,
Citiren die Schrift, das Gesetz: ich ließ mich's nicht verdrießen,
Was wollten sie thun? sie lachten und mußten Frieden schließen.
In Freundschaft bis zum Tod verwandelte sich ihr Streit,
Dowejko hat bald nachher Domejko's Schwester gefreit,
Während Domejko die Schwester Schwager Dowejko's nahm;
Sie theilten ihr Hab' und Gut, daß Jeder die Hälfte bekam, –
Und dort, wo sich ereignet das wundersame Märlein,
Erbauten sie eine Schenke und nannten sie: das Bärlein.

Fußnoten

1 Nach der Sage träumte Gedymin, Großfürst von Lithauen auf dem Ponarer Berge von einem eisernen Wolf, und erbaute dann auf den Rath des Wajdeloten Lizdejko die Stadt Wilno. (Gedymin [reg. von 1315 bis 1341]), wie seine Söhne Kiejstut undOlgierd führten jene riesenhaften Kämpfe gegen den deutschen Ritterorden in Preußen, die Jahrzehnte lang Lithauen und das Ordensgebiet beinahe zu einem einzigen großen Schlachtfeld machten. Witold, der Sohn des Kiejstut, und namentlich Jagiello, Olgierd's Sohn, der von 1386 an zugleich König von Polen war, setzten den Krieg fort, der schließlich mit der entsetzlichen Niederlage der Ordensritter beiTannenberg (1410) endigte. d.Ü.)

2 Siegmund August, König von Polen (1548-1572), wurde nach altem Brauch auf den Thron des Großfürstenthums Lithauen erhoben: er umgürtete sich mit dem Schwert und krönte sich mit dem Kolpak. Er war ein eifriger Waidmann.

3 Im Rosieny'er Kreis stand auf dem Besitzthum des »Landesschreibers« (vgl. Anm. 16. Schluß) Paszkiewicz eine unter dem Namen Baublis bekannte Eiche, die einstmals, in den heidnischen Zeiten, als Heiligthum verehrt worden war. Im Innern dieser vermoderten Riesin legte Paszkiewicz ein Cabinet lithauischer Alterthümer an.

4 Unweit der Pfarrkirche von Nowogrodek ragten uralte Linden, die im J. 1812 zum großen Theil umgehauen wurden.

5 Der Dichter Johannes Kochanowski (1530-1584), vornehmlich durch seine ergreifenden Elegieen (»Treny«) berühmt, wohnte auf seinem Gute Czarnolas (»Schwarzwald«), in glücklicher Abgeschiedenheit. Selbst den Bemühungen des Königs Stefan Bathory gelang es nicht, ihn von seinem trauten Heim hinweg und an den Hof zu ziehen. (d.Ü.)

6 Bezieht sich auf eine Stelle in Seweryn Goszczynski's Dichtung: »Das Schloß von Kaniow«:

»Raunt dem Kosaken jener geschwätzigen Eiche Wehen

Ein traurig Lied vom Jammer, den dieses Land gesehen?«

Goszczynski's Dichtung ist übrigens nach Inhalt und Charakter ein wahres Kosakenlied, voll des düster-prächtigen Geistes der Steppe. (d.Ü).

7 Kolomyjken, ruthenische Lieder in der Art der polnischen »Mazuren« oder, wie sie im Deutschen genannt werden, »Mazurka's«.

8 Ausonen, die alte Bevölkerung des südwestl. Theils von Italien, namentlich Campaniens. Hier überhaupt »Italien« gemeint. Das Lied ist der »Dombrowskimarsch«. (d.Ü.)

9 Vgl. Anm. 4.

10 Der Ehrenplatz, wo früher die Hausgötter zu stehen pflegten, wo die Russen noch bis zum heutigen Tage ihre Bilder hinhängen. Der Lithauer Bauer weist dem Gast, den er ehren will, an dieser Stelle seinen Sitz an.

11 Czenstochau lag im Herzogthum Warschau, also in jenem polnischen Gebiet, das man um diese Zeit (1811) als den Kern eines bald wiederherzustellenden Polenreiches ansah. Vgl. zum ganzen Abschnitt dieAnm. 2. (d.Ü.)

12 Die russische Kirche; – d.h. eben: Lithauen ist unter russischer Herrschaft. (d.Ü.)

13 Convertiten pflegten oft, um ihre Anhänglichkeit an den neuen Glauben zu documentiren, ein Kreuz in's Familienwappen aufzunehmen. (d.Ü.)

14 Poraj, eine Art Wappenzeichen. (d.Ü.)

15 Die Schnabel der großen Raubvögel verkrümmen sich im Alter immer mehr, und endlich biegt sich der Obertheil so weit ein, daß er den Schnabel versperrt und der Vogel Hungers sterben muß. Es ist die eine Volksmeinung, die auch einige Ornithologen angenommen haben.

16 In der That giebt's kein Beispiel, daß man das Skelett eines verendeten Thieres da gefunden hätte.

17 »Vöglein« (»Ptaszynki«) nennt man im Polnischen gewisse Flinten kleinen Kalibers, die mit einer winzigen Kugel geladen werden. Gute Schützen treffen damit einen Vogel im Flug.

18 In den Danziger Schnapsbouteillen liegen kleine Goldblättchen auf dem Boden der Flasche.

19 Kreistage oder Landschaftstage, Landschaftsversammlungen (Sejmiki) wurden im ganzen Gebiete Polens und Lithauens abgehalten, und bildeten zumeist den eigentlichen Kernpunkt des Verfassungslebens. Jede Landschaftsversammlung (wie auch jede Conföderation, die oft viele Landschaften umfaßte) wählte ihren Marschall. Zu den Hauptaufgaben dieser Versammlungen gehörte die Wahl der Landboten für den Reichstag, das Ertheilen von Instructionen an dieselben und die Entgegennahme ihrer »Relationen« oder Rechenschaftsberichte. An die Instructionen der »Sejmiki« mußten sich die Deputirten streng halten. (d.Ü.)

20 Die Königin Dido ließ eine Ochsenhaut in Riemen zerschneiden und umschloß auf diese Weise mit dem Fell eine weite Ebene, auf der sie hernach Karthago gründete. – Der Wojski hatte die Beschreibung dieses Ereignisses wahrscheinlich nicht in der Aeneide des Virgil, sondern in den Kommentaren der Scholiasten gelesen.

NB. Einige Stellen im 4. Gesang sind von Stefan Witwicki.

Fünfter Gesang

[110] Fünfter Gesang.
Der Streit.

Telimene's Jagdpläne. – Die Gärtnerin soll in die große Welt und läßt sich von ihrer Beschützerin belehren. – Heimkehr der Schützen. – Thaddäus' großes Erstaunen. – Zweite Begegnung im Tempel der Träumereien und Friedensschluß vermittelst der Ameisen. – Besprechung der Jagd bei Tische. – Des Wojski Erzählung von Rejtan und dem Herzog von Nassau, – unterbrochen. – Friedenspräliminarien zwischen den Parteien, ebenfalls unterbrochen. – Die Erscheinung mit dem Schlüssel. – Der Streit. – Der Graf und Gervasius halten Kriegsrath.


Heimkehrt der Wojski vom Jagen, nachdem der Sieg gewonnen;
Indeß wird im einsamen Hof ein andres Jagen begonnen:
Hier sitzt Frau Telimene, – wohl ruhig, unbewegt,
Die beiden Arme kreuzweis über die Brust gelegt,
Im Geiste aber jagt sie ein zwiefach Wild, und sinnt,
Wie man Beide umspinnt und Beide zugleich gewinnt:
Den Grafen und Thaddäus. Der Graf, so vornehm und reich,
Erb' eines großen Hauses, jung und hübsch zugleich,
Schon etwas verliebt – doch: ist auch auf seine Treue zu zählen?
Und dann: liebt er auch wahrhaft? will er sich auch vermählen?
Nimmt er ein Weib, das älter als er, – mit wenig Geld?
Erlaubt es die Familie? Was sagt dazu die Welt?
Aufsteht sie vom Sopha, hebt sich auf den Zehen empor,
Wer jetzt sie säh', dem käm' sie, wie plötzlich gewachsen, vor,
Den Busen entblößt sie ein wenig, neigt sich zur Seite zurück,
Und betrachtet sich selbst mit aufmerksamem Blick,
[111] Und wieder tritt sie zum Spiegel und frägt um Rath ihn wieder,
Ein Weilchen – dann senkt sie den Blick, seufzt auf und setzt sich nieder.
Der Graf ist ein vornehmer Herr: die Reichen sind flatterhaft;
Ist blond: die Blonden haben nicht allzuviel Leidenschaft; –
Thaddäus? Eine Einfalt, ein ehrlicher Bursch, ein Kind,
Das jetzt zum ersten Mal sich zu verlieben beginnt!
Behütet, dürft' er kaum den Fesseln sich entwinden,
Zumal ihn schon Herzenspflichten an Telimenen binden; –
Jünglinge sind im Fühlen, wenn auch im Denken nicht,
Beständiger, als die Alten, aus Gewissenspflicht.
Schlicht, jungfräulich, gedenkt gar lang, voll innigen Dankes,
Ein Jünglingsherz des ersten süßen Liebestrankes!
Es freut sich der kommenden Wonne, freut sich noch, wenn sie enteilt,
Wie einer schlichten Mahlzeit, mit einem Freund getheilt;
Den alten Säufer nur, dem schon die Därme verzehrt,
Ekelt der Becher an, den er zu oft geleert.
Das alles war Telimenen ganz genau bekannt,
Besaß sie doch reiche Erfahrung und einen scharfen Verstand.
Aber die Welt? Ei nun, der kann man ja entflieh'n,
In andre Gegend, in einen stillen Winkel zieh'n,
Noch besser: gänzlich fortgeh'n aus den ländlichen Kreisen,
Etwa, ein wenig in die Residenzstadt reisen,
Dem Burschen die Welt erschließen, auf allen seinen Wegen
Ihn leiten, stützen, berathen, sein Herz auch bilden und pflegen,
Als Freunde, als Geschwister sich an einander schließen, –
Zuletzt: die Freuden genießen, so lang die Freuden sprießen!
So sinnend geht sie mehrmals im Zimmer auf und nieder,
Kühn, froh; – – nach einer Weile senkt sie die Stirne wieder.
Was aber wird aus dem Grafen? Der wär' dann frei geblieben:
Ging' es nicht an, ihm etwa Soschja unterzuschieben?
Reich ist sie nicht, doch, gleich dem Grafen, edelgeboren,
Ein Standesherrenkind, – stammt ab von Senatoren:
Brächte Telimene das zum erwünschten Ziel,
[112] Sie hätt' im gräflichen Hause in Zukunft ein Asyl;
Brautwerberin des Grafen, mit Soschja gar verwandt,
Gälte sie Beiden als Mutter im jungen Ehestand.
Nachdem sie sich so berathen und zum Entschluß gekräftigt,
Ruft sie durch's Fenster Soschja, die sich im Garten beschäftigt.
Dort stand das Mägdlein barhaupt im weißen Morgengewand,
Ein kleines Siebchen erhoben in der rechten Hand,
Rings von Geflügel umflattert; da wackeln struppige Hennen
Im Knäuel heran; dort sieht man schopfige Hähnchen rennen,
Die ihre korallenen Helme hin und her bewegen,
Mit breiten Flügeln rudern zwischen Gesträuchen und Stegen,
Die scharfgespornten Füße weit auseinander gebreitet,
Während der Truthahn langsam, aufgeblasen schreitet, –
Ärgerlich gröhlt er über seine keifende Frau –
Dort steuern mit langen Schweifen, wie Flöße, über die Au,
Die Pfauen – und hie und da fällt aus der Höhe hernieder,
Schneeflocken gleich, ein Täubchen mit silbernem Gefieder.
Mitten im Kreise des Rasens drängt sich zusammen der Kreis
Der Vögel, schreiend, beweglich; ringsum, glänzend weiß,
Die Tauben in weitem Gürtel, wie ein heller Reifen,
Inmitten bunt gefärbt mit Sternen, Tüpfeln und Streifen.
Dem Dickicht der Federn enttauchen, wie Fische aus der Welle,
Hier Schöpfchen wie Korallen, dort Schnäbel, bernsteinhelle,
Aufringeln sich Hälse, wallen sanftschaukelnd her und hin,
Wie Wassertulpen, – und lieblich blinken zur Pflegerin
Empor die tausend Augen, tausend Sternen gleich.
Sie steht, erhoben, mitten in ihrem Bogelreich,
Weiß und von weißem Kleid umflossen, geschäftig bewegt,
Wie mitten aus Blumen empor ein heller Springbrunn schlägt;
Sie schöpft aus dem Sieb und schüttet mit perlenweißer Hand
Auf Köpfe und Gefieder den weißen Perlensand
Der Gerstengraupen: die stünden den besten Tischen an,
Sie werden auch in Lithauen in die Suppe gethan, –
Soschja nimmt sie heimlich der Wirthschaftsfrau aus der Lade,
Die Vögel können sich freuen; die Küche trifft der Schade.
[113] Da ruft es: »Soschja!« – Die Tante! Hurtig schüttet sie
Den Rest der Leckereien auf das Federvieh, –
Und wie eine Tänzerin ihr Tambourin, so schwingt sie
Ihr Sieb und klimpert im Takt und ausgelassen springt sie
Durch's Heer der Pfauen und Tauben und Hennen, daß alle die Schaaren,
Wirr durcheinander schwirrend in die Höhe fahren;
Soschja, die kaum den Boden berührt mit ihren Tritten,
Scheint am höchsten von allen zu schweben in der Mitten,
Die weißen Tauben fliegen ihr, aufgescheucht, voran,
Gleich wie der Liebesgöttin glänzendes Gespann.
Laut jauchzend stürzt sie durch's Fenster in's Zimmer – athemlos
Setzt sie sich dann der harrenden Tante auf den Schooß.
Frau Telimene küßt sie und streichelt sie um's Kinn,
Froh über des Kindes Liebreiz und aufgeweckten Sinn, –
Denn ihrem Pflegling war sie aufrichtig zugethan.
Bald aber nahm sie wieder ernste Mienen an,
Stand auf, durchschritt die Stube der Läng' und Breite nach,
Dann legte sie den Finger an den Mund und sprach:
»Lieb Kind, an deinen Stand vergißt du ja ganz und gar,
Vergißt dein Alter auch, – heut' wirst du vierzehn Jahr!
Du bist nun mit Hennen und Puten, denk' ich, genug bekannt,
Fi! welche Unterhaltung für ein Fräulein von Stand!
Mit rußigen Bauernkindern wär' auch genug geherzt;
Wenn ich das sehe, Soschja, weißt du, daß mich das schmerzt?
Wie hast du den Teint verbrannt! Die reine Ziegeunerin!
Bewegungen und Gang wie eine Kleinstädterin!
Das alles muß anders werden, und zwar von heute schon;
Ich führ' dich heut' in die Welt, zu den Gästen, in den Salon:
Wir haben Gäste in Menge, – nun Soschja, gieb mir Acht,
Daß mir nur dein Benehmen keine Schande macht.«
Soschja springt vom Platz auf, klatscht in die Hände vor Lust
Hängt sich mit beiden Armen an der Tante Brust
Und lacht und weint abwechselnd vor Seligkeit, und spricht:
[114] »Ach, Tantchen, Gäste sah' ich schon so lange nicht!
Seit ich hier leb', mit den Vögeln, sah ich keinen fast,
Nur eine wilde Taube – das war der einzige Gast.
So stets im Zimmer, das ist mir schon ein Bischen fade,
Herr Richter meint sogar, daß es dem Körper schade!«
»Der Richter,« versetzt die Tante, »lag mir immer im Ohr,
Dich in die Welt zu führen, – brummte mir immer vor,
Du wärst schon erwachsen; was schwätzt er! das kann er nicht versteh'n,
Der Alte hat selber nie die große Welt geseh'n,
Das weiß ich besser, was vorher einem Fräulein vonnöthen,
Um später mit Effect in die Gesellschaft zu treten;
Kind, wisse, Verstand und Schönheit können da wenig taugen:
Effect macht Niemand, der aufwuchs vor der Leute Augen;
Man kennt ihn von Kindesbeinen, er ist nichts Neues mehr.
Doch lass' ein gebildetes Fräulein, plötzlich, man weiß nicht woher,
Aufleuchten in der Welt, dann sieh' nur die Neubegier,
Mit der sich nun auf Einmal Alles drängt zu ihr,
Wie man da aufpaßt, wie sie blickt und sich bewegt,
Wie man da jedes Wort behorcht und weiter trägt.
Und ist so ein junges Wesen erst Mode in der Welt,
Dann muß sie Jeder loben, auch wenn sie ihm nicht gefällt.
Du kannst dich benehmen, hoff' ich, – bist in der Hauptstadt erzogen,
Und Petersburg ist dir wohl noch nicht ganz verflogen,
In den zwei Jahren hier. Es wäre Schand' und Schade!
Nun, Soschja, mach' Toilette; du findest dort in der Lade
Alles bereit, doch eil' dich, denn jeden Augenblick
Erwarten wir die Gesellschaft von der Jagd zurück.« –
Nun ruft man Zofe und Dienstmagd, leert dann ein Kännelein
Wasser in's silberne Becken, und Soschja taucht sich darein,
Wetzt in der Welle umher, als wie ein Spatz im Sand,
Und wäscht, mit Hilfe der Dienstmagd, Antlitz, Hals und Hand.
Frau Telimene öffnet die Petersburger Lade,
Zieht Fläschchen Parfum heraus und Näpfchen mit Pomade,
Träuft den Parfum rundum auf Soschja – wunderbar
Durchströmt der Duft das Zimmer, – dann salbt sie ihr das Haar.
Soschja zieht weiße à jour gewirkte Strümpfe an,
[115] Darüber Warschauer Schuhe, aus weißem Saffian;
Indessen hat ihr die Zofe das Mieder zugeschnürt,
Dann wird ihr ein Pudermantel rings um den Hals geführt,
Und die gebrannten Papilloten aufgebunden;
Die Locken, weil sie zu kurz sind, in zwei Flechten gewunden,
Auf Stirn und Schläfen aber bleiben die Haare glatt.
Ein Kränzlein, das sie aus frischen Kornblumen gebunden hat,
Reicht nun das Kammermädchen Frau Telimenen dar,
Die steckt es Soschja kunstvoll, von rechts nach links, in's Haar;
Und schön war's, wie sich von der Haare mildem Glanz,
Wie von Getreidehalmen, abhob der Blumenkranz!
Man nimmt den Mantel ab; das Werk, es war gethan.
Soschja zieht über den Kopf ein weißes Kleidchen an,
Rollt in der Hand ein Batisttuch zusammen, weiß und weich,
Und ist nun selber einer weißen Lilie gleich.
Nochmals wird Haar und Anzug gerichtet und besehen,
Dann muß sie der Länge und Breit' nach durch das Zimmer gehen.
Mit Kennerblicken folgt ihr die Tante, – voll Verdruß
Und Zorn die Stirne runzelnd, – bis sie nun, zum Schluß,
Bei Soschja's Knixen ausbricht in den Verzweiflungsschrei:
»Ich Unglückselige! siehst du, das kommt heraus dabei,
Beim Umgang mit Gans und Viehhirt! Wie breit du die Beine bewegst,
Ganz wie ein Bub, – mit den Blicken rechts- und linkshin schlägst, –
Wie eine Geschiedene! – Knixe! – Wie linkisch! wie ungeübt!«
»Ach Tantchen, was kann ich dafür?« erwidert Soschja betrübt;
»Du schloßest mich ein! So fad' war's! Mit wem hätt' ich tanzen sollen?
So konnt' ich nur Vögel weiden, mit Kindern kosen und tollen;
Doch wart' nur, erlaub' mir ein Bischen mit Leuten umzugeh'n
Dann will ich mich schon bessern, Tantchen, du sollst seh'n.«
»Zwei Übel!« – sagte die Tante, »da war's noch so das Beste:
Lieber das Federvieh, als unsere bisherigen Gäste!
Der Auswurf! weißt noch? Der Pfarrer mit seiner Beterei
Oder dem Damenbrett, und die Juristenkanzlei
Mit ihren Pfeifen! Ein wahrer Ausbund von Cavalieren!
Von solchen Leuten lernt man vortreffliche Manieren!
[116] Jetzt giebt's doch Jemand, vor dem man sich zeigen kann, im Haus, –
Jetzt haben wir hier Gesellschaft, die sieht doch nach etwas aus.
Mädchen, pass' auf, du wirst mit dem jungen Grafen bekannt:
Ein wohlerzogener Herr, dem Wojewoden verwandt,
Sei gegen ihn artig, hörst du?«
Da hört man Roßgewieh'r
Und Jägergeschrei; schon tönt's am Thor! – »Sie sind schon hier!«
Soschja am Arme, läuft sie rasch in den Saal hinein;
Die Jäger traten noch nicht in die Gemächer ein,
Sie kleiden sich um, sie wollen ja nicht im Jagdgewand,
Im Spencer, vor Damen erscheinen. Erst kommt die Jugend gerannt,
Der Graf und Thaddäus, in rasch gewechselter Toilette.
Frau Telimene versieht die Pflichten der Etiquette,
Empfängt, macht die Honneurs, placirt und unterhält;
Die Nichte wird der Reihe nach Allen vorgestellt,
Herrn Thaddäus zuerst, wegen der nahen Verwandtschaft.
Sie knixt schön artig, er neigt sich tief vor der neuen Bekanntschaft,
Will etwas zu ihr sagen, hat den Mund schon offen; –
Da blickt er Soschja in's Auge: Himmel, wie wird er betroffen!
Stumm steht er vor ihr, bald bleich, bald roth im ganzen Gesicht –
Was geht nur in ihm vor? er selbst begreift es nicht.
Wie elend ist ihm! Er kennt sie – ja, er sah sie schon!
Es sind die hellen Haare, der Wuchs, der Stimme Ton!
Dies Köpfchen, diese Gestalt hatt' er im Garten geseh'n!
Die klangvolle Stimme mahnt' ihn heute, aufzusteh'n! –
Da reißt ihn der Wojski heraus: er sieht ihn wanken und beben,
Und räth ihm, sich zur Ruh' auf's Zimmer zu begeben;
Thaddäus stellt sich einsam in einen Winkel hin,
Er spricht kein Wort; nur still gelehnt an den Kamin,
Weit offenen, irren Blicks, mit starrem Angesichte
Schaut er bald auf die Tante, bald wieder auf die Nichte.
Die Tante erräth nicht Alles, hat aber wohl drauf Acht,
Welch einen großen Eindruck Soschja auf ihn gemacht;
Zerstreut erfüllt sie weiter ihre Hausfraupflicht,
Doch läßt sie dabei den Jüngling nie aus dem Gesicht.
[117] In einem freien Moment läuft sie dann zu ihm hin:
Er sei doch wohl? und so traurig? Sie frägt, sie dringt in ihn,
Führt ihn auf Soschja, neckt ihn – er erwidert kein Wort,
Gestemmt auf den Ellenbogen, starrt er fort und fort,
Die Brauen gefurcht, die Lippen unmuthvoll verkrümmt:
Die Tante wird immer mehr verwundert und verstimmt.
Da ändert sie rasch den Ton, erhebt sich zornig vom Sitz,
Und überschüttet ihn mit Worten, scharf und spitz,
Vorwürfen, Stichelreden – da fährt auch er empor,
Wie von der Tarantel gestochen: er bringt kein Wort hervor,
Finstern Blickes sieht er auf, dann spuckt er aus,
Stößt mit dem Fuß den Stuhl weg und stürzt zum Zimmer hinaus,
Die Thüre wild zuschlagend. Zum Glück hat diese Scene
Keiner der Gäste bemerkt, nur einzig Telimene.
Er rennt durch's Thor – g'radaus in's Feld, in voller Eil',
Wie wenn ein Hecht, durchstochen von dem Fischerpfeil,
Plätschert und untertaucht, im Wahne zu entflieh'n,
Und schleppt doch Schnur und Eisen mit sich überallhin:
Also auch Thaddäus, der überallhin den Jammer bringt,
Ob er durch Gräben dringt, ob er durch Zäune springt;–
Ziellos und richtungslos irrt er so lange Zeit,
Dann trat er ein in tiefe Waldeseinsamkeit, –
War's Absicht nun, war's Zufall, daß er am Hügel stand,
Der gestern sein Glück gesehen, wo jenes Liebespfand,
Jenes Billet ihm zukam, – am Ort der stillen Weihen,
Wir wissen ja, wie er genannt war: Tempel der Träumereien.
Wie er im Kreis sich umschaut, da – da erblickt er sie!
Frau Telimene, sinnend, in stiller Melancholie; –
Der Anzug, die Haltung: wie anders, als gestern, sie erscheint:
Im weißen Kleid, auf dem Stein, sie selber wie versteint;
Das Antlitz in die Hände gepreßt; – das Ohr vernimmt.
Ihr Schluchzen nicht, doch sieht man, daß sie in Thränen schwimmt.
Umsonst wehrt sich sein Herz, es muß ihn doch erbarmen;
Er fühlt es, Rührung faßt ihn und Mitleid mit der Armen;
[118] Still, hinter dem Baum versteckt, betrachtet er lang das Bild,
Bis er endlich aufseufzt und sich selber schilt:
»Daß ich mich geirrt, was kann denn sie dafür, – ich Thor!«
Dann steckt er hinter dem Baum langsam den Kopf hervor –
Als sie auf Einmal auffährt, und schüttelt sich und schwingt
Nach rechts, nach links, und mitten durch das Bächlein springt –
Mit ausgestreckten Armen, bleich, mit flatternden Haaren
Sieht er sie in den Wald flieh'n, in die Höhe fahren,
Hinknieen, fallen, – zum Aufsteh'n hat sie die Kraft nicht mehr:
Wie gräßlich muß sie leiden! sie wälzt sich hin und her,
Packt sich am Busen, am Halse, an den Füßen, am Knie,
Thaddäus springt auf sie zu, er hält's für Epilepsie
Oder gar für Verrücktheit. Doch anders ganz und gar
Erklärten sich diese Gebärden.
Beim Birkenwäldchen war
Ein großer Ameisenhaufen. Den Rasen rings bedeckten
In schwarzen wimmelnden Schaaren die emsigen Insekten.
Man weiß nicht, war es Bedürfniß, war es Wohlgefallen:
Den Tempel der Träumereien liebten sie vor Allen.
Vom Hügel, ihrem Hauptort, bis an die Quelle hinab
Traten sie sich den Weg aus und krochen da auf und ab.
Sie hat sich zum Unglück g'rad' in der Linie niedergelassen;
Gelockt durch's weiße Strümpfchen, kamen in ganzen Massen
Die Thierchen herbei, begannen zu kitzeln, zu beißen, zu nagen:
Sie war genöthigt, zu fliehen, die Ameisen abzujagen,
Zuletzt sich niederzusetzen und die Insekten zu fangen.
Wie wär' ihr nun Thaddäus nicht an die Hand gegangen!
Er säubert ihr Kleidchen, neigt sich dabei bis zu den Füßen, –
Berührt ihr mit den Lippen die Stirn – und in der süßen
Liebreichen Stellung sprach man zwar nichts von jenem Verdruß
Von heute morgen, – und dennoch kam's zum Friedensschluß.
Die Zwiesprach hätte sich noch, wer weiß wie lang, erstreckt,
Hätte sie nicht die Glocke aus Soplicowo erweckt:
Das Zeichen zum Nachtmahl –
[119] Nun heißt's: zurückgeh'n zu den Gästen;
Auch hört man in einiger Ferne ein Knarren in den Ästen:
Man sucht sie vielleicht? Auf daß man sie nicht beisammen sehe,
Schleicht Telimene sich rechtshin in des Gartens Nähe,
Thaddäus beeilt sich rasch, links auf den Fahrweg zu kommen.
Sie waren bei diesem Rückzug beide ein wenig beklommen:
Ihr ist's, als wollte sich einmal hinter den Gezweigen
Robak's kapuzenvermummtes hageres Antlitz zeigen,
Und links bemerkt Thaddäus, wie ein um's andre Mal
Ein weißer langer Schatten sich durch's Gebüsche stahl –
Er wußt' nicht wer; doch flüstert ihm eine Ahnung zu,
Es sei der Graf im langen englischen Surtout.
Man nachtmahlt wieder im Schloß. Dickschädel Protasius
Ist wieder, gegen des Richters ausgesprochnen Beschluß,
Hinter dem Rücken der Herrschaft im Sturm in's Schloß marschirt
Und hat die Kredenz dorthin, wie er sagt, intromittirt. –
Eintraten die Gäste in Ordnung und stellten sich sodann
Ringsum im Kreise auf; der Kämmerer obenan.
Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern;
Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.
Der Mönch ist nicht bei Tisch; an seinem Platz sitzt heute
Die Kämm'rerin, zur Rechten an ihres Mannes Seite.
Als nun der Richter gehörig geordnet alle Reih'n,
Spricht er über die Tafel ein Tischgebet auf Latein;
Den Männern giebt man Schnaps; dann setzen sich Alle in Ruh'
Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu.
Dann kommen Krebse, Hühner und Spargel: herrlich blinkt
Malaga und Ungarwein im Glas: man ißt, man trinkt –
Doch redet Keiner ein Wort. Man kann sich kaum entsinnen
Seitdem sie aufgeführt sind, des Schloßes hohe Zinnen,
Das so viel edle Brüder pflegte zu bewirthen,
Wo so viel Vivat's tönten, so viele Gläser klirrten,
Daß je ein Mahl so trist verlaufen in seinen Hallen.
Nur das Geklirr der Teller und der Pfröpfe Knallen
Hallt wieder im weiten, öden Raum, – es ist, als preßte
Ein böser Geist zusammen die Lippen aller Gäste.
[120] Das Schweigen hat viele Gründe. Vom großen Bärenzug
Kamen die Jäger recht heiter und gesprächig genug;
Doch als sie sich abgekühlt, die Treibjagd überdacht,
Da fanden sie, daß sie ihnen nicht gar viel Ruhm gebracht;
Was? eine Popenkapuze, weiß Gott wo hergeschneit,
Wie Philipp aus Konopie, 1 die mußte – o Schmach! o Leid! –
Sämmtliche Schützen des Kreises so zu Schanden schlagen?
Was werden die Oszmianer, was die Lidaer sagen,
Die ja dem hiesigen Sprengel die Palme im Schützenfache
Seit Menschengedenken bestreiten? Man denkt drum über die Sache.
Notar und Assessor haben, außer dem alten Zwist,
Die jüngste Blamage der Hunde, die ihnen am Herzen frißt.
Sie seh'n ihn, den schändlichen Hasen, – wie er die Läufe streckt,
Vom Waldsaum her mit dem Schwänzchen höhnisch nickt und neckt,
Dem Schwänzchen, das über die Herzen, wie eine Peitsche, fährt:
Stumm sitzen sie da, das Antlitz zur Schüssel hinabgekehrt.
Für den Assessor kommen dazu noch neue Qualen,
So oft er auf Telimene blickt und seine Rivalen.
Jene sitzt neben Thaddäus, seitwärts von ihm gewendet, –
Verwirrt; kaum daß sie sich traut und einen Blick ihm sendet,
Sie müht sich den verdüsterten Grafen aufzumischen,
Zu flotterem Reden zu bringen, die Laune ihm aufzufrischen,
Denn vom Spaziergang kam der Graf ganz seltsam sauer,
Oder vielmehr (so denkt Thaddäus) von der Lauer. –
Während sie spricht, erhebt er die Stirn in stolzem Groll,
Furcht die Brauen, sein Blick ist fast verachtungsvoll;
Dann setzt er sich zu Soschja, so nah' er irgend kann,
Bringt ihr die Teller herbei, füllt ihr das Gläschen an,
Sagt tausend Complimente, verneigt sich mit lächelndem Mund,
Zuweilen verdreht er die Augen und seufzt von Herzensgrund.
Doch sieht man, – er mag die Verstellung noch so gut versteh'n, –
Es sei nur auf Telimene's Ärger abgeseh'n,
Denn, wie von ungefähr, kehrt er sich immer zurück
Und schleudert auf Telimene einen drohenden Blick.
Sie sieht's, kann's nicht begreifen und wundert sich im Stillen;
Zuletzt zuckt sie die Achseln und denkt sich: es sind Grillen!
[121] Die neue Liebschaft ist schließlich doch nach ihrem Sinn,
So wendet sie sich denn zum andern Nachbar hin.
Thaddäus ist auch verdüstert, berührt nicht Mahl noch Wein,
Scheint den Gesprächen zu lauschen, glotzt in den Teller hinein,
Sie füllt ihm das Glas, ihn ärgert die zudringliche Manier;
Sie frägt nach seinem Befinden, ein Gähnen erwidert ihr.
Er nimmt es übel, – so jäh verwandelt ist sein Sinn, –
Daß sie in Liebeleien ein gar zu leichter Gewinn;
Ihr Kleid ist so ausgeschnitten, tiefer, als sich schickt, –
Und nun erst, wie er aufsieht: wie er da erschrickt!
Jetzt sehen die Augen schärfer, da sie zu sehen verlangen:
Kaum wirft er einen Blick auf ihre rosigen Wangen,
Da ist ihm ein großes Geheimniß, ein schreckliches, aufgegangen:
Herrgott, sie ist geschminkt!
War nun die Schminke nicht fein,
Mochte sie nun zufällig weggerieben sein:
Ein gröberer Teint enthüllt sich darunter hie und da –
Kam ihr im »Tempel der Träume« Thaddäus selbst zu nah'?
Und streifte den Karmin weg, der ja so leichter Art,
Der Staub der Schmetterlinge ist nicht so fein und zart –
Sie mußte aus dem Wald so rasch nach Hause geh'n
Und hatte keine Zeit mehr, nach ihren Farben zu seh'n:
Besonders um den Mund sah man die Sommerflecken,
Eins ist entdeckt – nun prüfen, um Weit'res zu entdecken,
Thaddäus' Blicke, wie schlaue Spione, Zug um Zug
Die Reize all' – und üb'rall ergründen sie Betrug:
Zwei Zähne fehlen im Mund – durch Schläfen und Stirne hin
Ziehen sich Runzeln – tausend Runzeln unter'm Kinn!
Weh! er fühlt, wie wenig es fromme, allzukleinlich
Das Schöne zu zergliedern, – wie schmählich das, wie peinlich,
Spion der Geliebten zu sein, – ja, Herz und Geschmack zu wandeln,
Wie häßlich! Aber läßt das Herz mit sich verhandeln?
Die fehlende Liebe möcht' er mit seinem Pflichtgefühle
Ersetzen, an ihrem Blick erwärmen des Herzens Kühle –
[122] Vergebens! Gleich des Mondes kaltem Lichte kreist
Ihr Blick ob seiner Seele, die bis in den Grund vereist; –
In inn'rem Vorwurf lag er so mit sich selbst im Krieg,
Bückte den Kopf in den Teller, zerbiß sich die Lippen und schwieg.
Indeß wird er vom Satan mit neuer Versuchung geplagt:
Es lockt ihn, zu behorchen, was Soschja dem Grafen sagt;
Das Mädchen, eingenommen von all' der Galanterie,
Senkt erst erröthend die Blicke – dann lachen er und sie –
Beginnen schließlich zu plaudern von irgend einem plötzlichen
Zusammentreffen im Garten, von irgend einem ergötzlichen
Schreiten durch Unkraut und Beete – Thaddäus hört jeden Laut,
Die Ohren streckt er aus, so weit er kann, und kaut
An all' den bitt'ren Worten, die er dann schwer verdaut.
Ein schreckliches Mahl! Wie mit des Doppelstachels Kraft
Die Natter im Garten einsaugt giftigen Krautes Saft,
Dann ballt sie sich zum Knäuel und liegt am Wege träg,
Den Fuß bedrohend, der achtlos schreitet über den Weg:
So saß Thaddäus, scheinbar kalt in sich versunken,
Und barst vor Wuth, vom Gift der Eifersucht wie trunken!
Laß, selbst im fröhlichsten Kreis, nur Einige ärgerlich sein,
Gleich wirkt ihre Verstimmung auch auf die Übrigen ein.
Die Jäger waren schon still – nun steckt Thaddäus' Galle
Den andern Zirkel auch an, und bald schweigen Alle.
Selbst der Humor des Kämm'rer's ist heut' ein herzlich schlechter:
Er war nicht zum Sprechen gelaunt, wenn er so seine Töchter, –
Reich, in der Blüthe der Jahre, Beide von hübscher Erscheinung,
Die ersten Partien im Sprengel nach allgemeiner Meinung, –
Stumm, von der schweigsamen Jugend vernachlässigt, sitzen sah!
Dem gastfreundlichen Richter geht das nicht minder nah',
Der Wojski aber sagt, bei dieser Stille im Saal,
Das sei kein polnisches, vielmehr ein wölfisches Mahl.
Für's Schweigen war sein Gehör gar zartempfindend und fein,
Selber ein Schwätzer, liebt er das Schwätzen ungemein.
[123] Kein Wunder! Sein Leben verbracht' er mit Jagden, Condescenzen,
Festmahlen inmitten der Schlachta, Congressen und Conferenzen,
Etwas trommelt ihm immer im Ohr – selbst wenn er schweigt
Oder mit seiner Klappe nach einer Fliege schleicht,
Oder geschloss'nen Augs sich träumend niedersetzt;
Tags sucht er Gespräche, Nachts wird er mit Märchen ergetzt,
Oder mit Rosenkränzen – so ist's auch zu begreifen,
Daß er ein abgesagter Feind ist aller Pfeifen.
Uns zu verdeutschen, meint er, sind sie von Deutschen erdacht,
Denn: Polen stummgemacht, heißt: Polen umgebracht.
Das Leben hat er verschwätzt, und ruh'n im Schwätzen wollt' er,
Das Schweigen weckt ihn – wie der Müller, durch's Rädergepolter
Eingeschläfert, sogleich erwacht mit bangem Schrei,
Wie nur die Speichen stillsteh'n – und ruft: Gott steh' mir bei!
Mit einer Verbeugung giebt er den Wunsch dem Kämm'rer kund,
Dem Richter winkt er leichthin mit der Hand vom Mund:
Er bittet um's Wort. Das Zeichen erwidern beide Herrn,
Indem sie sich auch verbeugen – das heißt: Wir hören gern.
Darauf beginnt er:
»Ich möchte die jungen Herren bitten,
Sie mögen beim Mahl doch sprechen nach unsern alten Sitten,
Nicht schweigen und kauen. Wollt ihr wie Kapuziner sitzen?
Wer schweigt im Kreis der Schlachta, fürwahr, der gleicht dem Schützen,
Der seine Flintenladung rosten läßt im Eisen –
Drum möcht' ich unsrer Väter gesprächig Wesen preisen:
Vom Jagen ging's zu Tische, nicht bloß um zu zechen,
Nein, um sich gegenseitig Alles vom Herzen zu sprechen!
Was kam da nicht auf's Tapet! Jagdbeute, Schüsse, Hunde –
Schützen und Treiber besprach man mit beredtem Munde,
Ertheilte Lob und Tadel, – ein Lärm entstand; – behagt
Hat das dem Ohr der Jäger, wie eine zweite Jagd.
Ich weiß ja, weiß, was euch drückt. Die Wolke von schwarzem Gram
Stieg auf aus Robak's Kapuze – nicht wahr? Ihr fühlet Scham
Ob eurer Böcke? Mög's euch nicht gar so nahe geh'n!
Ich kannte weit bessere Jäger – und hab' sie fehlen geseh'n!
[124] Treffen, verfehlen, gutmachen – ist Schützenlebens Lauf!
Ich selbst, ich schlepp' die Flinte von Kindesbeinen auf,
Und fehlt' oft; es fehlte Tuloszczyk, der große Jägersmann,
Ja, selbst der selige Rejtan fehlte dann und wann.
Des seligen Rejtan Geschichte sei später noch besprochen.
Daß aber heute das Treibwild aus dem Garn gebrochen,
Das ihm die beiden Junker, obzwar mit dem Spieß bewehrt,
Nicht ordentlich Stand gehalten, ist zwar nicht Lobens werth,
Doch Tadelns auch nicht. Mit voller Ladung auszureißen,
Das haben wohl unsre Alten erzmemmenhaft geheißen;
Aber auch blindlings schießen – wie's oft pflegt vorzukommen –
Eh' noch das Wild herankam, eh' man's auf's Korn genommen,
Ist eine schmähliche Sache. Hingegen als Regel gilt:
Wer gut gezielt, und gehörig herangelassen das Wild,
Der kann sich in Ehren zurückzieh'n, wenn er mißlang, der Schuß –
Er kann auch den Spieß gebrauchen; aber das ist kein Muß,
Nur freier Wille; nämlich dem Schützen ist der Speer
Nicht zum Angriff gegeben, nur zur Gegenwehr.
So war es alter Brauch. Drum glaubt mir, was ich gesagt,
Und seid ob eurem Rückzug nicht gar so sehr verzagt,
Mein lieber Thaddäus und Ihr, mein hochgeborner Graf; –
Doch solltet ihr euch erinnern, was euch heute traf,
So nehmt vom alten Waidmann die Lehre auf den Weg mit,
Daß nie in Zukunft Einer dem Andren in den Weg tritt, –
Nie soll man zu Zweien schießen auf ein und dasselbe Waidwild.«
Kaum hatte man das Wort vernommen, dieses: Waidwild,
So murmelt der Assessor zwischen den Lippen: Weibsbild;
Gleich ruft die Jugend: Bravo!, man lärmt, man lacht in der Runde,
Die Warnung des alten Wojski geht von Mund zu Munde,
Besonders das letzte Wort, die Einen rufen: »Waidwild«
Und unter lautem Gelächter schrei'n die Andren: »Weibsbild!«
»Ja,« brummt der Notar: »nicht gut ist's: zu zweien an einer Kette!«
Er spricht's, und der Assessor flüstert gleich: »Kokette!«
Und durchbohrt Telimenen mit Blicken, wie Stilete.
Der Wojski hatte weder anzuspielen gedacht,
Noch gab er auf die heimlich geflüsterten Worte Acht;
[125] Froh, daß er die Damen erheitert und die jungen Herrn,
Wendet er sich zu den Jägern, – auch diese ergetzte er gern –
So fängt er an und füllt dabei sein Glas mit Wein:
»Wo mag nur heut' der Pater Bernhardiner sein?
Gern erzählt' ich ihm eine curiose Begebenheit,
Sie hat mit der heutigen Treibjagd viele Ähnlichkeit.
Der Schließer sagt, er habe nur einen Menschen gekannt,
Der aus der Ferne, wie Robak, zu treffen war im Stand:
Ich kannte noch Einen – es hat sich vor meinen Augen begeben:
Mit gleichem Meisterschusse rettet' er Zweien das Leben.
Es war, als der Herzog von Nassau mit Rejtan, dem Deputirten,
In's Naliboker Gehölz zum Jagen ausmarschirten.
Neidlos erkannten die Herrn den Ruhm des Schlachcic an,
Ihr erstes Vivat bei Tische galt dem wackern Mann,
Beschenkten ihn überreichlich und gaben ihm noch zum Schluß
Das Fell des erlegten Ebers. Von diesem Eber und Schuß
Sollt ihr durch mich, als einen Augenzeugen, erfahren:
Denn das war ein ähnlicher Fall, wie heute – und es waren
Die ersten Jäger der Zeit, denen er arrivirte,
Nämlich der Herzog von Nassau und Rejtan, der Deputirte.«
Da hebt der Richter an und gießt sein Gläschen voll:
»Stoßt an, mein lieber Wojski, ich trinke auf Robak's Wohl!
Können wir ihn auch nicht bereichern mit kostbaren Gaben,
Umsonst soll er sein Pulver doch nicht verschossen haben:
Wir bürgen, daß der Bär, den heute wir erbeutet,
Zwei Jahr' lang den Bedarf der Klosterküche bestreitet.
Das Fell doch geb' ich ihm nicht, – das wird ihm gewaltsam genommen,
Oder wir müssen's von ihm, aus christlicher Demut, bekommen,
Oder ich kauf's, und wenn es um zehn Stück Zobel wär!
Über das Fell verfügen wir nun nach unsrem Begehr:
Den ersten Ruhmespreis trug schon der Priester davon:
Wer sich nächst ihm hervorthat, bekommt das Fell zum Lohn –
Wir wollen dem gnädigen Kämm'rer hiebei die Wahl vertrauen.«
Der Kämm'rer zieht die Stirn herab, zuckt mit den Brauen:
Die Schützen murmeln – Jeder hat was von sich zu sagen,
[126] Der fand das Wild, der hat ihm eine Wunde geschlagen,
Der trieb's in's Garn zurück, der rief die Rüdenschaar, –
Auf's Neue zanken sich Assessor und Notar,
Der Eine pries nach Kräften sein Sanguszkostück,
Der Andre seine Flinte aus Sagalas' Fabrik.
»Nachbar Richter,« hat endlich der Kammerherr begonnen,
»Den ersten Preis hat billig der Diener Gottes gewonnen;
Doch wer den zweiten verdient, das sagt sich nicht so leicht:
Mir scheint, daß Jeder Jedem hier an Verdiensten gleicht;
An Muth, Geschick, Gewandtheit sind Alle gleich zu loben.
Zwei aber hat die Gefahr heut' doch hervorgehoben:
Nach zweien griff er zunächst, der zottige Gesell:
Thaddäus und dem Grafen, – ihnen gebührt das Fell.
Als Jüng'rer und Neffe des Hausherrn, daran zweifl' ich nicht,
Leistet Herr Thaddäus gewiß darauf Verzicht;
So wollt denn, gnädiger Graf, die spolia opima empfangen,
Möge die Beute als Schmuck in Eurem Jagdsaal prangen;
Sie sei Euch ein Angedenken der heutigen Affaire,
Sinnbild des Jägerglückes, Sporn zu künft'ger Ehre!«
Froh schwieg er still – er dachte, erfreut hätt' er den Grafen,
Er wußte nicht, wie schmerzlich ihn die Worte trafen.
Unwillkürlich hatte der Graf die Blicke erhoben,
Als er vom Jagdsaal sprach: und die Hirschköpfe droben,
Die ästigen Geweihe, wie Lorbeern, aller Enden –
Den Söhnen zu Kränzen gepflanzt von ihrer Väter Händen,
Diese ragenden Pfeiler, mit Bilderreihen geschmückt,
Das Wappen, der alte Halbbock, der von der Wölbung blickt:
Wie der Vergangenheit Stimmen, so hat ihn das alles erfaßt.
Aus seinen Träumen erwacht er, es mahnt ihn, bei wem er zu Gast –
Der Erbe der Horeszko ein Gast im eig'nen Schloß,
Des Erbfeinds, der Soplica, gelad'ner Tischgenoß! –
Dazu die Eifersucht, die er im Herzen nährt,
Die gegen die Soplica's den Groll noch stärkt und mehrt!
Drum sagt er bitter lächelnd: »Mein Haus ist viel zu klein,
Drin dürft' kein würdiger Platz für solche Gaben sein;
[127] Hier bei den Geweihen bleibe der Bär auch, bis zum Tag,
An dem mir ihn sammt dem Schloß der Richter geben mag.«
Der Kämmerer, der schon merkt, was auf's Tapet gelangt,
Klopft auf die Dose, – das heißt, daß er das Wort verlangt.
»Mein Nachbar Graf,« beginnt er, »Ihr seid sehr lobenswerth,
Daß Ihr sogar beim Mahl Euch mit Geschäften beschwert,
Nicht – wie die Modejunker in Eurem Alter pflegen, –
Ohne zu rechnen hinlebt. Ich will die Hoffnung hegen,
Daß mir's gelingt, in Güte zu schlichten allen Streit.
Bis nun ist der Fundus des Hauses die einzige Schwierigkeit,
Ich habe schon einen Tauschplan, um Euch zu entschädigen
Durch Grund und Boden – möcht' es in folgender Art entledigen.«
Und ordentlich, wie immer, beginnt er's darzulegen;
Schon war er mitten im Vortrag – als plötzlich ein lebhaftes Regen
Am Ende der Tafel entsteht: die zeigen mit der Hand
Auf etwas hin, die haben die Blicke dahingewandt;
Zuletzt hat, gleich wie Ähren, vom Wind zurückgebeugt,
Nach der Gegenseite Alles den Kopf geneigt,
Zum Winkel hinüber. –
Dort, wo das Bild des Truchseß hing,
Mit dem einst der Horeszko Mannesstamm unterging,
Dort aus dem kleinen Thürchen zwischen den Säulenreih'n,
Schwebt leise, wie ein Traumbild, eine Gestalt herein:
Gervasius, – die Gestalt, das Haupt, das gelbe Gewand,
Der Spencer mit silbernen Halbböcken ist gleich erkannt.
Gerade, wie eine Säule, stumm, finster geht er dahin,
Ohne das Haupt zu neigen, ohne die Mütze zu zieh'n,
Hält in der Hand einen Schlüssel, wie einen Dolch, – er geht,
Und öffnet einen Schrank, in dem er dann etwas dreht.
In zwei Winkeln der Halle, an den Pfeilern, standen
Zwei niedere Schränke, in denen Spieluhren sich befanden:
Alte Sonderlinge, längst mit der Sonne entzweit,
Sie zeigten oft auf Mittag gerade um Abendzeit.
[128] Der Schließer mochte sich nicht mit Reparaturen befassen,
Aber er wollte sie doch nicht unaufgezogen lassen.
Abend für Abend quält sie sein Schlüssel, – eben schlägt
Die Stunde, zu der er sie immer aufzuziehen pflegt;
Der Kämm'rer entwickelt den Plan, den Streit der Parteien zu schlichten,
Aufmerksam hören sie zu: er zieht an den Gewichten;
Die schartigen Zähne der rostigen Räder knirschen schrill, –
Der Kämmerer zuckt zusammen und hält inmitten still.
»Freund, laß jetzt die dringliche Arbeit,« sagt er und eilt zum Schluß –
Allein der Schließer zieht, dem Redner zum Verdruß,
Noch stärker am zweiten Gewicht. Und alsogleich bewegt
Der Gimpel auf der Uhr sein Flügelpaar und schlägt
Gellend des Spielwerks Töne: ein Kunstwerk war es freilich,
Aber leider verdorben – bleibt stecken und pfeift abscheulich,
Je länger, desto toller; alle Gäste lachen,
Der Kämm'rer muß schon wieder einen Abschnitt machen –
»Hört,« schrie er, »Schließer Rembajle oder vielmehr Frau Eule, 2
Wenn Euer Schnabel Euch lieb ist, genug an dem Geheule!«
Doch der wird durch die Drohung nicht im Geringsten bewegt,
Die Rechte hat er gewichtig auf die Uhr gelegt,
Die Linke in die Seite gestemmt – »Mein Kämm'rerlein,«
Ruft er, »Ihr witzelt wohlfeil! Der Sperling ist zwar klein,
Doch in dem eig'nen Neste hat er kühnern Muth,
Als die große Eule, die hockt auf fremdem Gut.
Rembajlo ist keine Eule, – wer Nachts in fremdes Haus
Einschleicht, der ist die Eule – und ich scheuch' ihn hinaus.«
»Hinaus mit ihm!« schrie der Kämm'rer.
»Seht,« rief Gervas, »Herr Graf,
Seht doch, was hier vorgeht! Weckt's Euch nicht aus dem Schlaf?
Ist denn Eure Ehre noch nicht genug verletzt,
Wenn Ihr mit diesen Soplica's Euch zu Tische setzt?
Muß man noch mich, Gervasius, mich alten Schloßbeamten,
Den Schließer der Horeszko, im Haus der angestammten
Schloßherrn beleidigen? Und Ihr – Ihr gebt das zu?«
Da rief Protasius dreimal: »Platz da! Haltet Ruh'!
[129] Ich, Protasius Balthasar Brzechalski genannt,
Zweier Namen, einst Tribunalsgeneral im Land,
Vulgo: der Gerichtsfrohn – vollziehe die Obduction
Des Thatbestands und halte formale Revision,
Nehm' hier zum Zeugen jeden freigeborenen Mann,
Und trage beim Herrn Assessor auf Untersuchung an,
In Sachen des Richters Soplica, wohl- und edelgeboren,
Von wegen Incursion: Eindringen zu den Thoren
Des Schlosses, als dessen Besitzer sich rechtlich der Richter erweist,
Wofür der klare Beweis ist, daß er im Schlosse speist!«
»Ha, Kläffer!« brüllt der Schließer, »ich schließe dir den Mund!«
Und zieht aus seinem Gürtel den eisernen Schlüsselbund,
Schwingt ihn um's Haupt und schmeißt ihn aus vollen Kräften los –
Fort, wie ein Stein aus der Schleuder, flog das Eisengeschoß!
Es hätte Protasius' Kopf gewiß in Stücke zerschmissen,
Hätt' er durch schleuniges Bücken sich nicht dem Tod entrissen.
Ein Augenblick tiefster Stille – Alles war aufgesprungen,
Da schrie der Richter: »Packt ihn, packt den Kerl, ihr Jungen!
Hollah, in den Stock mit ihm!« Die Dienerschaft wirft sich behende
In den engen Durchgang zwischen Bänke und Wände:
Als ihnen der Graf den Weg mit einem Sessel hemmt –
Auf diese schwache Schanze hält er den Fuß gestemmt,
Und ruft: »Herr Richter, halt! Es nehme sich Keiner heraus,
Den Diener mir anzugreifen in meinem eig'nen Haus!
Hat Einer was gegen den Alten, er bring's vor mein Gericht!«
Der Kämm'rer blickt dem Grafen schielend in's Gesicht:
»Das freche Schlachciclein kann ich schon selber strafen,
Ohn' Euren Beistand; – und gesagt sei's dem Herrn Grafen:
Noch ist das Schloß nicht Euer, noch sprach nicht das Gericht,
Nicht Ihr seid Herr da – Eure Gäste sind wir nicht.
Sitzt ruhig, wie Ihr gesessen; wenn Ihr schon nicht dem Greis
Die Ehre gebt, so gebt sie dem ersten Amt im Kreis!«
»Pah!« brummt der Graf, »genug! Was können die Possen mich scheeren?
[130] Langweilt andre Leute mit Euren Ehren und Lehren!
Ich war schon Thor genug, mich da zu Zeche und Schmaus
Mit Euch zu setzen, – das läuft dann gar auf Grobheit hinaus!
Ihr werdet mir Rechenschaft geben für angethane Schmach,
Auf Wiederseh'n, wenn Ihr ernüchtert! – Gervasius, mir nach!«
Nie hätte sich der Kämmerer solcher Antwort versehen,
Er goß sich eben sein Glas voll – nun aber bleibt er stehen,
Starr mit der Flasche am Glase, wie vom Blitz getroffen,
Den Kopf zur Seite gezogen und den Mund halb offen,
Die Augen weit aufgerissen, das Ohr noch horchend gespannt; –
Er schwieg, – aber so stark preßt' er das Glas in der Hand,
Daß es klirrend zersprang: in's Auge sprüht ihm die Flut;
Als flösse nun mit dem Wein in's Herz ihm feurige Glut,
So brennt ihm jetzt das Auge, so flammt sein Angesicht.
Aufrafft er sich, will reden; das Erste hört man nicht,
Im Mund zerknirscht er's, dann erst bricht's zwischen den Zähnen hervor:
»Tropf! Gräflein! Ich will dich –! Thomas, die Karabelle! – Ha, Thor –
Zum Henker mit dir! Ha, wart', ich will dich mores lehren!
Das zarte Öhrchen langweilen alle die Lehren und Ehren!
Hinaus, hinaus – zum Säbel! du sollst mir die Lehr' erhalten,
Ich will dir auf der Stelle die zarten Läppchen spalten!
Thomas, die Karabelle!«
Da eilen von allen Enden
Die Freunde zu ihm – der Richter ergreift ihn bei den Händen:
»Halt, das ist unsre Sache! Protas, den Pallasch her!
Ich wurde zuerst beleidigt – ich nehm' ihn in die Lehr':
Wie einen Bären am Stock, will ich ihn tanzen lassen.«
Thaddäus hält ihn zurück: »Kann es für Euch wohl passen,
Herr Ohm, verehrter Kämmerer, mit diesem eitlen Fant
Euch abzugeben! Sind das die Jüngern nicht im Stand?
Laßt mir das! Ich bestraf' ihn schon auf gehörige Weise! –
Doch Ihr, mein Held, so kühn im Angriff wider Greise,
Seh'n wir, ob Ihr ein gar so furchtbarer Kämpe seid, –
[131] Wir sprechen uns morgen, bestimmen Waffen, Ort und Zeit;
Heut' lauft, so lang ihr ganz seid!«
Der Rath mocht' hier wohl frommen:
Der Graf und der Schließer waren in arge Klemme gekommen;
Am obern Ende des Tisches lärmte man nur sehr,
Vom untern aber flogen schon die Bouteillen daher,
Dem Grafen um's Haupt. Die Weiber flehen und weinen im Chor –
»Weh!« ruft Frau Telimene – blickt klagevoll empor;
Erhebt sich und fällt in Ohnmacht, – im Arm des Grafen liegt sie,
Über seine Schulter den weißen Nacken schmiegt sie,
So daß ihr Schwanenbusen an seinem Herzen ruht –
Er hält, obzwar voll Ärger, doch ein in seiner Wuth,
Fängt an, sie zu wecken, zu reiben.
Aber im ärgsten Gewühle
Steht da der Schließer, inmitten der fliegenden Flaschen und Stühle,
Schon wankt er, das Gesinde hat schon die Fäuste geschürzt
Und wirft sich in Haufen auf ihn, – da, glücklicherweise, stürzt
Soschja herbei; der Alte weckt ihr innig Erbarmen,
Sie stellt sich vor ihn und schützt ihn mit ausgebreitete Armen.
Sie halten inne; langsam weicht der Schließer zurück;
Man sucht ihn unter dem Tisch, doch er entschwand dem Blick.
Da plötzlich kommt er von drüben, wie aus der Erde gesprungen,
Hat eine Bank gewaltig in die Höhe geschwungen,
Dreht sich windmühlenartig, säubert die Hälfte der Halle,
Und faßt den Grafen, – so weichen Beide hinter dem Walle
Der Bank zum Thürchen zurück; schon sind sie an der Schwelle:
Die Feinde musternd, verweilt der Schließer an der Stelle,
Sinnt eine Weil', ob's besser, bewaffnet zu retiriren,
Oder die neue Waffe zu neuem Kampf zu führen.
Er wählt das Zweite: schon hebt er die Bank mit starker Hand
Wie einen Sturmbock zum Angriff: die Brust nach vorn gespannt,
Den Kopf zur Seite gebogen, – da, als er den Fuß schon erhebt,
Um loszustürzen, erblickt er den Wojski und erbebt.
Halbgeschlossenen Auges war der Wojski indessen,
Scheinbar in Sinnen versunken, schweigend dagesessen.
[132] Erst als sich der Graf mit dem Kämm'rer entzweit, da weckt' es ihn;
Als Jener den Richter bedrohte, wandt' er den Kopf dahin,
Nahm zweimal Prisen und rieb sich die Lider mit der Hand.
Der Wojski war dem Richter nur entfernt verwandt,
Doch, eingewohnt im gastlichen Haus seit langer Zeit,
Theilt er mit sorgendem Herzen des Freundes Glück und Leid.
Drum folgt er mit den Blicken gespannt dem Kampfgebraus,
Streckt leichthin auf den Tisch die Hand und die Finger aus,
Legt drauf ein Messer – an den Zeigefinger den Stiel,
Das Eisen zum Ellenbogen gekehrt, – und wie zum Spiel
Schwenkt er dann die etwas zurückgewölbte Hand,
Betrachtet aber dabei den Grafen unverwandt. –
Die Kunst des Messerwerfens, schrecklich im Handgefecht,
Verstanden damals in Lithauen nur noch die Alten recht.
Bei Schenkenkrawallen kam's vor, daß sie der Schließer probirte,
Während der Wojski in ihr besonders excellirte.
Die Handbewegung verräth: es wird ein kräftiger Stoß –
Die Blicke aber: es ziele auf den Grafen los, –
Den Letzten der Horeszko, wenn auch von Mutterseite!
Die Jüngern, minder achtsam, wissen nicht, was das bedeute:
Der Schließer erbleicht, hält schützend die Bank dem Grafen vor,
Und weicht zur Thüre – »Packt ihn!« schreit der ganze Chor.
Gleich wie ein Wolf, den plötzlich beim Fraß die Meute umringt,
Blindlings in den Haufen der Störenfriede springt –
Die Hunde heulen: er hetzt sie, schon will er sie packen –
Da knackt ganz leise ein Hahn: der Wolf erkennt das Knacken!
Er späht – bis hinter der Meute er den Schützen erblickt:
Dort steht er, auf's Knie gestemmt, – dort dreht er, halb gebückt,
Das Rohr nach ihm, berührt schon das Zünglein: – wie er das sieht,
Läßt er die Ohren hängen, kneift ein den Schwanz und flieht –
Nachstürzt die Meute und heult und triumphiret laut,
Zupft ihn am Pelz, – er kehrt sich zuweilen um, und schaut,
Und klappert mit dem Gebiß – die weißen Zähne droh'n
Knirschend, – und heulend stiebt die Meute gleich davon:
So zog sich der Schließer zurück, in drohender Gestalt,
[133] Den Angriff wehrt die Bank ab und seiner Blicke Gewalt,
Bis er in dunkler Nische zugleich mit dem Grafen versank.
»Packt ihn!« heißt's wieder – die Freude dauerte nicht lang;
Denn über den Köpfen des Haufens trat jäh der Schließer hervor,
Hoch oben bei der alten Orgel auf dem Chor –
Und krachend hat er die bleiernen Pfeifen herausgerissen
Und schmeißt sie hinunter – er hätte die Feinde zu Schanden geschmissen,
Doch hatten sich schon die Gäste dem Ausgang zugewandt,
Die Menge strömte hinaus, die Dienerschaft hielt nicht Stand,
Im Fliehen suchen sie eilig noch die Gefäße zu fassen,
Tischzeug und vieles Geschirre wird gar liegen gelassen.
Wer achtet nicht Schläge, noch Drohen, ausdauernd bis zum Schluß,
Wer weicht als Letzter vom Schlachtfeld? Brzechalski Protasius.
Hinter dem Sessel des Richters stand er, wich nicht vom Ort,
Mit lauter Gerichtsfrohnstimme protestirt' er fort –
Bis er zu End' war, dann erst durft' er vom Kampfplatz weichen,
Wo jetzt nur Trümmer geblieben, Verwundete und Leichen.
An Menschen war kein Verlust. Aber die Bänke alle
Hatten verrenkte Beine; der Tisch lag in der Halle,
Lahm, ohne Tischtuch, aus weinbegossene Teller gestreckt, –
Gleich wie ein tapfrer Ritter auf Schilde blutbefleckt, –
Zwischen unzähligen Leichen von Hennen, Hühnern und Puten
In deren Herzen, noch roth vom Blut, die Gabeln ruhten.
Im öden Horeszkogebäude ist bald Alles wieder
Still, wie gewöhnlich. – Dichter sinken die Schatten hernieder;
Ringsum liegen der reichen Herrenmahlzeit Reste,
Gleich dem nächtlichen Mahl, zu dem am Todtenfeste
Vom Zauberruf beschworen, die Geister der Todten zieh'n. 3
Vom Söller haben dreimal die Eulen schon geschrie'n,
Wie die Beschwörer – als hätten sie den Mond begrüßt,
Deß zitternd Bild durch's Fenster sich auf den Tisch ergießt,
Wie ein Geist des Fegefeuers; – wie der Verdammten Schatten,
Hüpfen aus dem Boden durch Löcher hervor die Ratten,
Knappern, schlürfen, – vergess'ne Champagnerflaschen springen
Zuweilen, wie um den Geistern einen Toast zu bringen.
[134] Aber im zweiten Stockwerk, im alten Spiegelsaal, –
So hieß er noch, denn Spiegel zierten ihn einmal –
Stand der Graf im Kreuzgang gegen des Hauptthors Bogen,
Im kühlenden Wind – den Rock auf einen Arm gezogen,
Den andern Ärmel, die Schöße am Hals in Falten geschlungen,
Und malerisch um die Brust, wie einen Mantel, geschwungen.
Mit großen Schritten maß Gervasius das Gemach,
Tief sannen sie Beide, als Jeder so mit sich selber sprach:
»Pistolen,« sagte der Graf, »auch Säbel, – wie sie begehren.«
Der Schließer: »Schloß und Grundstück, Beides muß uns gehören.«
»Fordre den Onkel, den Neffen, die ganze Sippe zugleich!«
Sagte der Graf – »Nehmt Schloß und Dorf und Land an Euch,«
Rief der Schließer und wandte sich dem Grafen zu:
»Nehmet Alles nur an Euch, Herr Graf, dann habt Ihr Ruh' –
Herrlein, wozu Processe? die Sache ist sonnenklar,
Die Euern besaßen das Schloß, wohl an vierhundert Jahr';
Vom Boden ward ein Theil zur Zeit von Targowica,
Ihr wißt's ja, abgerissen, und kam an die Soplica;
Nicht dieser Theil nur – Alles ist ihnen abzusprechen,
Als Kosten des Processes und um den Raub zu rächen.
Ich hab's Euch immer gesagt: Nicht vor Gerichten streiten;
Ich hab's Euch immer gesagt: Einreiten, nur einreiten!
So hielt man's früher: das Grundstück besitzt, wer's occupirt;
Triumph im Feld, das heißt auch: beim Richter triumphirt.
Betreffs der älteren Händel mit den Soplica's, ist besser,
Als irgend ein Proceß, mein liebes Federmesser –
Und steht mir gar noch Matschek mit seinem Gertchen bei,
So schneiden wir sie zu Hecksel, diese Soplica's, – wir zwei!«
»Bravo!« ruft Jener, »dein Kriegsplan, dein gothisch- sarmatischer,
Ist schöner, als so ein Proceß, ein advokatischer!
Weißt was, ganz Lithauen soll von unsrem Feldzug klingen,
Wir wollen was Unerhörtes, was Großes zu Stande bringen –
Und wir amusiren uns! Da sitz' ich, zwei Jahre lang –
Was sah ich für Kampf? Mit Bauern einen Ackerzank!
Bei unsrem Feldzug kommt doch ein Blutvergießen heraus,
Auf meinen Reisen kämpft' ich einmal in solchem Strauß;
[135] Als ich mich in Sicilien bei einem Fürsten befand:
Sein Eidam fiel in den Bergen den Räubern in die Hand,
Sie forderten von der Familie frech ein Lösegeld,
Rasch stellt' ich meine Diener und Vasallen in's Feld,
Wir stürzten uns auf die Räuber, ich selber tödtete zwei,
Flog als der Erste in's Lager und machte den Ritter frei.
Ach, mein Gervasius, war das ein Heimzug dazumal,
Schön, im Triumphe strahlend, ritterlich-feudal!
Das Volk empfing uns mit Blumen; – befreit von schwerem Harme,
Fiel mir des Fürsten Tochter weinend in die Arme;
Dann kam ich nach Palermo: da las man meinen Namen
In den Journalen, mit Fingern wiesen auf mich die Damen;
Ja, das ganze Ereigniß erschien dann als Roman,
Wo ich mit Namen genannt bin und alles, was ich gethan:
Der Pole oder die Mysterien im Schloß
Birbante Rocca. – Giebt's hier, unter dem Erdgeschoß,
Verließe?« Der Schließer versetzt: »Ja, riesige Kellerei'n,
Doch leer, denn die Soplica's tranken allen Wein.«
»Bewaffne«, rief der Graf, »im Schloß die Jockeyschaar,
Mein Hauswart, und die Vasallen im Dorf!« – »Was? Gott bewahr'!
Lakaien?« rief der Schließer, – »sind das denn Lumpereien?
Wer machte je einen Einritt mit Bauern und Lakaien?
Mein Herr, auf's Einrittwesen versteht Ihr Euch gar schlecht!
Schnauzbart: das ist was Andres 4 – Schnauzbärte kommen da recht;
Doch nicht vom Dorf – nein, aus den Weilern, aus Dobrzyn,
Nach Rzezikow, Cientycze, Rombanki sendet hin;
Dort ist uralter Adel, ein Ritterblut rein und ächt,
Alle von je befreundet Eurem edlen Geschlecht,
Spinnefeind den Soplica's alle durch die Reih'!
Von dort bring' ich dreihundert schnauzbärtige Mannen herbei,
Laßt mir das; kehret jetzt in den Palast zurück,
Und schlaft Euch aus; denn morgen giebt's ein schweres Stück;
Ihr schlaft gern lang, – 's ist spät, der Hahn hat zweimal gekräht; –
Ich hüte das Schloß hier, bis die Nacht zur Neige geht,
Und bin in Dobrzyn mit dem ersten Sonnenstrahl.«
[136] Der Graf verläßt den Kreuzgang, doch blickt er noch einmal
Vorher durch's Schießloch hinüber auf Soplica's Haus,
Er sieht es hell erleuchtet, und drohend ruft er aus:
»Illuminirt nur heute, morgen sollt Ihr's nicht!
Nacht ist es dann bei Euch und hier im Schlosse Licht!«
Gervas sitzt auf dem Boden, an die Mauer gedrückt,
Die Stirn gedankenvoll zur Brust hinab gebückt.
Das helle Mondlicht fällt ihm auf den Scheitel, den kahlen:
Er zeichnet über ihn Linien: in seinem Haupte malen
Sich schon gewiß die Pläne zum kommenden Krieg; – die Lider
Sinken ihm müd' und schwer und immer schwerer hernieder;
Willenlos schwankt sein Hals, er fühlt des Schlummers Nah'n,
Und fängt, nach seiner Gewohnheit, die Abendgebete an.
Doch zwischen Vater Unser und Ave Maria steh'n
Seltsame Schemen vor ihm, und drängen sich und dreh'n:
Er sieht die Herrn Horeszko, ihm so wohlbekannt,
Der trägt den Säbel, der den Kolben in der Hand,
Ein Jeder dreht sich den Schnurrbart und blickt gar drohend darein,
Schüttelt den mächtigen Kolben, dringt mit dem Säbel ein;
Zum Schlusse zittert vorüber ein Schatten voll stiller Trauer,
Ein blutiges Maal auf der Brust. Den Schließer faßt ein Schauer:
Den Truchseß erkennt er – beginnt rundum Kreuze zu schlagen;
Und um die schrecklichen Bilder rascher zu verjagen,
Spricht er für sie die Fegefeuer-Litanei.
Die Lider kleben ihm wieder, es summt ihm im Ohr: Geschrei
Berittener Schlachtascharen! die Säbel sprühen Blitze!
Einritt! Einritt! Korelicz und Rymsza an der Spitze!
Sich selber sieht er, wie er auf flinkem Schimmel sprengt,
Sein schreckliches Rappier hoch über'm Haupte schwenkt;
Es flattert weit im Wind, es saust die Taratatka,
Vom linken Ohr sinkt ihm zurück die Konfederatka, –
Fortsprengt er; Reiter, Fußvolk wirft er im Wege hin
Brennt endlich eine Scheun' an, mit Soplica darin; –
Da sinkt ihm, schwer von Träumen, das Haupt zur Brust hernieder:
Horeszko's letzter Schließer schließt die Augenlider.

Fußnoten

1 Einst war der Landbote Philipp, Herr zu Konopie, in einer Rede auf dem Reichstage so weit vom Gegenstand der Debatte abgenommen, daß die ganze Kammer in Gelächter ausbrach. Daher das poln. Sprichwort: »Er kam hergeschneit, wie Philipp aus Konopie«.

2 Im Poln. ein Wortspiel oder vielmehr nur ein Binnenreim, das ich, so gut es ging, nachzubilden suchte. (d.Ü.)

3 »Dziady« (Todtenfest, Ahnenfeier) heißt ein altheidnisches Fest, das die Lithauer noch zu Mickiewicz's Zeiten feierten: die Geister der Abgeschiedenen werden vom »Todtenbeschwörer« (Guslarz) heraufgerufen und mit Speise und Trank bewirthet. – Dieses Fest bildet den Mittelpunkt der »Dziady« des Mickiewicz, einer der erhabensten Dichtungen des Meisters. (d.Ü.)

4 Zu einem richtigen und tüchtigen polnischen Schlachcic gehört bekanntlich ein mächtiger Schnurrbart. Das dem deutschen Schnauzbart entsprechende polnische Wort, das eben einen Schlachcic mit tüchtigem Schnurrbart bedeutet, bildet mit dem Ausdruck »Wasal« (Vasalle) ein nicht wiederzugebendes Wortspiel. Ich habe daher jenes »Mein Hauswart« eingefügt. Es handelt sich hier nur darum, daß Gervasius die fremdländischen und hochtrabenden Ausdrücke des Grafen mißversteht und verdreht. »Verließe« hält er für Kellereien, »Jockey's« für Lakaien. (d.Ü.)

Sechster Gesang

[137] Sechster Gesang.
Der Edelweiler. 1

Die ersten kriegerischen Anzeichen des Einritts. – Protasius' Expedition. – Robak beräth mit dem Herrn Richter über die öffentlichen Angelegenheiten. – Fortsetzung der, erfolglosen, Expedition des Protasius. – Abschnitt über den Hanf. – Der Edelweiler von Dobrzyn. – Beschreibung der Häuslichkeit und der Person des Matschek Dobrzynski.


Lichtlosen Tag im Auge, schleicht aus dem Nebelflor
Ein Morgen ohne Röthe trägen Schritts hervor.
Längst war der Tag entstanden, und ist doch sichtbar kaum;
Gleich wie das Strohdach über'm dürftigen Hüttenraum
Des Lithauers, hängt der Nebel über dem Erdenland;
Die Sonne stand schon auf; das zeigt der hellere Rand
Im Ost: man muß sie von dort herniedersteigen seh'n, –
Doch unfroh geht sie einher und schlummert ein im Geh'n.
Und wie am Himmel, verspätet sich Alles auf der Erde;
Später, als sonst, bricht heut' zur Weide auf die Heerde,
Und trifft im Feld die Hafen beim späten Frühstücksmahl.
Die schlüpfen sonst in die Haine beim ersten Morgenstrahl;
Heut' knappern unterm Schutze des Schleiers, der sie umfängt,
Die Einen am Vogelkraut, – paarweis zusammengedrängt,
Scharren die Andern Grübchen und meinen in ruhigem Glück
Im Freien zu bleiben – doch treibt sie das Vieh in den Wald zurück.
[138] Der Wald auch schweigt. – Der Vogel erwacht, doch singt er nicht,
Er schüttelt den Thau vom Fittig, schmiegt an den Baum sich dicht,
Drückt den Kopf in die Schultern, schließt in halbem Wachen
Das Aug' und harrt der Sonne. Dort klappert, an fernen Lachen,
Der Storch. Da haben sich Krähen ganz naß auf's Heu gesetzt,
Aufsperrt der ganze Haufe das Maul und schwätzt und schwätzt,
Sie bringen schlechtes Wetter, sind drum dem Landwirth ein Graus –
Der Landwirth zog schon längst in's Feld zur Arbeit hinaus.
Schon singen die Schnitterinnen ihren gewohnten Gesang,
Gleich einem Regentag, einförmig, düster, bang:
Ohn' Echo versickert's im Nebel – das trübt noch mehr den Klang.
Die Sicheln rauschen im Korn, die Au stimmt ein, es summet
Der Schnitterchor fortwährend sein Lied im üppigen Grummet,
Am Ende jeder Strophe halten sie inne – schwingen
Die Hämmer und schmieden im Takt und schärfen die Sensenklingen.
Die Leute sieht man nicht, der Nebel entzieht sie dem Blick, –
Nur Sicheln hört man und Lieder, wie unsichtbare Musik.
Der Ökonom, auf eine der Garben niedergelassen,
Langweilt sich, dreht sich herum, ohne recht aufzupassen,
Blickt auf den Fahrweg hin, hin nach dem Scheidewege, –
Was geht nur vor? heut' ist's dort ganz besonders rege.
Welch Leben auf Weg' und Straßen schon seit Tagesbeginn!
Dort knarrt ein Bauernfuhrwerk rasch, wie die Post, dahin;
Da eine Schlachcickalesche, dort im Galopp eine zweite,
Noch eine rasselt von drüben – und von der linken Seite
Sieht man einen Boten im Courierschritt laufen;
Rechts galoppirt im Wettlauf ein ganzer Reiterhaufen:
Fort eilen sie alle, sind bald nach allen Enden zerstoben;
Was soll's? – Der Ökonom hat sich vom Sitz erhoben,
Will schauen, fragen, – doch es bleibt ihm Keiner stehen,
Wie lang' er harrt und ruft; – kein Antlitz klar zu sehen
Im Nebelflor; wie Schatten flieh'n vorbei die Reiter,
Nur dumpfen Hufschlag hört man, bald näher und bald weiter –
Und wundersamer noch: es klirren Säbel und Degen:
[139] Wie muß das dem Ökonomen Lust und Schrecken erregen!
Denn herrscht' auch damals in Lithauen Ruh': – im Land ringsum
Liefen doch schon seit Langem dumpfe Gerüchte um:
Von Krieg, – von den Franzosen, – Dombrowski – Napoleon:
So künden sie Krieg, die Reiter, und dieser Waffen Ton?
Der Ökonom läuft hin, um Alles dem Richter zu sagen
Und, wie er hofft, auch selber etwas zu erfragen.
In Soplicowo waren nach der stürmischen Nacht
Hausbewohner und Gäste mißmuthig und trüb' erwacht.
Ob auch des Wojski Tochter zum Kartenlegen die Damen
Einlädt, ob auch die Herrn ein Spiel Mariage bekamen:
Niemand will sich zerstreuen – man sitzt in die Ecke gedrückt,
Die Männer rauchen Pfeifen, der Kreis der Damen strickt,
Die Fliegen selbst schlafen.
Den Wojski langweilt die dumpfe Ruh',
Hinwirft er die Klappe, gesellt sich dem Gesinde zu,
Hört lieber die Wirthschafterin, die durch die Küche wettert,
Die johlenden Jungen, den Koch, wie er da prügelt und zetert,
Bis ihn der Bratenspieße einförmig Drehen zuletzt
Langsam in angenehme Träumerei versetzt.
Von Früh an sitzt der Richter eingeschlossen und schreibt,
Während der Frohn im Vorraum unter dem Fenster bleibt.
Der Richter ruft ihn: beendet ist die Citation;
Die Klage wider den Grafen liest er mit mächtigem Ton:
Ihn klagt er auf Ehrenkränkung, Schmähreden – Gervasius
Auf offene Thätlichkeiten, – Beide lädt er, zum Schluß,
Von wegen der Drohungen und der Kosten, in Person
Vor's Burggericht in Strafsachen. Diese Citation
Muß mündlich und augenscheinlich noch heut' vor Tageswende
Zugemittelt werden. Ausreckt Ohren und Hände
Ganz feierlich der Frohn, wie er die Klage erblickt –
Wär' gern in die Höh' gesprungen, so war sein Herz entzückt –
Doch stand er würdig da. Beim bloßen Gedanken schon
An einen neuen Proceß fühlt sich der alte Frohn
[140] Wie neugeboren – er denkt, wie er in frühern Tagen
Vorladungen und Klagen zu den Parteien getragen,
Wobei es für ihn viel Schläge, doch auch viel Gold gegeben; –
Wie der Soldat, der ein im Krieg durchtobtes Leben
Im Krüppelspital beschließt, – wenn eine Trompete einmal,
Wenn eine Trommel von ferne herklingt in's Hospital,
Hurtig vom Bette auffährt und ruft im Traum: »Hau' ein!
Hau' den Russen!« – und springt hinaus auf dem hölzernen Bein,
So schnell, daß ihn ein Jüngling kaum erreichen kann.
Rasch legt Protasius die Frohngewänder an;
Zupan und Kontusz aber läßt er heut' zu Haus, –
So rückt er bloß bei großer Gerichtsparade aus; –
Jetzt nimmt er den Reiseanzug: Reithosen, lang und weit,
Die Kurtka, – bald ein kurzes, bald ein langes Kleid,
So wie man die Schöße hinaufknöpft oder niederläßt,
Die Klappenmütze, – ein Schnürchen hält oben die Klappen fest,
Man zieht sie bei Regen hinunter, bei schönem Wetter hinauf; –
Dann nimmt er den Knotenstock und bricht zu Fuße auf.
Ein Frohn muß vor dem Proceß sich in Gestalt und Tracht
Vielfach vermummen, wie Spione vor der Schlacht.
So eilt er fort, – und wahrlich, nöthig war die Eile,
Sonst währte seine Freude nur gar kurze Weile:
Zu Haus trat eine Wandlung im Feldzugsplane ein;
Robak stürzt zum Richter ganz erregt herein:
»Hört, Richter! daß der Kuckuck diese Tante hätte,
Diese Frau Telimene, die flatterhafte Kokette!
Wie Soschja zurückgeblieben, ein Kind in dürftigem Stand,
Gab Jacek ihre Erziehung in Telimene's Hand,
Sie galt als ein gütiges Wesen, mit Welt und Leben vertraut:
Nun seh' ich, daß sie da etwas Ungehöriges braut,
Intriguen um Thaddäus spinnt – ich geb' wohl Acht; –
Kann sein auch, daß sie sich an unsern Grafen macht,
Oder an Beide zugleich, – da gilt's, sich umzusehen,
Wie man sie los wird; sonst kann draus ein Klatsch entstehen
Bös Beispiel, und zwischen den jungen Leuten Zwistigkeiten,
[141] Die Eurem Rechtsvergleich leicht Hindernisse bereiten.«
»Vergleich?« rief hitzig der Richter, »davon wird nicht mehr gesprochen,
Jetzt ist Alles aus – Alles ist abgebrochen.«
»Was?« fällt Robak ein, »seid Ihr bei klarem Verstand?
Was schwätzt Ihr mir da wieder? Welch neuer Krawall entstand?«
»Ich bin nicht schuld,« sagt Jener, »das geht bald klar hervor,
Der Graf hat den Streit veranlaßt, der aufgeblasene Thor, –
Der Schuft von Schließer! – Doch das ist Sache des Tribunals,
Schad', daß Ihr nicht im Schloß wart, während des gestrigen Mahls,
Ihr wärt mein Zeuge, wie grausam mich der Graf verletzt!«
»Wer hat Euch auch,« schrie Robak, »in jenes Nest gehetzt?
Ihr wißt, ich kann's nicht leiden; nun soll's mein Leben lang
Mein Fuß nicht mehr betreten! Gott's Zorn! Ein neuer Zank!
Was gab es denn? Erzählt; man muß die Sache schlichten.
Mich widern sie schon an, all' diese dummen Geschichten;
Immer nur Zänker vergleichen! hab' Wichtigeres zu thun!
Doch will ich's nochmals.« – »Vergleichen! laßt mich, zum Kuckuck, ruh'n!«
Fährt Jener stampfend auf, »das hab' ich nun satt bekommen!
Seht nur den Mönch! weil ich ihn artig aufgenommen,
Führt' er mich gern bei der Nase – nun bleib' ich aber verschont!
Wißt, die Soplica's sind Vergleiche nicht gewohnt; –
Klagen sie: müssen sie siegen! – oft haben sie's fortgesponnen
Bis in's sechste Geschlecht, und haben dann doch gewonnen.
Ich hab', auf Euren Rath, schon dumm genug gethan,
Und rief zum dritten Mal die Grenzgerichte an;
Von heut' an kein Vergleich! Nein, nimmer, nimmer, nimmer!« –
Mit beiden Füßen stampfend, schritt er durch das Zimmer, –
»Zudem die gestrige Grobheit! Dafür muß der Gesell
Entweder Abbitte leisten, oder – ein Duell!«
»Doch wenn es Jacek erfährt, Richter, was kommt da heraus?
Er stirbt ja vor Verzweiflung! Hat der Soplica Haus
Noch nicht genug des Unheils in diesem Schloß gestiftet?
Bruder, des schrecklichen Falls, der Jacek's Leben vergiftet,
Gedenk' ich nicht – doch wißt ihr, dann nahm Targowica 2
Dem Erben ein Theil der Güter und gab es den Soplica;
Der reuige Jacek mußt' es in der Beichte schwören,
Zu schaffen, daß diese Güter dem Erben wieder gehören;
[142] Drum nahm er Soschja, Horeszko's arme Erbin, in Pflege,
Zahlt' viel für ihre Erziehung, brächt' es auch gern zuwege,
Daß sie seinen Thaddäus sich zum Gatten wählt:
Die feindlichen Häuser wären dann brüderlich vermählt,
Und, ohne Schande für ihn, der Raub zurückgegeben.«
»Was,« rief der Richter, »scheert das mich? Hab' nie im Leben
Jacek gekannt – bin nie mit ihm zusammengekommen;
Von seinem Kosakenleben hab' ich kaum vernommen:
War damals in der Rhetorik als Jesuitenscholar,
Und diente dem Wojewoden später mehrere Jahr!
Man gab mir Güter, ich nahm sie; er sprach: nimm Soschja in Pflege,
Ich that's, – erzog sie, denke an ihre weitern Wege –
Mich langweilt sie genug, die ganze Ammenmähr'!
Und dann – was Teufel kam mir dieser Graf daher?
Mit welchem Recht in's Schloß? Ihr wißt doch, diese Puppe
Ist, als Horeszko betrachtet, zehnmal verdünnte Suppe! 3
Und er mich schmähen? Und ich ihn bitten zum Friedensbund?«
»Bruder,« versetzt der Mönch, »das hat doch wichtigen Grund!
Du weißt, erst hätte Jacek gerne seinen Sohn
Zum Heer geschickt, dann ließ er ihn hier; – der Grund davon?
Er wird dem Vaterland zu Hause nöthiger sein;
Du hast gewiß gehört, wovon man schon allgemein
Jetzt spricht, wovon ich oft dir Kunde zugetragen:
Nun ist's schon Zeit, ja Zeit ist's, Alles nun zu sagen!
Gewichtige Dinge, Bruder! Krieg! Krieg bricht bald herein!
Der Krieg um Polen! Bruder! Wir werden Polen sein!
Krieg zweifellos! Als in geheimer Mission
Ich herkam, stand die Vorhut des Heers am Niemen schon!
Napoleon sammelt eine gewaltige Armee,
Nie hörte man dergleichen, noch ersah man's je –
Er wird das polnische Heer, wird unsren Joseph bringen, 4
Unsren Dombrowski, unsrer weißen Adler Schwingen!
Schon brach es auf; – sobald Napoleons Ruf ergeht,
Zieht's über den Niemen – und, Bruder! das Vaterland ersteht!«
Langsam legt der Richter die Brille ab, wie er so spricht –
Sagt nicht ein Wort, sieht fest dem Priester in's Gesicht,
[143] Die Thränen treten ihm in's Aug' – aufseufzt er tief,
Endlich umschlang er den Mönch mit aller Kraft und rief:
»Mein lieber guter Robak, ist denn das nur wahr?
Mein Robak,« wiederholt er, »ist das auch wirklich wahr?
Man hat uns so oft getäuscht! – Weißt noch, Napoleon
Kommt schon heran, so hieß es, – und wir warteten schon: –
Im Kronland ist er! die Preußen über den Haufen schoß er!
Marschirt zu uns! – Und er? den Frieden von Tilsit 5 schloß er!
Ist das nur wahr? und trügst du dich nicht selber gar?«
»So wahr ein Gott im Himmel!« rief Robak »es ist wahr!«
»Heil!« rief, die Hände erhebend, der Richter – »Heil dem Munde,
Der da Solches verkündet! – Robak, diese Kunde
Soll nicht dein Schade, nicht des Klosters Schade sein!
Zweihundert erlesene Schafe will ich dem Kloster weih'n.
Hör', Priester, meinen Braunen lobtest du vor Allen,
Mein Fuchs erregte dir gestern besondres Wohlgefallen:
Heut', jetzt gleich spann' ich Beide vor deinen Almosenwagen,
Heut' bitte, was du nur willst, ich werde dir nichts versagen,
Nichts! – Aber mit diesem Grafen laß mich ungeplagt!
Er hat mich tief beleidigt, ich hab' ihn schon geklagt;
Schickt sich's denn?«
Robak erstaunt – dasteht er, händeringend, –
Dann zuckt er die Achseln und ruft, ihn mit dem Blick durchdringend:
»Also Napoleon kommt, Lithauen die Freiheit zu schenken, –
Es zittert die Welt – und du kannst an Prozesse denken?
Nach Allem, was ich gesagt, kannst du hier sitzen und ruh'n,
Hier sitzen, die Hände im Schooß – jetzt, da es gilt, zu thun
»Thun? Was denn?« fragt der Richter. »Wie?« rief Robak aus,
»Lasest du's noch nicht aus meinen Augen heraus?
Sagt dir das Herz noch nichts? Ach, hast du ein Tröpfchen nur
Soplicablut in den Adern, nur die kleinste Spur –
Bedenk' doch: vorne greifen die Franzosen an –
Und wenn man im Rücken das Volk zum Aufstand bringen kann?
Was? Laß nur das Streitroß wiehern, 6 laß Samogitiens Bären
Aufbrüllen! Ach, wenn hier nur tausend Männer wären,
Ach, stürzten nur fünfhundert im Rücken auf Moskau los,
[144] Wie griffe der Aufstand um sich – ein Feuer, riesengroß!
Wenn wir so kämen, siegreich, – mit russischen Fahnen, Kanonen –
Und die Befreier begrüßten, die polnischen Legionen!«
Wir kommen: unsre Lanzen erblickt Napoleon,
Fragt: »Welch ein Heer?« – Wir rufen: Die Insurrection!
Freiwillige von Lithauen! – »Wer führt sie?« – Richter Soplica!
Ach, wer muckste dann noch je von Targowica? –
So lange der Niemen strömt und die Ponaren steh'n,
Würde der Name Soplica in Lithauen nicht vergeh'n!
Auf Kinder und Kindeskinder würde mit Fingern weisen
Die Stadt Jagiello's: »Seht! ein Soplica!« würd' es heißen,
»Von jenen Soplica's, den Ersten, die den Aufstand entfacht!«
»Ich hab' mir niemals viel aus Menschenlob gemacht,«
Versetzt der Richter, »was scheert's mich, wie man von mir spricht; –
Was mein Bruder verschuldet, weiß Gott, es trifft mich nicht;
Die Politik war niemals eigentlich mein Feld:
Ich hab' mein Amt verwaltet und meinen Acker bestellt.
Doch bin ich ein Schlachcic, tilgte gern des Hauses Schande, –
Ich bin ein Pole, diente gerne meinem Lande,
Und gält's mein Blut. Ich bin kein sonderlicher Degen,
Und doch traktirt' auch ich so Manchen schon mit Schlägen,
Man weiß, wie ich in den letzten Kreisversammlungstagen
Zwei Brüder Buzwik gefordert und Beiden Wunden geschlagen,
Die – – doch, was liegt daran! Also, wie dünkt es Euch?
Meint Ihr, daß es Noth thut, wir zögen in's Feld sogleich?
Die Schützen sammeln wir leicht – wir haben genug Patronen,
Beim Pfarrer im Hause finden sich einige kleine Kanonen,
Jankiel sagte, er habe Lanzeneisen liegen,
Im Nothfall, meint' er, könnt' ich über sie verfügen, –
Er hat sie heimlich in Kisten aus Königsberg gebracht,
Wir nehmen sie, die Schäfte sind sogleich gemacht;
Säbel sind da: die Schlachta setzt sich zu Roß, – voran
Ich mit meinem Neffen, und – so weit wär's gethan!«
»O Polenblut!« rief Robak voll Rührung aus und schloß
Ihn stürmisch in die Arme – »ächter Soplicasproß!
Ja, dir wies der Himmel die Bestimmung zu,
[145] Des Bruders Sünden zu tilgen, des Flüchtlings ohne Ruh'!
Ich kannte deinen Werth – ich mußte dich immer ehren,
Nun aber lieb' ich dich, als wenn wir Brüder wären!
Noch ist's nicht Zeit, zu marschiren – wir machen nur Alles bereit,
Ich selbst bestimme den Ort, verkünd' euch auch die Zeit.
Der Czar hat an Napoleon Boten geschickt, – begehrt,
Den Frieden zu erhalten, der Krieg ist nicht erkärt.
Dem Prinzen Joseph aber sagte Herr Bignon,
Einer von den Räthen des Kaisers Napoleon,
Daß die ganze Verhandlung resultatlos endet, –
Es kommt zum Krieg! Der Prinz hat mich auf Kundschaft gesendet,
Erklärte, er wolle die Lithauer in Bereitschaft finden,
Um, wenn Napoleon kommt, sogleich ihm zu verkünden,
Daß sie zum Schwesterland, zur Krone wollen gehören
Und die Erneuerung des polnischen Reichs begehren.
Käm's doch nur mit dem Grafen inzwischen zur Einigung!
Er ist ein Phantast, ein Kauz, doch ist er redlich, jung, –
Ein guter Pole – so Einer thut Noth in solchen Dingen:
In Revolutionen wirkt man gar viel mit Sonderlingen!
Ich weiß es aus Erfahrung: selbst Narren sind von Bedeutung,
Wenn sie nur ehrlich sind und unter weiser Leitung.
Er ist Magnat – hat mit der Schlachta viel Verkehr,
Schlägt er nur los, so greift der ganze Bezirk zur Wehr;
Man kennt ihn als reich – so wird sich jeder Schlachcic sagen:
Die Sache ist sicher, wenn solche Herrn sich zu ihr schlagen.
Ich eile gleich zu ihm.« – »Er mache den Anfang«, gab
Der Richter zurück, »er komme hierher und bitte mir ab;
Ich führ' ein Amt, ich bin der Ält're von uns Beiden!
Und den Proceß – den mag ein Schiedsgericht entscheiden.«
Der Bernhardiner hat schon die Thüre zugeschlagen.
»Nun, Glück auf den Weg!« ruft Jener.
Robak stürzt in den Wagen,
Peitscht sein Gespann und schlägt ihm die Riemen um die Seiten;
Fortsaust das Wäglein, schwindet in den neblichten Weiten,
Nur hie und da, wie über den Wolken schwebt der Geier,
Erhebt sich die Kapuze über die Nebelschleier.
[146] Protasius hat schon früher das Haus des Grafen erreicht; –
Wie ein durchtriebener Fuchs zum lockenden Schinken schleicht,
Kennt aber die listigen Schlingen der Schützen: mitten im Lauf
Hält er – setzt sich öfters, hebt den Schwanz hinauf,
Weht, wie mit einem Fächer, den Wind zu den Nüstern heran,
Und fragt ihn, ob nicht die Schützen Gift in den Speck gethan:
So schleicht der Frohn vom Weg ab, längs der Wiese geht er,
Rings um das Haus herum, den Stock in den Händen dreht er,
Als hätt' er irgendwo ein Vieh im Schaden erblickt;
Behend lavirt er sich so zum Garten, – läuft gebückt,
Als lauert' er auf ein Grashuhn: bis er mit Einem Schlag
Hurtig über den Zaun sprang und – im Hanfe lag.
Der Hanf um's Haus, ein grüner, duftiger, dichter Strauch,
Ist sichres Asyl für's Wild und für die Menschen auch.
Oft springt der Hase, den man im Weißkohl aufgeschreckt,
Zum Hanf und liegt dort sichrer als im Gebüsch versteckt:
Das Kraut ist da so dicht, kein Windspiel jagt ihn heraus,
Auch ist der Duft zu stark, kein Spürhund schnüffelt ihn aus.
Der Diener, der dem Kantschu oder der Faust entlaufen,
Hockt still im Hanf und läßt den Herrn indeß verschnaufen.
Und während der Assentirung sucht man die flüchtigen Bauern
Nicht selten in allen Wäldern, wenn sie im Hanfe kauern.
Drum mühen sich auch gewaltig, bei allen Schlägereien,
Einritten, Gutsübergaben, von jeher beide Parteien,
Die starke Position des Hanfes zu bezieh'n, –
Die dehnt sich vorn gewöhnlich bis an's Wohnhaus hin,
Während sie sich nach hinten bis zum Hopfen erstreckt,
Wo sie, mit ihm vereinigt, Angriff und Rückzug deckt.
Der Frohn, ein muthiger Mann, fühlt dennoch einigen Schrecken;
Denn schon der Duft des Hanfs mußt' ihm Erinnerung wecken
An Frohnbotabenteuer, die er früher erlebt,
Für die sich, Fall für Fall, der Hanf als Zeuge erhebt:
So lud er einst den Schlachcic Dzindolet vor Gericht,
Der aber hielt ihm die Pistole vor's Gesicht
Und hieß ihn unter den Tisch hinkriechen, und zur Stund'
[147] Die ganze Citation abbellen, wie ein Hund:
Dem so bedrohten Frohn blieb keine andere Wahl,
Als rasch in den Hanf zu flüchten. So hat ihm später einmal,
Der kecke Wolodkowicz, 7 der die Gerichte bedrängte,
Landschaftsversammlungen oft mit Gewalt zersprengte,
Die Citation genommen, in kleine Stücke zerfetzt,
Haiducken, mit Stöcken bewaffnet, an die Thür gesetzt –
Hielt dann über Protasius' Kopf sein bloßes Rappier
Und schrie: Ist dir dein Kopf lieb, so friß nun dein Papier!
Er, als ein kluger Mann, fing scheinbar zu essen an,
Bis er zum Fenster hinschlich und in den Hanf entrann.
Nun war's in Lithauen nicht mehr Sitte in jenen Tagen,
Vorladungen mit Peitsche und Säbel abzujagen;
Der Frohn hat damals kaum ein Scheltwort hören müssen;
Doch konnte von der Wandlung Protasius nicht wissen;
Denn lang schon trug er nicht mehr Vorladungen in's Haus;
Er thät' es gern, er bat sich's oft vom Richter aus –
Doch dieser schlug, aus Rücksicht auf den alten Mann,
Immer die Bitten ab; heut' nahm er das Opfer an,
Weil's drängt.
Protasius späht und spürt nach allen Enden –
Still üb'rall; langsam wagt er sich vor mit seinen Händen,
Theilt das Dickicht der Stauden, taucht unter und schwimmt im Kraut,
Wie ein Fischer im Wasser, erhebt den Kopf und schaut:
Still ringsum; er schleicht zum Fenster – still ringsum;
Er späht durch's Fenster in's Inn're: Alles öd' und stumm;
Nun betritt er den Gang, nicht ohne leises Schauern,
Öffnet die Thür: rings Öde, wie in verwünschten Mauern;
Er zieht die Citation heraus, – mit mächt'gem Ton
Liest er sie ab – da rauscht es: er bebt und will davon.
Da tritt ihm Jemand entgegen, – ein Bekannter, zum Glück!
Robak! – Beide betrachten sich mit erstauntem Blick.
Der Graf war offenbar mit seinem ganzen Troß,
Hinausgezogen, – und eiligst: da er die Thür nicht schloß –
In Waffen: denn auf dem Boden lag mancherlei Gewehr,
Zweiläufer, Stutzen, – auch Hähne, Ladstöcke liegen umher,
[148] Und Schlossergeräth, womit man die Rüstung in Stand gebracht,
Pulver, Papier – so hatte man Munition gemacht.
Brach der Graf mit den Seinen etwa zum Jagen auf?
Mit Handwaffen? Hier liegt ein Säbel ohne Knauf,
Verrostet, – dort ein Degen, an dem der Riemen fehlt;
Aus dem Gerümpel wurden wohl Waffen ausgewählt,
Selbst alte Waffenkammern ließ man nicht abseits steh'n.
Robak hat alle Büchsen und Degen genau beseh'n
Und macht sich nun auf, in's Vorwerk, auf Kundschaft auszugeh'n.
Vergeblich sucht er Gesinde, um nach dem Grafen zu fragen,
Macht kaum zwei alte Weiber ausfindig, die ihm sagen,
Der Herr und die Mannen seien zahlreich ausmarschirt,
In Waffen, und zwar auf die Straße, die nach Dobrzyn führt.
Den Edelweiler von Dobrzyn preisen Lithauens Gauen,
Ob seiner tapferen Männer, ob seiner schönen Frauen;
Einst war er mächtig und volkreich: als Johann der Dritte einmal
Ein allgemeines Heeresaufgebot befahl, 8
Bracht' ihm der Wojewodschaftsfähnrich aus Dobrzyn allein
Sechshundert bewaffnete Edle. Heut' ist der Stamm nur klein,
Verarmt; die Herrn von Dobrzyn, früher gewohnt von je,
Bei Kreisversammlungen, Einritten, in der Armee,
An Herrenhöfen, sorglos zu leben, – zwingt nun die Noth,
Sich, wie die frohnenden Bauern, zu plagen um's eig'ne Brod;
Nur daß sie keine Kittel, sondern Kapoten tragen,
Weiße schwarzgestreifte, aber an Feiertagen
Den Kontusz; die Frauen Drillich oder Perkal, – und nie,
Auch nicht die Ärmsten, bäurische Röcke! Sie weiden das Vieh
In Lederschuhen, nicht im Bast der Bäuerinnen,
Und tragen beim Mähen Handschuh', ja sogar beim Spinnen.
Die Schlachcicen von Dobrzyn sind von den andern Brüdern
Durch ihre Sprache verschieden – verschieden an Wuchs und Gliedern:
Reinlachisch Blut – aus der Dobrzyner Landschaft 9 stammt
Ihr alt Geschlecht: schwarzäugig sind sie insgesammt,
Mit hoher Stirne, Adlernasen, schwarzen Haaren; –
[149] Und wohnen sie auch in Lithauen seit vierhundert Jahren,
Vermochten sie doch, der Masuren Sprache und Art zu wahren.
Wenn da ein Kind getauft wird, so bekommt der Sohn
Stets einen Heiligen aus der Krone 10 zum Patron,
Den heiligen Bartholomäus oder auch Matthäus –
So heißt der Sohn des Matthäus immer Bartholomäus,
Und der des Bartholomäus heißt wiederum Matthäus;
Die Frauen werden nur Kachna oder Maryna benannt.
Nun hätte sich in dem Wirrwarr Niemand ausgekannt,
Daher denn Männer, wie Frauen, allerlei Übernamen,
Von irgend einem Vorzug oder Fehler bekamen, –
Man pflegte auch wohl Manchem mehrere zu ertheilen,
Zur Ehre oder zum Spott. Und so geschah's zuweilen,
Daß ein Schlachcic in Dobrzyn mit einem Namen benannt war,
Und unter andrem in der Nachbarschaft bekannt war.
Beim Nachbaradel suchte man Dobrzyn nachzuahmen,
Dort kamen die »Sobriquets« auf, ebenfalls Übernamen.
Jetzt hat sie schon fast jede Familie angenommen,
Und Wenige wissen, daß sie in Dobrzyn aufgekommen.
Dort waren sie auch nöthig, wogegen sonst im Land
Die Mode nur aus dummer Nachäfferei entstand.
So führte Matschek Dobrzynski, den man obenan
Als Haupt des Stammes stellte, den Namen »Kirchenhahn«;
Vom Jahre Siebzehnhundertvierundneunzig ab
Hieß man ihn »Seitenschlag«; Dobrzyn selber gab
Ihm die Benennung »Küniglein«; im Lithauerland
War er unter dem Namen »Matschek der Matscheks« bekannt.
Wie er über die Dobrzyner, so ragte auch sein Haus,
Hoch zwischen Kirche und Schenke, über das Dorf hinaus.
Es ist wohl selten besucht, recht ärmlich anzuschau'n,
Das Thor ist ohne Flügel, die Gärten ohne Zaun,
Unbesät, es wachsen schon Birkchen auf den Beeten,
Doch glaubt man in des Dorfes Residenz zu treten:
Die Hütte ragt vor andern hervor an Form, an Weite –
Auch ist sie aus Ziegeln gebaut, rechts, an der Stubenseite.
[150] Dran stoßen Lehmhaus, Speicher, Tenne, Hürden und Stall,
Alles beisammen, wie's immer bei der Schlachta der Fall;
Alles ungemein alt, verfault. Die Dächer ragen
Hellblinkend drüber, wie mit grünem Blech beschlagen,
Denn üppig wuchert da Moos und Unkraut aller Arten.
Das Strohdach über den Scheunen, wie ein hängender Garten,
Von allerlei Pflanzen: Nesseln und rothem Safran, bedeckt,
Wollkraut und Bingelkraut mit Büscheln buntgescheckt;
Da nistet so manches Gevögel, – unter dem Dachgestelle
Die Tauben, am Fenster die Schwalben; da springen an der Schwelle
Kaninchen umher und reißen die frischen Gräser aus –
Kurz, ein Gebäu wie ein Vogel- oder Kaninchenhaus.
Und einst war's fest und wehrhaft! Überall Spuren genug
Von großen und häufigen Stürmen, die der Bau ertrug!
Am Thor liegt noch eine Kugel, wie ein Kindskopf groß,
Noch aus den Schwedenzeiten, ein ehern Kanonengeschoß;
Einst lehnten wohl die Flügel, weithin aufgethan,
Gleich wie an einen Felsen, an diese Kugel an.
Im Hof, inmitten des Wermuths und wilden Unkrauts, ragen
Kreuze in großer Menge, alt und in Trümmer zerschlagen,
Auf ungeweihtem Boden; hier wurden zu ewiger Rast
Die Krieger bestattet, die jäh der blutige Tod erfaßt.
Wer Lehmhaus, Speicher und Hütte näher besähe, der fände
Zahlreiche Flecken längs des ganzen Raums der Wände,
Wie Haufen schwarzer Insekten – und fänd' in jedem Flecken,
Wie eine Hummel im Erdloch, eine Kugel stecken.
Sämmtliche Klinken, Haken und Nägel der Thüren tragen
Entweder Säbelspuren oder sind abgeschlagen.
Hier prüfte man gewiß die Härte der Sigmundsklingen,
Von deren Hieb die Köpfe von den Nägeln springen,
Und Haken zerkrachen, ohne daß Scharten im Schwert entsteh'n.
Die Wappen der Dobrzynski's sind über der Thür zu seh'n;
Die Armatur jedoch verdecken die Käsereih'n,
Und Schwalben wölben sie dicht mit ihren Nestern ein.
[151] Im Innern des Hauses liegen Wagenschuppen und Stall, –
Wie alte Waffenkammern: Rüstungen überall!
Vier Helme, Kriegerstirnen bestimmt als Zier zu dienen,
Hängen unter dem Dach; jetzt aber girren in ihnen
Die Vögel der Venus, die Tauben, und füttern ihre Sippe.
Im Stall liegt ein gewaltiger Panzer über der Krippe:
Der und ein Ringelhemd, sie dienen als Raufen heut',
In die der Pferdeknecht den Fohlen Futter streut.
Die Köchin hat, gottlos genug, ein paar Rappiere gehärtet,
Indem sie sie im Ofen als Bratenspieße verwerthet.
Ein Roßschweif putzt die Stampfen – ein Beutestück aus Wien!
Kurz, Mars, der Starke, mußte vor Wirthin Ceres fliehn, –
Nun herrscht sie mit Vertumnus, Pomona und Flora im Bund
Über Dobrzynski's Scheuer, Schuppen, Hof und Grund. –
Heut' aber müssen sie weichen. Der Kriegsgott kehrt zurück.
Ein reisiger Bote erschien beim ersten Tagesblick
In Dobrzyn. Von Hütte zu Hütte geht er in eiligem Lauf,
Weckt, wie zur Frohne. Die Brüder Schlachcicen stehen auf,
Die Gassen des Weilers füllen sich dicht und immer dichter,
Geschrei tönt aus der Schenke, im Pfarrhof brennen Lichter –
Man läuft umher; man frägt einander, was da werde,
Die Alten halten Rath, die Jüngern zäumen die Pferde,
Die Frauen halten sie auf, die Burschen stoßen herum,
Fort wollen sie – raufen, – und wissen doch nicht, mit wem? warum?
Sie müssen wohl oder übel dableiben. Im Pfarrerhaus
Beräth man lang, in großem Wirrwarr und Gebraus, –
Man wird nicht einig und bringt nur den Beschluß zuwegen,
Die ganze Sache dem Vater Mathias vorzulegen.
Mathias, – ein rüstiger Greis, im dreiundsiebzigsten Jahr,
Von kleinem Wuchs, – war einst ein Conföderirter von Bar. 11
Wohl ist bei Freund und Feind noch in Erinn'rung geblieben
Sein krummer Damascener, der mit gewaltigen Hieben
Wie Hecksel in Stücke geschnitten so manchen Lanzenspieß,
Und den er, scherzhafter Weise, bescheiden sein »Gertchen« hieß.
[152] Er wechselte später, trat den Königlichen bei
Und hielt zu Tiesenhaus', des Schatzmeisters, Partei;
Als aber der König theilnahm am Targowicer Bunde
Verließ er dessen Lager; und aus diesem Grunde,
Weil er bei so vielen Parteien mitgethan,
Bekam er in früherer Zeit den Namen »Kirchenhahn«,
Denn wie der Hahn, so schien er sich nach dem Wind zu dreh'n.
Warum er so oft gewechselt, kaum ist es zu versteh'n:
Liebt' er vielleicht den Kampf zu sehr – und wenn der Sieg
Ihm hier entgangen, sucht' er drüben neuen Krieg?
Verfolgt' er die Zeit mit scharfem politischem Verstand
Und kämpfte, wo er eben das Wohl des Landes fand?
Wer weiß? so viel ist sicher, daß er für seine Person
Nie weder Ruhm gesucht hat noch auch schnöden Lohn,
Und nie zur Russenpartei hielt. Er zuckt schon und schäumt empört,
Wenn ihm ein Russe begegnet. Und seit das Reich zerstört,
Sitzt er zu Haus, damit er nur keinen Russen erschaue:
Wie ein Bär im Wald hockt und saugt an seiner Klaue. –
Zum letzten Male kämpft' er, als er mit Oginski
Nach Wilno gezogen war; dort dienten sie unter Jasinski,
Und dort war's, wo das Gertchen sich höchsten Ruhm errungen.
Man weiß, wie er zu Praga allein von den Wällen gesprungen,
Pociej zu Hilfe, 12 der, im Felde abgeschnitten,
Dreiundzwanzig Wunden an jenem Tag erlitten.
Man glaubte lang', daß Einer wie der Andre blieb; –
Sie kamen wieder, Jeder zerstochen wie ein Sieb.
Gleich nach dem Kriege bot nun Pociej, ein Ehrenmann,
Seinem Beschützer Dobrzynski reiche Belohnung an:
Ein Vorwerk mit fünf Schloten als Leibgeding – daneben
Jährlich tausend Gulden, in Gold, für's ganze Leben.
Dobrzynski aber hat mit folgenden Worten verzichtet:
»Lieber sei Pociej dem Matschek, als Matschek dem Pociej verpflichtet« –
So schlug er Geld und Vorwerk aus; er selber kehrte
Nach Hause, wo er sich von seiner Arbeit nährte,
Arznei für's Vieh bereitete, Bienenkörbe machte,
Rebhühner in Schlingen fing, die er zu Markte brachte,
Und Waidwerk trieb.
[153] Betagte, kluge Männer fanden
Sich wohl genug in Dobrzyn, die auch Latein verstanden,
Von Jugend auf in Kanzleien geübt und wohlgelehrt, –
Auch Reichere gab's genug: aber am meisten geehrt
War Matschek, der Arme, der Schlichte – nicht nur des Gertchens wegen,
Er war ja weitgepriesen als vortrefflicher Degen, –
Nein, als Mann von Urtheil und von sichrem Blick,
Vertraut mit der Landesgeschichte und der Geschlechtschronik.
Bewandert in der Wirthschaft, wie in Recht und Brauch,
In den Mysterien des Waidwerks und der Heilkunst auch, –
Ja, übermenschliche höhere Dinge, wie man meint,
Sind seinem Blick erschlossen – was freilich der Pfarrer verneint.
Gewiß ist, daß er auf's Wetter sich ganz genau versteht,
Und öfter als der Kalender den Witterungswechsel erräth.
Kein Wunder also, daß, galt es nun auszusäen,
Flußschiffe zu expediren oder das Feld zu mähen,
Desgleichen bei allen Prozessen, Verträgen aller Art,
Nichts ohne Mathias Rath je unternommen ward.
An ihm war's nicht gelegen, wenn er den Einfluß gewann:
Es war ihm sogar recht lästig – er fuhr die Klienten an,
Gewöhnlich wirft er sie schweigend hinaus – ertheilt den Rath
Nur selten, und nicht dem Ersten Besten, der ihm naht:
Kaum daß er, in ganz besonders wichtigen Fällen befragt,
Kurz und in dürren Worten seine Meinung sagt.
Heut' aber, glaubt man, wird er sich mitzuthun bequemen,
Ja, wird wohl in Person die Führung übernehmen,
Einst brannte ja die Kampflust in ihm mit voller Glut,
Und die Sippe von Moskau haßt er ja auf's Blut.
Durch seinen einsamen Hof wandelt der Alte dahin,
Summt still sein Morgenliedchen – und sieht mit frohem Sinn
Schön Wetter kommen, da die Nebel nicht aufwärts wallen,
Wie's zu geschehen pflegt, wenn sich die Wolken ballen,
Sondern langsam sinken. Ausbreitet der Wind die Hände
Und streichelt den Nebel, glättet ihn, bettet ihn über's Gelände,
Und niedersendet die Sonne hellblinkende Strahlengarben,
[154] Durchwirkt den Grund mit Silber- und Gold- und Rosenfarben.
Wie zwei Meister in Sluck an einem Gürtel weben,
Das Mädchen hat den Webstuhl mit Seidengespinnst umgeben,
Glättet den Grund mit der Hand – und droben, vom Weber, rollt
Ihr Fädchen auf Fädchen herab aus Purpur, Silber und Gold,
Zu Farben und Blumen: so umwebt das Erdenrund
Der Wind mit Nebeln, und die Sonne durchwirkt den Grund.
Der Alte erwärmt sich im Licht – er hat sein Gebet beendet
Und gleich darauf sich rüstig zu seiner Wirthschaft gewendet.
Jetzt bringt er Gras und Blätter, setzt sich dann vor's Haus
Und pfeift: Ein Haufen Kaninchen springt, wie aus dem Boden, heraus.
Als wären plötzlich Narcissen erblüht aus dunklem Grün,
So blinken die weißen Ohren; hell darunter sprüh'n
Die Augen, wie rothe Rubinen, dicht in den grünen Sammt
Des Rasens eingenäht. – Schon steh'n sie allesammt
Auf ihren Pfötchen; jedes lauscht und guckt umher,
Endlich läuft das ganze weißflaumige kleine Heer,
Vom Kohl gelockt, zum Alten, – zu seinen Füßen hin,
Hüpft ihm auf die Schultern, sitzt ihm auf den Knie'n.
Er, selber weiß, wie die Kleinen, liebt sie um sich zu schaaren
Und über den warmen Flaum mit streichelnder Hand zu fahren.
Mit der andern streut er Steinsamen aus der Mütze
Den Spatzen: ein lärmender Haufe stürzt von des Daches Spitze. –
Noch blickt der Greis vergnüglich auf die Mahlzeit hin,
Als plötzlich die Kaninchen verschwinden, – die Spatzen flieh'n
Aufs Dach, – sie haben die neuen Gäste wahrgenommen,
Die nun mit raschen Schritten heran zum Vorwerk kommen.
Eine Gesandtschaft der Schlachta ist es, die da naht,
Von der Versammlung im Pfarrhaus zu Matschek gesandt um Rath.
Von ferne grüßen sie ihn und neigen sich ihm tief:
»Gelobt sei Jesus Christus!« Und erwiedernd rief
Der Greis: »Von Ewigkeit in Ewigkeiten, Amen!«
Da er vernahm, daß sie mit wichtiger Botschaft kamen,
Bittet er sie hinein. Sie treten in die Hütte,
Setzen sich auf die Bank; der Führer steht in der Mitte,
Beginnt den Bericht. Indessen sammelt sich mehr und mehr
[155] Die Schlachta: fast alle Dobrzyner, dazu ein großes Heer
Aus allen Nachbarweilern, bewehrt und unbewehrt,
Sie kommen in Fuhren, Kaleschen, zu Fuß und auch zu Pferd.
Man bindet die Klepper an Birken, stellt die Wagen auf, –
Kreist schaarenweis um's Haus, begierig auf den Verlauf;
Die Stube ist voll, ein Theil hat sich in's Vorhaus gedrängt,
Andere haben lauschend den Kopf durch's Fenster gezwängt.

Fußnoten

1 »Edelweiler« (poln. Okolica oder Zascianek) nennt man in Lithauen eine Adelscolonie, zum Unterschiede von den eigentlichen Dörfern oder Weilern: den bäuerlichen Niederlassungen.

2 Vgl. Anm. 3. – Eben die Gunst der Targowicaner haftete, wie ein Makel, am Hause Soplica. Es konnte ja erscheinen, als ob es an jenem Landesverrath theilgenonmen hätte. Erst der 10. Gesang klärt diesen Punkt auf. (d.Ü.)

3 (Im Poln. wörtlich: »Der zehnte Wasserausguß zum Kisiel«.) »Kisiel« ist ein Lithauer Gericht, eine Art Gallerte, die aus Hafergermteig bereitet und so lange mit Wasser abgespült wird, bis alle Mehltheile ausgeschieden sind: daher das Sprichwort. (An unserer Stelle bedeutet es: dieser Graf ist ja mit den Horeszko's nur sehr weitläufig verwandt, hat gar wenig Horeszkoblut in sich. (d.Ü.)

4 Prinz Joseph Poniatowski. Vgl. Anm. 2. (d.Ü.)

5 Vgl. Anm. 2. (d.Ü.)

6 Ein Reiter, mit geschwungenem Schwert, auf feurigem Roß dahinjagend, ist das Wappen des G.-F. Lithauen; der Bär das Wappen Samogitiens, des nordwestl. Theils des ehemaligen Polen. (d.Ü.)

7 Er wurde, nach zahlreichen tollen Händeln, in Minsk ergriffen und über Tribunalsbeschluß erschossen.

8 (Im Poln.: »Ein Aufgebot vermittelst Ruthenbündel«.) Wenn der König ein allgemeines Heeresaufgebot berufen sollte, ließ er in jeder Parochie eine hohe Stange aufstellen, an deren Spitze ein Besen oder Ruthenbündel befestigt war: das hieß man: »die Bündel vertheilen«. Alle erwachsenen Männer aus dem Ritterstande waren dann, bei Verlust des Adels, verpflichtet, sich sofort unter die Fahne des Wojewoden zu stellen.

9 Die Landschaft von Dobrzyn, ein Gebiet in Masovien, dem kernpolnischen Lande mit dem Mittelpunkt Warschau. Die Einwohner werden »Masuren« genannt; daher auch den von Masovien nach Lithauen eingewanderten Dobrzynern dieser Name beigelegt wird. Der ganze Edelweiler heißt eben nach jener Landschaft. (d.Ü.)

10 »Krone« nannte man das eigentliche Königreich Polen, im Gegensatze zum Großfürstenthum Lithauen. (d.Ü.)

11 Als Katharina von Rußland unter dem Vorwande, die Nichtkatholiken in Polen (die sog. »Dissidenten«) schützen zu müssen, sich die empörendsten Übergriffe im Lande erlaubte und mit Zustimmung des schwachen Königs die thatsächliche Herrschaft in Polen an sich riß, bildete sich (1768) eine Liga oder »Conföderation« in der podolischen Stadt Bar, um dem russischen Feind, dessen Absichten nur allzuoffen am Tage lagen, energisch entgegenzutreten. An der Spitze derselben stand der Bischof Krasinski und das Heldengeschlecht der Pulawski's. Männer von wahrhaft antikem Heroismus, wie namentlich Kasimir Pulawski (der später, im amerikanischen Freiheitskriege, bei Savannah fiel), ferner Sawa, Dzierzanowski u.A. boten Jahre lang der russischen Übermacht Trotz. Die großartige Bewegung kehrte sich natürlich auch gegen den König, der sich Rußland in die Arme geworfen hatte. – Als sich der König später für die Patriotenpartei erklärte (vgl.Anm. 3), war eben Polen wieder im königlichen Lager – und so ist es kein Wunder, wenn unser Matschek die Partei der Krone ergriff, deren Macht es ja gerade damals zu stärken galt. Zu Tiesenhaus hielt er, weil dieser Staatsmann in der That eine segensreiche Thätigkeit, und zwar auf einem der allerwichtigsten Gebiete, dem der Volkswirthschaft, entfaltete. (Vgl.Anm. 19.) Nach dem schnöden Übertritte des Königs in das Lager der verrätherischen Conföderation von Targowica (vgl. Anm. 3) mußte natürlich Alles, was ehrlich und patriotisch in Polen war, gegen den König stehen. Dieser also, und nicht Matschek, war der »Kirchenhahn«; und unser Dobrzyner war wirklich immer nur auf Seiten derer, die für »das Wohl des Landes« kämpften. (d.Ü.)

12 Alexander Graf Pociej unterstützte, als er nach dem Kriege wieder nach Lithauen zurückgekehrt war, diejenigen seiner Landsleute, die sich in's Ausland begaben, und widmete der Legionenkasse bedeutende Summen. (Zum Kampf um Praga vgl. Anm. 6.)

Siebenter Gesang

[156] Siebenter Gesang.
Die Berathung.

Heilsame Vorschläge Bartek's, genannt der Preuße. – Matschek, der Täufer, äußert sich kriegerisch, Buchmann politisch. – Fankiel räth zur Eintracht, die vom Federmesser zerstört wird. – Gervasius' Vortrag, wobei sich die großen Wirkungen politischer Beredtsamkeit zeigen. – Des alten Matschek's Protest. – Die unerwartete Ankunft von Hilfstruppen macht der Berathung ein jähes Ende. – Auf, wider die Soplica's!


Der Abgesandte Bartek legt seine Ansicht dar; –
Der ward, weil er zu Wasser mehrere Mal im Jahr
Nach Königsberg hinabfuhr, stets der Preuße geheißen, –
Scherzweise – er haßte nämlich fürchterlich die Preußen,
Sprach aber gern von ihnen: ein Mann, schon ziemlich in Jahren,
Der viel gesehen, weit in der Welt umhergefahren,
Politische Fragen versteht, die Zeitungen fleißig studirt,
Und, in Matschek's Vertretung, öfters präsidirt.
Der schließt nun:
»Herr Mathias, mein Bruder und Berather,
Und unser Aller guter und sehr verehrter Vater:
Die Hilfe hat Hand und Fuß. Ich meine, es ist Verlaß
Im Krieg auf die Franzosen, wie auf die vier Aß:
Ein streitbar Volk, – und seit Thaddäus Kosciuszko's Zeiten
Sah man wohl diese Welt kein Kriegsgenie durchschreiten,
Als wie der große Kaiser Napoleon Bonaparte.
[157] Ich weiß noch, wie die Franzosen gingen über die Warthe,
Anno Tausendachthundertsechs: ich handelte eben
Mit Danzig, und da mir in Posen viele Verwandte leben,
So hab' ich mich zu ihnen auf Besuch begeben. –
Also, mit Joseph Grabowski, – jetzt Regiments-Commandant,
Zu jenen Zeiten aber lebt' er auf dem Land,
Nicht weit von Objezierze, – also, wie gesagt,
Ich trieb da mit Grabowski zusammen niedere Jagd.
Groß-Polen war damals ruhig, 1 etwa wie Lithauen jetzt:
Als plötzlich eine Kunde Alles in Aufruhr versetzt;
Von Herren Todwen kam ein Bote in aller Eil' –
Grabowski las den Brief – rief: ›Jena! Jena! Heil!
Die Preußen sind geschlagen! auf's Haupt geschlagen! Sieg!‹
Kaum hört' ich die Worte, als ich sofort vom Pferde stieg,
Um knieend dem Herrn zu danken. – Wir sind in die Stadt gefahren,
So – scheinbar nur in Geschäften, als hätten wir nichts erfahren.
Siehe da! alle Landräthe, Hofräthe, Kommissäre
Und alles Geschmeiß der Art, was giebt uns das für Ehre:
Verbeugt sich uns tief – es zittert, es erbleicht die Brut,
Wie wenn man die deutsche Schabe begießt mit heißem Sud.
Wir reiben uns lachend die Hände – bitten ganz unterthänig:
Was Neues? was hört man von Jena? – Ha, die erschraken nicht wenig!
Sie staunen, daß wir vom großen Unglück ihrer Armee
Schon wissen – die Deutschen schrei'n: Ach, Herre Gott, o weh'!
Und rennen mit langen Nasen nach Haus – dann weiter Reißaus!
War das ein Laufen! Die Straßen nach Groß-Polen hinaus,
Alles voll fliehender Deutschen! Das kroch euch, wie die Ameisen,
Und schleppt das Fuhrwerk, Kutschen und Droschken, wie sie das heißen,
Alles schwer bepackt, die Weibchen wie die Männchen,
Mit Pfeifen, mit Kisten und Kasten, Bettstellen und Kaffeekännchen.
Reißaus, was Platz hat! Indessen besprechen wir uns ganz leise:
Hollah, zu Pferd! Verleiden wir diesen Deutschen die Reise! –
Hei! Hofrathsrippen geschunden! Hei! Landrathsnacken gehackt!
Die Herren Offiziere bei den Zöpfen gepackt!
Und General Dombrowski stürzt schon herein nach Posen,
Und bringt: Befehl zum Aufstand vom Kaiser der Franzosen!
[158] Acht Tage – und die Preußen waren hinausgetrieben:
Nicht für ein Medicament war Einer übrig geblieben! –
Wenn wir uns nun flink umdreh'n – hei! und in wackrer That
In Lithauen hier für Moskau gesegnen solch ein Bad?
Was meinst du, Matschek? Bindet Rußland mit ihm an,
Mit Bonaparte, so ist er zum Spaßen nicht der Mann;
Der erste Held der Welt, zahllose Heere sind sein –
He, Matschek, wie denkst du drüber, Vater Küniglein?«
Er sprach's. Und Alle warten: was nun Mathias spricht;
Doch der bewegt sein Haupt nicht, erhebt sein Antlitz nicht,
Nur heftig wieder und wieder an seine Hüfte schlug er,
Als griff' er nach dem Säbel – aber den Säbel trug er
Seit der Theilung nicht mehr: nur wie er es sonst gepflegt,
Zuckt er beim Namen »Moskau,« und seine Rechte schlägt
Rasch an die linke Seite: er tappt wohl mit der Hand
Nach seinem Gertchen – wird drum »Seitenschlag« genannt.
Nun sah er auf – und Alles schweigt und lauscht gespannt. –
Aber er trog die Erwartung: es kam nicht, wie man geglaubt:
Er furcht die Brauen und wieder sinkt auf die Brust das Haupt.
Endlich beginnt er, im Takte nickt er immerfort,
Und langsam und mit Nachdruck spricht er jedes Wort:
»Still! Sagt mir erst, woher die ganze Nachricht rührt?
Wo stehen die Franzosen? Von wem sind sie geführt?
Hat schon der Krieg begonnen? weßhalb? und wo? und wann?
Welches Weges zieh'n sie? und mit wie viel Mann?
Wie viel Fußvolk, und Reiter? Wer's weiß, der sag' es an!«
Stumm blickt man sich an. »Mein Rath«, begann der Preuße, »wär',
Auf Pater Robak zu warten. Von ihm stammt Alles her.
Kundschafter mögen indessen über die Grenze gehen,
Während wir die Gegend im Stillen mit Waffen versehen;
Man gehe aber behutsam bei alle dem zu Werke,
Damit man bei den Russen nicht unsern Anschlag merke.«
»He! harren! starren! verscharren!« rief Matschek mit dem Titel
»Der Täufer,« – also hieß er von seinem gewaltigen Knüttel,
[159] Den er den »Wedel« nannte. Den stellt er vor sich auf,
Mit beiden Händen stemmt er sich oben an den Knauf,
Stützt das Kinn auf die Hand und schreit: »Ja, harren und starren!
Sitzungen halten! Hem, trem, brem – dann flieh'n, wie die Narren!
Ich war nicht in Preußen; für Preußen sind Königsberger Ideen
Ganz gut: mein Schlachcickopf kann so was nicht verstehen.
Ich weiß, wer hau'n will, geh' und nehm' den Wedel mit;
Wer sterben will, der rufe den Pfarrer, und damit quitt!
Ich will leben! Was soll der Pater? Sind wir Buben?
Ja, ›Robak‹, der Wurm! 2 Ei was, wenn wir dies Moskau begruben,
Wir wollen's schon fressen, wie Würmer! Trem, brem! Kundschafter! Gucker!
Wißt ihr, was das bedeutet? Ducker seid ihr und Schlucker,
Krüppel! – He, Brüder, der Windhund mag seine Schnauze nützen,
Der Bernhardiner die Büchse – mein Geschäft ist: Spritzen!
Spritzen! spritzen! und basta –« Hier streichelt er seine Keule,
Und: »Spritzen! Spritzen!« ruft Alles ringsum mit lautem Geheule.
Zum Täufer hält auch Bartek, Scheermesserchen genannt
Von seinem dünnen Säbel; auch Matschek, als Kännchen bekannt,
Vom Stutzen, den er trug, mit einem Schlund, so groß,
Daß draus ein Dutzend Kugeln, wie aus der Kanne, floß.
»Hoch Täufer und sein Wedel!« schrie'n sie; – der Preuße will
Das Wort: doch übertönt ihn Gelächter und Gebrüll:
»Fort mit den Preußen, den Memmen!« ruft's aus allen Ecken,
»Wer eine Memme, mag sich in Pfaffenkutten stecken!«
Da hebt der alte Mathias langsam sein Haupt empor:
Und nach und nach verstummt der ganze lärmende Chor:
»Höhnt nicht den Robak, das ist ein Füchslein – mögt ihr's wissen:
Dies Würmchen hat eine größ're Nuß, als ihr, zerbissen;
Ich sah ihn nur Einmal – am Blick hab' ich es gleich erkannt,
Das Vögelein! Da hat er die Augen abgewandt.
Er fürchtete, ich begänn', ihm die Beichte abzufragen:
Doch das ist nicht meine Sache – viel wär' davon zu sagen.
Er kommt nicht her, vergebens riefet ihr ihn an;
Und stammt die ganze Nachricht her von diesem Mann,
[160] Dann weiß der Himmel, was er damit bezwecken kann.
Denn das ist ein Teufelspfäfflein! Und wißt ihr sonst Nichts mehr,
Dann frag' ich, wozu kamt ihr und was ist euer Begehr?«
»Krieg!« schrein sie. – »Mit wem?« – »Mit Moskau!« Und immer höher stieg
Der Ruf: »Zum Kampf mit Moskau! Auf, wider Moskau! Krieg!«
Der Preuße schreit fortwährend um's Wort, – es will ihm nicht glücken;
Endlich erbittet er sich's, theils durch höfliches Bücken,
Theils erkämpft' ihm die gellende, dünne Stimme den Sieg.
Er schlägt sich an die Brust und ruft: »Auch ich will Krieg!
Ich trag' zwar nicht den Wedel – doch hab' ich gut gerauft,
Und einmal mit dem Ruder vier Preußen gut getauft,
Die Kerle wollten im Rausch mich in die Pregel tauchen –«
»Brav, Bartek!« rief der Täufer, »nur spritzen! das können wir brauchen!« –
»Aber, lieber Herr Jesus, man muß doch vorher wissen,
Warum Krieg? und mit wem? Man wird's doch sagen müssen!« –
Rief der Preuße, – »wie soll das Volk sonst mit uns zieh'n?
Wohin wird's gehen, wenn wir selbst nicht wissen, wohin?
Wohledle Brüder und Herrn! Nur gesunden Blick!
Verehrte Freunde – Alles braucht doch Plan und Schick!
Ihr wollt den Krieg: nun gut, so laßt uns conföderiren,
Berathet: wo soll's gescheh'n? wer soll uns commandiren? –
So war's in Großpolen! Die Deutschen nehmen Reißaus,
Wir sehen's: gut, was thun wir? berathen uns still zu Haus,
Rüsten darauf die Schlachta und die Bauern aus,
Gerüstet stehen wir da – Dombrowski's Ordre gewärtig;
Zuletzt, halloh zu Pferd! Und der Aufstand ist fertig!«
»Ich bitte um's Wort,« fängt nun ein Deutschgekleideter an,
Der Herr Commissär aus Kleck, ein netter, junger Mann,
Buchmann mit Namen, – doch war er ein Pole, geboren im Land –
Ob er ein Schlachcic war, ist nicht genau bekannt;
[161] Doch fragte man nicht darnach, und Alle sahen ihn gern
Und schätzten ihn: er diente bei einem großen Herrn,
Ein guter Patriot, in allem Wissen versirt,
Hatt' Ökonomie aus Büchern in fremder Zunge studirt.
Verwaltete die Güter ordentlich, mit Geschick, –
Urtheilte recht vernünftig über Politik,
Sprach glatt und fließend, führt' auch eine gute Feder,
Wie er zu sprechen begann, schwieg denn und lauschte Jeder:
»Ich bitte um's Wort,« wiederholt er, räuspert sich sodann
Zweimal, verneigt sich und fängt mit klingender Stimme an:
»Meine Herrn Vorredner haben sehr eloquent
Die Hauptpunkte berührt, und auch das höh're Moment, –
So daß die Debatten bereits auf höherem Standpunkt stehen,
Mir bleibt nur übrig, alle die trefflichen Ideen
Und Schlüsse in einen einz'gen Brennpunkt zusammenfassen:
So, hoff' ich, werden die Meinungen sich versöhnen lassen.
Ich sah, daß die Debatte in zwei Theile zerfiel,
Ich folge der Eintheilung und komme so zum Ziel.
Erster Kernpunkt: warum haben wir loszuschlagen?
In welchem Geiste? Das ist die erste der beiden Fragen.
Die zweite betrifft die Gewalten, die revolutionären; –
Die Eintheilung ist gut, nur wünscht' ich sie umzukehren.
Erst die Gewalten – aus dem Begriffe der Gewalten
Werden wir Geist, Ziel, Wesen der Revolution erhalten.
Betreffs der Gewalt: wenn ich der ganzen Menschheit Geschicke
Vor mir entrolle, was ist's, das ich in ihnen erblicke?
Das Menschengeschlecht, ein wildes, im Wald zerstreutes Heer,
Schaart sich, verbindet, vereint sich zu gegenseitiger Wehr,
Beräth sie – das ist die erste Berathung. Und ein Theil
Der eignen Freiheit opfert dann Jeder zu Aller Heil.
Das ist das erste Gesetz, – und diesem sind entstammt,
Wie einer Quelle, alle Gesetze insgesammt.
Wir sehen, der Quell der Gewalten ist also der Vertrag,
Nicht Gottes Wille, wie man irrthümlich meinen mag.
Wenn wir nun diese aus dem socialen Kontrakt erhalten,
So ist nur logische Folge die Theilung der Gewalten.«
[162] »Kontrakte! Kijewer? Minsker?« rief Mathias, der Alte, –
»Wohl auch Babiner Regierung 3? – Herr Buchmann, Jeder halte
Das, wie er will; – wer uns den Czaren aufgeladen,
Ob er nun von Gottes oder von Teufels Gnaden,
Das schenk' ich Euch – sagt Ihr nur, wie ihn abzuladen.«
»Da liegt es!« rief der Täufer, »könnt' ich mit ein paar Sätzen
Zum Thron und plutz! mit dem Wedel einmal den Czaren benetzen,
So käm' er schon nimmer zurück, nicht über den Kijewer Trakt,
Noch über den Minsker, noch nach einem Buchmann- Kontrakt,
Noch wär' ihm mit eines Popen göttlicher Macht genützt,
Noch mit Beelzebubs. – Der ist ein Kerl, der spritzt!
Herr Buchmann, Euer Mund hat Redekunst und Witz,
Doch Redekunst, schum drum! Vor Allem heißt es: Spritz!«
»So! so! so!« piept Scheermesser und reibt sich froh die Hände,
Und rennt, wie die Spule am Webschiff, von einem zum andern Ende,
Vom Täufer zu Matschek hinüber. – »Nur einigt euch zum Heile! –
Du Matschek mit deinem Gertchen, Du Matschek mit deiner Keule, –
Herrgott, wir wollen die Russen kurz und klein tranchiren!
Scheermesserchen will folgen, Gertchen soll commandiren!«
»Commando!« versetzte der Täufer, »das taugt für die Parade!
Bei uns war das Commando in der Kowner Brigade
Kurz und bündig: Erschrick nicht, mach' Andern Schreck und Grauen,
Schlag, aber lass' dich nicht! Stets vor und häufig gehauen,
Schach, mach!« – »So!« piept Scheermesser, »das nenn' ich ein Reglement!
Conföderation? Nun gut! Wozu das Raisonnement?
Wozu denn Akten? was nützten wir Tint' und Feder ab?
Mathias ist unser Marschall, Gertchen sein Marschallstab!«
»Hoch Kirchenhahn!« rief laut der Täufer; jubelnd schrie
Die ganze Schlachta: »Hoch die Wedelcompagnie!« –
Doch brummt man an den Ecken, wird auch die Mitte still,
Man sieht schon, daß sich eine Spaltung bilden will;
»Ich stimme nie für Eintracht! das ist mein System!«
Schrie Buchmann – und ein Zweiter: »Veto! nicht genehm!«
[163] Aus den Winkeln erwidert's, Der dies und Jener das; –
Zuletzt beginnt der Schlachcic Skoluba, in tiefem Baß:
»Ei, Ei! Ihr Herrn Dobrzynski! Das wäre mir nicht schlecht!
Sind wir denn ausgenommen von Gesetz und Recht?
Als man uns mit einer Einladung bedacht, –
Rembajlo Herrlein, der Schließer, hat sie uns gebracht, –
Da hieß es, es handle sich um Dinge, wichtig und groß,
Für den ganzen Bezirk, nicht für die Dobrzynski's bloß,
Ja, für die ganze Schlachta; auch Robak hat so was gebrummt,
Obwohl er immer gestottert und immer inmitten verstummt,
Und dunkle Worte gesprochen. Nun, schließlich sind wir hier,
Beriefen auch die Nachbarn hieher mittels Courier, –
Ihr Herrn Dobrzynski, vergeßt nicht, ihr seid hier nicht allein,
Aus andern Weilern werden da an zweihundert sein,
So wollen wir Alle berathen. Gilt's, den Marschall zu wählen,
Hat Jeder die gleiche Stimme, da darf Keiner fehlen.
Es lebe die Gleichheit!«
Da riefen sogleich zwei Terajewicz,
Mit ihnen vier Stypulkowski, ferner drei Mickiewicz:
»Es lebe die Gleichheit!« und nahmen hinter Skoluba Stand.
Dazwischen rief Buchmann: »Eintracht führt Unglück an der Hand!«
»Wir machen es,« schrie der Täufer, »ohne Euch selber ab!
Hoch Matschek der Matschek's, unser Marschall! Wohlan, zum Stab!«
Die Dobrzynski's schreien: »Wir bitten, wir invitiren!«
Und die fremde Schlachta tobt laut: »Wir protestiren!«
Man spaltet sich in zwei Haufen, die grimmig schrei'n und streiten,
Sie nicken mit den Köpfen nach zwei verschiedenen Seiten,
Die rufen: »Wir protestiren!« und Jene schrei'n: »Wir bitten!«
Der alte Matschek saß ohne Regung in der Mitten,
Der einzige stumme Mund im allgemeinen Geheule.
Vor ihm der Täufer, mit beiden Händen an der Keule
Festgehängt, – sein Kopf, auf's Ende der Keule gestreckt,
Dreht sich herum, wie ein Kürbis, auf eine Stange gesteckt,
So wackelt' er bald vorwärts, bald wieder zurück und rief
Fortwährend: »Spritzen! spritzen!« Scheermesser aber lief
[164] Beweglich hin und her, die ganze Stube entlang,
Immer zwischen dem Täufer und Mathias' Bank.
Kännchen vermittelt auch; er geht der Quere nach,
Von den Dobrzynski's zur Schlachta, langsam durch's Gemach.
Jener ruft immer: »Barbieren!« Dieser schreit: »Begießen!«
Mathias schweigt, – doch sichtlich fängt's an, ihn zu verdrießen.
Wohl eine Viertelstunde dauerte das Geheule,
Als plötzlich über den Haufen eine blitzende Säule
Mitten aus dem Getümmel der wogenden Köpfe sprang:
Ein zweischneidig Rappier war's, faustbreit und klafterlang,
Sicher aus Nürenberger Stahl ein deutsches Schwert:
Schweigend haben Alle den Blick zur Waffe gekehrt;
Sie wissen nicht, wer sie geschwungen, doch sie errathen und schrei'n:
»Das Federmesser ist's! Hoch Federmesserlein!
Hoch, Kleinod der Rembajlo! Hoch, Ritter kühn und edel!
Hoch, Rembajlo, Halbbock, Herrlein, Schartenschädel!«
Gervasius – denn er war es – drängt sich durch die Reih'n
In's Mittel; rings erblitzt des Federmessers Schein,
Er senkt die Spitze vor Matschek, zu Gruß und Ehrbezeugung,
Und sagt: »Das Federmesser macht Gertchen seine Verbeugung; –
Brüder! Schlachta von Dobrzyn! Ich nehm' nicht Theil am Rath,
Gar nicht – ich sag' nur, weshalb ich euch zu kommen bat.
Was zu thun, wie zu thun, sei euch anheimgestellt.
Es sollen große Dinge vorgeh'n in der Welt:
Ihr wißt, daß das Gerücht schon lange davon spricht –
Pater Robak sagt' es – ihr wißt's ja Alle, nicht?«
»Wir wissen's!« schrie'n sie. – »Gut. Also, ist Einer klug,«
– Hier blickt er sie scharf an – »so ist ihm ein Wort genug.
Nicht wahr?« »Ja!« sagten sie. – »Kommt Bonaparte von hüben,«
Fuhr Gervasius fort, »und Moskau's Czar von drüben,
Dann giebt es Krieg. Der Kaiser packt den Czaren am Kragen,
Ein König rauft mit dem andern, wie eben Monarchen sich schlagen.
Wir aber, sitzen wir still? Ei nun, ich sollte meinen:
Dort würgen sich Große – wir würgen die Kleineren, Jeder den Seinen,
Von oben, von unten: die Großen die Großen, die Kleinen die Kleinen.
[165] Nur hau'n! so bricht es allem Gesindel das Genick,
Und so erblüht das Glück und auch die Republik!
Nicht wahr?« – »Ja!« riefen sie, »er redet wie ein Buch!«
»Ja,« wiederholt der Täufer, »Spritz! spritz! das ist mein Spruch!«
»Ich,« rief Scheermesser, »bin stets zu barbieren bereit.«
»Nur,« bat Kännchen freundlich, »nur bitt' ich: Einigkeit!
Matschek, Täufer, wer führt uns?« – »Wer wird darnach fragen?«
Fiel Buchmann ein, »Dummköpfe mögen sich vertragen!
In solchen Dingen können Debatten nichts verschlagen.
Ich bitte zu schweigen: wir hören; das kommt der Sache zu Statten,
Der Herr bringt einen neuen Gesichtspunkt in die Debatten.«
»Im Gegentheil, nach mir soll es beim Alten bleiben,«
Versetzt der Schließer, »Große mögen Großes treiben!
Dazu ist der Kaiser da, dazu wird der König sein,
Landboten, Senat – so etwas, Herrlein, macht man allein
In Krakau, in Warschau: nicht bei uns hier in Dobrzyn;
Conföderirungs-Akten schreibt man nicht so hin
Mit Kreide auf sein Flußboot oder in den Kamin;
Die schreibt man auf Pergament; doch – Polen hat Schreiber genug:
Kronschreiber, Lithauer Schreiber; so war's Recht und Fug
Von je her. Ich hab' nur mit dem Federmesser zu schnitzen.«
»Ich,« versetzt der Täufer, »mit dem Wedel zu spritzen.«
»Ich,« rief Bartek, das Ählchen, »zu bohren mit der Ahl'.«
Und zog einen winzigen Degen.
»Ich nehm' uns allzumal
Zu Zeugen,« schloß Rembajlo, »hat nicht Robak gelehrt,
Das Haus zu säubern, ehe der große Gast einkehrt?
Ihr habt es Alle gehört. Und faßt ihr's mit Verstand?
Wer ist der Mist des Bezirkes? Wessen Verrätherhand
Erschlug, bestahl, beraubte den besten aller Polen?
Durch wen wird jetzt dem Erben das Letzte noch gestohlen?
Wer ist es? Muß ich's sagen?« – »Na, ja,« fing Kännchen an,
»Soplica – das ist ein Schuft –« – »O! das ist ein Tyrann,«
Piept Scheermesser – »Drum spritzen!« meint der Wedelmann,
»Ist's ein Verräther,« sagt Buchmann, »dann stimm' ich, daß er hänge!«
»Auf, wider die Soplica's!« braust die ganze Menge.
[166] Der Preuße wagt, sich für den Richter zu verwenden;
Der Schlachta ruft er zu mit aufgehobnen Händen:
»Wohledle Brüder! ei, bei Christi Wunden, sagt:
Was soll das wieder? Herr Schließer, seid Ihr vom Teufel geplagt?
Gehört das her? Weil Einer einen Verlotterten, Tollen
Zum Bruder hat, wird man ihn darum strafen wollen?
Nun, das nenn' ich christlich! Da stecken Kniffe vom Grafen!
Der Richter bedrückte die Schlachta? Nein, Gott mag mich strafen,
Es ist nicht wahr! – Ihr selbst nur bindet mit ihm an;
Und er sucht Frieden mit Euch; tritt doch der wackre Mann
Das Seine ab und zahlt noch dazu. – Was kümmert Euch
Sein Rechtsstreit mit dem Grafen? Was thut das? Beide sind reich –
Mögen zwei Herrn sich raufen! was das uns Brüder scheert? –
Er ein Tyrann? Der Richter! der Erste, der sich gewehrt,
Daß sich der Bauer vor ihm tief bücke bis zur Erd',
Weil's eine Sünde sei! Hab's selbst bei ihm geseh'n,
Wie oft die Bauersleute mit ihm zu Tische geh'n,
Er zahlt die Steuern für sie: ob das in Kleck passirt,
Obwohl dort Ihr, Herr Buchmann, nach deutschem System regiert?
Er ein Verräther? Ich kenn' ihn von der Infima her –
Er war ein braves Kind und brav blieb er bisher;
Liebt Polen über Alles, wahrt die polnischen Sitten,
Hat die russischen Moden niemals bei sich gelitten.
So oft ich aus Preußen komme und will mich des Deutschthums entladen,
Eil' ich, um mich bei ihm in polnischem Wesen zu baden;
Da athm' ich, trink' ich mich des Vaterlandes voll!
Strafgott! ich bin euer Bruder! aber dem Richter soll
Kein Haar gekrümmt sein – niemals – das lass' ich nicht geschehen!
Habt ihr in Großpolen je dergleichen gesehen?
Der Geist! Die Eintracht! wohl thut's, auch nur daran zu denken!
Wer wagt' es dort, die Berathung auf solche Possen zu lenken!«
»Das sind nicht Possen,« rief Gervasius, »Schufte zu henken!«
Der Lärm wird größer – als sich Jankiel zum Wort erhebt.
Er springt auf die Bank, steht da: hoch über den Köpfen schwebt
Sein Bart, wie ein Strohwisch, und wallt ihm bis zum Gurt herab.
[167] Sacht nimmt er mit der Rechten die Fuchspelzmütze ab,
Schiebt mit der Linken sein Käppchen zurecht, steckt sie sodann
Stramm in den Gurt, und so hebt er die Rede an, –
Verneigt sich dabei mit dem Kolpak tief im Kreis umher:
»Nu, Herrn von Dobrzyn! Ich bin nur ein Jüdelchen, nichts mehr –
Er ist mir nicht Vater, noch Vetter: ich muß die Soplica's verehren,
Als gütige Herrn, als meine Gutsherrn – in gleichen Ehren
Halt' ich die Herrn Dobrzynski's, die Bartek und Matschek, als Männer
Von Ehre, gute Nachbarn und meine werthen Gönner.
Nun mein' ich so: ihr plant Gewalt – da muß ich sagen:
Das ist sehr schlecht. Nun gut, ihr könnt euch schlagen, erschlagen –
Aber die Assessoren? der Sprawnik? das Kriminal?
Denn beim Soplica im Dorf liegt Mannschaft in großer Zahl,
Lauter Jäger! Dazu ist der Assessor im Haus:
Ein Pfiff – und sie rücken gleich, wie auf Bestellung, aus.
Was dann? – Und hofft ihr auf den Franzosen, werthe Herrn,
Ich sag' euch, der Weg ist lang, und die Franzosen fern.
Ich bin ein Jud' – von Kriegen kann ich nichts versteh'n,
Hab' nur in Bielica Juden von der Grenze geseh'n;
Es heißt: die Franzosen steh'n an der Lososna Strand,
Und giebt's auch Krieg, so kommt doch der Frühling erst in's Land.
Nu mein' ich, wartet: drängt's euch, Soplicowo's wegen?
Das steht ja noch bis Frühjahr – das kann man doch nicht zerlegen,
Aufladen und weiterschleppen, wie eine Kämerbude;
Und er, der Richter, ist ja auch kein Schenkenjude:
Er läuft nicht fort, er ist auch noch im Frühling da;
Nun aber geht auseinander, – sagt nicht, was hier geschah,
Denn bei dem Reden ist gar kein Nutzen abzuseh'n.
Und wem's von den Herrn beliebt, bitt' ich, mit mir zu geh'n:
Meine Sarah hat einen kleinen Jankiel geboren,
Alle traktir' ich – und zwar den Gaumen, wie die Ohren:
Große Musik: Baßgeige, Dudelsack, ihr Herrn!
Zwei Fiedeln! – Alten Meth hat Vater Mathias gern
Und neue Mazurka's – ich lasse neue Mazurka's klingen,
Und meine Bachuren lehrt' ich gar fein die Lieder singen!«
[168] Die Rede des allbeliebten Jankiel traf in's Herz.
Geschrei erhob sich und freudiger Beifall allerwärts,
Zustimmender, wachsender Lärm erscholl selbst außer dem Haus:
Da fällt der Schließer auf Jankiel mit seinem Degen aus.
Der Jude springt in's Getümmel. »Fort, Jude! was schaffst du hier?«
Rief Gervasius, »steck' nicht die Finger zwischen die Thür! –
Herr Preuße! weil Ihr ein paar elende Boote vom Richter
Zum Handeln habt, so wagt Ihr den Hals für das Gelichter!
Und Euer Vater, Herrlein, – erinnert Euch doch nur,
Wie er nach Preußen mit zwanzig Horeszkobooten fuhr!
Daher ist er reich geworden, er und seine Kinder –
Ja, so viel ihr aus Dobrzyn da seid – ihr alle nicht minder!
Ihr Alten gedenkt's, – vernahmt ihr's doch, ihr jüngern Männer,
Wie euch allen der Truchseß ein Vater gewesen, ein Gönner!
Wen schickt' er auf seine Güter in Pinsk als Kommissär?
Einen Dobrzynski! Wer war sein Rechnungsführer? wer?
Ein Dobrzynski! Marschall- und Schenkamt theilt' er aus
Nur an Dobrzynski's! Er hatte lauter Dobrzynski's im Haus!
Er hat eure Processe bei den Gerichten vertreten,
Hat euch das Gnadenbrod beim König ausgebeten,
Zu den Piaristen schockweis eure Kinder geschickt,
Dort Kost und Kleidung für sie bestritten im Convict,
Ja, zahlte den Erwachs'nen die Promotion sogar!
Warum das Alles? weil er euer Nachbar war!
Soplica's Marken stoßen an eure Felder heut' –
Was that er euch je Gutes?«
»Nicht für einen Deut!«
Rief Kännchen, »denn das wuchs ja aus der Misère auf!
Wie er sich bläht, puh, puh, und reckt die Nase hinauf! –
Ich bitt' ihn zu meiner Tochter Hochzeit, füll' ihm den Becher:
Er will nicht trinken, meint: ›Ich bin kein solcher Zecher
Wie ihr Schlachcicen, ihr trinkt freilich wie ein Loch –‹
Seht: der Magnat! das Mundmehlpüpplein! seht mir doch!
Wir goßen's ihm in die Gurgel; ›Gewalt!‹ schrie er wie toll,
Wart' nur, ich gieß dir's noch aus meinem Kännchen voll!«
[169] »Der Gauner,« rief der Täufer, »er kriegt noch seinen Spritz
Für seine Thaten! Mein Sohn war sonst ein Kind von Witz,
Jetzt ist er schrecklich verdummt, Sack nennt man ihn darum 4;
Dran ist der Richter schuld, durch ihn ward er so dumm.
Ich sagt' ihm: Bursch, was gehst du immer denselben Trott
Nach Soplicowo? pack' ich Dich dort, so schütz' Dich Gott! –
Er wieder, schwipps, zu Soschja, – im Hanf seh' ich ihn sitzen,
Und gaffen: pack' ihn also beim Ohr, um derb zu spritzen;
Er aber, wie ein Kind heult er und heult unbändig:
›Schlag' mich todt – ich muß doch hin!‹ und schluchzt beständig.
Was hast Du? frag' ich, bis er zuletzt die Antwort giebt:
Er muß nach Soplicowo, weil er die Soschja liebt –
Möcht' sie nur gerne anschau'n! – Mich dauert die arme Haut,
Ich sag' dem Richter: Gieb doch Soschja dem Sack zur Braut.
Er drauf: Sie ist noch klein, wart' noch vielleicht drei Jahr' –
Dann, wie sie will. – Der Lump! ich weiß ja, es ist nicht wahr,
Er will sie verloben, ich schmuggle mich schon zur Hochzeit ein,
Um ihnen mit meinem Wedel das Ehebett einzuweih'n!«
»Und so ein Schurke,« rief der Schließer, »soll regieren?
Altwürdige Herrn, viel Bess're, als er ist, ruiniren?
Und untergeht der Horeszko Gedächtniß, Name und Ehr'?
Wo ist denn Dank auf Erden? In Dobrzyn nimmermehr!
Brüder, zum Krieg mit Moskau habt ihr euch verstiegen –
Und scheut euch wider den Hof von Soplicowo zu kriegen?
Fürchtet den Thurm! Was? Ruf' ich zu Straßenräuberei'n?
Gott bewahre! Brüder! für's Recht nur steh' ich euch ein;
Der Graf hat ja gewonnen, hat ja Dekrete genug –
Nun exequiren! So war's früher Recht und Fug:
Der Richter hat decretirt, die Schlachta ausgeführt,
Zumal die Dobrzyner, – und euer Ruhm in Lithauen rührt
Daher! – Beim Mysker Einritt hielten ja, wie bekannt,
Ganz allein Dobrzyner so kühn den Russen Stand,
Die General Wojnilowicz damals herbeigebracht
Mit seinem Freund, Herrn Wolk, ihm gleich an Niedertracht.
Erinnert euch noch, wir haben damals den Wolk gefangen,
Wir hätten ihn in der Scheune an einen Balken gehangen,
[170] Weil er ein Russenknecht war und ein Bauerntyrann, –
Aber die dummen Bauern nahmen sich seiner an.
An diesem Federmesser brat' ich ihn noch einmal! –
Nicht nenn' ich andre große Einritte ohne Zahl,
Die wir als ächte Schlachta bestanden, die uns Beute,
Beifall und Ruhm gebracht! – Wozu erwähn' ich's heute?
Heut' ist euer Nachbar, der edle Graf, verlassen!
Was hilft's Gerichte zu müh'n, Dekrete abzufassen,
Heut' gibt es Keinen, der der Waise Hilfe gewährt!
Der Erbe jenes Truchseß, der Hunderte ernährt,
Hat heute keinen Freund, nur mich, den Schließer allein
Und dieses hier, mein treues Federmesserlein!«
Und rief der Täufer, »den Wedel! – Mein Schließer, ich geh' mit Dir
Solang ich diese Hand hab': plutz, platz, spritz' ich mit ihr,
Zwei sind doch zwei, straf' Gott: Du hast Dein Schwert, und schau:
Ich meinen Wedel! straf' Gott, ich spritze – und Du hau',
Und so – schach mach, plutz platz! Jene dort mögen schwätzen!«
»Auch Bartek,« rief Scheermesser, »wollt' nicht bei Seite setzen,
Alles, was Ihr nur einseift, will ich sogleich barbieren!«
»Auch ich,« fügt Kännchen hinzu, »will lieber mit Euch marschiren,
Wenn sie auf keinen Marschall sich einigen! – Was sind Worte,
Stimmen, Kugeln! – ich hab' Kugeln anderer Sorte!«
Hier zieht er ein Häuflein Kugeln heraus und klimpert mit ihnen.
»Hier,« schreit er, »mit all' den Kugeln will ich dem Richter dienen!«
»Zu Euch,« rief nun Skoluba, »wir denken so wie Ihr!«
»Wo Ihr seid,« rief die Schlachta, »wo Ihr seid, sind auch wir!
Hoch die Horeszko! Der Halbbock! Schließer Gervasius! –
Auf, wider die Soplica's!« braust Alles auf zum Schluß.
So hat der beredte Schließer Alles mitgerissen,
Weil Alle gegen den Richter was vorzubringen wissen,
Wie's unter Nachbarn geht: ein Aushau, irgend ein Schaden,
Ein Grenzstreit hat ihm manche Feindschaft aufgeladen;
[171] Die Einen treibt der Zorn, die Andern nur der Neid
Auf seinen Reichthum, der Haß bringt Alle zur Einigkeit.
Sie drängen sich um den Schließer, schwingen Keulen und Degen – –
Mathias allein saß düster, ohne sich zu regen; –
Nun steht er auf, um langsam in die Mitte zu schreiten:
Dort bleibt er stehen, stemmt die Arme in die Seiten,
Blickt vor sich hin und beginnt, leise das Haupt bewegend,
Gemessen und mit Nachdruck jedes Wort ausprägend:
»Narren ihr! Narren! Narren! Ihr wollt ein Bad gesegnen:
Narren, das ärgste Bad wird auf euch niederregnen!
Also, wenn von Polens Wiedererstehen die Rede,
Vom Heil des Landes, Narren, da treibt ihr eure Fehde?
Es war nicht möglich, Narren, weder Raths zu pflegen,
Noch Ordnung zu halten, Narren, noch der Führung wegen
Beschluß zu fassen, Narren, – doch mit persönlichem Streit
Komme nur Einer, Narren: wie ihr da einig seid!
Fort! Denn so wahr ich Matschek bin, ich will euch jagen
Zu tausend Millionen Eimern, Fässern, Wagen
Teufel!!!«
Wie blitzgetroffen, schwiegen Alle still, –
Draußen aber erhob sich zugleich ein laut Gebrüll:
»Es lebe der Graf!« Zum Vorwerk ritt er bewaffnet daher,
Zehn Jokey's folgten ihm nach, auch sie in Waff' und Wehr.
Der Graf auf stattlichem Roß, – sein schwarz Gewand umfloß
Ein italienischer Mantel, nußbraun, ärmellos,
Breit, wie ein großer Vorhang, fällt er in mächtigen Falten
Über die Schulter, am Hals von einer Klammer gehalten;
Dazu ein Federhut; – er dreht sein Pferd herum,
Und mit dem bloßen Degen grüßt er die Schaar ringsum.
»Es lebe der Graf, mit ihm in Tod und Leben geh'n!«
So tönt's; die Schlachta begann durch's Fenster hin auszuseh'n,
Dann folgte sie dem Schließer zur Thür in großem Gedränge;
Der Schließer ging hinaus, nachstürzte ihm die Menge,
Den Rest treibt Matschek fort, verriegelt Thür und Haus,
Blickt durch's Fenster, und »Narren!« ruft er nochmals hinaus.
[172] Indessen hat sich die Schlachta um den Grafen gereiht;
Man geht in die Schenke; der Schließer gedenkt vergangener Zeit:
Drei Gürtel verlangt er; zieht dann aus dem Keller der Schenke
Drei Fässer an ihnen herauf, jedes mit anderm Getränke,
Mit Meth, mit Schnaps, mit Bier; er nimmt die Zapfen heraus:
Aufsprudeln gleich drei Bäche mit schäumendem Gebraus,
Der eine mit silberweißen, der and're mit gelben Wogen,
Der dritte karneolroth: drei glitzernde Regenbogen;
Sie rieseln in hundert Gläser, hundert Becher nieder,
Die Schlachta tobt – die Einen füllen wieder und wie der
Die Becher, die Andern wünschen dem Grafen hundert Jahr:
»Auf, wider die Soplica's!« schreit die ganze Schaar. –
Jankiel ritt fort, ohne Sattel, lautlos. Der Preuße will nach –
Man hatte auch ihn nicht gehört, wie trefflich er noch sprach; –
Fort will er, die Schlachta verfolgt ihn; sie ruft, er habe verrathen.
Fern stand Mickiewicz, ohne zu schreien oder zu rathen;
Doch daß er was Böses vor hat, sieht man aus seinem Blick,
Also, die Säbel gezogen und »Hurrah!« – er weicht zurück,
Wehrt sich, ist schon verwundet, man drängt ihn an die Hecken,
Als Zan, mit ihm drei Czeczot's, herspringen, ihn zu decken.
So wurde die Schlachta getrennt, doch kamen Verwundungen vor:
Zwei kriegten's über die Hand, ein Anderer über's Ohr,
Die Übrigen steigen zu Pferd.
Der Graf und Gervasius
Ordnen, vertheilen Befehle und Waffen; nun, zum Schluß,
Sprengt Alles durch die Gassen des Weilers in langer Reih' –
»Auf, wider die Soplica's!« ist ihr Feldgeschrei.

Fußnoten

1 Vgl. Anm. 5. – und zur ganzen Erzählung: Anm. 2. (d.Ü.)

2 »Robak« bedeutet im Poln. »Wurm«. Ein unübersetzbares Wortspiel, das noch oft in der Dichtung wiederkehrt. (d.Ü.)

3 1568 gründete ein poln. Edelmann, Namens Pszonka, eine satirische Gesellschaft auf seinem Gute Babin bei Lublin, die den Namen »Babiner Republik« führte. Sie geißelte auf ihre Weise die Sitten der Zeitgenossen, schickte Jedem, der sich durch irgend ein Gebrechen oder eine Narrheit auszeichnete, ein Diplom zu, in dem er die »Republik« aufgenommen und mit einem Amte bedacht wurde. So ernannt man z.B. einen Pfuscher zum Arzt, einen Feigling zum Feldherrn, einen Verschwender zum Ökonomen u.s.w. »Kontrakte«, alljährliche Handelsmessen, wie sie in Kijew und Minsk stattfanden. »Trakt«, so viel als: Landstraße. (d.Ü.)

4 »Sack« ein poln. Ausdruck für »Dummkopf«. (d.Ü.)

Achter Gesang

[173] Achter Gesang.
Der Einritt.

Die Astronomie des Wojski. – Des Kämmerers Bemerkung über die Kometen. – Die geheimnißvolle Scene im Zimmer des Richters. – Thaddäus will sich geschickt aus der Verlegenheit ziehen und geräth in arge Bedrängniß. – Die neue Dido. – Der Einritt. – Der letzte Gerichtsbotenprotest. – Der Graf erobert Soplicowo. – Der Sturm, das Blutbad. – Gervasius als Kellermeister. – Einrittsfestmahl.


Dem Sturm geht eine Weile düstrer Stille voran,
Wenn über's Haupt der Menschen die Wolke am Himmelsplan
Aufflog – stillhält – droht: die Winde athmen kaum;
Sie schweigt, mit blitzenden Augen umkreist sie den Erdenraum,
Die Stellen bezeichnend, wo bald hindonnert Schlag um Schlag:
So war die Stille, die jetzt ob Soplicowo lag.
Es ist, als wenn ein Ahnen ungewöhnlicher Dinge
Die Lippen zusammenschlösse, die Seele mit Träumen umfinge.
Richter und Gäste verlassen nach dem Nachtmahl das Haus,
Geh'n in die Abendfrische in den Hof hinaus,
Sie setzen sich auf die grünen Rasenbänke hin,
Alle in stiller Haltung und mit trübem Sinn.
Sie blicken zum Himmel, der sich zu senken scheint, zu verengen,
Und nah' und immer näher sich an die Erde zu drängen, –
Bis die Beiden, vom dunklen Schattenflor verhüllt,
Wie Liebende, Zwiesprach beginnen – und, was ihr Herz erfüllt,
Aushauchen in leisen Seufzern, – verhalten, abgebrochen,
[174] Gemurmel und Flüsterlauten – still, halbausgesprochen:
Das sind der Abendmusik geheimnißvolle Töne.
Die Eule stimmt an: vom Söller ertönt ihr dumpf Gestöhne, –
Mit schlaffem Flügel rauschend fliegt die Fledermaus,
Von Scheiben und Menschengesichtern hingelockt, zum Haus;
Näher, vom weißen Gewand der Frauen angezogen,
Schaaren sich ihre Schwestern, Nachtfalter in kreisenden Bogen,
Belästigen namentlich Soschja, fahren ihr an die Wangen
Und in die Augen, die hell, wie lockende Lichter, prangen.
Im Luftreich sammeln sich Insekten in weiten Ringen,
Wie eine Harmonikawalze, so schwingen sie sich und klingen,
Soschja findet im tausendstimmigen Gesaus
Der Fliegen Akkord und der Mücken falschen Halbton heraus.
Im Feld, wo das Concert erst seinen Anfang nimmt,
Haben die Musiker eben die Instrumente gestimmt:
Grasläufer, der erste Geiger, hat dreimal schon geschrie'n,
Rohrdommeln in fernen Sümpfen, die Bässe, begleiten ihn.
Die Schnepfen flattern auf und kreisen leicht beschwingt,
Und schlagen, daß es klimpernd, wie Trommelschläge, klingt.
An die Musik aus dem Fliegen- und dem Vogelreiche
Schließt sich als Finale ein Doppelchor zweier Teiche:
Sie schweigen, wie jene verzauberten Seen im Kaukasus,
Den ganzen Tag, und tönen erst zum Abendgruß.
Der eine hat sandige Ufer, klare Flut –, und leise
Seufzt ihm aus bläulichem Busen eine gehaltene Weise;
Der Andre, mit schlammigem Grund und trübem Schlund, fällt ein
Mit lautem, klagevollem, leidenschaftlichem Schrei'n;
In Beiden quaken Frösche, zahllose rührige Horden,
Beide Chöre gestimmt zu zweien großen Akkorden.
Der braust fortissimo, jener summt leise; dieser scheint
Zu klagen, jener seufzt nur, – so tönen die Teiche vereint,
Über die Fluren hin in plauderndem Gesang,
Als wie zwei Äolsharfen, in stetem Wechselklang.
[175] Dichter sinken die Schatten. Am Bach nur und im Hain
Blinken im Busch Wolfsaugen, wie heller Kerzenschein,
Und an des Horizontes enggeschlossenen Säumen
Die nächtlichen Feuer der Hirten, in weiten Zwischenräumen.
Die Silberfackel entzündet der Mond am Himmelszelt,
Tritt aus dem Wald – und Himmel und Erde sind erhellt.
Jetzt liegen sie halb enthüllt und halb in bergendem Schatten,
Und schlummern neben einander, wie zwei glückliche Gatten,
Die Erde von des Himmels reinen Armen umschlossen,
Ihr Busen vom Silberglanz des Mondes überflossen.
Dem Monde gegenüber erblinkt schon Stern um Stern,
Schon winken ihrer Tausend – Millionen nah' und fern:
Kastor und Pollux leuchten voran in voller Helle,
Einst nannten sie die Slaven »Lele« und »Polele«.
Jetzt hat sie der Volkszodiakus umgetauft; dem Sohne
Des Volks heißt jener »Lithauen«, dieser heißt »die Krone.«
In weit'rer Ferne glänzen die Schalen der Himmelswage:
In ihnen, erzählen die Alten, hat Gott am Schöpfungstage
Die Erde und alle Planeten gewogen, eh' sein Wort
Im Raum sie festgesetzt hat, jedes an seinen Ort;
Dann hängt' er die goldenen Wagen auf am Himmelszelt,
Das Muster für Wage und Schale lernte an ihnen die Welt.
Kreisrund leuchtet im Norden das sternenreiche Sieb;
Als Gott den Adam aus dem Paradies vertrieb,
Hat er für den Verbannten, – wie die Sage geht, –
Durch dieses Sieb Kornsamen zur Erde niedergesät.
Dort, höher, lenkt, zur Fahrt bereit, der Davidswagen 1,
Die Deichsel vom Polarstern. – Die alten Lithauer sagen,
Man nenn' ihn mit Unrecht so, es sei der Engelswagen;
Auf ihm fuhr Lucifer in unvordenklicher Zeit,
Als er Gott, den Herrn, herausgefordert zum Streit,
Über die Milchstraße rasend zum Himmel hinan –
Michael warf ihn vom Wagen, den Wagen von der Bahn.
[176] Zwischen den Sternen schwankt nun verdorben das Gefährt,
Weil's Erzengel Michael auszubessern verwehrt.
So sagen die Lithauer; ferner lebt die Kunde bei ihnen –
Und dieser entnahmen sie vermuthlich den Rabbinen: –
Daß jener mächtige Drache, der sich im Thierkreis findet,
Der in gestirnten Ringen sich über den Himmel windet,
Nicht eine Schlange sei, wie die astronomischen Meister
Ihn nennen, sondern ein Fisch – und Leviathan heißt er.
Einst lebt' er in den Meeren, dann ist er verreckt,
Weil ihm nach der Sündflut das Wasser nicht gekleckt,
Als Seltenheit und zur Erinn'rung brachten dann
Die Engel sein Gerippe hoch am Himmel an.
So hängte der Pfarrer von Mir 2 an heiliger Kirchenstätte
Röhrbeine auf und Rippen fossiler Riesenskelette.
Oft erzählte der Wojski solche Sterngeschichten,
Aus Büchern oder nach mündlich fortgepflanzten Berichten.
Die alten Augen des Wojski seh'n Abends wohl nicht klar,
Er nimmt selbst mit der Brille am Himmel gar nichts wahr,
Doch weiß er von jedem Stern Gestalt und Namen und Bahn
Auswendig – und zeigt Alles genau am Himmelsplan.
Heut' hört man ihm kaum zu; ganz unbeachtet blieb
Der Drache wie der Wagen, die Schalen, wie das Sieb:
Ein Gast, den man seit Kurzem erst am Himmel sieht,
Ist's, der nun Aller Gedanken und Blicke auf sich zieht:
Ein Komet war's, erster Größe 3 – im Westen sichtbar geworden,
In höchstem Glanze strahlt er, und fliegt von West nach Norden;
Scheel auf den Wagen blickt sein Aug', das blutig- helle,
Als setzte er sich gern an Lucifers leere Stelle –
Den Lichtschweif warf er zurück, ein Drittel des Himmels umringend,
Hunderte von Sternen wie in ein Netz verschlingend, –
Hochüberragenden Hauptes, die Sterne mit sich zwingend,
So zieht er nun nach Norden, g'rad' in den Nordstern dringend.
Von unaussprechlicher Ahnung erfaßt mit tiefster Macht,
Sah alles Volk von Lithauen dies Wunder Nacht um Nacht;
[177] Der Stern, – manch Zeichen sonst schien Böses zu prophezeien:
Denn unheilkündende Vögel hört man so häufig schreien,
Die sich auf's wüste Feld in Schaaren niedersetzen,
Und, wie auf Leichen wartend, ihre Schnäbel wetzen.
Es wurde zu oft bemerkt, wie Hunde im Boden wühlten
Mit grausem Geheul, als wenn sie des Todes Nähe fühlten:
Das kündet Hunger – oder Krieg; die Wächter im Wald
Sah'n über den Friedhof wandeln der Pestjungfrau Gestalt,
Hoch über die höchsten Bäume ragend, und in der Linken
Mit einem blutbefleckten, weißen Tuche winken.
Draus folgert Manches der Vogt, der dort im Schatten des Hages
Harrt, um Bericht zu erstatten über die Arbeit des Tages, –
Der Schreiber auch, der flüsternd mit dem Verwalter spricht.
Der Kämm'rer aber, der vor'm Haus sitzt, unterbricht
Der Gäste Gespräch; man sieht, daß er das Wort begehre:
Im Mondenlicht erglänzt die große Tabatière,
Ganz aus purem Golde, aus Brillanten der Schild,
Inmitten, unter Glas, des Königs Stanislaus Bild.
Er klimpert dran mit den Fingern, nimmt eine Prise und spricht:
»Thaddäus, was Ihr von Sternen da sagt, genügt mir nicht.
Das ist nur ein Echo dessen, was die Lehrer sagen;
Ich möchte über Wunder doch lieber Laien befragen.
Auch ich hab' Astronomie in Wilno gehört – zwei Jahr';
Frau Puzynina, die eben so reich als weise war,
Gab den Ertrag von einem Zweihundert-Bauern-Gut
Zu Gläsern und Teleskopen für unser Institut.
Pater Poczobut 4 war damals Professor der Astronomie –
Ein Mann von Ruf, zugleich auch Rector der Akademie;
Und dennoch verließ er am Ende Katheder, Gläser, Gestelle,
Und kehrte in's Kloster zurück, in seine stille Zelle –
Und starb dort wie ein Christ. Hab' auch Sniadecki gekannt,
Ein sehr gescheidter Mann, wenn auch vom Laienstand. –
Nun, was die Gelehrten an einem Planeten, Kometen betrachten,
Ist etwa das, was die Städter an einer Karosse beachten:
Sie wissen, ob sie vorfährt vor des Königs Haus,
[178] Oder aus dem Weichbild über die Grenze hinaus,
Doch wer in ihr gekommen, warum er zum König beschieden?
Was er vom König mitnahm? Ob's Krieg war oder Frieden?
Das fragen sie nicht einmal. Ich weiß noch, in meinen Jahren,
Kam Branicki nach Jassy in seiner Karosse gefahren –
Und dieser infamen Karosse kam da nachgetreten
Ein Schweif von Targowicanern, wie hinter diesem Kometen.
Das Volk, das nie in den Kreis politischer Händel trat,
Hat doch sogleich erkannt, der Schweif bedeute Verrath. –
Das Volk hat diesem Kometen den Namen ›Besen‹ gegeben,
Und Hunderttausende, meint es, fegt er aus dem Leben.«
Darauf mit einer Verbeugung der Wojski: »Sicherlich,
Mein gnädiger Herr Kämm'rer, eben erinnr' ich mich,
Was ich als kleines, kaum zehnjähriges Kind vernommen.
Ich weiß es noch: da war in unser Haus gekommen
Der selige Fürst Sapieha, ein schmucker Panzerreiter,
Damals war er erst Lieutenant, später bracht' er's weiter:
Ihr wißt, daß er dann Hofmarschall des Königs war,
Und starb als Kanzler von Lithau'n, im hundertzehnten Jahr.
Der hat bei der Wiener Belag'rung, zu Zeiten Johann's des Dritten,
Unter der Fahne des Hetmans Jablonowski gestritten. –
Also der Kanzler erzählt' uns da aus jenem Krieg,
Daß, als König Sobieski eben sein Roß bestieg –
Der päpstliche Nuntius ertheilt' ihm Segen und Gruß,
Und Österreich's Gesandter küßte ihm den Fuß
Und hielt ihm dann den Bügel, – Graf Wilczek hieß der Mann –
Da rief der König plötzlich: Seht doch den Himmel an!
Sieh, hoch ob ihren Häuptern hinzog ein Komet,
Desselben Weges, wie das Heer des Mahomet,
Von Ost nach Westen hin. – Von jener Erscheinung spricht
Auch Pater Bartochowski in seinem Lobgedicht:
›Orientis Fulmen‹ – auf den Triumph von Krakau gedichtet,
Da wird von dem Kometen gar Mancherlei berichtet.
Auch les' ich es im Buch ›Janina‹ dargestellt,
Das den ganzen Heerzug des Königs Johann enthält;
Abgebildet ist dort die Fahne des Mahomet,
[179] Und – ganz wie wir ihn heute sehen, – der Komet.«
»Amen,« versetzt der Richter, »die Deutung hör' ich gern,
Erschiene ein Johann der Dritte uns mit jenem Stern!
Ein Heros lebt im Westen: und über uns dort steht,
Vielleicht, – Gott geb' es! – als sein Bote, der Komet!«
Darauf erwidert der Wojski und neigt die Stirne bang:
»Kometen bedeuten Krieg, bedeuten auch manchmal Zank;
Dicht über Soplicowo zeigt er sich – bedroht
Uns hier vielleicht mit irgend einer häuslichen Noth.
Wir hatten gestern Streit genug in unserm Haus,
Während der Jagd sowohl, als auch beim Abendschmaus.
Erst hört' ich den Notar mit dem Assessor zanken,
Und Abends rief Thaddäus den Grafen in die Schranken.
Der Zank hat wohl den Anfang vom Bärenfell genommen,
Und wären mir Herr Richter nicht dazwischen gekommen:
Ich hätte bei Tisch die Sache zwischen den Beiden geschlichtet, –
Ich hätte einen ganz merkwürdigen Fall berichtet,
Ähnlich uns'rer gestrigen Jagdbegebenheit;
Und das muß man wissen: es waren zu meiner Zeit
Die allerersten Jäger, denen er passirte:
Nämlich der Herzog von Nassau und Rejtan, der Deputirte.
Der Fall, von dem ich rede, verlief in folgender Weise:
Der General von Podolien war eben auf der Reise
Nach seinen polnischen Gütern, oder, gedenk' ich recht,
So war's zum Reichstag nach Warschau; besucht' auch manches Geschlecht
Der Schlachta auf seiner Fahrt, zur Kurzweil oder auch wegen
Der Popularität – wie große Herren pflegen;
So kam er auch zum sel'gen Thaddäus Rejtan – später
Bekanntlich unser berühmter Nowogroder Vertreter.
Von Kindesbeinen wuchs ich auf in seinem Haus. –
Rejtan also bereitet einen großen Schmaus;
Zahlreiche, edle Gäste sah man da vereint,
Es gab Theater – der Fürst war ein Theaterfreund –
Feuerwerk gab Herr Kaszyc aus Jatro, Tiesenhaus
Die Tänzer; Oginski und Soltan schickten Kapellen heraus;
[180] Kurz, wunderherrliche Feste, Musik und Tanz und Spiel
Im Haus – und in den Wäldern Treibjagden in großem Styl.
Nun wißt Ihr, die Czartoryski's beinahe allesammt –
Obwohl sie aus dem Blut der Jagellonen entstammt –
Hatten an edlem Waidwerk wohl zu keiner Zeit
Besond're Lust – es war gewiß nicht Weichlichkeit,
Sondern Ausländerei. Der Fürst war, wie sie alle:
Stak öfter in den Büchern, als im Hundestalle,
Und öfter, als im Wald, im Damenboudoir.
Nun traf's sich so: in unsres Fürsten Suite war
Der deutsche Herzog von Nassau, 5 der einst, wie man gesagt,
Mit Mohrenkönigen in Libyen gejagt
Und einen Tiger im Handkampf mit dem Spieß erlegt, –
Weß sich der deutsche Herzog gar sehr zu rühmen pflegt.
Wir hatten gerade Sauhatz, Rejtan schoß auf der Au
Mit seinem Stutzen eine gewaltige Muttersau –
Mit großer Gefahr. Er hatte aus der Nähe gezielt,
Ein Meisterschuß, für den er unendliches Lob erhielt,
Nassau allein blieb kalt bei uns'rem Ruhmeschor,
Ging auf und ab und summte unter der Nase hervor:
Ein guter Schuß beweist ein keckes Aug', nichts mehr,
Die kecke Hand erprobt doch nur das Kurzgewehr. –
Und fing nun wieder ein Langes von Libyen an, und pries
Seine Mohrenkönige, seinen Tiger und Spieß.
Herrn Rejtan hat das Prahlen endlich mißbehagt,
Lebhaft, wie er war, schlägt er an's Schwert und sagt:
›Keck dreinschau'n und keck dreinhau'n, das geht Hand in Hand,
Dem Tiger hält der Eber, dem Spieß der Säbel Stand!‹
Und mit dem Deutschen begann nun ein überaus heftiger Streit;
Der General griff ein, zum Glück zu rechter Zeit,
Versöhnte sie auf französisch, was ich nicht verstand.
Der Friede aber war nur Asche über dem Brand:
Denn Rejtan nahm sich's zu Herzen, und paßte auf einen Moment,
Wo er dem Deutschen ein gutes Stückchen spielen könnt'!
Er hätt' ihm bald das Leben gekostet, dieser Streich –
Er spielt' ihn am andern Tag; wie: das erzähl' ich gleich.«
[181] Der Wojsti macht eine Pause, um die Hand zu erheben,
Und den Kämmerer zu bitten, er möcht' ihm die Dose geben.
Lang währt die Prise; – vor dem Schlusse bleibt er steh'n,
Als wollt' er so die Neugier der Hörerschaft erhöh'n.
Endlich beginnt er; – da wird die Geschichte wieder gestört,
Diese Geschichte, so fesselnd, so achtsam angehört!
Dem Richter wird gemeldet, es warte im Haus ein Mann
Mit einem Geschäft, das keinen Aufschub dulden kann.
So sagt er gute Nacht; sofort geht Alles hinaus,
Zerstreut sich nach allen Seiten; die geh'n zur Ruh' nach Haus,
Die Andern in die Scheuer auf's Heu, – der Richter kehrt
In's Zimmer zurück, zum Fremden, der ihn zu sprechen begehrt.
Die Gäste schlafen. Thaddäus schleicht von Gang zu Gang,
Geht, wie ein Wachtposten, die Thür des Onkels entlang;
Er muß ihn was Wichtiges fragen, noch eh' er zu Bette geht,
Noch heute. Der Richter hat den Schlüssel abgedreht.
Er hört, wie er im Zimmer geheim mit Jemand spricht,
Lauschend harrt er des Endes, zu klopfen wagt er nicht.
Drin schluchzt es! Ohne daß er der Schwelle nahe kam,
Blickt er durch's Schlüsselloch hinein: Wie wundersam!
Robak und der Richter halten sich fest umschlossen,
Knie'n auf der Erde, von heißen Thränen überflossen,
Robak küßt dem Richter die Hände, – innig und warm
Umhalst ihn Dieser und hält ihn weinend in seinem Arm;
Nach viertelstündiger Pause setzt das Gespräch sich fort,
Mit leiser Stimme nimmt der Priester so das Wort:
»Gott weiß es, Bruder! Bis heut' vernahm kein Menschenohr,
Was reuevoll in der Beichte ich zu verschweigen schwor:
Daß ich, nur Gott geweiht und meinem Vaterland,
Nicht eitlem Hochmuth fröhnend, noch irdischem Ruhm und Tand,
Gelebt bis heut' – und sterben wollt' im Mönchsgewand,
Ohne daß mein Name je meinen Lippen entfloh'n,
Vor'm Volk – ja auch vor dir und selbst vor meinem Sohn!
Doch hat der Provinzial mir die Erlaubniß gegeben,
[182] In articulo mortis den Schleier aufzuheben. –
Wer weiß, was geschieht! Wer weiß, ob ich lebend wiederkehre,
In Dobrzyn ist großer Tumult! Und die französischen Heere
Steh'n fern, – nun heißt es: warten, bis der Winter verstreicht!
Die Schlachta hält vermuthlich so lang' nicht aus! Vielleicht
Hab' ich für den Aufstand allzueifrig geworben!
Sie haben wohl schlecht verstanden! Der Schließer hat Alles verdorben!
Der Graf, der Tollkopf, soll sich nun in Dobrzyn befinden; –
Daß ich ihm nicht zuvorkam, geschah aus wichtigen Gründen;
Der alte Mathias hat mich erkannt; sagt er's nun Allen,
Dann ist mein Kopf unrettbar dem Federmesser verfallen,
Nichts hält den Schließer zurück! – Mein Kopf will wohl nichts heißen,
Doch würd' es das Gewebe des ganzen Complots zerreißen!
Doch muß ich hin, und wenn's mein Leben kosten soll,
Muß seh'n, was los ist; die Schlachta wird ohne mich ganz toll!
Leb' wohl, geliebtester Bruder! ich darf mich nicht verspäten.–
Fall' ich, wirst du allein für meine Seele beten!
Kommt es zum Krieg: vollende du, was ich begann; –
Du weißt ja Alles; – du heißest Soplica: denk' daran!«
Hier trocknet er die Thränen, setzt seine Kapuze auf,
Schließt seine Kutte, öffnet sacht das Fenster drauf, –
Springt in den Garten hinab, um rasch von dannen zu flieh'n,
Und einsam weint der Richter im Sessel vor sich hin.
Thaddäus wartet ein wenig, eh' er zu klopfen wagt,
Man öffnet, er tritt ein, verneigt sich tief und sagt:
»Ich hab' hier, liebster Oheim, kaum ein paar Tage verweilt,
Und, wie ein Augenblick, sind sie mir hingeeilt;
Es war zu kurz, um mich an Euch und Eurem Haus
Recht zu erfreu'n: und muß nun schon fort, ich muß durchaus –
Noch heute, höchstens morgen, – am Liebsten auf der Stell'.
Wir haben den Grafen gefordert, Ihr wißt's; nun, dies Duell
Ist meine Sache; hab' ihn auch schon zum Kampf entboten:
In Lithauen aber, wißt Ihr, ist das Duell verboten,
Drum muß ich in's Herzogthum Warschau, an die Grenze, reisen;
Der Graf, obwohl ein Prahlhans, wird sich nicht feig erweisen:
[183] Er wird gewiß am Platz sein; ich setz' mich mit dem Grafen
Dort auseinander, und werd' ihn, so Gott will, bestrafen;
Geh' über die Lososna hernach: am andern Strand
Erwarten mich die Brüder. – Ich soll, so viel mir bekannt,
Zum Heer, nach meines sel'gen Vaters letztem Willen, –
Wer hätt' ihn abgeändert? Nun will ich ihn erfüllen.«
Drauf Jener: »Bist du, Liebster, mit heißem Wasser verbrannt?
Drehst du dich, wie pfiffige Füchslein, die gewandt
Nach einer Richtung schwänzeln und nach der andern jagen?
Wir haben gefordert, wohl, – und müssen uns denn schlagen.
Doch weshalb so versessen? Warum denn auf der Stell'?
Man unterhandelt, schickt einander vor dem Duell
Die Freunde! Er kann sich ja zur Abbitte verstehen,
Es hat ja keine Eile, laß einige Zeit vergehen.
Oder treibt dich ein andrer Teufel aus dem Haus,
Wozu dann dieser Vorwand? – Rede frei heraus!
Ich bin dein Oheim, – bin alt: doch kenn' ich jungen Sinn,
Ich bin dir ein Vater gewesen,« – hier streichelt er ihn um's Kinn –
»Mir raunt's mein kleiner Finger schon zu: hast mit den Damen
Hier irgendwelche Kabalen – nun, in Henkers Namen!
Das junge Volk greift heute rasch zu – meiner Seel'!
Na, beichte mir, lieber Thaddäus – und offen, ohne Hehl!«
»Nun,« murmelt Thaddäus, »ja, es sind andere Gründe dabei!
Vielleicht hab' ich's verschuldet; sei's denn, wie es sei!
Ein Irrthum! ei nun! ein Unglück! das ist jetzt schwer zu heilen:
Nein, lieber Onkel, länger kann ich hier nicht weilen!
Ein Jugendfehl! Ich bitt' Euch, fragt mich nicht mehr darüber;
Fort muß ich aus Soplicowo – und je eher, je lieber.«
»Ho!« rief der Onkel aus, »ein Liebeshandel gewiß!
Ich sah, wie Jemand sich gestern auf die Lippen biß,
Und schielte dabei auf ein gewisses Mägdlein, – nicht?
Und auch das Mägdlein, sah ich, schnitt ein saures Gesicht.
Ich kenne die Narretheien: sind zwei Kinder verliebt,
Herrgott, was es da gleich für großen Jammer giebt!
[184] Bald sind sie hoch im Himmel, bald wieder so schmerzzerrissen!
Bald beißen sie sich herum – weshalb? Gott mag es wissen!
Dann steh'n sie im Winkel – brummen – reden nicht ein Wort;
Zuweilen rennen sie gar in alle Felder fort!
Hat euch nun solch ein Raptus: so macht euch keine Beschwerden,
Seid nur geduldig, Kinder, euch kann geholfen werden.
Ich will euch in Kurzem versöhnen, ohne viel Federlesen, –
Kenn' diese Dummheiten: bin ja auch einmal jung gewesen.
Sag' mir nur Alles; ich werde dir dann auch vielleicht
Etwas entdecken, – so tauschen wir wechselseitig die Beicht'.«
»Onkelchen!« sagt Thaddäus und küßt ihm erröthend die Hand, –
»Ich will's gesteh'n: dies Mägdlein, – Ihr habt's wohl schon erkannt,
Euere Pflegetochter, Soschja, gefällt mir sehr,
Obwohl ich sie nur ein paar Mal geseh'n; – und, wie ich hör',
Ist's Euer Wille, ich möchte des Kämm'rers Tochter frei'n,
Ein schönes und reiches Mädchen. Nun kann das doch nicht sein,
Daß ich die Soschja liebe und mich mit Röschen vermähle;
Dem Herzen gebieten, ist schwer, und eine redliche Seele
Wär' nicht, wer Eine liebt und eine Andre freit:
So geh' ich denn fort, auf lange – mich heilt vielleicht die Zeit.«
»Mein Kind,« sagt Jener, »das muß ich ein seltsam Lieben nennen,
Von dem geliebten Wesen plötzlich davonzurennen!
Siehst du, es wär' eine Dummheit! Gut, daß du gegen mich
Wahr bist; was aber sagst du, wenn ich selber für dich
Um Soschja würbe? He? Machst keinen Freudensprung?«
Thaddäus schweigt; dann sagt er: »Wahrlich, Bewunderung
Erweckt mir Eure Güte – allein: was soll es frommen?
Vergeblich ist es! Mir ist alle Hoffnung genommen,
Frau Telimene gewährt mir nimmer Soschja's Hand.«
– »Wir werden sie bitten.«
»Niemand ist sie zu erweichen im Stand,«
Versetzte Thaddäus rasch – »ich kann nicht warten – nein!
Ich muß schnell fort – muß morgen schon auf der Reise sein;
[185] Gebt mir nur, theurer Onkel, Segen und Abschiedswort:
Alles ist fertig: ich reise in's Herzogthum, – sofort!«
Der Richter dreht sich den Schnurrbart und blickt ihn zornig an:
»So bist Du wahr? So hast du dein Herz mir aufgethan?
Erst jenes Duell, dann wieder die Liebe – und diese Reise!
Da ist ein Haken – da geht was nicht in richtiger Weise!
Ich hab' schon gehört, ich weiß von Seinen Schlichen genug –
Ein Windbeutel ist Er, ein Schwindler! Er sprach da Lug und Trug!
Wo ging Er denn neulich Abends gar so heimlich hinaus?
Was schnuppert' Er wohl damals, wie ein Spürhund, beim Haus?
Junge! hätt' Er etwa Soschja den Kopf verdreht,
Und macht sich nun fort? So wiss' Er, daß das nicht so geht!
Ob Er nun liebt, ob nicht: das merk' Er sich genau,
Was ich Ihm sage, – hört Er? Er nimmt die Soschja zur Frau!
Wenn nicht – den Kantschu! Morgen wird Er mit ihr getraut!
Der redet mir von Gefühlen! von treuer Lieb' – da schaut!
Ein Lügner ist Er! Pfui! Er wird sich schon bequemen,
Mir Rede zu steh'n – ich will Ihn bei den Ohren nehmen!
Heut' hatt' ich Unruh' genug! Der Kopf thut mir schon weh',–
Der stört mir noch den Schlaf! – Jetzt geh' zu Bette – geh'!«
Hier öffnet er weit die Thür – und ruft Protasius zu,
Er möge ihn entkleiden, er wolle nun zur Ruh'.
Gesenkten Haupts verläßt Thaddäus das Gemach,
Denkt über die ärgerliche Unterredung nach:
Das erste Mal, daß er so harte Schelte bekam!
Mit Recht wohl? Vor sich selbst erröthet er vor Scham.
Und wenn nun Soschja von Allem erfährt: was fängt er an?
Anhalten um sie? Was aber sagt Telimene dann?
Nein! Klar ist's, daß er hier nicht länger bleiben kann!
So hat er sinnend kaum einige Schritte gemacht: da tritt
Ihm etwas in den Weg; – sieh' da, mit schwebendem Schritt,
Mit ausgestrecktem Arme, naht ihm eine Gestalt,
Ganz weiß gekleidet, schlank und schmal: das Mondlicht wallt
Zitternd um die Erscheinung – nah' rückt sie auf ihn zu
[186] Und spricht mit leisem Seufzer: »Undankbarer du!
Mein Antlitz hast du gesucht, jetzt flüchtest du davor,
Hast meine Stimme ersehnt, jetzt schließest du dein Ohr,
Als hätt' ich Gift in den Worten, im Auge höllischen Bann:
Recht so! ich Thörin wußt' ja, wer du bist: – ein Mann!
Fremd aller Koketterie, nicht quälen wollt' ich dich:
Ich habe dich beglückt, – ist das dein Dank für mich?
Der Sieg über's weiche Herz, er machte dich hart wie Erz –
So rasch du es erobert, verwarfst du's auch, dies Herz!
Recht so! Aber nun, belehrt so fürchterlich,
Glaub' mir: noch mehr, als du, veracht' ich selber mich!«
Drauf er: »O Telimene, weiß Gott, hart war ich nie,
Noch meid' ich dich aus Verachtung – gewiß nicht! Aber sieh:
Man paßt uns auf, bemerkt uns – laß dich nur selber fragen:
Geht denn das so offen? Was werden die Leute sagen?
Das ist ja wider die Sitte, ist eine Sünde, weiß Gott –«
»Sünde!« erwidert sie und lächelt in bittrem Spott,
»O Unschuld! o Lämmchen! – Ich, ein Weib, ich acht' es nicht,
Ob man uns nun entdeckt und was man von mir spricht –
Mich kümmert's nicht, – weil ich liebe! und du, und du, ein Mann?
Was scheert's denn Einen von euch, auch wenn man sagen kann,
Er liebe zehn auf Einmal? Sag' offen, du willst Telimenen
Verlassen? Sag' die Wahrheit!« – Und sie zerfloß in Thränen.
– »Telimene, was würde die Welt von Einem sagen,
Der, jung und gesund, wie ich, sich jetzt, in solchen Tagen,
Auf's Land verkröche und – liebte! Da Alles zieht hinaus,
Burschen, ja Gatten, fort von Weib und Kind und Haus,
Dahin, wo man die Fahnen der Nation entrollt?
Und hängt es denn von mir ab, auch wenn ich bleiben wollt'?
Zum polnischen Heer befahl mich des Vaters letzter Willen,
Der Onkel trug mir nochmals auf, ihn zu erfüllen,
Ich bin entschlossen – morgen reis' ich ab: ich muß!
Und, Telimene, weiß Gott, ich bleibe beim Entschluß.«
»Ich«, versetzt sie, »will dir den Weg zu Ruhm und Ehren
Nicht hemmen, will dein Glück nicht hindern, noch verwehren;
Du bist ein Mann, du findest ein schön'res Weib auf Erden,
[187] Reicher, als ich, und würd'ger, von dir geliebt zu werden!
Nur laß, bevor wir scheiden, den Trost mir für mein Herz,
Daß du mich wahr geliebt, – daß es kein loser Scherz,
Kein Spiel der Begierde gewesen, die aufschäumt und zerstiebt,
Sondern Liebe – sag' mir: daß mich Thaddäus liebt!
Dies Wörtchen ›Liebe‹ – laß mich's noch hören aus deinem Mund,
Ich schreib' es ein, ich grab' es in meines Herzens Grund,
Leichter vergeb' ich, liebst du mich auch nicht fortan,
Wenn du mich nur geliebt!« – Sie fängt zu schluchzen an.
Wie sie so innig bittet und weint, und wie er hört,
Daß sie nur eine solche Kleinigkeit begehrt,
Wird er von Reu' und Mitleid wirklich tief gerührt, –
Und hätt' er jetzt im Grund der Seele nachgespürt,
Er wüßt' wohl selbst nicht, ob er sie liebte, oder nicht.
So wendet er sich denn wieder lebhaft zu ihr und spricht:
»Telimene, weiß Gott, der Donner soll mich erschlagen,
Wenn ich dich nicht sehr lieb gehabt – ich kann es sagen:
Geliebt. Wir haben nur wenige Stunden zusammen verlebt,
Doch die sind mir so süß, so traut vorübergeschwebt,
Sie haften in meinem Geiste lange noch, ja immer –
Und, weiß Gott, Telimene, ich vergess' dich nimmer!« –
Mit einem Sprunge fällt sie ihm um den Hals: »O Glück!
Das hab' ich gehofft, du liebst mich! mein Leben kehrt mir zurück!
Denn heute wollt' ich's enden mit meiner eignen Hand,
Liebst du mich, Trauter, – und wärst mich zu verlassen im Stand?
Ich gab dir mein Herz, ich geb' dir mein Hab und Gut, – ich werde
Überall hin dir folgen; jeder Winkel der Erde
Ist herrlich mit dir! Ach, keine Wildniß ist so wild,
Daß sie die Liebe nicht umschüfe zum Wonnegefild!«
Er reißt sich gewaltsam los: »Bist du bei klarem Sinn,«
Ruft er, »du willst mir folgen? ja wozu, wohin?
Schlepp' ich dich etwa mit mir als Marketenderin?
Ein einfacher Soldat?« – »Wir heirathen uns!« – »Nein, nein!
Nie! eine Ehe zu schließen fällt mir jetzt nicht ein,
Auch nicht zu liebeln; Possen! wir wollen das endlich lassen,
[188] Besinne dich doch, Theu're, wolle dich nur fassen,
Ich bin dir dankbar, aber: heirathen, du und ich!
Das geht nicht. Lieben wir uns, aber so – Jeder für sich.
Fort muß ich, bleibe nicht länger! – Das ist mein fester Entschluß.
Leb' wohl, meine Telimene, morgen reis' ich, – ich muß!«
Sprach's, drückt' den Hut auf und hat sich schon zum Geh'n gewandt;
Doch Telimene hält ihn mit Blick und Miene gebannt;
Wie der Medusa Haupt, fest hält's ihn mit Gewalt:
Er kann nicht fort, geängstigt blickt er auf ihre Gestalt.
Bleich stand sie, ohne Leben, athem- und regungslos;
Dann reckte sie die Hand aus, wie ein Schwert zum Stoß,
Und rief, den Finger g'radhin auf sein Aug' gestreckt:
»Das wollt' ich! ha, Drachenzunge! nun hab' ich dich entdeckt;
Schlangenherz! Das ist Nichts, daß ich, für dich entbrannt,
Dem Notar, dem Assessor, dem Grafen widerstand;
Daß du mich verlockt und nun in Gram und Leid,
Verläßest – du bist ein Mann, ich weiß ja, was ihr seid!
Ich weiß, du brächest die Treue, wie sie ein anderer bricht:
Doch, daß du so ehrlos zu lügen verstehst, das wußt' ich nicht!
Ich hab' an der Thür gehorcht, als du mit dem Ohm gesprochen:
Also dies Kind, die Soschja, hat dir in's Aug' gestochen?
Ihr stellst du nach? kaum, daß dir Eine zum Opfer fiel:
Suchst du, – vor ihren Augen! – ein neues Opfer zum Ziel?
Flieh! doch überallhin wird dich mein Fluch begleiten!
Oder bleib': ich enthülle all' deine Schändlichkeiten;
Nach mir verlockst du And're mit deinen Künsten nicht,
Fort! dich veracht' ich! du bist ein Lügner, ein niedriger Wicht!«
Auf diese Beleidigung, tödtlich für eines Schlachcic Ohr,
Und wie sie ein Soplica noch nie gehört zuvor,
Erbebt er, erbleicht, – ein Weilchen versagt ihm jedes Wort,
Dann stampft er und knirscht hervor: »Närrin!«, und eilet fort.
Doch dieses Wort, dies »niedrig« – wie hallt es wieder, wie wühlt's
In seinem Herzen, – er schaudert: es war gerecht, er fühlt's!
Er that ihr große Unbill, das muß er sich wohl sagen, –
[189] Sie hatte, ruft sein Gewissen, ein Recht ihn anzuklagen.
Doch fühlt er, wie jetzt noch mehr all' seine Neigung verblich.
An Soschja wagt er gar nicht zu denken: er schämte sich –
Ach, diese Soschja! so traut, so hold an Seel' und Leib!
Der Oheim warb sie für ihn, sie wär' vielleicht sein Weib:
Wär' nicht der Satan, der ihn von Sünd' in Sünden stieß,
Aus Lügen in Lügen verflocht, zuletzt ihn höhnend verließ!
Im Nu seine Zukunft verscherzt, von Allen verachtet, gescholten, –
Er fühlt' es, seine Unthat wird ihm gerecht vergolten.
In diesem Sturm der Gefühle ergreift er auf einmal schnell
Als Friedensanker den einen Gedanken: Das Duell, –
»Den Grafen ermorden!« ruft er voll Wuth, »den elenden Wicht!
Tod oder Rache!« – Aber wofür? er weiß es nicht;
Und wie ihm der Zorn entflammt ist, so ist er im Augenblick
Verflackert. Tiefster Jammer kehrt in sein Herz zurück,
Er denkt sich: »Was ich vermuthet, wär's etwa wirklich vorhanden,
Hätten der Graf und Soschja sich wirklich schon verstanden? –
Und wenn? er liebt sie vielleicht in wahrer Herzenswahl –
Vielleicht liebt sie auch ihn und nimmt ihn zum Gemahl;
Mit welchem Rechte wollt' ich diesem Bunde wehren,
Und, selber unglückselig, And'rer Glück zerstören?«
Verzweiflung faßt ihn, er sieht kein anderes Mittel ab,
Als schnelle Flucht, – wohin? er weiß nur Eins: das Grab.
Die Faust auf die gesenkte Stirn gepreßt, so eilt er
Fort in die Au, zu jenen Teichen; – hier verweilt er:
Am schlammigen blieb er steh'n; in seinen grünlichen Grund
Versenkt er gierig die Blicke, weit öffnet er den Mund,
Athmet die moorigen Düfte ein mit voller Brust;
Denn der Selbstmord ist, wie jede wilde Lust,
Erfinderisch; er fühlt, von blindem Taumel erfaßt,
Unsägliche Gier, sich zu ertränken im Morast –
Doch Telimene, die aus seiner Haltung erkannt,
Was in ihm tobt, und sah, wie er an's Wasser gerannt,
[190] Wird doch, trotz ihrer großen und gerechten Wuth,
Von Angst erfaßt, – ihr Herz war ja im Grunde gut.
Es schmerzt sie, daß er gewagt ein anderes Weib zu lieben:
Sie hätt' ihn gerne bestraft, doch nicht in den Tod getrieben. –
So lief sie ihm denn nach, erhob die Hände und schrie:
»Halt! Dummkopf! lieb' oder nicht, heirathe oder flieh' –
Nur halt!« Er aber war schon weit vorausgerannt;
Eh' sie ihm nachkam, stand er an des Teiches Rand.
Ein seltsames Schicksal fügt's, daß, von den Jockey's begleitet,
Der Graf zur selben Stunde am selben Ufer reitet.
Der Zauber der hellen Mondnacht fesselt seinen Blick,
Sein Ohr ist berauscht von jener wundersamen Musik
Unter dem Wasser, – von jenen Äolsharfenchören;
(Nirgends kann man die Frösche so schön, wie in Polen, hören).
So hält er denn still, vergißt an seinen Kriegszug gleich:
Aufmerksam lauscht sein Ohr den Tönen aus dem Teich,
Sein Aug' schweift über die Fluren, über des Himmels Gefild:
Gewiß entwirft er im Geist ein nächtliches Landschaftsbild. –
Und in der That, die Gegend war malerisch, wunderbar:
Die beiden Teiche neigten, wie ein Liebespaar,
Ihr Antlitz gegeneinander; – der zur Rechten hat
Wellen, wie Mädchenwangen, klar und rein und glatt.
Der Linke, ein wenig dunkler, gleich wie Jünglingswangen,
Gebräunt und schon ringsum von männlichem Flaum umfangen.
Der Teich zur Rechten von gold'nem Sande rund umglänzt.
Als wie von lichtem Haar; – des Linken Stirn umkränzt
Stachliges Röhricht und hängende Weiden bis zum Rand;
Beide überhüllt weithin ein grün Gewand.
Sie reichen einander zwei Bäche, wie zwei Hände zum Bund:
Die schließen sich, drücken sich innig: der Bach fällt ab in den Grund –
Fällt ab, doch schwindet er nicht; denn in des Grabens Dunkel
Trägt er auf seinen Wellen des Mondes goldig Gefunkel.
Das Wasser fällt in Stufen; auf jeder Stufe zittert
Das Licht in glitzernden Garben; – in kleine Streifen zersplittert.
Wird's von der Flut erfaßt, wird niedergezogen gleich:
[191] Und wieder fällt von oben der Mondglanz, hell und reich.
Du meintest, eine Wassernixe sitzt am Teich, –
Ergießt mit der Rechten aus bodenlosem Krug die Quelle,
Und mit der Linken nimmt sie das Zaubergold, das helle,
Aus der Schürze, und streut es spielend in die Welle.
Dem Graben entronnen, schlängelt sich des Stromes Flut
Weit durch's Gefild, – wird stiller: doch sieht man, daß er nicht ruht.
Denn auf der sanftbewegten, zitternden Wellenhülle
Blinkt stets in länglichen Streifen des Mondes Strahlenfülle.
Wie jener Giwojtos, die schöne samogitische Schlange,
Im Gras zu schlummern scheint, indeß sie in sachtem Gange
Fortkriecht, – denn bald goldig, bald silbern schimmert die Haut,
Bis sie plötzlich verschwindet in Moos und Farrenkraut:
So schlängelt sich der Strom, im Erlenwald versteckt,
Der sich am Horizont, ein dunkler Saum, erstreckt, –
In leichten, unbestimmt verfließenden Formen erhoben,
Geistern gleich, halb sichtbar, halb von Gewölk umwoben.
Zwischen den Teichen versteckt, sitzt eine Mühle: – so kauert
Ein alter Vormund, wenn er ein Liebespaar belauert,
Er hört sie plaudern, wüthet, fährt aus mit Kopf und Händen,
Brummt Drohungen hervor und poltert nach allen Enden:
So hat nun die Mühle plötzlich ihr moosiges Haupt bewegt,
Und schwingt die fingerreiche Faust umher, und schlägt
Mit ihren zahnigen Kiefern; – Ein Klappern: und sogleich
Erstickt's die Liebeszwiesprach zwischen Teich und Teich,
Und weckt den Grafen auf.
Wie er so nahe hier
Den jungen Thaddäus sieht bei seinem Hauptquartier, –
Ruft er: »Zum Säbel! packt ihn!« Die Jockey's springen heran,
Und hurtig, eh' der Jüngling sich's versehen kann,
Ergreifen sie ihn. Sie rennen in's Haus, zum Vorhof hinein,
Alles erwacht, die Hunde bellen, die Wächter schrei'n –
Hereilt halb angekleidet der Richter, sieht die Schaar,
Bewaffnet! – meint, es sind Räuber: da wird er den Grafen gewahr.
[192] »Was soll das?« fragt er. Der Graf zückt über ihn den Degen,
Doch wie er ihn wehrlos sieht, beginnt sich sein Eifer zu legen:
»Soplica,« ruft er, »Erbfeind meines Geschlechts! zu rächen
Gedenk' ich nun deine alten, wie deine neuen Verbrechen!
Rechenschaft giebst du mir heut' von meinem geraubten Gut,
Bevor ich meine Ehre reinwasche in deinem Blut!«
Der Richter bekreuzt sich: »Im Namen des Vaters, des Sohnes: sprecht!
Was soll das? – seid Ihr ein Mörder? Pfui! ist das Fug und Recht?
Herr Graf, verträgt sich das mit Eurem hohen Stand,
Mit Euerer Erziehung, mit Eu'rer Stellung im Land?
Ich werde kein Unrecht dulden!« Jetzt kam die Dienerschaft
Mit Stöcken und Flinten, die sie rasch zusammengerafft;
Fern steht der Wojski, forschend blickt er die ganze Zeit
Dem Grafen in's Aug' – und hält das Messer im Ärmel bereit.
Zum Kampf denn! Aber der Richter verhindert die Gegenwehr,
Sie wär' vergeblich – neue Feinde kommen daher:
Zwischen den Erlen blinkt es, es knallt ein Büchsenschuß!
Von Pferdehufen erdröhnt die Brücke über dem Fluß!
»Auf, wider die Soplica's!« scholl tausendstimmiges Brausen, –
Das ist Gervasius' Schlachtruf! den Richter faßt ein Grausen.
»Dies,« rief der Graf, »ist Nichts! bald kommen unser mehr!
Meine Verbündeten sind's! Ergebt Euch ohne Wehr!«
Da läuft der Assessor herbei und ruft mit aller Kraft:
»Im Namen des Kaisers, Graf, ich nehm' Euch jetzt in Haft!
Gebt Euren Degen ab! Sonst hol' ich bewaffnete Macht:
Wißt Ihr, daß wer bewaffnet eindringt in der Nacht,
Daß der nach Ukas Tausendzweihundert, wie ein Dieb –«
Noch war's nicht heraus, als ihn der Graf mit flachem Hieb
In's Antlitz trifft, so daß er betäubt in die Nesseln fällt,
Und Alles ihn für todt oder verwundet hält.
»Also Gewaltthat!« ruft der Richter, – Alles stöhnt,
Doch Alles wird von Soschja's Schreien übertönt,
Die wie ein Kind, das Juden mit Nadeln stechen, jammert
Und sich mit beiden Armen um den Richter klammert.
[193] Frau Telimene stürzt sich indessen zwischen die Pferde,
Ringt vor dem Grafen die Hände, kreischend, mit wilder Gebärde,
Mit aufgelöstem Haar, zurückgebeugtem Haupt:
»Bei deiner Ehre! bei Allem, woran du je geglaubt:
Wir bitten dich auf den Knieen! die Damen fleh'n dich an:
Wagst du es abzuschlagen? Wütherich, grausamer Mann!
Uns mußt du zuerst ermorden!« – Und mit einem Schrei
Fällt sie in Ohnmacht. Der Graf eilt ihr zu Hilf' herbei,
Verwundert und auch ein wenig verwirrt durch diese Scene:
»Fräulein Soschja!« ruft er, »Madame Telimene!
Mein Degen wird nie durch's Blut wehrloser Menschen entehrt!
Ihr Soplica's, ihr seid nun zu meinen Gefang'nen erklärt:
So macht' ich's in Italien, an jener Felsenwand,
Von den Sicilianern Birbante-Rocca genannt,
Als ich das Räuberlager erstürmt: was Waffen getragen,
Ließ ich tödten, die Andern wurden in Ketten geschlagen,
Sie mußten hinter den Rossen in meinem Triumphzug prangen,
Dann wurden sie am Fuß des Ätna aufgehangen.«
Die Schlachta – für die Soplica's war's ein besondres Glück –
War hinter dem Grafen wenigstens eine Meile zurück;
Er wollte zuerst in den Kampf, hatt' auch viel flink're Rosse
Und jagte denn Allen voran mit seinem Jokey-Trosse.
Der bildete, disciplinirt und folgsam, wie er war,
Gewissermaßen eine reguläre Schaar;
Die Schlachta jedoch war eben ein Insurgentenheer:
Tumultuos – und liebte das Hängen gar zu sehr.
Der Graf hat sich nun abgekühlt und nachgedacht; –
Er hätte gern den Kampf unblutig zu End' gebracht:
Läßt drum die Soplica's, als Kriegsgefang'ne, im Haus
Einsperren, – an den Thüren stellt er Wachen aus.
Da: »Auf, wider die Soplica's!« – Die Schaaren der Schlachta kommen,
Stürzen auf's Haus, umringen's und haben's im Sturm genommen:
Freilich war's ohne Commando und die Besatzung zerstoben.
Nun suchen die Sieger nach Feinden, um sich auszutoben.
[194] Das Haus ist zu; so rennt man in's Vorwerk, in die Küche:
Und hier – der glimmende Heerd! die Töpfe! die Wohlgerüche
Der frischen Speisen, die Allen in die Nase dringen!
Das Knuspern der Hunde, die den Rest des Mahls verschlingen!
Aller Herzen ergreift es: nun ist Alles vergessen,
Der Grimm verraucht: Ein Wunsch nur erwacht, der Wunsch, zu essen!
Müd' sind sie von der Besprechung und vom Marsch: dreimal
Ertönt's denn »Essen, essen!« in einträchtigster Wahl.
»Trinken, trinken!« ertönt ein zweiter Ruf indessen:
Zwei Chöre schallen – die Einen: »Trinken!«, die Andern: »Essen!«
Fortbraust der Ruf; wohin das Echo ihn getragen,
Macht's alle Gaumen wässern, weckt Hunger in allen Magen:
Die Losung der Küche beginnt den Feldzug zu regieren,
Und die Armee zerstreut sich, um zu fouragiren.
Gervasius kann aus Rücksicht auf die Wache des Grafen,
Die ihn vom Zimmer wegdrängt, den Richter nicht bestrafen.
Da man nun so den Feind vor seiner Rache bewahrt:
Gedenkt er des andern Zieles dieser Heeresfahrt:
Er möchte den Grafen, als kluger, gesetzeskundiger Mann,
Legal und formal in's neue Besitzthum, das er gewann,
Einsetzen; müht sich lange, Protasius aufzujagen:
Jetzt packt er ihn hinter dem Ofen, – nimmt ihn also beim Kragen,
Schleppt ihn gleich mit sich in den Hofraum, setzt ihm dort
Das Federmesser auf's Herz und nimmt also das Wort:
»Herr Gerichtsfrohn, der Graf wagt es von Euch zu begehren
Ihr mögt vor der Schlachta seine Besitzergreifung er klären
Vom Schlosse der Soplica, ferner von Hof und Feld,
Vom Gut und allen Äckern, bestellt und unbestellt,
Mit einem Wort, cum Hainis, Forstis, Feldgraenzebus,
Baueribus, Gehoeftis, et omnibus rebus,
Et quibusdam aliis. Wie du's weißt, so bell'!
Laß mir nichts aus!« – »Herr Schließer,« versetzt Protasius schnell
Und steckt die Hand in den Gurt, »laßt nur, ich bin, wenn nöthig,
Aufträge aller Parteien zu erfüllen erbötig:
Doch sag' ich Euch, der Akt hat keinen gesetzlichen Werth,
Ist er gewaltsam erzwungen und in der Nacht erklärt.«
[195] »Gewaltsam!« sagt der Schließer, »Gewalt giebt es da nicht,
Ich bitt' Euch ja ganz artig, – und fehlt's Euch etwa an Licht:
Schlägt Euch mein Federmesser Feuer im Moment,
Daß es im Aug' Euch, wie in sieben Kirchen, brennt.«
»Gerväschen,« sagt Protasius, »warum sich so erhitzen?
Ich bin ein Frohn, ich habe nicht zu Gericht zu sitzen.
Der Frohn wird von der Partei bekanntlich aufgefordert,
Diese dictirt, er redet, wie sie ihn beordert.
Er ist Gesetzes-Bote, und Boten straft man nicht.
Laßt mich denn frei, ich schreib' den Akt; ich brauch' nur Licht,
Bring' Einer eine Laterne, dann schreib' ich immer zu –
Und indessen ruf' ich: Brüder, haltet Ruh'!«
Um mächt'ger zu sprechen, war er auf einen Stoß gestiegen
Von Balken, die am Gartenzaun zum Trocknen liegen;
Er kroch hinauf, und flugs, als hätt' ihn der Wind verweht,
Versinkt er; – man hört im Kohl ihn niederplatzen auf's Beet,
Über die dunklen Stauden des Hanfes gleitet schnell
Die weiße Conföderatka, wie ein Täubchen hell;
Gießkännchen gab auf die Mütze einen vergeblichen Schuß –
Da knacken die Stangen, im Hopfen ist schon Protasius:
»Ich protestire!« rief er, jetzt war er ohne Sorgen,
Denn hinter Moor und Röhricht war seine Flucht geborgen.
Nach diesem Protest, der laut ertönt war, wie der Schall
Des letzten Kanonenschußes auf erobertem Wall,
Giebt's Niemand mehr im Hause, der noch widersteht;
Die hungrige Schlachta packt und plündert, was nur geht:
Der Täufer hat im Viehstall Position genommen,
Ein Ochs, zwei Kälber haben's mit dem Wedel bekommen,
Indeß Scheermesser ihnen die Kehlen zerschnitten hat;
Auch Ählchen gebraucht die Klinge, sticht unter's Schulterblatt
Der Ferkel und Hämmel. Schon ist das Federvieh bedroht:
Die wachsamen Gänse, die Rom gerettet in der Noth,
Schnattern vergebens um Hilfe, kein Manlius will erscheinen:
Gießkännchen rast im Kotter, er packt und würgt die einen,
Die andern bindet er an seinen Gürtel lebendig;
[196] Sie drehen vergebens die Hälse, schreien und gröhlen unbändig,
Vergebens zwicken und pfeifen die Gänseriche, – er läuft
Dahin, vom sprühenden Flaume ringsum überhäuft,
Von Flügeln, wie von Rädern, getragen und umkreist,
Gleich dem geflügelten Chochlik, dem bösen Höllengeist.
Aber das grausigste Blutbad, wenn auch das wenigste Toben
Herrschte unter den Hennen. Dort hat sich Sack erhoben:
Er fängt sie mit Strickchen ein und zieht aus den Steigen von oben
Schopfhennen und Strupphennen und kleine Hähne herauf,
Würgt Eines nach dem Andern und legt sie dann zu Hauf; –
Das schöne mit Perlengraupen gefütterte Federvieh!
Sack! welche Thiere würgst du? Soschja fütterte sie!
Verblendeter! nun versöhnst du die zürnende Soschja nie!
Gervasius erinnert sich an vergang'nes Leben:
Er läßt sich von der Schlachta drei Kontusz-Gürtel geben,
Und aus Soplica's Keller schleppt er an ihnen herein
Fäßer mit altem Schnaps, mit Bier und Sauerwein.
Die einen entpfropft man gleich, die andern packt der Troß
Die Schlachta, dicht wie Ameisen, und wälzt sie flink in's Schloß,
Wohin sich nun zur Nachtruh' der ganze Haufe bewegt, –
Denn dorthin ward des Grafen Hauptquartier verlegt.
Man zündet hundert Feuer an, kocht und brät und bäckt,
Es strömen die Getränke; die Tische, von Fleisch bedeckt,
Biegen sich, – denn die Schlachta will mit Klingen und Singen,
Mit Essen und mit Trinken diese Nacht verbringen.
Doch langsam nickt man ein, gähnt immer mehr und mehr,
Ein Aug' um's and're erlischt, man wackelt hin und her,
Alle Köpfe wackeln, Alles fällt vom Sessel,
Jeder liegt, wo er saß: mit der Schüssel, am Kessel,
Bei einem Ochsenziemer, wie sich's eben traf, –
Also besiegte die Sieger der Bruder des Tods, der Schlaf.

Fußnoten

1 Das bei den Astronomen unter dem Namen »Großer Bär« bekannte Sternbild.

2 Aufgefundene Reste fossiler Skelette (die das Volk für die Gebeine von Riesen hält), pflegt man in den Kirchen aufzuhängen.

3 Der denkwürdige Komet vom J. 1811.

4 Der Ex-Jesuit, Pater Poczobut, ein berühmter Astronom, gab ein Werk »Über den Zodiacus in Dendera« heraus und war dem Lalande bei dessen Berechnungen des Mondlaufs mit seinen astronomischen Beobachtungen behilflich. Vgl. seine Biographie vom Astronomen Johann Sniadecki.

5 Eigentlich: von Nassau-Siegen, ein seinerzeit berühmter und Haudegen und Abenteurer. Er war russischer Admiral und besiegte die Türken auf dem Dniepr-Liman bei Oczakow; später wurde er selbst von den Schweden auf's Haupt geschlagen. Er lebte eine Zeit lang in Polen, wo er das Indigenat erhielt. Von seinem Kampf mit dem Tiger las man damals in allen Zeitungen Europas.

Neunter Gesang

[197] Neunter Gesang.
Der Kampf.

Von den Gefahren, die ein unordentliches Lager mit sich bringt. – Unverhoffter Entsatz. – Traurige Lage der Schlachta. – Der Besuch des Almoseniers, ein Vorbote der Rettung. – Major Plut's allzuhitzige Galanterie bewirkt, daß sich der Sturm über ihn entlädt. – Der Terzerolschuß, das Signal zum Kampf. – Thaten des Täufers; Thaten und Gefahren Matschek's. – Gießkännchen's Hinterhalt errettet Soplicowo. – Hilfstruppen zu Pferd; Attaque auf das Fußvolk. – Thaddäus' Thaten. – Das Duell der Führer, durch einen Verrath unterbrochen. – Der Wojski giebt durch ein entscheidendes Manöver den Ausschlag im Kampf. – Gervasius' blutige Thaten. – Der Kämmerer ein großmüthiger Sieger.


Und sie schnarchten so tief, daß nicht der Laternenschein
Sie weckt, noch auch die Menge, die jetzt zum Zimmer herein
Und über die trunk'ne Schlachta stürzt, gleich jenen langen
Krebsspinnen, wenn sie halbentschlummerte Fliegen fangen:
Summt Eine, gleich umschlingt sie mit langen Beinen die schlimme
Verderberin und würgt sie in mitleidlosem Grimme.
Der Schlachtaschlaf ist tiefer noch als der Schlaf der Fliegen:
Nicht Einer summt, wie leblos bleiben sie Alle liegen,
Obwohl sie von starken Armen gepackt und auf der Erden,
Wie leichte Strohgebinde, herumgewendet werden.
Gießkännchen nur allein, der rings in Dorf und Stadt
Als fester Kopf beim Zechen nicht seines Gleichen hat,
Gießkännchen, bei dem ein Fäßchen und noch ein Fäßchen leer wird,
Eh' ihm die Beine wackeln und die Zunge schwer wird:
Der gab, wie lang' er zechte, wie fest er schlief darauf,
[198] Dennoch ein Lebenszeichen. Ein Auge reißt er auf –
Und sieht – leibhaftige Alpe! wird zwei Gesichter gewahr,
Zwei schreckliche, dicht über sich, – und jedes mit einem Paar
Schnauzbärten! die Lippen berührt's ihm! – Sie keuchen auf ihm schwer,
Vier Hände drehen sich, wie Flügel, um ihn her:
Er will sich bekreuzen, vor Schreck: kann nicht die Rechte bewegen,
Sie ist wie angenagelt, – er will die Linke regen:
Wehe! er fühlt's, die Geister haben ihn eng gebunden,
Wie ein Säugling in Wickeln, so ist er fest umwunden;
Er schließt die Augen, er wagt vor Grauen nicht hinzuseh'n,
Athemlos liegt er, erstarrt, will schier vor Angst vergeh'n.
Der Täufer aber rafft sich zum Widerstand auf – zu spät!
Schon ist ihm sein eigener Gürtel fest um den Leib gedreht,
Doch spannt er sich fest, schnellt auf, – so mächtig, daß er wieder
Den Schlafenden auf die Brust fällt, rollt über Köpfe und Glieder,
Gleich wie ein Hecht im Sande, wirft er sich umher,
Und mit der gewaltigen Lunge brüllt er, wie ein Bär:
»Verrath!« – Die ganze Schlachta erwachte alsobald
Und erwidert' im Chor: »Gewalt! Verrath! Gewalt!«
Bald hat das Echo den Ruf in den Spiegelsaal getragen,
Wo der Graf, Gervasius und die Jockey's lagen.
Der Schließer erwacht, will auf, – er kann sich nicht bewegen,
Ist stocksteif gebunden an seinen eignen Degen,
Er schaut: da sieht er am Fenster Leute, mit Waffen versehen,
In schwarzen, flachen Casquets, in schwarzen Monturen stehen;
Einer trägt eine Schärpe, steht da den Degen schwenkend
Und mit der Spitze die Mannschaft hierhin und dorthin lenkend:
»Nur binden!« flüstert er, »binden!« Wie eine Hammelheerde
Liegen die Jockey's, in Fesseln; der Graf sitzt auf der Erde
Frei, aber der Waffen beraubt; zwei Kerle in seiner Näh',
Mit bloßem Bajonnet. Gervas erkennt sie – Weh!
Die Russen!!
Oft hat sich der Schließer in ähnlichen
Nöthen befunden,
Oft war er schon mit Stricken an Händen und Füßen gebunden,
[199] Und konnte sich doch befrei'n; voll Kraft und kühn an Geist,
Wußt' er auch einen Vortheil, wie man Stricke zerreißt:
Er schließt die Augen, als schlief' er, streckt langsam Arm und Bein
Von sich, Eins nach dem Andern, – zieht den Athem ein,
Nachdem er dann Brust und Bauch noch möglichst zusammengepreßt,
Verkürzt er sich auf einmal, bläht sich, spreizt sich fest;
Wie wenn die Schlange Kopf und Schwanz in die Ringe drückt:
So wird der lange Schließer kurz, breit und wie verdickt.
Die Stricke dehnen sich, – ächzen: doch ach! sie springen nicht!
Er kehrt sich um vor Scham und Entsetzen, – sein Gesicht,
Das zornentbrannte, birgt er am Boden, schließt die Lider,
Und regungslos, wie ein Klotz, so lagen seine Glieder.
Da hört man Trommeln: erst gemessen, später schneller,
In immer dichtern Schlägen, immer lauter und heller;–
Der russische Officier läßt nun, auf dies Signal,
Die Jockey's sammt dem Grafen einsperren in den Saal,
Die Schlachta in's Herrenhaus führen: dort stand ein zweites Heer; –
Vergebens schnaubt der Täufer und wirft sich wild umher.
Im Hause stand der Stab, auch Schlachta in großer Zahl,
In Waffen – die Birbasz, Podhajski's, Hreczecha's: allzumal
Verwandte und Freunde des Richters, zum Entsatz gekommen,
Sobald sie von dem nächtlichen Überfall vernommen,
Zumal sie mit den Dobrzynski's seit langem schon im Streit.
Wer rief aus den Dörfern die Russen? Wer hat zu rechter Zeit
Die Nachbarn aus den Weilern so rasch gesammelt zur Wehr?
War's der Assessor? War's Jankiel? Gar Manches erzählt die Mähr,
Doch wußte man nichts Bestimmtes, nicht damals, noch nachher.
Schon geht die Sonne auf in blutigrothem Glanz,
Stumpfrandig, wie mit abgeriss'nem Strahlenkranz,
Halb strahlt sie rein, halb blickt sie aus schwarzen Wolken verstohlen,
Wie ein glühend Hufeisen zwischen Schmiedekohlen.
Stärker erhob sich der Wind; die Wolken, dicht und schwer,
Eisschollenartig zerrissen, treibt er vom Ost daher:
[200] Jede stäubt im Flug als kalter Regen nieder,
Nachfliegt ihr rasch der Wind und trocknet den Regen wieder.
Und neue Wolken sieht man sich schon heranbewegen:
So bringt der Tag abwechselnd bald Kühle und bald Regen.
Da ließ der Major die Balken, die draußen trocknen am Zaun,
Herschleppen, drauf in jeden halbrunde Löcher hau'n,
In diese Löcher die Füße der Gefang'nen stecken
Und dann mit einem zweiten Balken überdecken;
Die beiden Klötze nagelt man an den Enden fest,
Daß es, wie Hundegebisse, die Beine zusammenpreßt.
Die Hände schnürt man am Rücken noch stärker; – der Major
Läßt, um die Marter der Schlachta zu erhöh'n, zuvor
Allen Gefang'nen vom Kopfe reißen die Conföderatka,
Vom Rücken Mantel und Kontusz, sogar die Taratatka,
Ja selbst den Zupan. So sitzen sie, in den Block gepreßt,
Zähneklappernd vor Kälte und vom Regen durchnäßt,
In langer Reihe; das Wetter verschlimmert sich mehr und mehr; –
Vergebens schnaubt der Täufer und wirft sich wild umher.
Der Richter verwendet sich: umsonst! – auch Telimenen
Nützt keine Bitte, – vergebens fließen Soschja's Thränen,
Um für die Schlachta einige Rücksicht zu erreichen.
Nikita Rykow, der Hauptmann, ließe sich wohl erweichen,
Er war ein Russe, aber ein guter Mensch, – allein
Er selbst muß dem Major, Herrn Plut, gehorsam sein.
Dieser Major, ein Pole aus dem Städtchen Dzierowicz',
Hieß, wie die Leute erzählen, auf Polnisch Plutowicz,
Aber er taufte sich um: ein Schuft vom Wirbel zur Sohle,
Wie immer ein beim Czaren vermoskowiteter Pole. –
Jetzt steht er vor der Front und stemmt sich in die Seite,
Die Pfeife hat er im Mund, und auf den Gruß der Leute
Rümpft er die Nase hinauf, pafft dicke Wolken aus,
Zum Zeichen übler Laune, und geht hinein in's Haus.
Indeß begütigt der Richter den Rykow allgemach,
Nimmt den Assessor bei Seite, – und man denkt nun nach,
[201] Wie man die Sache ohne Einmischung der Gerichte,
Und, was noch wicht'ger, ohne die Regierung schlichte.
So sagt denn Hauptmann Rykow zum Major von Plut:
»Major, wozu sind uns denn die Gefangenen gut?
Kommt's vor's Gericht: das bringt der Schlachta üblen Lohn,
Und Ihr, mein Herr Major, Ihr habt gar nichts davon.
Wißt Ihr, es wär' gerath'ner, es gütlich zu erledigen,
Nicht wahr? der Richter muß Euch für die Müh' entschädigen,
Wir sagen, daß man uns zu Gast gebeten hat;
So bleiben die Ziegen ganz und der Wolf wird satt.
Ein russisches Sprichwort: mit Vorsicht darf man Alles thun;
Noch Eins: am Spieß des Czaren brate dir dein Huhn;
Noch Eins: am Besten geht es mit vereinten Händen,
Mach' einen guten Knoten und tauch' in's Wasser die Enden.
Es kräht kein Hahn darnach, wir bringen keinen Rapport;
Gott schuf die Hände zum Nehmen: das ist ein russisches Wort.«
Wie der Major das hört, erhebt er sich ganz erbost:
»Was?! Hier ist Czarendienst! Rykow, bist du bei Trost?
Und Czarendienst ist kein Narrendienst! – wo hast du deinen Kopf?
Laufen lassen? In solcher Kriegszeit? alter Tropf!
Ha, ha! Ihr Herren Polen! Ich lehr' euch revoltiren!
Ich kenn' dich, Schlachtagesindel! Laßt sie nur triefen und frieren!«
– Hier blickt er zum Fenster hinaus und lacht aus vollem Hals, –
»Dort der Dobrzynski im Rock, jetzt denkt er wohl des Balls, –
Nehmt ihm den Rock! – wo er im vorigen Jahre mich
So attaquirt hat – wer fing an? er war's, nicht ich!
Ich tanze eben, da kommt er und schreit: Hinaus mit dem Dieb!
Weil man gegen mich damals die Untersuchung betrieb:
Ein Diebstahl an der Kasse des Regiments – kein Spaß!
Es war eine schwere Geschichte, – aber was kümmert ihn das?
Ich tanzte meine Mazurka, er kam von hinten und schrie:
Dieb! und die Schlachta: Hurrah! – Welche Infamie!
Nun, Lump von einem Schlachcic, jetzt bist du in meinen Klauen,
Ich sagt' es: Es kommt dein Stündlein! Ei, da wirst du schauen!
Nun, Herr Dobrzynski, siehst du? Nun wirst du wacker gehauen!«
[202] Dann neigt er sich zum Richter und flüstert ihm in's Ohr:
»Soll das gut abgeh'n, Richter, ich schlag' Euch etwas vor:
Tausend Rubelchen baar, für jeden Kopf, sofort, –
Tausend Rubelchen, Richter, das ist mein letztes Wort.«
Der Richter wollte handeln; Plut aber hört nichts mehr.
Er läuft im Zimmer herum, bläst Wolken vor sich her,
Wie Schwärmer und Raketen, – und immer hinter ihm gehen
Die Frauen, und hören nicht auf zu weinen und zu flehen.
»Major,« beginnt der Richter, »bringt Ihr's vor's Gericht –
Hofft Ihr dann auf Erfolg? Ein blutiger Kampf war's nicht,
Niemand wurde verwundet, für's Hennen- und Gänseblut
Bezahlen die Leute nur Ersatz, nach dem Statut.
Ich werde gegen den Grafen keine Klage erheben,
Es waren nur Nachbarhändel, wie sie sich häufig begeben.«
»Und habt Ihr,« sagt der Major, »das gelbe Buch 1 gelesen?«
»Das gelbe Buch?« fragt Jener, »was ist das für ein Wesen?«
»Das Buch,« erwidert Plut, »ist besser als Eure Statute –
Da heißt's auf jeder Seite: Sibirien, Galgen, Knute.
Das Kriegsrecht ist's! jetzt über ganz Lithauen verhängt!
Wir pfeifen auf eure Gerichte! Ei, was ihr wohl denkt,
Daß ihr bekommen könntet für solch ein Bubenstück?
Zwangsarbeit in Sibirien – und dann ist's noch ein Glück!«
»Ich appellire,« sagt Jener, »an den Gouverneur –«
»Appellirt,« erwidert Plut, »an den Empereur!
Ihr wißt, wie oft der Kaiser, wenn er das Decret
Bestätigt, die Strafe gnädigst auf's Doppelte erhöht.
Nur appelliren! Im Nothfall find' ich wohl einen Haken,
Um Euch, mein bester Richter, auch vielleicht zu packen:
Jankiel ist Euer Hausfreund, – hat Eu're Schenke in Pacht,
Und wird ja als Spion schon lange überwacht!
Was thut Ihr, wenn ich Euch alle jetzt, ohne viel zu fragen,
Verhafte?« – »Mich? Wer darf das, ohne Ordre, wagen?«
Versetzt der Richter; ein immer lauterer Streit begann,
Da kommt ein neuer Gast im Hof des Hauses an.
[203] Ein seltsamer Masseneinzug! Voran, wie ein Läufer, jagt
Ein riesiger schwarzer Widder; an seinem Kopfe ragt
Ein Doppelpaar von Hörnern: zwei rings um die Ohren geschlungen
In Halbmondform, mit Glöckchen; zwei nach der Seite geschwungen,
Mit klingenden Messingküglein; so kommt er angesprungen,
Hinter ihm traben Ochsen, Schafe, Ziegen daher, –
Und zum Schluß zwei Wagen, vollbepackt und schwer.
Alles erräth: so kommt der Pater Almosenier;
Der Richter, als pflichtbewußter Hausherr, trat in die Thür,
Um seinen Gast zu begrüßen. Auf dem ersten Wagen
Saß Robak, die Kapuze halb über's Gesicht geschlagen;
Doch als er den Gefang'nen sein Autlitz zugewandt
Und mit dem Finger gewinkt, ward er sofort erkannt.
Gleicherweise erkennt man den Kutscher am zweiten Gespann,
Mathias-Gertchen ist's, verkleidet als Bauersmann;
Kaum hat er sich gezeigt, so schrie ihm die Schlachta zu;
»Narren!« sagt' er und winkte mit der Hand zur Ruh'.
Als Dritter der Preuße, im Kubrak, schlicht und abgetragen, –
Zan und Mickiewicz sitzen auf dem vierten Wagen.
Wie aber die Birbasz, Wilbik, die Andern allzumal:
Die Isajewicz, Podhajski, Kotwicz, die bittere Qual
Und Knechtschaft seh'n, in der sich die Dobrzyner befinden:
Beginnt die alte Feindschaft nach und nach zu schwinden.
Denn die polnische Schlachta, so zänkisch sie ist, so erpicht
Auf Händel und Raufereien: rachsüchtig ist sie nicht.
So eilen sie denn zu Matschek, ihn um Rath zu fragen.
Der Alte reiht die ganze Heerschaar um die Wagen,
Und heißt sie warten.
Pater Robak tritt in's Zimmer:
Kaum ist er zu erkennen, wiewohl gekleidet, wie immer,
So war die Gestalt verwandelt. Sonst düster, mit sinnenden Mienen,
War er diesmal mit hocherhobenem Haupt erschienen,
Mit leuchtenden Blicken: ein lustiger Bruder Bernhardiner.
Erst lacht er lange:
[204] »Ha! ha! ha! Ergebenster Diener!
Ha! ha! Ihr Diener! Köstlich, famos! das muß ich sagen,
Ihr Herrn Officiere! Bei Tag laßt Andre jagen,
Ihr jagt bei Nacht! Und gute Jagd! ich sah's – sehr gut!
O zwickt die Schlachta! zwickt sie! O schindet sie auf's Blut!
O zügelt sie nur recht tüchtig, denn das sind störrische Thiere!
Major, Ihr fingt den Grafen! Sehr gut, ich gratulire!
Ein Junker, ur-uradlig, ein Reicher, – ein fetter Braten!
Laßt ihn nicht aus dem Garn, nicht unter dreihundert Dukaten!
Und kriegt Ihr sie, dann gebt dem Kloster auch sein Theil,
Und mir auch ein paar Groschen! Ich bet' für Euer Heil!
Bei meiner Kutte, sehr denk' ich an Eure Seele!
Auch Stabsofficiren geht der Tod ja an die Kehle!
Der Tod, sagt Baka, schlägt nach Purpur und Geschmeide
Und nach dem seidnen Kleide, wie dem bescheidnen Kleide,
Rafft Zwilch und Linnen von hinnen und streift auch die Tonsur
Und greift in die Montur und schleift auch die Frisur!
Väterchen Tod, sagt Baka, wie eine Zwiebel beizt er,
Zu hellen Thränen reizt er, und gleicher Weis' umfaßt er
Das Kindlein in den Windlein, wie das lustige Laster!
Ah! ah! Major, heute roth, morgen todt, –
Unser ist nur, was heute Teller und Keller bot!
Herr Richter, ist's nicht Zeit zum Frühstück? also frisch!
Ich setz' mich an den Tisch und bitte Alle zu Tisch!
Major, Klöpse gefällig? Herr Lieutenant, was ist nach Wunsch?
Was meint Ihr? sagen wir: ein gutes Schälchen Punsch?«
»Ja,« sagten zwei Officiere, »hochwürdiger Herr, ja wohl!
Zeit wär's, zu essen, zu trinken auf des Richters Wohl!«
Die Leute vom Hause blicken auf Robak ganz erstaunt:
Woher die lustige Miene? warum so gutgelaunt?
Der Richter hat es dem Koch sogleich zu wissen gemacht,
Bowle, Zucker, Bouteillen und Klöpse werden gebracht.
Plut und Rykow beginnen sich gleich so tüchtig zu rühren,
Und Speise und Trank so tapfer sich zu Gemüth zu führen,
In dreißig Minuten waren fast dreißig Klöpse verzehrt
Und eine riesenmächtige Schale Punsch geleert.
[205] Satt, fröhlich streckt sich Plut im Sessel, was er kann,
Nimmt seine Pfeife, steckt sie mit einer Banknote an,
Wischt sich mit der Serviette die Speisen aus dem Gesicht,
Wendet die lachenden Blicke den Damen zu und spricht:
»Ihr seid der beste Nachtisch, Damen hold und werth!
Bei meinen Epauletten, hat Einer das Frühstück verzehrt,
Dann ist nach den Klöpsen das allerbeste Dessert,
Mit schönen Damen zu plaudern, wie Euresgleichen ist.
Wißt was? Spielen wir Karten! Mariage? oder auch Whist!
Oder eine Mazurka! Hej, tausendsapperment!
Ich bin ja der beste Tänzer im Jägerregiment!«
Er reckt sich gegen die Damen, blickt fröhlich in die Runde
Und bläst bald Komplimente, bald Rauch aus seinem Munde.
»Ja!« rief Robak, »tanzen! – Steh' ich vom Trinken auf,
Schürz' ich, wiewohl ein Mönch, auch manchmal die Kutte hinauf,
Und tanze eine Mazurka! Aber wir poculiren,
Lieber Major, und draußen Eure Jäger erfrieren?
Zecht man, so zecht man! – Richter! Herr Plut hat nichts dagegen:
Ein Fäßchen Schnaps! daß doch die Kerle trinken mögen!«
»Ich würde bitten,« sagt Plut, »allein da giebt's kein Muß.«
»Gieb,« flüstert Robak dem Richter, »ein Fäßchen Spiritus.«
Während nun so der Stab im Haus des Trinkens pflag,
Beginnen die Soldaten draußen ein Trinkgelag.
Hauptmann Rykow schweigt und trinkt in einer Tour;
Plut aber trinkt und macht zugleich den Damen die Kur.
Nur tanzen will er! Von immer größerer Lust entbrannt,
Schmeißt er die Pfeife weg, packt Telimenens Hand.
Sie läuft davon; so geht er mit unsicheren Schritten,
Sich stets verbeugend, zu Soschja, um sie zum Tanz zu bitten:
»Hej, du dort, Rykow, hör' doch endlich auf zu schmauchen!
Du spielst ja gut Guitarre, so laß einmal das Rauchen!
Dort siehst du die Guitarre, komm, pack' sie einmal an –
Ich, der Major, eröffne! Eine Mazurka, wohlan!«
Der Hauptmann nimmt die Guitarre, stimmt und will beginnen:
Plut sucht auf's Neu' Telimenen zum Tanze zu gewinnen:
»Majorsparole, Fräulein! ich will kein Russe sein,
[206] Ist das gelogen; Fräulein, ich will ein Hundskerl sein,
Ist das gelogen; Ihr könnt die Officiere fragen,
Sämmtliche Officiere, die ganze Armee wird's sagen:
Daß in der zweiten Armee, Corps neun, Division zwei,
Jägerregiment fünfzig, kein einziger Tänzer sei,
Der's in der Mazurka aufnimmt mit dem Major von Plut.
So kommt! nicht eigensinnig – ei, wie Ihr doch thut!
Nun, so kommt doch, – Fräulein, ich bin ein Officier
Und strafe solch ein Fräulein nach Officiersmanier.«
Hier packt er Telimenens Hand mit Einem Satz,
Und drückt ihr auf die Schulter einen schallenden Schmatz.
Da stürzt Thaddäus heran, von seinem Seitenplatz,
Und schlägt ihm in's Gesicht; Beides erscholl zugleich –
Wie Wort auf Wort, so folgten sich Kuß und Backenstreich.
Plut fährt sich über die Augen, zornbleich starrt er hin:
Dann ruft er: »Aufruhr! Aufruhr!« zieht – und rennt wider ihn;
Da riß der Mönch aus dem Ärmel ein Terzerol: »Nun triff's!
Triff's Junge! wie in's helle Licht!« – Thaddäus ergriff's,
Zielt, schießt, und fehlt; jedoch betäubt er den Major
Und schwärzt ihn mit Rauch. Und Rykow fährt mit der Guitarre empor:
»Aufruhr!« – und auf Thaddäus war er schon zugerannt:
Da zuckt vom Tisch herüber rechtshin des Wojski Hand,
Hinsaust durch die Luft ein Messer, fährt hinein
Zwischen die Köpfe – und trifft, und blitzt erst hinterdrein.
Es trifft die Guitarre, um sie durch und durch zu bohren;
Rasch bog sich Rykow zur Seite, sonst war er sicher verloren.
Nun aber graut's ihm: »Jäger! Aufruhr! Himmel und Hölle!«
So ruft er, zieht den Degen und kämpft sich bis zur Schwelle.
Jetzt stürzt die Schlachta, massenhaft durch die Fenster dringend,
Gertchen voran, in's Zimmer, – Alle Rappiere schwingend.
Plut und Rykow im Vorhaus rufen nach Hilfe hinaus;
Drei Jäger rennen herbei, es waren die nächsten am Haus;
[207] Durch die Thüre erscheinen drei blitzende Bajonnete,
Gleich darauf drei schwarze, abgeflachte Casquete;
Mathias stand an der Thür, das Gertchen hoch in der Hand:
Wie eine Katze auf Ratten, lauert er an der Wand;
Jetzt haut er gewaltig zu: drei Köpfe hätt' er zerspalten –
Doch, schlug er nun zu feurig, versagte der Blick dem Alten:
Er hieb, noch eh' sie den Hals herstreckten, auf die Casquete:
Riß sie herab, das Gertchen klirrt' an die Bajonnete;
Die Russen zieh'n sich zurück, Mathias treibt sie hinaus
Bis in den Hof.
Dort aber sieht's noch toller aus.
Dort, bei den Blöcken, müht sich wetteifernd des Richters Partei,
Reißt die Klötze auf und macht die Dobrzynski's frei.
Da greifen die Jäger zur Waffe und stürzen rasch herbei,
Voran mit dem Bajonnet der Sergeant: Podhajski spießt er,
Verwundet Zwei von der Schlachta, auf den Dritten schießt er:
Sie fliehen. Das war beim Block, in dem sich der Täufer befand;
Der hat schon die Arme frei, steht auf, erhebt die Hand –
Nun haut er, die langen Finger zum Knäuel zusammengeballt,
Auf den Rücken des Russen von oben mit solcher Gewalt,
Daß er ihm Stirn und Schläfe in's krachende Flintenschloß
Einschlägt; das blutbenäßte Pulver brennt nicht los; –
Zusammenbricht der Sergeant von dem gewaltigen Stoß,
Der Täufer bückt sich, packt den Karabiner am Rohr,
Dreht ihn, wie seinen Wedel, hebt ihn hoch empor,
Schwingt ihn im Kreis, zwei Jäger haut er mit Einem Mal
Über die Schultern, am Kopf trifft er den Corporal,
Die Übrigen weichen vom Block, geängstigt und erschreckt.
So hat er die Schlachta, wie mit fliegendem Dach, bedeckt.
Nun wurden die Stricke zerschnitten und der Block zerschlagen:
Die befreiten Dobrzyner holen aus Robak's Wagen
Schwerter, Rappiere, Flinten, Sensen; – Kännchen fand
Zwei Schießprügel, erwischt auch gleich mit glücklicher Hand
Ein Säckchen Kugeln: so läd't er beide Gewehre fest,
Von denen er Eins für sich nimmt, das andre Sack überläßt.
[208] Noch mehr Jäger erscheinen. Man stößt sich, verflicht sich enge,
Die Schlachta kann den Kreuzhieb nicht führen im Gedränge,
Die Jäger können nicht schießen, es kommt zum Handgemenge.
Zahn an Zahn, schlägt Stahl an Stahl, und bricht und klingt, –
Das Bajonnet am Säbel, die Sense am Degen springt, –
Es wüthet Faust an Faust, und Arm mit Armen ringt.
Rykow eilt hin, wo Scheuer und Hecken sich vereinen,
Mit einem Theil der Jäger, und ruft von dort den Seinen,
Vom regellosen Kampf zu lassen, wo sie allen
Vortheil der Waffe verlieren und unter den Fäusten fallen:
Er wüthet, nicht selber feuern zu können, – denn im Gebraus
Kennt er sich zwischen Polen und Russen gar nicht aus.
»Richt't euch!« ruft er, das heißt: In Schlachtordnung formirt!
Doch hört man im Getümmel nicht, was er commandirt.
Aber der alte Mathias, unfähig des Handgefechts,
Zieht sich zurück, indem er vor sich links und rechts
Raum schafft. Hier streicht sein Säbel, wie einen Docht vom Licht,
Ein Bajonnet vom Rohr; dort haut er oder sticht,
Von links nach rechts ausholend; so unter steten Streichen
Gelingt es ihm, behutsam in's Freie zu entweichen.
Doch Einer ist, der vor Allen hartnäckig wider ihn rennt:
Der alte Gefreite, – er war Instructor im Regiment,
Ein Meister des Bajonnets. Der duckt sich, wie er nur kann,
Kürzt sich, packt sein Gewehr mit beiden Händen an,
Die Linke hält mitten am Rohr, die Rechte am Schlosse fest; –
Er dreht sich, springt auf, – zuweilen setzt er sich nieder, läßt
Die Waffe aus der Linken, schiebt aus der Rechten das Rohr,
Wie einen Stachel aus offenem Schlangenrachen, vor –
Dann wieder zurück, – kniet hin und stützt das Gewehr auf's Bein:
So dringt er, tänzelnd und hüpfend, auf Mathias ein.
Der Alte würdigt den Gegner, setzt mit der linken Hand
Die Brille auf, mit der Rechten hält er, fest umspannt,
Dicht an der Brust den Griff des Gertchens – weicht zurück,
[209] Und verfolgt den Gefreiten mit aufmerksamem Blick;
Taumelt dabei in den Knieen, als wenn er trunken wär':
Sicher des Sieges läuft Jener immer schneller daher.
Um leichter den Feind zu erreichen, der immer weiter wich,
Steht er nun auf, streckt dann die Rechte weit von sich
Und stößt so zu – der Stoß und die Wucht der Waffe zog
All' seine Kraft mit sich, so daß er sich niederbog:
Matschek stellt nun dort, wo die Klinge steckt am Rohr,
Den Griff des Gertchens unter, schlägt ihm die Waffe empor,
Haut rasch hinab – trifft erst die Hand, – dann nochmals gleich
Rechtshin – und des Russen Kiefer zerspaltet's mit Einem Streich.
So fiel der Gefreite, der erste Fechtmeister im russischen Norden,
Inhaber von vier Medaillen und Ritter dreier Orden.
Indessen hat bei den Blöcken der Schlachta linker Flügel
Schon fast gesiegt. Der Täufer vertheilt dort wackre Prügel,
Man sieht ihn von fern im Getümmel, Scheermesser steht ihm bei,
Der haut auf die Köpfe, Jener spaltet die Leiber entzwei:
Wie jene Dreschmaschine, die deutsche Meister erdacht,
An der sie neben den Flegeln auch Messer angebracht,
Sie ist dadurch in Einem auch eine Heckselschneide,
Zerhackt das Stroh und drischt zugleich auch das Getreide:
So mühen sich dort der Täufer und Scheermesser vereint,
Der unten, der von oben – und hau'n zu Schanden den Feind.
Der Täufer verschmäht den Sieg, der ihm schon sicher war,
Und eilt zum rechten Flügel, wo Matschek in neuer Gefahr:
Dort sucht der Fähnrich Rache für des Gefreiten Tod,
Und bringt ihn mit seinem langen Sponton in arge Noth. –
Sponton ist Spieß und Axt zugleich: heut' nicht in Gebrauch,
Nur auf der Flotte; damals führt' ihn das Fußvolk auch. –
Der Fähnrich, ein junger Mann, hantirt mit vielem Geschick:
So oft der Gegner parirt, zieht er sich gleich zurück;
Mathias, der dem Jüngern nicht nachzukommen vermag,
Muß nur sich selber schützen und kommt zu keinem Schlag.
Schon hat ihn der Fähnrich verwundet mit leichtem Lanzenstoß,
Schon hebt er die Partisane und legt zum Hiebe los:
[210] Der Täufer erreicht ihn nicht mehr: hält aber im Laufe ein,
Kehrt seine Waffe herum und wirft sie ihm unter's Bein:
Zermalmt ihm einen Knochen – dem Fähnrich entsinkt die Wehr,
Er wankt: losstürzt der Täufer, die Schlachta hinter ihm her;
Vom linken Flügel kommen, ganz außer Ordnung gebracht,
Die Russen. Um den Täufer beginnt auf's Neu' die Schlacht.
Dem Täufer, der für Mathias die Keule dahingegen,
Kostete dieser Dienst gleich drauf beinahe das Leben.
Von hinten packen ihn zwei Russen, ein kräftiges Paar,
Vier Hände flechten sich ihm zu gleicher Zeit in's Haar,
Sie stemmen sich mit den Füßen und ziehen, wie an den Strängen,
Die am Mast des Flußboots festgebunden hängen.
Nichts hilft es, daß er blind nach rückwärts um sich haut,
Schon wankt er, als er den Schließer unfern im Kampf erschaut:
»Jesus Maria!« ruft er, »Federmesser, herbei!«
Der Schließer, der seine Bedrängniß erkennt am lauten Schrei,
Wendet sich, schwingt die feine Klinge über dem Kopf
Und senkt sie zwischen die Hände und des Täufers Schopf.
Sie weichen, gräßlich schreiend, zurück. Doch eine Hand,
Die sich schon mit den Haaren allzustark verband,
Bleibt blutausströmend hängen, vom Rumpfe abgehackt:
Wie wenn der Adler den Hasen mit Einer Klaue packt,
Die andre an den Baum krallt, um fest das Thier zu halten,
Der Hase reißt an ihm und hat ihn entzweigespalten,
So daß der Baum im Walde die eine Klaue behält,
Die linke blutüberströmte trägt das Thier in's Feld.
Frei ist der Täufer! Er späht – er streckt die Hände weit:
Die Waffe verlangt er, die Waffe! Und schwingt zu gleicher Zeit
Die Fäuste, bleibt beim Schließer und hält so wacker Stand.
Da sieht er seinen Sack, der hält in der Rechten, gespannt,
Den Schießprügel und schleppt zugleich mit der linken Hand
Ein langes, klaftergroßes Holzstück 2 hinter sich her, –
Niemand, außer dem Täufer, hebt die gewaltige Wehr,
Voll Kieseln, Knoten und Knorren und mancher der ben Beule; –
[211] Wie sie der Täufer gewahr wird, seine geliebte Keule,
Packt er sie, küßt sie, springt vor Freuden himmelan,
Schwingt sie um's Haupt und fängt sofort zu spritzen an.
Von seinen weiteren Thaten und Siegen schweigt das Gedicht.
Es wär' vergeblich gesungen: man glaubte der Muse nicht, –
Wie jenes arme Weib auch keinen Glauben fand,
Die auf den Zinnen des Ostrathors in Wilna stand,
Und sah, wie der russische Feldherr, Dejow, mit einer Schwadron
Kosaken heranmarschirte, – das Stadtthor öffnet' er schon,
Und wie ihn Czarnobacki, ein Bürger dieser Stadt, 3
Erschlagen und alle Kosaken hinausgetrieben hat.
Genug, es ist so gekommen, wie Rykow vorhergesehen:
Die Jäger konnten im Wirrwarr dem Feind nicht widerstehen.
Dreiundzwanzig liegen todt dahingestreckt,
Einige dreißig ächzen, von schweren Wunden bedeckt,
Ein großer Theil ist entfloh'n, – am Bach, im Garten versteckt,
Im Hopfen; – einige flüchten zu den Frauen in's Haus.
Die Schlachta frohlockt, – die Einen plündern die Feinde aus,
Die Anderen sind jauchzend zu den Fässern geeilt,
Robak ist der Einz'ge, der nicht den Jubel theilt.
Er hatte nicht selbst gekämpft – das ist ihm kanonisch verwehrt, –
Doch hat er, als Mann von Erfahrung, Rath ertheilt, belehrt,
Das Feld von verschiedenen Seiten umschritten, den Kampf begleitet,
Mit Hand und Blicken die Kämpfer ermuntert und angeleitet.
Jetzt ruft er, ihm zu folgen, sich gegen Rykow zu wenden,
Um so den Sieg zu krönen und den Kampf zu enden;
Während er Rykow zugleich durch einen Boten erklärt:
Wenn er die Waffen strecke, sei ihm sein Leben gewährt,
Sollt' er aber zögern, so werd' er Weisung geben,
Den Rest sofort zu umzingeln – und Keiner bleib' am Leben.
Hauptmann Rykow bat durchaus nicht um Pardon,
Er sammelte um sich sein halbes Bataillon,
Rief: »Zu den Waffen!« Sogleich greift Alles zum Gewehr,
[212] Es rasseln die Flinten – geladen sind sie von früher her.
»Zielt!« ruft er, – in langer Reihe ragen die Läufe vor:
»Heckfeuer!« – Schuß auf Schuß erdröhnt von Rohr zu Rohr,
Der schießt, der läd't, der packt das Gewehr, die Kugeln schwirren,
Die Ladestöcke knarren, die Flintenschlößer klirren:
Die ganze Front erscheint, wie wenn ein Wurm sich regt,
Der tausend blinkende Füße zu gleicher Zeit bewegt.
Zwar sind die Jäger betrunken, schießen darum recht elend,
Selten nur verwundend, und in der Regel fehlend,
Tödtlich trifft kaum Ein Schuß – und doch erhielten schon Wunden
Zwei Matschek's, und ein Bartek hat gar den Tod gefunden.
Die Schlachta, die, – mit Büchsen viel zu karg versehen, –
Nur selten schießt, ist Willens, mit Säbeln vorzugehen,
Doch sind die Alten dagegen. Die Kugeln pfeifen und schlagen,
Säubern den Hof, in Kurzem werden sie Alle verjagen –
Ja, bis an die Scheiben des Hauses klirren die ehernen Massen.
Thaddäus, den der Oheim den Frauen zum Schutz gelassen,
Hört's laut und lauter toben, und läuft hinaus zur Schlacht,
Mit ihm der Kämm'rer, dem Thomas endlich den Säbel gebracht;
Er eilt dahin, hat bald sich mit der Schlachta vereint,
Schwingt den Säbel und führt die Seinen wider den Feind.
Die Jäger lassen die Schaaren erst ganz nahe heran –
Dann hageln sie los. Verwundet fiel mancher wack're Mann,
Scheermesser, Isajewicz, Wilbik; da halten im Lauf
Hier Robak, dort Mathias die kämpfende Schlachta auf,
Der Eifer der Schlachta ermattet, sie sieht sich um, sie weicht,
Das sehen die Russen, Rykow glaubt bald Alles erreicht;
Jetzt gedenkt er ihnen den letzten Stoß zu versetzen:
Die Schlachta vom Hof zu jagen und das Haus zu besetzen.
»Zur Attaque formirt! das Bajonnet gefällt!
Vorwärts!«, so commandirt er; die ganze Reihe hält
Die Läufe wie Stangen vor, bückt sich, beschleunigt den Lauf.
Die Schlachta schießt von der Flanke, hält sie vorne auf:
Vergebens! sie nehmen die Hälfte des Hofs in kurzer Zeit;
[213] Der Hauptmann weist mit dem Degen nach der Thür und schreit:
»Richter, ich zünde das Haus an, zeigst du noch Widerstand!«
»Zünd' an!« erwidert der Richter, »ich schmor' dich in dem Brand.«
O, Hof von Soplicowo! Wenn deine Wände noch immer
Unter den Linden leuchten, wie einst, in weißem Schimmer,
Wenn sich die Nachbar-Schlachta in deinen Räumen noch jetzt
Zum Mahle an des Richters gastliche Tische setzt,
Dann wird dort sicherlich oft Gießkännchen's Wohl getrunken:
Ohn' ihn wär' Soplicowo schon längst in Asche gesunken!
Gießkännchen zeigte bis jetzt nicht eben viel Tapferkeit,
Obwohl er aus dem Block am frühesten ward befreit,
Obwohl er sein liebes Kännchen sofort gefunden im Wagen,
Die Lieblingsflinte und Kugeln: er wollte sich nicht schlagen;
Er sagt, in nüchternem Zustand hab' er nicht viel Fiduz,
Ging drum zum Spiritusfäßchen und macht' sich's wacker zu Nutz,
Gebrauchte die Hand als Löffel und goß sich den Trank in den Mund.
Nun erst, da er gestärkt und erwärmt ist aus dem Grund,
Setzt er die Mütze zurecht, nimmt dann vom Knie sein Kännchen,
Befühlt mit dem Ladstock das Pulver, streut einiges noch auf's Pfännchen,
Und sieht sich nach der Schlacht um. An die blitzenden Wellen
Der Läufe sieht er die Schlachta anschlagen und zerschellen.
Gegen die Welle schwimmt er, an den Boden gebückt, –
Hat sich bald, wie ein Taucher, durch's dichte Gras gedrückt,
Quer durch den Hofraum; dort, wo das Nesselngesträuch begann,
Versteckt er sich nun und winkt den Sack zu sich heran.
Sack stand, zum Schutz des Hauses, bewaffnet an der Thür,
Hier wohnt ja seine Soschja, ihm theuer für und für,
Soschja, die er ja liebt, wiewohl sie ihn verschmäht,
Für die er gern in Tod und in Verderben geht.
Schon marschiren die Jäger bis in die Nesseln vor,
Da drückte Kännchen am Zünglein: ausspeit das mächtige Rohr
Ein Dutzend Hackbleikugeln mitten in's Heer hinein,
Sack schickt ein zweites, Verwirrung erfaßt die feindlichen Reih'n,
[214] Der Haufe ballt sich zum Knäuel, – vom Hinterhalt bedroht,
Flieht er, verläßt die Blessirten, – der Täufer schlägt sie todt.
Die Scheuer ist fern: ein längerer Rückzug brächte Gefahr.
Rykow eilt denn zur Planke, und sucht von dort die Schaar,
Die sich schon fliehend auflöst, zu halten mitten im Lauf.
Er ordnet die Reihen neu, stellt eine im Dreieck auf,
Den scharfen Keil nach vorn, und an die Gartenplanke
Lehnt er zu beiden Seiten die rechte und linke Flanke; –
Klug war's, denn feindliche Reiter stürmen vom Schloß herbei.
Der Graf, bisher von den Russen bewacht, ist wieder frei,
Die Wache war ängstlich entfloh'n –, er stieg mit den Seinen zu Roß:
Da hört er Schüsse, sogleich führt er den Reitertroß,
Den Degen schwingend, zum Kampf. Jetzt tönt das Commandowort
Rykow's: »Halbbataillon Feuer!« – Da fliegt sofort
Die Flintenschlösser entlang ein langer feuriger Streifen,
Aus schwarzen Rohren hört man dreihundert Kugeln pfeifen;
Drei Reiter fallen verwundet, Einer todt. Im Moment
Fällt auch das Pferd des Grafen, er sinkt herab; da rennt
Der Schließer schreiend herbei: bedrohen ja diese Leute
Den Letzten der Horeszko, – wenn auch von Mutterseite!
Doch Robak, der näher ist, deckt ihn; der Graf blieb unversehrt,
Robak bekam den Schuß; jetzt zieht er ihn unter dem Pferd
Hervor und führt ihn weg, ruft aber der Schlachta: die Schaaren
Zu theilen, besser zu zielen, vergebliche Schüsse zu sparen,
Sich hinter die Brunnen, die Zäune, die Scheuer zu verstecken –
Im rechten Moment erst mög' sie der Graf mit den Reitern decken.
Robak's Pläne erfaßt vortrefflich und vollstreckt
Thaddäus; hinter dem hölzernen Brunnen stand er versteckt,
Nüchtern war er und handhabt die Doppelflinte brav,
Wie er ja oft in der Luft ein Guldenstückchen traf.
Fürchterlich schlägt er die Russen: er legt's auf die Chargen an,
Beim ersten Schuß ist gleich der Feldwebel abgethan,
Dann giebt er Schuß auf Schuß auf zwei Sergeanten ab:
Sie fallen; – bald nimmt er Galonen auf's Korn, und bald den Stab,
[215] Der mitten im Dreieck steht. Rykow fährt wüthend auf,
Schnaubt und stampft mit den Füßen, beißt am Degenknauf.
»Major,« so ruft er, »zu welchem Ende soll das treiben,
Bald wird Keiner von uns mehr beim Commando bleiben!«
Plut rief nun zu Thaddäus hinüber in wildem Zorn:
»Schämt Euch, Herr Pole, Ihr nehmt uns aus dem Versteck auf's Korn;
Seid keine Memme, schlagt Euch honorig, tretet hervor,
Auf gut soldatisch!« – Darauf Thaddäus: »Herr Major,
Seid Ihr ein solcher Ritter, ein solcher kecker Schläger,
Warum versteckt Ihr Euch hinter den Rock der Jäger?
Ich fürcht' Euch nicht; so kommt nur hervor aus dem Gesträuch,
Ich hab' Euch geohrfeigt, – wohl, ich schlag' mich gern mit Euch!
Wozu das Blutvergießen? Der Streit war zwischen uns Beiden,
So mög' ihn die Pistole oder der Degen entscheiden.
Wählt, von der Kanone bis zur Nadel! rührt Euch doch!
Sonst schieß ich Euch über den Haufen, wie die Wölfe im Loch!«
Spricht's und feuert ab – und mit so sicherer Hand,
Daß er den Lieutenant traf, der neben Rykow stand.
»Major«, so flüstert Rykow, »nehmt den Zweikampf an,
Und rächt Euch für die Schmach, die er Euch angethan.
Sollte diesen Schlachcic ein Anderer erschlagen,
Seht Ihr, Major, dann müßt Ihr den Makel ewig tragen.
Herlocken muß man den Schlachcic, muß ihn im Feld erlegen,
Thut's nicht der Karabiner, versucht es mit dem Degen.
›Was knallt, kann Einer bald, ein Stich ist was für mich,‹
So sagte der alte Suwarow. – So schlagt Euch ritterlich!
Sonst schießt er uns zu Schanden, – seht hin: dort zielt der Feind!«
Darauf versetzt der Major: »Rykow! lieber Freund!
Du bist ein Meister des Degens, geh du hin, Bruderseele,
Oder ist's besser, wenn ich Einen der Lieutenants befehle?
Ich bin der Major, ich darf nichts aus dem Aug' verlieren,
Muß bei den Soldaten bleiben, ich hab' zu commandiren.«
Und Rykow tritt mit erhobenem Degen muthig vor,
Stellt das Feuer ein, schwingt ein weißes Tuch empor,
Und befragt Thaddäus, was er für Waffe nimmt; –
[216] Nach einer kurzen Besprechung wird der Degen bestimmt.
Thaddäus hat keine Waffe, man sucht ihm einen Degen,
Da tritt ihm der Graf, bewaffnet, mit seinem Protest entgegen.
»Entschuldigt, Herr Soplica!« ruft er, »den Major
Habt Ihr gefordert, doch ich hab' mit dem Hauptmann zuvor
Noch einen ältern Handel: Er ist in mein Schloß« –
»Sagt,« unterbricht Protasius, »vielmehr in unser Schloß« –
»Er ist es,« schloß der Graf, »ich habe Rykow erkannt,
Der mit den Dieben eindrang und meine Jokey's band.
Ich straf' ihn wie die Räuber an jener Felsenwand,
Von den Sicilianern Birbante-Rocca genannt.«
Still wird's, das Feuer schweigt; jetzt blickt auf beiden Seiten
Alles gespannt auf die Führer, die zum Kampfe schreiten.
Vortreten der Graf und Rykow, zur Seite hingewandt,
Bedrohen sich mit dem rechten Aug', der rechten Hand,
Die linke entblößt das Haupt, um höflich zu salutiren:
Denn das gehört zu des Zweikampfs ritterlichen Manieren,
Sich zuerst zu begrüßen und dann erst umzubringen.
Schon treffen sich die Degen, es knirschen schon die Klingen,
Eifrig kämpfen die Ritter, hoch die Füße schwingend,
Das rechte Knie gebeugt, und vor- und rückwärts springend.
Wie aber Plut Thaddäus steh'n sieht vor der Front,
Bespricht er sich ganz leise mit dem Gefreiten Gont –
Dem ersten Schützen der Truppe an Übung und Geschick:
»Gont,« sagte der Major, »siehst dort den Galgenstrick?
Willst du vier Silberrubel? Laß dem ein Kugelchen fliegen,
Dort unter die fünfte Rippe, dann wirst du sie kriegen.«
Gont spannt den Karabiner, bückt sich über's Schloß,
Kam'raden verhüllen mit Mänteln ihn und sein Geschoß,
Er nimmt Thaddäus' Kopf auf's Korn, er zielte gut:
Schoß und traf – ganz nahe, mitten in seinen Hut.
Thaddäus dreht sich um: jetzt stürzt, auf diese That,
Der Täufer über Rykow, die Schlachta ruft: »Verrath!«
Thaddäus schützt den Hauptmann; Rykow, arg bedroht,
Entweicht zu seiner Truppe mit genauer Noth.
[217] Die Lithauer und die Dobrzyner erneuern kräftig den Streit,
Wetteifernd im Bunde, trotz der Feindschaft früherer Zeit;
Einer ermuntert den Andern, sie kämpfen wie Brüder vereint.
Als die Dobrzyner sehen, wie sich dicht vor dem Feind
Podhajski tapfer tummelt und mit der Sense haut:
Rufen sie: »Hoch die Podhajer!« und wieder jauchzt es laut:
»Heil, Lithauen, Sieg und Heil! Vorwärts, ihr Lithauer Brüder!«
Und da die Skoluba's seh'n, wie trotz seiner wunden Glieder
Scheermesser den Säbel schwingt und immer den Kampf erneuert,
Rufen sie: »Hoch die Masuren! Die Matschek's hoch!« – So feuert
Einer den Andern an, so kämpft man mit aller Gewalt;
Robak und Mathias gebieten vergebens Halt.
Während man vorn so angriff, verließ der Wojski das Feld,
Und ging in den Garten. Zu ihm hat sich Protas gesellt,
Schreitet neben ihm her, behutsam, in tiefster Ruh',
Der Wojski aber flüstert ihm still Befehle zu.
Es stand im Garten, fast anstoßend an die Planke,
An die Rykow sein Dreieck gelehnt hat mit der Flanke,
Ein großes, altes, käfigähnliches Käsehaus;
Die Balken, im Kreuz verbunden, sahen wie Gitter aus;
Zahllose Stöße von Käsen blinken da, hell und weiß;
Und rings zum Trocknen gelegt, umwehen sie im Kreis
Salbei, Benediktwurz, Karden und Quendelsträußchen:
Die Hausapotheke der Tochter des Wojski. Dieses Häuschen,
Das oben in der Breite dritthalb Klafter hält,
Ist unten auf eine einzige große Säule gestellt,
Als wie ein Storchennest. Die alte Eichenstange
Hat sich gesenkt, denn halbverfault ist sie schon lange,
Und droht zu fallen. Dem Richter wurde schon oft gesagt,
Er möchte den Bau einreißen, den ja das Alter zernagt.
Der Richter aber meint, er wolle lieber flicken,
Als niederreißen oder von der Stelle rücken.
So verschob er das Bauen auf günstigere Zeiten,
Und stützte indeß die Säule mit Pfählen zu beiden Seiten.
Gestärkt, doch morsch, und immer noch mit dem alten Mangel,
Blickt so der Bau auf die Planke und auf Rykow's Triangel.
[218] Hierher nun waren Protasius und der Wojski gegangen,
Still – Beide, wie mit Lanzen, bewaffnet mit mächtigen Stangen,
Nachfolgt durch's Hanffeld die Wirthschaftsfrau, und hinterdrein
Der Küchenjunge, ein kräftiger Bursche, wenn auch klein.
Nun werden die Stangen oben an's faule Holz gepreßt,
Sie hängen sich an die Enden, und drängen möglichst fest,
Wie eine Schaar von Flößern ein Schiff, das an Klippen hängt,
Mit langen Stangen vom Ufer auf die Fluten drängt.
Die Säule kracht zusammen, das Käsehaus schwankt und fällt
Mit Balken und Käsen auf's Dreieck, das Rykow aufgestellt:
Es quetscht, verwundet, erschlägt, – wo früher die Reihen gewesen,
Liegen nun Hölzer, Leichen und Haufen von weißen Käsen,
Mit Blut und Hirn bespritzt. Das Dreieck ist zerstoben,
Und schon donnert der Wedel, Scheermesser blitzt von oben,
Gertchen haut, vom Hause rennt die Schlachta herbei;
Und auf die Fliehenden wirft der Graf die Reiterei.
Noch wehren sich nur acht Jäger, mit ihnen ein Sergeant,
Wider sie rennt der Schließer, sie halten tapfer Stand.
Neun Läufe zielen auf seinen Kopf: Gervasius
Schwingt seinen Degen und fliegt gerade gegen den Schuß.
Kaum sieht das Robak, als er Gervas den Weg vertritt,
Er selber fällt zu Boden und reißt den Schließer mit.
Genau in demselben Momente feuert das ganze P'loton,
Kaum ist's vorbeigesaust, erhebt sich der Schließer schon,
Springt in den Rauch, hat gleich zwei Jägern die Köpfe zerschlagen,
Sie fliehen verzagt, der Schließer jagt nach und haut im Jagen.
Schon sind sie über den Hof, der Schließer ist nachgerannt,
Sie stürzen in die Thür der Scheuer, die offen stand,
Der Schließer folgt in die Scheuer und packt sie dort am Kragen,
Im Dunkel ist er verschwunden, doch hört er nicht auf zu schlagen.
Man hört durch die Thüre Hieb auf Hieb, Gestöhn und Schrei'n.
Bald wird es still. Heraustritt Gervasius allein,
Mit blutigem Schwert.
Die Schlachta verfolgt mit Stichen und Hieben
Die fliehenden Jäger; – Rykow war allein geblieben.
[219] Noch kämpft er, ruft: er strecke die Waffen um keinen Preis;
Da tritt der Kämmerer langsam auf ihn zu: der Greis
Erhebt die Karabelle und spricht in würdigem Ton:
»Hauptmann, deine Ehre befleckt nicht der Pardon;
Unglücklicher, aber tapf'rer Ritter, deinen Muth
Hast du bewährt, – nun kämpfe nicht mehr in blinder Wuth;
Eh' dich Gewalt entwaffnet, wolle dich selbst ergeben,
Mein Gefangener bist du, bewahrest Ehre und Leben!«
Des Kämmerers Würde gelang es, Rykow zu bewegen
Er reicht ihm, mit einer Verbeugung, den blutüberströmten Degen;
»O, Brüder Polen,« sagt er, »wehe, welch' ein Schlag!
Daß ich nicht Eine Kanone besessen an diesem Tag!
Recht sagte Suwarow: Merk' dir, Kamerad Rykow, nie
Die Polen anzugreifen ohne Artillerie! –
Ei nun, sie waren besoffen, Plut hat zu trinken erlaubt,
O, der Major, der lud heut' viel Sünden auf sein Haupt!
Er war Commandant, er steh' beim Czaren ein;
Herr Kämmerer, Brüder Polen, wir wollen Freunde sein.
Im Russischen giebt's ein Sprichwort: dort wo starke Liebe,
Dort, mein verehrter Kämmerer, giebt's auch starke Hiebe.
Mit euch ist gut zu raufen, mit euch ist gut zu saufen –
Übt aber Menschlichkeit an meinen Jägerhaufen!«
Der Kämm'rer erhebt den Säbel – und durch Protasius' Mund
Thut er allgemeinen Pardon den Jägern kund;
Die Wunden werden versehen, die Todten weggebracht,
Die Jäger aber entwaffnet und zu Gefangnen gemacht.
Lang sucht man Plut: er lag in's Nesselgebüsch gestreckt,
Tief eingegraben, wie todt, – und blieb so lang versteckt,
Bis er sah, daß nichts mehr zu befürchten stände:
Das war der letzte Einritt in Lithauen und sein Ende. 4

Fußnoten

1 Das, von seinem Einband so genannte, barbarische Buch der russischen Kriegsgesetzte. Die Regierung verhängt oft, mitten im Frieden, den Kriegszustand über ganze Provinzen und ertheilt auf Grund des »gelben Buches« dem Militär-Commandanten unumschränkte Gewalt über Vermögen und Leben der Bewohner. Bekanntlich war ganz Lithauen vom J. 1812 bis zur Revolution unter der Herrschaft des »gelben Buches«, dessen Vollstrecker der Großfürst-Thronfolger war.

2 Die Lithauer Keule wird auf folgende Weise verfertigt: Man sucht sich eine junge Eiche aus und schneidet sie mit der Axt von unten bis oben in der Weise an, daß Borke und Bast durchschnitten und der Baum leicht verwundet wird. In diese Kerben werden spitze Kieselsteine gesteckt, die nach und nach mit dem Baume verwachsen und harte Beulen bilden. Keulen bildeten in der Heidenzeit die Hauptwaffen des Lithauer Fußvolkes; sie werden noch heutzutage zuweilen gebraucht und führen den Namen: »Rasiek«, Knorrenkeule.

3 Als sich, nach dem Jasinski'schen Aufstand, die Lithauer Heere nach Warschau zurückzogen, näherten sich die Russen der verlassenen Stadt Wilno; General Dejow ritt, an der Spitze des Stabes, durch das Ostrathor in die Stadt. Die Straßen waren öde, die Einwohner in den Häusern versteckt. Da bemerkte ein Bürger eine in einem Gassenwinkel liegen gebliebene, mit Kartätschen geladene Kanone, richtete sie auf's Thor und schoß ab. Dieser eine Schuß errettete damals Wilno. General Dejow fiel, mit ihm mehrere Offiziere; die Übrigen befürchteten einen Hinterhalt und verließen die Stadt. Wie jener Bürger hieß, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben.

4 Einritte fanden auch später noch statt, obzwar nicht so berühmte, doch immerhin rechte laute und blutige. Um's J. 1817 schlug Herr U ... in der Wojewodschaft Nowogrodek die ganze Nowogrodek'sche Garnison und nahm die Chefs derselben gefangen.

Zehnter Gesang

[220] Zehnter Gesang.
Die Emigration. Jarek.

Berathung über die Sicherheit der Sieger. – Verhandlungen mit Rykow. – Abschied. – Wichtige Enthüllung. – Hoffnung.


Jene Dünste des Morgens, – erst, schwarzen Vögeln gleich,
Zerstreut, – sie ballen sich nun in höherem Himmelsbereich
Dicht und dichter. Die Sonne hat kaum den Mittag verlassen,
Und schon umlagert's die Hälfte des Himmels in dunklen Massen,
Als mächtige Wolke. Der Wind braust auf und jagt und drängt sie,
Die Wolke wird immer schwärzer, immer niederer hängt sie,
Bis sie, halbabgerissen vom Himmel, mit Einem Saum
Zur Erde niedergebeugt und hingebreitet im Raum,
Als weites Segel, das alle Winde in sich zieht,
Vom Süden her nach Westen über den Himmel flieht.
Und es war eine Weile des Schweigens, und es hangen
Lautlos und dumpf die Lüfte, wie verstummt vor Bangen;
Und das Getreide des Feldes, das früher, niederfallend
Und wieder mit goldenen Ähren in die Höhe wallend,
Wie Wogen gebraust: jetzt steht es regungslos im Feld,
Und mit gesträubten Halmen blickt's auf zum Himmelszelt.
Die Reihe der Pappeln und Weiden, die an den Wegen stand,
Die früher, wie Klagefrauen an offenen Grabes Rand,
Die Stirn an den Boden geschlagen, die langen Arme gerungen,
Die silberumsäumten Flechten weit durch die Lüfte geschwungen:
[221] Jetzt ragen sie leblos, – wie erstarrt in stummem Weh',
Gleich wie auf Sipylos die steinerne Niobe.
Das Espenlaub nur zittert, das graue, immerrege.
Die Heerde, während der Heimkehr sonst immer matt und träge,
Erwartet jetzt nicht den Hirten, es schaaren sich eilig die Haufen,
Um, der Weide nicht achtend, rasch nach Hause zu laufen.
Der Bulle scharrt mit den Klauen, wühlt mit dem Horn in der Erde,
Mit unheilkündendem Brüllen erschreckt er die ganze Heerde;
Die Kuh mit dem großen Aug' blickt wieder und wieder hinauf,
Öffnet verwundert das Maul und seufzt gen Himmel auf;
Dort, weiter, grunzt das Mastschwein, knirscht mit den Zähnen und schnaubt,
Und rafft sich Garben zusammen, die es zum Vorrath raubt.
Versteckt sind die Vögel: im Wald, im Söller, im hohen Feld, –
Nur Krähen haben sich schaarweis um die Teiche gestellt,
Wo sie gemessenen Schritts nun auf und nieder gehen,
Mit schwarzen Augen empor zum schwarzen Himmel spähen,
Aus trockenem Schlund die Zunge vorstrecken, in weitem Rad
Die Flügel entfalten – so warten sie auf das frische Bad:
Doch sehen auch sie das Wetter zu drohend näher zieh'n,
Und, wie eine Wolke emporschwebt, flieh'n sie zum Walde hin.
Nur noch die Schwalbe sieht man, den unvergleichlichen Schwingen
Übermüthig vertrauend, pfeilschnell die Wolken durchdringen, –
Dann fällt sie, wie eine Kugel, herab.
In dem Moment
War eben in Soplicowo der wüthende Kampf zu End',
Die Schlachta birgt sich schaarweis in die Häuser und Scheuern,
Das Feld verlassend, wo bald den Kampf, den ungeheuern,
Die Elemente beginnen.
Noch schwand im Westen nicht ganz
Das Licht von der Erde: ein düst'rer, gelblich-rother Glanz;
Die Wolke entrollt ihre Schatten, wie eines Netzes Maschen,
Fängt auf die Reste des Lichts, – und wie um die Sonne zu haschen,
Bevor sie versinkt, so fliegt sie ihr vor auf ihren Wegen.
[222] Schon hört man Wirbel um Wirbel pfeifend am Boden fegen,
Einer jagt den Andern und wirft aus dunklem Schooß
Tropfen, wie Hagelkörner, rund und hell und groß. –
Nun aber entbrennt der Ringkampf, die Wirbel reißen entzwei,
Die Winde schlagen sich, drehen sich, kreisen in brausender Reih'
Über den Teichen, trübend bis in die Gründe greift es, –
Jetzt stürzen sie auf die Auen, durch Sträucher und Gräser pfeift es,
Die Äste zerkrachen, – wie ausgeraufte Haare eilen
Grasschwaden und Garbenlocken vorüber. Die Winde heulen,
Werfen sich auf den Acker, balgen, wühlen, beißen,
Um endlich dem dritten Wirbel ein Thor durch die Schollen zu reißen,
Der aus dem Acker auffährt als schwarzschollige Säule,
Als fliegende Pyramide sich hinwälzt, – mit wildem Geheule,
Den Grund mit dem Kopf durchbohrt und in die himmlische Ferne
Sand aufwirft von den Füßen in die Augen der Sterne.
Er bläht sich, verbreitert sich – oben erschließt sich ein weiter Mund,
Und zum Gewitter trompetet des Riesenhornes Schlund!
Da stürzen die Winde mit all' dem Chaos von Flut und Staub,
Von ausgerissenem Grün, von Stroh und Ästen und Laub,
Hinein in den Wald und brüllen auf den pfadlosen Wegen,
Wie Bären, durch die Wildniß.
Und schon plätschert der Regen
Wie aus dichtem Sieb. Da donnert's in wuchtigen Schlägen!
Die Tropfen fließen zusammen, – bald wie gerade Saiten,
Himmel und Erde verfechtend durch die unendlichen Weiten,
Bald strömt es, wie aus Eimern, schichtweis, mit aller Macht.
Schon liegen Himmel und Erde wie in finst'rem Schacht,
Nacht deckt sie – und der Sturm, der schwärzer als die Nacht.
Manchmal zerbirst der Umkreis von einem zum andern Saum:
Der Engel des Sturms erstrahlt als Riesensonne im Raum –
Dann wirft er über's Antlitz das Grabtuch, wie zuvor,
Flieht in den Himmel und donnernd schließt er das Wolkenthor.
Und voller strömt es hernieder, laut und lauter pfeifen
Die Winde, – das Dunkel dicht und körperhaft, fast zum Greifen.
Nun plätschert es leiser; ein Weilchen schläft des Donners Wuth,
Wieder erwacht er, brüllt, – noch eine Regenflut;
[223] Bis Alles sich beruhigt. Nur der Regen rinnt
Murmelnd, – und die Bäume um's Haus durchrauscht der Wind.
Das kam heut' wohl erwünscht! Denn Wetter und Regenguß
Verhüllten das Schlachtfeld, zerstörten die Brücken über den Fluß,
Überschwemmten die Wege; so hat die Gewitternacht
Zur unzugänglichen Veste das ganze Vorwerk gemacht.
Heut' also konnte von dem, was sich mit der Schlachta begab,
Die Gegend noch nichts erfahren; Alles war still, wie das Grab:
Und eben vom Geheimniß hing ja ihr Schicksal ab. – –
Beim Richter ist große Berathung; – da liegt, auf's Bett gestreckt,
Der Bernhardiner, bleich, erschöpft und blutbefleckt,
Jedoch bei völlig gesunden Sinnen. Er ertheilt
Befehle, die der Richter rasch zu vollziehen eilt.
Er bittet den Kämm'rer hinein, läßt Rykow zu sich führen,
Ruft auch den Schließer dazu, dann versperrt man die Thüren.
Eine volle Stunde wird so geheim berathen.
Zuletzt wirft Hauptmann Rykow einen Beutel Dukaten
Auf den Tisch hin und fährt mit folgenden Worten darein:
»Das soll ja, ihr Herren Polen, bei euch ein Grundsatz sein,
Daß jeder Russe ein Dieb ist. Nun, fragt wer, sagt ihm dies:
Ihr hättet einen Russen gefunden, dieser hieß
Nikita Nikitycz Rykow, war Hauptmann – hatt' acht Medaillen,
Drei Kreuze, bitte zu merken, für verschied'ne Bataillen.
Diese Medaille für Oczakow, die für Ismailow,
Die für die Schlacht bei Novi, diese für Prejsiz-Ilow 1,
Die: weil er an Korsakow's Rückzug von Zürich theilgenommen,
Hat auch einen Degen für Tapferkeit bekommen,
Ferner: vom Feldmarschall Anerkennungen dreimal,
Viermal Erwähnungen, vom Kaiser Belobungen zwei mal,
Alles schriftlich –«
»Aber, aber, Hauptmann, sag',«
Versetzt nun Robak, »was denn aus uns hier werden mag,
Wenn du dich jetzt nicht einigst! Gabst uns doch das Wort,
Die Sache zu begleichen!«
[224] »Ich geb's auf's Neu, sofort.
Da habt ihr's! Will ich euch denn verderben, liebe Herrn?
Ich bin ein ehrlicher Mann, ich hab' euch Polen gern,
Denn ihr seid lustige Leute, mit euch ist gut zu saufen,
Und seid auch tapfere Leute, mit euch ist gut zu raufen.
Wir Russen haben ein Sprichwort: Fährt Einer auf dem Wagen,
Kommt er auch oft darunter; man schlägt, man wird geschlagen;
Heut' vorne, morgen hinten. Ei, was sollt's da geben,
Um bös zu sein? Das ist so bei uns Soldatenleben.
Bös sein um Verluste! wo nähm' man so viel Grimm
Und Galle her? – Der Tag von Oczakow war schlimm:
Bei Zürich vernichtete uns der Feind die Infanterie,
Bei Austerlitz verlor ich die ganze Compagnie,
Wie ich Sergeant war, fiel mein P'loton, bei Raclawice,
Von eures Kosciuszko Sensen; – was thut's? Bei Maciejowice
Hab' ich dann selbst zwei tücht'ge Schlachcicen niedergemacht,
Einer war Mokronowski, der am Tag der Schlacht
Vor der Front mit seiner Sense auf- und abschritt,
Und einem Kanonier die Hand sammt Lunte abschnitt. –
O! Ihr Polen, ihr! ja, Vaterland! meiner Seel'!
Ich fühl's! ich, Rykow, bedaur' euch: doch ist's des Czaren Befehl!
Was gehen die Polen uns an? Polen gehör' den Polen,
Rußland den Russen! – was hilft's! der Czar hat's anders befohlen!«
Darauf der Richter: »Herr Hauptmann! daß Ihr ein ehrlicher Mann,
Das wissen wir; Keiner von unsern Landsleuten zweifelt daran,
Bei denen Ihr seit so vielen Jahren einquartiert.
Freund, über diese Gabe seid nicht indignirt;
Wir haben Euch damit nicht zu verletzen geglaubt;
Wir wußten, Ihr seid nicht reich, – drum haben wir's uns erlaubt.«
»Ach!« rief Rykow, »die Jäger! die ganze Truppe vernichtet,
Meine Truppe! Der Plut hat Alles angerichtet!
Er ist der Commandant, – wird, was er angestellt,
Beim Czaren vertreten müssen! – Ihr aber, behaltet dies Geld;
An meinem Hauptmannssold ist wohl nicht viel Gewinn,
Doch für ein Pfeifchen Tabak, ein Pünschchen, reicht er hin.
[225] Euch hab' ich gern, mit euch ess' ich und trink' gemüthlich,
Tolle und plaudere mich aus, und lebe mir so gütlich.
Also, ich schütz' euch. Nimmt es gerichtlichen Verlauf,
So zeuge ich für euch, mein Manneswort darauf!
Wir sagen, daß wir einfach zu Besuch gekommen:
Hätten getanzt, getrunken, uns etwas übernommen, –
Plut commandirte ›Feuer,‹ es fuhr ihm so aus dem Mund,
Ein Kampf, – und nun, da ging halt das Bataillon zu Grund.
Ihr, meine Herrn, ihr schmiert nur die Procedur mit Gold,
Wir schwindeln uns schon heraus. Nun, – was ich sagen wollt' –
Ich sagt' es schon dem Schlachcic, dem mit langem Rappier:
Ich war im Commando der zweite, Plut war über mir.
Plut blieb am Leben, und wenn er mit irgend einer Finte
Euch eintunkt: das ist ein Fuchs, – dann sitzt ihr in der Tinte!
Das Maul muß man ihm stopfen mit einem Bankpapier.
Nun, Ihr, Herr Schlachcic, Ihr dort mit dem langen Rappier,
Wart Ihr schon beim Plut, was habt Ihr abgemacht?«
Gervasius sieht sich um, streichelt die Glatze sacht,
Erwidert gar nichts, winkt nur mit der Hand leichthin,
Als hätt' er schon Alles besorgt. Doch Rykow dringt in ihn:
»Nun, wird er schweigen, hat er's bindend zugesagt?«
Ergrimmt, daß ihn der Hauptmann mit seinen Fragen plagt,
Biegt Gervas den Daumen gewichtig zum Boden hinab,
Winkt mit der Hand, als schnitt' er alles Weitere ab,
Und sagt: »Ich kann's bei meinem Federmesser beschwören:
Plut verräth nichts – Niemand wird je was von ihm hören.«
Läßt dann die Hände sinken, die Finger leis' erknattern,
Als ließ' er das ganze Geheimniß aus den Händen flattern.
Der dunklen Geberde braucht er nichts mehr hinzuzufügen:
Die Hörer verstehen: Jeder forscht in des Andern Zügen,
Nach langem düst'rem Schweigen sagt Rykow: »Der Wolf hat geraubt,
Nun fiel er selbst zum Raub«. Der Kämm'rer schüttelt das Haupt:
»Requiescat in pace!« sagt er vor sich hin.
»Nun,« schloß der Richter, »es ist ein Finger Gottes darin;
Ich bin des Blutes nicht schuldig, – ich wußt' nicht, was geschah.«
[226] Der Mönch fuhr auf vom Kissen und saß verdüstert da,
Dann sagt er und blickt den Schließer scharf an: »Die Sünd' ist groß!
Einen Gefangenen tödten, der wehr- und waffenlos!
Am Feind selbst Rache zu nehmen, hat Christus untersagt;
Gott wird Euch richten, Schließer, wenn Euch dies Blut verklagt;
War's dumme Rache, so kommt Euch nichts Milderndes zu Gute, –
Es mildert nur, wenn's gescheh'n pro publica salute.«
Der Schließer schüttelt Haupt und Hand mit leichtem Muthe,
Und blinzelnd wiederholt er: »Pro publica salute«.
Von Plut ward nichts mehr gesprochen; man sucht' ihn im ganzen Haus
Am nächsten Tag, – man setzte eine Belohnung aus
Für seine Leiche: vergebens! es wurde nichts gefunden,
Als wär' er in's Wasser gefallen, so war er spurlos verschwunden.
Was aus ihm geworden? so Manches erzählt die Mähr',
Doch wußte man nichts Bestimmtes, nicht damals, noch nachher.
Wenn man den Schließer quälte, wenn das Fragen nicht ruhte:
Er sagte nichts, als nur: Pro publica salute.
Der Wojski war im Geheimniß; doch schwieg der würdige Mann,
Durch's Ehrenwort gebunden, wie unter einem Bann.
Rykow verließ das Zimmer, da Alles beglichen war;
Auf Robak's Geheiß erscheint nun die tapfre Schlachtaschaar,
Und ernst beginnt der Kämm'rer: »Brüder! im heutigen Streite
Neigte der Segen Gottes den Sieg auf unsere Seite;
Aber, ihr Herrn, ich muß euch ohne Beschönigung sagen,
Die Kämpfe zur Unzeit können böse Früchte tragen.
Wir haben gefehlt, wir Alle; Robak hat gefehlt,
Weil er seine Berichte zu eifrig herumerzählt;
Der Schließer und die Schlachta verstanden sie wieder verkehrt:
Der Krieg mit Rußland ist noch lange nicht erklärt.
Denjenigen, die an dem Kampf am thätigsten theilgenommen,
Kann nun der Aufenthalt in Lithauen schlecht bekommen:
Ihr müßt in's Herzogthum, ihr Herrn, so rasch ihr könnt, –
Und namentlich Mathias, der sich den Täufer nennt.
Scheermesser, Kännchen, Thaddäus, eilt über den Niemen fort,
Die Heerschaar unseres Volkes erwartet die Brüder dort.
[227] Wir geben die ganze Schuld euch Flüchtigen und Plut,
Und retten den Rest des Stammes vor des Feindes Wuth.
Lebt wohl, wir seh'n uns bald; – in sicherer Zuversicht
Erwarten wir für den Frühling der Freiheit erstes Licht,
Und Lithauen, das euch heute sieht in's Elend geh'n,
Als sieggekrönte Befreier wird's bald euch wiederseh'n!
Der Richter bereitet zur Reise Alles, was euch nöthig,
Auch ich bin gern nach Kräften mit Geld zu helfen erbötig.«
Klug ist des Kämmerers Rath, das muß sich die Schlachta sagen,
Denn wer mit dem russischen Czaren sich einmal zertragen,
Wird's nimmer mit ihm auf Erden zu wahrem Frieden bringen.
Er muß in Sibirien modern oder weiter ringen. –
Sie blicken einander an, und seufzen stumm-beklommen,
Dann nicken sie, zum Zeichen, daß sie's angenommen.
Der Pole, dem man ja nachrühmt, daß er mehr, als das Leben,
Sein Land liebt, ist doch immer bereit, es aufzugeben,
In die Fremde zu wandern, die Jahre dort hinzubringen,
Heimatlos und im Elend, mit Welt und Schicksal zu ringen,
So lang' ihm noch im Sturme und in des Glücks Ruinen
Die Eine Hoffnung leuchtet: dem Vaterland zu dienen.
Alle erklären, sofort zur Fahrt bereit zu sein;
Nur dem Herren Buchmann leuchtet das nicht ein:
Buchmann, ein kluger Mann, hielt sich vom Kampfe fern.
Doch zur Berathung kam er, abstimmen will er gern.
Der Antrag gefällt ihm, er will nur, daß man's anders mache,
Er will ihn entwickeln, tiefer eingeh'n in die Sache;
Möcht' aber vorher eine legale Commission
Um Ziele, Mittel, Arten der Emigration
Nebst vielem Andern gründlich zu ziehen in Betracht –
Schade, daß es die Kürze der Zeit unmöglich macht,
Den Vorschlag auszuführen, den Buchmann eingebracht.
Rasch nimmt die Schlachta Abschied und tritt die Reise an.
Der Richter aber hielt Thaddäns zurück, und begann
Also zum Priester: »Zeit ist's, daß du auch weißt fortan,
[228] Woran es für mich seit gestern keinen Zweifel giebt:
Daß nämlich unser Thaddäus Soschja wahrhaft liebt.
So halt' er um sie an, bevor er von dannen fährt;
Ich weiß von Telimene, daß sie es nicht mehr wehrt.
Auch Soschja ist mit unsrem Willen einverstanden.
Und können wir heut' das Paar noch nicht mit ewigen Banden
Vereinen, so möcht' ich sie doch verloben, vor der Reise.
Ein junges Wandererherz wird auf so manche Weise
Versucht; – doch sieht der Jüngling nur sein Ringlein an,
Und gemahnt es ihn, er sei schon Ehemann,
Da kühlt sich gleich das Fieber versuchender Leidenschaft.
Glaub' mir: ein solches Ringlein hat doch große Kraft.
Ich selbst, – vor dreißig Jahren – fühlt' mich sehr hingezogen
Zum Fräulein Martha, und auch sie war mir gewogen.
Wir wurden verlobt; dem Bunde gab Gott den Segen nicht,
Ließ mich auf Erden allein – und nahm in sein Glorienlicht
Des Wojski, meines Freundes, Kind, so traut und lieb.
Erinnerung war das Einz'ge, was mir hienieden blieb,
An ihre Tugend, an den Reiz, der sie umfing, –
Und hier an meinem Finger der goldne Ehering:
So oft ich ihn nur ansah, stand deutlich, wie im Leben,
Der Seligen Bild vor mir, und so hat's Gott gegeben,
Daß ich bis heute treu blieb der Braut, die ich erwählt:
So bin ich ein alter Wittwer, und war doch nie vermählt.
Wiewohl es im Haus des Wojski noch eine Tochter giebt,
Recht hübsch, und ihr recht ähnlich, die ich so sehr geliebt!«
So spricht er, wehmuthvoll blickt er auf's Ringlein nieder,
Wischt mit der umgewandten Hand die nassen Lider,
Dann schließt er: »Bruder, was meinst Du? Verloben wir die Zwei?
Er liebt sie – und Telimene und Soschja stimmen bei.«
Da tritt Thaddäus zu ihnen und nimmt mit Feuer das Wort:
»Wie dank' ich's je dem guten Oheim, der immerfort
Sich um mich müht und immer mein Glück im Aug' behält?
Ach, ich wär' der glücklichste Mensch in Gottes Welt,
[229] Mein guter Ohm, wenn Soschja heute meine Braut wird,
Und wenn sie mir in Zukunft als Gattin angetraut wird;
Dennoch sag' ich es offen: diesen Verlobungsbund
Können wir heut' nicht feiern; aus so manchem Grund.
Fragt mich nicht weiter. Wäre Soschja zu warten geneigt,
Vielleicht hab' ich in Kurzem mich würdiger, besser gezeigt,
Vielleicht werd' ich durch Treue ihrer Liebe werth,
Vielleicht ist meinem Namen ein Bischen Ruhm bescheert;
Vielleicht führt uns zur Heimat bald wieder ein gut Geschick,
Dann ruf' ich Euch dies Versprechen in's Gedächtniß zurück.
Auf den Knieen begrüß' ich mein theures Mädchen dann:
Und wenn sie dann noch frei ist, halt' ich um sie an.
Jetzt scheid' ich, vielleicht auf lange; inzwischen kann sich's finden,
Daß ihr ein Andrer gefällt; ich will sie jetzt nicht binden.
Jetzt, da ich's nicht verdient, nichts mir ein Recht verleiht:
Um Gegenliebe bitten – das wär' Nichtswürdigkeit.«
Während der junge Bursche innig die Worte spricht,
Entquellen zwei große Thränen, wie Perlen, rein und licht,
Den großen blauen Augen, und leuchten um seine Lider
Und über die rosigen Wangen rollen sie rasch hernieder.
Soschja aber hatte, im Alkoven versteckt,
Durch eine Ritze gelauscht: sie hört, wie er sich entdeckt,
Wie er geradezu, so kühnlich und bewußt,
Die Liebe bekennt – das Herz erbebt ihr in der Brust –
Sie hat die Thränen auch in seinen Augen geseh'n;
Seine dunklen Reden kann sie wohl nicht versteh'n:
Er liebt sie – warum? verläßt sie – weßhalb? wo reist er hin?
Sie faßt's nicht, aber die Reise betrübt sie tief im Sinn.
Sie ist geliebt – die große, die wundersame Kunde,
Sie hört sie zum ersten Mal, aus eines Jünglings Munde.
So läuft sie hin und nimmt vom kleinen Hausaltar
Ein Bildchen, es stellt die heil'ge Genovefa dar,
Dabei stand ein Reliquienschreinchen, mit dem Wamms
Des heiligen Joseph, des hochgelobten Bräutigams,
Patrones aller Verlobten – sie nahm denn Bild und Schrein,
Und mit den Heiligthümern tritt sie in's Zimmer ein:
[230] »Ihr reist so rasch? So nehmt die kleine Gabe hier
Mit auf den Weg, und nehmt die Mahnung auch von mir:
Reliquienschrein und Bildchen, dies mein kleines Geschenk,
Tragt immer bei Euch und seid auch Soschja's eingedenk.
Der liebe Gott geleit' Euch immer in Heil und Glück
Und führ' Euch baldigst wieder glücklich zu uns zurück.«
Verstummend senkt sie das Haupt, – die Augen, die blauen, hellen,
Schließt sie: als schon die Wimpern von Thränen überquellen,
So stand das Mägdlein, schweigend, festgeschlossen die Lider,
Und, wie Brillanten, rollen ihr die Thränen nieder.
Thaddäus nimmt die Geschenke, küßt ihr die Hand und spricht:
»Fräulein, ich muß nun scheiden – lebt' wohl, vergeßt mich nicht!
Lebt wohl – gedenket meiner – und betet für mich oft –
Soschja! –« Mehr kann er nicht sprechen –
Der Graf, der unverhofft
Inzwischen mit Telimenen eingetreten war,
Betrachtete gerührt das scheidende junge Paar
Und sagte dann, mit einem Blick auf Telimene:
»O wie viel Schönheit ist doch in dieser schlichten Scene!
Wenn sich der Schäferin Herz vom Herzen des Kriegers trennt,
Wie ein Nachen vom Schiff, im stürmenden Element!
Fürwahr! nichts macht so heiß das Innerste entbrennen,
Als wenn sich Seel' und Seele so von einander trennen.
Die Zeit ist wie der Wind: bläst aus die schwache Kerze,
Den Brand facht sie nur an! Ich fühl's, daß auch mein Herze
Aus der trennenden Ferne noch mächt'ger lieben kann! –
Herr Soplica! ich sah Euch als Rivalen an:
Der Irrthum war dann mit ein Grund zum leidigen Zank,
Der mich wider Euch das Schwert zu ziehen zwang:
Nun seh' ich's: Euer Seufzen galt dieser Schäferin,
Ich aber gab mein Herz der schönen Nymphe hin.
Mög' unser Groll im Blut des Feindes untergeh'n!
Wir wollen nicht mit dem Mordstahl gegen einander steh'n:
Nein, anders sei er entschieden, unser Liebeszwist:
Kämpfen wir, wer der Stärk're an treuer Liebe ist!
[231] Wir Beide verlassen den theuern Gegenstand unsrer Gefühle:
Beide eilen wir fort in's Schwerter- und Lanzengewühle:
Wetteifern wir an Treue, an Leid und Liebesharm,
Und beugen wir unsre Feinde mit starkem Mannesarm!«
Hier blickt er auf Telimene, – sie weiß nicht, was zu sagen,
Schweigend steht sie da, von Staunen ganz geschlagen.
»Graf!« sagt der Richter, »warum wollt Ihr denn durchaus fort?
Bleibt doch auf Euren Gütern! Nichts bedroht Euch dort!
Die arme Schlachta kann die Regierung schinden und schlagen,
Ihr aber bleibt ja ganz: das könnt' Ihr Euch selber sagen.
Ihr kennt doch uns're Regierung, reich seid Ihr auch dabei; –
Die Hälfte Eurer Renten kauft Euch vom Kerker frei.«
»Das stimmt nicht mit meinem Charakter!« rief Jener, »ich muß in's Feld!
Liebhaber kann ich nicht sein: so werd' ich denn ein Held!
Den Tröster Ruhm, ihn ruf' ich in meinem Liebesharm!
Unselig ist mein Herz, – gewaltig sei mein Arm!«
Da fragt ihn Telimene: »Wer wehrt Euch wohl zu lieben
Und glücklich zu sein?« – »Ich bin von meinem Verhängniß getrieben,
Von namenloser Ahnung, die sich auf dunklem Pfad
Hindrängt zu fremden Landen, zu ungeheurer That!
Ja, ich gesteh's: heut' wollt' ich zu Telimene's Ehren
Die Flammen entzünden an Hymens heiligen Altären:
Da strahlte des Jünglings Beispiel mir vor in hehrem Glanz!
Freiwillig riß er vom Haupte seinen Hochzeitskranz,
Und eilt, an Kampf und Hemmniß die Seele zu erproben,
Im Wandel der Geschicke, in blutigem Kriegestoben!
Eine Epoche ersteht auch mir am heut'gen Tag!
Einst hallte Birbante-Rocca von meines Schwertes Schlag:
Töne der Wiederhall durch Polen in siegendem Lauf!«
Spricht's und schlägt voll Stolz an seinen Degenknauf.
»Nun,« sagt der Mönch, »wer tadelte wohl ein solch' Gelüsten,
Geht nur, nehmt Geld, Ihr könntet eine Truppe rüsten,
Wie Wladimir Potocki, der Frankreichs Staunen erregt hat,
[232] Der eine Million für unsern Schatz erlegt hat.
Dominik Radziwill verließ so Güter und Haus,
Und rüstete zwei Reiterregimenter aus.
Geht, geht und nehmt nur Geld mit, es fehlt in keiner Weise
An Händen, aber an Münze. Geht, Bester, glückliche Reise!«
Telimene sieht auf mit wehmuthvollem Blick:
»Weh'!« ruft sie aus, »ich sehe, Nichts hält dich zurück!
Mein Ritter, wenn du eintrittst in des Kampfes Schranken,
Blick' auf die Farbe der Dame, in liebevollem Gedanken« –
Hier reißt sie ein Band vom Kleid, macht eine Kokarde draus,
Und steckt sie ihm an die Brust – »durch der Geschütze Gebraus
Mög' dich die Farbe begleiten durch das Geklirr der Degen,
Durch das Blitzen der Speere, durch dampfenden Schwefelregen.
Und wenn du mit tapfern Thaten dir hehren Ruhm erringst,
Und mit unsterblichem Lorbeer die Sturmhaube umschlingst,
Die blutige, und den Helm, stolzragend im Siegerglück,
Wend' auch dann noch dein Auge zu dieser Kokarde zurück,
Gedenke, wessen Hand dir angesteckt dies Band!«
Der Graf kniet hin und küßt die dargereichte Hand:
Sie hat ihr Taschentuch an's linke Aug' erhoben,
Und mit dem rechten blickt sie nieder auf ihn, von oben, –
Der Graf nimmt Abschied, mächtig gerührt. – Sie seufzte zwar,
Aber sie zuckte die Achseln.
Der Richter tritt zum Paar:
»Geht nun, mein lieber Graf, eilt Euch, es ist schon spät.«
Und finster ruft der Mönch: »Genug denn, eilt Euch, geht!«
Robak's und des Richters gebieterisches Wort
Trennt so die Beiden und treibt sie aus dem Zimmer fort.
Indessen hat sich Thaddäus zum Onkel hingewandt,
Hielt ihn weinend umschlungen, dann küßt' er Robak die Hand.
Robak drückt die Stirn des Burschen an sein Herz,
Kreuzt die Hände über sein Haupt – und, himmelwärts
Das Aug' ausschlagend, sagt' er: »Geh' mit Gott, mein Sohn!«
Und weint laut auf. – Thaddäus war aus dem Zimmer schon.
[233] »Wie,« fragt der Richter, »Bruder, so laßt Ihr ihn fort?
Ihr sagt ihm Nichts, der arme Bursch erfährt kein Wort,
Auch jetzt nicht, vor der Reise?« – »Nichts,« sprach der Priester fest,
Und weinte lang, das Antlitz in die Hände gepreßt,
»Was hilft's dem Armen, wenn er jetzt einen Vater entdeckt,
Der wie ein Schurke, ein Mörder, war vor der Welt versteckt.
Gott weiß, ich möcht' es gern! doch für mein sündiges Leben
Sei ihm auch dieser Trost als Opfer hingegeben.«
»Nun,« sagt der Richter, »ist's Zeit, den Blick auf dich zu lenken.
Alt und krank, wie du bist, das mußt du doch bedenken,
Kannst du nicht mit den Andern in die Verbannung zieh'n;
Du weißt ein Häuschen, sagst du, um dahin zu flieh'n;
Wo ist's? Die Pferde warten. Schnell! Lenken wir unsre Schritte
Nicht am besten zur Wildniß, in die Försterhütte?«
Robak schüttelt das Haupt. »Das hat noch gute Weile
Bis morgen früh. Jetzt schicke zum Pfarrer, in aller Eile,
Er komme, so bald wie möglich, mit dem Leib des Herrn.
Nun bleib' du hier, mit dem Schließer. Halt' alle Andern fern.
Schließe die Thür.«
Der Richter thut Alles, wie er will,
Und setzt sich zu ihm auf's Bett; Gervas steht sinnend und still,
Lehnt mit dem Ellenbogen am Degenknaufe fest,
Und hält die gesenkte Stirne auf die Hände gepreßt.
Robak richtet die Blicke, eh' er zu sprechen begann,
In langem geheimnisvollen Schweigen zum Schließer hinan;
Und wie der Chirurg, bevor er den Stoß mit dem Messer führt,
Zuerst mit weicher Hand die wunde Stelle berührt:
Also mildert Robak seinen durchdringenden Blick,
Schweift über des Schließers Antlitz hin und wieder zurück,
Bis er endlich die Augen in die Rechte barg,
Als wollt' er blind zustoßen, – und dann sagt' er stark:
»Ich bin Jacek Soplica« –
[234] Kaum ist ihm das Wort entflogen,
Erbleicht der Schließer, wankt, und halb vornüber gebogen,
Bleibt er erstarrend stehen, hangend auf Einem Bein,
Wie ein aus der Höhe geworf'ner, jäh aufgehaltner Stein.
Breit öffnet er den Mund, hell drohen die Zähne hervor,
Aufreißt er weit die Augen, sein Schnurrbart sträubt sich empor,
Den Degen, der ihm entsunken, hält er mit einem Ruck
Fest zwischen den Knie'n, – die Rechte stößt mit mächtigem Druck
Auf den Griff: der Degen, hinter ihm hingezogen,
Schwingt mit der langen schwarzen Spitze in zitterndem Bogen;
So stand er, wie ein verwundeter Luchs auf dem Baume steht,
Bevor er dem Schützen in's Aug' springt: zum Knäuel aufgebläht,
Knurrt er, in den Blicken erglüht ihm blutiger Glanz,
Unruhig zuckt das Schnauzhaar, wild schlägt er mit dem Schwanz.
»Herr Rembajlo,« sagt Robak, »schon ist mir ewig fern
Die Furcht vor Menschenzorn: ich fühle die Hand des Herrn.
Im Namen Deß, der für die Welt erlitt den Tod,
Der seine Mörder gesegnet in der Todesnoth,
Und Gnade dem Schächer verheißen: laßt jetzt vom Zürnen ab,
Und hört geduldig an, was ich zu sagen hab'!
Bekannt' ich's doch selbst. Ich muß, soll ich beruhigt sterben,
Vergebung von Euch erwerben, und wenigstens um sie werben;
Hört jetzt meine Beichte geduldig bis zu Ende,
Dann macht mit mir, was Ihr wollt.« Hier faltet er beide Hände,
Wie zum Gebet; der Schließer tritt achselzuckend zurück
Und schlägt sich vor die Stirn, mit hocherstauntem Blick.
Und Robak erzählt nun, wie er mit Horeszko verkehrt,
Und wie er für seine Tochter heiße Liebe genährt,
Wie er mit dem Truchseß darob gerieth in Fehde; –
Doch erzählt er verworren, mischt öfters in die Rede
Anklagen und Worte des Weh's; oft hält er mitten innen,
Als wär' er schon zu Ende, um dann auf's Neu' zu beginnen.
Der Schließer, genau vertraut mit der Horeszko Geschichte,
Ordnet im Geiste all' die verworrenen Berichte
Und kann sie leicht ergänzen. Der Richter weiß dagegen
[235] Sich Vieles von dem Erzählten gar nicht auszulegen.
Gesenkten Hauptes lauschen Beide auf jedes Wort, –
Und Jacek spricht in immer längern Pausen fort
Und bricht oft mitten ab:
»Du weißt's ja, liebster Schließer, wie oft mich der Truchseß in's Haus
Zum Mahle lud – da bracht' er meine Gesundheit aus,
Erhob das Glas – wie oft! – und rief mit allem Feuer:
Jacek Soplica sei ihm vor allen Freunden theuer!
Wie er mich an's Herz schloß! Alle, die das sah'n,
Meinten, er gäbe die Seele für mich hin! – O Wahn!
Er ein Freund? Er wußte, was zu jener Zeit
In meiner Seele vorging!
Indessen flüsterte davon schon Freund und Feind;
Der Erste Beste sagt mir: Ei, Herr Soplica, mir scheint,
Ihr concurrirt vergebens; es sitzt die Grafenkron'
Doch ein Wenig zu hoch für Jacek Mundschenksohn.
Ich lachte, that, als spottet' ich der Aristokraten
Und ihrer Töchter, und scheerte mich nicht um die Magnaten,
Nur aus Freundschaft gescheh' es, wenn ich mit ihnen verkehre,
Und wünschte mir ein Weib nur aus der eignen Sphäre. –
Und doch! die Späße hatten mich bis in's Herz getroffen,
Ich war ja jung und tapfer, die Welt stand mir ja offen:
In einem Lande, wo ein geborener Edelmann
Gleich dem ersten Magnaten, König werden kann!
Hat doch Tenczynski einst ein Königskind verlangt,
Und hat sie von dem König ohne Anstoß erlangt!
Und steh'n denn die Soplica's hinter Tenczynski zurück,
An Blut, an Wappen, an Treue im Dienst der Republik?
Wie leicht zerstört man And'rer Glück im Ubermuth
Eines Moments! Ein Leben macht's dann nicht wieder gut!
Ein Wort des Truchseß: wie glücklich ein Paar geworden wär'!
Wer weiß, wir lebten vielleicht noch jetzt – vielleicht auch Er –
Bei seiner schönen Eva, bei seinem glücklichen Kind,
Bei seinem dankbaren Eidam, wär' er so ruhig, so lind
Gealtert – hätte vielleicht die süßeste Augenweide,
[236] Hätt' Enkel gewiegt! – Und nun? Vernichtet hat er uns Beide!
Und sich –! Und diese Mordthat! Und Alles, was sie erzeugt,
Die Sünden, die ich begangen, das Elend, das mich gebeugt!
Ich hab' kein Recht, zu klagen – ich nahm ihm das Leben,
Ich hab' kein Recht, zu klagen – von Herzen sei ihm vergeben:
Aber auch Er –
Wär' er nur einmal offen abweisend aufgetreten!
Er wußte ja Alles – hätt' er sich meine Besuche verbeten!
Wer weiß, ob ich nicht fort wär' – ich hätt' es hart gefunden,
Hätte gezürnt, gescholten – schließlich den Grimm verwunden.
Doch er, voll schlauer Hoffart, ersann ein neues Spiel,
Gab sich den Anschein, daß er gar nicht darauf verfiel,
Als ob ich solch ein Bündniß mir setzen könnt' zum Ziel!
Er brauchte mich: ich hab' viel mit der Schlachta verkehrt,
Allen Landedelleuten war ich lieb und werth,
So that er denn, als merkt' er gar nichts von all' den Dingen,
Empfing mich weiter, wie sonst, ja, pflegt' in mich zu dringen,
Ich möchte öfter kommen; und so oft es geschah,
Daß ich mit ihm allein war, und so oft er sah
Mein Aug' von Thränen verdunkelt – die Brust, zu voll der Pein,
Schon nah' dem Ausbruch: kalt warf er sofort darein
Ein Wort von Jagden, Processen, Versammlungen –
Ach, wenn er so oft beim Becher, wenn er so erwarmte,
Seine Freundschaft betheuerte, mich so innig umarmte,
Weil er mein Schwert, meine Stimme für sich von Nutzen wußte,
Wenn ich aus Höflichkeit ihn wieder umarmen mußte:
Da kocht' es in mir, daß ich den Schaum im Mund zerbiß,
Und krampfhaft mit der Hand am Griff des Säbels riß,
Ausspeien wollt' ich auf solche Freundschaft, den Säbel zücken –
Doch, weiß Gott, wie: an meiner Haltung, an meinen Blicken
Sah Eva, was in mir vorging, – und sie errieth mich gleich:
Und flehend sah sie mich an, die Wangen wurden ihr bleich –
Und das war ein so schönes Täubchen! ach, so mild!
Und hatt' ein Aug', so freundlich, so sonnig, – ein himmlisch Bild!
Daß mir sogleich, ich weiß nicht, aller Muth gebrach,
[237] Sie zu erzürnen, zu ängstigen, – daß ich nichts mehr sprach.
Und ich, vor dem die größten Herren einst gebebt,
Der ich nicht einen Tag lang ohne Händel gelebt,
Ich, der berühmteste Raufbold, der ich – das sagt noch wenig:
Dem Truchseß nichts verzieh'n hätt' – nein, nicht einmal dem König,
Ich, dem beim kleinsten Zank gleich grimmig schwoll der Kamm,
Ich, damals voll Wuth, betrunken, – ich schwieg, als wie ein Lamm,
Als hätt' ich das Sanctissimum erblickt! –
Wie oft war ich bereit, ihm Alles zu gestehen,
Ja, selbst den Stolz zu verbeißen und ihn anzuflehen. –
Doch wenn ich ihm in's Aug' sah, in diesen eisigen Blick,
Da schämt' ich mich der Schwäche und wieder hielt ich's zurück!
Und möglichst kalt begann ich, wilde Glut im Herzen,
Von Jagden, Prozessen zu plaudern – ja, ich begann zu scherzen!
Stolz war's, ja wohl! – um meinem Namen nichts zu vergeben,
Um nicht vergebens die Hände zu einem Herrn zu erheben,
Um mich keiner beschämenden Abweisung auszusetzen;
Denn was hätte die Schlachta da gehabt zum Schwätzen,
Wenn ich – Jacek –
Daß ein Horeszko einen Soplica von sich wies,
Daß man mir, Jacek, die schwarze Suppe reichen ließ!
Schließlich, wie eben Einer, der keinen Ausweg kennt,
Beschloß ich, mit einem kleinen Schlachtaregiment
Die Heimat zu verlassen, für immer, – irgendwohin
Nach Rußland oder in die Tartarei zu zieh'n
Und Krieg zu beginnen. – Ich geh', ihm Lebewohl zu sagen,
Ich hoffe, wenn er Den sieht, der doch in allen Lagen
Zu ihm gehalten, wenn er den Freund, den altbewährten,
Ich darf ja sagen: Hausfreund, wenn er den treuen Gefährten,
Mit dem er so lang vereint war, beim Becher, wie im Feld,
Nun scheiden sieht und fortzieh'n in die weite Welt:
Daß es den Alten doch rührt, ein wenig zur Güte neigt,
Das er mir doch ein Bischen menschliches Fühlen zeigt,
Nur, wie die Schnecke das Fühlhorn!
[238] Ach, wenn nur ein Fünkchen Liebe glimmt auf des Herzens Grunde
Für einen Freund, so ringt sich in der Scheidestunde
Bei seinem Lebewohl dies Fünkchen noch an's Licht,
Wie das letzte Flämmchen des Lebens aus sterbendem Auge bricht!
Beim letzten Kusse, auf des Freundes Stirn gepreßt,
Hat doch das kälteste Auge schon eine Thräne genäßt!
Die Arme – wie sie vernahm, ich scheide: ward sie bleich,
Bewußtlos sank sie hin, wär' fast gestorben gleich,
Sie brachte kein Wort heraus, nur aus dem Augenpaar
Strömten die Thränen – ich sah, wie theuer ich ihr war!
Da sind mir – zuerst, seit ich lebe – stromweis die Thränen geronnen,
Ich vergaß mich, ich raste, vor Jammer und vor Wonnen;
Schon wollt' ich niederfallen, mich winden um seine Knie,
Wie eine Schlange, – und rufen: Vater! Gieb mir sie!
Oder gieb mir den Tod! – Und siehe, der Truchseß begann,
Starr, höflich, kalt, wie eine Salzsäule – was fing er an?
Was? was? Von der Tochter Hochzeit! – O! hört – in dem Moment!
O Gervasius! Freund! – Ihr seid ein Mensch, Ihr kennt
Ein menschlich Fühlen!
Er sprach: ›Herr Soplica, bei mir
War eben des Castellanssohns Brautwerber; – nun, und Ihr,
Was meint Ihr? Ihr seid mein Freund: so sagt, wie dünkt das Euch?
Ihr wißt, ich habe eine Tochter, schön und reich,
Und der Cast'lan – von Witepsk! Das ist ja im Senat
Ein niedriger, hölzerner Sitz; Bruder, was ist dein Rath?‹
Was ich ihm drauf gesagt hab', ich weiß nichts mehr davon,
Wahrscheinlich nichts; – ich stieg zu Roß und war entfloh'n!«
»Jacek!« rief der Schließer, »du findest gar kluge Gründe:
Was hilft es? Sie vermindern doch nicht deine Sünde!
Hat man es doch auf Erden schon nicht selten erlebt,
Daß Einer nach einem Herrnkind, ja Königskind gestrebt,
Er sucht' es zu entführen, schleppt' es gewaltsam fort, –
Rächte sich offen: aber ein solcher Meuchelmord!
An einem Polen, in Polen – und mit den Russen im Bund!«
[239] »Nein – nicht im Bund!« sagt Jacek, aufklagend von Herzensgrund –
»Gewaltsam entführen? O wohl! Mich hätten nicht Riegel, noch Gitter
Von ihr getrennt! dies Schloß, zerschlagen hätt' ich's in Splitter!
Ich konnt' auf Dobrzyn, auf vier Edelweiler bauen:
Ach, wär' sie nur gewesen, wie unsre Edelfrauen,
So gesund und kräftig! Hätte nur Flucht und Jagen
Sie nicht geängstigt, hätte sie Waffengeklirr vertragen!
Aber, die Ärmste: die Eltern hatten vor jedem Stäubchen
Sie so behütet! Ein schwaches, furchtsames Schmetterlingsräupchen,
Ein Frühlingswürmchen! – und sie berühren mit eherner Hand,
Sie rauben – es hieß: sie tödten! Nein, ich war's nicht im Stand,
Ich konnte nicht – nein!
Mich offen rächen? Dies Schloß im Sturm in Trümmer zerbrechen?
Schmach! Der Verschmähte, hieß' es, wollt' für den Korb sich rächen!
O Schließer, redliche Seele! wißt Ihr denn und kennt,
Was im verwundeten Stolz für eine Hölle brennt?
Der Hochmuthsteufel begann mir bess're Gedanken zu wecken, –
Mich blutig zu rächen, aber der Rache Grund zu verdecken,
Das Schloß zu meiden, Eva dem Vergessen zu weihen,
Die Liebe auszurotten, eine Andre zu freien,
Und dann – dann irgend einen Vorwand vom Zaun zu brechen,
Dann mich zu rächen!
Und Anfangs schien mir, daß ich das Richtige erwählt,
Daß ich es schon verwunden, – und ich hab' mich vermählt,
Mit dem ersten armen Mädchen, das ich fand:
Ich that nicht gut, wie strenge strafte mich Gottes Hand!
Ich liebte sie nicht. Sie gab meinem Thaddäus das Leben,
Es war die redlichste Seele, mir so ganz ergeben!
Aber noch kochte der alte Groll, die alte Liebe!
Ich war wie rasend; ich warf mich in das Wirthschaftsgetriebe,
In weltlichen Geschäften wollt' ich mich selbst vergessen –
Vergebens, Alles vergebens! Vom Dämon der Rache besessen,
Aufbrausend, böse, konnt' ich nicht Trost, noch Frieden finden,
In Nichts in der Welt! Und so fiel ich von Sünden in Sünden,
Ergab mich dem Trunk –
[240] Bald starb mein Weib vor Jammer; vereinsamt blieb ich hier
Mit diesem Kind, – und die Verzweiflung fraß an mir!«
»Wie heiß, wie innig mußt' ich die Unselige lieben!
So viele Jahr'! – Wo hab' ich mich nicht herumgetrieben!
Und kann sie noch nicht vergessen, und immer noch, süß und mild,
Steht klar, wie ein Gemälde, vor mir das theure Bild!
Ich trank, doch die Erinn'rung konnt' ich nicht ertränken;
Ich reiste – nirgends, nirgends wollt mir's Ruhe schenken!
Jetzt – im Mönchskleid, – bin ja ein Diener Gottes, – und hier:
Auf dem Lager, im Blut – und sprach so lang von ihr!
In diesem Moment, dergleichen? Gott wird es verzeih'n,
Ihr müßt wissen, in welcher Verzweiflung, in welcher Pein
Ich es vollbracht –
Es war nach ihrer Verlobung. Man hörte zu jener Zeit
Von gar nichts Anderem sprechen. Es hieß auch weit und breit:
Als Eva vom Wojewoden das Ringlein hab' genommen,
Hätte sie eine Ohnmacht, ein Fieber überkommen,
Sie schluchze unaufhörlich, die Schwindsucht stelle sich ein;
Man fügte hinzu, es dürfte heimliche Liebe sein.
Aber der Truchseß, – wie immer, ruhig, gelaunt auf's Beste,
Lud seine Freunde auf's Schloß und gab da Bälle und Feste;
Mich lud er nicht mehr – wozu? Wer nützte mich jetzt aus?
Mein schändliches Laster, mein Elend, das Wirrsal in meinem Haus,
Sie gaben mich der Verachtung, dem Hohn der Menschen Preis!
Ich: einst – ich darf es sagen, – allmächtig im ganzen Kreis,
Ich, den Fürst Radziwill einst Herzbruder hieß,
Ich, den ein Hofstaat umgab, so oft ich den Weiler verließ,
Zahlreicher, als die Schranzen, die einen Fürsten umringen, –
Und wenn ich den Säbel zog, gleich blitzten tausend Klingen
Und schleuderten in die Schlösser der Herren Schreck und Graus:
Und nun, nun lachten mich die Bauernkinder aus!
So klein ward ich auf Einmal – ein dürres, morsches Holz:
Jacek Soplica! – Wer's fühlt, was das ist: der Stolz –«
Er spricht es, als er plötzlich matt zusammenbricht;
Ergriffen rief der Schließer: »O Gottes großes Gericht!
[241] Wahr! wahr! Du also bist es? Jacek? Soplica du?
Du in der Kutte? du brachtest dein Leben als Bettler zu?
Du, den ich noch vor mir seh', so roth, gesund und jung!
Ein schöner, ein herrlicher Schlachcic: Der Männer Huldigung!
Der Frauen Raserei! – Schnauzbart! Daß Gott erbarm'!
Ist's denn so lang'? So wurdest du denn so alt vor Harm?
Wie hab' ich dich nur nicht an jenem Schuß erkannt,
Als du den Bären getroffen mit deiner Meisterhand?
Denn keinen Schützen kannte Lithauen neben dir,
Und warst ja auch, nach Matschek, der Erste im Rappier!
Ja! ja! Es sangen einst von dir die Edelfrauen:
Seht! Jacek dreht den Schnurrbart, da zittern alle Gauen,
Und wem er an seinem Schnurrbart will ein Knötchen dreh'n,
Wär's auch Fürst Radziwill, ihm wird der Muth vergeh'n.
Auch meinem Herren drehtest du so ein Knötchen zu, –
Unseliger! Also du bist es? In diesem Stande – du?
Jacek Schnauzbart ein Bettelmönch! – Gottes großes Gericht!
Aber auch jetzt, auch jetzt entgehst du der Strafe nicht!
Ich schwor's: wer einen Tropfen Horeszkoblut vergoß –«
Indessen setzte sich Robak im Bette auf und schloß:
»Ich ritt um die Burg. O welch ein Heer von Teufeln mich quälte,
Im Kopf, im Herzen, – wer sie nennte, wer sie zählte!
Der Truchseß bringt sein Kind um, mich hat er schon umgebracht,
Vernichtet! – Ich reite an's Thor, mich lockt des Satans Macht;
Sieh', wie er schwelgt! Im Schloß tagtäglich ein Gelage!
Wie braust die Musik in den Sälen! die Fenster hell, wie am Tage!
Und dieses Schloß: es stürzt ihm nicht über den kahlen Kopf?
Denk' nur an eine Unthat, gleich hat dich Satan beim Schopf.
Kaum daß ich an die Rache mir nur zu denken getraute,
So schickt' er mir die Russen. Erst stand ich da und schaute –
Du weißt, sie stürmten das Schloß –
Falsch ist es ganz und gar,
Daß ich mit den Russen im Einverständniß war –
[242] Ich schaute: Durch den Kopf schwirrte mir allerhand;
Erst sah ich's mit dummem Lachen, wie ein Kind einen Brand;
Dann aber fühlt' ich plötzlich mörderische Freude,
Ich warte – ha! es brennt bald! es kracht bald, dies Gebäude!
Das waren meine Gedanken – zuweilen fiel mir ein,
Hinzuspringen, sie zu retten, zu befrei'n,
Ja, selbst den Truchseß –
Ihr wehrtet euch tapfer, tüchtig, voll Umsicht, wie du weißt;
Ich staune: wie es die Russen ringsum zu Boden reißt!
Das Vieh, es schießt so schlecht! Ich sehe sie weichen, erliegen –
Da packt mich die Wuth: Der Truchseß! soll er nun wieder siegen!
Und so soll ihm denn Alles, Alles gelingen auf Erden?
Der schreckliche Überfall auch zum Triumph ihm werden? –
Fortritt ich voll Scham. Der Morgen dämmerte hell um' s Haus;
Da seh' ich ihn! erkenn' ihn! Er tritt auf den Gang hinaus,
Sein brillantner Hemdknopf blitzt im Sonnenschein,
Stolz dreht er sich den Schnurrbart, stolz blickt das Auge darein;
Da war mir, als säh' er mich, als gälte just mir sein Hohn,
Als streckt' er so die Hand aus, mich zu höhnen, – zu droh'n!
Jetzt reiß' ich einem Russen die Flinte weg, – an's Schloß
Leg' ich die Finger kaum, fast zielt' ich nicht – – es schoß!
Du weißt – –
Verfluchte Feuerwaffe! Wer mit dem Schwert erschlägt,
Legt sich doch aus, dringt ein, parirt doch, rührt sich und regt,
Er kann den Feind entwaffnen, einhalten mitten im Schwung; –
Doch diese Feuerwaffe! das Schloß nur berühren – ein Sprung
Des Fünkchens! – ein einz'ger Moment! –
Floh ich, als ich von oben dich auf mich zielen sah?
In deine beiden Läufe starrend, stand ich da,
Von Reue, von seltsamem Jammer, wie an den Boden gepfählt!
Warum, ach, lieber Gervasius, warum hast du damals gefehlt?
Ein Gnadenschuß wär's gewesen! – Aber mit höherem Preis
Sollt' ich büßen ...«
[243] Hier geht ihm der Athem aus. »Gott weiß,«
Sagte der Schließer, »ich hätte dich gerne niedergeschossen!
Wie viel des Blutes hast du mit diesem Schuß vergossen!
Wie viel Elend auf uns und auf die Deinen gebracht!
Ach, Herr Jacek, das Alles, das hast du gemacht.
Und doch, als die Jäger den Grafen auf's Korn genommen heute,
Den letzten der Horeszko, wenn auch von Mutterseite,
Hast du ihn geschützt, und als die Russen mich bedroht,
Warfst du mich hin und rettetest so uns Beide vom Tod.
Bist du ein Ordenspriester, bist du's in Wirklichkeit,
So schützt vor'm Federmesser dich freilich das Ordenskleid.
Leb' wohl! Ich bleib' nicht länger bei euch – wir sind zu Ende;
Das Andere, – das legen wir in Gottes Hände.«
Jacek streckt die Hand aus – der Schließer schlägt nicht ein:
»Ich kann nicht«, sagt er, »ohne mein Wappen zu entweih'n,
Die Hand berühren, die sich befleckt mit solchem Blute,
Und zwar aus Rache, nicht pro publica salute.«
Und Jacek sinkt ermattend auf sein Lager zurück,
Wird immer bleicher – fragt mit unruhvollem Blick
Den Richter nach dem Pfarrer, und ruft: »Gervasius!
Bleibt, ich beschwör' Euch drum! ich komme bald zum Schluß!
Kaum hab' ich Kraft genug – ach, es ist bald vollbracht!
Herr Schließer, bleibt! ich sterbe noch in dieser Nacht!«
»Was, Bruder?« rief der Richter, »die Wunde sah ich ja,
Sie ist nicht groß! – Den Pfarrer? Bruder, was sagst du da?
Den Arzt vielmehr! kann sein, daß man sie schlecht versah –
Zur Apotheke –!« – Robak fällt ein: »Das braucht's nicht mehr!
Ich hatte dort einen ältern Schuß, von Jena her,
Schlecht verheilt und nun geritzt – ich kenn' das gut,
Der Brand ist eingetreten: seht her, das schwarze Blut!
Hier frommt kein Arzt! Doch wer wird um dergleichen sorgen?
Man stirbt nur Einmal – sei's nun heute oder morgen!
Herr Schließer! vergebt Ihr mir? ich muß zu Ende kommen –
Es ist ein Verdienst, am Lande nicht zum Missethäter
[244] Zu werden, wenn das Land dich ausschreit als Verräther!
Zumal, wen so, wie mich, der Stolz nicht ruhen läßt!
Der Name ›Verräther‹ klebte an mir, als wie die Pest.
Es wandten von mir ihr Antlitz die Edlen und die Herrn,
Die alten Freunde floh'n mich; die Furchtsamen grüßten von fern
Und wichen mir aus; der erste beste Bauer sogar,
Der erste beste Jude, er verbeugte sich zwar,
Doch abseits schlug er ein gell durchbohrend Gelächter auf.
›Verräther‹ klang mir's im Ohr – hallte in fliegendem Lauf
Im Haus, im Felde wieder; immer fort und fort,
Wie ein Stern im kranken Auge, tanzte vor mir dies Wort, –
Wohin ich mich wandte, – vom Morgen bis zum Abendlicht –
Und ein Verräther am Lande war ich ja dennoch nicht!
Die Russen betrachteten mich durchaus als Einen der Ihren.
Die Güter des seligen Truchseß ließ man confisciren,
Und einen großen Theil bekamen die Soplica;
Ein Staatsamt boten mir dann die Leute von Targowica. 2
Hätt' ich mich damals vermoskaut – wie ja Satan es rieth:
Ich war schon reich und mächtig – aber als Convertit,
Wär' ich bei allen Magnaten ein vielgesuchter Gönner;
Selbst die Schlachta, das Volk, das seine eignen Männer
So leicht verkleinert, läßt's doch Jenen, die Moskau dienen,
Hingeh'n! Die Glücklicheren finden Verzeihung bei ihnen –
Ich sah's – und doch – ich konnt's nicht –
Ich floh aus dem Land, –
Wo bin ich nicht gewesen, was hab' ich nicht gelitten!
Bis mir Gottes Gnade die einzige Heilung wies:
Gutwerden, hieß es nun – und, in wie weit sich's ließ,
Gutmachen auch – –
Die Tochter des Truchseß und ihren Gemahl, den Wojewoden,
Verschickte man nach Sibirien; dort starb sie, auf fremdem Boden,
In jungen Jahren; ließ im Land hier Soschja, ihr Kind –
Ich ließ es erzieh'n –
[245] Mehr thörichter Stolz, als Liebe, trieb mich einst, zu morden –
Also: Demuth! hieß es – ich bin ein Mönch geworden;
Ich, einst ein Renommist, – der stolze Soplica, ich –
Ich senkte das Haupt, ein Bettelmönch! und ich nannte mich:
Robak, – Robak, der Wurm: daß, wie ein Wurm im Staub –
Das böse Beispiel für's Land, der Anreiz zum Verrath,
Er mußte durch gutes Beispiel gesühnt sein – durch die That,
Durch Blut und Aufopferung –
Ich kämpfte für' Land – wo? wie? verschweig' ich. Irdische Ehre
War's nicht, was mich getrieben in's Toben der Kugeln und Speere –
Lieber gedenk' ich – nicht der lauten, tapfern Thaten,
Nein – dessen, was mir im Stillen zu Andrer Heil gerathen,
Und der Leiden, die Niemand –
Nicht selten gelang es mir, in's Land mich durchzuschlagen,
Nachrichten zu gewinnen, Befehle herüberzutragen,
Verhandlungen zu führen. – Wohl ist dies Mönchsgewand
Auch den Galiziern – auch den Großpolen bekannt –
Auf preußischer Festung mußt' ich ein Jahr lang Steine tragen,
Russische Stöcke haben mir dreimal den Rücken zerschlagen,
Kam auch schon nach Sibirien – die Österreicher haben
Mich in die Löcher des Spielbergs zur Zwangsarbeit vergraben,
In's Carcer durum – und Gott hat mich mit Wunderarmen
Befreit, und hat in seinem ewigen Erbarmen
Inmitten meines Volks zu sterben mir vergönnt,
Mit seinem Sacrament –
Vielleicht, wer weiß? vielleicht versündigt' ich mich auch jetzt –
Hab' rascher, als mir befohlen, den Aufstand in's Werk gesetzt,
Daß zuerst die Soplica's in Waffen dasteh'n sollen,
Daß das Reiterbanner zuerst die Meinen entrollen,
Dieser Gedanke, – er scheint ja rein – –
Du wolltest Rache? du hast sie! Durch dich hat Gott mich gerichtet,
Durch dein Schwert meine Pläne zerhauen und vernichtet;
[246] Den Faden der Verschwörung, den ich so lange gesponnen,
Du hast ihn verwirrt! Das Ziel, darob ich mein Leben gesonnen,
Das große, das letzte Gefühl, das mich auf Erden bewegt,
Das, wie das liebste Kind, gehegt ich und gepflegt,
Vor des Vaters Augen hast du's erschlagen, du!
Und ich hab' dir verzieh'n –«
»Daß nur,« versetzt der Schließer, »der Himmel ein Gleiches thu'!
Mönch Jacek, – naht das Sanctissimum dir in der Todespein,
So bin ich kein Lutherischer, kein Schismatiker –, nein!
Wer Sterbende betrübt, ich weiß, versündigt sich.
Ich sag' dir etwas: sicher ist das ein Trost für dich.
Wie damals mein Herr getroffen hinsank neben mir,
Und ich mich über ihn beugte, und knieend mein Rappier
In seine Wunde tauchte und blutige Rache schwor:
Da schüttelte er das Haupt, und streckte die Hand zum Thor, –
Zu dir – und zeichnete ein Kreuz in die Lüfte hin –
Er konnt' nicht sprechen, doch hieß das: er habe dem Mörder verzieh'n.
Und ich verstand's; doch war ich so grimmig aufgebracht,
Daß ich des Kreuzes nie mit einem Wort gedacht.«
Hier machen die Schmerzen des Kranken dem Gespräch ein End'.
Ein langes, langes Schweigen. Man wartet auf's Sacrament.
Da hört man Hufe ertönen. Athemlos stürzt herein
Jankiel, ein Blatt in der Hand: er zeigt's nur Jacek allein.
Jacek giebt's dem Bruder, befiehlt, es laut zu lesen.
Ein Brief von Fischer, der damals Chef des Stabs gewesen
In Poniatowski's Armee. Das Schreiben aber bestellt,
Im Rath des Kaisers sei schon die Entscheidung gefällt:
Krieg! – Der Kaiser erklär' es schon der ganzen Welt.
Der große Reichstag sei nach Warschau bereits citirt,
Und, von den Masovischen Ständen feierlich proclamirt,
Erfolgt auch Lithauens Anschluß.
Wie Jacek es hört, da drückt er
An's Herz die geweihte Kerze, und leise betend blickt er
Zum Himmel auf – im Auge glänzt freudiger Hoffnung Licht,
[247] Die letzten Freudenthränen netzen sein Angesicht:
»Nun!« ruft er, »nimm in Frieden, Herr, deinen Knecht zu dir!«
Alle knieen nieder. Da hört man vor der Thür
Ein Glöcklein: es kam der Priester mit dem Leib des Herrn.
Die Nacht ging schon zur Neige, es schwinden Stern um Stern;
Und auf des Himmels weite milchweiße Fläche malen
Zarten, rosigen Glanz die ersten Sonnenstrahlen.
Brillantne Pfeile des Lichtes fallen durch's Fenster herein,
Das Bett, das Haupt des Kranken umkränzt ihr Widerschein,
Vergoldet Schläfen und Antlitz dem sterbenden Erdensohne,
Und, wie ein Heiliger, glänzt er in der Feuerkrone.

Fußnoten

1 Wahrscheinlich Preußisch-Eylau.

2 Der Truchseß scheint um's J. 1791, während des ersten Krieges, erschlagen worden zu sein. (Vgl. Anm. 3)

Eilfter Gesang

[248] Eilfter Gesang.
Das Jahr 1812.

Frühlingsbotschaft. 1 – Einmarsch der Armeen. – Gottesdienst. – Amtliche Rehabilitation des seligen Jacek Soplica. – Gervasius' und Protasius' Gespräche deuten auf eine baldige Beendigung des Processes hin. – Der Uhlane mit seinem Mädchen. – Entscheidung des Streites wegen Mutz und Falk. – So versammeln sich denn die Gäste zum Festmahl. – Die verlobten Paare werden den Feldherrn vorgestellt.


Du Jahr! wer dich gesehen einst in uns'rem Land!
Du wirst noch heut' vom Volk das Erntejahr genannt.
Und vom Soldaten das Kriegsjahr; die Mähr' der Alten erneut
Dich gern noch jetzt; das Lied, es singt von dir noch heut'.
Längst warst du durch ein Wunder des Himmels kundgethan,
Und ein dumpf Gerücht ging dir im Volk voran.
Die Lithauer überkam, sobald sich dein Lenz erhellt,
Ein seltsam dunkles Ahnen, wie vor dem Ende der Welt,
Irgend eine Erwartung, so bang und doch so lieb.
Als man zum ersten Mal das Vieh auf die Weide trieb,
Sah man, daß es, obgleich verhungert und abgezehrt,
Sich an die Wintersaat, die grünende, nicht gekehrt:
Es hat sich nur hingelegt, den Kopf geneigt, und laut
Gebrüllt, – oder am Rest des Winterfutters gekaut.
Die Bauern auch, die pflügend das Frühlingsfeld durchzieh'n,
Sie freuen sich nicht, wie sonst, daß endlich der Winter dahin;
[249] Sie singen keine Lieder, arbeiten matt und träge,
Als wenn ihnen Saat und Ernte gar nicht im Sinne läge;
Halten die Ochsen und Klepper beim Eggen immer zurück,
Und schauen nach Westen hin, schauernd, mit bangem Blick,
Als zöge aus jener Ferne irgend ein Wunder daher –
Und bangend sehen sie der Vögel Wiederkehr.
Denn schon kam der Storch zur heimischen Fichte wieder,
Entfaltet das Heroldsbanner des Frühlings: sein weiß Gefieder;
Ihm folgen die Schwalben, fliegen schreiend durch die Räume,
Besetzen in langen Schaaren der Wasser Ufersäume,
Und graben aus starrer Scholle Klümpchen für's Nest. – Im düstern
Gebüsche hört man Abends Waldschnepfenzüge flüstern,
Sieht wilde Gänse brausend über dem Walde schwärmen,
Dann matt auf's Futter stürzen unter lautem Lärmen.
Aus dunkler Himmelstiefe tönt immer der Kraniche Klagen, –
Die Wächter der Nacht vernehmen's, da schauern sie und fragen:
Was brach denn für ein Tumult im fliegenden Reiche aus?
Was für ein Sturmwind treibt so früh die Vögel hinaus?
Da siehe: neue Schaaren! Brachvögel, scheint es, Finken,
Gimpel und Staare: Schwärme von Büschen und Fähnlein blinken
Hell auf den Höhen ringsum, – jetzt stürzen sie in's Gefilde:
Reiter! – Die Trachten! die Waffen! Seltsam neue Gebilde!
Heerschaar auf Heerschaar – inmitten strömen durch alle Straßen,
Wie geschmolzener Schnee, erzstarrende Heeresmassen –
Schwarz wimmelt der Wald von Mützen, die Bajonnete glänzen, –
Und Fußvolk, wie Ameisen, ohne Zahl und Grenzen!
Alles nach Norden! Als käme mit den Vögeln zugleich
Das Volk auch her zu uns, aus fernem Sonnenreich,
Von dunklem Trieb gedrängt, von unbegreiflicher Macht!
Rosse, Menschen, Kanonen, Adler – Tag und Nacht
Strömt's hin! Am Himmel hie und da ein Feuerschein,
Die Erde bebt – zur Rechten, zur Linken blitzt es drein!
[250] Krieg! Krieg! Kein Winkel in Lithauen, wohin sein Donner nicht schallt!
Der Bauer, der da nistet im finstern, wilden Wald,
Deß Ahnen und Eltern hier geboren sind und begraben,
Ohn' über die Grenzen des Waldes hinausgeblickt zu haben,
Dem keine andern Stimmen Himmel und Erde erfüllen,
Als droben der Stürme Toben und drunten der Bestien Brüllen,
Der keine Gäste außer den Waldgenossen gekannt:
Jetzt sieht er den Himmel glüh'n von wundersamem Brand, –
Es kracht im Wald – was war's? die Kugel von einem Geschütz,
Vom Schlachtfeld verirrt: im Dickicht bricht sie sich Bahn, wie der Blitz,
Äste und Stämme zerschmetternd. Der Graubart Ur, betäubt
Erzittert er im Moos, – die lange Mähne gesträubt,
Erhebt er sich auf den Vordertatzen – schüttelt den Bart,
Staunt, welche Glut er plötzlich zwischen den Klötzen gewahrt:
Eine verirrte Granate wirbelt dahin in den Forsten –
Braust, pfeift – und, wie ein Donner krachend, ist sie geborsten!
Der Ur erschrickt – zum ersten Male, seit er lebt,
Und flieht dahin, wo tiefstes Dickicht ihn begräbt.
Kampf! – Wo denn? fragt der Jüngling; fort will er in's Getümmel,
Greift zur Waffe; – die Frauen erheben die Hände zum Himmel,
Und weinend rufen sie, Alle des Sieges sicher schon:
»Mit Napoleon Gott – mit uns Napoleon!«
O Frühling! Wer dich bei uns geseh'n in jener Zeit!
Denkwürdiger Frühling des Krieges, Frühling der Fruchtbarkeit!
O Frühling, wer dich gesehen, voll üppiger Blüthen hangend,
Voll Garben und Grün – und hell von Menschenschaaren prangend,
Reich an Begebenheiten, voll Hoffnungen im Schoos!
Du stehst vor mir noch heut', du Traumbild, schön und groß!
In Knechtschaft geboren, als Säugling schon in Ketten gebannt,
Hab' ich im Leben nur Einen solchen Frühling gekannt!
Soplicowo war hart am großen Fahrweg gelegen,
Auf dem sich die beiden Feldherrn vom Niemen herbewegen:
[251] Prinz Joseph und der König von Westphalen, Jerôme. –
Schon ist von Grodno bis Slonim Lithau'n vom Heeresstrom
Bedeckt: da wird vom König dreitägige Rast befohlen.
Aber, trotz der Erschöpfung, beklagen sich die Polen,
Hier säumen zu müssen; sie möchten Zeit und Weg verkürzen,
Um sich, so rasch wie möglich, auf die Russen zu stürzen.
Der Stab des Prinzen hielt im nahen Städtchen an.
In Soplicowo lagern vierzigtausend Mann,
Und, Jeder mit seinem Stab, die Generale Dombrowski,
Kniaziewiez, Malachowski, Giedrojc und Grabowski.
Spät war's, als sie gekommen; so nimmt denn Jedermann
Quartier im Schloß, im Haus, – wo Einer eben kann.
Nachdem die Wachen bezogen und alle Befehle ertheilt,
War Alles, müd' vom Marsch, zur Ruh' in die Zimmer geeilt.
Nacht wird's – und Alles ruht: Haus, Lager und Gefilde;
Die Patrouillen nur streifen, wie irrende Schattengebilde,
Glimmende Lagerfeuer blinken da und dort,
Und die Reihen der Posten rufen das Losungswort.
Alles schläft: der Hausherr, die Feldherrn, die Soldaten.
Nur der Wojski muß des süßen Schlafs entrathen.
Denn für morgen will er ein Festmahl vorbereiten,
Das soll den Ruhm der Soplica's begründen für ewige Zeiten.
Ein Festmahl, würdig der theuern, längstersehnten Gäste,
Entsprechend zugleich des Tages hochfeierlichem Feste,
Denn morgen ist Kirchenfeiertag und Familienfeier,
Verloben sich doch morgen drei Damen und drei Freier. –
Dombrowski aber hatte ein polnisches Mahl begehrt.
Der Wojski steht als Meister mit fünf Köchen am Heerd,
Die warb er in letzter Stunde von den Nachbarn an.
Als Koch hat er ein weißes Vortuch umgethan,
Dazu eine Schlafmütze über den Kopf gezogen,
Die Ärmel heraufgeschürzt bis an die Ellenbogen.
Auch seine Fliegenklappe hält er in der Hand,
[252] Mit der er gierig Geschmeiß vom Leckerbissen bannt,
Setzt' mit der Linken auf das saubere Augenglas,
Zog ein Buch aus dem Busen, enthüllt's, schlug's auf und las.
Das Buch heißt: »Der vollkommene Koch« 2 – und es enthält
Die polnischen Specialitäten, ausführlich dargestellt.
Der Graf zu Tenczyn gab darnach in früherer Zeit
In Welschland jene Bankette, von deren Herrlichkeit
Papst Urban der Achte mit Bewunderung sprach. 3
Karl Radziwill-Herzbruder gab ebenfalls darnach
Zu Ehren seines Gastes, des Königs Stanislaus,
In Nieswiez jenen vielbesprochenen großen Schmaus,
Den heute noch die Sage des Lithauer Volkes preist.
Was nun der Wojski herausliest, erfaßt und machen heißt,
Das vollbringen sofort die Köche mit kundigem Geist.
Wie fliegt die Arbeit! Von fünfzig Messern tönt der Tisch,
Schwarz, wie die Teufel, tummeln sich die Jungen frisch,
Die bringen Holz herbei, die Kübel mit Milch und Wein,
Gleich strömt's in Kasserolen, Pfannen und Töpfe hinein,
Aufwallt der Dampf; zwei Jungen sitzen am Feuer und rühren
Die Glut mit Bälgen auf; man gießt, sie noch mehr zu schüren,
Auf Wojski's Befehl, geschmolzene Butter drüber aus –
Ein erlaubter Luxus in vermögendem Haus. –
Die Küchenjungen werfen dürres Reisig in's Feuer,
Man steckt an die Spieße Braten, mächtig, ungeheuer,
Rindfleisch und Eberrücken, Ziemer von Hirschen und Rehen;
Dort rupft man Haufen Geflügel, daß rings die Federn wehen,
Birkhähne, Auerhähne; auch Hennen wohl, – obschon
Nicht viele: denn seit jener Expedition,
Die Sack Dobrzynski beim Einritt gegen sie unternommen,
War ja Soschja's ganze Wirthschaft umgekommen;
Nicht für ein Medicament ließ Sack auch nur ein Stück!
Seitdem kehrte die Blüthe der Vögel nicht zurück:
Und einst war Soplicowo an Federvieh unvergleichlich! –
Fleischsorten aller Art gab es im Übrigen reichlich:
Alles war ausgenützt: Fleischbänke, Wälder und Haus,
[253] Die Nachbarn, nah' und fern; – fürwahr, von solchem Schmaus
Ließ sich sagen: es blieb nur die Milch der Vögel aus.
Zwei Dinge, die bei gastlichen Hausherrn stets in Gunst,
Verbinden sich bei den Soplica's: die Fülle und die Kunst.
Mariä Verkündigung, der festliche Tag, erstand:
Es war ein herrlicher Morgen. Rings um der Erde Rand
Schloß sich der reine Himmel, wie ein hangendes Meer,
Tief eingewölbt, still ruhend. Aus seiner Tiefe her
Glänzen noch einige Sterne, wie Perlen vom Meeresgrund;
Auffliegt ein weißes Wölkchen einsam am Himmelsrund,
Taucht seine Flügel in's Blau, den schwindenden Fittigen gleich
Des Schutzengels, der, festgehalten im irdischen Reich
Von nächtlichem Menschengebet, zu lange unten geweilt,
Und nun zurück zu seinen Himmelsbrüdern eilt.
Die letzten Sterne verschwanden – erloschen im Äthergrund,
Und mitten auf der Stirne erblaßt das Himmelsrund.
Die rechte Schläfe, die auf dem Schattenpfühl geruht,
Ist noch gebräunt, die linke erröthet in wachsender Glut;
Darüber erschließt sich der Umkreis, wie ein breites Lid,
Daß man das Weiße des Auges in der Mitte sieht,
Augapfel sieht man und Iris: und aus der Wimpern Kranze
Schießt nun der Strahl, umschwingt die Wölbung in blitzendem Glanze,
Und bleibt in der Wolke hangen wie eine goldne Lanze.
Auf diesen Schuß, dieses Zeichen, bricht Feuer aus dem Raum,
Es kreuzen sich tausend Raketen von einem zum andern Saum:
Und das Auge der Sonne geht aus! Noch schlummertrunken blickt es,
Blinzelt, zittert, mit den strahlenden Wimpern nickt es,
In sieben Farben zugleich erglänzt's im blauen Reich,
Saphirfarben, rubinroth und topasgelb zugleich,
Bis es nun durchsichtig, krystallgleich weithin loht,
Hell wird's, wie ein Brillant, zum Schlusse feuerroth,
Groß wie der Mond, den Raum durchflimmernd wie die Sterne:
So zieht die einsame Sonne durch die unendliche Ferne.
Heut' hat sich das Volk von Lithauen noch vor Tageshelle
Aus allen Dörfern im Umkreis versammelt bei der Kapelle,
[254] Als würd' ihm heute irgend ein neues Wunder kund.
Theils war es Frömmigkeit, – doch war auch mit ein Grund
Die Neugier: Nach Soplicowo, das haben Alle vernommen,
Sollen die Generale heut' zur Andacht kommen,
Jene berühmten Führer der polnischen Legionen,
Deren Namen sie kannten und ehrten gleich Schutzpatronen,
Deren Elend und Irren, deren Züge und Schlachten,
Sie als das Evangelium des Lithauer Volks betrachten.
Schon sind ein paar Officiere und viele Soldaten da.
Das Volk umrang sie und schaute, kaum glaubt' es, was es sah:
Landsleute in Monturen! Erstaunt betrachtet man Jeden:
Frei sind sie! und in Waffen! man hört sie polnisch reden!
Die Messe beginnt; nicht faßt das ganze Menschengewimmel
Die kleine Kapelle. Das Volk kniet unter freiem Himmel,
Entblößten Haupts blickt Alles in die Thür der Kapelle.
Das Haar der Lithauer, blond oder weiß: in gold'ner Helle
Erblinkt's nun, wie ein Ährenfeld im Sommerflor.
Es blüht auch manch geschmückter Mädchenkopf hervor,
Mit Pfauenaugen und Blumen geputzt, – als Schmuck der Zöpfe
Wallen Bänder herab: inmitten der Männerköpfe
Wie Radnelken im Korn, wie der Cyanen Blau.
Die bunte knieende Schaar bedeckt die grüne Au,
Und alle Köpfe neigen sich bei des Glöckleins Schallen,
Wie von des Windes Wehen die Ähren niederwallen.
Heut' bringen die Bäuerinnen an der Jungfrau Altar
Die erste Gabe des Frühlings, frische Sträußchen, dar.
Alles ringsum verzieren Bouquets und Kränzchen und Bänder:
Das Bild und den Altar, selbst Glockenthurm und Geländer.
Zuweilen fühlt man ein Lüftchen, das her vom Osten geht,
Die Blumen abreißt und auf's Haupt der Knieenden sät,
Und wie aus dem Weihrauchkessel Düfte herüberweht.
Und als in der Kirche Messe und Predigt zu Ende war,
Trat heraus, an der Spitze der ganzen versammelten Schaar
[255] Der Kämmerer, – seit Kurzem Marschall der Conföderirten, 4
Zu dem ihn die Stände des Kreises einstimmig proclamirten.
Er trägt Wojewoden-Ornat: den Zupan, in Gold gestickt,
Den Kontusz aus Gros-de-Tours, mit Fransen und Gürtel geschmückt,
Die Karabelle, – der Knauf belegt mit Schlangenfell;
Am Halse eine brillantne Nadel, groß und hell;
Die weiße Conföderatka schmückt ein Busch von theuern
Kleinen Federn, lauter Schöpfe von weißen Reihern; –
Büsche wie dieser gehören nur zu Festornaten,
Jedes einzelne Federchen kostet einen Dukaten. –
Auf einen Hügel steigt er, ihn umdrängen dicht
Die Bauern und Soldaten; er beginnt und spricht:
»Brüder! der Priester verkündete euch von der Kanzel soeben
Die Freiheit, die der Kaiser der Krone wiedergegeben,
Und jetzt dem Fürstenthum Lithauen und der ganzen Nation
Wiedergiebt; auch der Regierung Beschlüsse vernahmt ihr schon,
Und die den großen Reichstag berufende Proclamation.
Ich habe nur einige Worte an das Volk zu richten,
Um etwas betreffs der Familie der Soplica's zu schlichten,
Der hiesigen Herren.
Hier weiß gewiß noch alle Welt,
Was da der selige Jacek Soplica angestellt.
Wißt ihr aber Alle von seinem sündigen Treiben,
Sie mögen auch seine Verdienste nicht länger verborgen bleiben.
Anwesend sind allhier die Führer unsrer Heere,
Von denen ich Alles gehört, was ich euch nun erkläre.
Dieser Jacek starb nicht in Rom, wie man erzählt,
Er hat nur andres Leben und Namen und Stand erwählt,
Und was er an Gott und Heimat Böses je vollbracht,
Durch heiligen Wandel und große Thaten gut gemacht.
Als bei Hohenlinden Richepanse 5 nach großem Verluste
Sich schon zum Rückzug entschlossen, weil er gar nicht wußte,
Daß Kniaziewicz herannaht, um ihm Entsatz zu bringen:
Hat Jacek, Robak genannt, ihm mitten durch Speere und Klingen
[256] Von Kniaziewicz Briefe des Inhalts zugestellt,
Daß unser Heer dem Feinde in den Rücken fällt.
Er hat dann, als die Unsern nach Spanien gekommen,
Als uns're Uhlanen die Schanzen von Sommosierra genommen, 6
An Kozietulski's Seite im Feld zwei Wunden bekommen;
Ist dann mit geheimen Befehlen als Emissär gereist,
Um aller Orten zu forschen in der Menschen Geist,
Sie zu sammeln, zu einen in geheimem Bund.
Dann kam er, in Soplicowo, auf heimatlichem Grund,
Als er den Aufstand betrieb, bei einem Einritt um's Leben.
Von seinem Hintritt wurde in Warschau Nachricht gegeben
Gerade im Augenblick, als Kaiser Napoleon
Für frühere Heldenthaten ihm als verdienten Lohn
Verlieh'n das Officierskreuz der Ehrenlegion.
Alles dies nun erwägend, was zu erwägen galt,
Mach' ich, der Repräsentant der Wojewoden-Gewalt,
Kraft meines Marschallstabs euch Folgendes bekannt:
Daß durch des Kaisers Gnade, wie durch Verdienste um's Land
Jacek nun ausgetilgt den Makel der Ehrlosigkeit,
Der Ehre wieder theilhaft ward und eingereiht
In die Zahl der treuen und wahren Patrioten.
Wer also jemals der Familie des Todten
Die alte, getilgte Schuld noch vorzuwerfen wagt,
Verfällt für solchen Vorwurf, wie das Statut besagt,
Gravis notae maculae – im klaren Wortlaut steht,
Daß miles wie scartabellus 7 die Strafe auf sich lädt,
Der eines edelgeborenen Mannes Ehre schmäht;
Und weil jetzt Gleichheit herrscht, so bindet Artikel drei
Auch Bürger und Bauer – Niemand ist von der Weisung frei.
Der Gerichtsfrohn verkündigt dieses Marschallsdecret,
Der Schreiber fügt's in die Akten der Generalität.
Um noch auf's Kreuz der Ehrenlegion zu kommen:
So ist, weil es zu spät kam, der Ehre nichts benommen.
Giebt's ihm keinen Schmuck mehr für sein Leben ab,
So dien' es zum Gedächtniß: ich häng' es auf sein Grab,
[257] Drei Tage häng' es hier; dann find' es seine Stelle
Als Weihgeschenk für die heil'ge Jungfrau in der Kapelle.«
Spricht's und nimmt den Orden aus dem Futteral,
Und hängt ihn an's schlichte Kreuzchen über dem Grabesmal:
Es war ein weißes Sternkreuz, an rother Cocarde hangend,
Mit einer goldenen Krone, in hellem Glanze prangend;
Die Strahlen des Sternes funkeln im Sonnenlicht ringsum,
Als der letzte Abglanz von Jacek's irdischem Ruhm,
Während das ganze Volk zum Angelusgebet
Hinkniet und für den Sünder die ewige Ruh' erfleht.
Der Richter durchschreitet die Reihen der Bauern und der Gäste,
Lädt Alle nach Soplicowo, zum Mahl, zum heit'ren Feste.
Zwei Greise setzten sich dort vor'm Haus auf's Bänkchen hin,
Jeder hat eine Kanne voll Meth an seinen Knie'n;
Sie blicken in den Garten, wo, mitten im Mohn, am Beet,
Wie eine Sonnenblume, ein junger Uhlane steht,
In blitzendem Kolpak, mit Goldblech und Hahnenfeder geschmückt.
Und neben ihm ein Mägdlein, das ihm in's Antlitz blickt
Mit blauen Veilchenaugen: sie selbst in grünem Gewand,
Wie eine Raute am Erdreich. – Absichtlich weggewandt,
Pflücken die Mädchen Blumen, um nicht hinzuhören,
Um nicht die traute Zwiesprach der Liebenden zu stören.
Die Alten aber trinken, traktiren sich freundlich und froh
Aus der Borkendose, und plaudern dabei also:
»Ja, ja, mein Protäschen«, sagt Schließer Gervasius,
»Ja, ja, mein Gerväschen«, sagt Frohn Protasius,
»So ist's! Ja, ja!« wiederholen mehrmals Beide vereint
Und schütteln im Takt die Köpfe; – und Protasius meint:
»Ja, freilich, unser Proceß schließt seltsam, wie es scheint,
Doch ist's nicht ohne Beispiel: ich weiß von Processen,
Die unsern Streit noch weit übertroffen an Excessen,
Und doch hat der Ehecontract dann alle Nöthe geendigt!
So hat sich Lopot mit den Borzdobohaty's verständigt,
[258] Die Krepsztul's mit den Kupsc, Putrament mit Pikturno,
Mackiewicz mit den Odyniec und mit den Kwilecki Turno.
Was sag' ich! Polen und Lithauen lebten in ärgerem Streit,
Als jener, der die Soplica's mit den Horeszko entzweit!
Bis Königin Jadwiga schließlich zur Einsicht kam, 8
Und die Affaire ohne Gericht ein Ende nahm.
Ist nur ein Fräulein oder eine Wittwe zur Hand,
Dann ist's schon gut, dann kommt schon ein Compromiß zu Stand.
Am längsten dauert's mit der katholischen Geistlichkeit,
Auch bei naher Verwandtschaft währt es lange Zeit,
Denn da giebt's keine Ehen, zu endigen den Streit.
Drum bringt man Polen und Russen gar so schwer zusammen,
Die ja von Lech und Rus, zwei leiblichen Brüdern, stammen.
Drum hat sich's zwischen den Kreuzherrn und Lithauen fortgesponnen
In ewig langen Processen, – bis Jagiello gewonnen.
Endlich die Dominikaner mit Rymsza! Vor den Gerichten
Pendirte der Proceß und ließ sich lang nicht schlichten,
Schließlich gewann der Klostersyndikus, Pater Dymsza, –
Daher kommt auch das Sprichwort: Gott ist größer, als Rymsza.
Ich aber mache den Zusatz« (hier trank er ihm zu), »daß besser
Der Meth sei, liebster Schließer, als das Federmesser.«
»Wahr! wahr!« versetzt darauf Gervasius gerührt,
»Wundersam hat das Schicksal uns're Krone geführt,
Und unser Lithauen! Sind ja, wie zwei Gatten, Eins!
Gott eint sie, der Teufel trennt sie – Gott Sein's, der Teufel Sein's!
Ach, Bruder Protäschen! Daß uns'ren Augen dies bescheert!
Daß diese Kronleut' wieder bei uns eingekehrt!
Ich hab' mit ihnen zusammen gedient, vor vielen Jahren;
Ich weiß noch: was das tüchtige Conföderaten waren!
Hätt' er den Tag erlebt, der Truchseß, mein seliger Herr! –
O Jacek! Jacek! – Aber was soll heut' das Geplärr!
Sehen wir heute Lithauen sich mit Polen vereinen,
Ist Alles ja ausgeglichen, Alles ist im Reinen!«
»Und,« sagt Protas, »die Soschja! ist's doch auch wunderbar!
Jetzt nimmt sie unsern Thaddäus; und vor einem Jahr
[259] Ließ uns das ein Omen, ein Zeichen des Himmels, erkennen!«
»Fräulein Sophie!« unterbricht Gervas, »muß man sie nennen;
Sie ist kein kleines Ding mehr, das hat schon keinen Sinn!
Auch stammt sie von Magnaten – des Truchseß Enkelin!«
»Also, es war ein prophetisch Zeichen für ihr Leben,«
Fährt Jener fort, »es hat sich vor meinen Augen begeben.
Vor einem Jahr, da saß hier an einem Feiertag
Unser Gesinde beim Meth; sieh' da: mit Einem Schlag
Fallen zwei Spatzen vom Dach und raufen voller Zorn;
Zwei alte Männchen, – das Eine, Jüngere, war vorn
Ein Wenig grau, das And're schwarz. Den Hof entlang
Balgt denn das Paar und purzelt, daß es im Staub versank:
Wir sehen zu, indessen flüstern unsre Leute:
›Der Schwarze sei uns Horeszko, und Soplica der Zweite.‹«
War nun der Graue im Vortheil, schrie'n sie: »Soplica soll leben!
Pfui, Memme Horeszko!« Wollt' sich aber der Schwarze erheben,
So hieß es: »Ei Soplica! mußt dich zusammennehmen!
Nicht dem Magnaten weichen! Deß muß sich ein Schlachcic schämen!
So schauten wir lachend, wer den Andern überwindet:
Als Soschja, die mit den kleinen Kämpfern Mitleid empfindet,
Hinläuft und sie mit dem Händchen bedeckt. Das grimme Toben
Währte noch in der Hand fort, daß die Federn stoben –
Ein solcher Ingrimm steckte in dem kleinen Gelichter.
Die alten Weiber machen bedeutungsvolle Gesichter.
Seh'n Soschja an und flüstern: Ihr sei es gewiß beschieden,
Zwei längst entzweite Häuser zu einigen in Frieden. –
Heut' seh' ich, daß die Weiber die richtige Deutung trafen;
Zwar, das ist richtig, damals dachte man an den Grafen,
Und nicht an Thaddäus.«
Und Gervas versetzt darauf:
»Wer mag die Welt ergründen, gar seltsam ist ihr Lauf.
Auch ich will Euch etwas sagen, was kein Wunder zwar,
Wie jenes Omen, aber dennoch wunderbar.
Ich wollt' sie ja früher in einem Löffel Wasser ertränken,
Diese Soplica's; doch den Thaddäus, – könnt Ihr's denken? –
[260] Hatt' ich seit seiner Kindheit ganz unsäglich lieb.
Ich sah, wie er die Buben immer zu Paaren trieb,
So oft er raufte. Also, kam er auf's Schloß: sogleich
Hetzt' ich ihn allemal zu einem verwegenen Streich.
Alles ist ihm gelungen, sei es vom Thurm die Tauben,
Sei's von der höchsten Fichte ein Krähennest zu rauben,
Sei's von der Eiche die Mistel, Alles that er gern
Und konnt' es. Und ich dacht' mir: Unter glücklichem Stern
Ist Der geboren! Wenn er nur kein Soplica wär'! –
Und er, wer hätt' es gedacht? wird nun mein Schloßherr! Er,
Der Gatte Fräulein Sophie's, meiner Gebieterin!«
Hier halten sie inne, und trinken mit nachdenklichem Sinn;
Nur diesen kurzen Ausruf hört man hie und da:
»Ja, Herr Gervasius, ja!« – »Ja, Herr Protasius, ja!«
Der Vorraum stößt an die Küche; Rauchwolken ungeheuer
Entwallen den offenen Fenstern, wie von gewaltigem Feuer,
Und wie ein weißes Täubchen, blinkt aus dem Rauch empor
Die Mütze des Küchenmeisters: der Wojski schaut hervor,
Steckt den Kopf durch's Fenster über die Köpfe der Alten,
Lauscht schweigend, während die Beiden ihre Zwiesprach halten –
Reicht ihnen dann ein Untertäßchen voll Biscuit,
Und sagt: »Ein kleiner Imbiß! würzt euren Meth damit!
Und ich erzähl' euch ein Histörchen, wundersam,
Von einem Streit, der schließlich ein blutiges Ende nahm;
Wie Rejtan im Naliboker Gehölze Jagden hielt,
Und was er dem Herzog von Nassau für einen Streich gespielt.
Er hätt' ihm bald das Leben gekostet, dieser Streich,
Ich hab' die Herrn versöhnt – wie: das erzähl' ich gleich.«
Jetzt aber kommen die Köche dazwischen mit der Frage,
Wem er den Tafelaufsatz zu stellen übertrage.
So mußt' er fort. – Die Alten stärken sich mit Meth,
Und blicken dann wieder sinnend auf jenes Gartenbeet,
An dem der schlanke Uhlane mit dem Mägdlein stand.
Mit der Linken ergriff er eben ihre Hand, –
[261] Die Rechte hing in der Binde, denn der junge Mann
War verwundet, – und so sprach er das Mädchen an:
»Sophie, das wirst du mir durchaus noch sagen müssen,
Eh' wir die Ringe wechseln, denn das muß ich wissen.
Hätt' ich im vorigen Winter dein Wort auch leicht bekommen,
Was hat's zu sagen? Damals hab' ich's nicht angenommen;
Ein solch erzwungen Wort, was sollt' es mir auch frommen?
Du weißt: in Soplicowo hab' ich zu jener Zeit
Nur kurz verweilt – und bin nicht von solcher Eitelkeit,
Um mir einzubilden, wie die hohlen Gecken,
Daß schon mein Blick genügt hat, dir Liebe zu erwecken.
Ich wollt' durch ein Verdienst erringen deine Huld,
Und währt' es noch so lang', ich trüg' es in Geduld.
Jetzt bist du gütig genug, dein Wort auf's Neu zu geben:
Durch welch' Verdienst vermöcht' ich drauf Anspruch zu erheben?
Sag', nimmst du mich vielleicht – nicht weil es dein Herz befiehlt,
Nur weil dir Oheim und Tante diesen Bund empfiehlt:
Aber die Ehe, Soschja, ist eine gewichtige Sache,
Frag' dein Herz! und daß dich kein Ansehn irre mache!
Ob auch die Tante berede, ob auch der Oheim wüthe –
Fühlst du vielleicht für mich nichts Anderes, als Güte,
Dann sei diese Verlobung vorläufig aufgeschoben;
Ich will dich nicht binden, Soschja, wir können uns später verloben.
Zumal man gestern Abends mir den Befehl ertheilt,
In Lithauen zu bleiben, bis meine Wunden geheilt,
Als Instructor im hiesigen Regiment. Was glaubt
Meine geliebte Soschja?«
Soschja erhebt das Haupt,
Und sagt, indem sie schüchtern ihm in's Auge blickt:
»Was einst gescheh'n, das ist mir jetzt schon fast entrückt:
Ich weiß es, Alle wünschten, ich nähme Euch zum Mann,
Und ich schließ' mich immer dem Willen Gottes an,
Dem Willen älterer Menschen.« Und die Äuglein gesenkt,
Fügt sie hinzu: »Vor Eurer Abfahrt, wenn Ihr noch denkt,
Als Pater Robak verschied in jener stürmischen Nacht,
Sah ich, daß Euch der Abschied das Herz gar schwer gemacht:
[262] Ihr hattet Thränen im Aug'; die Thränen – daß ich's Euch sage,
Drangen mir bis in's Herz; ich glaub' seit jenem Tage
Daß Ihr mich wirklich lieb habt; und so oft ich hernach
Gebete für Euer Heil und Wohlergehen sprach,
Sah ich Euch immer vor mir mit diesen Thränen steh'n,
Und hab' sie groß leuchtend in Euren Augen geseh'n.
Später nahm mich die Kämm'rerin nach Wilno mit,
Dort war ich den ganzen Winter, – aber auf Schritt und Tritt
Sehnt' ich mich her in's Stübchen, wo Ihr zur Abendzeit
Mir damals zuerst begegnet und später geschieden seid.
Und die Erinn'rung an Euch, ich weiß nicht, wie es kam,
Hat, wie ein im Herbst gepflanzter Setzling, wundersam
Den Winter hindurch in meinem Herzen fortgetrieben,
Daß ich, wie gesagt, mich immer nach jenem lieben
Stübchen sehnte – dort sollt' ich Euch wiederseh'n:
So raunte mir etwas zu, und so ist's auch gescheh'n.
Da mir's im Sinn lag, führt' ich auch öfter Euren Namen
Im Mund; – es war zu Wilno, im Fasching; – die jungen Damen
Sagten, ich wär' verliebt – nun ja, gesteh' ich's ein:
Lieb' ich wen, so könnt nur Ihr Derjenige sein.«
Thaddäus, von solchem Liebeszeichen hoch entzückt,
Hat ihren Arm ergriffen, sie an sich gedrückt;
Und Beide gingen nun fort, in's Frauengemach, in's Stüblein,
Wo er vor zehn Jahren gespielt als munt'res Büblein.
Jetzt weilt dort der Notar in wunderbarem Putz,
Läuft da herum und macht sich seiner Braut zu Nutz,
Reicht ihr Büchsen und Fläschchen, Siegelring und Kette,
Schminkpflästerchen und Puder für die Toilette;
Fröhlich, triumphirend blickt er auf seine Braut.
Diese beendet den Putz, sitzt vor dem Spiegel und schaut:
Die Göttinnen der Schönheit frägt sie um Hilf' und Rath; –
Die Kammerfrauen müh'n sich sorgsam um ihren Staat,
Die frischen die Locken auf, das Eisen in der Hand,
Andere ordnen knieend die Falbeln am Gewand.
Wie so der Notar sich freut mit seinem künftigen Weibe,
Klopft ihm ein Küchenjunge an die Fensterscheibe:
[263] »Ein Hase!« – Aus dem Gestrüppe huscht' er über die Wiese
Und sprang dann in den Garten in's grünende Gemüse.
Dort sitzt er, dürft' sich leicht aufscheuchen und fangen lassen,
Stünden die Hunde am Wechsel, um ihm aufzupassen. –
Am Halsband zerrt der Assessor den Falk, – in vollem Putz
Läuft hinter ihm der Notar und ruft nach seinem Mutz.
Der Wojski läßt mit den Hunden Beide am Zaune warten,
Er selbst mit seiner Klappe begiebt sich in den Garten,
Stampft, pfeift und klatscht, und schreckt das Thier ganz fürchterlich.
Die Jäger halten die Hunde an den Ringen bei sich,
Zeigen mit dem Finger, wo der Hase sitzt,
Und schmatzen leise; – die Hunde halten die Ohren gespitzt,
Schnüffeln umher, und zittern, ungeduldig erregt, –
Zwei Pfeilen gleich, auf Eine Bogensehne gelegt.
Da schrie der Wojski: »Hussah!« Der Hase huscht heraus,
In's Feld, die Hunde nach, und stürzen gradeaus,
Mutz und Falk auf Einmal, wie zwei Vogelschwingen,
Von beiden Seiten auf's Wild, und ihre Gebisse dringen,
Wie Krallen, in seinen Rücken: ein Stöhnen entfährt dem Armen,
Wie einem neugebor'nen Kindlein, – zum Erbarmen!
Die Jäger rennen hin, todt liegt er an der Stell',
Und Mutz und Falk zerzausen ihm am Bauch das Fell.
Die Jäger streicheln die Hunde, der Wojski zog gemach
Sein Jägermesser hervor, schnitt ab die Läufe, und sprach:
»Jeder der Hunde kriegt heut' zum Lohn ein gleiches Stück,
Denn gleich sind sie an Ruhm und gleich an Siegerglück,
Gleich an Arbeit und Leistung, gleich in flinkem Satz,
Werth ist Pac des Palastes, werth der Palast des Pac:
Werth ist die Meute der Jäger, werth sind die Jäger der Meute.
Der lange heiße Streit, beschlossen ist er heute.
Ich, als euer erwählter Schiedsrichter, ich entscheide:
Keiner ist unterlegen, gewonnen habt ihr Beide!
Ich gebe die Pfänder zurück, mög' Jeder das Seine behalten,
Und ihr unterzeichnet den Frieden.« Auf diese Worte des Alten,
Seh'n sie sich an, mit leuchtenden Blicken, – und in Frieden
Vereinigen sich die Hände, die so lang geschieden.
[264] »Ich wettete,« sagt der Notar, »ein wohlgeschirrtes Pferd,
Und hab' auch schriftlich vor dem Landschaftsgericht erklärt,
Daß ich den Ring als Faustpfand leg' in des Richters Hand.
Zurück kann ich's nicht nehmen, das eingesetzte Pfand,
So laßt mich zur Erinnerung den Ring Euch dediciren,
Herr Wojski! Mögt Ihr Euren Namen eingraviren,
Oder auch der Hreczecha Wappen, wie Ihr wollt.
Ein glatter Karneol ist's und elf-karatiges Gold. –
Die Uhlanen nahmen zur Kavallerie den Renner,
Doch blieb mir das Geschirr: hoch lobt es jeder Kenner,
Als dauerhaft, bequem, und schön wie ein Joujou:
Ein schmales, türkisch-kosakisches Sättelchen, – dazu
Vorn eine Kugel, die von theuren Steinen blitzt,
Ein Pölsterchen aus Damast, – wie sich's da wonnig sitzt!
Und springst du auf den Bogen, so schmiegst du dich so nett
In diesen weichen Flaum, wie in's bequeme Bett.
Und wenn du galoppirst,« – hier spreizte der Notar,
Der, wie man weiß, ein großer Freund von Gesten war,
Die Füße auseinander, wie um zu Pferd zu steigen,
Und wiegte sich dann langsam, um den Galopp zu zeigen –
»Und wenn du galoppirst: nach allen Seiten fährt
Ein Glanz von der Schabracke, als flösse Gold vom Pferd,
Denn das Leder ist dicht mit Gold gesprenkelt, die Bügel
Breit, aus vergoldetem Silber, – hell schimmern Halfter und Zügel
Von Perlenmutterknöpfen; am Brustriem' angeschnallt
Hängt ein lichter Mond, in der Lelivagestalt,
Der Gestalt des Neumonds. – Dies ganze Prachtgeräth,
Im Kampfe von Podhajce, wie die Sage geht,
Einem hohen türkischen Schlachcic abgenommen,
Sollst du, Assessor, als Zeichen meiner Achtung bekommen.«
Worauf denn, froh der Gabe, der Assessor erklärt:
»Halsbänder, die mir einstmals der Fürst Sanguszko verehrt,
Setzt' ich zum Pfand: an Schönheit groß, und groß an Werth,
Golden, mit gold'nen Ringen, mit Schlangenfell belegt;
Dazu eine seidene Leine, die Aller Staunen erregt,
Durch die gewirkte Arbeit, durch ihren leuchtenden Stein.
[265] Das alles sollt' ein Erbtheil meiner Kinder sein:
Kinder erhoff' ich – du weißt ja, heut' vermähl' ich mich;
Doch bitt' ich ganz gehorsamst: gestatte, daß ich dich
Damit zum Dank beschenke – es sei dir, lieber Notar,
Erinn'rung an den Streit, der nun so lange Jahr'
Getobt, und ehrenvoll für Beide ward entschieden
Am heutigen Tage. – Eintracht blüh' zwischen uns und Frieden.«
Sie kehrten in's Haus zurück, zu melden zu Aller Nutz:
Beendigt sei die Fehde zwischen Falk und Mutz.
Es ging eine Sage, der Wojski hätte den Hasen im Haus
Aufgefüttert, und ließ ihn später heimlich hinaus,
Um durch den leichtesten Sieg zu enden allen Streit.
Vollführte aber das Stückchen in solcher Heimlichkeit,
Daß ganz Soplicowo dupirt war. Erst nach mehreren Jahren
Ließ sich der Küchenjunge ein Wort darüber entfahren,
Auf daß Notar und Assessor wieder einmal streiten.
Aber vergebens sucht er die Mären zu verbreiten,
Die ja den braven Hunden Ruhm und Ehre rauben:
Der Wojski leugnet's, und Niemand schenkt dem Jungen Glauben.
Schon sind die Gäste versammelt im Schloß, im großen Saal,
Steh'n plaudernd um den Tisch und warten auf das Mahl.
Jetzt tritt der Richter ein, in Wojewodentracht,
Und hat auch Herrn Thaddäus und Soschja mitgebracht.
Thaddäus geht auf die Feldherrn zu und salutirt,
Indem er mit der Linken die Schläfe leicht berührt.
Soschja tritt zu den Gästen, tief gesenkten Blicks,
Die Wangen in hellen Flammen, und grüßt mit einem Knix.
Frau Telimene hat sie so lieblich knixen gelehrt.
Sie trägt ein Kränzchen im Haar, wie's für die Braut gehört,
Im Übrigen aber immer noch dieselbe Tracht,
In der sie in der Kapelle ihr Gärbchen dargebracht.
Nun schnitt sie ein zweites Gärbchen, reicht jetzt der ganzen Schaar
Mit der Rechten daraus Blumen und Gräser dar
Und richtet mit der Linken die blitzende Sichel im Haar.
Jeder der Feldherrn nimmt, mit einem Handkuß, das Grün,
Soschja knixt im Kreis, und ihre Wangen glüh'n.
[266] Und General Kniaziewicz nimmt nun die junge Dirn'
Unter die Arme, küßt sie väterlich auf die Stirn,
Hebt sie in die Höh' und stellt sie auf den Tisch.
»Bravo!« ruft Alles und klatscht. – Wie sie so hold und frisch,
So stattlich dasteht, faßt es Alle mit Zaubermacht,
Und namentlich entzückt die schlichte Lithauer Tracht.
Denn auf diese Feldherren, die, von der Heimat verbannt,
Ihr Leben lang im Elend geirrt von Land zu Land,
Wirkte die Nationaltracht gar reizvoll, wunderbar:
Jeder erinnerte sich an seine jungen Jahr',
An's erste Liebesgetändel: also mit Thränen beinah'
Umdrängen sie den Tisch und steh'n betrachtend da.
Die bitten, sie möchte aufschau'n, sie wollten die Augen sehen,
Jene: es mög' ihr gefallen, sich herumzudrehen;
Soschja dreht sich um, bedeckt sich aber aus Scham
Die Augen mit den Händen. Der junge Bräutigam,
Thaddäus, rieb sich die Hände und blickte fröhlich drein.
Mocht' ihr die Tracht von Jemand angerathen sein,
Oder war's Instinct, – denn instinktiv erräth
Ein Mädchen immer, was ihr zu Gesichte steht:
Genug, Frau Telimene hat heut' zum ersten Mal
Sie wegen Starrsinns gescholten: sie sträubte sich gegen die Wahl
Eines modernen Putzes, – bis sie durch Thränen erzielt,
Daß sie die Lithauer Volkstracht weiter anbehielt:
Ein kurzes Kleid auf weißem langem Untergewand,
Das Kleid aus grünem Camelot mit Rosabesatz am Rand,
Ein grünes Mieder, vom Busen bis an den Hals hinan
Mit Rosabändern geschnürt, der Busen schmiegt sich dran,
Wie die Knospe an's Blatt, und wallt darunter leis'.
Des Hemdes Ärmel leuchten von den Schultern weiß,
Wie helle Schmetterlingsflügel zum Fluge ausgestreckt, –
Ausgekerbt an der Hand, mit einer Schleife besteckt.
Der Hals ist auch von schmaler Chemisette eng umwunden,
Der Kragen mit einer Rosaschleife festgebunden,
Die Ohrringe sind kunstvoll aus Kirschkernen geschnitzt,
[267] Sack hat daran gezeigt, was er für Kunst besitzt;
Zwei Herzchen waren's mit Pfeil und Flamme, ihr geweiht
Vom jungen Sack Dobrzynski in seiner Werbezeit; –
Zwei Bernsteinschnüre hängen vom Kragen über's Mieder,
Die Bänder der Zöpfe wallen über die Schultern nieder,
Um die Schläfen ein Kranz von grünem Rosmarin,
Über der Stirne aber trägt sie, als Schnitterin,
Die krumme Sichel, soeben im Grase blankgemäht,
Hell, wie auf Diana's Stirn der silberne Neumond steht.
Alles klatscht und lobt. Da zog ein Officier
Ein Portefeuille aus der Tasche mit vielen Päckchen Papier,
Hat's gleich entfaltet, den Bleistift gespitzt, im Mund benetzt,
Blickt nun auf Soschja und zeichnet. – Kaum hat er angesetzt,
Bemerkt der Richter die Blättchen und kennt den Zeichner gleich:
Zwar die Oberstmontur, die Epauletten, so reich,
Die kühne Uhlanenmiene, das spanische Bärtelein,
Der schwärzere Schnurrbart, verändern sein Aussehn ungemein;
Doch hat ihn der Richter erkannt: »Nun, gnädigster Graf, wie geht's?
Selbst Eure Patronentasche entbehrt nicht des Malergeräths?«
Es war in der That der Graf, seit Kurzem erst Soldat –
Weil er aber ein sehr bedeutend Vermögen hat,
Auf seine Kosten ein Reiterregiment gestellt,
Und gleich im ersten Gefecht sich ausgezeichnet im Feld,
Hat ihn der Kaiser heute zum Obersten ernannt:
Der Richter begrüßt ihn, wünscht ihm Glück zum neuen Stand,
Er aber hört nicht zu und zeichnet unverwandt.
Indessen erscheint das zweite von den verlobten Paaren:
Der Assessor – – einst der treue Diener des Czaren,
Heute Napoleons; Gensdarmen commandirt er, –
Zwar erst seit zwanzig Stunden: aber schon stolzirt er
In seiner blauen Montur, dem polnischen Aufschlag vorn,
Und schleppt den krummen Säbel und klirrt mit seinem Sporn.
Ihm zur Seite schreitet sein Fräulein Braut bedächtig:
Thekla, des Wojski Tochter, aufgeputzt gar prächtig; –
Denn Telimenen verließ er schon vor langer Zeit,
[268] Und ihr, der argen Kokette, zum Trutz und Herzeleid
Hat er nun sein Herz der Wojskitochter geweiht.
Das Fräulein ist nicht zu jung, – wohl schon in mittleren Jahren,
Doch eine gesetzte Person, als Wirthin wohlerfahren,
Und reich an Mitgift; denn zum Erbgut, das ihr gehört,
Hat ihr des Richters Güte noch ein Sümmchen bescheert.
Man wartet' auf's dritte Paar, das immer noch nicht er schien;
Der Richter wird ungeduldig und schickt die Diener hin:
Sie bringen zur Antwort, daß der dritte Bräutigam,
Der Herr Notar, beim Jagen um seinen Eh'ring kam,
Jetzt sucht er ihn auf der Wiese; und seine Dame weilt
Noch immerfort beim Putztisch; obwohl sie sich selbst beeilt,
Obwohl die Dienerinnen alle helfend zur Hand:
Sie kommt mit der Toilette durchaus nicht zu Stand;
Vier Uhr wird's jedenfalls, eh' sie das Werk vollbracht.

Fußnoten

1 Ein russischer Historiker beschreibt in ähnlicher Weise die Ahnungen und Vorgefühle des russischen Volkes vor dem Kriege von 1812.

2 Ein jetzt sehr seltenes Buch, vor mehr als hundert Jahren von Stefan Czerniecki herausgegeben.

3 Jene römische Gesandschaft (der Polen an den heil. Stuhl) wurde oft beschrieben und gemalt. In der Vorrede zum »Vollkommenen Koch« heißt es: »Diese Legation war für alle Herrschaften des Westens ein Gegenstand der Bewunderung: in ihr trat sowohl die unendliche Weisheit des Herrn (Ossolinski), wie der Glanz des Hauses und der Reichthum des Tisches hervor, – so daß einer der römischen Herzoge sagte: Jetzt ist Rom glücklich, da es einen solchen Gefangenen hat«. NB. Czerniecki selbst war Ossolinski's Koch.

4 Nach dem Einmarsch der französischen und polnischen Armeen schloß man in Lithauen Conföderationen nach Wojewodschaften, und wählte Landboten für den Reichstag.

5 Bekanntlich hat bei Hohenlinden ein polnischen Corps unter der Führung des Generals Kniaziewicz den Sieg entschieden. (Vgl. Anm. 2.)

6 Im spanischen Feldzug 1808 stießen die Franzosen im Kampfe bei Sommosierra auf ungeahnte Schwierigkeiten. Die Position der Spanier wurde schließlich als für die Kavallerie, wenigstens von der Front, unangreifbar erklärt. Als das Napoleon gemeldet wurde, gerieth er in großen Zorn und rief schließlich dem Major von Ségur zu: »Gehen Sie! Lassen Sie die Polen vorrücken!« Diese stürzten sich auch sofort, unter der Führung des Kozietulski, auf den Feind. Die Schwadron wurde furchtbar decimirt, Kozietulski's Mantel war von Kugeln ganz durchlöchert, aber der Angriff gelang, und die Polen durften sich wohl des Löwenantheils an dem endlich errungenen Siege rühmen. (d.Ü.)

7 »Scartabellus« ein verdorbener lateinischer Ausdruck dunklen Ursprungs, der in poln. Akten vorkommt und soviel als Briefadel, hier wohl Adel überhaupt bedeutet. Manche leiten es von »ex carta bellans« her. (d.Ü.)

8 Königin Jadwiga von Polen vermählte sich 1386 mit Jagiello, dem Großfürsten von Lithauen, und ermöglichte so die Vereinigung beider Länder. (d.Ü.)

Zwölfter Gesang

[269] Zwölfter Gesang.
Lieben wir uns!

Die letzte altpolnische Mahlzeit. – Der große Tafelaufsatz. – Erklärung seiner Figuren. – Seine Wandlungen. – Dombrowski wird beschenkt. – Noch einmal das Federmesser. – Kniaziewicz wird beschenkt. – Thaddäus' erste Amtshandlung bei der Übernahme der Güter. – Gervasius' Bemerkungen. – Das Concert der Concerte. – Die Polonaise. – Lieben wir uns!


Nun aber wird geräuschvoll die Thür weit aufgemacht:
Der Wojski tritt ein, in der Mütze, – auf Niemand hat er Acht,
Trägt hoch den Kopf, grüßt Keinen, tritt nicht unter die Gäste;
Denn in neuer Würde erscheint er am heutigen Feste:
Als Hofmarschall. – Mit seinem Marschallstabe weist er
Der Reihe nach allen Gästen, als Ceremonienmeister,
Die Plätze bei Tische an; man setzt sich alsobald:
Erst, als der Wojewodschaft oberste Gewalt,
Nimmt den Ehrenplatz der Marschall-Kämmerer ein,
Den sammt'nen Sessel mit der Armlehn' aus Elfenbein.
Neben ihm zur Rechten der General Dombrowski,
Zur Linken die Generale Kniaziewicz, Pac, Malachowski,
Zwischen ihnen des Kämmerers Gemahlin. Weiter kamen
Officiere, Magnaten, abwechselnd Herrn und Damen,
Dann Schlachta und Landedelleute. Alle sind auf den Plätzen,
Jeder, wo der Wojski ihn anwies sich zu setzen.
Der Richter verbeugt sich freundlich und verläßt den Saal;
Er giebt draußen im Hof der Bauernschaft ein Mahl.
[270] Zwei Feldwegs Länge maß der Tisch, an dem er sie reihte;
Er nimmt das eine End' ein und der Pfarrer das zweite.
Thaddäus und Soschja setzen sich nicht; sie essen im Geh'n,
Sie haben die Bedienung der Bauern zu verseh'n.
Das war so alte Sitte: die neuen Herrn erschienen
Bei der ersten Mahlzeit, um selbst das Volk zu bedienen.
Indessen schauten im Saal, bevor das Mahl begann,
Die Gäste voll Verwund'rung den Tafelaufsatz an:
An Material, wie an Arbeit, gleich kostbar und auserwählt.
Fürst Radziwill-Sierota 1 ließ, wie die Sage erzählt,
Dieses Stück in Venedig eigens construiren,
Und nach eigenen Plänen in polnischer Art verzieren.
Später, im Schwedenkriege, wurde es weggenommen,
Und ist, man weiß nicht wie, in ein Schlachcichaus gekommen.
Heut' aus dem Schatze geholt, macht's auf dem Tische Staat,
Steht in der Mitte, gewaltig, wie ein Karossenrad.
Vollgegossen war es vom Boden bis an den Saum
Mit Zucker, hell wie Schnee, und allerlei weißem Schaum,
Und eine Winterlandschaft imitirt es prächtig:
Inmitten ein Wald aus Confect, aufragend schwarz und mächtig;
Seitwärts liegen Weiler und Dörfchen weitgestreckt,
Die Häuser, statt von Reif, von Zuckerschaum bedeckt.
An den Rändern stehen, rings um die Confituren,
Zur Zierde kleine Personen: Porzellanfiguren,
In polnischer Tracht; sie scheinen sich lebendig zu rühren,
Schauspielern gleich, bestimmte Handlungen vorzuführen;
Alle Gebärden und Farben sind kunstvoll wiedergegeben,
Fehlt' ihnen nicht die Stimme, man würde meinen, sie leben.
Was, fragt man, stellen sie vor? Der Wojski erhob den Stab,
Und während man den Gästen den Schnaps zum Eingang gab,
Beginnt er folgendermaßen, und neigt sein weißes Haupt:
»Großmächt'ge Herrschaften! Wenn ihr es denn erlaubt –
Diese Menge Personen, die ihr da nehmet wahr,
Sie stellt uns die Geschichte des polnischen Kreistags 2 dar:
[271] Sein Berathen, Beschließen – Triumphe und Streitigkeiten,
Dies Bild enträthselt' ich selbst und will's den Herrschaften deuten.
Also, zur Rechten seht ihr Schlachta in großer Zahl,
Man lud sie vor der Versammlung gewiß zu einem Mahl.
Der Tisch ist gedeckt, – doch Niemand, der sie zum Sitzen lädt,
In Gruppen stehen sie da, und jede Gruppe beräth.
Seht, und in jeder Gruppe steht in der Mitte ein Mann,
Hat die Lippen geöffnet, zieht die Lider hinan,
Er gesticulirt: ein Redner, – ihr habt's gewiß erkannt;
Er spricht, kommentirt mit dem Finger und zeichnet's auf die Hand.
Diese Redner empfehlen ihre Kandidaten,
Nicht immer glücklich – das läßt die Miene der Schlachta errathen.
Die zweite Gruppe dort lauscht fleißig, wie sich zeigt,
Der, mit den Händen im Gürtel, hat das Ohr geneigt;
Jener dreht sich den Schnurrbart, hält an's Ohr die Hand,
Faßt das Gehörte zusammen, lauscht sinnend und gespannt.
Der Redner ist froh: er sieht ja, er neige ihren Sinn,
Er streichelt die Tasche: er hat schon ihre Stimmen drin.
Doch anders die dritte Gruppe: die will sich nicht beugen lassen,
Hier muß der Redner die Hörer bei den Gürteln fassen,
Sie reißen sich los, – sie wenden die Ohren ab, – da seht:
Wie dieser Schlachcic die Hände erhebt, die Backen bläht!
Er droht dem Redner, er schließt ihm den Mund, – sein Zorn verräth,
Man habe den Gegner gelobt; und dieser Zweite hier
Der seine Stirne gesenkt hat, wie ein wilder Stier:
Mit den Hörnern, glaubt man, packt er den Redner schon –
Die Einen zücken den Säbel, die Andern sind entfloh'n.
Inmitten der Gruppen steht ein Einz'ger still, in Gedanken:
Das ist ein Unparteiischer, muß wohl zagen und schwanken,
Weiß nicht, für wen zu stimmen, kämpft mit sich selbst und ruft
Das Loos an. Beide Daumen erhob er in die Luft,
Um geschloss'nen Auges Nagel an Nagel zu schlagen,
Der Mann will ein Orakel wegen der Stimme befragen.
[272] Wenn sich die Finger treffen, wirft er sein ›Ja‹ hinein,
Und wenn sie sich verfehlen, entschließt er sich zum ›Nein‹.
Links eine andere Scene: ein Refectorium, –
Man schuf es für die Schlachta zum Sitzungssaale um.
Die Ältern sitzen auf Bänken, reihweis', die Jüngern steh'n;
Seht, wie sie, zwischen den Köpfen hindurch, in's Mittel späh'n:
Dort steht der Marschall – die Urne hält er: Stück um Stück
Zählt er die Kugeln, die Schlachta verzehrt sie mit dem Blick.
Jetzt warf er die letzte hinein, die Frohne erheben die Hände,
Und nennen den Erwählten. Der Wahlakt ist zu Ende.
Doch Einer respectirt den Stimmeneinklang nicht;
Seht, aus der Küche steckt er durch's Fenster das Gesicht,
Seht, wie er die Augen aufreißt! wie schaut er keck darein!
Öffnet den Mund, als schläng' er das ganze Zimmer ein!
Ihr merkt schon: dieser Schlachcic rief ›Veto!‹ in den Saal.
Schaut nun, wie sich plötzlich auf dieses Kampfsignal
Alles zur Thüre drängt, Alles zur Küche rennt –
Die Säbel blitzen – man sieht: ein blutiger Kampf entbrennt.
Dort aber, Herrschaften, seht: dort, im Corridor,
Tritt jetzt ein greiser Priester im Ornat hervor,
Der Prior ist's, mit dem Sanctissimum, – daneben
Läutet ein Bursch' im Chorhemd und bittet Raum zu geben.
Gleich steckt man die Säbel ein, bekreuzt sich auf den Knie'n,
Wo noch die Waffe klirrt, dort wendet der Greis sich hin, –
Und wie er erscheint, wird's ruhig und aller Streit ist fern.
Ach, ihr erinnert euch nicht daran, ihr jüngern Herrn!
Eben bei dieser Schlachta, so eigenmächtig, so frei,
So wild – und wehrhaft: bedurft' es doch keiner Polizei!
So lange der Glaube geblüht, so lang man das Recht gewahrt,
So lang war Freiheit mit Ordnung, und Ruhm mit Reichthum gepaart!
In andern Ländern, hör' ich, hält man ein Schergenheer,
Polizisten, Gensdarmen und dergleichen mehr.
Wahrt aber nur das Schwert die Sicherheit: ja dann,
Dann glaub' ich nie, daß dort die Freiheit herrschen kann.«
[273] Hier klimperte der Kämm'rer an seine Dose und sprach:
»Herr Wojski, diese Scenen schildert uns hernach.
Kein Zweifel, Ihr erzählt da von interessanten Dingen, –
Aber wir sind hung'rig, laßt uns zu essen bringen!«
Da sagt der Wojski und neigt tief bis zur Erde den Stab:
»Mein gnädiger Herr Kämm'rer, schlagt mir die Gnade nicht ab!
Ich werde gleich die letzte Schilderung beenden:
Seht, wie der neue Marschall von seiner Partei auf den Händen
Hinausgetragen wird: man wirft die Mützen empor, –
Da seht: die offenen Lippen! – ›Vivat!‹ erbraust's im Chor.
Und dort auf der andern Seite, dort steht, in Sinnen verloren,
Der Durchgefallene, – einsam, – die Mütze über die Ohren.
Vorm Hause wartet sein Weib, sie denkt sich's schon – o Harm!
Seht da, ohnmächtig fällt sie der Zofe in den Arm.
Weh! weh! schon sollt' sie ihn führen, den Titel: ›Hochwohlgeboren‹,
Und blieb nun für drei Jahre wieder nur ›Wohlgeboren!‹
Hier schließt der Wojski und giebt mit seinem Stab das Zeichen.
Gleich kommen paarweis' die Diener, die die Speisen reichen:
Den Anfang macht der Barszcz, der Königsbarszcz genannt,
Dann altpolnische Brühe, bereitet von Künstlerhand;
Der Wojski that noch auf geheimnißvolle Weise
Ein Münzenstück und mehrere Perlen in die Speise:
Solch' eine Brühe ist stärkend, blutreinigend. – Weiter kamen
Gerichte aller Art, – wer aber nennt die Namen?
Wo giebt es heut' noch Einen, der alle die Speisen versteh'?
Die Schüsseln voll Klopssuppe, Milch- und Fisch- Gelée,
Die Ingredienzien: Bisam, Zirbelnüsse, Klöße,
Dorsch, Zibeth, Traganth, Prünellen, – Fische, in jeder Größe:
Gedörrte Dunajec-Lachse, Hausen, dann Kaviar,
Türkischer, venetianischer, – und die Hechte gar,
Haupt- und Mittelhechte, ellenlang; dann Flunder,
Karpfen, Zwieken, Karauschen, – zum Schluß ein Küchenwunder:
Ein in der Mitte gebrat'ner, am Kopf geschmorter Fisch,
Am Schwanz ein Ragout mit Sauce, – und, wie vom Markte frisch,
Kommt doch unzerschnitten das Ganze auf den Tisch.«
[274] Die Gäste fragen weder, wie sich die Speisen nennen,
Noch verlangt sie's, jenes Wunder zu erkennen,
Vertilgt wird alles mit wahrem Soldatenappetit,
Und auch die Ungarweine nimmt man tüchtig mit.
Der große Tafelaufsatz hat während dieser Zeit
Die Farbe völlig verändert: 3 schon ist er vom Schnee befreit
Und fängt zu grünen an. Am ganzen obern Saum
Schmilzt langsam, von der Wärme, der eisige Zuckerschaum:
Der Boden, bis jetzt verdeckt, entschleiert sich nun klar:
In anderer Jahreszeit stellt sich die Landschaft dar;
Aufglänzt ein grüner Frühling in reichem Farbenflor,
Getreide aller Art wächst, wie von Hefen, empor,
Safrangelber Weizen in goldigen Ährenwogen,
Roggenhalme, mit Silberblättchen überzogen,
Buchweizen auch, gar kunstvoll aus Chocolade gemacht,
Gärten mit Birnen und Äpfeln, blühend in reicher Pracht.
Kaum finden die Gäste Zeit, sich an den Früchten zu laben,
Möchten gern den Sommer vom Wojski verlängert haben:
Vergebens! der Tafelaufsatz wandelt, wie ein Planet,
Nach strengem Gesetz die Zeiten: langsam erwärmt, zergeht
Das goldige Ährenfeld; die Gräser werden fahl,
Das Laub wird roth, fällt ab in immer reicherer Zahl –
Man hätte des Herbstwinds Rauschen zu vernehmen geglaubt –
Und schließlich steh'n die Bäume, die erst so herrlich belaubt,
Vom Reif entblättert, vom Wind, der über sie hingegangen,
Nackt und schmucklos da: es waren Zimmetstangen,
Oder auch Lorbeerzweiglein, die statt der Fichten steh'n, –
Und statt der Nadeln sind sie mit Kümmelkörnern verseh'n.
Die Gäste beginnen zum Wein die Zweige abzuhacken,
Die Wurzeln abzureißen und als Imbiß zu knacken.
Der Wojski umschreitet den Aufsatz freudig, siegesbewußt,
Und blickt die Gäste an voll triumphierender Lust.
Heinrich Dombrowski stellt sich hocherstaunt und fragt:
»Sind das chinesische Schatten, Herr Wojski? Oder, sagt,
[275] Gab Euch Pinetti seine Teufel in die Hand? 4
Habt ihr solche Service noch jetzt im Lithauerland?
Und tafelt ihr Alle noch so, nach altem Brauch und Sinn?
Sagt mir's, denn fern der Heimath floß mir das Leben hin.«
Der Wojski verneigt sich: »Nein, das ist, – mit Eurer Gunst,
Mein gnädiger General, – gar keine Teufelskunst,
Nur eine Erinn'rung ist's an jene Festlichkeiten,
Wie sie die Herrn gegeben in früheren, großen Zeiten,
Als Polen noch groß an Macht und reich an Glück gewesen.
Was Ihr da seht, ich hab's in diesem Buch gelesen.
Ob man die Sitte üb'rall wahrt auf Lithauer Boden?
Ach, schon schleichen sich auch zu uns die neuen Moden;
Wie mancher Junker schreit: Der Luxus sei ihm verhaßt,
Ißt wie ein Jude, geizt mit Speis' und Trank dem Gast,
Kargt mit dem Ungarwein, trinkt aber den falschen, verruchten
Modewein, den Champagner, den Russentrank, den verfluchten:
Im Kartenspiel verliert er dann Abends so viel Gold,
Daß ich hundert Schlachcicen damit bewirthen wollt'!
Ja, – denn was mein Herz drückt, das soll heut' frei heraus, –
Der Kämmerer lege mir das Wort nicht übel aus –
Als ich den herrlichen Aufsatz aus dem Schatz genommen,
Hab' ich sogar vom Kämmerer Spöttereien bekommen:
Es sei eine langweilige, altväterische Maschine,
Die, wie sie aussieht, etwa Kindern zum Spielzeug diene;
Sie passe nicht für solche Herren, zu solchem Feste. –
Richter! und Ihr auch sagtet: Langweilen wird's die Gäste.
Und dennoch, wie mich das Staunen der Herrschaften belehrt,
War dieses schöne Kunstwerk sicher sehenswerth.
Ich weiß nicht, ob sich bald ein solcher Anlaß erneut,
Bei uns hier Dignitäre zu bewirthen, wie heut'!
Herr General! Ihr, seh' ich, versteht Euch auf Gasterei'n, –
Nehmt dieses Buch entgegen, Euch wird's von Nutzen sein;
Wenn Ihr darnach ein Mahl gebt, ja dann könnt Ihr schon
Die fremden Monarchen laden, bah! selbst Napoleon.
Erlaubt mir aber, bevor Ihr das Buch von mir empfangt,
Daß ich erzähle, wie es in meine Hände gelangt.«
[276] Da regt sich's vor der Thür: ein ganzer Chor stimmt an,
Und brausend hört man's rufen: »Hoch der Kirchenhahn!«
Herein strömt eine Menge, Mathias an der Spitze.
Der Richter ergreift seine Hand, führt ihn zu einem Sitze
Hoch oben an der Tafel, inmitten der Generale.
»Schlimmer Nachbar,« sagt er, »Ihr kommt so spät zum Mahle,
Es ist schon fast zu Ende!« »Ich esse gewöhnlich früh,«
Sagt Matschek, »nicht um's Mahl nahm' ich mir heut' die Müh',
Wollt' mir nur unser Volksheer etwas näher beschauen:
Viel wär' zu sagen, – 's ist nicht gestochen noch gehauen! –
Da hat mich die Schlachta bemerkt, zog mich gewaltsam her,
Und Ihr setzt mich zu Tisch: Nachbar, ich danke sehr.«
Spricht es und zum Zeichen, daß er nichts essen will,
Kehrt er den Teller um; und saß nun düster und still.
»Ihr also,« sprach Dombrowski, »Ihr, Herr Dobrzynski, seid
Jener berühmte Degen aus der Kosciuszko-Zeit,
Jener Mathias Gertchen! Kenn' Eu'ren Namen gut!
Bitt' Euch, und immer noch so rüstig und wohlgemuth!
Wie lang ist's her! Ich fang' schon zu altern an, – da schaut!
Seht her, auch dem Kniaziewicz ist schon das Haar ergraut:
Ihr aber nehmt's wohl heut' noch mit den Jüngern auf?
Und Gertchen blüht noch immer, trotz langem Zeitenlauf?
Ich hör', Ihr gerbtet jüngst den Russen derb das Fell!
Doch wo sind Eu're Brüder? Wären sie doch zur Stell'!
Ich sähe sie gar zu gern, die Kännchen, die Federmesser –
Die letzten Exemplare Altlithauer Eisenfresser.«
»Damals,« versetzt der Richter, »als wir die Russen vernichtet,
Sind fast alle Dobrzynski's in's Herzogthum geflüchtet,
Sie dürften gewiß in einer der Legionen dienen.«
»Ja,« meint ein junger Schwadronschef, »mir ist Einer von ihnen,
Ein Popanz, aus der zweiten Compagnie bekannt,
Der Wachtmeister Dobrzynski, auch ›der Täufer‹ genannt,
Von den Masuren bekam er den Namen ›Lithauer Bär.‹
Befiehlt's der General, so bringen wir ihn her.«
»Lithauen,« sagt ein Lieutenant, »hat hier so manchen Sohn,
[277] Einer tiraillirt zu Roß mit dem Tromblon;
Noch einen Andern kenn' ich, den man Scheermesser nennt,
Auch giebt's zwei Grenadiere im Schützenregiment,
Namens Dobrzynski.«
»Aber,« rief der General,
»Von ihrem Haupt, vom ›Federmesser‹ sprecht einmal!
Von dem mir ja der Wojski so viele Wunder gepriesen,
Als wär' es Einer jener vorsündfluthlichen Riesen.«
»Der,« erwidert der Wojski, »emigrirte wohl nicht,
Verbarg sich aber vor dem russischen Gericht:
Der Arme! Den ganzen Winter irrt' er Wald aus, Wald ein,
Jetzt erst kam er heraus. Er könnte wohl nützlich sein
In diesen stürmischen Zeiten: ein ritterlicher Mann –
Leider griff ihn das Alter schon ein wenig an.
Doch, – da ist er!« – Der Wojski wies hier mit der Hand
In's Vorhaus, wo die Masse der Bauern und Diener stand:
Dort taucht jetzt, wie ein Vollmond, zwischen den Köpfen hervor
Eine glänzende Glatze. Dreimal stieg sie empor,
Und dreimal, wie in Gewölk, verschwand sie im Gedränge.
Sich stets verbeugend, preßt sich der Schließer durch die Menge,
Tritt vor und spricht:
»Hochgnäd'ger Kronhetman, – oder ist's richtig:
Herr General, – thut nichts, der Titel ist minder wichtig –
Ich bin Rembajlo. Hier steh' ich mit meinem Federmesser,
Das nicht durch Inschrift noch Aufputz, sondern, was viel besser,
Durch Härte und Schneidigkeit zu seinem Ruhm gekommen,
So daß, Hochgnädiger Herr, selbst Ihr davon vernommen.
Könnte es sprechen, es würde vielleicht auch etwas sagen
Zum Lob der alten Hand, die nun seit vielen Tagen,
Gottlob, dem Vaterland gedient hat treu und echt,
Nicht minder meiner Herrschaft, der Horeszko Geschlecht,
Weß sich die Menschen heut' noch erinnern mit Fug und Recht.
Herrlein, selten schnitt wohl irgend ein Wirthschaftsschreiber
So geschickt seine Federn, wie dies da Köpfe und Leiber!
Lang' wär's zu zählen! und Nasen und Ohren! ohne Ende!
[278] Und hat doch keine Scharte, wie man's dreh' und wende,
Und würdigte sich niemals zu schnöder That herab;
Im Krieg war's oder im Zweikampf, wenn ich's geschwungen hab' –
Einmal nur – Herr, gieb ihm die ewige Ruh' im Grab! –
Raucht' es, ach, von eines wehrlosen Mannes Blute,
Und das auch, – Gott ist mein Zeuge! – pro publica salute.«
»Zeig's her,« sagt lachend Dombrowski. »Nun, mein Ritter werth,
Ein schönes Federmesser: das richtige Henkerschwert!«
Verwundert haftet sein Blick am riesigen Rappiere,
Dann zeigt er's weiter herum im Kreis der Officiere;
Jeder versucht's, doch will's den Wenigsten gelingen,
Den riesenhaften Degen in die Höhe zu schwingen.
Dembinski, hieß es, brächte das Kunststück wohl zuwegen,
Mit seinem gewaltigen Arm, – doch der war nicht zugegen;
Von den Gegenwärtigen sind nur Lieutenant Rozycki,
Der P'lotoncommandant, und Schwadronschef Dwernicki
Die mächtige Eisenstange zu bewegen im Stand.
So geht das Rappier zur Probe weiter von Hand zu Hand.
Doch General Kniaziewicz, der Stattlichste an Gestalt,
Hat, wie sich zeigt, im Arm von Allen die meiste Gewalt;
Leicht faßt er's an, erhebt's, wie einen gewöhnlichen Degen,
Um es dann über den Köpfen blitzschnell zu bewegen,
Mit polnischen Fechterstückchen, die ihm im Sinn ge blieben,
Kreuzhieben, Finten, Battuten, Zirkel- und krummen Hieben,
Handgriffen der Contrepointe und Terz: er kannte sie gut,
Noch aus dem Warschauer Kadetteninstitut.
So ficht er lachend: da kniet schon der Schließer voller Erregung,
Umfängt in Thränen sein Knie und stöhnt bei jeder Bewegung:
»Schön! General! ach, herrlich! Das ist ja Pulawski's 5 Stich!
Wart Ihr Conföderirter? – Herrlich! meisterlich!
So pflegte sich Dzierzanowski 6 immer auszulegen!
Sawa's 7 Stich! – Wer lehrt' Euch so die Hand bewegen?
Wär' es Matschek Dobrzynski? – Das aber, General,
Das ist meine Erfindung! Weiß Gott, daß ich nicht prahl'!
[279] Der Hieb ist nur im Weiler der Rembajlo bekannt,
Dort wird er nach meinem Namen der ›Herrleinhieb‹ genannt!
Wo habt Ihr's her? Mein Hieb ist's! mein Hieb!« und hurtig springt er
Vom Boden auf und stürmisch den General umschlingt er:
»Jetzt sterb' ich ruhig! – Es lebt doch in der Welt ein Mann,
Dem ich mein Kind, mein theures, überlassen kann!
Das hat mir ja Tag und Nacht so viele Schmerzen gekostet,
Ob nicht nach meinem Tode dies mein Rappier verrostet! –
Nein, nicht verrostet's! – Gnädigster General, verzeiht:
Werft doch diese Spießchen, die wälschen Degen bei Seit'!
Ist's für ein Schlachcickind doch eine wahre Schand',
Ein solches Stöcklein! – Nehmt den edlen Säbel zur Hand!
Gestattet, daß ich die Klinge Euch zu Füßen lege,
Sie ist das theuerste Kleinod, das ich auf Erden hege;
Ich hatte nicht Weib, noch Kind im Leben: dies Rappier
War mein Weib, mein Kind, – das ließ ich nimmer von mir,
Kost' es von Früh bis Abend, ja, in der Nacht sogar
Schlief es an meiner Seite; und als ich gealtert war,
Da hing es an der Wand, stets über meinem Bette,
Wie Gottes Gebote über des Juden Lagerstätte!
Ich dacht' es mit dieser Hand zugleich in's Grab zu legen –
Nun fand ich einen Erben. – Nehmt's zum Heil entgegen!«
Halb lachend, halb gerührt, versetzt der Feldherr: »College,
Trittst du mir Weib und Kind ab – auf deinem weiteren Wege
Gehst du dann gar verlassen und einsam durch das Leben,
Alt, verwittwet, verwaist! Was könnt' ich dir wohl geben
Für solch ein Geschenk? Und wie versüß' ich dir das Leid
Der traurigen Wittwerschaft und der Verlassenheit?«
»Bin ich Cybulski?« 8 bricht der Schließer schmerzlich hervor,
»Der an den Russen sein Weib im Mariagespiel verlor,
Wie das Lied erzählt? – Das ist schon genug Entgelt,
Daß noch mein Federmesser soll glänzen vor der Welt,
In solcher Hand! Nur merkt Euch, wegen der großen Länge,
Daß es auch immer an langem gestrecktem Bändchen hänge;
Und immer vom linken Ohr aus, mit beiden Händen gehalten,
Zuhau'n! dann wird's vom Kopfe bis zum Bauche spalten!«
[280] Kniaziewicz nimmt das Rappier, doch kann er's, der Länge wegen,
Nicht tragen; – die Diener müssen's zur Bagage legen.
Was aus ihm geworden: gar Manches erzählt die Mähr',
Doch wußte man nichts Bestimmtes, nicht damals, noch nachher.
Dombrowski sprach zu Mathias: »Nun, und Ihr, College?
Scheint's doch, daß unsre Ankunft Euch gar nicht freudig errege?
Ihr blickt so sauer und schweigt! Wie? hüpft Euch nicht das Herz,
Wenn goldene, silberne Adler da blinken allerwärts?
Wenn die Kosciuszko-Reveille Euch in's Ohr trompetet?
Da dacht' ich, daß Ihr schon als andrer Kerl aufträtet.
Ergreift Ihr nicht den Säbel, steigt Ihr nicht zu Roß,
So trinkt doch mit den Collegen als froher Zechgenoß,
Auf's Wohl des Kaisers, auf die Hoffnungen von Polen!«
»Ha,« sagt Mathias, »ich weiß schon! doch, sag' ich's unverhohlen,
Zusammen in einem Neste horsten zwei Adler nicht gern!
Hetman, auf scheckigem Rosse reitet die Gunst der Herrn!
Napoleon ist ein Heros, viel wär' davon zu sagen –
Ich weiß, was meine Freunde geäußert in früheren Tagen,
Wie die Pulawski's sagten, im Hinblick auf Dumouriez: 9
Noth thu' es, daß für Polen ein polnischer Held ersteh',
Kein Italiener, kein Franzose, – nein, ein Piast,
Ein Jan, ein Josef, oder ein Matschek, wie er uns paßt,
Und Punctum! – Das ›polnische‹ Heer! – Doch das sind Füsiliere,
Sapeurs und Grenadiere, Flanqueurs und Kanoniere:
Man hört mehr wälsche Titel 10 in allen diesen Armeen,
Als nationale: wer mag nur die Namen verstehen?
Und da habt Ihr Schismatiker, Türken oder Tataren,
Ohne Gott und Glauben, ganz verwilderte Schaaren,
Die die Wanderer plündern, ich hab' es selbst geseh'n,
Die Weiber molestiren, ja, Kirchenraub begeh'n.
Der Kaiser geht nach Moskau, das ist leicht gesagt!
Wenn Seine Majestät das ohne Gott gewagt –
Er soll auch schon dem Kirchenbann verfallen sein:
Das alles ist« – Hier tunkt er sein Brot in die Suppe ein,
Verzehrt es und vollendet das letzte Wort nicht mehr.
[281] Mathias' Rede schmeckt dem Kämmerer nicht sehr;
Die Jugend beginnt zu murren, der Richter beschwichtigt die Schaar
Mit der Meldung: erschienen sei das dritte Paar.
Es war der Notar Bolesta. Er mußt' es selber sagen,
Niemand erkennt ihn. Bisher hatt' er sich polnisch getragen,
Jetzt aber hat Telimene ihm im Ehevertrage
Die Klausel abgerungen, daß er dem Kontusz entsage; 11
Wohl oder übel, entschloß er sich zur französischen Tracht.
Der Frack hat ihn schon sichtlich halb um's Leben gebracht:
Er schreitet, als hätt' er ein Stöckchen geschluckt, mit steifem Rücken,
G'rad, wie ein Kranich, wagt nicht rechts, noch links zu blicken.
Die Miene ist fest, doch liest man die Tortur darin,
Wie soll er sich nur verbeugen! wo thut er die Hände hin!
Er, dieser Gestenfreund! – Die Hand in den Gürtel zu schlagen
Versucht er: da ist kein Gürtel, – er streichelt sich nur den Magen;
Jetzt merkt er's, – greift in den Frack, ganz krebsroth, ganz verwirrt,
Hat sich mit beiden Händen in Eine Tasche verirrt;
Spießruthen läuft er, während Alles kichert und zischt,
Schämt sich des Fracks, als wär' er bei einem Verbrechen erwischt –
Nun aber erblickt er Matschek's Augen und erbebt.
Matschek hatte bisher mit ihm in Freundschaft gelebt;
Jetzt sah er ihn mit so scharfem, so wildem Blicke an,
Daß der Notar erblaßte, sich zuzuknöpfen begann,
Als riss' er ihm mit dem Blick den Rock vom Leib. Doch starr
Mustert ihn Dobrzynski, ruft zweimal kräftig: »Narr!«
Ist aber über die Wandlung so fürchterlich ergrimmt,
Daß er sich gleich erhebt, gar keinen Abschied nimmt,
Fortschlüpft, sein Roß besteigt, um rasch nach Haus zu reiten.
Indessen hat Telimene schon alle Herrlichkeiten
Ihres Reizes entfaltet, und ihres Putzes Pracht, –
Vom Kopf bis zu den Füßen nach neuester Mode gemacht.
Was sie aber für Kopfputz, was für Robe getragen,
Vergeblich war' es zu schildern, das kann die Feder nicht sagen.
[282] Höchstens des Malers Pinsel mag den Ausdruck besitzen
Für alle die Tülle, Cashmires, Perlen, Steine und Spitzen,
Für das Roth der Wangen und des Auges Blitzen.
Der Graf erkennt sie sofort; bleich vor Verwunderung steht er
Vom Tische auf, rundum nach seinem Degen späht er:
»Du also bist es, Du! Trügt mich mein Auge nicht?
Drückst eines Andern Hand vor meinem Angesicht?
O unbeständig Wesen, o Seele ohne Treu',
Versinkst du in die Erde nicht vor Scham und Scheu?
So wahrst du, was dein Mund doch jüngsthin erst beschwor?
Was trug ich diese Bänder, ich leichtgläubiger Thor!
Doch ihm, der mich mißachtet, weh' dem Rivalen! fürwahr:
Nur über meine Leiche geht er zum Altar!«
Aufsteh'n die Gäste, schrecklich betroffen ist der Notar.
Der Kämmerer sucht eilig dem Streit zuvorzukommen;
Indessen hat Telimene den Grafen bei Seite genommen:
»Noch,« flüstert sie, »noch bin ich nicht Bolesta's Frau,
Wollt Ihr's verhindern, gut denn, erwidert mir genau,
Erwidert mir aber sogleich ein kurzes, bündiges Wort,
Liebt Ihr mich noch immer? Seid Ihr bereit, sofort
Als Bräutigam mit mir zu schreiten zum Altar,
Sofort, noch heute? Wollt Ihr's: verlass' ich den Notar!«
Da ruft der Graf: »O Weib, wie soll ich dich verstehen?
Einst hab' ich in der Liebe dich so poetisch gesehen,
Heut' scheinst du ja ganz prosaisch! Was sind denn eure Ehen,
Als Ketten, die nur binden, aber nicht vermählen,
Die nur die Hände vereinen, aber nicht die Seelen?
Glaub' mir, auch ohne Verlobung giebt's ein Sich-angeloben,
Pflichten auch ohne Verpflichtung! So muß sich Liebe erproben!
Zwei Herzen halten Zwiesprach von zwei Enden der Welt,
Wie mit den flimmernden Strahlen die Sterne am Himmelszelt –
Vielleicht drängt sich die Erde darum mit solchem Trieb
Zur Sonne, und ist darum dem Mond so ewig-lieb,
Weil sie sich ewig anschau'n und auf der kürzesten Bahn
Hin zu einander fliegen und sich doch nimmer nah'n!«
[283] »Genug,« versetzt sie, »genug von Eurem Sterngeflimmer!
Gottlob, ich bin kein Planet, ich bin ein Frauenzimmer,
Ich weiß schon Alles, was nachkommt, – faselt mir nicht so fort!
Jetzt sag' ich Euch zur Warnung: muckst Ihr nur ein Wort,
Um meine Ehe zu hindern, gebt Ihr heut' nicht Ruh':
Bei Gott! mit diesen Nägeln spring' ich auf Euch zu
Und« – »Nein,« erwidert der Graf, »nicht stör' ich Euer Glück.«
Und wendet sich ab, voll Trauer und Verachtung im Blick;
Und zur Strafe der Huldin mit dem falschen Sinn,
Gab er sein treues Herz der Kämmererstochter hin.
Der Wojski versöhnte gerne die Herrn, die sich entzweit,
Durch ein weises Beispiel aus der Vergangenheit,
Beginnt drum wieder, wie Rejtan einstmals Jagden hielt,
Und was er dem Herzog von Nassau für einen Streich gespielt. 12
Jetzt aber beschließen die Gäste mit dem Eis den Schmaus,
Und gehen in den Schloßhof, in die Luft, hinaus.
Dort enden die Bauern ihr Mahl: es kreisen die Krüge voll Meth,
Indeß die Musik schon anstimmt und zum Tanze lädt.
Man sucht Thaddäus: der stand abseits auf der Au,
In eifrigem, leisem Gespräch mit seiner künftigen Frau:
»Soschja, ich hab' dir etwas sehr Wichtiges vorzulegen:
Den Onkel befragt' ich bereits, – und er hat Nichts dagegen.
Du weißt, daß von den Gütern, die ich übernehme,
Ein großer Theil auf dich, nach dem Gesetze, käme.
Die Bauern sind deine Knechte, nicht meine; du hast zu schalten,
Nicht ohne die Herrin darf ich über ihr Schicksal walten. –
Jetzt, da wir das Vaterland, das theure, wiedererhalten:
Soll diese glückliche Wandlung den Bauern gar nichts frommen,
Gar nichts, als daß sie einen andern Herren bekommen?
Das ist wohl wahr, sie waren bis nun nicht schlecht gestellt:
Aber, nach meinem Tod – Gott weiß, wer dann sie erhält!
Ich bin Soldat – wir Beide sind ja doch nur sterblich;
Ich bin ein Mensch, – wie leicht wird Menschenlaune verderblich!
Es ist doch sich'rer, wenn ich der Gewalt entsage,
Der Bauern Loos dem Schutz des Gesetzes übertrage.
[284] Selbst frei, laß uns die Bauern auch zu Freien erheben,
Laß uns ihnen den Boden zu Erb' und Eigen geben,
Der sie geboren, den sie erobert in blutigem Müh'n,
Durch den sie uns Alle nähren, durch den wir wachsen und blüh'n.
Unser Einkommen aber schmälert sich, mußt du wissen,
Durch diese Schenkung: wir werden bescheiden leben müssen.
Ich bin von Jugend auf gewohnt, recht sparsam zu leben;
Doch du bist von hohem Stand – ist das auch dir gegeben?
Du warst als Kind in der Hauptstadt – ob es dir nun gefällt,
Hier auf dem Land zu leben, abseits von der Welt,
Als Landedelfrau?«
Bescheiden erwidert Soschja und spricht:
»Ich bin ein Weib: zu schalten ist meine Sache nicht;
Bin auch zu jung zum Rathen; Ihr werdet ja mein Mann,
Was Ihr verfügt, das nehm' ich von ganzem Herzen an.
Befreist du nun die Bauern, und wirst du dadurch ärmer,
Dann, mein Thaddäus, liebt dich mein Herz nur um so wärmer.
Mein Stand ist mir kaum bekannt, gleichgiltig ganz und gar;
Ich weiß nur, daß ich eine arme Waise war,
Daß mich die Soplica's annahmen an Kindesstatt,
Daß mich ihr Haus erzogen und nun verehlicht hat.
Vor'm Lande bangt mir nicht; die Hauptstadt liegt mir so fern,
Hab' sie vergessen: das Land hatt' ich ja immer gern,
Konnt' meinen Hähnen und Hennchen mehr Kurzweil abgewinnen,
Glaub' mir's, Liebster, als jenen Petersburgerinnen.
Wenn es mich zu Zerstreuungen manchmal gezogen hat,
War's Kinderei, – ich weiß jetzt: mich langeweilt die Stadt.
Ich hab's im Winter, in Wilno, nach kurzer Zeit er kannt:
Ich bin für's Dorf geboren: ich sehnte mich nach dem Land,
Nach Soplicowo, mitten aus aller Belustigung.
Die Arbeit scheu' ich nicht, ich bin ja gesund und jung;
Ich weiß mich um's Haus zu kümmern, trag die Schlüssel gerne,
Du sollst sehen, Liebster, wie ich die Wirtschaft erlerne!«
Während sie noch so redet, tritt der Schließer zu ihnen,
Guckt sauer drein und sagt dann mit verwunderten Mienen:
[285] »Die Freiheit! Weiß schon: der Richter sprach davon vorhin!
Versteh' aber nicht: wie soll sich das auf die Bauern bezieh'n!
Am End' ist das was Wälsches! 13 Gewiß – dann tadl' ich es:
Freiheit ist nichts Bäurisches, ist was Adliches!
Das ist schon wahr, wir Alle kommen von Adams Stamm:
Aber ich hab' gehört: die Bauern stammen von Cham,
Die Juden von Japhet, die Schlachta von Sem: so folgt daraus,
Daß wir Schlachcicen herrschen, als die Ältern im Haus.
Der Pfarrer auf der Kanzel führt's freilich anders aus,
Er meint: im alten Bunde war das wohl Fug und Recht,
Als aber Christus, der Herr, aus königlichem Geschlecht,
Im Bauernstall unter Juden erblickte das Licht der Welt,
Hab' er damit alle Stände vereinigt und gleichgestellt! –
Nun, wenn's nicht anders sein kann, sei's in diesem Sinn!
Zumal auch Ihre Gnaden, meine Gebieterin,
Der ganzen Sache zustimmt. Nun ja, sie hat zu schalten,
Ich zu gehorchen: Ihrer sind die Herrschergewalten.
Nur warn' ich, mit der Befreiung nicht so vorzugehen,
Daß sie ein leerer Schall wird, wie's unter den Russen geschehen,
Als der selige Karp die Bauern freigemacht, 14
Und Rußland sie mit dreifacher Steuer umgebracht.
Man möge vielmehr die Bauern zu Schlachcicen erheben,
Wie's alter Brauch, – und ihnen unser Wappen geben.
Das Fräulein mag einigen Dörfchen Ihren Halbbock weihen,
Den andern Herr Soplica Seine Leliwa verleihen.
Dann ernennt auch Rembajlo des Bauern Gleichheit an,
Sieht er ihn als Schlachcic, der Stand und Wappen gewann.
Der Reichstag sanctionirt's. –
Und mög' Ihr Mann nicht denken,
Die Herrschaften würden so arm, wenn Sie den Boden verschenken:
Das thut mir Gott nicht an, daß das Magnatenkind
Ihr Händchen abarbeitet, gleich dem Hausgesind;
Da giebt's ein Mittel: ich weiß im Schlosse einen Schrein,
Der schließt das Tischgeräth der Herrn Horeszko ein,
Halsbänder auch und Spangen, Reitzeug Säbel und Ringe,
Kostbare Federbüsche, ganz wunderherrliche Dinge:
[286] Des Truchseß Schatz, im Erdreich geborgen und vergraben;
Jetzt soll ihn Fräulein Sophie, als seine Erbin, haben.
Ich hütet' ihn, wie mein Aug' im Kopf – vor russischem Raub
Und, Ihr Herrn Soplica's, vor Euch auch, mit Verlaub.
Auch hab' ich von meinen eigenen Thalern noch ein Säckchen, –
Dienstlohn und Herrengeschenke, – es ist ein stattlich Päckchen.
Ich dachte, wenn das Schloß einst wieder in unsern Händen,
Das Geld zum Restauriren der Mauern zu verwenden.
Heut' thut es möglicherweise der jungen Wirthschaft Noth,
So zieh' ich denn, Herr Soplica, zu Euch, – das Gnadenbrod
Ess' ich bei meiner Herrin bis zu meinem Tod,
Wiege der Horeszko dritte Generation,
Drill' es zum Federmesser, das Kindlein: wenn's ein Sohn –
Ein Sohn wird's aber gewiß; denn Krieg ist vor den Thoren,
Und während des Kriegs, da werden immer Söhne geboren.«
Kaum endete seine Rede der Schließer Gervasius,
Da kommt gemessenen Schritts der Frohn Protasius,
Verbeugt sich, und aus dem Busen des Kontusz hervorgezogen,
Erscheint ein riesiger Hymnus, ungefähr dritthalb Bogen,
Von einem jungen Unterofficier geschrieben,
Der auch in der Uniform der Belletrist geblieben,
Deß Oden einst die ganze Residenz bewundert.
Protas recitirt die Verse, las ihrer schon dreihundert,
Bis er zur Stelle kam: »O, du entzückende Sonne,
Die seligen Schmerz erweckt und qualenreiche Wonne,
Die du, sobald dein Antlitz blickt auf Bellona's Heere,
Die Schilde gleich zersprengst, in Trümmer brichst die Speere:
Wirf heut' durch Hymen's Macht den grausen Kriegsgott nieder,
Reiß' aus der Stirn die Schlangen der zischenden Zwietrachtshyder!«
Da klatscht fortwährend das Brautpaar, wie um Beifall zu spenden,
In Wahrheit, um die weit're Vorlesung abzuwenden. –
Der Richter bittet den Pfarrer, auf den Tisch zu steigen,
Um Thaddäus' Beschluß den Bauern anzuzeigen.
Kaum hören sie die Kunde, so stürzen sie freudig hin
Zum jungen Herrn, zu Füßen der Gebieterin:
[287] »Hoch!« riefen sie weinend, »Hoch die Herrschaft!« – In die Reihen
Ruft Thaddäus: »Hoch die Mitbürger, die Freien,
Die Gleichen, – die Polen!« »Ich bringe das Wohl des Volkes aus!«
Sagt Dombrowski, – da tönt des Volkes Jubelgebraus:
»Hoch die Feldherrn! Das Heer! Das Volk! Hoch alle Stände!«
So schallt es tausendstimmig, abwechselnd, ohne Ende.
Nur Herr Buchmann theilt nicht die Freude an der Sache:
Er lobt den Vorschlag, möcht' nur, daß man's anders mache.
Vorher aber empfiehlt er eine legale Enquete,
Die, –
Schade, daß die Kürze der Zeit im Wege steht,
Daß es nicht so gescheh'n kann, wie Herr Buchmann räth;
Denn Officiere und Damen, Soldaten und Bäuerinnen,
Steh'n schon im Hofe, paarweis, und wollen den Tanz beginnen.
»Eine Polonaise!« ruft Alles wie Ein Mann;
Die Officiere winken ihre Kapelle heran:
Der Richter aber flüstert dem General in's Ohr:
»Laßt die Kapelle noch warten, sie spielt uns später vor.
Ihr wißt: mein junger Neffe, Thaddäus, verlobt sich heut',
Und in meinem Hause ist's Brauch seit alter Zeit,
Verlobung und Hochzeit immer bei Dorfmusik zu begeh'n.
Seht dort den Fiedler, den Dudler, den Cymbalisten steh'n,
Brave Musikanten – seht wie der Fiedler schon zuckt,
Des Dudlers Blicke betteln, wie er sich bückt und duckt:
Die Armen werden jammern, schick' ich sie jetzt zurück –
Das Volk kann auch nicht springen bei anderer Musik.
Laßt die beginnen; wir wollen dem Volk die Lust nicht stören.
Dann wollen wir auch Eure schöne Kapelle hören.«
Er gab das Zeichen.
Der Fiedler schürzt seine Ärmel, preßt
Kräftig am Griff, das Kinn ruht an dem Stege fest,
Und, wie ein Pferd im Galopp, läßt er den Bogen gleiten;
Auf dies Signal beginnen die Dudler zu beiden Seiten:
Rühren hurtig die Arme, wie mächtige Flügel wehen,
[288] Und blasen in die Bälge, daß sich die Wangen blähen:
Als wollt' das Paar auffliegen in der Lüfte Reich,
Des rauhen Boreas pausbäckigen Kindern gleich.
Es fehlt an Cymbeln –
Cymbelschläger gab es viel,
Doch neben Jankiel wagt sich Keiner an das Spiel;
Der war den Winter über, Gott weiß wohin, verschwunden;
Jetzt hat er mit dem Stab sich plötzlich eingefunden.
Das wissen Alle, daß ihm auf diesem Instrument
Keiner gleicht an Übung, an Geschmack und Talent.
Man reicht ihm die Cymbeln, bittet, – der Jude sträubt sich: er sagt,
Daß er vor den Herrschaften nicht zu spielen wagt,
Er sei des Spielens entwöhnt, habe schon plumpe Hände;
Mit einer Verbeugung entschlüpft er: als nun Soschja behende
Hinläuft und ihm auf weißer Hand die Klöppel reicht,
Mit denen der Meister gewöhnlich die Saiten der Cymbel streicht –
Mit der Linken streichelt sie ihm den grauen Bart,
Knixt und sagt: »Ach, Jankiel, wenn Ihr mir heut' willfahrt!
Auf meiner Hochzeit zu spielen, habt Ihr ja immer gelobt:
So thut mir die Liebe, Jankiel, heut' werd' ich ja verlobt!«
Nun liebte er Soschja unendlich: auf ihre freundliche Bitte
Nickt er mit dem Bart; man führt ihn in die Mitte,
Bringt einen Sessel, er setzt sich, man holt die Cymbeln, legt
Sie auf des Meisters Knie: Drein schaut er, freudig bewegt,
Stolz, – wie ein Veteran, deß Arm das Land begehrt,
Herschleppen von der Wand die Enkel das wuchtige Schwert:
Der Alte lacht, wie lange hat er's nicht getragen,
Doch fühlt er, noch wird die Hand der Waffe nicht versagen.
Inzwischen knie'n zwei Schüler neben die Cymbeln hin,
Um klimpernd die Saiten zu stimmen und straffer anzuzieh'n.
Jankiel sitzt, schweigenden Mundes, – halbgeschlossen die Lider –
Starr zwischen den Fingern die Klöppel.
Nun aber läßt er sie nieder:
Erst schlägt's wie ein Triumphmarsch; in immer schnellerem Fall
[289] Haut's dann in die Saiten, wie ein Regenschwall –
Alles lauscht erstaunt; allein das waren nur Proben;
Bald bricht er ab, hält wieder die beiden Klöppel erhoben.
Er spielt auf's Neu': schon zittern die Stäbchen, leicht bewegt,
Wie wenn ein Mückenflügel an die Saiten schlägt:
Ein kaum vernehmliches Summen. Und immer, zum Himmel starrend,
Sitzt ruhig der Meister da, wie der Begeisterung harrend.
Wie stolz die Blicke von oben über die Cymbeln schweben!
Die Hände erheben sich – fallen – schlagen mit beiden Stäben.
Staunen ergreift die Hörer.
Und Saiten um Saiten erbeben –
Da schmettert's empor: eine ganze Janitscharenkapelle,
Trommeln hört man und Becken und Tambourin und Schelle:
Die Polonaise des dritten Mai! 15 – Sich hebend und senkend
Hüpfen die Töne lustathmend, das Ohr mit Freude tränkend;
Die Mädchen wollen tanzen, die Burschen zucken und beben;
Die Alten aber trägt es in's vergangene Leben:
Wie nun die Zeit, die sel'ge, hell vor ihr Auge trat,
Da nach dem dritten Mai Landboten und Senat
Den Frieden zwischen König und Volk in höchstem Glanz
Im Rathhaussaal gefeiert, bei Spiel, Gesang und Tanz;
»Hoch der geliebte König!« so klang's da durch den Saal,
»Hoch das Volk, der Reichstag, die Stände allzumal!«
Und schneller immer und immer mächt'ger spielt er fort:
Da – wie ein Schlangenzischen ertönt ein falscher Akkord,
Wie Eisen über Glas knirscht: daß Alles ein Schauer durchdringt,
Daß es wie böse Ahnung in die Freude klingt.
Die Hörer fragen sich alle, von Angst und Bangen ergriffen:
Sind denn die Saiten verstimmt? hat sich der Meister vergriffen? –
Der Meister vergreift sich nicht! Mit Absicht berührt er sie
Stets, diese Verräthersaite, und trübt die Melodie –
Stets lauter reißt er die Saite, die grimme, fort und fort:
Den wider die Eintracht der Stimmen conföderirten Akkord!
Da faßt es der Schließer, bedeckt sein Antlitz mit der Hand:
»Das,« rief er, »ist Targowica! ich habe den Ton erkannt!«
Er spricht's: als schon lautsausend die Unheilssaite springt –
[290] Die Primen ertönen: ein wirrer, gebrochener Takt, – schon klingt
Der Primenton nicht mehr – nein, aus den Bässen dringt
Ein tausendfältig Brausen, ein immer lauteres Klirren,
Marsch, Kampf, Attaque und Sturm, Schüsse und Kugelschwirren,
Der Kinder Stöhnen, der Mütter Thränen; – der große Meister
Entfesselte so furchtbar des Sturmes klagende Geister:
Die Bäuerinnen erzittern – das Blutbad von Praga zieht
Am weinenden Aug' vorüber, bekannt aus Sage und Lied –
Froh sind sie, daß es nun endlich aus allen Saiten erbraust,
Daß er die Stimmen erstickt, begräbt mit eherner Faust.
Vom Staunen erholt sich kaum der lauschende Hörerkreis:
Da wandelt sich schon die Weise: erst wieder leicht und leis –
Ein Summen, ein Ächzen – wenige dünne Saitchen klagen,
Wie wenn sich ein paar Fliegen durch's Spinnengewebe schlagen.
Doch Saite gesellt sich zu Saite, es eint sich Ton mit Ton,
Und die Akkorde verflechten Legion um Legion:
Und schon schreitet's im Takt in mächtiger Harmonie,
Und bildet des alten Liedchens klagende Melodie:
Vom Krieger, vom verbannten, der irrt Wald aus, Wald ein,
Will manchmal fast vergehen vor Noth und Hungerspein,
Am Fuß des treuen Rößleins sinkt er endlich hin,
Und Rößlein mit dem Fuße gräbt das Grab für ihn.
Und die Soldaten erkennen' s, das Lied aus alter Zeit,
Dem polnischen Krieger so lieb! – Dicht um den Meister gereiht,
Lauschen sie, und gedenken der Tage voll Bitterkeit,
Da sie das Lied am Grabe des Vaterlandes sangen, –
Und sind dann in die weite, weite Welt gegangen!
Gedenken der langen Irrfahrt über Meer und Land,
Der Wanderung durch Fröste und heißen Wüstensand,
Inmitten fremder Völker: wo dieser Volksgesang
Oft so rührend und tröstend in ihrem Lager klang –
Und sie neigen die Häupter, sinnend, schmerzensbang.
Doch sie erheben sie gleich: Wie anders, – heller erklingt es!
Stärker, in andrem Takte, – andre Botschaft bringt es!
Und wieder läßt er von oben den Blick auf die Saiten schweben,
[291] Verflicht die Hände, und beide schlagen mit beiden Stäben:
Ein Schlag, so kunstvoll, so mächtig, daß, wie Drommeten von Erz,
Die Saiten gewaltig erklangen – und aufflog himmelwärts
Jene berühmte Weise, aus heiligster Hoffnung geboren,
Jener Triumphmarsch: Noch ist Polen nicht verloren!
Auf, Dombrowski, nach Polen! – Und Alles klatscht in die Hände,
Und: »Auf, Dombrowski!« jauchzt es von einem zum anderen Ende!
Der Meister, – als staunt' er selbst sein Lied an, so erbebt er,
Läßt aus den Fingern die Klöppel, beide Hände erhebt er,
Die Fuchsmütze hat sich ihm über die Schulter geschoben,
Es wallt der mächtige Bart, in würdigem Ernst erhoben,
Auf den Wangen erglüh'n ihm Ringe in seltsamem Roth,
Das Aug' ist voll des Geistes, von Jünglingsfeuer durchloht:
Nun blickt er auf Dombrowski, bedeckt sein Angesicht –
Während ihm über die Hände ein Strom von Thränen bricht:
»O, General! Du bist's, auf den wir Lithauer harrten,«
So ruft er, »wie wir Juden auf den Messias warten –
Du bist's, den uns der Mund der Sänger prophezeite,
Den uns ein Wunder des Himmels verkündigt! – O, leb' und streite,
Du Theuerer!« Er sprach's, von Schluchzen übermannt:
Der brave Jude, als Pole liebt' er sein Vaterland!
Dombrowski reicht ihm die Hand, dankt ihm von Herzensgrund,
Er zieht die Mütze und drückt die Hand an seinen Mund. – –
Zur Polonaise! – Der Kämm'rer steht auf mit leuchtendem Blick,
Und streift die fliegenden Ärmel des Kontusz leicht zurück,
Und dreht sich den Schnurrbart und reicht mit artigem Verneigen
Soschja die Hand und bittet um den Vortanz im Reigen.
Paarweis schließt sich an ihn der Herrn und Damen Kranz, –
Ein Zeichen: der Tanz beginnt, der Kämm'rer führt den Tanz.
Es funkeln die rothen Stiefel, über den Rasen gleitend,
Der Säbel auch und der Gürtel, blitzenden Glanz verbreitend.
Er schreitet, gleichsam ungern, in langsamer Bewegung,
Aber jeglicher Schritt, ja jede leichte Regung
Scheint, was der Tänzer fühlt und was er denkt, zu sagen.
[292] Jetzt bleibt er steh'n, als wollt' er die Dame etwas fragen:
Er flüstert ihr gern was zu, er neigt sich zu ihr vor –
Sie schämt sich, wendet den Kopf weg, neigt ihm nicht das Ohr.
Er zieht die Conföderatka: auf sein flehendes Neigen
Geruht sie, ihn anzublicken, doch sie verharrt im Schweigen;
Er mäßigt die Schritte, es forscht sein Blick in ihrem Blick:
Nun lacht er auf! ihr Auge verkündete sein Glück! –
Jetzt schreitet er schneller, von oben mustert er seine Rivalen,
Die Conföderatka, auf der die Reiherfedern strahlen,
Bald hängt er sie über die Stirn, bald schüttelt er sie empor,
Jetzt aber dreht er den Schnurrbart und rückt sie keck auf's Ohr.
Hingeht er – und voller Neid sind Alle hinter ihm her:
Ach, wenn er mit seiner Dame nur schon im Stillen wär'!
Artig die Hand erhebend, bleibt er zuweilen steh'n,
Und bittet sie flehentlich, sie möchten vorübergeh'n, –
Manchmal sucht er behende seitwärts hinwegzugleiten,
Nimmt einen andern Weg, die Neider irrezuleiten:
Hartnäckig aber dringen sie üb'rall auf ihn ein,
Den Fliehenden umschlingen sie flink im Ringelreih'n;
Da legt er zürnend die Hand an's Schwert, – als wollt' er sagen:
Weh' euch, ohnmächt'ge Neider! was werd' ich nach euch fragen!
Und wendet sich, Stolz auf der Stirne, keckes Geständniß im Blick,
G'rad in die Menge: die Tänzer weichen scheu zurück –
Doch ändern sie nun die Reihen und eilen wieder im Bunde,
Den Kühnen zu verfolgen –
Da scholl es in der Runde:
»Ach, das ist vielleicht der Letzte, – seht, junge Leute, seht!
Der Letzte, der Polonaisen so zu führen versteht!«
Lautjauchzend wandeln Paar um Paar; des Ringes Ründung
Schließt sich, öffnet sich, wie in tausendfacher Windung
Die Riesenschlange sich bricht; und wie die blitzenden Schuppen,
So schillert, in steter Verwandlung, die bunte Tracht der Gruppen,
Der Herrn, der Damen, der Krieger, vergoldet vom Abendglanz,
Gehoben vom dunklen Pfühl des Rasens: es braust der Tanz,
Es rauscht die Musik, – »Hoch!« »Bravo!« tönt's aus dem jauchzenden Kranz.
[293] Nur Sack, der Korporal, lauscht weder der Musik,
Noch tanzt, noch jubelt er im allgemeinen Glück.
Die Hände auf dem Rücken, bös, düster steht er da:
Er denkt, was ihm durch Soschja für Herzeleid geschah, –
Wie er ihr Körbchen geflochten, wie er ihr Blumen gebracht,
Nester ausgenommen und Ohrringe gemacht!
O, Undank! Obwohl er so viel Geschenke an ihr verschwendet,
Obwohl's ihm der Vater verbietet, obwohl sie sich von ihm wendet,
Sitzt er noch immer – wie oft – an jenem Bretterzaun,
Schleicht in den Hauf, um sie durch's Fenster zu erschau'n,
Versucht noch, ob er sie nicht in ihrem Gärtchen erblickt,
Wenn sie die Hennchen füttert, jätet, Gurken pflückt –
O, Undank! – Er senkt die Stirne, und – am Ende pfeift er
Eine Mazurka, den Tschako über die Ohren steift er,
Dann geht er fort in's Lager zu den Kanonenwachen,
Um da zur Tröstung ein Reversispielchen zu machen,
Zu seh'n, ob nicht der Becher sein trauernd Herz zerstreue:
So wahrte Sack Dobrzynski seiner Soschja die Treue!
Soschja tanzt fröhlich: man sieht sie aus der Ferne kaum,
Obwohl sie den Reigen anführt. Auf dem weiten Raum
Des grünbewachs'nen Hofs, in ihrem grünen Kleid,
Geschmückt mit Guirlanden und Kränzen, in der Tänzer Geleit,
Schwebt sie durch Gräser und Blumen in unsichtbarem Flug,
Und leitet den Tanz, wie ein Engel der Sterne nächtlichen Zug.
Doch man erräth, wo sie ist: zu ihr sind die Blicke gelenkt,
Zu ihr die Arme erhoben, zu ihr hat sich Alles gedrängt.
Vergebens hat sich der Kämm'rer sie festzuhalten geplagt,
Die Neider haben ihm schon den Vortanz abgejagt;
Auch Dombrowski bleibt nicht lang der glückliche Ritter,
Ein Zweiter nimmt sie ihm weg, und eilig naht schon ein Dritter,
Auch der ist bald verdrängt und hat kein Glück zu hoffen;
Schon ist sie müd': da hat sie ihren Thaddäus getroffen, –
Jetzt möchte sie nicht länger in immer andre Hände,
Möcht' nun bei ihm bleiben und macht dem Tanz ein Ende. –
Bald steht sie wieder am Tisch, mit Wein die Gäste labend.
[294] Die Sonne sank; es war ein warmer, stiller Abend,
Der Himmel da und dort in kleine Wölkchen getaucht,
Oben bläulich, im Westen rosig angehaucht;
Die strahlenden, leichten Wölkchen, schön Wetter künden sie an:
Hier ruh'n sie, wie Lämmer, schlummernd auf grünem Wiesenplan,
Dort andre, etwas kleiner, Spiegelenten gleich; –
Im Westen hängt eine Wolke, durchsichtig, faltenreich,
Wie ein Spitzenvorhang: die Säume voll goldiger Garben,
Die obere Fläche perlgrau, das Innere purpurfarben;
Im Glanz der Abendsonne erglüht sie noch und glimmt,
Bis sie langsam vergilbt, verbleicht und grau verschwimmt. 16
Da senkt die Sonne ihr Haupt, schiebt vor die Wolke, – und tief
Voll warmer Luft aufathmend, erseufzte sie – und entschlief.
Und tapfer trinkt die Schlachta: ein Hoch um's andre bringt sie,
Auf Bonaparte, die Feldherrn, Thaddäus und Soschja trinkt sie,
Ein Hoch der Reih' nach allen drei verlobten Paaren,
Allen, die kamen, – Allen, die geladen waren,
Allen Freunden und Lieben, die noch auf Erden leben,
Und die als heil'ge Schatten um die Lebendigen schweben!
Auch ich war bei den Festen und zechte mit den Gästen,
Und was ich sah und hörte, das gab ich euch zum Besten.

Fußnoten

1 Machte weite Reisen und gab eine Beschreibung seiner Pilgerfahrt in's heil. Land heraus.

2 Vgl. Anm. 19. (d.Ü.)

3 Im 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts, in der Blüthezeit der Künste, wurden sogar die Bankette von Künstlern angeordnet und waren voller Symbole und theatralischer Scenen. Auf dem berühmten römischen Bankett zu Ehren Leo des X. befand sich ein Tafelaufsatz, der den Wechsel der vier Jahreszeiten vorstellte, und der auch gewiß dem des Radziwill als Muster gedient hat. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts nahmen die Tafelgebräuche in Europa eine andere Gestalt an; in Polen erhielten sie sich am längsten.

4 Pinetti, ein in ganz Polen berühmter Taschenspieler; wann er da verweilt hat, ist uns nicht bekannt.

5 Vgl. Anm. 11. (d.Ü.)

6 Vgl. Anm. 11. (d.Ü.)

7 Vgl. Anm. 11. (d.Ü.)

8 In Lithauen giebt's ein bekanntes Klagelied von der Frau Cybulska, die ihr Mann im Kartenspiel an die Russen verloren hatte.

9 Die französische Regierung unterstützte die Conföderirten von Bar (vgl. Anm. 11.) nicht nur mit Geldmitteln, sondern sandte ihnen auch tüchtige Offiziere, unter Andern den später so berühmt gewordenen Dumouriez. (d.Ü.)

10 Im Polnischen wörtlich: »Mehr deutsche Titel«. Der Pole gebraucht für alles Nicht-Nationale den Namen »Deutsch«, ganz in demselben Sinne, wie die Deutschen den Ausdruck: »Wälsch«. (d.Ü.)

11 Die Mode, die nationale Tracht mit der französischen zu vertauschen, grassirte in den Provinzen von 1800 bis 1812. Die meisten jungen Leute wechselten die Tracht vor der Verheirathung, auf Wunsch der Braut.

12 Die Geschichte vom Streit zwischen Rejtan und dem Herzog von Nassau, die der Wojski nicht zu Ende erzählt, ist aus der Tradition bekannt. Dem neugierigen Leser sei hier der Ausgang derselben mitgetheilt: Ärgerlich über Nassau's Prahlereien, stellte sich Rejtan einmal neben ihm an einem Engpaß auf. Da stürzte plötzlich ein gewaltiger, durch das Schießen und Hetzen gereizter Eber auf sie zu. Rejtan reißt dem Herzog die Flinte aus der Hand, wirft sie an den Boden, ergreift dann einen Speer, reicht dem Herzog einen zweiten und ruft: »Jetzt wollen wir sehen, wer besser mit dem Spieß umgeht«. Schon drang der Eber auf sie ein, als der Wojski Herczecha, der in einiger Entfernung von ihnen stand, mit einem wohlgezielten Schuß das Thier niederstreckte. Die beiden Herren ärgerten sich anfangs, dann versöhnten sie sich und belohnten den Wojski reichlich.

13 Vgl. Anm. 10. (d.Ü.)

14 Die russische Regierung erkennt keine Freien an, außer der Schlachta. Die von ihren Grundherrn freigegebenen Bauern werden sofort in die Listen der Kaiserlichen Tafelgüter eingetragen und müssen, statt den Frohne, eine erhöhte Steuer zahlen. Bekanntlich haben die Grundeigenthümer des Wilno'er Gouvernements auf einer Landschaftsversammlung im J. 1818 ein Projekt zur Befreiung sämmtlicher Bauern beschlossen und in dieser Angelegenheit eine Gesandtschaft an den Kaiser geschickt; aber die Regierung befahl, das Projekt zu unterdrücken und nie mehr zu erwähnen. Man kann unter der russischen Regierung einen Menschen auf keine andere Weise frei machen, als indem man ihn in die Familie aufnimmt. Viele wurden denn auch auf diesem Wege aus Gnade oder für Geld in die Schlachta aufgenommen.

15 Vgl. zu dieser Stelle, und überhaupt zum »Concert der Concerte«, die Anm. 3, – speciell zum »Blutbad von Praga« die Anm. 5. (d.Ü.)

16 Dem Leser der bisher bemerkt hat, in welchen innigen Zusammenhang Mickiewicz die Erscheinungen der Natur und die menschlichen Dinge zu bringen liebt, wird es weder schwer fallen, noch als gezwungene Deutelei erscheinen, die inmitten der großen Festschilderung gar so unverhältnißmäßig breit und scheinbar kleinlich ausgemalten »Wolken« am Schlusse der Dichtung noch ganz anders, denn als bloße Äußerlichkeit, zu verstehen. Es wird ihm nicht schwer sein, in jener Wolke im Westen, der gold-und perlengeschmückten, aber im Innern blutig-rothen, den großen Kriegsmann des Westens, Napoleon, oder, wenn man will, die an ihn geknüpfte Hoffnung der Polen, zu erblicken. Wir befinden uns im Jahre 1812: die Aureole jenes Namens, wie diese Hoffnung und Festesfreudigkeit, wir mögen sie wohl wiedererkennen in dem glänzenden, aber flüchtigen Gebilde, das da

» ... langsam verbleicht, vergilbt und grau verschwimmt, –«

hinter dem die Sonne aufseufzend entschlummert. So läßt der Dichter an dieser Stelle, wie früher (S. 281) in den Worten Matschek's, die große Tragödie ahnen, die in Kurzem nicht bloß Lithauen und Polen, sondern die Welt erschüttern sollte. (d.Ü.)

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TextGrid Repository (2012). Mickiewicz, Adam. Versroman. Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen. Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-376A-C